Geschenkte und umkämpfte Gerechtigkeit: Zur Theologie und Sozialethik R. Niebuhrs 9783666562143, 9783525562147

129 95 7MB

German Pages [224] Year 1963

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Geschenkte und umkämpfte Gerechtigkeit: Zur Theologie und Sozialethik R. Niebuhrs
 9783666562143, 9783525562147

Citation preview

Reinhard Neubauer Geschenkte und umkämpfte Gerechtigkeit

REINHARD NEUBAUER

Geschenkte und umkämpfte Gerechtigkeit Eine Untersuchung zur Theologie und Sozialethik Reinhold Niebuhrs im Blick auf Martin Luther

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 12

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1963. Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen. 8134

Vorwort Die Anregung zu dieser Arbeit geht auf das Jahr 1950/51 zurück. Durch das Studenten-Austausdi-Programm des Weltkirchenrates in Verbindung mit dem Ev. Hilfswerk Deutschlands bekam Vf. damals die Gelegenheit, ein Jahr lang am „Princeton Seminary", N e w Jersey, U.S.A. unter Anleitung von Herrn Prof. Paul Lehmann an Problemen des sog. „Social Gospel" zu arbeiten. Im Verlauf der Arbeit mußte er auf Reinhold Niebuhr stoßen. Schon bald wurde bei der Beschäftigung mit diesem neueren amerikanischen Theologen deutlich, daß entscheidende Elemente seiner Gedanken nicht aus dem Zusammenhang des anglosächsisch-calvinistischen Zweiges der Theologie hergeleitet werden können, sondern auf den anderen, im Englisch sprechenden Teil des Protestantismus nie recht zur Entfaltung gekommenen Zweig der Reformation zurückweisen, nämlich auf Luthers Lehre und Denken. Grob sortiert handelt es sich dabei um diejenigen Elemente, welche die Distanz der Theologie Reinhold Niebuhrs zu der des „Social Gospel" und zu mancher anderen amerikanischen Theologie markieren 1 . 1

Aufsdilußreich hiefür ist das Urteil von J.C.Bennett, das auf den Hintergrund Niebuhrs ein bezeichnendes Licht wirft. Wir führen es audi deshalb im vollen Wortlaut an, weiil es die Themenstellung dieser Arbeit zu legitimieren in der Lage ist: „Ursprünglich wurde Niebuhrs soziale Zielsetzung in großem Maße durch die Tradition des liberalen Social Gospel geformt. Er war in der .Evangelical Synod' erzogen worden, die jetzt ein Teil der ,Evangelical Reformed Church' und in der Niebuihr Pfarrer ist. Es war dies die Verpflanzung der preußischen Unionskirche, die in sich lutherische und reformierte Elemente vereinigt, nach Amerika. Dies bedeutete, daß Luther auf ihn einen stärkeren Einfluß hatte, als es bei den meisten Protestanten in Amerika der Fall ist. Es ist mir oft der Gedanke gekommen, daß möglicherweise diese Tatsache ihn für Elemente in Luthers Glauben und Theologie empfänglich gemacht hat, die den meisten amerikanischen Protestanten vollkommen fremd sind. Genau diese Elemente aus Luthers Gedankenwelt veränderten später seine Theologie und sein Verständnis der Beziehung von Evangelium und Sozialethik, allerdings ohne sein wesentliches soziales Interesse zu berühren. Es existieren also bei Niebuhr frühe theologische Einflüsse, die, als er nachher Zeit hatte, über sie zu reflektieren, andere Schattierungen in sein Verständnis der christlichen Soziallehren hineinbrachten, als von denen erwartet werden kann, die immer auf dem Boden gelebt haben, der vor allem durch den Calvinismus bereitet worden war oder durch den freikirchlidien (sectarian) Zweig des Christentums in seinen verschiedenen Ausprägungen. Ich glaube, daß zum Teil dieser Einfluß von Luthers Seite her der Grund dafür ist, daß Niebuhr solche Schwierigkeiten hat, seine Überzeugungen hinsichtlich Perfektionismus oder Gesetz und Gnade der Mehrheit der christlichen Liberalen in diesem Lande zu vermitteln." J.C.Bennett in: Reinhold Niebuhr. His Historical, Social and Political Thought. The Library of Living Theology, Vol.11, ed by Ch.W.Kegley and R.W.Bretall, New York 1956, S.62 (wir zitieren das Buch: RN). 5

D a ß Niebuhr trotz dieser Nähe zu Luther an vielen Stellen seiner Lehre so gar kein Lutheraner ist, macht die Behandlung des Themas nur interessanter. Der N e w Yorker Theologe übt scharfe Kritik am Luthertum. Bezeichnenderweise will seine Kritik an dem Punkt ihre Kerben in den alten Stamm lutherischer Lehre hauen, an dem zu hauen und zu sägen in den letzten Jahrzehnten sich schon so mancher genötigt gesehen hat, nämlidi an der Lehre von den beiden Reichen 2 . Unter all den kritischen Stimmen kommen Niebuhrs Bedenken vielleicht am meisten „von außen" und können infolgedessen manchen neuen Einblick und Akzent in die manchmal schon leer laufende Diskussion bringen. Wiederum kommen seine Bedenken nicht so sehr von außen, daß man sie als schlechtweg fremd überhören dürfte. Vom Mittelpunkt der christlichen Lehre im Heil durch Jesus Christus her gesehen kommt Niebuhrs Stimme ganz „von innen", wie wir zu zeigen hoffen. Trotz seiner Kritik an Luther kommt Niebuhr nun doch nicht darum herum, das Schicksal des Reformators teilen zu müssen. Auf eine ironisdie Tatsache sei gleich zu Anfang hingewiesen: Der Amerikaner greift den Reformator auf dem Gebiet der Sozialethik als Pessimisten und Defaitisten an und mißversteht ihn dabei nicht unerheblich, was zu demonstrieren ist 3 . Er selber kommt indessen dann seinerseits zu Aussagen auf diesem Gebiet, die ihn einer ebenso lautenden, wie ebenso mißverstehenden Kritik ausliefern 4 . Diese Beobachtung sei als Geschmacksprobe vorweggenommen. Die Untersuchung stellt sich die Aufgabe, die Lehre Reinhold Niebuhrs, angefangen bei der Dogmatik und endend bei der Sozialethik, zu entfalten und im Gange dieser Entfaltung an dieser und jener Stelle durch die Lehre des Reformators zu beleuchten. Wenn sich dabei auf dem Feld der Theologie manche Frage herausstellen wird, die an Niebuhr zu richten ist, so wird diesem am Schluß doch Satisfaktion insofern zuteil werden, als er der Fragende sein wird, wenn es um die Probleme der heutigen Welt geht. Ein Vorblick auf den Umfang des Fragenkomplexes, der anzuschneiden sein wird, macht es notwendig, von vornherein alle Versuche in Richtung einer Gesamtdarstellung abzulehnen. Soll diese Arbeit nicht ins Uferlose wachsen, so muß sie sidi 1. strikt auf die Behandlung Niebuhrs und Luthers beschränken. Wann immer von einem Dritten die Rede sein wird, muß notwendigerweise viel zu sdinell abgebrochen werden. 2. Bei der Behandlung Niebuhrs hofft die Untersuchung, hinreichend ausführlich zu sein,, weil ihr der Gedankengang Niebuhrs als Leitfaden dienen soll. Bei Luther hingegen muß sie sidi auf das Allernotwendigste beschränken und f ü r alles, was darüber hinaus liegt, auf die umfang1

Vgl. dazu vor allem P. Althaus, Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, Luther-Jahrbuch· 1957, S.40—68. 4 Vgl. Christian Century v. 16. Sept. 1953, S. 1051 redits, wo Niebuhr als „Dualist" 3 Vgl. unten S.27 ff. und 32 ff. und „Defaitist" angegriffen wird. Weiter Niebuhr selbst in: Love and Justice, ed. by D.B.Robertson, New York 1957, S. 19ff. 268 (dieses Budi zitieren wir: LJ). VgL audi die eigenartige Kritik des „Naturalisten" H.N.Wieman an Niebuhr, RN S.345—348. 6

reidie Luther-Literatur verweisen, die dem heutigen Leser zur Verfügung steht. 3. Die Gelegenheiten einer Konfrontation Niebuhrs mit Luther können nicht überall da wahrgenommen werden, w o ein scharfsinniger Geist sie entdeckt. Vielmehr muß die Arbeit sich auf die Punkte beschränken, die sich als auffällig anbieten. 4. Auf ein Eingehen auf die Frage der Abhängigkeit Reinhold N i e buhrs von anderen muß verziditet werden; sie ist auch schon behandelt worden, einmal zu kurz und einmal zu ausführlich 5 . Weil Niebuhr alle empfangenen Anregungen in einer erstaunlichen Weise zu verarbeiten und in einer eben nur für ihn typischen Art wieder ans Tageslicht des Formulierten zu fördern in der Lage ist, meinen wir, mit der Auslassung dieser Erörterung keinen allzu großen Schaden hinzunehmen. Abschließend sei noch vermerkt, daß diese Arbeit durdi ihren ganz kleinen Beitrag die Tatsache unterstreichen möchte, daß im Zeitalter der technisch geeinten Welt eine sozial-ethische Besinnung von Seiten der Kirche und der 5

Allzu summarisdi wird die Frage von R. Kroner (The Historical Roots of Niebuhrs Thought, R N S. 177—191) behandelt. Neben der „modernen Gestimmtheit" sieht Kroner den Theologen Niebuhr auf der Linie stehen, die durdi die Namen S.Kierkegaard, B.Pascal, Reformation, Augustin, Paulus markiert ist. Diese Sicht ist richtig, miiißte aber genauer ausgearbeitet werden. Andererseits verwendet O. Weichenhan (Die sozialethisdien Voraussetzungen und Zielsetzungen der Theologie Reinhold Niebuhrs, Göttingen 1954, Diss, hektogr.) allzu peinliche Mühe auf die Frage der Abhängigkeit Niebuhrs von früheren Denkern. Man hat den Eindruck bei Weichenhan, daß Niebuhr sidi weder bejahend noch verneinend mit Lehren eines anderen befassen kann, ohne daß das als Abhängigkeit von diesem anderen zu Budie geführt wird. Bei der Eigenart Reinhold Niebuhrs, seine Gedanken immer im Dialog mit anderen zu entfalten, ist es gar nicht leicht, den rediten Mittelweg zwisdien einer zu kurzen und oberflächlichen und einer zu ausführlichen und bohrenden Behandlung der Abhängigkeitsfrage zu finden. Die vorliegende Arbeit nimmt um der notwendigen Konzentration auf das eigentliche Thema willen den Vorwurf in Kauf, diese Frage überhaupt vernachlässigt zu haben. An dieser Stelle sei audi gleich auf diejenigen Untersuchungen zu Niebuhrs Lehre hingewiesen, denen Vf. besonders verpflichtet ist. Als erstes ist die in deutscher Sprache vorliegende Untersuchung von H . H o f m a n n (Die Theologie Reinhold Niebuhrs im Lichte seiner Lehre von der Sünde, Zürich 1954) zu nennen. Hofmanns Buch will dem deutschen Leser einfadi die Gedanken Niebuhrs nahebringen. Es geht biographisch vor und stellt Niebuhr sehr gut als echten Theologen dar. Nadi Hofmanns Untersuchung sollte es eigentlich unmöglich geworden sein, Niebuhr primär und isoliert immer wieder als bloßen sozialethischen Programmatiker zu sehen. — Wertvoll vor allem im Blick auf die Theologie im Umkreis Niebuhrs ist die Arbeit von G. Hammar, Christian Realism in Contemporary American Theology. A study of Reinhold Niebuhr, W. M. Horton und H . P . van Düsen, Uppsala 1940. Sehr zu empfehlen ist der Sammelband R N (s. o. Anm. 1). In diesem Band sind Aufsätze von Freunden und Kritikern Niebuhrs zusammengefaßt. Das Buch gibt einen, wie der Untertitel auch beansprucht, wahrhaft lebendigen Eindruck von der theologischen Diskussion in den Staaten (auch E. Brunner ist mit einem kurzen Beitrag vertreten, ebd. S. 28—33). Zur Charakterisierung der Untersuchung von S. C. Guthrie, The Theological Character of Reinhold Niebuhrs Social Ethic, Winterthur 1959, verweisen wir auf den Sdilußteil dieser Arbeit. Weitere Literatur bei H . Hofmann, S. 244 f. 7

Theologie eigentlidi nur nodi im Rahmen des oekumenisdien Gespräches möglich ist und fruchtbar zu werden verspricht. Ich danke der Hochwürdigen Theologischen Fakultät der Ruprecht-KarlUniversität Heidelberg, die diese Arbeit als theologische Dissertation angenommen hat. Vor allem bin ich Herrn Prof. E. Schlink zu tiefem Dank verpflichtet, der die Arbeit auf alle Weise gefördert und bei ihrem langsamen Werdegang große Geduld und Verständnis für die Zeitnöte eines Gemeindepfarrers gehabt hat. Schließlich gilt mein Dank Herrn Prof. Reinhold Niebuhr selbst, dessen Briefe vor und während der Arbeit und dessen Stellungnahme zur abgeschlossenen Untersuchung mir viel bedeuten.

8

Inhalt Vorwort

5

Bemerkung

11

Abkürzungen

11

Quellen

12

Andere Literatur

13

1. Teil: Reinhold Niebuhrs Stellung zu Martin Luther 1. K a p i t e l : Die Gegner zur Rechten und zur Linken

21

2. Κ a ρ i t e 1 : Das Lutherbild Reinhold Niebuhrs

25

1. Positiv: Sünde, Rechtfertigung, Freiheit

25

2. Negativ: Der Mangel an Konsequenz

27

3. Negativ: Die beiden Reiche

29

3 . K a p i t e l : Kritische Würdigung dieses Lutherbildes

2. Teil: Die Theologie und Sozialethik Reinhold im Blick auf Martin Luther

32

Niebuhrs

4. K a p i t e l : Der Mensdi

46

1.Die Sdiöpfung

46

1. Exkurs: Begriffe und Begriffspaare bei Reinhold Niebuhr

53

2. Die Versuchung

55

3. Die Sünde 2. Exkurs: Theologie und Kulturkritik bei Reinhold Niebuhr

59 65

4. Der Mensdi in der Geschichte 3. Exkurs: Freiheit und Naturrecht bei Reinhold Niebuhr

68 76

5. Reinhold Niebuhrs Lehre vom Menschen im Blick auf Martin Luther

. . .

5. Κ a ρ i t e 1 : Gesdienkte Gerechtigkeit

93

1.Der erwartete Vollender 2. Der gekreuzigte Vollender 4. Exkurs: Transzendenz, Mythos und Dogma bei Reinhold Niebuhr 3. Das Paradox der Gnade 5. Exkurs: Glaube und Erfahrung

81

93 . . .

98 108 117 129 9

4. Der Test der Toleranz

134

5. Christus und Gnade bei Reinhold Niebuhr im Blick auf Martin Luther . . Luthers Enarratio Psalmi II 1532

138 142

6. Κ a ρ i t e 1 : Umkämpfte Gerechtigkeit 1. Das Interim 6. Exkurs: Kreuzeserfahrung und Geschichtserfahrung

152 152 163

2. Das Gesetz der Liebe

167

3. Zwischen Anardiie und Tyrannei

173

4. Niebuhrs Sozialethik im Blick auf Martin Luther

190

Schlußfrage: Christlicher Absolutheitsansprudi in der Sozialethik? · . . .

10

213

Bemerkung zur Übersetzung und Zitierung aus den Schriften Niebuhrs: Da nur ein Teil der Schriften Niebuhrs ins Deutsche übersetzt ist, die Kenntnis der englischen Sprache indessen nicht allgemein vorausgesetzt werden kann, und da andererseits eine Nachprüfung der Zitate und eine weiterführende Arbeit sich dodi besser an den englischen Originalausgaben orientiert, ist in dieser Arbeit die Methode gewählt worden, alle Zitate in eigenen Übersetzungen vorzulegen und jedesmal auf die Originalausgabe zu verweisen.

Abkürzungen Niebuhrs Schriften (es wurde bewußt keine einheitliche Kennzeichnung der einzelnen Bücher Niebuhrs gewählt — wie z. B. bloße Buchstaben o. dergl., da eine variierende Kennzeichnung sich viel besser dem Gedächtnis einprägt. Nähere Angaben zu den einzelnen Titeln vgl. Literaturverzeichnis) Beyond Child Civ. Contribution Ethic FH

MM ND I/II

PP Real Reflections Self Signs Ten Years Witness

Beyond Tragedy. The Children of Light and the Children of Darkness. Does Civilization Need Religion? The Contribution1 of Religion to Social Work. An Interpretation of Christian Ethics. Faith and History. The Irony of American History. Love and Justice. Moral Man and Immoral Society. The Nature and Distiny of Man: I: The Nature of Man. II: The Destiny of Man. Christianity and Power Politics. Christian Realism an Political Problems. Reflections on the End of an Era. The Self and the Dramas of History. Discerning the Signs of the Times. Ten Years that Shook My World. The Christian Witness in a Secular Age. Sonstige Abkürzungen

EvTheol KuD NF

Evangelische Theologie. Kerygma und Dogma. Neue Folge.

11

RN ThEx THLZ WA WA TR WA BW ZThK

Reinhold Niebuhr . . . s. Lit.verz. ebd. Theologisdie Existenz heute. Theologische Literaturzeitung. Luthers Werke (Weimarer Ausgabe). Luthers Werke, Tischreden. Luthers Werke, Briefwechsel. Zeitschrift für Theologie und Kirche.

Quellen Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd.Iff., Weimar 1883ff. (WA). — Briefwechsel, Bd.Iff., Weimar 1930ff. — Tischreden, Bd. 1—6, Weimar 1912—21. Niebuhr, Reinhold: Does Civilization Need Religion? New York 1927 (Civ.) — Leaves From the Notebook of a Tamed Cynic, New York 1929. — The Contribution of Religion to Social Work, New York 1932 (Contribution). — Moral Man an Immoral Society, New York 1932 (MM). — Reflections on the End of an Era, New York 1934 (Reflections). — An Interpretation of Christian Ethics, New York 1935 (Ethics). — Beyond Tragedy. Essays on the Christian Interpretation of History, New York 1937 (Beyond). — Christianity and Power Politics, New York 1940 (PP). — The Nature and Destiny of Man. Vol. I: Human Nature, New York 1941 (ND I). — The Nature and Destiny of Man. Vol. II: Human Destiny, New York 1943 (ND II). (Seit 1949 erscheinen beide Teile in einem Band zusammengebunden) — The Children of Light and the Children of Darkness, New York 1944 (Child.). — Discerning the Signs of the Times. Sermons for Today and Tomorrow, New York 1946 (Signs). — Faith and History, New York 1949 (FH). — The Irony of American History, New York 1952; für England: London 1952 (Irony). — Christian Realism and Political Problems, New York 1953; für England: London 1954 (Real). — The Self and the Dramas of History, New York 1956; für England: London 1956 (Self). — Love and Justice, Ed. by D.B.Robertson, New York 1957 (LJ). Von unzähligen kleineren Publikationen seien genannt (vgl. die Bibliographie der Werke Niebuhrs: D.B.Robertson, Reinhold Niebuhrs Works: A Bibliography, Berea/Kentucky 1954): — Marx, Barth and Israels Prophets, Ln: The Christian Century, 30.1.1935, S. 135ff. — Moralistic Praeching, in: The Christian Century, 15.7.1936, S. 985 ff. — Do the State and Nation Belong to God or the Devil? London, S.C.M.Press 1937. — Ten Years That Shook My World, in: The Christian Century 26.4.1939, S.543if. (Ten Years). — We Are Men and Not God, in: The Christian Century, 27.10.1948, S. 1138—40. — Amsterdam, Fragen und Antworten, München 1949. — Das christliche Zeugnis für die Ordnung der Gesellschaft und des nationalen Lebens, in: Amsterdamer Dokumente, Beiheft zu der Halbmonatsschrift Evangelische Welt, hrsg. v. F.Lüpsen, Bielefeld o. J. Amerikanisch: The Christian Witness in al Secular Age, in: The Christian Century, 22.7.1953, S. 840ff. 12

Andere Literatur Aland, Kurt: Hilfsbuch zum Lutherstudium, Gütersloh 2 1957. Althaus, Paul: Die Christenheit und die politisdie Welt. — Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik I, II, Gütersloh 1947, 1948. — Gebot und Gesetz. Zum Thema „Gesetz und Evangelium", Gütersloh 1952. — Grundriß der Ethik, Gütersloh 2 1953. — Die letzten Dinge, Gütersloh 5 1949. — Die lutherische Reditfertigungslehre und ihre heutigen Kritiker, Berlin 1951. — Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik. Luther-Jahrbuch 1957, S.40—68. — Luther und die politisdie Welt, Weimar 1937. — Paulus und Luther über den Menschen. Studien der Luther-Akademie 14. Heft, Gütersloh 3 1958. — Theologie der Ordnungen, Gütersloh 1934. — Besprechung v.W.Joest, Gesetz und Freiheit (s.ebd.), ThLZ 80, 1955, Sp.44—48. — Besprechung v.Jo.Heckel, Lex Charitatis, ThLZ 81, 1956, Sp. 129—136. Amsterdamer Dokumente. Berichte und Reden auf der Weltkirdienkonferenz in Amsterdam 1948. Beiheil zur Halbmonatsschrift Evangelische Welt, hrsg. v. Dr. F. Lüpsen, Bethel b. Bielefeld o . J . Atomzeitalter, Krieg und Frieden, hrsg. v. Günter Howe, Witten und Berlin 1959. Barge, Hermann: Luther und der Frühkapitalismus, Gütersloh 1951. Bainton, Roland H . : Martin Luther, Göttingen ' 1959. Barth, Karl: Kirchliche Dogmatik, Zürich 1927ff. — Christengemeinde und Bürgergemeinde, München 1946. — Die Christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen, EvTheol. 8. Jahrgang, 1948, S. 1 ff. — Continental versus Anglo-Saxon Theology. A preliminary Answer to Reinhold Niebuhr, in: The Christian Century, 16.2.1949, S. 201 fi. — Evangelium und Gesetz, ThExNF 50, München 1956. (Erster Drude: ThEx 32,1935.) — Fragen an das Christentum. Theologisdie Fragen und Antworten, Gesammelte Vortrage, Zürich 1957. — Die Kirdie und die politisdie Frage von heute, Zürich 2 1939. — Politisdie Entscheidungen in der Einheit des Glaubens, ThExNF 34, München 1952. — Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich 1952. — Rechtfertigung und Redit, Theol. Studien Heft 1, Zürich 2 1944. Bates, M. Searle: Glaubensgerechtigkeit. Eine Untersuchung, New York 1947. Beach, W. und Bennet, J . C.: Christian Ethics, in: Protestant Thought in the 20th Century (s.ebd.), S. 123ff. Bennett, J . C . : Christentum und Gemeinschaft. Übersetzt durch R.M.Honig, New York 1949. Betcke, W.: Luthers Sozialethik, Gütersloh 1933. Bonhoeffer, Dietrich: Ethik. Zusammengestellt und hrsg. durch Eberhard Bethge, München 1953. — Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. v.E. Bethge, München 1955. Bornkamm, Günther: Jesus von Nazareth. Urbanbücher Nr. 19, Stuttgart 1 1957. Bornkamm, Heinrich: Das Evangelium und die soziale Welt in der Sdiau Luthers, Zeitwende 25, 1954, S. 683—688. — Luther im Spiegel der Deutschen Geistesgeschidite, Heidelberg 1955. — Luthers geistige Welt, Lüneburg 1947. — Luther und das Alte Testament, Tübingen 1948. 13

— Der verborgene und der offenbare Gott — Gott und die Geschichte nach Luther. Theologie und Verkündigung, Lüneburg 1946. Bring, Ragnar: Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium als der Beitrag der Lutherischen Theologie für die Ökumene, Luther-Jahrbuch 1957, S. 1—39. — Das Verhältnis von Glauben und Werken in der Lutherischen Theologie. Forschungen z. Gesch. u. Lehre des Protestantismus, hrsg. v. E. Wolf, übers, von K.-H. Becker, München 1955. Brunner, Emil: Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, Zürich 1953. — Das Gebot und die Ordnungen. Entwurf einer protestantischen theologischen Ethik, Zürich 4 1939. — Gerechtigkeit. Eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung, Zürich 1939. — Die Kirche zwischen Ost und West, Stuttgart o. J. — Der Mensch im Widerspruch, Zürich Ί 9 4 1 . — Das Mißverständnis der Kirche, Stuttgart 1951. Brunner, Peter: Christ in den zwei Reichen, Ev. Luth.Kirchenzeitung III, 1949, S.326. Brunette, Wilhelm: Das geistliche Amt bei Luther, Berlin 1959. Bühler, Paul: Die Anfechtung bei Luther, Zürich 1942. Buehrer, Edwin T.: The Mythology of Theology, in: The Christian Century, 3.3.1938, S. 277 f. Bultmann, Rudolf: Allgemeine Wahrheiten und christliche Verkündigung, ZThK 1957, S. 255 ff. — Das Evangelium des Johannes. Kritisch-Exegetischer Kommentar über das Neue Testament, begr. v. H. A. W. Meyer, Göttingen "1952. — Geschichte und Eschatologie, Tübingen 1958. — Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze I, Tübingen 1933. — Neues Testament und Mythology. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlidien Verkündigung. In: Kerygma und Mythos, ein theologisches Gespräch, hrsg. v. H . W . Bartsch, Hamburg 1948, S. 15—53. (Zuerst in Band 7 der Beiträge zur ev. Theologie.) — Theologie des Neuen Testamentes, 1.—3. Lieferung, Tübingen 1948, 1951, 1953. Burba, Klaus: Die Christologie in Luthers Liedern, Gütersloh 1956. Christian Faith and Social Action. Α. Symposion ed. by John A. Hutchinson, New York 1953. Cochrane, Charles N.: Christianity and Classical Culture. A Study of Thought and Action from Augustus to Augustine, Oxford University Press 1944. Cullmann, Oscar: Der Staat im Neuen Testament, Tübingen 1956. Davies, D . R . : Reinhold Niebuhr: Prophet from America, Modern Christian Revolutionaries Series, London o. J. Delekat, Friedrich: Die Kirche Jesu Christi und der Staat, Berlin 1933. De Quervain, Alfred: Kirche, Volk und Staat, Ethik II, 1, Zürich 1945. — Mensch und Staat heute, ThExNF 30, München 1952. — Die theologischen Voraussetzungen der Politik. Grundlinien einer politischen Theologie, Berlin 1931. Deutelmoser, Arno: Luther, Staat und Glaube, Jena 1937. De Wolf, L.Harald: The Religious Revolt Against Reason, New York 1949. Diem, Harald: Luthers Lehre von den zwei Reichen, untersucht von seinem Verständnis der Bergpredigt aus. Ein Beitrag zum Problem „Gesetz und Evangelium", Beiheft 5 zur EvTheol, München 1938. Diem, Hermann: Luthers Predigt in den zwei Reichen, ThExNF 6, München 1947. — Die politische Verantwortung des Christen heute, ThExNF 35, München 1952.

14

Ûillenberger, John α. Welch, Claud«: Protestant Christianity Interpreted Through its Development, New York 1954. Ebeling, Gerhard: Erwägungen zur Lehre vom Gesetz, ZThK 55. Jg., 1958, S. 270ff. — Triplex usus legis, ThLZ 75, 1950, Sp. 235 ff. Ehrenström, Nils: Christian Faith and the Modern State, üben, durch Denzil Patrick, London 1937. Eiert, Werner: Das diristliche Ethos, Tübingen 1949. — Der christliche Glaube, Grundlinien der lutherischen Dogmatik, Berlin 1 1941. — Morphologie des Luthertums, 2. Band; Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums. München 1932. — Besprechung v. G.Törnvall: Luthers Lehre von den zwei Regimenten, ThLZ 74, 1949, Sp.97—101. Farner, Alfred: Die Lehre von Kirche und Staat bei Zwingli, Tübingen 1930. Forck, Gottfried: Die Königsherrsdiaft Christi und das Handeln in den weltlichen Ordnungen nach Luther. KuD 3. Jg., 1957, S.23—52. Freyer, Hans: Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1956. Gerstenkorn, Hans Robert: Weltlich Regiment zwischen Gottesreüh und Teufelsmacht, Schriften z. Reditslehre und Politik Bd. 7, Bonn 1956. Gladden, Washington: Applied Christianity, Boston und New York 1886. Gloege, Gerhard: Mythologie und Luthertum. Das Problem der Entmythologisierung im Lichte lutherischer Theologie, Luthertum 5, Berlin 1952. — Der theologische Personalismus als dogmatisches Problem, Versuch einer Fragestellung, KuD l.Jg., 1955, S.23—41. Gollwitzer, Helmut: Die christliche Gemeinde in der politischen Welt, Tübingen 1954. Guthrie, Shirley C.: The Theological Character of Reinhold Niebuhr's Social Ethic, Winterthur 1959. Hammar, George: Christian Realism in Contemporary American Theology. A Study of Reinhold Niebuhr, W.M.Horton and H . P . van Düsen, Upsala 1940. Hammcisbeck, Oskar: Die veränderte Weltsituation des modernen Mensdien als religiöses Problem, ThExNF 45, München 1955. Heckel, Johannes: Lex Charitatis. Eine juristische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, Abhandl. d. Akad. d. Bayer. Wissenschaften, Philos.-histor. Klasse NF, Heft 36, München 1953. — Luthers Lehre von den zwei Regimenten. Fragen und Antworten zu der Schrift von Gunnar Hillerdal, Ztschr. f. ev. Kirchenrecht 4, 1955, S. 253—265. — Im Irrgarten der Zwei-Rekhe-Lehre, ThExNF 55, München 1957. — Widerstand gegen die Obrigkeit? Pflidit und Recht zum Widerstand bei Martin Luther, Zeitwende 25, 1954, S. 156—168. Heer, Friedrich: Die dritte Kraft. Der europäische Humanismus zwisdien den Fronten des konfessionellen Zeitalters, Stuttgart 1959. Heim, Karl: Die diristliche Ethik, Tübingen 1955. Heintze, Gerhard: Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium, München 1958. Hesse, Franz: Reges eos virga ferrea, ut vas viguli confringes eos. Zu Luthers Auslegung des 2. Psalmes, Luther-Jahrbuch 1958, Berlin 1958, S.23 ff. Hillerdal, Gunnar: Gehorsam gegen Gott und Menschen. Luthers Lehre von der Obrigkeit und die moderne evangelische Staatsethik, Göttingen 1955. — Luthers Geschichtsauffassung, Stud. Theol. Vol. VII, Fase. I, Lund 1954, S.28—53. Hirsch, Emmanuel: Lutherstudien, 2 Bände, Gütersloh 1954. — Geschichte der neuern evangelischen Theologie, l.Band, Gütersloh 1949. Hofmann, Hans: Die Theologie Reinhold Niebuhrs im Lichte seiner Lehre von der Sünde, Zürich 1954. 15

Holl, Karl: Gesammelte Aufsätze zur Kirdiengesdiichte, Band I : Luther, Tübingen 2 < 3 1923. Hopkins, Charles H . : The Rise of the Social Gospel in American Protestantism 1865— 1915, New Haven 1940. Horton, W.M.: Systematic Theology, in: Protestant Thought in the 20th Century . . . , s. ebd. S. 103 ff. Iwand, H. J . : Glaubensgerechtigkeit nadi Luthers Lehre, München 2 1951. — Die politisdie Existenz des Christen unter dem Auftrag und der Verheißung des Evangeliums von Jesus Christus, ThExNF 41, München 1954, S.7fi. Joest, Wilfried: Gesetz und Freiheit. Das Problem des tertius usus legis bei Luther und die neutestamentlidie Parainese, Göttingen 1951. — Paulus und das Luthersche sdmul jusitus et peccaitor, KuD 1, 1955, S. 269—320. Jordan, Hermann: Luthers Staatsauffassung. Ein Beitrag zu der Frage des Verhältnisses von Religion und Politik, München 1917. Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft, Kants Ges. Schriften, Kgl. Preuß. Akad. d. Wissenschaften, Bd. VI, Berlin 1907. Karisch, Rudolf: Der Christ und der dialektische Materialismus, Berlin 1954. Kasdi, W. F.: Die Lehre von der Inkarnation in der Theologie P. Tillichs, ZThK 58. Jg., 1961, S. 87—103. Kattenbusch, Ferdinand: Luthers Lehre vom unfreien Willen und von der Prädestination, Göttingen 1905. — Deus absconditus bei Luther, Festgabe für J . Kaftan, Tübingen 1920, S. 170—214. Keller, Adolf: Amerikanisches Christentum heute, Zürich 1943. Kinder, E.: Geistliches und weltliches Regiment Gottes nach Luther, Schriftenreihe der Luthergesellsdiaft H. 12, 1940. — Gottesreich und Weltreich bei Augustin und Luther. Erwägungen zu einer Vergleichung der „Zwei-Reiche-Lehre" Augustins und Luthers, in: Gedenkschrift f. W. Eiert, Berlin 1956, S. 113—145. — Reich Gottes und Kirche bei Augustin, Luthertum Heft 14, Berlin 1954. Klein, Kurt: Kirche und Staat, Berlin 1953. Klepper, Jochen: Kyrie. Geistliche Lieder, Witten (Ruhr) 1952. Kramm, H . H . : The Theology of Martin Luther, London 1947. Kraus, J . J . : Prophetie und Politik, ThExNF 36, München 1952. Krumwiede, Hans-Walter: Glaube und Geschichte in der Theologie Luthers. Zur Entstehung des geschichtlichen Denkens in Deutschland, Göttingen 1952. Lähteenmäki, Olavi: Sexus und Ehe bei Luther, Schriften der Luther-Agricola-Gesellsdiaft 10, Turku 1955. Lau, Franz: Besprechung von Hillerdal: Gehorsam vor Gott und Menschen, KuD 1. Jg., 1955, S. 243, 246. — „Äußerliche Ordnung" und „weltlich Ding" in Luthers Theologie. Studien zur system. Theologie H. 12, Göttingen 1933. — Leges Charitatis. Drei Fragen an Johannes Heckel, KuD 2. Jg., 1956, S.76—89. — Luthers Lehre von den beiden Reichen, Luthertum Heft 8, Berlin 1953. Liermann, Hans: Grundlagen des kirchlichen Verfassungsrechtes nach lutherischer Auffassung, Luthertum Heft 11, Berlin 1954. Lilje, Hanns: Luthers Geschichtsanschauung, Berlin 1932. — Luther. Anbruch und Krise der Neuzeit, Nürnberg 1946. Lindsay, Alexander: The Churches and Democracy, London 1934. Link, Wilhelm: Das Ringen Luthers um die Freiheit der Theologie von der Philosophie. Hrsg. v.E.Wolf und M.Meyer, München 2 1955. Loewenith, Walter v.: Von Augustin zu Luther, Beiträge zur Kirchengeschichte, Witten 1959.

16

— Gott und Mensch in humanistischer und reformatorischer Schau, Humanitas, Christianitas, Gütersloh 1948, S. 65—101. — Luther als Ausleger der Synoptiker, Mündien 1954. — Luthers Theologia Crucis, Forschungen zur Gesch. und Lehre des Protestantismus, 2. Reihe Bd. II, Mündien 1929. — Das Neue in Luthers Gedanken über den Staat, Luther-Jahrbudi 1932, S. 110—122. Löwith, Karl: Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Urban-Bücher 2, Stuttgart 1953. Lohse, Bernhard: Ratio und Fides. Eine Untersuchung über die ratio in der Theologie Luthers, Göttingen 1958. Macht und Recht. Beiträge zur lutherischen Staatslehre der Gegenwart, hrsg. von Hans Dombois und Erwin Wilkens, Berlin 1956. Mann, Golo: Vom Geist Amerikas, Urbanbücher Nr. 12, Stuttgart 1954. Maurer, Wilhelm: Von der Freiheit eines Christenmenschen. Zwei Untersuchungen zu Luthers Reformationsschriften 1520/21, Göttingen 1949. — Luther und die Schwärmer, Schriften des Theologisdien Konvents Augsburger Bekenntnisses Nr. 6, Berlin 1952. Meissinger, Karl August: Der katholische Luther, München 1952. Metzke, Erwin: Sakrament und Metaphysik, Stuttgart 1948. Miller, Francis: s. u. Niebuhr, H.Richard. Müller, Reinhart: Waher Rauschenbusdi, ökumen. Studien, hrsg. v.E.Benz, Leiden/ Köln 1957. Nash, A. S. : vgl. unter Protestant Thought in the Twenthieth Century. Niebuhr, H. Richard: Der Gedanke des Gottesreidies im Amerikanischen Christentum, deutsche Ausgabe von R.M.Honig, New York 1948. — The Social Sources of American Denominationalism, New York 1929. — Wilhelm Pauck u. Francis Miller: The Church Against the World, Chicago und New York 1935. Nygren, Anders: Die Bedeutung Luthers für den christlichen Liebesgedanken, LutherJahrbuch 1929, S. 87—133. — Luthers Lehre von den zwei Reichen, ThLZ 74, 1949, Sp. 1—8. — Eros und Agape, Berlin 2 1955. · Oldham, J . H . : Kirche, Volk und Staat, ein ökumenisches Problem. Forschungsabtlg. des Ökumenischen Rates f. praktisches Christentum, Genf 1936. Pauk, Wilhelm: s. o. Niebuhr, H. Richard. Pfeiffer, Johannes: Auf Luthers Spuren in Amerika, Berlin 1952. Prenter, Regin: Spiritus Creator. Studien zu Luthers Theologie, Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, hrsg. E.Wolf, 10 Reihe Bd. VI., München 1954. Preuss, Helmut: Martin Luther der Christenmensch, Gütersloh 1942. Protestant Thought in the Twentieth Century. Whence and Whiter? Ed. by A. S. Nash, New York 1951. Rad, Gerhard v.: Das erste Buch Mose, Kap. 1—12,9. Das Alte Testament Deutsch, Neues Göttinger Bibelwerk, Göttingen 4 1956. Rauschenbusdi, Walter: Christianity and the Social Crisis, New York 1907. — Christianizing the Social Order, New York 1912. — A Theology for the Social Gospel, New York 1911. Reinhardt, Paul: Unser Christenleben unter den beiden Regimenten Gottes, Luth. Nachrichten 3, 1954, Nr. 16 S.l—11. Reinhold Niebuhr: His Religious, Social and Political Thought. The Library of Living Theology, Vol. II, ed. by Charles Kegley and Robert W. Bretall, New York 1956 (RN). Reymann, Heinz: Glaube und Wirtschaft bei Luther, Gütersloh 1934. 2

8134

Neubauer, Gerechtigkeit

17

Ritter, Gerhard: Luther. Gestalt und Symbol, München 1925. — Luther und die politische Erziehung der Deutschen Zeitwende 18, 1946, S. 129—141. Roth, Erich: Sakrament nach Luther, Berlin 1952. Schlink, Edmund: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 2 1946. — Gerechtigkeit und Gnade, KuD 2. Jg., 1956, S. 256—288. — Die Gnade in Gottes Gericht, Gütersloh, o. J. — Thesen über Theologie und Naturwissenschaften II, EvTheol 7. Jg., 1947/48, S. 93 £. — Weisheit und Torheit, KuD l.Jg., 1955, S . l — 22. Schrey, Heinz-Horst: Glaube und Handeln. Grundprobleme evangelischer Ethik. Texte aus der evangelischen Ethik der Gegenwart, Einleitung: Helmuth Thielicke, Bremen (o. J.), Sammig. Dietrich Band 130. Schweitzer, Wolfgang: Die Herrschaft Christi und der Staat im Neuen Testament, München 1949. Seeberg, Erich: Luthers Theologie in ihren Grundzügen, Stuttgart 2 1950. Siirala, Aarne: Gottes Gebot bei Martin Luther. Eine Untersuchung der Theologie Luthers unter besonderer Berücksichtigung des 1. Hauptstückes im großen Katechismus, Schriften der Luther-Agricola-Gesellsdiaft 11, Helsinki 1956. Steck, Karl Gerhard: Luther und die Schwärmer, Theol. Studien, hrsg. K. Barth, H.44, Zürich 1955. — Redit und Grenzen kirdilicher Vollmacht. ThExNF 54, München 1956. — Die politische Existenz des Christen unter dem Auftrag und der Verheißung des Evangeliums von Jesus Christus. ThExNF 41, München 1954, S. 35 ff. Steubing, Hans: Der Kompromiß als ethisches Problem, Gütersloh 1956. Stomps, Magda Α . H . : Die Anthropologie Martin Luthers, Frankfurt 1935. Storck, Hans: Das Allgemeine Priestertum bei Luther, ThExNF 37, München 1953. Strong, Josiah: Our Country, New York 1891. Sweet, William W.: The Story of Religion in America, rev. and enlarged edition, New York 1950. Tawney, R . H . : Religion and the Rise of Capitalism. A Historical Study, New York 1926. Thielicke, Heßnut: Theologische Ethik, Band I, Tübingen 1951. — Geschichte und Existenz. Grundlegung einer evangelischen Geschichtstheologie, Gütersloh 1935. Tillich, Paul: Gesammelte Werke, Band 1: Frühe Hauptwerke, Stuttgart 1959. — Systematische Theologie, Band 1, Stuttgart 1956. — Systematische Theologie, Band 2, Stuttgart 1958. — Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, Stuttgart 1956. Törnvall, Gustav: Geistliches und weltliches Regiment bei Luther, München 1947. — Der Christ in den zwei Reichen. EvTheol 10, 1950/51, S.66—77. Torrance, T . F . : Die Eschatologie der Reformation, EvTheol 14, 1954, S.334ff. Treblin, Heinrich: Herrschen oder Dienen? Beitrag zur Diskussion der Zwei-ReidieLehre, EvTheol 14, 1954, S. 448—466. Troeltsch, Ernst: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Schriften Band 1, Tübingen 1912. Tuchel, Klaus: Luthers Auffassung vom geistlichen Amt, Luther-Jahrbudi 1958, Berlin 1958, S.61 ff. Vajta, Vilmos: Die Theologie des Gottesdienstes bei Luther, Göttingen 2 1954. Weber, Hans Emil: Von der Gerechtigkeit und dem Dienst der Liebe, ThExNF 18, München 1949. Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band I, Tübingen 2 1922. Weichenhan, Ottbrecht: Die sozialethischen Voraussetzungen und Zielsetzungen der Theologie Reinhold Niebuhrs, Göttingen 1954 (Diss, ungedr.). 18

Wendland, Hans Dieter: Christliche und kommunistische Hoffnung, Marxismusstudien, Schriften der Studiengemeinschaften der Ev. Akademien, Tübingen 1954, S. 214 ff. — Das System der funktionalen Gesellschaft und die Theologie, KuD 2. Jg., 1956, S. 289—303. — Die Weltherrschaft Christi und die zwei Reiche, Kosmos und Ekklesia, Festschrift für W. Stählin zu seinem 70. Geburtstag, Kassel 1953. Wingren, Gustav: Luthers Lehre vom Beruf, Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, 10. Reihe Band III, München 1952. Wülfel, Eberhard: Luther und die Skepsis. Eine Studie zur Kohelet-Exegese Luthers, München 1958. Wolf, Ernst: Zur Frage des Naturrechts bei Thomas von Aquin und bei Luther, Peregrinado, München 1954, S. 183 ff. — Libertas Christiana. ThExNF 18, München 1949, S.22ff. — Politia Christi. Das Problem der Sozialethik im Luthertum, Peregrinado, München 1954, S. 214—242. Früher schon in EvTheol 8, 1948/49, S.46—69. — Gottesrecht und Menschenrecht. Zum Problem des Naturrechts in evangelischer Sicht, ThExNF 42, München 1954. — Naturrecht und Gerechtigkeit. EvTheol 7, 1947/48, S. 233 ff. — Das Problem des Gewissens in reformatorischer Sicht, Peregrinano, München 1954, S. 81ff. — Der christliche Glaube und das Recht, zu Joh. Heckel : Lex Charitatis, Zeitschr. f. ev. Kirchenrecht 4. Band, 1955, S.225f. Wünsch, Georg: Der Zusammenbruch des Luthertums als Sozialgestaltung, Tübingen 1936. — Evangelische Ethik des Politischen, Tübingen 1936. Zahrnt, Heinz: Luther deutet Geschichte. Erfolg und Mißerfolg im Licht des Evangeliums, München 1952.

