Geschichte der protestantischen Dogmatik in ihrem Zusammenhange mit der Theologie überhaupt: Band 2 Der Synkretismus. Die Schulbildungen der reformirten Theologie. Der Pietismus 9783111449982, 9783111082738

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Geschichte der protestantischen Dogmatik in ihrem Zusammenhange mit der Theologie überhaupt: Band 2 Der Synkretismus. Die Schulbildungen der reformirten Theologie. Der Pietismus
 9783111449982, 9783111082738

Table of contents :
Vorrede
Inhalt
Drittes Buch. Der Synkretismus
Erster Abschnitt. Vereinzelte Friedensbestrebungen
Zweiter Abschnitt. Georg Calixt und der Synkretismus
Dritter Abschnitt. Der synkretistische Streit
Viertes Buch. Die Schulbildungen der reformirten Theologie
Erster Abschnitt. Die niederländischen Schulen
Zweiter Abschnitt. Die französische Schule
Fünftes Buch. Der Pietismus
Erster Abschnitt. Die Entwicklung des Pietismus
Zweiter Abschnitt. Bestreitung und Wirkung des Pietismus
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Geschichte der

Protestantischen Dogmatik in ihrem Zusam m enhange m it der

Theologie überhaupt. Von

W. Gaß, der P h ilos. u. Theol. D octor, der letzteren o. Professor in G reifsw ald.

Zweiter Band. D er Synkretismus. Die Schulbildungen der reform. Theologie. Der Pietismus.

Berli n. Druck und Verlag von Georg Reimer.

1857.

H e r r n Dr. E. L. Th. H e n k e Professor der Theologie in M arburg

dem B i o g r a p h e n G e o rg C a lip t's

hochachtungsvoll gewidmet

vom

Verfasser.

Vorrede. Endlich bin ich soweit, die Fortsetzung meines W erks dem theologischen Publicum mittheilen zu können. D ie Langwierigkeit der Arbeit und die mancherlei Unterbrechungen, denen meine M uße in den letzten Jahren ausgesetzt war, haben die H erausgabe weit über mein Erw arten verzögert; und ich begleite sie setzt vor Allem m it herzlichem Dank an diejenigen, welche dem ersten B and eine, wie ich glauben darf, mehr als flüchtige Aufmerksamkeit geschenkt haben. D er In h a lt der folgenden Bearbeitung geht dem des ersten B andes zum Theil parallel und der Z eit nach nur wenige Jahrzehnte über denselben hinaus. D er Leser wolle sich an das früher über die Anlage des Ganzen Bemerkte erinnern. D ie Namen D o g m a t i s m u s , S y n k r e t i s m u s und P i e t i s m u s sollten die drei Hauptstadien bezeichnen, in denen die protestantische Theologie seit dem Zeitalter ihrer reformatorischen Grundlegung bis herab in das vorige Jahrhundert verläuft. D ie erste dieser Richtungen ist be­ reits zur Darstellung gekommen; jetzt sollen ihm die beiden anderen, die synkretistische und pietistische, zur S eite treten und m it ihnen die gleichzeitigen und innerlich verwandten Schulbildungen der reformirten Theologie. D a s Bew eg-

liche stellt sich also neben das S ta b ile und in

sich Abge­

schlossene, das Heterodoxe oder doch von der M ehrheit A n ­ gefochtene neben die streng kirchliche Lehrform , Bestandtheil desselben historischen Ganzen.

Beides als

D a m it der S tro m

des religiösen Lebens in seiner ganzen B re ite übersehen und dam it dem V o ru rth e il entgegengewirkt werde, der einen S e ite

daß nur auf

christliche Wissenschaft, Glaube und Recht

zu suchen seien, habe ich in der ersten Entwicklung die freiere Richtung des S ynkretism us ganz übergangen,

um sie jetzt

m it gleichartigen Bestrebungen zu einem zweiten Gesammtbilde zusammen zu ordnen, und ich bin von der Richtigkeit des eingeschlagenen Verfahrens gegenwärtig noch mehr als anfänglich überzeugt. D ie Folge dieser Theilung w ar, daß zu den bisher von m ir gepflegten Interessen noch andere hinzutraten.

Erstens

w ird das allgemein Zuständliche von dem Persönlichen über­ wogen.

A lles dreht sich im Folgenden um die H äupter der

Schulen oder A nführer der Bewegung.

V a le n t in A n d re ä ,

C a l i r t , C o c c e j u s , A m y r a u t und S p e n e r bilden eine schöne Reihenfolge; es sind M än n e r, verbunden durch einen höheren Charakter evangelischer Christlichkeit und bedeutend genug, um nicht allein die Aufmerksamkeit des Historikers in seltenem Grade zu fesseln, sondern auch an Geist und Gesinnung jeden Vergleich m it den V ertretern der schola­ stischen Theologie und der Orthodoxie auszuhalten.

Z w e i­

tens w a r der S to ff nicht im m er dogmatischer A r t ,

er ging

häufig in

das allgemein Theologische, Kirchliche und Lite­

rarische über, — eine in diesem Z e ita lte r ganz unvermeid-

liche Erweiterung, die mich die Hauptaufgabe nicht aus dem Auge verlieren ließ. Endlich habe ich zwar nicht beabsich­ tigt, eine Unionsgeschichte zu liefern: aber eS ergab sich von selbst, daß nachdem der Faden der polemischen und irenischen Literatur einmal angeknüpft war, derselbe auch fortgesponnen werden mußte. Ich überlasse der Kritik zu beurtheilen, ob dies mit einigem Erfolg geschehen sei. Die FriedenSgespräche des siebzehnten Jahrhunderts machen theilweise den Eindruck des Scheins und der Vergeblichkeit. Aber sie sind es nicht allein, welche das Vorhandensein eines Triebes der Eini­ gung bezeugen; auch nicht bloß die Anträge und Aufforderungen eifriger Schriftsteller, wiewohl in dieser Beziehung die Vergleichung zwischen D u r ä u s , C a lix t, Leibnitz und S p ever das höchste Interesse gewährt. Sondern das Recht und die Wahrheit der werdenden Gemeinschaft erhellt zu­ gleich aus dem geistigen Ertrage der beiderseitigen Ent­ wicklung. Denn auch wo eine theologische Streitigkeit wesentlich innerhalb der einen Confession verlief, warf sie doch in der Regel Etwas ab, was seiner religiösen oder wissenschaftlichen Natur nach nicht auf dieselbe beschränkt bleiben konnte; mit dem wachsenden Gemeingut aber ver­ mindert sich in der Stille das Gewicht des Sonderbesitzes. Die Lutherische Confession erscheint als bloße Con­ fession genommen in den vorliegenden theologischen S tre i­ tigkeiten in entschieden ungünstigem Licht. Verbindet man sie jedoch mit den ihr anhängenden Bewegungen, mit den von M e la n th o n , C a lix t und S p e n e r ausgehenden Reactionen und der praktischen Mystik eines A r n d t und

Vorrede.

vm A n d re a :

so stellt uns diese Gesammtheit von Erscheinun­

gen einen Reichthum vor Augen, mirten Kirche gleichkommt und, schen Geist sehr vom

vielseitig

dem der refor-

wie ich glaube, den deut­

abspiegelt.

Standpunkt der Union

werden.

welcher

D ie s

kann

gerade

am Unbefangensten anerkannt

W ollten w ir die Vergleichung fortsetzen: so könn­

ten w ir sagen,

daß die

doctrinaler A rt sind,

reformirten

Schulbildungen mehr

während die Lutherischen zugleich eine

kirchlich-praktische S e ite haben, daß alle aber in der allge­ meinen Tm denz der Reinigung zusammentreffen. hältniß

zum

Synkretism us

D as V e r­

w ar für mich gegeben, da ich

denselben auf den im ersten Bande eingeführten M ela n th o n ischen Standpunkt zu stützen und aus ihm zu erklären hatte?) Ic h

habe aber

auch

für

den

Pietism us

e rs te r

Periode

’ ) Ic h verdiene den V o r w u r f nich t, der m ir v o n Heppe in der V orrede zum ersten Bande seiner „D o g m a tik des deutschen P rote stantism us im sechzehnten J a h rh u n d e rt" (G o th a 1857) S . I V

gemacht w ird .

Heppe giebt m ir S chuld,

daß ich B d . I , S . 50 M e la n th o n v o rg e w o rfe n , derselbe habe sich selbst „nicht so w e it verleugnet, um auch den ganzen Luther sammt den von diesem a llein aus­ gehenden Lehrtrieben in stch aufzunehmen,"



„o b w o h l doch in der h. S c h rift

nirgends geschrieben stehe, auch sonst gar nicht einzusehen sei, daß die protestan­ tische Kirche den B e ru f gehabt, den ganzen Luther sam mt den von ihm ausgehenden Lehrtrieben in sich aufzunehmen." mißverstanden w orden zu sein.

A lle in

allein

Ic h bedaure, in solchem G rade

der Zusammenhang jener S te lle

zeigt

klärlich , w as ich gemeint und g e w o llt, nämlich die srühe Entstehung der Lehr­ differenz a u f die verschiedene Sinnesweise der beiden R efo rm atoren , deren E in e r vom Anderen zuerst abhängig gewesen w a r, nachher aber sich dieser Abhängigkeit entzogen hatte, zurückzuführen und positiv und negativ aus derselben zu erklären. V o n einem „ B e r u f" der A neign ung Luthers ist kein W o r t gesagt.

M e la ntho n

erwächst daraus kein T a del, daß er sich selbst nicht verleugnet, sondern ein Lob. Ic h

habe im

ersten Bande die R ichtung M e l a n t h o n s gegen die speciell von

Lu ther ausgegangene bevorzugt.

M e in e ganze E ntw icklung ist a u f M e la n th o n s

Loci, sogar au f deren erste Ausgabe, dergestalt gebaut, daß w ohl Niem and folg ern w ird , ich hätte seine religiöse Selbständigkeit binden oder beschränken w ollen.

Partei genommen, ohne mich gegen die ihm anhaftenden Gebrechen zu verschließen. Damals blieben diese beiden Richtungen einander fremd und verstanden sich nicht: waS aber in der Gegenwart dem Ersteren entspricht, das wird nicht siegen, ohne sich mit dem Anderen, d. h. dem prak­ tischen Christenthum im besten Sinne verbündet zu haben. Doch ich bin über mein Quellenstudium und den Ge­ brauch der literarischen Hülfsmittel dem Leser noch einige Bemerkungen schuldig. Diesmal habe ich mich in sehr un­ gleicher Lage befunden, bald höchlich unterstützt von Mono­ graphien und Vorarbeiten, bald verlassen. H enke'ö Werk über C a lix t, dessen Vollendung ich nicht abwarten konnte, zeichnet sich durch Gründlichkeit der Forschung wie durch Feinheit und Eigenthümlichkeit des Urtheils aus. Ich habe es in keiner Weise entbehrlich machen wollen oder können; nur also durfte ich mich neben Henke stellen, daß ich meinem allgemeineren Zweck und Weg der Behandlung treu blieb, statt auf den seinigen monographischen überzugehen. Und bei diesem Geschäft verhielt ich mich zugleich unabhängig zu meiner eigenen vor zehn Jahren erschienenen Schrift dessel­ ben Inhalts, so wie hoffentlich mein Urtheil über den Ge­ genstand klarer und konsequenter geworden ist. W as ferner den UniversaliSmuS A m y ra u t's und überhaupt die fran­ zösische Schule von Saum ur betrifft: so war ich an Schwei­ zers „Centraldogmen" gewiesen. Ich mußte auf wenige Bogen zusammendrängen, was dort mehr als die Hälfte des zweiten Bandes anfüllt. Mehrere Quellenschriften stan­ den mir selbst zu Gebote, andere mußte ich durch die von

Schweizer gelieferten sehr vollständigen Auszüge und B e ­ richte ersetzen.

Dagegen sind die Abschnitte über die nieder­

ländischen Parteien der Cartestaner und Coccejaner lediglich aus den Q u e lle n bearbeitet worden, und diese ließen sich zwar nicht ohne Ausnahme,

denn das w ar in unserer vom

Schauplatz w eit entlegenen Gegend nicht zu erreichen, aber doch vollständiger als ich hoffen durfte, herbeischaffen. Dasselbe g ilt von der Charakteristik S p e n e r s über welchen darbot.

die

hiesige B ibliothek

und des P ietism us, erwünschtes M a te ria l

F ü r meinen Zweck konnte H o ß b a c h s

phie n u r als eine einleitende B eihülfe dienen.

M o n o g ra ­

W enn irgend

wo, so bedurfte es hier eines unmittelbaren Schöpfens und E indringens, wiedergegeben

wenn

der frische Geist erfaßt und lebendig

werden sollte.

Ic h habe dieses fünfte Buch

m it so viel Liebe und Fleiß als

ich konnte gearbeitet und

würde mich w ahrhaft freuen, wenn cs durch sich selbst be­ friedigte oder doch zu erneuten Verhandlungen Anlaß gäbe. D e r Leser w ird die Hauptepoche dieser Bewegung im Folgen­ den dargestellt finden, noch nicht die späteren Nachwirkungen, welche einem veränderten historischen Schauplatz angehören. F ü r alles Uebrige verweise ich auf das Buch selbst, indem ich n ur noch hinzufüge, daß wenn G o tt m ir weiter­ hin zur Fortsetzung und Vollendung K ra ft schenkt, der dritte B and das achtzehnte Jahrhundert umfassen und das Ganze soweit abschließen w ird , als ich es überhaupt in historischer F orm fortzuführen W ille n s bin. G re ifsw a ld , im O ktober 1 8 5 7 . D e r Verfasser.

Inhalt. Seite

D r it t e s Buch.

Der Synkretism us.

Erster Abschnitt. Vereinzelte Friedensbestrebungen. I. E in le itu n g . D e r S t a n d d e r P o lem ik . Histo­ rische Erklärung des confesstonellen Hasses. Rückblick auf HoSpinian und Hutter. Proben der beiderseitigen Polem ik..................................................................... 1 - 21. II. U e b e rg a n g zu den F r ie d e n s stim m en. Katholische Unionisten. Georg Cassanders Vorschläge linb dessen Traditionsprincip nebst Calvins Entgegnung. AntoniuS de DominiS und seine kirchliche Republik. Erfolglosig­ keit B e id e r.................................................. .... . . 21 — 30. III. R e f o r m ir te U n io n iste n . Consensus zu Seudomir. D as Irenicum des F r. In n iu s. Die Negotiationen des Johann D uräus als Beispiel oberflächlicher Auf­ fassung der Sache. Stumpfe und scharfe Unionisten. Leipziger Gespräch und Friedensprogramm des Parens, von Hutter b e a n tw o r te t......................................... 30 - 50. IV. V e r w a n d te R e g u n g e n d e r L uth'erischeu K irche. Welchen 'Werth hat in dieser Beziehung die Mystik? Charakteristik Arndts und Valentin Andreä's. Praktische Mystik und poetische Kritik im Bunde. Societas chris t i a n a .................................................................................

50 — 67.

Zweiter Abschnitt. Georg Calixt und der Synkretismus. I. A u f tr e te n C a lix t 's . Bedeutung der Lutherischen Unionsrichtung. Die Universität Helmstädt und Calixt's Studien. Der S treit Hoffmanns gegen die Philosophie 67 — 78.

Inhalt.

XII

Seite II.

C a lix t a ls S c h r ifts te lle r . Beurtheilung seiner älteren Schriften. Apparatus theol. De praecipuis capitibus etc. Epitome. Seine Monographieen, besonders gegen Papstthum und T rid e n tin u m .................................... III. D e r K a th o l i c i s m u s des C a lix t entwickelt auS der Digressio de arte nova und andern Schriften. D as altchristliche Glaubensfundament, Tradition und Con­ sensus patrum als gemeinschaftlicher Schwerpunkt, ver­ theidigt gegen Römische Angriffe. D er wahre Katho­ licismus auch protestantisch gültig. D as Schristprincip und die Inspiration. Kritik der alttest. Trinitätsbeweise IV. C a lix t 's B e u r t h e il n ng d er n e u e re n C o n tr o v e rs e n . Richtige Sorge für die Lehrreinheit nachdem Verhältniß der constituentia, antecedentia und consequentia. Speciell dogmatische Kritik der Sündenlehre und der reform. Prädestination. Nach der Lutherischen Seite über Abendmahl und Ubiquität. Richtiges Ver­ ständniß der Rechtfertigung, Nothwendigkeit der guten Werke nach der historia Josephi. Seligkeit wird auch durch Sittlichkeit b e d i n g t ......................................... D ritter Abschnitt. D er synkretistische S treit. I. U ebersicht deö h istorischen V e r la u f s . BüscherS Auftreten gegen den KryptopapismuS und deffen Folgen. D er Kampf wird heftiger nach dem Thorner Gespräch. Die Königsberger Fehde. Die Angriffe der Wittenber­ ger und der Höhepunkt des S treits bis zu Calixt's Tode. D aö Kasseler Gespräch, heftige Feindschaft wider dasselbe und Machinationen der Gegner bis zum Consensus repetitus. In h alt und Standpunkt des letzteren. DaS Dazwischentreten der Jenenser. Die späteren Anhänger und Nachfolger C a l i x t 's ......................................... II. O r t h o d o x e Kr i t i k des S y n k r e t i s m u s . Allge­ meines Urtheil über denselben, dessen Herkunft und Eintheilung. Historische Erklärung dieser Häresie. Gründe der Verwerflichkeit. Wichtigster ControverSpunkt über die Sufficienz des alten Sym bols und Consensus und dessen Verhältniß zum neueren Bekenntniß. Die speciel­ len Abweichungen des C a lix t.................................... III. D e r S t a n d p u n k t der G e m ä ß i g t e n . M usäus stellt sich zwischen beide Parteien und protestirt gegen das Wittenberger Strafgericht. Auch der Synkretismus wird gemißbilligt. Pflichtmäßige Schonung der ganzen kirch-

78 — 102.

102- 127.

127— 154.

154— 184.

184— 201.

Anhal t .

XIII

Seite lichen Lehreigenthümlichkeit. D er Werth dieses confer-* vativen S t a n d p u n k te s ..................................................... . Schlußbemerkungen über C a l i x t ................................... .

201—212. 213—216.

Viertes Buch. Die Schulbildungen der reformirten Theologie. Erster Abschnitt. I.

II.

m.

Die niederländischen Schulen.

C a r te s ia n e r . Rückblick auf Cartesius. Dessen System von Zeitgenossen wie H. M orus gelobt und getadelt. Verhältniß zur resorm. Lehre. Erstes Auftreten der Cartestanischen Schule, Wittich und HeidanuS. — Die behauptete Selbständigkeit der Forschung. D as Princip der clara et distincta perceptio und der philos. Schriftauslegung ........................................................................... 216—234. Die kirchl. Gegner find Mastricht, Maresius, Ofiander. D er specielle S tre it betrifft die Idee Gottes und seines W illens, das Verhältniß des menschlichen Willens zum Verstände, das Recht der freien Naturforschung. Wittich als eonservativer Cartesianer. Kühnere Anhänger waren B . Belker, Vf. der bezauberten Welt und Anfänger einer kritischen Dämonologie, und Röll in seiner Religio r a tio n a lis........................................................................... 234—253. C o c e e ju s . Die Verwicklung steigt durch das Auf­ treten einer neuen biblischen Methode. Bildungsgang und Studien des Coccejus. Uebersicht der Schriften. Sein religiöser, kirchlicher und exegetischer Standpunkt. Entwurf der Föderaltheologie, De testamento et foedere Dei. Werkbund und dessen Abrogationen im Gnaden­ bund. Ausbreitung über das gesammte Glaubenssystem. Considerationes ad ultima Mosis. Coccejus über das Sabbathsgesetz. Die biblische Abhandlung über thxqsois und ätpeoig. Allgemeiner Werth dieser Studien . . .

253—285.

C o ceejan isch e u n d C a rte s ia n isc h e H ä n d e l. Die Bewunderung der Schüler des Coccejus erregt die Eifer­ sucht der scholastischen Partei. Opposition durch Maresius, Hoornbeck u. A. Vorwürfe des RabbiniSmus und der typischen Deutelei. Die Coccejaner berühren sich mit den Cartesianern. ' Urtheil des Coccejus über Cartesius. Maaßregeln der Regierung. — Die gründlichere ortho­ doxe Kritik nach HulsiuS. Ungleiche Schicksale beider S ch u len ................................................ ............................... 285—300.

XIV

I n h a l t .

Seite IV. D ie s p ä te r e n F ö d e r a lis te n . Philosophisch gemisch­ ter Föderalismus des Heidanus, der sich theils an Coccejus, theils an CartesiuS anschließt. Doch überwiegt die letztere Richtung. Streng methodische Föderalisten Momma und Burm ann. Dieser hat das System dreitheilig durchgeführt. Verschiedene Abwandlungen dieser Lehrform bei Witsius, Vitringa, v. T il u. A. Auch die Lutheraner versuchen sich in dieser Methode. Erste Grundlage einer biblischen T h e o lo g ie ....................... 300 - 323 . Zweiter Abschnitt. Die französische Schule. I. V o r b e m e r k u n g e n . Die Parteien der ^.ntinomi und Neonomi in E n g l a n d .............................................. II. A m y r a u t u n d die S c h u l e v o n S a u m u r . Die Stellung der Reformirten in Frankreich. Vorzügliche Lehrkräfte. I n S aum ur zunächst Camero mit seiner Lehre vom Willen und der Sünde. Amyraut dessen Schüler. Tratte de la predestination. Hauptlehre vom bedingten Universalismus der Gnade. Begründung derselben mit Rücksicht auf Calvin und Camero. Schonendes Verhalten der Synoden. Sonstige Abweichungen derselben Schule III. B e s t r e i t u n g des U n i v e r s a l i s m u s . Reaction der Schweiz. Kritiken des Rivetus und Spanheim gegen Amyraut. Entschiedener Widerspruch von Seiten der Schwerz, besonders Zürich, Bern und Basel. I . H. Hei­ degger als dogmatischer Schriftsteller. Derselbe versaßt die Formula conscnsus H e lv e tic a ................................ IV. D e r P a j o n i s m u S a n k n ü p f e n d a n A m y r a u t . Pajon leugnet den Concursus der Gnade. Seine W elt­ ansicht deistisch. Iu rie u gegen ihn. Weitere Consequenzen dieses Standpunktes bei Papin. — Verhältniß des refor­ mirten Universalismus zum Lutherischen. Ju rie u 's und Heideggers F ried ensschriften....................................

324 —328 .

328 —349 .

349 - 359 .

359 —374 .

Fünftes Buch. Der Pietismus. Erster Abschnitt. Die Entwicklung des Pietismus. I. E i n l e i t u n g . Wiefern gehört der Pietism us überhaupt in die Geschichte der Dogmatik? Verhältniß desselben zum Synkretismus. Q uantitative und qualitative Beurthei­ lung des Glaubens. Allgemeiner Charakter, historische Prämissen und V o rg ä n g e r........................................ 374 —386 .

Anhal t .

n.

S p e n e r u n d s e in e W irk s a m k e il. S ein persönlicher, gelehrter und geistlicher Charakter. Tendenz seiner Pre­ digt und Sum m e der pia disideria. Die Besserungs­ vorschläge werden zu hastig ergriffen, daher frühzeitige Conflicte. Der Leipziger Proceß und Thomasius. Erste Befehdung des Pietismus. Die fernere schriftstell. T hä­ tigkeit und Vertheidigung SpenerS. S ein Gutachten über die Union verglichen mit dem Standpunkt Leibnitz's. Gefährliche Anhänger und erneute Angriffe. Speners letzte Wirksamkeit....................................................... HI. S p e n e r s T h e o lo g ie . I n welchem S inne ist er Dog­ matiker- Stellung zur Reformation. W as ist die Theo­ logie und was fordert sie von dem Theologen? W ar­ nung vor der Systematik und Philosophie und Vorschläge für das Studium . Hauptprincip der Wiedergeburt. Ge­ fahr und Berechtigung dieser Forderung. W as folgt daraus für das überlieferte D o g ü i a ? ....................... IV. F o rts e tz u n g . Specielle Prüfung der Lehransichten. Maaßvolle Behandlung des Dogrna's und der Confession. Die eigenthümlichen Ausfassungen fallen ijnter drei Punkte: 1) N atur und Sünde im Verhältniß zur Gnade. Welt und Gnade bilden den schärfsten Gegensatz, milderes Verhält­ niß zur Natur. 2) Glaube nebst Heiligung und den an­ grenzenden Begriffen. Lehre vom Glauben und der Recht­ fertigung. Verknüpfung der Namen Erleuchtung, Wie­ dergeburt, Rechtfertigung, Uebergang zu den guten Werken. 3) Beschreibung des christlichen Lebens. Hier tritt ein asketischer Zug hin;u. Speners Ethik und An­ sätze einer praktischen M y s tik .................................... V. F o rts e tz u n g , d er C h ilia s m u s . Wie gelangte Spener zu der chiliastischen Neigung und wie vertheidigte er sie? Diese Zuthat schadet dem Unternehmen. Der Chiliasmus wird als Dogma ausgebildet von Petersen, bei Dippel ist er mit anderen Elementen v e rb u n d e n .................. Zweiter Abschnitt. Bestreitung und Wirkung des Pietismus. I. D ie k irchliche K r itik gegen S p e n e r u n d seine R ich tu n g . Carpzov, Deutschmann, Schelwig, Mayer. Schwierigkeit dieser Discussion bei obwaltendem Mißver­ ständniß. Die Hauptanklage geht auf Unterschätzung des Doctrinalen gegen das Praktische. Die einzelnen S treit­ punkte betreffen die Verbindung zwischen Geist und Buch­ staben der h. Schrift, das Princip der Wiedergeburt,

XV

Seite

3 8 6 -4 0 8 .

4 0 8 -4 2 5 .

4 2 5 -4 4 6 .

4 4 6 -4 5 6 .

Inhalt.

XVI

II.

Seite das Verhältniß von Wißen und Willen, Erleuchtung und Heiligung, Glauben und Werken. D as Dasein des Glau­ bens darf nicht an den Werken geprüft werden. Die Stufen der Heiligung. Der C hiliaSm uS...................... 456- 478. L i t e r a r i s c h e W i r k u n g e n . Voran einige Sätze als Gesammturtheil. Allgemeine Natur und historische Be­ deutung des Pietismus, indirecter Einfluß auf die Wis­ senschaft. Anregung für die Exegese, durch Arnold für die Kirchengeschichte. Dogmatische Arbeiten von gerin­ gem Werth. Aber auch die kirchliche Dogmatik bleibt nicht unberührt. David Hollaz und dessen Werk. Schluß 478- 499.

D rittes Buch.

D er Synkretismus.

Gesch. d. Protest. Dogmatik II.

i

E rster Abschnitt. 1

V e re in z e lte I.

Friedensbestrebungen.

E in le it u n g .

D e r S t a n d der P o le m ik .

Ü )»e vorangegangene Darstellung hatte diejenige Gestalt der Theologie und Dogmatik zum Gegenstand, welche auf die T ha t­ sache gänzlicher Scheidung der beiden protestantischen Confessionen im siebzehnten Jahrhundert gegründet w urde; die nächstfolgende w ird sich m it der andern Richtung beschäftigen, in welcher gleich­ zeitig ein Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit und ein V e r­ langen nach Aufhebung dieses Zwiespaltes fortwirkte.

D ie erstere

zwar wurde die herrschende, die orthodore und dogmenbildende, aber sie sah sich in ihrem Ansehen durch die heterodore behelligt und beschränkt; beide greifen vielfach in einander, mischen sich sogar in einzelnen Erscheinungen, und es soll nur relative G el­ tung haben, wenn sie als verschieden geartete kirchliche Denkwei­ sen gesondert vorgeführt werden.

Indem w ir nun aber fü r die

erweiternde synkretistische oder irgendwie über den Damm des lutherischen Dogma'S hinausdringende Theologie nach einem Aus­ gangspunkt suchen, ist es nicht genug, daß w ir einfach auf den geschilderten Dogmatismus zurückweisen, dessen Wesen durch sich selbst schon das Bedürfniß nach Ermäßigung der Gegensätze her­ vorgerufen habe, sondern w ir

müssen uns den Grad und die

geistige Beschaffenheit der confessionellen Feindschaft in einem histo­ rischen B ilde vergegenwärtigen, damit erkannt werde, wie natür­ lich und sittlich geboten der Gegendruck w ar.

D er Stand der

Polemik zwischen Lutheranern und Reformirten wird noch nicht aus der Summe geläufiger Thesen und Antithesen verstanden, nicht die Menge des Bestrittenen erklärt ihn, sondern der S in n und Standpunkt der gegenseitigen Beurtheilung, und dieser ist wieder durch gewisse historische Verwicklungen bedingt worden. Fragen wir also, w as hat den kirchlichen Hader zu jener fürchterlichen Erbitterung, welche seit Ende des sechszehnten J a h r­ hunderts herrschte, gesteigert und in gleicher Heftigkeit erhalten: so können wir nur antworten, es waren die auf den Abschluß der Concordienformel folgenden gegenseitigen Reizungen und Verant­ wortungen. Wie ein verhängnißvoller Bruderzwist dadurch nur noch wilder entflammt, daß der Eine sein Schicksal von dem des Andern trennen will und dennoch nachher an die Stärke der B luts­ verwandtschaft bitter gemahnt w ird: so erfolgte auch hier die Los­ sagung nicht teilt noch natürlich, sondern hinterließ Eindrücke der Gewaltsamkeit, die sich in Haß verwandelten, um erträglich zu werden. M an erlaube uns diesen Gedanken hier als Einleitung zu benutzen. D ie Lutherische Kirche, soweit sie überhaupt der Concordien­ formel beigetreten war, schien nach Innen gesichert und von allen heimlichen oder offenkundigen Schäden geheilt. I n dieser Selbst­ befriedigung sahen sich aber bald die Lutheraner durch die empfind­ lichsten Vorhaltungen der Reformirten und der ausgeschlossenen Philippisten gestört und zu nochmaliger Vertheidigung ihrer Hand­ lungsweise herausgefordert. Kaum ist die Eintrachtsformel ein­ geführt, so wird sie (seit 1581) Gegenstand einer Kritik, welche verschärfte Fortsetzung der vorangegangenen Censuren w ar. Aus­ führliche Gutachten der meisten O rte, wo der Beitritt versagt worden, appellirten nochmals an die öffentliche Meinung der pro­ testantischen Christenheit. An der Spitze dieses literarischen Feld­ zuges, dessen Schauplatz Deutschland sein mußte, wo der M elanthonismus nach beiden Seiten hin verwachsen w ar, standen die Neustädter Theologen unter J o h a n n C a s im ir von der Pfalz, dann folgten die Anhaltischen, die Brem er; auch die Stimme eines vereinzelten Flacianers, des J r e n ä u s , mischte sich hinein.

Diese Schriften') zusammengenommen mit den Acten des M ömpelgarter Gesprächs (1566), welches die Vergeblichkeit alles fried­ lichen Zuredens offen darlegte, bilden eine ansehnliche Reihenfolge, die durch H o s p i n i a n s bekanntes Werk und H u t t e r s Beantwor­ tung ihren Abschluß erhielt. M an könnte nach diesen Schriften die ganze vorangegangene kirchliche Entwicklung seit 1530 studiren; es sind parteilich ent­ worfene Wiederholungen, stark gefärbte Spiegelbilder der Geschichte. W as jenseits dieses Jahres liegt, wird von den Beurtheilern meist als gesunde Grundlage anerkannt; Deutschreformirte genehmigten, strengere Calvinisten schonten wenigstens die Augsburgische Con­ fessio», und die Neustädter Theologen erklären sich sogar bei rich­ tiger Deutung mit dem zehnten Artikel einverstanden. N ur dürfe man sie nicht in jedem Punkte zur Norm erheben noch alle Ab­ weichungen von ihr für fundamental ausgeben, denn sie sei immer nur eine partikulare zur Vertheidigung nach Außen und zur Fest­ stellung gewisser Hauptstücke bestimmte Bekenntnißschrift und als solche den alten allgemein gültigen Symbolfvrmeln nicht gleich zu achten. Noch viel weniger aber verdiene ein Werk wie die Concordienformel ihrer ganzen Entstehung nach als unbedingtes Kri­ terium wahrer Christlichkeit überhaupt sanctionirt zu werden?) Folg­ lich richtet sich alles Mißfallen gegen die späteren Zuthaten und konfessionellen Beschränkungen, gegen die „neulutherische" Abend­ mahlslehre und Christologie. „Die Lutheraner, heißt es, scheinen sich in Behauptungen zu gefallen, welche alle philosophischen P rin' ) De libro concordiae quem vocant, — admonitio christiana scripta a theologis — Johannis Casimiri. Neostad, in Palatinatu 1581. — Defensio admonitionis Neostadianae contra apologiae Erfurtensis sophismata et cavillationes scripta ab aliquot studiosis theologiae in schola Neostadiana. Neost. 1586. — Diesen Kritiken steht gegenüber Apologia pro libro concordiae conscripta per Tim. Kircherum, Nie. Selneccerum et M. Chemnitium. Magdeb.

1584.

Die übrigen Schriften: Bedenken über die Präfation des Concordien-

buchS Neost. 1581. Christoph. Irenaei Examen 1581 etc. f. bei Walch Bibi, th. I, p. 376 sqq. Ueber das Staffortische Buch s. Planck, Gesch. d. Prot. Theol. von d. Concordienf.

S . 24.

2) De libro concordiae etc. p. 115—133.

cipien vernichten, — freilich der kürzeste W eg um alles Beliebige glaublich zu machen, nachdem man die Zuhörer um Urtheil und Ver­ nunft gebracht hat.') Gleichem V orwurf unterliegt die Lehre von der T aufe. Kein Zweifel daß die Taufe ihre Verheißung wahr macht, also die Aufnahme in den Bund der Kindschaft und die W ieder­ geburt unter Voraussetzung des Glaubens zusichert und geistig darreicht. D a aber die erneuernde Wirkung vom Geiste nicht vom Wasser ausgeht: so darf sie nicht an das sichtbare Zeichen noch den Augenblick der Verrichtung gebunden gedacht werden, und es hat keinen S in n , auf Kinder, die keinen Glauben haben, mit dem sacramentlichen Act zugleich die Wiedergeburt zu übertragen. Und auf welche Weise sind die Lutheraner zu diesen von der Eintrachtsformel genehmigten Neuerungen gelangt? S ie schöpften dabei lediglich aus Luthers Schriften und zwar aus den polemi­ schen und Privatschriften, die gar nicht den Anspruch maaßgeben­ der Gültigkeit erheben noch aushalten. Woher die kirchliche B e ­ rechtigung, dem einzelnen Luther bis in seine Privatmeinungen zu folgen, zumal wenn doch andere Ansichten desselben M annes wie die von der Freiheit und Vorherbestimmung offen bei S eite gesetzt werden. D ie „A utorität Luthers" pflegt in den vorliegenden Schriften eine besondere Ueberschrift zu bilden. B ei aller herr­ lichen Begabung Luthers ist es Vermessenheit, ihn allein auf den Thron zu setzen, seine Schriften zu „kanonisiren," a ls ob sie der Prüfung enthoben seien, sein Ansehen dem eines Propheten und Apostels zu verähnlichen oder gar, wie die Neustädter Kritiker hinzufügen, mit Wundern und Weissagungen als den Kennzeichen *) Defcnsio admonitionis Neostadianac, am Schlüsse der Vorrede : At vero ista sunt condonancla Erfurtcnsibus thcologis, qui intcr sua axiomata haec quoque ponunt, Kationen! omnein sumraovendam, omnia pliilosophica principia repudianda qualia sunt: Duo contradictoria non possc simul esse vera, nivem non esse simul albam et nigram, finitum non esse capax infiniti, Corpus non esse Corpus," si simul sit finitum et infinitum. Compendiaria est profecto illa via ad persuadendum liominibus quiequid volunt et ad causam suam et litem obtinendam, si prius rationem et Judicium omne auditoribus eripiunt.

prophetischer K raftfülle zu schmücke».') Und d as Alles bei der willkürlichen Zurücksetzung M elan th on s! Derselbe M a n n , dem Luther die D arlegung der evangelischen Lehre überließ, weil er überzeugt w ar in ihm den rechten G ehülfen und M itarbeiter zu besitzen, den Luther zu ehren und den Gem einden zu empfehlen nicht aufhörte, obgleich ihm seine Lehrabweichung nicht unbekannt w ar, derselbe M an n , den unsere N euerer a ls Verfasser und V er­ theidiger des Hauptbekenntniffes gelten lassen müssen u n d , wenn er lebte, anzutasten nicht wagen w ürden, — ihn den Gestorbenen verunglimpfen sie jetzt m it rasendem E ifer und ergehen sich in Reden, nach welchen ein B r e n z sich größere Verdienste a ls M e l a n t h o n um die Kirche erworben haben s o l l . O b L u t h e r selbst die Beschränkung der Lehrnorm gewollt, kann zweifelhaft sein, da er doch das Bekenntniß der W aldenser edirt und mit der A u­ gustana in Eintracht gefunden, obgleich die W aldenser über Abend­ m ahl und P erso n Christi stets wie w ir gedacht h a b e n d ) E ine dritte Reihe von E inw ürfen trifft die E intrachtsform el selbst und ihr V erhältniß zur A ugustana. V on der letzteren w ar es nicht schwer zu zeigen, daß sie sich sträube gegen die ihrem T ert aufgebürdeten Folgerungen und In te rp re ta tio n e n , und daß sie namentlich zu jener überörtlichen V erallgem einerung der mensch­ lichen N a tu r Christi nicht den geringsten A nlaß gegeben. D ie A dm onitio weiß nicht weniger a ls sechzig solche innere Antilogieen aufzufinden, theils gesuchte, z. B . daß die B rodtverw andlung ver­ dam m t werde, welche doch der bevorzugte erste T ert der Confessio» nicht verdam m t habe, theils scharfe und treffen d e/) A berm als

‘) De libro concordiae p. 197 sqq. *) Ibid. p. 191. 336. Passim jactant, Brentium siium, qui Lutheri commendationibus crevit, longe melius de ecclesiis Christi meritum esse quam Philippum. 3)stgcgen Apologia pro libro concordiae p. 271. „W ir reißen diese beiden M änner, Lutherum und Philippum, nicht von einander, sondern Phi­ lippus hat sich selbst von ihm gerissen." 3) Ibid. p. 186. 187. ”**) De libro concordiae 1. c. p. 295. Monstratio antilogiarum libri con­ cordiae.

stellt sich die S acram entstheorie m it ihren inneren Schwierigkeiten in den V ordergrund, und es w ird versucht, die Lutherische Ansicht der Römischen nahe zu rücken. D ie G eg n er, heißt es unter Anderem , versichern ihren A bendm ahlsglauben lediglich auf den W ortverstand der Einsetzungsworte zu gründen; drängt m an sie aber, so greifen sie nach ihren christologischen Hülfssätzen und ver­ leugnen dam it die alleinige B ew eiskraft jener W orte. S ie ver­ dammen die A doration der Hostie und werden doch einräum en müssen, daß eine solche schon durch die Annahme leiblicher Allge­ genw art nahe gelegt w ird. S ie verwerfen alle unw ürdigen F o l­ gerungen eines mündlichen Genusses und wollen doch die alleinige Q uelle dieser M ißverständnisse nicht hinw egräum en. S ie bestehen au f der U biquität und behaupten doch von dem überall G egen­ w ärtig en, daß es erst durch den G enuß den E m p fäng ern, selbst den Nichtglaubenden, eingeflößt w erde. J a ihre eigene M einung treibt au f die M eßhandlung h in , welche ja von dem G lauben an ein leiblich D aseiendes ihren A usgang genommen h a t.') — Nichts aber konnte empfindlicher sein a ls die Bem erkungen über d as bei der E inführung der Concordienform el eingeschlagene V erfahren. E ine G laubensschrift wie diese, von wenigen Theologen berathen und abgefaßt, hätte vor Allem eine freie synodalische B erath un g, w ie sie auch von den R eform irten beantragt w orden, verdient. S ta tt dessen habe m an m it allerhand Zureden die Unterschrifteu einzutreiben gew ußt, die Einwendungen zurückgewiesen, die S chw an­ kenden und halb Zustimmenden durch Schleichwege gewonnen, die A m tsgew alt der O brigkeit für theologische Parteizwecke gemiß­ braucht, kurz M ittel angewendet, die an den A rianer V a l e n s und seine kirchlichen U nterhändler e rin n ern ?) F ordert m an von J) Daraus antwortet die Apologia pro libro concordiae p. 258. „Waö diesen Leuten nicht räumlich ist und räumlicher Weise geschieht, das können noch wollen sie in ihren wunderlichen und disputirlichen Kopf nicht bringen. — I h r Argument ist dahin gericht, gleich als setzen wir die gemeine Allenthalbenheit des Leibes Christi zu einem Grund-der Gegenwart Christi im Abendmahl; — das thun wir aber nicht, sondern nehmen unseren Grund aus dem unfehlbaren Wort des Testaments Christi." 2) Ibid. p. 354. Sed per insidias et simulationem Consensus et ami-

den Theologen Rechenschaft über die Autorität ihrer G laubens­ bestimmungen: so schützen sie den W illen und das Ansehen der Fürsten vor, welche doch sie selber erst auf diesen Weg concordistischer Unterhandlung hingeleitet haben. Diese Vorwürfe mögen einseitig und übertreibend genannt werden, unwahr sind sie nicht. W as hier in einzelnen Zügen her­ vorgehoben wird, hat H o s p i n i a n später zum Gegenstände seines ausführlichen kritischen Geschichtswerks gemacht. R u d o l p h H o s p i n i a n , Prediger und Lehrer zu Zürich (geb. 1547, gest. 1 6 2 6 ), war unstreitig ein sehr talentvoller, scharfsinniger und gelehrter Schriftsteller, besonders geschickt in der Nachweisung des allmäh­ lichen W erdens einzelner katholisch-kirchlicher Mißbräuche oder ab­ normer Lebenserscheinungen. D a s bezeugen seine immer noch nicht verbrauchten Werke vom Mönchthum, den Fasten, den Festen und Tem peln,') — Schriften, denen die Katholiken ihre besten Streitkräfte entgegenstellten. W ir beziehen uns hier lediglich auf die bekannte Concordia discors.2) Auch in dieser ist H ospinians Auf­ gabe historisch-kritischer Art, und er faßte sie mit dem ganzen schar­ fen Blick und Bewußtsein eines Reformirten; er leistete etwas Aehnliches, wie später von dem Standpunkt der Gegenpartei in C a l o v s Hisloria Syncrelismi in andern Grenzen und mit ent­ gegengesetzter Absicht geliefert wurde. V on dem Beginn des Abend­ mahlsstreits und der ersten Aufstellung des dogma Stapulense, d. h. der Jdiomenlehre, bis zum Abschluß des concordistischen Un­ ternehmens wird das gesammte historisch-dogmatische M aterial ver­ arbeitet, der Proceß der Lutherischen Parteientwickelung, das innere Getriebe der wirkenden Kräfte an's Licht gezogen und der ganze citiae tentarunt illaqueare non probantes ipsorum dogmata. Theolog! — causam suam — magistratuum edictis defendunt. ') Hosp. De Monachis seu de origine et progressu Monachatus, Tigur. 1588. 1609. De templis, Tig. 1587. De festis Judacorum et Ethnicorum, Tig. 1592. 93. Historia Jesuitica, 1619. *) Historia discors sive de originc et progressu formulae concordiae Bergensis, Tig. 1617. I m genaueren Zusammenhange mit diesem Werk steht Ejusd. De origine et progressu controversiae sacramentariae, Tig. 1602. Ueber die zugehörige Literatur vgl. Walch, B ibi, theol. 1. p. 135.

10

Drittes Buch.

Erster Abschnitt.

Hergang der D inge zu dem Beweise benutzt, daß w as so eigen­ mächtig von W enigen begonnen, mit unlöblichen Mitteln fortge­ setzt und trotz aller abmahnenden Hindernisse durchgeführt sei, un­ möglich den Geist der „Eintracht" in sich tragen noch deren Zwecken dienen könne. Und wie H o s p i n i a n diesen V erlauf be­ leuchtet, zeigen schon kurze Einblicke. D ie Wittenberger unter An­ führung M e l a n t h o n s repräsentiren den gesunden Stam m des kirchlichen G laubens. Gegen sie verschwören sich B r e n z und S c h m i d l i n nebst der geringen Zahl der Brenzianer und F lacianer, anfangs noch unter Widerspruch vieler Lutherisch Gesinn­ ten, eines H e s h u s , M ö r l i n , E b e r , M a j o r , W i g a n d . S o ­ fort werden die Schriften der Wittenberger bestritten und in V er­ ruf gebracht, wie der Katechismus von 1571 und das gleichzeitig erschienene Stereom a.1) D a s M ittel wirkt, von Würtemberg und anderen Höfen laufen Klagen beim Churfürsten von Sachsen ein, daß er statt Lutherischer Lehrer vielmehr Zwinglianer und C alvinisten auf der Universität dulde. D er Convent zu Dresden von 1571 giebt den Verdächtigten Gelegenheit zur Rechtfertigung, und sie verwerfen die Ubiquität um so mehr, da sie dieselbe mit einem Einfall S c h w e n c k f e l d s übereinstimmend finden?) D ie Jenenser und Chemnitz polemisiern gegen diese Verantwortung, und da dies nicht verfangen w ill, wissen sie den Churfürsten, der längst die Absicht gehabt, eine schriftgemäße Erklärung auf Grundlage der Augustana aufzurichten und mit ihr das Gebiet evangelischer Eintracht und Gemeinschaft genauer zu bestimmen, für ihr V or­ haben zu gewinnen, welches doch etwas ganz Anderes, nämlich Einführung des „M onstrum s der Ubiquität" bezweckte?) Auf ') Bon der Person und Menschwerdung unseres Herren I . Chr. der wahren christl. Kirchen Gr u n d f e s t rc. Wittenb. 1571. 2) Hospin. Conc. disc. p. 16—21. J) L. c. p. 23. Theologonun vero improbitas fraus et malitia summoperc detcstanda est, qui hoc principum zelo et consilio abusi sunt, ut ubiquitatis suae monstmm horrendum cannonizare et ecclesiis obtrudere possent.

diese Weise, nach dem Erscheinen der Exegesis perspicua') und nach dem Sturze der Wittenbergischen Lehrer, kommt der erste Torgische Convent von 1574 zu Stande. Wie urtheilt dem ent­ sprechend der Verfasser über das zur Ausrottung des Kryptocalvinism us eingeschlagene Verfahren? P e u c e r , der widerrechtlich Eingekerkerte und grausam Gequälte, wird in genauer Schilderung seiner Leiden zum M ärtyrer der Verfolgung erhoben?) Hierauf folgen die weiteren Schritte der Vereinbarung, der Convent zu Lichtenberg und M aulbronn?) der zweite Torgauer Convent (1576), wo die ercluslven Tendenzen völlig durchdringen, L u th e rs Streitschriften heilig gesprochen werden und M e la n th o n proscribirt, dann die vergeblichen Anstrengungen der Gegner wie der Gemäßigten, durch Censuren und Erinnerungen der Sache eine bessere Wendung zu geben?) die kluge Vermeidung jeder syno­ dalen Zusammenkunft. Geflissentlich verweilt H o s p in ia n bei dem nach Abfassung des Bergischen Buchs •) betriebenen schwierigen Geschäft der Verbreitung und Ausnöthigung und er begleitet die Apostel der Ubiquität auf ihren Reisen nach D resden, Freiburg, Leipzig, Naumburg u. s. w. M an beginnt mit den günstig G e­ sinnten, um dann die Widerstrebenden zu drängen; von den F ür­ sten und Magistraten kommt die Reihe an die Beamteten, die Professoren und Schullehrer. S c h m i d l i n , der vornehmste Un0 V gl. darüber die neueste gründliche Darstellung von Heppe: Geschichte des deutschen Protestantism us II. S . 467 ff. a) lbid. p. 52 sqq.

3) Heppe, st. a. O . S . 71 ff. 4) lbid. p. 86 sqq. p. 144. Ex nulla ecclesiac historia demonstrari possc, ante synodum formulam aliquam concordiac conscriptam et aliis ad subscribendum oblatam fuisse.

-') Ueber den eigentlichen Bekenntnißpunkt erklärt sich Hospinian p. 102. Während einerseits schon die ausnahmslose S anction der Augustana das rechte M aaß überschritt und eben so wenig die übrigen Schriften mit ihr und dem Bergischen Buch aus solche Weise in Einen Körper verbunden werden durften: gingen aus der andern Seite die Verfasser wieder nicht weit genug, wenn sie diesen Urkunden nur die drei alten Sym bolform eln voranstellten mit Hinweglassung der Decrete von Ephesus und Chalcedon, die doch an kirchlichem A n­ sehen jenen gleichstehen, aber dem Dogm a der Eintrachtsmänner widersprechen.

terhändler, bietet fast inquisitorische M ittel der Vorhaltung, Ueberredung oder Abschreckung auf, so daß Manche zur Unterschrift an­ gehalten werden, auch wenn sie innerlich nicht beipflichten, Andere bloß darum entsetzt, weil sie nach ihrer endlichen Unterschrift nicht ehrwürdig genug von dem Bergischen Buch sprechen?) Z ur E r­ leichterung bedient sich S c h m id lin der ärgsten Verunglimpfungen reformirter Lehre und malt ihren Nestorianismus in den grellsten Farben. Den Widerspruch vieler Lutherischen schlägt er mit der Behauptung nieder, daß alle Bekenner der Augustana zur An­ nahme dieser Concordie verpflichtet seien, weil innerhalb des wahren Lutherthums kein Gegensatz stattfinde außer in Betreff M e la n th o n s , dessen Verdienste aber auf das philosophische Studium beschränkt gewesen?) Um zu zeigen, wie sehr man sich selbst gegen billige Wünsche verschlossen, erinnert H o s p in ia n daran, daß der Churfürst von der Pfalz verlangt, bei der Bezeich­ nung reformirter Irrthüm er möge das gehässige Damnamus ge­ strichen werden; er ward aber bedeutet, der reformirte Irrth u m sei nicht einfacher sondern hartnäckiger und blasphemischer Art und führe zur Verleugnung Christi. Ebenso wurde das Begehren, den Namen Synergisten aus dem Text zu beseitigen, da ja auch'die Flacianer nicht namentlich erwähnt seien, mit dem Bemerken ab­ gelehnt, daß der erstere Name keine persönliche Beziehung wie der andere enthalte?) N ur dieses Wenige wollten wir aus H o s p in ia n heraus­ greifen, und der kundige Leser wolle sich den Zusammenhang der Dinge, an die wir erinnert, vergegenwärtigen. D as ist also das *) Hospin. Conc. disc. p. 117— 129. p. 116. Multos, quibus hoc modo persuadere subscriptionem non potuerunt, hortati sunt, ut saltem subscribant, manentes in pristina sua sententia, eosque fraudulentis verborum captationibus irretire et a se invicem disjungere omni ratione tentaverunt. — Si qui perstarent in recusatione subscriptionis, removendos — aresto detinendos. p. 145 sqq. Inquisitio Saxenica a Schmidlino instituta. Vgl. Planck, Gesch. d. prot. Theol. von Luthers Tode rc. III. 5 5 6 ff. 2) Ibid. p. 115.

3) Hospin. 1. c. p. 131.132.

HuiterS Werk gegen Hospinian.

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Bild, welches die reformirte Kritik, die deutsche wie die schwei­ zerische, von dem Lutherischen Reinigungsproceß entwarf. Gerech­ tigkeit im Sinne der neueren Geschichtschreibung wird Niemand von H o S p in ia n erwarten, ja nicht verlangen dürfen. Ganz so wie von ihm vorgestellt wird, haben sich die streitenden Parteien, um die es sich handelt, nicht verhalten; weder erlitt die Wittenber­ ger Schule M e la n th o n s ihr Schicksal ohne eigene Schuld, noch ist eS bei dem concordistischen Unternehmen der Lutheraner so complottmäßig, so methodisch und jesuitisch hergegangen, wie jener Bericht schließen läßt, sondern die natürlichen Verhältnisse haben zur Verfolgung des eingeschlagenen Weges das Ihrige beigetragen, abgesehen davon, daß auch H o s p in ia n s dogmatisches Urtheil nicht die Linie trifft, welche die gegnerische Lehre innehalten wollte. Allein die Blößen seines Gegenstandes hat er unbestreitbar richtig erkannt, sein eigner Gegner beweist am besten die Schwierigkeit der Beantwortung. Sieben Jahre nach dem Erscheinen der Concordia discors stellte H u tte r derselben in der Concordia concors ein widerlegendes Seitenstück entgegen, ein eben so umfangreiches Werk, welches jenem Schritt vor Schritt folgend die mitgetheilten Urkunden und Aktenstücke vervollständigt und hier und da berich­ tigt, die aufgestellten Urtheile zu entkräften oder zu beschränken und den historischen Hergang in ein anderes Licht zu stellen sucht, Alles mit Gründlichkeit und Fleiß, keineswegs mit gleichem E r­ folg. Das innere Verhältniß dieser Schriften, merkwürdig wie es ist, erinnert auf katholischem Gebiet mutatis mutandis an S a r p i und P a lla v ic in i. H u tte r benutzt zur Vertheidigung seiner Sache die günstigen Gelegenheiten. Von der Eintrachtsformel sagt er aus, daß sie doch mehr sei als ein zur Einschwärzung der Ubiquität und Jdiomenlehre ersonnenes Parteiwerkzeug;') er durfte das Betragen der Philippisten, z. B. auf dem Dresdener Eon*) Leonh. Hutter, Concordia concors de origine et progressu formulae concordiae ecclesiarum conf. Aug. über unus. Viteb. 1614. cp. 1. Die propagatio ubiquitatis war nicht, wie Hospinian meint, die prima origo libri concordiae.

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Drittes Buch. Erster Abschnitt.

vent') einer strengen Prüfung unterwerfen, die Gefinnung des Churfürsten in Schutz nehmen und selbst demjenigen, was bei der Stimmsammlung über das Bergische Buch im Einzelnen'gesche­ hen sei, ein erträglicheres Ansehen geben?) Auch versäumte er nicht, den Gegner mit gleicher Münze zu bezahlen, indem er ihn an die Bedrückungen, welche später die Lutheraner in reformirten Gegenden Deutschlands zu leiden gehabt, namentlich an die ge­ waltsame Reformatio Calvinistica in Oberhessen und auf der Uni­ versität Marburg unter Landgraf M oritz (1604) erinnert?) I n andern Hauptpunkten antwortete er dagegen mit bloßen Behaup­ tungen, oder er mußte das Thatsächliche einräumen, indem er es nur als wohlbegründet und mit der Wahrheit übereinstimmend darstellt?) Wenn H o s p in ia n auf diese Gegenschrift schwieg: so geschah es, um den Streit nicht zu verlängern, nicht aus Mangel an Stoff und Mitteln. Doch wir beabsichtigen an dieser Stelle nicht Recht oder Un­ recht der genannten Stimmführer gegen einander abzuwägen, auf den Sinn des Angriffs und der Entgegnung kommt es uns an. W as H u tte r meint, kommt am Ende auf den Zuruf hinaus: I h r geht u n s N ichts an , seid u n s und unserem G la u ­ ben frem d. Alle Euere rechtlichen und geschichtlichen Gründe ge­ gen das Concordienwerk sind nur Vorwände; das wahre Aerger­ niß, welches Ih r nehmt, ist die profligatio Calvinismi d. h. die Thatsache, daß der lange im Dunkeln schleichende Calvinismus endlich entlarvt und glücklich aus den Grenzen des wahren Luther») Hutter 1. c. cp. 3. p. 46. Vgl. Gieseler, K. G. III, 1. S. 264. ?) Ibid. p. 207. Literas quomndam Calvinistarmn de Schmidlini tyrannide conquercntium ne unius quidem teruntii aestimamus. Nullius enim fidei testis est et pejerare ac mcntiri crcditur, qui suo testimonio gravat eum quem odit. Conf. p. 247—49. 3) Nihil intentatum reliquerunt Calvinistae, quo diu optatam academiae hujus reformationem, deformationem vcrius, molirentur, h. e. profligato Lutheranismo Calvinismum incrustarent. 4) Vgl. die Urtheile über Melanthon und das Corpus Philippicum p. 92. 94. 96. 75. Cathedra Luther! post obitum ejus falsis dogmatis fuit profanata.

Der Sinn der gegenseitigen Angriffe.

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thums herausgewiesen w urde.') Eure Beschwerden über Unge­ rechtigkeit und Willkür und über den Mangel einer Synode gehen8) pon der irrigen Annahme a u s, als ob es erst einer Feststellung der Ansichten oder öffentlichen Vernehmung der Standpunkte be­ dürft hätte. Aber nein, das Urtheil war längst entschieden und nur nöthig, es mit der vollkommensten jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit darzulegen, und mit Recht haben dabei die Schriften Luthers,8) die polemischen wie die didaktischen, soweit nicht er selbst sie gemißbilligt, wegen ihrer unbeweglichen Bibelwahrheit ton Ausschlag gegeben. Wie im Alterthum, sagt H u tte r , die ökumenischen Concilien nicht deshalb zusammentreten, um über entstandene Meinungsverschiedenheit zum Beschluß zu kommen, son­ dern die schon vorhandene Gewißheit nur gegen die Ketzer gel­ lend machen und formukiren wollten: so haben auch wir die Ein­ trachtsformel nicht gebraucht, um selbst erst eine Ueberzeugung zu gewinnen, sondern allein zur klaren Bezeichnung und unbedingten Ausscheidung des Fremden und Häretischen. D ie Kirche braucht die Häretiker nicht erst synodalisch vorzuladen, sie darf sie auch als Abwesende verurtheilen?) I n ganz anderer Richtung bewegen sich die Angriffe der Philtppisten und Reformirten, und ihr S inn läßt sich also wie­ dergeben: W ir gehen Euch a lle r d in g s E t w a s a n , denn wir haben mit Euch dieselben Grundlagen des evangelischen Glaubens, I h r aber seid mit Verleugnung jeder Gemeinsamkeit auf den ') Hutter, Conc. conc. p. 250. Daher heißt eS auch in der Apologia pro libro concordiae p. 320: »Die Reformirten sollten ihres Berufs bei ihren Kirchen abwarten und sich nicht um uns kümmern«, p. 244: » S oll auch die

F. C. nicht aller Welt aufgedrängt werden«. ’) Ibid. p. 153 b. Nach einer Synode ist von vielen Seiten Wunsch und Verlangen ausgesprochen worden. Sed crocodili hae sunt lacrimae ad decipiendnm compositae. *) Ibid. p. 96. 4) Ibid. p. 124. Damnari possunt haeretici, licet nostrae jurisdictioni non sint subjecti, — non auditi, non convicti sed absentes. Calviniani sunt extorres a Confessione Augustana. — Ecclesia damnat haereticos etiara abWntes. Bgl. Apologia pro libro conc. p. 290

Standpunkt gewisser Sondermeinungen zurückgegangen. I h r habt den Riß eigenmächtig vergrößert. Selbst die Augsburgische Confesston fordert eine weitere Ausdehnung Ih re r Anhänger, als I h r derselben zuerkennen wollt. Wenn I h r sie zum Eigenthum Eurer kleinen und erst allmählich erstarkten Partei gestempelt und mit spitz­ findigen Deutungen überladen, wenn I h r zur Erzwingung einer vermeintlichen Eintracht Vorkehrungen getroffen habt, wie sie gerade für den Zweck unserer Ausschließung berechnet waren, und dabei der alleinigen Richtschnur der Schriften Luthers gefolgt seid: so waren dies Schritte, welche nicht mehr der göttlichen Auctorität des evangelischen Princips sondern menschlicher Willkür und E i­ gensucht und Unweisheit dienten?) S o gefaßt lassen uns diese Entgegnungen in das Herz des Consessionalismus und die Stimmung der Polemik einen Blick thun. Die Lutheraner hatten den Kampf eröffnet, die Reformirten nahmen ihn lebhaft und eifrig auf und sahen sich durch die B il­ dung des strengen Lutheranismus scharfe Waffen in die Hand ge­ geben. W ir betonen es daher ausdrücklich, daß die hier geübte Kritik nicht allein d o g m atisch er A rt w ar, so sehr sie auch nach dieser Seite gewendet wurde, sondern es war G e sc h ic h tsk ritik , P rü ­ fung der ganzen kirchlichen Handlungsweise, also tief eingreifend in das sittliche und persönliche Gebiet. D arin eben lag das T ra ­ gische der Entzweiung, daß nachdem sie vollständig erfolgt war, dennoch der traurige Trennungsproceß der einen Partei von der andern abermals zum Bewußtsein gebracht und kritisch vorgehalten wurde, weil beide Kirchen einander nicht fern genug standen, um nicht doch wieder an ihre gemeinsamen Schicksale gemahnt zu wer­ den. Ebendamit hängt auch die Möglichkeit der Einigung zusammen, denn w as durch so wunderbare Verwicklungen und Schwierig­ keiten geschieden ist, kann dereinst durch die Macht des Lebens auch wieder versöhnt werden, weshalb denn auch die Friedensbe­ mühungen und der Synkretismus, wie wir sehen werden, auf die­ selbe Geschichtskritik zurückgeleitet wurden. Polemik und Jrenik ')

Hospin. Conc. disc. p. 226. 27.

mußten sich au f dem historischen Boden begegnen. D a m a ls aber, zu der Zeit von welcher w ir reden, herrschte die polemische R ich­ tung allein. D ie R efvrm irten, eingedenk ihres allerersten Z usam ­ mengehens m it der Lutherischen B ew egung, fühlten sich jetzt a ls die Ausgestoßenen, die Verkannten und um geringer Ursachen willen V erurtheilten, durch scharfe P rü fu n g des Geschehenen such­ ten sie ihrer kirchlichen E hre genug zu th u n ; sie'erfu hren dafür noch härtere Zurückweisung, und beide Confessionen wurden ob­ wohl auf ungleiche W eise in ihrem tiefgewurzelten Selbstgefühl ergriffen. D ie n e u k i r c h l i c h e n Lutheraner ihrerseits glaubten mit der A usprägung ihres S ystem s am Z iel zu sein, sie w o l l ­ t e n R u h e h a b e n i m e i g e n e n H a u s e ; Nichts konnte sie tiefer beleidigen, a ls nach dem Abschluß des Lehrbegriffs nochmals in dessen schwieriges W erden zurückversetzt und zur Rechenschaft über ihre T haten herausgefordert zu w erden, noch dazu von Solchen, die sie am Liebsten ihren eigenen Angelegenheiten überlassen h ät­ ten und denen sie schlechterdings kein Stim m recht über sich zuge­ stehen w o llten .') D ie absichtliche kritische W iederholung vergan­ gener D inge empfanden sie wie ein W ü h l e n i n i h r e n E i n ­ g e w e i d e n . D a s geflissentliche H erandringen an eine evangelische Glaubensgemeinschaft m it ihnen, ja der Anspruch E iniger an d as A ugsburger Bekenntniß erschien als ein R a u b a n f r e m d e m G u t und das erclusive V erfahren der Concordienform el schon dadurch gerechtfertigt, daß sie jeder A rt von V erbindung m it dem C alvinism us ein Ende gemacht hatte. D er letzte Punkt nöthigt u ns hier noch zu einer Bem erkung. H u t t e r und seine Nachfolger hatten freilich R echt, die A ugs­ burgische Confession als eine Lutherische Bekenntnißschrift festzu­ h a lte n ;') denn eine solche w ar sie nach U rsprung und Geist und sie ') Hutteri Concord. conc. p. 251 sqq. 2) Pgl. unter vielen Anderen B. Mentzeri Collatio Augustanae confessio-

nis cum doctrina Zwinglii, Calvini, Bezae etc. in ejusd. Opp. lat. I, p. 309. Voran stehen die Distichen:

Quaesitum est, fratres num possint jure vocari Calvini et socii, raagne Luthere, tui. Gesch. d. Protest. Dogmatik II.

