Geschäftsleute unter sich: Die Internationalität der Business Culture [1. Aufl.] 9783839432136

Global business culture instead of intercultural communication - this study shows that in the global economy, an interna

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Geschäftsleute unter sich: Die Internationalität der Business Culture [1. Aufl.]
 9783839432136

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einteilung
HAUPTTEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN
Begriffsdefinition und -abgrenzung: Umgangsformen
Forschungsbericht: Die Literatur zu Umgangsformen
Zur Forschungssituation
Funktionen: Routine, Werthaftigkeit und Distinktion
Geltungsbereich von Umgangsformen
Kollektivtheoretische Beschreibung von Umgangsformen
Einführung in die Kollektivtheorie
Kollektivzuschreibung von Umgangsformen
Funktionen in Abhängigkeit von der Kollektivzuschreibung
Fazit: Zuschreibungstheorie
Arbeitshypothesen und Problemstellung
HAUPTTEIL II: LITERATURVERGLEICH
Material: Business-Etikette-Ratgeber
Verhaltenspräskriptive Literatur allgemein
Autoren und Zielgruppe
Abgrenzung der Genres
Der scheinbare Gegensatz: Realität versus Normativität
Vergleichbarkeit: Business-Etikette-Ratgeber versus Kulturknigge
Vergleich amerikanischer und deutscher Business-Etikette
Die Begrüßung per Handschlag
Die Formen der Anrede
Die Regeln zum Smalltalk
Überblick: Sonstige Themenbereiche
Fazit: Literaturvergleich
Vergleichsergebnisse
Ergebnisinterpretation
Schlusswort und Ausblick
Literaturverzeichnis
Primärtexte
Sekundärtexte und weiterführende Literatur
Darstellungsverzeichnis

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Ana-Lucia Baldauf Geschäftsleute unter sich

Kultur und Kollektiv | Band 3

Editorial Die von der Forschungsstelle Kultur- und Kollektivwissenschaft der Universität Regensburg herausgegebene Schriftenreihe »Kultur und Kollektiv« veröffentlicht Monographien im Bereich der Kultur- und Kollektivwissenschaft, die aktuelle Themen auf einem innovativem Theorie-Niveau und in jargonfreier Sprache zur Darstellung bringen. Von der Forschungsstelle wird ebenfalls die Zeitschrift für Kultur- und Kollektivwissenschaft herausgegeben.

Ana-Lucia Baldauf (Dr. phil.) lebt in Berlin und arbeitet im internationalen Marketing.

Ana-Lucia Baldauf

Geschäftsleute unter sich Die Internationalität der Business Culture

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3213-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3213-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7 Einleitung | 9

HAUPTTEIL I: THEORETISCHE G RUNDLAGEN

| 17

Begriffsdefinition und -abgrenzung: Umgangsformen | 19 Forschungsbericht: Die Literatur zu Umgangsformen | 23

Zur Forschungssituation | 24 Funktionen: Routine, Werthaftigkeit und Distinktion | 25 Geltungsbereich von Umgangsformen | 61 Kollektivtheoretische Beschreibung von Umgangsformen | 81

Einführung in die Kollektivtheorie | 81 Kollektivzuschreibung von Umgangsformen | 84 Funktionen in Abhängigkeit von der Kollektivzuschreibung | 106 Fazit: Zuschreibungstheorie | 117 Arbeitshypothesen und Problemstellung | 121

HAUPTTEIL II: LITERATURVERGLEICH

| 125

Material: Business-Etikette-Ratgeber | 127

Verhaltenspräskriptive Literatur allgemein | 127 Autoren und Zielgruppe | 129 Abgrenzung der Genres | 144 Der scheinbare Gegensatz: Realität versus Normativität | 158 Vergleichbarkeit: Business-Etikette-Ratgeber versus Kulturknigge | 164 Vergleich amerikanischer und deutscher Business-Etikette | 167

Die Begrüßung per Handschlag | 168 Die Formen der Anrede | 202 Die Regeln zum Smalltalk | 232 Überblick: Sonstige Themenbereiche | 260

Fazit: Literaturvergleich | 279

Vergleichsergebnisse | 279 Ergebnisinterpretation | 287 Schlusswort und Ausblick | 289 Literaturverzeichnis | 297

Primärtexte | 297 Sekundärtexte und weiterführende Literatur | 303 Darstellungsverzeichnis | 317

Vorwort

An dieser Stelle möchte ich Danke sagen. Nicht der Form halber und weil es zum guten Ton gehört, sondern weil es mir wichtig ist, all jene zu erwähnen, die mich bei der Arbeit an der vorliegenden Dissertation unterstützt haben. Zu besonderem Dank bin ich meinem Doktorvater Professor Dr. Klaus P. Hansen verpflichtet, der mich bereits während des Studiums dazu ermutigt hat, meine wissenschaftliche Forschungsarbeit im Rahmen einer Dissertation fortzusetzen. Die Entstehung dieser Arbeit hat er mit konstruktiver Kritik, wegweisenden Denkanstößen und kontinuierlicher Motivation begleitet und damit einen immensen Beitrag zu ihrer Verwirklichung geleistet. Weiterhin möchte ich meinem Zweitgutachter Professor Dr. Karsten Fitz meinen Dank für seine umfassende Unterstützung und wertvollen fachlichen Impulse aussprechen. Maßgeblich zur Entstehung des vorliegendes Buches beigetragen haben auch die Hansen-Stiftung und die Forschungsstelle Kultur- und Kollektivwissenschaft durch die mir zuteil gewordene finanzielle Förderung sowie die Aufnahme dieser Arbeit in ihre wissenschaftliche Schriftenreihe. Der kollegiale Austausch mit meiner Mitstreiterin Lena Schmitz hat die Entstehungszeit dieser Dissertation enorm bereichert. Ihr als auch meiner lieben Freundin Andrea Hörandner gilt mein Dank insbesondere auch für das akribische Korrekturlesen und viele hilfreiche Verbesserungsvorschläge. Für ihren liebevollen Beistand möchte ich mich außerdem bei meinem Mann René Hoppe und meiner ganzen Familie, vor allem meiner Mutter Ursula Baldauf, bedanken. Ihr und meiner Großmutter Dr. Lucia Baldauf widme ich diese Arbeit.

Einleitung

Die meisten Firmenfusionen scheitern.1 Als Ursache werden an erster Stelle Fehlentscheidungen der Unternehmensleitung genannt. Handelt es sich jedoch um eine Fusion über Ländergrenzen hinweg, wird ein weiterer, meist für schwerwiegender erachteter Grund angeführt: die interkulturelle Problematik.2 Die gängige Erklärung des Scheiterns internationaler Unternehmenszusammenschlüsse gibt der Unterschiedlichkeit der Nationalkulturen die Schuld. Dabei wird davon ausgegangen, dass weniger Sachprobleme oder gegensätzliche Interessen zu Konflikten führten, als vielmehr die angeblich unterschiedlichen Kommunikationsweisen der beteiligten Kulturen. Als Paradebeispiel einer solchen interkulturellen Problematik, die zum „clash of cultures“3 oder zum missglückten „interkulturellen Experiment“4 hochstilisiert wird, gilt die Vereinigung der Automobilkonzerne Chrysler und Daimler-Benz. Das Scheitern dieser spektakulären Fusion, davon sind die Anhänger des älteren

1 2

Vgl. Waller 2001, S. 244; vgl. Dorfer 17.05.2010; vgl. Michler 21.04.2011. So Beneke: „In der Großindustrie kursiert eine Schätzung, der zufolge 60–70 Prozent aller internationalen Joint Ventures an interkulturellen Unverträglichkeiten scheitern.“ (Beneke 2001, S. 2); so auch Thomas et al.: „Weiterhin ist festzustellen, dass einige bedeutende deutsche Unternehmen in den letzten Jahren große Schwierigkeiten auf dem amerikanischen Markt hatten. Eine Weile haben sie die Ursache dafür vor allem in den Wechselkursschwankungen und ähnlichen ‚Schicksalsschlägen‘ gesehen. Aber inzwischen hat man sich zu der Erkenntnis durchgerungen, dass falsches Auftreten ihrer Repräsentanten in den USA einen viel bedeutsameren Anteil an den Misserfolgen hatte.“ (Thomas et al. 2007, S. 13); vgl. Thomas 2003, S. 137.

3

Ingrassia 21.02.2007; der Begriff wurde ursprünglich geprägt von Samuel P. Huntington (Huntington 1996).

4

Dreher 2005, S. 152–161.

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„interkulturellen Paradigmas“5 überzeugt, wäre den unüberbrückbaren kulturellen Gegensätzen zwischen Amerikanern und Deutschen anzulasten.6 So war die Rede von Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den „steifen Deutschen“ und „schlagfertigen Amerikanern“.7 Es wurde darauf verwiesen, wie sich der Vorstandsvorsitzende Jürgen Schrempp durch unbedachte Witze unbeliebt gemacht8 und die amerikanische Sekretärin ihren deutschen Vorgesetzten wegen einer unachtsamen Berührung an der Schulter der sexuellen Belästigung beschuldigt habe9. Zudem habe die Entscheidung, die Anredeform nach amerikanischem Muster zu regeln, angeblich zu Irritationen geführt, da die Verwendung des Vornamens für die Deutschen ungewohnt gewesen sei und zu allem Überfluss auch noch die akademischen Titel von den Visitenkarten gestrichen worden seien.10 Das direkte, unbefangene Äußern von Kritik seitens der Deutschen habe wiederum den amerikanischen Kollegen nicht behagt.11 Die Liste derartiger „Kommunikationsbarrieren“ ließe sich fortführen.12 Deren Botschaft beinhaltet stets die Warnung, nationalkulturelle Unterschiede der Kommunikation – selbst zwischen „auf den ersten Blick in vielerlei Hinsicht ähnlich“ wirkenden Ländern – nicht zu unterschätzen.13

5

Vgl. Haas 2009.

6

Vgl. Michler 21.04.2011.

7

Dorfer 17.05.2010; so auch Michler: „Größer könnten die Kultur-Unterschiede kaum sein. Kein Wunder also, dass die Amerikaner bei ihren deutschen Kollegen bald als ‚unseriöse Showmaster‘ und die Deutschen bei ihren Kollegen in Detroit als ‚steife Spaßbremsen‘ verschrien waren – keine guten Voraussetzungen für ein Gelingen der Mission ‚Weltkonzern‘.“ (Michler 21.04.2011).

8

Vgl. Waller 2001, S. 250.

9

Vgl. Waller 2001, S. 252f.

10 Vgl. Waller 2001, S. 253f. 11 Vgl. Dreher 2005, S. 66. 12 Vgl. Waller 2001; vgl. Dreher 2005; vgl. Dreher 2004; vgl. Müller 2007; vgl. Schwabe 2005; vgl. Laberer 2008. 13 Weingart 2007; so auch Hall und Hall: „It is important for Americans doing business in Germany to understand that behind the many surface similarities, Germans are different from Americans in significant ways. Do not be deceived by these similarities into thinking that Germans behave, think and feel as Americans do because they don’t.“ (Hall, Hall 1983a, S. 6); so auch hier: „Die USA erscheinen weltweit als eine Blaupause für eine Kultur, die wir (auch aus den Medien) bereits zu kennen glauben, mit bestimmten Anteilen die wir lieben und anderen, denen wir kritisch gegenüber stehen. Je vertrauter eine Kultur erscheint, desto schwieriger wird es häufig, kulturelle

E INLEITUNG

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Anders als bei solchen Beispielen aus der interkulturellen Praxis, bleibt die interkulturelle Theorie jedoch nicht auf der Ebene bloßer Kommunikation stehen.14 Die Unterschiede der Kommunikation werden vielmehr als Ausdruck verschiedener, wie der kulturvergleichende Psychologe Alexander Thomas es nennt, „Kulturstandards“ betrachtet, die er wie folgt definiert: „Das kulturspezifische Orientierungssystem besteht aus Kulturstandards, das heißt aus von den Mitgliedern einer Kultur geteilten Normen, Werten, Überzeugungen, Einstellungen, Regeln etc.“15 Dieses Zwei-Ebenen-Modell, welches einen Großteil des althergebrachten interkulturellen Paradigmas durchzieht, führt auf der oberen ursächlichen Ebene geistige, bewusste, moralische und systemische Phänomene (Werte, Normen) an, die auf der Ebene darunter bestimmte Verhaltensweisen erwirken.16 Um es am Beispiel der DaimlerChrysler-Fusion zu erläutern: Wenn die Amerikaner den Vornamen bevorzugen, so sollen dem bestimmte Werte oder Einstellungen zugrunde liegen. Doch welche könnten das sein? Etwa Lockerheit, Lässigkeit, Verzicht auf Hierarchie und Autorität, Nähe und Intimität? Ungeachtet dessen, für welchen Wert man sich entscheidet, entstehen Probleme, sobald man eine zweite Verhaltensweise hinzu nimmt. Amerikaner sollen kritikempfindlicher sein als Deutsche. Diese Eigenart lässt sich aus keinem der genannten Werte begründen. Wird Kritikempfindlichkeit als Wirkung gesehen, kommen als Ursachen nur Werte wie Höflichkeit bzw. Förmlichkeit, Diplomatie oder Einfühlungsvermögen in Frage. Wenn man von Kulturstandards als übergeordnetem Merkmal ausgeht, müsste man für die USA also völlig widersprüchliche und einander ausschließende Werte konstatieren. Insofern ist fraglich, ob das ZweiEbenen-Modell zutrifft und ob der Rückgriff auf die Ebene der Werte und Einstellungen überhaupt nötig ist. Sinnvoller erscheint es, den „clash of cultures“ nicht als Normenkonflikt zu sehen, sondern auf der Ebene des Verhaltens zu belassen. Anstatt auf einer oberen Ebene nach Werten zu suchen, lässt sich das Verhalten im Bereich des Benehmens, der Manieren, der Etikette und der UmUnterschiede zu erkennen und zu akzeptieren.“ (Intercultures – global besser arbeiten). 14 Vgl. Moosmüller 2000, S. 17. 15 Hufnagel, Thomas 2006, S. 15; so auch Slate und Schroll-Machl: „Das sind definierte Merkmale bestimmter Werte, Überzeugungen, Grundhaltungen und Grundeinstellungen, die auf der Basis wissenschaftlicher Ergebnisse gewonnen werden und sich als Muster beschreiben lassen.“ (Slate, Schroll-Machl 2006, S. 7). 16 So Hufnagel und Thomas: „Die Kulturstandards dienen somit als Maßstab für die Steuerung eigenen Verhaltens, für die Erwartungen gegenüber dem Verhalten anderer sowie für die Wahrnehmung und Bewertung des Verhaltens der Mitmenschen.“ (Hufnagel, Thomas 2006, S. 15), vgl. Hofstede 1993, S. 23.

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gangsformen ansiedeln. Diese eigentlich naheliegenden Begriffe, die sich vor allem mit zwischenmenschlichem Umgang beschäftigen, sucht man jedoch bei den meisten „Interkulturalisten“17 vergeblich. Da man einerseits die wissenschaftlichen Begriffe Kommunikation und Interaktion bevorzugt und andererseits die dort zu beobachtenden Formen auf Werte zurückführt, geht der Zusammenhang zum Phänomen Etikette und zu den Vorschriften des „guten Benehmens“ verloren. Diese Vernachlässigung ist zu bedauern, da zu diesen Stichworten eine, wenn auch nicht umfangreiche, so doch gehaltvolle Literatur existiert. Genau genommen diskutiert sie kulturwissenschaftliche Probleme wie beispielsweise, so sei schon an dieser Stelle erwähnt, die Relevanz des Zwei-Ebenen-Modells, dem einige Autoren zustimmen, andere hingegen nicht. Sie diskutiert es nur in anderer Begrifflichkeit, indem sie hinterfragt, ob Umgangsformen einen ethischen Ursprung haben oder nicht. Als die ältere Kulturwissenschaft Sitten und Gebräuche erforschte, bewegte man sich ganz in der Nähe von Umgangsformen und Etikette, was bei der jüngeren Kulturwissenschaft vielleicht aufgrund der geänderten Terminologie und der Bevorzugung des Begriffs Kommunikation wieder verloren ging. Wie dem auch sei, die Kulturwissenschaft sollte vor dem Phänomen Etikette nicht die Augen verschließen und die Überlegungen dazu als trivial missachten. Denn weit entfernt davon, ein „Werk des Zufalls, der Laune, der Willkür“ zu sein, das erkennt schon der deutsche Jurist Rudolf von Jhering, sind sie „eine Zweckschöpfung des menschlichen Geistes“, die in „höchst angemessene[r] und wohldurchdachte[r]“ Weise eine gesellschaftlich bedeutsame Funktion erfüllen.18 Doch sind aus kulturwissenschaftlicher Sicht bislang viele Fragen zu den Phänomenen Etikette und Umgangsformen unbeantwortet geblieben. Eine davon ist jene nach dem Geltungsbereich. Denn obwohl es beinahe zum Allgemeingut gehört, dass Umgangsformen nicht auf der ganzen Welt gleich sind, gibt es kaum Erkenntnisse darüber, wie weit sich ihre Geltung erstreckt. Gelten bestimmte Umgangsformen für ganze Nationen oder nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen? Das ist eine Frage, welche sich die ältere Interkulturelle Kommunikation nicht stellt, da sie aufgrund des ethnischen Kulturbegriffs immer von Ländern bzw. Nationen ausgeht. Für die Anhänger des konventionellen interkulturellen Paradigmas steht fest: Die Umgangsformen „der Deutschen“ und jene 17 Def. „Interkulturalisten“: „Unter ‚Interkulturalisten‘ versteht Dahlén Leute, die im ‚interkulturellen Feld‘, d.h. im Bereich von ‚diversity training, cross-cultural counseling, intercultural negotiation, intercultural communication training, cross-cultural sensitivity training‘ tätig sind (S. 9).“ (Dahlén 1997, zit. nach Moosmüller 2000, S. 15). 18 Von Jhering 1968, S. 78; vgl. von Jhering 1905, S. 261f.

E INLEITUNG

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„der Amerikaner“ – zweier vermeintlich homogener, in sich kohärenter und andersartiger Nationalkulturen – sind verschieden, und wenn sie aufeinanderprallen, sind Irritationen vorprogrammiert.19 Doch gibt es an dieser Prämisse – insbesondere nach dem paradigmatischen Umbruch der Kulturwissenschaften und der damit einhergehenden Abkehr vom ethnischen Kulturbegriff – begründete Zweifel. Ist es nicht vielmehr so, dass auch innerhalb eines Landes nur beschränkt Einigkeit darüber besteht, was als „gutes Benehmen“ zu bewerten ist? Ist hier nicht eher die Zugehörigkeit zu einer weniger umfassenden Gruppe (sozialem Milieu, Generation, Beruf etc.) bindend? Und gibt es nicht eine Vielzahl von Umgangsformen, die weit über die Grenzen einzelner Nationen verbreitet sind? Es scheint, als hätte sich bisher niemand der Frage nach dem Geltungsbereich kritisch und systematisch gewidmet und als hätte man keine konkrete Vorstellung davon, wo Umgangsformen zu verorten sind. Hier setzt die vorliegende Arbeit an. In zwei gleichberechtigten Hauptteilen werden zunächst theoretische Grundlagen entwickelt und anschließend anhand des Vergleichs von Etikette-Ratgebern konkretisiert und validiert. Der Theorieteil (Hauptteil I) beginnt mit einem Forschungsbericht, der einen Überblick über die Sekundärliteratur zu Umgangsformen – ausgewertet vor allem im Hinblick auf deren Funktionen und dem ihnen implizit zugrunde gelegten Geltungsbereich – bietet. Mit dem Ziel einer systematischen Funktionsanalyse und Verortungsmatrix werden die resultierenden Erkenntnisse schließlich – unter Rückgriff auf die Kollektivtheorie von Hansen20 – in einen kulturwissenschaftlichen Rahmen gesetzt. Der daran anschließende Vergleichsteil (Hauptteil II) greift ein Segment der sich hieraus ergebenden Zuschreibungstheorie auf, um die betreffenden Hypothesen anhand einer Literaturanalyse zu überprüfen. Konkret besteht diese aus der Gegenüberstellung der in amerikanischen und deutschen Business-EtiketteRatgebern festgehaltenen Umgangsformen. Der Vergleich wird folgende Fragen beantworten: Wirkt die Berufskultur stärker prägend auf das Verhalten als die angeblich unterschiedlichen Nationalkulturen? Gibt es ein internationales Kollektiv der Geschäftsleute mit länderübergreifend geteilten Verhaltensnormen? Oder sind die Unterschiede zwischen dem, was der deutsche, und dem, was der amerikanische Manager tun soll, so groß, dass die Dominanz der Landeskultur festgestellt werden muss? Im Ergebnis werden schließlich Aspekte des Benehmens identifiziert, die ähnlich oder gleich sind und solche, die von Nation zu Nation variieren. Je nachdem, ob die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten überwiegen, werden Umgangsformen schlussfolgernd als vornehmlich „kulturinvarian19 Zum Kulturkonzept der Interkulturellen Kommunikation vgl. Moosmüller 2000, S. 23. 20 Vgl. Hansen 2011; vgl. Hansen 2009a.

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te“ bzw. durch die Zugehörigkeit zur Gruppe der Geschäftsleute bestimmte oder „kulturspezifische“ und damit an die Nationalität gekoppelte Phänomene gewertet. Der Abgleich mit den sogenannten Kulturknigge oder interkulturellen Ratgebern soll zudem Aufschluss darüber geben, inwieweit sich die Aussagen der Interkulturalisten mit denen der Etikette-Experten decken und letztlich die These überprüfbar machen, nach der Umgangsformen als nationalspezifische Verhaltensregeln zwingend von Andersartigkeit und Unvereinbarkeit gekennzeichnet seien. Folglich gliedert sich die Fragestellung der Arbeit in die immer lauter werdende Kritik an der Vorstellung der Nationalkultur ein, dessen Bedeutung als Denk- und Untersuchungskategorie nach Meinung vieler gerade in einem globalisierten Zeitalter zu hinterfragen und durch neue Konzepte zu ersetzen sei.21 Denn während die ältere Interkulturelle Kommunikation von der Überzeugung lebt, „dass Kommunikation [...] sich interkulturell, also zwischen den Nationalkulturen, schwieriger und qualitativ anders gestaltet als intrakulturell, d. h. wenn sie im Lande bleibt“22, wird diese Prämisse heute – in einer von Durchdringung, Vermischung und Fluidität geprägten Zeit – von vielen Seiten angezweifelt. Die Grenzen zwischen Kulturen, davon ist man überzeugt, fallen nicht (mehr) mit politischen oder räumlichen Demarkationslinien zusammen;23 Resultat eines Prozesses, der auch als „Deterritorialisierung von Kultur“24 bezeichnet wird. Vor diesem Hintergrund bietet die vorliegende Arbeit eine alternative Herangehensweise. Zum einen wird mit einem neuen Kulturbegriff gearbeitet, der die Prägekraft der Nationalität nicht gänzlich ablehnt,25 jedoch weiter differenziert sowie ergänzende Begriffe und Konzepte anbietet. Um dem Rechnung zu tragen, werden nicht etwa Nationen, sondern zwei nationale Berufsgruppen26, im

21 Vgl. Antweiler 2009; vgl. Bommes 2000; vgl. Breidenbach 2007; vgl. Fischer 2003; vgl. Haas 2009; vgl. Hannerz 1992; vgl. Hansen 2009a; vgl. Hansen 2011; vgl. Herzog 2003; vgl. Hopper 2007; vgl. Kimmich, Schahadat 2012; vgl. Mahadevan 2007; vgl. Matthes 2000; vgl. McSweeney 2002; vgl. Moore 2005; vgl. Moosmüller 1993; vgl. Moosmüller 2000; vgl. Rathje 2006; vgl. Sassen, Gramm 2008; vgl. Welsch 2010. 22 Hansen 2011, S. 183f.; Hansen 2009a, S. 188f. 23 Vgl. Haas 2009, S. 129 und S. 136. 24 Moosmüller 2000, S. 22. 25 Vgl. Hansen 2009a, S. 113 und S. 121. 26 In seltenen Fällen wird im Vergleichsteil auf die genaue Differenzierung anhand der Berufsbezeichnung verzichtet und lediglich die Nationalität als Abgrenzungskriterium verwendet. Gemeint sind jedoch im gesamten Verlauf der Arbeit deutsche und ameri-

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Konkreten amerikanische und deutsche Geschäftsleute27, einem Vergleich unterzogen. Zum anderen wird ein bisher relativ unbeachteter Aspekt von Kultur aufgegriffen und anhand eines Literaturvergleichs – also einer Untersuchung, die nicht auf Verfahrensweisen wie Beobachtung oder Befragung beruht und insofern von deren methodologischen Problemen unberührt bleibt28 – der Versuch einer Zuschreibung unternommen. Die Auswahl der beiden Vergleichseinheiten erfolgt aufgrund der Fülle der für diese nationalen Berufsgruppen erhältlichen Etikette-Ratgeberliteratur. Zusätzlich existiert eine Vielzahl interkultureller Handbücher, die sich den potentiellen Störfaktoren im Umgang amerikanischer und deutscher Geschäftsleute miteinander widmen, was für eine diesen beiden Bezugsgruppen unterstellte Andersartigkeit und einen damit begründeten Belehrungsbedarf spricht. Auch wirtschaftliche Faktoren mögen ursächlich für das große Interesse der Interkulturalisten an der Begegnung der beiden Berufsgruppen sein, da die USA und Deutschland wichtige Handelspartner sind.29 Doch gerade diese enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, könnte die These untermauern, „dass es im deutsch-amerikanischen Geschäft [...] nicht fortlaufend zum interkulturellen GAU“30 komme. Denn von den hohen Export- und Importvolumina aus betrachtet, scheinen die Drohungen einiger Interkulturalisten ins Leere zu zielen. Diese warnen davor, dass etwa ein deutscher Manager, der ohne vorherige Aneignung kanische Geschäftsleute und niemals „die Deutschen oder „die Amerikaner“ in ihrer Gesamtheit. 27 Im Sinne einer genderneutralen und -gerechten Sprache werden in der vorliegenden Arbeit neutrale Begriffe, wie z.B. Geschäftsleute, bevorzugt. Wo dies nicht ohne Einbußen der Lesbarkeit oder Natürlichkeit der Formulierung möglich ist, wird auf die Nennung der weiblichen und männlichen Bezeichnungen verzichtet. Gemeint sind dennoch immer Autoren und Autorinnen, Geschäftsmänner und -frauen etc. 28 So Barmeyer und Genkova: „Ein Vorteil der Dokumentenanalyse gegenüber der Befragung und der Beobachtung ist, dass es sich um ein nicht-reaktives Verfahren handelt [...]. Der Untersuchungsgegenstand wird durch die Erhebungsmethode nicht verändert. Auch für eine diachrone, also historische Betrachtung, eignet sich diese Analyse. Ihr Nachteil ist, dass sie nur Auskunft über formale, diskursive Elemente gibt.“ (Barmeyer, Genkova 2010, S. 130). 29 In der Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel belegten die Vereinigten Staaten 2012 in der Kategorie Export Rang Zwei mit einem Umsatz von 86 831,1 Millionen Euro und Platz Vier (hinter Frankreich, den Niederlanden und China) mit einem Im- und Exportvolumen von 137 423,4 Millionen Euro. (Statistisches Bundesamt 22.05.2013, S. 2). 30 Oppel 2006, S. 36.

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„interkultureller Kompetenz“31 auf einen amerikanischen Geschäftsmann treffe, „den Unterschied spüren [würde] – schneller und härter als ihm lieb ist“32 und er mit einem solchen Defizit „im internationalen Wettbewerb ohne Erfolgschancen sein und Marktanteile einbüßen“33 würde. Doch im Gegensatz dazu spricht auch die Außenhandelsbilanz dafür, dass die gescheiterte Fusion von DaimlerChrysler kein generalisierbarer Inbegriff kultureller Unvereinbarkeit zwischen den beiden Nationen ist, sondern schlicht ein Paradebeispiel einer misslungenen Unternehmensfusion darstellt.

31 Def. „interkulturelle Kompetenz“: „Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und bei anderen Personen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen [...].“ (Thomas 2003, S. 143). 32 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 7; so auch Bosrock: „Without understanding your potential customers and competitors and the cultures in which they are rooted, you doom yourself to failure.“ (Bosrock 1999, S. 13). 33 Thomas et al. 2007, S. 14; so auch Otte: „Es [das Buch] will Sie für die Feinheiten in den amerikanischen Umgangsformen sensibilisieren, die den Unterschied zwischen geschäftlichem Erfolg und Mißerfolg ausmachen können.“ (Otte 1996, S. 11).

Hauptteil I: Theoretische Grundlagen

Begriffsdefinition und -abgrenzung: Umgangsformen

Von Jhering beschreibt Umgangsformen als „Normen und Formen [...], welche das Individuum in seiner persönlichen Berührung mit anderen zu beachten pflegt.“1 Diese Definition konkretisiert er an anderer Stelle hinsichtlich ihrer Funktion: „Die Umgangsformen haben nun die Bestimmung, dies Benehmen in einer Weise zu regeln, wie es der Zweck des Umgangs mit sich bringt, sie stellen den Typus des gesellschaftlich korrekten Menschen auf, wie dieses Volk und diese Zeit sich ihn denkt.“2 Als Durchsetzungsmechanismus betrachtet von Jhering „die öffentliche Meinung“.3 Was im Deutschen als „Umgangsform“ bezeichnet wird, nennt der amerikanische Soziologe Erving Goffman rule of conduct. Diese charakterisiert er als „guide for action, recommended [...] because it is suitable or just. Infractions characteristically lead to feelings of uneasiness and to negative social sanctions. [...] Always, however, a grouping of adherents will be involved – if not a corporate social life – providing through this a common sociological theme. Attachment to rules leads to a constancy and patterning of behavior [...]. Of course, approved guides to conduct tend to be covertly broken, side-stepped, or followed for unapproved reasons [...].“4

Fasst man beide Begriffsbestimmungen zusammen, so lassen sich einige grundsätzliche Merkmale von Umgangsformen bzw. rules of conduct formulieren. Zunächst handelt es sich um Vorschriften, Regeln oder Standards („Normen und Formen“, „rules“), die das Verhalten bei der Interaktion mit Anderen („in seiner 1

Von Jhering, Fischer 2004, S. 47.

2

Von Jhering 1905, S. 264.

3

Von Jhering, Fischer 2004, S. 47.

4

Goffman 1956, S. 473.

20 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER B USINESS C ULTURE

persönlichen Berührung mit anderen“) lenken sollen, also handlungsleitend wirken („guide for action“, „guides to conduct“, „Benehmen [...] zu regeln“). Das geforderte Verhalten soll dabei „gesellschaftlich korrekt“ bzw. „suitable or just“ und der Situation oder dem Verhältnis der Beteiligten zueinander angemessen sein („wie es der Zweck des Umgangs mit sich bringt“). Das allseitige Beachten von Umgangsformen verleiht dem Zusammenleben in erster Linie Beständigkeit und Ordnung („leads to a constancy and patterning of behavior“) und es bietet den Akteuren ein gewisses Maß an Normalität und Sicherheit. Dieser positiven Effekte zum Trotz werden die Regeln nicht immer befolgt („tend to be covertly broken, side-stepped“), was Sanktionen nach sich zieht („öffentliche Meinung“), d. h. ein Abweichen wird vom Rest der Gruppe in irgendeiner Form bestraft. Zusätzlich – diese beiden Einflussfaktoren sind nicht klar trennbar – existiert ein innerer Antrieb, der dazu motiviert, sich den Vorschriften zu fügen („feeling of uneasiness“). Die Umgangsformen gelten, das wurde bereits implizit erwähnt, für eine bestimmte Bezugsgruppe („a grouping of adherents“, „wie dieses Volk [...] sich ihn denkt“) und für eine bestimmte Zeit („wie [...] diese Zeit sich ihn denkt“), sind also nach Meinung von Jherings und Goffmans kulturell und historisch gesehen relativ. Von Jhering zufolge basieren Umgangsformen auf drei voneinander abzugrenzenden Prinzipien: „Anstand“, „Höflichkeit“ und „Takt“.5 Im allgemeinen Sprachgebrauch werden diese vier Begriffe (inklusive Umgangsformen) – ungeachtet ihrer unterschiedlichen Bedeutung – häufig als Synonyme verwendet.6 Doch während sich Anstand eher in Richtung der Moral bewegt7, ist die Höflichkeit8 bzw. politeness ein vor allem in der Sprachwissenschaft verwendeter Begriff, der sich dementsprechend häufig auf verbale Umgangsformen beschränkt.9 Außerdem, so wird vom Linguisten Claus Ehrhardt argumentiert, geht Höflichkeit in der ihr von der linguistischen Pragmatik zugeschriebenen Bedeutung weit über kodifizierte Verhaltensregeln hinaus.10 Ähnlich äußern sich seine Kollegen Harald Haferland und Ingwer Paul, die zwischen elementarer Höflich5

So von Jhering: „Ich habe die Anforderungen, welche die Sitte für das äußere Verhalten im gesellschaftlichen Verkehr, d.i. das Benehmen, erhebt, auf drei Grundbegriffe zurückgeführt: den Anstand, die Höflichkeit, den Takt [...], es sind dies die Maßstäbe der sogenannten feinen Sitte.“ (Von Jhering 1968, S. 79; Hervorhebung im Original).

6

Vgl. Ehrhardt 2011, S. 29.

7

Vgl. Winter-Uedelhoven 1991, S. 16.

8

Für eine Herleitung des Wortes siehe Winter-Uedelhoven 1991, S. 15f.

9

Außer bei Machwirth, der als Soziologe den Höflichkeitsbegriff auf verbale und nonverbale Kommunikation bzw. Interaktion anwendet (Machwirth 1970).

10 Vgl. Ehrhardt 2002, S. 34.

B EGRIFFSDEFINITION

UND - ABGRENZUNG :

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keit (einfachste Grundregeln), kodifizierter Höflichkeit (Etikette) und reflektierter Höflichkeit differenzieren.11 Letztere meint weit mehr als festgeschriebene Regeln, ähnelt jedoch in ihrer Beschreibung dem, was von Jhering als Takt bezeichnet. Dieser wiederum hat zum Ziel, das „Unpassende“ zu vermeiden12, wobei als unpassend gilt, was sich „mit dem Zweck des Zusammenseins, mit der Situation, mit dem persönlichen Verhältnis [nicht verträgt].“13 Alternativ könnte man in diesem Kontext etwa von Fein- bzw. Fingerspitzengefühl oder auch Diskretion sprechen. Denn mangelndes Taktgefühl offenbart beispielsweise derjenige, der während der Konversation Tabuthemen anschneidet oder dem Gegenüber mit intimen Fragen zu nahe tritt. Daneben existieren viele weitere Synonyme, wie etwa Etikette bzw. etiquette, Manieren14 bzw. „manners“15 oder Benimmvorschriften. Während sich der Begriff Etikette in erster Linie auf den schriftlich niedergelegten Kodex der Umgangsformen bezieht, sind die Bezeichnungen Manieren sowie Benehmen wertend konnotiert; sie werden insbesondere in der Form „gute Manieren haben“ bzw. „etwas manierlich tun“ oder „gutes Benehmen an den Tag legen“ verwendet. Es liegt in der Natur der Sache, dass die meisten Synonyme und die mit Umgangsformen in Verbindung stehenden Begriffe normativ sind. Eine der wenigen deskriptiven Ausnahmen ist der Begriff der „Interaktionsrituale“16, der im Mittelpunkt der deutschen Übersetzungen der Werke Goffmans steht. Tatsächlich, das wird auch in der Sekundärliteratur immer wieder angedeutet,17 weisen Umgangsformen Parallelen zu Ritualen auf. Das betrifft etwa deren Struktur („gleichförmige Wiederholung“18, „kollektiv ausgeführte Handlungsabläufe“ und

11 Vgl. Haferland, Paul 1996, S. 26. 12 Von Jhering 1968, S. 85. 13 Von Jhering 1968, S. 87; Hervorhebung im Original. 14 Für eine Herleitung der Begriffe „Etikette“ und „Manieren“ siehe Winter-Uedelhoven 1991, S. 15f. 15 Vgl. Emerson 2005; vgl. Emerson 1983, S. 1037. 16 Vgl. Goffman 1971; vgl. Goffman 2006; vgl. Hartmann 1973, S. 133. 17 Vgl. Dücker 2007, S. 10; vgl. Hemphill 1999, S. 3. 18 Singer 2010, S. 20; so auch Hartmann: „Rituale lassen sich weiter als relativ stabile handlungsmuster charakterisieren, die der inszenierung einer interaktion zugrundeliegen. Diese muster sind grundsätzlich wiederholbar und gelten daher, was ihren ablauf betrifft, als vorhersagbar.“ (Hartmann 1973, S. 142; Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung im Original).

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„Modelle[...] und Spielregeln des sozialen Verhaltens“19) sowie Bedeutung („unterstützen die soziale Ordnung“, „Normalität und Normativität“20). Obwohl der Begriff Umgangsformen in der vorliegenden Arbeit bevorzugt verwendet wird, werden an einigen Stellen die oben erläuterten Termini – ihrer feinen Unterschiede zum Trotz – als mehr oder weniger synonyme Umschreibungen für Umgangsformen benutzt. Was das Wesen und die Funktion von Ugangsformen angeht, so werden die beiden einleitenden Definitionen Goffmans und von Jherings im Folgenden konkretisiert und ergänzt.

19 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 580. 20 Dücker 2007, S. 18.

Forschungsbericht: Die Literatur zu Umgangsformen

Ziel dieses Forschungsberichts ist es, einen Überblick über die bisherige wissenschaftliche Betrachtung von Umgangsformen zu geben und den Erkenntnisstand zur Fragestellung der vorliegenden Arbeit in Bezug zu setzen. Nach einer kurzen Beschreibung der Forschungssituation wird hierzu in einem ersten Teilabschnitt auf die Funktionen, die Umgangsformen nach Meinung der Autoren erfüllen, eingegangen, wobei auch die historische Entwicklung Berücksichtigung findet. Es wird gezeigt, dass Umgangsformen in einem Spannungsverhältnis zwischen Routine, Werthaftigkeit und Distinktion stehen – drei Konzepte, die auf ihre funktionelle Bedeutung und auf ihre Relation zueinander hin zu untersuchen sind. Im Anschluss daran wird der Geltungsbereich von Umgangsformen in den Blick genommen und reflektiert. Es wird überprüft, welcher Ebene Umgangsformen in der Sekundärliteratur zugeschrieben werden; d. h. ob die Autoren beispielsweise von nationalspezifischen Manieren ausgehen oder eine differenziertere Sichtweise vertreten und sowohl Verhaltensunterschiede innerhalb des umfassenden Gebildes Nation erkennen als auch Gemeinsamkeiten zwischen Nationen feststellen. Diese Frage zu klären, ist letztendlich der Zweck der vorliegenden Arbeit, sodass das Problem des Geltungsbereichs einen wichtigen Bestandteil derselben darstellt.1

1

Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit werden beide Aspekte (Funktionen und Geltungsbereich) getrennt voneinander behandelt. Es steht jedoch außer Frage, dass etwa die Distinktionsfunktion bereits einen definierten Geltungsbereich voraussetzt.

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Z UR F ORSCHUNGSSITUATION Im Jahr 1905 beklagt von Jhering das Desinteresse der Wissenschaft an Umgangsformen: „Sache der Wissenschaft wäre es gewesen, auch hier wie überall das bloße Kennen zum Wissen zu erheben. Aber die Aufgabe lag für sie zu tief unter dem Niveau des wissenschaftlich Wissenswerten. Soll die Wissenschaft untersuchen, warum wir uns grüßen, warum wir uns erheben, wenn jemand ins Zimmer tritt, warum wir uns nicht mit Du, sondern mit Sie anreden? Das sind Nichtigkeiten, Äußerlichkeiten, um die sich die wissenschaftliche Erkenntnis nicht zu bekümmern hat.“2

Die Ironie des letzten Satzes fände auch im Jahr 1999 noch Unterstützung bei den amerikanischen Historikern John F. Kasson und Mark Caldwell, die ebenfalls auf die Vernachlässigung von Umgangsformen in ihrer Disziplin hinweisen.3 Caldwell sieht das zögerliche Aufgreifen dieses Themas in der mangelnden Greifbarkeit des zu untersuchenden Gegenstandes und der daraus resultierenden schwierigen Datenerhebung und -auswertung begründet: „Civility and rudeness play themselves out just where the academic hesitates to go, among the unmeasurables of daily life, in anecdotes, in random events and imperfectly recorded human exchanges that may often seem unreadable, too eccentric and evanescent for systematic analysis.“4

Doch das Desinteresse trifft inzwischen – nachdem sich wichtige Autoren wie Erving Goffman, Norbert Elias und Cas Wouters zu dem Thema geäußert haben – nicht mehr zu. Vom heutigen Standpunkt aus kann die Literatur zu Umgangsformen wie folgt beurteilt werden: Detailreiche und empirische Monographien zum Thema gibt es kaum, doch liefert die vorhandene Sekundärliteratur, die sich u.a. auch aus Dissertationen und Zeitschriftenaufsätzen zusammensetzt, wertvolle Erkenntnisse. Einig ist man sich dabei nicht. Doch es werden Eckpunkte festgelegt, zwischen denen das Problem heute noch zu erörtern ist. Diese Eckpunkte, die Funktion von Umgangsformen betreffend, lauten Routine, Werthaftigkeit und Distinktion.

2

Von Jhering 1905, S. 259f.; vgl. von Jhering 1905, S. 258; vgl. von Jhering 1968, S. 78.

3

Vgl. Kasson 1990, S. 4 und S. 9; vgl. Caldwell 1999, S. 6f.

4

Caldwell 1999, S. 6f.

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F UNKTIONEN : R OUTINE , W ERTHAFTIGKEIT UND D ISTINKTION Routine Dass Umgangsformen als Routine fungieren, ist eine These der Soziologen Hedwig Winter-Uedelhoven, Erving Goffman, Eckart Machwirth, Roland Burkart und Norbert Elias sowie der beiden Linguisten Haferland und Paul. Nach Meinung Winter-Uedelhovens sind beim Phänomen der Routine zwei einander bedingende Aspekte zu unterscheiden: Zum einen bietet sie Handlungssicherheit, zum anderen ermöglicht sie, das Verhalten der Mitmenschen vorherzusagen: „Etikettenormen […] erleichtern den Umgang, indem sie eine Ordnung vorgeben und Orientierung bieten. Der einzelne muß nicht mehr in der Fülle alltäglicher Entscheidungen selbst viele Urteile fällen, sondern kann auf vorgeformte Verhaltensmuster zurückgreifen, die er in der Regel unbewußt und unreflektiert übernimmt und die daher einen Automatismus des Verhaltens gestatten, der auch das Verhalten der Mitmenschen besser einschätzbar macht.“5

Auf eben diesen „Automatismus des Verhaltens“ zielt auch Goffman ab, wenn er schreibt: „In fact, most actions which are guided by rules of conduct are performed unthinkingly, the questioned actor saying he performs ‚for no reason‘ or because he ‚felt like doing so‘.“6 Die hier beschriebene Routine ist eine Notwendigkeit des Alltags. Eine wiederkehrende Situation stets aufs Neue zu erfassen, zu beurteilen und sich jedes Mal ein passendes Verhalten auszudenken, wäre außerordentlich zeitraubend für die Akteure.7 Stattdessen wird durch Umgangsformen der Rahmen der Verhaltensmöglichkeiten abgesteckt8 und das Zurückgreifen auf erlernte Muster erlaubt ein routiniertes – also schnelles und sicheres – Handeln. Auf der anderen Seite, so argumentiert Machwirth, tragen Umgangsformen dazu bei, dass „Begegnungen bis zu einem gewissen Grad objektiv vorbereitbar und durchführbar und nicht nur eine Folge subjektiver Faktoren oder imponde-

5

Winter-Uedelhoven 1991, S. 79.

6

Goffman 1956, S. 474.

7

Vgl. Visser 1991, S. 21f.

8

Vgl. Janney, Arndt 2005, S. 22.

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rabiler Zufälligkeiten [sind].“9 Gleicher Ansicht sind Haferland und Paul, die in ihrer „Theorie zur Höflichkeit“10 (1996) die „Neutralisierung wechselseitiger Kontingenz“ als Funktion von Interaktionsritualen hervorheben und wie folgt beschreiben: „Kontingenz meint hierbei die Unvorhersagbarkeit dessen, was ein Partner als nächstes tun wird. Wird ein solcher Zustand wechselseitig wahrgenommen, so kann das für beide Partner bedrohlich oder beängstigend sein und den Verlauf der Interaktion blockieren oder behindern. [...] Die […] wechselseitige Kontingenz wird durch Interaktionsrituale zwar nicht beseitigt, aber doch bis auf weiteres neutralisiert. Nachdem man einander begrüßt hat, ist nicht mehr ganz unvorhersagbar, was der jeweilige Partner tun wird – man hat sich erst einmal auf ein friedliches Verhalten festgelegt.“11

Eben diese Erwartungssicherheit beschreibt auch Burkart, indem er Umgangsformen als „‚Protokolle‘ für das zu erwartende Geschehen“ und „‚Sicherheitskorridor‘ für den Ablauf konkreter Begegnungen“12 bezeichnet. Elias nähert sich dem Aspekt des Verhaltensautomatismus und konkret der Erwartungssicherheit aus einem historischen Blickwinkel heraus. Er argumentiert in seinem Standardwerk Über den Prozess der Zivilisation13 (1939), Umgangsformen wären seit dem späten Mittelalter oder der frühen Renaissance Ausdruck einer verstärkten „von Fremdkontrollen unabhängigen, als selbsttätiger Automatismus eingebauten Selbstkontrolle“14, die in erster Linie aus dem Zwang entsteht, „die Wirkung seiner Handlungen oder die Wirkung der Handlungen von Anderen […] zu bedenken.“15 Mit aus der Psychologie entliehenen Begriffen wie „Über-ich“ oder „verinnerlichte/internalisierte Selbstkontrolle“16 beschreibt er eben diesen Verhaltensautomatismus, der das Einhalten bestimmter Umgangsformen von der Einwirkung direkter Fremdzwänge unabhängig macht. Das Erfordernis, das eigene und fremde Verhalten weniger von spontanen Affekten abhängig und damit vorhersehbar zu machen, ist mit Elias die notwendige 9

Machwirth 1970, S. 4; vgl. Winter-Uedelhoven 1991, S. 79; so auch Thiedermann: „Etiquette lets us know what to expect in the behavior of others.“ (Thiederman 1991, S. 144).

10 Haferland, Paul 1996. 11 Haferland, Paul 1996, S. 41f. 12 Burkart 2008, S. 37. 13 Elias 1969a. 14 Elias 1969a, S. LXI. 15 Elias 1969b, S. 321f. 16 Elias 1969a, S. LXI.

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Folge eines ausgeprägten „Interdependenzgeflecht[s] […], in das der Einzelne mit der fortschreitenden Funktionsteilung versponnen ist.“17 Dieser Automatismus manifestiert sich jedoch nicht nur in Umgangsformen, er dient umgekehrt auch deren Reproduktion, indem er bestimmte Verhaltensweisen als selbstverständlich wirken lässt oder, wie Elias es ausdrückt, einen „Abdruck der Gesellschaft im Innern“ darstellt: „Der gesellschaftliche Standard, in den der Einzelne zunächst von außen, durch Fremdzwang, eingepaßt worden ist, reproduziert sich schließlich in ihm mehr oder weniger reibungslos durch Selbstzwang […].“18 Obwohl es die Autoren nicht „Routine“ nennen, kann man die von ihnen beschriebene Verhaltens- und Erwartungssicherheit unter diesem Begriff subsumieren. Arnold Gehlen, einer der Hauptvertreter der philosophischen Anthropologie, hat das Konzept der Routine treffend beschrieben und weithin bekannt gemacht. Gehlens Theorie der „Institutionen“ kann wie folgt zusammengefasst und auf Umgangsformen übertragen werden: Da Menschen im Gegensatz zu Tieren handlungsleitende Instinkte fehlen19, muss auf anderem Wege Verhaltenssicherheit und -selbstverständlichkeit geschaffen werden. Zu diesem Zweck werden Institutionen oder Gewohnheiten entwickelt, welche die „konstitutionelle Plastizität der menschlichen Antriebe, die unendliche potentielle Variabilität der Handlungen und die Unerschöpflichkeit der Dingansichten“20 begrenzen. Im Ergebnis wird durch Institutionen das Handeln routinisiert oder gar automatisiert21 und damit für innere, also psychische, und äußere Stabilität bzw. Integration der Gruppe gesorgt. Institutionen oder konkret Umgangsformen, so ließe sich mit Gehlen folgern, gestatten einen „Automatismus des Verhaltens“22 und entlasten so den Einzelnen „von der subjektiven Motivation und von dauernden Improvisationen fallweise zu vertretender Entschlüsse“23. 17 Elias 1969b, S. 321f. und S. 368. 18 Elias 1969a, S. 173f. 19 Vgl. Gehlen 1956, S. 23; so auch an anderer Stelle: „[...] zu der Einsicht vordringen, daß ein solches praktisches Gewohnheitsverhalten beim Menschen an der Stelle steht, wo wir beim Tier die Instinktreaktion finden. Denn ein präzises, eindeutiges, voraussehbares, auf Dauer gestelltes Tun, über das sich der soziale Kontakt abwickelt, das sich also im Gegeneinander stabilisiert, finden wir in erster Linie hier, und zwar in jeder Höhenlage.“ (Gehlen 1956, S. 26). 20 Gehlen 1956, S. 23. 21 So Gehlen: „Alles gesellschaftliche Handeln wird nur durch Institutionen hindurch effektiv, auf Dauer gestellt, normierbar, quasi-automatisch und voraussehbar.“ (Gehlen 1956, S. 48). 22 Gehlen 1956, S. 47. 23 Gehlen 1956, S. 48f.

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Auch Haferland und Paul beziehen sich, wenn auch implizit, in ihrer Argumentation auf Gehlen, wenn sie die „wechselseitige Kontingenz“ als Ergebnis der menschlichen „Instinktreduktion“ betrachten: „Anders als bei Tieren tritt bei Menschen instinktgeleitetes Verhalten zurück, der Spielraum frei gewählten Verhaltens wird größer, und Verhalten überhaupt wird zwischen Kommunukationspartnern [sic!] in ungleich höherem Maße voneinander abhängig.“24 Die hieraus entstehende Zufälligkeit oder Beliebigkeit einzudämmen, betrachten die beiden Linguisten als vorrangige Aufgabe von Interaktionsritualen bzw. Höflichkeit.25 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Konzept der Routine, so wie es von Gehlen formuliert wurde, im Einklang mit den eingangs dargestellten Annahmen der Sekundärliteratur steht und dass der durch Umgangsformen ermöglichte Verhaltensautomatismus womöglich als eine ihrer Hauptfunktionen gelten kann. Moral und Werte Der These von der Routine steht eine Gegenthese diametral entgegen, die behauptet, dass Umgangsformen im Dienste der Moral stehen.26 „There can be no high civility without a deep morality“27, schreibt etwa der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson und reiht sich damit in den Kreis derer ein, die einen Zusammenhang zwischen Umgangsformen und Werten oder Moral28 herstellen. Grenzt man Moral und Werte voneinander ab, so könnte man Moral als „System von Normen zur Beurteilung von individuellem oder sozialem Verhal24 Haferland, Paul 1996, S. 41f. 25 Vgl. Haferland, Paul 1996, S. 41f. 26 Auch wenn in der Literatur der durch Umgangsformen bewirkte „Automatismus des Verhaltens“ durchwegs positiv bewertet wird, ließe sich einwenden, dass eine Handlung „zur Routine erstarrt“ sein könnte, also die bewusste und willentliche Kommunikation eines Inhalts hinter die schlichte Bekenntnis zur Form zurücktritt. Eben diese Frage nach dem Wert- oder Moralgehalt von Umgangsformen wird in der Sekundärliteratur besonders häufig aufgeworfen und eingehend diskutiert. 27 Emerson 1940, zit. nach Davetian 2009, S. 495; Def. civility: „formal politeness and courtesy in behavior or speech.“ (Stevenson, Lindberg 2010, S. 317); Def. morality: „a particular system of values and principles of conduct, esp. one held by a specified person or society.“ (Stevenson, Lindberg 2010, S. 1136). 28 Def. Moral: „[D]ie Gesamtheit der Anschauungen und Normen; von denen die Menschen in ihrem praktisch-sittlichen Verhalten gesteuert werden.“ (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 456).

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ten als ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, ‚gut‘ oder ‚böse‘ […]“ definieren, wobei diese Bewertung auf der Basis „spezifischer religiös-weltanschaulicher Orientierungen und soziokultureller Werte“29 erfolgt. Entsprechend der von Seiten der Soziologie vorgeschlagenen Wertklassifizierung könnte man hier auch von „Grund- und Idealwerten“30 sprechen, die, beispielsweise bei dem Soziologen Bernhard Schäfers, den „instrumentellen Werten“ gegenübergestellt werden: „Grund-W[erte] als höchste, ‚letzte‘, nicht weiter hinterfragbare W[erte] (z. B. Freiheit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe) hängen eng mit dominierenden Glaubensvorstellungen, Weltanschauungen und den Herrschaftsverhältnissen einer Gesellschaft zusammen und bilden die Rechtfertigung für ‚abgeleitete‘ instrumentelle W[erte] (z. B. berufliche Leistung), die einen stärkeren Handlungsbezug aufweisen.“31

Sucht man nach einer Spezifizierung des übergeordneten Wertbegriffs, wird man in soziologischen Lexika fündig. Zumeist bezieht man sich hier auf die Definition von Clyde Kluckhohn, die lautet: „A value is a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable which influences the selection from available modes, means, and ends of action.“32 Was wörtlich als „Auffassung des Wünschenswerten“ übersetzt werden kann, wird an anderer Stelle als „allg[emeine] Zielvorstellung und Orientierungsleitlinie für menschl[iches] Handeln“33 oder auch als „Maßstab, der das Handeln lenkt“34 bezeichnet. Unsere Handlungsweise bzw. unser Verhalten35 – sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene – würden demnach von Werten bestimmt; eine These, die nahe legt, dass auch zwischen Umgangsformen und Werten eine Verbindung besteht. Was das Verhältnis von Werten und Moral betrifft, so bleibt festzuhalten, dass Werte den oben beschriebenen Antagonismus von „gut“ und „böse“36 – Adjektive, die im Allgemeinen als Kennzeichnung dessen dienen, was dem Inhalt der Moral entspricht oder widerspricht – nicht zwingend in sich tragen. Ein Wert kann auch unabhängig von einer mo29 Hillmann, Hartfiel 2007, S. 589. 30 Hillmann 2003, S. 56; hier in Abgrenzung zu „prosozialen Werten und Tugenden“. 31 Schäfers, Gukenbiehl 2000, S. 435; Hervorhebung im Original. 32 Kluckhohn 1967, S. 395. 33 Hillmann, Hartfiel 2007, S. 962. 34 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 752. 35 Nach Max Weber müssten Handeln und Verhalten voneinander abgegrenzt werden; in diesem Zusammenhang werden beide Begriffe jedoch synonym verwendet. Zur näheren Differenzierung vgl. Hansen 2011, S. 101–110. 36 Vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 589.

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ralischer Beurteilung existieren, also weder richtig noch falsch sein, sondern schlicht etwas allgemein „Wünschenswertes“37 darstellen. An der eingangs zitierten Textpassage lässt sich jedenfalls festmachen, dass Emerson Höflichkeit oder Kultiviertheit in einer moralischen Gesinnung begründet sieht. Ginge man von einem Moralverständnis aus, das in der Moral die Gesamtheit anthropologischer Grundwerte sieht, ließe sich folgern, dass Emerson Höflichkeit in allgemeinmenschlichen Werten begründet sieht. Doch diese überaus positive Sichtweise des amerikanischen Philosophen findet nur beschränkt Zustimmung in der vorliegenden Sekundärliteratur. Von Jhering, der zu den großen Befürwortern der wissenschaftlichen Untersuchung von Umgangsformen gehört38, nimmt sich den Konventionen des Umgangs aus soziologischer Sicht an und leistet mit seinen Abhandlungen über Sitte, Takt und Umgangsformen im engeren Sinn einen Beitrag zur theoretischen Erkenntnisgewinnung. Ungeachtet seiner Begeisterung für die Thematik hält er jedoch die „ethische Bedeutung der Umgangsformen […] nur [für] eine mittelbare“ und sieht hierin einen Gegensatz zu Recht und Moral, deren Vorschriften „das an sich Gute oder Sittliche zum Gegenstand“ hätten, während die Konventionen des Umgangs lediglich dazu bestimmt wären, dieses zu fördern und demnach eine „sittlich-adminikulierende Funktion“ inne hätten.39 Diese These bekräftigt von Jhering an anderer Stelle, wenn er „die Sitte [als] die Sicherheitspolizei des Sittlichen“40 beschreibt: „Wie die Sicherheitspolizei sich zur Strafrechtspflege, so verhält sich die Sitte zur Moral, beide haben lediglich einen prophylaktischen Zweck, sie verbieten nicht das Schädliche, sondern das Gefährliche.“41 So trügen beispielsweise die durch Umgangsformen eingeforderte Selbstbeherrschung und Unterordnung unter bestehende Verhaltensrichtlinien dazu bei, eine allgemeine Normkonformität sicherzustellen.42 Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der moralischen Gesinnung des handelnden Individuums lasse sich allerdings nicht herstellen, wie von Jhering auch an den Begrifflichkeiten zu erkennen glaubt:

37 Vgl. Kluckhohn 1967, S. 395. 38 Vgl. von Jhering, Fischer 2004, S. 49; vgl. von Jhering 1968, S. 78; vgl. von Jhering 1905, S. 258. 39 Von Jhering 1905, S. 270f. 40 Von Jhering, Fischer 2004, S. 9f.; von Jhering verwendet „Sitte“ u.a. als Überbegriff für Umgangsformen (vgl. von Jhering 1905, S. 270f.). 41 Von Jhering, Fischer 2004, S. 9f. 42 Vgl. von Jhering, Fischer 2004, S. 60.

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„Die Sprache hat diese ihre bloß mittelbare ethische Bedeutung richtig getroffen, indem sie dieselben als bloße Formen bezeichnet. […] Überall wiederholt sich in der Terminologie der Sitte der Gegensatz des Äußeren zum Inneren, der Form zum Inhalt, überall scheidet die Sprache ganz genau das dem inneren Sittengesetz Entsprechende: das Moralische, Sittliche von dem dem äußeren Entsprechenden: der feinen Sitte, dem guten Ton, der guten Lebensart, dem Anstande, dem Sittsamen, der Höflichkeit.“43

Doch obgleich von Jhering Umgangsformen offenbar einen direkten moralischen Gehalt abspricht, diese folglich nicht als Ausdruck eines konkreten moralischen Wertes betrachtet, sondern ihnen lediglich eine das zivilisierte Verhalten fördernde Wirkung attestiert, erklärt er an anderer Stelle, „das Motiv aller Umgangsformen [sei] die Rücksicht auf andere“.44 Diese Aussage wird in ihrer Allgemeingültigkeit allerdings durch die Gegenüberstellung von „echten und unechten Anstandsregeln“45 beschränkt, insofern als dass nur „echte Anstandsregeln“ die Rücksicht auf Andere zum Ausdruck brächten, während „unechte Anstandsregeln“ lediglich der „Abscheidung der höheren Stände von den niederen“ dienen und „das konventionelle Abzeichen, das Schiboleth46 der vornehmen Gesellschaft“ bilden würden.47 Sieht man in der Rücksichtnahme den Mitmenschen gegenüber ein wertgesteuertes Verhalten, so zeigt sich hier eine weitere Differenzierung in von Jherings Argumentation, da er offenbar in bestimmten Umgangsformen sehr wohl eine moralische Dimension erkennt. Bezüglich der „echten Anstandsregeln“ scheint der Jurist mit Emerson übereinzustimmen, was jedoch die „unechten Anstandsregeln“ angeht, so sieht er die Funktion vielmehr in der Distinktion begründet. Diese vielschichtige Ansicht weist von Jhering eine Mittlerposition im Streit um die Werthaftigkeit von Umgangsformen zu. Gleiches gilt für den deutschen Philosophen Immanuel Kant, dessen Anthropologie in pragmatischer Hinsicht48 (1798) im Kapitel „Von dem erlaubten moralischen Schein“49 und in einem weiteren zum Geschmack50 höflichen Verhaltensformen ebenfalls eine die Moral fördernde Funktion zuschreibt. Kant stimmt mit von Jhering darin überein, dass Umgangsformen vordergründig „nichts als 43 Von Jhering 1905, S. 270f.; vgl. von Jhering, Fischer 2004, S. 59. 44 Von Jhering 1905, S. 272. 45 Von Jhering 1905, S. 278f. 46 Def. Schiboleth: „Schibboleth, das; [...] (bildungsspr. selten): Kennzeichen“ (Drosdowski 1995, S. 2914; Hervorhebung im Original). 47 Von Jhering 1905, S. 279. 48 Kant 2000. 49 Kant 2000, S. 40ff. 50 Vgl. Kant 2000, S. 158f.

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schöner Schein“ und „leere Zeichen“ und keinesfalls Ausdruck einer moralischen Gesinnung seien.51 Dennoch ist Höflichkeit mit Kant weit entfernt davon, Betrug zu sein, „weil ein jeder weiß, wofür er sie nehmen soll“.52 Allein die Bereitschaft, die einem jeden zugewiesene Rolle zu spielen, stellt für Kant bereits einen „Beitrag zur Zivilisierung und einen Schritt zur Moral“53 dar und die zudem bestehende Möglichkeit, dass „diese anfänglich leeren Zeichen des Wohlwollens und der Achtung nach und nach zu wirklichen Gesinnungen dieser Art hinleiten“54, lassen Kant Umgangsformen als nützliche Institution im Miteinander der Menschen betrachten: „Alle menschliche Tugend im Verkehr ist Scheidemünze55; ein Kind ist der, welcher sie für echtes Gold nimmt. Es ist doch aber besser, Scheidemünze, als gar kein solches Mittel im Umlauf zu haben, und endlich kann es doch, wenngleich mit ansehnlichem Verlust, in bares Gold umgesetzt werden.“56

Im Gegensatz zu von Jhering und Kant, die mit ihren sehr differenzierten Ansichten einen Mittelweg in der Diskussion um die Werthaftigkeit von Umgangsformen einschlagen, nimmt Goffman eine zu Emersons Position konträre Haltung ein, indem er Umgangsformen jeglichen Wert- oder Moralgehalt aberkennt. In einem Aufsatz aus dem Jahr 195657 unterscheidet er zwischen zwei Kategorien von Verhaltensregeln, die er mit den gegensätzlichen Begriffen substance und ceremony58 umschreibt. Eine „inhaltliche Regel“59 definiert Goffman wie folgt: „A substantive rule is one which guides conduct in regard to matters felt to 51 Vgl. Kant 2000, S. 41. 52 Kant 2000, S. 41. 53 Keller 2008, S. 112. 54 Kant 2000, S. 41; so auch an anderer Stelle: „Denn dadurch, daß Menschen diese Rolle spielen, werden zuletzt die Tugenden, deren Schein sie eine geraume Zeit hindurch nur gekünstelt haben, nach und nach wohl wirklich erweckt und gehen in die Gesinnung über.“ (Kant 2000, S. 40); so auch von Jhering: „Es ist nicht wahr, daß diese Erziehung bloß die Schale glättet; mit der Schale trifft sie zugleich den Kern, indem sie ihm unvermerkt Stoffe zuführt, die er sich aneignet.“ (Von Jhering, Fischer 2004, S. 60). 55 Def. „Scheidemünze“: „Scheidemünze, die [...] (Geldw. veraltet): Münze mit geringem Wert“ (Drosdowski 1995, S. 2904; Hervorhebung im Original). 56 Kant 2000, S. 41f. 57 Goffman 1956. 58 Goffman 1956, S. 476. 59 So die deutsche Übersetzung für substantive rule (vgl. Goffman 2006, S. 321).

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have significance in their own right, apart from what the infraction or maintenance of the rule expresses about the selves of the persons involved.“60 Solche Richtlinien, deren Bedeutung sich ohne weiteres erschließt, die also, so könnte man daraus folgern, einen Wertgehalt aufweisen, sieht der Soziologe allerdings allein im Recht, der Moral und der Ethik verankert.61 Hier zeigt sich, dass Goffman – anders als von Jhering, der zwar ebenfalls eine Unterscheidung, jedoch keine derart strikte Trennung zwischen Verhaltensregeln moralischer und nichtmoralischer Natur vornimmt, – einen Dualismus vertritt. Denn die Etikette, so seine Meinung, umfasse nur „zeremonielle Regeln“62, bei denen die expressive und damit distinktive Komponente im Vordergrund stehe63: „A ceremonial rule is one which guides conduct in matters felt to have secondary or even no significance in their own right, having their primary importance – officially anyway – as a conventionalized means of communication by which the individual expresses his character or conveys his appreciation of the other participants in the situation.“64

Die inhaltliche Relevanz von Umgangsformen wird folglich als zweitrangig oder nicht existent erachtet, vielmehr handele es sich – wie der Name schon sagt – um ritualisierte, veräußerlichte Symbole, die dem Charakter des handelnden Individuums oder dessen Wertschätzung für sein Gegenüber Ausdruck verleihen sollen. Besonders deutlich werde diese fehlende Werthaftigkeit bei den in der Etikette festgeschriebenen „Achtungsbekundungen“65, wie dem obligatorischen Tür-Aufhalten oder In-den-Mantel-Helfen, die allesamt nicht „wörtlich“ zu nehmen seien66, da hinter ihnen keine tatsächliche Demonstration von Werten oder Moral zu vermuten sei: „Folglich findet man viele Akte der Ehrerbietung, in denen nur noch rudimentäre Spuren des ursprünglichen Sinns enthalten sind. Sie sind nur noch eine Handlung, für die sich

60 Goffman 1956, S. 476. 61 Vgl. Goffman 2006, S. 322. 62 So die deutsche Übersetzung für ceremonial rule (vgl. Goffman 2006, S. 321). 63 Vgl. Goffman 2006, S. 322. 64 Goffman 1956, S. 476. 65 Def. „Achtung“: „Ehrerbietung, deference, bei E. Goffman die Handlungskomponente, durch die symbolisch dem Interaktionspartner Wertschätzung übermittelt wird.“ (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 16; Hervorhebung im Original). 66 Vgl. Goffman 2006, S. 325.

34 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER B USINESS C ULTURE niemand mehr engagiert und die eine Wertschätzung beinhaltet, die eigentlich schon keiner mehr erwartet.“67

Goffmans Wortlaut legt nahe, dass diese „Akte der Ehrerbietung“ in der Vergangenheit sehr wohl eine moralische Dimension inne gehabt haben könnten, diese jedoch möglicherweise einem Wertewandel zum Opfer gefallen oder schlicht dem Bewusstsein der Akteure entglitten sei. Was veranlasst dann aber die Akteure dazu, ihr Verhalten bestimmten Konventionen des Umgangs zu unterwerfen? Auch wenn Goffman an dieser Stelle keine alternative Funktion von Umgangsformen anbietet, könnte man hier die bereits beschriebene Routine heranziehen und argumentieren, dass Benimmregeln in erster Linie aus Gewohnheit befolgt werden. Bestätigt und konkretisiert wird diese Annahme bei Elias, welcher der Überzeugung ist, scheinbar „moralische Gründe“ von Umgangsformen fungierten lediglich als „Konditionierungsmittel“: „Die Modellierung durch solche Mittel ist darauf abgestellt, das gesellschaftlich erwünschte Verhalten zu einem Automatismus, einem Selbstzwang zu machen und es im Bewußtsein des Einzelnen als von ihm selbst aus eigenem Antrieb, nämlich um […] seiner eigenen menschlichen Würde willen, so gewolltes Verhalten in Erscheinung treten zu lassen.“68

Moral und Routine greifen demnach insofern ineinander, als die vermeintlich moralische Bedeutung bestimmter Verhaltensregeln den Gewöhnungsvorgang vereinfacht und eine vollständige Internalisierung sicherstellt. Was eingangs bereits angedeutet wurde, wird hier noch einmal erkennbar: Bezüglich der Funktionen von Umgangsformen ist man sich in der Sekundärliteratur uneinig. In der Frage nach der Werthaftigkeit von Umgangsformen lassen sich zusammenfassend drei Positionen festhalten. Emerson ist als Einziger davon überzeugt, dass Umgangsformen und Moral untrennbar sind. Auf der anderen Seite stehen Goffman und Elias, welche die Werthaftigkeit der Benimmregeln nicht nur anzweifeln, sondern klar negieren, wobei Elias die vermeintlich moralischen Begründungen sogar als Konditionierungsmittel enttarnt, sich also für die Routine als vorrangige Funktion von Umgangsformen ausspricht. Keinem dieser beiden Extreme zuzuordnen sind von Jhering und Kant, da sie die Auffassung vertreten, Umgangsformen würden der Moral zuarbeiten, wenngleich sie nicht unmittelbar auf moralischen Grundsätzen beruhen. 67 Goffman 2006, S. 325. 68 Elias 1969a, S. 204.

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Entkopplung von Moral und Manieren im historischen Verlauf Die Aussage Goffmans, nach der in Umgangsformen nur noch „rudimentäre Spuren des ursprünglichen Sinns“69 zu erkennen seien, deutet darauf hin, dass Umgangsformen in ihrer Entstehung auf Werten beruht haben könnten. Wenn dem so ist, bleibt zu fragen, wann und warum es zu einer Entkopplung von Moral und Manieren kam. Die Sekundärliteratur bietet auch hier wichtige Erkenntnisse. Zu nennen wäre in diesem Kontext beispielsweise Machwirth, der in seiner Dissertation zur Höflichkeit70 (1970) ihre geschichtliche Entwicklung in Deutschland und Europa nachzeichnet. Er beginnt seine Ausführungen im Mittelalter, genauer im 12. und 13. Jahrhundert, als „die ritterlich-höfischen Kreise um die großen Feudalherren den sozialständischen Untergrund für die Herausbildung der Formen der ‚courtoisie‘ und der ‚hovelichkeit‘“71 bildeten. Zu jener Zeit, so die These Machwirths, wurden Umgangsformen als direkter Ausdruck von Werten verstanden: „Charakteristisch für jenes erste Entwicklungsstadium ist die Tatsache, daß Höflichkeit und Tugend noch nicht voneinander zu trennen sind. Sitte, Sittlichkeit und Moralität hängen noch aufs engste zusammen und decken sich auf weite Strecken. [...] Die Lehre von der hövescheit umfaßt den ganzen Menschen, das Innere wie das Äußere.“72

In der darauf folgenden Phase, der „Epoche der bürgerlichen Verhaltenslehren“, die der Soziologe zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert – dem Zeitalter der Renaissance und der Reformation – fixiert, lag der Schwerpunkt auf dem „äußeren Anstand“.73 Gewahrt wurde dieser durch „die Zügelung vorwiegend aller Triebäußerungen und Primärreaktionen“74, und zwar laut Machwirth aus Gründen gegenseitiger Rücksichtnahme der Bürger. Zu den wohl berühmtesten europäischen Autoren dieser Zeit gehörte der niederländische Gelehrte Erasmus von Rotterdam, der mit seinem zum Klassiker avancierten Werk De civilitate morum puerilium (1530) einen entscheidenden Beitrag zur Entkopplung von Moral und Umgangsformen leistete: „Höflichkeit nimmt von nun an die Bedeutung des äußeren Benehmens, der äußeren Gesittung, der Manieren an.“75

69 Goffman 2006, S. 325. 70 Machwirth 1970. 71 Machwirth 1970, S. 17ff. 72 Machwirth 1970, S. 17ff. 73 Machwirth 1970, S. 20f. 74 Machwirth 1970, S. 20f. 75 Machwirth 1970, S. 22.

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Begründen ließe sich diese Loslösung aus dem Charakter des frühen Bürgertums heraus. Geprägt von Feudalismus und Ständegesellschaft fehlte es dieser neuen Schicht, die weder wirtschaftlich noch kulturell klar definiert war, an Selbstbewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl. Einer solchen Solidarität könnten die einfach zu erlernenden Benimmregeln insofern zuträglich gewesen sein, als sie als inkludierendes und distinguierendes Mittel dienten. Steht jedoch die Demonstration der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht im Vordergrund, weicht die Werthaftigkeit einer veräußerlichten Formalität. Diese Entwicklung setzte sich im 17. Jahrhundert fort, als die sich stetig stabilisierende gesellschaftliche Hierarchie die „Beachtung und Anerkennung des Ranges […] zum Inbegriff der Höflichkeit“76 machte und es laut Machwirth zu einer endgültigen Trennung von Werten und Konventionen des Umgangs kam: „Der Gesichtspunkt der Nützlichkeit tritt dabei mehr und mehr in den Vordergrund. Es geht weniger um hohe Ideale als um praktische Regeln, wie man in der Welt vorankommen und seinen Mitmenschen so begegnen kann, daß man sich selbst beliebt macht. [...] Jedoch enthält sich die Komplimentier-Literatur durchweg der Moral. Ihr kommt es nicht auf die Inhalte des Handelns an, sondern auf formale Regelung und Veredlung der menschlichen Beziehungen. [...] Schließlich werden Höflichkeits- und Umgangsformen zu einer ritualisierten Kunst, zur Schule feierlichster Disziplin und zu einem Bekenntnis zum Zeremoniell um seiner selbst willen.“77

Diesen Wandel bestätigt auch die Historikerin Ulrike Döcker in ihrer Monographie Die Ordnung der bürgerlichen Welt78 (1994). Jenseits von „moralischen Geboten“ und „kategorischen Imperativen“ sei es im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert Ziel der Autoren gewesen, „praktikable Umgangsformen zu entwickeln“, die das Zusammenleben der Menschen reibungslos gestalten sollten.79 Dem Zeitgeist entsprechend verwies man dennoch im 19. Jahrhundert vielfach auf die sogenannten „bürgerlichen Tugenden“, die angeblich anhand der vorgeschriebenen Verhaltensweisen gefördert wurden, in Wahrheit aber diesen selbst zur Rechtfertigung dienten und ihnen Verbindlichkeit verliehen: „So deutlich die bürgerlichen Haupttugenden, Menschlichkeit, Herzenstakt und Aufrichtigkeit, in den Einleitungen der Umgangslehren herausgestrichen werden, so wenig Bedeutung haben sie in den praxisorientierten Detailkapiteln.“80 76 Machwirth 1970, S. 23–26. 77 Machwirth 1970, S. 23–26. 78 Döcker 1994. 79 Vgl. Döcker 1994, S. 45f. 80 Döcker 1994, S. 50f.

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In der angelsächsischen Sekundärliteratur wird das sich wandelnde Verhältnis von Werthaftigkeit und Routine meist in Hinblick auf die Gattungsgeschichte der Ratgeberliteratur diskutiert. Dabei nehmen die Autoren Bezug auf die Entwicklung des englischen Benimmschrifttums, da die in den Vereinigten Staaten kursierenden frühen Ratgeber allesamt britischen Ursprungs waren. So argumentiert etwa der Medienwissenschaftler Michael Curtin, der Übergang von den courtesy books zu den etiquette books im 19. Jahrhundert habe einen klaren Bruch mit der moralistischen Tradition der frühen Verhaltenstraktate markiert. Während das Ratgebergenre der courtesy books „ideals of character, temperament, accomplishments, habits, morals, and manners“81 zu propagieren suchte, kam es mit dessen Niedergang zu einer generellen Abwertung des Gegenstandes.82 Die nun folgenden Etikette-Bücher, die bislang ein Dasein im Schatten der courtesy books gefristet hatten, fanden nun große Verbreitung; und dass, obwohl die darin enthaltenen Umgangsformen weithin für trivial gehalten wurden: „Separated from their context in moral thought and aspiration, manners were readily dismissed as trivial, formal, mechanical, and hypocritical, unfit either for moralists or for historians.“83 Dass sich diese Moralfreiheit aufgrund der Verbreitungsgeschichte der Ratgeber direkt auf die in Amerika kursierenden Benimmbücher übertragen lässt, bestätigt auch die Geschichtswissenschaftlerin C. Dallett Hemphill: „They [etiquette manuals] were not much concerned with the relationship between proper behavior and proper morals; indeed, they built on the Chesterfieldian notion that manners and morals could be separated. Usually the writers paid lip service in their opening pages to the Christian foundation of or general moral principles behind manners and let it go at that.“84

Der englische Adlige Lord Chesterfield, der seine Letters of Advice to His Son (1775) auch in Amerika veröffentlichte, wird häufig in einem Atemzug mit der 81 Curtin 1987, S. 19. 82 So Curtin: „It was, in fact, only when manners came to seem trivial and unworthy of association with serious moral thought that the courtesy book was doomed.“ (Curtin 1985, S. 396). 83 Curtin 1985, S. 396. 84 Hemphill 1999, S. 132; dies trifft auch auf die deutschen Etikette-Ratgeber des 20. Jahrhunderts zu: „Und wenn Werthaltungen auch in den neuen ‚Knigge‘ immer implizit enthalten sind, so überwiegen doch die instrumentellen Ratschläge; ideale Menschenbilder oder bestimmte Werte werden höchstens noch im Vorwort explizit angesprochen.“ (Reimann 1992, S. 239).

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Trennung von Werten und Manieren genannt.85 Der amerikanische Historiker Arthur Schlesinger etwa merkt an, dass für Chesterfield gutes Benehmen nicht auf „consideration for others“, sondern auf „consideration for self“ beruhte: „It was a technique of dissimulation for getting ahead in the world or, to use a modern phrase, for winning friends and influencing people.“86 Schlesinger spielt hier auf Dale Carnegie an, der mit How to Win Friends and Influence People87 (1937) ein heute als Klassiker zu bezeichnendes amerikanisches self-help book veröffentlichte.88 Von Carnegie wird wiederum behauptet, er hätte, bevor er besagten Lebensratgeber verfasste, die Autobiography89 von Benjamin Franklin gelesen und sich von dessen „13 Tugenden“90 inspirieren lassen. Franklins „TugendEthik“ betrachtet diszipliniertes und asketisches Verhalten als einzigen Weg zum Erfolg oder Profit und dient damit nicht dem Gemeinwohl, sondern der egoistischen Selbstbeförderung; eine Auffassung, die sich mit Schlesingers Aussage zu Chesterfield deckt. Und Schlesinger steht keinesfalls allein da mit dieser Meinung.91 Auch Hemphill wirft dem Adligen vor, die vormals tief in Moral verwurzelten amerikanischen Benimmregeln mit einer europäischen Vorliebe für oberflächliches Zeremoniell verdorben zu haben: „He ignored the Anglo-American tendency to embed etiquette injunctions in more moralistic and abstract advice, and took the more Continental route of emphasis on the smaller details of behavior.“92 Die These, nach der die amerikanische Etikette angeblich einen größeren Wertbezug aufzuweisen hatte als ihr europäisches Pendant, ist allerdings schwer haltbar, da – wie noch gezeigt wird – die Ratgeber von Beginn an gleichen geographischen Ursprungs waren.

85 So Schlesinger: „At first, politeness was so closely identified with morality as to be scarcely distinguishable. It was then usual to define manners as ‚minor morals‘. [...] Etiquette now managed to disentangle itself from ethics, taking on its modern meaning of a generalized pattern of behavior designed to lubricate social intercourse.“ (Schlesinger 1968, S. 64f.); vgl. Carter 1998, S. 12. 86 Schlesinger 1968, S. 11. 87 Carnegie 1981. 88 Vgl. Koch-Linde 1984. 89 Franklin 1990. 90 Franklin 1990, S. 80f. 91 Vgl. Clark 2009, S. 157; vgl. Curtin 1985, S. 404f.; vgl. Halttunen 1982, S. 94. 92 Hemphill 1999, S. 70; so auch Aresty: „Americans still harnessed manners to morals and practiced the simple rules of virtuous conduct extolled in the behavior books that preceded the etiquette book.“ (Aresty 1987, S. 635); vgl. McWilliams 2009, S. 133; vgl. Persons 1973, S. 37.

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Mit dem historischen Wandel der Bestimmung und der Zielgruppe der verhaltenspräskriptiven Literatur in Europa verlor sich demnach die Werthaftigkeit der Umgangsformen und zurück blieben „leere Hüllen“ der einst verkörperten Werte oder, um es mit den Worten von Haferland und Paul zu sagen, eine „[j]eder Routine [zugrunde liegende] verblichene Reflexion.“93 Selbstzweckautorität und nachträgliche Rationalisierung Dass Umgangsformen auch losgelöst von ihrem ursprünglichen Inhalt weiterhin existieren und auf das Verhalten einwirken, ist ein Phänomen, das Gehlen beschreibt. Er macht deutlich, dass sich Gewohnheiten oder Institutionen „gegenüber der ursprünglichen Zweckbindung soweit verselbstständigen [können], daß der Bedürfnisdruck oder das Primärinteresse überhaupt in den Hintergrund tritt.“94 Anstelle dieses Wertes können – müssen jedoch keinesfalls95 – andere bzw. zusätzliche Motive treten.96 In der Ratgeber-Literatur wird, darauf verweist auch Winter-Uedelhoven, meist auf eine Begründung der aufgestellten Etikette-Regeln verzichtet.97 Lediglich „ihre Formulierung im Befehlston verleih[t] ihnen einen Absolutheitsanspruch, der leicht zu der Implikation veranlaßt, sie seien inhaltlich sinnvoll.“98 Tatsächlich wird trotz fehlender moralischer Rückbindung der Verhaltensrichtlinien auch keine alternative Erklärung angeboten; jedes Hinterfragen und

93 Haferland, Paul 1996, S. 67. 94 Gehlen 1956, S. 35; so auch an anderer Stelle: „Die psychologischen, historischen und rationalen Bedingungen, die in eine Institution eingingen und sie überdeterminieren, können aus ihrer verselbstständigten Gestalt fast völlig zurücktreten, zumal diese selbst die Tendenz hat, sich zu schematisieren und auf Formalkriterien festzulegen […].“ (Gehlen 1956, S. 96). 95 Auch ohne alternative Begründung, also „von innen her leerlaufend“, sind Institutionen überlebensfähig, wohingegen Werte oder Ideen ohne „Außenstützung durch Institutionen“ mit Gehlen nur eine Lebensdauer von zwei bis drei Generationen haben (vgl. Gehlen 1956, S. 48). 96 Vgl. Gehlen 1956, S. 35 und S. 96. 97 So Winter-Uedelhoven: „Aber nicht alle Normen sind auf Anhieb überzeugend. In den Anstandsbüchern werden die Regeln nur sporadisch mit Begründungen versehen, die den Leser von der Qualität der Regeln überzeugen könnten.“ (Winter-Uedelhoven 1991, S. 33). 98 Winter-Uedelhoven 1991, S. 35.

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jeder Widerspruch wird mit Aussagen wie „‚...das gehört sich so!‘ oder ‚...das tut man eben nicht!‘“99 im Keim erstickt. Auch dieses Phänomen wurde von Gehlen treffend mit dem Begriff der „Selbstzweckautorität“ von Institutionen100 beschrieben und näher definiert als das „Umschlagen von Handlungsverläufen und Gewohnheiten in die Eigengesetzlichkeit, ihre Emanzipation von ersten Bedürfnissen und ihre Selbststeigerung zum Eigenwert“.101 Das eingangs bereits erläuterte Spannungsverhältnis zwischen Werthaftigkeit und Routine, in dem Umgangsformen stehen, äußert sich hier in einem Zurücktreten des Inhalts oder des eigentlichen Sinns zugunsten der Gewohnheit. Um es mit den Worten Gehlens zu sagen: „Das habitualisierte Handeln in ihnen hat vielmehr die rein tatsächliche Wirkung, die Sinnfrage zu suspendieren.“102 Der Kulturwissenschaftler und Amerikanist Klaus P. Hansen greift diesen Gedanken auf und verwendet alternativ den Begriff der „Eigenwertsättigung“ von Standardisierungen.103 Wo also keine moralische oder sonstige Begründung für das von der Etikette geforderte Verhalten ersichtlich ist, stellt die Existenz der Regel selbst ihre Rechtfertigung dar. In anderen Fällen wird beispielsweise mit hygienischen, technischen oder anderen rational nachvollziehbaren Gründen argumentiert. So behauptet etwa die amerikanische Autorin Phyllis Davis: „People have adapted to tenets for social order out of necessity and respect for various laws based on territorial landholdings, religious doctrine, commerce and trade, political power, and even regarding basic hygiene to help prevent the spread of disease.“104 Vom heutigen Standpunkt aus erscheint es sofort einleuchtend, dass bestimmte Umgangsformen, insbesondere Tischmanieren, auf eine diffuse Angst vor Ansteckung 99

So Matter: „Dies wird gerade dann deutlich, wenn Kinder nach Gründen für eine bestimmte Regel fragen, die man ihnen aber nur schwer geben kann oder will und ihnen nur mit ‚...das gehört sich so!‘ oder ‚...das tut man eben nicht!‘ antwortet. […] Nicht nur Kinder [sic!], sondern auch sich selbst und anderen Erwachsenen gegenüber gelingt es einem nur schwer, institutionalisierte Regeln anders als durch traditionellen Gebrauch und Konventionen stabilisiert zu erklären.“ (Matter 1994, S. 71); vgl. Elias 1969a, S. 167.

100 Gehlen 1956, S. 69. 101 Gehlen 1956, S. 67. 102 Gehlen 1956, S. 69; so auch Fluck: „Democratic societies, then, develop their own sets of manners but these manners have no longer any normative basis. They are conventions that have come into existence in often accidental fashion and codify arbitrary distinctions for their own sake.“ (Fluck 2009, S. 283). 103 Hansen 2011, S. 122. 104 Davis 2003, S. 234.

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zurückzuführen sind: „Surely the fear of the spread of infection must have been decisive, particularly in regard to changing attitudes towards the natural functions, nose-blowing and spitting, but also in aspects of table manners such as putting a licked spoon back into the common bowl.“105 Tatsächlich jedoch, darin ist man sich in der Sekundärliteratur weithin einig, handelt es sich bei derartigen Argumentationsweisen um den Versuch, Umgangsformen nachträglich zu rationalisieren.106 Der britische Soziologe Stephen Mennell etwa hegt Zweifel an einer Erklärung von Umgangsformen durch materielle oder hygienische Gründe und hält diese für „a posteriori justifications“107 bereits vorab bestehender Konventionen.108 Dass der Sinn von Messer und Gabel eben nicht „unmittelbar einsichtig“ ist, der Gebrauch von Besteck vielmehr „nachträglich mit mehr oder weniger einsichtigen Begründungen […] versehen“109 wurde, zeigt auch WinterUedelhoven an folgender Stelle: „Bei genauer Betrachtung erklärt dieses Argument aber gar nichts, weil die Gefahr der Bazillen bei der Einführung dieser Instrumente noch gar nicht bekannt war. Auch unter Berücksichtigung heutigen Wissens über Krankheitskeime ist dieses Argument nicht stichhaltig, denn Brot beispielsweise soll der heutigen Norm entsprechend ausdrücklich mit der Hand gegriffen werden, was dann ein Widerspruch zu dem Hygieneanspruch wäre.“110 105 Mennell 2007, S. 68. 106 So Matter: „Was scheinbar logisch begründet wird, erweist sich bei genauerer Betrachtung häufig als mögliche, nachträgliche Rationalisierung.“ (Matter 1994, S. 71). 107 Mennell 2007, S. 68; Hervorhebung im Original. 108 So Mennell: „There is nothing in the historical evidence to suggest that manners changed, or thresholds of sensitivity and embarrassment advanced, for reasons that we can describe as ‚clearly rational‘ and based on a demonstrable understanding of particular causal connections such as how infections are spread.“ (Mennell 2007, S. 68); so auch Wouters: „In directing these changes in manners, considerations of health and hygiene were not important. They were used mainly to back up – sometimes also to cover up – motivations of status and respect. In all cases, restraints on manners appeared first, and only later were reasons of health given as justifications.“ (Wouters 2007, S. 21). 109 Winter-Uedelhoven 1991, S. 36. 110 Winter-Uedelhoven 1991, S. 35; so auch Elias: „Jeder von uns scheint sich zu fürchten, daß die anderen krank sind. Aber irgend etwas stimmt an dieser Erklärung nicht. Wir essen ja heute gar nicht mehr aus gemeinsamen Schüsseln. Jeder führt seine Speisen vom eigenen Teller zum Mund. Sie von dort, von dem eigenen Teller mit den Fingern aufzunehmen, kann nicht ‚unhygienischer sein‘, als Kuchen, Brot,

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Die These von der „nachträglichen Rationalisierung“ vieler Umgangsformen geht ursprünglich zurück auf Elias, der gleichfalls den rationalen, also hygienischen oder technischen Gründen einen direkten oder vorrangigen Einfluss auf die Entwicklung und Verbreitung von Benimmregeln abspricht.111 Am Anfang, so argumentiert Elias, stehe eine Änderung der „Affektlage“112 der Menschen, also des „Unlust-, Peinlichkeits-, Ekel-, Angst- oder Schamgefühl[s]“113, bewirkt durch eine „bestimmte […] Wandlung der menschlichen Beziehungen oder der Gesellschaft“.114 Erst nachdem diese Gefühle dann zum Ritual oder zur Institution geronnen sind, wird das den entstandenen Umgangsformen entsprechende Verhalten „als ‚hygienisch richtig‘ erkannt, […] durch klarere Einsicht in die kausalen Zusammenhänge gerechtfertigt und weiter in der gleichen Richtung vorangetrieben oder verfestigt.“115 Im Endeffekt – das behauptet Elias ebenso von der Moral – fungiert die Hygiene als Konditionierungsmittel, das auf einen Verhaltensautomatismus abzielt: Das Individuum soll sich bestimmten Konventionen zum Schutz seiner Gesundheit und der seiner Mitmenschen unterwerfen.116 Distinktion und Hierarchie Distinktion117 ist, ohne explizit so genannt zu werden, die in der Sekundärliteratur wohl am häufigsten und ausführlichsten diskutierte Wirkungsweise von Umgangsformen. Dieser von Pierre Bourdieu geprägte Begriff wird zwar von ihm selbst nicht auf Konventionen des Umgangs bezogen, doch sieht der französiSchokolade oder was immer sonst mit den eigenen Fingern zum Munde zu führen.“ (Elias 1969a, S. 170). 111 Vgl. Elias 1969a, S. 153 und S. 170; so auch an anderer Stelle: „Aber die ‚rationale Einsicht‘ ist nicht der Motor der ‚Zivilisation‘ des Essens oder anderer Verhaltensweisen.“ (Elias 1969a, S. 155). 112 Elias 1969a, S. 155. 113 Elias 1969a, S. 171. 114 Elias 1969a, S. 155. 115 Elias 1969a, S. 155; vgl. Elias 1969a, S. 171; so auch über technische Gründe: „Aber nachdem einmal mit einer generellen Umlagerung der menschlichen Beziehungen eine Umformung der menschlichen Bedürfnisse in Gang gesetzt war, bedeutete die Entwicklung einer dem veränderten Standard entsprechenden technischen Apparatur eine außerordentliche Verfestigung der veränderten Gewohnheiten. Diese Apparatur diente zugleich der ständigen Reproduktion des Standards und seiner Ausbreitung.“ (Elias 1969a, S. 189f.). 116 Vgl. Elias 1969a, S. 204. 117 Vgl. Bourdieu 1987; vgl. Rehbein 2009, S. 76.

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sche Soziologe allgemein „jede kulturelle Praxis“ in „enge[m] Zusammenhang primär mit dem Ausbildungsgrad, sekundär mit der sozialen Herkunft.“118 Gerade deshalb – so argumentiert er in seinem Standardwerk, dessen Originaltitel La distinction. Critique social du jugement (1979) lautet – „biete[…] sich Geschmack als bevorzugtes Merkmal von ‚Klasse‘ an.“119 Während Bourdieu Geschmack in erster Linie im Hinblick auf Konsum sowohl materieller als auch immaterieller Güter betrachtet, können auch Umgangsformen ohne weiteres unter diesen Begriff oder den ebenso häufig verwendeten des „Habitus“120 subsummiert werden. Mit Rehbein könnte man die Distinktionsfunktion wie folgt zusammenfassen: „Soziale Akteure bemühen sich, Elemente der eigenen Kultur von Elementen anderer Kulturen abzuheben. Insbesondere pflegen höhere Schichten einen Lebensstil, den alle anderen Schichten nicht einfach übernehmen können, und heben sich damit positiv von ihnen ab.“121

Dass dies auch auf Umgangsformen zutrifft, diese also eine Distinktionsfunktion erfüllen, lässt sich z. B. etymologisch nachweisen. So zeigt etwa die amerikanische Philosophin Hazel E. Barnes, dass die Begriffe etiquette und ticket im Englischen der gleichen Wortfamilie angehören, während in anderen indoeuropäischen Sprachen die Verbindung zwischen beiden Worten sogar noch enger ist: „French étiquette and Spanish etiqueta can both be used to refer not only to conventional rules for approved behavior, but to a ticket or a label.“122 Sowohl ticket als auch label sind heute auch im Deutschen gebräuchliche Worte, die Eintrittskarte bzw. Fahrkarte und – genau wie im Französischen oder Spanischen – Etikett bedeuten. Gemeinsam ist all diesen Begriffen, dass sie mit der Vorstellung von Einlass, Zugang oder Markierung verknüpft sind und eben darin auch die Parallele zu Umgangsformen bzw. Etikette besteht: „‚Ticket‘ suggests the idea of admission, the privilege of joining a particular collection of persons. Indeed, etiquette is inseparably linked with conformity. ‚Label‘ is more ambivalent. Its purpose is to separate one thing or type of things from others. And part of the function of etiquette is precisely to distinguish […]. In all areas of etiquette we find this interplay between sameness and difference. Etiquette provides for the individual’s need to 118 Bourdieu 1987, S. 17f. 119 Bourdieu 1987, S. 17f. 120 Vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 267. 121 Rehbein 2009, S. 76. 122 Barnes 2007, S. 240; Hervorhebung im Original.

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Eine Bestätigung dieser These sowie eine Übertragung des Konzepts auf Umgangsformen findet sich bei dem amerikanischen Nationalökonomen Thorstein Veblen und dem deutschen Soziologen Norbert Elias. In Theory of the Leisure Class124 (1899) vertritt Veblen die Auffassung, bei Manieren handele es sich um einen Ausdruck von „conspicuous leisure“125; des, wie es in der deutschen Übersetzung heißt, „demonstrativen Müßiggangs“: „Their ulterior, economic ground is to be sought in the honorific character of that leisure or non-productive employment of time and effort without which good manners are not acquired. The knowledge and habit of good form come only by long-continued use. Refined tastes, manners, habits of life are a useful evidence of gentility, because good breeding requires time, application and expense, and can therefore not be compassed by those whose time and energy are taken up with work.“126

Wer gutes Benehmen an den Tag legt, beweise, dass er seine Zeit nicht mit Arbeit zubringen müsse, sodass Umgangsformen letztendlich als „voucher of a life of leisure“127 und damit als Distinktionsmittel fungieren.128 Auch Elias hebt in Über den Prozeß der Zivilisation129 (1939) die distinguierende Funktion von Manieren hervor: „Es sind Instrumente und Verhaltensweisen, die einen gewissen Zwang ausdrücken und Versagung erfordern, aber sie erhalten sofort immer auch den Sinn einer sozialen Waffe gegen die jeweils 123 Barnes 2007, S. 240; so auch Langford: „Throughout history, the advocacy of extreme manners and protocol was often a thinly veiled ploy to exclude and feel superior to others who didn’t know the protocol. In fact, the words ‚etiquette‘ and ‚ticket‘ have the same etymology: the Old French estiquet. And, as we well know, the purpose of a ticket is to let some in and keep others out.“ (Langford 2005, S. 13f.; Hervorhebung im Original). 124 Veblen 1997. 125 Veblen 1997, S. 16–29. 126 Veblen 1997, S. 22; vgl. Goodwin 1999, S. 198f. 127 Veblen 1997, S. 22. 128 So Veblen: „The decay which the [ceremonial] code has suffered at the hands of a busy people testifies – all depreciation apart – to the fact that decorum is a product and an exponent of leisure class life and thrives in full measure only under a regime of status.“ (Veblen 1997, S. 21). 129 Elias 1969a; Elias 1969b.