2*

19

1. T E I L

Reinhold Niebuhrs Stellung zu Martin Luther 1. Kapitel: D i e Gegner zur Rechten und zur Linken Unter historischen Gesichtspunkten betrachtet liegt zwischen dem Reformator und dem modernen Denker Reinhold Niebuhr eine Distanz, wie sie größer schlecht gedacht werden kann. Ein Vergleidi der weit-, sozial-, geistes- und theologiegeschichtlichen Positionen beider ergibt die größten Gegensätzlichkeiten. Und doch liefert ein solcher Vergleidi den Ansatzpunkt, von dem aus eine Verwandtschaft entdeckt werden kann. In der Frontstellung nämlich, in die Niebuhr sidi gestellt sieht, wiederholt sich zu einem guten Teil die kämpferische Position, in der Luther stand. Es ist bekannt, daß Luther das Kernstück seiner Lehre von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade während der Arbeit als Doktor der Heiligen Schrift gewann und daß er dann seine Lehre nach allen Seiten hin im Kampf gegen Gegner aller Seiten und Richtungen entfaltet hat. Dabei haben der Kampf gegen Rom und der gegen die Schwärmer je ein ganz eigenes Gepräge, und doch gelingt es Luther, in den verschiedenen Auseinandersetzungen den im Grunde immer gleidien Angriff des Menschen auf die eine Wahrheit Gottes zu entdecken und abzuwehren. „Das ist vitium humanae naturae, quod non putat creationem et dona, sed vult ein feci draus machen." 1 Gegenüber dieser Sünde gegen das erste Gebot entfaltet Luther seine Lehre, die in allen Teilen immer wieder die Grundstellung gegen die Selbsterhöhung des Menschen verrät 2 . » WA 40 III 223, 5 f. Durch Luthers ganze Vorlesung über den 2. Psalm 1532 läßt sich die einheitliche Front gegen alle Gegner verfolgen. Sie werden alle genannt: Zwingli und Karlstadt (WA 40 II, 197,10 u.ö.), Erasmus (199,2), der Papst (201,12 u.ö.), der Türke (209,7 u.ö.), die Schwärmer (209,10 u.ö.), Th.Müntzer (ebd. 4 u.ö.), die Bauern (202,5X die Wiedertäufer (217,5), Karl V. und Ferdinand von Österreich (220,3) usw. Wer sie auch seien, Luther sieht sie in einer Linie: „Iustitiam propriam nolumt amittere, sapientiam nolunt confundí, gloriam et fiduciam sapientiae et potentiae et iustitiae nolunt deserere... Mundus est amator suae iustitiae . . . Non vult fidere nisi per suam sapientiam, potentiam... In summa stost sich über 1. praecepto . . . " (214,6—10. 215,4f.) Luther kämpft gegen das religiöse Denken, in dem Gott „nicht als Grenze, sondern nur als Bestätigung des eigenen Seins" (H. Zähmt, Luther deutet Geschichte, S. 27) erfahren und anerkannt wird. „Die einen machen das Göttliche zu einem Ursprung des Seins und die anderen erklären es als Ziel der Vollendung eines Seins" (H.W.Krummwiede, Glaube und Geschichte in der Theologie Luthers, S. 79) — was in der Tiefenschau Luthers auf das gleiche hinauswill. Zur Zusammenschau des Kampfes gegen Rom und die „Rotten" vgl. u. a. WA 32, 301, 12—36. t

21

N u n zu Reinhold Niebuhr! Einem Leser seiner Schriften fällt schnell auf, daß R. Niebuhr das Seine am besten da ausdrückt, wo er Gelegenheit hat, es polemisch zu sagen. Diese Tatsache bedarf einer mehr als oberflächlichen Erklärung. Sie weist zurück auf sein Ausgangserlebnis, auf seinen „Auf- und Neubruch" 3, der sich während der Jahre seines Pastorates in der Fordsdien Industriestadt Detroit ereignete. Damals zuerst gewann Niebuhr einem Phänomen mensdilichen Geistes und mensdilidier Macht gegenüber eine Stellung, die er später in seinen geistigen Auseinandersetzungen immer von neuem einnehmen sollte 4 . Reinhold Niebuhr ist Pfarrersohn deutscher Abstammung in zweiter Generation. Er hat seine Ausbildung in der Atmosphäre des nodi unangefochtenen Liberalismus erlebt, wo Welt und Gott sich auf dem Gleis des allgemeinen Fortschrittes — dem Gleis mit den zwei Schienen der Kultur und der Religion — in Richtung einer vollen Harmonie hinzubewegen schienen. Diese Geisteswelt des Liberalismus ist in der Erstschrift R. Niebuhrs nodi mit Händen zu greifen 5 . Nach seiner Wendung hin zum Pfarramt in Detroit, ausgeredinet zu der Zeit, als dort Henry Ford sein von aller kapitalistischen Welt bewundertes Beispiel f ü r Sozial- und Produktionsfortschritt in einem gab, lernt Niebuhr eine Welt kennen, die mit derjenigen, f ü r die ihn seine Ausbildung zugerüstet hatte, in schlechterdings keine ehrlidie Beziehung zu bringen ist. Durch diese Erfahrung wird Niebuhr in die Position hineingerufen, die er im Grunde nie mehr verlassen wird. Von da an sind es die Realitäten der modernen sozialen und politisdien Welt, die sein Interesse und seinen realistischen Blick beanspruchen und bestimmen — und zwar, wie er selber betont, stärker bestimmen als die Probleme der eigentlichen, sozusagen inneren Theologie. Das veranlaßt ihn, heute noch darauf zu bestehen, daß er „kein Theologe" sei e . Er beginnt seinen Weg als Pfarrer einer Arbeitergemeinde, er denkt und redet nie mit dem Blickpunkt einer „rein philosophischen oder theologischen Anschauung" 7 , vielmehr geht es ihm in der Bemühung um vorwiegend ethische Fragen mit ihrer theologischen Grundlegung um „mehr Durchschlagskraft im Predigen" 8 . Dieses Merkmal wird auch später von dem Professor in N e w York gelten und muß bei jeder Beschäftigung mit ihm im Gedächtnis behalten werden 9 . Was dabei dem Pfarrer » H.Hofmann a.a.O. S . l l . Vgl. zum folgenden ebd. S. 10—13, ferner die Intellectual Biography Niebuhrs in RN, S.3ff., vor allem audi Ten Years that Shook my World in Christian Century v. 26.4.39, S. 543 if. (von uns zitiert: Ten Years). Endlich: D.R.Davies, Reinhold Niebuhr, Prophet From America, Modern Christian Revolutionaries Series, London, O.J., S . l l f f . 6 Does Civilization Need Religion, New York 1927 (von uns zitiert: Civ.). « RNS.3. 7 H. Hofmann a. a. O. S. 13. 8 Zit. ebd. S. 12 aus Leaves From the Notebook of a Tamed Cynic, New York 1927, S. 27. 9 Wenn Luther sagt: „Theologia est practica, non speculativa" (WA TR 2, Nr. 1340), so ist das freilich anders gemeint. Und doch hat Niebuhr dies mit Luther gemein, daß 4

22

R. Niebuhr jeden resignierenden Rückzug zu den sicheren Höhen der Religion verwehrt, ist seine intellektuelle Redlichkeit, seine ungewöhnliche Bereitsdiaft zur Selbstkritik. Er erlebt, daß die ihm jetzt so neu und anders begegnende Welt ihre moralisdi-kulturellen Praetensionen sehr wohl mit der Tatsache zu vereinen weiß, daß sie sich der „Führung einer Gruppe von gerissenen Ingenieuren" anvertraut hat, „die für menschliche Relationen wenig Verständnis" hat 1 0 . In der Erkenntnis, daß die Kirche für ihren gegenwärtigen Kampf nicht gerüstet ist, liegt der Schlüssel zur geistigen Aufgabe, die vor R. Niebuhr liegt. Es hebt an mit dem Anliegen, die moralischen Anmaßungen Henry Fords „niederzureißen" u . In direkter Konsequenz werden die Maximen der herrschenden laissez-faire-Weltanschauung angegriffen 12 . Gleichzeitig wird begonnen, den kirchlich-sozialen sowie auch den theologisch-geistigen Leerlauf des christlichen Zweiges des Liberalismus zu enthüllen, ebenso indessen auch den Rückzug der Fundamentalisten auf die absoluten Heilstatsadien als einen Rückzug der Ohnmacht bloßzustellen 18 . Veranlaßt durch die Katastrophe des ersten Weltkrieges weitet sich dann der kritische Blick noch mehr. Nach und nach werden der Naturalismus, der Idealismus und alle „Ismen" vom Sockel ihres Geltungsanspruches heruntergeholt — bis hin zum Marxismus, für den Niebuhr ursprünglich manche Neigung besaß und in gemäßigter Form heute noch besitzt 14 . Kein Wunder, daß dieser Mann die polemische Art am besten beherrscht! Die Destruktion der modernen Weltanschauung ist für ihn kein bloßes Beiwerk einer anderweitig konzentrierten Beschäftigung. Als Christ und Theologe sieht er sich, wie H . Hofmann treffend bemerkt, immer an die Konfliktstelle zwischen Gott und Welt gestellt le , wobei „Welt" für Niebuhr immer die moderne, in so vielen schillernden Abarten gezeichnete, sozial-politische Welt ist. Der Sinn der Niebuhrsdien Polemik besteht darin, an dieser Konfliktstelle Ursachen, Wirkungen und Rettungsmöglichkeiten realistisch aufzuzeigen. Hier nun treffen wir auf den Punkt, der die Nähe Niebuhrs zur Position Luthers kennzeichnet. Dem destruktiven Bemühen um die Philosophien und Ideologien in Geschichte und Gegenwart läuft sein konstruktives Bemühen um die Theologie parallel. Dieses ist geistes-biographisch gesehen von jenem aber den primären Anstoß nicht am Problem geistiger Klärung sondern an dem konkreter Heilsverkündigung erlebt hat. »® R N S . 5 . 11 Ebd. — Vgl. audi den Aufsatz in LJ S. 98 ff. : Wie philanthropisch ist Henry Ford?. 12 RNS.5. 13 Leaves from the Notebook . . . , S. 85. 14 Zur Stellung Niebuhrs zum Marxismus vgl. vor allem G.Hammar a. a. O. S. 182 ff.; auch J. C. Bennett in R N S. 71 ff. Die Erfahrungen in der sozialen Welt veranlassen unter Führung R. Niebuhrs damals viele amerikanische Theologen zu einer Wendling, die unter dem Stidiwort „politische Wendung nach links, theologische Wendung nach rechts" mittlerweile in die dortige Theologiegeschichte eingegangen ist. 15 H. Hofmann a. a. O. S. 14.

23

hängig 16 , breitet sidi jedodi in zunehmendem Maße zur sachlichen Ermöglichung des ersteren aus. Die durch Anregung von sehr vielen Seiten gewonnene Theologie liefert die Erkenntnis, daß das Moment der Korruption, seien die Fronten äußerlich auch noch so divergierend, in allen Konfliktsfällen das gleiche ist. Es besteht in dem Versuch des Mensdien, „Wahrheit" gegenüber Gott und Umwelt immer zur Wahrung, Sidierung, Überhöhung und Rechtfertigung des eigenen Standpunktes zu verwenden. Diese Tatsache entdeckt Niebuhr in jedem speziellen Fall aufs neue. Positiv geht es ihm dann darum, menschliches Geschehen aus der Usurpation göttlichen Anspruches zurückzurufen und gerade dadurch neu zu ermöglichen. Unter diesem Aspekt wird eine Untersuchung seiner Gedanken im Blick auf Martin Luther interessant. Denn Luther konnte seine ganze Theologie knapp zusammengefaßt einem Prediger als Anweisung mit folgenden Worten mit auf den Weg geben: „Halt ihr euer Predig, so sey sie kurtz und gut gethan, und darin deutet an, was weiß oder sdiwartz, was Gott und Menschen Gebot sey." 17 " Vgl. G. Hammar a. a. O. S. 180: Niebuhr „fügt nidit die Sozialethik als einen Unterbau zu seiner Theologie hinzu; er fügt seine Theologie als einen Überbau zu seiner Sozialethik hinzu". Die hier genannte zeitliche Reihenfolge trifft ohne Zweifel den Sachverhalt, weniger wohl die Unterscheidung zwischen Über- und Unterbau. 17 WA BW 3, N r . 701 (1523), S.227, 24—26.

24

2. Kapitel: Das L u t h e r b i l d R e i n h o l d N i e b u h r s Als geeigneter Ansatzpunkt für unsere Untersuchung bieten sidi zunächst die zahlreichen Äußerungen an, die man in Niebuhrs Schriften als explizite Stellungnahmen zu Luther und der Reformation findet1. Diese Äußerungen bewegen sich zwischen solchen positiver Art zur eigentlichen Theologie Luthers und negativer Art zur lutherisdien Sozialethik. — Vorweg sei betont, daß es Niebuhr wirklich um Luther zu tun ist und nicht um jenen sogenannten Urheber des Protestantismus, auf den sidi die moderne Kultur so gern beruft, der aber unter der Maske des Reformators doch eher mit einem beliebigen Vertreter des Humanismus als mit dem Doktor von Wittenberg identisch ist. Hinsichtlich des Verhältnisses der modernen Welt zur Reformation gibt Niebuhr das klare Urteil ab, daß die Sache des Katholizismus zwar diskreditiert, die Sache der Reformation indessen in der „Moderne" einfach verlorengegangen sei 2 . 1. Positiv:

Sünde,

Rechtfertigung,

Freiheit

Niebuhr entdeckt bei Luther einen Ausgangspunkt, den man im Blick auf das Lutherverständnis und seine Geschichte nicht als ausgefallen bezeichnen kann: In den bitteren Erfahrungen der Klosterzeit erfuhr Luther, daß „kein endgültiger Friede durch das Bemühen, Gerechtigkeit zu erlangen, gefunden werden kann" 3 . Als zweites nennt Niebuhr jedodi etwas für ihn sehr Bezeichnendes: Mehr durch historische Beobachtung als durch eigenes Erleben kam Luther zu der Überzeugung, daß „der Anspruch auf Endgültigkeit und Vollkommenheit die Wurzel von geistlichem Hochmut und Selbstgerechtigkeit" sei 4 . Durch das Erlebnis dieses Hochmutes von Seiten Roms erkannte Luther die „Sünde der Gerechten" als die eigentliche Sünde. Sünde wird für ihn die Abwendung des Vertrauens und der Liebe von Gott weg auf den Menschen selbst hin 5 . Der Mensch ist darin zutiefst Sünder, daß er seine Sünde nicht anerkennen will®. Dadurch verliert er Gott und sidi selber: „Der endgültige Be1 Eine zusammenhängende Stellungnahme zur „lutherischen Reformation": The N a ture and Destiny of Man II (von uns zitiert: N D I, bzw. II) S. 185 ff. Kürzere Äußerungen zu Luther sind über das ganze Schrifttum verteilt. Auch in den zusammenhängenden Absatz in N D II gibt Niebuhr keine Gesamtschau Luthers, sondern befaßt sich nur insoweit mit dem Reformator, als dessen Erkenntnisse in seine, Niebuhrs, Fragestellung hineinspielen. — Vgl. zum folgenden: Weichenhan a.a.O. S.103ff.: Niebuhr und die Reformatoren. 8 3 N D II 183. Ebd. 185. 4 5 Ebd. Ebd. I 232. • Ebd. 121.200.

25

weis dafür, daß der Mensdi Gott nicht mehr kennt, ist die Tatsache, daß er seine eigene Sünde nicht kennt. Der Sünder, der sich selbst rechtfertigt, kennt nicht Gott als Richter und benötigt nicht Gott als Erlöser." 7 . Das ist die eine Seite an Luther, die Niebuhr sehr hoch schätzt und bei der er Luther mit dem gleich hochgeachteten Augustin verbunden weiß 8 . Uber Augustin hinaus führte Luther indessen, in dem er „die Tatsache der Sünde als eine fortdauernde Kategorie geschichtlicher Existenz" erklärte und „darauf bestand, daß es keinen Punkt in der Geschichte gibt, wo die Geschichte erfüllt ist und des Menschen Selbstwiderspruch aufhört" e . Als erster hat Luther den Mut und die Einsicht, angesidits des Werkes Gottes in Christus der „augenfälligen Wahrheit" der Geschichte10 einen zentralen Ausdruck in der Theologie zu geben, daß kein Akt und keine Institution von des Menschen Seite aus an der Tatsache vorbeiführen kann, daß der Mensch „in bestimmtem Sinne" Sünder bleibt. „Justus et peccator simul!" Die Macht der Selbstliebe wird durch Christus gebrochen, „kann aber nicht zerstört werden" u , so daß „die Erlösten am Ende ihres Ringens genau so der Vergebung bedürftig sind wie am Anfang, denn unter dem letztgültigen Gesichtspunkt sind die Gerechten ebenso wie die Sünder im Widerspruch zu Gott"12. So wie die Sünde bei Luther „das Ganze des Menschen in Leib und Seele" 1 3 umfaßt, so auch das Heil durch Christus. Die Grundlegung zur Rechtfertigung aus Gnade berührt Niebuhr im Blick auf Luther weniger, er sieht den Reformator hier abhängig von der Mystik 1 4 . Christus ergreift von der Seele des Menschen Besitz in so umfassendem Sinne, daß alle seine Tugenden in diese hineinfließen 15 . Niebuhr weiß, daß diese Gedanken bei Luther nicht auf die imputatio beschränkt bleiben, sondern von regenerativer Bedeutung sind 1 0 . Wie ist das zu verstehen? „Luther gibt uns die tiefgründigste Interpretation des Evangeliums, die uns von allen Illusionen befreit, wie sie im katholischen und freikirchlichen (sectarian) Moralismus vorherrschen." 17 Moralistisch ist für Niebuhr jede Ethik, in der der Mensch nicht von der Transzendenz her 1 8 gefaßt wird, das heißt von dem her, was ihm unverfügbar ist. „Kein Theologe verstand Ebd. 200. Zu Niebuhrs Stellung Augustin gegenüber vgl. vor allem Christian Realism and Political Problems, N e w York 1953, S . 1 1 4 f f . (Englische Ausgabe: Faiber & Faber, London, o. J . Dem V f . liegt diese englische Ausgabe vor. Von uns zitiert: Real). 9 N D I 299. 10 The Christian Witness in a Secular Age, in : Christian Century v. 22.7.53 (von uns zitiert: Witness), S. 841 rechts. 1 1 Alles ebd. " The Self and the Dramas of History, N e w York 1955, S. 120 (Englische Ausgabe: Faber & Faber, London, o. J . Dem Vf. liegt diese englische Ausgabe vor. Von uns zitiert: Seif.) 18 Ebd. 14 N D II 185 ff. 1 5 Ebd. 185. 16 Ebd. 17 S o Niebuhr in einem Brief an Vf. 1 8 Vgl. dazu unten S . 4 6 f f . und 108 ff. 7

8

26

die Unmöglichkeit des Gesetzes der Liebe in einer Welt der Sünde besser" als Luther l e , und eben deshalb war er es, der auf der Grundlage seiner Sicht vom Werke Christi „das tiefgründigste Verständnis des Wesens der christlichen Agape entfaltet" hat 2 0 . Aus dem Fiduzialglauben fließen Liebe und Freude und aus der Liebe ein fröhlich-freiwilliger Geist (Niebuhr zitiert hier die Schrift über die Freiheit). Darin wird die einzigartige, „transzendente Freiheit" der Liebe „über alle Klugheitsrücksiditen der Haltungen natürlich-ethischer Art" deutlich 21 . Dies ist der andere Punkt, an dem Niebuhr sich dem Reformator verpflichtet weiß. In dem Zusammenklang dieser beiden Lehren Luthers, der Knechtschaft der Sünde und der Freiheit der Christen in Glaube und Liebe, schwingt das „Paradox der Gnade" 2 2 und eröffnet sich die Möglichkeit einer dynamischen Interpretation der Geschichte im Gegensatz zum Katholizismus 23 .

2. Negativ:

Der Mangel an

Konsequenz

Trotz dieser hohen Meinung von Luther überwiegen in Niebuhrs Schriften die Sätze kritischer Abgrenzung. Die Kritik beginnt damit, daß der Theologie der Reformation vorgeworfen wird, am Paradox der Gnade nicht festgehalten zu haben. Sie hat sich vom Ausgangspunkt echter evangelischer Dynamik wieder zurückgezogen, und zwar in Richtung dogmatischer Verfestigung einerseits, indem sie das „allein aus Glauben" auf Kosten des „allein aus Gnaden" überbetont hat 2 4 — und in der Richtung einer quietistischen Ethik andererseits, indem bei ihr das „ohne Werke" zu einem „ohne Tat" degenerierte 25 . Der eine Fehler hat sich dahingehend ausgewirkt, daß sie keine ausreichende Antwort auf die Frage der Toleranz geben konnte 2 8 , während der andere Fehler sich in der gesamten Ethik bemerkbar gemacht hat. N u n zu dieser Ethik: Es gelingt Luther nicht, von der Höhe der Transzendenz der Freiheit wieder herabzusteigen, also ein positives Band zwischen der freien Liebe und den Aufgaben praktischer Welt- und Gesellschaftsgestaltung zu knüpfen. Der Christ lebt unbekümmert jenseits „aller sorgfältigen Unterscheidungen des Rechtes (justice), die zum .Gesetz' im breitesten Sinne gehören" 2 7 . Gnade und Gesetz werden rigoros getrennt, was zur Folge hat, das Luther und sein kontinentales Gefolge — es wird auch E. Brunner angegriffen — „gegenüber sittlichen Unterscheidungen indifferent" sind 28 . So verschließt sich die Theologie selbst die Möglichkeit, ein entscheidendes Wort in den Bereich hineinrufen zu können, wo das menschliche Leben sich abspielt, also hinein 1

® An Interpretation of Christian Ethics, New York 1935, S. 162 (Von uns zitiert: Ethic). 20 N D II 187. « Ebd. 126. 22 Vgl. unten S. 117 ff. " Faith and History, New York 1949, S. 129 (von uns zitiert: FH). 24 25 ND II 186 f. Anm. 4. Ebd. 187. 2 27 » Ebd. 226 ff., auch 231. Ebd. 189; vgl. FH 199. 27

„in die unendlichen Schattierungen und Abarten der Mischung von Wahrheit und Unwahrheit, welche die Materie für Wissenschaft und Philosophie, sowie für alles menschliche Ringen um die Wahrheit abgeben" 2e . Aus der dynamischen Interpretation der Geschichte wird eine solche nur negativer Art 3 0 , und jedes Kriterium zur konkreten Beurteilung und Beeinflussung des positiven Gesetzes in Staat und Gesellschaft wird aus der H a n d gegeben 31 . Zu dieser Verfehlung liefert die reformatorische Theologie ein gutes Gewissen. In der doppelten Bestimmtheit durch den Christus pro nobis und den Christus in nobis will die genuine Lehre von der Rechtfertigung „die Seele zur Tat hin befreien" 32 , aber durch die schematische und einseitige Hervorhebung des Christus pro nobis hat die lutherische Lehre den Menschen zur Indolenz ermächtigt 33 . Die Reformation kennt den Christus in nobis praktisch nur für das Individuum, das ganze Werk Christi wird auf den intim-innerlichen Bereich der vereinzelten menschlichen Person beschränkt, während der soziale Bereich auf dem Boden einer naturrechtlichen Begründung und unter dem Gewicht der Sünde stagniert 34 . Man muß demnach über die Ethik Luthers ein doppeltes Urteil fällen: „Luther kommt zu einer eigenartig perversen sozialen Sittlichkeit. Er stellt eine perfektionistisdie Privatethik unmittelbar gegen eine realistische, um nicht zu sagen: zynische Amtsethik." 35 Die großen Möglichkeiten seiner von ihm selbst formulierten Lehre vom Beruf verbaut sich Luther wiederum, indem er diese Lehre mit dem hergebrachten Verständnis des „Standes" verknüpft, so daß zwar die Größe des christlichen Dienstes in der Welt verkündet wird, aber — „es ruht auf dem Christen keine Verpflichtung, soziale Struktur zu verändern, damit sie den Erfordernissen der Bruderschaft besser entsprechen" 3e . Ein noch nicht genannter Grund für diese Fehler Luthers ist die Lehre von der totalen Verderbnis der menschlichen Natur. Mit ihr kann sich Niebuhr an sich schon nicht zufrieden geben 37 , ebensowenig wie mit Luthers Lehre vom geknechteten Willen und der imago 38 . Abgesehen von anderen Einwänden werfen diese Lehren ihren richtenden Akzent gleichfalls unaufhebbar auf den sozial-kollektiven Teil des Lebens in der Welt und bedingen den defaitistischen Charakter der Sozialethik und damit rückläufig die Entleerung so mancher S8

29 N D II 190; vgl. Real 154 . N D II 191. 31 F H 29. Ebd. 185. 82 33 N D II 182. Ebd. 34 Vgl. ebd. S. 197; hier wird auch der Begriff der Schöpfungsordnung in di« Kritik einbezogen, vgl. unten S. 79 f. Zur Gleichsetzung von Sünde und Sozialgeschehen bei Luther in der Sicht Niebuhrs vgl. N D II 249. 35 N D I I 194 f.; vgl. F H 185, Seif 203. Solche Urteile kehren oft -wieder. So auch Christianity and Power Politics, N e w York 1940, S. 49 f. (von uns zitiert: PP). Als „sozialer Defaitist" wird Luther bezeichnet in F H 199 und Real 138. 3 « N D II 193. 37 Vgl. unten S. 68 f. 86 f. Diesbezügliche Stellungnahmen Niebuhrs zu Luther vor allem Ethic 90 f. und mehrfach N D II 265 ff. 38 N D I 244; ebd. 160. 30

28

Begriffe, wie z.B. der Freiheit, die nun nur nodi „Freiheit vom ewigen Zorn Gottes" 3 ® bedeutet. Natürlich kann sich die Scheidung von Individual- und Sozialethik darauf berufen, daß sich der soziale Bereich einer Verwirklichung der Liebe stärker entzieht als die einzelne Person in ihrer Verantwortung und Freiheit. Durch diese offensichtliche Tatsadie ist jedoch der Theologie dieses komplexe Problem erst gestellt, nicht aber bereits gelöst 40 . Jedenfalls bietet die Lösung Luthers großenteils nichts als eine enorme Sdiärfung der Einzelgewissen im Blick auf die Sünde, ohne im sozialen Bereich audi nur eine partielle Besserung versprechen, gesdiweige denn betreiben zu können 4 1 . „So kommen die Heiligen in die Versudiung, in der Sünde fortzufahren, damit die Gnade überhand nehme, während die Sünder sich mühen und abschwitzen, die mensdilichen Beziehungen ein wenig tragbarer und um eine Spur gerechter zu gestalten." 4 2 3. Negativ:

Die beiden Re'uhe

Alle diese Sdiwädien der Sozialethik versteinern sich in der Lehre von den beiden Reichen 4 8 . Solange die lutherischen Kirchen auf diese Lehre sdiworen, haben sie so gut wie keinen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft leisten können 4 4 , die Niebuhr als das entscheidende positive Ereignis in der modernen Gesdiidite betrachtet. Auch Calvin fällt mit seiner „religiösen Reverenz vor politischer Autorität" 4 5 unter dieses Urteil. Während aber der Calvinismus später durdi Einflüsse der frühen Sekten und vor allem durch John Knox zu einer angemessenen Antwort auf die Frage der weltlichen Macht und Obrigkeit kam 4 e , wurde das Luthertum in das Lager der Reaktion getrieben und hat erst durdi seine Auseinandersetzung mit Hitler den Boden dieser Lehre auflockern können 4 7 . Der lutherisdie Konservativismus hat sich dabei auf Rom. 13 berufen können, hat aber diese Stelle einmal gegenüber anderen Aussagen der Schrift einseitig überbetont und zum anderen nicht bemerkt, daß diese Stelle in einem Punkt einfach fehlerhaft ist: Es hat schon viele Herrscher gegeben, die gerade „den guten Werken zu fürchten" waren 4 8 . Zweifellos wird die Lehre von den beiden Reichen durch manche Tatsachen der biblisdien Wahrheit und der geschichtlidien Erfahrung bestätigt. Niebuhr kommt während seines Lebens in zunehmendem Maße zur Anerkennung des Ge»· N D II 193. 4 0 Diesem Problem widmet Niebuhr ein ganzes Buch: Moral Man and Immoral Society, N e w Y o r k 1932 (von uns zitiert: MM). Es ist für die Theologie in den Staaten bezeichnend, daß Niebuhr mit einem Werk zu diesem Thema seinerzeit in die erste Reihe der neuen Theologengeneration rückte. 41 N D I I 1 9 6 . 4 2 Ebd. 197. 4 4 N D II 2 7 8 ; vgl. auch N D I 221. 4 3 Vgl. zum folgenden P P 49 ff. 4 8 Ebd. 188; audi N D II 180. 4 5 Self 189. 4 7 Vgl. Seif 188. 4 8 Stellungnahmen Niebuhrs zu Rom. 13 vor allem Ethic 22 f.; N D I 2 2 1 ; N D II 2 7 0 . 2 8 3 ; Seif 187, weiter in D o the State and Nation Belong to God or the Devil?, Student Christian Movement Press, London, 1937, S . 2 2 .

29

wichtes dieser Tatsachen. Anfänglich sieht er als solche nur die „Unmöglichkeit" vollkommener Liebe in dieser Welt 49 , welche sich im sozialen Bereich als Unmöglichkeit vollkommener Gleichheit ausdrückt 50 . In seinem späteren Buch hingegen kann Niebuhr die Schwärmer der Reformationszeit als „perfektionistisch und utopistisch" 51 bezeichnen, kann er sich gegen politischen Reformismus wenden 82 , kann soziale Ungleichheit nicht mehr nur als notwendiges Übel, sondern als wertvoll in bezug auf die „Zentren der Autorität" 5 3 beurteilen, durch die Gesellschaft integriert wird und kann vor allem Luther Recht geben, der „den politischen oder bürgerlichen Bereidi als ein ,Reich der Sünde, die Sünde in Sdiranken zu halten'"definiert 6 4 . Und doch bemängelt Niebuhr audi jetzt wie eh und je Luthers Mangel an „Unterscheidungsgabe" (discrimination) 55 . Wiederum weist er auf jenen unendlich variablen Zwisdienraum hin, in dem sich das menschliche Miteinanderund Gegeneinanderleben abspielt. Was sidi in diesem Raum ereignet, muß nach Niebuhr von beiden Seiten her beurteilt werden, vom Reich Gottes (amerikanischer Begriff!) und dem der Sünde her. Luther indes wertet es nur vom letzteren her. Daraus ergibt sidi eine übermäßige Angst vor der Anarchie 59 , aus dieser wiederum eine „unchristliche Heiligsprechung" des Prinzipes der Obrigkeit 57 , worauf bauend jede politische Ordnung unterstützt wird, ohne „dem Kriterium ihrer Befähigung zur Gerechtigkeit" 58 unterworfen zu werden und ohne die Gefahr der Tyrannei überhaupt effektiv zu Gesidit zu bekommen 59 . So sdiarf diese Urteile gegen die luthersdie Sozialethik sind — der Punkt der schärfsten und sachlich wesentlichsten Kritik steht noch aus. Daß Niebuhr diese Kritik, soweit idi sehen kann, nur an einer Stelle äußert, ändert nichts an der Tatsache, daß er hier von seinem Standort aus gesehen auf die schlimmste Verfehlung hinweist. In dem Kapitel über „iustitia originalis" grenzt er sidi gegen das historisierend-schematisdie Verständnis von Genesis 3 ab und sagt in dem Zusammenhang: Im protestantischen Denken hat es (sei. das falsche Verständnis von Gen. 3 : Anm. des Vf.) die Tendenz zu übermäßigen Behauptungen bezüglich der Verderbnis des Menschen unterstützt und dias Bemühen, solche Behauptungen zu mildern, durch das Eingeständnis verwirrt, daß ein kleines Maß an Gerechtigkeitsvermögen dem Menschen geblieben sei. Den Rest an ursprünglicher Vollkommenheit nämlich, der dem Menschen zugestanden wurde, identifizierte man fälschlich mit der Befähigung für „bürgerliche Gerechtigkeit" (CA. Art. 18), die doch eine Fähigkeit ist, welche offensichtlich durch die Sünde ebenso korrumpiert ist wie jede andere Fähigkeit' 0 . 49

Vgl. Ethic 101—136, 167—198. 51 Vgl. unten S.180f. Seif 195. 52 93 Ebd. 197. Ebd. 217. 34 55 Ebd. Ebd. 5 57 » Vgl. PP 50. N D II 277. 58 Seif 187; vgl. auch Real 121. Das gleiche Urteil fällt auch J.C.Bennett (RN 55) über das Luthertum, nämlich daß es „Ordnung auf Kosten der Gerechtigkeit" betone. 59 Vgl. PP 50. N D I 268; vgl. audi Seif 246. ä0

30

Wir werden nodi sehen, wie sehr für Niebuhr der Mensch in allen seinen Lebensbezügen als Person vor dem richtenden und begnadenden Gott gefordert ist. Dies gilt gerade von den Lebensbezügen im „zivilen" Bereich des modernen Lebens. Die Katastrophen in diesem Bereich sind darauf zurückzuführen, daß der Mensch sidi hier nidit als Person vor dem richtenden und vergebenden Gott, sondern als Person auf Grund eigener Befähigung gesehen hat, wozu ihm die Lehre von der „iustitia civilis" als Freipaß dienen konnte. Dementgegen will Niebuhr klarstellen, daß es auf dem Feld sozialer und politischer Entscheidungen nachgerade sehr wohl um die Person des Menschen geht. Zur Überwindung aller dieser Schwächen der Reformation und damit zur Wiedererweckung ihrer Kraft für die heutige Welt schlägt Niebuhr eine „Synthese von Reformation und Renaissance" vor* 1 , in der jeweils die Stärke der einen den Fehler der anderen kompensiert. Der illusorische, historische Optimismus kann nur durch die reformatorisdie Wahrheit — und der reformatorische Defaitismus nur durdi eine positive Einstellung zur Dynamik der Geschichte überwunden werden. Da die Bezeichnung „Synthese von Reformation und Renaissance" für das nodi darzustellende Gesamtwerk Niebuhrs programmatiseli ist, erübrigt sidi eine nähere Verdeutlichung an diesem Ort der Untersuchung. " ND II 204 ff.

31

3. Kapitel: K r i t i s c h e W ü r d i g u n g dieses L u t h e r b i l d e s Es hat wenig Sinn, die Auseinandersetzung mit Niebuhrs Lutherbild mit Niebuhr selber zu führen, denn der N e w Yorker Theologe hat sich sein Lutherverständnis nicht selber erarbeitet, sondern hat es von einem anderen übernommen — wie so viele Denker der angelsächsischen Welt. Die Auseinandersetzung mit diesem Anderen ist indessen der neueren Lutherforschung seit langem geläufig. H . Bornkamm schließt seinen Absatz über das Lutherverständnis bei Ernst Troeltsch mit einem Ausblick ab, dem wir unsere Erkenntnis verdanken, der durch die vorlaufende Zusammenstellung des Lutherverständnisses R . Niebuhrs vollauf bestätigt wird und der wegen seiner Wichtigkeit hier zitiert sei: Troeltsch hat . . . einen neuen Typus des Lutherbildes geschaffen: einen Januskopf, der Bewunderung und Anklage zugleich verdient... Die kritische Wirkung ist dabei auf die Dauer die stärkere gewesen. Von Historikern, Nationalökonomen und Journalisten schon um der soziologischen Problemstellung willen viel gelesen und zum Teil auch durch Übersetzung früh dem angelsächsischen Denken nahegebracht, sind Troeltsdis Bücher das große Reservoir der modernen politischen Lutherkritik geworden. J a mehr, aus ihm stammen großenteils überhaupt die Argumente, mit denen in und nach dem zweiten Weltkriege Luther und das Luthertum für Fehlentwicklungen der neueren deutschen Geschichte verantwortlich gemacht wurden 1 . In der Tat, alle Urteile Niebuhrs über Luther leiten sich von Troeltsch her. Schon Troeltsch polemisierte gegen die Darstellung Luthers als „Vater der Moderne" 2 . Vor allem galt für Troeltsch grundsätzlich, daß Luthers Idee „rein aus der inneren Bewegung des religiösen Gedankens" hervorgehe 3 , daß Gnade für Luther eine vom „Glauben anzueignende Gottesgesinnung" sei und daß mit Luther die Religion „in die Sphäre des Gedanklichen, des Psychologischen, des Geistes, aus der des Dinglichen und Substantiellen" 4 trete. Damit war Luthers Glaube bereits als Erlebnis neuer Innerlichkeit charakterisiert, welches eine 1 H. Bornkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte, Heidelberg 1955, S. 73. — Neben E. Troeltsch mag auch der im angelsächsischen Raum viel gelesene Max Weber seinen Teil zum Lutherbild englischer und amerikanischer Denker beigetragen haben. Vgl. ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, 2. (photomech.) Aufl. Tübingen 1922, S.63—83: Luthers Berufskonzeption. Dort liest man auch schon den Gedanken, der Christ habe den Beruf als göttliche Schickung „hinzunehmen" (S. 76 f.) ; er habe also den Beruf nicht als Aufgabe zur Weltgestaltung zu verstehen. 2 H.Bornkamm a.a.O. S.71. 3 E.Troeltsch, Gesammelte Schriften I : Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912, S.432. 4 Ebd. 437 f.

32

reine „Gesinnungsethik" hervorbrachte δ , welche, auf das Individuum konzentriert, „tief in die weltindifferente, dem weltlichen Wesen des Kampfes ums Dasein . . . entgegengesetzte Liebesethik des Evangeliums" β hineinführte — weil Luther biblizistisch dachte. Die Kämpfe gegen die Gegner zur Linken nötigten dann Luther einerseits, das „freie Tor der Verkündigung" zu schließen und das „protestantische Bibeldogma" 7 zu schaffen, und andererseits, die Frage der weltlichen Ordnungen anzugreifen. Diese werden parallel laufend durch göttliche Einsetzung und durch das Naturrecht begründet 8 ; beides bedingt den luthersdien Konservativismus. Nun stellt sich Luther dar als Zeuge einer doppelten Ethik® und doppelten Moral 1 0 . Einerseits hängt der Christ mit den Aufgaben der Welt nur nodi durch seinen Leib zusammen 11 , und andererseits ergibt sich aus der besonderen Fassung des Naturrechts im Obrigkeitsgedanken eine „Verherrlichung der Gewalt um der Gewalt willen" 12 . So steht Luther schließlich in der Nähe Madiiavellis 13 . Soweit das Lutherbild E. Troeltschs. Alle seine Züge finden wir bei R. Niebuhr wieder, wobei allerdings eine charakteristische und überaus wichtige Abweichung festzuhalten ist: Wie wir gesehen haben, schätzt Niebuhr den Reformator so hoch vor allem wegen dessen Lehre von der Sünde. Wenn man sich von diesem Lutherverständnis her neueren Arbeiten zuwendet, so stellt man bald fest, daß die gesamte Lutherforschung seit dem ersten und vor allem seit dem zweiten Weltkrieg sich in der Frontstellung gegen E. Troeltsch eins weiß. Was Wunder, da doch auf Grund dieses Lutherbildes sich folgender Vorwurf Niebuhrs wie von selbst ergeben hat: Die lutherische Reformation ist der besondere Punkt in der Geschichte der Christenheit, wo das Problem des Rechtes (justice) beinahe vollkommen verleugnet worden ist. Deshalb ist es kein Zufall der Gesdiidite, daß der Pessimismus des Nazitums mit seiner Glorifizierung der Gewalt als Prinzip der Ordnung, seiner unbegrenzten Bejahung des Staates, seiner Verleugnung aller Rechtskonzeptionen und seiner Verwerfung aller universalen Grundsätze von Sittlichkeit — auf diesem Boden zu wachsen kam 1 4 .