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Drittes Buch,

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Erster Abschnitt-

w ird fü r sich allein niem als hinreichen, um im G roßen eine Gleich­ stellung beider Confessionen herbeizuführen. Bedenken w ir jedoch, daß die Lutherische Kirche sich selbst gespalten und die linke oder M elanthonische S eite a u s sich herausgew iesen hatte: so erscheint es a ls natürlich und berechtigt, wenn die letztere P a rte i ihren An­ theil an dieser Urkunde zurückforderte und wenn die nächstfolgen­ den Friedensversuche sich au f dieselbe G rundlage stellten, wodurch das Werk der V ereinbarung zw ar nicht vollendet aber doch ange­ bahnt w urde. F ü r den G rad und die lange D au er der kirchlichen E rbitterung glauben w ir im O bigen einen H aupterklärungsgrund angegeben zu haben, und zw ar einen solchen, wie er im V erhältniß zu dem ferner stehenden und kühler beurtheilten Römischen K atholicism us nicht mitwirkte. Auch der T on der S treitreden unterscheidet sich der beiderseitigen S tim m u ng gem äß. D ie Polem ik der R eform irten ist stolz im G efühl eines erlittenen U nrechts, oder schneidend und empfindlich wie im B ew ußtsein einer intellektuellen Ueberlegenheit über Beschränkte und Engherzige; die der Lutheraner ist von der E rw ägung eingegeben, daß A btrünnige, die sich noch m it schönen W orten empfehlen und ein erträgliches Ansehen geben möchten, keine Schonung verdienen, daher feindselig, m aaßlos bis zur äußersten R ohheit. D en Anstand haben Jen e niem als in dem G rad e wie Diese verletzt. I n ähnlicher W eise stehen schon B e z a und A n d r e ä in ihren B e ric h te n ') über das sonst m it M äßigung Ajo: quos eadem in Christo non copulat arcte Relligio, hos fratres dicere relligio est. Augustana fides Calvino displicct, —- id quod Demonstro, — at placet haec, sancte Luthere, tibi etc.

') Kurzer Begriff des Mümpelgartischen Colloquii durch Jak. Andreae. Tüb. 1588. — Th. Bezac, Gründlicher Gegenbericht auf die zu Tübingen ausgegan­

genen Schriften deö M ümpelg. Gesprächs halber. A us dem Lateinischen. Basel Beza'6 Antworten beziehen sich großentheilö auf die marginalischen B e ­ merkungen, mit denen die Acta colloquii Montisbelligartensis A. C. 1586 inter J. Andreae et Th. Bezam. Tubing. 1587 schon bei der Herausgabe von A n­ dreä versehen worden waren. Beza bezeichnet diese, und mit Recht, als präjudicirende und an dieser S telle ganz unbefugte Zuthaten. 1588.

Beispiele Lutherischer Polemik.

IS

geführte M ömpelgartische Gespräch einander gegenüber. D er Erstere spricht oft von ungereimt, lächerlich, thörigt, von losem S p ie l, von närrischem und phantastischem H andel und Einbildungen und weist die „In sin u atio n en und S chm ähungen" des G egners stark ob­ gleich ohne grobe Ausfälligkeiten zurück. A n d r e ä hingegen führt die „abscheulichen gottlosen gräulichen I r r th ü m e r " im M unde, die „fleischlichen und verblümten G edanken," welche von Z w in g liaüern und Calvinisten in der S chrift gefunden werden. „ D e r Zwinglische Geist kann nicht anders denn rum oren , lärm en und Z errüttung an rich ten ."l) I n welchem G rad e nun die Lutherische Polem ik in geläufige Ketzermacherei au sartete, ist bekannt, und es w äre ein trau rig es Geschäft, diesen S to ff w eitläuftig ausbeuten zu wollen. S chon A n d r e ä hatte gem eint, daß der türkische K oran eben so V iel an Christus übrig lasse a ls die Calvinisten. Und S c h m i d l i n , um die resorm irte Ansicht von Christo zu verdeutlichen, erklärte daß nach dieser Lehre beide N aturen desselben sich so fremd zu einander verhal­ ten wie wenn m an W ein in ein G la s schenkt, oder a ls wenn ein reicher Fugger mit einem arm en M an n zusammenstehe und ver­ traulich spreche; denn dann scheine es w ohl, a ls ob z w e i Reiche neben einander stünden, aber beim Lichte besehen bleibe doch der E in e, w as er vorher gewesen, ein Arm er und der Andere ein reicher Fugger. D a s w ar denn freilich ein argum entum ad hom inem .1) Nachher w ar N iem and geschickter und eifriger, dem Volke die richtigen Begriffe über die „ S a c ra m e n tire r" und „Calvinischen Schm eißvögel" beizubringen a ls der Hofpredigcr H o e von Hoenegg. S ein B üchlein: G ründlicher B e w e is /) ist eine w ahre M uster­ karte unbewiesener V orw ürfe und Ehrenrührigkeiten. D e r C al­ v in ism u s, heißt es daselbst, hat dem A rianischen, türkischen und *) Apologia pro libro concordiae conscripta per Timoth. Kirchnerum, Nie. Sclneccerum et M. Chemnitium. Magdeb. 1684. Fol. 329b. ' ) Hospin. Conc. disc. p. 127.

3) Gründlicher, deutlicher und unwiderleglicher B ew eis, was von den ge­ nannten Calvinistischen Lehrern und Sacram entirern für grausame Reden und Punkten in XVII sürnehmstcn Hauptartikeln öffentlich fürgebracht werden. Lpz. 1614. 5te Auflage. 1618!

20

D rittes Buch. Erster Abschnitt.

jüdischen Unglauben den W eg bereitet, w eshalb denn auch die A ntitrinitarier wie G entilis und B lan d rata früher Calvinisten ge­ wesen. A us dem allmächtigen und heiligen G ott machen die S acram en tirer einen w andelbaren und grausam en T y ran n en , der selbst zur S ü n d e die Anweisung gegeben und doch n u r einen Scheinw illen zur Erlösung aller Menschen gehegt?) S ie geben die Schuld Christo, wenn sie gefragt w erden, w arum nicht alle Menschen selig w erd en ?) D ie Menschen nämlich thun w as sie müssen, sie werden „gezw ungen" so und nicht anders zu handeln; selbst der „E hebruch D a v i d s soll vor G ottes Augen keine S ü n d e sein ," — d as heißt, fügt H o e hinzu, „einen S trich gemacht durch d as sechste G e b o t." ') D ie Calvinisten glauben an einen G o tt, der nicht A lles kann, der die Menschen zur S ü n d e geschaffen und angetrieben hat. V on der W irkung der P red ig t denken sie fast Schwenkfeldisch, sie ist ihnen n u r ein unkräftiger S c h a ll? ) „ D e r heilige Geist wohnt nach B e z a auch in denen, die in S ü n d en wider ihr Gewissen le b e n ." ') W ir lassen alles weniger Krasse ungesagt. H o e bemerkt endlich, daß seine Glaubensgenossen ihrer A bendm ahlslehre wegen von B e z a B lutsäufer und Fleischfresser geschimpft w orden. Um seinerseits diese Kreophagie zu vergelten, ') Gründ!. B ew eis. S . 46. 70. -) Ebendas. S . 192. 3) Ebendas. S . 218 ff. Hoe beruft sich hier unter Anderem aus eine viel­ fach von Lutheranern angezogene S telle Z w ingli'S, die er aber gänzlich ver­ dreht und aus dem Zusammenhange reißt: Unum igitur atque idem facinus, puta adulterium aut homicidium, quantum Dei cst auctoris, motoris ac impulsoris opus est, crimen non est, quantum autem hominis est, crimen ac scelus est. Ille enim lege non tenetur, hie autem lege etiam damnatur. Quod enim Deus facit, libere facit, alienus ab omni adfectu noxio, igitur et absque peccato. N un folgen die gemißbrauchten W orte: Ut adulterium Davidis, quod ad auctorem Deum pertinet, non magis Deo sit peccatum, quam cum taurus totum armentum inscendit et implet. — Sua enim sunt universa, et ipse nullo pravo adfectu erga quiequam afficitur. Unde sub lege non est, quia lege opus non habet, qui adfectu nullo moveri potest. Homo autem peccat, illi enim, quod adfectibus cedit, lege opus est, quam quum praetergreditur, muletae obnoxius est. De providentia, p. 112 ed. Schüler et Schulthess.

4) Ebendas. S . 260. A) Ebendas. S . 187, vgl. Bezae Tractatt. theoll. I, p. 688.

Der Stand der Polemik erzeugt die Friedenswünsche.

21

beschreibt er den reform irteii R itu s des Abendmahls und vergleicht ihn einer Bauernhochzeit, wo ein Trunk nebst Brotschnitten in der Runde g eh t.')

Endlich werden denn auch die Bekenner eines

solchen Afterglaubens als gottgestraftc Frevler hingestellt, denn es sei nicht ohne G ru n d , daß Manche eines so schrecklichen Todes gestorben, wie Z w i n g l i und O e k o la m p a d iu ö , Bette gefunden, J o h . S t ö ß e l und A d a m

der todt im

N e u ß e r.

Selbst

S e r v e t , der auf dem Scheiterhaufen geendet, w ird hier genannt, weil er als früherer Calvinist m it seinem eigenen Richter in die­ selbe Klaffe gehöre.

II.

U n te r g a n g

zu

den

F rie d e n s s tim m e n .

K a th o lis c h e U n io n is te n . D er eben geschilderte Zustand der kirchlichen Polemik bildet hoffentlich den richtigen Hintergrund zu den mancherlei Unionsbe­ strebungen, die uns nun im Zusammenhange beschäftigen werden. Denn ehe diese in ihrer tieferen Berechtigung gewürdigt werden, soll.es erhellen,

wie naturgemäß

und unausbleiblich sie durch

die Stärke ihres herrschenden Gegentheils hervorgerufen waren. Der R u f nach Frieden und Einigung tönt durch das ganze J a h r­ hundert und findet Anklang in allen Kirchen.

Alle Unionsanträge

dieser Zeit begegnen sich nicht allein in verwandter religiöser S tim ­ mung, sondern treffen auch in gewissen Gedanken und Gesichts­ punkten zusammen; aber es kommt darauf an, von welcher Seite sie ausgehen, wie gründlich oder ungründlich sie m o tiv irt und von welcher Einsicht in das Wesen der getrennten Kirchen sie be­ gleitet werden.

V on christlicher E r k e n n tn iß

und von L ie b e

müssen die Unionsvorschläge getragen sein, wenn sie nicht Gleich­ gültigkeit verrathen oder in oberflächliche Gemeinplätze ausarten sollen.

A u f daS M aaß dieser Eigenschaften werden w ir ebenso

sehr zu achten haben, wie auf die im V erfolg sich ergebenden ‘) G ründ!. Beweis. ') Ebendas. S . 398 ff.

S . 3 5 4 ff.

22

D rittes Buch.

Erster Abschnitt.

doctrinalen E inigungspunkte, deren Beobachtung unserer Aufgabe besonders nahe liegt. M it Recht beginnt G i e s e l e r ') in seiner Aufzählung der Friedensm änner m it der katholischen Kirche, weil diese in sich selbst unfähig zu jeder V ereinbarung n ur sehr vereinzelt irenische N e i­ gungen in sich fortgepflanzt hatte. S e it E r a s m u s der werden­ den Zwietracht m it B etrübniß zugesehen, seit die Jn terim sv erhand lungen fehlgeschlagen w aren, gab es im m er noch einige Katholiken, die sich von der Nothwendigkeit der kirchlichen T rennung und von deren Unheilbarkeit nicht überzeugen wollten. A ls Schriftsteller sind in dieser Beziehung besonders G e o r g C a s s a n d e r und A n ­ t o n i u s de D o m in iS berühm t geworden. D er E rstere, geb. 1515 bei B rü g g e , gelehrter Kanonist und T heologe, eine Zeit lang a ls Lehrer th ätig , dann ohne Amt den kirchlichen Interessen zugewendet, verrieth schon in der ersten S chrift von 1561 seine Gesinnungen. Diese erschien a n o n y m ') und veranlaßte einen hef­ tigen Angriff C a l v i n s gegen den V erbreiter derselben, den frü ­ heren R eform irten F r a n z B a l d u i n , welchem jener vorw arf, daß er durch N egotiationen unter dem Schein des Friedens den G an g der R eform ation in Frankreich hemmen wolle. C a s s a n d e r ant­ wortete m it der ihm eigenen M ä ß ig u n g /) sollte aber bald zu offenem A uftreten durch Umstände genöthigt werden. Kaiser F e r d i n a n d hatte die erclusiven Ergebnisse des Tridentinischen C oncils übel aufgenom m en; um seiner versöhnlichen Absicht G e­ hör zu schaffen, schlug er 1562 eine nochmalige B erathung der kirchlichen Streitpunkte vor, die eine Ausgleichung mit der A ugs­ burgischen Confession bisher verhindert hätten, doch aber bei er­ neuter Ueberlegung nicht unüberwindlich befunden werden w ürden. Auch C a s s a n d e r gab in Aufforderung des K aisers sein Ä utach-) Lehrbuch der K. G . III, 2. S . 446 ff. 2) De officio pii ac publicac tranquillitatis vere amantis viri in hoc religionis dissidio. BasiL 1561. Cum praef. F. Balduini Par. 1564. Cum praef. et notis Latermanni Regiom. 1650. 3) Calvini Responsio ad versipellem quendam mediatorem etc. 1561. — Veranii Modesti Traditionum veteris ecclesiae defensio adv. Calv. criminationes. 1562.

Katholische Uitiemftcu.

Casfander.

23

(eit a b , welches theils die beiden anderen V o ta von G . W ie e l und F r. S t a p h p l u s an W erth ü b ertraf, theils unter seinen Schriften am Meisten bekannt w urde, so daß es nach F erdinands 1564erfolgtem Tode noch unter dessen Nachfolger M a x i m i l i a n 11. Aufmerksamkeit erregte.') D ie W irkung der S chrift w ar nicht gering, sie zog später noch andere G eister wie G ro tin s in den K reis der V erm ittler. Kenntniß und Geschicklichkeit hat der V er­ fasser auch in anderen Abhandlungen z. B . über die S acram ente d argeth an?) — Katholiken wie Casfander hätten vielleicht keine kirchliche Um wälzung nothwendig gemacht, aber auch nie eine R ei­ nigung durchführen helfen. E r schiebt alle Schuld au f die U ltra 's, welche den P ap st beinahe zum G o tt machten und L u th e r zur gänz­ lichen Lossagung reizten. Auf beiden S eiten, sagt er, giebt es aber noch V ernünftige, welche die Scheidung nicht weiter treiben wollen als sie wirklich reicht, auf ihnen ruht die Hoffnung der Zukunft. D a s S chism a ist verderblicher als die Häresie. D ie Kirche ist H aupt und Leib Christi und zählt Alle zu den I h r ig e n , die am H aupte festhalten und vom Leibe nicht unwiederbringlich losge­ rissen sind. E s ist ein Unterschied zwischen Abfall und bloßer Ab­ weichung von ursprünglicher Lehr- und S ittenreinheit, zumal wenn bedacht w ird , wie leicht durch die weite E ntfernung eines Flusses von der Q uelle unreine Bestandtheile eingeführt werden. E in G ebäude verläugnet noch nicht die Richtigkeit seines Fundam ents, wenn auch Holz und S top peln au f der Oberfläche liegen. V o r­ züglich im R itu s w ird Niem and leugnen, daß das Alte m it m an­ chem N euen, vielleicht Unnöthigen ja M ißbräuchlichen versetzt sein m ag, w as man weder unbedingt verwerfen noch billigen w ird, dam it es au f legitimem W ege Abstellung find e?) S o wenig steht C a s f a n d e r in seiner Kirche, daß er von ') Cassandri, De articulis religionis inter Cathol. et Protest, controversis ad Imperatt. Fcrdin. I. et Maxim. II. consultatio 1564, später ebivt vvn Grotius Lugd. 1642, von Conring zusammen mit Wicelii Via regia Helmcst. 1659. Auch in Cassandri Opp. Par. 1616. 2) Walch, Bibi, thcol. II, p. 350—53, woselbst die übrige Literatur. 3) Vgl. Cassandri De officio pii viri et pacis vere amantis ed. Later-

mann p. 7—11. 23. 24. 26.

24

Drittes Buch.

Erster Abschnitt.

deren P rincip absehend alles S treitig e wie eine ungefähre S u m m e von M einungen und Gebräuchen ansieht. E s w ar daher nach seinem D afürhalten keine Lebensgefahr der Kirche, der sich die R eform atoren entgegenstellten, sondern n u r eine gewisse Ungesund­ heit einzelner Theile, welcher man mit dem sanften H eilm ittel der Ueberlegung hätte beikommen müssen. D er Gem einplatz, dessen er sich bedient: Tanti non «lebet esse ullus abusus, ut propler ipsum tollatur bonus u sus , hat glücklicher W eise in Fällen ähnlicher Entscheidung niem als den Ausschlag gegeben. C a l v i n , obgleich er den Verfasser m it Unrecht der Hinterlist beschuldigt, erklärt es doch sehr natürlich für lose S p ielerei, sich m it leichten W o r­ ten über d as Papstthum und kirchliche Verderben hinwegzuhelfen und einen Frieden anzubieten, der au s lauter Unparteilichkeit doch wieder n u r der alten P a rte i zu S ta tte n kommen werde. D ie mancherlei wohlgemeinten und wohlfeilen Sentenzen des C a s s a n d e r nehmen indessen einen wichtigen A usgangspunkt; die Id e e der T r a d i t i o n ist die positive S eite seiner Anschauung. E r nim m t den alten Gedanken wieder a u f, daß die h. S chrift, obgleich a ls urkundliche Q uelle allein stehend, doch ein richtiges V erständniß ihrer selbst voraussetze, welches die Apostel durch mündlichen Unterricht überliefert hätten. I n Folge ihrer P redigt und Thätigkeit seien die biblischen Bücher in eine bereits vor­ handene auch nachher a ls Schlüssel der A uslegung bew ahrt ge­ bliebene Auffassungsweise eingetreten und d ie h. S c h r i f t se i g le ic h s a m d ie z u s a m m e n g e f a s s te T r a d i t i o n , d ie s e d a g e ­ g e n d ie v e r d e u tlic h te S c h r i f t . ') Z u r Feststellung des doctrinalen K atholicism us nach Um fang und I n h a lt müsse deshalb außer der biblischen N orm noch die Substanz des apostolisch ü ber­ lieferten S in n e s dienen, sodann das von der M ehrheit der K ir­ chen R ecipirte und endlich das N euere und Zweifelhafte berück­ sichtigt w erden, w as vielleicht einer gemeinschaftlichen P rü fu n g weichen d a r f ? ) H ierau s würden sich Abstufungen des Gewissen *) Cass. De officio pii viri p. 4. 2) It>id. p. 25. Quicquid igitur in utraque hac ecclesiae parte, sive ea antiquo nomine catholica sive nuper nato evangelica nuncupetur, integrum

CassanderS Frieden-vorschläge.

25

und Ungewissen ergeben; nach diesem Maaßstabe würden die Ge­ mäßigten r e f o r m ir t haben, nach demselben müssen sie jetzt auch u n tr e n wollen, da sie wissen, daß der bezeichnete Kern von Schrift und altapostolischem Bekenntniß in allen Kirchen unange­ tastet geblieben ist. Sow eit C a s s a n d e r im Allgemeinen. Doch versucht er es in der Consultatio den Lehrgehalt der Augsburgischen Cvnfession mit seiner Kirche selbst im Einzelnen zu verein­ baren, und giebt dabei zu erkennen, daß er das rein Dogmatische der protestantischen Bestimmungen meist würde hingenommen haben, hätte man ihm dafür einen glimpflichen Katholicismus des Ritus und der Verfassung in Kauf gegeben. Zu einer entschiedenen Verwerfung des Römischen Wesens bringt er es nirgends, son­ dern er verkleinert nur das Papstthum und den Episkopat und beschneidet den C ultus, die Sacram ente, den Heiligendienst. I n den dogmatischen Artikeln soll dagegen theils völlige, z. B . über Sünde und Freiheit, theils zur Aussöhnung hinreichende Uebereinstimmung stattfinden und sogar die Rechtfertigung aus dem Glauben genehmigt werden, wenn gleich nur dann, wenn der Glaube im weiteren Sinne also mit Einschluß von Buße Ge­ horsam und Liebe gefaßt wird. Der christologische Zusatz von der Ubiquität verdient als moderne Spitzfindigkeit nur M ißbilligung.') M it ähnlichen Zugeständnissen hat W ic e l in seiner Via regia so zu sagen das Plausible zusammengestellt, wiewohl ihn seine Liebe zur Werkheiligkeit der protestantischen Sache, der er einst ange­ hört, schon innerlich entfremdet hatte. W ir brauchen diese Rathschläge hier nicht zu prüfen, da sie damals die kräftigste thatsächliche Erledigung fanden. Die Päpst­ lichen antworteten mit dem Tridentinum, C a lv in aber mit der sanum et doctrinae evangelicae et apostolorum traditioni consentaneum invenitur, id ut Christi ecclesiae proprium vcneror ct amplector, eamque ecclesiam, quod in fundamento verae et apostolicae doctrinae, quae brevissimo illo fidei symholo continetur, consistat nec impio schismate a reliquarum ecclesiarum communione se separet, veram ecclesiam — — esse judico. ' ) Vgl. die Auszüge auö der mir nicht zugänglichen Auscultatio in Schmidt, Synkretist. Streitigkeiten, S . 326 ff. Schröckh, K, G. f. d. Res. IV, S . 229.

26

Drittes Buch.

Erster Abschnitt.

schneidenden Erklärung, daß wenn man nach Abrechnung alles Streitigen nur das Gemeinsame beider Religionsformen verbinde und zusammenflicke, jedenfalls eine neue dritte Kirche daraus her­ vorgehen w erde?) Weniger persönlich unbescholten w ar der andere Genannte. M a r c u s A n t o n i u s de D o m i n i s , * ) ein vornehmerVenetianer geb. 1560 und von den Jesuiten erzogen, zeichnete sich in früher Jugend als Lehrer der M athematik, Physik und Philosophie an verschiedenen Orten aus und erwarb sich als Optiker sogar einen Namen. I n die kirchliche Laufbahn eingetreten, wurde er 1597 Bischof von Segni und 1602 Erzbischof von S palato und unter P a u l V. P rim as von Dalmatien und Croatien. D aß er nicht gut päpstlich und jesuitisch gesinnt war , bewies sein Verkehr mit S a r p i zur Zeit der Venetianischen Streitigkeiten; als Anhänger der Republik und zugleich wegen einiger Makel seines sittlichen Verhaltens verfiel er in scharfe Untersuchung, mußte 1616 gänzlich mit Rom brechen und begab sich nach E ngland, wo er in der bischöflichen Kirche die rechte Heimath zu finden hoffte. D er Recht­ fertigung seines kirchlichen Standpunktes widmete er seit 1617 sein großes unvollendet hinterlassenes Hauptwerk. D aß er gerade England zum Aufenthalt wählte, scheint mit einem früheren merk­ würdigen Vorfall zusammenzuhängen. Nach Entdeckung der P n lververschwörung hatte König J a k o b den B ürgern den Eid der Treue und die Erklärung abgefordert, daß kein Papst von der ') Calvini Responsio ad versipellem etc., Tractat. theoll. p. 420. (ed. Amstel.) Quid autem, si ejus placitis stamus, aliud est traditio apostolica quam antiquitus recepta opinio? Ita saccr et in dubia fide munitus erit error quilibet vetustatis umbra obtectus. Quibus enim portentis non aptabitur Christi nomen, quando eum dicit caput retineri in papatu, ubi misere laceratus est ac discerptus, avulsus a suo evangelio et ejus veritas horribili dcformitate foedata. — Vera est tarn apud Papistas quam apud nos religio, utrosque tarnen obnoxios facit (scriptor) multis erroribus. Quid superest nisi ut parte doctrinae utrinque abolita quod residuum erit simul assuatur, ut nova ecclesia ex duabus diversis composita surgat?

2) Vgl. hierzu Schröckh, a. a. O. III, S . 443 und Henke, Calixt und seine Zeit I, S . 3 4 2-48.

Marcus Antonius de Dominis.

27

Unterthanenpflicht entbinden könne. Gegen diesen politischen Act und Grundsatz hatten die Jesuiten unter Anleitung P a u l s V. eine literarische Fehde eröffnet, in welcher sich B e l l a r m i n unter dem Namen M a t t h ä u s T o r t u s an die Spitze stellte und dann B e c a n u s und G r e t s e r folgten. Gegen B e c a n u s erhob sich mit gelehrten Waffen ein R o b e r t D u r c h i l l P ro tortu ra T o r t i ; ') der Verfasser soll jedoch kein Anderer a ls unser D o m i n i s ge­ wesen sein, w as mit dessen antijesuitischer Stellung und mit der guten Aufnahme, die ihm jetzt am Hofe Jakobs zu Theil ward, wohl übereinstimmen würde. D ie Gründe, die D o m i n i s zum Abfall von Rom genöthigt, ersehen wir aus seinem eigenen äußerst dreist ausgesprochenen B e ­ kenntniß?) Er glaubt einer göttlichen Berufung zu folgen. Von Anfang seines KlerikatS habe er das tiefste Verlangen gehegt, alle Kirchen einig zu sehen und M ittel zu entdecken, durch welche die gespaltenen Parteien zur Einheit des christlichen Alterthums zu­ rückgeführt werden könnten. D a s Studium der Concilien und Kanones habe ihn den wahren Katholicismus, wie ihn die alten Glaubensartikel unter alleiniger Herrschaft der Bischöfe über die ganze W elt verbreitet denken, kennen gelehrt und ihm die Augen geöffnet über die widerrechtliche Usurpation des Papstthums und die von ihm aufgehäufte Schuldsumme. D a nun theologische Controversen nur Marterknechten und Mördern statt Sachkundigen überlassen würden, da kein Bischof sich anders denn als päpstlicher Vasall und Geschäftsführer betragen dürfe: so habe er seine Ret­ tung aus den unwürdigen Banden nach vielen vorangegangenen *) Pro tortura Torti contra M. Becanum responsio Rob. Burhilli Angli, U n d . 1611 — conf. Walch, Bibi. th. II, p. 213. 14. 2) Causac profectionis suae ex Italia, Venet. 1616. Dasselbe in Struvii Biblioth. libr. rar. I, p. 116. 120. Fovebam a primis mei Clericatus annis bi me innatum pene desiderium videndae unionis omnium Christi ecclesiarum. Separationem Occidentis ab Oriente in rebus ficlei, Austri ab Aquilone aequo animo ferre nun quam poteram; cupiebam anxie tot tantorumque schismatum causam agnoscere ac perspicere, num posset aliqua excogitari via, omnes Christianos ad veram antiquam unionem componendi, idque videndi ardebam desiderio.

Aergernissen endlich in der Flucht gesucht?) — D a s sind G edan­ ken eines ehrgeizigen heftig gegen R om entbrannten EpiSkopalisten. Demselben P rincip folgt denn auch sein großes W erk, — eine im m erhin denkwürdige und höchst gelehrte A usführung des au s der alten Kirche entwickelten E piskopalsystem s, die den Hochkirch­ lichen in E ngland gefallen mußte. D ie „kirchliche R epublik"*) w ird demgemäß vorgestellt a ls ein ursprünglich unter dem Einen unsichtbaren H aupte aristokratisch regiertes Gem einwesen, beruhend au f der gleichen Vollmacht der Bischöfe a ls apostolischer Nach­ folger, daher die Vollkommenheit und Eintracht der ersten J a h r ­ hunderte. M it den willkürlichen S teigerungen der Hierarchie be­ gann d as V erderben, welches im P apst seinen G ipfel erreichte. R om knechtete die Kirche und tyrannisirte die W elt; es kommt d arau f an, Beide ihrer rechtmäßigen O berhoheit der Bischöfe und der weltlichen H erren zurückzugeben und allen Uebergriffen des einen G ebiets in das andere zu steuern, und diese Nothwendigkeit zeigt D o m i n i s m it einer S o rg fa lt, welche beweist, wie streng er d as kirchliche Schutzam t und die W ürde des Königs von E ng ­ land anerkennen w o llte? ) A ußer diesen kirchenrechtlichen A u s­ führungen liefert D o m i n i s eine dem P rotestantism us angenäherte Kritik des D o gm a's und der S acram entslehre und vereinigt d as Schriftprincip m it der altkirchlichen T rad itio n zu einer G rundlage, welche auch den neueren Confessionen zu der verlorenen E inheit verhelfen könne. D a s ganze W erk ist m it Einsicht und umfassender K enntniß gearbeitet. M an h at sich billig gew undert, daß ein M a n n , der so tödtlich m it R om zerfallen w ar, der bald d arauf noch heftigere Streitschriften wie die „K lippen des christlichen Schiffbruchs" a u s') Causae profectionis 1. c. p. 121. 126. 2) De republica ecclesiastica lib. I — VI. Lond. 1617. D rei folgende Bücher wurden später hinzugefiigt Par. 1623. Eine Uebersicht des In h a lts giebt der Verf. in Causae profectionis ßuae etc. p. 124. 25. 3) De republ. lib. VI, cp. 9. 10. Causae profectionis 1. c. Principes temporales Christianos multa posse in ecclesia doceo, ecclesiam vero nihil posse in temporalibus maxime erga reges. V on Schrift und Tradition han­ delt De republ. lib. VII.

Schicksal des Antonius de Dominis.

29

gehen ließ und 1619 die Ausgabe von S a r p i 's Geschichtöwerk mit einer übertrieben polemischen und für König J a k o b mißfälligen Vorrede begleitete, dennoch sich in neue Unterhand­ lung mit dem Feinde einlassen und seine Causae profectionis ex Italia auf eine so charakterlose Weise zurücknehmen konnte. Noch auffälliger ist, daß G re g o r XV. ihm selber durch den spanischen Gesandten Versöhnung anbot. Nach allem Anschein hat ihn der Ehrgeiz und die Aussicht Cardinal zu werden sowie die gescheiterte Hoffnung auf das Erzbisthum Avrck zum Rückfall verlockt, viel­ leicht auch die Einbildung, daß es möglich sein werde, den unirenden Standpunkt, nach welchem ja auch die Römische Kirche auf der Basis der wahren katholischen ruhte, am alten Orte geltend zu machen.') Doch büßte er schwer für seine Schwäche. Denn bald nach seiner Uebersiedelung siel er in Rom unter U rb a n VIII. den Jesuiten in die Hände; er mußte im Kerker seine Irrthüm er abschwören, und nur der Tod rettete ihn vom Scheiterhaufen, dem sein Leichnam und seine Schriften verfielen. C a ssa n d e r und de D o m in is , der Eine von der Lehre der Andere von der Verfassung ausgehend, jener mehr im Römischen dieser im antirömischen Interesse, empfahlen zur Herstellung des Friedens dasselbe Bindemittel des altkirchlichen Glaubens und Christenthums, und es ist beachtenswerth, daß sie als Katholiken von einem gemeinsamen Lehrinhalt aller Confessionen reden durf­ ten, während ja nach streng Römischer Theorie das Gleichlautende in den protestantischen Bekenntnissen gar nicht als deren Eigen­ thum sondern lediglich als geraubtes G ut angesehen werden sollte. Von praktischen Erfolgen dieser Schriften konnte auf katholischer *) A. Rivetus in Grotii ad G. Cassandri consultationem adnotatis P* 262. M. Antonii de Dominis — recens est memoria. Levitatem ejus, avaritiam et ambitionem experta est Anglia; haec virum alioquin non indoctum perdiderunt. Et quamvis ambiguus fuisset nonnullaque scripsisset in tertio suorum operum tomo, quibus indicabat quam lubricus esset in religionis negotio, id postea magis innotuit, quando Cardinalis Ludovisius,

so durften sie noch w eit eher den eigentlichen Synkretismus in

ge­

wissen halbchristlichen Religivnsbildungen vorfinden, besonders im Gnosticismus und dem späteren Is la m als einem jüdisch-christ­ lichen und häretischen Flickwerk.

Aber selbst eigentliche Ketzereien

wie die Arianische und Eutychianifche wurden unter diese Kategorie gebracht von dem Grundsatz auS, daß eö überall derselbe Feind, dieselbe schlechte teuflische Kunst gewesen sei, welche den bestimmten und konsequenten Glanbensausdruck in 's Zweideutige gezogen oder durch fremde Beimischungen verunreinigt habe.

Es w ar nämlich

D a n n h a u e r , welcher durch diese historischen Vergleichungen das „Geheimniß deS S yn kretism us" entdeckt zu haben glaubte.') Im engeren Sinne aber gehörte derselbe doch dem neueren Kirchen­ thum an, welches dieses eigenthümliche Wechselverhältniß der Confessionen hervorgebracht hatte; daher stellte sich neben die allge­ meine Geschichte des Synkretismus noch eine besondere, welche in C a lo v

ihren

C a lo v

wollte seiner Polemik gegen C a l i r t

wichtigsten Darsteller fa n d ? )

D er unermüdliche dadurch die beste

historische Unterlage geben, daß er dessen ganzes Unternehmen, die Bemühungen eines C a s s a n d e r und D u r ä u s , die Vorgänge in T h o rn , Rinteln und Königsberg m it allen früheren Friedensan­ trägen und verderblichen Annäherungen der verfälschten reformirten Kirche an die wahre Lutherische in Verbindung brachte, und w ir

’) Dannhauer, Mysterium Syncretismi detecti, Argentor. 1664. A u f dieses W erk stützt stch Rango, Brevis de origine et progressu Syncretismi a mundo

condito historia. Stettin. 1674. 2 voll. I m ersten B ande werden a u fg e fü h rt: Syncretismus Paradisiacus — Setho - Cainiticus — Babelicus — Abraham Antisyncretista — Syrier. Esaviticus — Cananitico - Jacobiticus — AegyptoIsraeliticus — Balaamiticus — Ephraimitico - Cananaeus — Dolosa pax Nahas. etc.

Ueber Nikodemus als

Testam ents, R ango B d . I , S . 254.

einen der ersten N eutralisten des Neuen D as

S y m b o l des S y n k re tis m u s

F le d e rm a u s , m it den V öge ln ein V o g e l, m it den M äusen eine M a u ö .

ist die Eben­

daselbst S . 140. *) A . Calov, Historia Syncretistica, d. i. christliches wohlbegründetes B e ­ denken über

den lieben Kirchenfrieden und

Lehre der himmlischen W ahrheit.

christl.

E inigkeit in

Ratzeburg. 1772. 75.

der heilsamen

187

Historische H e rle itu n g des S y n k re tis m u s .

^rbkN zu, daß er seinerseits allen G rund hatte so zu urtheilen. Mrrfen w ir

einen Blick in

seine Historia syncretistica, dieses

hitzige und durch Aufnahme zahlreicher historischer M aterialien ,iit& Aktenstücke wichtige Werk: so werden w ir an den S tre it um die Concordienformel erinnert.

Dieselbe historische Auffassung und

K ritik waltet in beiden Fällen, und die ganze Bewegung der freieren Theologie w ird von einem doppelten Siege des strengen Luther­ thums wie von einem Rahmen umschlossen.

H ie r wie dort soll

der echte Glaube von unechten Anhängseln gesäubert oder gegen unerlaubte Abzüge geschützt werden, m it dem Unterschiede, daß die K ritik - des Synkretismus

auch katholistrende Irrw e g e

bekämpft.

Der Proceß, den sie verfolgt, greift ebenfalls wie H u t t e r s V e r­ theidigung gegen H o s p i n i a n

bis in die Reformation und zu

den vermeintlichen Calvinischen und katholischen Umtrieben

und

Bermittelungen zurück; dann erreicht er seinen Höhepunkt in der Schule des C a l i r t , und diesen schildert daher E a l o v so, daß in ihm vom Beginn

seines öffentlichen Auftretens

der Geist des

Synkretismus vollständig und allseitig offenbar geworden se i.') Diese historischen Nachweisungeu bilden gleichsam die P rä ­ skription gegen den Synkretism us.

D aö Losungswort, welches

die Kritiker ihren Widerlegungen voranzuschicken pflegen,

lautet

vortrefflich: hinweg m it allen unzeitigen Handreichungen und Pacifieationen, keine Verrückung festgesteckter Grenzen

noch falsche

Gleichmacherei, keine Uebertragung der den Personen zukommen­ den Rücksicht auf die Sachen, keine Vermischung ungleichartiger Lehren, kein Verrath an der W ahrheit, am Wenigsten unter dem Scheine des Rechts!

Gleichwohl w ar dieser Grundsatz viel zu a ll­

gemein, um hier sofort gehandhabt zu werde»; anwendbar konnte er erst werden, wenn sogleich hinzugefügt wurde, wo der Abweg beginne, wie weit er sich erstrecke und welchen G rund die Christen­ heit habe, hier nur ein

altes von Anbeginn int Verborgenen

') Calov, Histor. syncret. p. 561.

D e r ganze Abschnitt über C a lix t m a ll

denselben so, daß er als die eigentliche A u s g e b u rt des S y n c re tiS m n ö schon in jugendlichen J a h re n

seit 1611

m it

diesem "schwanger gegangen" und nachher

abwechselnd m it papistischen und re fo rm irte n rrerroribus herstirgebrochen" sei.

jg g

Drittes Buch.

Dritter Abschnitt.

schleichendes G rundübel in erhöhtem G rad e auftreten zu sehn. Fragen w ir daher w eiter: welches ist die W ah rh eit, von der um des F riedens willen Nichts abgedungen w erprn soll: so erfolgt eine ganz concrete A ntw ort: es ist nicht die christliche W ahrheit ü berhaupt, noch auch die religiöse Ueberzeugung des Einzelnen, sondern die in der Kirche abschließend gegebene. Folglich setzte die O rthodoxie dem S ynkretism us einen an sich gültigen und sitt­ lichen K anon auf solche Weise entgegen, daß dieser eben n u r auf das bestehende Lutherische Kirchenthum , au f die orthodoxe Kirche bezogen w urde und nur au s ihr und ihren dermaligen V erh ält­ nissen verstanden werden sollte. D ie Kirche ist das vollkommene, nicht etw a relativ vollkommenste Erzeugniß der G laubenserneuerung, die Gegensätze also, von denen sie sich abgelöst, wirklich und wesent­ lich, ihre Lehren fundam ental, weil bestimmend für ihren unter­ scheidenden und öffentlich anerkannten G laubenscharakter. Und diese ihre mühsam errungene Vollkommenheit sollte sie a u f's S p ie l setzen um den P re is, au f einer breiteren G rundlage m it einem anderen Bekenntniß friedlich zusammenzustehen! D ie Erw eiterung w äre täuschend, weil sie sich gleichgültig zu dem bereits a ls w ahr und nothwendig Anerkannten verhielte, und sie w äre Lüge, w eil sie nicht ohne Zurücknähme und Verschweigung gelingen könnte. O der dasselbe cvncret ausgedrückt: die Lutherische Kirche steht auf ihrem Bekenntniß, d. h. auf der unveränderten Augustana sammt deren gesetzmäßigen Auslegungen und Ergänzungen durch die Concordienform el; darf sie von Bestim m ungen absehen, die sie von allem Frem den und W iderstrebenden gereinigt haben, denen sie d as Bew ußtsein ihres allein richtigen und folglich exclusiven G la u ­ bensstandpunktes verdankt? D a rf sie sich eines F ehltritts in dem­ jenigen zeihen, w as sie erst auf diese Höhe gehoben h at? M u ß sie nicht vielm ehr a ls abgeschlossene Kirche allen zweideutigen Un­ ternehm ungen entgegentreten, welche d arauf ausgehen, sie, die Kirche, in einen neuen und verallgem einernden Proceß des W e r­ dens hineinzuziehn? Versetzen w ir u n s au f diesen S tand pu nk t der dam als h err­ schenden Lutherischen Theologie und O rthodoxie: so ergiebt sich

D as richterliche Verfahren der orthod. Kritik.

189

Acht, welcherlei V orw ürfe C a l i r t von vorn herein treffen m uß­ ten, nämlich nicht die des bloßen Irrth u m s , sondern vielm ehr des Vergehens und der kirchlichen Pflichtverletzung. H ü ls e m a n n ftrm u lirt die Anklage w ider ihn m it großer B ündigkeit, ebenso wie es in B ü s c h e r s erw ähntem A ngriff geschehen w ar. D ie Augsburgische Confession w ird durchgegangen, und fast jeder Artikel bietet Gelegenheit, Calirtische Abweichungen zu verm erken.') D er­ selbe C a l i r t nim m t sich h erau s, das Corpus Julium für seine häretischen Absichten zu m ißbrauchen, ja daS Concordienbuch a ls ein ungültiges von Schw eden, D änem ark, H olstein, N ürnberg und Helmstädt verschmähtes B u c h , dessen Lehren ein F a b e r S t a p u l e n s i s aufgebracht und L u th e r ihm nachgeschrieben habe, mit Calvinischen Lügen zu verlästern. H ierm it ist der Synkretist von seiner kirchlichen Pflicht abgefallen. ,,W ill derowegen C a l i r t u S , — so fährt H ü ls e m a n n fo rt, — fü r einen redlichen und au f­ richtigen Lutherischen Lehrer gehalten sein, dafür er die B esoldung und seinen U nterhalt nun so viel J a h re genommen und genossen h a t:" so „anathem atisire, verbanne und verfluche" er alle die­ jenigen, die den bisher von ihm entschuldigten oder vertheidigten M einungen anhängen. W idrigenfalls kann er von keinem „reinen Lutherischen T heologo anders denn für einen ruchlosen, verkehrten und verstockten Ketzer gehalten w erb e n ."2) Und wenn etw a die Helmstädtischen Theologen meinen, daß der Eid auf die G lau ben s­ bekenntnisse dahin zu verstehen sei, s o f e r n diese mit G ottes W ort stimmen: so verstecken sie sich hinter eine gänzlich unhaltbare Klausel. N ein, ruft ihnen H ü l s e m a n n zu, „m an thut den E id hierauf, daß m an halte, Alles w as in diesem oder jenem B e ­ kenntniß gesetzet ist, sei G ottes W ort gem äß, welches man auch am jüngsten Gericht verantw orten w olle." D a s w ar gerade herausgesprochen und im N am en der hierarchischen und theolo­ gischen M a jo ritä t, denn diese sah gewiß den einzelnen G ottesge­ lehrten a ls einen vereidigten B eam ten der Confession a n , welcher ') Vgl. HülsemannS Calixtinifchen GewiffenSwurm zu Anfang: Ungefähr­ licher Entwurf Helmstädtischer Neuerungen. ’) Calixt. Gewissenswurm» Cap. I, S . 27. 32.

490

Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

seinen Eid brach, indem er von der auferlegten N orm oder deren bisher geltender A uslegung abwich. Auch wie die A r t dieser Ausschreitungen beurtheilt w urde, zeigen H ü l s e m a n n S Ant­ w orten. D er nächste Anstoß lag in der theilweisen H inw egräu­ m ung des necessarium ad salutem . Zwischen religiöser Noth­ wendigkeit und kirchlicher B rauchbarkeit oder theologischer P robabilität w urde nicht unterschieden, da die Kirche gerade in der B ew ahrung deö ganzen G laubensum fangs ihre E hre suchte. I n ­ dem also der S yn kretism us den K reis des unbedingt N othw en­ digen einschränkte, im Uebrigen aber kirchliche W erthunterschiede zweiten R an ges, Vorzüge biblischer Richtigkeit und R einheit, H alt­ punkte des tieferen wissenschaftlichen S tu d iu m s bestehen lie ß : er­ schienen diese abwägenden O perationen a ls Aufopferung der Sache, welche nun zum Beliebigen und Gleichgültigen herabsinke. D as M ißverständniß w ar unvermeidlich unter G eg nern, wie sie hier d as W o rt n ahm en ; H aß und Cvnsequenzmacherei steigerten es bis zur gröbsten E ntstellung.') E s soll nicht d arau f ankommen, im A. T . die Erkenntniß der T rin itä t und der G ottheit Christi zu finden oder nicht, die Erbsünde so oder anders zu definiren; die B illig un g der Calvinischen Prädestination und A bendm ahlslehre, ja sämmtlicher außerhalb des Apostolicums liegender D ogm en soll die Seligkeit nicht gefährden: — nun dann bliebe überhaupt kein G ru nd der ') Von Entstellungen könnten wir ein langes Verzeichniß anfertigen. Calixt hatte die religiöse Sufsicienz des apostolischen Sym b ols behauptet. D araus macht Hülsem aun, er habe eilte geistlische Brüderschaft Aller gew ollt, die sich Christen nennen und nur dem B u c h sta b e n des Apostolicums Nichts ö f f e n t ­ lich zuwider lehren oder schreiben noch ein ruchloses Leben führen (GewiffenSw. S . 37). Jener hatte die doctrinalen Vorzüge der Lutherischen Kirche aner­ kannt; nach Hülsemann soll er dieselbe als ebenso unrein wie die Calvinische hingestellt haben (Ebendas. Ungefährl. Entwurf v. Ans.). Calixt stützt sich Resp. ad M oguntin. §. 104 aus die praktische Bedeutung der Lehre von den Sacramenten, bei welcher es nicht darauf ankomme zu wissen, ob die Taufe des Johannes mit der Taufe Christi ganz dieselbe gewesen. D afür läßt ihn Hülse­ m ann sagen, daß :-.an aus der h. Schrift nicht wissen könne, w as Sacram ent sei und worin sein Wesen bestehe (Ebendas.). Entstellend war nicht minder die Insinuation-, daß von Calixt und Hornejus „die Ablassung von Sünden und Besserung v o r die Erlangung göttlicher Gnade gestellt werde."

BerhAtniß des alte» Symbol« z»un neueren Bekenntniß.

191

Verdam m ung, wenn die christliche Liebe schon gebieten d a rf, alle sene angeblichen Bekenner m it unbegrenzter Weicherzigkeit a ls B rüder in Christo und M iterben des ewigen Lebens zu um arm en. Nicht angerechnet w urde C a l i r t seine W iderlegung des P ap st­ thums, weil er d as T ridentinum so glimpflich, zuweilen entgegen­ kommend behandelte, nicht angerechnet seine Ablehnung des C al­ vinism us, w eil er einige B ew eism ittel desselben sich aneignete, nicht angerechnet die Hochschätzung des Lutherthum s, weil er auch an ihm Kritik übte. Und ebenso wenig konnte er G nade finden, wenn er mit seiner T oleranz über die Grenzen des Christenthum s hinausgehend unter Ju d en und M uham m edanern einen R eligivnsglauben anerkannte, der nicht Jd o lo latrie se i? ) Auf solchen Änklagepunkten beruht die r ic h te r lic h e S e ite drS gegen den S ynkretism us eingeschlagenen V erfah ren s, — ein Urtheil im N am en der Kirche gegen eine abgefallene P a rte i und gestützt au f den G rundsatz, daß allein die symbolisch - constituirte Kirche die w ahre sei und daher völlige Herrschaft habe über die ihr angeschlossene lebendige und fortschreitende Gemeinschaft. I n ­ dessen sollte C a l i r t nicht bloß verurtheilt, er sollte m it aller M ühe und Gründlichkeit widerlegt werden. H ü l s e m a n n , D a n n ­ h a u e r , C a lo v und Q u e n s te d t haben seine Irrth ü m e r theils in möglichster Vollständigkeit gesammelt und selbst untergeordnete P r i ­ vatmeinungen aufgenom m en, — wobei es üblich w urde, das S y n kretistische nach allen S eiten m it dem C alv in ism u s und A rm inia­ nism us zusam menzuwerfen, — sondern sind auch m it Scharfsinn und Geschick auf die wichtigeren F ragen eingegangen. W a s konnte wichtiger sein a ls die Vergleichung der altkirch­ lichen S ym bolnorm m it den neueren au f diese gebauten konfessio­ nellen Glaubensbestim m ungen! Ueberall sprach die feinere historische Kritik zu Gunsten des S y n k retism u s; hier allein konnte sie den Gegnern zu S ta tte n kommen, und C a lo v namentlich hat sie an dieser schwierigen S telle m it gelehrter Kenntniß geübt. Z w ar ge­ lang es ihm nicht, d as innere V erhältniß der antiken zu den *) Vgl. Ungefährl. Entwurf, Speeial-Irrthümer.

192

Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

neueren und protestantischen Bekenntnissen aufzuklären, sofern jene m ehr die objective und theologische, diese die subjektive anthropo­ logische und soteriologische S eite des Lehrzusammenhangs au s­ sprechen. Aber daß n u r jene alten S ym bolterte den unbedingten Anspruch au f H eilighaltung haben sollten, dagegen erhebt er richtige B edenken.') C a l i r t hatte die wörtliche apostolische Abfassung der frühesten G laubensregel allerdings nicht behauptet, C a lo v verw irft sie a ls Fabel und macht aufmerksam au f die Unbestimm­ barkeit ihrer Entstehung und kirchlichen E inführung. W ie ver­ schieden lauten die bei T e r t u l l i a n , ^ ) I r e n a u s , O r i g e n e s an ­ geführten und den ältesten Häretikern entgegengehaltenen Form eln! S elbst der späte R u f i n kenne noch mehrere Recensionen, und N ie­ m and wisse, wann in R om selbst oder anderw eitig der heutige T ert üblich gew orden. Eine Form el von so veränderlichem und schwankendem W o rtlau t besitze nicht den Charakter der Unbedingt­ heit und sei auch im A lterthum nicht so beurtheit w orden, daß sie ein für allem al alles Nothwendige umfasse, sondern n ur dem nächsten und dam aligen B edürfniß sollte sie genügen. D ie wich­ tigsten H eilslehren von B uße, G nadenw ahl, G enugthuung, G la u ­ ben, Sakram enten bleiben unerw ähnt und werden doch dadurch nicht entbehrlich, daß sie dort keine S telle gefunden. D ie Ketzer des vierten und fünften Ja h rh u n d e rts, bemerkt C a l o v weiter, behaupten Uebereinstimmung mit dem apostolischen S ym bo l und werden doch verdam m t, — B ew eis genug daß sie das Festhalten an jenem nicht freispricht, so wenig wie gegenwärtig die M ennoniten, A rm inianer und S o cin ian er. D ie späteren Concilien, in ­ dem sie neue trinitarische und christologische Bestimmungen hinzu­ fügen, bezeugen die inadäquate Beschaffenheit des älteren B e' ) Calovii Syncretism. Calixt. Witteb. 1653. sectio prima. Dannhaweri Myster. Syncret. p. 47. Hülsemanni Dialys. p. 62. 258. Desselben Gewissenöwurm S . 1350 ff. Calovii System. I, cp. 2. quaest. 16. 2) Gleichwohl könne Calixt selbst diese Tertulliamsche regula fidei nicht vollständig unterschreiben wegen der W orte: Filium Dei verbum appellatum in nomine Dei varie visum esse patriarchis. V gl. Calov, Nöthige Ablehnung

etlicher Injurien, falschen Auflagen und Bezüchtigungen u. s. w. Wittenb. 1651.

(9 3

Gegen die Sufficien; de- alten Sym bols.

tznntniffes. Auch diese ökumenischen Dccretc schließen zw ar wie jfc g a l t e t aufzählt, den Pelagianische» Irrth u m a u s , sehen aber jit sehr von den erw ähnten Heilsgedanken a b , um für sich allein den Um fang des Nothwendigen zu begrenzen. G nade und 58arm* Herzigkeit G o tte s , W irkung des G laubens und der E rlösung sind nicht m inder offenbart um geglaubt zu w erden, sind also dem Glauben gegenständlich und liefern zur Bestim m ung seines I n h a lts ihren unentbehrlichen B e itr a g ;') sie lassen sich nicht a ls bloße antecedentia und consequentia fidem daneben stellen, wie es ge­ schehen m üßte, wenn die altkirchliche G rundlage für sich a ls a u s ­ reichend gelten sollte. D er m aterielle M ang el der letzteren ist eben der G ru nd , w arum die letzteren in so verschiedene, durch die tief­ sten Gegensätze von einander geschiedene und deshalb auch durch keine allgemeine christliche Brüderlichkeit zu verbindende Kirchen hat übergehen können, w eil die bloße Annahme des kurzgefaßten Sym bolbuchstabens d as V orhandensein des rechten G lau b en s in seiner Vollständigkeit nicht verbürgt. H ält m an sich dagegen statt des W o rtlau tes vielm ehr an den ganzen S in n und die M einung sämmtlicher ökumenischen Dekrete: dann freilich, meint C a l o v , könnte eher von einer Sufficienz derselben die Rede sein; dann aber w ürden auch weder P äpstler noch Calvinisten ihnen unbe­ dingt beitreten d ürfen , jene nicht, weil der im Alterthum bereits verurtheilte S em ip elag ian ism u s dadurch getroffen w ürde, diese nicht, weil sie die Gemeinschaft der Id io m e leugnen, welche das D ogm a von C h a lc e d o n entschieden in sich tr ä g t? ) D ie altkirch­ liche N o rm , soll sie zum Ziele führen, ist somit der E rgänzung ebenso fähig a ls bedürftig, und die evangelische Kirche, indem sie auf diese ihre eigenen Bekenntnißerklärungen baute, bediente sich nur eines R echts, welches kein früheres Z eitalter dem späteren ') Calov. Syncrct. Calixt. p. 113, Nec ab objecto Fidel proprio gratia ©t misericordia Dei excludi potest, perinde uti excludi nequit redemtio Christi. — — Cur fidei dogmaticis objectis non accensentur attributa praedicta divina? Annon etiam illa divinitus propositi sunt ut credantur? Annon illa quoque ad. objectum fidei dogmaticae pertinent?

2) Calov, Nöthige Ablehnung u. s. w. S . 113. ^tsch. d. Protest. Dogmatik II.

13

194

Dritte« Buch. Dritter Abschnitt.

entziehen oder durch den Anspruch, selbst schon alles Wesentliche zusammengefaßt zu haben, beschränken w ollte.') W ar nun C a l i r t hiermit widerlegt? Er hätte gewiß M ehreres zu erwidern gehabt. W ir bemerkten schon, daß es nur der Inbegriff des im Christenthum dargebotenen Göttlichen und gleichsam das von Gott geforderte und mit seiner Verheißung aus­ gestattete Glaubenskennzeichen w ar, welches er p o p u lä r und summarisch im Apostolicum niedergelegt fand, während die kirch­ liche und orthodoxe Bestimmtheit und Genauigkeit dem Nicänischen und den übrigen Synodalbekenntniffen eigen sein sollte; und ebenso hatte es zweifelsohne L u th e r im kleinen Katechismus gemeint?) D ie abweichenden Recensionen der regula iidei und der späte Ab­ schluß des recipirten Tertes würden C a lir t nicht irre gemacht haben, da er ja schon in einem Auszüge des apostolischen S ym ­ bols diejenige Ueberzeugung gegeben sah, die den Einzelnen bei geringer Bildung und unbefangener Auffassung zum Christen macht?) E r hätte andererseits die gerügte materielle Unvvllständigkeit zugeben müssen, aber mit der Gegenbemerkung, daß das Fehlende darum nicht abhanden kommen noch auf der anerkannten Grundlage eine unchristliche Gestalt gewinnen werde. Wenn C a lo v behauptete, daß ja auch Buße, Gnade, Rechtfertigung und Aehnliches gläubig aufgefaßt werden und ein Object des Glaubens Hilden müsse: so ließ sich erwidern, daß dies doch nicht in dem*) Calov. Syncret. Calixt. p. 151. Ecclesia nunquam ita definivit de praedictis symbolis synodalibus; nullum Concilium, non dicam oecumenicum sed vel particulare tantum, unquam haec symbola omnia fidei capita vel adaequate exhibere vel pressius explicare vel adversus omnes haereses sufficienter declarare, statuit aut sancivit. Ibid. p. 70. Quodsi talia additamenta concedantur ob haereticos emergentes excludendos, facile etiara nos symboli perfectionem largiemur salva scilicet additionc eorum, quae subinde addenda veniunt, seu salvo jure addendi. 2) D a s Gegentheil behauptet Dannhawer, Myster. Syncret. p. 85. 3) Später muß ihm Quenstedt mit Beschränkung Recht geben. De simplicioribus Christianis et illis, quorum mentes non sunt heterodoxis opiuionibus infectae et qui de rebus fidei nihil cognitum habent praeter id, quod in apostol. symbolo habetur, concedi potest, quod illis haec summa ad salutem sufficiat. System, theol. I, p. 31.

Der wichtigste Punkt her kirchlichen Kritik.

195

stlben Sinne wie bei den altsymbolischen Artikeln der F all sei. Die genannten Heilswahrheiten machen zwar den inneren L e h rzusammenhang erst lebendig, indem sie die Erklärungsgründe, die Zwecke und Wirkungen

der geoffenbarten Thatsachen angeben:

allein sie hängen theils an diesen letzteren, theils verhält sich der Glaubende zu ihnen freithätiger und

denkender,

also weniger

«npfangend als zu demjenigen, was m it der T rin itä t, Menschwer­ dung, m it Leiden und Tod Christi symbolisch ausgesagt ist.

D ie

von C a l i r t befolgte Unterscheidung der antecedentia und consequentia

von den constituentia fidem behält also ihren

guten

S in n , und wer die letzteren Stücke, nämlich das Altsymbolische, tnne hat, w ird in das u n g e fä h r e Verständniß der andern eben­ falls eintreten. Dazu kommt aber noch ein D rittes.

W as C a lo v

und H ü ls e m a n n über das rechtmäßige Anwachsen späterer Be­ kenntnißschriften an die älteren Normen behaupteten, w ar nur eine Deutung aus dem E rfo lg ,

und unmöglich hätten sie erweisen

können, daß die Kirche der ersten sechs Jahrhunderte bei ihren dogmatischen Entscheidungen an dereinstige Vervollständigung ge­ dacht und gleichsam eine Stelle offen gelassen habe, die in Z u ­ kunft durch möchte.

neue bekenntnißbildende Schritte ausgefüllt werden

S o vorsehend verhielt sie sich nicht; man weiß wie ein­

seitig sich das Dogma jener Periode zur Hauptsache gemacht hat, so daß selbst die Pelagianische Frage sich nicht zu gleicher Wich­ tigkeit m it ihm in der g a n z e n Kirche erhob. An Vertheidigungsmitteln fehlte es also dem Synkretism us auch an dieser Stelle nicht.

Dessenungeachtet giebt es in diesem

ganzen S tre it wie überhaupt keinen tieferen Punkt so auch keinen, wo die Reaction des streng kirchlichen Standpunkts berechtigter gewesen wäre als hier.

Denn durch alle halbwahren Entgegnungen

eines C a lo v und H ü ls e m a n n geht das Bewußtsein des eigen­ thümlichen S c h w e r p u n k t e s , welchen der evangelische Lehrbegriff durch die Reformation und in Folge derselben gewonnen hatte. Welches schwere Gewicht hatte sich nach hundertjährigem matischem S tudium

dog­

und Nachdenken an die Begriffe der Buße

und Gnade, des Glaubens und der Rechtfertigung gehängt, Namen 13 *

196

Dritte? Buch.

Dritter Abschnitt.

von welchen m an Überzeugt w a r, daß sie ein Katholik nicht in den M und nehmen könne, ohne die verderblichsten Irrth ü m e r ein­ zumischen und ohne die etwanige ihm einleuchtende W ahrheit zu verunreinigen. Noch lebte das Andenken und w urde durch Predigt und Unterricht täglich aufgefrischt, daß an dieser Stelle einst S ein und Nichtsein des echten Christenthum s au f dem S piele gestanden und die reine evangelische Erkenntniß den alten W ahn durchbrochen, daß also n u r durch die schärfste theoretische Fassung des Unter­ scheidenden den falschen Anwendungen des Römischen K atholicis­ m us vorgebeugt werden könne. D em gegenüber nun die Z um u thu ng , E tw as abzulassen von dieser so einig und eifrig be­ schworenen Entscheidungskraft! C a l i r t , wie w ir sahen, räum te gern die unvergleichliche Wichtigkeit der Rechtfertigungsidee und der sie umgebenden Bestim mungen ein, so oft er sich n u r a ls dog­ matischer Lehrer seiner Kirche verhielt; n ur im N am en der ganzen ihres höchsten B eru fes innewerdenden kirchlichen Christenheit mahnte er an d as noch größere Vollgewicht des von A lters her über­ lieferten christlichen G laubenskernes. Aber schon dies erregte den Eindruck, als ob überhaupt der Schwerpunkt a u s dem Um stritte­ nen in das Unbestrittene, a u s der S oterio lo gie in die bloße T rin itä t und M enschwerdung zurückverlegt werden solle. W ar eine D urchführung des Unternehmens m öglich, ohne daß sich die ganze K raft und Zähigkeit eines Lehrsystems, welches gerade in dem Bestrittenen die großartigsten Züge seines W esens zu besitzen glaubte, dagegen auflehnte? D a ß und w arum C a l i r t in diesem P unkt zuweit ging, werden w ir noch in unserem E ndurtheil zu be­ merken haben. V on selbst verstand es sich demnächst, daß gegen d as C a lirtische H ülfsprincip des consensus patrum Protest erhoben wurde. D ie N am en T r a d i t i o n und P r i n c i p wirkten abschreckend. D ie Kirchenlehre w ar gew ohnt, das Z eugniß der V äter in Absicht au f die Befestigung des K anons hochzuhalten, in dogmatischer Bezie­ hung m it Vorsicht zu behandeln. In d e m C a l i r t S chrift und T rad itio n zusammenstellte: that er dasselbe für s e in e Zwecke, w as die G egner für die i h r i g e n , wenn sie der B ibel die Augustana

Protest gegen den cons. patrum und die T ra d itio n .