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Niedrigerstehenden, den Sinn eines Distinktionsmittels.“130 Da Umgangsformen diese abgrenzende Funktion einbüßen, sobald aufstiegswillige Rangniedrigere das Benehmen der Oberschicht nachahmen, sehe diese sich gezwungen, stets neue verfeinerte Verhaltensweisen auszubilden, um sich weiterhin von den Parvenues abheben zu können.131 Aus diesem Grund sind es, so erkannte bereits Veblen, grundsätzlich die obersten sozialen Schichten, die tonangebend sind in Fragen der Etikette: „[I]t is this highest class also that gives decorum that definite formulation which serves as a canon of conduct for the classes beneath.“132 Die distinguierende Funktion von Umgangsformen oder bestimmter Unterarten ist demnach eng verbunden mit deren statusbildenden Wirkungsweise: Ziel der Benimmregeln scheint vorrangig die Abgrenzung der Individuen oder Gesellschaftsschichten voneinander zu sein, die dann in einer hierarchisch gegliederten Rangordnung resultiert. Zu den Autoren, die sich besonders eingehend mit dieser Wechselbeziehung befassen, gehören die Soziologen Eckart Machwirth, Cas Wouters und Erving Goffman. Machwirth, der deutsche Vertreter der Zunft, misst der von ihm untersuchten „Höflichkeit“ eine überragende Bedeutung bei der „Ordnung des Zusammenlebens“ bei, insofern als „[d]ie Einhaltung der Sollvorschriften […] Anerkennung des gesellschaftlichen Systems [bedeute].“133 Konkret erfolge dies, so Machwirth, durch die Bestätigung bestimmter Machtverhältnisse, indem den Trägern von Autorität, also Personen eines gewissen gesellschaftlichen Rangs, „Achtung“134 entgegengebracht und symbolisch inszeniert werde. Da die „Beachtung und Anerkennung des Ranges“ bei Machwirth als „Inbegriff der Höflichkeit“135 gehandelt wird, erläutert er eingehend, entsprechend welcher Krite-

130 Elias 1969a, S. 206. 131 So Elias: „Es gibt mannigfache Belege dafür, daß in dieser Zeit ununterbrochen Gebräuche, Verhaltensweisen und Moden vom Hof in die oberen Mittelschichten eindringen, dort nachgeahmt und entsprechend der anderen sozialen Lage mehr oder weniger leicht verändert werden. Eben damit verlieren sie bis zu einem gewissen Grade ihren Charakter als Unterscheidungsmittel der Oberschicht. Sie werden etwas entwertet. Das drängt oben zu einer weiteren Verfeinerung und Fortbildung des Verhaltens.“ (Elias 1969a, S. 134f.); vgl. Elias 1969a, S. 206; vgl. Elias 1969a, S. 298; vgl. Elias 1969b, S. 356; vgl. Matter 1994, S. 72; vgl. Morgan 1994, S. 28; vgl. Mennell 2007, S. 74; Wouters 2007, S. 21. 132 Veblen 1997, S. 23; vgl. Hinz 2009, S. 1. 133 Machwirth 1970, S. 258ff. 134 Vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 16. 135 Machwirth 1970, S. 23–26.

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rien die Etikette dem Einzelnen seinen Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie zuweist. Der Soziologe geht dabei von drei den Rang bestimmenden Momenten aus: „Das historische Moment“, „der Vorrang der Weisungsbefugnis“ und „der aus dem Wert für das Ganze sich ergebende Vorrang“.136 Zur ersten Kategorie zählen beispielsweise traditionelle Konventionen des Umgangs mit dem „schwachen Geschlecht“ oder älteren Personen, die in erster Linie Rücksichtnahme und Schutz symbolisieren. „Der Vorrang der Weisungsbefugnis“ ersetzte im Zeitalter der Arbeitsteilung die Befehlsgewalt unter Berufung auf Macht, „sei es die des Reichtums und Besitzes, sei es die ‚von Gott verliehene‘ Macht, die politische Macht des Stärkeren über den Schwächeren, sei es das Vorrecht der Geburt.“137 Die „Weisungsbefugnis“ spielt insbesondere im Arbeitsleben und somit bei den Regeln der Business-Etikette eine übergeordnete Rolle, da hier „[d]er Wert und damit der Grad der Verantwortung für den Betrieb und seine Organisationen“138 maßgeblich für den Rang der betreffenden Person ist. Ähnlich, wenn auch nicht auf die unternehmensinterne Sphäre bezogen, verhält es sich bei der letzten Ordnung, dem „aus dem Wert für das Ganze sich ergebende[n] Vorrang“.139 Etwas allgemeiner gehalten, richtet sich das Ansehen des Individuums hier „nach dem Maße der Bedeutung, die ihm für das Gemeinwesen zukommt.“140 Und obgleich die Kriterien für die Zuschreibung des Rangs im zeitlichen Verlauf mit „den sich ändernden Wertvorstellungen und der sich wandelnden Herrschaftsstruktur“141 einer ständigen Modifizierung unterlagen, scheint die Existenz einer dem Kontext entsprechenden Rangordnung142, begünstigt durch entsprechende Verhaltensregeln, grundsätzlich gesichert. Was sich allerdings zusätzlich zu der konkreten Ausformung der Hierarchie geändert hat, ist der Umgang mit derselben. Wouters betont in seinen Arbeiten zum Thema „Informalisierung“143 immer wieder, dass die unverhohlene Demonstration von sozialer Über- oder Unterlegenheit mit zunehmender Emanzipation vormals untergeordneter Gesellschaftsschichten tabuisiert wurde: „As sub136 Machwirth 1970, S. 206ff. 137 Machwirth 1970, S. 205. 138 Machwirth 1970, S. 206ff. 139 Machwirth 1970, S. 206ff. 140 Machwirth 1970, S. 206ff. 141 Machwirth 1970, S. 245. 142 Es wird davon ausgegangen, dass es nicht nur eine „gesellschaftliche Hierarchie“ gibt, sondern in jedem Kollektiv eine eigene Rangordnung existiert, wie z.B. eine Hierarchie im Unternehmen. 143 Vgl. Wouters 2007; vgl. Wouters et al. 1999; vgl. Wouters 1990.

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ordinate social groups were emancipated, references to ‚better‘ and ‚inferior‘ kinds of people, to hierarchical group differences, were increasingly tabooed.“144 Es ist anzunehmen, dass gerade diese Tabuisierung eine subtilere Ausdrucksweise real vorhandener Rangunterschiede erforderlich machte, da diese weniger Potential zum Affront in sich trägt: „As power and status competition intensified, and sensitivities about social inequality increased, demonstrations of an individual’s distinctiveness became more indirect, subtle, and hidden.“145 In diesem Zusammenhang sieht Wouters offenbar die Rolle von Umgangsformen bei der Stabilisierung der entsprechenden Hierarchie, denn durch die diesen Konventionen inhärente Formalisierung und Kanalisierung von Emotionen werden Rangungleichheiten tendenziell als weniger bedrohlich erlebt. Doch bei genauer Betrachtung gehen diese „Achtungserweise“146 im Allgemeinen nicht sonderlich verstohlen vonstatten. Im Gegenteil, bei den von Machwirth als Beispiele herangezogenen Verhaltensweisen wird das hierarchische Denken unverblümt zur Schau gestellt. Im Vordergrund stehen hier zum einen die sogenannten „kleinen Dienste“, die dem Ranghöheren erwiesen werden: „Man bietet seinen eigenen Platz an, wenn kein anderer zur Verfügung steht. Man hebt den Gegenstand auf, der zu Boden gefallen ist. Man ist behilflich beim Anlegen der Überkleider. Man rückt den Stuhl herbei usw.“147 Zu dieser doch recht offensichtlichen Form der Demutsbekundungen gesellen sich die „positiven Prioritäten der Zeit“: „Der Höhergestellte wird z. B. bei Aufzählungen immer an erster Stelle genannt. Beim Vorstellen und Bekanntmachen wird ihm der Niedrigergestellte vorgestellt […]. Die Initiative zu einem Kontakt steht dem Älteren oder ranglich Höheren zu: Er beginnt das Gespräch, stellt Fragen usw. Den Gruß schuldet der Rangniedrigere zuerst. Das ‚Du‘ muß vom Älteren oder Ranghöheren angeboten werden usw.“148

Einerseits geht es bei dieser Kategorie darum, dem in der Hierarchie höher Stehenden „zeitliche Vorrechte“ einzuräumen oder diesem durch Abwarten die Entscheidungsgewalt zu überlassen. Gleichsam aber betreffen die entsprechenden 144 Wouters 1991, S. 700, so auch an anderer Stelle: „Thus, in a widening circle of mutual respect and identification, the more extreme displays of superiority and inferiority were excluded from the prevailing regime of manners and emotions.“ (Wouters 2007, S. 22). 145 Wouters 2007, S. 201. 146 Machwirth 1970, S. 244f.; vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 16. 147 Machwirth 1970, S. 213f. 148 Machwirth 1970, S. 211f.

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Regeln eine räumliche Dimension, da „[d]ie Initiative zum Kontakt und damit zur Überbrückung des Abstandes […] zuerst vom Ranghöheren ausgehen [muß].“149 Hier verweist Machwirth auf ein weiteres Instrument zur Bestätigung eines Über- und Unterordnungsverhältnisses und damit der gesamten sozialen Rangordnung: die physische und soziale Distanz, die sich ebenso in einer Vielzahl von Verhaltensrichtlinien manifestieren soll. So wird dem Untergebenen geraten, gebührenden Abstand zu wahren, während es dem Ranghöheren überlassen bleibt, den Grad der Nähe und damit Vertrautheit zu bestimmen. In diesem Zusammenhang ist Goffmans Aufsatz „The Nature of Deference and Demeanor“150 (1956) zu erwähnen, in dem er sich eingehend mit dem sozialen Phänomen der „Ehrerbietung“ beschäftigt. Er stellt fest, dass mit steigendem gesellschaftlichen Rang die „taboos against contact“ zunehmen,151 wobei sein niederländischer Kollege Wouters darin wiederum den Ausdruck einer „fear of falling“ oder einer „fear of social contamination“152 sieht, ausgelöst durch die Emanzipationsprozesse vormals gemiedener sozialer Schichten und der plötzlichen Notwendigkeit, mit diesen in Interaktion zu treten.153 Das Gegenstück zu sozialer Distanz sieht Goffman in „familiarity“154, also Vertrautheit, die seiner Meinung nach symmetrisch oder asymmetrisch sein kann: „Between status equals we may expect to find interaction guided by symmetrical familiarity. Between superordinate and subordinate we may expect to find asymmetrical relations, the superordinate having the right to exercise certain familiarities which the subordinate is not allowed to reciprocate.“155

Eben diese durch Statusunterschiede bewirkte Distanz und Vertrautheit werde angeblich in einer Vielzahl von Umgangsformen verkörpert und als „zeremonielle Distanz“156 sichtbar gemacht. 149 Machwirth 1970, S. 211f. 150 Goffman 1956. 151 Goffman 1956, S. 481; vgl. Goffman 1971, S. 71. 152 Auch Norbert Elias sieht viele distinguierende Umgangsregeln in einer „Furcht vor der sozialen Degradation“ (Elias 1969a, S. 167) begründet. 153 Vgl. Wouters 2007, S. 49. 154 Def. familiarity: „Where an actor need show no concern about penetrating the recipient’s usual personal reserve, and need have no fear of contaminating him by any penetration into his privacy, we say that the actor is on terms of familiarity with the recipient.“ (Goffman 1956, S. 481). 155 Goffman 1956, S. 481; vgl. Goffman 1971, S. 72f.; vgl. Goffman 2006, S. 327. 156 Goffman 2006, S. 327.

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Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Distinktion und die dadurch bewirkte Herausbildung oder Festigung einer hierarchischen Gesellschaftsordnung in der Sekundärliteratur – dafür spricht die ausführliche und häufige Erörterung dieses Konzepts – als wichtigste Funktion von Umgangsformen betrachtet wird. „Informalisierungs“-Tendenzen Doch drängt sich hier die Frage auf, welche Konsequenzen diese Erkenntnis für Benimmregeln in einer demokratischen, egalitären Gesellschaft hat, in der Hierarchien angeblich an Strenge verloren haben. Müssten Umgangsformen durch diese gesellschaftspolitischen Entwicklungen nicht obsolet geworden sein oder sich zumindest grundlegend geändert haben? Unter dem Schlagwort „Informalisierung“157 widmet sich die Sekundärliteratur, insbesondere der niederländische Soziologe Wouters, dieser Thematik. Der von Wouters geprägte Begriff meint eine Lockerung und Differenzierung des Benimmkodex,158 bewirkt durch Demokratisierungsprozesse und der damit einhergehenden Abnahme der Machtgefälle zwischen einzelnen sozialen Gruppen.159 Stellt man eine historische Betrachtung dieses Phänomens an, so erkennt man, dass es sich hierbei um einen spiralförmigen Prozess handelt.160 Auf eine Phase der „Formalisierung“, definiert als „the trend towards more extensive, more detailed, and stricter regimes of manners and emotions“161, folgt jene der „Informalisierung“, bis diese wiederum von einem „Reformalisierungstrend“162 abgelöst wird.

157 Wouters 2007; Wouters et al. 1999. 158 So Wouters: „Through all this it was possible to observe general trends, a major one being a long-term process of informalization. This has involved in the code of manners coming to allow for an increasing variety of behavioural and emotional alternatives; manners becoming more lenient, more differentiated and varied for a wider and more differentiated public.“ (Wouters 2007, S. 3). 159 Vgl. Wouters 2007, S. 167; so auch Mennell: „[…] underlying tendency towards functional democratization, towards somewhat more even power rations between social classes, between age groups, between men and women and between many other social groups.“ (Mennell 2007, S. 76). 160 Vgl. Wouters 2007, S. 9. 161 Wouters 2007, S. 167. 162 Vgl. Wouters 2007, S. 176.

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Will man diese Tendenzen an der Geschichte der untersuchten Länder163 festmachen, so nimmt die erste „Formalisierungs“-Periode ihren Anfang in der Renaissance und endet im ausklingenden 19. Jahrhundert: „Developments from the Renaissance to the end of the nineteenth century can be described as a long-term process of formalizing manners and disciplining people: more and more aspects of behaviour were subjected to increasingly strict and detailed regulations that were partly formalized as laws and partly as manners.“164

Dass die von Wouters beschriebenen Prozesse keinesfalls linearer Natur sind, sondern vielmehr bemerkenswerten Ausschlägen in beide Richtungen unterliegen165, zeigt sich an dem Höhepunkt der formalization, der im Viktorianischen Zeitalter, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, erreicht wurde und mit einer ausgeprägten Rigidität und Förmlichkeit im Verhalten einherging.166 Auch die im Anschluss einsetzende Phase der „Informalisierung“ entwickelte sich in mehreren Schüben: „In all four countries under study, this general trend towards less formal and rigid regimes of manners and emotions became dominant in what is called the ‚Fin de Siècle‘ or the ‚Belle Époche‘. It accelerated in the ‚Roaring Twenties‘, and then again in the 1960s and 1970s, the period of the ‚Expressive Revolution‘.“167

Zum Ende der 1970er oder zu Beginn der 1980er Jahre, so argumentiert Wouters, begann die Phase der reformalization, in der zwar viele Elemente der vorangegangenen „Informalisierung“ beibehalten wurden, die insgesamt jedoch eine Tendenz hin zu einer „greater strictness, hierarchy, and consensus“ markierte und eine größere Achtung vor Disziplin, Recht und Ordnung mit sich brachte.168 Diese gegenläufige Entwicklung, so sagt man, hält gegenwärtig an, ist daher in ihrer Wirkung auf das Verhalten bislang nicht abzuschätzen und hat zudem bei weitem noch nicht die Spuren der langanhaltenden und intensiven „Informalisierungs“-Prozesse ausgelöscht.

163 Wouters vergleicht die Entwicklungen in Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und den USA. 164 Wouters 2007, S. 30. 165 Vgl. Wouters 2007, S. 167. 166 Vgl. Wouters 2007, S. 31. 167 Wouters 2007, S. 167. 168 Vgl. Wouters 2007, S. 176.

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Einen zusätzlichen Beleg für diese letzten beiden Entwicklungsphasen bietet der öffentliche Diskurs über Etikette-Bücher, ihren Stellenwert und Aktualität. Ein Beispiel stellt die Ablehnung der Etikette in den 1960er und 1970er Jahren169 dar, gefolgt von einer Bedeutungszunahme, die bis heute anhält und sich beispielsweise in euphorischen Bekundungen der Etikette-Autoren, wie „Knigge boomt“170 oder „Gute Manieren sind wieder in“171, manifestiert. Auch an den sich ändernden Veröffentlichungszahlen der Benimmschriften lässt sich ein Auf und Ab der allgemeinen Wertschätzung dieser Verhaltenstraktate ablesen.172 Zweifelhaft ist allerdings, ob die Assoziation mit individueller Freiheit, die derartigen „Informalisierungs“-Tendenzen anhaftet, seine Berechtigung hat. Elias etwa – dessen Student Wouters war und der zuerst die Lockerung der Verhaltensstandards beschreibt – ist der Meinung, dass derartige Entwicklungen hin zu einer scheinbar größeren Zwanglosigkeit, z. B. bezüglich der „Bade- und Sportgebräuche“, nur möglich waren, da die Gesellschaft sich vorab „starke Selbstzwänge“ auferlegt hatte, die „jeden Einzelnen im Zaume h[ie]lten“173: „Es ist eine Lockerung, die sich vollkommen im Rahmen eines bestimmten ‚zivilisierten‘ Standard-Verhaltens hält, d. h. im Rahmen einer automatischen, als Gewohnheit angezüchteten Bindung und Umformung der Affekte sehr hohen Grades.“174 Auch Wouters selbst argumentiert in eine ähnliche Richtung. Tatsächlich nämlich, so behauptet er, erfordere diese scheinbare Ungezwungenheit ein äußerst hohes Maß an Taktgefühl und Anpassungsfähigkeit: „Informalization also involved rising external social constraints towards such self-restraints as being reflexive, showing presence of mind, considerateness, role-taking, and the ability to tolerate and control conflicts, to compromise.“175 Vergleichbar mit den Vorstellungen Castigliones in seinem frühen Verhaltensratgeber Il Libro del Cortegiano (1527), ist das erwünschte Verhalten geprägt vom Ideal der „sprez-

169 Vgl. Matter 1994, S. 72; vgl. Döcker 1994, S. 22. 170 Begemann 2008, S. 7. 171 Adam 2007, S. 11. 172 Vgl. Schürmann 1994, S. 51. 173 Elias 1969a, S. 257. 174 Elias 1969a, S. 257. 175 Wouters 2007, S. 3f.; so auch an anderer Stelle: „In addition to a widening range of alternatives for behaviour and the expression of emotions, this process of informalization at the same time entails an increasing demand to manage emotions in more flexible and differentiated ways, to be able to negotiate in all kinds of situations, with all sorts of people, and to proceed through mutual consent.“ (Wouters 1991, S. 709).

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zatura“176 oder dem „je ne sais quois“177, einer Lässigkeit oder Natürlichkeit178, die zu erreichen weit schwieriger ist als das Erlernen und Befolgen simpler Regeln. Den Anspruch, ungekünstelt und spontan zu wirken, erkennt auch Wouters als Herausforderung, vor der die Individuen in einer Zeit der „Informalisierung“ stehen: „Furthermore, this status criterion also came to include the demand that any selection of alternatives should at least look ‚natural‘: a constraint to be unconstrained, at ease, and authentic.“179 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Verhaltenssicherheit, die Umgangsformen den Akteuren in ihrer Routine stiftenden Funktion bieten180, verloren geht. Die amerikanische Philosophin Barnes beschreibt die entstehende Unsicherheit anhand des sogenannten casual fridays, der wochentagabhängigen „Informalisierung“ des beruflichen dress codes: „An amusing innovation is dress-down Fridays. This custom was adopted in the name of allowing one day a week for greater ease and individualism. Reportedly, however, the problem of just what constitutes dress down complicates things to the point that some men long for the security of suits and ties.“181

Diese Befunde werfen allerdings die Frage auf, ob der niederländische Soziologe die Begrifflichkeiten treffend gewählt hat. „Informalisierung“ oder das soziologisch geprägte Adjektiv „informal“ wird gemeinhin mit Spontanität und Ungezwungenheit assoziiert. Tatsächlich aber, zu diesem Schluss kommt Wouters selbst, geht eine Phase der „Informalisierung“ mit einem steigenden Zwang zur Selbstkontrolle einher, sodass der verwendete Terminus nur eine Seite des Phänomens beleuchtet. Wenn lediglich eine Regel durch eine andere ersetzt wird, anstatt des Zwangs zum Anzug heute der Zwang zur Jeans vorherrscht, ist Wouters Begriff nicht nur wenig präzise, sondern könnte sogar als irreführend betrachtet werden. Mit individueller Freiheit oder einer Abkehr von Förmlichkeit hat diese Entwicklungstendenz nämlich nichts gemein, vielmehr handelt es sich um eine schlichte Änderung der Konventionen, wobei deren Rigidität und damit auch deren Distinktionspotential unberührt bleiben.

176 Hinz 2009, S. 7. 177 Goodwin 1999, S. 198. 178 Vgl. Hinz 2009, S. 7. 179 Wouters 2007, S. 3f.; vgl. Wouters 2007, S. 91. 180 Vgl. Kapitel Routine. 181 Barnes 2007, S. 246.

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Veränderte Bezugsrichtung: Trickle-up und Trickle-down Das oben genannte Beispiel, in dem der Zwang zur Jeans den Zwang zum Anzug ersetzt, weist auf eine weitere Entwicklungstendenz hin, die ebenfalls in engem Zusammenhang mit der Distinktionsfunktion von Umgangsformen steht. Während nämlich in den letzten Jahrhunderten meist eine Orientierung an den kulturellen oder ökonomischen Eliten erfolgte, man also das Verhalten der sogenannten Oberschicht nachahmte, um soziale Akzeptanz zu erlangen182, wird in der Literatur heute in mancherlei Hinsicht von einer Umkehrung der Bezugsrichtung ausgegangen: „In traditional societies, where hierarchies are still intact and ontologically legitimated, good manners are always those of the upper class and bad manners those of the lower classes. Only in post-revolutionary, egalitarian, bourgeois societies does the reverse become conceivable; only here is it possible to distinguish oneself by adopting low-class behavior […].“183

Nicht mehr nur die „herrschende Klasse“ oder „Bourgeoisie“184 gibt vor, was sich schickt, vielmehr werden zunehmend Verhaltensweisen der „beherrschten Klasse“, also der „Arbeiterschaft und Bauern“185, zum Standard erklärt. Dass bereits zuvor – als noch die höfische Gesellschaft und das Bürgertum miteinander konkurrierten – eine gewisse Beeinflussung des Verhaltens von unten existierte, zeigt Elias, wenn er von der „Verhöflichung bürgerlicher Menschen“ und der „Verbürgerlichung höfischer Menschen“186 spricht. Dieses Phänomen beschreibt auch Wouters in seinem richtungsweisenden Buch Informalization187 (2007). Wann immer soziale Gruppen eine Interessensvertretung in den machtpolitischen Zentren durchsetzen konnten und damit eine gesellschaftliche Aufwertung erfuhren, so argumentiert er, stiegen einige ihrer Verhaltensweisen mit ihnen die soziale Rangleiter hinauf.188 Außerdem verminderten die stufenweise ablaufenden „Informalisierungs“- und Emanzipationsprozesse durch die graduelle Einebnung sozialer Unterschiede den Drang, sich von untergeordneten sozialen Schichten abzugrenzen, was folgenden Wandel nach 182 Vgl. Veblen 1997, S. 23; vgl. Elias 1969a, S. 206 und S. 298; vgl. Matter 1994, S. 72; vgl. Morgan 1994, S. 28; vgl. Mennell 2007, S. 74; vgl. Wouters 2007, S. 21. 183 Hinz 2009, S. 1. 184 Einteilung der Klassen nach P. Bourdieu (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 340f.). 185 Einteilung der Klassen nach P. Bourdieu (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 340f.). 186 Elias 1969a, S. 147. 187 Wouters 2007. 188 Vgl. Wouters 2007, S. 17.

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sich zog: „[A]spects of working-class codes of behaviour and feeling ‚trickled up‘ the social ladder.“189 Der gleichen Terminologie bedient sich Mennell, der entsprechend von einem trickle-up-Effekt ausgeht und diesen anhand der sich wandelnden Bekleidungskonventionen und der zunehmenden Verbreitung von Körperschmuck erläutert: „The adoption of the short jacket in place of the frock coat or tailcoat, and trousers in place of breeches, are good examples of the ‚trickle-up‘ of lower-class and more informal traits, characteristic of periods when power ratios between upper and lower strata are becoming relatively less unequal. Twentieth-century examples of ‚trickle-up‘ include the almost universal adoption of blue jeans – originally workmen’s wear – for leisure time, and still more recently the popularity of body piercings and tattoos, formerly the prerogative of sailors, prostitutes and rougher social elements.“190

Ähnlich wie Wouters sieht auch Mennell, der den American Civilizing Process191 (2007) untersucht, diese Entwicklung in der Abnahme sozialer Unterschiede begründet – konkret rechnet er die Vorliebe für die früher nur von Arbeitern getragenen Jeans beispielsweise dem „egalitarianism of American society“ zu.192 Der in den USA vorherrschende Gleichheitsgedanke mache – das behauptet auch der Amerikanist Dietmar Schloss in seinem Sammelband Civilizing America193 (2009) – das Prinzip des trickle-up zu einem typisch amerikanischen Phänomen: „In traditional European societies, the civilizing process is generally considered to have followed the principle of ‚trickle down‘ with the aristocratic class at the top furnishing the behavioral models to be emulated by the classes below. In the U.S., where the social elites never held power in the same uncontested way as those in Europe and always had to hold a certain rapport with the classes below them, we frequently encounter a movement in the opposite direction (‚trickle up‘).“194

Doch auch der Ethnologe Thomas Schürmann, der zwar zu Recht entgegenhält, dass das „Absinken des Kulturgutes“ die Regel sei, erwähnt ausdrücklich die 189 Wouters 2007, S. 63. 190 Mennell 2007, S. 71. 191 Mennell 2007. 192 Mennell 2007, S. 71. 193 Schloss 2009b. 194 Schloss 2009a, S. xx.

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Möglichkeit, „daß Sitten von unteren oder mittleren Schichten ‚aufsteigen‘“195. Im Einklang mit Wouters und Mennell ist Schürmann ebenfalls der Meinung, dass „Zeiten des sozialen Umbruchs […] diese Bewegungsrichtung [...] begünstigen.“196 Er bestätigt darüber hinaus Wouters‘ „Informalisierungs“-Theorie, wenn er die zunehmende Orientierung am Verhalten der Mittelschicht beschreibt: „In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es vor allem die Vereinfachungen des Lebensstils, der Verzicht auf Elemente oberschichtiger Repräsentationskultur, von den Anstandsbesuchen bis zum ständigen Tragen der Handschuhe, der sich auch in den Spitzen der Gesellschaft durchsetzte und deren Lebensformen sich denen der mittleren Schichten annäherte.“197

Der allgemeinen Distinktionsfunktion von Umgangsformen tun diese Prozesse jedoch keinen Abbruch. Gegen Wouters’ These vom verminderten Abgrenzungsdrang sprechen zwei Gründe. Zum einen werden Jeans getragen, um sich bewusst von den als „versnobt“ und steif verrufenen Angehörigen der Oberschicht abzugrenzen, sodass zwar die Richtung umgekehrt wird, nicht jedoch die Wirkungsweise. Zum anderen sind die Unterscheidungsmechanismen subtiler geworden, insofern als nicht mehr die Jeans an sich der Distinktion dient, sondern beispielsweise das Tragen bestimmter Marken die Zugehörigkeit definiert. Alles in allem scheinen sich zwar konkrete Konventionen geändert zu haben und das „Aufsteigen“ von Umgangsformen mag möglich geworden sein – die Distinktionsfunktion wurde dadurch jedoch nicht entkräftet. Räumliche Verbreitung Doch nicht nur Schichtgrenzen passierten Benimmregeln in der Vergangenheit, sondern auch Grenzen zwischen Ländern und Kontinenten. Auch diese räumliche Verbreitung von Umgangsformen, die am besten anhand des Verbreitungsgebiets bestimmter Ratgeber nachvollzogen werden kann, beruhte dabei stets auf der kulturellen oder machtpolitischen Überlegenheit einzelner Gruppen oder Länder und dem dadurch ausgelösten Distinktionsbestreben untergeordneter sozialer Einheiten. In diesem Zusammenhang dokumentiert auch Elias die Vorbildfunktion der höfischen Gesellschaft Frankreichs in ganz Europa zur Zeit des Absolutismus: „Von Paris aus breiteten sich die gleichen Umgangsformen, die gleichen Manie195 Schürmann 1994, S. 7. 196 Schürmann 1994, S. 7. 197 Schürmann 1994, S. 7.

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ren, der gleiche Geschmack und die gleiche Sprache für kürzere oder längere Zeit über alle anderen Höfe Europas hin aus.“198 Die Gründe für diese Orientierung am französischen Königshof sieht Elias zum einen darin, dass Frankreich zu dieser Zeit eine machtpolitische Vormachtstellung inne hatte199, und zum anderen in allumfassenden Veränderungen der europäischen Gesellschaft, durch die „überall verwandte, soziale Formationen, der gleiche Gesellschaftstypus, analoge menschliche Beziehungsformen entstanden.“200 Weiter erklärt Elias, dass sich zu jener Zeit „eine, das Abendland umgreifende, höfische Aristokratie mit […] Zentrum in Paris“201 ausbildete, also eine europäische Oberschicht, deren Kontakt zu den anderen Höfen jenseits von Ländergrenzen sehr viel intensiver war als der zu anderen Schichten innerhalb des gleichen Landes.202 Die Bedingung sowie das Ergebnis einer solchen – heute womöglich als „transnational“203 zu bezeichnenden – Verbindung war ein gemeinsamer Lebensstil, also die oben beschriebenen Übereinstimmungen in Verhalten und Sprache.204 198 Elias 1969b, S. 4f.; so auch an anderer Stelle: „Die absolutistisch-höfische Aristokratie der anderen Länder übernahm aus dem reichsten, mächtigsten und am stärksten zentralisierten Land dieser Zeit, was ihrem eigenen, gesellschaftlichen Bedürfnis gemäß war: eine verfeinerte Gesittung und eine Sprache, die sie auszeichnete, die sie von Nichtzugehörigen unterschied.“ (Elias 1969b, S. 5). 199 Elias 1969b, S. 4f.; so auch Wouters: „Some changes in manners, however, are symptomatic of changing power balances between nation-states. As France became the dominant power in Europe, French courtly manners increasingly took over the modelling function previously fulfilled by the manners of the Italian courts. In the nineteenth century, with the rising power of England, the manners of English good society came to serve as a major example in many other countries. [...] After World War II, when the United States became a superpower, American manners served more easily as a model.“ (Wouters 2007, S. 13; Hervorhebung im Original). 200 Elias 1969b, S. 4f. 201 Elias 1969b, S. 5. 202 Vgl. Elias 1969b, S. 5f. und S. 357. 203 Def. „transnational/Transnationalismus“: „transnational, Kennzeichnung für Strukturen und Prozesse, deren Produktion bzw. Reproduktion nationalstaatlich geprägte Räume überschreitet […]. Transnationalismus, bezeichnet eine soziologische Denkweise, in der die Gesellschaft nicht als nationalstaatlich aufgefasst wird. Dies reagiert auf die Öffnung bzw. Auflösung überkommener Regionalgrenzen und geschlossener Kulturen sowie auf das Entstehen weltgesellschaftlicher Institutionen.“ (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 697). 204 Vgl. Elias 1969b, S. 5f.; so auch an anderer Stelle: „Die Unterschiede zwischen ihnen treten an Bedeutung gegenüber den Gemeinsamkeiten zurück, die der Einheit

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Tatsächlich scheint der Ursprung vieler in Deutschland geltender Umgangsformen im absolutistischen Frankreich zu finden sein. So schreibt beispielsweise der Germanist Karl-Heinz Göttert über die Umgangsliteratur im 18. Jahrhundert: „Von Verschmelzung oder Weiterentwicklung aber läßt sich jedenfalls nicht immer sprechen, stattdessen eher von Rekapitulationen und Eklektizismen, bei denen vor allem französische und englische Vorbilder Pate standen.“205 Die Nachahmung insbesondere der französischen Lebensart206, Konversationskunst207 und Erziehung208 scheint bis ins 19. Jahrhundert üblich gewesen zu sein, bis dann im Zuge der von Döcker beschriebenen „Nationalisierung von Verhaltensregeln“ eine strikte Ablehnung der französischen Gebräuche folgte.209 Ein weiterer machtpolitischer Aspekt der Verbreitung von Umgangsformen zeigt sich im Kontext der Kolonisierung während der Neuzeit. Wie Elias aufzeigt, wurden im Zuge der außereuropäischen Besiedlung vielfach auch die hier geltenden Benimmregeln in Umlauf gebracht: „Von der abendländischen Gesellschaft – als einer Art von Oberschicht – breiten sich heute, sei es durch Besiedlung mit Occidentalen, sei es durch Assimilierung von Oberschichten anderer Völkergruppen, abendländisch ‚zivilisierte‘ Verhaltensweisen über weite Räume jenseits des Abendlandes hin aus […].“210

Auch in diesem Fall, so argumentiert Elias weiter, folgt die Angleichung des Verhaltens einer „Einbeziehung in das gleiche Geflecht der politischen und wirtschaftlichen Interdependenzen, […] dessen Zentrum zunächst die Abendländer bilden“211 und durch die sich die gesamte gesellschaftliche Struktur in den besiedelten Gebieten verändert.212 Obwohl Elias bei dieser Aussage sicher nicht die des tatsächlichen Verhaltens in der mittelalterlichen Oberschicht – gemessen an dem der neuzeitlichen – entsprechen.“ (Elias 1969a, S. 84). 205 Göttert 1991, S. 101f. 206 Vgl. Macho 2002, S. 13; vgl. Lüsebrink et al. 2011, S. 36. 207 Vgl. Montandon 1991, S. 13. 208 Vgl. Heckendorn 1970, S. 186. 209 Vgl. Döcker 1994, S. 57f.; so auch Kimmich und Matzat: „Letzteres [das Aushandeln kultureller Identitäten anhand von Umgangsformen] gilt in besonderem Maße für das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland, da zur Zeit des entstehenden Nationalgefühls die Kritik der elaborierten französischen Umgangsformen sich als Abgrenzungsmerkmal besonders anbot.“ (Kimmich, Matzat 2008, S. 11f.). 210 Elias 1969b, S. 344. 211 Elias 1969b, S. 344f. 212 Elias 1969b, S. 344f.

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Vereinigten Staaten im Blick hat,213 lässt sich das Gesagte möglicherweise auch auf diese übertragen. Die Herkunft und Geschichte des Benimmschrifttums in den USA ist ein wiederkehrendes Thema in der Sekundärliteratur.214 Der Historiker Arthur M. Schlesinger beispielsweise, der mit Learning How to Behave. A Historical Study of American Etiquette Books215 (1968) ein Standardwerk zur Geschichte der amerikanischen Etikette schuf, beschäftigt sich eingehend mit deren Ursprung. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist, dass die Ratgeber, die in den frühen amerikanischen Kolonien kursierten, allesamt Plagiate englischer Handbücher waren, die wiederum von französischen Originalen abgeschrieben worden waren.216 Die Siedler orientierten sich folglich an den „better classes at home“217 und versuchten, deren aristokratischen Lebensstil nachzuahmen und damit einen entsprechenden gesellschaftlichen Status für sich zu beanspruchen: „For the most part these manners were borrowed consciously, if sometimes with bizarre effect, from Europe, where a hereditary leisure class held the position which America’s newly rich anguished to attain in their own country.“218 Dass sie damit vermutlich unbewusst französische Konventionen des Umgangs in den Kolonien etablierten, lag daran, dass Frankreich, hier bestätigt Schlesinger die Aussagen Elias’, seit dem Mittelalter „Europe’s chief instructor in courtesy“219 gewesen war und auch der englische Adel sein Verhalten von jeher am französischen Vorbild ausgerichtet hatte: „For many years the most popular British manuals of deportment were translations, revisions or plagiarisms of French guides, with an occasional adaptation from the Italian; and these publications, sometimes in the original tongue, early found their way onto the shelves of well-to-do colonials.“220

213 So spricht Elias etwa von „weißen Mutter- oder Vaterländern“ (vgl. Elias 1969b, S. 344f.). 214 Vgl. Hemphill 1999; vgl. Goodwin 1999; vgl. Bushman 1992; vgl. Kasson 1990; vgl. Halttunen 1982; vgl. Schlesinger 1968. 215 Schlesinger 1968. 216 Vgl. Schlesinger 1968, S. 4. 217 Schlesinger 1968, S. 5. 218 Schlesinger 1968, S. 29. 219 Schlesinger 1968, S. 5. 220 Schlesinger 1968, S. 5; zu den „well-to-do colonials“ gehörten insbesondere die reichen Plantagenbesitzer im Süden sowie die erfolgreichen Kaufleute und Händler in den nördlichen Hafenstädten (vgl. Schlesinger 1968, S. 6ff.).

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Auch lange nach der Loslösung vom britischen Mutterland waren laut Schlesinger Etikette-Ratgeber aus amerikanischer Feder eher die Ausnahme als die Regel.221 Zwar wurden im Laufe der Zeit die Umgangsformen den spezifischen amerikanischen Umständen angepasst, doch konnte man noch geraume Zeit später die überlieferten europäischen Konventionen, auf denen die neuen Standards aufbauten, erahnen.222 Diese These Schlesingers wird vom Historiker Richard L. Bushman in seinem 1992 erschienenen Werk The Refinement of America. Persons, Houses, Cities223 bestätigt und weiter konkretisiert. Bushman ist der Ansicht, dass noch im 19. Jahrhundert die amerikanischen Etikette-Ratgeber eine Fülle von Regeln enthielten, die ursprünglich für die höfische Gesellschaft vorangegangener Jahrhunderte gedacht waren.224 Dieses Phänomen beschreibt er etwas überspitzt wie folgt: „In the drawing rooms and parlors which the colonials constructed for themselves on the edge of the North American wilderness, Americans in Boston and on the Potomac lived by rules written for Italian noblemen and French princes.“225

Bushman äußert sich überrascht über den andauernden Einfluss der aristokratischen Kultur Europas auf die Lebensformen in der „Neuen Welt“, insbesondere, da sich die sozialen Umstände grundlegend von denen der Herkunftsländer unterschieden und sich die amerikanischen Siedler eigentlich der Erschaffung einer egalitären Gesellschaftsform mit einer republikanischen Regierung verschrieben hatten.226 Die Wurzeln der amerikanischen Etikette sieht auch der Historiker und Amerikanist Kasson, der mit Rudeness & Civility227 (1990) eine Studie über Umgangsformen in den amerikanischen Städten des 19. Jahrhunderts veröffentlichte, in Europa: „Almost all books on manners in colonial America were reprinted from English and French sources.“228 Den Grund für den Blick der Siedler zurück ins Mutterland sieht Kasson wie Schlesinger in den hierin mani-

221 Vgl. Schlesinger 1968, S. 9. 222 Vgl. Schlesinger 1968, S. 65. 223 Bushman 1992. 224 Vgl. Bushman 1992, S. xix. 225 Bushman 1992, S. 33. 226 Vgl. Bushman 1992, S. xvi und S. 32. 227 Kasson 1990. 228 Kasson 1990, S. 12.

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festierten Statusbestrebungen, also einem Festhalten an dem hierarchischen Gedankengut, das aus der alten Heimat mitgebracht worden war: „Viewing American society in the rank-ordered terms of England, the colonial landed and commercial gentry sought to emulate the style of their English counterparts and to assume their places at the top of the social hierarchy. They expressed their ambitions by seeking to exert cultural as well as political leadership and eagerly demonstrated their cosmopolitan taste. [...] They followed all English styles closely and demanded the latest London fashions in their household furnishings and clothes.“229

Im Gegensatz zu Schlesinger und Bushman ist Kasson jedoch der Auffassung, dass sich im 19. Jahrhundert allmählich eine genuin amerikanische Autorenschaft herausbildete und diese nach und nach den Ratgebermarkt für sich beanspruchte. Dennoch, das bestätigt auch er, blieb eine Vielzahl britischer Handbücher im Umlauf, da ihr Vertrieb aufgrund mangelnder internationaler Urheberrechtsvereinbarungen äußerst gewinnbringend war.230 Außerdem vertraten die amerikanischen Autoren offenbar die Ansicht, man müsse das Rad nicht neu erfinden, um eine „distinctively American etiquette“231 zu schaffen und veröffentlichten lediglich abgewandelte Versionen importierter Etikette-Ratgeber: „Writers adapted, transformed, and generalized the older traditions of English and Continental courtesy books to fit the requirements of a professedly egalitarian society […].“232 Ziel war es, den amerikanischen Landsleuten von „imported superfluities“233 befreite Regelwerke an die Hand zu geben, die dem Leben in einem demokratischen und christlich geprägten Amerika entsprachen.234 Da jedoch, glaubt man Kasson, die französischen Kompendien vor Snobismus und überheblichem Gehabe nur so strotzten und somit ungeeignet für die amerikanische Leserschaft waren, orientierte man sich ab dem 19. Jahrhundert immer seltener an den kontinentaleuropäischen Vorlagen.235 Es bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass häufig machtpolitische Implikationen, also auch das mit bestimmten Umgangsformen verbundene Abgrenzungspotential, im Zusammenhang mit der Verbreitung bestimmter Umgangsformen standen. So bewirkte das hohe Ansehen der vom französischen Hof 229 Kasson 1990, S. 20. 230 Vgl. Kasson 1990, S. 47. 231 Kasson 1990, S. 64. 232 Kasson 1990, S. 64. 233 Kasson 1990, S. 64. 234 Vgl. Kasson 1990, S. 64. 235 Vgl. Kasson 1990, S. 47.

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stammenden Verhaltensideale eine Orientierung sowohl des britischen als auch des deutschen Adels an den französischen Königshöfen. Dies führte wiederum, so wurde gezeigt, zu einem gemeinsamen Ursprung der verhaltenspräskriptiven Literatur Deutschlands und der USA und damit möglicherweise – dieser Frage wird noch nachzugehen sein – zu länderübergreifenden Übereinstimmungen im Benehmen.

G ELTUNGSBEREICH VON U MGANGSFORMEN In der alten Betrachtungsweise gab es das „gute Benehmen“ und die Gesellschaft, in der es stattfand. Der Geltungsbereich von Umgangsformen war damit kaum eingegrenzt. Nachdem aber die Funktion Distinktion erkannt wurde, rückte der Tatbestand des Geltungsbereichs oder der Bezugsebene ins Bewusstsein. Denn damit sich eine bestimmte soziale Einheit anhand des Verhaltens von einer anderen abgrenzen kann, müssen die entsprechenden Umgangsformen auf eine bestimmte Gruppe, einen bestimmten Träger, beschränkt sein. Umgekehrt erfüllen Umgangsformen damit auch eine integrative Funktion: Innerhalb einer bestimmten, meist größeren Einheit dienen das geteilte Wissen um Verhaltensregeln und deren gemeinsames Befolgen der Selbstvergewisserung dieser Gruppe. Umso mehr überrascht, dass die Sekundärliteratur das Problem des Geltungsbereichs übersieht. Viele Autoren klammern die Frage der Bezugsebene aus oder begnügen sich mit Randbemerkungen. Die Soziologin WinterUedelhoven etwa sieht Umgangsformen ohne jede Einschränkung als Teil des „menschlichen Lebens“ und spricht von „Mitmenschen“ als Interaktionspartnern236, als ob es sich bei Etikette-Vorschriften um allgemeingültige anthropologische Grundregeln handeln würde. Auch bei Goffman ist der Träger von Umgangsformen meist nicht deutlich auszumachen. So bezeichnet er bestimmte Benimmregeln als „conventionalized means of communication“237, ohne dabei die Kommunikationsgemeinschaft, an welche die Symbole der Kommunikation stets gebunden sind, näher zu benennen. Doch obwohl der Geltungsbereich von Umgangsformen in der Sekundärliteratur nicht explizit erörtert wird, spürt man, dass hier bestimmte unbewusste Prämissen zugrunde liegen. Der von den Autoren implizit unterstellte Geltungsbereich ist dabei uneinheitlich. Die einen verwenden Großkategorien wie Zivilisation, Nation oder Gesellschaft; die anderen differenzieren weiter und beziehen

236 Vgl. Winter-Uedelhoven 1991, S. 79. 237 Goffman 1956, S. 476.

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sich auf Konzepte wie soziale Klassen oder Gruppen. Die unterschiedlichen Bezugsebenen der Autoren sollen im Folgenden beleuchtet werden, wobei nach der Größe der Einheiten vorgegangen wird. Zivilisation und Abendland Die beiden austauschbaren Begriffe „Zivilisation“ und „Abendland“ markieren den wohl umfassendsten und dabei am wenigsten klar zu umreißenden Geltungsbereich, der Umgangsformen in der Sekundärliteratur unterstellt wird. Doch zusätzlich zu der mangelnden Greifbarkeit dieser beiden Konstrukte sind sie aufgrund ihrer wertenden Konnotation zu kritisieren. So gelten die Konzepte Zivilisation und Abendland heute als fragwürdig, da ihnen Evolutionismus238 und Eurozentrismus239 zur Last gelegt wird. Insbesondere den beiden Disziplinen Anthropologie und Soziologie wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, ihre Auffassung von Evolution sei von jeher von drei unhaltbaren Hypothesen geprägt gewesen: „Diese Annahmen waren erstens, daß ‚Kulturen‘ von einem Stadium zum anderen ‚fortschreiten‘, – und zweitens, daß solches ‚Fortschreiten‘ von einem weniger zu einem mehr entwickelten Zustand führe, – und drittens, daß eine westliche Kultur am weitesten entwickelt sei.“240

Tatsächlich wird aber gerade in Bezug auf Umgangsformen und deren Entwicklungsgeschichte immer noch häufig auf die klassische Gliederung in Entwicklungsstufen wie „Wildheit – Barbarei – Zivilisation“241 zurückgegriffen. Dabei 238 Def. „Evolutionismus“: „Abwertende Bezeichnung für die klassische Evolutionstheorie, der unterstellt wird, sie habe die Evolution als zwangsläufig, unumkehrbar, unilinear und kontinuierlich betrachtet.“ (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 189). 239 Def. „Eurozentrismus“: „ideologisches Pendant zur politischen und ökonomischen Hegemonie der westlichen Gesellschaft (Europa und Nordamerika) über den ‚Rest der Welt‘. In der Wissenschaft kritisiert E. (als negativer Wertbegriff) die Tendenz, die sozialen Verhältnisse außereuropäischer Gesellschaften mit westlichen Maßstäben zu bewerten.“ (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 188). 240 Siddique 1992, S. 37f.; Hervorhebung im Original. 241 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 390; so auch Siddique: „Ein solcher Versuch, unterschiedliche Kulturen ins Verhältnis zueinander zu setzen mit einer Art evolutionärer Skala, die vom ‚Wilden‘ über den ‚Barbaren‘ bis zum ‚Zivilisierten‘ führt (so die bekannten Begriffe von Lewis Henry Morgan), war geläufig in der Anthropologie des 19. Jahrhunderts.“ (Siddique 1992, S. 37; Hervorhebung im Original).

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wird erstens gutes Benehmen – also heute geltenden Vorschriften entsprechendes oder zumindest ähnelndes Verhalten – als Kennzeichen einer zivilisierten Kultur betrachtet, zweitens von einer Verfeinerung der Manieren in Übereinstimmung mit der Fortentwicklung dieser Kultur ausgegangen und drittens werden die Standards einer westlichen oder europäischen Kultur der Bewertung des Zivilisationsgrades zugrunde gelegt. Diese drei an Anthropologie und Soziologie bemängelten Betrachtungsweisen finden sich häufig in der Sekundärliteratur. Elias etwa beschreibt in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel „Über den Prozess der Zivilisation“242 eine solche kulturelle Evolutionskette. „Zivilisation“ definiert er dabei wie folgt: „[D]ieser Begriff bringt das Selbstbewußtsein des Abendlandes zum Ausdruck. Man könnte auch sagen: das Nationalbewußtsein. Er faßt alles zusammen, was die abendländische Gesellschaft der letzten zwei oder drei Jahrhunderte vor früheren oder vor ‚primitiveren‘ zeitgenössischen Gesellschaften voraus zu haben glaubt. Durch ihn sucht die abendländische Gesellschaft zu charakterisieren, was ihre Eigenart ausmacht, und worauf sie stolz ist: den Stand ihrer Technik, die Art ihrer Manieren, die Entwicklung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis oder ihrer Weltanschauung und vieles andere mehr.“243

Zum einen wird hier deutlich, dass Elias das „Abendland“ als Träger der „Zivilisation“ betrachtet, wobei dieses Konzept „die nationalen Differenzen zwischen den Völkern bis zu einem gewissen Grade zurücktreten“ lässt und „akzentuiert, was allen Menschen gemeinsam ist, oder – für das Gefühl seiner Träger – sein sollte.“244 Während also die Idee der Zivilisation auf eine bestimmte Gruppe von Völkern verbindend wirkt, dient sie gleichzeitig dazu, diese von anderen „‚primitiveren‘ zeitgenössischen Gesellschaften“245 abzugrenzen.246 Es ist anzunehmen, dass Elias bei seiner Aussage Europa und Nordamerika im Blick hat, da diese beiden Einheiten im Allgemeinen als Abendland betrachtet werden.

242 Elias 1969a; Elias 1969b. 243 Elias 1969a, S. 1f.; eigene Hervorhebung. 244 Elias 1969a, S. 3f. 245 Elias 1969a, S. 1f. 246 So Carter: „Erasmus was the first to propose that we measure a mode of behavior to set those who were civilized apart from those who were not. And if this argument by the pacifist Erasmus later helped supply, albeit indirectly, justifications for everything from slavery to imperialism, it also leads, rather more directly, to the happy possibility of a community (or a nation, or perhaps a world) bound together by shared norms of proper conduct.“ (Carter 1998, S. 14).

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Fest steht zudem, dass der Zivilisationsbegriff u.a. auch Umgangsformen umfasst und diese folglich bei Elias der „abendländischen Gesellschaft“ zugeschrieben werden. Noch heute, so argumentiert der Soziologe weiter, würden bestimmte seit jeher geltende „Gebote und Verbote“ etwas „durch alle nationalen Verschiedenheiten hindurch […] etwas dem Abendlande Gemeinsames spürbar“247 werden lassen, das „trotz aller Unterschiede ein gemeinsames Gepräge, das Gepräge einer spezifischen Zivilisation“ gebe.248 Geteilte Umgangsformen, so könnte man seine Aussage zusammenfassen, fördern also das Zusammengehörigkeitsgefühl des Abendlandes (Europa und Nordamerika) und grenzen die hierin versammelten Völker gleichzeitig von anderen „unzivilisierten“ Völkern ab. Dass Elias 1939 die Begriffe „Zivilisation“ und „Abendland“ noch unhinterfragt verwendet, mag aufgrund der Zeitgenossenschaft nicht weiter verwundern. Dennoch nimmt er an mancher Stelle die Kritik an diesen Konzepten bereits vorweg, indem er sich mit Hilfe von Anführungszeichen („zivilisiert“ vs. „primitiv“) oder gelegentlichen Hinweisen auf die Gefahren und Mängel dieser Terminologie zu distanzieren versucht. Zusätzlich erkennt Elias, dass die Idee der „Zivilisation“ und das darin implizierte Überlegenheitsgefühl dem „Abendland“ in der Vergangenheit, z. B. während der Kolonialzeit, auch zur Rechtfertigung ihres Hegemonialanspruchs gedient habe.249 Nichtsdestoweniger soll Elias’ Standardwerk den historischen Wandel der Persönlichkeits- und Gesellschaftsstrukturen in Richtung einer geglaubten „Zivilisation“ schildern, wobei man dem Soziologen, wie der Ethnologe Hans Peter Dürr ausführt, aller Einsichten zum Trotz unterstellen könnte, er selbst wäre einem evolutionistischen und damit eurozentristischen Gedankengut verhaftet.250 Auch von Jhering meint entsprechende Entwicklungsstrukturen, wenn er zu Beginn des von „Kulturstufen“251 spricht und damit einer zu seinen Lebzeiten (1818–1892) verbreiteten Vorstellung gerecht wird, die heute allerdings ebenfalls als „wissenschaftlich […] überholt“ und „einem eurozentristischen Gedankengut verhaftet“252 gilt. Begründet wird auch in diesem Zusammenhang die Ablehnung des Begriffs mit der „gewaltsamen Zusammenordnung raumzeitlich disparater Kulturen auf jeweils einer Stufe und der implizierten Einlinigkeit der Menschheitsgeschichte.“253 247 Elias 1969b, S. 6f. 248 Elias 1969b, S. 6f. 249 Vgl. Elias 1969a, S. 63f.; vgl.Carter 1998, S. 14. 250 Vgl. Dürr 1998–2002. 251 Von Jhering, Fischer 2004, S. 47; vgl. von Jhering 1905, S. 264 und S. 276. 252 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 390. 253 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 390.

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Ob Abendland, Zivilisation oder Kulturstufen – all diese Konzepte beinhalten ein westliches Überlegenheitsdenken und eine klare Dichotomie von „Okzident“ und „Orient“ oder anderen für rückständig und primitiv gehaltene Einheiten. Diese implizite Wertung sowie die Konturlosigkeit der zugrunde gelegten Größen lassen diese als wenig geeignete Geltungsbereiche von Umgangsformen erscheinen. Nation Weit weniger umfassend, jedoch ebenfalls in erster Linie der distinguierenden und gleichzeitig integrativen Funktion von Umgangsformen geschuldet, ist die Annahme, Benimmregeln wären auf der Ebene der Nation anzusiedeln. Tatsächlich sind es „Völker“, die von Jhering in seinen aus dem beginnenden 20. Jahrhundert stammenden Arbeiten unterschiedlichen „Kulturstufen“ zuordnet, sodass von einem nationalen Bezugsrahmen auszugehen ist: „Überall, bei allen Völkern und auf allen Kulturstufen finden wir gewisse Normen und Formen in Übung, welche das Individuum in seiner persönlichen Berührung mit anderen zu beachten pflegt, und welche die Sprache als Umgangsformen bezeichnet.“254 Elias weiß auch um die Möglichkeit einer, wie er es nennt, „nationalen Integrationsform“255, doch hält er diese für eine temporäre Erscheinung, die erst Mitte des 18. Jahrhunderts „mit der allmählichen Verlagerung des sozialen und politischen Schwergewichts von den Höfen in die verschiedenen, nationalen Bürgergesellschaften“256 relevant wurde. Zuvor waren diese Einheiten, das ist allgemein bekannt, lediglich „Staaten, Völker, Nationen im Werden“257, die keinesfalls als „einheitliche, geschlossene und stabile, soziale Gebilde“258 zu verstehen waren und somit auch keine spezifischen Umgangsformen aufzuweisen hatten. Vielmehr – auf diesen Aspekt wird im Folgenden noch einzugehen sein – gibt es auch innerhalb dieser nationalen Verhaltensmuster, die man laut Elias „vielleicht“ und nur „bei näherer Untersuchung“259 noch immer feststellen kann, „Unterschiede des sozialen Standards“.260 Davon abgesehen halten insbesondere die Soziologen und Historiker, die sich mit der räumlichen Verbreitungsgeschichte von Etikette-Ratgebern beschäf254 Von Jhering, Fischer 2004, S. 47; vgl. von Jhering 1905, S. 264 und S. 276. 255 Elias 1969b, S. 6. 256 Elias 1969b, S. 6. 257 Elias 1969b, S. 16. 258 Elias 1969b, S. 16. 259 Elias 1969a, S. 78. 260 Elias 1969a, S. 78.

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tigen, Umgangsformen für nationalspezifische Phänomene. Schlesinger beispielsweise stellt folgende These auf: „Manners not only make the man but, to a surprising degree, also a people. Few traits more quickly reveal a person’s nationality than the habitual way he acts; by this sign he instantly subscribes himself an American, a Frenchman, an Italian.“261 Der Historiker besteht demnach auf einer beobachtbaren nationalen Prägung des Verhaltens und behauptet sogar, das Betragen eines Menschen lasse eindeutige und klar unterscheidbare Rückschlüsse auf seine Nationalität zu. Diese Annahme Schlesingers steht im Einklang mit der bereits angesprochenen Distinktionsfunktion von Umgangsformen. Doch auch die integrative Wirkungsweise lässt er nicht außer Acht. Denn der „national yardstick of manners“262 diene seiner Meinung nach auch der räumlichen und sozialen Mobilität der amerikanischen Bevölkerung: „Next to a common language, they carried no better letter of introduction than their adherence to common precepts of courtesy.“263 Uneinheitliche Verhaltensmaßstäbe führten dagegen zu Missverständnissen und Konflikten, meint der Historiker.264 Den Beweis hierfür möchte Wouters erbringen, der in seinem Standardwerk265 vier Länder (Niederlande, Deutschland, Großbritannien, USA) gegenüberstellt und ebenfalls die Nation als Träger von Benimmregeln betrachtet. Seiner Meinung nach prägen nationalspezifische Umgangsformen „a particular national habitus“.266 Habitus bezeichnet dabei nach Bourdieu „das Repertoire kultureller Praktiken (Denk-, Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Aktionsschemata), das den Mitgliedern einer sozialen Einheit (Gruppe, Klasse, Gesellschaft, Kultur) jeweils gemeinsam ist.“267 Im Gegensatz zu dieser vorsichtigen, relativ offenen Formulierung steht für Wouters offenbar fest, dass die hier angesprochene „soziale Einheit“ eine in sich geschlossene Nationalkultur sei. Diese Hypothese wird ergänzt durch die Beschreibung des jeweiligen „national habitus“ anhand kurzer, eingängiger Pauschalisierungen, wie folgender Überblick über den „American habitus“268 deutlich macht: 261 Schlesinger 1968, S. 69. 262 Schlesinger 1968, S. 70. 263 Schlesinger 1968, S. 70. 264 Schlesinger 1968, S. 69. 265 Wouters 2007. 266 Wouters 2007, S. 8 und S. 18 und S. 103ff.; so auch Mennell: „It would be hard to disagree that American moeurs have distinctive characteristics. Every nation’s history leaves its mark upon a people’s habitus.“ (Mennell 2007, S. 52; Hervorhebung im Original). 267 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 267; vgl. Nünning 2005, S. 62. 268 Vgl. Mennell 2007, S. 52.

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„[…] aspects in the development of the American habitus, such as a smaller formalityinformality span, ‚American tough‘, ‚take-it-easy‘, and ‚have-a-nice-day‘ manners, the use of superlatives, a preoccupation with popularity, and social manipulation or engineering. The relative absence of a strong and unified good society, protected against intruders via formalized and internalized rules regarding entrance and mobility, appears to be connected in explanatory ways to a relatively high level of (status) anxiety, a correspondingly lower level of mutual trust, and a comparatively strong reliance upon external social controls.“269

Doch bleibt es nicht bei derartigen Feststellungen, denn schließlich ist das Hauptanliegen des Buches ein Ländervergleich. So schildert Wouters im Ergebnis eine Reihe klarer Gegensätze und Unvereinbarkeiten.270 In dieser polarisierenden Ausdrucksweise und der Verwendung des nationalen Kulturbegriffs steht er vielen Vertretern der Interkulturellen Kommunikation scheinbar in nichts nach. Doch ließe sich hier einwenden, dass die Übertragung seiner Erkenntnisse zur „Informalisierung“ auf sämtliche verglichenen Nationen den Schluss nahe legt, die Reichweite von Umgangsformen sei möglicherweise doch nicht deckungsgleich mit Ländergrenzen und es handele sich vielmehr um ein transnationales Phänomen. Immerhin scheinen die Entwicklungsprozesse, die Benimmregeln in allen vier Ländern durchlaufen, übereinzustimmen und sich auch gleichermaßen auf das Verhalten auszuwirken. Zusätzlich wäre in diesem Kontext anzumerken, dass die vorgenommene geographische Einteilung oftmals undifferenziert und grobmaschig ist. So werden beispielsweise bei Bushman und Schlesinger die Umgangsformen der New World und der Old World gegenübergestellt271, was gleichbedeutend ist mit einem Vergleich zwischen den USA und Europa in seiner Gesamtheit.272 Gleiches gilt für Hemphill und Mennell, die ebenfalls lediglich zwischen angloamerikanischen und kontinentaleuropäischen Tendenzen unterscheiden und damit sämtliche Länder Europas über einen Kamm scheren.273 Dass diese Undifferenziertheit nicht nur der amerikanischen Sekundärliteratur anzulasten ist, beweist Schloss, der gleichfalls eine solche geographische Blockbildung vornimmt.274

269 Wouters 2007, S. 164. 270 Vgl. Wouters 2007, S. 104f. und S. 160. 271 Vgl. Bushman 1992, S. xix und S. 32; vgl. Schlesinger 1968, S. 29 und S. 65. 272 Vgl. Bushman 1992, S. xvi. 273 Vgl. Hemphill 1999, S. 70; vgl. Mennell 2007, S. 52 und S. 57 und S. 67. 274 Vgl. Schloss 2009a, S. xx.

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Die Kritik an einem nationalen oder völkischen Kulturbegriff ist mittlerweile weithin bekannt und wurde bereits mehrfach dargestellt.275 Natürlich könnte man die Vorstellung eines nationalen Geltungsbereichs von Umgangsformen in der Natur der Fragestellung begründet sehen, da die Mehrheit der hier genannten Autoren sich mit der geographischen Verbreitung von Manieren befassen. Da jedoch nicht nur in diesem Zusammenhang von länderspezifischen Manieren ausgegangen wird, erscheint es weitaus plausibler, die Gründe in einer politisch motivierten „Nationalisierung“ der Umgangsformen zu sehen, wie es die These Döckers ist: „Neben dieser Historisierung und Kodifizierung von Verhaltensregeln fällt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deren Nationalisierung auf. Einige Autoren und Autorinnen begrenzen ihr Interesse auf ‚die deutsche Kultur‘, die ‚deutschen Sitten‘ und die ‚deutsche Höflichkeit‘, was eine deutliche Abkehr vom vielzitierten Weltton darstellt.“276

Weiterhin führt die Historikerin aus, dass mit der „Erhebung ‚deutscher Gesittung‘ zur überlegenen Norm“ eine deutliche Herabsetzung beispielsweise französischer Konventionen des Umgangs einherging277, sodass man die Gründe für diese Entwicklung möglicherweise in einem sich zu dieser Zeit verbreitenden

275 Vgl. Hansen 2011, S. 169f.; vgl. Hansen 2009a, S. 94 und S. 100–108; vgl. Haas 2009, S. 139; Moosmüller 2000. 276 Döcker 1994, S. 57f.; so auch Macho: „Spezifische Umgangsformen wurden zu Nationalsymbolen verklärt [...].“ (Macho 2002, S. 15); so auch an anderer Stelle: „Nicht nur Räume und Zeiten [...], sondern auch Höflichkeitsstile werden als Kollektivsymbole proklamiert, die eine imaginäre vertikale Zugehörigkeit – nunmehr zu einem ganzen Kontinent – sichern, ja eigentlich erst konstruieren sollen. Europa wird folglich gegen Amerika, Asien oder die arabische Welt in Stellung gebracht; und diese Positionskämpfe rekurrieren nicht selten auf Üblichkeiten und Umgangsformen.“ (Macho 2002, S. 16); so auch Schneider: „[…] selbst einfache Aspekte des Alltagslebens [werden] zu nationalen Unterscheidungsmerkmalen hochstilisiert […].“ (Schneider 2001, S. 31); so auch Heckendorn: „Trotzdem haben sich clichéhafte Vorstellungen vom Verhalten des Deutschen, des Franzosen, des Schweizers, das anders sei, weil das Fremde ganz einfach anders sein muss, hartnäckig gehalten. Das kann Ausdruck des nationalen Selbstbewusstseins, Ueberbewertung der eigenen ‚Ordnung‘ oder eben doch ein sich tatsächlich manifestierendes Anderssein bedeuten.“ (Heckendorn 1970, S. 183). 277 Vgl. Döcker 1994, S. 57f.

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Nationalismus zu suchen hat.278 Dieser Zusammenhang wird bei der Soziologin Helga Reimann bestätigt und als „Tendenz zur nationalen Abgrenzung“ im 19. Jahrhundert und als Abkehr von der „im 18. Jahrhundert noch so sehr geschätzte[n] Qualität des ‚Kosmopolitischen‘“279 beschrieben. Allgemein bekannt ist mittlerweile auch, dass die Sozialwissenschaften selbst vor diesem Hintergrund entstanden sind und sich bis heute nicht gänzlich von zu dieser Zeit gängigen Konzepten lösen konnten. Diese mit dem Schlagwort „methodologischer Nationalismus“280 beschriebene Verwendung des Nationalstaats als sozialwissenschaftliche Untersuchungseinheit und dessen Gleichsetzung mit Kultur wurde eingangs bereits erwähnt und hat sich hier zusätzlich bestätigt. Gesellschaft Doch nicht nur die Austauschbarkeit der Begriffe Kultur und Nation wird den Sozialwissenschaften heute zu Lasten gelegt. Gleiches gilt für den Terminus der „Gesellschaft“, der – das zeigt auch die Sekundärliteratur – ebenso meist mit dem Territorialgebiet eines Nationalstaates zusammenfällt. Das gilt beispielsweise für Machwirth, der sich fortwährend auf den Dualismus von Gesellschaft und Individuum bezieht und damit einen Begriff verwendet, dessen Bedeutung nicht hinreichend geklärt und festgelegt ist. Zum einen bezeichnet er lediglich pauschal „das jeweils umfassendste System menschlichen Zusammenlebens“281, zum anderen wird er häufig durch ein „abgegrenztes Territorium“282 definiert. Damit ist der Gesellschaftsbegriff entweder aufgrund seines „komplexen und zunehmend umstrittenen“283 Charakters oder aber wegen der räumlichen Impli278 Def. „Nationalismus“: „[1] allgemein Bezeichnung für ein übertriebenes Nationalbewusstsein, in dem die eigenen [sic!] Nation auf Kosten anderer überhöht wird. [2] Als politische Ideologie und Kraft war der N. ursprünglich progressiver Ausdruck für die Forderung des aufkommenden Bürgertums nach einer, seinen ökonomischen Bedürfnissen entsprechenden Verkehrsform, dem Nationalstaat. Im späten 19. Jahrhundert wandelte sich der N. in eine reaktionäre Herrschaftslegitimation. Soziale Basis des N. war das ökonomisch ungesicherte Kleinbürgertum, ihm dient er als Abwehrideologie.“ (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 465); vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 607. 279 Reimann 1992, S. 236. 280 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 697. 281 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 241f. 282 Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 241f.; vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 289. 283 Hillmann, Hartfiel 2007, S. 289.

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kationen, also der Gleichsetzung mit der Nation, zu hinterfragen.284 Dass auch Machwirth einen nationalstaatlich geprägten Gesellschaftsbegriff vertritt, wird an anderer Stelle klar: „Mit dem allmählichen Zerfall der gesamteuropäischen Kultureinheit am Ende des Mittelalters differenzieren sich erstmals die Höflichkeitsmuster der einzelnen Kulturen.“285 Der Kontext macht deutlich, dass der Soziologe mit „Kulturen“ politische Gebilde, also Nationalstaaten, meint und damit Umgangsformen einen nationalen Geltungsbereich unterstellt. Der Bezugsrahmen der Gesellschaft findet sich ebenso bei Döcker: „[…] betrachte ich die Autor/inn/en von Umgangslehren und Manierenbüchern als Akteure ihrer Gesellschaft, die auf der Grundlage ihrer Erfahrungen, ihres Wissens und ihrer Sichtweisen die praktischen Umgangsformen in ihrer Gesellschaft (in ihrem sozialen Milieu) beschreiben.“286

Döckers Auffassung von Gesellschaft ist jedoch weit weniger umfassend als bei Machwirth, was sich an dem vorangestellten Possessivpronomen („ihrer Gesellschaft“) und der Konkretisierung in Klammern („in ihrem sozialen Milieu“) zeigt. Zusätzlich, das wird im Folgenden noch näher zu erläutern sein, deutet die Gleichsetzung von „Gesellschaft“ und „sozialem Milieu“ auf eine weitere Bedeutung hin. So kann der Begriff der „Gesellschaft“ insbesondere im Kontext von Umgangsformen und Etikette auch die „gute Gesellschaft“ oder die „Oberschicht“ bezeichnen.287 Gesellschaftliche Gruppen Überdies differenzieren auch Machwirth, der Kulturanthropologe Wernhart sowie Schürmann den von ihnen verwendeten Gesellschaftsbegriff teilweise noch weiter. So schlägt etwa Machwirth bei der Erläuterung der symbolischen Bedeu284 Vgl. Matthes 2000, S. 17f.; so auch Bommes über Matthes: „Matthes hält den Sozialwissenschaften und ‚ihrer Kerndisziplin‘, der Soziologie, den Spiegel vor. Er unterstreicht, daß sie selbst und ihr Verständnis sozialer Prozesse, insbesondere in ihrem Begriff von Gesellschaft, sich an die Tradition des europäischen Nationalstaates und das damit kulturgeschichtlich durchgesetzte Verständnis des Sozialen gebunden hätten, demzufolge Gesellschaften nationalstaatlich verfaßt, homogen und daher durch die Differenz des je ‚Eigenen‘ im Unterschied zum ‚Fremden‘ gekennzeichnet seien.“ (Bommes 2000, S. 9). 285 Machwirth 1970, S. 19f. und S. 280. 286 Döcker 1994, S. 23; Hervorhebung im Original. 287 Vgl. Kapitel Oberschicht oder „gute Gesellschaft“.

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tung von Höflichkeitsgesten den alternativen, einer Gesellschaft untergeordneten, Terminus der „Gruppe“ vor: „Im äußersten Fall sind die Gesten dann nur zu verstehen, wenn man die konventionelle Bedeutung gelernt hat. Man muß also Mitglied jener Gruppe oder Gesellschaft sein, die diese Symbole entwickelt bzw. tradiert hat.“288 Hier wird erneut auf die distinguierende und gleichzeitig integrative Funktion von Umgangsformen hingewiesen, welche die Frage nach dem Geltungsbereich erst relevant macht. Dass Umgangsformen der Abgrenzung und Inklusion innerhalb von „Untergruppen“ dienen können, erkennt auch Wernhart: „Richtiges Benehmen wurzelt im korrekten, d. h. gesellschaftlich akzeptierten Umgang mit den Werten und Normen zunächst der eigenen Sozietät und deren Untergruppen, aber darüber hinausgehend auch in der Achtung fremder Werte und Normen außerhalb der eigenen Gruppe.“289

Dieser Auffassung würde sich Schürmann vermutlich anschließen, wie dessen Bezugnahme auf ein Zitat des französischen Philosophen Montaigne offenbart: „Nach einem Wort Montaignes hat nicht nur jedes Land, sondern jede Stadt und jede soziale Schicht ihre eigene Höflichkeit.“290 Auch der Kulturwissenschaftler Thomas Macho beruft sich auf Montaigne, als er „den Zusammenhang zwischen Umgangsformen und Zugehörigkeit“291 beschreibt; er übersetzt jedoch „vacation“292 nicht mit „sozialer Schicht“, sondern mit „Beruf“.293 Tatsächlich, das ergibt der Blick in ein historisches Wörterbuch, bedeutete „vacation“ zur Zeit Montaignes Beruf, war also mit „profession, métier“ gleichzusetzen294, sodass gefolgert werden kann, dass auch bestimmte Berufsgruppen eigene Umgangsformen ausbilden. 288 Machwirth 1970, S. 192. 289 Wernhart 2008, S. 19; Hervorhebung im Original. 290 Montaigne 1924–1927, zit. nach Schürmann 1994, S. 2. 291 Macho 2002, S. 10. 292 Im Original heißt es: „Non seulement chasque païs, mais chasque cité et chasque vacation a sa civilité particuliere.“ (Montaigne 2007, S. 70). 293 Macho 2002, S. 10. 294 Def. vacation: „Le derivé VACATION n.f. signifie d’abord (v. 1250) ‹zèle, ténacité; cette acception a disparu, mais la valeur d’ ‹occupation› s’est conservée dans différents emplois du mot. Il a été employé pour ‹occupation› (v. 1390), puis a désigné (déb. XVe s.) le salaire versé à un ouvrier, à un homme d’affaires (1405, vaccacion; 1480, vacations) et a eu le sens de ‹profession, métier› (1408) relevé jusqu’au XIXe s. [...].“ (Rey 2010, S. 2414; Hervorhebung im Original).

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In der amerikanischen Sekundärliteratur hält man ebenfalls Gruppen für Träger von Umgangsformen. Goffman etwa erwähnt „Gruppen und Subkulturen“ und deren ungleiche Vorstellungen von „Ehrerbietung und Benehmen“, die zu „zeremoniellen Schwierigkeiten bei Kontakten zwischen verschiedenen Gruppen“ führen könnten.295 Der hier durchscheinende Kulturbegriff stellt offenbar – trotz kleinerer terminologischer Ungenauigkeiten296 – eine äußerst differenzierte Sichtweise dar. Doch das von ihm zur Veranschaulichung herangezogene Beispiel, das eine Störung der diplomatischen Beziehungen zwischen Großbritannien und China beschreibt297, könnte darauf hinweisen, dass Goffman gesamte Nationen als Gruppen definiert. Damit wäre seine Zuschreibung von Umgangsformen auf nationaler Ebene gesichert und folglich weit weniger nuanciert, als seine übrigen Aussagen vermuten ließen. Demgegenüber liefert die Geschichte des Ratgebergenres ein sicheres Indiz dafür, dass Umgangsformen gruppenspezifische Phänomene sein könnten. Denn, so führt Döcker aus, im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden spezielle, an bestimmten Zielgruppen orientierte Verhaltensgrammatiken: „Neben den bereits angesprochenen Veränderungen ist in den neuen Manierenbüchern auch die starke Differenzierung nach Zielgruppen auffällig. So erscheinen ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht nur eigene Manierenbücher für spezielle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens (Essen, Tanzen, Reisen etc.), sondern auch für Männer, Frauen oder Jugendliche und für bestimmte gesellschaftliche Gruppen – bald auch Benimmbücher ‚für das Volk‘.“298

Reimann sieht die Differenzierung der verhaltenspräskriptiven Literatur, insbesondere im 20. Jahrhundert, im Kontext übergeordneter gesellschaftlicher Entwicklungen: „Einige dieser Bücher folgten auch der zunehmenden sozialen und 295 Goffman 2006, S. 332; vgl. Goffman 1971, S. 55f. 296 Die Bezeichnung „Gruppe“ kann, streng nach Definition, nur auf eine Mehrzahl von Individuen angewandt werden, die in regelmäßiger Interaktion miteinander stehen, ist damit zumeist deckungsgleich mit dem soziologischen Begriff der Kleingruppe, die maximal 25 Personen einschließt, und damit relativ begrenzt ist (vgl. FuchsHeinritz et al. 2011, S. 262; vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 318f.). Ähnlich eng ist der Begriff der „Subkultur“ gefasst, insbesondere, da „er den Gegensatz zu einer bequem benennbaren ‚Suprakultur‘ suggeriert“ und so zusätzlich durch die Konnotation des Widerstandes oder der Abweichung belastet ist (vgl. Eagleton 2001, S. 105f.). 297 Vgl. Goffman 1971, S. 91. 298 Döcker 1994, S. 61.

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beruflichen Differenzierung und wandten sich speziell an Leser aus dem kleineren und mittleren Bürgertum oder aus einzelnen Berufsgruppen.“299 Zusätzlich zu den nach Alter, Geschlecht, Schicht oder sonstiger Gruppenzugehörigkeit differenzierten Benimmbüchern entstand – eine entsprechende Aussage findet sich auch bei Schlesinger – eine spezifische business etiquette300, die Geschäftsleuten eigene Umgangsregeln nahelegte. Was diese speziell an die Beschäftigten in Industrie und Handel gerichteten Normen von den allgemein verbindlichen Richtlinien des Verhaltens unterschied, war nicht nur das damit verbundene Ziel der Profitmaximierung. Vielmehr noch bildeten sich eigene Höflichkeitsstandards aus, die den funktionellen Anforderungen des Umfelds entsprachen.301 Die These, dass Berufsgruppen Träger bestimmter Umgangsformen seien, war bereits Inhalt des oben aufgeführten Zitat Montaignes und wird hier zusätzlich anhand der Gattungsgeschichte bestätigt. Soziale Klassen Wer wie Elias auch „Unterschiede des sozialen Standards“302 innerhalb einer Nation oder Gesellschaft erkennt, hält meist soziale Klassen für Träger von Umgangsformen: „Dabei gibt es zahlreiche […] Beobachtungen, die darauf hinweisen, daß der Standard und die Muster der Affektkontrollen […] in verschiedenen Schichten der gleichen Gesellschaft verschieden sein können.“303 Insbesondere im Kontext der in der Sekundärliteratur diskutierten Distinktionsfunktion von Umgangsformen werden diese meist als schichtenspezifische Verhaltensmuster betrachtet. Das gilt auch für die untersuchten Textstellen von Jherings, der sich, etwa als er die Funktion der „unechten Anstandsregeln“ erläutert, auf soziale Klassen bezieht: „Nach meiner Ansicht liegt ihnen dasselbe Motiv zugrunde, wie der Mode: das Bestreben der Abscheidung der höheren Stände von den niederen: sie bilden das konventionelle Abzeichen, das Schiboleth der vornehmen Gesell-

299 Reimann 1992, S. 239; vgl. Schürmann 1994, S. 50. 300 Schlesinger 1968, S. 59ff. 301 So Schlesinger: „The neophytes learned that it was improper to say ‚O.K.‘ and ‚All righty‘; that they must never dispute with a shopper even when he was wrong (‚It is useless to win an argument and lose a customer‘); and that they should always speak kindly to children when accompanied by a parent.“ (Schlesinger 1968, S. 59ff.). 302 Elias 1969a, S. 78. 303 Elias 1969a, S. VII; vgl. Elias 1969a, S. 38f.

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schaft […].“304 Entsprechend wird auch in den übrigen soziologischen Beiträgen – so z. B. bei Machwirth, Goffman und Wouters – argumentiert. Wie bereits eingehend erörtert, wird in der Literatur davon ausgegangen, dass Umgangsformen bestimmten Gruppen oder Klassen zur Distinktion dienen und sie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht symbolisieren. Hier könnte man jedoch einwenden, dass dies nicht nur auf soziale Klassen, also Gruppen, die entlang einer gesellschaftlichen Hierarchie angeordnet sind, zutrifft. Es ist denkbar und wurde im vorangegangenen Abschnitt auch bereits belegt, dass etwa Berufsgruppen spezifische Verhaltensregeln ebenso zur Integration und Abgrenzung gegenüber anderen nutzen. Diese These steht auch im Einklang mit der Kritik der Sozialwissenschaften an einer einseitigen Differenzierung nach Klasse, Kaste, Stand oder Schicht305, da hier entsprechend der Definition von Bourdieu nur „ökonomisches Kapital“, „Bildungskapital“ und „‚soziales Kapital‘ (soziale Beziehungen)“306 berücksichtigt werden.307 Zusätzlich geht man davon aus, dass die Klassenstruktur aktuell, bedingt durch Prozesse wie Strukturwandel, gesellschaftliche Pluralisierung und verstärkte soziale Mobilität, an Trennschärfe und Rigorosität verloren hat.308 Das äußert sich u.a. darin, dass sich die Schichtenzugehörigkeit nur noch auf vereinzelte Verhaltensbereiche auswirkt, wie der Soziologe Stefan Hradil erkennt: „So unbewußt angeeignet, so unausweichlich einstellungsprägend, so zählebig anhaftend, in allen Lebensbereichen verhaltensregulierend und für große Gruppen übereinstimmend sind klassenspezifische Habitusunterschiede nicht, zumindest nicht heute und nicht in Deutschland. Neuere Nachprüfungen der Daten Bourdieus kamen zum Ergebnis, dass zwar die Unterschiede hochkultureller Verhaltensweisen (Musik, darstellende Kunst etc.) der Menschen mit ihrer Klassenzugehörigkeit und insbesondere mit dem Bildungsgrad deutlich einhergehen. Dies trifft aber für die große Menge des sonstigen Verhaltens weit weniger zu.“309

Möglicherweise verwendet Döcker aus oben genannten Gründen den Begriff des „sozialen Milieus“, der Ausdruck der „Auflockerung und Differenzierung der überkommenen Klassen- und Schichtungsstruktur“ seit den 1980er Jahren ist. Im Unterschied zur Definition einer „Klasse“ werden bei der Beschreibung von „so304 Von Jhering 1905, S. 279; vgl. von Jhering 1905, S. 275. 305 Vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 422f. 306 Hradil 2004, S. 264. 307 Vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 341; vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 422f. 308 Vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 567; vgl. Hillmann, Hartfiel 2007, S. 422f. 309 Hradil 2004, S. 266.

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zialen Milieus“ „Wertorientierungen, Lebensziele[…] und -stile[…]“ berücksichtigt310 und somit wird von einer strikt vertikalen Einteilung Abstand genommen. Insofern als die Abkehr von dieser Vorstellung der gesellschaftlichen Strukturen eine relativ aktuelle Entwicklungen darstellt, mag es durchaus seine Berechtigung haben, dass in den historischen Teilen der Sekundärliteratur die Begriffe der Klassen oder Schichten noch allgegenwärtig sind und diese auch mit dem Geltungsbereich von Umgangsformen gleichgesetzt werden. So etwa bei Hemphill, deren Standardwerk Bowing to Necessities311 (1999) größtenteils darauf ausgelegt ist, zu beweisen, dass die Funktion von Umgangsformen auch in der viel beschworenen klassenlosen amerikanischen Gesellschaft darin besteht, hierarchische Strukturen aufrechtzuerhalten und zu festigen.312 Der bereits geäußerte Kritikpunkt, der besagt, dass bei der gesellschaftlichen Schichtung meist nur ökonomisches Kapital zum Tragen komme313, wird von Hemphill selbst bestätigt, wenn sie an anderer Stelle feine Manieren mit finanziellem Potential gleichsetzt.314 Konkret beschreibt sie, welch großen Vermögensaufwand die unabdingbaren Requisiten, wie ein separates Esszimmer, ein Piano oder auch Hausangestellte, bedeuten können und zieht damit eine Grenze zwischen Reichen mit gutem Benehmen und Armen ohne Lebensart. Auch Kasson vertritt die Meinung, dass Umgangsformen in der Vergangenheit und bis heute dem Einzelnen seinen Platz in der gesellschaftlichen Rangordnung zuwiesen: „[…] all the actors in this social drama knew their places and the parts assigned to them. They enacted them in their clothes and deportment, their word and gesture, houses and furnishings, food and drink.“315 Die Möglichkeit einer zusätzlichen Festigung dieses Klassenbewusstseins erkennt Kasson in der Distinktionsfunktion, die den Konventionen des Umgangs inhärent sei.316 Bushman hält ebenfalls die von ihm beschriebene gentility für die symbolische Inszenierung eines bestimmten sozialen Status. In den frühen amerikanischen Kolonien, so argumentiert er, hätten die feinen Manieren zur Abgrenzung der am britischen Adel orientierten Eliten vom Rest der Bevölkerung fungiert317, während die gentility im

310 Hillmann, Hartfiel 2007, S. 567. 311 Hemphill 1999. 312 Vgl. Hemphill 1999, S. 9 und S. 16. 313 Vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 341. 314 Vgl. Hemphill 1999, S. 157. 315 Kasson 1990, S. 1. 316 Vgl. Kasson 1990, S. 36. 317 Vgl. Bushman 1992, S. xv.

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19. Jahrhundert die soziale Rangleiter hinabstieg und fortan als Trennlinie zwischen der Mittelklasse und der Arbeiterschaft diente.318 Oberschicht oder „gute Gesellschaft“ Unter all diesen sozialen Klassen, die jeweils eigene Umgangsformen prägen, gibt es offenbar eine, die in Fragen der Etikette tonangebend ist, deren Verhaltensideale maßgebend für die anderen untergeordneten Schichten sind. Diese wird in der Sekundärliteratur als Oberschicht, „gute Gesellschaft“ oder wie bei Veblen als „highest leisure class“319 bezeichnet und bei Schürmann definiert als „bestimmte Teile der Gesamtgesellschaft […] die sich selbst die ‚Gesellschaft‘ oder auch die ‚gute Gesellschaft‘ nannten und mit diesem Begriff nur die Menschen umfaßten, mit denen sie Beziehungen pflegten, die über das rein Geschäftsmäßige hinausgingen. Zum Wesen der ‚guten Gesellschaft‘ gehörte, daß ihre Bindungen ‚privater‘ und nicht öffentlich-rechtlicher Natur waren, denn die ‚Gesellschaft‘ kann zwar als soziale Formation angesehen werden; sie war aber keine verfassungsgeschichtliche Institution wie Adel oder Bürgertum.“320

Elias glaubt hier begriffliche Unterschiede zum Französischen und Englischen zu erkennen, insbesondere was die Trennschärfe des Terminus angeht. So meint er, der „deutsche Begriff der ‚guten Gesellschaft‘, oder einfacher, der ‚Gesellschaft‘ im Sinne von ‹monde› [hätte], wie das entsprechende, gesellschaftliche Gebilde selbst, kein so scharfes Profil“321 verglichen mit den französischen Bezeichnungen „‹société polie› […] ‹bonne compagnie› oder […] ‹gens de la Cour›“ sowie dem englischen Wort „society“.322 Ihrer mangelnden Abgrenzbarkeit zum Trotz scheint die „gute Gesellschaft“ eine in der Sekundärliteratur beliebte Zuschreibungskategorie darzustellen. Schürmann etwa weist darauf hin, dass „sich die Änderungen des Formalitätsniveaus in den Umgangsformen nicht unbedingt auf ganze Gesellschaften, sondern viel eher auf einzelne Bevölkerungsgruppen erstrecken“323 und meint damit konkret, dass „eine solche Aussage […] zunächst nur auf bestimmte Personengrup-

318 Vgl. Bushman 1992, S. xv. 319 Veblen 1997, S. 23. 320 Schürmann 1994, S. 27. 321 Elias 1969b, S. 4. 322 Elias 1969b, S. 4. 323 Schürmann 1994, S. 11.

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pen, wie die Angehörigen der ‚guten Gesellschaft’, bezogen werden [könnte].“324 Der Ethnologe selbst benennt jedoch eine weitere, dieser Vorstellung von Kulturträgern anhaftende Problematik: Sie erschöpfe sich in der Gegenüberstellung zweier Personengruppen, nämlich der „guten Gesellschaft“ und des „Volkes“ und sei damit nicht sonderlich differenziert: „Ob der ständisch begrenzende Begriff der ‚Gesellschaft‘ etwas enger oder weiter gefaßt war – seinen Gegensatz bildete immer der Begriff des ‚Volkes‘.“325 Doch die Ausführungen Elias’ legen nahe, dass eine solche Zweiteilung den historischen Tatsachen entsprochen haben könnte. Auch er sieht in der „höfischaristokratischen Gesellschaft“326 den Ursprung vieler heute noch geltender Umgangsformen. Das Wegweisende an Elias’ Argumentation ist aber, dass er diese „gute Gesellschaft“ nicht als isolierte, nationale Einheit betrachtet, sondern als transnationales also grenzüberschreitendes Phänomen: „Was sich vom Ausgang des Mittelalters langsam zu bilden beginnt, ist nicht nur eine höfische Gesellschaft hier und eine höfische Gesellschaft dort. Es ist eine, das Abendland umgreifende, höfische Aristokratie mit ihrem Zentrum in Paris, ihren Dependenzen an allen anderen Höfen, und ihren Ausläufern in allen übrigen Kreisen, die Anspruch darauf erhoben, zur ‚Welt‘ und ‚Gesellschaft‘ zu gehören [...].“327

Die Gemeinsamkeiten, welche die Angehörigen dieser Oberschicht auszeichneten, sind vielfältig und betreffen in erster Linie die Sprache, den Geschmack, den Lebensstil und die Manieren.328 Im Ergebnis traten regionale hinter schichtenbedingte Verhaltensabweichungen zurück: „Daher sind die Unterschiede im Verhalten zwischen verschiedenen Ständen der gleichen Region oft größer, als die zwischen regional getrennten Vertretern der gleichen sozialen Schicht.“329 Möglich wurden diese Übereinstimmungen durch einen regen Austausch zwischen den Höfen, der vor allem auch „die Kontakte zwischen der höfischen Gesellschaft und den anderen Schichten des gleichen Landes“330 überflü324 Schürmann 1994, S. 11. 325 Schürmann 1994, S. 29. 326 Elias 1969b, S. 5f. 327 Elias 1969b, S. 5. 328 Vgl. Elias 1969b, S. 5f. 329 Elias 1969a, S. 159. 330 Elias 1969b, S. 5f.; so auch an anderer Stelle: „Ein deutlicher Ausdruck dieser geringer entwickelten Funktionsteilung, ein anschaulicher Beleg für diese relativ große Unverbundenheit der verschiedenen Stände ist die Tatsache, daß die Beziehung und die Ausbreitung von Gebräuchen oder Ideen zwischen Stadt und Stadt, zwischen

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gelten. Dass diese aristokratische Oberschicht jedoch, anders als es Elias nahelegt, nicht nur das „Abendland“ umspannte, zeigt sich bei Reimann, die über die regen Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem, wie sie es nennt, „Orient“ und „Okzident“ sagt: „Die interkulturelle Kommunikation wurde zudem dadurch erleichtert, daß auch im Orient feudale Höfe mit einer in manchem ähnlichen Elite entstanden waren.“331 Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts änderte sich – wie im Kapitel zur Nation als Zuschreibungsebene bereits dargestellt – diese Situation: „Vor der ständisch-sozialen Integrationsform gewinnt die nationale das Primat.“332 Inwieweit Elias’ These auf die heutige Zeit übertragbar ist und warum sie als richtungsweisend für die vorliegende Arbeit bezeichnet werden kann, wird im folgenden Kapitel noch eingehend erläutert werden. Fazit: Verortung in der Sekundärliteratur Was den in der Sekundärliteratur zugrunde gelegten Geltungsbereich von Umgangsformen betrifft, bleibt abschließend festzuhalten, dass – sofern überhaupt ein Träger von Umgangsformen bestimmt wird – meist von einer zweistufigen Bezugsebene ausgegangen wird. Auf der ersten Stufe werden Konzepte wie „Abendland“, Nation oder Gesellschaft relevant, während auf der zweiten Stufe weiter differenziert wird und auch soziale Klassen wie die „gute Gesellschaft“ oder gesellschaftliche Gruppen im Allgemeinen als Trägerkollektive betrachtet werden. Man könnte demnach folgern, dass die Zuschreibung von Benimmregeln immer die Berücksichtigung mehrerer Ebenen erfordert, die Verhaltensideale also z. B. teils nationenspezifisch, teils schichtenspezifisch sein könnten. Tatsächlich resultiert diese These aus der Interpretation einiger weniger Randbemerkungen in der Literatur. Ebenso wäre möglich, dass die Autoren sich nicht auf eine der beiden andeutungsweise dargestellten Zuschreibungsebenen festlegen wollen und deshalb zwischen beiden Optionen hin- und herwechseln. Eine weitere Erklärung für diese Unbestimmtheit könnte sein, dass der Geltungsbereich womöglich, das zeigt sich vor allem bei Elias, einem zeitlichen Wandel unHof und Hof, zwischen Kloster und Kloster, also die Beziehungen innerhalb der gleichen Schicht der Gesellschaft, oft selbst über weite Entfernungen hin größer sind, als die Kontakte zwischen Burgen und Städten der gleichen Gegend.“ (Elias 1969b, S. 357). 331 Reimann 1992, S. 230; so auch an anderer Stelle: „Die Ähnlichkeiten im Idealbild vom ‚höflichen‘ Mann und in den dieses vermittelnden Literaturformen sind auffallend. Sie waren nicht nur Resultat von Parallelentwicklungen, sondern auch vielfältiger, manchmal indirekter Diffusion.“ (Reimann 1992, S. 231). 332 Elias 1969b, S. 6.

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terliegt. So wird in Elias’ Ausführungen die Frage nach der Zuschreibungsebene je nach Epoche unterschiedlich beantwortet: Zuerst war die „höfischaristokratische Gesellschaft“ Träger von Umgangsformen, später waren es dann die bürgerlichen Oberschichten, die einen nationalen Rahmen zogen.333 Auch das Erscheinungsdatum der Sekundärliteratur könnte teilweise die Zuschreibungsebene beeinflussen. Während von Jhering 1905 etwa noch von nationenspezifischen Manieren ausgeht, vertritt beispielsweise Döcker 1994 eine differenziertere Ansicht und schreibt Umgangsformen den verschiedenen „sozialen Milieus“ zu. Auch Goffman ist bewusst, dass bisher wenig Klarheit darüber herrscht, welcher Ebene Umgangsformen zuzuschreiben sind, wie er in der Einleitung zu seinem Buch Das Individuum im öffentlichen Austausch334 (1974) darlegt: „Außerdem haben die sozialen Arrangements und alltäglichen Verhaltensweisen, die in diesem Buch untersucht werden, die unangenehme Eigenschaft, nicht zu einer eindeutig abgrenzbaren Gruppe von Individuen zu gehören – wie zum Beispiel den Bürgern eines bestimmten Nationalstaates –, sondern zu Gruppierungen, über deren Grenzen wir sehr wenig wissen.“335

Zwar vermutet er, dass Faktoren wie „Klasse, Religion, ethnische Gruppe und Altersstufen“336 bei der Grenzziehung mitentscheidend sind, doch erklärt er selbst seinen Versuch, „die […] untersuchten Praktiken vollständig zu lokalisieren“337 als gescheitert: „Jedenfalls ist die Bezugseinheit ‚amerikanische Gesellschaft‘ (die ich durchweg verwenden werde) ein begrifflicher Skandal, fast schon ein Widerspruch in sich; die soziale Einheit ‚Zivilisation‘ (was immer das bedeuten mag) ist von der gleichen Relevanz wie die des Nationalstaats.“338

Es wird klar, dass Goffman um seine unreflektierte Zuschreibung von Umgangsformen weiß, sie aber mangels Alternativen in Kauf nimmt. Gleiches gilt vermutlich für die übrigen Autoren der Sekundärliteratur. Denn die verbreitete Annahme, dass eine der Hauptfunktionen von Umgangsformen in der Distinktion 333 Vgl. Elias 1969b, S. 6. 334 Goffman 1974. 335 Goffman 1974, S. 16. 336 Vgl. Goffman 1974, S. 16. 337 Goffman 1974, S. 16; Hervorhebung im Original. 338 Goffman 1974, S. 16.

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und der damit einhergehenden Selbstvergewisserung besteht, erfordert schließlich die Benennung von mindestens zwei Einheiten. Doch es scheint, als hätten die Vertreter der diversen hier herangezogenen Fachrichtungen bislang keine Antwort auf die Frage nach dem Träger von Umgangsformen gesucht oder gefunden.

Kollektivtheoretische Beschreibung von Umgangsformen

Es zeigte sich, dass die Sekundärliteratur zu Umgangsformen die Problematik des Geltungsbereichs meist ausklammert oder als unerheblich am Rande erwähnt. Dieser Vernachlässigung, die das Phänomen Umgangsformen um eine entscheidende Dimension verkürzt, soll im Folgenden abgeholfen werden. Auf der Grundlage der Kollektivtheorie von Hansen wird eine Zuschreibungs- bzw. Verortungsmatrix erstellt, welche die Frage nach dem Geltungsbereich systematisiert. Die den folgenden Ausführungen zugrunde liegende Forschungsfrage lautet also, auf welcher oder welchen der im Forschungsbericht eingeführten Ebenen Umgangsformen aus kollektivtheoretischer Sicht zu verorten sind.

E INFÜHRUNG

IN DIE

K OLLEKTIVTHEORIE

Der Philosoph Wolfgang Welsch sieht im gängigen Kulturbegriff zwei Aspekte vereint, den inhaltlichen und den extensionalen: „Da ist zunächst die inhaltliche Bedeutung von Kultur, wo ‚Kultur‘ als Sammelbegriff für diejenigen Praktiken steht, durch welche die Menschen ein menschentypisches Leben herstellen. Diese inhaltliche Bedeutung umfasst Alltagsroutinen, Kompetenzen, Überzeugungen, Umgangsformen, Sozialregulationen, Weltbilder und dergleichen. Zweitens haben wir aber, von ‚Kultur‘ sprechend, in den meisten Fällen auch eine geographische oder nationale oder ethnische Extension dieser Praktiken im Sinn. ‚Kultur‘ bezieht sich hier auf die Ausdehnung derjenigen Gruppe (oder Gesellschaft oder Zivilisation), für welche die betreffenden kulturellen Inhalte bzw. Praktiken charakteristisch sind.“1

1

Welsch 2010, S. 1.

