Gesellschaftliche Beziehungsformen und psychosoziale Kränkungen: Eine tätigkeitspsychologische Grundlegung 3593334054

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Gesellschaftliche Beziehungsformen und psychosoziale Kränkungen: Eine tätigkeitspsychologische Grundlegung
 3593334054

Table of contents :
1. Einleitende Bemerkungen 11
2. Entwicklungsrichtung klinisch-psychologischer Theorienbildung
Kognitive Therapien ~ Handlungstheorien
Eine kritische Betrachtung IS
3. Der Begriff der gegenständlichen Tätigkeit als Grundkategorie einer Theorie der personalen Subjektentwicklung
Kategoriale Grundlagen der Tätigkeitspsychologie 31
3.1 Philosophische und anthropologische Grundannahmen
(-Die Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung: historisch-genetisch-) 31
3.2 Implikate der Kategorie der gegenständlichen
Tätigkeit 42
3.2.1 Konzeptualisierung der Verhältnisse: Individuum-Gesellschaft, Subjekt-Objekt,
Tätigkeit-Bewußtsein 42
3.2.2 Zur Gegenständlichkeit (a) und Subjektgebundenheit (b) der menschlichen Tätigkeit
(Gegenstands- und Subjekt-'Seite') 48
3.2.3 Die zwei 'Sphären' ('Wirkungskreise') von
Tätigkeit(s-) und Bewußtsein(s-Entwicklung) 60
3.3 Ein sozialwissenschaftliches Grundmodell zur
Analyse von Subjektverhältnissen 62
3.4 Handlung - Tätigkeit - Arbeit - Praxis. Terminologische Erläuterungen und ein Modell ihrer entwicklungslogischen Verbindung und (wechselseitigen)
Determinierung 66
4. Die motivationale Grundlage menschlichen Handelns
Die Naturgrundlage der Bedürfnisse und ihre Konstituierung und Entwicklung als Motive der Tätigkeit
Motiv-System und Emotionen 73
4.1 Die naturhistorische Herausentwicklung zweier
Bedürfnisarten und ihre Besonderheit auf menschlichem Entwicklungsniveau 74
4.2 Zur Vergegenständlichung der Bedürfniszustände
durch die menschliche Tätigkeit: (Tätigkeits-)-
Motive-Bildung 79
4.2.1 Sinnbildende Motive der Tätigkeit 81
Exkurs zur Frage der Nicht-Bewußtheit
der sinnbildenden Motive der Tätigkeit; Sinn und Bedeutung 90
4.2.2 Stimulierende Motive der Tätigkeit 100
54.3 Allgemeine Kriterien "problematischer" Tätigkeitsmotive. Und eine terminologische Anmerkung 101
4.4 Motiv-System und Emotionen 105
5. Die Struktur der menschlichen Tätigkeit
Untersuchung der inneren Verhältnisse von personalen
Subjekten unter dem Systemaspekt 109
5.1 Grundschemata zur inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit 109
5.2 Zum Verhältnis von sinnbildenden und stimulierenden Motiven der Tätigkeit 121
5.2.1 Eine "systematische" Betrachtung zum
emotionalen Erleben 12S
5.3 Über personale Subjekt-Systeme und Prozeßebenen
des oberen Kontextes 129
5.4 Idee11-kognitive Handiungsregulation.
- Das System des Ideellen und dessen Aufschlüsselung gemäß der 'Ebenenstruktur1 der Tätigkeit - 133
5.4.1 Die Struktur des individuellen Ideellen
und die 'Dimension der Subjektivität1 133
5.4.2 Zum Verhältnis von praktischer und theoretischer
Tätigkeit (Wirklichkeit und Möglichkeit) 141
5.4.3 Die 'Ebenenstruktur' der theoretischen
Tätigkeit. Und die Gerichtetheit des
individuellen Bewußtseins ("Werte" und
"beliefs") 144
5.4.4 Stichworte zur Abwehr 150
6. Untersuchung der inneren Verhältnisse von personalen
Subjekten unter dem Entwicklungsaspekt
Die Entwicklung der Persönlichkeit 154
6.1 Persönlichkeit als Gegenstand (klinisch-)
psychologischer Forschung 154
6.2 Kategorien zur Beschreibung der Person-Entwicklung (Genese und Reproduktion); PersönlichkeitsentWicklung als Reproduktion sozialer
Existenzformen (erhaltende und erweiterte
Reproduktion) 159
6.3 Persönlichkeitsentwicklung als Tätigkeitsentwicklung 163
6.3.1 Zur differenzierenden Betrachtung von
"Individuum" und "Persönlichkeit" 163
6.3.2 Die "doppelte Topologie" der PersonEntwicklung: Verschränkung von Kompetenzund Persönlichkeitsentwicklung 167
6.4 Handeln und Erkennen; Tätigkeitsentwicklung
und Reflexionsmodi 170
6.4.1 Zum Verhältnis der Reflexionsmodi zu den
Aktivitätskategorien 181
6.4.2 Drei Abschnitte ("Phasen") in der Genese
der Persönlichkeit 184
67. Beeinträchtigte PersöniichkeitsentWicklung und die
Entwicklung psychosozialer Kränkungen 1S7
7.1 Psychische Beeinträchtigung in der PersonEntwicklung (Die "reduzierte" Persönlichkeit) 187
7.2 Das Konzept der Orientierungskrise und psychische Entwicklung:
Stagnation/Regression/Progression 192
7.2.1 Vorbemerkungen zur Krise und den "Mechanismen" ihrer Bewältigung 192
7.2.2 Die Orientierungskrise als (implizite)
Identitätskrise. Stellenwert und Implikationen dieser Krise bei "reduzierter" Persönlichkeitsentwicklung (Stagnation versus
Progression) 196
Exkurs zum Verhältnis von Entwicklungsnotwendigkeit und Möglichkeitsentwicklung in der Orientierungskrise 204
7.2.3 Regression. Und Symptombildung 208
7.3 Epilog: Allgemeines zur Struktur beeinträchtigter und gekränkter Subjekt-Welt-Beziehungen.
Und Bemerkungen zur psychotherapeutischen Problemanalyse 213
Anmerkungen 227
Literaturverzeichnis 231
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 240

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Sigrid Haselmann Gesellschaftliche Beziehungsformen und psychosoziale Kränkungen

Eine tätigkeitspsychologische Grundlegung

Campus

Forschung

Gesellschaftliche Beziehungsformen u^d psychosoziale Kränkungen

Campus Forschung Band 396

Sigrid Haselmann, Dipl.-Psychologin und Dr. phil., ist Lehrbeauftragte im Modellversuch »Fachkräfte für die psychosoziale Versorgung« der FU/FHSS. Bis 1983 war sie Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Psychologie der FU Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Persönlichkeits- und Klinische Psychologie.

Sigrid Haselmann

Gesellschaftliche Beziehungsformen und psychosoziale Kränkungen Eine tätigkeitspsychologische Grundlegung

Campus Verlag Frankfurt/N ew York

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Haselmann, Sigrid: Gesellschaftliche Beziehungsformen und psycho= soziale Kränkungen : e. tätigkeitspsycholog. Grundlegung / Sigrid Haselmann. - Frankfurt/Main ; New York : Campus Verlag, 1984. (Campus : Forschung ; Bd. 396) ISBN 3-593-33405-4 NE: Campus / Forschung

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Copyright © 1984 bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Eckard Warminski, Frankfurt/Main Druck und Bindung: difo-druck, Bamberg Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS

1.

Einleitende Bemerkungen

11

2.

Entwicklungsrichtung klinisch-psychologischer Theorienbildung Kognitive Therapien ~ Handlungstheorien Eine kritische Betrachtung

IS

3.

4.

Der Begriff der gegenständlichen Tätigkeit als Grundkategorie einer Theorie der personalen Subjektentwicklung Kategoriale Grundlagen der Tätigkeitspsychologie 3.1 Philosophische und anthropologische Grundannahmen (-Die Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung: historisch-genetisch-) 3.2 Implikate der Kategorie der gegenständlichen Tätigkeit 3.2.1 Konzeptualisierung der Verhältnisse: Individuum-Gesellschaft, Subjekt-Objekt, Tätigkeit-Bewußtsein 3.2.2 Zur Gegenständlichkeit (a) und Subjektgebundenheit (b) der menschlichen Tätigkeit (Gegenstands- und Subjekt-'Seite') 3.2.3 Die zwei 'Sphären' ('Wirkungskreise') von Tätigkeit(s-) und Bewußtsein(s-Entwicklung) 3.3 Ein sozialwissenschaftliches Grundmodell zur Analyse von Subjektverhältnissen 3.4 Handlung - Tätigkeit - Arbeit - Praxis. Terminologische Erläuterungen und ein Modell ihrer entwicklungslogischen Verbindung und (wechselseitigen) Determinierung Die motivationale Grundlage menschlichen Handelns Die Naturgrundlage der Bedürfnisse und ihre Konstituierung und Entwicklung als Motive der Tätigkeit Motiv-System und Emotionen 4.1 Die naturhistorische Herausentwicklung zweier Bedürfnisarten und ihre Besonderheit auf menschlichem Entwicklungsniveau 4.2 Zur Vergegenständlichung der Bedürfniszustände durch die menschliche Tätigkeit: (Tätigkeits-)Motive-Bildung 4.2.1 Sinnbildende Motive der Tätigkeit Exkurs zur Frage der Nicht-Bewußtheit der sinn bildenden Motive der Tätigkeit; Sinn und Bedeutung 4.2.2 Stimulierende Motive der Tätigkeit

31 31 42 42 48 60 62

66

73 74 79 81 90 100 5

4.3 4.4 5.

Allgemeine Kriterien "problematischer" Tätigkeitsmotive. Und eine terminologische Anmerkung Motiv-System und Emotionen

Die Struktur der menschlichen Tätigkeit Untersuchung der inneren Verhältnisse von personalen Subjekten unter dem Systemaspekt 5.1 Grundschemata zur inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit 5.2 Zum Verhältnis von sinnbildenden und stimulierenden Motiven der Tätigkeit 5.2.1 Eine "systematische" Betrachtung zum emotionalen Erleben 5.3 Über personale Subjekt-Systeme und Prozeßebenen des oberen Kontextes 5.4 Idee 11-kognitive Handiungsregulation. - Das System des Ideellen und dessen Aufschlüsselung gemäß der 'Ebenenstruktur 1 der Tätigkeit 5.4.1 Die Struktur des individuellen Ideellen und die 'Dimension der Subjektivität 1 5.4.2 Zum Verhältnis von praktischer und theoretischer Tätigkeit (Wirklichkeit und Möglichkeit) 5.4.3 Die 'Ebenenstruktur' der theoretischen Tätigkeit. Und die Gerichtetheit des individuellen Bewußtseins ("Werte" und "beliefs") 5.4.4 Stichworte zur Abwehr

6.

6

Untersuchung der inneren Verhältnisse von personalen Subjekten unter dem Entwicklungsaspekt Die Entwicklung der Persönlichkeit 6.1 Persönlichkeit als Gegenstand (klinisch-) psychologischer Forschung 6.2 Kategorien zur Beschreibung der Person-Entwicklung (Genese und Reproduktion); PersönlichkeitsentWicklung als Reproduktion sozialer Existenzformen (erhaltende und erweiterte Reproduktion) 6.3 Persönlichkeitsentwicklung als Tätigkeitsentwicklung 6.3.1 Zur differenzierenden Betrachtung von "Individuum" und "Persönlichkeit" 6.3.2 Die "doppelte Topologie" der PersonEntwicklung: Verschränkung von Kompetenzund Persönlichkeitsentwicklung 6.4 Handeln und Erkennen; Tätigkeitsentwicklung und Reflexionsmodi 6.4.1 Zum Verhältnis der Reflexionsmodi zu den Aktivitätskategorien 6.4.2 Drei Abschnitte ("Phasen") in der Genese der Persönlichkeit

101 105

109 109 121 12S 129 133 133 141

144 150

154 154

159 163 163 167 170 181 184

7.

Beeinträchtigte PersöniichkeitsentWicklung und die Entwicklung psychosozialer Kränkungen 7.1 Psychische Beeinträchtigung in der PersonEntwicklung (Die "reduzierte" Persönlichkeit) 7.2 Das Konzept der Orientierungskrise und psychische Entwicklung: Stagnation/Regression/Progression 7.2.1 Vorbemerkungen zur Krise und den "Mechanismen" ihrer Bewältigung 7.2.2 Die Orientierungskrise als (implizite) Identitätskrise. Stellenwert und Implikationen dieser Krise bei "reduzierter" Persönlichkeitsentwicklung (Stagnation versus Progression) Exkurs zum Verhältnis von Entwicklungsnotwendigkeit und Möglichkeitsentwicklung in der Orientierungskrise 7.2.3 Regression. Und Symptombildung 7.3 Epilog: Allgemeines zur Struktur beeinträchtigter und gekränkter Subjekt-Welt-Beziehungen. Und Bemerkungen zur psychotherapeutischen Problemanalyse

1S7 187 192 192

196 204 208

213

Anmerkungen

227

Literaturverzeichnis

231

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

240

7

Diese Arbeit b a s i e r t auf dem wissenschaftlichen Werk von Alexej Nikolajewitsch LEONTJEW (1903 1979). Aber es waren die Texte von Irma GLEISS, die mich auf den Weg zu einem engagierten Verständnis der Leontjew'schen Tätigkeitstheorie geführt haben. Und es waren die Arbeiten und Ausführungen von Arne RAEITH EL, die mir zu weiteren Erkenntnissen verhalfen.

"Allein auch wenn ich wissenschaftlich etc. tätig bin, eine Tätigkeit, die ich selten in u n m i t t e l b a r e r Gemeinschaft mit andern ausführen kann, so bin ich g e s e l l s c h a f t l i c h , weil als Mensch tätig. Nicht nur das Material meiner Tätigkeit ist mir - wie selbst die Sprache, in der der Denker tätig ist - als gesellschaftliches Produkt gegeben, mein eignes Dasein ist g e s e l l s c h a f t l i c h e Tätigkeit; darum das, was ich aus mir mache, ich aus mir f ü r die G e s e l l s c h a f t mache und mit dem Bewußtsein meiner als eines gesellschaftlichen Wesens" (Karl Marx, MEW Erg.Bd. 1, 536).

Kapitel 1:

EINLEITENDE BEMERKUNGEN

(Erklärungs-) Mode lie psychischer "Gestörtheit" bzw. psychosozialen Gekränktseins (sowie speziellere Thesen zur Ätiologie und Genese psychischer Schädigungen) sind selbstverständlich von nahezu allen "traditionellen" klinisch-psychologischen Ansätzen oder psychotherapeutischen Richtungen bereits vorgeschlagen worden. Indes: eine Konzeption der psychischen Beeinträchtigung s t e h t und fällt mit der 'Adäquatheit 1 der zugrundegelegten Auffassungen über "den" Menschen, dessen Natur und Wesen, f e r n e r über die Bedingungen menschlichen Lebens (und menschlichen "Funktionierens"), über die wesentlichen Prozesse, die menschliche Lebensäußerungen, die Handeln und Denken und Fühlen eines menschlichen Individuums charakterisieren. Jede "Störungs"theorie birgt ganz bestimmte anthropologische Implikationen, des weiteren beinhaltet sie immer (expliziert oder nicht) ganz bestimmte allgemein-psychologische Konzepte (über "Persönlichkeit", "Verhalten" oder "Handlung", "Motivation", "Emotion" etc.) und sie ist immer eingebunden in bzw. orientiert an eine(r) bestimmten "Metatheorie" oder "Weltanschauung" (vgl. m.E. die 5 "Explikationsniveaus von psychologischen Therapien" nach van QUEKELBERGHE 1979, 224ff; s. unten). Nun nahm diese Arbeit ihre Anfänge in einer Krise, die ich mit der herrschenden Psychologie im allgemeinen und -innerhalb meines hautpsächlichen Arbeitsfeldes- mit den Theorien, Konzepten und Therapie-Verfahren der sog. "Klinischen Psychologie" im besonderen hatte. Die wissenschaftshistorische Entwicklung war fortgeschritten von der zunehmenden Abkehr von behavioristischen Konzeptionen hin zur -die gesamte "bürgerliche" Psychologie erfassenden- sog. "kognitiven Wende" (verschiedentlich wurde hierbei von "Paradigmawechsel" gesprochen) bis zum neuesten handlungstheoretischen "Trend". Damit verbunden waren fundamentale Wandlungen der anthropologischen Grundannahmen bzw. der wissenschaftlichen Postulate über "den" Menschen, und zwar -durchaus erfreulich- in Richtung auf ein -könnte man sagen- immer "menschlicheres" Menschen"bild", nämlich vom blind-passiv-reagierenden und einseitig-mechanisch-umgebungsdeterminierten Organismus hin zum bewußt-aktiv-zielgerichtet (nicht bloß grüblerischen sondern auch) handelnden und reflexiven Subjekt. Diese Fortentwicklungen finden sich gleichermaßen innerhalb der akademisch beeinflußten, um t h e o r e tisch-wissenschaftliche Begründung bemühten "Klinischen" Psychologie als Abwendung von der klassischen Verhaltenstherapie (VT) hin zur kognitiven VT und zur Kognitiven Therapie bis zu handlungstheoretisch fundierten ProblemIi

lösungstherapien (s.a. van QUEKELBERGHE 1979, BAADE u.a. 1980) und waren von mir aktiv mitvollzogen worden. Somit ist der engere Ausgangspunkt meiner damaligen Krise, die sich dann aber auf die 'Gesamtpsychologie' ausdehnte, umrissen. Vor allem k o n s t a t i e r t e ich, daß Fragen nach dem Wesen der psychischen Beeinträchtigung, nach der Logik der Prozesse der Entwicklung psychosozialer Kränkungen (-vorzugsweise verwende ich diese Terminologie, statt von psychischen "Störungen" zu sprechen-) im Lebensverlauf konkreter menschlicher Subjekte nach wie vor ( t r o t z deutlicher Weiterentwicklungen in Richtung auf a d ä q u a t e r e Modelle vom Menschen) eher ungeklärt blieben, entsprechende psychische Phänomene (wie Emotionen, Motivationen, Zielbildungen etc.) eher unbegriffen. Das psychisch beeinträchtigte/"gestörte" Individuum erscheint inzwischen zwar nicht mehr (wie in der VT) einseitig außen-determiniert als Opfer (Objekt) individuellschicksalshafter ungünstiger Umgebungsbedingungen, nunmehr aber (in der "Kognitiven Psychologie") einseitig von-innen-her-determinierend als geistiger Konstrukteur seiner Welt, dem in seiner Konstruktion einige logische Fehler u n t e r l a u f e n sind, oder (in den Handlungstheorien) -sowohl "von außen her" determiniert als auch "von innen her" determinierend- zwar als handelndes, aktiv Ziele verfolgendes Subjekt, dessen psychische Beeinträchtigung jedoch lediglich darin zu bestehen scheint, daß ihm einige Fähigkeiten und Fertigkeiten der zweckrationalen, effizienten Handlungsplanung, -regulation und -ausführung fehlen (vgl. unten; s.a. HASELMANN 1982). Nach wie vor e r f o l g t in allen Fällen keine psychologische Bestimmung des individuellen Menschen als soziales -in soziale Beziehungen eingebundenes - Wesen, keine Bestimmung seiner Persönlichkeit (in ihrer Subjektivität einerseits und Gesellschaftlichkeit andererseits), bleibt -damit zusammenhängend- erstens der Entwicklungsprozeß zur psychischen Beeinträchtigung/"Störung" unverstanden und zweitens die personale Sinnhaftigkeit der Problematik/Symptomatik unthematisierbar. In den "Störungs"theorien der sog. "Humanistischen Psychologie" oder der (Neo-)Psychoanalyse andererseits, mit denen sich aus t ä t i g k e i t s t h e o r e t i s c h e r (tt) Sicht auseinanderzusetzen eine wichtige, allerdings erst künftig noch zu leistende Aufgabe darstellt, finden sich (noch) andere Einseitigkeiten. Wie auch immer, —über eine "rein" fachlich-theoretische Unzufriedenheit hinausgehend, betraf meine damalige Krise -sonst wäre sie nicht als solche zu i d e n t i f i z i e r e n - , auch meine bis dahin 'etablierte 1 Tätigkeit als Psychologin, dabei meine gesellschaftliche/soziale Stellung und in der besonderen Weise, in der ich diese tätig realisierte, war es eine persönliche Krise, betraf sie mich als Person, meine Persönlichkeit. Solche Art Krise äußert sich dem personalen Subjekt oft als "Identitätskrise" und stellt eine Krise des Sich-Orientierens in jeweiligen Tätigkeitsfeldern dar (welche von leichteren Verwirrtheiten bis zur völligen Orientierungslosigkeit reichen mag). Es stellt sich dabei die Frage des persönlichen Sinns der eigenen Handlungen und ihrer Ziele, beziehungsweise deren bisherige -nicht explizit reflektierte- personale Sinnhaftigkeit ist in Frage gestellt. So konnte auch ich irgendwie keinen Sinn mehr darin sehen, mit den üblichen Konzepten Studenten auszubilden und "Klienten" zu " t h e r a p i e r e n " ; es schien mir das sinngebende Motiv für entsprechende (Arbeits-)Handlungen verloren gegangen zu sein. Dabei bestand ein wesentlicher Aspekt dieser Sinn-Krise darin, daß ich klinisch-psychologische Theorien und Konzepte lehren und "anwenden" sollte, die ich für mich selbst nicht (mehr) gutheißen konnte bzw. 12

für mich (-auf mich angewandt-) nicht akzeptiert hätte. Beispielsweise war ich nicht gerne bereit, meine eigenen psychischen Schwierigkeiten kognitiv-therapeutisch als Folge 'falschen' Denkens zu verstehen. Oder, wennzwar ich bei mir Denkhaltungen, "Selbstverbalisierungen" und Einschätzungen e t c . i d e n t i f i zieren konnte, die nach abgehobenen Kriterien der Realitätsadäquanz (z.B. MAHONEY 1977; BECK 1979) oder der "Irrationalität" (ELLIS 1977) als "inadäquat", "unvernünftig" o.ä. zu bezeichnen wären, so empfand ich diese doch als sehr erlebnisnah und eben zu mir gehörig, wohingegen dann ihre formal-rationalistische Widerlegung mir 'im Kopfe' zwar sehr wohl möglich war, jedoch nichts mehr mit mir zu tun h a t t e ; das heißt: -wie viele "Klienten" auchs p e r r t e ich mich dagegen, diesen 'rationalen Unsinn' für mich anzunehmen (vgl. auch JAEGGI 1981). Angesprochen ist somit die Frage der Selbstanwendung psychologischer Theorien, die hiermit gleichzeitig zu einer Art "Gütekriterium" ernannt wird. Unter b e s t i m m t e n Voraussetzungen ist gerade die Selbstanwendungsfähigkeit (zum Selbstanwendungs-Kriterium s. RAEITHEL 1983, 14 f f ) einer psychologischen Theorie Maßstab ihrer Praxisnähe, Gradmesser ihrer Relevanz und 'praktischen Wahrheit'. Mit den vorstehenden Äußerungen ist andeutungsweise ein Exempel einer Selbstanwendung der in dieser Arbeit e n t w i c k e l t e n t ä t i g k e i t s t h e o r e t i s c h e n Konzeption der Person-Entwicklung, in der nämlich unter anderem das Konzept der Krise als Knotenpunkt für qualitative Sprünge in Entwicklungsprozessen eine gewichtige Rolle spielt, gegeben. Auch denke ich, daß mir vermittels der Erarbeitung und Weiterentwicklung der materialistischen Tätigkeitstheorie (TT) LEONTJEWs s t a t t zu stagnieren (oder gar zu regredieren) tatsächlich eine "progressive" (s. dazu die Kapitel 6, 7) Bewältigung meiner damaligen Sinn-/ Orientierungs-Krise gelungen ist. Der Mensch als Gegenstand psychologischer Forschung Um die "Menschenmodelle" verschiedener (klinisch-)psychologischer Konzeptionen e i n z u s c h ä t z e n , ist es nützlich, die Ansätze daraufhin zu untersuchen, was sie -explizit oder implizit- über die Verhältnisse: Subjekt-Objekt, Tätigkeit-Bewußtsein, Individuum-Gesellschaft aussagen. Wie diese Verhältnisse in der Tätigkeitspsychologie gefaßt werden, ist in Kapitel 3 dargestellt. Die 'Quelle' psychischer Beeinträchtigung wird aus tätigkeitstheoretischer Sicht vor allem in der Besonderheit jeweiliger Individuum-Gesellschaft-Verhältnisse behauptet. Und hierbei lautet die 'Leit'these, daß das. Individuum nicht isoliert von seinen je historisch-konkreten gegenständlichen und sozialen Lebensverhältnissen, in die es (als aktiv handelndes Subjekt) eingebunden ist, untersucht werden kann. Mit den Inhalten und in der Art, wie es seine konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse tätig realisiert, bildet es seine Persönlichkeit. "Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes A b s t r a k t u m . In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" schrieb MARX in seiner berühmten 6. These über FEUERBACH (MEW 3, 6). In dieser Form hat die These allerdings noch keinen spezifisch psychologischen Charakter, vielmehr ist damit für die Psychologie e r s t die Aufgabe gestellt, eine theoretische Konzeption zu entwickeln, die in der Lage ist, diese These psychologisch zu konkretisieren. Und diese Aufgabe ist nicht damit e r l e d i g t , die Persönlichkeit als "inneres Konkretum des ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse" (JANTZEN 1979, 1982) zu s p e z i f i z i e r e n . Es geht vielmehr um die Erarbeitung einer psychologischen Konzeption, die zeigt, wie und warum diese These zutrifft und wie sich dies im einzelnen 'Fall', für 13

ein konkretes Subjekt, 'darstellt 1 . Die Leontjew'sche Tätigkeitstheorie vermag dies ist meine These - bei entsprechender Ausarbeitung eine solche Konzeption zu sein. Während die "traditionellen" (nicht-materialistischen) (Therapie-)Ansätze der Klinischen Psychologie (Gesprächspsychotherapie, G e s t a l t t h e r a p i e ...; Verhalt e n s t h e r a p i e , Kognitive Therapie ...; Psychoanalyse ...) das Individuum i.d.R. absolut setzen, es -in individualistischer Befangenheit- 'für sich genommen', 'als solches', damit als anscheinend a - h i s t o r i s c h e s und a-gesellschaftliches Einzelwesen analysieren (und "therapieren") wollen, wird in m a t e r i a l i s t i s c h e r Argumentation das scheinbar so konkrete Ausgehen von der Einzelperson als "Verkehrung von Konkretheit und A b s t r a k t h e i t " (HOLZKAMP 1972; s.a. MAIERS 1979) kritisiert (s. Punkt 3.1). Die undialektische Trennung von 'Natur' und Gesellschaft führt die nicht-materialistische Psychologie -auch ihre gesellschaftskritischen und "fortschrittlichen" Richtungen- zur Behauptung eines unvermittelten Gegensatzes zwischen abstrakt-isoliertem Individuum und determinierender feindlicher Gesellschaftsstruktur (Individuum-Gesellschaf t-Frontstellung), statt daß das personale Subjekt in seinen gesellschaftlichen Beziehungen und damit seinem Wesen nach als gesellschaftlich begriffen wird. Der traditionell-psychologischen a b s t r a k t e n Isolierung der Einzelperson von ihren gesellschaftlichen Lebensverhältnissen und der damit zumeist verbundenen Individualisierung psychischer Probleme auf der einen Seite steht deren Soziologisierung oder Entpsychologisierung auf der anderen Seite gegenüber. Letzteres t r i f f t großenteils auf Konzepte der Kritischen Psychologie zu, in denen psychische Störungen nur als Folge inadäquater Verarbeitung der jeweiligen zentralen -den gesellschaftlichen Aktivitätsmatrizen (vgl. SEVE 1972) inhärenten» K o n f l i k t p o t e n t i a l e b e t r a c h t e t werden, überhaupt individuelle Probleme ziemlich unvermittelt mit den zentralen Widersprüchen g e s e l l s c h a f t l i c h e r Individualitätsformen im Kapitalismus identifiziert werden (vgl. H.-OSTERKAMP 1976; zur Kritik vgl. GLEISS 1978, 142ff), und in denen Ereignisse der konkreten Biographie eines personalen Subjekts unter dem Gesichtspunkt zu vernachlässigender "individueller Gegebenheitszufälle" abgetan, jedenfalls hintangestellt, werden (in KAPPELER u.a. 1977). Auch ist es unangebracht, von der Lebenstätigkeit 'als Ganzes' auszugehen. In der Psychologie -so betont LEONTJEW (1977, 1 9 8 2 ) 0 . hat man es immer mit spezifischenTätigkeiten zu tun, mit konkreten Tätigkeiten, ansonsten bliebe auch unerklärlich, "daß Menschen in bestimmten Lebensbereichen aktiv und bewußt sein können, in anderen dagegen hilflos, ängstlich und verstört" (GLEISS 1978, 147). Wie die Kritik von Ute H.-OSTERKAMP (1976) an der LEONTJEWschen Konzeption des persönlichen Sinns zeigt, wird ferner die gerade (klinisch-)psychologisch relevante "Dimension der Subjektivität" (s. HASELMANN 1982 und die nachfolgenden Kapitel) von der Kritischen Psychologie übersehen oder verkannt (s. aber neuerdings zur Subjektivität: HOLZKAMP 1979a,b, 1983). Das Abstrahieren von den historisch-konkreten Verhältnissen, damit das Isolieren des Individuums 'als solches' oder die Vernachlässigung individuell »biographischer Besonderheiten, subjektiver Sinnbezüge und auch intra- und inter individueller D i f f e r e n z i e r t h e i t e n bei objektiv gleicher Klassenlage und gleichem gesellschaftlichen Standort, —beides ist inadäquat vereinseitigend und beiderlei Reduktionismen sollen in der Tätigkeitspsychologie überwunden werden. Ein Ziel der Arbeit ist es demgemäß, für eine Konzeption der psychischen Beeint r ä c h t i g u n g die Person/Persönlichkeit gleichzeitig in ihrer besonderen Subjektivität einerseits und ihrer G e s e l l s c h a f t l i c h k e i t a n d e r e r s e i t s b e g r e i f b a r zu 14

machen. Um nämlich für ein Verständnis des Entwicklungsprozesses zum psychosozialen Gekränktsein sowohl (a) die 'Basis1 der Entwicklung psychosozialer Kränkungen wie auch (b) deren Entwicklung beim individuellen Subjekt einer Klärung zuführen zu können, muß die Persönlichkeit(sentwicklung) in ihrer (a) Gesellschaftlichkeit und (b) Subjektivität gleichermaßen erfaßt werden. Nun wurde hiermit der wissenschafts- wie alltagstheoretisch stark vorbelastete Persönlichkeits-Begriff, der andererseits -unter Benutzung der materialistischen Subjektkategorie erst noch entwickelt werden muß (s. dazu RAEITHEL 1983)schon eingeführt. Im Tätigkeitsansatz wird die Persönlichkeit i.e.S. (vgl. Kap. 6) als "Bewegungsform" im gesellschaftlichen Lebensprozeß, im konkreten Alltag, im N e t z der historisch-konkreten sozialen Beziehungen verstanden (vgl. GLEISS 1979, 1980). Die Persönlichkeit eines konkreten Subjekts bildet, verwirklicht und reproduz i e r t sich in einer besonderen Form, in der es als soziales Wesen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit " e x i s t i e r t " , genauer: in der es im N e t z der sozialen Beziehungen lebt, sich bewegt und sich erhält und entwickelt/verändert; damit ist die Persönlichkeit eines Subjekts als dessen soziale Existenzform oder kürzer: dessen Sozialform bestimmt. Die B,efassung mit dem Person-Begriff verweist auf ein weiteres Postulat der Tätigkeitspsychologie im Hinblick auf eine Konzeption psychosozialer Kränkungen: daß nämlich psychische " G e s t ö r t h e i f ' / p s y c h o s o z i a l e s Gekränktsein als Moment der sich auf der Basis je konkreter materiell-gegenständlicher Bedingungen und in je konkreten m a t e r i e l l - s o z i a l e n Verhältnissen vollziehenden Persönlichkeitsentwicklung verstanden wird (-genaugenommen ist "Voraussetzung" der Entwicklung psychosozialer Kränkungen eine b e e i n t r ä c h t i g t e / " r e d u z i e r t e " Persönlichkeitsentwicklung-). Folglich wendet sich der Tätigkeitsansatz gegen bloß symptom-orientierte Ansätze der Klinischen Psychologie, die "Erklärungsmodelle" für scheinbar 'an und für sich' existierende "Störungen" ("Phobie", "Depression" etc.) bzw. Erklärungsmodelle "depressiver", "phobischer" etc. "Reaktionen" oder Handlungsweisen, in denen vom konkreten empirischen Subjekt abstrahiert wird, vortragen und/oder ihren p r a k t i s c h - t h e r a p e u t i s c h e n "Erfolg" an der je aktuellen Beseitigung des je vordergründigen Symptoms bemessen wollen. In der psychosozialen/psychotherapeutischen Praxis wird man (als Psychologe/Therapeut) nicht einer "Störung" begegnen, sondern einem konkreten Menschen, einer Person. Die bloße Symptom-Orientierung macht blind gegenüber dem "ganzen" Menschen und fördert eklektizistische Technologien (wie in der Verhaltens- und Kognitiven Therapie). Notwendig ist es demgegenüber -von einer Theorie der Persönlichkeit ausgehend- den Stellenwert, die Funktion bzw. (-darin besteht Ubereinstimmung mit der Psychoanalyse») den Sinn der Symptomatik f ü r die Person in ihren konkreten SubjektWelt-Beziehungen auszumachen. Ähnlich äußerte ich mich bereits früher: "Im praktisch-therapeutischen Handlungsraum sind wir nicht mit Symptomen oder Syndromen beschäftigt, sondern immer mit konkreten Personen. Die Frage kann deshalb nicht lauten: 'Wodurch und warum entstehen depressive, phobische e t c . Störungen im allgemeinen', sondern sie muß heißen: 'Wodurch und warum (durch welche Prozesse und aus welchem Grunde) wurden von diesem Klienten z.B. sogenannte depressive, von jenem Klienten z.B. sogenannte phobische Symptome entwickelt?' Eine bloße Symptomorientierung -welche sich in den verschiedenen Ansätzen als Konsequenz der fehlenden Konzeption von Persönlichkeit ergibt- läßt uns die Funk15

tion nicht erkennen, die die jeweiligen Symptome für das Subjekt haben und sie birgt die Gefahr in sich, daß wir am Klienten, an seiner Person vorbeitherapieren." (HASELMANN 1982, 123/12fr). Nun ist Ziel dieser Arbeit die k a t e g o r i a l e Grundlegung einer umfassenden Konzeption psychischer Beeinträchtigung, ausgehend von einer historisch hergeleiteten und begründeten Auffassung von der 'Natur' des Menschen und unter s y s t e m a t i s c h e m Einbezug e t w a solcher relevanter 'Parameter' menschlicher Daseinsform und Lebensweise, wie z.B. - der Mensch als kooperativ-arbeitendes und sozial-kommunikatives Wesen, - zielgerichtetes Handeln und Handlungsfähigkeiten des personalen Subjekts, - subjektive Zielbildungen, -Motivbildungen und Motive der T ä t i g k e i t , - Emotionen und emotionale Valenzen, -handlungsregulierende Kognitionen bzw. kognitive S c h e m a t a / S t r u k t u r e n und Prozesse, - (realitätsverzerrende) Umwelt-Wahrnehmung, - dynamische Gerichtetheit und bedeutungsmäßige Konsistenz (Gleichsinnigkeit) im Handeln, - z w i schenmenschliche Beziehungsformen, u.a.m.. Zu diesem Zweck erfolgt eine Ausarbeitung der LEONTJEW'schen T ä t i g k e i t s t h e o r i e als Grundlagenmodell, dabei in Kapitel 3 die Ausdifferenzierung der Grund kategor ie der gegenständlichen menschlichen Tätigkeit unter Beachtung auch der Sozialverhältnisse zwischen Menschen und eine Erweiterung um andere wichtige Grund kategor ien menschlicher A k t i v i t ä t ; in Kapitel fr eine Analyse der Motive der Tätigkeit, auch Bestimmung ihrer naturhistorisch-ge wordenen (Bedürfnis-) Bas is und ihrer Bildung und Entwicklung im Vergesellschaftungsprozeß des individuellen Subjekts, des weiteren Erarbeitung der Bedingungen ihrer Unbewußtheit und ihres Bewußtwerdungsprozesses (Kap. fr, auch Kap. 6); in Kapitel 5 die Untersuchung der inneren Verhältnisse von personalen Subjekten, dabei auch von u.U. konflikthaften/konfligierenden Motive-Verhältnissen, die Untersuchung der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit wie auch des individuellen Bewußtseins/des Ideellen unter dem 'Systemaspekt'; in Kapitel 6 die Erarbeitung einer Theorie der Person-Entwicklung, einschließlich der gnostischen Entwicklungsprozesse, die Erarbeitung einer tätigkeitstheoretischen Persönlichkeitskonzeption als Entwicklungs- und Bewegungs"topologie"; in Kapitel 7 die Beschreibung der psychischen Beeinträchtigung in der Person-Entwicklung, ("reduzierte Persönlichkeit") und die Modellierung von Orientierungskrisen und ihrer Bewältigung i.S. von Progression (d.h. Weiterentwicklung, "qualitativer Sprung") statt Stagnation, oder i.S. von Regression und Symptombildung; Explikation der objektiven und subjektiven Bedingungen für Regression und Symptombildung sowie der Voraussetzungen für Progression. Letzteres, nämlich: nicht nur (akute) Problembewältigung, sondern Progression sollte das Ziel jeder präventiven oder therapeutischen Hilfe sein! Ähnlich wie van QUEKELBERGHE (1979) für eine vergleichende Betrachtung psychologischer Therapien fünf "Explikationsniveaus" (22fr f f ) u n t e r s c h e i d e t , sollen hier in etwas modifizierter Betrachtung fünf (einander durchdringende) Beschreibungs-Dimensionen konstatiert werden, welche umfassen: 1. "Meta"theorie (anthropologische, philosophische, gesellschaftstheoretische o.ä. Grundannahmen), 2. allgemein-psychologische Theorie (Verhaltens- bzw. Handlungs- und Persönlichkeitstheorie, Emotions- und Motivationstheorie), 3. Theorie psychischer "Störungen'Vpsychosozialer Kränkungen, fr. Therapie-Theorie (Theorie therapeutischer (Veränderungs-)Prozesse) und 5. den praktisch-therapeutischen Handlungsraum. 16

Davon werden in dieser Arbeit aus tätigkeitstheoretischer Sicht die ersten drei Dimensionen abgehandelt. Die Erstellung einer tätigkeitspsychologischen Therapie-Theorie indes kann hier noch nicht geleistet werden, bleibt somit als wichtige Aufgabe für die Zukunft bestehen. Wie schon e r w ä h n t , lag der ursprüngliche Ausgang dieser Arbeit in einer Auseinandersetzung mit der klinisch-psychologischen Richtung der Kognitiven Therapien und neueren Handlungstheorien (zur Kurz-Kritik s. Kapitel 2). Von daher soll mit dieser Arbeit auch gezeigt werden, daß die Weiterentwicklung und Ausarbeitung des LEONTJEW'schen Tätigkeitsansatzes zu einer theoretischen Konzeption führt, die gegenüber den vereinseitigenden und f ü r sich genommenen 'verkehrten' kognitiv-psychologischen und handlungstheoretischen Konzepten übergreifendes Integrations-, u m f a s s e n d e r e s Erklärungs-/Begründungspotential aufweist. Unter Beibehaltung ihres positiven Erkenntnisgehalts (und bei Schätzung vor allem auch ihrer in der psychotherapeutischen/psychosozialen Praxis 'anwendungserprobten' Er-Kenntnisse) wird damit deren Stellenwertrelativierung bzw. eine Einschränkung ihres Geltungsbereichs nahegelegt.

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Kapitel 2s

ENTWICKLUNGSRICHTUNG KLINISCH-PSYCHOLOGISCHER THEORIENBILDUNG KOGNITIVE THERAPIEN - HANDLUNGSTHEORIEN EINE KRITISCHE BETRACHTUNG

Wie schon angedeutet, läßt sich innerhalb des 'Feldes' der auf die Verhaltenstherapie bezogenen, d.h. auf ihr aufbauender oder aber in Opposition zu ihr entwickelter, Ansätze die Entwicklungsrichtung klinisch-psychologischer Theorienbildung als Abfolge von 4 "Positionen" beschreiben: a)

die (neo-)behavioristische Position (etwa: WÖLPE, SKINNER, LINDSLEY, RACHMAN, EYSENCK, YATES, SHAPIRO; seit ca. 1950; Vorläufer: WATSON) b) die kognitiv-behavioristische Position (etwa: MEICHENBAUM, MAHONEY, GOLDFRIED, BANDURA, m.E. MISCHEL; seit ca. 1970; Vorläufer: TOLMAN, m.E. DOLLARD/MILLER, m.E. ROTTER) c) die kognitive Position (etwa: BECK, ELLIS, R.S. LAZARUS, FRANKL; seit ca. 1960 existent, seit ca. 1970 aktuell; Vorläufer: DUBOIS, ADLER; KELLY, BRUNER, m.E. LEWIN und PIAGET) d) die handlungstheoretische Position (etwa: KAMINSKI, WERBIK, HECKHAUSEN; HACKER und VOLPERT; aktuell seit ca. Mitte 1970; Vorläufer: MILLER/GALANTER/PRIBRAM; m.E. RUBINSTEIN; m.E. WYGOTSKY, LEONTJEW) Wennzwar eine eindeutige Zuordnung einzelner Ansätze zu den beiden genannten kognitiv-ausgerichteten Positionen nicht immer möglich ist, so sind doch im Grundsätzlichen beide Positionen verbunden mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bei der Analyse ("gestörten") menschlichen Denkens und Handelns. Die Differenzierung von "kognitiv-behavioristischer" und "kognitiver" (kognitivistischer) Position kann erfolgen je nach Verankerung der jeweiligen Ansätze in behavioristischen Prinzipien (vgl. van QUEKELBERGHE 1979, JAEGGI 1979) sowie m.E. in Abhängigkeit davon, inwieweit eine Beschränkung der Analyse auf die linear-sequentielle Ebene des "Verhaltens"ablaufs (etwa: Stimulus*Kognition*Reaktion) erfolgt (kognitiv-behavioristisch) oder aber vorrangig die kognitive 'Binnenstruktur' menschlichen Handelns thematisiert wird (also etwa den aktuellen Selbstverbalisierungen oder Einschätzungen übergeordnete, situationsübergreifende Denkhaltungen etc.). Für die kognitiv-behaviorale Position (wie sie etwa von MAHONEY 1977, 144-195; MEICHENBAUM 1979 und BANDURA 1979 vertreten wird) läßt sich 18

aligemein k o n s t a t i e r e n , daß behavioristische Mod eil annahmen (wie das inputoutput-Schema, das Implikat von der Re-aktivität menschlichen 'Funktionierens' u.a.m.) nicht überwunden wurden. Fortgeschrieben wird ein reduktionistischer Verhaltensbegriff, insofern als das Verhalten/die menschliche A k t i v i t ä t quasi 'gegenstandsneutral' konzipiert wird und ein reduktionistischer Umweltbegriff, insofern als die Umwelt auf "Situationen", die ihrerseits zumeist als bloße Reiz-Konstellationen abgebildet werden, verkürzt wird. Ansonsten wird der Mensch hier vornehmlich als Informationsverarbeiter (vgl. das "Paradigma" des "information processing" bei van QUEKELBERGHE 1979, 15), menschliches Verhalten in Analogie zum Automatenverhalten b e t r a c h t e t . Diese Betrachtungsweise bringt es auch mit sich, daß vom konkreten, aktiv erkennenden Subjekt abstrahiert wird. Bei einer abstrakt-formalistischen Konzeptualisierung menschlicher Informationsverarbeitung kann ferner der Wertungsaspekt subjektiven Kognizierens nicht thematisiert werden und generell bleiben bei bloß formaler Analyse der Angemessenheit oder Unangemessenheit der (scheinbar gegenstandslosen') Informationsverarbeitung inhaltliche Bestimmungen, etwa über die Angemessenheit bzw. Unangemessenheit von relevanten Vorstellungen, Phantasien, Einstellungen des Subjekts außer Betracht. Entsprechend findet auch JAEGGI (1979) im Rahmen ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der kognitiven Verhaltenstherapie a la MEICHENBAUM: "Dahinter steht ein inhaltsleeres, f o r m a l i s t i s c h e s Menschenbild. 'Irgendwelche' kognitiven Konzepte dirigieren 'irgendein' Verhalten. Vom Inhalt der Konzepte (etwa von der Frage, ob sie richtig oder f a l s c h sind) kann dabei abgesehen werden. ... Auch die kognitive Komponente ä n d e r t nichts daran, daß die Verhaltenstherapie explizit nichts darüber auszusagen hat, von welchen inhaltlichen Motiven oder Kräften her Menschen bestimmt werden" (dto, 51). Im Unterschied zu Ansätzen der kognitiven VT (der kognitiv-behavioristischen Position) steht nun hinter denen der Kognitiven Therapie (der kognitivistischen Position; etwa: ELLIS 1977, ELLIS/GRIEGER 1979; BECK 1979, BECK u.a. 1981) zwar kein inhaltsleeres Menschenbild (es werden inhaltliche Angaben über "adäquate" oder "inadäquate Kognitionen" gemacht, beispielsweise werden Denkhaitungsmuster, die " g e s t ö r t e s " Verhalten und Erleben bedingen sollen, inhaltlich benannt, wie etwa die "irrational beliefs" von ELLIS oder die "kognitive Triade" von BECK), aber eines, in dem der (einzelne) Mensch, losgelöst von seinen objektiven gesellschaftlichen Lebensverhältnissen, - e t w a im Sinne des epistemologischen Subjektmodells ä la KANT- als (privater) geistiger Konstrukteur seiner Welt erscheint. Sicher ist es ein "Fortschritt" gegenüber der -wie auch immer kognitiv ausgeweiteten» behavior ist ischen Psychologie, daß sich die kognitivist ische Psychologie nicht nur mit erkannten Gegenständen befaßt, sondern "außerdem mit dem (bewußten) Erkennen von Gegenständen" (van QUEKELBERGHE 1979, 16), da e r s t damit Begriffe und Kategorien wie Bewußtsein, Bedeutung, Antizipation etc. überhaupt eingeführt und solche Aspekte menschlicher Erkenntnist ä t i g k e i t , wie Intentionalität, Symbolik des Erkennens sowie m.E. Bewertung des Erkannten überhaupt zum Thema gemacht werden können. Aber gewissermaßen als Antithese zum Subjekt- und inhaltslosen, ursprünglich "bewußt- bzw. geistlosen" (Neo-)Behaviorismus wird hier a n s t e l l e des naiven mechanischen Materialismus eine subjektiv-idealistische Position etwa im Sinne der früheren deutschen Bewußtseinspsychologie (Leipziger, Würzburger Schule) vertreten. 19

Das Problem einer solchen Position besteht nicht allein darin, daß die Analyse der objektiven materiell-gegenständlichen und materiell-sozialen Bedingungen und Verhältnisse als 'Basis1 und 'Quelle' der Entwicklung psychosozialer Kränkungen mißachtet wird, sondern des weiteren darin, daß aufgrund dieser Betrachtungsweise auch keinerlei Angaben über den Entstehungs- und Entwicklungsprozeß der zentralen "beliefs", subjektiven Annahmen, Denkhaltungen oder 'privaten Realitätskonstruktionen' beim personalen Subjekt noch über die Bedingungen und 'Mechanismen' ihrer ( A u f r e c h t - ) E r h a l t u n g und Veränderung gemacht werden können. In kognitiven (Therapie-)Ansätzen, in denen die Existenz eines (individuellen) Bewußtseins, eines subjektiven Bildes von der Welt ä priori gesetzt und als nicht weiter erklärungsbedürftig betrachtet wird (-es ist auch die Rede vom "Primat der Kognition"-; vgl. van QUEKELBERGHE aaO), bleibt unter anderem unklar, woher die "subjektiven Kognitionen" kommen, wieso und wodurch sie bei psychisch b e e i n t r ä c h t i g t e n Menschen (in je bestimmten Handlungszusammenhängen) verzerrt, unlogisch oder situationsunangemessen erscheinen und wie es zu verstehen/erklären ist, daß der "Klient" so vehement an seinen o f f e n b a r verzerrten/unrealistischen und meist negativen Gedanken/Vorstellungen über sich selbst und die Welt f e s t h ä l t , f e r n e r auch etwa - t r o t z 'Belehrung'- weiterhin " f o r m a l e Denkfehler" (BECK aaO), wie Ubergeneralisierung, willkürliche Schlußfolgerung u.a.m. b e g e h t . Die privaten kognitiven Realitätskonstruktionen, die inneren Selbstgespräche etc. werden für subjektives Leiden bzw. Gekränktsein verantwortlich g e m a c h t , ohne daß genügend deutlich wird, daß und wie sie aus den realen -an materielle Voraussetzungen geknüpften- Lebensprozessen des Subjekts hervorgehen. (Zur Kritik speziell am ELLIS-Ansatz s.a. KLEIBER u.a. 1977, BEULE u.a. 1978, BAADE u.a. 1980). Unbegriffen bleibt in solchen "Störungs"theorien die praktisch-sinnliche Verankerung in materiellen Verhältnissen und Prozessen ebenso wie die sinnlichemotionale 'Involviertheit' der Person. Psychosoziale Kränkungen erscheinen primär als Problem der 'geistigen Verfassung' des isolierten Individuums: es hat die falschen Ideen übernommen und nicht richtig denken gelernt; ganz so, als sei alles psychische Leiden nur eine Frage mangelnder individueller " R a t i o n a lität" und falsch gelernter kognitiver Prämissen. Eine Störungstheorie, in der "unrealistische" Annahmen/"beliefs" als ursächlich für psychische Beeinträchtigung konzipiert werden, muß sich nicht nur fragen lassen - erstens -, weshalb eigentlich "irrationale" Denkmuster vom personalen Subjekt übernommen (und dann autosuggeriert) werden (bzw. weshalb es sich mit den gesellschaftlich verbreiteten "irrationalen Ideen" "indoktrinieren" läßt), und - zweitens - wie der Prozeß ihres Erwerbs, ihrer Übernahme (bzw. der "Indoktrination" und Reindoktrination) eigentlich aussieht, sondern muß sich vor allem auch - drittens - die Frage stellen lassen, wie "dysfunktionale" Kognitionsmuster mit Ätiologie und Genese psychischer Schädigungen überhaupt zusammenhängen. Während die ersten beiden Fragen innerhalb der Kognitiven Psychologie weitgehend unbeantwortet bleiben (was hier allerdings nicht a u s g e f ü h r t werden soll), besteht die Fragwürdigkeit im 3. Fall in der Behauptung einer ursächlichen Beziehung zwischen bestimmten Denkmustern, Ideen e t c . (als "kausale Faktoren") und psychischen "Störungen" (als "Effekte"). Wird hiermit doch als Erklärung/Begründung ausgegeben, was lediglich Beschreibung, als Ursache, was lediglich Erscheinung ist. Laut BECK (1979) sei es die irrationale Vorstellung, in Ohnmacht zu fallen, die eine Agoraphobikerin zur Vermeidung des Auf-dieStraße-Gehens f ü h r e ; indes: wieso glaubt sie, in Ohnmacht zu fallen? Wenn 20

der Depressive "übergeneralisierend" oder "katastrophierend" sich selbst, die Welt und die Zukunft negativ sieht, der Akrophobiker im Hochhaus unrealistischerweise denkt, er könne zum Fenster rutschen und hinausfallen, der hysterische Patient sich "irrationalerweise 11 eine Krankheit einbildet (vgl. BECK aaO), so sind solche "realitätsverzerrenden Kognitionen" integraler Bestandteil der Problematik eines "Klienten", damit als -neben anderen (wie z.B. Handlungsineffizienz)- charakteristische Erscheinungen der psychischen Beeinträchtigung bzw. Kränkung zu erfassen, können indes keineswegs als deren Ursache postuliert werden. (Empirisch wurde ähnliches inzwischen von HAUTZINGER 1983 nachgewiesen.) Insgesamt ist f e s t z u s t e l l e n , daß kognitiv-psychologische Ansätze über den Entwicklungsprozeß zum psychosozialen Gekränktsein nichts aussagen können. Auf den Nenner gebracht resultieren die Erklärungs- bzw. Begründungsprobleme dieser Ansätze aus dem Umstand, daß 1. ein reduktionistischer Begriff von Gesellschaft zugrunde gelegt wird (z.B. nur ideelle Realität, Normen etc.), 2. eine Persönlichkeitskonzeption, Theorie der personal-emotionalen Subjektivität, fehlt und schließlich 3. kein Begriff der (Lebens-)Praxis bzw. kein Konzept der lebendigen menschlichen Aktivität entwickelt wurde, somit kognitive Strukturen und Prozesse losgelöst von dieser Praxis, losgelöst von ihren materiellen Handlungszusammenhängen, also abstrakt-isoliert 'als solche' b e t r a c h t e t w e r den. Es ist ja aber doch eine Tatsache, daß unsere konkrete Lebenswirklichkeit primär nicht darin besteht, daß wir angesichts je 'eingetretener' Situationen Selbstgespräche führen und Situationseinschätzungen produzieren, vielmehr primär darin, daß wir praktisch-handelnd "Situationen" für uns herstellen und g e s t a l t e n . Und dies ist ein m a t e r i e l l e r Prozeß, der sich durch unser praktisch-sinnliches Handeln vollzieht, auch unabhängig von seiner (bewußten) Widerspiegelung im personalen Subjekt, d.h. unabhängig davon, daß und wie wir ihn "kognitiv erfassen" oder in welcher Form er psychisch/ideell widergespiegelt wird. Aus der abstrakt-isolierenden Modellierung von Kognitionen 'als solchen' und der Konzeptualisierung individueller "beliefs" etc. als Ursache und Zentrum der Beeinträchtigung auf der einen und dann Aktionen, Verhaltens- und Erlebnisweisen auf der anderen Seite ergeben sich auch t h e r a p e u t i s c h - p r a k t i s c h e Probleme kognitiver Therapien, namentlich die des technischen Eklektizismus (willkürlicher theoretisch-unbegründeter Einsatz behavioraler und e m o t i o n a l expressiver Techniken). In der Praxis machen sich ja die Mängel der Theorie (etwa: Kognitions-Verhaltens-'Kluft'; Vernachlässigung der emotionalen Dynamik u.a.m.) am ehesten bemerkbar; aber die Erkenntnis, daß verbale Beeinflussungsmethoden, Uberredungs- bzw. Uberzeugungsprozeduren für eine therapeutische Veränderung zumeist nicht hinreichen, konnten die Kognitiven Therapien bislang nicht anders bewältigen als durch pragmatisch e k l e k t i z i s t i s c h e Ausdehnung ihrer Therapie-Konzepte. Eine andere Sache -neben der den kognitiv-psychologischen Konzepten inhärenten Individualisierung psychischer Problematiken (vgl. vorne)- ist die Gefahr, Therapie nur im Sinne der besseren Anpassung an bestehende gesells c h a f t l i c h e Verhältnisse zu betreiben, etwa in Richtung auf "Sich-einrichtenin-der-Abhängigkeit" (wie die Kritischen Psychologen sagen würden) als (unausgesprochene) therapeutische Zielperspektive. Beispiele hierfür werden etwa von ELLIS (1977) geliefert: Da soll die Hausfrau mit chronischen Kopfschmerzen, die ihr jüngstes Kind f ü r c h t e r l i c h lästig findet, ihren Mann und ihre Hausfrauenpflichten haßt, sich nicht solchen "Unsinn" einreden, daß das unfair 21

wäre, "wenn nicht alles nach ihren Wünschen läuft", soll sich statt dessen sagen, daß "die Welt nun 'mal so ist" (die Kinder, der Mann, ihr H a u s f r a u e n dasein), also mit H i l f e von "inneren Sätzen" lernen, sich dreinzufinden (dto, 128 ff), oder der Lehrling soll sich mit seinem ungerechten Chef eben a b f i n den (dto, 98 f f ; zur Kritik des Lehrlingsbeispiels s.a. BEULE u.a. 1978). Die Gefahr einer 'antiemanzipatorischen' psychotherapeutischen Praxis ergibt sich hier aus den beschränkten theoretischen Konzepten, wenngleich tatsächlich viele praktisch arbeitende Kognitive Therapeuten gewiß anders vorgehen. Mit der neuen Tendenzwende zu psychologischen Handlungstheorien nun (innerhalb der man sich vor allem auch auf das Handlungsmodell von MILLER/GALANTE R/PRIBRAM 1960 bezog) wurde in Aussicht gestellt, die Unzulänglichkeiten der kognitivistischen Modelle zu überwinden, insbesondere e t w a die ' K l u f t ' zwischen "Kognitionen" und "Verhalten" zu überbrücken, indem die Analyse kognitiver Prozesse und Strukturen im Rahmen von Handlungseinheiten vollzogen wird und/oder kognitive Termini handlungsbezogen eingeführt werden. So konnte man sich von Handlungstheorien e t w a einen Beitrag zur Üb er windung des pragmatischen technischen Eklektizismus in Kognitiven Therapien erhoffen (s. SEMMER/FRESE 1979). Tatsächlich erfolgten nicht wenige Versuche der Übernahme verschiedener handlungstheoretischer Konzeptionen auf den klinisch-psychologischen Forschungsbereich (Theorienbildung, Diagnostik», Therapiemodelle) unter den Aspekten: Beschreibung des Therapeutenhandelns oder Analyse des "Klienten"handelns, z.B. BERGOLD 1979; SEMMER/FRESE 1979; SCHMIDTCHEN 1978; BREUER 1979, 1981; KAISER 1979; KLEIBER 1980; ULICH 1980; ZOEKE u.a. 1980; BENSE 1981; KOMMER/RÖHRLE 1981; s. f e r n e r die Beiträge in KLEIBER (Hrsg.) 1981 und in van QUEKELBERGHE/van EICKELS (Hrsg.) 1982, 1983, u.a.m.). Während die (oft f o r m a l e ) Beschreibung allgemeinen Therapeutenhandelns verhältnismäßig weniger Schwierigkeiten zu b e r e i t e n schien (vgl. z.B. BREUER, ZOEKE u.a.), t r a t e n aber erhebliche Schwierigkeiten bei der Erklärung und Analyse des "gestörten" Handelns von 'Betroffenen' offen zutage (vgl. etwa die Diskussion in Kongreßband SCHULZ/HAUTZINGER (Hrsg.) 1980, 285-380; s. unten; s.a. den kritischen Uberblick von KLEIBER 1983). Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher psychologischer Handlungstheorien, der Heterogenität ihrer "metatheoretischen" Grundannahmen, ihrer methodologischen und theoretischen Ausgangs- und Ansatzpunkte, scheint eine grobe Ordnung angebracht. So schlägt van QUEKELBERGHE (1982, 13) die Unterscheidung von 3 " m e t a t h e o r e t i s c h e n Konzeptionen" vor, nämlich: "1. analytisch-philosophische Konzeption, konstruktive Wissenschaftstheorie (z.B. etwa WERBIK 1978), 2. phänomenologische Konzeption (z.B. etwa KAMINSKI 1970), 3. systemische oder kybernetische Konzeption (z.B. e t w a MILLER/GALANTE R/PRIBRAM 1960), fr. dialektisch-materialistische Konzeption ..." (z.B. etwa HACKER 1973). Ich möchte hier indes nur 2 Orientierungsgrundlagen, die n i c h t - m a t e r i a l i s t i s c h e und die dialektisch-materialistische, unterscheiden. Die meisten nicht-materialistischen Handlungstheorien können global als "mechanisch-idealistisch" bezeichnet werden; aber dieses Etikett bedarf einer Begründung. Bekanntermaßen gehen behavioristische Konzeptionen von einer einseitigen Determination des Subjekts von der (zudem a-gesellschaftlich und a-historisch k o n z e p t u a l i s i e r t e n ) Umgebung/Umwelt aus, wohingegen kognitive Ansätze 22

-ebenso einseitig- eine vom äußeren, begrenzenden Kontext weitgehend unberührte Freiheit des Bewußtseins des (isoliert vom Handlungs- und gesellschaftlichen Kontext konzeptualisierten) individuellen Subjekts behaupten. Die behavior ist ische Position ist als mechanisch-materialistisch, die kognitivistische als subjektiv-idealistisch zu klassifizieren. Im einen Fall wird die Individualentwicklung gesehen als "Anpassungsbewegung der lebendigen Aktivität an die begrenzenden, im wesentlichen nur kontingent g e f a ß t e n Verhältnisse des Kontextes" (RAEITHEL 1981, 105), im anderen Fall als f r e i e E n t f a l t u n g der K r e a t i v i t ä t , durch die sich das Subjekt seinen Kontext im wesentlichen selbst schafft. Hie die Determinationssicht auf den Menschen, die den Individuen keine Selbstbestimmung zuerkennt, da die Illusion von der Allmächtigkeit des der gegenständlichen Wirklichkeit voraus-gesetzten Subjekts. Dem entgegen s t e h t die dialektisch-materialistische Auffassung, daß die lebendige Aktivität des Subjekts durch die gegenständliche Umwelt objektiv d e t e r m i n i e r t , wie umgekehrt das Subjekt durch seine A k t i v i t ä t auch fähig zur Veränderung dieser Umwelt ist, das heißt frei vermittels seiner in der t ä t i g e n Auseinandersetzung mit der gegenständlichen und sozialen Wirklichkeit entwickelten praktischen (wie kognitiven) operativen Möglichkeiten (=subjektive Fähigkeiten, Handlungs-Kompetenzen), frei aber nur in den Grenzen seiner geschaffenen und veränderten gegenständlichen/sozialen Bedingungen/Verhältnisse, zu deren Herstellung und Veränderung das Subjekt selbst (aktiv, kreativ) beiträgt und aus denen heraus es sich, seine subjektiven Möglichkeiten, entwickelt. Es gilt, das spezifische Verhältnis von Selbstbestimmung und äußerer Determination des Subjekts auch in psychologischen Konzeptionen t h e o r e t i s c h f a ß b a r zu machen; es geht um die Aufhebung des Gegensatzes von subjektiver Freiheit und objektiver Determination, welche adäquat nur möglich wird durch eine Theorie der Selbstbewegung (HEGEL, MARX, LENIN). Das o.g. Verhältnis ist als Prozeß und der Prozeß als dialektisch sich e n t f a l t e n d e r zu b e g r e i f e n (s. dazu Punkt 3.1), Die n i c h t - m a t e r i a l i s t i s c h e n Handlungstheorien nun (z.B. AEBLI 1980; von CRANACH u.a. 1980; HECKHAUSEN 1980, 1981; KAMINSKI 1970, 1981; LANTERMANN 1980; SCHMIDTCHEN 1978; WERBIK 1978) gelangen i.d.R. nur zu einer bloßen Verkoppelung von mechanischem Materialismus und subjektivem Idealismus. Durch das bloße Zusammenfügen zweier einseitig-verzerrender Perspektiven werden deren gegenteilige Vereinseitigungen/Verkürzungen aber e b e n f a l l s bloß zusammengefügt, damit nach der einen wie der anderen Richtung anscheinend geschmälert, nicht aber grundsätzlich überwunden, nicht auf höherem Niveau aufgehoben. Der Gegensatz eines freien, bewußten, der Realität vorausgesetzten, transzendentalen Subjekts auf der einen Seite und eines r e a l e n , d e t e r m i n i e r t e n , mechanischen Naturprozesses auf der anderen Seite bleibt in diesen Handlungstheorien bestehen, da weder die Einheit von Handlung und Gegenstandsprozeß, noch das Subjekt (dessen Bewußtsein, "Kognitionen") als Resultat der Selbstbewegung in der gegenständlichen und sozialen Welt b e g r i f f e n wird. Statt dessen erscheint die gegenständliche Umwelt verkürzt als "Situation" bzw. "Stimulus-Konstellation" (mechanische i n p u t - o u t put-Sichtweise), und das Subjekt e r s c h e i n t "aus sich heraus" und "an sich" fähig bzw. unfähig (idealistische Sichtweise). Insofern also die mechanische Umweltkategorie einerseits und die idealistische Subjektkategorie andererseits übernommen werden, können diese handlungstheoretischen Ansätze m.E. als "mechanisch-idealistisch" etikettiert werden. Die Adäquatheit der Konzeptualisierung des Verhältnisses von subjektiver F r e i h e i t und objektiver D e t e r m i n a t i o n ist nicht nur grundlegend für eine 23

Theorie psychosozialer Kränkungen, insofern es hierbei um die zentrale Frage geht, inwieweit das Subjekt zu seinem eigenen Entwicklungsprozeß zur psychischen Beeinträchtigung bzw. Gestörtheit beiträgt und es in diesem Entwicklungsprozeß andererseits durch seine gegenständliche und gesellschaftliche Welt objektiv b e g r e n z t / b e e i n f l u ß t / d e t e r m i n i e r t ist; sie macht sich auch in der therapeutischen Praxis bemerkbar. Letzteres einmal hinsichtlich der Z i e l s e t zungen in der Therapie (s.a. KLEIBER 1980), verbunden mit der Frage, was der "Klient" selbst zur Veränderung seiner Lage und seiner selbst b e i t r a g e n kann, zum anderen hinsichtlich der je gewählten therapeutischen Vorgehensweise. So zeichnen sich die "strengen" Verhaltenstherapien oft durch manipulativ von außen gesetzte, kontingenzgesteuerte Umlernverfahren aus, die Kognitiven Therapien durch (z.T. rigorose) rationale G e g e n a r g u m e n t a t i o n e n gegen das, was in den Köpfen der "Klienten" vor sich geht, durch kognitiven Reduktionismus und pragmatischen Mentalismus (s.o.). Eine bloße Kombination von Um lern verfahren und "rationaler Umstrukturierung" wird weder zu den Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten vorstoßen, die vom Subjekt selbst im Sinne einer konstruktiven Nutzung seiner -keineswegs lediglich "inadäquaten"/"unangepaßten"- Angst, Wut, Verzweiflung, U n z u f r i e d e n h e i t a u f g e b a u t werden können, noch deutlich machen, welche realen gegenständlichen und sozialen Bedingungen/Verhältnisse zu verändern sind und wie auch der Klient zu dieser Veränderung beitragen kann. Die "mechanisch-idealistischen" Handlungstheorien, die sich überdies zumeist durch eine "kognitivistische Prägung" im Sinne einer Vorrangstellung der Erkenntnisleistungen des Subjekts, auszeichnen, lassen sich nun übergreifend (und das kann hier aus Platzgründen nur pauschalierend geschehen) durch folgende Merkmale kennzeichenn: 1. die mangelnde Berücksichtigung der f Gegenstandseite', der Gegenständlichkeit des Handelns (impliziert losgelöst-abstrakte Auffassungen menschlichen Handelns, formalistisch, inhaltsleer) 2. die A u f r e c h t e r h a l t u n g des " P r i m a t s der Kognition" (ä priori postulierte Bewußtseinsebene) 3. eine i r r e f ü h r e n d e Trennung (Auseinanderreißung) von "Innenwelt" auf der einen und "Außenwelt" auf der anderen Seite. Der d r i t t e Punkt betrifft insbesondere jene handlungstheoretischen Konzeptionen, die sich bemühen, auch emotional-motivationale "Faktoren" -konzeptualisiert i.a. als "Einflußgrößen der Handlung"- in ihr Modell hereinzunehmen (z.B. HECKHAUSEN 1980, 1981; von CRANACH u.a. 1980; u.a.m.) Auf einer "metat h e o r e t i s c h e n " Ebene sind alle drei Punkte miteinander verbunden: Daß der Gegenstand, der gegenständliche Inhalt, der Handlung nur unzureichende Berücksichtigung findet (1.), steht im Zusammenhang damit, daß, statt von der Einheit der lebendigen A k t i v i t ä t mit dem Gegenstandsprozeß auszugehen, irgendwie im Individuum b e r e i t s vorhandene handlungsbestimmende Bewußtseinsphänomene und -strukturen vorausgesetzt werden (2.), und dies steht im Zusammenhang damit, daß ein irgendwie an und für sich existierendes subjektiv-privates System im Individuum selbst ("Innenwelt") der äußeren, realen Welt ("Außenwelt") entgegengestellt wird (3.). Auf diese Weise sind folgende Verhältnisse nicht zufriedenstellend geklärt: 1. das Subjekt-Objekt-Verhältnis, 2. das Verhältnis von Bewußtsein und lebendiger Aktivität und 3. das Individuum-Gesellschaft-Verhältnis. Die Quelle psychischer Störungen ist aber -dies ist meine These- im je realisierten Individuum-Gesellschaft-Verhältnis zu suchen, dessen Aufschlüsselung auch eine a d ä q u a t e Konzipierung der Subjekt-Objekt-Beziehung wie des Verhältnisses von Bewußtsein und Handeln voraussetzt. 24

Anders als bei den "mechanisch-idealistischen" Handlungstheorien kann in der materialistischen Handlungsregulationstheorie nach HACKER (1973), VOLPERT (1974, 1975) das Verhältnis von subjektiver Freiheit und objektiver Determination jedenfalls vom Ansatz her als dialektisches begreifbar werden: danach wäre die objektive Determination der lebendigen Aktivität des Subjekts an die gegenständlichen Handlungsbedingungen geknüpft, und die Freiheit des Subjekts wäre zu verstehen als Möglichkeiten der bewußten Handlungsplanung und -regulation, welche sich ihrerseits aus dem realen Handlungsprozeß heraus entwickeln. Der m a t e r i a l i s t i s c h - d i a l e k t i s c h o r i e n t i e r t e Handlungsbegriff läßt sich etwa folgendermaßen kennzeichnen: Primär ist die Einheit von Handlung und Gegenstandsprozeß; die kognitiven Repräsentationen der Gegenstände (wie später auch der Handlungen selbst) werden durch die Handlung erst hervorgebracht; die Handlung ist gegenständlich, sie ist ebenso gegenstandsbezogen^ (auf die Handlungsprodukte als die gegenständlichen Ziele der Handlung) wie gegenstandsbestimmt (durch die gegenständliche Realität, die objektiv-gegenständlichen Handlungsbedingungen). Handeln und Denken bilden eine Einheit; die durch die Handlung hervorgebrachten kognitiven Abbilder vermitteln bzw. steuern die Handlung, in deren Mittelpunkt das entstehende gegenständliche Produkt steht. Während so gesehen m.E. die Subjekt-Objekt-Beziehung (vgl. aber Kap. 3) und m.E. das Verhältnis von Bewußtsein und lebendiger Aktivität verständig konzipiert werden, bleibt aber das Individuum-Gesellschaft-Verhältnis im Handlungsmodell selbst unberücksichtigt, damit unbegriffen. Tatsächlich sind die Kategorien 'Umwelt' und 'Subjekt' auch in der Hand lung s(regulations)theorie (HT) sensu HACKER/VOLPERT reduktionistisch gefaßt, was ihr nicht zu Unrecht den Vorwurf der "Subjekt- und Gesellschaftsneutralität" eingebracht hat (s. unten). Und insofern diese HT in Wirklichkeit keine Theorie der Selbstbewegung (s. dazu Kap. 3) darstellt, vermag auch sie das Verhältnis von subjektiver Freiheit und objektiver Determination weder umfassend noch angemessen abzubilden. Die Selbstbestimmung beschränkt sich hier auf das Erzeugen adäquater Handlungspläne bzw. Aktionsprogramme, welche gegenüber der Umweltsituation angemessen kombinierte Handlungsschritte s t e u e r n ; die subjektive Freiheit erscheint verkürzt als Möglichkeiten/Fähigkeiten der aufgabengerechten "bloßen" Problemlösung (im Sinne zweckmäßiger Ziel-Mittel-Verschränkung) bei i.d.R. vorgegebenen Aufgaben; sie erscheint somit als bloß kleiner Spielraum im Rahmen der Fremdbestimmung durch andere Menschen, ohne daß diese Fremdbestimmtheit als Aspekt je historisch-konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse modellierbar wäre und in Relation zu den menschlichen Entwicklungspotential i t ä t e n g e s e t z t werden könnte und ohne daß etwa eine Perspektive des "begreifenden Erkennens" der gesellschaftlichen Verhältnisse (vgl. HOLZKAMP 1973) als ein Aspekt der subjektiven Freiheit bzw. Selbstbestimmung thematisierbar würde. Meine kritische Betrachtung bezieht sich vorrangig auf die HT sensu HACKER (1973) und VOLPERT (1974), wohingegen ich auf ergänzende 'Überschreitungen' (z.B. VOLPERT 1983a) oder Erweiterungen dieser Theorie (etwa ÖSTERREICH 1981), oder auf andere materialistisch orientierte handlungstheoretische Ansätze (etwa HOCHSTRASSER 1981; THOMASZEWSKI 1978) kaum explizit eingehe. Die genannte HT ist viel beachtet und auch schon viel kritisiert worden, sowohl -allgemein- aus materialistischer Sicht (HAUG u.a. 1980; OFFE/OFFE 1981; RAEITHEL 1980/81, 1983; JANTZEN 1982; s. aber die Diskussion und 25

Gegenkritik in FKP 8), wie auch speziell von "Klinischen" Psychologen (z.B. GLEISS 1978; BERGOLD 1980; KLEIBER 1980; 1983; ULICH 1980; HASELMANN 1982; van QUEKELBERGHE 1982; u.a.m.). Ich werde hier drei zentrale Kritikpunkte herausheben, welche b e t r e f f e n : 1. das Postulat der hierarchischen Organisiertheit/Strukturiertheit der Handlungsregulation, 2. das Implikat, den Handlungsbegriff als Grundkategorie einer Theorie der Persönlichkeit zu verstehen (oder aber: das Fehlen einer Persönlichkeitstheorie), 3. das Fehlen einer Motivationstheorie. 1. Vor allem ist "menschliche 'Handlungsregulation' (...) ohne ... koexistierende Ungleichzeitigkeiten, die im s t r a f f hierarchisch organisierten Modell der Handlungstheorie verschwinden, nicht zu verstehen" (HAUG/NEMITZ/WALDHUBEL 1980, 45). Die Annahme einer strengen Hierarchie macht weder kognitive und operative Konflikte abbildbar, noch "können zirkuläre Beziehungen zwischen den einzelnen repräsentationalen und operativen Elementen der Struktur explizit gemacht werden: Dadurch ist die Kooperation von Einzeloperatoren und die Repräsentation von Widersprüchen nicht modellierbar" (RAE ITH EL 1981, 38). Bei einer Kritik des Modells der hierarchisch-sequentiellen Handlungsstruktur sensu HACKER/VOLPERT ist aber zu b e a c h t e n , daß HACKER selbst die hierarchisch-sequentielle Struktur nur für lineare, produktive menschliche Handlungen b e h a u p t e t , da er eben auch nur diese untersucht, wohingegen er zirkuläre, reproduktive Handlungen aus der Analyse explizit ausschließt. HACKER u n t e r s c h e i d e t zwischen "zirkulären, fortlaufend zur Reproduktion eines materiellen Verhältnisses notwendigen Handlungen" (RAEITHEL 1980/81, 7) und solchen Handlungen, "die auf ein abgehobenes Endziel (ein fertiggestelltes Erzeugnis) gerichtet sind" (ebd). Die Kritik an der Handlungstheorie hat nun gerade an dieser vorschnellen Klassifikation und abstrakten Trennung zweier Arten von Handlungsstrukturen, nämlich solchen der s c h r i t t w e i s e n Zielannäherung (Ausrichtung der Handlung -über Teilziele- auf ein Endziel hin), versus solchen, "die eine Zielerreichung erstreben, indem sie mit immer neuen Ansätzen um das Ziel kreisen" (HACKER 1973, 69), anzusetzen. Durch den Ausschluß dieser 'zweiten Sorte von Handlungsstrukturen' werden weder Prozesse der Zielfindung bzw. Zielfestlegung modellierbar (s.u.) noch hinreichend die Ausbildung und Veränderung der regulativen Strukturen selbst. 2.

Es gab Bemühungen, den HACKERschen Handlungsbegriff als Grundkategorie für eine Konzeption der Persönlichkeit zu verstehen (VOLPERT 1975; STADLER/SEEGER 1981). Insofern die Handlungsregulationstheorie jedoch lediglich individuelles Handeln untersucht, kann dies nicht gelingen. Mit der Konzentration auf die Untersuchung der Ausführungsregulation der Handlungen einzelner Subjekte beschränkt man sich auf die 'Sphäre' des individuellen Subjekt-'Nat u r ' - A u s t a u s c h e s , der als spezielles Verhältnis der Umweltauseinandersetzung allein keineswegs typisch ist für das spezifisch menschliche Entwicklungsniveau. Die Kategorie der gesellschaftlichen Arbeit, die etwa von der Kritischen Psychologie als grundlegend erachtet wird, wird hier aufgespalten in A r b e i t s handlungen einzelner Subjekte. Nicht nur geht dabei die Verklammerung von individueller und gesellschaftlicher Produktion verloren, die der Arbeitsbegriff i m p l i z i e r t , insofern er -gemäß MARX- als Produktion von gesellschaftlichem Gebrauchswert (= Gebrauchswert für andere) definiert wird, sondern vor allem 26

wird mit diesem Handlungsbegriff der Tatsache nicht Rechnung getragen, daß das menschliche Subjekt mit seiner lebendigen A k t i v i t ä t nicht nur linear produktiv im Sinne der Gegenstandstransformation (vermittels der Arbeitsmittel) tätig ist, sondern gleichzeitig immer -ihrer Natur nach gesellschaftlicheBeziehungen mit anderen r e a l i s i e r t , b e s t i m m t e Verhältnisse mit anderen Menschen reproduziert« Die Handlungstheorie a b s t r a h i e r t von dem Umstand, daß der Mensch in das je historisch-konkrete System der gesellschaftlichen Beziehungen eingebunden ist und mit seinem Handeln die g e s e l l s c h a f t l i c h e n Verhältnisse r e a l i s i e r t und r e p r o d u z i e r t , daß sein Handeln auch immer in materiell-soziale Resultate übergeht, in objektiv-reale Formen und Strukturen der Verhältnisse zwischen Menschen, daß auf diese Weise das Subjekt einen Beitrag zur Erhaltung und Veränderung dieser Verhältnisse l e i s t e t und damit sich selbst als gesellschaftliches Subjekt reproduziert. Wird Handeln nur im individuellen (linear-produktiven) Subjekt-'Natur'-Austausch untersucht, kann das menschliche Subjekt selbst nicht als gesellschaftliches Wesen begriffen, damit die Persönlichkeit (als subjektive Konkretion des 'Ensembles der g e s e l l s c h a f t lichen Verhältnisse') nicht erfaßt werden (s.u.). Formen der Zwischenmenschlichkeit, der Kooperativität, des Zusammenwirkens von Menschen bleiben in der Handlungstheorie ausgeblendet. Die gesellschaftlichen Verhältnisse erscheinen nur als dem Subjekt und seinem Handeln äußerliche Rahmenbedingung, finden aber keinen Eingang in die theoretische Konzeption selbst. Deshalb mag die Handlungstheorie als " g e s e l l s c h a f t s n e u t r a l " beurteilt werden. Tatsächlich kann aber auch der von HAUG/NEMITZ/WALDHUBEL (aaO) dem Handlungsbegriff gegenübergestellte Begriff der gesellschaftlichen Arbeit nicht letztgültig als grundlegende Kategorie für eine Theorie der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung herhalten. Wenn auch gewiß menschliche Tätigkeiten die allgemeine Struktur von Arbeit haben (dies nach WYGOTSKI (1978, 198) ansatzweise schon etwa vom 6. Lebensmonat an und deutlicher beim Spiel des Vorschulkindes (RUBINSTEIN 1971, 706 und 727 f)), so ist der Arbeitsbegriff dennoch zu eng, um als Grundkategorie einer psychologischen Persönlichkeitst h e o r i e zu genügen. Tatsächlich wird mit dem vom gesellschaftlichen Produktionsprozeß her bestimmten Arbeitsbegriff die Reproduktion des menschlichen Subjekts nicht nur als Arbeitskraft, sondern vor allem auch als Persönlichkeit nur unzureichend bzw. gar nicht erfaßt. Zwar impliziert der Arbeitsbegriff im Unterschied zum Handlungsbegriff keine "Gesellschaftsneutralität" (Kooperativität und zwischenmenschliches Zusammenwirken sind einbezogen), aber ähnlich wie in der Handlungsregulationstheorie bleibt das Augenmerk vorrangig auf den linearen, produktiven Prozeß der menschlichen Tätigkeit beschränkt, was mit einer Blickverengung hinsichtlich der zirkulären, reproduktiven, vor allem sozial-reproduktiven Prozesse e i n h e r g e h t . Damit ist das personale Subjekt psychologisch nur unzureichend bestimmbar, dessen Persönlichkeitsentwicklung als soziales Wesen nicht erfaßbar. Der von HAUG u.a. (aaO) gegen die HT zu R e c h t erhobene Vorwurf der "Subjektneutralität" muß somit gewissermaßen an die kritisierenden Kritischen Psychologen zurückgegeben werden. (Genaueres s. Kap. 3). Soweit ein Exkurs zum Arbeitsbegriff. Nun zurück zur Handlungstheorie. Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, daß sie das - f ü r eine Konzeption psychischer "Störungen" z e n t r a l e - Individuum-Gesellschaft-Verhältnis nicht adäquat zu fassen vermag. "Die m a t e r i a l i s t i s c h e Handlungstheorie v e r l i e r t 27

durch die bloße Ableitung des Handlungs- aus dem Arbeitsbegriff jegliche gesellschaftstheoretische Spezifizierung" (JANTZEN 1982, 62), ihre Analyse bleibt "reduktionistisch in sich geschlossen", sie trennt Individuum und Gesellschaft, "ohne die Vermittlung wieder herstellen zu können" (ebd). Was nun die weiter oben konstatierte Subjektneutralität der HT anbelangt, so wurde diese als erstes wohl von Irma GLEISS (1978), die aus tätigkeitstheoret i s c h e r Sicht argumentiert, bemerkt. Sie spricht von einer "Entsubjektivierung psychischer Erscheinungen" (139) und sieht diese u.a. bedingt durch die Gleichsetzung von Ziel und Sinn einer Handlung, wodurch es unmöglich wird, die sinnbildende Funktion menschlicher Handlungen, deren Bedeutung f ü r die jeweilige Person und - d a m i t zusammenhängend- deren "impliziten Mitteilungscharakter für den jeweiligen Kooperations- oder Kommunikationspartner" (dto, 138) zu erfassen. Aber ihrer Struktur nach identische Handlungen können einen völlig unterschiedlichen persönlichen Sinn haben, je nachdem welches Sozialverhältnis damit von einer Person verwirklicht werden soll. Die -gerade den Klinischen Psychologen interessierende- "Dimension der S u b j e k t i v i t ä t " (vgl. HASELMANN 1982) bleibt in der HT unbegriffen, Aussagen zur persönlichsinnhaften Qualität alltäglichen Handelns sind hier nicht möglich. 3. Die von Irma GLEISS (aaO) angeprangerte inadäquate Gleichsetzung von Ziel und Sinn einer Handlung bei VOLPERT (1974) ist eine Konsequenz u.a. des Fehlens einer Motivationskonzeption. Und das Fehlen einer Motivationskonzeption hat seinen 'Grund' nicht zuletzt in der überhaupt verengten Gesamtkonzeption der HT, nach der das Subjekt -wie gesagt- als bloß individuell handelndes Individuum, nicht aber als gesellschaftliches Wesen verstanden wird, nicht als soziales Subjekt, das sich mit seinem linear-produktiven Handeln (z.B. 'Referat anfertigen') immer auch in bestimmte Beziehungen mit anderen s e t z t (z.B. sich gegenüber den anderen Arbeitsgruppenteilnehmern als "intelligenter" beweisen oder sich hilfsbedürftig geben o.ä.) und darüber seine P e r sönlichkeit (als spezifische "Bewegungsform des Subjekts im gesellschaftlichen Alltag"; vgl. GLEISS 1979) konstituiert und entwickelt, reproduziert. Daß sowohl motivationale wie emotionale "Aspekte" menschlichen Handelns in der HT sensu HACKER/VOLPERT unter den Tisch fallen, wurde insbesondere aus klinisch-psychologischer Sicht kritisiert (GLEISS 1978; BERGOLD 1980; KLEIBER 1980; STADLER 1980; ULICH 1980; HASELMANN 1982; KLEIBER/STADLER 1982, van QUEKELBERGHE 1982). Die HT untersucht die Ausführungsregulation der Handlung, ohne das Problem der m o t i v i e r t e n Zielübernahme in Rechnung zu ziehen. Indem die motivationale, dynamische 'Basis' menschlichen Handelns außer B e t r a c h t bleibt, kann weder die Problematik subjektiver Zielübernahme noch können die Prozesse subjektiver Zielsetzung thematisiert werden. Aus klinisch-psychologischer Sicht sind die Probleme der "Klienten" aber meist gerade an ihren selbst-gesetzten Zielen festzumachen, an problematischen Zielstellungen (so etwa bei Depressiven ihre -wie bekannt überhöhten-Leistungsziele um der Fremdbewertung willen oder beispielsweise das Ziel, 'um alles in der Welt' an einer längst k a p u t t e n Partnerbeziehung f e s t z u h a l t e n ) oder an Problemen der Übernahme "vernünftiger" Ziele (man denke an die offensichtliche "Unfähigkeit" von Phobikern, Zielstellungen wie auf die Straße, ins Kaufhaus gehen, Flugzeug fliegen oder Fahrstuhl fahren etc., für sich zu übernehmen).

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Insgesamt ermöglicht die HT eine Charakterisierung psychischer "Störungen" vor allem nur unter dem Aspekt mangelnder bzw. fehlender Handlungskompetenzen. Nun sind sicherlich etwa bei "Angstneurotikern", "Phobikern", "Depressiven" (etc.) auch Handlungsinkompetenzen feststellbar, jedoch weder e r s c h ö p f t sich ihre Problematik in derartigen Defiziten, noch sind handlungsmäßige Inkompetenzen als solche ein notwendiges und wesentliches Merkmal psychischer Beeinträchtigung. Der 'Kern' der Problematik besteht weniger in der mangelnden Fähigkeit zur sachadäquaten Aufgabenlösung, sondern in der Motiventwicklung des Subjekts, indem jeweils Motive der Tätigkeit existieren, die dem Subjekt die Übernahme bestimmter Aufgaben bzw. die Ausführung bestimmter Handlungen (oder den Verzicht auf bestimmte Handlungen) unmöglich machen. Der Prozeß der Motivbildung aber wird im "wesentlichen nicht primär durch die gegenständliche Welt bestimmt (...), sondern durch die objektive gesellschaftliche Stellung des Subjekts und davon abhängig durch den konkreten Standort im System sozialer Beziehungen" (GLEISS 1978, 150). Wie noch genauer auszuführen sein wird, sind hier die Motive f e r n e r keine kognitiven Konstrukte (wie etwa bei HECKHAUSEN 1980), sondern "die Motive der tätigen Menschen entstehen im sozialen Verkehr und nicht nur innerhalb eines kognitiv erfaßten 'Handlungsraums' einer Person" (RAEITH EL 1981, 39). Die Analyse psychischer Beeinträchtigung darf sich jedenfalls nicht auf die Ebene kognitiver Qualifikationen der Handlungsregulation beschränken (wie bei SEMMER/FRESE 1979), sondern muß den Prozeß der Motivbildung miteinbeziehen. Während des weiteren konstatiert wurde, daß auch Emotionen innerhalb der HACKERschen Handlungsregulationstheorie kaum adäquat modellierbar sind (s. OFFE/OFFE 1981; KLEIBER/STADLER 1982), hatte sich aber BENSE (1981) daran gemacht, gerade von dieser HT ausgehend und sich kritisch auf das GENDLINsche Experiencing-Konzept stützend, eine klinisch-psychologisch relevante Konzeption des Erlebens zu entwickein. Tatsächlich werden dabei einige wichtige Feststellungen getroffen und nützliche Modellbildungen vorgenommen, auf die ich noch hier und da Bezug nehmen werde, aber andererseits schlagen doch die soeben an der HT angeführten Kritikpunkte auch in BENSEs "Klinischer Handlungstheorie" durch, etwa im vorgestellten Ansatz einer "klinisch-handlungstheoretisch fundierten Störungstheorie" (175 ff), in der psychische "Störungen" vorrangig bloß als Lernbzw. Übungsdefizite (bzw. Exzesse oder Inadäquatheiten) im Denken und Handeln konzipiert werden, und in der fragwürdigen Bestimmung der "Psychot h e r a p i e als Training" (204). Genaugenommen hängen auch die Emotionen bei BENSE irgendwie in der Luft, weil eine Motiv-Theorie f e h l t . Dadurch bleibt nämlich unklar, woraus der Gegenstand des emotionalen Erlebens (der im "Initial"» und "Positionalerleben" dem Bewußtsein noch verborgen bleibt, aber in der "Erkenntnis" bewußt erfaßt wird) sich denn eigentlich ergibt. Zusammenfassung Das z e n t r a l e Manko der materialistischen HT, das alle genannten Probleme (Kritikpunkte 1 bis 3: fragliche Hierarchie-Auffassung, Subjekt- und Gesellschafts"neutralität", fehlende Motivationstheorie) bedingt, ist in der Reduktion der Analyse auf linear-produktive Handlungen nur individueller Subjekte zu sehen, in der Abspaltung zielbewußter Handlungen von den dabei vom personalen Subjekt mit anderen Menschen realisierten Beziehungen, von seiner Persönlichkeitsentwicklung, in der Absehung von der Notwendigkeit der sozialen 29

Reproduktion. Menschliche Tätigkeit ist noch nicht hinreichend bestimmt durch die Beachtung ihrer gegenständlichen 'Seite', die adäquate Konzeptualisierung der gegenständlichen Handlungsbedingungen. Die Gegenständlichkeit der Tätigkeit bleibt noch u n b e g r i f f e n , sofern nicht gleichzeitig erkannt wird, daß menschliche Tätigkeit nur innerhalb der Systeme der gesellschaftlichen/sozialen Beziehungen existiert, in den je historisch-konkreten g e s e l l s c h a f t l i c h e n Verkehrsformen und sozialen Verhältnissen des materiellen und ideellen Austausches. Indem die HT sich kurzschlüssig auf die Analyse des individuellen Subjekt-'Natur'-Austausches konzentriert, dabei die Subjekt-Subjekt-Verhältnisse im wesentlichen unthematisiert läßt (-dies trifft auch zu für die Erweiterungen ÖSTERREICHS (1981) um einen "überindividuellen Handlungszusammenhang", 169 ff-), bleibt gerade das Individuum-Gesellschaft-Verhältnis als die 'Quelle' psychischer Kränkungen beim Menschen unbegriffen.

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Kapitel 3:

DER BEGRIFF DER GEGENSTÄNDLICHEN TÄTIGKEIT ALS GRUNDKATEGORIE EINER THEORIE DER PERSONALEN SUBJEKTENTWICKLUNG -KATEGORIALE GRUNDLAGEN DER TÄTIGKEITSPSYCHOLOGIE-

Wenn der Tätigkeitsansatz LEONTJEWs auch schon verschiedentlich, ursprünglich von Irma GLEISS (1975, 1978a,b, 1979, 1980) und in letzter Zeit vermehrt von verschiedenen Autoren (z.B. HILDEBRAND-NILSHON 1980a,b, OFFE/OFFE 1981, STADLER/SEEGER 1981, STADLER 1981, HASELMANN 1982, 1983, KLEIBER/STADLER 1982 u.a.m.) d a r g e s t e l l t und in diesen Beiträgen auch schon in der einen oder andern Form für den klinisch-psychologischen Bereich fruchtbar gemacht wurde (s.a. FISCHER 1982, FISCHER/van QUEKELBERGHE 1983), so komme ich doch nicht umhin, die Grundbegriffe der Tätigkeitstheorie (TT) im Rahmen dieser Arbeit auf meine Weise zu explizieren, um sie dann als Grundbegriffe für eine Konzeption (der Entwicklung) psychosozialer Kränkungen a u s z u a r b e i t e n . Eine erneute Einführung auch der Grundpostulate der Tätigkeitstheorie erscheint mir dabei u.a. deshalb nötig, weil die Ausführungen LEONTJEWs von verschiedenen Autoren oft unterschiedlich verstanden, aufgegriffen oder interpretiert werden und überhaupt LEONTJEW (auch und gerade von Vertretern der "bürgerlichen" Psychologie) zwar häufig zitiert, aber oft mißverstanden oder gar verfälscht wird/wurde. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel nicht nur bereits die zentralen Grundbegriffe einer Theorie der (beeinträchtigten) Personlichkeit(sentwicklung), nämlich "Motiv der Tätigkeit" und "persönlicher Sinn" ('Dimension der Subjektivität') eingeführt; mit einer "Tabelle" und zwei kategorialen Grundschemata (Abbildungen 1 und 2) möchte ich den materialistischen Tätigkeitsansatz auf eine adäquate 'Orientierungsgrundlage' stellen und dabei den Leser an die Denkweise heranführen, die für ein Verständnis des Weiteren nun 'mal erforderlich ist.

3.1

Philosophische und anthropologische Grundannahmen (-Die Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung: historisch-genetisch-)

Die Tätigkeitstheorie basiert auf den methodologischen Prinzipien der m a t e rialistischen Dialektik bzw. der logisch-historischen Methode des dialektischen Materialismus. Kennzeichnend hierfür ist, daß der (Untersuchungs-)Gegenstand in seiner Entwicklung, seiner Selbstbewegung gefaßt, daß der Gegenstand nicht 31

als Ding 'an sich' begriffen wird, sondern als Verhältnis und das Verhältnis als ein sich materialistisch-dialektisch entfaltender Prozeß. Das Verständnis der Tätigkeitstheorie setzt ein Begreifen der theoretischen Dialektik als philosophische Bewegungslehre voraus (s. dazu z.B. WOZNIAK 1975, RUBEN 1978). Nach ENGELS ist die Dialektik die "Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs" (MEW 20, 307), wobei 'Zusammenhang' im Gegensatz zu 'Isolierung' zu verstehen ist, nämlich als "konkrete Negation der Isolierung" (RUBEN aaO, 53) und 'Gesamtzusammenhang' die objektive R e a l i t ä t als ein Ganzes (als ein System) meint. Im Unterschied zu abstrakten (mathematischen) Zusammenhängen, wie etwa die Klassen im Sinne der Logik bzw. die Mengen der Mengenlehre, behandelt die Dialektik konkrete Zusammenhänge, die "durch Aufhebung von vorangehenden Isolierungen hergestellt werden" (dto, 53). Letzt e r e s gilt insofern, als die Dialektik den Zusammenhang von Sein und Wirken (oder auch etwa von Struktur und Prozeß) betrachtet (in diesem Sinne auch das Ganze als mehr denn die Summe seiner Teile begreift) und damit die in abstrakten Zusammenhängen (wo das Ganze gleich der Summe seiner Teile ist) bestehende Isolierung des Seins vom Wirken und die Reduktion auf das Sein 'als solches' aufhebt. Konkret ist nicht der (statische) Gegenstand 'an sich' in seiner bloßen Existenz (als solches ist er lediglich möglich, aber nicht wirklich), konkret ist er nur in seinem Wirken, als G e g e n s t a n d - " f ü r - u n s " , wie ENGELS treffend formulierte, in seinem Verhältnis zu mir, zu anderen Subjekten oder zu anderen Dingen. Ist nun der Untersuchungs-Gegenstand -wie in der Psychologie- das menschliche Subjekt selbst, so gilt entsprechendes: nämlich, daß das menschliche Subjekt nicht sinnvoll als solches und 'für sich genommen' analysiert werden kann (das führt zu bloß abstrakten Beschreibungen), sondern in seinen Verhältnissen zu seiner gegenständlichen und mit menschlichen gesellschaftlichen Umwelt untersucht werden muß. Von daher ist auch das in der traditionellen Psychologie übliche scheinbar so konkrete Ausgehen von der Einzelperson als "Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit" zu kritisieren (HOLZKAMP 1972, 100-110; s.a. MAIERS 1979, 70-81; RAEITHEL 1981, 91). Mit der Beschränkung auf den Einzelgegenstand (bzw. die Einzelperson) verbunden, ist eine prinzipiell verkürzte Auffassung vom Wesen der Dinge, wobei das Wesen nämlich oberflächlich als das genommen wird, was sich als der bewegungslose Kern gemeinsamer Eigenschaften einer Gesamtheit von Gegenständen finden läßt und somit als abstrakte Allgemeinheit hingestellt, aber nicht konkret faßbar wird. Die Bewegung der wirklichen Verhältnisse kann so nicht ausgedrückt werden (Sein und Wirken, Struktur und Prozeß werden auseinandergerissen) und entsprechend kann in der Abstraktion auch e t w a das Wesen der Persönlichkeit nicht als lebendiges Verhältnis (Individuum-Gesellschaft-Verhältnis), nicht als Bewegung, Prozeß, Entwicklungsverlauf b e g r i f f e n werden (weiteres s. Kap. 6). "Die m a t e r i a l i s t i s c h e Dialektik geht von der prinzipiellen Voraussetzung aus, daß die objektive Realität ein Gesamtzusammenhang der Selbstbewegung, der Entwicklung ist" (RUBEN 1978, 59). Bewegung ist hierbei nicht als abstraktmathematisch (wie z.B. in der Mechanik) abbildbarer Prozeß zu v e r s t e h e n , sondern als Konkretum, d.h. als historische Entwicklung. Der Unterschied besteht wesentlich darin, "daß in der m a t h e m a t i s i e r t e n R e p r ä s e n t a t i o n von Bewegung ... immer momentan fixierte Zustände angegeben werden, aber nie das Entstehen eines folgenden aus seinem genetisch vorausgesetzten Zustand selbst. Eben um dieses Entstehen (und Vergehen), um das Werden, um die Entwicklung geht es in der Dialektik" (dto, 62). Die Erklärung von Entwicklung e r f o r d e r t 1. die Erklärung der Bewegung, 2. die Erklärung der Änderung der 32

Bewegungsordnung, sowie 3. die Erklärung der Ordnung (Identität) in der Änderung. Letzteres erfaßt die Selbstbewegung eines m a t e r i e l l e n Prozesses. Die genannten Grundprinzipien der materialistischen Dialektik sind immer mitzudenken, wenn von Tätigkeit i.S. der T ä t i g k e i t s t h e o r i e LEONTJEWs die Rede ist. So bleibt die Untersuchung der Tätigkeit und ihrer Struktur 'als solcher' abstrakt. Statt dessen ist von der Einheit von Gegenstandsprozeß und Tätigkeit (entsprechend von Gegenstand und operativer Struktur) auszugehen. Insofern die Tätigkeit als lebendige Aktivität die Seite des Subjekts markiert, der Gegenstandsprozeß die Seite des Objekts, kann auch von einer "Einheit aus 'subjektiven' und 'objektiven' Teilprozessen, die widersprüchlich a u f e i n a n d e r verwiesen sind" (RAEITHEL 1980/81) gesprochen werden. Damit kommt man durch die Aufhebung der durch die Abstraktion voneinander isolierten Momente (Prozesse der Subjekt- vs. Prozesse der Objekt-Seite) zu deren Verbindung, zur dialektischen Einheit, zur Einheit von Gegensätzen. Die beiden 'Pole' dieser widersprüchlichen Einheit sind als Komplementaritäten beschreibbar, wie etwa in der 'Naturdialektik' die Komplementaritäten von Welle und Korpuskel, von Feld und Körper, von Energie und Masse; oder eben die Komplementaritäten von 'Subjekt' und 'Objekt', von Tätigkeit und Gegenstand(sprozeß), von Persönlichkeit und Gesellschaftsformation). Entsprechend ist von der Gegenständlichkeit der Tätigkeit und von der Gesellschaftlichkeit der Persönlichkeit auszugehen; weder gibt es eine 'gegenstandslose' Tätigkeit (vgl. LEONT3EW 1977, 1982), noch eine 'gesellschaftslose' Persönlichkeit. Die widersprüchliche Einheit aus subjektiven und objektiven Teilprozessen ist in ihrer Entwicklung als Ko-Evolutionsprozeß, als Prozeß des Einander-Entwickelns zu verstehen (RAEITHEL 1980/81). RAEITHEL warnt vor einer Verabsolutierung des materialistischen Postulats der Selbstentwicklung (s.o.), etwa in der Form '"Mein Vater e n t w i c k e l t mich nicht, nein, ich entwwickele mich selbst'" (dto, 3). Dementgegen sei das Einander-Entwickeln zu b e t o n e n ; "Individuen machen einander, physisch und geistig, aber sie machen nicht sich" (ebd; zitiert nach MARX/ENGELS; Werke Bd. 3, 37, vgl. weiter unten). Der Begriff der SelbstentWicklung soll in dieser Arbeit dennoch nicht aufgegeben werden, ist jedoch in dem soeben explizierten Sinne zu v e r s t e h e n . Die Vorstellung, das für sich genommene Subjekt könne sich aus sich selbst heraus entwickeln, widerspricht der materialistisch-dialektischen Denkweise, die jede Verabsolutierung des erkennenden Subjekts, das sich für das Eine hält, ablehnt. Was ist nun -allem voran- über das der T ä t i g k e i t s t h e o r i e zugrundeliegende "Menschenbild" zu sagen? Zunächst sicherlich -wie bereits aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht- soviel, daß es weder dem mechanischen M a t e r i a l i s mus (= behavior istische Ansätze) noch dem subjektiven Idealismus (= kognitivistische Ansätze) verpflichtet ist, sondern dem historisch-dialektischen Materialismus, und das heißt, daß sowohl subjektive Freiheit wie objektive Determination des menschlichen Individuums erkannt und beide 'Wesensmomente' in ihrer realen Verbundenheit und Auf einander bezogenhe it als dialektisch-widersprüchliche Einheit begriffen werden. Auch impliziert die T ä t i g k e i t s t h e o r i e nicht die oben an der materialistischen Handlungstheorie kritisierte Beschränkung der Selbstbestimmung auf die bloße s a c h g e r e c h t e / g e g e n s t a n d s a d ä q u a t e Handlungsregulation (bei zumeist von außen vorgegebenen Zielstellungen), vielmehr wird hier das menschliche Individuum (-auf der Basis seiner allgemeinen menschlichen Naturgrundlage und in der Besonderung seiner Natur in der 33

je konkret-historischen Gesellschaft; s.u.-) als Subjekt von vornherein in seiner Entwicklung, seiner Selbstbewegung verstanden, damit in seiner G a n z h e i t , in seinem 'Subjektcharakter 1 (somit auch etwa als selbst Handlungsziele setzendes und diese handelnd realisierendes Subjekt), und zwar auf der Basis der vom Subjekt realisierten Möglichkeiten und Grenzen seiner historisch-relativen gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse. Inwieweit sich dies in der Tätigkeitstheorie als Grundlage einer "Pat ho Psychologie" konkretisiert, wird in den folgenden Kapiteln deutlich. Mit einer erkenntnistheoretisch geleiteten Formel sind die anthropologischen Annahmen der Tätigkeitstheorie klarerweise noch nicht hinreichend gekennzeichnet, handelt es sich doch bei der Frage nach dem "Menschenbild" wesentlich um die Frage nach der Konzeption von "menschlicher Natur". Insbesondere der Kritischen Psychologie (s. die Standardwerke von HOLZKAMP 1973; H.-OSTERKAMP 1975/76; SCHURIG 1976) kommt (teils in Anlehnung an LEONTJEW) das Verdienst zu, durch sorgfältiges Studium der Phylogenese, der Naturgeschichte und historischen Entwicklung, Kennzeichen des "spezifisch menschlichen Entwicklungsniveaus" herausgearbeitet und auch eine Bestimmung der 'menschlichen Natur' ermöglicht zu haben. Als 'Beispiel' für die Vernachlässigung der menschlichen Naturgr und läge wäre dagegen die Konzeption von SEVE (1972) zu nennen, der d a m i t zu einer v e r z e r r t - s o z i o l o g i s t i s c h e n und ökonomistisch-verbogenen Interpretation der Persönlichkeit gelangt und schöpferische Freiheit und gesellschaftliche Determiniertheit undialektisch gegenüberstellt (s. EBERT 1978; s.a. H.-OSTERKAMP 1975/76, BRAUN 1977, u.a.m.) Zwar ohne Belegmaterial aus der phylogenetischen Forschung anzubieten, hat sich auch TOMBERG (1978; s.a. 1982) -ausgehend von MARX/ENGELS' m a t e rialistischer Geschichtsauffassung- der Frage nach der 'menschlichen Natur' gewidmet und sich um Definitionen zur allgemeinen Kennzeichnung derselben bemüht. "Als Naturwesen, d.h. als von der Natur hervorgebrachtes Lebewesen, unterliegt der Mensch den gegebenen Bedingungen der Natur, die ihn in seinem Denken und Tun b e s t i m m t " (TOMBERG 1978, 52). Als sich mit seiner Natur auseinandersetzendes Subjekt "bestimmt er selbst diese seine N a t u r b e s t i m m t heit gemäß den gegebenen Bedingungen, indem er in der Arbeit den Naturstoff umformend sich aneignet, so daß er mit dessen Konsumtion (Nutzung oder Verzehr) sich sein Leben e r h a l t e n kann. Dadurch, daß er die äußere Natur umformt, formt er auch seine Bestimmtheit durch die Natur und d a m i t sich selbst um" (ebd). In ontogenetischer Sicht c h a r a k t e r i s i e r t TOMBERG menschliche Natur u.a. folgendermaßen: a) Insofern sich der Mensch als Natur macht in t ä t i g e Entgegensetzung zur Natur stellt, "muß (ihm) daher ein Subjektcharakter in diesem Sinne vom ersten Anfang seiner individuellen Existenz an schon zukommen. Jedoch erlangt jedes Individuum seine Existenz nur so, daß es als Mensch zum Menschen erst heranwächst. Der Mensch ist Mensch und muß, was er ist, doch erst werden. Er ist, aus der Sicht seiner Vollendung, anfänglich erst Menschen-Möglichkeit, als diese aber, so wie sie existiert, voll und ganz wirklich. Es ist seine Natur, sich als Mensch ausbilden zu müssen. Seine Möglichkeit, Mensch zu sein, ist eine notwendige Möglichkeit, sie ist seine n a t ü r l i c h e Bestimmung, die er mehr oder weniger verfehlen, vor der er jedoch nicht in eine andere Seinsweise ausweichen kann" (61) und b) "Aus seinem Ursprünge heraus ist der Mensch der 'Trieb, sich zu realisieren' (HEGEL/LENIN; LW, Bd. 38, 34