197

yitb das Concordienbuch zur Seite stellten, nur daß diese A u t­ o ritä t nicht als

T radition

noch

als

Nebenprincip

aufgeführt

wurde; und die traditionelle N orm des Ersteren übte schwerlich einen so hemmenden Einfluß

auf die freie Schrifterklärung als

die confessionelle Sym bolnorm der Kirchlichen.

Auch übersahen

die Gegner das Andere, w orauf C a l i r t ebenfalls hinaus wollte, nämlich in dem gesunden Verhältniß von Einheit und M a n n ig ­ faltigkeit, welches das patristische Zeitalter vor tiefgehenden S p a l­ tungen bewahrt hatte, stellen.

ein Nachahmungswerthes V orbild hinzu­

M iß billigung aber verdiente das allzu unbefangene V e r­

trauen, m it welchem C a l i r t und seine Schule die patristischen Gewährsmänner nach Anleitung des A u g u s tin und V in c e n tin S anzurufen pflegte.

Daher werden

die beträchtlichen doctrinalen

Schwankungen der ersten Periode in Erwägung

gezogen.

Die

T rin itä t als das größte Mysterium läßt eine Reihe von D iv e r­ genzen und Sondermeinungen eines T e r t u l l i a n , O r i g e n e s , Jrenäus

u. A . wahrnehmen, welche erst spät der katholischen

Uebereinstimmung Platz machen; dasselbe g ilt von der Erbsünde und den anthropologischen D ogm en.')

D ie Prädikate der E in ­

heit, Allgemeinheit und des Alterthums

lassen sich nicht ohne

vielerlei Abzüge auf den Lehrbestand der fünf Jahrhunderte über­ tragen?)

M a n berief sich zugleich auf die noch ungenügende B e­

kanntschaft m it jener Literatur.

Vieles

sei verloren oder noch

unedirt, Vieles verfälscht oder untergeschoben, das Echte vo ll von Abweichungen in der Schriftauslegung?)

D as ganze M a te ria l,

ergiebig und schätzenswerth als dogmatisch-eregetisches H ülfsm itte l und Zeugniß, biete zu viele Ungleichheiten Theologie

entwickle

sich zu

spät

vorangehenden Glaubensartikeln, oder mehr als

und um

und die patristische

zu abhängig

ein P rincip

von den

zu enthalten

menschliche Anerkennung zu beanspruchen.

Und

wolle man m it H o r n e j u s den wahren S a ft und die K ra ft der ') Dannh. Myster. Syncret. p. 45 sqq. *) Calov, Syncret. Calixt. p. 311 sqq. Ejusdem System, theol. I, cp. 3. sect. 2. l) Quenst. System. X, p. 45

198

D ritte s Buch.

D ritte r Abschnitt.

h. S c h rift in derselben wiederfinden: so weise sie dam it nicht auf sich selbst, sondern a u f das wahre ursprüngliche P rin c ip in seiner kirchlichen und literarischen Fruchtbarkeit. kein G ru n d zu glauben, w a ru m

Auch sei in der T h a t

die erste kirchliche Epoche in so

vorzüglichem Grade die Leitung und den E in flu ß des h. Geistes genossen habe, daß ihre Concilien und theologischen Leistungen der christlichen

H auptquelle

wie

eine

Nebenquelle

unterstützend

und

maaßgebend sich anschließen d ü rfte n ? ) *) Calov. Syncret. Calixt. p. 325.

Einigermaaßen hängt m it dieser S tre i­

tigkeit noch die spätere S ch rift deö Johann D a lläus, dieses höchst urtheilssähigen K ritik e rs : De usu P atm m libri duo, latinc e Gallico a J . Mettayero redditi.

Genevae 1686, zusammen. Dieselbe ist nicht gegen C alixt aber gegen Cafsander gerichtet, ermahnt gleichfalls zu vorsichtigem dogmatischen Gebrauch der Kirchen­ väter und sucht namentlich zu beweisen, daß die zwischen den Katholiken und Protestanten obschwebenden S treitfragen sich am Wenigsten durch Berufung auf die alten Lehrer erledigen lassen. Ueber Unversälschtheit und Echtheit der puristischen Schriften und Aufrichtigkeit der ausgesprochenen Ansichten urtheilt D a llä u s noch weit ungünstiger als die strengen Lutheraner, er steht dem guten Vertrauen eines C alixt skeptisch gegenüber. E r geht davon ans, daß die Väter sich großentheils m it ganz andern Fragen beschäftigt haben, als welche die Kirche heutzutage bewegen, a u f die unsrigen geben sie höchst unsichere A n tw o rt oder gar keine. Unendlich Vieles w ird durch ihre S tim m e weder negativ noch positiv entschieden. E in Anderes wäre eö, wenn sie sich auf die symbolisch und synodalisch festgestellten Hauptstücke deö Glaubens beschränkt hätten; so aber ergehen sie sich in einer endlosen Menge von P rivatm einungeu, ohne zu unterscheiden, wo der Einzelne n u r fü r sich, wo er fü r M ehrere, wo er im Namen der Ge­ sammtheit spricht. Höchstens einen T heil des Klerus haben w ir vor Augen, die Ueberzeugungen der Laien bleiben verborgen. Daß der Geist eines Lehrers den der Gemeinde m it ihren vielartigen Neigungen und Ansichten n u r sehr u n vo ll­ ständig v e rtritt, w ird damals nicht anders gewesen sein wie jetzt. Daher bei der trüglichen Beschaffenheit unserer Quellen die große Schwierigkeit, auf die in der g a n zen Kirche herrschenden Glaubensbestimmungen z. B . über letzte D inge, Erlösung und Sacramente m it irgend welcher Sicherheit zu schließen. Wenn also einst Vincentius m it großer Zuversicht der Lehre der Väter Einheit und Allgemeinheit zuspricht: so sind das Aussagen eines kirchlichen VorurtheilS, fü r uns erscheint die Nachweisung dieser Eigenschaften in einigen Punkten, wo Dogma und Sym bol feststehen, unnöthig, in anderen unausführbar. D ie nackte A u cto rität der Väter und ihrer Aussprüche ohne biblische oder rationale Be­ gründung würde aber immer n u r dieselbe K ra ft haben wie etwa die des Aristo­ teles aus dem philosophischen Gebiet; und sie w ird noch dadurch beschränkt, daß die Väter von Justin dem Chiliasten an bis zu den Gregoren und selbst Augustin

D ie S p e c ia lk ritik gegen den S y n k re tis m u s .

jg tz

S o ll jetzt noch auf die Specialkritik gegen den Synkretismus Rücksicht genommen werden: so sei es in Kürze und m it A us­ w ahl, da w ir im Ganzen auf den In h a lt und Geist des uns schon bekannten Dogmatism us legungen wurden

so

verweisen können.

D ie W ider­

daß sie C a l i r t

eingerichtet,

und seine

Anhänger abwechselnd auf gleicher Fährte m it Calvinisten, A rwinianern, Socinianern und Päpstlern betrafen. die Grundsätze der Schriftnorm

Voran

stehen

ohne T ra d itio n , der absoluten

Inspiration und der durch keinen Vorbehalt beschränkten S ym b olverpsiichtung.

D e r Artikel von G ott ist durch die Verengung des

Begriffs der Abgötterei und durch die Abzüge von den T rin itä ts ­ beweisen verunreinigt?)

nicht ausgenommen

in

D ie Christuslehre artet in C alvinism us

starke I r r th ü m e r

verfallen sind.

M u ß daher jeder ge­

setzmäßige und irgendw ie uorm irende Gebrauch der Kirchenväter a ls unstatthaft abgelehnt w erden: so behält doch deren Lesung und S tu d iu m den größten Nützen, und N iem and w ird die E rfa h ru n g gering anschlagen, daß so viele ausgezeichnete M ä n n e r der Kirche am E v ang elium festhielten und im G lauben an C hristu s übereinstimmten.

Aus

der M a n n ig fa ltig k e it ih re r Ansichten schließen w ir m it

Recht, daß sie in dem, was sie einstim m ig v ortrag en, keinem V ertrage noch einer bloßen V erabredung, sondern eigener Neberlegung gefolgt sind, und w ir em pfan­ gen einen E inblick in daS Wesen des C hristenthum s, welches sich un ter so zahl­ reichen Verschiedenheiten der Auffassung in seiner K ra ft behauptete, p. 359 Verum ne qui hinc pendet suavissimus fructus, quadam earum opinionum oppositione minuatur atque intercipiatur, quae apud patres variae diversaeque decuiTunt, illud in primis pro certo statuendum est, nequaquam situm etese Christianismum in argutiis et subtilitate, neque tarn in dogmatum numero ac multitudine quam vi et efficacia. De vero usu p. 359. conf. ibid. p. 189.

211. 229. 235 sqq.

D ie

ganze E ntw icklung

des D a llä u s

ist tre fflich ,

und

am S chluß

nähert sie sich wieder den allgemeinen Anschauungen des C a lix t.

Dergleichen

w ir

ihre r G egner:

jedoch in

einem sichern U rth e il über gelangen,

dieser Hinsicht den W e rth

da auch die Kirchlichen

U rtheile

der S ynkretisten

und

wieder

zu

der patristischen Lehre und L ite ra tu r zu

an das D o gm a der V ä te r factisch und in

wesentlichen Stücken gebunden w aren alters d a ru m

die

so werden w ir anerkennen, w ie schwierig es dam als w a r ,

und sich doch dem Ansehen dieses Z e it­

entziehen w o llte n ,

dam it es

nicht

hemmend

au f

ihre n

schärfer und allseitiger entwickelten S ta n d p u n k t zurückwirke.

0 W ir verweisen für das Obige im Allgem einen au f den Consensus repetitus, neben welchem sich andere Belegstellen aus den genannten S chrifte n ohne S chw ierigkeit angeben lasten.

a u s ; denn die C alirtiner und Rinteler beziehen die Erhöhung und E rniedrigung auf die göttliche, das w ahre Leiden fälschlich auf die menschliche N a tu r, sie übertragen au f die letztere n ur äußerlich und scheinbar (per extrinsecam denominationem) die Eigenschaf­ ten der Allmacht und Allgegenw art und sagen von Christo, daß er a ls menschliches Geschöpf dem Gesetz Unterthan gewesen, also n ur durch seinen leidenden Gehorsam genugthuend wirkte, — lauter Verstöße gegen die vollkommne hypostatische E inheit der Person. D ie T heorie C a l i r t 's von der S ü n d e und Erbsünde leidet an A birrung nach der katholischen S e ite . D ah in gehören die Sätze, daß er die Concupiscenz des sinnlichen V erlangens nicht eigent­ liche S ü n d e nennt, die ursprüngliche Gerechtigkeit a ls übernatür­ liche G abe bezeichnet und dem vorsündlichen Menschen n u r die Möglichkeit lä ß t, bei fortdauernder Sündlosigkeit auch dem Tode zu entgehen. D ie natürliche anerschaffene Vollkom menheit wird dadurch ebenso herabgesetzt wie d as W esen der S ü n d e a ls einer natürlichen Verderbtheit abgeschwächt, wom it dann auch die p riv a­ tive Auffassung der E rbsünde, die durch sich allein keine V erdam m niß zur Folge habe, zusam menhängt. D en creatianischen Irrth u m , dem zufolge die S eele unm ittelbar geschaffen w ird, statt mit der leiblichen Erzeugung des ganzen Menschen überzugehen, theilt C a l i r t m it S ocin ianern und Calvinisten. Arminianisch sind seine Versuche, dem menschlichen W illen zu einem mitwirkenden Antheil an der Bekehrung zu verhelfen oder ihm ein der G nade entgegenkommendes H eilsverlangen beizulegen. Entschieden katho­ lisch die Zusammenziehung von Sündenvergebung und H eiligung in den B egriff der Justification, ebenso wenn G laube und Werke nach C a l i r t 's E rklärungen neben einander treten, vertheilt sich auch die erlösende K raft fälschlich zwischen beide. N ein , der G laube a ls einziges M edium der Rechtfertigung m uß dergestalt allein stehen, daß ihm weder gute Vorsätze des G ehorsam s v o r­ angehn, noch Werke wie ein B eitrag oder eine Nebenbedingung angefügt werden dürfen. Umsonst flüchtet s i c h - C a l i r t hinter die Unterscheidung äußerlicher und w ahrer guter W erke, auch die letzteren, die mit dem Gesetz wirklich übereinstimmenden und au s

Der Standpunkt der Gemäßigten.

201

beit» G lauben entsprungenen, haben weder a ls Ursache noch a ls Bedingung noch in anderer Rücksicht ein nothwendiges V erhältniß znm H eil. Und deshalb verfällt er in Arminianischen Irrth u m , indem er den Gesetzesbund von dem des E vangelium s dadurch unterscheidet, daß in jenem ein scharf gesetzlicher, in diesem ein höherer und neuer G ehorsam nach M aaßgabe der menschlichen Gebrechlichkeit gefordert werde. D ie S acram entölehre zeigt gleich­ falls Arminianische und Calvinistische V erirrungen, wie das Urtheil über die Beschneidung a ls einen nicht sakramentalen R itu s , die Kindertaufe a ls einen biblisch nicht gebotenen G ebrauch, die B e ­ hauptung, daß bei derselben nicht der G lau be der Kinder selber sondern der Taufzeugen vorausgesetzt w erde, die H ervorhebung des B rodtbrechens, sofern dasselbe zur Versinnlichung des M y ­ steriums und des Leidens Christi diene. Und selbst bis in die Eschatologie reichen die erborgten M einungen, da C a l i r t von einem ungewissen Zwischenzustande der S eelen , der weder V erdammniß noch Seligkeit sei, m it den Katholiken spricht und m it den S ocin ianern die Selbigkeit der irdischen Leiber m it den einst zu erweckenden leugnet. S o trifft C a l i r t überall d as au f frem ­ den außerlutherischen D octrinen ruhende A nathem ; n u r einerlei B orw ürfe sind gegen ihn allein und seine S chule gerichtet, die der eigentlich synkretistischen Unentschiedenheit, wo er die Z ah l der G laubensartikel und den B eg riff des Häretischen beschränkt, die genaue Definition der Erbsünde freigiebt, die F rage nach der Z ah l der S acram ente unterschätzt, die katholische Kirche auf den R o m a­ nism us und C alv in ism u s ausdehnt und überhaupt die G renzen kirchlicher und theologischer Entscheidung au s eigner M achtvoll­ kommenheit in 's Ungewisse erw eitert und verrückt. 111. D e r S t a n d p u n k t d e r G e m ä ß i g t e n . Neben die orthodore Kritik des S yn kretism us stellt sich zuletzt der gemäßigte S tand pu nk t der Jen en ser, die ebenfalls der P a rte i des C a l i r t nicht beitreten wollten. W ir sahen b e re its, daß stch diese F acu ltät eine Zeit lang Stillschweigen auferlegte. Aber

202

Drittes Buch.

Dritter Abschnitt.

die gehässige D enunciation eines I . R e i n h o l d , ') jenes dienst­ beflissenen Calovschen J ü n g e rs , forderte sie zur Rechenschaft; ihr H au pt M u s ä uS mußte sich über die „d rei und neunzig vermeintlichen R eligionsfragcn und Controversien" in seinem und seiner Collegen N am en erklären") und nahm bald d arau f G elegenheit, m it der ihm eigenen Gründlichkeit und Ehrenhaftigkeit ein allgemeines U rtheil über den S ynkretism us abzugeben?) W ir befinden u ns in einer Nebenstreitigkeit der subtilsten A rt. A us den stärkeren Differenzpunkten zwischen C a lo v und C a l i r t werden eine M enge feinerer und meist solcher, wie sie noch innerhalb des concordistischen Lehrbegriffs möglich w aren. M u s ä u s beruft sich au f unantastbare V orgänger wie C h e m n itz , H u t t e r und G e r h a r d , deren Lutherisches Ansehen von dem seiner Ankläger keineswegs übertroffen w erde. Und er vertheidigt sich m it der ganzen Zähigkeit eines deutschen Gelehrten. U ner­ müdlich w ird jede übertriebene Z um uthung zurückgewiesen, jede M einung offen erhalten, über die weder Sym bolschrift noch ein­ stimmige Uebereinkunft der Lehrenden abgesprochen, dazu d as Recht des Schweigens und der unbefangenen historischen B etrachtung in allzu schwierigen und unerkennbaren D ingen gew ahrt, ohne Furcht ob etwa E inige m einen, „ d a ß J e d e r , der den im m er bereiten Zänkern und Händelm achern nicht zujauchzt, den C alirtinism us und S ynkretism us im Kopfe h a b e .'" ) D ie g e is tig e A nnäherung ') Theologorum Jenensium errores ex variis eorundem scriptis dilucide monstrati inque privato collegio juxta methodum Koenigianam ventiiati praeßide Joh. Reinhardt). 1670.

2) D er Ienischen Theologen ausführliche Erklärung über 93 vermeinte Religionsfragen und Controversien — auf Veranlassung einer verläumderischen Charteke — gestellet von I . M usäus. Jen . 1677. ’) J. Musaei Quaestiones theoll. inter Nostrates hactenus agitatae de Syncretismo et scriptura sacra. Jen. 1679. Vgl. H. Schm id, Geschichte der

synkretist. Streitigkeiten S . 402 ff. 4) Mus. Quaestt. de Syncret. praef. p. 24. Qui enim homini contentioso, ecclesiae pacem turbanti et lites litihus scandala scandalis accumulanti calculum non adjicit et applaudit, is nihil tarn bene , nihil tarn recte perspicue et accurate dicere statuere docere potest, quin ejus in cerebro Ca-

lixtmismug. et Syncretismus sit.

hxs M u s ä u s an C a lir t ist unleugbar, und den Wittenbergern gegenüber repräsentirt er ebenfalls einen gewissen obgleich viel be­ schränkteren Synkretismus. Wenn der Letztere die Evidenz der Mestamentlichen Trinitätsbeweise geleugnet hatte: so giebt Jener ju, daß dieselben gegen veraltetes Borurtheil der Juden nicht Stand halten.') Wenn der Eine die Fortpflanzung der Seelen ereatianisch erklärt hatte: so muß der Andere einräumen, daß diese Vorstellung den Beweis der Unsterblichkeit erleichtere und nur aus Gründen der Erbsündentheorie weniger Beifall in der Kirche ge­ funden habe; die Frage sei allerdings theilweise philosophischer Art, aber nicht ohne Rücksicht auf das anhaftende theologische Moment zu beantworten. Habe doch sogar ein C hem nitz dieses Problem dem freien Dafürhalten jedes Einzelnen anheimgestellt?) Selbst zu C a l i r t 's Behauptung: peccalum originis esse privationem, kann sich M u s ä u s nicht ganz abweisend verhalten. S o oft, bemerkt er, die Erbsünde rein formell und abstract gedacht wird, erlaubt sie schlechterdings, wie ein G e r h a r d und G r a u e r wohl eingesehen, keine andere Benennung als die eines Privativen; erst die concrete Fassung (ratione subjecti sive materiae) bringt das Positive hinzu, wenn bedacht wird, daß durch die Beraubung oder Entziehung des wahren Lichts dem menschlichen Erkennen Md Wollen eine verkehrte Richtung gegeben, also das Eindringen der positiven Concupiscenz veranlaßt worden. Denn wollte man diese Distinction fallen lassen und die Erbsünde beiderseits in abstracter und concreter Weise als ein positiv Schlechtes bezeichnen: so wäre dies ebenso unbedingt auch deren Quelle, das menschliche Herz, und der Flacianismus hätte gewonnen. Alle derartigen ') Ausführliche Erklärung S . 16b. ') Ebendas. S . 208. N ur ans polemischem Eifer habe sich einst M eisner in der Philosophia sobria sect. IV, p. m. 658 zu der Aeußerung hinreißen fotffan: Hie vero nostri sesc theologi mascule oppommt, statuentcs pcccatum originis formaliter suintum non tantum esse aiim}atv vel boni concessi amissionem sed una %£iv vel mali contrarii succcssionem ideoque ens non lnere privativum sed magis positivum etc. V gl. Gesch. d. Prot. Dogmatik I,

S . 284 ff.

204

Drittes Buch

Dritter Abschnitt.

Schilderungen gehören lediglich der ungenauen populären Rede­ weise an. C a l i r t 's Ausspruch, Deum esse causam peccali per accidens, hatte besonderen Anstoß erreg t; auch M u s ä u s findet ihn gefährlich, aber nur darum w eil W enige wissen, daß durch den Zusatz per accidens das C ausalverhältniß nicht au f die S ün de selbst sondern auf gewisse natürliche W irkungen, mit denen sie sich gegen die göttliche Absicht verbindet, bezogen w ird ? ) Auch dem S y n e rg is m u s , so weit C a l i r t einen solchen gelehrt, w ird von unserem Jenenser eine billige Concession gemacht. D er rechte G lau b e, wie ihn R e i n h a r d w ill, scheint zu gebieten, daß den Richtwiedergebvrenen alle sittlichen H andlungen abgesprochen und die Werke der Heiden S ün den genannt werden. W enn aber doch die Concordiensormel eben diesen die bürgerliche Gerechtigkeit zuer­ kennt, schreibt sie ihnen in gewissem S in n e (certo modo et sensu) eine sittliche Thätigkeit zu, und Werke der H eiden, wo sie einen an sich löblichen I n h a l t haben (quoad substantiam actu s), werden gleichfalls nicht S ün den in Bausch und B ogen heißen d ü rfen ?) Also noch nicht hier sondern erst d a , wo der religiöse Z ug und das tiefere H eilsverlangen den natürlichen Menschen über die niedere S p h ä re einiger löblichen H andlungen erheben soll, wird seine Schwäche zu gänzlicher Ohnm acht. Ferner bei einigen höchst spitzfindigen christologischen E inw ürfen läß t sich M u s ä u s keine engere Schranke W ittenbergischer Satzungen gefallen, als welche die Annahme der Jdiom enlehre und der Concordiensorm el fo r­ d e rte ? ) W ir erwähnen jedoch nur noch E inen Punkt der „ a u s ­ führlichen E rkläru ng ." R e i n h a r d macht dem M u s ä u s zum V o rw u rf, daß er wie C a l i r t gegen eine unio mystica eingenom­ men sei, also von einer möglichen und eigenthümlichen Annäherung ') Ausführliche Erklärung S . 310. v) Ebendas. S . 333. 335. Alias enim obedire parentibus, magistratui, continere manus a caede, a furto, abstinere ab adulterio, linguam continere a calumnia, a falso testimonio etc., peccata cssent, quod ab­ surdum. ') Ebendas. Qnaest. 53. 55. De praedicationibus formalibus et per communicationem. De intercessione Christi jam in statu exaltationis.

®{V göttlichen S ubstanz an die der Gottseligen nicht geredet wissen wolle, weil dergleichen Vorstellungen in W eigelianism us und schwärmerische Selbstüberhebung au sarten . H ierau f giebt der G e­ sa g te treffenden historischen B escheid.') Je n e w underbare E in ­ wohnung G ottes in den G läubigen bildet d as zweite Glied unter den vier Arten göttlicher inweltlicher W irksamkeit (operatio gene­ ralis, g r a tio s a in fidelibus, gloriosa und keQcxtöqrjais in Komme Christo), ist aber von den Lutheranern selber verschieden besamt worden. I s t sie n u r ein allgem eines Zugegensein des göttlichen Wesens (adessentia subslantiae divinae), d as sich bei den qeubeseelten von G nade und G lauben erfüllten Christen mit tiefer dringenden unbeschreiblichen W i r k u n g e n verbindet, oder soll sie wirklich als A nnäherung der göttlichen Substanz selber an den Menschen vorgestellt w erden? G e r h a r d antw ortete d arauf nicht bestimmt, neigt sich jedoch zu der ersteren M einung. Andere wie T h u m m i u s und M e n t z e r " ) äußern Bedenken gegen die zw eite; auch ist die B ezeichnung: appropinquatio substantiae divinae oder propinquitas Dei specialis ab illa generali vere distincta, früher ganz ungew öhnlich, erst durch F e u e r b o r n 1625 aufgebracht w orden?) W ährend nun die chursächsischen Theologen sich nach­ her dieser stärkeren Ausdrucksweise anschlossen, sind die Jenenser stets bei der schwächeren stehen geblieben, haben also die mystische Einigung n u r au s der A r t und T h ä t i g k e i t der göttlichen G egen­ w art hergeleitet, statt sie a ls eine Herablassung oder Anschließung des göttlichen W esens an das creatürliche anzusehn?) B ei dieser ') Ebendas. S . 601 ff. Vgl. über die unio mystica Bd. I, S . 368. *) Thummius, TaniivoiaiyQcasCa sacra, 1623. p. 180. B. Mentzeri Responsio ad epist. Thummii in Opp. II, p. 1284. $) Feuerborn, De praesentia Dei gratiosa, in Disputatt. Marburg, tom. V,

P. 341. 4) Ausführliche Erklärung S . 613. „ S o bestehet nun nach Mentzerö M ei­ nung der M odus praesentiae divinae nicht in peculiari approximatione essentiae divinae ad essentiam creaturarum, — sondern in actione sive operatione cuique propria. Welche auch unseres seligen Gerhardi, unsere imb anderer Theologorum beständige M einung und Erklärung ist und jederzeit gewesen ist." S . 623. „D avon aber ist die Frage zu unterscheiden, ob denn die unio arctior bestehe in pro-

Drittes Buch.

206

Dritter Abschnitt.

Sachlage, schließt M u s ä u s , wäre es falsche Nachgiebigkeit, w oll­ ten w ir um Einigen zu gefallen von einer uns zusagenden dog­ matischen

Bezeichnung

ablassen.

M u s ä u s ist nicht ohne Interesse.

Und

diese

Erwiderung

des

D ie unio mystica bildet einen

der individuellsten Züge des Lutherischen System s; und dennoch wurde selbst stier keine gleichlautende Formel erzielt, sondern neben der stark gefärbten auch eine freiere und gemäßigte Erklärung in der Schulsprache fortgefüstrt. S o w eit diese Verantw ortung des M u s ä u s und seines Anstangs, die sich zugleich als gerechte M ilderung und M etakritik der wider den Synkretismus erstobenen Anklagen und D äm pfung eines selbstsüchtigen styperortstodoren Parteieifers zu erkennen giebt und so gewirkt stat.

Allein M u s ä u s wollte kein Synkretist sein noch

seine Sache m it der der Neuerer vermischen.

Wichtiger als die

gelehrten Einzelheiten ist sein allgemeines U rtheil über die ver­ suchte kirchliche Erweiterung, w eil es in der inneren Dialektik der hier gegen einander sich entwickelnden Standpunkte und Grundsätze seine gute Stelle hat. W ir erinnern uns, daß Ca l i r t von der Feststellung des christ­ lich-katholischen und nothwendigen Glaubens ziemlich rasch auf dasjenige überzugehen pflegte, was mehr oder minder, w eil es nur Unterschiede des Grades darstellt, auch weiteren Untersuchungen und vielleicht Verbesserungen zu Gunsten des Friedens sich fügen müsse, sowie daß in seinem Gebrauch der Namen Toleranz und kirchlicher Friede etwas Unbestimmtes zurückblieb.

Die Feinde

antworteten ihm m it erneuter Sanction der gesammten kirchlichen Lehrorthodorie

ohne Abzug

und O pfer.

S ollte

nicht zwischen

jener Erweichung und dieser erclusiven Verhärtung ein D rittes

pinquitato substantiali vpl essentiali cssentiac divinae majori et intimiori, oder in operationc cum propin quitate substantiali conjuncta, arctius sanctos Deo devinciente. Hier sagen w ir, .die arctior unio bestehe darin, das Deus secundum substantiam suam in sanctis praesens solche Wirkungen in sanctis hat, wodurch ihre Hertzen in Heiligkeit und Gerechtigkeit Gotteö Ebenbild — gleich­ förm ig gemacht, zu G ott geneiget und so m it G ott verbunden werden, das sie ihme im Glauben und Liebe anhangen und G ott sie hinwieder liebet.«

Allgemeines Urtbeil des MuslluS.

207

stehen? M u s ä u s , indem er sich absichtlich mehr gegen P a r e u s „nb die R eform irten a ls gegen C a l i r t wendet, verfährt nach seiner G ew ohnheit besonnen theilend. E s giebt einen unm ittel­ baren G lau b en sg ru n d , m it welchem d as Christenthum steht und fällt, ohne den der G lau be in keinem Erwachsenen D asein h a t; es ist das Bekenntniß Christi und seiner S en d u n g , ausgenommen in das apostolische S y m b o l, weiter entwickelt durch die nachfol­ genden kirchlichen Vorschriften. Allein der I n h a lt dieses Bekennt­ nisses, anfangs unverm ittelt (incomplexum) w ird sofort ein V er­ mitteltes (com plexum ) , indem er sich zur Lehre au sb ild et; das substantielle Fundam ent geht alsb ald in das dogmatische über, legt sich in Artikeln au sein an d er, die mit dem schlechthin Fundam en­ talen untrennbar zusam m enhängen, gewinnt Um fang und innere Folgerichtigkeit, bis diejenige G estalt erreicht ist, der sich eine kirch­ liche Gem einschaft, überzeugt von deren biblischer Richtigkeit, an ­ geschlossen h a t.') M ag im m erhin fü r den religiösen N othbedarf des Einzelnen und fü r die Hoffnung des H eils schon durch ein Bekenntniß im S in n e des S yn kretism us gesorgt sein, die Kirche darf nicht dabei stehen bleiben. D enn sie, die M u tter der G lä u ­ bigen, hat fü r deren Erziehung und Unterricht zu sorgen, sott daher d as ihr anvertraute Lehrganze dergestalt in seiner V oll­ ständigkeit bew ahren, daß kein direct oder indirekt wesentliches Stück fremden oder irreleitenden Einflüssen ausgesetzt, kein noch vorhandener Gegensatz einer von Außen her sich darbietenden immer bedenklichen Uebereinkunft geopfert w ird-?) Eben diese *) Musaei Quaestt. de Syncret. p. 25. Quamvis enim Christus, ita absolute loquendo, sit aliquid incomplexum, doctrina autem de Christo, quae certis constat propositionibus, aliquid complexum, tarnen Christus ut praedicatus et in literas relatus itidem est complexum quid, nempe diversa praedicata, quae in eo continentur et quorum alia ad ejus personam alia ad ejus officium spectant, per praedicationem et scripturas non alit.er proponunquam complexe per diversas enunciationes sive propositiones etc. 2) Ibid. p. 37. Est enim ecclesiae velut matris fidelium, ut pariat Deo filios, ut natos in fide educet, ut lactis potu infantes, ut solidiori cibo nutriat adultos, ut dubitantes confirmet, afflictos et tentatos erigat, ut e eomno peccati excitet et ad poenitentiam perducat securos, ut deflectentes

Pflicht der Ueberwachung w ürbe die Lutherische Kirche versäumen, wollte sie den R eform irten die H and reichen; sie müßte alsdann über M anches hinwegsehen, w as wenn nicht an sich nothwendig, doch zur E rhaltung des Lehrbestandes und Anleitung der U nm ün­ digen in der w ahren G laubenserkenntniß nicht wohl entbehrt werden kann, wie über den S atz von der Allgemeinheit des göttlichen Rathschluffes der E rlösung. M u s ä u s leugnet demgemäß so wenig a ls C a l i r t die r e l i g i ö s e Hinlänglichkeit eines gleichsam elemen­ taren Christenthums in der persönlichen Hingebung an Christus den G ottessohn; er leugnet nur daß sich die kirchliche G em ein­ schaft in ihrem V erhältniß zu anderen Gemeinschaften au f diesen S tandpunkt oder auch n u r auf den der antiken T rad itio n zurück­ ziehen dürfe, und m it einer geschickten W endung zieht er die Frage von dem christlich-religiösen G ebiet au f das der getrennten Kirchen­ parteien von besonderer S tellu n g und Aufgabe hinüber. Eigen ist ihm dabei die wohl bemessene Annahme einer konservativen kirchlichen Aufsicht und Unterrichtspflege, der es obliegt, um des G anzen willen auch das Einzelne und S ekundäre zu schonen, ohne überall H eil und S eligkeit gefährdet zu glauben. Wie M u s ä u s anderw eitig auseinander gesetzt hatte, daß d as V er­ hältniß der einzelnen Kirche zu der absoluten Id e e der Christen­ heit überwiegend von dein in ihr geltenden öffentlichen Lehr­ charakter abhänge: so wendet er die F orderung einer reinen Lehrverw altung hier g e g e n jede Uebereinkunft, sofern sie irgend­ wie von dem eingeschlagenen W ege christlicher Erkenntniß ablenkt.') in salntis viam reducat, ut in eadem conscrvet omnes; ad quae munia obeunda non iis tan tum indiget partibus doctrinae, quae simplicioribus et qui vel ingenio vel informatione deficiente ad caeterarum intelligentiam pertingere non possunt, necessariae sunt, sed doctrina christiana universa. — — Non de eo jam dicemus, an hae in controversiam vocatac partes doctrinae omnibus simpliciter ad salutem creditu necessaria sint, illud certum est, ecclesiae esse uecessarias praedictas doctrinas ad aedificationem corporis Christi. Conf. p. 45. 57.

*) Ibid. p. 162. "Es hat Gott feiner Kirche als einer geistlichen Mutter aller gläubigen Kinder Gottes nicht nur diejenigen Hauptartikul der christlichen wahren Lehre, die einem jeden einfältigen für sich zu gläuben nöthig sind und

d e r S ynkretism us fällt also, sowohl der zerstörende oder absorptiv e ,'a ls auch der bloß verwischende und tem perative, so lange so wichtige und fundam entale Sonderartikel wie die von der Anode und E rw äh lu ng berührt und die V ertheidigung des Rechten wie die W iderlegung des Irrig e n vielfach hemmt. D ie V erw er­ fung desselben hindert durchaus nicht, auch innerhalb der andern Kirchen w ahre G läubige anzunehm en, m it denen w ir u n s auch ohne synkretistische T oleranz im tiefsten G runde einig w issen.') W as unvermeidlich ist an dergleichen V erträgen oder P acificationen, kann ohnehin füglich au f politischem W ege zu S ta n d e kommen. — Dieser allgem eine Grundsatz begleitet M u s ä u s durch alle einzelnen E rw äg un gen , auch wo er den maaßlosen Z elotismus der W ittenberger tadelnd dem C a l i r t Zugeständnisse macht. Er räu m t willig ein, daß der Letztere unter seinem sekundären Princip des consensus antiquitatis etw as Anderes und Besseres verstanden habe a ls die P äp stler unter ihrer T ra d itio n , da er dasselbe ja der h. Schrift nicht zur S eite stellt, sondern ausdrück­ lich auf sie gründet, und solle dam it nur x « t av&qunov ein Gesetz der Wahrscheinlichkeit gemeint sein : so möge es hingehn bei dem hohen Anspruch, den die Kirchenväter au f katholische W ürde haben, und es sei kein G ru n d , um den bloßen Kunstausdruck principium sccundarium weiter zu hadern. Ebenso soll die S treitfrag e über die guten Werke sachlich gefaßt und von dem Antheil des W o rt»hne deren Wissenschaft und Beisall der wahre G laube nicht kann in ihnen ent­ zündet oder erhalten werden, sondern die ganze christliche G laubens- und LebensLehre wie auch die heiligen S acram enta anvertrauet, dieselbe rein und uuver sälschet zu erhalten, zu bewahre», wieder alle verführerische Geister zu verthei­ digen u. s. w.« — — »alle A rtikuln, welche getreue» Lehren« und Predigern Nöthig find, andere zur Seligkeit zu unterweise». Solcherlei Lehrstücke aber betreffen die meisten zwischen unserer und der Päpstlichen Kirche und zwischen unserer und der Resormirteu und Calvinischcn Kirchen enthaltene S treitig ­ keiten.« ') S . 1 6 8 ff. 1 4 0 .1 7 1 .7 2 . »Die Hauptfrage aber und der ganze S tre it ist de ccclesiis Politisiern et Calvinianis illarumque membrid f o r m a lit e r r a t io n e d ü c tr in a e p u b l i c a c , quam et doctores in conventibu.s publicis illarum confessiouibu» publicis conformiter docent et auditores iisdem conformiter ctedunt vel saltem credere praesumuntur, consideratis.« aiesch. d. Protest. Dogmatik II.

210

Drittes Buch. Dritter Abschnitt.

gezänks befreit werden. S in n und V erständniß entscheiden allein über die E rlaudtheit einer Form el. D ie Werke sollen nach des C a l i r t u n d H o r n e j u s B ehauptung zur endlichen E rlang un g des höchsten G u tes durchaus mitbedingend sein, ohne wirklich sie zu verursachen oder nach A rt eines Verdienstes zu begründen. Dieser S atz ver­ schuldet noch keine falsche Consequenz, m an braucht deshalb nicht mißverständlich d as necessarium ad alterum in ein necessarium ad c o n s e q u e n d u m alterum zu verw andeln, so wie ja auch die andere gewöhnliche E rklärung an der M ißdeutung keinen Antheil haben w ill, als ob auf dem W ege deö Menschen zum Z iel den Werken überhaupt keine S telle gebühre. D ie kirchliche Sprache vermeidet streng den ersteren und hält sich an den zweiten nur G lauben und S eligkeit mit dem B an d Nothwendigkeit ver­ knüpfenden Ausdruck. W aru m dies? O ffenbar in Anbetracht früherer kirchlicher Verhältnisse, da die Concordiensormel dam als dem In te rim gegenüber au f ihrem P rin cip um so schärfer be­ harren und jeden Schein einer für katholische O h ren wohlgefälli­ gen M ilderung vermeiden mußte. U ns aber könnten die verän­ derten Umstände daS Entgegengesetzte rath en , denn wahrlich der jetzigen Kirche, ■— m an bemerke d as freim üthige Zeugniß des M u s ä u s , — machen nicht m ehr die W erkheiligen S o rg e, sondern die V ielen, die sich über die F rage nach dem W erth des sittlichen T h u n s oder Lassens m it Frevelm uth hinwegsetzen. Folglich würden w ir G rund haben, die zeitgemäße dogmatische Fassung eines H o r n e j u s und C a l i r t vorzuziehn, wenn nicht, — und hiermit lenkt der Unbefangene wieder ein, — Abweichungen von der sym­ bolischen Vorschrift innerhalb des kirchlichen G ebiets der Concordienformel immer ihre starken Bedenken und Übeln Folgen h ä tte n .') Unverfänglich lassen sich auch andere Aufstellungen der H elm städter verstehen, wie die Ansicht, daß die Lehre von der Eristenz G ottes, weil der V ernunft zugänglich, darum nicht eigent­ licher G laubensartikel sei, die Annahme übernatürlicher Erkenntniß ’) Herrn D . M usaei Bedenken über der unlängst entstandenen ControverS, ob gute Werke nöthig sein zur Seligkeit I m Jahr 1650.

Welche B ed eu tung

bat Der

S ta n d p u n k t des M n f ä n S ?

211

,« d Ausstattung im ersten noch unschuldigen Menschen, die Aeußerung L a l i r t ' s , daß nicht Reue und Glaube gemeinschaftlich, sondern hrr letztere allein die Form der Bekehrung ausmache, worüber zu streiten auf bloße Logomachie hinausläuft, — die nur gelegent­ liche Bemerkung des H o r n e j u s , nach welcher Sündenvergebung „nb Heiligung zu verbinden sind, w eil die Rechtfertigung Beides in sich begreife.

D as sind Urtheile theologischer M äßigung und

Unbefangenheit; doch über denselben steht das allgemeine Regu­ lativ, das nur solche Milderungen wirklich gestattet, die das sym­ bolische Gepräge des orthodoren Lutherthums nicht antasten.') Indem w ir uns diesen Standpunkt vergegenwärtigen, sehen w ir leicht, wie beruhigend und befriedigend derselbe auf Viele unter den Betheiligten wirken mußte.

Nunmehr hatten sich also drei

chevlogische Schulen neben einander ausgesprochen, deren jede ih r Recht und Dasein bis auf die kirchliche Wurzel des Lutherthums zurückführte,

und was sie von einander unterschied, dürfen w ir

kürzlich durch die Namen einer f o rt s c h r e i t e n d e n oder reinigen­ den, einer s ta b i l en und einer bloß k o n s e r v a t i v e n Richtung be­ zeichnen.

F ü r die letztere oder die Schule des M u s ä u s ist von

«eueren Schriftstellern nommen worden.

wie H . S c h m id

entschieden Partei

ge­

W ir unsererseits rühmen die edle Gesinnung

des Genannten, ohne seinem Standpunkt beizutreten.

Unstreitig

hat die einzelne Kirche im Bewußsein ihrer Eigenthümlichkeit und ihres B e rufs auch Pflichten der Selbsterhaltung,

und indem sie

ihr Erworbenes durch Ueberlieferung und Unterricht fortpflanzt, geht sie nothwendig über den bloß persönlichen religiösen B edarf ihrer Angehörigen und über die M itthe ilu n g eines streitlosen Ele­ mentarglaubens hinaus.

S ie w ill nicht allein das unbedingt Noth­

wendige, sondern auch das Heilsame und das ihrem Wesen Ent') F ü r den gem äßigten S ta n d p u n k t ist noch zu vergleichen: lichen hochgelährten

und

ungeänderten A ugsb. Bedenken über die

nm

die Gem eine

(Konfession

G o ttes

bescheidenes nnvorgreislicheS

u n ter etlichen fürnehm en Chursächsischen

Theologen entstandene S trittig k e ite n .

E in es

christ­

w ohlverdienten Lehrers der

Gedruckt im I .

1662.

ist S a l . GlassinS. C o n f. W a lc h , B ib i, th e o l. I I , 6 9 4 . 9 5 .

und

gründliches

und Helmstättischen —

D e r Verfasser

212

Dritte» Buch. Dritter Abschnitt.

sprechende lehren. D a s hat M u s ä u s richtig erkannt und würdig ausgesprochen. Allein es bleibt nicht bei diesem rein conservativen V e rh ä ltn iß imb w ar schon längst nicht dabei geblieben. D ie Pflicht der E rhaltung w ird zum bloßen T r i e b e , wie ihn auch die Secte in sich trä g t; der T rieb aber dient der abschließenden Selbstgenüg­ samkeit, wenn er durch keine innere P rü fu n g mehr geläutert und geleitet w ird. D ie Kirche, von der M u s ä u s sagt, daß sie die ihr anvertrauten S eelen durch treue Unterweisung zu pflegen habe, ist n u r dann zu dieser mütterlichen S tellung berechtigt, wenn sie sich m it hem Geiste der Gemeinschaft in Wechselwirkung erhält, nicht ab er, wenn sie, wie hier geschehen, eben n u r Kirche, nur herrschende Lehrmeisterin sein und das Em pfangene statutarisch über­ liefern w ill. Und au s dem umfassenderen Geiste der Gemeinschaft, au f dem breiteren B oden resormatorischer Erinnerungen ist das von M u s ä u s bestrittene synkretistische S treben erwachsen, sowie es durch kirchliche Besinnung und wissenschaftliche P rü fu n g seine G estalt empfing. Auch M u s ä u s betrachtet die Kirche n u r als leitendes Lehram t, welches dafür zu sorgen habe, daß der gegebene I n h a lt durch keine fremden Einflüsse verunreinigt werde. Auch er behandelt den C alv in ism u s wie den R o m an ism u s und läß t selbst zu jenem kein anderes V erhältniß a ls das der Apologetik und Polem ik übrig. W enn er m it seiner Kritik nicht über die Schranken der Concordienform el vordringt, wenn er überhaupt die symbo­ lische Gebundenheit wie eine einfache unabänderliche Thatsache hinnim m t, welche über die w ahre G estalt des christlichen G laubens im Gegensatz zu anderen Auffassungen entschieden h ab e: so tritt er au f die S e ite eines C a lo v und H ü l s e m a n n hinüber. S ein Verdienst aber finden w ir darin, daß er innerhalb dieses P rin cip s von dem sittlichen und berechtigten Gesichtspunkt ausging und daß er treue Anhänglichkeit und gesunden kernigen S in n an die S telle eines krankhaft wuchernden kirchlichen E g o ism u s setzte. IV. S c h l u ß b e m e r k u n g e n . I n der letzten Nebeneinanderstellung der kirchlichen S ta n d ­ punkte ist zw ar unser eigenes Urtheil über die ganze Streitigkeit

schon im

Ganzen enthalten gewesen.

Aber w ir

dürfen diesen

Abschnitt nicht beschließen ohne den Versuch, die Haupterscheinung pes Synkretismus nochmals zu überblicken und nach Wesen und Werth zu würdigen. fassender Absätze.')

W ir bedienen uns dazu kurzer zusammen­

1. G e o r g

steht als Theologe ersten Ranges

seiner Z e it,

ja

C a lirt

in

überhaupt in der protestantischen Literatur da.

Aus seiner Wissenschaft und Gesinnung entwickelte sich auch sein kirchliches Streben, und jene sollten sich in diesem bewähren; aber nicht so daß er nur studirt mtb gearbeitet hätte, um EinigungsVersuche zu machen.

Nach unserer obigen Unterscheidung gehört

er durchaus zu den scharfen und

productiven Unionisten.

Er

förderte, besserte, bereicherte daher auch an Stellen, die weniger vom Confessionsstreit berührt werden.

Gerade dies, was ihn zum

Neuerer machte und den Gegnern die Verurtheilung erleichterte, erhebt ihn über seine Vorgänger und Anhänger.

Denn es hat sich

in späteren Zeiten ergeben, liegt auch in der N atur der Sache, daß die Hoffnung auf Annäherung der Confessionen dadurch wächst, daß die Kirchen auch in anderen Punkten an die Vergänglichkeit überlieferter Lehrformen gemahnt werden. 2.

A ls Theologe

hat

seiner Wissenschaft erhöht. Umschau des M a te ria ls

C a lirt

den B e ru f und das Recht

Dies geschah theils durch großartige und

der gesammten historischen E n t­

wickelung deS Christenthums, theils durch Erweiterung der Schran­ ken, innerhalb deren die Forschung sich ungehindert bewegen darf. Wenn er also den S in n

der

biblischen In sp ira tio n

milderte,

die Auctorität der symbolischen Normen auf das Sachliche be­ schränkte, die Unhaltbarkeit der dogmatischen Beweisführung in einzelnen Fragen nachwies, wenn er überhaupt so mancher An­ nahme und Satzung widerstand, die sich ihm bei schärferer P rü ­ fung als u n triftig oder doch als formelhaft und künstlich heraus­ stellte: so waren

')

V g l.

S . 163 ff.

das reine Fortschritte protestantischer Freiheit.

Baues Abhandlung in

den Zellcrschcn Jahrbüchern,

Bd. V I I ,

214

Drittes Buch

Dritter Abschnitt.

D ie Theologie d arf sich m ündiger fühlen, sie hat mehr zu thun, a ls Vorgeschriebenes zu wiederholen und zu vertheidigen. Auch im G lauben an die O ffenbarung d arf sie die H ülfsleistung der Philosophie annehmen und ein erreichbares M a a ß innerer Klarheit und Vernünftigkeit erstreben. 3. M it dieser erhöhten Wissenschaftlichkeit m uß sich nach C a l i r t 's innigster Ueberzeugung sittlich-praktische Fruchtbarkeit verbinden. D e r j e n i g e verkennt das W esen des Christenthum s, der in dessen E rklärung die unbedingte Nothwendigkeit sittlicher LebensHeiligung übersieht oder unterschätzt; er entblößt und isolirt den G lau b en , statt ihn durch Versetzung au f jenes G ebiet erst voll­ ständig lebendig werden und sich bewähren zu lassen. B e i der V ertheidigung dieses Grundsatzes faßte C a l i r t zw ar den G lauben weniger ideal, a ls es die Lutherische Lehre von H auS au s gewollt h atte ; aber er faßte ihn so, wie er ihm von seinem Zeitalter thatsächlich vorgehalten w urde. D ie s e r G laube verdiente und forderte E rgänzung. 4. D er christliche G laube w ird vom S tandpunkt einer be­ stimmten Kirche gelehrt. B ei solcher D arstellung kann d as B e ­ sondere und Confessionelle a ls Höchstes und Letztes emporgehoben, es kann aber auch innerhalb der Confession wieder d as Allgemeine und Christliche zur Hauptsache gemacht werden. D a s E ine entzweit und verfeindet die Kirchen bis zu gegenseitiger V erdam m ung, d as Andere, bringt sie einander näher, und der dam alige Zustand der Christen­ heit macht das letztere V erfahren zur Pflicht. Zunächst bezweckte C a l i r t nur Frieden und V ersöhnung, die aber die Brücke werden sollte zu wirklicher E inigung. W enn Lutheraner und Neform irte sich aussöhnen, müssen die Ersteren E tw as opfern, in den H au p t­ fragen aber nur die Erclusivität ihres U rtheils, nicht dieses selber aufgeben. D ie katholische Kirche, obwohl in einzelnen Lehrstücken vergleichbar, wird durch ihr hierarchisches P rin cip unzugänglich gemacht. 5. B is hierher hat C a l i r t unseres Erachtens d as Recht auf seiner S eite. Um nun die G rundlage des N othwendigen, G em ein­ samen und Christlichen bestimmter zu umschreiben, dazu diente die

Mckweisung au f die alte Kirche, das H ülfsprincip der T radition „ob der Uebereinstimmung der Kirchenväter. Auch in diesem P unkt H die tiefere In te n tio n unseres Theologen anzuerkennen. D enn aef die G rundlage der alten katholischen Kirche wollte er darum ^rückversetzen, dam it die Consessionen über ihre gegenwärtigen Differenzen unbefangen verhandeln könnten, ohne Furcht des fun ­ damental Christlichen dabei verlustig zu gehen. Unter der T r a ­ dition aber verstand er der Id e e nach nichts A nderes a ls ch rist­ liche u n d k irc h lic h e G e s i n n u n g , und eben weil eine solche Tradition n ur E iniges schlechthin firirt, Anderes in stößiger B e ­ wegung erh ält, schien sie ihm ein edleres Gegenstück darzubieten zu der m odernen symbolischen Consessivn, in welcher von einer rechthaberischen O rthodorie A lles zum Abschluß gebracht und Alles gleich w erth geachtet w ir d ; er wollte also von dem Charakter der einen au f den der andern hinüberleiten. I m religiösen und geisti­ gen S in n hat er also d as Richtige vor Augen gehabt. Und so wenig die strengen Confessionalisten m it ihrer N orm der symbo­ lischen B ücher dem Ansehen der h. S ch rift hatten zu nahe treten « o llen : eben so wenig w ar es irgend seine Absicht, durch den T r a ­ ditionskanon daS Schriftprincip zu beeinträchtigen?) D agegen m ateriell und dogmatisch angesehen hat sich C a l i r t , das ist hoffent­ lich gezeigt w orden, allerdings der A uctorität der alten Kirche zu sehr hingegeben und ist dadurch von der verhältnißm äßigen Schätzung der neueren Glaubensrichtungen abgelenkt w orden. Z w ar machte er Anstalt, auch dem consensus Reformalorum nachzugehen und d a­ durch d as entstandene Uebergewicht auszugleichen; im G anzen aber beherrschte ihn die Vorliebe fü r die alte T rad itio n , und diese erweckte den gegründeten Verdacht, a ls ob es nur d arauf ankomme, das alte D ogm a von der T rin ität und M enschwerdung Christi unverkürzt zu bew ahren, und a ls ob d as U rtheil über die Wichtigkeit einer Glaubensbestim m ung nur von dem Grundsatz der Unterscheidung des Alten und Neuen auszugehen habe. D ie weitere Fortsetzung ’) Hiernach ist, was ich in meiner S chrift: teeret Calixt rc. S . 133 ge­ sagt, zu berichtigen.

Drittes Buch.

216

Dritter Abschnitt.

desselben V erfahrens hätte den Schwerpunkt Lehrbegriffs

verrückt.

Diese

des protestantisch^

katholisirende Neigung

hat

seinem

Unternehmen geschadet und mußte ihm schaden, um so m ehr, ba C a lirt

nur

von Wenigen richtig

W enige seine H a ltu n g Nachfolger

aber

die

verstanden w urde,

und Besonnenheit gleichen Grundsätze

besaßen, maaßloser

da nur

S chüler und gehandhabt

haben würden. 6. I m R esultat ist der S ynkretism us an der Uebermacht der Confessionen, denen G o tt eine vie l langsamere Fortentwicklung be. schieden hatte, gescheitert.

Dagegen pflanzt sich in ihm ein unver­

lie rb a re r Z u g protestantischen Wesens und Bewußtseins, ein stetiges inneres Förderungsm ittel fo rt.

C a lir t

selbst ist nach H a s e 's be­

kanntem Ausspruch „ f ü r die Theologie fast spurlos, aber w ie eine Weissagung vorübergegangen;" indeß hinterließ er doch leise W ir ­ kungen, die deutlicher erkennbar sein w ü rd e n , wenn sie nicht von der nächsten Geistesbewegung aufgenommen w ären. 7.

D ie ganze Unionsrichtung dieser Z e it hat endlich durch

die verschiedenen Friedensgespräche ein halten.

urkundliches Dasein er­

E s ist überwiegend w a h r, daß diese C olloquien w ie das

Leipziger und das Kasseler sich a u f die Augsburgische Confession a ls gemeinsame G rundlage gestützt haben, w ie w o h l daneben doch auch andere Urkunden w ie die variata oder die Confessio Saxonica m it Recht geltend gemacht w urden.

Betrachtet man diese Gespräche

fü r sich: so erscheinen sie mehr a ls Vergleiche über ein schon vor­ handenes Bekenntniß, welches durch verschiedene Auslegung von beiden Theilen angeeignet werden solle.

V erbindet man sie h in ­

gegen m it der umgebenden L ite ra tu r des S y n k re tis m u s : so stellen sie ein Werdendes, U nfertiges, sich Entwickelndes vo r Augen, welches erst allmählich und nach wiederholten Versuchen zu der befriedigen­ den F o rm kirchlicher E in ig u n g hinführen kann.

V iertes Buch.

Die Schulbildungen der reformirten Theologie.

Erster Abschnitt. Die

niederländischen

Schulen.

I. C a r te s ia n e r . Ü )ie Entwickelung der reformirten Theologie haben wir an einer S telle verlassen, wo die Alleinherrschaft der strengen Scho­ lastik durch das Auftreten eigenthümlicher Schulbildungen geschwächt werden sollte. D as überlieferte Demonstrationsverfahren hatte in B o r tiu s seinen Höhepunkt erreicht, konnte sich aber in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts nur unter dem lebhaften Gegenstreben gewisser Veränderungen theils der dogmatischen Form theils wohl auch des In h a lts aufrecht erhalten. Edle geistige Kräfte und au s­ gezeichnete Leistungen stellten sich dem bisherigen D ogm atism us bald zur Seite bald entschieden gegenüber, und indem dieser ob­ zusiegen glaubte, ist er doch zu der alten Sprödigkeit nicht auf die D auer zurückgekehrt. D ie Streitigkeiten der C a r t e s i a n e r und C o c c e ja n e r halten uns auf dem Boden der niederländischen Kirche fest; die Schule von S a u m u r versetzt uns nach Frankreich and dann in die Schweiz, von wo die Reaction zu Gunsten der Lehrstrenge ausgehen sollte. Abermals eröffnet sich eine ungemein reiche in ihrer Vollständigkeit kaum übersehbare Literatur, die sich aber vielfach in rein örtliche und persönliche Interessen verliert. Auch hier begegnen uns häufige Einmischungen der öffentlichen G ew alt in den G ang der gelehrten Fehde, und sie sind von der Art, wie es der politisch-kirchliche Zustand und die Verfassung der behelligten Länder m it sich brachte. Wollte man diese Berwick-

220

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Kungelt von der Geschichte des lutherischen S yn kretism us dadurch unterscheide», daß jene ein sittlich reineres G epräge gehabt hätten a ls der Kam pf gegen diesen letzteren: so darf nach unserer M ei­ nung dieser Unterschied n u r au f die französische B ew egung be­ zogen w erden; in den N iederlanden ist ziemlich derselbe G rad unedler Leidenschaft und heftigen E ifers wie im Lutherthum auf­ geboten w orden. Zugleich aber stellt sich ein anderes V erhältniß h erau s. D ie Lutherische Kirche litt bisher unter dem gewaltigen Wechseldrang nach Außen und in sich selber zurück; die reform irte kennen w ir bereits a ls weniger von dem Gesetz der Zusam m en­ ziehung und A usdehnung beherrscht und geneigter sich in sich selbst zu gliedern und in verschiedene Behandlungsw eisen ihres In h a lts auseinander zu gehn. Auch jetzt handelt es sich au f ihrem Felde nicht gerade um S yn kretism us und Confessio», um V errath oder B ew ah ru n g des Bekenntnisses, sondern um Anwendung religiöser und theologischer Grundsätze überhaupt. W enigstens gilt es von z w e ie n der genannten B ew egungen, daß sie nicht vorherrschend unter den kirchlichen Gesichtspunkt fallen und demnach auch keine eigentlich konfessionelle S p a ltu n g hervorgerufen haben. S ie halten sich im Charakter der Schule und benutzen dabei die reform irte Eigenthümlichkeit: der k irc h lic h e G eist, der sie bekämpft, ist von allgemeineren positiven und theologischen Voraussetzungen geleitet. E s ist eine denkwürdige Erscheinung, daß mitten im Z eitalter der A uctorität ein philosophisches P rincip aufgestellt wurde, welches alles äußere Ansehen wegzuwerfen schien, und mitten in der H err­ schaft des strengsten dem onstrativen F o rm alism u s eine Denklehre erwuchs, die nicht durch Kunst der Dialektik und M ethode wirken wollte. D ie Sehnsucht nach einem reinen und unzweifelhaften A usgangspunkt des Denkens drängte au s den Schranken der nächsten philosophischen Ueberlieferung h eraus, und die E rm üdung an trüglichen obwohl kunstgerechten R egeln ließ B efriedigung finden in einer einfachen und methodisch unentwickelten aber durchgreifenden Erkenntnißtheorie. D ie frische Zuversicht, m it der dieses P rincip ausgesprochen w urde, gab ihm den W erth und die W irkung der N euheit ungeachtet der vielen Zeugnisse und Anklänge, welche es

Cartesius itttb fein ^erhSltniß

511

Spinoza.

gus früheren Zeitaltern hätte fü r sich aufrufen können.

221 Aber diese

Philosophie stellte auch kühnere Forderungen an die Spitze als chr weiterer systematischer In h a lt erheischte. Denn wie C a r te s iu s in seinem äußeren Verhalte» den bestehenden kirchlichen V e rh ä lt­ nissen ohne Weigerung sich fügte: so ging auch seine Lehre von freien Ansprüchen der K ritik und des Vernunstrechts zu schonender Anschließung an die herrschenden religiösen Ueberzeugungen über. So unumwunden auch gegen Vorurtheile und Sinnentäuschungen daö allseitige Recht des Zw eifels von ihm behauptet w ird :

so

w ill er doch keineswegs alle Kenntniß göttlicher Dinge aus der Idee schöpfen.

Tiefere Aufschlüsse zu geben, genauere Erklärungen

hinzuzufügen, soll der Offenbarung unbenommen sein, und m it der Wahrheit der Vernunfterkenntniß Schranke anerkannt.

w ird

thatsächlich auch deren

Schon dadurch befestigt sich ein beträchtlicher

Abstand zwischen D e s c a r te s

und S p in o z a , der doch übrigens

so sichtlich an die Begriffe seines Vorgängers anknüpft. während die Speculation

Denn

des Letzteren alles theoretische Wissen

von G ott und der W elt selbständig aus sich produciren w ill und damit die Offenbarung verdrängt, sofern sie sich über das Gebiet de- sittlichen Gehorsams und der praktischen Frömmigkeit hinaus­ wagt: hat zwar D e s c a r te s eine ähnliche Theilung vor Augen, die er aber weit bescheidener anwendet, so daß die Möglichkeit, sich seiner Philosophie wie einer vernünftigen Unterlage oder V o r­ stufe der Offenbarung zu bedienen, noch nicht aufgehoben w ird. Darum erhielt der Eine eine Stellung in der Kirche und Theo­ logie, während der Andere als Feind verstoßen wurde. D er S tre it des C a r te s iu s m it V o e t iu s ist schon früher besprochen w orde n .')

Erinnern

w ir nochmals

kürzlich an die

Lehrsätze des C a r te s iu s , soweit sie das theologische Gebiet be­ rühren?)

Grundlegend bleibt die Theilung alles Seins nach den

beiden Attributen

des D e n k e n s und der A u s d e h n u n g .

D as

') S . B. 1, S . 456. 2) Erdmann, Versuch einer Geschichte der neueren Philosophie, I, 1. S . 155 ff. Ritt«, Gesch. d. christl. Philos. Th. V II, S . 3 ff.

222

Viert«« B»ch

Erster Abschnitt.

Wissen beginnt mit der zweifellosen E rfahru ng des eigenen D en­ kens, welches d as S e in verbürgt und in sich schließt. I m mensch, lichen Denken ist aber zugleich daö höchste Denkbare, der Begriff des höchsten W esens gegeben, und da er ursprünglich auftritt und von dem Endlichen und Unvollkommenen nicht stammen kann: so ist er das dem Menschen angeborene Erzeugniß und Abbild des Begriffenen selber und beweist deffen R ea lität. D enn alle Urtheile können irre n , W illkür und täuschende W ahrnehm ung leiten sie: aber die Begriffe haben W ahrheit, weil sie auf der unm ittelbaren H ingebung an ein W ahres und G utes beruhen, vor Allem die Id e e des vollkommensten W esens, wie sie unfehlbar und w ah r­ haftig dem denkenden Geiste einw ohnt. G o tt ist die unendliche S ubstanz, der reine G eist, der a u s sich seiende Alles erhaltende und selbst keines anderen bedürftige G ru n d der D inge. G o tt ist die unbeschränkte W irksam keit, die sich im Unterschiede von dem G ew irkten festhält, ohne m it ihm zu verfließen. W eil aber das denkende P rincip alles Weltliche und N atürliche außer sich h at: so fällt dieses unter die andere K ategorie des Ausgedehnten. Auch die W elt und die M aterie sind S ub stan z, und zw ar von unbe­ grenzter Ausdehnung im R aum e entsprechend der unendlichen M acht ihres U rhebers. I n der menschlichen N a tu r treten die beiden Form en des D aseins zw ar zusammen und C a r t e s i u s begeht die Jnconsequenz» den Menschen a ls substantielle E i n h e i t des Denken­ den und Ausgedehnten vorzustellen: aber die wesentliche Richtung seiner Lehre nöthigt ihn, bei der S c h e i d u n g des Ungleichartigen zu beharren. Alles Natürliche und Räum liche unterw irft er dem Gesetz mechanischer Abhängigkeit. G ott hat der M aterie von An­ fang an G estalt, Theilbarkeit und B ew egung verliehen, sie folgt dem empfangenen Anstoß nach mechanischen W irkungen und mathe­ matischen Gesetzen. Auf diese W eise w ird die ganze N atu r ent­ seelt und entgeistigt, sie regt sich nur a ls großartige M aschine; selbst die Thiere dienen ihrem Geschäft und niedrigen W andel automatisch. V on diesem höchst einseitigen S tandpunkt a u s tritt D e s c a r t e s in die mathematischen und physikalischen Untersuchun­ gen ein, denen er bekanntlich m it großem Erfolge nachgegangen

Cartesius von der Theologie gelobt und getadelt.