Es ist nur allzu verständlich, daß lutherische Theologen alles tun, um zu verhindern, daß Adolf Hitler als geistiger Nachfahre Martin Luthers in die Geschichte eingeht. Jedoch wird man die Argumente und vor allem die Belege um so genauer prüfen müssen. Gerade hier aber gab es seit Troeltsch einiges nachzuholen, denn Belege aus Luthers Schriften finden sich bei ihm nur äußerst spärlich 15 . Je mehr die Weimarer Ausgabe zur Vollendung kam, desto besser wurden hierzu die Möglichkeiten. " Ebd. 461, auch 473 ff. * Ebd. 441. 8 7 Ebd. 443. Ebd. 462. 10 Ebd. 488.505.524. • Ebd. 486. 11 12 Ebd. 478. Ebd. 532. 13 14 Ebd. 536. PP 51. 15 Vgl. G.Wingrens (Luthers Lehre vom Beruf, München 1952, S.533) Urteil, daß Troeltsch seine Arbeiten zu Luthers Berufslehre nicht auf eigenen Quellenstudien aufgebaut habe. 3

8134

Neubauer, Gerechtigkeit

33

Wie geht nun die neuere Lutherforschung vor? Dem Verständnis Troeltschs werden nur von einzelnen partielle Zugeständnisse gemacht 1 6 . Im ganzen begegnet dem Lutherbild Troeltschs eine generelle Ablehnung. Im Blick auf die Aufgaben einer lutherischen Sozialethik, oder schon gar speziell einer Staatslehre, ist man sich schon wegen der veränderten Lage in Gesellschaft und Politik klar: „Nach den Jahren der deutschchristlichen Theologie im NS-Staat wird die lutherische Kirche, die andere, die kritische Seite von Luthers Lehre stark herausstreichen müssen." 1 7 Aber gleichwohl wird betont, daß von allen „Einwänden, die gegen Luthers Lehre von den beiden Reichen bislang erhoben worden sind, noch keiner sidi als durchschlagend erwiesen hat" 1 8 . Im Blick auf die Vergangenheit weist man, ohne Zweifel zu Recht, darauf hin, daß die geistigen Wurzeln des Dritten Reiches doch wohl in andere Richtung, weniger zur Reformation hin, verlaufen 1 9 . Nun, das sind alles Vorfeldgefedite. Es durchzieht aber die neuere Lutherforschung ein Arbeitsgrundsatz, der sich als durchschlagende Waffe gegen Troeltsch verwenden läßt: Es wird die Methode als irreführend verworfen, Luther vom Luthertum späterer Zeit her zu verstehen, und genau das hat Troeltsch getan 2 0 . Das grobe Ergebnis seiner Untersuchungen über Luther stand für ihn schon fest, ehe diese Untersuchungen überhaupt begonnen hatten; es war die Frömmigkeit des späteren Luthertums einerseits und die gesellschaftliche Position der lutherischen Amtskirchen im Zeitalter des politischen Absolutismus andererseits. Wäre Troeltsch nicht voreingenommen gewesen bei seiner Behandlung Luthers, die Resultate dieser Behandlung wären ganz anders ausgefallen. Im Gegensatz zu ihm beginnt die neuere Forschung das Werk eines neuen Verständnisses des Reformators mit einer fleißigen und sauberen Erarbeitung der Quellen unter primärer Berücksichtigung der Tatsache, daß Luther sich als Doktor der H l . Schrift verstand. Man rückt die großen biblischen Vorlesungen in den Mittelpunkt der Aufgabe und gewinnt von daher viele neue Einsichten. Es ist nur positiv zu werten, daß man zunächst auf die Gewinnung einer neuen Gesamtschau verzichtet zugunsten der Gewinnung einer Menge von Studien zu einzelnen Problemen der Theologie Luthers. 1 6 So sieht z . B . W. v. Loewenidi (Luther als Ausleger der Synoptiker, München 1954, S. 237/38) in Luthers Lehre von den beiden Reichen die Möglichkeit einer Gefahr im Sinne Niebuhrs. Ähnlich gibt, jedoch mit positiver Stellungnahme, F . Lau (Luthers Lehre von den beiden Reichen, Luthertum, Heft 8, 2. Aufl. Berlin 1953, S. 31) zu bedenken, daß die Scheidung von Person- und Amtsmoral letztlich nicht auf das K o n t o Troeltschs, sondern wirklich Luthers geht. 1 8 Ebd. S. 94. Ebd. S. 95. Vgl. P. Althaus, Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, a. a. O. S.64. Ähnlich F. Lau a . a . O. S. 5 1 : Nur Macdiiavelli ist der Vater des N S Staates. 2 0 Vgl. G. Törnvall, Geistliches und weltliches Regiment bei Luther, München 1947, S. 1 0 5 A n m . 109. — Auch P.Althaus a . a . O . S . 6 0 , unterscheidet zwischen Luther und Luthertum, und die gleiche Tendenz ist in beinahe jeder Arbeit der neueren Forschung zu beobachten. 17

19

34

Das Ergebnis der vielen Veröffentlichungen ist äußerst vielgestaltig, in der Frontstellung gegen Troeltsch zeidinet sich indessen eine Generallinie ab. Weil hier so viele Einzelfragen, deren jede mit Problematik geladen ist, ins Spiel kommen, daß eine detaillierte Darstellung den Rahmen und die Thematik unserer Untersuchung sprengen müßte, beschränken wir uns auf eine Aufzählung der wichtigsten Punkte. 1. Die Zurückweisung des Troeltsdisdien Lutherbildes setzt nicht erst bei der Frage ein, wie die Zwei-Reidie-Lehre zu interpretieren sei, sondern sdion bei dem Punkt, von dem Troeltsdi ausgeht. Er hatte behauptet, mit Luther trete die Religion aus der Sphäre des Sakramentalen und Dinglichen in die des Gedanklichen, Psychologischen, kurz: der inneren Gesinnung 21 . Daß hiermit eine bei Luther gar nicht begegnende Alternative eingeführt wird, sooft auch der Reformator den Gegensatz Innerlidi-Äußerlidi im Munde führt, das ist mit einem einzigen Zitat aus der Schrift: „Daß diese Worte Christi ,Das ist mein Leib' nodi fest stehen" (1527) zu belegen: Aus diesen Sprüchen lernen wir nu, was geist odder geistlich, was fleisdi odder fleischlich heißt: das wir nicht den äugen und fingern nach das fleisdi heißen, das da mag gesehen und gefulet werden, wie die sdiwermer thun und heißen Christus leib ein unnütze fleisch, Sondern, wie idi audi droben gesagt habe, Das alles geist, geistlich und des geists ding ist und heist, was aus dem heiligen geist kompt, es sey wie leiblich, eußerlidi, siditbatilich es ymer sein mag, Widderumb fleisdi und fleisdilidi alles, was on geist aus natürlicher krafft des fleissdis kompt, Es sei wie ynnerlidi und unsichtbar es ymer sey . . . 2 2 .

Diese Worte allein widerlegen die These einer angeblichen Entsakramentalisierung des Christentums durch Luther, und sie beweisen, daß jegliche Psychologisierung des Begriffspaares Innerlidi-Äußerlidi an Luthers Meinung vorbeizielt. Für Luther gibt es keinen, „wenn audi noch so kleinen Raum . . . wo der einzelne Gläubige nur homo spiritualis ist, etwa in seiner Innerlichkeit des Herzens". Luther ist „viel radikaler: Er läßt dem Glaubenden überhaupt keinen, auch nicht einen noch so kleinen Raum, wo er von Natur, Vernunft und Gesetz frei und nur geistlicher Mensch wäre. Diese Radikalität entspricht genau der Radikalität des Sündenbekenntnisses" 23 . Wann immer Luther den Begriff des 21

22 S.o.S. 28 . WA 23, 203, 3—11. W.Link, Das Ringen Luthers um die Freiheit der Theologie von der Philosophie, 2. (unveränd.) Aufl. München 1955, S. 361. — Vgl. auch W. Joest, Gesetz und Freiheit, Göttingen 1951, S. 62 ff. Dort finden sich klare Belege, daß der Befund bei Luther eine psychologische Interpretation der Freiheit eines Christen in der Liebe verbietet. So z.B.: „Ideo autem eiusmodi terror et timor immittitur, ut reipsa experiaris (!), te nondum habere perfectam charitatem, quod cum sentías, non hic resistendum erit, sed quantum potes, accelerandum ad Christum et conandum ut possis in illis terroribus et malis et agnoscere et apprehendere Christum et fidem. Haec autem fides tante debet esse, ut accendatur in nobis diaritas et timor de die in diem magis et magis eiiciatur.. W A 3 9 I , 438, 17—439,5. (2.Disp. gegen die Antinomer, 1538). „De die in diem" von der Furdit zur Liebe hin — das ist der Zustand des Christen, nidit aber eine ekstatische Freiheit. 23

3*

35

Innerlichen gebraucht, umschreibt er mit ihm die nur theologisch zu erfassende Einheit von Weltlichkeit und weltlicher Verborgenheit der Wirklichkeit Christi einerseits 24 und des Christenstandes andererseits 25 . Das „Innere" wird so bei Luther zu einem Hilfsausdruck für das Regiment, das Gott sich selber vorbehalten hat und das eben deshalb weltlich verborgen ist. Demgegenüber bezeichnet „äußerlich" das Regiment Gottes, welches Gott dem Menschen „überlassen" hat 2 6 . Das alles will nicht sagen, daß das psychische Erleben des Menschen keinen Platz in Luthers Denken hat. Wir kennen bei ihm den Begriff der Erfahrung, ja der Christus-Erfahrung. Diese Erfahrung wird so sehr betont, daß sie beinahe identisdi mit dem Heiligen Geist zu sein scheint. Ausgerechnet sie hat jedoch bei Luther ihren Wechselbegriff in dem der radikalen Anfechtung 27 ! Nicht eine innerlich erfüllte Gesinnung steht im Mittelpunkt des Glaubenserlebnisses, sondern der real gegenwärtige Christus mit seiner Gabe der iustitia aliena selber, dessen Wirken menschlicherseits nichts als das Erlebnis ganzer Verzweiflung, Furcht und Leere unterbreitet ist. Wenn man es unternimmt, aus der Distanz geschichtswissenschaftlicher Betrachtung heraus dieses Glaubenserlebnis als Gesinnungsreligion zu umschreiben, so bedeutet das, durch eine phänomenologische Definition um eine sachliche Klarstellung gerade herumzuführen. 2. Durch diese Ergebnisse der neueren Lutherforschung ist die Behauptung einer angeblichen doppelten Moral bei Luther hinfällig geworden. Denn es hat sich gezeigt, daß die individualistischen Aussagen Luthers gar nicht individualistisch verstanden werden dürfen — und von diesem Verständnis leitete sich doch das ganze Mißverständnis Luthers her. Natürlich bleibt der Gesamtbefund bei Luther stehen, aus dem sich das Mißverständnis nähren konnte, dodi eben dieser Befund muß jetzt in einen neuen Gesamtrahmen gestellt werden, in dem er auf neue Art verständlich wird 2 8 . Wer könnte leugnen, daß Luther 24 Vgl. W. v. Loewenich, Luther als Ausleger der Synoptiker, a. a. O. S. 208 ff.: Reich Gottes und Reich Christi, bes. S. 213. 25 Vgl. ders., Luthers Theologia Crucis, München 1929, S. 150ff.: Die Verborgenheit des Christenstandes. 26 G.Törnvall a. a. O. S.93: „Die radikale Scheidung (sei. der Regimente, Anm. d. Vf.) bei Luther kann . . . nidit verlaufen zwischen einer Ordnung für das äußere Handeln und einer inneren Wirksamkeit im Herzen. Luthers Denkweise ist nidit auf diese Art vom Mensdien aus orientiert. Mit spiritualia ist bei ihm nicht eine innere, geistliche Sphäre gemeint, sondern das gepredigte Wort als ein göttliches Regiment über den Mensdien. Deshalb verläuft bei Luther die Sdieidung nicht zwischen einer äußeren, natürlichen Wohlfahrtsordnung und einer spiritualen, inneren Sphäre, wie Seeberg meint, sondern zwischen zwei verschiedenen Arten von Herrschaft, einem göttlichen und einem dem Menschen überlassenen Regiment." 27 Vgl. dazu auch Regin Prenter, Spiritus Creator . . . München 1954, S.67ft\: Der Heilige Geist und die Christuserfahrung. Audi P. Bühler, Die Anfechtung bei Luther, Zürich 1942. 28 Wie wichtig ein solches neues Verständnis ist, zeigt sich daran, daß Niebuhr mit seinem Ansatz zum Verständnis Luthers den Reformator notwendigerweise verfehlen muß. In seinem Absatz über die lutherische Reformation zitiert Niebuhr Stellen aus dem großen Galaterkommentar (ohne genaue Angabe der Belegstellen). Die radikale

36

zwischen Privat- und Amtsperson unterscheidet29? Bei näherem Hinsehen ergibt sich hingegen, daß die Forderung an die Privatperson nicht „perfektionistisch" sowie an die Amtsperson nicht „realistisch, um nicht zu sagen zynisch"30 ist. Vielmehr geht es Luther bei dieser Unterscheidung um die „sachgemäße Verwirklichung des Doppelgebotes der Liebe" 31 in einer Welt, die auf zweifache Weise der Herrschaft Gottes unterliegt. Beispiele solcher Fehlinterpretationen, wie sie der älteren Lutherforschung unterlaufen sind, ließen sich vermehren! 3. So erstaunlich es klingt, ausgerechnet die in solch argen Mißkredit geratene Lehre von den zwei Reichen oder Regimenten hat sich als der Rahmen herausgestellt, in dem ein neues Verständnis der Lehre Luthers, soweit sie uns hier betrifft, sich entfalten kann. Es hat sich gezeigt, daß — sicherlich für Luther, aber vielleicht auch für die Theologie allgemein — „alle Versuche, die Schöpfung zu verstehen, unter Außerachtlassung des Regimentsgedankens in die Irre führen" 32. In bezug auf die Interpretation der Lehre hat sich allerdings vieles entscheidend gewandelt, a) Sie wird zunächst einmal theologisch einfach wörtlich genommen. G. Wingren urteilt über die älteren diesbezüglichen Arbeiten sehr scharf; sie setzten alle voraus, daß es sich in ihr bei Luther „nur um Gedanken, nicht um einen realen, handelnden Gott handelt. In Luthers Glauben an Gott wird dies einfach und völlig unzusammenhängend" 33. (Nebenbei: Auch Niebuhr wird von diesem Vorwurf getroffen, wenn er bemängelt, bei Luther bedeute Freiheit schließlich nur noch Freiheit vom Zorn Gottes. Wenn Gott wirklich Gott ist, was kann dann Freiheit mehr sein als Freiheit vom göttlichen Zorn 34 ?) b) Wenn das Verständnis der Lehre von den beiden Reichen bei dem Herrschafts- und Liebeswillen des einen Gottes und Herrn ansetzt, der seine eine Schöpfung um seiner einen Liebe willen auf zweifache Art beansprucht, fällt eo ipso die mißliche Notwendigkeit fort, diese Lehre unter dem Gesichtspunkt eines geteilten „Ethos" betrachten zu müssen3ä. c) Von dem neuen Ansatz her Scheidung zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen irdischer und himmlischer Gerechtigkeit nimmt Niebuhr zum Anlaß, über die „vollständige Trennung zwischen der endgültigen Erfahrung der Gnade und all den proximativen Möglichkeiten der Freiheit und des Rechtes, die in der Geschichte errungen werden müssen", bei Luther Klage zu führen. Kein Wunder! Von seinem Ansatz aus kann Niebuhr ja die Tatsache gar nicht zur Kenntnis nehmen, daß Luther sich in dieser Schrift auf der Ebene der Rechtfertigungsfrage bewegt und hier Gesetz und Evangelium gerade deshalb radikal unterscheidet, um dem Menschen die Möglichkeiten irdischen Rechtes, nun frei von der Rechtfertigungsfrage, erst zu eröffnen. Vgl. N D II 192 f.; WA 40 I, 114, 13 f.; 424,11; 538, 19 f. u. a. » Am deutlichsten WA 32, 316, 15 ff. (Wochenpredigten über Mt. 5—7, 1530/32). 80 S . o . S . 28. 81 G. Fords, Die Königsherrschaft Christi und das Handeln des Christen in den weltlichen Ordnungen nach Luther, KuD, 3. Jg. Heft 1, 1957, S.30. 82 G.Törnvall a.a. O. S. 59 Anm.67. Die religiöse Wahrheit ist für Luther nur in den zwei Regimenten zu fassen. Vgl. ebd. S. 35. 88 84 Vgl. G.Wingren a.a.O. S.53. S.o.S.28f. 85 G.Törnvall a . a . O . S. 100, urteilt gegen Holl, er verletze die Integrität der Schöpfung, wenn er aus dem Unterschied Weltlich — Geistlich den eines niederen und eines

37

erschließen sich zwei wichtige Erkenntnisse. Einmal: Omnia bona sunt, sed sunt in abusu 3 9 . (Wiederum nebenbei: Wie kann Niebuhr Luther einer pessimistischen Welt- und Geschichtsansicht anklagen 3 7 , wo doch dieser Satz „die Grundregel" ist, „die Luther ständig festhält" 118 ? Wie wir noch sehen werden, gibt seine Lehre ihm nicht die Mittel in die Hand, sich so unumschränkt zur Güte der Schöpfung zu bekennen 3 9 .) D i e Integrität des Willens Gottes und der Schöpfung werden gewahrt, das Gewicht der Sünde fällt nur auf den Menschen 40 . Zum andern: „Sunt distincta bona, sed non in diversis locis." 4 1 Die Lehre scheidet nicht die Reiche, sondern unterscheidet sie gerade um des Wirkens Gottes an dem einen Menschen willen. Sie ist Ausdruck der Offenbarungsentfaltung für den einen, ganzen Menschen zür Überwindung seiner Sünde. Gott schafft konkret Erlösung und schafft Erhaltung um der Erlösung willen. So manches Mißverständnis der Lehre von den zwei Reichen — u. a. auch das R . Niebuhrs — geht selber unbewußt von einer wirklich schlimmen Zwei-Teilung aus, nämlich von der stillen Voraussetzung, Gott schaffe Erlösung, der Mensch aber Recht. Für Luther ist Gott allein es, der auf zweierlei Art sein Geschöpf einerseits nicht aufgibt und andererseits rettet 4 2 . 4. Nunmehr erst fällt der Blick auf den Menschen. Sogleich erinnern wir uns an einen der Vorwürfe Niebuhrs: Tatsächlich, nach allem, was eben entfaltet wurde, fällt dem Menschen eine durch und durch passive, tatenlose Rolle z u 4 8 . I n beiden Regimenten gibt Gott seine „mehrgestaltige Gerechtigkeit" 4 4 als reines Geschenk. Das gilt ganz und gar von der im geistlichen Regiment dem Menschen zuteil werdenden Gerechtigkeit Christi: „Christiana iustitia est mere contraria, passiva, quam tantum recipimus, ubi nihil operamur sed patimur alium operari in nobis scilicet deum." 4 5 Aber das gilt auch von der weltlichen Gerechtigkeit, „quia ipsa iusticia operum est quoque donum dei, ut omnia o p e r a " 4 6 . Auch in ihr, „quae ex nobis fit"47, soll der Mensch Gott als allein Handelnden sehen — dem Augenschein zum Trotz. Es kommt in der T a t alles darauf an, daß der Mensch diese umfassende Passivität lerne. Gleichwohl wäre es ein arger Schnitzer, wollte man Luther des Quietismus bezichtigen — höheren Ethos macht, denn damit verlege er den O r t der Sünde aus dem Menschen in die Schöpfung. Ebenso ist gegen Troeltsch zu sagen, mit seiner Konstatierung eines doppelten Ethos bei Luther klage er diesen an, die Integrität des einen Willen Gottes verletzt zu haben. 37 *· W A 40 II, 2 0 3 , 8 . S.o.S.28. 3 8 G. Törnvall a. a. O. S. 63 Anm. 80. » S. unten S . 8 7 f . und 125 f. zu Anm. 156. 4 0 Vgl. audi E.Wölfel, Luther und die Skepsis, München 1958, S. 119ff.: Der Ort der Eitelkeit. Der Absatz schließt mit dem Lutherzitat: „Damnare res ipsas est stultum et impium . . . Quae deus fecit, ut essent bona . . . , ipse adfectus est damnatus" (ebd. 124) WA 20,10,13.28. 4 1 W A 4 0 I, 663, 8 f. « Dazu mehr unten S. 138 ff. und 194 ff. 4 4 W A 4 0 1 , 4 0 , 4 f. « S . o . S . 27. 4 8 Ebd. 41, 3 — 5 . « Ebd. Zeile 1 f. 4 7 Ebd.

38

wie leider geschehen. „Die passivitas, die Luther meint, ist nicht ein gelassener Verzicht auf das Werk, sondern ein Dürsten nach dem Werk, nach Gottes W e r k . . „ J e n e r Nullpunkt des Menschen, . . . ist nidit zugleidi der Ort, an dem eine menschliche, nämlich die quietistische, Möglichkeit gegen eine andere menschliche, nämlich die aktivistische, Möglichkeit heilig gesprochen wird. Er ist der Quellpunkt eines Neuen, . . . das zuletzt weder mit activitas noch mit passivitas begrifflich zu etikettieren, sondern eben ein Anderes und Neues ist, weil es von Gott her kommt." 4 8 Mit anderen Worten: Wann immer Luther passivitas fordert, tut er das auf der Ebene der Rechtfertigungsfrage, fordert er sie gegen die activitas der sündigen Gesetzes-Gerechtigkeit 49 , deren Uberwindung der Glaube ist. Kurz: Passivität ist nicht ein Merkmal des Christen in der Welt, sondern dessen Voraussetzung. Ist indessen der Glaube als bejahte passivitas angesidits des im geistlidien Regiment geschehenen Wirkens Christi aufgerichtet, so hat sich damit dem Menschen die Tür zur unverfälschten weltlichen Aktivität erst aufgetan 50 . Durch den Glauben wird der Mensch in die Kraftlinien des Handelns Gottes zur Welt hin hineingerissen. „ . . . fides non est lex nec factio legis, sed aliud, quod praerequiritur, antequara fuit lex. Fides perpetuo vivificat, iustificat, non manet otiosa, sed incarnatur et fit homo." 51

Der Glaube ist dabei tatsächlich „divinitas in opere" 52 , durch ihn gewinnt der Mensch die Integrität, die Gott eigen ist und die Gottes Schöpfung nie verloren hat. „Proinde non est admittenda separatio Justitiae Fidei et operum, quasi sint duae diversae Justitiae more Sophistarum. Sed est urna Justitia simplex fidei et operum, sicut Deus et homo una persona, et anima et corpus unus homo." 53

Kann man denn zwischen Schöpfung und Sünde besser und konkreter unterscheiden, und kann man die regeneratio des Menschen aus Gottes Kraft geschlossener darstellen als Luther es im Rahmen seiner Lehre tut? Wo bleibt ferner vor diesem Befund die behauptete doppelte Moral? Wie kann man schließlich sagen, Luther habe mit seiner Überbetonung des Glaubens in der Rechtfertigungsfrage auf Kosten der Gnade in die spätere Orthodoxie übergeleitet 64 ? Ganz anders doch: Gnade und Glaube als Wechselbegriffe bei Luther leiten unmittelbar in die Ethik ein, — und das ist doch genau das Anliegen Niebuhrs selber! 48

W. Joest, Gesetz und Freiheit S. 26 f. Vgl. R. Bring, Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium, Ev. Lutherjahrbudi 1957, S. 22. 50 Vgl. zum folgenden vor allem R. Bring, Das Verhältnis von Glauben und Werken in der lutherischen Theologie, München 1955. 51 WA 401, 426,10—427,1; ähnlich audi schon WA 1,140. »2 WA 401,417,7. 53 WA 30 II, 659,4 ff. 54 S.o.S. 27. 49

39

Zwei Sätze Luthers folgen sadilidi unmittelbar aufeinander: „Christianus est homo mere passivus non activus" 65 und: „Christianus non fit per opera, sed facit opera." 5 9 Denn: „Nur der Glaube, der ohne jedes Werk das Werk Gottes an ihm erleidet, kann die Werke auf Erden tun, die Gott gefallen." 57 Die Werke sind der „Ausdruck des Glaubens in das Äußere" 68 . Damit ist der Mensdi vor Gott und in der Welt umfassend beschrieben. 5. Was bleibt nun noch übrig? Da ist zunächst Niebuhrs gewichtiger Vorwurf gegen Luthers „iustitia civilis" 89 . Dazu Luther selbst: Si sum in regno rationis, edifico domum, custodio vaccas, Ibi fació, quantum possum; ibi excusatus.Da ghorts hin dictum: quantum;debet facere — in politico et oeconomico, non sic in regno spirituali. Homo hie nihil facere potest, quia est servus peccati. In oeconomica non est servus vaccae. Non debent politica dicta trahi in ecclesiam... Distinguo naturalia contra spiritualia. spiritualia sunt extincta in homine impío et diabolo; ibi nihil, quia voluntas adversaria, inimica dei. Naturalia sunt integra, concedo; homo in impietrate mersus et servus diaboli habet potestatem edificandi domum, gerendi magistratum — quae sunt homini subiecta, Gen. 1. Ista generalia non adempta, quia oeconomia et politia. Ergo possunt coram deo hoc et hoc facere. — Ipsi confuderunt politia cum ecclesiastàcis; nostrum est ipsa purgare et doctrinam. quidquid istorum dictorum est — sunt vera de humano regno. Sie ziehen in regnum dei, negamus per totum, quia sumus in peccatis . . . M

Es sdieint also zu stimmen: Für Luther ist der Mensdi in seinem weltlichen Handeln frei und kann seiner Vernunft folgen. Genau das bestreitet Niebuhr. Er würde im Blick auf obiges Lutherzitat wohl einwerfen, daß dodi wohl zwischen Kühe-Hüten und heutiger „politica" ein gewisser Unterschied zu machen sei, was sich daraus erweise, daß der Mensch zwar nicht ein Sklave der Kuh, bei seinem weltlichen Handeln indessen dauernd ein Sklave der Ideologie wird 6 1 . Das ist ein scharfer Vorwurf, und doch entdeckt man bei näherem Hinsehen, daß Luther gegen diesen Flankenangriff sehr gut geschützt ist. Warum kommt Luther, nachdem er die Freiheit der Vernunft zur Weltgestaltung konzediert hat, sofort auf seine immer wiederkehrende Unterscheidung von naturalia und spiritualia? Doch deshalb, weil er bei allen Gegnern erlebt hat und in dem Herrschen der Sünde die Erklärung dafür findet, daß der Mensch das kleinste Zugeständnis an Freiheit nicht vertragen kann; er nimmt das Zugeständnis der ganz neutralen, ihn als Person gar nicht betreffenden Freiheit in 88

WA 34 II, 414,4. WA 11, 35,30; vgl. W. v. Loewenich, Luther als Ausleger der Synoptiker S. 169. 57 H. J. Iwand, Glaubensgereditigkeit nach Luthers Lehre, 2. Aufl. München 1951, S. 50. 88 R. Bring, Das Verhältnis von Glauben und Werken S. 15 u.ö.; vgl. audi WA 2, 492,20. 89 S.o.S. 30 f. WA 401, 292,6—294,2. In der Handschrift ist manches verkürzt und undeutlich, was der Drude jedoch klärt. 61 Dazu mehr unten S. 61 u.ö. In das, was Luther mit „Kühe-Hüten" und Verwaltung des Magistrates bezeichnet, kann man die ganze moderne und verwickelte Problematik in Wirtschaft und Politik einbeziehen; es ist alles regnum humanum. 8,1

40

naturalibus sofort zum Anlaß, diese Freiheit ins Absolute auszudehnen, nämlich auf seine Stellung vor Gott. Dadurch wird die Freiheit in Weltdingen nicht verdorben, sie ist und bleibt gottgegeben. Hingegen der Mensch selbst und sein Werk wird verdorben, denn er betreibt jetzt seine Weltgeschäfte als Geschäft seiner Rechtfertigung und macht sidi dadurch mitten im weltlichen Engagement des „harrendissimum peccatum non velie iustificari per Christum" 62 schuldig. Nur durch die Unterscheidung von spiritualia und naturalia kann er davon frei werden; nur die passiv hingenommene Gerechtigkeit Christi befreit ihn davon, die iustitia civilis als seine und als seine personale iustitia zu verstehen und damit zu verfälschen. N u r bei Anerkennung der iustitia Christi als „Gerechtigkeitsmoment" der iustitia civilis wird diese für den Menschen in tatsächlicher Freiheit vollziehbar. Man darf eben die beiden Regimente bei Luther nie getrennt voneinander betrachten, wie Niebuhr das in seiner Kritik an der iustitia civilis tut. Wir werden noch sehen, wie nahe er selber dem Denken des editen Luther steht 63 . Kurz: In der iustitia civilis ist der Mensch freie Person, der allein und immer wieder nur durch die iustitia Christi Person wird· 4 . Durch Erhebung des apersonalen Charakters der iustitia civilis stellt Luther deren echten personalen Bezug wieder her. 6. Wir kommen nun zu dem weiteren Vorwurf Niebuhrs, Luthers Lehre, audi seine Lehre vom Beruf, habe sidi in Richtung einer Erstarrung des Bildes und Flusses der Geschichte ausgewirkt. Auch nach Thielicke besitzt bei Luther „das Liebesgebot in den Ordnungen nur noch eine positiv motivierende, nicht aber in Frage stellende Funktion"® 5 . Zweifelsohne lebt und denkt Luther in einer ständisch noch gebundenen Welt, die unsrem Zeitalter fremd gegenübersteht. Gleichwohl, — geht man davon aus, daß der Begriff des Standes bei «2 W A 4 0 1 , 3 0 0 , 7 f. 93 Vgl. dazu bes. die Lehre von der Sünde, unten S. 59 ff. ,4 Zum folgenden bes. G. Törnvall a . a . O . S. 136ff.: Iustitia Christiana und iustitia civilis. D e r Ausdruck „Gerechtigkeitsmoment" begegnet ebd. S. 150. Vgl. ferner R. Bring, Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium S. 31. Weiterhin zum Fragenkomplex: E . W o l f , Politia Christi in „Peregrinario", München 1954, S . 2 1 4 — 2 4 2 , b e s . S . 2 3 7 ; Joh. Heckel, Lex Charatatis . . . München 1953, S . 7 1 — 9 9 ; R.Bring, D a s Verhältnis v o n Glauben und Werken S. 105: D i e iustitia civilis hat „außerhalb des Gebietes der Rechtfertigung" ihren Platz. ,s H . Thielicke, Theologische Ethik I, Tübingen 1951, S.601. Unter Berufung auf W A 19, 637 sekundiert H . R . G e r s t e n k o r n , Weidich Regiment zwischen Gottesreich und Teufelsmadit, Schriften zur Rechtslehre und Politik, Bd. 7, Bonn 1956, S. 150 f. — Das Urteil ThieKckes ist sachlich nicht ganz klar. Soll das Liebesgebot die Ordnungen in Frage stellen? Doch wohl kaum, denn beide haben v o n Gott her und zu Gott hin das gleiche zu tun. Soll das Liebesgebot den Menschen in den Ordnungen in Frage stellen? D a s ist ja sein eigentlicher Zweck bei Luther. So betrachtet besitzt das Liebesgebot eine ungemein kritische Funktion, denn es treibt zu Christus, durch den die Freiheit erbracht wird, aus dem festgefahrenen status quo heraus in O.rdnung und Recht die Vernunft z u gebrauchen. Man darf eben nie den zweifachen Regimenten-Gedanken außer acht lassen.

41

Luther nicht in sich selber abgerundet ist, sondern nur von Gottes Wirken her zu begreifen ist, dann lautet das Ergebnis überraschend anders: Jede larva für Gott ist ein . . . verkörperlichtes Gesetz: Eltern, Nachbarn usw. Das Gesetz ist eine Summe von lebendigen Punkten. Das Gesetz fordert darum ständig etwas Neues und Unerwartetes: Man wird niemals fertig mit demselben, es kann vielmehr jederzeit seinen anfechtenden Charakter zurückbekommen. Wenn die Liebe des neuen Menschen hinabsteigt in die Welt des Gesetzes, dann geht sie also hinab in eine von vornherein offene Welt, eine Welt, in der die persönliche Initiative schon vorher zu Hause ist· 6 .

Luthers Gegnerschaft gegen jeden Rigorismus eines starren Rechtssystems ist ja bekannt 67 . Er weist vielmehr den Christen an, in Demut und mit Hilfe der Vernunft eine Balance zwischen dem, was das Gesetz fordert und dem, was jede Situation an Neuem mit sich bringt, zu findenββ. Wenn E. Wölfel sagt, es gelte bei Luther „ja nicht das Maximum an starren Rechtsforderungen, sondern das Optimum an realisierbarem Redit aufzubauen, soll der Welt nach Möglichkeit aufgeholfen werden" ββ , so trifft das zu bis auf ein Wort: Der Gedanke, weltliches Recht sei etwas Aufzubauendes, kommt bei Luther nicht zum Tragen. So hervortretend sein Sinn für den Wandel der Situationen war 7 0 , die Tatsache, daß der Mensch radikal verändernd in die Rechts- und Gesellschaftsstruktur eingreifen könne, wie man es mittlerweile erlebt hat, war ihm in seiner Zeit nodi nicht geläufig. Trotzdem kann man diese Tatsache als Erkenntnis der neueren Geschichte sehr wohl mit der Sicht des Reformators vereinen. 7. Zuletzt wollen wir kurz Niebuhrs Kritik an Luthers „Obrigkeitshörigkeit" und „Machtverherrlichung" berühren. Es sei gestattet, daß wir uns an dieser Stelle auf kurze Bemerkungen beschränken, da eine eingehendere Behandlung der hier berührten, sehr komplexen Probleme an einem späteren Punkt der Arbeit vonnöten sein wird 7 1 . Niebuhrs Blick ist hier durch zweierlei beeinflußt: Einmal orientiert er sich primär an Luthers Worten gegen die Bauern, und zum andern überträgt er auf die Zeit Luthers Gesichtspunkte politischer Wertung, die in der kontinentalen Geschichte erst mit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts aktuell geworden sind 72 . Hören wir Luther selbst: •7 Z . B . W A 17 II, 9 2 , 1 2 . "« G. Wingren a.a.O. S.95. M „Quantum potes, sustenta legem, et quantum potes, moderare legem, ne velis omnia rigidissime servari, ñeque frangere tedio. Sed time tantum Dominum et is recte te omnia docebit." W A 2 0 , 1 4 8 , 1 0 ; vgl. Wölfel a.a.O. S. 229. ·* Ebd. S. 228. In der dort angegebenen Belegstelle liest man bezeichnenderweise „conservare": W A 2 0 , 1 4 6 , 1 3 . 7 0 Vgl. unten zum Begriff der Billigkeit bei Luther S . 1 9 2 . 199 f. 71 Vgl. dazu unten S. 201 ff. 7 8 Beides wird sehr deutlich N D II 194. Niebuhr zitiert hier nur die Schrift gegen die Bauern! Zum andern kritisiert er, daß Luther gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit die Bauern nur als „private Bürger" betrachtet habe. Natürlich trifft die Unterscheidung vcjn Obrigkeit und Bürger als Unterscheidung zweier Stände der Gesellschaft auf uns nicht mehr zu. In Luthers Zeit jedoch gab es gar keine Alternative zur ständischen Unterscheidung von Obrigkeit und Untertan, was durch die Art, wie die

42

Das heißt er (sc. Jesus, Anm. d. Vf.) aber zween herrn, die da widdereinander sind, nicht die da miteinander regiren, Denn das ist nicht widdereinander, wenn ich dem fürsten odder dem Keiser und Gotte auch dine, Denn es geht ordentlich von einem auff den andern, das wenn ich dem untersten gehorche, so diene ich dem obersten auch (Wodienpred. zu Mt. 5—7, 1530/32) 73 .

Niebuhr würde diesen Worten widersprechen, wenn sie zum Grundsatz der Verkündigung der Kirche und des praktischen Handelns des Christen dem Staate gegenüber würden. Aber so sind sie von Luther audi nicht gemeint, denn „das predigt ampt ist nicht ein hofe diener oder bauern knedit" 7 3 ! Es ist nidit auffrhürissch . . . die öberkeit straffen, wo es geschieht . . . durch . . . Göttlich befohlen a m p t . . . öffentlich frey und redlich, Sondern es ist eine löbliche, edle, seltzame tugend und ein sonderlicher großer Gottesdienst... Das were viel mehr auffrhürissch, wo ein prediger die laster der öberkeit nicht straffet, Denn damit macht er den pöbel böse und unwillig und sterckt der tyrannen bosheit und macht sich der selbigen aller teilhafitig und selbschüldig74.

Angesichts dieser Worte bleibt von der unkritischen „Heiligsprechung" des Prinzipes der Obrigkeit bei Luther nichts mehr übrig. Freilich spricht Luther die Aufgabe der Kritik an den Herrschenden exklusiv dem Predigtamt zu; er tut das aber doch deswegen, weil diese Kritik nur auf diese Art Relevanz beanspruchen kann. Man kann also obiges Zitat aus den Wochenpredigten zu Mt. 5—7 zunächst nur so verstehen, daß Luther hier sagen will, die Doppelheit von Glaubensgehorsam vor Gott und bürgerlicher Existenz in der Welt falle nicht unter das Veto von Mt. 6,24. Positiv ausgedrückt: „Für Luther sind das Leben aus dem Wort und das Leben in der Welt nicht zwei konkurrierende und erst in ein positives Verhältnis zu bringende Wirklichkeiten, vielmehr ist die Welthaftigkeit als solche durch das Geschehen des Wortes Gottes selbst g e s e t z t . . . Der Glaubende ist nicht Bürger neben . . . oder vor seinem Gehorsam gegen das Wort, sondern er ist es durch diesen Gehorsam. Im Glaubenden sind zwei Personen nach der Art, wie in Christus zwei Personen sind." 75 Auch bei der Bejahung der Obrigkeit auf Grund von Rom. 13 geht es Luther zunächst einmal um diese Welthaftigkeit der Existenz des Christen 76 . Daß Luther als Hauptproblem dieser „Welt", in die der Christ gestellt ist, dann immer wieder die Bauern ihren Krieg geführt haben, bewiesen sein dürfte. — P. Althaus (Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik S. 67) knüpft an die Erkenntnis, daß der moderne Staat etwas anderes ist als Luthers Obrigkeit, den Satz: „Daher hat Luther in seiner Staatsauffassung keinen Raum für eine sozialkritische und mitgestaltende Aktivität der christlichen Gemeinde, keinen Raum für anderen Widerstand als den leidenden." 73 WA 11, 262. 74 WA 31 1,197,29—198,2; der 82.Psalm ausgelegt, 1530. Vgl. dazu W.Brunotte, Das geistliche Amt bei Luther, Berlin 1959, S.95ÍÍ., bes. 98 f. 75 W.Link, Das Ringen Luthers S.373. 76 Sehr bezeichnend WA 43, 214,3ff.: „Hae sunt verae mortificationes, quae non fiunt in desertis locis extra societatem hominum, sed in ipsa oeconomia et politia."

43

Frage der weltlichen Gewalt theologisch diskutiert, ist gewiß eigenartig. Indessen werden wir eben diesem Tatbestand und dieser Fragestellung überraschenderweise bei seinem Kritiker Reinhold Niebuhr wiederbegegnen 77 . Mag nun die Antwort des Amerikaners gleich oder anders lauten, wir können den Faden erst dann wieder aufnehmen, wenn wir seine Lösung vernommen haben. Zusammenfassung: Unsere geraffte kritische Würdigung des Lutherbildes Reinhold Niebuhrs hat ergeben, daß eine Diskussion nicht bei seinen Äußerungen zur Lehre des Reformators ansetzen kann, da sein Lutherbild durch die neuere Lutherforschung in allen entscheidenden Punkten sich als korrekturbedürftig erwiesen hat. Seine echte Stellung zu dem Reformator muß anders erarbeitet werden. Nunmehr stellt sich diese Arbeit die Aufgabe, die theologischen und sozialethischen Gedanken Niebuhrs in systematischem Zusammenhang darzustellen, um an einzelnen, ausgewählten Punkten seine eigentliche Konfrontation mit Luther vollziehen zu können. Dabei will diese Untersuchung zeigen, daß Niebuhr in vielem dem reformatorischen Denken nähersteht, als er selber meint. 77

44

S. unten S. 175 ff.

2. T E I L

Die Theologie und Sozialethik Reinhold Niebuhrs im Blick auf Martin Luther I m Z e n t r u m der G e d a n k e n N i e b u h r s steht d e r Mensch „als M i t t l e r zwischen G o t t u n d Gemeinschaft", als D r e h p u n k t zwischen T h e o l o g i e u n d theologischer Sozialethik, als „ V e r b i n d u n g s - u n d Konfliktstelle der H i n w e n d u n g G o t t e s z u r G e m e i n s c h a f t " 1 . Dieser T a t s a c h e eines anthropologischen H a u p t a n l i e g e n s

bei

N i e b u h r k a n n eine U n t e r s u c h u n g seiner G e d a n k e n n u r d a d u r c h gerecht w e r d e n , indem sie ihrerseits die A n t h r o p o l o g i e im eigentlichen Sinn z u m r o t e n F a d e n ihrer selbst m a c h t 2 ' 3 . 1 H . H o f m a n n , a . a . O . , S . 2 8 . 2 9 . — Vgl. auch W . J . W o l f in R N 2 3 0 : „Niebuhr macht eine Lehre, brillant bis in die Tiefe ausgelotet, zur Basis seines ganzen Denkens . . . " , nämlich seine Anthropologie. 2 Hier schon trennt sich unsere Untersuchung von der kürzlich erschienenen Arbeit Sii.C.Guthries a . a . O . In ihrer Prägnanz und Straffheit ist diese Arbeit sehr gut. Guthrie versäumt indessen, Niebuhrs Ethik sachlich auf seine Anthropologie zurückzuführen. Bei Guthrie steht Niebuhr ganz unter der Fragestellung des ethisdien Problèmes, unter der Spannung zwischen absolutem Gebot und relativer weltlicher Möglichkeit (S. 13). Unter dieser Überschrift dringt Guthrie schon einigermaßen in das Denken Niebuhrs ein und kann Kritik am „theologischen Charakter" dieses Denkens üben. Im zentralen Bereich tut diese Kritik indessen Niebuhr manches Unrecht an. Das ganze Budi hindurch befragt Guthrie die Schriften Niebuhrs danach, was der Mensch außerhalb und der unter der Gnade „kann oder nicht kann" und wartet vergeblich auf eine schlüssige Antwort. „Anstatt durch die Begrenzu s , e n des Menschen hindurdizubredien und diesem neue Möglichkeiten zu geben, so. 'int Niebuhrs Christologie durch das bestimmt zu sein, was der Mensch von sich aus zu wissen und zu tun vermag oder nicht vermag" (S. 132). Unsere Untersuchung hofft zeigen zu können, daß Niebuhrs Lehre im tiefsten dem Mensdien helfen will zu erkennen, wer er ist! Uber die Arbeit von Guthrie vgl. den Schlußteil unserer Untersuchung. 3 Zu unserem Vorgehen und der Aufgliederung des Stoffes: Es wäre gut, wenn wir eine Klarstellung der Denkvoraussetzungen und -methoden Niebuhrs vorausschicken könnten. In dieser Beziehung gleicht Niebuhr jedoch mehr einem Prediger als einem Wissenschaftler. E r kommt seinem Wortauftrag immer ohne Vorrede nach. Daher müßte eine solche Klarstellung, an den Anfang gestellt, allzu viel vorwegnehmen, was erst später belegt werden kann. Außerdem sieht diese Arbeit ihre eigentliche Aufgabe nicht in dieser Richtung. Es sei daher gestattet, die besagte Klarstellung, soweit nötig, in Form von Exkursen an den Stellen einzuschieben, wo das betreffende Problem anfällt und genügend Material zu seiner Lösung erarbeitet worden ist. Vielleicht ergibt sich dann aus den Exkursen ein loser, aber doch spürbarer Zusammenhang, der als Weg distanzierter Analyse und Interpretation dem der direkten Darstellung parallel laufen soll.