S.203)" (ebd). Dieser "Trieb, sich zu realisieren", bezeichnet also das menschliche Sein im ganzen. Indem sie ihre gegenständliche Welt aktiv aneignen, verwandeln die heranwachsenden menschlichen Individuen ihre Menschen-Möglichkeit in menschliche Wirklichkeit. "Im Umgang mit den sinnlichen Gegenständen nehmen sie zugleich deren g e s e l l s c h a f t l i c h e Bedeutung wahr und machen sich so Elemente der gegebenen gesellschaftlichen Erfahrung zu eigen. Im Umgang mit den Menschen ihrer Betreuung üben sie sich in die gegebene gesellschaftliche Praxis ein. Sie können nur so als Menschen sich verwirklichen, daß sie sich zu befähigten Teilhabern derjenigen Gesellschaft bilden, in die sie hineinwachsen. In den gesellschaftlichen Verhältnissen haben sie die Wirklichkeit ihres Wesens" (dto, 63). Diese 'Definitionen 1 TOMBERGs finden weitgehende Bestätigung durch die detaillierten naturhistorischen Analysen der Kritischen Psychologie (s. dagegen aber HOLZKAMP 1979). Wesentlich ist danach, daß in der 'menschlichen Natur' (ontogenetisch gesehen von Anfang an) die Befähigung, aber darüber hinaus auch die Bereitschaft zur Vergesellschaftung angelegt ist. In der Ontogenese vollzieht sich die Vergesellschaftung dann im Wechselwirkungsprozeß von Aneignung und Vergegenständlichung der objektiven Welt, der gesellschaftlich-historischen Erfahrung (sowie in der Realisation gesellschaftlicher Beziehungen, was die Kritische Psychologie weniger berücksichtigt; s.u.). Insgesamt vollzieht sie sich in der werkzeugvermittelten Naturaneignung und -bearbeitung durch kooperative gesellschaftliche Arbeit, -naturhistorisch gesehen- mit dem "Wandel von der Umweitkontrolle durch lernende Anpassung des individuellen Organismus an die Umwelt" (= Entwicklungsniveau der höheren Säugetiere) zur "bewußten, die Umwelt allgemeinen gesellschaftlichen Zwecken unterwerfenden Realitätskontrolle durch verändernden Eingriff in die Umwelt, also vergegenständlichende Arbeit" (= spezifisch menschliches Entwicklungsniveau) (H.OSTERKAMP 1977 330). In den Bestimmungen von menschlicher Natur als Entwicklungspotenz zur individuellen Vergesellschaftung wird nun allerdings seitens der Kritischen Psychologie wie auch von TOMBERG (1978, 1982) vorrangig auf den Bereich der gesellschaftlichen Produktion, auf den (Informations-, S t o f f w e c h s e l - ) A u s tausch der Menschen mit ihrer gegenständlichen Welt (Subjekt-'Natur'-Austausch) abgehoben. "Arbeit" und "Aneignung" sind gemäß MARX allgemeine System begriffe "unabhängig von jeder gesellschaftlichen Form" (MEW 23, 192) und sie gelten nun den Kritischen Psychologen als die kennzeichnenden Begriffe für die Spezifika der menschlichen (im Unterschied zur tierischen) T ä t i g k e i t . Die verschiedenen spezifischen Entwicklungspotenzen des Menschen werden von H.-OSTERKAMP (1975) kurz als "Aneignungsfähigkeit" z u s a m m e n g e f a ß t (s. 1977 2 , 330-332), d a m i t von der bereits auf dem Niveau höherer Säugetiere bestehenden individuellen Lern-und Entwicklungsfähigkeit abgegrenzt. Durch die Konzentration auf den Produktionsbereich aber erfolgt eine Vernachlässigung der Reproduktionssphäre, d.h. wie, mit welchen Mitteln und in welchen Formen sich die nicht nur physische, sondern auch soziale (das ist beim Menschen 'ihrer Natur nach' gesellschaftliche) Reproduktion (Erneuerung und Erhaltung, Veränderung und Entwicklung) der in der Gemeinschaft lebenden menschlichen Individuen (und notwendig auch der G e m e i n s c h a f t insgesamt) vollzieht, bzw. richtiger: es erfolgt eine Vernachlässigung der Reproduktionsverhältnisse insbesondere im Hinblick auf die Reproduktion der Menschen als soziale (d.h. g e s e l l s c h a f t l i c h e ) Wesen und des menschlichen Gemeinwesens 35

sozialen/die zwischenmenschlichen Verhältnisse (Subjekt-Subjekt-Verhältnisse) in der Kritischen Psychologie weitgehend übergangen werden. Unter etwas anderer Schwerpunktsetzung wurde die Vernachlässigung gerade der I n t e r s u b j e k t i v i t ä t in den kritisch-psychologischen Bestimmungen der menschlichen Natur (Verengung des Konzepts der gegenständlichen Tätigkeit auf die Dimension der Werkzeugherstellung und des Werkzeuggebrauchs; Ubergehen oder Hintanstellen der 'Eigenlogik1 der zwischenmenschlichen Interaktionsprozesse bei Betonung der 'Werkzeuglogik1 in der Auseinandersetzung mit der äußeren Natur) auch von OTTOMEYER (z.B. 1977b, 23ff) kritisiert. Produktiv-sachlicher Gegenstandsbezug und zwischenmenschlicher Bezug der spezifisch menschlichen Tätigkeiten sind gleichermaßen zu betonen. Die Realisation gesellschaftlich-sozialer Beziehungen ist untrennbar in die Evolution der produktiven Aneignung der Natur eingebunden. In "Die deutsche Ideologie" betonten MARX/ENGELS ausdrücklich die intersubjektiven (inter-individuellen) Verhältnisse und sozialen Verkehrsformen: "Die Individuen sind immer und unter allen Umständen 'von sich ausgegangen', aber da sie nicht einzig in dem Sinne waren, daß sie keine Beziehung zueinander nötig gehabt hätten, da ihre Bedürfnisse, also ihre Natur und die Weise, sie zu befriedigen, sie aufeinander bezog (Geschlechtsverkehr, Austausch, Teilung der Arbeit), so mußten sie in Verhältnisse treten. Da sie f e r n e r nicht als reine Ichs, sondern als Individuen auf einer b e s t i m m t e n Entwicklungsstufe ihrer Produktivkräfte und Bedürfnisse in Verkehr t r a t e n , in einen Verkehr, der seinerseits wieder die Produktion und die Bedürfnisse bestimmte, so war es eben das persönliche, individuelle Verhalten der Individuen zueinander, das die bestehenden Verhältnisse schuf und täglich neu schafft. ... Es stellt sich hierbei allerdings heraus, daß die Entwicklung eines Individuums durch die Entwicklung aller andern, mit denen es in direktem oder indirektem Verkehr steht, bedingt ist, und daß die verschiedenen Generationen von Individuen, die miteinander in Verhältnisse treten, einen Zusammenhang unter sich haben, daß die Späteren (nicht nur) in ihrer physischen Existenz durch ihre Vorgänger bedingt sind, (sondern auch) die von ihnen akkumulierten Produktivkräfte und Verkehrsformen übernehmen und dadurch in ihren eignen gegenseitigen Verhältnissen bestimmt werden." (MEW 3, 423; Klammerausdrücke S.H.). Aber nicht nur in seinen 'früheren' Schriften, sondern auch in den "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie" hebt Marx die Beziehungen zu den anderen Individuen explizit hervor: "In der G e s e l l s c h a f t aber ist die Beziehung des Produzenten auf das Produkt, sobald es fertig ist, eine äußerliche und die Rückkehr desselben zu dem Subjekt hängt ab von seinen Beziehungen zu andren Individuen ... zwischen den Produzenten und die Produkte tritt die Distribution ..." (Grundrisse, S.15/16). Konzentriert man sich -wie die "Kritischen Psychologen" und wie TOMBERGlediglich auf den Arbeitsbegriff (damit auf die Produktionssphäre), so gelangt man zwar auch zur Thematisierung der Produktionsverhältnisse, in denen das gesellschaftliche Leben organisiert ist, damit zur Thematisierung kooperativer Beziehungen i.e.S. als der neuen Qualität der schon bei den höchsten Primaten festgestellten "bloß sozialen" Beziehungen; die kooperativen Beziehungen selbst als je konkrete Beziehungen zwischen Menschen und in ihrer Gesamtheit als materiell-soziale Verhältnisse, in denen sich die Menschen aufeinander b e z i e hen, sich miteinander austauschen und dabei ihre sozial-gesellschaftliche Existenz realisieren und reproduzieren, bleiben jedoch weitgehend außer Betracht. So kennzeichnet H.-OSTERKAMP die 'Kooperation' im wesentlichen nur als 36

So kennzeichnet H.-OSTERKAMP die 'Kooperation' im wesentlichen nur als "wechselseitige Mitübernahme von Funktionen f ü r andere in koordinierten Teilaktivitäten" (1977 2 , 245). Die Form und der Charakter der kooperativ-sozialen Beziehungen als zwischenmenschliche Verhältnisse bleiben hierbei außerhalb des 'analytischen Blickfeldes'. Bei Verwendung des Arbeitsbegriffs liegt die Betonung i.d.R. auf dem Stand der Produktivkräfte und der Produktivkraftentwicklung. Die Produktionsverhältnisse (als die den Produktionsbereich charakterisierenden intersubjektiven Verhältnisse) sind im Arbeitsbegriff zwar e n t h a l t e n (z.B. kann Kooperativität thematisiert werden), treten bei Verwendung der Kategorie der gesellschaftlichen Arbeit genaugenommen jedoch lediglich als Rahmenbedingung der Produktivkraftentwicklung auf. Die Reproduktion andererseits wird zwar beispielsweise auch von H.-OSTERKAMP b e d a c h t ; hier aber vorrangig nur als Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft (d.h. der physischen Lebens- und der Arbeitsfähigkeit des Menschen) k o n z e p t u a l i s i e r t , unter Vernachlässigung des Umstandes, daß sich das menschliche Subjekt mit seinen gegenständlichen Tätigkeiten gleichzeitig als gesellschaftlich-soziales Wesen in seiner sozialen Existenz- und Bewegungsform reproduziert. Der spezifisch menschliche 'soziale Aspekt' wird von TOMBERG (1958) angeschnitten, wenn er davon spricht, daß sich die Heranwachsenden "im Umgang mit den Menschen ihrer Betreuung in die gegebene g e s e l l s c h a f t l i c h e Praxis einüben" (63); angeschnitten wird dieser Aspekt auch von H.-OSTERKAMP, indem sie unter Bezugnahme auf LEONTJEW (1973) darauf hinweist, daß bei der kindlichen Aneignung die Schutz- und Unterstützungstätigkeit der Erwachsenen "einen integrierenden Bestandteil menschlichen Lernens überhaupt d a r s t e l l t " ( 1 9 7 7 3 0 8 ) und dabei "kooperative Strukturen" der individuellen Entwicklung realisiert werden. Weitere Berücksichtigung findet dieser spezifisch menschliche 'soziale Aspekt' bei den Autoren jedoch nicht (s. aber HOLZKAMP 1979a,b; 1983). Für eine Bearbeitung dieses 'sozialen Aspekts', der sozialen Seite der gegenständlichen Tätigkeit, gilt zu bedenken, daß existenznotwendig für den Menschen nicht nur seine biologisch-physische Reproduktion als t ä t i g e s Subjekt (Erhaltung, Erneuerung und Entwicklung der physischen Lebensfähigkeit, der menschlichen Arbeitskraft) ist, sondern ebensosehr, -da er als von Anfang an völlig isoliertes Individuum sich nicht zum Menschen entwickeln kann, als Mensch zum Menschen e r s t in der G e s e l l s c h a f t wirklich wird-, seine soziale Reproduktion als Mitglied der Gesellschaft. Naturhistorisch gesehen ist ja auch gerade der kooperative Zusammenschluß der Menschen ein wesentlicher Aspekt ihrer Naturbewältigung. Mit den jeweils realisierten Formen der Kooperativität in der kollektiven N a t u r b e a r b e i t u n g werden je b e s t i m m t e Beziehungen zwischen den Individuen realisiert. Und entsprechend bilden sich Formen des sozialen Verkehrs, Formen des z u e r s t m a t e r i e l l e n , später auch ideellen Austausches, von den Subjekten realisierte und reproduzierte materiell-soziale Verhältnisse, Subjekt-Subjekt-Verhältnisse, damit Formen der Zwischenmenschlichkeit. Die entsprechenden Tätigkeiten der Gesamtheit der in einer Gesellschaft zusammengeschlossenen Individuen nun konstituieren die Praxis des Gemeinwesens, die gesellschaftliche Praxis (vgl. RAEITHEL 1981). Das Gemeinwesen r e p r ä s e n t i e r t quasi die S t r u k t u r , die Ordnung der je von den Individuen aktiv realisierten materiell-sozialen Verhältnisse, der sozialen Verkehrsformen, welche auf der Basis der g e g e n s t ä n d lichen Lebensbedingungen und der ökonomischen bzw. Eigentumsverhältnisse realisiert werden. Beim Gemeinwesen handelt es sich so gesehen um eine 'Ordnung in der Änderung', die durch die Bewegung der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse r e p r o d u z i e r t ( r e a l i s i e r t , e n t w i c k e l t und v e r ä n d e r t ) wird. Jedes 37

menschliche Individuum hat darin je nach seinen objektiven Beziehungen zu anderen Menschen und zur G e s e l l s c h a f t insgesamt seinen (veränderbaren) ' P l a t z ' im System der gesellschaftlichen Beziehungen und vermag durch seine Reproduktion als soziales Wesen seine soziale Existenz als Mitglied der Ges e l l s c h a f t zu sichern und sich potentiell, d.h. der in der menschlichen Natur angelegten Möglichkeit nach, zu einem 'vollwertigen' Mitglied der Gesellschaft in entwicklungsf ordernd er solidarischer Kooperation zu entfalten. Die Untersuchung der Phylogenese zeigt, daß insbesondere die höchsten Primaten in " S o z i e t ä t e n " leben, daß sie in Sozialverbänden mit bereits ausgeprägten Sozialstrukturen organisiert sind (s.a. HILDEBRAND-NILSHON 1980), daß hier die Elterntiere in der Jungenaufzucht mit ihren Schutz- und Unterstützungsaktivitäten des Explorations- und Spielverhaltens der Jungtiere gleichzeitig die Entwicklung deren individueller "Soziabilität" bewirken und fördern (Prozesse tierischer Sozialisation); daß f e r n e r "der t i e r i s c h e Sozialisationsprozeß nicht nur zur Entwicklung spezieller sozialer Verhaltensweisen führt, sondern daß die Soziabilität darüber hinaus quasi die 'Fähigkeit' darstellt, von den anderen Tieren im Verband sozial akzeptiert zu werden" (H.-OSTERKAMP 1 9 7 7 2 2 0 ) , daß also die Soziabilität "individuelle Voraussetzung für die soziale Einpassung in den Verband" (ebd) darstellt. Deshalb äußert sich " t i e r i sches Sozialverhalten" nicht allein in bestimmten Interaktionsformen, sondern verselbständigt sich darüber hinaus "als eine Art von auf soziale Beziehungen g e r i c h t e t e r Bedarfszustand mit positiver Valenz von Artgenossen und Befriedigungswert des sozialen Kontaktes" (dto, ebd). Entsprechend ist neben dem verselbständigten "Bedarf nach Umweltkontrolle", der dem tierischen Neugierund Explorationsverhalten zugrundeliegt, ein v e r s e l b s t ä n d i g t e r "Bedarf nach sozialem Kontakt" anzunehmen, dessen biologischer Sinn etwa darin besteht, daß das "sich 'kennenlernen', aufeinander einstellen, soziale Positionen abklären, Koordinationen erproben e t c . " (dto, 222) in Ernstfallsituationen ein Zusammenwirken im sozialen Verband erleichtert. "Die Sozietät f ö r d e r t nicht allein die Überlebenswahrscheinlichkeit der Art, sondern -mit wachsendem Reichtum der Beziehungen der Tiere untereinander- damit immer mehr auch die Entwicklung des Einzeltiers. Die höchsten tierischen Stufen sind nur als soziale Lebensformen erreicht worden und das einzelne Wesen innerhalb einer solchen hochentwickelten Sozietät gewinnt nur im sozialen Verband seine volle artspezifische Ausgestaltung" (ebd). Die phylogenetisch gewordenen Sozialstrukturen sind dem Verhalten des Einzeltiers übergeordnet; die Verhaltensweisen eines Tieres hängen gewissermaßen von seinem jeweiligen Platz innerhalb seines Sozialverbandes ab. (Weiteres zur Phylogenese t i e r i s c h e r Sozialstrukturen s. H.-OSTERKAMP 1975 bzw. 1977 2 , 198-223) Ausgehend von diesen Erkenntnissen aus der Phylogenese stellt sich dann die Frage nach der Spezifik der sozialen Beziehungen auf menschlichem Entwicklungsniveau. Dabei zeigt sich, daß die Konzentration auf den Arbeitsbegriff zu den genannten Blickverengungen bzw. Verkürzungen führt, daß deshalb "durch die Kategorie der gesellschaftlichen Arbeit hindurch" zur Kategorie der "Praxis des Gemeinwesens" (RAEITHEL 1983) fortgeschritten werden muß, wobei das Gemeinwesen als ReproduktionsVerhältnis zu spezifizieren und als "oberster Zweck" der (gesellschaftlichen) Produktion die Reproduktion des Gemeinwesens anzunehmen ist (ders. 1981, 122ff und 214ff). Unter Beachtung, daß auf menschlichem Niveau nicht "bloß soziale", sondern g e s e l l s c h a f t l i c h e Entwicklungsbedingungen bestehen, daß sich also der indivi38

du eile Mensch nicht lediglich in einen sozialen Verband, sondern in eine durch Arbeit entstandene und getragene gegenständliche gesellschaftliche Wirklichkeit, nicht in eine Sozietät, sondern in eine Gesellschaft hineinentwickelt, sind dann soziale Beziehungen in ihrer menschlichen Spezifik als Realisation m a t e riell-sozialer (kooperativer i.w.S.) Verhältnisse in Verbindung mit den produktiven Tätigkeiten der individuellen Menschen zu konzeptualisieren. Soziale Beziehungen sind auf menschlichem Niveau immer 'ihrer Natur nach' gesellschaftliche Beziehungen. Es handelt sich hier auch nicht um einen 'Sozialverband', sondern um ein Gemeinwesen, nicht um eine 'Sozietät', sondern um eine Gesellschaft und in der Individualentwicklung nicht um einen 'Sozialisations'-, sondern um einen Vergesellschaftungsprozeß, nicht um den Erwerb von 'Soziabilität', sondern von Gesellschaftlichkeit. Die erwachsenen Menschen vermitteln durch ihre Unterstützungstätigkeiten die Aneignungstätigkeiten der Kinder und weisen ihnen dabei einen 'Platz' im Netz der gesellschaftlichen Beziehungen zu (vgl. GLEISS 1980), tragen somit zu deren Erwerb individueller Gesellschaftlichkeit im Sinne einer bestimmten sozialen Existenz- und Bewegungsform im System der gesellschaftlichen Beziehungen bei. Die Kinder ihrerseits, eingebunden in diese Beziehungen, entwickeln sich durch die aktive Realisation und Reproduktion (-schließt Veränderung ein-) dieser Beziehungsstrukturen in ihren Tätigkeiten zu sozialen Wesen mit je b e s t i m m t e r sozialer Existenz-/Bewegungsform im gesellschaftlichen Lebensprozeß, entwickeln damit ihre Persönlichkeit. In dieser Weise also wäre die phylogenetische Entwicklungslinie der verselbständigten "sozialen Tendenzen" und der "Soziabilität" höchster Tiere auf menschlichem Niveau aufgehoben. Demgegenüber meint H.-OSTERKAMP, die "beiden zusammenhängenden Entwicklungstendenzen des Neugier- und Explorations Verhaltens einerseits und des verselbständigten Sozialverhaltens andererseits" seien "auf gesellschaftlichem Niveau in dem gegenständlichen und dem kooperativen Aspekt menschlicher Arbeit aufgehoben" (1977 2 , 243), wobei ihr dann aber in ihren weiteren Ausführungen (s. Motivationsforschung 2) die Besonderheit der kooperativen Beziehungen mehr und mehr aus dem Blickfeld gerät. Die "soziale Bedürftigkeit" wird von der Autorin als ein e r w e i t e r t e r Aspekt des "Bedarfs nach Umweltkontrolle" betrachtet und diese beiden phylogenetisch herausgebildeten Bedarfszustände werden dann in ihrer W e i t e r e n t wicklung auf menschlichem Niveau zusammengefaßt als "produktive Bedürfnisse" konzeptualisiert, wobei durch diese ungünstige Terminologie die Vernachlässigung der spezifisch-menschlichen kooperativ-sozialen Beziehungen noch v e r s t ä r k t wird. Wenn auch die "Tendenzen zur Ausdehnung bestehender Umweltbeziehungen, somit ... auch der sozialen Beziehungen" (1978 2 , 23) von ihr immer mal wieder erwähnt, so können sie bei Zugrundelegung des Arbeitsbegriffs als der zentralen Analyse kategor ie ("Stoffwechselprozeß" der Menschen mit der Natur, Subjekt-'Natur'-Austausch) doch nicht hinreichend erfaßt und in ihrer Besonderheit analysiert werden. Durch die Berücksichtigung nicht nur der Produktions-, sondern auch der Reproduktionssphäre (Reproduktion der Praxis des Gemeinwesens, materiell-sozialer Verhältnisse, der Verkehrsformen etc.) wird man der Entwicklung von historisch-relativen Formen der Zwischenmenschlichkeit im Vergesellschaftungsprozeß individueller Subjekte aber gerecht. Die Tendenz zur K o o p e r a t i v i t ä t , Gemeinschaftlichkeit bzw. Zwischenmenschlichkeit ist ebenfalls als Naturgrundlage im Menschen angelegt und findet ihre je individuelle Besonderung in den historisch-relativen Subjekt-Subjekt-Verhältnissen bzw. (um mit SEVE (1972) zu 39

sprechen) im "lebendigen System von gesellschaftlichen Verhältnissen zwischen den Verhaltensweisen" (287), soweit diese vom Subjekt realisiert werden. Die spezifisch menschliche I n t e r s u b j e k t i v i t ä t ist zu verstehen als notwendige -immer gegenstandsvermittelte und mit der produktiven Tätigkeit r e a l i s i e r t e (ursprünglich u n - e n t f r e m d e t e ) K o o p e r a t i v i t ä t im weitesten Sinne. Generell meint der Begriff 'Kooperation 1 nicht allein die harmonisch-solidarische, sondern schließt e b e n f a l l s die widersprüchlichen, e n t f r e m d e t e n Formen des Zusammen- (und Aufeinander-Ein-)Wirkens ein. K o o p e r a t i v i t ä t i.w.S. u m f a ß t auch die kommunikativen Prozesse (vgl. Punkt 3.3). Im vorliegenden Zusammenhang gilt festzuhalten, daß hinsichtlich der m o t i v a tionalen Naturgrundlage neben dem Bedürfnis nach gesellschaflticher Realitätskontrolle auch das sozial-kooperative Bedürfnis als Kennzeichen 'menschlicher Natur' besondere Berücksichtigung finden muß. "Strebungen" nach Selbstentwicklung und Selbstentfaltung über den m i t m e n s c h l i c h - g e m e i n s c h a f t l i c h e n kooperativen Zusammenschluß und über die kollektive Erweiterung der Realitätskontrolle sind -historisch geworden- im menschlichen Individuum 'natürlich' angelegt und konstituieren die "Entfaltungslogik menschlicher Natur" (JANTZEN 1979). Die Selbstentfaltung des menschlichen Subjekts vollzieht sich in je historisch-konkreter Gesellschaft durch dessen Tätigkeiten und das heißt: a) durch dessen individuelle Beiträge zur allgemein-gesellschaftlichen Lebenssicherung (Erweiterung der R e a l i t ä t s k o n t r o l l e zwecks Verbesserung der allgemeinen, damit auch der individuellen Lebensbedingungen (H.-OSTERKAMP 1975/76); sowie b) durch dessen tätige Realisation und Reproduktion (-schließt Veränderung/Entwicklung ein-) der mitmenschlichen ko-operativen Beziehungsstrukturen, durch dessen Reproduktion der Praxis des jeweiligen Gemeinwesens. Die Selbstentfaltung wird in diesem Prozeß als E n t f a l t u n g der 'natürlichen' menschlichen Entwicklungspotentialitäten mehr oder weniger gelingen (damit 'wirklich'), —dies in der Wechselwirkung des tätigen Subjekts mit seinen objektiven gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen, deren Möglichkeiten und Beschränkungen. Das heißt also, daß die jeweiligen m a t e r i e l l e n Bedingungen der Produktion, Distribution und Konsumtion und die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse in diesen Bereichen die Selbstentwicklung des Subjekts ermöglichen und begrenzen und daß die zunächst nur als Potentialitäten bestehenden 'natürlichen' Entwicklungstendenzen erst im Prozeß der Vergesellschaftung des individuellen Subjekts wirklich werden können. Das heißt ferner, daß je bestimmte antagonistische Klassengesellschaften je bestimmte Entwicklungsschranken für die sich in ihnen vergesellschaftenden Individuen implizieren, Entwicklungsschranken, die der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur' entgegenstehen. Mit diesen Ausführungen zur 'menschlichen Natur wurde nun implizit eine grundsätzliche Dualität der Subjekt-Welt-Beziehungen postuliert, während ich explizit über deren naturhistorische Grundlage (m.E. Begründung) sprach. Die Erkenntnis des Doppelcharakters der objektiven Verhältnisse (als gegenständliche und soziale) und der entsprechenden Dualität der lebendigen Aktivität und des Menschen selbst, stammt von MARX und wurde von WYGOTSKY, später LEONTJEW aufgegriffen. Aus meiner Sicht macht die Dualität der Subjekt-Welt-BeZiehung die analytische Unterscheidung von a) (linear-)produktiver 'Sphäre' (Subjekt-'Natur'-Austausch)D und b) (zyklischer) sozial-reproduktiver 'Sphäre' (Subjekt-Subjekt-Verhältnisse) 40

e r f o r d e r l i c h , wobei aber beide 'Sphären 1 in einem spezifischen strukturellen Zusammenhang stehen, nämlich in der Weise, daß die linear-produktive Aktivit ä t der sozialen Reproduktion des Subjekts dient (vgl. 3.2.3). Weiter vorne wurde festgestellt, daß das materialistisch-dialektische Postulat der 'Selbstentwicklung' r i c h t i g e r als Prozeß des 'Einander-Entwickelns' zu spezifizieren ist. Gemäß der Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung handelt es sich dann a) um die Ko-Evolution von lebendiger A k t i v i t ä t und Gegenstandsprozeß (Einheit aus subjektiven und objektiven Teilprozessen) im S u b j e k t - ' N a t u r ' Austausch sowie gleichzeitig b) um das Einander-Entwickeln menschlicher Individuen in Subjekt-SubjektVerhältnissen. (s. Punkt 5.1). Mit der zweiten 'Komponente' ist also die sozial-kooperative Dimension thematisiert (als Realisation/Reproduktion m a t e r i e l l - s o z i a l e r Verhältnisse bzw. sozialer Verkehrsformen durch die Individuen). Damit werden zwischenmenschliche Praxisformen (Formen der Zwischenmenschlichkeit, Beziehungsformen) beschreibbar und im 'Gesamtzusammenhang' wird neben dem historisch-genetischen und gegenständlichen auch der (sozial-)systemische Kontext explizit einbezogen (s.a. HASELMANN 1983). Der Ausdruck "materiell-soziale Verhältnisse" wurde bislang zwar schon mehrfach benutzt, aber noch nicht explizit definiert. Gemeint sind damit objektive sozial-kooperative Verhältnisse auf der Basis der je historisch-konkreten materiell-gegenständlichen Verhältnisse, d.h. auf der Basis insbesondere der ökonomischen bzw. Eigentumsbeziehungen zwischen Menschen in jeweiliger Gesellschaftsformation. Der 'Charakter' der sozial-kooperativen Beziehungen (etwa Konkurrenz-/Abhängigkeitsverhältnisse) entspricht deshalb den objektiv bestehenden materiell-gegenständlichen (Eigentums-) Be Ziehungen zwischen den Menschen, (vgl. mit Punkt 3.3) Auf der anderen Seite sind die je konkreten materiell-gegenständlichen Bedingungen (wie: allgemeine Lebens-, Wohn-, Arbeitsbedingungen) Basis der 'Kompetenz'-Entwicklung des Subjekts i.S. der Aneignung praktischer und kognitiver 'Kompetenzen' der Umweltkontrolle, Handlungs- und Erkenntnisfähigkeit. (Von der Kritischen Psychologie wird gerade das Problem ' r e d u z i e r t e r ' R e a l i t ä t s kontrolle unter kapitalistischen Bedingungen hervorgehoben. Und auch die materialistischen Handlungstheoretiker setzen -wenn auch unter etwas anderem Blickwinkel- an dieser 'Komponente' an; vgl. dazu etwa das Konzept der "partialisierten Handlung" im Kapitalismus von VOLPERT 1975). Angesichts der Themenstellung dieser Arbeit liegt meine (analytische) Betonung auf der sozial-reproduktiven 'Sphäre' der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse, da sich (-meinem Verständnis nach-) die Entwicklung psychischer Beeinträchtigung eben in diesen Verhältnissen vollzieht. Letzteres impliziert die Konzeptualisierung der Persönlichkeitsentwicklung als Realisation je bestimmter materiell-sozialer Verhältnisse durch das personale Subjekt, damit als Reproduktion sozialer Existenz-/Bewegungsformen und legt dann eine Differenzierung von Entwicklung der Persönlichkeit i.e.S. (in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen —soziale Verkehrsformen) und Subjektentwicklung als Kompetenz-/Handlungsfähigkeitsentwicklung (im Subjekt-'Natur'-Austausch —Realitätskontrolle) nahe, ohne indes beide Entwicklungs"stränge" zu trennen (wie etwa HABERMAS eine künstliche Trennung von "kommunikativem" und "instrumentellem" Handeln vornimmt), sondern vielmehr unter Beachtung ihrer realen wechselseitigen Verschränkung (s. Punkt 6.3.2). 41

3.2

Implikate der Kategorie der gegenständlichen Tätigkeit

Die naturhistorische Analyse erschließt die Tätigkeit als die wesentliche Dimension a) der ursprünglichen Subjekt-Objekt-Differenzierung in der Entwicklung des Lebens, b) des subhumanen Individuum-Umwelt-Verhältnisses und schließlich d) —in ihren Spezifika auf gesellschaftlichem Entwicklungsniveau— als die wesentliche Dimension des Mensch-Welt-Zusammenhangs, des umfassenden Dimensionsgefüges der Mensch-Welt-Beziehung. Um nicht in der Untersuchung peripherer, marginaler oder sekundärer, nachgeordneter menschlicher Erscheinungen steckenzubleiben, muß deshalb die Tätigkeit die zentrale Grundkategorie der Psychologie, Ausgangseinheit jeder psychologischen Analyse bilden. "Die Tätigkeit ist sowohl als das allgemeine Prinzip, als Charakteristik des Ganzen zu b e t r a c h t e n wie als Teilproblem psychologischer Wissenschaft. Die Tätigkeit ist sowohl 'Erklärung wie Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung' (JUDIN 1977)" (STADLER/SEEGER 1981, 194). Es muß dann zuallererst darum gehen, die Kennzeichen der Tätigkeit, speziell der menschlichen Tätigkeit, zu bestimmen. Allgemein kann die gegenständliche menschliche Tätigkeit gemäß LEONTJEW (1977, 1982) durch folgende Merkmale charakterisiert werden: - durch ihre Ganzheitlichkeit (Nicht-Additivität), - als ein System mit eigener Struktur (statt bloße 'Reaktion'), - psychologisch dahingehend, daß sie durch die (bewußte) psychische Widerspiegelung vermittelt wird, - in ihrer Funktion dahingehend, daß sie die Beziehung des Subjekts zur gegenständlichen Welt und mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit herstellt, sowie - durch ihre Gesellschaftlichkeit.

3.2.1

Konzeptualisierung der Verhältnisse: Individuum-Gesellschaft, SubjektObjekt, Tätigkeit-Bewußtsein

Individuum-Gesellschaft-Verhältnis Das auf der Grundlage des Tätigkeitsbegriffs konzipierte Individuum-Gesellschaft-Verhältnis ist in zweierlei Hinsicht zu verdeutlichen: 1. Statt die traditionell-psychologische Frontstellung von Individuum und Gesellschaft, die undialektische Trennung von Innenwelt und Außenwelt (als zwei getrennt voneinander 'für sich' bestehende Größen) fortzuschreiben, wird diese Trennung zugunsten der Unterscheidung von Subjekt gebundener Tätigkeit auf der einen Seite und gegenständlicher Welt auf der anderen Seite aufgehoben. Damit wird die Verbindung von gegenständlicher Wirklichkeit und individueller Tätigkeit (-der lebendigen Aktivität eines Subjekts-) als widersprüchlich aufeinander verwiesene dialektische Einheit begreifbar. 2. Die genannte Differenzierung bleibt jedoch noch unbegriffen, sofern nicht gleichzeitig erkannt wird, daß menschliche Tätigkeit nur innerhalb des Systems der gesellschaftlichen Beziehungen existiert (sie existiert in Form der mit der Entwicklung der Produktion hervorgebrachten Mittel und Verfahren sowie der Formen und Verhältnisse des materiellen und geistigen Austausches). Mit diesem zweiten Punkt wird neben der objektiven gegenständlichen Welt auch explizit die Wirklichkeit der ge42

sellschaftlichen/der materiell-sozialen Verhältnisse betont. Meine Tätigkeit ist also gesellschaftlich, a) weil ich nur so tätig werden kann, wie es den gesells c h a f t l i c h g e s c h a f f e n e n gegenständlichen Bedingungen entspricht, mir auch überhaupt nur solche gegenständlichen Handlungsziele setzen kann, wie sie in der gegenständlichen Welt 'gegeben1 sind (seien es nun stofflich-gegenständliche oder symbolisch-gegenständliche Handlungsziele) und sie ist gesellschaftlich, b) weil ich mit meiner Tätigkeit solche Beziehungsformen, zwischenmenschliche Verhältnisse, realisiere, wie sie als -ihrer Natur nach g e s e l l s c h a f t l i c h e - Verhältnisse zwischen Menschen objektiv existieren und von meinen Kooperationspartnern ebenfalls (mit-)realisiert werden. Nun handelt es sich aber nicht um eine einseitige D e t e r m i n a t i o n meiner Tätigkeit durch die objektiven gegenständlichen Bedingungen (denen sich mein Handeln unterordnen muß) und durch die m a t e r i e l l - s o z i a l e n Verhältnisse (in deren Formen sich meine Tätigkeit bewegt), vielmehr kann ich eben durch meine Tätigkeit diese verändern, denn das aktive Veränderungspotential ist inhärentes Kennzeichen der Tätigkeit (Wechselverhältnis von objektiver Determination und subjektiver Freiheit). Eine auf der Grundlage dieses Tätigkeitsbegriffs konzipierte Persönlichkeitstheorie wird somit die Persönlichkeit jedenfalls als ihrem Wesen nach gesellschaftlich b e g r e i f e n , da das menschliche Subjekt mit seiner Tätigkeit immer in das System der gesellschaftlichen Beziehungen einbezogen ist und f e r n e r die Tät i g k e i t immer auf einen Gegenstand der gesellschaftlich geschaffenen gegenständlichen Welt bezogen (gegenständlich) ist. Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um eine bloß kopie-artige Übernahme und "Personifizierung" der je bestehenden gesellschaftlich-kulturellen Verhältnisse durch das Individuum. Eben durch die T ä t i g k e i t , durch die aktive Teilhabe des Subjekts an den gesellschaftlichen Prozessen, in der es sich zu seiner objektiven R e a l i t ä t aktiv in eine bestimmte Beziehung setzt, finden spezifische Transformationen statt, die die Person nicht zum bloßen 'Abklatsch' ihrer jeweiligen g e s e l l s c h a f t l i c h e n Bedingungen, Verhältnisse und Strukturen machen. Subjekt-Objekt-Beziehung LEONTJEW sieht die Bedeutung der Kategorie der gegenständlichen Tätigkeit für die Psychologie nicht zuletzt darin, daß sie eine a d ä q u a t e Formulierung des Problems der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, das bisher in der (traditionellen) Psychologie als unvermittelte 2-Faktoren-Beziehung v e r f ä l s c h t oder gänzlich vernachlässigt wurde, ermöglicht. Aus den bisherigen Ausführungen ging ja bereits hervor, daß die Tätigkeit sowohl subjektgebunden wie gegenständlich ist, daß sie so gesehen 'zweiseitig' ist in ihrer Bindung an die Subjekt-'Seite' und ihren Verbindungen zur Gegenstands-(Objekt-)'Seite' hin. LEONTJEW wendet sich nun gegen das "Postulat der Unmittelbarkeit", demgemäß äußere Einwirkungen unmittelbar Veränderungen im Innern (d.h. Antwortreaktionen auf Bewußtseinsebene) bzw. -auf Verhaltensebene- unmittelbar Verhaltensweisen bewirken sollen (s. die Informationsverarbeitungstheorien, die kognitiven Theorien, die S-R-Theorien samt ihren Erweiterungen um "intervenierende" kognitive Variablen, durch die sich am Grundprinzip nichts ändert); er wendet sich damit gegen das übliche zweigliedrige Grundschema, gegen die sog. "Zwei-Faktoren-Theorie" (1977, 66), dergemäß eben zwei "Faktoren" (wie S u b j e k t - O b j e k t , Individuum-Umwelt, Reiz-Reaktion, Situation-Kognition etc.) einander gegenüber- bzw. entgegengestellt werden. (So ist e t w a die g e s a m t e fruchtlose Anlage-Umwelt-Debatte durch diese inadäquate "2-Faktoren-Auffassung" geprägt.) 43

Kategoriales Grundschema der Psychologie müsse statt dessen das dreigliedrige Schema: Subjekt (S) - Tätigkeit (T) - Objekt (O) sein (s.u.). Von RAEITHEL (1983) wird dieses Schema richtiggestellt und modifiziert in: Ideelles (I) »Tätigkeit - Gegenstand (G).

bzw. richtiger:

Die "Subjekt-Tätigkeit-Objekt'-Kennzeichnung der Triade durch LEONTJEW ist etwas mißverständlich, insbesondere im Hinblick auf die Subjekt-Kategorie. Denn "Subjekt" meint ja nicht nur die psychische Abbiidebene bzw. das "Ideelle" als das "subjektive Produkt der Tätigkeit" (s. unten), sondern umschließt auch die Tätigkeit selbst, wie in der Zeichnung der I-T-G-Triade angedeutet. "Die Ubergänge Subjekt-Tätigkeit-Objekt bilden gewissermaßen einen Kreis. Es mag daher unerheblich erscheinen, welches Glied als das e r s t e genommen wird. Doch das ist keineswegs so. Der Kreis öffnet sich, er öffnet sich in der praktisch-sinnlichen Tätigkeit. ... Die realisierte Tätigkeit ist reicher, wahrer als das sie a n t i z i p i e r e n d e Bewußtsein" (LEONTJEW 1977, 44 f; 1982, 125). "Ursache" psychischer Erscheinungen (das heißt auch psychischer Beeinträchtigungen/"Störungen") sind demnach weder Bewußtseinserscheinungen bzw. kognitive Strukturen und Prozesse des Individuums, aber auch nicht die Gegenstände der gesellschaftlichen Welt als solche, sondern die mit und an ihnen vollzogenen Tätigkeiten. L e t z t e r e s b e d e u t e t jedoch nicht, daß LEONTJEW -gewissermaßen 'über die Hintertür'- eine subjektivistische Subjekt-zu-ObjektBewegung einführt, da er quasi vom Primat der ihrerseits subjektgebundenen ( s u b j e k t h a f t e n ) Tätigkeit ausgeht. Was die Tätigkeitsprozesse zuerst steuert, ist primär nicht das Subjekt (nicht das System innerer Strukturen), sondern primär der Gegenstand; d.h. die Tätigkeit muß sich zwangsläufig den je bestehenden objektiven (subjekt-unabhängigen) Eigenschaften der (ihrerseits von Menschen g e s c h a f f e n e n ) Gegenstände und ihrer Beziehungen untereinander quasi 'unterordnen'. Marxistischen Positionen wird oft vorgeworfen, sie verabsolutierten die 'Objekt-Seite' (die objektive gegenständliche Wirklichkeit) in ihren Untersuchungen der Subjekt-Entwicklung und der Entwicklung psychischer Erscheinungen und seien deshalb "objektivistisch". Für die materialistische Tätigkeitstheorie (ebensowenig wie f ü r die MARX'sche Theorie selbst) t r i f f t dies jedoch nicht zu. Statt des unhaltbaren subjektivistischen 'Primats der Kognition' ist hier von der Vorrangstellung der gegenständlichen Tätigkeit die Rede. Insofern die Gegenstände (und gegenständlichen Bedingungen und Verhältnisse) Voraussetzung und Bedingung der Tätigkeit sind und als solche die Tätigkeitsprozesse quasi "steuern", findet eine 'Objekt-zu-Subjekt-Bewegung' statt, d.h. in allgemeiner Aussage, daß die objektive Realität der jeweiligen Gesellschaft Grundlage und Ausgangspunkt der Entwicklung psychischer Beeinträchtigungen ist (objektive Determination). Die Gegenstände der gesellschaftlichen Wirklichkeit (objektive 44

Lebensbedingungen; gegenständliche, ökonomische Verhältnisse und darauf 'basierende' materiell-soziale, kooperative Verhältnisse) geben die Bedingungen für psychosoziale Kränkungen ab, aber -und das ist entscheidend- sie verursachen sie nicht! Ursache der Beeinträchtigung ist vielmehr die auf der Basis ihrer gegenständlichen Verhältnisse r e a l i s i e r t e Tätigkeit des Subjekts. In dieser Hinsicht findet -über die Tätigkeit- auch eine 'Subjekt-zu-Objekt-Bewegung' s t a t t ; hier t r i t t der Mensch als aktives Subjekt in Erscheinung (subjektive Freiheit). Und eben darin liegt die Chance, auch in antagonistischen und entfremdeten Verhältnissen etwas zu unserer eigenen Entwicklung beizutragen, psychische Beeinträchtigung in der und durch die Tätigkeit zu überwinden, uns selbst und g e s e l l s c h a f t l i c h e Verhältnisse zu verändern (s. dazu auch Frigga HAUG u.a. zum Thema: "Frauen - Opfer oder Täter?" in ARGUMENT-Studienhefte SH 46, 1981). Tätigkeit und Bewußtsein Die Behandlung der Subjekt-Objekt-Beziehung führt unmittelbar zur Frage des Verhältnisses von Bewußtsein und T ä t i g k e i t . Gerade auf der Grundlage des T ä t i g k e i t s b e g r i f f s wird eine Erklärung der Entstehung und Entwicklung des Bewußtseins (als der spezifisch menschlichen Form der Widerspiegelung, der beim Menschen universellen, jedoch nicht einzigen Form der Widerspiegelung) möglich, wie sie insbesondere von den Vertretern der sowjetischen "kulturhistorischen Schule" versucht wurde (WYGOTSKI, LEONTJEW, LURIA, GALPERIN, ELKONIN, SAPOROSHEZ, BOSHOWITSCH ...). Ausgangspunkt ist die Vorrangstellung und genetische Vorgeordnetheit der äußeren, praktisch-sinnlichen Tätigkeit vor den inneren, kognitiven ('geistigen') Prozessen (des SEINS, d.h. der wirklichen Lebensprozesse vor dem Bewußtsein). Die Bewußtseinserscheinungen (die psychischen Abbilder, kognitiven Strukturen; die Vorstellungen, gedanklichen Pläne, S c h e m a t a , 'Modelle' ...; vgl. Kap. 5) sind gemäß LEONTJEW "subjektive Produkte der Tätigkeit". Sie bilden sich im Prozeß der Aneignung der gegenständlichen Welt als (bewußte) psychische Widerspiegelung (zunächst) der Gegenstände und Objekt-Beziehungen, mit denen das Subjekt in t ä t i g e r Auseinandersetzung steht. Die psychischen Abbilder sind somit Ergebnisse der orientierenden 'Erforschung' der Gegenstände durch die T ä t i g k e i t . Das Abbild f i x i e r t den gegenständlichen Inhalt der Tätigkeit, stabilisiert ihn, "trägt ihn in sich" (LEONTJEW 1977, 25; 1982, 87). Der Ubergang der Tätigkeit in das "subjektive Produkt", das Abbild des Gegenstandes, vollzieht sich gleichzeitig mit dem Ubergang der Tätigkeit in ihr objektives (sachlich-gegenständliches) Produkt. Indem der Ubergang des Tätigkeitsprozesses in die Form des Produkts zwei 'Pole' hat (ein 'Pol' am Objekt und ein 'Pol' am Subjekt) e r f o l g t durch die Tätigkeit eine Veränderung sowohl des Objekts (des Gegenstandes) der Tätigkeit wie des Subjekts (des Abbildsystems). Den als "subjektive Produkte der Tätigkeit" entstandenen Abbildern (den kognitiven Schemata, den "plans" und "images") kommt dann Vermittlungsfunktion zu: sie vermitteln und regulieren die Handlungen des Subjekts. Je nachdem, ob es sich um (bewußte) psychische Abbilder von Gegenständen und O b j e k t - B e ziehungen (sowie u.U. von fertigen Handlungsverfahren) einerseits handelt oder um die Widerspiegelung der Operationen und Handlungsverfahren selbst sowie um v e r a l l g e m e i n e r t e Prinzipien dieser widergespiegelten Handlungsverfahren (die dann z.B. angesichts von Problemlösungsaufgaben als K o n s t r u k t i o n s s t r a tegien oder 'Findeverfahren' fungieren) andererseits, läßt sich eine Differen45

zierung in "images" und "plans" (MILLER/GALANTER/PRIBRAM 1960), in "OAS" und speziellere "Aktionsprogramme" (HACKER 1973, VOLPERT 1974) oder auch in "epistemische Struktur" und "heuristische Struktur" (DÖRNER 1976) vornehmen. Die repräsentationalen und operationalen 'Anteile' des Abbildsystems bilden aber de facto immer eine Einheit, ihre Differenzierung ist nur eine abstrakt-analytische. Die oben angesprochenen Ubergänge lassen sich schematisch folgendermaßen darstellen: subjektives Produkt der Tätigkeit (psychisches Abbild) Gegenstand objektives Produkt der Tätigkeit (materielles Resultat) Äußere und innere Tätigkeit Bisher wurde immer von der äußeren, praktischen Tätigkeit ausgegangen. Die innere, kognitive Tätigkeit nun (Denk-, Phantasietätigkeit) geht aus der äußeren T ä t i g k e i t hervor, sie "trennt sich nicht von ihr, stellt sich nicht über sie, sondern bleibt mit ihr prinzipiell und zudem wechselseitig verbunden" (LEONTJEW 1982, 100). Für eine "Pathopsychologie" heißt das, daß außer den -als "inadäquat" bzw. "realitätsver zerr end" etc. eingestuften- "beliefs", Schem a t a , Meinungen, Vorstellungen des "Klienten", auch die jeweils als "gestört" konstatierte Denktätigkeit selbst Resultat der wirklichen sinnlichen Lebensprozesse des Subjekts ist. Insofern die innere aus der äußeren Tätigkeit hervorgeht, haben beide eine gemeinsame Struktur, besteht eine prinzipielle S t r u k t u r i d e n t i t ä t von p r a k t i scher und kognitiver Tätigkeit. Ihre "prinzipielle Verbundenheit" andererseits muß auch darin gesehen werden, daß beide Tätigkeitsprozesse auf ein gemeinsames Resultat hin konvergieren (vgl. das Konzept der "materiellen Analogie" von theoretischer und praktischer Tätigkeit nach RAEITHEL 1980, 1983; s. Punkt 5.4.2). Die kognitive T ä t i g k e i t ist gleichermaßen gegenständlich und subjektgebunden/subjekthaft wie die praktische Tätigkeit. Ebenso wie die äußere stellt auch die innere Tätigkeit einen Kontakt zur gegenständlichen Welt her, setzt sich das Subjekt auch in seiner kognitiven Tätigkeit mit seiner Welt auseinander bzw. r e a l i s i e r t auch die Tätigkeit auf 'Abbildebene' eine (je besondere) Subjekt-Welt-Beziehung. Auch dem Denken kommt ganz offensichtlich das Merkmal der Gegenständlichkeit zu, was auch immer der Gegenstand meiner Uberlegungen sein mag (stoffliche Dinge, Bücher-Texte, andere Menschen, Gefühle, m a t h e m a t i s c h e Formeln...) und es handelt sich um Gegenstände der Wirklichkeit. Wie die praktische, äußere Tätigkeit unter Verwendung von Werkzeugen als (Arbeits-)Mittel an äußeren stofflichen Gegenständen vollzogen wird, vollzieht sich die innere Tätigkeit an symbolischen Gegenständen, wobei hier Begriffe als Mittel fungieren. (Wegen ihrer Entsprechung zu Werkzeugen nennt etwa KESELING (1979) Begriffe auch "Quasi-Werkzeuge".) In den Wortbedeutungen und B e g r i f f e n sind die menschlichen Erfahrungen -in die Materie der Sprache gekleidet und t r a n s f o r m i e r t - in symbolischer Form f i x i e r t (damit

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vergegenständlicht); ihnen liegt die g e s e l l s c h a f t l i c h erschlossene Realität zugrunde. Die innere Tätigkeit stellt die Bewegung der Begriffe dar, sie ist Konstruktion und Anwendung von Begriffs-Systemen (vgl. LEONTJEW 1973; KESELING 1979; RAEITH EL 1983). Dem Prozeß der Umwandlung der ihrer Form nach äußeren Prozesse in kognitive ('geistige1), in Bewußtseinsprozesse wird innerhalb der "kulturhistorischen Schule" der sowjetischen Psychologie mit dem Begriff der Interiorisation Rechnung getragen (z.B. GALPERIN 1969; WYGOTSKI 1977; s. aber auch PIA GET). Anders als bei PIAGET, der eine irgendwie schon bestehende 'Bewußtseinsebene' (auf der sich die Denktätigkeit nach ihr eigenen logisch-genetischen Gesetzen weiterentwickele) ä priori voraussetzt, wird hier nicht spekuliert, daß sich die äußere Tätigkeit einfach in eine schon vorhandene Bewußtseinsebene v e r l a g e r t , sondern davon ausgegangen, daß sich die 'Bewußtseinsebene' selbst (und die Tätigkeit auf dieser Ebene) erst im Prozeß der äußeren T ä t i g k e i t bildet. Zunächst werden nur die Objekte und Objekt-Beziehungen, dann die eigenen Handlungen selbst widergespiegelt, so daß sich schließlich (-dies im Zusammenhang mit der Sprache, mit Hilfe derer über die Handlungen kommuniziert wird-) "aus dem Abbild im Bewußtsein (...) die Tätigkeit im Bewußtsein" (LEONTJEW 1977, 47) entwickelt. In differenzierter Weise beschreibt und belegt GALPERIN (1967, 1969) die "Ausbildung geistiger Handlungen und Begriffe" in 5 "Etappen" (-auf der letzten "Etappe" erfolgt die Entwicklung der inneren geistigen Tätigkeit und damit zusammenhängend die Umwandlung der äußeren in die innere Sprache-; s.a. JANTZEN 1982). Da er dabei allerdings quasi streng ' l i n e a r - o b j e k t i v i s t i s c h ' vorgeht und den personalen bzw. sozial vermittelten Charakter der Widerspiegelung vernachlässigt, kann sein Modell für i.e.S. psychologische Fragestellungen nicht hinreichen. Insbesondere bleibt die Dimension des persönlichen Sinns bei ihm unerkannt, wird die damit verbundene "Doppelexistenz" der Bedeutungen für das individuelle Subjekt übersehen. "Das Bewußtsein als Form der psychischen Widerspiegelung kann ... nicht auf das Funktionieren von Bedeutungen r e d u z i e r t werden, die -von außen her angeeignet- sich entfalten und die äußere und innere Tätigkeit des Subjekts lenken" (LEONTJEW 1977, 53; 1982, 139). Die Bedeutungen (Wortbedeutungen/Begriffe) selbst haben keinen individuell-psychologischen Charakter; zum Gegenstand der Psychologie werden die Bedeutungen erst, wenn man die inneren Beziehungen untersucht, die sie im System des individuellen Bewußtseins eingehen (ebd; vgl. weiter unten). So gesehen stellen die bis hierher gemachten Ausführungen zum Verhältnis von Tätigkeit und Bewußtsein und zur 'Abbildebene' lediglich die t h e o r e t i s c h e n G r u n d s ä t z e dar, auf deren Grundlage die Konzeptualisierung der "Dimension der Subjektivität" (HASELMANN 1982), der persönlichen Sinn-Dimension, aber erst noch erfolgen muß (s. dazu insbesondere Kap. 5). Der Umstand, daß GALPERIN die persönliche Sinn-Dimension 'übersieht', ist u.a. darauf z u r ü c k z u f ü h r e n , daß bei seinem Modell der Begriffs-Aneignung generell die soziale bzw. kommunikative Seite des Aneignungsprozesses bzw. der Begriffs-Verwendung unter den Tisch f ä l l t . Die Kritik an der m a t e r i a l i s t i s c h e n Handlungstheorie ä la HA CK ER/VOLPERT (vgl. Kap. 2) ist deshalb gleichermaßen gültig für das theoretische Modell GALPERINs. Wie die Handlungstheoretiker, so untersucht auch GALPERIN -mit dem Unterschied, daß es bei ihm um 47

symbolische Gegenstände g e h t - lediglich die Individuum-GegenstandBeziehung. Der Tatsache, daß Begriffe nicht nur Gegenstände sind, die es anzueignen gilt (im Subjekt-'Natur'-Austausch), sondern von lebendiger Existenzform in sozialen Diskursen, daß sie in kommunikativen Prozessen als Mittel der Verständigung dienen (in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen), kann man damit nicht gerecht werden. Darüber hinaus muß die Interiorisationstheorie GALPERINs (und anderer sowjetischer Autoren) einer weiteren grundsätzlichen Kritik u n t e r zogen werden, da in diesem Konzept von der Exteriorisation schlicht 'abstrahiert' wird. Das I n t e r i o r i s i e r t e aber ist wirkend, damit auch wirklich nur durch seine erneute Externalisierung/Vergegenständlichung. Aneignung und Vergegenständlichung von Begriffen bzw. symbolischen Gegenständen gilt es dann jeweils immer unter Beachtung der sozialen Dimension zu untersuchen, als immer sozial vermittelte Prozesse. Damit möchte ich die einführende Erläuterung der zentralen Verhältnisse (Individuum-Gesellschaft, Subjekt-Objekt, Tätigkeit-Bewußtsein und innere-äußere Tätigkeit) aus tätigkeitstheoretischer Sicht vorläufig abschließen und zu einer näheren Betrachtung gerade der beiden 'Merkmale' der Tätigkeit kommen, die bisher zwar immer mitgenannt, aber dabei auch mehr oder weniger übergangen, so quasi als nicht w e i t e r erörterungsbedürftig hingestellt, wurden: Gegenständlichkeit und Subjektgebundenheit/Subjekthaftigkeit.

3.2,2 a)

Zur Gegenständlichkeit und Subjekthaftigkeit der menschlichen Tätigkeit (Gegenstands- und Subjekt-'Seite') Zum Merkmal der Gegenständlichkeit der Tätigkeit (Gegenstands'seite')

Das Merkmal der 'Gegenständlichkeit' ist "Grundlage der T ä t i g k e i t " , —ihr "konstituierendes Merkmal" (LEONTJEW 1977, 24; 1982, 85); es ist zugleich konstitutiv für die Phylogenese der Tätigkeit überhaupt (-indem in der Evolution des Verhaltens und der Psyche der Tiere die gegenständliche Natur/Umwelt/Welt immer mehr in die Tätigkeit einbezogen wird-) und für die Entwicklung der spezifisch menschlichen Tätigkeit (s.a. LEONTJEW 1969, 1973). "Der Ausdruck 'gegenstandslose Tätigkeit' entbehrt jedweden Sinns. Die T ä t i g k e i t kann gegenstandslos erscheinen, für die wissenschaftliche Untersuchung der Tätigkeit ist jedoch die Feststellung ihres Gegenstands unabdingbar" (ders. 1977, 24; s.o.). Die Analyse der Tätigkeit macht es also erforderlich, das hervorzuheben, was ihren tatsächlichen Gegenstand, das heißt das Objekt der aktiven Beziehung des Individuums, bildet. Gegenstand der Tätigkeit ist dabei alles und kann alles sein, wozu das Subjekt in eine Beziehung tritt, das es zum Gegenstand seiner Tätigkeit macht, und zwar gleichgültig, ob es sich um eine innere oder eine äußere Tätigkeit handelt (beispielsweise Gegenstand der Nahrung, Gegenstand der Arbeit, Gegenstand der Überlegungen) ... Der Gegenstandsbegriff ist bei LEONTJEW also sehr weit gefaßt; Gegenstände können stofflich-materieller oder "ideeller" bzw. symbolischer Art sein, konkret-anschaulich oder "abs t r a k t " 2 ) . Außer um s t o f f l i c h e Dinge (Werkzeuge, Nahrungs- und andere Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände, N a t u r s t o f f e e t c . ) handelt es sich um 48

g e s e l l s c h a f t l i c h e r a r b e i t e t e Wortbedeutungen, Begriffe, verbale Ausdrücke, Zeichen, Formeln; es kann sich handeln um Texte, Bilder, Vorträge, um wissenschaftliche und verschiedene Alltags-Theorien und Modelle. (Gegenstand der Tätigkeit können aber auch a n d e r e Menschen sein, wie auch das Subjekt selbst. Vgl. weiter unten). Wesentlich ist, daß diese Gegenstände objektiv, d.h. überindividuell, unabhängig von ihrer Widerspiegelung im individuellen Subjekt, in einer je konkret-historischen G e s e l l s c h a f t , in die das Individuum hineingeboren wird, existent sind. Wesentlich ist ferner, daß die gegenständliche Welt für den Menschen bedeutungshaltig ist, daß also den stofflich-materiellen Gegenständen (an denen die äußere Tätigkeit vollzogen wird) Gegenstandsbedeutung und den symbolischen Gegenständen (an denen die innere Tätigkeit vollzogen wird) Symbolbedeutung zukommt (vgl. HOLZKAMP 1973). Zur Terminologie ist anzumerken, daß LEONT3EW statt von 'symbolischen 1 Gegenständen (-wie ich dies hier vorziehe-) von "ideellen" Gegenständen spricht. "Ideelle" Gegenstände können 'Gegenstände' aber natürlich nur insofern sein, als sie in irgendeiner Form (zumeist sprachlich) v e r g e g e n s t ä n d l i c h t , d.h. symbolisiert, somit symbolische Gegenstände sind bzw. etwa in sozialen Diskursen, im kommunikativen Austausch der Ideen wie auch in der individuellen Denktätigkeit objektiviert werden und damit ebenfalls symbolische Form annehmen. So erweist sich die Rede von symbolischen Gegenständen korrekter. Und überdies (--dies wird wichtig für die Untersuchung des Systems des individuellen Ideellen—) läßt diese Terminologie die Möglichkeit offen, auf Subjekt-'Seite' zwischen nicht-symbolischen, n i c h t - o b j e k t i v i e r t e n ideellen Strukturen (mit nicht verkörperten "Ideen", "Werthaitungen") und bewußt v e r f ü g b a r e m symbolischen Wissen (in kognitiven/symbolischen Wissensstrukturen) zu unterscheiden (vgl. weiter unten und Kap.5). Hauptsächliches Unterscheidungsmerkmal zwischen verschiedenen Tätigkeiten ist gerade ihr Gegenstand, auf den sie gerichtet sind. "Verleiht doch gerade der Gegenstand der Tätigkeit ihre bestimmte Gerichtetheit" (LEONTJEW 1982, 101/102). Uber den Gegenstand bestimmt sich die Art und Qualität wie auch die Form (äußere oder innere) der Tätigkeit. Auf unterschiedliche Gegenstände gerichtete Tätigkeiten sind unterschiedliche Tätigkeiten. Wie wir gesehen haben, wird in den "mechanisch-idealistischen" Handlungstheorien die gegenständliche Seite vernachlässigt bzw. oft nur abstrakt gefaßt. Damit fehlt ihnen ein Kriterium, um menschliche Handlungen q u a l i t a t i v zu bestimmen und übrig bleibt nur ihre Bewertung gemäß abstrakten (z.T. willkürlichen) Rationalitätskriterien. Auf der anderen Seite macht die Gegenstandsbezogenheit deutlich, daß Tätigkeiten immer konkret und spezifisch sind, daß es sich um umgrenzte Prozesse handelt, die Anfang und Ende haben (wobei eine Tätigkeit eben über ihren spezifischen Gegenstand auch ihre Grenzen erhält), daß deshalb die Untersuchung der 'Lebenstätigkeit als Ganzes' (wie bei H.-OSTERKAMP 1976) nicht weiterführend ist (vgl. GLEISS 1978), da sich darüber "das Nebeneinander qualitativ unterschiedlicher Strukturen bei ein und derselben Person" (GLEISS 1980, 101) nicht begreifen läßt. Statt dessen gilt es, die einzelnen konkreten Tätigkeiten eines personalen Subjekts zu untersuchen. "In Wirklichkeit haben 49

wir es ... immer mit spezifischen Tätigkeiten zu tun, von denen jede einem bestimmten Bedürfnis des Subjekts e n t s p r i c h t , auf den Gegenstand dieses Bedürfnisses a b z i e l t , nach der Bedürfnisbefriedigung erlischt und wieder reproduziert wird, möglicherweise unter völlig v e r ä n d e r t e n Bedingungen" (LEONTJEW 1977, 33; 1982, 101). Nimmt man nun die zentrale These LEONTJEWs, daß der Gegenstand der Tätigkeit ihr t a t s ä c h l i c h e s Motiv ist (dto, 1977, 34), ernst, dann muß die Erörterung der 'Gegenstandsseite 1 der Tätigkeit auch zu einer Klärung des Motiv-Begriffs in der T ä t i g k e i t s t h e o r i e führen. Die o.g. These besagt aber zunächst nur soviel, daß -ausgehend von der Wechselwirkung des menschlichen Individuums mit seiner gegenständlichen und gesellschaftlichen (d.h. auch: zwischenmenschlichen) Wirklichkeit- mit der Motiv-Kategorie die Objekt-'Seite' des Wechselwirkungsprozesses thematisiert ist. (Demgegenüber markiert die persönliche Sinn-Dimension -quasi sekundär- die Subjekt-'Seite'; vgl. w e i t e r unten). In den bisherigen Ausführungen zu den Gegenständen der Tätigkeit jedoch ist das Motiv als Gegenstand der Tätigkeit noch nicht enthalten. Auch bei LEONTJEW sucht man vergeblich nach einer genaueren Explikation dieses Motiv-Begriffs, wie ich sie im folgenden vornehmen werde. Ausgangspunkt der Betrachtung muß zunächst die Beziehung von Bedürfnis und Gegenstand bilden. Gemäß LEONTJEW (aaO) steht hinter dem Gegenstand der Tätigkeit s t e t s ein Bedürfnis oder anders ausgedrückt: der Gegenstand entspricht einem bestimmten Bedürfnis (dto, 34). Dies ist sicherlich auch nachvollziehbar, wenn es sich um bestimmte stoffliche oder symbolische Gegenstände handelt, wie sie oben beispielhaft genannt wurden, etwa wenn ich mich in meiner praktischen Tätigkeit mit der Zubereitung einer bestimmten Mahlzeit oder in meiner theoretischen Tätigkeit mit dem Lesen (und der gedanklichen 'Bearbeitung') eines Textes beschäftige. Insgesamt gesehen stehen ja hinter allen historisch-gesellschaftlich geschaffenen Gegenständen je bestimmte Bedürfnisse der Menschheit. Mit der Differenzierung bloß von materiellen und symbolischen Gegenständen allerdings, kann man der z e n t r a l e n Aussage, daß "der Gegenstand der Tätigkeit ihr tatsächliches Motiv" ist, noch nicht hinreichend gerecht werden. Für eine weitere Aufschlüsselung der Gegenstandsseite der Tätigkeit sei deshalb daran erinnert, daß —gemäß der schon erwähnten Dualität der SubjektWelt-Beziehung (vgl. Punkt 3.1)— neben dem vorwiegend (linear-)produktiven Subjekt-'Natur'-Austausch, der sich an den historisch-gesellschaftlich g e s c h a f fenen stofflich-materiellen und symbolischen Gegenständen vollzieht, die sozial-reproduktive 'Sphäre' der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse zu berücksichtigen ist. Unter dem z u l e t z t genannten Aspekt konstituieren die gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse, damit die m a t e r i e l l - s o z i a l e n Verhältnisse eines Gemeinwesens, e b e n f a l l s Gegenstände der Tätigkeit der es bildenden Individuen. Mit anderen Worten: Gegenstand der Tätigkeit kann auch ein soziales (zwischenmenschliches) Verhältnis sein! Während unter dem Aspekt der materiellen oder auch der 'geistigen' Produktion s t o f f l i c h - m a t e r i e l l e oder symbolische Gegenstände Gegenstände (gegenständliche Resultate) der Tätigkeiten des Subjekts sind, sind es unter dem Aspekt der sozialen Reproduktion (d.h. der Reproduktion des Subjekts als gesellschaftlich-soziales Wesen) soziale, 'ihrer Natur nach' g e s e l l s c h a f t l i c h e Verhältnisse, also Beziehungen zwischen Menschen. Gegenstände meiner Tätigkeiten sind somit auch (objektiv existente) zwischenmenschliche Beziehungsmuster, die -insofern sie Gegenstände meiner Tätigkeiten sind- mich selbst enthalten und damit Motive meiner T ä t i g k e i t e n sind. 50

Motive der T ä t i g k e i t definiere ich deshalb als (je inhaltlich bestimmte) materiell-soziale Verhältnisse, die das Subjekt selbst e n t h a l t e n , vom Subjekt realisierte, aber -der Form nach- auch unabhängig von ihrer Widerspiegelung im personalen Subjekt, d.h. objektiv (überindividuell) "existierende" sozial-koop e r a t i v e Verhältnisse, zwischenmenschliche Beziehungsmuster. Mit der Realisation je inhaltlich bestimmter sozial-kooperativer Verhältnisse (konkretisiert in der Beziehung: ich - andere g e s e l l s c h a f t l i c h e Subjekte) als (sinnbildende) Motive der Tätigkeit reproduziert (d.h. realisiert und e r h ä l t bzw. v e r ä n d e r t und entwickelt) das Subjekt seine (je) besondere soziale Existenzform. Und in dieser besonderen Beziehung sind jene Verhältnisse nicht mehr nur allgemeingesellschaftlich, sondern person-spezifisch, Basis-Bestandteil der Persönlichkeit des Subjekts, seiner sozialen Seinsweise, seiner "Bewegungsform im N e t z der gesellschaftlichen Beziehungen". Mit seiner These, daß der Gegenstand der Tätigkeit ihr tatsächliches Motiv ist (s.o.), hat LEONTJEW, indem er sich um eine Erläuterung dieser Bestimmung drückte, gewissermaßen selbst zur Verwirrung in der Motive-Bestimmung b e i g e t r a g e n . Denn zu dieser Aussage muß die Besonderheit hinzugefügt werden, daß dieser 'Gegenstand 1 nicht (...) ein stofflich-materieller oder symbolischer Gegenstand ist (nicht ein Gegenstand im engeren Sinne), aber auch nicht ein anderer Mensch oder das Subjekt selbst (vgl. unten), sondern ein Verhältnis mit je spezifischem gegenständlichen Inhalt. Aus dieser Sicht sind Motive (auch) gegenständliche Resultate, aber nicht Produkte, sondern soziale Reprodukte. (Ich komme noch öfter darauf zu sprechen.) (Auf die so definierten Motive der T ä t i g k e i t wird s p ä t e r mit dem Begriff "sinnbildende Motive" Bezug genommen; —dies im Unterschied zu den "stimulierenden" Motiven—; vgl. dazu Kap. 4 und Punkt 5.2).. Wenn nun zwischenmenschliche Verhältnisse lediglich als Gegenstände der Tätigkeit, nicht aber genauer als ihr Motiv gekennzeichnet werden, so kann das zu Mißverständnissen führen. Der erwachsene Mensch ist ja in der Lage, wie über andere Dinge, so auch über soziale Beziehungen zu reflektieren und dann wären die 'auf den Begriff gebrachten' zwischenmenschlichen Verhältnisse Gegenstand seiner bewußten Denktätigkeit. Davon abzuheben ist der Gegenstand der Tätigkeit als ihr Motiv, der diese faktisch veranlaßt/initiiert, ohne daß dieser Gegen stand/dieses Motiv der T ä t i g k e i t dem handelnden Subjekt bewußt sein m ü ß t e . Gegenstand des bewußten Handelns (gegenständliches Handlungsziel) und Motiv der Tätigkeit müssen also keineswegs z u s a m m e n f a l len; im Gegenteil: nach LEONTJEW ist der "genetische Ursprung der menschlichen Tätigkeit (...) die Nichtübereinstimmung von Motiven und Zielen" (1977, S7; vgl. Kap. 4) und in der aktuellen Situation werden dabei dem Menschen (i.d.R.) "die Ziele bewußt, die Motive werden ihm nicht bewußt" (ebd). O f f e n sichtlich hat also eine Tätigkeit gleichzeitig mehrere Gegenstände unterschiedlicher Charakteristik. Gegenstand meines aktuellen Handelns sei beispielsweise die Bearbeitung eines Lehrbuchtextes (= symbolischer Gegenstand) zwecks Erstellung eines R e f e r a t s (= gegenständliches Handlungsziel), das Voraussetzung für eine angestrebte nächste Abschlußprüfung (= bewußtes Oberziel) ist. Die sich aus den verschiedenen Einzelhandlungen zusammensetzende Gesamt-Tätigkeit ist gleichzeitig spezifisch motiviert (etwa, daß ich "es allen zeigen werde", daß ich besser als die anderen abschneiden muß, oder daß ich es um der Formal-Qualifikation -dem damit verbundenen gesellschaftlichen Ansehen- willen mache, oder aber, 51

daß es mir um eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten geht, weil ich die erworbenen Kenntnisse für mich und andere im Beruf oder "privaten" Leben nutzbar machen will; etc.). Das jeweilige Ziel oder Oberziel hat immer eine je bestimmte allgemein-ges e l l s c h a f t l i c h e Bedeutung. Darüber hinaus erhält es aber zusätzlich über das jeweilige Motiv der Tätigkeit (-das überdies die Art/Qualität der Handlungsausführung b e s t i m m t - ) einen persönlichen Sinn. Über das jeweilige ("sinnbildende") Motiv meiner Tätigkeit setze ich mich dabei immer in eine bestimmte Beziehung zu anderen Menschen im Netz der gesellschaftlichen Beziehungen. Deshalb ist der jeweilige gegenständliche Inhalt eines solchen Motivs immer ein bestimmtes sozial-kooperatives Verhältnis (das das Subjekt selbst enthält). Wesentlich ist, daß die "Begriffe 'Tätigkeit' und 'Motiv' ... notwendigerweise miteinander verbunden (sind). Tätigkeit ohne Motiv existiert nicht; eine 'unmotivierte' Tätigkeit ist keine Tätigkeit ohne Motiv, sondern eine Tätigkeit mit einem subjektiv und objektiv verborgenen Motiv" (LEONTJEW 1977, 34; 1982, 102). Auf den Punkt gebracht, birgt die Differenzierung der Gegenstands'seite' der Tätigkeit folgende hauptsächliche Unterscheidung: Im (linear-produktiven) Subjekt-'Natur'-Austausch bzw. der direkten Individuum-Umwelt-Auseinandersetzung sind Gegenstände "im engeren Sinne" einbezogen; damit gemeint sind Gegenstände im "exklusiven" Sinn, also "ausgeschlossene", nämlich solche, die vom t ä t i g e n Subjekt selbst getrennt sind. In der 'Sphäre' der zyklischen, sozial-reproduktiven Subjekt-Subjekt-Verhältnisse andererseits wird von Gegenständen "im weiteren Sinne" gesprochen; damit gemeint sind Gegenstände im "inklusiven" Sinn, also "eingeschlossene", nämlich solche Verhältnisse, die das Subjekt selbst enthalten. Um die 'mehrfache' Gegenständlichkeit der Tätigkeit adäquat darzustellen, wird es erforderlich, von der bloß kategorialen Betrachtung der Tätigkeit (von der ich hier noch ausgehe) wegzukommen und die innere Struktur der menschlichen Tätigkeit aufzuschlüsseln. Diese ist als 'Ebenenstruktur' (mit den P r o z e ß e b e nen: Tätigkeiten—ihre Motive, Handlungen—ihre Ziele, Operationen —ihre Bedingungen; s. dazu ausführlich Kap. 5) zu konzeptualisieren. Innerhalb der 'Ebenenstruktur' e r h ä l t der Tätigkeitsbegriff eine besondere Bestimmung in Abgrenzung zu den bewußt z i e l g e r i c h t e t e n Handlungen, die eine konkrete Tätigkeit realisieren, während ansonsten der Handlungsbegriff im Tätigkeitsbegriff mitenthalten ist (zur Terminologie s.a. Punkt 3.4). Um die Behandlung der 'Ebenenstruktur' der Tätigkeit soll es hier jedoch noch nicht gehen; allein im Zentrum stand die nähere B e t r a c h t u n g des Merkmals der Gegenständlichkeit der (hier kategorial verstandenen) Tätigkeit. Diesbezüglich wurde festgestellt, daß neben s t o f f l i c h - m a t e r i e l l e n und symbolischen Gegenständen auch soziale Verhältnisse Gegenstand der Tätigkeit sind und es sich im letzteren Fall dann um ("sinnbildende") Motive der Tätigkeit handelt, wenn diese Verhältnisse das Subjekt selbst e n t h a l t e n bzw. sofern (und je nachdem wie) diese Verhältnisse vom Subjekt realisiert werden. So wurde g e z e i g t , daß der Begriff der Gegenständlichkeit der Tätigkeit über die Gegenstände des linear-produktiven (und konsumtiven) Austausches des Subjekts mit seiner Welt hinaus, auch sozial-kooperative Verhältnisse umfaßt, letztere als Gegenstände der sozial-reproduktiven Tätigkeiten des Subjekts, als deren Motive (s.a. Tabelle 1). Diese zwei 'Komponenten' der Gegenständlich-

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keit der Tätigkeit entsprechen dem Umstand, daß die menschliche Tätigkeit sowohl 1. den zunächst praktisch-sinnlichen (später kognitiv vermittelten) direkten Kontakt mit der gegenständlichen Welt herstellt (Sub jekt-'Natur'-Austausch) wie auch 2. 'ihrer Natur nach' g e s e l l s c h a f t l i c h e Beziehungen mit anderen Menschen realisiert (Subjekt-Subjekt-Verhältnisse). Die Hervorhebung des doppelten Bezugs (der "doppelten Vermitteltheit") der menschlichen Tätigkeit geht auf WYGOTSKI (s. z.B. 1977) zurück, der f e s t stellte, daß die Tätigkeit den Menschen sowohl mit der Welt der Gegenstände wie auch mit anderen Menschen v e r b i n d e t . Zugrunde liegt die MARX'sche Erkenntnis der grundsätzlichen D u a l i t ä t der Subjekt-Welt-Beziehung, des Doppelcharakters der objektiven Verhältnisse, der lebendigen Aktivität wie des Menschen selbst als "Subjekt der Natur" und "Subjekt der Gesellschaft" (MEW 23, 56; LEONTJEW 1982, 172). Das Kennzeichen der "doppelten Vermitteltheit" der menschlichen Tätigkeit halte ich für eine Kernaussage der Tätigkeitstheorie. Gemäß meiner Rekonzeptualisierung legt diese Aussage nahe, daß gleichzeitig mit den produktiven Prozessen sozial-reproduktive Akte vollzogen werden (die Tätigkeit nicht nur in Produkte, sondern auch in soziale Reprodukte übergeht), daß also einerseits zwischenmenschliche Beziehungen (verstanden als r e a l i s i e r t e / r e p r o d u z i e r t e m a t e r i e l l - s o z i a l e Verhältnisse) 'an sich' nicht sinnvoll zu analysieren sind und andererseits die vorrangige Untersuchung des produktiven Handelns bzw. der Arbeit notwendig einseitig bleiben wird. Statt dessen muß es um die Konkretisierung beider verbundenen Formen von Subjekt-Welt-Beziehung gehen und um die Aufdeckung ihrer inneren Beziehungen/Verbindungen im System der Tätigkeit (vgl. dazu u.a. Kap. 5). Gemäß der genannten Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung postuliere ich eine "doppelte Topologie" der Subjektentwicklung, welche Kompetenz(Handlungsfähigkeits-)Entwicklung und Entwicklung der Persönlichkeit i.e.S. umfaßt. In Tabelle 1 wird diese zweisträngige "Topologie" schematisch a u f g e f ü h r t , so weit, wie es der Diskussion in diesem Kapitel entspricht. In den weiteren Kapiteln dieser Arbeit erfolgen weitere Ergänzungen und Erläuterungen ihres wechselseitigen Zusammenwirkens, ihrer strukturellen Aufeinanderbezogenheit. Bislang wurden Gegenstände der Tätigkeit als m a t e r i e l l e und symbolische Gegenstände einerseits und als materiell-soziale Verhältnisse/zwischenmenschliche Beziehungsstrukturen andererseits unterschieden. Aber der Umstand, daß Gegenstände der Tätigkeit auch andere Menschen sowie auch das Subjekt selbst sein können, wurde noch nicht explizit in die Betrachtung der 'Gegens t a n d s s e i t e ' der Tätigkeit einbezogen. Denn dieser Aspekt ist nicht identisch mit dem Fall, daß materiell-soziale Verhältnisse Gegenstand der Tätigkeit sind; vielmehr können andere Menschen und ich selbst (als Subjekt) ebenso wie die stofflichen oder symbolischen Gegenstände Objekte meiner Tätigkeit sein; —mit dem "bloßen" Unterschied, daß diese "Objekte" gleichzeitig selbst Subjekte sind. Eine solche Erweiterung der 'Gegenstandsseite' der Tätigkeit über stofflich-materielle und symbolische Gegenstände hinaus um andere Menschen und das Subjekt selbst, ändert aber nichts daran, daß dabei zunächst nur die Dimension der Auseinandersetzung des Subjekts mit seiner gegenständlichen Welt (-andere Menschen und das Subjekt selbst sind 'Gegenstände' der Tätigkeit»), nur der linear-produktive Subjekt-'Natur'-Austausch (—'Natur' umfaßt auch andere Menschen und mich selbst—) thematisiert wird (d.h.: nur der eine 53

'Strang' der doppelten "Topologie"; s. Tabelle 1), nicht jedoch die zyklische, sozial-reproduktive 'Sphäre' der zwischenmenschlichen Praxis und der materiellsozialen Verhältnisse! Was ich hiermit feststelle, ist dies, daß im Falle direkter zwischenmenschlicher Interaktionen mit anderen bzw. im Falle des reflexiven Selbstbezugs auf sich selbst als Gegenstand^) die anderen Menschen und das Subjekt selbst -von der allgemeinen dualen Struktur der menschlichen Tätigkeit her betrachtet- nichts anderes sind als -gleichwohl in ihrer Qualität besondere- 'Gegenstände' i.e.S., auf die sich die lebendige Aktivität richtet (also etwa Arbeits-, Kommunikations-, etc. -Partner, oder man selbst: eigene Fähigkeiten, Eigenschaften, etc.), somit 'Gegenstände' des bewußten Handelns im Subjekt-'Natur'-Austausch; daß darüber hinaus aber Gegenstände der Tätigkeit "i.w.S." die gleichzeitig mit der zielgerichteten Handlung (-zumeist ohne Bewußtsein des Subjekts-) realisierten und r e p r o d u z i e r t e n m a t e r i e l l - s o z i a l e n Verhältnisse sind, die also nicht den (direkten) Subjekt-'Natur'-Austausch, nicht die Individuum-Umwelt-Auseinandersetzung, sondern die übergeordnete 'Sphäre' der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse, in der sich die soziale Reproduktion vollzieht, betreffen (vgl. genauer Kap. 5). Soweit ging es mir in der Diskusison des 'Merkmals' der Gegenständlichkeit der Tätigkeit darum, einführend zu zeigen, welche Komplexität dieser 'Aspekt' der Gegenständlichkeit impliziert; ich habe die Gegenstands'seite' differenziert und problematisiert und kann nunmehr zur E r ö r t e r u n g des 'Merkmals' der Subjektgebundenheit der Tätigkeit kommen. b)

Zum Merkmal der Subjektgebundenheit der Tätigkeit (Subjekt-'Seite')

Wie es keine 'gegenstandslose' Tätigkeit gibt, so gibt es auch keine 'subjektlose'. Tätigkeit ohne Subjekt ist nicht denkbar. Damit wird auch jedem behavioristischen Verhaltensbegriff, insoweit dieser das Subjekt (theoretisch) neg i e r t , Absage erteilt. Im folgenden soll es nun um eine Bestimmung und vorläufige Analyse dieser Subjekt-'Seite' der Tätigkeit gehen. Nach LEONTJEW geht in den Gegenstand der Psychologie die Tätigkeit nicht als besonderes 'Teil' oder 'Element' derselben ein, sondern in jener speziellen "Funktion der Tätigkeit, durch die das Subjekt der gegenständlichen Wirklichkeit die Form der Subjektivität verleiht" (dto. 1977, 28; 1982, 92/93). Subjektiv, das sind die inneren Verhältnisse von personalen Subjekten, welche ihrerseits aber Repräsentationen der äußeren Verhältnisse, in denen das Subj e k t s t e h t (sich bewegt), darstellen. Es ist in Prozessen des Ubergangs von äußeren zu inneren und wieder zu äußeren Verhältnissen, in denen das Subjekt der gegenständlichen, gesellschaftlichen Wirklichkeit die "Form der Subjektivität" verleiht. Realisiert werden diese Ubergänge durch die lebendige Aktivität des Subjekts, durch seine Tätigkeit, —und zwar in zwei Richtungen: 1. 'Aneignungsrichtung' (von außen nach innen) und 2. 'Vergegenständlichungsrichtung' (von innen nach außen). Allgemein gesprochen ist die Gesamtheit der inneren Strukturen und Prozesse das "Psychische", welches die p r a k t i s c h e A k t i v i t ä t o r i e n t i e r t (vgl. m.E. GALPERIN 1980). Die inneren Verhältnisse sind aber nicht nur Widerspiegelungen, sondern auch Vorwegnahmen/Antizipationen von erst noch herzustellenden Gegenständen/Verhältnissen (vgl. RAEITHEL 1981, 15). Wenn w e i t e r oben das psychische Abbild (-Subjekt-'Seite') als "subjektives Produkt der Tätigkeit" konzeptualisiert wurde, so sollte damit schon deutlich werden, daß es sich bei der psychischen Widerspiegelung niemals um eine bloß 54

r e z e p t i v e Kopie der O b j e k t w e l t handeln kann: eben durch die Tätigkeit des Subjekts ist sie immer schon a k t i v e Widerspiegelung und subjektiv in der Weise, wie sich das Subjekt in seiner Tätigkeit mit der Objektwelt in Beziehung setzt. Das psychische Abbild (-Resultat des Prozesses der Umwandlung materieller Gegenstände und Beziehungen in ihre "ideelle" Form-) läßt sich dann d r e i f a c h c h a r a k t e r i s i e r e n : Es ist a) objektiv, b) gegenständlich und c) subjektiv (vgl. GLEISS 1980). Ad a): Objektiv ist das Abbild, weil sein erkenntnistheoretischer Inhalt nicht vom Gegenstand zu trennen ist; weil "jedes Ding primär objektiv gesetzt ist in den objektiven Beziehungen der gegenständlichen Welt (LEONTJEW 1982a, 7) und weil "nicht die Wahrnehmung sich im Gegenstand s e t z t , sondern der Gegenstand sich -durch die Tätigkeit- im Abbild setzt" (dto, 17; im Original hervorgehoben). Ad b): Gegenständlich ist das Abbild, weil es Resultat der Widerspiegelung der objektiven Realität mit gegenständlichem Inhalt ist, weil es nicht nur eine durch n e r v a l e Reizung der Sinnesorgane (bzw. physiologische Reizung des nervalen Apparates) zustandegekommen physiologische Struktur (-als Verknüpfung von Reizen-) ist, sondern seinen 'Grund1 in der Existenz von Gegenständen hat. Deshalb ist es selbst von gegenständlich-inhaltlichem Charakter. Eben in der Gegenständlichkeit besteht das Wesen des Abbilds, dessen psychologische Qualität (s. unten). Ad c): Subjektiv ist das Abbild, weil es über die Tätigkeit gebildet wird; weil seine 'Ursache' nicht der Gegenstand 'an sich', sondern die an ihm vollzogene Tätigkeit ist; weil es also nicht nur bestimmte Objekte widerspiegelt, sondern durch die praktischen Beziehungen das Subjekts zu diesen Gegenständen bestimmt ist (vgl. weiter oben). Gemäß LEONTJEW geht es hier darum, "wie die Individuen im Prozeß ihrer Tätigkeit das Abbild der Welt schaffen" (1982a, 9), denn "wir schaffen ... das ABBILD, indem wir es ... aktiv aus der objektiven Realität 'herausholen'" (dto, 10; im Original hervorgehoben). Während die gegenständliche Umwelt für das Tier nur Signalfunktion hat, ist sie für den Menschen bedeutungshaltig. Entsprechend sind dann auch die psychischen Abbilder bedeutungshaltig. Gerade der Bedeutungsgehalt der psychischen Abbilder macht deren neue Qualität beim Menschen aus. Es bleibt hier dennoch die F r a g e , wie über die subjektive Aneignung der Bedeutungen die "Dimension der Subjektivität" (die persönliche Sinn-Dimension), die sich phänomenal in der personenspezifischen "Gerichtetheit des Bewußtseins" (etwa: selektive Wahrnehmung, emotionale Färbung von Vorstellungen e t c . ) z e i g t , b e g r i f f e n werden soll. Denn die Bedeutungen, die "die transformierte und in die Materie der Sprache g e k l e i d e t e ideelle (richtiger: symbolische; S.H.) Existenzform der gegenständlichen Welt" verkörpern (LEONTJEW 1977, 51), in denen die g e s e l l s c h a f t l i c h erschlossene R e a l i t ä t symbolisiert (vergegenständlicht) ist, haben als solche bloß 'allgemeinen' Charakter, welchen sie auch nach ihrer Aneignung durch das personale Subjekt keineswegs einbüßen. Genaugenommen "dürfen" die Bedeutungen auch im personalen Subjekt-System ihren allgemeinen, d.h. objektiven, 'überindividuellen' Bedeutungsgehalt nicht einbüßen, da sie der Orientierung des Subjekts in seiner je historisch-relativen gegenständichen Welt dienen, dessen R e a l i t ä t s bezug und intersubjektive Verständigungsfähigkeit gewährleisten. Personen hingegen, denen der allgemeine, objektive, überindividuelle Gehalt der Bedeutungen im individuellen Bewußtsein 'verloren' geht, die sich in der realen Welt 55

nicht mehr o r i e n t i e r e n können oder wollen (-die die Orientierung in der objektiv-realen Wirklichkeit aufgegeben, sich eine eigene Welt, z.T. eine eigene Sprache, g e s c h a f f e n haben und deshalb auch nicht mehr die Sprache der anderen, nicht mehr die sprachlich f i x i e r t e n Bedeutungen der symbolischen Welt und des gesellschaftlichen Bewußtseins mit den anderen Menschen teilen») werden gemeinhin als "schizophren" bezeichnet. Die durch die g e s a m t e gesellschaftliche Praxis erschlossenen Bedeutungen (die ihre Geschichte in der Sprachentwicklung und der Entwicklung der gesellschaftlichen Bewußtseinsformen haben; s. dazu HILDEBRAND-NILSHON 1980) sind in der Bewegung derjenigen Prozesse relevant, durch die sich dem Subjekt die objektive gegenständliche Welt erschließt; sie "funktionieren in Prozessen, die dem Subjekt die objektive Realität 'präsentieren'" (LEONTJEW 1977, 54).^) In meiner Darstellung (s. insbesondere Kap. 5) gehen die Bedeutungen von symbolischen Gegenständen (etwa des Alltags-Modells von psychischer Krankheit, einer "Bauernregel" oder eines physikalischen G e s e t z e s ) , - s o f e r n sie subjektiv angeeignet werden- zum einen in das individuelle Bewußtsein, genauer: in das "lebendige Wissen" (RAEITHEL 1981) des Subjekts ein (= ideelle Widerspiegelung in kognitiven Strukturen, d.h. in symbolischen Wissens-Strukturen bzw. in Begriffs-Systemen); zum anderen (als Begriffe) fungieren sie als "wirkende V e r m i t t l e r " (RAEITHEL 1980) zwischen kognitiver (theoretischer) Tätigkeit und den symbolischen Gegenständen. Im letzteren Fall kommt ihnen W e r k z e u g c h a r a k t e r zu: sie dienen der Wahrnehmungs-, Denk-, Phantasie-, Erkenntnistätigkeit als Mittel, d.h. auch: als Verfahren und "Mechanismen" der Erkenntnis (s. w e i t e r vorne: Wie die äußere Tätigkeit mit Werkzeugen, so 'operiert' die innere mit Begriffen/Bedeutungen). R e p r ä s e n t i e r t in symbolischen Wissensstrukturen oder als Erkenntnis-Mittel bzw. als "Quasi-Werkzeuge" des Denkens behalten sie aber notwendig ihre allgemeine, o b j e k t i v e , d.h. 'überindividuelle' (auch jenseits des individuellen Subjekts bestehende) Charakteristik und besagen deshalb als solche nichts über die persönliche Sinn-Dimension. Uber die Untersuchung bloß der subjektiven Aneignung (und Anwendung) der B e g r i f f e , Bedeutungen bzw. die Untersuchung der ideellen, subjektiven (bewußten) Widerspiegelungen der objektiven R e a l i t ä t in B e g r i f f s - S y s t e m e n (= kognitiven Strukturen/symbolischen Wissensstrukturen) gelangt man also nicht zur Erfassung der "Dimension der S u b j e k t i v i t ä t " (vgl. HASELMANN 1982). Erforderlich wird -so LEONTJEW- eine "Systemanalyse des individuellen Bewußtseins", um zu verstehen, wie die Bedeutungen, indem sie in das "individuelle Ideelle" (s.u.) einfließen, einerseits ihre Objektivität, ihren allgemeinen Bedeutungsgehalt behalten, andererseits personenspezifisch "individualisiert", richtiger "subjektiviert" werderu ( S t a t t des LEONTJEW'schen B e g r i f f s des "individuellen Bewußtseins"/System des individuellen Bewußtseins, ziehe ich den Term "individuelles Ideelles"/System des individuellen Ideellen vor, um so besser dem Umstand g e r e c h t zu werden, daß es auch nicht-bewußte ideelle Anteile gibt; vgl. Kap. 5.) LEONTJEW spricht vom "Doppelleben" bzw. von der "realen Doppelexistenz" der Bedeutungen für das Subjekt. Entscheidend ist, daß sie - i h r e r s e i t s 'Komponenten' des Systems des individuellen Ideellen- innere Beziehungen mit anderen 'Konstituenten' des individuellen Ideellen - s p e z i e l l mit der 'Konstit u e n t e ' des persönlichen Sinns!- eingehen und dabei über ihren allgemeinen Bedeutungsgehalt hinaus "neue S y s t e m q u a l i t ä t e n " (LEONTJEW 1982, 142)

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gewinnen, nämlich eine besondere Subjektivität, die eben spezifisch ist für eine bestimmte (konkrete) Person, Dimension ihrer besonderen Persönlichkeit. Zur Veranschaulichung des Gesagten: Man stelle sich einen CDU-Politiker, einen Marxisten und einen "Anarcho" vor, die alle von " F r e i h e i t " reden. Sicherlich versteht jeder der drei unter "Freiheit" etwas völlig anderes (der eine etwa i.S. von "freier" Marktwirtschaft, der an der als F r e i h e i t von Klassengegensätzen bzw. f r e i e und gleiche Entfaltungsmöglichkeit aller, der dritte etwa i.S. von Freiheit vom Staat), d.h. bei den drei Personen ist der Begriff " F r e i h e i t " mit je unterschiedlichem Bedeutungsgehalt versehen. Sie 'operieren' mit objektiv unterschiedlichen Begriffen von Freiheit. Gewiß wird es deshalb "Verständigungsschwierigkeiten" zwischen ihnen geben, wenn die respektiven Bedeutungsgehalte nicht expliziert werden, aber die unterschiedlichen F r e i h e i t s b e g r i f f e , mit denen die drei Personen 'operieren', besagen als solche nichts Genaues über deren personspezifische 'Dimension der Subjektivität'. Alle drei unterschiedlichen F r e i h e i t s b e g r i f f e sind ja Teil des gesellschaftlichen Bewußtsein, haben damit eine objektive, 'überindividuelle'/allgemeine Existenz. Schon eher f ü h r t die Frage, warum jemand welchen Begriff der Freiheit als seinen eigenen übernimmt zu personbezogenen Aussagen; —dies ist jedoch eine Frage von Entwicklungsprozessen in gesellschaftlichen Individualitätsformen/Aktivitätsmatrizen. Wenn wir aber zwei Menschen nehmen, die mit dem Begriff "Freiheit" den gleichen allgemeinen Bedeutungsgehalt verbinden (und von daher auch keine "Verständigungsschwierigkeiten" haben werden), so mögen sie sich dennoch in ihrer impliziten Sinn-Dimension erheblich voneinander unterscheiden. Welchen persönlichen Sinn beide mit dem gemeinsam geteilten Freiheits-Begriff verbinden, ist Ergebnis ihres je besonderen Lebens, ihrer persönlichen Geschichte. Der persönliche Sinn hat als solcher keine allgemeine, überindividuelle Existenz. Da sind u.U. für eine konkrete Person besondere gefühlsmäßige Erlebnisse mit dem F r e i h e i t s b e g r i f f verbunden, die mit den eigenen besonderen Lebenserfahrungen und Bedürfnissen zusammenhängen und die nur schwer 'auf den B e g r i f f ' zu bringen sind (= Formen des sinnlichen Erlebens der eigenen Motive der Tätigkeit, der Befriedigung versus Nicht-Befriedigung der hinter ihnen stehenden Bedürfnisse). Das ist jenes "Für-Sich-Sein" des konkreten personalen Subjekts, von dem LEONTJEW (1982, 148) spricht; - wobei jedoch dieses "Für-Sich-Sein" nicht a-gesellschaftlich, individualistisch mißverstanden werden darf, sind die persönlichen Sinn-Strukturen doch als Widerspiegelungen der wirklichen gesellschaftlichen Lebensprozesse eines konkreten personalen Subjekts aufzufassen (vgl. unten). Der persönliche Sinn ist zugleich persönlichsubjektiv wie gesellschaftlich. Aber "im Unterschied zu der Bedeutung besitzt der persönliche Sinn ... keine 'überindividuelle', nichtpsychische Existenz. Während die äußere Reizeinwirkung im Bewußtsein des Subjekts die Bedeutungen mit der Realität der objektiven Welt verbindet, verknüpft der persönliche Sinn diese Bedeutungen mit der Realität des Lebens des Subjekts in dieser Welt, mit den Motiven dieses Lebens" (LEONTJEW 1977, 58). Die gefühlsmäßigen Erlebnisse, die ich beim Reden über "Freiheit" empfinde, kann ich be- bzw. umschreiben; das Mitteilen des persönlichen Sinns hingegen ist zur "normalen" Verständigung nicht nötig, wie auch oft nicht möglich. Mit einer Person, die den gleichen 'allgemeinen' Begriff von " F r e i h e i t " hat wie ich, verbindet mich viel, und doch besteht u.U. für mich zusätzlich ein subjektiver Sinngehalt, der nur für mich gilt, den ich nicht mit dem anderen 57

t e i l e , den ich auch nicht mit ihm teilen muß, um (-worauf es letztlich ankommt») mit ihm gemeinsam im Sinne unseres gemeinsamen F r e i h e i t s b e g r i f f s handeln zu können. Für klinisch-psychologische Fragestellungen allerdings (Emotionalität, Abwehr, etc.) ist die Konzeptualisierung der persönlichen Sinn-Dimension sehr wichtig. Nach dem bisher Gesagten ist also davon auszugehen, daß vom Subjekt die Gegenstände seiner Umwelt (materielle und symbolische Gegenstände, an denen es t ä t i g wird), seine gegenständlichen Handlungsziele, die Gesamtheit der Ereignisse und 'Sachverhalte 1 , mit denen es beschäftigt ist, in doppelter Form widergespiegelt werden: sowohl in ihrer allgemeinen Bedeutung wie auch in ihrem persönlichen Sinn, den sie für diese konkrete Person haben. "Dazu ein Beispiel: Alle Schüler der oberen Klassen verstehen ausgezeichnet die Bedeutung der Examenszensur und ihrer Folgen. Dennoch kann sich diese Zensur dem Bewußtsein jedes einzelnen sehr unterschiedlich darstellen: beispielsweise als ein Schritt (oder ein Hindernis) auf dem Wege zum erwählten Beruf oder als Mittel zur Erhöhung des Ansehens in den Augen der Mitmenschen" (LEONTJEW 1977, 56). Neben der Bedeutungsdimension hat somit die Welt für ein je bestimmtes personales Subjekt eine je bestimmte persönliche 'Sinndimension', in der sich seine Subjektivität, seine Persönlichkeit anzeigt. Daß erst im Prozeß jener Beziehungen und Vermittlungen, die mit der Gesells c h a f t e n t s t e h e n (-Bearbeitung der Natur mit Hilfe von Werkzeugen in Kooperation und Arbeitsteilung; geplante Werkzeugherstellung mit vergegenständlichter Erfahrungsfixierung-), die gegenständliche Umwelt für den Menschen bedeutungshaltig, damit bewußte psychische Widerspiegelung (d.h.: Widerspiegelung in Begriffs-Systemen) möglich und nötig wird, wurde bereits angedeutet. Die Entstehung des persönlichen Sinns andererseits hängt mit der Bewegungsform zusammen, die ein konkretes personales Subjekt im Netz der sozialen Beziehungen eines Gemeinwesens annimmt, basiert (also) auf dem 'Aspekt' der T ä t i g k e i t , durch den das Subjekt 'ihrer Natur nach' gesellschaftliche Beziehungen mit anderen Menschen, zwischenmenschliche Verhältnisse r e a l i s i e r t und dabei seine Existenzform als soziales Wesen reproduziert. Hier tritt also wieder die Dualität von (linear-)produktiver 'Sphäre' (Subjekt-'Natur'-Austausch; m a t e r i e l l e und symbolische Gegenstände der äußeren und inneren Tätigkeit; Werkzeuge respektive Begriffe/Bedeutungen als Mittel der äußeren respektive inneren Tätigkeit) einerseits und (zyklischer) sozial-reproduktiver 'Sphäre' (Subjekt-Subjekt-Verhältnisse; Verkehrsformen, Beziehungsmuster als Gegenstände der T ä t i g k e i t ; Motive, persönliche Sinnstrukturen) andererseits auf (siehe Tabelle 1). Wie vorher bei der Besprechung des Merkmals der Gegenständlichkeit der Tätigkeit materielle und symbolische Gegenstände auf der einen Seite und das Subjekt selbst enthaltende soziale Verhältnisse als Gegenstände der Tätigkeit (Motive der Tätigkeit) auf der anderen Seite unterschieden wurden, so werden hier allgemeine Bedeutungen auf der einen Seite und persönliche Sinn-Strukturen auf der anderen Seite unterschieden. Während nun die bedeutungshaltige materielle und symbolische Wirklichkeit -über die Tätigkeit- auf Subjekt-'Seite' im System des "lebendigen Wissens" (s. Kap. 5) r e p r ä s e n t i e r t ist (= ideelle, subjektive Widerspiegelung in Begriffs-Systemen, in kognitiven Strukturen bzw. symbolischen Wissensstrukturen; bewußte psychische Widerspiegelung), so ist das Motiv der Tätigkeit (als je bestimmtes soziales Verhältnis des Subjekts 58

mit anderen Menschen) im persönlichen Sinn repräsentiert. Im letzteren Fall allerdings handelt es sich i.d.R. nicht um bewußte Widerspiegelung, sondern das Motiv der Tätigkeit wird psychisch, aber nicht begrifflich widergespiegelt (s. Kap. 4). J e d e n f a l l s "erklärt sich" der persönliche Sinn aus dem Motiv der Tätigkeit, entsteht und entwickelt sich mit den Tätigkeitsmotiven als deren psychische Widerspiegelung auf Subjekt-'Seite', ist so -wie die bewußte kognitive Handlungsregulationsgrundlage, wie das lebendige Wissen und die B e g r i f f e , welche die Denktätigkeit vermitteln- Teil des Systems des individuellen Ideellen. Und wie den anderen psychischen Abbildstrukturen kommt deshalb auch den persönlichen Sinn-Strukturen das Merkmal der Gegenständlichkeit zu: "Der persönliche Sinn ist stets ein Sinn von etwas" (LEONTJEW 1977, 59), einen 'reinen', gegenstandslosen Sinn gibt es nicht. Jedoch handelt es sich bei den 'persönlichen Sinnen' nicht um Widerspiegelungen in kognitiven (bzw. symbolischen Wissens-)Strukturen, sie sind nicht (oder noch nicht) 'verkörperte' (damit unbewußte) ideelle G e h a l t e , die als n i c h t symbolisierte/nicht-objektivierte (z.T. nicht symbolisier- bzw. objektivierbare) Bestandteile des Systems des individuellen Ideellen zwar als solche der bewußten Reflexion nicht zugänglich, aber gleichwohl lebendig sind in ihren Beziehungen zu den vom Subjekt angeeigneten 'allgemeinen' Bedeutungen/Begriffen (mit denen es seine innere Tätigkeit vollzieht und die der Orientierung des Subjekts in seiner Welt dienen), und damit in die Bewegung der B e g r i f f e beim Subjekt, in seine Subjekt-Welt-(Erkenntnis-)Beziehung einfließen. Uber diese inneren Beziehungen im System des individuellen Ideellen erklärt sich die personspezifische G e r i c h t e t h e i t des individuellen Bewußtseins, die sich phänomenal in der selektiven A u f m e r k s a m k e i t , der emotionalen Tönung von Wahrnehmungen/Vorstellungen zeigt oder sich in 'eigenwilligen' Realitätsdeutungen bzw. Situationsinterpretationen (subjektiven Einschätzungen, Zuordnungen, Schlußfolgerungen) ä u ß e r t , wie sie etwa ein Kognitiver Therapeut bei seinen "Klienten" feststellt (weiteres s. 5.4.3). Es s t e l l t sich noch die Frage, wie sich der persönliche Sinn, den Handlungsbedingungen, -Verläufe und -ziele, erlebte, antizipierte oder nur v o r g e s t e l l t e Ereignisse f ü r das Subjekt haben, diesem selbst bemerkbar macht. Gemäß LEONTJEW (1977, 1982) sind es die emotionalen Erlebnisse, die dem Subjekt den persönlichen Sinn von Ereignissen, die sich in seinem Leben abspielen, signalisieren. In seiner Signalfunktion verweist demnach das Gefühlserleben auf den persönlichen Sinn, l e t z t l i c h auf das Motiv der Tätigkeit, das sich im persönlichen Sinn widerspiegelt, genauer: es verweist auf die Beziehung zwischen dem Motiv und (der Möglichkeit) der Realisierung einer ihm adäquaten Tätigkeit (Befriedigung versus Nicht-Befriedigung des sich 'hinter' dem Motiv verbergenden Bedürfnisses, wie z.B.: "der Beste sein"). (Zum Verhältnis von Bedürfnis, Motiv und Emotion s. Kapitel 4). So t u t das e m o t i o n a l e Erleben unmittelbar-sinnlich etwas über den persönlichen Sinn kund, ohne hingegen als solches dessen gegenständlichen Inhalt aufzudecken (vgl. auch Kap. 5).

Damit möchte ich die schon etwas längliche Betrachtung der beiden zentralen Merkmale des Tätigkeit: a) ihrer Gegenständlichkeit und b) ihrer Subjektgeb u n d e n h e i t / S u b j e k t h a f t i g k e i t abschließen. Eingeführt wurde bereits der Motiv-Begriff (unter a)) und die 'Dimension der Subjektivität' (unter b)) sowie die 59

Kernaussage der T ä t i g k e i t s t h e o r i e über die "doppelte Vermitteltheit" der menschlichen Tätigkeit (unter a)). Es zeigt sich (wie schon in Punkt 3.1 d e u t lich wurde), daß die tätigkeitspsychologische Analyse der verschiedenen Kategorien, Prozesse und Verhältnisse grundsätzlich zwei 'Sphären* u m f a ß t : die produktive und die sozial-reproduktive. Unter diesem Gesichtspunkt sind nachfolgend (Punkt 3.2.3) in Tabelle 1 die Ergebnisse der bisherigen Diskussion stichwortartig zusammengefaßt.

3.2.3

Die zwei 'Sphären' ('Wirkungskreise') von Tätigkeit(s-) und Bewußtsein(s-Entwicklung)

Die Tabelle 1 soll dazu dienen, in anschaulich-geraffter Weise die Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung, wie sie sich je nach Analysekategorie bzw. Untersuchungsschwerpunkt darstellt und differenziert, aufzuzeigen. Es ist angesichts dieser 'Zweiteilung' aber immer zu bedenken, daß die beiden 'Sphären' nicht in bloßer Wechselbeziehung miteinander stehen (etwa, daß die eine die andere bedingt), sondern in einem spezifischen strukturellen Zusammenhang, insofern nämlich die Produktion der Reproduktion dient oder anders ausgedrückt: objektiver Zweck der Produktion die (soziale) Reproduktion ist. (Vgl. RAEITHEL 1983: "oberster" Zweck ist die Reproduktion des Gemeinwesens; s.a. Punkt 3.1). Somit spielt die sozial-reproduktive 'Sphäre' eine gegenüber der (linear-)produktiven gewissermaßen übergeordnete Rolle, aber andererseits -unter historischen Gesichtspunkten- konstituiert sich die sozial-reproduktive 'Sphäre' über die produktive (—die Akkumulation von Produktionsmitteln f ü h r t zu neuen gesellschaftlichen Reproduktionsformen; vgl. MARX/ENGELS in "Die Deutsche Ideologie": MEW 3). Für eine psychologische Theorie der Subjektentwicklung scheinen mir insbesondere die folgenden strukturellen Beziehungen relevant: Die P r o z e s s e / V e r h ä l t nisse der sozial-reproduktiven 'Sphäre' sind denen der (linear-)produktiven insofern übergeordnet, als sie diese ermöglichen und begrenzen sowie vor allem auch inhaltlich-qualitätsmäßig bestimmen. Andererseits sind die Prozesse/Verhältnisse der sozial-reproduktiven 'Sphäre' von denen der produktiven insofern 'abhängig', als erstere über letztere realisiert werden (z.B. soziale Beziehungsformen werden über konkrete gegenständliche Handlungen r e a l i s i e r t oder - g e m ä ß der 'Ebenenstruktur' der Tätigkeit (s. Kap. 5)- : Tätigkeiten werden über Handlungen realisiert) beziehungsweise insofern als e r s t e r e (die Prozesse/Verhältnisse der sozial-reproduktiven 'Sphäre') in letzteren (den Prozessen/Verhältnissen der produktiven 'Sphäre') ihren konkreten 'Ausdruck' finden (etwa der persönliche Sinn in den kognitiven Realitätsdeutungen des Subjekts oder die Persönlichkeitsweiterentwicklung in der erweiterten Handlungsfähigkeit). Solche Zusammenhänge und Verschränkungen beider 'Sphären' werden in den folgenden Kapiteln immer wieder aufgegriffen werden müssen.