223

ist, die ihn aber in G efahr brachten, auch d as geistige Leben in de» Z w ang seiner mechanischen Gesetze zu verstricken. S ein en Vordersätzen gemäß dachte er die W elt der Erscheinung nicht allein abhängig von G o tt, sondern steigerte die Id e e der göttlichen R e­ gierung fast bis zu der S tren g e eines unabänderlichen F a tu m s; nur d as sittliche G ebiet sollte nicht in gleichem S in n e von dieser Nothwendigkeit beherrscht sein. E s gehört zum Wesen des M en ­ schen, daß er seinem W illen jede von G o tt vorgezeichnete Richtung geben kann, und er w ird dadurch der G ottheit ähnlicher a ls in seinen im m erdar beschränkten V erstandeskräften. E r verm ag den Leidenschaften zu gebieten, dem Vorsatz treu zu bleiben, und die Freiheit, w eil sie dem M ißbrauch und Gebrauch offen steht und zu allen Fehlgriffen der M einung und des U rtheils antreiben kann, ist die Q uelle der S ü n d e wie der T ugend. W ie nun dennoch die höchste Leitung und Vorherbestimm ung m it den freien H and­ lungen zusammen bestehe, das behandelt der Philosoph wie ein ungelöstes und nie völlig zu erledigendes P roblem . D iese G rundzüge seines S ystem s sind von den philosophischen Zeitgenossen wie G a s s e n d i , A r n a u l d , H u e t , H. M o r u s keinesweges unbesehen angenom m en, sondern scharf in F rage ge­ stellt w orden. D a s Aufsehen w ar allgem ein, die Kritik strenge und sofort au f die schwachen S tellen hingerichtet. D er genannte H e i n r i c h M o r u s , ein scharfsinniger englischer M etaphysiker und K abbalist, mischt seinen Lobpreisungen einen freim üthigen T ad el bei. D en Zwecken der R eligion, sagt er, habe wirklich D e s c a r t e s den größten Vorschub geleistet. D enn nachdem fast die ganze alte Philosophie die M aterie m it einer inneren B ild u n g s- und Schöpfer­ kraft ausgestattet, sei er der einzige Physiologe, welcher alle jene substantiellen Form en und Seelenstoffe au s ihr hinweggenommen, sie von allem Bew ußten und Beseelten geschieden und dam it ein Princip aufgerichtet habe, a u s dem das D asein G o ttes und die Unsterblichkeit der S eele m it voller Evidenz geschloffen w erd e.') *) H. Mori Opp. omnia, Londini 1679. Tom. II, p. 233. Unde si principiis staretur Cartesianis, certissima esset ratio ac methodus demonstrandi,

Auf der andern S eite findet er manches der Religion Gefährliche. Denn diese erleidet Abbruch, wenn alle Erscheinungen lediglich au s mechanischen Ursachen erklärt werden, also hinter der nächsten C ausalität die absolute Ursache und freie Schöpferkraft gänzlich zurücktritt, wenn ferner das Dasein der M aterie au s der Id e e des Ausgedehnten m it Nothwendigkeit gefolgert, wenn der W elt ein endloser Umfang zugeschrieben w ird. Alle körperlichen B ew egun­ gen, zu denen der Schöpfer den ersten Anstoß g ab , werden auf mechanische Regeln zurückgeführt, und doch G o tt selbst ein solcher G ra d freier W illkür beigelegt, daß er selbst die mathematischen W ahrheiten in andere hätte verw andeln können. Bedenklich er­ scheint auch die V erw erfung der Atome, die Ausschließung der E nd­ ursachen von der richtigen N aturforschung, die Leugnung einer örtlich vorzustellenden Allgegenw art G o tte s, welche das höchste denkende Wesen in Raum verhältnisse, die ihm widersprechen, hineinziehn w ü rd e .') D ie positive Theologie mußte sich im Allgemeinen m ehr zu­ rückgestoßen a ls angezogen fühlen, und w ir wissen b ereits, wie V o e t i u s gegen d as P rin cip des Zw eifels anstürm te. M anche w andten sich von vornherein mit dem Vorschlage ab, daß die B e ­ schäftigung m it der neuen W eisheit den Physikern und M athe­ matikern überlassen werden m öge, da sie in der Theologie nur et quod Deus sit et quod anima Humana mortalis esse non possit. Quae sunt illa duo solidissima fundamenta et fulcra omnis verae religionis. Haec breviter noto, quuin possim et alia bene multa Huc adjicere, quae eodem spectant. Sed summatim dicam, nullam extare philosophiam, nisi Platon icam forte exceperis, quae tarn finniter atlieis viam praecludit ad perversas illas cavillas et subterfugia, quo se solent recipere, quam haec Cartesiana, si penitius intelligatur. *) Auf die Entgegnung des M o ru s: Deum positive infmitum esse i. e. ubique existentem, antwortete DeScartes: Hoc u b i q u e non admitto. Videris enim Hane infinitatem Dei in eo ponere, quod ubique existat: cui opinioni non assentior, sed puto Deum ratione suae potentiae ubique esse, ratione autem suae essentiae nullam plane habere relationem ad locum. Cum autem in Deo potentia et essentia non distinguantur, satius esse puto in talibus de mente nostra vel angelis tanquam perceptioni nostrae magis accommodatis quam de Deo ratiocinari. vgl. Mori Opp. 1. c.

Kirchliche Bedeutung des Cartesianismus.

225

Kirrung anrichte. Allein es w ar nicht gleichgültig, daß die reforMirte Kirche in R a m u S schon früher einen G egner des Aristottiei obwohl von viel geringerem Verdienst in sich hatte auf­ kommen lassen. M it C a r t e s i u s löste sich die neuere Philosophie entschieden von dem E m p irism us des A ristoteles, also von der herrschenden F orm der antiken Denklehre ab. Und trat nicht C a r t e s i u s m it der religionsphilosophischen B asis seiner Lehre unverkennbar in den christlichen G edankenkreis? H atte er nicht die unm ittelbare W ahrheit des G ottesbew ußtseins, die Id e a litä t des göttlichen Ebenbildes im Menschen stark genug verkündigt, um an einigen Stellen selbst bei der E rklärung des D o gm a's G ehör zu finden? D ies geschah um so leichter, da einige Punkte seines Systems den R eform irten eine vortheilhafte S eite darboten. W ir rechnen dahin die scharfe jeden T rad u cian ism u s unmöglich machende Scheidung des Leiblichen und Seelischen, die A rt der Geltendmachung des göttlichen W illen s, die H ervorhebung einer Alles verfügenden Vorsicht so wie die Bezeichnung, daß G o tt Alles der Wirklichkeit nach sei (a c tu s p u ris s im u s ) ohne eine ihm anhaftende leere P o ten tialität. E s ergiebt sich daher, daß obgleich der C artesianism us durchaus kritisch beginnt und von dem Recht allseitiger P rü fu n g des Ueberlieferten und der E rfahrung a u s ­ geht, er dennoch eine freiere S tellung einnehmen d u rfte, a ls der bisherige Aristotelische Lehrstuhl je vermocht hatte. D enn indem die Philosophie christlich w ird , d. h. mit den christlichen Ueber­ zeugungen in innere B erü h ru n g tritt und ihre Herkunft au s dem christlichen Leben hier und da zu erkennen giebt, fühlt sie sich selbständiger und will sich nicht länger a ls bloße scholastische Dienerin der T heologie ansehen und anstellen lassen. Um unserer D arstellung die nöthige K larheit zu geben, ver­ weilen w ir zuerst bei dem I n h a lt der p h ilo s o p h is c h e n Fehde, ehe w ir au f die biblisch-theologische m it den C o c c e j a n e r n über­ gehen und dann beide Streitigkeiten in ihrer V erbindung und Wechselwirkung vorführen. D er A ngriff des B o et erfuhr die er­ wähnte geharnischte E rw id eru n g , doch erlaubte sich der Letztere als R ector der U niversität Utrecht Protest gegen die neue P h ilo Gesch. d. Protest. Dogmatik II.

226

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

sophie zu erheben; und da ähnliche Beschwerden schon 1647 jn Leyden lau t w urden: so klagte C a r t e s iu ö in bitteren W orten der Königin C h r i s t i n e von Schweden, daß die ganze Z unft scholasti­ scher Theologen w ider ihn verschworen sei und eine Inquisition bevorstehe ärger a ls die spanische.') S chüler hatten sich inzwischen an mehreren O rten der N iederlande gefunden, und nach des M eisters T od e, der bald au f seine Uebersiedelung nach Schweden folgte ( 1 6 5 0 ) , erhoben sie doppelt ihre S tim m e und traten mit krassen Uebertreibungen hervor. D ie leidenschaftlichen Anhänger wollten au f einm al das philosophische Forum als das der unbe­ grenzten wissenschaftlichen P rü fu n g a u s aller religiösen und theo­ logischen B evorm undung Herausstellen. D er G lau b e, sagten sie, habe g ar kein Vorrecht vor der Philosophie, und diese stehe außer­ halb der R eligio n; die skeptischen G ründe seien stark genug, um alles bisher G eglaubte anzuzweifeln: ob G o tt in der N atu r der D inge wirke, ob E r der Allvermögende auch täuschen könne, ob der S eele ein besonderes S ubject einwohne oder nicht, und der menschliche Körper auch ohne eine solche w ürde leben können; der Unsterb­ lichkeit könnten die Thierseelen nicht m inder wie die menschliche fähig gedacht w erden, aber sie sei unerwiescn und nur die Offen­ barung verbürge sie.') Solche Machtsprüche, die der M eister un­ möglich gebilligt hätte, sollten eine unbedingte philosophische V o rurtheilslosigkeit proclam iren. E in heftiger A nhänger, J o h a n n de R a e y verallgem einerte in öffentlicher D isp u tatio n zu Leyden 1665 das Recht des Zw eifels dahin, daß dieser überhaupt Nichts zu schonen h a b e ? ) E in anderer gem äßigter, T h e o d o r C a l l e r , disputirte 1659 für die christliche Religion, sofern sie durch ') Vgl. Frideiici Spanhcmii (oc8 Jüngeren) Epistola prima de novissimis circa res sacras in Bclgio dissidiis, in ejusd. Opp. II, p. 959. Vgl. außer» dem Walch, Einleitung in die Rel. Strtg. außer der Luth. K. Bd. III, S . 770. Theluck, das akademische Leben, Bd. II, @. 8 ff. l.ti0. ‘ ) Ibid. p. 958. ’) Spanhem. Epist. 1. c. p. 959. Esse du omnibus omnino rebus dubitandum, in quibus vel minima dubitandi ratio occurrit: dubitandum adeo de existentia nostrae mentis, de existentia Dei etc.

Auftreten einer Cartesiamschen Schule.

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tz a lte s iu s ihre einzig richtige Einkleidung und Erklärung em­ pfange.

Eine dritte Disputation protestirte ebendaselbst 1671 gegen

ylle theologische Vormundschaft.

D aw ider erschallten auf's Neue

pie läutesten V orw ürfe, die Anklagen einer leichtfertigen Zweifelei ttttb des verkappten Atheismus, den ja selbst ein V a n i n i nicht pffen habe bekennen w olle n ? )

M an darf sich nicht wundern, daß

diesen Ausfällen weder die Stände noch die Synoden noch die orademischen Aufsichtsbehörden ruhig zusehen wollten, und w ir »erden der seit 1656 erfolgten Gegenmaaßregeln später zu ge­ denken haben. Genauer angesehen bildete sich die neue Schule in einer dop­ pelten Richtung aus.

Einige wie de R a e y , C la u b e r g , V e lt -

h u s e n , H e e rb o rd , R e g iu s , P e tr u s A l l i n g a , waren haupt­ sächlich Verfechter des P rincips, das sie mehr oder minder schroff als einen p h ilo s o p h is c h e n R a t io n a lis m u s hinstellten; auch S p in o z a

mußte in diese Reihe treten, da er in der Lehre des

C a rte s iu s die unvollkommenen Anfangsgründe seiner eigenen nach­ zuweisen pflegte. rine

Des Spinozismus bezüchtigte man wenigstens

anonyme Exercitalio

interprete.2)

paradoxa de

philosophia

scripturae

Andere, besonders W itt ic h und H e id a n u s , nahmen

eine gemäßigte Haltung an, und sie waren es, welche durch Anwen­ dung der philosophischen Erklärungsmittel auf daS Dogma einen th e o lo g is c h e n brachten.

und k irc h lic h e n C a r te s ia n is m u s zu Stande

D ie Gegenpartei, nachdem sich V o e t iu s an ihre Spitze

gestellt, bildete sich von selbst aus dessen Genossen und den An­ hängern des strengen Dogmatismus und verwuchs m it den zahl­ reichen Widersachern der Coccejaner.

Die gründlich eingehenden

') Spanheim a. a. O . erwähnt die Urtheile von Fergnsson, Stillingfleet, Pitcarn, Hottinger n. A. U t Cartesius, inquit Pitcarn, ita et Vaninus Atheis bellum indixerat et contra eos disputaverat, — sed ut hie ita et ille submotis argumentis solidis et nervosis straminea et inflrma substituebat. — Novae litis semina, inquit Hottinger, dabit philosophia Cartesiana, pro qua tantopere alii depugnant. Nescio au Helena illa tot conflictibus sit digna. His fere initiis paulatim ad altiora grassantur, qui omnia humano metiuntor modulo. ’ ) Vgl. über diese Schrift W alch, Bibi, theol. I, p. 1039.

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Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Untersuchungen blieben meist auf Holland und Belgien beschränkt und erhielten von anderen Seiten nur wenig Zuwachs. D er früher genannte talentvolle aber wüthende S a m u e l M a r e s iu s , der nach mancherlei Irrfahrten 1643 in Groningen eine bleibende Stätte gesunden/) machte sich nicht ohne persönlichen Haß um 1660 in einer Streitschrift „vom Mißbrauch der Cartesischen Philo­ sophie" L uft?). Er hatte sich früher aus Feindschaft gegen B o e tiu s ihr zugeneigt; da aber C h r i s t o p h W i t t i c h , sein ehemaliger Schüler, derselben beigetreten war und des M a r e s iu s System in einigen Punkten öffentlich gemißbilligt hatte: schlug dieser um und machte nun eine Schilderung von den Cartesianern, nach welcher diese mit ihren „klaren und deutlichen G ründen" die verderblichsten Absichten verbinden und dem Papism us, Jndifferentismus, M uham­ medanismus den Weg bahnen sollten. W i tti ch ließ sich indessen nicht einschüchtern; seine „pacifische Theologie" behandelte friedlich doch freimüthig alle angeregten Controversen. Auf neuen Angriff folgte neue Verantwortung. Ein anderer nicht unbedeutender Gegner erhob sich in P e t e r von M a s t r i c h t , der sich als Dogmatiker verdient gemacht') und jetzt Alles aufbot, um mit scharfer Sonde den ganzen „Krebsschaden" aufzudecken. Fügen wir zu diesen wichtigsten Streitschriften noch einige andere von I . R e v i u ö , S c h ü l e r und dem Lutheraner O s i a n d e r : so stellt sich ein an­ sehnliches M aterial vor Augen, das uns durch die Gründlichkeit der dargebotenen Kritik und Antikritik Achtung abnöthigt?) ’) S iehe über ihn und seine zahlreichen Streitschriften gegen Socinianer, Papisten, G rotius u. s. w. Benthem , Holländischer Kirchen- und SchulenS ta a t, Th. II, S . 243 ff. D a s Systema theologicum Maresii erschien zuerst Groningae 1645. Wittich legte dasselbe in Vorlesungen und Exarninatorien zum G runde, erlaubte sich aber einige Abweichungen, worüber die D ictate dem M aresius in die Hände kamen. Praefat. in Wittich. Theol. pacif. ab initio. *) Maresii Tractatus de abusu philosophiae Cartesianae, Groning. 1670. 3) Mastricht, Theologia theoretica, Amstel. 1682. 87. Traject. 1699. 4) D ie wichtigsten hierher gehörigen Schriften sind: Chr. Wittich, Theo­ logia pacifica, in qua varia problemata theol. inter Reformatos theologos agitari solita ventilantur etc. Lugd. 1671, edit. sec. cum appendice Lugd. 1675. Hierauf antwortete M aresius in Adnotationes ad systema theologiae

Veränderte Stellung der Philosophie zur Theologie.

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B or Allem fällt die veränderte Stellung in die Augen, welche die Cartesianer ihrer Wissenschaft zur Theologie geben wollten. Die Schrofferen lehnten geradezu den Namen einer christlichen Philosophie ab, welcher so wenig passe wie der einer jüdischen ttitb Muhammedanischen. Denn dadurch eben sei die Philosophie verderbt, daß sie sich immer noch als biblisch verpflichtete und theologische Dienerin habe betragen, also ihrer selbständigen Her­ kunft habe entsagen müssen.') Die Milderen verwahrten sich ge­ gen die Deutung, als ob der Philosoph selber nicht ebenso wohl Christ sein könne, behaupteten aber die Selbständigkeit der philo­ sophischen Lehrweise als solcher?) Denn diese beruht auf P rin ­ cipien der natürlichen Vernunft, und so wie sie sich nicht mit ge­ wissen ratiunculis als Beweismitteln geoffenbarter und außerhalb ihres Kreises liegender Geheimnisse befassen darf: eben so hat sie, wenn irgend der scholastischen Mischung ein Ziel gesetzt werden soll, Ungestörtheit ihres eigenen Denk- und Lehrgeschäfts zu verlangen. Mögen also beide Wissenschaften im Bewußtsein ihrer M ittel und Kräfte sich gegenseitig anerkennen, sich unterstützen und berathen, damit es nicht wieder vorkomme, daß die streng erzogene M agd sich unversehens zur scholastischen Herrin ausw irft?) Dann allein und Wittich in Theol. pacif. defensa, Amstel. 1689. — Dazu P. v. Mastricht, Novitatum Cartesianarum gangraena, Amstel. 1677. Jac. Revius, Methodi Cartesianae theolog. consideratio, Ejusd. Statera philos. Cartesianae. J. A. Osiander, Collegium considerationum in dogmata theol. Cartesianorum, Stutg. 1674. J. V. Alberti zh nlovv nanna, quod est Cartesianismus et Coccejanismus Lips. 1678. Einiges Andere von Schüler und Lentulud nennt Walch, Einleitung a. a. O. III.

7 7 3 ff.

') Alberti 1. c. p. 33. a) Wittich, Theol. pacifica edit. II, p. 4sqq. 3) Wittich, Theol. pacifica p. 1. 9. Ita distinctio inter theologiam et philosophiam primaria in diversitate principiorum est fundata, ut theologiae principium sit divinum verbum et revelatio, philosophiae vero lumen naturae sive rationis idque quam maxime evidens et darum. Quamvis enim theo­ logiae vox usurpari quoque possit ad designandam omnem quam habemus de Deo cognitionem sicque soleat dispesci theologia in revelatam, quae est cognitio Dei et rerum divinarum ex divinis oraculis, et naturalem spectantem ea, quae de Deo ex luminc rationis cognoscimus; haec tarnen commodins ad philosophiam refertur et tanquam pars ejus considerari debet.

w ird der untersuchende Zweifel in der einen Richtung nicht sofort dem Irrg la u b e n oder U nglauben in der anderen gleichgestellt w erden; dann allein w ird die gleiche Q uelle aller niederen oder höheren W ahrheitserkenntniß nicht verleugnet. V ernunftw ahrheit und S chriftoffenbarung, bemerkt A llinga, gleichen zweien Briefen desselben Freundes. D ah er, fährt W ittic h fort, ist cs unstatthaft, die au f dem einen W ege gewonnene G ew ißheit der auf dem anderen dem G rad e nach unterzuordnen. D ie G ew ißheit, durch welcherlei M ittel sie auch hervorgebracht sei, ist imm er dieselbe, sie ist Sache des Geistes und ausgesprochen in der Sicherheit der Ueberzeugung, w eshalb von einer sogenannten o b je c tiv e n im m er n u r uneigent­ lich die Rede sein k a n n .') F rag t m an aber nach dem M erkm al ihres V orhandenseins: so versetzt es C a r t e s i u s richtig in die K lar­ h e it u n d D e u tlic h k e it des von der Sache gefaßten B egriffs. W a h r ist, w a s ich k l a r u n d d e u t l i c h p e r c i p i r e , w as sich a ls solches durch einfache Aufnahme in das Denken v o r jeder E rklärung verräth und empfiehlt. Diese goldene Regel w äre allein verm ögend, alle W ahrheit a n 's Licht zu fördern, ihre Vernachläßigung rächt sich jederzeit durch Irrth u m und V erw irru n g . V on derselben Richtschnur müssen daher auch die Theologen sich der­ gestalt leiten lassen, daß sie überall ihrer Sache v ertrau en , wo ihnen ein Fragliches, sei es nun offenbart oder natürlich, in einer clara el distincta perceplio vorliegt, und überall Bedenken haben, wo dieselbe fe h lt? ) ') Wittich, 1. c. p. 104 §. lo l . Duplex cst ccrtitudo, alia quae nititur evidenti demonstratione, alia quae nititur clara revelatione; utraque aeque magna cst in suo ge ne re, ncc una ccrtitudo major liehet appcllari quam altera. — Ccrtitudo enim cst mentis, quae ccrta dicitur, quando de re aliqua firmitcr cst persuasa sive firm um format Judicium. Merito igitur de tritissima distinctionc ex philosophia vulgari a theologis hausta intcr certitudinem objectivam et subjeetivam d ix i: eertitudinem objectivam non posse appellari nisi in sensu improprio. *') Witt. p. 22, §. 29. Tahti vero ponderis cst illud laudatum axioma, ut ejus solius usu omnis veritas in luccm queat produci absque hujus vero adminiculo nulla veritas, nulla veritatis cognitio et inventio nisi casu quodam sit speranda.

Kirchliche Kritik der Cartes. Grundsätze.

231

Auf dieses philosophische P rog ram m antworteten die kirch­ lichen G egner ebenso, als wenn sie eö mit ctwanigen Uebergriffen des alte» A ristotelism us z» thun gehabt hätten. D a s neue System Var au f christlichem B oden und unter dem Einfluß christlicher Ideen entstanden; hatte cs also nicht in einem allgemeinen geisti­ gen S in n e Anspruch au f den christlichen N am en und zugleich auf einen höheren B eru f a ls den gewisser theologischer Specialverrichtungen, wie sie der Dienst am D ogm a m it sich brachte? Diese Frage w äre der Ueberlegung werth gewesen. D a aber die C artesianer lediglich au s G ründen der natürlichen V ernunft zu schöpfen und zu philosophiren behaupteten: so wurden sie von der O rth o ­ doxie beim W o rt genommen und in die diesem P rincip allein zu­ kommende S tellu n g zurückgewiesen. E in M a r e s i u s wiederholte die alten scholastischen Befürchtungen. W enn die Theologen den bisher gehandhabten philosophischen S p rac h - und Formelschatz ab­ geben oder vertauschen sollen: so entsteht d arau s eine R evolution der ganzen T erm inologie verbunden m it unvermeidlicher G efahr für die S a c h e .') D ie begehrte Unabhängigkeit, wie sie au f S elbst­ überschätzung beruh t, trägt auch das V erlangen nach O berherr­ schaft in sich. W ie kommen, heißt es ferner, jene Neuerer dazu, die P rädikate einer idealen Philosophie au f die jederzeit irrige W eisheit der sündhaften Menschen und au f ihre eigenen bestimm­ ten Satzungen anzuw enden? D a s natürliche Licht bleibt trüglich, dessen Verselbständigung w ürde eine zweite V ernunftoffenbarung voraussetzen. Versteht man unter Philosophie deren sachliche R e­ sultate und B ehauptungen über göttliche und menschliche D in g e: so w ird m it Recht gefordert, daß sie der Entscheidung zw ar nicht einzelner Theologen wohl aber der h. S chrift unterliegen müssen, *) Conf. Wittich, p. 10, wo die Worte des Maresius citirt werden: Sed iniquissimum est et periculosissimum, simul veile ex scholis theologicis effurcillare terminos hactenus receptos, ut cedant novo idiomati novorum istorum philosopho - theologomm, quod hucusque in illis non sönuit. Etenim priscorum vocabulorum deletio et introductio novorum — vix potest citra rerum ipsarum innovationem et immutationem procedere.

bettn für sich habe» sie kein göttliches A nsehen.') W a s die vor. gebliche Gleichheit der beiderseitigen au s verschiedener Q uelle ge­ schöpften Gew ißheit anbelangt: so erw idert M a s tr ic h t, daß frei­ lich die natürlichen D inge sammt der ganzen erscheinenden W elt ebensowohl R ealität haben wie alles O ffenbarte und keine Evidenz a ls solche die andere übertreffe; allein diese W ahrheit liegt in den D ingen selber, nicht in bett jederzeit subjektiven und daher dem Irrth u m bloßgestellten Aussagen über sie. Eben darum ver­ werfen die Cartesianer den Unterschied des O bjectiven und S u b jectiven, weil sie von der empirischen R ea lität nicht ausgehen, sondern von dem Denken und dessen Sirtom en, also die W ahrheit abhängig machen von ihrem Wissen um dieselbe.') Ueber die N a tu r dieses subjektiven W issens scheinen sie selber nicht im Klaren zu sein, wenn sie die N am en natura, ratio, philosophia abwechselnd gebrauchen, noch weniger über das W esen ihres K anons von der clara et distincta perceptio. F rag t m an w as es heiße, klar und bestimmt pereipiren und w ann eine solche Perception stattfinde: so lautet die A ntw ort: wenn bei hinreichender Aufmerksamkeit des Denkens das Aufgefaßte u n s ganz gegenwärtig geworden und zu­ gleich von allem Anderen und Fremden unabhängig ist. W ir hören eine D efinition, die selbst wieder erklärungsbedürftige M o ­ mente enthält und die erst anw endbar w ird durch R eflerio n, ob­ gleich doch bei dieser A rt der Perception gerade keine Reflerion thätig sein soll. O b die genannten B edingungen im einzelnen F alle erfüllt sind, w ird m an n ur a u s der erst zu beweisenden W ahrheit des P ercipirten folgern, also die ganze Regel nicht ohne ') Mastricht, Gangracna novitatum Cartesianarum p. 34. 2) Ibid. p. 53. Proinde secundo tenendum (quiequid obstrepat Wittichius) certitudinem duplicem esse: objectivam, quae extra nos in ipsis haeret creaturis, et subjectivam, quam de creaturis in mente nostra gestamus nullatenus confundendam: illa a Creatore est et creaturis congenita, — haec a ratione ab objectis hausta et in manifesta herum cum illa consistit congruentia. Dum autem Cartesiani solum posteriorem recipiunt, — satis hoc ipso indigitant, se nullam in natura et creaturis agnoscere certitudinem, sed tantum in ratione apprehendente, partim in axiomatis seu philosophematis e natura formatis.

Philosophische Auslegung innerhalb d. h. Schrift.

233

Zirkelschlüsse in Ausführung bringen können.') — S o antwortet M ast richt geschickt und mit dialektischer Schärfe, daß der Kanon der klaren und deutlichen Auffassung nicht die Gewißheit habe, die ihm beigelegt werde, und daß die behaupteten Merkmale der Sicherheit, statt ihm selber unmittelbar einzuwohnen, sich nur sehr ungefähr aus einer Anzahl einzelner Anwendungen ergeben haben. Indem somit unsere Kritiker der beanspruchten Denkfreiheit der Cartesianer entgegentraten und die Haltbarkeit ihres Wissensprin­ cips zu erschüttern suchten, wollten sie noch einer besonderen G e­ fahr vorbeugen. Von freien Forschungsrechten hatte D e s c a r te s auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet weiten Gebrauch gemacht. Darauf fußend erhob jener Exercitator paradoxus die Philosophie zur freien Auslegerin Alles dessen, was an N a tu rk e n n tn is s e n in der Bibel vorkommt. Die h. Schrift schließe sich, wo sie auf dergleichen Bezug nehme, an gewöhnliche und oft irrige Volks­ meinungen an und bediene sich populärer Ausdrücke, die folglich mit der wissenschaftlichen Einsicht verglichen und nach dieser berichtigt werden müssen. Wo nur der natürliche Augenschein der Dinge wiedergegeben w ird, wo selbst in politischen, moralischen und asketischen Angelegenheiten sich ungenaue Redeweisen vorfinden: sei es Mißbrauch der B ibel, dem bloßen W ortlaute zu folgen; erst die philosophische Auslegung könne durch Ablehnung des I r r ­ thums das Ansehen der h. Schrift aufrecht erhalten. Den gleichen Anspruch machen die übrigen Anhänger,") und hier hätten die Kirchlichen von Rechtswegen einlenken müssen, zumal in Betreff der Physik, denn die Anwendung auf die astronomischen Ent­ deckungen lag allzu nahe. Allein die angemaaßte philosophische *) Mastricht, 1. c. p. 168. 69. 2) An scriptura de rcbus naturalibus loquens adhibeat formulas communi usu tritas, veritatem quidem aliquam, sed ad homines eorumque sensus relatam et praejudiciis atque erroribus involutam referentes, xyt ot v suam circa praejudicia non interponendo; an vero, ubi vulgares locutiones innitantur multis firmissime radicatis et necdum depositis praejudiciis, eas mutet in accuratas et philosophicas. Ego prius affirmo, posterius nego. Wittich in Mastr. Gangraena, p. 65.

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Viertes Buch. Erster Abschnitt.

U nfehlbarkeit') ihrer G egner schreckte sie a b ; sie antw orteten mit dem in diesem Falle äußerlichen und unbrauchbaren Grundsatz, daß die h. S chrift ihr eigener A usleger sein müsse und daß sie durch ein solches von Außen gebieterisch eindringendes Jn terp retation sam t um ihre eigene K larheit und Nothwendigkeit gebracht w erd e?) M ögen die Philosophen aberm als ihren sicheren Schlüssel der „k laren A uffassung" em porhalten: sie wollen ihn von dem w ahrhaftigen G o tt empfangen haben, doch n u r nachdem sie eben erst d arau s, daß sie ihn besitzen, dessen W ahrhaftigkeit bewiesen. W ir gehen sogleich zu dem speciell theologischen T heil des S tre its über. Schon das Obige beweist, wie schwer die gewünschte Unabhängigkeit der S tandpunkte sich beiderseitig halten ließ. D ie Cartesianer hatten sich diktatorisch in die Schrifterklärung einge­ d rän g t, dafür enthielten sich ihre G egner nicht, unter ihren theo­ logischen Gegengründen auch ein Argum ent der gewöhnlichen M e ­ taphysik anzubringen. I n der E rw ägung des ersten philosophischen Grundsatzes befanden sich beide Theile au f gleichem d. h. philo­ sophischem B oden. I s t wirklich das Cogito ergo sum der p rin ­ cipielle A usgangspunkt alles W issens? N ein , denn dann würde es unerweislich sein, w ährend w ir doch diesem P rin cip ein P r i u S in dem S atze: Nihil p o lest simul esse et non esse, voranstellen müssen. D an n w ürden sich nothwendig alle späteren Folgerungen au f diese erste W ahrheit zurückführen lassen, w as nicht der F all ist? ) D a rf ferner von der subjektiven G ew ißheit der G ottesidee aus ein entsprechendes Objective a ls den G rund und Ursprung derselben geschlossen w erden? A llerdings wohl, aber nicht so, daß dieses Objective im Menschengeiste gleichsam einen diesem ange­ borenen V ertreter h a t, um sich unm ittelbar in diesem Abbild zu x) Die Exercitatio paradoxa sagt cp. V, §. 5. Et quoniam omnis clara et distincta perceptio praeter veritatem conjunctam sibi etiam habet certitudinem : quicquid haec vera docuerit philosophia seu sapicntia, firmum erit ac ratum nec ullis argumentis in dubium revocabile, adeo ut illius persuasioni tanquam omni exceptione majori plane et plene acquiesccre poterit ac debebit veritatis avidus animus, nec nlterior alia quaerenda sit certitudo. 2) Mastricht in Gangraena, p. 65. 95. 147.

3) Mastricht in Gangraena, p. 183. 84.

Kritik der Cartesian. Gottesidee.

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sie g e ln und zu bew ahrheiten,') sondern erst die S ynthese von W ahrnehmung und anerschaffener Fassungskraft erzeugt das yvoavov tpv &eov, und mehr beweist auch die E rw ägung nicht, daß ohne hie Unterlage der I d e e a u s der W eltbetrachtung und dem S elb st­ bewußtsein keine natürliche Erkenntniß der G ottheit geschöpft werden könnte?) J ed es gleichsam autoplastische Emporwachsen des G o tiosbildes beruht auf Täuschung. M a s tr ic h t streitet ähnlich wie D p e t iu s und wiederholt selbst die alten Antianselmischen C onsequenzen wider den ontologischen B e w e is . W a s »soll daraus »erb en , wenn w ir auch den goldenen B erg sofort für wirklich oder auch nur für möglich erklären, nachdem die Vorstellung ihn als solchen sich a u sg e m a lt!') G ew iß w ürde, wenn d as v oll­ kommenste W esen nicht w ä r e , dem Menschen auch keine ideelle Beziehung auf ein solches einw ohnen; diese Folgerung gilt un­ mittelbar, die umgekehrte nicht ohne W eiteres, und die Cartesianer fallen unlogisch au s einem Schluß in den anderen. D ie Id ee, soweit sie anerschaffen, hat fakultative W ah rh eit, jene aber lassen durch sie G ott selbst gleichsam im Menschen v ica riren ? ) M an *) Wittich, Theol. pacifica p. 101 sqq. Mastricht, 1. c. p. 203. Divortftun igitur utriusque placiti, Cartesiani scilicet et reformati, in his potissimum haeret duobus. 1) An notitia illa nobis congenita sit idea quaedam, Bit imago, sit repraesentamen, sit vicarium quid Dei in homine? Affirmant Cartesiani, negant Antagonistae. 2) An ullo modo Deum homines cognoscant per ideas, phantasmata, imagines, repraesentamina esse Dei vicaria aut simile quid. Kursus affirmant Cartesiani, negant Reformati. ") Wittich, Theol. pacif. p. 102. §. 132. Fateor nos devenire dianoetice in Dei notitiam per contemplationem operum suorum, istaque opera incurrere in sensus: sed an ideo Deus incurrit in sensus ? Quod tarnen erat prob an dum. Neque si Dei notitia nobis non fuisset indita, sive si non haberemus in mente nostra Dei ideam, possemus unquam per contemplationcm operum venire in Dei notitiam. Dagegen Mastricht 1. c. p. 2 0 6 , welcher einräumt,

baß dieser Grund wie die S telle Röm . 1, 1 6 — 20 zwar gegen die Socinianische Leugnung natürlicher Gotteöerkenutuiß beweise, aber noch nicht die Idee zum ausgeprägten Stem pel und Spiegelbilde Gottes im Menschen erhebe. 3) Mastricht, 1. c. p. 211. Si dicas, ex idea inferri exemplar vel actu ©xistens vel potentia, adeoque ex idea aurei montis in me existente colligi Hontem aureuin vel existere vel existere posse etc. 4) Ibid. p. 214. 15.

sieht, daß M a stric h t, so gern er Alles als Theologe ausfechten möchte, durch einige philosophische Voraussetzungen doch wesent­ lich unterstützt wird. E r muß in gewissem Grade selbst philosophiren, während er seinen Gegnern alles Theologisiren versagen will. D ann fährt er fort die Wesensbestimmung Gottes als des Denkenden zu widerlegen, denn eS sei willkürlich, die Substanz der ganzen Geisterwelt deshalb in das Denken zu versetzen, weil wir uns denkend zu ihr verhalten, und das göttliche Wesen werde dadurch nicht erschöpfend ausgedrückt?) I n den Begriff Gottes würde vor Allem das Geistsein (spiritualitas) aufgenommen werden müssen, und gerade dieses behandeln die Neuerer nur als ein vor­ nehmes aber uneigentlich zu fassendes A ttribut?) Auch thun sie Unrecht, dem Schöpfer außer der negativen Unabhängigkeit noch eine positive Aseität (a se esse positive) beizulegen, woraus folgen würde, daß er sich selbst erzeugte durch eine immerwährende Er­ hebung aus der Potenz zur Essenz und Existenz?) Weiterhin soll das Leben Gottes nichts Anderes sein als der reine Act des gött­ lichen Willens und Verstandes, — ganz im Widerspruch mit der richtigen Erklärung, nach welcher Leben nur die Selbstheit und Bewegungsfreiheit bedeutet, aus der erst jene Thätigkeiten ent­ springen?) Unbedeutende und unphilosophische Ausstellungen könn­ ten wir noch mehrere herausgreifen. Wichtig erscheint die P rü ­ fung des Verhältnisses zwischen dem göttlichen Jntellect und dem hervorbringenden Willen. Der Wille des Schöpfers, lehrt W ittich nach C a r te s iu s , ist Ursache alles Wahren und Guten. Alle Dinge haben ihre N atur nicht aus sich, sondern als eine empfangene, von der höchsten Causalität bestimmte; sie sind schon vor ihrer Verwirklichung in einer Realität des Möglichen von Gott gesetzt l)

Mastricht, Gangraena, p. 229—33. Mastricht, 1. c. p. 236. W ittich, Theol. pac. p. 166. §. 195.

Nam prbprie loquendo Deus ne quidem Spiritus appellari potest, quum Spiritus proprie loquendo denotet aliquid corporeum. ')

3) Mastricht, 1. c. p. 276. 77. Osiander, Collegium considerationum etc. cp. 5. p. 89.

4) Mastricht, p. 242. Osiander, 1, c. p. 79sqq.

D ie Cartesianer über den göttlichen Willen.

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ttnb ihm gegenwärtig. D a nun der Wille Gottes von Ewigkeit frei und gegen das gesammte Mögliche indifferent sein muß: so kann auch Nichts im göttlichen Intellekt auftretend gedacht werden, rhe ihm nicht der Wille eine Stelle gegeben hat, sondern Alles erhält erst durch die Aufnahme in den letzteren seine reale M ög­ lichkeit oder mögliche Realität. Indem der Wille die Dinge im ganzen Umfange ihrer realen Möglichkeit übersieht und beherrscht, wird er der allmächtige; indem er sie aber in bestimmter Gestalt zur Ausführung bringt, wird er zum D ekret?) Aus diesen V or­ dersätzen geht denn auch die Meinung des C a r te s iu s hervor, nach welcher die mathematischen Größen und Gesetze ebenso wenig wie die Ideen des Körpers und des Menschen auf sich selbst be­ ruhen, sondern alle erst der göttlichen Willkür ihr Dasein und ihre W ahrheit verdanken. Nun schien freilich die starke Hervor­ hebung des göttlichen W illens dem reformirten Dogma entgegen zu kommen: doch in diesem Grade hatten selbst die Reformirten denselben nicht isoliren und von dem Grunde einer ihm voran­ gehenden Wesenheit und W ahrheit ablösen wollen. M a r e s iu s und M a stric h t finden daher den richtigen Gedankenzusammenhang dieser Lehre gänzlich zerstört. Die Ideen der Dinge werden zu sehr verselbständigt, wenn sie als m ögliche Gestalten aus dem Willen heraustreten und durch ihren Umfang dessen Allmacht konstituiern, um alsdann durch den Rathschluß firirt zu werden. Nicht alles Wahre und Gute kann formell aus dem bloßen Willen hervorgegangen sein, für Einiges muß er sich aus Gründen, die mit dem Absoluten selber gegeben sind, ohne alle Indifferenz ent*) Wittich, Theol. pacif. p. 169. 70. Hane utique realitatem omnes illae res habent, propter dicta, a voluntate Dei, per quam scilicet mens humana est res cogitans non vero res extensa, et triangulum est figura trium laterum non quatuor laterum et sic de aliis. Ita voluntatem Dei sequitur entium realitas. At voluntas ista Dei, prout nondum consideratur ut talis, ^uae istam realitatem extra se producit, sed prout eam potest producere, Bomen o m n ip o te n tia e accipit, atque inde est, quod omnes illae res dicantar posse produci et ut possibiles spectentur. Tandem vero illa ipsa divina voluntas, quatenus spectatur ut realitatem istam productura, appellatur Dei d ecretu m et prout actu producit voluntas Dei effieax.

S3S

Vierte« Buch. Erster Abschnitt.

schieden h a b e n ? ) V ielm ehr ergiebt die kirchlich-orthodoxe E nt­ wicklung F olgendes. D ie Möglichkeit der D inge ist nichts Anderes und bat keinen anderen G ru n d als die unendliche Darstellbarkeit des göttlichen W esens, wie sie von G o tt selber d. h. von dem Wissen der einfachen Intelligenz (scien tin sim plicis in tellig en tiae) angeschaut w ird. D ie Id een des einzelnen W ahren oder Guten und Zukünftigen sind die F orm en, in welchen das vollkommenste W esen seine eigene Fähigkeit nach allen S eiten ohne W iderspruch auseinanderlegt, und haben keine besondere von jenem zu unter­ scheidende R e a litä t? ) I s t G ott in diesem allgenugsamen V er­ mögen sich gegenw ärtig geworden und zum nothwendigen B ew u ßt­ sein der au s ihm darstellbaren F ülle gelangt; dann tritt der W ille hinzu, aber nicht m it einem bloß m ö g l i c h e n , sondern m it dem bereits determ inirten I n h a lt einer hervorzubringenden Wirklichkeit, so daß er nunmehr auch dem Wissen ein abgegrenztes Feld des R ealen und Zukünftigen eröffnet. S o vollzieht sich der dogm a­ tische Fortschritt von der scientia sim plicis in telligentiae zur v o luntas und von dieser zur scientia visionis, und die Annahme einer rein abstracten Unabhängigkeit des göttlichen W ollenS w ird ab­ geschnitten?) Auch diesen Entgegnungen sucht W i t t i c h S ta n d zu h alte n ; aber wie geschickt er sich auch vertheidigen m ag: die tiefer durchdachte Auffassung w ar hier au f S eiten der kirchlichen G egner. — Nicht so in einer anderen oben bereits berührten ') Mastricht, Gangraena p. 255. Fundamentum autem sententiae Cartesianae in his ferme duohus consistit, quod ab una parte statuant res possibiles, etiam quatcnus distinguuntur a Deo et ideis divinis, — habuisse aliquam realitatem scu essentiam, e quo tum porro resultet, eam realitatem necessario debere dependerc a Deo, — et ab altera parte, quod ista rerum possibilium aeterna realitas necessario debeat dependere non tantum a Deo simpliciter, sed praecise a voluntate Dei. 2) Ibid. p. 255. Has proin de ideas statuit (ecclesia) non esse proprie aliquid diversi a Dei cssentia. aut aliquid creati, sed ipsam illam Dei perfectissimam essentiam, quatenus repraesentabilis concipitur, unde nequaquam admittit, res quarum ideas Deus penes se habet, realitatem quandam seu essentiam ab aeterno apud Deum habuisse. 3) Ibid. p. 257. De potentia Dei, qua possit facere contradictoria.

Allgegenwart. Verhältniß des Willens znm Verstände.

239

Drage. Nachdem C a r t e f i » s betn göttlichen W e s e n jede ö rtlic h vorgestellte Allgegenwart abgesprochen hatte: wiesen die Anhänger genauer nach, daß es jederzeit zu Ungereimtheiten fü h re, die ab­ solute Substanz m it einem O rte in oder außerhalb der W elt in virecte V erbindung zu bringen. M üsse m an also die Allgegen­ wart au f weltliche Einzeldinge beziehen: so sei es nur die A lles durchdringende M acht, also ein D ynam isches, wenn gleich nicht trennbar von dem W esen. D agegen, — wom it beiläufig D e s e a r t e s auch das katholische M ysterium der W andlung zurückge­ wiesen hatte, — wußten die G egner nichts W ichtiges vorzubrin­ gen, fie corrigirten aber die M einung dahin, daß zuerst eine gewisse Miteristenz und M itausdehnung des W esens selbst im V erhältniß zum R aum statuirt und a u s dieser die Allwirksamkeit abgeleitet «erden m üsse.') V on selbst erklärt sich die Kritik der p h y s ik a lis c h e n und k v s m o lo g is c h e n Annahmen von der Ausdehnung und Körperlich­ keit, von der M aterie und ihren mechanischen Verhältnissen, von der unbegrenzten W elt und dem System der B ew e g u n g ?) I n der A n t h r o p o l o g i e erschien abgesehen von der Definition der Seele die eigenthümliche V ertheilung der Geisteötbätigkeiten auf­ fällig. D e r endliche Geist lebt a ls res cogitans in der Aehnlichkeit des unendlichen, seine Vermögen sind nichts Anderes a ls l t selbst in den m annigfaltigen Aeußerungen seiner Thätigkeit. Ueberblicken w ir diese: so finden w ir, daß sinnliche Vorstellung, Einbildungskraft und reine B egrifföbildung ebenso unter sich ver­ wandt sind, wie andererseits die Regungen der Abneigung und Z uneigung, des Z w eifels, der B ejahung und V erneinung wieder zusammengehören. Je n e ersteren fassen ein Gegebenes in der Idee auf, die anderen drücken eine innere Action, ein Schalten m it dem Gedanken a u s und sind Sache des W illen s; und da nun d as Urtheilen stets eine solche bejahende oder verneinende B ew egung in sich schließt: so ist es gleichfalls der W i l l e n s t h ä t i g k e i t bei*) Mastricht, I. c. p. 285. 89. 0 Ibid. p. 340 sqq.

zuzählen. Beide unterscheiden sich nur dadurch, daß sich das Urtheilen mit dem W ahren, das Wollen im engeren Sinne mit dem Guten beschäftigt.') Die C a r te s ia n e r legen großes Ge­ wicht auf diese psychologische Theilung und wollen damit ihrem M onism us des Denkens ein sittliches Gegengewicht geben. Der Mensch würde nur das empfängliche Gefäß der Ideen sein, wenn diese nicht erst durch Aneignung und Verbindung in ihm lebendig werden müßten. J e abhängiger er in der Aufnahme des Ideellen erscheint, desto mehr dringt die Cartesianische Lehre darauf, daß jede freithätige Verwendung und daher auch alle urtheilende Ent­ scheidung auf die Seite der Spontaneität gezogen und dem Ver­ stände gegenübergestellt werde. Zw ar folgt auf das hellere Licht der Erkenntniß auch die stärkere Zuneigung des Wollens oder der Bejahung, aber nicht so, daß diese von jener beherrscht wird, sondern immer soll der G rad der Aufmerksamkeit (attentio) erst entscheiden, ob und wieweit der Einzelne der erhaltenen Einsicht mit eigener Entscheidung sich hingeben und durch richtigen Freiheitsgebrauch der Gottheit ähnlich werden w olle?) Gewiß eine interessante Ansicht! Bei unbefangener Betrachtung hätte sich auf diesem Wege für die sittliche Beleuchtung der Urtheilskraft ein fruchtbares Moment gewinnen lassen. Die kirchlichen Beurtheiler waren indessen durchaus ungeneigt, auf die abweichenden und sehr ungenauen Definitionen von intellectus und volunlas schonend einzugehen. I m Anschluß an den Sprachgebrauch der kirchlichen Psychologie halten sie den Neuerern entgegen, wie verkehrt es sei, ') Wittich, Theol. pacif. §. 46. 47. 126. p. 34. 95. Possunt igitur ad duo summa genera reduci ac proin mens quoque distingui in duas facultates, quarum alias ideam tantum quandam menti repraesentant, quas communi nomine intellectus complectimur, alias actionem circa istam ideam edunt ac communi nomine voluntatis comprehenduntur. 2) Wittich, Theol. pacif. p. 96. Quandocunque est magna lux in intellectu, etiam magna sequitur in voluntate inclinatio quamdiu attendimus; unde tarnen non dicendum est voluntatem determinari ab intellectu, sed quod Deus feccrit istam connexionem inter has cogitationes sub conditionß attentionis, ut posita priori cogitatione, quae consistit in clara perceptione, sequatur etiam altera cogitatio scilicet magna inclinatio in voluntate.

241

Beurtheilung d. Cartesian. Lehre vom Willen.

hie Gegensätze der B ejahung und V erneinung und des Zw eifels pott der Verstandesthätigkeit abzusondern und um gekehrt, dem zgillen, der sich oft rein hingebend verhalte, alles dasjenige zu­ zuweisen, w orin sich dergleichen Z w iespalt findet. D a s Urtheil -her unterliege nicht immer der W illkür, sondern sei oft noth­ wendig m it seinem Gegenstände gegeben. Ebenso unhaltbar sei hie Scheidung theologisch angesehen. W as die christliche Lehre von den Zuständen oder Acten des G lau b en s, der S ü n d e und der Bekehrung zu sagen h a t, gilt beiden T heilen, dem Intellekt und dem W illen zugleich; C a r t e s i u s indem er in den letzteren allein den G lauben verlegt, steht dem katholischen Irrth u m gerade entgegen. S o llte wirklich die Vollkommenheit der menschlichen N atur in der allseitigen Beweglichkeit deö W illens gesucht werden: so w äre doch unmöglich dabei von dem überall mitgesetzten An­ theil des Verstandes abzusehn.') V ollends entlarven sich die Neuerer in der F olgerung, daß der Irrth u m vermeidlich sein würde, wenn das U rtheil sich durch die K larheit der Id e e be­ stimmen ließe, weil j a , sobald das Licht in den Geist richtig ein­ fällt, auch die Freiheit ihm folgen könne. D enn die hinzugefügte B edingung: si modo velit, ist entweder eine leere F orm el, oder setzt einen Freiheitsbegriff v o ra u s, wie ihn n u r P elag ianer und Jesuiten haben. D aru m w ird denn auch der V erband m it der göttlichen G n ade gelockert; eine Erleuchtung des V erstandes soll vorangehen, auch ein göttlicher Concursus bekehrend au f den W illen einw irken; da aber dieser stets an seiner eigenen H in ­ wendung oder Abwendung h äng t: so wird der G nade gerade die höchste unbczwingliche G ew alt über die menschliche Freiheit geraubt. D er wichtigere I n h a lt deö S tre its und der E ifer, m it welchem er geführt wurde, mögen au s diesen M ittheilungen hinreichend er­ sehen w erden. V on der Lehre der t h e o l o g i s c h e n Cartestaner *) Mastricht, Gangraena p. 447 sqq. Oslander, Collegium consideratiocp. XIII, De hominis intellcctu, voluntate et affectibus. Bel dieser Ge­ legenheit wurde auch die Frage behandelt: Num hominis affectus oriantur e glandula oreali. ^esch. d. Protest. D ogm atik II.

16

Viertes Buch.

342

Erster Abschnitt.

leuchtet soviel ein, daß sie nicht entwickelt noch methodisch genug geregelt w a r, um nicht der scharfen Dialektik der kirchlichen K ri­ tiker starke Blößen zu geben.

Viele ihrer Ansichten traten in un­

bestimmter Fassung auf und beanspruchten doch die Stärke wohl­ geprüfter Beweise. ob sich nicht aus fü r

Hypothesen Raum den

Ansätzen

des

zu

geben,

abzuwarten

neuen Idealism us

die Theologie etwas Fruchtbares ergeben werde,

auch

oder den

exegetischen Versuchen auf dem biblischen Naturgebiet ruhig zu­ zusehen, — darauf w ar die scholastische P artei nicht eingerichtet. Eine Philosophie,

die sich gewisser untrüglicher Erkenntnißmittel

rühmte und die zugleich die menschliche Freiheit in 's Ungewisse überschätzte, schien am Wenigsten ihrer theologischen Führerin ent­ wachsen zu sein.

Grade das Principielle, w orauf die Cartesianer

m it gutem Fug bestanden, das Recht freier Forschung und freier Wechselwirkung blieb versagt, und es fand sich dafür keine Aus­ kunft, welche die Kirchlichen theoretisch sich hätten aneignen können. Nach dieser allgemeinen Sachlage w ar das Schicksal der Schule vorauszusehen, auch wenn dieselbe nicht durch Verwicklung mit den Coccefanern in neue Schwierigkeiten gerathen wäre. was in den Principien Auffassungen

und

Aber

unterlag, konnte sich doch in einzelnen

kritischen

Bestrebungen nachhaltig einprägen.

Und dies ist auf zwiefache Weise geschehen.

Unter der tum ul-

tuarischen Zumuthung der Neuerer, alles Naturhistorische in der B ib e l, w eil es in der Volkssprache vorgetragen sei, nach eigener Einsicht interpretiren zu wollen, verbarg sich das tiefere und bald unabweisbare Bedürfniß

einer Scheidung zwischen dem Gebiet

der N a t u r f o r s c h u n g und dem ethisch-religiösen, als der eigent­ lichen Heimath der Offenbarung.

S ow eit die Philosophie eract e

Wissenschaft w a r, entschied sich innerlich schon damals ihre Un­ abhängigkeit.

Nicht durch Speculation, aber durch die Macht des

thatsächlichen Beweises bezwungen, mußten die Vertreter der kirch­ lichen Ueberlieferung allmählich ihren Widerspruch gegen die neuen Erkenntnisse aufgeben; die Cartesianer erleichterten diesen Uebergang, welcher im folgenden Jahrhundert in allen Kirchen mehr oder minder vollständig zum Ziele gelangt ist.

Einen andern

343

D ie S te llu n g der conservativen C artesianer.

Keim finden w ir in der Berufung auf die W ahrheit der Idee und die aus derselben zu schöpfende U e b e rz e u g u n g .

D ie Carte-

fianer führten ihren Kanon der clara et distincta perceptio, der einigermaaßen an den späteren der „ric h tig geleiteten V ernunft" erinnert, auf ganz naive Weise im M u n d e : allein das entwertete den In h a lt nicht, den sie ihren „klaren und deutlichen G ründen" verdanken wollten.

S o unvollkommen ihre Beweisführungen sein

mochten und so kräftig auch der Anspruch einer unzweifelhaften Richtigkeit zurückgewiesen w ard: immer waren es Versuche, re li­ giöse Grundwahrheiten nicht bloß wahrscheinlich zu machen oder fü r dogmatische Zwecke zurecht zu legen, sondern zur Evidenz zu bringen, also die Bedeutung einer philosophischen Theologie auf christlichem Boden zu erhöhen.

Wenn sie dabei behaupteten, daß

alle Gewißheit gleich stark und Sache des Geistes also subjectiv sei: so lie f dies darauf hinaus, daß auch die sogenannten objec­ tiven Beweise, zu denen ja die kirchlichen und positiven gehörten, erst durch Aufnahme in den erkennenden Geist vollständig bewahr­ heitet werden müssen.

W ir dürfen sagen: diese Schule hat Etwas

dazu beigetragen, das Gewicht subjektiver Ueberzeugung und da­ her auch den Antrieb zur K ritik des Positiven und Ueberlieferten zu stärken. Fragen w ir zuletzt, bis zu welcher Consequenz die Cartesianer innerhalb der Theologie geführt wurden: so haben w ir Einige be­ reits in durchaus konservativer Stellung kennen gelernt.

W itt ic h

erklärt sich von jeder unchristlichen oder unkirchlichen Absicht frei und w ill nur eine unbrauchbare Philosophie

m it einer wohlbe­

gründeten vertauschen, welche freier als die alte m it der Theologie verkehren darf, aber nicht an deren Stelle tritt.

Vom ursprüng­

lichen Standpunkte aus hätte der Mensch durch höchste Anstren­ gung seines Geistes zu einem reinen m it der W ahrheit überein­ stimmenden N aturcultus gelangen können; doch die Sünde macht ihn der Offenbarung bedürftig.

In de m W i t t i c h alle Hauptstücke

des Dogma's anerkennt und nur kleinere Abänderungen in

der

T rin itä t, der Christologie u. s. w . vorschlägt, w eil sie durch seine philosophischen Vvrbegriffe empfohlen werden und znm besseren

16 *

244

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

V erständniß des Offenbarten beitragen: beruft er sich auch au f die feineren confessionellen Streitpm rkte. W er die unwiderstehliche G nade beseitigt oder die örtliche Allgegenw art des Gottwesens v erw irft, erlaubt sich n ur solche Abweichungen, um deren willen sich die R eform irten und Lutheraner den kirchlichen Frieden noch nicht aufkündigen w ü rd e n .') Keckere Geister begnügten sich indessen nicht mit diesem be­ scheidenen M aaß h alten , wie denn keine Schulphilosophie in dem G rad e ihrer Anwendung au f das Positive m it sich selber überein­ stimmt. E s ist hier der O rt, den bekannten B a l t h a s a r B e k k e r* ) zu nennen, den vielgescholtenen Verfasser der „B ezauberten W e lt;" er ist d as O p fer des C artesianism u s, in gewisser Richtung ein V orgänger des R atio n alism u s. D ie Schriften dieses M an n es verrathen einen vordringenden kritischen K opf, von dem sich be­ greifen läßt, wie gern er die Schule eines A l t i n g und M a r e s i u s m it der der neuen Philosophie vertauschte, die ihn bald über die Schranken der herrschenden Ueberzeugung hinausführen sollte. E r bekannte sich 1668 zu C a r t e s i u s , in der M einung der christ­ lichen S ache und selbst der biblischen W ahrheit zu dienen und ungeschreckt durch die Anforderungen einer gebieterischen Kirchlich­ keit?) I n einigen m ir vorliegenden B riefen zwischen ihm und M a r e s i u s kämpft die Ehrerbietung gegen seinen Lehrer m it dem V erd ruß über die öffentliche V erdächtigung des 1671 von ihm herausgegebenen K atechism us. M it der h. S chrift zu stehen, sei die beste Rechtgläubigkeit, den V o rw urf der N euerung wollte er an *) Vgl. Append. ad theolog. pacificam p. 20. 30. 50. 89. 120. 174.

2) Geb. 1634 in Westfriesland, studirte in Franeker und Groningen unter Alting und M aresius und wurde nach anderen Anstellungen Prediger in F raneker. Von dort verdrängt suchte er an mehreren Orten Unterkommen und ward 1679 Prediger in Amsterdam. Hier arbeitete er die ersten Theile seines Hauptwerks aus, deren Erscheinen eine Untersuchung des dortigen Consistoriums gegen ihn zur Folge hatte. D er Proceß endete m it Suspension und 1692 mit Absetzung, er ging nach Friesland zurück, wo er sein Werk vollendete, und starb 1698. V gl. W alch, a. a. O . B d. III, S . 930 ff. Schröckh, Kircheng. s. d. Res. VIII, S . 713 und den Artikel in Herzogs Encyklopädie. 3) De philos. Cartesiana admonitio candida et sincera, Wesel. 1668.

BekkerS kritische Anwendung des Cartesianism us.

245

nehmen, wenn er dadurch zum K am pf wider die „veralteten N eue­ rungen" der Z eit berechtigt w e rd e .') M a r e s i u s selbst behandelt ihn hier m it zurückhaltender Schonung, und so scheint der E n t­ schluß zum offenen W iderspruch gegen irgend eine S eite des Kirchen- und V olksglaubens allmählich gereift zu sein. D ie kritische Richtung selber reducirt sich bei ihm au f zwei Punkte, daß er erstens die dubitatio philosophica weiter a ls seine Genossen ausdehnte, und daß er zweitens Ernst machte m it dem wissen­ schaftlichen R echt, alle Erscheinungen des N aturlebens selbständig und ohne Rücksicht auf A uctorität und Bolksm einung zu erfor­ schen. D a s Letztere geschah z. B . 1 6 8 3 2) bei Gelegenheit einer Kometenerscheinung, B e k k e r widersprach den Befürchtungen eines dadurch geweissagten Unglücks. M it dem philosophischen und theo­ logischen Zw eifel wollte er allerdings nicht stürmisch zu Werke gehen. An die S telle der clara et distincla perceptio setzt er die „wohlgebrauchte V ern u n ft" und diese zw ar nicht über die S ch rift, doch ihr nothwendig vorangehend, so daß es wohl geschehen kann, „daß sie einander auf dem W ege begegnen oder in einem Hause zusam m entreffen;" dann reichen sie einander die H and, B eide a ls „freie Leute," wenn gleich m it dem Unterschied, daß die „ V e r­ nunft a ls die geringste der S chrift allezeit Ehrerbietung beweiset." D enn sie haben verschiedene H au sh altun gen , die eine a ls R egel der Erkenntniß der natürlichen D in g e, die andere herrschend in Sachen des G lau b en s, können sich aber doch H ülfe leisten ?) „D enn so die S chrift aus keine natürliche Weise von natürlichen ') B. Bekkcri dcfensio justa et necessaria — acl Samuelein Maresium. Franeq. 1673. p. 10. Novitatis nomen non omnino respuo, sed partim quaero antiquae convenientem veritati, ut inveteratis novitatibus obsistam: edoctus ab Archididascalo nostro instar scribae ad regnum coelorum edocti, thcsaurum mihi comparare, ex quo promcre suo tempore possim tarn nova quam vetera. Heterodoxias me insimulari non patiar nisi eorum respectu, qui amant tu 'htQ ct d'itictgctt. ‘J Ondersoek van de Betekeninge der Cometen Leuward. 1683.

3) D ie bezauberte W elt, oder eine gründliche Untersuchung des allgemeinen Aberglaubens rc. A ns dem Holländischen. A m sterd. 1693. V gl. Generale V or­ rede S . 11 — 15.

Viertes Buch.

246

Erster Abschnitt.

Dingen redet, w eil sie dennoch niemals lüget: so muß die Ver­ nunft lehren,

wie man da die Schrift nach

Sachen soll verstehen."

Erforderung der

W ir kennen bereits diese auf einem ganz

richtigen Grunde beruhende Grenzbestimmung, und dafür allein würde B e k k e r

noch nicht m it Absetzung haben büßen müssen,

wenn man ihn nicht der Antastung des Glaubens selber beschuldigt hätte.