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Welsch unterscheidet die Aspekte und differenziert sie innerhalb des Kulturbegriffs, wohingegen Hansen in seinem Buch Kultur, Kollektiv, Nation2 (2009) vorschlägt, den Begriff Kultur für das Inhaltliche zu reservieren und zur Bezeichnung des Extensionalen oder des Geltungsbereichs den Begriff Kollektiv zu benutzen.3 Insofern bezeichnet Kultur bei Hansen die „Gesamtheit der Gewohnheiten“4 oder „das Gleichverhalten“5 oder aber – das ist der Terminus, den er bevorzugt – die „Standardisierungen“6, die jeweils bei einer Ansammlung von Menschen zu beobachten sind. Diese Standardisierungen teilt Hansen in vier Kategorien: „Standardisierungen der Kommunikation, Standardisierungen des Denkens, Standardisierungen des Fühlens, Standardisierungen des Handelns.“7 Umgangsformen werden von diesem Kulturbegriff voll erfasst, wobei sie sowohl in die Kategorie „Standardisierungen des Handelns“, als auch – man denke etwa an Bekleidungsvorschriften – in die der „Standardisierungen der Kommunikation“ fallen. Der Terminus „Kollektiv“, der im Folgenden im Zentrum steht, bezieht sich auf den Träger der jeweiligen Standardisierungen, d. h. er meint die Individuen, welche die Standardisierungen praktizieren. Aufgrund dieser praktizierten Gemeinsamkeit werden die Individuen zu einem Kollektiv zusammengefasst, das die Größe betreffend äußerst unterschiedlich ausfallen kann. Im Gegensatz zu den in der Sekundärliteratur verwendeten soziologischen Begrifflichkeiten – wie Gesellschaft, gesellschaftliche Gruppe oder Klasse – ist die Bezeichnung „Kollektiv“ weitaus „offener und assoziationsärmer“8. Ganz allgemein gilt, dass ein „Kollektiv […] durch eine partielle Gemeinsamkeit der ihm zugerechneten Individuen konstituiert [wird].“9 Hansen unterscheidet zwischen Kollektiven ersten und zweiten Grades sowie „pankollektiven Formationen“. Kollektive ersten Grades setzen sich aus Individuen zusammen, während Kollektive zweiten Grades weitere Kollektive umfassen und „pankollektive Formationen“ konkrete Standardisierungen in sich verei2 3

Hansen 2009a. So Hansen: „Während sich der Kulturbegriff auf das Inhaltliche, also die Sitten oder Standardisierungen konzentriert, nimmt der Kollektivbegriff auch das Formale und Strukturelle in den Blick [...].“ (Hansen 2009a, S. 16).

4

Hansen 2011, S. 15; vgl. Hansen 2009a, S. 16.

5

Hansen 2011, S. 29 und S. 33.

6

So Hansen: „Kultur umfasst Standardisierungen, die in Kollektiven gelten.“ (Hansen 2011, S. 31); vgl. Hansen 2009a, S. 16.

7

Hansen 2011, S. 33f.

8

Hansen 2011, S. 31.

9

Hansen 2011, S. 160; Hansen 2009a, S. 27.

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nen. Das in diesem Zusammenhang wichtigste Kollektiv zweiten Grades ist das „Dachkollektiv“, worunter Hansen in erster Linie Nationen versteht.10 Wie der Name schon sagt, wölbt sich dieses Dach über verschiedenste Kollektive ersten Grades – „das heterogene Gebrodel“11 – und sichert als eine Art „Überbau […] die Kommunikation und Interaktion sowohl zwischen den Individuen als auch den Kollektiven“12. Die Mittel, die hierfür zur Verfügung stehen, reichen von einer gemeinsamen Sprache über allgemeingültige Gesetze bis hin zu geteilten Umgangsformen.13 Kollektive ersten Grades sind „Subkollektive“, wie etwa soziale Klassen oder Berufskollektive (Geschäftsleute oder Manager), die man unter dem Dach einer Nation antrifft.14 Die meisten Subkollektive sind länderübergreifend gegeben. Als Garanten der Zivilisation findet man beispielsweise Mediziner, Handwerker und Lehrer in allen Nationen vor, weil ihre Funktion für die Menschheit überall wichtig ist. Über die Erfüllung eben dieser bestimmten Funktion ähneln sie einander in allen Ländern, sodass Hansen von „Funktionsverwandtschaft“15 spricht. Daneben gibt es noch weitere länderübergreifende Übereinstimmungen, wie etwa, im Falle der Manager, einem ähnlichen Bildungsniveau oder einem gemeinsamen life-style. Andererseits bleibt die Nation insofern nicht ohne Einfluss auf die unter ihrem Dach versammelten Subkollektive, als diese „nationalspezifischen Modifikationen“16 unterliegen: „Auf der anderen Seite stehen der Verwandtschaft Modifikationen in der Umsetzung der Funktion entgegen, durch welche die an sich funktionsgleichen Subkollektive von Land zu Land unterschieden sind.“17 „Pankollektive Formationen“ sind Gruppierungen, die in ihrer Reichweite völlig offen sind und quer zu geographischen, wirtschaftlichen und politischen Mustern verlaufen18, also über die Grenzen von Dach- und Subkollektiven hin-

10 Vgl. Hansen 2011, S. 174. 11 Hansen 2011, S. 176; Hansen 2009a, S. 117. 12 Hansen 2011, S. 176. 13 Vgl. Hansen 2011, S. 176. 14 So Hansen: „Ein Dachkollektiv wäre die Nation, und als Subkollektive sollen all jene Gruppierungen bezeichnet werden, die man unter dem Dach antrifft (Arbeiter, Bauern, Bildungsbürger, etc.).“ (Hansen 2011, S. 123f.). 15 Vgl. Hansen 2011, S. 184f. und S. 187f. 16 Hansen 2011, S. 188. 17 Hansen 2011, S. 184f. 18 Vgl. Hansen 2011, S. 180; vgl. Hansen 2009a, S. 46f.

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weg verbreitet sind.19 Dieses Gebilde besteht jedoch – im Unterschied zu Kollektiven ersten und zweiten Grades – weder aus Individuen noch aus Kollektiven, sondern aus einzelnen konkreten Standardisierungen20 wie z. B. dem Händeschütteln.21 Diese Definition und die mangelnde Abgrenzbarkeit schließt folglich aus, die in der Sekundärliteratur zugrunde gelegten Geltungsbereiche des Abendlandes oder der Zivilisation mit pankollektiven Formationen gleichzusetzen, obwohl es auf den ersten Blick plausibel erscheint. Nach dem Einblick in die Kollektivtheorie lässt sich die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wie folgt zusammenfassen: Es soll geklärt werden, ob Umgangsformen einen nationen- oder dachkollektivspezifischen Fundus von Verhaltensvorschriften darstellen, oder ob vielmehr die Subkollektive (etwa Geschäftsleute) eigene Standardisierungen ausbilden, die wiederum entweder nationaltypischen Modifikationen unterliegen oder, bedingt durch eine Funktionsverwandtschaft, länderübergreifend gleich sein könnten. Eine weitere Erklärung für eine mögliche Übereinstimmung von Umgangsformen wäre, sie als pankollektive Formationen zu charakterisieren, die unbeachtet geographischer Grenzziehungen Sub- und Dachkollektive durchkreuzen.22 Diese und alle weiteren Zuschreibungsmöglichkeiten werden im Verlauf des folgenden Kapitels diskutiert und am Ende unter Berücksichtigung der im Forschungsbericht erarbeiteten Funktionen einander gegenübergestellt.

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Umgangsformen – so viel steht an diesem Punkt bereits fest – existieren nicht im luftleeren Raum, sondern sind in ihrer Geltung an bestimmte Kollektive gekoppelt. Welche das sind, darüber kann nach dem derzeitigen Erkenntnisstand der Sekundärliteratur, der man regelrechte Kollektivblindheit vorwerfen könnte, nur gemutmaßt werden. Grundsätzlich erscheinen vier Zuschreibungen plausibel. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte man Umgangsformen erstens als

19 So Hansen: „So wie sich über die Subkollektive das Dachkollektiv wölbt, könnten über ihm Gebilde angenommen werden, die in es hineinragen und über es hinausgehen. Wir wollen solche Gruppierungen pankollektive Formationen nennen.“ (Hansen 2011, S. 178); vgl. Hansen 2009a, S. 183ff. 20 So Hansen: „Pankollektive Formationen erfassen präzise Verhaltensvorschriften sowie präzise Rechts- und Sittennormen.“ (Hansen 2011, S. 180). 21 Vgl. Hansen 2011, S. 179f. 22 Vgl. Hansen 2011, S. 180.

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Anwendung anthropologischer Prinzipien verstehen, d. h. sie würden in diesem Extremfall für die gesamte Menschheit gelten. Eine zweite, immer noch weitläufige Möglichkeit bestünde darin, Umgangsformen den pankollektiven Formationen zuzuordnen und von einer Gültigkeit auszugehen, die sich nicht auf ein einfach zu überschauendes Kollektiv beschränkt. Ein drittes oft erwogenes Verständnis würde von nationalen Gesellschaften oder Dachkollektiven ausgehen und Anstandsregeln hier verorten. Die vierte Option bestünde in der Einengung auf eine Ebene unterhalb der Nationalität und der Zuordnung zu Subkollektiven wie etwa Berufsgruppen oder Bildungsschichten. Diese vier Zuschreibungsmöglichkeiten werden im Folgenden genauer diskutiert, wobei sich herausstellen wird, dass sie sich nicht ausschließen, sondern ergänzen. Im Anschluss daran wird noch ein Blick auf die Funktionen von Umgangsformen (Umsetzung von Werten, Stiftung von Routine, Distinktion bzw. Kollektivvergewisserung) geworfen, um zu ergründen, ob sie mit den Zuordnungen korrelieren. Umgangsformen als universelle Prinzipien Dass sich der Geltungsbereich von Umgangsformen auf die gesamte Menschheit erstrecken könnte, es sich im Sinne von Christoph Antweiler um „Merkmale oder Phänomene, die in allen Gesellschaften dieses Planeten vertreten sind“23 handeln könnte, kommt über Abstraktionen in den Blick. So könnte diese anthropologische Dimension womöglich nicht konkrete Benimmregeln betreffen, sondern nur ihre Intention oder die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Dorothee Kimmich argumentiert, dass Höflichkeit eine „anthropologische Grundtatsache [ist], die den menschlichen Umgang wohl schon immer und überall geprägt hat“, die jedoch in „kulturspezifischen Ausformungen“ auftritt.24 Wenn Kimmich Höflichkeit als Prinzip abstrahiert, geht Göttert noch einen Schritt weiter und erkennt in der Existenz von Regeln das Universalisierbare. „Nicht ad hoc reagiere“25 der Mensch, sondern er richte sein Verhalten nach „Regeln und Sitten“ aus, die als solche „nicht

23 Antweiler 2009, S. 33; so auch an anderer Stelle: „Ein Merkmal bzw. Phänomen ist universal, wenn es in allen oder den allermeisten bisher bekannt gewordenen Gesellschaften regelmäßig auftritt bzw. in weit überzufällig vielen Gesellschaften zu finden ist. Ein solches Merkmal nenne ich ‚ein Universal‘ bzw. ‚eine Universalie‘.“ (Antweiler 2009, S. 39). 24 Kimmich, Matzat 2008, S. 7; vgl. Dücker 2007, S. 2; vgl. Wernhart, Wagner 2008, S. 9. 25 Göttert 2009, S. 13.

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universalisierbar [seien]“.26 Die Bereitschaft, sich zur Sicherstellung eines reibungslosen Miteinanders bestimmten Regeln zu unterwerfen, scheint für Göttert grundsätzlich bei allen Menschen vorhanden, während jedoch die konkreten Regeln überall unterschiedlich sind. Diese Abstraktion geht für die Problematik Umgangsformen aber zu weit, weil es sich nur um ganz bestimmte Regeln handelt. Ihre Eigenart wird von diesem Ansatz nicht bedacht. Eine eher einleuchtende Abstraktion, die aber weiter geht als der Rekurs auf das Prinzip Höflichkeit, wäre der Bezug auf moralische, ethische oder sittliche Grundsätze.27 Für Hansen sind diese ihrer Natur nach transkollektiv: „Ethische Standardisierungen, das ist ihr Wesensmerkmal kommen ohne Kollektivbezug aus. Als anthropologische Imperative stehen sie über Kollektiven und Kulturen. Ethische Standardisierungen dienen folglich der Transkollektivierung.“28 Sittliche Handlungen seien insofern „anthropologische Imperative“29, als sie das Gute des anderen Menschen wollen, das nicht an Standardisierungen eines Kollektivs gebunden ist, sondern „über Kollektiven und Kulturen“30 stehe. Eine ähnliche Auffassung vertritt auch Kant, der sich laut Göttert folgendermaßen geäußert haben soll: „[D]ie Menschheit braucht eine einheitliche Moral, aber keinen einheitlichen Anstand.“31 Würde man diesen Ansatz auf die vorliegende Problematik anwenden, ergäbe sich ein ähnliches Modell wie bei Kimmich. Universell sind die Imperative, doch kollektiv ist ihre Umsetzung in konkrete Verhaltensweisen. Fraglich bleibt nur, ob man nicht zu weit geht, wenn man Umgangsformen eine sittliche Basis zuspricht. Das wird im folgenden Kapitel zu den Funktionen noch eingehend erläutert.32 Damit bleibt aber vorerst die Frage, wie Sittlichkeit und Höflichkeit zueinander stehen. Sittlichkeit tut materiell Gutes – hilft dem Armen durch eine milde Gabe – wohingegen sich Höflichkeit im Zeichenhaften erschöpft. Den Armen würde sie nicht satt machen. Bei Umgangsformen, die man als Manifestation des Konzepts Höflichkeit betrachten kann, steht nicht eine materielle Vorteilsgewährung im Vordergrund, sondern ein symbolischer Akt. Wenn ich einer älteren Dame die schwere Tür aufhalte, so erspare ich ihr zwar 26 Göttert 2009, S. 13. 27 So Wernhart: „Wir haben es also mit Formen des Benehmens zu tun, die sowohl aus der historischen Tradition der Ethnien, Gruppen oder Sozietäten herrühren, als auch mit solchen Formen des Benehmens, die auf ‚gesellschaftlichen Universalien‘ basieren [...].“ (Wernhart 2008, S. 22). 28 Hansen 2011, S. 134ff. 29 Hansen 2011, S. 134ff. 30 Hansen 2011, S. 134ff. 31 Kant 1964, zit. nach Göttert 2009, S. 12. 32 Vgl. Kapitel Wertumsetzung.

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eine Kraftanstrengung, doch der materielle Nutzen ist dabei geringer als die zeichenhafte Respektsbezeugung. Schon weil die symbolische Komponente nicht entscheidend ist, fallen sittliche Handlungen nicht in die Rubrik Umgangsformen. Die Begründung, warum Umgangsformen eine anthropologische oder transkollektive Komponente haben, fällt verschieden aus. Nicht immer argumentiert man von einer transkollektiven Ethik her. So meinen etwa Haferland und Paul, dass „elementare Formen von Höflichkeit universal anzutreffen [sind], da bestimmte Interaktionssituationen wie Begrüßung und Anrede in allen Kulturen vorkommen müssen.“33 Bei dieser Argumentation wird von Kontexten („Interaktionssituationen“) ausgegangen, bzw. über sie wird eine Abstraktion vorgenommen. Sie kommt dadurch zustande, dass von vielen möglichen Begrüßungsritualen – vom Handschlag bis zum Aneinanderreiben der Nasen – auf ein grundsätzliches und identisches anthropologisches Bedürfnis geschlossen wird. Das geht aber eventuell zu weit, da Begrüßung nicht zwingend sein muss, also kein kreatürliches Grundbedürfnis erfüllt. Sehr wahrscheinlich handelt es sich nicht um eine gattungsnotwendige Konstante, sondern um eine Vorschrift, die in vielen, aber nicht in allen Kulturen existiert. Auch Antweiler sieht in der Begrüßung eine menschliche Universalie, die er aber nicht als Ausdruck des Prinzips Höflichkeit betrachtet. Er schließt vielmehr auf die Prinzipien der Dominanz und Unterordnung, bedingt durch den jeweiligen sozialen Status.34 „Überall“, gibt Antweiler zu bedenken, „wird […] Dominanz durch Aufrichten gezeigt, während Unterordnung durch Tieferlegung des Oberkörpers signalisiert wird.“35 Das Verneigen, die eigene Erniedrigung im buchstäblichen und übertragenen Sinne, ist seiner Meinung nach ein universal eingesetztes Mittel der Begrüßung, das sich bei genauer Betrachtung auch hinter dem Handschlag verbirgt: „In Europa hält man eine Hand zum anderen hin, beugt sich leicht und zieht den Kopf ein. Man ‚gibt die Hand‘. In übertriebener Form ist das ein typisch unterwürfiges Verhalten, man ‚macht einen Diener‘“36. Auch hier lässt sich fragen, ob Hierarchie und Hierarchiebewusstsein tatsächlich als Universalie gelten können. Sicherlich ist es bei vielen Völkern zu finden, doch, ohne dass man die ganze Welt daraufhin untersucht hat, kann man nicht ausschließen, dass es vielleicht auch egalitäre Kulturen gibt. Die übrigen Anthropologen, die sich mit Universalien beschäftigen, betonen einen anderen Aspekt. Sie sind der Ansicht, dass Übereinstimmungen bei sym33 Haferland, Paul 1996, S. 11. 34 Vgl. Antweiler 2011, S. 40. 35 Antweiler 2011, S. 40f. 36 Antweiler 2011, S. 40f.

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bolischen Handlungen aus der Beschränktheit der körperlichen Bewegungsmöglichkeiten resultieren. Als Beispiel wird auch hier das (Be-)Grüßen herangezogen, das in Grundzügen weltweit ähnliche Bewegungen beinhalten soll. So hat etwa der Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeldt das Grußverhalten in unterschiedlichen Völkern bzw. Kollektiven verglichen und dabei bemerkenswerte Übereinstimmungen festgestellt.37 Neben der Sprache werden die „begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers eingesetzt“38, bestehend aus „Lächeln, Augenbrauenheben, Nicken, Verbeugen, Handheben, Winken, Handgeben, Umarmen, Küssen, Betätscheln“ sowie im Anschluss daran „Formen des Beschenkens, gemeinsamen Essens und Trinkens, Rauchens, Spielens und Tanzens.“39 Entsprechend argumentiert auch der Germanist Dietrich Hartmann: „Die relative einheit eines begrüßungsvorgangs ergibt sich zunächst aufgrund der universal und sozial (gesellschaftlich, gruppenspezifisch einschließlich subkulturell) anerkannten geltung der in diesen handlungen verwendeten sprachlichen und nichtsprachlichen symbolik (gesten wie händeschütteln, hutlüften, betasten, lächeln, nicken, augengruß, lidgruß); verbale handlungen wie der gebrauch von kontaktwörtern z. b. hallo, anredeformen, äußerungen der begrüßung.“40

Das Repertoire der Begrüßungsgesten scheint sich, wie von Reimann bereits angedeutet, tatsächlich weltweit in einem engen Rahmen zu bewegen. Zusammenfassend muss zur anthropologischen Gültigkeit von Umgangsformen festgestellt werden, dass sie nur auf dem Boden einer Abstraktion zustande kommt. Sie hilft vielleicht dabei, tragende Grundsätze von Umgangsformen zu erkennen – Höflichkeit oder körperliche Voraussetzungen – nicht aber dabei, konkrete Verhaltensweisen wie Handschlag, Lächeln, Tür-Aufhalten in ihrem Kontext und ihrer Kollektivgebundenheit zu verstehen. Die konkrete Wirklichkeit wird also verlassen und es kommt ein spekulatives Element ins Spiel. Bei der Diskussion der Funktionen von Umgangsformen wird noch einmal auf diese Problematik zurückgekommen.

37 Vgl. Eibl-Eibesfeldt 1973. 38 So Reimann über Eibl-Eibesfeldt (Reimann 1992, S. 224f.). 39 So Reimann über Eibl-Eibesfeldt (Reimann 1992, S. 224f.). 40 Hartmann 1973, S. 147; Hervorhebung und Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung im Original.

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Umgangsformen als pankollektive Formationen Der von Hansen geprägte Begriff der pankollektiven Formation41 bietet die Möglichkeit, Umgangsformen, ohne sie gleich auf die gesamte Menschheit zu beziehen, kollektivübergreifend zu fassen. Man macht also nicht an den Grenzen von National- und Subkollektiven Halt, sondern denkt in weitergehenden Räumen.42 Der Unterschied zum in der Sekundärliteratur verwendeten Begriff der Zivilisation beruht – zusätzlich zur völligen Wertfreiheit – darin, dass bei einer pankollektiven Formation der Bezug auf eine konkrete und einzelne Verhaltensweise gewährleistet sein muss. Der Handschlag kann als Beispiel herangezogen werden: Seine Verbreitung ist nicht auf bestimmte Kollektive beschränkt, weder auf eine einzelne Nation noch auf transnationale Subkollektive, ohne dass man aber so weit gehen dürfte, das Händeschütteln anthropologisch zu führen. Es bildet vielmehr eine pankollektive Formation, die definitionsgemäß in ein Dachkollektiv „hineinragen und über es hinausgehen“43 kann und „quer zu allen geographischen, wirtschaftlichen und politischen Mustern“44 verläuft. Hineinragen meint hier, dass nicht alle Staatsbürger der jeweiligen Nation Hände schütteln, so wie in der Tat dieses Ritual bei dem Kollektiv der Studenten beispielsweise eher selten ist. Die Ausdehnung der Formation ist zunächst vollkommen offen, bis sich ein Forscher an die Arbeit machen würde, diese Umgangsform auf der ganzen Welt zu kartographieren.45 Aber auch ohne die Ausmaße zu kennen, ist der Begriff der pankollektiven Formation sinnvoll. Eine mögliche Erklärung für die willkürliche Verbreitung von Umgangsformen kann an der bereits erwähnten Begrenztheit des Zeichenvorrats liegen. So hält Hansen das Potential an „Standardisierungen der Kommunikation und des Umgangs“ für „begrenzt“, worin man eine Ursache für dachkollektivübergreifende Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten sehen könnte.46 Ebenso ließen sich

41 Hansen 2011, S. 178f. 42 So Hansen: „Willkürlich und verabredet sind auch die Umgangsformen und die Handlungen, die als höflich gelten, obwohl sie im Unterschied zu den Kommunikationsmitteln nicht nur in einem einzigen Dachkollektiv, sondern in größeren pankollektiven Formationen gelten.“ (Hansen 2011, S. 186). 43 Hansen 2011, S. 178ff. 44 Hansen 2011, S. 180. 45 Die resultierende Darstellung müsste definitionsgemäß mehr als die geographische Verbreitung („Raumkollektive“; vgl. Hansen 2009a, S. 81) erfassen, da „pankollektive Formationen“ jede Art von Kollektiv umfassen oder durchkreuzen können. 46 Vgl. Hansen 2011, S. 178.

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Goffmans Aussagen über die „Techniken der Imagepflege“ auf Umgangsformen übertragen und mit Hansens Argumentation gleichsetzen: „Und trotzdem scheint eine besondere Klasse von Praktiken, auf die sich bestimmte Leute oder Gruppen stützen, aus einem einzigen logischen kohärenten Bezugsrahmen möglicher Praktiken genommen zu sein. Es ist, als ob man das Image, wegen seiner spezifischen Beschaffenheit nur auf bestimmte Weise wahren könnte, und als ob jede soziale Gruppierung eine Auswahl aus dieser einzigen Matrix von Möglichkeiten treffen würde.“47

Das Argument der beschränkten „Matrix von Möglichkeiten“48 bzw. des „Vorrat[s]“49 passt an dieser Stelle besser als bei den anthropologischen Zuordnungen. Nicht alle Menschen geben sich die Hand; da aber die Möglichkeiten beschränkt sind, haben sich die verschiedensten Kulturen für dieses Verhalten entschieden. So ergibt sich ein recht willkürliches Gebilde, eben eine pankollektive Formation. Abgesehen von dieser Theorie, welche die Entstehung pankollektiver Formationen durch ein begrenztes Repertoire an Standardisierungen rechtfertigt, gibt es noch einen weiteren Erklärungsansatz. Hier liegt der Schwerpunkt eher auf der sogenannten Diffusion, d. h. auf der Aus- oder Verbreitung von Umgangsformen. So wird im Zuge der Globalisierungsdiskurse50 häufig darauf hingewiesen, dass „[v]iele Formen des Alltags […] heute international geprägt [sind].“51 Zurückgeführt wird diese Entwicklung auf eine voranschreitende „Vernetzung der Kulturen“, die damit einhergeht, dass diese „hochgradig miteinander verflochten sind und [einander durchdringen].“52 Dass es sich hierbei nicht zwingend um ein neues Phänomen handelt, wurde im Forschungsbericht bereits eingehend erörtert und zeigt sich auch bei Gehlen, der bereits 1956 feststellt, dass „Institutionen wie Kulturgüter, und mit ihnen ganze Sätze von normierten Verhaltensregeln“53 häufig wandern und sich so über ihren Ursprung hinaus verbreiten. Entsprechend argumentieren auch die Vertreter der TransnationalismusSchule, wie hier der britische Soziologe und Globalisierungstheoretiker Paul Hopper: „Transnationalism is effectively an acknowledgment that many contemporary flows are not truly global, and are simply anchored in more than one 47 Goffman 1971, S. 18. 48 Goffman 1971, S. 18. 49 Hansen 2011, S. 178. 50 Vgl. Welsch 10.11.2004, S. 2. 51 Welsch 2010, S. 4. 52 Welsch 10.11.2004, S. 2. 53 Gehlen 1956, S. 96.

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nation-state.“54 Obgleich es demnach zu weit gehen würde, bestimmte Entwicklungen als global zu charakterisieren, sind diese doch nicht nur auf einzelne Nationalstaaten beschränkt. Eben diese schwer zu umreißende Mittelstellung ist ein Kriterium pankollektiver Formationen. Außerdem, auch das erkennt Hopper, kann die transnationale Verbreitung zusätzlich zu Menschengruppen oder Kollektiven („business communities, religious and ethnic cultures; artistic, scientific and professional communities“55) gleichfalls bestimmte Kulturprodukte oder Standardisierungen betreffen: „Transnationalism is also viewed as being at work whenever particular cultural forms (popular culture, music, fashions, cuisines, etc.) spread across a number of nation-states.“56 In diesem Punkt offenbart sich eine weitere Parallele zwischen dem Transnationalismus-Konzept und dem Begriff pankollektive Formation, nämlich die Bezugnahme auf konkrete Standardisierungen und gleichzeitig der Verzicht auf festgelegte Kollektivgrenzen. Obgleich es, wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, zu weit geht, Umgangsformen als Umsetzung anthropologischer Prinzipien zu betrachten, kann man gerade im Kontext der Globalisierungs-Thematik die These wagen, Umgangsformen seien in ihrer Entstehung oder Ausprägung auf pankollektiv verbreitete Prinzipien zurückzuführen. Diese mit Hansen als „Prinzipienverwandtschaft“57 zu bezeichnende Parallele etwa zwischen mehreren Dachkollektiven bewirkt zwar nicht zwingend völlige Übereinstimmung, da länderspezifische „Modifikationen“ in der konkreten Verwirklichung auftreten können, doch allzu weit werden die Realisierungswege ein und desselben Grundgedankens nicht auseinanderfallen.58 Als „pankollektive Grundlage“ vieler Standardisierungen durchdringen etwa „Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft und Sozialstaat“59 eine Vielzahl von Nationen und stellen verbindende Elemente zwischen ihnen dar. Ein Aspekt, der hier jedoch nicht übersehen werden darf, ist, dass die Verbreitung dieser Prinzipien nicht gleichmäßig oder gleichberechtigt erfolgt, sondern von bestimmten Zentren ausgeht.60 Die unter dem Stichwort „Amerikanisierung“ bekannte Vorreiterrolle und Prägekraft der Vereinigten Staaten könnte in54 Hopper 2007, S. 52. 55 Hopper 2007, S. 54. 56 Hopper 2007, S. 54. 57 Hansen 2009a, S. 137f. 58 Vgl. Hansen 2009a, S. 137f. 59 Hansen 2009a, S. 140. 60 Vgl. Hannerz 1992, S. 5; vgl. Wouters 2007, S. 13; vgl. auch das Kapitel Gesellschaft, in dem gezeigt wird, dass diese Einflussnahme einzelner Dachkollektive aufgrund machtpolitischer Überlegenheit kein neues Phänomen ist.

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sofern einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung transnationaler Ähnlichkeiten gehabt haben.61 Schon seit Ende des Zweiten Weltkrieges, verstärkt aber nach 1989, lässt sich beispielsweise an den sich angleichenden Geschäftskulturen eine Ausrichtung an dem amerikanischen Wirtschaftsmodell ablesen. Das „Anglo-Saxon market-driven model“62 ist die Form des Kapitalismus, welche die Globalisierung am stärksten prägt und sich – wenn auch nicht universal, so doch mindestens als pankollektives Prinzip – auf weite Teile des Geschäftslebens auswirkt und zur Bildung einer transnationalen Wirtschaftskultur führt.63 Dass diese sich nicht wirklich global entfaltet und kein „uniformes Harmoniversum“64 entsteht, liegt daran – diese Erkenntnis deckt sich mit oben stehender Annahme länderspezifischer „Modifikationen“ –, dass „zahlreiche Varianten eines Grundmotivs“ enstehen können: „Global anerkannte Institutionen, die als Regeln oder Rationalitäten dazu dienen, Kontingenz zu mindern und Handlungssicherheit zu schaffen, können sich lokal mannigfaltig unterscheiden.“65 Dennoch ist die Vermutung berechtigt, dass es zu Ähnlichkeiten und partiellen Überschneidungen kommt, da die zugrunde liegende Daseinsberechtigung pankollektiver Natur ist. Gleiches gilt für die um sich greifenden Rationalisierungsprozesse, die der amerikanische Soziologe George Ritzer unter dem Schlagwort „The McDonaldization of Society“66 zusammenfasst. Die damit verbundenen Dimensionen – Ritzer zählt dazu „efficiency, predictability, calculability, substitution of non-

61 So Abelshauer et al.: „Es verwundert daher nicht, dass der Zusammenbruch des Pluriversums des Kalten Krieges und damit auch der Dreiteilung der Welt in normativer Hinsicht die Alternativlosigkeit des westlichen respektive amerikanischen Gesellschaftsmodells und Entwicklungspfads suggerierte. Dadurch stiegen nicht nur die USA zur alleinigen Referenzgesellschaft auf. Die Überlegenheit des neoliberalen Modells gegenüber einer sozialistischen Zielutopie sorgte auch für ein zumeist eindimensionales, als Amerikanisierung interpretiertes Verständnis von Globalisierung, die als soziale und kulturelle Vereinheitlichung verstanden wurde.“ (Abelshauer et al. 2012, S. 18). 62 Hopper 2007, S. 5. 63 Vgl. Abelshauer et al. 2012, S. 15; vgl. Eagleton 2001, S. 88f. 64 Abelshauer et al. 2012, S. 21. 65 Abelshauer et al. 2012, S. 21; so auch an anderer Stelle: „In ihnen findet sich die ‚lokale‘ Antwort auf die Herausforderung der Globalität geborgen, so dass Wirtschaftskulturen durch glokale Hybridität und Wandel gekennzeichnet sind.“ (Abelshauer et al. 2012, S. 24). 66 Ritzer 1983.

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human for human technology and control over uncertainty“67 – üben gleichfalls eine starke Wirkung auf den wirtschaftlichen Bereich aus und bedingen eine pankollektive Prinzipienverwandtschaft mit amerikanischem Ursprung.68 Dass die aus „Amerikanisierung“ und „McDonaldisierung“ resultierenden „Produktionsregime“69, Leitbilder und Spielregeln auch den Umgangsformen ihren Stempel aufdrücken, ist naheliegend.70 Dass manche Umgangsformen Kollektivgrenzen überschreiten, wird auch in der Sekundärliteratur immer wieder bestätigt. Wie im Forschungsbericht dargestellt, erkennen etwa Elias und Reimann, dass bestimmte Verhaltensregeln in der Vergangenheit oftmals regionen- oder länderübergreifend galten71 und es sogar zu Übereinstimmungen zwischen dem sogenannten „Orient“ und „Okzident“ kam.72 Auch der Ethnologe Schürmann spricht zu Recht vom „internationalen Charakter des guten Tons“ und macht deutlich, dass im 20. Jahrhundert „in Deutschland die gleichen Verhaltensnormen gepflegt [wurden] wie in anderen Teilen Europas.“73 Dass höfliches Verhalten innerhalb der amerikanischen Gesellschaft eine „independent variable, cutting across society“74 darstellt, die nicht mit Wohlstand, Bildung, Herkunft, Beruf oder anderen sozialen Stratifikationsfaktoren korreliert, ist auch eine These des Historikers Bushman. Obgleich Bushman lediglich Schichtengrenzen gesprengt sieht und sich innerhalb der „American society“75 bewegt, damit also eine Nationalkultur als eine in letzter Instanz übergeordnete Größe betrachtet, ist der Grundgedanke ähnlich. Und obwohl man folglich in der Literatur sehr wohl erkennt, dass Höflichkeit oder Umgangsformen weder an Länder- noch an Schichtengrenzen Halt machen, stehen all diese Überlegungen ungeordnet im Raum; es fehlt ein klares Muster oder eine

67 Ritzer 1983, S. 100; Hervorhebung im Original. 68 So Ritzer: „A wide-ranging process of rationalization is occurring across American society and is having an increasingly powerful impact in many other parts of the world.“ (Ritzer 1983, S. 100; Hervorhebung im Original). 69 Abelshauer et al. 2012, S. 13. 70 So Hopper: „Indeed, this particular model is even cited as one of the reasons why the Spanish siesta is in decline, with critics claiming that Spain’s relatively relaxed Mediterranean culture is becoming more work-oriented and individualistic because of the pressures to compete within a globalized capitalist marketplace.“ (Hopper 2007, S. 5). 71 Vgl. Elias 1969a, S. 159; vgl. Elias 1969b, S. 6f. und S. 357. 72 Vgl. Reimann 1992, S. 230f. 73 Schürmann 1994, S. 228. 74 Bushman 1992, S. xv. 75 Bushman 1992, S. xv.

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Matrix, welche die unterschiedlichen Zuschreibungsoptionen aufschlüsselt und voneinander abgrenzt. Umgangsformen als dachkollektivspezifische Phänomene Im Gegensatz zu pankollektiven Formationen ist die Reichweite eines Dachkollektivs bzw. einer Nation76 bestimmbar, da sie mit politischen Grenzen zusammenfällt. In der Sekundärliteratur wurde diese Zuschreibungsebene meist mit Begriffen wie Nation oder Gesellschaft bezeichnet. Eine solche Zuordnung leuchtet ein, da die Nation auf die eine oder andere Art eine Organisationseinheit darstellen muss. Doch darüber, wie weit das der Fall ist und ob davon Umgangsformen erfasst werden, gehen die Meinungen auseinander. Im Hinblick auf das globalisierte Zeitalter, halten viele einen solchen nationalen Bezugsrahmen für obsolet. Der amerikanische Historiker Neil Harris etwa stellt die Frage „Do national systems of manners still exist?“77 und Macho beispielsweise kommt am Ende seiner Ausführungen zu dem Ergebnis, „daß die meisten Höflichkeitsregeln ohnehin längst weltweit gelten.“78 Diese Ansicht entspricht einer aktuellen Grundhaltung der Sozialwissenschaften: So lehnt der Soziologe Ulrich Beck jeden „methodologischen Nationalismus“79 ab und meint damit die bisherige Vormachtstellung der Nation als Denk- und Bezugseinheit. Dieser Haltung entspricht auch Döckers und Elias’ Argumentation. Beide sehen Umgangsformen zwar als national, begründen dies jedoch aus der im 19. Jahrhundert betriebenen, politisch motivierten Nationalisierung.80 Nationalisierung bedeutet Abgrenzung und diese macht auch vor Alltagspraktiken nicht Halt, indem „selbst einfache Aspekte des Alltagslebens zu nationalen Unterscheidungsmerkmalen hochstilisiert werden.“81 Das behauptet etwa der dänische Anthropologe Anders Linde-Laursen in einem Aufsatz mit dem bezeichnenden 76 Vgl. Hansen 2011, S. 123f. 77 Harris 1992, S. 160. 78 Macho 2002, S. 18; so auch Harris: „After all, art, entertainment, news, and travel have become internationalized in much of the world. Encounters on streets or highways, at airports or supermarkets, in factories or cinemas or schools or universities, may reflect the logic of the specific institution rather than the national environment. Patterns of contemporary social interaction can be said to mirror the shape of postindustrial society and technology, not simply territorial boundaries.“ (Harris 1992, S. 160). 79 Vgl. z.B. Beck 2008. 80 Vgl. Döcker 1994, S. 57f.; vgl. Elias 1969b, S. 6. 81 Schneider 2001, S. 31.

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Titel „The Nationalization of Trivialities“82 (1993). Solche Ansichten stimmen mit der ab 1983 einsetzenden Nationalismusforschung überein, die Nationalbewusstsein als ein von Eliten bewusst herbeigeführtes Konstrukt ansehen.83 In dieses Konzept passt auch, bestimmte Umgangsformen als nationaltypisch herauszustellen. Zwischen diesen Extremen siedeln sich Positionen an, welche die Prägekraft des Nationalen weder gänzlich ablehnen noch als dominant überbetonen. Hansen beispielsweise geht davon aus, dass es Aufgabe des Dachkollektivs sei, „Kommunikation und Interaktion zu regeln, was dadurch geschieht, dass Sprache, Umgangsformen und gesetzliche Bestimmungen bereit gestellt und als normal institutionalisiert werden.“84 Bei diesen Regelungen ist zwischen bewusst geplanten (Verkehrsregeln, Gesetze) und organisch gewachsenen Formen zu unterscheiden, wobei Umgangsformen natürlich in den ungeplanten Bereich gehören.85 Eine ähnliche Position vertritt der Ethnologe Alois Moosmüller. Auch für ihn stellt „das Konzept Nationalkultur eine wirklichkeitsbezogene Kategorie“86 dar, insofern als die Individuen unter dem Dach einer Nation eine gemeinsame Prägung erfahren: „Die Menschen tauschen sich überwiegend innerhalb bestimmter, von anderen unterschiedenen Gruppierungen aus, sie bedienen sich einer gemeinsamen Sprache, sind denselben politischen Machtstrukturen unterworfen, benützen gemeinsame Kommunikationsmittel, stimmen ihr Handeln auf dieselben Rechtsgrundlagen ab und sind durch dasselbe Erziehungs[-] und Bildungssystem geprägt.“87

82 Linde-Laursen 1993. 83 Vgl. Jansen, Borggräfe 2007. 84 Hansen 2010, S. 82. 85 Vgl. Hansen 2011, S. 176. 86 Moosmüller 1993, S. 256. 87 Moosmüller 1993, S. 256; so auch an anderer Stelle: „Die Staatsgrenzen sind mehr als nur territoriale oder politische Grenzen, sie sind auch Kommunikationsgrenzen und zwar nicht nur, weil sie oft zugleich Sprachgrenzen sind, sondern weil der gemeinschaftliche bzw. gesellschaftliche Austausch auf vielen Ebenen nur innerhalb der Staatsgrenzen stattfindet: Das Rechtssystem, die meisten Medien, die Politik, das Bildungssystem, usw. sind strukturierende Elemente des kommunikativen Netzes, das sich über die gesamte Nation spannt, sie sind Institutionen zur Produktion nationaler Kultur.“ (Moosmüller 1997, S. 38f.).

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Dass auch Umgangsformen zu den genannten Faktoren gezählt werden können und diese folglich der Ebene der Nation zuzuschreiben wären, liegt auf der Hand. Dazu kommt, dass den Angehörigen unterschiedlicher Nationen im Allgemeinen ein empirisch belegbares und im Alltag beobachtbares Ungleichverhalten88 attestiert wird. Derartige nationalspezifische Unterschiede lassen sich zum Teil auch anhand der Etikette-Ratgeber nachvollziehen, wie etwa der Vergleich amerikanischer und deutscher Tischsitten zeigt. So ist es in den Vereinigten Staaten gang und gäbe, ein Stück Fleisch zuerst in kleine Stücke zu schneiden und anschließend mit der Gabel in der rechten Hand zu verspeisen. Die deutsche Etikette sieht ein solches Essverhalten nicht vor; hier wird man dazu angehalten, das Messer stets in der rechten Hand zu halten und ein Stück nach dem anderen abzuschneiden. Einen Amerikaner könnte man in Deutschland demnach an seiner speziellen Esstechnik erkennen. Ob es sich bei derartigen Beispielen um Einzelfälle handelt oder ob tatsächlich ein Teil der Umgangsformen der Ebene der Nation zuzuschreiben ist, kann erst der sich anschließende Vergleichsteil endgültig klären. Fest steht jedoch bereits an dieser Stelle, dass die nationale Einwirkung auf das Verhalten nicht von vorne herein auszuschließen ist – wenngleich es auch berechtigte Zweifel daran gibt, die Nationalität als einzigen Einflussfaktor zu betrachten. Umgangsformen als subkollektivspezifische Phänomene Unter dem Dach einer Nation finden sich weitere Gruppierungen, wie etwa „Arbeiter, Bauern, Bildungsbürger, etc.“89, die ebenfalls spezifische Umgangsformen ausbilden könnten. Bereits der Forschungsbericht enthielt Hinweise da88 So Schlesinger: „Manners not only make the man but, to a surprising degree, also a people. Few traits more quickly reveal a person’s nationality than the habitual way he acts; by this sign he instantly subscribes himself an American, a Frenchman, an Italian.“ (Schlesinger 1968, S. 69); so auch Wallerstein: „Yet, on the other hand, it is surely true that people in different parts of the world, or in different epochs, or in different religious or linguistic communities do indeed behave differently from each other, and in certain ways that can be specified and fairly easy observed.“ (Wallerstein 1990, S. 34). 89 Hansen 2011, S. 123f.; so auch Moosmüller: „Nationale Kultur ist außerdem nur ein Aspekt der subjektiven Kultur. Ein Individuum gehört nicht nur der nationalen ‚Gruppe‘ an, sondern noch vielen anderen ethnisch, regional, religiös, ökonomisch-sozial, bildungsmäßig, beruflich usw. definierten Gruppen oder Kommunikationsnetzen. Die subjektive Kultur besteht sozusagen aus vielen Schichten, die sich aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen ergeben.“ (Moosmüller 1997, S. 40).

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rauf, dass Berufskollektive oder andere Bevölkerungsgruppen eigene Vorstellungen von Höflichkeit und gutem Benehmen haben. Doch im Gegensatz zu den dort meist verwendeten Begriffen (gesellschaftliche Gruppen, soziale Klassen, Oberschicht) zeichnet sich der hier eingeführte Begriff des Subkollektivs durch Offenheit und flexible Anwendungsmöglichkeiten aus. Denn anders als beispielsweise Klassen, sind Subkollektive nicht zwingend entlang einer hierarchischen Linie angeordnet und auch die Kriterien, nach denen sie bestimmt werden, sind nicht auf ökonomisches Kapital oder andere sozioökonomische Faktoren beschränkt. Vielmehr kann jede „partielle Gemeinsamkeit“90 Konstitutionsfaktor eines Subkollektivs sein, was die Offenheit des Begriffs bedingt. Funktionsverwandtschaft der Subkollektive Wenn nun aber Subkollektive über eigene Umgangsformen verfügen, stellt sich die Frage, ob diese nicht grenzüberschreitend, also international gelten. Es erscheint auf den ersten Blick durchaus plausibel, dass dem so ist, wenn etwa ein Geschäftsmann aus den USA auf einen deutschen Geschäftsmann trifft. Zu überprüfen gilt es also die These, ob Subkollektive auch über Ländergrenzen hinweg eine geteilte Berufskultur91, also gemeinsame Standardisierungen, in diesem Fall Umgangsformen, ausbilden. Bestätigt wird diese Annahme durch die Erkenntnis, dass beispielsweise das Subkollektiv der Geschäftsleute, das in gleicher oder vergleichbarer Form unter dem Dach jeder Nation existiert, das länderübergreifend auf der gleichen „partiellen Gemeinsamkeit“ basiert und so gesehen eine Verwandtschaft aufweist92, sich „über alle Kontinente hinweg ähnel[t].“93 Diese eventuell sogar weltweite Ähnlichkeit begründet Hansen als „Funktionsverwandtschaft“.94 Konkret bezogen auf das obige Beispiel bedeutet dieser Begriff, dass Subkollektive in den verschiedenen nationalen Gesellschaften eine identische Funktion erfüllen, des-

90 Hansen 2011, S. 160. 91 So Hansen: „Durch sie [Arbeitsteilung] wurde die Industrialisierung möglich, und ihre Steigerung führte geradlinig zu gesteigerter Polykollektivität. Die zunehmende Komplexität von Technik und Verwaltung, die mit der Industrialisierung einhergeht, verlangte nach Experten, sodass immer speziellere Berufsgruppen entstanden, die, nachdem sie eine Konsolidierung durchlaufen hatten, eigene Kulturen entwickelten.“ (Hansen 2009a, S. 119). 92 Vgl. Hansen 2009a, S. 50f. 93 Hansen 2011, S. 184f. 94 Hansen 2011, S. 184.

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halb bestimmte Ziele und Werte teilen95 und in demselben vorstrukturierenden Kontext agieren.96 Handwerker erfüllen auf der ganzen Welt die Funktion, Behausungen oder Teile davon zu erstellen oder bei Bedarf zu reparieren. So ergeben sich bestimmte berufsspezifische Anforderungen, Abläufe und Arbeitsmittel, die in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise eine länderübergreifende Verbreitung aufweisen. Ebenso verhält es sich mit der persönlichen und beruflichen Laufbahn und den Wertvorstellungen von Geschäftsleuten: Egal in welchem Land lassen sich diese Parallelen erkennen, da die Akteure Teil einer globalen „Managerkultur“ sind.97 Diese als transnational zu bezeichnenden Gemeinsamkeiten könnten sich – das soll der sich anschließende Vergleichsteil klären – auch in geteilten Verhaltensformen niederschlagen und übereinstimmende Umgangsformen bedingen. Dass bestimmte Subkollektive eine pankollektive Funktionsverwandtschaft aufweisen, wird im Kontext des Transnationalismus-Konzeptes auch von Ulf Hannerz, Wolfgang Welsch und Saskia Sassen angedeutet. Der schwedische Kulturanthropologe Hannerz behauptet beispielsweise, dass heutzutage transnationale Berufskulturen („transnational occupational cultures“98) existieren, zu denen „bureaucrats, politicians, and business people and […] journalists and diplomats“99 gehören, und die grenzüberschreitend Gemeinsamkeiten aufweisen, welche die Interaktion erleichtern: „Wherever they go, they find others who will interact with them in the terms of specialized but collectively held understandings.“100 Entsprechend argumentiert auch der Philosoph Welsch: „Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Einzelkulturen von einst (der vorgeblichen Nationalkulturen), sondern überschreiten diese, finden sich ebenso in anderen Kulturen. Die Lebensform eines Ökonomen, eines Wissenschaftlers oder eines Journalisten ist nicht mehr einfach deutsch oder französisch, sondern – wenn schon – europäisch oder global geprägt.“101 95

So Hansen: „Schon der Lebensweg unserer Hauptfiguren zeigt Parallelen. Beide studierten BWL – was in Deutschland nicht viel anders ist als in den USA – und beide stiegen in ähnlichen Unternehmen (Automobilindustrie) in Führungspositionen auf. An ihrer individuellen Sozialisation hatte dieser Lebensweg einen großen Anteil.“ (Hansen 2011, S. 187f.).

96

Vgl. Hansen 2011, S. 187.

97

Vgl. Hansen 2011, S. 188.

98

Hannerz 1992, S. 249.

99

Hannerz 1990, S. 243f.

100 Hannerz 1990, S. 243f. 101 Welsch 2010, S. 3.

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Dass diese Subkollektive tatsächlich eher für global gehalten werden, zeigt sich auch bei der amerikanischen Soziologin Sassen, die die Merkmale und Zielsetzung einer „globalen Expertenklasse“102 bzw. einer „neuen Schicht transnationaler Experten und Führungskräfte“103 beschreibt. Ihrer Ansicht nach ist es in erster Linie der „Drang nach Profit“, der derartige Kollektive verbindet.104 Diese These ist insbesondere am Beispiel der Geschäftsleute nachvollziehbar. Es erscheint durchaus plausibel, dass die „Nützlichkeitslogik“105, wie Sassen sagt, ebenfalls in die Funktionsverwandtschaft miteinfließt. Das Streben nach Profit und Effizienz – hier sei erneut auf das Schlagwort „McDonaldisierung“ und die damit einhergehenden Rationalisierungstendenzen verwiesen106 – ist schließlich der Maßstab, an dem diese Subkollektive ihr Handeln ausrichten, sodass sich daraus auch Gemeinsamkeiten im Verhalten ergeben können. Nicht umsonst wird bei Françoise Hammer „Höflichkeit […] funktionell aufgefaßt als eine bewußt eingesetzte Tätigkeit im Hinblick auf die Profitmaximierung eines Handelns.“107 Dass geteilte Umgangsformen auch aus strategischen Überlegungen heraus sinnvoll sind und dabei helfen können, den größtmöglichen Nutzen aus einer Interaktion zu ziehen, bestätigt auch die amerikanische Etikette-Autorin Letitia Baldrige: „When people who work together in either place adhere to the rules of social behavior, their workplace becomes efficient. There is an absence of confusion and wasted time. When people treat each other with consideration, they do not run into each other; there is a minimum of stumbling about, feeling awkward, groping for words, or wondering what to do next.“108

102 Sassen, Gramm 2008, S. 479f. 103 Sassen, Gramm 2008, S. 476. 104 Vgl. Sassen, Gramm 2008, S. 479f. 105 Sassen, Gramm 2008, S. 479f. 106 Vgl. Kapitel Umgangsformen als pankollektive Formationen. 107 Hammer 2001, S. 130; so auch Haferland und Paul: „Höflichkeit lässt sich strategisch einsetzen, um einen Partner zu etwas zu veranlassen. Man überschüttet ihn mit Höflichkeiten und schmeichelt ihm, um sein Wohlwollen zu erreichen und in eine Erfüllung der eigenen Wünsche umzumünzen. Ebenso ist Höflichkeit als Strategie gut, unerwünschte Partner auf Distanz zu halten, ohne es sich mit ihnen zu verderben. Sie läßt die wahre Meinung über den Partner nicht erkennen und ihn an einer undurchsichtigen Mauer abprallen.“ (Haferland, Paul 1996, S. 12). 108 Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 5f.

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Da eben diese Anforderungen typisch für die Geschäftswelt sind, liegt es nahe, dass auch die Reaktion darauf ähnlich ausfallen kann. So ließe sich erklären, dass die Maßnahmen, die ergriffen werden, um den Arbeitsalltag eines Geschäftsmannes effizienter zu gestalten – in diesem Fall wären dies Verhaltensregeln bzw. Umgangsformen – Parallelen aufweisen und als pankollektive Elemente, die jedoch subkollektivspezifisch sind, über geographische Grenzen hinweg verbreitet wären. Dass dies kein neuartiges Produkt des globalisierten Zeitalters ist und es bereits in der Vergangenheit entsprechende Subkollektive mit transnationaler Dimension gab, zeigen die beiden Soziologen Elias und Reimann sowie die Historiker Peter Ganz und Christof Dejung. Das von Elias gewählte Beispiel ist dem Mittelalter entnommen und beschreibt die höfische Oberschicht im Europa jener Zeit: „Die Angehörigen dieser vielgliedrigen Gesellschaft, sprechen über ganz Europa hin die gleiche Sprache, erst italienisch, dann französisch, sie lesen die gleichen Bücher, sie haben den gleichen Geschmack, die gleichen Manieren und – mit Niveau-Unterschieden – den gleichen Lebensstil.“109

Auch unabhängig von der Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen war der Kontakt „innerhalb der höfisch-aristokratischen Gesellschaft“ sogar über weite räumliche Distanzen hinweg stets enger als zu den anderen Ständen des gleichen Landes oder der gleichen Gegend.110 Elias geht sogar so weit zu behaupten, dass sich zu jener Zeit „eine, das Abendland umgreifende, höfische Aristokratie“111 bildete, die stark an Frankreich orientiert war und lediglich „Dependenzen an allen anderen Höfen“112 Europas hatte. Indem Elias von „einer Aristokratie“ spricht, wird deutlich, dass er von nur einem länderübergreifenden Subkollektiv

109 Elias 1969b, S. 5f. 110 Vgl. Elias 1969b, S. 5f.; so auch an anderer Stelle: „Ein deutlicher Ausdruck dieser geringer entwickelten Funktionsteilung, ein anschaulicher Beleg für diese relativ große Unverbundenheit der verschiedenen Stände ist die Tatsache, daß die Beziehung und die Ausbreitung von Gebräuchen oder Ideen zwischen Stadt und Stadt, zwischen Hof und Hof, zwischen Kloster und Kloster, also die Beziehungen innerhalb der gleichen Schicht der Gesellschaft, oft selbst über weite Entfernungen hin größer sind, als die Kontakte zwischen Burgen und Städten der gleichen Gegend.“ (Elias 1969b, S. 357). 111 Elias 1969b, S. 5. 112 Elias 1969b, S. 5.

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ausgeht und nicht von mehreren Subkollektiven, die durch eine Funktionsverwandtschaft verbunden wären und dadurch Ähnlichkeiten aufweisen würden.113 Im Einklang mit Elias verweist Reimann darauf, dass selbst „im Orient feudale Höfe mit einer in manchem ähnlichen Elite entstanden waren“114 und es gerade im Bereich des höflichen Verhaltens zu auffallenden Übereinstimmungen kam.115 Dass diese Parallelentwicklungen sich zumindest teilweise aus einer Art Funktionsverwandtschaft heraus begründen lassen, erkennt auch der Kunsthistoriker Peter Ganz. Er beschreibt die „Curiales“, das Subkollektiv der Menschen bei Hofe, unter ihnen „Hofbeamte[…], Truchseß, Schenke, Marschall, Kämmerer und Notar, aber auch die Köche, Pferdejungen und andere Bedienstete“116, als durchwegs heterogene soziale Gruppierung, „die aber durch ihre Abhängigkeit von dem großen Herrn zusammengehalten wurde.“117 Dies und „die gemeinsame Erziehung und die Ausbildung im Kriegshandwerk“118 machten aus einer bunt zusammengewürfelten Ansammlung von Menschen letztendlich ein Subkollektiv, das danach strebte, „sich nach außen hin zu definieren und abzuschließen“ und, wie Ganz es ausdrückt, „ihre eigene Partial- oder Subkultur“119 ausbildete, also gemeinsame Standardisierungen entwickelte. Diese spezielle Kultur, die der Kunsthistoriker als „occidentalisches gesellschaftliches Hochgefühl“120 bezeichnet, fand seiner Meinung nach über Länder- und Religionsgrenzen hinweg Verbreitung. Doch nicht nur der Feudalismus fand seinen Niederschlag in pankollektiven Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen. Auch die frühen transnationalen Handelsverbindungen bewirkten die Herausbildung einer grenzüberschreitenden „Kaufmannskultur“121, wie Dejung am Beispiel „[e]uropäische[r] Handelsfirmen in Asien während der Kolonialzeit“122 zeigt. Er beschreibt im Konkreten, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen Europa und Indien respektive China dadurch begünstigt wurden, dass „auf der Ebene der kaufmännischen Akteure die Unterschiede zwischen europäischer und asiatischer Geschäftskultur wesent-

113 Vgl. Hansen 2009a, S. 118. 114 Reimann 1992, S. 230. 115 Vgl. Reimann 1992, S. 231. 116 Ganz 1990, S. 41. 117 Ganz 1990, S. 41f. 118 Ganz 1990, S. 41f. 119 Ganz 1990, S. 41f. 120 Ganz 1990, S. 41f. 121 Dejung 2012, S. 163. 122 Dejung 2012.

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lich kleiner waren als oft angenommen.“123 Beide nationalen Berufskollektive waren „Angehörige einer merkantilen Elite, die ähnlichen [sic!] Handlungsmaximen verfolgten“124, wodurch die Kommunikation und Interaktion problemlos vonstatten ging und dauerhaft Bestand hatte.125 Diese „gemeinsame Kaufmannskultur“ war insofern unabdingbar, als sie das Vertrauen zwischen den Handelspartnern förderte und ein gewisses Maß an Sicherheit bot, welche zu jener Zeit nicht durch Gesetze oder andere „formale Institutionen“ gewährleistet wurde.126 Dass Subkollektive, wie etwa nationale Berufskollektive, also über eine Funktionsverwandtschaft verbunden sind und sich daraus länderübergreifende Ähnlichkeiten im Verhalten ergeben können, ist folglich eine These, die auch aus einem historischen Blickwinkel heraus bestätigt werden kann. Nationalspezifische Modifikationen der Subkollektive Andererseits, das darf nicht vergessen werden, existieren trotz funktionell ähnlicher Subkollektive Abweichungen zwischen den nationalen Varianten. Hansen nennt sie „nationalspezifische Modifikationen“127: „Auf der anderen Seite stehen der Verwandtschaft Modifikationen in der Umsetzung der Funktion entgegen, durch welche die an sich funktionsgleichen Subkollektive von Land zu Land unterschieden sind.“128 Damit meint er, dass die typischen Standardisierungen eines Subkollektivs in nationalspezifischer Ausprägung vorkommen. Alle Handwerker auf der Welt sind stolz auf ein berufsbezogenes Ethos, das in Deutschland in einer ganz bestimmten Form (Geselle, Meister) vorliegt. Dass auch transnational agierende Subkollektive, wie die von Sassen beschriebene „globale Expertenklasse“129, immer noch „partiell in nationale Set-

123 Dejung 2012, S. 161; Dejung selbst fügt hinzu, dass eine derartige Blockbildung bedenklich ist: „Ganz abgesehen davon, dass der Vergleich zwischen zwei in sich derart heterogenen Großräumen wie Europa und Asien per se fragwürdig ist [...].“ (Dejung 2012, S. 161). 124 Dejung 2012, S. 162f. 125 So Dejung: „Nur auf einer solchen gemeinsamen kulturellen Grundlage konnte eine Verständigung über die Art und Weise erzielt werden, wie Geschäfte abzuschließen oder wie Partnerschaften aussehen sollten, und nur auf einer solchen Basis konnten Geschäftsbeziehungen über längere Zeit hinweg aufrecht erhalten werden.“ (Dejung 2012, S. 162f.). 126 Vgl. Dejung 2012, S. 163. 127 Hansen 2011, S. 184; Hansen 2009a, S. 177. 128 Hansen 2011, S. 184f.; Hansen 2009a, S. 177. 129 Sassen, Gramm 2008, S. 479f.

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tings eingebettet“130 sind, stellen auch die oben angeführten Vertreter der Transnationalismus-Theorie fest. Zwar spricht Sassen von einem „Prozeß einsetzender Entnationalisierung“131, womit sie aber nur „eine veränderte Bindung ans Nationale, nicht ein vollständiger Ausgang aus diesem“132 meint. Gleichzeitig betont die Soziologin auch die „nationalen Verankerungen“ der „globalen Klassen“133, deren Angehörige lediglich „Eigenschaften einer partiell entnationalisierten (und nicht einer postnationalen) Staatsbürgerschaft erkennen“134 lassen. Ähnlich äußert sich Hannerz, der bezweifelt, dass ein Individuum gänzlich oder immer in einer „transnationalen Kultur“ leben kann: „Rather, these people combine involvements with one transnational culture (or possibly more than one) and one or more territorially based cultures.“135 Diese territoriale Verankerung beispielsweise der „transnational occupational cultures“136 könnte sich eben in nationalspezifischen Modifikationen im Verhalten dieser Subkollektive äußern und unterschiedliche Umgangsformen bedingen. Inwieweit sich diese Kategorie von den eingangs beschriebenen dachkollektivspezifischen Umgangsformen unterscheidet, soll anhand zweier Beispiele veranschaulicht werden. Die vielfach beschriebene open-door policy – also offene Bürotüren zur Sicherstellung einer ungehinderten Kommunikation – ist keinesfalls ein Phänomen, das bezeichnend für die gesamte amerikanische Nation ist. Offenstehende Türen sind nichts typisch Amerikanisches, sondern in ihrem Geltungsbereich auf das Subkollektiv der amerikanischen business people oder Universitätsangehörige und eben Bürotüren beschränkt. Dass Amerikaner hingegen einen Hang zur Verwendung des Vornamens haben, scheint sich nicht auf bestimmte Subkollektive zu beschränken, sondern durchzieht als womöglich dachkollektivspezifische Umgangsform die gesamte Nation. Ebenso raten amerikanische Business-Etikette-Ratgeber ihren Leserinnen tendenziell eher dazu, ein Kostüm anstatt eines Hosenanzuges zu tragen. Hierbei handelt es sich gleichfalls um eine nationalspezifische Modifikation des Subkollektivs der amerikanischen Geschäftsleute, da Frauen in den USA nicht generell dazu angehalten werden, Röcke Hosen vorzuziehen, dies offenbar lediglich im geschäftlichen Kontext eine Rolle spielt. Der folgende Vergleichsteil wird auf diese beiden Beispiele noch näher eingehen. Für den Moment gilt es festzuhalten, dass den oben 130 Sassen, Gramm 2008, S. 479f. 131 Sassen, Gramm 2008, S. 479. 132 Sassen, Gramm 2008, S. 479. 133 Sassen, Gramm 2008, S. 478. 134 Sassen, Gramm 2008, S. 478. 135 Hannerz 1992, S. 249. 136 Hannerz 1992, S. 249.

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erörterten Gemeinsamkeiten sich entsprechender Subkollektive nationalspezifische Modifikationen gegenüberstehen, die zu Abweichungen im Verhalten führen können. Fazit: Vergleich der Prägekraft Angesichts dieser beiden Kategorien – der Funktionsverwandtschaft und den nationalspezifischen Modifikationen – drängt sich die Frage auf, welche der beiden überwiegt. Nivelliert die Funktionsverwandtschaft die Unterschiede zwischen Subkollektiven unterschiedlicher Nationen stärker als diese durch nationalspezifische Modifikationen getrennt werden? Oder dominieren hier die dachkollektivspezifischen Abweichungen bzw. nationalen Beimischungen der Subkollektive über die funktionellen Gemeinsamkeiten? Hansen ist der Meinung, dass – anders als vielleicht bei deutschen und amerikanischen Handwerkern, bei denen die funktionellen Gemeinsamkeiten hinter die Modifikationen zurücktreten137 – insbesondere bei Managern und Geschäftsleuten „[d]ie Funktionsverwandtschaft […] stärker [ist] als die nationalspezifischen Modifikationen.“138 Dazu könnte dann noch eine pankollektive „Prinzipienverwandtschaft“ stoßen, etwa die Handlungsmaxime „Gewinnmaximierung“ oder das Agieren in einer „freien Marktwirtschaft“139, die Parallelen im Verhalten der beiden nationalen Subkollektive bewirkt.140 Das würde im Ergebnis bedeuten, dass man amerikanische und deutsche business people in gewisser Weise als ein einziges grenzüberschreitendes bzw. transnationales Subkollektiv betrachten könnte, das durch eine Funktions- und Prinzipienverwandtschaft verbunden ist und mehr Übereinstimmungen als Unterschiede im Verhalten aufweist.141 Eine ganz andere Frage ist jene, ob tatsächlich die Zugehörigkeit zu einem Subkollektiv das Verhalten eines Individuums stärker prägt als die Nationalität, also die Herkunft aus einem bestimmten Dachkollektiv. Bedenkt man, dass der „Kontakt zwischen Dachkollektiven nie direkt und ganzheitlich erfolgt, sondern zwangsläufig auf Subkollektive beschränkt bleibt“142, insofern als sich „[n]icht Länder treffen […], sondern Politiker, Geschäftsleute und Schüler“143, so besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Kommunikation zwischen Individuen gleichermaßen oder stärker durch die Zugehörigkeit zu einem dieser Subkollektive als 137 Vgl. Hansen 2011, S. 185. 138 Hansen 2011, S. 187f.; vgl. Hansen 2009a, S. 109 und S. 191. 139 Hansen 2009a, S. 195f. 140 Vgl. Kapitel Umgangsformen als pankollektive Formationen. 141 Vgl. Hansen 2009a, S. 177. 142 Hansen 2011, S. 185; vgl. Hansen 2009a, S. 191. 143 Hansen 2011, S. 185.

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durch die Nationalität geprägt ist.144 Diese Tatsache schildert auch Moosmüller anhand einiger plakativer Beispiele: „Die nationalen Unterschiede […] treten zurück, wenn z. B. der Habitus von Fabrikarbeitern mit dem von Universitätsprofessoren verglichen wird, denn dann werden nationenübergreifende Ähnlichkeiten zwischen Arbeitern bzw. Professoren hervortreten und zwischen dem deutschen und dem japanischen Arbeiter werden in vieler Hinsicht mehr Gemeinsamkeiten festzustellen sein als zwischen dem deutschen Arbeiter und dem deutschen Professor.“145

Doch diese Erkenntnis hat sich noch nicht durchgesetzt, wie sich am Beispiel des amerikanischen Interkulturalisten Craig Storti zeigt, der in seinem Ratgeber mit dem bezeichnenden Titel Americans at work. A guide to the can-do people146 (2004) völlig entgegengesetzt argumentiert: „To put it another way, the techies from research and development (R&D) may indeed come from another world as far as the folks in sales and marketing are concerned – and vice versa – but their deep differences notwithstanding, American technical types and American sales reps are more like each other than either of them is like their counterparts from India or France. One American workplace, in short, different as it may be from another, is still more like other American workplaces in many ways than like a Chinese or Brazilian workplace.“147

Die Vergleichsanordnung entspricht im Grunde der bei Moosmüller. Dieser stellt deutsche und japanische Arbeiter deutschen Arbeitern und Professoren gegenüber und geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einem sich ähnelnden oder entsprechenden Subkollektiv nationalspezifische Unterschiede zurücktreten lässt. Storti wählt amerikanische Mitarbeiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung und meint, dass diese, etwa verglichen mit indischen oder französischen Beschäftigen der entsprechenden Abteilung, mehr Gemeinsamkeiten mit den amerikanischen Marketing- oder Vertriebsangestellten hätten. Storti, der sich einen Namen mit interkulturellen Ratgebern und Trainingsprogrammen gemacht hat, sieht demnach den Einfluss der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Subkollektiv (in diesem Fall einer bestimmten Abteilung) der Nationalität untergeordnet. 144 Vgl. Hansen 2011, S. 185. 145 Moosmüller 1993, S. 256f. 146 Storti 2004. 147 Storti 2004, S. 2f.

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Den hier aufgeworfenen Fragen weiter nachzugehen und zumindest teilweise zu klären, ist Ziel der vorliegenden Arbeit, insbesondere des sich anschließenden Vergleichsteils.

F UNKTIONEN IN ABHÄNGIGKEIT VON DER K OLLEKTIVZUSCHREIBUNG Die drei im Forschungsbericht ermittelten Funktionen – Wertumsetzung, Stiftung von Routine und Konstitution von Kollektivzugehörigkeit – sollen nun ebenfalls aus einem kollektivtheoretischen Blickwinkel heraus betrachtet, kritisch diskutiert und auf ihre Relevanz für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit hin untersucht werden. Hierzu werden die Funktionen in Relation zu den im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Zuschreibungsmöglichkeiten gesetzt, da die Wirkungsweise je nach Trägerkollektiv variieren kann. Stiftung von Routine Wie bereits eingehend im Forschungsbericht erläutert, bieten Umgangsformen den Akteuren einen gewissen Grad an Verhaltens- und Erwartungssicherheit und erleichtern damit die Interaktion und Kommunikation. Der Handschlag, um zu diesem Beispiel zurückzukehren, erfüllt eben diese Funktion. Einerseits wissen zwei sich begegnende Individuen, dass das Ausstrecken der rechten Hand eine Form der Begrüßung ist und können so prompt und routiniert handeln. Andererseits ist für sie das Verhalten des Interaktionspartners berechenbar; sie sind also vorbereitet, wenn dieser seine Hand reicht und können angemessen reagieren. In seiner Eigenschaft als pankollektive Formation erstreckt sich der Handschlag in seiner Reichweite auf eine große Anzahl von Ländern, durchzieht sämtliche Schichten und ist keinesfalls nur auf bestimmte Berufskollektive beschränkt. Insofern wirkt sich die durch diese Standardisierung bewirkte Routine nicht nur positiv auf die Interaktion zwischen einzelnen Individuen oder innerhalb eines begrenzten Kollektivs aus, sondern stiftet eine „pankollektive Routine“, die ihren Nutzen in einem nicht klar abgrenzbaren Kollektiv entfaltet. Doch auch wenn die Grenzen des Trägerkollektivs bestimmbar sind, können Umgangsformen routiniertes Handeln fördern. So erfüllen Benimmregeln auf der Ebene der Dachkollektive ebenfalls eine Routine stiftende Funktion, was daran liegt, dass es die primäre Aufgabe dieses sogenannten „Überbaus“ ist, die Kommunikation und Interaktion zwischen Individuen und Kollektiven zu regeln. Zu diesem Zweck werden neben einer gemeinsamen Sprache und allgemein ver-

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bindlichen Gesetzen auch Umgangsformen „bereit gestellt und als normal institutionalisiert.“148 Eine hier auftretende Homogenität könnte die Bedingung für ein funktionierendes und reibungsloses Zusammenleben innerhalb einer Nation und damit über die Grenzen einzelner Subkollektive hinweg sein.149 Die vorausgegangenen Annahmen, nach denen Umgangsformen in ihrer Funktion als Routinestifter zum Erreichen dieses Ziels beitragen, lassen sich grundsätzlich auf Dachkollektive übertragen. Der einzige Unterschied ist, dass der Geltungsbereich dieser Konventionen des Umgangs mit einer politischen Grenze zusammenfällt, und dass das Trägerkollektiv damit klar definier- und abgrenzbar ist. Anders als ein Dachkollektiv konstituiert sich ein Subkollektiv durch eine beliebige „partielle Gemeinsamkeit“150 der Individuen. Doch auch der Umgang dieser Individuen miteinander kann durch Umgangsformen in ihrer Routine stiftenden Funktion erleichtert werden. Was unter den Schlagworten Handlungsund Erwartungssicherheit über pankollektive Formationen und dachkollektivspezifische Benimmregeln gesagt wurde, lässt sich analog auf solche Umgangsformen, die lediglich in einem bestimmten Subkollektiv gelten, übertragen. Auch sie bieten den Akteuren ein hohes Maß an, wie man sagen könnte, „Kollektivroutine“. Träfe allerdings zu, dass Umgangsformen als transkollektive Prinzipien unbegrenzt Geltung besitzen, wäre die Routine keine in Frage kommende Funktion, da diese grundsätzlich unvereinbar ist mit Sittlichkeit, Ethik oder „anthropologischen Imperativen“151. Eine moralisch wertvolle Handlung kann nicht unüberlegt und automatisch erfolgen, sondern erfordert eine bewusste Absicht.152 Fraglich ist jedoch, das wurde bereits kurz angeschnitten, ob man diese Form der Verhaltensregeln überhaupt noch als Umgangsformen bezeichnen kann. Womöglich ist die Routine ein entscheidendes Unterscheidungskriterium, wenn man moralische Grundsätze von schlichten Konventionen des Umgangs abgrenzen möchte. Auf diese Problematik wird im folgenden Kapitel noch näher einzugehen sein. Nachdem nun gezeigt wurde, dass die Funktion der Routine auf die meisten Zuschreibungsmöglichkeiten anwendbar ist, drängt sich die Frage auf, ob nicht womöglich Standardisierungen im Allgemeinen routiniertes Handeln bewirken. Dann nämlich wäre die Routine keine nennenswerte Funktion von Umgangsfor148 Hansen 2010, S. 82; vgl. Hansen 2011, S. 176; vgl. Hansen über Umgangsformen (Hansen 2009, S. 134f.). 149 Vgl. Hansen 2011, S. 176; vgl. Hansen 2009a, S. 13. 150 Hansen 2011, S. 160. 151 Hansen 2011, S. 134ff. 152 Vgl. Hansen 2011, S. 101.

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men, sondern eine grundsätzliche Wirkungsweise von Kultur, ein Begriff, der mit Hansen die „Gesamtheit der Gewohnheiten“153 eines Kollektivs meint. Obwohl also die Routine in der Sekundärliteratur immer wieder als wichtige Funktion von Umgangsformen herausgestellt wird, scheint es sich hierbei aus kulturwissenschaftlicher Sicht nicht um ein Spezifikum von Umgangsformen zu handeln, sondern um eine Wirkungsweise, die allen Standardisierungen inhärent ist. Wertumsetzung Die Diskussion um die Werthaftigkeit von Umgangsformen und die begriffliche Abgrenzung von Werten und Moral wurde im Forschungsbericht bereits dargestellt. Ein eindeutiges Ergebnis konnte jedoch auch nach eingehender Analyse der Sekundärliteratur nicht festgehalten werden. Während die einen Umgangsformen lediglich einen „prophylaktischen Zweck“154 und damit eine das Moralische oder Sittliche fördernde Funktion zuschreiben, halten andere Autoren es durchaus für möglich, dass ein gewisser Teil der Benimmregeln die Umsetzung moralischer Ideale zum Ziel hat. Die Frage nach dem Zusammenhang von Sittlichkeit und Umgangsformen soll im Folgenden noch einmal aufgegriffen werden. Betrachtet man exemplarisch einige in Etikette-Büchern kodifizierte Verhaltensregeln – man denke etwa an Bekleidungsvorschriften oder Tischmanieren – erscheint eine moralische Fundierung wenig plausibel. Die Art und Weise, wie man sich kleidet oder wie man isst, entbehrt jeglicher moralischer Bewertung; die Frage nach „gut“ oder „böse“155 stellt sich nicht. Wer jedoch in einer vollbesetzten Straßenbahn einer älteren gebrechlichen Person seinen Sitzplatz überlässt, handelt moralisch, also „richtig“ und „gut“156. Diese Auffassung, die wohl die gesamte Menschheit teilt, macht bestimmte Umgangsformen womöglich doch zu einer Umsetzung moralischer oder sittlicher Prinzipien. Wenn überhaupt, dann sind es demnach allgemeingültige Menschheitswerte, die in Umgangsformen verkörpert sein könnten. In diesem Kontext ließe sich einwenden, dass der Sitzplatz in vielen Fällen keineswegs aus Barmherzigkeit oder Rücksicht dem Schwächeren gegenüber aufgegeben wird, sondern lediglich aus Gewohnheit157 oder Angst vor Sanktionen, etwa, um einem drohenden Verlust des Ansehens entgegenzuwirken. Aus einer kollektiven Betrachtungsweise heraus ist 153 Hansen 2011, S. 15. 154 Von Jhering, Fischer 2004, S. 9f. 155 Hillmann, Hartfiel 2007, S. 589. 156 Hillmann, Hartfiel 2007, S. 589. 157 Vgl. Ehrhardt 2002, S. 40.

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es allerdings unerheblich, ob die individuelle Motivation, die hinter einem solchen Akt steht, moralischer Natur ist, also aus dem Wunsch Gutes zu tun heraus entsteht. Mag sein, dass man den Platz in der Straßenbahn nur räumt, weil man fürchtet, von den übrigen Anwesenden sonst mit strafenden Blicken versehen zu werden. Doch obwohl die Entscheidung des Individuums womöglich nicht moralisch bedingt ist, ist das Ergebnis ethisch wertvoll. Neben der Rücksichtnahme könnte man auch Respekt und Selbstbeherrschung zu den Idealen menschlichen Zusammenlebens zählen, die theoretisch in Umgangsformen verkörpert sein könnten. So ließe sich der Respekt gegenüber den Mitmenschen als „anthropologischer Imperativ“158 betrachten, der sich anhand bestimmter Benimmregeln manifestiert. Entsprechend würde man dann das obligatorische Aufstehen beim Handschlag, das Aufhalten einer Tür für den Nachfolgenden oder das In-den-Mantel-Helfen dieser Wertschätzung den Anderen gegenüber zuschreiben; eine Argumentation, die sich häufig in der EtiketteLiteratur selbst findet. So schreibt beispielsweise Kai Oppel: „Werte wie Respekt, Achtung, Freundlichkeit, Klugheit oder Bedachtheit gehören überall zu den Grundbausteinen guter Manieren.“159 Respekt, als ein in Umgangsformen verkörperter Wert, ist auch in den amerikanischen Ratgebern ein wiederkehrendes Thema, wie hier bei Millicent Fenwick: „The core of it is respect for others – for their feelings, their sensibilities, their opinions, and their welfare.“160 Tatsächlich aber geht es bei all den oben genannten Beispielen (Aufstehen beim Handschlag, Tür-Aufhalten oder In-den-Mantel-Helfen) nicht um eine Respektsbekundung gegenüber einer bestimmten Person oder den Mitmenschen im Allgemeinen. Vielmehr nutzt man diese Umgangsformen, um den Rang des Adressaten anzuerkennen; es handelt sich also um ein Zeichen, eine symbolische Inszenierung. Weiterhin könnte man die in vielen Umgangsformen manifestierte Selbstbeherrschung für einen Menschheitswert erachten. Die Zügelung der eigenen Interessen wäre insofern als altruistisch oder moralisch zu betrachten, als sie gleichbedeutend mit der Rücksichtnahme den Mitmenschen gegenüber ist. Tischmanieren etwa haben zum Ziel, die übrigen Anwesenden einerseits nicht zu kurz kommen zu lassen und sie andererseits von Ekel zu verschonen. So übt man sich in Zurückhaltung, wenn man nicht sofort mit dem Essen beginnt, sobald der 158 Hansen 2011, S. 134. 159 Oppel 2006, S. 161. 160 Fenwick 1948, S. 9; so auch Gerson: „Etiquette is also respect. [...] Etiquette as respect does not attach merely to people, but also to everything about their situation: their time, their responsibilities, the competing demands to which they are subject, their role within an organization or a community or a family.“ (Gerson 2008, S. 79–82); vgl. Oppel 2006, S. 161.

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Gang serviert wurde, sondern auf ein entsprechendes Signal wartet. Tatsächlich gewährleistet das gleichzeitige Beginnen mit dem Essen, dass alle Beteiligten theoretisch die gleiche Menge an Speisen zu sich nehmen können. Des weiteren bewahren die entsprechenden Vorschriften davor, den Appetit der Tischgesellschaft etwa durch lautes Schmatzen oder Sprechen mit vollem Mund zu schmälern.161 Nicht nur die Rücksicht Anderen gegenüber kann Ausdruck von Selbstbeherrschung sein, mit Machwirth ist auch das Interesse am Gegenüber als entsprechender altruistischer Wert zu betrachten. Indem man sich beispielsweise während einer Unterhaltung nach Dingen erkundigt, „die sich auf Leben und Situation des anderen beziehen“, stellt man die eigene Person hintan und hebt die Belange des Anderen hervor.162 Treffend nennt der Soziologe diese Form der Höflichkeit „präformierter und damit überindividueller Altruismus im Sozialverkehr.“163 Doch eine „präformierte“ und „überindividuelle“ Handlung erfordert keinerlei bewusste Entscheidung oder Initiative und kann insofern kaum als sittlich oder moralisch eingestuft werden. In der Tat tritt auch in oben genannten Beispielen die inhaltliche Dimension der Umgangsformen gänzlich hinter die Form zurück und ist im Ergebnis mehr oder weniger beliebig. Vielmehr ist das Befolgen einer solchen Verhaltensregel selbst Ausdruck von Respekt und Selbstbeherrschung. Was im Kapitel Moral und Werte unter den Schlagwörtern „Selbstzweckautorität“ und „nachträgliche Rationalisierung“ von Umgangsformen besprochen wurde, kommt auch an dieser Stelle wieder zum Tragen. Denn unabhängig von inhaltlicher Relevanz stellt die Unterordnung unter derartige Benimmregeln an sich eine „Auffassungen des Wünschenswerten“164 dar. Und obwohl es nach den vorangegangenen Überlegungen eher unwahrscheinlich ist, dass Umgangsformen in einem direkten Zusammenhang mit Moral oder Sittlichkeit stehen, sollen nun dennoch kurz die vier Zuschreibungsoptionen an dieser Funktion durchgespielt werden. Würde man also die oben angesprochenen Zweifel beiseiteschieben und das Argument gelten lassen, dass bestimmte Umgangsformen moralische Werte verkörpern, so würde man sich damit auf der Ebene der universellen Prinzipien oder, wie Hansen sie nennt, „anthropologischen Imperative“165 bewegen. Diese haben die Ideale oder Zielbestimmungen des menschlichen Zusammenlebens zum Inhalt. Bestimmte, der Umset161 So meint von Jhering, der Grundgedanke aller Tischsitten sei die Vermeidung des „ästhetisch Anstößigen“ (von Jhering, Fischer 2004, S. 34). 162 Machwirth 1970, S. 184. 163 Machwirth 1970, S. 184. 164 Vgl. Kapitel Selbstzweckautorität und nachträgliche Rationalisierung. 165 Hansen 2011, S. 134.

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zung altruistischer Werte gewidmete Umgangsformen könnte man demnach als gattungsspezifische Verhaltensideale betrachten, was nach Meinung Hansens deren Zuschreibung zu einem bestimmten Kollektiv verhindere: „Ethische Standardisierungen aber, wenn sie ihren Namen verdienen, sind von jeder Kollektivierung frei. Sie sind auf der ganzen Welt gleich und verfolgen überall hehre Aufgaben wie Gerechtigkeit, Frieden, Toleranz. [...] Unter dem sanften Regiment der Moral und dem strengeren der Rechtsnormen schwinden folglich die kollektiven Unterschiede.“166

Bleibt also festzuhalten, dass diese moralisch fundierten Umgangsformen – sollten sie existieren – über die gesamte Menschheit verbreitet bzw. mit Hansen als „transkollektiv“ zu bezeichnen wären. Gleichzeit bestünde dann in der Umsetzung dieses anthropologischen Prinzips ihre einzige Funktion, da sowohl die Routine als auch die Konstitution von Kollektivzugehörigkeit definitionsgemäß ausgeschlossen wären. Was die Funktion von Umgangsformen in ihrer Eigenschaft als pankollektive Formationen angeht, ist die Umsetzung von Moral oder Werten noch weniger plausibel. Oben wurde festgehalten, dass Umgangsformen theoretisch nur dann als moralisch gelten können, wenn ihnen „anthropologische Imperative“167 zugrunde liegen, sie also an den Idealen des menschlichen Zusammenlebens ausgerichtet sind. Dann aber müssten mit Hansen diese „ethischen Standardisierungen“ weltweit gleich sein und wären „von jeder Kollektivierung frei“.168 Und obwohl zwar das Kollektiv, das Träger einer pankollektiven Formation ist, nicht klar zu umreißen ist, so handelt es sich nicht um die gesamte Menschheit, sondern ist in seiner Ausdehnung in irgendeiner Weise beschränkt. Gegen die These, Benimmregeln mit nationalem Geltungsbereich würden als Ausdruck von Werten fungieren, spricht zusätzlich, dass diese selbst nicht auf nationaler Ebene anzusiedeln sind. Wie Hansen ausführt, kann aufgrund mangelnder Homogenität innerhalb eines Dachkollektivs die Suche nach „Werten, Wahrnehmungen und Mentalitäten“ nicht erfolgreich sein, da es sich hierbei um Phänomene handelt, „die zur polykollektiven Basis gehören und von Subkollektiv zu Subkollektiv variieren“169: „Es gibt kommunistische und katholische Werte, aber keine deutschen. Es gibt eine Unternehmer-Mentalität und vielleicht eine Beamten-Mentalität, aber keine gesamtdeutsche 166 Hansen 2011, S. 134ff. 167 Hansen 2011, S. 134. 168 Hansen 2011, S. 134ff. 169 Hansen 2010, S. 82f.

112 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER BUSINESS CULTURE Mentalität. Denkinhalte gehören zur Kultur der jeweiligen Subkollektive und nicht zu der pankollektiv überwölbenden des Daches.“170

Grundsätzlich wäre es also denkbar, dass subkollektivspezifische Umgangsformen Werte oder Moral verkörpern. Doch tritt hier noch ein weiterer Ausschlussgrund hinzu. Im Forschungsbericht wurde darauf hingewiesen, dass, wer das Distinktionspotenzial von Umgangsformen aufrecht erhalten will, diese stets weiterentwickeln und verfeinern muss, sobald diejenigen, von denen man sich eigentlich abgrenzen will, die entsprechenden Benimmregeln übernehmen und das Verhalten nachahmen. Da aber Umgangsformen so schnell veränderbar sind, können sie nicht Ausdruck eines moralischen Wertes sein, es kann sich höchstens um einen „gesunkenen Wert“ handeln, der im Handeln nicht mehr als solcher erkennbar ist. Theoretisch wäre auch wertbasiertes Verhalten abwandelbar – man denke an das Schlagwort Wertewandel – doch wäre dies ein langwieriger Prozess und die Distinktionsfunktion wäre zumindest zeitweilig und in gewissem Umfang nicht mehr erfüllt. Es bleibt demnach zusammenfassend festzuhalten, dass es vermutlich zu weit geht, Umgangsformen eine sittliche Basis zuzusprechen. Eine Handlung, bei der tatsächlich eine moralische Entscheidung zu fällen ist, die eine Initiative erfordert und damit bewusst und reflektiert erfolgt, würde im Umkehrschluss nicht in die Kategorie Umgangsformen fallen. Sollte diese Annahme jedoch nicht zutreffen, so würden Umgangsformen, welche die Umsetzung moralischer Grundsätze zum Ziel haben, für die gesamte Menschheit gelten und wären weder als pankollektive Formation zu charakterisieren noch einem Dach- oder Subkollektiv zuzuschreiben. Konstitution von Kollektivzugehörigkeit Die letzte der drei Funktionen, die im Forschungsbericht mit „Distinktion und Hierarchie“171 umschrieben wurde, soll hier umfassender als die Konstitution von Kollektivzugehörigkeit bezeichnet werden. Dieser Ausdruck ist insofern genau170 Hansen 2010, S. 82; so auch Haas: „Nachdem die Annahme einheitlicher Nationalcharaktere bereits vor Jahrzehnten aufgegeben wurde sollte jetzt langsam klar werden, dass sich Landesbevölkerungen auch über Werte und Normen nie ganz einig sind. Dazu ist der moderne Pluralismus schon zu weit gediehen. [...] Gräben zwischen unterschiedlichen Wertsystemen verlaufen oftmals nicht entlang politischer Grenzen, sondern zwischen Altersgruppen, Familienkollektiven oder sozialen Schichten.“ (Haas 2009, S. 145). 171 Vgl. Kapitel Distinktion und Hierarchie.

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er, als er sowohl die distinguierende als auch die integrative Funktion von Umgangsformen in den Blick nimmt. Einerseits, dieser Aspekt wurde im Forschungsbericht bereits ausführlich erläutert, dienen bestimmte Verhaltensregeln der Abgrenzung zwischen Kollektiven. Andererseits können geteilte Konventionen des Umgangs auch der Binnenintegration oder Selbstaffirmation, also sozusagen der Kollektivvergewisserung, förderlich sein. Beide Funktionsweisen bedingen sich gegenseitig: Für Umgangsformen, die der distinguierenden Kollektivzugehörigkeit zuträglich sind, gilt im Umkehrschluss, dass diese wiederum Kohäsion innerhalb des Kollektivs bewirken, da durch die Abgrenzung den Anderen gegenüber die innere Verbundenheit gesteigert wird. Allgemein ausgedrückt, gehören die „Konstitution von Kollektiven“ bzw. Binnenintegration und die „Abgrenzung zwischen ihnen“172 zu den primären Funktionen von Standardisierungen, also auch Umgangsformen: „Entweder helfen sie uns, einer breiten Normalität zu huldigen, oder sie geben Gelegenheit, uns über Kollektivzuordnung eine von der Normalität abrückende Distinktion zu sichern.“173 Die zwei hier beschriebenen Wirkungsweisen – die integrierende und die distinguierende Kollektivvergewisserung – sollen im Folgenden noch einmal näher beleuchtet, auf bestimmte Zuschreibungsoptionen angewandt und anhand von Beispielen aus den Etikette-Ratgebern konkretisiert werden. Auch Emerson hält die Binnenintegration für eine entscheidende Wirkungsweise von Manieren, wenn er schreibt: „We talk much of utilities, – but ‘tis our manners that associate us.“174 Gemeinsame Verhaltensweisen und nicht ein aus der Vereinigung entstehender Nutzen, meint er, seien das verbindende Element im Zusammenleben. Die Linguistin Angelika Linke spricht in diesem Kontext von einer „rückversichernden Funktion“175 und meint damit, dass EtiketteBücher und damit Umgangsformen „den Selbstentwurf derjenigen Sozialformation, die ihr (selbst)deklariertes Zielpublikum darstellen“, widerspiegeln.176 Es ist durchaus schlüssig, dass ein übereinstimmender Selbstentwurf als „kollektiver Kitt“ fungieren kann. Gleicher Ansicht sind auch die beiden Sozialpsychologen Ursula Brandt und Bernd Köhler, deren Erkenntnisse über die Bedeutung „sozialer Normen“177 für die Binnenintegration und -stärkung einer Gruppe analog auf Umgangsformen übertragen werden können: „Soziale Normen sind die Instrumente des Erfolges und Überlebens einer Gruppe [...]. Sie produzieren Homoge172 Hansen 2011, S. 124. 173 Hansen 2011, S. 124. 174 Emerson 1983, S. 1038. 175 Linke 1996, S. 72. 176 Linke 1996, S. 72. 177 Brandt, Köhler 1972, S. 1737f.

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nität zwischen den Mitgliedern, fördern ein ‚Wir-Gefühl‘ und erhöhen damit den Zusammenhalt und die Macht der Gruppe.“178 Das kulturwissenschaftliche Äquivalent zu einer „sozialen Norm“ ist die „Standardisierung“ bzw. die „kollektive Vorgabe“ und anstatt des Gruppenbegriffs wird von Kollektiven ausgegangen.179 Der Grundgedanke jedoch, der besagt, dass Verhaltensgleichheit, also das übereinstimmende Befolgen von Umgangsregeln, die Zugehörigkeit von Individuen zu Kollektiven definiert und außerdem das kollektive Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt, ergo eine Kollektivvergewisserung ermöglicht, ist beiden Disziplinen gemeinsam.180 Über die Wirkung von Umgangsformen auf die Kollektivzugehörigkeit scheint man sich einig zu sein; fraglich ist jedoch, wie genau Standardisierungen die beschriebene Verhaltensgleichheit zu Stande bringen. Mit Hansen geschieht dies vor allem durch die Definition von Normalität und die Sanktionierung von Abweichung181: Etikette-Regeln legen fest, welches Verhalten als normal erachtet wird, ein Verstoß gegen diese kollektiv normierten Standards wird sanktioniert. Da Normalität nur innerhalb eines bestimmten Kollektivs geschaffen und durchgesetzt werden kann, ist sie einer der Hauptmechanismen bei der Konstitution einer integrierenden Kollektivzugehörigkeit. Dass es sich bei diesem Kollektiv um ein Dachkollektiv, also eine Nation, handeln kann, soll anhand einiger Beispiele aus Etikette-Ratgebern veranschaulicht werden. Eine Konvention des Umgangs, die eine integrierende Zugehörigkeit etabliert, ist etwa der Handschlag. Betrachtet man das Dachkollektiv Deutschland, so ist diese Form der Begrüßung unter den meisten Individuen verbreitet und damit als „normal“ zu erachten, was nicht gleichzeitig bedeuten muss, dass dies nicht auch auf andere Nationen zutrifft. Ebenso dienen etwa die Anredeformen „Sie“ bzw. „Herr“ oder „Frau“ gefolgt vom Nachnamen, die im Gespräch mit Fremden oder flüchtigen Bekannten gebräuchlich sind, der Binnenintegration. Auch ein Großteil der Tischmanieren gilt im gesamten Dachkollektiv. Die Liste ließe sich noch lange weiterführen, zumindest, wenn man derart essentielle Grundlagen des Zusammenlebens betrachtet. Ähnlich verhält es sich, wenn man subkollektivspezifische Umgangsformen auf ihre integrierende Funktion hin beleuchtet. Die bereits erwähnten Bekleidungsvorschriften bieten sich zur Erläuterung dieser These an. So dient etwa das Tragen eines uniformen dunklen Anzuges dazu, die Zugehörigkeit zum Kollektiv der Geschäftsleute zu signalisieren. Dies geschieht durch das Befolgen der 178 Brandt, Köhler 1972, S. 1737f.; Hervorhebung im Original. 179 Vgl. Hansen 2011, S. 124. 180 Vgl. Hansen 2011, S. 31 und S. 132. 181 Hansen 2011, S. 133.

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kollektiv normierten Verhaltensmuster, also gemeinsamer Standardisierungen, indem ein Zusammengehörigkeitsgefühl oder Kollektivbewusstsein bewirkt wird.182 Auf der anderen Seite steht die distinguierende Funktion bestimmter Umgangsformen. Denn gleichzeitig – das ist das logische Pendant zur Binnenintegration – dienen Umgangsformen auch der Distinktion zwischen Angehörigen unterschiedlicher Dachkollektive. Wie bereits erwähnt, gilt das beobachtbare Ungleichverhalten Angehöriger unterschiedlicher Nationen183 als gesicherte, empirisch nachweisbare Tatsache und entspricht auch den alltäglichen Erfahrungen im Umgang der Menschen miteinander.184 Die Distinktion gegenüber den übrigen Landsleuten oder anderen Kollektiven unter dem Dach einer Nation ist auch eine der vorrangigen Wirkungsweisen subkollektivspezifischer Umgangsformen. Hansen erläutert am Beispiel des Blumengeschenks, inwiefern bestimmte Höflichkeitsgesten an ein Subkollektiv gekoppelt sind und damit der Abgrenzung gegenüber anderen Kollektiven oder Individuen dienen: „Die Begrüßung per Handschlag gilt im ganzen Dachkollektiv, die Blumengabe aber nur für bestimmte Subkollektive. Das heißt, dass ich mich mit Hilfe der Blumen über die Zuordnung zu einem Subkollektiv von der Masse absondere und Distinktion beanspruche. Dieser Distinktionsgewinn ist […] die eigentliche Motivation, die das Individuum veranlasst, den Blumenladen zu betreten und für ein schnell welkendes Gut Geld auszugeben.“185

Die Distinktion oder abgrenzende Zugehörigkeit kann demzufolge nur aus der Gegenüberstellung zweier klar umrissener Kollektive heraus erfolgen. So wirkt die „Berufstracht“ zwar integrierend, wenn man lediglich das Kollektiv der Geschäftsleute betrachtet, erfüllt jedoch eine klare Distinktionsfunktion, wenn man

182 Vgl. Hansen 2011, S. 31. 183 Vgl. Schlesinger 1968, S. 69; vgl. Wallerstein 1990, S. 34. 184 Vgl. Hansen 2009b, S. 10 und S. 16. 185 Hansen 2011, S. 124; so auch an anderer Stelle: „Als Deutscher unter Deutschen erreicht man keine Distinktion, wohl aber als Motorradfahrer unter Automobilisten. Mit anderen Worten, aus der Mitgliedschaft in einem Dachkollektiv lässt sich innerhalb seines Einflussbereichs – es sei denn man tritt einem Ausländer gegenüber – kein großer Gewinn ziehen, und also ist Nationalität für die individuelle Identität zweitrangig. Für sie sind Subkollektive wichtiger. [...] Distinktion kann man nicht über Konformität und nivellierende Zugehörigkeit zum Ganzen erreichen, sondern nur durch Mitgliedschaft in Teilmengen.“ (Hansen 2011, S. 132f.).

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das Dachkollektiv Deutschland mit in die Überlegungen einbezieht.186 Eine abgrenzende Zugehörigkeit ist demnach vielfach die Konsequenz eines doppelten Kollektivbezugs. Tatsächlich setzen sich auch business people aus dem New Economy-Bereich von eher konservativen Berufskollektiven, wie etwa dem der Bänker oder Manager aus traditionellen Industriezweigen, anhand einer größeren Lässigkeit in Kleiderfragen ab. Während in diesen althergebrachten Sparten ein Anzug mitsamt Krawatte empfohlen wird, werden Jeans und T-Shirt von den Mitarbeitern der EDV- und Internetfirmen zur Distinktion gegenüber der Old Economy herangezogen. Auch das Siezen ist in einigen Berufskollektiven wie z. B. der Medienbranche einem ausnahmslosen Duzen gewichen. Ebenso gibt es spezielle Subkollektive187, in denen der Handschlag nicht als angemessene Begrüßungsform gilt, sondern Küsschen auf beide Wangen gehaucht werden oder die sogenannte „Ghettofaust“ praktiziert wird. Im Gegensatz zur Binnenintegration, die über die Herstellung von Normalität und Konformität erreicht wird, liegt der Fokus hier eher auf Distinktion durch Abweichen von dem Verhalten der Allgemeinheit. Die Konstitution einer abgrenzenden Zugehörigkeit durch bestimmte Umgangsformen kann auch Subkollektive betreffen, die entlang einer sozialen oder betrieblichen Hierarchie angeordnet sind. Wie im Forschungsbericht bereits eingehend erörtert wurde, sind viele Konventionen des Umgangs ein mehr oder weniger subtiler Ausdruck einer bestimmten Rangordnung. Diese wird durch „Achtungserweise“188 gegenüber dem Höhergestellten bestätigt und bekräftigt. Hierzu gehören beispielsweise vormals als „Ritterlichkeiten“ gegenüber Frauen bekannte Benimmregeln, wie das Aufhalten einer Tür oder das Helfen beim Anlegen der Überbekleidung, die heute, nach Meinung einiger Ratgeber-Autoren, dem 186 So Hansen: „Was die Funktionalität von Standardisierungen betrifft, wäre es methodisch sinnvoll, von einem Sockel des Immer-Gegebenen auszugehen: Standardisierungen sind immer Symbole, ermöglichen immer Routine, bestimmen immer Normalität und ziehen immer Sanktionen nach sich. Dieses Immer wird allerdings durch den Kollektivbezug differenziert. Ist es ein einfacher Bezug, d.h. brauche ich zur Beschreibung nur ein einziges Kollektiv (Händeschütteln in Deutschland), wirkt dieser Sockel integrativ; ist es aber ein doppelter (Biker und Rest-Deutschland), trennt er und verschafft Distinktion.“ (Hansen 2011, S. 133). 187 Hier ist nicht die Rede von Berufskollektiven, vielmehr geht es um Subkollektive, bei denen etwa das Alter oder die Vorliebe für eine bestimmte Musik das verbindende Element ist. 188 Def. „Achtung“: „Ehrerbietung, deference, bei E. Goffman die Handlungskomponente, durch die symbolisch dem Interaktionspartner Wertschätzung übermittelt wird.“ (Fuchs-Heinritz et al. 2011, S. 16; Hervorhebung im Original).