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TABELLE 1: Zur doppelten "Topologie" von Tätigkeit(s-) und Bewußtsein(s-Entwicklung) nach bisherigem Diskussionsstand Analysekategorien

produktive 'Sphäre1

sozial-reproduktive 'Sphäre1

Bestimmung der Tätigkeit auf gesellschaftlichem Entwicklungsniveau

gesellschaftliche Arbeit - bestimmt über den Stand der Produktivkräfte (Produktivkraftkraftentwicklung)

Praxis des Gemeinwesens - bestimmt über die gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse (soziale Verkehrsformen)

Analyseschwerpunkt

Subjekt-'Natur'-Austausch

Subjekt-Subjekt-Verhältnisse

Gegenständliche, gesellschaftliche Bedingungen/ Verhältnisse als BASIS

objektive materiell-gegenständliche Aneignungs-/Arbeits-/LebensBedingungen und Verhältnisse

objektive Formen von Eigentumsbeziehungen zwischen Menschen in den ökonomischen Verhältnissen

Kategorie der Tätigkeit individueller Subjekte

bewußte, zielgerichtete (Spiel-, Lern-, Arbeits-) Handlungen -linear-produktiv-

'Bezug1 der Tätigkeit

Kontakt zur gegenständlichen Welt

Realisation materiell-sozialer Verhältnisse, zwischenmenschlicher (sozial-kooperativer) Beziehungsformen -zyklisch reproduktive r e r Natur nach' gesellschaftliche Beziehungen mit anderen Menschen

Prozeßebenen gemäß der 'Ebenenstruktur1 der Tätigkeit (s. dazu Kap. 5)

Handlungen—Ziele

Tätigkeiten—Motive

Gegenstände der Tätigkeit (Gegenstands-'Seite')

a) äußere b) innere c) andere selbst als

sozial-kooperative Verhältnisse/Beziehungsstrukturen als Gegenstände der Tätigkeit, —als ihr "sinnbildendes" Motiv, sofern sie das Subjekt selbst enthalten

Vermittlung zwischen Tätigkeit (T) und Gegenstands•seite' (G)

im T-G Verhältnis: A r b e i t s m i t t e l a) äußere Tätigkeit Werkzeuge b) innere Tätigkeit: Begriffe

im T-T Verhältnis: Formen (vgl. mit Abb. 1 in Punkt 3.3 und Kap. 5). Andere menschliche Subjekte als "soziale Mittel-Subjekte"^)

Psychische Abbildebene -Widerspiegelungsformen-

notwendig bewußte, begriffliche Widerspiegelung in kognitiven Strukturen, symbolischen Wissensstrukturen

i.d.R. nicht bewußte, psychische Widerspiegelung in "ideellen" Sinn-Strukturen (nicht symbolisierten Strukturen auf Subjekt-'Seite') (-sinnlich-signalisch-)

'Komponenten' im System des individuellen Ideellen (Subjekt-'Seite' der Tätigkeit)

System "lebendigen Wissens" Begriffs-Systeme, System der Bedeutungen, semantische Dimension

System "persönlicher Sinne" f Dimension der Subjektivität'

Subjekt-Entwicklung (s. dazu Kap. 6)

Entwicklung von Handlungskompetenzen (und -strukturen) in ihrer äußeren, praktischen und inneren, gedanklichen Form. Subjektentwicklung als Handlungs(Erkenntnis-)fähigkeitsentwicklung zwecks Realitätskontrolle

Reproduktion (Realisation /Erhaltung, Entwicklung/Veränderung) materiell-sozialer Verhältnisse zwecks Reproduktion der personalen Subjekte als soziale Wesen Subjektentwicklung als Entwicklung der Persönlichkeit i.e.S.: Reproduktion sozialer Existenz-/Bewegungsformen im System der gesellschaftlichen Beziehungen

Tätigkeit: materielle Gegenstünde Tätigkeit: symbolische Gegenstände Menschen und das Subjekt Gegenstände der Tätigkeit

3.3

Ein s o z i a l w i s s e n s c h a f t l i c h e s Grundmodell zur Analyse von Subjektverhältnissen

Die Betonung der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse neben dem Subjekt-'Natur'-Austausch verlangt nach einem kategorialen Schema, in dem kooperative Subjektverhältnisse auf ihrer materiell-gegenständlichen Basis einerseits und unter Einbezug auch der kommunikativ-diskursiven Verhältnisse zwischen Subjekten a n d e r e r s e i t s beschreibbar werden. Ein solches kategoriales Schema wurde von Arne RAEITHEL (1981) mit dem Entwurf eines " d i f f e r e n z i e r t e n Subjektmodells" (dto, 60ff) vorgestellt. Ausgangseinheit ist zunächst die LEONTJEW'sche S u b j e k t - T ä t i g k e i t - O b j e k t Triade, —von RAEITHEL (aaO) modifiziert in: Ideelles-Tätigkeit-Gegenstand (vgl. vorne: Punkt 3.2.1). Nun kann jedoch dieses dreigliedrige Schema in seiner a b s t r a k t e n Allgemeinheit m.E. auch der materialistischen Handlungstheorie sensu HACKER/VOLPERT zugrundegelegt werden (wie dies e t w a STADLER/SEEGER (1981) tun), so daß davon ausgehend das Spezifische der Tätigkeitstheorie gegenüber der Handlungstheorie (gemeint ist hier insbesondere die Beachtung der sich entwickelnden Verhältnisse zwischen den Subjekten) noch nicht so recht deutlich wird. Allerdings wird in der handlungstheoretischen Sicht auf die Triade der Tätigkeitsbegriff (T) mit dem Handlungsbegriff auch einfach gleichges e t z t , genauer: der Tätigkeitsbegriff wird auf den Begriff der (linearproduktiven) Handlung reduziert, s. bei STADLER/SEEGER 1981) und damit die sozial-reproduktive 'Sphäre1 von vorneherein ausgeschaltet, wohingegen LEONTJEW gerade die Differenzierung von Handlung und T ä t i g k e i t , das Auseinanderfallen von Ziel und Motiv betont (s. dazu Kap. 4 und 5). Es ist (aber) jedenfalls festzuhalten, daß die einfache Triade ein Schema der Subjektverhältnisse nicht darstellt; vielmehr müssen zu diesem Zweck zumindest zwei Triaden zueinander in Beziehung gesetzt werden, um den Kooperationsprozeß zweier (oder mehrerer) Subjekte abzubilden. Der Kooperationsprozeß (Kooperation im weiteren Sinne) von Subjekten wird im Schema der Abbildung 1 in drei 'Ebenen' aufgeteilt, "das heißt: die V e r m i t t lungsprozesse, in denen die Subjektverhältnisse realisiert werden, sich reproduzieren und entwickeln, sollen analytisch in drei Arten unterschieden werden" (RAEITHEL 1981, 61 f), nämlich: Koordinations-, Kooperations- und Diskursionsverhältnisse. Die Verhältnisse konstituieren sich jeweils aus dem Zueinander von Mitteln und Formen der Koordination, Kooperation und der sozialen Diskurse. 1. Koordinationsverhältnisse: Sie enthalten die in einer Gesellschaftsformation historisch-relativen Gegenstände der Praxis der Subjekte. Die objektiven Relationen zwischen Gegenständen erzwingen bestimmte Formen der Koordination, des Zusammenwirkens der Subjekte; so verlangten etwa die "neuen Produktivk r ä f t e der großen Industrie eine zwangsweise unter dem Kommando des Kapitalisten stehende Koordination der Arbeiten" (RAEITHEL aaO 63, nach MEW 23, 341-355). RAEITHEL (aaO 220ff) spricht auf dieser Basisebene der gegenständlichen Verhältnisse (insbesondere der Eigentumsformen) von "primären Verkehrsformen". Die Ebene der Verhältnisse zwischen den Gegenständen der

62

ABBILDUNG Is

Grundmodell von Subjektverhältnissen (in Anlehnung an RAEITHELs "differenziertes Subjektmodeli" (1983, 52), - modifiziert)

Subjekt

1

Subjekt 2 tertiäre Verkehrsformen Diskursion sekundäre Verkehrsformen

primäre Verkehrsformen K o o r d i n a t ion I T G

= System des individuellen Ideellen = Tätigkeit eines Subjekts (äußere und innere) = Gegenstände der Tätigkeit ( s t o f f l i c h - m a t e r i e l l e und symbolische Gegenstände) (Gegenstände i.e.S.) = gesellschaftliches Ideelles (Teil des "Uberbaus") als Realitätsbereich der I-I Verhältnisse = materiell-soziale Verhältnisse als Realitätsbereich der T-T Verhältnisse (Gegenstände i.w.S.) = g e s e l l s c h a f t l i c h (re)produzierte Gegenstände und objektive Gegenstandsbeziehungen als Realitätsbereich der G-G Verhältnisse = Prozesse der Vermittlung und Regulation der Tätigkeit durch das I (= kognitive Prozesse) = durch (Arbeits-)Mittel ermöglichte Wechselwirkung zwischen T und

gi gv gG

V (

)

= prozessierende (koordinative, kooperative, diskursive) Verhältnisse zwischen den Subjekten p r i m ä r e Verkehrsformen: Formen von Eigentumsbeziehungen in den primären gegenständlichen Produktionsverhältnissen, den ökonomischen Verhältnissen sekundäre Verkehrsformen: Sozial-kooperative Beziehungsformen in den gesellschaftlichen, materiell-sozialen Verhältnissen t e r t i ä r e Verkehrsformen: Soziale Diskursformen in den sozial-kommunikativen Verhältnissen des ideellen Austausches

Tätigkeiten der Subjekte ist die Basisebene der Kooperationsprozesse auf der darüberliegenden 'Ebene'. 2. Kooperationsverhältnisse: Die Kooperationsverhältnisse als Verhältnisse zwischen den Tätigkeiten der Subjekte (T-T Verhältnisse) stehen zu den gegen63

ständliehen Koordinationsverhältnissen (den primären Verkehrformen) im Verhältnis des Überbaus zur Basis. Das heißt, sie sind durch die gegenständlichen Koordinationsverhältnisse geprägt und determiniert (begrenzt) und haben aber diesen gegenüber regulative Funktion, —jedoch innerhalb der Freiheitsgrade, die die gegenständlichen Verhältnisse ihnen noch offen lassen. (Vgl. dazu die Definition von "materiell-sozialen Verhältnissen" in Punkt 3.1). Der Begriff der Kooperation ist hierbei "nicht auf harmonische Subjektbeziehungen eingeschränkt (...), sondern (soll) auch 'antagonistische', feindselige, aber dennoch im Widerspruch zusammengeschlossene Subjektbeziehungen beschreiben ..." (dto, 62). Die sozialen Kooperationsprozesse auf dieser Ebene nun stehen zwar in Überbau-Stellung zu den gegenständlichen Verhältnissen der Koordination, aber als die "wirklichen Lebensprozesse" (= das Sein) der menschlichen Subjekte sind sie die Basisverhältnisse der einzelnen Persönlichkeiten. In den sozial-kooperativen "sekundären Verkehrsformen" also realisieren und reproduzieren die personalen Subjekte ihre soziale Existenzweise, ihre Sozialform. Dabei stellen sich die sekundären Verkehrsformen "als Resultante der verschiedensten gegenläufigen oder einander verstärkenden Bestrebungen, die Kooperation zu regulieren, (oft) 'hinter dem Rücken aller Beteiligten' her" (dto, 221) 3. Diskursionsverhältnisse6): In den prozessierenden Verhältnissen zwischen den ideellen Systemen der Subjekte (I-I Verhältnisse) erfolgt der sprachliche (oder anderweitig symbolische) Austausch von Ideen. Auf der Basis der Kooperationsverhältnisse erhebt sich der "ideelle Überbau". Das gesellschaftliche Ideelle (gl) ist Uberbauerscheinung auf der Basis der materiell-sozialen Verhältnisse, auf der Basis der gegenständlichen Verhältnisse. Soziale symbolische Strukturen, gesellschaftliche Bewußtseinsformen (politische, religiöse etc. Ideologien, (populär)-Wissenschaftliehe Theorien, kulturelle Werte und Normen etc.) sind im sozialen Diskurs lebendigen Bestandteile des gesellschaftlichen Ideellen. (Demgegenüber ist zu beachten, daß die symbolischen Gegenstände als Vergegenständlichungen des Wissens zur ersten Basisebene gehören.) Die Formen des sozialen Diskurses, des kommunikativ-ideellen Austausches, die "tertiären Verkehrsformen" (RAEITHEL aaO, 220ff) bilden sich auf der Basis der "sekundären Verkehrsformen", der sozial-kooperativen Beziehungsformen, sind durch diese determiniert (ermöglicht und begrenzt) und haben umgekehrt -in den durch sie gesetzten Freiheitsgraden- eine regulative Funktion gegenüber den Kooperationsverhältnissen. In den jeweiligen Diskursformen tauschen die Subjekte mit geeigneten sprachlich-symbolischen Mitteln ihre Ideen, Meinungen aus, ohne daß ihnen bewußt sein müßte, welche allgemein-ideologische und persönlich-sinnhafte Struktur sie dabei realisieren. Auch ohne bewußte Absicht werden die 'tertiären Verkehrsformen' "durch die kommunizierenden Menschen reproduziert und verändern sich 'hinter ihrem Rücken'" (dto, 221 f). Die Bezeichnung der drei Prozeßebenen der Subjektverhältnisse als primäre, sekundäre und tertiäre Verkehrsformen wurde von RAEITH EL -auf den Begriff der Verkehrsform bei MARX/ENGELS (MEW 3, 9-532) zurückgehend- vorgeschlagen. "Der Begriff der Form ist ... am besten als System von Begrenzungskanälen für reproduktive Prozesse zu verstehen. Diese Begrenzungen, in denen die Produktions- und Verkehrsprozesse verlaufen, und in denen auch jede nachfolgende Generation von Produzenten und miteinander verkehrenden Subjekten sich entwickelt, sind materielle Begrenzungen, 64

die unabhängig von allen einzelnen Subjekten historisch akkumulieren. Eine Form wird gebildet durch das Insgesamt der zugehörigen Mittel und ist zugleich der reproduktive Zyklus dieser Mittel. Die Formen bestimmen die in ihnen verlaufenden Prozesse jedoch nicht absolut, sondern determinieren nur den durchschnittlichen, 'modalen 1 Entwicklungsstand der Prozesse" (dto, 219). Das ist u.a. so zu verstehen, daß die Subjekte einer gegebenen Gesellschaftsformation in je historisch-konkreten gegenständlichen Koordinations- (primären Produktions-), tätigen Kooperations- und reflexiven Diskursionsverhältnissen als Resultate ihrer Verwendung der historisch-konkreten gegenständlichen Koordinations-(Produktions-) und der sozialen Kooperations- und KommunikationsMittel je bestimmte gegenständliche, sozial-kooperative und kommunikativ-diskursive Verkehr s(Austausch-/U m gangs-/ Be ziehungs-)f or men realisieren und dabei sich selbst als soziale Subjekte, die gegenständlichen, g e s e l l s c h a f t l i c h e n , kommunikativ-diskursiven Verhältnisse und das Gemeinwesen insgesamt reproduzieren. Diese Verkehrsformen sind die Formen, in denen die Subjekte sich im Realitätsbereich der gegenständlichen (ökonomischen) Verhältnisse aufeinander abstimmen, in denen sie im Realitätsbereich der materiell-sozialen Verhältnisse handelnd miteinander kooperieren, in denen sie im Realitätsbereich der Institutionen des Überbaus, der gesellschaftlichen Be wüßt seinsformen diskursierend miteinander kommunizieren. Wie 'im Ganzen', so ist das Schema gleichermaßen als Grundlagemodell für die Analyse der i n t e r a k t i v e n Beziehung zweier b e s t i m m t e r personaler Subjekte (Mutter-Kind, Lehrer-Schüler, Therapeut-Klient, etc.) anzuwenden (genaueres s. Kap. 5). In der Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen wird dabei übrigens auch die Einbeziehung der Kommunikationstheorie möglich. Wie RAEITHEL (1981, 63) b e m e r k t , erfolgt auf der Ebene der Kooperationsprozesse ein (nicht-sprachlicher) Austausch von Signalen, der sich als "analoge Kommunikation" im Sinne BATESONs (1981, 1982) identifizieren läßt, während auf der Ebene der Diskursionsverhältnisse in symbolischen (vorwiegend sprachlichen) Austauschprozessen kommuniziert wird (= "digitale Kommunikation"). Damit lassen sich Probleme einer "paradoxen Kommunikation", einer "Beziehungsfalle" und Probleme des "Entwertens" oder "Verwerfens" der "Selbstdefinitionen" des anderen (seines Beziehungsangebots) aus tätigkeitstheoretischer Sicht (auf materialistischer Grundlage) konzeptualisieren. Die Betonung der Tätigkeit in der I-T-G Triade (= "eben in der Tätigkeit öffnet sich der Kreis..."; vgl. vorne: Punkt 3.2.1) bedeutet nun im Modell der Subjektverhältnisse die Betonung der (T-T-)Kooperationsverhältnisse, der "sekundären" Verkehrsformen im praktisch-sozialen Zusammenwirken und Miteinanderumgehen von Subjekten. Die Realisation einer sozialen Verkehrsform ist die Realisation einer (je gegenständlich bestimmten) praktisch-sinnlichen Beziehungsform in der Kooperation eines personalen Subjekts mit anderen Subjekten, ist dann dessen -wie GLEISS (1979, 1980) sagt- "Bewegungsform im g e sellschaftlichen Lebensprozeß", "im Netz der sozialen Beziehungen". Das zwei Subjekte umfassende Modell der Subjektverhältnisse m a r k i e r t nach RAEITHEL den Gegenstand der Psychologie "in einer minimalen, nicht mehr reduziblen Form" (dto, 63) und der Gegenstand selbst sind "abstrakt-allgemein bestimmt ... die Verhältnisse zwischen und innerhalb von personalen Subjekten 65

in der Praxis des Gemeinwesens" (dto, 64). Im Hinblick auf die Themenstellung dieser Arbeit fungiert das hier geschilderte 'sozialwissenschaftliche Grundmodell zur Analyse von Subjektverhältnissen 1 als 'Hintergrundsmodell1 für die Analyse der inneren Verhältnisse von personalen Subjekten und ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Für die Analyse gerade der "inneren Verhältnisse von personalen Subjekten" (s. dazu Kap. 5) kann es noch nicht hinreichen, nicht zuletzt, weil in dieses Modell die Tätigkeit (T) nur in ihrer allgemeinen kategorialen Bestimmung eingeht (wie überhaupt in diesem gesamten Kapitel 3), während aber eine genauere psychologische Analyse der "inneren Verhältnisse" die Aufschlüsselung auch der inneren Struktur der gegenständlichen menschlichen Tätigkeit erfordert.

3.4

Handlung - Tätigkeit - Arbeit - Praxis. Terminologische Erläuterungen und ein Modell ihrer entwicklungslogischen Verbundenheit und (wechselseitigen) Determinierung

Wie soeben erwähnt, wurde Tätigkeit in diesem Kapitel 3 vorrangig immer in ihrer allgemeinen kategorialen Bestimmung verstanden. Daneben wird es noch erforderlich werden, die innere Struktur der Tätigkeit aufzuschlüsseln: das ist die 'Ebenenstruktur' der Zentral-Tätigkeit, in der folgende Prozeßebenen unterschieden werden: Einzelne Tätigkeiten—ihre Motive, Handlungen—ihre Ziele, Operationen —ihre gegenständlichen Bedingungen (vgl. mit Abb. 3 in Kap. 5). Gemäß dieser 'Ebenenstruktur' bildet je eine konkrete Tätigkeit den "oberen Kontext" der Handlungen, die sie realisieren, ist also den Handlungen ("logisch"-)struktureli übergeordnet, wie fernerhin die Handlungen ihrerseits den Operationen (Teilhandlungen und Bewegungsabfolgen) übergeordnet sind (s.a. HASELMANN 1982). Die Tätigkeiten determinieren Inhalt und Qualität der sie realisierenden Handlungen; diese ihrerseits begrenzen und ermöglichen die Operationen. Operationen, Handlungen und Tätigkeiten stehen darüber hinaus nicht nur in dem genannten strukturellen Zusammenhang, sie bilden (in der Ontogenese) eine notwendige Entwicklungsfolge (auf menschlichem Entwicklungsniveau), d.h. es läßt sich folgende Entwicklungsreihe postulieren: Operationen (= operative Strukturen und Prozesse des Tätigseins)—> (bewußte, zielorientierte) Handlungen -•(einzelne, konkrete motivbezogene) Tätigkeiten. Eine Spezifizierung der Entwicklungsfolge für die Ontogenese kann ich hier nicht leisten. Jedenfalls aber ist die gesamte Struktur der spezifisch menschlichen Tätigkeit 'von vorneherein' gegeben, d.h. insbesondere sind bereits beim bedürfnisorientiert-operativ-tätigen Kleinkind die übergeordneten Tätigkeiten als Realisation zwischenmenschlicher Beziehungsformen real wirksam (wie auch Ansätze einer Handlungsstruktur zum Zwecke der Umweltkontrolle), können jedoch noch nicht bewußt realisiert, geschweige denn reflektiert werden. (Zum Zusammenhang der Aktivitätskategorien mit den Reflexionsmodi s. Kap. 6).

66

In ihrer kategorialen Bestimmung meint Tätigkeit die Gesamt struktur und den Gesamtprozeß der lebendigen Aktivität, unbeachtet ihrer D i f f e r e n z i e r u n g in drei Prozeßebenen und deren Entwicklungsfolge, diese aber umfassend; schließt also auf menschlichem Entwicklungsniveau den Handlungsbegriff immer mit ein. Ist auf menschlichem Niveau von der Kategorie der Tätigkeit die Rede, so gilt demnach immer, daß der Handlungsbegriff im Tätigkeitsbegriff a u f g e hoben ist. Umgekehrt kann, wenn von Handlung gesprochen wird, immer nur das menschliche Niveau gemeint sein. Der Tätigkeitsbegriff indes dient darüber hinaus auch der übergreifenden Kennzeichnung der lebendigen Aktivität in ihrer (widersprüchlichen) Einheit mit dem Gegenstandsprozeß. Dieser Bestimmung gemäß läßt sich von Tätigkeit auch schon auf subhumanem Entwicklungsniveau s p r e c h e n , indes kann im organismischen Bereich nicht sinnvoll von Handlung g e r e d e t werden (wie JANTZEN (1982) dies tut), ohne das Spezifische, das die Handlung kennzeichnet (nämlich: "ideelle" bewußte Vorwegnahme des Handlungsresultats, Bedeutungsproduktion und -erfassung von Gegenständen) wiederum zu negieren. Damit ergibt sich nun, daß die Tätigkeit, allgemein verstanden als Einheit von lebendiger Aktivität und Gegenstandsprozeß, einerseits der Handlung historisch vor geordnet ist, andererseits -diesmal aus der Sicht der 'Ebenenstruktur 1 auf spezifisch menschlichem Niveau- als konkrete Tätigkeit der Handlung übergeordnet ist. Von der organismischen unterscheidet sich die spezifisch menschliche Tätigkeit durch ihre besondere Struktur (eben die 'Ebenenstruktur') und die s p e z i f i s c h e Realisation gesellschaftlicher Beziehungen (s.a. vorne: die "doppelte Vermitteltheit" der menschlichen Tätigkeit). Außer von gegenständlicher Tätigkeit und Handlung war in den bisherigen Ausführungen in den Kapiteln 2 und 3 aber auch schon von gesellschaftlicher Arbeit und Praxis des Gemeinwesens die Rede. Angesichts von nun vier verschiedenen spezifisch menschlichen 'Aktivitätskategorien': Handlung, T ä t i g k e i t , Arbeit, Praxis, drängt sich (wieder) die Frage auf, welches die "eigentliche" Grundkategorie der m a t e r i a l i s t i s c h e n Psychologie oder s p e z i f i s c h e r : einer Theorie der Person-Entwicklung sein soll. Es handelt sich um die Frage nach der "richtigen Bestimmung des Ausgangspunktes", welche von den materialistischen Handlungstheoretikern anders als von den "Kritischen Psychologen", anders wiederum von den V e r t r e t e r n der sowjetischen "kulturhistorischen Schule" (WYGOTSKI, LEONTJEW, LURIA) und wieder etwas anders beispielsweise von SEVE (1972) beantwortet und entsprechend k o n t r o v e r s d i s k u t i e r t wird. Zu der Kontroverse um den Handlungs- versus Arbeitsbegriff als die Grundkategorie der Psychologie habe ich bereits Stellung genommen (Kap. 2) und in Punkt 3.2 habe ich dann die Tätigkeit im Sinne der 'kulturhistorischen Schule' zur "zentralen Grundkategorie der Psychologie, Ausgangseinheit jeder psychologischen Analyse" erklärt, —wohlgemerkt unter der Voraussetzung, daß es die Struktur der Tätigkeit erst noch zu erörtern und ihre Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zu (den) anderen Aktivitätskategorien erst noch zu klären gilt. Was nun die Kontroverse um den "richtigen Ausgangspunkt" anbelangt, begründet Arne RAEITHEL (1981) anhand einer Rekonstruktion der Entwicklungslogik der m a t e r i a l i s t i s c h e n Theorie von MARX/ENGELS, daß es sich gar nicht um einen "Punkt" handeln kann, nicht um eine einzelne Basiskategorie, sondern um eine Entwicklungslogik von Tätigkeit — Arbeit — Praxis (als notwendige Entwicklungsfolge), welche als Ausgangs-"Ordnung der theoretischen und reali67

sierenden Praxis" der Psychologie (dto, 196) zu fungieren habe. Während die Kritischen Psychologen und auch SEVE (1972) über den Begriff der gesells c h a f t l i c h e n Arbeit - d a m i t der Untersuchung der Produktionsverhältnissehinaus nicht explizit zur umfassenderen (übergeordneten) Kategorie der Praxis des Gemeinwesens -damit der Untersuchung der gesellschaftlichen {^Produktionsverhältnisse, der sozialen Verkehrsverhältnisse- vordringen, postuliert RAEITHEL die Notwendigkeit der Aufhebung der Arbeitskategorie (die den linear-produktiven Subjekt-'Natur'-, richtiger: Gesellschafts-Natur-Austausch zum Thema hat) in der Praxiskategorie (die den zyklisch-reproduktiven materiellsozialen Austausch/Verkehr in gesellschaftlichen Subjekt-Subjekt-Verhältnissen zum Thema hat). "Die sozialen Verhältnisse sind mit den Personen über ihren Zusammenschluß in der Praxis, über den sozialen Verkehr vermittelt; indem sie (die personalen Subjekte; S.H.) miteinander tätig sind, können sie einander entwickeln und schaffen dabei die Verhältnisse, das Gemeinwesen, als ihr eigenes, und doch von ihnen unabhängiges, mit ihnen nicht identisches Produkt" (dto, 195). Das strukturelle Verhältnis der Kategorien der RAEITHEL'schen Entwicklungsreihe Tätigkeiten—Arbeit—Praxis zueinander v e r s t e h e ich f o l g e n d e r m a ß e n : G e s e l l s c h a f t l i c h e Arbeit wird über die (Arbeits-)Tätigkeiten der Menschen realisiert und ist doch mehr als die Summe von einzelnen Tätigkeiten vieler Subjekte (-wie das Ganze mehr, denn die Summe seiner Teile ist-; vgl. vorne: Punkt 3.1). Sie konstituiert sich als Resultante der Vielheit von subjektiven (Arbeits-)Tätigkeiten als neue allgemeinere "höhere Einheit". Ähnlich wird die Praxis des Gemeinwesens unter anderem über die g e s e l l s c h a f t l i c h e Arbeit realisiert; sie konstituiert sich als Resultante der Prozesse und Verhältnisse in den Bereichen Produktion, Distribution und Konsumtion als gegenüber der gesellschaftlichen Arbeit a l l g e m e i n e r e , übergeordnete "Einheit" von neuer Qualität. Umgekehrt ermöglicht und begrenzt die Praxis des Gemeinwesens ( - g e s e l l s c h a f t l i c h e Reproduktionsverhältnisse als dem "oberen Kontext"-) die Art und Weise der gesellschaftlichen Arbeit und diese (-Arbeit in historischrelativen Produktionsverhältnissen-) bestimmt qualitätsmäßig die subjektiven Tätigkeiten der Menschen. Tätigkeiten—Arbeit—Praxis (in ihrer jeweiligen ko-evolutiven Einheit mit ihren respektiven 'Gegenständen 1 im engeren und w e i t e r e n Sinne) bilden quasi die 'Prozeßebenen 1 der gesellschaftlichen Praxis. Nun aber postuliert RAEITHEL die Entwicklungsfolge: (subjektive) Tätigkeiten (gesellschaftliche ) Arbeit Praxis (des Gemeinwesens) von einer eher soziologischen Betrachtungsweise ausgehend; das heißt, unter Absehung von einer Konzentration auf das einzelne personale Subjekt betrachtet er die 'Ebene' der Gesamtheit der in einem Gemeinwesen zusammengeschlossenen menschlichen Subjekte. Das Gemeinwesen ist hier sozusagen das "höchste Subjekt". Und meinem Verständnis nach wird von ihm der Tätigkeitsbegriff (in seinem gesamten Text) als allgemeine Kategorie der lebendigen Aktivität gesellschaftlicher Subjekte verwendet, das meint: Menschen sind tätig, indem sie sich im Spiel, im Lernen, in der Arbeit und der Gesamtheit ihrer anderen Aktivitäten (sowie natürlich immer in der Realisation von Beziehungen mit anderen Menschen) mit ihrer gegenständlichen und gesellschaftlichen Welt austauschen, dabei diese Welt und sich selbst verändern.

68

Im Unterschied dazu bewegt sich LEONTJEW (1977, 1982) mit der Untersuchung der inneren Struktur der menschlichen Aktivität und der diesbezüglichen D i f f e r e n z i e r u n g dreier Prozeßebenen, aus der sich die Entwicklungsfolge: Operationen - Handlungen - Tätigkeiten ableitet, explizit auf psychologischer Analyseebene. Im Zentrum stehen bei ihm die einzelnen personalen Subjekte. Und aus der Sicht der 'Ebenenstruktur 1 ist Tätigkeit hier nicht mehr nur eine allgemeine Kategorie (wie bei RAEITHEL oder wie in dem 73er Text von LEONTJEW?)), sondern Tätigkeit meint hier einzelne, konkrete motivbezogene Tätigkeiten personaler Subjekte, mit denen soziale Beziehungen r e a l i s i e r t werden! Während nun die RAEITHEL'sche Entwicklungsreihe als "Ausgangs-Ordnung der theoretischen und realisierenden Praxis" für im engeren Sinne psychologische Fragestellungen noch nicht hinreicht, steht LEONTJEW vor der Gefahr eines "personalen Egozentrismus", da von ihm die Tätigkeit primär an ein personales Subjekt gebunden und der "obere Kontext" dieser Tätigkeit, die über personale T ä t i g k e i t s s t r u k t u r , die Praxis des Gemeinwesens, nicht explizit thematisiert ist. (Allerdings ist bei LEONTJEW der "obere" soziale "Kontext" ebenso impliziert wie bei RAEITHEL die personale Subjekt'ebene' impliziert ist.) Da weder die eine noch die andere 'Ebene' vernachlässigt werden darf, schlage ich als 'Ausgangs-Ordnung der t h e o r e t i s c h e n und realisierenden Praxis der Psychologie' das in Abbildung 2 d a r g e s t e l l t e Parallelogramm vor, das die verschiedenen Aktivitätskategorien und ihre Entwicklungsfolge auf soziologischer Analyseebene (Blick auf die Gesamtheit der Menschen und das Gemeinwesen als das "höchste Subjekt") und auf psychologischer Analyseebene (Blick auf die einzelnen Menschen und das einzelne personale und soziale Subjekt) zueinander in Beziehung setzt. Aus dem Parallelogramm-Modell der Abb. 2 wird deutlich, daß die psychologische Untersuchung nicht von der soziologischen 'Ebene' g e t r e n n t werden d a r f , da g e s e l l s c h a f t l i c h e Arbeit und Praxis des Gemeinwesens jeweils den "oberen Kontext" von Handlungen und Tätigkeiten einzelner personaler (und gleichzeitig sozialer) Subjekte bilden. Die gesellschaftliche Arbeit konstituiert sich aus den Arbeitshandlungen vieler personaler Subjekte und die Praxis des Gemeinwesens konstituiert sich aus den -gesellschaftliche Beziehungen realisierenden» Tätigkeiten vieler sozialer Subjekte. Arbeit ist jedoch mehr als die Summe der Arbeitshandlungen und Praxis mehr als die Summe der konkreten (motivbezogenen) Tätigkeiten vieler Subjekte. Im Zusammenspiel von Sein (= Summe der Einzelaktivitäten) und Wirken (= Bewegung der lebendigen Verhältnisse: a) der Einzelaktivitäten untereinander sowie b) der G e s a m t h e i t zu anderen Gesamtheiten), erhalten Arbeit wie Praxis ihren besonderen, unabhängigen Charakter, ihre Eigengesetzlichkeit. Als solche wirken sie auf die Handlungen und Tätigkeiten personaler Subjekte zurück, ermöglichen und begrenzen sie, bilden deren "oberen Kontext". Der obere Kontext ist immer Voraussetzung und Resultat der Prozesse auf der darunterliegenden Ebene! Und dies gilt sowohl zwischen den beiden Analyseebenen wie auch innerhalb jeder Analyseebene zwischen den 'Prozeßebenen'. Als Voraussetzung von gegenständlichen Handlungen und konkreten motivbezogenen Tätigkeiten personaler Subjekte bestimmen also die "oberen Kontexte" der Arbeit und der Praxis diese Handlungen und Tätigkeiten inhaltlich-qualitätsmäßig, determinieren sie. Umgekehrt

69

ABBILDUNG 2:

O H T A P

= = = = =

Handlung—Tätigkeit—Arbeit—Praxis Ein Modell ihrer entwicklungslogischen Verbundenheit und wechselseitigen Determinierung als fAusgangs-Ordnung der theoretischen und realisierenden Praxis der Psychologie*

Operationen Handlungen Tätigkeiten Arbeit Praxis

Ebene der G e s a m t h e i t der menschlichen Subjekte

Ebene einzelner Subjekte

> = Entwicklungs- und Konstituierungsfolge — — =

70

Prozesse der Rück-Determination (Ermöglichung und Begrenzung vom oberen Kontext)

konstituieren sich Arbeit und Praxis als Resultante der Handlungen und Tätigkeiten der Vielzahl von personalen Subjekten (konstituieren sich so auch neu bzw. verändern sich so im historischen Prozeß). Das Prinzip der 'Rück-Determination 1 vom oberen soziologischen Kontext "erklärt 11 im übrigen den Umstand, daß Handlungen wie Spiel, Lernen etc. zwar die allgemeine Struktur von Arbeit haben, aber -insofern sie nicht in den gesellschaftlichen Produktionszusammenhang direkt einbezogen sind- doch nicht Arbeit sind (sondern eben Handlungen); daß sie aber a n d e r e r s e i t s -diesmal unter dem Konstituierungsaspekt- sehr wohl zur gesellschaftlichen Arbeit quasi 'hinführen'. Damit wäre ein Problem e r h e l l t , mit dem sich m a t e r i a l i s t i s c h e Psychologen, die vom Arbeitsbegriff (i.S. von gesellschaftlich wertschaffender produktiver Arbeit, d.h. Schaffung von gesellschaftlichem Gebrauchswert) als der Grund kategor ie ausgehen, ziemlich schwer tun (vgl. JANTZEN 1982). So bringt das Parallelogramm-Modell auch etwas Licht in die zwischen materialistischen Handlungstheoretikern und 'Kritischen Psychologen' ausgetragene Kontroverse um den "richtigen" Grundbegriff (vgl. in FKP 6, 8 und 9). Das Schema s e t z t auch wieder (linear-)produktive und sozial-reproduktive 'Sphäre' miteinander in Beziehung, und zwar auf gesamtgesellschaftlicher wie individueller 'Ebene' (vgl. dazu auch Punkt 3.2.3 und die Tabelle 1), wobei die Relation gilt; Handlung zu Tätigkeit personaler (und immer auch sozialer) Subjekte ist wie Arbeit zu Praxis gesellschaftlicher Individuen. Wie bereits erwähnt, muß die Analyse (soziologisch) 'durch die Kategorie der gesellschaftlichen Arbeit hindurch' zur Kategorie der Praxis des Gemeinwesens vordringen und entsprechend muß sie (psychologisch) 'durch die K a t e g o r i e der Handlung hindurch' zur (motivbezogenen) Tätigkeit vordringen. Dann ist der Arbeitsbegriff im Praxisbegriff und der Handlungsbegriff ist im Tätigkeitsbegriff a u f gehoben. Auch ausgehend von dem Parallelogramm als der 'Ausgangs-Ordnung der theoretischen und realisierenden Praxis der Psychologie' kann man noch die von mir weiter vorne vertretene These aufrechterhalten, daß Ausgangseinheit jeder psychologischen Analyse, insbesondere einer Theorie der Persönlichkeit, die Tätigkeit sein muß, nämlich die Tätigkeit als oberste 'Prozeßebene' der lebendigen Aktivität personaler Subjekte (zwecks Reproduktion des personalen Subjekts als soziales Wesen), als 'Basisbestandteil' der gesellschaftlichen Arbeit (als aktive Selbstentäußerung gesellschaftlicher Individuen) und als - e n t w i c k lungslogisch- konstituierende Realisation und Reproduktion der Praxis des Gemeinwesens, von der sie ihre Struktur und ihren Charakter erhält (vgl. mit der Abbildung 2). So macht das Schema die Eingebundenheit der gegenständlichen menschlichen Tätigkeit in den 'Gesamtzusammenhang', ihre komplexe Verwobenheit und Wechselwirkung mit anderen menschlichen Aktivitätskategorien deutlich. Damit ist auch jede einseitige ('individualistische', 'idealistische', 'soziologistische', 'ökonomistische' o.ä.) Interpretation ausgeschlossen. Für das einzelne personale Subjekt, etwa den Psychotherapie-'Klienten", ist es wichtig, sich selbst annäherungsweise im 'Gesamtzusammenhang' zu begreifen zu lernen. Deshalb hat das Modell keinesfalls einen bloß 'abgehoben-abstrakten' t h e o r e t i s c h e n Wert, sondern es weist den Weg der (praktischen) Subjekt-Selbsterkenntnis. Wenn nun Ausgangs-Ordnung und Ausgangseinheit der psychologischen Analyse und Veränderung bekannt sind, so ist damit aber noch nicht geklärt, wo ich 71

als praktizierender Psychologe anfangen soll, wenn ich etwa "Klienten" beraten oder ihnen therapeutische "Hilfe zur Selbsthilfe" geben soll. Den Anfangspunkt werden nämlich die konkreten Handlungen des Subjekts bilden, da sich in ihnen die Schwierigkeiten einer Person manifestieren (als fehlende oder mangelnde oder "inadäquate" Handlungsfähigkeit), wie sich ferner auch im "Endeffekt" die Überwindung von Schwierigkeiten nur an den konkreten Handlungen (als e r w e i t e r t e Handlungsfähigkeit, damit erweiterte Realitätskontrolle) festmachen läßt. Mit einem bloßen Hinzulernen oder Umlernen von (praktischen und kognitiven) Handlungskompetenzen (wie es etwa das kognitiv- oder handlungstheoretisch fundierte Problemlöseparadigma nahelegt) ist es allerdings nicht getan.

Somit wurden in Kapitel 3 die zentralen Begriffe expliziert und die wesentlichen Verhältnisse aus der Sicht des -gegenüber LEONTJEW schon erweitertenTätigkeitsansatzes dargestellt. Im folgenden Kapitel 4 soll nun der Themenkomplex "Bedürfnisse, Motive, Emotionen" behandelt werden.

72

Kapitel

DIE MOTIVATIONALE GRUNDLAGE MENSCHLICHEN HANDELNS DIE NATURGRUNDLAGE DER BEDÜRFNISSE UND IHRE KONSTITUIERUNG UND ENTWICKLUNG ALS MOTIVE DER TÄTIGKEIT MOTIV-SYSTEM und EMOTIONEN

In kognitiv-behavioristischen, kognitivistischen und handlungstheoretischen Ansätzen wird die Frage nach den menschlichen Bedürfnissen nicht angemessen gestellt oder 'übersehen1. Dies ist mit ein Grund, weshalb innerhalb dieser Orientierungen keine befriedigende Konzeption der Entwicklung psychischer Beeinträchtigung e r s t e l l t werden konnte, denn eine solche e r f o r d e r t eine Erforschung der 'Bedürfnisstruktur' des Menschen bzw. eine Analyse des Charakters und der Qualität der "spezifisch menschlichen" Bedürfnisse. Und dabei wird die Untersuchung der Bedürfnisstruktur mit der naturhistorisch hergeleiteten Bestimmung von 'menschlicher Natur' (s. Punkt 3.1) verbunden sein müssen, sind doch gerade die Bedürfnisse wesentlicher 'Bestandteil' der menschlichen Natur. Eine Benennung und Klassifikation der Bedürfnisse bloß nach ihrem Oberflächenschein, also wie sie dem beobachtenden Forscher in seiner je historisch-gesellschaftlichen Epoche subjektiv in Erscheinung t r e t e n , kann aber nicht die Methode der Wahl sein, wiewohl dies die übliche Methode der Konzeptualisierung und Klassifizierung von Bedürfnissen innerhalb der traditionellen Psychologie ist (man denke etwa an die Bedürfnishierarchie von MASLOW). Dem entgegen setzt die Kritische Psychologie ein naturhistorisches Ableitungsverfahren, nämlich die "funktional-historische Methode" und im speziellen Fall der Bedürfnis-Klassifikation unternahm Ute HOLZKAMPOSTERKAMP eine "funktional-historische Ursprungs- und Differenzierungsanalyse der Entwicklungsnotwendigkeiten der Herausbildung und Verselbständigung (von) verschiedenen Formen von Bedarfszuständen bis hin zu menschlicher Bedürftigkeit ..." (dto 19782, 17f). Die so gewonnene Bedürfnisstruktur ist in der Tat nicht lediglich 'ausgedacht', sondern abgeleitet, damit begründet und kann auch nicht beliebig ergänzt, erweitert oder verändert werden. Ich werde mich deshalb im folgenden an den positiven Erkenntnissen von H.-OSTERKAMP orientieren, ohne indes ihre Gesamtkonzeption zu vertreten. Die von ihr postulierte spezifisch menschliche Bedürfnisstruktur kann zwar nicht beliebig verändert, kann und muß aber sehr wohl -auch in Ubereinstimmung mit der naturhistorischen Herleitungsmethode- anders konkretisiert und ausformuliert werden. Eine Kritik der H.-OSTERKAMP'schen (Gesamt-)Konzeption (z.B. der recht globalen Untersuchung der Lebenstätigkeit 'als Ganzes', der Beschränkung auf Probleme von Individualitätsformen, der Nicht-Erfassung der 'Dimension der Subjektivität', der unzureichenden Persönlichkeitskonzeption, u.ä.) kann ich an dieser Stelle nicht leisten (s. dazu m.E. GLEISS 1978), ebenso wie ich hier auf eine Gegenkritik ihrer Kritik an LEONTJEW (dto, 135-150) verzichten möchte. D 73

Die naturhistorische Herausentwicklung zweier Bedörfnisarten und ihre Besonderheit auf menschlichem Entwicklungsniveau Während H.-OSTERKAMP (1976 bzw. 19782) auf tierischem Niveau von "Bedarfszuständen" spricht, definiert sie menschliche "Bedürfnisse" als "Bedarfszustände, die im Zusammenhang der Aktivitäten zu gesellschaftlicher Lebenssicherung stehen bzw. auf gesellschaftlich produzierte Objekte oder gesellschaftlich geprägte Situationen gerichtet sind .... 'Bedürfnisse' sind also Bedarf szustände in ihrer gesellschaftlichen, d.h. 'menschlichen' Spezifik, in denen ihre unspezifisch biologischen Charakteristika aufgehoben sind" (dto, 1978^, 18f). Der Unterschied besteht im wesentlichen darin, daß im Ubergang vom phylogenetischen zum gesellschaftlich-historischen Prozeß die Schranke bloß individueller Erfahrungsgewinnung durchbrochen wird. Während es sich auf tierischem Niveau um individuell realisierte Individuum-Umwelt-Verhältnisse handelt, ist der Subjekt-'Natur'-Austausch (damit die Kontrolle über die Lebensbedingungen des Individuums) auf menschlichem Niveau nur in gesellschaftlicher Vermittlung möglich. In Anlehnung an die Autorin lassen sich in der phylogenetischen Entwicklungslinie auf höchstem tierischem Niveau zweierlei "Bedarfssysteme" f e s t s t e l l e n , nämlich: 1. ein verselbständigtes Bedarfssystem nach Umweltkontrolle und nach sozialem Kontakt, richtiger: nach Einbindung in den Sozialverband (s. vorne: Punkt 3.1), als "Bedarfsgrundlage für das Neugier- und Explorations verhalten und für die damit eng zusammenhängenden sozialen, auf Einbeziehung in die Sozietät gerichteten Aktivitäten" (dto, 20) sowie 2. ein physiologisch-organisch begründetes Bedarfssystem, das gemäß H.OSTERKAMP "direkt auf Reduzierung von Gewebedefiziten und anderen aktuellen Spannungen" (ebd) bezogene Bedarf szustände umfaßt. In der Besonderung auf gesellschaftlichem Niveau unterscheidet die Autorin dann: 1. "produktive Bedürfnisse" und 2. "sinnlich-vitale Bedürfnisse" Ad 1):

Das e r s t e Bedarfssystem hat sich phylogenetisch aus der ursprünglicheren "Funktionslust" herausentwickelt und sich zunächst als verselbständigter "Bedarf nach Umweltkontrolle" im Neugier- und Explorationsverhalten manifestiert. Darüber hinaus haben sich zum einen über die Sexualkontakte, vor allem aber über die notwendig gewordene Absicherung der Explorationsaktivitäten der Jungtiere soziale Beziehungen etabliert, die einen eigenen biologischen Sinn erhielten, da das Lernen der eigenen Stellung im Sozialverband und das damit verbundene Abstimmen des eigenen Verhaltens auf das Verhalten der Artgenossen im Verband, das einzelne Tier wie den gesamten Tierverband auf Bedarfssituationen besser "vorbereitete". Nun aber b e t r a c h t e t H.-OSTERKAMP "die 'soziale' Bedürftigkeit als einen erweiterten Aspekt des 'Bedarfs nach Umweltkontrolle'" (aaO, 21), legt damit -unter Vernachlässigung der qualitativ neuen Dimension der "sozialen Bedürftigkeit" (des Bedarfs nach sozialer Eingliederung)- den letzten Endes entscheidenden Schwerpunkt auf den Umweltkontrollbedarf. Und diese Schwer pun ktsetzung führt sie fort bei ihrer Analyse der Bedürfnisstruktur auf menschlichem 74

Niveau, so daß das Sozial- bzw. Kooperationsbedürfnis ("kooperative Integration") immer nur quasi als "Zugabe" zum Kontrollbedürfnis ("Teilhabe an ges e l l s c h a f t l i c h e r Realitätskontrolle", "Beteiligung an der Vorsorge") erscheint, aber ohne eigene Qualität. Demgegenüber wäre gerade auf gesellschaftlichem Niveau die Übergeordnetheit des Kooperationsbedürfnisses zu betonen, denn Realitätskontrolle ist hier ohne Kooperation nicht möglich und die Art und Weise der Kooperation bestimmt (ermöglicht und begrenzt) die Art und Weise, Umfang und 'Niveau1 der gesellschaftlichen Realitätskontrolle. (Gerade weil es sich auf menschlichem Niveau nicht mehr um nur individuellr e a l i s i e r b a r e Individuum-Umwelt-Verhältnisse handelt, ist Kontrolle nur über Kooperation/soziale "Integration" möglich, daher das Sozialbedürfnis übergeordnet.) Auch H.-OSTERKAMP sieht natürlich, daß es sich bei diesem Bedürfnissystem um "zwei eng miteinander zusammenhängende Aspekte" handelt, nämlich: "Teilhabe an gesellschaftlicher Realitätskontrolle durch bewußte Veränderung der Natur zur vorsorgenden Absicherung des Lebens der Gesellungseinheit und Integration in den kooperativen Zusammenhang arbeitsteiliger gesellschaftlicher Beziehungen, über die gesellschaftliche Realitätskontrolle allein möglich ist" (aaO, 22; im Original hervorgehoben), bleibt des weiteren aber bei einer Betonung des ersten "Aspekts", was sich dann insbesondere in ihrer Bezeichnung dieses Bedürfnissystems als "produktive Bedürfnisse" niederschlägt. Demgegenüber legt die Notwendigkeit der Kooperation zur Lebenssicherung und - e r h a l t u n g der menschlichen Gattung wie des einzelnen nahe, daß das Kontrollbedürfnis eine 'Komponente' des Sozial- bzw. Kooperationsbedürfnisses i s t . (s. dazu auch HILDEBRAND-NILS HON 1980). In diesem Sinne beziehe ich mich auf das hier in Rede stehende Bedürfnissystem, das sich auf der Grundlage der biologischen Entwicklungspotenzen des verselbständigten Bedarfs nach Umweltkontrolle und des Bedarfs nach sozialer Eingliederung herausgebildet h a t , mit dem Terminus: "Koo per at ions- und Kontrollbedürfnisse" oder auch: "Sozial- und Kontrollbedürfnisse". Ad 2):

Diesem s t e h t wie auf tierischem, so auf menschlichem Niveau ein zweites Bedürfnissystem gegenüber, das von H.-OSTERKAMP mit dem Terminus der "sinnlich-vitalen Bedürfnisse" umschrieben wird. Es soll sich dabei um Bedürfnisse handeln, in denen sich individuelle Mangel- und Spannungszustände direkt ausdrücken (dto, 23), wobei die Autorin diese noch untergliedert in "organische Bedürfnisse" (Hunger, Durst, Wärme etc.) und "sexuelle Bedürfnisse". Die einfache Zuordnung der sexuellen Bedürfnisse zum physiologisch-organisch-begründeten Bedürfnissystem ist sicherlich nicht unproblemat i s c h , da doch die Dynamik menschlicher Sexualbeziehungen keineswegs lediglich in der Reduktion von Spannungszuständen gegründet i s t . (Zur Kritik der H.-OSTERKAMP'schen Bedürfniskonzeption s.a. GOTTSCHALCH 1979 und UHRIG 1979, beide in FKP 4.) Wenn die Realisation von Sexualkontakten zwar immer auch eine physiologisch-begründete Motivations basis hat, so ist das "sinnlich-vitale" Bedürfnis doch niemals das einzige, auch nicht das wesentliche ' d a h i n t e r s t e h e n d e ' Bedürfnis, werden dabei doch immer gleichzeitig Kooperations- bzw. soziale (und m.E. auch Kontroll-)Bedürfnisse r e a l i s i e r t . Und dies gilt unter "unmenschlichen" kapitalistischen Bedingungen ebenso wie in "menschlichen" Verhältnissen, nur daß es sich im e r s t e r e n Fall s t a t t um

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harmonisch-solidarische um disharmonische, antagonistische, "entfremdete" Kooperations-(Sozial-)Verhältnisse handeln mag. Damit ist auf die grundsätzliche Verbundenheit der beiden Bedürfnissysteme verwiesen, wobei die "sinnlich-vitalen" Bedürfnisse nicht allein deshalb "spezifisch menschlich" sind, weil sie gesellschaftlich geformt, mehr noch über die Produktion von Konsum- und Lebensgütern gesellschaftlich produziert sind (s.a. MARX in MEW 13, 623-625), sondern weil sie gleichzeitig mit und im Rahmen der "Kooperations- und Kontrollbedürfnisse" zum Tragen kommen (was auch für die i.e.S. "organischen Bedürfnisse" gleichermaßen zutrifft). Zum Beispiel befriedige ich mein Nahrungsbedürfnis auf sehr rudimentäre Weise, wenn ich mit einer wichtigen Arbeit beschäftigt bin, mit der ich mich (indem ich damit meinen "individuellen Beitrag zur gesellschaftlichen Realitätskontrolle leiste") in je bestimmte sozial-kooperative Verhältnisse mit anderen setze. Weil also beide Bedürfnissysteme prinzipiell verbunden sind (und der Charakter der Kooperations Verhältnisse wie der Möglichkeiten gesellschaftlicher Realitätskontrolle die Qualität der "sinnlich-vitalen" Bedürfnis- und Befriedigungsformen bestimmt), kann es auch gar nicht sein, daß der Mensch -im Falle ihm "die bewußte Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen v e r w e h r t ist" (H.-OSTERKAMP 1978 2 , 37)- auf "eine lediglich organismische Form von Bedürfnissen und ihrer Befriedigung reduziert" ist (dto, 35). Das heißt, es kann nicht sein, (-auch nicht unter Bedingungen, die die Teilhabe an gesellschaftlicher Realitätskontrolle und harmonisch-kooperativer Integration erschweren bzw. blockieren-), daß der Mensch auf die direkte Aufhebung der "Notdurft" seiner physiologisch-organischen Bedürfnisspannungen bzw. Man gel zustände auf organismischem Niveau "zurückgeworfen" wird; es kann nicht sein, daß die "sinnlich-vitalen Bedürfnisse" ihre "menschliche Q u a l i t ä t " v e r l i e r e n , wie die Autorin (aaO, 35-38) m e i n t . Indem die physiologisch-organisch-begründeten Bedürfnisse nämlich immer im Rahmen von -wenn auch i h r e r s e i t s e t w a in kapitalistischen Verhältnissen der Konkurrenz, Abhängigkeit und Ausgeliefertheit "reduzierten" bzw. "entfremdeten"- Kooperations- und Kontrollbedürfnissen realisiert werden, sind sie auch immer "menschlich", eben je konkret-historisch formationsspezifisch menschlich und je nach Klassenlage, Standort und Sozialform des betreffenden Individuums. "Unmenschlich" kann man real menschliche Bedürfnis- und Befriedigungsformen nur nennen, wenn man zugleich einen Bewertungsmaßstab a n l e g t , explizit ausgehend von der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur 1 , den Entwicklungspotentialitäten des Menschen (s. vorne: Punkt 3.1) und dann dazu antagonistische Entwicklungen als "unmenschlich" etikettiert. Nun s c h a f f t die H.-OSTERKAMP'sche Terminologie noch ein zusätzliches Problem, indem die Umschreibung des zweiten Bedürfnissystems als "sinnlichv i t a l e " Bedürfnisse, nahezulegen scheint, die "gesellschaftsbezogenen" Bedürfnisse des ersten Bedürfnissystems seien nicht sinnlich-vital, was indes f a l s c h ist! Die naturhistorische Herleitung zeigt ja, daß es sich im Falle beider Bedürfnissysteme um gewissermaßen biologisch-"verankerte" Bedürfnisse hand e l t . Und Sinnlichkeit wie Vitalität lassen sich nicht nur auf Gewebedefizite oder physiologische Spannungszustände z u r ü c k f ü h r e n , vielmehr äußern sich gerade (auch) die "Kooperations-(bzw. Sozial-) und Kontrollbedürfnisse" emotional-sinnlich und "vital". Beide Bedürfnissysteme sind an die E m o t i o n a l i t ä t gebunden, wobei aber die im ersten Bedürfnissystem verankerte Emotionalität von eher "tiefergehender" und "grundsätzlicherer" Art ist und das im zweiten

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Bedürfnissystem v e r a n k e r t e Gefühlserleben von eher aktuell-"reizbezogener n und kurzfristigerer Art. (s. Punkt 5.2.1). Bei A u f r e c h t e r h a l t u n g der D i f f e r e n z i e r u n g zweier Bedürfnissysteme beim Menschen unterscheide ich nun also: 1. "Kooperations-(bzw. Sozial-) und Kontrollbedürfnisse 11 und 2. "physiologisch-organisch-begründete Bedürfnisse", wobei ich beide Bedürfnissysteme nicht nur anders als H.-OSTERKAMP bezeichne, sondern auch anders bestimme. Ad 1):

Unter dem Gesichtspunkt der 'natürlichen menschlichen Entwicklungspotentialitäten, der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur' (s. dazu Punkt 3.1) handelt es sich im e r s t e n Bedürfnissystem um Bedürfnisse nach harmonisch-solidarischer Kooperation (bzw. "sozialer Integration") und Bedürfnisse nach Beteiligung an der gesellschaftlichen Realitätskontrolle. Meiner Konzeptualisierung gemäß gilt dabei das Verhältnis, daß die Sozialbedürfnisse quasi 'durch die Kontrollbedürfnisse hindurch' zur Realisierung drängen. (Kooperativität wird über kollektive R e a l i t ä t s k o n t r o l l e e r z i e l t , aber u m g e k e h r t bestimmt die Art der Kooperativität Ausmaß und Niveau der Realitätskontrolle.) Demgemäß sehe ich die Kooperationsbedürfnisse als die 'übergeordneten' an (-etwa wie die sozial-reproduktive 'Sphäre' der produktiven quasi übergeordnet ist-); Kontrollbedürfnisse sind in den Kooperationsbedürfnissen aufgehoben. Die 'natürlich angelegten' (konstruktiven) Kooperations- und Kontrollbestrebungen nun werden wirklich erst im Vergesellschaftungsprozeß der individuellen Subjekte und dabei können sie sich gemäß den gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen und Verhältnissen -je nach historisch-konkreter G e s e l l s c h a f t s f o r mation sowie Klassenlage und Standort eines Individuums- als zur 'Entfaltungslogik' antagonistische, als disharmonische, "entfremdete" Sozialbedürfnisse und als r e d u z i e r t e oder auch überhöhte Kontrollbedürfnisse verwirklichen. Aber auch in antagonistischer, 'entwicklungshinderlicher' Qualität behalten sie ihren Bedürfnischarakter; es handelt sich nach wie vor um Kooperations- und Kontrollbedürfnisse, aber um (dann) historisch wirkliche statt menschlich mögliche. Die A n t r i e b s q u a l i t ä t der spezifisch menschlichen Bedürfnisse nach (harmonischer) Kooperation und kollektiver Kontrolle bleibt immer bestehen, auch wenn diese Bedürfnisse als Resultat individueller Vergesellschaftung antagonistischen Charakter annehmen. Das heißt auch, daß die Entwicklungspotenz im Sinne der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur' erhalten bleibt, wenn auch die Entwickl u n g s p o t e n t i a l i t ä t e n "schlummern" und die Bedürfnisse in ihrer Wirklichkeit eher 'entwicklungshinderlichen' Charakter haben. Anmerkung zur Terminologie: Der Vergesellschaftungsprozeß, in dem die 'natürlichen' Bedürfnisse wirklich werden, vollzieht sich durch die T ä t i g k e i t , weshalb es nicht ganz ungerechtfertigt wäre, bereits von "Motiven" zu sprechen. Da ich mich hier aber noch auf der Ebene sehr allgemeiner Bestimmungen bewege, ziehe ich es vor, auch die zwar schon 'vergesellschafteten', damit in gewisser Weise 'ausgerichteten', aber doch noch als sehr global und unspezifisch zu kennzeichnenden (Entwicklungs-)Bestrebungen oder "Antriebe" als Bedürfnisse zu bezeichnen, um den spezielleren Motivbegriff f ü r deren konkret-faktische Aktivierung und Realisierung in einzelnen Tätigkeiten eines personalen Subjekts vorzubehalten (s.unten).

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In kapitalistischen Verhältnissen der Konkurrenz und der Abhängigkeit wird man häufig als Konkurrenz- und Abhängigkeitsbedürfnisse "verbogene" Kooperations-bzw. Sozialbedürfnisse i d e n t i f i z i e r e n können. Sehr global lassen sich Bedürfnisse nach "Unterkooperativität" (Konkurrieren, Sich gegen andere absichern, Sich von anderen isolieren, nach den eigenen Vorteilen jagen o.ä.) und nach "Uberkooperativität" (Sich abhängig machen, Sich durch andere absichern, Sich an andere "verkaufen" o.ä.) als antagonistische, entwicklungshinderliche Kooperationsbedürfnisse ausmachen. Im Falle der Bedürfnisse nach (gesells c h a f t l i c h e r ) R e a l i t ä t s k o n t r o l l e (Beteiligung an der Vorsorge) wird es sich -analog dazu- um Bedürfnisse nach "Unterkontrolle" oder nach "Überkontrolle" handeln, um " r e d u z i e r t e " oder "überhöhte" Kontrollbedürfnisse. (H.-OSTERKAMP (1976) beschreibt hierbei insbesondere, wie im Kapitalismus e r w e i t e r t e Kontrolle behindert bis verunmöglicht wird.) Wie schon gesagt, konzeptualisiere ich das Kontrollbedürfnis als 'Komponente' des Kooperationsbedürfnisses. Im Falle von zu den 'natürlichen menschlichen Entwicklungsbestrebungen' antagonistischen Bedürfnissen, könnte so etwa ein "reduziertes" Kontrollbedürfnis (z.B. "keinen Bock d a r a u f , individuelle Beiträge zur erweiterten gesellschaftlichen Realitätskontrolle zu leisten, -konkretisiert e t w a im R a u s c h m i t telkonsum, in dem sich das "Unterkontrollbedürfnis" realisieren könnte-) 'Komponente' eines "reduzierten" Kooperationsbedürfnisses (wie: Sich isolieren von anderen bzw. von "der" Gesellschaft) sein. Und auch ein "überhöhtes", d.h. "Überkontrollbedürfnis" (im Sinne einer Kontrolle auch von i r r e l e v a n t e n Lebensbedingungen, -manifestiert beispielsweise in zwanghaftem Verhalten-) wäre als 'Komponente' eines entwicklungshinderlichen Sozialbedürfnisses (etwa: Sich absichern gegen andere) zu sehen. Oder Unterkontrolltendenzen, die 'hinter' sog. "depressiver Hilflosigkeit" stehen, könnten 'Komponente' eines je besonderen Abhängigkeitsbedürfnisses sein. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei aber a n g e m e r k t , daß mit diesen Beispielen keinesfalls "Störungsbilder" (etwa "Drogenabhängigkeit", "Zwang", "Depression" o.ä.) angedeutet werden sollten. Solche a b s t r a k t allgemeinen Störungs- bzw. Symptom-Klassifizierungen -wie sie in der Klinischen Psychologie immer noch gang und gäbe sind- sind nicht n ü t z lich, da es im praktischen psychotherapeutischen bzw. psychosozial-beraterischen Prozeß auf die Analyse der konkreten Problematik eines konkreten "Klienten" a n k o m m t , wobei Etikettierungen zumeist eher hinderlich sind. Analog zu meiner Schwerpunktsetzung auf die sozial-reproduktive 'Sphäre' (s. Kap 3) hebe ich jedenfalls primär nicht auf die Kontroll-, sondern auf die Kooperationsbedürfnisse (eingeschlossen deren antagonistische Formen) ab, und zwar deshalb, weil sich -wie noch genauer ausgeführt wird- die Entwicklung psychischer Beeinträchtigung in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen vollzieht (Persönlichkeitsentwicklung als Reproduktion sozialer Existenzformen). Ad 2):

Was nun das zweite Bedürfnissystem der "physiologisch-organisch-begründeten Bedürfnisse" anbelangt, so zähle ich hierzu nicht lediglich die aus G e w e b e d e f i z i t e n und Mangelerscheinungen (Nahrungs-, Flüssigkeitsmangel, mangelnde Temperaturregulation etc.) und physiologischen Spannungszuständen 'entspringenden' Bedürfnisse, nicht nur 'Defizit-Bedürfnisse', sondern auch Bedürfnisse nach Stimulanz und Genuß, die ebenfalls eine physiologische Grundlage haben, wie etwa Bedürfnisse nach 'Sonnenbaden', Körperbewegung, 78

Z ä r t l i c h k e i t , Streicheln. (Man findet eine Entsprechung auch auf tierischem Niveau.) Während das erste Bedürfnissystem der Reproduktion des individuellen Subjekts als gesellschaftliches (phänomenal: soziales) Wesen zugrundeliegt, ist das z w e i t e System der Reproduktion des Organismus und der menschlichen Arbeitskraft grundgelegt. Demnach hat der Mensch von allem Anfang an zweierlei (miteinander verbundene) 'Seinsweisen1: seine physische Existenz und seine gesellschaftliche Existenz; und zum Überleben müssen beide r e p r o d u z i e r t werden (individuelle und soziale Reproduktion des Subjekts) (vgl. Punkt 5.1). Wie schon erwähnt, sind beide Bedürfnissysteme notwendig miteiannder verbunden, wobei überdies ein Über-Unterordnungsverhältnis besteht, in der Weise, daß die "Sozial- und Kontrollbedürfnisse" den "physiologisch-organisch-begründeten Bedürfnissen" real übergeordnet sind, da letztere überhaupt nur über erstere zur Befriedigung gelangen und "abgesichert" werden können. Das heißt auch, daß sich die individuelle Reproduktion des Subjekts mit dessen sozialer/gesellschaftlicher Reproduktion vollzieht und daß die Q u a l i t ä t bzw. der Charakter der individuellen durch die soziale Reproduktion geprägt ist. Angesichts dieser Verhältnisse läßt sich dann aber berechtigterweise die Frage s t e l l e n , inwieweit die Konzeptualisierung des zweiten Bedürfnissystems der "physiologisch-organisch-begründeten Bedürfnisse" psychologisch überhaupt noch sinnvoll i s t . Dem wäre zu a n t w o r t e n , daß es die mehrfache Bedürfnisbasis menschlichen Handelns zu berücksichtigen gilt, um der Komplexität der dynamisch-motivationalen Grundlage der lebendigen menschlichen Aktivität hinreichend gerecht zu werden. Hinzu k o m m t , daß e r s t die Unterscheidung zweier Bedürfnissysteme (entsprechend zweier Motivarten; s.u.) es möglich macht, unterschiedliche Qualitäten von Emotionalität zu differenzieren.

4.2

Zur Vergegenständlichung der Bedürfniszustände durch die menschliche Tätigkeit: (Tätigkeits-)Motive - Bildung

Beide naturhistorisch herausentwickelten Bedürfnisarten vermögen 'als solche' "keine in eine bestimmte Richtung zielende Tätigkeit hervorzurufen" (LEONTJEW 1977, 26; 1982, 89). Als solches handelt es sich um ungerichtete, unspez i f i s c h e , lediglich ' a b s t r a k t e ' Bedürfniszustände als "innere Bedingung" und "eine der unabdingbaren Voraussetzungen der Tätigkeit" (dto, 25). Das "Innere" aber "wirkt durch das Äußere und verändert sich dabei selbst (dto, 76); nur im Äußeren "vollzieht sich ... der Ubergang von der Möglichkeit in die Wirklichkeit" (ebd). Der "Trieb, sich zu realisieren" (vgl. TOMBERG 1978, in Anlehnung an LENIN, s. Punkt 3.1) konkretisiert, entwickelt und bereichert sich im Äußeren. Und das heißt, daß die konkreten Bedürfnisse der Menschen hervorgebracht werden "durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, in die das Individuum durch seine Tätigkeit einbezogen wird" (LEONTJEW aaO, 73). Unter diesem Gesichtspunkt sind auch schon die oben als antagonistische Konkurrenzund Abhängigkeitsbedürfnisse spezifizierten sozialen Bedürfniszustände konkrete

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Bedürfnisse, wenn ich dabei auch auf sehr aligemeiner Beschreibungsebene verblieb. Nun soll es hier aber -spezifischer- um die Bedürfnisse unter dem Gesichtspunkt gehen, daß sie die k o n k r e t e Tätigkeit eines Subjekts hervorbringen, anregen, veranlassen, (lenken und regulieren). Dies erfordert eine Untersuchung der Prozesse der Vergegenständlichung der 'natürlich angelegten' Bedürfniszus t ä n d e : Eben in der T ä t i g k e i t wird das Bedürfnis vergegenständlicht, wird damit zum konkreten Bedürfnis, zu einem Bedürfnis nach etwas. Und entsprechend v e r l ä u f t dann die "Entwicklung der Bedürfnisse als Entwicklung ihres gegenständlichen Inhalts" (dto 1977, 26). Nur sofern die Bedürfnisse gegenständlich sind, steuern sie die Tätigkeit; ansonsten sind sie psychologisch irrelevant. Die gegenständlichen Bedürfnisse nun identifiziert LEONTJEW als Motive der Tätigkeit: "hinter der Veränderung der Bedürfnisse (verbirgt sich) die Entwicklung des gegenständlichen Inhalts der Bedürfnisse (...), das heißt, die Entwicklung der konkreten Motive der Tätigkeit des Menschen ... Somit verwandelt sich die psychologische Analyse der Bedürfnisse zwangsläufig in die Analyse von Motiven" (dto, 84; Hervorh. S.H.) In Kapitel 3 (Punkt 3.2.2) wurde bereits festgestellt, daß zwischen Gegenständen im engeren Sinne und Gegenständen im w e i t e r e n Sinne unterschieden werden muß und daß der Gegenstand der T ä t i g k e i t als "ihr tatsächliches Motiv" ein materiell-soziales Verhältnis ist, das das Subjekt selbst enthält, ein je konkretes vom Subjekt realisiertes zwischenmenschliches Beziehungsmuster mit gegenständlichem Inhalt (z.B.: "der Beste sein"; s. unten). Daneben wird es andere -nämlich auf das andere Bedürfnissystem zurückgehende- konkrete Bedürfnisse geben, als Resultat der "Begegnung" von (anderen) biologischen Bedürfniszuständen mit Gegenständen i.e.S., die zu deren Befriedigung geeignet sind (z.B. Bedürfnis nach einem Kaffee^ Auf der Grundlage der Differenzierung von Gegenständen im engeren und im weiteren Sinne und der Differenzierung zweier Bedürfnissysteme beim Menschen (s.o.) läßt sich nun auch die LEONTJEW'sche Unterscheidung zweier Motivarten verstehen. Er unterscheidet: 1. sinnbildende Motive (das sind die "eigentlichen" Motive der Tätigkeit; sie veranlassen die T ä t i g k e i t und verleihen dem Handeln einen persönlichen Sinn) und 2. s t i m u l i e r e n d e Motive (sie haben positiv-negativ affektiv-stimulierende, jedoch keine sinnbildende Funktion). Sinnbildende Motive sind nun als Vergegenständlichungen der "Sozial- und Kontrollbedürfnisse" zu fassen und stimulierende Motive zunächst, d.h. in den Anfangsphasen der Ontogenese, als Vergegenständlichungen der "physiologischorganisch-begründeten Bedürfnisse" (s. aber weiter unten). Sinnbildende Motive bilden sich demnach im Vergesellschaftungsprozeß des individuellen Subjekts (durch seine Tätigkeit) in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen, stimulierende primär im Subjekt-'Natur'-Austausch. Und wie im F a l l e der beiden Bedürfnissysteme b e s t e h t ein Uber-Unterordnungsverhältnis zwischen sinnbildenden und stimulierenden Motiven: "Wenn die wegen ihres persönlichen Sinns für den Menschen wichtige Tätigkeit auf eine negative Stimulierung stößt, die ein starkes emotionales Erlebnis hervorruft, dann wird der persönliche Sinn dadurch nicht geändert ..." (LEONTJEW 1977, 88).

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Allerdings ist eine solche hierarchische Beziehung im Anfangsstadium der ontogenetischen Entwicklung (beim kleinen Kind) noch nicht ausgebildet, d.h. die als Vergegenständlichungen der Kooperations- und Kontrollbedürfnisse gebildeten Motive erhalten ihre übergeordnete Stellung im Motivsystem (als "sinnbildende" Motive) e r s t mit der Entwicklung der Persönlichkeit im Vorschulalter. Je konkrete Sozial- und Kontrollbedürfnisse einerseits und stimulierende Bedürfnisse andererseits stehen im Kleinkindalter noch gleichrangig nebeneinander. Bezug zur Persönlichkeit (i.e.S.) haben allein die sinnbildenden Motive, mehr noch: sie sind die wesentliche Dimension ihrer Struktur. Sie sind die "wichtigsten Motive im Leben der Persönlichkeit" (dto, 89); über sie bestimmt sich die dynamische Gerichtetheit und bedeutungsmäßige Konsistenz im Handeln des personalen Subjekts. Die Persönlichkeitsentwicklung ist ja zu konzeptualisieren als Entwicklung der Tätigkeiten und ihrer Motive, —und gemeint sind damit die -als vergegenständlichte Kooperations- und Kontrollbedürfnisse realisierten" sinn bildenden" Motive.

4.2.1 Sinnbildende Motive der Tätigkeit Realisation von sinnbildenden Tätigkeitsmotiven heißt: Realisation b e s t i m m t e r sozial-kooperativer Verhältnisse (=Motive, die das Subjekt mit anderen für sich realisiert). Und über die Realisation bestimmter zwischenmenschlicher Beziehungs-/Kooperationsformen in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen 'etabliert 1 das Subjekt seine soziale Existenzform, seine 'Bewegungsform' im Netz der gesellschaftlichen Beziehungen. Die Realisation von sinnbildenden Motiven dient der -existenznotwendigen!- Reproduktion des personalen Subjekts als soziales Wesen, konstituiert seine Persönlichkeit (s. Kap. 6). Daß nun gerade diese "wichtigsten Motive im Leben der Persönlichkeit" dem Subjekt häufig nicht bewußt, nicht aktuell erkennbar sind, dem Bewußtsein 'verborgen' bleiben und sich "nur indirekt als Emotionen des Wünschens, Wollens, Strebens nach einem Ziel" (LEONTJEW aaO, 89) äußern, verlangt nach einer "Erklärung" (s. unten), zumal da die bewußte Reflexion der eigenen Sozial form ein wichtiger Schritt zur Persönlichkeitsweiterent Wicklung ist und deshalb gerade im psychotherapeutischen Prozeß die Bewußtmachung der "problematischen", d.h. entwicklungshinderlichen "dominierenden Tätigkeitsmotive" einen zentralen Stellenwert einnimmt (vgl. Kap. 6 und 7). Zuförderst möchte ich aber die Bedingungen und Prozesse der (Heraus-)Bildung "sinnbildender" Motive der Tätigkeit zu schildern versuchen, wobei ich mich an die Ausführungen von Irma GLEISS (1980) anlehnen kann. (Wenn nicht anders angegeben, sind im folgenden mit "Motiven" immer die "sinnbildenden" gemeint.) Die Prozesse der Motivbildung lassen sich wohl am leichtesten im Zusammenhang mit den Aneignungstätigkeiten des Kindes im Familiensystem erläutern; hingegen sind sie nicht darauf zu beschränken, da mit dem 'Betreten 1 neuer Tätigkeitsfelder, der Realisation neuer UmweltbeZiehungen immer auch neue Motivbildungen erfolgen (können) und dies wird prinzipiell ein Leben lang 81

geschehen in je unterschiedlichen sozialen 'Netzwerken 1 , in die das Individuum einbezogen ist. Wenn nun die Familie betrachtet wird, so ist die lebendige Tätigkeitsstruktur des familialen Netzwerkes immer Teil'praxis der Praxis des Gemeinwesens (vgl. auch mit Abb. 2 in Punkt 3.4) und andererseits wird das Kind im Familienverband (-das muß keineswegs eine "traditionelle" Familie sein, man mag auch an eine Wohngemeinschaft denken-) immer gleichzeitig objektiv "vorbereitet" auf das "Leben draußen", auf die 'allgemeinere 1 gesellschaftliche P r a xis. Eine besondere Bedingung mag f e r n e r die objektive Abhängigkeit des Kindes von seinen erwachsenen Bezugspersonen d a r s t e l l e n , die schon in den noch unzureichend ausgebildeten Fähigkeiten des Kindes, das noch nicht "auf sich aileine gestellt" leben kann, gegründet ist. Der Struktur nach vergleichbare objektive Abhängigkeiten (d.h. spezifischere als die 'allgemeine' Abhängigkeit des arbeitenden Volkes von den Kapital eignem) gibt es jedoch auch in zahlreichen anderen Zusammenhängen, etwa des noch "unreifen" Jugendlichen von seiner "peer-group", des Angestellten von seinem 'Chef', der E h e f r a u von ihrem Mann, etc.etc.. Unter dem Gesichtspunkt der (fortwährenden) tätigen Auseinandersetzung des Subjekts mit seiner (widerständigen) gegenständlichen Umwelt läßt sich -wie GLEISS (1980, 101) dies t u t - Entwicklung als Prozeß der "Aufgabenlösung" charakterisieren. Aufgaben und Anforderungen sind ständig an das Individuum gestellt und werden gelöst.2) In diesem Prozeß aber "kennzeichnen die Kategorien 'Ziel' und 'Motiv' unterschiedliche Aspekte des widersprüchlichen Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft" (GLEISS aaO, 102). Wie schon in Kapitel 3 angedeutet, läßt sich über die Zielkategorie die (lineare) handlungsmäßige "Aufgabenlösung" bzw. "Anforderungserfüllung" analysieren, wohingegen in bezug auf die Motivkategorie die sozial-kooperative Situation der Aufgabenstellung und -lösung zu erörtern ist. Die "Aufgabenlösung" selbst vollzieht sich wesentlich in Prozessen der Aneignung und Vergegenständlichung (-unter dem Aspekt der Umweltkont r o l l e , —im Subjekt-'Natur'-Austausch) und bekanntermaßen nehmen gerade im Kindesalter die Aneignungstätigkeiten einen e x p l i z i t , d.h. hier o f f e n z u t a g e tretenden, zentralen Stellenwert ein. Diese Tätigkeiten aber vollziehen sich in einer sozialen Situation, in der Weise, daß das Subjekt (das Kind) gleichzeitig mit seinen Aneignungs- und Vergegenständlichungsprozessen auch bestimmte sozial-kooperative Verhältnisse (im Familienverband) r e a l i s i e r t , zwischenmenschliche Beziehungsformen mit seinen Bezugspersonen, die ihm die Aneignung der gegenständlichen Welt vermitteln, eingeht (vgl. die "doppelte Verm i t t e l theit" der menschlichen Tätigkeit; Punkt 3.2.2) und dabei seinen 'Platz', seinen 'Standort' im N e t z der f a m i l i a l e n (und s o z i a l e n / g e s e l l s c h a f t l i c h e n ) Beziehungen erhält. "Die Aneignung der gegenständlichen Welt durch das Kind vollzieht sich ... immer durch die vermittelnde Unterstützung erwachsener Bezugspersonen. In dieser Aneignung erfährt das Kind nicht nur den adäquaten Umgang mit den Gegenständen, sondern auch den für die Situation und die Beziehung zu den Bezugspersonen 'adäquaten' Standort der eigenen Person. Es erfährt beispielsweise nicht nur, wie ein Löffel adäquat zu handhaben ist, sondern auch -und dies im Prozeß der Aneignung des L ö f f e l s - , daß es beispielsweise deshalb geliebt wird, weil es besondere Leistungen vollbringt, daß es alles nicht besonders gut kann, daß es immer die Hilfe der Eltern braucht oder daß der Bruder alles viel besser beherrscht" (GLEISS aaO, 106). So m a c h t das Kind 82

nicht nur Erfahrungen mit den Gegenständen seiner Umwelt, sondern es macht gleichzeitig Erfahrungen mit sich selbst als Subjekt im N e t z der sozialen Beziehungen. "Es stellt dabei beispielsweise fest, daß es hilflos ist, abhängig von der Hilfe Erwachsener, daß es sich diese Hilfe erkämpfen muß, ü b e r f o r dert wird oder in Abhängigkeit gehalten wird" (dto, 113). GLEISS geht es darum, potentiell "pathogene" Aneignungssituationen anzudeut e n . Die gleiche Struktur gilt jedoch auch für den Fall, daß das Kind erfährt, daß es entwicklungsgemäße Fortschritte in seinen "Aufgabenlösungen" m a c h t , aber noch U n t e r s t ü t z u n g benötigt; daß es notwendige Hilfe jederzeit erhält; daß es sich selbst erproben kann; daß es zwar j e t z t noch klein, aber e n t wicklungsfähig ist; daß seine Versuche der Umweltbeherrschung Unterstützung erfahren, o.ä.m. (vgl. dazu auch HOLZKAMP 1979 a,b). Im übrigen ist zu beachten, —wenn hier auch immer die Aneignungsprozesse betont wurden—, daß die sich durch die Tätigkeit (des Kindes) vollziehenden Vergegenständlichungsprozesse, die sich in der erweiterten Umweltbeherrschung (im Subjekt-Natur 1 -Austausch) manifestieren, natürlich e b e n f a l l s sozial vermittelt sind. In Kapitel 3 wurde ja (im Zusammenhang mit einer kritischen Bemerkung zur GALPERIN*schen Interiorisationskonzeption) betont, daß nicht lediglich einseitig die Aneignungsrichtung untersucht werden darf, da das Angeeignete e r s t in der e r n e u t e n Vergegenständlichung wirklich wird. Das heißt auch, daß faktische "Aufgabenlösungen" (von denen in diesem Abschnitt gesprochen wird) nur über erneute Vergegenständlichungen zustande kommen. Wenn vorgängig (in Anlehnung an GLEISS) immer bloß von 'Aneignungstätigkeiten' die Rede war, so sollte damit die Dimension der Auseinandersetzung des Kindes mit seiner gegenständlichen Umwelt zum Ausdruck gebracht, nicht aber von der 'Vergegenständlichungsrichtung' abstrahiert werden. Somit ist der Begriff der 'Aneignungstätigkeit' hier umfassender zu verstehen, nämlich als Tätigkeit der Subjekt-Umwelt('Natur')-Auseinandersetzung, welche Aneignungs-uni Vergegenständlichungsprozesse umfaßt. In den ('Aneignungs'-)Tätigkeiten des Kindes bilden sich dann jedenfalls (»beginnend schon im Vorschulalter-) mit den mit den anderen (z.B. mit den erwachsenen Bezugspersonen) r e a l i s i e r t e n Beziehungs-/Kooperationsformen solche (wie oben genannte) "sinnbildende" Motive der Tätigkeit heraus. Und die ihnen entsprechenden bzw. sie realisierenden spezifischen (sozial-kooperativen) Tätigkeiten (z.B.: sich klein machen, abhängig bleiben, bewundert werden, o.ä.) können des weiteren im Gesamtsystem der Tätigkeiten, indem sie in den je vorherrschenden Beziehungsformen immer wieder r e a l i s i e r t und r e p r o d u z i e r t werden, dann eine dominierende Stellung einnehmen. Damit bilden sich "dominierende Tätigkeitsmotive" aus, die wesentlich die soziale Existenzform des Subjekts, dessen 'Sozialform' bzw. 'Bewegungsform im gesellschaftlichen Lebensprozeß' ausmachen. Es ist anzunehmen, daß sich hierarchische Beziehungen zwischen den verschiedenen sinnbildenden Motiven einstellen können, so daß einige übergeordneten (dominierenden) Stellenwert erhalten. GLEISS spricht diesbezüglich von "personalen Entwicklungsmotiven" und s c h r e i b t dazu: "Entsprechend der gegenständlichen Bestimmung solcher 'personaler Entwicklungsmotive' strukturiert das Individuum in seiner späteren Entwicklung von sich aus die Anforderungss i t u a t i o n e n . Es wird durch die Herausbildung entsprechender Motive darauf festgelegt, über sich selber und seine Beziehung zu den Bezugspersonen oder zur gegenständlichen Wirklichkeit immer nur b e s t i m m t e Erfahrungen zu machen oder umgekehrt bestimmte Erfahrungen über die eigene Person zu 83

vermeiden" (dto, 106). GLEISS vermutet weiterhin, daß sich im Verlaufe der personalen Subjektentwicklung "über die Herausbildung solcher 'personaler Entwicklungsmotive' auch eine biographische Entwicklungslogik herstellen kann" (dto, 114f) und verdeutlicht dies an dem Beispiel, daß ein "Kind i m m e r z u die Erfahrung macht, daß die Eltern es dafür lieben, daß es der Beste ist, daß es die entsprechenden Anforderungen besser b e h e r r s c h t als die gleichaltrigen S p i e l g e f ä h r t e n . Das Kind macht so die Erfahrung, daß sein eigener Wert und seine Bedeutung (seine soziale Existenz; S.H.), die ja über die Beziehung zu ... Bezugspersonen bestimmt werden, darin besteht, keine Fehler zu machen und immer der Beste zu sein. In einer solchen Situation ist das Kind objektiv dazu da, der Beste zu sein ..." (dto, 115). ("Es ist primär nicht dazu da, seine Neigungen und Fähigkeiten allseitig zu erproben und zu entwickeln und eventuell auch solche Aktivitäten zu genießen, die es nicht außergewöhnlich gut beherrscht" (ebd) bzw. sich mit seinen eigenen 'Beiträgen 1 gleichrangig in solidarische Beziehung mit anderen zu setzen.) Ein so herausgebildetes "personales Entwicklungsmotiv" kann "zu einem Determinationsfaktor für die w e i t e r e T ä t i g k e i t s e n t w i c k l u n g und die Ausbildung kognitiver Kompetenzen" (ebd) werden. Wie schon erwähnt, ist die Bildung solcher "personaler Entwicklungsmotive" keineswegs mit der Kindheit abgeschlossen, was dem Umstand entspricht, daß die Persönlichkeitsentwicklung als Entwicklung der Tätigkeiten und ihrer Motive potentiell, -der Möglichkeit nach-, nie abgeschlossen ist (vgl. Kap. 6). Sicherlich aber haben die Kindheit und ferner die Jugendzeit aufgrund der besonderen objektiven Strukturen dieser biographischen Entwicklungsetappen einen her aus ragenden Stellenwert. "Solche Prozesse der Herausbildung dominierender Motive sind ... außer beim Kind (bei ihm bedingt durch seine objektive Abhängigkeit von den Erwachsenen) vor allem auch beim Jugendlichen zu konstatieren; bei ihm angesichts der sich ihm in dieser Lebensphase immer weiter eröffnenden Welt, seiner neuen und erweiterten -über den Familienkreis hinausgehenden- Beziehungen zur Welt (an die in diesem Alter die e r s t e n allgemein-gesellschaftlichen Verpflichtungen geknüpft sind) und seiner damit verbundenen Neuorientierung über die Welt und sich selbst. Im J u g e n d a l t e r bilden sich mit und neben den auf die 'bürgerliche Leistungsgesellschaft' bezogenen Motiven (wie: leistungsstärker als andere sein, höheren 'Status' haben, o.ä.) o f t direkt auf das andere Geschlecht bezogene Motive (wie: ein toller Mann/eine "Superfrau" sein, potenter/attraktiver als andere sein, oder auch: a u f o p f e r n d , h i l f s b e d ü r f t i g oder beschützend, dominierend sein, o.ä.) heraus, die u.U. den Charakter von dominierenden Tätigkeitsmotiven annehmen können" (HASELMANN 19S2, 116). Gebildet werden solche Motive in der konkreten sozialen Praxis der (neuen) Freundeskreise, Cliquen und in den neu ' b e t r e t e n e n ' Tätigkeitsfeldern, indem vom Subjekt entsprechende Beziehungsmuster mit anderen tatsächlich hergestellt (und etwa positiv als " i d e n t i t ä t s " bildend oder -schützend erlebt) werden; des weiteren dann das soziale Bezugsfeld so 'ausgewählf/ausgesucht und strukturiert wird, daß den neu gebildeten Motiven, die nunmehr die Sozialform(en) des jungen Menschen charakterisieren, entsprochen werden kann, also entsprechende BeziehungsVerhältnisse im sozialen Bezugsfeld wirklich realisiert werden (etwa: gemäß den je herrschenden Kriterien als "Superfrau" auftreten, d.h. für die anderen eine solche zu sein und sich selbst so erleben). Natürlich hat jede neue Motivbildung ihre Vorgeschichte in der bisherigen Persönlichkeitsentwicklung des Subjekts, jedoch ihre Wirklichkeit hat sie in den jeweils aktuell r e a l i s i e r t e n materiell-sozialen Verhältnissen (welches Lebensalter das tätige Subjekt auch immer haben mag). 84

Da nun im vorliegenden Zusammenhang der Erörterung der Motive-Bildung schon von "dominierenden Tätigkeitsmotiven" gesprochen wurde, wird hier eine Präzisierung und Eingrenzung dieses Terminus in seinem psychologischen Gehalt erforderlich, um eine Vermengung der spezifischen Bestimmung von Tätigkeiten und ihrer Motive mit deren allgemein-abstrakter Bestimmung, welche sich auf eher soziologischer Abstraktionsebene bewegt, entgegenzuwirken. In "Probleme der Entwicklung des Psychischen" führte LEONTJEW (1973) das Konzept der "dominierenden T ä t i g k e i t " ein, wobei er aber (vorrangig, -wenn auch inkonsistent und uneindeutig) die "dominierende Tätigkeit" entlang den (je gesellschaftlich-historischen) ontogenetischen Entwicklungsschritten allgemein-abnstrakt als etwa Spiel-, später Lerntätigkeit des Vorschul-, später Schulkindes charakterisierte. Entsprechend erfolgte in diesem Text eine allg e m e i n - a b s t r a k t e Kennzeichnung der Motive als (mehr/oder weniger spezifizierte) Spielmotive oder Lernmotive, die die Tätigkeit des Kindes veranlassen (vgl. dto: 398-435). Ähnlich bleibt beispielsweise ELKONIN (1980), der nach dem Spezifikum der Motive der Spieltätigkeit fragt, auf der Ebene a b s t r a k t allgemeiner Bestimmungen, wenn er als Hauptmotiv des Spielens (-den zentralen Gegenstand der Spieltätigkeit-) das "Handeln wie Erwachsene" (221) hypos t a s i e r t . Demgegenüber ist in vorliegendem und vorgenanntem Zusammenhang nicht von zwar historisch-konkreten, aber a l l g e m e i n - a b s t r a k t bestimmbaren Tätigkeiten, Tätigkeitsformen oder -kategorien gemäß der allgemeinen Abgrenzung verschiedener Tätigkeitsfelder (des Spielens oder Lernens; des Lehrens oder Erziehens etc.) die Rede, sondern immer von den spezifischen, kooperative zwischenmenschliche Muster r e a l i s i e r e n d e n , Tätigkeiten je b e s t i m m t e r personaler Subjekte. Das heißt: Im Blickpunkt steht hier nicht die Kategorie der Tätigkeit, die sich als je bestimmte (historisch-konkrete) gegenständliche und soziale Aufgaben- und Anforderungsstruktur und nach verschiedenen soziographischen Merkmalen beschreiben läßt (wie: Hausfrauen-, M u t t e r - , L e h r e r - , sonstige B e r u f s t ä t i g k e i t , o.ä.), sondern im Blickpunkt s t e h t die "Art und Weise" bzw. die besondere Form, in der ein bestimmtes Kind die Spiel- oder L e r n t ä t i g k e i t oder eine bestimmte erwachsene Person etwa die Unterrichtsoder Erzieher- etc. Tätigkeit realisiert; eben das kooperative Muster, in dem sich ein bestimmtes personales Subjekt in den sozialen Verhältnissen mit seinen Mitmenschen in Beziehung setzt. Erst bei der Betrachtung der spezifischen Tätigkeiten als Realisationen bestimmter sozial-kooperativer Verhältnisse für das Subjekt selbst, die im Vollzug der je realisierten allgemeinen 'übergeordneten 1 (Spiel-, Lern-, M u t t e r - , Lehrer-o.a.) Tätigkeit hergestellt (und bed ürfn is mäßig angestrebt) werden, bewegt man sich auf 'psychologischer Analyseebene'. Wesentlich hierbei ist die Personspezifität der dominanten Tätigkeitsmotive und ferner, daß sie als solche personspezifischen dominierenden Motive o f t in ganz unterschiedlichen allgemein abgrenzbaren Tätigkeitsfeldern vom personalen Subjekt immer wieder hergestellt, reproduziert werden. "Dominierend" sind sie ja deshalb, weil sie immer wieder -auch in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern bzw. "im Rahmen" der Realisation verschiedener allgemein-abstrakt bestimmbarer Tätigkeiten- reproduziert werden. Sicherlich ist in jeder psychologischen Betrachtung immer auch der f ü r die spezifischen kapitalistischen Verhältnisse historisch-konkret bestimmbare Charakter der jeweiligen 'übergeordneten' Tätigkeit zu berücksichtigen (man stelle sich etwa vor, daß es um die Probleme einer berufstätigen Mutter geht), da hierüber etwa gesellschaftlich-strukturelle Widersprüche und Konfliktpotentiale, die sich ja auch im personalen Subjekt widerspiegeln, ins Blickfeld rücken. Jedoch ist aus person-psychologischem Blickwinkel i.e.S. nicht so 85

sehr die (abstrakt-allgemeine) Kennzeichnung und Beschreibung einer Tätigkeit als etwa Schriftsteller-, Lehrer-, Mutter-, Schüler- o.ä. Tätigkeit (oder eines T ä t i g k e i t s f e l d e s als Romane schreiben, Kinder unterrichten oder großziehen, lernen bzw. Wissen/Fähigkeiten aneignen/vergegenständlichen) unter den besonderen kapitalistischen Bedingungen von Interesse, sondern die Tätigkeit als Realisation ganz bestimmter sozial-kooperativer zwischenmenschlicher Beziehungsmuster, die für das Subjekt persönlich existentiell bedeutsam sind. Der in der Tat existentielle Charakter dominierender Motive-Realisation und -Reproduktion, der sich daran festmacht, daß sich über jeweilige (dominierend realisierte) "sinnbildende" Motive (wie z.B.: in je bestimmten Handlungsfeldern 'der Beste sein', s t ä r k e r als andere sein; keine Bindung eingehen; unverantwortlich, hilfsbedürftig, klein, abhängig bleiben; besser als andere wegkommen; f ü r einen anderen 'wichtig' sein, etc. etc.; oder auch: sich mit den eigenen 'Beiträgen' einbringen, autonom-solidarisch, unterstützend, hilfreich sein, o.ä.) für das Subjekt der eigene Wert als Person, die eigene Bedeutung im Leben bestimmt, läßt sich mit Blick auf die 'natürliche' Bedürfnisgrundlage v e r s t e hen. Die Sozial- und Kontrollbedürfnisse, die die dynamische Grundlage der existenznotwendigen Reproduktion des individuellen Subjekts als soziales (ges e l l s c h a f t l i c h e s ) Wesen bilden, 'finden' ihre Gegenstände als bestimmte materiell-soziale Verhältnisse in den (vorherrschenden) sozial-kooperativen Beziehungsformen, die das Subjekt (das Kind) mit seinen -in das jeweilige System sozialer Beziehungen eingebundenen- Tätigkeiten mit anderen Menschen realis i e r t . Und dabei 'etabliert' das Subjekt -über die Realisation jeweiliger sinnbildender Motive als vergegenständlichte Sozial- und Kontrollbedürfnisse- seine soziale E x i s t e n z f o r m . Natürlich werden viele verschiedene Tätigkeiten realisiert und entsprechend verschiedene sinnbildende Motive gebildet, wovon jedoch b e s t i m m t e - i m m e r wieder realisierte und reproduzierte- den Charakter "personaler Entwicklungsmotive" bzw. "dominierender Tätigkeitsmotive" annehmen können, indem sie einen 'übergeordneten' Stellenwert in der "Motive-Hierarchie" erhalten. Das menschliche Individuum muß sich jedenfalls existenznotwendig als soziales Wesen reproduzieren, wobei es dann (-wie a u s g e f ü h r t - ) über e n t s p r e c h e n d e Motive-Realisationen in den Tätigkeiten zum Aufbau einer besonderen -wenn auch möglicherweise "problematischen"- Sozialform kommt. Die f a k t i s c h e Existenznotwendigkeit der sozialen Reproduktion des menschlichen Individuums wird sehr krass durch die Beobachtungen belegt, die Rene SPITZ (1946) bei Heimkindern machte, die als Kleinkinder (ab dem 6. Lebensmonat) in e x t r e m e r sozialer Isolation aufwuchsen, damit von der Möglichkeit abgeschnitten waren, -über die Realisation mitmenschlicher Beziehungsformenüberhaupt eine soziale Existenzform) zu etablieren. Sie lagen tagein, tagaus in ihren Betten, hatten nichts als weiße Laken zum Anschauen und der "Sozialk o n t a k t " beschränkte sich auf das Flasche-Hins trecken und die Reinigungsprozeduren des Pflegepersonals. Unter solchen Bedingungen der sozialen Isolation (wie auch der Isolation von den modal-verfügbaren Bedingungen und Möglichkeiten der Aneignung der gegenständlichen Welt) s t a r b e n -wohlgemerkt bei ausreichender physischer Versorgung!- etwa 40% der Waisenkinder innerhalb der ersten drei Lebensjahre, also noch bevor sie eine besondere Persönlichkeitsstruktur überhaupt ausbilden konnten; und die übrigen verblieben in quasi lebensunfähigem, stuporösem Zustand.

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Die Tragik dieser Kinder bestand nicht in der Entwicklung "psychischer Störungen", vielmehr sind sie überhaupt nicht zu einer (beeinträchtigten) Persönlichkeitsentwicklung gekommen, da die hierfür notwendige soziale Reproduktionsbasis fehlte. Die SPITZ'schen Beobachtungen machen deutlich, daß die "Befriedigung" der Sozial- und Kontrollbedürfnisse ebenso lebensnotwendig ist wie die der organischen Bedürfnisse i.e.S (und dies schon im Kleinkindalter, in dem ja beide Bedürfnissysteme noch gleichrangig nebeneinander stehen, während sie später überdies in ein Verhältnis der Uber-Unterordnung t r e t e n ) . Sofern für die Bedürfnisse in der gegenständlichen und sozialen Umwelt gar keine Gegenstände im engeren und/oder weiteren Sinne verfügbar sind, verfällt der Mensch regelrecht. Für den (eher 'üblichen') Fall weniger e x t r e m - d e p r i v a t i v e r Entwicklungsbedingungen nun, wenn also eine Persönlichkeitsentwicklung zumindest möglich wird, verweist die genannte T a t s a c h e j e d e n f a l l s auf den z e n t r a l e n S t e l l e n w e r t , den die -über dominierend realisierte Tätigkeitsmotive ausgebild e t e ^ ) - Sozialform(en) im Leben des Subjekts hat(haben), auf deren per son alexistentielle Bedeutsamkeit. Also gilt es, die lebenswichtige Existentialität der jeweiligen Sozialform, die existentielle Notwendigkeit ihrer Reproduktion (Erhaltung und Entwicklung/Veränderung) zu begreifen: die Bildung eines zentralen dominierenden Tätigkeitsmotivs, das dann (in je konkretem Lebensbereich/Tätigkeitsfeld) die dynamische Grundlage des Handelns ausmacht und über das (im jeweiligen Lebensbereich/Tätigkeitsfeld) die Sozialform inhaltlich charakterisiert ist, ist nicht vergleichbar mit "bloßen" Lern Vorgängen/ Anpassungsprozessen im Interesse von Belohnungs-Erhalt oder Bestrafungs-Vermeidung (erst extern, später u.U. i n t e r n a l i s i e r t ) . Mit Begriffen/Konzepten wie "Angst vor Bestrafung" oder "Angst vor Ablehnung durch 'significant others'" o.ä. (wie sie in kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen nahegelegt würden), ist die existentielle Verankerung eines personalen "Leitthemas" nur unzureichend beschrieben, die persönliche P r o b l e m a t i k überhaupt nur a b s t r a k t g e f a ß t ! Eine Person, die immer "die Beste" sein oder sich aufopfern "muß", oder die Situationen der kompetenten Verantwortungsübernahme oder des Leistungsversagens vermeiden "muß", o.ä., tut dies nicht lediglich aus Furcht vor Bestrafung, Ablehnung durch andere o.ä.; sondern sehr viel grundlegender ist dies die je besondere Form, in der das Subjekt als soziales Wesen "existiert", soll heißen: lebt, sich bewegt, sich erhält und entwickelt/verändert. Was die in diesem Punkt besprochene Herausbildung sinnbildender T ä t i g k e i t s motive anbelangt, muß nun noch ein w e i t e r e r Aspekt erwogen werden. Er bezieht sich auf das Einander-Entwickeln der menschlichen Subjekte in gemeinsam realisierten Verkehrs-/Beziehungsformen. Zur sozialen Vermittlungssituation —Miteinander Beziehungsformen realisieren Die Ausbildung sinnbildender Motive der Tätigkeit und entsprechender (bzw. konträrer) (u.U. dominierender) konkreter Bedürfnisse wurde bislang bezugnehmend auf das -soziale Beziehungsstrukturen realisierende- personale Subjekt (das Kind, das sich v e r g e s e l l s c h a f t e n d e Individuum) beschrieben. Und die "Pathogenität" wurde hierbei vor allem am gegenständlichen Inhalt jeweiliger Motive der Tätigkeit festgemacht. Nun gälte es aber auch, die Vermittlungssituation in Augenschein zu nehmen, das heißt zum Beispiel die in die soziale Situation einbezogenen anderen 87

Personen, etwa die Bezugspersonen oder Beziehungs-/Kooperations-partner, die an der Realisation bestimmter sozialer Verhältnisse durch das personale Subjekt mitwirken und die "Aufgaben" bzw. "Anforderungen" an das je im Blickpunkt stehende personale Subjekt herantragen. Gemäß der Gesetzmäßigkeit des Einander-Entwickelns dürfen die je beteiligten anderen Personen nie völlig aus dem Blickfeld geraten, d.h. es ist im Hinblick auf die Ausbildung der Tätigk e i t s m o t i v e und Bedürfnisse des Individuums immer zu bedenken, daß wenigstens zwei Personen, die beide aneinander Aufgaben bzw. Anforderungen herantragen, miteinander eine Beziehungsform realisieren. Wiederum bezogen auf die Aneignungstätigkeiten des Kindes stellen "sich" also e t w a - w i e schon e r w ä h n t - die zu lösenden Aufgaben, die zu bewältigenden Anforderungen vermittelt hauptsächlich über die erwachsenen Bezugspersonen (die Eltern), welche i h r e r s e i t s (-zwecks Reproduktion ihrer eigenen sozialen Existenzform-) ein persönliches "Interesse" an der Herstellung b e s t i m m t e r sozial-kooperativer Verhältnisse haben werden. Als Persönlichkeiten sind sie einbezogen mit ihren eigenen Strebungen und Leidenschaften. Für das weiter oben genannte GLEISS-Beispiel wäre etwa anzunehmen, daß die Eltern für sich wollen, daß ihr Kind "das Beste" i s t , daß sie selbst in ihrem Handeln von entsprechenden Motiven geleitet sind. Und die Krux dabei ist, daß sie sich selbst dessen keineswegs bewußt sein müssen. L e t z t e r e s impliziert, daß sie also mit dem Kind eine ihren eigenen konkreten Bedürfnissen entsprechende soziale Beziehungsform realisieren und e n t s p r e c h e n d e "Anforderungen" an es v e r m i t t e l n , ohne aber dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich direkt damit auseinanderzusetzen. Entsprechende "Wünsche" der Eltern können nämlich von ihnen dann nicht als persönliche (Lebens-)Interessen expliziert werden, wenn sie sich selbst des Gegenstandes, des " t a t s ä c h l i c h e n " Motivs ihres eigenen -auf das Kind bezogenen- Handelns nicht bewußt sind, wenn sie also ihre eigene Sozialform als solche nicht ref l e k t i e r e n (-daß sie beispielsweise ihre eigene "Besonderheit" gegenüber anderen oder die eigene Familie als "Superfamilie" beweisen müssen o.ä.-). Bewußt ist ihnen dann u.U. nur ihre an die Leistungen des Kindes geknüpfte Emotionalität. Geleitet durch die eigenen Motive der Tätigkeit werden so etwa Lei stun gsansprüche an das Kind gestellt, ohne diese in ihrer Konkretheit und damit auch als persönliche (und gesellschaftliche) f Existenz(erhaltungs)int er essen' zu e x p l i z i e r e n . Solche Ansprüche werden dann (statt dessen) als "allgemeingültige Selbstverständlichkeiten", als "ewige Wahrheiten" oder als "vermeintliche Sachnotwendigkeiten" hingestellt (GLEISS aaO, 118). Dabei werden die an die Realisation einer Beziehungsstruktur geknüpften "Forderungen" nicht e x p l i z i t als solche gestellt (-wird damit auch die angestrebte Beziehungsform nicht offengelegt-), sondern die jeweiligen "Forderungen" werden indirekt und verwoben v e r m i t t e l t , "für das oben genannte Beispiel etwa darüber, daß die Entwicklungsschritte des Kindes mit denen anderer Kinder oder Geschwister verglichen werden, daß in den Handlungen und Handlungsergebnissen nicht die erreichte Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Kindes und so auch der e n t s p r e c h e n d e konkrete Nutzen betont wird, sondern allein deren Bewertung und Beurteilung" (dto, ebd). In einer solchen Konstellation kann sich das Kind (oder der Erwachsene in einem anderen sozialen Netzwerk, etwa im Betrieb, am Arbeitsplatz...) mit den entsprechenden (nicht konkret als solche expliziert e n ) "Forderungen" nicht direkt auseinandersetzen, sich deshalb auch kaum dagegen zur Wehr setzen und die an es (ihn) 'herangetragene 1 Beziehungsform, in der es (er) sich dann bewegt, das von ihm dann als Motiv realisierte soz i a l - k o o p e r a t i v e Verhältnis, bleibt ihm als solches unbewußt.^) So 'etabliert' 88

das einzelne Subjekt eine bestimmte soziale Existenzform; und je bestimmte soziale Beziehungsstrukturen verwirklichen sich quasi 'hinter dem Rücken aller Beteiligten', ohne deren bewußte Intention. Entsprechend ist in solchen Fällen dem Subjekt auch keine bewußte a d ä q u a t e Orientierung im Netz der sozialen Beziehungen möglich. Die -zur Realisation und Reproduktion der eigenen Sozialform notwendigeO r i e n t i e r u n g e r f o l g t zumeist sinnlich-signalisch, emotional; wie ja auch umgekehrt die "Forderungen" an das Subjekt vorwiegend signalisch auf der Ebene der Kooperationsprozesse i.e.S. (s. Punkt 3.3 und Abbildung 1) vermittelt, 'auf Beziehungsebene' "analog kommuniziert" (vgl. BATESON 1981) werden. Es ist e r s t noch eine empirische Aufgabe, die hier genannten sozialen Vermittlungsprozesse in der Herausbildung sinnbildender Motive der Tätigkeit, die genaueren Prozesse des "Einander-Entwickelns" in den Griff zu kriegen. Eine solche empirische Untersuchung hätte jedenfalls das in Punkt 3.3 geschilderte 'Grundmodell der Analyse von Subjekt Verhältnissen' beziehungsweise -darüber hinausgehend- das um die innere Struktur der Tätigkeit erweiterte Modell der S u b j e k t v e r h ä l t n i s s e zugrundezulegen (s. dazu in Kapitel 5 Punkt 5.1 und Abbildung 4: das Schema zur "Ebenenstruktur der sozialen Interaktion"). Vore r s t konnte ich hier nur die allgemeinsten Merkmale solcher Aneignungs- und sozialer Vermittlungssituationen andeuten. Soviel ist j e d e n f a l l s klar, daß sich in Konstellationen, wie sie oben umrissen wurden, das personale Subjekt in seiner Bewegungsform im Netz der sozialen Beziehungen zwecks Reproduktion seiner sozialen Existenzform nicht bewußt, sondern sinnlich-signalisch orientiert; d.h. auch daß sich ihm die sinnbildenden Motive seiner Tätigkeit (und die entsprechenden konkreten, u.U. dominierenden Bedürfnisse) subjektiv "nur indirekt, als Emotionen des Wünschens, Wollens, Strebens nach einem Ziel" (LEONTJEW 1977, 89) äußern. Solche "unmittelbaren Erlebnisse haben auch die Funktion innerer Signale, mit deren Hilfe die sich vollziehenden Prozesse geregelt werden" (ebd), aber: "Das diese inneren Signale auslösende Motiv ist nicht in den Signalen selbst enthalten" (ebd). Was also dem Subjekt i.a. nicht leicht ins Bewußtsein rückt, ist die Erkenntnis des Motivs, das seine Umweltbeziehungen lenkt, seine Tätigkeiten anregt und ihn zu je entsprechenden Zielsetzungen veranlaßt. Demgegenüber sind die Ziele und die ihnen entsprechenden Handlungen notwendigerweise bewußt, - ist doch eben auch die bewußte psychische Widerspiegelung hervorstechendes Kennzeichen des Menschen. Das Motiv jedoch, "dank dessen die Ziele g e s t e l l t und e r r e i c h t werden" (dto, ebd) tritt zumeist nicht ins Bewußtsein. "Zwar fällt es uns nicht schwer, einen Grund für unser Handeln zu nennen, doch die Gründe sind keineswegs immer ein Hinweis auf das wirkliche Motiv der Handlung" (dto, 87), d.h. die Begründungen oder R e c h t f e r t i g u n g e n , die wir für unser Handeln angeben, die 'Rechenschaften', die wir darüber 'ablegen', geben i.d.R. keine Auskunft über die wirklichen Motive, die unser Handeln leiten und mit deren Realisation wir unsere Sozialform realisieren und reproduzieren. Die real wirksamen Motive der Tätigkeit sind allerdings, -wennzwar i.d.R. nicht bewußt-, so doch andererseits auch nie völlig unbewußt. Sie sind in den bewußten Prozessen verankert, haben ihre 'Anker' im bewußten Handeln, in b e s t i m m t e n Zeichen/Symbolen, Begriffen, in bestimmten Handlungssequenzen oder bestimmten anderen Personen (vgl. dazu Kap. 5, Punkt 5.4). Uber diese bewußten Anker und die Widerspiegelung seiner Handlungsausführungen hat das Subjekt also sehr wohl immer auch ein Wissen um Erscheinungen und Zusam89

menhänge, die mit seiner besonderen Sozialform, seiner Persönlichkeit, zusammenhängen. Wesentlich aber ist, daß es sich b e s t i m m t e r sozial-kooperativer Verhältnisse, die es praktisch-sinnlich realisiert, i.d.R. nicht als Motive seiner Tätigkeiten bewußt ist, somit auch die t a t s ä c h l i c h e Relevanz bestimmter bewußt erfaßter Erscheinungen oder Zusammenhänge (die es bei sich selbst in der Beziehung mit anderen feststellt) übersieht oder unterschätzt. "In der Regel" nicht bewußt, —das soll heißen, daß es nicht gerade "üblich" ist, daß wir uns unserer wirklichen sinnbildenden Tätigkeitsmotive bewußt sind, daß dies aber kein alle umgreifendes bzw. kein allumfassendes Phänomen oder gar 'Schicksal 1 i s t . In einem unbeeinträchtigten Entwicklungsverlauf ist das Bewußtwerden der Motive, die teilweise 'Erhebung' von Motiven zu Zielen (bzw. Oberzielen) des Handelns, die Herausbildung neuer Tätigkeiten und damit neuer Motive (darüber hinaus auch die Umstrukturierung der Motive im Motivsystem) ein kontinuierlicher wie auch diskontinuierlicher, jedenfalls aber beständig andauernder Prozeß, der mit den stets e r w e i t e r t e n Beziehungen und der immer umfänglicheren Beherrschung von Mitteln zur Umweltkontrolle im Verlaufe des Lebens, von der Kindheit über das Jugendalter bis zum Erwachs e n e n a l t e r und im Verlaufe des Erwachsenenlebens bis zum Tode, einhergeht. (Zur Persönlichkeitsentwicklung s. Kapitel 6). Völlig u n b e e i n t r ä c h t i g t e Entwicklungsverläufe sind allerdings selten... Gemäß LEONTJEW stellt sich für ganz kleine Kinder die Aufgabe des Bewußtwerdens der Motive noch nicht. In der Tat sind hier die für diesen Bewußtwerdungsprozeß erforderlichen Reflexionsmöglichkeiten (s. dazu Kap. 6) noch nicht gegeben. Andererseits aber wäre es für die Ermöglichung einer frühzeitigen Bewußtheit der z e n t r a l e n Motive eine große 'Hilfe', wenn e t w a die erwachsenen Bezugspersonen die im Famiiienverband mit dem Kind realisierten Beziehungsstrukturen diesem offenlegen würden. Dies stößt indes auf Grenzen, zumal sich die Erwachsenen zumeist gerade der zentralen Motive ihrer Tätigkeiten, welche wesentlich ihre Sozialform bestimmen, doch eben nicht solchermaßen bewußt sind. Allgemein gilt: "Das sich Bewußtwerden über Motive setzt einen bestimmten Grad der Persönlichkeitsentwicklung voraus und f o r m t sich während der Persönlichkeitsentwicklung ständig weiter" (dto, 1977, 89; 1982, 195). Aber das Ausmaß der Bewußtwerdung ist doch sehr verschieden und man sieht sich in unserer historischen Epoche der Tatsache gegenüber, daß es eher die Regel ist, daß uns unsere wesentlichen Tätigkeitsmotive verborgen bleiben. Um nun das Problem der Nicht-Bewußtheit der Motive der Tätigkeit (-während doch offensichtlich menschliches Handeln auf bewußte Ziele gerichtet ist-) zu erhellen, muß ich e t w a s w e i t e r ausholen, denn dieser Umstand geht ganz allgemein darauf zurück, daß "der g e n e t i s c h e Ursprung der menschlichen Tätigkeit (...) die Nichtübereinstimmung von Motiven und Zielen (ist)" (dto, 1977, 87), hängt also mit der Entstehung von Handlungen auf spezifisch menschlichem Entwicklungsniveau und darüber hinaus mit den weiteren gesellschaftlich-historischen Entwicklungen zusammen. Exkurs

zur Frage der Nicht-Bewußtheit der sinnbildenden Motive der Tätigkeit; Sinn und Bedeutung