45

4. Kapitel: D e r Mensch 1. Die

Schöpfung

Wir beginnen bei dem allgemeinen Rahmen der Schöpfungslehre Niebuhrs. Schon ihr Ansatz macht deutlich, daß Niebuhr von Anfang an im Gesprädi mit allen möglichen, vor allem zeitgemäßen, Welterklärungsversuchen engagiert ist. Die Idee der Erschaffung der Welt durch Gott . . . umschreibt die Grenzen der rationalen Struktur (rationality) der W e l t . . . Diese Idee . . . ist nicht in Konflikt mit der Losung der Wissenschaft: ex nihilo nihil sit. Denn bei dieser Losung liegt der Ton auf der Kette natürlicher Kasuierung innerhalb des zeitlichen Prozesses, während der christliche Begriff der Erschaffung ex nihilo auf die Tatsache aufmerksam macht, daß der zeitliche Prozeß nicht aus sich selbst erklärt werden kann, wenn es auch einzeln begrenzte Erklärungen für einzeln begrenzte Ereignisse g i b t . . . Denn wenn wir gelten lassen, daß die Welt und der Mensch durch Gott erschaffen sind, dann können weder die Welt noch der Mensch in ihrer Existenz independent sein, sondern müssen relativ, kontingent und akzidental sein. In anderen Worten: Sie können ihren Ursprung oder ihre Sinnhaftigkeit (meaning) nicht in sich selbst haben 4 .

Vor der Tatsache, daß Gott als der Schöpfer allein die Quelle solcher Sinnhaftigkeit ist 5 , scheitern alle „verstandesgemäßen (logical) Konzeptionen der Ableitung" β — und können doch auf der Grundlage jener Tatsache neu beginnen, mit anderen Worten: auf der Grundlage der Anerkennung, daß das Erste und Letzte der Welt sich ihren Mitteln und ihrem Wissen als „Geheimnis" (mystery) darstellt und entzieht 7 . Damit lenkt der Gedankengang schon zur Bedeutung des Schöpfungsglaubens hin, und es stellt sich sogleich die Frage nach dem Menschen. In ihr will Niebuhr so weit vorstoßen, daß sein Bild vom Mensdien sidi als wahrer erweist als alle von anderen Seiten vorgelegten Entwürfe, die nicht umhinkönnen, den Menschen „entweder nidit hoch, oder nidit tief genug" 8 auszumessen und die somit seiner ganzen Wahrheit nicht gerecht werden. Es besteht nun die Α ι gäbe, die anthropologischen Aussagen Niebuhrs im Rahmen der Schöpfung? lehre zu sammeln und zu sichten. Diese Aufgabe ist nicht leidit zu lösen, denn die Sammlung ergibt ein sehr vielgestaltiges, wenn nicht sogar buntscheckiges Bild. Ein allgemeiner Überblick scheint zuerst Klarheit in nur einer Hinsicht zu schaffen: Niebuhr setzt an bei dem im ganzen modernen Denken fundamentalen Gegensatz von Natur und Geist im Menschen, von Gebundenheit an die Welt als „Teil der Natur und einer geistigen Persönlichkeit, die den Ansprudi erhebt, die Natur zu beherrschen". Dem hier zitierten A.Ritsdil wird insofern redit gegeben, als dies tatsächlich das Problem aller Religion sei Audi Niebuhr scheint bei seinen Äußerungen auf dem Boden 3 PP 180. F H 33.48. 7 F H 46. «NDI135. 8 ND 1124. 9 ND 1 178; bei A.Ritsdil: Rechtfertigung und Versöhnung, S. 199 (?? — undeutliche Belegangabe bei Niebuhr!) 4

46

des Natur-Geistproblems zu stehen. Über das ganze Schrifttum verstreut finden sidi Sätze, die dieses Urteil nahelegen 1 0 . Trotz der Menge der Belege trügt der Augenschein und sind wir genötigt, diese Äußerungen Niebuhrs anders zu interpretieren, einfadi weil Niebuhr sich ganz bewußt nicht an die beiden wesentlichen Spielregeln der Abwicklung dieses Problems hält und dadurch zeigt, daß er seine Aussagen nicht als mit diesem Problem zusammenfallend verstanden wissen will. Es gehört zum Wesen dieses Problems, daß es einmal sich gewissermaßen selber zum Fundament der ganzen Anthropologie macht und daß zum anderen das eigentliche humanuni mit einem der beiden Schwerpunkte identifiziert wird, mit der Naturgebundenheit oder mit der Geistesfreiheit. Beides aber wird von Niebuhr scharf abgelehnt. Zum ersten Punkt sagt er: „Es ist nicht der Gegensatz v o n Endlichkeit und Freiheit, wovon die biblische Religion sich zu emanzipieren sucht. Sie sucht Erlösung von der Sünde . . . " 11 In bezug auf den zweiten Punkt aber stellt Niebuhr klar, daß das wahre humanuni weder in der Naturgebundenheit noch in der Geistesfreiheit gefunden werden kann. Gegen den Naturalismus, demzufolge „die Freiheit des Menschen annulliert wird und alles charakteristisch menschliche Wünschen und Trachten als Abirrung zu betrachten ist" 1 2 , muß daran festgehalten werden, daß es für den Menschen ein unberührtes Gebiet des Natürlichen überhaupt nicht gibt, weil alle Funktionen „von der Freiheit berührt sind" 1 3 und von viel komplexerer Art sind als bloß natürliche Funktionen. Genauso ist 10

Kurz und knapp heißt es: „Der Mensch ist ein Geschöpf des Zwanges und ein Kind der Freiheit. Sein Leben ist durch natürliche Möglichkeiten bedingt, aber seine Eigentlichkeit (character) entfaltet sich durch Aufsteigen über die Notwendigkeiten und Zufälle der Natur." So in: Beyond Tragedy, New York 1937, S. 299 (von uns zitiert: Beyond). In seinem Hauptwerk setzt Niebuhr bei den Formen und Vitalitäten der Natur ein, die dem Menschen vorgegeben sind und die dieser doch infolge der Freiheit des Geistes zu neuen Formen der Ordnung und des Zusammenhaltens hin transzendieren kann (ND I 27). Der Mensch ist Geschöpf und ist doch schöpferisch (ebd.; auch Seif 53ff.). Schon früh lautete das Problem: Der Mensch, ist „Bürger zweier Welten . . . Kind der Natur und . . . Diener des Absoluten" (Civ. 186). So scheint es weiter zu lauten: „Der Mensdi ist eine Existenz in beiden: Körper und Geist" (ND I 12.54.56). Das „paradoxe Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit (finitude and infinity) und demzufolge von Freiheit und Notwendigkeit ist das bezeichnende an der Einzigartigkeit des menschlichen Geistes... Der Mensch ist das einzige Lebewesen (animal), das weiß, daß es sterblich ist, eine Tatsache, die beweist, daß er in irgendeinem Sinn nicht sterblich ist" (Ethic 67). Vgl. auch N D I 124. Und wenn es audi heißt: „Der Mensdi lebt jenseits der Zeit in dem Sinn, daß die Zeit in ihm, wie audi er in der Zeit ist" (Discerning the Signs of the Times, New York 1946, S.88; von uns zitiert: Signs), oder später: „Das reale Selbst ist zugleich in der Zeit und jenseits der Zeit" (Seif 36) — und dann dieses Wider- und Ineinander von Dependenz und Independenz auf das Verhältnis dieses Selbst zu seinem menschlichen Gegenüber angewandt wird (ebd. 42), auch zu dem kollektiven Gegenüber (ebd. 46 ff.), so sdieinen diese Äußerungen doch alle nur Variationen des Natur-Geistproblems zu sein audi da, wo Niebuhr sich existentialer Kategorien bedient. 11

N D I 178 u.ö. » F H 56.

13

N D I 282. 47

gegen alle Idealismen zu betonen, daß die vielberufene Geistesfreiheit gegenüber der Natur immer nur partieller Art ist 14 . Und vor allem sollte die Tatsache, daß der Mensch ja doch in seiner Freiheit sündigt, von allen unkritischen Hochpreisungen dieser Freiheit abhalten. Die Kritik an allen Lösungen des Natur-Geistproblems führt uns zu der Erkenntnis, daß Niebuhr mit seinen vielen Beschwörungen dieses Problems nichts anderes im Sinn hat, als sich das Material zu sammeln, mit dem er das Seine erst sagen will. Damit beginnt er nun, indem er allen genannten Lösungen vorwirft, die Wahrheit des Menschen als Selbst, die Tatsadie editer Individualität entweder zerstört oder einfach verloren zu haben 15 . Person ist der Mensch nämlich nicht an seinem untersten und auch nicht an seinem obersten Punkt, sondern nur im Vollzug der Einheit aller seiner „Punkte". Zwar besteht die Lage der menschlichen Existenz darin, daß er Natur und Geist ist, ihre Frage indessen erst darin, daß er eine Existenz in Natur und Geist ist 16 . Die letztgenannte Frage, so fährt Niebuhr nun fort, führt den Menschen über sich selbst hinaus n . Wenn einmal klar ist, daß der Mensch nicht die medianische Summe seiner Bestandteile und auch nicht eine Art von Mosaikkasten ist, dessen Teile sich je nach Lust so oder so zusammensetzen lassen, sondern die Balance, oder noch genauer: die ausgewogene Einheit, die Harmonie, ja der Frieden zwischen seinen divergierenden Bestandteilen seine Person ausmacht, dann ist damit der Mensch über sich selbst hinausgewiesen in bezug auf diese seine Person. Freiheit gilt nämlich jetzt von ihm als Ganzem — auch bei seiner Gebundenheit, wo er in sich selbst ja nidit frei ist. Gleicherweise gilt Gebundenheit von ihm als Ganzem — eingeschlossen seine Freiheit. Und daher weiter: Freiheit und Gebundenheit gelten auch gegenüber ihm als Ganzem, d.h. der Mensch transzendiert sich selbst 18 . 1 3 Ebd. 6 8 — 9 2 . Ebd. 27 u. ö. Vgl. o. Anmerkung 11 dieses Absatzes. 1 7 N D 1 1 3 : » . . . der menschliche Geist hat die besondere Fähigkeit, in der Art eines unbegrenzten Rückganges kontinuierlich außerhalb seiner selbst zu s t e h e n . . . ( 1 4 : ) Selbstbewußtsein stellt einen . . . Grad der Transzendierung dar, in dem das Selbst sich zum Objekt seiner selbst macht auf eine solche Art, daß das Idi letztlich immer Subjekt und nie Objekt ist." 1 8 „Der Mensdi hat im Unterschied zur animalischen Existenz nicht nur ein Zentrum, sondern hat ein Zentrum jenseits seiner selbst. Der Mensdi ist das einzige Lebewesen, das sich zum Objekt seiner selbst machen kann. Diese Fähigkeit der Selbst-Transzendierung, die im Mensdien den Geist (spirit) von der Seele (soul) unterscheidet (weldie er mit der animalischen Existenz gemein hat), ist die Basis eigentlicher Individualität, denn das Bewußtsein seiner selbst schließt das Bewußtsein der Welt als ,des Anderen' ein." Demnach definiert Niebuhr den Mensdien als freien Geist, indessen so, daß dieser Geist nur in Spannung zu N a t u r und Zeit positive Wertung erfährt. So erklärt es sich, daß Niebuhr einerseits sagen kann: „Der Mensdi steht an der Nahtstelle von Natur und G e i s t . . . " und andererseits: „Der Mensch ist ein endlicher G e i s t . . . " ( N D I 181). „ . . . das wahre oder transzendente Ego, das oberhalb des Bewußtseins als das Bewußtsein vom Bewußtsein s t e h t . . . " ( e b d . 7 2 ) , das ist die Stelle des humanum nach Niebuhr. 14

16

48

Einerseits ist demnach der Mensch radikal frei. Niebuhr bezeichnet den „radikalen Charakter der menschlichen Freiheit" als die einzigartige „Dignität" des Menschen1·. Diese Dignität ist für den Menschen von entscheidender, in bezug auf seinen Wert jedoch nur von neutraler Bedeutung, sie kann nicht, wie alle Idealisten immer glauben machen wollen, als Tugend (virtue) des Mensdien umgedeutet werden 20 . Zusammen mit seiner radikalen Freiheit ist der Mensch in seiner Existenz ja auch Geschöpf unter Geschöpfen, ist radikal gebunden, und erst die Einheit dieser beiden Grundgegebenheiten macht seine virtus aus. Da nun der Mensch die Einheit seines Selbst nicht in sich hat, hat er auch seine Tugend nicht in sich selbst. Die anthropologische Frage ist im Kern von Anfang an die Frage der Theologie und der Ethik zugleich. Nun wendet sich der Gedanke ins Positive: „Der Mensch kann ein Heim weder in der Natur noch im Geist, sondern nur in Gott finden."21 Anders ausgedrückt: Die menschliche Existenz in ihrer Einheit „kann keine Sinnhaftigkeit haben ohne Glauben" 22, und erst aus der Liebe Gottes und der Gemeinschaft mit Gott leitet sich die „vollkommene Harmonie der Seele mit sich selber" her 23 . Alles, was vorher gesagt wurde, war im Grunde nur der Erweis, daß es keine ausreichende Definition des Menschen „von unten her", sondern nur von dem „Standort über dem Gegebenen" her geben kann 24 . Es gehört zur Eigenart Niebuhrs, daß er bemüht ist, den „Beweis" dieser Tatsache immer wieder neu und sozusagen werkgerecht durchzuführen 26 Nun heißt es aber nicht lediglich, der Mensch erkenne sich nur, wenn er Gott begegnet, sondern: „Der Mensch kennt sich nicht wahrhaft, es sei denn, er kennt sich konfrontiert durch Gott." 29 Im Gegensatz zum Weg des Mystikers gibt sich die biblische Schöpfungslehre als „Basis für die Lehre der Offenbarung" 27 . Indem der Mensch sich als Geschöpf erkennt, kommt es zur Harmonie seiner Existenz, ohne daß der Mensch in die Pseudoharmonie der Beschaulichkeit verfällt 28 . Nur in der Anbetung des Vaters, der ihn, den Menschen, gerade als Menschen erschaffen hat, kann dieser voll Ja sagen zur Tatsache seines Mensdi-Seins, kann er die Einheit seiner Freiheit mit seiner Gebundenheit finden, und nur so wird er bereit zum Dienst in der Schöpfung. Die Dieses humanuni jedoch ist in allen Schichten der weltlichen Existenz des Menschen gleich aktuell, bedeutet also keine geistige Verflüchtigung. Theologisch ausgedrückt: „In ihrer reinsten Form hält die christliche Sicht den Mensdien für eine Einheit v o n GottEbenbildlichkeit und Geschöpflidikeit, in welcher er selbst in den höchsten geistigen Dimensionen seiner Existenz ein Geschöpf bleibt und in den untersten Aspekten seines natürlichen Lebens Elemente des Ebenbildes Gottes enthüllen mag" (ebd. 150). w 20 R N 10. Ebd. 21 Ten Years S. 544 rechts. Vgl. audi N D I 146: „Der Mensch ist eine Kreatur, die keine wahre N o r m unterhalb der N a t u r letztgültiger Realität finden kann." 22 23 F H 57. N D I 293. 24 E.Brunner, Der Mensdi im Widerspruch, Zürich 1941, S . 5 2 . 25 Besonders N D I und II enthalten diesen Beweis in immer neuen Anläufen. 2 27 ' N D 1131. Ebd. 133. 28 Signs 182 („detachment"). 4

8134

Neubauer, Gerechtigkeit

49

Ursprungsgerechtigkeit des Mensdien besteht in der gläubigen Entgegennahme der Freiheit und der Gebundenheit aus der Hand Gottes. In Glaube, Liebe und Hoffnung bejaht der Mensch seine wesenhafte Bindung an Gott und bejaht audi damit die Liebe, die Grund und Ziel seines Lebens ist, als Norm für sein Leben im Dienst an der Gemeinschaft der Schöpfung 29 . Daß gerade die Gebundenheit der Freiheit von Gott her dem Menschen allein den Frieden mit sich selbst gibt, klärt Niebuhr mit dem Hinweis darauf, wie der Glaube des Menschen auf die Gesdiöpflidikeit des Menschen blickt: „Der fragmentarische Charakter des menschlichen Lebens wird im biblisdien Glauben nicht als ein Übel betrachtet, weil er von der Perspektive eines Zentrums des Lebens und der Sinnhaftigkeit her gesehen wird, in welcher jedes Fragment auf den Plan des Ganzen, auf den Willen Gottes bezogen ist." 30 Von Gott her realisiert der Mensdi in seiner Freiheit die „einzigartige innere Beziehung" 31 seines Körpers zu seinem Selbst. Nach allem Bisherigen kommt es im Blick auf die Einheit des Menschen als Geist und Leib darauf an, die Reichweite des Menschen nach „oben" hin nicht zu verkleinern, denn nur von dem, was genau jenseits der obersten Grenze liegt, d.h. nur von Gott her, kann der Mensdi sich selber verstehen. Hier hat die christliche Lehre von der Ebenhildlichkeit des Mensdien ihren Platz; und hier beruft sich Niebuhr auf Augustin 32 , der rechtermaßen der Mystik insoweit folgt, als dem Christentum und der Mystik gemeinsam ist. „ . . . ihr Verständnis dafür, daß der menschliche Geist in seiner Tiefe und seiner Höhe in die Ewigkeit hineinreicht und daß diese vertikale Dimension für das Verständnis des Menschen widitiger ist als lediglich seine Fähigkeit, allgemeine Begriffe (general concepts) zu formen." 8 3 Indessen ist es ebenso widitig, daß die Betonung der Offenbarung Augustin vor den Gefahren der Mystik bewahrt hat: „Das menschliche Leben weist über sich in das Jenseits hinaus. Aber es darf sich nicht selbst zu diesem Jenseits machen." 34 Der Mensch ist in der Lage, Gott zu „erfassen, aber nicht zu «mfassen" 35 . So ist die Lehre vom Menschen als Ebenbild eine „überzeugende Aussage von der wesentlichen Bezogenheit (relevance) und der Distanz zwischen dem Menschlichen und dem Göttlidien . . 3 e . Gerade das dankbare Bekenntnis zu seiner Ebenbildlichkeit rettet den Menschen vor der anmaßenden Behauptung seiner Göttlichkeit 37 . 2

° Vgl. dazu N D I 265—300: Iustitia originalis. 31 Ebd. 168. Seif 40. N D 1151 ff. 39 Ebd. 157; vgl. audi Ten Years 544 rechts: Die Fähigkeit des Mensdien sich selbst zu transzendieren enthält die echte Ebenbildlichkeit des Menschen. 34 35 N D 1 158. Ethic 66. 3 « N D 1158. 37 Vgl. The Irony of American History, N e w York 1952, S. 136 (von uns zitiert: Irony) : „Die zerstörerischen Taten des menschlichen Lebens sind zuvörderst die Konsequenz der Überschreitung der Grenzen nicht der Natur, sondern viel letztgültigerer Grenzen." 30

92

50

Wichtig ist nun, daß Niebuhr die Ebenbildlichkeit des Menschen nicht als sozusagen tote, substantielle und transhistorische Wesenheit verstanden wissen will. A b spezifische Bezogenheit und Distanz zu Gott ist sie für ihn vielmehr der Ausgangspunkt des realen, welthaften Lebens: Wir wollen die Einzigartigkeit des menschlichen Selbstes durch die Hervorhebung der drei Dialoge bezeichnen, in die es verwickelt ist — so allerdings mehr nadi der hebräischen als nach der griechischen Beschreibung seiner Realität. Das weitere Verständnis dieser drei Dialoge ist geeignet, der ursprünglichen Bildrede vom „Ebenbild Gottes" einen besser zutreffenden Inhalt zu geben als die griechische Betonung der Vernunft. Das Selbst ist ein Geschöpf, das gemäß dem biblischen Standpunkt in dauerndem Dialog mit sich selbst, mit seinem Nächsten und mit Gott begriffen ist 88 . Die Tatsache der Ebenbildlidikeit begründet die für den Menschen bezeichnende Art seines geschichtlichen Erlebens und Erleidens, und zwar an allen drei Grenzen seiner Existenz zum „anderen" hin. Vom Menschen aus ergibt sich die im Zitat zu findende Reihenfolge: Zunächst muß er sich angesichts seiner Weltlichkeit zum Objekt seiner selbst machen. Als zweites findet er sich dem „Objekt" anderen menschlichen Lebens gegenüber. Schließlich sieht er sidi konfrontiert mit Gott, dem Göttlichen, dem Absoluten, oder auch dem Letzten (the ultimate) 8 ·. In der Begrenzung seines Lebens durch den anderen und damit der Ermöglichung des Lebens als Begegnung mit dem anderen liegt die Eigenart seiner selbst, liegt seine Ebenbildlichkeit. Fragt man im Gegensatz zu dieser kognitiven Argumentation nach der konstitutiven Reihenfolge der Begegnung mit dem „anderen", so steht die Konfrontation mit Gott an erster Stelle, und zwar als die Individualität des Menschen integrierend, noch, genauer: als Umkehrung der Subjekt-Objekt-Beziehung. Wenn . . . die Ewigkeit, zu der dais Individuum flieht, ein undifferenzierter Bereich des Seins ist, das jegliche Geschichte negiert und dieser die Bedeutsamkeit streitig macht, dann wird das Individuum selbst in dieser Negierung verschluckt... 40 Gott als Wille und Person ist in der Begrifflichkeit des christlichen Glaubens der einzig möglidie Grund echter Individualität... Aber der Glaube an Gott als Wille und Person stützt sich auf den Glauben an seine Macht, sich selbst zu offenbaren. Der christliche Glaube an Gottes Selbsterschließung, die in der Offenbarung Christi kulminiert, ist so die Basis des christlichen Begriffes von Persönlichkeit und Individualität 41 . Nun weiter: Weil die Wahrheit des Menschen in der Liebe Gottes liegt und diese Liebe die ganze Schöpfung umspannt, steht und fällt diese Wahrheit auch 39

Niebuhr nähert sich hier der Fassung der Lehre vom Ebenbild bei K.Barth, ohne allerdings darauf Bezug zu nehmen. Zit.: Seif 16. Vgl. K.Barth, Kirchliche Dogmatik III/I, S. 204—233. 39 40 Seif 17. ND I 69. 41 Ebd. 15. Ohne daraus einen theologischen Grundsatz zu machen, begründet Niebuhr öfters einen zum ersten Glaubensartikel gehörenden Satz vom zweiten Glaubensartikel aus, so u.a. ND 1146ff. 164. Dazu ND II 77: „Das christliche Denken weiß, . . . daß es nicht möglich ist, die verlorene Unschuld Adams, die idealen Möglichkeiten des menschlichen Lebens, zu bestimmen, außer in Begriffen, die aus der Vollkommenheit Christi genommen sind." 4*

51

gerade an der Grenze zum mitmenschlichen „anderen" mit der Liebe — und zwar dieser Liebe Gottes. „Der Mensch ist so geschaffen, daß er sein Leben nicht erfüllen kann, es sei denn in seinem Mitmenschen." 42 Damit ist audi gesagt, daß jede Begegnung des Menschen mit anderen Menschen am Ende scheitert, wenn sie sich nicht aus der Liebe Gottes herleitet. Menschliche Personalität hat eine Tiefe und Einzigartigkeit, die innerhalb der gängigen Vorgänge des Wissens (knowledge; besser: des Sich-Auskennens) nicht faßbar sind. Diese Vorgänge tendieren immer dahin, den Mitmenschen zu. einem Ding oder Objekt zu reduzieren . . . Um die Einzigartigkeit jeder Individualität kann man nur in Liebe wissen, aber nicht mit den Mittel allgemeingültigen Wissens, wobei das Selbst danach trachtet, die Einzigartigkeit zu subordinieren, um den „anderen" in die allgemeingültigen Kategorien der Vernunft einfügen zu können . . . Wirkliche Liebe zwischen Person und Person . . . ist keine einfach gegebene Möglichkeit. In irgendeinem Sinn bleibt jede Seele unergründbar für die Nahestehenden. Sie ist eine Möglichkeit nur ; jber den Weg der Liebe G o t t e s . . . Wo die Liebe Gottes nicht das Verhältnis von Mensch zu Mensch unterfängt und vollendet, trennen die Unterschiedlichkeiten, welche die Natur hervorruft und die Sünde akzentuiert, . . . die Menschen voneinander 43 . Ganz treffend kann Niebuhr die „nicht einfach gegebene Möglichkeit" der Liebe erst im Rahmen der Versöhnungslehre profilieren, obwohl es dort nicht anders klingt: Der Gott der christlichen Offenbarung ist nicht unbeteiligt an, sondern vielmehr beteiligt an der Welt durch seine allermajestätischsten Attribute; folglich besteht die höchste Vollendung für den Menschen nicht darin, eine Einheit des Seins zu erlangen abzüglich aller natürlichen und geschichtlichen Vitalitäten. Die hödiste Einheit ist die Harmonie der Liebe, in der das Selbst in seiner Freiheit unter dem Willen Gottes sich in Beziehung zu anderen seinesgleichen in deren Freiheit setzt 44 . Der Glaube, welcher in allem Gott als Sdiöpfer, d. h. als Subjekt erkennt, befreit den Mensdien zur Nächstenliebe, zu der Hinnahme audi seines Mitmenschen als Subjekt. Selbstverständlich gilt auch rückwirkend: „Vertikale und horizontale Verbundenheit gehören untrennbar für den Mensdien zusammen und lösen ihrerseits das Problem seiner eigenen, innerpersönlichen Integration." 45 Es braucht nach allem nicht mehr zu überraschen, daß in diesem Bild vom Menschen als Person die Geschichte in ihrer ganzen Breite individueller und auch kollektiver Lebensäußerungen enthalten sein soll. Das ist die Leistung Niebuhrs, das ganze Leben in der Ausdehnung, in der es seine Sozialethik in den Griff bekommen will, glaubwürdig in den Rahmen seiner Lehre vom Menschen als Person hineingestellt zu haben. Zunächst bestätigt die Geschichte als Vollzugsebene mensdilidier Personhaftigkeit in einem fort die aufgezeigten Vorgegebenheiten der Existenz. Hier ist der Mensdi Sdiöpfer und Geschöpf 4 6 , hier ist er der Zeit unterworfen und macht in seiner Freiheit doch Geschichte, 42

Signs 165. Dieser Satz wirft ein Licht auf den Begriff der Transzendenz bei Niebuhr. Vgl. dazu unten S. 108 ff. 43 44 N D I 294—295. Ebd. II 95. 45 49 So H . Hofmann a. a. O. S. 24. Seif 53 ff. 52

d.h. mehr als bloßen Zeitablauf 47 . Die Geschichte ist der Beweis der Gesdiöpflichkeit und der Freiheit des Menschen 48 . Audi die Probleme der sozialen Umwelt, die einerseits dem Menschen vor- und andererseits ihm aufgegeben sind, können letztlidi nur auf die Realität menschlicher Personhaftigkeit zurückgeführt werden 4 ·, weil es sich audi hier um die Dialektik von Freiheit und Gebundenheit handelt. Die Dialoge, in welchen das Selbst sich befindet, werden in Dramen verwandelt, wenn immer sie sich in Taten umsetzen. Diese Taten formen sich zu dramatischen Zusammenhängen (patterns), die ein Netz von Gesdiick f ü r das Individuum bilden, woraus sich wiederum Taten und, Dialoge e r g e b e n . . . 5 0

Von hier aus gesehen stehen dann Individual- und Sozialethik auf einem Nenner, von hier aus will der christliche Glaube sein „eine Religion beider, der Geschichte und der Offenbarung, die in der Lage ist, die Sinnhaftigkeit der geschichtlichen Existenz in ihrer Einheit zu bestätigen" 81 .

1. Exkurs:

Begriffe und Begriffspaare

bei R.

Niebuhr

Schon durch die kurze Darstellung der Ursprungswahrheit des Menschen bei Niebuhr haben wir einen ersten Ansatzpunkt gewonnen, von dem aus wir uns der Bedeutung des „Dialektischen" bei Niebuhr nähern können 82 . Es fällt auf, daß in den anthropologischen Darlegungen — und nicht nur dort, dort aber vor allem anläßlich des dauernden Rekurses auf das Natur-Geistproblem — eine Menge von Begriffen unterschiedlichster Herkunft auftaudien, die Niebuhr bemerkenswert kurz, ja oft zu kurz nur erläutert. Bei manchem anderen müßte dieser Tatbestand Folgen spürbarer Unklarheit haben; bei Niebuhr bleiben die Gedanken trotz des schnellen Szenenwechsels durchaus klar. Blickt man näher hin, so entdeckt man den Grund dafür darin, daß Niebuhrs Denken nicht von Einzelbegriffen, sondern immer von Paaren konträrer Begriffe ausgeht. Es ist vielmehr schade, daß Niebuhr . . . die Begriffe Natur und Geist verwendet, die nicht nur durch die philosophische Tradition sehr belastet und damit mißdeutbar sind, sondern auch unseres Erachtens die Wirklichkeit nicht genügend ausschöpfen. Er ist aber nicht so sehr an der Eigenbedeutung dieser Termini interessiert, als vielmehr an ihrem gegenseitigen Verhältnis. Wenn er darauf besteht, daß „die Spannung zwischen Geist und N a t u r bis ans Ende der Geschichte bestiehenbleiben muß", so meint er damit ihre Zusammenordnung, die beide Pole richtet, so daß sie weder auseinanderfallen, noch ineinander aufgehen können, weil beide einander bedingen 93 .

Diese Beobachtung H . Hofmanns gilt allgemein. In der Weise, wie Niebuhr die aus der Philosophie übernommenen Begriffe gebraucht, benötigen diese 47

Vgl. z . B . F H 37. 4 Vgl. ebd. 55. · Vgl. Seif 46 ff. 50 51 Ebd. 56. F H 57. 5ä Da es sich hierbei nicht um die „Hauptstraße" unserer Untersuchung handelt, sei es gestattet, sich so kurz zu fassen, daß nur das allernötigste genannt wird. 58 H . H o f m a n n a . a . O . S.85. 48

53

keine genaue Klärung ihres Inhaltes nach allen Seiten hin, sondern nur nach der des konträren Begriffes, und diese Klärung kann ja im Schnellverfahren durch die Nennung des Gegenbegriffes sehr einfach erreidit werden. Niebuhr ist überzeugt, daß die Philosophie nicht imaginär von einem imaginären Objekt redet, sondern wirklich gültige Aussagen über das Phänomen Mensch macht, deshalb übernimmt er philosophische Begriffe. Als Theologe soll er nun die im Grunde einfache Einheit der Person des Menschen bei Gott bezeugen. Er ist sich bewußt, daß diese einfache Einheit sich — philosophisch gesehen — als beinahe undurchdringliche Komplexität äußern muß und doch wiederum über den Weg dieser Komplexität in ihrer Einfachheit hervortreten kann. Wir haben hier schon manches berührt, und so dürfte deutlich sein, daß die übernommenen Begriffe den konstitutiven Platz, den sie in ihrem Heimatsystem innehatten, nun räumen müssen, an die Peripherie des Instrumentalen rücken und es sich gefallen lassen müssen, in polare Relation zu dem Begriff gebracht zu werden, der vor der theologischen Betrachtung an seinem konstitutiven Platz in einem Gegensystem ihre einfache Negation war, insofern er den Kern des „humanum" auf sich konzentrieren wollte. Nunmehr „bedingen beide einander als Pole" und machen so auf dem Bogen ihrer Spannung zueinander zwischen sich Platz für die „dritte" Komponente. Diese ist die Spannung selbst, die ihrerseits erst wirklich konstitutiv ist und den Menschen als Einheit, Person, Selbst, als Ich und als verantwortlich zu verstehen gestattet. Rückblickend ist das so formulierte „humanum" den undialektischen Bestimmungen und Begriffen insofern verpflichtet, als diese ihm in einer bestimmten Problemlage zur Verdeutlichung verholfen haben. Es dankt ihnen dadurch, daß die philosophischen Begriffe trotz aller Kritik doch die Bestätigung der Relation erfahren. Um den Tatbestand durch ein Vergleichsbild zu verdeutlichen, könnte man einen Augenblick lang an eine Scheibe mit unregelmäßiger Form denken, die waagrecht an einem Punkt aufzuhängen ist. Es gilt, den Schwerpunkt zu finden, an dem als Punkt der Einheit das ganze ausgewogen an seinen Ort zu heben ist. Dieser Punkt ist doch gerade der, welcher sich aus der allseitigen Gleichheit der diametralen Hebelgewichte ergibt. Weil es sich aber dabei um ein statisches Bild handelt, täten wir doch nicht recht, länger bei diesem Bild zu verweilen 64 . Was von den einzelnen Begriffen gilt, trifft natürlich auch auf die Systeme als ganze zu, denen diese Begriffe entstammen. Sie alle werden von Niebuhr in immer neuen Anläufen gegenübergestellt, damit sie — freiwillig oder unfrei5 4 Es würde zu weit führen, den reichhaltigen Befund von Begriffspaaren an dieser Stelle sauber gegeneinander abgegrenzt vorzulegen. Dem Amerikaner Niebuhr liegt anscheinend selber nicht viel daran. So setzt er das P a a r „Vitalität und Vernunft" ( N D I I 258) direkt parallel mit „Leib und Seele". Vorher erscheint Seele als das Lebenszentrum, das der Mensch mit dem Tier teilt ( N D I 5 5 ) ; das alles gibt einige Rätsel auf. Klärungen durch Herstellungen von Querverbindungen helfen audi nidit viel. Was für Niebuhr wichtig ist, leuchtet sofort ein. Jedes Begriffspaar setzt sich zusammen aus einem Begriff, der die Freiheit in einer bestimmten Beziehung, und einen anderen, der die Gebundenheit des Menschen in dieser Beziehung bezeichnet (vgl. Anm. 10 auf S. 47).

54

willig — die Mitte genau in der Spannung zwischen ihnen bezeugen. Genaueres kann erst im Zusammenhang der Lehre von der Sünde beschrieben werden. Zu dieser Lehre nämlich leitet das angeschnittene Problem über. Nach allem bleibt ja sachlich die Frage übrig, wie denn zu erklären sei, daß es dem Menschen trotz der vielen Ansätze nicht gelingen will, die Einheit seiner Person in Freiheit und Gebundenheit zu finden. Die Versuchung Wir sind uns darüber klargeworden, daß bei Reinhold Niebuhr das N a t u r Geistproblem f ü r die theologische Anthropologie sachlich nicht konstituierend ist. Wir täten Niebuhr jedoch Unrecht an, wollten wir nicht gleich darauf die instrumentale Bedeutung dieses Problems für die Lehre vom Menschen betonen. D a f ü r ist es notwendig, einen besonderen Absatz über die Versuchung dem über die Sünde voranzustellen. Was hier zu sagen sein wird, kann man als eine Auseinanderfaltung des englischen Begriffes der „anxiety" verstehen, der in Niebuhrs Denken eine wichtige Rolle spielt 55 . Der Mensch ist in seiner Freiheit gut, indem er diese Freiheit bei Gott gut aufgehoben sein läßt und sie dadurch gegenüber seiner Umwelt recht gebraucht. Das ist die Ursprungswahrheit des Menschen. Mit ihr als N o r m kann der Mensch gar nicht anders gewahr werden, daß er bei sich selber nicht gut aufgehoben ist, als einzig in dem dauernden „Verlangen (anxiety) nach Vollendung" 5 6 bei Gott. Seine Sterblichkeit ist sein gutes Geschick 57 , weil sie als Gegenpol zur Freiheit seines Geistes es ihm ermöglicht und notwendig macht, seine Wahrheit nicht bei sich selbst, sondern bei Gott wiederzufinden, sein „totales Ziel" 5 8 wählen zu müssen und richtig zu wählen, oder kurz: echter Mensch sein zu können. N u r auf die Endlichkeit bezogen realisiert sich des Menschen Freiheit als seine „ideale Möglichkeit, Gott zu kennen" 5 9 , nur in ihrer Spannung zur raum-zeitlichen Gebundenheit ist sie die „Basis seines Schöpfertums" (creativity) 6 0 . So äußert sich seine Freiheit als Leben im Verlangen, in einem Verlangen, das dem Menschen wesenseigen ist®1. 53 Das Wort ist bekanntlich schwer eindeutig zu übersetzen. Wenn der Mensch in Hoffnung oder in Angst nach etwas trachtet, was er nidit hat oder ist, lebt er in „anxiety". Die Skala des Wortes reicht also von „Verlangen", „Bedacht-Sein auf . . . ", „eifriges Bemühen u m . . . " , über „Unruhe", „Besorgnis", bis zu „Angst". Durch die Übernahme dieses Begriffes und seine Assozüerung mit dem Natur-Geist-Problem zeigt Niebuhr seine Meisterschaft, Elemente verschiedenster Herkunft, hier der Existentialphilosophie, genuin in seine Gedankenkette einzugliedern. (Vgl. dazu N D I 183 f., Anm.4.) 58 57 N D 1 185 . Vgl. Beyond 28 ff. und unten S.47. ä8 59 N D 1 163. Ebd. 252. ·» Ebd. 251. 81 Freilich drückt Niebuhr das so aus: „Anxiety ist der unvermeidliche Begleiter des Paradoxes der Freiheit und der Endlichkeit, in das der Mensch verwickelt ist" (ebd. 182). Damit tritt anxiety von vornherein in ein negatives Lidit, und Niebuhr zeigt sich scheinbar beeinflußt durch P. Tillich, für den die verwirklichte Schöpfung mit der Ent-

55

Aber nun gibt es dieses Verlangen, diese „anxiety" als nur dankendes SichS e h n m nach Gott ja realiter gar nicht in Reinform. In unzähligen Schattierungen mischt sich die „Sorge wegen der Unsicherheit" (wiederum „anxiety")· 2 bei und wird mitbestimmend für die Existenz des Menschen in Entwurf und Vollzug. Diese Tatsache darf nicht weginterpretiert werden. Das Umschlagen des Verlangens in Sorge ist der erste und tiefste Bruch der Ursprungswahrheit, die erste und tiefste Gottlosigkeit, deren Sitz in der Struktur des Ursprungs man genau fiixieren kann, deren Zustandekommen sich jedoch sachlich nicht erklären läßt 6 3 . Es liegt Niebuhr alles daran, zwischen der Station des Ursprungs und der der Versuchung jenen Bruch, jenes Neue und Unerklärliche zu bezeichnen, welches fremdung des Menschen vom Sein koinzidiert. Vgl. dazu W. F. Kasch, Die Lehre von der Inkarnation in der Theologie P. Tillichs, ZThK, 59. Jg., 1961, Heft 1, S. 87—103. Gleichwohl möchte diese Untersuchung Niebuhr anders interpretieren. Seine Schöpfungslehre ist eben nicht durch die Problematik von Sein und Seiendem bestimmt. Sie kennzeichnet das Wesen des Geschaffenen zwar als kontingent, aber gerade nicht als unvollkommen und überbietbar. Der Gedanke der Schöpfung sprengt eine Gott und Welt umfassende Ontologie. Er macht die Rede vom „geschöflichen Sein" möglich und notwendig. Demgemäß liegt nachher die Erlösung nicht in einem Rückgriff auf das Sein, sondern im Zugriff Gottes auf die Zeit, d.h. in der Liebe. Die anxiety ist nicht von ihrem Wesen her zweigesichtig, sondern nur in der Existenzbeurteilung durch den gegenwärtigen Menschen („Für die Gegenwart ist es genug zu beobachten..." N D I 183). „Die Situation der Endlichkeit und Freiheit, in der der Mensch steht, wird nur dann zur Quelle der Versuchung, wenn sie falsch interpretiert wird" (ebd. 180). Die gegenwärtig immer als Zeichen der Entfremdung auftretende anxiety leitet sich also von der „idealen Möglichkeit" (ebd. 182/3) einer nicht von der Entfremdung berührten anxiety her, dem Verlangen nach Gott, welches der subjektive Ausdruck der objektiven Existenzbezogenheit des Menschen zu Gott ist. Dieses Verlangen trägt schon dann die Falten der Angst, wenn es als Sehnen nach dem Sein beschrieben wird. Es ist vielmehr das zuversichtliche Vertrauen in die überreichen Möglichkeiten Gottes für die Zeit des Menschen (vgl. Niebuhrs Heranziehung von Mt.6,25—32, ebd. 183). Kurz: anxiety im Zeichen der Schöpfung ist der Fiduzialglaube Luthers (vgl. ebd. Anm. 3). Erst unter der Sünde ist anxiety als Sorge und Angst da. Beim existierenden Menschen sind die zwei Elemente der anxiety „unentwirrbar" zusammengebunden (ebd. 185). O.Weichenhan a.a.O. S.77ff. macht Niebuhr wegen des Begriffes „anxiety" von der Psychologie abhängig, weist aber doch am Sdiluß darauf hin, daß Niebuhr diesen Begriff von Kierkegaard übernommen habe (S. 82). Nach dieser richtigen Bemerkung hätte Weichenhan den ganzen Abschnitt eigentlich noch einmal überdenken müssen. Auch indessen in seinem Abschnitt über Niebuhr und Kierkegaard setzt sich eine gewisse Unklarheit fort, indem erstens der Begriff „anxiety" nur als Angst interpretiert wird, was zu der irrigen Aussage führt, Niebuhr kenne eigene dem Menschen wesenseigene Angst (S. 91) und indem zweitens der versteckte Vorwurf wiederkehrt, Niebuhr mache hier die Psychologie zur Grundlage seiner Anthropologie. Im Sinne des heutigen Sprachgebrauchs ist aber der Begriff der Sorge und der Angst bei Kierkegaard ein existentialer und kein psychologischer. Mit ihm übernimmt Niebuhr aus der Hand Kierkegaards das Erbe der Anthropologie Augustine. •2 N D T 1 8 5 . M Auch nach diesem Umschlagen des Verlangens in Sorge bleibt „anxiety" die Basis menschlichen Schöpfertums. Andererseits ist es der einzige Irrtum der sonst von Niebuhr so hoch geschätzten griechischen Tragödie, daß sie die Angst des Menschen zu Lasten der als Schicksalsmacht verstandenen Geschichte gebucht hat (Beyond 165). 56

der Grund dafür ist, daß etwas anderes hier ankommt, als dort abging. Nichts ging auf die Strecke außer dem Menschen, der bei Gott mit sich und der Welt Frieden hat, es kommt aber ein Mensch an, der sich für allein dastehend hält, der in unterschiedlichen Ausprägungen immer um sich selbst besorgt ist. Dieses andere und Neue weist auf zweierlei zurück, auf mangelndes Vertrauen in G o t t 6 4 und darauf, daß es „ein Prinzip des Bösen oder eine Macht des Bösen gibt, die jeder bösen T a t des Menschen vorausgeht"

e5

.