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Ranghöheren gleich welchen Geschlechts entgegengebracht werden. Die Position in der Hierarchie entscheidet ferner über das Maß an Vertrautheit oder Distanz im Umgang mit Niedrigergestellten. Dies äußert sich etwa darin, dass die Initiative zu einem Handschlag oder dem Übergang vom „Sie“ zum „Du“ immer von demjenigen auszugehen hat, der das größere Ansehen im Betrieb genießt. Folglich besteht zwar die Option, dass sich bestimmte Subkollektive aufgrund ihres Ranges voneinander abgrenzen, doch handelt es sich hierbei nur um eine von vielen Möglichkeiten. Es bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass Umgangsformen, die auf der Ebene der Dachkollektive oder Subkollektive angesiedelt sind, maßgeblich an der Konstitution von Kollektivzugehörigkeit beteiligt sind. Zum einen wirkt sich die Verhaltensgleichheit positiv auf die Binnenintegration aus, zum anderen bedingt sie auch eine Abgrenzung nach außen. Dass die Kollektivvergewisserung (durch Distinktion) als Funktion pankollektiver Formationen nicht in Frage kommt, liegt daran, dass diese Wirkungsweise einen klar definierten Kollektivbezug erfordern würde; eine Bedingung, die definitionsgemäß nicht erfüllbar ist, da eben das Fehlen eines solchen abgrenzbaren Geltungsbereichs eine pankollektive Formation ausmacht.

F AZIT : Z USCHREIBUNGSTHEORIE Im Folgenden werden nun noch einmal die vier genannten Zuschreibungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von den jeweiligen Funktionen zusammengefasst und anhand unten stehender Tabelle graphisch aufbereitet. Darstellung 1: Zuschreibungstheorie in Abhängigkeit von den Funktionen Umgangsformen als

anthropologische Prinzipien

Wertumsetzung

pankollektive Formationen

-

Routine stiftend

-

Kollektivzugehörigkeit konstituierend

-

-

dachkollektivspezifische Phänomene -

subkollektivspezifische Phänomene -

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Betrachtet man Umgangsformen als anthropologische Prinzipien, die weltweit Geltung besitzen, so ist die Wertumsetzung die einzige in Frage kommende Funktion. Umgekehrt hat sich ebenso gezeigt, dass Umgangsformen nur dann werthaft oder moralisch sind, wenn es sich eben um solche Grundsätze des menschlichen Zusammenlebens handelt. Fragwürdig erscheint dann allerdings die Bezeichnung dieser Richtlinien als Umgangsformen, da sie in ihrer Bedeutung offenbar weit über die Art von Verhaltensregeln hinausgehen, die man im Allgemeinen unter dem Begriff Umgangsformen subsumiert. Da nun die Wertumsetzung für die übrigen drei Zuschreibungsmöglichkeiten ausgeschlossen ist, bleiben nur noch die Funktion der Routine sowie die Konstitution der Kollektivzugehörigkeit. Weil letztere Wirkungsweise jedoch ein klar zu umreißendes Kollektiv voraussetzt, bietet sich die Kollektivvergewisserung für Umgangsformen als pankollektive Formationen nicht an. Sollten Benimmregeln als derartige grenzüberschreitende Standardisierungen zu klassifizieren sein, so ist die Stiftung von Routine ihre vorrangige Funktion. Eine Verortung von Umgangsformen auf der Ebene der Dach- und Subkollektive legt zwei Wirkungsweisen nahe: Umgangsformen dienen dann zum einen der Konstitution einer Kollektivzugehörigkeit, zum anderen fördern sie routiniertes Handeln, indem sie ein gewisses Maß an Verhaltens- und Erwartungssicherheit gewährleisten. Tatsächlich aber wird eine solche schematische Darstellung der Zuschreibungsoptionen nicht der vollen Komplexität dieses Phänomens gerecht. Problematisch erscheint zum einen, dass Umgangsformen nicht in ihrer Gesamtheit einer Ebene zuzuschreiben sind. Wahrscheinlicher ist, dass alle vier Zuschreibungsalternativen auf bestimmte Benimmregeln anwendbar sind, wobei die jeweiligen Anteile variieren. Schon im Forschungsbericht wurde deutlich, dass die Autoren der Sekundärliteratur – obgleich sie dies mehr oder weniger unbewusst tun – von einer zweistufigen Zuschreibung ausgehen. Häufig ist die Rede von nationalspezifischen Umgangsformen einerseits und klassenspezifischen Benimmregeln andererseits, sodass der Schluss nahe liegt, dass eine Ebene zur Definition des Geltungsbereichs nicht ausreicht. Es erscheint durchaus plausibel, dass ein Individuum, das ja durch „Multikollektivität“189 gekennzeichnet ist – also einer Vielzahl von Kollektiven ange189 Def. „Multikollektivität“: „Die Kollektivität des Menschen hingegen, das ist banal, aber eminent wichtig, erschöpft sich nicht in der Zugehörigkeit zu einer einzigen Gruppierung. [...] Viele Zugehörigkeiten sind mir vorgegeben – ich bin männlich, jung und wurde als Deutscher geboren – doch diese unverrückbaren Gegebenheiten lassen sich durch gewählte Kollektive fast unbegrenzt vertiefen, ergänzen oder konterkarieren. [...] Individuelle Identität, so erkennen wir, setzt sich additiv aus vielen Eigenschaften, Überzeugungen und Hobbys zusammen, die kollektiv gestützt wer-

K OLLEKTIVTHEORETISCHE B ESCHREIBUNG

VON

U MGANGSFORMEN

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hören kann – je nach Kontext und Situation aus einem bestimmten Repertoire von Verhaltensregeln auswählt. So könnte man sein Verhalten etwa während einer Mahlzeit im Kreise der Familie an Tischmanieren orientieren, die zum einen vermutlich im gesamten Dachkollektiv überwiegend gleich ausfallen und zum anderen eine geringere „Formalität“ aufweisen als die Regeln, die etwa für ein Festbankett gelten.190 Weiterhin bedient man sich im Berufsalltag bestimmter Umgangsformen, die diesem spezifischen Kontext entstammen und auch nur in diesem relevant sind. Und obwohl es, wie im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt wurde, Stimmen gibt, welche die Zugehörigkeit zu einem Subkollektiv, verglichen mit der Nationalität, für den prägenderen Faktor halten, wenn es um Kommunikations- oder Interaktionsverhalten geht, können beide Zugehörigkeiten (und theoretisch noch viele andere) gleichzeitig und gleichsam auf ein Individuum wirken. Fest steht also, dass Umgangsformen sich nicht als Ganzes einer bestimmten Ebene zuschreiben lassen – vielmehr kann ihr Geltungsbereich variieren. Über die anteilmäßige Verteilung lässt sich nach momentanem Wissensstand nur mutmaßen. Alle vier Zuschreibungsoptionen erscheinen plausibel, wobei die Tatsache, dass dachkollektiv- und subkollektivspezifische Umgangsformen gleich zwei wichtige Funktionen für das kollektive Zusammenleben erfüllen, dafür sprechen könnte, dass die Mehrheit oder zumindest eine große Zahl der Benimmregeln auf der Ebene der Dach- oder Subkollektive zu verorten sind. Andererseits wäre ebenso denkbar, dass es sich bei vielen Umgangsformen um pankollektive Formationen handelt, da sich bestimmte Gesten und Verhaltensweisen an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Kollektiven zu wiederholen scheinen. Eine endgültige Aussage zur Beschaffenheit oder Größe dieser Kollektive kann an diesem Punkt nicht getroffen werden, da dies weiterführende Untersuchungen erfordern würde. Ziel dieser theoretischen Ausführungen war es hingegen, die vier Möglichkeiten der Zuschreibung von Umgangsformen aufzuzeigen und zu diskutieren.

den. So gesehen ist meine Identität eine Addition oder besser ein Amalgam aus einerseits vorgegebenen und andererseits frei gewählten Kollektiven.“ (Hansen 2011, S. 156f.); vgl. Hansen 2009a, S. 20ff. 190 So Schürmann z.B. über Tischmanieren: „Dabei ist das Eßverhalten nicht nur nach Ländern, Zeiträumen und Gesellschaftsschichten unterschieden; auch der einzelne Esser findet sich in vielerlei Speisesituationen wieder, nach denen er sein Verhalten einrichtet und in denen vor allem der Grad der Formalität unterschiedlich hoch ist.“ (Schürmann 1994, S. 63).

Arbeitshypothesen und Problemstellung

Das primäre Anliegen des vorangegangenen Theorieteils war es, das der Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Kultur darzustellen (Kollektivtheorie) und mit Umgangsformen in Relation zu setzen. Zusätzlich wurde der Frage nachgegangen, was bislang in der Literatur unter Umgangsformen verstanden wurde und welche Funktionen die Benimmregeln nach Meinung der Autoren für das kollektive Zusammenleben erfüllen. Diese Ausführungen wurden schließlich auf den in ihnen implizierten Geltungsbereich von Umgangsformen hin untersucht. Da die resultierenden Erkenntnisse eine Forschungslücke aufzeigten, schloss sich eine kollektivtheoretische Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes an. In dieser wurde zum einen der Frage nach der kollektiven Varianz von Umgangsformen nachgegangen, eine Reihe aus vier verschiedenen Zuschreibungsmöglichkeiten präsentiert und zuletzt der Zusammenhang zwischen den Funktionen und den jeweiligen Trägerkollektiven beleuchtet. Die Antwort auf die im Theorieteil aufgeworfenen Fragen wird im begrenzten Rahmen der vorliegenden Arbeit hypothetisch bleiben. Der Literaturvergleich sollte es aber ermöglichen, die im vorangegangenen Kapitel entworfene Zuschreibungstheorie teilweise zu belegen. Zum Beispiel könnte der endgültige Beweis dafür, dass bestimmte Umgangsformen als pankollektive Formationen Kollektivgrenzen durchqueren, nur dann erbracht werden, wenn EtiketteRatgeber von mindestens drei Kollektiven (z. B. USA, Deutschland und einem dritten Land) gegenübergestellt würden. Ebenfalls von Interesse wäre ein Vergleich zwischen allgemeinen Benimmbüchern und den speziell an Geschäftsleute gerichteten Business-Etikette-Handbüchern, der möglicherweise Aufschluss darüber geben könnte, ob und mit welcher anteilsmäßigen Verteilung Umgangsformen auf der Ebene der Dach- oder Subkollektive geregelt werden. Diese und viele weitere Versuchsanordnungen wären denkbar, um der Frage nach der Zuschreibung von Umgangsformen nachzugehen.

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Für die sich anschließende Untersuchung wird eine der zahlreichen Vergleichskonstellationen ausgewählt und zur Überprüfung eines Teils der oben vorgestellten Hypothesen bzw. Zuschreibungsvarianten herangezogen. Konkret werden im Folgenden amerikanische und deutsche Business-Etikette-Ratgeber einem Vergleich unterzogen. Diese Form der verhaltenspräskriptiven Literatur stellt – wie im sich anschließenden Materialteil beschrieben wird – Regeln darüber auf, wie sich ein erfolgreicher Geschäftsmann in verschiedenen Kontexten verhalten soll und gibt detaillierte Handlungsempfehlungen ab. Sollte nun die Gegenüberstellung der amerikanischen und deutschen Ratgeber überwiegend Übereinstimmungen ergeben, wäre dies ein Beleg dafür, dass der Großteil der Umgangsformen an das Subkollektiv gekoppelt ist und die Funktionsverwandtschaft zwischen den beiden nationalen Subkollektiven, also den Geschäftsleuten aus den Vereinigten Staaten und jenen aus Deutschland, über deren nationalspezifische Modifikationen dominiert. In diesem Fall wäre die These bestätigt, dass auch dachkollektivübergreifend subkollektivspezifische Konventionen des Umgangs existieren. Würden jedoch in erster Linie Unterschiede zu Tage treten, gäbe es hierfür zwei Erklärungen: Erstens könnten zwar Umgangsformen grundsätzlich immer noch ein subkollektivspezifisches Phänomen sein, wobei aber die dachkollektivspezifischen Abweichungen oder nationalen Beimischungen der Subkollektive stärker ausfallen als deren funktionelle Gemeinsamkeiten. Dann gilt es also zu fragen, ob bei den amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten die Funktionsverwandtschaft oder die jeweiligen nationalspezifischen Modifikationen überwiegen. Eine zweite Deutung ungleichartiger Verhaltensweisen wäre, dass Umgangsformen auf der Ebene der Dachkollektive oder Nationen geregelt werden; die Nationalität also doch prägender auf das Verhalten wirkt als die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Subkollektiv. Die untenstehende schematische Darstellung soll einen Überblick über die theoretisch möglichen Vergleichskonstellationen und die Deutung resultierender Übereinstimmungen und Differenzen geben. Die Markierung kennzeichnet die Versuchsanordnung des sich anschließenden Vergleichsteils und veranschaulicht die ihm zugrunde liegenden Arbeitshypothesen. Die Gegenüberstellung amerikanischer und deutscher Business-Etikette-Ratgeber könnte dabei folgende Ergebnisse haben: 1. Überwiegend Übereinstimmungen: Umgangsformen als subkollektivspezifische Phänomene, bei denen die Funktionsverwandtschaft der Berufskollektive deren nationalspezifische Modifikationen überwiegen. 2. Überwiegend Unterschiede:

A RBEITSHYPOTHESEN

UND

P ROBLEMSTELLUNG

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a. Umgangsformen als subkollektivspezifische Phänomene, bei denen die Funktionsverwandtschaft der Berufskollektive geringer ausfällt, als deren nationalspezifische Modifikationen. b. Umgangsformen als dachkollektivspezifische Phänomene. In einen größeren Rahmen gesetzt, würde 1. bedeuten, dass das (durch Umgangsformen bestimmte) Verhalten eines Individuums stärker von dessen Zugehörigkeit zu einem Subkollektiv bestimmt wird als durch dessen Nationalität. Dagegen weisen die beiden Ergebnisse 2. a. und 2. b. darauf hin, dass die Nation prägender auf das Benehmen eines Individuums wirkt – sei es nun in Form von nationalspezifischen Modifikationen, subkollektivspezifischer Formen des Umgangs oder direkt durch landestypische Verhaltensregeln.

Darstellung 2: Theoretische Vergleichskonstellationen und Versuchsanordnung – Zuschreibungstheorie und Vergleich

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Hauptteil II: Literaturvergleich

Material: Business-Etikette-Ratgeber

V ERHALTENSPRÄSKRIPTIVE L ITERATUR

ALLGEMEIN

Unter dem Sammelbegriff „verhaltenspräskriptive Literatur“1 sollen im Folgenden all jene Ratgeber zusammengefasst werden, die sonst etwa als EtiketteBücher, Benimmbücher, Manierenbücher, Anstandsbücher, Komplimentierbücher, Verhaltenstraktate, courtesy books etc. bezeichnet werden. Aber auch andere Gattungen, wie self-help books oder Kulturknigge bzw. interkulturelle Ratgeber, können im weiteren Sinne diesem Genre zugerechnet werden. Das Adjektiv „verhaltenspräskriptiv“ legt bereits nahe, dass diese Literaturform bestimmte Verhaltensweisen zu fördern sucht, indem diese als richtig und gut bezeichnet werden, während andere als schlechtes Benehmen getadelt werden. Anhand festgeschriebener Regeln soll also auf das Verhalten der Leser eingewirkt werden. Der Soziologe Horst-Volker Krumrey, der verhaltenspräskriptive Literatur heranzieht, um Entwicklungsstrukturen von Verhaltensstandarden2 (1984) zu erforschen, beschreibt Etikette-Bücher als „von der ersten bis zur letzten Seite angefüllt mit den ungeschriebenen Gesetzen des zwischenmenschlichen Verhaltens, mit eben den sogenannten ‚Verhaltensnormen‘ oder ‚Verhaltensstandarden‘ und den dazu gehörenden Strafen oder Loben.“3 Als „Katechismen des sozial relevanten Verhaltens der jeweils angesprochenen Schichten und Kreise“ bezeichnet auch die Linguistin Angelika Linke Anstandsbücher.4 Es handelt sich hierbei also um eine Sammlung von „das höfliche Verhalten betref-

1

Beetz 1990, S. 9–13.

2

Krumrey 1984; Krumrey 1991.

3

Krumrey 1991, S. 229; so auch an anderer Stelle: „Bücher, in denen Hinweise auf das jeweils in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu bestimmter Zeit geforderte Verhalten schriftlich niedergelegt sind.“ (Krumrey 1984, S. 21).

4

Linke 1996, S. 72; Hervorhebung im Original.

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fenden Sollvorschriften und Regeln, die […] als allgemeinverbindlich angesehen werden“5 und deren Zweck darin besteht, ein „‚Ratgeber‘ zu sein, ‚der rasch und ohne Zögern die tausenderlei Fragen beantwortet, die der Umgang mit Menschen daheim und in der Öffentlichkeit täglich aufgibt‘.“6 Es sind also Umgangsformen, die in diesen Büchern – mal geordnet nach Kontext, also Interaktionssituationen7 bzw. Lebensgebieten8, mal alphabetisch nach Schlagwörtern sortiert – beschrieben werden. Machwirth zählt Benimmbücher zur „Literatur der ‚ungebetenen Ratgeber‘9, also jener Autoren, die in Zeitungen, Zeitschriften, Kalendern usw. Auskunft über die Höflichkeit erteilen“ und charakterisiert diese Literatursorte als „volkstümlich-vorwissenschaftlich“10: „Sie kann zur Phänomenologie der Höflichkeit insofern hinzugezählt werden, als sie aus der Empirie der gesellschaftlichen Vorgänge entstanden ist und diese interpretiert, gleichzeitig aber auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurückwirken will.“11 Etikette-Ratgeber vermitteln demnach auch eine bestimmte Auffassung von Höflichkeit und machen diese anschaulich und einstudierbar – eine These, die von Macho bestätigt wird: „Nicht umsonst verbindet sich der Topos der Höflichkeit bis heute mit dem Genre der Anstands- und Benimmbücher, dem ‚Knigge‘, der geradezu in eine Gattungsbezeichnung konvertiert wurde. Höflichkeit wird aus Büchern gelernt.“12 Für die Untersuchung von Umgangsformen bietet sich die verhaltenspräskriptive Literatur demnach insofern an, als diese Konventionen hier kodifiziert und leicht zugänglich gemacht werden.

5

Machwirth 1970, S. 160f.; so auch Macho: „Anstands-, Etikette- oder auch Manierenbücher sollen hier alle selbständig erschienenen Schriften genannt werden, die gesellschaftliche Umgangsregeln lehren bzw. Formen oberschichtiger Lebensführung vermitteln wollen. Mit diesen Druckwerken liegen uns Verhaltensvorschriften für die Personen, die in die gesellschaftliche Oberschicht drängten, aus verschiedenen Zeiträumen gleichsam in kodifizierter Form vor.“ (Macho 2002, S. 17).

6

Machwirth 1970, S. 160f.

7

Vgl. Rose 2012, S. 163.

8

Vgl. Machwirth 1970, S. 160f.

9

Machwirth 1970, S. 145.

10 Machwirth 1970, S. 131. 11 Machwirth 1970, S. 131. 12 Macho 2002, S. 17.

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AUTOREN UND Z IELGRUPPE Autoren Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wer die Autoren dieser Ratgeber sind und woher sie ihr umfangreiches Wissen über das „richtige“ Benehmen schöpfen. Sind es tatsächlich Erfahrungen und Kenntnisse, die in den Benimmbüchern verarbeitet werden, oder handelt es sich bei den aufgestellten Regeln primär um persönliche Idealvorstellungen der Autoren? Im Allgemeinen wird, wie hier bei Asfa-Wossen Asserate, davon ausgegangen, dass die Verfasser der Etikette-Bücher weniger „Gesetzgeber“13 sind, sondern „Deuter und Interpreten eines bereits vorliegenden, nach ihrer Vorstellung immer schon vorhanden gewesenen Korpus von Regeln.“14 Auch Elias hält „Manierenschriften“ nicht für „Niederschriften persönlicher Einfälle von Einzelnen“; sieht in den Autoren nicht „Gesetzgeber oder Schöpfer dieser Vorschriften, sondern Sammler, Ordner gesellschaftsüblicher Gebote und Tabus.“15 Ebenso wenig berechtigt scheint es auf den ersten Blick, die Verfasser der Ratgeber als „Reformer“ zu betrachten, die Veränderungen an „etablierten Zustände[n]“ herbeiführen wollen.16 Gegenstimmen behaupten jedoch, Etikette-Ratgeber wären „prescriptive rather than descriptive“17 und würden deshalb nicht das tatsächliche Verhalten widerspiegeln, sondern vielmehr das Wunschdenken oder die Idealvorstellung ihrer Autoren verkörpern.18

13 Asserate 2009, S. 28. 14 Asserate 2009, S. 28. 15 Elias 1969a, S. 77f.; vgl. Elias 1969a, S. 90; so auch Beetz: „Woher nehmen die Autoren ihre Regeln? Können die in den Texten niedergelegten Ratschläge, Vorschriften, Standards als eigentliche Schöpfungen ihrer Verfasser gelten? Wohl nur in den seltensten Fällen. Normalerweise erschöpfte sich die Kreativität der Autoren im wachen Registrieren zeitgemäßer, gesellschaftlich anerkannter Gepflogenheiten.“ (Beetz 1990, S. 8). 16 Curtin 1985, S. 397; so auch Heckendorn: „Anstandsbuch-Verfasser sind im allgemeinen nicht Reformer, eher Gewährsmänner. Sie fixieren die etablierten Zustände und nehmen sie als Grundlage ihrer Gebrauchsanweisungen für den Verkehr mit den Mitmenschen.“ (Heckendorn 1970, S. II). 17 Hemphill 1994, S. 272. 18 Vgl. Hemphill 1994, S. 272.

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Eine gemäßigtere Position vertreten diejenigen, die der Meinung sind, Umgangsformen seien, wie jede Form von Gesetzen, „eine Mischung aus Postulaten (aufgestellte Forderungen) und der Beobachtung gesellschaftlicher Verhaltensweisen.“19 Die Aufgabe der Autoren wäre es dann, bestimmte – der Zeit und den gesellschaftlichen Umständen entsprechende – Verhaltensstandards zu formulieren und „der Öffentlichkeit gewissermaßen zur Abstimmung“ vorzulegen.20 Andererseits, so argumentiert der Germanist Manfred Beetz, erbrächte der Verfasser eines Benimmbuches sehr wohl eine „Verdeutlichungs- und Propagierungsleistung“21, die auf folgender Tatsache beruhe: „Durch seine wertgesteuerte Normenselektion, die gezielt oder unbewußt historische Entwicklungen aufgreift, trägt er katalysatorisch zum Prozeß der Zivilisation bei und lenkt ihn in eine bestimmte Richtung.“22 Vereinfacht ausgedrückt: Die Autoren nehmen persönlichen Einfluss auf das Verhalten, indem sie eine Auswahl an Regeln darstellen, die sie selbst für wichtig erachten; die demnach ihrem Empfinden und ihren individuellen Werten entsprechen. Größtenteils, das kann man zusammenfassend festhalten, handelt es sich bei den in den Etikette-Ratgebern beschriebenen Verhaltensidealen jedoch um Beschreibungen und Beobachtungen, weniger um subjektive Wunschvorstellungen der Autoren. Auf diese Problematik und die allgemeine Frage nach dem Realitätsbezug von Etikette-Büchern wird an anderer Stelle23 noch ausführlicher einzugehen sein. So bleibt weiterhin zu fragen, woher sie ihr Wissen über das vermeintlich richtige Verhalten schöpfen. Möglich wäre, dass ein Zusammenhang zwischen ihrem Beruf und dem Verfassen von Benimmbüchern besteht. Früher waren es in Europa meist „Hofmeister, freischaffende Schriftsteller, reisende Privatgelehrte oder polyglotte Privatiers“24, die in irgendeiner Weise „an die ‚vornehme Welt‘ gebunden“25 waren und so Einblick erhielten in die „feinen Sitten“ der Oberschicht. Später nahmen sich dann in Deutschland auch „Journalisten, Schuldirektoren oder ‚Gesellschaftslöwen‘“26 dieses Genres an. Eine ähnlich heterogene Zusammensetzung der Autorenschaft findet sich in den USA, wo diese 19 Klein 2005, S. 9f. 20 Klein 2005, S. 9f. 21 Beetz 1990, S. 8. 22 Beetz 1990, S. 8. 23 Vgl. Kapitel Der scheinbare Gegensatz: Realität versus Normativität. 24 Döcker 1994, S. 47; so auch an anderer Stelle: „Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts meist Hofmeister, Privatgelehrte oder vielseitig gebildete Schriftsteller Umgangslehren verfaßt haben […].“ (Döcker 1994, S. 60). 25 Döcker 1994, S. 47. 26 Döcker 1994, S. 60.

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aus sämtlichen Berufssparten stammt und vor allem Schriftsteller, Professoren, Lehrer, Geistliche, Geschäftsleute, Schauspielerinnen und weibliche Verwandte von Politikern umfasst.27 Auch die Historikerin Hemphill fragt nach den Berufen der Autorenschaft in den USA im Zeitraum von 1620 bis 1860 und stellt sie – neben den Kriterien Geschlecht, Klasse und Nationalität – in einer Tabelle dar.28 Dieser zufolge waren 1620 11 % der Autoren Schriftsteller, 5 % Erzieher oder Lehrer und 66 % evangelische Geistliche. Der hohe Anteil von Geistlichen unter den Autoren in den frühen amerikanischen Kolonien lässt sich durch eine enge Verbindung von Manieren und Religion erklären, die dazu führte, dass Priester neben moralischen Postulaten auch Forderungen nach gutem Benehmen aufstellten. Hemphill beschreibt diesen Zusammenhang wie folgt: „But it is also clear that the population at large got regular doses of conduct advice in Sunday sermons, as well as less formally at other times, from the local minister. [...] Ministers advised their flocks on particulars of behavior in the process of driving home more general lessons of morality.“29

Die teilweise schriftlich überlieferten Predigten geben noch heute Aufschluss über die Verhaltensstandards und deren Bedeutung in Neuengland zu jener Zeit.30 So rief etwa der puritanische Priester Cotton Mather in einer seiner Pre27 Vgl. Kasson 1990, S. 48; so auch an anderer Stelle: „Aimed at a broad readership, they were written by a variety of editors, publishers, popular writers, and leaders of fashionable society.“ (Kasson 1990, S. 5). 28 Vgl. Hemphill 2002, S. 225f. 29 Hemphill 1999, S. 19f.; so auch Curtin: „In addition, manners and courtesy literature were supported by an important strand of eighteenth century religious opinion. To an extent unusual among churchmen, latitudinarians found it possible to square the minor and worldly morals of courtesy with Christian principles. The sociable virtues of selfcontrol, reasonableness, tact, and moderation were believed to cooperate with revelation, not to compete with it.“ (Curtin 1985, S. 401). 30 Vgl. Hemphill 1999, S. 19f.; so auch Curtin: „The Evangelicals, the most important of the religious reformers, wrote much about the improvement of ‚manners‘, but the sort of manners they had in mind had little to do with the minute, outward graces that fascinated Chesterfield. [...] Religious faith, continually scrutinized by anxious and relentless introspection, was to determine outward behavior. While in many cases faith coincided with worldly good manners, sometimes it did not. One was to preach the Word in and out of season, and yet it was good manners not to discuss religion in company.“ (Curtin 1985, S. 406).

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digten dazu auf, die Kinder zu gutem Benehmen zu erziehen. Wie sich an folgendem Auszug zeigen lässt, betrachtete er dies sogar als religiöse Pflicht der Gläubigen: „There is indeed, an instruction in Civil Matters, which we owe unto our Children. Tis very pleasing to our Lord Jesus Christ, that our Children should be well formed with, and well-informed in the Rules of Civility; and not be left a Clownish, and Sottish, and Ill bred sort of Creatures. An Unmannerly Brood is a Dishonour to Religion.“31

Bis 1860 hatte jedoch der Einfluss der Priester bei der Vermittlung von Umgangsformen stark nachgelassen und die Zahl der Geistlichen unter den Autoren sank auf 18 %, während sich die Zahl der Schriftsteller auf 19 % erhöhte und sich die der Erzieher oder Lehrer auf 10 % verdoppelte. Bei der Hälfte (49 %) der Verfasser ist der Beruf unbekannt, vermutlich da viele der Benimmbücher anonym erschienen oder unter einem Pseudonym verfasst wurden. Dass Frauen Etikette-Bücher schreiben, ist – das mag bei der heutigen Überzahl an Autorinnen verwundern32 – ein relativ junges Phänomen. Denn ursprünglich war die verhaltenspräskriptive Literatur Männern vorbehalten, wie auch Döcker erklärt: „Bis ins späte 19. Jahrhundert überwiegen in diesem Genre Männer, und Frauen bleiben die Ausnahme.“ 33 Dann aber, zum Ende des 19. Jahrhunderts, stieg in Deutschland die Zahl der Autorinnen34 , von denen die meisten „Lehrerinnen, Erzieherinnen oder Schriftstellerinnen, manchmal auch Ehefrauen bzw. Witwen wohlhabender Männer“35 waren. Eine entsprechende Geschlechterverteilung der Autoren in den USA zeigt auch Hemphill.36 Während zwischen 1620 und 1737 noch 95 % der Verfasser von Etikette-Ratgebern männlich waren, sank deren Zahl im Zeitraum von 1821 bis 1860 auf nur noch 52 %, also beinahe um die Hälfte. Dagegen wuchs der Anteil der Autorinnen in der entsprechenden Periode von 0 % auf 19 % an.37 Kasson geht davon aus, dass zu jener Zeit, die den Frauen aus der Mittelschicht kaum berufliche Betätigungsfelder bot, einige Autorinnen das Schreiben von Verhaltensratgebern nutzten, um 31 Mather 1699, S. 17. 32 Siehe Tabelle unten. 33 Döcker 1994, S. 47. 34 Vgl. Döcker 1994, S. 60. 35 Döcker 1994, S. 60. 36 Vgl. Hemphill 2002, S. 225. 37 29 % der Autoren schrieben zu jener Zeit wahrscheinlich anonym oder unter einem Pseudonym, der das Geschlecht nicht verriet. Hemphill fasst diese unter der Kategorie „Don’t Know“ zusammen (vgl. Hemphill 2002, S. 225).

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sich Gehör zu verschaffen oder um sich und ihre Familien zu ernähren, ohne sich dafür zwingend als Näherin oder Lehrerin verdingen zu müssen.38 Auch anhand der für die vorliegende Arbeit herangezogenen Titel kann belegt werden, dass das Genre der Etikette-Bücher, insbesondere der BusinessEtikette-Ratgeber, von Frauen dominiert wird. So besteht die Gesamtzahl der Autoren von jeweils 2939 bei den deutschen Ratgebern aus 18, bei den amerikanischen aus 25 Frauen und nur zehn bzw. vier Männern, wobei fünfmal (D) bzw. dreimal (USA) die Kombination aus einem weiblichen und einem männlichen Verfasser das Buch gemeinsam veröffentlicht haben. Darstellung 3: Die Geschlechterverteilung der Autoren der verglichenen Business-Etikette-Ratgeber Titel insgesamt Deutsche BusinessEtikette-Ratgeber

28

Amerik. BusinessEtikette-Ratgeber

24

Autoren insgesamt 2940 29

weiblich

männlich

18

10

25

4

Und auch was die Berufe der Autoren angeht, bestätigen sich oben genannte Thesen der Sekundärliteratur. Ein einheitliches Berufsbild gibt es nicht und die Verfasser der untersuchten Business-Etikette-Ratgeber scheinen größtenteils nicht über eine formale Qualifikation zu verfügen. Entsprechend äußert sich Caldwell über die Größen des amerikanischen Etikette-Genres: „Authorities like Miss Manners and Letitia Baldrige are, for all their influence, very much voices of popular culture. Their attitudes, being influential and widely shared, are significant, but also often half-formulated or even self-contradictory, shriveling under close scrutiny. No accredited university offers a degree in etiquette, and few of the great modern doyennes of manners had any measurable qualifications for the trade.“41

38 Vgl. Kasson 1990, S. 48. 39 Die Titelzahl und die Anzahl der Autoren decken sich nicht, da einerseits von manchen Autoren mehrere Ratgeber erschienen sind und andererseits einige Ratgeber als Koproduktion mehrerer Autoren verfasst wurden. 40 Ein Autor bleibt anonym. 41 Caldwell 1999, S. 6.

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Einschränkend fügt er hinzu, dass zumindest Baldrige, die Autorin des Ratgebers Letitia Baldrige’s Complete Guide to Executive Manners42 (1985) als Jackie Kennedys Stabschefin und Privatsekretärin des amerikanischen Botschafters in Rom fungiert hatte.43 Dem Klappentext ihres Buches kann man zusätzlich entnehmen, dass sie im Bereich Public Relations und Marketing tätig war sowie diversen Unternehmen beratend zur Seite gestanden hatte. Was genau mit dieser Beratung gemeint ist, wird nicht erläutert. Ein Blick auf die Berufsfelder der übrigen Autorinnen legt allerdings eine Erklärung nahe. Judith Bowman etwa, die Autorin von Don’t Take the Last Donut. New Rules of Business Etiquette44 (2007), bietet Trainingsprogramme und Seminare zum Thema Unternehmensprotokoll und professionelles Auftreten an. Auch Marjorie Brody, Co-Autorin von Business Etiquette45 (1994), führt laut Klappentext des Ratgebers Trainings und Coachings im Bereich „business communications and management skills“ durch. Gleiches gilt für M. Kay DuPont, die in ihrem Buch Business Etiquette & Professionalism. Your Guide to Career Success46 (2008) ihre langjährige Erfahrung im Bereich „business relationships, image, success skills, and productive communications“ einfließen lässt. Eine konkrete Aussage darüber, woher sie die Informationen für ihr Buch bezieht, trifft Jan Yager in ihrem Ratgeber Business Protocol. How to Survive & Succeed in Business47 (2001): „I also conducted original field work, including interviews and observations with rising and top executives in a variety of professions and at a wide range of companies throughout the country […].“48 Zusätzlich zu den mit Managern durchgeführten Interviews und deren Beobachtung greift die Autorin auf Daten zurück, die aus einer Umfrage unter Personalleitern resultieren, in der Fragen zur Business-Etikette im Allgemeinen und zu den drohenden Konsequenzen eines Verstoßes gestellt wurden.49 Die Autorin Sue Fox, deren Ratgeber Business Etiquette for Dummies50 (2008) ein ausführliches Kapitel zum Thema „Doing Business on a Global Sca42 Baldrige, Gelles-Cole 1985. 43 Vgl. Caldwell 1999, S. 6. 44 Bowman 2007. 45 Brody, Pachter 1994. 46 DuPont 2008. 47 Yager 2001. 48 Yager 2001, S. 7; vgl. Yager 2001, S. 219–224; so auch Whitmore: „As I interviewed a great many bright, talented, and successful men and women for this book [...].“ (Whitmore 2005, S. 3). 49 Vgl. Yager 2001, S. 7. 50 Fox 2008.

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le“51 beinhaltet, betont zusätzlich noch ihre ausgedehnten Auslandsreisen und die daraus resultierende Vertrautheit mit unterschiedlichen Kulturen, die sie auch für Etikette-Trainings in Asien qualifiziert habe. Ob Reisen tatsächlich hinreichend Einblick in andere Kulturen und deren Geschäftsgebaren bieten, bleibt dahingestellt; fest steht jedoch, dass einige der amerikanischen Autoren auch als interkulturelle Trainer tätig sind und sich mit Fragen des internationalen Protokolls befassen. Ein Blick auf die Klappentexte der deutschen Business-Etikette-Ratgeber zeigt, dass die deutschen Autoren ähnlich vielseitig sind wie ihre amerikanischen Kollegen. Birgit Adam beispielsweise, deren Business Knigge52 (2007) ebenfalls zum Vergleich herangezogen wird, „arbeitet als Journalistin, Lektorin, Übersetzerin und Dozentin“. Nandine Meyer und Eva Ruppert sind ebenfalls als Beraterinnen und Trainerinnen in der Wirtschaft tätig. Der deutsche „Benimm-Papst“ Heinz Commer ist einer der wenigen Autoren, der auch über einen objektiv nachweisbaren Erfahrungsschatz im Bereich Etikette verfügt. Der Verfasser von Managerknigge. Moderne Umgangsformen im beruflichen Alltag53 (1992) und Knigge International54 (1992) war viele Jahre lang Protokollchef des Deutschen Industrie- und Handelstages. Der 1999 erschienene Ratgeber Managerknigge 200055, der in Zusammenarbeit mit Johannes von Thadden entstanden ist, weist, wie viele seiner Bücher, eine stark internationale Ausrichtung auf, was auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass von Thadden zu jener Zeit Leiter der Abteilung Auslandshandelskammern des Deutschen Industrie- und Handelstages war. Bis auf wenige Ausnahmen scheinen die Autoren folglich keinerlei Ausbildung in diesem speziellen Bereich genossen zu haben und die Frage, woher sie ihr Wissen über Umgangsformen schöpfen, kann nur teilweise aus ihrem beruflichen Werdegang heraus beantwortet werden. Denn woher die Autoren ihre Qualifikation zur Durchführung von Trainings und Seminaren haben, bleibt ungeklärt – und das, obwohl ihre daraus resultierende Erfahrung wiederum ihre einzige Legitimation bleibt. Auch Wouters erkennt, dass es den Autoren an klar nachvollziehbaren Belegen für ihre Kenntnisse mangelt: „These authors are not backed up by any profession, in academia or anywhere else, and they neither

51 Fox 2008, S. 261–312. 52 Adam 2007. 53 Commer 1992b. 54 Commer 1992a. 55 Commer, von Thadden 1999.

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possess nor produce any expert knowledge other than that based upon participant observation in good society.“56 Was der Soziologe hier andeutet, ist ein Phänomen, das insbesondere prägend für die verhaltenspräskriptive Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts war. Zu jener Zeit gestaltete sich die Frage nach der Eignung der Autoren einfacher, da es nur ein einziges Kriterium gab, das den Leser von der Richtigkeit und Geltung der niedergeschriebenen Benimmregeln überzeugen konnte: den sozialen Rang des Autors. Man ging davon aus, dass nur durch direkte Beobachtung oder Teilnahme das Verhalten der nachahmungswürdigen Oberschicht wiedergegeben werden konnte, sodass nur ein Mitglied dieser höchsten sozialen Klasse authentische Etikette-Ratgeber verfassen konnte. In Deutschland äußerte sich diese Orientierung an den Eliten darin, dass ein hoher Anteil der Autoren aus dem Adel kam bzw. sich eines adligen Pseudonyms bediente, um den eigenen Worten mehr Nachdruck zu verleihen und – letztendlich war dieser Grund wohl vorrangig – die Verkaufszahlen zu steigern. Schürmann beziffert den Anteil der adligen Autoren zwischen 1850 und 1990 auf insgesamt 16,1 %.57 Auch Wouters beschreibt dieses Phänomen und sieht darin eine paradoxe Identifikation des deutschen Mittelstandes mit der Aristokratie: „For as much as the German middle classes have a history of experiencing political frustration and humiliation in relation to the German nobility, judging from the large number of aristocratic authors of manners books – starting with Freiherr von Knigge – they must have also partly identified with them. During the first half of the twentieth century, the many editions of manners books written by authors with an aristocratic name (or pseudonym) such as von Franken and von Weißenfeld sold in their hundreds of thousands.“58

Während also den Deutschen der Adel als Vorbild dient und man vor allem Mitglieder der Aristokratie als weisungsbefugt in Fragen des guten Tons betrachtet, ist es in den USA mangels Geburtsadels der Geldadel, der die Autorität in Sachen Umgangsformen inne hat.59 Diese sogenannte „aristocracy of wealth“60

56 Wouters 2007, S. 14. 57 Vgl. Schürmann 1994, S. 35f.; vgl. Döcker 1994, S. 54 und S. 60. 58 Wouters 2007, S. 152f. 59 So Wouters: „Since the USA was a ‚new nation‘ with an enormously varied population, ranging from black slaves to rich landowning and commercial patricians – but no formal, hereditary aristocracy – its integration processes differed in many ways from those in ‚old nations‘.“ (Wouters 2007, S. 101). 60 Post 1922, S. 1.

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oder „new nobility“61 bestand bei ihrer Entstehung aus Großindustriellen mit bekannten Namen wie Andrew Carnegie, John D. Rockefeller und Cornelius Vanderbilt und wird noch heute von deren Familien und Nachkommen repräsentiert.62 So stammte etwa Amy Vanderbilt, eine der meistgelesenen Benimmbuchautorinnen, von den Vanderbilts ab und verdankt vermutlich diesem berühmten Namen ihren Erfolg.63 Ähnlich verhält es sich bei Emily Post, die gleichfalls zu den Etikette-Bestseller-Autorinnen zählt:64 Sie wurde als Tochter eines erfolgreichen Architekten geboren und kam dementsprechend auch aus einer gut situierten Familie.65 Bezeichnend für den hohen gesellschaftlichen Rang der Autoren ist auch, dass, so wurde eingangs bereits erwähnt, eine große Zahl der Etikette-Ratgeber anonym veröffentlicht wurde.66 Was die Historikerin Marjorie Morgan über die britische Autorenschaft schreibt, gilt wohl analog auch für amerikanische und deutsche Autoren aus der Oberschicht, die ihren wahren Namen nicht preisgeben wollten: „An aristocratic author guaranteed sales and authenticity, but no member of upper-class, fashionable ‚Society‘ could afford the stigma of having his or her name associated with a book so obviously designed to make money.“67 Um eine solche Bloßstellung zu vermeiden und sich dennoch auf seine soziale Autorität berufen zu können, fanden sich daher in den Etikette-Büchern häufig nur Anspielungen auf die Identität des Autors wie z. B. „by ‚an American lady‘, ‚a woman of fashion‘, ‚a gentleman‘, ‚a member of New York’s most exclusive social circles‘, ‚one of the four hundred‘, ‚Censor‘, ‚Mentor‘.“68 Zielgruppe Die sich anschließende Beschreibung der Leserschaft soll nicht nur der Frage nachgehen, wer die Zielgruppe und Rezipienten dieser Ratgeber sind oder in der Vergangenheit waren, sondern auch klären, welchen Beweggrund sie für den Kauf und das Lesen derartiger Literatur haben. Die hier angesprochene Motivation steht in engem Zusammenhang mit den im Theorieteil beschriebenen Funk-

61 Mitchell, Corr 2000, S. 8. 62 Vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 8. 63 Vgl. Hodges 1989, S. 13. 64 Vgl. Aresty 1987, S. 637. 65 Vgl. Hodges 1989, S. 6. 66 Vgl. Kasson 1990, S. 48. 67 Morgan 1994, S. 21. 68 Kasson 1990, S. 48.

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tionen von Umgangsformen, insbesondere mit der Routine und Kollektivvergewisserung. Viele der während der Renaissance, also im 15. und 16. Jahrhundert, erschienenen Verhaltenstraktate richteten sich, wie etwa De Civilitate morum puerilum69 (1530) von Erasmus von Rotterdam, an adlige Kinder und sollten diesen Anstand und Benehmen beibringen; unter anderem auch, um sie auf ihren Dienst als Pagen am Hof des Herrschers vorzubereiten.70 Andere, wie das bereits erwähnte Libro del Cortegiano von Castiglione, waren an eine aristokratische Mittelschicht gerichtet, die sich aus machtpolitischen Erwägungen heraus am Hofe, vor allem aber in Gegenwart des Monarchen, zu behaupten suchte: „Castiglione, however, wrote his enormously successful book […] not for the prince but for the courtier, for a kind of aristocratic middle class which was versed in the humanities and which required relatively homogenous manners in order to establish itself as a relatively autonomous caste; it needed to acquire power (and retain it), not the least in the presence of the prince.“71

Die darauf folgenden, noch im 18. Jahrhundert verbreiteten courtesy books waren allgemein an ein aristokratisches Publikum adressiert, das, so Curtins These, mit ihrer Position entsprechenden Manieren und Tugenden ausgestattet werden sollte.72 Wer in den konfliktreichen Jahrhunderten zuvor im Krieg zu Ruhm gekommen war, suchte sein Glück zu dieser Zeit an den absolutistischen Königshöfen, um dort „[p]atronage, money, power, and prestige“73 zu finden. Doch zu diesem Zweck musste man sich dem bei Hofe gepflegten Lebensstil anzupassen wissen; mit dem Zeremoniell und den Manieren vertraut sein: „It was thus the task of courtesy writers to harness aristocratic pride for constructive use in civil society, to create the courtier out of the warrior.“74 Elias gibt andererseits zu bedenken, dass diese frühen Regelwerke zwar allgemein für die „honnêtes gens“75, 69 Vgl. Machwirth 1970, S. 22; vgl. Mennell 2007, S. 53. 70 Vgl. Curtin 1985, S. 411f. 71 Hinz 2009, S. 2. 72 Vgl. Curtin 1985, S. 396. 73 Curtin 1985, S. 398; so auch Meid: „Diese Lehrbücher sprechen in der Regel ausdrücklich alle Stände an; sie waren jedoch vor allem für die Kreise von Interesse, die ihre Aufstiegschancen im absolutistischen Staat wahrzunehmen suchten (und sich keinen ‚Hofmeister‘ leisten konnten).“ (Meid 2009, S. 866f.). 74 Curtin 1985, S. 398; so auch an anderer Stelle: „The young man with a career to make at court became the object of etiquette writers’ attentions.“ (Curtin 1985, S. 411f.). 75 Elias 1969a, S. 134f.

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also die adlige Elite, gedacht waren, wohl aber vor allem dem Provinzadel, der nicht ständig am Königshof zugegen sein konnte, dazu gedient hätten, „über die Verhaltensweisen am Hofe Bescheid zu wissen.“76 Denn die Angehörigen des Hofstaates selbst, das bestätigt auch Mennell, bedurften keiner Unterweisung in Fragen des guten Benehmens; sie hatten täglich Vorbilder vor Augen und lernten durch Nachahmung, wohingegen sich die Fürsten fernab der machtpolitischen Zentren für Besuche bei Hofe entsprechende Verhaltensweisen aneignen mussten und hierzu auf courtesy books oder Komplimentierbücher zurückgreifen konnten.77 Wie bereits an anderer Stelle erläutert, kursierten auch in den frühen amerikanischen Kolonien europäische Verhaltensratgeber. So zeigt etwa Mennell, dass führende Persönlichkeiten – wie John Winthrop, George Washington, Thomas Jefferson oder Benjamin Franklin – allesamt Klassiker europäischer Manierenbücher (von Castiglione, Della Casa etc.) besaßen.78 Hemphill stellt auch die Zusammensetzung der amerikanischen Leserschaft anhand einer Tabelle dar. Im Zeitraum von 1620 bis 1737 richteten sich demnach 30 % aller in den USA verbreiteten Etikette-Bücher an Angehörige der Oberschicht, 14 % an die Mittelschicht und 45 % bestimmten ihre Adressaten nicht näher, wobei davon ausgegangen werden kann, dass die Oberschicht angesprochen werden sollte.79 Auch hier bestand folglich die Zielgruppe aus einer kleinen Elite, die wohlhabend und gebildet war und außerdem die nötige Zeit und Muße hatte, sich mit Fragen des Benehmens auseinanderzusetzen.80 Allein der Besitz von Büchern war zu jener Zeit – wie auch in Europa – den obersten Schichten vorbehalten und fungierte damit als Distinktionsmittel81: „Most magistrates and all ministers had private libraries, which they continuously updated with new (and some not so new) works from England.“82 Im Zuge dessen fand auch eine Vielzahl früher italienischer und französischer EtiketteBücher ihren Weg über England in die Kolonien.83 Während die Ratgeber, welche die adlige Lebensart in Europa nachzeichneten, demnach in erster Linie an 76 Elias 1969a, S. 134f. 77 Vgl. Mennell 2007, S. 54. 78 Mennell 2007, S. 54f. 79 Vgl. Hemphill 2002, S. 225f. 80 Vgl. Hemphill 1999, S. 17. 81 So Kasson: „No doubt in some cases these books were not read at all but merely possessed as badges of gentility – or rueful testimonies to the power of a salesman’s pitch.“ (Kasson 1990, S. 53). 82 Hemphill 1999, S. 17. 83 Vgl. Hemphill 1999, S. 17.

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die Oberschicht gerichtet waren, dienten die bereits erwähnten puritanischen Predigten und deren Aufzeichnungen der Unterweisung des einfachen Volkes in Fragen des Benehmens.84 Im 18. und 19. Jahrhundert rückte das Bürgertum in das Blickfeld der Benimmbuch-Autoren.85 Doch schon zuvor hatten sich, das behauptet etwa Elias, „bürgerliche Spitzenschichten“86 anhand der aristokratischen Benimmbücher einen Einblick in die Umgangsformen des Adels verschafft und diese fortan zu Distinktionszwecken nachgeahmt: „Es gibt mannigfache Belege dafür, daß in dieser Zeit ununterbrochen Gebräuche, Verhaltensweisen und Moden vom Hof in die oberen Mittelschichten eindringen, dort nachgeahmt und entsprechend der anderen sozialen Lage mehr oder weniger leicht verändert werden.“87

Später reichte die Leserschaft der Etikette-Ratgeber sogar bis in die breite Mittelschicht88 – eine Entwicklung, die auch auf die Vereinigten Staaten zutraf, wie Hemphill wiederum prozentual darstellt. Ihr zufolge richteten sich zwischen 1738 und 1820 noch 47 % an die Mittelschicht, wohingegen im 19. Jahrhundert (1821–1860) bereits 88 % der Benimmbücher hier ihr Publikum suchten.89 Wouters sieht daneben auch in „‚respectable‘ working class circles“ die Zielgruppe einiger Verhaltenstraktate in Europa und führt diese Ausweitung des Publikums auf die soziale Emanzipation und den zunehmenden Wohlstand dieser Bevölke-

84 So Hemphill: „The earlier literature was generally of two sorts: translations and English imitations of continental Renaissance courtesy books, which described the proper behavior of gentlefolk; and Puritan sermon literature, which also often addressed the issue of proper behavior. The courtesy works were only intended for and surely only afforded and read by the local elite; while the sermons were the attempts of that elite to guide the behavior of ordinary folk.“ (Hemphill 1996, S. 319). 85 Vgl. Mennell 2007, S. 54; vgl. Curtin 1985, S. 411f. 86 Elias 1969a, S. 134f. 87 Elias 1969a, S. 134f. 88 So Curtin: „Aristocratic manners for middle class audiences: this formula, first clearly recognized in the 1830s, remained in use throughout the nineteenth century.“ (Curtin 1985, S. 412); so auch Kasson: „Most etiquette manuals […] spoke to a general readership within the middle class, though one predominantly young.“ (Kasson 1990, S. 54). 89 Vgl. Hemphill 2002, S. 225f.

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rungsschichten zurück.90 Entsprechend argumentieren auch die Autoren des Ratgebers Guide to Business Etiquette91 (2005): „With the affluence and free time created by the Industrial Revolution, the attention of the rising middle class turned to social niceties rather than day-to-day survival. The aspiring middle class now wanted to emulate the proper manners in which the upper classes had been schooled since birth.“92

Umgekehrt war die soziale Emanzipation und der gesellschaftliche Aufstieg auch Ziel derer, die verhaltenspräskriptive Literatur kauften und lasen, wie Kasson im Folgenden ausführt: „Authors anticipated a variety of readers who were characterized as much by their subjective needs as by their objective social conditions: those bent on self-improvement and, in many cases, social mobility and metropolitan fluency, or, to put the matter less positively, those seeking to overcome real or imagined ‚disadvantages‘ of birth, class, and training, and to avoid social uncertainty, embarrassment, and ineptitude.“93

Der Grund, warum man diese Ratgeber zur Hand nahm, war also der Wunsch, eine bescheidene soziale Herkunft zu verbergen, während man die soziale Leiter empor stieg: Upward mobility was built directly and explicitly into the structure of the etiquette book: middle-class readers learned aristocratic manners in order to convert their economic success into social prestige. [...] Etiquette writers taught readers who were eager both to make social advances and to hide the fact of their advance how to avoid those humiliating blunders that drew attention to humble origins.94

Denn der wirtschaftliche Erfolg und wachsende Wohlstand gingen nicht automatisch mit größerem sozialen Ansehen und entsprechender Selbstsicherheit ein-

90 Vgl. Wouters 2007, S. 6f. 91 Cook et al. 2005. 92 Cook et al. 2005, S. 8. 93 Kasson 1990, S. 54; vgl. Richardson 1925, S. 3. 94 Curtin 1985, S. 414; so auch Wouters: „Authors of manners books try to capture the sensibilities and practices that reflect the dominant codes, and to sell this knowledge to insecure social climbers.“ (Wouters 2007, S. 14).

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her95 – eine Tatsache, die man zu ändern gedachte, indem man sich die Umgangsformen der Oberschicht bis ins kleinste Detail aneignete.96 Im Allgemeinen schreibt man also die Beliebtheit dieses Genres dem Aufstiegswillen und dem Statusdenken der Mittelklasse zu.97 Mit dieser Veränderung der Zielgruppe wandelten sich auch die Inhalte. Wurden in den frühen Etikette-Büchern noch allgemeine Grundsätze höflichen Verhaltens – „generalities of universal politeness“98, wie Curtin schreibt, – vermittelt, so waren es nun detaillierte und konkrete Benimmregeln.99 Döcker bestätigt eine solche Entwicklungstendenz: Mit der Orientierung an den gesellschaftlichen Aufsteigern kommt es zu einer Vereinfachung des Reflexionsniveaus, der Sprache und des Tiefgangs in der Behandlung der Sachfragen. [...] Aus den populärphilosophischen Diskursen über die kulturellen Praktiken der [sic!] Mittelstandes werden spätestens jetzt Gesetze, die eng an pragmatische Geltungsbereiche gebunden sind, hier normative Gültigkeit besitzen und von den Anwärtern auf sozialen Aufstieg erlernt werden müssen.100

Doch nicht nur bestimmten Bevölkerungsschichten dienten Umgangsformen zum sozialen Aufstieg; auch Frauen entdeckten im 19. Jahrhundert die Macht

95

Vgl. Curtin 1985, S. 413; so auch Linke: „Die eigentliche Faszination der Anstandsbücher dürfte viel mehr in deren Verheißung einer kohärenten, sich durch konkret benennbare Formen symbolischer Ordnung konstituierenden sozialen Identität liegen.“ (Linke 1996, S. 88; Hervorhebung im Original); so auch Döcker: „Die Umsetzung dieses Wissens in einen Zugewinn an gesellschaftlichem Ansehen und damit verbundener Macht ist der praktische Sinn, dem die Akteure folgen.“ (Döcker 1994, S. 23f.; Hervorhebung im Original).

96

Vgl. Curtin 1985, S. 412f.

97

Vgl. Curtin 1985, S. 412f.; vgl. Linke 1996, S. 88.

98

Curtin 1985, S. 411f.

99

Vgl. Curtin 1985, S. 411f.

100 Döcker 1994, S. 61f.; so auch an anderer Stelle: „Diese Bücher hatten umso eher orientierende Wirkung, je näher sie dem praktischen Interesse ihrer Leser/innen kamen. Je genauer die Art und Weise des Kommunizierens, der Körperhaltung oder des Kleidens von den Autor/inn/en beobachtet, explizit und damit dem Stillschweigen der Kompetenten und Wissenden entrissen wurden, desto eher werden die Umgangslehren und Manierenbücher ihren Leser/innen ihre Sprache, ihre Kleidung und ihre Handlungsweisen in der Hoffnung danach ausgerichtet haben, daraus einen gesellschaftlichen Vorteil zu erzielen.“ (Döcker 1994, S. 23f.).

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der Manieren für sich. So verhalf ein einwandfreies Auftreten vielen Frauen erst zu einer „guten Partie“ und ihren Männern anschließend zu Erfolg und Ansehen: Manners influenced the most important battle a woman ever fought for social class that is, her struggle to win a desirable spouse. To the extent that a wife could help her husband prosper, manners again played a key role. Her ability to act as a hostess, to create an impressive domestic facade, to mix readily with those who were useful to her husband: all these required skillful manners.101

Während also die frühen Etikette- oder courtesy-Ratgeber überwiegend an Männer adressiert waren und diese darin unterweisen sollten, wie sie es in der Welt zu etwas brachten,102 lag der Schwerpunkt nun auf der vermeintlich weiblichen Sphäre des gesellschaftlichen Lebens. In einer Zeit, in der Frauen die Welt der Wirtschaft und Politik verschlossen blieb, fanden sie in diesem Bereich eine Aufgabe, die ihnen die Möglichkeit gab, Einfluss und Ansehen zu gewinnen.103 Und auch mit dieser Veränderung der Zielgruppe kam es zu einer inhaltlichen Wandlung des Genres: „[T]he elimination from etiquette of most of the moral, educational, and political matter that had been the staple of courtesy may also be understood, in part, as a consequence of the genre’s feminine orientation: women were not active in the world and hence did not require instruction about worldly things in their books of manners.“104

Ab dem 20. Jahrhundert wird es schwieriger, die Leserschaft einer bestimmten Klasse zuzuschreiben. Doch lassen die hohen Auflagenzahlen darauf schließen, dass die Rezipienten verhaltenspräskriptiver Literatur über Schichtengrenzen hinweg zu finden waren und sie sich keinesfalls auf die Oberschicht beschränkten.105 Zusätzlich bieten auch die Autoren der aktuellen Etikette-Ratgeber selbst Hinweise darauf, dass sich ihre Belehrungen unterschiedslos an jedermann richten.106 So biete etwa The Amy Vanderbilt Complete Book of Etiquette107 (1995) 101 Curtin 1985, S. 419. 102 So Curtin: „Courtesy literature was an almost entirely masculine genre for the simple reason that its task was to instruct readers how to get on ‚in the world‘, a sphere in which ladies did not often move.“ (Curtin 1985, S. 418). 103 Vgl. Curtin 1985, S. 423. 104 Curtin 1985, S. 419. 105 Vgl. Schürmann 1994, S. 54f. 106 Vgl. Schönfeldt 1996, S. 5. 107 Tuckerman, Dunnan 1995.

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laut den Verfasserinnen „impeccable advice for everyone from college students on their own for the first time, to mothers of the bride, to globe-trotting businesspeople.“108 Und auch an anderer Stelle betonen sie: „[T]here is a place for an etiquette book in every home library and on every office bookshelf.“109 Was die Motivation des Publikums angeht, bietet Wouters eine schlüssige Erklärung. Er meint, im Zuge der „Informalisierungs“-Tendenzen des letzten Jahrhunderts seien die Verhaltensstandards zunehmend komplexer und differenzierter geworden, sodass eine erhebliche Verhaltensunsicherheit entstanden sei. Diese Unsicherheit – die bereits im Kontext von Routine als Funktion besprochen wurde – habe schließlich zu einem steigenden Bedarf an Unterweisung in Fragen des Benehmens und zu hohen Absatzzahlen von Etikette-Ratgebern geführt.110

ABGRENZUNG

DER

G ENRES

Während die bislang zusammengetragenen Informationen allgemein für EtiketteBücher gelten, existieren zusätzlich drei verwandte Genres verhaltenspräskriptiver Literatur, die etwa nach Zielgruppe, Kontext oder Motiv weiter differenzieren. An eine spezifische Leserschaft richten sich beispielsweise die Business-Etikette-Ratgeber, die für den nachfolgenden Vergleich herangezogen werden. Die interkulturellen Ratgeber oder Kulturknigge erteilen wiederum Verhaltensbelehrungen in einem speziellen Kontext, meist einer Begegnung zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationen. Auch diese Gattung ist für den sich anschließenden Vergleichsteil relevant. Lediglich der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die sogenannten self-help books111

108 Tuckerman, Dunnan 1995, Umschlag. 109 Tuckerman, Dunnan 1995, S. xii. 110 So Wouters: „In this collective change in self-regulation, behavioural and emotional alternatives have increased, standards have become more varied, but also more complex, which has intensified feelings of insecurity about producing and maintaining a gratifying and harmonious balance, one that to a certain extent surpasses or sublimates these tensions.“ (Wouters 1991, S. 710). 111 Def. self-help books: „Sie versteht sich als ‚Ratgeberliteratur‘, die für unterschiedliche Sphären des Alltags das ‚know-how‘ erstellt. Abgesehen von den [...] sich auf bestimmte Sachgebiete beschränkenden How-to books, bewegt sich die von der success literature thematisierte Alltagsbewältigung vorwiegend im Feld sozialer Interaktion; das bedeutet, daß bestimmte psychologische, sozialpsychologische und sozi-

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oder Lebensratgeber, die ebenfalls der verhaltenspräskriptiven Literatur zuzuordnen sind, die jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht weiter berücksichtigt werden. Business-Etikette-Ratgeber „To make a pleasant and friendly impression is not alone good manners, but equally good business.“112 Dieser Satz von Emily Post aus dem Jahr 1922 könnte als Leitmotiv der sogenannten Business-Etikette-Ratgeber gelten. Diese spezielle Form der verhaltenspräskriptiven Literatur richtet sich an das Kollektiv der Geschäftsleute und stellt Regeln darüber auf, wie diese sich in unterschiedlichen Kontexten zu verhalten haben. Lilian Chaney und Jeanette Martin, die Autorinnen von The Essential Guide to Business Etiquette113 (2007), definieren den Gegenstand ihres Buches wie folgt: „Business etiquette is the behavior and manners considered appropriate in the business and professional world. Business etiquette involves rules of conduct that allow us to communicate with people in business and to interact with them in a civilized manner.“114 Es handelt sich demnach um Verhaltensregeln, die auf die Verbesserung von Kommunikation und Interaktion im beruflichen Umfeld, also mit Kollegen, Vorgesetzten oder Geschäftspartnern hin ausgelegt sind. Die Zielgruppe besteht insbesondere aus Managern115, Fach- und Führungskräften, die Kundenkontakt haben116 und weisungsbefugt anderen Mitarbeitern ologische Erkenntnisse populärwissenschaftlich aufgearbeitet oder einfach als ‚Grundregeln‘ der Menschenkenntnis, bzw. des ‚Umgangs mit Menschen‘ verarbeitet werden.“ (Koch-Linde 1984, S. 164f.). 112 Post 1922, S. 533. 113 Chaney, Martin 2007. 114 Chaney, Martin 2007, S. XI; so auch DuPont: „Etiquette is defined as ‚the forms, manners, and ceremonies established by convention as acceptable or required in social relations, in a profession, or in official life.‘ Business etiquette, then, is the way professional businesspeople – regardless of job title or type of business – conduct themselves around others.“ (DuPont 2008, S. V; Hervorhebung im Original). 115 Def. management: „Mit Management als ‚Institution‘ meint man die Gruppe von Personen, die in einer Organisation mit Anweisungsbefugnissen betraut ist. Zum Management gehören demnach alle Firmenmitglieder, die Vorgesetztenfunktionen wahrnehmen, angefangen vom Meister bis zum Vorstandsvorsitzenden. Diese im angelsächsischen Sprachraum gebräuchliche Begriffsfassung geht also weit über die oberen Führungsebenen hinaus, für die im deutschen Sprachgebrauch häufig der Begriff Manager reserviert ist.“ (Steinmann, Schreyögg 1993, S. 6).

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gegenüber sind. Dass sich diese Ratgeber nicht an Geschäftsleute der untersten Hierarchieebenen oder diejenigen, die alleine im stillen Kämmerchen vor sich hin arbeiten, richten, erschließt sich zusätzlich aus den behandelten Themengebieten, die etwa den Umgang mit Untergebenen oder die Pflege der geschäftlichen Beziehungen beinhalten. Die Entstehungsgeschichte dieses Genres der verhaltenspräskriptiven Literatur in den USA nimmt ihren Anfang Mitte des 20. Jahrhunderts, als, wie Schlesinger beschreibt, Kaufhäuser, Banken und Großkonzerne begannen, ihre Angestellten mit Hilfe von Handbüchern und Seminaren in Fragen des guten Benehmens zu unterweisen.117 Deborah Hodges und Wouters bestätigen Schlesingers Ausführungen. In den 1930er Jahren, so argumentieren beide, wäre es zu einem regelrechten Boom der Business-Etikette gekommen, insbesondere, um den Anstieg der sogenannten „social promiscuity“118 – einer Tendenz, die man mit dem von Wouters geprägten Begriff der „Informalisierung“119 gleichsetzen kann – entgegenzuwirken. Wouters’ „Informalisierungs“-Theorie besagt auch, dass es nach einer Lockerung der Sitten insbesondere in den 1970er Jahren zu einer „Reformalisierungs“-Phase in den 1980er Jahren kam.120 Diese These steht im Einklang mit den steigenden Absatzzahlen von Business-Etikette-Ratgebern in den USA zu jener Zeit.121 Verglichen mit der vorangegangenen Blütezeit dieser Literaturform kam es nun jedoch zu einer Schwerpunktverlagerung, die – das verrät die Lektüre aktueller Veröffentlichungen – bis heute nicht wieder rückgängig gemacht wurde: However, where the literature of the thirties was concerned with how the business owner could improve his business with courteous employees, the literature of the eighties focuses upon etiquette as a tool to develop one’s own success. Moving up the corporate ladder by knowing how to behave seems to be the issue in the business etiquette of the eighties.122

116 Vgl. Sabath 2002, S. viii. 117 Vgl. Schlesinger 1968, S. 59ff. 118 So Wouters: „In the 1930s, the rise of ‚social promiscuity‘ in the USA, or in other words the declining importance of introductions and other such hierarchically differentiated ways of establishing relations, coincided with an increasing concern for manners in the business world, that is, business etiquette.“ (Wouters 2007, S. 162f.). 119 Wouters 2007; Wouters et al. 1999. 120 Vgl. Wouters 2007, S. 176. 121 Vgl. Hodges 1989, S. 16. 122 Hodges 1989, S. 16.

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Es scheint, als blickten die Ratgeber für business people in den Vereinigten Staaten auf eine längere Tradition zurück als in Europa. Dafür spricht auch, dass das älteste für den nachfolgenden Vergleich herangezogene amerikanische Benimmbuch aus dem Jahr 1922 stammt123, während derart frühe, speziell auf die Berufswelt hin ausgerichtete Ratgeber in den deutschen Bibliografien weitgehend fehlen. Doch auch hier „löste nach dem Ersten Weltkrieg das Motiv des Erfolges das des Zuganges zur guten Gesellschaft als Leitthema des Benimmschrifttums weitgehend ab.“124 Dies zeigte sich jedoch eher daran, dass Themen wie das des Bewerbungsgesprächs in die allgemeinen Etikette-Bücher mitaufgenommen wurden und insbesondere in den Jahren der Weltwirtschaftskrise auf großes Interesse stießen.125 Als eigenständiges Genre, das stellt auch Wouters fest, gelangten die Business-Etikette-Ratgeber in Europa erst während der „Reformalisierungs“-Phase der 1980er und später in den 1990er Jahren zu einer vergleichbaren Beliebtheit126, die gerade in Deutschland bis heute anhält, wie Walter Weber bestätigt: „Dauerbrenner sind die diversen Knigges für Manager und Führungskräfte sowie die Leitfäden für den Umgang mit Chefs und Kollegen, an denen offenbar ein nicht zu stillender Bedarf herrscht.“127 Was die in Business-Etikette-Ratgebern festgehaltenen Vorschriften von denen in allgemeinen Benimmbüchern unterscheidet, ist also in erster Linie die Einbettung in einen spezifischen Kontext, d. h. die Behandlung bestimmter Themenbereiche, die nur oder insbesondere für die Geschäftswelt relevant sind, wie etwa Meetings und Verhandlungen. Zusätzlich werden allgemeingültige Regeln wie z. B. Tischsitten dargestellt und teilweise der Situation entsprechend abgewandelt oder es werden diesen generellen Vorschriften bestimmte Aspekte hinzugefügt bzw. deren Dringlichkeit unterschiedlich bewertet. So benutzt ein Manager sowohl während eines Geschäftsessens als auch beim Abendessen im Kreise seiner Familie Messer und Gabel, doch gilt es bei ersterem zusätzliche Dinge zu beachten; etwa die Dauer des Smalltalks, die ein bestimmtes Maß nicht unter- oder überschreiten darf. Beide Genres decken sich also hinsichtlich grundlegender Verhaltensnormen bzw. werden diese in den Business-Etikette-Ratgebern vorausgesetzt, doch sind die Regeln hier spezifisch auf die Arbeitswelt und deren Anforderungen hin ausgerichtet. Der jeweilige Rang der beteiligten Personen prägt die Regeln der Business-Etikette besonders stark; glaubt man den beiden amerikanischen Autoren 123 Henney 1922. 124 Schürmann 1994, S. 51f. 125 Vgl. Schürmann 1994, S. 51f. 126 Vgl. Wouters 2007, S. 162f. 127 Weber 2009, S. 25.

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Mary Mitchell und John Corr, so liegt das daran, dass die hier verankerten Verhaltensvorschriften auf den Regeln und Traditionen des Militärs beruhen.128 In diesem Zusammenhang ist ein wichtiger Unterschied zwischen der allgemeinen und der an die Geschäftswelt gerichteten Etikette zu nennen: Frauen und ältere Menschen werden in der Business-Etikette nicht grundsätzlich als höherrangig betrachtet, vielmehr wird der Rang einzig von der betrieblichen Hierarchie bestimmt. Diese funktionsbedingte Anpassung äußert sich etwa darin, dass die sogenannten „Ritterlichkeiten“ gegenüber Frauen im geschäftlichen Kontext als nicht angebracht gelten. Häufig wird auch in den Ratgebern selber darauf hingewiesen, dass im Privatleben andere Regeln gelten als im beruflichen Kontext. Es kann also zusammenfassend festgehalten werden, dass es durchaus Unterschiede zwischen allgemeinen Etikette- und Business-Etikette-Ratgebern gibt. Bezüglich einiger grundlegender Regeln existieren jedoch ebenso Schnittmengen. Weiterhin wird häufig in der Literatur selbst darauf hingewiesen, dass die hier dargestellten Verhaltensregeln zwar im Allgemeinen für die gesamte Geschäftswelt gelten, diese jedoch in manchen Kontexten je nach Branche, Unternehmen oder Abteilung variieren können: „In addition to universally accepted rules of behavior, we will examine how etiquette varies, not only from industry to industry, but from company to company within the same area. Each firm has its own corporate culture, and even within large corporations there are subtle degrees of differences.“129

Ein beliebtes Beispiel in diesem Zusammenhang sind unterschiedliche Bekleidungskonventionen. So würde man von einem Manager im Finanzsektor einen anderen dress code erwarten als von einer Führungskraft im Verlagswesen.130 Dennoch sind die Autoren überzeugt, dass ein gewisser Grundstock an EtiketteRegeln für die gesamte Geschäftswelt Geltung beanspruchen könne.131 Was versprechen nun die Autoren dieser Ratgeber ihrer Leserschaft bzw. was ist das erklärte Ziel dieser speziellen Form verhaltenspräskriptiver Literatur? Zu dieser Frage bieten die Einleitungen der entsprechenden Bücher wichtige Erkenntnisse. Es wird deutlich, dass es zwar zu der oben beschriebenen Schwer128 Vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 13. 129 Yager 2001, S. 7; so auch an anderer Stelle: „Those rules, however, may differ from company to company, as well as from business to business, country to country, and even within the departments or hierarchy of each company.“ (Yager 2001, S. xii). 130 Yager 2001, S. 4. 131 Vgl. Yager 2001, S. xii.

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punktverlagerung kam132, die hier gemachten Versprechen sich jedoch auch heute noch sowohl an den einzelnen Leser, als auch – dieser Aspekt ist etwas in den Hintergrund gerückt – an Unternehmen in ihrer Gesamtheit richten. Was den einzelnen Geschäftsmann angeht, so ist es vor allem ein Zugewinn an „Sozialkompetenz“133, der ihm in Aussicht gestellt wird. Die Argumentation ist stets dieselbe, sowohl in amerikanischen als auch in deutschen Ratgebern: In Zeiten, in denen ein Arbeitgeber unter einer Vielzahl hochqualifizierter Bewerber wählen kann, entscheiden immer häufiger Faktoren wie Sympathie und Auftreten.134 Um in diesen Bereichen zu punkten, raten die Autoren dazu, sich einwandfreie Umgangsformen anzueignen.135 Doch nicht nur, um einen Job zu bekommen, ist gutes Benehmen offenbar eine Schlüsselqualifikation; auch „beim Aufstieg auf der Karriereleiter“ sind Elisabeth Bonneau zufolge entsprechende Umgangsformen gefragt.136 Dieses Versprechen äußern viele der Autoren bereits in den Untertiteln der von ihnen verfassten Ratgeber; darunter etwa KniggeCrash-Kurs für den beruflichen Erfolg137 (2005), Mit Stil zum Ziel138 (2001) oder – noch plakativer bei den amerikanischen Pendants – 79 Etiquette Tips, Tools, and Techniques to Get Ahead and Stay Ahead139 (2006) bzw. negativ formuliert What You Don’t Know Can Kill Your Career140 (1999). In diesem Zusammenhang wird noch einmal deutlich, dass Umgangsformen eine klare Distinktions- und Integrationsfunktion erfüllen. Wer ein entsprechendes Verhalten an den Tag legt, signalisiert dadurch, zu einem bestimmten Personenkreis zu gehören. Da der Mensch sich offenbar am liebsten mit Seinesgleichen umgibt, tendiert er dazu, andere mit ähnlichem Benehmen positiver zu bewerten und deren Nähe zu suchen.141 Auch der Soziologe Michael Hartmann be132 Vgl. Hodges 1989, S. 16. 133 Adam 2007, S. 11; Bonneau 2002, S. 7; so auch Whitmore: „Along with communicating, negotiating, and motivating, business etiquette is an essential ‚soft skill‘ that separates the leaders from the left behind.“ (Whitmore 2005, S. 1f.). 134 Vgl. Teusen 1997, S. 9; vgl. Thomsett 1991, S. 5; vgl. Simon 26.03.2003. 135 Vgl. Topf, Gawrich 2009, S. 9; vgl. Adam 2007, S. 11. 136 Bonneau 2002, S. 7; vgl. Nagiller 2004, S. 23; so auch Topf: „Für ein Weiterkommen empfiehlt sich nur, wer die richtigen Umgangsformen hat, wer die Etikette im Business beherrscht.“ (Topf, Gawrich 2009, S. 9). 137 Klein 2005. 138 Ruhleder 2001. 139 Pachter, Coleman 2006. 140 Casperson 1999. 141 So Lamont: „Indeed, research shows that managers favor employees who resemble them culturally, and that corporate success partly depends on making other manag-

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schreibt dieses Phänomen: „Aus meinen Interviews mit Personalberatern und Managern wird allerdings deutlich, dass von einer bestimmten Hierarchiestufe aufwärts vor allem eines entscheidet: der Habitus. Das Signal ‚Ich gehöre dazu‘.“142 Auf die Aussage hin, dass man sich den entsprechenden „Habitus“ doch „antrainieren“ könne, erklärt Hartmann jedoch weniger im Sinne der BusinessEtikette Ratgeber bzw. deren Autoren: Im Kern nicht. Benehmen im Restaurant und was man zu welchem Anlass anziehen sollte, ist zu erlernen, selbst der bürgerliche Bildungskanon. Dafür braucht ein Manager aus dem Kleinbürgertum jedoch viel Zeit, und wenn er es geschafft hat, dann sitzt das so fest wie eine eingepaukte Vokabel. Aber die Souveränität und den spielerischen Umgang mit den erlernten Codes kann er nicht lernen; gerade das ist jedoch entscheidend.143

Diese Argumentation erinnert an das bereits erläuterte Konzept der „sprezzatura“144 oder des „je ne sais quois“145 und schränkt den Nutzen und Wert einfach erlernbarer Etikette-Regeln im Berufsleben ein. Dessen ungeachtet werden die Ratgeber und darin festgehaltenen Verhaltensnormen als Instrumente des beruflichen Erfolgs betrachtet bzw. als solche vermarktet. Dieses Erfolgsrezept gilt jedoch, glaubt man den Autoren der BusinessEtikette-Ratgeber, nicht nur für Individuen, sondern auch für gesamte Unternehmen. So betonen die Autoren, sowohl auf deutscher als auch auf amerikanischer Seite, dass die Umgangsformen der Mitarbeiter einen entscheidenden „Teil der Corporate Identity“146 ausmachen und als „imagebildende Elemente […] ein

ers ‚comfortable‘ by conforming in cultural matters and not ‚standing out.‘“ (Lamont 1992, S. 1); so auch Cronin: „It is a truism that success on the job depends less on competence in performing one’s duties than it does on ability to Get Along With People. But what is left out of this statement [...] is that the word People refers to just one person – the boss. And the boss, barred from receiving any obvious obeisance, is commonly in a chronic state of insecurity – what he craves most of all is the assurance that he is really and truly the boss. The nice guy, with his fine talent for the right body language, provides this assurance better than the man who is merely efficient, is rewarded accordingly, and thus sets the pace for his clumsy fellows.“ (Cronin 1958, S. 12; Hervorhebung im Original); vgl. Simon 26.03.2003. 142 Simon 26.03.2003. 143 Simon 26.03.2003. 144 Hinz 2009, S. 7. 145 Goodwin 1999, S. 198. 146 Nagiller 2004, S. 20.

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wesentlicher Teil jeder Marketingstrategie“147 sind. Das Image oder der Ruf eines Unternehmens entscheidet nach Meinung der Autoren heute – da die Qualität der Produkte konkurrierender Firmen annähernd gleich ist und damit als Differenzierungskriterium nicht mehr taugt – letztendlich über die Positionierung auf dem Markt und den finanziellen Erfolg.148 Oder um es mit den Worten der Etikette-Autorin Yager auszudrücken: „Improper etiquette costs companies billions and billions of dollars in lost business sales and deals and hiring and training costs.“149 Hier wird bereits deutlich, dass nicht nur die Wahrnehmung durch Kunden und Geschäftspartner angeblich durch „gutes Benehmen“ positiv beeinflusst werde150, auch die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen151, deren Motivation bzw. Arbeitsmoral und das Betriebsklima verbessern sich152, 147 Nagiller 2004, S. 20. 148 Vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 3; so auch Wrede-Grischkat: „Man konnte belegen, dass es eine erstaunliche Korrelation zwischen einem hohen Ansehen und dem wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen gibt, die allein durch die Geschäftspolitik nicht zu erklären war.“ (Wrede-Grischkat 1992, S. 19); so auch an anderer Stelle: „Deshalb ist ein höflicher Umgangsstil auch bestimmend für das positive Image eines Unternehmens.“ (Wrede-Grischkat 1992, S. 23); so auch Johne: „[…] more and more companies today are distinguishing their brand by polishing up their people and smoothing the rough edges hewn by an increasingly informal society. And where strong interpersonal skills used to be viewed as a ‚soft‘ business asset, in some organizations they are now seen as having a direct, causal relationship with financial performance.“ (Johne 2005, S. 14). 149 Yager 2001, S. 4. 150 So Baldrige und Gelles-Cole: „An atmosphere in which people treat each other with consideration is obviously one in which a customer enjoys doing business.“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 3); vgl. Johne 2005, S. 14. 151 So Baldrige und Gelles-Cole: „Also very important, a company with a wellmannered, high-class reputation attracts – and keeps – good people.“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 3); so auch Wrede-Grischkat: „Diese Art des MiteinanderUmgehens erleichtert nicht nur erheblich die Identifikation mit dem Unternehmen beziehungsweise der Betriebseinheit, die Arbeit macht auch Freude.“ (WredeGrischkat 1992, S. 23); vgl. Whitmore 2005, S. 1f. 152 So Baldrige und Gelle-Cole: „This book is based on the theory that good manners are cost-effective, because they not only increase the quality of life in the workplace, contribute to optimum employee morale, and embellish the company image […].“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 3); so auch Wrede-Grischkat: „Eine Unternehmenskultur, die von der Höflichkeit und den guten Manieren der Vorgesetzten geprägt ist, übt einen grundlegend positiven Einfluss auf die Motivation aller Mitarbeiter/innen

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behaupten die Autoren. Alles in allem werden die in Business-EtiketteRatgebern vermittelten Umgangsformen als Mittel der unternehmerischen Effizienzsteigerung betrachtet. Folgender Satz von Rosemarie Wrede-Grischkat könnte demnach als der gesamten Ratgeberliteratur zugrunde liegendes Prinzip betrachtet werden: „Höflichkeitsstandards sind ein Katalog von Strategien, die auf Erfolg ausgerichtet sind.“153 Die beiden Linguisten Haferland und Paul konkretisieren diese These: „Höflichkeit lässt sich strategisch einsetzen, um einen Partner zu etwas zu veranlassen. Man überschüttet ihn mit Höflichkeiten und schmeichelt ihm, um sein Wohlwollen zu erreichen und in eine Erfüllung der eigenen Wünsche umzumünzen. Ebenso ist Höflichkeit als Strategie gut, unerwünschte Partner auf Distanz zu halten, ohne es sich mit ihnen zu verderben. Sie läßt die wahre Meinung über den Partner nicht erkennen und ihn an einer undurchsichtigen Mauer abprallen.“154

In diesem Sinne verstehen auch viele der übrigen Autoren Höflichkeit als ein den Umgangsformen zugrunde liegendes Prinzip. So ist etwa Jacqueline Whitmore ebenfalls von der Zielgerichtetheit der Business-Etikette überzeugt und bedient sich einer der Welt des Sports entlehnten Bildsprache: „To win in today’s competitive world of business, you have to know how to play the game. Of course, to excel in any game, you must know the rules.“155 Auch Yager sieht in Umgangsformen eine Erfolgsstrategie und nennt diese auch konkret beim Namen: „Etiquette, or behaving in an appropriate manner, has become a key strategy to getting ahead – and staying ahead – in the business world.“156 Die starke Betonung der Intentionalität bzw. der strategischen Funktion von Umgangsformen in diesem Zusammenhang ist ein Spezifikum der Businessaus.“ (Wrede-Grischkat 1992, S. 23); so auch Lüdemann: „Gute Umgangsformen fördern den Aufbau von effizienten Netzwerken, beeinflussen positiv das Betriebsklima und tragen zu einem guten Image bei.“ (Lüdemann 2009, S. 23); vgl. Johne 2005, S. 14; vgl. Langford 2005, S. 12f. 153 Wrede-Grischkat 1992, S. 20f. 154 Haferland, Paul 1996, S. 12. 155 Whitmore 2005, S. 3; so auch Sabath: „Simply put, if you’d like to advance in your career, you will want to acquire a mastery of appropriate business etiquette. You realize that knowing how to conduct yourself in the workplace can provide you with the unspoken strategies for success [...].“ (Sabath 2007, S. XI). 156 Yager 2001, S. 3; so auch an anderer Stelle: „The premise of this book is that proper business protocol offers you another strategy for getting to the top and staying there.“ (Yager 2001, S. 4).

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Etikette-Ratgeber. Anders als bei der allgemeinen Etikette, die sich häufig – zumindest vordergründig – dem Respekt oder der Rücksichtnahme den Mitmenschen gegenüber verschreibt, steht hier der Profitgedanke bzw., wie Saskia Sassen es ausdrückt, die „Nützlichkeitslogik“157 klar im Vordergrund. Interkulturelle Ratgeber/Kulturknigge Aus einem solchen Effizienzgedanken bzw. der Angst vor wirtschaftlichen Verlusten158 ziehen auch die sogenannten „interkulturellen Ratgeber“159 bzw. „Kulturknigge“160 ihre Daseinsberechtigung und dadurch lassen sich ihre hohen Absatzzahlen erklären.161 Diese Form verhaltenspräskriptiver Literatur richtet sich 157 Sassen, Gramm 2008, S. 479f. 158 So Jammal: „Missionarisch sind die interkulturellen Orientalisten schließlich in einem anderen Sinne auch deshalb, weil sie den Hilfesuchenden (Unternehmensmitarbeitern etc.) versprechen, einen Geschäftserfolg zu erzielen, wenn sie ihre Ratschläge annehmen.“ (Jammal 2009, S. 59). 159 Def. „interkulturelle Ratgeberliteratur“: „Die Publikation muss eindeutig populärwissenschaftlicher Natur sein. Populärwissenschaftliche Darstellungen werden als allgemeinverständlich geschriebene Darstellungen verstanden, die sich nicht an ein spezifisches Fachpublikum, sondern an eine breite Zielgruppe potenziell interessierter Leser in der Bevölkerung richten. Die Publikation muss eindeutig als Ratgeber erkennbar sein. Ratgeber werden allgemein als Publikationen verstanden, die sich an Nichtspezialisten richten, mit dem Ziel praxisorientierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die bei der Bewältigung von Alltagsproblemen hilfreich sein können. [...] Als Publikationen, in denen Verhaltensempfehlungen für einen Aufenthalt in fremden Kulturen gegeben werden, stellen sie eine Sonderform der Anstandsbücher dar [...]. Die Publikation muss sich explizit an in der Wirtschaft aktive Personenkreise wenden und für sich den Anspruch erheben, praktische Hilfestellung bei der Bewältigung interkultureller Problemstellungen [...] zu leisten.“ (Poerner 2009, S. 75f.). 160 Jammal 2009. 161 So Beneke: „Bücher mit Listen von ‚Gebrauchsanweisungen‘ für einzelne Kulturräume gibt es mittlerweile in großer Zahl auf den internationalen Flughäfen zu kaufen, und sie finden reißenden Absatz. Ähnlich verbreitet sind Sammlungen von Anekdoten und Fallbeispielen.“ (Beneke 2001, S. 15); so Breidenbach und Nyíri: „Kulturelle Unterschiede sind im letzten Jahrzehnt zu einem Millionengeschäft geworden: Wissenschaftler bekommen neue Lehrstühle finanziert, Berater erhalten Aufträge, Autoren gewinnen Leser und Talkshows neue Gäste.“ (Breidenbach, Nyíri 2008, S. 82f.); so auch Casper-Hehne: „In diesem Zusammenhang ist eine umfang-

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in erster Linie an das Kollektiv der Geschäftsleute162, die sich auf eine Geschäftsreise oder Auslandsentsendung vorbereiten und denen Informationen zum richtigen Verhalten in der Zielkultur vermittelt werden sollen.163 Meist sind diese Ratgeber als Gegenüberstellung zweier Nationalkulturen (Herkunftsland und Zielland) und der dort vorzufindenden spezifischen Verhaltensweisen, also der vermeintlich nationaltypischen Umgangsformen, konzipiert. Die Darstellung erfolgt häufig in tabellarischer Form164, mittels Listen von dos and don’ts oder anhand einprägsamer, pauschaler Formulierungen.165 Zu den Autoren gehören „Kommunikationsforscher, Linguisten, Psychologen, Wirtschaftswissenschaftler und Ethnologen […]“166, die in den meisten Fällen auch selbst interkulturelle Trainingsmaßnahmen anbieten.167 Zu den auch für die vorliegende Arbeit relevanten Titeln gehören etwa Oluf F. Konstroffers So nutzen Sie Ihre Chancen in amerikanischer Unternehmenskultur168 (2000), Max Ottes Amerika für Geschäftsleute169 (1996), Eugene Rembors Geschäftlich erfolgreich in den USA170 (2004), Patrick LeMont Schmidts

reiche Ratgeberliteratur für den Kontakt zwischen deutschen und US-amerikanischen Partnern entstanden, die sich zum Ziel gesetzt hat, bei der Vermeidung von Mißverständnissen behilflich zu sein.“ (Casper-Hehne 2006, S. 2f.). 162 So Hall und Hall: „Dieses Buch ist kein touristischer Ratgeber. Es wendet sich an Geschäftsleute, insbesondere an Führungskräfte, Vorstandsmitglieder eingeschlossen, Entscheidungsträger und alle, die verantwortlich sind für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen, denen sie angehören.“ (Hall, Hall 1983b, S. 7f.). 163 So Moosmüller: „Zu den Standardszenarien gehören hier z.B. die Auslandsentsendung von Mitarbeitern einer Organisation (Diplomaten, Forscher, Firmenangehörige), internationale Verhandlungen und internationale Kooperationen in Arbeitsgruppen.“ (Moosmüller 2000, S. 26). 164 Z.B. Schmidt 2000, S. 54; vgl. Jammal 2009, S. 55. 165 So Draine und Hall: „CULTURE SHOCK! is a series of comprehensive guides brimming with the hidden rules-of-thumb to put the expatriate or visitor on the correct tracks of social etiquette. Notes on the character of the people, their customs and expectations, quick reference lists, typical situations and recommended behaviour help locals as well as expatriates understand one another.“ (Draine, Hall 1987, Umschlag). 166 Haas 2009, S. 105. 167 Vgl. Haas 2009, S. 105; vgl. Jammal 2009, S. 55. 168 Konstroffer 2000. 169 Otte 1996. 170 Rembor 2004.

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Die amerikanische und deutsche Wirtschaftskultur im Vergleich171 (2000) sowie Emily J. Slates und Sylvia Schroll-Machls Beruflich in den USA172 (2006). Zusätzlich zu diesen speziell auf den Kontakt von Deutschen und US-Amerikanern ausgelegten Kulturknigge gibt es eine Vielzahl von Ratgebern, die Informationen zu allen wichtigen Industrieländern der Welt oder Europas in sich vereinen und diese in jeweils einem kurzen Kapitel pro Nation abhandeln. Dieser Kategorie können Titel wie Heinz Commers Knigge international173 (1992), Roger Axtells Vorsicht Fettnäpfchen174 (1991), John Moles Mind your Manners. Managing Business Cultures in Europe175 (2001), Kai Oppels Business Knigge International176 (2006) oder auch das von Terri Morrison et al. veröffentlichte Kiss, Bow or Shake Hands. How to Do Business in Sixty Countries177 (1994) zugeordnet werden. Ohne direkten Länderbezug sind die allgemeinen Publikationen, die Kulturkonzepte und mögliche Herangehensweisen im Umgang mit kulturellen Unterschieden vorstellen; wie etwa Richard Brislins Working with Cultural Differences178 (2008) oder Richard R. Gestelands Cross-Cultural Business Behavior179 (2003). Gemeinsam ist diesen Ratgebern, dass sie allesamt auf den Lehren von Thomas180, Edward T. Hall181, Geert Hofstede182 und dessen Schüler Fons Trompenaars183 basieren und sich auch fortwährend auf deren Konzepte (Kulturstandards, Kulturdimensionen, critical incidents184 etc.) berufen.185 Zu den diesen in-

171 Schmidt 2000 bzw. Schmidt 2007. 172 Slate, Schroll-Machl 2006. 173 Commer 1992a. 174 Axtell 1991. 175 Mole 2001. 176 Oppel 2006. 177 Morrison et al. 1994. 178 Brislin 2008. 179 Gesteland 2003. 180 Vgl. Thomas 1991a; vgl. Thomas 1991b; vgl. Thomas 2003; vgl. Thomas et al. 2007. 181 Z.B. Hall, Hall 1983a. 182 Z.B. Hofstede 2001. 183 Z.B. Trompenaars, Hampden-Turner 2012. 184 Def. critical incident: „problematische Situationen im Kontakt mit der Zielkultur“ (Haas 2009, S. 86); so auch Hufnagel und Thomas: „Zur Sammlung kritischer Interaktionssituationen wurden zunächst [...] narrative Interviews durchgeführt. Die Befragung konzentrierte sich auf die Erfassung von Erlebnissen der deutschen Studen-

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terkulturellen Ratgebern zugrunde liegenden Methoden zählen Befragungen, narrative Interviews, teilnehmende Beobachtung, Fragebögen, Rollenspiele und Berichte.186 Dass diese Methoden aus diversen Gründen umstritten sind, ist allgemein bekannt und wurde in der Literatur bereits eingehend erörtert.187 Ihren Lesern versprechen diese Ratgeber kompakte, konkrete und praxisorientierte Handlungsanweisungen, die eine reibungslose Interaktion mit ausländischen Geschäftspartnern gewährleisten soll. Der stetig zunehmende Bedarf an Unterweisung in Fragen der „interkulturellen Kommunikation“ wird bereits im Vorwort mit einem Hinweis auf die Internationalisierung der Märkte und die fortschreitende Globalisierung gerechtfertigt. So auch hier bei Mary Bosrock in dem interkulturellen Ratgeber A fearless guide to understanding the United States of America188 (1999): „World economies are integrating far faster than anyone projected. Shortly, every business and every person in every country will be affected by globalization. To compete or comten im Umgang mit Amerikanern, in denen ihnen das Verhalten der Amerikaner eigenartig, unverständlich oder unerwartet erschien.“ (Hufnagel, Thomas 2006, S. 19). 185 So Franklin: „On the other hand, both culture-specific and especially culture-general training has to an almost overwhelming extent depended on the pioneering work of Hall [...] on behavioural orientations and communication styles across a range of national cultures and on the contrastive, value-oriented work of Hofstede (2001) and Trompenaars and Hampden-Turner (1997). These scholars and writers dominate the intercultural (communication) training scene in business and management in Europe and probably worldwide.“ (Franklin 2007, S. 264); so auch Jammal: „Es gibt keinen, mir bekannten Kulturknigge, der ohne die Begriffe Kollektivismus, Machtdistanz und indirekte Kommunikation auskommt.“ (Jammal 2009, S. 58); vgl. Haas 2009, S. 107. 186 Vgl. Haas 2009, S. 68 und S. 81 und S. 86; so auch Hall und Hall: „Wir führen detaillierte, unstrukturierte Interviews mit sorgfältig ausgewählten Vertretern der Wirtschaft und der verschiedenen Stände sowie mit Schriftstellern, Künstlern und Pädagogen durch. Diese Kombination von Beobachtungen, Analysen und Interviews in Verbindung mit ausgefeilten Modellen von Kultursystemen ermöglicht es, die wichtigsten kulturell bedingten amerikanischen Verhaltensmuster herauszufiltern, die ein in den USA tätiger deutscher Geschäftsmann kennen sollte.“ (Hall, Hall 1983b, S. 108; Hervorhebung im Original); vgl. Schroll-Machl 2007b, S. 13; vgl. Kalberg 1987, S. 604f. 187 Vgl. Barmeyer, Genkova 2010; vgl. Matthes 2000; vgl. Breidenbach, Nyíri 2008, S. 53ff.; vgl. Casper-Hehne 2006, S. 3. 188 Bosrock 1999.