Die Herausdifferenzierung von Handlungen mit einem eigenständigen und bewußten Ziel sowie das Verhältnis von Motiv und Ziel auf menschlichem Entwicklungsniveau versucht LEONTJEW (1973, 203ff) anhand der Kooperation 90

von Jägern und Treibern in der Urgesellschaft zu veranschaulichen: Die Handlungen der Treiber sind hier darauf gerichtet (Ziel), das Wild von sich weg in eine bestimmte Richtung (nämlich den im Hinterhalt lauernden Jägern zu-) zu treiben. Demnach haben Handlungsziel und Tätigkeitsmotiv (-Jagdbeute-) eine unterschiedliche Richtung. Das Wesentliche andererseits ist, daß die Verbindung von Ziel und Motiv auf der Grundlage des Verhältnisses zwischen Jägern und Treibern geschieht, somit ein g e s e l l s c h a f t l i c h e s Verhältnis widerspiegelt. Was das unmittelbare individuelle Handlungsergebnis mit dem endgültigen Gesamtresultat v e r b i n d e t , "ist o f f e n s i c h t l i c h nichts anderes als das Verhältnis des Individuums zu anderen Kollektivmitgliedern, von denen es seinen Teil des Produkts der gemeinsamen Arbeit e r h ä l t . Dieses Verhältnis wird in der Tätigkeit mit anderen Menschen realisiert. Die Tätigkeit der anderen Menschen bildet demnach die o b j e k t i v e Grundlage der spezifischen T ä t i g k e i t s s t r u k t u r des menschlichen Individuums. ..." (LEONTJEW 1973, 205). Davon ausgehend kann dann auch die Motive-Charakterisierung nicht aliein auf den Aspekt der individuellen physischen Existenz Sicherung im u n m i t t e l b a r e n S u b j e k t - N a t u r - A us tausch reduziert werden; vielmehr muß auch etwa das Bedürfnis nach Nahrung (Jagdbeute) als kollektives Bedürfnis verstanden werden; der Hunger ist sozial-organisierter Hunger (vgl. HILDEBRAND-NILS HON 1980, 171ff). Zum Zwecke seiner existenz-notwendigen s o z i a l e n / g e s e l l s c h a f t l i c h e n Reproduktion ist der einzelne menschliche Jagdteilnehmer primär von einem 'sozialen* Motiv geleitet, das sich auf die Kooperation von Jägern und Treibern b e z i e h t . Kennzeichnend für solche Motive ist ihr Subjekt-Subjekt-Verhältnischarakter; es sind Verhältnisformen zwischen kooperierenden Menschen, die von den Beteiligten realisiert und angestrebt werden (vgl. vorne). So kommt es dem Treiber zentral darauf an, sich in ein bestimmtes Kooperationsverhältnis zu den anderen Jagdteilnehmern zu setzen (etwa: sich selbst in seiner je besonderen Funktion als nützlichen Jagdteilnehmern einzubringen), um so seine gesellschaftliche Existenz(form) zu sichern und darüber schließlich auch -über die Umverteilung, Distribution- seinen Anteil an der Jagdbeute zu erhalten. Die Motiv-Ziel-Differenzierung auf menschlichem Entwicklungsniveau (Motive und Ziele sind nicht identisch, Handlungen d i f f e r e n z i e r e n sich heraus) und deren Verhältnis zueinander ist auf dem Hintergrund dieser Motive-Charakterisierung zu sehen. Das Handlungsziel eines Treibers nun (Wild von sich weg und vor sich her in die Richtung der Jäger treiben) muß bewußt sein als individuelles Zwischenziel zur Erreichung des kollektiven Gesamtresultats (Erlegen des Wildes), das antizipiert wird. Und der gewußte objektive Zusammenhang zwischen aktuellem individuellen Handlungsresultat und endgültigem kollektiven Handlungsresultat, verleiht der individuellen Handlung des Treibers einen "bewußten Sinn" (vgl. LEONTJEW 1973, 207). Dieser Sinn besteht für ihn aber nur als kollektives Subjekt; denn nur auf der Grundlage der Kooperation von Jägern und Treibern macht das Weg-Jagen des Wildes für den Treiber einen Sinn. Und eben in diesem (Sinn-)Zusammenhang bilden sich die "sinnbildenden" Motive der Tätigkeit heraus. Emotional findet diese Sinnbildung ihren Ausdruck in Erlebnissen der Freude und Begeisterung oder auch Enttäuschung e t c . im Zusammenhang mit der J a g d , —je nachdem, wie gut es dem einzelnen gelingt, die kooperative Struktur zu realisieren. Der Sinn-Zusammenhang entsteht also aus dem kooperativen Miteinander-Tätigsein und die individuellen zielbewußten Handlungen sind in diesen Zusammenhang in der Weise eingebunden, daß durch sie die jeweilige 91

kooperative Struktur realisiert wird, —wiewohl sie 'für sich betrachtet* anders ausgerichtet sind und nicht direkt darauf verweisen. Soweit ist die Nichtidentität und der unterschiedliche Charakter von (sinnbildenden) Motiven und Zielen der menschlichen Aktivität, damit die Differenzierung von übergeordneten Tätigkeiten und den sie realisierenden Handlungen (vgl. mit Kap. 5) erhellt, noch nicht jedoch das Thema der Unbewußtheit der Motive angegangen. Zur Erläuterung spezifisch menschlicher Verhältnisse und Konstellationen wird immer wieder gerne die leicht überschaubare Urgesellschaft herangezogen. Dem entgegen s t e h t die Kompliziertheit und weitgehende Undurchschaubarkeit unserer heutigen (westlichen) Welt. Es ist anzunehmen, daß sich die l e i c h t e Uberschaubarkeit der U r g e s e l l s c h a f t nicht nur f ü r Analysezwecke eignet, sondern daß sie tatsächlich für die beteiligten Menschen leichter durchschaubar war. Der "bewußte Sinn" der individuellen Handlungen war ein allgemeiner (allen gemeinsamer) Sinn, ein von allen Mitgliedern der G e m e i n s c h a f t , im engeren j e d e n f a l l s von den direkten Kooperationspartnern geteilter Sinn. Die Kooperativität trat offen zutage, war regelrecht anschaulich wahrnehmbar. Zum Zwecke der allgemein (der G e m e i n s c h a f t ) und individuellen (des Einzelnen) Lebenssicherung brachte jeder seinen ihm möglichen konkreten Beitrag ein und jeder erhielt dafür seinen konkreten Anteil am Gesamtprodukt. Im Bereich der unmittelbaren Produktion konnte sich so das Individuum (von vorneherein) als kollektives Subjekt wahrnehmen/erleben. Die Bewußtseinsstruktur ist stets in seiner Abhängigkeit von der Daseins weise der Menschen zu b e t r a c h t e n . Und die Lebensweise wandelt sich mit dem Wandel der Art der Produktionsbeziehungen zwischen den Menschen. Von den Besonderheiten dieser Beziehungen werden auch die Eigenarten der menschlichen Psyche bestimmt. In der U r g e s e l l s c h a f t stehen die Menschen im gleichen Verhältnis zu den Produktionsbedingungen und zu den Produktionsmitteln und sie stehen im gleichen Verhältnis zueinander. Es gibt nur Gemeineigentum und zunächst nur flexible (nicht fixe) Funktions- und Arbeitsteilungen. Aufgrund dieser Verhältnisse decken sich subjektiver Sinn und allgemeine Bedeutung der individuellen Tätigkeiten, wohingegen man diese Ubereinstimmung in der kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr finden wird. Der objektive Sinn und die allgemeine Bedeutung der Tätigkeit des Treibers in der kollektiven Jagd besteht in der kooperativen Nahrungsbeschaffung und eben dies macht für ihn auch den subjektiven Sinn seines Handelns aus. In der U r g e s e l l s c h a f t h a t t e n die an der kollektiven Arbeit Beteiligten noch gemeinsame Tätigkeitsmotive; der persönliche Sinn der individuellen Tätigkeit war ein gemeinsamer Sinn, stand also mit der gesellschaftlich erschlossenen (in Sprache fixierten und kristallisierten) Bedeutung (die den Inhalt des gesells c h a f t l i c h e n Bewußtseins ausmacht und Erscheinung des individuellen Bewußtseins ist) in einem Verhältnis der direkten Entsprechung. Folglich stellt sich das Problem der Bewußtheit, der Erkennbarkeit der sinnbildenden Motive der Tätigkeit für das personale Subjekt der Urgesellschaft nicht bzw. ist hier lediglich ein Problem des allgemein-gesellschaftlichen Entwicklungsstandes der (sprachlichen) Bedeutungserfassung der Wirklichkeit. Mit diesen Ausführungen ist angedeutet, daß das Problem der Bewußtheit der Tätigkeitsmotive ganz offensichtlich ein Aspekt ist der Nichtübereinstimmung oder Diskrepanz von subjektivem Sinn und allgemeiner Bedeutung in der Klassengesellschaft. Diese Diskrepanz a n d e r e r s e i t s ist zurückzuführen auf die 92

Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und vor allem auf die Etablierung von Privateigentum. Bevor ich diesen Zusammenhang verdeutliche, müssen aber nochmals die Begriffe "Sinn" und "Bedeutung" erläutert werden (s.a. Punkt 3.2.2b)). Während der Sinn historisch-genetisch unabhängig vom Bewußtsein der Individuen (unabhängig von dessen bewußter Widerspiegelung in personalen Subjekten) im Hinblick auf die objektiv praktisch realisierten Verhältnisse zu bestimmen ist, ist die Bedeutung an Sprache und Bewußtsein gebunden. Uber die Bedeutung "repräsentiert" sich dem Menschen die Wirklichkeit im Bewußtsein, "in der Bedeutung erschließt sich dem Menschen die Wirklichkeit" (LEONTJEW 1973, 219). Die Bedeutung wird "in einem System gegebener Beziehungen und Zusammenhänge objektiv erschlossen. Sie wird in der Sprache widergespiegelt und fixiert und erlangt dadurch ihre Beständigkeit. In dieser sprachlichen Form macht sie den Inhalt des gesellschaftlichen Bewußtseins aus" (dto, 218). "Als Tatsache des individuellen Bewußtseins..." vermittelt die Bedeutung insofern eine Widerspiegelung der Welt, als der Mensch diese bewußt e r f a ß t , das heißt, insofern als sich seine Widerspiegelung auf Erfahrungen der gesellschaftlichen Praxis stützt und sie in sich einbezieht (dto, 219/220). Der Sinn andererseits ist unabhängig vom Bewußtsein festzumachen; er bezieht sich auf "Erscheinungen, die nicht dem Bewußtsein, sondern dem Leben angehören" (LEONTJEW aaO, 221), auf Tatbestände, "die die reale Wechselwirkung des Subjekts mit seiner Umwelt objektiv ... charakterisieren" (ebd). Somit also tritt in der Analyse "der Sinn vor allem als Verhältnis auf, das sich im Leben und in der Tätigkeit des Subjekts einstellte" (ebd). Dieses spezifische Verhältnis, das das Individuum mit seiner Umwelt verbindet, ist beim Tier biologischer Art (-'biologische Sinnzusammenhänge'-), beim Menschen hingegen ges e l l s c h a f t l i c h e r A r t . Auf menschlichem Niveau kann dieses Verhältnis "vom Subjekt als ein Verhältnis hervorgehoben und bewußt erfaßt" (ebd) werden. Das hier gemeinte Verhältnis ist ein materiell-soziales Verhältnis. Die bewußte Erfassung der (objektiven) Sinn zusammenhänge ist nun abhängig von der Art und Weise, wie diese Zusammenhänge in den sprachlichen Bedeutungen verallgemeinert werden. Die Bedeutung ist ja die Form, in der der Sinn bewußt wird; die Bewußtwerdung des Sinns ist ein Prozeß des 'Begrifflichmachens' der realisierten Verhältnisse. Dabei können die objektiven Sinnzusammenhänge mehr oder weniger adäquat in den allgemeinen sprachlichen Bedeutungen verkörpert sein (vgl. weiter unten). Die psychologische Charakteristik der Bewußtseinsstruktur bestimmt sich durch das Verhältnis der beiden 'Hauptkomponenten' des 'individuellen Ideellen': Sinn und Bedeutung (s.a. Punkt 3.2.2b)). Kennzeichnend für die Urgesellschaft ist -wie schon gesagt- die Ubereinstimmung von Sinn und Bedeutung. Das Gemeineigentum stellte alle Menschen in die gleichen Beziehungen nicht nur zu den Arbeitsmitteln und Arbeitsprodukten (Subjekt-'Natur'-Austausch), auch untereinander in die gleichen (gleichrangige, gleichwertige) sozialen Beziehungen zueinander (Subjekt-Subjekt-Verhältnisse). Der subjektive Sinn, den r e a l e Erscheinungen wie die eigenen A k t i v i t ä t e n f ü r das einzelne Subjekt hatten, deckte sich deshalb noch direkt mit den gesellschaftlich e r a r b e i t e t e n und sprachlich fixierten Bedeutungen, in denen der objektive gesellschaftliche Sinn vergegenständlicht wurde und in deren Form die Erscheinungen der Wirk93

lichkeit auch subjektiv vom Individuum bewußt (als persönlicher Sinn) erfaßt wurden. "Der Sinn einer bewußt gewordenen Erscheinung für den einzelnen Menschen und ihr Sinn f ü r das g e s a m t e Kollektiv, der in der sprachlichen Bedeutung fixiert ist, stimmen noch miteinander überein" (LEONTJEW aaO, 226). Der Zerfall dieser Bewußtseinsstruktur wurde aber schon in der Urgesellschaft vorbereitet, insbesondere mit dem Ubergang zu fixen Arbeitsteilungen und der zunehmenden Vielheit und Verschiedenheit von Arbeitstätigkeiten. Damit begannen die Menschen mit ihren (Arbeits)Tätigkeiten inhaltlich verschiedene 'Plätze* im System der gesellschaftlichen Beziehungen einzunehmen, wenn auch -solange wie Gemeineigentum bestand- noch gleichwertige 'Plätze 1 , da ja alle noch im gleichen Verhältnis zu den verschiedenen kollektiven Arbeitsprodukten standen. Jedenfalls aber wurden in ihrer Konkretheit schon unterschiedliche sinnbildende Tätigkeitsmotive (als Vergegenständlichungen der Kooperations-und Kontrollbedürfnisse) r e a l i s i e r t (vom Fischer etwa andere als vom Weizenbauer), damit unterschiedliche soziale Existenzformen; und die subjektiven Sinne konnten nicht a l l e s a m t durch die allgemein-gesellschaftlich erarbeiteten Bedeutungen, in deren Form die realen Zusammenhänge bewußt e r f a ß t wurden, abgedeckt werden. Aufgrund der Entstehung fixer Arbeitsteilungen waren die sozial-kooperativen Verhältnisse zwischen den Menschen insgesamt vielfältiger und komplizierter und aufgrund individueller F e s t g e l e g t h e i t e n für den einzelnen spezifischer geworden. Aber insofern von allen einzelnen Mitgliedern der G e m e i n s c h a f t dennoch die gleiche allgemeine kooperative Struktur realisiert wurde (in die alle gleichermaßen einbezogen waren), gab es in dieser Epoche immer noch eine Entsprechung von subjektivem Sinn und allgemeiner Bedeutung. In den allgemeinen Bedeutungen erschloß sich die Welt dem Individuum bewußt vorwiegend in der produktiven und konsumtiven 'Sphäre' des Gesellschaft-Natur-Austausches, welcher durch Arbeit und linear-produktives, z i e l g e r i c h t e t e s , notwendig bewußtes Handeln vollzogen wird. Nur die mit dem individuellen produktiven Handeln realisierten besonderen sozial-kooperativen Beziehungss t r u k t u r e n , über die das Handeln f ü r das Subjekt seinen persönlichen Sinn erhält, bedurften nicht notwendig einer bewußten Widerspiegelung. Im Bereich der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse (sozial-reproduktive 'Sphäre') konnte sich das personale Subjekt zwecks Reproduktion der eigenen Sozialform auch gefühlsmäßig (sinnlich-signalisch) orientieren. Solange die soziale Reproduktion kein Problem darstellt, muß sie auch nicht bewußt durchleuchtet werden. In dieser Epoche der fixen Arbeitsteilungen realisierten und reproduzierten die Menschen also schon verschiedene konkrete soziale E x i s t e n z f o r m e n , worüber sich die Besonderheiten des individuellen Lebens, Eigenarten der persönlichen Beziehungen einstellten, eine personspezifische Subjektivität ausbildete, waren aber dennoch in einem allgemeinen Sinne gleich, da sie über die gleichen Verhältnisse zum Gemeineigentum in gleichwertigen (harmonischen, widers p r u c h s f r e i e n ) Beziehungen zueinander standen, worüber ihnen -neben ihrer besonderen Subjektivität- auch ihre (allgemeine) Kollektivität erfahrbar wurde. Durch die Tatsache des Gemeineigentums konnten sich die Menschen noch als kollektive Subjekte erleben, wiewohl sie sich schon in ihren besonderen sozialen Existenzformen als Persönlichkeiten voneinander unterschieden (wobei im letzteren keine Notwendigkeit bestand, die konkrete Besonderheit b e w u ß t / b e grifflich zu erfassen). 94

Man könnte sagen, daß in dieser Epoche -wenn auch die sinnbildenden Motive der eigenen Tätigkeit unbewußt blieben, nur sinnlich-signalisch r e p r ä s e n t i e r t wurden, damit die personspezifische S u b j e k t i v i t ä t nur emotional erfahren wurde-, dies dennoch kein "Problem" darstellte, insofern sich diese Subjektivität harmonisch in die Kollektivität einfügte. Das "Problem" der Nicht-Bewußtheit der sinnbildenden Tätigkeitsmotive s t e l l t sich erst mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in Richtung auf eine Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit und vor allem mit der Entstehung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Entsprechend den neuen ökonomisch-gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen e r f o l g t auch eine völlige Ablösung von der früheren Bewußtseinsstruktur der Urgesellschaft: "Unter den Bedingungen der Klassengesellschaft wandelt sich das Bewußtsein vor allem insofern, als sich das Verhältnis zwischen Sinn und Bedeutung ändert" (LEONTJEW 1973, 236). Das f r ü h e r e Verhältnis der direkten Ubereinstimmung oder aber der 'indirekten 1 Entsprechung wandelt sich zusammen mit der Auflösung der ursprünglichen Beziehungen zu den m a t e r i e l l e n Produktionsbedingungen und den Produktionsmitteln in ein Verhältnis der Nichtübereinstimmung oder gar der Diskrepanz und G e g e n s ä t z lichkeit. LEONTJEW (aaO) nennt zwei wesentliche Veränderungen des Bewußtseins: zum einen die durch die besondere g e s e l l s c h a f t l i c h e A r b e i t s t e i l u n g h e r v o r g e r u f e n e Isolierung der geistigen, theoretischen Tätigkeit; zum anderen die Wandlung der inneren Struktur des Bewußtseins, die dadurch hervorgerufen wird, daß in der kapitalistischen Gesellschaft die Mehrzahl der Produzenten von den Produkten getrennt wird. Mit dem Aufkommen des Privateigentums wird das "ursprüngliche Verhältnis der arbeitenden Menschen zum Boden, zu den Arbeitsmitteln und zur Arbeit selbst (...) zerstört. Die meisten Produktions teil nehm er werden zu Lohnarbeitern, deren einziges Eigentum ihre Arbeitskraft i s t . Die objektiven Produktionsbedingungen treten ihnen als fremdes Eigentum entgegen. Sie können nur leben und ihre Lebensbedürfnisse b e f r i e d i g e n , wenn sie i h r e A r b e i t s k r a f t v e r k a u f e n , das heißt, wenn sie sich ihrer Arbeit entfremden" (LEONTJEW aaO, 242). Auf diese "Entfremdung des menschlichen Lebens" führt LEONTJEW den Umstand zurück, daß der "objektive Inhalt der Tätigkeit ... nicht mehr mit ihrem subjektiven Inhalt, das heißt mit dem, was die Tätigkeit für den Menschen b e d e u t e t " (ebd) übereinstimmt bzw. auch keine Entsprechung mehr zwischen beiden besteht. So deckt sich der Sinn, den seine A r b e i t s t ä t i g k e i t (etwa: Schustern, Tischlern) für den Arbeiter hat, nicht mehr mit ihrer objektiven Bedeutung (als Schustern, Tischlern,— Schuhe, Möbel herstellen o.ä.). Den subjektiven Sinn, den diese Tätigkeit für den Arbeiter hat, konstatiert LEONTJEW - in Anlehnung an MARX (MEW 6) - als Verdienen, als Erhalten von Arbeitslohn. Diese Bestimmung nun macht zwar die Diskrepanz von (abstrakter) subjektiver Sinnhaftigkeit und (konkreter) o b j e k t i v e r Bedeutung d e u t l i c h , ist aber für psychologische Analysezwecke 'zu einfach' und klärt überdies nicht die Unbewußtheit des konkreten Motivs, das zur Tätigkeit veranlaßt und über das sich der s p e z i f i s c h e subjektive Sinn (-der ja nicht für alle Arbeiter gleich ist, wiewohl alle am Verdienen "interessiert" sind-) bestimmt. Zum einen ist das Beispiel im Hinblick auf die Motiv-Kategorie zu differenzieren, und zwar in der Weise, daß es nicht nur um eine Befriedigung der Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung oder Wohnung geht, sondern auch um eine 'Befriedigung' der Kooperations- und Kontrollbedürfnisse, die durch die und in 95

der Lohnarbeit erfolgen muß. Unter den Bedingungen der Abhängigkeit mag das für den Lohnarbeiter -allgemein b e s t i m m t - so aussehen, daß sich sein Kontrollbedürfnis im Motiv des Geldverdienens 'erschöpft 1 und sich sein Kooperationsbedürfnis auf das Motiv r e d u z i e r t , sich als n ü t z l i c h e (ausbeutbare) A r b e i t s k r a f t zu verkaufen (anzupreisen, abzusichern); und auf solche Weise realisiert er seine soziale E x i s t e n z f o r m . Dabei ist das Kontrollmotiv eine 'Komponente' des Kooperationsmotivs, welches (-konkretisiert von einem je besonderen personalen Subjekt-) im persönlichen Sinn widergespiegelt wird. Eben jenes - j e besonderen- Kooperationsmotivs, über das sich wesentlich der persönliche Sinn seiner Handlungen bestimmt, wird sich der Lohnarbeiter o f t kaum bewußt sein, während er a n d e r e r s e i t s das Geldverdienen, um seine Bedürfnisse nach Lebens- und Konsumgütern zu befriedigen, sehr wohl als den "Sinn" seiner Arbeit angeben kann. Letzteres hat sich sogar zu einer ideologischen "Weisheit" verallgemeinert in dem Spruchs "arbeiten, um zu leben" (-so 'rum statt umgekehrt, sei es glückversprechend-), was aber heißt: Geldverdienen, um zu konsumieren, wobei also -wie selbstverständlich- arbeiten auf Geldverdienen und leben auf Konsumieren reduziert wird. Der schale "Sinn" des Geldverdienens ist somit längst in allgemeinen Bedeutungen v e r k ö r p e r t , wird in Form dieser Bedeutungen dem einzelnen bewußt und ist Teil des gesellschaftlichen Bewußtseins, wobei ja das herrschende Bewußtsein bekanntermaßen das Bewußtsein der herrschenden Klasse ist (MARX/ENGELS: MEW 3, 46) beziehungsweise deren Ideologie verkörpert. Um aber die Problematik der Nicht-Bewußtheit der sinnbildenden Motive der Tätigkeit in den Griff zu kriegen, muß der Wandel der m a t e r i e l l - s o z i a l e n Verhältnisse, der sich mit der Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit und insbesondere mit der Etablierung des Privateigentums an Produktionsmitteln vollzieht, in B e t r a c h t gezogen werden. Der persönliche Sinn ist ja im wesentlichen auf die sozial-reproduktive 'Sphäre' der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse bezogen, hängt mit der vom personalen Subjekt realisierten und reproduzierten Sozialform zusammen (vgl. Tabelle 1), während sich die bewußte Erfassung der Wirklichkeit in Form sprachlicher Bedeutungen zunächst vorwiegend auf die Gegenstände, Erscheinungen, Zusammenhänge und Beziehungen im (produktiven und konsumtiven) Subjekt-'Natur'-Austausch bezieht. Durch die Trennung der geistigen Arbeit von der m a t e r i e l l e n , praktischen Arbeit isolieren sich die Menschen. Im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang impliziert diese Trennung mehr noch ein Uber-Unterordnungsverhältnis im Bereich der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse, insofern einige Menschen für die erkennende, orientierende und planende Tätigkeit zuständig sind und andere "nur" die praktischen Ausführungen zu vollziehen haben. Damit erhalten Menschen nicht nur inhaltlich verschiedene, sondern vor allem auch ungleiche 'Plätze' in der Gesellschaft. Noch gravierender wirkt sich das Privateigentum an Produktionsmitteln auf die Wirklichkeit der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse aus, insofern hiermit die Mehrzahl der Menschen in Verhältnissen der objektiven Abhängigkeit steht und -gezwungen die eigene A r b e i t s k r a f t gegen die des anderen zu v e r k a u f e n (anzupreisen, a u f z u w e r t e n e t c . ) - in Verhältnisse des Gegeneinanders, der Konkurrenz und disharmonischen, widersprüchlichen Kooperation gestellt sind. Damit und da die Mehrzahl der Produzenten von der Verfügung über die gesellschaftlichen Produkte abgeschnitten ist, sie also von ihren eigenen Ar96

beitsprodukten isoliert sind (diesen deshalb auch gleichgültig gegenüberstehen), dominieren Verhältnisse der Isolation des Menschen vom Menschen. Die auf den Eigentumsverhältnissen gegründeten Verkehrs-/Kooperationsformen (sozial-kooperative Verhältnisse und Beziehungsformen der Abhängigkeit, der Konkurrenz, der Ober-Unter Ordnung und der mitmenschlichen Isolation) werden (auch) von den einzelnen Subjekten in ihren Tätigkeiten realisiert und r e p r o duziert und sie bilden dabei ihre besonderen sinnbildenden Tätigkeitsmotive aus (vgl. weiter vorne), über deren Realisation sie ihre Sozialformen r e p r o d u z i e ren. Harmonische Kooperation kann a n s a t z w e i s e nur in 'Subbereichen' der Gesamtgesellschaft realisiert werden, aber - d a s ist wichtig- sie kann noch (dennoch) realisiert werden. Im Hinblick auf das Problem der Nicht-Bewußtheit der sinnbildenden Motive der Tätigkeit kommen hier -verglichen mit der Epoche der Urgesellschaft mit schon fixen A r b e i t s t e i l u n g e n - zumindest zwei wesentliche neue 'Umstände' hinzu: 1. Die Tätigkeitsmotive der personalen Subjekte sind nicht mehr gleichsinnig einbezogen in eine allgemeine kooperative Struktur und 2. Die nunmehr vereinzelten Individuen können sich nicht mehr ohne weiteres als kollektive Subjekte wahrnehmen. Die ursprüngliche Verbundenheit der Subjekte miteinander, die sich über das Gemeineigentum herstellte, ist zerstört. Da die Dynamik des Privateigentums alle Verbindungen z e r r e i ß t und die Subjekte als isolierte Monaden gegeneinander stellt, macht die Wahrnehmung der eigenen K o l l e k t i v i t ä t , der eigenen Gesellschaftlichkeit, eine zusätzliche Bewußtwerdungs"arbeit" erforderlich. Sich selbst als gesellschaftliches Subjekt, als Teil eines umfassenden (überpersonalen) Subjekt-Systems zu begreifen, ist aber Voraussetzung und Bestandteil der bewußten Erkenntnis der relevanten eigenen T ä t i g k e i t s m o t i v e (vgl. mit der Konzeption der Reflexionsmodi in Kap. 6 und 7). Die Unbewußtheit der sinnbildenden Motive der Tätigkeit ist hier also nicht mehr eine F r a g e des begrenzten Umfangs an (sprachlichen) Bedeutungen (in deren Form sich die Wirklichkeit im Bewußtsein " r e p r ä s e n t i e r t " ) oder der fehlenden allgemeinen und individuellen Notwendigkeit ihrer begrifflichen Erfassung, sondern ein 'Aspekt' der objektiven g e s e l l s c h a f t l i c h e n S t r u k t u r e n . Indem es keine allgemeine harmonisch-kooperative Struktur mehr gibt, kann es kein allgemeines (allen gemeinsames) Verhältnis zwischen individuellen Zielen und Motiven der Tätigkeit geben, und entsprechend gibt es keinen allgemeinen (allen gemeinsamen) bewußten Sinn. Indem sich das Subjekt (mit Kopf und Herz) i.d.R. nur als vereinzeltes, "privates" Individuum, nicht aber (mit Kopf oder Herz) als Teil der Gemeinschaft, Teil eines über personalen Subjekt-Systems erleben ('sehen') kann, kann ihm das Verhältnis zwischen den bewußten Zielen seiner Handlungen und den Motiven seiner T ä t i g k e i t e n , über deren Realisation es ja eben sich selbst als dieses soziale/gesellschaftliche Subjekt, als das es sich selbst nicht 'wahrnehmen' (erleben) kann, r e p r o d u z i e r t (seine soziale Existenzform etabliert und entwickelt), nicht leicht ins Bewußtsein rücken. Dazuhin kommt, daß sich das individuelle Bewußtsein nur über das gesellschaftliche Bewußtsein bilden kann, indem das Subjekt "die Wirklichkeit durch das P r i s m a g e s e l l s c h a f t l i c h e r a r b e i t e t e r Bedeutungen -der Kenntnisse und Vorstellungen- widerspiegelt. ... Es nimmt (...) dabei nicht e i n f a c h die Fülle 97

sprachlicher Bedeutungen auf. Es eignet sich zugleich das System der Ideen, Ansichten und Ideale an, die diese Wörter bezeichnen .... Mit anderen Worten; Der Mensch, der sich das System der sprachlichen Bedeutungen aneignet, erwirbt zugleich auch deren allgemeineren ideologischen Inhalt, das heißt, deren Bedeutungen im weitesten Sinne des Wortes" (LEONTJEW aaO, 250). Und; "In der Klassengesellschaft dominiert, wie wir wissen, die Ideologie der herrschenden Klasse, die die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt und fixiert" (ebd). Das sieht dann so aus, daß die objektiven SinnZusammenhänge, in die die einzelnen Subjekte mit ihren Tätigkeiten einbezogen sind, in den allgemeinen gesellschaftlichen Bedeutungen zwar fixiert sind, in ihrer realen Widersprüchlichkeit und "Entfremdetheit" aber gleichzeitig verschleiert werden (vgl. vorne als Beispiel die Phrase: " a r b e i t e n , um zu leben"). Da aber der Sinn nur über die bzw. in Form der Bedeutungen bewußt wird, stellt sich damit der Bewußtwerdung der sinnbildenden Tätigkeitsmotive ein weiteres Hindernis entgegen. (Auch die Psychologie, insoweit sie ins gesellschaftliche Bewußtsein eingeht, t r ä g t hierzu das Ihre bei, indem sie euphorisch darauf abhebt, daß es um das "einzelne Individuum" gehen müsse.) Zusammengefaßt läßt sich also f e s t s t e l l e n , daß die Nicht-Bewußtheit der sinnbildenden Motive der Tätigkeit in unserer Gesellschaft eher die Regel ist und eine allgemeine Erscheinung der objektiven Verhältnisse darstellt. Natürlich muß sich das individuelle Subjekt auch als " p r i v a t e s " Subjekt dennoch sozial reproduzieren und sich zu diesem Zweck im Bereich der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse orientieren. Diese Orientierung nun e r f o l g t i.d.R. sinnlichsignalisch, "gefühlsmäßig", entlang emotionaler 'Zeichen 1 . Die in den objektiven gesellschaftlichen S t r u k t u r e n g e g r ü n d e t e allgemeine Unbewußtheit der wesentlichen Tätigkeitsmotive findet ihren Ausdruck und ihre Verfestigung noch in einer anderen Weise, nämlich in dem 'kulturellen Habitus', daß man über die eigentlichen Motive nicht spricht. Es ist einfach "nicht üblich", über die tatsächlichen Motive des Handelns nachzudenken oder Ausk u n f t zu geben, indem ich mir oder einem andern etwa die Frage stelle, WOZU, d.h. zur Herstellung/Realisation welches zwischenmenschlichen Verhältnisses bzw. welcher sozial-kooperativer Beziehungsstruktur, ich diese oder jene Handlung ausführe (bzw. zu f r a g e n , welches m a t e r i e l l - s o z i a l e R e s u l t a t im Bereich der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse damit hergestellt wird). Zwar ist es sehr wohl "üblich", permanent (rationale) Rechtfertigungen des eigenen Handelns abzugeben, (allgemein nachvollziehbare oder einsichtige) Gründe dafür zu nennen (-die üblichen: "Ich mache das, weil..."-Sätze-), jedoch hat dies nichts zu tun mit einer Explikation der eigentlichen Motive der Tätigkeit, welche ja angeben müßte, im Hinblick auf die Realisation welches sozialen Kooperationsmusters ich eine Handlung a u s f ü h r e , also Antwort auf die o.g. Wozu-Frage geben müßte. Der -in der gesellschaftsstabilisierenden Verschleierungstaktik der objektiven Sinn-Zusammenhänge gegründete- 'kulturelle Habitus' des NichtDarüber-Sprechens (und Nicht-Darüber-Reflektierens) s t e l l t eine w e s e n t l i c h e 'Rahmenbedingung' des Problems der Bewußtwerdung versus Nicht-Bewußtwerdung der relevanten sinn bildenden Tätigkeitsmotive dar. In der Psychotherapie bzw. psychosozialen Praxis müßte es deshalb u.a. darum gehen, in dieser Hinsicht andere 'Rahmenbedingungen' h e r z u s t e l l e n , um dem "Klienten" oder "Adressaten" den Bewußtwerdungsprozeß zu erleichtern.

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Wenn man nun vom Tätigkeitsansatz her in der Textdarstellung um die inhaltliche Benennung relevanter Tätigkeitsmotive bemüht ist, z e i g t sich noch ein w e i t e r e s Problem, das in den objektiven gesellschaftlichen Strukturen und deren Widerspiegelung im gesellschaftlichen Bewußtsein, deren Fixierung in sprachlichen Bedeutungen/in symbolischen Strukturen gegründet ist: Das Problem der inhaltlichen Benennung von Motiven der Tätigkeit. Während es dem über die realen gesellschaftlichen Verhältnisse "aufgeklärten" Tätigkeitstheoretiker noch einigermaßen gelingen mag, "problematische" (d.h. entwicklungshinderliche) Motive der Tätigkeit verbal zu beschreiben/benennen (wie etwa: "im Leistungsbereich der Beste sein"; GLEISS 1980; vgl. vorne), gerät er doch in ziemliche Schwierigkeiten bei der verbalen Fixierung der alternativen "entwicklungsförderlichen", der harmonisch-solidarischen sozial-kooperativen Motive. Hier sind meist schwerfällige Umschreibungen nötig. Und dies mag daran liegen, daß wir kaum adäquate Symbole für solche harmonisch-solidarischen Beziehungsformen zur Verfügung haben. Denn schließlich werden solche Kooperationsformen in unserer Gesellschaftsformation auch selten r e a l i s i e r t , d.h. praktisch-real "kennen" wir sie nur ansatzweise. Und die mangelnde Realisation hat die mangelnde Symbolik zur Folge. Darüber hinaus aber haben die doch r e a l i s i e r t e n solidarischen Beziehungsformen gerade keine aktuell gesellschaftsstabilisierende 'Funktion' und sind eben deshalb nur unzureichend in den sprachlichen Bedeutungen/symbolischen Strukturen des gesellschaftlichen Bewußtseins 'repräsentiert'. Es ist aber nochmals auf das Problem der Bewußtwerdung der Tätigkeitsmotive zurückzukommen. Während die Bewußtwerdung der Motive der Tätigkeit für die Menschen in der Epoche der Urgesellschaft mit schon fixen Arbeitsteilungen keine Notwendigkeit d a r s t e l l t e , da ohnehin alle gleichrangig in die allgemeine harmonischkooperative Struktur eingebunden waren (und sich von daher für den einzelnen keine "Probleme" ergaben), ergibt sich dagegen eine solche Notwendigkeit sehr wohl in der widersprüchlichen Kooperationsstruktur der kapitalistischen Gesells c h a f t s f o r m a t i o n , und zwar prinzipiell sowohl für die Gesamtgesellschaft wie für das einzelne Subjekt, unter dem Aspekt der Weiterentwicklung ( s t a t t Stagnation) und unter dem Aspekt der 'Wendung von Not' (Not-Wendigkeit). Für eine (entwicklungsnotwendige) Uberwindung antagonistischer Kooperationsf o r m e n gilt auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, daß kritisch-fortschrittliche soziale Bewegungen problematische gesellschaftliche Verhältnisse erst 'auf den B e g r i f f ' bringen müssen, um deren gezielte Veränderung (damit gesamtgesellschaftliche Weiterentwicklung) anzugehen. Gleichermaßen gilt f ü r das personale Subjekt und dessen Persönlichkeitsentwicklung, daß es sich seiner dominierend realisierten Tätigkeitsmotive (seiner Bewegungsform im N e t z der sozialen Beziehungen) bewußt werden muß, um perspektivisch seine Weiterentwicklung anstreben zu können. Die Notwendigkeit, aber auch die Chance einer Bewußtwerdung der sinnbildenden Tätigkeitsmotive (damit der eigenen sozialen Existenzform in bestimmten Lebensbereic h e n / T ä t i g k e i t s f e l d e r n ) b e s t e h t insbesondere angesichts von Entwicklungsund/oder Orientierungskrisen, wenn für das Subjekt also besondere Probleme (disharmonische Individuum-Umwelt-Beziehungen) aufgetreten sind. Da nun -wie erläutert- Bewußtheit der relevanten Tätigkeitsmotive i.d.R. nicht 'von vornherein' gegeben ist, kann gerade durch die progressive Bewältigung von Krisen mit dem Resultat "bewußter Subjektivtät" das Leben für das Subjekt immer sinn-voller werden. Hingegen stehen ihm nicht immer die gemäß 99

der Entwicklungs- und Orientierungsnotwendigkeit erforderlichen Möglichkeiten (Mittel, Begriffe) zur Verfügung; so stagniert es in verschiedenen T ä t i g k e i t s feldern, tritt auf der Stelle, wehrt ab, ohne seinen Sinn gefunden zu haben. Die Probleme der Subjekt-Selbsterkenntnis, der Bewußtwerdung der sinnbildenden Tätigkeitsmotive, werden in den Kapiteln 6 und 7 auf der Grundlage der Konzeptualisierung dreier Reflexionsmodi b e h a n d e l t . Hier sei nur noch e r wähnt, daß auch LEONTJEW von den "Qualen ... des Bewußtwerdens" (dto 1973, 250) spricht, deren Wesen er darin sieht, "daß der Inhalt des menschlichen Lebens widersprüchlich und das gesellschaftliche Bewußtsein eingeengt ist, sobald es zum Klassenbewußtsein wird" (ebd). Das subjektiv spürbar Qualvolle wird bei der Bewußtwerdung der sinnbildenden Motive der eigenen Tätigkeiten aber darin bestehen, daß man sich selbst hinterfragen muß, die eigene Sozialform und den Sinn der eigenen Handlungen, gar des eigenen Lebens.

4.2.2 Stimulierende Motive der Tätigkeit Anders als die sinnbildenden sind die stimulierenden Motive zunächst als Vergegenständlichungen der "physiologisch-organisch-begründeten Bedürfnisse" zu verstehen. Das heißt: in der Tätigkeit 'finden 1 solche zunächst ungerichteten und unspezifischen Bedürfniszustände (Hunger, Durst, Wärme, Entspannung, Sex ...) ihre zur Bedürfnisbefriedigung 'geeigneten' Gegenstände (also e t w a b e s t i m m t e Nahrungs- und G e n u ß m i t t e l , Konsumgüter; auch klimatische und ökologische Bedingungen, bestimmte Handlungskonstellationen, soziale Situationen und andere Personen). Als stimulierende Motive regen sie eine konkrete Handlung an, fließen in die Zielbildung ein (s. dazu Punkt 5.2), sind jedoch den sinnbildenden Motiven real untergeordnet, so daß sie i.d.R. nur im Rahmen der durch ein sinnbildendes Motiv g e l e i t e t e n Tätigkeit zum Zuge kommen, und zwar auf der Ebene der konkreten Handlungen, die in diese Tätigkeit einbezogen sind. Von daher haben die stimulierenden Motive also einen nachgeordn e t e n , eben bloß positiv oder negativ stimulierenden, Stellenwert; wirken sich so zwar auf das Wohl-/UnWohlbefinden des Subjekts aus, bestimmen jedoch nicht grundlegend (er) dessen emotionale Verfassung (s. Punkte 4.4 und 5.2.1). Allerdings bleiben die stimulierenden Motive nicht auf eine Vergegenständlichung von unmittelbaren "physiologisch-organisch-begründeten" Bedürfniszuständen beschränkt. Mit der Erweiterung und Ausdehnung bestehender Umweltbeziehungen (vor allem auch sozialer Beziehungen) überschreiten die stimulierenden Motive ihre physiologisch-organisch-begründete Bedürfnisbasis und umfassen dann auch soziale Beziehungsstrukturen. So kann der Umstand, von anderen bewundert, gelobt oder auch beneidet o.ä. zu werden, oder von anderen g e ä r g e r t , belächelt o.ä. zu werden, zu einem stimulierenden Motiv mit positiv versus negativ stimulierender Funktion werden. Daß stimulierende Motive auch soziale Beziehungsstrukturen umfassen, hängt u.a. auch damit zusammen, daß im Verlaufe der Entwicklung ehemals sinnbildende Motive (u.U. nachdem diese bewußt geworden sind) nur noch stimulierenden Charakter erhalten, indem neue Tätigkeiten r e a l i s i e r t , damit neue, andere sinnbildende Motive gebildet werden (s.a. HASELMANN 1983). Es finden also im Entwicklungsverlauf i.d.R. Umstrukturierungen im System der Motive s t a t t , mit Ubergängen von sinnbildenden in stimulierende wie auch m.E. von 100

stimulierenden in sinnbildende Motive (vgl. Punkt 5.2). Erst in Kapitel 5 aber soll das Verhältnis der beiden Motivarten zueinander näher e r l ä u t e r t werden, da sich dieses ja aus der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit bestimmt, somit eine Aufschlüsselung dieser Struktur erforderlich wird. Wenn zwar auch stimulierende Motive soziale Beziehungsstrukturen umfassen, so sind sie ihrem Wesen nach dennoch immer von den sinn bildenden Motiven unterschieden, da sie (anders als jene) keinen unmittelbaren Bezug zur Persönlichkeit (i.e.S.) des Subjekts haben. Deshalb möchte ich den Begriff der "Form" allein im Zusammenhang mit den sinnbildenden Motiven verwenden, da damit immer reproduktive Zyklen thematisiert sein sollen, die die Sozialform bzw. soziale Existenzform bzw. Bewegungsform des Subjekts im gesellschaftlichen Lebensprozeß (damit dessen Persönlichkeit) b e t r e f f e n . (Genaueres s. Punkt 5.1). Der untergeordnete Stellenwert der stimulierenden (gegenüber den sinnbildenden) Motiven läßt eine Konzeptualisierung dieser (der ersteren) aus psychologischer Sicht m.E. als überflüssig erscheinen, zumal sie keine besondere Aussagekraft für die Persönlichkeit i.e.S. haben. Jedoch erweist sich eine solche Konzeptualisierung -auch psychologisch- deshalb als fruchtbar, weil das Verhältnis zwischen je aktualisierten sinnbildenden und stimulierenden Motiven bzw. Bedürfnissen faktisch oft konflikthaft ist und solche Konflikte abbildbar sein müssen, und ferner, weil darüber (-was auch gerade von therapeutischem Interesse ist-) die Differenzierung zweierlei 'Arten' von Emotionalität, welche unterschiedliche Relevanz für das personale Subjekt haben (s. Punkt 5.2.1), verstanden werden kann. Jedenfalls aber kann die 'Quelle' psychischer Beeinträchtigung nur im Bereich der sinnbildenden Motive gesucht werden. Sie sind es, die die Persönlichkeit charakterisieren; über sie bestimmt sich das 'Niveau' der Persönlichkeitsentwicklung (s.a. GLEISS 1960). Psychische Beeinträchtigung hängt mit dem gegenständlichen Inhalt, der Qualität und der Dominanz der von einem Subjekt realisierten sinnbildenden Tätigkeitsmotive zusammen. Beeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung impliziert ein rigides, starres, (verzweifeltes) Festhalten an einer bestimmten Sozialform (Stagnation; vgl. Kap. 6). Die Bedrohung oder Blockierung der Realisierung wichtiger 'Leitmotive' oder zentraler Bedürfnisse kann das Subjekt als Existenzgefährdung (Gefährdung seiner bisherigen Sozialform) erleben. So gerät es in eine Orientierungskrise (Krise der bisherigen dominierenden (Lebens-)Orientierung), die für den Fall, daß deren progressive Bewältigung nicht gelingt, auf Symptombildung zur 'Rettung' der 'etablierten' Sozialform hinauslaufen kann (s. dazu Kap. 7).

4.3

Allgemeine Kriterien "problematischer" Tätigkeitsmotive. Und eine terminologische Anmerkung

Die bisherigen Ausführungen bergen noch zumindest zwei Ungeklärtheitens 1. die Frage nach den Kriterien zur Bestimmung "problematischer" Tätigkeitsmotive und 2. ein terminologisches Problem der Rede von "(konkreten) Bedürfnissen" oder aber von "Motiven der Tätigkeit". 101

Diese beiden Punkte b e t r e f f e n bereits die Grundlagen einer Konzeption der beeinträchtigten Persönlichkeitsentwickiung, die also hier schon a n g e s c h n i t t e n werden, um in Kapitel 7 weiterführend darauf aufbauen zu können. Ad 1):

Allgemeine Kriterien für "problematische" dominierende Tätigkeitsmotive lassen sich unter Bezugnahme auf die Entwicklungspotentialit ä t e n 'menschlicher Natur 1 erstellen, wobei sich die "Problematik" der Tätigkeitsmotive daraus bestimmt, inwieweit sie für die personale Subjektentwicklung entwicklungsförderlieh oder -hinderlich sind (also gerade nicht daraus, inwieweit sie gesellschaftskonform oder -abweichend sind). Unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeitsentwicklung stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit mit den eigenen Beiträgen zur Realitätskontrolle und Lebenssicherung Formen harmonisch-solidarischer Kooperativität realisiert werden, sich das Subjekt so gesehen (-quasi "gebrauchswertorientiert"-) in der Verwirklichung gleichwertiger Beziehungen mit anderen selbst verwirklicht. Entsprechend war vorne (Punkt 4.1) bereits von "Konkurrenz- und Abhängigkeitsbedürfnissen" als durch den individuellen Vergesellschaftungsprozeß 'verbogene' Kooperationsbedürfnisse die Rede. Irma GLEISS hebt stark auf die Problematik der Rigidität und "Enge" "personaler Entwicklungsmotive" ab (wie übrigens auch Klaus GRAWE (1980) mit seiner Konzeptualisierung von "Oberplänen" des interaktioneilen Verhaltens, z.B. "ein toller Mann sein"), jedoch ist -wiewohl grundsätzlich die Beschränkung der lebendigen Aktivität auf je bestimmte Tätigkeitsfelder eine Reduktion der Entfaltungsmöglichkeiten des Subjekts darstellt (eingeengte SubjektWelt-Beziehungen)- die "Enge"/Starre der Motive allein noch nicht ausschlaggebend für eine beeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung. Entscheidend für die problematische Struktur ist auch gerade der gegenständliche Inhalt dieser Tätigkeitsmotive selbst. "Zur Kennzeichnung problematischer Motive der Tätigkeit läßt sich global von 'Tauschwertorientierung' sprechen, die in der einen oder anderen Weise sich darin ä u ß e r t , sich - s t a t t als k o o p e r a t i v e s Subjekt einzubringen- an oder gegen die Kooperationspartner zu 'verkaufen', für abstrakten Wert bzw. abstrakte Bestätigung bzw. sich von ihnen zu isolieren. Es spielen hier vorwiegend Prozesse des Sich-mit-Anderen-Vergleichens (hinsichtlich abstrakter Wert-Kriterien) und des Sich-Absicherns durch oder gegen andere eine Rolle" (HASELMANN 1983, 64). Jemand, der etwa immer "der Beste" sein muß, tritt in konkurrente Beziehung mit anderen; er macht sich g l e i c h z e i t i g abhängig von der Bewertung der anderen und orientiert sich am abstrakten Vergleich mit anderen. Im Falle einer dominierenden Realisation "problematischer" Tätigkeitsmotive (welche dann die relevante Sozialform eines Subjekts bildet), läßt sich häufig f e s t s t e l l e n , e n t w e d e r a) daß die Person ihre Selbst-Bestimmung vorwiegend über den wertenden Vergleich mit anderen vollzieht (z.B. bei: "überlegen sein", o.ä.), daß sie vorwiegend für die Wertung der anderen aktiv wird und dabei die Wertung wichtiger wird als das konkrete Handlungsresultat, wichtiger also als der eigene 'Beitrag' (z.B. bei: "bewundernswert sein"); oder b) daß sie ihre Selbst-Bestimmung von einem anderen Menschen abhängig macht (z.B. bei: "für jemand anderen wichtig sein"), daß sie nicht für sich und die Sache, sondern für den anderen aktiv wird (z.B.: "so sein, wie mich die anderen haben wollen"); oder c) daß sie ihre Selbst-Bestimmung vorwiegend über die Abgrenzung von anderen vollzieht (z.B. bei: "anders als die anderen sein"), daß

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sie gegen die Bezogenheit auf andere aktiv wird (z.B. bei: "sich auf nichts und niemanden einlassen"). Dabei scheinen also wieder die Grundstrukturen der Konkurrenz (a), der Abhängigkeit (b) und der Isolation (c) durch. Daneben läßt sich bei "problematischen" Tätigkeitsmotiven insbesondere die Vermeidung r e l e v a n t e r T ä t i g k e i t s f e l d e r (etwa von Sozial Verhältnissen der Verantwortungsübernahme, der Kon taktauf nähme, der Auf gaben übernah me, der E r f a h r u n g s e r w e i t e r u n g ..., die p o t e n t i e l l zur Subjekt-Selbstentfaltung und -entwicklung beitragen würden) konstatieren, wobei hier dominierende Orientierungen, wie: "bloß nicht versagen", "bloß nicht gefordert werden", o.ä.m., eine Rolle spielen. Auch in solchen Fällen sind wesentlich Prozesse des Sich-mitanderen-Vergleichens oder des Sich-Absicherns durch oder gegen andere beteiligt. "Unproblematische" Tätigkeitsmotive machen sich dagegen darüber 'bemerkbar 1 , daß sich das Subjekt am konkreten Nutzen (am nützlichen Beitrag) eigener Handlungsresultate orientiert, sich so in harmonisch-kooperative Beziehung mit anderen setzt und darüber seine Selbst-Bestimmung vollzieht, daß es in der solidarischen Gemeinschaftlichkeit mit anderen für sich aktiv wird und daß es die Entwicklungsmöglichkeiten neuer Tätigkeitsfelder zu nutzen, e r w e i t e r t e Erfahrungen über sich selbst zu machen versucht. Dabei besteht ein "wirkliches Interesse" sowohl an der Sache wie am anderen Menschen, wohingegen im Falle "problematischer Motive" oft weder die Sache (bei der man etwa "der Beste" sein muß) noch der andere Mensch (für den man z.B. "alles" sein will) "wirklich" interessiert. Man könnte geneigt sein, das Kriterium schlicht als "Inhaltsorientierung" versus äußerliche "Effektorientierung" f e s t z u m a c h e n . Jedoch t r i f f t dies das Wesentliche nicht hinreichend. So ist etwa im Falle eines -als Konkretisierung des Kontrollbedürfnisses zu identifizierenden- Erkenntnismotivs ("begreifen wollen") nicht der Wunsch nach Erkenntnis 'als solcher' und 'für sich genommen' entscheidend, nicht die Erkenntnis 'um ihrer selbst willen', sondern der Nutzen der Erkenntnis für sich selbst und für andere in Richtung auf Handlungserweiterung bzw. verbesserte Handlungsmögiichkeiten, und die Art, wie sich das Subjekt dabei in ein Verhältnis zur Welt und zu seinen Mitmenschen setzt. Die erwähnte "Gebrauchswert"- versus "Tauschwertorientierung" meint also mehr als Inhalts- versus Effektorientierung! Ad 2)

Bislang wurden solche handlungsanleitenden 'Strebungen' wie_ "der Beste sein", "sich klein machen", "eine Superfrau sein" o.ä. als Motive bezeichnet und im Falle, daß sie einen herausragenden Stellenwert im System der Tätigkeiten eines Subjekts einnehmen, war von "personalen Entwicklungsmotiven" (GLEISS 1980) oder "dominierenden Tätigkeitsmotiven" (HASELMANN 1982) die Rede. In der Tat handelt es sich dabei nicht um 'gegenstandslose' (bloß ' a b s t r a k t e ' ) B e d ü r f n i s z u s t ä n d e , sondern um durch die Tätigkeiten des Subjekts bereits vergegenständlichte Bedürfnisse, um konkrete Bedürfnisse also, die das individuelle Handeln anzuregen in der Lage sind und dessen e x i s t e n tiell-dynamische Basis bilden. Dennoch ist ihre Bezeichnung als "Motive der Tätigkeit" nicht immer korrekt, sofern Motive definiert sind als die je konkreten sozial-kooperativen Verhältnisse, die vom personalen Subjekt praktisch tatsächlich realisiert und (u.U. immer wieder) reproduziert werden. Motive sind gegenständliche Resultate, aber nicht linear-hergestellte Produkte, sondern soziale Reprodukte, hieß es in Kapitel 3 (Punkt 3.2.2). Damit ist aber 103

gesagt, daß Motive die praktisch konkretisierten (objektiven) Verhältnisse sind, etwa daß ein Schulkind im intellektuellen Leistungsbereich im Vergleich mit seinen Klassenkameraden immer der Beste ist (gemessen etwa an den Noten), oder es kann im Betragen und Wohlverhalten immer der Beste sein; oder ein Kind ist in der Familie und auch im Kreise seiner gleichaltrigen Spielkameraden immer der "Kleine", dem bei allem noch geholfen werden muß. Die soziale Existenzform des personalen Subjekts bildet sich eben über die praktische Realisation solcher sozialer Verhältnisse, welche (-zwecks Reproduktion der eigenen Sozialform-) dann auch angestrebt werden (und im Falle "erhaltender" statt "erweiterter" Reproduktion (vgl. Kap. 6, 7) werden immer wieder die gleichen Verhältnisse f a k t i s c h h e r g e s t e l l t , immer wieder die gleichen Motive realisiert). In der Abstraktion von den ganz konkreten Handlungszusammenhängen wären nun aber die dynamischen 'Strebungen' korrekterweise nicht als Motive, sondern als konkrete Bedürfnisse eines personalen Subjekts zu identifizieren. Und es ist anzunehmen, daß solche Bedürfnisse über gewisse Zeitspannen auch dann bestehen bleiben, wenn es aufgrund besonderer Bedingungen/Verhältnisse in bestimmten Lebensetappen nicht zur entsprechenden Motive-Realisierung kommen kann (wenn beispielsweise eine längerwährende Gruppenarbeit keine 'Möglichkeiten' bietet, sich als "der Beste" zu erweisen). Einmal ausgebildete z e n t r a l e konkrete Bedürfnisse bleiben also dem Subjekt relativ zeitüberdauernd als solche erhalten, prägen in Grundzügen weiterhin dessen (Lebens-)Orientierung, auch wenn sie in je besonderen Lebenszusammenhängen gerade keinen aktuellen Einfluß auf die Zielbildungsprozesse der Handlungsebene (vgl. dazu Kap. 5) haben können. In solchem Fall ist der Bedürfnisbegriff angebracht: k o n k r e t e Bedürfnisse als psychisch e x i s t e n t e , aber je aktuell aufgrund der je konkreten Lebensumstände nicht immer realisierbare 'Strebungen'. Demgegenüber wäre im Falle ihrer aktuellen Wirksamkeit oder t a t s ä c h l i c h e n Realisierbarkeit in je konkreten Handlungszusammenhängen von Motiven zu sprechen; gemeint ist dann das (Streben nach dem) Herstellen je b e s t i m m t e r , ganz konkreter Beziehungsmuster mit den jeweiligen anderen (Beziehungsmuster, die auch längerfristig (immer wieder) reproduziert werden (wollen)). Das Motiv ist die je aktuelle reale Konkretisierung des konkreten Bedürfnisses, welches seinerseits hervorgegangen ist aus der ursprünglichen MotiveKonstituierung in der Tätigkeit. Es kommt hier des w e i t e r e n -und dies ist ein Problem der t h e o r e t i s c h e n (Text-)Darstellung- der Umstand hinzu, daß die Nennung bestimmter inhaltlicher Bedürfnisse als solches noch keine besondere 'Personspezifität' erkennen l ä ß t . So wird etwa das Bestreben, "der Beste" zu sein, sich sicherlich bei vielen Personen unserer G e s e l l s c h a f t ausmachen lassen; —die Bezeichnung klingt " a b s t r a k t - a l l g e m e i n " , denn damit ist noch nicht der konkrete Gehalt beschrieben, den ein solches personal herausgebildetes Bedürfnis in den vielf ä l t i g e n Lebensprozessen einer bestimmten Person einnimmt, wie es in deren alltäglichem Handeln immer wieder (als Motiv) realisiert wird. Verschiedene Personen (mit verschiedenen Biographien) werden (in verschiedenen gegenständlichen Kontexten) verschiedene Realisierungswege gehen (s.a. HASELMANN 1983). Auf der anderen Seite lassen sich dennoch generelle Aussagen treffen, wie etwa: Sofern je konkrete Bedürfnisse in der einen oder anderen Form immer wieder als Motive realisiert werden und dominierenden Stellenwert einnehmen, 104

somit die 'Bewegungsform des Subjekts im gesellschaftlichen Lebensprozeß' prägen, werden sie zum " L e i t t h e m a " (GLEISS 1980) der Entwicklung, der Lebenspraxis eines personalen Subjekts, machen dessen "Lebensorientierung" aus; und entsprechend strukturiert das Subjekt seine Umweltbeziehungen, um immer je b e s t i m m t e Erfahrungen über die eigene Person zu machen oder zu vermeiden. Um die Dynamik menschlichen Handelns und personaler Entwicklung noch genauer zu fassen, wäre darüber hinaus eine besondere Dialektik von konkreten Bedürfnissen (oder auch von allgemein-menschlichen Entwicklungsbestrebungen) und praktisch r e a l i s i e r t e n Motiven anzunehmen. Dies sei hier lediglich erwähnt und wird erst in Punkt 7.3 unter dem Gesichtspunkt der Konfliktdynamik einer Sozialform etwas ausführlicher aufgegriffen.

4.4 Motiv-System und Emotionen Nachdem es in der westlichen Psychologie längere Zeit vernachlässigt wurde, ist das Thema "Emotionen" jüngst verschiedentlich aufgegriffen und zur Diskussion g e s t e l l t worden (z.B. MANDLER 1979, IZARD 1981, ZAJONC 1980, SCHERER 1981, BENSE 1981, JAEGGI 1982, KLEIBER/STADLER 1982, VOLPERT 1983). In der sowjetischen Psychologie andererseits fand es schon früher Berücksichtigung (z.B. RUBINSTEIN 1971, REYKOWSKI 1973). "Die sowjetische Psychologie hat ... immer besonderen Wert auf die Gegenständlichkeit ... psychischer Erscheinungen g e l e g t . Nach RUBINSTEIN (...) e n t h a l t e n Gefühle in Form des unmittelbaren Erlebens die Bestimmung der Beziehung des Menschen zur Umwelt ... REYKOWSKI (1973, 22) a k z e n t u i e r t zwei Aspekte der sowjetischen Emotionslehre: '(1) Den Aspekt der Widerspiegelung: Die Gefühle ... bilden eine spezifische Form der Widerspiegelung der Beziehung der Objekte (Gegenstände; S.H.) der Umwelt zum Subjekt. (2) Den Aspekt der Beziehung: Die Gefühle ... bilden eine Form der aktiven Beziehung des Menschen zur Umwelt...'" (BENSE 1981, 58). Daß Emotionen gegenständlich sind, wird auch von OBUCHOWSKI (1970) betont, der sie des weiteren als eine "spezifische Form der Orientierung" bezeichnet (ebd). Auf eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Emotionskonzepten kann ich mich hier nicht einlassen. Es sollen nur die Grundzüge einer tätigkeitstheoretischen Emotionsauffassung, die im Kern mit den soeben genannten Bestimmungen kongruent ist, aus meiner Sicht genannt werden. Die Emotionalität ist in der " M o t i v a t i o n a l i t ä t " gegründet und umgekehrt drücken sich die Motive/Bedürfnisse und Motivationen/Wünsche im emotionalen Erleben aus. Die "emotionalen Erscheinungen (können) nur im Zusammenhang mit dem motivationalen Bereich der Persönlichkeit verstanden werden (...), der die Entstehung und den Verlauf der Emotionen vermittelt" (LEONTJEW 1977, 87); die Beziehungen zwischen den Motiven charakterisieren die Sphäre der emotionalen Erlebnisse, welche das "Funktionieren" der Persönlichkeit vermitteln (vgl. ders. 1982, 191). Das emotionale Erleben ist hierbei -noch genauer- als Erlebens-(Gefühls-)Prozeß (etwa i.S. von BENSE 1981) zu verstehen. Im Zentrum der Betrachtung steht nun erstmal die persönlichkeits"funktionale" Emotionalität, — dies unter Absehung von der Differenzierung zwischen 105

a) persönlichkeitsrelevanten sinnbildenden und b) aktuell handlungsrelevanten "bloß" stimulierenden Motiven, die eine entsprechende D i f f e r e n z i e r u n g von a) Emotionen sowie Stimmungen und b) Gefühlen sowie Affekten nach sich zieht (s. dazu Punkt 5.2.1). In Punkt 3.2.2b) wurde b e r e i t s davon gesprochen, daß sich im emotionalen Erleben der persönliche Sinn, den Gegenstände/Ereignisse/Sachverhalte für das Subjekt haben, f kundtut'; daß Emotionen das Subjekt zu seiner 'Dimension der Subjektivität' hinführen, ihm damit einen Zugang e r ö f f n e n können zu den eigenen (meist nicht-bewußt realisierten) Tätigkeitsmotiven und deren hierarchische Verbindungen, welche seine Sozialform charakterisieren; daß sich das Subjekt deshalb in der deutlich erlebten Emotionalität (die aber als solche angenommen und zugelassen werden muß) seiner Persönlichkeit am nächsten ist. Dem zugrunde liegt die Kernaussage der tätigkeitstheoretischen Emotionsauffassung, welche lautet: "Die Besonderheit der Emotionen besteht darin, daß sie die Beziehungen zwischen den Motiven und der Möglichkeit einer ihnen adäquaten Tätigkeit des Subjekts widerspiegeln" (LEONTJEW 1977, 86), anders f o r m u l i e r t : "darin, daß sie die Beziehung zwischen den Motiven (den Bedürfnissen) und dem Erfolg oder der Möglichkeit der erfolgreichen Realisierung der ihnen entsprechenden Tätigkeit des Subjekts widerspiegeln" (ders. 1982, 189). Dabei handelt es sich "nicht um eine Reflexion dieser Beziehungen, sondern um ihre u n m i t t e l b a r sinnliche Widerspiegelung im Erleben" (ebd). Die Emotionen signalisieren dem Subjekt also unmittelbar sinniich-signalisch das Verhältnis von Motiv/Bedürfnis und t ä t i g h e r g e s t e l l t e r sozialer Wirklichkeit, d.h. ob und inwieweit es mit seinem Handeln einem a k t u a l i s i e r t e n konkreten Bedürfnis entsprechen kann/konnte bzw. ob solche Aussicht besteht (sich zu einer Sache hingezogen fühlen, intuitive Vorfreude, gefühlsmäßige Erwartungshaltung); die Emotionen signalisieren, ob in der Tätigkeit das persönlich-existentiell relevante Beziehungsmuster mit anderen wirklich eingegangen/hergestellt werden kann/konnte oder nicht; beziehungsweise sie signalisieren auch die in jeweiligem Tätigkeitsfeld und Handlungszusammenhang erfahrungsbedingt-erahnte Chance einer Motive-/Bedürfnis-Realisierung (wie etwa: "überlegen sein"). Die Emotionen bringen demnach das positive oder negative "feedback" der gelungenen versus nicht gelungenen Motive-Realisation, aber auch 'vorausschauend' orientieren sie das Handeln, determinieren sie bereits die Ziel wähl ("Emotionen des Wünschens, Wollens, Strebens nach einem Ziel"; LEONTJEW 1977, 89; 1982, 195), beeinflussen des weiteren die Handlungsplanung und schließlich die Art der Handlungsausführung (s.a OFFE/OFFE 1981). Es ist ja folgendes zu beachten: Da die Motive zwar grundsätzlich tätigkeitsleitend sind, aber zumeist nicht bewußt, kann hier nicht 'das Bewußtsein', nicht das bewußte Kognizieren, vermittelnde und regulierende Funktion übernehmen; zwischen Tätigkeit und Motiv muß statt dessen eine andere vermittelnde und regulierende 'Größe' treten. Dies ist die Rolle der Emotionen (s.a. KLEIBER/STADLER 1982). Unter diesem Gesichtspunkt haben die emotionalen Erlebnisse die Funktion innerer Signale, mit deren Hilfe die Handlungen und Operationen geregelt werden. So gesehen sind sie nicht bloße 'Begleiterscheinungen' des Handelns, sondern regulieren dieses auch. Gerade diese regulative Funktion der Emotionen wird von KLEIBER/STADLER (aaO) und von O F F E / OFFE (aaO) hervorgehoben. Sich auf NITSCH (1982) beziehend, betont auch VOLPERT (1983), daß Emotionen der Regulation von Handlungen dienen, selbst eine Form dieser Regulation sind und ferner, daß sie "im und aus dem Handeln" entstehen, somit erfahrungsabhängig sind. Diese Aussagen stimmen 106

uberein mit der LEONTJEW'schen Feststellung, daß sie Ergebnis der Tätigkeit und ihr 'Mechanismus' sind (dto 1982, 188). Dabei ist zu beachten, daß sich die Wirksamkeit der Emotionen nicht auf Zeitpunkte vor der rationalen Handlungsbewertung oder nach der vollzogenen Handlung beschränkt, vielmehr sind sie laufend wirksam, vor, während und nach einer besonderen Handlung und ihrer "rationalen" (bewußt kognitiven) Bewertung. Es ist anzunehmen (-dies geht auch aus der Entwicklungslogik und der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit hervor-; vgl. Kap. 5), daß die Emotionen (emotionalen Wertungen) den Kognitionen (kognitiven Bewertungen) genetisch (vor allem auch aktualgenetisch) vorgeordnet sind (s. ZAJONC 1980); eine prinzipielle Trennung von Emotion und Kognition ist hingegen unangebracht. Kennzeichnend für e m o t i o n a l e Erlebnisse (Interesse/Langeweile, Freude/Enttäuschung etc.) ist zumeist ihr subjektiver Wertungschar a k t e r , aber als Gefühlserlebnisse haben die emotionalen 'Wertungen' selbst zunächst keinen kognitiven Charakter. Die globale e m o t i o n a l e p o s i t i v / n e g a t i v - W e r t i g k e i t t r i t t u n m i t t e l b a r nicht-sprachlich ins Bewußtsein. Gefühlserlebnisse sind "Erscheinungen, die an der Oberfläche des Bewußtseinssystems entstehen", sagt Leontjew (1977, 60). Ihre 'Erfassung', Benennung bzw. Deskription und Interpretation durch das Subjekt hingegen ist kognitiv vermittelt. Die bewußte 'Erfassung' und 'Annahme' eines emotionalen Erlebnisses ist ein Prozeß des Begrifflich-Machens der erlebten emotionalen plus/minus-Wertungen, ein Prozeß der Symbolisierung, damit verbunden m.E. auch schon ein Prozeß der kognitiven Interpretation. Die sog. "erlebniszentrierten" Therapieverfahren legen den Schwerpunkt gerade auf das Erfassen und Annehmen, darüber hinaus auf die Deutung sowie auf das 'Ausleben' und/oder 'Ausagieren' der von den "Klienten" selbst o f t übergangenen, beiseite-geschobenen, nicht-zugelassenen emotionalen Erlebnisse. Tatsächlich ist Annehmen, Zulassen, Deuten und Ausleben der eigenen Gefühlserlebnisse auch aus tätigkeitstheoretischer Sicht wichtig. Steht also das Gefühlserleben selbst im Zentrum der Betrachtung, ergibt sich auch die Frage nach der Bewußtheit seines Gegenstandes. Nach BENSE (1981) ist das emotionale Erleben in einem "Treppenmodell" a u f s t e i g e n d als Prozeß zunehmender Bewußtheit des Gegenstandes der Emotion bis zu dessen bewußter Erkenntnis zu konzipieren (vom ersten Empfinden "Da ist etwas" über das positionale Erleben "Das ist angenehm/unangenehm" zum Erkennen "Das ist es"), dann absteigend als Prozeß, in dem -i.S. des Modells des sensumotorischen Lernens und des Fertigkeitserwerbs- die Bewußtseinshöhe der "Erkenntnis" wieder verlassen wird. Demnach gehen Erlebens- und Erkennensprozeß ineinander über (s.a. Punkt 6.4). Bei diesem BENSE-Modell ist aber zu beachten, daß mit der Stufe der "Erkenntnis" hierbei lediglich die bewußte Erfassung (begriffliche Widerspiegelung) des Gegenstands eines emotionalen Erlebnisses gemeint i s t , die B e g r i f f l i c h Machung oder adäquate Symbolisierung des -vorher "impliziten"- Bedeutungsgehalts bestimmter innerer Erlebnisgegenstände ("das ist es ") ,4) nicht aber die Erkenntnis des Tätigkeitsmotivs i.S. der hier vorgelegten t ä t i g k e i t s t h e o r e t i schen Konzeption. Die Erkenntnis des Gegenstands der Emotion ist noch nicht identisch mit der bewußten Erkenntnis des Motivs als dem Gegenstand (i.w.sT der T ä t i g k e i t . Aber ersteres, -die bewußte Widerspiegelung/begriffliche Fassung, das Begrifflich-Machen/adäquate Symbolisieren des Gegenstands des Gefühlserlebens (die/das allerdings auch häufig abgewehrt wird: "Gefühlsabwehr", s. Punkt 5.4.4), bildet für das Subjekt eine wichtige Voraussetzung, um 107

- s u b j e k t i v - Zugang zur Erfassung der relevanten sinnbildenden Motive seiner Tätigkeit zu finden. Im Hinblick auf das Bewußtwerden des gegenständlichen Inhalts eines Tätigkeitsmotivs allerdings besteht das Paradoxe darin, "daß sich die Motive dem Bewußtsein nur objektiv, durch die Analyse der Tätigkeit, ihrer Dynamik entdecken. Subjektiv äußern sie sich jedoch nur indirekt als Erleben des Wünschens und Wollens, des Strebens nach einem Ziel" (LEONTJEW 19S2, 194f). Das heißt: der Weg zur bewußten Erfassung der t a t s ä c h l i c h e n Tätigkeitsmotive geht a) vom subjektiven Erleben, der ursprünglichen Subjektivität, aus (Emotionen stellen Signalerlebnisse dar, fungieren als "Markierungszeichen" von motiv-/persönlichkeitsrelevanten Ereignissen), aber andererseits b) lassen sich die wahren Motive "nur objektiv klären, das heißt 'von außen her 1 ..." (LEONTJEW 1977, 89), nur 'von der objektiven Seite', nämlich de zentriert. Die hier angesprochene Paradoxie entwirrt sich erst, wenn man versteht, daß das Bewußtwerden der relevanten (sinnbildenden) Tätigkeitsmotive noch einen weiteren Schritt erfordert in einen Reflexionsmodus, in dem die Vermittlung von Subjektivem und Objektivem gegeben ist (sich von innen und außen zugleich sehen). Dies ist die rezentrierte Reflexion, wie sie in Kapitel 6 e r läutert wird. Nun aber noch mal zur Emotionalität. Während von LEONTJEW und von anderen tätigkeits- bzw. handlungstheoretisch o r i e n t i e r t e n Autoren insbesondere die Signalfunktion der Emotionen betont wird, muß die Emotion aber auch selbst als Aktion begriffen werden können. Emotion als Handeln wird jüngst etwa von Roy SCHAFER (1982, Teil III; s. aber auch Susanne LANGER 1967) in den Vordergrund g e s t e l l t , wobei er gleichwohl einen relativ weiten Begriff des Handelns zugrundelegt (aaO, 70ff). Jedenfalls legt diese Sicht die für praktisch-therapeutische Zwecke nützliche 'Sprachregelung' des Verzichts auf abstrakte Substantive (wie Liebe, Trauer; Eifersucht, Kummer) und statt dessen den Gebrauch von Verben, Adverbien und adverbialen Wendungen (lieben, t r a u e r n ; eifersüchtig oder kummervoll nicht sein, sondern handeln) nahe. Emotionen werden demnach nicht passiv e r l i t t e n , sondern aktiv vollzogen und wesentlich ist, dies solchermaßen zu verstehen und auch bei sich selbst so zu erleben. Aus t ä t i g k e i t s t h e o r e t i s c h e r Sicht wäre dabei jeweils das Verhältnis der "Emotionshandlung" zum Motiv der Tätigkeit zu klären (gemäß der 'Befriedigung' versus 'Nicht-Befriedigung' des dahinterstehenden Bedürfnisses). Insbesondere sollten die persönlichkeitsrelevanten Stimmungen in der Praxis als Handeln, als Aktionen k o n z e p t u a l i s i e r t werden, des weiteren die "pathopsychologischen" emotionalen "Zustände", wie dies SCHAFER am Beispiel der Depression ausführt (aaO, 264ff). In diesem Abschnitt wurde davon abgesehen, daß die Differenzierung von sinnbildenden und stimulierenden Motiven auch eine D i f f e r e n z i e r u n g zweier Arten von Emotionalität nach sich zieht, wovon die eine den persönlichen Sinn ausdrückt und persönlichkeits"zentral" ist, die andere -weniger 'tiefgehend'- die Erfüllung oder F r u s t r a t i o n oder Störung bewußter Pläne, Wünsche, Genüsse etc. in je aktuellen Handlungssequenzen ausdrückt. Diese Unterscheidung wird in Kapitel 5 ausgeführt (Punkt 5.2.1), da sie dort anhand der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit expliziert werden kann.

108

Kapitel 5:

DIE STRUKTUR DER MENSCHLICHEN TÄTIGKEIT UNTERSUCHUNG DER INNEREN VERHÄLTNISSE VON PERSONALEN SUBJEKTEN UNTER DEM SYSTEMASPEKT

Eine umfassende Einführung der menschlichen Tätigkeit als der Grundkategorie jeder psychologischen Analyse erfordert die Untersuchung ihrer Struktur, ihrer Dynamik, ihrer Arten und Formen und ihrer Bedingungen (vgl. LEONTJEW 1977, 23; 1982, 84). Von ihren 'Bedingungen' (Gegenstand'seite'), ihren zwei 'Haupt'formen (äußere und innere Tätigkeit) und ihrer Dynamik (motivationaie Grundlage, — Bedürfnisbefriedigung in reproduktiven Zyklen) war bereits in den Kapiteln 3 und 4 die Rede. Hier nun in Kapitel 5 geht es um die innere Struktur der menschlichen Tätigkeit, die -wie schon erwähnt- als 'Ebenenstruktur' zu charakterisieren ist. Ausgehend von dieser 'Ebenenstruktur', mit der hier auf das personale Subjekt und dessen innere Verhältnisse zentriert wird, lassen sich denn auch die Verhältnisse der beiden Motivarten (sinnbildende und stimulierende Motive) zueinander und die Struktur des 'individuellen Ideellen' erhellen.

5.1

Grundschemata zur inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit

Die bloß kategoriale Bestimmung der menschlichen Tätigkeit (von der noch in Kap. 3 ausgegangen wurde) birgt zumindest zwei Ungeklärtheiten in sich: 1. Es wird nicht recht deutlich, daß es sich immer um einzelne, konkrete Tätigkeiten handelt, die erst in ihrer Gesamtheit die Lebenspraxis eines Subjekts ausmachen; daß also 'Ausgangseinheit' der psychologischen Analyse die einzelnen, konkreten, die spezifischen Tätigkeiten eines Subjekts sein müssen (vgl. Punkt 3.4, Abb. 2). Und: 2. Es wird nicht recht klar, inwiefern mit einer Tätigkeit eines Subjekts sowohl linear-produktive als auch gleichzeitig sozialreproduktive Akte vollzogen werden und in welchem besonderen strukturellen Verhältnis diese beiden Prozesse (beim personalen Subjekt) stehen. Wie schon ausgeführt (s. 3.4), umfaßt auf menschlichem Spezifitätsniveau der Tätigkeitsbegriff den Handlungsbegriff; jedoch muß dies noch verdeutlicht werden. In Anlehnung an LEONTJEW (1977, 1982, m.E. auch 1973) läßt sich die Struktur der menschlichen Tätigkeit als 'Ebenenstruktur' konzeptualisieren, die die folgenden Prozeßebenen umfaßt: (spezifische) Tätigkeiten—ihre Motive, Hand109

lungen—ihre Ziele, Operationen—ihre Bedingungen (s. Abbildung 3; s.a. HASELMANN 1982). Aus der 'Ebenenstruktur' der Tätigkeit ergibt sich, daß (linearproduktive) zielgerichtete Handlungen -entgegen den Annahmen der Handlungstheorie(n)- nicht sinnvoll bloß 'für sich genommen' analysiert werden können, denn die eine (spezifische) Tätigkeit verwirklichende Gesamtheit der konkreten Handlungen "stellt gleichsam nur die Hülle dieser ... Tätigkeit dar, welche diese oder jene wirkliche Beziehung des Menschen zur Welt realisiert; - eine Hülle, die von den objektiven Bedingungen (zuweilen von zufälligen Bedingungen) abhängt" (LEONTJEW 1977, 78; 1982, 177). Zwar besitzen Handlungen relative Eigenständigkeit, 1. insofern ein und dieselbe Handlung u n t e r s c h i e d liche Tätigkeiten zu realisieren vermag (beispielsweise können der zielgerichteten Handlung, an einen bestimmten Ort zu gelangen, ganz unterschiedliche Motive zugrundeliegen und das heißt: es können mit derselben Handlung ganz unterschiedliche Tätigkeiten r e a l i s i e r t werden) und 2. weil Handlungen im Entwicklungsverlauf "selbständige motivierende Kraft" (LEONTJEW 1977, 38; 1982, 109) erlangen, somit in spezifische Tätigkeiten übergehen können (nämlich dadurch, daß Ziele in Motive umgewandelt werden; vgl. mit Abb. 3). Aber ebenso wie die Operationen in bezug auf die Handlungen, die sie a u s f ü h r e n , nichts Selbständiges darstellen, stellen die Handlungen nichts Selbständiges dar in bezug auf die Tätigkeit, die sie realisieren. (Handlungen werden ausgeführt, um eine bestimmte Tätigkeit zu realisieren, sie dienen der Motive-Realisation in der Tätigkeit, oder man könnte auch sagen: sie sind Mittel der spezifischen T ä t i g k e i t , durch die ein bestimmtes materiell-soziales Verhältnis hergestellt wird; vgl. unten). Eine spezifische Tätigkeit umgekehrt kann nur über konkrete Handlungen realisiert werden: "die menschliche Tätigkeit existiert nur in Form einer Handlung oder einer Handlungskette" (dto, 35). Wesentlich an dieser Bestimmung (daß motivbezogene Tätigkeiten durch zielgerichtete Handlungen realisiert werden) ist die Differenzierung von Motiv und Ziel auf den beiden Prozeßebenen. Während das Handeln vom Tätigkeitsmotiv veranlaßt/angeregt wird, ist es auf das konkrete Ziel gerichtet. Und wie schon in Kapitel 4 im Zusammenhang mit dem Exkurs zur 'Bewußtseinsproblematik' (in dem ja auf die historische Entstehung menschlicher Handlungen zurückgegangen werden mußte) deutlich wurde, ist beim Menschen das, was seine Tätigkeit veranlaßt (= das Motiv) i.,a. nicht identisch mit dem, worauf sich seine Handlungen richten (= den Zielen). Man denke nur an den Fall, daß ein Student Bücher liest (= Handlung e n ) mit dem Ziel, den Inhalt der Texte anzueignen), um eine Prüfung zu bestehen (= übergeordnete Tätigkeit). Ähnliche Beispiele (speziell Schüler-Beispiele) werden von LEONTJEW in seinem 73er Text häufig gebracht; - es ist aber zu beachten, daß hierbei mit "Prüfung machen" nur die allgemeine Tätigkeitskategorie, nicht aber das besondere Motiv, das für den bestimmten Studenten mit dem Prüfung-Bestehen verbunden ist, genannt ist (—vielleicht "muß" er in der Prüfung besser als alle anderen abschneiden oder aber nur 'gerade eben so durchkommen'—). Die Spezifizierung des Motivs ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Aussage über die Nicht-Identität von Motiv und Ziel, die modal gesehen die Regel ist. Wie die Tätigkeiten durch Handlungen, so werden die Handlungen durch Operationen realisiert. Operationen sind so gesehen Verfahren des Handlungsvollzugs. Während die Handlung von ihrem Ziel her bestimmt wird, sind ihre Operationen von den objektiv-gegenständlichen Bedingungen der Zielerreichung b e s t i m m t . Dadurch wird ein F e s t h a l t e n am Ziel (damit konsistente Zielerrei110

chung) selbst bei veränderten Bedingungen möglich, indem sich gemäß den veränderten Bedingungen lediglich die "Operationskomponenten" der Handlung ändern (s. dazu HACKER 1973). ABBILDUNG 3:

Grundschema zur inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit

^ :

Prozesse der Vergegenständlichung

^ t

Prozesse der Determination

lebendige Aktivitä t des menschlichen Subjekts (äußere und i n n e r e T ä t i g keit )

g e g e n s t ä n d l i c h e Welt ( m a t e r i e l l e und symbolische Gegenstände) und g e s e l l s c h a f t l i c h e Wir k l i c h k e i t ( V e r h ä l t nisse)

Das in Abbildung 3 dargestellte "Grundschema" bedarf noch in verschiedenerlei Hinsicht der Erläuterung. Ganz allgemein veranschaulicht es, daß die traditionelle Trennung von 'Innenwelt 1 und 'Außenwelt', damit die inadäquate Frontstellung von Individuum und Gesellschaft hier überwunden ist und statt dessen der Unterscheidung von Tätigkeit des Subjekts (T) auf der einen Seite und gegenständlicher und gesellschaftlicher R e a l i t ä t (G) auf der anderen S e i t e weicht. Die Grundstruktur der menschlichen Tätigkeit ist dann als verschiedene Prozeßebenen von Tätigkeits-Gegenstands-(T-G-)Verhältnissen a u f g e s c h l ü s s e l t , wobei jedenfalls deutlich wird, daß auch der Gegenstand der Tätigkeit dreifach aufzuschlüsseln ist, nämlich als: Motive, Ziele, Bedingungen (s.a. Kap.3). Und erst aus dieser Sicht wird klar, weshalb der Gegenstand der Tätigkeit, -näm111

lieh einer spezifischen T ä t i g k e i t , die durch zielgerichtete Handlungen und deren Operationen realisiert wird-, als deren "tatsächliches Motiv" (LEONTJEW) zu bestimmen ist. Motive, Ziele und Bedingungen (Gegenstands'seite 1 ) sind die gegenständlichen 'Komplemente' der Tätigkeiten, Handlungen und O p e r a tionen und so mit ihnen in (widersprüchlicher) Einheit verbunden. Das Motiv ist hierbei als "sinnbildendes" zu verstehen, nämlich als ein in der Tätigkeit v e r g e g e n s t ä n d l i c h t e s Kooperations- und Kontrollbedürfnis (vgl. Kap. 4 und Punkt 5.2). Aus dem Schaubild geht hervor, daß die Motive keine im Individuum hockenden 'Entitäten', daß sie nicht ursprünglich im Individuum (dessen "Innenwelt") enthalten sind, sondern erst durch die Tätigkeit des Subjekts in dessen Wirklichkeit der g e s e l l s c h a f t l i c h e n Verhältnisse 'gefunden' werden. Ähnliches gilt für die Ziele der Handlungen: auch sie sind in den objektiven Umständen e x i s t e n t ; sie sind nicht einfach erfunden, nicht völlig willkürlich gestellt, sondern müssen erst über einen "relativ langen Prozeß der Erprobung, der 'Vergegenständlichung' der Ziele durch die Handlung" (LEONTJEW 1977, 36; 1982, 105) 'gefunden' und konkretisiert werden. Das Motiv der Tätigkeit s t e c k t zwar den Bereich der ihm adäquaten Ziele ab (s. unten), bestimmt sie aber nicht in ihrer inhaltlich konkreten Form. In letzterer Hinsicht hängen die Handlungsziele von den je konkreten objektiven gegenständlichen Umständen ab. Daß ferner die gegenständlichen Bedingungen der Zielerreichung, denen sich die Operationen (Handlungsverfahren) unterordnen müssen, nicht im Individuum stecken, sondern der objektiven Realität angehören, ist ohnehin klar. Wie sich die Operationen den Bedingungen und die Handlungen den Zielen, so ordnen sich die Tätigkeiten den Motiven unter ("Prozesse der Determination"), wie aber auch a n d e r e r s e i t s die Bedingungen, Ziele und Motive durch diese Tätigkeiten verändert werden ("Prozesse der Vergegenständlichung). Daraus ergibt sich annäherungsweise eine Erhellung des Verhältnisses von objektiver Determination und subjektiver Freiheit unter dem Systemaspekt, allerdings hier beschränkt auf die T-G Verhältnisse. Das Prinzip der Ko-Evolution von Tätigkeit und Gegenstandsprozeß (vgl. Punkt 3.1) gilt auch f ü r die verschiedenen 'Ebenen' von T-G Verhältnissen der Grundstruktur menschlicher Aktivität. So läßt sich für die Handlungs-Ziel-Ebene etwa formulieren, daß die Handlungen und gegenständlichen Ziele im Fortgang tier lebendigen Aktivität einander entwickeln. Entsprechendes kann für die beiden anderen Ebenen gesagt werden. Relevant ist vor allem das Verhältnis der drei Prozeßebenen zueinander: die je höhere Ebene ermöglicht und begrenzt die darunterliegende. Der 'Spielraum' der Handlungen ist begrenzt durch die spezifische Tätigkeit, in die sie einbezogen sind, die sie realisieren und gleiches gilt für die Operationen in bezug auf die Handlung, die sie ausführen. Umgekehrt resultieren die höheren 'Einheiten' aus der Vielfalt der unteren Prozesse als neue höhere Allgemeinheit (vgl. Punkt 3.4) und sind in ihrer Verwirklichung auf die Prozesse der je 'unteren Ebene' angewiesen (vgl. auch Punkt 3.2.3). Diese Verhältnisse implizieren also, daß die 'übergeordnete' spezifische Tätigkeit die sie realisierenden Handlungen inhaltlich-qualitätsmäßig bestimmt und f e r n e r , daß die T ä t i g k e i t nur über diese Handlung(en) zur Verwirklichung gelangt. Wenn ich etwa ein fachliches Gespräch führe (kommunikative Handlung) und mich dabei als überlegen herausstellen muß (Tätigkeit), wird diese Kommunikationshandlung einen anderen Charakter haben, als wenn es mir darum g e h t , i n f o r m a t i v - m i t t e i l s a m - h i l f r e i c h o.ä. zu sein, ich also eine andere Tätigkeit

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r e a l i s i e r e . Umgekehrt kann aber die jeweilige Tätigkeit nicht anders als über entsprechende Handlungen verwirklicht werden. "Das aligemeine Prinzip, dem die Beziehungen zwischen den Ebenen folgen, besteht darin, daß die jeweilige höhere Ebene s t e t s die f ü h r e n d e b l e i b t , sie sich aber nur mit Hilfe der tiefer liegenden Ebenen realisieren kann und darin von ihnen abhängt" (LEONTJEW 1982, 221; im Original hervorgehoben). Das Prinzip der Determination (Ermöglichung und Begrenzung) vom je 'oberen Kontext' (= der je höheren 'Einheit') besagt nun, daß die Motive der Tätigkeit den Bereich der 'in Frage kommenden' Handlungsziele abstecken (das sind -von allen in einem jeweiligen Tätigkeits-/Handlungsfeld objektiv existenten Ziele ndie dem jeweiligen Motiv -zwecks Motive-Realisierung- 'adäquaten' Ziele) und daß die gegenständlichen Handlungsziele den Bereich der im Handlungszusammenhang (zwecks Zielerreichung) relevanten Bedingungen abstecken. Erst über das genannte Determinationsverhältnis von T ä t i g k e i t s m o t i v e n zu Handlungszielen läßt sich dann die subjektive Zielbildung/Zielsteliung verstehen. Im realen Leben ist ja die Zielbildung das w i c h t i g s t e Moment bei der Entstehung einer Handlung. Wie b e r e i t s kritisch bemerkt, vermag etwa die Handlungstheorie gerade die relevante Frage der subjektiven Zielbiidung nicht zu klären. Und dies ist ein schwerwiegendes Manko u.a. deshalb, weil sich besonders im psychotherapeutischen Bereich (jedoch keineswegs nur dort) f e s t stellen läßt, daß die eigentliche 'Problematik' gerade in den Zielstellungen des Subjekts zu bestehen, genauer: in Problemen der Übernahme ' d e s t r u k t i v e r ' Ziele (z.B. Selbstmord) bzw. der Vermeidung der Übernahme 'konstruktiver' Ziele (z.B. Kontaktaufnahme) zu liegen scheint, nicht hingegen so sehr in der unzureichenden Handlungseffektivität (s. Kap. 2; vgl. GLEISS 1978). Der Kern der 'Problematik' ist somit primär im Motive-Ziele-Determinationsverhältnis anzusiedeln, nicht so sehr im Ziele-Bedingungen-Determinationsverhältnis, also: auf der Ebene der Tätigkeiten, die durch Handlungen realisiert werden, nicht auf der Ebene der Handlungen, die durch Operationen realisiert werden. Anmerkung: Die in Abbildung 3 dargestellte 'Ebenenstruktur' erscheint zwar als ' s t a t i s c h ' , -was e i n f a c h an der S y s t e m b e t r a c h t u n g s w e i s e l i e g t - ; es ist aber auch gerade der globale, genetisch-historische Zusammenhang von Tätigkeit, Handlung und Operation zu b e t o n e n . Nach LEONTJEW ist die Tätigkeit ein Prozeß, der durch ständige Transformationen gekennzeichnet ist. "Eine (spezifische; S.H.) Tätigkeit kann das Motiv verlieren, von dem sie ins Leben gerufen wurde; dann wird sie zu einer Handlung, die vielleicht eine ganz andere Beziehung zur Welt, eine andere Tätigkeit verwirklicht. Umgekehrt kann eine Handlung selbständige motivierende Kraft erlangen und zu einer besonderen Tätigkeit werden. Schließlich kann eine Handlung zu einem Verfahren der Erreichung eines Ziels, zu einer Operation transformiert werden, welche unterschiedliche Handlungen zu realisieren imstande ist" (LEONTJEW 1982, 109). Solche Transformationen sind nicht unter dem Systemaspekt (der hier eingenommen wird), sondern unter dem Entwicklungsaspekt zu sehen. Aber auch hier gilt festzuhalten, daß das System faktisch immer in Bewegung ist. Die Handlungen und ihr 'Komplement', die gegenständlichen Ziele, bilden die zentrale Ebene der subjektiven Prozesse, denn sie sind im Bewußtseinsstrom am deutlichsten präsent, während sowohl Tätigkeiten und Motive als oberer Kon113

t e x t , als auch Operationen und gegenständliche Bedingungen als unterer Kontext nur den notwendigen Umrissen nach bewußt repräsentiert sind. Dabei hat allerdings das Nicht-Bewußte des »oberen Kontextes 1 eine völlig andere Qualität als das Nicht-Bewußte des 'unteren Kontextes' (s. dazu Punkt 5.4). Wenn nun auch die zentrale Ebene der subjektiven Prozesse, so läßt sich über die Handlungs-Ziel-Ebene doch nicht die Persönlichkeit charakterisieren. Handlungen und Operationen "charakterisieren die Tätigkeit und nicht unmittelbar die Persönlichkeit" (LEONTJEW 1977, 77). Der Autor stellt fest, daß Handlungen und deren Operationen "für sich genommen -in der Abstraktion vom System der Tätigkeit- überhaupt nichts aussagen über ihr Verhältnis zur P e r sönlichkeit" (ebd). Die Analyse der Persönlichkeit des Menschen kann nur als Analyse ihrer spezifischen Tätigkeiten vollzogen werden (s.a. GLEISS 1978, 1979, 1980). Das Motiv, das die Tätigkeit veranlaßt, bewirkt das 'Betreten' bestimmter und das Vermeiden bestimmter anderer 'Tätigkeitsfelder'. So werden vom Subjekt Umweltsituationen gemäß dem Motiv strukturiert. Dies erfolgt ganz konkret durch die Handlungen des Subjekts und der Charakter der einbezogenen Handlungen ist wiederum durch die Tätigkeits-Motiv-Ebene bestimmt. Umweltstrukturierungen gemäß "dominierender" Tätigkeitsmotive markieren die 'Bewegungsform des Subjekts im gesellschafltichen Lebensprozeß' (vgl. Kap. 4). Für die praktische Psychologie andererseits muß die Betonung zunächst auf der Handlungs-Ziel-Ebene liegen, denn diese ist ihre Ansatzstelle und ihr Ausgangspunkt (vgl. BRANDES 1982b). Die Handlungs'ebene' ist auch die Ebene der aktualgenetischen subjektiven Prozesse, des 'Psychischen', so wie es vom Subjekt aktuell erfahren wird (vgl. Punkt 5.4; Abb. 6). Das Wesentliche ist nun, daß die spezifischen Tätigkeiten nicht mehr nur an einzelne personale Subjekte gebunden sind; sie werden vielmehr durch kooperierende, soziale Subjekte realisiert; sie dienen deshalb auch nicht der organismischen (individuellen) Reproduktion, sondern der Reproduktion der ü b e r p e r sonalen T ä t i g k e i t s s t r u k t u r , der Reproduktion des personalen Subjekts als soziales Wesen (der sozialen Reproduktion). Unter dem Gesichtspunkt, daß die (zyklischen) Tätigkeiten die soziale Reproduktion, die (linearen) Handlungen die Produktion realisieren, bringt das dargestellte Grundschema zur inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit somit in anschaulicher Weise lineare Produktion und zyklische soziale Reproduktion in einen spezifischen strukturellen Zusammenhang; - dies hier allerdings (wenn zwar durch die Definition der Motive und der Tätigkeits'ebene' das personale Subjekt ebenfalls als soziales Subjekt einbezogen ist) schwerpunktmäßig mit Blick auf ein Subjekt. Jedenfalls läßt sich anhand des Schemas die Kernaussage der Tätigkeitstheorie über die "doppelte V e r m i t t e l t h e i t der menschlichen Tätigkeit", daß sie nämlich a) den direkten Kontakt zur gegenständlichen Welt herstellt sowie gleichzeitig b) 'ihrer Natur nach gesellschaftliche' Beziehungen mit anderen Menschen realisiert, nun auch strukturell festmachen, nämlich a) an der Handlungs-Ziel-Ebene und b) an der Tätigkeits-Motiv-Ebene (-und wie bereits erwähnt, dient dabei die Produktion (a) letztlich der sozialen Reproduktion (b)-). Damit wird d e u t l i c h , daß die Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung (von der ja schon mehrmals die Rede war), nämlich a) Subjekt-'Natur'-Austausch und b) Subjekt-Subjekt-Verhältnisse in der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit verankert ist. Entsprechend dem erwähnten Doppelcharakter ist denn auch festzustellen, daß die lebendige Aktivität des Menschen zwei objektive Resultate hat, nämlich Ri: das gegenständliche Produkt (Zielerreichung) und R2: ein hergestelltes und 114

r e p r o d u z i e r t e s m a t e r i e l l - s o z i a l e s Verhältnis, das das Subjekt selbst enthält (Motive-Realisation). (Letzteres entspricht der Definition der Motive als 'soziale Reprodukte'. S.a. HASELMANN 1983). Zum Beispiel koche ich für mich und die Mitglieder meiner Wohngemeinschaft eine Mahlzeit (Ziel/gegenständliches Produkt) und realisiere damit das Verhältnis, meiner 'Pflicht' nachzukommen, oder etwa das Verhältnis, dafür bewundert zu werden (Motiv/sozialkooperatives Verhältnis als materiell-soziales Resultat). Es ist hier a n z u m e r k e n , daß -da im Grundschema der Abb. 3 das 'System des individuellen Ideellen' (I) noch ausgespart ist-, Motive und Ziele anhand dieses Schemas noch nicht als ideelle Vorwegnahmen der objektiven R e s u l t a t e konzeptualisiert sind. Als solche existieren sie aber natürlich auch; und es kann Diskrepanzen geben zwischen den subjektiv antizipierten und den faktischen Resultaten. Im Unterschied zur Antizipation des Ziels ist die 'ideelle Vorwegnah me' des Motivs i.d.R. nicht bewußter Art (s. dazu Punkt 5A) Mit der Betonung der Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung, unter dem Aspekt, daß sie sich über die zwei Resultate (Ri und R2) der lebendigen menschlichen Aktivität bestimmt, wird in der gleichzeitigen Verbindung mit der Trennung der beiden 'Sphären' der Produktion und der sozialen Reproduktion eine gewisse schematisierende Vereinfachung vorgenommen. Zumindest erfordert die D i f f e renzierung von (linearer) Produktion und ( zyklischer) Reproduktion des weiteren das Bedenken zweier existenznotwendiger Reproduktions"typen", nämlich 1. individueller (organismischer) und 2. sozialer Reproduktion, wobei zwar letztere die wesentliche ist, die erstere aber auch nicht grundsätzlich vernachlässigt werden darf. Und weiter ist zu bedenken: Im Subjekt-'Natur'-Austausch (wobei 'Natur' beim Menschen -wie gesagt- primär die g e s e l l s c h a f t l i c h g e s c h a f f e n e gegenständliche Welt ist) wird 'Natur' nicht nur produziert/hergestellt, sie wird auch einverleibt, ge- und verbraucht, konsumiert; die Produkte dienen vorwiegend der individuellen Reproduktion. Mit anderen Worten: der Subjekt-'Natur'Austausch ist nicht nur durch Produktion gekennzeichnet, sondern ebenfalls durch Konsumtion, u m f a ß t (linear-)produktive und individuell-reproduktive 'Sphäre'. S^-S^ - V e r h ä l t n i s (Beziehungsform) S^-N - A u s t a u s c h SUBJEKT

$2-N-Austausch SUBJEKT

Alles in allem v e r b i r g t sich hinter der in Rede stehenden Doppelnatur der Subjekt-Welt-BeZiehung tatsächlich eine Dreifachstruktur. Die Aufteilung der Dualität der Subjekt-Welt-Be Ziehung in a) Subjekt-'Natur'Austausch und b) Subjekt-Subjekt-Verhältnisse ist ohnehin, selbst f ü r a n a l y t i sche Zwecke (-um je beide Austausch-Verhältnisse differenziert zu betrach115

ten-), nur bedingt sinnvoll, da -wie schon mehrfach erwähnt- beides ja nicht trennbar (s.a. das Dreierschema von HILDEBRAND-NILSHON 1980, 144). Korrekterweise müssen beide auseinanderdividierten ko-evolutiven Wechselbeziehungen (Subjekt-'Natur' und Subjekt-Subjekt) als ein Subjekt-'Natur'-Subjekt Austausch-Verhältnis begriffen werden. Vorstehende Zeichnung mag dies veranschaulichen. Nur auf diesem Hintergrund kann dann die Gegenüberstellung von Subjekt-'Natur'-Austausch und Subjekt-Subjekt-Verhältnis bzw. auch von produktiver gegenüber sozial-reproduktiver 'Sphäre', die ich hiermit fortschreibe, adäquat verstanden werden. Wenn nun die Dualität der Subjekt-Welt-'Beziehung' in der Grundstruktur a) an der Handlungs-Ziel-Ebene e i n e r s e i t s und b) an der Tätigkeits-Motiv-Ebene a n d e r e r s e i t s f e s t g e m a c h t wird, so gilt es ferner, beide 'Dimensionen' auch unter dem Prinzip der Ko-Evolution zu betrachten. Dies bedeutet a) für die produktive (und konsumtive) 'Sphäre': die Ko-Evolution von lebendiger Aktivität (Handlungen und Operationen) und Gegenstandsprozeß (Ziele und Bedingungen), wobei hier in die T-G-Verhältnisse Gegenstände "im exklusiven Sinne" eingehen (s. dazu Punkt 3.2.2a)) und b) für die sozial-reproduktive 'Sphäre': das Einander-Entwickeln menschlicher Individuen in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen, wobei hier das T-"G"-Verhältnis Gegenstände "im inklusiven Sinne", also materiellsoziale Verhältnisse, umfaßt (vgl. Punkt 3.2.2a)). Motive wurden ja eben so definiert: als materiell-soziale Verhältnisse, die das Subjekt selbst enthalten. Die respektive Ko-Evolution in den beiden 'Dimensionen' der Subjekt-Welt-Beziehung muß aber auch vermittelt werden. Dabei lege ich das Augenmerk a) in der produktiven 'Sphäre' (Subjekt-'Natur'-Austausch) auf die Vermittlung durch Mittel (das sind primär Werkzeuge und Begriffe) und b) in der sozial-reproduktiven 'Sphäre' (Subjekt-Subjekt-Verhältnisse) auf die Vermittlung in Formen (Verkehrs-/Kooperationsformen). Solche Formen sind, wie schon gesagt (s. Punkt 3.3), als "Systeme von Begrenzungskanälen für (sozial-)reproduktive Prozesse" zu verstehen und sie werden gebildet "durch das Insgesamt der zugehörigen Mittel" und bilden i h r e r s e i t s den "reproduktiven Zyklus dieser Mittel". Wenn nun die für die Persönlichkeit relevante Tätigkeits-Motiv-Ebene b e t r a c h t e t wird, so lassen sich die (zielbewußten) Handlungen und deren (Bedingungen-gemäße) Operationen als variable Mittel der Motive-Realisierung v e r s t e h e n , wobei sich die durch das Motiv geleitete und durch Handlungen realisierte spezifische Tätigkeit ihrerseits in je bestimmten Formen des zwischenmenschlichen Verkehrs (Austausch-, Umgangs-, Beziehungsformen) vollzieht. Von daher ist die Form, in der das Subjekt mit anderen Menschen in Beziehung steht, an das Motiv seiner Tätigkeit geknüpft (und deshalb ist auch die 'Bewegungsform des Subjekts im gesellschaftlichen Lebensprozeß', dessen 'soziale Existenzform' bzw. 'Sozialform' durch dessen dominierend realisierte Tätigkeitsmotive b e s t i m m t ) . Das Motiv selbst ist das -das Subjekt selbst enthaltende- materiell-soziale (kooperative) Verhältnis, das hergestellt wird im Zueinander der Mittel (über die das Subjekt verfügt; d.h. auch dessen "Kompetenzen" und Fertigkeiten) und Formen (in denen es sich mit anderen bewegt). Tatsächlich sind ja auch generell gesehen die gesellschaftlichen Verhältnisse durch das Zueinander von Mitteln und Formen der lebendigen Aktivität der Menschen bestimmt, so etwa die gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse (in den Bereichen: Produktion, Distribution und Konsumtion) durch das Zueinander von P r o d u k t i v k r ä f t e n und Verkehrsformen; deren Verhältnis von MARX/ENGELS in der "Deutschen Ideologie" (MEW 3, 9-532) "als Verhältnis 116

zweier prozessierender Momente der sozialen Entwicklung untersucht wurde" (RAEITHEL 1981, 217). Im Grundschema zur inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit (Abb. 3) ist nun zwar über die Tätigkeits-Motiv-Ebene auch die Dimension der SubjektSubjekt-Verhältnisse einbezogen, jedoch liegt der Schwerpunkt auf der Betrachtung nicht der interaktiven Prozeßstruktur zweier oder mehrerer Subjekte, sondern der Struktur der lebendigen Aktivität eines personalen Subjekts. Damit wird also vom Grundmodell der Subjektverhältnisse, wie es in Abbildung 1 in Kapitel 3 d a r g e s t e l l t wurde, abstrahiert. Für eine differenziertere Untersuchung der inneren Verhältnisse von personalen Subjekten erscheint mir diese Abstraktion als sinnvoll. Deshalb wird das Grundschema der Abbildung 3 Ausgangsschema auch der weiteren Analysen dieses Kapitels bleiben. Es wäre aber andererseits schon möglich, das Schema der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit in das Modeil der Subjektverhältnisse (von Kap. 3: Abb. 1) einzubauen. Jedenfalls sind dann die T-T Kooperationsprozesse zwischen den Subjekten ebenfalls gemäß der 'Ebenenstruktur' der Tätigkeit nach den drei Ebenen von T-G Verhältnissen zu differenzieren, so daß man zu einer 'Ebenenstruktur' der Kooperation bzw. der sozialen Interaktion gelangt, wie in Abbildung 4 dargestellt. Das Schema zur 'Ebenenstruktur' der sozialen Interaktion bzw. der Kooperation wäre u.a. einer Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen zugrundezulegen. In dieser Hinsicht hat es Relevanz für die Untersuchung des sozial-interaktiven Handelns in Eltern-Kind-, Lehrer-Schüler-, Therapeut-Klient-, e t c . Beziehungen. Es wird hierbei deutlich, daß die Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen zumindest unter zwei wesentliche Gesichtspunkten zu erfolgen hat, nämlich: 1. Analyse der Beziehung, die Subjekte zueinander eingehen (—unter dem Handlungsaspekt—) und 2. Analyse der Beziehungsform, die Subjekte miteinander realisieren (—unter dem Tätigkeitsaspekt—T. Ein d r i t t e r Gesichtspunkt betrifft das sprachliche und nicht-sprachliche Aufeinander» Abstim men zweier Interaktions-/Kommunikationspartner (—auf Operationen'ebene'—). Hier spielen soziale Fertigkeiten und Mikro-Fertigkeiten beider Interaktionspartner eine Rolle, deren nonverbaler, mimischer, gestischer und sonstig körpersprachlicher Austausch. Dieser Aspekt ist sicherlich auch in der Therapie (Therapeut-Klient-Beziehung) r e l e v a n t (vgl. dazu BEIER 1966, ARGYLE 1972, 1975, SCHEFLEN 1976, CASPAR/GRAWE 1982); die Form, in der sich zwei Personen miteinander in Beziehung setzen, wird o f t nonverbalsignalisch auf Operationen'ebene' geregelt. Ich komme noch darauf zu sprechen. Die Unterscheidung der sozialen Interaktion auf Handlungsebene (s.o.: 1.) und auf Tätigkeits'ebene' (s.o.: 2.) impliziert folgendes: Im e r s t e n Fall ist der jeweils andere, ist der Interaktionspartner 'Gegenstand' des Handelns, sofern die bewußten Handlungsziele auf den anderen bezogen sind*, aber im zweiten Fall ist Gegenstand der spezifischen Tätigkeit das mit dem anderen herzustellende sozial-kooperative Verhältnis (= das Motiv der eigenen Tätigkeit).

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ABBILDUNG I gB T M H Z O B

Schema zur ' E b e n e n s t r u k t u r ' der sozialen Interaktion (der Kooperation) 1 )

= = = = = = = = =

Ideelles (individuelle ideelle Systeme) gegenständliche Basis spezifische Tätigkeiten Motive Handlungen Ziele Operationen gegenständliche Bedingungen der Zielerreichung prozessierende Verhältnisse zwischen den Subjekten (deren Aktivitäten) = prozessierende Verhältnisse zwischen den Gegenständen i.e.S. und i.w.S.

=

T«-»T: M i t e i n a n d e r B e z i e hunqsformen r e a l i s i e r e n O f t n i c h t bewußt r e a l i sierte materiell-soziale Kooperationsverhältnisse (-zyklisch -) H ^ H : Sich zueinander in ( d i r e k t e ) Bez. s e t z e n Bewußte ( p r o d u k t o r i e n t i e r te) Interaktion; wechselseitige zielorientierte Kontaktaufnahme 0«*0: Sich a u f e i n a n d e r abstimmen W e c h s e l s e i t i g e Abstimmung/Koordination; Bedingungen-gemäßes Zusammenwir ken

Wenn ich beispielsweise einen andern "von einer Idee überzeugen will, kann als Ziel meines kommunikativen Handelns die Veränderung von kognitiven Strukturen "im Kopfe" des andern (s. HILDEBRAND-NILSHON 1981) definiert werden. 2 ) Indem sich mein (kommunikatives) Handeln bewußt auf den 'Gegenstand' Mensch richtet, handelt es sich um linear-produktives Handeln. Produkt wären etwa die veränderten Wissens-Strukturen im Kopfe des andern. Gleichzeitig mit diesem (kommunikativen) Handeln r e a l i s i e r e ich aber ein bestimmtes sozial-kooperatives Verhältnis in der Beziehung mit meinem Inter118

aktions-(Kommunikations-)Partner, das mein Handeln determiniert und ihm den subjektiven Sinn verleiht; mit anderen Worten: meine kommunikative/interaktive Handlung dient (ist Mittel) der Herstellung des je bestimmten sozial-kooperativen Verhältnisses. (Eine Handlung realisiert eine je bestimmte Tätigkeit). "Zum Beispiel mag Motiv meiner Tätigkeit sein, mich als überlegen zu zeigen. Für meine in der Interaktion (Auseinandersetzung) mit dem andern e r l e b t e E m o t i o n a l i t ä t wird die Möglichkeit dieser Motive-Realisierung entscheidend sein, nicht die bloße Zielerreichung (d.h. ob sich im kognitiven System des andern Entscheidendes geändert hat oder nicht). Im Extremfall geht's mir überhaupt nicht darum, beim andern 'was zu verändern, sondern nur darum, mich selbst als überlegen zu beweisen" (HASELMANN 1983, 72). Ob es sich dabei nun -wie im Beispiel- um ein 'egozentrisches' Motiv ("überlegen sein") oder um ein 'altrustisches' oder um ein solidarisch-kooperatives handelt, in jedem Fall r e a l i s i e r t das jeweilige Subjekt das jeweilige sozialkooperative Verhältnis für sich, aber es kann dies Verhältnis nur als soziales, kooperierendes Subjekt für sich verwirklichen, d.h. nur mit (dem) anderen Subjekt(en) (-und dabei r e a l i s i e r t / r e p r o d u z i e r t es seine Sozialform-). Unter diesem Gesichtspunkt haben die anderen Menschen für das personale Subjekt die Funktion "sozialer Mittel-Subjekte" und solidarisch-kooperative Subjekte (andere Menschen) sind deshalb auch die wichtigsten Mittel der Personweiterentwicklung (s.a. RAEITHEL 1983; vgl. Kap. 7). In der Kooperation (Interaktion) zweier Subjekte t r i f f t natürlich jeweils f ü r beide beteiligten Personen zu, daß sie sich über ihre aufeinander bezogenen Handlungen und aufeinander abgestimmten Operationen auch auf T ä t i g k e i t s 'ebene' aufeinander 'einstimmen'. Dabei realisiert jedes Subjekt ein spezifisches sozial-kooperatives Verhältnis für sich (in bezug auf den anderen), aber von beiden zusammen wird eine gemeinsame Beziehungsform eingegangen, eine Verkehrsform, in deren Rahmen die respektiven Motive verwirklicht und r e produziert werden. Dies w i r f t auch (man denke e t w a an Eltern-Kind-Interaktionen) ein neues Licht auf die Prozesse der Bildung sinnbildender Motive der T ä t i g k e i t , wie sie in Kapitel 4 besprochen wurden. Es ist hier zu bedenken, daß im Falle objektiver Abhängigkeitsverhältnisse die gemeinsame Verkehrsform i.d.R. vom jeweils 'Mächtigeren' (vor-)bestimmt wird (s. dazu auch A.A. LEONT3EW zum " A n f ü h r e r " einer Dyade, welcher "in den mit dem Verkehr verbundenen Kontaktprozessen Asymmetrie verursacht"; 1982, 144f.). Hinsichtlich der bislang dargestellten Modelle und Schemata (s. dazu insbesondere die Abb. 1 in Punkt 3.3 und die Abbildungen 3 und k in diesem Punkt) ist -zusammengefaßt- zu beachten, daß der Begriff der Form immer an den Austausch bzw. Verkehr zumindest zweier (oder m e h r e r e r ) menschlicher Subjekte gebunden ist, die dann gemeinsam (wenn auch u.U. in disharmonischer oder widersprüchlicher Aufeinanderbezogenheit) eine b e s t i m m t e Verkehrs-/Kooperations-/Beziehungsform miteinander realisieren. Unter Beachtung der Prozeßebenen menschlicher Tätigkeit (Abb. 3 und 4) ist die je verwirklichte Beziehungs-/Kooperationsform grundsätzlich an die Tätigkeits-Motiv-'Ebene' gebunden. Verkehrs-/Kooperations-/BeZiehungsformen können nur in SubjektSubjekt-Verhältnissen eingegangen werden und entsprechendes gilt, wenn -bezugnehmend auf ein personales Subjekt- von dessen 'Bewegungsform im Netz

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der gesellschaftlichen Beziehungen' oder 'sozialen Existenzform' bzw. 'Sozialform' die Rede ist. Das Motiv der Tätigkeit eines personalen Subjekts andererseits ist nicht die Beziehungsform als solche (die es mit anderen realisiert), sondern das sozialkooperative Verhältnis (das 'Beziehungsverhältnis'), das es mit anderen, also in bestimmten Kooperationsformen, für sich herstellt. Das Motiv (z.B. "ein Supermann sein") wird verwirklicht mit bestimmten Mitteln (Handlungen etc.) und in b e s t i m m t e n Beziehungsformen, in denen der jeweilige Kooperationspartner s e i n e r s e i t s ein b e s t i m m t e s sozial-kooperatives Verhältnis für sich herstellt (z.B. "zur 'Elite' gehören"). Über die Realisation und Reproduktion eigener Tätigkeitsmotive (die ja -das Subjekt selbst enthaltende- materiell-soziale Verhältnisse darstellen) werden zwischenmenschliche Verkehrs-/Kooperations-/Beziehungsformen in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen realisiert und reproduziert. Von daher sind die Beziehungsformen an die T ä t i g k e i t s m o t i v e der Subjekte gebunden, aber sie sind doch nicht mit ihnen identisch. Das Wesentliche ist, daß man bei der Motive-Bestimmung auf ein personales Subjekt zentriert, das sich -eben über die Motive-Realisation- mit persönlich-existentieller Bedeutsamkeit als soziales Wesen verwirklicht und reproduziert, während man mit dem Begriff der Form über die einzelnen Subjekte hinaus deren sozialkooperatives Miteinander im Blick hat. Ausgehend vom personalen Subjekt sind deshalb auf Tätigkeits'ebene' (für die sozial-reproduktive 'Sphäre') die T-"G" Verhältnisse zu t h e m a t i s i e r e n ("G"= Gegenstände i.w.S. = Verhältnisse); aber mit Blick auf die dabei realisierten Beziehungsformen (auf die 'überpersonale Tätigkeitsstruktur') die T-T Verhältnisse (vgl. Abb. 3 und 4). Die sozialen Verkehrsformen werden über die Motive-Realisationen der beteiligten Kooperationspartner konstituiert und d e t e r m i n i e r e n umgekehrt diese M o t i v e - R e a l i s a t i o n e n . Geprägt wird eine je b e s t i m m t e Beziehungsform in konkreten Interaktionen i.d.R. vom objektiv mächtigeren Kooperationspartner; so veranlassen e t w a die von Eltern mit ihren Kindern realisierten konkreten Beziehungsformen je bestimmte Motive-Bildungen der Kinder (s.a. Kap.4). Soviel zur Interaktionsprozeßstruktur und den Begriff der Form. Im Zentrum meiner Betrachtung in diesem Kapitel stehen aber die inneren Verhältnisse von personalen Subjekten und hierfür ist von dem in Abb. 3 dargestellten 'Grundschema zur inneren Struktur der menschlichen T ä t i g k e i t ' auszugehen. Dieses Grundschema e n t h ä l t allerdings noch schwerwiegende Abstraktionen, die es im folgenden aufzuheben gilt. Es abstrahiert: 1. von der Tatsache zweierlei Motivarten auf Basis zweier Arten von Bedürfnissen (s. dazu 5.2) 2. vom oberen Kontext der Tätigkeits-Motiv-Ebene des personalen Subjekts (Praxis im mikro-, meso- und makro-sozialen N e t z w e r k , der Familie, Gruppe etc., Praxis des Gemeinwesens) sowie von den Prozeßebenen unterhalb der Operationen-Ebene (physiologische Prozesse und Strukturen) (s. dazu 5.3). 3. von der Subjekt-'Seite' des dreigliedrigen S-T-O (bzw. I-T-G) Schemas. Motive, Ziele und Bedingungen müssen ja auch auf Seiten des Subjekts repräsentiert sein. Das System des Ideellen (des individuellen Bewußtseins) war aber im Grundschema noch ausgespart (s. dazu 5.4).