Nur wenn sie falsch interpretiert wird, wird die Situation der Endlichkeit und Freiheit, in der der Mensch steht, zu einer Quelle der Versuchung... Sie wird dem Mensdien durch eine Macht des Bösen nahegebracht, die seiner eigenen Sünde vorausgeht. Vielleicht ist die beste Beschreibung oder Definition dieses Geheimnisses die Aussage, daß die Sünde sich seihst setzt, daß es keine Situation gibt, in der es möglich ist zu sagen, daß die Sünde entweder eine unentrinnbare Konsequenz der Situationen sei, noch daß sie ein Akt barer und perverser individueller Verhöhnung Gottes s e i . . . Der Hang zur Sünde, aus dem die Aktualsünde fließt, ist „anxiety" plus Sünde. Oder, in den Worten Kierkegaards, Sünde setzt sidi selbst voraus. Der Mensch hätte nicht versucht werden können, wenn er nicht vorher gesündigt h ä t t e " . So bleiben Versuchung und Sünde sachlich unerklärt, doch wegen der Elemente der Freiheit und der Gebundenheit im Mensdien kann Niebuhr sagen: Die Verantwortung für das Böse, das die Einheit der Existenz in Frage stellt, ist dem Menschen auferlegt, aber diese Verantwortung wird ein wenig eingeschränkt („qualified" — kann audi die Bedeutung von „näher bestimmt" haben, Anm. d. Vf.) durch die Aussage, daß der Mensch versucht wurde* 7 . I m Blick auf die Struktur des Menschen kann unter eigentlich unmöglicher Absehung von der Gottesbezogenheit gesagt werden, daß der Mensch versuchbar sei: „Das Böse liegt an der Verbundstelle von N a t u r und Geist." 8 8 „Das Trachten ist die innere Voraussetzung der Sünde . . . die innere Beschreibung des Status der Versuchung."

ββ

Scheinbar im Widerspruch dazu heißt es nun, daß „Endlichkeit nicht ohne Schuld sein kann, weil sie mit Freiheit vermischt ist und unter idealen Möglichkeiten s t e h t " 7 0 , weiter, daß die Sünde „unvermeidlich,

aber nidit

notwendig"

sei 7 1 . Niebuhr kann sogar sagen: „Adam war sündlos, bevor er handelte und sündig in seiner ersten überlieferten T a t . " 7 2 Hier scheinen Sünde und Freiheit ND 1 183.252. Ebd. 180. Daß das Prinzip des Bösen bei Niebuhr dar Sünde des Menschen vorgelagert ist, dient nicht zu einer entwickelten Satanologie, schon deshalb nidit, weil der Fall des Teufels genau die gleiche Problematik enthält wie der des Menschen. Der Gedanke dient nur dazu, das Böse des Menseben richtig, d.h. letztlich als unerklärbar, zu erklären. »· Ebd. 180 f. 250 f. ' 7 Ethic 75. Vgl. dazu audi E. Brunner, Der Mensch im Widerspruch S. 124. •8 Ethic 76. " ND 1182. 70 Ethic 84. 71 ND 1 150.251.254.262 f. n Ebd. 280. Vgl. dazu audi die Äußerungen zur Sündlosigkeit Jesu (ebd. II 72—74). Allerdings ist es ein MißVerständnis, wenn S. G. Guthrie a. a. O. S. 122, Niebuhr den Vorwurf macht, die Sündlosigkeit Jesu geleugnet zu haben. Vgl. dazu unten S. 99 f. bei Anm. 29. M

45

57

nun dodi in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht zu sein, und von hier aus sind an Niebuhr gewiß manche Fragen zu stellen 73 . Zunächst jedoch muß man versuchen, Niebuhr einfach zu verstehen. Er will nicht die sachliche Unerklärbarkeit der Sünde umgehen, sondern sagt solche Sätze unter dem Eindruck der realen Geschichte der Menschheit, in der es nicht möglich ist, eine „einfache Trennung zwischen den aufbauenden und zerstörerischen Elementen in dem Trachten" (anxiety) 74 des Menschen zu machen. Er sagt solche Sätze auch, wie so oft, in der Front gegen fundamentalistische und moralistische Vereinfachungen. Mit der Formel „unvermeidlich, doch nicht notwendig" nimmt Niebuhr die im Liberalismus in Mißkredit geratene Lehre von der Erbsünde wieder auf, was allein schon eine Großtat ist, wenn man die Tradition der sozialen Theologie Amerikas in dieser Hinsicht betrachtet. Dort war Erbsünde bestenfalls als Determiniertheit des Menschen durch die sündige Struktur seiner Gesellschaft aufgetaucht 75 . Nach Niebuhr ist dieser Liberalismus recht beraten, insoweit er gegen die augustinischen Irrtümer das Moment der Determiniertheit von der „Kategorie natürlicher Notwendigkeit" 76 befreit, falsch beraten jedoch, wenn er dieses Moment einfach auf das Gebiet des Sozialen verschiebt, weil der Mensch doch alle Schemata der Natur und Geschichte transzendiert. Die Sünde wird entweder durch Leugnung ihres Zwangscharakters überhaupt verkannt, oder durch Rückführung dieses Zwangscharakters hinter den Punkt des verantwortlichen menschlichen Willens, was letztlich auf das gleiche hinausläuft. Daher Niebuhrs Formulierung, welche die Totalität der Sünde und der Verantwortung des Menschen in einem festhalten will 7 7 . Die Nicht-Notwendigkeit wahrt die Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber seinem Ursprung, vor dessen Hintergrund Sünde nur als „Selbstwiderspruch"78 verstanden werden kann. Die Unvermeidlichkeit der Sünde macht davon keine Abstriche; um das zu vermeiden, ist dieser Ausdruck im Gegensatz zu „Notwendigkeit" ja gerade gewählt. Hinter dieses Verhältnis kann man nicht zurückgehen, das Verhältnis selbst leuchtet indes hinter sich selbst zurück auf den Unglauben, dessen Kehrseite die Geburt der Angst der Freiheit ist 7 9 . Faktisch gilt also die Unvermeidlichkeit erst im Schatten des Unglaubens, durch den „anxiety" aus Verlangen in Angst umschlägt. Von hier aus ist jede Sünde zweierlei, sie ist jeweils neu und unableitbar, und sie ist immer die gleidie. 7 4 N D 1 1 8 3 f. Vgl. unten S. 125 ff. So W.Rausdienbusdi (A Theology for the Social Gospel, New York 1911, S. 6 0 ) : „Gerade so, wie die syphilitische Verderbnis der hilflosen Leibesfrucht im Schoß der Mutter aufgezwungen wird, werden diese erblichen sozialen Übel dem Individuum aufgezwungen, das in den Schoß der Gesellschaft eingebettet ist und seine Ideen, moralischen Grundsätze und geistigen Ideale vom allgemeinen Leben des Sozialkörpers bezieht." 78

75

7 7 Vgl. vor allem N D I 250ff. " N D I 2 6 3 ; überhaupt 260ff. Ebd. 17. n Dazu zitiert Niebuhr wiederum Kierkegaard; ebd. 264.

7

78

58

Bei all dem befaßt Niebuhr sich nicht mit einer innerlichen Verzwicktheit des Menschen. Ganz im Gegenteil: Diese komplexe „anxiety" ist der Motor aller Äußerungen menschlicher Vitalität, die nach dem Bruch des Unglaubens darauf aus ist, am Abgrund der Sinnlosigkeit ihre Sicherheit zu etablieren — „auf Kosten anderen Lebens" 80 . Die Unsicherheit des Mensdien schlägt sich in seiner geschichtlichen Tat nieder und kommt dann aus deren Konsequenz als doppelt schwere Bedrohung auf ihn zurück. Das Thema von Ursprung und Sünde des Mensdien und das der Geschichtsbetrachtung, die darauf aus ist, konkrete Weisung zu geben, — diese beiden Themen sind nicht zu trennen, sondern sind in vielen Variationen immer aufeinander bezogen wie Befund und Diagnose.

3. Die Sünde Wir haben bisher festgestellt, daß das Wesen und der Kern der menschlichen Person und Geschichte nicht im Mensdien selber, sondern nur in Gott fixierbar ist. Sünde besteht nun gerade darin, daß der Mensch dieses Wesen und diesen Kern dodi in sich selbst und in seine ihm verfügbare Welt hineinverlegen will, daß er seine Erfüllung, seinen Ursprung, sein Ziel und seine Norm in sidi selbst finden will, wodurch er in eine hoffnungslose Lage gerät. Ganz kurz heißt es: „Sünde ist Rebellion gegen Gott" 81, Rebellion im strikten Sinn einer Ableugnung eines Herrsdiaftsverhältnisses. Aus einem unableitbaren Mißtrauen gegen seinen Gott und Herrn heraus erklärt der Mensch die sein Wesen konstituierende Gottesbezogenheit zur unwesentlichen Akzidenz. Nicht in einem Bereich des Niederen sündigt der Mensdi, sondern alle Arten der Sünde sind „Früchte des Geistes und nicht des Fleisches" 82, sie geschehen in der Freiheit. Diese Tatsache wirft erst das rechte, d. h. mehrdeutige Lidit auf den Geist und die Freiheit 83 . Bereits im Vollzug der ersten Sünde, der Rebellion gegen die Gottesbezogenheit, zeigt sich indessen, daß sich diese Bezogenheit nicht zur Akzidenz erklären läßt. Die Sünde kann nur so vollzogen werden, daß der Mensdi den Gottesbezug, nunmehr als absoluten Bezug in sich und das „Seine" hineinverlegen muß. „Nichts, es sei denn das Wissen um den wahren Gott", rettet den Menschen „von der Gottlosigkeit, sich selber zum Gott zu machen" 84 . Nur der Versdiluß des Menschenwesens im Geheimnis Gottes bewahrt davor, der Existenz ein falsdies Zentrum zu geben 85 und den alles bestimmenden Unterschied zwisdien Gottheit und Gottesebenbildlidikeit zu vergessen 89 . Natürlich will der Mensch jetzt diesen Unterschied aufheben, er will die instrumentalen Gegebenheiten seiner Existenz zu absolut gültiger Qualität erheben 87 . Aber 80

81 Ebd. 182. Ethic 84; auch N D I 140. 83 Beyond 295. Vgl. dazu N D II 171. 84 85 80 Ethic 237. Vgl. F H 103. Vgl. o. S. 50 f. 87 „Das Idi des Menschen . . . erkennt den kontingenten und dependenten Charakter seines Lebens nidit an und hält sich selbst für den Urheber der eigenen Existenz, den Richter seiner eigenen Werte und den Herrn seines eigenen Geschickes." N D 1188 u.ö. 82

59

weil er das nur fertigbringt, wenn er sich zu seinem eigenen Jenseits erklärt 8 8 , gerät er in rettungslosen Widerspruch zu sidi und seiner Weltbezogenheit. Die Sünde als Wahl einer falsdien Ewigkeit und eines falschen Universalprinzips 8 9 stellt den Menschen in die unlösbare Aufgabe hinein, seine Wahrheit um sidi und seine Welt als Zentrum herum abzurunden. Wie soll er die Aufgabe lösen? Er kann es nur tun durdi Anmaßungen einerseits und durch Vertuschungen andererseits, durch Vergrößerung seiner einen Gegebenheit mit entsprechender Verkleinerung ihres jeweiligen Gegenpoles. Die ganze Spannung seiner Existenz von der ganzen Raum- und Zeitgebundenheit bis hin zu der ganzen Freiheit kann er nidit umfassen. Diese diametralen Pole sollen ihn ja nicht mehr auf seinen Grund in Gott hin ausrichten, was ihre einzig echte Funktion ist, sondern sollen diesen Grund selber konstituieren. Das können sie aber nicht, weil sie sich, so verstanden und gebraucht, einfach und glatt widersprechen. Anmaßende Überhöhung und vertuschende Bagatellisierung gegenüber Gott, sich selbst und der Umwelt müssen sich nun verderbend in alle Lebensäußerungen des Menschen einmischen. Dafür gibt es unzählige Variationsmöglichkeiten. Grundsätzlich jedoch lassen sich nur zwei Möglichkeiten unterscheiden: Die Anmaßung nach oben hin oder die nach unten hin, in Richtung der Verfügung über die Welt oder in der der Gebundenheit an die Welt, der Angriff auf Gott oder das Sidi-Drücken vor Gott, die Sünde des Stolzes 9 0 und die der Sinnlichkeit» 1 . Zunächst kennt die Bibel überhaupt nur den Stolz, die eigentliche Sünde gegen das erste Gebot: . . . das sittliche oder geschichtliche Übel ist die Konsequenz des mißglückenden Bemühens des Menschen, seine Unsicherheit durch seine eigene Macht zu überwinden, die Begrenztheit seines Erkenntnisvermögens durch die Anmaßung von Allwissenheit zu verbergen und einen Ausweg aus seiner zweideutigen Position mit seinen eigenen Mitteln zu finden. K u r z : Sünde ist die Konsequenz der Neigung des Menschen, die Prärogativen Gottes zu usurpieren, von sich selbst höher zu denken, als er sollte und auf diese Weise einen zerstörerischen Gebrauch von seiner Freiheit zu machen, indem er die Grenzen, an die eine geschöpfliche Freiheit gebunden ist, übersieht 9 2 .

Sünde ist die unvermeidliche „Konfusion zwischen dem Universalen und dem Relativen" 9 3 oder besteht, anders ausgedrückt, in den „Formen der Idolatrie", „in denen die Welt des Sinn- und Wesenhaften um ein Zentrum natürlicher oder geschichtlicher Vitalität herum organisiert wird, das offenkundig kontingent und nicht letztlich gegeben i s t " 9 4 . Hinter dieser Selbst-Verabsolutierung steht immer das ganze Interesse des Menschen, denn dieser sieht sich bedroht durch den „Tod und seine eigene Bedeutungslosigkeit, deren letztes Symbol der Tod i s t " 9 5 . Mit dieser Bedrohung meint der Mensch nunmehr nur so zu Rande kommen zu können, daß er die Distanz zu seiner Sterblichkeit, die in seinem 88 90 93

60

Vgl. ebd. 158 . ND 1186 Irony 72.

Vgl. P P 63. " E b d . 228 9 4 N D I 165.

89

ff.

ff.

92 95

F H 121. RN6.

Wissen, um diese liegt, in den Anspruch auf Unsterblichkeit ummünzt M ; er „kann" seine Sterblichkeit nicht mehr zugeben und sich nicht mehr in die totale Einheit des Lebens eingliedern 97 . Die Spannweite seiner personalen Struktur muß er meistern durch den Stolz, der sidi selbst erhöht. J e sdiärfer indessen die Sünde des Stolzes sich ausprägt, desto deutlicher wird, daß sie aus der Angst geboren ist. Niebuhr kennt drei Ausprägungen der superbia, den Stolz der Macht, des Wissens und der Tugend 9 8 . Alle drei Arten mischen sidi und bedingen einander. In der Macht kommt der Stolz zum geschichtlichen Durchbruch, was heute besonders in den Ausprägungen kollektiven Machtwillens und Egoismus deutlich wird 9 9 . Der Einzelne meint, in seinem Volk, seiner Kultur oder Partei seine echte Transzendenz gefunden zu haben, von der her und auf die hin er leben darf. Die Transponierung des Wesens der Existenz auf die Ebene des kollektiven Lebens hat zwei Konsequenzen: Einmal ergibt sidi bei den „Gruppen" eine Anhäufung von „Willensorganen", denen nur eine immer sehr kleine und wediselnde Zahl von „kritischen Organen" gegenübersteht 100 , und zum anderen wird der „ideologischen Verbrämung" als Möglichkeit „wissenschaftlicher" Rechtfertigung Tür und Tor geöffnet 1 0 1 . Dabei dient die Ideologie dazu, nicht nur die Vergänglichkeit der Existenz, sondern vor allem die vergällende Beigabe egoistischer Leidenschaft durch Vorgabe endgültigen Wissens zu vertuschen, was Niebuhr als die „wirkliche Kraft der Ideologie" 1 0 2 bezeichnet. D a mit sind wir bei dem Stolz des Wissens, den der Marxismus als Splitter im Auge aller anderen so scharf erkannt hat, um dann bezeichnenderweise am gleichen Balken um so hoffnungsloser zu kranken 1 0 3 . Und eben hier deckt sich uns audi die Verbindung der Madit und des Wissens zum Stolz der Tugend auf. Alle in der Geschichte umkämpften Theorien haben u.a. audi eine soziale Basis 1 0 4 , sind der Ausdruck einfacher Sorge um das Weiterleben ihrer Vertreter. Das darf aber nie zugegeben werden, sondern muß um der Rechtmäßigkeit der Macht und des Wissens, also um der Tugend willen getarnt werden. Es ist für die Sdiärfe des Urteils Niebuhrs bezeichnend, daß er seine Behandlung der „Sünde des moralischen Stolzes" folgendermaßen zum Höhepunkt bringt: Die endgültige Sünde ist die religiöse Sünde, welche die im moralischen Stolz implizite Selbstvergöttlichung explizit macht. D a s ist der Fall, wenn unsere bedingten Grundsätze und relativen Errungenschaften explizit auf das unbedingt Gute bezogen werden und göttliche Sanktion beanspruchen. Aus diesem Grunde ist die Religion nicht einfach, wie allgemein angenommen, ein inhärierend tugendhaftes Forschen nach Gott. »· Vgl. Beyond 28 ff. »7 Vgl. N D 116. 8 8 Ebd. 188 f. »· Vgl. ebd. 208 ff.; F H 113 f. S. audi die ausführlichere Behandlung dieses Problems weiter unten S. 174 ff. 100 N D I 210. 1 0 1 „Ideological taint", ebd. 182 u.ö. 1 0 2 Ebd. II 214. 103 Vgl. ebd. I 195 f. 1 M Vgl. ebd. 49 ff.

61

Sic ist lediglich ein endgültiges Kampffeld zwischen Gott und der Selbsteinschätzung des Menschen. In diesem Kampf können selbst die frömmsten Handlungen Instrumente des menschlichen Stolzes sein 105 .

Der Mensch vergöttert sich auf alle Weise, am raffiniertesten kann er es tun mittels seiner Religiosität, wo er in letzter Anmaßung vor dem „anderen" reden und in letzter Vertuschung nur sich selber meinen kann. Die Sünde des geistlichen Stolzes tut nichts anderes als die Sünde anderer Formen; alle Arten der Sünde sind zutiefst als „sich selber meinende Religiosität" 108 zu entlarven. Der geistliche Stolz tut das Seine nur viel irreparabler, insofern er die letzte Rechtfertigung vor dem Letzten offen beanspruchen zu können meint, was innerhalb anderer Formen des Stolzes nur verdeckt möglich ist. Die christliche Theologie kann und muß sich. gegen den geistlichen Stolz wappnen, weil die „Religion der Offenbarung" im Gegensatz zu allen Gott suchenden Religionen steht 107 und daher die Frage an Bedeutung verliert, ob der Mensch seine Suche nach dem Absoluten theistisch oder agnostizistisch ausdrückt 108 . Das gleiche wie von der Sünde des Stolzes gilt nun audi von der sekundären Sünde der Sinnlichkeit. Die Flucht nach unten sieht zunächst so aus, als ob in ihr der Mensch nicht hodi hinaus will, und tatsächlich ist sie deswegen der Sünde des Stolzes nachgeordnet. Aber als nur „sekundäre Konsequenz der Rebellion des Menschen gegen Gott" 109 trägt die Sünde in Richtung der Naturgebundenheit auch die gleiche Hypothek mit sich herum. Sie muß sich ebenfalls als Anmaßung und Vertuschung äußern, nur eben in umgekehrter Richtung. Sie ist 1. eine Ausdehnung der Selbstliebe bis zu einem Punkt, an dem diese ihren eigenen Zwedk zerstört; 2. ein Bemühen, dem Gefängnis des Selbst zu entfliehen, indem ein Gott in einem Prozeß oder einer Person außerhalb des Selbst gefunden wird; und endlich 3. ein Bemühen, aus der durch die Sünde hervorgerufenen Konfusion hin zu irgendeiner Form von unterbewußter Existenz zu entfliehen 110 .

Diese Grundtendenzen der Sinnlichkeit weisen auf die des Stolzes zurück. Jede Form der Selbstliebe kann sich nur in der Anmaßung eines Interesses universaler Natur äußern 111 . In dieser ganzen Betrachtung tritt die in den letzten Jahrhunderten so oft und hoch gepriesene Vernunft in ein sehr zweideutiges Licht 112 . Die Sünde ist 105 Ebd. 200, vgl. audi ebd. ff. Wie bestimmend dieser Gedanke für Niebuhr in bezug auf die Möglichkeit einer theologischen Sozialethik ist, wird allgemein verkannt. Vgl. den Schlußteil dieser Arbeit. loe H. Hofmann a. a. O. S. 93. 107 106 N D I 201. Vgl. PP 205. 10 110 » N D I 231. Ebd. 240. 111 Ebd. 253 : „ . . . der Mensch kann sich nicht übermäßig lieben ohne vorzugeben, er unterstütze damit nicht nur sein, sondern ein universales Interesse . . . " 112 Man könnte Niebuhr hier vorwerfen, den Unterschied von Vernunft und Verstand nicht eingearbeitet zu haben. Tatsächlich differenziert er nicht zwischen „reason", „mind" usw. Dieser Mangel verliert aber jegliche Bedeutung angesichts der Tatsache, daß im Zentrum der Anthropologie Niebuhrs die Existenz Spannung des Menschen

62

zwar nicht „die Schuld des Denkens (mind), sondern der Person, welche die zentrale Position im System der Dinge usurpatorisch beansprucht" 113 . Aber gerade diese Tatsadie relativiert ja die Qualität der Vernunft so beträchtlich. Sie stellt sich bei der Begründung und dem Ausbau des menschlichen Anspruches als durchaus dienstbarer Knedit zur Verfügung, der mit seinen Werkzeugen das Moment ideologischer Rechtfertigung liefert, mit dessen Hilfe der Mensch eben nicht an die vorgegebenen „Normen und Universalien" der objektiven Vernunft gebunden bleibt. Der Mensch ist in der Lage, die Normen der Vernunft, die ihm als Maßstab für Absolutheit im Bereich der Natur gegeben sind, in Anwendung auf sich selbst genauso zu verletzen wie die Natur ebenfalls, indem er diese Normen zur Vertuschung seiner eigenen Bedingtheit anwendet 114 . Das ist die radikale Freiheit des Mensdien bei Niebuhr. Sie ist seine Hauptwaffe immer dann, wenn es ihm darum geht, mit der rationalistischen und naturalistischen Betrachtung des Menschen 115 ein Ende — und mit einer geschichtlichen und existentialen Betrachtung einen neuen Anfang zu machen 11β . Nach allem ist die radikale Freiheit keine Tugend, ebensowenig jedoch eine Untugend! Wie einerseits der Gott der Vernunft immer eine beschämende Affinität zum Interesse seiner Verehrer hat, so kann andererseits der Mensch in seiner Freiheit und mit Hilfe seiner Vernunft im Grenzfall die andere und edite Tatsache entdecken, daß er, „designiert als ,Gottes Ebenbild'", nicht „mit einem Gott, der nach dem Ebenbild des Menschen gemacht ist, zufrieden sein" kann 1 1 7 . Damit wird die Ursprungswahrheit keineswegs geschichtlich realisiert, wohl aber wird sie zum Anstoß neuer geschichtlicher Tat. In den Krisen des Lebens sitzt, sein Verlangen, sein Trachten, d.h. jetzt: sein Interesse. Nichts, auch das „Intelligible'* nicht, ist davon ausgenommen, v o m Menschen in das Instrumentarium seines Interesses aufgenommen zu werden. Wenn es um den Begriff des Interesses geht, ist Niebuhr zeitlebens ein Marxist geblieben. Er radikalisiert den marxsdien Begriff sogar, indem er ihn theologisch-ganzheitlich interpretiert. Vgl. dazu H . Hofmann a. a. O S. 46—56. 113 F H 122. 114 R N 1 0 ; audi schon in: Reflections on the End of an Era, N e w York 1934, S. 16 (von uns zitiert: Reflections). Hier wird eine Differenzierung von Verstand und objektiver Vernunft angedeutet. „Reason" ist für Niebuhr ein Begriff, der ein strukturelles Prinzip rationaler Form bezeichnet ( N D I 28.31.112.114.135; II 71.166 u.ö.), oder zur Benennung der „rationalen Fähigkeiten" des Mensdien gebraucht wird ( N D I 1 f.). Vgl. die kritischen Äußerungen P. Tillichs dazu R N 36 ff. Niebuhr in seiner Entgegnung (ebd. 432 f.) weist auf seine Sicht von der Freiheit des Mensdien hin, was uns dazu veranlaßt, auf diese Differenzierung des Begriffes „reason" nicht allzu viel Wert zu legen. Nach Niebuhr ist jede Konstatierung einer vernünftigen Struktur des Kosmos, so wenig er sie ableugnet, aber auch so sehr sie sich rein „wissenschaftlich" geben mag, durch die Freiheit des Menschen — also durch das Interesse des Konstatierenden — gefärbt. Nur diese Seite des Problems der Vernunft findet bei Niebuhr primäre Beachtung. 115

N D I 124: „Weder der Naturalismus nodi der Idealismus können begreifen, daß der Mensch frei genug ist, um sowohl die Vorgegebenheiten (necessities) der Natur als audi die logischen Systeme der Vernunft zu verletzen." 117 » · Vgl. dazu vor allem Real 165 ff. N D 1166.

63

und der Geschichte wirkt sich die bleibende Fähigkeit der Selbst-Transzendierung, zu der ja die Vernunft in jedem Fall in instrumentaler Beziehung steht, in einem neuen Blick und Griff auf die Spannweite der menschlichen Existenz so aus, daß ein Umschlagen von einer Überbetonung zu einer moderierteren Stellungnahme oder audi zu einer gegensätzlichen Uberbetonung erfolgt. Es gilt allgemein: „Utopismus muß unweigerlidi zur Desili usionierung führen." 1 1 8 . So kommt es auf Grund des mensdilichen Wesens in der Sünde zu einem rastlosen Hin und Her. „Das Problem von Vitalität und Form ist daher eine Ursadie einer nie aufhörenden Debatte, in welcher Halbwahrheiten gegen Halbwahrheiten gesetzt werden." 119 In dieser ruhelosen Bewegung von Extrem zu Extrem und von Kompromiß zu Kompromiß ist die ganze geschichtlich-soziale Wirklichkeit enthalten. Immer wieder bricht die Tatsache durch, daß Niebuhr die Kategorien des Naturhaften, so oft er sie benutzt, nur als Übungs- und Anschauungsmaterial zum Verständnis der geschichtlichen Gegebenheiten verwendet. Hier liegt sein Hauptinteresse; hier will er die Folgerichtigkeit der Linie der Abkehrung von Gott zeigen, die zur Verkehrung der Umweltbeziehung wird. Hier mischt er nun Momente theologischer, soziologischer und psychologischer Betrachtung auf eine zunächst etwas befremdliche, in ihrer Natur aber doch auch einleuchtende Art: Es liegt eine tiefe Wahrheit in der religiösen Einsicht, die den Tod der Sünde zuschreibt: Der Tod ist der Sünde Sold. Das Urteil ist nicht völlig richtig, denn Senilität ist ebenso sehr die Ursache des Todes wie die Sünde . . . Doch alles Leben in Natur und Geschichte wird durch unmittelbare Impulse zu einem Egoismus getrieben, der mit den letzten Anforderungen des Überlebens unvereinbar ist. Es geht deshalb auf Grund seiner „Sünde" unter. Denn jedes soziale System entwickelt Mißverhältnisse der Macht und der Vorrechte — größer als je eine Regel der Gerechtigkeit es billigen könnte und gefährlich für sein eigenes Überleben 120 .

Befaßt man sich mit diesen Worten länger als zu dem Urteil nötig ist, hier werde eine theologische Aussage über das Verhältnis von Sünde und Gericht rationalisiert, was zweifelsohne zutrifft, so macht man eine Entdeckung: Der Mensch hat sich Gott gegenüber zum Subjekt erklärt und kennt daher andere nur noch als Objekt. Zeigen nun diese anderen ihr Subjekt-Sein in echter, d.h. konkurrierender Lebendigkeit, so erklärt der Mensch sie einfach zu Trägern des Bösen 121 , die an allem schuld sind und also bekämpft werden müssen. Die sich aus der Anmaßung herleitende Unsicherheit schlägt in den Willen zur Macht um 1 2 2 ; der Mensch will seine Bedrohtheit auf die „anderen" abwälzen. Da118

119 Ethic 19. N D I 28. Reflections 18 f.; vgl. H.Hofmann a. a.O. S.71 f. Die eigenartige Mischung verschiedener Denkweisen wird uns sogleich beschäftigen. 121 N D I 96—104. 122 Ebd. 179: „Der Stolz und der Wille zur Macht des Menschen stören die Harmonie der Schöpfung . . . Das Ich, das sich fälschlicherweise in seinem Stolz und seinem Machtwillen zum Zentrum der Existenz macht, unterwirft unweigerlich anderes Leben seinem Willen und tut ihm so Unrecht an." Vgl. auch Beyond 189. 120

64

(lurch trägt er jedoch unwissend gerade dazu bei, daß diese Bedrohtheit in der Front der anderen gegen ihn sich staut und desto eher auf ihn zurückfällt, je maßloser er selber vorgeht. Das ist die „Selbstzerstörung der Macht" 123 , die sich in der Geschichte immer wieder beobachten läßt. Hier haben die Gerichtsworte cler großen Propheten ihren Platz 124 . Am Schluß sei nur nodi vermerkt, daß Niebuhr sich mit den Propheten auch darin eins weiß, daß er die Frage der „Gleichheit der Sünde und Ungleichheit der Schuld"125 ebenfalls mit dem Kriterium beanspruchter Macht lösen will. Es ist wichtig, an der Gleichheit der Sünde aller festzuhalten 12e . Und doch gibt es den Unterschied von Gut und Böse127. Wenn auch der Unterschied von Besseren und Schlechteren für Niebuhr uninteressant ist, so wird doch unter dem Richtsatz, daß Unrecht „ein unweigerlicher Begleiter des Stolzes"128 ist, die Frage der Macht zum Schlüssel des Problems: Die Einsicht der Propheten „besteht darin, daß die Menschen, die durch ihren Vorrang und den Besitz übermäßiger Macht versucht werden, des Stolzes und des Unrechtes schuldiger werden als die, denen Macht und Position fehlen" l î e .

2. Exkurs: Theologie

und Kulturkritik

bei Reinhold

Niebuhr

Nach allem, was über den Begriff der Sünde erarbeitet worden ist, könnte man nun meinen, daß Niebuhr auf Grund dieser Lehre das Gespräch auf der anthropologischen Ebene überhaupt abbrechen und mit der Entfaltung des sich in Christus offenbarenden Wortes Gottes ganz neu einsetzen wird. Es überrascht ja nicht mehr, daß es Befreiung von der Macht der Sünde nur geben kann „in dem Wort Gottes, das zum Menschen von jenseits aller menschlichen Möglichkeiten her gesprochen wird" 180 . Erst nach der Darstellung dieses „Wortes" müßte dann Niebuhr mit den dadurch neu gewonnenen Mitteln die anthropologische Frage wieder anschneiden. Nichts liegt ihm jedoch ferner als dies. Aus allen seinen Sätzen leuchtet die Meinung, daß die Offenbarung in Christus nicht darauf abzielt, die Diskussion auf anthropologischer Ebene zu beenden. Freilich geht die Sünde so tief, daß die Verbindung des Menschen zu seinem Ursprung in Frage gestellt ist. Das sollte nach Niebuhr aber gerade dazu führen, die anthropologische Diskussion zu intensivieren, indem man die eben durch die Offenbarung enthüllte Ursprungswahrheit überall, auch bei den „unwissenden" Gesprächspartnern der Theologie, aufspürt. Gewiß, das Wort der Wahrheit trifft die Weisen der Welt als Torheit,... 123

Do the State and Nation S. 17. Vgl. zu dieser Frage auch weiter unten S. 163 ff. Do the State and Nation S. 17. 1!5 ,s N D I 219 ff. " Vgl. Beyond 261. 1M Ebd. 257. ND I 223. 1S 130 » Ebd. Beyond 223.

184

5

8134

Neubauer, Gerechtigkeit

65

aber genau weil es solche Torheit ist, welche die menschliche Weisheit transzendiert, wird es, einmal angenommen, zur Basis einer befriedigenden, umfassenden Erklärung des Lebens. Es wird wahrhaft Weisheit. Offenbarung bleibt nicht im Widerspruch zu menschlicher Kultur und menschlichem Wissen. Indem sie die UnVollständigkeiten abrundet, die Undeutlidikeiten klärt und die Verfälschungen des menschlichen Wissens korrigiert, wird sie wahre Weisheit für „die, die berufen sind" 1 > l .

Wenn aber die Offenbarung die befriedigende Erklärung des Lebens ist, das jeder lebt und zu kennen meint, dann gibt es in diesem Leben auch Anknüpfungspunkte für diese Wahrheit; Niebuhr wendet sich hier scharf gegen Barth 132 . Er steht hier ganz in der Nähe von E. Brunner; auch bei ihm dient die Anknüpfung nicht so sehr der Suche nach positiven Resten der iustitia originis, vielmehr dazu, den Menschen konkret gerade in der Negation seines Ursprunges zu stellen. Aber so gilt eben: Nichts kann die wesentliche Natur und Struktur (sc. des Menschen; Anm. d. Vf.) ändern, so wie die Blindheit des Auges nidit das Auge aus der menschlichen Anatomie entfernt. Sogar die Zerstörung des Auges kann die Tatsache nicht ändern, daß die menschliche Anatomie zwei Augen erfordert 133 .

Es ist nötig, dem Mensdien die Sünde als Sünde nachzuweisen. Und da nun die Struktur bleibt, auf deren Grund der Mensch nicht mit sich selber fertig werden kann, ist dieser Nachweis an eben dieser Tatsadie möglidi, daß der Mensch nicht mit sich fertig werden kann. Und weil das Vergessen der konstitutiven Bestimmung des Menschen sich daran bemerkbar macht, daß der Mensch seine disparaten instrumentalen Gegebenheiten nicht mehr vereinen kann, ist auch immer bei dem Menschen mit einem Bewußtsein von seiner Fehlentscheidung zu rechnen 134 . Wie immer bei Niebuhr stehen wir vor einem komplexen Tatbestand. Der Mensch kann die Einheit in Körper und Geist nicht mehr realisieren. Andererseits ist jede Lebensäußerung der Versuch einer solchen Realisierung, durch den der Mensch seinen Status finden und festigen will und in dessen Vollzug er seine Ungesichertheit vermehrt und die Harmonie des Lebens stört. Dieses Ergebnis seiner Tat ist dem Menschen „sowohl unbewußt wie auch bewußt" 1 3 5 . Nicht bewußt ist es ihm, insofern das Selbst nie freiwillig von sich selbst als eigenem Zentrum und von der Frage seiner Sicherheit lassen kann, bewußt 131

N D II 67. N D I I 6 4 : » . . . die protestantische Theologie, genauer die radikale protestantische Theologie (Barth), geht fehl, wenn sie den .Anknüpfungspunkt' leugnet, der immer im Menschen da ist vermöge der bleibenden Elemente der iustitia originalis in seinem Sein." Vgl. ebd. auch Anm. 14; auch ebd. I 269 und II 117. Eine sehr kritische Stellungnahme gegen K.Barth auch Real 182ff. 133 N D I 269, darüber mehr unten S. 68 ff. 134 Dabei ist natürlich das Ausmaß der wirklichen Sünde größer als das Bewußtsein von ihr — auch im besten Fall, dem der Reue. Im andern Fall wäre ja der reuige Sünder eigentlich gar kein Sünder mehr, und eine Offenbarung wäre überflüssig. Vgl. Christian Century, 10.11.43, S. 1299. 13s N D I 250. 132

66

jedoch, insofern es mit sich selbst als eigenem Zentrum nie ganz zufrieden sein kann 1 3 6 . Daraus leitet sich einerseits ein „unbehaglidies Gefühl" 1 3 7 her, das sich wiederum in vermehrten Anmaßungen äußern kann, und andererseits ergibt s idi jene „Unehrlichkeit", die bei allen Unternehmungen des menschlichen Stolzes zu beobaditen ist. Die volle Aufdeckung dieser Unehrlichkeit ist nicht durdi die Psychologie möglich, sondern nur durch das christliche Verständnis vom Menschen 138 ; dieses kann sich jedoch mancherlei Argumente bedienen. Die Aufdeckung droht dem Menschen aus ihm selbst heraus, darum ja das verzweifelte Bemühen, Belege für das Recht seiner Anmaßung zu finden. Oder sie droht ihm durch, andere „konkurrierende Willen" 139 . Der Mensch muß sich gegen die Wahrheit betrügen, die ihm klar zu werden oder ihm beigebracht zu werden droht. Schlechtes Gewissen — das ist der Begleiter des Menschen immer und überall 140 . Unruhiges Gewissen bedeutet dabei für Niebuhr weniger eine dem Menschen innewohnende geistig-sittliche Instanz. Es ist hier eher der unvermeidliche Abdruck der einfach gültigen Tatsachen des Lebens im Menschen mit seinen Anmaßungen — und ist der Abdruck der Tatsachen, die nicht in Einklang mit diesen Anmaßungen zu bringen sind. Der Mensch kann diesen Tatsachen teilweise das Ihre einräumen. Am Ende steht jedoch, wenn alles so ehrlich wie eben möglich zugeht, die Einsicht in die Sünde W1 . Übersetzt man das alles auf die Ebene, wo sich Philosophien und Ideologien treffen, so ergibt sich für deren Auseinandersetzung wiederum der Sinn, auf den wir schon am Ende des vorigen Exkurses gestoßen sind 142 . Nun besorgen ja diese Philosophien das Geschäft gegenseitiger Infragestellung schon von alleine. Aber für sie alle gilt, was Niebuhr im Blick auf Hegel und Marx sagt: » . . . jede Philosophie steht unter der Illusion, daß sie keine Illusionen hat, weil sie die Illusionen ihres Vorgängers entdeckt hat." 1 4 3 Demgegenüber wird durch die christliche Wahrheit vom Menschen jede fixierte Meinung vom Menschen der Anmaßung auf falsche Endgültigkeit überführt, zu allererst die jeweils eigene. Und damit beginnt dann die Diskussion erst fruchtbar zu werden. Wenn die Parteilichkeit jedes Partners enthüllt ist, kann audi jeder überraschend wiederum zu seinem Recht kommen. Freilich ist dabei zu bedenken, daß jede Weltanschauung das Geheimnis ausgerechnet ihrer Parteilichkeit am eifersüchtigsten zu verhüllen sucht. 136

137 Vgl. N D I 293. Ebd. 196. Vgl. ebd. 203ff.: Die Beziehung der Unehrlichkeit zum Stolz; bes. S.205 f. 139 140 Ebd. 203. Vgl. bes. N D I 265—267. 141 Ebd. 258 f.: „ . . . in den höchsten Bereichen der Freiheit des Geistes entdeckt das Selbst in Kontemplation und Rückblick, daß seine bisherigen Taten ausnahmslos die Realität und den Wert, die letztgültig und dem Selbst als Geist erreichbar sind, vermengt haben mit dem, was dem Selbst unmittelbar notwendig war. Wenn nun das Selbst meint, es könne dadurch, daß es diese Tatsache in den vergangenen Handlungen entdeckt hat, dieser Korruption in zukünftigen Handlungen entgehen, so wird es lediglich die Beute der pharisäischen Täuschung." 14î 143 S. o. S. 54. Tragedy 223. 138

5*

67

Wir hoffen, hiermit den Punkt bezeichnet zu haben, von dem aus Niebuhr seine unaufhörlichen Diskussionen mit allen möglichen Partnern führt. Ein großer Teil derselben geht dabei ganz „prae-soterisch" 144 vor sich, wie E. J . Carnell so treffend formuliert. Niebuhr kann ganz untheologisch reden, das theologische Moment seiner Rede steckt doch immer drin, nämlich in dem Angriff auf die Spitze einer Theorie, in der diese sidi absolut setzen will. Um im Bilde zu reden: Die Pfeile, die bei diesem Angriff verschossen werden, können aus allen nur erreichbaren Köchern stammen — was den Angriff als theologisch kennzeichnet, ist die Tatsache, daß die Pfeile dieses Ziel haben. 4. Der Mensch in der

Geschichte

Wir wollen jetzt versuchen darzustellen, wie Niebuhr alles, was bisher erarbeitet worden ist, zur Zeichnung des gegenwärtigen Menschen in statu corruptionis zusammenträgt und gestaltet. Wir haben sdion bemerkt, daß er zur Erklärung des gegenwärtigen Standes des Menschen nicht nur die Lehre von der Sünde zur Hand nimmt, sondern audi die des Ursprungs des Menschen. Letztere ist ein bleibendes Element des Menschen in seiner Geschichte. Hier setzen wir ein. Die Nähe Niebuhrs zur Position E. Brunners ist uns schon aufgefallen: Bekanntlich unterscheidet E. Brunner zwischen Form und Inhalt der imago 145 . Mit dieser These trifft sich Niebuhr genau, wenn er von der „Unterscheidung zwischen der wesentlichen Struktur und Natur und der Tugend der Ubereinstimmung mit ihr" 1 4 6 spricht. Von hier aus geht es ihm um das, was E. Brunner gleichfalls ausdrückt: „Audi als Sünder ist der Mensdi nur aus dem ursprünglichen Gottesbilde verständlich — nämlich als der im Gegensatz zu ihm Lebende." 147 Wir erinnern uns zunächst an die Kritik Niebuhrs an M. Luther: „Die totale Verderbnis ist eine Unmöglichkeit, da der Mensdi nur daher ein Sünder sein kann, weil er Freiheit hat; und Freiheit ist das Kennzeichen seiner göttlichen Kindsdiaft." 148 Wir erinnern uns auch an die Polemik Niebuhrs gegen Barth. Das Argument läuft immer auf die Betonung der Freiheit hinaus, die einerseits verbietet, den Menschen allzu negativ zu sehen und andererseits erst ermöglicht, daß Sünde wirklich Sünde ist 149 . Es bleibt also mit der Freiheit als 1 4 4 E . J . C a r n e l l in R N 3 7 9 f f . : Niebuhrs Criteria of Verification. Vgl. diesen guten Aufsatz zum ganzen gegenwärtigen Problem. Z i t . S . 3 8 1 . 1 4 5 So öfter in: Der Mensch im Widerspruch, u. a. S. 166. 1 4 8 N D I 269. 147 E. Brunner a. a. O. S. 96. 1 4 8 Beyond 190. ne Vgl. audi Ethic 9 1 : „In anderen Worten: Es ist die menschliche Freiheit, die durch die Transzendenz der Vernunft über den Impuls entsteht, welche die Sünde möglich madit. Deshalb — wenn der Mensch total verderbt ist, ist er überhaupt nidit sündig." Man muß sich bei solchen Sätzen immer wieder klarmachen, daß die Freiheit bei Niebuhr etwas anderes ist als in der idealistischen Philosophie. Für Niebuhr gibt sie den Wert des Menschen nur insofern an, als sie dessen Ermöglichung ist, womit sie gleichfalls die Ermöglidiung der Verderbnis ist.