Schon der Katechismus ‘) erregte durch seine biblischen

Deutungen großen Anstoß, z. D . daß G ott m it den ersten M en­ schen vor ihrem F all keinen Bund der Werke geschlossen habe, daß der B aum des Lebens eine physische K ra ft gehabt den Tod abzu­ halten, daß der Dekalog meistentheils nur einen äußeren Gehorsam bezwecke, daß die Alten nur den Verheißungen des Gesetzes zu glauben gehabt, nicht dem Evangelium , daß zwischen der Recht­ fertigung zwischen

des A . und Borgen

und

N . Testaments Q u ittire n

ein Unterschied sei wie

(Borgen

und

Quytschelden).

Dergleichen auffällige Sätze wollte man in einer Unterrichtsschrift in der Landessprache am Wenigsten gutheißen.

W o er konnte,

berief sich B e k k e r auf das Ansehen der konservativen Cartesianer W itt ic h und H e id a n u s . — Alle seine kritischen Interessen ver­ einigte B e k k e r in der „ B e z a u b e r te n

W e lt," ^

einem Werk

ganz eigentlich von a u f k l ä r e n d e r Tendenz, das die Zeitgenossen e n t z a u b e r n und von dem Aberglauben der Dämonologie be­ freien sollte; große Verbreitung und zahlreiche Widerlegungsschrif­ ten haben seinen Namen auf die neuere Zeit gebracht.

Siegreich

und ausgezeichnet streitet der Schriftsteller in den letzten Theilen

') D e r Katechismus erschien 1671:

Du vaste Spysen der V olm aakten.

Ueber einige Punkte des In h a lts vgl. Defensio ju sta ct nccessaria p. 40sqq. 2) D ie ersten beiden Bücher erschienen 1690 51t Lenwarden dann zu Amsterdam 1691, die letzten Amsterd. 1693, bald darauf deutsche und französische Uebersetzungen.

In

zwei M onaten wurden vier tausend Exemplare verkauft, wozu Walch

a. a. O . S . 9 3 3 bemerkt:

--Gewiß, hätte man darinnen die W ahrheit der hei­

ligen S chrift von des S a ta n s Macht und Gewalt auf Erden vorgetragen, so würde die Begierde selbiges zu kaufen und zu lesen so stark nicht gewesen feilt." D ie Literatur der Gegenschriften von Mastricht, Leydecker u. A . findet sich in W . H.

B eck er,

Schcdiasma

de uontruversiis

quondam motis, dazu Walch a. a. O . S . 945.

praccipuis

B alth .

Bekkero

B ib i, theol. sei. I I , p. 1051.

B. Bekkers bezauberte Welt.

247

gegen den W ahn der Hexerei, Zauberei und Teufelsbesitzung; aber auch der erste T heil über die biblische Lehre von den Engeln und vom Teufel gewinnt durch seine historische Unterlage eine nicht geringe Wichtigkeit.

D ie Untersuchung beginnt m it einer religions­

geschichtlichen Uebersicht und stellt die Meinungen des Alterthums über Geisterkräfte und dämonische Künste zusammen um zu zei­ gen,

daß das Christenthum nicht zu großen Werth auf Dinge

legen darf,

die es m it Heiden, Juden, Muhammedanern theilt,

wenn nicht von Anderen entlehnt hat.

Teufel und Engel treten in

eine ihrer Realität ungünstige Gesellschaft; wenn also einige Stücke dieses Glaubens auch in

der h. Schrift sich wiederfinden:

so

können sie doch nicht zu dessen eigenthümlichem und offenbarendem Gehalt gerechnet werden.

D ie Werthschätzung derselben verm in­

dert sich meist bei zunehmender B ildu n g und Wissenschaft, es müßte denn eine besondere Gemüthsneigung

dafür

vorhanden

sein.')

Auch bemüht man sich vergeblich, aus der B ib e l ein eigentliches Lehrstück von den Engeln zu schöpfen, da uns nirgends deren Natur und Sein fü r sich vorgetragen w ird , sondern stets im Z u ­ sammenhang m it der göttlichen W eltregierung welche theils

und in B ild e rn ,

die Erhabenheit des Weltherrschers theils die A rt

seiner Wirkungen und Aufträge an die Menschen veranschaulichen; unsere Naturkenntniß gewinnt dadurch keinen Zuwachs?)

W as

den Teufel betrifft: so schreibt die kirchliche Theorie demselben eine G ew alt zu, größer als sie sich m it der Allmacht und Einheit Gottes vertragen w ill, und es bleibt ungereimt, daß der Teufel nach seinem A bfall alle Verstandeskräfte, an denen doch der Mensch so großen Schaden erlitten, vollständig behauptet habe?)

Sollten

aber nicht die Bibelstellen noch andere Auskunft erlauben? Buch­ stäblich verstanden erscheint die Geschichte der Verführung

der

ersten Menschen unbegreiflich, man mag nun die verlockende Hand­ lung dem listigen Thiere oder dem durch dieses redenden Teufel zuschreiben, der Hergang selber bleibt dahingestellt. ’) Bezauberte Welt Buch I, S . 1 2 6 -2 8 . -) Ebendas. Buch II, Hauptst. 8 -1 0 . S. ') Ebendas. S . 73.

D ie Enges,

248

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

die A braham und Loth erschienen, w aren wirkliche Menschen. Bei der Versuchung des H errn haben w ir eine „W echselung gefähr­ licher G edanken" anzunehm en, und in den Däm onenheilungen hat sich Christus an des „V o lk s G elegenheit" und D enkart ange­ schlossen.') S o fäh rt der Verfasser fo rt, bald geistige Potenzen bald menschliche Personen bald nur „verblüm te R eden" zu substituiren, er denkt g ar an den Kaiser N e rv bei dem brüllenden Löwen des P etrib riefes?) Zuletzt w ird d as D asein des S atan zw ar nicht geleugnet, aber biblisch erschüttert und der G laube an seine g e g e n w ä r t i g e M acht als Ursache aller dämonischen Werke entkräftet durch die Hinweisung auf C hristus, der ihn gestürzt. Un­ streitig haben w ir hier den Anfang einer rationalistischen K ritik?) und es ist wohl zu beachten, daß dieselbe an dieser gefährlichen S telle so entschieden einsetzt. Theilweise w ird sie durch die philo­ sophischen P rincipien B e k k e rs an die H and gegeben, besteht aber zugleich schon in der exegetischen G ew andtheit, m it welcher in der S chrift d as dem entstandenen Zw eifel Günstige und Entgegenkom­ mende aufgesucht w ird. E in ernsterer Geist, — denn B e k k e r hat sich einigem al zu frivolen Ausfälligkeitcn hinreißen lassen, — aber ebenfalls kritisch geneigt, von starker Ueberzeugung und Cartestanisch gebildet war H e r m a n n A l e x a n d e r R v e l l , seit 1688 Professor zu Franeker dann zu Utrecht, dessen Leben in das folgende Jah rh u n d ert reicht ( t 1 7 1 8 ). W ir erw ähnen seine mit religiöser W ärm e geschriebene In a u g u ralred e von der „V ernünftigen R e lig io n ," die zuerst den Verdacht unkirchlicher Gesinnungen gegen ihn weckte?) I n unserer Z eit w ürde diese S chrift den N am en einer Apologetik verdienen, da alle Schlußfolgerungen zu Gunsten der christlichen Religion ') Bezauberte Welt Buch II, Hanptst. 20. 21. 2) Vgl. Hauptst. 27. 28. 35. S . 257. ') Einige ältere oder gleichzeitige Schrislen ähnlicher Tendenz, namentlich D aillon , Examen de l’oppression des reformcs en F rance, ou Von justifie l’innocence de lern* religion, Amserd. 1687, erwähnt Wald-, a. a. O. S . 940. ') H. A. Rocll, Dissertatio de religione rationali, edit. IV. Fr an eck. 1700. Conf. praef.

249

Röll von der vernünftigen Religion.

ausfallen; die Absicht des Verfassers aber ging dahin, den ganzen Werth und die hohe Bestimmung einer religiösen V e rnünftigkeit darzuthun, die sich den W ahrheiten des christlichen G laubens fre i zubewegt.

E r spricht m it Lebhaftigkeit, zuweilen m it Geist.

w ill die H ö re r überzeugen, daß über das

Er

höchste ideale Gebiet

kein Gespräch und keine M itth e ilu n g möglich sein würde, wenn nicht dem Menschen ein O rg a n wäre.

der V e rn u n ft ursprünglich

eingeprägt

D ie Ideen haben den W orten den U rsprung gegeben, nicht

umgekehrt diese jenen.

Augen und O hren würden das B il d der

W e lt und deren G ru n d uns Fäden der E rklä ru n g uns regten.

niem als zuführen, wenn nicht die

dieses Zusammenhangs sich urlebendig in

E r w ill veranschaulichen, daß der Mensch n u r sich

auszudenken habe um G o tt zu denken.

V e rn u n ft ist Bewußtsein,

und wer es ergründet, w ird von seinem denkenden S e in a u f das Absolute hingetrieben und kann nicht stehen bleiben, ehe er nicht fü r sich selbst, fü r das W u n d e r des gesammten Geisteslebens, fü r das W under des Zusammenseins von Geist und Leib und fü r das ganze Kunstwerk des Weltgebäudes die sreiwirkende Ursache ge­ funden h a t. ')

Dieser gesammtc In h a lt muß dergestalt im v o ll­

kommensten Geiste gesetzt sein, daß dieser sich in ihm wie in der B ethätigung seiner Denk- und K rastfülle wiederfindet und gefällt. Nach solchen Gedankenskizzen w ird denn nun die Schöpfung aus Nichts und die Eigenschaftslehre bis zur H eiligkeit und W a h r­ haftigkeit,

und aus der B ew underung des Schöpfers werden die

Pflichten der V erehrung

und des Gehorsams

monie der Liebe entw ickelt?)

bis zu der H a r­

G la u b t wirklich R o e l l dies A lles,

die S ünde und Erbsünde m it eingerechnet, aus b l o ß e r V e rn u n ft gefolgert zu haben?

S o sehr täuscht er sich nicht; aber wie der

') R oell, 1. c. p. 34. 35. 5 3 sqq. Wie der Vers. über Spinoza denkt, sagt er p. 69. §. 67. Hobbcsius sanc et Spinoza, monstra illa et portenta hominum , dum id obnixe egerunt, aliis ut pcrsuadcrent Deutn corpus esse, ea ratione omncm de Deo opinioncm omnemquc D c i ciiltum a radicibus revellcre et convcllcre omnia rcligionis fundamcnta studuerunt, sensu pioque D e i cultu continetur.

*) Ibid. p. 78. 98 sqq. 108. 116.162.

quae recto de Deo

250

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Gebrauch des M ikroskops das Auge schärst, so daß es dann auch ohne dessen H ülfe weiter reicht und mehr beachtet a ls zuvor: so, sagt er, hat die V ernunft unterstützt von dem Erleuchtungsm ittel des göttlichen W o rts in ihre eigene Tiefe blicken g elernt?) Nach dem Abfall der M enschheit durch A theism us und Heidenthum sind V ernunft und B ew ußtsein durch die h. S chrift wiederhergestellt und gesteigert, ohne daß die letztere entbehrlich geworden w äre. D enn erkennbar ist d as S e i n G ottes und sein K ö n n e n ; über sein W o l l e n erhalten w ir erst au s göttlicher Verkündigung G e ­ w iß h eit?) S o gesundet die V ernunft in der N ähe der h. S chrift und w ird zugleich au f die Thatsache der O ffenbarung eines gött­ lichen Rathschlusses hingelenkt. S o ll sie nun im G lauben an die O ffenbarung R uhe finden: so kann es n u r nach Untersuchung der G ründe geschehen; das „B ew ußtsein" muß in dem Angenommenen volle B efriedigung gew innen, daher die Nothwendigkeit vernünf­ tiger P rü fu n g , die w ir nicht scheuen dürfen au s Furcht, ob auch der G laube unverletzt au s derselben hervorgehen w erd e?) N un ist allerdings möglich, daß das O ffenbarte ganz neue Lehrmitthei­ lungen enthält, die erhaben über jede B eurtheilung u ns n ur durch neue Id e en eingeflößt werden. Allein R o e l l zweifelt, ob d as Christenthum dergleichen im Geiste g ar nicht V orgebildetes wirk­ lich darbiete und rechnet die M ysterien nicht d a h in ? ) Auch für ') Roell, Dissert. §. 150, p. 163. 64. §. 117, p. 127. Per rationem enim et conscientiam nihil ego designo, quam primo quidem idearum, communium notionum atque axiomatum naturaliter notorum complexionem ac comprehensioncm: tum vero inditam menti virn varias illas tum singulas tum Inter se conjunctas contemplandi, per formam quamque suam ab aliis distinguendi et quid de quaque illarum verum vel falsum, in quo similes sibi vel dissimiles, quaeque unius ad aliam analogia ac proportio sit, perspiciendi etc. 2) Ibid. p. 190. Dei revelata voluntas clare et distincte cognita unica est fidei, obsequii et Cultus norma, sed rationis ope clare et distincte dignoscitur. 3) Ibid. §. 162—64, p. 182. 4) Ibid. §. 161, p. 180. Itaque ut res plane novas intelligeret, novae quoque illi lere ut in primaeva creationc inscribi debuerunt. Quod ut fieri posse non nego, ita an factum sit, non satis scio. Neque enim ipsum trinitatis mysterium tale est, cum Dei revera in nobis idea sit.

Röll'S christlicher Rationalismus.

251

jtefe bringen w ir eine ideelle H andhabe m it und haben M ittel, «ns gewisser Kennzeichen der W ahrhaftigkeit an ihnen zu ver­ l e r n ; auch das nicht völlig Verständliche w ird geglaubt, weil hie G ründe des G lau ben s sich als vernunftgem äß erwiesen haben, so daß ein W iderspruch gegen das Urtheil des rationalen B e ­ wußtseins nicht stattfinden d a r f ? ) Dieser c h ristlic h e und ch ristlich g e m e in te R atio n alism u s R o e l l 's will sich au f dem principiellen S tand pu nk t der Schule be­ festigen, d as Recht vernünftiger P rü fu n g nach allen S eiten sicher stellen und den G lauben von dem Charakter einer blinden gedan­ kenlosen Fügsamkeit befreien. D ie V ernunft w ird dabei in das Licht einer dankbaren Freundin, nicht einer argwöhnischen G egnerin der h. S ch rift gestellt, und die Anwendung au f d as Lehrgebiet im Einzelnen hielt sich in den Grenzen einiger keineswegs unbescheiden ausgesprochener Andeutungen. Aber wenn schon der Zw eifel, ob die christliche Religion neue Id e en mittheile, Bedenken erregen m ußte: so noch mehr die Anpreisung der V ernunft und ihrer kritischen Befugnisse sowie die Unbestimmtheit, welche den N am en ralio und conscientia m R o e l l 's Auseinandersetzung anhaftete. D er übrigens friedfertige M an n blieb daher nicht unangefeindet, einige seiner heterodoren E rklärungen w urden von V i t r i n g a aufgegriffen und durch geschäftige Streitschriften lange im Gedächtniß der nächsten theologischen Kreise e rh a lte n ? ) *) Ibid. §. 121. Nemo saltem est, qui affirmare audeat, verum esse posse, quod rationi contrarietur.

') B on diesem Roell'schen S treit möge hier, da er meist auf die Universi­ täten Franeker und Utrecht beschränkt blieb, nur das Nöthigste angemerkt werden. Den Anlaß gaben zwei Behauptungen N o e lls: 1) Filium Dei secundam Deitatis personam improprie dici genitura. 2) Mortem temporalem etiain fidelium a peccato et aliquam peccati poenam esse. I n ersterer Beziehung war er der Ansicht, daß die Namen Vater, S o h n und Zeugung auf die immanente T rinität keine eigentliche Anwendung finden, weil sie theils dem ewigen Gottwesen fremd, theils ein Verhältniß von Früher und S p ä te r , von Ursache und Wirkung in dasselbe eintragen würden. W olle man sie beibehalten, so geschehe e s, um die Wesensgleichheit der ersten und zweiten Person auszudrücken. Zugleich aber be­ ziehe sich der Name Gottessohn schon auf die Offenbarung, weshalb denn auch, wie Roell richtig erkannte, in der Schrift (Luc. 1, 2 6 — 35. M atth. 3 ,1 7 . 17, 5.

Viertes Buch.

252 In

diesen Beispielen

Vernunftkritik

ganz

in

Erster Abschnitt.

schien

die

also

Theologie

der Cartesianismus eindringen

zu

als

wollen,

während er fü r die Mehrheit nur eine gewisse Anzahl philoso­ phischer Begriffe und Erklärungsmittel in U m lauf brachte. — W ir haben alles

innerlich

Verwandte hier zusammengestellt,

aber nicht länger von

einer

anderen Schulrichtung

dürfen

schweigen,

I o h . 3, 12. 14) der in beiden M aturen menschlich erschienene M ittle r und E r­ löser S o h n G ottes, d. h. sichtbares B ild des unsichtbaren G ottes genannt werde. A u f beit B e g riff der Zeugung

und Sohnschaft innerhalb der T r in it ä t sei aber

um so weniger Gewicht zu legen, da er von jeher u n te r S o c in ia n e rn und A ria ­ nern zu Folgerungen gegen die G ottheit C hristi benutzt worden sei. B e ha uptu ng

Sündeustrafe betrachtet werden müsse. behaftet sind:

D ie zweite

ging d a h in , daß der leibliche T o d nach der S c h rift durchweg als so muß

er auch in

D a n u n die G läu bigen noch m it ihm

ihnen den gleichen Zusamm enhang haben,

folglich die W irk u n g des erlösenden Leidens C hristi demgemäß m o d ific irt werden, so daß C hristus allerdings fü r 'd e n zeitlichen T o d nicht genug gethan, sondern n u r die einstige A ufhebung alles Todes bei der Auferstehung bew irkt hat.

Dies

setzt R o e ll in der zu Utrecht 1728 erschienenen Explicatio Catechcs. Heidelb. aus­ einander.

M a n konnte sich in

diese Ansichten nicht finden und w a r sogar dar­

über un e in ig , ob die wichtigere christologische Thesis auf T rith e iS m u ö oder S a b e llia n ism u s hinauslaufe.

N ichtig ist n u r daS Letztere, denn indem N o e ll den

N am en der Zeugung n u r zum B ew eis der Wesensgleichheit zweiter trinitarischer Potenzen benutzte und die W ü rd e

des Gottessohnes a u f dessen menschliche E r­

scheinung bezog, gab er die hypostatische Unterscheidung a u f, konnte sie wenig­ stens in

kirchlicher Weise nicht mehr festhalten und w a r

fließendes und n u r

ökonomisches V e rh ä ltn iß

auf dem W ege, ein

dreier göttlicher Charaktere inne r­

halb der T r in it ä t zu setzen, wie dieS Buddeus, Theol. dogm. lib. I I , cp. 288. 306 richtig auffaßt.

T rith e is m u s w äre hier eine gemachte Consequenz.

widersprach zuerst 1689

in

V itrin g a

einer Disputatio theol., in qua tlieses de gene-

ratione filii ex patre et morte fidclium temporal! examinantur, und deren Epilogus, und nachdem R oell seine Thesen öffentlich vertheidigt und in zwei Dissertt. theoll. de generatione filii begründet hatte, nahmen auch a u sw ä rtige Gegner daS W o r t: David Huguenius, Christianus ratiocinans Duisb. 1690.

In

Franeker

fü h rte der weitere S tr e it dahin, daß R oell zuerst auf V erlangen der U niversität und dann 1691 der S ta a te n von F rie s la n d Stillschw eigen über die genannten Punkte geloben mußte.

Nach R oellö B e ru fu n g

nach Utrecht 1704 w urde der

Handel wieder aufgenommen, und noch bis 1722 nahmen holländische Synoden Gelegenheit, ih r V e rw e rfu n g s u rth e il über dessen Ansichten zu wiederholen. B enth em , H ollän d. K irchen- und Schuleustaat, I I , S . 102.

V gl.

Judicium ecclcsiasticum, quo opiniones quaedam — Bocllii synodice damnatae sunt. Lugd. 1723.

D ie übrige L ite ra tu r bei W alch, a. a. O . S . 86 6— 890.

Coccejus.

253

welcher man es nicht ansehen sollte, daß sie m it der vorigen nach gt it und O r t zusammentraf. II.

C o c c e j u s .

Nicht gering waren die W irren, in welche die niederländische Theologie durch das Vordringen der neuen Philosophie versetzt wurde; sie wurden aber dadurch noch schwieriger und verwickelter, daß um dieselbe Zeit neben der Cartesianischen Reform auch die Coccejanische Richtung sich verbreitete.

Diese letztere, friedlich

gelehrt, religiös ungefährlich, dogmatisch anhänglich wie sie war, hätte füglich ein freies Dasein beanspruchen können, selbst wenn die Gegner m it Recht behaupteten, daß sie aus falscher Anwen­ dung der Philologie wie der Cartesianismus aus dem Mißbrauch der Philosophie hervorgegangen sei.

Allein auch C o c c e j u s kam

der kirchlichen Scholastik höchst ungelegen, w eil er einen eigen­ thümlichen Fortschritt wollte und von Schülern sehr ausschließlich geschätzt wurde.

Ohne es zu suchen, tra f er in einigen Punkten

mit jener philosophischen Läuterung zusammen; er theilte jeden­ falls das innere Widerstreben gegen den Schulzwang der herge­ brachten Lehrformen; persönlicher Ehrgeiz und Gehässigkeit thaten das Ih rig e , um auch ihn in

eine langwierige

ihn selbst über­

dauernde Anfeindung hineinzuziehn. Johann

C o c c e j u s , ' ) eigentlich K och, w ar ein Deutscher,

geboren 1603 zu Bremen und Sohn eines dortigen Sekretärs T i m a n n Koch. talente,

E r zeigte schon als Knabe ungewöhnliche Sprach­

lernte früh

unter M a t t h i a s

M a rtin iu s

Hebräisch,

Syrisch und Arabisch und wurde durch den Umgang m it dem nach Bremen verschlagenen M e t r o p h a n e s K r i t o p u l o s im Griechi­ schen gefördert.. Seine theologischen Beschäftigungen leitete L u d w i g

’) G enaueres findet sich über sein Leben in

bev Praefatio des H e i n r i c h

Coccejus zu der GesammlauSgabe der W erke und in B en lh e m , H o lla n d . K irchen-

und S c h u le n -S ta a t, Coccejus und seiner

Th. II,

S . 1 1 8 ff. —

Schule ist noch

***> S . 7 0 0 , M a x G ö b e l,

zu

Ueber S ta n d p u n k t und Lehrweise des

vergleichen

Walch's E in le itg . a. a. O .

Gesch. des christl. Lebens in

der rheinisch -w estphäl.

Kirche, B d . I I , S . 1 6 0 . Tholnck, das academische Leben, B d . I I , S . 2 2 6 .

2 54

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

C r o c i u s . V on jüdischen G elehrten zu H am burg w urde er in d as Rabbinische Schriflthum eingeweiht. Z um Zweck seiner weiteren A usbildung nach den N iederlanden übergesiedelt studirte er in F raneker-unter A m a m a den T alm ud und gab zwei Tractate (S anhedrin et M accoth) übersetzt und m it gelehrten Anmerkungen h eraus. Diese gründliche Kenntniß der jüdischen L iteratur machte ihn keineswegs dem Ju den thu m geneigt, dessen Hasser er vielmehr geblieben ist: wohl aber ist au s solcher Beschäftigung wie überhaupt au s seinem philologischen B ildungsgänge etw as Geistiges in seine Theologie übergeflossen. D er biblischen und orientalischen S prach­ wissenschaft w ar lange Z eit seine amtliche T hätigkeit allein ge­ w idm et, zuerst in B rem en, dann in Franeker, wohin e r, dam als schon berühm t, 1636 berufen w urde. N un fing er an biblische Com m entare herauszugeben, die ihn tiefer in die Theologie führ­ ten , und erhielt 1643 auch die theologische Professur daselbst. Vollständig zum Theologen geworden nahm er 1650 nach F r ie d r ic h S p a n h e i m s des Aelteren Tode obgleich zögernd einen R u f an die Universität Leyden an. H ier ist er geblieben und h at bis zum Tode (1 6 6 9 ) a ls E iner der gepriesensten Lehrer neben dem schon genannten H e i d a n u s seiner Wissenschaft gedient. C o c c e j u s w ar ein überaus gelehrter und ein unermüdlich thätiger Schriftsteller, ein from m er friedliebender Mensch, der nie au s S treitlu st die Feder ergriff und selbst die gegen ihn gerichteten Angriffe m it M ilde zurückwies, ein eigenthümlich feinsinniger Geist. S p a n h e i m der Jü n g ere vergleicht ihn an rastloser Arbeitsamkeit und schriftstellerischer Fruchtbarkeit nicht übel dem O r i g e n e s , dem er auch darin ähnlich sei, daß ihn m ehr die Fehler seiner S chüler a ls die eigenen in V erru f gebracht, daß er aber doch seinem Scharfsinn in der Erforschung eines geheim nißvollen S chrift­ sinnes allzusehr vertrauend das Naheliegende und Historische vernachläßigt habe, von den gebahnten W egen der E rklärung abge­ wichen und ohne es zu wollen der U rheber kirchlicher S törungen geworden s e i/) C o c c e ju s verfolgte selbständige orientalische ') F. Spanhemii, Opp. II, p. 968. Ast vero quod primo accidit Origeni*

Philologische Richtung des CoccejuS.

255

Sprachstudien, er hinterließ vollendet fein hebräisches Lexikon. E r coinmentirte, theils kurz theils ausführlich, die ganze h. S chrift beider Testamente, m it Vorliebe solche Schriften, die eine typische Exegese begünstigte», wie D aniel, Ezechiel, der H ebräerbrief, Abschnitte des Pentateuchs. M anche T itel seiner S chriften: De ecclesia et Babylone, De Gogo et Magogo, De Anlichristo, De Sabbato ver­ rathen das Interesse seiner A uslegung, ebenso wie die seinen Werken einverleibten Abbildungen des heiligen Tem pels und seiner Theile. E in apokalyptischer T räum er ist er darum noch nicht ge­ worden. V on der Bibelforschung abgesehen fand er noch Z eit zu reichhaltigen apologetischen Abhandlungen gegen Katholiken wie M a s e n i u s , M ü h l m a n n und die G ebrüder W a h l e n b u r g , gegen S o c in ian e r, den R acow er Katechism us und E inw ürfe der Ju d e n , zu kirchlichen Lehrübersichten, die er entweder n u r biblisch oder in systematischem Zusam m enhang behandelte, zu zahlreichen R eden, Gutachten und D isputationen der verschiedensten A rt. M itten unter den ärgerlichsten H ändeln fuhr er zu arbeiten fort, und die acht Folianten umfassende G esam m tausgabe *) seiner W erke hatte noch viele hinterlassene M anuskripte aufzunehmen. N u r E i n e S chriftgattung fehlte bei ihm durchaus, die des schulgerechten D o g ­ m atism us, die ihm nach seiner D enkart nicht zusagen konnte. W eder die Philologie noch die unaufhörliche Schreiblust hat C o c c e j u s zum Bücherw urm gemacht. B ei aller A usübung eines oft grüblerischen S charfsinns blieb er religiös angeregt und w arm , nicht hitzig wie übrigens die Helden des T ag es. E in lebhafter ut ingenio suo permitteret plurimum, ut reconditiorem scripturarum sensum extunderet, historicum frequentissime negligeret, sua (fctviciöfiuTa pro divinis mysteriis venditaret, affectarct iöCag ab usu ccclesiae in pluribus discederct, offensiones se vivo daret, esset laudatus ab bis culpatus ab illis, magna nomina concitaret in sui vel Iaudera vel accusationem, Origenismum ex se imprudens parturiret, ecclesiam post fata nescius ipse discerperet, turbis, simultatibus, odiis, anathematis materiam per aliquot saecula suppeditaxet: — utinam istorum non specics quaedam et imago in Coccejo nostro, cumprimis vero in filiis ac nepotibus reviviscerct! ’) Johannis Cocceji Opera omnia theologica exegetica didactica polemica philologica. Francof. ad Moenum 1702. 8 voll. fol.

256

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Briefwechsel hielt ihn mit fernen Freunden und Studiengenossen wie C o n r a d B e r g i u s , P e r i z o n i u s , M a t t h i a s M a r t i n i u s , J o h a n n B u r t o r f , C r o c r u s , A n d r e a s S y l v a n u s in V er­ bindung. Auch Frauen fehlen in diesem Kreise nicht ganz; die gelehrte und fromme M a r ia E le o n o r e Pfalzgräfin bei Rhein liebte den brieflichen Verkehr mit ihm a ls einem eifrigen B e ­ förderer des Bibelstudiums und forderte ihn sogar auf, zu einer neuen die Lutherische übertreffenden Uebersetzung der B ib el Hand anzulegen.') Und hier muß man C o c c e ju s lieb gewinnen aus der Herzlichkeit und Einfachheit seiner Rede. Versuchen wir nun auf den Geist seiner Schriften genauer einzugehn. D er reformirte Standpunkt des C o c c e j u s ist unver­ kennbar, so wenig er auch polemisch gegen das Lutherthum gel­ tend gemacht wird. Er schätzte und mit ihm die späteren Föde­ ralisten den tief religiösen und praktisch brauchbaren Heidelberger Katechismus, schon darum weil derselbe a sine ausgehend das praktische Ziel der Religion überall durchblicken läßt. S ein e eigenen dogmatischen Aphorismen sind von ganz reformirter An­ lage und haben ihr Bemerkenswerthes in der maaßvollen Haltung der Erwählungslehre sowie in dem unbefangenen Urtheil über das natürliche Vermögen zur Gotteserkenntniß. D ie Theologie ist d ie der w a h r e n F r ö m m ig k e it a n g e m e sse n e und dem Zweck d er T r ö stu n g d e s M en sch en fü r d ie s e s u n d je n e s ') Ueber diesen Antrag schreibt die Pfalzgräfin 1064 an ihn: »W ir Reformirte haben Luthcri Version also behalten w ollen, umb weilen wir gesambter Hand anß Babel außgegangen w aren, zu keiner Trennung Ursach zu geben, haben aber darbet unseren Zweck gar nicht erhalte», sondern die Lutheraner viel hallstarriger und hochnnitiger dardurch gemacht, warum wollen wir dann länger bedencken tragen oder uns scheuen zur Ehre Gottes »nd zu besserer Erkantnnß seines W orts und W illens eine eigene und bessere Übersetzung zu haben?» CoccejuS antwortete darauf: »W as die Übersetzung der H. Schrifst angehet, ist mein Hertz w ol gut und w illig, weiß aber nicht, w as m ir G ott wird aufflegen, das weiß ich, daß viele leute sehn, die nicht gern von Verbesserung hören, und nicht w ol können leiden, daß man seine Gedanckeu ans Liecht bringe, vermehneiib sie haben genug, ob sie schon dasselbe was gethan ist, nicht wissen, unter­ dessen lassen die irrenden nicht nach, die Schrift mit Fleiß zu verdrehen.» Opp. VI, Epistolae p. 40.

Praktische Nothwendigkeit der Offenbarung.

257

L e b e n d ie n e n d e L e h r e , dargelegt in den Büchern beider T esta­ m ente?) Erst das Z iel des ewigen G o tt selbst verherrlichenden Lebens macht die Nothwendigkeit der O ffenbarung einleuchtend. Um die G ottheit an sich als U rgrund der D inge in ihrer Allmacht und Vollkommenheit zu wissen, bedarf es noch keiner solchen, weil diese nach R öm . 1, 19. 20 von der V ernunft und dnrch Schlüsse aus der Anschauung der Schöpfungswerke schon erkannt w erden; das G eoffenbarte w ürde alsd an n nur den W erth haben, diese N aturtheologie zu ergänzen und zu vollenden?) Aber dieses m it Unrecht von den S o cin ian ern geleugnete Naturwissen führt imm er nur zu dem S e in und D asein G o ttes, nicht zur E rw ägung dessen, w as es für u n s besagen w ill: E r is t; daß er u n s e r G o tt, des S ü n d e r s G o tt sein wolle, darum aber auch G ehorsam und fromme H ingebung fordere, — diese höchste ethische Selbstbestim ­ mung, welche jeder G laubenserkenntniß erst ihren praktischen Nach­ druck giebt, bezeugt allein die biblische V erkündigung des W o rts. D a s R echt, welches hier dem vernünftigen Denken eingeräum t w ird, veranlaßt einige spekulative S ätze. „ D ie Eigenschaften G ottes (altribu ta comm unicabilia et incom m unicabilia) sind dessen Wesen selbst, sofern cs entweder nach einer Vollkommenheit des Creatürlichen oder an dessen M angel und Unähnlichkeit gemessen w ird ." D a s absolute, einfache und ewig sich selbst gleiche W esen negirt jede Aenderung oder Umstimmung des W issens und des *) Aphorismi per univers. theol. breviores disp. 1. Prolixiores disp. 1, § .1 1 . Opp. VI.

a) Aphor. prolix. disput. 1, §. 10. Theologia naturalis in homine irregenito est quidem, adeoque ut nullus sit speeulative aOeog\ sed non est ut oportet et cum effectu obedientiae, adeoque rorjaig argumcntorum, quibus cognoscitur Deus, est fidei. 3) Summa theologiae ex scripturis repetita cp. 1, §. 18 (Opp. VI.). Kevelatione igitur omnino opus fuit, non tan tum ut homo excitaretur ad vorjatv et animadversionem facturarum D ei, ut in illis conspiccret invisibilia Dei atque ita palparet Deum et inveniret; sed multo magis ut disceret quid valeat, e s s e D e u m, et in liac perfectione cognosccrct illam alteram, quae propius ad Deum appcllit, p o s s e e s s e D e u m p e c c a t o r i s : tum deinde perciperet illam maximam landein Dei, quae est v e i l e q u a e r i et i n v e n i r i a p e c c a t o r e ; denique quomodo cum quaeri oporteat ut inveniatur. Gesch. d. Protest. Dogmatik II.

17

258

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

W ollens. D ie A llgrgenw art darf weder räum lich, noch die E w ig­ keit zeitlich gedacht w erden, und die Allmacht hat Nichts gemein m it localer Ausdehnung oder Anwesenheit; muß sie also , w as nicht ausbleiben w ird , au f das Einzelne und Oertliche bezogen w erden: so kann es n u r geschehen in der Annahm e einer allersüllenden und Alles tragenden, aber von dem Ansichsesn G ottes zu unterscheidenden W irksam keit.') W ir kommen auf diesen Satz späterhin zurück. C o c c e ju s scheut sich nicht vor den Folgerungen seines G o t­ tesbegriffs. Nach einer einfachen Beschreibung der T rin itä t v er­ w irft er die scientia media, den bedingten und nachfolgenden W illen und stellt die D ecrete der Schöpfung vorpn. P ie A u s­ führung der Rathschlüffe, sagt er, m uß der Z eit nqch in um ge­ kehrter O rdnung erfolgen, a ls in welcher die göttliche Id e e die­ selben in sich träg t; das historisch Letzte geht nach innerer P rio ritä t allem Anderen v orau s, so daß A nfang und Ende in der höchsten Selbstbesahung und Selbstverherrlichung des absoluten W illens zusam m entreffen?) S tre n g genommen sollte daher die P rädesti­ n a tio n , w eil sie die A usgänge des Processes bestimmt, vor der Schöpfung ihren Platz haben. Allein der Schriftsteller fügt sich lieber dem biblischen und patristischen G ebrauch, indem er die Vorherbestim m ung a ls solche so stellt, daß sie einem Geschehen­ lassen der S ü n d e angeknüpft, wenn nicht geradehin untergeordnet werden k an n ?) D ann fährt er wieder sehr correct fort in den S ätzen : die E rw ählung sei nicht der Rathschluß G läubige zu rechtfertigen und A usdauernde zu verherrlichen, sondern vielmehr G lauben und A usdauer erst zu verleihen, die B eru fun g also schon 1) Summa theol. cp. 8, §. 107. cp. 0, §. 45. cp. 17, §. 4. 3) Aphorismi brev. disp. IX, §. 12. Quod ultimum cst in executione, primum cst in intentionc, non cst verum ratione temporis neque ratione ordinis simpliciter, sed tan tum ratione princij^alitatis. Nam voluntas Del ultimum bonum, quod ex omnibus praedefinitis operibus consurgit, nt maximum praecipue videtur affirmare, ita tarnen ut singula opera suam decentiam haberent. '') Aphor. brev. disp. IX, §. 17. VII, §. 13. 14.

Der exegetische Standpunkt de« Coccejus.

259

ein wirksamer E rfolg der Election und der G laube ihr Z eichen.') Z u r V erm ittlung des D ecrets m it der menschlichen Freiheit bedarf es n u r der Einsicht, daß vermöge eines unbestimmbaren Concursus die H andlungen sich innerhalb einer göttlich verursachten Richtung fortbew egen; m an wolle jedoch das Sichselbstfolgen des S ü n d e rs nicht m ehr W illensfreiheit nennen, da es a u s keiner Indifferenz des W ahlverm ögens hervorgeht. E rst die B egnadigten erheben sich wieder zur F reiheit, eben sie aber auch zur G ew ißheit des H eils, da Niem and sich G o tt nähern kann, ohne diese Sicherheit und m it ihr die N ährerin seines frommen Gem üthsznstandes (nutricula pietatis) zu em pfangen?) Dieser u ns wohlbekannte, ohne viel W ortm acherei wenn auch m itunter in barbarischem Latein vorgetragene resorm irte Lehrtypus spricht die eine H älfte der G esinnung des C o c c e ju s a u s. D ie andere haben w ir schon erw ähn t; es ist d as sinnende, anschmie­ gende, unbegrenzt gläubige Eingehen au f die Schriftquelle, es ist die Ueberzeugung, daß nur die im m er tiefere E rgründung der h. S ch rift die Christenheit zu höherem Lichte der Erkenntniß em­ porheben könne. C o c c e ju s w ar wie gesagt kein apokalyptischer P h an tast, aber grüblerisch vertieft in das w undervolle Gewebe biblischer Wechselbeziehungen, typischer oder prophetischer oft fern­ liegender D eutungen. Und darin fand er die B lindheit des Ju den thu m s, daß es für die im A. Testam ent bildlich und pro­ phetisch sich erschließende Zukunft kein Auge hat. ') Auch E rkläru n ­ gen wie die dam als berüchtigte des G r o t i u s , der die W eis­ sagung vom Antichrist im Römischen K a i s e r th u m als erfüllt ansah, um dadurch nach dem A rgw ohn der G egner eine politisch-kirchliche A nnäherung an das P a p s t th u m zu erleichtern, — konnten ihm unmöglich zusagen und forderten ihn zu gelehrter W iderlegung her­ a u s ? ) A ls nun I s a a k V o s s i u s d as Ansehen der S ep tu ag in ta ') Aphor. prolix. disp. XI, §. 1—5. ?) Summa theol. cp. XXXII, §. 7. ’) Judaicarum responsionum et quacstionum consideratio. T. VII. 4) Repetitio illustrium locorum V. et N. T. qui de Antichristo agunt. Opp. VII.

260

Vierte« Buch. Erster Abschnitt.

d arau s beweisen w ollte, daß die hebräischen Handschriften durch den Z u tritt der Vokale vielfach verderbt seien, tra t er au f die S eite der Vertheidiger des masoretischen T ertes und seiner O r i­ g in alität. N iem and bestand unbedingter au f der w ö r t l i c h e n E i n g e b u n g deS heiligen T ertes a ls e r; jeder Schein einer Ab­ hängigkeit des Schriftglaubens von kirchlicher Anerkennung, jede Möglichkeit einer Antastung des K anons m uß schw inden.') M an sage auch nicht, daß die B ibel an K larheit verliere, wo sie in B ild ern und Anspielungen redet, noch daß die symbolische T heo­ logie überhaupt keine B ew eiskraft habe, denn selbst diese bleibt lehrhaft in der H and des nothwendig vorausgesetzten gelehrten S tu d iu m s und bietet durch Analogie und B eziehung au f einen erleuchtenden M ittelpunkt den Schlüssel zur Aufhellung des G e ­ heim nißvollen; auch innerhalb des Figürlichen sträubt sich die S chrift gegen verkehrte In te rp re ta tio n ? ) S ie verlangt aber vom Leser, daß er überall in ihr und schon in der ältesten Ansprache an die V äter G o t t reden höre und d arau f achte, wie sich die göttliche V erkündigung durch G ü te , Gerechtigkeit und W eisheit dem Bew ußtsein aufdrängt und die fleischliche und gottfeindliche Richtung in u ns bekämpft. W enn die Pontificier dieses A rgu­ ment a ls B erufung au f irgend einen reform irten Spiritus privatus verw erfen: so verstehen sie die allgemein christliche N a tu r des inneren Zeugnisses nicht zu w ürdigen, sie bedenken nicht, daß jeder päpstlichen B eglaubigung weit eher ein singulärer Privatgeist zum G runde liegen w ü rd e ? ) D enn so offenbar hat G o tt sein Gesetz verkündigt und in die M itte Aller gestellt, daß es seine M acht in den G em üthern behauptet, ehe noch eine andere A uctorität ihr J a dazu gesprochen. D ie S u m m e des göttlichen W o rts w ird leichter gew ußt a ls verkannt und nicht gew ußt, und m an muß den U m ­ gang der G uten und From m en m eiden, um nicht von dessen *) Aphor. prolix. disp. 3. Conf. Admonitio de principio fidei eccl. Reform, ad Jac. Masenmm. Opp. VII. Summa theol. ex script. s. p. lOsqq. 2) Summa theol. p. 28—30. 3) Sacrae scripturae potentia demonstrata p. 24. Opp. VII.

D es Coccejus Hochschätzung des A. L.

261

W ahrheit getroffen und verfolgt zu w erd en .') V ernunft und B e ­ wußtsein sind die M ittel der E rkenntniß, Gehorsam gegen den W illen der B ibel deren unm ittelbare F olge. D er Einzelne und Ungelehrte sogar, so lange er sich wirklich glaubend v erhält, also der leitenden Richtschnur des Geistes Christi offensteht und nicht bloß vermuthet oder G ehörtes nachspricht, kann und soll der Nich­ tigkeit seines Schriftverständnisses ohne fremden Beistand gewiß w erden?) D ie S ynoden aber, welche die reform irte Kirche liebt, haben nicht den Zweck, diese Sicherheit erst hervorzubringen, zu übertreffen oder über die Bestim mtheit des Schriftsinnes h in au s­ zugehen, sondern wollen nur den G rad der genaueren über ge­ wisse S treitfrag en unter den Kundigen stattfindenden Ueberein­ stimmung constatiren. Welchen W erth ferner C o c c e j u s fü r die G ew innung christlicher Wissenschaft au f d as Alte T esta­ ment theils a ls G elehrter theils im Einklänge m it den reform irten Neigungen legte, spricht er unum w unden a u s. „N iem an d hat w ahrhaft an Christum geglaubt, ohne M oses und den P r o ­ pheten zu tra u e n ." „D iejenigen, welche au f G ru nd dieser Letz­ teren sich Christo ergeben haben und durch B ew eism ittel, die au s den Schriften des M oses und der Propheten entnommen sind, von der W ahrheit der apostolischen Lehre überzeugt worden, haben einen ebenso werthvollen und denselben G lauben m it allen Uebrigen besessen."*23) ') Admonitio de priucipio fidei (Opp. VII). Ita enim Deus legem suam publicavit et in medio omniuin posuit, ut difficilius sit ejus summam ignorare quam scire: hoc est ut vix quisquam possit illam ignorare, etiam dedita opera, fugicndo omnc honcstum commercium, omnem congregationem bo­ norum et piorum hominum, omne Colloquium, quod vcl de bonis moribus, vel de Dei voluntate et natura, vcl de solatiis afflictorum et morientium, vel in hominis nativitate inque omni gratulationo solet institui. 2) Ibid. p. 13. Secundum liaec tonet eccl. Ref., quod quivis fidelis possit et debeat esse certus de sensu, quem ex scriptum discit, etiamsi omnes homines ab ipso dissentiant, quodque sequens scripturam possit et debeat rejicere omnes errores, idque faciens possit esse certus se recte rejicere, quae rejicit. Conf. p. 15. 3) Ibid. p. 3. Affirmatque cccl. Ref., eos qui in Christum crediderunt propter auctoritatem Mosis et Prophetarum et Apostolorum sermonem ac-

262

Viertes Buch.

Erster Abschnitt.

S o lebendige B erufungen au f die B ib e l, so ernste Aufforderuugen zu neuem Eindringen in ihre Tiefen und Falten waren gewiß fördernd und erwecklich fü r den dam aligen Z ustand, und C o c c e ju s meinte sie a ls den besten Fortschritt. Nicht T radition und päpstliches Lehramt allein wollte er zurückweisen, sondern ebenso sehr der eigenen Kirche und Theologie zu Hülse kommen. F röm ­ migkeit und Wissenschaft leiden nach seiner Ueberzeugung unter einem Lehrbetrieb, der statt die G abe der Interp retatio n zu wecken, sich selbstzufrieden nur in der angewöhnten schwerverständlichen und unfruchtbaren T heorie bewegt. E r haßte die orthodox! ä Ja m o d e ,” welche nicht eindringen in den G eh alt des W ortes G o ttes und Andere an dessen Erforschung h indern, und glaubte sich von ihnen gehaßt. „ E s seien, sagt er sehr w ah r, verkehrte Zeiten. D ie M eisten stellen trotz alles R ühm ens die h. Schrift nicht hoch und behandeln sie ähnlich wie die Katholiken; a ls V er­ brechen gilt cs zu glauben, daß m an au s ihr noch E tw a s lernen und m it biblischen W orten besser aussprechen könne, a ls jene aus Philosophen plötzlich geschaffene T h e o lo g e n ."') B edürfniß also sei die innigste fortschreitende V ertrau theit m it den heiligen U r­ kunden, dam it sie aufhören u ns fremd und barbarisch zu klingen. Und wenn überhaupt eine Verbesserung der S itte n und B eilegung der unnützen Streitigkeiten in der Christenheit zu hoffen stehe: dann werde cö m it G ottes H ülfe dahin kommen, daß die Jü n g e r der Theologie Nichts fü r nöthiger halte», a ls die T afeln der h e i­ l ig e n B ü n d n i s s e zu lesen und zu bedenken, nicht um darüber öffentlich wohlgesctzt oder doch erträglich vorzutragen, sondern daceperunt ut verum propter demonstrationem ex sermonibus Mosis et Prophetarum deductam, aequo prcciosam fidern habuisse cum ornnibus qui in Chri­ stum cicdiderunt aut credent, quodque non sit alia fides. J) Ejnst. 71. Nos tri homines mihi videntur scripturam habere co loco, quo Pontificii. Sunt orthodoxi a la mode. Ipsi non inquiriint in scripturae sensus et alios non patiuntur eos explicare. . Epist. 91. Sunt perversa tempora. Plerique scripturam, in qua gloriantur, non magni faciunt. Unum crimen est, putarc ex scripturis diel possc aliquid et verbis scripturae dici m elius, quam theologi repente ex philosophis facti dicunt. Haec res me cogit ut non desinam scribere.

W o rin berühren sich CoccejuS und S pener?

263

ntit sie Licht und Feuer in de» Gemächern der Menschen an­ fachen.

Auch der Unterschied zwischen Glauben und Theologie,

auf welchen die Methodiker so großen Werth legen, habe darum sticht V ie l auf sich, da auch die letztere ganz jenem anderen an­ gehöre; n u r der G l ä u b i g e sei w a h r e r

Theologe,

auch der Glaube auf scheinbar Theologisches,

so wie

auf Erklärungen

und Folgerungen aus dem Fundamentalen sich erstrecken müsse.') In

C o c c e j u s verbindet sich also ein praktisch aufgefaßter

bklltsch-reformirtcr Lehrcharakter m it einem ungewöhnlichen Grade biblischer Begeisterung und m it dem Bestreben, die ermüdete und in philosophischem Dünkel verkommene Theologie durch die Schule der h. S ch rift aufs Neue zu beleben.

Beide Elemente vertragen

sich aber in ihm ; das biblische Streben bleibt noch m it dem ortho­ doxen System und dessen wesentlichen Interessen in Eintracht; die Forderung einer gläubigen Theologie erinnert zwar an S p e n e r , öhne jedoch so scharf reformatorisch wie bei diesem an die Spitze zu treten.

C o c c e j u s wollte ein bessernder und fördernder Lehrer

seiner Kirche sein, indem er von der herrschenden Methode ab­ lenkend das vernachläßigte biblische P rincip Weise zur Geltung brachte.

in

eigenthümlicher

Die Frage, was ihn auf die be­

rühmte F ö d e r a l Met h od e geführt habe, ist an dieser Stelle un­ schwer zu beantworten.

Es w ar gewiß kein vorübergehender E in ­

falt, da sich in allen seinen Schriften Anklänge des Gedankens finden, welchen er 1648 in der merkwürdigen Schrift De testa-

menlo et foedere Dei ausführte.

Ebenso gewiß wurde er dabei

Vön der Lehrtradition seiner Kirche unterstützt.

Suchte C o c c e j u s

tine Lehrgestalt, die möglichst eng an biblische Namen und T h a t­ sachen anknüpfte: so lag der eingeschlagene Weg nahe. lige S chrift w ar ihm

Die hei­

nicht allein Quelle und N o rm , sondern

Eigentlich Ge ge n s t a n d , und der Theologe soll sich also zu ih r Verhalten, daß er überall die Rede Gottes an das erwählte Ge­ schlecht des Volkes und der Gläubigen hindurchhört.

I n sich selbst

ist sie aber geschichtliche Entwicklung, deren Fortschritte durch *) Summa theologiae cp. 1, §. 11.

Viertes Buch.

264

Erster Abschnitt.

drohende oder verheißende Zusagen und göttliche Anerbietungen bezeichnet tvcrbcn. A ls das Gegenständliche bieten stch also zu­ nächst jene Höhepunkte der biblisch-historischen Oekonomie dar, welche als

Denkmale einer von Oben her gegebenen Bürgschaft

auf einander zurückweisen und zuletzt in der Erscheinung Christi ihre Vollendung haben.

Es kam nur darauf an, unter welchem

Namen diese Zeugnisse eines verpflichtenden, erziehenden und erlö­ senden höchsten W illens zusammengefaßt werden sollten.

C o c c e ju s

wählte um so mehr den Namen deS T e s ta m e n ts und B ü n d ­ n is s e s , da er von dem alttestamentlichen Studium ausging, und indem er die Ideen der Gnade und des Evangeliums bis in die Anfänge der h. Schrift zurückzog, dehnte er auch den B e g riff eines testamentarischen Pactums auf beide Theile derselben aus. Dieser Grundgedanke ist freilich noch weit entfernt von der hier vorliegenden kunstvollen Bearbeitung: allein der Scharfsinn und die Feinheit deS Schriftstellers führen w eiter; die Vorstellung des Bündnisses w ird zerlegt, jedes ausgesprochene Verhältniß zwischen G ott und Mensch daraus angesehen, wie es sich unter diesen Ge­ sichtspunkt stellen lasse, bis es gelungen ist, den gesammten Offenbarungsverkchr

m it dem erwählten Volk und dem menschlichen

Geschlecht überhaupt durch N a tu r, Gesetz, Sünde, C u ltu s , V e r­ heißung und E rfüllung an dem Einen Faden zu verfolgen.

Die

Ideen des Hebräerbriefs m it seiner dia&tjxr] sind in einer m it* läuftigen und vieltheiligen exegetischen Operation auseinanderge­ legt, welche den In h a lt des christlichen Glaubens erschöpfen w ill. Und nicht allein die historische Oekonomie der Erlösung, sondern auch, was besonders merkwürdig, das absolut Ueberhistorische, das innere Verhältniß der trinitarischen Personen w ird in dieselbe B e ­ trachtungsweise hineingezogen.

Hätte C o c c e j u s , indem er von

dem gewählten Standpunkte aus alles Biblische verarbeitete und verknüpfte,

nicht zugleich im

vollen Umfange d o g m a t i s i r e n

wollen: sein Werk würde hie einfachere Gestalt einer biblischen Theologie gewonnen haben.

Nun aber stand ihm jederzeit Zweierlei

vor Augen, hier die Geschichte der Offenbarung als Reihenfolge bundesmäßiger Acte, dort das reformirte Glaubenssystem. Daher

D as Föderalsystem des Eoccejns.

265

wurde E in s in s Andere m it großer Geschicklichkeit eingefügt und so ein systematisches Erzeugniß hervorgebracht, in welchem der biblische Naturkörper zw ar von der an ihn herangebrachten Kunst und Struktur bedeutend eingeengt w ard, doch aber noch V iel von der ihm eigenen G estalt und R egung übrig behielt. Z u diesem System einer F ö d e r a l t h e o l o g i e , fügen w ir hinzu, waren aber in der reformirten Lehrentwicklung die Anfänge deutlich gegeben, das haben S c h w e iz e r und S c h n e c k e n b u r g e r nachgewiesen und werden darin gegen E b r a r d Recht behalten.') S e it Z w i n g l i gesagt, die R eligion habe damit ihren Anfang genom ­ m en, daß G ott den vor ihm fliehenden schuldbewußten Menschen aus seiner Entfrem dung zurückgerufen und zum vertrauenden G e ­ horsam aberm als verpflichtet habe:") erhielt sich mehr oder m in­ der die föderalistische Form der Veranschaulichung. „ D a s pactum salutis ist d as Gegenbild des reformirten R eligion sbegriffs." E s fügt sich leicht an die der reformirten Lehre eigenthümliche ökonomisch-soteriologische Betrachtung und bietet zugleich für die P r ä ­ destination einen Anknüpfungspunkt. D ie Unterscheidung und V e r­ gleichung der R eligionsstadien nach Form en eines zuerst natur­ ähnlichen nachher positiven B ündnisses findet sich schon bei L eo J u d ä , B u l l i n g e r und H y p e r i u s etw as bestimmter a u sg e­ p r ä g t/) dann von W e n d e l i n u. A . aufgenom m en; sie wurde ein stehender Artikel der reformirten D ogm atik, der auch im Luther­ thum nicht fehlt, aber w eit weniger hervorgehoben w ird. Z w ei G ründe begünstigten diese Lehrfvrm, einerseits die Gleichmäßigkeit *) Schweizer, Reform. G laubenslehre, B d. I, S . 103 ff. Ebrard, Chnstl. Dogmatik, B d I, S . 87. 2) De vcra et falsa rclig. p. 174 ed. Schüler et Schulthess.

V gl. Schneckenburger, Bergt. Darstellg. Th. II, S . 146. Hier macht Güder in der Note die Bemerkung, daß der Marburger Professor E glin, ein geborner Zürcher, 1613 eine Schrift: Disputatio de focdere gratiae heraus­ gegeben , welche die Ansichten von Leo Ju d ä und Eullinger weiter ausführte und überhaupt schon eine umfassende Föderaltheologie, ein Präludium der Coccejanischen darbot. E s sei also wohl zu beachten, daß Coccejus gerade in Marburg studirte, während Eglin daselbst Lehrer war. M ir ist die genannte Schrift von Eglin nicht zugänglich. J)

266

Viertes Buch. Srftdt Abschnitt.

der reform irten Schriftanschaunng, andererseits die Zurückführung der göttlichen Thätigkeit au f dasselbe unveränderte Eribfungsdecret, in dessen Anerbietungen die Menschheit von Anbegitin eingetreten sei. D ie gleichgestellten Testamente ordnen ihre Anstalten a ls E rWeisungen des Einen Gnadenrathschlusses zu einander. Nach W e n d e l i n , um nur Einen zu erw ähnen, beginnt das G nadenverhältniß m it A dam , geht dann auf N oah und Abraham über, w ird ferner durch die A usführung au s Aegypten, die Aufrichtung der Schlange u. s. w. bekräftigt, bis es durch M oses in den W ohlthaten des C ultus und der Ceremonieen seine bestimmte D arlegung erhält, A lles aber so, daß daneben auch eine merkliche und gesetzliche Verpflichtung stattfindet, welche auf die höchste Verwirklichung der G nade vorbereiten so ll.') Auch die Gleichstellung der alten und neuen S akram ente, die zw ar verschieden durch symbolische M ittel, Leichtigkeit der Anwendung und D au er der Bestim m ung doch in ihrem W esen und W irken übereinkom m en/) enthält einen födera­ listischen Z ug, und die B enennung Christi a ls des M i t t l e r s ließ sich leicht für denselben Zweck benutzen. W ir gehen zur Hauptsache. D ie Entwicklung des C o c c e ju s hat folgenden V erlauf. B ü n d n i ß (öia&rjxrj, n -n ä ) heißt V er­ trag oder Uebereinkommen, unter Menschen über gegenseitige Z u ­ geständnisse oder M ittheilungen, zwischen G o tt und Menschen über die A rt und B ed in g u n g , unter der den Letzteren göttliche G üter zum Genusse dargeboten w erden; durch die Verpflichtung der E m ­ pfänger den Bedingungen nachzukommen, w ird auch dieses B ündniß ein gegenseitiges, und G ott verbindet sich den ganzen Menschen nach S eele und Leib, weil er ihn nach beiden S eiten beseligen w ill? ) Nach der besonderen A rt der Aneignung des höchsten G u tes unterscheidet die S chrift ein doppeltes B ü n d n iß , das der W e rk e und das der G n a d e . D a s erstere schon m it dem Adam geschlossene fordert unbedingte Vollstreckung des G ebotenen; V er­ heißung des ewigen L ebens, A ndrohung des T odes stehen ihm ’) Wcndclin, Sy Steina raajus p. 819—23. a) lbid. p. 813gqq. 3) De testamento et foedere Dei (Opp. VI) cp* I, §. 9.

D a s Werk- und daS ©nabcitbiiitbnif;.

267

zur S eite ( G a l. 3 ,1 0 . 1 2 ). Z w ar w urde d as Gesetz der T afeln, welches für alle Z eit absoluten und unübertrefflichen W erth hat, dem ersten Menschen nicht vorgehalten, aber es w ar ihm n a tü r­ lich mitgegeben und wirkte seinem I n h a lt nach durch die aner­ schaffene A nlage seines W e se n s.') D ie besondere V orschrift, sich jener B aum frucht zu enthalten, kam hinzu, um ihm das gesetzliche G rundprincip der alleinigen Gottesherrschaft und der pflichtmäßigen Unterwerfung unter dieselbe in der Form des W ortes G ottes vor Augen zu stellen. W eil somit das W e r k b ü n d n i ß eine n a tü r­ liche Voraussetzung hatte und auf die ursprünglichen Eigenschaften des Menschen gegründet w a r, darf cs auch N a t u r b ü l i d n i ß heißen?) D e r m it V ernunft und W illenskraft begabte Mensch konnte nicht ohne B ild G o ttes geschaffen w erden; die E rklärung dieser Ebenbildlichkeit und ihrer möglichen E rhaltung tritt sach­ gemäß an diese S telle. D er G ehorsam , erleichtert durch N atu r und W o rt G o tte s, hätte die Protoplasten zum ewigen Leben ge­ führt, wenn gleich sie in der unfreien Lage der Verbindlichkeit und Verpflichtung geblieben w ären. Aber sie unterlagen der P rü fu n g , versanken sammt dem Geschlecht, an deren Spitze sie standen, in den abnormen Zustand der Unähnlichkeit und luden nach positiver nicht natürlicher Consequenz die S tra fe des T odes und der S ü n ­ denknechtschaft au f sich. Dieser Anfang enthält den Schlüssel des ganzen System s. Leicht denkt m an bei dem fo e d u s op eru m sofort an den M o sa ism us a ls das Gegenstück des evangelischen fo e d u s g ratiae; allein diese V ertheilung hätte die Tendenz des Schriftstellers verrückt. Die B undestheorie konnte keinen A usgang nehmen als welchen das D ogm a nim m t, indem cs gleichfalls d as U rverhältniß der Gottheit zu dem unverschuldeten Menschen a ls M aaßstab für alle *) Ibid. cp. II, §. 13. Interim non alia continentur in tabulis foederis et in libro legis, quam quae naturae lex homini integro imperabat, saltem quoad Cultus substantiam et quasi fontem specialioris praecepti. Conf. §. 20. *’) Ibid. §.22. Foedus operum, quatenus lege naturae nititur, foedus naturae appellari potest. Naturale enim est, hominem praeditum intellb gentia et voluntate non sine imagine Dei creari.

268

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

späteren S tö ru n g en ansieht. D a s ganze B ild des gütigen, machte vollen, heiligen und freien Schöpfers, welcher der edelsten Creatur die Aehnlichkeit mit sich selber verlieh, der aber auch die höchste seinem Wesen entsprechende Vorschrift ihr auferlegte, soll in jenem ersten U rverbande erkennbar sein .') Auf dem B oden der reinen N atu r treten beide Theile zusam men, und doch w ar es zugleich ein positiver Act, welcher den Einen zu unbedingtem Gehorsam dem Anderen verbindlich machte; darum bezieht sich die E rklärung au f zwei N am en , foedus operum et naturac, die ohnehin beide dogmatisch fruchtbar w aren. Fragen w ir sodann, wie diesem prim itiven V erhältniß alle folgenden sich anschließen sollten: so w ird auch dies durch dessen innere D u plicität begreiflich. D er B u n d der Werke hat absolute G ültigkeit, er ist vollkommen und ideal, sofern er B efriedigung eines Gesetzes v erlang t, von dem G o tt nicht absehen konnte, nachdem er die N a tu r zu dessen E r­ füllung tüchtig gemacht, m angelhaft aber, w eil er lediglich auf der Dienstpflicht des G ehorsam s fußend dem Menschen imm er nur eine unfreie und leicht gefährdete S tellu n g gew ährt. D ie erste Uebertretnng zerreißt den V ertrag , die Gemeinschaft m it G o tt hört auf, oder sie m uß au f andere Weise wieder angeknüpft w erden, und dies geschieht um so vollständiger, je mehr die verzweifelten W ir­ kungen des Bruches gehoben sind und die göttliche Absicht der Beseligung wieder in K raft tritt. D a s ist der G ru n d , w arum alle folgenden S tad ien seltsamer W eise unter dem G esam m tnam en einer stufenweisen A b r o g a t i o n oder A n t i q u i r u n g des W erk­ bündnisses von C o c c e j u s aufgeführt w erden, weil sie ein un­ brauchbar gewordenes P actum beseitigen, ohne daß dessen E nd­ zweck preisgegeben w ird ? ) Schon die S ü n d e ist eine solche A brogation, weil sie die ' ) De foedere cp. II, §. 57. ?) cp. III, §. 58. Abolitio autem legis sive foederis operum hisce gradibus procedit. Antiquatur 1) quoad possibilitatem vivificandi per peccatum, 2) quoad dainiiaiionem per Christum in promissione propositum et fide apprehensum, 3) quoad terrorem sive efficientiam metus mortis et servitutis per promulgationem foederis Novi facta peccati expiatione--------»

D ie zweite Abrogation des Werkbundes.