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5.2

Zum Verhältnis von sinnbildenden und stimulierenden Motiven der Tätigkeit

Eine lebenspraktische Differenzierung von sinnbildenden und stimulierenden Motiven erfolgt erst mit den ersten Persönlichkeitsformungen im Vorschulalt e r , d.h. etwa ab dem dritten Lebensjahr. Während die stimulierenden Motive im potentiell individuell realisierbaren, aber gesellschaftlich geformten und überlagerten Verhältnis des Individuums zu seiner (gegenständlichen) Umwelt entstehen, d.h. in der subjektiven Tätigkeit, unter dem Aspekt, daß diese den (zunächst praktisch-sinnlichen) direkten Kontakt zur Welt herstellt, werden vom Subjekt die sinnbildenden Motive in sozial-reproduktiven Subjekt-Subjekt-Verhältnissen gebildet, d.h. in der Tätigkeit, unter dem Aspekt, daß diese -eingebunden in soziale Netze, in Beziehungssysteme- Beziehungen mit anderen Menschen realisiert (vgl. Kap. 4). Die Wirkung der beiderlei Motive tut sich emotional-gefühlsmäßig im Erleben kund, wobei es sich im Falle der stimulierenden Motive eher um Gefühle des Wohl-/Unwohlempfindens, der Behaglichkeit, Wärme, des Genusses, der Irritation, des Ekels etc. handelt, im Falle der sinnbildenden Motive eher um Emotionen der Freude, des Stolzes, des Glücklichseins, der Trauer, Niedergeschlagenheit, Enttäuschung. In Kapitel k wurde bereits festgestellt, daß die sinnbildenden zu den stimulierenden Motiven in einem Verhältnis der Überordnung stehen (wie ja auch die "Kooperations- und Kontrollbedürfnisse" den "physiologisch-organisch-begründeten" Bedürfnissen übergeordnet sind) und ferner, daß Bezug zur Persönlichkeit i.e.S. insbesondere die sinnbildenden Motive haben, wiewohl im Entwicklungsverlauf auch die stimulierenden Motive längst nicht nur vergegenständlichte "physiologische" Bedürfnisse sind, sondern auch sozialen Charakter haben. Das Verhältnis der beiden Motivarten zueinander läßt sich anhand der 'Ebenenstruktur' der menschlichen Tätigkeit verdeutlichen. Aus der Sicht der Struktur der Prozeßebenen sind die sinnbildenden Motive auf Tätigkeits'ebene' (-als dem "oberen Kontext" der Handlungen-) anzuordnen, während den stimulierenden Motiven auf der 'Ebene' der Handlungen (und Operationen) Anregungs- und Antriebsqualität und -funktion zukommt. Während also die sinnbildenden Motive als die "eigentlichen" Motive der Tätigkeit (über deren Realisation das personale Subjekt in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen seine Sozialform aufbaut und reproduziert), die gegenständlichen (genauer: materiell-sozialen) 'Komplemente' der spezifischen Tätigkeiten darstellen, kommen die stimulierenden Motive primär auf Handlungs-Ziel-Ebene oder Operationen-Bedingungen-Ebene zum Tragen. Und anders als die sinn bildenden liegen die stimulierenden Motive nicht so sehr der Reproduktion der sozialen als vielmehr der individuellen Existenz (= Reproduktion der physischen Existenz des Organismus, der individuellen Lebensfähigkeit und der menschlichen Arbeitskraft) zugrunde. Letzteres impliziert, daß auch im Subjekt-'Natur'-Austausch, der meist vorrangig mit der (linear-)produktiven 'Sphäre' i d e n t i f i z i e r t wurde, nicht nur produktive, sondern auch reproduktive Prozesse auftreten (vgl. vorne das Dreierschema), allerdings Prozesse der individuellen Reproduktion, "konsumtive" Prozesse im engeren und weiteren Sinne. Konsumiert werden nicht nur Nahrungs- und Genußmittel, die der physisch-organischen Wiederherstellung und Stimulation dienen sowie die materiellen Konsumgüter der warenproduzierenden "Konsum"gesellschaft; konsumiert werden des weiteren auch sog. "kulturelle Güter" wie Theater, Musik, Literatur, ferner auch bestimmte interindividuelle Beziehungskonstellationen ("soziale Güter") der Zuwendung, der Anerkennung, 121

der Liebe, F r e u n d s c h a f t , etc., die der Reproduktion des Individuums dienen, (vgl. m.E. JANTZENs (1982, 59) Unterteilung von "natürlichen", "gesellschaftlichen" und "persönlichen" Konsumgütern, die ich in der von ihm dargestellten Weise allerdings nicht vertreten könnte!) Die Konzeptualisierung der sinnbildenden Motive auf Tätigkeits f ebene' und die Zuordnung der stimulierenden zur Handlungs- (und Operationen)'ebene' e n t spricht auch etwa der Unterscheidung, die LEONTJEW in seinem 1973er Text (-wenn dort auch recht undurchsichtig-) zwischen "aligemeinen" und "speziellen" bzw. zwischen "Tätigkeits"- und "Handlungs'-Motiven vornimmt. In der Struktur der menschlichen Tätigkeit kommt beiden Motivarten unterschiedliche Funktion zu, aber nahezu immer sind beiderlei Motive wirksam, so daß das konkrete Handeln eines Subjekts fast immer mehrfach motiviert ist und man genaugenommen für jede Handlungseinheit immer ein Motive-System statt nur ein einzelnes Motiv annehmen muß. L e t z t e r e s wird auch von OFFE/OFFE (1981) betont, die für eine Berücksichtigung von Motiven in der HACKER'schen Handlungsregulationstheorie plädier e n . Sie beziehen sich in ihren Erörterungen einer motivationalen Handlungsgrundlage auf die Motive-Konzeption LEONTJEWs, wobei sie u . a . dessen Unterscheidung von sinnbildenden und stimulierenden Motiven her vorstreichen. Für meine Begriffe wird von den Autoren jedoch die Unterschiedenheit der beiden Motivarten nicht hinreichend erläutert. Ausgehend von der "Alltagserfahrung (...), daß die Entwicklung kognitiver Handlungsvoraussetzungen und die Entwicklung der Motivation sich wechselseitig beeinflussen" (dto, 303), steht in ihren Beispielen zumeist die -die Q u a l i t ä t der Handlungsausführung augenscheinlich beeinflussende- Motivation: "ob ich zu etwas Lust habe" im Zentrum (z.B.: "keine Lust, nach einem guten Abendessen noch zu arbeiten", "Lust zur Diskussion, aber aktuell keine Lust, die Diskussionsergebnisse ausformuliert aufs Papier zu bringen", etc.). Dabei wird die Differenzierung von sinn bildenden und stimulierenden Motiven wieder etwas verwischt, insofern es sich bei diesen Lust/Unlust-Motiven in den a n g e d e u t e t e n Handlungszusammenhängen aller Wahrscheinlichkeit nach um stimulierende Motive handeln dürfte. Zwar ist es richtig, daß "nur aus dem Tätigkeitszusammenhang heraus" entschieden werden kann, "ob Motive sinnbildend oder stimulierend sind", daß dies also "nicht eine Eigenschaft der jeweiligen Motive" ist (dto, 302), aber der dennoch möglichen und notwendigen Unterscheidung der Funktion und des Charakters beider Motivarten ist in der Darstellung der t h e o r e t i s c h e n Konzeption wie auch in je angedeuteten Beispielen Rechnung zu tragen. Die sinnbildenden Motive veranlassen eine spezifische Tätigkeit (lösen sie aus, regen sie an) und verleihen dem Handeln einen persönlichen Sinn. Die auf Handlungs'ebene' wirkenden stimulierenden Motive können dann für die Ausführung der spezifischen Tätigkeit zusätzlich erleichternd oder aber erschwerend wirken. Die hierarchische Beziehung zwischen den beiden Motivarten impliz i e r t , daß eine durch ein sinnbildendes Motiv geleitete (mit persönlichem Sinn 'verbundene') Tätigkeit auch dann weitergeführt wird, wenn einzelne der sie realisierenden Handlungen Unlust-Qualität besitzen, also negativ stimuliert sind. So wird eine Arbeit, die -warum und in welcher inhaltlichen S p e z i f i z i e rung auch i m m e r - mit persönlichem Sinn verbunden i s t , i.d.R. auch dann weiterverfolgt, wenn sie Anstrengung und Aufwand, unerfreuliche Teilhandlungen und "Verzicht" auf andere aktuell mögliche positiv stimulierende Handlungen oder Genüsse erfordert. 122

Nun b e s t e h t zwischen sinnbildenden und stimulierenden Motiven nicht nur das besagte Uber-UnterordnungsVerhältnis, sondern beide Motivarten stehen überdies in je besonderer Relation zu den Zieien der Handlung. Während die sinnbildenden Motive -wie vorne schon ausgeführt (Punkt 5.1)- den Bereich der 'in Frage kommenden1 Handlungsziele abstecken und damit die (freien) Zielsetzungen des Subjekts primär determinieren (begrenzen und ermögiichen), beeinflussen die stimulierenden Motive die spezielle Auswahl der 'in Frage kommenden' Handlungsziele. In ihrem Einfluß auf die Zielsetzung sind die stimulierenden Motive somit einerseits zweitrangig, da sie nur in den durch die sinnbildenden Motive abgesteckten Handlungs'spielräumen' zur Aktivierung gelangen und wirksam werden können, aber andererseits sind sie von sehr direktem Einfluß, da sie ziemlich unmittelbar in die konkrete Zielbildung eingehen. Anders als bei den sinn bildenden Motiven erfolgt mit ihrer Vergegenständlichung als stimulierende Motive i . a . auch schon die bewußte (begriffliche) Fassung ihres gegenständlichen Inhalts, so daß das entsprechende Motiv vom Subjekt leicht benannt bzw. als Begründung seines Handelns angegeben werden kann (z.B. als Bedürfnis nach einem Kaffee oder nach Erdnüssen; als Bedürfnis nach körperlicher Betätigung oder 'austoben'; nach Sonnen"baden"; nach Musikhören; oder auch als Bedürfnis danach, von anderen gemocht, geliebt oder auch hochgeschätzt, bewundert zu werden ...). So gesehen erscheinen dem Subjekt seine stimulierenden Motive als bewußte konkrete Wünsche, Strebungen, als aktuelle Handlungsmotivationen. Das heißt, sie werden bewußt als Wünsche, Sehnsüchte, Gelüste, Abscheu, Widerwillen etc. nach oder gegen einen Gegenstand und der 'Gegenstand' kann auch ein anderer Mensch sein oder u.U. -ähnlich wie im Falle sinnbildender Motive- eine interindividuelle Beziehungskonstellation (wie: gelobt, bewundert werden). Im Unterschied zu den sinnbildenden Motiven (s. dazu den Exkurs in Kap. 4) sind die stimulierenden Motive deshalb leicht bewußt v e r f ü g b a r , weil sie vorrangig auf der 'Ebene' des bewußten Realitätsbezugs im Subjekt-'Natur'-Austausch gebildet werden bzw. -im Falle sie auch soziale Konstellationen umfassen« auf Handlungs-Ziel-'Ebene' wirksam sind. ('Natur' umfaßt neben der gegenständlichen Welt auch andere Menschen). Die stimulierenden Motive liegen quasi 'auf einer Ebene' mit den zu ihrer Erfüllung nötigen zielgerichteten Handlungen; sie passen sich so nahtlos in den linearen Prozeß ein (stimulierendes M o t i v « Handlung«-» Ziel). Sofern nicht übergeordnete sinnbildende Motive dagegensprechen, kann ihr gegenständlicher Inhalt direkt in die Formulierung des gegenständlichen Handlungsziels (-innerhalb der durch das sinnbildende Motiv abgesteckten Grenzen in die Zielbildung-) e i n f l i e ß e n , kann die (bewußte) Vergegenständlichung der stimulierenden Bedürfnisse gewissermaßen 'geradlinig' zur Zielsetzung der Handlung führen. Stimulierende Motive, auch solche, die nicht mehr unmittelbar Vergegenständlichungen physiologisch-organischer Bedürfnisse sind, sondern b e s t i m m t e zwischenmenschliche Verhältnisse b e t r e f f e n , haben nun zwar Einfluß auf das aktuelle Wohl-/Unwohlbefinden des Subjekts, aber keinen unmittelbaren Bezug zu dessen Persönlichkeit i.e.S., damit keinen persönlichen-Sinn-Charakter. "Im Mittelpunkt stehen" kann z.B. als sehr "angenehm" oder als sehr "unangenehm" e r l e b t werden. Wie auch immers sofern dies ein Gefühl ist, das "nur" mit der -zur Realisation einer spezifischen (sinnbildenden) Tätigkeit n ö t i g e n Handlung verbunden i s t , handelt es sich um ein "bloß" positiv oder negativ stimulierendes Motiv, das die Art der Handlungsausführung beeinflussen wird, aber selbst keine sinnbildende Funktion für die Persönlichkeit hat und keinen sozial-existentiellen Charakter für das Subjekt. 123

"Im Mittelpunkt stehen" kann aber andererseits auch ein sinnbildendes Motiv der Tätigkeit sein, in deren Realisation verschiedene anders stimulierte Handlungen einbezogen sind (s.a. unten). Somit kann also ein und dasselbe Motiv "in der Struktur einer b e s t i m m t e n Tätigkeit (einer bestimmten Person; S.H.) die Funktion der Sinnbildung haben, während es in einer anderen Tätigkeit (einer anderen Person; S.H.) die Funktion der ... Stimulierung hat" (LEONTJEW 1977, 88/89; 1982, 194). Insofern den Motiven als sinnbildenden oder aber "bloß" stimulierenden in der Struktur der Tätigkeit eine andere Funktion zukommt, läßt sich ihre Unterschiedenheit zwar systematisieren, jedoch darf eine entsprechende ' s y s t e m a t i sche' Betrachtung des Verhältnisses von sinnbildenden und stimulierenden Motiven nicht so aufgefaßt werden, als seien Motive per se als entweder stimulierende oder sinnbildende kategorisierbar. Eine entsprechende 'Zuordnung' kann sich nur über die Analyse der konkreten Tätigkeiten eines je bestimmten personalen Subjekts ergeben. Jenseits einer solchen Analyse lassen sich andererseits -wie schon genannt- allgemeine C h a r a k t e r i s t i k a beider Motivarten angeben, welche sich ergeben aus deren Position in der Struktur der Tätigkeit und deren Funktion im Aktivitätenablauf. Zusammengefaßt sind stimulierende Motive i.d.R. leicht bewußt verfügbar, während die zentralen sinnbildenden Motive dem Bewußtsein o f t nur schwer zugänglich sind. Stimulierende Motive können oft nur kurzfristig im Handlungsverlauf auftreten oder auch mit großer Intensität während der Gesamthandlung wirken; jedoch sind die übergeordneten sinnbildenden Motive i.d.R. langfristiger bzw. über die Einzelhandlung hinausgehend (zyklisch wiederkehrend) wirksam. Im Unterschied zu den sinnbildenden Motiven fehlt den stimulierenden der sinnhafte Persönlichkeitsbezug. Trotz des unterschiedlichen Entstehungszusammenhangs beiderlei Motive läßt sich aber hinsichtlich des Charakters ihres gegenständlichen Inhalts ä priori nur soviel sagen, daß sinnbildende Motive als Vergegenständlichungen von Sozial- und Kontrollbedürfnissen immer das Subjekt selbst enthaltende sozial-kooperative Verhältnisse sind, während stimulierende Motive im Entwicklungsverlauf zwar ebenfalls solche Verhältnisse sein können, aber zunächst Gegenstände involvieren, die der engeren individuellen Reproduktion (und Konsumtion) dienen (s.a. HASELMANN 1983). Ubergänge Übergänge der einen in die andere Motivart sind möglich. Im ontogenetischen Entwicklungsverlauf handelt es sich dabei im Sinne einer Persönlichkeits Weiterentwicklung in Richtung auf erweiterte Handlungs- (und direkte Kooperations-)fähigkeit i.d.R. um den Übergang vordem u.U. eingeengter sinn bildender Motive (z.B. "sich interessant machen") in (nur noch) stimulierende Motive, indem neue (erweiterte) sozial-kooperative Beziehungen realis i e r t , dabei neue sinnbildende Motive gebildet, jedoch die vormals sinnbildenden Motive dennoch beibehalten werden, aber in ihrer nunmehr 'untergeordnet e n ' Stellung z.B. nur noch auf Handlungs'ebene' Anregungsqualität besitzen. Solche Übergänge sinnbildender in stimulierende Motive können Ergebnis einer "progressiv bewältigten" (Orientierungs-)Krise (s. dazu Kap. 6 und 7) sein, aber auch ohne subjektiv empfundene Krisenhaftigkeit mit einem entwicklungsgemäßen Ubergang einer spezifischen Tätigkeit (z.B. für die Ansprüche der anderen aktiv werden) in eine Handlung einhergehen. 124

Ähnlich wie in der Handlungsregulationstheorie sensu HACKER/VOLPERT angenommen wird, daß mit zunehmender Übung und Erfahrung -also im Entw i c k l n gsver l a u f - vordem selbständige Handlungen zu "bloßen" Operationen werden, die dann 'im Dienste' größerer Handlungseinheiten stehen (s.a. ÖSTERREICH 1981), läßt sich hier m.E. ebenfalls vermuten, daß im Verlaufe der Entwicklung vordem "sinnerfüllende" Tätigkeiten zu positiv-stimulierten Handlungen werden können, die dann als zwar selbständige, aber 'untergeordnete' Einheiten in neue, weitere Tätigkeiten einbezogen sind, (s.a LEONTJEW 1973). Hinsichtlich der Motive-Umstrukturierung als Übergang von sinnbildenden in stimulierende Motive ist unter "pathopsychologischen" Gesichtspunkten bzw. aus therapeutischem Blickwinkel wesentlich, "daß ehemals sinnbildende Motive, die eine problematische "TauschwertOrientierung" implizierten (-sich interessant machen, sich gegen andere profilieren; Beachtung, Anerkennung, u.U. Bewunderung erhalten-) und die dem Subjekt zunächst nicht als ' L e i t m o t i v e ' seiner Tätigkeiten bewußt sind, in der Folge einer progressiven Bewältigung von (entsprechenden) Sinn-/Orientierungskrisen (mit dem Uber gang zu 'bewußter S u b j e k t i v i t ä t ' und der Bildung eines neuen alternativen, entwicklungsförderlichen sinnbildenden Motivs) dann zwar immer noch wirksam sein können, aber nur noch eine untergeordnete Rolle spielen als (bewußte) stimulierende Motive. Der Wunsch etwa, geachtet, respektiert, u.U. bewundert zu werden, auch im Sinne einer a b s t r a k t e n (Selbst-)Wert-Orientierung, ist ja keinesfalls per se "problematisch", sondern nur, wenn sich der Sinn (fast) allen Handelns darauf r e d u z i e r t und um so mehr, wenn dies ohne bewußte Reflexion geschieht (d.h. nur, wenn es sich dabei um ein dominierendes sinnbildendes Motiv/Bedürfnis handelt, nicht a b e r , wenn dieser Wunsch lediglich (Handlungs-)stimulierende Funktion hat). Der andere (vermutlich s e l t e n e r e ) Fall ist der Übergang stimulierender in sinnbildende Motive. Er kann Resultat einer subjektiv als f r u c h t b a r e r l e b t e n Handlungserfahrung in der konkreten -anfangs vielleicht nur gezwungenermaßen oder pflichtgemäß praktizierten- Auseinandersetzung mit einem b e s t i m m t e n Gegenstand auf Handlungs'ebene' sein. Dies kann etwa für die -für eine je konkrete Tätigkeit erforderliche- Beschäftigung mit einem b e s t i m m t e n (auch t h e o r e t i s c h e n ) Arbeitsstoff gelten, indem man beginnt, sich selbst auf diesen Stoff 'einzulassen' und darüber anfängt, eine neue Beziehung zur Umwelt zu realisieren. Ein anderes -"griffigeres"- Beispiel wäre, daß die in der sexuellen Interaktion (mit einem bestimmten Partner) aktivierten zunächst stimulierenden Motive zu sinnbildenden werden, wenn sich das Subjekt aufgrund der positiven Sozial-Erfahrung in der sexuellen Interaktion eben darüber mit dem Partner (und anderen P a r t n e r n ) in Beziehung setzt; wenn also Gegenstand der Tätigkeit in der Kooperation mit dem/den Partner(n) das ursprünglich stimulierende Motiv i s t . Es ist dann zum sinnbildenden geworden, das die Tätigkeit in bezug auf den/die Partner veranlaßt, so daß der Sinn der Partnerschaft(en) für das Subjekt in dem sozial-kooperativen Verhältnis des sexuellen Verkehrs bestehen mag. Motiv-(Bedürfnis-)Konflikte Da nun an einer Handlung nicht ein einzelnes Motiv, sondern ein Motive-Komplex beteiligt ist, sind auch Konflikte zwischen den Motiven anzunehmen. Prinzipiell sind Konflikte zwischen stimulierenden Motiven oder zwischen 125

sinn bildenden Motiven oder zwischen stimulierenden und sinnbildenden Motiven denkbar, also drei verschiedene Konfliktarten. In den ersten beiden Fällen handelt es sich um Konflikte, die sich auf derselben Prozeß'ebene' abspielen. Während Konflikte zwischen unvereinbaren stimulierenden Motiven als mehr oder weniger bis äußerst lästig empfunden werden, das Wohlbefinden und den Handlungsablauf mehr oder weniger stark beeinträchtigen, werden (m.E.) nur Konflikte zwischen unvereinbaren sinnbildenden Motiven (auf Tätigkeits'ebene') zu massiven Handlungsblockaden und qualvollen Entscheidungsproblemen führen, die auch mit Krisen der (dominanten) (Lebens-)Orientierung und -vom Subjekt bewußt o f t wenig d u r c h s c h a u t e n , aber s t a r k bedrohlich oder schmerzhaft erlebten- "inneren Kämpfen" verbunden sein werden. Dabei kommt erschwerend hinzu, daß die konflikthaft beteiligten Motive dem Subjekt in ihrer Konkretheit oft nicht bewußt zugänglich sind (bzw. daß dies für eines der beteiligten Motive gilt). Was aber jedenfalls bewußt erlebt wird, ist die mit der Konflikthaftigkeit verbundene Emotionalität als e x i s t e n t i e l l - b e d e u t s a m e s Hin- und Hergerissensein, Zaudern, Schwanken o.ä.. Die schließliche "Entscheidung" ergibt sich dann i.d.R. nicht durch r a t i o n a l - b e w u ß t e s oder i n t e l l e k t u e l l e s Abwägen zweier 'Leit Vorstellungen', sondern durch die -u.U. durch die aktuellen äußeren Bedingungen oder auch zufällige Umstände 'angestoßene 1 - Verwirklichung eines praktischen Handlungsschritts in Richtung auf die Realisation des einen statt des anderen sinnbildenden Motivs; —womit der Konflikt indes keineswegs gelöst i s t , vielmehr immer wieder auftreten, eventuell schon im folgenden Handlungsschritt sich wieder neu stellen wird. Im Falle des Vorliegens eines Konflikts zweier personal wichtiger, aber unvereinbarer Motive (z.B. "der Beste sein" und "hilfreich sein") mag die schlußendliche Realisation des einen s t a t t des anderen Motivs, -auch dann, wenn die adäquate Realisierung gelingt, d.h. mit dem Handeln dem jeweiligen Motiv entsprochen werden kann-, mit deutlichen Gefühlen des Unbefriedigtseins, der Unerfülltheit o.ä. verbunden sein. Eine "befriedigende" Konfliktlösung wird o f t nur möglich werden, wenn sich das Subjekt seiner wichtigen sinnbiidenden Motive/Bedürfnisse als solchen bewußt wird (vgl. dazu Kap. 6 und 7). Es muß aber b e t o n t werden, daß der Konflikt selbst nicht völlig unbewußt abläuft (-d.h. es werden hier keine "unbewußten K o n f l i k t e " h y p o s t a s i e r t - ) , sondern vom Subjekt in seinen bewußten Prozessen jedenfalls als Konflikthaftigkeit, Entscheidungsqual in den Zielstellungen o.ä. (bis hin zur Handlungsunfähigkeit in der Krise) erlebt wird. Die d r i t t e o.g. K o n f l i k t a r t betrifft eine Diskrepanz zwischen stimulierenden und sinnbildenden Motiven (Bedürfnissen). Im Falle gegensätzlich ausgerichteter Antriebsqualitäten von jeweiliger spezifischer Tätigkeit und einer zu ihrer Realisierung erforderlichen Handlung liegt ein Fall von Motiv-Konflikt vor, der sich als Konflikt zwischen sinnbildendem und stimulierendem Motiv darstellen läßt, wenn etwa eine eine sinnbildende Tätigkeit realisierende Handlung Unl u s t - Q u a l i t ä t besitzt. Aber, wie schon erwähnt, werden solche Konflikte »bedingt durch das hierarchische Verhältnis- i.d.R. relativ "problemlos" im Sinne des sinn bildenden Motivs "gelöst". Natürlich werden (-darauf wird auch von OFFE/OFFE (1981) hingewiesen-) negativ-stimulierte, ungern getane Handlungen e n t s p r e c h e n d e Besonderheiten in der Art der Handlungsausführung aufweisen, wie etwa "geringere Präzision, stärkere Ermüdbarkeit, starrere Ablaufschemata o.ä." (dto, 305). Darüber hinaus können größere Diskrepanzen auch zu einem Aufschieben oder zu zeitweiligem Abbrechen der eigentlich sinnbildenden Tätigkeit führen. Solange jedoch die Realisation der für das Subjekt zentralen 126

Tätigkeitsmotive nicht ernsthaft behindert, sondern "nur" mit Unangenehmem und Unlustempfinden verbunden ist, werden solche Motivkonflikte keinen existentiell-bedrohlichen Charakter für das Subjekt, für dessen Persönlichkeit, haben und nicht zu existentiellen Krisen (s. dazu Kap. 7) führen. Solche Motivkonflikte (-diskrepanzen) können aber doch zu erheblicher Mißstimmung oder Mißlaunigkeit der Person beitragen, oder -wenn sie ö f t e r vorkommen- dazu, daß sie sich laufend gestressed oder frustriert fühlt. In solchen Fällen wird eine bewußte Reflexion der Motivkonflikte (welche aber ihrerseits die bewußte Erfassung des relevanten sinnbildenden Motivs voraussetzt) u.U. notwendig. Zum Abschluß noch eine Bemerkung zu den Motivationstheorien vom "Erwartungs-mal-Wert-Typ". Daß Motive aus tätigkeitstheoretischer Sicht nicht kognitiv verstanden werden dürfen, ist bisher wohl zur Genüge klargeworden und das heißt auch, daß Erwartungs-mal-Wert-Theorien keine wirklichen Motivationstheorien darstellen bzw. eine Motivtheorie nicht ersetzen können. "Mit kognitivistischen 'Motiv'-Konzepten (etwa wenn, wie von HECKHAUSEN (1980, 1981) 'Motive1 als quasi dispositionelle subjektive Wertungsvoreingenommenheiten definiert werden) läßt sich die lebensgeschichtlich herausgebildete und lebenspraktisch wirksame existentielle Dynamik menschlichen Handelns nicht begreifen. Sich in dieser Weise in seiner eigenen Lebenspraxis zu verstehen, ist aber aus tätigkeitstheoretischer Sicht Voraussetzung d a f ü r , daß sich der 'Klient' über problematische (d.h. entwicklungshinderliche) Motive hinaus in eine neue soziale Existenzform hinein, damit weiter-entwickelt. Eine bloß 'kognitive Motivationstheorie' wäre in der Tat nichts Neues und könnte der psychotherapeutischen Praxis keine wesentlich neuen Anstöße geben, zumal nach dem Grund muster 'Erwartung-mal-Wert' gestrickte 'motivationale Faktoren' in verschiedenen klinisch-psychologischen Modellen in der einen oder anderen Weise bereits Berücksichtigung finden, - als handlungsbeeinflussende Wirkgrößen, als ggs. zu modifizierende 'inadäquate' Erwartungen über die Zielerreichung (oder die Handlungsergebnisse bzw. -folgen etc.) sowie als 'ina d ä q u a t e Werthaltungen' (vgl. BANDURA 1977, 1982; KRAMPEN 1980; REHAHN/SOMMER 1982; u.a.m.). Es besteht kein Zweifel, daß die 'Werte' und 'Erwartungen' handlungsbeeinflussend sind (insbesondere beeinflussen sie die Entscheidung für einen bestimmten Weg bzw. eine Strategie der Zielverfolgung), aber als Kognitionen (= psychische Abbilder) regen sie das Handeln nicht an, verleihen ihm nicht jene praktisch-sinnliche dynamische Gerichtet heit, die es qualitätsmäßig kennzeichnet" (HASELMANN 1983, 68/69). Von der Frage ausgehend, inwieweit Erwartungen und Werte dennoch handlungsbeeinflussend sind, kann man der Argumentation von OFFE/OFFE (1981) folgen, die -kritisch bezugnehmend auf die Bemühungen VOLPERTs (1980) und ÖSTERREICHS (1981), auch die Motivation in der Handlungsregulationstheorie mit zuberücksichtigen- f e s t s t e l l e n , daß die "Motivationstheorien vom Erwartung-mal-Wert-Typ" bloße Handlungsplanungstheorien d a r s t e l l e n . (Weiteres Punkt 5A.3). Es ist gerade wichtig, die Nichtidentität von "Werten" und Motiven zu beachten; darüber wird beispielsweise erklärlich, daß eine Person b e s t i m m t e "Werte" v e r t r i t t , ohne sich indes zum entsprechenden Handeln veranlaßt zu fühlen (—was sich häufig etwa in sozial-politischen Handlungsfeldern beobachten läßt: z.B. mangelnde aktive politische Beteiligung trotz entsprechender "Werte", Einstellungen o.ä.). Andererseits können solche "Werte" in inhaltlicher Hinsicht natürlich nicht ganz unabhängig von den Motiven gesehen werden, da ihre Bildung (etwa als Widerspiegelung von Sozialerfahrung, als subjektive 127

Aneignung e t h i s c h e r , moralischer etc. Prinzipien) immer im Rahmen von je vom Subjekt faktisch realisierten Sozialverhältnissen erfolgen wird. Da es sich um kognitive "Faktoren" handelt, wird von subjektiven Erwartungen und insbesondere von subjektiven Werten nochmals in Punkt 5.4, wo es überhaupt um Ideelles und Kognitives geht, die Rede sein.

5.2.1

Eine "systematische" Betrachtung zum emotionalen Erleben

Gemäß der Differenzierung von sinnbildenden und stimulierenden Motiven entlang der 'Ebenenstruktur 1 der Tätigkeit sind nun auch zwei Arten von Emotionalität unterschiedlicher "Persönlichkeitsrelevanz" unterscheid bar. Das sind a) Emotionen, in denen sich der persönliche Sinn kundtut sowie persönlichkeits"funktionale" Stimmungen (sie betreffen die Tätigkeits-Motiv-'Ebene') und das sind b) Gefühle und Affekte, die -bezogen auf Handlungs- und Operationen-'ebene'- den Grad einer aktuellen Wunsch-Erfüllung bzw. der P l a n e r f ü l lung und -realisation ebenfalls unmittelbar im Erleben widerspiegeln. So wird etwa Ärger, Enttäuschung etc. empfunden, im Falle der Nicht-Verwirklichung versus Freude, Lustgefühl etc. im Falle der Verwirklichung eines positiv-stimulierenden Motivs. Die MANDLER'sche (1979) Gefühlstheorie, in der die zumeist negative Gefühle auslösende Unterbrechung bzw. Blockierung von Verhalten bzw. von Handlungsplänen im Zentrum steht (s.a. CASPAR/GRAWE 1982; ECKENSBERGER/EMMINGHAUS 1982) kann wohl lediglich gewisse Gültigkeit f ü r die nicht unmittelbar persönlichkeits"relevante" Emotionalität (s.o.: b)) beanspruchen. Entsprechende emotionale Erlebnisse (Frustrationen, Ärgernisse etc.) sind auch dem handelnden Subjekt selbst i.d.R. leicht verständlich, 'einordenbar 1 , erklärlich, mitteilbar; bezogen auf jeweilige konkrete Handlungszusammenhänge ist dem Subjekt seine eigene Emotionalität hier leicht 'durchschaubar' und auch 'handhabbar'. Anders ist es gewöhnlich mit der Art von Emotionalität, die die persönliche Sinn-Dimension betrifft (sofern diese (noch) unbewußt ist). Dem Subjekt t r i t t hier die eigene Emotionalität oft befremdlich in Erscheinung; es fühlt sich zu etwas hin- oder weg"gezwungen", hin- und hergerissen, ohne eigentlich zu wissen, warum; es f ü h l t sich scheinbar grundlos guter Laune oder niedergeschlagen oder ohne einsehbaren Grund ängstlich etc., etc.. Die eigenen Emotionen muten dem Subjekt hier o f t unerklärlich/unverständlich an, scheinen 'wie von selbst' zu kommen und zu gehen. Und manchmal lassen sich diese emotionalen Erlebnisse auch kaum in Worte fassen, sind schwer mitteilbar. Aber eben in solcher Emotionalität erlebt sich das Subjekt selbst als Persönl i c h k e i t . Diese Emotionen müssen zugelassen, angenommen, bewußt erfaßt/benannt und u.U. mit Bezug auf die Tätigkeits-Motiv-'Ebene' g e d e u t e t werden. Die Besonderheit im Falle "bewußter Subjektivität" (s. Kap. 6, 7) ist dann nicht, daß mit Erlangen bewußter Sinnhaftigkeit die Emotionalität " w e g f ä l l t " , aber daß man um sie Bescheid weiß. Während sich das Subjekt also von den durch die stimulierenden Motive bewirkten, sich im konkreten Handlungsverlauf einstellenden Lust-Unlust-Gefühlen (in den durch die obere Prozeßebene abgesteckten Grenzen) leiten l ä ß t , auf e r f ü l l t e versus n i c h t - e r f ü l l t e Wünsche, Gelüste e t c . affektiv positiv oder 128

negativ r e - a g i e r t (und auf die Unterbrechung bzw. Blockierung von bereits eingeleiteten Handlungssequenzen oder Plänen zumeist negativ), ihm hierbei jedenfalls seine Gefühle 'erklärlich 1 sind, kommen die durch die sinnbildenden Motive von der Tätigkeits'ebene' her bewirkten Emotionen und Stimmungen oft gewissermaßen 'über es', scheinen es zu beherrschen, prägen oft seine gesamte emotionale Verfaßtheit, bleiben dabei aber oft unverstanden oder werden auch gar nicht adäquat widergespiegelt/erkannt (symbolisiert/begrifflich-gemacht; vgl. Punkt W und 5AA). Global b e t r a c h t e t -unter dem Gesichtspunkt der Signalfunktion emotionaler Erlebnisse- wird es sich im Falle der NichtVerwirklichung (Blockierung der Realisierung) sinnbildender Motive um depressive (Ver-)Stimmungen, Gefühle der Leere, des Unglücklichseins, der Verzweiflung etc. handeln; im Falle ihrer "adäquaten" Realisierung ("Befriedigung" der je konkreten Bedürfnisse) um Gefühle des Glücklichseins, der Erfülltheit, der "blühenden Lebensfreude" u.ä.. Des weiteren werden solche Emotionen nicht nur erlebt, sondern aktiv gelebt (Emotion als Aktions s. Punkt Das sowohl von allgemein-psychologischen Emotionskonzeptionen wie speziell im klinisch-psychologischen Arbeitsbereich immer gesondert hervorgehobene Gefühl der Angst, wird aus tätigkeitstheoretischer Sicht dann auftreten, wenn eine Bedrohung der etablierten Sozialform (Gefährdung ihrer aktuellen Reproduktion) b e s t e h t , eine (mögliche) Gefährdung der Realisierung eines wichtigen (u.U. dominierenden) sinnbildenden Motivs -intuitiv- erahnt bzw. atmosphärisch antizipiert wird. Alsos Angst, wenn die Gefahr besteht, daß in jeweiligem Tätigkeitsfeld und Handlungszusammenhang (z.B. Vortrag halten auf einem Kongreß oder Kneipenbesuch mit interessanten Kommilitonen) das jeweilige sinngebende (Leit-)Motiv der Tätigkeit des Subjekts (z.B. "durch besondere Originalität a u f f a l l e n " oder "sich auf nichts und niemanden einlassen") nicht verwirklicht werden könnte und damit die besondere soziale Reproduktion des Subjekts bedroht ist.

5.3

Uberpersonale Subjekt-Systeme und Prozeßebenen des oberen Kontextes

Das in Abbildung 3 (Punkt 5.1) dargestellte "Grundschema" der Prozeßebenen lebendiger Aktivität bricht offenbar willkürlich (jedenfalls unerklärtermaßen) "unten" mit der Operationen'ebene' und "oben" mit der 'Ebene' spezifischer Tätigkeiten (eines personalen Subjekts) ab. In diesem Schema erfolgte damit eine Beschränkung auf die Darstellung/Kenntnisnahme des jeweils an die Handlungs'ebene 1 unmittelbar angrenzenden "oberen" und "unteren" Kontextes. Die Handlungs'ebene' ist ja -als Ebene des bewußten Realitätsbezugs- die zentrale Ebene der aktualgenetischen subjektiven Prozesse, von der man (-wie schon in Punkt 3A bemerkt-) in der praktischen Psychologie (das heißt auch in der Psychotherapie, der psychosozialen Beratung etc.) primär auszugehen hat. Das praktisch-psychologisch geforderte Ansetzen an der Handlung macht nun zwar -notwendigerweise, da sonst das Handeln nur abstraktiv gefaßt wäre- die Einbeziehung des unmittelbaren unteren und oberen Kontextes der Handlung e r f o r d e r l i c h , läßt darüber hinaus aber das Abstrahieren von den noch "darun129

t e r liegenden" und noch "dar über liegenden" Prozeßebenen als verständlich erscheinen. Was das "noch Darunterliegende" anbelangt, sollte man sich dessen bewußt sein, daß unterhalb der Operationen'ebene 1 noch weitere Prozeßebenen anzunehmen sind; sie betreffen physiologische Prozesse und Strukturen, brauchen hier aber nicht näher e r ö r t e r t zu werden. Was das "Dar über liegende" anbelangt, handelt es sich im Falle des Abstrahierens von den Prozeßebenen oberhalb der Tätigkeits'ebene 1 jedenfalls um eine schwerwiegende Abstraktion, —dies um so mehr als Grundlage des "Grundschemas" in Abbildung 3 lediglich einzelne Tätigkeiten eines personalen Subjekts sind (wennzwar auch immer betont wurde, daß das personale Subjekt ein soziales Wesen und die Tätigkeits'ebene' in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen 'angesiedelt' ist). Im Grundschema der Abbildung 3 wurde aber -und dies ist schwerwiegend- von der T a t s a c h e abstrahiert, daß einzelne motivbezogene Tätigkeiten personaler Subjekte immer Tätigkeiten in einem Gemeinwesen sind, immer Tätigkeiten im Verband mit anderen -sozial-kooperative Verhältnisse/zwischenmenschliche Beziehungsmuster realisierenden- Tätigkeiten anderer personaler und sozialer Subjekte. Richtiger ausgedrückt: spezifische Tätigkeiten eines personalen Subjekts sind immer Teil der Praxis eines über personalen Subjekt-Systems, global gesehen immer Teil der Praxis des Gemeinwesens (wobei sich diese Praxis i h r e r s e i t s über die Vielfalt der Tätigkeiten personaler Subjekte konstituiert (vgl. Punkt 3.4, Abb. 2). Jeweils ist ja ein personales Subjekt immer Teil eines "höheren", eines über personalen Subjekt-Systems, einer Familie, eine Gruppe, eines Betriebes, einer Organisation, des gesamten Gemeinwesens und zumeist gleichzeitig Teil mehrerer "höherer sozialer Subjekte". Hiermit wird also der Subjekt-Begriff sehr weit gefaßt und nicht auf das personale Subjekt, das k o n k r e t e Individuum, die Einzelperson beschränkt. Den tätigen 'Pol', den 'Pol' der lebendigen Aktivität jeweiliger "höherer sozialer Subjekte" kann man also als Praxis bezeichnen (Praxis einer Familie, einer Gruppe etc.) und unter dem Reproduktionsgesichtspunkt (Reproduktion der jeweiligen sozialen Einheit) wären dann die sozial-kooperativen Verhältnisse/die zwischenmenschlichen Beziehungssysteme der gegenständliche 'Pol' dieser Praxis (s. Abbildung 5). Gegenstände der Praxis "höherer sozialer Subjekte" wären demnach (-wie dies für die sinn bildenden Motive der Tätigkeiten personaler Subjekte bereits definiert wurde-) Gegenstände "im weiteren Sinne" (-"inklusive"-), also materiell-soziale Verhältnisse, die das jeweilige ("höhere") Subjekt-System selbst enthalten. Die Praxiskategorie ist hierbei in der schon in Kapitel 3 eingeführten Weise zu v e r s t e hen, d.h. es ist damit der zyklische sozial-reproduktive Austausch/Verkehr thematisiert, der sich in gesellschaftlichen Subjekt-Subjekt-Verhältnissen mit dem produktiven Handeln und geeigneten Mitteln in je besonderen Verkehrsformen vollzieht. In Punkt 3.4 wurde vom Gemeinwesen als quasi dem "höchsten Subjekt" gesprochen, aber zwischen der Praxis des Gemeinwesens und den spezifischen Tätigkeiten personaler Subjekte sind noch verschiedene V e r m i t t lungsebenen (da zwischen geschaltete Beziehungsebenen) anzunehmen. Die Praxi der verschiedenen höheren sozialen Subjekt-Systeme sind untereinander verbunden, insofern als sie -von oben nach unten- in Determinationsverhältnissen (= Verhältnissen der Ermöglichung und Begrenzung) s t e h e n , und a n d e r e r s e i t s -von unten nach oben- (re)produziert werden. Jeweils ist der jeweilige obere Kontext immer Voraussetzung und Resultat der Prozesse auf der u n m i t t e l b a r darunterliegenden 'Ebene1 (s.a. Punkt 3.4). Der Einfachheit halber wird in dem in Abbildung 5 dargestellten Schema vom Produktionsbereich a b s t r a h i e r t , dabei davon abgesehen, daß Produktion und Reproduktion, Produktionsverhältnisse, -mittel und -formen und Verkehrsver130

h ä l t n i s s e , - m i t t e l und - f o r m e n immer in einem spezifischen strukturellen Zusammenhang zueinander stehen. In der Andeutung des oberen K o n t e x t e s beschränke ich mich also auf die Verkehrs Verhältnisse, wobei "Praxis" und "Tätigkeit" zwar als allgemeine Kategorien verstanden sind (Arbeitsbegriff im Praxisbegriff und Handiungsbegriff im Tätigkeitsbegriff aufgehoben), aber allein in ihrer reproduktiven Funktion als Realisation materiell-sozialer Verhältnisse dargestellt werden. Es wird hier gewissermaßen lediglich der rechte Strang der Abbildung 2 von Seite 70 ( T ± ^ P ) aufgefächert untergliedert. ABBILDUNG 5: Schematische Andeutung der über personalen Subjekt-Systeme und Prozeßebenen des oberen Kontextes Praxis des ' Gemeinwesens

historisch-konkrete Reproduktionsverhältnisse, System der gesellschaftlichen Beziehungen in den Bereichen Produktion, Distribution und Konsumtion

Praxis der Betriebe u. Gruppen i.w.S.

k

materiell-soziale Verhältnisse, historischkonkrete inter- u. intra-Gruppenbeziehungen ' i.w.S. (betriebliche Praxisordnungen u.ä.)

Praxis einer bestimmten Gruppe (z.B. Familie, "peer-group") ^

System der Gruppenbeziehungen, objektivsoziale Verhältnisse zwischen den Mitgliedern,

Tätigkeiten eines personalen Subjekts

zwischenmenschliche Beziehungsmuster, sinnbildende (Tätigkeits-)Motive

lebendige Aktivität ((T))

gesellschaftliche Wirklichkeit ((G))



^ >

Prozesse der Vergegenständlichung erfolgen mit bestimmten (Verkehr s-)M itteln Prozesse der Determination im Rahmen bestimmter (Verkehrs-) Formen

Mit dem verschiedene gesellschaftliche Beziehungsebenen andeutenden oberen Kontext soll deutlich werden, wie die materiell-sozialen Verhältnisse bis zur Realisation durch einzelne personale Subjekte als Motive transzendieren. Die Praxis eines sozialen (überpersonalen) Subjekt-Systems hat jeweils die historisch-konkreten Reproduktionsverhältnisse des betreffenden Systems, damit die gesellschaftlichen, zwischenmenschlichen Beziehungen zum G e g e n s t a n d . 131

Durch die Praxis werden diese als materiell-soziale Verhältnisse "vergegenständlicht" und umgekehrt determinieren diese Verhältnisse die Praxis des betreffenden Subjekt-Systems. In Abibldung 5 sind Tätigkeit(T)-Gegenstands(G)-Prozeßeinheiten auf verschiedenen Prozeßebenen des oberen gesellschaftlichen Kontextes unter dem sozial-reproduktiven Aspekt als verschiedene Praxis(P)-(Sozial-/Kooperations-)Verhältnisse(V)-Einheiten dargestellt. Nicht aber dargestellt ist, daß sich auf den verschiedenen Prozeßebenen als Ergebnis der immer wieder realisierten je konkreten P-V-Prozeßeinheiten, als Ergebnis der immer wieder r e a l i s i e r t e n spezifischen Praxi, auch bestimmte habituelle Praxisstrukturen der verschiedenen Subjekt-Systeme (der Organisationen, der Betriebe, der Familien e t c . ) ausbilden sowie dann auch beim personalen Subjekt habituelle Strukturen/Orientierungen (etwa schichtspezifische Handlungs-, auch z.B. körpersprachliche Muster) als Ergebnis der wiederholten Realisation entsprechender Tätigkeiten. Die herausgebildeten über personalen Tätigkeitsstrukturen, etwa die f a m i l i a l e n oder betrieblichen e t c . Praxisstrukturen, die sich als bestimmte Muster des Sich-Gebens konkretisieren, könnte man in loser Anlehnung an BOURDIEU (1976) als Habitus bezeichnen oder man könnte -um einen Terminus von RAEITHEL (1980/81) zu benutzen- von "operativer Kultur" sprechen. Eingebunden in - j e nach Sozialstellung e t c . s p e z i f i s c h e - Habitusstrukturen sind die individuellen Handlungen der personalen Subjekte vom oberen Kontext her also e b e n f a l l s systemisch reguliert, in dieser Hinsicht "bloß" Teilprozesse der systemischen Reproduktion, ohne gleichzeitig auch personal-emotional angestrebt bzw. durch spezielle Tätigkeitsmotive veranlaßt zu sein. (Zum Konzept der "systemischen Regulation" mit "verteiltem Regler" s. RAEITHEL aaO. Vgl. dazu m.E. auch den systemischen Ansatz der Familientherapie von SELVINI PALAZZOLI 1977; —indes: individuelle menschliche Handlungen dürfen nicht alieine unter dem Aspekt ihrer systemischen Reguliertheit konzeptualisiert werden.) Auf die Bedeutung der "operativen Kulturen" für die personale Subjektentwicklung werde ich später (Punkt 6.3.1) noch zu sprechen kommen. Hier sei aber schon erwähnt, daß es einen q u a l i t a t i v e n Unterschied ausmachen kann, ob habituelle (operative) Strukturen/Muster des personalen Subjekts sich infolge der dominierenden Realisation bestimmter motivgeleiteter Tätigkeiten ausgebildet haben oder als Ergebnis der unmittelbaren Anpassung an die "operative Kultur" einer jeweiligen kooperierenden Gruppe, in die das Subjekt mit seiner lebendigen Aktivität eingebunden ist/war, entstanden sind. Personal bedeutsamer wäre der erstere Fall, in dem über den Motive-Bezug die individuellen Besonderheiten dann auch als "persönlichkeitsspezifische" Besonderheiten zu betrachten wären. Die D i f f e r e n z i e r u n g der Betrachtung von "bloß" individuellen oder auch "persönlichkeitsspezifischen" Besonderheiten ist vorliegend nicht das Thema (s. dazu Punkt 6.3.1); es sollte aber angedeutet werden, daß sich überpersonale Tätigkeitsstrukturen als "operative Kulturen über personal er Subjekt-Systeme" infolge der Realisation und Reproduktion der je historisch-konkreten sozialen Verhältnisse und Sitten und Gebräuche (einer g e s e l l s c h a f t l i c h e n Klasse o.ä.) ausbilden und daß sich auch das personale Subjekt mit seinem Verhalten in einer solchen "operativen Kultur" bewegt, sich dieser "anpaßt" und selbst zu deren (Re-)Produktion b e i t r ä g t . — Dies ist ein zusätzlicher Aspekt, der aus der Abbildung 5 nicht direkt hervorgeht, da es in jenem stark vereinfachenden Schema lediglich um die Andeutung verschiedener Prozeßebenen des oberen Kontextes der Tätigkeiten-Motive-Ebene gehen sollte. 132

Wie schon erwähnt, wurde im Schema -was schwerwiegend ist- vom Produktionsbereich abstrahiert. Und dies macht hier nochmals eine Bemerkung zum Verhältnis von produktiver und sozial-reproduktiver Sphäre (s. dazu Punkt 3.2.3) erforderlich. In Kapitel 3 (s. insbesondere Punkt 3.4) wurde -sowohl unter Gesichtspunkten der Entwicklungsfolge wie auch aus struktureller Sichtfolgendes Verhältnis herausgearbeitet: Individuelle Handlung zu subjektiv-sozialer Tätigkeit des personalen Subjekts ist wie gesellschaftliche Arbeit zu Praxis des Gemeinwesens. Es handelt sich hierbei um Verhältnisse der (linearen) Produktion zur (zyklischen) Reproduktion. Gleichzeitig mit der (zielgerichteten) Herstellung bestimmter Produkte reproduzieren sich die jeweiligen Subjekte und -wie gesagt- kann es sich dabei (bis "hinab" zum personalen Subjekt) auch um verschiedene "höhere" bzw. überpersonale Subjektsysteme handeln, wobei sich das Gemeinwesen als das "höchste Subjekt" bestimmen läßt. Das Wesentliche nun ist, daß (jeweils) Zweck der Produktion die Reproduktion ist. Die Reproduktion des Gemeinwesens (= des "höchsten Subjekts") könnte als letzter sozialwissenschaftlich noch sinnvoller Zweck bezeichnet werden (vgl. RAEITHEL 1981, 122ff), aber "für die Psychologie ... wäre es eine unlösbare Aufgabe, solche hochorganisierten und umfassenden Gemeinwesen insgesamt als oberste konkrete Systeme theoretisch und praktisch berücksichtigen zu wollen. Wir Psychologen müssen daher irgendwo zwischen dem konkreten Gemeinwesen 'Familie, Freundes- und Kollegenkreis' und einer staatlich verfaßten Gesellschaft die Grenze ziehen und alles dar über liegende als oberen Kontext behandeln, dessen Charakteristik von anderen Wissenschaften erforscht wird und psychologisch nur in Hinsicht auf den Zyklus der Funktionsnotwendigkeit relevant ist" (dto, 124/125).

5.4

5.4.1

Ideell-kognitive Handlungsregulation - Das System des Ideellen und dessen Aufschlüsselung gemäß der 'Ebenenstruktur1 der Tätigkeit Die Struktur des individuellen Ideellen und die 'Dimension der Subjektivität*

Ausgehend von dem für die Psychologie zentralen Analyseschema: Subjekt-Tätigkeit-Objekt oder besser: Ideelles-Tätigkeit-Gegenstand (s. Punkt 3.2.1: I-T-G) f ä l l t a u f , daß bislang das System des Ideellen (I) für die Struktur der Tätigkeit noch nicht berücksichtigt wurde. Vielmehr erfolgte im Grundschema der Abbildung 3 (und den darauf aufbauenden Schemata der Abbildungen 4 und 5) eine Beschränkung auf die T-G-Verhältnisse unter Absehung vom Bewußtseins» bzw. ideellen Abbildsystem. Dabei handelt es sich um eine fraglos schwerwiegende Abstraktion, denn: "Was in der gegenständlichen Welt für das Subjekt Motiv, Ziel und Bedingung seiner Tätigkeit ist, muß von ihm auf die eine oder andere Weise wahrgenommen, vorgestellt, begrifflich e r f a ß t und in seinem Gedächtnis festgehalten und reproduziert werden" (LEONTJEW 1982, 121; 1977, 42). Es muß deshalb im folgenden als 'Repräsentationsebene' der materiellen und symbolischen Welt (wie auch des Subjekts selbst, seiner Hand133

lungen und Zustände) das System des Ideellen in das Grundschema eingearbeitet werden; (und dabei wird -insofern es in diesem Kapitel um die "inneren Verhältnisse von personalen Subjekten" geht- das individuelle Ideelle im Blickpunkt der Betrachtung stehen, nicht das gesellschaftliche Ideelle, von dem es ein Teil ist, das es (re)produziert und von dem es umgekehrt ermöglicht und begrenzt wird.) Für eine erste Definition und Eingrenzung des Systems des individuellen Ideellen mag man -wie in Kapitel 3- zunächst von der k a t e g o r i a l verstandenen Tätigkeit ausgehen (nachfolgend jeweils durch ein in Klammern gesetzten (kv) angedeutet). Wie schon ausgeführt (s. Kap. 3) wird die äußere und innere (kv) Tätigkeit des Subjekts durch die psychischen Abbilder v e r m i t t e l t und r e g u l i e r t und beim Menschen handelt es sich c h a r a k t e r i s t i s c h e r w e i s e vorwiegend um bewußte psychische Widerspiegelung. Und da die "psychische Realität, die sich u n m i t telbar vor uns auftut, (...) die subjektive Welt des Bewußtseins (ist)" (LEONTJEW 1982, 122; 1977, 42) oder - a n d e r s h e r u m - "das Bewußtsein in seiner U n m i t t e l b a r k e i t (...) das sich dem Subjekt auftuende Weltbild (Bild von der Welt) (ist)" (ebd), liegt es scheinbar nahe, das psychische Repräsentations-bzw. Abbildsystem überhaupt mit dem Bewußtsein zu identifizieren. Unglücklicherweise trägt auch LEONTJEW dazu bei, indem er das besagte 'Repräsentationssystem 1 als "System des individuellen Bewußtseins" bezeichnet. Jedoch ist die Gleichsetzung von Psychischem und Bewußtem auch auf menschlichem Niveau inadäquat, wenngleich hier das Bewußtsein die hervorstechende und universelle Form der Widerspiegelung ist und deren neue Q u a l i t ä t beim Menschen. Zu beachten ist, daß sich die uns in der direkten Auseinandersetzung mit unserer Welt (im Subjekt-'Natur'-Austausch) unmittelbar in der Form des Bewußtseins eröffnende psychische Realität i.d.R. nicht unsere gesamte psychische Realität ist. Um dem Umstand auch nicht-bewußter psychischer Widerspiegelung bzw. n i c h t - b e w u ß t e r "ideeller Anteile" im individuellen 'Repräsentationssystem 1 gerecht zu werden, ziehe ich es deshalb vor, statt vom individuellen Bewußtseinssystem vom 'System des individuellen Ideellen' (abgekürzt: I) zu sprechen. Dies entspricht auch der Terminologie bei RAEITHEL (1983), der dieses individuelle Ideelle (I) als "ideelle, potentiell regulative Strukturen des Subjekts" (1981, 35) versteht und folglich das Subjekt innerhalb der S-T-O Triade als "lebendige Einheit dieser Strukturen in der Tätigkeit" (ebd; s.a. HILDEBRAND-NILSHON 1980). In meiner Konzeptualisierung konstituiert das System des individuellen Ideellen die ideell-kognitive Regulationsgrundlage der äußeren wie auch der inneren (kv) Tätigkeit, bleibt aber nicht -wie bei RAEITHEL 1983, 1981 oder auch 1980) auf "lebendiges Wissen" und "lebendige Begriffe" eingeengt, sondern umfaßt darüber hinaus die "persönliche Sinn-Dimension", die bei RAEITHEL jedenfalls nie explizit berücksichtigt wird. Wesentlich ist wohl, daß der immer wieder b e t o n t e zweifache Bezug der lebendigen menschlichen Aktivität, ihre "doppelte Vermitteltheit" mit der Welt der Gegenstände und der Wirklichkeit der gesellschaftlichen Be Ziehungen/Verhältnisse nicht sehr deutlich wird, wenn man von der Tätigkeit als allgemeine K a t e g o r i e a u s g e h t . Denn weiterhin kann dann auch die dieser "doppelten Vermitteltheit" entsprechende doppelte Form der subjektiven Widerspiegelung (s. Punkt 3.2.2b)), deren zweifache Qualität und Funktion als 1. Widerspiegelung der allgemeinen Bedeutungen der Gegenstände und als 2. Widerspiegelung ihres "persönlichen Sinns", d.h. ihrer besonderen Bedeutsamkeit für das per-

134

sonale Subjekt (für dessen "soziale Bedürftigkeit"), nur schwer verdeutlicht werden. Die Dualität der Subjekt-Welt-Beziehung findet gleichsam ihren "Niederschlag" (auch) in der "realen Doppelexistenz der Bedeutungen für das Subjekt", von der LEONTJEW (1977, 1982) spricht. Um nun diesen Doppelcharakter strukturell festzumachen und zu veranschaulichen, sowie zum Zwecke einer "Systemanalyse des individuellen Bewußtseins", wie sie von LEONTJEW gefordert wird, erscheint es angebracht, auch das System des Ideellen gemäß der 'Ebenenstruktur 1 der Tätigkeit aufzuschlüsseln (s. Abbildung 6). Denn schließlich ist die ABBILDUNG 6: S p S . = S 1W = S 1A =

Die Struktur des individuellen Ideellen

System persönlicher Sinne System lebendigen Wissens System lebendiger Abbilder (gehört zu S 1 W) System d e s Ideellen

Ebene der s i n n 1 ich-signalischen R e a l i t ä t s b e z o g e n h e i t in Subje k t - S u b j e k t Verhältnissen Ebene des b e wußten R e a l i t ä t s b e z u g s im Subje k t - 1 N a t u r ' -Austausch Ebene der. unmittelbaren Real i t ä t s v e r ankerung im Ind i v id uum-Ilmweit -Austausch

Motive PSYCHISCHE WIDERSPIEGELUNG (i.d.R. nicht bewußt) Ziele g e n e r e l l BEWUßTE WIDERSPIEGELUNG Bedingungen z . T . AUTOMATII SIERTE und signalische WIDERSPIEGELUNG

Struktur des individuellen Ideellen in der Struktur der Tätigkeit gegründet. Wie aus Abbildung 6 ersichtlich, ergibt sich daraus -analog der Drei'ebenen'struktur der individuellen Aktivität- eine Drei'ebenen'struktur auch des individuellen Ideellen. 13 5

Es lassen sich also analog den 3 Prozeßebenen von T-G-Verhältnissen und als deren Resultat drei 'Konstituenten' des Ideellen konzeptualisieren bzw. drei das System des individuellen Ideellen konstituierende "Subsysteme", nämlich: das "System persönlicher Sinne" (SpS), das "System lebendigen Wissens" (S1W) und das "System lebendiger Abbilder" (S1A). Und das Verhältnis dieser drei "Subsysteme" des individuellen Ideellen entspricht dem Verhältnis von T ä t i g k e i t s - , Handlungs- und Operationen-'Ebene' zueinander. Die bewußte psychische Widerspiegelung der Gegenstände und ihrer Beziehungen untereinander (wie auch die bewußte Widerspiegelung des Subjekts selbst, seiner Handlungen, Zuständen, 'Eigenschaften' und Besonderheiten) konstituiert das System des lebendigen Wissens (S1W). Bezugnehmend auf dieses Subsystem des individuellen Ideellen ließe sich von "Bewußtsein i.e.S." s p r e c h e n . Es handelt sich um die Erfassung der bedeutungshaltigen Welt auf der 'Ebene' des bewußten Realitätsbezugs, der aktualgenetischen Prozesse, welche die unmitt e l b a r bewußte psychische R e a l i t ä t des Subjekts ausmachen. Das S1W ist gewissermaßen die subjektive Repräsentation der gesellschaftlich e r a r b e i t e t e n allgemeinen Bedeutungen der gegenständlichen Welt (Gegenstands- und Symbolbedeutungen) und umfaßt generell gesehen sämtliche Kenntnisse des Subjekts. Wie schon a u s g e f ü h r t (Punkt 3.2.2b)), gewinnen die allgemeinen (sprachlich fixierten) Bedeutungen, indem sie in das System des individuellen Ideellen eingehen, "neue Systemeigenschaften", ohne indes ihre Objektivität, Uberindividualität', ihre Allgemeinheit, ihren sozialhistorischen C h a r a k t e r einzubüßen (vgl. LEONTJEW 19S2, 143; 1977 , 54). LEONTJEW spricht (an gleicher Stelle) von zwei "Seiten" der Bewegung der Bedeutungen im System des individuellen Ideellen, wovon die eine Seite die "Rückkehr" der vom Subjekt angeeigneten Bedeutungen zur sinnlich-gegenständlichen R e a l i t ä t ist (objektive R e a l i t ä t s bezogenheit des S1W), die andere Seite in einer besonderen Subjektivität besteht, die sich als besondere Gerichtetheit (1977, 55) des individuellen Bewußtseins eines konkreten Subjekts bzw. als spezifische "Engagiertheit" (1982, 143) seiner bewußten Prozesse äußert. Diese zweite Seite offenbart sich aber "nur bei der Analyse der inneren Beziehungen, die die Bedeutungen mit einer weiteren 'Komponente' des Bewußtseins verbinden —mit dem persönlichen Sinn" (ebd, 1977, 55). In s t r u k t u r e l l e r Betrachtungsweise vermag das Schema der Abbildung 6 anschaulich zu machen, was b e r e i t s in Kapitel 3 (Punkt 3.2.2b)) besprochen wurde. Die Bedeutungen der objektiven Wirklichkeit gehen in das S1W ein, und zwar handelt es sich dabei um ideelle Widerspiegelung in kognitiven Strukturen (symbolischen Wissensstrukturen) bzw. in Begriffs-Systemen (zur Terminologie s. unten), und es handelt sich um bewußte Widerspiegelung. Bewußte Widerspiegelung heißt ja: begriffliche Erfassung eines Gegenstandes/Ereignisses und dies heißt: (i.d.R. sprachliche) Bedeutungserfassung. Ferner fungieren die (Wort-)Bedeutungen als Mittel der theoretischen (kognitiven) Handlung: Begriffe als "Quasi-Werkzeuge" der inneren, kognitiven Aktivität; der Begriff ist das Instrument der bewußten theoretischen Aktion (s.a. 3.2). Nun bricht sich auf der 'Ebene' des bewußten Realitätsbezugs des Subjekts die objektive Welt im individuellen Bewußtsein dieses Menschen durch das Prisma der Bedeutungen, aber psychologisch sind diese nicht als solche relevant, sondern erst, wenn man die inneren Beziehungen untersucht, die diese Bedeutungen im System des individuellen Ideellen eingehen oder anders ausgedrückt: nur wenn man deren Bewegungsform in ihrem (individuell-ideellen) System genauer u n t e r s u c h t . Aber dann sind diese Bedeutungen als 'Bestandteile' des 136

individuellen Ideellen keineswegs nur noch "mehr oder weniger vollständige und vollkommene Projektionen der in der betreffenden Gesellschaft existierenden 'überindividuellen 1 Bedeutungen" (LEONTJEW 1977, 54; 1982, 142), und auch nicht bloß "durch das Prisma der konkreten Besonderheiten des Individuums, seine bisherigen Erfahrungen, seine Einstellungen, sein T e m p e r a m e n t u.s.w. gebrochen" (ebd), sondern e r h a l t e n durch ihre Bezogenheit zum und ihre Determiniertheit durch den persönlichen Sinn eine besondere s u b j e k t i v e , personspezifische Qualität. Deshalb existieren die Bedeutungen für das personale Subjekt niemals nur in ihrer 'überindividuellen 1 Allgemeinheit, sondern erhalten eine personspezifische 'Formung', ohne indes ihren allgemeinen Charakter einzubüßen, über den Realitätsbezug und Verständigungsfähigkeit gewährleistet bleiben. Dies alles wurde b e r e i t s in Kapitel 3 beschrieben und kann nun hier anhand des Schemas der Abbildung 6 etwas anschaulich nachvollzogen werden. Das Wesentliche an dieser Darstellung sind die klinisch-psychologischen Implikationen, die eine solche Konzipierung des individuellen Ideellen für das Verständnis des subjektiven Kognizierens (des Wahrnehmens, Denkens, Interpretierens, Pläne-Schmiedens etc.) einer Person, ihres subjektiven Welt-und Selbstbildes hat (vgl. unten). Das System lebendigen Wissens (S1W + Begriffe) ist die zentrale kognitive 'Ebene' (Bewußtseins-'Ebene') und in je konkretem Handlungskontext e n t h ä l t dieses System die angestrebten Handlungsresultate, also die Ziele und alle zur konkreten Handlungsregulation erforderlichen (Er-)Kenntnisse, also den Handlungsablauf und seine möglichen Varianten, die zu erwartenden Folgen etc. und natürlich die relevanten Umgebungsbedingungen bzw. die objektiv-gegenständlichen Bedingungen der Zielerreichung, die aber zum Teil nicht mehr bewußt erfaßt, sondern im System lebendiger Abbilder (S1A) widergespiegelt werden (s. unten). Der Term "lebendig" (s. RAEITH EL 1980, 1983) verweist darauf, daß es sich beim "Wissenssystem" nicht um eine einverleibte, aber des weiteren ruhende, f ü r sich bestehende kognitive Struktur handelt, sondern um eine wirksame Struktur. Lebendig ist das Wissen als Regulation der praktischen und/oder kognitiven Aktivität des Subjekts unter Einsatz der symbolisch-gegenständlichen Mittel, d.h. der Begriffe.. So konstituiert das S1W die kognitive Handlungsregulationsgrundlage; — und es bestehen gewiß Parallelen dieses Systems: S1W (+Begriffe) zur HACKER'schen (1973) "intellektuellen Regulationsebene" (s.a. unten). Der persönliche Sinn nun ist -wie schon in Kapitel 3 ausgeführt- die Repräsentation des Motivs der Tätigkeit (das s e i n e r s e i t s in der Wirklichkeit des sozial-kooperativen Beziehungsmusters, in das das Subjekt eingebunden ist, liegt) und die Repräsentation des Motivs im Ideellen ist zumeist nicht-bewußter Art, d.h. die sinnbildenden Tätigkeitsmotive werden zumeist nicht bewußt, nicht begrifflich erfaßt, sondern sinnlich-signalisch widergepiegelt (vgl. Kapitel 4). Der persönliche Sinn ist Psychisches, aber i.d.R. nicht Kognitives; er ist ideelle Widerspiegelung des materiellen Motivs. Die auf Subjekt-'Seite' r e p r ä sentierten persönlichen Sinne konstituieren das System persönlicher Sinne (SpS) und natürlich sind auch sie -wie das Wissen- "lebendig", nämlich t ä t i g k e i t s r e gulierend wirksam und überdies lebendig in ihren Beziehungen zum -auf der 'Ebene' des bewußten Realitätsbezugs angeeigneten und je aktualisierten-Wissen. In je konkreter Aktivität sind die beiden 'Subsysteme' des Ideellen, SpS 137

und S1W, in besonderer Weise miteinander verbunden, gehen eine besondere Beziehung miteinander ein. Dies sieht etwa so aus, daß durch die persönlichen Sinne die Muster geformt werden, in denen sich die Bedeutungen des bewußten Realitätsbezugs (die SlW-Inhalte) bewegen; daß über solche 'Sinn-Muster' quasi die "Bewegungsform" der (sprachlichen) Bedeutungen im individuellen Ideellen determiniert wird und somit die Kognitionen (Vorstellungen, Gedanken, Pläne, e t c . , die Kenntnisse) ihre besondere subjektiv-emotionale Färbung/Tönung erhalten (s. Punkt 5.4.3). "Psychologisch, d.h. im System des Bewußtseins (des Ideellen; S.H.) des Subjekts ... existieren die Bedeutungen überhaupt nur in der Form, daß sie bestimmte Sinne realisieren, ebenso wie die Handlungen und Operationen des Subjekts nur existieren, indem sie diese oder jene von einem Motiv, einem Bedürfnis angeregte Tätigkeit realisieren" (LEONTJEW 1977, 59; 1982, 148). Die Differenzierung von meist nicht bewußten persönlichen Sinnen und bewußtem Wissen (und Begriffen) und die Konzipierung ihrer gleichzeitigen Verbundenheit in der lebendigen Aktivität macht den phänomenalen Doppelcharakter bzw. die scheinbare zweifache Determiniertheit der individuellen 'Bewußtseinserscheinungen 1 , nämlich als quasi unabhängige Erkenntnisresultate "von außen her determiniert" und gleichzeitig als individuell-bedürfnisorientiert und affektbezogen "von innen her determiniert" verständlich. Die Dualität ist aber t a t sächlich nicht in Begriffen der Innen-versus Außen-Determiniertheit zu fassen (vgl. LEONTJEW 1977, 55; 1982, 144), sondern erweist sich als doppelte Form der Widerspiegelung eines in die lebendige Aktivität des Subjekts einbezogenen Gegenstands/Sachverhalts/Ereignisses; der Widerspiegelung e t w a eines gegenständlichen Handlungsziels (wie: Prüfung bestehen) in seiner allgemeinen Bedeutung und als persönlicher Sinn. Subjektive Vorstellungen über die Wirklichkeit sind R e s u l t a t e bewußter Erkenntnisleistungen und gleichzeitig mehr oder weniger emotional ge- bzw. auch ver-'bogen'; aber auch in ihrer a f f e k tiven Färbung sind sie Ergebnis der Widerspiegelung der wirklichen Lebensprozesse des je besonderen Subjekts. Somit ist die phänomenale Dualität der "Erscheinungen des individuellen Bewußtseins" nicht in einer Innenwelt-Außenwelt-Differenzierung gegründet, sondern liegt "in den Besonderheiten der inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit als solcher" (dto, 1977 , 55), wie dies auch aus der Abbildung 6 hervorgeht. Es wurde schon ausgeführt (s. Punkt 3.2.2b)), daß der persönliche Sinn i.d.R. nicht unmittelbar im Bewußtsein auftaucht, sondern sich über gefühlsmäßige Erlebnisse, über das emotionale Erleben, bemerkbar macht. Somit werden die Gegenstände der lebendigen A k t i v i t ä t / d e s Handelns vom Subjekt sowohl a) begrifflich/bewußt in ihrer allgemeinen Bedeutung und gleichzeitig b) emotional-wertend als persönlicher Sinn erfaßt, wobei a) primär das In-BeziehungSetzen zur Welt im Subjekt-'Natur'-Austausch charakterisiert und b) die Realisation von sozial-kooperativen Beziehungsmustern in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen. Der persönliche Sinn ist dann die subjektive Bedeutungshaltigkeit eines Gegenstandes/eines Ereignisses/einer Handlung im Hinblick auf die Sozialform bzw. soziale Existenz- und Bewegungsform des Subjekts im System seiner gesellschaftlichen/sozialen Beziehungen, im Hinblick auf dessen Persönlichkeit. (Und dies ist je zu s p e z i f i z i e r e n für ein je konkretes Subjekt.) Damit bestimmt sich über den persönlichen Sinn, -also letztlich über das sinnbildende Tätigkeitsmotiv-, die sog. (Lebens-)Orientierung des Subjekts im gesellschaftlichen Lebensprozeß, und wenn nun wichtige Motive nicht r e a l i s i e r t werden können, also für das Subjekt in jeweiligen Handlungsbereichen quasi der Sinn 138

verloren geht, wird das Subjekt in eine Orientierungskrise (s. dazu Kap. 7) geraten. Soweit wurde hier das System des individuellen Ideellen als Einheit von nichtsymbolischen ideellen Strukturen und symbolischen Wissensstrukturen, damit als Einheit von i.d.R. nicht bewußten, aber gleichwohl lebendigen persönlichen Sinngehalten und bewußten, lebendigen Wissens gehalten konzeptualisiert. Mit Bezug auf die gängige Terminologie nun können die symbolischen Wissensstrukturen als kognitive Strukturen bezeichnet werden (wohingegen die persönlichen Sinn-Strukturen i.d.R. nicht kognitiv sind). Und kognitive Prozesse andererseits sind hier konzeptualisiert primär als Prozesse der Vermittlung und Regulation der äußeren praktischen und inneren, t h e o r e t i s c h e n Tätigkeit durch die in kognitiven Strukturen widergespiegelten Abbilder der Realität, —durch das lebendige Wissen und vermittels der Begriffe. Was aber -insgesamt gesehen- die Vermittlung und Regulation der lebendigen A k t i v i t ä t a n b e l a n g t , so handelt es sich nicht um "rein" kognitive Prozesse, sondern -insofern in die Vermittlung/Regulation des äußeren wie inneren Handelns auch der persönliche Sinn eingeht- um "ideell-kognitive" Prozesse und entsprechend nicht nur um eine kognitive Handlungsregulationsgrundlage (wie bei VOLPERT 1974; SEMMER/FRESE 1979; u.a.m.), sondern um eine "ideell-kognitive" Handlungsregulationsgrundlage, die auch emotionale Regulation umfaßt. Reflexiv zugänglich, damit bewußt m a c h b a r , sind nur die symbolisierbaren Anteile des Ideellen. Anders als die "bewegungsorientierenden Abbilder" auf "sensumotorischer Ebene" (vgl. dazu HACKER 1973, 118) sind die persönlichen Sinne zwar im Prinzip symbolisier bar, dennoch aber handelt es sich je aktuell zumeist um nicht-symbolisierte, deshalb nicht-bewußte 'Anteile' des Ideellen. Dieses "Unbewußte" andererseits ist über die besondere Verbundenheit von SpS und S1W in den bewußten Prozessen verankert; und zwar -außer als bewußt e r l e b t e Emotionalität- in der Weise, daß sich die persönlichen Sinne als sich (immer) reproduzierende Muster des lebendigen Wissens m a n i f e s t i e r e n , sich dabei entsprechende 'Bewegungsformen' der Wahrnehmung, der Vorstellung, der Antizipation, der Handlungsplanung ... zeigen, also Formen, in denen sich die kognitive G e s t a l t u n g / S t r u k t u r i e r u n g der Welt durch das Subjekt bewegt (s. nachfolgend Punkt 5.4.3). Als Teil der ideell-kognitiven Regulationsgrundlage des praktischen und kognitiven Handelns vermittelt das SpS die subjektiv-sinnhafte Qualität des Handelns und dessen Affektbezogenheit, darüber die "personspezifische" Art der Handlungsausführung bei ansonsten "allgemeingültiger" Handlungsdurchführung im Sinne der Ziel-Mittel-Verschränkung im rückgekoppelten Regelkreis, wie dies e t w a die Handlungsregulationstheorie sensu HACKER/VOLPERT beschreibt. Jedenfalls ist erst mit der Konzeptualisierung des SpS die "Dimension der Subjektivität" theoretisch erfaßt (s.a. HASELMANN 1982). Weiter vorne -in Punkt 5.1- wurden zweierlei objektive Resultate differenz i e r t : das gegenständliche Produkt (Rj) als Ziel (bzw. Zielerreichung) und ein m a t e r i e l l - s o z i a l e s Verhältnis, das das Subjekt selbst enthält (R2), als Motiv. Nun sind diese Resultate als Vorwegnahmen auch im Ideellen repräsentiert. Im Falle des Ziels handelt es sich dabei klarerweise um bewußte Antizipation des Handlungsresultats. Im Falle des Motivs handelt es sich beim persönlichen Sinn e b e n f a l l s um eine Art 'Vorwegnahme' des (angestrebten/herzustellenden) sozial-kooperativen (Beziehungs-)Resultats, welche sich e t w a als e m o t i o n a l e s 139

Hingezogensein zu oder Abgestoßenwerden von einer Sache äußert (= Emotionen des Wünschens, Woliens oder einer Leidenschaft) und dann als ' t r e i b e n d e und regulierende K r a f t ' der handlungsmäßigen Zieiverfolgung unterliegt. Bei solcher nicht bewußten 'Vorwegnahme' von R2 orientiert sich das Subjekt an Signalen seiner sozialen Umwelt und am 'Atmosphärischen'. In beiden Fällen können Diskrepanzen auftreten zwischen den ideellen Vorwegnahmen und den tatsächlichen Resultaten; Diskrepanzen, die dann vom Subjekt in mehr oder weniger starkem Grade als "Mißerfolg" bis zur sozialen Existenzbedrohung erlebt werden, je nachdem wie zentral eine Zielerreichung für ein Motiv und wie z e n t r a l eine Motive-Realisierung für die Persönlichkeit des Subjekts, dessen jeweilige Sozialform, i s t . Und solche Diskrepanzen können für das Subjekt mehr oder weniger schwere Orientierungskrisen darstellen (s. dazu Kap. 7). Bislang blieb das dritte Subsystem des individuellen Ideellen, das als "System lebendiger Abbilder" (S1A) bezeichnet wurde (vgl. Abb. 6), unerwähnt. Das S1A wurde auf Operationen-Ebene angesiedelt, wo die Regulation der Teilhandlungen und der Bewegungen in Abstimmung auf die objektiv-gegenständlichen Bedingungen o f t ohne Bewußtseinsbeteiligung, z.T. höchst automatisiert, erfolgt. Es umfaßt bereits 'automatisch-regulative' Handlungspläne des Wissens, Bewegungsentwürfe und auch bewegungsorientierende Abbilder der Sensumotorik. (Es drängen sich wohl Parallelen zu den drei HACKER'schen Regulationsebenen auf (wobei die i n t e l l e k t u e l l e Regulationsebene hier zum S1W, die perzeptiv-begriffliehe und die sensumotoqsche zum S1A gehören würde); — ich möchte dies jedoch nicht weiter ausführen, weder im Hinblick auf Übereinstimmung noch im Hinblick auf Nicht-Übereinstimmung mit dieser Konzeption, sondern solche Parallelsetzungen dahingestellt sein lassen.) Wesentlich ist hier, daß die ideell-kognitive Regulation der lebendigen menschlichen Aktivität in zweierlei Hinsicht unbewußte Regulation ist, daß also zwei Arten des Unbewußten im System des Ideellen zu unterscheiden sind, nämlich einmal das System der persönlichen Sinne und zum anderen die automatisierte (damit aktuell nicht (mehr) bewußte) und sensumotorische Regulation der (praktischen und kognitiven) Operationen durch die entsprechenden Abbilder. Aufschlußreich für die Persönlichkeit ist vorrangig das Unbewußte im SpS. Die durch wiederholtes Üben eintretende Automatisierung auf Operationen-'Ebene' hat als solche keine Personspezifität. Im Aktivitätsfluß sind andererseits die Abbilder auf Operationen-'Ebene' immer auch durch den jeweiligen persönlichen Sinn ' g e f ä r b t ' , erhalten durch ihn eine personale 'Komponente' in der Art der Regulation der (praktischen und kognitiven) Operationen. Zum Abschluß der allgemeinen Erörterung muß noch betont werden, daß das individuelle Ideelle nicht -wie dies, etwa bedingt durch die s t r u k t u r a l e Betrachtungsweise in Abbildung 6, fälschlicherweise vermutet werden könnte- ein mit Abbildern und Prozessen angefüllter Raum ist. Das individuelle Ideelle "ist keine Fläche und auch kein Raum, angefüllt mit Abbildern und Prozessen, es wird auch nicht von den Beziehungen seiner einzelnen 'Elemente' gebildet, sondern von der inneren Bewegung seiner 'Komponenten'. Diese Bewegung ist eingeschlossen in die allgemeine Bewegung der Tätigkeit, die das reale Leben des Individuums in der Gesellschaft verwirklicht. ..." (LEONTJEW 1977, 61; 19S2, 151).

140

5.4.2

Zum Verhältnis von praktischer und theoretischer Tätigkeit (Wirklichkeit und Möglichkeit)

Bisher wurde (auch in Abb. 6) implizit schon immer von der Strukturidentität von äußerer, praktischer und innerer, kognitiver (hier nun wieder kategorial verstandener = kv) Tätigkeit ausgegangen. Diese ist -wie auch schon in Kap. 3 ausgeführt- darin gegründet, daß die innere (kv) Tätigkeit aus der äußeren h e r v o r g e h t . Jedoch besagt die prinzipielle Strukturidentität als solche noch nichts über das im Aktivitätsfluß je aktuell konkrete Verhältnis von äußerer und innerer Tätigkeit zueinander. Im alltäglichen Handeln ist es -vom Subjekt aus betrachtet- üblicherweise so, daß die beiden -nur reflexiv-analytisch trennbaren« Funktionen der äußeren und inneren (kv) Tätigkeit untrennlich zusammenwirken, z.B. erscheint ein materieller Gegenstand dem Subjekt als ideelle Widerspiegelung/Repräsentation, damit auch schon als (bereits kognitiv vors t r u k t u r i e r t e r ) symbolischer Gegenstand und das Subjekt 'agiert' dementsprechend theoretisch/kognitiv wie praktisch mit ihm. Probleme können allerdings dann auftreten, wenn das in der theoretischen Tätigkeit ideell-antizipierte und realisierte Motiv in der praktischen Tätigkeit doch nicht als materiell-soziales R e s u l t a t verwirklicht wird bzw. werden kann, wenn also mögliche BedürfnisErfüllung nicht praktisch wirklich wird (s. unten). Aus dezentrierter Sicht konzeptualisiert RAEITHEL (1980, 1983) das Verhältnis von praktischer und kognitiver Tätigkeit (bzw. von Arbeit und t h e o r e t i s c h e r Arbeit) als " m a t e r i e l l e Analogie", d.h. es handelt sich um eine objektive Entsprechung im Sinne des folgenden Verhältnisses: symbolischer Gegenstand zu t h e o r e t i s c h e r Tätigkeit ist wie materieller Gegenstand zu praktischer Tätigkeit. Und dieses "Meta-Verhältnis" (vgl. dto, 1980, 6) existiert unabhängig von seiner Widerspiegelung und ist gekennzeichnet durch die gleiche Entwicklungslogik des Verhältnisses von (kv) Tätigkeit und Gegenstand auf beiden Seiten der Analogie (ders. 1981, 149). Praktische Tätigkeit und theoretische Tätigkeit können nun als zwei "konkrete F u n k t i o n e n ' ^ ) verstanden werden und die Verkoppelung beider Funktionen erfolgt "durch ein gemeinsames R e s u l t a t , auf das beide Funktionen konvergieren" (dto, 237). Systembildender Faktor ist immer das nützliche, gegenständliche bzw. materiell-soziale G e s a m t r e s u l t a t ; auf dieses Resultat hin konvergieren die beiden koordinierten Funktionen der äußeren und inneren Tätigkeit; — beziehungsweise unter Beachtung der Dualit ä t der Subjekt-Welt-Beziehung handelt es sich genaugenommen um zwei R e s u l t a t e : R j und R2 (vgl. vorne), auf die hin die beiden Funktionen konvergieren. Nun ist also die äußere praktische Tätigkeit als funktionelles System mit materiellem Gegenstand und die innere theoretische Tätigkeit als funktionelles System mit symbolischem Gegenstand und zwischen beiden Systemen eine "materielle Analogie" (eine objektive strukturelle Entsprechung)^) beschrieben. Dabei steht das symbolisch-funktionelle System in Widerspiegelungsrelation zum System der äußeren Tätigkeit, was auch eine grundlegende Asymmetrie in der "materiellen Analogie" bedeutet: die innere Tätigkeit ist gegenüber der äußeren sekundär, und: nicht auf das Resultat der inneren, kognitiven Tätigkeit, welches ein symbolisches Resultat ist, kommt es an, sondern auf das materielle R e s u l t a t . Ausschlaggebend und auch entscheidend bei der Ausbildung einer "materiellen Analogie" also sind die materiellen Resultate (Rj[ und R2) in der Wirklichkeit.

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Ein wesentliches Problem ist nun die Vermittlung zwischen den beiden Seiten der "materiellen Analogie", zwischen innerer und äußerer T ä t i g k e i t , die vom Subjekt g e l e i s t e t werden muß. Diese Vermittlung erfolgt durch (kognitives) Wissen (im I) und (praktisches) Können des personalen Subjekts, auf daß sich innere (Denk-, Phantasie-) Tätigkeit und äußere praktisch-reale Tätigkeit in den materiellen Resultaten harmonisch z u s a m m e n f i n d e n . In "unproblematischen", das Subjekt zufriedenstellenden bzw. nicht weiter belastenden Handlungsverläufen ist dies wohl die Regel. A n d e r e r s e i t s kann eine Diskrepanz b e s t e h e n , auch ein (sogar antagonistischer) Widerspruch zwischen dem System der inneren Tätigkeit, das mögliche Resultate als symbolische produziert, und dem System der äußeren Tätigkeit, das (in der "äußeren Welt") die wirklichen materiellen Resultate produziert. Damit kann für das Subjekt eine Diskrepanz (oder ein Widerspruch) von Möglichkeit und Wirklichkeit bestehen, wenn das produzierte symbolische Resultat (= Möglichkeit) nicht mit dem -in den realen m a t e r i e l l e n Begrenzungen des aktuellen Kontextes produzierten- materiellen Resultat (= Wirklichkeit) zur Deckung gebracht werden kann. So kann es sein, daß bestimmte Ziele, die i.S. eines bestimmten Motivs als symbolische Resultate hergestellt werden, im praktischen Handeln nicht verwirklicht werden können, so daß auch das "zugrundeliegende" Motiv nicht wirklich als materiellsoziales Verhältnis 'erfüllt' bzw. das betreffende konkrete Bedürfnis nicht in der Wirklichkeit "befriedigt" werden kann. Eine solche Diskrepanz von Möglichkeit und Wirklichkeit kann zurückzuführen sein: 1. auf Begrenzungen der Mittel und/oder 2. auf Begrenzungen in den Formen, d.h. die Diskrepanz kann sich einstellen 1. aufgrund unzureichender (Handlungs-)Mittel (wie Fähigkeiten, Fertigkeiten u.a.m.), also aufgrund aktuell mangelnden oder fehlenden Könnens und Wissens (-was dann oft als pädagogisches bzw. Lern-/Ubungsproblem kategorisierbar ist-) oder die Diskrepanz bzw. der Widerspruch von Möglichkeit und Wirklichkeit (von Phantasie und Realität) kann a u f t r e t e n , 2. wenn vom personalen Subjekt je aktuell mit den je relevanten anderen Personen nicht die für die wirkliche (materiell-soziale) Motive-Realisierung e r f o r d e r l i c h e Beziehungs-(Verkehrs-)form hergestellt werden kann, da die anderen r e a l i t e r gewissermaßen nicht " m i t m a c h e n " bzw. die materiell-gegenständlichen Bedingungen/Verhältnisse dagegenstehen. Der 2. Grund betrifft also im wesentlichen den Umstand, daß das Subjekt sinn bildende Motive nicht reell für sich verwirklichen kann, weil die aktuellen sozialen Verhältnisse es ihm nicht ermöglichen, die dazu notwendige Beziehungsform mit anderen faktisch zu leben. Und dieser zweite Fall ist für die Persönlichkeit gravierender als der erste. Wenn es sich dabei um eine nicht nur je aktuell und sporadisch, sondern (in bestimmten Tätigkeitsfeldern) häufiger auftretende Konstellation handelt, wird das Merkmal der Diskrepanz oder des Widerspruchs von Möglichkeit (bzw. Traum) und Wirklichkeit in die Persönlichkeitsstruktur eingehen bzw. richtiger: die Struktur c h a r a k t e r i s i e r e n . Und mit LEONTJEW (1977, 102; 1982, 212) könnten Personen, bei denen solche Konflikte eher die Oberhand haben, als "tragische Persönlichkeiten" bezeichnet werden. Tatsächlich kann sich die ursprüngliche Diskrepanz/der a n f ä n g l i c h e Widerspruch von Möglichkeit und Wirklichkeit ausweiten zu einem Dauerkonflikt, schließlich auch zu einer grundsätzlichen Entzweiung und Spaltung der beiden Systeme von Lebensbeziehungen bis zur sog. Schizophrenie (vgl. unten). Sofern die Möglichkeits-Wirklichkeits-Diskrepanz (in verschiedenen Tätigkeitsfeldern) b e r e i t s Merkmal der Persönlichkeitsstruktur ist, so müssen aber des weiteren -abgesehen davon, daß die Konflikthaftigkeit umso größer ist, je mehr Tätigkeitsfelder/je u m f a s s e n 142

dere Lebensbereiche davon b e t r o f f e n sind- auch qualitativ zumindest zwei "Fälle" unterschieden werden, und zwar in Abhängigkeit davon, wie zentral und dominierend die Motive, die das Subjekt nur in der Möglichkeit, nicht aber in der Wirklichkeit zu realisieren v e r m a g , f ü r dessen Persönlichkeit sind, in welchem Ausmaß seine soziale Existenzform davon betroffen ist. Der "leichtere" Fall wäre der, daß bestimmte konkrete Bedürfnisse im wesentlichen nur (noch) in der Möglichkeit "befriedigt", in der inneren Tätigkeit (im Traum, in der Phantasie) als symbolische Resultate h e r g e s t e l l t werden, weil deren Realisierung in der Wirklichkeit für das Subjekt mit Angst verbunden ist, deshalb faktisch gemieden wird. Hierbei ist anzunehmen, daß ein MotivKonflikt zugrundeliegt und die Angst wird daher rühren, daß die praktische Realisierung des jeweils angestrebten, immer nur ideell realisierten, Motivs in der Wirklichkeit eine Bedrohung eines für die jeweilige soziale Existenzform des Subjekts je aktuell noch zentraleren Motivs bedeuten könnte. Personen, bei denen dies zutrifft, mögen wohl konflikthaft und widersprüchlich erscheinen und auch sich selbst so wahrnehmen/erleben oder sie mögen als "Träumer" oder "Spinner" e t i k e t t i e r t werden, da sie offensichtlich wichtige Ziele (und entsprechende konkrete Bedürfnisse) nur in der Möglichkeit -im Traum, in der P h a n t a s i e - herzustellen in der Lage sind (und evtl. darüber reden, was sie alles hätten oder machen könnten), aber solange ihre w e s e n t liche t a t s ä c h l i c h e Sozialform nicht gefährdet ist, werden sie den Bezug zur Realität nicht verlieren und auch keine augenfälligen "Krankheitssymptome" aufweisen. Im anderen schwerwiegenderen "Fall" geht es um die zentrale Sozialform des Subjekts selbst, darum, ob und inwieweit es seine soziale Existenz in der Wirklichkeit e r h a l t e n und leben kann. Das diese Persönlichkeitsstruktur charakterisierende Auseinanderklaffen von Phantasie und Realität (die G e t r e n n t heit der beiden wesentlichen Systeme von Lebensbeziehungen: des praktischen und des ideell-kognitiven Systems der Tätigkeit) kann darin gegründet sein, daß e t w a die ursprünglich in der besonderen Konstellation eines engbegrenzten familialen Beziehungsnetzes geforderte, (beispielsweise im gegenständlichen Inhalt eng und "phantastisch" umschriebene) und vom Subjekt notwendigerweise ausgebildete, besondere Sozialform in der außer familialen Wirklichkeit (schließlich auch in der tatsächlichen familialen Wirklichkeit selbst) überhaupt nicht realisiert werden kann (sich vielmehr gerade entgegengesetzte materiell-soziale Verhältnisse für das Subjekt einstellen), der Zusammenbruch der besonderen sozialen Existenzform in der Wirklichkeit aber gleichzeitig sowohl von den Bezugspersonen negiert, geleugnet wird, wie auch vom Subjekt selbst negiert, geleugnet werden muß, da es anders seinen "sozialen Tod" nicht v e r k r a f t e n könnte. Dies kann dazu führen, daß die für die besondere Existenzform zentralen Motive nur noch symbolisch bzw. ideell in der Möglichkeit r e a l i s i e r t werden, die besondere Sozialform, die tatsächlich in der Realität gescheitert ist, nunmehr in der Möglichkeit gelebt wird, während sich in der Wirklichkeit dazu antagonistische materiell-soziale Resultate einstellen. Um das Phänomen der Gespaltenheit zu veranschaulichen, verweist LEONTJEW (1977, 101; 1962, 211) auf eine Erzählung von DOSTOJEWSKIS, in der die Hauptfigur im realen Dasein ein b e d a u e r n s w e r t e r , d e m ü t i g - u n t e r w ü r f i g e r Kümmerling ist, aber in seiner phantasierten Welt eine freudig-aufgeschlossene heroische Persönlichkeit. Die Abtrennung der kognitiven Tätigkeit von der praktischen Tätigkeit kann also mit einer "Spaltung der Persönlichkeit in zwei unverbundene Bereiche" (dto, ebd) einhergehen: "den Bereich der Persönlichkeitsentwicklung im wirklichen Leben und den Bereich der Entwicklung in 143

einem illusorischen, nur im egozentrischen Denken existenten Leben" (ebd). (Vergleiche dazu LAINGs (z.B. 1976) Ausführungen über das "verkörperte" und das "unverkörperte", das "falsche" und das "wahre" Selbst: der schizoiden Person ist ihr wirkliches, nicht ihr "wahres" Selbst; es ist bedeutungslos, sinne n t l e e r t ; ihr wirkliches Handeln, Sprechen etc. in der realen Welt erscheint ihr fremd, nicht zu sich selbst gehörig.) (Die gemachten theoretischen Ausführungen lassen sich auch illustrieren am Beispiel von Deborah, der Heldin im Roman von Hannah GREEN ("Ich hab1 Dir nie einen Rosengarten versprochen"), in dem autobiographisch die Erfahrungen einer schizophrenen Kränkung erzählt werden. Es wäre hierfür noch hinzuzufügen, daß im Falle einer "Schizophrenie" das vom Subjekt in der Wirklichkeit erlebte Elend - o f t um ein Vielfaches potenziert- dann auch in die Konstruktion der "privaten Welt" hineingenommen wird.) Möglichkeits-Wirklichkeits-Diskrepanzen sind also einerseits alltägliche Phänomene, wobei es für das Subjekt jeweils darauf ankäme, die beiden funktionellen Systeme (praktische und kognitive Tätigkeit) auf eine Konvergenz der R e s u l t a t e hin zu koordinieren, also eine "materielle Analogie" zu nutzen oder herzustellen; — und hierbei könn(t)en je a k t u e l l Schwierigkeiten a u f t r e t e n durch Begrenzungen der Mittel (begrenzte Variabilität oder mangelnde Beherrschung derselben) oder Begrenzungen in den Verkehrs-/Beziehungs-Formen (begrenzte Spiel-/Bewegungsräume). Andererseits können solche Diskrepanzen grundlegender die Persönlichkeitsstruktur als konflikthaft-widersprüchlich oder gar gespalten c h a r a k t e r i s i e r e n , wenn Widersprüche bzw. Antagonismen von möglichen -symbolischen- und wirklichen -materiellen- Resultaten der Tätigkeit vom personalen Subjekt (in verschiedenen Tätigkeitsfeldern/Lebensbereichen) dauernd erlebt und (re)produziert werden. Mit den vorstehenden Bemerkungen wurde aber schon vorgegriffen zu Fragen der Struktur der Persönlichkeit (vgl. Kap. 6) und psychosozialer Gekränkheit (vgl. Kap. 7).

5.4.3

Die 'Ebenenstruktur' der theoretischen Tätigkeit. Und die Gerichtetheit des individuellen Bewußtseins ("Werte" und "beliefs")

Die These von der Strukturidentität hat über die vorstehenden Ausführungen hinausgehend noch andere Implikationen, die jedoch erst dann leicht erkannt werden, wenn von der 'Ebenenstruktur 1 der Tätigkeit ausgegangen wird (s. Abbildung 7). Gemäß dem Prinzip der Strukturidentität ist ja die 'Ebenenstruktur' wie für die praktische gleichermaßen für die kognitive (bzw. theoretische) Tätigkeit gültig. Innere Tätigkeit ist z.B. Denk-, Phantasietätigkeit, die realisiert wird durch Denkhandlungen und entsprechende Denkoperationen. Und auch in der theoretischen Tätigkeit geht es um die Realisation eines sinnbildenden Motivs, an das die (ideell repräsentierte) soziale Existenzform des Subjekts gebunden ist. Die spezifische innere Tätigkeit -als Tätigkeit auf 'Abbildebene' bzw. auf ideeller 'Ebene'- ist wie die spezifische äußere Tätigkeit motivbezogen, durch das Motiv, das ihren 'ideellen' Gegenstand bildet, veranlaßt und angeregt und sie wird realisiert durch innere Handlungen. Die Denkhandlungen i h r e r s e i t s sind -wie die äußeren Handlungen- bewußt z i e l g e r i c h t e t ; auch sie sind an ihre materiell-physiologische Trägerbasis gebunden und müssen sich den jeweiligen 144

ABBILDUNG 7:

m-g s-g

Die 'Ebenenstruktur 1 der inneren Tätigkeit analog zur äußeren

= materiell-gegenständlich(e) = symbolisch-gegenständlich(e)

•je konkreten- Bedingungen anpassen ('unterordnen'), das heißt hier aber den symbolisch-gegenständlichen Bedingungen (etwa den objektiven Sprach- und Zeichenstrukturen). Gegenstände des Denkens, des kognitiven Handelns, sind symbolische Gegenstände (s.a. Kap. 3); die eine spezifische/je konkrete Tätig145

keit realisierende innere Handlung geht (-linear-) über in ein symbolisches Resultat (etwa das Denkergebnis). Inneres Handeln ist Handeln "auf Bewußtseinsebene 11 . Wie das äußere Handeln wird es vermittelt durch das System des individuellen Ideellen (I), ist darüber hinaus selbst Konstruktion und Anwendung des Wissens und der Begriffe im Ideellen, ist die Bewegung der Bedeutungen, deren 'Bewegungsform1 sich über das Tätigkeitsmotiv b e s t i m m t , — v e r m i t t e l t und reguliert durch das I (persönlicher Sinn, Wissen und Begriffe, repräsentationale und operationale Abbilder). Wie die praktische Handlung eine Transformation m a t e r i e l l e r Gegenstände d a r s t e l l t , ist die kognitive Handlung eine Transformation symbolischer Gegenstände. Eine Denkhandlung ist i h r e r s e i t s k o n s t i t u i e r t aus und wird realisiert durch Denkoperationen. Kognitive Operationen sind innere Teilhandlungen oder kurze Denkabläufe (Denk"bewegungen"). Jeweilige Einschätzungen, Bewertungen, Interpretationen, Klassifizierungen etc., die eine Person vornimmt, können ebenfalls als solche kognitive O p e r a tionen konzeptualisiert werden; hier zuzuordnen wären denn auch die in Kognitiven Therapien beachteten "automatischen Gedanken" nach BECK (1979) oder die "Selbstverbalisationen" nach MEICHENBAUM (1979), die angesichts bestimmter Situationen/in bestimmten Handlungszusammenhängen ohne besondere Bewußtseinsbeteiligung ablaufen und im Falle ihrer wiederholten (daher gewissermaßen automatisierten) Realisierung auch als habituelle Einschätzungs-(Bewertungs-)muster auftreten können. Es handelt sich auch um Gedanken-(oder Satz-)"fetzen", wie: "ich schaffs nicht", "der mag mich n i c h t " , "ha, ich bin besser" o.ä., die jedenfalls vom Gefühlsleben getragen sind und kaum formuliert; die aber vom Subjekt selbst bei entsprechender Selbstbeobachtung als "innere Sätze" oder "implizite Gedanken" (s.a. MAHONEY 1977) identifiziert werden können. Das Schema der Abbildung 7 hätte wohl verschiedene weitergehende Implikationen für allgemein-psychologische Konzepte und die Kognitive Psychologie; hingegen möchte ich hier nur auf einen klinisch-psychologisch relevanten Aspekt abheben: daß nämlich die person-spezifische G e r i c h t e t h e i t (und u.U. "Verzerr the it") des Kognizierens (des Erkennens und Denkens) darüber erklärlich wird und damit ein schematischer Ansatz auch zur Konzeptuaiisierung von Abwehr (s. dazu Punkt 5.4.4) gegeben ist. Insofern das System des individuellen Ideellen (I) das innere wie das äußere Handeln v e r m i t t e l t und r e g u l i e r t , heißt das auch, daß der (meist unbewußte) persönliche Sinn -als der psychologisch ausschlaggebenden 'Komponente' der ideell-kognitiven Handlungsregulationsgr und läge- in jeweiligen Handlungszusammenhängen die besondere Art und Weise, die personale Qualität der kognitiven A k t i v i t ä t des Subjekts, auch dessen je aktuelle Wahrnehmungen, Einschätzungen, Interpretationen, Klassifikationen, Schlußfolgerungen, Begründungen, Erklärungen, dessen A u f m e r k s a m keitszuwendungen, i n t e l l e k t u e l l e Prozesse der Analyse und Synthese etc. vermittelt, die personspezifische Gerichtetheit des Kognizierens (des Wahrnehmens, Denkens, Erkennens, Grübelns, Erinnerns, Pläne-Schmiedens, etc.) reguliert. Und jedes aktuelle Kognizieren im Ideellen des Subjekts ist von seinem jeweiligen Motiv der (inneren) Tätigkeit veranlaßt und geformt. In diesem Sinne sind die subjektiven Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gedanken, Pläne, etc. über das Tätigkeitsmotiv "gerichtet". Die vom Subjekt offen oder verdeckt vertretenen Ansichten, Meinungen, Einschätzungen, Urteile etc. über die Welt, die anderen und sich selbst andererseits, die auf der 'Ebene' des bewußten Realitätsbezugs (vgl. mit Abbildung 6)

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zum Tragen kommen, e r h a l t e n über den persönlichen Sinn ihre besondere Engagiertheit. Nun lassen sich -zum einen- unter dem Gesichtspunkt der Entsprechung von subjektiver Einschätzung und objektiv realer Gegebenheit (deren allgemeiner Bedeutungshaltigkeit) verschiedentlich "Realitätsverzerrungen" konstatieren, wie sie in kognitiven Therapiekonzepten als "inadäquat", "unrealistisch" oder "irrational" her vor gestrichen werden; —etwa wenn eine "phobisch" handelnde Person die realitätsverzerrende Vorstellung v e r t r i t t , der Tunnel s t ü r z e zusammen, wenn sie darunter hindurchfahre Ts. ähnliche Beispiele bei BECK 1979). (Vom Subjekt her betrachtet sind solche "Verzerrungen" andererseits nichts anderes als 'emotional g e t r a g e n e ' kognitive Bewertungen der gegenständlichen und sozialen Bedingungen bzw. der Situations-Handlungs-Konstellationen, -wohlgem e r k t bei gleichzeitigem Wissen um die objektiv geringe Wahrscheinlichkeit eines Tunneleinsturzes im allgemeinen-). Zum anderen werden vom Kognitiven Therapeuten als "verzerrte Kognitionen" b e s t i m m t e s i t u a t i o n s ü b e r g r e i f e n d e , d.h. vom Subjekt immer wieder (re)produzierte Grundannahmen bzw. Leitideen postuliert, wie sie etwa von ELLIS (1977) als inadäquate "beliefs" (Glaubenssätze, Denkhaltungen, Uberzeugungen o.ä.) beschrieben wurden. Worauf es jedoch ankommt, ist die "Verzerrung" der bewußten Realitätserfassung ebenso zu v e r s t e h e n , wie die Engagiertheit, mit der vom Subjekt bestimmte 'Annahmen' v e r t r e t e n bzw. Einschätzungen vorgenommen werden, obzwar diese von außen her betrachtet als "selbstschädigend" oder "realitätsunangemessen" erkannt werden (z.B.: "als Frau ohne Mann bin ich minderwertig"; oder "es wäre schrecklich von einer Autoritätsperson gerügt zu werden"; oder: "wenn ich mit dem Fahrstuhl fahre, bleibt er bestimmt stecken und ich werde ersticken"; u.ä.m.). Solche "inadäquaten Sätze", die sich das Individuum "einredet", sollen -so meinen die kognitiven T h e r a p i e t h e o r e t i k e r - f ü r dessen " G e s t ö r t h e i t " v e r a n t w o r t l i c h sein. Jedoch ist damit das Problem nicht nur nicht an der Wurzel gepackt, sondern wird überhaupt weggeschoben. Mit r a tionalistischem Gegenargumentieren gegen die sog. "inadäquaten Kognitionen" wird die 'Dimension der Subjektivität' verleugnet, wird die person-spezifische 'Komponente' quasi abzuwürgen versucht und die Verankerung des "Unsinns, den der Klient zu sich selbst sagt" (-wie ELLIS sich ausdrückt-) in dessen wirklichen Lebensprozessen, dessen sozialer Seinsweise wird mißachtet. Auf der Grundlage eines solchen Therapiekonzepts kann man nur schwerlich bzw. nur mit Einschränkung der Person gerecht werden oder ihr zu einer Persönlichkeitsweiterentwicklung (Progression statt Stagnation) v e r h e l f e n (vgl. HASELMANN 1982 und Kap. 2). Die Strategie des Kognitiven Therapeuten besteht nämlich in dem Versuch, solche Erscheinungsformen der S u b j e k t i v i t ä t eines "Klienten", die er (der Therapeut) als "inadäquate Kognitionen" identifiziert, quasi auszumerzen. Auf diese Weise bleibt der 'hinter' den sog. "inadäquaten Kognitionen" stehende persönliche Sinn unerfaßt (somit auch für den "Klienten" selbst unbegriffen), wird die 'Dimension der Subjektivität' n e g i e r t , zumindest aber übersehen (vgl. HASELMANN aaO). Statt eine Hilfe zur Bewußtmachung des lebensgeschichtlich gebildeten, u.U. dominierenden, Motivs der T ä t i g k e i t , das sich im persönlichen Sinn widerspiegelt, zu geben, damit dem "Klienten" zu "bewußter Subjektivität" zu verhelfen (s. dazu die Kapitel 6, 7), l ä u f t die kognitiv-therapeutische Strategie (-indem bei dem Bemühen, den "Klienten" zur Übernahme "logischer" bzw. "realitätsgerechter" Verbalisierungen/Einschätzungen etc. zu veranlassen, auf die allgemeine, unpersönliche Bedeutungsdimension abgehoben wird-) darauf hinaus, ihn zu einer quasi "sinn-freien", leidenschafts147

losen Orientierung in der Welt zu bewegen. (S. auch m.E. die Kritik von JAEGGI 1981). Es soll nicht b e z w e i f e l t w e r d e n , daß in der Tat viele der konkreten Einschätzungen von "Klienten" realitätsverzerrend (damit u.U. "inadäquat" für effizientes Handeln) sind, aber es ist sehr in Frage zu stellen, ob deren rationalistische Widerlegung ein "sinn-volles" Therapieziel für den "Klienten" darstellen oder ihm gar eine (neue Lebens-)Perspektive e r ö f f n e n kann! Die 'eigenwilligen Situationsinterpretationen', die subjektiven Wahrnehmungen, Einschätzungen, Kategorisierungen, Schlußfolgerungen etc. einer Person stehen als kognitive Operationen 'im Dienste' der Motive-Realisation und sind ideell vermittelt und reguliert durch das Resuitatemuster der je aktuell r e a l i s i e r t e n "inneren Beziehungen im System des individuellen Ideellen", d.h. insbesondere durch das Resultatemuster der Beziehungen zwischen der 'Komponente' des symbolisierten Wissens wie der allgemeinen Bedeutungen und der 'Komponente' des persönlichen Sinns (s. oben). In den subjektiven kognitiven Bewertungen (welche etwa in den sog. "Selbstverbalisierungen" oder "automatischen Gedanken" oft als habitualisierte Einschätzungsmuster in Erscheinung t r e t e n ) , sind a) bewußte Erfassung und Interpretation eines Sachverhalts/Ereignisses (hinsichtlich dessen 'allgemeinen' Bedeutungsgehalts) v e r m i t t e l s der dem Subjekt verfügbaren Begriffe sowie seiner symbolischen Wissensstrukturen (den in ihnen bewußt widergespiegelten Kenntnissen und Erfahrungen) einerseits und b) sinnlich-emotionale Wertung des Sachverhalts/Ereignisses gemäß dem Motiv andererseits quasi vermischt bzw. vernetzt. Diese beiden 'Seiten' gehen zurück auf die kognitive Entwicklung des Subjekts (Widerspiegelung von 'Erfahrungen', Aneignung von Bedeutungen, Verfügbarkeit von Begriffen) einerseits und seine Persönlichkeitsentwicklung i.e.S. andererseits. Die von den Kognitiven Therapien außerdem noch ins Zentrum gestellten Leitideen f e r n e r h i n , die "beliefs", einschließlich der subjektiven Wert- und Normvorstellungen sind i.d.R. als solche vom Subjekt b e g r i f f l i c h f a ß b a r , sprachlich mitteilbar, somit bewußt: auf Befragen hin können sie vom Subjekt genannt werden. Sie bewegen sich also auf der 'Ebene' des bewußten Realit ä t s b e z u g s und sind Teil der bewußten Handlungsregulationsgrundlage. Als solche sind sie aber nicht nur lebendiges Wissen und Begriffe, die die bedeutungshaltige g e s e l l s c h a f t l i c h e Wirklichkeit abbilden; in ihnen ist gleichzeitig eine person-spezifische 'Komponente' enthalten, welche ich als 'Dimension der Subjektivität' bezeichnete. Deshalb werden sie vom Subjekt meist mit Vehemenz vertreten; sie dienen der Begründung und R e c h t f e r t i g u n g des eigenen Heinde Ins und werden oft -auch entgegen der 'rationalen Einsicht' in die objektiven Zusammenhänge- immer wieder verteidigt. Solche "beliefs" sind Resultate der Beziehungen/Verbindungen, die jeweilige SpS-Einheiten in bestimmten Handlungszusammenhängen mit jeweiligen SlW-Einheiten eingegangen sind. Aber wenn wir auch wichtige Uber Zeugungen, Annahmen, "Glaubenssätze" o.ä. eines Individuums kennen, so wissen wir noch wenig über dessen Persönlichkeit (i.e.S.), denn aufgrund der genannten Vernetztheit decken die "beliefs" als solche die 'Komponente' des persönlichen Sinns nicht auf. Zwar ist die 'Dimension der Subjektivität' in ihnen enthalten, aber der gegenständliche Inhalt des je wirksamen persönlichen Sinns bzw. des sinnbildenden T ä t i g k e i t s m o t i v s ist nicht direkt in ihnen e r k e n n b a r , kann keineswegs aus ihnen geschlußfolgert werden. Die subjektiv 'gerichteten' (u.U. "verzerrten" bzw. unter Gesichtspunkten der Handlungseffizienz "inadäquaten") Kognitionen bzw. kognitiven Prozesse 148

können deshalb nicht selbst Dreh- und Angelpunkt der Erfassung der 'Dimension der Subjektivität' sein. Dies kann höchstens das mit einer spezifischen Tätigkeit verbundene Gefühlserleben sein, das den persönlichen Sinn unmittelbar sinnlich ausdrückt (vgl. 4.4 und 5.2.1). In dem Bemühen, der phänomenalen Gerichtetheit des individuellen Bewußtseins gerecht zu werden, wurden in der traditionellen Psychologie üblicherweise W e r t e - K o n z e p t e herangezogen, deren Psychologie-historische Wurzeln i.d.R. bei den kognitiven Theorien von TOLMAN und insbesondere LEW IN zu finden sind und die neuerdings innerhalb von Erwartungs-mal-Wert-Modellen verstärkt Berücksichtigung fanden. Erwartungen und Werte werden dabei als "handlungssteuernde Variablen" postuliert. Ich will diese Ansätze hier nicht diskutieren, aber jedenfalls a n d e u t e n , wie Erwartungen und Werte aus der Sicht der vorgestellten Konzeptualisierung des individuellen Ideellen 'einzuordnen' w ä r e n . "Erwartungen" sind subjektive Annahmen über die Wahrscheinlichkeit einer Zielerreichung bzw. des Eintretens bestimmter Handlungsfolgen. Mit "Werten" sind allgemein subjektive Bewertungen von Ereignissen gemeint. Im Falle der subjektiven Erwartungen ergeben sich keine großen Schwierigkeiten für deren Konzeptualisierung; sie sind Resultate der konkreten Handlungserfahrungen des Subjekts und dann (als lebendiges Wissen) je aktuell handlungsregulierend wirksam. Letzteres allerdings nicht im Sinne der Erwartungskonzeption MISCHELs (1973) oder anderer kognitiv-behavioristischer Autoren. Erwartungen können Verhalten nicht bewirken; sie beeinflussen (nur) die Entscheidung für einen bestimmten Weg (bzw. eine b e s t i m m t e Strategie) der Zieiverfolgung (s.a. Punkt 5.2). Diese Aussagen treffen prinzipiell auch zu für die -insbesondere von Klinischen Psychologen hervorgehobenen- K o m p e t e n z oder Kontrollerwartungen (vgl. etwa das Konzept der "self-efficacy"-expectancy von BANDURA 1977 oder der "helplessness"-Erwartung von SELIGMAN 1979). Es handelt sich hierbei um Einschätzungen der eigenen Fähigkeiten im Hinblick auf eine Zielerreichung, welche ebenfalls Resultate bisheriger Handlungserfahrungen des Subjekts (und somit Teil des S1W) sind. Eine Rolle spielt ferner die subjektive Bedeutsamkeit, die eine Zielerreichung für das personale Subjekt besitzt. Und das führt zur "Werte"-Definition, die in der kognitivistischen Literatur immer e t w a s l e e r - f o r m e l h a f t erscheint oder vage bleibt, wenn etwa subjektive Werte allgemein als irgendwie aus primären Bedürfnissen oder Werte-Hierarchien 'abgeleitete' subjektive P r ä f e r e n z e n und Aversionen o. dgl. (z.B. SOMMER/REHAHN 19S2) bezeichnet werden. Generell wird der Werte-Begriff in zweierlei Hinsicht v e r w e n d e t , nämlich einmal im Sinne einer positiv/negativ-Gewichtung eines Gegenstandes/Sachverhalts/Ereignisses (also i.S. einer plus/minus-Bewertung, wobei o f t noch verschiedene Intensitätsgrade der Wertigkeit entlang eines Kontinuums differenziert werden) und zum anderen sind mit "Werten" vom Subjekt v e r t r e t e n e inhaltliche Vorstellungen d a r ü b e r , was gut oder schlecht im Leben ist, gemeint. Im zweiten Fall ist es angebrachter statt von "Werten" von "Wertvorstellungen" zu sprechen;^) dabei handelt es sich genaugenommen um "beliefs", wie sie oben schon erwähnt wurden, also um subjektive Glaubenssätze, Ü b e r zeugungen, (Grund-)Annahmen und (Leit-)Ideen über die Welt, die Menschheit im allgemeinen, die Mitmenschen etc. und sich selbst. Was nun die e r s t e Wertebestimmung als plus/minus-Gewichtung anbelangt, so scheint sich hier eine Parallele zum persönlichen Sinn aufzutun (auch meinen 149

KLEIBER/STADLER (1982), LEONTJEW sei in seiner Konzipierung des persönlichen Sinns vom LEWIN'schen Valenz-Konzept ausgegangen). Allerdings handelt es sich bei den kognitivistischen Werte-Bestimmungen, die heute üblicherweise auf das SEU-Modell (Subjective Expected Utility) der psychologischen Entscheidungstheorien zurückgehen (s. dazu WERBIK 1978, LANTERMANN 1980, HECKHAUSEN 1980, 1981), um bloß formal-abstrakte Bestimmungen, denn sie erfolgen losgelöst von den wirklichen konkreten Lebensprozessen des Subjekts, losgelöst von dessen gegenständlichen Tätigkeiten. Und so erscheinen hierbei die subjektiven Werte, die eine Person mit einem Ziel verbindet, selbst als 'gegenstandslos', als abstraktiv faßbare kognitive plus/minus-Bewertungstendenzen, als Wertigkeitshöhen oder aber als rationale Kalküle, deren Persönlichkeitsbezug i.d.R. unklar bleibt. Diese Kritik ist auch z u t r e f f e n d , wenn -wie bei ÖSTERREICH (1981)- von einem ebenfalls abstraktiv gefaßten Kontrollstreben des Menschen ausgehend, der subjektive Wert eines Gegenstandes/einer Zielkonsequenz darüber bestimmt wird, inwieweit über die Erreichung einer Zielkonsequenz in einem Handlungsbereich Kontrolle verfügbar wäre bzw. "inwieweit die Verfügbarkeit des Gegenstandes eine Ausweitung von effektiven Handlungsmöglichkeiten mit sich bringt" (dto, 221). Tatsächlich ist personal bedeutsam nicht die Ausweitung von e f f e k t i v e n Handlungsmöglichkeiten an sich, sondern inhaltlich im Hinblick auf den persönlichen Sinn, d.h. nur als Ausweitung von Handlungsmöglichkeiten zwecks relevanter Motive-Realisation. Anders als der Werte-Begriff ist der persönliche Sinn, der vom Subjekt mit einem Ereignis/einer Handlungsweise/einem Ziel verbunden wird, als ein konkret und spezifisch zu Definierender konzeptualisiert; er ist gegenständlich, ein Sinn 'von etwas' (-einen "reinen", gegenstandlosen Sinn gibt es nicht-: LEONTJEW 1977, 59) und als e r l e b t e E m o t i o n a l i t ä t u n m i t t e l b a r e r Ausdruck der Persönlichkeit. Somit ergibt sich hier eine teilweise Modifizierung und jedenfalls Relativierung der üblichen Werte-Konzeption. Die positiv-negativ-Bewertung e r f o l g t auf der Grundlage des Verhältnisses, in dem ein kogniziertes Ereignis zum persönlichen Sinn steht; die Bewertung ist primär e m o t i o n a l e Wertung und e r s t sekundär kognitive und sprachlich mitteilbare plus/minusBewertung. (Dabei entsteht die vorgeordnete Emotionalität (emotionale Wertung) konkret tätigkeitsbezogen im Hinblick auf die Realisierung(smöglichkeit) des sinnbildenden T ä t i g k e i t s m o t i v s . ) Und die subjektiven Werte sind dann kognitive R e p r ä s e n t a t i o n e n der gefühlsmäßigen Erlebnisse, welche ihrerseits den persönlichen Sinn der sich im Leben des Subjekts abspielenden Ereignisse signalisieren (s.a. HASELMANN 1982). Also sind die subjektiven Werte keine eigenständigen psychischen Strukturen.