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municate effectively, we must understand more about other countries, other cultures, and other ways of doing business.“189

Die Autorin behauptet folglich, das Wissen über den kulturellen Hintergrund des Geschäftspartners sei der Schlüssel zu effizienter Kommunikation und Wettbewerbsfähigkeit.190 Eben dieses Wissen sollen die entsprechenden interkulturellen Trainingshandbücher vermitteln, wie auch Marlies Martin und Thomas in einem der zur Beruflich in …-Reihe gehörenden Ratgeber191 bestätigen: „Die fremde Kultur und die daraus resultierende andersartige Geschäftsmentalität bestimmen die Rahmenbedingungen. [...] Managementpraktiken, Führung und Organisation, aber auch Planung und Marketing müssen den anderen kulturellen Gegebenheiten angepaßt werden. [...] Das vorliegende Trainingshandbuch soll hierzu einen Beitrag leisten. Es kann helfen, Mißverständnisse, Konflikte, Vorurteile und Ablehnung zu vermeiden, sowie Lern- und Anpassungsprozesse erleichtern und beschleunigen und die Erfolgsaussichten erhöhen.“192

Inwieweit dieser Anspruch der interkulturellen Ratgeber erfüllt wird und wo sich Defizite dieses Genres ergeben, wurde bereits vielfach in der Literatur besprochen193, sodass an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen wird. Festzuhalten bleibt lediglich, dass sich diese Form der verhaltenspräskriptiven Literatur im weiteren Sinne zwar ebenfalls mit Umgangsformen befasst, diese jedoch mit einem Umweg über Werte und Mentalitäten zu begründen versucht. Das vermeintlich beobachtbare oder abfragbare Handeln wird – meist unter Rückgriff auf die jeweilige Landesgeschichte194 – abstrahiert, um aus dieser Abstraktion (etwa so189 Bosrock 1999, S. 12. 190 So Bosrock: „It is important because no matter where you decide to do business, you have to understand that people with whom you are doing business. Without understanding your potential customers and competitors and the cultures in which they are rooted, you doom yourself to failure.“ (Bosrock 1999, S. 13). 191 Vgl. Martin, Thomas 2002; gehört zur von Alexander Thomas herausgegebenen Reihe „Handlungskompetenz im Ausland“. 192 Martin, Thomas 2002, S. 7f.; vgl. Franklin 2007, S. 263. 193 Vgl. Jammal 2009; vgl. Haas 2009; vgl.Weingart 2007, S. 2. 194 So Slate und Schroll-Machl: „Werthaltungen, die eine Kultur prägen, sind das Produkt ihrer Geschichte.“ (Slate, Schroll-Machl 2006, S. 8); vgl. Jammal 2009, S. 57; kritisch gesehen auch von Davetian: „I began to suspect that unilateral reliance on cause-effect types of historical evidence had its limitations. Indeed, history could be effectively used to explain the origins of a certain mentality, but not the totality of its

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genannten „Kulturstandards“) wiederum auf zu erwartendes Verhalten zu schließen.195 Die Frage, ob die aus einer solchen Vorgehensweise resultierenden Erkenntnisse letztendlich deckungsgleich sind mit den Ergebnissen eines direkten Vergleichs konkreter Verhaltensmuster – wie es das Ziel des nachfolgenden Vergleichsteils ist – wird am Ende der vorliegenden Arbeit beantwortet werden. Die genaue Analyse und der Abgleich mit den Business-Etikette-Ratgebern wird auch Hinweise darauf liefern, ob und inwieweit die bekannten Kritikpunkte berechtigt sind.

D ER SCHEINBARE G EGENSATZ : R EALITÄT VERSUS N ORMATIVITÄT Das von von Jhering zu Beginn des 20. Jahrhunderts beanstandete Desinteresse der Wissenschaft an Umgangsformen196, auf das im Forschungsbericht bereits eingegangen wurde, gilt auf den ersten Blick gleichermaßen für Etikette-Bücher als primäre Vermittlungsform von Benimmregeln. „Anstands-, Manieren- oder Etikettebücher“ seien von den Sozialwissenschaften bislang kaum beachtet worden197, meint etwa Krumrey, der mit seiner soziologische[n] Prozeßanalyse auf der Grundlage deutscher Anstands- und Manierenbücher von 1870 bis 1970198 (1991) zu den wenigen Soziologen gehört, die sich diesem Genre widmen. Mit

outcomes. If one exaggerated one’s preference for consistency, one risked going too far and adopting the somewhat problematic belief that, even in a period of rampant rejection of tradition, the ethos of a culture would remain untouched come what may due to its accumulated heritage.“ (Davetian 2009, S. 499); vgl. Hansen 2009a, S. 153ff. 195 Vgl. Jammal 2009, S. 56. 196 So von Jhering: „[…] während der diesem Gegenstande gewidmete Zweig der deutschen Literatur bis in die neueste Zeit hinein, wo ein gewisser Umschwung zum Bessern eingetreten ist, den Eindruck der äußersten Armseligkeit macht, einer wahren literarischen Sahara, die höchstens ein Kamel in Versuchung kommen kann zu betreten, um darin Nahrung zu suchen [...].“ (Von Jhering 1905, S. 260); vgl. von Jhering 1905, S. 258ff.; vgl. von Jhering 1968, S. 78. 197 So Krumrey weiter: „Sozialwissenschaftler fanden es wohl nicht der Mühe wert, solche zumeist nicht sehr hochrangige Literatur, an die man vielleicht selbst aus seiner Jugendzeit noch muffige Erinnerungen hatte, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.“ (Krumrey 1991, S. 229). 198 Krumrey 1991.

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größerer Publikumsaufmerksamkeit tat dies Elias, dessen zweibändiges Werk Über den Prozess der Zivilisation199 im Forschungsbericht bereits mehrfach herangezogen wurde. Als Grundlage für seine Zivilisationstheorie dienten ihm ebenfalls Etikette-Bücher, die er einem historischen Vergleich unterwarf und auf ihre inhaltliche Wandlung seit dem frühen Mittelalter hin untersuchte. Und obwohl Elias zu Recht die „literarische Bedeutung“ der Manierenbücher für äußerst gering und das Genre insgesamt für eine „Schriftengattung eigentümlicher Art“ hält200, spricht er sich aus folgendem Grund deutlich für eine wissenschaftliche Betrachtung der verhaltenspräskriptiven Literatur aus: „Was da schriftlich auf uns gekommen ist, sind Fragmente einer großen, mündlichen Tradition, Spiegelbilder dessen, was tatsächlich in dieser Gesellschaft Brauch war, und gerade deswegen bedeutsam, weil es nicht das Große, Außergewöhnliche, sondern das Typische einer Gesellschaft weiterträgt.“201

Ähnlich argumentiert die Historikerin Hemphill, die in Etikette-Ratgebern ein „useful window into the social attitudes and practices of any period“202 sieht und von der Überlegenheit dieser Literatur gegenüber anderen historischen Quellen wie Tagebüchern und Briefen überzeugt ist, da die Menschen nicht jeden Handschlag darin notieren würden und dieses Material insofern lediglich ein unvollständiges Bild biete.203 Im Gegensatz dazu verspreche verhaltenspräskriptive Literatur, die außerdem im Überfluss vorhanden und leicht zugänglich sei, einen vielseitigen Erkenntnisgewinn: „What manners offer historians, then, is a new perspective on society – a street-level panorama of how contemporaries thought society was organized, how power was actually distributed, and how larger changes in cosmology, polity, or economy were being worked out in everyday life. The best window onto this scene is provided by conduct advice literature […].“204 199 Elias 1969a; Elias 1969b. 200 Elias 1969a, S. 109; so auch Heckendorn: „Der literarische Wert von Anstandsbüchern ist noch nie hoch veranschlagt worden, wenn auch Erasmus zu ihren Vätern gehörte.“ (Heckendorn 1970, S. II). 201 Elias 1969a, S. 77f.; vgl. Elias 1969a, S. 109. 202 Hemphill 1996, S. 318; vgl. Visser 1991, S. 58 und S. 68. 203 Vgl. Hemphill 1996, S. 318. 204 Hemphill 1999, S. 4; so auch an anderer Stelle: „To use published rules for behavior as an optic on society is to use a lens with a powerful but changing focus.“ (Hemphill 1999, S. 5).

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Doch neben den Autoren, die in dieser Literatursorte ein Abbild der Gesellschaft vorzufinden glauben, gibt es auch Gegenstimmen, die behaupten, EtiketteBücher beinhalteten keine lückenlose und genaue Abbildung gängiger Sozialpraktiken205, sondern würden lediglich Idealbilder festhalten, was eine Diskrepanz zwischen der Realität und den Inhalten der Ratgeber zur Folge habe. So schreibt etwa Linke „zu Anstandsbüchern als Quellenmaterial“206, man dürfe nicht vergessen, „daß es sich dabei um normative Texte handelt, die auch dort, wo sie in vorgeblich deskriptiver Weise Beispiele üblichen Verhaltens […] referieren, mit Stilisierungen arbeiten.“207 Insofern könne die Untersuchung von Etikette-Büchern lediglich „idealtypische Verhaltensformen“ bzw. einen „Normenkanon“208 zum Ergebnis haben: „Dies bedeutet jedoch nicht, daß diese Normen für die mit den Anstandsbüchern angesprochenen Kreise tatsächlich handlungsleitend sind – es bedeutet nur, daß wir hier die Normen finden, die dem sozialen Selbstverständnis und der gesellschaftlichen Selbstverständigung dieser Gruppierungen entsprechen.“209

Dass demnach Etikette-Bücher kaum Aufschluss über das tatsächliche Verhalten der Individuen geben können, sieht auch der Literaturwissenschaftler Alain Montandon bestätigt: „Es ist oft festgestellt worden, daß Aussagen (in Briefen, Zeitungen) erkennen lassen wie weit die Praxis vom idealen Stil der Komplimentierbücher entfernt ist.“210 Die Frage, ob Etikette-Bücher nun wirklich „das Typische einer Gesellschaft“211 aufzuzeigen vermögen bzw. als direktes Fenster in die Verhaltensweisen eines Kollektivs betrachtet werden können212 oder lediglich Ideal205 Vgl. Kasson 1990, S. 5. 206 Linke 1996, S. 72. 207 Linke 1996, S. 72; Hervorhebung im Original; so auch Montandon: „Die Geschichte der Anstandsbücher erweist sich als die Geschichte der schriftlich festgehaltenen normativen Regulierung sozialer Verhaltensweisen. Oft fragt man sich, ob es sich dabei um eine einfache Beschreibung von Verhaltensweisen handelt […] oder ob die Bücher, weit davon entfernt, Verhaltensweisen darzustellen, ein Ideal anstreben und Regeln formulieren, die zwar als Richtpunkte dienen, aber noch längst nicht erreicht sind.“ (Montandon 1991, S. 7). 208 Linke 1996, S. 72; Hervorhebung im Original. 209 Linke 1996, S. 72. 210 Montandon 1991, S. 8. 211 Elias 1969a, S. 77f.; vgl. Elias 1969a, S. 109. 212 Vgl. Hemphill 1996, S. 318; vgl. Visser 1991, S. 58 und S. 68.

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vorstellungen widerspiegeln, ist strittig. Eine endgültige Antwort auf diese Frage bedürfte eines empirischen Abgleichs beobachteten Verhaltens mit den in Benimmbüchern vorgeschriebenen Verhaltensweisen. Einige vorläufige Argumente lassen sich jedoch für beide Hypothesen anführen. Hinweise darauf, dass Etikette-Bücher in ihrer normativen Eigenschaft entkoppelt von der Realität sein könnten, lassen sich aus den Ratgebern selbst herauslesen213 und von ihrer impliziten Zielsetzung her ableiten. Erstens deutet die Erwähnung bestimmter Regeln auf Belehrungsbedarf in der betreffenden Frage hin; je eindringlicher und häufiger die Vorschriften formuliert werden, desto weiter entfernt könnte die Realität vom Ideal sein. Zweitens wird teilweise von den Autoren explizit bemängelt, dass eine bestimmte – als Unsitte zu bezeichnende – Verhaltensweise weit verbreitet sei und zu deren Bekämpfung aufgerufen. An dieser Stelle ist hinzuzufügen, dass der konservative oder gar rückständige Charakter von Etikette-Ratgebern in deren Natur begründet liegt, da das Ziel dieser Literatursorte der Erhalt eines bestimmten Status Quo ist. Insofern ist ebenso denkbar, dass die Autoren einem Wandel hinterherhinken bzw. diesen womöglich sogar bewusst verhindern wollen. Drittens spricht die Distinktionsfunktion von Umgangsformen dafür, dass Etikette-Bücher lediglich die für ein bestimmtes Kollektiv (z. B. Oberschicht oder Geschäftsleute) geltenden Verhaltensweisen beschreiben; die Autoren also keinesfalls nach Allgemeinverbindlichkeit streben. Vielmehr – hier muss man jedoch weiter differenzieren zwischen allgemeinen und speziellen Ratgebern – werden dann einzelne dem Alltag der „Otto Normalverbraucher“ völlig entrückte Aspekte des Benehmens („Wie isst man Hummer?“; „Wie hält man ein Meeting ab?“) geschildert oder bei anderen allgemeingültigeren Vorschriften übertriebene Feinheiten präsentiert bzw. eine besondere Strenge an den Tag gelegt. Auf der anderen Seite gibt es auch Gründe, die dafür sprechen, dass EtiketteBücher bis zu einem gewissen Grad als Spiegel der tatsächlichen Gewohnheiten eines Kollektivs betrachtet werden können. Zum einen ist ein Zurückbleiben hinter gesellschaftlichen Neuerungen nur begrenzt möglich, da den Lesern, die auch jenseits der Lektüre von Etikette-Büchern mit Umgangsformen in Berührung kommen, irgendwann auffallen würde, dass die Autoren an der Wirklichkeit vorbeischreiben und sie in der Konsequenz die veralteten Ratgeber schlicht nicht mehr konsultieren, geschweige denn kaufen würden. Zum anderen könnte die Geltung oder das Wegfallen bestimmter Konventionen im Laufe der Zeit so selbstverständlich geworden sein, dass sich deren Nennung erübrigt und sogar zu vermeiden ist, um nicht als anachronistisch abgestempelt zu werden. Der Verfasser eines aktuellen Etikette-Ratgebers, der es etwa für bemerkenswert hält, dass 213 Vgl. Beetz 1990, S. 9–13.

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beim Essen Messer und Gabel verwendet werden und nicht mit den Händen aus einer gemeinsamen Schüssel gegessen wird, büßt mit dieser Aussage seine gesamte Autorität in Fragen des „guten Benehmens“ ein. Denn – so viel steht grundsätzlich fest – ohne ein gewisses Maß an Sozialakzeptanz kann eine Regel oder Standardisierung nicht existieren; sich weder etablieren noch fortbestehen. Wer Standardisierungen und damit Kultur untersucht, muss sich bewusst machen, dass diese stets normativ ist; als „Sollsuggestion“214 in gewissem Maße verpflichtend wirkt. Denn obwohl Umgangsformen als kulturelle Standardisierungen „Angebotscharakter“215 haben, bleibt ein Nichtbeachten keinesfalls ohne Konsequenz216, sodass sie auch als Desiderate durch die von ihnen ausgeübte normative Wirkung vor einer allzu großen Abweichung abschrecken.217 Die Normalität ist jedoch das allem übergeordnete Ziel, zumindest das der Umgangsformen, deren Wirkungsweise primär integrierend ist, die also in erster Linie der Konstitution von Kollektivzugehörigkeit dienen.218 Anders verhält es sich, das wurde oben bereits erläutert, mit Benimmregeln, bei denen die distinguierende Funktion im Vordergrund steht. Von dieser Unterscheidung ausgehend, liegt die Vermutung nahe, dass der Grad der Befolgung oder der Verbreitung bestimmter Umgangsformen mit deren Distinktionspotential korreliert. Letztendlich spielt die Frage nach dem Realitätsbezug der Etikette-Bücher für die vorliegende Arbeit jedoch eine untergeordnete Rolle. Denn obwohl deren Analyse zwar keine absolut verlässlichen Rückschlüsse auf das reale Verhalten der Individuen zulässt – die Vorstellung von „etiquette books as a mirror of reality“219 womöglich unzutreffend ist –, ermöglicht ein Vergleich der hier beschriebenen Umgangsformen – seien sie auch „bloße“ Idealvorstellungen – eine Aussage über die in einem Kollektiv geltenden Standardisierungen bzw. dessen Kultur.220 Dass der Begriff Kultur sowohl die „ideale“ als auch „reale Kultur“221

214 Gehlen 2004, S. 25. 215 Hansen 1993, S. 10f.; vgl. Hansen 2011, S. 68; vgl. Hansen 2009a, S. 69. 216 Vgl. Hansen 2011, S. 126; vgl. Hansen 2009a, S. 69. 217 Vgl. Linton 1974, S. 48. 218 Vgl. Hansen 2011, S. 132. 219 Curtin 1987, S. 5. 220 So Hansen: „Kultur umfasst Standardisierungen, die in Kollektiven gelten.“ (Hansen 2011, S. 31). 221 Vgl. Greverus 1978, S. 77; so auch Linton: „Realität einer Kultur als [...] Gesamtheit von Verhaltensweisen“ (Linton 1974, S. 40f.); so auch an anderer Stelle über „Idealmuster“: „Das sind Abstraktionen, die die Mitglieder einer Gesellschaft selbst entwickelt haben. Sie stellen die übereinstimmende Meinung der Gesellschafts-

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in sich vereint, damit aus sich gegenseitig beeinflussenden222 „wirklichen“ und „ideellen Faktoren“223 (Ideal- und Realfaktoren)224 bzw. „idealen“ und „statistischen Normen“225 besteht, ist eine weithin bekannte Tatsache. Insofern ist der Gegensatz zwischen Realität und Normativität – wie es in der Kapitelüberschrift heißt – für eine Untersuchung aus kulturwissenschaftlicher Sicht tatsächlich nur scheinbar von Relevanz. Die Auffassung, dass der präskriptive Charakter von Etikette-Büchern deren Verwertbarkeit keinen Abbruch tut, findet sich ebenso in der Sekundärliteratur. So meint etwa Hemphill, die in verhaltenspräskriptiver Literatur festgehaltenen Regeln seien ebenso als „kulturelle Artefakte“ zu betrachten wie tatsächliches Verhalten: „The relationship between prescription and actual behavior is complex and stubbornly resistant to historical verification. But that is no reason to ignore this rich source, for prescription is every bit as much a cultural artifact as behavior.“226 Entsprechend gilt für die Materialauswahl der vorliegenden Arbeit der Leitsatz, den Morgan ihrem Buch zugrunde legt: „[…] that ideals reveal as much or more about a society as does reality.“227 angehörigen darüber dar, wie die Menschen sich in bestimmten Situationen verhalten sollten.“ (Linton 1974, S. 47). 222 Vgl. von Barloewen 2007, S. 57; vgl. Scheler 1960, S. 17–23. 223 Vgl. von Barloewen 2007, S. 57. 224 Vgl. Scheler 1960, S. 17–23. 225 Beer 1999, S. 273; so auch Beer 1999, zit. nach Wernhart: „Man unterscheidet zwei Formen von Normen: (a) ideale Normen, die sich auf erwartetes Verhalten beziehen, und (b) statistische Normen, die häufig auftretendes und typisches Verhalten bezeichnen.“ (Wernhart 2008, S. 24). 226 Hemphill 1994, S. 272; so auch Taylor: „Anthropologists often refer to ideal notions which are out of harmony with actual behavior as ideal culture and the behaviors which contradict them as real culture. This distinction sometimes has led to the false conclusion that ideal traits are somehow less than genuine cultural phenomena. It is important to remember that multi-individual ideas expressed in utterances about intended or supposed actions are just as certainly part of the society’s repertory of learned and shared customs as those ideas actually manifested in action.“ (Taylor 1976, S. 39f.; Hervorhebung im Original); so auch Montandon: „Nichtsdestoweniger ist eine Praxis beschrieben, die dem sozialen Raum in seinen Interaktionsgepflogenheiten als Perspektive und Horizont dient.“ (Montandon 1991, S. 8); so auch Asserate: „Ideale werden selten verwirklicht oder nie, aber es verrät tiefe Unkenntnis der menschlichen Verhältnisse, sie deshalb nicht ernst zu nehmen.“ (Asserate 2004, S. 31). 227 Morgan 1994, S. 2.

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V ERGLEICHBARKEIT : B USINESS -E TIKETTE -R ATGEBER VERSUS K ULTURKNIGGE Der Befund, dass Etikette-Bücher in einem Spannungsverhältnis zwischen Realität und Normativität stehen, wirft methodische Fragen hinsichtlich des sich anschließenden Vergleichs auf. Denn neben der Gegenüberstellung amerikanischer und deutscher Business-Etikette-Ratgeber erfolgt hier auch ein Abgleich mit der interkulturellen Ratgeberliteratur, den sogenannten Kulturknigge. Da diese für sich beanspruchen, mit ihren anhand empirischer Methoden – also Interviews, Fragebögen oder Beobachtungen – gewonnenen Erkenntnissen die Realität abzubilden, könnte die Vergleichbarkeit der zwei Literatursorten nur bedingt gegeben sein. Dagegen ließe sich einwenden, dass beide Genres generalisierende Behauptungen über das Verhalten in einem bestimmten Kollektiv aufstellen. Während diese Pauschalisierungen in den Etikette-Büchern jedoch normativer Art sind, also Idealvorstellungen darstellen, werden die Aussagen der Interkulturalisten empirisch hergeleitet. Doch wie diese Erkenntnisse gewonnen werden, sollte letztendlich das Ergebnis nicht beeinflussen bzw. deren Vergleichbarkeit keinen Abbruch tun. Sowohl „ideale“ als auch „reale Faktoren“, das wurde oben eingehend erläutert, existieren gleichberechtigt nebeneinander und sind gleichsam Bestandteile von Kultur. Da demnach beide Ratgeberarten Kultur beschreiben, kann von einer hinreichenden Gemeinsamkeit des Untersuchungsgegenstands ausgegangen werden. Denkt man einen Schritt weiter und bezieht die methodischen Probleme der Interkulturellen Kommunikation in die Überlegungen mit ein, so könnte man folgern, dass diese sich ebenfalls auf einer normativen oder idealen Ebene bewegt, wenn sie etwa „Kulturstandards“ oder ähnliche wertebasierte Konzepte heranzieht, um erfragtes bzw. beobachtetes Verhalten zu erklären oder auf zu erwartendes Verhalten zu schließen. Darüber hinaus könnte man sogar behaupten, dass diese Ebene durch die Analyse von Etikette-Ratgebern direkter, also ohne den Umweg über schwammige, schwer greifbare Abstraktionen erreicht wird228 und weniger von der Willkür der Interpretierenden abhängt. Denn, dass

228 So Jammal: „Zum einen misslingt die Kulturalisierung deshalb, weil der Weg von den so genannten Kulturdimensionen (wie Kollektivismus, Machtdistanz etc.) zu Alltagshandlungen schlicht zu lang und komplex ist. Stets wird auf ‚Kultur‘ als letzte Erklärung verwiesen.“ (Jammal 2009, S. 56; Hervorhebung im Original); so Dahlén: „The steps from basic values and norms to such matters of intercultural technique and etiquette […] seem rather long. But tracing them may be a tedious affair,

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die „Primärstandardisierung“ Demokratie bzw. Gleichheitsdenken, die etwa von Thomas zum „zentralen Kulturstandard“ erhoben wird229, zwingend die „Sekundärstandardisierung“ Anrede mit dem Vornamen nach sich zieht, ist eine höchst zweifelhafte Annahme230, die sich zudem nicht in jedem demokratischen Land zu bestätigen scheint.231 Gerade weil die meisten Kulturknigge die „Kulturdimensionen“, „-standards“ oder sonstigen Parameter schlicht reproduzieren, ist zu hinterfragen, ob diese aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Methodik tatsächlich einen Anspruch auf Darstellung der Wirklichkeit erheben können. Denn was Menschen sagen und was sie tun, unterscheidet sich außerdem häufig so stark232, dass auch die gängigen Verfahrensweisen der Interkulturellen Kommunikation keine verlässliche Aussage über das Verhältnis von Realität und Idealität erlauben.233 Darüber hinaus ist die tatsächliche Motivation, auf der eine beobachtbare

not appealing to a lay audience, and taking considerable time.“ (Dahlén 1997, zit. nach Jammal 2009, S. 64). 229 Vgl. Slate, Schroll-Machl 2007, S. 136f.; vgl. Hufnagel, Thomas 2006, S. 196ff. 230 So Hansen: „Aber nicht nur die Prämisse eines demokratischen Amerika ist fraglich, sondern auch die Beobachtung egalitärer Umgangsformen.“ (Hansen 2009a, S. 145). 231 So Hansen: „Natürlich wirkt Demokratie in den einzelnen Nationen als Schicksal, doch es wäre methodisch falsch aus ihren Prägewirkungen spezifisch nationale Merkmale ableiten zu wollen. Wenn sie prägt, müssten ihre Wirkungen auf der ganzen Welt zu finden sein.“ (Hansen 2009a, S. 146). 232 So Storti: „[…] in every society there is always a disconnect between the ideal and the real, between the values people espouse and aspire to and how they actually behave – in short, between what people say and what they do.“ (Storti 2004, S. 5); so auch Breidenbach und Nyíri: „Ihre Erkenntnisse gewinnen die interkulturell forschenden Autoren [...] mittels Fragebögen und standardisierter Interviews. Diese decken auf, wie Menschen sich selbst sehen (wollen), nicht jedoch ihr tatsächliches, komplexes, oft widersprüchliches Verhalten. Aus methodologischen Untersuchungen wissen wir, dass nicht einmal die Hälfte dessen, was Menschen über sich sagen, ihren Handlungen entspricht.“ (Breidenbach, Nyíri 2008, S. 53). 233 So Linton: „Solche Verbalisierungen sind selber Muster in der realen Kultur, aber sie sind in die gleiche Klasse wie die Literatur einer Gesellschaft einzuordnen und bieten keinen verläßlichen Hinweis auf das tatsächliche Verhalten der Gesellschaftsangehörigen als alle anderen Teilstückchen der Folklore. Es ist deshalb ganz besonders zu wünschen, daß Forscher, die den Versuch unternehmen, Kulturen zu beschreiben, deutlich zwischen den Kulturkonstrukten unterscheiden, die sie selber aufgrund ihrer Beobachtungen entworfen haben, und den idealen Kulturmustern, die ihnen verbal durch Angehörige der betreffenden Gesellschaft übermittelt wurden,

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Handlung basiert, höchst variabel, kann also je nach Situation abweichen und ist ebenso wenig logisch stringent abzuleiten. Es bleibt also festzuhalten, dass sich diese Form der verhaltenspräskriptiven Literatur im weiteren Sinne zwar ebenfalls mit Umgangsformen befasst, diese jedoch mit einem Umweg über Werte und Mentalitäten zu greifen versucht. Das vermeintlich beobachtbare oder abfragbare Handeln wird – meist unter Rückgriff auf die jeweilige Landesgeschichte234 – abstrahiert, um aus dieser Abstraktion wiederum auf zu erwartendes Verhalten zu schließen.235 Aus dem realen Verhalten wird also auch hier das erwünschte ausgefiltert. Auch von dieser Warte aus betrachtet, kann also den beiden Textsorten – trotz ihrer Unterschiede in Bezug auf Ausrichtung und Anliegen – eine hinreichende Vergleichbarkeit unterstellt werden. Die Frage, ob die Erkenntnisse der Interkulturalisten letztlich deckungsgleich sind mit den Ergebnissen des direkten Vergleichs der Umgangsformen – wie es das Ziel des nachfolgenden Kapitels ist – wird am Ende der vorliegenden Arbeit beantwortet werden.

ganz gleich, wie aufrichtig oder mit welch guten Absichten das geschah.“ (Linton 1974, S. 48). 234 Vgl. Jammal 2009, S. 57. 235 Vgl. Jammal 2009, S. 56.

Vergleich amerikanischer und deutscher Business-Etikette

Für den anschließenden Vergleich erfolgte eine Auswahl von acht verschiedenen Themenbereichen bzw. Verhaltenskomplexen. Diese wurden so ausgesucht, dass sie einen Querschnitt durch den Berufsalltag der Zielgruppe (Führungskräfte, Manager etc.) darstellen und möglichst viele unterschiedliche Bereiche abdecken (z. B. verbale und nonverbale Höflichkeit; aus den Kategorien „Benehmen“ und „Ehrerbietung“1). Maßgeblich war zudem, dass die unter diesem Punkt zusammengefassten Umgangsformen in allen oder den meisten zum Vergleich herangezogenen Etikette-Ratgebern behandelt und die entsprechenden Verhaltensweisen außerdem in der interkulturellen Ratgeberliteratur als besonders konfliktträchtig dargestellt werden. Obwohl eine genaue und umfassende Analyse zusammenhängender Umgangsformen gegenüber einer aus dem Kontext gerissenen Gegenüberstellung einzelner Verhaltensregeln vielversprechend erscheint, sind der vorliegenden Arbeit den Umfang betreffend Grenzen gesetzt. Insofern werden drei der resultierenden Themenbereiche ausführlich behandelt und die übrigen acht in einem komprimierten Überblick zusammengefasst. Die gewählten Verhaltenskomplexe spiegeln jedoch die wichtigsten im Berufskollektiv der Geschäftsleute geltenden Benimmregeln wider, sodass die Gegenüberstellung insgesamt ein präzise nachgezeichnetes und akribisch belegtes Gesamtbild verspricht.

1

Goffman 2006, S. 332; vgl. Goffman 1971, S. 55f.

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D IE B EGRÜSSUNG PER H ANDSCHLAG Das Händeschütteln gilt sowohl in der amerikanischen als auch in der deutschen Geschäftswelt als das gebräuchlichste nonverbale Begrüßungsritual. Entsprechend ausführlich wird der handshake in den Business-Etikette-Ratgebern beider Länder beschrieben. Dabei wird von den Autoren nicht nur auf dessen Bedeutung und Funktion eingegangen, sondern auch geklärt, in welchen Situationen das Händeschütteln angebracht ist, wer die Initiative dazu ergreifen darf und wie der ideale Handschlag gelingt. Ein Vergleich der Umgangsformen in diesem Kontext soll Aufschluss darüber geben, inwieweit das Händeschütteln unter amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten unterschiedlichen Konventionen folgt oder ob beide Berufskollektive diese Form der Begrüßung womöglich identisch ausführen. Wie dem gesamten Vergleichsteil liegt also auch diesem Kapitel die Frage zugrunde, ob es sich bei den entsprechenden Verhaltensregeln um nationaltypische Eigenarten oder kollektivspezifische Gemeinsamkeiten handelt, bzw. ob die Parallelen oder Differenzen hier überwiegen. Für die Vertreter der Interkulturellen Kommunikation steht scheinbar fest, dass der Handschlag – wie so viele Aspekte eines beruflichen Zusammentreffens – ein potentieller Stolperstein beim Kontakt amerikanischer und deutscher Manager ist. Unterschiede bei dieser Form der Begrüßung vermuten aber neben den Interkulturalisten auch die Autoren einiger EtiketteRatgeber, die – meist am Ende oder als Anhang ihrer Werke – länderspezifische Informationen oder Tipps für internationale Begegnungen beinhalten. Ob und inwiefern sich diese Aussagen mit den Ausführungen in den Business-Knigge beider Länder decken, wird im Folgenden gezeigt. Bedeutung und Funktion Der Handschlag gilt unter den Autoren als Standardbegrüßung im Berufsleben. So schreiben etwa Cook et al. in ihrem Guide to Business Etiquette2 (2005): „Handshakes are the norm in the western world, so be prepared to shake hands in business settings.“3 Während hier also von der gesamten westlichen Geschäftswelt ausgegangen wird, beziehen sich Marjorie Brody und Barbara Pachter speziell auf amerikanische Manager, wenn sie auf die große Bedeutung des Hand-

2

Cook et al. 2005.

3

Cook et al. 2005, S. 25f.; so auch an anderer Stelle: „In Western culture, we take handshakes for granted. They are almost automatic in our business world […].“ (Cook et al. 2005, S. 101).

V ERGLEICH

AMERIKANISCHER UND DEUTSCHER

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schlags hinweisen: „In the currency of business encounters, the handshake is the dollar – the most frequent exchanged legal tender of American business transactions. As the most common of all forms of greetings […].“4 Als die „übliche Form des […] Grüßens“5 wird die Begrüßung per Händeschütteln auch von deutschen Autoren betrachtet, die die „heutige Tradition des Händereichens“6 weiterhin als „Ausdruck von Höflichkeit“7 bezeichnen. Was die Rolle des Handschlags im Berufsleben angeht, sind sich die Autoren beider Länder demnach einig. Eine weitere Parallele besteht darin, dass die große Bedeutung dieses Begrüßungsrituals aus dessen Geschichte heraus erklärt wird. Ausführlich schildern etwa Cook et al. den Ursprung des Händedrucks, den sie auf das Mittelalter zurückdatieren: „The practice of extending and shaking the right hand when greeting one another dates back to medieval times. In those days, men carried knives that functioned both as an eating utensil and as a weapon. Because anyone you met could be a threat, it became a common practice to extend your open hand as a nonthreatening gesture of greeting, showing that you came in peace.“8

Dass „wer dem anderen die bloße Hand reicht […] sich offensichtlich unbewaffnet“9 zeigte bzw. „dem Gegenüber eine leere Waffenhand signalisierte“10, ist auch laut Carolin Lüdemann das ursprüngliche Motiv des Händeschüttelns, das ihrer Meinung nach diese Form des Grußes damals wie heute zu einer „Geste des Vertrauens“11 machte. Und obwohl die Gefahr einer unvermittelten Messerattacke mit der Befriedung der Gesellschaft zunehmend abnahm, blieb diese – auch von anderen Autoren aus besagten Gründen als „sign of trust“12, „token of

4

Brody, Pachter 1994, S. 15.

5

Möllers 2005, S. 124.

6

Lüdemann 2009, S. 76f.

7

Wrede-Grischkat 1992, S. 53.

8

Cook et al. 2005, S. 9; so auch Brody und Pachter: „In the past, extending your hand in friendship demonstrated that you were unarmed.“ (Brody, Pachter 1994, S. 15); vgl. Whitmore 2005, S. 46f.; vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 31; vgl. Bixler 1984, S. 221; vgl. Henney 1922, S. 12.

9

Lüdemann 2009, S. 76f.

10 Lüdemann 2009, S. 76f. 11 Lüdemann 2009, S. 76f. 12 Brody, Pachter 1994, S. 15; Pachter et al. 1995, S. 14.

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goodwill“13, „token of friendship“14, „gesture of peace“15, „sign of peace“16 und „act of good will“17 bezeichnete – Verhaltensweise erhalten. Noch heute zählen die Autoren unabhängig von dem historischen Ursprung des Handschlags die vertrauensstiftende Wirkung zu einer seiner wichtigsten Funktionen im Berufsleben.18 Die These der Etikette-Experten, nach der das Händeschütteln dazu gedient hätte, dem Gegenüber seine friedlichen Absichten zu demonstrieren, wird auch in der Sekundärliteratur erwähnt. So beantworten Machwirth und von Jhering die „Frage nach dem sozialen Sinn des Handreichens“19 ebenfalls aus dessen Entstehungsgeschichte heraus und schreiben ihm im Ergebnis die Funktion einer „Friedensbotschaft“20 zu: „Wer nun die rechte Hand, welche die Waffe führt, erhob, versicherte damit den Verzicht auf den Gebrauch der Waffe.“21 Dass der Handschlag daraufhin zum „Symbol für jede Art von Bezeugung friedlicher Absicht und von ‚Friedensschluß‘ geworden“22 ist und völlig losgelöst von seiner ursprünglichen Intention fortbestehen konnte,23 ist ein Phänomen, das, wie im

13 Whitmore 2005, S. 46f. 14 Mitchell, Corr 2000, S. 31. 15 Bixler 1984, S. 221. 16 Henney 1922, S. 12. 17 Davis 2003, S. 235. 18 So Pachter et al.: „Shake hands. This affirms the connection and is a sign of trust and respect.“ (Pachter et al. 1995, S. 12; Hervorhebung im Original); so auch Whitmore: „Today, handshaking is still a sign of goodwill and mutual respect.“ (Whitmore 2005, S. 47); so auch Lüdemann: „So wundert es nicht, dass man noch heute sagt: Ein Handschlag schafft Vertrauen.“ (Lüdemann 2009, S. 76f.); so auch Pfister et al.: „Ein Händedruck demonstriert Vertrauen.“ (Pfister et al. 2005, S. 19). 19 Machwirth 1970, S. 10f. 20 Von Jhering 1905, S. 512f.; Machwirth 1970, S. 10f. 21 Machwirth 1970, S. 10f.; so auch von Jhering: „Wer den Fremden, dem er in einsamer Gegend oder im Walde begegnete, grüßte, verkündete ihm damit: ich nahe mich Dir nicht in feindlicher Absicht, du hast von mir nichts zu besorgen. Diese Versicherung konnte er durch die Tat nicht besser bekunden, als indem er ihm die Hand gab und zwar die rechte, welche die Waffe führt, damit war sie unschädlich gemacht.“ (Von Jhering 1905, S. 512f.). 22 Machwirth 1970, S. 10f. 23 So von Jhering: „Das Geben der Rechten hatte hier also nicht eine bloß symbolische, sondern eine praktische Bedeutung, es enthielt den tatsächlichen Verzicht auf den Gebrauch der Waffe.“ (Von Jhering 1905, S. 512f.).

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Theorieteil der vorliegenden Arbeit bereits erörtert24, von Gehlen unter dem Begriff der „Selbstzweckautorität“25 bekannt gemacht wurde. Bezugnehmend auf Gehlen erkennt auch Hansen zu Recht, dass das Händeschütteln als Standardisierung über eine solche „Selbstzweckautorität“ oder, wie er es nennt, „Eigenwertsättigung“ verfügt;26 die „Sinnfrage“ – um auf Gehlen zurückzukommen – ist durch das „habitualisierte Handeln“ suspendiert27, also überflüssig geworden. Da nun also der eigentliche Sinn und Zweck des Handschlags verloren gegangen ist und damit als Rechtfertigung nicht mehr greift, die Autoren ihren Lesern aber heute noch zutreffende Gründe für die große Bedeutung dieses Begrüßungsrituals liefern wollen, verweisen sie auf drei weitere Funktionen. Erstens betrachten sie übereinstimmend das Händeschütteln als Ausdruck von Respekt und Wertschätzung gegenüber demjenigen, dem man die Hand reicht. So bezeichnen etwa die amerikanischen Autorinnen Brody und Pachter den handshake als „important symbol of respect“28, eine Ansicht, der sich viele weitere Kollegen anschließen.29 Und auch von deutscher Seite wird mit entsprechendem Wortlaut argumentiert, wie bei Wrede-Grischkat, die den Handschlag gleichfalls für ein „Zeichen besonderen Respekts“30 hält, das zusätzlich ein „größeres persönliches Interesse am Anderen signalisiert“31, also Wertschätzung

24 Vgl. Kapitel Selbstzweckautorität und nachträgliche Rationalisierung. 25 Gehlen 1956, S. 69; so auch an anderer Stelle: „Das Umschlagen von Handlungsverläufen und Gewohnheiten in die Eigengesetzlichkeit, ihre Emanzipation von ersten Bedürfnissen und ihre Selbststeigerung zum Eigenwert [...]. Die zahlreichen Institutionen, unter die wir subsumiert sind, die sich von den ursprünglichen Motiven längst abgelöst haben und nun kraft ihres Selbstzweck-Umschlagens eine verpflichtende Autorität geltend machen, sind kaum aufzuzählen.“ (Gehlen 1956, S. 67f.). 26 So Hansen: „Ich reiche die Hand nicht aus persönlichem inneren Antreib, sondern lasse mich von der kulturellen Außensteuerung leiten, die mich von der subjektiven Motivation entlastet. Ohne darüber nachzudenken, vielleicht sogar ohne es zu merken, ergreife ich die Hand meines Bekannten und drücke sie. Wie in vielen anderen Situationen des Alltags folge ich einer Routine, die mir hilft, schnell und richtig, also normal zu handeln. ‚Die Sinnfrage‘ ist ‚suspendiert‘, wie Gehlen sagt, und an ihre Stelle tritt die ‚Eigenwertsättigung‘ der Standardisierung.“ (Hansen 2011, S. 122). 27 Gehlen 2004, S. 68; vgl. Gehlen 1956, S. 69. 28 Brody, Pachter 1994, S. 15. 29 Vgl. Casperson 1999, S. 11; vgl. Whitmore 2005, S. 47; vgl. Pachter et al. 1995, S. 12ff. 30 Helbach-Grosser 2007, S. 36. 31 Wrede-Grischkat 1992, S. 53.

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vermittelt. Martin Möllers greift beide Aspekte ebenfalls auf32; eine Parallele, die jedoch aufgrund des berechtigten Verdachts, dieser habe für seinen BusinessKnigge33 bei Wrede-Grischkat abgekupfert und präsentiere deren Thesen in nur leicht abgewandelter Formulierung, nicht weiter überrascht. Doch auch Harald und Burkhard Schäfer vertreten die Meinung, der Händedruck sei „Ausdruck von Höflichkeit und des gegenseitigen Achtens der Persönlichkeit.“34 Zweitens geben die Autoren zu bedenken, das Händeschütteln würde Rückschlüsse auf den Akteur zulassen35, sodass, wer einen guten Eindruck vermitteln möchte, hierbei besonders achtsam sein sollte. Entsprechend argumentiert etwa die amerikanische Autorin Davis: „Your handshake is your opportunity to give a favorable impression of your personality and your character.“36 Das bedeutet laut ihrer Kollegin Dana May Casperson im Konkreten, dass die beruflichen Fähigkeiten des Gegenübers an einem fünf Sekunden dauernden Handschlag abgelesen werden, wobei am Ende dieser kurzen Geste ihrer Meinung nach ein schwer zu revidierendes Urteil über Professionalität, Glaubwürdigkeit und Selbstvertrauen des Anderen stehe.37 Wer ernst genommen werden und die verdiente Anerkennung bekommen wolle, müsse den formvollendeten Handschlag beherrschen, meinen auch Brody und Pachter.38 Obwohl diese Wirkungsweise von den deutschen Autoren nicht ganz so häufig genannt wird, finden sich auch unter ihnen Stimmen, die sich, wie hier Hanisch, entsprechend äußern: „Diese Art des Händedrucks hinterlässt einen guten Eindruck. Wer die Hände so schüttelt, wird als aufgeschlossen, gewissenhaft, verträglich, positiv gestimmt, offen und zugewandt eingestuft.“39

32 Vgl. Möllers 2005, S. 120 und S. 124. 33 Möllers 2005. 34 Schäfer, Schäfer 2000, S. 182. 35 So Pachter et al.: „Like it or not, you often are judged by the quality of your handshake.“ (Pachter et al. 1995, S. 14); so auch Bixler: „A handshake is a wonderful business gesture. […] It gives you an opportunity to ‚say‘ a lot about yourself and to learn something about the person with whom you are shaking hands.“ (Bixler 1984, S. 221). 36 Davis 2003, S. 5; so auch Whitmore: „The type of handshake you extend speaks volumes about you and your intentions.“ (Whitmore 2005, S. 47); so auch Davis: „[…] most basic exercise for making a positive impression, the business handshake.“ (Davis 2003, S. 5); vgl. Fox 2008, S. 11. 37 Vgl. Casperson 1999, S. 11. 38 Vgl. Brody, Pachter 1994, S. 15; vgl. Pachter et al. 1995, S. 14. 39 Hanisch 2003, S. 42f.

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Die dritte und letzte Funktion, die sowohl deutsche als auch amerikanische Autoren dem Händeschütteln zuschreiben, ist die Herstellung einer persönlichen Verbindung zwischen den sich Begegnenden. Entscheidend hierfür ist, so die These Caspersons, der „physical link between two people“40, die Berührung der beiden Hände. An anderer Stelle konkretisiert sie ihre Aussage und zeigt, inwiefern sich diese persönliche Beziehung positiv auf den geschäftlichen Erfolg auswirken könne: „The initial connection between two individuals is an opportunity to establish rapport and positive chemistry. An immediate bond develops from the touch of a hand and sets the tone for conversation and future business association, leading to a productive relationship.“41 Dass der „Händedruck […] den normalen Kundenkontakt auf eine besondere Ebene [hebt]“42, insofern als „[d]ie Begrüßung mit Handschlag […] als die persönlichste Art der Kontaktaufnahme empfunden [wird]“43, behaupten gleichermaßen die deutschen Autoren. Auch sie würden auf die Frage, wie genau das Händeschütteln dabei hilft, eine persönliche Beziehung aufzubauen, antworten, der Körperkontakt sei entscheidend.44 So schreibt etwa Horst Hanisch: „Die Hand geben schafft auf jeden Fall Nähe. Alleine schon körperliche Nähe. Genau genommen gibt es nichts Intimeres als einen anderen Menschen von Haut zu Haut zu berühren.“45 Bleibt festzuhalten, dass die Autoren dem Handschlag übereinstimmend insgesamt vier Funktionen zuschreiben. Die erste, die von beiden Seiten aus der Geschichte dieser Begrüßungsgeste heraus begründet wird, betrifft dessen vertrauensstiftende Wirkung. Darüber hinaus gilt das Händeschütteln als Ausdruck von Respekt; es ermöglicht, einen positiven Eindruck zu hinterlassen und fördert die Herstellung einer persönlichen Verbindung zum Gegenüber. Dass es sich bei diesen Funktionen um wiederkehrende Annahmen der Autoren handelt, die scheinbar sowohl auf Umgangsformen an sich, als auch auf jede einzelne Vorschrift anwendbar sind, erschließt sich zum einen aus dem Vergleich des hier 40 Casperson 1999, S. 11; so auch an anderer Stelle: „The handshake is the first physical connection we have with the person and serves as the bond.“ (Casperson 1999, S. 11); so auch Baldrige und Gelles-Cole: „[I]t’s an important contact – a physical link – between two people.” (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 35); vgl. Pachter et al. 1995, S. 12; vgl. Davis 2003, S. 5. 41 Casperson 1999, S. 11. 42 Teusen 1997, S. 49. 43 Ruppert 2007, S. 55; so auch Hanisch: „Demnach scheint es in unserer Kultur schon etwas Gutes, Besonderes zu sein, einem anderen die Hand zu reichen.“ (Hanisch 2003, S. 41f.). 44 Vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 55; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 36. 45 Hanisch 2003, S. 41f.; vgl. Lüdemann 2009, S. 76f.; vgl. Ruppert 2007, S. 55.

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Gesagten mit dem Theorie- und Materialteil und wird zudem in den sich anschließenden Kapiteln verdeutlicht. Modalitäten der Ausführung Zunächst soll nun auf die konkreten Umgangsformen im Kontext des Handschlags eingegangen werden, wobei die Aussagen der Etikette-Experten jeweils gegenübergestellt und zusätzlich mit den Thesen der interkulturellen Ratgeber abgeglichen werden. Dabei wird etwa der Frage nachzugehen sein, welche Anlässe und Gelegenheiten nach einer Begrüßung per Handschlag verlangen. Außerdem soll geklärt werden, wem das Initiativrecht zusteht; wer also in welcher Personenkonstellation den Anstoß zum Händeschütteln geben darf. Wie diese Geste genau vonstatten geht, wie also ein idealer Handschlag aussehen sollte, ist ein weiterer Aspekt des Vergleichs. Dieser endet schließlich mit einer Gegenüberstellung der in den Ratgebern aufgezeigten Besonderheiten und Tabus. Anlässe und Gelegenheiten Es ist eine gängige These der Kulturknigge und international vergleichenden Kapitel der Business-Etikette-Bücher, dass der Handschlag in Kontinentaleuropa46 bzw. Deutschland besonders weit verbreitet ist, dass hier wahllos jede sich bietende Gelegenheit ergriffen werde, um einander die Hände zu schütteln. So schreibt etwa bereits John Whyte in seiner – als Vorläufer der interkulturellen Ratgeberliteratur zu bezeichnenden – Schrift American Words and Ways. Especially for German Americans47 (1952): „To Americans, Germans seem to be continually shaking hands. They shake hands when they meet and when they leave, on formal and informal occasions, apparently regardless of the degree of their friendship. They shake hands when they are introduced, when they receive a gift, when they are congratulated [...].“48 46 Großbritannien wird meist ausgeschlossen; so Fox: „An exception is Great Britain, where (as in the United States) an initial handshake may be the only one you receive.“ (Fox 2008, S. 284); so auch Post und Post: „[…] while in England a single introductory shake is considered sufficient.“ (Post, Post 1999, S. 488). 47 Whyte 1952. 48 Whyte 1952, S. 109; so auch Fenwick: „An important point in the Continental system of introductions is that one must shake hands on arrival, when being introduced, and when saying good-bye. […] As a week-end guest, one is expected to shake hands with one’s host and fellow guests at least twice a day, every day: when one says good morning and again when one says good night. The importance of this matter of shak-

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Doch handelt es sich bei dieser Annahme keinesfalls um ein Relikt aus Zeiten der Nationalcharakter-Forschung; vielmehr findet sie sich ebenso in Ratgebern neueren Datums. Entsprechend hält z. B. Ann Sabath den Handschlag für „quite common“49 in Europa und auch Fox betont, wie allgegenwärtig das Händeschütteln in der europäischen Geschäftswelt sei: „Handshakes are standard businessgreeting gestures throughout Europe and usually are exchanged both before and after every meeting, no matter how many meetings you’ve already had.“50 Doch, so argumentieren die Autoren weiter, schüttele man sich in Europa nicht nur außergewöhnlich häufig bei Begegnungen mit Einzelpersonen die Hände, sondern gebe auch in einer größeren Gruppe reihum jedem die Hand. Wichtig sei laut Pachter et al. außerdem, es nicht bei einer Begrüßung per Handschlag zu belassen, sondern auch zum Abschied jedem noch einmal die Hand zu reichen: „In […] Germany, France, Belgium, and most of the rest of Europe […], you must shake hands with everyone on arriving and leaving. Don’t stop halfway. […] When you part, do not simply ‚wave‘ goodbye to people. Shake hands.“51 Entsprechend sei es laut Hall unter deutschen Geschäftsleuten auch gang und gäbe, den Arbeitskollegen beim allmorgendlichen Betreten des Büros reihum die Hände zu schütteln.52 Elizabeth Post geht sogar so weit, Folgendes zu behaupten: „Many Europeans shake hands each time they meet, even if they have seen each other several times previously the same day. Americans traveling abroad should be prepared for this […].“53 Dass dieses kontinuierliche Händeschütteln, das angeblich typisch europäisch ist, für Amerikaner ungewohnt und irritierend sei, liegt nach Meinung der Interkulturalisten und Etikette-Experten daran, dass der Handschlag in den Vereinigten Staaten viel seltener praktiziert werde. Entsprechende Äußerungen finden sich etwa bei Whyte, der meint: „Americans shake hands much less frequently than Germans do“54; oder – etwas aktueller – bei Gesteland, der schreibt: ing hands cannot be overemphasized. It is considered extremely rude and casual not to follow the custom.“ (Fenwick 1948, S. 122). 49 Sabath 1993, S. 124. 50 Fox 2008, S. 284; so auch Post und Post: „The standard greeting throughout Europe is the handshake, for both men and women. […] Most continentals shake hands before and after every meeting […].“ (Post, Post 1999, S. 488). 51 Pachter et al. 1995, S. 286; so auch Post und Post: „Most Europeans shake hands all around when arriving at and leaving a place, or even when they meet each other on the street.“ (Post, Post 1975, S. 265); vgl. Fenwick 1948, S. 122. 52 Vgl. Hall, Hall 1983a, S. 57; vgl. Hall, Hall 1983b, S. 74f.; vgl. Sabath 1993, S. 124. 53 Post, Post 1975, S. 13. 54 Whyte 1952, S. 109.

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„In the U.S. people shake hands less often than most Europeans.“55 Selbst im beruflichen Kontext sei hier der Handschlag „nicht zwingend“56, was wiederum damit begründet wird, dass man „in den USA […] größere körperliche Distanz [wahre] als in Deutschland.“57 Inwieweit diese Thesen mit den Aussagen in den Business-EtiketteRatgebern übereinstimmen; ob „[d]ie Sitte des Händeschüttelns zur Begrüßung“ zu Recht „als germanisch [gilt]“58 und tatsächlich unter amerikanischen business people „eher unüblich“59 ist, soll im anschließenden Vergleich ermittelt werden. Da die Ratgeber keine Angaben zur Häufigkeit dieser Geste enthalten und diese kaum anderweitig zu erfassen ist, werden hierzu die Anlässe und Gelegenheiten, die laut den Etikette-Experten einen Handschlag erfordern, gegenübergestellt. Die Annahme, das Händeschütteln sei unter amerikanischen Geschäftsleuten „unüblich“ oder „nicht zwingend“, deckt sich in keiner Weise mit den Aussagen der Etikette-Experten, die etwa lauten: „In almost any business setting, a handshake is always appropriate“60 oder „It is always appropriate to shake hands in the business setting.“61 Wie außerdem bereits zu Beginn des Kapitels festgestellt, gibt es hinsichtlich der Bedeutung – und damit vermutlich auch bezüglich der Häufigkeit dieser Begrüßungsgeste – keine Unterschiede zwischen den beiden nationalen Berufskollektiven. Neben solch allgemeinen Hinweisen finden sich in den Ratgebern aber auch konkrete Situationen, in denen ein Handschlag für angemessen oder erforderlich erachtet wird. Zu den am häufigsten genannten Anlässen gehört das Händeschütteln im Zuge einer Vorstellung. Ausführlich beschreibt etwa Davis das Vorgehen: „If you are being introduced to someone by a third person, be quick to initiate the handshake at the beginning of your introduction.“62 In Übereinstimmung mit den

55 Gesteland 2003, S. 339; so auch Baldrige und Gelles-Cole: „It may be a sign of inhibition, but Americans shake less frequently than people from any other country.“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 35); so auch Nagiller: „Der Handschlag ist nicht so häufig wie in Europa.“ (Nagiller 2004, S. 267); so auch Stewart: „Americans shake hands less than Europeans do.“ (Stewart 1997, S. 224f.). 56 Commer, von Thadden 1999, S. 262. 57 Pfister et al. 2005, S. 20; so auch Thompson: „Greetings in the United States are brief and involve a minimum of physical contact.“ (Thompson 2004, S. 83). 58 Schönfeldt 1996, S. 135. 59 Pfister et al. 2005, S. 20. 60 Cook et al. 2005, S. 25. 61 Casperson 1999, S. 11. 62 Davis 2003, S. 8.

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meisten ihrer Kollegen63, bezeichnet auch Bowman den Handschlag als „power move in business introductions“64. Dass man sich die Hände reichen sollte, wenn „[m]an sich zum ersten Mal begrüßt bzw. kennen lernt“65, findet auch die Mehrheit der deutschen Autoren66, sodass davon ausgegangen werden kann, dass sich beide Berufskollektive gewohnheitsmäßig im Zuge einer Vorstellung die Hände schütteln. Obwohl der Handschlag gemäß amerikanischer Etikette auch als StandardBegrüßung unter bekannten Personen gilt67, bleibt diese Regel nicht ohne Einschränkung. So wird immer wieder betont, dass man sich im beruflichen Kontext nur die Hände schüttelt, wenn seit dem letzten Treffen einige Zeit vergangen sei: „In general, shake hands when you are […] [m]eeting someone you have not seen in a long time […].“68 Ein Händedruck sei außerdem angebracht, wenn man jemanden zufällig trifft, also etwa einem Kollegen auf der Straße begegnet, oder wenn man mit jemandem nur unregelmäßig zusammenkommt, z. B. mit einem Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung oder einem Geschäftspartner.69 In diesem Punkt – das legen die eingangs angeführten Aussagen Halls und Posts nahe 63 So Cook et al.: „In general, shake hands when you are: Meeting someone for the first time […].“ (Cook et al. 2005, S. 25); so auch Chaney und Martin: „During introductions both men and women stand, smile, and shake hands.“ (Chaney, Martin 2007, S. 6); so auch Casperson: „Shake hands whenever you are introduced to someone, whenever you introduce yourself to someone […].“ (Casperson 1999, S. 12); vgl. Brody, Pachter 1994, S. 18f.; vgl. DuPont 2008, S. 28; vgl. Post 1922, S. 20; vgl. Richardson 1925, S. 247. 64 Bowman 2007, S. 159. 65 Zacker 2004, S. 137. 66 So Hurton: „Vielmehr wird mit einem Händedruck […] jemand, der einem gerade vorgestellt wurde, begrüßt.“ (Hurton 1993, S. 50); vgl. Teusen 1997, S. 38; vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 16. 67 So Post: „All people who know each other, unless merely passing by, shake hands when they meet.“ (Post 1922, S. 20); vgl. Whitmore 2005, S. 47; vgl. Bowman 2007, S. 159. 68 Cook et al. 2005, S. 25; Hervorhebung im Original; so auch Pachter und Magee: „You should also shake hands when you see someone you haven’t seen in a while […].“ (Pachter, Magee 2006, S. 12); so auch Brody und Pachter: „When you see someone you haven’t seen in a long time […].“ (Brody, Pachter 1994, S. 18f.). 69 So Chaney und Martin: „Shake hands when meeting someone in an office, when running into someone outside of the office […].“ (Chaney, Martin 2007, S. 39); so auch Brody und Pachter: „When you encounter a business colleague outside the office.“ (Brody, Pachter 1994, S. 18f.); vgl. Casperson 1999, S. 12.

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– besteht eine vermeintliche Unvereinbarkeit zwischen dem Verhalten amerikanischer und deutscher Geschäftsleute, da letztere angeblich täglich der gesamten Abteilung per Handschlag „Guten Tag“ sagen und auch nichts daran fänden, dieses Ritual bei jedem Wiedersehen, sogar mehrmals am Tag, zu wiederholen.70 Tatsächlich jedoch sprechen die deutschen Business-Knigge eine andere Sprache. Auch unter deutschen Geschäftsleuten ist demnach der Handschlag „nicht alltäglichen Situationen“71 und „außergewöhnlichen Begegnungen“72 vorbehalten. Keinesfalls sei es erforderlich, sich ständig die Hände zu schütteln: „Ein Gruß unter Kollegen ist nur selten mit einem Handschlag verbunden. Jedem Mitarbeiter morgens die Hand zu reichen, das wäre auch sicher übertriebene Höflichkeit.“73 Zu den Situationen, in denen das Händeschütteln empfohlen wird, gehören – in dieser Frage ist man sich mit den amerikanischen Autoren einig – eine „Begrüßung nach längerer Abwesenheit (Urlaub, Krankheit, Kur etc.)“74 und unregelmäßige Begegnungen75. Allesamt teilen die deutschen Autoren Gertrud Teusens Meinung, dass der Händedruck unter Kollegen die Ausnahme sei und äußern diese mit Nachdruck76; eine Eindringlichkeit, die wiederum Zweifel daran aufkommen lässt, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in der These Halls stecken könnte. Tatsächlich finden sich in den Ratgebern auch explizite Hinweise darauf, dass es früher einmal denkbar oder sogar üblich war, sich jeden Mor70 Vgl. Hall, Hall 1983a, S. 57; vgl. Hall, Hall 1983b, S. 74f.; vgl. Sabath 1993, S. 124; vgl. Post, Post 1975, S. 13. 71 Wolff 1997, S. 75. 72 Hurton 1993, S. 50; Hervorhebung im Original. 73 Teusen 1997, S. 38. 74 Teusen 1997, S. 38; so auch Zacker: „Nach internationalen Regeln reicht man sich lediglich die Hand, wenn […] [m]an einen Menschen nach einem größeren Zeitraum wieder trifft.“ (Zacker 2004, S. 137); so auch Begemann: „Im hektischen Berufsalltag werden Sie Kollegen, Mitarbeiter oder Vorgesetzte nur im Ausnahmefall mit Handschlag begrüßen – etwa nach längerer Abwesenheit […].“ (Begemann 2008, S. 22); vgl. Wolff 1997, S. 75. 75 Vgl. Teusen 1997, S. 44. 76 So Hurton: „Jemanden, den Sie jeden Tag im Büro sehen, werden Sie nicht allmorgendlich per Handschlag begrüßen.“ (Hurton 1993, S. 50); so auch Wolff: „Wenn in einer großen Bürogemeinschaft beispielsweise jemand jeden Morgen aufs neue reihum jedem die Hand schüttelt, […] dann kann man nachvollziehen, daß andere das absolut nervig finden.“ (Wolff 1997, S. 75); so auch Zacker: „Wer morgens ins Büro kommt, wird seine Kollegen nicht tagtäglich reihum mit Handschlag begrüßen. Das wäre viel zu umständlich.“ (Zacker 2004, S. 136f.); vgl. Begemann 2008, S. 22; vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 16; vgl. Ruppert 2007, S. 57.

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gen per Handschlag zu begrüßen. So leitet etwa Christina Zacker ihren Ratschlag mit den Worten „[o]bwohl Sie wissen sollten, dass sich diese Sitte etwas gewandelt hat“ ein; Inge Wolff erwähnt, dass das tägliche Händeschütteln „nach der überlieferten Form“77 für höflich gehalten werde und Schäfer und Schäfer sprechen von der „alte[n] deutsche[n] Sitte des Händedrucks“78, die man heutzutage jedoch nur noch in bestimmten Situationen pflegen dürfe. Zu diesen gehört außerdem – auch in diesem Punkt herrscht Einvernehmen zwischen deutschen und amerikanischen Autoren – die Begrüßung eines Gastes, also z. B. eines Geschäftspartners, der zu einem Meeting im Büro erscheint. So meinen etwa Brody und Pachter, ein Handschlag sei angebracht, „[w]hen someone from the outside (a client, customer, vendor, or visitor) enters your office.“79 Auch Casperson hält es für eine „gesture of respect and courtesy“80, einen Besucher mit einem Händedruck zu empfangen. Diese Regel gilt ebenso unter deutschen Geschäftsleuten, wie etwa bei Petra Begemann deutlich wird: „Auch Geschäftspartner und Kunden, die zu Besuch in Ihrem Haus sind, werden Sie mit einem Händedruck begrüßen […].“81 Dass es bei größeren Gruppen in der deutschen Geschäftswelt üblich sei, jedem Einzelnen reihum die Hand zu schütteln, ist eine weitere den international vergleichenden Kapiteln der Etikette-Ratgeber entnommene These. Doch auch diese hält einem Abgleich mit den Aussagen der deutschen Autoren nicht stand, da diese mehrheitlich eine gegenteilige Ansicht vertreten: „Es gibt Situationen, in denen die Gruppe so groß ist, dass ein Händegeben zu zeitaufwändig wird. Hier ist oft ein begrüßendes Zunicken ausreichend.“82 „Aus praktischen Erwägungen“ sei es entsprechend „bei größeren Feiern“ nicht nötig, alle Anwesenden

77 Wolff 1997, S. 75. 78 Schäfer, Schäfer 2000, S. 16. 79 Brody, Pachter 1994, S. 18f.; so auch Mitchell und Corr: „The general rule for receiving visitors is that you should get up, come around your desk, greet the visitors with a handshake […].“ (Mitchell, Corr 2000, S. 18); vgl. Pachter et al. 1995, S. 72; vgl. Cook et al. 2005, S. 25. 80 Casperson 1999, S. 10; so auch an anderer Stelle: „You will also want to shake hands when someone enters your office […].“ (Casperson 1999, S. 12). 81 Begemann 2007, S. 42; so auch Wrede-Grischkat: „Im Normalfall steht man/frau zur Begrüßung eines Besuchers auf und reicht dem/der Eingetretenen die Hand.“ (WredeGrischkat 1992, S. 28). 82 Pfister et al. 2005, S. 20; so auch Ruhleder: „Treffen Sie – z.B. bei einer Party – auf eine Gruppe, so sind Sie nicht verpflichtet, alle Hände zu schütteln, ein freundliches Nicken genügt durchaus.“ (Ruhleder 2001, S. 13).

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per Handschlag zu begrüßen.83 Gleiches gilt für Umstände, in denen durch das Händeschütteln reihum „große Unruhe entstehen würde […] (z. B. während einer Sitzung oder beim Essen)“84: „Hier unterbleibt […] das Händeschütteln und es wird auf einen allgemeinen Gruß für alle nur mündlich geantwortet.“85 Abgesehen davon, dass der Händedruck folglich sowohl in den USA als auch in Deutschland eine im Berufsleben häufig anzutreffende Begrüßungsgeste darstellt, sprechen sich die Autoren beider Länder dafür aus, dem Gegenüber bei der Verabschiedung die Hand zu reichen. Susan Bixler etwa erinnert ihre Leser daran, dass der Handschlag am Ende eines Meetings den Eindruck, den man bei seinem Geschäftspartner hinterlässt, nachhaltig prägt: „Save some impact for the final handshake, the one administered before leaving a meeting. The old lastthing-said, first-thing-remembered saying still applies.“86 Und während Cook et al. der Meinung sind, man schüttele die Hände in diesem Kontext nur, „when you want to show extra respect“87, gilt der Handschlag unter der Mehrheit der amerikanischen Etikette-Experten auch als Standard-Abschiedsgeste.88 Gleiches trifft auf die deutsche Geschäftswelt zu; jedoch unter Kollegen nur, wenn ein besonderer Anlass gegeben ist, also etwa „wenn sich jemand für längere Zeit – Urlaub, Kur, vorübergehender Wechsel in eine andere Abteilung – verabschiedet“.89 Ganz ohne Einschränkung bleibt das Händeschütteln zum Abschied also weder unter amerikanischen noch unter deutschen Geschäftsleuten; insgesamt kann allerdings – vergleicht man die Aussagen der Autoren – festgehalten werden, dass dies in beiden nationalen Berufskollektiven üblich ist.

83 Hanisch 2005, S. 23; so auch Schönfeldt: „Lästig ist freilich die Händeschüttelei in großer Gesellschaft, aber da gilt es nicht als unhöflich, wenn man sich mit einem freundlichen Nicken von einem zum anderen wendet.“ (Schönfeldt 1996, S. 136); so auch Begemann: „In größerer Runde brauchen Sie nicht allen die Hand zu geben, dem/den Einladenden selbstverständlich schon.“ (Begemann 2007, S. 63). 84 Meyden 2008, S. 24f. 85 Meyden 2008, S. 24f. 86 Bixler 1984, S. 227. 87 Cook et al. 2005, S. 25; Hervorhebung im Original. 88 Vgl. Whitmore 2005, S. 47; vgl. Bowman 2007, S. 159; vgl. Pachter, Magee 2006, S. 12; vgl. Brody, Pachter 1994, S. 18f.; vgl. Chaney, Martin 2007, S. 39; vgl. Casperson 1999, S. 12. 89 Wolff 1997, S. 75; so auch Zacker: „Geht ein Mitarbeiter jedoch für ein paar Wochen in Urlaub oder in Kur, ist der Handschlag durchaus üblich.“ (Zacker 2004, S. 136f.); vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 16.

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Initiativrecht Obwohl die Business-Etikette also bestimmte Anlässe vorsieht, in denen ein Handschlag die angemessene Form der Begrüßung oder Verabschiedung darstellt, bleibt die Frage, wer in der konkreten Situation letztendlich die Entscheidung darüber trifft und das Händeschütteln initiiert. Die soziologische Sekundärliteratur zu Umgangsformen bzw. Höflichkeit bietet eine mögliche Antwort. Denn, wie eingangs bereits erläutert wurde, beruht die Bedeutung dieser Geste in der Herstellung von Körperkontakt und der damit verbundenen Distanzminimierung – sowohl physischer als auch sozialer Art – zwischen zwei Personen. Nun obliegt dieses „Entgegenkommen“90 aber stets dem Ranghöheren; eine Erkenntnis Machwirths, die er direkt auf das Händeschütteln anwendet: „Beim Handreichen wird der Abstand überbrückt, was äußerlich sichtbar gemacht wird in der Vereinigung der Hände. Das Rangdenken erlaubt es aber dem niedriger Gestellten nicht, sich selbst auf die höhere Stufe zu erheben. Daher kann und darf der Abstand nur von dem Ranghöheren überbrückt werden.“91

Machwirth zufolge erweist also der im Rang niedriger Gestellte Achtung, indem er die Distanz akzeptiert und dem Anderen keinesfalls einen Händedruck und damit den Hautkontakt aufzwingt.92 Diese „positiven Prioritäten“93, wie der Soziologe jene „Sollforderungen“94 der Höflichkeit oder Umgangsformen nennt, denen „einerseits der Gedanke der Achtung, andererseits der des Abstandes“95 zugrunde liegen, räumen dem Ranghöheren eben solche Initiativrechte – oder allgemein „räumliche und zeitliche Vorrechte“96 – ein. Übergeordnetes Ziel die-

90 Machwirth 1970, S. 179. 91 Machwirth 1970, S. 193f.; so auch Schürmann: „Zwar enthält auch dieser gleichbehandelnde Akt durch die Regel, daß der Geringergestellte das Handreichen des anderen abzuwarten hat, noch ein Element der Ungleichheit. Im ganzen wird jedoch durch den Händedruck die Ungleichheit formal abgemildert. Der Höhergestellte zeichnet den anderen, falls er ihm die Hand gibt, ja gerade dadurch aus, daß er sich formal mit ihm gleichstellt; nur die notwendige Einleitung dieser Handlung ist von Rangdifferenz geprägt.“ (Schürmann 1994, S. 166f.). 92 Vgl. Machwirth 1970, S. 179. 93 Machwirth 1970, S. 211f. 94 Machwirth 1970, S. 211f. 95 Machwirth 1970, S. 211f. 96 Machwirth 1970, S. 211f.

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ser Privilegien, die man mit Goffman auch als „avoidance rituals“97 bezeichnen könnte, ist es einerseits, die Sphäre, die den Höherrangigen umgibt, vor Verletzungen zu schützen.98 Wie ausgeprägt diese „taboos against contact“99 sind, hängt laut Goffman ebenfalls vom Rang der betreffenden Person ab, sodass gilt: Je höher der Rang, desto umfangreicher und ausgeklügelter die entsprechenden „Vermeidungsrituale“.100 Andererseits stehen dem Ranghöheren – und nur ihm – bestimmte Initiativrechte zu, die zu einem vertrauteren Umgang führen: „Between superordinate and subordinate we may expect to find asymmetrical relations, the superordinate having the right to exercise certain familiarities which the subordinate is not allowed to reciprocate.“101 In diesen Kontext fällt auch die Umgangsform, die dem Übergeordneten die Entscheidung über einen Handschlag überlässt, insofern als Körperkontakt eine außerordentliche Form der Vertraulichkeit darstellt. Bleibt zu fragen, ob sich die Aussagen Machwirths und Goffmans mit den in den Business-Etikette-Ratgebern festgehaltenen Verhaltensregeln zum Handschlag decken. Die Argumentation der deutschen Autorin Lüdemann steht in völligem Einklang mit den Erkenntnissen der beiden Soziologen: „Jede Begrüßung in Form eines Händedrucks dringt in die Distanzzone des Gegenübers ein. Das Berühren eines Menschen stellt ein Privileg dar, das nicht erzwungen werden darf, sondern gewährt werden muss. In der Folge obliegt die Entscheidung, wie man sich begrüßt, dem Ranghöheren.“102

Dass es grundsätzlich „dem ‚Mächtigeren‘ überlassen bleiben“103 sollte, über den Handschlag und damit den „Grad der Annäherung“104 zu bestimmen, ist auch die These Bonneaus und gilt ihrer Meinung nach uneingeschränkt „auch bei flachen Hierarchien.“105 Entsprechende Aussagen finden sich in beinahe allen zum Ver97

Def. avoidance rituals: „avoidance rituals, taking the form of proscriptions, interdictions, and taboos, which imply acts the actor must refrain from doing lest he violate the right of the recipient to keep him at a distance.“ (Goffman 1956, S. 486f.); in der deutschen Übersetzung: „Vermeidungsrituale“ (Goffman 2006, S. 326).

98

Vgl. Goffman 2006, S. 326.

99

Goffman 1956, S. 481.

100 Vgl. Goffman 1956, S. 481; vgl. Goffman 2006, S. 326. 101 Goffman 1956, S. 481; vgl. Goffman 2006, S. 327. 102 Lüdemann 2009, S. 74. 103 Bonneau 2002, S. 14. 104 Bonneau 2002, S. 14. 105 Bonneau 2002, S. 14.

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gleich herangezogenen deutschen Business-Knigge106 – eine Einstimmigkeit und Eindringlichkeit der Autoren, die nahe legt, dass dieser Aspekt in der deutschen Geschäftswelt besonders wichtig ist. Für ein striktes Befolgen dieser Faustregel spricht auch, dass, sollte der Höherrangige aus unbestimmten Gründen sein Vorrecht nicht wahrnehmen, dem Gegenüber keine Wahl bleibt und der Handschlag in der Konsequenz unterbleibt.107 Die einzige in der deutschen Business-Etikette vorgesehene Ausnahme betrifft das Privileg des Gastgebers, das Händeschütteln zur Begrüßung seiner Gäste – und zwar ungeachtet des Rangs der Beteiligten – zu initiieren.108 Entsprechend äußert sich etwa Susanne Helbach-Grosser: „Gastgeberinnen […] genießen Hausrecht und reichen die Hand zuerst. Das macht die ganze Sache einfach, denn auch die Assistentin wird Besucher an der Pforte abholen und mit einem herzlichen ‚Willkommen‘ ihre Hand ausstrecken.“109 Dass der „Hausherr“ per Handschlag darüber entscheiden darf, wen er in seinem Wirkungskreis empfängt, ist auch für Bonneau das dieser Umgangsform zugrunde liegende Motiv: „Gilt dieses Merkmal [Rang] nicht, lautet die Regel: Der Gastgeber reicht dem 106 So Möllers: „Höhergestellte reichen den rangniedrigeren Personen zuerst die Hand.“ (Möllers 2005, S. 124); so auch Teusen: „Die Hand zum Gruß zu reichen ist ein Privileg des Chefs. Die Initiative sollte nicht vom Mitarbeiter ausgehen.“ (Teusen 1997, S. 44); so auch Helbach-Grosser: „‚Hohe Tiere‘ strecken als erste die Hand aus.“ (Helbach-Grosser 2007, S. 34); so auch Wolff: „Chefinnen und Chefs haben prinzipiell das Recht der Entscheidung, ob sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handschlag begrüßen wollen oder nicht.“ (Wolff 1997, S. 18); so auch Begemann: „Beim Händeschütteln allerdings greift auch heute noch die ‚Rangregel‘: Ihr Boss wird Ihnen die Hand anbieten, nicht Sie ihm.“ (Begemann 2008, S. 22); vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 182f.; vgl. Meyden 2008, S. 14; vgl. Adam 2007, S. 111; vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 15; vgl. Ruppert 2007, S. 56; vgl. Pfister et al. 2005, S. 203; vgl. Klein 2005, S. 33. 107 So Helbach-Grosser und Hofmann: „Eigentlich müsste Ihnen der Ranghöhere die Hand reichen, tut es aber nicht? Vielleicht möchte er ja in diesem Moment keinen Hautkontakt oder – falls er sich auch sonst wie die Axt im Wald benimmt – er weiß es nicht besser. In beiden Fällen halten Sie sich zurück und denken sich Ihren Teil.“ (Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 55). 108 So Adam: „Einzige Ausnahme: Wenn Sie einen Gast empfangen, so reichen Sie diesem zuerst die Hand, egal ob er ‚über‘ oder ‚unter‘ Ihnen steht.“ (Adam 2007, S. 111). 109 Helbach-Grosser 2007, S. 34; so auch Klein: „Kommt Besuch ins Unternehmen, reicht der Gastgeber die Hand.“ (Klein 2005, S. 33); vgl. Möllers 2005, S. 124; vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 122.

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Gast die Hand und nimmt ihn so in sein Revier auf.“110 Und während Meyden zwar gleicher Ansicht ist wie ihre beiden Kolleginnen, erkennt sie einen weiteren – aus der Geschichte des Handschlags und dessen Funktion als Friedensbotschaft abgeleiteten – Beweggrund: „Gastgeber – privat oder geschäftlich – geben immer die Hand zuerst. Sie zeigen dadurch nicht nur, dass der andere sicher ist (‚kein Dolch in der Hand‘), sondern laden damit den Gast auch auf ihr Territorium ein.“111 Ob nun aus hierarchischen Gründen oder aus seiner Rolle als Gastgeber heraus, auch der Organisator eines Bewerbungsgesprächs (Personalreferent oder Arbeitgeber) hat das Recht, den Anstoß zum Händedruck zu geben. So schreiben Graff und Schaupp beispielsweise, „ein Bewerber [sei] gut beraten, wenn er nicht mit ausgestreckter Hand auf den Personalchef zustürm[e]“112 und raten ihren Lesern stattdessen zu folgendem Vorgehen: „Lächeln Sie und warten Sie ab, bis der Interviewer Ihnen die Hand reicht […].“113 Dass sich die gleiche Anweisung in lediglich leicht abgewandelter Formulierung auch bei Wolff findet114, liegt daran, dass die Autoren immer wieder aufeinander Bezug nehmen oder sich gegenseitig kopieren, wie es in diesem Fall Graff und Schaupp getan haben.115 Stellt der Rang kein auf die Situation anwendbares Kriterium dar und ist auch nicht eine der beteiligten Personen der Gastgeber, wird das Alter der Betreffenden maßgebend. Laut Birgit Adam gilt dann für den Handschlag: „Bei gleicher Ranghöhe reicht die ältere Person der jüngeren die Hand […].“116 Dem Jüngeren bleibt in einer solchen Personenkonstellation nur abzuwarten, „ob man ihm die Hand reicht“117; er darf andernfalls nicht selber die Hand zum Gruß ausstrecken. Stellt sich die Frage, wie die Initiative zum Händeschütteln unter amerikanischen Geschäftsleuten geregelt ist; insbesondere, ob auch hier der Rang der ent110 Bonneau 2002, S. 14. 111 Meyden 2008, S. 23. 112 Graff, Schaupp 2006, S. 16; vgl. Quittschau, Tabernig 2007, S. 11. 113 Graff, Schaupp 2006, S. 91. 114 So Wolff: „Ein potentieller Azubi ist also gut beraten, wenn er es sich beispielsweise bereits beim Vorstellungsgespräch verkneift, auf den Interviewer mit ausgestreckter Hand loszustürmen.“ (Wolff 1997, S. 18). 115 Der Verdacht gründet im Erscheinungsjahr der beiden Etikette-Ratgeber und der Tatsache, dass Wolffs Werk bei Graff und Schaupp nicht als Quelle angeführt wird. 116 Adam 2007, S. 111; so auch Bonneau: „Ansonsten reicht die ältere Person der jüngeren die Hand […].“ (Bonneau 2002, S. 14); vgl. Wolff 1997, S. 18; vgl. Möllers 2005, S. 124; vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 15f. 117 Schönfeldt 1996, S. 136.

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scheidende Maßstab ist. Denn glaubt man den interkulturellen Ratgebern, so „scheint Amerikanern die deutsche Achtung vor gesellschaftlichem Rang sehr ungewöhnlich und ungerechtfertigt“.118 Immer wieder behaupten etwa die beiden Interkulturalistinnen Slate und Schroll-Machl, der amerikanische „Kommunikationsstil [sei] weitgehend unabhängig“ von dem „Status- und Rollenverhältnis“119 zwischen den Beteiligten, anders als in der deutschen Geschäftswelt, wo der „Abteilungsleiter unter Umständen den Arbeitern nicht einmal die Hand [geben]“ würde.120 Unter amerikanischen Geschäftsleuten seien die Umgangsformen vielmehr durch ein ausgeprägtes „Gleichheitsdenken“121 gekennzeichnet: „Im unmittelbaren Kontakt sind auf der Beziehungsebene die existierenden Unterschiede zu nivellieren, und im Kommunikationsstil ist eine egalitäre Beziehung herzustellen, die jeden anderen als Gleichen behandelt.“122 In diesem Kontext überrascht es nicht weiter, dass beispielsweise die amerikanische EtiketteExpertin Fox im international vergleichenden Kapitel ihres Ratgebers folgende These über das Verhalten europäischer Geschäftsleute aufstellt: „It’s customary to let […] those of higher rank extend their hands first in Europe.“123 Dass es sich hierbei keinesfalls um ein europäisches oder deutsches Spezifikum handelt, zeigt die Auswertung amerikanischer Ratgeber. Denn auch hier gilt laut Mitchell und Corr allgemein: „Behavior in the business world is based on rank.“124 Und diese Orientierung an der hierarchischen Position der Beteiligten äußert sich unter anderem in folgender Verhaltensanweisung: „Wait for a seniorranking officer in your company to initiate the handshake when you meet.“125 Und obwohl auch andere amerikanische Autoren diese Ansicht teilen, scheint ihnen die Durchsetzung dieses Vorrechts weit weniger wichtig zu sein als ihren deutschen Kollegen. Dafür spricht, dass sich in den Ratgebern – verglichen mit den deutschen Pendants – weit seltener entsprechende Vorschriften finden und diese auch nicht uneingeschränkt gelten. So sollte zwar laut Pachter und Co118 Kalberg 2000, S. 136. 119 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 39f.; so auch Konstroffer: „Diese Einstellung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen rührt daher, dass es in Amerika ein Hierarchiedenken, so wie es in Deutschland und Europa häufig besteht, traditionell nicht gibt. Allgemein ist die Hierarchie in Unternehmen daher auch flacher.“ (Konstroffer 2000, S. 90f.); vgl. Konstroffer 2000, S. 39; vgl. Konstroffer 2000, S. 117. 120 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 39f. 121 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 43. 122 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 43; vgl. Slate, Schroll-Machl 2006, S. 39. 123 Fox 2008, S. 284. 124 Mitchell, Corr 2000, S. 13. 125 Davis 2003, S. 7.

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leman der Ranghöhere die Hand zuerst ausstrecken, aber: „If he or she still has not extended a hand, extend yours. The important thing is that you shake hands.“126 Hier offenbart sich ein Unterschied zu den deutschen Ratgebern, denen zufolge in einer solchen Situation strikt nach der Rangregel gehandelt wird und der Handschlag unterbleibt. Eine weitere Modifikation der Rangregel betrifft das Händeschütteln zu Beginn eines Vorstellungsgesprächs. Denn während unter deutschen Geschäftsleuten hier ebenfalls die Initiative z. B. vom Personalchef ausgehen muss, wird es von amerikanischen Etikette-Experten für förderlich gehalten, selbst den Anstoß zum Händedruck zu geben: „Upon meeting the interviewer, make eye contact and offer a firm handshake. Etiquette mavens and those with interviewing and hiring responsibilities recommend that you take the initiative in shaking hands as this shows leadership and assertiveness.“127 Abgesehen davon, dass dieses entschlossene Vorgehen Führungsvermögen und Durchsetzungskraft demonstriert, geht es dabei laut Bowman auch darum, an einem frühen Punkt in der Beziehung die Oberhand zu gewinnen bzw. Kontrolle zu erlangen.128 Solche strategischen Überlegungen liegen den deutschen Autoren fern; hier gilt es, unbedingt den Rang des Gegenübers zu beachten und einem Übergeordneten gegebenenfalls den Vortritt zu lassen. In der Annahme, dass auch der Gastgeber gegenüber seinen Gästen ein Initiativrecht beim Handschlag innehabe, sind sich die Autoren beider Länder ebenfalls nicht ganz einig. Zwar gibt es einerseits Stimmen unter den amerikanischen Etikette-Experten, die diese These bestätigen, wie etwa Davis, die schreibt: „Rise from behind your desk and initiate a handshake when someone – your guest – walks into your office.“129 Andererseits behaupten jedoch beispielsweise Chaney und Martin, diese Regel sei veraltet und heute würde der Gast zuerst die Hand

126 Pachter, Coleman 2006, S. 24; so auch Brody und Pachter: „Usually the higherranking person should extend a hand first, but if he or she doesn’t, you should.“ (Brody, Pachter 1994, S. 16). 127 Chaney, Martin 2007, S. 6. 128 So Bowman: „Offer your hand. […] Acquiring control early on in the relationship should be your goal. Therefore, initiate the handshake, and take control during this first moment of encounter.“ (Bowman 2007, S. 31). 129 Davis 2003, S. 7; so auch an anderer Stelle: „Wait for the other person to initiate the handshake when you walk into that person’s private office.“ (Davis 2003, S. 7); so auch Stewart: „Whenever you greet visitors to your office, be prepared, as the host, to extend your hand first.“ (Stewart 1997, S. 52).

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reichen.130 Anders als von Helbach-Grosser gefordert131, würde in der amerikanischen Geschäftswelt ebenso wenig die Sekretärin einen Besucher am Empfang mit einem Handschlag begrüßen.132 Obwohl das Alter auch in amerikanischen Etikette-Ratgebern als Kriterium genannt wird,133 scheint dieser Aspekt den Autoren weniger wichtig als ihren deutschen Kollegen, die weitaus häufiger darauf hinweisen, dass es dem Älteren obliege, einen Händedruck zu initiieren. Eine Frage, die in den vorliegenden Ausführungen bislang ausgeklammert blieb, in den Business-Etikette-Büchern selber allerdings beachtlichen Raum einnimmt, ist, ob es bezüglich des Handschlags geschlechterspezifische Besonderheiten gibt. Glaubt man den interkulturellen Ratgebern, ist es in den Vereinigten Staaten üblich, die Initiative der Frau abzuwarten, da diese als ranghöher betrachtet wird. Diese Ansicht vertritt nicht nur Oppel in seinem Business Knigge International134 (2006), in dem er schreibt: „Dabei reicht bei offiziellen Anlässen wie üblich der Ranghöhere als Erster die Hand, beziehungsweise die Frau.“135 Auch Morrison et al. äußern sich in ihrem Handbuch mit dem klingenden Titel Kiss, Bow, or Shake Hands136 (1994) entsprechend: „Men usually wait for women to offer their hand before shaking.“137 Im Gegensatz dazu behaupten Pachter und Coleman, diese Regel träfe auf das amerikanische Geschäftsleben nicht 130 Vgl. Chaney, Martin 2007, S. 109; so auch an anderer Stelle: „In office settings, the visitor extends the hand first during greetings.“ (Chaney, Martin 2007, S. 39). 131 Vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 34. 132 So Stewart: „A secretary who goes out to the reception area on behalf of her boss to greet a visitor does not offer to shake hands, but should be prepared to if a hand is extended.“ (Stewart 1997, S. 51). 133 So Fenwick: „If a younger man is being introduced to an older one, for example, he must not put out his hand unless the older man has first done so.“ (Fenwick 1948, S. 57); so auch Martin: „The point is that the higher-ranking person – socially this means women before men […] and the greater age and more exalted positions before the younger and less significant – either sticks out a hand or doesn’t.“ (Martin 1983, S. 80). 134 Oppel 2006. 135 Oppel 2006, S. 37. 136 Morrison et al. 1994. 137 Morrison et al. 1994, S. 409; so auch Training Management Corporation: „U.S. women usually expect the man to let them take the initiative in shaking hands.“ (Training Management Corporation 1997, S. 181); so auch Axtell: „Ebenso wie sie erwartet, daß die Initiative beim Händeschütteln ihr überlassen wird.“ (Axtell 1991, S. 43).

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mehr zu, gelte jedoch in vielen anderen Gegenden der Welt nach wie vor: „Outside the United States, men may still need to wait for the woman to extend her hand.“138 „Amerikanerinnen“, das behauptet hingegen auch Johanna Marius, „erwarten und wünschen [...] keine Sonderbehandlung.“139 Die Aussagen der übrigen Business-Etikette-Experten scheinen diesen in den USA registrierten Wandel zu bestätigen. Tatsächlich war es etwa Sabath zufolge früher einem Mann nicht gestattet, den Handschlag mit einer Dame zu initiieren: „Many men were reared to believe it was improper to initiate a handshake with a woman. When the role of women was strictly ‹raising the family› and perhaps belonging to a garden club, the initiation of a handshake by a man was perceived as overly aggressive.“140 Da Sabath und die übrigen Autoren keine näheren Angaben dazu machen, wann diese Vorschrift revidiert wurde, bietet sich hier der Blick in ältere amerikanische Etikette-Ratgeber an. Um 1920 äußern Edith Ordway, Emily Post und Anne Richardson übereinstimmend die Ansicht, es schicke sich nicht für einen „gentleman“, einer „lady“141 die Begrüßung per Handschlag aufzudrängen.142 Dass diese Konvention bis 1960 fortbestand, zeigt Margaret Bevans, die ebenfalls der Frau das Initiativrecht beim Handschlag zuspricht: „A 138 Pachter, Coleman 2006, S. 24; so auch Training Management Corporation (über deutsche Geschäftsleute): „When introduced to a woman, wait to see if she extends her hand first before offering to shake.“ (Training Management Corporation 1997, S. 363). 139 Marius 2012, S. 90. 140 Sabath 1993, S. 131; so auch DuPont: „There was a time, not too long ago, when the rules of etiquette dictated that a man should wait for a woman to offer her hand first.“ (DuPont 2008, S. 26); so auch Bixler: „Back in the era of buggies and bustles, before women had made their mark in the business world, it was considered improper for a man to offer a woman his hand. He had to wait for her to make the offer, then he was expected to give her a delicate half shake.“ (Bixler 1984, S. 222); vgl. Pachter, Coleman 2006, S. 24. 141 Ordway 1920, S. 82. 142 So Ordway: „A gentleman when greeting a lady never takes the initiative in handshaking.“ (Ordway 1920, S. 82); so auch Post: „When a gentleman is introduced to a lady, she sometimes puts out her hand […]. Strictly speaking, it is always her place to offer her hand or not as she chooses […].“ (Post 1922, S. 7); so auch an anderer Stelle: „Gentleman always shake hands when they are introduced to each other. Ladies rarely do so with gentlemen who are introduced to them […].“ (Post 1922, S. 20); so auch Richardson: „When introduced to a woman, he takes his cue from her. If she extends her hand, he takes it quickly, otherwise he makes no motion to shake hands with her.“ (Richardson 1925, S. 247).

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woman is supposed to be the one to offer her hand when she meets a man, and she may or may not, as she likes.“143 Andererseits warnen die Autorinnen allesamt, das bewusste Übergehen einer dargebotenen Hand sei ein unverzeihlicher Fauxpas: „[B]ut if he puts out his hand, it is rude on her part to ignore it. Nothing could be more illbred than to treat curtly any overture made in spontaneous friendliness. No throughbred lady would ever refuse to shake any hand that is honorable, not even the hand of a coal heaver at the risk of her fresh white glove.“144

Insofern wird die durch den Rang zugestandene Entscheidungsgewalt – sei die Position nun durch die innerbetriebliche Hierarchie oder das Geschlecht gekennzeichnet – erneut relativiert: Während die Rangregel zwar grundsätzlich auch gemäß amerikanischer Etikette gilt, wird nicht um jeden Preis – hier die Demütigung des Rangniedrigeren – daran festgehalten; eine Erkenntnis, die eine Annäherung an die Lehrmeinung der Interkulturalisten und deren These vom geringen Hierarchiebewusstsein in den USA darstellt. Ein Punkt, in dem sich die beiden Genres der interkulturellen Ratgeber und der Etikette-Bücher wiederum unterscheiden, ist der hohe Grad an Differenziertheit, den letztere aufweisen. So behauptet etwa auch Richardson noch 1925, das Händeschütteln sei zwischen Frauen unüblich145, schränkt diese Aussage jedoch hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit ein: „Women do not shake hands with women on all occasions, especially when they are introduced at social functions. […] However, business and professional women and women who meet in charity or welfare work shake hands on being introduced, just as men do.“146 Mit dieser Adaption der beschriebenen Umgangsformen an die Zielgruppe, in diesem 143 Bevans 1960, S. 4. 144 Post 1922, S. 7; so auch Bevans: „But it would be rude to refuse to shake hands with a man who had offered his first and leave him with hand hanging in mid-air.“ (Bevans 1960, S. 4). 145 Vgl. Richardson 1925, S. 247; so auch Bevans: „Women don’t usually shake hands with other women, though there is no reason why they shouldn’t. Again, you certainly wouldn’t ignore a proffered hand.“ (Bevans 1960, S. 4). 146 Richardson 1925, S. 247; so auch Pachter et al.: „For many reasons, women often hesitate to shake hands with other women. Many women in business today were taught not to shake hands […]. In social encounters, women remain less likely to use a handshake with other women as part of the greeting. However, in business settings women should work through any initial awkwardness and shake hands with other women […].“ (Pachter et al. 1995, S. 16).

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Fall das Subkollektiv berufstätiger Frauen, und an den Kontext, hier den Rahmen gemeinnütziger Aktivitäten, könnte man sich ein Stück weit näher an der Realität bewegen – und das, obwohl Etikette-Bücher Idealvorstellungen präsentieren und keinesfalls den Anspruch an sich stellen, die Realität zu beschreiben, wie dies hingegen interkulturelle Ratgeber tun. Dass in den amerikanischen Etikette-Ratgebern auch der Kulturwandel nicht außer Acht gelassen wird, zeigt sich am oben angeschnittenen Beispiel. Denn während es mindestens bis Mitte des 20. Jahrhunderts geschlechterspezifische Regeln zum Handschlag gab, gelten diese heute unter den Autoren als rückständig und überholt. So bezeichnen etwa Pachter et al. das traditionelle Vorrecht der Frau als „gender myth“147; eine Regel also, die längst keine Geltung mehr habe: „The handshake is not a gender greeting. Both men and women should shake hands – men with men and women, women with women and men.“148 Die übrigen amerikanischen Etikette-Experten schließen sich mehrheitlich dieser Ansicht an.149 Einige unter ihnen warnen sogar davor, eine Geschäftsfrau vor den Kopf zu stoßen, indem man ihr nicht oder nur zögerlich die Hand reicht: „But men, if a woman doesn’t take the initiative, for heaven’s sake get that hand out there. I guarantee you will offend most of today’s women more by not offering your hand.“150 Ebenso ist es in der amerikanischen Geschäftswelt akzeptiert, dass Frauen sich untereinander mit Handschlag begrüßen.151 Einzig Davis rät ihren Lesern dazu, der Frau die Initiative zu überlassen, denn „some women of certain ages and areas of the country have never learned to shake hands with strangers 147 Pachter, Coleman 2006, S. 24. 148 Pachter, Coleman 2006, S. 23; so auch Casperson: „There is no gender distinction when using your handshake […].“ (Casperson 1999, S. 12); so auch an anderer Stelle: „Gender is not a determinate on whether to shake hands or not.“ (Casperson 1999, S. 11); so auch Bowman: „There are no gender considerations when it comes to the business handshake.“ (Bowman 2007, S. 31). 149 So DuPont: „There was a time, not too long ago, when the rules of etiquette dictated that a man should wait for a woman to offer her hand first. No longer. Equality governs today: either party may extend a hand first.“ (DuPont 2008, S. 26); so auch Post und Post: „Until recently it was considered polite for a man to wait for a woman to extend her hand, but this is no longer customary – especially in business. Furthermore, women should shake hands with other women, even if hesitant to do so. Today a handshake is usually expected, regardless of one’s gender.“ (Post, Post 1999, S. 269); so auch Fox: „Women shake hands in business, as men do.“ (Fox 2008, S. 48); vgl. Pachter, Magee 2006, S. 43f.; vgl. Stewart 1997, S. 225. 150 Sabath 1993, S. 131; Hervorhebung im Original; vgl. Bixler 1984, S. 222. 151 Vgl. Martin 1983, S. 80.

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and may be reluctant to do so.“152 Doch auch sie räumt ein, dass das Händeschütteln heute für die überwiegende Mehrheit der Geschäftsfrauen alltäglich sei.153 Eine etwas undurchsichtigere Meinungslage zeichnet sich unter den deutschen Autoren ab. Auch hier kennt man die Benimmregel, nach der es einem Mann untersagt ist, einer Frau aus eigenem Antrieb die Hand zu reichen. Begemann hält diese Konvention jedoch – wie ihre amerikanischen Kollegen – für unzeitgemäß: „Sie müssen dabei als Mann auch nicht mehr abwarten, bis Ihnen eine Frau die Hand reicht.“154 Und obwohl der Großteil der Etikette-Experten die Frage nach geschlechterspezifischen Beschränkungen oder Besonderheiten beim Händeschütteln ausklammert, finden sich einige Hinweise darauf, dass die Frau in der deutschen Geschäftswelt doch noch ein gewisses Vorrecht genießt. Teusen beispielsweise meint „Die Frau biete[…] dem Herrn die Hand an“155. Auch Adam, Ruhleder und Bonneau weisen darauf hin, dass – wohlgemerkt nach der hierarchischen Position und dem Alter einer Person – das Geschlecht ein Kriterium für das Initiativrecht beim Handschlag sein könne.156 Entscheidet sich eine Frau gegen das Händeschütteln, gelte es aber auch hier, das Gegenüber nicht bloßzustellen: „Jede Frau hat das Recht, das Zeichen zum Händeschütteln zu geben und andererseits den Handschlag zu vermeiden. Sie muß es nur so elegant tun, daß der oder die Partner(in) nicht dumm dasteht mit schon ausgestreckter Hand. Jemand so stehenzulassen, wäre wiederum beleidigend.“157

Insgesamt vermittelt die – verglichen mit den amerikanischen Pendants – eher magere Quellenlage den Eindruck, die deutschen Autoren hätten sich noch nicht gänzlich von der traditionellen Sichtweise verabschiedet. Andererseits könnte der Mangel an entsprechenden Textstellen auch dafür sprechen, dass die Etikette-Experten – abgesehen von einigen konservativen Einzelnen – den Handschlag 152 Davis 2003, S. 7f. 153 Vgl. Davis 2003, S. 7f. 154 Begemann 2007, S. 42; vgl. Begemann 2008, S. 22. 155 Teusen 1997, S. 49. 156 So Adam: „Bei gleicher Ranghöhe reicht die ältere Person der jüngeren die Hand, die Dame dem Herrn.“ (Adam 2007, S. 111); so auch Ruhleder: „Die Hand reicht stets der Ranghöhere. Die Dame also dem Herrn, der ältere Herr dem jungen Mann. Und eine recht junge Dame wird ebenfalls abwarten, bis der ältere Herr die Bereitschaft zum Handschlag signalisiert.“ (Ruhleder 2001, S. 21); vgl. Bonneau 2002, S. 14. 157 Schönfeldt 1996, S. 136.