269

vorangegangene V erheißung der Seligkeit entkräftet. D ie zweite Abschaffung geht vom göttlichen E rbarm en a u s. E in neues Uebereinkommen w ird nicht m ehr m it dem ebenbildlichen Menschen, sondern m it dem S ü n d e r geschlossen. Derselbe P re is des ewigen Lebens steht aberm als zu erwerben, setzt aber unter der Bedingung der R eue und des G lau ben s und auf dem W ege einer freien und gnädigen V erleihung (foedus g ra tia e ), Und dieses B ü nd niß be­ durfte eines M ittle rs , der zw ar dem Geschlecht der S ü n d e r an ­ gehören , ihnen aber zugleich a ls ein von G o tt Ausgegangener gegenüberstehen mußte. D a Christus das höchste Gesetz der G e­ rechtigkeit und Liebe vollbrachte: so hätte rechtlich auch ihm allein der ganze Lohn zufallen müssen. Aber seine liebevolle M itthei­ lung ließ das Eigenthum auch auf andere Erben übergehen; d a­ durch erhielt das B ü nd niß das Ansehen eines Testam ents, welches von dem E rlaffer rechtskräftig durch den T od besiegelt, von dem letzten U rheber der V eranstaltung aber nach freiem Beschluß geneh­ migt w u rd e .') W ährend nämlich der M ittler durch testamentarisches Vermächtniß G nadengüter den B edürftigen zutheilt, steht er auch seinerseits im V erhältniß eines P actu m s zu G o tt. D er W ille des V a te rs , der den S o h n zum H aupt und E rlöser des au se r­ sehenen Volkes bestellte, und der freie Entschluß des S o h n e s, den V ater in der Form der menschlichen N a tu r und im N am en der Menschheit zu verherrlichen, haben ihre ökonomische Einigung ge­ fun den?) D e r V ater handelt dabei als gerechter ein O pfer 4) quoad luctam cum peccato per mortem corporis, 5) quoad effecta omnia per resurrectionem ex mortuis. *) Ibid. cp. IV, §. 86. Plane igitur nititur hoc foedus d’m.'Afjxj/, testamento. Quod est libera dispositio Dei salvatoris de bonis suis ab haerede sno secundum voluntariam generationem et nominationem circa alienationis periculum possidendis. Rom. 4, 14. — §. 87. Quocirca et apostolus sanctionem hujus foederis talem concludit esse, qualis est testamenti seil. per mor­ tem testatoris, Gal. 3 , 15. Hebr. 9 , 16. 17. Igitur sanguis testamenti (Hebr. 10, 29) est sanguis testatoris ad confirmationem testamenti, et non nt inter homines ad possessionem haereditatis haeredi vacuam faciendam, sed ad jus haereditatem adeundi haeredi a Deo designato procurandum Baorientis. ' 2) Ibid. §. 88.

270

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

heischender Gesetzgeber und mit weiser Anwendung seiner Barm ­ herzigkeit, der S oh n im Gehorsam sich selbst und den höchste» Zwecken genügend, der Geist als Verwalter und Bringer der er­ neuernden Kräfte, und in dieser Gesammtthätigkeit ist das trinitarische Verhältniß gegeben, die Vollmacht G ottes, die Würde Christi und dessen Stellung als zweiter Adam gewahrt. Diese Anwendung des Bundesbegriffs auf die Personen der Trinität, unter welche die Ausführung des Heilsrathschlusses sich vertheilen soll, ist mit Recht als die eigentlich neue Zuthat des Coccejus be­ zeichnet worden. S ie findet sich vor ihm nirgends, während die übrigen Gesichtspunkte wenigstens der Anlage nach schon früher nachgewiesen werden können. D ie weiteren christologischen Fol­ gerungen, welche bis auf die Aemter- und Ständelehre eingehen, brauchen wir nicht einzuschalten. Fragt m an, für wen Christus den Gehorsam geleistet habe: so lag schon im Zusammenhang eine beschränkende A ntw ort.') D er S atz, für Alle sei er ge­ storben, bleibt zwar unentbehrlich, um die Erhabenheit seines Ver­ dienstes und die äußerlich unbegrenzte Allgemeinheit der Einladung auszudrücken: aber innerhalb eines Bündnisses, welches die letzten Endzwecke der Erwählung historisch realisiren soll, kann nur eine ge­ wisse Anzahl von Juden und Heiden die Wahrheit der Verheißung an sich erfahren. D a s W ort des G ebots, an Christus zu glauben, sammt der damit verbundenen Zusage und die Wirkungen des h. Geistes bilden gemeinschaftlich die A n w e n d u n g d e s T e s t a ­ m e n t s (applicatio testam enti); jenes klingt ohne Unterschied um­ her, diese kommen nur in den erwählten Bundesm itgliedern, in diesen aber mit Sicherheit zu S ta n d e? ) D a s fordert die B e ­ s t ä n d i g k e i t (conslantia) des Gnadenbundes, und C o c c e j u s ver­ säumt nicht, hier auf die Eigenthümlichkeit der Paulinischen E r­ wählungslehre einzugehen. D a s Testament umfaßt den doppelten Sam en derer, die entweder vom Glauben des Abraham oder ') Gap. V, S. 108 sqq. ’) Cap. V I, De applicatione testamenti itemque sanctione et confu'matione foederis gratiae.

D ritte Abrogation des Werkbundes.

271

von Gesetz und Beschneidung ausgegangen sind, und bleibt in sich selbst durch göttliche B ürgschaft gew ährleistet; die A usdauer der E rw ählten (perseverantia) ru h t au f dem G runde einer testamentapschcn Annahm e und Versicherung, deren E rfolg keine M acht der S ü n d e vereiteln kann. Endlich wie die Schöpfung schon im N aturbunde der V erherrlichung ihres U rhebers diente: so muß die M ittheilung der G nade im R uhm e G ottes und seiner reichhaltjgen, unerforschlichen, w eisheitsvollen und selbstgenugsamen W irk­ samkeit ihr Z iel h a b e n .') D ie d r i t t e A brogation heißt die der Bekanntm achung des Neuen T estam ents. W ie aber! H at nicht der vorige Abschnitt das ganze neutestamentliche D ogm a vorausgenom m en? I s t nicht eigentlich der alttestamentliche S tandpunkt übersprungen? Aller­ dings, und C o c c e j u s will denselben auch nicht anerkennen, außer sofern er hereits den evangelisch-christlichen C harakter an sich träg t. Um dies bis in s Einzelne glaublich zu machen, ist aller S ch arf­ sinn des Verfassers und die dreisteste Ueberbürdung gewisser B ibel­ stellen nöthig. D ie Zeiten der E rw artun g und E rfüllung liegen au sein and er, in beiden steht Christus a ls Gegenstand des G la u ­ bens da (H ebr. 13, 8 ). D ie frühesten Anreden an die V äter weisen auf eine n u r in ihm gegebene Gottesgemeinschaft (M a tth . 22, :s2, H ehr. H , 16) oder erwecken den G lauben eines A braham , N oah, Henoch. V on dem R äthselw ort des P rotevangelium s an ist die E rw artung der H eiligen, der Zweck des Gesetzes und alles p ro ­ phetische V erlangen ihm zugewendet. D ie Anschauung der V äter trifft mit der evangelischen V erkündigung zusam m en, auch i h r e S ünden hat Christus g esüh nt?) D a s R esultat einer längeren ') Cap. YIII, De Constantia foederis gratiae. Cap. IX, De fine ov foe­ deris Dei, gloria Dei. 2) IMd. cp. X, §.278—287. Idem in promissione et visierne ipsis propositum est ad crcdendnm, quod nobis in f vayyslUo sive pracconio Habac. 2, 3. Unde liquet, veteres sperasse, eadem gratia Christi salutem se adepturos ut nos, Act. 15, 11. Neque aliud est, quod patres non potuerint non portare jugum (vs. 10) quam quod consolationem exiguam ex portatione jugi consecuti sint et ad manifestationem gratiae Christi anhelaverint, quod expresse docetur Act. 26, 7. 23, 26. 27. 1. Petr. 1, 1. 11. Hinc dies visitationis

Viertes Buch.

272

Erster Abschnitt.

Untersuchung geht d ab in ,') daß das Moralgesetz oder der Dekalog dem älteren bereits eingegangenen Gnadenverhältniß keineswegs zuwiderlaufe, sondern vielmehr in Hauptpunkten an dasselbe an­ knüpfe.

Wo

der G ott

Is ra e ls

spricht und Heiligung

Namens verlangt, w ird der Glaube vorausgesetzt.

seines

Ueberhaupt

gestattet dasselbe Gesetz eine doppelte Auffassung, theils als Regel der Heiligkeit fü r den Bußfertigen

und G läubigen, theils als

reine Vorschrift, welche Pflichten gebietet und Uebertretungen ver­ dammt.

D er letztere werkheilige S in n w ird erst durch die er­

wähnte Erklärung gegeben:

„ W e r solches t h u t , der w ird darin

leben" ( G a l. 3, 10. 12).

D a nun gerade dieser Ansspruch dem

Dekalog nicht beigegeben ist:

so weist die ursprüngliche Bestim­

mung desselben nicht auf die Vorschrift des Werks, sondern schon auf den Guadenbund m it Is r a e l und gleicht einer apostolischen Ermahnung zum Wandel nach der Richtschnur der H eiligkeit?) Mochten immerhin Viele dadurch nur zu todten Werken ange­ trieben und im Stande der Furcht und Knechtschaft festgehalten werden:

die Frommen mußten dieses Gesetz im Zusammenhange

m it vorangegangenen und künftigen Segnungen begreifen, es galt ihnen dann als Anleitung zur Buße und Bekehrung und Gottes­ liebe, und selbst das Ceremonielle erhielt als Vehikel des V e r­ trauens und als Vorzeichen einstiger Vollkommenheit eine höhere Bedeutung.

Es

ist

eine

der

wichtigsten

Angelegenheiten

für

C o c c e j u s , nachgewiesen zu haben, daß der Dekalog obgleich der

imcsx^xijtüjs (Luc. 1, 68. Ps. 8, 5 ) dies speculatorum vocatur Mich. 7, 4. Jes. 52, 8. Inter quos speculatores erat Simeon, exspectans consolationem Israelis Luc. 2, 25. ') Cap. X I , §. 338. Septimo notandum, quod ipse deealogus, licet totam summam obedientiae et internae et externae, quam naturalis lex tlagitat, continens, accommodatus sit Israelitarum foederi. V g l. beit ganzen Abschnitt p. 71 —78. 2) Ibid. cp. X I. p. 71. Ponendum igitur, quod eadem praecepta possint duplici modo proponi, 1) ut regula sanctitatis, in qua versatur et proficit resipiscens et fidelis, 2) ut praescriptio operis debiti, cujus vel paratio justificat sive mercedis ex debito imputandae compotem facit, vel omissio damnat.

Die letzten Stadien der Bundestheorie.

273

Ausdruck des höchsten inneren und äußeren G ehorsam s doch in einer W eise offenbart sei, d ie , ihn bestimmt von dem W erkbunde ablöse und mit den B edingungen des G lau ben s und der G nade v erb in d e.') V erh ält es sich aber so: w as bleibt dann noch a ls specifisches Eigenthum der neutestamentlichen Kundmachung übrig? D ie D arstellung fäh rt fort zu zeigen, daß durch die letztere d as B ündniß der Werke noch vollständiger abgeschafft worden sei. D am als blieb ein gemischter unreiner Z ustand; nicht Allen w urde der Geist verliehen, die M eisten beugte die Zucht des S tra fg e ­ setzes und die Uebung der Gebräuche, in denen die G läubigen die Vorzeichen der Zukunft erblickten, zu knechtischem Geiste herab. D ie V ergebung der S ü n d en w ar angedeutet nicht thatsächlich voll­ zogen, und nur au f K anaan beschränkte sich die a l t e Erbschaft des Testam ents, bis die n e u e m it der B erufung des H eidenthum s sich über den ganzen E rdkreis ausgebreitet h at. Diesen M ängeln gegenüber hat d as E vangelium des N . Testam ents alles V o r­ bereitende und Schattenhafte verbannt und die vergänglichen B u n deszeichen durch dauernde ersetzt; die Sündenvergebung ist zur T h a t und Wirklichkeit geworden, das höchste V orbild des G eh or­ sam s und der Liebe in Christi W andel und P redig t für Alle au f­ gerichtet, d as Gesetz in die Herzen geprägt und alle Zaghaftigkeit au s den Gewissen der M itglieder der Bundesgemeinschaft g etilg t?) ’) Ibid. §. 335. Coccejus unterscheidet drei Bestandtheile des ganzen Gesetzes. 1) Lex morum, quatenus internam et extern am ab homine requirit obedientiam, ostendit quid homo creatus ad imaginem Dei, quac in rectitudine consistit, deberet Deo. — 2) Lex ceremonialis partim continebat commemorationem peccatorum (Hebr. 10, 3) tanquam chirographum contra ipsos (Col. 2, 14), partim umbras futurorum bonorum. — 3) Lex judicialis tum certo vitio laborantes et certas gcntes vel in perpetuum vel ad aliquas generationes abscindens - — poenam infligit abscissis ad demonstrationem justae severitatis Dei (E xod. 20, 5 ) et incendit in sanctis desiderium receptionis abscissorum ad sortem sanctorum. D a s ganze Gesetz sollte nach

dieser Erklärung nur ans Christus hinleiten. Aber großen Theils der Israeliten konnte es nicht sehlen, dritte Gattung der Gesetzesbestimmungen Viele nur Werkheiligkeit erhalten und mit sinnlichen Hoffnungen

bei der Unlauterkeit eines daß durch die zweite und in Furcht und äußerer erfüllt wurden.

) Cap. XII. De bonis Novi Testaments Oesch. d. Protest. Dogmatik II.

18

274

Viertes Puch, Erster Abschnitt.

M it diesem Frieden der göttlichen Kindschaft scheint das Ziel erreicht nnd ist es doch nicht ganz. Auch in den Wiedergeborenen streiten noch Fleisch und Geist, die dauernde Sünde unterhält einen Rest der Trübsal, der erst mit dem Tode endigt. Sind aber Leib und Seele geschieden: so müssen sie, damit der endliche Ausgang des menschlichen Daseins dem Ursprünge gleiche, der­ einst auch wieder geeinigt werden. Der Proceß der Entwicklung schließt daher mit einer v ie rte n Abrogation des Werkbundes durch Tod und Unsterblichkeit, und mit einer fü n fte n durch die Auferstehung, unter welche Artikel sich die Lehre von den letzten Dingen von selber einfügt.') Diese Uebersicht der ausgebildeten Föderaltheologie gäbe Mehreres zu bedenken, wenn wir nicht zuvor unseren Bericht durch Einzelnheiten vervollständigen müßten. C o c c e ju s suchte und fand seine Lieblingsidee überall wieder. Wie einzelne Lutheraner die ganze Glaubenslehre aus der Genesis herauslesen wpllten: so gesiel es ihm, in bett Considevationes ad ultima Mosisz) die letzten Kapitel des Deuteronomium wie eine Quintessenz föderalistischer Gedanken und Beziehungen auszubeuten. M an höre, welche Her­ meneutik er dabei aufbietet! M oses, der größte Prophet, aus dessen Rede die christliche Kirche ihren Glauben zu schöpfen hat, schließt auf Jehova's Geheiß einen z w e ite n Bund mit den Söhnen Is r a e ls ; es geschieht im Lande M oab, d. h. also — am Eingang zu dem Lande der Erbschaft, zu den Wohnungen der Erlösung und Freiheit (Deuter. 29, 1). E r ruft sie auf zu Zeu­ gen der vergangenen Großthaten Gottes, mahnt sie also zum dank­ baren Gehorsam, dessen Quelle der Glaube sein muß. An­ geredet werden, V s. 15, außer den Gegenwärtigen auch andere damals nicht Anwesende, d. h. — auch die Heiden werden ein­ treten?) Die Kirche, wenn sie nach dem Verheißenen Sehnsucht hegt, gleicht der dur s t i ge n, aber im Anschauen ihres nahen *) Ibid. c)>. XV. XVI. *) De ultimis Mosis consideratioiies ad Deuteronomii capita sex postrema, eonfirmandae atque illustrandae religioni christianae. Opp. I. p. 205. 3) Consideratt. p. 206 sqq.

Besitzes der g e s ä t t i g t e n . W enn nun 29, 19 gew arnt w ird, Niem and möge nach eigenem G efalle» dahinw andcln, um den G e­ sättigten zu dem D urstigen zu fügen: so ist der S in n : die Kirche, welche von der Aussicht au f Christus befriedigt und erfüllt sein soll, d arf sich nicht au f den S tandpunkt der Bedürftigkeit ernie­ drigen, nicht versinken in Todesfurcht und S o rg e um dqs sicht­ bare E rbe K a n a a n s, das n u r a ls S ym bo l des himmlischen ver­ liehen ist, noch in die A nfangsgründe der W elt (otoi%eia tov Koofiav). Und das w ar die schwere S ü n d e der J u d e n ; sie woll­ ten keinen rechten den Dienst der Gebräuche abschaffenden Christus, sondern vermengten jederzeit die höhere m it der dürftigen und beschränkten B u nd esan sch auu ng .') S o erzwingt der In te rp re t die G elegenheit, das christlich Evangelische von dem Jüdischen zu scheiden. D em entsprechend enthalten V s. 2 0 — 29 Urtheile über den Abfall der Ju d e n , die S ü n d e wider den heiligen G eist, die Zulassung des H eidenthum s und die E röffnung des lange ver­ borgenen E vangelium s. I n den folgenden Erklärungen 30, 1 — 10 findet der A usleger die Vorzeichen der Ankunft Christi unter den B edingungen der B u ße und Umkehr, aber auch die Leiden und V erfolgungen der G läubigen erw ähn t, und da nach V s . 6 die Aufnahme zur Kindschaft und die Beschneidung des H erzens von G o tt a l l e i n abgeleitet w ird : so dient dies zur B estätigung des reform irten D o g m a s ? ) E s w ar nicht schwer, au s 3 0 , 1 1 —14 einen evangelischen auf den Proceß der W iedergeburt bezüglichen S in n herauszulesen und V s . 1 5 — 20 von G laube, Liebe und Hoff­ nung und von der Entscheidung zwischen Segen und V erdam m niß zu verstehen. I m folgenden Capitel legt M oses sein Amt nieder, überläßt dem Jo su a den E ingang in das gelobte L and, der ihm selber versagt sei, und erm uthigt ih n ; — d. b. also in seinem ') Ibitl. p. 217. Hoc est peccatum Judaeorum, qui noluerunt Christum accipere abrogantem ccremonias leg is, sed omnino voluemnt satiatam cum siticulosa in statu vt conditione combinari et adhuc expectant talem Chri­ stum, qui relinquat ecclesiam sui desiderio tarndiu tortam in servitute et siti. 2) Ad ultima Mosis p. 226 sqq.

276

Viertes Buch. Erster Abschnitt.

Berzichtleisten straft sich die allzugroße Sehnsucht der alten F rom ­ m en, durch die V erleihung an Jo su a aber w ird die Aussicht auf daö evangelische E rbtheil und V aterland sichergestellt. M oses sc h re ib t 31, 9 ein Gesetz und übergiebt es den Leviten zur M it­ theilung an das V olk; d arau s macht der Ereget, daß auf die un­ m ittelbare Ansprache G o ttes an die Patriarchen d as g e s c h rie b e n e W o rt, also der Schriftkanon und zw ar ohne begleitende T radition und lediglich mit auslegender Thätigkeit der Aeltesten und Lehrer folgen m üsse.') D er Lobgesang des M oses 32, Iss. bietet nun die Fundgrube fü r bestimmtere dogmatische Folgerungen über gött­ liche Eigenschaften, E rw ählung des w ahren I s r a e l a u s dem G lau , ben ( V s . 1 0 ) und Christologie; denn schon die V s . 3 ausge­ sprochene Verherrlichung weist auf C hristus, er ist der harte Fels, von dem Honig und O el fließt (V s . 13), der von den Ju d e n V er­ schmähte ( V s . 15), und ihre G eringachtung bezeichnet sein Leiden. D e r M essias der Ju d e n und S o rin ia n e r sind n u r I d o l e ? ) Doch w ir wollen den Leser nicht ermüden noch w eiter erzählen, wie auch der Charakter der w ahren Kirche, die Bedingungen der E r­ lösung, die M ittel der S treng e G ottes gegen Ju d en und U ngläu­ bige au s dem T ert herauseregesirt werden. D en S egen M osis 33, Is s . benutzt C o c c e j u s mit äußerster G ew altsam keit, um die Z eiralter der streitenden Kirche bis zum K am pf mit dem Antichrist und dem letzten T rium ph zu verfolgen. M oses selbst, der getreue Knecht und B efreier au s der Gefangenschaft, der D arb rin g er und B undesm ittler seines V olks, der größte w underthätige Prophet, der ab er, statt den © einigen in das Heilige voranzugehen, selbst an der Schwelle der E rw artu n g sterbend niedersank, — dieser sterbende M oses ist d as schwache V orbild C h risti?) W eiter konnte in der T h a t C o c c e j u s seine M ethode nicht treiben; sie artet vollständig au s in einen evangelischen O rigenism us und in einen christlichen R ab b in ism u s, welcher, indem er *) lbid. p. 249 sqq. ?) lbid. p. 271. 3) Vgl. die ausführliche Parallele ebendas. S . 343—47.

Coccejus über das Sabbathsgesetz.

277

Alles bemerken und unterscheiden will, doch Alles zusammenwirft. D as Alte Testament wird ohne M aaß c h r is tia n is ir t, die Rede des M oses wie ein Evangelium gedeutet, das alte Gesetz auf die V or­ aussetzungen des evangelischen Princips gegründet. W ar es über­ haupt möglich, bei solcher Vermischung des Ungleichartigen und nach solcher Hinwegsetzung über die Nächstliegende historische W ahr­ heit des Bibelzeugnisses die Reihenfolge der göttlichen D eclara­ tionen, an der doch dem Theologen so V iel gelegen w a r, rein heraustreten zu lassen? C o c c e ju s stand in Gefahr den biblischen O rganism us, den er wollte, selbst wieder zu zerstören, indem er Alles in Allem sah. Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, waren künstliche M ittel nöthig, wie sie der obige Abriß der Hauptschrist bemerklich macht. Auch für ihn enthielt das Alte Testament zweierlei Bestandtheile, das Niedere und Naturhistorische, w as aber doch die Mosaische R eligion positiv bestimmt und abschließt, und den rothen Faden einer evangelischen G laubens- und G na­ denbeziehung. Er konnte das Erstere nicht leugnen, mußte es jedoch seines selbständigen Werthes berauben und dafür durch Typik und Prophetie zu e r h e b e n , das Andere dagegen so weit h era b zu setzen und zu beschränken suchen, als es die nicht völlig zu verwischende Grenzlinie der neutestamentlichen Verkündigung gebot. Für B eid es liegt uns noch ein ausgezeichnetes Beispiel vor Augen. Beginnen wir mit dem Ersteren, dem Statutarischen. D ie Studien des C o c c e j u s über den jüdischen S a b b a t h er­ scheinen auf den ersten Blick nur wie eine mühselige G rille, erst der Zusammenhang mit dem Ganzen giebt ihnen W erth?) W ie die Beschneidung und alle jüdische Observanz: so ist besonders der Sabbath dem zwiespältigen Verständniß ausgesetzt, welches ihn entweder zum äußerlichen Merkmal des Jud aism u s machen, oder in sein w ahres und unvergängliches Recht einsetzen kann. Nach­ dem C o c c e j u s behauptet, daß der Dekalog nur das Naturgesetz geheiligt und das Gnadenbündniß stipulirt habe, wollte er das *) Indagatio naturae Sabbati et quietis Novi Testamenti. Opp. tom. VII.

Viertes Buch

278

Erster Abschnitt.

vierte Gebot von der H e ilig h a ltu n g des Feiertages demgemäß er­ klären und i d e a li s ir e n .

N icht U nthätigkeit bezeichnet die Ruhe

G ottes am siebenten Schöpfungstage, sie ist Ausdruck der V o lle n ­ dung seiner W erke, wie sie in Abschluß haben.

der B ild u n g

des Menschen ihren

Ebenso wenn der Auferstehungstag C hristi auf

den S abbath folgte und in christlicher O rd n u n g an dessen S te lle t r a t : so sollte auch dessen Auszeichnung die V o llendung eines gött­ lichen Werks

und den B e g in n

epoche bekunden.') Tag

einer neuen unendlichen Lebens­

D a s Z e ita lte r der E rw a rtu n g schließt, der

des H e rrn bietet den G läubigen

lösenden Segens.

Is t

dies

die

die erste Frucht eines er­

wahre Id e e des S a b b a th s : so

w ird sie auch der V orsch rift des Ruhetages zum G runde liegen. D ie Juden fre ilich ,

welchen

ih re r S ünde halber zu dem Gesetz

noch das Joch der vergänglichen Satzung (ro ju o g tw v hrokwv iv

Söyiiccoi) auferlegt werden mußte (Ezech. 2 0 , 25 . 2 6 ), verkann­ ten jede symbolische H in w e isu n g , indem sie sich in der bequemen äußerlichen Beobachtung gefielen?)

Folglich muß das G ebot des

Dekalogs seinem eigenen S in n zurückgegeben werden, so daß es dem höchsten V o rb ild gemäß zu dem vollendeten Gotteswerk in Beziehung tr it t, aber nicht mehr zu dem der Schöpfung, sondern der V ersöhnung, der R einigung und Abklärung des menschlichen B ewußtseins.

W a s heißt also:

D u sollst den Feiertag heiligen?

U nabhängig von jüdischem M ißverstand und im Lichte der A n a ­ logie des G laubens heißt es: unterscheide die Z e it des endlich zu erlangenden erlösenden Friedens von der vorangegangenen langen D auer

der

E rm üdung

und

Knechtsarbeit,

verzichte

a u f eigene

Werke, w ir f die selbstische Gerechtigkeit weg, um dankbar die d a r­ gebotene göttliche Ruhe zu umfassen?)

S o gedeutet ist die V o r-

’) Indagatio p. 6. 0 Ibid. p. 4. 5. 3) Ibid. p. 5. Quapropter secundum analogiam fidei verba quarti praecepti — possunt per consequentiam accommodari ad rem significatam hoc modo. Quum illuxerit ille dies atquc id tcmpus, quo absolutum erit Opus Dei, quod ad sanctificationem et purificationem conscientiae adhuc requiritü r, vide et cura diligenter, ut id tempus tanquam tempus quietis sancti-

D er chnstl. Sübbath kein Gesttz der Arbeitslosigkeit.

379

schkift sittlich und ceremoniell zugleich, jenes weil sie an den V ert« h b des G lau ben s und der G nade m ahnt, dieses weil sie irdische K ühe anbefiehlt als Vorzeichen einer künftigen und höheren. D am it fällt die gewöhnliche E rkläru ng , wenn sie die E nthaltung von der Arbeit zur Hauptsache macht. N u r Ju d e n und P seu­ doapostel können ein Gesetz der Arbeitslosigkeit dem Christenthum aufdrängen wollen. D er N aturstand A dam s kennt es nicht, noch haben die P atriarchen gefeiert. Alle neutestamentlichen S tellen wie M arc. 2 ,2 7 . 28, R öm . 1 4 ,5 . 6, l .K o r . 1 6 ,1 . 2, K ol. 2 ,1 6 .1 7 erheben über die Pflicht einer geschäftslosen M uße, statt an sie zu binden, fast alle Kirchenväter von J u s t i n dem M ärty rer an finden den christlichen S ab b ath erst da wo der jüdische a u fh ö rt.') Nicht umsonst hat also der H ebräerbrief (4 , 10. M atth . 11, 2 8 ) den wahren Endzweck des S a b b a th s und die Id e e einer avänctvaig aufgestellt, m it welcher zuletzt der ganze G eistescultus des Neuen B undes und aller Frieden der Fröm m igkeit, zu welchem C hristus dir M ühseligen emporheben w ill, innerlich zusam m entrifft?) V on anderer Art a ls diese negativ sehr w ahre und positiv ftceä, tum gratias agens illi pacificatori, tum eum glörificans omtribus modis: ttötmnatim id distingtias a tempore sitis, servitutis * lassitudinis, molestiae ntinquam quiescere sinentis. — In quo sensu hoc praeceptum sine dubio morale est, sed pertinens ad foedus gratiae, et ceremoniale, quatenus cessatiönem aliquam externam imperavit, interim tan quam figuram meliöris ^hietis. — Explicatio ep. ad Hehr. Opp. V, p. 503. Qtiid igitur dicemus ? Ah praeceptum sanctificandi sabbatum non pertinet ad ecclesiarn christiänam? Utique, nempe morale praecepti. Atqui morale praecepti non est distinguere dies, qucmadmodum nec cibos distinguere est morale et ttiwviov xcdov, sed damnare propriam justitiam et quietem Dei praestitam fide cordis cum gratiarum actione amplecti, cessare ab opere servitutis pristihäe et in libertate arihum gratiaö sanctificare. Quod ad omnes dies pertinet. *) Indagatio p. 7 sqq. An christianis incumbat praeceptum cessandi septima? I m Anhang werden zu Gunsten der obigen Auffassung die testimohia veterum et recentiorum ecclesiae doctorum in langer Reihe aufgesührt.

Z u den neueren Zeugnissen für die typische Bedeutung des Sabbaths zählt der Verfasser W aläuS und den Heidelb. Katechismus. 2) ibid. p. 1.

überspannte E rk lä ru n g ') spiel,

w ir

meinen

eine

des Sabbaths ist unser z w e i t e s Bei­ philologische

die W orte naqeois und atpsatg.

Auseinandersetzung über

Auch diese soll dazu helfen,

das richtige Verhältniß der Testamente klar zu machen?)

I n der

ganzen heiligen Schrift g ilt der Glaube an die verzeihende Gnade G ottes, und doch haben ihn die Juden, Socinianer und Katho­ liken verfälscht.

D ie Juden machen die Vergebung einfach vom

höchsten W illen und davon abhängig, ob das Gebot der Buße und Besserung in guten Werken befolgt w ird .

Die Socinianer

unterscheiden freilich ein niederes und höheres oder evangelisches Gesetz und schreiben dem letzteren die W irkung zu, daß es ver­ mittelst des Glaubens an Christus Erlösung vom ewigen Tode schaffe: aber dieser Segen soll ohne eigentliche Sühne der Ge­ rechtigkeit gewährt werden.

D ie

Pontificier

zwar den genugthuenden Gehorsam Christi,

endlich behaupten

lassen ihn aber den

Gläubigen nicht zugerechnet sondern unmittelbar eingeflößt und durch werkheilige Leistungen von ihnen diesen Irru n g e n

w ird

angeeignet sein.

Allen

durch das evangelische Dogma von der

Rechtfertigung theils widersprochen, theils vorgebeugt, ganz be­ sonders bei richtiger Fassung der genannten griechischen W orte. D ie klassischen Stellen sind Röm. 3, 25 und Hebr. 10, 18.

D ie

erste Stelle besagt, daß G ott Christum als S ü h n o p f e r verm it­ telst des Glaubens hingestellt habe zur Aufzeigung seiner Gerech­ tigkeit von wegen des Nac h l as s es der vorangegangenen Sünden ( ö t«

rrjv n ä q e a i v

zwv nooyeyovoTUv a/xaQTtjfiersuasio, tanquam ca habitus esset humanus, aliis habitibus naturalibus n eo aequalis, quod fundamentum ejus sit intelleetus humanus etc.

Vorschläge für das theol. Studium .

417

Gebet und rechte Gemüthsstimmung bei dem Lesen müsse« eben­ soviel thun als das Lesen selbst. W as von Herzen kommt, das gehet auch zu Herzen. Die Bibel darf am Wenigsten als bloßes Eigenthum der Gelehrten und Prediger gedacht werden; denn daß sie Allen das Ihrige und Nöthige darbietet, darin besteht ihre K la rh e it, und wenn uns einige Früchte zu hoch hängen: so sollen wir unS mit denen begnügen, die tiefer herabreichen.') D as ist der Sinn aller Vorschläge S p e n e rs über das rechte Studium der Theologie. Hinweg mit dem äußerlichen menschlichen Ballast, damit das Innere und Göttliche Kraft ge­ winne; hinweg mit der eiteln Vielwisserei, ehe noch das Noth­ wendigste erfaßt ist! Zurück aber zu der alleinigen Quelle des Glaubens, damit die Theologie ein Wiedergeben des Empfangenen sei, was der Geist aus dem Worte im Herzen entzündet hat!^) Nun liegt es freilich auf der Hand, daß diese Anweisungen hete­ rogener Art sind, theils durchaus religiöse und sittliche, theils von der Beschaffenheit des wissenschaftlichen Stoffes hergenommen. W as würde er also geantwortet haben, wenn man ihn gefragt, wie sich diese Stücke zu einander verhalten, ob die subjektive Fröm­ migkeit selbst schon auf die bessere Methode des Studiums hin­ leite, oder umgekehrt die letztere auch jene andere Bedingung her­ beiführen helfe. Wir glauben, er hätte das Erstere in gewissem Sinne eingeräumt, das Zweite geleugnet, weil es seiner Gesinnung widersprach, wissenschaftliche Maaßregeln als Vehikel einer gött­ lichen Gabe zu betrachten. Seine Meinung kann also nur die gewesen sein, daß die speciell theologischen Anleitungen gewisse Hindernisse hinwegräumen sollten, welche auch bei richtiger Gemüthsverfaffung den Weg zum Ziele Vielen erschwert wenn nicht ganz verschlossen haben?) *) Glaubenslehre, S . 244 ff. 495.

Allgemeine Gotteögel. S . 313.

2) Consil. lat. I, p. 206. 3) De studiis academ. p. 209. 10. Ita omnis totius studii scopus temporalis manet et vix alia meta obversatur oculis, quam ut acquiratur ixavoxrig ad munus aliquod sacrum, quo vita ducatur honoratior et quantum fieri potest commodior, tum ex cujus reditibus familia lautius alatur. — Gesch. d. prvtest. Dogmatik II.

27

418

Fünftes Buch. Erster Abschnitt.

Nach solchen Vorbereitungen stellen wir den berühmten Haupt­ satz S p e n e r s hin, welcher ebenso oft und entschieden von ihm wiederholt als von Andern bestritten wird. N u r der W ie d e r­ geborene ist der rechte T h e o lo g e ? ) „Ein Unwiedergeborener hat kein wahres Licht in seiner Seele; er kann aber die buchstäb­ liche Wahrheit von den Dingen, die zu glauben sind, in seinem Verstände haben und ohne theoretische Verstöße in kirchlicher Form vortragen." Auch diese im Einzelnen untadelhaste Wortgläubig­ keit mag Gutes fördern und Früchte bringen, bleibt aber stets ein halbes Ding, weil sie theils Irrthümern und falschen Meinungen ausgesetzt ist, theils selber zu wenig Geist hat, um Gnade und Geist auf Andere herabzuziehn. Zunächst meinte S p e n e r mit diesem Ausspruch die Prediger, doch mußte er alle Uebrigen im Auge haben, von denen eine religiöse Unterweisung ausging; sie Alle leisten das Rechte nur, wenn sie wiedergeboren sind. Und daß er diese Bedingung bei Vielen wenn nicht der Mehrzahl für unerfüllt erachtete, ergiebt sich deutlich aus seiner allgemeinen Beurtheilung des herrschenden Zustandes, so sehr er sich aller per­ sönlichen Anwendungen enthielt. — Aber schon indem wir diese Be­ hauptung nachsprechen, drängen sich die ernstesten Bedenklichkeiten auf. W as ist die Wiedergeburt? Ist sie die Forderung Christi, von Oben geboren zu werden, also die fundamentale Bedingung der Theilnahme am Gottesreich: so ist sie das unbedingt Gültige, aber zugleich das Innerliche und Unendliche, was die gesammte Lebensarbeit des Menschen umfaßt; diese Wiedergeburt wird sich auf den dermaligen Zustand des Einzelnen immer nur relativ über­ tragen lassen, noch wird es möglich sein, nach diesem Maaßstabe die kirchliche Gemeinschaft in Wiedergeborne und Nichtwiedergeborene zu spalten. Ist sie dagegen, — und das meinte S p e n e r ohne Zweifel, — in ihrer Idealität doch zugleich eine empirische Haec cum ita se habeant, nemo dubitare potest, quod Studiosi plurimi, tali nempe sensu imbuti in academiis non aliud quaerant, nec aliud omni industria sua inveniant, quam literalem aliquam rerum divinarum cognitionem et eruditionem ventosam omni virtute divina vacuam. ') Bgl. die Hauptstelle Bedenken IV, S . 199,

N u r der Wiedergeborene w ahrer Theologe.

419

S töß e, ein bestimmter Ausdruck wahrer christlicher Lebenserschei­ nung: so fragt sich, an welchen Merkmalen sie erkannt werden soll. Allerdings w ohl am Lichte des Glaubens und der Gottseligkeit des W andels: aber unser Reformator konnte nicht umhin, noch be­ sondere Abzeichen

der Ehrbarkeit und Weltentsagung

hervorzu­

heben; dadurch gab er, wenn auch ohne es zu wollen, der von ihm geforderten Wiedergeburt einen äußerlichen und

asketischen

Anstrich, und diese verlor an innerer W ahrheit, was sie an Nach­ weisbarkeit gewann.

Endlich wer übernimmt die Bürgschaft, ja

wer darf überhaupt nur eine bestimmte Aussage darüber wagen, ob dieselbe erreicht sei?

E in kirchlich berechtigtes Forum ist dazu

sticht vorhanden; denn die Kirchenleitung, sobald sie die Forderun­ gen des Glaubens, des T a le n ts, der Kenntniß und der reinen S itte in den ih r überhaupt zugänglichen Grenzen erfüllt findet, hat keine Befugniß, weiter über den inneren Menschen abzuurtheilen. Folglich kann es nur das In d ivid u u m selber sein,

welches aus

der Zuversicht seines Glaubensbewußtseins diese christliche M ü n ­ digkeit sich beilegt,

um sie durch die T hat zu bewähren,

und

S p e n e r macht es daher Jedem zur Pflicht, daß er in sich blicken und die S tufe lerne.

seiner Entwicklung

aus E r f a h r u n g e n

prüfen

Aber welchen Täuschungen unterlag diese auf die S y m ­

ptome des geistlichen Lebens gerichtete Selbstschätzung! Vergegen­ wärtigen w ir uns nur die Folgen einer in's Große gehenden An­ wendung dieses Maaßstabes.

Nehmen w ir an, daß die Kirche

das P rincip S p e n e r s sich w illig angeeignet und damit in prak­ tischer Ausführung hätte Ernst machen w ollen:

so mußten die

Prediger und Theologen den erheischten Stand der Wiedergeburt sich entweder aberkennen oder zusprechen.

In

beiden Fällen blieb

Alles wie zuvor; die gewonnenen Urtheile der Unwürdigkeit oder W ürdigkeit mußten die kirchliche Gemeinschaft entweder vö llig be­ lasten und niederdrücken oder weit über Gebühr entlasten, und eine Besserung vorhandener Uebel w ar nicht erreicht.

Oder auch

es konnte eine Theilung und Aussonderung entstehen: allein auch diese würde nicht das richtige und m it der religiösen Beschaffen­ heit der Personen übereinstimmende Resultat ergeben haben. Auch 2 7 *

420

Fünftes Buch.

Erster Abschnitt.

kam eS wirklich zu einer solchen Scheidung, nur mit dem Unter­ schied daß dieselbe sogleich einen feindlichen Charakter annahm und von dem religiösen G ebiet, wo sie angeregt worden, auf das der kirchlichen und theologischen Parteiung überging. Fürw ahr also wenn S p e n e r Nichts weiter gethan, als an die Mitglieder des Lehrstandes die unbedingte Forderung der Wiedergeburt zu stellen und deren Erkennungszeichen anzugeben: so hätte er damit der evangelischen Christenheit noch keinen Dienst geleistet. Ganz anders und günstiger stellt sich die Frage, wenn sie im Zusammenhang mit seinen übrigen umfassenden Bestrebungen und im Verhältniß zu dem herrschenden Geist, welchen er bekämpft, beurtheilt wird. D er Begriff der Wiedergeburt hat immer noch einen höchst bedeutenden unabweislichen In h a lt, auch wenn er nicht im schärfsten S inne einer vollendeten Neugeburt verstanden wird. S p e n e r stellt seine Bedingung zwar definitiv und unumwunden hin, aber doch nicht so abstract, daß dabei jede Vermittelung mit demjenigen, was übrigens zur Charakteristik der christlichen Fröm ­ migkeit gehört, vermißt würde. Vielmehr werden wir angeleitet, vom Standpunkte des Letzteren auch auf jenes Andere zu schließen und die besondere Auffassung der Wiedergeburt dem Verständniß näher zu bringen?) D er Mensch hat nach S p e n e r s Psycho­ logie sein Centrum nicht im Wissen und Denken noch im Willen für sich allein, sondern in dem Medium der S e e l e oder des H e r z e n s (c o r), von welchem das Selbstbewußtsein seine Farbe und Richtung em pfängt?) Hier laufen die Regungen der Wissens­ thätigkeit und die Willensbewegung zusammen. I n diesem M it­ telpunkt besitzt er sich selbst, hier gehört er sich aber auch nicht allein an , sondern ein Anderes und Höheres kann ihn ergreifen, ') Dgl. Bedenken III, S . 588. ’) Bedenken I V , S . 427. Von Melanthon wird das Herz auf die Seite des Willens gestellt und von diesem abhängig gemacht. Loci theol. ed. 1659,

cp. IV. In homine est pars cognoscens et judicans, quae vocatur mens vel intellectus vel ratio, in hac parte sunt notitiae. Altera pars appetens vocatur voluntas, quae vel obtemperat judicio vel repugnat, et sub voluntate sunt appctitiones scnsuum seu affectus quorum subjectum et fons est cor, qui interdum congruunt interdum pugnant cum voluntate.

421

SpenerS Theologie der Wiedergeborenen.

hier am Unmittelbarsten berühren ihn der Geist und die Gnade. A u f demselben Boden sollen die Erfahrungen der E r le u c h tu n g und E rw e c k u n g sich niedergelegt haben, und zwar als ein B e ­ zogensein des christlichen H eils auf das einzelne Subject, so daß dieses in G o tt s e in e n G o tt, in Christus se inen persönlich m it ihm verbundenen Heiland erkennt.')

Wahre Frömmigkeit ist H er­

zensfrömmigkeit, wahre Theologie ist Herzenstheologie.

H at sich

diese Christlichkeit dergestalt entschieden, daß sie die Denk-

und

Handlungsweise des Subjects von dem In n e rn deS Gemüths aus neu gestaltet und beherrscht: so ist der S t a n d

der Wiedergeburt

erreicht, mögen auch Unvollkommenheiten und Reste des früheren Zustandes genug zurückbleiben.

Ir r e n w ir nicht: so ist es dieses

persönliche Ergriffensein m it seiner umbildenden und erneuernden, und darum von willkürlicher Selbstbestimmung unabhängigen K raft, was S p e n e r An A llen,

als Hauptsache an der Wiedergeburt betrachtete.

die sich evangelische Christen nennen,

soll die Macht

des neuen Lebens wahr werden, vorzüglich aber an denen, die vom Evangelium Zeugniß geben, w eil sie ohne diese snbjective und persönliche Berechtigung wohl den Geist im Munde führen, aber nicht die Stärke haben werden, ihn innerhalb der Gemeinde oder des Schülerkreises in U m lauf zu setzen.

Nun bedenke man

zugleich, daß dieses Dringen auf Erweckung und Wiedergeburt durch den vorherrschenden Charakter der geistlichen Lehrer und Redner seinen vollen Nachdruck erhielt.

S p e n e r sah eine B e a m ­

t e n t h e o l o g i e vor sich, die Nichts besser verstand als zu dociren, zu definiren, zu disputiren, deren kirchlich-gelehrte und standes­ mäßige Gläubigkeit tadellos

erschien und dennoch den Eindruck

religiöser Hohlheit und praktischer Unergiebigkeit machte, und deren M itglieder sich nicht selten leicht darüber hinwegsetzten,

ob das

ewige Leben, dessen Gewinn sie an die strenge Bewahrung ihrer Dogmen knüpften, sich auch an ihnen selber in seinen nothwendigen Vorboten und Vorbedingungen darstelle.

Wenn er solchen gegen­

über ausrief, nur der Wiedergeborene sei der wahre Theologe: so *) Glaubenslehre, S . 67 . 105.

422

Fünftes Buch.

Erster Abschnitt.

wollte er ihnen d as H istoricus vir bonus esse debet in einer christlichen U ebertragung vorhalten. M ahnen wollte er daran, wie wenig gerade dem tiefsten ewigen W illen des Christenthums durch buchstäbliche D octrin genügt w erde, daß die erlösende M acht des E vangelium s ohne thatsächliche B ew ahrheitung überhaupt nicht leh rbar sei und der christliche Lehrer n ic h t d a d u r c h w i r k e , w a s e r w e i ß s o n d e r n w a s e r ist. D en ganzen W iderspruch zwischen doctrinaler Fertigkeit und Fülle und religiöser Leerheit wollte er nicht allein aufdecken, sondern jener den W erth entreißen, so lange dieser nicht abgeholfen sei. W ir können den I n h a lt seines Ausspruchs in zwei M om ente zerlegen: erstens P rotest gegen die B eam ten- und Fachtheologie, welche ihre Theilnehm er zu M it­ gliedern einer docirenden Körperschaft macht, w ährend Alles daran liegt, daß der Einzelne die W ahrheit seiner Lehre m it seiner christ­ lichen Persönlichkeit belegt und bestätigt, und zweitens V erw ahrung gegen die Theologie des bloßen Lernens, von der es gänzlich da­ hinsteht, ob ihr auch die rechten von keiner V erstandesarbeit zu ersetzenden subjectiven E rfa h ru n g e n ') und Eindrücke zum G runde liegen. D a s ist die falsche O bjectivität des G lau b en s, die g e ­ m a c h te T heologie, der er seine g e w o r d e n e und e m p f a n g e n e Christlichkeit entgegenstellte. Und in diesem S in n e treten w ir auf seine S e ite , indem w ir einfach au f den Fortschritt hinweisen, welcher nach so langer Alleinherrschaft eines confessionellen Lehr­ standes oder einer kirchlichen Collectivpersvn sich nach und nach au s der Berechtigung der einzelnen religiösen Persönlichkeit ergeben m ußte. Zugleich ist allerdings anzuerkennen, daß S p e n e r bei der eben bezeichneten W ahrheit nicht stehen blieb, sondern sehr ge') Für diese Kategorie der Erfahrung berief sich Spener auch auf Luthers Aussprüche, die dann von den Gegnern anders erklärt werden, wenn dieser sagt: -,Es lägt sich nicht erkennen ohne eigene Erfahrung! Wer Gott vertraut, wird Gottes in ihm erfahren und also zu der empfindlichen Süßigkeit und dadurch jit allem Beistand und Erkenntniß kommen.« iLuth. Opp. I, Altenb. f. 758). --Reden und lehren können wir eilichermaßen davon, aber die Erfahrung und der Brauch muß einen thcologum machen. — Solches kann man nicht au» Büchern lernen, sondern die Erfahrung ist die beste Gloffe, welche diesen Psalm anslegen und recht verstehen lernt« (ibid. VII, p. 508. V, p. 456).

W ahrer S in n der Theologie der Wiedergeborenen.

423

hieterisch trat er mit seiner Bedingung der wahren Theologie her­ vor. Er löste die Wiedergeburt a ls eine übernatürliche Thatsache aus allem Verband mit menschlichen Tüchtigkeiten und gelehrten Erwerbungen heraus, richtete eine strenge Scheidewand auf zwischen der menschlichen Buchstabentheologie und der Erleuchtung derer, die der Geist G ottes sich schon zu eigen gegeben,') machte über­ haupt sein „inneres Licht," seine „Erleuchtung und Erweckung" zu einem stehenden Artikel und veranlaßte somit das nachherige Reden vom Gnadendurchbruch und manche andere Stichworte der Schule, die eben so gut zu Phrasen wurden wie die von ihm selber an­ gefochtene gelehrt« Kunstsprache. Indessen haben wir dies der pietlstischen Einseitigkeit S p e n e r S zuzurechnen und sind weit ent­ fernt, den Werch und die Wahrheit seiner Grundgedanken darum preiszugeben. — Abgesehen von diesem Allgemeinen hat eS noch eine besondere theologische Wichtigkeit, daß die Werkstätte der E r’) Consil. lat. II, p. 130. Qui ingenio praestat et industria, non difficulter quicquid est humanarum literarum ediscet et in virum doctissimum evadet, quicunque etiam mores vel vita fuerint, non vero ita habet theologicum Studium. Differentia in promptu est, quia eruditio illa nonnisi humanam scientiam requirit adeoque humanis viribus comparari potest, theologia vero divinum lumen est et nonnisi e coelo exspectandum. Hoc equidem largior, cum qui sacras literas et alios libros nostros, systemata puto theologica, scripta polemica et quae hujus generis sunt, sedula manu versaverit, licet vitam ducat Christiane neutiquam dignam, eos comparaturum esse profectus, ut calleat dogmata et ea adversus contradicentes acute defendere queat. Unde in saeculo nomen theologi praestantis facile obtinebit et sibi ipsi talis videbitur. Absit vero, ut hunc verae sapientiae discipulum, multo minus doctorem ego quidem agnoscam. — Oportet enim omnino, si Christian! audire volumus, nos esse StodidaxTovs, non ulla Enthusiastica revelatione aut raptu, sed scripturae divinae virtute, lum ine, sensu, efficacia. Quanto magis hoc a theologo requiritur, quem posthac oporte* alios divina docere! — Evang. Glaubenslehre S . 579. „Doch ist ferner ;u merken, daß dieses göttl. Licht und Glaube an s der Wirkung des h. Geistes bei allen Kindern Gottes zwar wahrhaftig aber nicht üt gleichem Grade fei, bei Einigen ist es stärker und gleichsam klarer, bei Anderen aber schwächer und gleichsam dunkler. Aber dennoch ist solcher Glaube und Licht auch bei den einfältigsten Kindern Gottes herrlicher als die größte buchstäbliche Erkenntniß eines Unwiedergeborenen sollte er auch der Allergelehrteste sein. D enn jene- ist etwas göttliches und himmlisches, djese etw a- irdisches und menschliches.«

Fünfte» Buch.

424

Erster Abschnitt.

zeugung des christlichen Geistes so entschieden in das Herz oder die Seele von S p e n e r verlegt w ird.

Denn wenn Erleuchtung,

Bekehrung und Wiedergeburt als Herzenssache bezeichnet werden: so fragt sich, ob in diesem Proceß dem Verstand oder dem W illen die frühere Stellung und Wirksamkeit zukomme.

D as Lutherische

Dogma behauptete die P rio ritä t des Verstandesantheils, und wenn auch S p e n e r dem nicht widersprach: so erlaubte seine Vorstel­ lung doch auch ein anderes Verhältniß und eröffnete einen S tre it­ punkt, wie er in der reformirten Theologie bereits lebhaft ver­ handelt worden w ar. Fragen w ir nun weiter, wie sich die eben beschriebene Theo­ logie der Wiedergeborenen zu dem überlieferten Dogma verhalten werde: so ergiebt sich eine neue Schwierigkeit. nach S p e n e r ö

Wenn überhaupt

Gesinnungen der evangelische Lehrer zwar zur

Pietät gegen seine Kirche verbunden ist, aber ohne eigentlich von ih r und ihren Satzungen beherrscht zu werden oder menschlicher Glaubensvorschrist wirklich unterworfen zu sein, —

denn unter­

worfen ist er nur den Worten der heiligen S c h rift: — so w ird der innerlich Erleuchtete keine geringere Freiheit genießen, da er durch das Licht seiner Seele sich und Anderen die Bürgschaft giebt, in der W ahrheit zu stehn.

S o llte er also nicht berechtigt sein,

über diese oder jene dogmatische Bestimmung sich hinwegzusetzen, zumal es doch nicht feststeht, ob das kirchliche System selber durch­ gängig auö der Theologie der Wiedergeborenen hervorgegangen ist?

S o llte er nicht auch durch dogmatische U r t h e ile

sich von

denen unterscheiden dürfen, die hier Buchstabentheologen genannt werden und die eben nur an dem Einzelnen m it menschlicher H a rt­ näckigkeit festhalten?

S o mußte S p e n e r folgern und so hat er

auch gefolgert, sofern er einen vollkommenen Lehrabschluß der Kirche nicht zugab, sondern daö Recht zu Verbesserungen und Z u ­ thaten offen erhielt.

Beschwert er sich doch offen darüber, daß

Niemand mehr eine M einung „kühnlich" aussprechen dürfe,

er

zeige denn auch, „daß andere Menschen solcher W ahrheit beige­ pflichtet."

Allein diese Berechtigung neuer Ansichten wurde doch

nicht so weit von ihm ausgedehnt, als es hätte geschehen können,

D ie specielle P rüfung der Lehrpunkte ist schwierig.

425

und w ir finden ihn jederzeit bemüht, den fü r ihn so wichtigen Abstand von Geist und buchstäblichem S to ff dergestalt zu begren­ zen, daß er eben nur den Geist und die A rt der Auffassung be­ tra f, der In h a lt also in wesentlich unverminderter Gültigkeit ver­ blieb.

S o groß ist seine kirchliche Anhänglichkeit, daß sie ihn von

jedem kecken Eingreifen in die Gestalt der Lehre zurückhielt; nur in „D eterm inationen," Wendungen und Verknüpfungen suchte er zu berichtigen, vorzüglich aber darin zu bessern, daß er von der mechanischen Gleichschätzung des Dogma's

ablenkend m it allem

Nachdruck die Punkte bezeichnete, von wo aus die evangelische Lehranschauung ihre Lebenskraft empfangen solle.

IV.

Fortsetzung.

D ie specielle Prüfung der Lehrpunkte in S p e n e r ö Schriften hat Schwierigkeit, w eil Alles nur stückweise vorgetragen w ird und nicht immer in derjenigen Genauigkeit, die dem Dogma bis dahin eigen gewesen w ar.

Indessen bedient er sich doch der deutschen

und populären Rede m it großem Erfolge.

Erlassen

wollte

er

wie gesagt sich Nichts, und wer seine Predigten aufschlägt, w ird selbst über das Entlegene und Schwerverständliche Auskunft finden. G o tt und Schöpfung bezeichnen die „Gnade des ersten A rtikels," sie werden schon aus der natürlichen V e rn u n ft,') dagegen T rin itä t und Menschwerdung lediglich aus der Offenbarung erkannt.

D as

christologische Lehrstück hat S p e n e r

denn

sehr weit verfolgt;

was kann billiger Weise vermißt werden, wenn der Prediger das Verhältniß der beiden Naturen genau auseinandersetzt, die Stände und Aemter Christi gründlich entwickelt, die Erniedrigung in ortho­ doxer Weise aus der menschlichen N a tu r herleitet und durch alle ihre Stadien bis zur Erhöhung durchführt und endlich die J d io menverbindung in faßlicher Weise, obwohl m it Vermeidung aller polemischen Seitenblicke d a rle g t!')

’ ) Mtigern. GotteSgelahrtheit u. f. m. *) Evangel. Glaubenslehre.

DasConfessivnelle w ird ebenso

Franks. 1713.

S . 192 ff. 4 1 4 ff.

S . 14 ff.

wenig um gangen. B o n S p e n e r konnte m an lerne», wie bi« Prädestination ebenso verständlich und entschieden Lutherisch wie ohne H aß gegen die R efo rm irten, deren H au ptirrthu m doch in diesem Artikel enthalten sein soll, vorzutragen sei. E r erläutert daö V erhältniß des vorhergehenden zum nachfolgenden W illen also, daß dieser sich von jenem nicht durch einen beschränkteren Um fang unterscheiden könne, weil ja die S en du ng Christi den all­ gemeinsten göttlichen Liebesberuf in sich tra g e , sondern n u r durch seine positive N atu r und G estalt. D ie G n adenw ahl dürfe also n u r insofern eine W a h l sein, als sie dieses Positive oder die B e ­ dingung des G laubens an Christus jederzeit festhalten müsse, nicht aber eine erclusive Grenze in den höchsten Rathschluß zurückver­ setzen, wozu dieser dem W esen G o ttes gemäß g ar keine innere Möglichkeit darbiete. U nstatthaft fei es also, von der Beschränkt­ heit des E rfolges auf die des göttlichen W illens für sich zu schlie­ ßen, und die einzige Auskunft liege in der Freiheit d erer, welche d as ihnen zugedachte H eil entweder annehm en oder zurückweisen. „D enn so m uß es mit der W irkung des G lau b en s bewandt sein, daß ob w ir wohl die göttliche G nade nicht zu W ege bringen, oder ihr a u s eigener K raft helfen können, w ir dennoch ih r, wenn sie in ihrer O rd nu ng den G lauben gern in u ns erzeugen w ollte, zu widerstreben v erm ö g en ."') Alle solche M aterien lassen die S ub jektivität des Lehrenden wenig offenbar werden, der P rediger erscheint nur in feiner kirch­ lichen T reue und in der Geschicklichkeit seiner ansprechenden, daS Schw ierige sogar dem Volköverstande nahe bringenden D a r ­ stellungsweise. Einzelne Aeußerungen verrathen sein In n e re s fast überall. H ier und da w ird d arauf hingedeutet, daß das D ogm a bei aller seiner S chärfe jederzeit u n v o l l k o m m e n bleibe und nur noch schwächer w erde, wenn m an es m it W orten und S treitsätzen überlade. D e r Mensch, heißt es bei Gelegenheit, m uß wohl also distinguiren, aber er verlange nicht, daß die Distinktion in G ott eben so w ahr sein solle a ls fü r ih n ; der D og') Evangel. Glaubenslehre, S . 231. 35. Ueber das Abendmahl stehe S . 434.

Alle dogmat. Bestimmungen unvollkommen.

427

m attier also bilde sich nicht ei», daß er mit wohlerdachten F or­ meln das Göttliche selber erschöpfen oder umklammern w erde.') Abermals eine W arnung gegen die Buchstabentheologie, welche der Vollendung feiner Verstandeserzeugnisse trau t, ähnlich wie der Pelagianism us der Tüchtigkeit menschlicher Verdienste. D a nun zu dieser gelehrten theologischen Selbstgenügsamkeit die Geheim­ lehren den stärksten Anlaß geben: so sagt es der Schriftsteller gerade heraus, es sei ein Mißbrauch, wenn man mit Versäumniß der zum Leben dienenden und praktischen M aterien allein bei denen verweile, die von der Erkenntniß der Mysterien handeln und auch diese nicht also mittheile, daß alsobald auch die Früchte gezeigt werden, „die aus den Lehrsätzen in das Leben fließen sollen." D aher seine eigene Sparsamkeit und Bescheidenheit in Dingen, wo eö gewagt scheint, mit der Sache auch ihren M odus genau zu bestimmen. Die T rinität tritt neben der Person Christi, der vorweltliche Christus neben dem menschlich erschienenen und gestorbenen verhältnißmäßig sehr in den Hintergrund. D a s B e­ kenntniß Christi als des Gottmenschen ist keineswegs nur ein Compler schwer vereinbarer Sätze, sondern hat seine praktische „dem Leben dienende" W ahrheit vor der T h e o rie ;') es umfaßt die Grundthatsache der Offenbarung, und auf ihm ruht die Ueber­ zeugung, daß G ott mit den Menschen durch Christus w e sen tlich verbunden und vereinigt sei.') Nichts wurzelte tiefer in S p e n e r s Gemüth alö diese Ueberzeugung, Nichts beschäftigte ihn eifriger als das S treben, die christliche Frömmigkeit den durch Christus eröffneten, in der h. Schrift fortlaufenden und durch die Gnade

') Glaubenslehre. S . 4X4. ’) Bedenken, I I I , S . 270. »Wer mir Christum das Fundam ent meines Glaubens nim m t, m it dem breche ich billig alle geistliche Freundschaft ab ; wer m ir aber solchen noch lasset, ob er auch vielleicht in ein und andern Stücken fehle, — m it dem trage ich die Liebe, daß ich jenen allgemeinen wahren selig­ machenden Glauben an Christum mehr bei m ir gelten lasse als seine Z rrm einungen.» •*) Bedenken, III, S . 302.

428

Fünfte« Buch.