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Stichworte zur Abwehr

Das Schema der Abbildung 7 mag eine Hilfe bieten, um auch Abwehrprozesse aus tätigkeitstheoretischer Sicht zu konzipieren. Daß es so was wie Abwehr gibt (-wobei es sich allerdings nicht um einen "Mechanismus" im tiefenpsychologischen Sinne handeln wird-), ist wohl unbestreitbar; eine klinisch-psychologisch r e l e v a n t e Konzeption muß dem Rechnung tragen. Tatsächlich ist dieses Phänomen in den verschiedenen Therapiesystemen auch in der einen oder anderen Form beobachtet, in der VT allerdings nur als "lerntheoretisch" ver150

standene behaviorale Vermeidung, in der Kognitiven Therapie als "pathogene Informationsverarbeitung" (vgl. MAHONEY 1977; HASELMANN/van QUECKELBERGHE 1980). Für Sigmund FREUD war der wichtigste Abwehr"mechanismus" die Verdrängung, aber insbesondere Anna FREUD (1978*1) hat eine Vielzahl von unterschiedlichen Abwehr"methoden" (als Methoden des "ICH" zur Bewältigung von (Trieb-)Konfiikten) differenziert, etwa: Reaktionsbildung, Isolierung, Ungeschehenmachen, Projektion, Introjektion, Wendung gegen die eigene Person, Verkehrung ins Gegenteil, (Realitäts-)Verleugnung u.a.m.. Sog. "fehlerhafte Denkstile" bzw. Denkgewohnheiten, wie sie von kognitiv-therapeutischer Seite (insbesondere BECK 1976, ELLIS 1977) postuliert werden, etwa "Dichotomisierung", willkürliche Schlußfolgerung, selektive Abstraktion, Uber generalisierung, Personalisierung u.a.m. ließen sich m.E. hinzufügen. Aus tätigkeitstheoretischer Sicht nun kann Abwehr als "Spezialfall" der Ger i c h t e t h e i t des individuellen Bewußtseins verstanden/konzipiert werden. Unter dem Gesichtspunkt einer Entsprechung von subjektiver Abbildung und jeweiliger aktueller o b j e k t i v - r e a l e r Gegebenheit läßt sich die Gerichtetheit des individuellen Bewußtseins gemäß einer Einteilung von HASELM ANN/van QUECKELBERGHE (aaO) als "selektiv" (Selektion-Auswahl/Auslese) oder als "deformativ" (Deformation-Umbildung/Verzerrung) etikettieren. Wesentlich ist die Art und Weise, in der sich die handelnde Person zum jeweiligen Gegenstands(prozeß) in Beziehung setzt; etwa, daß nur ganz bestimmte "Dinge"/Verhältnisse der je aktuellen Wirklichkeit "wahrgenommen", erfaßt bzw. "erkannt", d.h. bewußt abgebildet werden (person-spezifische Selektionen), oder auch, daß r e a l e Erfahrungstatsachen verzerrt -in je besonderer subjektiver Umdeutung- abgebildet werden (person-spezifische Deformationen). Ausgehend von der Erfassung der objektiven ('allgemeinen1) Bedeutungen der Gegenstände und Gegenstandsbeziehungen und unter dem Aspekt einer objektiven Realitätserkenntnis lassen sich -formal-abstrakt- als Selektionen Prozesse der "Wahmehmungsabwehr", der "selektiven Abstraktion" (im Sinne BECKs) u.ä. i d e n t i f i z i e r e n , als Deformationen sog. "Sinnestäuschungen", "Halluzinationen", Prozesse der Realitätsverleugnung, der Verneinung, Verkehrung ins Gegenteil oder Verdrehung/Vertuschung sowie Rationalisierung u.ä. (vgl. HASELM ANN/van QUECKELBERGHE aaO 132/133). Wie nützlich f o r m a l - a b s t r a k t e Ordnungsmodelle/Klassifikationsschemata auch sein mögen (und des weiteren d i f f e r e n z i e r t e r e Erörterungen der einzelnen Abwehrformen), primär muß es doch um ein konzeptuelles Verständnis des Phänomens der Abwehr überhaupt gehen, welches auf der Grundlage der hier vorgelegten Konzeption möglich erscheint. Im System des individuellen Ideellen ist ja der persönliche Sinn, das SpS (-Widerspiegelung 'auf Tätigkeitsebene'-) dem lebendigen Wissen, dem S1W (-Widerspiegelung 'auf Handlungsebene'-) gewissermaßen übergeordnet (vgl. Abb. 6). Entsprechend gilt: Wie die sinnbildenden Tätigkeitsmotive den Bereich der 'in Frage kommenden' Handlungsziele abstecken, also Zielsetzungen ermöglichen und begrenzen (s. vorne Punkt 5.1), steckt 'auf Abbildebene' (im Ideellen) der persönliche Sinn den Bereich der 'in Frage kommenden', der zugelassenen, a k z e p t i e r t e n Abbildungen (Er-Kenntnisse) der R e a l i t ä t ab. Also wird die bewußte psychische Widerspiegelung der objektiven Realität (der Gegebenheiten/Ereignisse, in die das Subjekt eingebunden ist), deren Erfassung/Erkenntnis durch den jeweiligen persönlichen Sinn ermöglicht und begrenzt. Und bezüglich der inneren T ä t i g k e i t , die ja (auch) Erkenntnistätigkeit ist, wurden entsprechende Aussagen bereits getroffen: Uber das Tätigkeitsmotiv bestimmt sich die person-spezifische G e r i c h t e t h e i t des Kognizierens/des Erkennens oder des 151

Phantasierens/Träumens, die Gerichtetheit im Wahrnehmen, Vorstellen, Klassifizieren, Schlußfolgern, Begründen, Erklären etc. (vgl. Abb. 7 ). Erscheinungen der Wirklichkeit, die dem jeweiligen persönlichen Sinn "entgegenkommen", werden selektiert (beachtet, hervorgehoben), andere übersehen (ignoriert). Und Erfahrungstatsachen, die nicht zum 'akzeptierten Bereich' (s.o.) gehören, werden u.U. verzerrt abgebildet (deformiert). Sofern es sich um ein Nicht wahr haben wollen, Verleugnen, Verdrehen, Vertuschen o.ä. von wirklichen Erfahrungstatsachen handelt, kann wohl von Abwehr gesprochen werden. E r f a h r u n g s t a t s a c h e n sind objektive Ergebnisse, mit denen das handelnde Subjekt konfrontiert wird (etwa wenn es plötzlich oder jedenfalls unbeabsichtigt in einer neuen Beziehungsform ' s t e c k t ' ) , oder Erfahrungstatsachen sind auch Zustände des Subjekts s e l b s t , wie G e f ü h l s z u s t ä n d e . Die Abwehr kann nun sowohl 1. solche Erfahrungstatsachen betreffen, die für das personale Subjekt 'herausfordernde Gegenstände' darstellen (wenn es etwa feststellt, daß andere in einem Leistungskurs besser abgeschnitten haben; oder daß es von anderen kritisiert wird, o.ä. - je nach Tätigkeitsmotiv), und sie kann auch 2. E r f a h r u n g s t a t s a c h e n des eigenen Gefühlslebens b e t r e f f e n ("Gefühlsabwehr", s.a. BENSE 1981, 187f). Im e r s t e n Fall handelt es sich um Verzerrungen der Bedeutung von Gegenständen/Gegebenheiten/Sachverhalten/Ereignissen der objektiven Realität, mit denen das Subjekt im Handeln konfrontiert wird bzw. die es selbst durch seine Aktivität herstellt; im zweiten Fall um Nichtwahrhabenwollen oder Fehlinterpretationen des eigenen Gefühlserlebens. "Verzerrungen der Orientierung über emotionale Erscheinungen" wurden von REYKOWSKY (1973, 76) folgendermaßen geordnet (s.a. BENSE 1981, 76): "a) Man ist sich über das A u f t r e t e n von Emotionen nicht im klaren (man merkt z.B. nicht seine Unruhe, sein gefühlsmäßiges Engagement), b) Die Emotion wird falsch kategorisiert (man hält seinen Groll z.B. für moralische Entrüstung oder seine Furcht vor Mißerfolg für einen Mangel an Interesse), c)Die Emotionsquellen werden falsch erklärt (man betrachtet z.B. die Ursache seines Zorns auf jemanden in dessen unmoralischem Verhalten, während in Wirklichkeit der Zorn durch die von ihm gezeigte mangelnde Wertschätzung hervorgerufen wurde), d) Der Zusammenhang zwischen Emotion und Handeln wird falsch e r k l ä r t (jemand ist z.B. der Ansicht, er strafe ein Kind, weil es 'gut' für das Kind sei, während er in Wirklichkeit nur seine Macht beweisen will)." Während REYKOWSKY zumindest im vierten Punkt (d) bereits auf eine 'dahinterstehende' Motive-Realisation hindeutet, geht es a n d e r e r s e i t s BENSE (aaO) primär um das Problem der Erfassung des 'eigentlichen' ('wahren') Gegenstandes des emotionalen Erlebens selbst. Hierfür beschreibt er einen folgende drei Stufen umfassenden Erlebensprozeß: 1. "Initialerleben" ("Da ist was"), 2. "Positionalerleben" ("Das ist angenehm/unangenehm") (und "Assoziativerleben": "Das ist, wie ..."), 3. "Erkenntnis" ("Das ist es") (vgl. Punkt 4A). Das Wesentliche nun ist, daß die bewußte Erfassung des Gegenstandes (Bewußtwerdung) der Emotion e r s t auf der d r i t t e n S t u f e erfolgt; und daß die hier erreichte "Erkenntnis" auch "falsch" sein kann, e t w a " v e r z e r r t " , wie oben von REYKOWSKY beschrieben. Mit anderen Worten: Wie ich zwar mein Handeln immer irgendwie plausibel begründen kann, ohne mir über den "eigentlichen" Grund (das wahre Motiv) im klaren zu sein, kann ich mich auch täuschen über den eigentlichen Gegenstand meines emotionalen Erlebens, wenngleich ich meinen Gefühlszustand (Gefühlsverwirrung o.ä.) 'begriffen'/'erkannt' zu haben glaube.

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In loser Anlehnung an Irma GLEISS (1980) lassen sich des weiteren bei der Abwehr zwei Hauptkategorien u n t e r s c h e i d e n , nämlich die der Vermeidung (Abwehr i.e.S.) und die der "Neutralisation" oder Umkehrung (Ubertreiben, Katastrophieren, ...; s.a. HASELMANN 1982). Darauf komme ich in Kapitel 7 zu sprechen. Jedenfalls erfolgt die Abwehr "letztlich" immer in Abhängigkeit von bzw. im Sinne des je (dominierend) realisierten Motivs der Tätigkeit.

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Kapitel 6:

UNTERSUCHUNG DER INNEREN VERHÄLTNISSE VON PERSONALEN SUBJEKTEN UNTER DEM ENTWICKLUNGSASPEKT DIE ENTWICKLUNG DER PERSÖNLICHKEIT

Die vorgängige strukturorientierte Betrachtung der inneren Verhältnisse personaler Subjekte unter dem 'Systemaspekt 1 mutet verschiedentlich -auch noch unterstützt durch die entsprechenden Schemata- etwas statisch an. Aber natürlich sind die in den statisch anmutenden Struktur-Modellen abgebildeten Verhältnisse tatsächlich als bewegte, in-Bewegung-befindliche zu begreifen. Aus ihrer wirklichen Bewegung resultiert und formt sich die besondere Persönlichkeit. Während auch bislang schon immer vom "Subjekt" gesprochen wurde, auch vom "personalen Subjekt" zwecks Abgrenzung etwa zu "überpersonalen", kooperativ-sozialen Subjekten/Subjekt-Systemen (s. Punkt 5.3), wurde eine genauere Bestimmung der Person/Persönlichkeit als dem konkreten, spezifischen Subjekt der Tätigkeit noch umgangen. Das Subjekt ist immer Voraussetzung und Bedingung der Tätigkeit, aber psychologisch wesentlich ist die Persönlichkeit als deren Produkt, als Ergebnis der Tätigkeit. Zwar ohne den System-Begriff gesondert einzuführen, wird von LEONTJEW die Persönlichkeit explizit als System bezeichnet (1982, 152). Dabei kann "System" als bestimmte Konkretisierung des Begriffs "Zusammenhang" (vgl. Punkt 3.1) verstanden werden und als die hauptsächlichen Systemcharakteristika sind zu nennen: 1. Ganzheitlichkeit und 2. Identitätserhaltung durch innere Struktur. Gleichzeitig aber ist die Persönlichkeit als Prozeß aufzufassen bzw. die 'doppelt vermittelte' menschliche Tätigkeit selbst als Persönlichkeitsprozeß (s.a. SEVE 1972). "Systemanalyse" und "Prozeßanalyse" sind also gleichermaßen gefordert und während in Kapitel 5 die strukturale Analyse im Vordergrund stand, soll hier stärker auf die prozessuale (Entwicklungs-)Analyse abgehoben werden. Es geht also um den Persönlichkeitsprozeß als dem sich entwickelnden Individuum-Gesellschafts-Verhältnis, um Person-Entwicklung.

6.1

Persönlichkeit als Gegenstand (klinisch-)psychologischer Forschung

Für die Erarbeitung einer Konzeption psychosozialer Kränkungen, die beeint r ä c h t i g t e s Handeln und Erleben verständlich machen soll, kann man nicht 154

einen von der Psychologie "normalen" menschlichen Handeins völlig getrennten Weg (-etwa den einer "Pathologie"-) beschreiten, kommt deshalb auch nicht umhin, eine je b e s t i m m t e Auffassung von "Persönlichkeit" zu vertreten. Um überhaupt für die psychologische Wissenschaft relevant und als Untersuchung s t h e m a von Interesse zu sein, muß grundsätzlich jede Theorie psychischer Schädigungen immer zugleich eine Persönlichkeitstheorie sein bzw. beinhalten oder sie muß explizit eine b e s t i m m t e Persönlichkeitstheorie zur Grundlage erklären, oder aber -wie meist der Fall- sie impliziert unausgesprochen, eine b e s t i m m t e (zwar nicht benannte, aber benenn- und aufweisbare) Persönlichkeitsauffassung. L e t z t e r e s t r i f f t sogar auf die Verhaltenstherapie zu, die sich ansonsten in bezug auf Fragen nach der Persönlichkeit ä u ß e r s t a b s t i n e n t v e r h ä l t ; in ihr stellt sich die Persönlichkeit als Anhäufung von mechanistisch gelernten ReizReaktionsverbindungen, die sich zu "habits" etablieren (s. WATSONs "Persönlichkeitsmodell") und/oder als Ansammlung von Reaktions-Konsequenz-Verbindungen bzw. Kontingenzen dar (vgl. BERGIUS 1960) Wenn a n d e r e r s e i t s wie dies üblicherweise in der VT geschieht - psychische "Störungen" explizit als unabhängig und losgelöst von der Persönlichkeit " t h e r a p i e r b a r " postuliert werden, wird damit eine spezifische Art medizinischer Krankheitsauffassung vertreten; denn kennzeichnend f ü r die t r a d i t i o n e l l e n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e Medizin ist die Betrachtungsweise, daß organische/somatische Störungen im oder am Menschen (in seinem Körper oder an seiner Hautoberfläche) in ihrer Entstehung bzw. Auslösung und organ pathologischen Fortentwicklung als isolierte Zustände und Prozesse in völliger Unabhängigkeit vom Wesen der P e r s o n / Persönlichkeit e r f o r s c h t , untersucht und behandelt werden könnten. In Abhebung von seiner Konzeptualisierung als bloßen "Symptomträger" ist dagegen jeder sog. psychisch Gekränkte immer eine konkrete lebendige menschliche Persönlichkeit. Unter Aspekten der Person-Entwicklung und ihrer jeweils aktuellen Entwickeltheit und bei angemessenem Begreifen der Persönlichkeit in ihrer Einmaligkeit und Gesellschaftlichkeit vermag dann gerade eine a d ä q u a t e Konzeption der Persönlichkeit den Schlüssel zum Verständnis psychischer Schädigungen, "gestörten" Erlebens und Handelns, zu liefern. Mit einigen Abstrichen und Vorbehalten können Einmaligkeit und Ganzheitlichkeit, teilweise auch Gerichtetheit, als fast von allen Autoren, die sich t r a d i tionell mit dem Teilgebiet der 'Persönlichkeitspsychologie 1 b e s c h ä f t i g t e n , allgemein akzeptierte Annahmen gesetzt werden (vgl. ROTH 1972). Die Gesells c h a f t l i c h k e i t der Persönlichkeit andererseits bleibt in den üblichen Konzeptionen der westlichen Persönlichkeitspsychologie unbegriffen. Innerhalb der m a t e r i a l i s t i s c h e n Psychologie läßt sich wohl Ubereinstimmung darüber herstellen (s.a. CLAUß u.a. 1976, 3 6 6 f f ) , daß Persönlichkeit e t w a durch die folgenden -als Einheit miteinander verbundene- 'Bestimmungsstücke' gekennzeichnet werden kann: - Einmaligkeit und Ganzheitlichkeit; - aktives Handeln, - Entwicklung von Bewußtsein über die gegenständliche Welt und von Selbstbewußtsein; - Persönlichkeit als gesellschaftliches Wesen, eingebunden in die soziale Interaktion/Kooperation, Kommunikation und Arbeit; - das Vorhandensein von personspezifischen dynamischen 'Grundrichtungen'. Der Schwerpunkt liegt also auf der aktiven Veränderungskompetenz, Bewußtheit sowie Reflexionsfähigkeit und (Ziel-)Gerichtetheit des Subjekts als Per155

sönlichkeit, ihrer Ganzheitlichkeit, ihrer Einmaligkeit, ihrer Gesellschaftlichkeit sowie in ihrer dynamischen und gerichteten P r o z e ß h a f t i g k e i t , durch die sie sich von einem s t a t i s c h e n Gebilde u n t e r s c h e i d e t . (Zum letzten Punkt s.a. ADLER 1922; ALLPORT 1949; THOMAE 1968). Speziell nun für die t ä t i g k e i t s t h e o r e t i s c h e Persönlichkeitskonzeption a la LEONTJEW postuliere ich die folgenden drei Axiome: 1. Gesellschaftlichkeit der Persönlichkeit, 2. Differenzierende Betrachtung von 'bloß1 individuellen oder auch persönlichkeit sspezifischen Besonderheiten, 3. Person-Entwicklung als Prozeß der Selbstbewegung im Kontext des Einander-Entwickelns. Sie zeichnen den Grundriß einer Persönlichkeitskonzeption, in der die Persönlichkeit weder auf Biologisches noch auf Soziales*' oder auf beides zusammen, weder auf Angeborenes noch auf Erworbenes oder auf eine bloße Kombination von Angeborenem und Erworbenem, weder auf innere Dispositionen noch auf äußere Umwelt- oder Umgebungseinflüsse reduziert wird. Auch wird sie nicht r e d u z i e r t auf kognitive Strukturen, Prozesse oder Selbstkonzepte eines Individuums 'als solchem' noch auf beobachtbares Verhalten, Operationen oder motorische Akte; auch nicht auf 'an und für sich' genommene einzelne Handlungen. Innerhalb der westlichen Persönlichkeitspsychologie wurde seit nun ca. zehn Jahren (zeitlich etwa zusammenfallend mit dem Beginn der sog. "kognitiven Wende") die Diskussion über die "Wechselwirkungen von Person und Umwelt" in den Mittelpunkt gestellt und man gelangte zu dem Ergebnis, daß "menschliches Verhalten" weder ausschließlich durch stabile "Persönlichkeitsmerkmale" bzw. "traits" (= disposition ist ische Position) noch ausschließlich durch " s i t u a t i v e " oder "Umwelteinflüsse" (= s i t u a t i o n i s t i s c h e Position), sondern allenfalls als "Interaktion" von Dispositions- und Situations-"Variablen" zu verstehen sei (z.B. ENDLER/MAGNUSSON 1976, MAGNUSSON/ENDLER 1977; MISCHEL 1973, 1977; PERVIN/LEWIS 1978; HECKHAUSEN 1977, 1980; LANTERMANN 1980, u.a.m.). Zumindest von ihrem Anspruch her, die Einseitigkeiten des Dispositionismus und des Situation ism us zu überwinden, mag man die i n t e r a k t i o n a l e Perspektive innerhalb der Persönlichkeitsforschung als "Fortschritt" anerkennen. In diesem Sinne sieht van QUEKELBERGHE (1979, 34) in dieser wissens c h a f t l i c h e n Entwicklung "eine Art Hegel'schen Dreischritt", nämlich von Thesis "Dispositionismus'1 zur Antithesis "Situationismus" zur Synthesis "Interaktionismus" (s. ähnlich HECKHAUSEN 1980, 8ff). Es bleibt indes die Frage, wie die "Wechselwirkung" oder "Interaktion" denn nun konzipiert wird. Anlehnend an LANTERMANN (1980, 11) lassen sich 3 Interaktionsmodelle unterscheiden, die identifiziert werden können, als 1. experimentell-statistische Perspektive: Interaktion wird als statische Interaktion konzipiert: V = f(P,U). 2. kognitiv-interaktionistische Perspektive: Interaktion wird als kognitiv-strukturierte Interdependenz konzipiert: V = f(P«-*U). 3. handlungspsychologische Perspektive: Interaktion soll als Transaktion konzipiert werden: "Personen und Situationen sind durch zielgerichtete Aktivitäten ineinander verschränkt" (dto, ebd.). Die zuletzt genannte Position kann innerhalb der "bürgerlichen" Persönlichkeitspsychologie wohl als die " f o r t g e s c h r i t t e n s t e " gelten. Während in den ersten beiden Interaktionsauffassungen das "Verhalten" (V) irrigerweise als etwas erscheint, das erst hervorgebracht/erzeugt werden müßte, somit einseitig 156

als R e s u l t a n t e (nämlich entweder (1.) als "abhängige Variable" voneinander getrennter "unabhängiger Variablen" (der "Person" und "Umwelt" oder (2). als Ergebnis subjektiv-kognitiver Strukturierungsprozesse in der "Person-UmweltInterdependenz") wird im transaktionalen Modell die menschliche Aktivität von vorneherein zumindest als wesentlicher 'Bestandteil 1 der Individuum-Umgebungs-'Wechselwirkung" miteinbezogen. Einer solchen T r a n s a k t i o n s a u f f a s s u n g fühlt sich LANTERMANN (aaO) verpflichtet, indem er die Handlung als "explikatives Konstrukt", als "übergreifende und integrierende Größe" einführt (dto, 60) und Person wie Umgebung als eingebettet in einen Handlungszusammenhang, gemäß dem spezifische Aspekte der Person und der Umgebung i n t e r d e pendent aufeinander bezogen werden, betrachtet (dto, 116). Während OVERTON/REESE bereits 1973 ein transaktionales Kreisprozeß-Modell vorschlugen, f ü h r t allerdings LANTERMANN mit seinem Handlungsmodell der Person-Situation-Interaktion -wennzwar differenziert- eine recht reduktionistische "Transaktions"-Konzeption vor. Der Reduktionismus besteht u.a. darin, daß die "Person", die dann über ihr (kognitiv gesteuertes) Handeln zur Interaktion mit der Umwelt g e l a n g t , wiederum als "an sich" bestehende Einheit voraus-gesetzt wird und 'als solche' in ihrer Besonderheit dann wiederum lediglich gekennzeichnet wird durch -über nicht näher erörterte "Lernerfahrungen" erworbeneEigenheiten des Kognizierens, der I n f o r m a t i o n s v e r a r b e i t u n g s k a p a z i t ä t , der intelligenten Fähigkeiten etc.. Eine andere Transaktionsauffassung demgegenüber l a u t e t , daß die in den "Wechselwirkungszusammenhang" einbezogenen 'Komponenten': Person, Umwelt, Handlung überhaupt keine getrennt zu erfassenden 'Einheiten' d a r s t e l l e n . In einem ' e c h t e n ' , soll heißen: dialektischen, Transaktionsmodell (s. dazu RIEGEL/MEACHAM 1978) werden nicht die "Interaktionspartizipanten" unabhängig voneinander definiert, um sodann zur Analyse ihrer Relationen und Interdependenzen überzugehen, sondern wird ausgegangen von der A k t i v i t ä t als dem P r i m ä r e n . Eine solche Transaktionskonzeption von (Person-)Entwicklung wird insbesondere von den -sich philosophisch zumeist an HEGEL o r i e n t i e r e n d e n V e r t r e t e r n der -von Klaus RIEGEL gegründeten- US-amerikanischen Richtung der sog. "Dialektischen Psychologie" vorgebracht (vgl. RIEGEL 1978, 1980). Gegenüber der primären, f o r t d a u e r n d e n Aktivität gelten die Person (deren Charakteristika, ihre kognitiven Konzepte e t c . ) und die Umwelt (Situation, Handlungskontext) als " a b g e l e i t e t " , haben sie abgeleiteten 'Status'. Es liegt wohl auf der Hand, daß diese dialektische Transaktionsauffassung (von P e r son-Entwicklung/Persönlichkeit) der tätigkeitspsychologischen Persönlichkeitsauffassung näher kommt als andere interaktionale Modelle, ist doch in beiden Fällen die z e n t r a l e Analysekategorie offensichtlich die der lebendigen Aktivität, aus der die am Prozeß b e t e i l i g t e n ' E l e m e n t e ' (Person und Umwelt) hervorgehen ("abgeleitet" sind), durch die sie e r s t gebildet und verändert werden. Allerdings genügt der Hinweis auf die Aktivität bzw. auf den "Aktivitätsfluß" als das Primäre und der Verweis auf ständige, fortlaufende Kreisprozesse der wechselseitigen Entwicklung, Veränderung und Rückwirkung bei weitem nicht. Hiermit ist ja genaugenommen erst die Aufforderung zur genauen Bestimmung dieser A k t i v i t ä t , dieses fortdauernden Prozesses, ergangen. Anders als innerhalb der sog. "Dialektischen Psychologie" (-eine recht a u s f ü h r l i c h e Kritik an dieser Richtung wurde von Barbara GRÜTER (1979) aus kritisch-psychologischer Sicht vorgenommen-) ist in der Tätigkeitspsychologie diese A k t i v i t ä t b e r e i t s eindeutig b e s t i m m t : als in das System der gesellschaftlichen Beziehungen eingebundene gegenständliche menschliche Tätigkeit (s. die Kapitel 3, 157

5). Und es gilt: Die Persönlichkeit wird von der Tätigkeit hervorgebracht; sie formt sich in den Lebensbeziehungen des Individuums und e n t w i c k e l t sich "im Ergebnis des Wandeis der Tätigkeiten" (LEONTJEW 1977, 70; 1982, 165). Eine für eine Theorie der Persönlichkeit sicherlich zentrale epistemologische Frage ist die, wie es möglich wird, das konkrete, einzelne Individuum, dessen einmalige Persönlichkeit, mit allgemeinen wissenschaftlichen Begriffen zu beschreiben. Indem die "bürgerliche" Psychologie, die dem mathematischen Instrumentalismus/Formalismus (vgl. JÄGER u.a. 1979) v e r p f l i c h t e t ist bzw. - g e n e r e l l e r - der "aristotelischen Logik" (s.a. PONGRATZ 1977, 9), allgemeine Theorien über einen abstrakten Menschen, über das Individuum im allgemeinen e r s t e l l t , kann es ihr nicht gelingen, zum Wesen der konkreten Persönlichkeit vorzudringen. Die Analyse und Beschreibung des konkret-Einmaligen e r s c h e i n t hier l e t z t e n Endes mit theoretischen Begriffen nicht faßbar, damit unwissenschaftlich. Und auf diesem Hintergrund stellt sich die Aufgabe, eine allgemeine, wissenschaftliche Theorie von der konkreten einmaligen Persönlichkeit zu entwerfen, als Dilemma dar. SEVE (1972) erörtert dies als t y p i s c h e s Dilemma der traditionellen (Persönlichkeits-)Psychologie, in der eine theoretische Wissenschaft vom konkret-Einmaligen deshalb absurd e r s c h e i n t , weil als das Wesen der Dinge oberflächlich das genommen wird, was sich als der "bewegungslose Kern gemeinsamer Eigenschaften einer Gesamtheit von G e g e n s t ä n den" (SEVE aaO, 272) finden läßt, es somit als abstrakte Allgemeinheit hingestellt wird. Aus der Sicht der dialektischen Philosophie hingegen s t e c k t das Wesen nicht in den bewegungslosen/unbewegten Dingen !an und für sich1, es haftet nicht konkreten, statischen Einzelgegenständen an, sondern muß als lebendiges Verhältnis betrachtet werden, als Prozeß, Bewegung, Entwicklung (s.a. Punkt 3.1). Uber die (Einzel-)Dinge hinausgreifend gilt es, die grundlegenden Verhältnisse/Prozesse, Bewegungen/Entwicklungen zu erforschen. Weil das Wesen hier "nicht mehr als allgemeiner Gegenstand, sondern als Entwicklungslogik des realen Gegenstandes" (dto, 273) begriffen wird, wird auch eine theoretische Wissenschaft vom konkret-Einmaligen und der Persönlichkeit möglich. Hierbei geht es um die Logik der wesentlichen Prozesse, in denen sich die Entwicklung des (Untersuchungs-)Gegenstandes, etwa der Persönlichk e i t , v o l l z i e h t . Die theoretische Aussage besteht dann nicht darin, "wie das Einmalig-Konkrete im allgemeinen ist", sondern es handelt sich um eine allgemeine Aussage d a r ü b e r , "wie das Einmalig-Konkrete hervorgebracht wird" (dto, 274). Damit kann "das Wesen dann in seiner konkreten Wirklichkeit b e g r i f f e n , das Einmalige in der Allgemeinheit des Begriffs erfaßt werden" (ebd). Gefordert ist demnach für eine Theorie der Persönlichkeit der Entwurf einer Bewegungs-/Entwicklungs"topologie" als (allgemein-)theoretische Beschreibung der Entwicklungslogik der Persönlichkeit als Bewegungsform im gesellschaftlichen Lebensprozeß.

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6.2

Kategorien zur Beschreibung der Person-Entwicklung (Genese und Reproduktion); Persönlichkeitsentwicklung als Reproduktion sozialer Existenzformen (erhaltende und erweiterte Reproduktion)

Person-"Entwicklung" kann grundsätzlich unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden: einmal unter dem Aspekt des Werdens (Herausbildung der Persönlichkeit z.B. in der Kindheit, -historisch, genetisch-), zum anderen unter dem Aspekt der wirklichen Bewegung im dialektisch-materialistischen Verständnis (alle Materie existiert nur in der Bewegung...; konkrete Gegenstände sind nur Manifestationen von Bewegungsformen der Materie...; 'Selbstbewegung1 alles Seienden... liefert den Schlüssel zu den 'Sprüngen', zum Vergehen des Alten und Entstehen des Neuen...; 'Selbstbewegung' = Entwicklung als 'Kampf' der Gegensätze/Einheit von Gegensätzen...; Quelle ihrer Selbstbewegung ist der Widerspruch, den alle materiellen Gegenstände in sich haben...; vgl. W.I. LENIN: Zur Frage der Dialektik. In: Werke, Bd. 38). Im ersten Fall will ich von Genese sprechen (Genese der Persönlichkeit, Persönlichkeitsformungen in der Individualentwicklung/Ontogenese) und dazu können hier nur einige Randbemerkungen gemacht werden (s.a. Kap.4). Im zweiten Fall (der hier im Zentrum steht) handelt es sich um die Verwirklichung und Erneuerung der schon historisch (ontogenetisch) geformten, 'ausgebildeten' Persönlichkeit, um Person-Entwicklung i.e.S., auf die ich mich u.a. auch mit dem Begriff der Reproduktion beziehe. Person-Entwicklung ist Selbstbewegung im Kontext des Einander-Entwickelns (vgl. Punkte 3.1., 4.2.1., 5.1. und Abb. 4); indes, sie ist nicht nur Bewegung und Veränderung, sondern impliziert auch Erhaltung/Identität in der Änderung. I.S. der materialistischen Dialektik ist Entwicklung zu verstehen als Einheit von Erhaltung und Veränderung (vgl. das Grundgesetz von der Durchdringung der Gegensätze, z.B. RUBEN 1978, 78f; s.a. RAEITHEL 1981, 17), wobei also auch die Erhaltung eine notwendige Entwicklungsstufe darstellt, nicht nur die Transitorik, sondern auch die Stabilität kennzeichnend für Entwicklung ist (s.a. WOZNIAK 1975). Bezogen auf die (kv) Tätigkeit als Persönlichkeitsprozeß meint hierbei Transitorik etwa die aktive Veränderungskompetenz (Potenz/Pot e n t i a l i t ä t ) und Stabilität die bedeutungsmäßige Konsistenz im Handeln des Subjekts (über gewisse Zeit und verschiedene Situationen hinweg), wie sie vorne (Punkt 6.1) als "Bestimmungsstücke" der Persönlichkeit genannt wurden. Jede Veränderung kann nur auf der Basis einer Erhaltung erfolgen; nur so wird "Selbstentwicklung" verständlich. Die als Erhaltungs-/Veränderungs-Dialektik konzipierte Entwicklung kann nun mit dem Begriff der Reproduktion gefaßt werden. Impliziert ist dabei, daß Reproduktion generell zweierlei meint, nämlich erstens i.S. von "Wiederherstellung": identische Erhaltung und zweitens i.S. von "Neu-Produktion": Veränderung. Allerdings wird die Veränderung in unbeeinträchtigem Entwicklungsverlauf das übergeordnete Allgemeine sein (müssen), das Dominierende; und, -um von wirklicher Entwicklung reden zu können-, muß die Veränderung als Umwandlung der Bewegungsform der Materie (d.h. hier der Bewegungsform des tätigen personalen Subjekts) auftreten, als Transformation der "Identität" in eine neue, die sowohl dieselbe ist wie nicht mehr dieselbe, die sie war. Mit anderen Worten: es muß sich um eine Veränderung einer Sozialform des personalen Subjekts handeln. In diesem Sinne ist nun Persönlichkeitsentwicklung i.e.S. als Reproduktion (Erhaltung und Veränderung) der ausgebildeten Sozialform(en)/sozialen Existenzform(en)/Bewegungsform(en) in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen konzeptualisiert. Also, das wurde 159

schon ö f t e r e r w ä h n t : die Reproduktion des personalen Subjekts als soziales Wesen (soziale Reproduktion) erfolgt mit den -durch Handlungen r e a l i s i e r t e n spezifischen Tätigkeiten des Subjekts, durch welche je bestimmte Beziehungsmuster/das Subjekt einschließende sozial-kooperative Verhältnisse (Motive) verwirklicht werden. Die Persönlichkeit ist die "Bewegungsform des Subjekts im gesellschaftlichen Lebensprozeß11 (GLEISS 1979, 1980), welche sich primär über die ' L e i t m o t i v e ' (auch 'Leitbedürfnisse') seiner Tätigkeiten und deren hierarchischen Beziehungen bestimmt; sie ist die reproduzierte (je konkrete) soziale Existenzform des Subjekts im Netz seiner gesellschaftlichen Beziehungen (in den Subjekt-Subjekt-Verhältnissen). Generell gesehen s c h r e i t e t die Persönlichkeitsentwicklung -wie Entwicklung überhaupt- kontinuierlich und diskontinuierlich/sprunghaft voran. Die kontinuierliche personale Entwicklung erfolgt etwa durch Ausbau und Verbesserung der (Handlungs-)Mittel, durch Erweiterung der praktischen und kognitiven Handlungsfähigkeiten (Kompetenzen), auch durch ausgedehntere Realisation von sozialen Umweltbeziehungen. Es handelt sich hierbei aber vorwiegend um i.d.R. quantitative Veränderungen/Fortentwicklungen, die die personale Subjektentwicklung kennzeichnen. Die diskontinuierliche/sprunghafte Entwicklung andererseits kann sich zunächst auch "nur" in Gestalt quantitativer Änderungen äußern, die dann aber umschlagen in eine neue Qualität; also etwa, wenn die Ausweitung von Handlungsmitteln und -verfahren (z.B. e r w e i t e r t e s B e g r i f f s R e p e r t o i r e , v e r m e h r t e sprachliche Fähigkeiten oder praktische Fertigkeiten, auch etwa verstärktes "Durchsetzungsvermögen" o.ä.) zur Realisierung neuer sozial-kooperativer Beziehungsmuster führt, damit ein 'Umschlagen' in eine neue Sozialform bewirkt. (Umgekehrt kann Q u a l i t ä t auch in Q u a n t i t ä t umschlagen; eine bestimmte Verkehrsform löst sich in eine Vielzahl von Mitteln und Verfahren der Umweltkontrolle auf.) Aus zentrierter Sicht (-vom Subjekt aus betrachtet-) erfolgt die diskontinuierliche (sprunghafte) Entwicklung i.d.R. im Zusammenhang mit Krisen, d.h. als Folge deren Bewältigung. Von LEONTJEW wird der hier gemeinte Prozeß des Umschlagens folgendermaßen ausgedrückt: Im Entwicklungsverlauf werden die Handlungen "immer r e i c h e r , sie wachsen gleichsam über jenen Kreis von Tätigkeiten hinaus, die sie realisieren können, und geraten in Widerspruch zu deren Motiven. Die Erscheinungen eines derartigen Überholens ... bilden auch die sogenannten Entwicklungskrisen... Dadurch ergibt sich eine Verschiebung der Motive auf Ziele, eine Änderung ihrer Hierarchie und die Entstehung neuer Motive - neuer T ä t i g k e i t s a r t e n . . . (1982, 200; vgl. die Schemata von Kap. 5). Insgesamt gesehen ist im unbeeinträchtigten Verlauf der dominante Pol des Widerspruchs von Kontinuität und Diskontinuität der Entwicklung die Kontinuit ä t der Veränderung, der Höherentwicklung; soll heißen: die Unendlichkeit der Entwicklung stellt das übergreifend Allgemeine dar (vgl. RAEITHEL 1979). Als f o r m a l e Modellvorstellung einer Krise scheint mir das von RAEITHEL (1979, 1983) vorgeschlagene Bild der "Wege-Gabelung" (der Verzweigung, der "Bifurkation"— in Anlehnung an PRIGOGINE/STENGERS 1981) geeignet: Das angesichts der Verzweigung (zunächst) orientierungs- und ratlose Subjekt muß weitergehen und es muß deshalb notwendig (ob es diesbezüglich nun eine bewußte Entscheidung fällt oder nicht) den einen oder anderen Weg gehen, aber beide Wege sind von wesentlich unterschiedlicher Qualität, bedeuten einen unterschiedlichen Entwicklungsfortgang. In dieser Modellvorstellung "ist die 160

K o n t i n u i t ä t und die Diskontinuität des sich entwickelnden Systems enthalten, denn das Einschlagen eines Zweigs der Gabel b e d e u t e t einen q u a l i t a t i v e n Unterschied zum anderen Zweig, und doch sind beide Zweige kontinuierliche Fortsetzungen des gemeinsamen Stammes" (dto, 1979, 67). Im Konzept der Krise als Punkt der Wege-Gabelung stellt sich das Problem des Verhältnisses von Entwicklungsnotwendigkeit und Möglichkeitsentwicklung. Dieses wird e r s t in Punkt 7.2 behandelt; hier jedoch soll der Begriff der Entwicklungsnotwendigkeit bereits differenziert werden. Es lassen sich nämlich zwei Arten von Entwicklungsnotwendigkeit ausmachen, von denen man die eine (a) als "allgemeine" Notwendigkeit, die andere (b) als "besondere" Notwendigkeit bezeichnen kann. Die allgemeine Entwicklungsnotwendigkeit (a) ergibt sich vom 'oberen Kontext 1 her (s. dazu Punkt 5.3): es handelt sich um die notwendige Reproduktion des Gemeinwesens, (der arbeitenden, produzierenden Subjekte, die m i t e i n a n d e r in Verkehr stehen). Die E x i s t e n z e r h a l t u n g e r f o l g t in Reproduktionszyklen, in denen sich auch das personale Subjekt, als Teil-System des Gemeinwesens, notwendig b e w e g t . In diesem Sinne b e s t e h t grundsätzlich die Notwendigkeit der Reproduktion des Subjekts als soziales Wesen (s.a. 3.1). Die allgemeine Notwendigkeit beinhaltet auch die Kontinuität der Veränderung als das übergeordnete Allgemeine (s.o.). Besondere Entwicklungsnotwendigkeit (b) a n d e r e r s e i t s b e s t e h t in kritischen Verhältnissen, in denen die faktische "Entwicklung" bzw. Entwicklungsstagnation von den menschlichen Entwicklungspotentialitäten zur Höherentwicklung (immer weiter) abweicht, ergibt sich aus der jeweiligen Diskrepanz der wirklichen zur i.S. der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur' (vgl. 3.1) möglichen Entwicklung. Die Entwicklungsnotwendigkeit äußert sich hier in Form eines problematischen Verhältnisses ("Problem" allgemein verstanden als gespanntes, disharmonisches Subjekt-Objekt-Verhältnis) beziehungsweise in Form einer Krise. Die Notwendigkeit der Entwicklung kann dabei oft als Not-wendigkeit i.S. von "Wendung der Not" gelesen werden. Sie besteht in der Entwicklung als Veränderung etwa antagonistischer gesellschaftlicher Bewegungs-/Verkehrs-/Beziehungsformen. Für das personale Subjekt in einer Orientierungskrise besteht sie beispielsweise in not-wendig gewordener erweiterter Reproduktion seiner sozialen Existenzform (s.u.). Unter dem Gesichtpunkt der besonderen Entwicklungsnotwendigkeit sind Krisen die Knotenpunkte f ü r q u a l i t a t i v e Sprünge in Entwicklungsprozessen, Startpunkte der (neuerlichen) Höherentwicklung. (Weiteres s. Kap. 7). Eine Unterscheidung zwischen erhaltender und erweiterter sozialer Reproduktion wird nun vor allem dann erforderlich, wenn das Subjekt mit seiner bisherigen Sozialform/Bewegungsform in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen (-zumeist begrenzt auf bestimmte T ä t i g k e i t s f e l d e r , — selten sind alle 'Anteile' der Persönlichkeit b e t r o f f e n - ) in eine Krise (Entwicklungs-/Orientierungskrise) "geraten" ist, die entwicklungsgemäß bzw. zwecks 'Wendung der Not' eine U m s t r u k t u r i e r u n g und Neubildung der (u.U. dominierend realisierten, u.U. "problematischen'Ventwicklungsantagonistischen) Tätigkeitsmotive e r f o r d e r l i c h m a c h t . Um "gesunde", u n b e e i n t r ä c h t i g t e Person-Entwicklung ("Progression", Persönlichkeitsweiterentwicklung, progressive Krisenbewältigung) handelt es sich nur, wenn dann e r w e i t e r t e Reproduktion der Sozialform möglich wird, wenn also eine Veränderung der bisherigen Form im Sinne der Entwicklungsnotwendigkeit erfolgt. Kennzeichnend für erweiterte Reproduktion ist, daß die Infragestellung und Veränderung der bisherigen Sozialform (Motive-Umstrukturierung und -Neubildung) nicht nur eine quantitative Erweiterung (etwa Ausdehnung 161

bestehender Umweltbeziehungen), sondern einen qualitativen Sprung darstellt, also eine neue Qualität des Individuum-Gesellschafts-Verhältnisses h e r g e s t e l l t wird. Die Betonung liegt hier auf dem qualitativen Sprung in eine neue Sozialform, wohingegen ja andererseits quantitativ erneuernde Reproduktion auch erfolgen kann bei qualitätsmäßig identisch-erhaltender Reproduktion. Im Hinblick auf die soziale Reproduktion würde es sich dabei aber nicht um " e r w e i t e r t e " handeln. Mit anderen Worten: Die Beschreibung der Reproduktion als erweitert versus erhaltend b e z i e h t sich hier ausschließlich auf die stattfindende Veränderung der Sozialform. Ferner werde ich nur mit Bezug auf Tätigkeits-Motive-(Hierarchie)Umstrukturierungen, somit mit Bezug auf Veränderung der S o z i a l f o r m(en) von Persönlichkeitsentwicklung i.e.S. sprechen; also: Persönlichkeitsentwicklung i.e.S. als Reproduktion von Sozialformen/sozialen Existenzformen. Aber verschränkt damit ist personale Subjektentwicklung als praktische und kognitive Kompetenz-/Handlungsfähigkeitsentwicklung (s. unten). Wird andererseits angesichts von (bzw. trotz) Krisen immer das gleiche (antagonistische Kooperations-)Verhältnis (Motiv), -das bereits gescheitert/blockiert war, nicht verwirklicht werden kann/konnte-, wieder hergestellt bzw. herzustellen versucht, gelingt also die Uberwindung der bisherigen, u.U. "problematischen" Sozialform und der entwicklungsnotwendige Ubergang in eine neue Qualität von Individuum-Gesellschafts-Verhältnis nicht, so ist von e r h a l t e n d e r Reproduktion zu sprechen. In solchem Falle liegt eine Stagnation der Entwicklung vor. Die Person-Entwicklung stagniert, wenn die entwicklungsnotwendigen Fortschritte/Höherentwicklungen (-qualitativen Sprünge-) ausbleiben. Im Falle von Stagnation handelt es sich um beeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung; um die Reproduktion immer derselben (wiewohl u.U. "problematischen", entwicklungsantagonistischen) Verhältnisse. Das Subjekt hält sich damit auf einem bestimmten Entwicklungsnvieau fest, tritt auf der Stelle, kommt nicht weiter. (Dies wird sich häufig auf einige Tätigkeitsfelder beschränken. Die Persönlichkeit ist selten als 'Ganze 1 , in der Totalität ihrer Subjekt-Welt-Beziehungen beeinträchtigt oder gestört. Vgl. GLEISS 19S0; HASELMANN 1982). Kennzeichen b e e i n t r ä c h t i g t e r (versus "gesunder") Persönlichkeitsentwicklung werden noch in Kapitel 7 genannt. Vorerst ging es hier nicht um einzelne Merkmale "problematischer" Entwicklung, sondern um die allgemeinen Kategorien zur Beschreibung der Person-Entwicklung überhaupt. Hinsichtlich der Genese ist noch zu erwähnen, daß die Persönlichkeit gemäß LEONTJEW über Prozesse des Verbindens, des Verknüpfens (über das Miteinander-in-Beziehung-Setzen) der konkreten Tätigkeiten des Subjekts entsteht. "Ein erstes wichtiges Faktum ist, daß während der Entwicklung des Subjekts seine einzelnen Tätigkeiten miteinander hierarchische Beziehungen eingehen" (LEONTJEW 1977, 79; 1982, 178). "Diese Hierarchien der Tätigkeiten werden von ihrer eigenen Entwicklung hervorgebracht; sie bilden auch den Kern der Persönlichkeit" (ebd). Im Entwicklungsverlauf des Individuums bilden sich also (im Vorschulalter beginnend) - in Prozessen des Einander-Entwickelns- Verbindungen zwischen den T ä t i g k e i t e n , Uber-/Unterordnungen, hierarchische Beziehungen zwischen den einzelnen Tätigkeiten heraus ("Knoten", die die Tätigkeiten verbinden), 162

welche die Persönlichkeit(sstruktur) charakterisieren. Hervorgebracht werden sie nicht durch die Wirkung innerer Kräfte oder kognitiver Eigenarten oder sensumotorischen Fertigkeiten, sondern von jenem System von Sozial-Beziehungen, das das Subjekt mit seinen Tätigkeiten eingeht. "Die Verbindungen zwischen den Motiven sind abhängig von den objektiven Beziehungen, die sich dem handelnden Menschen öffnen, Beziehungen, die er eingeht" (LEONTJEW 1977, 93; 1982, 200/201). Da die Rede von "Motive-Hierarchien" leicht zu Fehlverständnissen verleiten kann, ist dies zu betonen, daß die Dber-UnterordnungsbeZiehungen zwischen verschiedenen sinnbildenden Motiven Resultat der im praktischen Handeln vorherrschend oder nachrangig realisierten Beziehungsmuster sind, sich die Über-/Untergeordnetheit also in der konkreten Praxis einstellt. "Motive-Hierarchien" sind nicht in kognitivistischem Sinne als Konstrukt-Systeme zu verstehen und im übrigen auch höchst sekundär als "dispositionsartige Handlungstendenzen". Über die je herausgebildeten sinnbildenden 'Leitmotive* oder 'dominierenden Motive', die einen Großteil der Lebensaktivitäten des Subjekts veranlassen, bildet das Subjekt seine Bewegungsform(en) im konkreten Alltag (vgl. Kap. sind entsprechend seine soziale(n) Existenzform(en)/Sozialform(en) in SubjektSubjekt-Verhältnissen bestimmt.

6*3 6.3.1

Persönlichkeitsentwicklung als Tätigkeitsentwicklung Zur d i f f e r e n z i e r e n d e n Betrachtung von "Individuum" und "Persönlichkeit"

Gemäß LEONTJEW kann die Persönlichkeit nicht als Individuum angesehen werden, das a) angeborene Besonderheiten aufweist, b) zusätzliche Besonderheiten, Fähigkeiten/Fertigkeiten etc. erwirbt, c) durch weitere Erfahrungen 'angereichert' wird und auf diese Weise 'angereichert' sich quasi als Produkt der Verschmelzung von Angeborenem und Erworbenem konstituiert. Nur das Individuum kann in dieser Weise als genotypisch- und über Lernprozesse erfahrungs-bedingte 'Ganzheit an und für sich'- beschrieben werden, nicht aber die Persönlichkeit. Das Entscheidende ist, daß Besonderheiten des Individuums (das sind "'Verschmelzungen' von angeborenen und erworbenen Reaktionen" (LEONTJEW 1982, 167), die die Individualität schon früh in der Ontogenese kennzeichnen) nicht mit den Besonderheiten der Persönlichkeit gleichgesetzt werden d ü r f e n . Als Individuum wird man geboren mit besonderer genotypischer und konstitutioneller Ausstattung und in der "Verschmelzung" mit erworbenen Reaktionen (Handlungstendenzen, Eigenarten, Fähigkeiten, Fertigkeiten...) treten natürlich Erweiterungen und Modifikationen der angeborenen individuellen Besonderheiten ein, wobei die Erwerbsprozesse immer auch durch die soziale Umwelt bedingt und vermittelt sind (vgl. z.B. das Modellernen). "Persönlichkeit" ist demgegenüber von vorneherein anders konzipiert: als Prozeß der Selbstbewegung (im 163

Kontext des Einander-Entwickelns) ist die Persönlichkeitsentwicklung ein eigenständiger Prozeß, der mit der Bildung und Veränderung der verschiedensten Besonderheiten unter dem Einfluß der sozialen Umwelt nicht direkt zusammenfällt. Das heißt auch, daß die Persönlichkeit des Subjekts nicht aus seiner Anpassungstätigkeit abgeleitet werden kann (LEONTJEW 1982, 169). Die angeborenen und erworbenen individuellen Besonderheiten, deren Verschmelzungen und Verbindungen untereinander, sind lediglich die "Bausteine" und "Mechanismen", mit deren Hilfe das System der Beziehungen des Individuums mit der Welt verwirklicht werden. Entsprechend weist auch die übliche Bemerkung, daß der Mensch "sowohl ein biologisches als auch ein soziales Wesen" ist, lediglich "auf die verschiedenen Systemeigenschaften des Menschen hin und sagt noch nichts über das Wesen seiner Persönlichkeit aus und nichts darüber, wodurch die Persönlichkeit hervorgebracht wird" (dto, 165). Diese "Systemeigenschaften" sind lediglich als Voraussetzungen der Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen, welche sich ihrerseits aber nicht unmittelbar aus ihren Voraussetzungen erklären läßt. Die Bedingungen und Voraussetzungen der Persönlichkeitsentwicklung, -biologische und soziale-, können als determinierende (begrenzende und ermöglichende) Strukturen des 'unteren 1 und des 'oberen' Kontextes der (kv) Tätigkeit konzeptualisiert werden. So gesehen ist klar, daß sie 'für sich genommen' der Persönlichkeit äußerlich sind und es darauf ankommt, wie sie in der Tätigkeitsentwicklung von äußeren VoraussetSOZIALES zungen in 'innere Momente' des Persön" o p e r a t i v e Kultur" lichkeitsprozesses transformiert werden. Dann geht es l e t z t l i c h darum, in TÄTIGKEIT welcher Beziehung biologisch und sozial bedingte Besonderheiten des Individuums zur Persönlichkeit stehen, inwieweit sie BIOLOGISCHES "persönlichkeitsrelevant" sind. Jeweilige genotypische Ausstattung individuelle Besonderheiten lassen sich manchmal phänomenologisch leicht festmachen als etwa morphophysiologische Besonderheiten (Körperkonstitution, Augenform...), u.U. auch als Besonderheiten des "Nerventyps", des Temperaments und als teils genetisch angelegte, teils erworbene Besonderheiten, Besonderheiten des Zahlengedächtnisses, der Fingerfertigkeit o.ä.. Dazu gehören aber auch durch unmittelbare Anpassung an die gegenständliche und soziale Umgebung, an die Umgangsformen der unmittelbaren Umwelt erworbene (Verhaltens-)Besonderheiten, Eigenheiten der operativen Struktur im Umgang mit Dingen und Menschen, schließlich gewohnheitsmäßige operative Muster (Habitusstrukturen) der Umweltgestaltung; auch individuelle Sprechstile, körpersprachiiche Äußerungs- und Umgangsweisen etc. (s.a. unten). Solche biologisch und sozial bedingten Besonderheiten des Individuums können nun eine unterschiedliche Beziehung zu seiner Persönlichkeit haben; im einen Fall mögen sie indifferent/bedeutungslos sein für die Persönlichkeit, im anderen Fall ein wesentlicher Bestandteil ihrer Charakteristik (vgl. LEONTJEW 1982, 159). Beispielsweise kann etwa eine b e s t i m m t e Art des Sprechens (Sprechweise/Sprachstil) eines individuellen Subjekts (z.B. ausgefeilt vs. schloddrig, lautstark vs. leise, Mundart vs. hochdeutsch, o.ä.) eine durch Anpassung/Angieichung an das unmittelbare soziale Milieu (einst) erworbene, aber für die Persönlichkeit des Subjekts indifferente Eigenart sein (die als solche beibehalten wird), oder aber die besondere Sprechweise/der individuelle Sprach164

Stil kann charakteristisch für die Persönlichkeit sein, insofern sie/er Funktionalität im Hinblick auf die spezielle Sozialform des Subjekts besitzt. Letzteres ist der Fall, wenn etwa die Sprechweise/der Sprachstil als Mittel zum Zweck der Verwirklichung eines je bestimmten sozial-kooperativen Verhältnisses f u n giert (z.B. betont a u s g e f e i l t hochdeutscher Sprachstil, um sich gegenüber anderen hervor zutun, sich von ihnen abzuheben; oder schloddrig nachlässige Sprechweise, um nicht positiv aufzufallen bzw. um sich herabzusetzen, unwichtig zu machen oder einfach nicht verstanden zu werden...). Für die Persönlichkeit zentrale Besonderheiten sind gewissermaßen zu einem "Ring" geschlossen. Es liegt auf der Hand, daß die Differenzierung von "bloß" individuumsspezifischen oder auch persönlichkeits"funktionaien" Merkmalen, die Frage der 'Persönlichkeitsrelevanz' von augenscheinlichen individuellen Besonderheiten eines personalen Subjekts von klinisch-therapeutischem Interesse ist (man denke auch an Eigenheiten der Gangart, der Körperbewegung, Mimik, Gestik; Besonderheiten des ästhetisch-kulturellen 'Geschmacks' und entsprechender Muster der unmittelbaren Lebensgestaltung, des Einrichtens der Wohnung, auch des Sich-Kleidens etc.). Wesentlich ist nämlich, daß beim "Klienten" beobachtbare (phänomenologisch mehr oder weniger 'auffällige') Besonderheiten und Verhaltensgewohnheiten nicht per se als für dessen Persönlichkeit charakteristische Merkmale genommen werden d ü r f e n , aber dennoch immer erwogen werden muß, ob und inwiefern sie Funktionalität für die Persönlichkeit besitzen, d.h. als Mittel zur Herstellung je bestimmter -das Subjekt selbst einschließenderm a t e r i e l l - s o z i a l e r Verhältnisse/Beziehungsmuster zwecks Reproduktion seiner besonderen Sozialform (-allerdings i.d.R. nicht bewußt-) eingesetzt werden. Es geht so gesehen auch darum, das Wesentliche aus dem Akzidentellen herauszufinden. Aber die Bestimmung der 'Persönlichkeitsrelvanz' fällt in der Praxis oftmals nicht leicht (u.U. leichter bei angeborenen körperlichen als bei erworbenen behavioralen Besonderheiten) und ist vollständig auch erst möglich, wenn die für die Person zentrale(n) SoziaIform(en) bereits erkannt ist (sind); -während umgekehrt die jeweiligen Besonderheiten/Verhaltensgewohnheiten des personalen Subjekts aber als 'Anhaltspunkte' für das Erkennen der realisierten und r e p r o duzierten Sozialform genommen werden können. Ausgehend von der 'Ebenenstruktur' der Tätigkeit sind individuelle VerhaltensBesonderheiten, wie sie soeben genannt wurden, in der Regel auf OperationenEbene anzusiedeln (vgl. Abb. 4 in Punkt 5.1). Es handelt sich um o p e r a t i v e Strukturen (Verhaltens-/Bewegungs-/Sprech-/auch körpersprachliche Muster), die zumeist habituellen Charakter annehmen, so als "Angewohnheiten" e r s c h e i nen. 2) Nun erfolgt -genetisch- die Herausbildung der (spezifischen) Operationen/operativen Mustern über zweierlei Wege, nämlich einmal (1) als u n m i t t e l b a r e Anpassung an die gegenständlichen Bedingungen, was auch "Formen körpernahen mimetischen Lernens - Nachahmen, Zusehen, Ausprobieren" (BRANDES 1982a, 93) u m f a ß t , zum anderen (2) über einen Prozeß der Automatisierung von Teilhandlungen (z.B. das Schalten beim Autofahren; s.a. HACKER 1973). Im ersten Fall (1) der Anpassungstätigkeit (= m.E. "Lernen" im traditionellpsychologischen Verständnis) handelt es sich ferner nicht nur um Anpassung an die ( m a t e r i e l l - und symbolisch-) gegenständlichen Bedingungen i.e.S., sondern auch (-"gegenständlich" weiter gefaßt-) um Anpassung an die (materiell-)sozialen Bedingungen der unmittelbaren Umwelt. Die unmittelbare soziale Umwelt 165

des Individuums ist etwa die Familie oder eine andere (Bezugs-)Gruppe, in die es eingebunden ist. An die in ihr realisierten zwischenmenschlichen/sozialen 'Umgangsformen 1 wird sich das Individuum /das Kind unmittelbar anpassen, und es wird dabei individuelle Besonderheiten des Sich-Gebens, des Sich-Ausdrückens, Sich-dem-Anderen-Näherns etc. ausbilden/erwerben. Es ist zu beachten, daß der Term der materiell-sozialen Bedingungen des Milieus, an die sich das Individuum anpaßt, nicht mit dem Begriff der m a t e r i e l l - s o z i a l e n Verhältnisse, die das tätige Subjekt u.U. als Motive realisiert, gleichgesetzt oder verwechselt werden darf. Die 'Umgangsformen 1 der Familie/Gruppe werden realisiert etwa als "Tänze" in der Mutter-Kind-Dyade (vgl. m.E. DANIEL STERN (1979) bzw. in der ElternKind-(etc.)-Interaktion und werden im praktisch-sinnlichen Aufeinanderabstimmen vom Einzelnen direkt angenommen oder erworben etwa über Prozesse des Modellernens o.ä.. Genereil sind es etwa Formen des körpersprachlichen Ausdrucks und Miteinander-Umgehens, des körperlichen Nähe-Distanz-Haltens, des Sich Bewegens in zwischenmenschlichen Kontaktsituationen; bestimmte Weisen der nonverbalen Kommunikation und b e s t i m m t e Weisen des Sprechens, der sprachlichen Kommunikation.... Das Insgesamt der Umgangsformen konstituiert die "operative Kultur" einer sozialen Gruppe (vgl. Punkt 5.3); man kann auch vom "sozialen Milieu" s p r e chen, in das sich der Einzelne einpaßt. Nun aber bilden die über Prozesse der Anpassung an die Bedingungen des u n m i t t e l b a r e n sozialen Milieus in O-O-Verhältnissen (vgl. Abb. 4) erworbenen Besonderheiten als solche, (-als 'individualisierte' operative Kultur-), nicht das Persönliche im Menschen, "sondern das, was im Gegenteil unpersönlich ist, wie zum Beispiel die gemeinsame Sprache, ... die in dem jeweiligen sozialen Milieu v e r b r e i t e t e n Vorurteile, die Mode u.s.w." (vgl. LEONTJEW über 'kulturanthropologische Konzeptionen': 1982, 162). Zu auch persönlichen können die auf diese Weise ausgebildeten individuellen (habituellen Verhaltens-) Besonder he i ten nur werden, wenn sie im weiteren Entwicklungsverlauf vom Subjekt wiederholt in die Realisation spezifischer Tätigkeiten/die Reproduktion s p e z i f i s c h e r Beziehungsmuster einbezogen werden. Der andere Weg (2) der Bildung von habituellen operativen Strukturen ist der über die Automatisierung von Teilhandlungen, Bewegungen und Bewegungsabfolgen (bis hinab zur sensumotorischen Ebene). Die auf diese Weise entstandenen operativen Muster (wie e t w a kör per sprachliche Besonderheiten bzw. "Angewohnheiten" des nonverbalen Kommunizierens, oder der schloddrigen Sprechweise, auch Verhaltensgewohnheiten des ordentlich-Aufräumens o.ä.) sind dann personspezifische Besonderheiten, wenn die Quelle ihrer Bildung (-Entstehungszusammenhang-) oder der Grund ihrer 'Aufrechterhaltung' in der (meist längerwährenden) Realisation bestimmter Motive/sozial-kooperativer Beziehungsmuster innerhalb jeweiliger Verkehrs-/Kooperationsformen in T-T Verhältnissen liegt (vgl. Abb. 4). Für eine Unterscheidung hilfreich ist die Frage nach dem Zweck, dem jeweilige operative Strukturen/Operationen dienen (Mittelcharakter der Operationen). Die fortwährend wiederholte Realisation bestimmter wichtiger Tätigkeitsmotive in T-T Verhältnissen (die Verwirklichung muß ja eben auch auf Operationen'ebene' erfolgen) kann jedenfalls zu einer Automatisierung und Habitualisierung der zu ihrer Realisierung erforderlichen operativen Mittel f ü h r e n . Unter diesem Gesichtspunkt sind dann etwa extra-, para- und nonverbale Äußerungsweisen eines "Klienten" in der Therapie von größtem Interesse.

166

Nun kann im Entwicklungsverlauf der Umstand eintreten, daß ursprünglich als operative Mittel zum Zwecke einer Motive-Realisation einst hochautomatisierte Bewegungs-/Verhaltensmuster wegen ihres hohen Automatisierungsgrades und ihres habituellen Charakters auch bei Weiterentwicklungen der Persönlichkeit (Motive-Neu-/Umbildungen) als operative Muster beibehalten werden. Als solche können sie dann später quasi isoliert (-isoliert, weil sie keine Funktionalität mehr für die Persönlichkeit besitzen-) noch als "Störungen" a u f t r e t e n (..." Störungen", sofern sie "dysfunktional" sind im Hinblick auf Handlungsfähigkeit und Umweltkontrolle...). Dies dürfte insbesondere der Fall sein bei bestimmten hochautomatisierten somatisch-körperlichen Reaktions-/Bewegungsmustern (etwa "Tics"), vor allem auch bei sog. "psychosomatischen" Reaktionsmustern (z.B. immer noch Migräne-Anfälle, obwohl diese -zwar f r ü h e r - aber inzwischen keinen Sinn mehr für die Persönlichkeit besitzen) oder m.E. auch bei sog. "sexuellen Funktionsstörungen", wenn früher einst "im Interesse der Persönlichkeit" dysfunktionale Körperreaktionen automatisiert wurden. In solchen Fällen könnten die gewissermaßen isoliert auftretenden "Störungen" dann nur durch intensives (Gegen-)Üben zwecks Ent-Automatisierung "behoben" werden. Es sei an dieser Stelle erwähnt, daß klinisch-psychologische Konzeptionen bzw. "Störungstheorien", die auf der (HACKER'schen) Handlungstheorie a u f b a u e n , "psychische Störungen" gewissermaßen überhaupt nur als Formen von hochautomatisierten, aber dysfunktionalen sensumotorischen O p e r a t i o n s s t r u k t u r e n , als quasi 'Anti-Fertigkeiten 1 konzeptualisieren können (vgl. SEMMER/FRESE 1979, BENSE 1981);—was aber am Wesen der psychischen Beeinträchtigung doch vorbeigeht (vgl. Kap. 2). Wird - wie soeben - unter dem Gesichtspunkt ihres ursprünglichen Entstehungszusammenhangs die a n f ä n g l i c h e Persongebundenheit von operativen Mustern u n t e r s c h i e d e n , so sollte das nicht heißen, daß die biologisch und sozial bedingten, angeborenen und über u n m i t t e l b a r e Anpassungsprozesse erworbenen Verhaltensmuster und 'Besonderheiten' des Individuums nicht auch persönliche Relevanz und in diesem Sinne 'Mittelcharakter' erhalten könnten. Im Entwicklungsverlauf gehen solche individuelle Besonderheiten in die personale Subjektentwicklung ein (werden dabei transformiert) beziehungsweise sind Teil derselben. Dabei t r e t e n sie zwangsläufig in Beziehungen zur Persönlichkeitsentwicklung i.e.S. und können dabei u.U. auch funktionale Bedeutung für die Persönlichkeit erlangen (z.B. die zuhause erworbene Mundart/der Umgangston wird auch in einem anderen Bundesland/in einer anderen Bezugsgruppe über Jahre hinweg beibehalten, etwa als Mittel, um sich die anderen "vom Leibe zu halten" o.ä.).

6.3.2

Die "doppelte Topologie" der Person-Entwicklung: Verschränkung von Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung

Grundsätzlich ist es theoretisch sinnvoll, zwischen Bedingungen/Voraussetzungen des Werdens und Bedingungen/Voraussetzungen der Verwirklichung zu unterscheiden, wie dies auch von MARX vorgeschlagen wurde (in: Grundrisse, 363f). Terminologisch beziehe ich mich auf das Werden der Persönlichkeit mit dem Begriff der Genese, auf ihre Verwirklichung mit dem Begriff der Reproduktion 167

(vgl. vorne). Bedingungen des Werdens sind beispielsweise die determinierenden Strukturen des 'oberen' sozialen und des 'unteren' biologischen Kontextes (s.o.). Und die daraus entwickelten angeborenen und über unmittelbare Anpassungsprozesse oder Formen körpernahen mimetischen Lernens erworbenen individuellen Besonderheiten gehen (als solche Bedingungen) in die Persönlichkeit ein, welche sich ihrerseits aber so "formt", wie in Kapitel Kapitel 5 und vorne beschrieben. Als historische sind die Bedingungen und Voraussetzungen der Genese vergangene, nicht aber Bedingungen als Moment der Wirklichkeit der ausgebildeten Persönlichkeit. Aktuell relevant sind dagegen die Voraussetzungen/Bedingungen der Persönlichkeitsverwirklichung (Reproduktion), die uns hier vorrangig i n t e r e s s i e r t . Dies sind - a l s determinierende Strukturen des 'oberen' Kontextes- die gesellschaftlichen Verkehrs-/Kooperations-/BeZiehungsformen, in die das Subjekt eingebunden ist (s. Punkt 5.3) und als determinierende Strukturen des 'unteren' Kontextes sind das die zur Verfügung stehenden Mittel der Lebensgestaltung/Umweltkontrolle. Zu den inneren Voraussetzungen/Bedingungen der Persönlichkeitsverwirklichung gehören hier also die dem Subjekt tatsächlich verfügbaren, von ihm verwendeten Mittel, unter anderem dessen praktische und kognitive und sozial-interaktive Handlungsfähigkeiten und -fertigkeiten (Handlungsstrukturen und - k o m p e t e n z e n ) , v e r m i t t e l s derer die existentiell-bedeutsame Sozialform realisiert wird. Also tritt hierbei Handlungsfähigkeits- bzw. K o m p e t e n z - E n t wicklung als Aspekt der Person-Entwicklung auf. Nun lassen sich zwei 'Stränge' der Person-Entwicklung ausmachen, auf die terminologisch bislang Bezug genommen wurde als a) personale Subjektentwicklung und b) Persönlichkeitsentwicklung i.e.S.. Im ersteren Fall (a) ist u.a. Handlungsfähigkeit-, Kompetenz-Entwicklung im Subjekt-'Natur'-Austausch gemeint, Entwicklung von Wissen und Können, unter (b) die soziale Reproduktion in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen (Persönlichkeitsentwicklung als Reproduktion sozialer Existenzformen). Somit läßt sich eine "doppelte Topologie" der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Tabelle 1 in 3.2.3) k o n s t a t i e r e n , die sich aus der Dualität der Subjekt-Welt-BeZiehung, der "doppelten Vermitteltheit" der menschlichen Tätigkeit 'erklärt' (s.a. HASELMANN 1982, 117, Abb. 2). Unter dem Gesichtspunkt der "doppelsträngigen" Person-Entwicklung bezieht sich nun a) der "Strang" der personalen Subjektentwicklung auf die Reproduktion (Verwirklichung, Erhaltung, Entwicklung und Veränderung) der individuellen menschlichen Arbeitskraft, des Arbeits- bzw. Handlungsvermögens, kurz der Handlungsfähigkeiten/Kompetenzen (im Subjekt-'Natur'-Austausch) und insofern 'Natur' auch andere Menschen (und das Subjekt selbst) umfaßt, gehören hierzu auch zwischenmenschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, etwa der Kontaktaufnahme, Beziehungsgestaltung, des Sich-Einbringens etc. (= "soziale Kompetenzen"). Und b) der "Strang" der Persönlichkeitsentwicklung i.e.S. bezieht sich auf die Reproduktion der Sozialform(en) des Subjekts, auf die Realisation, Erhaltung, Fortentwicklung, Veränderung der spezifischen Tätigkeiten und ihrer Motive, auf die Bewahrung, Neubildung, Umstrukturierung deren Hierarchien (in zyklischen, sozial-reproduktiven Subjekt-Subjekt-Verhältnissen). Dabei sind die Basis der Entwicklung/Reproduktion: a5 die je historisch-konkreten (klassen-und standortspezifischen) materiellgegenständlichen Lebensbedingungen (Bedingungen des Wohnens, des Spielens, Lernens, Arbeitens...) und

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b)

die je historisch-konkreten (formationsspezifischen) ökonomischen Verhältnisse/Eigentumsbeziehungen zwischen den Menschen (s. Punkt 3.1 und Abb. 1 in 3.3). Das Wesentliche ist aber nicht die "Zweisträngigkeit" der Person-Entwicklung als solche, sondern die innere Verbundenheit und wechselseitige A u f e i n a n d e r bezogenheit dieser beiden "Stränge", die als Verschränktheit von produktiver und sozial-reproduktiver 'Sphäre' begriffen werden kann (s. dazu Punkt 3.2.3) und der strukturellen Beziehung von Handlungs-Ziel-'Ebene' und Tätigkeits-Motiv-'Ebene' (s. Kap. 5) e n t s p r i c h t . Für das personale Subjekt stellen seine Handlungskompetenzen -wie gesagt- seine variablen Mittel zur Realisation und Reproduktion seiner besonderen Sozialform dar (vgl. Punkt 5.1); motivbezogene Tätigkeiten werden durch zielbezogene Handlungen realisiert und es gilt die allgemeine Regel: eine (Sozial-)Form wird gebildet durch das Insgesamt der zugehörigen (Handlungs-)Mittel und ist zugleich der reproduktive Zyklus dieser Mittel (s. Punkt 3.3). Die Kompetenz-/Handlungsfähigkeitsentwicklung wird demgemäß also durch die jeweilige Sozialform ermöglicht und begrenzt (eine Person, die immer "die Beste" sein muß, wird beispielsweise hohe Leistungskompetenzen im wetteifernden intellektuellen Bereich erwerben, aber Handlungsfelder, in denen sie nicht besser als andere sein kann, meiden und dort keine Handlungsfähigkeiten ausbilden). Außerdem bestimmt die (-die Persönlichkeit bildende-) Sozialform des Subjekts die e m o t i o n a l e Q u a l i t ä t seiner Handlungsausführung. Umgekehrt wird die Sozialform gebildet und realisiert durch das Insgesamt der Handlungsfähigkeiten und Fertigkeiten (einschließlich der "sozialen Kompetenzen"), die unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeitsverwirklichung Mittel zum Zwecke der Reproduktion der Sozialform darstellen. Veränderte Handlungsmittel, z.B. e r w e i t e r t e p r a k t i s c h e und/oder kognitive Handlungsfähigkeiten, verbesserte Kompetenzen der Realitätskontrolle, können eine Veränderung der bisherigen Sozialform bewirken (s. vorne: q u a l i t a t i v e r Sprung) und umgekehrt e r f o r d e r t eine Veränderung einer Sozialform die Anwendung/Verwirklichung neuer (anderer oder geänderter) M i t t e l . Das heißt auch: Um eine "problematische" Sozialform (die durch die dominierende Realisation antagonistisch-disharmonischer Kooperationsbeziehungen, 'entwicklungshinderlicher' Motive c h a r a k t e r i s i e r t ist) wirklich zu verändern/in eine neue Bewegungsform umzuwandeln, müssen neue (andere) (Handlungs-)Mittel ausprobiert, eingesetzt, angewendet, Fähigkeiten neu gebildet (erworben) oder anders als bisher verwirklicht werden. Veränderungen der Sozialform bauen also auf der Kompetenzentwicklung auf, werden nur darüber möglich. Und umgekehrt erfordert eine neue Sozialform veränderte Kompetenzen, steckt dann -einmal a u s g e b i l d e t - i h r e r s e i t s wiederum den Rahmen für die weitere Kompetenzentwicklung ab, ermöglicht und begrenzt sie (s. a. Punkt 7.1). So gesehen ist u n b e e i n t r ä c h t i g t e Persönlichkeitsentwicklung (= erweiterte Reproduktion i.S. der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur') immer auch e r w e i t e r t e Handlungsfähigkeitsentwicklung (damit Erweiterung der Realitätskontrolle) und beeinträchtigte ("reduzierte") Persönlichkeitsentwicklung (= (in bestimmten Tätigkeitsfeldern) erhaltende Reproduktion) impliziert immer auch eine Beschränkung der Kompetenzen zur Umweltkontrolle. Für die t h e o r e t i s c h e und praktische Analyse ist aber zu beachten, daß die Persönlichkeits-(Sozialform-)Erforschung gegenüber der Handlungskompetenz(Mittel-)Erforschung P r i o r i t ä t haben muß. Dies wird auch von LEONTJEW ausgesprochen: die Untersuchung hat "nicht von den erworbenen F e r t i g k e i t e n , Fähigkeiten und Kenntnissen zu den durch sie charakterisierten Tätigkeiten überzugehen, sondern vom Inhalt (der Tätigkeiten; S.H.) und von den T ä t i g 169

keitsverbindungen zu der Art und Weise ihrer Realisierung durch jene Prozesse, die sie ermöglichen" (1982, 178). Die Persönlichkeitsforschung muß vom Gegenstand der Tätigkeiten, ihrem Motiv und von den hierarchischen Beziehungen zwischen den Tätigkeiten ausgehen und sich anschließend um die Erforschung der Handlungskompetenzen und -strukturen in ihrer praktischen und gedanklichen Form bemühen, die die Tätigkeiten) möglich machen. Wenn nun in der therapeutischen Praxis zwar zunächst 'natürlicherweise' von der Handlungsfähigkeitsbeeinträchtigung des "Klienten" ausgegangen wird, so sollte dann für eine Analyse der "Problematik" (zum Zwecke ihrer Klärung/Überwindung) doch immer die genannte Priorität beachtet werden. Mit handlungstheoretisch fundierten Problemlösungs- oder Kompetenztrainings ist es i.d.R. nicht getan. Die Individuum-Persönlichkeit-Differenzierung (s. oben: Punkt 6.3.1) kann nun mit der Doppelsträngigkeit der Person-Entwicklung konzeptionell zusammengebracht werden, wenn die Unterscheidung dreier Prozeßebenen der lebendigen Aktivität (s. Kap. 5) bedacht wird. Aus der Sicht der 'Ebenenstruktur' läßt sich die Entwicklung individueller Verhaltensgewohnheiten, habitueller operativer Strukturen/Muster (s. oben) auf Operationen-'Ebene' und die Kompetenz-Entwicklung (man denke auch an beruflich-fachliche, politische, soziale Kompetenzen aller Art) auf Handlungs-'Ebene' ansiedeln. Auf Handlungs'ebene* (-der Ebene des bewußten Realitätsbezugs und der subjektiven Prozesse-) v e r l ä u f t dann im wesentlichen die personale Subjektentwicklung (Entwicklung von Wissen und Können), während die Persönlichkeitsentwicklung i.e.S. auf Tätigkeits'ebene' verläuft. Ebenfalls entsprechend der 'Ebenenstruktur' sind die Mittel der (kv) Tätigkeit zu klassifizieren als a) organismisch-gegenständliche Mittel unter Einbeziehung von gekonntem Werkzeug-(Begriffs-)Gebrauch (operative Strukturen/Muster; -auf Operationen'ebene'-); b) (materiell- und symbolisch-)gegenständliche Arbeits-/Handlungsmittel; Werkzeuge, Begriffe; das gesamte 'erfahrungsbedingte' praktische und kognitive 'Handwerkszeug' zur Herstellung jeweiliger Produkte/Erreichung jeweiliger Ziele (-auf Handlungs'ebene'-) und schließlich c) Kooperationsmittel der spezifischen Tätigkeiten) bzw. der Praxis, also Mittel des sozialen Verkehrs, welche koordinative, kooperative i.e.S. und kommunikativ-diskursive Mittel (s. dazu Punkt 3.3) umfassen. (Vgl. die Klassifikation der Mittel bei RAEITHEL 1981, 233f). Dabei gilt das Prinzip, "daß die jeweils nächste Klasse (von Mitteln; S.H.) die vorherige mit umfaßt" (dto, 234).

6.4

Handeln und Erkennen; Tätigkeitsentwicklung und Reflexionsmodi

Den "Schlüssel" zum wissenschaftlich-psychologischen Verständnis der Persönlichkeit sieht LEONTJEW in der "Untersuchung der Erzeugung und der Transformation der Persönlichkeit des Menschen in seiner Tätigkeit, ..." (1982, 166). Dementsprechend beschreibt Irma GLEISS (1980) die Entwicklung der Persönlichkeit als Entwicklung der (spezifischen) Tätigkeiten und ihrer Motive und bestimmt dabei die Tätigkeit als "Ursache" der Persönlichkeitsentwicklung und dann das "Niveau" der Persönlichkeit aus dem Entwicklungsstand der Tätigkei170

ten und ihrer Motive. (Das "Niveau" der Tätigkeits-/Motive-Entwicklung wiederum läßt sich beurteilen entlang den "Entwicklungspotentialitäten menschlicher Natur" (s. dazu Punkte 3.1 und 4.1), Potentialitäten, die bei uns leider oft nur sehr reduziert zur Verwirklichung gelangen können.) In dieser -wennzwar r i c h t i g e n - Bestimmung geht allerdings die wirkliche, konkrete, sich selbst erlebende Persönlichkeit gleich wieder unter, soll heißen: sie wird so noch nicht explizit auch als Subjekt des Psychischen (und) des Bewußtseins beschrieben. In der Konzentration nur auf die T ä t i g k e i t s m o t i v e Entwicklung scheint die psychische, Bewußtseins-/Erkenntnisentwicklung, die doch zweifellos auch das "Niveau" der Persönlichkeitsentwicklung c h a r a k t e r i s i e r t , außen vor zu bleiben. Solche verengende Sichtweise muß überwunden werden. Aber auf der anderen Seite muß auch vermieden werden, in die Sackgasse der Kritischen Psychologie zu g e r a t e n , die den Endpunkt beim "begreifenden Erkennen" setzt und damit gew isser maßen bei der 'Aufklärung' stehenbleibt (z.B. HOLZKAMP 1973; KAPPELER u.a. 1977). Auf alle Fälle ist die Aufgabe gestellt, auch die Bewußtseins-/Erkenntnisentwicklung in die Persönlichkeitstheorie zu integrieren. Denn: Der Mensch macht seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtseins. Er hat bewußte Lebenstätigkeit ... Die bewußte Lebenstätigkeit unterscheidet den Menschen unmittelbar von der tierischen Lebenstätigkeit (s. MARX in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten). Reflexivität/Reflexionsfähigkeit/die Fähigkeit, sich reflexiv zu sich selbst zu verhalten, stellen also wesentliche Kennzeichen des 'spezifisch menschlichen' Entwicklungsniveaus dar (s.a. OTTOMEYER 1977a, b, 1980a, b). Tätigkeit und Bewußtsein sind zwei Seiten desselben Prozesses, wobei allerdings die Tätigkeit das Primäre ist (vgl. Punkt 3.2.1). Gleiches gilt auch für das Selbstbewußtsein, es "konstituiert nicht die Persönlichkeit. Es ist selbst das Produkt und auf einer gewissen Etappe auch der 'Mechanismus' ihrer Entwicklung" (LEONTJEW 1977, 77). Somit wird die (Selbst-)Bewußtseins-/Erkenntnisentwicklung durch die Tätigkeitsentwicklung bewirkt und umgekehrt vermittelt und reguliert das Bewußtsein die lebendige Aktivität, beziehungsweise: das menschliche Subjekt reguliert sein weiteres Handeln via Reflexion. Die "Topologie" der Persönlichkeitsentwicklung muß also auch eine "Topologie" der Erkenntnisentwicklung enthalten. Persönlichkeitsentwicklung als Tätigkeitsentwicklung ist entlang den 3 Prozeßebenen der lebendigen Aktivität zu differenzieren (s. Kap. 5 und Punkt 6.3): Als gnostische Entwicklung des weiteren kann sie -diesen Prozeßebenen entsprechend« nach drei Reflexionsstufen differenziert werden. Von Arne RAEITHEL (1981) wurde -wennzwar aus anderer Fragestellung heraus- ein Stufenmodell dreier Reflexions modi entwickelt, das meinen eigenen Überlegungen zur Erkenntnisentwicklung sehr entgegenkam. RAEITHEL postuliert eine notwendige Stufenfolge folgender Reflexionsmodi: Urzentrierung (UR) - Dezentrierung (DE) - Rezentrierung (RE). Diese entwickiungsnotwendige Abfolge führt -so die Theorie- zu adäquater Subjekt-Selbsterkenntnis, welche ihrerseits als 'Mechanismus' einer entwickelteren/entfalteteren Lebenspraxis im Sinne erweiterter sozialer Reproduktion zu konzeptualisieren i s t . Die nachfolgende Beschreibung der drei Reflexionsmodi erfolgt in Anlehnung an RAEITHEL (aaO, Kap. 3). URZENTRIERUNG: Aus der Sicht des reflektierenden Subjekts erfolgt die Reflexion "auf das 'anschaulich', in der gedanklichen Repräsentation Gegebene" (143). Das Subjekt "blickt aus seiner (kv) Tätigkeit auf die 171

Struktur der erscheinenden Wirklichkeit" (ebd). Das urzentrierte Subjekt bleibt "gefangen in den Grenzen seiner r e p r ä s e n t a t i o n a l e n B e g r i f f e " (143), da es "nicht auch seine eigene Tätigkeit im Verhältnis zum Gegenstand reflektiert" (ebd). Mit anderen Worten: Der Beitrag der eigenen Aktivität zu den erscheinenden gegenständlichen Verhältnissen (zur 'auftretenden Umweltsituation') wird nicht erfaßt/nicht erkannt/nicht r e f l e k t i e r t . Das Subjekt hält sich deshalb "entweder für ohnmächtig oder für allmächtig" (ebd). Ohnmachts- und/oder Allmachtsgefühle sind zwei Erscheinungsweisen derselben gnostischen Struktur (vgl. unten). Von RAEITHEL wird dieser Reflexionsmodus als "repräsentational" bezeichnet. (Vgl. das "anschauliche Denken" bei HOLZKAMP 1973). DEZENTRIERUNG: Reflexion des Verhältnisses des eigenen Handelns zum Gegenstandsprozeß, wobei auch das Arbeits-/Handlungs-Mittel zum Gegenstand der Reflexion wird. Mit anderen Worten: Das Subjekt reflektiert den eigenen aktiven 'Beitrag' zur auftretenden 'Umweltsituation', das eigene und allgemeine herstellende, gestaltende, verändernde Eingreifen in die gegenständliche Welt. Die Denktätigkeit des Subjekts ist hier auf die Erreichung eines Ziels k o n z e n t r i e r t (linear-produktiv). Sinn und Zweck einer Zielsetzung (-deren Konstituierung und Reproduktion vom 'oberen Kontext' her-) ist aber nicht Gegenstand der Reflexion. (Vielmehr wird der obere Zweck einer Zielsetzung wie der gesamten Handlung als gegeben angenommen und vorausges e t z t ; "die Reproduktion dieses Zwecks bleibt damit noch außerhalb der ... Reflexion" (143). Von RAEITHEL wird dieser Reflexionsmodus als "operativ" bezeichnet. (Vgl. das "problemlösende Denken" bei HOLZKAMP 1973). REZENTRIERUNG: Das Subjekt v e r s u c h t , seinen Arbeitsprozeß bzw. seine Handlungen "im Zusammenhang mit der Reproduktion des Gemeinwesens zu reflektieren" (143/144). Rezentrierte Reflexion ist danach Reflexion des eigenen Handelns im Zusammenhang mit der Realisation und Reproduktion sozial-kooperativer Beziehungsstrukturen/gesellschaftlicher Verhältnisse in Subjekt-Subjekt-Verkehrsformen. In Abhebung zur dezentrierten Position handelt es sich hier wiederum -wie in der ur zentrierten Position- um eine subjekt-zentrierte Erkennensweise, jedoch diesmal denkt sich das Subjekt "als Subjekt der Praxis des Gemeinwesens. Dadurch kann es nicht nur repräsentational und o p e r a t i v , sondern auch perspektivisch r e f l e k t i e r e n " (144). Das Subjekt vermag sich als Teil eines überpersonalen, kooperativ-sozialen Subjekt-Systems zu verstehen, sich als gesells c h a f t l i c h e s Subjekt zu denken., und damit auch seine je spezifische soziale Existenz-/Bewegungsform im N e t z der g e s e l l s c h a f t l i c h e n Beziehungen zu erkennen (vgl. unten). Von RAEITHEL wird dieser Reflexionsmodus als "perspektivisch" bezeichnet. Im "begreifenden Erkennen" (vgl. m.E. HOLZKAMP 1973) 3 ) wird die Einsicht erreicht, daß die eigenen Handlungen/Arbeiten in einen umfassenden, m a t e riell-sozialen Tätigkeiten-/Praxis-/Zusammenhang eingebettet sind; das Subjekt "kann erkennen, daß die Entwicklungsrichtung des g e s a m t e n Gemeinwesens durch es selbst mitbestimmt werden kann..." (144). Bezogen auf die Persönlichkeitsentwicklung b e s t e h t nun das Wesentlichste darin, daß sich das personale Subjekt seiner sinnbildenden Tätigkeitsmotive (der Leitmotive seiner Tätigkeiten) nur in rezentrierter Reflexion, also nur in 172

der Selbst-Reflexion, in der sich das personale Subjekt als Teil eines 'überpersonalen' Subjekt-Systems versteht, bewußt werden kann. Und erst auf dieser Reflexionsstufe ist ihm eine bewußte Wahl seiner eigenen (Lebens-)Perspektive möglich, kann es sich bewußt für oder gegen eine b e s t i m m t e Sozialform entscheiden. Es geht nicht mehr nur um die Verfolgung einmal gesetzter Handlungsziele, es geht vielmehr um deren Hinter fragung hinsichtlich ihres persönlichen Sinns bzw. des objektiven Zweckes, dem sie dienen. Der Begriff des Sinns wird von mir auf das personale Subjekt, dessen Persönlichkeit, bezogen verwendet, während mit dem Begriff des Zwecks auf das 'überpersonale', gesellschaftlich-soziale Subjekt-System abgehoben wird (Sinn für die Persönlichkeit/Person-Reproduktion, Zweck für die Reproduktion des Gemeinwesens bzw. kleinerer sozialer Einheiten). Sinn und Zweck eines bestimmten Prozesses gehen ineinander über bzw. auseinander hervor, müssen aber nicht direkt deckungsgleich sein. Reflexion von Sinn und Zweck der Zielsetzungen eigenen Handelns ist also nur in der Rezentrierung möglich. Somit besteht erst auf dieser R e f l e x i o n s s t u f e bewußte Entscheidungsmöglichkeit für einen bestimmten Sinn und Zweck, damit verbunden für eine b e s t i m m t e soziale Existenz-/Bewegungsform im gesellschaftlichen Lebensprozeß bzw. in verschiedenen Lebensbereichen des konkreten Alltags. Erst in der Rezentrierung ist "bewußte Subjektivität" e r r e i c h t ; diese ist auch das Ziel therapeutischer Selbsterkenntnis (vgl. GLEISS 1980, HASELMANN 1982, 1983). Deshalb ist diese Reflexionsstufe anzustreben; sie muß sowohl in der wissenschaftlichen Analyse erfaßt und beschrieben als auch in der psychologischen Praxis erreicht und durchschritten werden. Das Verbleiben im Modus der Urzentrierung oder der Dezentrierung bedeutet angesichts je bestimmter Probleme eine spezifische Beschränkung der Erkenntnisweise, eine Beschränkung des Bewußtseins, der Selbst-Erkenntnis, des Selbst-Bewußtseins. Andererseits sind aber urzentrierte und d e z e n t r i e r t e Reflexion keineswegs 'an und für sich' beschränkt, vielmehr entwicklungsnotwendige Erkenntnisstufen und unangemessen nur, wenn die Problemlage entwicklungsnot-wendig einen qualitativen Sprung in der Reflexionstätigkeit erfordert hätte. "Unangemessen ist das Verbleiben im Modus des anschaulichen, urzentrierten Erkennens, wenn das Problem im Verhältnis von Tätigkeit und Gegenstandsprozeß zu suchen wäre, und ebenso ist das Verbleiben im Modus des d e z e n t r i e r t e n Problemlösens dann unangemessen, wenn nicht einfach vom gegebenen Zweck (Ziel; S.H.) zur Planung seiner Ausführung übergegangen werden kann, sondern der Zweck (das Ziel; S.H.) selbst zu rechtfertigen, eine Wahl der Perspektive zu treffen ist" (RAEITHEL 1981, 145). Wenn allerdings der notwendige qualitative Reflexionssprung nicht gelingt, besteht die Beschränkung nicht allein in der verengten und unangemessenen Erkenntnis weise als solcher, sondern des weiteren darin, daß das aktuelle und künftige Handeln so nicht i.S. erweiterter Reproduktion reguliert werden kann, somit Weiterentwicklung auch praktisch blockiert ist. Beschränkte Erkenntnisweise, ungenügende Subjekt-Selbsterkenntnis ist Resultat und eben auch 'Mechanismus' einer beschränkten Lebenspraxis. Demgegenüber fungiert die durch einen qualitativen Sprung in die nächsthöhere Reflexionsstufe erzielte adäquat e r e Subjekt-Selbsterkenntnis als 'Mechanismus' einer entwickelteren/entfalteteren Lebenspraxis.

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Es wird hier eine Differenzierung und Klärung des Konzepts des Selbstbewußtseins erforderlich, dem ja gerade in der Klinischen Psychologie (zum Teil mit Schwerpunkt auf das sog. "Selbstbild"-Konzept der "Humanistischen Psychologie") ein wichtiger Stellenwert eingeräumt wird. Bei OTTOMEYER, der als materialistischer Psychologe -u.a. in Auseinandersetzung mit der Kritischen Psychologie (z.B. 1977b, 1980b)- besonders auch die Untersuchung solcher spezifisch menschlicher 'Phänomene' wie R e f l e x i v i t ä t , Identität und Selbstbewußtsein akzentuiert, findet man (s. z.B. 1980a) u.a. eine - z u n ä c h s t verwirrende- Zusammennennung bzw. Gleichsetzung der Begriffe Selbstbewußtsein und Selbstgefühl, so daß beide austauschbar scheinen. Mit dieser von OTTOMEYER nicht näher erläuterten Verbindung ist aber impliz i e r t , daß Erkennens- und emotionaler (gefühlsmäßiger) Erlebensprozeß nicht zwei völlig getrennte Prozesse sind. Genau diese These liegt auch dem Erlebensprozeßmodell von BENSE (1981) zugrunde (vgl. Punkt 4.4) und ist auch aus der Sicht der Tätigkeitspsychologie gültig. Indes: wenn zwar Erkennen und Erleben nicht zwei völlig getrennte Prozesse darstellen, so sind sie aber doch als verschiedene Stufen des einen Prozesses zu konzeptualisieren (vgl. wiederum mit dem BENSE-Modell). Der Unterschied b e s t e h t gewissermaßen im Grad der bewußten Erkenntnis/der begrifflichen (Er-)Fassung des Erlebnisgegenstandes. Im Falle des Selbsterlebens nun ist der Gegenstand des Erlebens das Subjekt selbst . Selbstbewußtsein ist dann nichts anderes, als daß sich das Subjekt selbst als besonderes menschliches Einzelwesen erkennt; zunächst in dem Sinne, daß es Wissen von/über sich selbst erwirbt. Dabei ist der Gegenstand des Erlebens (der also das Subjekt selbst, ein eigenes Merkmal oder einen eigenen Zustand d a r s t e l l t ) begrifflich, bedeutungsmäßig faßbar, damit "erkannt", bewußt. Voraussetzung dieser Art Selbstbewußtsein ist die menschliche Fähigkeit, sich r e f l e x i v zu sich selbst zu v e r h a l t e n , sich in seiner (kv) Tätigkeit auf sich selbst als Gegenstand zu beziehen (vgl. OTTOMEYER 1980a, 162). Diese Fähigkeit allerdings muß sich beim Individuum in dessen menschlichem Lebensprozeß erst herausbilden und e n t w i c k e l n . Das noch nicht zielbewußt handelnde kleine Kind ist auch noch nicht in der Lage, sich bewußt auf sich selbst als Gegenstand zu beziehen, "besitzt" in diesem Sinne also noch kein Selbstbewußtsein. Gleichwohl wird es schon ein Selbstgefühl haben, also in seinem emotionalen Erleben in der Umweltauseinandersetzung auch sich selbst als besonderes Individuum (die eigenen Besonderheiten etc.) erleben/erfahren, ohne indes schon zu einer begrifflichen/bewußten Erfassung dieses Erlebnisgegenstandes imstande zu sein. Gemäß OTTOMEYER (aaO) e r f o l g t die Bildung des Selbstbewußtseins über einen doppelten Weg, nämlich sowohl über den "produktiv-sachlichen Gegenstandsbezug" als auch über den "zwischenmenschlichen Bezug". Selbst-Reflexivität ist dabei konzeptualisiert als die Fähigkeit des menschlichen Subjekts, sich widerspiegelnd auf sich selbst durch andere(s) zu beziehen. Dies geschieht in Prozessen der Selbstobjektivierung, die das Subjekt seiner selbst bewußt machen, in dem Sinne, daß es Wissen von/über sich selbst erwirbt (Erkenntnis von 'Eigenschaften' der eigenen Individualität). Nach OTTOMEYER wird die Selbstobjektivierung realisiert einerseits durch die Vergegenständlichung meiner Fähigkeiten im sachlich-gegenständlichen Produkt sowie andererseits durch den Nachvollzug und die Antizipation der Perspektiven anderer Menschen auf mich (zwischenmenschliche "Perspektivenverschränkung").