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wie selbstverständlich als geschlechtsneutrale Geste betrachten und diese Tatsache für nicht weiter erwähnenswert halten. Wie auch immer dieser Unterschied zu interpretieren ist, fest steht, dass diese Frage von amerikanischen und deutschen Autoren nicht ganz einheitlich beantwortet wird. Vollzug „The firmness and duration of the handshake also change, depending on the location“158, schreiben Pachter et al. in dem international vergleichenden Kapitel ihres Etikette-Ratgebers. Beispielhaft fügen die Autoren hinzu: „The standard American shake – a firm, solid grip with two or three pumps – doesn’t apply in Europe, for instance, where generally one small pump will do.“159 Dass der Handschlag speziell in Deutschland zwar – wie auch in den Vereinigten Staaten – kräftig ausfalle, jedoch ohne die dort übliche Auf- und Abbewegung der Hände etwas kürzer andauere, wird vielfach in den Ratgebern behauptet.160 Inwieweit sich das Händeschütteln in der amerikanischen und deutschen Geschäftswelt bezüglich des konkreten Vollzugs und der Qualität unterscheidet, soll nun anhand der entsprechenden Etikette-Vorschriften nachvollzogen werden. Dass der ideale Handschlag unter amerikanischen Geschäftsleuten kräftig sein sollte, wird in der Literatur – wie z. B. im Folgenden bei Whitmore – durchwegs bestätigt: „Americans seem to prefer handshakes that are on the firm side rather than soft […].“161 Bixler geht noch weiter, indem sie diesen Anspruch als typisch amerikanisch charakterisiert: „A good robust handshake is very American.“162 Um jedoch den Fehlschluss zu vermeiden, dies bedeute, die Hand des Gegenübers mit aller Kraft zusammenzupressen, relativieren viele Autoren ihre Aussage und ermahnen ihre Leser dazu, das richtige Maß zu finden: „Provide a

158 Pachter et al. 1995, S. 284. 159 Pachter et al. 1995, S. 284; so auch Fox: „European handshakes are more formal and less buddy-buddy than those in the United States, with a quick grasp and release being the norm. In most European countries, handshakes are firm […].“ (Fox 2008, S. 284). 160 So Training Management Corporation: „Always shake hands, firmly but briefly, when introduced to a German man.“ (Training Management Corporation 1997, S. 363; eigene Hervorhebung); so auch Sabath: „When doing business in Germany...Be sure [to] give a firm and hearty handshake.“ (Sabath 2002, S. 168); so auch Chaney und Martin: „The German handshake is firm and brusque […].“ (Chaney, Martin 2007, S. 157); vgl. Pachter et al. 1995, S. 285. 161 Whitmore 2005, S. 47. 162 Bixler 1984, S. 223.

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firm handshake, but not a bone-breaking one.“163 Ein solch übermäßig fester Handschlag wird von den Autoren als „bonecrusher“164 oder „bone-crushing handshake“165 bezeichnet und unter anderem wegen seines schmerzhaften Charakters abgelehnt. Zusätzlich – diese Interpretation findet sich vielfach in der amerikanischen Literatur – ließe ein derart grobes Verhalten Rückschlüsse auf den Akteur zu und werde etwa gewertet als Zeichen von: „fear or resentment“166, „dominance or control“167 oder „extreme competitiveness“168. Zur Vermeidung dieser negativen Konsequenzen für beide Seiten empfehlen die Autoren, die Stärke des Händedrucks der Kraft oder dem Körpergewicht der anderen Person anzupassen.169 Dennoch halten es beispielsweise die Autorinnen Whitmore und Bixler für herablassend170 bzw. erniedrigend171, wenn ein Mann aus falscher Rücksichtnahme die Hand einer Frau nur ganz sachte drückt oder lediglich die Fingerspitzen ergreift.172 Diese Art des Handschlags wird bildhaft von amerikanischen Etikette-Experten als „dead mackerel“173, „dead fish“174 oder „little wimpy, fishy handshake“175 bezeichnet und löst ihrer Meinung nach – wie ihr genaues Gegenstück, der „bonecrusher“, auch – eine Reihe negativer Assoziati-

163 Pachter et al. 1995, S. 15; so auch Sabath: „It should be firm enough to display your sense of confidence without being a bonecrusher.“ (Sabath 1993, S. 47). 164 Bixler 1984, S. 223–226; Sabath 1993, S. 47. 165 Brody, Pachter 1994, S. 16; vgl. DuPont 2008, S. 25. 166 Bixler 1984, S. 223–226. 167 Fox 2008, S. 80; vgl. Brody, Pachter 1994, S. 16; vgl. DuPont 2008, S. 25. 168 Bixler 1984, S. 223–226. 169 So Cook et al.: „Shake firmly but considerately. Gauge your handshake to the strength of the person whose hand you are shaking.“ (Cook et al. 2005, S. 25); so auch Sabath: „If you’re shaking hands with someone whose body weight is much less than yours, then lighten up!“ (Sabath 1993, S. 47). 170 Vgl. Whitmore 2005, S. 48. 171 Vgl. Bixler 1984, S. 223–226. 172 So Whitmore: „Although a man may mean well, some women feel it is condescending when a man shakes her hand delicately and gently grasps only the tips of her fingers rather than connecting palm to palm.“ (Whitmore 2005, S. 48); so auch Bixler: „The other extreme is the man who still thinks of women as frail little flowers who might be done in by a firm handshake. He gives a limp, condescending shake […].“ (Bixler 1984, S. 223–226). 173 Bixler 1984, S. 223–226. 174 Bevans 1960, S. 4. 175 Yager 2001, S. 17f.

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onen aus: „It indicates lack of character, enthusiasm, confidence176, and just about everything else that is valued in business. No one gives a wet noodle any credibility. It can also indicate hostility or resentment.“177 Diese Liste negativer Attribute wird von den Autoren noch fortgesetzt. So kennzeichne ein schlaffer Händedruck außerdem desinteressierte und reservierte178 Personen, denen es an Entschlossenheit mangele179. Während laut Marjabelle Stewart eine solche Einschätzung im Privatleben keine gravierenden Nachteile mit sich bringe, sei sie im beruflichen Bereich ein nicht zu unterschätzendes Manko: „Perhaps in no other realm of modern life is a firm handshake more important than in business. Friends can and will overlook a limp handshake; a competitor is likely to size you up as a wimp and be that much tougher on you in your business dealings.“180 Auch in diesem Punkt gelten also je nach (Sub-)Kollektiv oder Kontext, in dem man sich bewegt, verschiedene Regeln bzw. die allgemein gültigen Vorschriften unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Dringlichkeit. Bleibt zu fragen, ob die entsprechenden Verhaltensideale auch im Vergleich der beiden nationalen Berufskollektive variieren; ob also die Qualität des Handschlags in der deutschen Geschäftswelt von der oben beschriebenen abweicht. Grundsätzlich stimmen die Autoren darin überein, dass der Händedruck kräftig sein sollte. Doch auch die deutschen Etikette-Experten raten ihren Lesern dazu, einen Mittelweg zwischen übermäßigem Druck und völliger Kraftlosigkeit zu finden: „Ein Händedruck sollte bestimmt sein. Nicht zu soft, aber auch nicht zu hart.“181 Wie ihre amerikanischen Kollegen, nutzen auch sie bildhafte Ausdrücke, um die verschiedenen Formen eines missglückten Handschlags zu beschreiben: 176 Vgl. Fox 2008, S. 80. 177 Bixler 1984, S. 223–226; so auch Casperson: „a weak handshake may be interpreted as ‚I’m unsure of myself and I’m uncomfortable being here and meeting you‘.“ (Casperson 1999, S. 11); so auch DuPont: „Your handshake says a lot about you. A firm handshake […] shows confidence, warmth, openness, and sincerity; a weak, limp handshake indicates just the opposite.“ (DuPont 2008, S. 25); vgl. Fox 2008, S. 78; vgl. Brody, Pachter 1994, S. 16. 178 Fox 2008, S. 80. 179 Vgl. Sabath 2002, S. 4; vgl. Fox 2008, S. 80. 180 Stewart 1997, S. 52. 181 Pfister et al. 2005, S. 203; so auch Helbach-Grosser: „Ein kurzer, fester Händedruck ist die beste körpersprachliche Visitenkarte.“ (Helbach-Grosser 2007, S. 35); so auch Möllers: „[…] die Hand geben [...] und zwar korrekt nicht zu fest und nicht zu lasch.“ (Möllers 2005, S. 120); so auch Adam: „[…] greifen Sie nicht zu fest, aber auch nicht zu lasch zu.“ (Adam 2007, S. 31); vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 91.

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„Manche ‚Handgeber‘ sind unmöglich. Wir alle kennen den ‚toten Fisch‘ (kurz, feuchtkalt und kraftlos) und den Knochenbrecher (kurz, aber brutal), der den Ring schmerzhaft ins Fleisch drückt. Dann gibt es da noch den Schraubstock (lang und brutal), den ‚Mehr bekommst du nicht von mir‘ (Fingerspitzen flüchtig gereicht) […].“182

Doch nicht nur die Gleichnisse entsprechen denen der amerikanischen Autoren, auch die Deutungsmuster weisen eindeutige Parallelen auf. So werde ein schlaffer Händedruck – auch als „toter Fisch“183, „Gummihand“184, „Waschlappen“185 oder „kraftlos-weiche ‚Hasenpfote‘“186 bezeichnet – dem Gegenüber als Manifestation von Unsicherheit187, Pessimismus188, mangelnden „Durchsetzungsvermögens“189, „Unentschlossenheit oder geringe[r] Belastbarkeit“190 sowie als Ausdruck eines fehlenden „Rückgrats“191 oder eines „schwachen Charakters“192 angelastet. Das genaue Gegenteil – der „Schraubstock-Händedruck“193 oder „Schraubzwingengriff“194 – ist auch nach Meinung der deutschen Autoren unbedingt zu vermeiden, da man „angesichts der schmerzenden Finger nicht unbedingt für besonders sympathisch“195 gehalten werde. Wie Cook et al. und Sabath rät auch Ruppert ihren Lesern dazu, den beim Handschlag ausgeübten Druck

182 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 56f. 183 Graff, Schaupp 2006, S. 91; Lüdemann 2009, S. 77f. 184 Pfister et al. 2005, S. 19. 185 Quittschau, Tabernig 2007, S. 13. 186 Begemann 2008, S. 23; vgl. Ruppert 2007, S. 58. 187 Teusen 1997, S. 25; vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 9. 188 Vgl. Lüdemann 2009, S. 77f. 189 Lüdemann 2009, S. 76f. 190 Ruppert 2007, S. 58. 191 Graff, Schaupp 2006, S. 91. 192 Hanisch 2003, S. 43. 193 Lüdemann 2009, S. 77f.; vgl. Ruppert 2007, S. 57f. 194 Begemann 2008, S. 23; vgl. Begemann 2007, S. 42; vgl. Pfister et al. 2005, S. 19. 195 Begemann 2007, S. 42; so auch Ruhleder: „Energisch und kräftig sollte er sein, allerdings nicht so energiegeladen, dass Ihrem Gegenüber Tränen des Schmerzes in die Augen steigen.“ (Ruhleder 2001, S. 13); so auch Pfister et al.: „Ein Händedruck braucht Gefühl. Manche Männer zeigen […] nicht sehr viel davon. Sie praktizieren die Nussknacker-Methode: drücken, bis es knackt. Wenn Sie im Gesicht Ihres Gegenübers eine Spur von Schmerz erkennen, ist es also höchste Zeit, Ihren Händedruck zu korrigieren.“ (Pfister et al. 2005, S. 19); vgl. Wolff 1997, S. 75; vgl. Ruppert 2007, S. 57f.

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dem Körperbau des Anderen anzupassen.196 Wer dies nicht tut, werde – wie bereits von Seiten der amerikanischen Autoren behauptet – von seinen Geschäftspartnern als übermäßig dominant197 oder gespielt selbstbewusst198 empfunden. Während der Vergleich also bezüglich der Qualität des Händedrucks keine Unterschiede ergibt, könnte die Dauer etwas variieren. Da jedoch nicht alle Autoren konkrete Zeitangaben machen, wird hier in erster Linie die Zahl der Aufund Abbewegungen gegenübergestellt. Die Frage, aus wie vielen dieser sogenannten pumps ein Handschlag idealerweise bestehen sollte, wird von amerikanischen Etikette-Experten nicht ganz einheitlich beantwortet. Während Bixler und DuPont etwa meinen, ein Händedruck wäre eher ein gegenseitiges Umfassen der Hände und erfordere keine weitere Bewegung („no pumping“199), spricht die Mehrheit der amerikanischen Autoren von zwei bis drei Auf- und Abbewegungen200 und einer Dauer von ebenfalls zwei bis drei Sekunden.201 Auch ein oder zwei pumps seien zweier Ratgebern zufolge ausreichend.202 Tatsächlich scheinen sich die Gewohnheiten amerikanischer und deutscher Geschäftsleute in diesem Punkt etwas zu unterscheiden; zumindest legen das die Aussagen der deutschen Autoren nahe. Denn diese sprechen sich beinahe ausnahmslos gegen das wortwörtliche „Schütteln“ der Hände aus: „Aber schütteln Sie nicht die Hand Ihres Gegenübers, sondern reichen Sie die Hand mit einem kurzen, nicht zu festen Druck.“203 Dass der deutsche Begriff des Händeschüttelns 196 Vgl. Ruppert 2007, S. 57f. 197 Vgl. Lüdemann 2009, S. 77f. 198 Vgl. Teusen 1997, S. 25. 199 Bixler 1984, S. 223; vgl. DuPont 2008, S. 25. 200 So Pachter und Magee: „Two to three pumps is enough.“ (Pachter, Magee 2006, S. 12); so auch Mitchell und Corr: „It lasts no longer than 2 or 3 seconds and is comprised of no more than two or three pumps.“ (Mitchell, Corr 2000, S. 30f.); so auch Pachter et al.: „Two, possibly three, pumps are enough. Then drop your hand.“ (Pachter et al. 1995, S. 15); vgl. Davis 2003, S. 6; vgl. Yager 2001, S. 17f. 201 Vgl. Chaney, Martin 2007, S. 39; vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 30f. 202 Vgl. Chaney, Martin 2007, S. 39; vgl. Stewart 1997, S. 52. 203 Hanisch 2005, S. 23; so auch Pfister et al.: „Die Hand wird gereicht und nicht geschüttelt.“ (Pfister et al. 2005, S. 203); so auch Helbach-Grosser und Hofmann: „Ein kurzer, fester Händedruck ist die beste körpersprachliche Visitenkarte. Aber nur drücken, nicht schütteln!“ (Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 57); so auch Lüdemann: „Starkes Schütteln der Hände ist meistens unerwünscht. Deshalb sprechen wir lieber von einem Händedruck, statt vom Händeschütteln.“ (Lüdemann 2009, S. 77f.); so auch Begemann: „Don’ts: das ‚Schütteln‘ allzu wörtlich nehmen (ein kurzer Händedruck genügt).“ (Begemann 2008, S. 23); vgl. eload24 AG 2010, S. 17.

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folglich irreführend ist, erkennen auch die Etikette-Experten, die diese sprachliche Widersprüchlichkeit jedoch zu entkräften versuchen, indem sie weiter differenzieren. So handele es sich bei der „allgemein akzeptierten Begrüßungsformel“ um den „Händedruck“, bei dem keine Auf- und Abbewegung erfolge204, wohingegen das „Händeschütteln […] [t]ypisch für Gratulationen“ sei: „Die Hände umfassen sich beim Händeschütteln für einige Sekunden und werden rhythmisch auf und ab bewegt.“205 Die einzige Autorin, die Letzteres als angemessene Begrüßungsgeste betrachtet, ist Ruppert206; obwohl auch sie ihre Aussage relativiert: „Höfliche Menschen reichen die Hand und dehnen diese Pumpbewegungen nicht allzu weit aus.“207 Die wenigen konkreten Zeitangaben, die sich in der Literatur finden208, sprechen von ein bis zwei209 bzw. drei bis vier210 Sekunden, sodass hinsichtlich der Dauer des Handschlags kein nennenswerter Unterschied zu den Aussagen der amerikanischen Autoren besteht. Die sogenannten pumps hingegen scheinen unter amerikanischen Geschäftsleuten tatsächlich weiter verbreitet zu sein; hier praktiziert man der Definition Lüdemanns zufolge weniger einen Händedruck als vielmehr ein Händeschütteln. Die übereinstimmende Dauer dieser Begrüßungsgeste könnte darin begründet liegen, dass die Hände der Beteiligten in beiden Fällen zwar gleich lange gehalten oder gedrückt werden, in der deutschen Geschäftswelt jedoch die Bewegung wegfällt. Während sich die Interkulturalisten also bezüglich der Qualität des Handschlags mit Recht bedeckt halten, schildern sie an anderer Stelle ein angeblich typisch amerikanisches Begrüßungsszenario. Hierbei kommt neben der rechten Hand, die den Händedruck vollzieht, auch die linke zum Einsatz: „American business men may slap each other on the back and grab one another by the elbow or upper arm to express friendliness.“211 Diese These Gestelands wird von Rem-

204 Lüdemann 2009, S. 77. 205 Lüdemann 2009, S. 77; so auch an anderer Stelle: „Je nachdem, um welche Art des Handreichens es sich handelt, fällt der Händedruck ganz unterschiedlich aus. Bei der Gratulation dauert er meistens ein paar Sekunden länger und ist mit guten Wünschen verbunden.“ (Lüdemann 2009, S. 76). 206 So Ruppert: „[…] die Hände umfassen sich und werden meist in kurzen Intervallen auf und ab bewegt.“ (Ruppert 2007, S. 57). 207 Ruppert 2007, S. 58. 208 Vgl. Lüdemann 2009, S. 76. 209 Vgl. Pfister et al. 2005, S. 203. 210 Vgl. Lüdemann 2009, S. 77f. 211 Gesteland 2003, S. 339.

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bor bestätigt und als Unvereinbarkeit mit der deutschen Geschäftswelt charakterisiert: „Dazu gehört auch, dass der Amerikaner Körperkontakt als neutral bis positiv empfindet, während es in Deutschland als tabu gilt, jemanden zu berühren. Wenn ein US-Boss seine Mitarbeiter motiviert, gehört das sprichwörtliche Schulterklopfen dazu, man berührt sich leicht am Ellbogen oder gibt sich einen ‚Knuff‘ […]. Hierzulande ist dieses Verhalten höchst selten.“212

Anhand einer Illustration (siehe Darstellung 4) verdeutlicht auch der Interkulturalist Axtell den „typisch amerikanisch[en] – und einfach nicht auszurotten[den] – […] kräftige[n] Schlag auf den Rücken“.213 Einschränkend fügt er jedoch hinzu: „Es mag für Sie ein kleiner Trost sein, daß viele Amerikaner den kumpelhaften Schulterschlag genauso wenig mögen wie Sie.“214 Ob der angeblich unter amerikanischen Geschäftsleuten weit verbreitete Schulterklopfer und die Berührung des Unterarms auch in den Business-Etikette-Ratgebern bemängelt wird und inwieweit sich die Autoren beider Länder in dieser Frage einig sind, wird sich im Folgenden zeigen. Tatsächlich halten die amerikanischen EtiketteExperten eine über den Handschlag hinausgehende Berührung des Gegenübers für unangebracht. Entsprechend äußert sich etwa Davis: „Never involve your left hand in a handshake. Placing it […] on the left arm or elbow of the other person is considered insincere […].“215

212 Rembor 2004, S. 97; so auch Axtell: „Männer untereinander schütteln sich häufiger die Hände als Frauen. Meistens drücken sie zusätzlich noch mit der linken Hand den rechten Unterarm ihres Gegenübers.“ (Axtell 1991, S. 93). 213 Axtell 1991, S. 94. 214 Axtell 1991, S. 94. 215 Davis 2003, S. 7.

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Darstellung 4: „Auch wenn’s weh tut – der kräftige Schlag auf den Rücken ist bei US-Amerikanern ein Zeichen der Wertschätzung.“

Allgemein sei jede Form von Körperkontakt – dieser Meinung sind auch Mitchell und Corr, DuPont und Bixler – im beruflichen Kontext abzulehnen: „Except for the handshake, touching is taboo in the business area.“216 Dieses Verbot erstrecke sich, so Mitchell und Corr weiter, sowohl auf das sogenannte „back-slapping“ als auch das „bicep-grasping“.217 Die einzige Ausnahme unter den Autoren ist Sabath, die meint, unter einander gut bekannten Geschäftsleuten könne die Berührung an Arm oder Schulter zusätzliche Wärme vermitteln.218 Doch bei der Begrüßung eines Fremden hält auch sie diese Geste für unhöflich, da sie als „invasion of territory“219 interpretiert und daher als unangenehm empfunden werden könne.220

216 Mitchell, Corr 2000, S. 33; so auch DuPont: „In business situations, never […] put your hand on their shoulder […] or touch them in any other way. Be respectful of their personality style; not everyone feels comfortable with touching.“ (DuPont 2008, S. 26); so auch Bixler: „It [the handshake] is very likely the only physical contact you will have in a business encounter.“ (Bixler 1984, S. 221). 217 Mitchell, Corr 2000, S. 33; so auch Bixler: „Back-slapping, arm-grabbing and punching all have the potential to offend, but a handshake is always appropriate in a business situation.“ (Bixler 1984, S. 221). 218 Vgl. Sabath 2002, S. 5f. 219 Sabath 2002, S. 5f. 220 Vgl. Sabath 2002, S. 5f.

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Dass sich das Gegenüber durch eine derartige Berührung „bedrängt und eingeengt“221 fühlen könnte, ist auch die Meinung Lüdemanns und einer Reihe weiterer deutscher Autoren. Doch völlig fremd scheint ein solches Verhalten auch deutschen Geschäftsleuten nicht zu sein, wie ebenfalls Lüdemann ausführt: „In manchen Verkaufsratgebern oder -seminaren wird empfohlen, den anderen zusätzlich am Ellbogen oder Oberarm anzufassen, um dadurch besonderes Vertrauen zu signalisieren.“222 Doch aus oben genannten Gründen rät die Autorin ihren Lesern von dieser zudringlichen Geste ab.223 Als „zu vertraulich und distanzlos, gegebenenfalls auch gönnerhaft“224 bewertet auch Ruhleder die Hinzunahme der linken Hand, um den Arm des Gesprächspartners anzufassen. Neben dieser Form der „Tätschelei“225, wie Pfister et al. es formulieren, wird auch von deutscher Seite das Schulterklopfen als – insbesondere im Berufsleben – normwidrig eingestuft.226 Doch auch unter deutschen Etikette-Experten gibt es eine Ausnahme: Wie Sabath meinen auch Schäfer und Schäfer: „Sind Männer einander sehr bekannt, pflegen einige auch zeitgleich neben dem Handschlag ein kräftiges Schlagen mit der linken Hand auf die Schultern des anderen.“227 So bleibt als Vergleichsergebnis festzuhalten, dass sich hinsichtlich der oben beschriebenen Tabus keine nennenswerten Unterschiede zwischen den BusinessEtikette-Ratgebern ergeben haben. Ein Schulterklopfer und dergleichen wird von den Autoren beider Länder abgelehnt, wobei sie – verglichen mit den interkulturellen Ratgebern – in ihren Aussagen weiter differenzieren. So steht nach der Analyse der Etikette-Bücher etwa fest, dass dieses Phänomen in beiden Geschäftskulturen eher männlich geprägt ist, im Privatleben häufiger akzeptiert wird als im beruflichen Kontext und je nach Bekanntschaftsgrad der Beteiligten 221 Lüdemann 2009, S. 78f. 222 Lüdemann 2009, S. 78f. 223 Vgl. Lüdemann 2009, S. 78f. 224 Ruhleder 2001, S. 13. 225 Pfister et al. 2005, S. 19. 226 So Pfister et al.: „Vermeiden Sie: Tätscheleien, d.h. mit der linken Hand den Rücken oder die Schulter tätscheln.“ (Pfister et al. 2005, S. 19); so auch Meyden: „Ein kumpelhafter Klaps auf den Rücken, wie Männer es gelegentlich tun, […] werden bei uns eher dem Privatleben zugeordnet.“ (Meyden 2008, S. 23); so auch eload24: „Sicherlich ist es ein sehr herzlicher und inniger Ausdruck, die Hand eines anderen zur Begrüßung oder zur Verabschiedung zu ergreifen und womöglich mit beiden Händen regelrecht zu umschließen. Aber diese Form gehört wie Schulterklopfen und Umarmung allein in den familiären Umgang.“ (eload24 AG 2010, S. 18); vgl. Hanisch 2005, S. 24. 227 Schäfer, Schäfer 2000, S. 183.

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mehr oder weniger deplatziert erscheint. All diese Informationen, welche die Formen des Umgangs natürlich noch komplexer und damit schwerer erfassbar machen, wurden in den eingangs zitierten interkulturellen Ratgebern ausgeklammert bzw. unter dem Schlagwort „typisch amerikanisch“228 vereint. Fazit: Unterschiede und Gemeinsamkeiten beim Handschlag Die eingangs gestellte Frage, ob der Handschlag unter deutschen und amerikanischen Geschäftsleuten unterschiedlichen Konventionen folgt, kann so pauschal nicht beantwortet werden. Vielmehr weisen die Umgangsformen diesbezüglich sowohl Übereinstimmungen als auch Gegensätze auf. Was die Häufigkeit bzw. Anlässe angeht, sind sich die Autoren beider Länder einig. Hiermit ist die These der Interkulturellen Kommunikation, die besagt, das Händeschütteln sei in der amerikanischen Geschäftswelt eher unüblich, entkräftet. Auch die dem Initiativrecht zugrunde gelegten Kriterien (hierarchische Position, Gastgeberrolle, Alter und Geschlecht) gelten grundsätzlich in beiden nationalen Berufskollektiven, wobei ihre Dringlichkeit oder Relevanz teilweise unterschiedlich bewertet wird. Das Vorrecht des Ranghöheren bzw. der Frau etwa scheint den Umgang unter amerikanischen Managern etwas weniger stark zu beeinflussen; was jedoch keineswegs gleichbedeutend ist mit der Annahme der Interkulturalisten, dass die hierarchische Position des Einzelnen hier überhaupt keine Rolle spiele. Qualität und Dauer dieser Begrüßungsgeste weisen ebenfalls graduelle Unterschiede auf, insofern als amerikanische business people eher ein „Händeschütteln“ und deutsche einen „Händedruck“ praktizieren. Dass es sich bei dem Schulterklopfer bzw. dem Berühren des Arms mit der linken Hand um eine „typisch amerikanische“ Unsitte229 handelt, konnte der Vergleich nicht belegen. Insgesamt zeigt sich, dass – obwohl durchaus nennenswerte nationaltypische Eigenarten bestehen – die kollektivspezifischen Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Bedeutung und der Ausführung des Handschlags überwiegen.

228 Axtell 1991, S. 94. 229 Vgl. Axtell 1991, S. 94.

202 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER BUSINESS CULTURE

D IE F ORMEN DER ANREDE Die verschiedenen Formen der Anrede und deren Verwendung beschäftigen neben Linguisten1 auch Philosophen2 und Soziologen3. Denn die Anrede wird zwar einerseits durch das Repertoire an sprachlichen Möglichkeiten bestimmt, ist jedoch andererseits eine Manifestation bestimmter überindividueller Strukturen und der in einem Kollektiv herrschenden Machtverhältnisse. So halten verschiedene Sprachen nicht nur unterschiedliche Anredeformen parat, oftmals ist die Zahl der Alternativen und damit der Grad der Differenzierung unterschiedlich.4 Dass das englische you – wie in vielen anderen Sprachen auch – die einzige pronominale Anredeform der zweiten Person darstellt, impliziert bereits, dass sich die Anrede in den Vereinigten Staaten anders gestaltet als im deutschen Sprachraum, wo zwischen dem vertrauten „Du“ und dem förmlichen „Sie“ unterschieden wird. Um dennoch den sozialen Beziehungen, insbesondere Nähe und Distanz, Ausdruck verleihen zu können5, wird im englischsprachigen Raum ein anderer Weg gewählt: die Verwendung des Vor- oder Nachnamens. Obwohl sich

1

Vgl. Lüger 2001; vgl. Hartmann 1973; vgl. Ammon 1972; vgl. Clyne et al. 2006.

2

Vgl. Pieper 1955.

3

Vgl. von Jhering 1905; vgl. Machwirth 1970; vgl. Goffman 2006.

4

So Lüger: „Je ausdifferenzierter der Formenbestand einer Sprache in dieser Hinsicht ist, umso eher bietet sich damit ein Instrument zur Nuancierung von Höflichkeitseffekten. Im Deutschen hat sich z.B. die pronominale Anrede bereits im 19. Jahrhundert wieder zu einem Zweiersystem (du/Sie) zurückentwickelt. Andere Sprachen, vor allem im asiatischen Raum, verfügen dagegen über eine Vielzahl von Unterscheidungsmöglichkeiten.“ (Lüger 2001, S. 7; Hervorhebung im Original); vgl. Straßmann 27.06.2013.

5

So Lüger: „Mit dem Gebrauch bestimmter pronominaler oder nominaler Anredeformen wird […] in der Regel ebenso die Art der Beziehung zwischen den Beteiligten reguliert; d.h., je nach den in einer Sprache zur Verfügung stehenden Ausdrücken können die Kommunizierenden einander Distanz oder Vertrautheit, Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Bezugsgruppe signalisieren oder aber [...] einen bestimmten Grad an Wertschätzung und Respektbezeugung zu verstehen geben.“ (Lüger 2001, S. 7); so auch Hartmann: „anredeformen als konventionalisierte elemente zur definition, bestätigung, zum angebot und zur ablehnung von sozialen beziehungen zwischen sprecher und angesprochenem verstanden werden.“ (Hartmann 1973, S. 135; Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung im Original); so auch Ammon: „Sie [Anredeformen] dienen den Gesprächspartnern zur gegenseitigen sozialen Orientierung.“ (Ammon 1972, S. 73).

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also die sprachlichen Mittel unterscheiden, erfüllen sowohl das deutsche Duzen bzw. Siezen als auch der Gebrauch des Vor- bzw. Nachnamens in den USA die gleiche Funktion und werden in den folgenden Ausführungen gegenübergestellt. Denn die Frage nach der richtigen Anrede – also der einer Situation und dem Verhältnis der Beteiligten zueinander entsprechenden Anredeform – beschäftigt neben der Wissenschaft auch die Autoren der Business-Etikette-Bücher und interkulturellen Ratgeber. Anhand der Ratgeberliteratur lässt sich nachvollziehen, welche Bedeutung der Anrede in der amerikanischen und deutschen Geschäftswelt beigemessen wird und welche Modalitäten der Verwendung hier gelten. Dazu gehört die Frage, in welcher Personenkonstellation welche Anredeform angebracht ist und wie der Übergang von einer zur anderen Anrede vonstatten geht, also z. B. wer den Vorschlag macht, sich zu Duzen, wer darüber entscheidet und ob dieser Akt von einem bestimmten Ritual begleitet wird. Zu überprüfen ist außerdem, ob die These der Interkulturellen Kommunikation, nach der die Anrede ein besonders konfliktträchtiges Detail der Begegnung zwischen amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten darstellt, zutrifft. Denn dann müssten sich zwischen den Aussagen in den Business-Etikette-Büchern beider Länder konträre Aussagen finden; Unvereinbarkeiten, die sich wiederum mit den Annahmen der interkulturellen Ratgeber decken könnten. Bedeutung und Funktion „Remember that a person’s name is to that person the sweetest and most important sound in any language“6, schreibt Dale Carnegie in How to win friends & influence people7 (1981), einem Klassiker amerikanischer Selbsthilfeliteratur. Auf diesen Satz beziehen sich auch die Autoren der Etikette-Ratgeber, wenn sie betonen, wie wichtig die Verwendung des Namens und die Wahl der richtigen Anrede im Geschäftsleben seien. Dass sich die amerikanische Autorin Whitmore auf Carnegie beruft8, ist nicht weiter verwunderlich, bedenkt man die große Popularität seines self-help books in den USA, doch auch deutsche Autoren tun es ihr gleich: „Für den beruflichen Umgang sollten Sie […] eine These Dale Carnegies nicht vergessen: ‚Die wichtigste Vokabel für einen Menschen ist sein eigener Name‘. [...] Werden Sie mit

6

Carnegie 1981, S. 79.

7

Carnegie 1981.

8

Vgl. Whitmore 2005, S. 49.

204 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER BUSINESS CULTURE Ihrem Namen angesprochen, vermittelt Ihnen dies das Gefühl, aus der anonymen Masse herausgehoben und als Mensch einzigartig zu sein.“9

Es geht also in erster Linie darum, dem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, er werde als Individuum anerkannt und als Person wertgeschätzt. Diese Auffassung teilen auch amerikanische Etikette-Experten, wie folgendes Zitat verdeutlicht: „Try to interject the person’s name into the conversation at least once. It reinforces that you are talking to a specific individual.“10 So oft wie möglich – jedoch ohne „anbiedernd“ zu wirken11 – solle man nach Meinung der Autoren den Namen des Anderen einfließen lassen.12 Denn, in diesem Punkt herrscht ebenfalls Einigkeit, jede namentliche Anrede wirke wie ein „tacit compliment“13 oder „kleines Kompliment“14, durch das sich der Gesprächspartner „geschmeichelt“ und als Person ernst genommen fühle.15 Nun bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass, wer diesen Rat nicht beherzigt – also den Anderen nicht konstant beim Namen nennt – das Gefühl vermittelt, diesen nicht zu respektieren. Vielmehr stellt diese Aufforderung eher ein wünschenswertes Plus an „gutem Benehmen“ dar, lässt den Akteur in besserem Licht erscheinen, während ein Ausbleiben der entsprechenden Anrede vermutlich nicht einmal bewusst wahrgenommen werden würde. Doch wer den Fehler macht und eine falsche Anrede wählt oder den Namen des Gegenübers vergessen hat, zeigt damit „Desinteresse“16 oder macht sich gar der Verletzung der „Identität“17, des „Ego“18, der „Persönlichkeit“19 oder „Wür9

Wolff 1997, S. 97; so auch Ruppert: „Des Menschen liebste Vokabel ist der eigene Name. Kennen Sie also bereits den Namen der Person, der Sie gleich begegnen werden […] so sprechen Sie die Person unbedingt mit ihrem Namen an.“ (Ruppert 2007, S. 50).

10 Pachter et al. 1995, S. 41. 11 Meyden 2008, S. 26f.; vgl. Adam 2007, S. 117; vgl. Pachter et al. 1995, S. 41. 12 Vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 67; vgl. Adam 2007, S. 117; vgl. Möllers 2005, S. 169. 13 Ordway 1920, S. 85. 14 Teusen 1997, S. 65. 15 Adam 2007, S. 102. 16 Vgl. Klein 2005, S. 53; vgl. Teusen 1997, S. 65. 17 Adam 2007, S. 102. 18 Vgl. Post, Post 1999, S. 317. 19 So Commer und von Thadden: „Also: Anreden in richtiger Form ist besonders wichtig. Denn: Sonst fühlt sich jede oder jeder in ihrer eigentlichen Persönlichkeit und Würde verletzt.“ (Commer, von Thadden 1999, S. 17).

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de“20 des Gesprächspartners schuldig. Im Sinne einer engen und möglichst persönlichen Beziehung zu Geschäftspartnern oder Kunden gelte es, einen solchen Fauxpas zu vermeiden: „Many business deals have been lost because the contact person could not remember the buyer’s name from one meeting to the next. […] Making the effort to remember people’s names […] has many rewards. Your clients will perceive you as someone who cares not just about business, but also about the people involved. Personal relationships strengthen business relationships.“21

Auch die deutschen Autoren sind der Ansicht, eine korrekte und häufig angewandte namentliche Anrede sei „persönlicher und schaff[e] eine vertraute Atmosphäre“22 oder – wie an anderer Stelle zu lesen ist – „eine persönliche Verbindung“23 bzw. „ein angenehmes Klima des Vertrauens“24. Doch die Autoren der amerikanischen Ratgeber sind nicht nur von der Bedeutung der Anrede beim Kontakt nach außen überzeugt; auch innerhalb eines Unternehmens empfehlen sie, die Namen der Kollegen und Mitarbeiter genau zu kennen und zu verwenden: „Knowing with whom you’re working is the touchstone of polite and respectful behavior in the workplace.“25 Dieser Aspekt, der eher die Ausbildung von Führungskompetenzen betrifft, wird in den deutschen Etikette-Büchern nicht explizit genannt. Hier geht es tatsächlich meist um den Eindruck, den man bei Kunden und Geschäftspartnern hinterlässt. Dass diese Wirkung durch die Wahl der korrekten Anrede positiv geprägt wird, findet sich auch an anderer Stelle als These der Business-Etikette-Experten. So meint etwa Fox, die Fähigkeit, sich Namen und Ti-

20 Commer, von Thadden 1999, S. 17. 21 Casperson 1999, S. 17; so auch Whitmore: „Remembering names is an essential skill for succeeding in business. It’s most likely because when people hear their name, it makes them feel closer and more connected to the person uttering it.“ (Whitmore 2005, S. 49); so auch Ruppert: „Viele Verhandlungen schlagen fehl, weil allzu nachlässige Gesprächspartner ihrem formellen Gegenüber auf die Füße getreten sind. Ein überzeugender Auftritt hat viel mit gegenseitiger Wertschätzung zu tun und die korrekte Anrede ist eines der ersten verbalen Signale im zwischenmenschlichen Kontakt.“ (Ruppert 2007, S. 50); vgl. Begemann 2007, S. 155. 22 Pfister et al. 2005, S. 80. 23 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 67. 24 Möllers 2005, S. 169. 25 Gerson 2008, S. 39; vgl. Fox 2008, S. 32.

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tel zu merken würde einen bleibenden Eindruck hinterlassen26 und ihre deutsche Kollegin Meyden behauptet, „Untersuchungen [haben] gezeigt, dass Menschen, die unseren Namen mehrfach in einem Gespräch verwenden, als sympathischer empfunden werden.“27 Im Umkehrschluss werde jemand, der Namen vergisst oder die falsche Anrede wählt, als unglaubwürdig28 und unaufmerksam betrachtet: „Perhaps they perceive you as failing to pay attention to details or being sloppy in your business.“29 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bedeutung der Anrede von den Autoren beider Länder gleich bewertet wird. Auch die Begründungen fallen regelmäßig gleich aus. Eine wiederholte und insbesondere korrekte namentliche Anrede wird als Ausdruck der Wertschätzung gegenüber dem Anderen und damit als Grundlage einer persönlichen Beziehung gehandelt. Diese wird wiederum – gemeinsam mit dem Vermitteln eines sympathischen und glaubwürdigen Eindrucks der eigenen Person – in der Ratgeberliteratur beider Länder für eine wichtige Voraussetzung geschäftlichen Erfolgs gehalten. Der einzige Unterschied betrifft die Bedeutung der Anrede im innerbetrieblichen Kontext: Diese wird lediglich von amerikanischen Autoren genannt. Modalitäten der Ausführung Nachdem nun gezeigt wurde, dass hinsichtlich der Bedeutung und Funktion der Anrede keine nennenswerten Unterschiede bestehen, wird im Folgenden näher auf die konkreten Umgangsformen in diesem Kontext eingegangen. Zunächst wird die Verwendung des Vornamens in den USA beschrieben und anschließend mit dem deutschen Siezen und Duzen verglichen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Kriterien gelegt, nach denen man sich für eine bestimmte Anrede entscheidet (Rang, Alter, Geschlecht). Zusätzlich wird untersucht, wie der Übergang von einer förmlichen zu einer vertrauteren Anredeform vonstatten geht und wer ihn initiieren darf. Verwendung des Vornamens Einer der in der interkulturellen Ratgeberliteratur meistgenannten Stolpersteine im Umgang zwischen den beiden nationalen Berufskollektiven betrifft die vermeintlich typisch amerikanische Gewohnheit, jeden sofort und ungefragt beim 26 Fox 2008, S. 77. 27 Meyden 2008, S. 26f.; vgl. Nagiller 2004, S. 109. 28 So DuPont: „Using incorrect names hurts your credibility and your chance of doing business with those you’ve misnamed.“ (DuPont 2008, S. 28). 29 Casperson 1999, S. 20.

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Vornamen zu nennen. So schreibt etwa Axtell in seinem Ratgeber Vorsicht Fettnäpfchen30 (1991): „Versuchen Sie sich daran zu gewöhnen, daß sie sofort mit Vornamen angeredet werden und man von Ihnen das gleiche erwartet.“31 Bestätigt wird diese These beispielsweise von Rembor, der bei seinem ersten beruflichen Aufenthalt in den USA „überrascht [wurde] von der offenkundig informellen Art“32 der Amerikaner: „Man nennt sich gleich beim Vornamen und gibt sich betont locker.“33 Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die behaupten, man würde in den Vereinigten Staaten zwar „rasch zum Vornamen übergeh[en]“34, sich jedoch zu Beginn eines Gesprächs mit Vor- und Nachnamen vorstellen oder ansprechen.35 Das bestätigt auch der Kulturtrainer Gesteland: „A general rule is to start out with Mr [sic!], Mrs., Miss or Ms. but to be prepared for your counterpart to switch immediately to first names.“36 Gesteland führt, wie Rembor, den schnellen Übergang zum Vornamen auf die „breezy informality for which Americans are famous“37 zurück, während diese angeblich typisch amerikanische Abneigung gegenüber Formalität – eine wiederkehrende These der Interkulturalisten – aus einem „relative lack of status distinctions“38 hervorgehe und schlicht

30 Axtell 1991. 31 Axtell 1991, S. 93. 32 Rembor 2004, S. 11; so auch Otte: „Der Umgangston ist informell. Schnell geht man zum Gebrauch des Vornamens oder sogar eines nickname über.“ (Otte 1996, S. 35; Hervorhebung im Original). 33 Rembor 2004, S. 11; so auch Hanisch: „Sind Sie hingegen in den USA unterwegs, dann wundern Sie sich nicht, wenn sich jemand sofort mit dem Vornamen vorstellt (‚...aber meine Freunde nennen mich Scott‘).“ (Hanisch 2005, S. 109); so auch Nagiller: „Amerikaner sprechen Sie meist sofort mit dem Vornamen an. […] Wenn Sie so angesprochen werden, verwenden Sie ebenfalls den Vornamen, machen Sie aber niemals den ersten Schritt.“ (Nagiller 2004, S. 255); vgl. Commer, von Thadden 1999, S. 262. 34 Begemann 2007, S. 251; so auch Adam: „Außerdem spricht man sich hier [USA] schnell mit dem Vornamen an […].“ (Adam 2007, S. 171). 35 Vgl. Lüdemann 2009, S. 180; so auch Training Management Corporation: „Once acquainted, people address each other by their given names. […] This informality is a sign of friendliness and reduces communication barriers.“ (Training Management Corporation 1997, S. 181); so auch Oppel: „Nach der Vorstellung sprechen sich amerikanische Geschäftsleute meist mit dem Vornamen an.“ (Oppel 2006, S. 38). 36 Gesteland 2003, S. 339. 37 Gesteland 2003, S. 338. 38 Gesteland 2003, S. 338.

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Freundlichkeit ausdrücken solle.39 Die vertraute Anrede dürfe demnach – anders als unter Deutschen – nicht zwingend als Zeichen von Freundschaft und Nähe gewertet werden: „Auch wenn sich […] die Kollegen mit dem Vornamen anreden, so entspricht das nicht dem deutschen ‚Du‘ […]. Es bleibt die ‚Sie‘Distanz.“40 Im Einklang mit dieser Aussage finden sich in der an deutsche Geschäftsleute adressierten interkulturellen Ratgeberliteratur und in den international vergleichenden Kapiteln der Etikette-Bücher reihenweise Warnungen vor Fehlinterpretationen des Verhaltens amerikanischer Geschäftspartner. So habe die Anrede mit dem Vornamen nichts mit „echter Freundschaft“41 oder „Kumpelhaftigkeit“42 zu tun und sei „kein Indiz für besondere Vertraulichkeit“43. Dass Rangunterschiede in den „Umgangsformen weitgehend nivelliert“44 werden und man stets um eine „Beziehung auf Augenhöhe“45 bemüht sei, behaupten andererseits auch Slate und Schroll-Machl von „den Amerikanern“, auf die sie ihre Aussage pauschal beziehen: „Der soziale Status oder der Rang ist für die Interaktionsformen zwischen Personen nicht bestimmend. Im unmittelbaren Kontakt sind auf der Beziehungsebene die existierenden Unterschiede zu nivellieren, und im Kommunikationsstil ist eine egalitäre Beziehung herzustellen, die jeden anderen als Gleichen behandelt.“46

Diesem Gleichheitspostulat folgend, wird nach Ansicht des Interkulturalisten Rembor bei der Verwendung des Vornamens die unternehmensinterne Hierarchie völlig außer Acht gelassen: „Der informelle Umgangston gilt auch für den Umgang mit Vorgesetzten. Selbst für Praktikanten in einem Büro ist der direkte Vorgesetzte Tony oder die Direktorin Amy, so wie für jeden anderen Mitarbeiter auch.“47 39 Vgl. Gesteland 2003, S. 338; vgl. Training Management Corporation 1997, S. 181. 40 Konstroffer 2000, S. 105. 41 Adam 2007, S. 171. 42 Commer, von Thadden 1999, S. 262. 43 Begemann 2007, S. 251; so auch Lüdemann: „Auch wenn Amerikaner Sie mit Ihrem Vornamen ansprechen, ist das noch lange kein Zeiten besonderer Vertrautheit.“ (Lüdemann 2009, S. 124); vgl. Möllers 2005, S. 20; vgl. Oppel 2006, S. 38. 44 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 39; Hervorhebung im Original. 45 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 39. 46 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 43. 47 Rembor 2004, S. 55; so auch Hall und Hall: „Auch in amerikanischen Unternehmen redet man sich praktisch nur noch mit dem Vornamen an, und zwar nicht nur auf gleicher hierarchischer Ebene. Auch zwischen Abteilungsleitern und ihren Mitarbeitern,

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Inwieweit sich diese Aussagen mit den Ausführungen in den Business-EtiketteBüchern decken und ob die vielfach zitierte amerikanische Informalität tatsächlich in beschriebenem Maße die Geschäftswelt und insbesondere das Anredeverhalten der Manager prägt, soll im Folgenden geklärt werden. Die amerikanische Business-Etikette-Expertin Bowman nutzt in ihrem Ratgeber ein Frage-AntwortSystem, um den Lesern Verhaltenstipps an die Hand zu geben. Darunter findet sich auch folgendes Zitat: „Challenge: You have just been introduced to someone. Should you use that person’s first name? Solution: Avoid the temptation. Immediately using a first name is potentially selfsabotage. [...] Formality, sincerity, and being conservative will always win you respect and appreciation.“48

Doch Bowman ist nicht die einzige Autorin, die grundsätzlich zu Förmlichkeit und Zurückhaltung bei der Wahl der Anrede mahnt. So findet sich in jedem der Etikette-Ratgeber, an denen Pachter beteiligt war, der Leitspruch „It is always better to err on the side of formality“49, zusammen mit dem Rat, im geschäftlichen Kontext dem Nachnamen den Vorzug vor dem Vornamen zu geben. Im Allgemeinen herrscht unter den Autoren die einhellige Meinung, man dürfe niemanden ungefragt oder unaufgefordert mit dem Vornamen ansprechen: „When in doubt, don’t use first names. It’s always better to use Mr., Ms., or Dr. until you’re asked to use first names or are sure that it’s appropriate to do so.“50 eingeschlossen Sekretärinnen, Assistenten und technisches Personal, hat sich dieser Brauch eingebürgert.“ (Hall, Hall 1983b, S. 74). 48 Bowman 2007, S. 35f.; so auch Casperson: „In our casual world, we often overlook the fact that people have last names and titles. We can never assume that a person whishes to be addressed by their first name; to do so implies familiarity, which is not always appreciated. [...] To be on the conservative side address a person with a title of Mrs., Ms., or Mr. until you are advised otherwise.“ (Casperson 1999, S. 20). 49 Pachter et al. 1995, S. 142f.; vgl. Pachter, Coleman 2006, S. 42; vgl. Pachter, Magee 2006, S. 125; vgl. Pachter, Coleman 2006, S. 149; so auch Fox: „When in doubt, err on the side of formality.“ (Fox 2008, S. 76); so auch Sabath: „If you are being introduced to Mr. Smith, the CEO, for the first time, you should err on the side of conservative [...].“ (Sabath 2007, S. 4); so auch an anderer Stelle: „If still in doubt, remember...rarely can you get in trouble being too formal; but sometimes you can rub a person the wrong way by being too informal.“ (Sabath 1993, S. 77f.). 50 Brody, Pachter 1994, S. 14; Hervorhebung im Original; so auch Baldrige und GellesCole: „If you have to stop and think about whether or not you should use a person’s

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Die drei Autoren, die sich dafür aussprechen, im Berufsleben wie selbstverständlich den Vornamen zu verwenden, beziehen sich immer auf den Umgang unter Kollegen, also gleichrangiger Mitarbeiter, miteinander. So schreibt etwa Michael Thomsett: „It is safe to say that use of the familiar first name is the rule for employees of equal rank.“51 Seine Kollegin Davis teilt diese Ansicht: „Address coworkers by their first names unless they are superiors; then it’s best to use their formal title (Mr., Mrs.) before their last name.“52 Stewart schließt sich dieser Meinung an und begründet ihre Aussage damit, dass die förmliche Anrede mit dem Nachnamen unter Arbeitskollegen – die Jahr für Jahr täglich mindestens sieben Stunden zusammen verbringen und allein deshalb schon eng miteinander verbunden wären – schlicht „lächerlich“ erscheine.53 Abgesehen von diesen wenigen Ausnahmen, die jedoch auch nur auf gleicher hierarchischer Ebene zur informellen Anredeform raten, ist die unterschiedslose Verwendung des Vornamens unter amerikanischen Etikette-Autoren verpönt; was wiederum gegen die Allgemeingültigkeit der eingangs beschriebenen Thesen der Interkulturellen Kommunikation spricht. Andererseits – und dieser Punkt darf nicht außer Acht gelassen werden54 – finden sich in den Etikette-Ratgebern zahlreiche Textstellen, in denen bestätigt wird, dass es in der amerikanischen Geschäftswelt zunehmend für normal erachtet werde, einen Gesprächspartner mit dem Vornamen anzusprechen. Doch ihren eigenen Verhaltensidealen entsprechend, äußern die Autoren, wie hier Baldrige, harsche Kritik an dieser Entwicklung: „We are a very informal country, but many people feel that the informality has gone too far in many respects, resulting in inefficiency, a lack of respect for senior authority, and a total misunderstanding of proper deference.“55 Als „[o]ne of the most common business etiquette errors“56, einen weit verbreitefirst name when you greet him, the answer is you should not. Familiarity does indeed breed contempt. No one likes to be addressed by his or her first name by someone who doesn’t have the right to do so.“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 33); so auch Fox: „Never assume that you can automatically call someone by a first name.“ (Fox 2008, S. 76); so auch Pachter et al.: „Don’t use first names unless it’s appropriate to do so.“ (Pachter et al. 1995, S. 123). 51 Thomsett 1991, S. 34ff. 52 Davis 2003, S. 164. 53 Vgl. Stewart 1997, S. 370. 54 Vgl. Kapitel Der scheinbare Gegensatz: Realität versus Normativität. 55 Baldrige 2003, S. 656. 56 Sabath 2002, S. 12; so auch an anderer Stelle: „First or last? Even with the casualness that has entered many areas of the work place, the more formal use of a person’s first and last names is still warranted in many instances.“ (Sabath 1993, S. 77f.); so auch

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ten Fauxpas, der im Berufsleben besonders gravierend sei57, bezeichnet auch Sabath die willkürliche Verwendung des Vornamens. Die Begründung für diese strikte Ablehnung fällt ebenfalls durchwegs gleich aus: Wer etwa eine ältere oder ranghöhere Person mit dem Vornamen anspricht, zeige damit mangelnden Respekt und missachte außerdem die natürliche Trennung zwischen Vertrauten und Fremden.58 Doch belassen es die Autoren der Business-Etikette-Ratgeber nicht bei bloßer Kritik an der um sich greifenden Impertinenz, sondern rufen ihre Leser zur Eindämmung dieser „typisch amerikanischen Unsitte“ auf: „[Y]es, indeed, it has become commonplace to use first names promiscuously. […] yes, we will fight this unfortunate practice together, with anyone else who cares to join this noble cause. Such usage is not only undignified, but makes a sham of the ideas of friendship and equality. There is no such thing as instant intimacy.“59

Im Gegensatz zu den Interkulturalisten Rembor, Gesteland, Slate und SchrollMachl, welche die Verwendung des Vornamens als Manifestation des amerikanischen Gleichheitsideals betrachten, ist Judith Martin also der Ansicht, diese Gepflogenheit würde Freundschaft und Gleichheit lediglich vortäuschen und spricht sich deshalb klar gegen die wahllose Verwendung des Vornamens in der Geschäftswelt aus. Tatsächlich irrt Rembor womöglich auch in der Annahme, die Wahl der Anrede wäre im land of equality völlig entkoppelt von der betrieblichen Hierarchie und selbst der Praktikant dürfe wie selbstverständlich den Chef beim Vornamen nennen.60 Die Business-Etikette-Ratgeber weisen vielmehr darauf hin, dass der Rang eines der wichtigsten Ermessenskriterien bei der Anrede sei. Entsprechend äußern sich etwa Cook et al.: „Never use first names with people higher in rank

Fox: „Americans tend to jump to the first name very quickly, as any recent phone solicitation will convince you. This trend is an epidemic; regrettably, hosts and superiors often set the wrong example. When in doubt, err on the side of formality.“ (Fox 2008, S. 278); vgl. Post, Post 1999, S. 271. 57 Vgl. Sabath 2002, S. 12. 58 So Martin: „There is altogether too much blithe usage of first names-automatic assumptions of what ought to be the privilege of intimacy. The equality implied in the use of first names between generations does indicate a lack of respect for age or an attempt by an older person to seem younger.“ (Martin 1983, S. 77); vgl. Martin 1983, S. 75f. 59 Martin 1983, S. 75f. 60 Vgl. Rembor 2004, S. 55; vgl. Hall, Hall 1983b, S. 74.

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or importance, unless they invite you to do so.“61 Und auch Elizabeth Post warnt eindringlich davor, einen Vorgesetzten mit dem Vornamen anzusprechen, außer dieser fordere explizit dazu auf.62 Ein dringend zu vermeidender Fauxpas sei auch – so argumentieren Gary Brown und Pachter et al. – im Verlauf einer Betriebsfeier oder einer anderen informellen Gelegenheit dazu überzugehen, den Chef beim Vornamen zu nennen.63 Daneben spielt auch das Alter eine entscheidende Rolle bei der Wahl der Anredeform. So findet sich diesbezüglich bei Baldrige etwa folgender Ratschlag: „Show deference to people who are senior, rather than treating them with the same ‹firstname, slap-on-the-back, we’re-all-equal› attitude. I have seen many a senior executive in his sixties wince upon meeting a young executive from another company who immediately calls him by his first name or a nickname.“64

Auf der gleichen hierarchischen Ebene – hier treffen zwei gleichrangige Manager aufeinander – wird demnach der Altersunterschied zum Maßstab; eine Auffassung, in der die meisten amerikanischen Etikette-Autoren mit Baldrige übereinstimmen.65 Um es in den Worten Sabaths zusammenzufassen, so gilt für die Wahl der Anrede laut Business-Etikette in den USA folgende Faustregel: „If the person is a few layers above you from an organizational structure standpoint, or closer to your parents’ ages than yours, using the last name may be the best choice.“66 Der Rang – sei er nun bestimmt durch die unternehmensinterne Hierarchie oder das Alter – entscheidet laut Etikette also auch in den Vereinigten 61 Cook et al. 2005, S. 49. 62 Vgl. Post, Post 1975, S. 18f.; vgl. Thomsett 1991, S. 34ff. 63 So Brown: „Don’t make the mistake of thinking that just because this is a party, you can address the company president by his or her first name.“ (Brown 11.12.2008); so auch Pachter et al.: „It’s always good to get to know someone in a less formal environment than an office, but don’t forget who you are and whom you’re with. If you suddenly start calling the boss by his first name […] it will still count against you.“ (Pachter et al. 1995, S. 221). 64 Baldrige 2003, S. 110. 65 So DuPont: „Age also plays a part in what to call people, even in America. Many of the ‚older‘ generation still prefer the titles ‚Mr.‘ and ‚Mrs.‘“ (DuPont 2008, S. 96); so auch Post und Post: „When trying to decide if you should be on a first-name basis with someone you have just met, whether or not you are of the same generation is a good general guideline.“ (Post, Post 1975, S. 19); vgl. Baldrige 2003, S. 656; vgl. Sabath 2002, S. 13. 66 Sabath 1993, S. 48.

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Staaten über die Anrede. In diesem Punkt offenbart sich ein klarer Kontrast zu der These der beiden Interkulturalistinnen Slate und Schroll-Machl, nach der in den USA „[d]er soziale Status oder der Rang […] für die Interaktionsformen zwischen Personen nicht bestimmend [ist].“67 Obgleich die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, dass es auch in den USA nicht dem allgemein anerkannten Verhaltenskodex entspricht, sich sofort und ungeachtet des Rangs der beteiligten Personen mit dem Vornamen anzusprechen, ist dies nach Aufforderung durch den Höherrangigen sehr wohl möglich. Baldrige und Gelles-Cole verdeutlichen diesen Aspekt wie folgt: „A young person should wait for an older person to ask him to call him by his first name. An executive should wait for a more senior executive to ask him to call him by his first name. It’s a question of understanding deference.“68 Aus Gründen der Ehrerbietung muss also derjenige, der im Rang untergeordnet ist, auf die Initiative des Anderen warten. Selber den Übergang zum Vornamen anzuregen, sei absolut tabu, wie Sabath eindringlich warnt: „Whatever you do, refrain from asking someone permission to use a first name. […] If the person wants you to move to this level of familiarity, rest assured that you’ll hear about it!“69 Während dieses Initiativrecht in den Ratgebern – aus leicht nachvollziehbaren Gründen – lediglich auf den „Gedanken der Achtung“70 abgestellt wird, geht der Soziologe Machwirth in seiner Argumentation weiter. Derartige „positive Prioritäten der Zeit“71, wie er diese Höflichkeitsformen nennt, beruhen seiner Meinung nach zusätzlich auf dem Wunsch nach Distanz, im Sinne sozialer Unterschiede: „Allen diesen Sollforderungen liegt einerseits der Gedanke der Achtung, andererseits der des Abstandes zugrunde. Die Achtung vor dem höheren Rang räumt diesem die räumlichen und zeitlichen Vorrechte ein, sie wird erwiesen von unten nach oben. Die Initiative zum Kontakt und damit zur Überbrückung des Abstandes aber muß zuerst vom Ranghöheren ausgehen, sie geht von oben nach unten.“72

Fest steht also, dass das Entscheidungsrecht in dieser Frage allein dem Ranghöheren obliegt, der, sollte er den Wunsch haben, zum Vornamen zu wechseln, eine entsprechende Anweisung („until you are directed to do otherwise“73; „until 67 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 43. 68 Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 34. 69 Sabath 2002, S. 13. 70 Machwirth 1970, S. 211f. 71 Machwirth 1970, S. 211f. 72 Machwirth 1970, S. 211f. 73 Sabath 2002, S. 13.

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you are advised otherwise“74) erteilen werde. Und obwohl manche Autoren auch schwächere Formulierungen wählen („unless they invite you to do so“75; „until you are asked to use first names“76), wird nicht etwa auf eine Einigung unter Gleichberechtigten abgezielt; wird dem Rangniedrigeren keinerlei Entscheidungsbefugnis in der Frage der Anrede eingeräumt. Aus dieser Tatsache heraus lässt sich auch ein bemerkenswertes (womöglich spezifisch amerikanisches) Phänomen erklären: Einige Etikette-Ratgeber älteren Datums kennen noch die Möglichkeit der „asymmetrischen“77 oder „nichtreziproken“ Anrede78. Diese aus der Linguistik entliehenen Begriffe bezeichnen eine Anrede, die nicht auf Gegenseitigkeit beruht und insofern „ein ungleiches Verhältnis [indiziert].“79 Folgendes Beispiel nutzt der Linguist Hartmann, um den „nichtreziproken gebrauch von vor- und familiennamen“80 darzustellen: „So begrüßen z. B. in amerikanischen geschäftsräumen untergebene ihre vorgesetzten z. B. mit mister Smith, diese ihre angestellten mit z. B. John […].“81 Tatsächlich wird diese Option in mehreren amerikanischen Ratgebern explizit erwähnt; und das nicht nur bei Bevans, deren an die Allgemeinheit gerichtetes Etikette-Buch McCall’s Book of Everyday Etiquette82 bereits 1960 erschien und auch ein Kapitel zum Berufsleben beinhaltet. Hier schreibt Bevans zum Thema Anrede: „[I]n business your employer is always the instigator, and he often calls you Jane long before you start calling him anything but Mr. Holt.“83 Auch Ratgeber neueren Erscheinungsdatums schildern diese wechselseitig nicht gleiche Anredeform, wie hier etwa bei Baldrige und Gelles-Cole im Jahr 1985: „If a senior executive calls a junior executive by his first name, that does not mean the junior person should indiscriminately call the senior one by his first name.“84 Und obwohl die neueren Ratgeber diese „asymmetrische“ Anrede nicht mehr anführen, spricht ein solch langes Festhalten an einer dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden 74 Casperson 1999, S. 20. 75 Cook et al. 2005, S. 49; vgl. Davis 2003, S. 25; vgl. Fox 2008, S. 74. 76 Pachter et al. 1995, S. 11. 77 Vgl. Ammon 1972, S. 75. 78 Vgl. Hartmann 1973, S. 152. 79 Ammon 1972, S. 75. 80 Hartmann 1973, S. 152; Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung im Original. 81 Hartmann 1973, S. 152; Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung im Original. 82 Bevans 1960. 83 Bevans 1960, S. 73; so auch an anderer Stelle: „He calls her ‚Martha‘ before she calls him ‚Henry‘ and he invites her to use his first name if he wants her to, rather than the other way around.“ (Bevans 1960, S. 74); vgl. Bevans 1960, S. 76f. 84 Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 34; vgl. Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 96.

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Praxis für sich und gegen den „lack of status distinctions“85 in den USA, von dem die Interkulturelle Kommunikation ausgeht. Insgesamt decken sich die Thesen der Interkulturalisten kaum mit den Ausführungen der Business-Etikette-Autoren. Denn diese bestätigen weder, dass unter amerikanischen Geschäftsleuten automatisch der Vorname als Anredeform gewählt werde, noch dass die diesbezüglich geltenden Umgangsformen entkoppelt seien vom Rang der Beteiligten. In einem Punkt jedoch liegen die Positionen etwas näher beieinander. Auch die Etikette-Experten räumen ein, dass die Verwendung des Vornamens in der Geschäftswelt der Vereinigten Staaten immer weitere Kreise ziehe, halten diese Anredeform jedoch abermals weniger für eine typisch amerikanische Sitte als eine bedenkliche Unsitte, deren Bekämpfung sie sich zum Ziel gemacht haben. Inwieweit sich hier ein Wandel der Umgangsformen abzeichnet, der von Interkulturalisten und Etikette-Autoren unterschiedlich wahrgenommen wird, oder ob sich hier schlicht eine fortwährende Diskrepanz zwischen Ideal und Realität offenbart, ist die sich hier logisch anschließende Frage.86 Duzen und Siezen Glaubt man den Kulturknigge, kann eine Begegnung zwischen amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten – zumindest was das Anredeverhalten betrifft – nur Irritation und Missverständnisse hervorrufen. Die erste Schwierigkeit für amerikanische Manager ergibt sich – wie unten stehende Abbildung zeigt – bereits aus den beiden Formen pronominaler Anrede (Du/Sie) im Deutschen. Geht man jedoch berechtigterweise davon aus, dass Englisch zur Geschäftssprache bestimmt wird, erübrigt sich dieses sprachliche Problem. Der Unterschied liegt dann nach Ansicht der Autoren darin, dass Amerikaner im Berufsleben die informelle Anrede mit dem Vornamen bevorzugen, während in Deutschland das „Sie“ in Kombination mit dem Nachnamen die übliche Anrede ist. Weiterhin lassen sich drei Argumentationsstränge ausmachen, die darauf abzielen, diese Unvereinbarkeit zwischen Amerikanern und Deutschen – weiter wird von Seiten der Interkulturalisten nicht differenziert – zu erklären.

85 Gesteland 2003, S. 338. 86 Vgl. Kapitel Der scheinbare Gegensatz: Realität versus Normativität.

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Darstellung 5: Sprachliche Probleme bei der Anrede im Deutschen

Zum einen begnügen sich viele Autoren damit, diesen Unterschied auf einen spezifisch deutschen Hang zur Förmlichkeit zurückzuführen, der in klarem Widerspruch zur typisch „amerikanischen Ungezwungenheit“87 stehe und so die Interaktion zwischen den beiden Berufskollektiven wesentlich beeinträchtige. Entsprechend argumentiert etwa Robert Friday: „While such informality [use of a colleague’s first name] is common among American business personnel, this custom should probably be avoided with Germans.“88 Denn deutsche Geschäftsleute sprächen sich in strenger Wahrung der Form und unter Verwendung des Nachnamens und etwaiger Titel an.89 Insgesamt hätten Europäer, so die These Stewarts, förmlichere Manieren als Amerikaner und wären deshalb zurückhaltend im Gebrauch des Vornamens.90 Weiterhin heißt es in der interkulturellen Ratgeberliteratur, wie hier bei Slate und Schroll-Machl, „dass der Kommunikationsstil in Deutschland das Statusund Rollenverhältnis widerspiegel[e]“: „Deshalb geben deutsche Abteilungsleiter unter Umständen den Arbeitern nicht einmal die Hand, stellen sich mit Nachnamen und vielleicht sogar akademischen Titeln vor (auch wenn ihre Tätigkeit nichts damit zu tun hat) […].“91 Und obwohl im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, dass die Wahl der Anrede in den USA keinesfalls unabhängig 87 Schmidt 2000, S. 37. 88 Friday 1989, S. 432. 89 Vgl. Frazee 1997, S. 16; vgl. Davis 2003, S. 247. 90 Vgl. Stewart 1997, S. 183. 91 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 40.

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vom Rang der Beteiligten erfolgt, sieht auch Hall in diesem Punkt eine Unvereinbarkeit zwischen amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten: „American informality and our habit of calling others by their first name make Germans uncomfortable, particularly when young people or people lower in the hierarchy address their elders or their superiors by their first names.“92 Die dritte und letzte Begründung ist die am häufigsten genannte und besagt, dass „Deutsche […] erst eine engere Beziehung aufbauen [wollen], bevor sie zum Vornamen übergehen.“93 Solange man sich nicht gut und über einen längeren Zeitraum hinweg kenne, sei die vertraute Anredeform nicht akzeptabel, meint Schmidt weiter.94 Tatsächlich – so wird auch in einem anderen Ratgeber argumentiert – sei in Deutschland die Anrede mit dem Vornamen den Familienmitgliedern und engen Freunden vorbehalten.95 Diese Annahme entspricht wiederum dem vermeintlich typisch deutschen „Kulturstandard“ „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“96, der sich laut Schroll-Machl darin äußert, dass „Berufstätige Deutsche […] zwischen ihrem Berufsleben und ihrem Privatleben klar [unterscheiden].“97 Diese Thesen werden nun mit den Ansichten deutscher Business-EtiketteAutoren abgeglichen. Im Vordergrund steht hierbei die Frage, ob das Siezen in Verbindung mit dem Nachnamen tatsächlich die einzig mögliche Anredeform in der deutschen Geschäftswelt darstellt bzw., wenn dem nicht so ist, nach welchen Kriterien die Wahl der Anrede erfolgt. Die Analyse der deutschen Business-Knigge-Ratgeber zeigt grundsätzlich, dass das Siezen auch hier im Berufsleben nicht (mehr) selbstverständlich ist, es hingegen eine Vielzahl von Möglichkeiten der Anrede gibt.98 Entsprechend sind die Verhaltensanweisungen diesbezüglich äußerst umfangreich und komplex. Zusätzlich sind sich die Autoren in dieser Frage – die von Begemann sogar als

92 Hall, Hall 1983a, S. 57. 93 Schmidt 2000, S. 37; vgl. Schmidt 2007, S. 29; vgl. Training Management Corporation 1997, S. 183; vgl. Fox 2008, S. 284. 94 Vgl. Schmidt 2000, S. 37; vgl. Schmidt 2007, S. 29; so auch Hall und Hall: „The taboo against first-naming should not be dismissed as an empty convention. It takes a long time to get on a first-name basis with a German; if you rush the process, you may be perceived as overly familiar and rude.“ (Hall, Hall 1983a, S. 57); vgl. Pachter et al. 1995, S. 292; vgl. Pfister et al. 2005, S. 30. 95 Vgl. Training Management Corporation 1997, S. 183. 96 Schroll-Machl 2007a, S. 79. 97 Schroll-Machl 2007a, S. 79. 98 Vgl. Hurton 1993, S. 256.

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„Gretchenfrage“99 bezeichnet wird – nicht immer einig, sodass sich ein Nebeneinander unterschiedlicher Positionen ergibt. Die Position, die der These der Interkulturalisten bezüglich der deutschen Förmlichkeit und der Trennung der Lebenssphären am ehesten entspricht, ist jene der Autoren, die das „Du“ im Berufsleben strikt ablehnen und sich für eine ausnahmslose Verwendung des „Sie“ aussprechen. Entsprechend argumentiert etwa Wrede-Grischkat: „Am besten sind die Leute beraten, die sich innerhalb des Unternehmens grundsätzlich mit niemandem duzen – die sind immer auf der sicheren Seite.“100 Daneben gibt es eine Vielzahl von Autoren, die – wie schon in der interkulturellen Literatur behauptet – das „Sie“ als die allgemein akzeptierte „Anrede von fremden Personen im Privatleben wie im Geschäftsleben“101 betrachten. Hier wird also bereits weiter differenziert und die Möglichkeit des Duzens wird – sofern eine persönliche Beziehung zum Gegenüber besteht – auch im Berufsleben eingeräumt.102 Deutlicher wird diese Haltung bei Andrea Hurton, die folgenden Aufruf macht: „Mehr Distanz bitte! Halten Sie Abstand zu Ihrem Nächsten! Umarmen Sie ihn nicht mit jeder Anrede! Das ‚Du‘ ist eine Medaille, die Sie an diejenigen vergeben, die Sie besser kennen als den Rest der Menschheit!“103 Entsprechende Kriterien legt auch Brigitte Ruhleder dem Duzen zugrunde: „Das kumpelhafte und distanzlose Duzen, ungefragt und reihum, finden viele Menschen anmaßend und peinlich. Ich denke, sie sind im Recht. Das ‚Du‘ sollte eine Auszeichnung

99

So Begemann: „Gretchenfrage: ‚Du‘ oder ‚Sie‘? Am Du scheiden sich die Geister. […] Es gibt also keine goldene Regel, sondern unterschiedliche Branchengepflogenheiten und Meinungen.“ (Begemann 2007, S. 94); so auch Graff und Schaupp: „Die deutschen Anredegepflogenheiten machen nicht nur einem Ausländer das Geschäftsleben in Deutschland schwer.“ (Graff, Schaupp 2006, S. 21); so auch Teusen: „‚Du‘ oder ‚Sie‘? – welche Anredeformel man gegenüber seinen Mitarbeitern einsetzen sollte, darüber herrscht an der Benimm-Front Uneinigkeit.“ (Teusen 1997, S. 92); vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 49.

100 Wrede-Grischkat 1992, S. 64. 101 Pfister et al. 2005, S. 208; eigene Hervorhebung; vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 78. 102 So Graff und Schaupp: „Das ‚Du‘ dagegen ist etwas Persönliches. Es drückt durch jeden wahrnehmbar nach außen aus, dass man sich nicht nur geschäftlich, sondern auch persönlich gut versteht. Dem geht meist eine längere Bekanntschaft voraus, wobei man gegenseitig mit den Meinungen und Handlungen des anderen einige Erfahrung gemacht hat.“ (Graff, Schaupp 2006, S. 21). 103 Hurton 1993, S. 43.

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bleiben, die wir Menschen verleihen, die uns besonders sympathisch sind und uns nahe stehen.“104

Das Siezen soll also Distanz schaffen, auch in diesem Punkt sind sich die Autoren der Etikette-Ratgeber einig, wie sich wiederum bei Hurton zeigt: „Die Anrede ‚Sie‘ signalisiert Distanz und Abgrenzung“.105 Doch – so erklärt die Autorin ihren Standpunkt – sei „Distanz gegenüber den richtigen Leuten im rechten Augenblick […] wohltuend und […] befreiend.“106 Was genau Hurton damit meinen könnte, wird bei ihrer Kollegin Ruhleder deutlich. Sie fragt, ob man sich tatsächlich mit jedem „verkumpeln“107 müsse, um ein „freundschaftliches, kollegiales Verhältnis“108 zueinander zu haben und gibt zu verstehen, dass sie es für völlig normal halte, „dass wir uns, die wir auf immer engerem Raum miteinander auskommen müssen, ein wenig abgrenzen und einen Abstand einhalten wollen, der uns und auch andere schützt.“109 Dass diese distanzierte Anrede eine Schutzfunktion innehabe, meint auch Begemann: „Das ‚Sie‘ schafft Distanz und macht

104 Ruhleder 2001, S. 53; so auch Wrede-Grischkat: „[D]er Gebrauch des Vornamens […] wirkt in unserer Kultur anbiedernd bis peinlich.“ (Wrede-Grischkat 1992, S. 70). 105 Hurton 1993, S. 45; so auch an anderer Stelle: „Das seit den 60er Jahren verbreitete ‚Du‘ für alle ist eine späte Frucht der Studenten-, Öko-, Friedens- und Frauenbewegung. Ein naives Kürzel für Gleichheit – Unmittelbarkeit – Offenheit. [...] Die bürgerliche Gesellschaft kannte das allgemeine ‚Du‘ ursprünglich nicht, dazu war sie zu sehr mit Abgrenzungen beschäftigt. Es ist das bürgerliche, sozialistische ‚Du‘, das sich in der Gewerkschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts entwickelte, das im neuen ‚promiskuitiven Du‘ nachwirkt.“ (Hurton 1993, S. 42). 106 Hurton 1993, S. 45; so auch Graff und Schaupp: „‚Sie‘ ist die neutrale Ebene, auf der sich jeder mit jedem trifft, wobei die intimen Distanzzonen voll gewahrt werden. Es lässt für jeden die meisten Freiheiten des Umgangs.“ (Graff, Schaupp 2006, S. 21); so auch Machwirth: „Offensichtlich bewirken die Sprachwendungen der Höflichkeit, indem sie die miteinander Redenden in eine fixierte Form zwingen, daß im alltäglichen Verkehr der Individuen untereinander eine Distanz eingehalten wird. [...] In dieser Form [Sie] vereinigt sich also Abstand und Unerreichbarkeit mit zugestandener Machtfülle und damit gleichzeitig Betonung der eigenen Hintanstellung oder gar Geringschätzung.“ (Machwirth 1970, S. 170ff.). 107 Ruhleder 2001, S. 56. 108 Ruhleder 2001, S. 56. 109 Ruhleder 2001, S. 56.

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es einfacher, Konflikte zu thematisieren und Widerspruch anzumelden.“110 Außerdem – auf diesen Aspekt weist Meyden hin – könnten sich Kollegen durch das selektive „Duzen im geschäftlichen Umgang […] von einer vermuteten Freundschaft oder von Informationen […] ausgeschlossen fühlen“.111 Deshalb rät sie dazu, dass im beruflichen Alltag selbst diejenigen, die sich im Privatleben duzen, das „Du“ vor Anderen umgehen oder sich während der Arbeit siezen112, wobei sich hier die eingangs erwähnte Haltung Wrede-Grischkats wiederfindet. Außerdem spricht die etwas abwegig erscheinende Aufforderung, sich im geschäftlichen Kontext zu siezen, obwohl man sich sonst duzt und eine vertraute Beziehung zueinander hat, für eine bestehende Trennung zwischen Berufs- und Privatleben. Ob es sich hierbei jedoch um einen typisch deutschen „Kulturstandard“ handelt, ist fraglich und wird an anderer Stelle noch zu klären sein. Dass die Anredeform ein wichtiger Indikator für die Stellung der Beteiligten zueinander ist – konkret gilt die Formel „Soziale Nähe = Du; soziale Distanz = Sie“113 – wird auch dadurch bestätigt, dass, während das Duzen unter bestimmten Umständen eine mögliche Anrede unter Kollegen darstellt, dies keinesfalls für einen Höherrangigen gilt, wie z. B. Teusen klar stellt: „Auch wenn man sich im Kollegenkreis mit du anspricht, so ist für den Vorgesetzten das Sie plus Nachname die korrekte Anrede.“114 Aus diesem Grund findet sich in den BusinessEtikette-Büchern immer wieder folgender Rat an aufstiegsorientierte Angestellte:

110 Begemann 2008, S. 37; so auch an anderer Stelle: „[…] die anderen warnen, Konflikte seien mit etwas mehr Distanz – also per Sie – leichter auszutragen.“ (Begemann 2007, S. 94); so auch Teusen: „Siezen gewährleistet eine gewisse Distanz zwischen Mitarbeitern und Chef, was gerade in unangenehmen Situationen die Verhandlungen erleichtern kann.“ (Teusen 1997, S. 92); so auch Helbach-Grosser: „Vorgesetzte vertreten deshalb oft die Ansicht, einem Mitarbeiter, den sie beurteilen müssen, niemals das Du anzubieten.“ (Helbach-Grosser 2007, S. 49ff.). 111 Meyden 2008, S. 28. 112 Vgl. Meyden 2008, S. 28; so auch Helbach-Grosser: „Oft heißt es: Vor der Kundschaft kein Du!“ (Helbach-Grosser 2007, S. 49ff.); so auch Ruppert: „Es gibt Situationen, in denen Duzen und Siezen neu aufgestellt werden. So ist es durchaus üblich, dass Kollegen, die im ungezwungenen sozialen Kontakt per DU sind, sich im offiziellen Sprachverkehr, zum Beispiel bei Gesprächen mit Kunden, siezen.“ (Ruppert 2007, S. 89). 113 Helbach-Grosser 2007, S. 49. 114 Teusen 1997, S. 42; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 49ff.

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„Ob Sie Ihre Kollegen duzen sollten, will gründlich überlegt sein. Ein einmal ausgesprochenes Du kann nämlich nicht mehr zurückgenommen werden; sollten Sie also wenig später befördert werden, ist Ihre alte Abteilung mit dem neuen Chef immer noch per Du.“115

Der Rang ist also – in diesem Punkt behalten die interkulturellen Ratgeber Recht – durchaus ein Kriterium bei der Wahl der Anrede. Aus dieser Tatsache abzuleiten, dass sich in Deutschland das „Status- und Rollenverhältnis“116 direkt in der Anrede niederschlage, während der Umgang in den USA völlig frei von Rangunterschieden sei, ist hingegen ein voreiliger Schluss. Denn zum einen wurde im vorangegangenen Kapitel bereits gezeigt, dass auch die Anrede unter amerikanischen Geschäftsleuten vom Rang der betreffenden Personen abhängt. Zum anderen wird etwa die Möglichkeit einer „nichtreziproken“ oder „asymmetrischen“ Anrede von den deutschen Autoren – anders als in den amerikanischen Ratgebern – strikt abgelehnt.117 Zwar sei es ein Privileg des Vorgesetzten, zwischen dem „Du“ und dem „Sie“ zu entscheiden, doch gelte die gewählte Anrede immer für beide Seiten: „Als Mitarbeiter sollten Sie dem Vorgesetzten das DU nicht anbieten. Sie dürfen im Gegenzug aber auch erwarten, selbst nicht einfach geduzt zu werden.“118 115 Adam 2007, S. 189; so auch Helbach-Grosser: „Der Duzfreund macht Karriere, die Juniorchefin [...] übernimmt die Firma: Muss die Anredeform geändert werden? […] Die Rückkehr zum Siezen nach dem Aufstieg ins Führungslager kann von Ihren Mitarbeitern als Abwertung empfunden werden. […] Überlegen Sie sich also gut, mit wem Sie per Du sein wollen. Ein Du wieder in ein Sie umzuwandeln, ist eine ernste Sache!“ (Helbach-Grosser 2007, S. 49ff.). 116 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 40. 117 So Ammon: „Aber weder die grundlegenden, unsere Gesellschaft und deren Entwicklung prägenden Klassen- noch die Schichtenunterschiede finden ihren Ausdruck im asymmetrischen Gebrauch von Pronomen bei der Anrede. Nur in kleineren, besonders patriarchalisch strukturierten Betrieben ländlicher Regionen kommt es noch vor, daß der Besitzer des Betriebs seine Arbeiter duzt, diese ihn aber siezen. Aber dies sind Relikte, nicht die Regel.“ (Ammon 1972, S. 76f.). 118 Ruppert 2007, S. 88; so auch Graff und Schaupp: „Ein Mitarbeiter […] sollte es deshalb unterlassen, dem Chef das ‚Du‘ anzubieten. Ebenso wenig sollte dieser ohne Absprache auf das übliche ‚Sie‘ verzichten, weil das als mangelnde Achtung dem Mitarbeiter gegenüber gewertet wird.“ (Graff, Schaupp 2006, S. 22); einzige Ausnahme bei Hanisch: „Gerade jüngere Menschen wünschen sich manchmal von älteren Personen mit Vornamen angesprochen zu werden. Wenn Sie das bevorzugen, bieten Sie dem Gegenüber an, Sie beim Vornamen zu nennen. Bitte berücksichtigen Sie dabei, dass damit keineswegs automatisch das Recht entsteht, den anderen duzen

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Dass das Duzen im Berufsleben zwingend an eine längere persönliche Beziehung gekoppelt ist, ist eine weitere These von Seiten der Interkulturalisten, die es zu hinterfragen gilt. Doch die Analyse der deutschen Business-EtiketteRatgeber zeigt vielmehr, dass das Duzen auch in bestimmten Branchen119, Unternehmen120 oder Abteilungen einer Firma zum Standard erklärt werden kann.121 So gilt etwa in der „jungen dynamischen Welt der New-Economy“122 und „z. B. im Showbusiness, im Bereich der Medien“123 das „Du“ als allgemein übliche Anredeform und so wird beispielsweise „in der Produktion schneller geduzt als in der Verwaltung“124. Dagegen sei laut Möllers in „traditionellen Unternehmen“ „besondere Zurückhaltung beim D[uzen] geboten, weil hier, speziell zwischen Mann und Frau, oft persönlichere Beziehungen oder Affären vermutet werden.“125 Weiterhin stellen Pfister et al. fest, dass „Unternehmen, die starke Hierarchien haben wie Banken, Versicherungen und die Automobilindustrie […] eher zu einer Siez-Kultur [tendieren].“126 Und auch die Betriebsgröße spielt eine Rolle, denn „[i]n einer kleineren Firma ist man schneller beim Du als in einem Konzern.“127 Wo schließlich das Duzen zur allgemein üblichen Anredeform erklärt wurde, wird meist auch der Chef von dieser Regelung nicht ausgenom-

zu dürfen. Es handelt sich hierbei um ein einseitiges Angebot Ihrerseits.“ (Hanisch 2003, S. 53). 119 So Nagiller: „Es gibt Branchen, in denen das Du-Wort absolut gebräuchlich ist, wie z.B. die Medienbranche sowie kreative Berufe und junge Unternehmen.“ (Nagiller 2004, S. 119); vgl. Begemann 2007, S. 94; vgl. Schönfeldt 1996, S. 35. 120 So Pfister et al.: „Es gibt Unternehmen, in denen alle Mitarbeiter geduzt werden – vom Pförtner bis zum Geschäftsführer. Es gibt aber auch Unternehmen, die eine strenge Siez-Kultur haben.“ (Pfister et al. 2005, S. 31f.); vgl. Begemann 2007, S. 94f.; vgl. Schönfeldt 1996, S. 35; vgl. Lüdemann 2009, S. 130; vgl. WredeGrischkat 1992, S. 64; vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 22f. 121 Vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 21. 122 Helbach-Grosser 2007, S. 49; vgl. Möllers 2005, S. 77; vgl. Pfister et al. 2005, S. 31f. 123 Möllers 2005, S. 77; vgl. Nagiller 2004, S. 119; vgl. Pfister et al. 2005, S. 31f. 124 Helbach-Grosser 2007, S. 49ff.; so auch an anderer Stelle: „In der Werkshalle duzen sich mehr Mitarbeiter als in der Verwaltung.“ (Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 59f.); vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 64. 125 Möllers 2005, S. 77. 126 Pfister et al. 2005, S. 31f. 127 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 59f.

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men128, das heißt, die branchenspezifischen Gepflogenheiten übertreffen hier den Rang in seiner maßgebenden Funktion. Wie bereits an anderer Stelle festgestellt, sind die Aussagen der Etikette-Ratgeber der interkulturellen Literatur außerdem insofern überlegen, als sie weiter differenzieren bzw. kleinere Bezugskollektive zugrunde legen und damit – davon wird der Kollektivtheorie entsprechend ausgegangen – der Realität näher kommen. So ist laut Etikette neben dem Rang und der Unternehmenskultur auch das Alter ein wichtiges Kriterium bei der Wahl der Anrede. Das „Du“ sei insbesondere unter „jüngeren Kollegen akzeptiert“129, wohingegen sich „ältere Kollegen […] manchmal brüskiert“130 fühlen durch das unterschiedslose Duzen. Doch auch in diesem Fall gilt es, sich den im Unternehmen geltenden Regeln anzupassen, um nicht „rettungslos zum Außenseiter abgestempelt“131 zu werden: „Wenn die Firmenkultur eine Variante bevorzugt […], tun Sie gut daran, einfach mit dem Strom zu schwimmen. Als Duzer in einer ‚Sie-Kultur‘ werden Sie ebenso anecken wie als hartnäckiger Siezer in einem Umfeld, in dem man sich duzt. Man wird Ihnen wahlweise mangelnde Umgangsformen und Distanzlosigkeit oder Arroganz und Vorgestrigkeit unterstellen.“132

Während – wie bereits eingangs erläutert – die „wohltuende Distanz“133 von den Autoren als Beweggrund für das Siezen genannt wird, erkennen sie auf der anderen Seite durchaus positive Effekte des Duzens auf den beruflichen Alltag. So wird etwa von den beiden Etikette-Expertinnen Teusen und Nagiller behauptet,

128 So Schäfer und Schäfer: „Es gibt Unternehmen (wie z.B. Werbeagenturen), in denen zwischen dem Chef und den Mitarbeitern kein formaler Unterschied gemacht wird. Alle reden sich mit ‚Du‘ an.“ (Schäfer, Schäfer 2000, S. 22f.); so auch Lüdemann: „Nicht selten duzt man sich heutzutage in Unternehmen querbeet. Ob Praktikant oder Vorstandsvorsitzender – mit Eintritt in das Unternehmen ist man per se beim Du mit jedermann. Gerade in jungen Firmen soll ein generelles Du die dynamische Unternehmenskultur unterstreichen.“ (Lüdemann 2009, S. 130). 129 Teusen 1997, S. 36; vgl. Teusen 1997, S. 42; vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 23; vgl. Nagiller 2004, S. 119. 130 Schönfeldt 1996, S. 35. 131 Klein 2005, S. 44; so auch Helbach-Grosser: „Sicherlich wird der Du-Verweigerer einige Zeit einen Außenseiter-Status haben.“ (Helbach-Grosser 2007, S. 49); vgl. Schönfeldt 1996, S. 35; vgl. Begemann 2008, S. 37. 132 Begemann 2007, S. 94f. 133 Vgl. Hurton 1993, S. 45.

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das „Du“ „vermittel[e] eine gewisse Nähe“134, die „motivierend“135 wirke. Weitere Vorteile der vertrauteren Anrede betreffen die Stärkung von „Teamgeist“136 und „Wir-Gefühl“137 sowie infolgedessen die Verbesserung des „Betriebsklimas“138. Vor dem sich daraus womöglich ergebenden Fehlschluss, das „Duzen“ des Vorgesetzten bedeute, dass „hierarchische Unterschiede tatsächlich eingeebnet“139 würden, warnt Begemann: „Auch ein ‚Du, Klaus‘-Chef wird äußerst empfindlich reagieren, wenn Sie seine Chefrolle infrage stellen“.140 Auch Brigitte Nagiller betont, dass trotz informeller Anrede keinesfalls die innerbetriebliche Hierarchie außer Kraft gesetzt sei: „Die meisten Unternehmen sind hierarchisch strukturiert, das heißt, es gibt ein klar definiertes Oben und Unten. Auch dann, wenn der Umgangston kumpelhaft ist, […] und auch dann, wenn man einander mit dem Vornamen anspricht und per Du ist.“141 Mit Gleichheit aller hat also sowohl in der deutschen als auch der amerikanischen Geschäftswelt das Duzen bzw. die Verwendung des Vornamens wenig zu tun. Eine Mittlerposition zwischen den Autoren, die sich für das Siezen im betrieblichen Kontext aussprechen und denen, die das Duzen unter bestimmten Voraussetzungen für ebenso akzeptabel halten, nehmen die Business-EtiketteExperten ein, die das sogenannte „Hamburger Sie“ für die ideale Anredeform halten.142 Bei dieser von Helbach-Grosser als „goldener Mittelweg“143 bezeichneten Anrede handelt es sich um die Verbindung aus „Sie“ und dem Vornamen. Die Bezeichnung rührt laut Hans-Michael Klein von einer regional unterschiedlichen Akzeptanz des Duzens: „In Norddeutschland ist die Anrede Du weit we134 Teusen 1997, S. 92; vgl. Nagiller 2004, S. 119. 135 Teusen 1997, S. 92. 136 Teusen 1997, S. 42; Schönfeldt 1996, S. 35. 137 Helbach-Grosser 2007, S. 49. 138 Teusen 1997, S. 92; vgl. Begemann 2007, S. 94. 139 Begemann 2007, S. 94f. 140 Begemann 2007, S. 94f. 141 Nagiller 2004, S. 94. 142 So Schönfeldt: „Es gibt eine Mischform der Anrede, mit der man sich vielleicht eher befreunden kann: das förmliche Sie in Verbindung mit dem Vornamen.“ (Schönfeldt 1996, S. 35); so auch Schäfer und Schäfer: „Heute sehr gebräuchlich ist das ‚Siezen‘ kombiniert mit der Anrede des Vornamens.“ (Schäfer, Schäfer 2000, S. 23); so auch Commer: „Eine Zwischenform und meines Erachtens eine besonders gute Lösung, die […] auch in unserem beruflichen Alltag mehr und mehr durchsetzt, ist die Anrede mit Vornamen und Sie.“ (Commer 1992b, S. 63; Hervorhebung im Original); vgl. Wolff 1997, S. 43. 143 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 59f.

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niger gebräuchlich als im mittleren oder südlichen Teil von Deutschland. Dafür ist dort die Kombination aus Sie und Vornamen weit häufiger anzutreffen als anderswo.“144 Andere Autoren, wie etwa Teusen und Commer, sehen den Ursprung dieser Mischform vielmehr im „englischsprachigen Ausland“145 und beziehen sich dabei wiederum auf die Annahme, dass die Verwendung des Vornamens in den Vereinigten Staaten weit verbreitet sei. Zu befürworten ist das „Hamburger Sie“ laut Pfister et al. insbesondere deshalb, weil es die Vorteile einer förmlichen und einer vertrauten Anrede vereint: „Sie zeigen sich so modern und locker, zeigen aber immer noch etwas Distanz und den erwarteten Respekt.“146 Als „willkommene[r] Mittelweg zwischen Nähe und Distanz“147 oder „moderne Zwischenlösung“148, die gleichzeitig „Vertraulichkeit und Distanz, von denen das erste oft gewährt sein und das andere ebenso oft gewahrt bleiben muß“149 schafft, bezeichnen die anderen deutschen Autoren diese Anredevariante. Und obwohl das „Hamburger Sie“ – betrachtet man die hohe Zahl der Befürworter dieser Anrede unter den Autoren – scheinbar eine beliebte Alternative zum Duzen darstellt, finden sich einige Textstellen, die darauf hinweisen, dass das „Du“ in der deutschen Geschäftswelt immer weitere Kreise zieht. So meint etwa Nagiller, „dass das Du im Vormarsch [sei]“150 und auch Schäfer und Schäfer prognostizieren „[d]as allgemeine Duzen […] [werde] vermutlich in einiger Zeit auch in vielen oder allen Unternehmen akzeptiert sein.“151 Diese Tendenz hin zur vertrauteren Anrede ist tatsächlich auch in der deutschen Berufswelt zunehmend zu beobachten, sodass sich erneut die Frage nach dem Verhältnis von Idealität und Realität in den Etikette-Ratgebern stellt.152 Außerdem könnte man den Autoren das zögerliche Aufgreifen dieses Wandels als Rückständigkeit anlasten.

144 Klein 2005, S. 43; so auch Schönfeldt: „Du und Sie hat in den verschiedenen Landschaften, Alters- und Gesellschaftsklassen eine verschiedene Gewichtung. [...] In Hamburg sagt man sich am liebsten nur unter wirklichen Freunden du, redet aber befreundete Kollegen mit Sie und Vornamen an.“ (Schönfeldt 1996, S. 84). 145 Teusen 1997, S. 36; vgl. Commer 1992b, S. 63. 146 Pfister et al. 2005, S. 30f. 147 Teusen 1997, S. 36. 148 Möllers 2005, S. 77. 149 Commer 1992b, S. 63. 150 Nagiller 2004, S. 119. 151 Schäfer, Schäfer 2000, S. 23. 152 Vgl. Kapitel Der scheinbare Gegensatz: Realität versus Normativität.

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Was den Übergang von einer förmlichen zu einer vertrauteren Anredeform angeht, finden sich in der interkulturellen Ratgeberliteratur Hinweise auf ein angeblich typisch deutsches Ritual, ein spezielles „rite de passage from Sie to Du.“153: das Brüderschafttrinken. Hall beschreibt dessen Ablauf wie folgt: „There is an old custom called the Brüderschaft trinken, (drink to brotherhood), by which two friends formalize their shift to the more intimate form of address. They hook arms and each sips from his glass. They then shake hands and announce their first names.“154 Er interpretiert diese Sitte als Ausdruck des „German desire for formality and politeness between people“155, die – man denke an das tägliche Händeschütteln im Büro – allgegenwärtig sei. Hier taucht erneut die These von der deutschen Vorliebe für Förmlichkeit als Gegensatz zum amerikanischen Hang zur informality auf, die jedoch bislang dem Vergleich der EtiketteRatgeber nicht standgehalten hat. Bestätigt wird auch von soziologischer Seite, dass der Wechsel der Anrede nicht naht- und formlos vonstatten geht. „Selbst für das Aufgeben von Formen gibt es wieder bestimmte Vorschriften und u.U. sogar zeremonienhafte Formen: Nicht jeder darf das ‚Du‘ anbieten; man trinkt auf das ‚Du‘ usw.“156 Doch die Analyse der Business-Knigge ergibt, dass in der deutschen Geschäftswelt vom Brauch des Brüderschafttrinkens abgesehen wird. Pfister et al. schreiben explizit: „Für ein ‚Du‘ reicht ein Handschlag aus. Verzichten Sie im Berufsleben auf Brüderschaft-Trinken und Kussaustausch.“157 Dass die übrigen Autoren diese Gepflogenheit überhaupt nicht erwähnen, legt nahe, dass sie zu 153 Wouters 2007, S. 118; Hervorhebung im Original; so auch Clyne et al.: „[…] in some contexts the transition from a Sie to a du relationship is still generally a rite of passage […].“ (Clyne et al. 2006, S. 300). 154 Hall, Hall 1983a, S. 57; so auch Sabath: „During the transition from last-name basis to first-name basis, a drink ritual generally takes place. Your German friend will intertwine his right arm with yours, and with drinks in hand, will say ‚To brotherhood‘. Return the toast.“ (Sabath 2002, S. 168). 155 Hall, Hall 1983a, S. 57; so auch Wouters: „The importance of this drinking ritual and of the change from Sie to Du implies that access to the back rooms of friendship’s equality in Germany were as well-guarded and ritualized as the drawing rooms of introduced equality in England.“ (Wouters 2007, S. 115; Hervorhebung im Original). 156 Machwirth 1970, S. 170ff. 157 Pfister et al. 2005, S. 31; so auch an anderer Stelle: „Für ein ‚Du‘ reicht ein einfacher Handschlag im Geschäftsleben.“ (Pfister et al. 2005, S. 199); so auch Quittschau und Tabernig: „Große Arien des Küsschengebens oder des BrüderschaftTrinkens sind unnötig.“ (Quittschau, Tabernig 2007, S. 24).