68

Kennzeichen der Ebenbildlichkeit audi diese selber150 trotz der Sünde und — wegen der Sünde. Das läuft aber keineswegs auf die katholische Unterscheidung einer verlorenen Ursprungsgerechtigkeit geistlich-übernatürlicher Art von einer davon unbeschadeten natürlichen Gerechtigkeit hinaus. Auch diese läßt sich angesichts der „Erfordernisse der menschlichen Freiheit" 151 nicht halten. Es bleibt die ganze Ursprungsgerechtigkeit. Andererseits: „Letztes Vertrauen in die Güte des Lebens kann . . . nicht auf einem Vertrauen in die Güte des Menschen ruhen. Der Glaube eines Christen . . . ist Vertrauen auf Gott, auf einen Gott, der eine gute Welt gesdiaffen hat, obwohl die Welt gegenwärtig nicht gut i s t . . 1 5 2 Das klingt beinahe altprotestantisch, und mit seiner Ablehnung der „iustitia civilis" geht Niebuhr an Schärfe sogar über den Altprotestantismus hinaus158. So viel scheint bis jetzt klar zu sein: Das Gedächtnis einer ideal-transzendenten Möglichkeit des Menschen „widerlegt jede Lehre einer totalen Verderbnis. Aber die Aktualität der inneren Spannung widerlegt jede Lehre einer unverdorbenen menschlichen Güte" 1H .

Wie ist nun das rechte Verständnis nach Niebuhr? Wir sagten schon, daß die Sünde die Freiheit voraussetzt, daß aber die Freiheit nicht die Tugend des Menschen ist. Wenn Niebuhr indessen sagt: Die Sünde „borgt" von der „ursprünglichen Gerechtigkeit" 155 ,oder: „Das Übel stützt sich auf die Ordnung" 15e , obwohl es damit noch lange nicht die bloße „Abwesenheit der Ordnung" 157 , so wird die Freiheit doch wieder in unlösliche Beziehung zur Ursprungsgerechtigkeit gesetzt, denn beide erscheinen als Voraussetzung der Sünde. Wie diese in Freiheit geschieht, kommt sie in jedem Fall von der Ursprungsgerechtigkeit her. So erklärt sich der grundlegende Satz: „Vollkommenheit vor dem Fall ist, in anderen Worten, Vollkommenheit vor der Tat!" 158 Im Moment der Tat als Moment der Selbsttranszendierung kommt der Mensch jedesmal von der Ursprungsgerechtigkeit her, und das Bewußtsein davon 159 gibt seiner Tat das für sie bezeichnende Gepräge. Das ist der „locus der ursprünglichen Gerechtigkeit" le ». Der ganze Ablauf des Lebens ist dadurch gekennzeichnet, daß die Handlungen des Menschen niemals nur bloße Verrichtungen sind, sondern immer mit 151 150 Ebd.; vgl. ebd. 154.284. N D I 276. 153 »5! Beyond 131 Vgl. o. S. 30 f. ; N D I 268. 154 155 Ebd. 293. Ebd. 280. 157 151 Ebd. Ethic 73. we N D 1178. Audi LJ 51: „Vollkommenheit vor dem Fall ist immer die ideale Möglichkeit vor der Tat." 159 „ . . . das Bewußtsein ,ursprünglicher Gerechtigkeit' in einem Moment des Selbstes, in dem es die Geschichte transzendiert... Die ursprünglidie Gerechtigkeit steht gewissermaßen außerhalb der Geschichte. Aber der Mensdi ist in der Geschichte, und wenn die Sünde kommt, borgt sie . . . von dieser ursprünglichen Gerechtigkeit. Denn die Sünde maßt sich an, keine Tat in der Geschichte, sondern eine Tat aus Unparteilichkeit, eine Tat der Ewigkeit zu sein." N D I 279 f. 180 Ebd. 276 f.

69

dem Anspruch auftreten, einem gewissermaßen aus ihrem Vorher heraus befehlenden Sollen gerecht zu werden. Dieses Sollen ist, soviel der Mensdi audi daran deuten mag, im Grunde nichts anderes als die iustitia originalis, die „vor der Tat" ihren Ort hat. Sie bestimmt die Tat als das eigentliche Sollen und ist, subjektiv gesehen, als solches „ought" 1 6 1 — und material gesehen, als „Gesetz" und als „Norm" 1 8 2 bei der Tat gegenwärtig. Erst nach dieser Aussage kann man die von uns vorweggenommene Behauptung, die Sünde sei nicht notwendig, aber doch unvermeidlich1®8, in ihrer Schärfe verstehen. Weil die Tat des Menschen sich unmittelbar vor der Vergangenheit der iustitia originalis ereignet, ist die Sünde alles andere als notwendig und ist der Mensch voll verantwortlich. Weil hingegen der Mensch mit seiner Tat im Bereich des Endlichen das beanspruchen will, was Gott allein gebührt, nämlich Endgültigkeit, ist die Sünde unvermeidlich 1 * 4 . Dabei ist deutlich, daß nach dem unerklärbaren Vollzug der Abkehrung von Gott der Mensch durch nichts anderes als die jeweils unmittelbar vergangene Gegenwart seiner iustitia originalis mit ihrem „Du sollst" zu seiner Sünde getrieben wird. Niebuhr interpretiert also den Begriff der iustitia originalis für den Stand post lapsum, d.h. für die Gesamtexistenz des Menschen, so, daß er sich zumindest weithin mit dem Gesetz in der Funktion des theologischen Gebrauches deckt. Was dem Mensdien bei Gott zur Erfüllung diente, das wird ihm, von Gott getrennt, etwas, was sein Verhängnis mitbestimmt. Das alles will sagen: Gerade bei bleibender Normbedeutung der iustitia originalis wird der Sündenfall in jedem Falle menschlicher Tat ganz akut, nicht nur in abgeschwächter Form. Auf der anderen Seite gibt es nun die iustitia originis als Norm nicht und niemals als festen „Besitz" l e s , sondern nur in der Mischung von Endlichkeit und Sünde. Das bedeutet keine Aufhebung oder Beschneidung der bleibenden iustitia originalis, sondern eine Spezifizierung des Tatbestandes. Schon die Normen, die als reale Beweggründe menschlichen Handelns auftaudien, sind, indem sie die wahre Norm auf das Maß des beschränkten und geängsteten Menschen zuschneiden, die Konsequenz einer Tat, nämlich dieser Zuschneidung, in der der Mensch seinen Ursprung nicht mehr begreifen kann und verleugnen will. Niebuhr drückt sich kurz so aus: „Das Böse . . . ist nicht die Abwesenheit, sondern die Korruption des Guten." 1ββ Nun weiter: Um den Anspruch der Sünde zu rechtfertigen, muß der Mensch sich dauernd selbst betrügen. „Die Tatsache, daß diese Notwendigkeit besteht, 181

162 Ebd. 287. Ebd. 280ff. Vgl. o. S.57. 1,4 Die Anwendung dieser doppelten Tatsache lautet (als Beispiel): „Die Menschen müssen bedeutungsvolle Entscheidungen auf der Basis bestimmter Normen treffen, obwohl sie sich darüber klar sein müssen, daß alle geschichtlichen Normen sowohl von der Endlichkeit als audi von der Sünde berührt werden; und daß ihre Sündigkeit genau in dem erschwindelten Anspruch auf Endgültigkeit besteht, der für sie erhoben wird." N D I 284. 195 Ebd. 277 u. ferner zum folgenden. ™e Ethic 73. 1M

70

ist ein wichtiger Hinweis auf die Spur der Wahrheit, die dem Selbst in seiner ganzen Konfusion verbleibt und die es verkleben muß, bevor es handeln kann. Die Unehrlichkeit des Menschen ist daher eine interessante Widerlegung der Lehre von der totalen Verderbnis des Menschen." 167 Das ist Niebuhrs Art zu denken! Wir meinen, ihr am besten durch die Aussage gerecht werden zu können: Die Ursprungsgerechtigkeit ist immer gegenwärtig, indem sie gerade im Vollzug ihrer Negation von Seiten der Sünde bestätigt wird. Niebuhr kann seine Ansicht durch verschiedene Illustrationen klären. „Es kann kein Falschgeld ohne echtes Geld geben." 188 Sünde ist durch und durch „falsch". Gleichwohl steht und fällt ihre Falschheit damit, daß sie vom Echten „borgt", was sie nicht könnte, wenn es nicht das Echte gäbe. Wo ist der Ort der Gesundheit in einem krankheitsbefallenen Körper? Offensichtlich mag der Sitz der Infektion in einem bestimmten Organ des Organismus sein, so daß die anderen Teile verhältnismäßig gesund sind. Die Krankheit in irgendeinem Teil des Organismus affiziert jedoch das Ganze. Der ganze Organismus ist daher befallen. Und doch gibt es Gesundheit in bestimmtem Maße, solange es Leben gibt. Gerade die Schmerzen der Krankheit sind ein Zeugnis dieser verborgenen Gesundheit, denn der Schmerz erweist, daß die normale Harmonie des Organismus gestört ist und ist deshalb die Anzeige der Krankheit durch die Gesundheit. Es ist nicht möglich, der restlichen Gesundheit in einem krankheitsbefallenen Körper einen bestimmten Ort zuzuweisen 1· F H 183.

77

Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, sind die Erfordernisse seiner Freiheit und stellen die iustitia originalis dar 207 .

Als zweites findet die katholische Unterscheidung zwischen „einem relativen und absoluten Naturgesetz" 208 Niebuhrs Interesse. An sich ist sie gut und notwendig. Vor allem müßten bei ihr manche modernen Utopisten christlicher Prägung (für kontinentalen Blidc: vor allem amerikanischer Prägung) immer noch in die Schule gehen209. Weil nämlich das Gesetz der Liebe transzendent ist, ist es keine unmittelbare Möglichkeit der Geschichte. Seine Geltung von der Transzendenz her fordert vielmehr die Bildung, Erhaltung und Veränderung „möglicher" Strukturen und Normen für den Augenblick geschichtlicher Verwirklichung heraus210. Diese Bildung, Erhaltung und Veränderung muß kontinuierlich vom Gesetz der Liebe her gesdiehen, in welchem „alle Schemata der Gerechtigkeit erfüllt und negiert werden" 211 und dadurch erst ihre Rechtmäßigkeit im „Heute" gegenüber dem „Gestern" und offen für das „Morgen" erhalten 212 . Die wichtigste Aufgabe in bezug auf alle Werte weltlicher Gerechtigkeit ist also die klare Sicht ihrer Kontingenz im geschichtlichen Augenblick gemessen an der Norm der umfassenden Liebe. Damit indessen sind wir an dem Punkt angelangt, von dem aus Niebuhr jede naturrechtlich ausgerichtete Lehre kritisiert. Der Dienst dauernd neuer Füllung und Negierung nämlich wird den weltlichen Normen durch eine naturrechtliche Interpretation ihres Charakters gerade nicht geleistet, vielmehr werden sie auf diesem Wege zur Eigenständigkeit und Selbstgefälligkeit verleitet. Die Lehre des Naturrechtes unterliegt dauernd der Gefahr, die heilsame Distanz zwischen der absoluten Norm und den relativen Normen zu leugnen und letztere mit dem Geltungsanspruch der ersten auszurüsten, indem irgendeine geschichtlichkontingente Größe mit der „Natur" als der aller Geschichte zugrunde liegenden Konstante gleichgesetzt wird. Darin liegen eine ganze Anzahl von Fehlern. 207

N D I 280; auch schon ebd. 270, w o in bezug auf das Naturgesetz besser ausgesagt wird, daß es die „Tugend und Vollkommenheit" sei, die dem Element der Gesdiöpflichkeit des Menschen korrespondiert. 208 N D I 297. 209 „Die christlichen Utopiker denken, sie könnten sich aller Strukturen und Regeln des Rechtes entledigen, indem sie einfach das Gesetz der Liebe erfüllen. Es geht ihnen nicht auf, daß das Gesetz der Liebe auf dem Endrand der Geschichte steht und nicht in der Geschichte, daß es eine letztgültige und keine unmittelbare Möglichkeit darstellt. Sie meinen, sie könnten das Reich Gottes heraufführen, wenn sie nur die Menschen überreden könnten, der Tyrannei nicht zu widerstehen und so den Konflikt zu umgehen. Sie erkennen nidit, in welchem Ausmaß das Recht in einer sündigen Welt tatsächlich durdi eine Spannung konkurrierender Kräfte erhalten wird. Diese sind immer in der Gefahr, in offenen Konflikt hinein zu degenerieren. Ohne sie gäbe es jedoch nur den despotischen Frieden der Unterwerfung des Willens der Schwachen unter den Willen des Starken." N D I 298. 210 Vgl. dazu ausführlich S. 171 f. und 179 ff. 211 N D I 295. 212 Vgl. F H 183.

78

1. Die katholische Lehre irrt, wenn sie zwischen einer verlorenen geistlichen Tugend und einer mehr oder weniger erhaltenen Natur des Menschen unterscheidet. Weder ist das eine so einfach verloren, noch ist das andere erhalten. „Es g i b t . . . kein unverdorbenes Naturgesetz, ebenso wie es keine vollkommen verlorene Ursprungsgerechtigkeit gibt." 213 Das eigentliche Problem liegt auf einer anderen Ebene, auf der sidi nicht sauber trennen läßt: Die menschliche Freiheit und das heißt audi: die menschliche Sünde berührt und durchdringt jede geschichtliche Struktur eines sogenannten Natürlichen — und zwar auch auf der Ebene des ius naturale, nicht nur der des ius gentium·214. 2. Die protestantische Theologie hat dem Naturrecht von Anfang an weniger Platz eingeräumt, einmal weil sie „einen zu starken Sinn für die Besonderheit der Lage im einzelnen Fall und die Einmaligkeit jedes Individuums hat, das der Lage gegenübersteht" 215 . Vor allem beargwöhnte sie das Naturrecht, weil sie „rechtermaßen die Gefahren des Moralismus und der Selbstgerechtigkeit in den Starrheiten des Naturrechts entdeckte" 216 . Im Luthertum ist nun als Auswekhmöglidikeit gegenüber den Schwächen der Naturrechtslehre die der Schöpfungsordnung entfaltet worden, die zunächst den Vorteil hat, daß sie „das Gesetz auf eine natürliche Tatsache begrenzt, z.B. die Zweigeschlechtlichkeit"217, ohne sich auf die von der Freiheit berührten Formen festzulegen. Es kann aber nun der Lehre der Schöpfungsordnung schlecht gelingen, innerhalb dieser legitimen Grenzen zu bleiben, weil sie in diesem Falle sich auf die Konstatierung sub-ethischer Binsenwahrheiten beschränken müßte. Sie will also mehr, fällt dadurch indessen sofort unter das gleiche Verdikt wie das Naturrecht. Die Schöpfungsordnungen „ . . . legen den Bedingtheiten der N a t u r und Geschichte göttliche Intention bei" 218 . Echte Schöpfungsordnung wäre z.B. die allgemeine Tatsache, daß das Zusammenleben der Menschen sich gesellschaftlich und politisch zu ordnen hat. Alle nur denkbaren politischen Strukturen könnten demnach — sagen wir es vorsichtig — mit dem Prädikat „Schöpfungsordnung" in Verbindung gebracht werden, womit der Schlußpunkt des Kapitels der Schöpfungsordnung erreicht wäre. Indes, die Dinge liegen ja anders. Dem an seine Situation gebundenen Menschen ist der Blick auf die ganze Ausdehnung aller nur möglichen politischen Systeme ja verbaut. Wenn also irgendwann das politische Zusammenleben als Schöpfungsordnung gekennzeichnet wird, verbindet sich dieser Wertmaßstab unvermeidlich mit der in diesem geschichtlichen Moment gerade gültigen Struktur politischer Über- und Unterordnung, und meistens hat man dieses Ergebnis sehr deutlich gewollt. Man vergißt, „daß die menschliche Freiheit die gegebenen' Fakten der Schöpfung so sehr verändert und umwandelt, daß keine menschliche Institution lediglich durch das Kriterium fixierter Prinzipien der .Schöpfung' beurteilt werden kann" 219 . Das Resultat solchen Vergessens ist 213 214 215 218

N D 1281. N D I 296; vgl. Seif 114 ff., ferner Real 122. 2I N D 160. · Ebd. 221. 219 Beyond 236. N D II 197.

217

Ebd. 282.

79

immer, daß — um im obigen Beispiel zu bleiben — die bestehende Form der Obrigkeit mit „einer unverbürgten Aura der Heiligkeit" 2 2 0 umkleidet wird, daß der Mensdi nicht mehr frei und verantwortlich in seinen Ordnungen, sondern unfrei in, und verantwortlich nur noch vor den Repräsentanten dieser Ordnung leben muß 2 2 1 . 3. Diese Überlegungen führen zum entscheidenden Argument Niebuhrs. „Alle Reditsaufstellungen und -bestimmungen sogar der nur durch die Sache und die Vernunft bestimmten Mensdien werden durch die Tatsache verdorben, daß sie durdi Interesse gefärbt sind" 2 2 2 ; das gilt gerade vom Naturrecht, weil sich diese Tatsache durch das Naturrecht so leidit verdecken läßt. „ D a s ganze K o n zept des Naturrechtes . . . beansprucht eine menschlidie Teilnahme an einer universalen Vernunft, in der es keine ideologische Vergiftung gibt." 2 2 3 D a s N a t u r recht gibt sich als „nicht gefärbt durch die Interessen des Konstrukteurs" einer bestimmten Gesellschaftsstruktur. Solcherart getarnt führt es gerade „die ideologische Vergiftung in die angenommenen Heiligkeiten des Gesetzes" ein 2 2 4 . Es bleibt dabei, daß die Unterscheidungen, welche das Naturredit vorlegt, notwendig sind. Weil jedodi die Vernunft in keinem Fall unvoreingenommen, sondern immer mitbestimmt ist durch das Interesse des Menschen, muß das N a t u r recht gerade dort immer wieder relativiert werden, wo es sidi seit jeher so stark gemacht hat, dort nämlich, wo es eine bruchlose Verbindung zu Gottes N o r m zu sein beansprucht 2 2 5 . Die Theologie hätte besser getan, hier auf Augustin zu hören, der die Welt nicht an das Naturrecht, sondern nur an die N o r m der Liebe bindet, die gerade in ihrer Transzendenz aktuell w i r d 2 2 6 . N u r Gott setzt dem Menschen das Gesetz seines Lebens 2 2 7 . Wer zuviel vom Naturredit redet, hat meist schon vergessen, daß zunächst nodi immer zu betonen ist: Immer ist die Geschichte „die Enthüllung des Zornes Gottes über den sündigen Stolz des Menschen" 2 2 8 . D a mit eröffnet sich unser nächstes Kapitel, denn für Reinhold Niebuhr gilt jetzt: Der Wille Gottes ist die Norm, das Leben Christi ist die Offenbarung dieses Willens, und der einzelne Mensdi sieht sich der furchtbaren (awful) Verantwortung gegenüber, nach der Erfüllung des Willens Gottes streben zu müssen mitten in all den Verwicklungen der menschlichen Existenz mit keiner anderen autoritativen Norm als dieser letzgültigen 22 ·. 220 221 222 223 224 225 226 227 228 22>

80

Ethic 157. Vgl. ebd. 152 ff. L J 48. Real 162 f. Ebd. 126. Niebuhr klärt diesen Tatbestand am Problem des gerechten Krieges: ND I 283. Vgl. Real 123—127. NDI141. Ebd. Ebd. 60.

5. Reinhold Niebuhrs Lehre vom Menschen im Blick auf Martin

Luther

An dieser Stelle soll nun die erste Konfrontation Reinhold Niebuhrs mit Martin Luther vollzogen werden. Man mag fragen, was die vernommenen Gedankengänge, in denen ein guter Teil der modernen Geistesgeschidite und ein noch größerer Teil der politischen Erfahrungen der neueren Zeit ihren Niedensdilag gefunden haben, mit dem Reformatoren zu tun haben. Dodi Niebuhr gab in seiner Beurteilung Luthers selber das Stidiwort — und unsere bisherige Untersuchung hat dodi wohl vollauf bestätigt, daß der amerikanische Theologe dem deutsdien Reformator vor allem und am ehesten in der Lehre von der Sünde nahesteht. Diese Tatsache liegt so eindeutig auf der Hand, daß wir uns auf kurze Andeutungen beschränken können. 1. Was Niebuhr in seiner Lehre von der Sünde aussagen will, kann gar nicht besser zusammengefaßt werden als in der Aussage Luthers : „ . . . natura nostra vitio primi peccati . . . profunda est in seipsam i n c u r v a . . . " 230 Genau die Zurückkrümmung des gottesbezogenen Menschen auf absolute Selbstbezogenheit ist die „Rebellion gegen Gott" 2 3 1 bei Niebuhr. Es ist die Tatsadie, daß „ . . . natura humana maxime pugnat contra hoc vocabulum .dominus' " 232. Die Selbstvergötzung 233 , in der der Mensch vellet se esse deum et deum non esse deum" 234, ist der Herd aller Sünde, ist die Sünde auch bei Niebuhr. Was wir von Luther kennen in bezug auf den Mensdien, » . . . der Gott benutzt, aber nidit an ihn glaubt, der in Wahrheit froh wäre, wenn er ohne Gott auskäme, den seine eigenen Fehler ärgern, weil sie ihm zeigen, daß er nodi nicht Gott i s t . . . " 235 — dem allem begegnen wir bei Niebuhr wieder. Damit nimmt dieser das entscheidende Anliegen Luthers auf, die Sünde nicht als bloße privatio boni, sondern als positive, korrumpierende Tat zu besdireiben. Audi für Niebuhr sitzt die Sünde im innersten, sich von Gott lossagenden Willen des Mensdien. Und wenn er seine Lehre in dem Satz zum Höhepunkt bringt: „Eine 230 W A 56, 3 0 4 , 2 5 f. (Römerbrief 1515/16). Vgl. dazu E . W o l f , Libertas Christiana, T h E x N F 18, München 1949, S.23. 231 232 Vgl. oben S. 59. W A 40 III, 2 2 4 , 2 f. 233 H . Bornkamm, Luther und das Alte Testament, Tübingen 1948, S . 3 8 (vgl. audi ebd. ff.), weist auf Luthers Auslegung des Propheten Habakuk hin, in der Luther zum Ausdruck bringt, daß Götzenglaube im Kern immer menschliche Selbstvergötzung ist: „Denn wer sich eines dinges rhiimet und ist frölich und fro drüber, . . . danket aber dem rechten Gotte n i d i t . . . : D e r macht sich selbs zum abgott, gibt y h m selbs die ehre, frewet sich nicht y n n Gott sondern ynn seiner krafft und werck. Darumb ob yhr w o l mit dem munde Gott nennet und mit der hand fur dem götzen opffert und reudiert, so ists doch y m grund ewrs hertzens nichts, sondern yhr haltet v o n euch selbs viel und gefallet euch selbs wol, das yhr solchs vermügt, und meinet, yhr seyds werd und habets verdienet; drumb ist ewr netze, das ist ewr macht und gewalt, ewr gott, dem opffert und reuchert y h r . . . D e n n was man sich frwet, worauf! man sidi verlest, das ist sein Gott, weil man sich auff niemand denn auff Gott allein verlassen sol, auch sonst keines dings denn Gottes frewen. D i e gottlosen aber müssen sich yhrer werde und gewalt trösten, das ist yhr gott, sie können nidit anders." W A 19, 3 8 4 , 1 0 — 2 7 . 234

6

W A 1, 225, 1 f.

8134

Neubauer, Gerechtigkeit

235

H . J. Iwand a. a. O. S. 20.

81

korrupte Religion ist die schlimmste Korruption" 2 s e , so ist ihm audi darin der Reformator vorausgegangen: „In politica ira est aliquid humani reliquum . . . Furor pharisaicus [est; Anm.d. V f . ] plane diabolicus." 237 2. Effektiv ist sich Niebuhr mit Luther auch darin eins, wie die Sünde des Menschen sich in der Geschichte auswirkt. Wir lesen über Luther: Luther hat die Versuchung sehr scharf gesehen, die darin besteht, daß in die politischen Spannungen moralische oder religiöse Gesichtspunkte hineingetragen werden. Es ist dier Menschen Art, den Splitter in des Bruders Auge, aber den Balken im eigenen nicht zu sehen. In der Dunstwolke der Selbstgerechtigkeit diffamiert man den Gegner und gibt vor, für gerechte und heilige Dinge zu streiten, während doch in Wirklichkeit Recht und Unrecht auf beiden Seiten unauflöslich verbunden sind. Man sagt: „Ich thue es nidit aus feindschafft zu der person sondern aus liebe der gerechtigkeit, Der person bin ich hold, aber der sachen feind: Das kutzelt denn so sanfft unter dem schönen schein, das man nimer keins balckens gewar w i r d . . ( W A 32,483, Wochenpred. über Mt. 5—7, 1930—32). Der Mensch nimmt Ehre, Weisheit und Recht für sich in Anspruch (WA 7,581, Das Magnificat verdeutschet und ausgelegt, 1521), weswegen er sie dem Gegner dann absprechen muß. Aber Gott ist der Herr dieser Güter, darum darf der Mensch sie sich nicht zugute halten (WA 7,555 f., s. o.) 238. Damit ist genau das gesagt, was Niebuhr in den Begriff der „Unehrlichkeit" in allen menschlichen Unternehmungen 2 3 9 hineinlegt. Sogar dem Bild vom „Turm zu Babel" 240 , das Niebuhr zur Kennzeichnung dieser Unternehmungen heranzieht, begegnen wir schon bei Luther 2 4 1 . Wenn Niebuhr dabei die menschliche „anxiety" 242 als treibende Kraft nannte, so enthüllt sich darin eine weitere Übereinstimmung. Es ist ja bei Luther die „Eitelkeit", die den Menschen durch seine Welt und Zeit treibt. Das „ruhelose Weiterdrängen" des Mensdien weist auf den „Zustand der Unersättlichkeit" zurück, in dem eine „Sorgestruktur" das Wollen des Mensdien charakterisiert 243 . Audi das „Dilemma von Sicherheit und Macht" 244 kennt Luther in seiner Geschiditsbetraditung sehr genau 245 . Freilich offenbaren sich hier schon entscheidende Differenzen. Für Luther 23« Vgl. A. Schlesinger jr. in R N 149, Anm.43, wo diese Äußerung Niebuhrs dreifach belegt wird. 237 G.v.Rad, Das erste Buch Mose, Gen. 1—12,9, in: Das Alte Testament Deutsch, Neues Göttinger Bibelwerk, Göttingen 1956 4 , S. 88 f. zitiert diesen Satz Luthers zu seiner Auslegung von Gen. 4, 1—16. 238 H. W. Krummwiede a. a. O. S. 91. 239 Vgl. oben S. 66 f. und 72 f. 240 Vgl. oben S. 75. 241 WA 51, 203,13 ff. 242 S. oben S.55. 243 E.Wölfel, Luther und die Skepsis a.a.O. S. 125.127. 244 S. oben S.64 und 75. 245 Was anders steckt in der Beobachtung aus dem Jahr 1526: „Also wie es Gott mit uns macht, so sind wyr doch keyn nütz. Sihe, wie stoltz die baurn, wie verzagt die herrn waren ynn dieser nehisten grewlichen auffrur. Da halff widder flehen noch schrecken bey den baurn, widder trost noch vermanen bey den herrn. Itzt widderumb ist bey den herrn auch keyne masse yhrs trotzs und ubermuts, hilfft aber mal keyn drewen nodi schrecken, bis sie widder Gotts zorn fulen. Art lest von art nicht." WA 19, 224, 2—7; Der Prophet Jona ausgelegt, 1526. 82

ist die „vanitas . . . mit der concupiscencia seiner Theologie identisch" 2 4 e , ist ganz eindeutig Sünde, während Niebuhr die „anxiety" zweifach, nämlich negativ und positiv deutet. Von daher hat für Luther alles Handeln des Menschen in der Gesdiidite „ein unheimliches Gefälle zur Gottlosigkeit hin" 2 4 7 . Niebuhr hingegen lehnt ein solches Urteil wegen seiner Einseitigkeit als zu „pessimistisch" ab. Nun, das wird gleich zu behandeln sein. Jedenfalls meint Luther es anders als Niebuhr, wenn auch für ihn die Geschichte der Menschen post lapsum durch die schöpfungsmäßige Natur und die Sünde bestimmt ist 2 4 8 . 3. Vorher indessen noch zwei wichtige Einklänge zwischen Luther und Niebuhr. Auch schon für Luther ist die Vernunft des Menschen „omnium rerum res et caput et prae caeteris rebus huius vitae optimum et divinum quiddam . . . " , mit deren Hilfe der Mensch die Welt der Dinge und Tiere beherrschen soll und deren Bedeutung Gott nadi dem Fall nicht beseitigt, sondern vielmehr bestätigt hat 2 4 9 . Sie ist jedoch gegenüber dem Willen des Menschen rein instrumental 2 5 0 und wird als Instrument des falschen, sündigen Mensdien unweigerlich in die Sünde verstrickt, weil ihr „Erkennen selbst im Vollzug durch den Menschen verkehrt wird" 2 M . So wird die Gabe Gottes zu Gottes Feind 2 5 2 . Als Instrument des von Gott gelösten Mensdien kann sie (so Niebuhr) den Menschen entweder nicht hoch genug oder nicht tief genug ausmessen 253 , mit Luthers Worten: „ . . . Philosophia efficientem certe non novit, similiter nec finalem." 2 5 4 Gilt das schon ganz objektiv, so sieht die Vernunft subjektiv, d. h. im Dienst des existentiell engagierten Menschen „letztlich nur das, was sie sehen will, was dem Ichwillen des Menschen dient" 2 5 5 . Dabei gilt auch für Luther, daß nicht Vernunft und Recht an sich verworfen werden, sondern nur der „leidige Zusatz" der Vermessenheit, der die Vernunft zur Sicherung der eigenen Position verwendet 2 5 6 . 4. Endlich dürfte deutlich geworden sein, daß Niebuhr mit seiner Lehre vom Menschen im Grunde auf das Ziel hinauswill, das Luther klipp und klar in seiner Definition des Menschen bezeichnet: „Paulus Rom. 3 . . . breviter hominis definitionem colligit, dicens, hominem iustificari fide." 2 5 7 Über alle Formalien der menschlichen Natur hinweg legt diese Realdefinition das Wesen des Menschen in die H a n d des in Christus gnädig richtenden Gottes. Hier will Niebuhr durchaus mitgehen, wenn er betont, daß nur Gott mit den Mitteln seiner offen248

E.Wülfel a . a . O . S.126.

247

H . Z a h r n t , L u t h e r deutet Geschichte S. 149.

248

So ders. ebd.

219

W A

250

Vgl. d a z u B . L o h s e , R a t i o und Fides, eine Untersuchung über die r a t i o in der

39

I>

175, 9 f . ; vgl. ebd. These 1 — 8 , Disp. de H o r n . 1 5 3 6 .

Theologie Luthers, Göttingen 1 9 5 8 , u . a . S . 4 3 f f . 4 8 . 7 1 ff. 102. 251

E b d . S. 5 4 .

252

E b d . S. 7 0 .

253

Vgl. oben S. 65 — 6 8 .

234

W A 3 9 I, 1 7 5 , 2 8 f.

255

B . L o h s e a . a . O . S . 7 1 . E s ist interessant, wie L u t h e r das I r r e n der Vernunft auf

die Gedanken des H e r z e n s bezieht: „ . . . dan die vornunfft altzeit widder gottis gesetze strebet, wie Gen. V I alle gedandcen u n d syn des menschlichen hertzen stehn zu dem ergisten a l l e t z e y t . " W A 6, 2 9 1 , 6 — 8 , V o m P a p s t t u m in R o m 1 5 2 0 . 258

6*

H . Z a h r n t a. a. O . S. 1 5 2 .

257

W A 39 1,176, 33—35.

83

barenden Tat das Dilemma des Menschen überwinden und so den Menschen zu sidi selbst als Mensch unter Gott zurückbringen kann 2 5 8 . Und dodi sind wir hier vollends bei den Differenzen zwischen Luther und Niebuhr angelangt, von denen nun zu handeln ist. 1. Der Hintergrund der Definition des Menschen bei Luther ist der Gedanke, daß Gerechtigkeit der Erfüllung des Gesetzes vorausgehe 259 . Nun, in anderer Form und Funktion sind wir diesem Gedanken bei Niebuhr auch begegnet 280 . Während er aber bei Luther dem Erweis der Tatsache dient, daß der Mensch seine Gerechtigkeit verloren habe 261 , dient er bei Niebuhr dem Erweis des Gegenteiles, nämlich daß der Mensch die Gerechtigkeit nie verloren habe, sie vielmehr ihm als das ihn fordernde Sollen geblieben sei. Hier ist nun eine entscheidende Klärung vonnöten: Wo für Niebuhr die iustitia originis als das Sollen, die Norm, oder kurz: das Gesetz des Menschen steht, da steht für Luther nur das Gesetz, genauer noch: das Gesetz Gottes. Bei dieser Distanz zwischen dem Reformator und dem amerikanischen Theologen geht es um mehr als einen Streit um Worte. Niebuhr meint, der Widerspruch des Menschen gegen Gott sei zwar die Gesamtursache menschlicher Widersprüchlichkeit — darin sei er echter Theologe. Er meint indessen ferner, dieser Ur-Widerspruch spiegele sich derart treu im Selbstwiderspruch des Menschen, daß man sich großenteils darauf beschränken könne, ihn im Rahmen dieses Selbstwiderspruches zu orten und zu diskutieren. Luther hingegen kennt letztlich nur den Widerspruch des Menschen gegen Gott. Anders gesagt: Für Luther ist, weil der Mensch dem Gesetz Gottes und nicht auch diesem Gesetz als fixierbarer Gerechtigkeit seiner selbst widerspricht, der Mensch von Anfang an in der Hand Gottes. Von dieser Tatsache läßt sich nichts ableiten, was dann auf der Ebene der Anthropologie als eigenständiges Argumentationsmaterial verwandt werden könnte; vielmehr will alles auf diese Tatsache hinaus. Schon hier darf man sein Wort anführen: „Ideo universa creatura eius (sc. dei) est larva. Ideo scientia nostra, ut discernamus divinitatem a larva, hoc non facit mundus." 292 Es bleibt dabei der Befund be258

259 S. oben S.75 . WA 11, 35, 30. S. oben S. 68 ff. 261 R. Bring, Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium S. 20: „Was der Mensdi durch den Sündenfall verlor, war gerade die Gerechtigkeit, die der Ausgangspunkt und die Voraussetzung dafür — nicht etwa das Resultat davon — war, daß das Gesetz recht erfüllt wurde." 282 WA 40 1,174, 3 f. Das Wort ist in anderem Zusammenhang gesagt, kann aber an dieser Stelle unserer Untersuchung doch angewandt werden. Die neuere Lutherforsdiung unterstreicht immer zunehmend den Satz R. Seebergs, bei Luther sei „alles Gabe und Gnade, Schöpfung und Erleiden. In der Religion steht alles bei Gott" (Luthers Theologie in ihren Grundzügen, Stuttgart 2 1952, S.54). R.Bring sagt: Luthers Reden von Gnade und Gott schließt „in sich, daß der Mensch als Gottes Werkzeug alles Gute ausführt, Gott ist der Ausgangspunkt für alles, was er tut". Schon bei Melanchthon setzt die Verschiebung hin zu einem Denken ein, das sich am Menschen orientiert. (Das Verhältnis von Glauben und Werken S . 2 3 f . ; vgl. S. 39.55 ff.) Das gleiche gilt bei Luther schon vom natürlichen Recht, das „ein bloßes Spielzeug in der Hand Gottes" ist (J.Heckel, 2M

84

stehen, mit dem Niebuhr sich befaßt, dodi für Luther ist Niebuhrs bleibende Ursprungsgerechtigkeit nur erst larva, hinter der Gott sich verbirgt, und es ist Aufgabe der Theologie, Gott als alleinigen Herrn und Besitzer des Gesetzes zu verkündigen. 2. Steht das Gesetz für Luther als Gottes Gesetz dem Menschen gegenüber, so muß Gerechtigkeit immer als etwas Ausgeübtes und Erfülltes erscheinen. Auf diese Forderung antwortet die Theologie mit dem Hinweis auf die zweifache Gerechtigkeit. Das, was der Mensch von Gott abgesehen ausüben und erfüllen kann, ist nicht das, was er vor Gott vorweisen kann und soll. Andererseits: Was er vor Gott vorweisen soll, kann er nicht ausüben und erfüllen. Diese Unterscheidung ist ganz klar, wi#d indessen vom Menschen durcheinandergeworfen: Der Mensch versucht, sich das Ausführbare als vorweisbar vorzutäuschen288. M.a.W. will der Mensch sich in seinem Werk ausweisen, will sich als Schöpfer ausgeben. Das ist seine Sünde, die nur dadurch überwunden wird, daß der Mensch von der geschenkten Glaubensgerechtigkeit her auch sein eigenes Werk als creatio und donum dei neu zu verstehen lernt 264 . 3. Es wird schon deutlich, daß Luther keineswegs behauptet, der Geist und die Kraft des Menschen vermögen nichts zu sehen und zu schaffen. Audi seine Äußerungen zur Vernunft gehen nicht dahin, eindeutig ihr jeglidie Gotteserkenntnis abzusprechen2'5. Wenn Niebuhr die Irrtümer des menschlichen Geistes zum Erweis einer diesem Geist verbleibenden Wahrheit verwendet, so kann Luther überraschend ähnlich argumentieren2ββ. Aber bei ihm fällt kein großes Lex Charitatis S. 81). Das Gesetz gerade auch im Verständnis Niebuhrs ist verbum dei für Luther (vgl. dazu audi P. Althaus, Gebot und Gesetz, Zum Thema Gesetz und Evangelium, Gütersloh 1952). — Man muß das bekannte Wort aus „Von weltlicher O b r i g k e i t . . a u c h einmal mit folgender Betonung lesen: „Nu aber keyn mensdi von natur Christen odder frum ist, sondern alt zu mal sunder und böse sind, weret yhnen G o t t allen durchs gesetz" (WA 11, 250, 26ff., von Vf. gesperrt). 283 „Es heißt: .Lobet den Herrn alle Heiden*, Seid Heiden, Bleibt Heiden, Werdet Heiden, Stifftet geistliche orden, Stellet regel und Ordnung, Macht gesetze und weltliche regiment, haltet keuschheit, werdet ehlich, Und was yhr des eußerlichen wesens und thuns kund erdencken, wie yhr wollet, Allein sehet zu, das yhr nicht meinet, da mit Christen zu sein und selig zu werden. Denckt nur nicht, das soldis heiße Christenheit oder Christlich wesen, Denn solche erzelete stucke kan alles die vernunfft erdencken und stifften und darf keines Christus da zu. Es mus hoher über das alles, das yhr thun und erdencken mugt, körnen, Nemlidi, das yhr den Herrn lobet. Aber obgenannte stücke loben euch selbs und nicht den Herrn. Denn es ist ewer ding und zuvor ynn der natur gepflantzt und geschaffen." WA 31 I, 242, 16—27, 117. Psalm ausgelegt 1530. IM VGL, dazu wiederum: „Das ist vitium humanae naturae, quod non putat creationem et dona, sed vult ein feci draus machen." WA 40 III, 223, 5 ff. Vgl. dazu B.Lohse a . a . O . S.59ff. " Bei Niebuhr oben S.57ff. — Vgl. Luthers' Op.in Psalmos 1519—21: „Non autem hoc intelligenduim est, quasi prorsus nihil de deo soiamt, cum Ro. 1 dòceat, Notum dei esse manifestum omnibus. Nisi enim esset notitia divinitatis inextinguibiliter omnibus hominibus indita, numquam fuisset idolatria inventa. Cur enim idola coluerunt, nisi quod divinitatem aliquam esse omnes persuasam habuerunt? .'.. Cognoverunt ergo, sed hoc erraverunt, quod veritatem dei commutaverunt iiu mendacnim et ëcontra SM

.«5

Gewicht auf diese Dialektik, weil eben die Pole seiner Theologie nicht die Sünde einerseits und die göttliche Wahrheit im Menschen andererseits, sondern die Sünde und Gottes Handeln in Gesetz und Evangelium sind. Aus all diesen Gründen kann auch kein Argument für das Vermögen der Vernunft sich als die Totalität der Sünde einschränkend auswirken. Eher das Gegenteil ist der Fall, wie im Zitat obiger Anmerkung deutlich. 4. Damit sind wir bei der totalen Verderbnis des Menschen, dem geknechteten Willen und der Zerstörung der Ebenbildlichkeit im Verständnis Luthers. Nach allem dürfte deutlich sein, daß zur Bestreitung dieser Lehren nur theologische Gründe ins Feld geführt werden dürfen, denn weltlich und kulturell sind sie ja von Luther nie behauptet worden. Niebuhr nennt jedoch oft solche Gründe, die ein mißgünstiger Kritiker als moralisch — und ein wohlwollender als die Theologie nur tangierend bezeichnen würde: Man muß zu dem Schluß kommen, daß die eigentliche Struktur des Lebens, z . B . die Abhängigkeit des Menschen von seinen Mitmenschen, die sowohl organische als audi liebende Beziehung zwischen ihnen voraussetzt, sich trotz aller Irrungen gegen die Verwirrung durchsetzt, welche menschliche Idi- und Ehrsucht in die Beziehungen der Menschen hineingebracht hat 2 6 7 .