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Über Prozesse der Selbstobjektivierung wird sich das Subjekt seiner eigenen Individualität bewußt, denn diese Prozesse bringen auch ein "feedback" für das Subjekt, ein " f e e d b a c k " (seiner eigenen Interessen, Fähigkeiten, Neigungen etc.) sowohl vom hergestellten sachlichen Produkt wie auch vom anderen Individuum, mit dem das Subjekt im interaktiven Handeln in direkten Kontakt tritt. Im sachlichen Produkt, das es herstellt, und im anderen Menschen, den es im direkten kommunikativ-interaktiven Handeln beeinflußt (verändert), tritt das Subjekt gewissermaßen sich selbst gegenüber (Objektdistanz gegenüber sich selbst) und erwirbt dabei Wissen von/(Er-)Kenntnisse über sich selbst, also ein Bewußtsein der eigenen Fähigkeiten, Vorlieben, Werte, Gewohnheiten e t c . , allgemein: Erkenntnis der eigenen "Eigenschaften", Besonderheiten. Die Bildung dieser Art Selbstbewußtsein -Reflexivität als Beziehung auf sich selbst durch andere(s)- e r f o l g t gewissermalien auf der Basis von Prozessen der Selbst-Distanzierung bzw. setzt im Sinne PIAGETs (1971) eine " D e z e n t r i e r u n g " der ursprünglich "egozentrischen" kindlichen Perspektive voraus, erfordert diese (und ist in der sozialen Interaktion verbunden mit der Fähigkeit zu wechselseitiger Perspektiven übernah me und -anti zi pat ion, vgl. OTTOMEYER 1980a). Damit dürften inzwischen die Bezüge zu den Reflexionsmodi der Ur- und Dezentrierung deutlich geworden sein: Das ursprünglich subjektzentrierte (m.E. "egozentrische") gefühlsmäßige Selbsterleben gehört zum urzentrierten R e f l e xionsmodus. In diesem Modus wird sich das Subjekt seiner individuellen Besonderheiten (Fähigkeiten etc.) nicht bewußt, kann nicht bewußt über sich selbst als personales Subjekt reflektieren. Selbstbewußtsein i.S. der (Er-)Kenntnis eigener Besonderheiten, "Eigenschaften", Fähigkeiten, Interessen, Einstellungen e t c . und des eigenen Verhaltens/Handelns ist bereits ein Merkmal dezentrierter Reflexion, erfordert die dezentrierte Reflexionsstufe.^ Der Modus der Rezentrierung indessen ist davon noch nicht beansprucht. Aber erst in rezentrierter Reflexion -auf der höchsten Reflexionsstufe- gelangt das Subjekt nicht nur zur Erkenntnis seiner Individualität und zur Erkenntnis seiner selbst als personales Subjekt, sondern zur bewußten Erkenntnis seiner Persönlichkeit (vgl. vorne die Unterscheidung von personaler Subjekt- und Persönlichkeitsentwicklung), also zur Erkenntnis seiner je besonderen Sozialform, damit zur bewußten Erfassung seiner (Leit-)Motive und der hierarchischen Verbindungen seiner Tätigkeiten/seiner Motive-(Bedürfnisse-)Hierarchien. Im rezent r i e r t e n Reflexionsmodus wird somit ein neues, "höheres" Niveau von SelbstBewußtsein e r r e i c h t und nur auf dieses wird hier mit dem Schlagwort "bewußte S u b j e k t i v i t ä t " Bezug genommen. Auf dieser S t u f e vermag sich das Subjekt von 'innen her1 und von 'außen her' zugleich zu fühlen/er leben und zu reflektieren/erkennen. Aus t ä t i g k e i t s t h e o r e t i s c h e r Sicht impliziert somit die Unterscheidung von dezentriertem und rezentriertem Modus die Unterscheidung zweier Arten bzw. Niveaus von Selbstbewußtsein, nämlich als 1. Wissen von/über sich selbst, d.h. Bewußtsein des eigenen Aussehens, und anderer individueller Besonderheiten; der eigenen Fähigkeiten (Kompetenzen), Neigungen, Interessen, "Werte", Einstellungen etc. wie des eigenen Verhaltens und Handelns (-hier ist das Konzept der Identitätsbildung von OTTOMEYER (1980a) einzuordnen-) und als 2. Selbst-Bewußtsein i.S. von "bewußter Subjektivität", d.h. nicht bloß Erkenntnis dieser oder jener Eigenschaften der eigenen Individualität, sondern 175

Bewußtsein der eigenen 'Lage' im System der gesellschaftlichen/sozialen Beziehungen; Bewußtsein des eigenen "Ich", welches im Sein des Menschen l i e g t , im System der Wechselbeziehungen des Subjekts in der Gesellschaft integriert ist (vgl. LEONTJEW 1977, 103ff; 19S2, 215ff); Erkenntnis der eigenen Persönlichkeit/der eigenen sozialen Existenz-/Bewegungsform (s.a. HASELMANN 1983). Wie schon in Kapitel 5 (Punkt 5A) ausgeführt, besteht das individuelle Ideelle "nicht nur aus Kenntnissen, es ist kein bloßes System e r w o r bener Bedeutungen und Begriffe" (LEONTJEW 1982, 215). Dem individuellen Ideellen "ist eine innere Bewegung zu eigen, die die Bewegung vom realen Leben des Subjekts widerspiegelt" (ebd)... "Nicht anders verhält es sich, wenn E i g e n s c h a f t e n , Merkmale, Handlungen oder Zustände des Subjekts selbst Bewußtseinsobjekte sind. Auch hier muß man Wissen über sich und Bewußtwerden seiner selbst unterscheiden" (dto, 216). Letzteres, also "Selbst-Bewußtsein, (als) das Bewußtwerden seines 'Ich' ... ist das Ergebnis, das Produkt der Entwicklung des Menschen als Persönlichkeit" (ebd). Jenes "geheimnisvolle 'Persönlichkeitszentrum 1 , das wir 'Ich' nennen ... liegt nicht im Individuum, nicht unter seiner Haut, sondern in seinem Sein" (dto, 217). (Vgl. dazu m.e. SEVE (1972) zur "Außermittigkeit" des menschlichen Wesens, der Persönlichkeit.) Das OTTOMEYER'sche Konzept der Identitätsbildung nimmt demgegenüber im Rahmen des hier ausgearbeiteten Ansatzes einen nur "nachgeordneten" Stellenwert ein, da darin Bewußtsein zwar der eigenen Individualität, aber nicht der Persönlichkeit thematisiert ist. Die Akzentuierung der "zwischenmenschlichen Interaktion" in der Selbst be wußtseinsbildung (der von OTTOMEYER die t r i a dische Struktur: Individuum(l)-Produkt-Individuum(2) zugrundegelegt wird; s. 1980a, 163) darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sein Konzept doch nur den 'Bereich' der Auseinandersetzung des Subjekts mit seiner gegenständlichen Welt, -insofern als diese auch andere Menschen und deren Handlungen, Haltungen, Einstellungen, Sichtweisen e t c . umfaßt-, einbezieht. Das je andere Individuum ist in dem von OTTOMEYER anvisierten "zwischenmenschlichen Interaktionsprozeß" als Handlungspartner 'Gegenstand' der Tätigkeit des Subjekts. Seine Analyse bleibt also auf den Subjekt-'Natur'-Austausch beschränkt ('Natur' umfaßt auch andere Menschen und das Subjekt selbst), unter Vernachlässigung der zyklischen, sozial-reproduktiven 'Sphäre' (der m a t e r i e l l - s o z i a l e n Verhältnisse und Verkehrsformen). Die Tatsache der sozialen Reproduktion wird von OTTOMEYER nicht hinreichend berücksichtigt. In einem anderen Text allerdings (1980b in FKP 7) schlägt er -in Anlehnung an eine Diplomarbeit (von W.-D. KRAMM 1980)- gemäß den drei HOLZKAMP'schen Stufen des Erkennens drei "entsprechende Stufen von Selbsterkenntnis" (dto, 183) vor. Die "dritte Stufe von Reflexivität" (der "begreifenden Selbsterkenntnis") kommt dann auch dem hier im Reflexionsmodus der Rezentrierung konzipierten Selbst-Bewußtsein i.S. "bewußter Subjektivität" sehr nahe. Diese d r i t t e S t u f e ist nämlich dadurch gekennzeichnet, daß das Individuum 1. "die eigene gesellschaftliche Vermitteltheit (in den aktuellen Bezügen und in der historisch-biographischen Dimension) reflektiert" (183), sich 2. die "sachlichgegenständlichen und sozialen Kompetenzen" aneignet, "die zur ... Überwindung des A u s g e l i e f e r t s e i n s an die ... Verhältnisse erforderlich sind" (ebd), also: "Erwerb, Anwendung und Vergegenständlichung realer Kompetenzen" (184) und 3. einen "selbstbewußten Zukunftsentwurf" (183) einbringt. 176

Das "Niveau" der Persönlichkeitsentwickiung bestimmt sich nun also über zweierlei Verhältnisse: einmal über den Entwicklungsstand der Tätigkeiten und ihrer Motive (Verhältnis von erreichtem und -potentiell- möglichem Entwicklungsstand), zum anderen über den 'Bewußtseinsstand 1 als Ausmaß "bewußter Subjektivität" (Verhältnis von erreichter Person-Selbsterkenntnis zu -potentiellmöglicher und zur für das Subjekt u.U. entwicklungsnot-wendigen). Es ergibt sich hier das Problem, daß eine Person in rezentrierter Reflexion zu adäquater Erkenntnis ihrer selbst (ihrer Sozialform in je b e s t i m m t e m Tätigkeitsfeld) gelangen mag, ohne indes willens und/oder in der Lage zu sein, ihre bisherige Sozialform über die Bildung neuer sinnbildender Motive (Umstrukturierung der Motive/Bedürfnisse-Hierarchie) faktisch zu ändern. Die Veränderung kann dann ja nur erfolgen, wenn 1. das Subjekt über die Erkenntnis seiner bisherigen, sagen wir "problematischen", Sozialform -in theoretischer Tätigkeit auf der Stufe der rezentrierten Reflexion- zur Entscheidung f ü r eine neue " a l t e r n a t i v e " Sozialform, zur Abwägung und Wahl einer neuen (Lebens-)Perspektive kommt und wenn des weiteren 2. die neu gewählte Perspektive in der p r a k t i s c h - r e a l i s i e r t e n t ä t i g e n Umweltauseinandersetzung und in der Beziehung/im Verkehr mit anderen Menschen auch t a t s ä c h l i c h u m g e s e t z t werden kann. Für das Stufenmodell der Reflexion heißt dies, daß es mit der aufsteigenden Folge von der Ur-, über die De- zur R e z e n t r i e r u n g noch nicht getan i s t . Vielmehr muß die Stufenfolge (UR-DE-RE) nach oben und wieder zurück (RE'DE'-UR') nach unten durchschritten werden. Dies e n t s p r i c h t der Konzeption von RAEITHEL, der somit ein Treppenmodell vorschlägt (s. Abbildung 8, demgemäß man nicht beim "begreifenden Erkennen" (auf der obersten Treppens t u f e ) quasi 'stehenbleiben' kann. Mit der Erkenntnis allein ist die Tätigkeit noch nicht geändert. Die im rezentrierten Reflexionsmodus je bewußt gewählte (neue) Perspektive (RE') wird erst durch die Rückkehr über die d e z e n t r i e r t e (DE') zur urzentrierten Stufe (UR') wieder zur Selbstverständlichkeit der Subjekt-Selbstentäußerung, zum "selbstverständlich-gekonnten Können". ABBILDUNG 8: Treppenmodell der Reflexionsstufen

RE Tätigkeits1 ebene 1 Handlungs' ebene 1 Operationen1 ebene 1

RE1

J>E

HR

JÜR 1

In der "Rezentrierung in das höhere Subjekt ist das r e f l e k t i e r e n d e Subjekt noch nicht wirklich in sich zentriert, es befindet sich vielmehr in einer Phase der theoretischen Tätigkeit und muß die Ergebnisse seiner reflexiven Anstrengungen, das p r o d u z i e r t e Wissen, wieder dorthin zurückbringen, wo es seinen Ausgang nahm: in die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand seiner praktisch realisierenden T ä t i g k e i t . Aus der ReZentrierungsposition ist zwar die Wahl 177

eines Zwecks ... möglich, aber diese Wahl heißt noch nicht, daß die operativen Möglichkeiten bereits gegeben sind. Deshalb muß das Subjekt einen w e i t e r e n Schritt tun und erneut dezentrieren, um seine Arbeit (Handlungen; S.H.) vorauszuplanen. Dieser Plan muß sodann vom Subjekt zum regulativen Kern seiner Tätigkeit (und seiner Operationen; S.H.) g e m a c h t werden; ein Schritt der Rückkehr in die Urzentrierung wird nötig sein, durch den das Wissen, das im Plan operativ gemacht wurde, in Können des Subjekts transformiert wird. Dieses Können wird die Konzentration der Aufmerksamkeit des Subjekts allein auf den Prozeß der erscheinenden Wirklichkeit des Gegenstandes erlauben ..." (RAEITHEL A AO, 144). Eine Person wird also dann nicht in der Lage sein, die neu gewählte Perspektive zu realisieren, wenn die für die neue Sozialform erforderlichen operativen Möglichkeiten (die Handlungs-mittel) fehlen bzw. nicht adäquat verfügbar sind, mit anderen Worten: wenn die für die neue Tätigkeitsrealisierung/neue Motivbildung bzw. die für den Aufbau der neuen Sozialform erforderlichen "Kompetenzen" beim personalen Subjekt nicht oder nicht genügend ausgebildet sind. In der therapeutischen Praxis wären in dieser (Rückkehr-)Phase m.E. handlungstheoretisch-fundierte sog. "Kompetenztrainings" angebracht, denn es geht hier um adäquates Planen, erprobendes Üben und übendes Realisieren der neuen Handlungsschritte als Mittel der Realisierung der je a n g e s t r e b t e n " a l t e r n a t i ven" Sozialform. Etwas 'grundsätzlicher 1 (und offensichtlicher in den objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen gegründet) ist der a n d e r e Fall, daß eine Person deshalb außerstande ist, ihre neu gewählte Perspektive einer entwicklungspositiven Sozialform zu realisieren, weil sie die f ü r die Verwirklichung a l t e r n a t i v e r Sozialverhältnisse im zwischenmenschlichen Verkehr erforderlichen anderen Menschen (bzw. Gemeinschaft von Menschen) nicht finden oder organisieren kann. (Weiteres s. Kap. 7) Hiermit wurde zum obigen 2. Punkt (praktische Umsetzung der theoretisch gewählten Perspektive) Aussage getroffen. Eine andere Sache ist es (s. oben: 1. Punkt), wenn die Person wirklich nicht willens ist, ihre bisherige Sozialform zu ändern, sich also -dies ist nur in r e z e n t r i e r t e r Reflexion möglich- bewußt für sie entscheidet, wenngleich sie entwicklungshinderlich, antagonistisch ist und das Subjekt diesen Antagonismus auch erkennt. So kann der Umstand e i n t r e t e n , daß eine Person in bewußter Subjektivität entgegen der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur' ihre antagonistische Sozialform realisiert und erhaltend reproduziert. Daß die Person "nicht willens" ist sich zu verändern, bedeutet u.a., daß sie nicht die " K r a f t " dazu aufbringen kann; denn der Veränderungsentschluß b e d e u t e t auch einen Entschluß, "ins Ungewisse" (in eine ungewisse soziale Existenzform) zu "springen". Zwar ist die neue Sozialform theoretisch global antizipier bar, aber in ihrer konkreten alltäglichen Wirklichkeit bleibt sie dem Subjekt ungewiß. Entscheidet sich eine Person in rezentrierter Reflexion bewußt für ihre alte "problematische" Sozialform, so liegt der Grund u.U. darin, daß das ihre Sozialform bestimmende 'Leitmotiv' einen sehr starren Charakter hat, und in sehr vielen Lebensbereichen/Tätigkeitsfeldern d o m i n i e r t , das Subjekt sich deshalb für seinen realen Alltag gar keine alternative Sozialform denken/vorstellen kann, geschweige denn erproben will. Ein anderer Grund b e s t e h t o f t darin, daß das Subjekt das 'Wagnis* nicht eingehen will, weil es nicht erwarten kann, mit der neuen Sozialform im Falle ihres Scheiterns in seiner konkreten 178

sozialen Umwelt 'aufgefangen* zu werden, weil es keine genügend kooperativunterstützende 'Absicherung1 erwarten kann. (Weiteres s. Kap. 7) Um die hier lediglich umrissene Konzeption von bewußter Subjektivität noch mehr für klinisch-psychologische Zwecke fruchtbar machen zu können, ist des weiteren zumindest die folgende Differenzierung zu beachten: Der Konzipierung der rezentrierten Reflexionsstufe gemäß kann in bewußter S u b j e k t i v i t ä t e r s t e n s durch die Erkenntnis der bisher immer realisierten (dominierenden) Tätigkeitsmotive bzw. der bedeutsamen Sozialform (Persönlichkeitserkenntnis) eine Art Vergangenheitsbewältigung erreicht werden (wie dies m.E. auch in der Psychoanalyse durch das Aufdecken frühkindlicher K o n f l i k t p o t e n t i a l e o . a . m . a n g e s t r e b t wird). Dies entspricht dem RE der ReZentrierung. Darüber hinaus beinhaltet das RE' der R e z e n t r i e r u n g aber auch zweitens die Wahl einer zukünftigen Perspektive in bewußter Subjektivität, also einen Z u k u n f t s entwurf einer neuen bzw. ' a l t e r n a t i v e n ' , womöglich entwicklungspositiven, Sozialform. Demnach umschließt die Dimension der bewußten S u b j e k t i v i t ä t nicht lediglich die Subjekt-Selbsterkenntnis des historisch Gewordenen, sondern umschließt auch die Subjekt-Selbsterkenntnis des potentiell künftig Werdenden, - ein Aspekt, der gewiß auch jenseits der Klinischen Psychologie von Bedeutung ist. Und 'Basis' der Konzeptualisierung einer -das Problem der Vergangenheitsbewältigung einbeziehenden und gleichzeitig überschreitenden-zukunftsweisenden Perspektiven-Sicht, die es etwa unter therapeutischen Gesichtspunkten w e i t e r z u e n t w i c k e l n und zu konkretisieren gilt, ist -darauf sei hier nochmals hingewiesen- die materialistische Entwicklungslehre und marxistische Anthropologie, wie in Kapitel 3 dargestellt. Die Reflexionsmodi müssen im Verlaufe der Ontogenese erst erworben werden. Dies erfolgt von der Kindheit bis zum Jugendalter zunächst in drei Phasen der Person-Entwicklung gemäß der immer mehr erweiterten Tätigkeitsentwicklung des Subjekts. Dem ontogenetischen Erwerb der Reflexionsmöglichkeiten als Resultate und 'Mechanismen' der erweiterten Umweltauseinandersetzung (immer mit jeweiliger Rückkehr zum bereits erworbenen/"gekonnten" Reflexionsmodus) folgt in der weiteren Entwicklung des Erwachsenen das permanente Durchlaufen der Abfolge UR-DE-RE nach oben und wieder zurück nach unten (RE'-DE'UR'). Solches fortlaufende Durchschreiten der gesamten Reflexionsfigur ist indes nur bei u n b e e i n t r ä c h t i g t e r ("gesunder") Persönlichkeitsentwicklung der Fall. Es ist i.d.R. Kennzeichen der Weiterentwicklung i.S. der Höherentwicklung, c h a r a k t e r i s t i s c h e s Merkmal der Progression (Erweiterung der Tätigkeiten/Tätigkeitsarten, Ausdehnung der Umweltkontrolle) gemäß der 'Entfaltungslogik menschlicher N a t u r ' . Demgegenüber ist im Falle beeinträchtigter ("reduzierter" ) Persönlichkeitsentwicklung die Stagnation der Entwicklung (= Beschränkung der Tätigkeitsarten, die realisiert werden, Beschränkung der Tätigkeitsfelder, die 'betreten' werden, damit auch Beschränkung der Handlungs-/ Kooperations-/möglichkeiten zur Umweltkontrolle) i.d.R. durch eine Beschränkung der Erkenntnisweise gekennzeichnet, etwa durch das Verbleiben auf der Stufe des bloß problemlösenden Erkennens (im Modus der de zentrierten Reflexion) entgegen der je aktuellen Entwicklungsnotwendigkeit zum q u a l i t a t i v e n Sprung in die Rezentrierung. Beeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung geht somit mit einer Verflachung bzw. einer Verkürzung des Durchlaufens der Reflexionsfigur einher. Angesichts von Krisen, die durch die Gefährdung bzw. das Scheitern der bisher realisierten Sozialform bewirkt sind, ist das Verblei179

ben im d e z e n t r i e r t e n Modus (auf der Stufe der "bloßen Problemlösung"; vgl. Punkt 7.2.2) charakteristisches Merkmal erhaltender sozialer Reproduktion in dem Sinne, daß (in je bestimmten Bereichen der Lebenspraxis, je bestimmten Tätigkeitsfeldern) immer dieselben sozial-kooperativen Verhältnisse r e a l i s i e r t werden (—Sich-Festhalten auf einem bestimmten Entwicklungsniveau). Und die Regression in der Entwicklung (-Zurückfallen auf ein niedrigeres Niveau der Handlungs-/Kooperationsfähigkeit zur Umweltkontrolle, u.U. einhergehend mit Symptombildung-) steht in Verbindung mit dem Zurückfallen in den urzentrierten Reflexionsmodus angesichts einer Krise, die entwicklungsnot-wendig die Rezentrierung erfordert hätte. Weiter vorne wurde bei der Beschreibung der u r z e n t r i e r t e n Reflexion g e s a g t , daß Ohnmachts- und Allmachtsgefühle zwei Erscheinungsweisen (subjektive Erlebnisweisen) derselben gnostischen Struktur sind: das Subjekt erkennt den realen 'eigenen Anteil' nicht (mehr), sieht sich deshalb erlebnismäßig entweder erdrückt (überwältigt, überrollt) von der 'vor ihm a u f t a u c h e n d e n Wirklichkeit', dieser ausgeliefert (Ohnmacht), oder glaubt -unter Mißachtung der realen Widerständigkeit des Gegenstandsprozesses- die erscheinende Wirklichkeit als völlig beherrscht, als von den eigenen Interessen/Wünschen gestaltet und für es alleine existent (Allmachtsphantasien). In der Regression, die gnostisch (i.d.R.) durch ein Zurückfallen von mißlungener 'Problemlöse-Orientierung' in die Urzentrierung gekennzeichnet ist, büßt das Subjekt einen Großteil seiner bisherigen Handlungsfähigkeiten ein. Bei der vorgestellten -drei Modi in Aufwärts- und Abwärtsfolge um fas sen de nReflexionsfigur handelt es sich um ein Modell von aufeinanderfolgenden qualitativen Stufen der (fortlaufenden) Erkenntnistätigkeit. Dabei s t e l l t der e n t wicklungsgemäße Ubergang von der einen zur nächsthöheren Reflexionsstufe jeweils einen qualitativen Sprung dar. Und weiter vorne (s. Punkt 6.2) wurde der qualitative Entwicklungssprung explizit in den Zusammenhang einer vom personalen Subjekt erlebten (Entwicklungs- oder Orientierungs-)Krise g e s t e l l t : eine Krise veranlaßt und erfordert den qualitativen Sprung; sprunghafte Weiter-(Höher-)entwicklung e r f o l g t zumeist über Krisen. Der Uber gang in die nächsthöhere Reflexionsstufe geschieht demnach i.d.R. aus einer Notwendigkeit heraus; das bedeutet für das personale Subjekt: aufgrund b e s t i m m t e r Probleme, die "sich" ihm stellen, deren progressive Bewältigung den Übergang erforderlich macht. Ich vertrete hier (s.a. Kap. 7) die These, daß Weiterentwicklung i.S. erweiterter Reproduktion der Persönlichkeit i.d.R. (Entwicklungs- oder Orientierungs-)Krisen einschließt, deren progressive Bewältigung m.E. das Bewußtwerden der relevanten sinnbildenden Motive (Bedürfnisse) erfordert, damit zusammenhängend Selbst-Erkenntnis als gesellschaftliches Subjekt, das Sich-Selbst-Bewußtwerden als Teil eines über personalen, kooperativ-sozialen Subjekt-Systems (in dessen Verkehrsformen man selbst aktiv wirkend eingebunden ist, sie mitrealisiert), also "Rezentrierung" in das "höhere Subjekt", eine Form "begreifenden Erkennens".

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6.4.1

Zum Verhältnis der Reflexionsmodi zu den Aktivitätskategorien

Die obige Etikettierung der drei Reflexionsmodi als " r e p r ä s e n t a t i o n a l " (UR), "operativ" (DE) und "perspektivisch" (RE) kann durch weitere Charakterisierungen ergänzt werden. In u r z e n t r i e r t e r Position erscheint dem Subjekt seine eigene Aktivität als subjektives Tätigkeit sein, als Prozeß, dem es keine Beachtung schenken muß und der Gegenstandsprozeß erscheint unmittelbar in seiner Wahrnehmung als subjektiven Zwecken (Zielen, Wünschen, Bedürfnissen) entsprechender oder n i c h t - e n t s p r e c h e n d e r Resultatsstrom (vgl. RAEITHEL 1981, 153). Dabei wird der Übergang vom subjektiven Zweck (...) zum objektiven R e s u l t a t (bzw. zu den "Verhaltenskonsequenzen") nur vom Standpunkt des einzelnen Subjekts aus reflektiert; dieses bleibt gewissermaßen 'gefangen' in seiner S u b j e k t i v i t ä t . So gesehen läßt sich auf dieser S t u f e ein Mangel an Objektivität konstatieren (vgl. dto, 229). Unter therapeutischem Blickwinkel kann die Urzentrierung als vorherrschende "ICH"-Orientierung verstanden werden, die in der Vielzahl der alltäglichen "Ich"-Sätze über eigenes Verhalten zum Ausdruck kommt. In dezentrierter Position erkennt das reflektierende Subjekt, daß sein Tätigsein (sein Verhalten) in einen objektiven gegenständlichen Prozeß eingebunden i s t . Dabei erscheint ihm sein einzelnes Verhalten, die einzelne Aktivität, als Teil eines bestimmten allgemeineren produktiven Prozesses, einer b e s t i m m t e n Handlung oder der A r b e i t . Und ihm wird deutlich, daß es -unter Beachtung der objektiven Wirkungszusammenhänge des vorgeordneten Gegenstandsprozesses/der gegenständlichen Bedingungen- in der Handlung (bzw. in der Arbeit) unter Einsatz mannigfaltiger Mittel den Gegenstandsprozeß umwandelt. Wegen der Bezogenheit auf den Gegenstandsprozeß und dessen Transformationen durch die Handlung (Arbeit) und weil das Subjekt hierbei die Ergebnisse (Produkte) und die sie antizipierenden Ziele quasi von einem "Standpunkt außerhalb" betrachtet (DeZentrierung = Zentrierung vom Subjekt weg - auf den Prozeß der gegenständlichen Handlung/ Arbeit) spricht RAEITHEL auf de zentrierter Stufe von einem Defizit an Subjektivität (232). Unter t h e r a p e u t i s c h e m Blickwinkel kann die de zentrierte Reflexion als (vorherrschende) "MAN"-Orientierung verstanden werden, denn es geht um die Frage: Was tut man, wie handelt man, um dieses oder jenes Ziel zu erreichen bzw. was weiß das Subjekt darüber, wie man ein(e) bestimmte(s) Aufgabe/Problem löst und inwieweit und mit welchen Mitteln kann es das. Die Frage indes, WOZU das jeweilige Ziel eigentlich vom Subjekt erreicht werden will/soli, bleibt außer Betracht. In r e z e n t r i e r t e r Position wird die Einsicht erreicht, daß die produktiven Prozesse in einen umfassenderen materiell-sozialen KooperationsZusammenhang der g e s e l l s c h a f t l i c h e n Reproduktion eingebettet sind, daß also mit den eigenen Handlungen (der eigenen Arbeit) in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen Beziehungs/Verkehrsformen mit anderen Menschen realisiert und reproduziert werden. Im Modus der Rezentrierung in das höhere, "überpersonale" Subjekt-System wird e r k a n n t , wie mit den eigenen Handlungen bestimmte spezifische (motivbezogene) Tätigkeiten, also bestimmte sozial-kooperative Beziehungsmuster mit anderen als Teil praxis der Praxis des Gemeinwesens verwirklicht werden. Auf dieser Stufe sind die Defizite an Objektivität (UR) bzw. an Subjektivität (DE) überwunden, denn die Reproduktion der verschiedenen Subjekt-Systeme (vom Gemeinwesen als dem 'höchsten Subjekt' bis hinab zum personalen Subjekt als soziales Wesen) wird hier begriffen als zugleich objektiv bestimmt (durch die 181

je herrschenden gesellschaftlichen Verkehrsformen) und subjektiv bestimmbar (durch die eigenen Tätigkeiten/die soziale Praxis). Unter t h e r a p e u t i s c h e m Blickwinkel kann die rezentrierte Reflexion als (vorherrschende) "WIRM-Orientierung angesehen werden, weil hier die Realisierung von Tätigkeiten und ihren Motiven in Verbindung mit der Realisierung bestimmter sozial-kooperativer Beziehungsformen mit anderen Subjekten erkannt wird (vgl. Abb. 4 in Punkt 5.1). Die Rezentrierung stellt gewissermaßen eine Negation der Negation dar. Dieses Gesetz der materialistischen Dialektik charakterisiert nämlich "den Zusammenhang von drei geschichtlich aufeinander folgenden Systemen als Produkte der Entwicklung" (RUBEN 1978, 19) und besagt dabei, daß das "entstandene dritte System hinsichtlich seiner wesentlichen Qualität mit dem e r s t e n , dem Ausgangssystem der Entwicklung, in einer grundlegenden Gleichartigkeitsbeziehung steht" (ebd), wohingegen das "beide vermittelnde zweite System ... - a l s einf a c h e Negation- nicht unter diese Gleichartigkeit subsumiert" ist (ebd). Dies t r i f f t zu, da sowohl Ur- wie Re-Zentrierung ("ich"—"wir") s u b j e k t - z e n t r i e r t e Reflexionsweisen sind, wohingegen in der De-(Ent-/Weg-)Zentrierung ("man") das Sichtzentrum gewissermaßen 'außerhalb' liegt. Von der einseitigen Betonung des Subjektiven (urzentrierte Sicht aus dem Tätigsein/Verhalten heraus) ausgehend, vollzieht sich über die einseitige Betonung des Objektiven ( d e z e n t r i e r t e Sicht auf den gegenständlich-produktiven Prozeß) eine erneute Zentrierung, in der diesmal Subjektives und Objektives vermittelt sind ( r e z e n t r i e r t e Sicht in die besondere Tätigkeit/soziale Praxis hinein). In diesen Erläuterungen zu den drei Modi schimmerte schon immer das m a t e rialistische Grundprinzip der Einheit von Tätigkeit und Bewußtsein, von Handeln und Erkennen durch. Die drei Reflexionsmodi wurden bezogen auf die drei Aktivitätskategorien, welche in Kapitel 3 (Punkt 3.4) differenziert wurden einerseits für die (-einzelne personale Subjekte betrachtende-) 'psychologische Analyseebene' (als: Verhalten—Handlung—Tätigkeit) andererseits für die (-die Gesamtheit der Subjekte b e t r a c h t e n d e - ) 'soziologische Analyseebene' (als: Tätigkeit—Arbeit—Praxis). Die strukturanalytisch differenzierten drei Prozeßebenen der lebendigen Aktivität (Operationen-Handlungen-Tätigkeiten; vgl. Kap. 5) stellen entwicklungslogisch die Entwicklungsfolge: subjektives Tätigsein (bzw. Verhalten)—» gegenständlich-produktive Handlung—> s u b j e k t i v - s o z i a l e Tätigkeit dar. Und die Explikation der jeweiligen gesellschaftlichen Dimension dieser -auf ein personales Subjekt bezogenen- Aktivitätskategorien ergibt die Entwicklungsfolge: subjektive Tätigkeit gesellschaftliche A r b e i t P r a x i s des Gemeinwesens (s. das Parallelogramm-Modell in Abb. 2). Das Verhältnis von Reflexionsmodi und Aktivitätskategorien ist dergestalt, daß die drei Erkenntnisweisen aus den drei Tätigkeitsarten sowohl hervorgehen (die T ä t i g k e i t s e n t wicklung ist der Reflexionsentwicklung vorausgesetzt) als auch umgekehrt die drei Aktivitätsarten über die drei Modi (in denen die kognitive V e r m i t t l u n g / Regulation erfolgt) definiert sind. Demnach lassen sich -wenn hier nun die 'psychologische Analyse' in den Vordergrund gestellt wird- die Aktivitätskategorien: Verhalten — Handlung — Tätigkeit über die drei Reflexionsmodi: UR — DE — RE kennzeichnen und dabei gilt folgende Zuordnung und entwicklungslogische Abfolge: Tätigsein bzw. Verhalten/urzentrierte Reflexion -» Handlung/dezentrierte Reflexion Tätigk e i t / r e z e n t r i e r t e Reflexion. Also ist das anschauliche Erkennen (UR) der Reflexionsmodus des ursprünglichen bedürfnisorientierten Tätigseins/Verhalt ens, das problem lösende Erkennen (DE) ist der Reflexionsmodus der zielbewußten 182

Handlungen und das "begreifende Erkennen" im Sinne "bewußter Subjektivität" (RE) schließlich ist der Reflexionsmodus der motivbezogenen Tätigkeiten, mit denen im Bereich der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse in je bestimmten gesellschaftlichen Verkehrsformen Beziehungen mit anderen Menschen r e a l i s i e r t werden. Generell gesehen kann das Verhältnis von eigener Aktivität und Umweltbedingungen/-Verhältnissen (das Subjekt-Objekt, Handlung-Gegenstand oder Individ u u m - G e s e l l s c h a f t - V e r h ä l t n i s ) entweder u r z e n t r i e r t oder dezentriert oder rezentriert reflektiert, "repräsentational", "operativ" oder "perspektivisch" e r f a ß t werden (s. oben). Und je nach Problemlage ist entweder die eine oder andere Reflexionsweise angebracht bzw. -mehr noch- entwicklungsnot-wendig. Natürlich müssen die Reflexionsmöglichkeiten erst erworben werden, was voraussetzt, daß die o.g. Entwicklungsfolge in der Ontogenese vom Subjekt real durchlaufen wird. Zwar r e a l i s i e r t schon das kleine Kind mit seinem bedürfnisorientierten Tätigsein (Verhalten) faktisch je bestimmte - i h r e r Natur nach- gesellschaftliche Beziehungen, sozial-kooperative Verhältnisse, in denen es sich als soziales Wesen entäußert; indes: es weiß noch nichts davon, ist sich dessen nicht bewußt, vermag dies nicht zu reflektieren. Mit fortschreitender Tätigkeitsentwicklung erfolgt fortschreitende Person-Entwicklung auch unter dem Aspekt ihrer reflexiven Fähigkeiten ("Bewußtseinsstand", s. oben). Im nachfolgenden Abschnitt 6.4.2 werden davon ausgehend drei Phasen der Persönlichkeitsentwicklung unterschieden, die einhergehen mit dem Erreichen und Durchschreiten der drei gnostischen Stufen infolge der e r w e i t e r t e n Entwicklung der praktischen und kognitiven Tätigkeit im Verlaufe der Ontogenese. Hat man die Zuordnung der drei Modi zu den drei A k t i v i t ä t s k a t e g o r i e n und f e r n e r das 'Parallelogramm-Modell' (Abb. 2, Punkt 3.4) im Auge, so ergeben sich für die Tätigkeit -je nach Betrachtungs'ebene'- o f f e n s i c h t l i c h zweierlei Reflexionsmodi: die Rezentrierung im Falle der psychologischen, die Urzentrierung im Falle der soziologischen Betrachtung. Davon ausgehend, daß unser Blick vorrangig auf das einzelne personale Subjekt (etwa den Therapie"klienten") gerichtet ist, lassen sich -dies geht aus dem Parallelogramm-Modell hervor- bei der Rezentrierung in die Tätigkeit zwei miteinander verbundene Formen der Subjekt-Selbsterkenntnis unterscheiden, wovon die eine (a) unter soziologischem Blickwinkel urzentrierte Reflexion bedeuten würde. (In diesem Sinne ist MARX in seiner urzentrierten Reflexions phase, in der er vom individuellen Menschen als "Gattungswesen" spricht (vgl. RAEITHEL 1981, 169ff), aus psychologischer Sicht dann schon in einer Form der Rezentrierung, wenn er sich selbst -personal- mit seinen subjektiven Sorgen und Nöten e t c . als solches Gattungswesen er kennt/er lebt.) Die andere Form der Subjekt-Selbsterkenntnis in rezentrierter Reflexion (b) ist Persönlichkeitserkenntnis als Erkenntnis der je besonderen eigenen Sozialform/Bewegungsform im Netz der gesellschaftlichen Beziehungen. I.e.S. psychologisch relevant ist nur diese zweite Form (b), aber für sie Voraussetzung ist die erste (a). Sich als gesellschaftliches Subjekt denken/erleben (sich in die G e s a m t h e i t der menschlichen Subjekte eingebunden sehen, reflektierende Erkenntnis seiner selbst aus quasi soziologischer Sicht) ist die eine Form r e z e n t r i e r t e r Reflexion (a) und Erkenntnis der je besonderen sinnbildenden (u.U. dominierend realisierten) Tätigkeitsmotive/-bedürfnisse e t c . die andere (b).

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6.4.2

Drei Abschnitte ("Phasen") in der Genese der Persönlichkeit

Der "komplizierte und langwierige Entwicklungsprozeß der Persönlichkeit weist Etappen und Stadien a u f . Es ist ein Prozeß, der von der Entwicklung des Bewußtseins, des Selbstbewußtseins nicht zu trennen ist" (LEONTJEW 1982, 180) (... "aber nicht das Bewußtsein bildet seine allererste Grundlage, sondern es vermittelt ihn nur, es resümiert ihn sozusagen nur"; ebd). Im Punkt: "Die Entwicklung der Persönlichkeit" (1977, 90ff; 1982, 197ff) unterscheidet LEONTJEW -ausgehend von einer (subjekt-)zentrierten B e t r a c h tungsweise- zwei Stadien der Persönlichkeitsentwicklung und dazwischen eine längere Phase des Ubergangs vom 1. zum 2. Entwicklungsabschnitt. Mit Blick auf die beiden Entwicklungsetappen des (jüngeren) Vorschulalters und des Jugendalters spricht LEONTJEW (1982, 201) von einer "zweimaligen Geburt" der Persönlichkeit, wobei es sich in der ersten Etappe um die elementare, vom Selbst-Bewußtsein nicht gesteuerte Persönlichkeitsformung und -entWicklung handelt (Bildung von "Knoten": Verbindungen zwischen den Motiven: Uber-, Unterordnungen der Tätigkeiten, 'Leitmotive' der lebendigen A k t i v i t ä t ) , aber e r s t im Jugendalter die bewußte Persönlichkeit entsteht, die "Geburt der sich selbst erkennenden Persönlichkeit" (ebd), die verbunden ist mit einer "besonderen Umstrukturierung des Bewußtseins". Die Ubergangsphase zwischen der ersten (elementaren) und der zweiten (bewußten) Persönlichkeits"geburt" wird von LEONTJEW nicht klar herausgearbeitet, wiewohl er bemerkt, daß sie in der -als fortschreitende Eröffnung der Wirklichkeit durch das Subjekt konzipierten« Person-Entwicklung ein qualitativ besonderes Stadium darstellt, in welchem sich dem Kind die Welt nicht mehr in einer "personifizierten" Weise, sondern -umgekehrt- in ihrer Objektivität eröffnet. Legt man das hier vorgestellte Konzept dreier Reflexionsmodi in der Tätigkeits- und Bewußtseinsentwicklung zugrunde, so läßt sich die "Ubergangsphase" leicht mit dem dezentrierten Modus in Verbindung bringen, der im Entwicklungsfortgang zwischen zwei subjekt-zentrierten Modi liegt. Demnach sind in der Genese der Persönlichkeit^) drei "Phasen" (Etappen, Abschnitte, Stadien...) zu differenzieren, die -modal gesehen- auch an drei Alt e r s s t u f e n , nämlich Vorschulalter (2./3. bis 6./7. Lebensjahr), Schulalter (6./7. bis 12./13.) und Jugendalter/Pubertät (12./13. bis ...Lebensjahr) geknüpft sind. Diese drei Entwicklungsphasen werden nachfolgend nur stichwortartig beschrieben. Dabei handelt es sich um eine idealtypische Darstellung unbeeinträchtigter Entwicklung, wie sie indes in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit selten vorkommt. I) VORSCHULALTER:

Erste Formung der Persönlichkeit über die Herausbildung von e r s t e n Hierarchisierungen, d.h. Uber-, Unterordnungen der Motive der Tätigkeit. Zunächst Uberordnung der "Sinnbildung" in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen gegenüber der "Stimulierung" im Subjekt-'Natur'-Austausch. Beginn der Etablierung einer inhaltlich bestimmten sozialen Existenzform im Netz der sozialen (z.B. familialen) Beziehungen, in die das Kind mit seinen Tätigkeiten eingebunden ist, die es realisiert (vgl. Kap. 4). Erste "Knoten" der Persönlichkeit, die die Sozialform des Kindes dadurch c h a r a k t e r i s i e r e n , daß b e s t i m m t e spezifische Tätigkeiten vorrangig (dominierend) realisiert werden, entsprechende Motive/Bedürfnisse dominierenden Stellenwert erhalten. Diese Phase der e l e m e n t a r e n Persönlichkeitsformung in der frühen Kindheit bildet aber "nur" die Ausgangsbasis für die "Geburt" der bewußten Persönlich184

keit, die erst im 3. Entwicklungsabschnitt erfolgt. In der ersten Phase handelt es sich noch nicht um bewußte Persönlichkeitsentwicklung; das Kind ist noch nicht in der Lage, seine eigene Persönlichkeit zu erkennen. PHASE DER URZENTRIERTEN REFLEXION. In dieser Phase ist die Persönlichkeit des Kindes noch ziemlich einseitig determiniert durch den Standort, den es im Netz seiner sozialen Beziehungen erhält und einnimmt (damit auch durch die gesellschaftliche Lage der sozialen Gruppe/so zio-ökonomischen Schicht, der es zugehört). Das Kind ist quasi Objekt seiner sozialen Gruppe/gesellschaftlichen Klasse mit ihren spezifischen Beziehungs- und Anforderungsstrukturen. II) SCHULALTER:

E r w e i t e r t e Handlungs- und Erkenntnisentwicklung als notwendiges Ubergangsstadium zur bewußten Persönlichkeitsentwicklung, die dann im 3. Abschnitt erfolgt. Schritte der Umstrukturierung des Bewußtseins in Richtung auf Reflexion des Verhältnisses von eigenem Tun zur gegenständlichen Welt. Durch die erweiterten Beziehungen zur Welt (z.B. geht das Kind in die Schule u.a.m.) wird mehr und mehr bewußte, voraussehende Handlungsplanung erforderlich. Diese zweite Phase ist wesentlich gekennzeichnet durch den Erwerb und den gekonnten Einsatz von praktischen und theoretischen (Handlungs-/Arbeits-)Mitteln zur zielgerichteten Umweltkontrolle (auch: "soziale Kompetenzen"); sie ist primär die Phase der Aneignung von Handlungs-Kompetenzen in ihrer äußeren, praktischen und inneren, gedanklichen Form. In der Auseinandersetzung mit seiner gegenständlichen Welt ist das Kind i m s t a n d e , sich bzw. seine Handlungen bewußt zu orientieren und die gegenständliche Welt unter Einsatz seiner Mittel aktiv zu v e r ä n d e r n , (umzu)gestalten, zielgerichtet in sie einzugreifen. Was aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen gesellschaftlichen Standorts, der eigenen "Stellung" im Netz der sozialen Beziehungen, der eigen-realisierten Sozialform. PHASE DER DEZENTRIERTEN REFLEXION. Sinn und Zweck der verfolgten Ziele können noch nicht r e f l e k t i e r t werden ("Defizit an Subjektivität"). Die zunehmende V i e l f ä l t i g k e i t , K o m p l i z i e r t h e i t und Überschneidungen der Beziehungen des heranwachsenden Individuums mit der Welt macht es mehr und mehr e r f o r d e r l i c h , sich im System der sozialen/gesellschaftlichen Beziehungen zu orientieren. Denn mit der durch den zunehmenden M i t t e l - E r w e r b und die zunehmende KompetenzentWicklung vorangetriebenen Erweiterung der (praktischen und t h e o r e t i s c h e n ) Beziehungen des Menschen zur Welt t r i t t immer häufiger der Fall ein, daß das Subjekt mit seinen Handlungen, die -unbewußtermaßen- einer bestimmten Tätigkeit (einem b e s t i m m t e n Sinn und Zweck) dienen, gleichzeitig andere -u.U. dazu in Widerspruch stehende- objektive sozial-kooperative Beziehungen verwirklicht. "Die psychische Widerspiegelung, das Bewußtsein kann sich (dann) nicht (mehr) darauf beschränken, nur diese oder jene Handlung des Menschen zu orientieren; die bewußte O r i e n t i e rung muß auch die Hierarchie der Verbindungen zwischen den Handlungen (das Unterordnen und Umordnen ihrer Tätigkeitsmotive) widerspiegeln" (LEONT3EW 1977, 94; 19S2, 201). Die nun notwendige bewußte Orientierung macht aber eine "neue Dimension des individuellen Bewußtseins" (dto, ebd) erforderlich.

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III) JUGENDALTER (Pubertät)

In dieser Phase erfordern der erweiterte Zugang des jungen Menschen zur gesellschaftlichen Welt, die erhöhten Anforderungen und die damit e i n h e r g e henden Neubildungen und Umstrukturierungen der Beziehungen zu anderen Menschen und zur Gesellschaft überhaupt eine neue Qualität der Orientierung im immer umfassender/vielfältiger gewordenen System seiner sozialen/gesellschaftlichen Beziehungen. Notwendig wird Subjekt-Selbsterkenntnis als gesells c h a f t l i c h e s Wesen, das heißt auch, -zumindest teilweise- bewußte Erfassung der eigenen Sozialform(en) und des weiteren bewußte Wahl einer Perspektive, bewußte perspektivische Orientierung der eigenen Bewegungsform in SubjektSubjekt-Verhältnissen. In diesem Entwicklungsabschnitt erfolgen denn auch Ubergänge zu neuen Hierarchien der Tätigkeiten und ihrer Motive; u.U. werden alte, bislang dominierende Motive überwunden, erhalten nur u n t e r g e o r d n e t e n Stellenwert oder verlieren gar ihre sinnbildende Funktion. PHASE DER REZENTRIERTEN REFLEXION. (Möglichkeiten der Wahl einer Perspektive - "bewußte Subjektivität"). Über die bloße Einnahme eines objektiven Standorts hinaus (wie in I) und II)) setzen hier auch Prozesse der Entwicklung eines expliziten Standpunkts ein. Der Mensch ist hier nicht mehr nur Objekt seiner sozialen G r u p p e / g e s e l l s c h a f t l i c h e n Klasse, sondern er wird zum Subjekt (der Praxis) seiner sozialen Gruppe; wie er auch - p o t e n t i e l l - im Kontext des Einander-Entwickelns in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen durch bewußte Gestaltung seiner sozial-kooperativen Beziehungen mit anderen Menschen zum Subjekt seiner eigenen Persönlichkeitsentwicklung werden kann. Wie einerseits die Wahl einer Zukunftsperspektive möglich wird, kann auf dem Niveau bewußter Persönlichkeitsentwicklung auch eine Umwertung des Vergangenen stattfinden, somit der Mensch die Last seiner Biographie quasi 'abwerfen' (LEONTJEW 1977 , 97; 1982, 206). Allerdings kann eine solche Umwertung nicht rein kognitiv erfolgen (das Bewußtsein vermittelt sie nur), sondern wird hervorgerufen durch die Handlungen des Subjekts, etwa indem alte Verbindungen (zum Elternhaus o.ä.) gebrochen, neue Tätigkeitsfelder (Berufsausbildung o.ä.) betreten werden. Alles in allem kommt diesem dritten Entwicklungsstadium ein entscheidender Stellenwert zu. Hier können bisherige "problematische" Motivbildungen/einseitige Persönlichkeitsformungen der Kindheit erkannt und überwunden/verändert oder aber verfestigt werden; und es können -in antagonistischen oder disharmonischen Verhältnissen- neue "problematische" Beziehungsmuster realisiert und etabliert, antagonistisch-verzerrte Perspektiven mit Enthusiasmus übernommen werden. Natürlich werden im Jugendalter längst nicht alle wichtigen Kindheitsmuster bewußt; wenn überhaupt entdecken sie sich dem Subjekt oft sehr viel s p ä t e r ; —manchmal vielleicht vermittelt durch eine 'einsichtsorientierte' Psychotherapie.

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Kapitel 7:

BEEINTRÄCHTIGTE PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG UND DIE ENTWICKLUNG PSYCHOSOZIALER KRÄNKUNGEN

Es kann hier nicht darum gehen, in umfassender Weise Ätiologie und Genese psychosozialer Kränkungen zu erörtern, noch gar eine inhaltlich ausgefüllte "Pathopsychologie" vorzustellen, lediglich soll aus tätigkeitstheoretischer Sicht eine kategoriale Grundlegung für eine klinisch-psychologische "Störungstheorie" vorgeschlagen werden. Damit wird eine Entwicklungslogik der Genese psychischer Schädigungen umrissen. Die Kapitel 3, 5 und 6 stellten hierfür die allgemein- und persönlichkeitspychologischen Grundlagen dar und dort wurden (insbesondere in Kap. 4 und 5) in vielerlei Hinsicht auch bereits klinischpsychologische "störungstheoretische" Fragestellungen a u f g e g r i f f e n und erörtert. Wie in Kapitel 6 angedeutet, sind ausschlaggebend für die Entwicklung psychischer Schädigungen und die Bildung von Symptomen vom Subjekt durchlebte Krisen(zeiten), in denen -zwangsläufig- der eine oder andere Weg eingeschlagen werden muß, der sich dann als Progression versus als Stagnation oder aber Regression herausstellt. Im vorliegenden Kapitel steht deshalb im Zentrum der Betrachtung das Konzept der Orientierungskrise und dabei wird die Vernachlässigung der Ausführung anderer wichtiger Annahmen und Implikate einer tätigkeitstheoretischen "Störungskonzeption" in Kauf genommen.

7.1

Psychische Beeinträchtigung in der Person-Entwicklung. (Die "reduzierte PersönlichkeitM)

Ausgehend von der Grundthese, daß die Entwicklung der Persönlichkeit als Entwicklung der Motive ihrer Tätigkeiten zu untersuchen ist, wurde eine tätigkeitstheoretische Entwicklungs"topologie" der beeinträchtigten Persönlichkeit in ihren wichtigsten Grundzügen bereits von Irma GLEISS (1980) a u s g e a r b e i t e t . Vorliegende Darstellung kann gewissermaßen als Erweiterung, Systematisierung, theoretische Integration und Differenzierung ihrer Ausführungen gesehen werden. Die Feststellung, daß psychosoziale Kränkungen sinnvoll nur im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsentwicklung analysiert werden können (vgl. Kap. 6), f o r d e r t heraus zu einer näheren Bestimmung derselben unter Gesichtspunkten ihrer Bewertung im Hinblick auf "Kränkungsgefahr" (um nicht 187

das f ü r c h t e r l i c h e Wort "Störungsanfälligkeit 11 zu gebrauchen). Gemäß GLEISS (aaO, 110) können "psychische Störungen im engeren Sinne nur auf der Grundlage einer ... Beeinträchtigung entstehen (...)" (zu dieser Differenzierung s. Punkt 7.2.3). Wie aus Kapitel 6 h e r v o r g e h t , besteht -entwicklungslogisch- das Wesen der psychischen Beeinträchtigung in einer Stagnation der Person-Entwicklung (-als Entwicklung je besonderer Individuum-Gesellschafts-Verhältnisse-), genaugenommen: in identisch-erhaltender sozialer Reproduktion mit dem Ausbleiben qualitativer Entwicklungssprünge in neue soziale Existenzformen trotz je konkreter entwicklungsnotwendiger Anlässe und 'Aufforderungen' zur erweiterten sozialen Reproduktion (damit Progression); also im starren, rigiden, u.U. verzweifelten Festhalten an der 'etablierten', bisherigen Sozialform (Reproduktion immer der gleichen Beziehungsmuster). Des weiteren b e s t e h t das Wesen psychischer Beeinträchtigung -inhaltlich- in der (immer erneuten) Realisation und Reproduktion entwicklungshinderlicher bzw. antagonistischer sozial-kooperativer Verhältnisse, also "problematischer" T ä t i g k e i t s m o t i v e , wie sie in Kapitel 4 (Punkt 4.3) genannt wurden. Kennzeichen der psychischen Beeinträchtigung, ihrer Erscheinungsform, werden unten noch aufgeführt. Geht es um eine Erörterung der psychischen Beeinträchtigung im Zusammenhang mit einer Theorie der Persönlichkeitfeentwicklung), so stellen sich f a s t zwangsläufig Fragen nach der P e r s ö n l i c h k e i t s s t r u k t u r und nach typischen Konfliktarten. Inwieweit ist psychische Beeinträchtigung im "allgemeinen Typ der Persönlichkeit" begründet? LEONTJEW nennt drei "Parameter der Persönlichkeitsstruktur", betont aber, daß sie keine differentiell-psychologische Typologie bilden, vielmehr ein "Skelettschema", "das ... mit lebendigem konkrethistorischem Inhalt auszufüllen ist" (1982, 212). 1.

Weite und Mannigfaltigkeit versus Enge und Beschränktheit der gegenständlichen und sozialen Verbindungen zur Welt. Es geht hier um die Vielfalt der Beziehungen des Menschen zur Welt (eingeschlossen seiner theoretischen Tätigkeiten) und d a r u m , in welchem Ausmaße verschiedene Lebensbereiche, v i e l f ä l t i g e allgemein b e s t i m m b a r e Tätigkeits-/Handlungsfelder (berufliche, soziale, politische, kulturelle...) b e t r e t e n werden (können). Zum einen können für ein konkretes Subjekt modal mögliche Beziehungen zur Welt durch dessen objektive g e s e l l s c h a f t l i c h e Lebenslage beschränkt sein (man denke an den Knecht auf dem Lande, an den Schäfer ...; aber auch für die "klassische" Hausfrau ist Beziehungsenge c h a r a k t e r i s t i s c h ) . Allerdings ist die objektive Lebenslage nicht die einzige Determinante, da der Mensch im 3. Abschnitt seiner Persönlichkeitsentwicklung auch als bewußtes Subjekt seiner eigenen Entwicklung ins gesellschaftliche Leben treten kann (vgl. Punkt 6.4.2). Enge und Beschränktheit menschlicher Beziehungen zur gegenständlichen und sozialen Welt ist somit e b e n f a l l s Resultat einer im Verlaufe der Persönlichkeitsentwicklung im Kontext des Einander-Entwickelns herausgebildeten Selbstbeschränkung, von Momenten eigener Passivität und Blindheit. Solche selbstarrangierte Enge kann wesentlich größer sein als die durch die je konkreten objektiven Bedingungen vorgegebene Beschränktheit und ist dann häufig Merkmal einer "reduzierten" Persönlichkeitsentwicklung. Aber dennoch impliziert Enge nicht zwangsläufig psychische Beeinträchtigung. Ausschlaggebend ist nicht allein die Quantität der Beziehungen, sondern primär deren qualitative Charakteristik, das heißt der konkrete Inhalt der spezifischen Tätigkeiten, der gegenständliche Inhalt ihrer Motive (vgl. Kap. 4). 188

2.

Der Hierarchisierungsgrad der Tätigkeiten und ihrer Motive. Leontjew spricht von Motivhierarchien als "relativ selbständige Einheit e n " der Persönlichkeit, die -mehr oder weniger- voneinander getrennt oder miteinander verschmolzen sein können. "Die Getrenntheit der in sich h i e r a r chisch geordneten Lebenseinheiten schafft das psychologische Gesamtbild eines Menschen, der ausschließlich bald in dem einen, bald in dem anderen 'Feld' l e b t . Dagegen zeigt sich der höhere Hierarchisierungsgrad der Motive darin, daß der Mensch seine Handlungen gleichsam an dem für ihn wichtigsten Leitmotiv mißt" (1982, 109). Im einen Fall hätte die Person in verschiedenen Lebensbereichen/Tätigkeitsfeldern verschiedene Sozialformen ausgebildet (z.B. im Leistungsbereich "der Beste" sein, im Familiensystem "hilfreich-unterstützend-kooperativ" sein, etc.), im anderen Fall hätte sie in (fast) allen Bereic h e n / " Feldern" eine einheitliche Sozialform ausgebildet (z.B. überall der "Supermann" sein). Dies mag (m.E.) auch phänomenal den Eindruck von Vielseitigkeit versus Einseitigkeit der Persönlichkeit vermitteln. Es liegt nun auf der Hand, daß -sofern es sich inhaltlich um eine "problemat i s c h e " Sozialform handelt- die psychische Beeinträchtigung bei höherem Grad der Hierarchisierung, wenn sich also fast alles um das "dominierende" L e i t m o t i v / - b e d ü r f n i s d r e h t , gravierender i s t , da dann ja kaum -auch nicht in anderen Lebensbereichen- Alternativen b e s t e h e n . R i g i d i t ä t und S t a r r e der Leitmotive (s. dazu GLEISS 1980, 115f) wird hier oft konstatierbar sein, da jede faktische oder antizipierte bzw. nur eingebildete Gefährdung dieser einen Sozialform in der Tat als umfängliche Existenzbedrohung erlebt werden muß. Andererseits wiederum geht ein höherer Hierarchisierungsgrad und die Ausbildung einer einheitlichen Sozialform keineswegs per se in Richtung psychischer Beeinträchtigung, sondern kann im Gegenteil -in Abhängigkeit vom Inhalt des dominierenden Tätigkeitsmotivs und sofern die potentiellen Entwicklungsräume nicht ungenutzt bleiben-, gerade Merkmal eines 'positiv-konstruktiven', sinnerf ü l l t e n Lebens sein. "Abhängig von den Umständen, die dem Menschen aufgegeben werden, können die lebenswichtigen Motive sehr unterschiedlichen Inhalt und unterschiedliche objektive Bedeutung annehmen, aber sie alleine sind in der Lage, dem Menschen das Gefühl der inneren Bewährung seiner Existenz zu v e r m i t t e l n , die den Sinn und das Glück seines Lebens ausmacht" (LEONTJEW 1977, 100; 1982, 210). Aber auch im Falle der "geglückten" Realisation "problematischer" dominierender Tätigkeitsmotive (der Konkurrenz, Abhängigkeit oder Isolation in den sozial-kooperativen Verhältnissen) wird eine Person entsprechende "positive" Gefühle der eigenen Bestätigung e t c . e r l e b e n , jedoch wird sie auch immer wieder auf Entwicklungsschranken stoßen oder -wie es sich im subjektiven Erleben oft darstellt- in abgrundtiefe Löcher fallen. 3.

Die inneren Wechselbeziehungen zwischen den wichtigsten motivationalen Linien in der Gesamtheit der Tätigkeiten des Menschen. Sie bilden -so LEONTJEW (1982, 211)- das "allgemeine 'psychologische Profil' der Persönlichkeit". Das Charakteristische der Persönlichkeitsstruktur liegt "in der Wechselbeziehung der verschiedenen Systeme der entstandenen Lebensbeziehungen" (dto, 212). Diese gegenseitigen inneren Beziehungen sind der Ursprung von Konflikten, die sich auch festigen und in die Persönlichkeitsstruktur eingehen können. In Kapitel 5 wurden 3 Arten von Motiv-Konflikten (s. dazu Punkt 5.2) genannt, des weiteren zwei Formen von Konflikten zwischen Phantasie und Realität bzw. Möglichkeits-Wirklichkeits-Diskrepanzen (s. dazu Punkt 5.4.2). 189

Während auch die un bee inträchtigste Persönlichkeit solche Konflikte er- und durchlebt, werden sie nur bei stagnierender Persönlichkeitsentwicklung grundlegend in die Persönlichkeitsstruktur eingehen. Zwar erscheint keineswegs jede beeinträchtigte Entwicklung auch als konflikthaft, aber beständige oder immer wiederkehrende, subjektiv als nebulös-ungeklärt erlebte "innere Konflikthaftigkeit" ist oft Anzeichen psychischer Beeinträchtigung. So viel zur Persönlichkeitsstruktur. Wenn GLEISS (aaO, 107) schreibt: "Das Problem bei psychischen Störungen sind nicht die (materiellen und symbolischen; S.H.) Gegenstände der äußeren Umwelt oder andere Menschen, sondern es zentriert sich um die eigene Person ...", so ist damit innerhalb der tätigkeitstheoretischen Konzeption keinesfalls eine Individualisierung der Problematik (wie dies in "bürgerlichen" Ansätzen der Klinischen Psychologie der Fall ist) impliziert; vielmehr, daß sich das Problem um die "Stellung" (Bewegungsform) des personalen Subjekts "im System sozialer Beziehungen" (ebd) zentriert. In der Motiventwicklung (vgl. Kap. 4) lassen sich nun zwei "Etappen" unterscheiden: 1. Die Herausbildung solcher Motive, die vom Subjekt - t ä t i g eingebunden in jeweilige Kooperations-/Verkehrsformen- als sozial-kooperative Verhältnisse (Beziehungsmuster) ursprünglich mehr oder weniger zwangsläufig realisiert werden (= Ausbildung und Etablierung einer sozialen Existenzform in jeweiligen Lebensbereichen) und 2. Die aktive Konstituierung einer persönlich bedeutsamen Umwelt, die die wichtigen (Leit-)Motive zu realisieren gestattet; aktives Aufsuchen, G e s t a l t e n und Strukturieren "motivdienlicher" Handlungsbereiche und Sozialkontakte (= Reproduktion der ausgebildeten Sozialform(en)). Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn im 1. Kreislauf "problematische Tätigkeitsmotive" (s. Punkt 4.3) ausgebildet wurden und im 2. Kreislauf dann identisch-erhaltende soziale Reproduktion erfolgt (Stagnation). Bei beeinträchtigter Persönlichkeitsentwicklung wird sich das Subjekt rigide auf bestimmte Handlungsfelder, die eine Realisierungsmöglichkeit des dominierenden Tätigkeitsmotivs e r l a u b e n , f e s t l e g e n , wohingegen andere Bereiche unerschlossen bleiben bzw. auch aktiv gemieden werden. Rigidität und Starre des Leitmotivs, das eine Sozialform des Subjekts charakterisiert, macht sich dann als Einseitigkeit der Persönlichkeit insofern bemerkbar, als der objektiv-real bestehende Spielraum an Entwicklungsmöglichkeiten nicht g e n u t z t , nicht a u s g e s c h ö p f t wird. Statt dessen wird i.d.R. die unflexible Struktur des Individuum-Gesellschafts-Verhältnisses des weiteren noch v e r f e s t i g t durch die Schaffung eines "motivdienlichen" Bezugsfeldes, z.B. entsprechende Wahl des Freundeskreises, des Partners, des Ausbildungsweges, des Berufs etc.. So kann der Großteil der Lebensplanung nach der impliziten "Logik" erfolgen, immer nur bestimmte Erfahrungen über sich selbst als soziales Wesen zu machen und andere zu vermeiden (vgl. GLEISS aaO, 115f). Gewissermaßen Von außen her betrachtet 1 (dezentriert) nennt GLEISS einige Merkmale psychischer Beeinträchtigung (die deren Erscheinungsform kennzeichnen), z.B.: Reproduktion immer nur derselben Erfahrungen; Strukturierung der Beziehungen zur Umwelt so, daß quasi immer das gleiche passiert; sich auf einem bestimmten Entwicklungsniveau festhalten; immer für die Wertung der anderen aktiv werden, e t c . (vgl. Punkt 4.3; s.a. HASELMANN 19S2). Ferner betont die Autorin insbesondere Momente der Passivität (a) und der Abhängigkeit (b) als Kennzeichen psychischer Beeinträchtigung, wenn also das Subjekt 190

die eigene Person-Entwicklung sich nicht als Aufgabe stellen (und eigene Verantwortung dafür nicht übernehmen) kann, sondern passiv mit sich geschehen läßt (a) und wenn es seine Handlungen beispielsweise "nicht wegen ihres konkreten Inhalts ausführt, sondern wegen ihrer Bewertung" (dto, 117), es also primär "zum Herzeigen" (ebd) handelt (b). 'Von innen her betrachtet', also aus der Sicht des Subjekts selbst (urzentriert), erscheint die psychische Beeinträchtigung manchmal nur vage als ungutes Gefühl, gleichsam auf der Stelle zu treten bzw. auch als Erkenntnis, sich im Kreise zu drehen, und das Subjekt sieht sich -unverstandenermaßen- immer wieder den gleichen Schwierigkeiten 'ausgesetzt', immer wieder mit vergleichbaren Situationen konfrontiert bzw. steht immer wieder völlig überrascht vor Problemen, die es nur unter erheblichen Anstrengungen noch bewältigen kann. Andererseits kommt es nicht selten vor, daß sich das Subjekt selbst trotz tatsächlich beeinträchtigter Persönlichkeitsentwicklung als voll "funktionsfähig" wahrnimmt und deshalb für psychisch "völlig gesund" hält, sowie auch von den meisten anderen so wahrgenommen/eingeschätzt wird. Dies ist der Fall bei Menschen, die sich ein "geeignetes" soziales Umfeld schaffen konnten, welches den eigenen Motiven (und konkreten Bedürfnissen) soweit e n t s p r i c h t , daß die eigene Beeinträchtigung so gut wie nie sichtbar wird oder zu offenen Konflikten führt (vgl. GLEISS aaO, 119) und die des w e i t e r e n f ü r den Fall von dennoch vorkommenden K o n f r o n t a t i o n e n mit der "motiv-widersprüchlichen" Realität bereits ein sicheres Abwehrsystem a u f g e b a u t haben. Sofern diese Personen nicht in Opposition zu den modal-herrschenden Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft stehen, sondern -im Gegenteil- diese g e s e l l s c h a f t l i chen Beziehungen (und Verkehrsformen) erhaltend reproduzieren (damit stabilisieren), werden sie auch nicht von den (im "labeling"-Ansatz a n g e p r a n g e r t e n ) bürgerlich-ideologisch getragenen De vi an z-Etikettier un gen erfaßt. Ganz im Gegenteil werden Persönlichkeiten, die Sozialformen reproduzieren, welche in dominierenden Tätigkeitsmotiven etwa der Konkurrenz und der Abhängigkeit gegründet sind (der erfolgreiche 3ung-Manager; die sich hingebungsvoll a u f o p f e r n d e Ehefrau und Mutter u.ä.m.) in unserer Gesellschaft üblicherweise als vorbildlich hingestellt, denn die Reproduktion zugehöriger sozialer Verkehrsformen ist objektiv g e s e l l s c h a f t s s t a b i l i s i e r e n d . Auch Handlungsweisen wie "Zwanghaftigkeit, Rigidität, Autoritätsfixiertheit und Unterwürfigkeit" (GLEISS aaO, 127) gehen "in jeder Hinsicht mit den gesellschaftlichen Anforderungsstrukturen konform", haben aber "dennoch den C h a r a k t e r von B e e i n t r ä c h t i gungen"! Den " B e t r o f f e n e n " andererseits, die gesell schaftsstabilisierende Beziehungsmuster und/oder gesellschaftstypische Handlungsstereotype realisieren und r e p r o d u z i e r e n , s t e l l t sich (-bildlich gesprochen-) die Aufgabe, möglichst 'apart' auf der relativ dünnen Eisschicht funktionierender Normalität e n t l a n g zuschliddern. Tatsächlich mag dies, wenn man sich und seine unmittelbare Umwelt entsprechend aus- und einrichtet und widersprechende Erfahrungen immer wieder zu verhindern bzw. vermeiden weiß, ohne schwerere Erschütterungen der Sozialform sogar ein Leben lang gelingen; aber o f t ist der Zusammenbruch unvermeidlich. In die Diskussion um den Krankheitsbegriff soll hier nicht eingestiegen werden, aber soviel ist klar: "Normalität" ist je historisch-konkret und gesellschaftsspezifisch definiert, und das heißt auch: je historisch-relative Normalität ist keinesfalls identisch mit psychischer Gesundheit. Letztere ist von den Entwicklungspotentialitäten menschlicher Natur her zu bestimmen (vgl. Kap. 3, 4 und 6). Demgegenüber wird von Verfechtern eines prozessualen Ansatzes 191

(etwa des sog. "iabeling-approach") als "kritisch-sozialwissenschaftliche Alternative" zum medizinischen Krankheitsmodell der Begriff der "Abweichung" b e n u t z t (z.B. SCHEFF 1972). "Abweichung" aber meint Abweichung von der gesellschaftlichen ("Benimm"-, Verhaltens-, etc.) Norm (-"normal" w ä r e , was der Norm entspricht-) und somit erfolgt hier implizit eine recht bedenkliche Gleichsetzung von Abweichung und Störung (bzw. Krankheit) auf der einen Seite und von Normalität und Gesundheit auf der anderen Seite. Da der sozialwissenschaftliche "Alternativ"-Ansatz kein Konzept von psychisch gesunder Entwicklung hat (lediglich etwas vage Definitionen von psychischer Gesundheit vorbringt), zentriert er sich ebenfalls primär auf die individuellen " A u f f ä l l i g keiten", die -mehr oder weniger geduldet- von der Normalität abweichen und kritisiert dann hauptsächlich die Art und Weise, wie mit den " a u f f ä l l i g gewordenen" (nicht "normal funktionierenden") Leuten gesellschaftlich-institutionell etc. umgegangen wird. Aber erst mit einem Begriff von psychischer Gesundheit als Verwirklichung menschlicher Entwicklungspotentialitäten (s. dazu Kap. 3, 6) hat man ein Kriterium, um Beeinträchtigung/"Störung" jenseits je gesellschaftlicher Norm und "Normalität" als "Entfremdung" von der potentiell gesunden Entwicklung zu konstatieren. Psychisch gesunde Entwicklung schließt Krisenzeiten ein, Zeiten der Desorientierung, Mißerfolge, Kämpfe e t c . . Das in unserer G e s e l l s c h a f t v o r b i l d h a f t "normale Funktionieren" ist o f t t a t s ä c h l i c h b e e i n t r ä c h t i g t e ("reduzierte") Entwicklung als "Anpassung" im Sinne einer korrekten Realisation etwa objektiv-sozialer Verhältnisse der Konkurrenz, des Sich-gegen-die-anderen-Stellens, des Nach-den-eigenen-Vorteilen-Jagens statt solidarischer Kooperation oder der Verhältnisse der Abhängigkeit, des Sich-Auslieferns etc. oder der Verhältnisse der Isolation des Menschen vom Menschen (s.a. JERVIS 1978, WULFF 1981). Perspektivisch ist deshalb nicht "Normalität" oder staatliche wie vorstaatliche Duldung von Normabweichungen anzustreben, sondern psychische Gesundheit. Dies kann indes nicht allein Aufgabe psychosozialer Helfer sein, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

7.2

7.2.1

Das Konzept der Orientierungskrise und psychische STAGNATION / REGRESSION / PROGRESSION

Entwicklung:

Vorbemerkungen zur Krise und den "Mechanismen" ihrer Bewältigung

Davon ausgehend, daß sich die -über die personalen Entwicklungs-(dominierenden Tätigkeits-)Bedürfnisse determinierte- Orientierung des personalen Subjekts "vor allem auf den eigenen Standort im N e t z sozialer Beziehungen und die darüber zu erreichende Sicherheit" (GLEISS 1980, 119) bezieht, stellt sich in der Darstellung der Autorin eine Orientierungskrise dann ein, wenn eine Person "mit Situationen k o n f r o n t i e r t wird, die dem Inhalt der personalen Entwicklungsmotive widersprechen" (ebd) und sie (die Orientierungskrise) besteht "ihrem Wesen nach darin, daß sie subjektiv notwendige Erfahrungen gefährdet bzw. solche Erfahrungen nahelegt, die das jeweilige Subjekt vermeiden muß" (120).

192

Wenn zwar unter Vernachlässigung des Falls von Motiv-Konflikten sind damit einige Kernmerkmale einer Krise, mit letzterer C h a r a k t e r i s i e r u n g allerdings -einengend- bereits einer Orientierungskrise i.e.S. umschrieben, soll heißen: der Krise, die den ausschlaggebenden 'kritischen Kreuzungspunkt 1 darstellt im Falle b e e i n t r ä c h t i g t e r Persönlichkeitsentwicklung, in welcher ja je bestimmte "problematische", also entwicklungsantagonistische (vgl. Punkt 4.3) Beziehungsstrukturen vom Subjekt (zwecks dessen sozialer Reproduktion) unbedingt hergestellt oder unbedingt vermieden werden "müssen". Wie schon in Kapitel 6 ausgef ü h r t , ist K r i s e n h a f t i g k e i t (und in diesem Sinne Diskontinuität) jedoch auch Kennzeichen unbeeinträchtigter Entwicklungsverläufe; die Krise mag man dann -eher n e u t r a l - als "Entwicklungskrise" bezeichnen. Bezugnehmend auf die "sogenannten Entwicklungskrisen" nennt LEONTJEW "die Krise im Alter von drei J a h r e n , von sieben Jahren, im Jugendalter..." (1982, 200) und die "wenig untersuchten Krisen des Erwachsenenalters" (etwa: Lebensmitte, Klimakterium, L e b e n s a l t e r . . . ) . Solche Entwicklungskrisen kommen -wie LEONTJEW dies ausführt- dadurch zustande, daß sich die Handlungen in der Fortentwicklung "mehr und mehr mit Inhalt füllen" und daß das Subjekt mit ihnen neue (d.h. zusätzlich zu den bisher angestrebten immer auch andere, weitere) Beziehungen eingeht, welche über die Tätigkeitsmotive, die ursprünglich die Handlungen veranlaßten, hinausgehen. Was im Falle einer positiven Bewältigung solcher Entwicklungskrisen i.d.R. geschieht, ist folgendes: Es "ergibt sich eine Verschiebung der Motive auf ... Ziele, eine Änderung ihrer Hierarchie, und die Entstehung neuer Motive - neuer Tätigkeitsarten; die früheren Ziele werden psychologisch diskreditiert und die ihnen e n t s p r e c h e n d e n Handlungen hören entweder völlig zu existieren auf oder sie verwandeln sich in persönlichkeitsunspezifische Operationen" (dto, ebd). (Um hierfür Beispiele p a r a t zu haben, möge man an die inneren Veränderungen denken, die zur Zeit des Schuleintritts beim "frischgebackenen Schulanfänger" eintreten oder an die 'Verwandlungen1 in der Adoleszenz.) Nun ist jede Entwicklungskrise immer auch eine Orientierungskrise, stellt immer ebenfalls eine Krise der Orientierung der sich entwickelnden Person dar: die bisherigen Orientierung erweist sich als "inadäquat" bzw. scheitert, eine neue Orientierung muß "gefunden" bzw. hergestellt werden. Eine d i f f e r e n z i e r e n d e Betrachtung des Konzepts der Orientierung legt nahe, daß die konkrete Orientierung des Subjekts immer zweifach bestimmt ist: über das S1W und das SpS (s. Punkt 5.4), wobei aber der persönliche Sinn insofern übergeordnet ist, als er die personale Qualität der Orientierungsweise prägt und dabei dem (praktischen und kognitiven) Handeln des Subjekts seinen persönlich-sinnhaften Charakter verleiht. Wird allgemein von der Orientierung eines Subjekts gesprochen, so umschließt dies gleichzeitig zwei Aspekte: 1. Die Regulation des konkreten Handelns, das Orientieren der Handlungen und -übergreifend- 2. Das Sich-Zurechtfinden und 'Durchblicken' in der gegenständlichen und gesellschaftlichen Welt im Lichte je besonderer emotional getragener (Lebens-)Zielperspektiven/"Leitideen"/"Lebenspläne", die zum Zwecke der Erhaltung und Erneuerung der eigenen Sozialform e r s t e l l t / v e r t r e t e n / v e r f o l g t werden. Gemäß diesen beiden Orientierungsgeschich tspunkten (einerseits die Orientierung der lebendigen Aktivität, a n d e r e r seits die Orientierung seiner selbst in der gegenständlichen und gesellschaftlich-sozialen Welt) lassen sich denn auch zwei Arten von Orientierungskrise ausmachen. Bedenkt man die in Kapitel 6 dargestellte Reflexionsfigur, so sind die beiden Arten von Orientierungskrise angesiedelt in den entwicklungsnotwendigen Ubergängen: a) von der UrZentrierung zur Dezentrierung und b) von 193

der Dezentrierung zur Rezentrierung. Im zweiten Fall (b) hat die Orientierungskrise zugleich den Charakter einer Identitätskrise, die die Persönlichkeit t a n g i e r t ; diese -hier als Orientierungskrise "i.e.S." bezeichnet- ist deshalb von vorrangigem psychologischen Interesse (s. unten: 7.2.2). Generell gilt, daß sich eine Krise dann einstellt, entweder 1. wenn das Subjekt mit Auf gaben/Anforderungen/Problemen k o n f r o n t i e r t ist, die es 'handhaben' muß, aber im Rahmen seiner bisherigen Orientierung und mit seinen bisherigen Mitteln nicht bewältigen kann, oder 2. (-was oben von GLEISS nicht bedacht wurde-) dann, wenn ein Konflikt b e s t e h t , ein Motiv-Konflikt (insbesondere zwischen zwei sinnbildenden Motiven/Bedürfnissen, s. dazu Punkt 5.2) einget r e t e n i s t . In jedem Fall stellt sich dem Subjekt die Krise nicht lediglich als kognitiver Orientierungsverlust, nicht als bloße "Kopflosigkeit" dar, sondern ist - s u b j e k t i v - in e r s t e r Linie eine emotionale Krise, eine Krise des Gefühlserlebens, gekennzeichnet durch Ratlosigkeit, Angst, Verwirrung, Verzweiflung bis hin zu existentiellen Erschütterungen. Als formale Modellvorstellung der Krise war bereits das Konzept der "Wege-Gabelung" (der Verzweigung) genannt worden (Punkt 6.2) und im Rahmen dieser Modellvorstellung ist die Krise zu verstehen als Knotenpunkt q u a l i t a t i v e r Sprünge in Entwicklungsprozessen, einschließlich der erforderlichen Sprünge in den gnostischen Prozessen. In der laufenden, alltäglichen kontinuierlichen 'Fort'bewegung/Reproduktion an eine Wege-Gabelung (in eine Krise) gelangt, ist im Hinblick auf die gnostische Entwicklung/Bewältigung der eine Weg der notwendige Übergang zur höheren R e f l e x i o n s s t u f e , der andere Weg das Verbleiben auf der aktuell erreichten Stufe oder -oft wahrscheinlicher- das Zurückfallen auf die noch d a r u n t e r l i e gende Reflexionsstufe. Für den Ubergang in eine höhere Reflexionsstufe gilt allgemein, daß 1. die Möglichkeit gegeben, also eine Alternative bestehen, eine Wahl möglich sein muß und daß f e r n e r h i n 2. eine besondere Notwendigkeit b e s t e h t für den Ubergang aus erreichter Stufe der Reflexion in eine höhere. Dadurch wird die freie Wahl zugleich zur zwingenden Entwicklungsnotwendigkeit (vgl. RAEITHEL 1981, 179). In der Reflexionsfigur s t e l l t auch der UR-DE-Ubergang einen qualitativen Sprung als Folge einer Krise dar, zumindest als Folge eines problematischen Subjekt-Objekt-Verhältnisses (Spannung, Disharmonie, Mißerfolg, Beschränkung). Und die progressive Problem bewältigung macht hierbei das Bewußt wer den der eigenen Aktivität in Relation zum Gegenstandsprozeß erforderlich, somit den Uber gang zur dezentrierten Position. Progressive Problembewältigung beinhalt e t und erfordert dabei verbesserte/erweiterte Handlungs-(bzw. direkte Kooperations-)fähigkeit zwecks Realitätskontrolle. Die entscheidende "Hürde" ist jedoch zumeist der DE-RE-Ubergang zur Person-Selbsterkenntnis. Zwar ist dieser Uber gang nicht immer notwendig und wenn, dann nicht nur i.S. einer "Wendung der Not", aber es überwiegen Situationen, in denen aus einer Beschränkung heraus eine neue Perspektive gefunden werden muß. Bei dieser Krise, die oben b e r e i t s auch als "Identitätskrise" charakterisiert wurde, handelt es sich objektiv um eine Krise der Sozialform, welche deshalb vom Subjekt in ihrem gegenständlichen (i.w.S.) Inhalt erkannt und entwicklungsnot-wendig v e r ä n d e r t werden müßte (d.h. daß erweiterte soziale Reproduktion eingeleitet werden müßte). Gerade aus dem Uber gang vom de- zum r e z e n t r i e r t e n Reflexionsmodus (angesichts einer Orientierungskrise) bestimmt sich -unter dem Aspekt des Bewußtseinsstandes'- das 'Niveau' der

194

Persönlichkeitsentwicklung als Ausmaß "bewußter Subjektivität", bewußter Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns. Was das Verhältnis von Tätigkeitsrealisierung bzw. realisierter Tätigkeit und Bewußtseins-/werdungs-Prozeß im DE-RE-Ubergang anbelangt, gilt folgendes: Die Erkenntnis der eigenen gesellschaftlichen Existenz-/Bewegungsform im sozialen Netz je bestimmter Lebensbereiche/Tätigkeitsfelder ist R e s u l t a t der b e r e i t s ansatzweise vollzogenen Realisation neuer Auseinandersetzungsformen mit der sachlich-gegenständlichen und mitmenschlichen Welt (bzw. neuer (anderer) s o z i a l - k o o p e r a t i v e r Verhältnisse), welche ihrerseits die Krise der Orientierung (überhaupt erst) bewirk(t)en. Mit anderen Worten: die zum bisherigen (üblicherweise angestrebten und reproduzierten) -i.d.R. unbewußten- Tätigkeitsmotiv widersprüchlichen Erfahrungstatsachen s t e l l e n für das Subjekt gleichzeitig neue (andere) Tätigkeitserfahrungen dar, deren Widerspiegelung die qualitativ neue (höhere) Reflexionsstufe erst ermöglicht, sie aber auch provoz i e r t , sie unter Entwicklungsgesichtspunkten (u.U.) notwendig macht. Der "Bewußtseinsprozeß" erfordert, daß die geeigneten Mittel (Begriffe!) zur Verfügung stehen, und zwar sowohl je historisch-konkret allgemein-gesellschaftlich bzw. objektiv/überindividuell (s. dazu den Exkurs in 7.2.2) als auch dem Subjekt selbst individuell verfügbar sind. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so führt dann die -die bewußte Wahl einer Perspektive ermöglichende- rezentrierte Reflexion zu "wahrem" Selbst-Bewußtsein und bewußter Subjektivität. Allerdings wird wirkliche progressive Persönlichkeitsveränderung und damit faktisch e r w e i t e r t e Handlungsfähigkeit i.S. e r w e i t e r t e r Realitätskontrolle nur dann erreicht, wenn zum einen überhaupt andere Menschen "zur Verfügung stehen", mit denen neue Verkehrsformen auch wirklich realisiert werden können, und nur, wenn zum anderen auch die Handlungsmittel und operativen Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung der gewählten Perspektive verfügbar gemacht, d.h. etwa (zunächst) erprobt bzw. 'ausprobiert 1 und (dann) im Alltag ' e i n g e s e t z t ' werden. Für die 'Seite' der gnostischen Prozesse wurde ja schon ausgeführt, daß gekonntes sinnhaftes Handeln i.S. von bewußter S u b j e k t i v i t ä t schließlich die 'Rückkehr' von der R e z e n t r i e r u n g in erneute Dezentrierung und wieder Urzentrierung (REf - DE' - URf) erfordert (s. Punkt 6.4). Indessen kann eine Sozialform-Veränderung auch ohne explizite Bewußtwerdungsprozesse vonstatten gehen, indem einfach neue Tätigkeiten realisiert und dabei -wiederum ohne Bewußtseinsbeteiligung- neue Motive gebildet werden (-ein Prozeß, der sicherlich häufig durch traditionelle Therapien angeregt wird; e t w a in der V e r h a l t e n s t h e r a p i e dadurch, daß der "Klient" gezwungen wird, neue -bislang gemiedene- Handlungsfelder zu betreten-). Jedoch um perspektivisch die eigene Persönlichkeitsentwicklung anstreben zu können, wird die Bewußtwerdung der bisherigen 'Leitmotive' der eigenen T ä t i g k e i t e n e r f o r d e r lich, da ja nur dann eine bewußte Entscheidung für eine (alternative) Sozialform, damit eine bewußte Wahl der eigenen (Lebens-)Perspektive g e t r o f f e n werden kann. Eine Entscheidung gegen die Realisation antagonistischer ('entwicklungshinderlicher') Beziehungsformen (die zumeist den modal-herrschenden widersprüchlichen Kooperationsformen entsprechen) setzt ja deren bewußte Erfassung und Hinterfragung voraus. Die Entwicklungserfordernis der Bewußtwerdung der relevanten Tätigkeitsmotive besteht also im Erreichen von "bewußter Subjektivität", wodurch das Handeln erst einen bewußten Sinn e r h ä l t (bewußte Widerspiegelung und Reflexion des Verhältnisses von Motiv und Ziel) und damit -zumindest in Anteilen- ein 'sinnerfülltes 1 Leben möglich wird. Aber 195

-wie g e s a g t - ist das nur im rezentrierten Refiexionsmodus mögliche Bewußtwerden der Motive der eigenen Tätigkeiten für eine praktisch-reale Veränderung der eigenen Bewegungsform im Netz der sozialen Beziehungen in Richtung auf entfaltetere Lebenspraxis nicht prinzipiell und zwangsläufig erforderlich. Soll heißen: die Veränderung muß im praktisch-sinnlichen Tun erfolgen und sie kann u.U. auch erfolgen ohne explizite Bewußtseinsbildung. Vereinseitigende Betonung der Bewußtseinsbildung/ErkenntnisentWicklung alleine würde der Tatsache nicht mehr gerecht, daß die praktisch-sinnliche Tätigkeit der primäre Lebensprozeß ist, auf den es ankommt.

7.2.2

Die Orientierungskrise als (implizite) Identitätskrise. Stellenwert und Implikationen dieser Krise bei "reduzierter 11 Persönlichkeitsentwicklung (Stagnation versus Progression)

In einer "Orientierungskrise i.e.S." ist die 'Angemessenheit* und 'Sinnhaftigkeit' der bisher tin bestimmten Tätigkeitsfeldern leitenden oder gar Lebens-) Orientierung praktisch negiert, indem das (dominierende) sozial-existentielle Motiv, das die betreffende Orientierung hervorgebracht und geprägt h a t t e , nicht (mehr) verwirklicht werden kann. Die Orientierungskrise i.e.S. widerspiegelt hiernach eine Krise der eigenen Sozialform (Persönlichkeits-/"Identitäts"-Krise). Insofern in einem Tätigkeitsfeld die Motive-Realisation i.S. der Erhaltung der bisherigen Sozialform r e a l i t e r mißlingt, s c h e i t e r t gewissermaßen auch die Orientierung (und implizite Identitätszuschreibung) an/in der je aktuellen Wirklichkeit. Im anderen Falle der Krise als Ausdruck eines Motiv-Konflikts (von zwei relevanten, aber antagonistischen Sozialformen) liegt die Orientierungsproblematik darin, daß keine klare emotionale Priorität für die Realisation der einen oder anderen Tätigkeit e n t w i c k e l t (daher keine "Entscheidung" g e t r o f f e n ) werden kann. Auf diesen "Konflikt-Fall" von Krise wird des weiteren nicht mehr gesondert eingegangen (s. aber Punkt 5.2); er kann den folgenden Ausführungen subsumiert werden. Kennzeichen der akuten Krise ist immer -neben der emotionalen Verwirrtheit bis zum Disaster-Erlebnis- die aktuelle Handlungsunfähigkeit: orientierungsios geworden, vermag das Subjekt aktuell nicht (mehr) zu handelndes 'weiß1 aktuell nicht, was es tun soll. Aber: es kann nicht nicht handeln (bzw. ' r e - a gieren'); es muß gehandelt werden (oder im Bild der Krise als Punkt der Wege-Gabelung: es muß der eine oder andere Weg gegangen werden). Auch gerade bei beeinträchtigter ("reduzierter") Persönlichkeitsentwicklung, die inhaltlich durch "problematische" (d.h. entwicklungshinderliche) Tätigkeitsmotive (Bedürfnisse), ferner durch Rigidität und Starre etc. gekennzeichnet ist, bietet die Krise immer wieder die 'Chance 1 des q u a l i t a t i v e n Sprungs in eine neue (entwicklungs-positive) Sozialform und damit des Ubergangs auf ein höheres Niveau der Handlungsfähigkeit (Progression). Der andere Weg aber wäre das (erneute) Verbleiben auf der aktuellen Entwicklungsstufe, d.h. das 'Sich-(wieder)-Einrichten' in der bisherigen Sozialform, damit das Sich-neuerliche-'Zurechtfinden 1 auf dem bisher erreichten Niveau der Handlungsfähigkeit (Stagnation; Sich-Festhalten auf einem b e s t i m m t e n Entwicklungsniveau) oder aber -was bei schon beeinträchtigter Persönlichkeitsentwicklung oft wahrscheinlicher ist- es erfolgt bei starrer Erhaltung der bisherigen ("problematischen") Sozial196

form ein Zurückfallen auf ein niedrigeres Niveau der Handlungsfähigkeit (Regression, s. unten). Dabei werden diese drei Modi des Entwicklungsfort(bzw. rück-)gangs in die Wege geleitet durch die -dem Subjekt mögliche- Krisenbewältigung und sind auf diese Weise gebunden an die drei Reflexionsmodi der Ur-, De- und Rezentrierung, denn die gnostischen Prozesse in (bzw. angesichts) der Krise v e r mitteln und regulieren die weitere praktische Aktivität. Befand sich das Subjekt im urzentrierten Reflexionsmodus, muß es zunächst de z e n t r i e r e n (Reflexion des Verhältnisses von eigenem Handeln und 'auftauchender 1 Wirklichkeit), da sich ihm ein Problem s t e l l t , das g e l ö s t / b e w ä l t i g t werden muß. Insofern es sich dann aber in der Tat um eine Orientierungskrise i.e.S. handelt, also die sich aus dem je dominierenden Tätigkeitsmotiv/-bedürfnis (z.B. "der Beste sein") herleitende Leit-(Lebens-)Orientierung e r s c h ü t t e r t i s t , da die b e t r e f f e n d e soziale Existenzform bedroht/gefährdet bzw. blockiert/behindert oder g e s c h e i t e r t / z u s a m m e n g e b r o c h e n ist (das z e n t r a l e sinn bildende Motiv der Tätigkeit nämlich nicht mehr realisiert werden kann), wäre darüber hinaus -unter Gesichtspunkten der Höherentwicklung- der Ubergang zum r e z e n t r i e r t e n Reflexionsmodus entwicklungsnotwendig. Denn eine solche Krise (die die Persönlichkeit betrifft und deshalb objektiv auch eine "Identitätskrise" ist) stellt ja eine grundlegende Hinterfragung der bisher dominierenden (Lebens-)Perspektive dar, weshalb die bewußte Wahl einer (neuen) P e r s p e k t i v e , welche aber nur in rezentrierter Reflexion erfolgen kann, erforderlich wird. Die Schwierigkeit b e s t e h t nun darin, daß sich die krisenerschütterte Person zumeist weder über die Natur der Krise (etwa, daß es sich t a t s ä c h l i c h um eine Krise der eigenen Sozialform/"Identitätskrise" handelt), noch über den 'wahren' Gegenstand der Krise (das bedrohte bzw. g e s c h e i t e r t e dominierende Motiv/Bedürfnis), noch über die in der Krise liegende Entwicklungschance und u.U. -notwendigkeit 'im klaren' ist, aber dennoch (je aktuell schnell) eine Bewältigungsform einschlagen muß. Während der "Fall" der Regression im nachfolgenden Abschnitt (7.2.3) besprochen wird, werden vorliegend Stagnation und Progression einander gegenüber gestellt, also erhaltende versus erweiterte soziale Reproduktion (Person-Entwicklung). C h a r a k t e r i s t i s c h f ü r psychische Beeinträchtigung (Person-"Reduktion") ist es gerade, daß immer wieder erhaltende (statt entwicklungsnotwendige erweiterte) Reproduktion der ("problematischen") Sozialform erfolgt. Verbleibt das Subjekt trotz einer Orientierungskrise i.e.S. in d e z e n t r i e r t e r Position, wird es das Problem im Sinne seines ("problematischen", unbewußten) dominierenden Motivs/Bedürfnisses zwecks Aufrechterhaltung/Erhaltung seiner e t a b l i e r t e n sozialen Existenzform (im jeweiligen Lebensbereich/Tätigkeitsfeld) zu bewältigen versuchen. Es bleibt damit auf der Ebene 'bloßer' (Krisen-/Konflikt») Problembewältigungsversuche ohne den Charakter der Krise als "Identitätskrise" bzw. richtiger: als Infragestellung seiner bisherigen Sozialform, und die Entwicklungschance und u.U. -notwendigkeit zur progressiven Weiter-(Höher-)Entwicklung zu erkennen; es stagniert. Praktisch und kognitiv t ä t i g wird das Subjekt dabei also g e l e i t e t durch seine schon bisher dominierende (Lebens») Orientierung (z.B. "bloß kein Versager sein" oder "alle anderen an Erfolg übertreffen" o.ä.), die ihrerseits ja unhinterfragt bleibt. Unter anderem vermittelt durch den persönlichen Sinn (das SpS: s. dazu Punkt 5.4) schließt dies Abwehr ein, mehr noch: im Falle einer objektiv bestehenden Entwicklungsnot-wendigkeit zur e r w e i t e r t e n Reproduktion (Progression) wird eine 197

Abwehr personal-subjektiv für die identisch-erhaltende Reproduktion der bisherigen Sozialform in der Tat erforderlich. Die Abwehr hat hierbei zweierlei Funktion: 1. Schutz und Aufrechterhaltung der bisherigen sozialen Existenzform und 2. Verneinung der Entwickiungsnotwendigkeit zum Uber gang in die Rezentrierung und zur Progression. Und wie GLEISS (1980, 122) bemerkt, hat die Abwehr bereits symptomatischen Charakter, da sie die Person auf einer bestimmten Ebene stagnieren läßt. Nun stellen Orientierungskrisen nicht immer gravierende e x i s t e n z b e d r o h e n d e Ereignisse f ü r das Subjekt dar, vielmehr müssen i.d.R. auch "eine Unmenge alltäglicher Orientierungskrisen bewältigt werden ..., die so mit der Alltagsroutine der Person verwoben sind, daß sie weder als besonders bedrohlich noch als belastend erlebt werden müssen" (GLEISS aaO, 121). Zur 'Handhabung' solcher 'leichterer' alltäglicher Orientierungskrisen werden vom Subjekt gegebenenfalls verschiedene Abwehrformen, die dann den C h a r a k t e r von s y m p t o matischen Bewältigungsformen haben, eingesetzt. (Z.B. wird der jung-dynamische Top-Karrierist und Frauenheld, der von allen bewundert werden muß, über seine Kritiker sagen, sie seien "bloß neidisch" oder der Schüler, der immer der Beste sein muß, wird Bereiche, in denen ihm das nicht gelingt (etwa: Musik, Sport) a b w e r t e n , oder der Student, der auf alle Fälle kein Versager sein darf, wird aktuell mit Worten viel von sich hermachen und über große Zukunftspläne reden, sich aber an frühere Mißerfolge u.U. nicht mehr 'erinnern'; o.ä.). Auf diese Weise wird das Subjekt Abwehrformen ausbilden als "habituell verfestigte Organisationsstrategien, die dazu beitragen, die Person vor bestimmten problematischen Erfahrungen zu schützen" (dto, 122), somit -als "Formen der strategischen Auseinandersetzung mit Orientierungskrisen"- s y m p t o m a t i s c h e K o n f l i k t b e w ä l t i g u n g s s t r a t e g i e n (s.a. HASELMANN 1982), die die Aufgabe haben, subjektiv-bedrohliche Erfahrungen über die eigenen Person zu vermeiden oder zu neutralisieren bzw. umzukehren. (Von den beiden Hauptkategorien der Abwehr, nämlich Vermeidung einerseits und Neutralisation bzw. Umkehrung andererseits, wird später noch die Rede sein: Punkt 7.3). Insofern die Orientierungskrise auch eine "Identitätskrise" d a r s t e l l t , kann als eine besondere Form der Abwehr ferner das "Identitätsmanagement" betrachtet werden, wie es von Klaus OTTOMEYER a u s g e f ü h r t wird (z.B. 1980b; s . a . Erving GOFFMAN über "Techniken der Bewältigung beschädigter Identität", 1967). In die Krise "geraten", erfolgen hierbei Versuche der bloßen Problembewältigung der je aufgetretenen Schwierigkeiten (Verbleiben auf dezentrierter Reflexionsstufe) bzw. n e g a t i v e r f o r m u l i e r t : um die a n g e k r a t z t e I d e n t i t ä t wieder a u f z u p ä p p e l n , wird instrumentalistisches Manövrieren eingesetzt. Im Beispiel von OTTOMEYER (1980b, 185ff) muß der frischgebackene Diplom Psychologe mit Universitätsausbildung auf seiner ersten Arbeitsstelle ein entsprechendes "Identitätsmanagement" vornehmen, um trotz seiner realen Erfahrungslücken/sachlichen Kompetenzmängel gegenüber den Heimerziehern, Sozialarbeitern etc. seine Identität als 'ausgebildeter Akademiker' und 'psychologischer Experte' o.ä. zu bewahren (seine Kompetenzmängel hinter einer "Expertenmaske" zu verbergen). Beispielsweise versucht er seine Schwierigkeiten zu bewält i g e n , indem er private Nachholkurse über neueste Therapieverfahren belegt oder aber indem er sich in dem Heim von den Erziehern d i s t a n z i e r t , sich in sein Psychologenzimmer zurückzieht und sich auf das Testen beschränkt o.ä.. Auf diese Weise mag es wohl sein, "daß die Identitätskrise des Psychologen eine gewisse Beruhigung erfährt ... Solange aber eine Identitätsstabilisierung 198

die gesellschaftliche Vermitteltheit der eigenen Krise nicht reflektiert, bleibt sie unterhalb der Schwelle zur Bildung von Selbstbewußtsein" (dto, 186). In diesem Zusammenhang versteht OTTOMEYER Selbstbewußtsein so, wie ich es hier (s. Punkt 6.4) als Selbst-Bewußtsein i.S. von bewußter Subjektivität konzipiert habe! Mit dem " I d e n t i t ä t s m a n a g e m e n t " wird also der mögliche qualitative Sprung, damit die Weiter-Entwicklung negiert und an einer -wie OTTOMEYER sich a u s d r ü c k t - "Pseudo-Identität" festgehalten, die wirklich 'echte' Selbstverwirklichung (i.S. der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur') verhindert. Tatsächlich handelt es sich indes nicht um eine "Pseudo"-Identität, die da für das Subjekt auf dem Spiel steht, sondern um dessen wirkliche Sozialform; wie ja auch die materiell-sozialen Verhältnisse, in denen wir leben und die wir realisieren, nicht "Pseudo" sind. (Ferner wäre es f ü r das b e t r o f f e n e Subjekt wohl leichter, eine Pseudo-Identität aufzugeben, als in der Tat einen Teil seiner wirklichen Persönlichkeit zu verändern.) Aber was sich das Subjekt selbst i.a. als seine "Identität" zuschreibt, das ist oft "Pseudo"! Wie schon e r w ä h n t , können Orientierungskrisen für das Subjekt von unterschiedlichem Schweregrad und/oder unterschiedlicher Reichweite sein. Die subjektiv e r l e b t e 'Schwere' einer Krise bestimmt sich (bei Aufrechterhaltung der bedrohten Sozialform, somit Negation der qualitativen Veränderungsmögiichkeit) aus den subjektiv verfügbaren und aktuell realisierbaren Möglichkeiten ihrer 'Handhabung' durch verstärkte Anstrengungen, durch Abwehr oder Ident i t ä t s m a a a g e m e n t . So werden die "alltäglichen Orientierungskrisen", die mit den schon dafür ausgebildeten Abwehr-Manövern (s.o.: s y m p t o m a t i s c h e Konf l i k t b e w ä l t i g u n g s s t r a t e g i e n ) leicht "gelöst" werden können, gar nicht (mehr) offen als krisen- b z w . k o n f l i k t h a f t e r l e b t . Im Falle etwas g r a v i e r e n d e r e r Krisen hingegen, die mit den üblichen Bewältigungsstrategien nicht mehr so leicht überspielt werden können, werden vom Subjekt -sofern es nicht über die R e z e n t r i e r u n g zur Progression gelangt- zwecks Problem(Krisen-)bewältigung auch schon "symptomatische Lösungen" gefunden, gewisse " m a n i f e s t e Symptome" ausgebildet, also Behinderungen der Handlungs-(und Interaktions-)fähigkeit oder sonstige "Auffälligkeiten". Es gilt bei beeinträchtigter ("reduzierter") Persönlichkeitsentwicklung wohl die Gesetzmäßigkeit (-man erinnere sich bitte an FREUD-), daß in dem Maße, wie die Abwehr "versagt", aber keine qualitative Weiterentwicklung erfolgt, manifeste Symptome gebildet werden; psychische "Gestörtheit" bzw. psychosoziales Gekränktsein dann erst bei einem Zusammenbruch des "Abwehrsystems" auftritt. Also sind "symptomatische Lösungen" nicht immer mit Regression v e r bunden; auch bei stagnierender Entwicklung werden o f t verschiedene Behinderungen bzw. konkrete Beeinträchtigungen a u f t r e t e n , die in k l i n i s c h - t h e r apeutischen bzw. "pathopsychologischen" Klassifikationsrastern etwa als "Errötungsangst", "Arbeitsstörungen", "Kontaktschwierigkeiten" o.ä. e t i k e t t i e r t und erfaßt werden. Manchmal kommen solche Personen in die Therapie und wollen nichts weiter als ihre unangenehmen "Störungen" weggemacht bekommen (sich f e s t h a l t e n d auf dem bisherigen Entwicklungsniveau, ohne sich selbst kennenzulernen bzw. wissen zu wollen, WOZU sie die "Symptome" entwickelt haben). Hier springt dann insbesondere die Verhaltenstherapie in die Presche (auch die kognitive VT) und erweist die Problematik einer bloßen Symptom Orientierung in der Psychotherapie, die die Chance der qualitativen Weiterentwicklung oftmals 199

b l o c k i e r t . Die "Beseitigung des Symptoms" geht nämlich o f t einher mit dem Aufbau eines perfekteren "Abwehrsystems 11 , eines g e s c h i c k t e r e n I d e n t i t ä t s m a n a g e m e n t s , mit allgemein verbesserten, aber symptomatischen Konfliktbewältigungsstrategien zwecks Verfestigung des ohnehin schon rigiden Motivsys t e m s (Festschreiben des bestehenden im Status quo). Fallbeispiele hierfür lassen sich überall in der (kognitiv-)verhaltenstherapeutischen Literatur finden (s.a. m.E. in DE JONG u.a.: "Verhaltensmodifikation bei Depressionen" 1980, etwa: BURGESS 41ff, JACKSON 47ff...). Bei "bloß" stagnierender Person-Entwicklung sind die meisten der bereits "symptomatischen Krisen-Lösungen" derart, daß sie (noch) zu keiner schwerwiegenden Beeinträchtigung der Handlungs-(Kooperations-)fähigkeit führen; verbleibt das Individuum auf der dezentrierten Reflexionsstufe, dann vermag es sein eigenes Handeln mit den Umweltereignissen in Relation zu setzen und entsprechend sich selbst -dies ist ein wesentlicher Unterschied zum Fall der Regression- (in den jeweiligen Tätigkeitsfeldern) (noch weitgehend) als Subjekt seiner Umwelt zu erleben. Mit oder neben erhöhter Anstrengungsbereitschaft, die je ' a u f g e t r e t e n e n 1 Probleme doch noch auf "Problemlösungsebene" zu bewältigen, gehen aber oft verschiedene somatische Beschwerden ("Atypien") einher (Kopfschmerzen, Bluthochdruck, "Schlafstörungen", Hautausschläge o.ä.) oder verschiedene Arten von (manchmal marginalem) "phobischem Vermeidungsverhalten" oder verstärkte Einnahme von Pillen (Aufputsch-, Beruhigungsmittel) oder Genußmitteln u.a.m.. Zumeist sieht sich die Person selbst dabei aber noch nicht als besonders 'gehandikapt' an und identifiziert ihre Beschwerden, Anhänglichkeiten oder Süchte etc. auch nicht als "Krankheits"anzeichen. Gelingt angesichts der Krise die je a k t u e l l e (wenn auch symptomatische) Problembewältigung bzw. das Identitätsmanagement, so bleibt die Handlungsf ä h i g k e i t auf bisherigem Niveau erhalten, ebenso wie die bisherige (Lebens-)Orientierung inhaltlich aufrechterhalten wird. Dies trägt dann zur Verfestigung der Beeinträchtigung (Person-"Reduktion") in dem je bestimmten Lebensbereich bei. Der m.E. entwicklungsnot-wendige Übergang zur rezentrierten Reflexionsstufe wird gefördert oder verhindert (bzw. blockiert) durch die nicht nur subjektiv v e r f ü g b a r e n , sondern auch je historisch-konkret objektiv (überindividuell, allgemein-gesellschaftlich) bestehenden Möglichkeiten und M i t t e l . Die in der Krise potentiell liegende Chance zum qualitativen Entwicklungssprung wird dabei insbesondere auch verhindert durch die im Sinne der herrschenden bürgerlichen Ideologie gesellschaftlich "nahegelegte" Negation und Verschleierung der Notwendigkeit des Ubergangs zur Rezentrierung in die soziale Praxis des 'höheren' Subjekt-Systems hinein (s. unten den Exkurs). Durch Verbleiben auf der dezentrierten Stufe der bloßen Problembewältigungsv e r s u c h e , d a m i t gewissermaßen auf der Ebene des Sich-Zurecht-Findens in einer undurchschauten und unhinterfragten Welt und ohne sich selbst 'durchs c h a u t ' und 'hinterfragt' zu haben, blockiert sich das Subjekt die 'Gelegenheit' der Wahl einer Perspektive (damit bewußte Subjektivität) und das je dominierende Motiv bleibt unbewußt. Die bisherige soziale Existenzform wird erhaltend reproduziert (Stagnation). Es ist - g a n z allgemein- der Fall der Problembewältigung, bei dem nicht hinterfragt wird, warum "sich" das Problem in der je besonderen Weise stellt und welchen Sinn und Zweck das je gesetzte (Bewältigungs-)Ziel hat; das Subjekt versucht nur, mit dem, was "ist" (was sich als Aufgabe/Anforderung/Problem 200

s t e l l t ) irgendwie fertigzuwerden (sich zurechtzufinden; vgl. dazu HOLZKAMP 1973, z.B. 354ff), — und dies speziell auch unter "Einsatz" von Abwehr als Methode/Strategie der (symptomatischen) Konfliktbewältigung. Grundsätzlich kann mit bloß je aktueller Problembewältigung (sei es darüber hinaus auch bei Ausbildung von geeigneten Problembewältigungs"strategien" für die immer wieder auftretenden je aktuellen Probleme) das Sich-immer-wiederStellen der gleichen oder vergleichbarer Probleme nicht überwunden werden, wird dabei auch eine wirkliche Erweiterung der Handlungsfähigkeit im Sinne v e r b e s s e r t e r Realitätskontrolle (in den jeweiligen Bereichen) verhindert. Das Subjekt dreht sich gewissermaßen im Kreise, indem es identische Sozialmuster reproduziert. Nun s e t z e n auch die meisten "traditionellen" Therapie"verfahren" (sofern sie sich nicht darauf beschränken, ganz im ich-zentrierten "Anschaulichen" einer "pseudokonkreten Wirklichkeitserfassung" (vgl. HOLZKAMP aaO) verhaftet zu bleiben) i.d.R. nur an der dezentrierten Stufe, auf Problemlösungsebene an, bieten Strategien des Sich-Zurechtfindens, der je aktuellen Problembewältigung an, verhelfen dem "Klienten" u.U. zu systematischeren und rationelleren Problembewältigungsstrategien (wie in den sog. "Kompetenztrainings") etc. etc., ohne jedoch er klär term aßen zu einer progressiven Konflikt bewältigung beizutragen oder diese (in dem hier verstandenen Sinne) auch nur anzustreben. In solchen "Therapien" wird dann ein in die ur zentrierte Reflexionsstufe zurückg e f a l l e n e s , hilfloses, "regrediertes" (s. unten) Individuum zwar (u.U.) auf die Stufe der Dezentrierung (zum "problemlösenden" Erkennen und Handeln) (wieder) "hochgehoben", aber Weiteres ist therapietheoretisch zumeist nicht ausgearbeitet. Die soeben getroffene Aussage bezieht sich wohlgemerkt auf die eingesetzten Therapie"verfahren", nicht auf die gesamten derzeit praktizierten Formen von Psychotherapie überhaupt. Es wäre eine zukünftige Aufgabe, die verschiedenen Therapiemethoden und -schulen daraufhin zu untersuchen, in welchem Ausmaß und in welcher Form sie dem "Klienten" doch, -jedenfalls in ihrer realisierten psychotherapeutischen Praxis-, ansatzweise zu umfassenderer Subjekt-Selbsterkenntnis und zur Progression der Persönlichkeit verhelfen; unbestreitbar werden solche F o r t s c h r i t t e z.T. durch Psychotherapie erzielt, obwohl entsprechende Zielperspektiven weder störungstheoretisch noch t h e r a p i e t h e o r e t i s c h adäquat v e r a n k e r t sind (-dabei nimmt die Psychoanalyse, insoweit sie den Anspruch einer Persönlichkeitsveränderung formuliert, noch eine Sonderstellung ein-). Im Zuge der sog. "kognitiven Wende" innerhalb der Klinischen Psychologie hat sich nun aber eine Therapieorientierung e t a b l i e r t , die ihr t h e r a p e u t i s c h e s Vorgehen explizit als "Problemlösungstherapie" bezeichnet und sich auch an entsprechenden denkpsychologischen Konzepten ausrichtet (bzw. z.T. handlungst h e o r e t i s c h " f u n d i e r t " wird). Für solche Problemlösungsansätze bzw. »"trainings" (s. paradigmatisch D'ZURILLA/GOLDFRIED 1971; aber auch WATSON/THARP 1974; MAHONEY 1977; SCHMIDTCHEN 1978; u.a.m.; zur Diskussion s. JAEGGI/KAMMERER 1983; FLIEGEL/KONZ 1983) gilt, - auch wenn sie sich (s. z.B. FIEDLER 1981) einen ausdrücklich fortschrittlich-emanzipatorischen Anspruch setzen (bzw. sich einen solchen 'Anstrich' geben) nach wie vor die Kritik, die HOLZKAMP b e r e i t s 1973 am Problemlösungsparadigma leistete: Diese Psychologie "erfaßt in Wirklichkeit lediglich das Denken als Moment der utilitaristischen Praxis, in welcher der Mensch sich in der Pseudokonkretheit 201

seiner alltäglichen Umwelt fraglos einrichtet, aliein auf 'Sich-zurecht-Finden' aus ist, weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit des b e g r e i f e n d e n Durchdringens der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Zusammenhang bewußter gesellschaftlicher Praxis einsehen kann. Der •problemlösende' Mensch ... sieht sich vor 'Schwierigkeiten' kognitiver, lebenspraktischer, 'sozialer' Art, die innerhalb seiner individuellen Lebensführung entstehen und deren Bewältigung ihm als einzelnen aufgegeben und auch prinzipiell möglich ist. Die individuelle Übernahme einer solchen Schwierigkeit als 'Problem', dessen 'Lösung' der Mensch in Angriff nimmt, bedeutet ... (daß) die gedankliche Isolierung des Problems aus seinen umfassenderen Real zusammenhängen nicht nur nicht aufgehoben, sondern zwangsläufig befestigt wird. ... Das 'Problem' erscheint ... als ein Hindernis, das vor den Individuen auf dem Wege zur Erreichung ihrer Ziele, Erfüllung an sie gestellter Forderungen, Verwirklichung ihrer Lebenspläne e t c . ' a u f t a u c h t ' und einen dem Problem angemessenen Sondereinsatz ... verlangt, so lange, bis das Problem gelöst ist und der Weg ... fortgesetzt werden kann. - Für den 'Problemloser' v e r l a u f e n die einzelnen Problemlösungsprozesse also auf dem Hintergrund einer im ganzen unverstandenen Wirklichkeit, aus der Problem um Problem n a t u r h a f t oder auch schicksalhaft 'auftaucht'..." (dto 355f, im Original teilw. hervorgehoben; s.a. SEIDEL 1976). Aus der Sicht des T ä t i g k e i t s a n s a t z e s habe ich (HASELMANN 1983, 76f) zu diesem Thema folgende Ausführungen gemacht: "Bleibt ... die (Sinn-)Problematik der sich aus dem unbewußten 'Leitmotiv' der Tätigkeit herleitenden dominanten 'Lebensorientierung' unerkannt, so e r f ä h r t diese durch bloße Versuche, die a u f g e t r e t e n e n (Handlungs-)Schwierigkeiten (bzw. die subjektive Handlungsunfähigkeit in einer Orientierungskrise) lediglich durch s y s t e m a t i s c h e r e , r a t i o n e l l e r e , effizientere o.ä. Handlungsplanung und -regulation zu bewältigen, (m.E.) eine zusätzliche Verfestigung (-insbesondere im Falle eines 'Gelingens' solcher Problemlösungen' auf bisherigem Niveau, d.h. im Sinne der dominanten Orientierung). So stellt die systematische Therapie (paradigmatisch: die Problemlösungstherapie) hauptsächlich nur bessere Strategien/Verfahren der Problembewältigung zur Verfügung, ohne aber die in der (Orientierungs-)Krise potentiell liegende Chance zum 'qualitativen Entwicklungssprung' für den 'Klienten' explizit nutzbar ^u machen. Wenn die bisherige soziale Existenz-/Bewegungsform des Subjekts in den je relevanten Tätigkeitsfeldern aufrechterhalten bleibt, bleibt auch die Beeint r ä c h t i g u n g der Persönlichkeitsentwicklung (im Falle von Konkurrenz- oder Abhängigkeitsmotiven etc.) im wesentlichen bestehen; ... Ich m ö c h t e keinesf a l l s b e s t r e i t e n , daß es bereits eine große Hilfe für einen 'Klienten' ist, sich in seiner Welt (überhaupt noch) zurechtzufinden und f ü r ' a u f t a u c h e n d e ' Probleme geeignete Bewältigungsstrategien bzw. Möglichkeiten des Umgehens mit den Problemen zur Verfügung zu haben, aber als grundsätzliche Ziel-Perspektive einer Therapie scheint dies doch etwas eingeengt, zumal da 'Rückfälle' quasi vorprogrammiert sind, wenn die P e r s ö n l i c h k e i t s b e e i n t r ä c h t i g u n g nicht doch noch überwunden wird. Mit seinem Konzept der Analyse von "interaktioneilen Verhaltensplänen" eröffnete GRAWE (1980) einen etwas weitergehenden Zugang zur Klientenproblem a t i k , ohne jedoch -wiewohl es hierbei ... möglich wird, dem 'Klienten' Einsicht in gewisse subjektive Sinn zusammenhänge seines Handelns zu v er mittel nsoweit vorzudringen, ihm zu 'bewußter Subjektivität', zu verhelfen. Eine Konfrontation des 'Klienten' mit seinen -vom Therapeuten 'erkannten'- 'Oberplänen' (GRAWE aaO) wird diesem m.E. wenig helfen, wenn er sich in dieser Hinsicht 202

weder in seiner Person-Entwicklung begreifen noch eine alternative Perspektive sehen kann. Im Gegenteil könnte eine solche Eröffnung seitens des Therapeuten f ü r den 'Klienten 1 höchst belastend sein, insbesondere wenn er die i.d.R. negativ-anmutenden 'Pläne' im Rahmen einer individualisierenden Therapie-Konzeption als seine individuellen 'Fehlleistungen' annehmen muß". Nicht unbemerkt lassen, möchte ich in diesem Zusammenhang, daß auch eine an der materialistischen Handlungstheorie sensu HACKER/VOLPERT orientierte Therapie (offensichtlich) im Kern nur den Charakter eines Problemlösungsans a t z e s haben kann: vergleiche dazu BENSE (1981) über "Psychotherapie als Training" (204ff). Demgegenüber stellt der Tätigkeitsansatz die therapie-praktisch äußerst relevante Aufgabe, dem "Klienten" zur 'Einsicht' in seine bisher realisierte Sozialform und deren "Problematik", des weiteren schließlich zu bewußter Subjektivität als Voraussetzung und Merkmal seiner Persönlichkeits(weiter)entwicklung (Progression) zu v e r h e l f e n . Die entwicklungsnotwendige "Wahl" einer neuen ("alternativen") Perspektive in rezentrierter Reflexion soll eine Struktur Umbildung der Persönlichkeit (vgl. LEONTJEW 1982, 211) bewirken. Dabei kann es geschehen, daß das in und aufgrund der Psychotherapie herausentwickelte neue (entwicklungs"positive") Leitmotiv der Tätigkeit zunächst nur einen scheinbaren Leitcharakter hat, indem es als bloß "rationales", bloß "gewußtes" Motiv (als s t e r e o t y p e s Ideal) gewissermaßen neben das alte, noch wirksame Lebensmotiv gestellt wird. Ein solches "Nebeneinander von Lebensmotiven" ... "ist jedoch von kurzer Dauer: Die zuerst nebeneinander existierenden Linien verschiedener Lebensbeziehungen gehen danach innere Verbindungen ein. Das geschieht unausweichlich, jedoch nicht von selbst, sondern als Ergebnis jener ... inneren Auseinandersetzung, die als eine besondere Bewegung des Bewußtseins verl ä u f t " (LEONTJEW aaO, ebd). Im Prozeß jener "inneren Auseinandersetzung", der über die Rezentrierung verlaufen muß (= "besondere Bewegung des Bewußtseins") und der damit verbundenen Praxis des Subjekts (seinem praktischen Handeln), setzt sich das eine oder andere Motiv durch, wird dann zum (neuen) L e i t m o t i v . Und in der Psychotherapie ist die Aufgabe gestellt, diesen Prozeß im Sinne der vom Subjekt ("Klienten") gewählten "alternativen" Perspektive zu unterstützen. Bei progressiver Krisenbewältigung geht es darum, die in rezentrierter Reflexion gewählte (Kooperations-)Perspektive, also die neue, "alternative" Tätigkeit (und ihr positiv-kooperatives Motiv) durch geeignete Handlungen und entsprechend geeignete Operationen zu verwirklichen und (immer wieder) zu r e p r o duzieren, auf daß sie schließlich 'dominierenden Stellenwert' einnimmt und (im jeweiligen Lebensbereich) eine "alternative" Sozialform des Subjekts k o n s t i t u iert. Insoweit hierbei b e t r e f f s der relevanten sinnbildenden Tätigkeitsmotive (-bedürfnisse) explizite verbale Fixierungen oder Umschreibungen (wie sie mir hier in der Textdarstellung immer wieder schwerfallen) angebracht bzw. hilfreich sind, wird es günstig sein, die neu gewählte ("alternative") P e r s p e k t i v e nicht nur als Negation der bisherigen ("problematischen") 'Leit'-Orientierung zu formulieren (z.B. Verneinung von "etwas ganz besonderes sein"), sondern auch gerade in der Verbalisierung oder anderweitigen Symbolisierung den positiven Sinn-Gehalt der neuen Perspektive (etwa: "gleichrangig und solidarisch mit anderen sein") hervorzuheben. Das Wesentliche im therapeutischen Veränderungsprozeß sind allerdings keineswegs geschickte Verbalisierungen z e n t r a l e r sinnbildender Tätigkeitsmotive etc., sondern ist die reale subjektive Sinn-Er203

fahrung entwicklungspositiver "alternativer" Sozialformen in der Kooperation mit anderen menschlichen Subjekten, nachdem man vorher das Scheitern der bisherigen (entwicklungsantagonistischen) Sozialform wirklich erfahren und diese (existentiell-bedrohliche) Erfahrung auch zugelassen, mehr noch: sich in sie hineingelassen hatte. Der sich -im Falle einer progressiven Entwicklung- daran anschließende Veränderungsprozeß, der die praktische Realisierung einer neuen ("alternativen") (Sozialform-)Perspektive bis zum Identischwerden der ("gewählten") ("Lösungs"-)Möglichkeit mit der Wirklichkeit beinhaltet, ist dadurch gekennzeichn e t , daß in seinem Verlauf die (neue) Möglichkeit stets realer wird, bis die Grenze zur ersten Realisierung als Wirklichkeit überschritten wird. Demnach werden also verschiedene Grade des realen Bestehens einer Möglichkeit angenommen (von der bloß denkbaren bzw. vorstellbaren über die schon erreichbare, aber noch nicht erreichte bis zur schließlich faktisch realisierbaren; vgl. RAEITHEL (1979). Und entgegen je vereinseitigenden mechanisch-materialistischen Determinations- oder subjektiv-idealistischen Freiheits-Auffassungen gilt hier das Prinzip, daß eine Möglichkeit "zugleich schon besteht und doch erst erzeugt werden muß", und der "Prozeß der Erzeugung" wird für den speziellen Fall menschlicher Handlungsmögiichkeiten "als Ü b e r s c h r e i t e n dreier Stufen (Denkbarkeit, Erreichbarkeit, Realisierbarkeit) beschrieben" (dto, 20), was in der Reflexionsfigur der Abwärtsfolge RE'-DE'-UR' entspricht (vgl. Punkt 6.4).