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keiner Zeit im Berufsleben üblich war und die Verfasser der Business-EtiketteRatgeber dies als bekannt bzw. selbstverständlich voraussetzen.158 Darstellung 6: Das Brüderschafttrinken als Übergang zum „Du“

Worin sich diese Autoren und der Soziologe Wouters einig sind, ist, dass die Initiative zum Übergang von der distanzierten zur vertrauten Anrede ein Privileg sei, das nicht jedem automatisch zuteilwerde. Die Frage „Wer bietet wem das Du an?“159 wird dabei ausführlich und nach unterschiedlichen Kriterien differenziert beantwortet. Fest steht, in diesem Punkt stimmen die Aussagen aller Autoren überein, dass im Berufsleben der in der betrieblichen Hierarchie höher Stehende den Anstoß zum Duzen geben muss. Meyden macht deutlich, dass es sich hierbei um das oberste Prinzip handelt: „Grundsätzlich bietet der Ranghöhere dem Rangniedrigeren das ‚Du‘ an. Das bedeutet, dass im Beruf immer Ihr Vorgesetzter die Initiative ergreifen muss, egal ob Sie selbst jünger oder älter als er sind und gleichgültig, ob Sie selbst Mann oder Frau sind.“160 158 Vgl. Kapitel Der scheinbare Gegensatz: Realität versus Normativität. 159 Helbach-Grosser 2007, S. 49ff. 160 Meyden 2008, S. 28f.; so auch Wrede-Grischkat: „Dass das ‚Du‘ grundsätzlich von der/dem Ranghöheren dem Rangniederen anzubieten ist, wird im Berufsleben eigentlich nie in Frage gestellt.“ (Wrede-Grischkat 1992, S. 64); so auch Helbach-

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Diesem Kriterium sind jedoch weitere Indikatoren, wie eben Alter161, Geschlecht162 und „Dauer der Betriebszugehörigkeit“163, untergeordnet, d. h. sind zwei Personen auf der gleichen Hierarchiestufe, darf entweder der Ältere, die Frau oder der Dienstältere den Übergang zum „Du“ anregen. Hier endet jedoch das Einvernehmen zwischen den Autoren. So argumentiert etwa Adam, das „Alter und Geschlecht spiel[e] keine Rolle“164 und derjenige, „der dem Unternehmen am längsten angehör[e]“165, hätte das Initiativrecht. Auch Wolff hält Altersunterschiede lediglich im privaten Bereich für ausschlaggebend“166 und das Geschlecht wird ebenso von vergleichsweise wenigen Autoren als Maßstab anerkannt. Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass der Übergang vom „Sie“ zum „Du“ stark reglementiert ist und in erster Linie vom Rang der Beteiligten bestimmt wird.

Grosser: „Im Unternehmen spielt in erster Linie der Rang eine Rolle.“ (HelbachGrosser 2007, S. 49ff.); vgl. Ruppert 2007, S. 88; vgl. Wolff 1997, S. 42f.; vgl. Pfister et al. 2005, S. 199; vgl. Begemann 2007, S. 96; vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 60; vgl. Klein 2005, S. 43; vgl. Lüdemann 2009, S. 130. 161 Vgl. Begemann 2008, S. 38; vgl. Begemann 2007, S. 96; vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 60; vgl. Lüdemann 2009, S. 130; vgl. Möllers 2005, S. 77; vgl. Commer 1992b, S. 63; vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 23; vgl. Commer, von Thadden 1999, S. 33. 162 So Klein: „Wenn zwischen Mann und Frau das Du angeregt wird, so geht die Initiative stets von der Frau aus.“ (Klein 2005, S. 43); so auch Möllers: „Bei gleicher Rangordnung bietet im Unternehmen die Dame dem Herrn das ‚Du‘ an.“ (Möllers 2005, S. 77); vgl. Nagiller 2004, S. 120; vgl. Ruhleder 2001, S. 53; vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 23. 163 Meyden 2008, S. 28f.; so auch Ruppert: „Der Dienstältere bietet dem Dienstjüngeren das DU an.“ (Ruppert 2007, S. 88); so auch Helbach-Grosser: „Falls jemand ganz neu in Ihrer Abteilung ist und Sie ein ‚alter Hase‘ sind […], ergreifen Sie die Initiative.“ (Helbach-Grosser 2007, S. 49ff.); vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 60; vgl. Klein 2005, S. 43; vgl. Lüdemann 2009, S. 130; vgl. Möllers 2005, S. 77. 164 Adam 2007, S. 189. 165 Adam 2007, S. 189. 166 Wolff 1997, S. 42f.

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Darstellung 7: Das „Du“ muss vom Ranghöheren ausgehen.

Gleicht man die hier gewonnenen Erkenntnisse mit den eingangs vorgestellten Thesen der Interkulturellen Kommunikation ab, offenbaren sich einige grundlegende Differenzen. Grundsätzlich gestaltet sich die Anrede weitaus differenzierter als von den Interkulturalisten angenommen. Während diese das „Sie“ in Verbindung mit dem Nachnamen für die einzig denkbare Anredeform im Berufsleben erachten, wird in den Business-Etikette-Ratgebern etwa nach Rang und Alter der Personen oder Branche und Unternehmenskultur unterschieden.167 Auch hier kennt man vertrautere Anredeformen, wie das Duzen oder das „Hamburger Sie“, und diese breiten sich zunehmend aus, was wiederum die These von der typisch deutschen Förmlichkeit relativiert. Dass das Anredeverhalten – wie von Slate und Schroll-Machl angenommen – in Deutschland das „Status- und Rollenverhältnis“168 widerspiegelt, ist zwar richtig, jedoch kein deutsches Spezifikum, insofern als der Rang in gleichem Maße auch die Anrede unter amerikanischen Geschäftsleuten bestimmt. Die Behauptung, das Duzen wäre in Deutschland le167 Diese weitere Differenzierung deckt sich auch mit den Erkenntnissen der Anredeforschung; hier werden etwa die Kollektive West- und Ostdeutsche, Sportler und Golfspieler etc. unterschieden; vgl. Straßmann 27.06.2013. 168 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 40.

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diglich nahestehenden Personen, also insbesondere Freunden und Familienangehörigen, vorbehalten, wird durch den Vergleich mit den Etikette-Ratgebern nur teilweise verifiziert. Denn während zwar die Formel „Soziale Nähe = Du; soziale Distanz = Sie“169 grundsätzlich auf das Anredeverhalten anwendbar ist, schließt das nicht automatisch aus, dass das „Du“ unter Kollegen oder unter bestimmten Voraussetzungen auch mit Geschäftspartnern oder Vorgesetzten zur legitimen Anrede erklärt wird. Folglich kann auch in diesem Kontext die vermeintlich typisch deutsche „Trennung der Lebensbereiche“170 nicht bestätigt werden. Das heißt, die Grenzziehung zwischen Berufs- und Privatleben ist doch nicht so strikt, wie von den beiden Interkulturalistinnen Slate und Schroll-Machl unterstellt. Fazit: Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Anrede Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die in der interkulturellen Ratgeberliteratur propagierten Thesen einem Vergleich mit der Business-Etikette beider Länder nur bedingt standhalten. Als unhaltbar erweist sich etwa die Behauptung, der Rang sei in der Geschäftswelt der USA – dem Land der allgemeinen Gleichheit – bei der Wahl der Anrede völlig nebensächlich. Tatsächlich stimmen die Autoren darin überein, dass es der höherrangigen Person überlassen bleiben sollte, über die Anrede und den darin implizierten Grad der Vertrautheit zu entscheiden. Diese, wie Machwirth sie nennt, „positive[n] Prioritäten der Zeit“171, die dem in der Hierarchie höher Stehenden eingeräumt werden, stellen womöglich eine universale Form der Höflichkeit dar; fest steht jedenfalls, dass sie die Geschäftswelt beider Vergleichsländer kennzeichnen. Ebenso lässt sich der These, die typisch amerikanische informality im Anredeverhalten stehe im klaren Kontrast zu einer ausgeprägten deutschen Förmlichkeit, entgegenhalten, dass beide Positionen übersteigerte Extreme darstellen. Weder ist es laut Etikette im amerikanischen Geschäftsleben üblich, sich sofort und ungefragt beim Vornamen zu nennen, noch ist unter deutschen Managern das „Sie“ in Kombination mit dem Nachnamen die einzig denkbare Anrede. Eine Parallele zu den Annahmen der Interkulturalisten zeigt sich hingegen bezüglich der Verbreitung der informellen Anredeformen unter amerikanischen Geschäftsleuten. Zwar sprechen sich die Autoren überwiegend gegen eine automatische Verwendung des Vornamens aus, doch ist an ihren Äußerungen abzulesen, dass diese „Unsitte“ – die von Seiten der Interkulturellen Kommunikation allerdings 169 Helbach-Grosser 2007, S. 49. 170 Vgl. Schroll-Machl 2007a, S. 79. 171 Machwirth 1970, S. 211f.

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als Norm präsentiert wird – tatsächlich immer weitere Kreise zieht. Was in der interkulturellen Ratgeberliteratur wiederum unter dem amerikanischen „Kulturstandard“ der Informalität verbucht werden würde, ist jedoch keineswegs ein amerikanisches Spezifikum. Vielmehr handelt es sich hierbei um Prozesse der „Informalisierung“172, ein von Wouters geprägter Begriff, der eine (vermeintliche) Lockerung im Benimmkodex meint, die mit abnehmendem Machtgefälle zwischen einzelnen Kollektiven einhergeht.173 Diese Tendenz beobachtet der Soziologe jedoch nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern außerdem noch in den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland, sodass die Vermutung nahe liegt, dass es sich hierbei um ein transnationales Phänomen handelt.174 Tatsächlich wird die zunehmende Verbreitung der vertrauteren Anredeformen – konkret des Duzens oder auch des „Hamburger Sie“ – auch von den Autoren deutscher Etikette-Ratgeber beschrieben.175 Sollten dennoch graduelle Unterschiede in der Akzeptanz des Vornamens bzw. des Duzens im Geschäftsleben bestehen, so könnte man diese damit erklären, dass der „Informalisierungsprozess“ in den Vereinigten Staaten womöglich bereits weiter fortgeschritten ist als in Deutschland oder, allgemein ausgedrückt, die beide Nationen nicht zeitgleich auf exakt dem gleichen Punkt auf der „Formalisierungs-Informalisierungs-Reformalisierungs-Spirale“176 angelangt sind. Die Ergebnisse des vorangegangenen Vergleichs zeigen jedoch, dass – sollte diese Theorie zutreffen – die hieraus resultierenden Unterschiede im Anredeverhalten keineswegs unüberbrückbare Diskrepanzen im Umgang amerikanischer und deutscher Geschäftsleute miteinander bewirken.

172 Vgl. Wouters 2007; vgl. Wouters et al. 1999; vgl. Wouters 1990. 173 Vgl. Wouters 2007, S. 167; vgl. Mennell 2007, S. 76. 174 Vgl. Kapitel Nation. 175 Vgl. Straßmann 27.06.2013. 176 So Wouters: „Developments in Germany and the Netherlands were certainly in the same direction, but in comparison with England and the USA, the use of first names was less easy and general. Both countries lagged behind, the Germans more than the Dutch.“ (Wouters 2007, S. 75f.); so auch an anderer Stelle: „In Germany, a similar process of social equalization via diminishing social and psychic distance was lagging behind. Duzen (the use of the informal you) and the use of Christian names remained quite restricted until the 1950s, from which time onwards repeated complaints about too hastily crossing these important borderlines signified the presence of the informalizing trend.“ (Wouters 2007, S. 77f.; Hervorhebung im Original).

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D IE R EGELN ZUM S MALLTALK Die Regeln zum Smalltalk, dem „unverbindlichen Geplauder“177 oder „kleinem Gespräch“178, wie es teilweise in den deutschen Etikette-Ratgebern heißt, umfassen eine Vielzahl unterschiedlicher Teilaspekte, die wiederum mehrere verschiedene Umgangsformen beinhalten. Neben der Bedeutung und Funktion im geschäftlichen Kontext wird auf die Anlässe bzw. Gelegenheiten für Smalltalk eingegangen. Die Themenwahl, also in erster Linie die Aufzählung von Tabuthemen, nimmt außerdem beachtlichen Raum in den Ratgebern ein. Die konkreten Vorschriften sollen im Anschluss gegenübergestellt werden, um zu ergründen, inwiefern es sich bei den entsprechenden Umgangsformen um nationaltypische Eigenarten oder kollektivspezifische Gemeinsamkeiten handelt und ob hier die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten überwiegen. Zudem erfolgt ein Abgleich mit der interkulturellen Ratgeberliteratur, die bei diesem Thema – wie so oft – die Ansicht widerspiegelt, die Formulierung, „[a]ndere Länder, andere Sitten [gelte] natürlich auch beim Smalltalk.“179 Ob diese Gesprächsform tatsächlich unterschiedlichen Konventionen unterliegt und damit die Gefahr von Verfehlungen im Umgang zwischen amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten birgt, wird im Lauf des Kapitels geklärt. Bedeutung und Funktion Was die Bedeutung und Funktion des Smalltalks angeht, wird von Seiten der Interkulturellen Kommunikation sowie in den international vergleichenden Kapiteln der Business-Etikette-Ratgeber uneinheitlich argumentiert. Das eine Lager ist der Meinung, Smalltalk kennzeichne vor allem das Geschäftsleben in den USA und überträfe hier in seiner Bedeutung andere Länder, insbesondere auch Deutschland. So behauptet beispielsweise Adam, „In den USA [sei] Smalltalk besonders wichtig“180 und Pfister et al. bezeichnen die Amerikaner sogar als „Meister des Small Talks“181. Auch Commer rät seinen deut-

177 Adam 2007, S. 120. 178 Pfister et al. 2005, S. 209. 179 Lüdemann 2009, S. 123. 180 Adam 2007, S. 171. 181 Pfister et al. 2005, S. 58; so auch Böhm: „US-Amerikaner betonen dagegen gleichermaßen den persönlichen wie den geschäftlichen Aspekt: sie sind extrovertierter als Deutsche und ihr hauptsächliches Ziel, wenn sie sprechen, ist, gemocht und sozial

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schen Adressaten bei Verhandlungen mit Amerikanern, „[n]icht mit der Tür ins Haus [zu] fallen“, sondern ein Treffen mit einer kurzen Unterhaltung zu beginnen.182 Der vielzitierte amerikanische Leitspruch time is money scheint einer derartigen Ablenkung vom eigentlichen Zweck des Zusammentreffens nicht im Weg zu stehen, wie hier bei Oppel zu lesen ist: „So sehr in den USA time gleich money ist – ein fünf- bis zehnminütiger Smalltalk vor dem Geschäft muss sein. [...] Amerikaner lieben den kurzen Plausch vor dem Meeting und beim Kennenlernen.“183 Dass dies angeblich einen klaren Kontrast zum allgemein üblichen Verhalten deutscher Geschäftsleute darstellt, wird etwa bei Hall deutlich, wenn er schreibt: „Germans do not ‚make conversation‘ at social gatherings. They are serious and dislike small talk. They are not open to strangers or casual acquaintances.“184 Der Vorwurf der Ernsthaftigkeit und der Abneigung gegenüber einer unverbindlichen Plauderei wird den Deutschen in interkulturellen Ratgebern häufig gemacht, wie hier bei Schroll-Machl: „In Business-Gesprächen sind Deutsche zielstrebig, weil sie ihre Sache weiterbringen wollen. Sie reden nicht lange um den heißen Brei, sondern kommen auf den Punkt, um zum Kern des Gesprächs vorzustoßen. Sie konzentrieren sich auf die ihnen relevant erscheinenden Aspekte, Abschweifungen, Smalltalk oder zeitaufwendige Kontakte erscheinen ihnen als Zeitverschwendung.“185

akzeptiert zu werden […] – was sie zu ausgezeichneten Smalltalkern macht […].“ (Böhm 2005). 182 Commer, von Thadden 1999, S. 263; vgl. Oppel 2006, S. 48. 183 Oppel 2006, S. 37. 184 Hall, Hall 1983a, S. 65; so auch Whyte: „Many educated Americans strike Germans as being perversely averse to talking on serious intellectual matters and to ‚talking shop‘, even when that ‚shop‘ concerns vitally important problems. This characteristic may be observed particularly in social gatherings where the conversation may be kept on the intellectual low level of the exchange of social amenities, social banter, and trivia of one kind or another, far longer than a serious and intellectually minded German has any taste for.“ (Whyte 1952, S. 142f.). 185 Schroll-Machl 2007b, S. 54; vgl. Slate, Schroll-Machl 2007, S. 140; so auch an anderer Stelle: „Insgesamt kann man sagen, daß Deutsche weithin um einer Sache willen oder tendenziell interesse-orientiert kommunizieren und weit weniger mit beziehungsstiftender Intention. Smalltalk wird eher als anstrengend, ziellos und zeitraubend erlebt.“ (Schroll-Machl 2007b, S. 55).

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Die Interkulturalistin meint also, die deutsche Geschäftswelt funktioniere – vergleicht man ihre Aussage mit der Oppels – noch mehr als die amerikanische nach dem Motto „Zeit ist Geld“. Abgesehen von der eigenen Zeit, die als kostbar erachtet werde, gelte es auch, respektvoll mit der Zeit des Gesprächspartners umzugehen und deshalb ohne „lange Aufwärmphase“ „[s]chnell zum Punkt zu kommen“.186 Zusätzlich erklärt sie dieses Desinteresse an Smalltalk anhand einer ausgeprägten Sachorientierung (im Gegensatz zur Personenorientierung) der Deutschen: „Für die berufliche Zusammenarbeit sind unter Deutschen die Sache, um die es geht, die Rollen und die Fachkompetenzen der Beteiligten ausschlaggebend.“187 Dass diese vermeintliche Sachorientierung ein Hindernis für Smalltalk darstellen könnte, lässt sich aus der Funktion heraus erklären, die diesem zugeschrieben wird. Denn im Allgemeinen wird davon ausgegangen, Smalltalk ermögliche, „eine persönliche Beziehung zu [einem] Geschäftspartner auf[zu]bauen.“188 Schroll-Machl zufolge legt man in der deutschen Geschäftswelt sehr geringen Wert auf den Aufbau einer über das beruflich Erforderliche hinausgehenden Beziehung.189 In diesem Punkt sieht die Autorin Konfliktpotential zwischen amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten, wie sie zudem anhand einer konkreten Interaktionssituation – eines sogenannten critical incident190 – schildert: In dem von ihr gewählten Beispiel stellt ein amerikanischer Angestellter seine Eingewöhnungsschwierigkeiten in Deutschland dar und beklagt, dass seine Kollegen völlig desinteressiert seien, da niemals „einfach geplaudert“ oder „etwas Persönliches, über die Zusammenarbeit Hinausgehendes“ gefragt werde.191 Vielmehr, das bekräftigt auch Heidi Byrnes in ihrem Vergleich des amerikanischen und deutschen Konversationsstils, stehe die Vermittlung von Informationen im Vordergrund; es gehe um Fakten und Tatsachen und nicht darum, die 186 Schroll-Machl 2007b, S. 124. 187 Schroll-Machl 2007a, S. 74. 188 Adam 2007, S. 120. 189 Schroll-Machl 2007a, S. 78; so auch an anderer Stelle: „Der Führungsstil Deutscher ist betont sachorientiert. Ein Chef beschränkt sich in der Interaktion mit seinen Mitarbeitern weithin auf berufliche Themen. […] Wenn es etwas Sachliches zu besprechen gibt trifft man sich, ansonsten ist der Mitarbeiter wie der Chef auf seine Aufgaben konzentriert; für Plaudereien hat ein Chef kaum Zeit.“ (Schroll-Machl 2007b, S. 50); so auch Moosmüller (in der Zusammenfassung kontrastiver Charakterisierungen von Deutschen und Amerikanern): „Die Inhaltsebene ist wichtiger als die Beziehungsebene.“ (Moosmüller 1997, S. 50). 190 Vgl. Haas 2009, S. 86; vgl. Hufnagel, Thomas 2006, S. 19. 191 Schroll-Machl 2007b, S. 148; vgl. Schroll-Machl 2007b, S. 135.

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Wertschätzung gegenüber einer Person auszudrücken oder Zugang zu dieser zu finden.192 Auf der anderen Seite gibt es Stimmen unter den Interkulturalisten, die eine völlig konträre Ansicht vertreten und „den Deutschen“ – wie sie immer pauschal schreiben – eine besondere Vorliebe für Smalltalk nachsagen. So behauptet etwa Stephen Kalberg: „Because of its unhurried, uncompetitive, and person-oriented character, this conversational form (plaudern) might be very much missed by the German in America, especially one who associated primarily with achievementoriented professionals.“193 Die starke Erfolgsorientierung unter amerikanischen Geschäftsleuten – so könnte man seine These zusammenfassen – halte diese vom Smalltalk ab, was ein für Deutsche ungewohntes, von Unpersönlichkeit, Zeitund Wettbewerbsdruck geprägtes Arbeitsklima schaffe. Ähnlich argumentiert Schmidt: „Americans want to get down to business as quickly as possible. They have little inclination to get to know the other person. A typical attitude is ‚Why fool around chit-chatting when we could be making deals?‘“194 Nun wird also amerikanischen und nicht mehr deutschen Geschäftsleuten eine mangelnde Personenorientierung vorgeworfen. Und auch an anderer Stelle wird eine lange Unterhaltung ohne Bezug zum eigentlichen Grund des Treffens abgelehnt: „Amerikaner kommen sofort auf das Geschäft zu sprechen. Ausführlicher Small Talk gilt als Zeitverschwendung, sie erwarten intensive und rasche Kommunikation.“195 Max Otte wiederum legt sich auf keine der beiden Optionen fest – er stellt es den Lesern frei, ob sie direkt zum Geschäft übergehen oder ein kurzes persönliches Gespräch beginnen: „Für Geschäftsgespräche mit Amerikanern stehen Ihnen zwei Strategien zur Verfügung. Erstens können Sie mit einigen Minuten small talk beginnen. [...] Die zweite Strategie überspringt das small-talk-Stadium. Nach den ersten Floskeln kommen Sie sofort zur Sa-

192 So Byrnes: „Rather, in German [conversational] style there is greater emphasis on the information-conveying function of language, as compared with its social bonding function. Such an orientation is concerned more with facts and truth-values […].“ (Byrnes 1986, S. 200ff.). 193 Kalberg 1987, S. 614; Hervorhebung im Original. 194 Schmidt 2007, S. 59f.; diese Haltung wird bei Bowman bestätigt: „More often than not, we tend to dismiss small talk as just aimless prattle, something to fill in pauses and downtime. Most do not use small talk to their advantage. Americans in particular are challenged by this. We are a nation of fast-talkers. Time is money. We feel a need to get to the point.“ (Bowman 2007, S. 40). 195 Nagiller 2004, S. 267.

236 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER BUSINESS CULTURE che. Damit demonstrieren Sie Ernsthaftigkeit und Effizienz, einen sogenannten no-nonsense-approach.“196

Die interkulturelle Ratgeberliteratur bietet also keine klare Einschätzung der Bedeutung von Smalltalk in den beiden Geschäftswelten. Dass in diesem Bereich Unterschiede zwischen beiden Berufskollektiven bestehen, wird von den hier zitierten Interkulturalisten als ausgemachte Tatsache präsentiert. Darüber hinaus erscheinen die Aussagen willkürlich, da sich für beide Konstellationen (Amerikaner finden Smalltalk wichtig, Deutsche hingegen halten nichts davon oder andersherum) Befürworter und Begründungen finden lassen. Insofern erscheint es sinnvoll, die Business-Etikette-Ratgeber beider Länder zu analysieren, um am Ende eine womöglich eindeutigere Aussage darüber treffen zu können, welche Bedeutung dem Smalltalk in beiden Geschäftswelten zukommt und welche Funktion man dem „kleinen Gespräch“ zuschreibt. Während sich also unter den Interkulturalisten eine eher zwiegespaltene Meinungslage abzeichnet, zeigen sich die Autoren der Business-EtiketteRatgeber – sowohl auf amerikanischer als auch auf deutscher Seite – von der Bedeutsamkeit des Smalltalks im Berufsleben überzeugt. Abgesehen davon, dass sie diesen für einen wesentlichen Bestandteil eines geschäftlichen Zusammentreffens erachten, fallen meist auch die angeführten Begründungen bzw. Motive ähnlich oder gar gleich aus. Hierbei lassen sich drei Hauptargumente ausmachen, die sich wiederum in der Ratgeberliteratur beider Länder wiederfinden. Erstens gilt unter den Autoren die Befähigung, Smalltalk mit Geschäftspartnern, Kollegen und Kunden zu führen, als Ausdruck der Sozialkompetenz197 und Souveränität eines Akteurs und damit – neben dem entsprechenden Fachwissen – als berufliche Qualifikation und entscheidender Erfolgsfaktor: „Fachliche Kompetenz ist wichtig, keine Frage. […] Allerdings geht es im Business nicht immer darum, mit Wissen, Vorschlägen, Ideen und Lösungen zu glänzen. Genauso fit sollten Sie bei den kurzen, vermeintlich belanglosen Gesprächen sein, die sich immer wieder ergeben. Hier ist emotionale Intelligenz gefragt. […] Für die Karriere ist dieser Smalltalk unerlässlich.“198

196 Otte 1996, S. 49f.; Hervorhebung im Original. 197 So Lüdemann: „Wer das lockere Geplauder beherrscht, überzeugt mit besten Umgangsformen sowie sozialer Kompetenz und besitzt das richtige Handwerkszeug, um persönliche Beziehungen zu schaffen.“ (Lüdemann 2009, S. 109). 198 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 138f.

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Entsprechend äußert sich auch Adam in ihrem Business Knigge199 (2007), in dem sie betont, wie wichtig es für den geschäftlichen Erfolg sei, „auf der persönlichen Ebene einen guten Eindruck zu hinterlassen“.200 Dieser „gute Eindruck“ besteht laut Cornelia Topf und Rolf Gawrich darin, dass der Gesprächspartner den Anderen als „glaubwürdig, zuverlässig und sympathisch“201 empfinde. Sympathie und Beliebtheit als Erfolgskriterien sind also nicht – wie in den interkulturellen Ratgebern behauptet – ein spezifisch amerikanisches Konzept, das deutschen Geschäftsleuten gänzlich fremd ist.202 Dass diese verglichen mit ihren amerikanischen Kollegen eine ausgeprägte Sachorientierung aufweisen und ihre Aufmerksamkeit in erster Linie Fakten und Informationen, also dem Fachwissen der Beteiligten gelte, deckt sich ebenfalls nicht mit den Ausführungen der deutschen Etikette-Autoren. Vielmehr scheinen sich die Business-Etikette-Experten beider Länder in dieser Frage einig zu sein. Auch amerikanische Autoren sehen im Smalltalk, definiert als „brief discussion of a neutral and relatively insignificant topic“203, einen wichtigen Teilaspekt der sogenannten people skills204 und damit einen entscheidenden Karrierefaktor: „What people often refer to as small talk is anything but. No matter how well you know software applications or diesel engines, you will not rise above a certain level without people skills. That means being able to hold up your end of conversation not only in the board room, but also at the dinner table and at the office picnic.“205 199 Adam 2007. 200 Adam 2007, S. 120. 201 Topf, Gawrich 2009, S. 81. 202 Thomas betrachtet „Beliebtheit“ bzw. das „Bedürfnis nach sozialer Anerkennung“ als typisch amerikanischen Kulturstandard (vgl. Hufnagel, Thomas 2006, S. 196ff.); vgl. Byrnes 1986. 203 Pachter et al. 1995, S. 34. 204 Auch Soft Skills oder „Soziale Kompetenz“ genannt. 205 Mitchell, Corr 2000, S. 121; so auch Baldrige: „In spite of its diminutive aspects, small talk is important. Knowing how to make it effortlessly is a gift as well as a social tool. It often becomes a combined business and social plus. It is an instrument of communication that renders a person attractive and makes him or her pleasant to sit next to at a dinner party, or across from a lunch where business is being conducted.“ (Baldrige 2003, S. 598); so auch an anderer Stelle: „Far from being trivial, small talk is a way to get to know others. It helps you gain popularity and intimacy with your colleagues and move up the ladder just a little faster.“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 80).

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Zusätzlich zu der Annahme, formvollendeter Smalltalk könne als Zeichen sozialer Kompetenz gewertet werden, gilt die Herstellung einer persönlichen Beziehung zum Gesprächspartner als weitere Funktion.206 Ein freundliches Gespräch zu Beginn eines Treffens – so argumentieren nicht nur Peggy und Peter Post – wirke sich positiv auf die Entstehung enger und damit fruchtbarer Geschäftsbeziehungen aus: „Small talk is one big deal – an important part of building business relationships.“207 Das Knüpfen neuer Kontakte und das Pflegen bereits bestehender sei in ihrer Bedeutung für Geschäftsleute kaum zu übertreffen und werde durch Smalltalk wesentlich erleichtert, insofern als dieser laut Pachter als „gateway to new relationships“ und als Mittel zu deren Erhalt fungiere.208 Eben jene beziehungsstiftende Funktion erfüllt Smalltalk auch in den Augen deutscher Etikette-Experten, wie hier beispielsweise Adam ausführt: „Dies [einen guten Eindruck hinterlassen] können Sie zum Beispiel mit Smalltalk erreichen – jenem unverbindlichen Geplauder, mit dem Sie eine persönliche Beziehung zu Ihrem Gesprächspartner aufbauen.“209 Im Allgemeinen dient diese Konversationsform demnach der Betonung der menschlichen Seite in der sonst eher effizienzorientierten Geschäftswelt. Bereits einige persönliche Worte verleihen laut Helbach-Grosser dem Auftreten ein wenig Freundlichkeit und vermitteln dem Gegenüber ein Gefühl der Wertschätzung: „Jeder Mensch will als Person geachtet und nicht nur auf seine Funktion begrenzt werden. Das ist ein Urbedürfnis. Ein freundlicher Auftakt bereitet zudem einen fruchtbaren Boden für ein Geschäftsgespräch, bei dem die aufmerksame Zuwendung schon vor dem eigentlichen Thema beginnt.“210

206 Begemann 2007, S. 38. 207 Post, Post 1999, S. 54; so auch Pachter: „The ability to make small talk about nonbusiness topics is an essential part of establishing any business relationship, contributing significantly to both an employee’s rapport and credibility within the company.“ (Pachter et al. 1995, S. 24). 208 Pachter, Magee 2006, S. 13; vgl. Begemann 2007, S. 38. 209 Adam 2007, S. 120; so auch Meyden: „Smalltalk ist besser als sein Ruf, es handelt sich nicht nur um unnützes, oberflächliches Gerede, sondern er dient dem gegenseitigen zwanglosen Kennenlernen und eröffnet die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen, mit seiner Hilfe lassen sich soziale und hierarchische Distanzen überbrücken und man bleibt (bei vernünftiger Anwendung) in guter Erinnerung.“ (Meyden 2008, S. 66); vgl. Hanisch 2005, S. 104. 210 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 139; so auch Machwirth: „Es ist eine bekannte Erfahrung, daß sich schwierige Verhandlungen aller Art viel vorteilhafter erkunden

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Gleicher Ansicht ist die amerikanische Autorin Baldrige: „There are a few things you might say at the very start, to show you are not a robot, even if you’re dying to get on with this appointment and be finished.“211 Das Bild des Roboters ist noch stärker als die Argumentation der deutschen Kollegin, wobei beide Zitate den Wunsch nach Menschlichkeit oder Personenorientierung im nüchternen Berufsleben ausdrücken. Beim Smalltalk gehe es eben nicht in erster Linie darum, Inhalte zu vermitteln; im Vordergrund stehe vielmehr die zwischenmenschliche Begegnung, wie Begemann argumentiert: „Sprache dient eben nicht nur dem sachlichen Informationsaustausch oder dem gegenseitigen Aushandeln von Interessen; Linguisten schreiben ihr daneben eine wesentliche soziale Funktion zu. Nehmen Sie Small Talk als eine Art soziales Schmiermittel, bei dem es im Wesentlichen darum geht, dem anderen zu signalisieren: Ich nehme dich wahr, ich hoffe, du fühlst dich wohl.“212

Betrachtet man Smalltalk aus linguistischer Perspektive, so stößt man auf den Sozialanthropologen Bronislaw Malinowski und dessen 1930 erschienenen Beitrag The Problem of Meaning in Primitive Languages213. Hier schreibt er der „phatic communion“214 – wie er diese nicht zielgerichtete und mehr oder weniger inhaltsleere Form der Konversation215 bezeichnet, zu der man Smalltalk zählen kann – tatsächlich die von Begemann geschilderte Funktion eines „sozialen Schmiermittels“ zu: „[O]ur talk becomes the ‚phatic communion‘ […], which serves to establish bonds of personal union between people brought together by the mere need of companionship and does not serve any purpose of communicating ideas. [...] As long as there are words to exchange, phatic communion brings savage and civilized alike into the pleasant atmosphere of polite, social intercourse.“216

und führen lassen, wenn man den reinen Sachbezug, um den es darin geht, umgibt mit einer geselligen Atmosphäre.“ (Machwirth 1970, S. 281). 211 Baldrige 2003, S. 115. 212 Begemann 2007, S. 39. 213 Malinowski 1930. 214 Def. phatic communion: „a type of speech in which ties of union are created by a mere exchange of words“ (Malinowski 1930, S. 315). 215 Vgl. Malinowski 1930, S. 313f. 216 Malinowski 1930, S. 316; vgl. Malinowski 1930, S. 314f.; vgl. Coupland et al. 1992, S. 209.

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Denn Schweigen, so argumentiert Malinowski weiter, werde im Allgemeinen als unfreundlich, verunsichernd oder sogar bedrohlich empfunden; eine Wahrnehmung, die zwar seiner Meinung nach in ihrer Intensität leicht mit dem „Nationalcharakter“ variiert, die er jedoch grundsätzlich für universal menschlich hält.217 Tatsächlich fördert Smalltalk auch nach Ansicht sowohl amerikanischer als auch deutscher Etikette-Autoren die Glaubwürdigkeit der Sprecher218 und stärkt infolgedessen das Vertrauen zwischen den Beteiligten, wie hier etwa Bowman ausführt: „By engaging in a few minutes of nonbusiness-related small talk, you establish the tone. You also build connection and trust before getting down to facts and figures, dollars and cents.“219 Einer Annäherung zweier Personen sei Smalltalk außerdem insofern dienlich, als diese kurze Unterhaltung Gemeinsamkeiten, etwa geteilte Interessen, aufdecken könne und diese Details das Vertrauen der beiden Parteien zueinander festigen würden: „Perhaps you will recognize some common ground that can help develop the relationship. Small talk affords you the opportunity to discover common hobbies or similar or opposite interests, which will lead to a connection and help you establish the critical element of trust to help develop a strong business relationship.“220

Ebenso plädiert etwa die deutsche Autorin Wolff dafür, beim Smalltalk nach Berührungspunkten mit dem Gegenüber zu suchen: „Während dieser Aufwärmphase haben einander fremde Gesprächspartner die Möglichkeit, die Einstellung des anderen zu bestimmten Dingen in Erfahrung zu bringen und gemeinsame Interessen zu entdecken.“221 Übergeordnetes Ziel des Smalltalks ist demnach, eine Verbindung zum Gegenüber herzustellen und zu einem Konsens zu gelangen oder diesen zu untermauern.222 Die Ergebnisse des vorangegangen Vergleichs stehen in klarem Widerspruch zur These der Interkulturalisten, nach welcher der Aufbau einer persönlichen Beziehung im beruflichen Gesprächskontext bei deutschen Geschäftsleuten hinter Fakten und Fachwissen und bei amerikanischen Managern hinter eine ausgeprägte Erfolgsorientierung zurücktrete. Denn die Business-Etikette-Autoren beider Länder betonen die beziehungsstiftende Funktion von Smalltalk und betrach217 Vgl. Malinowski 1930, S. 314. 218 Vgl. Topf, Gawrich 2009, S. 81; vgl. Brody, Pachter 1994, S. 24. 219 Bowman 2007, S. 40. 220 Bowman 2007, S. 42. 221 Wolff 1997, S. 118. 222 Vgl. Bonneau 2002, S. 57; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 71.

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ten diese Konversationsform als Ausdruck einer für den Erfolg essentiellen Personenorientierung im Geschäftsleben. Die letzte der drei Funktionen, die Smalltalk in der Ratgeberliteratur zugeschrieben wird, besagt, dass durch das kurze Geplauder im Vorfeld eines Meetings eine entkrampfte Gesprächsatmosphäre geschaffen werde. Diese wirke sich wiederum positiv auf das folgende Zusammentreffen aus, da den sich oftmals bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Beteiligten ein Moment der Entspannung und Gewöhnung gegönnt werde, bevor man zu ernsteren Angelegenheiten übergehe: „A person who knows how to make small talk has a useful talent. He can use it to fill embarrassingly silent moments, to put people at ease when they don’t know each other and are trying too hard to size each other up, or to break tension in a conversation.“223 Ähnlich liest man es auch in deutschen BenimmRatgebern: „Small Talk dient […] dem Herstellen einer positiven Gesprächsatmosphäre, bevor man etwa bei geschäftlichen Besprechungen zum ‚eigentlichen‘ Thema übergeht […].“224 Smalltalk wird zudem vielfach als „Aufwärmphase“225 oder „Warm-up“226 bezeichnet; als Einstimmung auf eine anschließende Verhandlung227, bei der man nicht auf eine „positive gemeinsame Gesprächsebene“228 verzichten möchte. Die Bedeutung des Smalltalks könnte also wie folgt zusammengefasst werden: „Small talk breaks the ice, activates conversation, and opens up the possibility of forming new relationships.“229 Und nicht nur inhaltlich stimmen hier die Aussagen deutscher und amerikanischer Autoren überein, sogar die Formulierungen sind identisch: „Smalltalk ist ein Eisbrecher im Umgang mit fremden Menschen und ungewohnten Situationen. Smalltalk hilft, Distanz zu überwinden 223 Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 78; vgl. Fox 2008, S. 83. 224 Begemann 2007, S. 38; so auch Klein: „Ein Smalltalk dient der Einstimmung von Gesprächspartnern und soll zu einer entspannten Gesprächsatmosphäre führen.“ (Klein 2005, S. 87); so auch Wolff: „Doch nicht nur ein Kennenlernen unter Menschen wäre viel schwieriger, wenn es diese Art der Unterhaltung nicht gäbe, sondern auch der positive Gesprächsverlauf vieler Unterredungen wäre gefährdet.“ (Wolff 1997, S. 117); so auch Fox: „Few skills are more appreciated than the ability to make conversation. The person who is able to draw people into conversations, introduce interesting topics, and make everyone comfortable is valued in all situations, business and social.“ (Fox 2008, S. 83). 225 Wolff 1997, S. 118. 226 Post, Post 1999, S. 284f.; Lüdemann 2009, S. 110. 227 Lüdemann 2009, S. 113. 228 Lüdemann 2009, S. 110. 229 Whitmore 2005, S. 65.

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und Beziehung zu knüpfen. Smalltalk schafft eine ungezwungene Atmosphäre und entkrampft Gesprächssituationen.“230 Insgesamt offenbart der Vergleich keine Unterschiede in der Bedeutung von Smalltalk oder den ihm zugeschriebenen Funktionen. Die Autoren beider Länder halten das „kleine Gespräch“ für ein wichtiges Element geschäftlicher Zusammenkünfte und alle drei herausgearbeiteten Funktionen finden sich – teilweise sogar in übereinstimmendem Wortlaut – sowohl in amerikanischen als auch in deutschen Ratgebern. Wie bereits mehrfach angedeutet, deckt sich dieses Ergebnis nicht mit der Behauptung der Interkulturalisten, dass es hinsichtlich der Relevanz und Wirkungsweise von Smalltalk nennenswerte Differenzen gebe. Eine mögliche Erklärung für die länderübergreifende Einigkeit in dieser Frage bietet eine linguistische Betrachtung der Funktion des Smalltalks. Denn – um noch einmal auf die sprachwissenschaftliche Forschung zu verweisen – diese Konversationsform erfüllt das allgemein menschliche Bedürfnis nach sozialem Zusammenhalt und gegenseitiger Anerkennung.231 Und obwohl eine universale Funktion nicht gleichbedeutend mit einer weltweit gleichen Ausführung sein muss, erkennt schon Malinowski hier bemerkenswerte Übereinstimmungen: „After the first formula, there comes a flow of language, purposeless expressions of preference or aversion, accounts of irrelevant happenings, comments on what is perfectly obvious. Such gossip, as found in Primitive Societies, differs only a little from our own. Always the same emphasis of affirmation and consent […].“232

Im Kern, so lässt sich hieraus schließen, folgt der Smalltalk überall dem gleichen Schema und ist auch inhaltlich bis zu einem gewissen Grad vergleichbar, insofern als der Fokus immer auf Zustimmung und Konsens liegt. Ob dem tatsächlich so ist, ob also auch ein Vergleich der Regeln zur Umsetzung des Smalltalks Übereinstimmungen aufzeigt, wird im Folgenden zu überprüfen sein. Modalitäten der Ausführung Anlässe und Gelegenheiten Zu Beginn wird der Frage nachgegangen, in welchen konkreten Situationen im Geschäftsleben Smalltalk erwartet wird, ob die Aussagen der Etikette-Autoren diesbezüglich eher Übereinstimmungen oder Unterschiede aufweisen und inwiefern diese mit den Thesen der Interkulturellen Kommunikation vereinbar sind. 230 Ruppert 2007, S. 64. 231 Vgl. Coupland et al. 1992, S. 209. 232 Malinowski 1930, S. 314.

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Denn auch in diesem Punkt werden den deutschen und amerikanischen Geschäftsleuten einige grundlegende Differenzen im Benehmen unterstellt. So behauptet beispielsweise Valerie Frazee, in der deutschen Geschäftswelt dürfe man während eines Mittagessens keine geschäftlichen Dinge besprechen.233 Begründen lässt sich diese Bestimmung Frazee zufolge – hier scheint sie SchrollMachls Meinung234 zu teilen – anhand der angeblich typisch deutschen Trennung der Lebensbereiche: „Germans prefer not to mix business with pleasure.“235 Dieser Hinweis impliziert, dass Smalltalk während eines Geschäftsessens in den Vereinigten Staaten weniger Raum einnehme, denn die Autorin zeigt in ihrem Beitrag schließlich Gegensätze in den Verhaltensformen auf. Auf der anderen Seite wird von Klein exakt derselbe Ratschlag für ein Geschäftsessen mit amerikanischen Teilnehmern erteilt: „Man plaudert beim Essen deutlich mehr als in Deutschland. Geschäftliche Themen stehen dabei allerdings nicht im Vordergrund, es wird vielmehr ein ausgiebiger Smalltalk gepflegt. Geschäftliche und andere wichtige Themen bespricht man besser bei einem anschließenden Drink.“236

Einigkeit besteht offenbar auch in dieser Frage lediglich darin, dass Unterschiede existieren, während keine klare Linie hinsichtlich der konkreten Verhaltensregeln erkennbar ist. Der Vergleich der Etikette-Ratgeber soll hier Aufschluss geben. Anders als von Klein behauptet, ist nach Meinung mehrerer Autoren Smalltalk auch bei einem Geschäftsessen in Deutschland grundsätzlich erwünscht.237 Doch – in diesem Punkt irrt Frazee – diese Aufforderung zu einem persönlichen Plausch bezieht sich nicht auf die gesamte Dauer der Mahlzeit, sondern nur auf einige Minuten zu Beginn: „Sicher: Jede Einladung verfolgt ein bestimmtes Ziel. Aber auch bei Geschäftsessen fällt man nicht gleich mit der Tür ins Haus. Die ersten Minuten verwendet man immer zum

233 So Frazee: „Reserve business discussions for the office. Although Germans are work-oriented, conversations relating to work usually cease at mealtime. Unless they choose to keep the business discussion going, it’s best to savor more social discussions at lunch.“ (Frazee 1997, S. 17). 234 Vgl. Schroll-Machl 2007a, S. 79. 235 Frazee 1997, S. 17. 236 Klein 2009, S. 114f. 237 Vgl. Pfister et al. 2005, S. 58; vgl. Meyden 2008, S. 66; vgl. Matter 1994, S. 76.

244 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER BUSINESS CULTURE Austausch von Höflichkeiten und kommt erst später auf das eigentliche Thema des Treffens zu sprechen.“238

Die amerikanischen Etikette-Experten betrachten ebenfalls ein Essen mit einem Geschäftspartner oder Kunden als passende Gelegenheit für Smalltalk.239 Früher war es in den Vereinigten Staaten offenbar tatsächlich üblich, mit dem eigentlichen Thema des Treffens bis nach der Mahlzeit zu warten, doch heute gilt bereits der Zeitpunkt der Bestellung als Ende der inoffiziellen Phase und Übergang zu ernsthaften Themen: „It wasn’t so long ago that etiquette directed diners to wait until coffee was served before bringing up business. But in today’s more hurried atmosphere, it’s sometimes the other way around. At a working business lunch, for example, small talk is usually confined to the period before the food has been ordered.“240

Im Ergebnis ist es anscheinend während eines Geschäftsessens in beiden Ländern empfehlenswert, etwas Smalltalk als Einstieg zu führen; was jedoch nicht, wie es Frazee von Deutschland behauptet, geschäftliche Themen gänzlich ausschließt. Auch bis zu einem „anschließenden Drink“ zu warten, wie es Klein vorschlägt, ist laut Etikette in der Geschäftswelt der USA längst überholt. Darüber hinaus schildert die Ratgeberliteratur beider Länder eine Vielzahl weiterer Gelegenheiten für das „kleine Gespräch“. Nicht nur bei einem geschäftlichen Essen, auch bei anderen eher informellen Anlässen, wie einem Empfang oder einer Betriebsfeier „ist […] immer die nette, unkomplizierte Unterhaltung gefragt“241, meinen deutsche Autoren in Übereinstimmung z. B. mit der amerikanischen Kollegin Bowman.242 Diese spricht sich nicht nur dafür aus, in einer solchen Situation Smalltalk zu führen, sondern rät ihren Lesern sogar davon ab, überhaupt auf geschäftliche Themen zu sprechen zu kommen: „You want to connect with this person; however, it may not be the most suitable time to dis-

238 Nagiller 2004, S. 177. 239 Vgl. DuPont 2008, S. 72; vgl. Pachter, Coleman 2006, S. 47. 240 Post, Post 1999, S. 401; so auch Pacher und Coleman: „Don’t rush to talk about business. The best time to transition from non-business to business talk is after your food orders have been taken. If possible, wrap up the discussion before the food arrives. If not, talk about other things during the meal, and bring up business again over dessert.“ (Pachter, Coleman 2006, S. 47). 241 Pfister et al. 2005, S. 58; vgl. Begemann 2007, S. 38; vgl. Ruppert 2007, S. 64. 242 Bowman 2007, S. 41.

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cuss business.“243 Und auch im ältesten zum Vergleich herangezogenen amerikanischen Etikette-Ratgeber – in Samuel R. Wells’ How To Behave aus dem Jahr 1887 – findet diese Vorschrift Erwähnung: „Men of all sorts of occupations meet in society. As they go there to unbend their minds and escape from the fetters of business, you should never, in an evening, speak to a man about his profession.“244 Die Anweisung, einen Geschäftsmann bei gesellschaftlichen Anlässen nicht mit beruflichen Angelegenheiten zu behelligen, findet sich nicht in deutschen Ratgebern, was wiederum der gängigen These der Interkulturalisten, dass Deutsche im Gegensatz zu den Amerikanern245 eine strikte Trennung zwischen Privat- und Berufsleben vornähmen246, entgegensteht. Dass bei oben beschriebenen semi-offiziellen Veranstaltungen oder einem Abendessen über Belanglosigkeiten geplaudert wird, mag nicht sonderlich überraschen, doch auch eine durchweg berufliche Zusammenkunft wird zum Anlass für Smalltalk genommen. Die amerikanischen Etikette-Experten räumen den Geschäftsleuten sowohl vor als auch nach einem Meeting Zeit für einen lockeren Gedankenaustausch ein.247 In den deutschen Ratgebern zählen die „Pausen von Tagungen und Besprechungen“248 zu den am häufigsten genannten Situationen, in denen Smalltalk gern gesehen ist. Aber ebenso denkbar ist hier eine ungezwungene Konversation als Einstieg in eine anschließende Verhandlung.249 Dass die Deutschen – wie von der Interkulturalistin Schroll-Machl angenommen – entsprechend dem Motto „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“250 den Smalltalk zwingend am Ende eines Meetings führen, also nachdem die Pflicht getan ist, kann anhand der Etikette-Bücher nicht bestätigt werden. Ebenso wenig wäre diese „Trennung der Lebensbereiche“251 dann ein spezifisch deutscher „Kulturstandard“, da auch in der amerikanischen Geschäftswelt das lockere Geplauder strikt vom geschäftlichen Gespräch getrennt wird. Und obwohl sich die genauen Zeitpunkte, die für Smalltalk als geeignet erachtet werden, nicht exakt gleichen, so kann man im Ländervergleich dennoch höchstens von graduellen Unterschieden sprechen: Während amerikanische Autoren die Pausen für weniger erwähnens243 Bowman 2007, S. 41. 244 Wells 1887, S. 76. 245 Vgl. Kalberg 2000, S. 131. 246 So beschreibt Schroll-Machl den angeblich typisch deutschen Kulturstandard „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“ (vgl. Schroll-Machl 2007a, S. 79). 247 Bowman 2007, S. 41; vgl. Pachter et al. 1995, S. 24. 248 Ruppert 2007, S. 64; vgl. Begemann 2007, S. 38; vgl. Meyden 2008, S. 66. 249 Begemann 2007, S. 38. 250 Schroll-Machl 2007b, S. 128. 251 Vgl. Schroll-Machl 2007b, S. 128.

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wert halten, erscheint den deutschen Ratgebern die Möglichkeit des Smalltalks nach einer Besprechung fern. Insgesamt betrachtet nimmt diese Form der Unterhaltung jedoch bei geschäftlichen Treffen in beiden Ländern offenbar die gleiche Funktion als Lückenfüller252 ein; sei es nun vor, nach oder in den Pausen eines Meetings. Entsprechend wird in den Ratgebern immer wieder die Fahrt im Aufzug als geeignete Gelegenheit für Smalltalk genannt. Klein beispielsweise schreibt: „Aufzüge sind übrigens ideale Orte für unverbindlichen Smalltalk. Selbst wenn Ihnen nichts übermäßig Gescheites einfällt, ein ‚Steigen Sie in der nächsten Etage aus?‘ oder ein Witzchen sind immer noch besser, als minutenlanges peinliches Wegsehen und Schweigen.“253

Obwohl der Aufzug als idealer Ort für das „kleine Gespräch“ lediglich in einem amerikanischen Etikette-Buch erwähnt wird254, spricht etwa der Begriff des elevator pitch255 – also eines kurzen Monologs, der während der Zeit einer Liftfahrt von einer Person, einem Projekt oder Ähnlichem überzeugen soll – dafür, dass auch in der amerikanischen Geschäftswelt im Aufzug Smalltalk betrieben wird. Eine weitere Gelegenheit für Smalltalk bietet sich, wenn man mit einer anderen Person einen gemeinsamen Weg zurücklegt, etwa einen Kunden oder Geschäftspartner vom Empfang abholt.256 Die Amerikanerin Bowman teilt nicht nur die Ansicht ihrer deutschen Kollegen, sie liefert auch eine Erklärung: „While en route to the meeting room, avoid awkward silences, which only serve to make others uncomfortable; make the effort to engage in small talk.“257 Hier bestätigt sich die eingangs bereits vorgestellte These Malinowskis, nach der Schweigen von den meisten Menschen als „something alarming and dangerous“258 empfunden werde. Und auch die beiden Linguisten und Höflichkeitsforscher Haferland 252 Vgl. Teusen 1997, S. 44. 253 Klein 2005, S. 155; so auch Teusen: „Anstatt die Sicherheitsbestimmungen an der Liftwand zu studieren oder mit gebanntem Blick der Stockwerkanzeige zu folgen, könnte man mitfahrende Kollegen auch anlächeln und eventuell etwas Small talk betreiben.“ (Teusen 1997, S. 36); vgl. Lüdemann 2009, S. 109 und S. 113; vgl. Commer 1992b, S. 25. 254 Pachter et al. 1995, S. 24. 255 Davis 2003, S. 150f. 256 Vgl. Lüdemann 2009, S. 109; vgl. Begemann 2007, S. 38; vgl. Hanisch 2005, S. 104; vgl. Teusen 1997, S. 64. 257 Bowman 2007, S. 142. 258 Malinowski 1930, S. 314.

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und Paul haben sich der vielfach als „beklemmend“259 empfundenen Situation im Fahrstuhl gewidmet. Wer den „Fahrstuhlblick“, bei dem man „in verlegener Übersprungshandlung die Stockwerkanzeige [fixiert]“, vermeiden möchte, müsse versuchen, „für den kurzen Augenblick gemeinsamer Anwesenheit eine Gemeinschaft […] herzustellen“260, indem er das Gespräch mit dem Gegenüber sucht.261 Dass diese Form der Konversation häufig in erster Linie der Vermeidung von Schweigen dient, erkennt auch der Linguist Klaus P. Schneider in seiner Monographie Smalltalk262 (1988) und spricht hier von der „defensiven Funktion“ von Smalltalk.263 Diese grenzt er ab von der „offensiven Funktion“, bei der es nicht nur darum gehe, eine unangenehme Situation zu entschärfen, sondern darum, eine andere Person kennenzulernen.264 So bleibt festzuhalten, dass sich die in den Business-Etikette-Ratgebern vorgeschlagenen Gelegenheiten für Smalltalk größtenteils decken. Diese Übereinstimmungen liegen wiederum in den dieser Konversationsform zugeschriebenen Funktionen begründet, die in der amerikanischen und deutschen Geschäftswelt – wenn nicht sogar universal – gleich sind. Die von der Interkulturellen Kommunikation vermuteten Unterschiede bezüglich der Trennung von Privatem und Beruflichem wurden nicht bestätigt. Themenwahl Während also bezüglich der Anlässe keine gravierenden Unterschiede festgestellt werden konnten, stellt die Themenwahl den Kulturknigge zufolge ein regelrechtes Minenfeld beim Smalltalk zwischen amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten dar. Denn hier treffen nach Meinung der Autoren zwei Extreme aufeinander: Der unkritische und desinteressierte Amerikaner, der einfach nur gemocht werden will, und der ernsthafte und rechthaberische Deutsche, dem es darum geht, für sein Wissen und seine analytischen Fähigkeiten respektiert zu werden.265 Diese stereotype Sichtweise findet sich immer wieder in den interkul259 Haferland, Paul 1996, S. 62. 260 Haferland, Paul 1996, S. 62. 261 Vgl. Haferland, Paul 1996, S. 62. 262 Schneider 1988. 263 So Schneider: „It must be conceded, however, that there is a difference between ‚chatting up‘ a stranger at a party and the avoidance of embarrassment or tension in a waiting room. These two usages of small talk could be termed ‚offensive‘ and ‚defensive‘.“ (Schneider 1988, S. 29). 264 Vgl. Schneider 1988, S. 29. 265 Vgl. Schmidt 2007, S. 28; vgl. Schmidt 2000, S. 37; Slate und Schroll-Machl erklären diese Theorie anhand des amerikanischen Kulturstandards der „sozialen Aner-

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turellen Ratgebern. So heißt es häufig, Amerikaner würden vor ernsthaften Themen zurückschrecken, wie hier etwa bei Slate und Schroll-Machl, die einen in den USA tätigen deutschen Facharbeiter zitieren: „Alle Amerikaner scheinen bei all diesen Gelegenheiten auf der einen Seite ganz offen zu sein […]. Sie erzählen viel. Aber sobald ein Thema ernster wird – zum Beispiel, wenn es um Politik geht – drücken sie sich sehr vage aus oder wechseln einfach das Thema. Ich habe oft den Eindruck, dass sie keine Meinungen haben.“266

In der Interpretation dieses critical incident bestreiten die beiden Interkulturalistinnen zwar, dass „Amerikaner den Ernst des Lebens verkennen“267 würden, bestätigen aber, dass diese häufig den „konfliktgeladenen Themen Deutscher ausweichen“ und ihnen die „Neigung Deutscher, auch im Smalltalk (politische) Probleme anzusprechen und Missstände zu beklagen“ fremd sei.268 Entsprechend finden sich in vielen interkulturellen Ratgebern und in international vergleichenden Kapiteln der Business-Etikette-Bücher Hinweise auf offenbar spezifisch amerikanische Tabuthemen. Rembor bemerkt in Geschäftlich erfolgreich in den USA269 (2004) mit feinem Spott, die Tabuthemen „könnten dem Katalog dessen ‚Worüber man nicht spricht‘ des Viktorianischen Englands oder Wilhelminischen Deutschlands entstammen“270 und lässt damit ein weiteres Klischee – nämlich das des konservativen und prüden Amerikaners – aufleben. Als Beispiele für unpassende Smalltalk-Themen nennt Rembor etwa Religion271, Sex272 und Krankheit273 – Tabuthemen, die sich zusammen mit politischen Themen (z. B. kennung“ (vgl. Slate, Schroll-Machl 2006, S. 151f.) und sehen diesen in der Besiedlungsgeschichte der Vereinigten Staaten verankert (vgl. Slate, Schroll-Machl 2006, S. 157; vgl. Slate, Schroll-Machl 2007, S. 146f.). 266 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 145; so auch Böhm: „Deutsche empfinden Amerikaner dann als oberflächlich, unkritisch, naiv und heuchlerisch.“ (Böhm 2005). 267 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 169. 268 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 169; vgl. Whyte 1952, S. 142f.; so auch Böhm: „Der deutsche Kulturpessimismus erstaunt viele ausländische Beobachter. Deutsche scheinen sich unnötig über mögliche Krisen und Katastrophen Sorgen zu machen und wirken daher oft bedrückt und ernsthaft.“ (Böhm 2005; Verwendung des Begriffs „Kulturpessimismus“ hier falsch); vgl. Moosmüller 1997, S. 51. 269 Rembor 2004. 270 Rembor 2004, S. 98. 271 Vgl. Pfister et al. 2005, S. 65; vgl. Rembor 2004, S. 99. 272 Vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 230. 273 Vgl. Rembor 2004, S. 98.

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der Rassenfrage, den Waffengesetzen und der Todesstrafe)274 in vielen weiteren interkulturellen Ratgebern wiederfinden, wie auch hier bei Slate und SchrollMachl: „Es ist tabu, nach dem Gehalt zu fragen, über Stress, Religion, Politik, Krankheit, Tod oder Sex zu sprechen oder Äußerungen zu machen, die als diskriminierend empfunden werden […].“275 Und während also den Amerikanern – wie etwa an der sarkastischen Bemerkung Rembors abzulesen ist – übermäßige Empfindlichkeit vorgeworfen wird, sagt man den Deutschen übertriebene Streitlust und mangelndes diplomatisches Geschick nach. Schroll-Machl erläutert diesen Aspekt anhand eines Beispiels: „Ein Amerikaner erlebt es immer wieder, daß Deutsche, die er gerade erst kennengelernt hat, schon nach kurzer Zeit damit beginnen, in zum Teil recht kritischer Weise mit ihm über die USA zu sprechen: über die schlechte Behandlung der Schwarzen, die Nachteile des Zweiparteien-Systems, die amerikanischen Militäreinsätze […]. Durch solche Äußerungen fühlt er sich oft angegriffen und manchmal richtig verletzt.“276

Dass Deutsche politisch interessiert und informiert sind, ist eine wiederkehrende These der Interkulturellen Kommunikation. Dass sie ihre Meinung unverblümt kundtun und dabei keine Rücksicht auf das Gegenüber nehmen277, wird ebenso häufig in den Ratgebern erwähnt, insbesondere wenn es um zu vermeidende Fauxpas beim Smalltalk geht: „Germans tend to be well-informed about politics and to have firm political opinions. They are also honest and may tell you their 274 Vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 230; vgl. Pfister et al. 2005, S. 65; vgl. Rembor 2004, S. 99. 275 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 153; so auch Oppel: „Mit Ihren politischen Meinungen sollten Sie sich im Zaum halten.“ (Oppel 2006, S. 37); vgl. Oppel 2006, S. 48. 276 Schroll-Machl 2007b, S. 55; so auch Böhm: „Amerikaner werden Deutsche klischeehaft als unhöfliche, schroffe und streitsüchtige Besserwisser darstellen, die alles nur negativ sehen.“ (Böhm 2005). 277 So Schroll-Machl: „Daher reden Deutsche meist direkt und undiplomatisch, aber ehrlich und aufrichtig, ganz so, wie sie etwas eben sehen. Sie äußern ihre Meinung klar. Sie kommen ohne Umschweife und Umwege auf den Punkt. [...] Sie denken nicht daran, auf etwaige Empfindlichkeiten der Anwesenden besonders Rücksicht nehmen zu müssen. Damit können ihre Aussagen verletzend wirken, obwohl das nicht so gemeint und beabsichtigt war.“ (Schroll-Machl 2007a, S. 81); so auch Machwirth: „GOETHE hat den Deutschen oft die Fähigkeit abgesprochen, sich euphemistisch auszudrücken, in einer verbindlich-zurückhaltenden Form sich zu äußern, etwas ‚mit Manier zu sagen‘. Im ‚indirekten‘, so meint er verschiedentlich, hätten es die Deutschen noch nicht weit gebracht.“ (Machwirth 1970, S. 280).

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opinions about your country (or its actions), even if these opinions are negative.“278 Und eben diese Art der Gesprächsführung, die laut Slate und SchrollMachl in einer typisch deutschen „Diskussions- bzw. Streitkultur“ begründet liegt, empfinden Amerikaner nach Aussage der beiden Autorinnen als „aggressiv und rechthaberisch“.279 Nachdem also die Themenwahl aus Sicht der interkulturellen Ratgeber beachtliche Differenzen zwischen den beiden nationalen Berufskollektiven aufweist, schließt sich ein Vergleich der Business-Etikette-Ratgeber an. Dabei wird zum einen der Frage nachgegangen, ob es tatsächlich nur beim Smalltalk mit amerikanischen Geschäftsleuten ratsam ist, kontroverse Themen zu vermeiden, oder ob es sich hierbei nicht vielmehr um eine Regel mit viel umfassenderer Geltung handelt. Fraglich ist weiterhin, ob die deutsche Business-Etikette vorsieht oder toleriert, dass die vermeintlich typisch deutsche „Streitkultur“ beim Smalltalk gepflegt wird. Außerdem soll die stereotype Darstellung der beiden Nationen in der interkulturellen Ratgeberliteratur kritisch hinterfragt und überprüft werden. Sowohl amerikanische als auch deutsche Etikette-Experten formulieren in ihren Ratgebern klare Richtlinien bezüglich der Themenwahl beim Smalltalk. Worüber man nicht sprechen sollte, nimmt hierbei den meisten Raum ein und füllt lange Listen von Tabus. Fasst man diese Tabuthemen zusammen, ergeben sich drei Kategorien: Zu vermeiden gilt es beim Smalltalk demnach Negatives, Kontroverses und Privates. Das Verbot, negative Themen anzusprechen, bedeutet für amerikanische Autoren konkret, dass „[p]ersonal misfortunes“280, „[t]he faults or misfortunes of others“281, „[b]ad news, such as airplane crashes“282 oder laut Baldrige auch „bu278 Training Management Corporation 1997, S. 364; so auch Bynres: „What is most striking [...] is the clash between the desire on the part of the German speaker to convey substantive content with brilliant argumentation and American norms of ‚civility‘ in conversations.“ (Byrnes 1986, S. 195); vgl. Byrnes 1986, S. 200ff.; vgl. Böhm 2005. 279 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 147; so auch an anderer Stelle: „Es ist unüblich, potenziell ‚heiße‘ Themen mit Geschäftspartnern anzusprechen – auch nicht bei einem Essen oder anderen nicht-geschäftlichen Begegnungen. Kontroverse Themen werden umgangen, weil man befürchtet, dass auftauchende Meinungsunterschiede das Klima zwischen den Geschäftspartnern verderben könnten. Amerikaner unterscheiden nicht so stark zwischen Kritik an einer Sache oder Meinung und Kritik an einer Person wie Deutsche.“ (Slate, Schroll-Machl 2006, S. 146). 280 Pachter et al. 1995, S. 36; Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 76f. 281 Mitchell, Corr 2000, S. 125.

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siness failures or national emergencies“283 beim Smalltalk auszuklammern sind. Übereinstimmend halten auch die deutschen Autoren „Katastrophen oder Probleme jeglicher Art“ für per se ungeeigneten Gesprächsstoff.284 Am häufigsten wird jedoch davon abgeraten, das Gegenüber mit Krankheitsgeschichten zu belästigen: „Disease is strictly taboo […] and this includes all forms of disease, particularly operations, details of nervous breakdowns, and hospital experiences.“285 Ähnliche Aussagen finden sich auch in den deutschen Ratgebern, wie hier bei Helbach-Grosser: „Mit dem falschen Thema beim Smalltalk können Sie sich andererseits schnell Sympathien verscherzen. Bleiben Sie immer schön positiv. Krankheitsgeschichten können peinlich wirken und lösen eher Abwehr aus.“286 Insgesamt gehört das Thema Krankheit zu einem der am häufigsten genannten Tabus, wobei der Unterschied zwischen beiden Ländern hier – mit 20 Erwähnungen in deutschen287 und 18 in amerikanischen Ratgebern288 – minimal ist. Eine Abweichung hingegen zeigt sich bezüglich des Tabuthemas Tod: Während dieses in acht deutschen Publikationen289 genannt wird, wird es von den amerikanischen Autoren nicht aufgeführt. Abgesehen davon, sind sich die Autoren beider Länder einig darin, dass unerfreuliche Themen beim Smalltalk nichts verloren haben und auch die genann282 Mitchell, Corr 2000, S. 125. 283 Baldrige 2003, S. 598. 284 Lüdemann 2009, S. 118f.; vgl. Topf, Gawrich 2009, S. 84. 285 Richardson 1925, S. 96; so auch Tuckerman und Dunnan: „Few subjects can be more tiresome to others than detailed descriptions of your health problems. When asked, ‚How are you?‘ it’s best to say, ‚Fine‘, and leave it at that.“ (Tuckerman, Dunnan 1995, S. 696); vgl. Post, Post 1999, S. 401 und S. 404. 286 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 141. 287 Beispiele: vgl. Meyden 2008, S. 67; vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 174; vgl. Topf, Gawrich 2009, S. 84; vgl. Ruppert 2007, S. 64; vgl. Nagiller 2004, S. 179; vgl. Pfister et al. 2005, S. 63; vgl. Möllers 2005, S. 149; vgl. Begemann 2008, S. 75f.; vgl. Adam 2007, S. 122; vgl. Commer 1992b, S. 148; vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 28; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 73; vgl. Hanisch 2005, S. 107. 288 Beispiele: vgl. Pachter et al. 1995, S. 36; vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 125; vgl. Langford 2005, S. 39f.; vgl. Casperson 1999, S. 114; vgl. Brody, Pachter 1994, S. 29; vgl. DuPont 2008, S. 72; vgl. Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 76f.; vgl. Yager 2001, S. 66; vgl. Thomsett 1991, S. 55. 289 Vgl. Topf, Gawrich 2009, S. 84; vgl. Möllers 2005, S. 149; vgl. Adam 2007, S. 122; vgl. Begemann 2007, S. 39; vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 28; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 73; vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 141; vgl. Hanisch 2005, S. 107.

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ten Beispiele sind überwiegend gleich. Da in beiden Geschäftswelten – wie eingangs bereits erläutert – eine der wichtigsten Funktionen von Smalltalk in der Herstellung einer positiven Gesprächsatmosphäre besteht und dies etwa Lüdemann zufolge „mit guten Nachrichten und positiv besetzten Themen […] viel leichter [fällt]“290, überrascht dieses Ergebnis nicht sonderlich. Außerdem bezwecken Geschäftsleute mit diesem „kleinen Gespräch“, einen positiven Eindruck zu hinterlassen und wollen vom Gegenüber keinesfalls für einen „griesgrämigen, grüblerischen oder negativen Mensch“ gehalten werden.291 Die zweite Kategorie von Tabuthemen betrifft kontroverse Angelegenheiten, also insbesondere Politik und Religion. Einstimmig raten die Autoren davon ab, beim Smalltalk derart polarisierende Themen anzuschneiden. Peggy und Peter Post begründen diese Regel wie folgt: „When not discussing business, avoid touchy subjects. While politics, religion, and many other topics that people feel passionate about are no longer considered entirely off-limits, discussing them could risk nettling a business associate and getting the meal off on the wrong foot.“292

Dass man einen Geschäftspartner vor den Kopf stoßen, verärgern oder kränken könnte, wenn man eines dieser „Reiz“-Themen anspricht, also seine politische Überzeugung kundtut oder etwa eine „Grundsatzerklärung zur katholischen Kirche“293 abgibt, bestätigt auch die deutsche Autorin Begemann: „Gesprächsklippen, die Sie dabei möglichst umschiffen sollten: [...] Heikle Themen wie Politik, Moral, Religion […]. Wenn Sie wenig über persönliche Einstellungen und Privatleben Ihrer Gesprächspartner wissen, treten Sie ihnen […] womöglich böse auf die Zehen.“294

290 Lüdemann 2009, S. 118f.; so auch Adam: „Ziel des Smalltalks ist immer, eine positive Atmosphäre zu schaffen, sodass sich Ihr Gegenüber mit Ihnen wohl fühlt und Sie in positiver Erinnerung behält.“ (Adam 2007, S. 121ff.). 291 Klein 2005, S. 87. 292 Post, Post 1999, S. 401–404; so auch Fox: „Stay away from religion, politics, sex, and money. If you raise one of these topics, even in a joking manner, you’re walking on thin ice, as you never know whether you’re offending other people’s sensibilities.“ (Fox 2008, S. 85). 293 Begemann 2008, S. 75f. 294 Begemann 2008, S. 75f.

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Zusätzlich, so argumentieren die Autoren weiter, bergen kontroverse Themen immer die Gefahr der Entstehung eines Streitgesprächs: „Certain discussions can quickly and easily escalate into arguments, sometimes heated ones. The old but still valid rule is don’t discuss sex, politics, or religion at work.“295 Eine solche Grundsatzdebatte gelte es beim geschäftlichen Smalltalk zu vermeiden, meint auch Lüdemann: „Das kleine Gespräch hat nicht zum Ziel, Positionen und Meinungen festzulegen. Daher sind ebenfalls alle Themengebiete tabu, die eine Auseinandersetzung heraufbeschwören könnten. Schneiden Sie ein solches Thema an, so laufen Sie Gefahr, dass der andere eine gegenteilige Meinung vertritt, und schnell entbrennt eine hitzige Diskussion, die nur schwer wieder in geordnete Bahnen gelenkt werden kann.“296

Aus diesen Gründen verbannen die Etikette-Experten gleichermaßen Politik und Religion aus der Konversation unter Geschäftsleuten. Während in 15 der untersuchten amerikanischen Ratgeber297 Politik als Tabuthema genannt wird, finden sich diesbezüglich 18 Textstellen in deutschen Benimmbüchern298. Ähnlich dicht beieinander liegt die Anzahl der Erwähnungen des Themas Religion: Hier finden sich in der amerikanischen Literatur299 21 und in den deutschen Ratgebern300 18 entsprechende Aussagen. Auch hier stimmen die Verhaltensregeln mit den eingangs beschriebenen Funktionen des Smalltalks überein. Die Erkenntnisse der linguistischen Forschung und auch die Aussagen der Etikette-Experten hatten gezeigt, dass die

295 Pachter, Coleman 2006, S. 223; Hervorhebung im Original. 296 Lüdemann 2009, S. 119. 297 Beispiele: vgl. Storti 2004, S. 180; vgl. Bowman 2007, S. 47; vgl. Thompson 2004, S. 84; vgl. Yager 2001, S. 65; vgl. Casperson 1999, S. 114; vgl. DuPont 2008, S. 72; vgl. Tuckerman, Dunnan 1995, S. 691; vgl. Richardson 1925, S. 96f. 298 Beispiele: vgl. Meyden 2008, S. 67; vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 174; vgl. Topf, Gawrich 2009, S. 84; vgl. Ruppert 2007, S. 64; vgl. Pfister et al. 2005, S. 63; vgl. Möllers 2005, S. 149; vgl. Begemann 2008, S. 75f.; vgl. Adam 2007, S. 122. 299 Beispiele: vgl. Bowman 2007, S. 48; vgl. Thompson 2004, S. 84; vgl. Yager 2001, S. 65; vgl. Pachter et al. 1995, S. 36; vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 125; vgl. Langford 2005, S. 39; vgl. Casperson 1999, S. 114; vgl. Brody, Pachter 1994, S. 29; vgl. DuPont 2008, S. 72. 300 Beispiele: vgl. Meyden 2008, S. 67; vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 174; vgl. Topf, Gawrich 2009, S. 84; vgl. Ruppert 2007, S. 64; vgl. Pfister et al. 2005, S. 63; vgl. Möllers 2005, S. 149; vgl. Begemann 2008, S. 75f.; vgl. Adam 2007, S. 122.

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„Herstellung von Gemeinschaft“301 und die sogenannte „phatic communion“302, eines der wichtigsten Ziele des „kleinen Gesprächs“ ist. Erreicht wird es durch die Erzeugung oder Betonung von Konsens zwischen den Gesprächspartnern.303 Dass ein Streitgespräch über weltanschauliche Fragen dem nicht gerade förderlich wäre, liegt auf der Hand. Entsprechend lässt sich also die Tatsache, dass die Autoren einstimmig und in beinahe gleicher Zahl zum Ausklammern politischer und religiöser Themen raten, aus der grundsätzlichen Funktion von Smalltalk im Geschäftsleben heraus erklären. Ebenso weit verbreitet wie die Annahme der Interkulturellen Kommunikation, es gelte vor allem in den USA, heikle Themen beim Smalltalk auszusparen, ist die These, Amerikaner sprächen auch mit Fremden oder flüchtigen Bekannten sofort über Persönliches. Dass darin ein Unterschied zu deutschen Geschäftsleuten besteht, behauptet etwa Rembor: „Dazu gehört auch, dass Amerikaner recht unbefangen über Dinge sprechen, die wir Deutschen nie ohne Weiteres anschneiden würden. So denkt man sich in den Staaten überhaupt nichts dabei, von den Sitzungen beim Psychiater zu erzählen, von Problemen bei der Scheidung oder von seinem Einkommen. Sie können eigentlich gar nicht dadurch in ein Fettnäpfchen treten, dass Sie ‚zu Persönliches‘ fragen […].“304

Dem Kulturberater zufolge ist es also unter amerikanischen Managern durchaus üblich, über Krankheit, Familienverhältnisse oder Finanzen zu sprechen. Dass diese Meinung, was das Thema Krankheit angeht, in amerikanischen Ratgebern nicht geteilt wird, wurde bereits gezeigt. Bezüglich der Familienverhältnisse jedoch sind auch Slate und Schroll-Machl Rembors Ansicht: „Kunden und Kollegen sind für Amerikaner keine Fremden wie für Deutsche. […] Details des Privatlebens sind oft auch Teil des amerikanischen ‚office small talk‘. Man spricht auch durchaus über familiäre Angelegenheiten mit Bekannten, die man nicht allzu gut kennt.“305 Einige weitere Interkulturalisten bestätigen, dass beim ge301 Vgl. Haferland, Paul 1996, S. 62. 302 Vgl. Malinowski 1930, S. 315. 303 Vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 71; vgl. Bonneau 2002, S. 57. 304 Rembor 2004, S. 97; so auch Böhm: „Smalltalk ist eine eher schwierige Kunst für Deutsche. Zum einen unterscheiden Deutsche deutlich zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. So ist es nach deutschem Verständnis nicht gängig, mit irgendjemandem, den man gerade einmal zwei Minuten zuvor kennen gelernt hat, über dessen Familie zu sprechen.“ (Böhm 2005). 305 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 161f.; so auch Storti: „This means they tend to be more open and familiar with coworkers, sharing personal feelings and talking freely

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schäftlichen Smalltalk in den USA häufig auch private Themen zur Sprache kommen. Otte beispielsweise schreibt in seinem Ratgeber Amerika für Geschäftsleute306 (1996): „Der amerikanische Kommunikationsstil ist sehr persönlich, auch in Geschäftsbeziehungen. Amerikaner haben keine Probleme, auch Fremden sehr persönliche Dinge mitzuteilen.“307 Im Vergleich hierzu wird den Deutschen nicht nur von Rembor eine gewisse Reserviertheit angelastet, wie folgendes Zitat von Hall verdeutlicht: „The German sense of privacy is much stronger than the American. Germans respect each other’s privacy to a degree far beyond anything we know in the U.S. It’s important to learn what is considered personal and not to ask questions which may be offensive.“308 Und auch SchrollMachl hält „sachbezogene“ Themen, die „nichts Persönliches oder Familiäres [betreffen]“309 für geeignete Themen beim Smalltalk. Zurückzuführen sei dies auf den typisch deutschen Kulturstandard „Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen“310, der mit einem klar vom Berufsleben „abgegrenzten Privatbereich“311 einhergehe. Ob eine solche Trennung von Berufs- und Privatleben tatsächlich ein spezifisch deutsches Phänomen ist und wie die Autoren der Business-EtiketteRatgeber über den Umgang mit persönlichen Themen beim Smalltalk denken, wird nun geklärt. Der allgemeine Rat, beim Smalltalk im geschäftlichen Kontext „overly personal topics“312 auszuklammern, findet sich vielfach auch in amerikanischen Ratgebern, wie hier bei Thomsett: „Remember that a business relationship is not always the same as a friendship. Unless you know someone you work with extremely well and on a very personal level, avoid very personal or controversial topics […]. These include marital problems, addictions, health problems, personal religious beliefs, and anything else that is no one else’s business.“313 about their private or family life. Indeed, many Americans will openly discuss matters with coworkers that people in other cultures only discuss with family members and their closest friends.“ (Storti 2004, S. 146). 306 Otte 1996. 307 Otte 1996, S. 93; vgl. Otte 1996, S. 46. 308 Hall, Hall 1983a, S. 46. 309 Schroll-Machl 2007b, S. 148. 310 Schroll-Machl 2007a, S. 79. 311 Schroll-Machl 2007a, S. 73; vgl. Schroll-Machl 2007a, S. 79. 312 Thomsett 1991, S. 55. 313 Thomsett 1991, S. 55; so auch Wells: „Carefully avoid talking either of your own or other people’s domestic concerns. By doing the one, you will be thought vain; by

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Ebenso unangebracht sei es laut Fox, einem Gesprächspartner sehr persönliche Fragen zu stellen, etwa über eine bevorstehende Scheidung.314 Anders als von Rembor behauptet, sind folglich Scheidungen oder allgemein Familienverhältnisse – zumindest nach amerikanischer Business-Etikette – kein angemessenes Smalltalk-Thema. Die Auffassung, dass „Eheprobleme, Gehaltsdiskussionen oder Krankheiten“ aufgrund ihres intimen Charakters „nicht in den Kollegenkreis [gehören]“315, teilen auch deutsche Autoren. Ruhleder etwa weist mit Nachdruck auf das Verbot persönlicher Themen beim geschäftlichen Smalltalk hin: „Bei uns in Deutschland haben Fragen nach dem Privatleben übrigens bei geschäftlichen Besprechungen nichts zu suchen.“316 Und auch Lüdemann ist der Ansicht, „im beruflichen Kontext [werde] nur selten über Privates gesprochen“317, da etwa „Fragen nach Frau und Kindern meist einfach zu viel des Guten“318 seien. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl amerikanische als auch deutsche Autoren dazu raten, die Familienverhältnisse beim Smalltalk auszuklammern. Während „personal details about a marriage, divorce, or affair“319 oder auch allgemein „talking about your spouse“320 in elf der untersuchten amerikanischen etiquette books321 als Tabuthema genannt wird, gelten „Ehe- oder Partnerschaftsprobleme“322 oder „Familienstreitigkeiten“323 in neun der verglichenen deutschen Ratgeber324 als unangebrachter Gesprächsstoff. Ähnlich nah beieinander liegt die Zahl der Textstellen, in denen Finanzen als Tabuthemen aufgeführt werden. Zu den insgesamt 14 amerikanischen Ratge-

entering into the other, you will be considered officious. Talking of yourself is an impertinence to the company; your affairs are nothing to them; besides, they can not be kept too secret. As to the affairs of others, what are they to you?“ (Wells 1887, S. 76f.). 314 Vgl. Fox 2008, S. 85. 315 Pfister et al. 2005, S. 61. 316 Ruhleder 2001, S. 43. 317 Lüdemann 2009, S. 116. 318 Lüdemann 2009, S. 116. 319 Langford 2005, S. 39. 320 Casperson 1999, S. 115. 321 Beispiele: vgl. Cook et al. 2005, S. 23; vgl. Langford 2005, S. 40; vgl. DuPont 2008, S. 72; vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 125. 322 Pfister et al. 2005, S. 63. 323 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 141. 324 Beispiele: vgl. Meyden 2008, S. 67; vgl. Adam 2007, S. 122; vgl. Commer 1992b, S. 148; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 73.

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bern325, in denen persönliche Ausgaben oder das Einkommen als SmalltalkThema ausgeschlossen wird, gehört beispielsweise Business Protocol326 (2001) der Autorin Yager. Sie hält es für unangebracht, „specific questions about someone’s income or the cost of their house or rental“327 zu stellen und auch Baldrige und Gelles-Cole teilen ihre Meinung: „A person whose entire conversation keeps returning to how much things cost, how much money so-and-so makes, and what kind of net worth everyone has is afflicted with the grossest kind of materialism. It’s no one’s business how much someone paid for his house, car, or fur coat.“328

Den „notorischen Geldmangel am Monatsende“329 beim Smalltalk anzusprechen oder „Gehaltsdiskussionen“330 zu führen, halten weiterhin insgesamt zwölf der deutschen Autoren331 für unangebracht. Dass auch in dieser Frage Einigkeit herrscht, steht in klarem Gegensatz zu den Thesen der Interkulturellen Kommunikation. Einige Vertreter behaupten nämlich, in den USA wäre es gang und gäbe, über das Einkommen oder andere finanzielle Dinge zu sprechen und begründen dies, wie hier Schmidt, anhand einer verdeckteren sozialen Stratifikation: „As there was no overt class system, the only criterion Americans had to define their standing was what they had measurably accomplished. […] ‚Keeping up with the Jones‘ (or ‚I want what my neighbor has‘) expresses the American ideal of telling the world what one has achieved. Americans commonly talk about their salary, how big their house is or the type of car they drive because they are proud of ‚making it‘.“332 325 Beispiele: vgl. Thompson 2004, S. 84; vgl. Pachter et al. 1995, S. 36; vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 125; vgl. Langford 2005, S. 39; vgl. Cook et al. 2005, S. 23; vgl. Fox 2008, S. 85. 326 Yager 2001. 327 Yager 2001, S. 65. 328 Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 76f.; so auch Mitchell und Corr: „Money questions to be avoided involve salaries and bonuses; the cost of a person’s fur coat, house, or car; the size of his mortgage; or the cost of the latest vacation.“ (Mitchell, Corr 2000, S. 125). 329 Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 141. 330 Pfister et al. 2005, S. 61. 331 Beispiele: vgl. Meyden 2008, S. 67; vgl. Adam 2007, S. 122; vgl. Commer 1992b, S. 148; vgl. Graff, Schaupp 2006, S. 28. 332 Schmidt 2007, S. 38; vgl. Rembor 2004, S. 99; vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 230; vgl. Lüdemann 2009, S. 124.

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Aus dem vorangegangenen Vergleich resultiert, dass der Schroll-Machl zufolge typisch deutsche „Kulturstandard“ der Trennung von Berufs- und Privatleben333 auch amerikanischen Geschäftsleuten nicht fremd sein dürfte. Denn im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung in der Interkulturellen Kommunikation wird auch hier von den Etikette-Experten dazu geraten, zwischen Freunden und Kollegen oder Geschäftspartnern zu differenzieren. Und auch hier ist es laut Business-Etikette verpönt, intime Details aus dem Privatleben beim Smalltalk im beruflichen Kontext preiszugeben. Die sich in diesem Punkt ergebende Parallele lässt sich erneut aus der Funktion des Smalltalks heraus begründen: Man möchte Zugang zu einer anderen Person finden und einen guten Eindruck hinterlassen. Dabei ist eine Frage nach persönlichen Dingen meist nicht förderlich, da sie, so argumentieren Haferland und Paul, als „Zu-nahe-Treten“ empfunden werde: „Dabei ist es eine Angelegenheit des Takts334, die Beschämung oder Irritation eines Partners zu vermeiden und alles zu übergehen, was ihm unangenehm sein oder seine Scham hervorrufen könnte.“335 Wer die entsprechende Distanz im Gespräch nicht wahrt, verletze – aus soziologischer Sicht – die „ideelle Sphäre“, die jede Person umgibt und die „nach verschiedenen Richtungen und verschiedenen Personen gegenüber […] ungleich groß“336 ist. Diese „ideelle Sphäre“ erweist sich – bedenkt man die große Übereinstimmung bezüglich der Tabuthemen in den Business-EtiketteRatgebern – unter amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten als ähnlich ausgeprägt.

333 Vgl. Schroll-Machl 2007a, S. 73 und S. 79. 334 Der eng mit Umgangsformen verwobene Begriff des Takts wurde im Kapitel Begriffsdefinition und –abgrenzung: Umgangsformen bereits erläutert. 335 Haferland, Paul 1996, S. 63; so auch Pieper: „Unter einem taktvollen Menschen versteht man vor allem einen Menschen, der zurückhaltend und unaufdringlich sich fern hält von jeder unangebrachten Intimität, der haltmacht vor dem Privaten des andern und niemandem seine eigenen Privatangelegenheiten aufdrängt […]. Der Takt ist die eigentliche Tugend der gesellschaftlichen Geselligkeit.“ (Pieper 1955, S. 94); vgl. Pieper 1955, S. 88f.; Goffman prägt in diesem Kontext den Begriff der Vermeidungsrituale: „avoidance rituals, taking the form of proscriptions, interdictions, and taboos, which imply acts the actor must refrain from doing lest he violate the right of the recipient to keep him at a distance.“ (Goffman 1956, S. 486f.); vgl. Goffman 1971, S. 70f. 336 Simmel 1968, zit. nach Goffman 1971, S. 70f.

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Fazit: Unterschiede und Gemeinsamkeiten beim Smalltalk Abschließend könnte man demnach die These aufstellen, dass für den Smalltalk dieser beiden Berufskollektive miteinander eine simple Regel gilt: „Man sollte einfach solche Fragen oder Themen vermeiden, die man auch zu Hause nicht stellen würde beziehungsweise die man selbst auch nicht gern beantworten mag.“337 Tatsächlich – das legt der Vergleich nahe – gelten in beiden Ländern die gleichen Smalltalk-Themen als Tabu. Es wird übereinstimmend davon abgeraten, Negatives, Kontroverses oder Privates zu besprechen oder zu erfragen und auch die genannten Beispiele (Krankheit, Religion, Politik etc.) decken sich weitestgehend; mit marginalen Abweichungen sogar hinsichtlich der Häufigkeit ihrer Erwähnung. Mit Blick auf die interkulturelle Ratgeberliteratur muss außerdem festgehalten werden, dass die Analyse der Etikette-Bücher keinerlei Grund zur Annahme gibt, amerikanische Geschäftsleute seien besonders sensibel gegenüber kontroversen Themen oder deutsche Geschäftsleute ließen ihrer Streitlust beim Smalltalk freien Lauf. Auch die Behauptung, die Grenze zwischen dem Privat- und dem Berufsleben sei bei Amerikanern fließend und die Gespräche würden sich deshalb häufig auch um private Angelegenheiten drehen, konnte nicht bestätigt werden. Vielmehr – so könnte man mutmaßen – basieren diese Annahmen auf Nationalstereotypen und dem Außerachtlassen der Funktion von Smalltalk. Denn „Smalltalk, das leichte Plaudern über Unverfängliches, ist (per definitionem) oberflächlich“338; muss also an der Oberfläche bleiben, da es als Einstieg oder „warm-up“339 fungiert, das den Weg ebnen soll für ein erfolgreiches geschäftliches Gespräch. Wer also dem „kleinen Gespräch“ unter Amerikanern Trivialität vorwirft, verkennt, dass weder die Vermittlung von Information noch Originalität oder Tiefgründigkeit dessen Ziel ist.340 Stattdessen – und das gilt auch für die deutsche Geschäftswelt – geht es darum, Themen zu wählen, bei denen alle Anwesenden mitreden können341. So bedient man sich unbeschwerter „Allerweltsthemen“342, die das Potential haben, Gemeinschaft – im Sinne der „phatic communion“343 – herzustellen und niemanden ausschließen oder unangenehm berüh337 Rembor 2004, S. 99. 338 Begemann 2008, S. 74. 339 Vgl. Post, Post 1999, S. 284f. 340 Vgl. Lüdemann 2009, S. 111; vgl. Pfister et al. 2005, S. 62; vgl. Baldrige 2003, S. 595. 341 Vgl. Lüdemann 2009, S. 109; vgl. Pachter et al. 1995, S. 37; vgl. Sabath 1993, S. 55. 342 Topf, Gawrich 2009, S. 83. 343 Vgl. Malinowski 1930, S. 313ff.

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ren. Dass diese Kriterien nicht nur auf das Wetter zutreffen, es vielmehr eine Fülle an geeigneten Themen gibt, ist eine weitere Überzeugung, die amerikanische und deutsche Business-Etikette-Experten gleichermaßen teilen.344

Ü BERBLICK : S ONSTIGE T HEMENBEREICHE Neben den drei ausführlich analysierten Themenbereichen soll abschließend ein kurzer Überblick über fünf weitere, den Business-Etikette-Ratgebern entnommene Betrachtungseinheiten erfolgen. Dabei fiel die Wahl auf folgende Kategorien, die wiederum allesamt eine Reihe unterschiedlicher Umgangsformen in sich vereinen: Pünktlichkeit und Zeitplanung, das Vorstellungsritual, Bekleidungsvorschriften, Austausch von Visitenkarten und die open-door policy („Politik der offenen Türen“). Die entsprechenden Verhaltensregeln gehören außerdem zu den in der interkulturellen Ratgeberliteratur am häufigsten genannten Stolpersteinen im Umgang zwischen amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten, sodass sich ein Abgleich mit den Aussagen der Etikette-Experten beider Länder anbietet. Pünktlichkeit und Zeitplanung Die Pünktlichkeit als „typisch deutsche Tugend“ ist ein weit verbreitetes Klischee, das auch in den Kulturknigge aufgegriffen wird. So behauptet etwa Gesteland: „Germans feel very strongly about punctuality. Being on time may actually mean arriving a few minutes early, because tardiness signals unreliability. If you are half an hour late for a meeting, your company may be half a month late with your delivery!“345 Dass unpünktliches Erscheinen in der deutschen Ge-

344 So Möllers: „Notfalls hilft es auch, zunächst über das Wetter zu reden.“ (Möllers 2005, S. 149); so auch Helbach-Grosser und Hofmann: „Zugegeben, das Wetter ist nicht unbedingt der Hit unter den Gesprächsthemen.“ (Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 140); so auch Baldrige: „Discussing the weather does not exactly bring out the creative best in people!“ (Baldrige 2003, S. 598); so auch Bowman: „Although the weather may seem rather boilerplate, it is perfectly acceptable.“ (Bowman 2007, S. 43). 345 Gesteland 2003, S. 312; so auch Schmidt: „[...] im allgemeinen wird eine zu große Verspätung zu einer Essensverabredung oder einem Geschäftstreffen, die bereits bei fünfzehn Minuten liegen kann, als Ineffizienz und Desinteresse interpretiert.“ (Schmidt 2000, S. 40f.).

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schäftswelt als Unzuverlässigkeit und in der Folge als „Geringschätzung der Sache und der Person gewertet“346 werde, ist auch die These Schroll-Machls. Erklärend fügt die Autorin an anderer Stelle hinzu, dass für Deutsche „Zeit ein kostbares Gut [sei] und daher nicht nutzlos vergeudet werden [dürfe].“347 Gesteland sieht in diesem angeblich spezifisch deutschen Zeitverständnis, das auf eine strenge Einhaltung von Terminen ausgerichtet ist, einen potentiellen Störfaktor im Umgang der beiden Nationalitäten miteinander.348 Auf der anderen Seite stellen die Interkulturalisten exakt die gleichen Theorien über das Zeitempfinden der Amerikaner auf. Auch hier werde Zeit – ganz nach dem Motto „Zeit ist Geld“ – als wertvolle Ressource betrachtet349 und man dürfe keinesfalls einen Geschäftspartner warten lassen.350 Oppel bezeichnet Amerikaner sogar als „Sklaven ihrer

346 Schroll-Machl 2007b, S. 123f.; so auch an anderer Stelle: „Zeit erhält einen enormen Symbolwert […]. Zeitliche Zuverlässigkeit ist für den Aufbau von Vertrauen und ein positives Image als verlässlich, interessiert, professionell eine kaum zu überschätzende Variable; zeitliche Unzuverlässigkeit bedarf einer gewichtigen Begründung, sonst stellt sie eine deutliche Beleidigung dar.“ (Schroll-Machl 2007a, S. 77). 347 Schroll-Machl 2007a, S. 76. 348 So Gesteland: „[…] few Americans are as time-conscious as Germans […].“ (Gesteland 2003, S. 338); so auch Böhm: „Denn obwohl sowohl die USA als auch Deutschland beides Gesellschaften mit fester Zeitplanung sind, d.h. Zeit ist linear und lässt sich in Segmente unterteilen, finden sich in der deutschen und amerikanischen Geschäftskultur unterschiedliche Auffassungen von Zeit. Die deutsche Vorstellung von Zeit dient dazu, alle Aktivitäten zur rechten Zeit auszuüben. Deutsche organisieren Zeit nach Arbeitsplänen und Verabredungen.“ (Böhm 2005); vgl. Moosmüller 1997, S. 49. 349 So Schmidt: „Zeit zu ‚vergeuden‘ ist sehr unamerikanisch. [...] Der einzige Weg zum Erfolg ist harte Arbeit und, wie immer: ‚Zeit ist Geld‘. Zeit, wie Geld, kann gespart werden, verlorengehen und gut investiert sein.“ (Schmidt 2000, S. 41); so auch Gesteland: „Coming from a monochronic culture, Americans treat time as a tangible asset which can be saved, spent, lost, found, invested and wasted.“ (Gesteland 2003, S. 338); vgl. Rembor 2004, S. 73. 350 So Axtell: „Geschäftstermine beginnen im allgemeinen auf die Minute pünktlich.“ (Axtell 1991, S. 92); so auch Thompson: „Time is considered a valuable commodity in the United States and it is important to arrive to meetings punctually.“ (Thompson 2004, S. 83); so auch Training Management Corporation: „Always make a point to be punctual as businesspeople in the U.S. can be very time conscious.“ (Training Management Corporation 1997, S. 182); so auch Morrison et al.: „Punctuality is highly emphasized.“ (Morrison et al. 1994, S. 407).

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Uhren“, die „absolute Pünktlichkeit [erwarten]“.351 Obwohl Hall grundsätzlich der Meinung ist, „[j]ede Kultur [habe] ihre eigene Zeitsprache“352, sieht auch er hier eine Übereinstimmung zwischen den beiden Nationen: „In der westlichen Welt, insbesondere in den USA und in Deutschland, regiert die Zeiteinteilung mit eiserner Hand.“353 Der Vergleich der Business-Etikette-Ratgeber gibt Hall Recht. Die Forderung nach strikter Pünktlichkeit findet sich hier ebenso übereinstimmend354 wie der Ratschlag, eine drohende Verspätung frühzeitig anzukündigen355 und – sollte man es nicht rechtzeitig geschafft haben – sich zu entschuldigen.356 Dass pünktliches Erscheinen keinesfalls zu früh kommen meint, ist – im Gegensatz zu Gestelands eingangs zitierter Äußerung – unter deutschen Autoren selbstverständlich357, während einige amerikanische Kollegen ein Eintreffen wenige Minuten vor dem vereinbarten Termin für durchaus akzeptabel halten.358 Insgesamt jedoch offenbart die Gegenüberstellung der Umgangsformen diesbezüglich 351 Oppel 2006, S. 48; vgl. Marius 2012, S. 50. 352 Hall, Hall 1983b, S. 21; Hervorhebung im Original; vgl. Hall, Hall 1983a, S. 17. 353 Hall, Hall 1983b, S. 27f.; so auch an anderer Stelle: „In vielen Ländern legt man großen Wert auf Pünktlichkeit. So in Deutschland, […] aber auch in den USA. Wenn man in diesen Ländern einen Termin vereinbart, wird pünktliches Erscheinen erwartet. Typisch ist, daß es in diesen Ländern auch mehrere Stufen der Verspätung gibt […].“ (Hall, Hall 1983b, S. 23); vgl. Moosmüller 1997, S. 49. 354 So Baldrige: „Be punctual for all appointments – again, the nice thing to do, but also essential to the efficiency of operations.“ (Baldrige 2003, S. 109); vgl. Post, Post 1975, S. 757; so auch Thomsett: „Being on time is extremely important. It conveys the message that you respect the other person’s time. Being prompt is professional behavior.“ (Thomsett 1991, S. 63); vgl. Meyden 2008, S. 52. 355 So Meyden: „Sollten Sie selbst feststellen, dass der Verkehr oder Probleme mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ein pünktliches Erscheinen unwahrscheinlich machen, sagen sie möglichst frühzeitig Bescheid.“ (Meyden 2008, S. 31); vgl. Hurton 1993, S. 275; vgl. Baldrige 2003, S. 109. 356 So Thomsett: „Being late for an appointment may be unavoidable on occasion. When you are late, you should apologize.“ (Thomsett 1991, S. 63); vgl. Meyden 2008, S. 31f. 357 So Hurton: „Kommen Sie auf keinen Fall zu früh! Dies wirkt unterwürfig und erregt auch Ärger.“ (Hurton 1993, S. 275); vgl. Meyden 2008, S. 48. 358 So Baldrige: „Arrive on time, even a few minutes before.“ (Baldrige 2003, S. 114); so auch Thomsett: „Showing up early is better than showing up late. You may be kept waiting until the scheduled time; however, you’re not giving up influence or power by demonstrating courtesy.“ (Thomsett 1991, S. 63).