Niebuhr sieht demnach im „servum arbitrium" Luthers eine Negation des humanuni; Luther hingegen will damit dieses humanum interpretieren 2 · 8 ! Tatsächlich ist der Mensch nach Luther der Sünde und dem Teufel total verfallen 2 " 9 . Diese Verfallenheit gilt nicht in bezug auf die Möglichkeiten des Menschen und der Geschichte, denn diese Möglichkeiten sind für Luther in der Hand Gottes, weswegen die Lehre von der Totalität der Sünde auch niemals ein pessimistisches Urteil über die Geschichte implizieren „muß" 2 7 0 . Die Verderbnis des Menschen gilt vielmehr nur in bezug auf „die geistliche, d.h. die auf Gott ausgerichtete, Seite der menschlichen N a t u r " 2 7 1 — dies aber audi gänzlich. „Liberium arbitrium gegenüber Gott existiert . . . nur als etwas Böses." 272 Nur wenn das gilt, wird für Luther der „cooperario" des Menschen mit Gott „nach unten" hin, zur Welt und zum Nächsten hin eine Tür geöffnet 27S . Was wir bei mendacium in veritatem dei, hoc est id, quod vere deus est, tribuerunt homini aut creaturae, et ediverso, quod non est deus, sed mendacium, tribuerunt deo . . . frequentissimum omnium malorum." W A 5, 3 9 2 , 3 5 — 3 9 3 , 1 1 . 267 N D I 275, vgl. 276. Niebuhrs Ablehnung der Lehren Luthers beruht auf einem moralischen Mißverstehen. So urteilt zu redit O.Weidienhan a. a. O. S. 143; ferner G . H a m m a r a . a . O . S.239. 2 9 8 So W. v. Loewenidi, Von Augustin zu Luther, Beiträge zur Kirchengeschichte, Witten 1959, S . 3 6 7 , wo auch betont wird, daß Luther gegen Erasmus die eigentliche Lebendigkeit Gottes bezeugt. 2«9 So u.a. W A 8, 106, 37ff.; 14 III, 1 4 — 1 8 ; 1 5 , 7 8 7 , 2 8 — 2 9 ; 18, 7 7 4 . 7 8 2 ; 24, 51, 1 2 — 2 4 ; 39 I, 175 ff., These 22; 42, 47, 8 — 1 7 . 3 1 — 3 3 . 2 7 0 Vgl. dazu unten S.201 f. 271 Joh.Heckel, Lex Charitatis S. 31 f. u. Bei. 2 7 2 G. Wingren, Luthers Lehre vom Beruf S. 24. — Vgl. audi E. Seeberg, Luthers Theologie in ihren Grundzügen S. 108. 2 7 3 Vgl. G. Wingren, ebd. S. 23 f.

86

N i e b u h r erst durch eine eingehende I n t e r p r e t a t i o n

a n den T a g z u

bringen

h a t t e n , das liegt bei L u t h e r k l a r a u f der H a n d : D i e U n f r e i h e i t des Menschen v o r G o t t b e g r ü n d e t erst die F r e i h e i t in der W e l t . Sucht m a n bei L u t h e r positive Aussagen z u m weltlich-geschichtlichen

Ge-

schehen a u f anthropologischer E b e n e , so ist der E r t r a g sehr s p ä r l i c h 2 7 4 . Sucht m a n aber a u f der eigentlich theologischen E b e n e , so steht L u t h e r m i t einem M a l e erstaunlich „optimistisch"

d a , u m diesen i n a d ä q u a t e n A u s d r u c k

einmal

einfließen z u lassen. „ D a m n a r e res ipsas est stultum et i m p i u m . . . Q u a e deus fecit, u t essent b o n a . . . , ipse a d f e c t u s est d a m n a t u s . "

275

S o sind die W e r t u n g e n

überraschend einfach: „ D e u s non p r a e c i p i t homini impossibilia. Sed ipse h o m o per p e c c a t u m incidit in i m p o s s i b i l i a . " 2 7 8 6 . F a ß t m a n das alles z u s a m m e n , so ergibt sich: U m die W e l t nicht „ h a r m a t i o zentrisch" sehen z u müssen, stellt N i e b u h r der Sündigkeit des Menschen dessen bleibende Ebenbildlichkeit entgegen, w ä h r e n d in L u t h e r s T h e o l o g i e dieser S ü n digkeit der alles regierende G o t t selber u n d d i r e k t e n t g e g e n t r i t t : „ E r ist a l l e n t halben gegen w e r t i g y m tod, y n n d e r hellen, m i t t e n u n t e r den feinden, ja auch y n n y h r e m h e r t z e n . D e n n er h a t t s alles g e m a c h t u n d regiert es auch alles, das es mus t h u n w a s e r w i l . "

277

L u t h e r b r i n g t das z u m Ausdruck in seiner L e h r e

v o n den R e g i m e n t e n u n d innerhalb dieser in der Unterscheidung v o n A m t u n d Person: Darumb heißen soldie stende, so mit Gottes wort gestifftet sind, alles heilige, G ö t t liche stende, ob gleich die personen nicht heilig sind, als Vater, Mutter, Son, Tochter, H e r r , Frau, Knecht, Magd, Prediger, Pfarher etc. sind alles heilige, Göttliche stende 2 7 4 Genau in Richtung der Fragestellung Niebuhrs sagt P . Althaus: D i e positive Aussage über den natürlichen Menschen bleibt bei Luther „am Rande des theologischen Denkens und stellt die Einfachheit der Anthropologie nicht in Frage. Es tritt nicht stark heraus, daß der Mensch ständig im Widerspruch mit sidi selbst liegt und diesen Widerspruch erleidet"(Paulus und Luther über den Menschen, Gütersloh 3 1 9 5 8 , S. 59). Das ist richtig, denn zieht man die Lehre von den Ämtern hinzu, so ist das Ergebnis: Gott erleidet diesen Widerspruch! Was Althaus von der Rechtfertigung bei Luther sagt, gilt auch hier: „ . . . G o t t will G o t t bleiben, der einzige Schöpfer und Herr. Von seiner Gnade muß nicht nur der Sünder, sondern müßte auch der vollendete Gerechte leben. Sonst macht er sich der furchtbarsten Sünde schuldig, der Blasphemie. So ist bei Luther das sola gratia, sola fide, obgleich er keinen Menschen kennt, der nicht Sünder wäre, doch nicht zuletzt in der Wirklichkeit der Sünde, im ,Bedürfnis des Menschen', sondern in der Gottheit Gottes und in dem Mensdisein des Menschen begründet, ,theozentrisch', nicht .harmatiozentrisch'" (ebd. S. 29). Wendet man diese Sätze auf unser Problem an, so ist der Gegenpol zur Sünde des Menschen nicht mehr das Ebenbild im Menschen, sondern Gottes Schaffen in beiden Regimenten. 2 7 5 W A 20, 10, 1 3 — 2 8 ; vgl. E . W ö l f e l a . a . O . S . 1 2 4 . Ähnliche Äußerungen oben S. 38 und unten S. 197, A n m . 2 1 4 . 2 7 6 W A 39 I, 515, 16 f., 3.Disp. gegen die Antinomer. 2 7 7 W A 19, 219, 3 1 — 3 3 , der Proph. J o n a ausgelegt, 1526. Vgl. auch G . H i l l e r d a l , Gehorsam gegen Gott und Menschen, Göttingen 1955, S . 6 6 A n m . 50. Dort sagt Hillerda] in der Diskussion mit F . Lau, daß nur „von der Regimentenlehre und vom Gedanken an Gottes ständige Neuschöpfung her" (S. 67) Luthers Sicht der Lebensordnungen als nicht harmatiozentrisch zu begründen sei.

87

und möchten dodi drinnen woil die personen buben und sdielcfce sein. Also weil Gott die Oberkeit hie mit seinem wort stifftet und fasset, heißen sie billidi Götter und Gottes kinder umb des Göttlichen standes und Gottes worts willen und sind dodi böse buben...278

Gerade wenn Luther sich mit der Tatsache befaßt, daß das Gute sidi in der Welt gegen das Böse durchsetzt, hält er s idi an die grundsätzliche Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf und sieht den Menschen als Einheit, als Person und d.h. als Instrument Gottes im Rahmen des Regimentes 279 . Das ist seine Art, konkret vom Menschen und „dreidimensional" von ihm zu reden, also von ihm als Person und dies vor Gott und der Welt 280 . Dadurch kommt alles in der Welt vorfindlidi „Gute" auf das Konto der Madit und Güte Gottes und der Mensch hat es zwischen Gut und Böse unmittelbar mit Gottes Werk und Gebot einerseits und mit seiner Sünde andererseits zu tun 2 8 1 . Alles in allem muß man von der Sicht Luthers her an Reinhold Niebuhr einige Fragen stellen, die sich, zunächst sämtlich auf einen Nenner bringen lassen: Wie tief beeinflußt und beherrscht das Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer die theologische Lehre vom Menschen? Im Schöpfungsglauben sieht Niebuhr drei Elemente: 1. die Verehrung der Majestät Gottes und das Wissen um die Abhängigkeit von Gott als der letzten Quelle des Seins, 2. die sittliche Verpflichtung, die dem Menschen von jenseits seiner selbst auferlegt ist und 3. das Verlangen nach Vergebung 282 . Wenn dies alle Elemente des Schöpfungsglaubens sind und dann eine Lehre vom Menschen entwickelt wird, die im Kern eine Lehre von der menschlichen Freiheit ist 283 , so ist klar, daß der Schöpfungsglaube die Freiheit des Menschen sehr wohl begründen kann (der Mensch ist als Ebenbild Gottes erschaffen 284 ). Er kann die Freiheit auch begrenzen (die Existenz des Menschen zeigt ins Jenseits, ist aber nicht dieses Jenseits 285 ). Er kann sie auch integrieren (nur das Hineinstellen der menschlichen Freiheit in den Willen Gottes verwirklicht die Einheit der menschlichen Existenz in Freiheit und Gebundenheit 284 ). Er kann sie aber nicht eigentlich treffen, nicht für Gott beschlagnahmen, denn dieser Glaube ist ja selber nur die höchste und wahre Funktion dieser Freiheit 287 . M. a.W.: Niebuhr bringt nicht klar zum Ausdruck, daß das 278

WA 31 I, 217, 10—17, Der 82.Psalm ausgelegt 1530. Vgl. audi ebd. S. 198, 27— 199,2, wo gesagt wird, daß das Amt der Obrigkeit göttlich ist, jedodi die Fürsten in diesem Amt als Personen Götter oder Teufel sein können. Vgl. auch zum Amt des Richters WA 32, 324, 26 ff.; WA 42, 129, 25ff. 27 · Vgl. dazu G.Törnvall a.a.O., bes. S.45. 280 E.Wolf, Libertas Christiana S.27. 281 Wir kommen weiter unten auf die Frage des weltlichen Amtes und des Berufes zurück, vgl. S. 197 ff. 282 283 N D 1 131. S. oben S. 49. 284 28i S. oben S. 50 f. Ebd. '.·• 288 S. oben S.55. - • 287 Es gibt überhaupt im Denken Niebuhrs eine ganze Gedankenlinie, auf der die .Offenbarungswahrheit nur funktionale Bedeutung für den an solchen Stellen allgemein verstandenen Menschen hat. Diese Linie setzt an, wo das Natur-Geistproblem mehr

88

Bekenntnis zu Gott, dem Sdiöpfer, von seinem Inhalt her den Glauben des Menschen an den Sdiöpfer als fides qua creditur transzendieren muß 2 8 8 . Anderenfalls wird die menschliche Freiheit immer ein merkwürdiges Eigenleben führen, das von der Theologie zwar immer tangiert, aber nidit durch und bei Gott „aufgehoben" werden kann im doppelten Sinn dieses Wortes. Die Lehre von der Schöpfung muß darin zum Absdüuß und Höhepunkt kommen, daß der Mensdi sein Schaffen nur noch als Gottes Schaffen verstehen und vollziehen kann 2 8 9 . Dies eben tritt in Luthers Unterscheidung von Stand und Person so als formales Gewicht hat und kommt zum Abschluß in der Aussage, daß die Offenbarung in Christus der Interpretation des Lebens und der Gesdiichte den Dienst leiste, die Unvollständigkeiten sonstiger Interpretationen zu vervollständigen, die Unklarheiten zu klären und die Irrtümer zu korrigieren ( N D I I 67). Solche Äußerungen setzen voraus, daß der Mensdi sozusagen nur an den diversen Rändern seiner Existenz in die Sünde verwickelt ist, nicht aber im K e r n der Existenz, also der Aufklärung und Korrektur, nicht aber der Umwandlung bedarf. Das paßt schlecht zu der anderen — und wie wir meinen — Hauptlinie der Gedanken Niebuhrs, auf der der Mensch Befreiung von der Sünde braucht, in die die Vernunft des Menschen selbst verwickelt ist. D e r Versuch einer Harmonisierung beider Linien vgl. unten S. 106. 1 8 8 Es rächt sich hier, daß Niebuhr von der Gesdiöpflichkeit des Menschen beinahe ausschließlich nur im Blick auf dessen N a t u r - und Zeitgebundenheit spricht und die Ebenbildlichkeit des Menschen als dessen Geschöpflidikeit transzendierend interpretiert. Wenn er seinen eigenen Worten treu bliebe, den Menschen „primär vom Standpunkt Gottes aus" zu sehen ( N D I 13), müßte er doch zentraler aussagen, daß letztlich die Ebenbildlichkeit die Geschöpflidikeit nicht transzendiert, sondern als spezifisch mensdilidie Geschöpflidikeit einfach fixiert. Es ist schwer, die Sünde zu bezeichnen, die darin besteht, daß der Mensch „sich weigert, seine Geschöpflidikeit zuzugeben" (ebd. 16), wenn es gilt, daß die Sünde des Menschen ihren Sitz „im Geist und nicht im Fleisch" (ebd.) hat, dieser Geist jedoch nur in Gegenüberstellung zur Geschöpflidikeit und als tatsächlich diese transzendierend verstanden wird. In vielen Äußerungen N i e buhrs ist diese ganze, sidi aus der Verwendung des Natur-Geist-Problems herleitende Gefahr klar überwunden. W i r haben gemeint, uns an diesen Äußerungen ausrichten zu sollen, müssen aber hier zugeben, daß das nicht immer ganz leicht fällt. Es mag indessen sein, daß ein großer Teil der Schwierigkeiten sprachlicher N a t u r ist. Vgl. z . B . N D I I 1 : D e r Mensch „ist ,a creature' den Notwendigkeiten und Begrenzungen der N a t u r unterworfen; doch ist er auch ein freier G e i s t . . . " . Wenn „a creature" hier prägnant als „Geschöpf" zu übersetzen wäre, wirkte das nachfolgende „auch" redit anstößig. Ist hingegen „a creature" hier im Sinn von „Kreatur" oder „Lebewesen" zu verstehen, verwischen sich die Einwände sehr, wenn audi nidit ganz. Jedenfalls bleibt es bei der Tatsache, daß Niebuhr wegen der Verwendung der Natur-Geist-Problematik nie ganz schlüssig sagen kann, daß der Mensch als Ebenbild erschaffen ist.

* 8 · Niebuhr nähert sich einmal dieser Unterscheidung, kann sie jedoch mit den Mitteln seines Denkens nur sehr unklar zum Ausdruck bringen: » . . . es gibt . . . K r ä f t e im Leben, die man nur als die Gnade Gottes beschreiben kann." D a s Beispiel wird vorher genannt: „Manchmal ist die T a t der Selbstverneinung, das Ausgießen des Lebens für anderes Leben die Konsequenz des Druckes eines gegebenen Momentes, der das Individuum mit K r ä f t e n ausrüstet, die jenseits seiner natürlichen Kapazitäten liegen. Die Mutter, die ihr Leben für ihr K i n d opfert, wird durch eine Steigerung des natürlichen Impulses der Mutterliebe in einem Moment der Krise in die Lage versetzt, dies zu tun. I n nüchternen Momenten der Reflexion könnte sie sidi nicht so vollständig für ein anderes Leben hingeben. Es ist denkbar, daß die gleiche Mutter, die sich

89

k l a r z u t a g e . I n n e r h a l b eines so t o t a l e n B e k e n n t n i s s e s z u m S c h ö p f e r , w i e w i r es bei L u t h e r finden, m u ß es d a n n f r e i l i c h so sein, d a ß schon d i e B e h a u p t u n g , d e r M e n s d i sei „ c o n c r e a t o r " , f e h l a m P l a t z e i s t 2 9 0 . W e i t e r : W e n n N i e b u h r a u f d e r E b e n e seiner G e d a n k e n auch r e d i t d a r i n h a t , d a ß sich d i e s c h ö p f e r i s c h e n u n d d i e z e r s t ö r e r i s d i e n E l e m e n t e m e n s c h l i c h e n H a n d e l n s i n d e r W e l t nicht sauber v o n e i n a n d e r t r e n n e n l a s s e n 2 9 1 — a u f der E b e n e d e r S i d i t L u t h e r s g i b t es eine sehr s a u b e r e T r e n n u n g , n ä m l i c h d i e z w i s c h e n d e m M e n s c h e n , d e r G o t t d a n k t u n d d e m , d e r sich selber d a n k t 2 9 2 . Schließlich m u ß sich angesichts d e r echten L e h r e L u t h e r s d i e F o r d e r u n g N i e b u h r s nach einer S y n t h e s e v o n R e f o r m a t i o n u n d R e n a i s s a n c e doch w o h l e i n e A b ä n d e r u n g g e f a l l e n lassen. L u t h e r stellt ja das menschliche S c h a f f e n in der Geschichte g a r nicht in F r a g e ; w o h l a b e r b e a n sprucht er es f ü r G o t t e s a l l e i n i g e s S c h a f f e n . N i e b u h r s F o r d e r u n g stellt a l s o der T h e o l o g i e „ n u r " d i e A u f g a b e , sich i n t e n s i v m i t d e m U n t e r s c h i e d v o n N e g i e r u n g u n d t h e o l o g i s c h e r I n t e r p r e t a t i o n menschlicher S c h a f f e n s k r a f t z u b e f a s s e n . Z u r Ü b e r p r ü f u n g unseres E r g e b n i s s e s sei w i e d e r u m m i t d e r B e h a n d l u n g der F r a g e des N a t u r r e c h t e s a b g e s c h l o s s e n 2 9 3 . N e u e r e A r b e i t e n h a b e n i n d e m a l t e n so o p f e r t , in prosaischeren M o m e n t e n sich in raffinierten, u n b e w u ß t e n K a l k u l a t i o n e n ergeht, in denen ihre Mutterliebe sich mit viel Machtliebe vermischt" (Ethic 217.216). F ü r einen bestimmten G r e n z f a l l w i r d hier zugegeben, d a ß G o t t das Subjekt d e r G ü t e des Menschen sein k a n n . N i e b u h r h a t jedoch diesen G e d a n k e n w e d e r weiterentwickelt, noch ihn in seine Theologie hinein v e r a r b e i t e t . Vgl. die kritischen U r t e i l e über die zitierte Stelle bei Sh. C . G u t h r i e a. a. O . S. 59. 290 Vgl. d a z u H . Z ä h m t a . a . O . S. 150. 291 S. oben S. 75 ff. 2»2 Y g j d a z u u n t e n f ü r L u t h e r S. 144 f. — I n der Sicht L u t h e r s läßt sich unmöglich sagen, die Sünde sei nicht ein A k t b a r e r P e r v e r s i t ä t v o n Seiten des Menschen (vgl. oben S.57). Bei L u t h e r w ü r d e es implizieren, der Mensdi sei in irgendeinem Sinn nicht Gottes Geschöpf. Dieser Satz N i e b u h r s gilt n u r solange, wie die E r w ä g u n g des Wesens der Sünde nicht grundsätzlich über die Ebene der F o r m a l i e n der menschlichen N a t u r h i n a u s f ü h r t , was eben bei einer t o t a l e n G e l t u n g des Bekenntnisses zu G o t t , d e m Schöpfer eintreten m u ß . V o n L u t h e r her gilt so: Solange noch die Theologie beim Menschen a n einer p a r t i e l l e n Gerechtigkeit festhält, solange ist in dem, was sich als E r t r a g dieser Gerechtigkeit ausgibt, die S ü n d e noch nicht endgültig ü b e r w u n d e n , d e n n — noch e i n m a l : — nicht G o t t , sondern in concreto der Mensch erscheint als Schöpfer dieses Ertrages. D a b e i ist die Kehrseite des Gegensatzes zwischen N i e b u h r u n d L u t h e r bezeichnenderweise, d a ß es d e m A m e r i k a n e r viel schwerer f ä l l t , die I n t e g r i t ä t des Menschen als Geschöpf zu w a h r e n . E r sagt freilich, die Sünde des Menschen k ö n n e „ . . . nicht einem D e f e k t in seinem Sein zugeschrieben" w e r d e n ( N D I 17), m u ß sich d a n n aber doch sehr anstrengen, u m das im R a h m e n seiner Lehre überzeugend d a r z u stellen (vgl. oben S. 55 ff.). 293 Aus der L i t e r a t u r z u m N a t u r r e c h t s p r o b l e m bei L u t h e r sei hier g e n a n n t : E . Troeltsch, Soziallehren, G e s . S c h r i f t e n I, S . 5 3 2 f f . ; K . H o l l , Ges. A u f s ä t z e z u r K i r d i e n geschichte I, T ü b i n g e n 6 1 9 3 2 , S. 155—287; F. L a u , Äußerliche O r d n u n g u n d weltlich D i n g in L u t h e r s Theologie, G ö t t i n g e n 1933; vgl. die kritische W ü r d i g u n g dieser Schrift bei G . T ö r n v a l l a . a . O . S . 2 1 A n m . 2 5 . J o h . H e c k e l , Lex C h a r i t a t i s , bes. S . 7 1 f f . ; H . W . K r u m m w i e d e a. a. O . S. 6 1 — 7 5 ; E . W o l f , N a t u r r e c h t u n d Gerechtigkeit, z u m P r o b l e m des N a t u r r e c h t e s , E v T h e o l , H e f t 7—8, 1948; ders., Z u r F r a g e des N a t u r r e c h t s bei T h o m a s v o n A q u i n u n d bei L u t h e r . Abgedruckt in: P e r e g r i n a t i o , München 1954, S.

90

Streit um die Bedeutung des Naturrechts bei Luther ein überraschendes Ergebnis erbracht: Luther stellt in der Art, wie er die Begriffe des naturrechtlichen Denkens übernimmt, das Problem auf den Kopf. Man irrt, wenn man voraussetzt, auch er verstehe die Schöpfung gewissermaßen als Ur-Entwurf der Welt, dessen Struktur oder Wesen in der Gesdiichte in einer festzulegenden Relativität wiederzufinden sei. Das Recht ist für Luther kein „rationales System, das nur in einer gewissen Relativität fixierbar werden kann" 294. Das, was Luther in seiner Rechtslehre immer wieder als „natürlich" und „Natur" kennzeichnet 295 , ist für ihn nicht ein notwendiges Abstractum gegenüber der konkreten geschichtlichen Position des Menschen. Es ist vielmehr, weil es im geschichtlichen Stand des Menschen selber seinen Sitz hat und das Gebot dieses Standes zu Wort bringt, das geschichtliche concretissimum, demgegenüber das positive Recht sich als Abstractum darstellt und daher Kritik erfährt. Nicht deshalb bleibt das Handeln des Menschen hinter dem Naturrecht zurück, weil er durch die Sünde dazu verdammt ist, konkret, natürlich und vernünftig handeln zu müssen, sondern weil die Sünde ihn darin hindert, konkret, natürlich und vernünftig genug handeln zu können. Im Verständnis Luthers läßt das Naturrecht den Lauf der Geschichte nicht stagnieren, sondern bringt ihn gerade in Fluß. „Nur das Naturredit ist das ,gesunde Recht' auf Erden; im Vergleich zu ihm mutet alle positivrechtliche Verwirklichung kränklich an; sie bleibt ,eytel flickwerck und betteley'. N u r ,was aus krafft der natur geschieht, das gehet frisch hindurch auch on alles gesetz, reisst auch wol durch alle gesetze'." 296 Dieser Befund bei Luther führt zu dem Resultat, daß die Kritik Niebuhrs am Naturrecht den Reformator nicht trifft, sondern vielmehr trotz andersartigem Ansatz dem Denken Luthers effektiv großenteils parallel läuft. Das bestätigt sich, wenn Luther sagt: Die „finis" aller weltlichen Gesetze „est pax, concordia, tranquillitas, seu, ut nos Theologi loquimur, Charitas. Ad hunc finem qui leges non refert, aut alio modo eas intelligit, toto errat coelo . . . Finis enim legum 183—213; ders., Gottes Recht und Mensdienredit, zum Problem des Naturredits in evgl. Sicht, ThEx N F 42, München 1954; ders., Der christliche Glaube und das Redit (zu Joh. Heckeis Buch, s.o.), Zeitschr.f.ev.Kirchenrecht 4.Band 1955, S.225ff.; G.Hillerdal, Gehorsam gegen Gott und Menschen, Göttingen 1955, S. 58—68, 102 Anm. 23; ferner P. Althaus, Theologie der Ordnungen, Gütersloh 1934; W. Eiert, Morphologie des Luthertums, Bd. II (1932) 1952, S.37—49. 291—301. 334—395. bes. 336ff. 294 H.W.Krummwiede a.a.O. S.71; vgl. auch G.Törnvall a.a.O. S.27 Anm. 40; ferner E. Wolf, Der christliche Glaube und das Redit S. 244 : „ . . . Die Lehre vom triplex ordo hierarchicus sagt . . . nidits aus über die Organisation der Menschheit; sie gibt audi nicht die Struktur der „Christenheit" an. Wohl aber umschreibt sie die geistliche Qualität der beruflichen Dienste des Christen in Kirdie und W e l t . . . " 295 v g l . d¡ e Menge der Belege bei Joh. Heckel a.a.O. S.71 ff. 296 Joh.Heckel a.a.O. S.83. Luther: WA 51, 214. Vgl. audi H.W.Krummwiede a. a. O. S. 68: „Für Luther ist das positive Recht eine Fixierung vergangener Naturreditsen,tscheidungen. Es ist für eine beschränkte Mensdiengruppe als schriftliches Gesetz allgemein verbindlich geworden. Das Naturredit behütet diese fortlaufenden Rechtsfestsetzungen vor dem Erstarren, indem es aus immer neuen Gegenwärtigkeiten den Umständen entsprechend neues R « N D I I 267. le® Der erste Satz dieses Zitates ( N D II 268) enthält Niebuhrs kürzeste Definition der Demokratie. Man bemerke, daß hier das Wesen der Demokratie keineswegs, wie so oft berufen, mit dem Fortschrittsglauben verbunden ist. Niebuhrs Begründung der Demokratie gewinnt ihre Treffsicherheit gerade durch den Gegensatz zum Glauben an den fortschrittlichen Menschen. Die theologisdie Begründung der Demokratie findet sidi in einem Satz Niebuhrs, der inzwischen in Amerika sdion zum locus classicus geworden ist: „Des Menschen Fähigkeit zur Gerechtigkeit macht Demokratie möglich, aber des Menschen H a n g zur Ungerechtigkeit macht Demokratie notwendig" (Child, Einleitung X I ) . 188

jeweils „dritten Kraft"1®4 zu gehen und das Gerichtswort über jede Art von eitlem Ruhm zu finden. Dieses Wort muß die Konkretion der Tatsache sein, „daß jeder Mensdi und jedes Volk, jede Klasse und jede Gruppe in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott stehen, und daß die Menschen sich in dieser Beziehung als Rebellen gegen Gottes Willen und als Verräter der Gesellschaft enthüllen" 1 K . Gerade im Blick auf die Verirrungen der heutigen Welt im Osten und Westen gilt: „Wir müssen das Zeugnis des christlichen Glaubens auf diese Irrtümer wirken lassen, und wir müssen danach streben, die Welt zu der Weisheit zurückzuführen, die in der Demut wurzelt und in der Liebe erblüht." 180 Und so stützt Niebuhr sidi auf die Schrift: Die Bibel enthält zwei Ansätze, weldie zusammengenommen und im Gleichgewicht gehalten, den sittlichen Zweideutigkeiten des Staates gerecht werden. Nach dem einen ist der Staat eine Verordnung Gottes (ordinance), und seine Autorität ist eine Reflexion der göttlichen Majestät. Nach der anderen sind die „Herrscher" und „Richter" der Nationen ganz besonders dem göttlichen Gericht und Zorn unterworfen, weil· sie die Armen bedrücken und der göttlichen Majestät trotzen. Diese zwei Blickpunkte werden den zwei Aspekten des Staates gierecht. Er ist ein Prinzip der Ordnung, und seine Madit verhindert Anarchie; aber seine Macht ist nicht identisch mit göttlicher Madit, sie wird von einem partiellen und begrenzten Ort aus gehandhabt und kann nicht die vollkommene Einheit von Güte und Macht erlangen, welche die göttliche Macht charakterisiert. Die Vorgabe, daß seine Macht durch und durch tugendgerecht sei, stellt seinen falschen Anspruch auf Majestät dar 1 · 7 .

Freilich ist die so dem Staat gestellte Aufgabe nidit einfach. Sie ist es nicht ihrer Ausdehnung nach, denn der Staat kann die Grenzen dessen, was ihm möglich ist, nie ganz ausschreiten und wird diese Grenzen um so besser aussdireiten können, je mehr er um das weiß, was jenseits ihrer liegt. Diese Lehre zwingt den Menschen im politischen Bereich, „zugleich nach einem unmöglichen Sieg zu streben und sich selbst einer unausweichlichen Niederlage anzugleichen. Eine angemessene Politik ist nur möglich, wenn die Aufgabe der Erreichung verschiedener Weisen einer Harmonie in sozialen Beziehungen versucht worden ist — mit dem klaren Verständnis für die hemmenden Trägheiten, die jeder soziale Vorschlag in dem Egoismus der Einzelnen und Gruppen findet."188 Die Aufgabe ist vor allem nicht einfach ihrer Sauberkeit nach. Das staatliche Gestalten und Erhalten als Ordnungssuche im Bereich der Sünde kann, selbst wenn alles versucht worden ist, doch nicht und nirgends frei von Schuld bleiben, und in dieser Lehre sind keine Möglichkeiten einfacher Reinwaschung gegeben, selbst für den nicht, der „im Amt" handelt. Aber ehe sich einer aus diesem Grund ins Private zurückzieht, sollte er sich fragen, wie es denn komme, daß ihn diese Tatsache ausgerechnet an dieser Stelle so erschüttert! „Als ob Irgendeiner je1,4

So Niebuhr in Amsterdam 1948, vgl. Amsterdamer Dokumente, 1. Beiheft zur Halbmonatsschrift Evangelische Welt, Bielefeld, S.254. Vgl. die Überarbeitung Real 102 ff. 165 1ββ Ebd. 246. Ebd. 1,7 N D II 269. 188 Contribution 24 f., zit. audi bei H. Hofmann a. a. O. S. 70.

189

mais in der Geschichte zu irgendeinem klaren Ergebnis gekommen wäre mit .sauberen Händen'!" 1 9 0 Nicht zum bequemen Rückzug darf die Erkenntnis der Zweideutigkeit allen politischen Handelns führen, denn wo diese Erkenntnis Ernst macht, endet sie bei der Einsicht, daß der Rückzug die zweideutigste aller Möglichkeiten ist. Zur Anerkennung der Schuld hingegen will und soll sie führen, denn genau diese Anerkennung ist die „fruchtbare Quelle eines Sinnes für sittliche Verantwortung in den unmittelbaren Situationen" 170 . Und wenn auch nur die Buße angesichts der offenbarten Liebe Gottes eigentlich fruchtbar ist, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß „Verzweiflung in größerer Nähe zur Buße steht als Selbstzufriedenheit zum Glauben" m . Audi im kollektiven Leben gibt es letztlich nur die Wasserscheide zwischen Stolz und Demut. Der Stolz beschwört endgültig die Katastrophe, indem er den vorläufigen Sieg erzwingt. Demut der Völker hingegen gibt es in der Geschichte nur verdeckt und ansatzweise m . Aber es gibt sie zeichenhaft immer da, wo geschichtliche Formen in der Begegnung mit Gegenformen sich eine Berichtigung gefallen lassen. Wo das geschieht, wird eine Krise vorwegnehmend übernommen, und kann damit eine Katastrophe vermieden weiden. „Diese Erfahrungen bestätigen die Gültigkeit der christlichen Lehre vom Leben durch den Tod für den kollektiven Organismus wie für den einzelnen." 173 Überhaupt muß die evangelische Christenheit wissen, daß sie bei all diesen Dingen durchaus bei ihrem ureigensten Thema ist: Rechtfertigung aus Glauben im Bereich des Rechtes bedeutet, daß wir alle Arten von Druck und Gegendruck, daß wir die Spannungen, die offenen und verdeckten Konflikte, durch welche das Recht erreicht und erhalten wird, nicht für normativ im absoluten Sinne halten werden. Gleichwohl werden wir unser Gewissen nicht einschläfern, indem wir danach streben, der Verflechtung in diese Dinge zu entgehen. Wir werden uns bewußt sein, daß wir uns nicht selbst von der Schuld reinigen können, in die wir durch die Zweideutigkeiten der Politik verstrickt sind, ohne daß wir auch die Verantwortung für die schöpferischen Möglichkeiten des Rechtes ableugnen 1 7 4 · 1 7 S .

4. Niebuhrs Sozialethik im Blick auf Martin Luther Nach der Darstellung der Geschichtslehre und Sozialethik Reinhold Niebuhrs scheint es wiederum schwierig zu sein, Ansatzpunkte für einen Dialog des modernen Amerikaners mit dem Reformator des 16. Jahrhunderts zu finden. Die ie» pp 35.

170 Ethic 78. 1 7 8 Vgl. ebd. 226 f. F H 154. 1 7 4 ND II 284. 1 7 3 Ebd. 1 7 5 An einer Stelle in Niebuhrs Hauptwerk hat der Leser einen Augenblick lang den Eindruck, daß Niebuhr entgegen unserer Interpretation dodi auch eine Betrachtung der Sozialwirklichkeit kennt, die an das institutionelle Naturrecht grenzt. „ . . . eine Analyse des zweiseitigen Charakters der ,Struktur' des Rechts muß mehr sein als eine bloße Betrachtung des .zivilen' oder ,positiven' Rechts. Sie muß über die gesetzmäßigen Verordnungen hinaus auf die ganze Struktur und Organisation geschichtlicher Gemein171

190

Kluft zwischen Wittenberg und New York ist dodi sehr breit. Wir würden wohl irren, wenn wir zum Beleg dieser Tatsache darauf hinwiesen, daß seit dem 16. Jahrhundert das Ausmaß weltlicher Bedrohung so unermeßlich zugenommen habe; die damaligen Menschen erlebten die Bedrohung durch die Türken sicherlich als totale. Nein, die Entfernung zwischen Luther und Niebuhr ist ganz anders zu messen. Während Luther mit seiner evangelisch-theologischen Soziallehre die vorherige katholische, indessen gleichfalls sich in theologischen Begriffen ausdrückende, beiseite schob, also damit redinen konnte und rechnete, daß die theologische Aussage in diesem Zusammenhang als solche allgemein verstanden und hingenommen werde, steht dem modernen Theologen eine allgemein verstandene und verwandte Soziallehre gegenüber, welche in Jahrhunderten sich zunehmend darin geübt hat, alle theologischen Begriffe bewußt auszuklammern 17e . In dieser Situation, welche zur Zeit Luthers schlechterdings noch nicht gegeben war, sieht sich Niebuhr vor die Notwendigkeit gestellt, einfach ganz von vorn anfangen zu müssen. Er hält das für möglich, weil auf Grund seiner Erkenntnis auch die säkulare Sicht der Soziallehre es nur mit dem Menschen in und vor der Wirklichkeit Gottes, des Schöpfers und Erlösers zu tun hat. Diese Tatsache kommt für Niebuhr dann am besten zum Vorschein, wenn man die Begriffe und Ergebnisse der untheologischen Soziallehren nicht einfach beiseite schiebt, sondern vielmehr zu Ende denkt, wenn man die weltlich-geschichtliche Wirklichkeit in ihrer ganzen Breite, Vielfalt und Widersprüchlichkeit bedenkt und so mit der Botschaft der Bibel an den Menschen konfrontiert. Das Ergebnis der schon behandelten Probleme dieser Arbeit bestand darin, daß die Theologie Niebuhrs im Bemühen um die Frage des Menschen und seiner wesen blicken. Diese Struktur ist niemals lediglich die Ordnung eines Systems von Gesetzen" ( N D I I 257). Mit der Betonung von Struktur im Gegensatz zu Verordnung scheint sich hier die Frage des institutionellen Naturrechts zu öfFnen. Indessen trügt der Schein, denn „Struktur und Organisation" sind hier soziologische Begriffe. Niebuhr weist auf die Eigenart soziologischer Institutionen hin und sonst nidits. Diese Strukturen und Organisationen mit ihren „ K r ä f t e n und Vitalitäten" sind keineswegs Grundformen des Redits, sondern Objekte und Instrumente des Rechts mindestens ebenso sehr. Es gilt also auch hier: In seiner Freiheit hat der Mensch keinen Ruhepunkt seiner Verantwortung, kein Gesetz und keine Ordnung, unterhalb des allen Weltlichen transzendenten Gesetzes der Liebe. D a s ist die Konsequenz der Sozialethik in der Zeit der pluralistischen Gesellschaft. Es ist nur zunehmende Erfahrung von der Eigenart soziologischer Vorgänge, welche den älteren Niebuhr sagen läßt: „Das Gemeinwesen wird integriert durch Zentren der Autorität, welche dem abstrakten Prinzip der Gleichheit Trotz bieten. . . . die Liebe, welche ein Gemeinwesen hervorbringt, muß in gewissen Maßen verletzt werden, um dem Gemeinwesen die Knochen der Autorität für das Fleisch seiner Bruderschaft zu verleihen" (Seif 217). In diesen Sätzen kann man eine Annäherung an konservatives Denken sehen, eine abgerundete Lehre von einem „ A m t " läßt sich schwerlich daraus gewinnen. 1 7 · Der A n f a n g dieser Entwicklung gerade in bezug auf die Soziallehre ist ausgezeichnet beschrieben durch E. Hirsch, Geschichte der neueren evangelischen Theologie I, Gütersloh 1949.