Exkurs

zum Verhältnis von Entwicklungsnotwendigkeit und Möglichkeitsentwicklung in der Orientierungskrise

Wie ausgeführt, ist in der Krise die 'Chance' zum Sprung in den höheren Reflexionsmodus e n t h a l t e n , weil ja -dies bewirkte das Zustandekommen der Orientierungskrise- bereits eine neue Subjekt-Welt-Beziehung praktisch erlebt wurde, somit die praktische Voraussetzung zum Uber gang in die Rezentrierung gegeben ist (wenn die "neue" Subjekt-Welt-Be Ziehung hierbei auch lediglich eine Negation bzw. einen Zusammenbruch der bisherigen sozialen Seinsweise darstellt). Wenn - d a r ü b e r h i n a u s - mit den je aktuellen im 'bloßen Sich-Zurechtfinden' befangenen Problemlösungen" die ständige Wiederkehr der gleichen (oder s t r u k t u r e l l vergleichbarer) Probleme nicht abgewendet werden kann/konnte und/oder das Problem auch bei e r h ö h t e r A n s t r e n g u n g s b e r e i t s c h a f t mit den üblichen Handlungsmitteln und operativen Möglichkeiten kaum noch oder nicht mehr bewältigt werden kann, das Subjekt also vom Problem überrollt zu werden droht, dann ist f e r n e r eine entwicklungsgemäße Notwendigkeit zum gnostischen Sprung und zur Progression im Sinne von 'Wendung der Not' gegeben. So gesehen ist die Krise Ausdruck einer Entwicklungsnotwendigkeit oder anders ausgedrückt: die Entwicklungsnotwendigkeit äußert sich in Form einer (Orientierungs-)Krise: entweder a) in Form eines problematischen Subjekt-ObjektVerhältnisses, in dem die subjektiven Handlungsmöglichkeiten nicht (mehr) mit den materiellen 'Gegebenheiten' korrespondieren oder b) in Form eines ge204

spannten ("problematischen") Individuum-Gesellschafts-Verhältnisses, in dem in den entstandenen materiell-sozialen Verhältnissen die subjektiven Handlungsmöglichkeiten aktuell nicht mehr hinreichen zur identisch-erhaltenden Reproduktion der bisherigen Sozialform (= Orientierungskrise i.e.S., die hier im Zentrum der Betrachtung steht). Gemäß der Differenzierung von allgemeiner und besonderer Entwicklungsnotwendigkeit (s. dazu Punkt 6.2) ist hier von besonderer Entwicklungsnotwendigkeit die Rede. Dieser Not-Wendigkeit stehen nun die objektiv-allgemeinen ('überindividuellen') und die subjektiv-individuellen Möglichkeiten gegenüber, auf die H e r a u s f o r d e rung zu "antworten". Es lassen sich p o t e n t i e l l e und reale Möglichkeiten unterscheiden (-mögliche Möglichkeiten versus wirkliche Möglichkeiten-). Allgemein b e t r a c h t e t sind p o t e n t i e l l e Möglichkeiten die i.S. der 'Entfaltungslogik menschlicher Natur' (vgl. Punkt 3.1) menschenmöglichen E n t w i c k l u n g s p o t e n t i a l i t ä t e n , aber r e a l e Möglichkeiten sind die tatsächlichen je historisch-konkreten Möglichkeiten, die in den materiellen Bedingungen und Verhältnissen einer je historisch-konkreten G e s e l l s c h a f t s f o r m a t i o n aktuell enthaltenen Möglichkeiten, die auch realisiert werden können. Ähnlich gibt es für das personale Subjekt potentielle und reale Möglichkeiten der Antwort auf die Herausforderung durch die Not-Wendigkeit (Krise). Für das Verhältnis von real und potentiell Möglichem gilt grundsätzlich, daß die tatsächlichen materiellen, -die realen- Möglichkeiten primär sind gegenüber den 'bloß gedachten' Möglichkeiten, daß letztere aber ihrerseits nur entstehen, indem reale Möglichkeiten in der tätigen Auseiandersetzung erkannt und als g e d a c h t e widergespiegelt, als potentielle vorgestellt werden (vgl. RAEITHEL 1979). Eine g e s e l l s c h a f t s k r i t i s c h e Analyse (s. dazu etwa H.-OSTERKAMP 1976) erweist nun aber, daß von den individuellen Subjekten in der bürgerlichen Ges e l l s c h a f t Entwicklungsmöglichkeiten o f t gar nicht erst als solche erkannt, entsprechend potentielle Möglichkeiten auch gar nicht gefunden und gedacht werden können, da die betreffende Denknotwendigkeit und -möglichkeit bzw. die Denkbarkeit einer Möglichkeit (einer entwicklungs-positiven Perspektive) durch die herrschende Ideologie schon im Ansatz blockiert wird. Vorgeordnet handelt es sich -wenn man das Modell der Reflexionsmodi im Auge h a t - um eine Blockade des entwicklungs-not-wendigen Übergangs von der De- zur Rezentrierung, damit auch um eine Blockade der Chance zur Wahl einer Perspektive in bewußter Subjektivität. Ob schließlich dem personalen Subjekt in der Krise der Übergang (zum "begreifenden Erkennen") gelingt, ist abhängig: a) von den gesellschaftlich "zur Verfügung gestellten" und dann dem Subjekt individuell verfügbaren Mitteln (speziell: Begriffen) und b) von der gesamten bisherigen Individualentwicklung des Subjekts, dessen Biographie, KompetenzentWicklung und Persönlichkeits"typ". Ad a):

Wie schon a u s g e f ü h r t , beinhaltet die Rezentrierung in das "höhere Subjekt-System" neben dem Sich seiner Sozialform bzw. der dominierend realisierten (Leit-)Motive (Bedürfnisse) seiner Tätigkeiten Bewußtwerden, die Selbst-Erkenntnis als gesellschaftliches Subjekt, das in g e s e l l s c h a f t l i c h e n Verkehrsformen und sozialen Beziehungsformen materiell-soziale Verhältnisse 205

als Motive realisiert und damit u.U. zur erhaltenden Reproduktion der "bestehenden" gesellschaftlichen (Austausch-, Kommunikations-)Verhältnisse b e i t r ä g t . Es sieht dabei auch, daß diese Verhältnisse antagonistisch und im wesentlichen gegen harmonische bzw. solidarische Kooperation, G e m e i n s c h a f t l i c h k e i t und e c h t e Autonomie gerichtet sind (und daß es letztlich gegen sich selbst agiert, wenn es zur Reproduktion i.S. der Erhaltung statt der Veränderung/Verbesserung solcher Verhältnisse beiträgt). Auch kann die rezentrierte Reflexion die Person nicht nur zur 'Inangriffnahme 1 ihrer eigenen S o z i a l f o r m - P r o b l e m a t i k bewegen, sondern ihr -mehr noch- mit der bewußten Wahl einer Perspektive auch den 'Impetus' geben zur Propagierung der Veränderung der "entfremdeten" gesellschaftlichen Verhältnisse. Deshalb sind für den Ubergang zur Rezentrierung in der herrschenden Ideologie wenig Mittel 'bereitgestellt'; statt dessen werden -im Gegenteil- "Verschleierungstechniken" 'angeboten' (s.a. H.-OSTERKAMP 1976), die die Entwicklungsnotwendigkeit negieren und die Rezentrierung verhindern, ebenso wie auch Manöver des Identitätsmanagements gesellschaftlich 'nahegelegt' werden (vgl. OTTOMEYER 1980b). In Anlehnung an HOLZKAMP (1973) nennt H.-OSTERKAMP (1978^, 287ff) einige Abwehrformen "im Sinne der bürgerlichen Ideologie", wie Techniken der "Widerspruchseliminierung", des "beschränkten Vergleichs", der "Maßstabsverkehrung", der "Introjektion" u.ä.. Die wesentlichste Blockierung ist jedoch gegründet in der üblichen Individualisierung und Privatisierung der psychischen Problematik; es sind die üblichen individualisierenden Schicksals-, Schuld- und/oder Versagens-Zuschreibungen und privatisierenden Erklärungsansätze (einschließlich solchen, die alles nur als eine Frage ungenügender "coping-strategies" betrachten), welche die Rezentrierung verhindern und/oder deren Notwendigkeit verschleiern. Geeignete Mittel für den Ubergang zur Rezentrierung werden demgegenüber häufig von sozialen Bewegungen entwickelt, die sich aus dem Gegensatz zur herrschenden Klasse heraus konstituieren. Eine Mittelbereitstellung erfolgt hier e t w a , indem sie b e s t i m m t e "problematische" Verhältnisse auf den Begriff bringen und ihre Veränderung propagieren und -jedenfalls ansatzweise a l t e r n a tive Lebensweisen vorschlagen (auch vorleben). (Als 'einschlägiges' Beispiel wäre etwa die Frauenbewegung a n z u f ü h r e n , die -wie sonst kaum eine andere Bewegung der letzten zehn Jahre- sehr weitreichende Auswirkungen auf einzelne hatte und h a t , t a t s ä c h l i c h k o n k r e t e Wirkungen auf das Leben auch sehr vieler "Durchschnitts"-Frauen, etwa dadurch daß eine Frau ihre bisherige Abhängigkeits- und/oder Aufopferungs-Orientierung und die damit verbundene persönliche Problematik bei sich selbst in ihrem konkreten Lebensalltag und sozialen Bezugsfeld erlebt/er kennt.) Solche Bewegungen vermögen darüber hinaus die für Veränderungsschritte oft erforderliche emotionale Absicherung zu geben. Das Wesentliche ist natürlich, inwieweit und wie die in sozialen Bewegungen (oder in Psychotherapien) e n t w i c k e l t e n Mittel vom je konkreten einzelnen Subjekt angewendet werden können, um seine eigene Sozialform zu erkennen und zu verändern. Personen, die aktiv teilhaben an kritisch-fortschrittlichen sozialen Bewegungen und über entsprechendes Wissen (auch im HOLZKAMP'schen (1973) Sinne der "begreifenden Erkenntnis") verfügen, sind keineswegs schon deshalb weniger psychisch beeinträchtigt! Mit "problematischen" Tätigkeitsmotiven (wie sie in Kap. 4 d e f i n i e r t wurden) können sie ohne weiteres auch innerhalb ihrer politisch-emanzipatorischen ( g e w e r k s c h a f t l i c h e n o.ä.) Gruppe in ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung stagnieren, persönliche Krisen immer wieder ab206

wehrend bzw. symptomatisch bewältigen. Persönliches Leiden kann ich nicht 'angehen', indem ich von meiner eigenen Person und meiner besonderen Individualentwicklung (Biographie) absehe. Ad b):

Die Möglichkeit zum Ubergang in die Rezentrierung angesichts einer Krise hängt auch von der bisherigen Individualentwicklung des Subjekts ab, dabei neben der "Erkenntnisfähigkeitsentwicklung" insbesondere auch von solchen "Parametern der Persönlichkeitsstruktur" (vgl. vorne: Punkt 7.1), wie Weite/Mannigfaltigkeit versus Enge/Beschränktheit der gegenständlichen und sozialen Verbindungen zur Welt, Wechselbeziehungen zwischen den wichtigsten motivationalen Linien in der Gesamtheit der Tätigkeiten des Subjekts und vor allem: Grad der Hierarchisierung, des hierarchischen Aufbaus der Tätigkeiten und ihrer Motive. Bei hohem Grad der Hierarchisierung handelt es sich um eine bereits fest etablierte soziale Existenz-/Bewegungsform, zu der praktisch-real in der Lebenswelt des Subjekts kaum Alternativen bestehen (von daher auch gar nicht denkbar werden können), so daß die Infragestellung der etablierten Sozialform nur ins dunkel Ungewisse verweist und für die Person (auf sich alleine gestellt) mit zu großem existentiellen Risiko verbunden ist, als daß sie den entwicklungsnotwendigen Ubergang in die rezentrierte Reflexion vollziehen könnte. Gelenkt über den persönlichen Sinn, wird hierbei die Abwehr besonders stark sein, ferner auch die Anstrengungsbereitschaft, das Problem doch noch auf de zentrierter Stufe zu bewältigen. Soweit wurde die Schwierigkeit besprochen, überhaupt auf die Stufe rezentrierter Reflexion zu gelangen. Für den Fall, daß das Subjekt diesen "Sprung" vollzog, t r e t e n dann weitere Schwierigkeiten auf, nämlich: die neu zu entwickelnde und dann die zunächst nur vorgestellte Perspektive praktisch zu realisieren, d.h. in reale Möglichkeit umzusetzen, bis diese Wirklichkeit wird. Das Wesentliche ist ja, die neue Perspektive im eigenen sozialen Alltag Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei stehen der Erreichbarkeit und Realisierbarkeit der entwicklungspositiven Möglichkeit allerdings o f t die herrschenden m a t e riell-sozialen Verhältnisse entgegen. Für den einzelnen kommt des weiteren die Schwierigkeit hinzu, daß die Entscheidung für den "weiterführenden Weg" mit Risiko verbunden i s t , nämlich: Gefährdung der bisherigen sozialen "Stellung" und des bisher erreichten Niveaus der Handlungsfähigkeit bei Unsicherheit über die realisierbare "Alternative" bzw. b§i Ungewißheit über die konkrete alltägliche Wirklichkeit einer alternativen Sozialform. Auch kann eine Person o f t den Mut zur Veränderung (zum qualitativen Entwicklungssprung) nur dann aufbringen, wenn sie sich emotional durch andere 'abgesichert', in ihrem sozialen Umfeld/Bezugsfeld 'aufgefangen' weiß, was indes in unserer gesellschaftlichen Alltags Wirklichkeit eher die Ausnahme ist, da "infolge der mangelnden Verbundenheit ..., des isoliert Gegeneinanderstehens der allein auf die Wahrung ihres privaten Vorteils gerichteten Individuen jeder Mißerfolg des einen quasi die Stärkung der Position des anderen bedeutet...", wie H.-OSTERKAMP (aaO, 279) feststellt. Für die Bildung und Realisierung harmonisch-kooperativer oder kämpferischsolidarischer Tätigkeitsmotive müssen spezielle 'Räume'/gesellschaftlich-soziale Beziehungsfelder oft erst geschaffen werden. M.E. können das zunächst Therapiegruppen sein oder sog. Selbsthilfegruppen, auch t h e r a p e u t i s c h e Wohngemeinschaften o.ä.j darüber hinaus werden sozialpolitisch oder anders motivierte Interessengemeinschaften, Arbeits- und Wohnkollektive e t c . o f t günstige Tätigkeitsfelder darstellen, auf daß der neuen Perspektive entsprechende "alter207

n a t i v e " Sozialformen im Ansatz gebildet und verwirklicht werden können. Es geht hierbei um das 'Organisieren' "kooperativ-sozialer M i t t e l - S u b j e k t e " (vgl. RAEITHEL 1983, 184ff).

7.2.3

Regression. Und Symptombildung

Angesichts einer akuten Orientierungskrise hat die Person -so GLEISS (1980, 120)- nur zwei Möglichkeiten: "Entweder sie entwickelt sich anhand dieses Konflikts ..., oder aber sie löst den Konflikt über ein Symptom" (ebd). Die ebenfalls bestehende Möglichkeit des Stagnierens auf dem bisherigen Entwicklungsniveau wird hier nicht genannt und tatsächlich ist wohl anzunehmen, daß in "schweren" Krisen (vgl. vorne) nur noch die zwei genannten Möglichkeiten gangbar sind. Die Frage, "warum bzw. unter welchen Bedingungen O r i e n t i e rungskrisen nur symptomatisch gelöst werden können" (dto, 122), die sich die Autorin anschließend selbst stellt, wird von ihr dann aber lediglich durch die Konstatierung der subjektiven Handlungsunfähigkeit (welche ihrerseits ja Merkmal der Krise ist) beantwortet; die Begründung und Bedingung f ü r die "symptomatische" (regressive) "Lösung" des Subjekts dann in dessen ungenügendem bzw. fehlendem Wissen und Können in der aktuellen Umweltbegegnung gesehen: der Grund müsse "letztlich darin bestehen-(...), daß für bestimmte Probleme der Person-Umwelt-Beziehung kein Handlungsschema h e r g e s t e l l t werden konnte"; die symptomatische Lösung werde "notwendig, weil die Person für entsprechende Situationen keine Subjektivität entwickeln konnte, weil sie keinen Handlungsplan zur Verfügung h a t , der hier einsetzbar wäre" (122f). Diese -wennzwar prinzipiell richtige- Erklärung dreht sich jedoch im Kreise Denn GLEISS z e i g t nicht, wie, d.h. über welche Prozesse das personale Subjekt zur "Wahl" des einen oder anderen Weges k o m m t , insbesondere bleibt u n g e k l ä r t , über welche Prozesse die Person das im Sinne einer progressiven statt symptomatischen "Lösung" e r f o r d e r l i c h e Handlungsschema entwickeln könnte. Demgegenüber konnte eine derartige 'Klärung' hier auf der Basis der Reflexionsfigur vorgenommen werden. Die von GLEISS a u f g e w o r f e n e F r a g e , "weshalb" eine Krise nur symptomatisch gelöst werden kann, beinhaltet im Rahmen der hier vorgelegten Konzeption primär die Frage nach dem 'Mechanismus' der progressiven versus regressiven Krisenbewältigung, die Frage also, wodurch die Krisenbewältigung v e r m i t t e l t wird. Dies wurde vorne b e r e i t s ausgeführt. Gelingt in der (gravierenden) Orientierungskrise die Problembewältigung auf dezentrierter Stufe nicht (mehr) (aus schon genannten Gründen,— in ihrer je individuellen Besonderung für das konkrete personale Subjekt) und noch weniger der Übergang in die rezentrierte Reflexion, dann e r f o l g t ein 'Zurückf a l l e n ' in die urzentrierte Position, damit i.d.R. -insoweit das Verhältnis des eigenen Handelns zum Gegenstandsprozeß bzw. 'Umweltgeschehen' nicht mehr r e f l e k t i e r t werden kann- eine Regression auf ein niedrigeres Niveau der Handlungsfähigkeit zur U m w e l t - / R e a l i t ä t s k o n t r o l l e . Indem in u r z e n t r i e r t e r Reflexion der Beitrag der eigenen (kv) Tätigkeit (damit die eigene 'Potenz') nicht mehr gesehen wird, sieht sich das Subjekt der ihm erscheinenden Wirkl i c h k e i t , - in der Krise also der erschreckenden, die eigene soziale Existenzform gefährdenden, - R e a l i t ä t quasi m i t t e l l o s , damit hilflos a u s g e l i e f e r t (ohnmächtig), weil es nicht (mehr) erkennt, daß und wie es mit seinem eigenen 208

Handeln faktisch eingreift und auch verändernd eingreifen könnte.D Das Individuum wird hier in den jeweiligen Handlungsfeldern zum Objekt seiner Umwelt, sieht sich gleich einer fremden Macht dem "Schicksal" ausgesetzt, kann nicht mehr als Subjekt handeln und erlebt auch sich selbst nicht mehr als subjekthaft (das Individuum degradiert sich selbst zum Objekt). Grund merkmale der Regression sind Abhängigkeit i.S. von Ausgeliefert- bzw. Ausgesetztsein und O b j e k t h a f t i g k e i t in den Umweltbeziehungen (gegenüber potentieller Selbständigkeit und Subjekthaftigkeit oder gar -mehr noch- bewußter Subjektiv i t ä t ) . Bei der Krise, die zur Regression führt, wird es sich um eine (mit Existenzangst verbundene) gravierende existentielle Krise handeln (die soziale Existenzform steht auf dem Spiel), wobei der sozialen Existenzbedrohung/-gefährdung bzw. tatsächlichen -erschütterung mit den üblichen (symptomatischen) " K o n f l i k t b e w ä l t i g u n g s s t r a t e g i e n " und Abwehrformen (s. vorne) nicht mehr beizukommen ist. Die einzig verbleibende Möglichkeit zum Schutze der sozialen Existenzform ist dann oftmals nur noch die manifeste Symptombildung. Nun sind "Symptome" - a l l g e m e i n - zu d e f i n i e r e n als (mehr oder weniger schwere) Beeinträchtigungen der Handlungsfähigkeit in der Umweltauseinandersetzung und/oder der direkten Kooperations-(bzw. "sozialen Interaktions"-)Fähigkeit in der Umweltbegegnung (auf Handlungs'ebene'). Und -ganz grundlegend» haben sie offensichtlich die Funktion des Schutzes und der Erhaltung ( A u f r e c h t e r h a l t u n g ) der bisherigen ( e t a b l i e r t e n ) Sozialform t r o t z deren Blockierung bzw. Scheitern, haben in dieser Hinsicht "primären K r a n k h e i t s w e r t " und einen Sinn für die Persönlichkeit. Die Symptome sind jedoch nicht Dinge, die dem Subjekt anhaften, oder die es "hat", sondern sind selbst Handlungsweisen ("symptomatische Handlungen"). Es mag verwundern, daß zum letztgenannten Punkt sich Parallelen zur psychoanalytischen Neurosenkonzeption a u f z e i g e n lassen. "Was anders hatte den FREUD in den Studien über Hysterie (BREUER und FREUD 1893-95) g e z e i g t , als daß ein neurotisches Symptom etwas ist, das jemand tut, und nicht etwas, das er hat oder das man ihm zufügt?" schreibt SCHAFER (1982, 86). Tatsächlich aber gehen die Parallelen zu FREUD hinsichtlich des Konzepts der Symptombildung noch weiter... Wie in Kapitel 5 dargelegt, sind die Handlungen variable Mittel der je spezifischen motivbezogenen Tätigkeiten-Realisierung. Sofern nun ein wichtiges dominierendes Tätigkeitsmotiv (z.B. "bedeutend sein") nicht zur Verwirklichung gelangen konnte, in der Krise das Subjekt aber gleichzeitig (indem es etwa in die UrZentrierung regrediert) außerstande ist, die betroffene Sozialform aktiv zu überwinden, treten symptomatische Handlungen (z.B. hysterische Symptome) als Mittel zum Zwecke der Dennoch-Aufrechterhaltung der beschädigten Sozialform an die Stelle der bisherigen "normalen" (inzwischen aber blockierten oder fehlgeschlagenen) Handlungen, die als Mittel zum Zweck der Realisation und Reproduktion der relevanten Sozialform f u n g i e r t e n ; e r s t e r e " e r s e t z e n " l e t z t e r e . In dieser Hinsicht sind die Symptome/symptomatischen Handlungen quasi Ersatzmittel für die personal-bedeutsame Sozialform-Reproduktion; sie haben Ersatzcharakter auch insofern, als die Realisation und Reproduktion der bisherigen Sozialform damit nicht angemessen gelingt, diese aber dennoch nicht aufgegeben, sondern -im Gegenteil- geschützt und aufrechterhalten wird. Wie in der Neurosenlehre FREUDs können deshalb auch aus der Sicht einer t ä t i g k e i t s t h e o r e t i s c h e n "Störungs-"Konzeption symptomatische Handlungen

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gewissermaßen ais "Ersatzbildungen" bzw. Ersatzhandlungen (oder "Kompromißbildungen") verstanden werden. Das Symptom e r m ö g l i c h t die Beibehaltung der Sozialform t r o t z ihrer realen Gefährdetheit oder ihres Scheiterns; die s p e z i f i s c h e d o m i n i e r e n d e T ä t i g k e i t (mit ihrem L e i t m o t i v ) wird v e r m i t t e l s der symptomatischen Handlung quasi ersatzweise realisiert.2) M.E. -nicht immer!- ist auch ein Suizid als "symptomatische Handlung" zu qualifizieren. Dies gilt jedenfalls für eine junge F r a u , der es t a t sächlich gelang, eine Sozialform als quasi mediengerechte "Superfrau" auszubilden und über Jahre hinweg in geeigneten sozialen Beziehungsf e l d e r n , in denen das A u g e n m e r k über e f f e k t v o l l e Äußerlichkeiten zumeist nicht hinausging, zu realisieren und erhaltend zu r e p r o d u z i e ren. Zu ihrer Sozialf or m-Absicherung gehörte nicht zuletzt der Ehemann, der seinerseits ein "Supermann" (supererfolgreicher Manager) war und über den sie auch in die entsprechenden 'Kreise' kam. Als sie dann schon das dreißigste Lebensjahr ü b e r s c h r i t t e n h a t t e und ihr Mann sich wegen einer anderen Frau "zeitweilig" von ihr trennen wollte, bricht ihre Sozialform als alle anderen ü b e r t r e f f e n d e "Superfrau", damit ihre ganze Lebenswelt zusammen. Aber noch mit der äußerst perfekten Planung und Durchführung i h r e s Selbstmordes unter Berücksichtigung aller Umstände, Randbedingungen und auch ästhetischer Gesichtsunkte b e w i e s sie sich bis z u l e t z t als "Superfrau". Man könnte fast sagen, daß sie mit der 'symptomatischen Handlung' Suizid, vermittels ihrer physischen Tötung also, ihre s o z i a l e Existenzform als "Superfrau" erhielt. In leichter Umwandlung eines Satzes von FREUD (1971, 237) läßt sich s a g e n : das Symptom ist Anzeichen und E r s a t z - z w a r n i c h t einer "unterbliebenen Triebbefriedigung", aber- einer blockierten Motive-Realisation (auf T ä t i g k e i t s 'ebene'), einer b e d r o h t e n oder g e s c h e i t e r t e n Sozialform.3) Und weiter: "die Symptombildung hat also den wirklichen Erfolg, die G e f a h r s i t u a t i o n a u f z u h e ben" (FREUD, ebd). Aus der Sicht des Tätigkeitsansatzes besteht die "Gefahrsituation" in der subjektiv erlebten sozial-existentiellen Gefährdung, indem die Realisierung des relevanten dominierenden Tätigkeitsmotivs bedroht, blockiert oder gescheitert ist. Eine Person, deren wichtigste Sozialform sich dadurch charakterisieren läßt, daß sie Sozialverhältnisse der kompetenten V e r a n t w o r t u n g s ü b e r n a h m e v e r m e i d e t ("Negativ-Sozialform", s. Punkt 7.3) wird in immer wieder auftretenden Krisensituationen mit verschiedenen p s y c h o s o m a tischen Beschwerden (wie M a g e n - D a r m - E r k r a n k u n g e n ) z e i g e n und bewirken, daß sie geschont werden muß, "nichts dafür kann", nicht zur Verantwortung gezogen werden darf, u.ä.. Oder der ehemals gutverdienende selbständige Malermeister, der a u f grund eines Bandscheibenschadens diesen Beruf, mit dem er für sich die soziale Existenzform des hohen sozialen Prestiges durch f i n a n z i e l len Erfolg realisierte und erhaltend reproduzierte, nicht mehr ausführen kann, entwickelt eine Herzversagensangst ( " H e r z n e u r o s e " , s. das F a l l b e i s p i e l von FISCHER 1982). In seiner neuen beruflichen Lebenssituation (Umschulung im Berufsförderungswerk) zeigt und b e w i r k t er d a m i t (= Anzeichen und Ersatz der Symptomatik), daß er im weiteren beruflichen Fortkommen, das bei ihm mit Geldverdienen assoziiert ist, 210

behindert i s t , da er wegen der H e r z a n f ä l l e den Anforderungen der Umschulung nicht g e r e c h t werden kann. Und die s y m p t o m a t i s c h e n Handlungen "neutralisieren" die gescheiterte Leitmotive-Realisation auf Tätigkeits'ebene', den Prestigeverlust durch finanzielle Einbußen (vgl. Punkt 7.3: Außer-kraft-Setzen des dominierenden Motivs durch Umkehrung). Die Symptome bzw. symptomatischen Handlungen, die -wie gesagt- unter Gesichtspunkten der Realitätskontrolle Handlungsfähigkeitsbeeinträchtigungen (und/oder direkte Kooperations-bzw. "soziale Interaktions"fähigkeitsbeeinträchtigungen) darstellen, haben also eine Funktion für das Subjekt, einen Sinn f ü r dessen Persönlichkeit, für den Erhalt des "Ich", der bisherigen "Identität". Der objektive (von der subjektiven Widerspiegelung unabhängige) Sinn/Zweck der Symptome besteht in ihrer Funktion als Ersatzhandlungen zum Schutze (damit zur konservativen Erhaltung) der bisherigen Sozialform (= "primärer Krankheitswert"). Auf seiten des Subjekts macht sich der Sinn der Symptome oft in Form von Entschuldigungen und/oder R e c h t f e r t i g u n g e n b e m e r k b a r (mit dem "Symptom" wird entschuldigt/gerechtfertigt, daß man dieses oder jenes nicht tun kann; —oder dies wird damit "bewiesen": GLEISS (1980) spricht auch von der "Alibi"-Funktion der Symptome...), ohne daß indes der Rechtfertigungscharakter selbst vom Subjekt als solcher erkannt werden müßte. J e d e n f a l l s aber steht 'hinter 1 den vom Subjekt vorgetragenen oder eher vorgezeigten "Entschuldigungen" letztlich immer die schützende R e c h t f e r t i g u n g der e r s c h ü t t e r t e n (bisherigen) Leit-(Lebens-)Orientierung. Die je gebildeten Symptome erhalten eine gewisse Eigendynmaik, können zum Zentrum der Lebenspraxis des Subjekts werden. Dabei setzen dann auch Prozesse der Selbst- und Fremddefinition (als "krank" etc.) ein, so daß die Problematik (die 'Kränkung1) als "Störung" manifest wird, was u.U. die Übernahme von Kranken-, schließlich Patientenrolle zur Folge haben kann. Die je gesells c h a f t l i c h e n Ideologien über den "kranken" (psychisch "gestörten") Menschen (z.T. klassen- und standortspezifisch differenziert) wirken auch schon in das Manifestwerden der "Störung" in Selbst- und Fremdeinschätzung hinein; es handelt sich hierbei aber um sekundäre Prozesse im Vergleich zum primären Prozeß der Symptomentstehung in einer Orientierungskrise. Genaueres zum Stellenwert dieser sekundären Prozesse der Selbst- und Fremdeinschätzung, der Übernahme der Kranken- und u.U. Patientenrolle (unter Berücksichtigung der sozioökonomischen Position der B e t r o f f e n e n ) ist bei GLEISS (aaO, 129ff) nachzulesen. Eine andere Sache ist die Unterscheidung von (m.E. noch symptomfreier) Beeinträchtigung (Person-"Reduktion") und (u.U. s y m p t o m a t i s c h e r ) "Störung i.e.S." (Kränkung). Hierfür läßt sich unter dem Gesichtspunkt, welchen Stellenwert die Problematik im G e s a m t s y s t e m der Tätigkeiten des Subjekts und dessen Weltsicht einnimmt, "auf der Ebene empirischer Sachverhalte" (GLEISS aaO, 124) eine Differenzierung treffen, wenn "man innerhalb der biographischen Entwicklung einer Person deren Situation vor und nach der symptomatischen Lösung einer akuten Orientierungskrise vergleicht" (dto, 125). Das kann verkürzt folgendermaßen beschrieben werden: VORHER: Der Person gelingt immer noch eine Stabilisierung, damit eine gewisse Harmonie in ihren Subjekt-UmweltBeziehungen bei A u f r e c h t e r h a l t u n g ihrer bisherigen Sozialform (also 211

gemäß den dominierenden konkreten Bedürfnissen). Sie sieht sich seibst kaum als "beeinträchtigt", denn das meiste " f u n k t i o n i e r t " gewissermaßen noch, wenn auch manchmal nur unter erheblichem Aufwand und/oder durch den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines "Abwehrsystems" (Einsatz von Abwehrformen als habituelle Bewältigungsstrategien). In diesem "Stadium" kann das personale Subjekt jedenfalls noch die gewohnten und persönlich notwendigen Erfahrungen mit sich selbst als soziales Wesen machen (u.U. unter Zuhilfenahme von Medikament e n , Alkohol ...) oder es wird mit Hilfe 'kleinerer* Symptome (Erröten und Errötungsangst, akute K o p f s c h m e r z e n , Konzentrationsstörungen o.ä.) "Erklärungen" bzw. "Entschuldigungen" bei der Hand haben, warum dies je aktuell nicht gelingt bzw. gelang. So kann man ein ' p r i v a t e s Rechtfertigungssystem' aufbauen zwecks Aufrechterhaltung (erhaltender Reproduktion) der etablierten Sozialform (der entsprechenden H i e r a r chie der Tätigkeiten und ihrer Motive). NACHHER: Ein Symptom (sei es Medikamentenabhängigkeit oder die Angst, alleine auf die Straße zu gehen o.ä.) nimmt im Gesamtsystem der Tätigkeiten zunehmend breiteren Raum ein, so daß sich schließlich das Symptom selber zum Problem entwickelt (GLEISS 1980, 125) bis das Subjekt gewissermaßen nur noch für sein Symptom lebt, sich sein Leben um die jeweilige Symptomatik organisiert (dto, 126). Im "Stadium psychischer Störung" übernimmt demnach die Problematik/Symptomatik selbst quasi die führende Rolle, wirkt sich auf einen großen Bereich sämtlicher Lebensaktivitäten aus, wird manchmal zum neuen Leitthema, um das sich das Leben dreht. Des weiteren differenziert GLEISS psychische Beeinträchtigung und psychische "Störung i.e.S." in Abhängigkeit davon, inwieweit konkreten o b j e k t i v - g e s e l l scha f t liehen Anforderungen (etwa: für seinen Lebensunterhalt sorgen, sich im Straßenverkehr zurechtfinden etc., aber auch normativen Anforderungen) noch entsprochen werden kann, wobei im ersten Fall das 'Arrangement' im Prinzip noch gelingt, im zweiten Fall die Person aber zunehmend mehr in Konflikt g e r ä t mit den materiell-notwendigen (z.B. Kinder großziehen ...) aber auch normativen Anforderungen. Das soll hier jedoch nicht w e i t e r besprochen werden. Nun gibt es im "Stadium psychischer Störung" offensichtlich verschiedene Grade der "Schwere" psycho-sozialen Gekränktseins (psychischer "Gestortheit"), des weiteren -und damit verbunden- die geläufige Unterscheidung von "neurotischen" und "psychotischen" "Störungen". Dabei steigert sich - n a c h FREUDdie in der "Neurose" e n t s t e h e n d e Reduzierung des Realitätsbezugs in der "Psychose" bis zum Realitätsverlust: "Die Neurose verleugnet die R e a l i t ä t nicht, sie will nur nichts von ihr wissen; die Psychose verleugnet sie und sucht sie zu e r s e t z e n " (FREUD, z i t i e r t nach H.-OSTERKAMP 1978 2 , 267). Dies ist jedoch eine Unterscheidung, die an der Erscheinungsweise ansetzt. Vorhin wurde herausgearbeitet, daß die Funktion der Problematik/Symptomatik darin besteht, die eigene soziale Existenzform zu schützen, zu e r h a l t e n ; und erweiternd wäre hinzuzufügen: wenn dies nicht (mehr) in dieser unserer realen Welt gelingt, dann muß 'im Geiste' eine andere Welt k o n s t r u i e r t werden. Im Extremfall dient also die Symptomatik bei Existenzbedrohung nicht mehr dem Schutze der sozialen Existenzform in unserer realen Welt, aber ihrer Erhaltung in einer konstruierten ( P h a n t a s i e - / G e i s t e s - ) W e l t . Demnach hängt dann die "Schwere" einer Kränkung/"Störung" unter anderem mit dem Ausmaß zusam212

men, in dem das Individuum eine zentrale Sozialform in dieser Welt mitteis Symptombildung noch a u f r e c h t e r h a l t e n kann oder aber diese seine soziale Existenz in dieser Welt aufgibt und sie in einer anderen, selbst-konstruierten Welt lebt. Der hauptsächliche Unterschied zwischen "neurotischen" und "psychotischen" Störungen besteht folglich nur phänomenal im Grad des Realitätsbezugs (s.o.), wesensmäßig besteht der Unterschied im Erhalten versus Aufgaben einer wichtigen sozialen Existenzform in dieser unserer realen Welt.^)

7.3

Epilog: Allgemeines zur Struktur beeinträchtigter und gekränkter Subjekt-Welt-Beziehungen. Und Bemerkungen zur psychotherapeutischen Problemanalyse

Die je r e l e v a n t e S o z i a l f o r m / s o z i a l e Existenzform des personalen Subjekts (dessen "Bewegungsform" im Netz der sozialen Beziehungen, im g e s e l l s c h a f t lichen Lebensprozeß/konkreten Alltag) wird konstituiert durch die je dominierende (spezifische) Tätigkeit und deren (Leit-)Motiv, über welches sich dann die Sozialform der Person inhaltlich charakterisieren läßt (vgl. Kap. 5). Das Motiv -so wurde ausgeführt- s t e l l t ein das Subjekt selbst e n t h a l t e n d e s je inhaltlich bestimmtes materiell-soziales Verhältnis dar, ein spezifisches sozialkooperatives Beziehungsmuster, das das in soziale Verkehrsformen der gesells c h a f t l i c h e n Praxis eingebundene Subjekt für sich realisiert und anstrebt und zwecks seiner sozialen Reproduktion auch immer wieder h e r s t e l l t bzw. im Sinne sozialer E x i s t e n z e r h a l t u n g s i n t e r e s s e n auch existenznotwendig immer wieder herstellen muß (vgl. Kap. 3, 5, 6). Diejenigen Tätigkeitsmotive bzw. entsprechend konkrete Bedürfnisse (wie: "der Größte sein", "alle anderen übertreffen"), die in ihrem gegenständlichen Inhalt unter Gesichtspunkten der •Entfaltungslogik menschlicher Natur 1 entwicklungshinderlich bzw. -antagonistisch sind, wurden als "problematisch" b e z e i c h n e t (vgl. Kap. 4) und beeint r ä c h t i g t e Persönlichkeitsentwicklung wurde beschrieben als Verwirklichung solcher "problematischer" Motive als sinnbildende Leitmotive der Tätigkeit und als deren s t a r r e / r i g i d e (konservativ-)erhaltende Reproduktion in der PersonEntwicklung, wobei die (immer wieder) auftretenden Motiv-(Bedürfnis-)Konflikte (s. dazu Punkt 5.2) und die Orientierungskrisen stagnierend ("konservativ-erhaltend") "gelöst" werden (vgl. Kap. 6, 7). Auf der anderen Seite wurde auch insbesondere die Vermeidung relevanter Tätigkeitsfelder "problematisch" genannt (etwa die Vermeidung von Sozial Verhältnissen der eigenen Verantwortungsübernahme, Kontaktaufnahme, oder des Vertrauens, des sozialen Eingebundenseins, des Sich-auf-die-Kompetenzen-desanderen-Verlassen, des Gleichgestelltseins mit anderen, o.ä.). Es ist offensichtlich, daß jedes angestrebte (damit in seinem gegenständlichen Inhalt für das Subjekt positiv bestimmbare) dominierende Bedürfnis bzw. das Tätigkeitsmotiv, das ein vom Subjekt unbedingt zu erreichendes Beziehungsmuster d a r s t e l l t (z.B.: "der Beste sein", "die Begehrteste sein", "stärker als andere sein"), immer auch einen Gegenpol beinhaltet, nämlich die Vermeidung entsprechender gegenteiliger Sozialverhältnisse auf derselben inhaltlichen Dimension (etwa für "der Beste sein": Vermeidung von Fehler machen bzw. 213

schlechter als andere abschneiden o.ä.). Aber die dominante Orientierung der Person in ihrer Welt ist hierbei primär geprägt durch die Ausrichtung auf das unbedingt zu Erreichende i.S. der dominierenden Tätigkeit, die die jeweilige Sozialform des Subjekts konstituiert. Demgegenüber gibt es jedoch auch den Fall, daß die dominante Orientierung der Person primär geprägt ist durch die Ausrichtung auf ein unbedingt zu verhinderndes bzw. zu vermeidendes Sozialverhältnis (etwa: "ein Versager sein", "unterlegen, schwächer als andere sein", an jemanden "gebunden" sein. Oder sozial-kooperative Verhältnisse der kompetenten Verantwortungsübernahme oder des hinsichtlich sozialer Gratifikationen "Zu-Kurz-Kommens" müssen unbedingt gemieden werden ...). Natürlich lassen sich auch hierbei jeweils positiv bestimmbare konkrete Bedürfnisse ausmachen (wie: "zur Elite gehören" bzw. "etwas Besonderes sein", ungebunden/"frei" sein etc.; oder "versorgt werden" oder "wichtig sein" und "im Mittelpunkt stehen"), aber persönlich-existentiell bedeutsam ist in solchen Fällen nicht so sehr das Erreichen, sondern das Vermeiden bestimmter sozial-kooperativer Beziehungsmuster. Mit anderen Worten: personal-zentral für die identisch-erhaltende Sozialform-Reproduktion ist hier die Verhinderung bzw. Vermeidung der Verwirklichung bestimmter materiell-sozialer Verhältnisse (damit verbunden die Verhinderung/Vermeidung bestimmter subjektiv als schmerzhaft/leid voll e r l e b t e r Erfahrungen über die eigene Person), nicht aber primär die Herstellung und Realisation von (je bestimmten) Beziehungsmustern (und damit verbunden von (-auch im Falle "problematischer" dominierender Tätigkeitsmotive-) subjektiv als glückhaft/freudvoll o.ä. erlebter Erfahrungen über die eigene Person). Man könnte deshalb von einer "Negativ-Sozialform" sprechen, als einer Bewegungsform im konkreten gesellschaftlich-sozialen Lebensprozeß, die sich in e r s t e r Linie über das Vermeiden des 'Betretens' bestimmter Tätigkeitsfelder bildet und bei der das persönlich relevante implizite "Leitthema" (die 'Leit'Orientierung) den Charakter von "bloß nicht ..." hat ("bloß kein Versager sein", "bloß keine Bindung eingehen"). Eine solche "Negativ-Sozialform" wird sich indes nur ausbilden, wenn das zu verhindernde/vermeidende Sozial Verhältnis tatsächlich schon des öfteren realisiert und in der Realisation -über die soziale Vermittlung (Beziehung mit Bezugspersonen etc.)- als leidvolles, unglückliches, v e r a c h t e t e s und deshalb tunlichst zu Vermeidendes e r f a h r e n wurde. Wird dann das betreffende Beziehungsmuster in je aktuellen Lebens be Ziehungen dennoch (wieder) hergestellt, -was selten ausbleibt-, mag (sofern eine progressive Konfliktlösung nicht gelingt) eine "manifest-symptomatische Lösung" darin bestehen, dem eingetretenen Sozialverhältnis, das zu vermeiden gewesen wäre, durch ein Symptom (etwa herzneurotische oder psychosomatische Beschwerden oder eine "Phobie" oder paranoides Verhalten) zu entgehen, somit m i t t e l s der symptomatischen Handlung die Vermeidung der je spezifischen Verhältnisse festzuschreiben, abzusichern und gleichzeitig zu "begründen" ("ich kann nicht, weil ..."; vgl. vorne zur Funktion der Symptomatik und s. unten). Nachdem nun soeben zwei "Typen" von Sozialformen unterschieden wurden, scheint es mir an dieser Stelle angebracht, auf ein Charakteristikum hinzuweisen, das beiden Sozialform-"Typen" grundsätzlich zukommt, —allerdings in je unterschiedlicher Weise. Es handelt sich darum, daß m.E. jeder Sozialform, -möge sie dem einen oder dem anderen "Typ" zugehören-, eine eigene Konfliktdynamik innewohnt, die ihrerseits auf eine besondere Dialektik von Motiven und (konkreten) Bedürfnissen zurückgeht. Dies genauer auszuarbeiten und 214

darzustellen, lasse ich künftigen Texten vorbehalten und beschränke mich hier auf einige Hinweise. Im Falle der " N e g a t i v - S o z i a l f o r m " meint Konfliktdynamik die Dynamik des Widerstreits von angestrebter Vermeidung eines bestimmten -je konkreten-Sozialverhältnisses und deren leidvoller Herstellung; wenn beispielsweise das persönlich-notwendig zu vermeidende Sozialverhältnis: "Außenseiter sein" doch immer wieder -leidvoll- bewirkt wird. Terminologisch wäre das Streben etwa nach Geborgenheit bzw. sozialer Eingebundenheit (-im Sinne der dominierenden Orientierung: "bloß kein Außenseiter sein"-), sofern es selten praktisch eingelöst werden kann, nicht als Motiv, sondern als Bedürfnis zu bezeichnen (vgl. Punkt 4.3), und zwar als konkretes Bedürfnis, da es ja bereits (schon einmal) eine Vergegenständlichung e r f u h r . Motiv hingegen, demgemäß die t ä t i g e U m w e l t s t r u k t u r i e r u n g erfolgt, wäre -so paradox das klingt-bei dieser "Negativ-Sozialform" das Außenseiter-Sein selbst, als ein Beziehungsmuster bzw. eine Sozialstellung, das/die tatsächlich vom Subjekt im je aktuellen Handeln (immer wieder) (tragischerweise entgegen dem zentralen Bedürfnis nach Geborgenheit o.ä.) praktisch hergestellt wird. Beim anderen Sozialform-"Typ" tritt die inhärente Konfliktdynamik, die hier in der Dynamik des Widerstreits von entwicklungsfordernden Strebungen und faktisch realisierten "problematischen" (s. dazu 4.3), entwicklungsbehindernden Motiven besteht, nicht so leicht zutage. Eine besondere Dialektik von Bedürfnissen und Motiven bzw. eine widersprüchliche Einheit von entwicklungspositiven sozialen Entfaltungsbestrebungen und antagonistischen Motive-Realisierungen (wie z.B. "der Beste sein", " h i l f s b e d ü r f t i g bleiben", "etwas Besonderes sein" als Beziehungsverhältnisse der Konkurrenz, der Abhängigkeit, der Isolation) kann hier nur angenommen werden unter der Voraussetzung, daß Entwicklungsbestrebungen i.S. der "Entfaltungslogik menschlicher Natur" (JANTZEN) erhalten bleiben und auch irgendeine Wirkung ausüben, t r o t z d e m ja die Sozial- (und Kontroll-)Bedürfnisse in ihrer real-konkreten Vergegenständlichung als Motive der Tätigkeit in der sozialen Wirklichkeit eine tatsächlich a n t a g o nistische bzw. entwicklungsbehindernde Verwirklichung gefunden haben. Damit ist allerdings ein Problem angerissen, das ich hier nicht weiter behandeln kann. Im Falle der "Negativ-Sozialform" wird der Antagonismus von Vermeiden-"Müssen" bestimmter sozial-kooperativer Verhältnisse und ihrer leidvollen H e r s t e l lung vermittelt/reguliert durch die entsprechende Orientierung bzw. 'kognitive Ausrichtung' ("bloß keine Bindung...", "bloß keine Verantwortung!' Das dominierende Vermeiden-Müssen bestimmter Sozialverhältnisse auf der einen Seite und deren leidvolle Verwirklichung auf der anderen Seite beziehen sich jeweils auf dieselbe " p e r s ö n l i c h k e i t s r e l e v a n t e " Inhalts-Dimension. Leidvoll hergestellt werden dann Beziehungsmuster etwa der Abhängigkeit in Paar-Bindungen, der Hilflosigkeit in Situationen der sozialen Verantwortlichkeit oder des Versagens in Leistungssituationen. Im 'Stadium psychischer Beeinträchtigung', wenn also (noch) keine ausgeprägte manifeste Symptomatik ausgebildet ist, macht -verglichen mit der anderen-die Negativ-Sozialform einen o f t eher "tragischen" Eindruck, was indes nichts aussagt über die "Schwere" der psychischen Beeinträchtigung (s. dazu Punkt 7.1), sondern von da-her-rührt, daß die Personen in dieser Form eher klagen, sich pessimistisch äußern, unangenehme Aspekte überbetonen etc., weil ihre 215

(Leit-)Orientierung primär auf 'das Negative', das es zu vermeiden gilt, ausgerichtet ist, wohingegen die Personen in der anderen Form 'das Negative', das dem unbedingt zu Erreichenden entgegensteht, eher nicht-wahr haben wollen. An die letzten Bemerkungen anschließend kann nun für die Struktur beeinträchtigter ("reduzierter") Subjekt-Welt-BeZiehungen postuliert werden, daß das Verhältnis von dominanter Sinn-Orientierung und je besonderen Abwehrmethoden im Falle einer stagnierenden Krisenbewältigung differenziert werden kann nach zwei Hauptformen: 1. Verleugnen, Vertuschen, Nicht-Wahrhaben-Wollen der persönlich-bedrohlichen Realitätserfahrung im Falle einer "positiv-ausgerichteten" dominierenden Orientierung auf ein unbedingt h e r z u s t e l l e n d e s / z u r e a l i s i e r e n d e s Sozialverhältnis hin; und 2. Uberakzentuierung subjektiver Bedrohtheitserlebnisse, Katastrophieren aktueller Wirklichkeitsaspekte im Falle einer "negativ-ausgerichteten" dominierenden Orientierung auf das unbedingte Vermeiden der Realisation eines bestimmten Sozialverhältnisses hin (wie das für die "Negativ-Sozialform" zutrifft). Diese Differenzierung läßt sich in Übereinstimmung bringen mit der von GLEISS (1980) vorgenommenen Unterscheidung zweier Hauptkategorien der Abwehr, nämlich 1. Vermeidung und 2. "Neutralisation" (s.a. m.E. HASELMANN 1982), und steht auch in Ubereinstimmung mit der in Punkt 5AA v o r g e t r a g e nen These, daß der persönliche Sinn den 'Bereich' der 'in Frage kommenden' bzw. 'zugelassenen' Realitätserkenntnisse absteckt, diese ermöglicht und beg r e n z t , und daß deshalb die Abwehr (bei der es sich i.d.R. um kognitive Manöver der selektiven Realitätsdeutung oder der deformativen R e a l i t ä t s u m deutung handelt; ebd) der je etablierten (Leit-)Orientierung (sei es: "der Beste sein" im einen Falle oder "bloß kein Versager sein" im anderen Falle) 'dient', diese f e s t i g t und damit die etablierte Soziälform (auch die "Negativ-Sozialform") konservierend absichert. Eine Erörterung der Struktur bereits gekränkter Subjekt-Welt-Beziehungen kann nun ansetzen an der getroffenen Differenzierung zweier 'Arten' von Sozialformen sowie an den folgenden -vorne bereits ausgeführten- drei Thesen: erstens, daß es in der 'Phase' der Beeinträchtigung unter den Formen der symptomatischen Konfliktbewältigung zwei Hauptkategorien der Abwehr gibt, nämlich: a) kognitive Vermeidung (Verleugnung etc.) und b) "Neutralisation" durch Übertreibung o.ä. der subjektiv-bedrohlichen Realitätsaspekte; zweitens, daß manifeste Symptome in dem Maße gebildet werden, wie die Abwehr nicht mehr hinreicht, und drittens, daß die symptomatischen Handlungen quasi ersatzweise die -die bisherige Sozialform konstituierende- dominierende Tätigkeit r e a l i sieren. Analog der Unterscheidung zweier Haupt kategor ien von Abwehr lassen sich auch f ü r die m a n i f e s t e Symptomatik zwei Hauptkategorien von symptomatischen Handlungen k o n s t a t i e r e n , nämlich a) solche, die eine praktische Vermeidung bestimmter Sozialverhältnisse bewirken (durch das N i c h t - ' B e t r e t e n ' , Umgehen etc. bestimmter Handlungs-/Tätigkeitsfelder) und b) solche, die eine Umkehrung der gescheiterten dominierenden Tätigkeit erzeugen und damit deren Scheitern gewissermaßen "wettmachen"/"neutralisieren" (zu dieser Terminologie s. GLEISS 1980). Das Wesentliche hieran ist, daß der B e t r e f f e n d e mit seinem symptomatischen Handeln objektive Resultate in seinem Lebensprozeß erzielt, die in einem je besonderen -wenngleich i.d.R. nicht bewußt r e f l e k t i e r t e n « Sinn-Zusammenhang mit seiner Persönlichkeits-(Sozialform-)Erhaltung stehen; so beweist er sich und anderen beispielsweise mit einer phobi216

schenk Symptomatik, daß er sich bestimmten Situationen nicht aussetzen kann (praktische Vermeidung etwa der Erfahrung, schwach, unterlegen, versagend zu sein o.ä.) oder mit einer psychosomatischen Erkrankung^ zeigt er, daß er geschont werden muß oder er beweist sich und anderen mit einer Depression^), daß er sowieso überhaupt nichts tun kann, daß er selbst keinen Wert und alles keinen Sinn hat ("Neutralisation" e t w a der Erfahrung, nicht der Beste, nicht allen überlegen, nicht die Begehrteste zu sein; Umkehrung der gescheiterten Sozialform). B e t r a c h t e t man für die beiden Arten von Sozialformen sowohl die beiden Hauptformen der Abwehr als auch die beiden Hauptformen von m a n i f e s t e r Symptomatik (unter Beachtung der These, daß manifeste Symptome in dem Maße gebildet werden," in dem die Abwehr versagt, — womit ja ein q u a l i t a tiver Umschlag verbunden ist), dann mag sich zeigen (-dies wäre noch empirisch nachzuprüfen-), daß im Falle der "Negativ-Sozialform" ("kein Versager sein") die Abwehr primär zum Zwecke der Neutralisation (durch Uberakzentuierung etc.) geschieht, aber die manifeste Symptomatik primär der Vermeidung der je b e s t i m m t e n Sozialverhältnisse dient und daß -in gerade umgekehrter Relation- im Falle der positiv zu bestimmenden Sozialform ("der Beste sein") die Abwehr primär in kognitiver Vermeidung (Verleugnung etc.) besteht, aber die manifeste Symptomatik primär der Neutralisation (Umkehrung o.ä.) des Scheiterns dient (vgl. m.E. HASELMANN 1982, 199ff). Hinsichtlich der Struktur bereits gekränkter (symptomatisch-"gestörter") Subjekt-Welt-Beziehungen wäre nun vor allem zu überlegen, welcher Art die Verhältnisse von manifester Symptomatik und dominierendem Tätigkeitsmotiv7^ bedürfnis prinzipiell sein könnten. Und wird an die o.g. These angeknüpft, daß Symptome gewissermaßen Ersatzmittel der dominanten T ä t i g k e i t s r e a i i s i e r u n g sind, so bleibt die F r a g e , was dabei "Ersatz" eigentlich heißen soll: wie ist das zu verstehen, daß das dominierende Motiv/Bedürfnis zwar nicht a n g e m e s sen verwirklicht (-die Motive-Realisation ist ja blockiert bzw. gescheitert-), aber dennoch die diesem Motiv entsprechende Sozialform (auch "Negativ-Sozialform") erhalten wird? Es läßt sich hierauf folgende vorläufige Antwort geben: Was die Art der Beziehungen von symptomatischer Handlung und dominierender Tätigkeit anbelangt (das Verhältnis von Symptom und Motiv/Bedürfnis), besteht der Ersatzc h a r a k t e r der s y m p t o m a t i s c h e n Handlung e n t w e d e r darin, daß ein dem blockierten dominanten Motiv/Bedürfnis in etwa entsprechendes Verhältnis hergestellt wird (z.B. indem bestimmte Handlungsbereiche/Situationen "phobisch" gemieden werden oder indem man sich mit dem Symptom ins Zentrum der Betrachtung stellt, o.ä.) oder darin, daß ein zum gescheiterten dominanten Motiv/Bedürfnis gerade gegensätzliches Verhältnis hergestellt wird (statt allen anderen überlegen, ist man nun allen anderen unterlegen), wodurch das L e i t motiv bzw. "dahinterstehendem" konkreten Bedürfnis der Tätigkeit zwar aktuell außer Kraft gesetzt wird, aber durch die bloße Umkehrung auf derselben inhaltlich-gegenständlichen Dimension nichtsdestotrotz unhinterfragt bestehen bleibt. Demnach besteht zwischen bislang realisiertem Leitmotiv der r e l e v a n ten -die Sozialform konstituierenden- Tätigkeit und in der' Krise ausgebildeter symptomatischer Handlung (zwischen Motiv/Bedürfnis und Symptom) e n t w e d e r ein "Entsprechungs-Verhältnis" oder ein "Gegensatz-Verhältnis". Im e r s t e n Fall (Entsprechung-Verhältnis) reproduziert das Subjekt weiterhin seine etablierte soziale Existenzform, vor allem indem es das 'Betreten 1 be217

s t i m m t e r Handlungs- und Tätigkeitsfelder, damit die Realisation bestimmter Sozialverhältnisse/Beziehungsstrukturen aktiv v e r m e i d e t . Dabei t r ä g t das Symptom (z.B. psychosomatische Beschwerden) zur Verfestigung der Vermeidung bestimmter Sozialverhältnisse bei (z.B. von Situationen der k o m p e t e n t e n Verantwortungsübernahme) und begründet diese gleichzeitig, indem mit der symptomatischen Handlung etwa die eigene Unfähigkeit (z.B. der Verantwortungsübernahme) dokumentiert wird (vgl. das entsprechende Beispiel in Punkt 7.2.3). Betrachtet man hierbei (insbesondere in der 'Sphäre' der Subjekt-Subjekt-Verhältnisse) das objektive Resultat, das mit der symptomatischen Handlung erzielt wird, so kann man sagen: das Symptom bewirkt (wennzwar unter eingeschränkten Bedingungen) gerade das, was das Subjekt tatsächlich "will" (im genannten Beispiel etwa: "versorgt werden") und zeigt was es auf keinen Fall "will", e n t s p r i c h t also der dominanten Leitorientierung der Tätigkeit ("nicht zur Verantwortung gezogen werden" o.ä.)., Im zweiten Fall (Gegensatz-Verhältnis) erhält das Subjekt seine -tatsächlich gescheiterte- soziale Existenzform dadurch aufrecht, daß es deren f a k t i s c h e Verwirklichung nunmehr - s i c h t b a r für sich und andere- durch das Symptom unmöglich macht. Das Symptom (z.B. "Herzneurose"; vgl. das in Punkt 7.2.3 genannte Beispiel des Malermeisters) hat hierbei die Funktion der "Neutralisation" des Scheiterns der relevanten Sozialform (z.B. der individuellen P r e stige-Absicherung durch b e r u f l i c h - f i n a n z i e l l e n Erfolg) und "erklärt" dieses Scheitern gleichzeitig bzw. rechtfertigt/entschuldigt es. Die s y m p t o m a t i s c h e Handlung vollzieht hier gewissermaßen eine Umkehrung der gescheiterten Leitmotive-Realisation in ihr Gegenteil und e r h ä l t dabei -wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen- die bisherige Sozialform. Was das Subjekt mit dem Symptom (etwa einer Depression) über sich zeigt, steht dem e n t g e g e n , was es eigentlich anstrebt(e) (etwa: "der Erfolgreichste sein") oder -vom objektiven Resultat her betrachtet-: was es mit der symptomatischen Handlung bewirkt (z.B. der ehemalige Malermeister bewirkt mit seinen Herzanfällen, daß er im weiteren beruflichen Fortkommen, damit Geld-Verdienen, behindert ist) s t e h t der zentralen -allerdings erschütterten- Leitorientierung seiner Tätigkeit ("viel Geld verdienen") genau entgegen. Für die psychosoziale/psychotherapeutische Praxis vermögen allgemeine Annahmen über die Struktur gekränkter Subjekt-Welt-Beziehungen, vor allem über die Art der Verhältnisse von manifester Symptomatik und Leitmotiv der Tätigkeit bzw. "dahinterstehendem" Bedürfnis) dem Berater/Psychotherapeuten und dem "Klienten" selbst grobe Anhaltspunkte zu geben, beispielsweise über die Richtung in der zu "suchen" ist, um -zunächst ausgehend von der Kenntnis der konkreten Symptomatik- das (die relevante Sozialform kennzeichnende) dominierende Motiv/Bedürfnis zu "ent-decken", mit dem Ziel, daß das Subjekt sich selbst, seine Persönlichkeit, in bewußter Subjektivität erkennen (und schließlich im Einander-Entwickeln mit anderen verändern) kann. Wenn etwa der konkrete (allgemeine) Bedeutungsgehalt der Symptomatik (der Handlungs- bzw. Interaktionsfähigkeitsbeeinträchtigung) des "Betroffenen" (also: was bewirkt er mit seinem symptomatischen Handeln, welche objektiven Resultate erzielt er damit in seiner materiell-gegenständlichen und -sozialen Lebensumwelt und was zeigt er damit über sich?) annähernd bestimmt ist, so wäre -den obigen Ausführungen gemäß- nach einem dazu im "Entsprechungs"oder "Gegensatz"-Verhältnis stehenden Leitmotiv/-bedürfnis der Tätigkeit zu forschen. Die Kenntnis solcher Verhältnisweisen ist deshalb nützlich f ü r die 218

p s y c h o t h e r a p e u t i s c h e Problemanalyse, auf die ich nunmehr kurz zu sprechen komme. Aus einem t ä t i g k e i t s t h e o r e t i s c h e n Verständnis psychosozialer Kränkungen heraus wird es sich bei der Problem analyse um Prozesse der Problemstellung und Problemerkenntnis handeln (-worin besteht die Problematik eigentlich und wie ist sie im je konkreten Lebenszusammenhang des personalen Subjekts zu v e r s t e h e n ? - ) . Und nicht nur diagnostischen, sondern auch therapeutischen Charakter hat eine solche Problemanalyse insofern, als sie dem "Klienten" zur Erkenntnis (zum bewußten Erleben) der je dominierenden Leitmotive seiner spezifischen Tätigkeiten, zur 'Einsicht' in seine realisierte und r e p r o d u z i e r t e soziale Existenzform und deren "problematischen" Charakter, letztlich zu bewußter Subjektivität verhilft. Anhaltspunkte bloß über die 'Such-Richtung' genügen dabei klarerweise nicht, um zur bewußten Erkenntnis der Leitmotive der relevanten Tätigkeiten, damit der eigenen in Frage stehenden Sozialform (deren Inhalt im Miteinander-TätigSein-mit-anderen) zu gelangen bzw. um sie bewußt zu erfahren/erleben (-was Voraussetzung d a f ü r w ä r e , sie in bewußter Subjektivität verändern zu können»); vielmehr werden hierfür noch weitere Analyseprozesse e r f o r d e r l i c h (s. unten). Wenn ich der psychotherapeutischen Problem analyse explizit die Aufgabe der Erkenntnisproduktion ('Einsicht' etc.) in Richtung auf a d ä q u a t e Person-Selbsterkenntnis zuweise, so muß ich gleichzeitig betonen, daß aber die Erkenntnisproduktion lediglich als Durchgangsstadium zu einer e n t f a l t e t e r e n Lebenspraxis begriffen wird; ferner, daß die bewußte Subjekt-Selbsterkenntnis der eigenen dynamischen Sozialform-Realisation und -Reproduktion in r e z e n t r i e r t e r Reflexion nicht allein und auch nicht primär "über den Kopf" geschehen kann, sondern gerade auch ein emotionaler Prozeß der praktisch-sinnlichen Selbsterfahrung in einem bestimmten Tätigkeitsfeld sein muß. Im gesamten Therapieprozeß, von dem die therapeutische Problemanalyse nur ein Teilprozeß ist, geht es um die praktische Re-Produktion, Verbreitung und Verallgemeinerung der notwendig gewordenen neuen Tätigkeit. Die "Umstrukturierung" der Motive/Bedürfnisse der Tätigkeit in Richtung auf eine Vorrangstellung der neuen ("alternativen") sozialen Bewegungsform kann nur im praktischen Handeln und Kooperieren erfolgen. Auch meine nachfolgenden Bemerkungen zur psychotherapeutischen Problemanalyse dürfen keinesfalls als Ansatz etwa einer tätigkeitstheoretisch-fundierten Therapie-Theorie verstanden werden, vielmehr handelt es sich lediglich um Ableitungen aus der in dieser Arbeit entwickelten "Störungs"theorie und in diesem Sinne wird die Problem analyse bloß als idealtypisches Raster vorges t e l l t . Eine Therapie-Theorie hätte demgegenüber -wie dies BRANDES (1982a) eindrucksvoll schildert- von der Logik der Praxis, hier der t h e r a p e u t i s c h e n Praxis (einschließlich der therapeutischen Beziehung etc.) auszugehen. Zwar ist es meines Erachtens grundsätzlich möglich, -vom praktisch-therapeutischen Handlungsraum herkommend und den Ausgangspunkt in den Prozessen dieser Praxis nehmend-, mit Hilfe der vorgetragenen Modelle der T ä t i g k e i t s psychologie (s. insbesondere die Abb. U in Punkt 5.1) eine solche TherapieTheorie auszuarbeiten, jedoch kann dies nicht mehr Aufgabe dieser Arbeit sein.

219

Idealtypisch b e t r a c h t e t nun, erfordert die Herausarbeitung der mit der Problematik des "Klienten" in Verbindung stehenden 'Leitmotive 1 seiner Tätigkeiten eine vier Analyse-Dimensionen umfassende Problemanalyse: 1. vorläufige Problemerfassung, von der vordergründigen Problematik/Symptomatik des "Klienten" ausgehend, 2. Analyse der Bewegungsform des "Klienten" im gesellschaftlichen Lebensprozeß, seinem konkreten Alltag, 3. Emotionen-Erfassung und -Deutung, Rekonstruktion der Persönlichkeitsentwicklung des "Klienten". Die für diese 4 Analyse-Schritte erforderlichen "idealtypischen" Vorgehensweisen können gewissermaßen aus den in dieser Arbeit entwickelten Konzepten herausgelesen werden; soll heißen: es kommt hier die vorgestellte Gesamtkonzeption zum Tragen, was zu bedenken ist, wenn nachfolgend noch einige Stichworte zu den 4 Punkten abgegeben werden.6) In der folgenden Darstellung gebe ich -leicht modifiziert und etwas v e r k ü r z t wieder, was ich bereits in einem früheren Text (HASELMANN 1983) über die therapeutische Problem analyse geschrieben habe. Im Prozeß der therapeutischen Problem analyse sind die o.a. Analyse-Dimensionen nicht trennbar, sondern notwendig ineinander verwoben, wobei die in einer Dimension gewonnenen Hypothesen über etwaige 'Leitmotive' der Tätigkeit in den anderen Dimensionen gewissermaßen 'Bestätigung' finden müssen, um aufrechterhalten werden zu können. In gewisser Hinsicht geben schon die Symptome Anhaltspunkte für den möglichen Inhalt des je dominierenden Tätigkeitsmotivs, das die dem Subjekt wesentliche, jedoch gescheiterte bzw. bedrohte soziale Existenzform b e s t i m m t . Zumindest wenn man das relevante Tätigkeitsmotiv bereits kennt, ist der Sinn, den die Symptomatik/Problematik für die Person hat, ohne weiteres 'einleuchtend'. Man befindet sich hier jedoch in einem Voraussetzungswiderspruch: Um am Symptom, am emotionalen Erleben und an den subjektiven Zielsetzungen zu erkennen, welche Anhaltspunkte sie für die 'Leitmotive' der Tätigkeit geben, muß man schon eine Vorstellung vom gegenständlichen Inhalt des relevanten Motivs haben. L e t z t e r e s verwirklicht sich in der Praxis der therapeutischen Problemanalyse in Kreisprozessen der Hypothesenbildung und praktischen 'Uberprüfung' im konkreten Alltagshandeln, der Lebenspraxis des "Klienten". Eine andere Sache ist, daß ihre dominierenden Tätigkeitsmotive von Klienten zwar o f t gewußt werden, ihnen jedoch nicht als solche bewußt sind. Das heißt, sie sprechen sie oft schon f r ü h in ihren Selbstberichten aus (-das liegt daran, daß Menschen zur Widerspiegelung/Reflexion ihres eigenen Handelns fähig sind und sie gerade durch die Therapie in verstärktem Maße dazu aufgefordert werden-), ohne aber daß ihnen ihr Charakter als Motive oder gar 'Leitmotive' ihrer Tätigkeiten bewußt w ä r e . So gesehen befinden sie sich noch auf dem Niveau von Selbstbewußtsein als Wissen von/über sich selbst, ohne die Stufe der 'bewußten Subjektivität' e r r e i c h t zu haben. Auch vom Therapeuten wird oft erst später im Verlaufe der Therapie die fundamentale Bedeutung erkannt, die bereits früh vom Klienten gemachte Selbstaussagen für die Spezifik seiner sozialen Existenzform, für seine Persönlichkeit haben. Aufgrund seines Wissensvorsprungs über die theoretischen Zusammenhänge und da die Abwehrprozesse des "Klienten" diesem eine adäquate Subjekt-Selbsterkenntnis e r s c h w e r e n , kann der Therapeut oft relativ konkrete Vorstellungen über den gegenständlichen Inhalt der 'Leitmotive' der Tätigkeiten des "Klien220

t e n " erlangen, schon (lange) bevor dieser selbst dazu in der Lage ist, sich ihrer als solche bewußt zu werden. Deshalb dienen die o.a. Analyseebenen (insbesondere 2.-4.) nicht lediglich der Erfassung der beeinträchtigten Struktur durch den Therapeuten, sondern vor allem dem Prozeß der Selbst-Bewußtwerdung des Klienten (seiner Persönlichkeit) in seiner konkreten alltäglichen Lebenspraxis in Richtung auf 'bewußte Subjektivität'. Ich v e r t r e t e überdies die These, daß die Erkenntnis seiner 'Leitmotive' der Tätigkeit dem "Klienten" nur hilfreich ist, wenn er sie als m a t e r i e l l - s o z i a l e Verhältnisse erkennt, damit deren gesellschaftlichen Charakter, statt sie individualisierend sich selbst oder zufälligen Ereignissen in seiner individuellen Lebensgeschichte 'anzulasten'. Voraussetzung für den Übergang in die Rezentrierung und zu 'bewußter Subjektivität' sind zunächst Prozesse der Selbstobjektivierung für ein a d ä q u a t e s Wissen von/über sich selbst. Mit Unterstützung durch den Therapeuten kann dann der 'Sprung' in den höheren Reflexionsmodus im Zusammenhang mit einer kleineren oder größeren Orientierungskrise möglich werden. Die Aufgabe des Therapeuten besteht hierbei vor allem in der Bereitstellung geeigneter Mittel für das Erreichen des Niveaus 'bewußter Subjektivität' und diese Mittel-Bereitstellung erfolgt durch den gesamten Prozeß der therapeutischen Problemanalyse. Es kann jedenfalls nicht darum gehen, dem "Klienten" dominierende Tätigkeitsmotive, die man als Therapeut erkannt zu haben glaubt, lediglich zu eröffnen, vielmehr müssen ihm diese in seinen konkreten alltäglichen Lebens zusammenhängen wie auch in der Therapie-Situation selbst (Austausch mit dem Therapeuten und den Mit-"Klienten" im therapeutischen Handlungsraum) als Momente seiner Lebenspraxis selbst erfahrbar (gemacht) werden. Dies e r f o l g t in einem Prozeß, der i d e a l t y p i s c h e r w e i s e die angegebenen Analyse-Dimensionen einschließt. ad 1):

In einer Therapiesituation im Vordergrund stehen wird zunächst das, was den "Klienten" quält, ihn berunruhigt, worunter er leidet. I.d.R. handelt es sich dabei um mehr oder weniger schwere Beeinträchtigungen oder Störungen der Handlungsfähigkeit in der Auseinandersetzung mit der objektiven Welt bzw. Begegnung mit anderen Menschen oder im Umgang mit sich selbst. Sofern nicht quasi 'offensichtliche' Symptome für den "Klienten" das Problem ausmachen, wird eine zunächst pragmatische Problemdefinition nötig. Hierbei ergibt sich allerdings die Schwierigkeit, daß in die vom "Klienten" vorgebracht e Problem definition, wie überhaupt in seine eigenen Erklärungskonzepte, der persönliche Sinn eingeht, den das jeweilige Problemfeld und damit zusammenhängende Phänomene/Ereignisse für ihn haben. Dennoch wird es möglich sein, eine vorläufige (m.E. vordergründige) Definition der Problematik zu finden, auf die sich Therapeut und Klient einigen können. Z.B. wurde bei einer Person (die sich in ihrem alltäglichen Handeln von einer Art 'Isolierungsmotiv' leiten ließ) zunächst der Konflikt zwischen ihrem Gleichgültigkeitsgefühl gegenüber anderen e i n e r s e i t s und der dennoch zuweilen bestehenden gewissen Anziehungskraft bestimmter anderer Menschen (oder auch bestimmter sozialer A k t i v i t ä ten) als "Problematik" definiert, da sie diesen Widerspruch erlebt und auch bewußt-rational als solchen erkennt und benennt, deshalb dieser Problemdefinition zustimmen kann. Die Gleichgültigkeit selbst wird sie hingegen nicht als "ihr Problem" annehmen können, da sie d a r u n t e r 221

nicht nur nicht leidet, sondern diese Haltung für sie von existentieller Notwendigkeit ist. Zwiespältige Problemdefinitionen ergeben sich auf pragmatischer Ebene aber auch dann, wenn sichtbare Symptome feststellbar sind, da das Subjekt diese sowohl 'beseitigt 1 haben m ö c h t e , wie es gleichzeitig -da sie einen Sinn/eine Funktion für seine Persönlichkeit haben- gewissermaßen an ihnen hängt. Die jeweilige P r o b l e m a t i k / S y m p t o m a t i k ist daraufhin zu durchleuchten, zu welchem objektiven Resultat sie im Hinblick auf die Stellung des "Klienten" im gesellschaftlichen Lebensprozeß führt, wobei zunächst diejenigen Handlungs-/Tätigkeitsfeider (Arbeitsplatz, Schule, Familie e t c . ) zu b e t r a c h t e n sind, die mit der Symptomatik o f f e n b a r in Verbindung stehen. Als erstes stellt sich dabei die Frage, was der "Klient" mit seinem Symptom e t c . über seine Subjekt-Welt-Beziehungen zeigt bzw. in verschiedenen Tätigkeitsfeldern bewirkt. So zeigt und bewirkt etwa der "Klient" mit Herzversagensangst (s. das Fallbeispiel von FISCHER 1982), daß er wegen der Herzanfälle, also 'unverschuldet', im weiteren beruflichen Fortkommen (das bei ihm mit Geld-Verdienen assoziiert ist) behindert ist. Es geht also zunächst darum, die allgemeine objektive Bedeutung der Symptomatik/Problematik (der Handlungs- bzw. direkten Kooperationsfähigkeitsbeeinträchtigung) inhaltlich konkret auf den jeweiligen "Klienten" und dessen materiell-gegenständliche Lebensumwelt bezogen zu b e s t i m m e n . Damit ist jedoch noch nicht erkannt, was der "Klient" mit seiner Symptomatik sich und anderen "beweisen" will, d.h. welchen Sinn diese Problematik für seine Persönlichkeit hat. Es muß zwischen primärem und sekundärem "Krankheitswert" unterschieden werden, da das Subjekt, sofern es wegen seines Symptoms Beachtung, Rücksichtsnah me e t c . von anderen erfährt, in solchen Verhältnissen eine neue soziale Existenzform aufbauen kann, somit das Symptom quasi noch einen "sekundären Sinn" f ü r es erhält, über den man indes nicht an die 'Grundproblematik', die im Entstehungszusammenhang des Symptom es die entscheidende Rolle spielt(e), h e r a n k o m m t . Die i.S. eines "sekundären Krankheitsgewinns" etablierte neue soziale Existenzform e r s c h w e r t die V e r ä n d e r u n g s b e r e i t s c h a f t , ist jedoch nicht Bedingung oder gar "Ursache" für die Aufrechterhaltung der Handlungs-(Kooperations-)fähigkeitsbeeinträchtigung, des Symptoms. Da nun Symptome -dem theoretischen Konzept gemäß- ursprünglich die Funktion der Vermeidung oder Neutralisation hatten (s. vorne), w ä r e nach ' L e i t motiven' der Tätigkeit zu forschen, die im 'Entsprechungs'- oder im 'Gegensatz'-Verhältnis zur erkannten objektiven Handlungsfähigkeitsbeeinträchtigung stehen. Davon ausgehend lassen sich, wenn auch zunächst nur in sehr engem Rahmen, vorläufige Hypothesen über mögliche dominierende Tätigkeitsmotive e r s t e l l e n , die dann als Richtschnur für die mit dem "Klienten" gemeinsam vorzunehmenden weiteren Analysen seiner Lebenspraxis und Person-Entwicklung dienen können. ad 2.):

Eine Analyse der 'Bewegungsform' des "Klienten", seiner aktuellen Lebenspraxis in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern seines a l l t ä g l i chen Handelns (-einschließlich des therapeutischen Handlungsraums!-) ist erforderlich nicht für ein adäquates Verständnis des Klienten-Problems seitens des T h e r a p e u t e n , sondern insbesondere für die Selbst-Erkenntnis des "Klienten". Diese Analyse umfaßt u.a. die objektiven ökonomischen Beziehungen, in 222

denen der "Klient" zu anderen Menschen steht, als Basis der sozial-kooperativen Beziehungen, die er als Motive seiner Tätigkeiten realisiert und reproduziert. Für eine Erfassung der Motive relevant sind dann insbesondere die inhaltlichen Zielsetzungen des "Klienten" (seine selbst gesetzten gegenständlichen Handlungsziele und Ober ziele), da diese ja determiniert sind durch die sinnbildenden Motive der Tätigkeit. Unter dem zuletzt genannten Aspekt erweisen sich o f t auch solche "Lebensentscheidungen", wie Studiums-, Berufswahl, Eheschließung etc. von Interesse. (Ein Abiturient z.B., für den es existentiell notwendig i s t , im Rahmen des gesellschaftlich Üblichen (-abstraktes Erfolgs- und Leistungsprinzip-) "der Größte" zu sein, wird vielleicht eher das Studium der Wirtschaftswissenschaften als das der Soziologie wählen.) Es wird aber m.E. nicht e r f o r d e r l i c h sein, die g e s a m t e Lebenspraxis nach 'Leitmotiven 1 der Tätigkeit zu durchforsten, da sich die Problematik oft auf bestimmte Tätigkeitsfelder/Lebensbereiche beschränkt. Wesentlich geht es auf dieser Analyseebene darum, dem "Klienten" über die Erörterung seiner alltäglichen Zielsetzungen, seiner Ziel-Wahlen und Entscheidungen wie der Art/Qual i t ä t seiner Handlungsausführung in verschiedenen Handlungsfeldern, die bedeutungsmäßige Konsistenz und dynamische G e r i c h t e t h e i t seines Handelns aufzuzeigen und bewußt e r f a h r b a r zu machen. Hierzu wird es m.E. nötig werden, daß der Therapeut die übliche Therapiesituation verläßt und den "Klienten" in den Alltag begleitet, um so sich selbst und dem "Klienten" die wesentlichen Zusammenhänge in konkreten Handlungskontexten besser verdeutlichen zu können. Dies wird m.E. insbesondere bei Klienten erforderlich sein, die noch wenig 'geübt 1 sind in der Selbstbeobachtung und/oder der s p r a c h l i chen Darstellung ihres alltäglichen Handelns und ihrer emotionalen Konflikte. Sofern man davon ausgeht, daß von den Individuen auch im t h e r a p e u t i s c h e n Handlungsfeld ihre wesentlichen alltäglichen Kooperationsweisen reproduziert werden, erweist sich eine Therapie-Gruppe (die den Klienten mehr " i n t e r a k tioneilen Spielraum" bietet als die Einzeltherapie) als günstig. Jedoch ist die Gruppe in ihrer teilweisen Abgeschirmtheit von den realen g e s e l l s c h a f t l i c h e n Lebensverhältnissen "außerhalb" keinesfalls ein "sozialer Mikrokosmos", sondern ein besonderes, zusätzliches (zudem restringiertes) Handlungsfeld neben anderen. ad 3.):

Die Emotionen geben am unmittelbarsten "Hinweise" über die je vom "Klienten" realisierten Motive seiner Tätigkeit. Insoweit allerdings nicht alle emotionalen Erlebnisse die persönliche Sinn-Dimension betreffen (damit relevant sind für die Persönlichkeit i.e.S.), wäre bei der Analyse der Emotionen die Differenzierung von stimulierenden und sinnbildenden Motiven zu beachten. Vor allem aber sind die emotionalen Erlebnisse nicht allein in bezug auf je aktuelle Handlungszusammenhänge, sondern darüber hinaus daraufhin zu analysieren, welche konkreten Tätigkeiten durch die Handlungen realisiert werden, also im Zusammenhang mit der Bewegungsform des Subjekts im N e t z seiner sozialen Beziehungen. So wird sich e t w a der spezifische Sinngehalt von starken emotionalen (Angst-)Erlebnissen in der Begegnung mit Leuten, die eine Person als anziehend und potentiell interessant ansieht, erst dann adäquat verstehen lassen, wenn man diese emotionalen Erlebnisse im Lichte ihrer z e n t r a l e n Bewegungsform interpretiert, die zeigt, daß sie eine Art "Isolierungsmotiv" 223

r e a l i s i e r t ; daß folglich die genannten (Angst-)Erlebnisse so zu verstehen sind, daß sie eine Gefährdung/Bedrohung dieses sinnbildenden Motivs ("sich auf nichts einlassen", bloß keine Bindung eingehen") signalisieren. Bei anderer Bewegungs-/sozialer Existenzform können vergleichbare emotionale (Angst-)Erlebnisse in vergleichbarem Handlungszusammenhang (Begegnung mit attraktiven, potentiell interessanten Leuten) in einem völlig anderen, u.U. gegensätzlichen Sinn-Zusammenhang stehen. Man befindet sich in der Analyse der Emotionen im Hinblick d a r a u f , was sie über die sinnbildenden Motive der Tätigkeiten des "Klienten" kundtun, in dem 0.a. Voraussetzungswiderspruch, da ja die plus/minus-Qualität der emotionalen Erlebnisse selbst nicht den gegenständlichen Inhalt der signalisierten Motive offenbart und sich einem dieser (also das, was man sucht) erst dann adäquat aus dem emotionalen Erleben erschließt, wenn man ihn annäherungsweise schon kennt; wie auch umgekehrt erst dann die gegenständlichen emotionalen Erlebnisse in ihrem Sinnzusammenhang für die Persönlichkeit verständlich werden. Die Emotionsanalyse hat deshalb immer in Verbindung mit den anderen Analyseebenen zu erfolgen. ad 4.):

Erforderlich wird der Nachvollzug des lebensgeschichtlichen Entstehungszusammenhangs der Problematik des "Klienten", seiner Persönlichkeitsentwicklung innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere für das Selbst-Verständnis des Klienten. Die Rekonstruktion der Persönlichkeitsentwicklung hat sinnvollerweise hypothesengeleitet zu erfolgen, d.h. die Lebensgeschichte des Klienten, seine Individualentwicklung innerhalb seiner je konkreten materiell-gegenständlichen Bedingungen und Verhältnisse erfolgt entlang den b e r e i t s e r m i t t e l t e n bzw. erahnten 'Leitmotiven 1 der Tätigkeit. Wesentlich sind Krisenzeiten wie aber auch Lebensphasen der Z u f r i e d e n h e i t bzw. Erfülltheit zu besprechen. Spezifische Vorgehensweisen einer 'Lebenslaufanalyse 1 (s.a. FISCHER/van QUEKELBERGHE 1983) unter Gesichtspunkten der Persönlichkeitsentwicklung 1.e.S. (in ihrer Verschränkung mit der Subjekt-Kompetenzentwicklung) können hier nicht genannt werden, ebensowenig wie ich auf Probleme einer solchen Rekonstruktionsarbeit, die sich z.T. aus abwehrbedingten Erinnerungslücken und -Verfälschungen des "Klienten", wie aus der Uberlagerung verschiedener Zentrierungsniveaus u.ä.m. ergeben, eingehen kann. Ziel der R e k o n s t r u k t i o n s a r b e i t ist es n i c h t , die gesamte Lebensgeschichte aufzuarbeiten (was wohl auch kaum möglich sein wird), sondern den E n t s t e hungszusammenhang der aktuell noch dominierend realisierten Motive der Tätigkeit des Subjekts, seiner realisierten und r e p r o d u z i e r t e n sozialen Exis t e n z f o r m , a u f z u d e c k e n , wobei der Schwerpunkt auf der Herausbildung von sinnbildenden Tätigkeitsmotiven in damaligen Lebenszusammenhängen liegen würde. Der Rekonstruktion der Persönlichkeitsentwicklung kommt eine entscheidende therapeutische Funktion zu, insofern sie dem Klienten 'Einsicht' in das "Warum" seiner jetzigen Lebenspraxis geben soll: ihm dazu verhelfen wird, sich selbst in seiner Entwicklung als gesellschaftliches Wesen zu begreifen (»Überwindung von Individualisierung und "Privatisierung" der Problematik-). Statt hierbei einem "Determinismus durch die Vergangenheit" das Wort zu reden, muß aber auch gerade der immer aktuelle "subjektive Anteil" an der eigenen (reduzierten) Persönlichkeitsentwicklung herausgearbeitet werden, um über die Erkenntnis des eigenen Anteils (und wie er sich in der Entwicklung herausge224

bildet hat) auch den aktuell möglichen eigenen Anteil an einer anzustrebenden Persönlichkeitsweiterentwicklung (Progression) zu erkennen. Sich selbst in seiner Entwicklung zu begreifen, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, die eigene Weiterentwicklung anzustreben. Wird also die t h e r a p e u t i s c h e Problem analyse mit den genannten Analyse-Dimensionen als Prozeß der Problem'findung' bzw. -'Stellung1 und Problem er kenntnis beschrieben, der im Endeffekt mit dem Bewußtwerden der 'Leitmotive' der eigenen Tätigkeiten zur Selbst-Erkenntnis des Subjekts als g e s e l l s c h a f t l i c h e s Wesen in seiner besonderen sozialen Existenzform (in jeweiligen Lebensbereichen) führt, so schließt sich unmittelbar an das Erreichen der r e z e n t r i e r t e n Reflexionsstufe (RE) die Frage nach der Wahl einer (neuen) Perspektive (RE RE') an. Diese Wahl ist vom "Klienten" selbst zu t r e f f e n ; ein 'Rückzieher' steht ihm völlig offen. Indes, nur auf dem Niveau bewußter Subjektivität kann ihm eine bewußte Entscheidung überhaupt möglich werden. Dabei gilt: "Das reflektierende Subjekt kann seine Perspektive nur als soziale Entwicklungsrichtung, als in seinem Gemeinwesen in Kooperation mit anderen Subjekten mögliche Realisierung einer antizipierten Praxis bestimmen" (RAEITHEL 1981, 239). Im gesamten Therapieverlauf muß es um die "praktische Umsetzung" der bewußt gewählten Perspektive gehen, dabei auch um die Verfügbar machung der e r f o r d e r l i c h e n operativen Möglichkeiten im Sinne erweiterter Handlungsfähigkeit, ein der sich die Persönlichkeitsweiterentwicklung l e t z t l i c h f e s t m a c h t (-Verschränkung von Persönlichkeits- i.e.S. und Kompetenz-Entwicklung-) und in diesem Zusammenhang werden denn auch handlungstheoretisch f u n d i e r t e "Kompetenz-Trainings" u.ä. zum Einsatz kommen können (-Ausprobieren neuer Mittel zwecks Realisation neuer Formen-). Die in r e z e n t r i e r t e r Reflexion gewählte neue Perspektive stellt ja zunächst nur eine denkbare Möglichkeit dar (in dem Sinne, daß die personale Sozialf o r m - P r o b l e m a t i k r e k o n s t r u i e r t wurde und -da heraus entwickelt- eine (Modell) Vorstellung der alternativen "Lösung" besteht). Aber um zur Wirklichkeit werden zu können, muß diese Möglichkeit des weiteren auch erreichbar sein, das heißt, es müssen Handlungsschemata gebildet werden unter Einschluß der Widerspiegelung der objektiv-materiell und subjektiv möglichen Transformationen im Problemraum und darüber hinaus muß die gewählte Lösungsmöglichkeit (Perspektive) ferner realisierbar sein, d.h. sie muß über die operativ-regulativen Strukturen des Subjekts t a t s ä c h l i c h m a t e r i a l i s i e r t werden können. J e d e n f a l l s ist allein mit dem Aufweis einer Denkmöglichkeit keinesfalls garantiert, daß diese in eine o p e r a t i v e Möglichkeit w e i t e r e n t w i c k e l t werden kann. Hiermit wurden indes lediglich Aussagen zur Könnensentwicklung getroffen. Eine andere Sache ist die Entwicklung einer e n t s p r e c h e n d e n emotionalen A u s g e r i c h t e t h e i t in Richtung der neuen Perspektive. Das Ausprobieren neuer Handlungen zwecks Realisation einer neuen, "alternativen" Tätigkeit (die individuelle Aneignung neuer Mittel für die Verwirklichung neuer Formen), muß erfolgen in einem konkreten (Unter-)Gemeinwesen (—etwa einer Gruppe—) in Kooperation mit anderen Subjekten, mit denen man ("sich-einander-entwickelnd") in sozialen Verkehr t r i t t . Für die Bildung n e u e r , " a l t e r n a t i v e r " Tätigkeitsmotive (damit entsprechend alternativer Verkehrs-/Beziehungsformen 225

mit anderen) müssen die geeigneten "sozialen, kooperativen Mittel-Subjekte" (RAEITHEL 19S3, 186) aber oft erst "gefunden" und "organisiert" werden. Das Wesentliche ist wohl, daß zumeist erst aus der tatsächlich erlebten positiven Sinn-Erfahrung einer mit anderen realisierten a l t e r n a t i v e n Beziehungs-/Verkehrsform heraus, beim personalen Subjekt die emotionale Bereitschaft ("Motivation") entsteht, die alternative Perspektive wirklich "praktisch umzusetzen", dabei die zur Realisation der neuen Tätigkeit/zur Reproduktion der alternativen Sozialform im konkreten Alltag e r f o r d e r l i c h e n Mittel auch wirklich aneignen und 'einsetzen 1 zu wollen. Es sei also nochmals betont, daß bloßes "Kopfwissen" d a r ü b e r , daß man in bestimmten Tätigkeitsfeldern immer je inhaltlich-bestimmte Beziehungsmuster realisiert und damit immer wieder in Schwierigkeiten gerät, allein noch nicht hinreicht für eine wirkliche (therapeutische) Veränderung, auch nicht, wenn eine alternative Sozialform-Perspektive gedanklich bzw. vorstellungsmäßig umrissen ist. Es kommt des weiteren vielmehr auf die sinn-erfüllende emotionale Erfahrung an, die sich aus der Verwirklichung eines anderen als des alten "typischen" Sozialverhältnisses/Beziehungsmusters ergibt. Ausschlaggebend für die Realisation neuer Formen ist die Kooperation mit anderen Subjekten im konkreten Gemeinwesen: nur wenn mit anderen Menschen -zu den "problematischen"- alternative Beziehungsformen in der g e s e l l s c h a f t lichen Lebenswirklichkeit tatsächlich realisiert werden, können vom personalen Subjekt neue, "alternative" Tätigkeitsmotive (Bedürfnisse) ausgebildet werden. Es geht hierbei um das Einander-Entwickeln in Subjekt-Subjekt-Verhältnissen, wofür es -wie schon gesagt- die kooperativen, sozialen M i t t e l - S u b j e k t e , ein konkretes Gemeinwesen, allerdings oft erst zu finden und zu organisieren gilt. Unter solchen Gesichtspunkten wird der praktizierende Psychologe im Sinne einer "emanzipatorischen" (psychosozialen/psychotherapeutischen) Praxis nicht nur die (Selbst-)Organisation der "Klienten" etwa in geeigneten Gruppen und Kollektiven e t c . u n t e r s t ü t z e n (vgl. vorne), sondern mehr noch: ist er als Berater oder Therapeut, aber auch als Theoretiker angehalten, sich selbst als soziales, kooperatives Mittel-Subjekt zu begreifen.

226

Anmerkungen

zu Kapitel I 1)

In deutscher Übersetzung ist LEONTJEWs wichtigstes abschließendes Werk: "Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit" (Original: Moskau 1975) zuerst 1977 in der Bundesrepublik beim KLETT-Verlag (Stuttgart) erschienen, dort allerdings in stark gekürzter, teilweise retuschierter Fassung. 1982 erschien es beim PAHL-RUGENSTEIN-Verlag (Köln), dort in ungekürzter Fassung als Übernahme der DDR-Ausgabe (vom Verlag VOLK UND WISSEN, 1979). Aus Gründen, wie sie in einer Anmerkung von Klaus HOLZKAMP in der Pahl-Rugenstein-Ausgabe von 1982 genannt werden (ebd, 8), m ö c h t e ich dem Leser diese statt der Klett-Ausgabe nahelegen. Daß ich in dieser Arbeit dennoch viele Zitate der K l e t t - A u s g a b e (1977) entnommen habe, hat seine Gründe vor allem darin, daß mir ursprünglich eben nur dieses Buch zur Bearbeitung vorlag (und ich daraus e x z e r p i e r t h a t t e , etc.), zum anderen darin, daß mir vereinzelt auch einige Formulierungen in der Uber Setzung der Klett-Ausgabe im Sinne eines bestmöglichen Verständnisses von LEONTJEW günstig erschienen.

zu Kapitel 2

zu Kapitel 3 1)

'Natur 1 ist beim Menschen primär die gesellschaftlich geschaffene gegenständliche Welt.

2)

"Abstrakt" meint hier: getrennt von der sinnlichen Anschauung. Indem aber die Tätigkeit als Beziehung des Subjekts auf einen solchermaßen ' a b s t r a k t e n ' Gegenstand u n t e r s u c h t wird, handelt es sich um die Untersuchung eines konkreten Zusammenhangs!

3)

Seit Ablösung der behavior istischen Grundsätze durch die sog. "kognitive Wende" wird es allgemein als gerade psychologisch r e l e v a n t angesehen (vgl. exemplarisch GROEBEN/SCHEELE 1977: "Argumente für eine Psychologie des reflexiven Subjekts"), daß sich das Subjekt reflexiv auf sich selbst beziehen, daß also Gegenstand seiner eigenen Tätigkeit das Subjekt selbst sein kann.

U) LEONTJEW (1973) verweist zweierlei Hinsicht verwendet: bedeutung) und zum anderen schaftlichen Bewußtseins, den

darauf, daß er den Terminus "Bedeutung" in "einmal als Bedeutung eines Wortes (Wortals Kenntnis, allgemein als Inhalt des gesellsich das Individuum aneignet" (dto, 250).

227

5)

Die in dieser Rubrik angeführten Verhältnisse über andere Menschen als "soziale Mittel-Subjekte" wurden im vorliegenden Kapitel noch nicht behandelt. Ich komme später darauf zu sprechen.

6)

Diese 'Ebene' wird von RAEITHEL (aaO) mit dem Terminus der Kommunikation — Kommunikationsverhältnisse umschrieben, was indes dem Umstand nicht gerecht wird, daß Kommunikation ("analoge", — signalische) auch auf der Ebene der T-T Kooperationsverhältnisse vorliegt; zwischenmenschlicher Verkehr ist^ Kommunikation. Ich spreche deshalb auf der dritten Ebene von "Diskursion".

7)

In: "Probleme der Entwicklung des Psychischen" (1973) schwankt LEONTJEW mehrmals hin und her zwischen der Bestimmung der Tätigkeit a) als abstrakt-allgemeine Kategorie (wie: Spiel-, Lerntätigkeit; oder auch: Mutter-, Lehrer- oder spezielle Berufstätigkeit) und b) als konkrete einzelne Tätigkeit der Persönlichkeit. Diese letzteren konkreten motivbezogenen Tätigkeiten werden von einem b e s t i m m t e n personalen Subjekt in seiner je ausgeführten allgemein-bestimmbaren (Spiel-, Lern-; Mutter-, Lehrer-)Tätigkeit realisiert und sie erst charakterisieren dessen Persönlichkeit. Ich komme darauf zurück.

zu Kapitel 4 1)

Ich will damit keinesfalls gesagt haben, daß sich eine Kritik an LEONTJEW erübrigt. Sie hätte für mein Dafürhalten aber zunächst an der Unklarheit, Verworrenheit, Dunkelheit und teilweisen Widersprüchlichkeit seiner Texte anzusetzen, die ein Verständnis seines Ansatzes erschweren. Vorher a b e r , wenn also der Kern seiner t h e o r e t i s c h e n Aussagen gar nicht rezipiert wird, muß auch jede Kritik ins Leere gehen.

2)

"Die Umwelt ist dem Menschen ... nicht gegeben, sie ist ihm aufgegeben. Indem er sie für sich e r s c h l i e ß t , vergegenständlicht er zugleich seine Fähigkeiten. Die individuelle Entwicklung vollzieht sich so als Prozeß der Aneignung und Vergegenständlichung" (GLEISS 1980, 112).

3)

Der Aspekt, daß Personen in gemeinsam realisierten Beziehungsformen je für sich bestimmte sozial-kooperative Verhältnisse als Motive (zu) verwirklichen (trachten), —(z.B. "überlegen sein" der eine, "sich klein machen" der andere)-, wird nochmals in Kapitel 5 aufgegriffen und e r h e l l t (s. vor allem Abb. 4 in Punkt 5.1).

4)

Auf das Sich-Hineinfallen-Lassen, dann das aktive Ausleben, schließlich die Symbolisierung des dann erkannten Gefühlsgegenstandes wird u.a. auch in der Gestalttherapie großen Wert gelegt.

228

zu Kapitel 5 1)

Die Basis der materiell-gegenständlichen Eigentumsbeziehungen sowie der "Überbau" des gesellschaftlichen Ideellen und die individuellen ideellen Systeme sind in diesem Schema nur angedeutet (nur abstraktiv gefaßt).

2)

Um einen Kommunikationspartner überzeugen zu können, benötigt man je spezifische Kompetenzen (Aneignung und Anwendung entsprechender Mittel). Lernen des Umgangs mit anderen Menschen (auch: Aneignung "sozialer Kompetenzen") ist ein Aspekt der KompetenzentWicklung, die mit der Entwicklung der Persönlichkeit i.e.S. zwar verbunden (verschränkt), aber nicht identisch ist.

3)

Das RAEITHEL'sche Konzept der "konkreten Funktion" soll hier nicht erläutert werden (s. dazu ders. 1983).

4)

Vgl. mit dem Schema 7 bei RAEITHEL (1983, 118).

5)

C h a r l o t t e BÜHLER (dt. z.B. 1975) hat ihre gesamte Persönlichkeitskonzeption und ihren psychotherapeutischen Ansatz um solche subjektiven Wertvorstellungen herum entwickelt.

zu Kapitel 6 1)

Ausdrücklich grenzt sich LEONTJEW von kulturanthropologischen Konzeptionen ab, denen gemäß die Persönlichkeit eine bloße Kopie, eine Verinnerlichung des jeweiligen Kultursystems, in dem der Mensch aufwächst, sozialisiert und "kultiviert" wird, darstellt. Die Persönlichkeit kann nicht als bloße (individualisierte) Kopie der jeweiligen gesellschaftlichen Lage eines Menschen oder des Kultursystems, in dem er sozialisiert wird, begriffen werden. LEONTJEW wendet sich somit explizit gegen einen 'soziologischen Reduktionismus', den er den Kulturanthropologen zum Vorwurf macht.

2)

Mit "Habitus" ist a n d e r e r s e i t s i.a. eine mehr ganzheitliche Prägung gemeint, an der nicht nur die Operationen'ebene' beteiligt ist (vgl. BRANDES 1982a in Anlehnung an BOURDIEU 1976).

3)

Der Reflexionsmodus der Rezentrierung in das 'höhere' Subjekt-System hat -so wie ich ihn hier verstehe- nur vage Gemeinsamkeiten mit der HOLZKAMP'schen gnostischen Stufe des "begreifenden Erkennens". Das HOLZKAMP'sche Konzept ist sehr viel weiter, umfassender-globaler, aber dabei auch sehr viel weniger persönlichkeits"relevant" i.e.S.. Letzteres ist aber der Punkt, auf den ich hier die Betonung lege. Daß diesbezüglich eine D i f f e r e n z zur HOLZKAMP'schen Konzeption besteht, möchte ich hiermit lediglich erwähnt haben, sie jedoch nicht erläutern.

4)

Die hier g e t r o f f e n e D i f f e r e n z i e r u n g weist auch Ähnlichkeiten auf zum Konzept des "subjective" versus "objective self-awareness" von DUVAL/WICKLUND (1972).

229

5)

Zu den Voraussetzungen der Persönlichkeitsgenese, die ihrerseits ja erst im Vorschulaiter ihren Anfang nimmt, gehören u.a., neben den angeborenen und bereits im Kleinkindalter erworbenen individuellen Besonderheiten, die frühkindlich geformten sozialen Erlebensmuster.

zu Kapitel 7 1)

In der UrZentrierung mag sich das Individuum angesichts einer Konfliktsituation außer ohnmächtig auch allmächtig fühlen, aber es ist das r e a litätsferne Alimachtsgefühl des Kleinkindes ...

2)

In der Regression bleibt das Subjekt gefangen in seiner bisherigen Sozialform, von der es indes gleichzeitig im Handeln behindert wird. Und insoweit die Sozialf or m-Realisation tatsächlich blockiert bzw. gescheitert ist, können die ihrer Reproduktion dienenden Handlungen auch nur noch Ersatz-Charakter haben.

3)

Auch der FREUD'sche Term der "Kompromißbildung11 hat in vorliegender Konzeption eine Berechtigung. Das Symptom/die symptomatische Handlung ist hierbei zwar nicht ein Kompromiß aus Trieb und Abwehr, aber gewissermaßen ein Kompromiß zwischen a) der Erhaltung/Aufrechterhaltung der etablierten Sozialform (Festhalten am dominierenden Motiv/Bedürfnis) und b) der realen Gefährdung bzw. dem praktischen Scheitern dieser Sozialform (Blockierung der Leitmotive-Realisation).

U) Diese Bestimmungen beziehen sich übrigens nicht per se auf die gesamte Person, nicht grundsätzlich auf alle T ä t i g k e i t s b e r e i c h e , wenn auch auf wesentliche. Auch "Psychotiker" bleiben sich teilweise der realen Welt, in der sie leben, bewußt und u.U. in verschiedenen Lebensbereichen sehr wohl handlungsfähig. 5)

Die a l l g e m e i n - a b s t r a k t e Klassifizierung von Symptomen ist nicht sehr nützlich; — wenn ich dennoch verschiedentlich entsprechende Kategorien benutze, dient dies als Raster zur Verständigung.

6)

Im übrigen könnten die U Punkte, die ich für den problemanalytischen Prozeß nenne, im idealtypischen Modell auch als die 4 Dimensionen der Therapie i.e.S. aufgeschlüsselt werden, z.B.: 1. Dem "Klienten" seine Symptome deutlich machen, aber ihn von deren persönlichen Sinn/Nutzen entfernen 2. A l t e r n a t i v e Bewegungsformen ausprobieren: neue Ziele setzen, neue Handlungen (er)finden/im Alltag erproben 3. Emotionen zulassen, "ausleben" und deuten Bewußte Neu-Konstruktion der Persönlichkeitsentwicklung; praktische Realisation neuer Sozialformen durch Einsatz neuer (Handlungs-)Mittel.

230

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239

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abb. 1:

Grundmodell von Subjektverhältnissen

63

Abb. 2:

Handlung—Tätigkeit—Arbeit—Praxis

70

Abb. 3:

Grundschema zur inneren Struktur der menschlichen Tätigkeit

111

Schema zur 'Ebenenstruktur' der sozialen Interaktion (der Kooperation)

118

Schematische Andeutung der über personalen Subjekt-Systeme und Prozeßebenen des oberen Kontextes

131

Abb. 6:

Die Struktur des individuellen Ideellen

135

Abb. 7:

Die 'Ebenenstruktur' der inneren Tätigkeit analog zur äußeren

145

Treppenmode Ii der Reflexionsstufen

177

Abb. 4: Abb. 5:

Abb. 8:

Tabelle 1:

240

Zur doppelten "Topologie" von Tätigkeit(s-) und Bewußtsein(s-Entwicklung)

61