Erster Abschnitt.

lebendig erhaltenen Zuflüssen der göttlichen Kraft in das S eelen­ leben empfänglich und zugänglich zu machen. E s kann daher keinem Zweifel mehr unterliegen, in welcher Richtung sich S p e n e r s dogmatische Lehrweise am Freiesten und Eigenthümlichsten bewegt. S ein Gebiet ist das der Heilslehre sammt deren nächsten Voraussetzungen und Folgerungen; dieser S to ff verdient genauere Beachtung und vertheilt sich für unsern Zweck unter die drei Rubriken: 1) N a t u r u n d S ü n d e im V e r h ä l t n i ß zur G n a d e , 2) d er G l a u b e nebst der H e i ­ l i g u n g u n d d en a n g r e n z e n d e n B e g r i f f e n , 3 ) die B e s c h a f f e n h e i t d e s christlichen L e b e ns . I n der Schilderung der menschlichen Sündhaftigkeit, um mit dem E rste n zu beginnen, spart der Schriftsteller die W orte nicht. D ie S ü n d e steht ebenso sehr mit der ursprünglichen im Gewissen immer noch angedeuteten menschlichen Bestimmung wie mit G ott selbst und dem Gesetz im Widerspruch. Als erbliches und leiblich fortgepflanztes Uebel gedacht ist sie die „schreckliche Verderbniß," welche außer dem Wesen selber nichts G utes noch Gott W ohlge­ fälliges in der N atur zurückgelassen hat. W ir haben keine andere N atur empfangen als eine von Sünden ganz „durchgiftete," deren böse Neigungen verbleiben, auch wenn die ererbte Schuld von uns genommen ist. „Ich und D u wir haben alle Sünden der W elt in uns," nur durch Veranlassungen und Versuchungen werden sie in's Dasein gebracht. Auf schwachen Füßen stehen die Reste natürlicher Gotteserkenntniß und die etwanigen Leistungen bürgerlicher Ehrbarkeit.') S p e n e r sah keinen G rund, von diesen Bestimmungen Abzüge zu machen. An dem dogmatischen Begriff der N a t u r haftet einmal der S in n der Erniedrigung und der Versunkenheit, sie drückt das Irdische im Abstand vom Himmel aus und kann nach ihrem gegenwärtigen Zustande nicht mehr durch bloße M ittel der Erhaltung und Vorsicht, sondern nur durch außerordentliche Thätigkeit Gottes d. h. Gnade über sich selbst erhoben und wiederhergestellt werden. Allein neben diese Ansicht ') Glaubenslehre, S . 1107 - 9 . 1117.

stellt sich sogleich eine andere. Die N atur bleibt immer w as sie ist, der Inbegriff aller den Menschen wesentlich constituirenden gei­ stigen und leiblichen Functionen; sie wird ihrer organischen Voll­ ständigkeit durch die Sünde nicht beraubt, noch kann sie ihre innere Regsamkeit jem als völlig ablegen. Auch unter göttlichen W irkun­ gen verhält sie sich anders denn als ein „stillschweigender Klotz." Und dieses Zweite hat S p e n e r ebenso bestimmt ausgesprochen. Wenn er Beispiele dafür anführt, daß die Apostel und andere M änner, die der h. Geist sich zu Werkzeugen ausersehen, dadurch ihrer N atur nicht entrückt worden seien, sondern ihre Eigenthüm­ lichkeiten der Rede, des Temperaments und des Charakters be­ w ahrt hätten: so will er etwas Hochwichtiges aussagen. N atur und Gnade obwohl ethisch entgegengesetzt, sollen doch als Lebens­ potenzen wieder auf einander bezogen werden, denn sie verdrän­ gen sich nicht, sondern geben sich gegenseitig R a u m .') E s ist etwas Natürliches und Naturgem äßes in der G nade, welche sich allen Bildungsformen des menschlichen Lebens anschmiegt, um sie für sich zu gewinnen, und etwas Gnadenartiges in der N atur, sofern sie der Gnade nach allen Richtungen Eingang verstattet und durch ihre eigne Mannigfaltigkeit deren Erscheinungsreichthum er­ höht und entwickelt?) Dasselbe haben gewiß andere protestan­ tische Theologen vor ihm gedacht und gesagt. Aber eö w ar nicht die gewöhnliche Vorstellung, denn nach dieser erscheint es mehr als eine Herablassung und Nachgiebigkeit des göttlichen Geistes, wenn derselbe dem Menschen verstattet, seiner persönlichen Art und Eigenheit treu zu bleiben, oder wenn die biblischen Schriftsteller an der Ausprägung ihrer geistigen Individualität nicht gehindert worden sind. S p e n e r sieht vielmehr die göttliche Ordnung darin ’) Von der N a tu r und Gnade, herauSgeg. von PritiuS , S . 3. 4. „Nächstdem ist ferner zu merken, daß in der Frage, ob E tw as aus der N atur oder aus der Gnade sei, der Gegensatz der beiden nicht so absolute und bloß dahin genommen werde, daß bei der Gnade nichts von der N atu r w äre, bliebe und in dem Würken beto Kräfte gebraucht wurden; und also alle die menschlichen Kräste sich nicht anders in den götllichen Wirkungen hielten als ein stillliegender Klotz. Welches falsch ist und von unserer Kirche billig verworfen totrb.v« 2) Vgl. die schöne Stelle: Don der N atur und Gnade, S . 8 —10.

430

Fünftes Buch. Erster Abschnitt.

erfüllt; die G nade muß innerhalb der N atur etttgtM rgert und wohnhaft werden und ihren Empfängern ein erneutes aber gleich­ falls dem Naturcharakter anzubildendes Dasein verleihen. Den Rechten der Offenbarung geschieht dadurch kein Abbruch, weil jederzeit das Zuständliche wieder hervorgehoben wird, welches als sündhaft und verderblich von jener durchaus verdrängt und auf­ gehoben werden soll. W e lt und G n a d e bilden einen absoluten Gegensatz, und wo diese einkehrt, muß jene weichen; N a t u r und G n a d e dagegen nur einen relativen, der sich bis zu gegenseitiger Befreundung ausgleichen soll. W ir dürfen also diesen Charakter­ zug dahin aussprechen, daß S p e n e r das letztere V erhältniß zu mildern Anstalt machte, weil seine ganze Frömmigkeit auf eine freiere Anerkennung aller geistigen Schöpfungsgestalten und N a­ turwege, zu denen ja auch die Berechtigung des Persönlichen und Subjektiven gehört, hindrängte, daß er dafür aber den anderen Gegensatz, den des Weltlichen und Göttlichen, nach biblischem V or­ bild desto stärker und unv'erhüllter gelten ließ. M it der kirchlichen Richtung verhielt es sich gerade umgekehrt. S ie verdammte die N atu r, näherte sich aber der Welt und vermied den feindlichen Conflict mit ihr. G rößere Schwierigkeit bereitet uns nun das z w e ite Stück dieser Untersuchung, die Lehre vom G la u b e n , der Rechtfertigung und Heiligung und dem, w as unmittelbar mit ihr zusammenhängt. Wenn irgendwo so muß sich S p e n e r s Denkart an dieser Stelle vollständig vor unsern Augen enthüllen. Hier sehen wir ihn im vollen S treite des Geistes wider den Buchstaben, kirchlich entschie­ den und doch in einer persönlichen Zuversicht und Freiheit, die über die Macht der Ueberlieferung erhebt, gebuttden an die wich­ tigsten Bestimmungen des D ogm a's und doch in tiefster Unzufrie­ denheit über dessen entseelte Hülle. Den Mittelpunkt des kirchlichen Lehrbegriffs macht er gern zum Ausgang seiner Vorhaltungen, um an ihm darzuthun, daß die Menschen, statt sich vom christlichen Wesen emporziehn zu lassen, dieses vielmehr zu sich herabgedrückt und entgöttlicht haben. Daher hat seine Gegenrede den S in n , als wollte er sagen: E s ist wohl richtig, w as ihr behauptet und ver-

Die Entleerung des Glaubensbegriffs.

431

ständig zu erklären wißt, aber in eurem M unde wird es unge­ nügend und kraftlos. Oder dies auf das erwähnte Thema ange­ wendet: Vom G lauben wird genug gepredigt und doch wieder nicht genug, da Biele nur ein menschliches Gedankending, ja ein „Gespenst" ohne Wesen aus ihm gemacht haben, von welchem wahrlich nicht gesagt werden kann, daß es uns für sich allein vor G ott rechtfertige. Von jener otiosa notitia, gegen welche die R e­ formatoren eiferten, dürft I h r Euch und Euren Standpunkt nicht freisprechen. Um aber zu verdeutlichen, w as dieser Nam e in sich trage und w as ihn allein vor Entleerung bewahren könne, mußte auf das dogmatische Verhältniß eingegangen werden. Zahlreiche Erklärungen bestätigten die kirchliche Lehre als die einzig biblische. D er Mensch wird ohne alles eigne Verdienst durch Christi G e­ rechtigkeit G ott wohlgefällig, d. h. es wird ihm die letztere, nämlich nicht jene immanente, welche der S ohn Gottes bei seiner persön­ lichen Vereinigung der menschlichen N atur mitgetheilt hat, sondern die des leidenden und thätigen Gehorsams, — durch den Glauben gnadenvoll zuerkannt. Nicht eigenes Verdienst sondern fremdes und außer ihm gegebenes, nicht Schätzung der eigenen Tugend sondern der ihm aus Gnaden imputirten läßt ihn vor G ott An­ erkennung finden.') F ragt man weiter, warum dies? so ist zu antw orten: nicht darum weil in uns mit dem Glauben noch nichts Gerechtes vorhanden w äre, sondern weil dieses Gerechte theils dem Princip nach nicht uns selber gehört und nur durch göttliche Wirkung in uns erzeugt, theils noch zu unvollkommen ist, um uns vor dem göttlichen T ribunal zu statten zu kommen, so daß der G rund der Freisprechung immer nur auf der Thatsache deS Gehorsams Christi und auf der gnädigen Uebertragung G ottes beruhen m u ß ?) S p e n e r meint es gewiß aufrichtig, wenn er ') Vgl. Bedenken IV, pietatis praetextu motarum, Qedan. 1701. Itjiierar. Antipietisticum, Holm. 1695. Walch, p. 726—28. 4) Geb. 1650 zu Leipzig. Vor der Berufung nach Hamburg war er Superin­ tendent zu Leißnig und Grimma, Professor in Leipzig, kurze Zeit auch zu Wit­ tenberg. Er starb in Folge eines erlittenen AergerS sehr plötzlich in Stettin 1712, Sein Privatcharakter, zumal sein eheliches Leben, war nicht unbescholten, woraus von ThomasiuS (Kleine Schriften, Halle 1707, S . 509ff.) in eine* he» tigen Gegenschrift angespielt wird. Tholuck, Geist der Theologen Wittenberg?, S . 234 ff. Mayer stand auch an der Spitze dex in Greifswald gegen den Pie­ tism us geführten Untersuchungen, auf welche zurückzukommen, sich hiMicht ein­ mal Gelegenheit bietet. S . Walch, Einleitg. V. S . 307.

Die Bestreitung

des

Pietismus hat Schwierigkeit.

459

M a y e r -lieb in Hamburg, wo ihn alle mäßig Gesinnten haßten, bis 1701, dann folgte er, denn er stand in enger Beziehung zu Schweden, einem Ruf als Generalsuperintendent von Pommern und Professor Primarius zu Greifswald. Er wurde Kanzler perpetuus der Universität und Pastor an der Nikolaikirche, über­ haupt mit Ehren und Würden überhäuft. Hier wie früher ent­ wickelte er eine ungewöhnliche gelehrte Vielseitigkeit und schrift­ stellerische Fruchtbarkeit. D as bunte Vielerlei der historischen, exegetischen, polemischen, kasuistischen und praktisch - kirchlichen Einzelnheiten, denen er seine Dissertationen') widmete, gewährt einen verwirrenden Anblick und wird nur locker durch den Faden des Lutherischen Standpunktes verbunden. Eine zusammenhän­ gende Gruppe bilden jedoch die Angriffe gegen den Papismus, nicht minder gegen die Labadisten, Quietisten, Quäker und beson­ ders den mit immer gleicher Bitterkeit gehaßten und verfolgten Pietismus. — Wenn M ay er der ersten Hälfte dieser Bewegung noch angehört: so bezeichnet dagegen die Fehde zwischen V a le n tin Löscher und Jo ach im Lange schon ein zweites Stadium, wes­ halb wir diese Männer, die uns in andere noch nicht dargestellte Verhältnisse einführen würden, für jetzt unberücksichtigt lassen. Man kann sich nicht verhehlen, daß die Verständigung mit der neuen Schule und deren Meister ihre Schwierigkeiten hatte. Wäre S p e n e r ein Bestreiter der Kirchenlehre als solcher »der auch nur ein streng doctrinaler Theologe gewesen: so hätte der Abstand, der ihn von den Gegnern trennte, sich mit Sicherheit feststellen lassen. D a er aber in der Hauptsache dem Dogma auf­ richtig beipflichtete, ohne doch dem gewöhnlichen Lehrbewußtsein und Lehrvertrage treu zu bleiben, da er von dem bekämpften Dogmatismus selbst noch abhängig war und denselben mehr zu beleben und zu ergänzen als umzustoßen trachtete: so wurde den Beurtheilern zugemuthet, auf diese eigenthümliche Bestrebung ein') D ie hiesige Bibliothek besitzt nicht weniger als sieben Quartanten gesam­ melter Mayerscher Abhandlungen. Nach Tholucks Angabe werden ihm 378 Schriften beigelegt.

460

Fünftes Buch. Zweiter Abschnitt.

zugehn, wozu sie meist die Fähigkeit nicht mitbrachten. D ie freie um Einzelbestimmungen wenig besorgte S prache und die G eltend­ machung q ualitativer Gesichtspunkte gegenüber dem Interesse des bloßen In h a lts erschwerte das V erständniß und störte die G e­ wohnheit der theologischen Dialektik, die sich so lange m it den crocten Form en der Lehrartikel beschäftigt hatte. Aber auch wenn w ir diese Schw ierigkeit billigerweise in An­ schlag bringen, müssen w ir sagen: die Polem ik gegen den P ie tis­ m us w ar von der unerfreulichsten A rt. Nicht a ls ob sie ganz au s der Luft gegriffen gewesen w äre, vielm ehr fanden sich überall Punkte oder Pünktchen zur Anheftung eines W iderspruchs, wie m an denn Verstandlosigkeit der orthodoren Kritik niem als vor­ werfen darf, — sondern darum nennen w ir sie so, w eil sie sofort au f das Kleine und Einzelne Ja g d macht, statt die Gesammtmeinung zu übersehen, w eil sie alle ihre V orw ürfe verallgem einert, unbekümmert ob dabei die H älfte hinzugedichtet w erde, weil sie den ganzen P ietism u s nach gewissen Auswüchsen p rü ft, um ihn desto gewisser zu verurtheilen, und endlich der besten christlichen Gesinnung einen unchristlichen jeder S elbstprüfung und B u ße un­ zugänglichen Trotz entgegenstellt. Schon die persönlichen Angriffe sind w iderw ärtig. S p e n e r selbst erfährt eine kühle Anerkennung seiner „herrlichen G ab en ." Aber er ist der „P atriarch des P ie­ tism u s," dem derselbe mit allen faulen Früchten zur Last fällt. E s w ird ihm nachgesagt, daß er es au f U ntergrabung des kirch­ lichen Ansehens abgesehen, sich selbst aber m it einem Heiligenschein habe umgeben wollen. E s w ird ihm vorgew orfen, daß er aus lateinische Streitschriften deutsch geantw ortet, um die Laien in ein M itverständniß hineinzuziehn, dem sie nicht gewachsen seien, das er aber zur V erm ehrung seines A nhangs benutzen w o llte/) M a y e r spricht den Wunsch a u s , daß er dereinst aus dem Todtenbett die große S ü n d e und den der Kirche zugefügten Schaden, nämlich den „pietistischen Schw ärm ereien nicht w iderstanden, sondern sich ganz *) Neumann, Prodr. Anti-Spener p. 16.

Allseitige Gefahren des P ietism u s.

461

und gar zum Dienst der Verführer hergegeben zu haben, bereuen m ö g e."') D ie Beurtheilung des Sachlichen beginnt mit allgemeinen Schilderungen, geht sodann auf gewisse Controverspunkte ein, um endlich mit langen Verzeichnissen Spenerifcher Irrth ü m er zu schließen. D ie Imago Pietismi von 1691 w ar nur ein steckbrief­ liches Signalem ent, aber ohne polizeiliche Genauigkeit. Nachher w ar man darauf bedacht, den P ietism us aus historischen Quellen und Antecedentien herzuleiten. Aehnlich wie der Synkretism us aus einer langen häretischen Vergangenheit erklärt wurde: so sollen setzt die verschiedensten Häresieen, LabadismuS, O standrism us, Schwenkfeldismus, NovatianismuS, Pelagianism us, D eism us und selbst P latonism us ihr Contingent gestellt haben, um die neue verderbliche Ausgeburt zu Tage zu fördern. Und diese häretischen Gefahren sind unter dem Einen Losungswort verborgen, daß es auf die R e i n h e i t d er L e h r e nicht m e h r a n k o m m e n s o l l e , s o n d e r n l e di g l i c h a u f di e d e s W a n d e l s . Dem Kirchen­ glauben wird seine Nothwendigkeit entzogen, damit auf den Werken alles Gewicht ruhe. „Z u r Seligkeit, sagt ein E ric h F r i e d lie b , wird nur der G laube erfordert, daß Christus der Heiland der W elt sei, um dessen willen G ott die Sünden vergebe und zur 1) Dgl. M ayer, D aö über die Pietist. Verführungen weinende evang. J e r u ­ salem, Greifsw. 1709. Hier wird S peners vielfach nützliche Thätigkeit S . 60 anerkannt, aber geklagt, daß er seine Gaben den Schwärm ern zum Besten und zum Untergang des wahren Lutherischen Jerusalem s gebrauchet. „Denn war der M ann bei diesen verkehrten Menschen in solchem Ansehen, daß wofern er ihrem verdammlichen Beginnen sich ernstlich hätte widersetzet, mit Fleiß gesteuert, durch Widerlegung sie gesuchet auf den rechten Weg zu bringen, diesen Leuten ihr M uth gefallen, die Lust der verdammlichen Neuerungen verschwunden wäre und das Unglück in der Blüthe wäre erstickt worden. Welches aber er nicht allein nicht gethan, sondern vielmehr sich ganz und gar zum Dienst dieser Ver­ führer gewidmet, und wenn ihre Sache entweder allzugrob und offenbar, doch nie m it der Sprache recht herausgewollt, sich entschuldiget, er hätte die Bücher nicht gelesen oder er verstehe sie nicht rc.„ M an bemerke wohl, daß auch diese Anklage maaßlos übertrieben, aber nicht erlogen ist, da sich S pener allerdings einigen Erscheinungen des Pietism us gegenüber nicht entschieden genug gezeigt hatte.

462

Fünftes Buch. Zweiter Abschnitt.

Heiligung des Lebens die Kraft verleihe." Leugnet doch ein T h o m a s iu s das Verbrecherische der Ketzerei und will Niemand für einen Häretiker erklären, als der bisher für das Gegentheil gegolten und wer Controversen erregt und Andersgläubige ver­ dammt. Schon habe das Lutherische Papstthum seine Bekenntnisse zu Gesetzen erhoben, und aus diesem „Brunnquell" der Gesetzlich­ keit sei die sogenannte Eintrachtsformel hervorgegangen. „Den Laien werde die Seligkeit für den Symbolglauben versprochen, gleich als ob dereinst vor dem Richterstuhle Christi ein Katcchismuseramen nach der Augsburger Confession angestellt werden w ürde."') Solche Stimmen, — und man hielt sich natürlich an die stärksten Aussprüche von T h o m a s iu s und D ip p e l, — verrathen zur G e­ nüge, worauf Alles hinausw ill: Sturz der symbolischen Normen, religiöse Indifferenz und schrankenlose Lehrfreiheit?) Von M a y e r werden die Jesuiten herbeigezogen, denn auch sie haben das Be­ stehende verachtet, Irrlehren und Unglauben entschuldigt, sich selbst für die Erwählten ausgegeben?) Die Arianer sind vergleichbar, weil sie auf ihre moralischen Eigenschaften sich zu berufen, ihre Religiosität vorzuschützen, die Gegner der Jm pietät zu beschuldigen pflegten?) Am Häufigsten werden die Vorgänger der Schwär­ merei citirt, die C a r ls ta d t, M ü n tz e r, J o h a n n v o n L e y d e n und W e ig e l, die Quäker und Labadisten, Leute die einen unmittel­ baren prophetischen B eruf vorgaben, das geordnete Predigtamt lästerten und selbst die Bauern zu geistlichen Mitarbeitern erkoren?) *) Mayer, Pietistarum Socinianismus circa indifferentiam religionis, Gryph. 1706. 2) N eum ann, Prodr. A nti - Spenerianus p. 6: "M an lasse n u r den Feind in den Außenwerken Posto fassen und darin nach seinem Gefallen Handthieren: so wird man erfahren, wie es m it der S ta d t ablaufen wird. M an lasse nur heut einem Chiliasten und morgen einem Socinisten die Freiheit, eine Lehre nach seinem Kaliber einzuführen: so haben wir die richtigste Bahn, worauf w ir gerade wieder in den Polytheismum und in 's Heidenthum zurückwandern können." 3) Mayer, De fraternitate Pietistarum et Jesuitarum, Gryph. 1707. Christ. Kleinfelds öffentl. Entdeckung derjenigen Ursache, um welcher willen er die Pie­ tisten fü r Jesuiten halte.

4) Ejusdem Arianus et Pietista, Gryph. 1707. 5) D er Labadiömus, die Quelle des Pietism i, 1734.

Gegen Unterscheidung von Buchstabe und Geist.

463

Um aber darzuthnn, wie es mit der vielgelobten Heiligkeit dieser Seete bestellt sei, nimmt M a y e r keinen Anstand, die in der F a­ milie B u t t l a r vorgekommenen Unzüchtigkeiten, die in der T hat nicht scheußlicher sein konnten, als Beispiel anzuführen?) Solche Parallelen halfen das „Ebenbild der Pietisterei" ver­ deutlichen und ausm alen, es geschah in dem schlechten Glauben, daß immer ein Titelchen W ahres daran sei. — W orin ferner der d o c t r i n a l e K e rn des Pietism us liege, das haben die Kritiker mehr im Einzelnen herausgefühlt und an gewissen Folgerungen ermessen, als durch zusammenhängende D arlegung sich klar ge­ macht. S p e n e r hatte jederzeit die Unzulänglichkeit eines bloß urkundlichen und im Buchstaben niedergelegten Christenthums be­ hauptet, welches unkräftig bleibe, so lange ihm nicht von Seiten der auffassenden Subjecte ein belebender und erleuchtender Geist zufließe. D ie Gegner protestirten, weil sie damit die feste Objek­ tivität der Lehre angetastet fanden. D ies angewendet auf die h. Schrift und deren Verständniß, ergiebt sich folgende T h e s i s und G e g e n th e s is : D ie Thesis haben wir in Händen. S o lange, erklärt S p e n e r , die B ibel nur im Buchstaben liegt, gleicht sie dem S tab e M osis, der auf Bewegung h a rrt, oder der O rgel, welche der Hauch erst ertönen macht. W enn es w ahr ist, daß dieselbe mit dem göttlichen Wesen und W illen, von dem sie zeugt, nicht unmittelbar dasselbe sei: so kann sie im lebendigen Gebrauch erst ihre göttliche Kraft entwickeln. Die Gegenthefis findet diese Unterscheidung unerlaubt und herabsetzend für die W ürde der h. S ch rift?) D a s W ort G ottes ist durch sich selber w as es ist, Kraft und G eist; es führt sein schöpferisches Wirken in sich und bedarf keines zweiten Factors, der wie ein Werkmeister hinzukommen müßte, um es zu beleben. Unterscheidet man sein ruhendes S ein von dem thätigen: so darf ‘) Mayer, Nova et abominanda Pietistarum trinitas, Gryph. 1706. ?) Bücher, Rathmannus redivivus, d. i. Pietist. Uebereinstimmung in dem Artikul v. d. h. Schrift m it denen FanaticiS, Lpz. 1697.

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Fünftes Buch.

Zweiter Abschnitt.

dies doch nicht so gefaßt werden, als ob es in dem Gebrauch oder secundo erst sein Vermögen gewönne, dem nur eine todte Existenz vorangegangen w äre. Der Mensch kann wohl einen Riegel vorschieben, ist aber viel zu schwach, zwischen dem W ort und dessen Kraft dergestalt zu scheiden, daß die letztere durch sein Verhalten angeregt oder gedämpft und ausgeschlossen wird. M ag dann E p e n er immer noch bevorworten, daß er das Zusammen­ gehörige nicht trennen sondern zu einem Ganzen verbinden wolle: dennoch wird von ihm die Schrift außerhalb ihres Gebrauchs zur bloßen Schaale erniedrigt, die höhere von der niederen Wirkung abgelöst und die den Schwärmern von jeher willkommene Fiction eines zweiten i n n e r e n W orts an die Hand gegeben. Und dieser phantastische Irrth u m stammt daher, daß S p e n e r daS biblische W ort nur m aterialiter betrachtet, während dasselbe, so oft von seinem Wesen überhaupt die Rede ist, zugleich formaliter ange­ sehen sein m u ß .') D er Leser wolle beachten, daß mit solcher Rede und Gegen­ rede die Streitenden sich noch nicht beikommen konnten. Den B or­ w urf einer Herabsetzung der h. Schrift verdiente S p e n e r nicht, der sich gerade durch Innigkeit und Unmittelbarkeit des biblischen Verständnisses vor der Mehrzahl auszeichnete. Gewiß er w ar g l ä u b i g e r als seine Gegner, wenn er auch nicht so V i e l glaubte. Auch beabsichtigte er ja nicht eigentlich die T h e o r i e zu verbessern, den actus primus und secundus der Schriftwirksamkeit in anderer Weise zu unterscheiden, noch auch bloß das T riviale auszusprechen, daß die Bibel, so lange sie nicht gelesen wird, sich ebenso unfrucht­ bar verhalten muß wie jedes vergrabene Buch. Vielmehr wollte er gerade den unlebendigen im Buchstaben verharrenden praktischen G e b r a u c h einer wahren und subjektiv lebendigen Anwendung, welche erst alle schlafenden Kräfte wecken werde, entgegenstellen. Gegen die buchstäbelnde und geistlose Schriftbehandlung w ar seine Thesis gerichtet, und die Kritiker hätten, um sich mit ihm zu ver­ ständigen, zuerst bedenken müssen, ob sie selbst nicht zu dieser scheina cta

*) Bücher, Rathmannus redivivus, S . 21. 27. 40. 44. 48. 72.

Gegen die T rennung von Geist und Buchstaben.

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bar unberechtigten Klage Anlaß gegeben hatten; denn es verhielt sich gerade umgekehrt wie sie vorgaben, so daß die bloß materia­ listische Auffassung, deren sie jenen beschuldigten, vielmehr auf ihrer Seite stattfand. Indessen erledigt sich damit die vorliegende Controverse immer noch nicht vollständig. Denn indem S p e n e r so gestiffentlich über den Buchstaben und nächsten Wortsinn hin­ auswill und den Geist herbeiruft, welcher in Verbindung mit jenem die erleuchtende Wirkung im In n ern schaffen werde, ver­ ähnlicht er allerdings die Wirksamkeit der h. Schrift jedem anderen geistigen Verständniß, welches aus dem Zusammenwirken z w e ie r Faktoren, deren Einer stets aus dem Schooß der Subjektivität sich entwickelt, gewonnen wird. E r entfernt sich also von dem im Dogma bisher ausgeprägten starren und absoluten S upranatura­ lism us, der alle schöpferischen Eigenschaften in das W ort selber bannt, damit nur dem aufnehmenden Subject keine eigene Regung eingeräumt werde. Eine Erweichung dieses systematischen S u p ra ­ naturalism us konnte ihm vom Standpunkt der Orthodoxie wirklich zum V orwurf gemacht werden, und sie hing mit seiner religiösen Richtung überhaupt zusammen. M änner wie B ü c h e r, N e u ­ m an n und M a y e r vermutheten in dieser Milderung schon die fanatische Fiction eines inneren W ortes neben dem äußeren, die sich dann auch bei D ip p e l wirklich ergeben hatte. Auf S p e n e r selbst paßte diese Kategorie nicht; das praktische christliche Selbst­ gefühl, das ihn durchdrang und welchem folgend er die Tiefen religiöser Innerlichkeit auch für die Aneignung des Biblischen er­ schließen will, ließ sich nicht niederschlagen mit dem Vorwurf einer maaßlosen, von der Fessel des geschriebenen W ortes sich beliebig emancipirenden Willkür. Die üblichen Gegengründe der Theorie reichten nicht aus; die Thatsache einer todten Biblicität blieb stehen, und gerade vom Standpunkt der Orthodoxie war es am Wenigsten erklärlich, warum die h. Schrift, an deren Buchstaben und Text die Dogmatik alle Kraft unmittelbar gebunden hatte, dennoch historisch angesehen auf so ungleiche Weise gewirkt und an ihren vermeintlichen Beschützern sowenig als Geist und Leben offenbar geworden war. Besch, d. Protest. Dogmatik II.

30

466

Fünfte» Buch.

Zweiter Abschnitt.

D er angegebene Streitpunkt erlaubte aber noch eine weitere Ausdehnung.

Dem gleichen Tadel unterlag Alles, was S p e n e r

über die menschliche und

bloß

gelehrte

oder gedächtnißmäßige

Theologie gegenüber der wahren Weisheit der Erleuchteten be­ hauptet hatte. Nach seiner Meinung soll ein U n w ie d e rg e b o re n e r die analogia fidei sowie die ganze Glaubenskette nach ihrer stoff­ lichen Außenseite verstehen können, er soll im Stande sein, an der genauen ja

an der irrthum sfreien

Lehrüberlieferung T he il zu

nehmen, während ihm doch das aufhellende göttliche Licht des Evangeliums und damit die wahre Einsicht in das Wesen des Gegenstandes noch nicht aufgegangen ist.

N ein,

antworten die

Kirchlichen, er kann die Lehre und den Glauben nicht verstehen, oder was er versteht, ist ihm nicht aus natürlichen Kräften ein­ gegangen; das W o rt behält also seine erleuchtende Macht, bewährt sie aber an vielen In d ivid u e n darum so wenig, w eil auch die A uf­ nahme unvollständig und lückenhaft gewesen w ar.

Selbst Stücke

der christlichen Lehre gehen entweder gar nicht von Einem Hörer zum Andern über, oder sie hinterlassen den entsprechenden Eindruck in den Empfängern und behaupten ihren W erth auch in dem fragmen­ tarischen Vorhandensein. li che

und der Weihe

Keineswegs giebt es eine b l o ß mensch­ des Geistes noch entbehrende Theologie,

keineswegs eine Erlernung derselben, die ih r höheres Licht noch außerhalb hätte und doch schon als Erlernung gelten dürste. „ I s t die K ra ft nicht in dem buchstäblichen Verstände und doch in dem W o rte : so w ird folgen, daß der buchstäbliche Verstand nicht Gottes W o rt sei."

Erweist sich die Theologie als unfruchtbar: so darf

sie nicht als wirklich vorhanden anerkannt werden.

S o viel aber

überhaupt von der christlichen Lehre verstanden w ird , das w ird m it der ihm einwohnenden und von dem In h a lt nicht zu trennen­ den Kräftigkeit aufgenommen.') ') Neumeister, Auszug Spener. Ir r th ü m e r , S . 129. »D a ist abermals offenbar, daß Spener zweierlei Licht der h. S chrift zuschreibe, davon das eine sei ein buchstäbliches, natürliches, historisches, da» andere aber ein übernatürliches und geistliches, so vom h. Geist herkomme. Und zwar dergestalt, daß das Buch­ stäbliche, Natürliche, Historische A llen , so die Schrift lesen, leuchte, das Ue-

D e r S tandpunkt des P ietism u s fand also in diesem F alle eine ähnliche E rw iederung wie vorhin. D en relativen Abstand, den S p e n e r zwischen dem Niederen oder Aeußerlichen und dem Höheren gesetzt, verw andelten die G egner in eine absolute T ren ­ nung und antw orteten m it dem allgemeinen A rgum ent, daß S to ff und K raft sich niem als scheiden lassen und es dem Wesen der christlichen Theologie widerspreche, ihr G erippe ohne Z u tritt des bewegenden Lebenstriebes m itzutheilen. D en praktisch gemeinten Hinweisungen au f die gedächtnißmäßige Leerheit des S tu d iu m s und au f die Nothwendigkeit einer E rneuerung von In n e n h eraus begegneten sie m it apriorischen G rü nd en, unbekümmert darum , ob nicht ihre T heorie an ihnen selber zu Schanden werde, und ob sie nicht selbst die Kunst verstanden h ätten , das scheinbar Unmögliche einer E ntfrem dung von Geist und M aterie dennoch zu vollbringen. N u r die Form der Spenerschen B ehauptung und die überspannte V erw erfung aller Buchstabentheologie durfte in dieser A rt zurück­ gewiesen werden, nicht die Sache erledigt. W enn es feststeht, daß alles Theologische entweder diesen N am en nicht verdient oder in seinen Pflegern die ihm einwohnende K raft auch a u sü b t: so w ar dem B eg riff einer theologia regenitorum aller B oden entzogen, aber auch alle P rü fu n g der factischen Zustände m it kalter Folge­ richtigkeit abgeschnitten. — M an ging natürlich noch weiter, m an erklärte d as Vorgeben d erer, die a u s ihrer W iedergeburt einen absonderlichen theologischen B e ru f herleiteten, als einen scheinheiligen P h a ris ä ism u s, welcher falsche Donatistische B egriffe in den G e­ meinden wecken und bei den S chülern über die Person und den W erth ihrer Lehrer V orurtheile erregen müsse, die nur nachtheilig und verw irrend au f die Sache zurückwirken könnten. Auch werde es nicht fehlen, daß die nach solchem M aaßstabe geleitete W ah l der geistlichen Personen bei der Unvollkommenheit menschlicher E r­ kenntniß zu Schwierigkeiten und Fehlgriffen fü h re ? ) D a s Recht bernatürliche und Geistliche aber n u r denen, die wiedergeboren und bekehret worden."

') Mart. Chladenius, De damnis et emolumentis controversiae circa theologiam impiorum, Vitemb, 1713. p. 13. 17.

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Fünftes Buch.

Zweiter Abschnitt.

dieser Bedenken haben wir oben anerkannt. Die Meisten fanden sich mit diesen Einwendungen völlig ab. N ur Wenige besaßen Einsicht genug um einzuräumen, daß die Bedingung persönlicher Gewecktheit, wie sie S p e n e r eigentlich im Sinne lag, doch mehr als eine subjektive Verblendung enthalte und der fachmäßige V or­ trag der Theologie die Frage aufdränge, ob derselbe noch aus der Quelle der Religion stamme und zu ihr hinleite; weshalb denn auch ein C h l a d e n i u s gesteht, es sei an der Zeit, dem Lehrstande noch andere Forderungen aufzuerlegen als die der Orthodoxie?) Diese erste Controverse betrifft also das Verhältniß des theologisirenden Subjects zum Gegenstand, sei es der h. Schrift oder des Systems. Eine zwei t e beschäftigt sich mit dem Z u­ standekommen der christlichen Subjektivität in ihr selbst. D as Werk der inneren Umwandelung sollte nach S p e n e r als in sich einiges Ganze gedacht werden, in welchem, wo Wachsthum und Frucht fehlen, auch dem Gewächs die echte N atur nicht einwohnen kann. Es giebt keine wahre Erleuchtung ohne Heiligung. Der echte Glaube rechtfertigt nicht allein, er zieht Christum in den Menschen hinein und bringt bei seinem Eintreten schon den Im puls gottseliger Thätigkeit mit, an deren Symptomen er dann in seiner Realität von uns erkannt wird. Nun kennt aber die Erfahrung zahlreiche Beispiele eines scheinbar korrekten G laubens, der sich „steif" auf Christum verläßt, aber ohne Bußfertigkeit und W il­ lenskraft, und den wir weder der fides historica, weil er schon ein beistimmendes Verlangen in sich trägt, noch der fides salvifica, weil sein Zutrauen nicht von der rechten Art ist, gleichstellen dürfen. D as ist die von J a k o b u s geschilderte fid e s mortua, der Glaube des trägen Daraufankommenlassens, welcher den M en­ schen läßt, wie er ihn findet?) Wie also das buchstäbliche Schrift*) Ibid. p. 30. Accedat quintum emolumcntum sedulitas nimirum theologorum et ministrorum, ut non saltem in partibus muneris sancte se gerant, sed vitae etiarn universae sanctitatem doctrinae, quam profitentur, sanctimoniae adjungant.

?) Vgl. Spener, Freudige Gewissens-Frucht in Ablehnung der von Schelwig gegen ihn geführten Beschuldigungen, Berl. 1695. S . 40 ff.

I st die Erleuchtung untrennbar vom wahren G lauben?

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Verständniß zu dem subjectiv erleuchteten sich verhält: so der p a ssiv e G la u b e zu dem triebkräftigen, indem er durch äußere Vollständigkeit der gesetzmäßigen Eigenschaften seine innere Leere deckt. M ag man immerhin dabei stehen bleiben, daß der Glaube vom Wissen, nicht vom Wollen und Thun seinen Ursprung nimmt: die letzteren sind es doch nach göttlicher Ordnung, die ihn nähren und erhalten. Es liegt nahe, was die Kirchlichen hierauf und auf die weiteren Consequenzen daraus zu antworten wissen, daß nämlich S p e n e r in der Erklärung des Heilsweges Alles aus den Fugen gerückt, falsch verbunden und falsch getheilt habe. Wenn die kirchliche Lehre Erleuchtung, Glaube, Bekehrung und Erneuerung auf einander folgen läßt: so behauptet sie, daß der positive In h a lt der christlichen Offen­ barung zuerst in das Wissen und die Erkenntniß eingehen muß, ehe er das Gemüth zum Vertrauen auf die göttliche Gnade nöthigt. Folglich giebt es schon vor der Bekehrung eine wahre d. h. mit Anerkennung der richtigen Lehre und der Mysterien verbundene E rle u c h tu n g , denn diese hat es lediglich mit den Geschäften des V e rsta n d e s zu thun und besitzt ihre eigene göttliche Realität, ehe sie noch den Glauben nebst anderen geistigen Gaben zur Folge hat. „Ein lebendiges Erkennen sogar ist von dem Glauben nicht unabsonderlich."') Leugnet dies S p e n e r und läßt er noch dazu der Illumination eine erste Sündenreinigung vorangehn: so macht er das Gewirkte zum Wirkenden und nimmt Kräfte in Anspruch, die vor der Belehrung des Verstandes nicht gegeben sind?) Aus diesem Hysteron-Proteron entspringt aber der verderbliche und immer mehr um sich greifende Irrth u m , daß der W ille früher als der V e rsta n d gewonnen werde, welcher W ahn zur Gering­ schätzung der Lehre anleitet, da es demgemäß nicht darauf an­ kommt, ob Jemand wider die Glaubensartikel verstößt, wenn er nur die richtige Disposition des Willens h a t? ) Ebenso fehlerhaft *) Bücher, Rathmaimus redivivus, p. 163. 2) Ebendas, p. 174 sqq. 3) Chladenius, 1. c. p. 14. Si praeterea ccrtum est, quod si in voluntatis emendatione primum aut omne religionis et Christianismi momentum

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Fünftes Buch. Zweiter Abschnitt.

ist die Annahme eines to d te n Glaubens. Jeder Glaube ist ent­ weder der historische (quae creditur) oder der heilbringende (qua creditur), — oder er ist gar keiner. W er aber noch einen dritten statuirt, der zu der zweiten Art gehören will und doch nicht wirk­ lich gehört, weil er in Scheingestalt einhergeht, behaftet mit der S ignatur eines unkrästigen und unfruchtbaren V ertrauens: der will nur die Ansicht der Kirche bestreiten, welche dem Thun in­ nerhalb der Rechtfertigung keine Stelle einräum t.') D as Princip steht trotz aller Einreden fest, und wer zweifelt, ob er den leben­ digen Glauben habe, dem würde nach S c h e lw ig s Erklärung gar nicht zu rathen sein, daß er auf die Früchte sehe, da diese ihn nur irre machen und durch ihre Unvollkommenheit in neue Unruhe versetzen müßten. Ueberhaupt sind alle Spenerischen Redensarten vom thätigen Glauben verdächtig, weil sie unver­ merkt eine Werthschätzung dessen an die Hand geben, worauf das geistliche Wesen nicht beruhen soll?) Kommt nun noch hinzu, daß die Rechtfertigung im Osiandrischen Sinne gedeutet und mit der Heiligung verschmolzen wird: so vereinigen sich in demselben Irrth u m Pelagianisches und Mystisches. Am Weitesten treibt M a y e r hier die Kritik, er verfolgt die Pietistischen Ansätze durch alle Artikel und bis zu den kleinsten Atomen. E r ruht gleichsam nicht eher, als bis er Alles hinweggeräumt, w as über den Act der Ergreifung des Verdienstes Christi hinausgeht, was selbst schon innere Wirksamkeit, Leben, Tugendkraft bedeutet. Und wenn gefragt wird, ob der Glaube lebendig sein müsse ehe er rechtfertigt: so soll auch dies verneint werden?) positum sit, parum tandem intersit, utrum in scientia vel notitia articulorum fidei versatus homo sit nec ne, utrum in aliqua crcdendorum parte erret nec ne, — dummodo voluntatem habeat ad Deum dispositam.

') Spener, Freudige Gewissens-Frucht, S . 63. 2) Sp en er, a. a. O. S . 62, Neumeister, Auszug Spener. Irrthümer, II, S . 101. 3) Sam. Schelvigii Synopsin controversiarum pietist. disputatt. publicis subjiciet Mayer, Gryph. 1705. Eine Reihe von Dissertationen. Wir heben aus den Artikeln von der Illum ination und Iustification einige Thesen heraus : An illuminatio numquam sit imo nec esse possit absque sanctificatione ? Neg. —

Richtiges Verhältniß des Wissens zum Thatglauben.

47i

S o wird die große praktische Wahrheit des Pietism us ver­ schiedener theoretischer Unrichtigkeiten beschuldigt. Im Einzelnen zeigte sich S p e n e r nicht spröde, er behandelte die Aenderung des Willens nicht geradehin, wie ihm vorgeworfen w ard, als das Prim äre, sondern nur dergestalt als das Zugehörige, daß schon Erleuchtung und Rechtfertigung nicht ohne neue Regungen desselben erfolgen. Aber die kleineren Concessionen hoben doch den vor­ handenen tieferen Gegensatz nicht auf. Dieser dreht sich um die Frage, ob die L e h rse ite der christlichen R e lig io n a ls A n g e­ le g e n h e it e in e s o ffe n b a rte n W isse n s ih re n ab sch ließ en ­ den W e rth schon in sich se lb e r h a t, o d e r ih n erst durch d e n Z u t r i t t e in e s h e ilig e n d e n T h a tg la u b e n s e m p fä n g t, ob also die Kirche in der Vollendung des D ogm a's Befriedigung finden darf, auch während sie den M angel praktischer Bewährung erkennt und aus der menschlichen Unvollkommenheit erklären muß, oder ob sie vielmehr von ihrer sittlichen Unlauterkeit auf den Grund eines scheinbar vollkommenen, innerlich aber nur kraftlosen Wissens oder Glaubens zurückschließen soll. W ir wissen, welche Richtung die Orthodoxie schon lange und gegenüber dem Pietism us ver­ folgt hatte. S ie pflegte und lehrte eine dogm atische S e lig k e it, sie betrachtete die Lehroffenbarung dergestalt als das Gegebene, daß die Unreinheit kirchlicher Zustände noch nicht deren fehler­ haftes Vorhandensein beweisen darf. Ih re Losung ist: wir haben das wahre Christenthum, so lange der auf Erleuchtung d. h. An­ erkennung der göttlichen W ahrheit gebaute Glaube das Verdienst Christi sich aneignet, w e il dann auch die rechten Früchte nicht aus­ bleiben werden. Der andere Wahlspruch S p e n e r s dagegen: da thatsächlich die rechten Früchte ausbleiben: so haben wir das wahre An major uberiorque illuminatio, quam ecclesiae unquam contigit, posthac expectanda sit? Neg. — An eruditio scholastica impediat illuminationem ? Neg. — An fides, quae in sola imputatione meriti Christi consistit, ubi non simul experimur virtutem Christi adversus peccata, sit fides imaginaria? Neg. — An justificemur fide actualiter efficaci, i. e. eo quo justificare debet, jam dilectionem et opera, seu externa seu interna, necessario secum habcutc? Neg. — An fidem prius esse vivam oporteat, quam justificare queat? Neg.

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Fünftes Buch.

Zweiter Abschnitt.

Christenthum erst w enn und so w eit der erleuchtete und aneig­ nende Glaube zugleich ein Werktätiger wird. Hiermit ist wieder eine Stelle erreicht, wo der S treit den größten Umfang gewinnt, indem er das allgemeine Wesen der christlichen Religion selber betrifft. H at und sucht dieselbe ihr W esen in der Vollendung der von ihr mitgetheilten Lehrwahrheit als solcher, oder mehr in der unendlichen Kraft ihrer beseligenden und heiligenden Wirkun­ gen? Diese Frage klingt in den vorliegenden Wechselreden mehr­ fach durch; sie tritt auf's Neue an den Protestantismus heran, obgleich derselbe in seinen Anfängen sich, und mit Recht, dem letzteren Standpunkt zugeneigt hatte. S p e n e r kämpfte gegen die Ueberschätzung der Wiffensseite am christlichen Glauben, doch seine Opposition ist von bescheidener Art. E r bezweckte eigentlich nur ein Gleichgewicht des dogmatischen und ethischen Bestandtheils, er muß sich aber doch schon des Pelagianism us ja des „leibhaftigen P ap ism u s" zeihen lassen, so schlecht dieser Name auf einen ge­ schworenen Feind des Römischen Wesens passen will. Es war nun nicht mehr schwer, an den vom Pietism us auf­ gestellten Vorbildern der Heiligkeit Anstoß zu nehmen. Unzufrie­ den mit dem Maaßstab gewöhnlicher Rechtschaffenheit, über welche die Mehrzahl nicht hinausgeht, weist S p e n e r auf höhere Stufen des christlichen W andels; er giebt sich also das Ansehn, bestimmte Tugendgrade einführen zu wollen. Vom Gesetz behauptet er, daß es nicht ohne Weiteres dem Christen unerfüllbar sei: aber der Wiedergeborene müsse, statt dabei stehen zu bleiben, durch ge­ steigerte Spannkraft sich auf einen höheren Standpunkt erheben, einen solchen sogar, der ihn der Vollkommenheit n ä h e rt;') dann allein werde er vor dem Rückfall sicher sein. D as Urtheil, ob der erstrebte G rad erreicht sei, wird dabei dem Wiedergeborenen selber zuerkannt. D as Alles aber, antworten die G egner, heißt soviel *) Hanneken, De gradibus sanctitatis viatoris christiani, Witteb. 1696. An Status regeniti gradus habeat sanctitatis eo tan dem pertingentes, ubi a summa perfectione non procul absint ? — An intensior cura devotionis et bonorum operum praestet altiorem gradum sanctitatis?

als S p e n e r sinkt in die hochmüthigen Einbildungen der Mystiker und des Areopagiten zurück.

E r b illigt die reform irte Lehre von

der Erw ähltheit und Perseveranz und erdichtet ohne Schristwort Tugenden, welche zu der Höhe einer vermeintlichen Vollkommen­ heit führen

sollen.

Denn

nirgends bezeichnet die Schrift eine

graduirte Heiligkeit, sondern sie fordert immer nur Fortsetzung des eingeschlagenen Weges und Darstellung der empfangenen H e ils ­ g ü te r.')

Vollends wenn S p e n e r noch besondere asketische A u f­

lagen hinzufügt und vorgiebt, Niemand könne selig werden, der nicht die Trunkenheit auf ewig verschworen habe: so seien dies Ammersbachische

und

Stengerische

G rille n ? )

Diese Bedenken

hatten allerdings ihren guten G ru n d , obgleich sie ebenfalls m it einem Mißverständniß verbunden waren, da S p e n e r die ihm vor­ geworfene sittliche Unterscheidungstheorie nicht so scharf, wie sie ihm vorgerückt w ird, hingestellt hatte. D r i t t e n s fand endlich die kirchliche K ritik noch Veranlassung zu einer Anzahl von vereinzelten Ausstellungen.

D er Ausspruch: ich

bin Christus, wurde m it L u t h e r s Vorgang nicht entschuldigt, man nannte ihn unbiblisch und Weigelianisch.

Es sei Wiederholung

alter Irrth ü m e r, wenn Jemand im A . Testament keine deutlichen Beweise der T rin itä t finde, ebenso wenn er denen, die der Kinder­ taufe zuwider sind, nicht hart begegnen wolle.

D er kritischen V e r­

ständigkeit ist es sogar schon anstößig, was S p e n e r vom Gebet äußert, es sei ein M itte l, nicht nur alles Gute zu erlangen, sondern auch in sich selber und im Glauben gestärkt zu werden, — gleich­ sam der „Athem des inwendigen Menschen?") Wichtiger als diese und andere Mäkeleien ist der vielgenannte S tre it über das G n a d e n z i e l (terminus gvatiae peremptorius). Derselbe läßt uns abermals das schwierige Verhältniß einer freien Meinungsäußerung zu den festen Schranken des Dogma's w ahr­ nehmen.

Spener,

eifrig bedacht die schlechten Trostgründe der

Unbußfertigen zu entkräften, w a rf bei Gelegenheit den Gedanken *) Hanneken, De gradibus sanctitatis, cp. 35) Neumeister, Auszug Spener. Irrth ü m e r, I I , S . 64. 3) Ebendas. I , S . 201.

Fünftes Buch.

474

Zweiter Abschnitt.

hin, daß zw ar der geoffenbarten O rd n u n g nach jedem, auch dem schwersten S ü n d e r

der Rückweg

bis zum Lebensende

offenstehe,

doch aber vielleicht bei Verstockten, m it denen G o tt nicht länger G eduld haben w olle, diese Gnadenfrist früher abschließen könne.') In

einer so bescheiden vorgetragenen W a rn u n g w ürde man fü r

sich allein w o h l kein Arges gefunden haben. D iakonus B ö s e

zu S o ra u

A ls aber 1698 der

zw ar auch noch in

praktischer A b-

zweckung, aber doch m it lehrhafter Entschiedenheit einen diesseits des Todes liegenden peremptorischen T e rm in

behauptete/) über

welchen hinaus bei G o tt G ehör zu finden N iem and hoffen d ü rfe : erhob sich allgemeiner W iderspruch; zahlreiche Gutachten und G e­ genschriften fo lg te n ,

mehrere

F acu ltä te n ,

W ittenberg geriethen in B ew egung.

Rostock, Leipzig

und

S p e n e r , den man abermals

a ls Anstifter bezeichnete, durfte nicht schweigen; er h ie lt sich m it seiner Rechtfertigung in

den oben angegebenen Grenzen, so daß

er die Verkürzung der F rist

n u r fü r

einen

möglichen aber zur

W arnung A lle r dienenden A usnahm efall e rk lä rte ? )

S e in Schwie­

gersohn R e c h e n b e rg übernahm dagegen die bestimmtere V e rth e i­ digung der Böse'schen M e in u n g , S in n e faßte. R e c h e n b e r g 4) *3

die er indessen in beschränkterem

W ir beurtheilen die Controverse so,

w ie sie von

einerseits und von K r a c k e w i t z , dem V e rtre te r

der kirchlichen Ansicht, andererseits durchgefochten w urde. einverstanden,

daß die Liebe G ottes

a lle r S ü n d e r unendlich geneigt sei.

A lle sind

zur erbarmenden Annahme Aber soll nun diese Geneigt­

heit soweit reichen, daß sie auch an den Verstockten und H a ls ­ starrigen gleichsam ermüdet, oder daß die G nade, die sich ihnen

') Bedenk«», I V , S . 519. theol. I I , p. 783. ’2)

V g l. Hoßbach, «. «. O . S . 95.

W alch , hihi,

Desselben Einleitung in die R el. Streitigk. V , S . 74 ff.

Terminus peremtorius salutis humanae, d. i. die von G ott in seinem

geheimen Rathe gesetzte Gnadenzeit, Franks. 1698. 3) S pen er, Gericht der Verstockung in einer Bußpredigt vorgetragen mit angehängter Erklärung seiner Lehre rc.

Franks. 1701.

4) Dissert. de gratiae revocatricis termino, Lips. 1700.

Derselbe, D e u t­

licher V ortrag der Lehre von dem T e rm in der von Gott gesetzten Gnadenzeit, Lpz. 1700.

Acht Beilagen zu dem deutlichen V ortrag rc.

gegen Neumann, I t t i g und Krackewitz.

Lpz. 1700 und 1701,

Der S treit über das Gnadenziel.

475

genähert und dann des Unglaubens halber wieder entzogen hat, ihr Urtheil immer auf's Neue zu rü ck n im m t? D a s verneint R e c h e n b e r g ; den B ösw illigen gegenüber muß die gratia r e v o c a trix ein Ziel haben, jenseits dessen sie den Sünder wirklich aufgiebt und nicht mehr fortfährt, ihre frühere und wiederholte Verwerfung desselben zu widerrufen. Dieser entscheidende Termin wird biblisch beglaubigt mit M atth. 13, 1 2. 2 5 ,2 7 . 2 8 . J o h . 1 5 ,2 . Hebr. 3 ,1 1 ,1 2 . 4, 3. 5. 10, 26 — Stellen, die von der D ring­ lichkeit der Bekehrung und den Gefahren der Säum niß handeln, — und durch die Beispiele der Verblendung des Pharao und der Sodom iter. Auch fehlt es dafür nicht an Gewährsmännern, welche sogar den Namen terminus peremptorius gebraucht haben. Z u­ nächst schien dies äußerst menschlich von Gott gedacht. Wenn schon der Ausdruck gratia revocatrix sehr uneigentlich klingen mußte: so in noch höherem Grade die Annahme, daß die Gnade ihres Amtes müde werdend von einem gewissen Zeitpunkt an weitere Appellationen des Sünders zurückweise. D aher fügt R e c h e n b erg ferner hinzu, die Terminirung müsse vom W illen G ottes aber dem n a c h fo lg e n d e n ausgehend gedacht werden. Vermöge der voluntas consequens weiß Gott, welche unter den Verstockten bis zu Ende in ihrer Unbußfertigkeit verharren werden; ihnen also stellt er aus unbedingter Kenntniß ihrer Zukunft den Zielpunkt, damit das Gericht, welchem sie verfallen, seine wohlbegründete Langmuth und Gerechtigkeit verbindende Form habe. Weder wird also ein reformirtes Decret eingeführt, noch fällt dadurch die All­ gemeinheit der Gnade in sich zusammen, sondern nur die Anwen­ dung auf den Einzelnen hört in einigen Fällen auf, wo die an­ haftende Bedingung unerfüllt bleibt. Schon die Sünde wider den h. Geist, soll sie möglich sein, muß durch sich selber der G na­ dendauer eine Schranke setzen?) R ech en b erg bietet Alles auf, w as sich exegetisch oder dogmatisch zu Gunsten seiner Thesis sagen ließ: allein durchführen, — das mochte S p e n e r gefühlt haben, — ließ sich dieselbe dennoch nicht. Nach Lutherischer Lehre hat die ') Vgl. Rechenberg, Zweite Beilage zu dem deutlichen Vortrag, S - 28ff. 38 ff.

Gnade dem Sünder gegenüber keine andere Eigenschaft als die der Widerstehlichkeit und Verlierbarkeit; übrigens wird voraus­ gesetzt, daß sie von sich und von dem Ernst ihrer Gewährung niemals abläßt. Ih re Geneigtheit kann nur die natürliche Grenze haben, welche mit dem Lebensende des Einzelnen zusammenfällt; jeder frühere Termin wäre ein unzeitiger richterlicher Abschluß oder eine innere Beschränkung des durch Christus in's Unendliche eröffneten Zuflusses der göttlichen Liebe. Auch die besondere Vor­ stellung der gratia revocatrix kann nur auf gewisse Unterbrechungen der Gnadennähe überhaupt bezogen werden, nicht aber andeuten sollen, daß diese Widerrufe zählbar sind also mit einer gewissen Vollzahl ihr Ende erreichen. Beruft man sich aber darauf, daß Gott vorauswiffe, wem sich seine Langmuth ohne letzten Erfolg zuwendet: so folgt allerdings, daß er auch den Zeitpunkt kennen und in seinen nachfolgenden Willen aufnehmen muß, von welchem an der S ü n ­ der keinen Versuch der Rückkehr machen werde. Aber auch so gefaßt erklärt sich diese Frist lediglich aus der Beschaffenheit des S ü n d e rs; sie bezeichnet alsdann die Endlichkeit seines Vermögens, die Abkehr der Gnade nochmals rückgängig zu machen, oder auch das M aaß der irdischen Gelegenheit zur Bekehrung. Der Zusatz p e re m p to ris c h wird also nicht gerechtfertigt, sofern er den S in n h at, in die Gnade ein von ihr selbst gegebenes Geduld­ maaß hineinzutragen. D as war es auch ungefähr, was Kracke­ witz antw ortete.') E r erkennt an, daß die Schwierigkeit der Ret­ tung mit jedem neuen Rückfall wachse, sowie daß zeitliche Strafen von einem gewissen Punkt an hinzutreten mögen: niemals aber dürfe bei zeitweisen Entziehungen des göttlichen Beistandes dieser von Seiten Gottes irgendwann völlig abgeschnitten gedacht werden. Unverbesserliche finden freilich ihr Gnadenziel, aber es ist dasselbe, welches mit dem leiblichen Tode zugleich den ewigen über sie ver') A. I . v. Krackewitz, Schriflm äßige Untersuchung der Lehre von dem termino der widerrufenden Gnade ic. Rostock 1700. Desselben Antwort auf des Herrn 31. Rechenbergs dritte Beilage zu dem deutlichen Vortrage :c. Rostock 1701. D ie übrigen Gegenschriften von Neum ann, Schelwig, Fecht, Reineccius, die den S treit noch Jahre lang hinzogen, s. bei W alch, 1. c. p. 794.

Kirchliche Kritik des ChiliaSnmS.

477

hängt. Jede diesseitige Firirung widerspricht dem Wesen der göttlichen G üte, welche die Möglichkeit der Wiederanknüpfung ebenso in sich trägt, wie sie auch von dem sichersten Empfänger verscherzt werden kann. Auch die paränetische Nützlichkeit der Lehre wurde von Krackew itz tu A. deshalb in Abrede gestellt, weil ein Ruchloser sich desto vollständiger preisgeben werde, sobald er etwa den Termin für sich verstrichen wähnt. W as endlich die Verhandlungen über den C h ilia s m u s be­ trifft: so befand sich die kirchliche Kritik in einer gesicherten S tel­ lung. Denn sie hatte M ittel und Grund genug, die Bildung eines solchen D o g m a 's zu verwerfen, und von dem ethischen und ideellen Moment der Sache, auf welches wir oben hingedeutet, wollte sie keinen Nutzen ziehn. N e u m a n n , Einer der vornehm­ sten Bestreiter, unterscheidet den krassen Chiliasmus der Juden und den glimpflicheren des P a p i a s und J u s tin von dem modernen, wie ihn jetzt P e te rs e n durch irgend eine Nymphe Egeria in E r­ fahrung gebracht, und von dem allerfeinsten aber desto gefähr­ licheren des S p e n e r ? ) Auch die Vorstellungen des Letzteren müssen sich in ungewisse Worte kleiden und auf trübe apokryphische Quellen berufen. Die Annahme selbst widerspricht allen G lau­ bensartikeln, namentlich denen von der Sünde und der Recht­ fertigung, da sie eine irdische Vollkommenheit verheißt, die mit dem christlich bedingten Gnadenverhältniß dieses Lebens nicht zu­ sammen bestehen kann?) Die exegetischen Gegenbeweise gingen von der Ansicht aus, daß das tausendjährige Reich längst vergan­ gen sei, und mußten bei den vorliegenden Schwierigkeiten ebenso problematisch ausfallen als die Gründe der Vertheidiger; soviel aber ließ sich darthun, daß der Chiliasmus von der Apokalypse abgesehen im N . Testament keine sicheren Stützen habe. Am Wenigsten vertrug sich die diesen Erwartungen anhaftende S t i m ­ m u n g mit der herrschenden; der nüchterne Geist der Kirche lehnte sich heftig dagegen auf. Alle warnten vor dem Ueberschwenglichen, ’) Gr. Neumann, Chiliasmus subtilissimus, Witteb. 1696. 2) Ibid. p. 36 sqq.

478

Fünftes Buch.

Zweiter Abschnitt.

d as sich jenen Aussichten beigesellt h atte , als vb die Christenheit jem als von den Schlacken, S o rg en und A nfeindungen, die dem irdischen Zustande eigen sind, frei sein werde und einem letzten S ta d iu m entgegengehe, d as dereinst über die Schwächen der Zeit und der Kirche hinausführe, ohne der Ewigkeit anzugehören?) Auch unterließ m an nicht, auf die allgem eine Unzufriedenheit mancher Chiliasten hinzuweisen, welche nicht allein den F all des Römischen B ab el wünschten, sondern auch des unbequemen Regim ents der Lutherischen Kirche ja sogar der politischen Herrschaft der „großen H errn und christlichen P oten taten" ledig sein w o llten ?) II.

W is s e n s c h a ftlic h e W ir k u n g e n d e s P i e t i s m u s .

W ir wollten int O bigen d as U rtheil der kirchlichen S tim m ­ führer vollständig zu W orte kommen lassen. W ir haben dasselbe scharfsinnig genug gefunden, um die neue Richtung im Einzelnen zu bemängeln und an schwachen Stellen zu w iderlegen, zu ober­ flächlich um sie zu verstehen und ihrer tieferen W ahrheit Eingang zu verschaffen. Aber zur historischen W ürdigung des P ietism u s liefert diese Kritik ihren wichtigen B eitrag . Nachdem sich ergeben 1) Ejusd. Dissert. de regno Chiliastico jam dudum praeterläpso, Witteb. 1694. Conf. p. 10. Pari jure hoc quoque nobis dari postulamus: Ecclesiam nec a primo hominis lapsu a calamitatibus et aerumnis plane cessavisse, nec in ultima aetate a vexationibus insidiisque et impugnationibus hostium liberam omnino fore. Neum ann behauptet daher, daß Spener dem Artikel de cruce et calamitate mit seinem C hiliasm us widerspreche, und doch hatte der­

selbe diesen gerade in anderer Weise wieder aufgenommen. 2) Jakob Wächtler, Arcana Chiliasmi moderni, Leipz. 1695. Hier werden m it krassen Insinuationen die Bew eism ittel und Zwecke der Chiliasten aufge­ zählt. Ih re Kunstgriffe lausen darauf hinaus, die symbolische Lehre als M en­ schensatzung umzustoßen, den Zweifelnden die Schrecknisse der Verdammniß vor­ zuhalten, die Glückseligkeiten der Zukunft in's Große zum alen, damit sie Glauben finden, Frauen, Kinder und Einfältige zuerst zu gewinnen, Fürsten m it der Schilderung ihrer bevorstehenden noch größeren Herrlichkeit zu schmeicheln, bei allen Beschreibungen aber sich möglichst in unbestimmten Ausdrücken zu be­ wegen. V gl. außerdem F. U. Calixti Tractatus theol. de Chiliasmo cum antiquo tum pridem renato, Heimst. 1692. A. Pfeiffer, Antichiliasmus, L ubec. 1691. D ie übrige Literatur bei Walch, 1 . c. p. 805 sqq.

479

Gesammturtheil über den Pietismus.

£at, wie die Erscheinung von der Mehrheit der Zeitgenossen auf­ gefaßt w urde,

benutzen w ir

diesen Ruhepunkt zu einer kurzen

Zusammenfassung gewisser Gesichtspunkte in ein erklärendes Re­ sultat. 1. D e r Pietismus im Sinne S p e n e r s , obwohl eng in sich verbunden,

bietet der historischen Betrachtung

eine d o p p e l t e

Seite d a r; er ist speciell protest anti sch m it Lutherischer Eigen­ thümlichkeit, aber auch allgemein christlich und r e l i g i ö s .