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keine Unterschiede, sodass die interkulturellen Ratgeber mit ihrer ausführlichen Darstellung der länderspezifischen Haltung gegenüber Unpünktlichkeit womöglich ins Leere zielen. Dass deutsche Geschäftsleute sich bei einem Meeting streng nach einem vorab festgelegten Zeitplan richten und auf etwaige „Änderungswünsche, die ‚alles durcheinanderbringen‘, […] entsprechend ungehalten“359 reagieren, ist eine weitere These Halls, in der er auf einen möglichen Stolperstein beim Kontakt der beiden Berufskollektive hinweist. Angeblich ebenso irritierend für deutsche Manager sei – hier bestätigt Oppel Halls Annahme – eine Zusammenkunft nach amerikanischem Muster: „Viele Deutsche empfinden Meetings und Verhandlungen in den USA als Tortur. Sie erleben das Umherspringen zwischen verschiedenen Tagesordnungspunkten als unstrukturiertes und unbefriedigendes Chaos.“360 Problematisch sei laut Konstroffer auch die unterschiedliche Vorstellung von einer adäquaten Vorlaufzeit: „Nun tauchten die ‚Amis‘ auf. Zuerst am Telefon, dann persönlich. Ohne große Ankündigungszeiten, ohne Voranmeldung.“361 Doch was hier als unüberwindbarer Gegensatz im Verhalten dargestellt wird, findet sich an anderer Stelle in der interkulturellen Ratgeberliteratur genau umgekehrt wieder: Demnach folge ein geschäftliches Treffen in den USA stets einem strikten Zeitplan362 und für einen Termin solle man „genügend Vorlaufzeit einplanen“.363 Während der Vergleich der Business-Etikette-Ratgeber keinen Aufschluss darüber gibt, wie lange im Voraus man einen Termin vereinbaren sollte, kann die These, man halte sich in der amerikanischen Geschäftswelt nicht an die Agenda eines Meetings, nicht bestätigt werden. Thomsett etwa rät seinen Lesern: 359 Hall, Hall 1983b, S. 22; so auch an anderer Stelle: „Germans prefer to adhere to schedules and are very upset when Americans want to make changes in the schedule.“ (Hall, Hall 1983a, S. 18f.); so auch Gesteland: „Schedules and meeting agendas are rigidly adhered to, and business meetings are rarely interrupted. Expect to follow a prepared meeting agenda.“ (Gesteland 2003, S. 312); vgl. Schroll-Machl 2007b, S. 119; vgl. Moosmüller 1997, S. 49. 360 Oppel 2006, S. 43. 361 Konstroffer 2000, S. 33; so auch Mole: „Unless it is a dire emergency, meetings of any sort will be scheduled weeks in advance. They are formal with an agenda and minutes.“ (Mole 2001, S. 36); so auch Schroll-Machl: „Genaue und langfristige Zeitplanung und ein präzises Erfüllen des Zeitplans dienen dazu als adäquate Mittel [...].“ (Schroll-Machl 2007a, S. 76); vgl. Marius 2012, S. 49; vgl. Moosmüller 1997, S. 49. 362 Vgl. Training Management Corporation 1997, S. 182. 363 Hall, Hall 1983b, S. 63.

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„Stick to the agenda and keep the meeting on the move.“364 Unterbrechungen oder Abweichungen jeder Art seien auch nach Meinung anderer Autoren unbedingt zu vermeiden.365 Alles in allem konnte die These der Interkulturalisten, nach der Amerikaner und Deutsche ein unterschiedliches Verhältnis zu Pünktlichkeit und Zeitplanung hätten, im Abgleich mit den Etikette-Ratgebern beider Länder nicht bestätigt werden. Klar wurde hingegen, dass die Verfasser interkultureller Verhaltensratgeber sich uneins sind und jeder eine andere Vermutung präsentiert. Außerdem werden häufig sowohl in den USA als auch in Deutschland geltende Richtlinien als Spezifika eines der beiden Länder genannt und damit zu einer Diskrepanz hochstilisiert. Das Vorstellungsritual Das Vorstellungsritual, also das Bekanntmachen zweier bislang unbekannter Personen miteinander366, ist ein weiterer in der Business-Etikette reglementierter Komplex von Verhaltensweisen. Zu den vermeintlichen Unterschieden äußert sich Whyte, in seinem frühen, an Deutschamerikaner gerichteten, Ratgeber: „The absence […] of any rule for introducing persons of inferior official, political, or social status to persons of higher status is significant. To make social distinctions in introductions is not the democratic American way.“367 Die These, dass das Vorstellungsritual in den USA – dem Ursprungsland der modernen Demokratie – völlig frei von Hierarchiedenken sei, steht im Einklang mit der wiederkehrenden Behauptung der Interkulturalisten, die amerikanischen Umgangsformen stünden im Zeichen der Gleichheit und ließen keine „Unterschiede in Hierarchie und Status“368 erkennen. Wie jedoch bereits vielfach gezeigt wurde, steht diese Annahme in Widerspruch zu den Aussagen der Etikette-Experten. So ist sowohl nach amerikanischer als auch nach deutscher Business-Etikette die

364 Thomsett 1991, S. 84; so auch Post und Post: „Use the agenda to keep your meeting on track.“ (Post, Post 1999, S. 373). 365 Vgl. Baldrige 2003, S. 114; vgl. Fox 2008, S. 143f. 366 Streng genommen wird von deutschen Autoren zwischen Vorstellen (Berufsleben) und Bekanntmachen (Privatleben) differenziert: vgl. Wolff 1997, S. 139; vgl. Meyden 2008, S. 25; vgl. Ruppert 2007, S. 42. 367 Whyte 1952, S. 110. 368 Slate, Schroll-Machl 2006, S. 39f.; vgl. Slate, Schroll-Machl 2006, S. 43; vgl. Kalberg 2000, S. 136.

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Reihenfolge bei der Vorstellung abhängig vom Rang der Beteiligten.369 Konkret bedeutet dies, dass der Rangniedrigere dem Ranghöheren vorgestellt wird370, diesem also ein mit Machwirth als „positive Priorität der Zeit“371 zu charakterisierendes Vorrecht eingeräumt wird. Was den Ablauf angeht, verfährt man unter amerikanischen Geschäftsleuten nach dem Prinzip „Mr. Greater Importance, this is Mr. Lesser Importance“372 und dann erst umgekehrt, sodass der Höherrangige zuerst angesprochen wird.373 Die deutschen Ratgeber hingegen kennen beide Varianten374: Hier kann man sich für ein formvollendetes Vorstellungsritual auch dem Untergeordneten zuwenden und diesen dem Höherstehenden vorstellen („,Herr Bast, ich möchte Sie unserer Generaldirektorin, Frau Ebeling, vorstellen‘ […] , Frau Ebeling, ich möchte Ihnen Herrn Bast vorstellen‘“375). Da der im Rang höher Stehende so den Namen des niedriger Gestellten zuerst erfährt, ersetzt der dadurch bewirkte Informationsvorsprung den Achtungserweis der ers369 So Fenwick: „Introducing one person to another, like the law of gravity, follows the principle of the lesser approaching the greater body.“ (Fenwick 1948, S. 56); vgl. Davis 2003, S. 23; vgl. Pachter et al. 1995, S. 9; so auch Wolff: „Es wird immer demjenigen, der auf der Betriebsleiter eine Stufe höher steht, jemand anders vorgestellt.“ (Wolff 1997, S. 140); vgl. Schäfer, Schäfer 2000, S. 186; vgl. Nagiller 2004, S. 101. 370 So Fox: „In business, introductions are based on a person’s rank and position in a company. Whether that person is a man or a woman, young or old, makes no difference. You always introduce, or present, a ‚lesser‘ person to a more-senior person.“ (Fox 2008, S. 74); vgl. Bowman 2007, S. 26f.; vgl. Cook et al. 2005, S. 20; vgl. Stewart 1997, S. 51. 371 Vgl. Machwirth 1970, S. 211f. 372 Pachter et al. 1995, S. 291. 373 So Mitchell und Corr: „In business settings, the person of greater authority or importance is mentioned first.“ (Mitchell, Corr 2000, S. 28); vgl. Davis 2003, S. 23; vgl. Fox 2008, S. 74; vgl. Bowman 2007, S. 26f.; vgl. Cook et al. 2005, S. 20; vgl. Stewart 1997, S. 51. 374 So Quittschau und Tabernig: „Sie stehen im Flur mit einer Praktikantin und der Chef (Dr. Müller) kommt vorbei. Nach der verbalen Begrüßung stellen Sie dem Vorgesetzten die Praktikantin vor: ,Herr Dr. Müller, ich möchte Ihnen unsere neue Praktikantin Frau Schmidt vorstellen. Frau Schmidt, unser Geschäftsführer Herr Dr. Müller.‘“ (Quittschau, Tabernig 2006, S. 24); vgl. eload24 AG 2010, S. 14; vgl. Schönfeldt 1996, S. 276; vgl. Ruppert 2007, S. 44; vgl. Hanisch 2005, S. 20. 375 Schäfer, Schäfer 2000, S. 16; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 38f.; so auch Commer: „[S]o wird immer der Rangniedrigere dem Ranghöheren, bzw. der Jüngere dem Älteren vorgestellt.“ (Commer 1984, S. 74; Hervorhebung im Original).

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ten Variante.376 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Vorstellungsritual in beiden Berufskollektiven einem hierarchisch bedingten Ablauf folgt, wobei die exakte Reihenfolge der Namensnennung Unterschiede aufweisen kann. Da jedoch die deutsche Business-Etikette beide Alternativen akzeptiert, erscheint die Gefahr daraus resultierender Irritation zwar nicht gebannt, immerhin aber verringert. Doch selbst wenn der Vorstellende sich regelkonform verhält und das Ritual schon beinahe geglückt scheint, erkennt Whyte noch Potential für interkulturelle Disharmonie. Denn während es in Deutschland seiner Meinung nach zum guten Ton gehört, auf eine Vorstellung mit einer erfreuten Entgegnung zu reagieren, sei dies in den Vereinigten Staaten zu überschwänglich und lediglich speziellen Anlässen vorbehalten: „The answer, ‚I am very glad (pleased) to meet you‘, is far less common than the German ‚Es freut mich‘, and while certainly not incorrect, might well be reserved for special occasions, as ‚I have heard so much about you, I am very (so) glad to meet you‘“.377 Möglicherweise war diese Beobachtung zu Beginn der 1950er Jahre noch auf die USA zutreffend378, heute spricht sich hingegen die Mehrheit amerikanischer und deutscher Autoren übereinstimmend gegen derartige Erwiderungsfloskeln aus.379 Die Annäherung 376 So Begemann: „Wer als ‚ranghöher‘ eingestuft wird, erfährt also als Erster, wen er vor sich hat; anders gewendet: Der Name des ‚Untergebenen‘ wird zuerst genannt.“ (Begemann 2008, S. 25); vgl. Meyden 2008, S. 25; vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 58; vgl. Bonneau 2002, S. 19; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 38. 377 Whyte 1952, S. 111. 378 So Fenwick: „I am ‚glad (or happy, or pleased, or delighted, or anything else) to know (or meet, or make the acquaintance of) you‘ should never be used as an acknowledgment.“ (Fenwick 1948, S. 60); vgl. Post 1922, S. 8; vgl. Richardson 1925, S. 246. 379 So Post und Post: „Save ‚It’s nice (great) to meet you‘ for those you’ve heard something positive about.“ (Post, Post 1999, S. 268); vgl. Tuckerman, Dunnan 1995, S. 687f.; so auch Wolff: „Die alten Floskeln ‚Angenehm!‘ oder ‚Sehr erfreut!‘ nach einer Namensnennung sind überholt.“ (Wolff 1997, S. 141); so auch Nagiller: „‚Sehr angenehm‘ wird heute ebenfalls nicht mehr verwendet. Am besten ist, Sie sagen, was Sie tatsächlich empfinden, wie z.B. ‚Schön, dass ich Sie kennen lerne, ich habe schon viel von Ihnen gehört.‘ Aber nur dann, wenn es ehrlich gemeint ist. Sollte man vom Gegenüber noch nie etwas gehört haben, dann genügt ein einfaches ‚Guten Tag‘ oder ‚Guten Abend‘.“ (Nagiller 2004, S. 104); vgl. Ruppert 2007, S. 44; vgl. Zacker 2004, S. 139f.; vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 58f.; vgl. Quittschau, Tabernig 2006, S. 25; vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 51; vgl. Begemann 2007, S. 42f.; vgl. Adam 2007, S. 115.

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spricht dafür, dass auch in diesem Punkt kaum Raum für interkulturelle Stolpersteine gegeben sein dürfte. Bekleidungsvorschriften Glaubt man der interkulturellen Ratgeberliteratur, so sind amerikanische Geschäftsleute in Kleiderfragen konservativer als ihre deutschen Kollegen.380 Otte beispielsweise behauptet, der „dresscode [sei] in vielen amerikanischen Unternehmen sehr restriktiv“381 und macht diese Behauptung daran fest, dass hier „ [i]n den meisten traditionellen Berufen […] der dunkle Anzug“ und das reinweiße Hemd verpflichtend seien.382 An anderer Stelle wiederholt er diese These und weitet sie in ihrer Geltung auf Geschäftsfrauen aus: „Auch Damen sind zumeist in grau oder blau gekleidet. Einen Europäer mag dies befremden.“383 Ebenso ungewöhnlich sei nach Meinung mehrerer Interkulturalisten, dass eine Frau in der amerikanischen Berufswelt keinesfalls einen Hosenanzug tragen dürfe, sondern zum Ausdruck ihrer Weiblichkeit384 auf das klassische Kostüm zurückgreifen solle: „Während es zum Beispiel in Deutschland inzwischen akzeptiert ist, dass Frauen Hosen im Büro tragen, ist dies für berufstätige Frauen in Amerika in höheren Positionen nicht akzeptabel.“385 380 So Konstroffer: „So freidenkend und liberal Amerikaner auch in allen Aspekten sein mögen, so konservativ sind sie doch in ihrer Einstellung zur Arbeitskleidung.“ (Konstroffer 2000, S. 99); so auch Otte: „Amerikaner sehen sich gerne als eiserne Individualisten. Dennoch sind sie in vielen Bereichen konformistischer als Europäer.“ (Otte 1996, S. 18f.); vgl. Sack 2007, S. 176. 381 Otte 1996, S. 18f.; Hervorhebung im Original. 382 Otte 1996, S. 18f.; so auch an anderer Stelle: „Die Standardkleidung [...] ist der dunkle oder gedeckte Anzug mit einen [sic!] hellen Hemd. Punkt. [...] Für die Hemden sind Weiß, helle Blautöne oder helle Gelbtöne angebracht.“ (Otte 1996, S. 54). 383 Otte 1996, S. 36. 384 So Rembor: „Während man in Deutschland teilweise den Eindruck hat, dass Frauen glauben, nicht ernst genommen zu werden wenn sie weiblich auftreten, oder es am entsprechenden Selbstbewusstsein fehlt, zeigen amerikanische Frauen gerne und mit Stolz ihre Weiblichkeit. Kurzhaarfrisuren, unlackierte Fingernägel, klobige Schuhe und schwarze Hosenanzüge sind dort undenkbar.“ (Rembor 2004, S. 111f.). 385 Konstroffer 2000, S. 46; in übereinstimmendem Wortlaut auch bei Rembor, der offenbar an einigen Stellen bei Konstroffer abgeschrieben hat (vgl. Rembor 2004, S. 41); so auch an anderer Stelle: „Hosen, geschweige denn Jeans, sind im Büro tabu und führen zu dem Vermerk ‚CT‘ auf der Personalakte, was bedeutet ‚Career Terminated‘. Kostüme sind ideal, aber eine schicke Bluse mit Rock sind ebenfalls gang

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Soweit der Vergleich der Business-Etikette-Ratgeber eine Aussage zulässt, stellt keiner der oben genannten Aspekte tatsächlich einen Gegensatz zwischen beiden Berufskollektiven dar. Der Anzug in gedeckten, meist dunklen Farben (Grau, Blau, Schwarz)386 ist demnach unter deutschen Geschäftsleuten ebenso üblich wie unter amerikanischen. Das weiße Hemd wird auch hier standardmäßig empfohlen, wobei die Autoren beider Länder auch andere Farben wie z. B. Hellblau für geeignet halten.387 Entgegen der unter Interkulturalisten verbreiteten Annahme, jedoch im Einklang mit den deutschen Ratgebern388, stellt die Mehrheit der amerikanischen Etikette-Experten ihren Leserinnen frei, ob sie lieber Hosenanzug oder Kostüm tragen wollen, bzw. sie raten zur Anschaffung eines aufeinander abgestimmten Sets, bestehend aus Rock, Blazer und Hose.389 Lediglich Bowman bevorzugt die traditionelle Variante: „The skirt/dress suit is the most appropriate and business professional look for women; pantsuits are still number two.“390 Von einer kategorischen Ablehnung des Hosenanzugs ist jedoch auch sie weit entfernt. Die Farbwahl entspricht jener der Männerbekleidung; auch in diesem Punkt sind sich die Autoren einig.391 Dass amerikanische Frauen im Ge-

und gäbe.“ (Rembor 2004, S. 111); so auch Otte: „Als Frau sollten Sie auf alle Fälle ein Kostüm (nicht kniefrei) oder ein gedecktes Kleid in derselben Länge tragen.“ (Otte 1996, S. 54). 386 Vgl. Begemann 2007, S. 29; vgl. Adam 2007, S. 64; vgl. Klein 2005, S. 112f.; vgl. Hurton 1993, S. 116; vgl. Meyden 2008, S. 102; vgl. Hammer 25.11.2003, S. 3; vgl. Fox 2008, S. 50; vgl. Chaney, Martin 2007, S. 17; vgl. Bowman 2007, S. 165. 387 Vgl. Begemann 2007, S. 29; vgl. Adam 2007, S. 64; vgl. Klein 2005, S. 112f.; vgl. Meyden 2008, S. 102; vgl. Post, Post 1999, S. 155; vgl. Fox 2008, S. 63; vgl. eload24 AG 2010, S. 26; vgl. Bowman 2007, S. 166. 388 Vgl. Adam 2007, S. 62; vgl. Begemann 2007, S. 32; vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 28; vgl. Klein 2005, S. 110. 389 Vgl. Post, Post 1999, S. 167; vgl. Fox 2008, S. 53ff.; vgl. Casperson 1999, S. 28. 390 Bowman 2007, S. 169; so auch Schmidt-Decker: „Es gibt – meine Damen, Sie werden es nicht glauben – immer noch Chefs, die was gegen Hosen haben. Das kleine Zugeständnis, das Sie mit dem Rock machen, sollte Ihnen Ihr Arbeitsplatz wert sein.“ (Schmidt-Decker 1999, S. 258); vgl. Schmidt-Hildebrand, Hildebrand 2008, S. 21; vgl. Meyden 2008, S. 102. 391 So Post und Post: „Navy blue, burgundy, black, charcoal gray, and taupe are the traditional colors of the businesswoman’s wardrobe [...].“ (Post, Post 1999, S. 168); vgl. Fox 2008, S. 53ff.; vgl. Chaney, Martin 2007, S. 17; vgl. Casperson 1999, S. 31; vgl. Bowman 2007, S. 169; so auch Quittschau und Tabernig: „Die klassischen Farben für das stilvolle Business-Outfit sind Grau, Blau, Braun und Schwarz.“

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schäftsleben ihre Weiblichkeit betonen, wird von amerikanischen EtiketteExperten – entgegen der Annahme der Interkulturalisten – strikt abgelehnt.392 Ein Aspekt, der in den Kulturknigge zu kurz kommt, ist die Differenzierung der Bekleidungsvorschriften nach Kriterien wie Region, Branche, Unternehmen(-sgröße), Abteilung, Aufgabenbereich oder situationaler Kontext.393 Ausführlich werden hingegen in den Business-Etikette-Ratgebern unterschiedliche Branchengepflogenheiten, regionale Divergenzen oder auch situationsbedingte Anforderungen an den dress code394 erläutert. So würden in traditionellen Sparten (Banken, Versicherungen, Industrie etc.) strengere Richtlinien gelten als in dem sogenannten New Economy-Bereich (IT-, Medienbranche etc.).395 In ländlichen Regionen und kleinen Betrieben werde zudem etwas weniger Wert auf formelle Kleidung gelegt.396 Wer außerdem häufig in direkten Kontakt mit Kunden oder Geschäftspartnern komme, müsse mehr auf sein Äußeres achten als der Kollege ohne repräsentative Aufgaben.397 Diese differenzierte Betrachtungsweise ist der interkulturellen Ratgeberliteratur insofern überlegen, als sie eine Abkehr von pauschalisierten Aussagen und damit eine Annäherung an die Realität darstellt. Es ist nicht „der Amerika(Quittschau, Tabernig 2006, S. 100); vgl. Adam 2007, S. 62; vgl. Meyden 2008, S. 102. 392 So Post und Post: „A woman whose appearance distracts the men from their work – even though they enjoy being distracted – will not last long in her job.“ (Post, Post 1975, S. 751); so auch an anderer Stelle: „If you are a woman, remember that you will be judged more for your appearance of seriousness about the job than for your glamour.“ (Post, Post 1975, S. 757); vgl. Hurton 1993, S. 253; vgl. Meyden 2008, S. 104. 393 So Mitchell und Corr: „It’s a matter of different cloaks for different folks.“ (Mitchell, Corr 2000, S. 65); vgl. Sachs 2007; vgl. Thomsett 1991, S. 17; vgl. Thomsett 1991, S. 118; vgl. Storti 2004, S. 178; vgl. Fox 2008, S. 51; vgl. Chaney, Martin 2007, S. 14ff.; vgl. Casperson 1999, S. 27; vgl. Meyden 2008, S. 102f. 394 Vgl. Begemann 2007, S. 28f. 395 So Adam: „Richten Sie sich bei der Wahl Ihrer Kleidung stets nach den Gepflogenheiten in Ihrer Firma. Wenn Sie beispielsweise in einer Werbeagentur arbeiten, in der man sich betont modisch kleidet, so lassen Sie Ihren konservativen Anzug lieber im Schrank. Arbeiten Sie dagegen in einer Bank, so ist dieser Anzug durchaus die richtige Wahl.“ (Adam 2007, S. 57); vgl. Begemann 2007, S. 28f.; vgl. Bonneau 2002, S. 21; vgl. Hurton 1993, S. 251; vgl. eload24 AG 2010, S. 22; vgl. Quittschau, Tabernig 2007, S. 32; vgl. Post, Post 1999, S. 150. 396 Vgl. Bixler 1984, S. 21. 397 Vgl. Thomsett 1991, S. 122.

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ner“ an sich, der einen besonders konservativen Kleidungsstil hat, es sind – wie in Deutschland – bestimmte Berufskollektive, von denen der strikte business dress code als Zeichen398 von Konformität399, Rationalität400, Zielgerichtetheit401, Ernsthaftigkeit402 und Selbstbeherrschung403 gewertet wird. Doch symbolisiert der Anzug nicht nur diese, für den beruflichen Erfolg unabdingbaren Eigenschaften seines Trägers, er dient zudem dessen Distinktion und Kollektivvergewisserung.404 Barnes formuliert es wie folgt: „Clothes are a self-presentation, and it is in this aspect that we find their imbrication with the rules of etiquette to be most evident. Here also we see, quintessentially, the interaction of the duo, conformity and distinction.“405 Konformität – als Ausdruck der Zugehörigkeit und Integration – steht also im Wechselspiel mit dem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber anderen Subkollektiven. Der sogenannte casual friday, der sich seit den 1990er Jahren zuerst in der amerikanischen, dann auch in der deutschen Geschäftswelt verbreitet hatte, ist ein Beispiel der von Wouters beschriebenen „Informalisierungs“-Tendenzen.406 Doch wie er selbst bereits erkannte, verfehlen solche Prozesse häufig ihr Ziel 398 Vgl. Hansen 2011, S. 45; vgl. Rubinstein 2001, S. 3; vgl. Goffman 1971, S. 86; vgl. Veblen 1971, S. 128. 399 So Thomsett: „The successful manager does not draw attention to clothing but conforms to the generally accepted rules in the corporate culture. The idea of conformity arouses resistance in our minds; however, when you’re interested in moving up the corporate ladder, conformity in dress is essential.“ (Thomsett 1991, S. 17); vgl. Stewart 1997, S. 43; vgl. Fox 2008, S. 49. 400 Vgl. Rubinstein 2001, S. 43ff.; vgl. Ordway 1920, S. 15. 401 Vgl. Rubinstein 2001, S. 49; vgl. Ordway 1920, S. 15. 402 So Begemann: „Mit formeller Kleidung werten Sie den Termin auf, zeigen, dass Sie die Angelegenheit ernst nehmen. Ein Berater im bunten Holzfällerhemd und mit zerbeulter Hose provoziert womöglich den Schluss, er nehme die Sache auch inhaltlich eher locker.“ (Begemann 2007, S. 29); vgl. Hurton 1993, S. 252; vgl. Thomsett 1991, S. 120. 403 Vgl. Rubinstein 2001, S. 43ff. 404 So Fischer: „Hier überwiegt das ‚Unterscheidungsbedürfnis‘ (Georg Simmel) des Menschen. Das Mitmachen der Mode symbolisiert die innere Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Schicht […].“ (Von Jhering, Fischer 2004, S. 7f.); vgl. von Jhering, Fischer 2004, S. 15f.; so auch Hurton: „Die Mode ist Instrument der eigenen Vermarktung und Signal: sie zeigt die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu, zu einer Berufsgruppe an.“ (Hurton 1993, S. 116). 405 Barnes 2007, S. 244f. 406 Vgl. Fox 2008, S. 52.

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(Vereinfachung und Lockerung des Benimm-Kodex), indem sie Verhaltensunsicherheit und damit wiederum den Bedarf für zusätzliche Regeln schaffen.407 Da nun Unklarheit darüber herrschte, wie man sich an einem casual friday zu kleiden hatte408 und die Bekleidungsvorschriften angesichts dieser Neuerung noch komplexer wurden, verzeichnen sowohl deutsche als auch amerikanische Etikette-Experten einen Rückgang dieser Gepflogenheit.409 Der Austausch von Visitenkarten Der Austausch von Visitenkarten oder business cards ist ein weiteres in der interkulturellen Ratgeberliteratur behandeltes Problemfeld. Zu den hier genannten Stolpersteinen im Umgang amerikanischer und deutscher Manager gehört erstens Oppels These, nach der „Visitenkarten […] im [amerikanischen] Geschäftsleben schnell und unkompliziert übergeben und gleich weggepackt [würden].“410 Diese Aussage kann jedoch nach dem Vergleich der Umgangsformen zur Übergabe sowie Entgegennahme von Visitenkarten weder als zutreffend noch als amerikanisches Spezifikum bestätigt werden. Vielmehr stellt sich das Überreichen von Visitenkarten in der Business-Etikette beider Länder als hoch ritualisierter Vorgang dar, der einem elaborierten Protokoll folgt.411 Dazu gehört etwa, dass die Initiative zum Austausch von business cards – sowohl in der amerikanischen als auch der deutschen Geschäftswelt – stets dem Höherrangigen überlas407 Vgl. Casperson 1999, S. 32. 408 Vgl. Barnes 2007, S. 246. 409 So Adam: „In vielen Unternehmen ist nun wieder eine Rückkehr zu konservativer Kleidung zu beobachten. Der ‚Casual Friday‘, der vor ein paar Jahren aus den USA übernommen wurde und der es Angestellten gestattet, am Freitag etwas lockerer gekleidet am Arbeitsplatz zu erscheinen, wurde in vielen Firmen wieder abgeschafft.“ (Adam 2007, S. 55f.); vgl. Begemann 2007, S. 29; vgl. Hammer 25.11.2003, S. 1; vgl. eload24 AG 2010, S. 24; vgl. Chaney, Martin 2007, S. 21; vgl. Casperson 1999, S. 33; vgl. Bowman 2007, S. 178. 410 Oppel 2006, S. 37; so auch Lüdemann (in einem „Interkulturellen Ausblick“): „Visitenkarten werden [in den USA] schnell und unkapriziös überreicht und rasch weggesteckt.“ (Lüdemann 2009, S. 181). 411 So Baldrige und Gelles-Cole: „almost ritualistic world of business card exchange“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 181); so auch Sack: „Die Überreichung gleicht allerdings vor allem in Deutschland oft einem seltsamen Ritual. Menschen, die sich eigentlich zu jung, zu cool, zu ungebügelt dafür fühlen, praktizieren dabei einen gebärdensprachlich komplexen Visitenkarten-Tanz.“ (Sack 2007, S. 69); vgl. Adam 2007, S. 93.

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sen bleiben sollte.412 Eine formvollendete Übergabe erfordere dann, dass das Kärtchen mit der rechten Hand so übergeben werde, dass die bedruckte Seite zum Empfänger hin zeigt413 und dieser sie dann – unter Wahrung des Augenkontakts414 – ebenfalls mit der rechten Hand in Empfang nimmt.415 Entgegen Oppels Annahme wird eine erhaltene Visitenkarte jedoch – nach Meinung der Autoren beider Länder – keinesfalls „gleich weggepackt“416. Zuerst gelte es, sich zu bedanken417 und die auf dem Kärtchen vermerkten Informationen genau zu studieren418, da man so Interesse und Respekt gegenüber der anderen Person signalisiere.419 Gesteland beschreibt eine weitere vermeintliche Unvereinbarkeit. Er meint, der Zeitpunkt der Übergabe werde in den beiden Berufskollektiven unterschiedlich gewählt: „Americans […] offer their card at the end of the meeting rather than at the beginning.“420 Eine derart pauschale Antwort auf diese Frage bietet 412 So Baldrige und Gelles-Cole: „Never ask a very high-ranking executive for his or her business card. Should you do this, however, be prepared to receive little more than a rather cold stare in return.“ (Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 181); vgl. Davis 2003, S. 19; vgl. Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 241f.; vgl. Pachter et al. 1995, S. 21; vgl. Sabath 2002, S. 13f.; so auch Ruppert: „Höherrangige bittet man nicht um ihre Visitenkarte. […] Der im Rang Höhere initiiert den Austausch von Visitenkarten.“ (Ruppert 2007, S. 112); vgl. Wrede-Grischkat 1992, S. 79f. 413 So Meyden: „Wenn Sie Ihre Visitenkarte übergeben, beachten Sie bitte: Reichen Sie Ihre Visitenkarte mit der rechten Hand. Halten Sie die Karte so, dass der andere das Schriftbild nicht umgekehrt oder seitlich vor sich hat.“ (Meyden 2008, S. 28); Ruppert 2007, S. 62; vgl. Bowman 2007, S. 185; vgl. Davis 2003, S. 19. 414 Vgl. Pfister et al. 2005, S. 25; vgl. Bowman 2007, S. 187. 415 Meyden 2008, S. 28. 416 Oppel 2006, S. 37. 417 Vgl. Pachter et al. 1995, S. 22; vgl. Fox 2008, S. 78; vgl. Lüdemann 2009, S. 129; vgl. Commer, von Thadden 1999, S. 117f. 418 Vgl. Pachter et al. 1995, S. 22; vgl. Davis 2003, S. 20; vgl. Adam 2007, S. 95; vgl. Helbach-Grosser 2007, S. 69. 419 Vgl. Bowman 2007, S. 186; vgl. Cook et al. 2005, S. 22; vgl. Commer, von Thadden 1999, S. 117f.; vgl. Klein 2005, S. 47. 420 Gesteland 2003, S. 339; so auch Otte: „Es ist guter Stil, die Karten am Ende einer Konversation auszutauschen. Beide Seiten haben Zeit gehabt, sich gegenseitig zu begutachten.“ (Otte 1996, S. 51f.; Hervorhebung im Original); so auch Fox (über Europa): „The giving of business cards is typically done at the onset of a meeting, so the recipient will have something to refer to throughout the meeting.“ (Fox 2008, S. 285).

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die Analyse der Etikette-Ratgeber hingegen nicht; hier wird nach Kontext differenziert. Bei einem Treffen mit nur einer Person wird von amerikanischen Autoren dazu geraten, die Visitenkarte erst am Ende des Gesprächs zu überreichen421; während von deutscher Seite gefordert wird, die Kärtchen bereits zu Beginn auszutauschen.422 Dies befürworten die Etikette-Experten beider Länder wiederum übereinstimmend, sollten bei einem Meeting mehrere Teilnehmer zugegen sein, da ein frühzeitiges Ausgeben der Visitenkarten hier sicherstelle, dass die Anwesenden problemlos namentlich zugeordnet werden können.423 Um nicht aufdringlich zu erscheinen, sollte man bei einem zufälligen Kennenlernen die Übergabe der Visitenkarte bis zum Schluss der Unterhaltung aufschieben, behaupten hingegen einige amerikanische Autoren424; wohingegen ihre deutschen Kollegen den richtigen Zeitpunkt als vom Gesprächsverlauf abhängig betrachten.425 Dass man seine Visitenkarten nicht willkürlich verteilen, sondern nur eine Karte herausgeben solle, „wenn man glaubt, Grund zu haben, später noch einmal in Kontakt zu treten“426, ist zwar eine mit der Etikette vereinbare Annahme427 des Inter421 So Pachter und Coleman.: „Exchange cards at the end of the meeting. In the United States, if you are meeting with just one person, this is usually done at the end of a meeting.“ (Pachter, Coleman 2006, S. 28; Hervorhebung im Original). 422 So Begemann: „Zum professionellen Auftritt gehört […], dass Sie neuen Kunden und Gesprächspartnern zu Beginn eines Treffens ohne viele Umstände eine Visitenkarte überreichen.“ (Begemann 2008, S. 26f.; eigene Hervorhebung); vgl. WredeGrischkat 1992, S. 79. 423 So Pachter und Coleman: „However, you can exchange cards at the beginning if you are meeting with more than one person.“ (Pachter, Coleman 2006, S. 28); so auch Whitmore: „If you’re in a meeting and you’ve just exchanged business cards with others in the room, place the cards on the table in front of you so you can remember names and distinguish who is speaking.“ (Whitmore 2005, S. 56f.); vgl. Bowman 2007, S. 188; so auch Graff und Schaupp: „Zum anderen hilft es, gerade bei einer größeren Runde unbekannter Partner den Überblick zu behalten und die Positionen einzuschätzen.“ (Graff, Schaupp 2006, S. 14). 424 So Tuckerman und Dunnan: „With someone you’ve met casually, on a plane for example, wait until you part company before presenting your card in order not to appear pushy.“ (Tuckerman, Dunnan 1995, S. 502); vgl. Baldrige, Gelles-Cole 1985, S. 241f.; vgl. Helbach-Grosser, Hofmann 2006, S. 61. 425 Vgl. Begemann 2007, S. 47; vgl. Klein 2005, S. 45; vgl. Hanisch 2005, S. 111; vgl. Pachter et al. 1995, S. 75; vgl. Pachter, Magee 2006, S. 25. 426 Axtell 1991, S. 43f.; so auch Otte: „Ein Austausch kann dann ein Zeichen sein, daß Sie in Kontakt bleiben wollen. Das ‚Verteilen‘ von Karten empfiehlt sich auch in Amerika nicht.“ (Otte 1996, S. 51f.).

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kulturalisten Axtells, jedoch keine spezifisch amerikanische Verhaltensweise und kommt somit als Ursprung interkultureller Konflikte zwischen den beiden Berufskollektiven kaum in Frage. Die Open-Door Policy Der amerikanisch geprägte Begriff der open-door policy, den man im Deutschen mangels eigenen Ausdrucks entweder beibehält oder ungelenk als „Politik der offenen Türen“ übersetzt, bezeichnet eine in ihrer Bedeutung weit über offene Bürotüren hinausgehende Führungsstrategie. Diese soll laut Aussage der amerikanischen Etikette-Experten die Erreichbarkeit des Vorgesetzten für seine Mitarbeiter und damit die Kommunikation zwischen beiden Seiten fördern: „The open-door policy is wisely cultivated by many managers. This is to encourage employees to speak up on matters of concern.“428 Dass dieser Management-Ansatz, der von Seiten der Interkulturellen Kommunikation auch als Manifestation des amerikanischen Gleichheitsideals429 betrachtet wird, in der deutschen Geschäftswelt hingegen kaum Anhänger findet, ist die These des Interkulturalisten Mole. Dieser geht sogar so weit zu behaupten, die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sei in Deutschland grundsätzlich distanziert und gehemmt, sodass selbst offenstehende Türen aus Scheu nicht genutzt werden würden.430 Dass die „Politik der offenen Türen“ in

427 So Davis: „Don’t randomly ask people for their card. Wait until you have developed a comfort level with a person and there’s a specific reason for asking.“ (Davis 2003, S. 19); so auch Pachter: „Presenting your card indicates that you may be willing to continue the dialogue at another time.“ (Pachter et al. 1995, S. 19); so auch Begemann: „Beschränken Sie sich auf Geschäftspartner, mit denen Sie tatsächlich ‚in Kontakt treten‘ […].“ (Begemann 2008, S. 26f.); vgl. Begemann 2007, S. 43. 428 Tuckerman, Dunnan 1995, S. 481; so auch Post und Post: „Remember that your first priority as a manager is to get results, and the way to get results is through managing people, not paper. Instead of hiding behind a closed door and your desk, surrounded by a defensive barricade of paperwork, keep your door open – and especially your eyes and ears.“ (Post, Post 1999, S. 207f.); vgl. Fox 2008, S. 235. 429 Vgl. Slate, Schroll-Machl 2006, S. 39; so auch Lewin: „Dieser Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland ist sehr schlagend und ein Ausdruck für die demokratische Einstellung des Amerikaners zu der allgemeinen Gleichberechtigung sowie für seine größere allgemeine Zugänglichkeit.“ (Lewin 1978, S. 78f.). 430 Vgl. Mole 2001, S. 35.

V ERGLEICH

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den deutschen Business-Knigge tatsächlich nur am Rande erwähnt431 und nur in zwei Ausnahmefällen empfohlen wird432, deckt sich mit der Annahme der Kulturknigge, laut denen es sich hierbei um ein Paradebeispiel kultureller Unvereinbarkeit zwischen beiden Ländern handele.433 Hall etwa sieht hier Konfliktpotential im Umgang der beiden Kollektive (Nationen) miteinander: „Americans tend to keep doors open; Germans keep doors closed. […] In business, the difference between the ‚open door‘ policy of Americans and the ‚closed door‘ patterns of Germans is a matter of some disagreement.“434 Die Frage, warum „die Deutschen“ eine geschlossene Bürotür bevorzugen, beantwortet Hall anhand eines angeblich besonders ausgeprägten Sinns für Ordnung435 sowie eines starken Bedürfnisses nach Privatsphäre436 und „persönlichem Raum“437. Das Unverständnis 431 So Teusen: „Manche Chefs legen Wert auf Distanz zum Mitarbeiter. Indizien: geschlossene Türen […].“ (Teusen 1997, S. 76); so auch Hanisch: „Scheint der Führungsstil ,offene Tür‘ praktiziert zu werden?“ (Hanisch 2003, S. 84). 432 So Commer: „Dein Büro ist keine Betonfestung. Deshalb: Übe die Kunst der offenen Tür, ohne dein Büro zu einer Klatschbude zu machen.“ (Commer 1992b, S. 43); so auch Teusen: „Offene Türen sind etwas Wunderbares, denn sie laden zum Eintreten ein.“ (Teusen 1997, S. 29f.). 433 So Frazee: „And German companies are full of offices with closed doors.“ (Frazee 1997, S. 16); vgl. Training Management Corporation 1997, S. 364; vgl. Moosmüller 1997, S. 50. 434 Hall, Hall 1983a, S. 48; vgl. Hall, Hall 1983b, S. 67; so auch an anderer Stelle: „One American manufacturer which had acquired a German company discovered that […] each of the executives had a private office with double doors and sound-proof walls. The American officials thought this was ridiculous; and their reaction was that the German officers wanted to keep secrets from their peers.“ (Hall, Hall 1983a, S. 47); so auch Schmidt: „Die meisten Deutschen fühlen sich unbehaglich mit dem Prinzip des ‚open office‘, das in amerikanischen Unternehmen vorherrscht.“ (Schmidt 2000, S. 61). 435 So Hall und Hall: „For a German, an open door seems sloppy and disorderly.“ (Hall, Hall 1983a, S. 48); so auch Schmidt: „Vielmehr symbolisiert eine offene Tür Schlampigkeit und Unordnung […].“ (Schmidt 2000, S. 34); so auch Böhm: „Die Angst der Deutschen vor Unsicherheit und ihr Bedürfnis nach Ordnung sind sicherlich u.a. auf die erlebten Kriege und deren Folgen zurückzuführen.“ (Böhm 2005); vgl. Moosmüller 1997, S. 50. 436 So Hall und Hall: „The German sense of privacy is much stronger than the American. Germans respect each other’s privacy to a degree far beyond anything we know in the U.S.“ (Hall, Hall 1983a, S. 46); vgl. Schmidt 2000, S. 34; vgl. Schroll-Machl 2007a, S. 79.

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amerikanischer Kollegen gegenüber dieser Gewohnheit rühre andererseits daher, dass diese sich „ausgeschlossen“ fühlten und den Informationsfluss behindert sähen.438 Nun könnte man den interkulturellen Ratgebern vorwerfen, sie gingen in ihrer Interpretation etwas weit. Hall etwa stellt einen Zusammenhang zwischen der verglichen mit den USA räumlichen Begrenztheit Europas und einer daraus resultierenden ausgeprägten „Territorialität“ und der Ablehnung offener Bürotüren her.439 Dass es sich hierbei außerdem um eine berufskollektivspezifische Verhaltensweise handelt und keinesfalls „die Deutschen“ oder „die Amerikaner“ im Allgemeinen betrifft, wird übersehen und auch bei der Erklärung nicht berücksichtigt. Diese hätte sich konsequenterweise weniger auf geographische und damit einfach zu erfassende landesspezifische Gegebenheiten bezogen, sondern etwa unterschiedliche Auffassungen von Management und Mitarbeiterführung ins Auge gefasst. Dennoch scheint es sich bei der open-door policy – zumindest in dieser Vergleichskonstellation – tatsächlich um ein für die amerikanische Geschäftswelt typisches Phänomen zu handeln. Ob die open-door policy jedoch tatsächlich als Ausdruck eines besonders informellen und egalitären Umgangs gewertet werden kann, ist fraglich. Denn zum einen lässt sich den Etikette-Ratgebern entnehmen, dass die Mehrheit amerikanischer Geschäftsleute in Großraumbüros mit kleinen Arbeitskabinen, die lediglich durch Raumteiler voneinander getrennt sind, tätig ist440 und herkömmliche Büros (mit Türen) dem höheren Management vorbehalten sind. Es ist denkbar, dass diese klare Differenzierung das Gleichheitsgefühl, das durch die offenstehende 437 Hall, Hall 1983b, S. 65; so auch an anderer Stelle: „Territoriality is the act of laying claim to and defending territory. In man, it is highly developed and strongly influenced by culture, and it is particularly strong in the Germans.“ (Hall, Hall 1983a, S. 35); vgl. Hall, Hall 1983a, S. 45; vgl. Moosmüller 1997, S. 50. 438 So Schmidt: „Die territoriale Haltung des deutschen Beschäftigten führt dazu, dass er kaum Informationen mit denjenigen außerhalb der Abteilung austauscht.“ (Schmidt 2000, S. 61); vgl. Schmidt 2007, S. 47; so auch Böhm: „US-Amerikaner empfinden dies als eine Art ‚Abschottung‘ und leiden unter der oft restriktiven Verteilung von Informationen, […] wie sie in der deutschen Geschäftswelt anzutreffen ist. […] Doch gerade US-Amerikaner, die einen nach allen Seiten hin freien Informationsfluss gewohnt sind, fühlen sich bei einer solchen Vorgehensweise schnell ausgeschlossen.“ (Böhm 2005). 439 So Hall und Hall: „The German feeling of being geographically crowded may help explain their territorial behavior. For the German, space is sacred.“ (Hall, Hall 1983a, S. 45). 440 Vgl. Cook et al. 2005, S. 34; vgl. Langford 2005, S. 77; vgl. Post, Post 1999, S. 4.

V ERGLEICH

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Tür des Vorgesetzten bewirkt werden soll, untergräbt.441 Zum anderen, auch das ergibt die Analyse der Ratgeber, erfordert ein solch offenes Bürokonzept wiederum eigene Umgangsformen bzw. ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl, sodass von Vereinfachung und Befreiung im Sinne einer „Informalisierung“442 kaum die Rede sein kann.443 So gelten die herkömmlichen Regeln auch bei offenen Türen oder sogenannten cubicles444: Vor dem Eintreten muss auch hier angeklopft und die Aufforderung zum Hereinkommen abgewartet werden.445 Zusätzlich mahnen die Autoren auch zu größerer Rücksichtnahme, um die Kollegen nicht bei der Arbeit zu stören.446 Wer beschäftigt aussieht oder in Gedanken zu sein scheint, dürfe nicht oder nur nach freundlicher Nachfrage, ob man gerade ungelegen käme, unterbrochen werden.447 Dass der Umgang damit keinesfalls erleichtert wird, zeigt folgende Bemerkung: „Some companies have gone so far as to distribute red baseball caps for workers to don whenever they don’t want to be disturbed.“448 Wie so oft wurden auch hier Verhaltensregeln im Zuge der „Informalisierung“ nicht wirklich abgeschafft, sondern lediglich durch andere ersetzt.449

441 So Post und Post: „Keep in mind that a closed door is a stark reminder to cubicle dwellers that you have a door and they don’t; for this reason, close yours only when there’s a legitimate reason to do so.“ (Post, Post 1999, S. 83). 442 Vgl. Wouters 2007; vgl. Wouters 1991. 443 So Wouters: „In this collective change in self-regulation, behavioural and emotional alternatives have increased, standards have become more varied, but also more complex […].“ (Wouters 1991, S. 710). 444 So Mitchell und Corr: „Treat everyone’s cubicle space as if it were an office with a door.“ (Mitchell, Corr 2000, S. 20); so auch Sabath: „Thou shalt not enter another person’s cubicle unless you are invited. (Recognize that an invisible door exists.)“ (Sabath 2002, S. 85); vgl. Post, Post 1999, S. 85. 445 Vgl. Pachter et al. 1995, S. 77; vgl. Post, Post 1999, S. 85; vgl. Mitchell, Corr 2000, S. 20. 446 Vgl. Cook et al. 2005, S. 34. 447 Vgl. Fox 2008, S. 89; vgl. Langford 2005, S. 81; vgl. Sabath 2002, S. 86. 448 Post, Post 1999, S. 85. 449 Vgl. Kapitel „Informalisierungs“-Tendenzen.

Fazit: Literaturvergleich

Zum Abschluss des Vergleichsteils sollen nun die Ergebnisse vorgestellt und interpretiert werden. Dabei liegt der Fokus auf der dieser Arbeit zugrunde liegenden Frage nach den Funktionen sowie dem Geltungsbereich bzw. der Kollektivzuschreibung von Umgangsformen. Zur Vergegenwärtigung der Arbeitshypothesen sowie der Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichsteils sei an dieser Stelle auf Kapitel Arbeitshypothesen und Problemstellung verwiesen, wo die Versuchsanordnung auch schematisch aufbereitet wurde.

V ERGLEICHSERGEBNISSE Aus dem vorangegangenen Vergleich lassen sich zweierlei Erkenntnisse ableiten. Zunächst werden die im Theorieteil entwickelten Thesen zu den Funktionen von Umgangsformen mit weiterführenden aus der Lektüre der Ratgeber resultierenden Gedanken ergänzt. Im Anschluss gilt das Interesse dann den konkreten Umgangsformen, bzw. den Modalitäten der Ausführung. Erkenntnisbeitrag: Bedeutung und Funktion Die Aussagen der Etikette-Experten über die Bedeutung und Funktion der von ihnen beschriebenen Umgangsformen lassen sich in vier Hauptargumenten zusammenfassen: Bildung von Vertrauen, Ausdruck von Respekt, Hinterlassen eines positiven Eindrucks und Aufbau einer persönlichen Beziehung. Es wird also behauptet, dass, wer regelkonformes Verhalten an den Tag legt, einen guten Eindruck vermittele und das Vertrauen seiner Geschäftspartner gewänne. Gleichzeitig – hier richtet sich das Augenmerk auf den Rezipienten – drücke man dadurch seinen Respekt oder seine Wertschätzung gegenüber dem Anderen aus und stelle die Weichen für den Aufbau einer persönlichen Beziehung.

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Nun sind dies bei genauer Betrachtung keine neuen Erkenntnisse, insofern als diese Funktionen bereits in der Sekundärliteratur und der kollektivtheoretischen Betrachtung von Umgangsformen Erwähnung fanden.1 Dass das Befolgen einer Verhaltensvorschrift eine vertrauensbildende Maßnahme darstellt, steht in engem Zusammenhang mit der Konstitution von Kollektivzugehörigkeit und der Stiftung von Kollektivroutine. Denn erstens gibt sich eine Person, die denselben Regeln gehorcht, als Angehöriger des gleichen Kollektivs zu erkennen und erfüllt damit zweitens die Erwartungen (Stichwort Erwartungssicherheit als Teilaspekt der Funktion Routine) des Anderen. Wenig überzeugend ist hingegen die Behauptung, das Ausrichten des Verhaltens an Umgangsformen könne als Respektsbekundung und damit wertgesteuertes Handeln interpretiert werden. Denn träfe dies zu – das wurde bereits mehrfach erwähnt – wäre die Form beliebig; die Beachtung der Norm allein würde dann von der Wertschätzung gegenüber dem Interaktionspartner zeugen. Dass die Etikette-Regeln in der Literatur dennoch häufig auf Werte und Moral abgestellt werden, lässt sich aus dem Selbstlegitimationsdrang der Autoren heraus erklären. Hinter dem Wunsch, einen guten Eindruck zu hinterlassen, steckt ein klar zu erkennendes Distinktionsstreben: Wer sein Verhalten strikt an den im Kollektiv geltenden Umgangsformen ausrichtet, hebt sich damit von der Gruppe derer mit weniger „gutem Benehmen“ ab.2 Inwieweit ein solches, auf Konformität und Gleichförmigkeit ausgerichtetes Auftreten dem Aufbau einer persönlichen Beziehung dient, ist wiederum fraglich: Wie persönlich, und damit in individueller Ausführung auf eine bestimmte Person bezogen, kann ein derart ritualisiertes und standardisiertes Verhalten sein? Das Individuum und dessen Möglichkeit, die eigene Individualität im Verhalten zu unterstreichen, wird in der Literatur über Umgangsformen – also sowohl in der Sekundärliteratur als auch in den Etikette-Büchern selbst – ausgeblendet. Und obwohl diesem Aspekt auch aus kulturwissenschaftlicher Sicht, in der den Umgangsformen eine die kollektive Interaktion und Kommunikation regelnde Funktion zukommt, nur eine nachrangige Bedeutung zukommt, ist er implizit – von den Autoren selbst unerkannt – Bestandteil der Regelwerke und sollte daher nicht unerwähnt bleiben. Denn in einem gewissen – der Natur der Sache entsprechend jedoch begrenztem – Rahmen bieten auch Konventionen des Umgangs die Möglichkeit „individueller Variation“, wie diese „persönliche Note“ im Folgenden bezeichnet werden soll. Denn die Etikette selber definiert nur eine 1

Vgl. Kapitel Funktionen: Routine, Werthaftigkeit und Distinktion und Funktionen in Abhängigkeit von der Kollektivzuschreibung.

2

So z.B. Sabath: „You realize that knowing how to conduct yourself in the workplace [...] will allow you to stand out in the crowd and distinguish yourself from the competition.“ (Sabath 2007, S. XI).

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„Grundroutine“ – einen Mindestanspruch, der erfüllt werden muss, um nicht negativ aufzufallen; der Normalität und Konformität zum Ziel hat. Was darüber hinausgeht, wird als positiver Überschuss registriert und ermöglicht wiederum einen Distinktionsgewinn. In eben diesem variablen Bereich existiert die Möglichkeit der „individuellen Variation“, einer persönlichen Ausdrucksmöglichkeit in Details. Fehlen diese Feinheiten jedoch, wird dies vermutlich von den meisten Interaktionspartnern nicht einmal bewusst als Defizit erkannt.3 Zwei Beispiele sollen diesen Aspekt verdeutlichen. Im Geschäftsleben wird das Tragen eines in dunklen Farben gehaltenen Anzugs vorausgesetzt; es sichert also als „Grundroutine“ ein gewisses Maß an Form. Alles, was darüber hinausgeht – z. B. der perfekte Sitz, der feine Stoff und das Entsprechen der neuesten Mode –, ist ein Überschuss und verleiht dem Auftreten als „individuelle Variation“ eine „persönliche Note“. Kommt ein Manager nun aber beispielsweise in Jeans und T-Shirt zu einem Kundentermin, so stellt diese Nichtbeachtung der im Kollektiv geltenden Kleiderordnung eine Verletzung der „Grundroutine“ dar und wird vom Gegenüber vermutlich als Affront gewertet. Handelt es sich bei dem Anzug hingegen „nur“ um ein Modell von der Stange, dessen Material eine leichte Knitterneigung hat, wird das dem Gegenüber kaum auffallen. Übergeht man einen Geschäftspartner beim Händeschütteln, so ist dessen Irritation oder Missbilligung vorprogrammiert. Der in herkömmlicher Weise ausgeführte Handschlag allein wird vom Anderen hingegen kaum wahrgenommen werden, da er schlicht „das Normale“ in dieser Situation darstellt. Fällt die Begrüßung aber besonders höflich aus – also etwa begleitet von offenem Augenkontakt und freundlichem Lächeln – so wirkt dieses Plus, diese „individuelle Variation“, distinguierend gegenüber jemandem, der sich gänzlich an dem Standardvorgehen orientiert. Das Prinzip der „individuellen Variation“ gilt jedoch ebenso für den umgekehrten Fall, in dem man seinem Verhalten durch ein bewusstes Missachten bestimmter Regeln oder durch ein Defizit in bestimmten Punkten eine „persönliche Note“ verleihen und damit seinen Charakter, z. B. seine Unkonventionalität, oder auch seine Einschätzung der Beziehung respektive der Situation zum Ausdruck bringen möchte. Als Barack Obama beispielsweise zu Beginn seiner Rede am Brandenburger Tor sein Jackett ablegte, machte er diese Handlung, die wohl in erster Linie den hohen Temperaturen geschuldet war und streng genommen einen Verstoß gegen die Etikette darstellte, mit den Worten „We can be a little more informal among friends“4 zu einem Zeichen besonderer Zuneigung und Vertrautheit. 3

Vgl. Machwirth 1970, S. Vf.; vgl. Haferland, Paul 1996, S. 31f.

4

Obama 19.06.2013.

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Obwohl also Umgangsformen in ihrer Eigenschaft als kollektive Verabredungen mehrheitlich geteilt werden und sinngemäß wenig Raum für persönliche Ausdrucksmöglichkeiten bieten, ist die „individuelle Variation“ nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Funktion der Routine besagt demnach lediglich, dass eine gewisse „Grundroutine“ gestiftet wird, die Erwartungs- und Verhaltenssicherheit im Trägerkollektiv bietet, jedoch nicht zwingend auf einen von jeder Individualität befreiten Automatismus hinausläuft. Fraglich ist überdies, ob das unsichere Individuum, das zu einem Etikette-Ratgeber greift, überhaupt den Wunsch nach individuellem Spielraum verspürt. Im Grunde geht es ja gerade darum, möglichst genau angeleitet zu werden und von der Last der Verhaltensunsicherheit befreit zu werden. Zusammenfassend kann die im Theorieteil aufgestellte These5, nach der Umgangsformen als subkollektivspezifische Phänomene zum einen eine „Kollektivroutine“ stiftende Funktion erfüllen und zum anderen der Konstitution von Kollektivzugehörigkeit durch Distinktion und Kollektivvergewisserung dienen, bestätigt werden. Und obwohl die gesamte Funktionsvielfalt kultureller Standardisierungen (Routine, Konstitution von Kollektivzugehörigkeit) demnach auch hier gegeben ist, liegt der Schwerpunkt auf der Kollektivvergewisserung oder Inklusion. Die beiden anderen Wirkungsweisen (Distinktion und Routine) können zwar grundsätzlich auch auf Umgangsformen übertragen werden, sind jedoch bei genauer Betrachtung häufig nicht virulent. Ergänzt wird diese Hauptfunktion durch eine Perspektive, die das Individuum in den Blick nimmt und auch ihm ein gewisses Maß an Prägekraft zugesteht. Erkenntnisbeitrag: Modalitäten der Ausführung Die Darstellung der Vergleichsergebnisse zu den konkreten Umfangsformen bzw. Modalitäten der Ausführung gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil wird kurz zusammengefasst, was die Gegenüberstellung der amerikanischen und deutschen Business-Etikette-Ratgeber ergeben hat, während im zweiten Teil die aus dem Abgleich mit der interkulturellen Ratgeberliteratur gewonnenen Erkenntnisse diskutiert werden.6 Von den drei ausführlich behandelten Themenbereichen zeigen die Umgangsformen zum Händeschütteln die meisten Unterschiede. Diese betreffen die geringere Bedeutung des Rangs beim Initiativrecht in der amerikanischen Business-Etikette, leicht abweichende Kriterien für die Bestimmung desselben (Ge5

Vgl. Kapitel Arbeitshypothesen und Problemstellung.

6

Vgl. Kapitel Fazit: Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei dem Handschlag/bei der Anrede/beim Smalltalk und Überblick: Sonstige Themenbereiche.

F AZIT : L ITERATURVERGLEICH

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schlecht und Alter in der deutschen Geschäftswelt etwas wichtiger) sowie die konkrete Ausführung (pumps vs. Händedruck). Diesen verhältnismäßig großen Divergenzen steht jedoch eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten gegenüber. So stimmen etwa die Anlässe, die einen Handschlag erfordern, überein und das Initiativrecht wird in beiden Berufskollektiven grundsätzlich vom Rang abhängig gemacht. Außerdem finden sich deckungsgleiche Vorschriften zur Qualität des Händedrucks sowie Parallelen hinsichtlich der Interpretationsweise (Bildsprache, z. B. „toter Fisch“). Auch das Tabu zusätzlicher Berührung ist den Autoren beider Länder ein Anliegen. Die Formen der Anrede weisen nur graduelle Unterschiede auf. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass die informelle Anrede mit dem Vornamen unter amerikanischen Geschäftsleuten weiter verbreitet ist als das Duzen unter deutschen Kollegen, doch ist die Tendenz beiden Berufskollektiven gemeinsam. Auch in diesem Kontext ist man sich einig, dass der Rang, konkret die betriebliche Hierarchie und zusätzlich das Alter, über die gewählte Anrede oder das Initiativrecht zum Übergang zu einer vertrauten Anredeform entscheidet. Keinerlei Abweichung ergab der Vergleich der Vorschriften zum Smalltalk. Hier korrespondieren sowohl die Tabuthemen als auch die Anlässe oder Gelegenheiten. Bei dem etwas komprimierteren Überblick über weitere fünf Themenbereiche sind ebenfalls die Gemeinsamkeiten vorherrschend. So ist Pünktlichkeit in beiden Berufskollektiven unabdingbar und Zeitpläne gilt es hier wie dort einzuhalten. Die Reihenfolge der Vorstellung wird übereinstimmend vom Rang determiniert und Erwiderungsfloskeln halten die Autoren beider Länder für passé. Der einzige Unterschied betrifft die exakte Wortstellung, wobei deutschen Geschäftsleuten auch die amerikanische Variante geläufig ist. Die an das Berufskollektiv gerichteten Bekleidungsvorschriften entsprechen einander ausnahmslos. Während der Austausch von Visitenkarten unter deutschen Geschäftsleuten tendenziell etwas früher stattfindet, gelangen die Autoren bezüglich des Initiativrechts (wiederum vom Rang abhängig), des konkreten Vollzugs und der Situationen, in denen man business cards übergibt, zur selben Einschätzung. Einen Sonderfall der amerikanischen Geschäftswelt stellt die open-door policy dar, insofern als diese in deutschen Ratgebern kaum erwähnt wird. Bleibt festzuhalten, dass es zwar Unterschiede in einigen Punkten gibt, die Übereinstimmungen jedoch überwiegen. Häufig sind es zudem nur Teilaspekte bestimmter Umgangsformen, die im Widerspruch zueinander stehen, sodass nur ein äußerst detaillierter und akribischer Vergleich (den man mit Clifford Geertz als „dichte Beschreibung“7 bezeichnen könnte) einen Erkenntnisfortschritt bietet.

7

Geertz 1987.

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Eben darin besteht das Problem der interkulturellen Ratgeberliteratur. Denn die hier getroffenen Aussagen erweisen sich im Abgleich mit den Business-EtiketteRatgebern häufig als zu grobmaschig, mit einem Hang zur Pauschalisierung. Da wird das Schulterklopfen für „typisch amerikanisch“ erklärt, wohingegen dieses Verhalten laut Etikette eine „Unsitte“ darstellt, die höchstens im Privatleben üblich ist und außerdem lediglich von Männern praktiziert wird. Gleiches gilt für das angeblich „typisch deutsche“ Ritual des Brüderschafttrinkens, das jedoch im beruflichen Kontext als völlig deplatziert gilt. Neben der Unterscheidung zwischen Privat- und Berufsleben oder allgemein dem Kontext, wird in den Business-Etikette-Büchern im Gegensatz zu den interkulturellen Ratgebern immer wieder darauf hingewiesen, dass bestimmte Umgangsformen je nach Branche, Unternehmen, Abteilung, Alter der Beteiligten, Region etc. weiter differenziert würden.8 Mit dieser Verkleinerung des Trägerkollektivs oder des Geltungsbereichs einer Verhaltensnorm vollzieht sich gleichzeitig eine Annäherung an die Realität. Inwiefern Etikette-Ratgeber und die sogenannten Kulturknigge die Realität beschreiben oder ob sie sich vielmehr auf einer normativen Ebene bewegen, wurde zu Beginn des Vergleichsteils bereits erörtert. Im Verlauf des Kapitels wurde immer wieder bestätigt, dass auch interkulturelle Ratgeber ihre Erkenntnisse häufig nicht von der Realität ableiten (sei es durch Beobachtung, Befragung, o. ä.), sondern ihre Argumentation z. B. auf „Kulturstandards“ oder ähnliche Erklärungsmuster stützen.9 Der Gleichheitsgedanke, der angeblich das Verhalten der Amerikaner gänzlich durchdringt, wird als Basis diverser Umgangsformen herangezogen: Aus egalitären Prinzipien heraus sei man in den USA sofort und unterschiedslos beim Vornamen, gelte es beim Vorstellungsritual keine 8

So Storti: „Anyone who sets out to describe ‚the American workplace‘ is faced immediately with two tough questions: Which Americans and which workplace? Are we talking about white Americans or African Americans? Hispanic, Asian, or Native Americans? Americans from New England, the mid-Atlantic, the Deep South, the Midwest, or the far West? Men or women? Older Americans, middle-aged Americans, or young Americans? Americans in cities or Americans in rural areas? And which workplace? Public sector or private sector? Profit or nonprofit? Business, government, or education? The hard-hat workplace or the white collar workplace? Are we talking about the retail sector, manufacturing, financial, or health care? Is this the pharmaceutical workplace or the insurance, hospitality, oil and gas, or high tech workplace? And which division: research and development, manufacturing, sales and marketing, finance, or human resources? These entities can be entire cultures unto themselves […].“ (Storti 2004, S. 1f.).

9

Vgl. Jammal 2009, S. 56.

F AZIT : L ITERATURVERGLEICH

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rangbedingte Reihenfolge zu beachten und habe man die open-door policy eingeführt.10 Die Deutschen – so wird es von Seiten der Interkulturalisten weiterhin behauptet – zeichnen sich durch eine ausgeprägte Förmlichkeit im Verhalten und eine strikte Trennung zwischen Privat- und Berufsleben aus. Daraus ergebe sich eine angebliche Zurückhaltung bei der vertrauten Anredeform sowie ein vermeintlicher Hang zur förmlichen Begrüßung per Handschlag. Auch Gemeinplätze wie die Pünktlichkeit als „typisch deutsche Tugend“ finden ihren Niederschlag in den Ratgebern. Dass es auf diesem Weg zu unzulässigen Verallgemeinerungen – einer „zu weit gehenden Komplexitätsreduktion“11 – kommt und sowohl alte Klischees wiederbelebt als auch neue Stereotype geschaffen werden, liegt auf der Hand.12 Ähnlich verhält es sich mit einer Vielzahl von Verhaltensweisen, die – der im Vergleich festgestellten Gemeinsamkeiten zum Trotz – als landestypische Spezifika charakterisiert werden. Da werden Amerikaner als „Meister des Smalltalks“ bezeichnet, die sich jedoch vor einer tiefgründigen Konversation scheuen, ohne zu erkennen, dass diese Trivialität des Smalltalks in der Natur der Sache liegt und nicht den angeblich oberflächlichen Amerikanern anzukreiden ist. Auch die Bekleidungsvorschriften und Regeln zum Austausch von Visitenkarten weisen bei näherer Betrachtung kaum Unterschiede auf, sodass die ausführliche Darstellung der landesspezifischen Umgangsformen hier erneut ins Leere zielt.13 Diese Übertreibung der Gegensätze und die Vernachlässigung des Gemeinsamen ist ein altbekanntes Problem der Interkulturellen Kommunikation, das bereits Helene Haas unter dem Schlagwort der „Polarisierung“ beschreibt.14 Zusätzlich fördert etwa eine tabellarische Gegenüberstellung zweier Nationalkulturen den 10 Vgl. Hansen 2009a, S. 145f. 11 Hansen 2009a, S. 148. 12 Vgl. Haas 2009, S. 115. 13 So Macho: „Manche Ratschläge wirken geradezu unfreiwillig komisch: sollte es wirklich nur in Singapur üblich sein, seine Gesprächspartner ausreden zu lassen? Gilt die Regel, sich in einer Schlange anzustellen und nicht vorzudrängen, tatsächlich nur in Großbritannien und Argentinien? Bedankt man sich bloß in Rußland am Tag nach einer Einladung für das ‚schöne Zusammensein‘?“ (Macho 2002, S. 17f.). 14 Vgl. Haas 2009, S. 112f. und S. 179; so auch Breidenbach und Nyíri: „Die Flut von kniggeartigen Handbüchern, Rollenspielen, Trainings und Videobändern tendiert dazu, die Unterschiede zwischen Menschen auf Kosten ihrer Gemeinsamkeiten zu betonen. Sobald wir über ‚Kulturen‘ reden, denken wir an Unterschiede. In Wirklichkeit gibt es zwischen Menschen jedoch mindestens genau so viele Gemeinsamkeiten wie Unterschiede.“ (Breidenbach, Nyíri 2008, S. 118f.); vgl. Jammal 2009, S. 55; vgl. Hansen 2009a, S. 191.

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Eindruck absoluter Differenz und Unvereinbarkeit, was weiter polarisiert, anstatt dem Leser die Angst oder Scheu vor dem vermeintlich Fremden zu nehmen.15 Gerade diese Andersheit, so argumentiert Elias Jammal, diene jedoch den Autoren dieser Ratgeber, die meist selber interkulturelle Trainings anbieten, als „Legitimation des eigenen Betätigungsfelds“16 und solle „die Kundschaft sichern“17. Dass die Beachtung all dieser Kritikpunkte einen höchst komplexen Verhaltenskodex hervorbringen würde, widerspricht natürlich dem Wunsch der Geschäftsleute nach einfachen Modellen und kompakten Anleitungen, deren Verinnerlichung ein Minimum an Zeit in Anspruch nimmt.18 Und doch ist die Grenze zu hinnehmbaren Vereinfachungen überschritten, wenn die Realität derart verkürzt dargestellt wird und die Gegensätze auf Kosten der Gemeinsamkeiten überstilisiert werden. Dass durch das Lesen eines Kulturknigge, wie von Martin und Thomas in Aussicht gestellt, „Mißverständnisse, Konflikte, Vorurteile und Ablehnung“19 vermieden werden, erscheint insofern eher fragwürdig. Insgesamt muss festgestellt werden, dass die von Haas beschriebenen Defizite der Interkulturellen Kommunikation20 in vollem Umfang 15 So auch Jammal: „Die Andersheit wird meist in Form von Dichotomien tabellarisch dargestellt. Es ist nicht nur diese polarisierende Betrachtung, [...] sondern auch die Vereinfachungen [...].“ (Jammal 2009, S. 55); vgl. Haas 2009, S. 113. 16 Jammal 2009, S. 55. 17 Jammal 2009, S. 55; so auch an anderer Stelle: „[...] sieht er in der Vermarktung von interkultureller Kompetenz bzw. deren Vertreibung als Ware den Hauptgrund für Simplifizierungen in interkulturellen Trainings. Der Warencharakter entsteht wohl in dem Zusammenspiel von gewerblich tätigen Interkulturalisten auf der einen und Zielgruppen auf der anderen Seite, deren Hauptinteresse an interkultureller Kompetenz extrinsisch instrumentell ist.“ (Dahlén 1997, zit. nach Jammal 2009, S. 60). 18 So Breidenbach und Nyíri: „Griffige Konzepte, die Kultur als erlern- und berechenbar darstellen – so spricht Hofstede von Kultur als ‚kollektiver Programmierung‘, während Trompenaars betont, sein Kulturkonzept sei ‚greif- und messbar‘, statt ‚touchy, feely or vague‘ – verkaufen sich in der Zielgruppe der viel beschäftigten Manager, Ärzte und Unternehmer besser als Darstellungen der vielfältigen und widersprüchlichen kulturellen Realität.“ (Breidenbach, Nyíri 2008, S. 82f.); vgl. Haas 2009, S. 107ff. und S. 119; vgl. Moosmüller 1993, S. 253f.; so auch Tomalin und Nicks: „[...] clients have been presented with too many details and bits of unrelated information, which has made it difficult for them to feel that they can quickly grasp how to deal with a new business culture.“ (Tomalin, Nicks 2008, S. 13). 19 Martin, Thomas 2002, S. 7f.; vgl. Franklin 2007, S. 263. 20 Vgl. Haas 2009; vgl. Breidenbach, Nyíri 2008; vgl. Jammal 2009; vgl. Weingart 2007, S. 2.

F AZIT : L ITERATURVERGLEICH

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oder sogar insbesondere auf die hier zum Abgleich herangezogenen Ratgeber zutreffen.

E RGEBNISINTERPRETATION Es stellte sich heraus, dass der von den Interkulturalisten zugrunde gelegte Geltungsbereich, also die Nation, für die Betrachtung von Umgangsformen ungeeignet ist, da er zu pauschalen und damit realitätsfremden Ergebnissen führt. Darüber hinaus werden damit Grenzen gezogen, die nicht mit der darüber hinausgehenden Verbreitung bestimmter Verhaltensweisen korrelieren. Insofern erscheint das Konzept der Nationalkultur, wie es die Interkulturalisten immer noch propagieren, gleichzeitig zu eng und zu weit. Das Händeschütteln kann nicht als nationaltypische Umgangsform charakterisiert werden, da es über politische Ländergrenzen hinweg verbreitet ist, was in der Kollektivtheorie als pankollektive Formation bezeichnet wird. Bekleidungsvorschriften, wiederum, gelten – mit Ausnahme bestimmter Trachten, die aber auch selten national, sondern meist regional geprägt sind – stets in Kollektiven, die unterhalb des Dachs einer Nation angeordnet sind, in sogenannten Subkollektiven. Diese Annahme wird auch durch die Vergleichsergebnisse gestützt. Aus der Gegenüberstellung der Etikette-Ratgeber geht hervor, dass sich – zumindest in dieser Konstellation – die Mehrheit der Umgangsformen entspricht. Damit trifft die erste Arbeitshypothese zu, die besagt, dass überwiegende Übereinstimmungen Umgangsformen als subkollektivspezifischen Fundus von Verhaltensregeln kennzeichnen.21 Das Entscheidende hieran ist, dass offenbar nicht jedes nationale Berufskollektiv komplett eigene Verhaltensweisen ausbildet, es vielmehr zu länderübergreifenden Kongruenzen kommt, d. h., dass Subkollektive auch über Ländergrenzen hinweg gemeinsame Standardisierungen, in diesem Fall Umgangsformen, entwickeln. Diese beruhen auf – in der Kollektivtheorie als Funktionsverwandtschaft22 bezeichneten – funktionellen Gemeinsamkeiten zwischen den amerikanischen und deutschen Geschäftsleuten, die wiederum über die nationalspezifischen Modifikationen dominieren.23 Unter diesem Begriff werden dachkollektivspezifische Abweichungen oder nationale Beimischungen der Subkollektive verstanden, die es – auch das hat der vorangegangene Vergleich nach-

21 Vgl. Kapitel Arbeitshypothesen und Problemstellung. 22 Hansen 2011, S. 184. 23 Zu den Begriffen vgl. Kapitel Funktionsverwandtschaft der Subkollektive und Nationalspezifische Modifikation der Subkollektive.

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gewiesen – ebenfalls gibt, wenn auch meist nur in einzelnen Details oder in Form einer zu erahnenden Tendenz. Als prägnantes Beispiel bietet sich hier die open-door policy an, da diese als typisch für die amerikanische Geschäftswelt, nicht jedoch für die Amerikaner in ihrer Gesamtheit, klassifiziert wurde. In der Konsequenz bedeutet die Zuschreibung von Umgangsformen auf der Ebene der Subkollektive, zusammen mit der Tatsache, dass die Funktionsverwandtschaft zwischen nationalen Subkollektiven den Einfluss des Dachkollektivs überwiegt (F > nM), dass die Zugehörigkeit etwa zum Kollektiv der Manager das Verhalten stärker prägt als die Nationalität. Anders ausgedrückt, besteht die Möglichkeit, dass ein „grenzüberschreitender Kontakt“ von der Beziehungsebene der Subkollektive gesteuert wird, diese Zugehörigkeit folglich einen größeren Einfluss auf das Beziehungsresultat haben könnte als die Herkunft aus unterschiedlichen Dachkollektiven.24 Damit müssten dann auch die Kommunikation und Interaktion zwischen den beiden nationalen Berufskollektiven weit weniger von Unterschieden gekennzeichnet und damit anfällig für Störungen sein, als von Seiten der Interkulturellen Kommunikation angenommen. Da jedoch mit dieser Erkenntnis auch der Bedarf an klassischen kulturkontrastiven Trainingsprogrammen und Ratgebern wegfallen würde, hält man bislang eisern an althergebrachten Konzepten und Ideen wie dem Nationalkulturbegriff und der These, das Verhalten sei an die Nationalität gekoppelt, fest.

24 Vgl. Hansen 2009a, S. 193.

Schlusswort und Ausblick

Wenn nun – wie es der Vergleich der Ratgeber nahelegt – die Unterschiede zwischen den Umgangsformen der beiden nationalen Berufskollektive nicht so gravierend sind, wie von der Interkulturellen Kommunikation angenommen, woran scheiterte dann die Fusion von Daimler-Benz und Chrysler? Spielte hier Kultur und vor allem kulturelle Differenz überhaupt eine Rolle? Die aktuelle Forschung zeigt, dass der eigentliche Grund für vermeintlich interkulturelle Konflikte häufig in ungleichen Machtverhältnissen der involvierten Parteien zu suchen ist.1 Auch eine bestehende oder erwartete Gewinner-Verlierer-Disparität sorgt oftmals für Spannungen.2 Da jedoch diese Faktoren naturgemäß verdeckt gehalten

1

So Mahadevan: „Der Faktor Macht, insbesondere Machtungleichgewichte [...] sowie die Angst vor Machtverlust, ist also ein entscheidender Einflussfaktor für die Bildung und Aushandlung kollektiver Identitäten in der organisatorischen Praxis und muss bei der Analyse von ‚Kultur‘ berücksichtigt werden [...].“ (Mahadevan 2008, S. 176); so auch Moosmüller: „Ein weiterer Kritikpunkt an der Verwendung des Kulturkonzepts in der Interkulturellen Kommunikation besteht darin, daß Kultur isoliert vom ökonomisch-politisch-sozialen Kontext betrachtet werde, was zur Folge habe, daß die in den meisten interkulturellen Interaktionen gegebenen Machtungleichheiten nicht berücksichtigt würden.“ (Moosmüller 2000, S. 21); vgl. Barth 1969.

2

So Mahadevan: „Diejenigen Zentralstandort-Mitarbeiter, die nicht erwarteten, bei Abgabe von technischem Wissen nach Bangalore ein neues Kompetenzfeld für sich zu finden, otherten die dortigen Mitarbeiter, begründeten beispielsweise Probleme in der Zusammenarbeit mit einem ‚anderen Zeitverständnis der Inder‘, das Projektplanung quasi unmöglich mache. Diejenigen [...] Mitarbeiter, die erwarteten, sich durch die Kooperation mit Bangalore neue Kompetenzen erschließen zu können, nahmen die dortigen Mitarbeiter primär als ‚Ingenieure wie wir auch‘ wahr [...].“ (Mahadevan 2007, S. 5; Hervorhebung im Original); Mahadevan 2007, zit. nach Breidenbach und Nyíri: „Die realen Bruchlinien bei dem Joint Venture verliefen also nicht entlang kul-

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werden, womöglich sogar unterbewusst zum Tragen kommen, greift man nach außen hin auf alternative Erklärungsmuster zurück. Hier kommt dann Kultur ins Spiel. Der als Bedrohung empfundene Andere wird kulturalisiert, d. h. es findet eine übermäßige Zuschreibung (meist negativer)3 kultureller Eigenschaften statt. Zu diesem Zweck bedient man sich allseits bekannter Wahrnehmungskategorien bzw. Stereotypen und greift, so bewies etwa Jasmin Mahadevan, vorzugsweise auf in interkulturellen Seminaren erlernte Konzepte und Begriffe zurück.4 Im Fall von DaimlerChrysler wurden eben diese Prozesse beobachtet. Denn obwohl man im Vorfeld zu verhindern versucht hatte, dass ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den beiden Ursprungsunternehmen entsteht und man deshalb bewusst von einem „Zusammenschluss durch Aktientausch“ oder „Merger of Equals“ gesprochen hatte5, entpuppte sich dieser nach kurzer Zeit als Übernahme des amerikanischen Automobilkonzerns durch den deutschen.6 Schon bevor der Chrysler Vorstandsvorsitzende Robert Eaton im Jahr 2000 seinen Stuhl räumte, war das Management überwiegend in deutscher Hand.7 Dazu kam der Qualitätsunterschied der jeweiligen Produkte, der sich negativ auf die gegenseitige Wertschätzung der Mitarbeiter beider Unternehmen niederschlug. tureller Unterschiede, sondern zwischen den potentiellen Verlierern und Gewinnern der Globalisierungspolitik der Unternehmensleitung.“ (Breidenbach, Nyíri 2008, S. 84f.); vgl. Mahadevan 2008, S. 187. 3 4

Vgl. Hansen 2009a, S. 211. So Mahadevan: „Die Konflikte zwischen dem deutschen und dem indischen Standort wurden aber sehr wohl kulturalisiert – und zwar auf Grundlage des im interkulturellen Training Erlernten.“ (Mahadevan 2007, S. 5); so auch an anderer Stelle: „[...] und griffen dabei auf Wissen über ‚die Inder‘ zurück, das ihnen in einem interkulturellen Vorbereitungstraining vermittelt worden war. Dieses Vorbereitungstraining hatte sich – wie allgemein üblich – darauf konzentriert, die Unterschiede zwischen den deutschen und indischen Arbeitsweisen herauszuarbeiten. Da die Existenz derartiger nationalkultureller Unterschiede für die Legitimation der Handlung dieser Ingenieure förderlich war, wurde er folgerichtig genutzt.“ (Mahadevan 2008, S. 187; Hervorhebung im Original).

5

So Dorfer: „Von einem ‚Zusammenschluss mittels Aktientausch in eine gemeinsame Gesellschaft‘ ist da die Rede. Das böse Wort Übernahme wird tapfer vermieden.“ (Dorfer 17.05.2010).

6 7

Dreher 2005, S. 81f. So Dorfer: „1. April 2000: Eaton geht – Schrempp wird alleiniger Chef des Konzerns. Jetzt sind die Machtverhältnisse endgültig offensichtlich: Daimler sagt, was Chrysler zu tun hat. Der Zusammenschluss unter Gleichen war eine Farce.“ (Dorfer 17.05.2010); vgl. Dreher 2005, S. 83; vgl. Ingrassia 21.02.2007.

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So wurde behauptet, die Deutschen, die stolz auf ihre Luxusmarke waren und von der Angst vor einem Technologietransfer getrieben wurden8, hätten sich abfällig über die vermeintlichen Billigautos der Amerikaner geäußert.9 Diese wiederum wehrten sich gegen die implizite Schlussfolgerung, eine unterschiedliche Ausrichtung Chryslers (Massenmarkt statt Luxussegment) ließe Rückschlüsse auf ihre Fähigkeiten als Ingenieure zu.10 Der Soziologe Jochen Dreher, der sich in seiner Dissertation den Interkulturellen Arbeitswelten11 (2005) bei DaimlerChrysler widmet, meint, beide Aspekte – die hinter dem Rücken der Beteiligten vollzogene Übernahme sowie die Überheblichkeit gegenüber der Marke Chrysler – seien von den Amerikanern als Ausdruck „deutscher Großmachtambitionen“ und als „nationale Kränkung“ aufgefasst worden.12 Die Situation sei zusätzlich dadurch verschärft worden, dass beide Unternehmen als national icons, also nationale Symbole, gegolten hätten.13 Während sich also die Chrysler-Mitarbeiter in ihrem Stolz als Amerikaner verletzt sahen, fürchteten die Deutschen eine Herabsetzung (bezüglich Qualität und Image)14 der als Zeugnis deutscher Werte und Vorzüge betrachteten Automarke Mercedes.15

8

Vgl. Ingrassia 21.02.2007; so auch Mahadevan: „Die OI-Mitarbeiter mussten also technisches Wissen nach Bangalore abgeben, und sie hatten zugleich Angst davor, sich genau dadurch entbehrlich und wegrationalisierbar zu machen.“ (Mahadevan 2007, S. 2).

9

Vgl. Waller 2001, S. 243f.; vgl. Dreher 2005, S. 67.

10 Vgl. Waller 2001, S. 243f. 11 Dreher 2005. 12 So Dreher: „Von den im Unternehmen tätigen Amerikanern wurde die Übernahme von Chrysler sowie die Tatsache, daß sich die Führungsriege des Gesamtkonzerns unter der Leitung von Jürgen Schrempp postwendend in deutschen Händen befand, als tiefe narzißtische Kränkung empfunden [...].“ (Dreher 2005, S. 83); vgl. Dreher 2005, S. 152ff. 13 So Dreher: „Zum anderen bereitet die Tatsache Probleme, daß beide Konzerne besonders eng mit einer tief verankerten ‚Nationalkultur‘ verbunden sind. So betrachtet wurde nicht nur ein Unternehmen ‚übernommen‘, sondern ein ‚Unternehmen‘ als Repräsentant einer bestimmten Nation bzw. Nationalität.“ (Dreher 2005, S. 152f.). 14 So Ingrassia: „Meanwhile the Germans, even though they proposed the merger and dominated it, never got over the fear that transferring too much technology from Mercedes to Chrysler would sully one of their national icons.“ (Ingrassia 21.02.2007). 15 So Dreher: „Diese Äußerungen gehen von einer grundsätzlichen Überlegenheit der deutschen Kultur aus, die sich an der technischen und qualitativen, aber auch ästhetischen Höherwertigkeit beispielsweise der von Daimler hergestellten Automobile zeige

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Insofern werden von den Beteiligten zwei Nationalkulturen gegeneinander in Stellung gebracht: Die Akteure selbst, ihre Ursprungsunternehmen sowie deren Produkte werden als Inbegriff einer spezifischen Kultur betrachtet und von einer vermeintlich völlig andersartigen Nationalkultur abgegrenzt (Stichwort othering16).17 Dieses Phänomen, das Dreher als „Primordialität des Nationalgefühls“18 bezeichnet, fungiert demnach bei einem Aufeinandertreffen von Angehörigen unterschiedlicher Dachkollektive als „übergeordnetes Identifikationsmerkmal.“19 Der auf die Beteiligten wirkende Druck, die gefühlte Bedrohung, lässt diese Selbst- und Fremdzuschreibung anhand der Nationalität zusätzlich in den Vordergrund treten. Kulturelle Differenz wird instrumentalisiert, um den Anderen von sich abzurücken, häufig auch abzuwerten und die eigene Stellung zu sichern.20

– das Produkt Mercedes wird in diesem Zusammenhang als Errungenschaft der deutschen Kultur betrachtet.“ (Dreher 2005, S. 67); vgl. Dreher 2005, S. 81f. 16 Vgl. Reuter 2002; so auch Moosmüller: „Nicht die kulturellen Praxen selbst schaffen die Differenz, sondern der ihnen zugeschriebene Sinn innerhalb bestimmter ökonomischer, kultureller und politischer Domänen. Die Frage sei also nicht, ob kulturelle Differenz wirklich ist oder nicht [...], die Frage sei vielmehr, wie die Differenz inszeniert werde und wie sie auf die soziale Wirklichkeit zurückwirke.“ (Brah 1996, zit. nach Moosmüller 2000, S. 22). 17 Vgl. Vaara 2002, S. 229f. 18 So Dreher: „Die zentrale, überaus ‚gefestigte‘ und ‚natürliche‘ Kategorie der Wahrnehmung, die für die Individuen aus beiden interkulturellen Arbeitswelten eine besondere Geltung hat, ist die der ‚Nationalität‘. Diese wird als ausgesprochen bedeutend hervorgehoben, wenn es um Selbst- und Fremdbeschreibung geht; ‚Nationalität‘ [...] wird in interkulturellen Kontexten als übergeordnetes Identifikationsmerkmal verwendet. Verankert ist diese Zuschreibung, wie sie von den Informanten vorgenommen wird, in einem entsprechenden, auf der persönlichen Ebene ‚subjektiv‘ empfundenen ‚Nationalgefühl‘, einer emotionalen Beschreibung, die nicht mehr hinterfragt wird.“ (Dreher 2005, S. 73). 19 Dreher 2005, S. 73; so auch Hansen: „Die fremde Nationalität, darin unterscheidet sie sich von der eigenen, wird immer von einer virulenten Wahrnehmungskategorie begleitet [...]. Da sie ein Volk bilden, erwarten wir eine von der unseren unterschiedenen Kultur. In einem Wort: Wir erwarten Fremdheit.“ (Hansen 2009a, S. 207). 20 So Mahadevan: „Drittens wurde ‚Kultur‘ beziehungsweise ‚kulturelle Differenz‘ als Mittel zur Stärkung der eigenen Position in Gefahrenzeiten bewusst eingesetzt. Unter Druck von außen wurden also Mitarbeiter anderer Standorte kulturell fremd gemacht, um die eigene Position zu sichern.“ (Mahadevan 2008, S. 185f.).

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Nun wird dieses Empfinden durch die herkömmlichen interkulturellen Trainingsmaßnahmen noch verstärkt, da hier der wissenschaftliche Nachweis für die vermeintliche Andersartigkeit und Unvereinbarkeit der als in sich homogen und geschlossen gedachten Nationalkulturen erbracht wird.21 Die einfachen Erklärungsmuster, die man den Beteiligten an die Hand gibt, untermauern das Differenzdenken und stehen damit einer erfolgreichen Kooperation sogar im Wege. Denn „[w]enn die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen als unüberbrückbar angesehen werden, erscheint es [...] als vergeudete Mühe, sich um gegenseitiges Verstehen und um produktive Zusammenarbeit zu bemühen.“22 In der Folge werden „die gegebenen Handlungsspielräume nicht genützt.“23 Zudem wird in den interkulturellen Schulungen eine Terminologie vermittelt, die eine scheinbar objektive Beschreibung kultureller Gegensätze ermöglicht. Ausgestattet mit den entsprechenden Theorien, Konzepten und Begrifflichkeiten, kann dann auch der persönliche Misserfolg eines Entsandten oder international agierenden Managers auf angeblich unüberwindbare Kulturunterschiede zurückgeführt werden.24 Alles in allem lässt sich die These wagen, dass die auf dem ethnischen Kulturbegriff basierenden interkulturellen Maßnahmen stärker der Kulturalisierung des Interaktionspartners und weniger dem Abbau der „Furcht vor dem Fremden“ dienen.25 Der Anthropologe Thomas Hüsken wirft den Anhängern des interkulturellen Paradigmas vor, an einer „Ideologie der Differenz“26 zu arbeiten bzw. die Augen vor den dahinterstehenden Motiven und Mechanismen zu verschließen: 21 So Hansen: „Die so entstandene Wahrnehmungsopposition von fremd versus eigen blieb aber nicht auf der Ebene dumpfer Gefühle, sonder gelangte zu philosophischen und wissenschaftlichen Ehren. Kategorisch, wie sie daherkommt, suggeriert sie Existenzialität und intellektuellen Tiefgang.“ (Hansen 2009a, S. 207); vgl. Haas 2009, S. 114. 22 Moosmüller 1997, S. 230f. 23 Moosmüller 1997, S. 230f. 24 So Moosmüller: „Gelingt es dem Entsandten nicht, die erforderlichen Veränderungen einzuleiten, erblickt er im Kulturkontrast den Grund für sein Scheitern, und er wird in seinen Situationsberichten diesen Kontrast eher noch verschärfen, um damit sein erfolgloses Handeln vor sich und vor dem Stammhaus zu rechtfertigen.“ (Moosmüller 1997, S. 230); so auch an anderer Stelle: „International erfahrende Entsandte warnen daher vor dem ‚kulturistischen‘ Erklärungsschema, wonach alle Interaktionsprobleme aus den Unterschieden zwischen den nationalen Kulturen abgeleitet werden, da dies nur dazu führe, daß [...] ungenutzte Chancen mit Pseudobegründungen entschuldigt würden.“ (Moosmüller 1997, S. 231). 25 Haas 2009, S. 179. 26 Hüsken 2003, S. 13.

294 | G ESCHÄFTSLEUTE UNTER SICH. DIE I NTERNATIONALITÄT DER BUSINESS CULTURE „Während die im weiteren Sinne sozial- und kulturwissenschaftliche Debatte [...] die Renaissance des Kulturalismus als interessegeleitete Konstruktionen vermeintlicher kultureller Identitäten entlarvt hat, gilt dies nicht für den Bereich der (wissenschaftlichen) Managementliteraturen zur interkulturellen Kommunikation und zum interkulturellen Management.“27

Nun ist es nicht damit getan, diese Problematik zu erkennen – es muss Abhilfe geschaffen werden. Ein erster Schritt wäre es, dafür plädiert die vorliegende Arbeit, den Blick mehr auf die bislang vernachlässigten länderübergreifenden oder „interkulturellen“ Gemeinsamkeiten zu richten. Denn, dass etwa den Unterschieden im Verhalten eine – in dieser Konstellation – sogar größere Anzahl von Übereinstimmungen, Parallelen und Ähnlichkeiten gegenübersteht, hat der vorangegangene Vergleich der Business-Etikette-Ratgeber belegt. Was jedoch weiterhin klar wurde ist, dass diese Tatsache in der interkulturellen Ratgeberliteratur bisher unbeachtet blieb. Denn darüber, was „die Amerikaner“ und „die Deutschen“ verbindet, was sie gemeinsam haben, wird kaum ein Wort verloren. Hier knüpft die Frage an, ob es überhaupt in erster Linie Angehörige zweier Nationen bzw. Dachkollektive sind, die sich bei einem geschäftlichen Treffen begegnen. Mit Blick auf die menschliche Multikollektivität28 – ein Konzept, das besagt, dass die meist durch Geburt vorgegebene Nationalität eines Menschen durch die gleichzeitige Zugehörigkeit zu unbegrenzt vielen weiteren Kollektiven ergänzt wird29 – ist ebenso denkbar, dass die Akteure in diesem speziellen Kontext vielmehr bestimmte Berufsgruppen repräsentieren. Diese Sichtweise steht im Einklang mit der dieser Arbeit zugrunde liegenden Aufforderung, die Pauschalität zu verringern, denn: Je kleiner das Bezugskollektiv, desto näher bewegt man sich an der Realität. In diesem Sinne ist der zweite Appell dieser Ausführungen, den Fokus zu verengen und „intrakulturell“ weiter zu differenzieren, etwa nach geographischen (z. B. Region, Stadt vs. Land), soziokulturellen (z. B. Generation, Beruf), sozioökonomischen (z. B. Milieu, Schicht) und situativen Faktoren (z. B. Kontext, Machtverhältnisse). Tatsächlich legen die Vergleichsergebnisse nahe, dass die im geschäftlichen Kontext geltenden Standardisierungen bzw. Umgangsformen aus den – über „Funktions- oder Prinzipienverwandtschaft“ verbundenen – Berufskulturen stammen und somit nicht mit der Nationalität der Akteure variieren. Diese Er27 Hüsken 2003, S. 4. 28 Hansen 2011, S. 156f. 29 So Hansen: „So gesehen ist meine Identität eine Addition oder besser ein Amalgam aus einerseits vorgegebenen und andererseits frei gewählten Kollektiven.“ (Hansen 2011, S. 156f.).

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kenntnis, die bislang von Vertretern der Interkulturellen Kommunikation in Frage gestellt wurde30, könnte zur Abkehr von althergebrachten Prämissen beitragen. Wer wie Florian Feuser „interkulturelle Studien zwischen Wissenschaft und Knigge“31 verortet, dem muss entgegnet werden, dass sie weder aus der einen noch aus der anderen Richtung Zustimmung erfahren. Denn während die Kritik von Seiten der Wissenschaft bereits weithin bekannt ist, beweist die vorliegende Arbeit, dass auch „Knigge“ den Interkulturalisten nicht Recht gibt.

30 So Barmeyer: „Empirische Studien zeigen, dass die Ähnlichkeiten zwischen den subkulturellen Merkmalen, z.B. der sozioprofessionellen, verschiedener Länder geringer sind, als die Ähnlichkeiten von Individuen innerhalb eines sozialen Systems (Hofstede 1980).“ (Barmeyer 2010, S. 28; Hervorhebung im Original); vgl. Storti 2004, S. 2f.; siehe auch Kapitel Funktionsverwandtschaft der Subkollektive. 31 Feuser 2006, S. 58.

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Darstellungsverzeichnis

Darstellung 1: Zuschreibungstheorie in Abhängigkeit von den Funktionen | 117 Darstellung 2: Theoretische Vergleichskonstellationen und Versuchsanordnung – Zuschreibungstheorie und Vergleich | 124 Darstellung 3: Die Geschlechterverteilung der Autoren der verglichenen Business-Etikette-Ratgeber | 133 Darstellung 4: „Auch wenn’s weh tut –der kräftige Schlag auf den Rücken ist bei US-Amerikanern ein Zeichen der Wertschätzung.“ | 199 AXTELL, ROGER E. (1991): Vorsicht Fettnäpfchen. Fremde Länder, andere Sitten. Frankfurt a. Main, S. 95. Darstellung 5: Sprachliche Probleme bei der Anrede im Deutschen | 216 GRAFF, JOACHIM; SCHAUPP, GRETCHEN (2006): Business Etikette in Deutschland. Mind your manners: So treten Sie professionell auf. Frechen, S. 21. Darstellung 6: Das Brüderschafttrinken als Übergang zum „Du“ | 227 BESCH, WERNER (1996): Duzen, Siezen, Titulieren. Zur Anrede im Deutschen heute und gestern. Göttingen, S.15. Darstellung 7: Das „Du“ muss vom Ranghöheren ausgehen. | 229 RUHLEDER, BRIGITTE (2001): Umgangsformen im Beruf. Etikette, Takt und Ton. Offenbach, S. 54.