In

ersterer Beziehung w ar derselbe Rückkehr zu dem lebendigen S ch rift­ w ort und den reformatorischen Grundgedanken.

Nicht eigentlich

der altkirchliche Consensus w ird aufgenommen, w ohl aber kräftig gemahnt an den Grundwerth der Ideen von Glauben und Recht­ fertigung, Wiedergeburt und Erleuchtung, und an die ihnen ge­ genüberliegenden Gegensätze von W e lt und G o tt, Gnade. Religion

N a tu r und

Denn das sind machtvolle, alle sittlichen Endzwecke der bestimmende

Gegensätze;

sie können

nicht nach

dem

W illen des Evangeliums bewältigt werden, wenn nicht auch Glaube und Wiedergeburt, statt als bloße Lehren zu verharren, gleichfalls zu Lebensmächten geworden sind.

Dazu sollen sie wieder erhoben

werden, und zwar muß die Belebung von Unten herauf und von In n e n heraus erfolgen, von der Frömmigkeit rückwirkend auf das Dogm a, von der H eiligung auf die Erleuchtung, von der Ge­ meinde auf die Kirche. 2. Dabei w ird behauptet, daß in der konfessionellen Lehr­ darstellung Buchstabe und Geist, S to ff und Gehalt sich untreu ge­ worden sind und durch Erweckung des geistlichen Sinnes einander zurückgegeben werden müssen.

D as O rgan der Aneignung christ­

licher W ahrheit ist nicht die prüfende V e r n u n f t , denn weltliche Wissenschaft und Philosophie führen nur zu leicht auf ein frem­ des Gebiet, sondern es ist das Gemüth als Stätte religiöser E r­ fahrung und Geistesbesiegelung.

D ie Erleuchtung der Seele w ird

vom S ch riftw ort und Dogma nicht unabhängig gemacht, doch m it einiger Freiheit an dasselbe angeknüpft. Da nun die Voraussetzung entsteht, daß der durch

eigene Erfahrung Belehrte

(Wiederge­

borene) auch die rechte Erklärung des Glaubens finden werde: so

480

Fünftes Buch.

Zweiter Abschnitt.

ist ein Schritt geschehen zur Befreiung des religiösen Subjects von der hierarchisch-gelehrten und symbolischen Diktatur. D as christlich Nothwendige und Entschiedene wird ein Solcher aus sich heraus zu erläutern und fruchtbar zu machen wissen, das Neue und Zweifelhafte nach eigener Erkenntniß und ohne Dienstbarkeit gegen Menschensatzungen auffassen dürfen. Dies ist die b e fre ie n d e Richtung des Pietism us, welche ebenfalls nur eine von der Re­ formation bezweckte und vor dem Evangelium gerechtfertigte M ün­ digkeit des „Christenmenschen" zur Geltung bringen wollte. 3. M it der Freiheit soll aber die Kraft der Ausübung wachsen. Hat die Kirche ihr doctrinales Selbstgefühl zur sittlichen Läßigkeit gemißbraucht: so soll sie nunmehr nicht verschmähen die Prüfung anzunehmen, die aus den Früchten des frommen Lebens über alles Christliche ergeht. Hat sie bisher die evangelische Lehre wie ein sicheres und unveräußerliches G la u b e n s d e p o s itu m gehandhabt und verwerthet: so liegt ihr jetzt ob, dieses Besitzthum erst in G e­ mäßheit der Erfolge der Heiligung, die es hervorbringt, sich zu­ zuerkennen. D as Trachten nach Vollkommenheit muß über die Stufe der Mittelmäßigkeit hinausführen, um so mehr als der Kirche noch eine große Zukunft bevorsteht. 4. Schon dieser praktisch - sittliche. Im puls stammt aus einem unmittelbaren Eindruck der christlichen Religion, von welcher sich S p e n e r auch ohne konfessionelle Vermittelung ergriffen fühlte. Wenn er dann weiter ausführte, daß der christliche Lebensberuf nicht allein im gottseligen Handeln, sondern auch in Leiden, Ent­ sagung und Weltüberwindung bestehe, wenn er eine Herrlichkeit voraussah, in welcher die evangelische Gemeinschaft mit Gott wahrhaft geeinigt und die Gewalten der Welt und des unchristlichen Verderbens besiegt sein würden: so ü b e rsc h ritt er den überlieferten kirchlichen Gesichtskreis und vergegenwärtigte sich die umfassende Bestimmung des Christenthums. M it dieser Erweiterung hängt zusammen, daß manche, religiöse Regungen und Ideen, die sich bisher nur in der singulären Form der Mystik fortgepflanzt hat­ ten, durch ihn einer gemeinsamen Aneignung zugänglich gemacht und dadurch der Stoff religiöser Subjektivität bereichert worden

Summarisches über bett Pietism us.

481

ist. M erkw ürdig bleibt ab er, daß wie der S yn kretism us in die V ergangenheit zurücksah und a u s dem kirchlichen Alterthum die rechten H ülfsm ittel gegen das Unheil der G egenw art herbeiholte: so der P ietism u s vielmehr geneigt w ar, von den Ergebnissen einer noch unenthüllten Zukunft die Verherrlichung der Christenheit zu erw arten. 5. W a s der P ietism u s E rw eiterndes leistete, ist nicht direct au s einem Interesse an der kirchlichen Union hervorgegangen, son­ dern es ergab sich von selbst, daß mehrere weniger eng gefaßte Lehrbestimmungen m it dem dogmatischen Denken der reform irten Theologie zusam m entrafen, und daß überhaupt die geringere Schätzung einer erclusiven D octrin dem B ew ußtsein evangelischer Gemeinschaft Vorschub leistete. 6 . I n den ersten beiden Punkten haben w ir d as B e le b e n d e und B e f r e i e n d e , in den folgenden das F o r t t r e i b e n d e und E r w e i t e r n d e am P ietism u s hervorgehoben; jenes gehört der protestantisch -- inform atorischen, dieses der allgemein christlichen Richtung desselben an. I n der B ereinigung dieser Bestrebungen hat der P ietism u s der W a h r h e i t gedient. E s muß aber so­ gleich hinzugefügt w erden: er besaß die genannten Eigenschaften in der Form einer R e a c t i o n gegen das bestehende Kirchenthum und die herrschende Theologie. Auf beide wirkte e r, abgesehen von einigen zutretenden E xtravaganzen, durch einen einseitigen G e­ gendruck. D ie kirchlichen G egner aber zogen die Forderungen des P ietism u s sogleich ins Unbedingte und stellten sie au s dem V er­ gleich mit dem V orhandenen und dessen thatsächlicher Beschaffen­ heit h e ra u s ; sie beraubten sich dadurch des Verständnisses der neuen Erscheinung und hinderten die W echselwirkung, au s welcher ein organischer Fortschritt hätte hervorgehen können. An den Ab­ wegen des P ietism u s träg t die O rthodoxie, die ihn verstieß, eine beträchtliche M itschuld. W enn schon S p e n e r die Interessen seines S tandpunkts m it Schwierigkeit unter einander im Gleichgewicht erhalten konnte: so w ar vorauszusehen, daß dies seinen geistigen Abkömmlingen noch w eniger gelingen werde. Aesch. b. Protest. Dogmatik II.

483

Fünftes Buch. Zweiter Mschnitt.

E s « IT ärt sich also , w arum der P ietism u s feinen stetig­ organischen, sondern einen durch innere Schwierigkeiten und E in ­ seitigkeiten gehemmten obwohl im m er noch höchst bedeutungsvollen Fortschritt hervorbrachte. S p e n e r erreichte nicht w as er be­ zweckte, die B elebung und V erinnerlichung der Kirche in seinem S in n ; seine Schüler bildeten zw ar eine ecclesiola, wie er ge­ wünscht, und fein kleines H äu flein , aber ein solches, dessen Geist statt in 's G ro ße und G anze überzugehen, sich gern in sich selbst zurückzog oder nur sympathetisch au f ausgew ählte Kreise verpflanzte. Und dennoch w ar die ganze B ew egung viel zu tief, um w ir­ kungslos in sich selber zu verfließen. Gewisse werkthätige V er­ dienste sind G em eingut der Kirche geworden. D ie G ründung der großartigen W ohlthätigkeitsanstalten beschämte jedes V orurtheil und gab das preisw ürdigste B eispiel für die Zukunft. D am it stand im engen Zusam m enhang der neu erwachende pädagogische Eifer, die Vereinfachung des U nterrichts, die m it verdoppeltem sittlich religiösen Ernst betriebene Kinderzucht, d as S treben auf G em üth und W illen statt des W issens die christliche B ildung zu basiren, — dies und überhaupt die volkSthümliche Richtung in der R eligion w aren Fortschritte, welche durch den D ran g des Bedürfnisses her­ vorgerufen und bei der ausgebreiteten Wirksamkeit der Universität H alle in vielen Gegenden Deutschlands sichtbar werden m ußten. D ie eigenthümlichsten Früchte entstanden d a, wo die neuerweckte Fröm m igkeit in ihrem ganzen innigen aber auch weichen und überschwenglichen W esen lau t werden konnte, — in der Lieder­ poesie. U ns liegt o b , den literarischen und wissenschaftlichen Einfluß innerhalb der Theologie genauer anzugeben. P l a n c k ') behauptet vom P ietism u s, daß eine ganze G eneration von Theologen durch ihn verdorben oder das Fortrücken der Gelehrsamkeit um ein M enschenaltcr verspätet worden sei, m uß aber gleich d arauf ein­ räum en, daß der gleichzeitige G ew inn, der in der E ntkräftung der Scholastik und des O rth o d o rism u s m it seinem polemischen und ') Gesch. d. Prot. Theol. seit der Coucordienformel, S . 245.

463

Wissenschaft!. Bedeutung des Piet.

ausgewogen

formalistischen

Wesen la g , jenen Nachtsteil reichlich

stabe.

diese Auffassung wenn auch keineswegs unrichtig,

Allein

reicht doch darum nicht aus, w eil sie bei einer ungefästren Aus­ gleichung schädlicher und wohlthätiger Folgen stehen bleibt.

D er

Pietism us w ird alsdann nur von Seiten seiner gelehrten Laxheit und

wissenschaftlichen Ungenauigkeit

geschätzt, die an

sich ein

Schaden, doch das Gute hatte, ihrem verderblichen scholastischen Gegentheil Abbruch zu thun:

es w ird

aber nicht gefragt, ob

derselbe nicht zugleich Eigenschaften besaß, welche den m it der systematischen Kunst Wissenschaft

und

philosophisch geschärften Reinheit der

abgebrochenen Verband

in

anderer Weise

wieder

anknüpfen und dadurch ein positives wenn auch zunächst nur in directes Verhältniß zu dem wissenschaftlichen Geist überhaupt ein­ gehen ließen. D ie B ildu n g der Anhänger und Nachfolger S p e n e r s hat etwas Autodidaktisches; schon ih r äußerer Ledensgang weicht ab von dem regelrechten Wege zum öffentlichen Lehrstuhl.

DaS B e ­

wußtsein des innerlichen B erufs ersetzt einen T heil des übrigens so hoch gehaltenen gelehrten und philosophischen Rüstzeuges.

D ie

Unterbrechung der traditionellen Lehrsprache führte in feineren Un­ tersuchungen zur Indifferenz, ja zur wissenschaftlichen Rohheit: aber schon als Unterbrechung^ und Stillstand

in

einer

übermüdeten

systematischen und polemischen Thätigkeit mußte sie wohlthätig sein, da sich voraussehen ließ,

daß die einmal erschütterte Richtung

nicht in gleicher A rt wieder zur Herrschaft kommen würde. D a fü r verschärfte sich der S in n fü r religiöse Gemüthswahrheit.

M it der

zunehmenden Faßlichkeit erweiterte sich das theilnehmende Publicum, welches so schroff und standesmäßig in Gebende und Empfangende, in Selbständige und Unselbständige zerfallen w ar.

Wenn der syn-

kretistische Kam pf in den entfernteren Umgebungen der wissenschaft­ lich Gebildeten einen starken Nachklang hinterlassen hatte: so er­ streckte sich jetzt die Erregung auf die Ungelehrten und in einzelne Zweige der Gesellschaft.

Die Theologie trat in eine andere S te l­

lung zum Leben, wenn dieses fähig wurde, religiöse Eindrücke zu­ rückzugeben oder selbst ohne deren gelehrte Beihülfe zu erzeugen.

31 *

484

Fünftes Buch.

F ü r die T heologie,

Zweiter Abschnitt.

die so lange

eigenen Gesetzen und doch

a ls

abgesondertes Fach

nach

m it gebieterischem Ansehen gearbeitet

hatte, w a r eS ein G ew inn, den praktischen Bedürfnissen und dem religiösen Bewußtsein der Gemeinschaft näher zu treten, ein G e­ w in n an W ahrheit, folglich auch — an Wissenschaft, sei es auch daß der setzt eröffneten Q uelle

der E rfa h ru n g

ein neuer Läu­

terungsproceß bevorstand. V o n großer W ichtigkeit w a r es ferner, daß einzelne denkende Köpfe a u ß e r h a l b des theologischen B e ru fs und dennoch m it den Interessen desselben ve rtra u t fü r die Berechtigung der neuen P a rte i unumwunden das

W o rt nahmen.

W ir

unter ihnen, C h r i s t i a n T h o m a s i u s , angewiesen. Schriften

D ie

haben dem Geistvollsten oben bereits seine S telle

höchst vielseitigen und

dieses M annes sind

ganz

größtentheils deutschen

geeignet,

den U m fang des

P ub liku m s zu bezeichnen, welches sich zum Interesse an der re li­ giösen Angelegenheit oder zum U rth e il über sie aufgefordert fand. E r theilte, wie schon bemerkt, nicht alle Neigungen der Pietisten, desto mehr w a r er in den Abneigungen und allgemeinen R e fo rm ­ bestrebungen m it ihnen einig.

M i t dem dogmatischen S pecialstreit

hat er sich niem als befaßt, froh diese Schwierigkeiten a ls Rechts­ kundiger Anderen überlassen zu können, und seinerseits an biblischer Einfachheit m it

des Glaubens Genüge findend,

Lebhaftigkeit

empfiehlt.

gründliche und doch

Ueberall

welche er gern und

verräth

umsichtige und universell

sich in

ihm

der

gebildete Denker,

dem zugleich die populäre Rede in ungemeiner Bündigkeit zu G e­ bote steht.

S p e n e r s F reim uth hat sich hier in das weltliche Ge­

wand ungescheuter

oft bitter satirischer K ritik

gekleidet.

Seine

„M onatsgespräche" eröffnen einen allgemeinen literarischen Sprech­ saal, der über den pedantischen Schulzwang der Wissenschaft, den Zopf

der

G elehrten,

die

Verderbnisse

des A ris to te lis m u s ,

die

geistige H o h lh e it und sittliche U nlauterkeit der kirchlichen Zänke­ reien die dreistesten Aussprüche la u t werden ließ.

Auch in den

„kleinen S chriften und der Historie der W eisheit und T h o rh e it" fallen nach allen S eiten scharfe Schlaglichter.

In d e m T h o m a s i u s

den „elenden" Zustand der S tudirenden beleuchtet, wünscht er daß

ThomasiuS und dessen kritische Haltung.

485

die Theologen zuerst in demjenigen befestigt werden, was auch M ediciner,

Philosophen und Juristen zu wissen haben, wenn sie

ihres christlichen Namens nicht unwürdig überlade sie nicht m it Büchern,

sein w olle n ? )

M an

verschone sie m it dem gemiß-

brauchten Aristoteles, lasse sie anfangs an dem Buch der N a tu r und an der h. Schrift, an Auszügen aus Melanthons und Luthers Schriften und etwa dem Corpus Juris Genüge finden.

D a fü r

soll ihnen die Ueberzeugung eingeprägt werden, daß von Anbeginn der W e lt bis

aus unsere Zeiten die wahre R eligion in einem

demüthigen und einfältigen Glauben göttlicher Geheimnisse, in der Erkenntniß des Unterschiedes von N atur und Gnade und einem heiligen Leben bestanden, daß Sanstmuth und Mäßigung allezeit die Gläubigen, Haß und Uebermuth aber die Ungläubigen ausgezeichnet habe. trifft die Lehrer.

D ie Schuld des Uebels, heißt es anderwärts, S ie haben die „abgöttischen und lästerlichen

G rille n einer scholastischen Theologie"

genährt und fahren fort,

Anleitung dazu zu geben, wie Jemand durch die allerspitzfindigsten und eitelsten Kunstformeln der „ganz verkehrten Metaphysik ein theologus

consummatissimus, d. h.

Zänker w ir d ." ' )

ein rechtschaffener yvrjaioig

S ie empfinden es übel, wenn ein sogenannter

Laie im Geringsten sein M ißfallen äußert oder seufzen mag wegen des „überhandnehmenden Widerchrist."

W orauf aber T h o m a s iu s

bei jeder Gelegenheit zurückkommt, und was er als wichtigstes Ret­ tungsmittel

aus

Drangsalen

im

R e d e f r e ih e it .

den

fortdauernden

Auge behält,

kirchlichen Reibungen

und

das ist der Rechtsgrundsatz der

D er W elt und der Kirche soll die „neue W is­

senschaft, die Gedanken Anderer kennen zu lernen," nicht länger vorenthalten werden.

W as der Einzelne, erkannt hat oder zu er­

kennen glaubt, soll er straflos aussprechen dürfen.

D am it w ird

nicht jeder W illkü r und Ausgelassenheit Vorschub geleistet, sondern eS ist nur gemeint eine „ungebundene Freiheit, die Gedanken, die ') Thomasius, Kleine Schriften, Stück X IV , S . 594 ff. 2) Thomasius, Weitere Erläuterungen der neueren Wissenschaft Anderer Gedanken kennen zu lernen, Halle 1711. S . 151. Desselben Historie der Weis­ heit und Thorheit, Halle 1693. @ .23 ff.

486

Fünftes Buch-

Zweiter ALfchnitt.

man sich vom Wesen und Beschaffenheit aller Dinge ingleichen vom Guten und Bösen, also in praktischer und theoretischer B e ­ ziehung gemacht hat, sie mögen nun m it der W ahrheit überein­ kommen oder

irr ig

sein, seinen Nebenbürgern ungescheut und

öffentlich m it V orbringung der Ursachen der Erkenntniß mitzu­ theilen, wo sie nur nicht also beschaffen sind, daß dadurch der a ll­ gemeine Friede unmittelbar und augenscheinlich gekränkt w ir d . " ') Und wohin zielte dieses Rechtsprincip der freien Rede? m a s iu s

Tho-

übernahm bekanntlich selbst die Anwendung, indem er

den ererbten B e g riff der Häresie als eines öffentlichen Vergehens wenn nicht aufhob doch sehr beschränkte, und indem er auf andere Länder wie Holland hinw ies, wo man schon weniger geflissentlich neue Ansichten zum Gegenstand persönlicher Verfolgung gemacht habe.

Allerdings giebt es strafbare Behauptungen also moralische

Ketzereien, — z. B . wenn Jemand vertheidigen wollte, man dürfe einem Ketzer keine Treue halten, einen ungerechten König um brin­ gen: die dogmatischen aber, wie.sie der Kirchenstreit herbeigeführt, sind meist von der A rt, daß.sie ohne alle Anheftung eines ver­ brecherischen Charakters auf dem Wege der freien Diskussion er­ ledigt werden müssen. T h o m a s iu s Theologie.

urtheilte sehr im

Großen über Kirche und

D ie Freiheit, welche er forderte, konnte beiden P a r­

teien zu Gute kommen: aber es w ar von Wichtigkeit, daß sie aus gemeinverständlichen sittlichen und Rechtsprincipien hergeleitet wurde. W ie T h o m a s iu s in Sachen der Herenprocesse als Stim m führer der öffentlichen M einung a u ftra t: so sprach er hier im Namen eines Rechtsgefühls, das über die Schranken der einzelnen Schule hinaus Beistimmung finden mußte. D er Pietism us, so gern er sich religiös abschloß, darin kam er doch einer allgemeinen Richtung der W is­ senschaft entgegen, daß er fü r geistige Kämpfe auch geistige Waffen statt weltlicher Eingriffe verlangte.

D ie Theologie selber, indem

sie auf strenge Bürgschaft und Oberaufsicht der herrschenden Ge­ w a lt verzichten lernte, tra t einen Schritt herab aus ihrer gesetz') Weitere Erläuterungen, S . 16b.

lichen Auctorität und suchte den Schutz der Freiheit. I n der Literatur selbst sehen wir einen freieren Wechselverkehr eintreten, und es ist nicht gleichgültig, daß mit dem Anfang des neuen Jahrhunderts gelehrte Zeitschriften wie die Acta Eruditorum er­ öffnet werden, in denen alle Fächer ihre Erzeugnisse zur Anzeige gelangen lassen. Blicken wir auf den speciellen Einfluß des Pietism us inner­ halb der theologischen Literatur: so stellt sich derselbe in den ein­ zelnen Disciplinen verschieden dar. D ie Schrifterklärung wurde vereinfacht und mehr aus das Wesentliche und Innerliche hinge­ leitet. Au g us t H e r r m a n n F ra n ck e wollte in seinen herme­ neutischen Anleitungen den gelehrten Charakter keineswegs preis­ geben ; er dringt streng auf das S tudium der Grundsprachen sogar des Chaldäischen und läßt zugleich den Gebrauch dogmatischer Hülfsm ittel noch bestehen. S eine Absicht geht überall dahin, die B ibel aus sich selbst verständlich zu machen und lebendig aufzu­ fassen, damit Christus als der M ittelpunkt in ihr erkannt werde. Wenn dabei die Eregese zum Nachtheil allseitiger Genauigkeit popularisirt und das Geschäft der Auslegung mit dem der prak­ tischen Aneignung unklar vermischt w urde: so gewann sie doch ohne Zweifel an Selbständigkeit und unmittelbarer W ahrheit, weil sie mit den Einzelbestimmungen des D ogm a's nicht in dem alten geläufigen Verkehr erhalten w urde?) Einen höchst überraschenden Anstoß erhielt die Kirchengeschichte, die so lange im Lutherthum geruht hatte oder nur durch Abhand­ lungen und Monographieen fortgesetzt worden w ar. D en merk­ würdigen W iederanfänger G o t t f r i e d A r n o l d ? ) dem indessen schon der wackere C a s p a r S a g i t t a r i u S ^ ) in mancher H in') Vgl. A. H. Francke, Anleitung zum Lesen der h. Schrift, Halle 1698, Idea studiosi theologiae, Hai. 1712, Praclectiones hermeneuticae, ibid. 1712. 2) Geb. 1666 zn Annaberg. E r studirte in Wittenberg und trat in Dresden seit 1689 mit Spener in Verbindung. Verschiedene Aemter, eigene Unruhe und mancherlei Anfechtungen führten ihn nach Frankfurt, Quedlinburg, Gießen, wo er eine Zeit lang Professor war, und an andere Orte, f 1714. 3) C. Sagittarii Introductio in historiam ecclesiasticam, ed. Schmid, Jen. 1718.

488

Fünftes Buch.

Zweiter Abschnitt.

sicht vorgearbeitet hatte, haben w ir nicht durchaus in did Schule S p e n e rs

zu versetzen-

S p e n e r und D i p p e l ;

A r n o ld

steht in

der M itte

zwischen

er entwickelte sich weit schwärmerischer

und unruhiger als jener, aber frommer als der Andere und ohne dessen feindliche Leidenschaft.

Gelehrte Begabung und umfassende

Kenntnisse vereinigten sich in ihm Mystik.

m it

einem starken Hang zur

Auch nach der ersten Berührung m it S p e n e r (1 6 8 9 )

fuhr er fo rt, dieser Neigung durch das S tudium Böhm e'scher und Gichtelscher Schriften nachzugehen; erst später stellte er sich versöhnlicher zur Kirche, nahm seine wesentlich kirchenhistorischen Arbeiten wieder auf und machte die praktischen Bestrebungen des Pietism us vollständig zu den seinigen. und Ketzergeschichte" ‘)

Seine berühmte „Kirchen-

verfolgt bekanntlich in annalistischer Form

die historische Entwickelung bis 1688,

und zwar m it steigender

Ausführlichkeit, zuletzt m it Aufnahme von Urkunden und Akten­ stücken, die dem Werk einen bleibenden materiellen W erth gesichert haben.

Die Tendenz w ird in den Vorbemerkungen m it unver­

hüllter Offenheit dargelegt.

Noch hatte Niemand gewagt,

die

historische Betrachtung dergestalt vom kirchlichen Standpunkt ab­ zulösen, daß er bekennt, „nicht eine alleinige Partei erw ählt" zu haben, „ a ls ob sie allein der apostolischen Kirche ähnlich und treu geblieben, alle andern aber vernichtet, verworfen oder verkleinert werden müßten."

Noch hatte Keiner wie er sich zum Advocaten

der in jedem Lehrbuch ohne Umstände verworfenen alten Irrth ü m e r und Jrrlehrer aufgeworfen und ihnen damit einen selbständigen W erth und Antheil an der Darstellung der christlichen Kirche zuer­ kannt, statt daß sie bisher nur im Gegensatz zur Kirche und K ir ­ chenlehre in Betracht gekommen waren.

Wenn T h o m a s iu s den

B e g riff der Häresie aus sittlichen Gründen hatte erweichen w ollen : so zeigt A r n o l d Verfahrens,

auf historischem Wege die Berechtigung dieses

und er folgt dabei denselben Gesichtspunkten, indem

er von den Sachen auf die Personen, von der M einung und Theorie auf den W illen, von dem Dogma auf den Geist und die ') Zuerst 1 6 9 8 -1 7 0 0 , dann Schafjhansen, 1740— 43.

Tendenz der Arnoldschen Ketzergeschichte.

Gesinnung ablenkt.

489

Ganz anders wie bisher schattirt sich unter

seinem G riffe l das B ild

der christlichen Geschichte; die erleuch­

teten Stellen kirchlicher Glaubensbestimmung verdüstern sich, während andere Regionen in ein helleres Licht treten; an den glänzenden Namen der Orthodorie heftet sich der üble Nachruf einer Fertig­ keit oder Kunst, welche um so verderblicher gewirkt hat, je vo llkommner sie in Uebung kam, — der Ketzermacherei.

W er waren,

fragt A r n o l d , die Richter in Glanbenssachen? Es war der Klerus, nicht immer aus den Erleuchtetsten und Besten, oft aus Ehrgeizigen, Hochmüthigen und Heuchlern bestehend, aber unterstützt vom w elt­ lichen A rm .

Und wer die Gerichteten?

Unbesonnene und S a n ft-

müthige, wie sie jederzeit gegen die Klugen im Nachtheil stehn, oder Unerfahrene,

denen das Geschick der Erklärung und V e r­

theidigung a b g in g.')

Rachsucht und Rechthaberei gaben vielfach

Gelegenheit, an ungewöhnlichen Ansichten Aergerniß zu nehmen. Gerade die theuersten Zeugen, wenn sie abergläubige Thorheiten oder Mißbräuche anfochten und damit dem Interesse des Klerus zu nahe traten, sind diesen Anklagen ausgesetzt gewesen. Natürlich daß m it der Macht und dem selbstsüchtigen E ife r der Priesterschaft auch die Z ah l der Häretiker steigt, denn an ihnen haben sie ihre Richtergewalt erst dargethan und in die Höhe gebracht.

D ie ver­

worfenen Meinungen selber waren theils ungefährlich, weil sie den Glaubensgrund nicht betrafen, theils sind sie bei der Verurtheilung nur unvollständig zur Kenntniß gekommen.

D as N . T .

schildert die Häretiker als geizige, hoffährtige und ehrsüchtige Lehrer, deren Wahn aus einer ungöttlichen Richtung des W illens erst auf den Verstand übergegangen, und diese Beschreibung paßt nachher besser auf die Urheber

als

die Gegenstände der Ketzermacherei.

„G e w iß wer nach dem gemeinen Proceß Ketzereien aufsuchen und gleichsam wider die alten Lehrer, die man fü r orthvdor gehalten, eine In qu isitio n anstellen wollte, der würde viele wichtige Gründe finden, ihre reine Lehre durch alle Säcula in Zweifel zu z ie h » ."')

') Unparteiische Kirchen« und Ketzerqesch. Allgem. Anmerkungen S . 2 ff. *) Ebendas. S . 15. S . 79.

490

Fünftes Buch. Zweiter Abschnitt.

Diesen durchgreifenden Bedenken, gestützt durch Verweisung au f S a g itta r iu s , S c riv e riu s , G ro ß g e b a u e r, W e rd e n h a g e n , S e b . F ra n c k e , entspricht nun auch die nachfolgende A usführung der Dogmengeschichte als eines Uebergangeö von großer zu im m er geringerer Lehrfreiheit. Eigentliche Ketzer w aren S i m o n M a g u s , D o s i t h e u s , die Gnostiker. Aber schon dem M a r c i o n , dem P a u l v o n S a m v s a t a , den M ontanisten ist von ihren An­ klägern Z uviel geschehen. Nachher haben E p i p h a n i u s und P h i l a s t r i u s die Kunst der Häresiologie zur Vollendung gebracht, indem sie „ganze F uder" von Ketzereien herbeischleppten, und schon gegen die P riscillianisten durfte das G laubensgericht zu dem äußer­ sten M ittel greifen?) B ei diesem geflissentlichen Aufsuchen des Häretischen hat „m an im m erhin so viele im Christenthum unbe­ festigte G em üther vollends zu Atheisten gemacht, wenn sie die gräulichen Trennungen unter denen gesehen, die sich doch a ls Besitzer des seligmachenden G lau ben s ausgegeben." M it C o n s t a n t i n , — d as hatte auch D i p p e l gesagt, — ist das innere Christenthum gefallen bei glänzender Aussenseite der Kirche, obgleich es dam als an dem „Kreuz der w ahren Christen" noch nicht fehlte; allmählich erscheint die lebendige und thätige Erkenntniß der gött­ lichen D inge immer mehr erloschen. D en Arianischen S tre it haben A l e r a n d e r und A t h a n a s i u s dadurch verschuldet, daß sie V er­ nunft und falsche S peculation in die göttliche W ahrheit einmisch­ te n ? ) D er Leser erm ißt von selbst, wie sich in den folgenden Z eitaltern Lob und T adel vertheilen w ird ; die R eform ation selbst verliert ihren Anspruch auf unbedingte Vollkom menheit, und sie hat in ihrem Verfolg denselben Abweg von dem gesunden prak­ tischen S tandpunkt zu der verkehrten hierarchischen Richtung des G laubensstreites in sich erleben müssen. A r n o l d s Werk erregte Anstoß und E ntrüstung. Nicht M a y e r allein zählte es zu den schlimmsten A usgeburten des P ie­ tism u s und den Verfasser unter diejenigen, zu deren Schutze derselbe ') Ebendas. S . 71. 7 7 .1 1 9 . -) Ebendas. S . 170.

A rnolds Kritik getadelt und gelobt.

491

aufgetreten war. D ie Kritiken und Widerlegungen reichen bis tief in das folgende Jahrhundert.') Selbst die Gemäßigten konnten sich nicht mit einer Auffassung befreunden, welche die Stützen des kirchlichen Urtheils abzubrechen und das orthodore Verhältniß zur alten Kirche zu untergraben drohte. W ie gründlich und anhänglich an die katholischen Grundsätze war C a l ir t auf die häretischen Streitigkeiten der ersten Periode eingegangen, und wie leicht wird A r n o ld mit ihnen fertig! W ie rasch läßt er das Vorurtheil, das bisher auf dem häretischen Namen geruht hatte, auf die G e­ genpartei und deren lehrbildende Thätigkeit zurückfallen! Und dies geschieht nach einem K anon, der am Stoffe selbst nur hier und da erprobt wurde, und der in's Große durchgeführt zu einem allzu leichten Verständniß des Gegenstandes verleitete. Kämpfe wie der Arianische waren damit noch nicht erklärt, daß die Ein­ mischung der Speculation auf Seiten der Orthodorie sie erzeugt habe. W ollte A r n o ld ähnliche Schwierigkeiten mit der allge­ meinen Bemerkung beseitigen, daß die Verschärfungen der Kirchen­ lehre dem Ehrgeiz und der speculativen Willkür der Priesterschaft ihren Ursprung verdanken: so konnte es dabei nicht bewen­ den, so wenig wie bei dem entgegengesetzten Machtspruch, nach welchem Dogm a und Häresie sich einfach wie Recht und Unrecht ver­ halten sollten. Allein unbeschadet dieses M angels bleibt A r n o ld s Verdienst bei seinem unverkennbaren Scharfsinn ein ausgezeichnetes. Nicht nur hat er in vielen einzelnen Punkten das Richtige ge­ troffen und Gerechtigkeit geübt, sondern auch die allgemeinen E r­ klärungsgründe enthalten W ahrheit genug, um der Beherzigung werth zu sein. D er historische Standpunkt, welcher die Stadien der Kirche nach dem Maaßstabe der praktischen Frömmigkeit und Sittlichkeit beurtheilt, gab in seiner Einseitigkeit dem Studium eine neue Anregung, sowie ja auch A r n o l d den kritischen Urtheilen des folgenden Jahrhunderts stark vorgegriffen hat. D er P ietism us er­ weitert den historischen Blick, indem er mit Vorliebe auf christ') ©. GroschiuS, Nothwendige Vertheidigung der evang. Kirche wider die Arnoldische Ketzerhistorie. Franks. 1745.

492

Fünftes Buch.

Zweiter Abschnitt.

liche Lebenserscheinungen zurücksieht, die über der alleinigen Hoch­ schätzung des dogmatischen Maaßstabeö vernachläßigt worden. Eine zweite Wahrnehmung dürfen w ir nicht außer Acht taffen. A r n o ld entwarf eine lebhafte Schilderung der ersten Christen; er schwärmte fü r

das Zeitalter

des M ä r t y r e r t h u m s ,

als

das

Kreuz und die Macht

der Liebe ihre herrlichen Triumphe über

die W elt feierten.')

In

gleichem Sinne

suchte T h o m a s iu s

jene Anfänge des christlichen Lebens zu verherrlichen, als Alle noch vom

Bewußtsein

ihres himmlischen B e rufs

durchdrungen

dem

V o rb ild der Apostel in Demuth und Versöhnlichkeit treu blieben und in der rechten Gemeinschaft der Kinder Gottes erhalten w u r­ den, so daß sie dem Hader über verschiedene. Vorstellungen vo r­ beugte» statt ihm nachzujagen?) Diese Anerkennung des Urchristenthums verglichen m it der Abneigung gegen das Zeitalter C on sta nt in s

und der Nachfolger erinnert uns abermals in merkwürdiger

Weise an C a l i r t .

D er Synkretismus theilt durchaus die Liebe

zum Altchristlichen, aber er begrenzt sie anders, da er die gesunde T radition bis zum Ende

des häretischen Kampfes reichen läßt.

D er Pietismus hingegen seiner Denkart gemäß weniger bemüht, sich aus dem Consensus der Kirchenväter zu rechtfertigen, concentrirt seine Anhänglichkeit auf die ersten drei Jahrhunderte; der aposto­ lische Charakter w ird von ihm auf die früheste Periode zurückge­ zogen und von dem zweiten Zeitalter der Concilien wenn nicht getrennt, doch unabhängig hingestellt, w eil eben das Vorbildliche hier anders gefaßt wurde. W as zuletzt die eigentlich d og m a tische Literatur betrifft: so findet sich in ihr die geringste Ausbeute.

M an würde getäuscht

werden, wenn man von den hierher gehörigen Schriften eines A n a ­ s ta s iu s F r e y l i n g h a u s e n ,

P a u l A n to n , Joachim Justus

B r e i t h a u p t eine anziehende Lektüre erwarten wollte. begegnet uns hier eine beträchtliche Magerkeit.

Vielmehr

Des feinen dog-

') Arnold, Die erste Liebe, d. i. Abbildung der ersten Christen, 1696. Erstes Martyrthum, 1695. -) Thomasius, Historie d. Weisheit, Th. H I, S . 126ff.

493

FreylinghausenS und B re ith a n p ts Lehrschristen.

matischen Jntellectualism us, in welchem die kirchlichen Systema­ tiker ihre Stärke hatten, haben sich diese Schriftsteller entschlagen, religiöse O rig in a litä t und praktische Fruchtbarkeit sind nicht hin­ reichend an die Stelle getreten. hältK einer aus.

Den

Vergleich m it S p e n e r

F r e y l i n g h a u s e n S „Kurzer B e g riff der Theo­

log ie" ist ein nüchterner Auszug der Hauptstücke, in welchem die praktischen Momente unter den beiden Namen Pflicht und Trost artikelweise aber m it dürftigen Worten eingeschaltet werden; vom Glauben heißt es daselbst, daß er die d o p p e l t e K ra ft der Recht­ fertigung und Heiligung besitze.')

D ie ausführlichere „G ru n d ­

legung der Theologie" w ar zunächst fü r die Alumnen in Glaucha bestimmt und verdient darum Erw ähnung, w eil sie eine bisher nicht vertretene Gattung von Unterrichtsschriften, welche zwischen dem akademischen und dem rein katechetischen Zweck die M itte halten, nicht ohne Glück eröffnet.

Uebrigens w ird in derselben

Alles biblisch und ohne Hinzuziehung symbolischer Stellen erklärt; das Dogma w ird in materieller Vollständigkeit mitgetheilt, wobei aber die Jdiomenlehre ihres

gelehrten Gepräges

beraubt weit

platter und so zu sagen zweckloser a u ftritt als in der bisherigen F o rm ? )

Es w ar widersprechend, von den Einzelbestimmungen

der Lehre Nichts

zu übergehen,

und dennoch den populären

Charakter dergestalt vorwalten zu lassen.

Etwas bedeutender er­

scheinen die „Thesen" von B r e i t h a u p t , w eil sie die Grundrichtung der Schule entschiedener wiedergeben.

M it S o rg fa lt ist hier ein

Gleichgewicht dogmatischer und moralischer Sätze erzielt,

damit

jeder Glaube sogleich in den Ausdruck wenn nicht der äußeren ') Compendium oder kurzer B e g riff der Theologie, H alle 1723. Dasselbe Compendium doctr. Christ. 6 Germanico in Latinum convertit

lateinisch:

J. H . Grischovius, H ai. 1733. lein, z. B .

M a n fand einiges Bedenkliche in diesem Büch­

den Satz daß das Wesen der C reaturen gleichsam ein A u s flu ß der

göttlichen K ra ft sei. 2) G ru ndleg ung der T h eolog ie, d a rin die Glaubenslehren

deutlich vorge­

tragen und jum thätigen C hristenthum wie auch evangelischen T ro st angewendet w erden,

H alle

Vorlesungen

1 704 , dann öfter. D a s Buch w urde selbst bei academischen Breithaupt, Theses credendorum atque agendorum

gebraucht.

fundamentales,Hai. 1701. p. 5sqq.

494

F ünftes Brich.

Zweiter Abschnitt.

doch der inneren T hat und S itte aufgenommen werde. Denn die geoffenbarte Religion, heißt es zu Anfang, gereicht den Menschen nur dann zum Heil, wenn die h. Schrift sich in ihnen auch offen­ barend erweist, wenn sie an lebendigen Früchten des geistlichen S in n e s, der Erfahrung und Ausübung erkannt wird. W ill also das Christenthum die Wiederherstellung der verlorenen Gerechtig­ keit und Gottesgemeinschast: so will es eben damit die geistliche und evangelische Beschaffenheit aller Affecte und den reinen Cultus des Himmelreichs. I n der nun folgenden Thesenreihe wird zuerst von dem göttlichen Ebenbild und dessen Verlust und W ie­ dergewinn in einfachen Uebergängen gehandelt. D er Sündenfall hat vom W ille n seinen Ausgang genommen. D er Thatsünde stellt sich die Tugend und Gutthätigkeit als Gegenstück zur Seite, welche in der Reinigung des Bewußtseins ihr inneres normatives Princip h a t.') Die Stufenfolge von Erleuchtung, Bekehrung und Wiedergeburt fließt beinahe in Eins zusammen. Bei der Rechtferti­ gung wird stark gegen den Mißbrauch und die Täuschungen eines unkräftigen oder bloß eingebildeten Vertrauens gew arnt?) Desto entschiedener tritt die Heiligung hervor, und unter ihren Früchten und Abzeichen entwickeln sich die geistliche Armuth, die W eltver­ leugnung und Beherrschung des Fleisches durch die Macht des K re u z e s und endlich die spiritualis doxi/naaia, d. h. das schon von S p e n e r anerkannte geistliche Vermögen, den Glaubensstand bei sich und Anderen sowie überhaupt die irdischen Dinge richtig zu beurtheilen?) Zuletzt giebt der Abschnitt De fundamentis instaurandae imaginis divinae Gelegenheit, die bisher nur vor­ ausgesetzten Lehren von G ott und der Person Christi nachzuholen, ') Theses, p. 93. 2) Ibid. p. 131. 141 sqq. 3) Ibid. p. 176—191. p. 173. 74. Usus crucis tan quam adminiculi paedagogici. Analogia inter crucem et gloriam. Crux nihil aliud est quam afflictio piorum a coelesti patre immissa vel permissa, ut per Christum subacta came Spiritus potenter se exserat et Corpus cum anima ad gloriam perducatur.

David Holla: uns r-irt Examen theol.

495

so daß der E ntw urf die seinen praktischen Interessen entsprechende analytische Ordnung klar genug zur Anwendung bringt. I m Ganzen ist in der Bearbeitung des dogmatischen Stoffes eine wissenschaftliche Armuth unverkennbar. W ährend die histo­ rischen und exegetischen Studien neu angeregt und mehrfach ge­ fördert wurden, gerathen systematische Darstellungen leicht in 's G e­ wöhnliche, da sie sich der technischen M ittel entschlagen, welche auch den schwierigsten M aterien und dogmatischen Consequenzen eine intellektuelle Anziehungskraft geliehen hatten, da überhaupt das Spitzfindige am Dogm a entweder mit der alten Schärfe der Definition erfaßt und wiedergegeben oder abgebrochen werden mußte. H at aber etwa der P ietism us bei den strengen Dogmatikern, die ihn verwarfen, S puren des Einflusses hinterlassen? Um dies zu beantworten, nennen wir zum Schluß den letzten orthodoxen Dogmatiker der a lte n Schule. D a v id H o l l a ; ') ist der letzte Vertreter des Lutherischen D ogm atism us, derjenige zugleich, der nach fünfzig Jahren noch eifrig gelesen wurde. S ein H aupt­ w erks) das ihn berühmt gemacht, gehört nach Geist und Form noch in das siebzehnte Jahrhundert und vereinigt die löblichen Eigenschaften, die diesem Standpunkt überhaupt zukommen. E s überschreitet das M aaß eines Compendiums, ohne in endlose Breite auszuschweifen. H o lla z hat gründlicher als B a i e r , leidenschaftsloser als C a lo v und H ü ls e m a n n , viel weniger scholastisch als K ö n i g gearbeitet; vielleicht übertrifft er alle Luthe­ rischen Vorgänger an Abrundung und Ebenmäßigkeit der D a r*) Geb. 1648 bei Stargard, gebildet zu Erfurt und Wittenberg. Er wurde Courector in Stargard, Rector und Prediger zu Colberg, zuletzt Präpositus und Pastor zu Iakobshagen in Pommern, woselbst er 1713 starb. Er schrieb Mancherlei zu erbaulichen Zwecken: Anweisung zum rechten Gebet, Wittenb. 1747, Evangel. Gnadenordnung, ebendas. 17 7 2 , Pilgerstraße nach dem Berge Zion, 1771 (S äm m tl. erbauliche Schriften, Görlitz 1773. 2 Theile, Franks. 1782). 2) Examen theologicum acroamaticum etc. Holm. et Lips. 1707, edit. II, Rost. et Lips. 1718 cum pracfat. A. J. de Krackewitz, ed. VH plurimis animadverss. auxit Teller, Lips. 1750. 1763.

496

Fünfte« Buch.

Zweiter Abschnitt.

stellung. D ie alte unerschüttertc Ueberzeugung befindet sich noch im vollständigen Besitz der ererbten Lehr- und B ew eism ittel. W ir haben einen V o rtrag vor Augen, der nochmals in Fragen, D efi­ nitionen, O bservationen, in e x & e a t g , diäXvaig, ßsßamaig zer­ fällt und die gewöhnlichen K ategorien obgleich bescheidener und fruchtbarer handhabt. Auf die Prolegom enen über Theologie a ls sa p ien tia p ra c tic a e m in e n s , R eligion und Schriftprincip ver­ w endet der Verfasser den gründlichsten F leiß. S ein e Eintheilung ist einfach; sie stellt G o tt a ls Object der T heologie, den M en ­ schen, dessen Ziel der G enuß des höchsten G u tes ist, a ls S ubject und dann die Principien und M edien der H eilsgew innung neben ein an d er.') V on den Forderungen der orthodoren Lehre w ird n ir­ gends ein Abzug gemacht, vielm ehr wie H o l l a z die In sp iratio n bis zu unbedingter W örtlichkeit treib t: so dringt er auch in der Christologie und anderw eitig bis zum Aeußersten, und nur die Vollständigkeit, m it welcher auch die Lehre von der Vorsehung durchgegangen w ird , beweist, daß das Allgemeine nicht weniger wie d as Besondere geschätzt werden soll, und manche zwischen eingeschobene F rage kann a ls Beleg für den Fortschritt des dog­ matischen Nachdenkens dienen. Bem erkenswerth ist n u n , daß H o l la z den P ietism u s n ir­ gends als gegnerisch oder g ar häretisch hinstellt, vielleicht um ihn zu schonen oder weil er der Spenerischen S chule g ar keinen un­ terscheidenden Lehrcharakter zuerkennen w ill, daß er ihn aber indirect berücksichtigt und die Bekanntschaft m it ihm merken läß t. W eder S p e n e r noch seine Richtung werden ausdrücklich erw ähnt. W ie ein unbestechlicher Richter, unbeirrt von den zwischeneinredenden P arteien , sein früheres U rtheil festhält, doch aber das etwanige G u te , w as er von jenen gehört, gelegentlich anbringt

*) Principia salutis sunt tria. Primum est benevolentia Dei patris erga hominem lapsum erigendum et beandum. Secundum est fraterna Christi redemptio a peccato et ejus poenis. Tertium est gratiosa et per certa media efficax operatio Spiritus s., qua parta a Christo salus offertur et confertur. — Media salutis sunt verbum divinum et sacramenta. Holl. Exam. P. II, p. 1.

497

Holla; berücksichtigt den Pietismus.

und in seinem Vortrage mitwirken läßt: so erhellt aus H o lla z die Beachtung des Pietismus und Synkretismus als eines in mancher Hinsicht wohlthätigen Anregungsmittels. Er schätzt da­ her die praktischen Gesichtspunkte und schaltet Nutzanwendungen ein; jeder Artikel wird mit einem erbaulichen Zusatz (suspirium) geschlossen. Er rechnet thätige Frömmigkeit zum Wesen des wahren Theologen, ja er fordert Wiedergeburt für diejenigen, die eS im höchsten Sinne fein wollen, muß aber zugleich den laxeren Stand­ punkt gelten lassen, welcher nur den theologischen Habitus, die Lehrtüchtigkeit und theoretische Uebereinstimmung zur Bedingung macht.') Ohne Bestreitung S p e n e rs treten die Philosophie als heilsame Cultur deö Geistes, die ihn zur Aufnahme seiner Denk­ bestimmungen befähigt, und der Werth des Systems und der Controverse wieder in ihre Rechte.') I n der Bestimmung des fundamentalen und nichtfundamentalen Glaubensinhalts finden sich so viele Abstufungen, daß hier sogar C a lir t seine Wünsche in Etwas würde berücksichtigt gefunden haben?) Indessen können die kleinen Nachgiebigkeiten, zu denen der Schriftsteller sich versteht, die Haltung seipes Werks nicht wankend machen. Seine Theologie ist durchaus die der Doctrin, nach doctrinalem Maaßstabe will sie principiell allein geprüft sein. Jeder Artikel soll aus Nothwen­ digkeit göttlicher Vorschrift (necessitate praecepti) feststehen, ehe davon die Rede sein kann, ob er auch zum Zwecke der Heiligung (necessitate medii) Dienste leiste: welche Fassung er aber haben müsse, damit der letztere Zweck nicht verloren gehe, darüber kommt es zu keiner Erwägung. Bei weiterer Umschau bemerken wir, daß H o llaz diejenigen Lehrstücke, die durch S p e n e rs E r*) Hollazii Examen, ed. II, p. 14. Theologus sensu laxiori dicitur, qui munus theologi rite obit veritates theologicas explicando, — quamvis sincera voluntatis sanctitate destituatur. — Eminentiori sensu theologus dicitur, qui re vera talem se praestat, qualis ex intentione Spiritus sancti esse debet. — Theologus renatus promptius et solidius primae veritati revelanti assentitur, quam theologus privative irregenitus. 2) Ibid. p. 30 sqq. 3) Ibid. p. 51. Gesch. d. Protest. Dogmatik II.

32

klärungsweise in's Schwanken gerathen waren, in der Weise wieder zurechtrückt, daß er mit dem Mystischen stillschweigend auch das eigenthümliche Pietistische beseitigt. Die Heilsordnung wird mit besonderer Sorgfalt und sichtlich in dieser Absicht von ihm bearbeitet. I n strenger Scheidung sollen wieder Erleuchtung und Bekehrung, Wiedergeburt und Rechtfertigung einander folgen. Die erste Hälfte dieses Processes soll die innerliche Aenderung des Sünders, die zweite die äußerliche Versetzung in den neuen Stand der Gerechtfertigten enthalten, Alles mit genauer Jnnehaltung der Grenzpunkte?) Die Erleuchtung bezeichnet nur ein Ein­ wirken der Gnade auf den Verstand, die Bekehrung lediglich ein solches auf den Willen, und beide sind frei zu halten von Allem, was die Mystiker als innere Reinigung, als Einkehr des Menschen in sich selbst oder göttliche Gelassenheit und Weltentsagung hin­ eingetragen haben?) Die Wiedergeburt aber, die S p e n e r so umfassend verstehen wollte, hat Nichts weiter zu leisten, als daß sie den Sünder durch Einflößung höherer Kräfte mit dem Glau­ ben begabt, also für den Empfang der Rechtfertigung geschickt macht. Sie drückt darum keine Veränderung des geistlichen Lebens, kein Geborenwerden Christi und des neuen Menschen in uns a u s?) Es bleibt mit Einem Wort Alles an seiner Stelle; jede Function darf das Werk der geistigen Umgestaltung nur bis zu dem Punkt fortführen, wo es die folgende rechtmäßig auf­ nehmen wird, mag auch dabei unbestimmt gelassen sein, wo nun eigentlich die tiefste und entscheidende Wendung liege. Und ge­ gen diese verständige Parcellirung und Ausgleichung waren eben S p e n e rs Erklärungen gerichtet gewesen, da er durch ein lebendiges Wiederaufnehmen der biblischen Idee der Wiedergeburt der ganzen Heilslehre die verlorene subjective Wahrheit zurückgeben wollte. *) Examen, Tom. II, p. 379. Per convcrsionem et regenerationem in« trinsece peccator mutatur ut sit judificabilis, per justificationem autem extrinsece mutatur, quatenus e statu misero in beatiorem judicialiter transfertur. 2) Ibid. p. 281 sqq. 295. 3) Ibid. p. 318. 329. 336.

Mögliche Einigung des Piet. u. Synkret.

499

Uebersehen wir das Werk des H o lla z : so dürfen wir be­ haupten, daß es durch sich selber eine gefährliche Lage der alt­ kirchlichen Theologie durchaus nicht verräth. Aus seiner gleich­ mäßigen Sicherheit und unerschütterten Objektivität wäre zu schließen, daß die dogmatische Literatur noch lange in demselben Geiste hätte fortgehen müssen. Und doch ist es das letzte seiner Art gewesen, das letzte welches noch vor dem Uebergang in ein anderes Zeitalter steht. W ir gehen dem folgenden Jahrhundert entgegen. Hinter uns liegt die Periode der älteren Theologie, eine Zeit unendlich reich an In h a lt, an Arbeit und Anstrengung, aber arm an Liebe und Demuth und an S in n für die großartige Einfachheit der christ­ lichen Religion, mit höchstem Eifer nach einem genauen und aus­ schließlichen Wissen um den christlichen Glauben trachtend, und dennoch bemüht, ihr Wissen wieder unwißbar, ungenießbar und un­ kenntlich zu machen. Bedeutende Reactionen suchten die Theologie über ihren einseitigen Standpunkt zu erheben, ihre Versuche soll­ ten für die Zukunft nicht verloren sein. Und wenn damals der Synkretismus und der Pietism us ohne gegenseitige Würdigung einander folgten und gleichsam aus dem Wege gingen: so fragte sich doch, ob nicht dereinst eine Einigung ihrer Bestrebungen möglich werden sollte.

Register. (Die beigefügten Zahlen sind die bezüglichen Seiten des Textes.) Ä bbot, Erzb. v. Canterbury, 35. Alencon, Synode daselbst, 339. Amyraut, Schule zu Saum ur, Lehre von der Allgemeinheit der Gnade, 328 ff. Andrea, Joh. Val., Charakteristik desselben, societas christiana, 65 ff. Antinomi et Neonomi in England, 325. Anton, Paul, Schüler Spenerö, 492. Arndt, vom wahren Christenthum, 52. 63. 66. Arnold, Gottfried, der Standpunkt seiner Kirchengeschichte, 487. B alduin, Franz, 22. BecannS, 27. Behm, Johann, Königsberger Fehde, 163. Bekker, Balth., die bezauberte Welt, 247. BergiuS, 36. 41. 160. Berkelmann, 76. Beza, 18. 20. Böhme und seine Mystik, 52. B raun, Föderalist, 316. Breithaupt, Schüler Speners, 493. Brenz, 7. 10. Büscher, sein Angriff gegen Calixt, 156. Burmann, Fortbildung der Föderalmethode durch ihn, 310. C alixt, Georg, Repräsentant des Luther. Synkretismus, Schriften u. Lehre, 68 ff. Calixt, Ulrich, 169 ff. Caller, Theodor, 226. 290. Calov als Hauptgegner des Synkretismus, 161. Camero, Lehrer des Amyraut, seine anthropologische Ansicht, 331. Carpzov, Benedict, eröffnet die Polemik gegen den Pietismus, 394. Cartesius und sein Verhältniß zu Spinoza, 221. Urtheil des Coccejus über ihn, 291. 295. Spenerö Meinung, 414. Cartesianer, 219 ff. Caselius, Johann, 71. 76.

Re g i s t e r .

501

ChiliaSmuS, f. Dippel und Petersen. Kritik desselben, 477. CoccejuS, Begründer des reformirten Föderalsystems, Schriften und Anfichten, 2 5 3 -3 0 0 . Consensus patram, Tradition im Sinne Calixts, 109. Consensus repetitus fidei Lutheranae, 175. Corpus doctrinae Julium, 156. D allaeus, Job., De usu patrum, 345. Vertheidigung AmyrautS, S . 345. Dannhauer in Straßburg, SpenerS Lehrer, 186. 384. Davenant, Bischof von Salisbury, 35. Deutschmann gegen Spener, 408. de Dominis, Antonius, 2 2 .'2 6 —29. DilherS Angriff gegen Spener, 393. Dippel, Konrad, Schriften und ChiliaSmuS desselben, 452. Dreyer, Christian, in Königsberg, 162. 175. DuräuS, Johann, Beurtheilung seiner Friedensthätigkeit, 3 4 ff. 69. 104. E rasm us, 22. 63. Erbermann der Jesuit im Streit mit Calixt, 155. EsseniuS, 287. Faber Stapulensis, 137. FabriciuS, Johann, in Helmstädt, 183. Falsche Anwendung der synkretistischen Grundsätze, 183. Föderalisten, spätere, 300. Franke, Joh. Herrm., 487. Freilinghausen, 493. Friedensgespräche zu Mömpelgart, 5, 19. Sendomir, 31. Leipzig, 40. Thorn, 161. Cassel, 171. Füchte, 76. Garifsol, 348. Gerhard, Johann, exercitium pietatis, meditationes sacrae, 52. 56. 384. Glasstus, Schrift über die Nothwendigkeit der guten Werke, 179. Gnadenziel, Verhandlungen darüber, 473. Grauer, 203. Großgebauer, 384. H all, Joseph, Bischof von Exeter, 35. Heidanus, reformirter Dogmatiker, vereinigt die Cartesianische Richtung mit der des CoccejuS, 300—307. Heidegger, orthodoxer reformirter Dogmatiker und Bf. der formula Consen­ sus, 353—56. Henotische Literatur, 30 ff. HeShuS, 10. 76. Hoe von Hohenegg, Beispiele Lutherischer Polemik, 19. 78.

»OS

Register.

Hoffmann, Daniel, S treit über theol. Vernunstgebrauch, 73. H olla;, D avid, Lutherischer Dogmatiker, Standpunkt und Charakter seines Werks, 495. Hoornbeck, 287. 293. Hornejus, Calixt's Schüler, seine Disputationen, 147. 159. 210. HoSpinian und seine Schriften, concordia discors, 9 —12. Hottou, 142. Hülsemann, Lutherischer Gegner des Synkretismus, 38. 148. Hulsius, Anton, Polemik gegen Cartesianer und Coecejaner, 295. 320. HunniuS, 42. 51. 56. Hutter, Leonhard, beantwortet HoSpinian, bestreitet PareuS, 13 ff. 49. Jenenser Facultät, Stellung derselben im synkretipischen S treit, 179 ff. Iuniuö, Franciscus, Irenicum, 33. Iu rie u widerlegt den Pajon'.smus. 364. Katholicismus, der wahre, im Sinne Calixt's, 107ff. Katholische Unionisten, 21 ff. Kirchliche Kritik des Synkretismus und Pietismus, 184 ff. Krackewitz, 474. Kritik (Calixt's) der alttest. Trinitätsbeweise, der ErwählungSlehre re. 123.135ff. Labadie, 388. Latermann in der Königsberger Fehde, 162. Leibnitz über kirchliche Vereinigung, 400. Leydecker, 320. Leipziger Gespräch, 40. Lubbert, 42. Lütkemann in Rostock, 384. Luther mit Spener verglichen, 449. Majoristische Frage von Seiten Calixt's, 146. MaresiuS, Gegner der reformirten Neuerungen, 228. 289. M artini, Cornelius, Aristoteliker in Helmstädt, 72. 76. Mastricht bestreitet den Cartesianismus, 228. Mayer, Johann Friedrich, der heftigste Antipietist, 458. Melanthon, 7. 11. 46. Meisner, Johann, 72. Meyfart, Vorgänger des Pietismus, 383. Mentzer, Balth., 77. Mislenta, Gegner des Synkretismus in Königsberg, 163. Morton, Bischof von Durham, 35. MoruS, Heinrich, Urtheil über Cartesius, 223. Momma, Föderalist und Schüler des CoccejuS, 288. 308. du Moulin (Molinaeus), 339. 349. M usäus, Jo h a n n , gemäßigter Standpunkt im synkretipischen S tre it, 180. 202. 205. N euhaus, Barthold, katholischer Apostat und Widersacher Calixt's, 104.

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Neuster, Adam, 21. Neustädter Bibel, 42. Oekolampadius, 21. Ostander, LukaS, kritisirt Arndts wahres Christenthum, 52. P a jo n und der PajonismuS aus der Schule Amyraut's hervorgegangen, 359ff, Papin, Isaak, französ. Prediger, 366. PareuS, David, reformirter Unionist, sein Irenicon, 41—50. Petersenß Ausbildung deS ChiliasmuS, 450. Pfaffrad, 76. Pia desideria SpenerS, 391. Pierius, 41. Pietismus, vgl. Spener, 377. Kirchliche Kritik desselben 456 ff. Gesammturtheil, 479 ff. PlacänS (la Place) reform. Theologe zu Saum ur, 347. Poiffy, ReligienSgespräch daselbst, 46. Polemik und Irenik im Verhältniß zu einander, 16. Pufendorf (Sam uel) nimmt den reform. Föderalismus auf, 321. de R aey, Johann, 226. Reformirte Unionisten, 30. Regius, Urban, 71. Reinhard verläumdet MusäuS und die Jenenser, 180. Reventlow, 35. Rivetus, Andreas, gegen Amyraut, 339. 349. Roell, reformirter Cartestaner, 248. RupertuS MeldeninS, dessen paraenesia votiva, 66. S aubert in Altorf, 384. Schelwig, Bestreiter des Pietismus, 408. Schund, Sebastian, Lehrer SpenerS, 384. Schmidlin, 10. 19. Schuppius, Balthasar, Vorgänger deS Pietismus, 383. Selnecker, 71. Siegwart, 42. 49. Spanheim, der Aeltere und Jüngere, 292. 339. 349. Spener, Jakob, der Anführer des Pietism us, dessen Leben, Wirksamkeit und Theologie, 3 8 6 -4 4 0 . Spinola, kathol. Bischof, will die Prot. Höfe für den Frieden gewinnen, 406. Spinoza und SpinozismuS, 316. Strauch, Aegidius, unter Calixt's Feinden, 178. ThomasiuS, Christian, beurtheilt den Leipz. Proceß gegen die Pietisten, 394. E r ist Verfechter der Lehr- und Sprechfreiheit; seine Schriften und Stellung zu Spener, 484. Thorner Gespräch, 161. Thummius, 51. van Til, reform. Dogmatiker, 321.

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Unio mystica nach MusäuS, 205.

Union und Unionisten, Allgemeines, 30. 32. 40. Union im S inne SpenerS, 403. V erhältniß des alten Symbols zum neueren Bekenntniß, 191. Gitringa, 251. BoetiuS, 221. VossiuS, 259. van der W ayen, reform. Dogmatiker, 316. Weigel, 51. 53. Weller, Jakob, Gegner des Synkretismus, 165. Wendelin, Verhältniß 3um Föderalismus, 266. Whitaker, 324. Wieel, Georg, via regia ad pacem, 25.

Wiedergeburt bedingt die wahre Theologie, 418ff. Wigand, 10. WitsiuS, dessen vereinfachter Föderalismus, 316. Wittich, theologia pacifica, gemäßigter CartestaniSmuS, 268.

Nacht rag. Zu S . 458 über Johann Friedrich Mayer ist noch zu vergleichen das eben erschienene Werk: I . G. L. Kosegarten, Geschichte der Universität Greifs­ wald, Th. I, S . 277. Zu S . 251. 52 s. D orner's Entwicklungsgeschichte, II, S . 892. 900.