191

Geschichte deutlich reformatorische, ja spezifisch luthersche Züge tragt und an den Stellen, wo das nicht hervortritt, durch eingehendere Beschäftigung mit Luthers genuinem Denken in mancher Beziehung theologisch noch besser geklärt werden könnte 177 . Diese These wird sich auch in der Sozialethik Niebuhrs bestätigen, wie wir im Verlauf dieses Absatzes zu zeigen hoffen. Andererseits mag in der Sozialethik des modernen Amerikaners audi manche Anregung für die Neubesinnung der lutherischen Sozialethik enthalten sein, da Niebuhr einerseits in der Grundlegung seiner sozialethischen Ausführungen Theologie-Elemente reformatorischer Herkunft zu Schlüsselbegriffen macht und andererseits auf Grund seines modern-amerikanischen Herkommens so wenig mit Begriffen anzufangen weiß, die im Luthertum bislang eine große Rolle gespielt haben (Obrigkeit — Untertan, institutionelles Verständnis der drei Hierarchien usw.). Freilich muß gut bedacht werden, mit welchem Ansatz der Dialog zwischen Luther und Niebuhr in sozialethischen Fragen fruchtbar zu werden verspricht. Dieses Kapitel begann mit einer Darstellung der Geschichtslehre Niebuhrs. Es würde sicherlich nicht weit führen, unsere Gegenüberstellung mit dieser Lehre zu eröffnen. In Einzelfragen ließe sich zwar auf manche Entsprechung hinweisen. So hat die Lutherforschung seit längerem erarbeitet, daß Luthers Geschichtsbild nicht einfach als statisch bezeichnet werden kann 178 . Schon gewichtiger wäre folgende Entsprechung: In Parallele zum Ergebnis unseres Exkurses „Kreuzeserfahrung und Geschichtserfahrung" stellt nach H. Zähmt Luther der „Geschichtsbetrachtung ex analogia entis" 179 entgegen, daß das Handeln Gottes im Kreuz Christi „primum et exemplar omnium operum suorum" in der Geschichte sei 18 °. Gleichwohl — wenn sich auch noch mehr Entsprechungspunkte sammeln Vgl. oben S. 132, 162 u.ö. Indem Luthers Begriff der „Billigkeit" und seine Rede von „Gottes Wunderleuten" bei der Lösung der Frage berücksichtigt wurden, was bei Luther der für die Gesdikhtslehre konstitutive Begriff der „natürlichen Vernunft" bedeute, wurde klar, daß diese ratio nicht „als unverlierbarer Besitz des Menschen" (G.Hillerdal a . a . O . S . 6 6 ; S. 58ff.; auch Bei. und Lit.) verstanden werden darf. Vielmehr ist sie die unvorwegnehmbare „ G a b e " Gottes, „jenes regulative Prinzip (sc. der Goldenen Regel, Anm. d. Vf.) auf die konkrete geschichtliche Lage der Menschheit und ihrer Völker so anzuwenden, daß den Erfordernissen beider Genüge geschieht" (Joh. Heckel, Lex Charitatis S. 82 Anm. 592; dort audi Bel. und Lit.). Demnach ist Luthers Begriff der natürlichen Vernunft und der Billigkeit dem gar nicht unähnlich, was Niebuhr mit „social mind" bezeichnet (vgl. oben S. 183 f.). 177

178

H . Zähmt, Luther deutet Geschichte S. 27. WA 56, 377,4 f. 194, 12 f. Weitere Bel. s. H . Z ä h m t a . a . O . S . 3 3 . Vgl. audi H . Bornkamm, Gott und die Geschichte nach Luther, Theologie und Verkündigung, Lüneburg 1946, S. 16: „ . . . für das tiefste Geheimnis der Geschichte, den verborgenen und entscheidenden Vorgang: ,Wo Mensdienkraft eingeht, geht Gottes Kraft aus' und ,Wo Menschenkraft ausgeht, da geht Gottes Kraft ein', bietet den Schlüssel das Kreuz: ,Siehe, also ward Christus kraftlos am Kreuz und ebendaselbst tat er die größte Tat, überwand die Sünde, Tod, Welt, Hölle, Teufel und alle Ü b e l ' " ( W A 7 , 586, 15). So wird Geschichte nidit begriffen, aber bestanden. Für Luther erlaubt diese Glaubenserkenntnis keine Rationalisierung in Richtung eines vernünftig faßbaren Gesdiidits179

180

192

ließen — es bliebe doch am Ende immer die Tatsache bestehen, daß Niebuhrs Gesdiiditslehre sich einfach nicht von der kritischen Auseinandersetzung mit der Fortschrittsideologie trennen läßt, von welcher Luther sich wahrlich noch nichts träumen ließ. Deshalb ist dieser Ansatzpunkt für unsere Untersuchung untauglich, womit noch nicht gesagt sein soll, daß die Theologie an dem Gedanken Niebuhrs vom ständig wachsenden Ausmaß der Freiheit und Verantwortung des Mensdien in der Geschichte achtlos vorübergehen sollte. Wesentlich fruchtbarer wird es sein, bei der Beobachtung einzusetzen, wie Niebuhr das Geschehen in der Geschichte in das Geschehen der Rechtfertigung des Mensdien durch Christus einbeziehen will. Wir haben bemerkt, daß Niebuhr sich nichts von dem Gegensatz zwischen dem Gesetz und der Methode Gottes in Christus einerseits und den Gesetzen und Methoden der Menschen in der Geschichte andererseits erspart. Er stellt diesen Gegensatz immer so scharf heraus, daß zwischen Gottes und weltlichem Handeln beinahe überhaupt keine Spannung mehr, sondern nur nodi Gegensatz herrscht. Allerdings liegt Niebuhr alles daran, daß dies nidit eintritt. Entweder bedient er sich des Arguments der Inkarnation (Christus als Zeuge der Relevanz zwischen dem Göttlichen und dem Weltlichen 181 ), oder er entdeckt auch im schärfsten Gegensatz der Werte nodi ein das Göttliche zum Weltlichen hin verbindendes Element 1 8 2 . Das Interesse an dieser Verbindung gründet dabei einfach darin, daß nur durch sie ein Leben und Wirken im Weltlich-Vorläufigen sinnhaft wird. Andererseits gründet Niebuhrs Interesse an der Größe des Gegensatzes zwischen Göttlichem und Weltlichem darin, daß für ihn das Ausmaß der Spannweite, theologisch betrachtet, gleich der Relevanz von Gottes Gericht und Gnade im jeweils behandelten Zusammenhang ist. Indem wir genauer hinsehen, können wir feststellen, daß Niebuhr einen Unterschied zwischen der Spannung von göttlicher und weltlicher Wahrheit an sich einerseits und göttlicher Wahrheit und geschichtlich-realer Verwirklichung andererseits macht. Die Spannung der Wahrheit an sich ist ganz einfach die der Transzendenz zur Immanenz, sie enthält die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf, welche das Geschöpf an seinen Schöpfer bindet. Zwischen Gottes Opferliebe in Christus und der wechselseitigen Liebe als innerweltlicher Möglichkeit besteht kein durchgängiger Widerspruch. So sehr die Liebe des Kreuzes, rhythmus, was sie ja bei Niebuhr audi nicht ergehen soll. Gott „bleibt immer der Herr des Gerichts" (H.Zahrnt a.a.O. S. 162). Vgl. audi E.Seeberg, Grundzüge a.a.O.S.95: „Christus ist die Personifizierung des irrationalen Sinnes von Geschichte und Leben, den der Glaube allein zu fassen imstande i s t . . . Der gekreuzigte Gott-Mensch ist das Beispiel für das Handeln des verborgenen Gottes, der demütigt, wenn er erhöht und der den sterben läßt, den er lebendig machen will." Nirgends werden diese Gedanken bei Luther deutlicher als in der Auslegung des Magnificat 1520/21, WA 7, bes. S. 546 f. Das geschichtliche Handeln des Schöpfers, der richtet, um zu bewahren, entspricht dem hinter der Maske dieses Handelns verborgenen Handeln als Heilbringer, der richtet, um durch den Tod zum Leben zu führen (vgl. H.Zähmt a.a.O. S. 165). 181 188 Vgl. oben S. 103 f. Vgl. z.B. oben S. 161. 13

8134

Neubauer, Gerechtigkeit

193

dem Herrn vorbehalten, eine andere ist als das weltliche Geben von Liebe unter der Bedingung gleichen Nehmens, so sehr gilt doch andererseits, daß dieses Geben und Nehmen echte Liebe in einer Form ist, in welcher die Liebe dem Menschen in die Bedingungen seiner Endlichkeit und Sünde entgegenkommt183. Diese Liebe ist geprägt durch die Sünde, ist aber nicht selber Sünde; sie kann sachlich nur als Durchgangsstation jener transzendenten und ganzen Liebe verstanden werden. So audi nur kann sie geschichtlich verwirklicht werden, nämlich wenn der Mensch über sie hinaus sich der ganzen Liebe öffnet 184 . Verschließt sich der Mensch dagegen der Liebe Gottes in der Sünde» so scheitert er schon am „Gesetz der Liebe" in dessen weltlicher Form. Damit scheitert er an der Liebe — nicht wegen seiner begrenzten Möglichkeiten, sondern wegen seiner Sünde. Hier wird nun die andere, von der Polarität im Begriff der Liebe an sich unterschiedene, Spannung zwischen göttlicher Wahrheit und menschlich-geschichtlicher Verwirklichung deutlich, welche die Wahrheit einfach korrumpiert. Hier herrscht glatte Kontradiktion — um so mehr, als der Mensch in jeder Situation „vor der Tat" 1 8 5 von der Möglichkeit ganzer Liebe ausgeht. Genauer und kürzer: Die Liebe Gottes transzendiert und integriert die Möglichkeit der Liebe in der Welt, aber sie richtet — und rettet — den Menschen. Wenn wir Niebuhr hiermit recht interpretiert haben, stehen wir vor einer Anzahl interessanter Parallelen zur Lehre Martin Luthers. Man denkt sofort an den Dual-Fall des göttlichen Naturgesetzes der Liebe, den Joh. Heckel als für die Rechtslehre Luthers grundlegend erarbeitet hat 188 In anderer Hinsicht denkt man an Luthers Unterscheidung von Christ- und Weltperson und in wiederum anderer an die von Amt und Person, wobei der Hinweis sich allerdings erübrigt, daß alle diese Lehren Luthers anders zu interpretieren sind als Niebuhr sie versteht187. Beginnen wir mit dem „Gesetz der Liebe" 18S . Bekanntlich hat Joh. Heckel die Rechtslehre Luthers dahingehend geklärt, daß bei dem Reformator, von der Reditfertigungslehre ausgehend, welche als grundlegend zu verstehen ist, ein Rechtsdualismus vorliegt. Den „status naturae incorruptae"189 kennzeichnet die unumschränkte Liebe zur Ehre Gottes, welche das Sein und Sollen des Menschen in einem ausmacht190. Den „status naturae corruptae" dagegen191 kennzeichnet realiter die Liebe auf Gegenseitigkeit nach der Goldenen Regel (Mt. 7,12). Bei letzterer handelt es sich indessen nicht um eine im Wesen geminderte, relative Liebe gegenüber dem absoluten Gesetz der Liebe, sondern um die eine Liebe dieses Gesetzes, welches jedoch unter den Bedingungen der Sünde eine unsachgemäße, nämlich ungeistliche Interpretation erfährt 192 und 184 Ebd. Vgl. oben S. 171 f. 186 Joh.Heckel, Lex Charitatis, a . a . O . Vgl. oben S.68. 1 8 7 Vgl. oben S. 32 f. 188 Vgl. z. folgenden oben S. 167 ff. 1 8 9 Joh. Heckel a. a. O. S. 52 ff. 1 9 0 Ebd., bes. S. 66. 1 9 1 Ebd. S. 71 ff. 1 9 2 Ebd. 67: „Die geistlidi verstandene Goldene Regel ist diejenige Redaktion des naturgesetzlichen Gebotes der Nächstenliebe, welche im Stande der natura corrupta 18S

18s

194

dann doch selbst in dieser falschen Interpretation der Erhaltung der Welt auf die Erlösung hin dient 193 . Für unsere Untersuchung ist an der Arbeit Joh. Heckeis ferner interessant, daß es bei Luther grundsätzlich nur eine lex diaritatis gibt, die sich gerade um ihrer Einheit willen ihrem Inhalt nach differenziert, je nachdem in welcher ihrer Funktionen und in welchem Stande sie den Menschen trifft. Wenn Fr. Lau einmal bezweifelt, daß Luther einen usus elenchthicus legis naturalis kenne 1 " 4 , so liegt schon die ihn zu diesem Zweifel bewegende Frage quer zum Tatbestand. Natürlich ist die Funktion des Gesetzes im usus politicus eine andere als im usus theologicus, aber es handelt sich beide Male um das gleiche, eine Gesetz Gottes. Luther stellt dodi klar heraus, daß nicht die Anfechtungen „in desertis logis", sondern die des bürgerlichen Berufes in der Welt die editen Anfechtungen seien 195 , d.h. dodi: Gerade durch das natürliche Gesetz in seiner Funktion schlägt mit einemmal dieses gleiche Gesetz in anderer, den Menschen ins Herz treffender Funktion hindurch. In der Funktion oder dem Amt des natürlichen Rechts erhält das Gesetz die Welt, als lex irae straft es den Menschen auf die Erlösung durch Christus hin 196 , und als lex Christi, i.e.fides 197 schenkt es Vergebung und ewiges Leben. Würde das Gesetz nur erhalten, aber nicht strafen, oder strafen, nicht aber erhalten, würde es also je nach seiner Funktion sich inhaltlich nicht differenzieren, so wäre es nicht das Gesetz der Liebe, als welches es durch Christus erfüllt wird. Demnach trifft Niebuhrs Kritik, in der lutherischen Lehre ständen Liebe und Recht beziehungslos nebeneinander, einfach nicht zu. Gerade im Blick auf das weltliche Leben der Menschen mitund gegeneinander enthält Luthers Lehre vom Gesetz die ganze Spannung von Recht und Liebe — und von Gericht und Gnade. Freilich gelangt Luther im Gegensatz zu Niebuhr nicht durch Untersuchungen auf der Ebene der Gesetzesinhalte zur Einheit des Gesetzes. Auf den Inhalt gesehen fallen die verschiedenen Funktionen des Gesetzes als verschiedene Gesetze für Luther disparat auseinander. So betrachtet hat Fr. Lau recht: „Das Naturrecht . . . ist . . . das andere Gesetz, das Gott für die gefallene Welt gedem Reich Christi z u g e h ö r t . . . " S. 76: „Für das Rechtsleben im Reiche der Welt ist die (leiblich verstandene) Goldene Regel das regulative Prinzip. Sie herrscht dort seit dem Sündenfall und behauptet sich bis zum Jüngsten Tag." 19S „ . . . das leibliche Gesetz vermag dieser Aufgabe (sc. der Wiederherstellung des geistlichen Rechtsfriedens mit Gott; Anm. d. Vf.) nur mittelbar zu dienen, indem es die äußere Ruhe im weltlichen Gemeinwesen sichert, welche der Predigt des Evangeliums freie Bahn s c h a f f t . . . " Ebd. S.95. 194 F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen a. a. O. S. 45. Uns liegt an der Frage, weil Niebuhr einen solchen usus offensichtlich kennt. Sein Gesetz der Liebe ist Naturgesetz und Zuditmeister auf Christus hin in einem. m W A 43( 214, 3 ff. m Vgl. joh. Heckel a. a. O. S. 94: „Luther bezeichnet dieses zur Erhaltung der Menschheit bestimmte Amt der lex irae als usus politicus sive civilis legis." 197 Vgl. E.Wolf, Zur Frage des Naturredits bei Thomas von Aquin und bei Luther S.201. 13*

195

geben hat, allerdings anonym." 1 9 8 Niebuhr kann sich keine andere als eine wert-immanente Einheit des Gesetzes mit den Gesetzen denken. Dieser Fragestellung ist Luther ganz enthoben, weil er seine ganze Lehre von dem Grund her entwirft: „Also ist Gott selber aller beyder gerechtigkeit, beide geistlicher und leiblicher, stiffter, herr, meister, födderer und belohner. Und ist keine menschliche Ordnung odder gewalt drynnen, sondern eytel Göttlich ding." 1 9 9 Weil für Luther in allen Sätzen feststeht, daß Gott selber es ist, der in allen verschiedenen Versionen des Gesetzes den Menschen so unterschiedlich und in dieser Unterschiedlichkeit doch gerade als der eine Gott und Herr trifft, braucht er nicht die Einheit des Gesetzes auf der kulissenhaften Linie der Gesetzesinhalte darzustellen. Das Anliegen Niebuhrs, das Redit dürfe nie aus der Klammer der Liebe entlassen werden 200 , ist vollauf gewahrt, wenn daran festgehalten wird, daß Gott den Menschen nie mit dem Gesetz in nur einer Version, sondern jeden Menschen in jeder Lage mit dem Gesetz in dessen sämtlichen Ämtern trifft 201 . Nur die Erkenntnis des theogenen und theonomen Charakters aller Gesetze 202 schafft Einsicht in die Einheit des Gesetzes. In dieser Sicht Luthers wird die ganze Existenz des Menschen wirklidi schlüssig in den Glauben hineingebunden, denn nur der Glaube erkennt diese causa efficiens et ñnalis aller irdischen und irdisch so divergierenden Dinge. Ferner kann nur durch diese Sicht die leidige Notwendigkeit umgangen werden, zum Erweis der Sinnhaftigkeit eines Lebens im Irdischen dieses Irdische seinshaft im Göttlichen zu verankern, worauf Niebuhrs Lehre trotz seines eigenen Sträubens uns an einer Stelle doch wieder hinauszulaufen schien 208 . Darin jedoch vereint sich Niebuhr wieder mit Luther, daß er vom Kreuz Christi her hinter dem weltlichen Recht die Liebe Gottes entdeckt 204 und daß von hier aus die Liebe sich zum Maß aller Gesetze macht 205 , daß mit diesem Maß die Mensdien davon befreit sind, Gesetze der Vergangenheit zum Richtmaß der Gegenwart zu machen 20e , sonF. Lau, Leges Charitatis, Drei Fragen an Joh.Heckel, KuD, 2. Jg. 1956, S . 8 3 . lee W A 19, 629, 3 0 — 6 3 0 , 2 ; Ob Kriegsleute . . . 1526. 2 0 0 Vgl. oben S. 177 f. 2 0 1 Vgl. dazu weiter unten. 2 0 2 Durch G.Törnvall ( a . a . O . S. 159ff.) ist dieser Charakter als konsequenter Schöpfungsgedanke bezeichnet worden. Joh.Heckel ( a . a . O . S . 4 2 f . ) mißversteht G.Törnvall insofern, als er dessen Ansatz infolge dieses Leitbegriffes der Schöpfung in den zu engen Rahmen des 1. Artikels beschränkt sieht. Die skandinavische Forschung versteht aber hier unter dem Schöpfungsgedanken die Alleinmächtigkeit und Alleinwirksamkeit Gottes als Grundsatz der Theologie Luthers, der in der Regimentenlehre zum Ausdruck kommt und ohne den man diese Lehre gar nicht verstehen kann. Joh. Heckel kann ihn von seinem Ansatz her freilich schwer verstehen. 2 0 3 S. oben S.161. 2 0 4 Für Luther sind die zwei Reiche vereint in der Doppelgestalt der Liebe, unterschieden dagegen in der Doppelgestalt der Liebe. So: O.Lähteenmäki, Sexus und Ehe bei Luther, Turku 1955, Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft N r . 10, S. 151 ff. 2 0 5 Vgl. Joh.Heckel a . a . O . S . 8 3 . 2 0 6 Das Gesetz Moses ist der Juden Sachsenspiegel: W A 18, 81, 14. — Zur Freiheit des Christen in der Liebe vgl. W . Joest a. a. O. S. 21 ff. 1,8

196

dern mit diesem Maß sich ihnen „der Weg zum geschichtlichen Prozeß" 8 0 7 erst öffnet. Auch darin gehen Niebuhrs Gedanken denen Luthers parallel, daß er in dieser Liebe „keine einfache Möglichkeit" in der Geschichte sieht 208 . Damit stehen wir bei Luthers Unterscheidung von Christ- und Weltperson. Sihe so reden wir jtzt von einem Christen in relatione nicht als von einem Christen, sondern gebunden jnn diesem leben an ein ander person, so er unter odder ober jm odder auch neben jm hat, als herrn, fra wen, weib, kind, nadibar etc. da einer dem andern schuldig ist zu verteidigen, schützen und schirmen wo er kann. Darumb were nicht recht, das man hie wolt leren den andern backen herhalten und den rock zum Mantel wegwerffen. Denn das were eben genarret, wie man sagt von einem tollen heiligen, der sich selb lies die leuse fressen und wollt keine todten, umb dieses texts willen, gab fur, man müste leiden und dem bösen nicht widerstehen 40 '. Ganz deutlich steht Luther hier unter dem Eindruck der Tatsache, daß innerhalb des Lebens im Sozialgefüge der Menschheit die Ethik der Bergpredigt die „unmögliche Möglichkeit" ist 2 1 0 . Ist es nun ein in der Sache liegendes Gesetz, daß man von diesem Ansatz her zu einer „doppelten" 2 1 1 oder „perversen" 212 Moral kommt? Wir beobachten doch, daß Niebuhr selber sich gegen einen ähnlich gearteten Vorwurf wehren muß 2 1 3 . Gehen wir bei Luther der Reihe nach vor! Von grundsätzlicher Bedeutung ist für Luther die Unterscheidung von Amt und Person 2 1 4 . Mit dieser Unterscheidung will Luther keineswegs einer Teilung des Lebens in einen privaten und einen öffentlichen Bereich das Wort reden. Was vielmehr Niebuhr mit seiner These innerhalb der Anthropologie aussagen will, der Mensch gehe in seinem Handeln in der Welt immer v o n der Möglichkeit der Gerechtigkeit aus, genau das sagt Luther mit seiner Unterscheidung von Amt und Person theozentrisch aus 215 . D a ß der Mensch als Gottes Geschöpf sein Leben in der Welt schöpfungsmäßig immer von der rechten Position aus lebt, ist für 207

S. H . W. Krummwiede a. a. O. S. 68. 209 Vgl. oben S. 168 f. u. a. WA 32, 390. 210 F. Lau (Luthers Lehre von den beiden Reichen S.21ff.) ist der Meinung, daß Luther überhaupt durdi den Gegensatz zwischen der Bergpredigt und der weltlichen Realität erst zu seiner Zwei-Reiche-Lehre kommt. 211 F. Lau (ebd. S. 31) hält dafür, daß die „doppelte Moral" nicht erst im Urteil Troeltsch über Luther, sondern schon bei Luther selbst zu finden sei. Freilich, auf der Ebene der Moral selbst ist da nichts zu harmonisieren. Aber F. Lau sagt doch selber, daß die Lehre Luthers zweifach zu einer Einheit verklammert sei, oben im Gottesgedanken und unten in der vita Christiana (S. 55). 212 Vgl. oben S. 28. Vgl. oben S. 181, Anm. 130. 214 Von vielen Stellen nur diese: „Ich rede itzt mit eintzeln personen als mit Christen, das sie lernen sollen unterscheiden, was Gottes werde sey, und was menschen bosheit sey, Es sind ynn allen Göttlichen ampten und Stenden viel böser menschen. Aber der stand ist und bleibt dennoch gut, wie hoch auch die menschen das mißbraudien . . . die sonne bleibt gut, ob wol die gantze wellt derselbigen m i ß b r a u c h t . . W A 30 II, 572,9ff. 115 Vgl. obiges Zitat. 208

197

Luther keine Qualitätsaussage über den Menschen, sondern ist Gabe Gottes, hat seinen Grund nicht im Menschen, sondern außerhalb des Menschen in Gottes Wirken 216 . In dieser Konkretion auf die vorfindliche Position des Menschen als Vater, Herr, Knecht usw. versteht Luther überhaupt das Geschöpf-Sein des Menschen 217 . Von den „göttlichen Ämtern und Ständen" 2 1 8 des Menschen fällt nun der Blick auf die Person des Menschen. Am Christen klärt Luther das rechte, dem Werk Gottes entsprechende Verhältnis von Amt und Person, in welchem der Mensch eben nicht in zwei Teile auseinanderfällt, sondern welches zwei verschiedene Stellungen bezeichnet, die der Mensch einzunehmen hat, um als Geschöpf Gottes ein Werkzeug Gottes, ein Durchgangspunkt des Wirkens Gottes zu sein 219 . Das Verhältnis von Amt und Person erklärt sich so sehr einfach: Der Mensch steht als Person vor Gott, er nimmt hier — selber rein passiv — Vergebung und ewiges Leben entgegen. Als solcherart Beschenkter steht er dann im Amt, d.h. an rechter Stelle in der Welt und gibt in seinem Wirken Liebe und Fürsorge weiter 220 , wobei sein passives Vor-Gott-Stehen verhindert, daß er sein Wirken in sein Werk ummünzt, das ihn selber rühmt. Nur bei rechter Unterscheidung von Person und Amt entspricht somit der Mensdi personal dem schon sachlich in seinem Amt gegebenen Tatbestand, daß auch „in politia et Oeconomia est Deus" 221 , daß er es allseitig nur mit Gottes Wirken zu tun hat. So ist der Glaube die „divinitas in opere" 222 . „Fides perpetuo vivificet, iustificat, non manet otiosa, sed incarnatur et fit homo" 228 — nämlich im Werk, das Gott zur Ehre und dem Nächsten zugute geschieht, also in der Liebe 224 . So betrachtet gibt es gar keine Grenze zwischen den beiden Reichen, sondern alles ist eine dauernd neue Verwirklichung von Gottes Schaffen und Regiment 225 . m

Nach E.Wolf (Der christliche Glaube und das Recht, zu J o h . H e c k e l . . . , Zeitschr. f. ev. Kirchenrecht, 4. Bd. 1955, S. 225 ff.) sagt der triplex ordo hierardiicus nichts über die Organisation der Menschheit und nichts über die Struktur der Christenheit aus, sondern bezeichnet die geistliche Qualität des Berufes (ebd. S. 244). 217 Vgl. W A 40 III, 219,8 ff. 218 Vgl.Zitat Anm.214; u.a. audi WA 47, 641, 18. 218 G. Törnvall a. a. O. S. 73 : „Es handelt sich für Luther bei der Scheidung der Regimente nicht eigentlich um eine Scheidung, sondern vielmehr um zwei radikal verschiedene Stellungen, die der Mensch einzunehmen hat, innerhalb einer und derselben Welt der Schöpfung." 220 H.Storck, Das allgemeine Priestertum bei Luther, ThEx, N F 37, München 1953, S. 24 f. : „Person m e i n t . . . das Verhältnis coram deo, während Amt den Wirkungsbereich in der menschlichen Gemeinschaft bezeichnet." 221 222 WA 49,643. WA 401,417. 222 WA 4 0 1 , 4 2 6 , 1 1 — 4 2 7 , 1 . 224 W A BW 3, 151, 56—60: „ . . . fidem per charitatem efficacem probamus, dum operibus testamur seu certum facimus, nos non egere operibus bonis ad iustitiam, sed earn iam habere per fidem in corde. Proinde talia opera docemus, quae non nobis, sed proximo tantum utilia et necessaria sunt. Haec est Charitas." 22s G.Wingren a . a . O . S . 4 1 : „Die im Glauben und im Geist geborene Liebe bedeutet . . . ein völliges Durchbrechen der Grenze zwischen den beiden Reichen."

198

Nun könnte man argwöhnen, das alles sei auf den Rahmen einer privaten Ethik beschränkt22®. Das hieße jedoch Luther arg mißverstehen. Die Ämter geben die öffentliche Position des Menschen an! Hier wird zweierlei bedeutsam: 1. „ . . . ym weltlichen reich müs man aus der vernunfft (daher die rechte audi komen sind) handeln. Denn Gott hat der vernunfft unterworffen solch zeitlich regiment und leiblich wesen Gen. 2. Und nicht den heiligen geist vom himel dazu g e s a n d . . . " 227 Und 2. „Tres enim hierardiias ordinivit Deus contra diabolum, scilicet oeconomiam, politiam et Ecclesiam." 228 Dies beides führt keineswegs einen inneren Bruch in das Handeln des Mensdien ein, sei es ein Bruch zwischen Liebe und Vernunft oder Liebe und Gewalt. Das Handeln der Liebe selbst ist ja als solches die Tat contra diabolum und zwar gerade in einem Maximum an vernünftiger Sachlichkeit. Die Regelung des weltlichen Kräftespieles in der politia und oeconomia ist dem Mensdien und seiner Vernunft der Sache nadi verfügbar, sie sdieitert erst, wenn der Mensch in seine diesbezüglichen Unternehmungen mehr als seine Vernunft, nämlidi sich selbst, die Frage nach dem Verbleib seiner Person hineinsteckt. Tut er das nidit, weil er unter der von Gott kommenden Liebe personal geborgen ist, so ist in seinem Werk Liebe und Vernunft in sachlicher Entscheidung ein und dasselbe 22 ·. „Die Liebe zeigt dem Christen, wo er zu handeln hat, während die Vernunft die Art und Weise seines Handelns bestimmt." 280 Das ist Luthers Gedanke der Billigkeit 231 . Audi mit ihm, das sei nachgetragen, durchbricht der Reformator das ihm nachgesagte starre Geschichtsbild232. Wo der Mensch „Durchgangspunkt" der Liebe Gottes ist, wird durch den Gebrauch freier Vernunft „der Grundsatz der Moderation (sei. bestehender Gesetze; Anm.d.Vf.) zur reinen Sadilidikeitsregel" 283 . Wer kann nun noch behaupten, daß bei Luther die Aufgabe des Rechtes beziehungslos neben der Liebe stehe? Freilich besteht hier doch ein Unterschied zwischen Luther und Niebuhr. Nach Luther ist die Aufgabe der Vernunft reine politia und oeconomia und hat nichts mit dem Reich Christi 234 zu tun. Niebuhr würde hierin wiederum eine Entlassung der politischen und wirtschaftlichen Aufgabe aus der Klammer der absoluten Liebe sehen. Luther dagegen sieht von Christus her die Liebe Gottes, des Erhalters auf Christus hin, so vollkommen in den Ordnungen konkreten natürlichen Rechtes verwirklicht, daß diese Ordnungen eine Transzendierung durch Vgl. Niebuhrs Vorwurf oben S. 28. 2 2 8 WA 39 1,42, 3 ff. WA 30 II, 562. 22» Vgl, d a z u besonders R . Bring, D a s Verhältnis von Glauben und Werken S. 125 f. 2 3 0 B.Lohse a . a . O . S.132. Vgl. audi E.Wölfel a . a . O . S . 2 2 7 f . 2 3 1 V g l . W A 6 , 207, 3 ff.; 2 6 0 , 2 4 f f . ; 11, 276, 4—26; 279,35—280,19; 30 III, 223, 27ff. u . a . Die Regel: W A 19, 220, 29—31. 2 3 2 Vgl. Niebuhrs Kritik oben S. 28 und die Darstellung zu Luthers Geschichtsbild oben S. 38 f., vgl. auch S. 86—90. 2 3 3 E.Wölfel a. a. O. S. 231. 2 3 4 Vernunft und Billigkeit gelten nicht im Reich Christi; vgl. Joh.Heckel a.a.O. S. 85 Anm. 622. 226

227

199

die Wahrheit Christi gar nicht benötigen. Widerspricht eine bestehende Ordnung dem natürlichen Redit 2 3 5 , so ist das nicht eine Frage an die Ordnung, sondern an den diese Unrechte Ordnung aufrichtenden oder verteidigenden Menschen. Sie kann dann vernünftig geregelt werden; in diesem Fall beruhte das Unrecht darauf, daß der die Ordnung Aufrichtende oder Verteidigende mangelhaft informiert war. Kann sie nidit vernünftig geregelt werden, so ist sie mehr als eine politische Frage, so liegt also eine Vermengung der beiden Reidie vor! Das war aber dodi ein entsdieidendes Motiv der Theologie Niebuhrs, daß die sich im politischen Bereich aufwerfenden Fragen über diesen Bereich hinausweisen. Bei Niebuhr weisen sie einerseits auf die Grundfrage des Menschen vor Gott zurück, andererseits aber audi auf Werte, die als solche transzendierend und integrierend über dem politischen Bereich schweben. Nach Luther weisen sie nur auf den Menschen vor Gott zurück. Das ist der Gehalt der reformatorisdien Unterscheidung von Amt und Person. So ist es zu verstehen, daß Luther meint, es würde keiner Obrigkeit und keines Zwanges bedürfen, wenn alle Mensdien Christen wären 2 8 e . Die Regelung der Weltgeschäfte wäre dann eine Sache reiner Vernunft. Luther w a r sidi selber klar darüber, daß dieser Gedanke eine Utopie ist 887 . Niditdestoweniger dient er der grundsätzlichen Klärung, daß die N ö t e des politischen Lebens nicht an einem Mangel politischer Möglichkeiten oder gar der Vernunft liegen, sondern am Mensdien im Unglauben. Es dient gleichfalls der grundsätzlichen Klärung, daß der Christ nach Luther sich den bestehenden Ordnungen, audi wo sie Zwangsordnungen sind 288 , unterwirft — und zwar freiwillig unterwirft 2 3 9 . Wenn der Christ nicht grundsätzlich der Rechtszugehörigkeit zum „Reich zur Linken" entnommen wäre, gäbe es ja f ü r ihn keine Basis göttlichen Rechtes mehr, von der aus er nach Apg. 5,29 gegen 2,5

Zu diesem Begriff bei Luther vgl. oben S . 9 0 f f . WA 11,249,37—250,4. WA 18, 318, 16; vgl. auch unten S.201 zu Anm.240. 288 Darüber gleich mehr. 289 Vgl. W A 40 1,51,26—30.673,17—22. Sehr lehrreich auch WA BW 3,152,96—109. Die Bestreitung der These, der Christ sei „Bürger zweier Reidie" (J.Heckel ebd. S. 134 u. ebd. Anm. 1093), hat hier wohl ihr Redit. U n d dodi sagt G.Hillerdal a . a . O . S.47 wiederum, der Christ sei wie alle anderen „unter dem Gesetz und . . . dem weltlichen Regiment unterworfen". Die Frage der Zugehörigkeit des Christen zu beiden Reichen ist immer nur im Rahmen der Sozialethik behandelt worden, in dem sie tatsächlich im Sinn der herkömmlichen Interpretation zu beantworten ist. Bei G.Hillerdal z.B. ist die Argumentation aus der Fragestellung der Sozialethik ganz deutlich. Joh. Heckel dagegen entwickelt die Lehre Luthers von der Rechtfertigung her und sieht daher, daß der Status des Christen der der Freiheit vom Reich der Welt ist, also zunächst dem Reich des Satans. Diese Freiheit äußert sich in dem Moment, w o die Welt als Reich zur Linken auftritt, darin, daß der Christ eine veränderte Stellung zum Zwangscharakter dieses Reiches zur Linken einnimmt. Hier ist der Ubergang von der grundsätzlichtheologischen zur sozialethischen Aussage, welche es mit dem weltlich Greifbaren zu tun hat. Der Christ ordnet sich der weltlichen Gewalt freiwillig unter, um so mehr, als er in der Gewaltmäßigkeit weltlichen Regierens die Liebe Gottes, des Erhalters, erblickt. 231

287

200

Maßnahmen des Staates protestieren könnte. So wichtig indessen der Gedanke der Freiheit des Christen in diesem Zusammenhang grundsätzlich ist, so vorsichtig ist Luther dann dodi wiederum, ihn anzuwenden. Vielmehr leitet er zu der für die Sozialethik greifbaren Realität über mit den Worten: N u aber keyn mensch von natur Christen odder frura ist, sondern altzumal sunder und böse sind, weret ihnen Gott allen durchs gesetz 2 4 0 .

Weil der Glaube für keinen Menschen jemals zu einem natürlichen Zustand wird, fallen bei allen Menschen Amt oder Stand und Person auseinander und Gott kämpft in beiden Reichen seinen Kampf gegen den Satan 2 4 1 . Den Kampf des Reiches Christi behält er sich selber vor 2 4 2 . Dagegen überläßt er die Waffen des Kampfes im weltlichen Reich den Menschen, die er in die Ämter dieses Reiches stellt — und führt dann doch auch diesen Kampf alleine, wobei seine Waffe der Stand oder das Amt selber ist. Er stellt alle Menschen in einen guten, ja göttlichen Stand. Die Menschenbeziehungen, in denen sich die Menschen in der Welt vorfinden, sind als solche ihre Gottesbeziehungen im Reich zur Linken, mit ganzer Gerechtigkeit ausgestattet, solange die Menschen ihre Gerechtigkeit nicht hier suchen, sondern durch Christus sich schenken lassen 2 4 S , solange sie in ihrem Stand nur der Sache des Standes dienen. Aber das tun sie nicht, sie sind allesamt „böse Buben" 244 , welche aus ihrem Stand herausfallen. Und doch können sie diesen Stand nicht verlassen, sie gehen immer wieder von ihm aus. Gott „ . . . überläßt den Menschen nicht den Mächten der Geschichte, sondern richtet über diese Gottes Wort auf. Die göttlichen Stände bringen als Gebot Gottes einen Zwangscharakter in das Leben, weil dieses unter der Herrschaft der Sünde steht" 2 4 5 . Werfen wir wieder einen Blick zurück auf R . Niebuhr: Seinem geschichtlichen Integrationsprinzip des Gesetzes der Liebe über der Geschichte 24 · entspricht bei Luther der Stand des Menschen als Gottes konkrete Schöpfung und aktuelles Gebot in der Geschichte; demnach ist Luthers Denken an dieser Stelle viel geschiditsnäher 247 . Bei beiden ist dann die Sünde als Unglauben und Unrecht die WA 11, 250,26 ff. Vgl. P. Althaus, Luthers Lehre . . . im Feuer der Kritik S. 56 f. 2 4 2 Vgl. G.Törnvall a. a. O. S. 85. * » Vgl. oben S. 138 ff. 2 4 4 WA M I, 217, 10—17; 30 II, 572, 9 ff. 2 4 5 H . W.Krummwiede a . a . O . S.60. 2 4 8 S. oben S. 167 ff. 2 4 7 H . W.Krummwiede a. a. O. S . 6 1 : Wir können „feststellen, daß Luthers grundsätzliche Äußerungen über die Stände gerade dadurch gekennzeichnet sind, daß sie nicht nur offen zur Geschichte sind, sondern daß sie für nidtts anderes eine Fassung sein können als für den freien, unkanalisierten Verlauf des geschichtlichen Flusses. Das Mißverständnis, daß Luther die bestehende Ordnung vergöttlicht habe, rührt daher, daß er das geistliche Regiment unmittelbar mit ihr zusammenbringt. D a s heißt aber nicht, die Ordnung solle für alle Zeiten bestehen, oder sie sei göttlich im Gegensatz zu anderen, die weniger göttlich oder gar gottlos sind, sondern damit will Luther sagen: Gott ist der Herr über diese Ordnungen." 240

141

201

akute Korruption dessen, was der geschichtliche Augenblick gestattet und gebietet, und bei beiden kann diese Korruption doch die Integration nicht aufheben. Der Grund dafür liegt bei Niebuhr im Wesen des Menschen, für Luther dagegen in Gottes Regiment. Wenn wir nun weiter fragen, wie dieser Kampf gegen die Korruption des Lebens sich vorfindbar auf der Ebene der geschichtlichen Auseinandersetzungen abspielt, so stehen wir bei beiden vor dem Problem der Beurteilung weltlicher Gewalt. Die Lösungen dieses Problems differieren ernstlich erst in dem Moment, wo es um die weltlichen Instanzen geht, die in diesem Kampf zu agieren haben. Darüber weiter unten mehr 2 4 8 . Verfolgt man Luthers Gedanken zum Problem der weltlichen Macht, des „Schwertes", so fällt auf, wie unmittelbar und scheinbar ungesichert der Reformator die Notwendigkeit des Schwertes mit dem weltlichen Amt verknüpft. Scheinbar entsinnt er sich gar nicht, daß er vorher das weltliche Amt mit der Liebe verknüpfte. Jedenfalls argumentiert er im Blick auf das Eindringen der Sünde in die Welt (d.h. in die Personen) 2 4 9 nach vernunftsgemäßen Gesichtspunkten einfach mit der Notwendigkeit des Schwertes 2 5 0 . Dementgegen beobachteten wir bei Niebuhr eingehende Überlegungen zum Problem der Spannung zwisdien Liebe und Macht 2 5 1 . Aber man muß bei Luther genauer hinschauen. Im Gedanken der Billigkeit verknüpft er ja Liebe und Vernunft in weltlichen Dingen zu einem Begriff. Wenn er nun vom positiven Recht eines Gemeinwesens spricht, stellt er die Vernunft — und das heißt: Die Liebe — als Richtmaß über dieses Recht 2 5 2 . Spricht Luther dagegen vom weltlichen Schwert im Zusammenhang der weltlichen Stände und Ämter, so entfällt für ihn jedes Richtmaß, weil diese Stände und Ämter selber ja nichts als Ausdruck der Liebe und Durchgangspunkt dieser Liebe in mitmenschliche, rechtlich struk-

Vgl. unten S . 2 1 0 f . Das weltliche Regiment gab es zwar schon vor dem Fall im Gebot der Arbeit, des Sabbaths und der Vermehrung des Menschengeschlechts ( W A 14, 117f.), d.h. also als Erschaffung der menschlich-irdischen Gemeinsdiaftlidikeit. Das Schwert aber kam erst nach dem Fall (vgl. G.Hillerdal a . a . O . S . 5 3 f . ; ferner H.R.Gerstenkorn, Weltlich Regiment zwischen Gottesreich und Teufelsmadit, Bonn 1956, S . 9 5 ; beide mit Bei.; auch Joh. Heckel a. a. O. S. 91 f.). 250 - ψ a 4 0 I, 3 0 9 , 3 4 — 3 1 0 , 1 7 : » . . . sine severa disciplina nullae res sive pacis sive belli, rite geri possunt. Quare nisi magistratus Ecclesiasticus, politicus aut oeconomicus irascatur et obiurget, cum res postulat, ignavus et inutilis est et numquam recte officium suum administrabit." Vgl. audi W A 11, 2 5 5 , 1 — 4 : „ . . . wenn du aber sehest, das am Henger, bötell, rithter, herrn oder fursten mangeilt, und du dich geschickt fundest, sollistu dich dazu erbieten und darum werben, auff das jah die nöttige gewalt nicht veracht und matt würde oder untergienge. Denn die wellt kan unnd mag yhr nicht geratten." 248

248

S. oben S. 175 fi. W A 11, 2 7 2 . 1 3 — 1 7 : „Darumb muß ein fürst das recht ia so fast yn seyner hand haben als das sdiwerd unnd mitt eygener vernunfft messen, wenn unnd wo das redit der strenge nadi zu braudien odder zu lindern sey. Also das alltzeyt über alles recht regire unnd das überst redit unnd meyster alles rechten bleybe die vernunfft." 251

252

202

turierte Liebe und Fürsorge hinein sind — viel konkreter, als jedes „Buchrecht" 258 dies zu sein vermag. Noch einmal: Die Stände sind ja für Luther im Grunde nicht die Schwerpunkte des politischen und wirtschaftlichen status quo, sondern der begrifflich gefaßte Tatbestand der Stellung und Funktion des Menschen unter, zwischen und über anderen Menschen, der im Gebot der Liebe sein Wesen hat. Dient die Strenge weltlicher Gewalt dem Stand oder Amt in diesem Verständnis, so dient sie gegen die Korruption der Sünde der rechtlich strukturierten Liebe in der Welt 254 . Es entfällt also bei Luther Niebuhrs Sicht einer grundsätzlichen ethischen Neutralität der Macht, aus der heraus erst der Mensch Macht entweder zum Guten oder Bösen anwendet. Luther kann das Phänomen der Macht nicht „an sich" betrachten, sondern nur von seinem Grundsatz aus, nämlich der Lehre vom zweierlei Regiment Gottes 255 . Das Schwert ist grundsätzlich gut, weil mit seiner Hilfe Gott durch das weltliche Regiment verhindert, daß die Welt im Chaos versinkt25®. Von hier aus stimmt H. Jordans Urteil: Wir können Luthers „Gesamtstimmung in der Bewertung des Staates als wesentlich nur verhütend" bezeichnen257. Damit bestätigt sich indessen auch Niebuhrs Urteil, die Reformatoren hätten wegen ihrer Furcht vor der Anarchie die gleich große Gefahr der Tyrannei nie recht zu Gesicht bekommen258. Freilich weiß Luther sehr wohl, daß das Schwert auch übel mißbraucht werden kann. Aber er hat seine Entgegnung gleich bereit: D a r u m b ehret . . . Gott das schwerd also hoch, das ers seine eigen ordnunge heist, und wil nidit, das man sagen odder Wehnen solle, menschen habens erfunden odder eingesetzt. Denn die hand, die solch schwerd füret und würget, ist auch denn nicht mehr menschen hand sondern Gottes hand, und nicht der mensch sondern Gott henget, redert, entheubt, würget und krieget. Es sind alles seine werde und seine g e r i d i t e . . . Das aber etliche sokhs ampts missebraudien, würgen u n d schlahen on not, aus lauter mutwillen, das ist nidit des ampts sondern der person schuld . . . 1 5 9

Hier wird keineswegs gleich behauptet, ein statistischer Vergleich des guten Gebrauches mit dem Mißbrauch der Macht in der Geschichte werde ein solches 258 Luthers Ablehnung des starr kodifizierten Rechts gegenüber dem „natürlichen", vernünftigen, sich an der Situation und unter der Billigkeit ausrichtenden Recht ist bekannt, vgl. z.B. W A 11, 279f. 254 Gegen die Konsequenz dieser Gedanken läßt sich Luther durch kein gesetzliches Verständnis des Evangeliums beeinflussen. Christus kann nicht als Beispiel und Muster f ü r das weltlich Notwendige herangezogen werden. Vgl. W A 11, 258, 12—18. 255 Der locus classicus f ü r diese Lehre: WA 19, 629, 17ff. 25 « W A 11, 251, 12; 17,1,149. 457 H . J o r d a n , Luthers Staatsauffassung, München 1917, S.44. Schon wegen der vielen abgedruckten Belege lohnt es sich immer noch, zu diesem Buch zu greifen. 258 Vgl. bes. WA 19, 626, 15—22. 25» W A 1 9 ) 626, 22—27, 627,4—6. Es dürfte deutlich sein, daß die scharfen Äußerungen im ersten Teil des Zitates keinen grausamen Zug in Luthers Gotteslehre enthüllen. Vielmehr ist diese Argumentation Luthers einzige Möglichkeit, die Legitimität weltlicher Strafe überhaupt zu erweisen, da tatsächlich f ü r ihn Gott der einzige ist, der strafen und töten darf. So konsequent führt Luther seinen Ansatz durch, daß Gott seine Schöpfung durch das weldiche Schwert gegen die Sünde bei seinem Regiment erhält.

203

Übergewicht des ersteren erbringen, daß der Mißbrauch dagegen nicht ins Gewicht fällt. Luther betont lediglich, daß auch der schärfste Mißbrauch nicht Gottes Schöpfung beseitigen könne und rein zu Lasten des pervers handelnden Menschen gehe. Als Schöpfung steht das Schwert im Dienst der Liebe Gottes 2 e o . Zusammenfassend kann man Niebuhrs Verständnis der Demokratie auf Luthers Verständnis von weltlichem Amt und Obrigkeit anwenden, wobei sidi eine bezeichnende Abwandlung ergibt: Gottes Regiment macht Obrigkeit möglich, des Menschen H a n g zur Sünde macht Obrigkeit notwendig 2 · 1 . Es kommt eben alles darauf an, von welchem Blickpunkt aus man Luthers Obrigkeits- und Standeslehre betrachtet. Entweder sieht man Luthers Lehre als Ausdruck des Bemühens, für die Gewalt- und Strafmaßnahmen bestehender, großmächtiger Obrigkeiten einen theologischen Berechtigungsausweis zu beschaffen. Oder sie zeigt sich dem Betrachter als Darstellung der Wahrheit, daß und wie Gott eine Welt voll sündiger Menschen als seine Schöpfung für die Bereitung seines Heiles in Christus offenhält. Bei gleichem Befund werden die Ergebnisse sehr verschieden sein. Daraus nun, daß die Menschen aus ihrem Stand heraustreten, ergibt sich für Luther die Notwendigkeit der dauernden Belehrung der Menschen in den Ständen 2 6 2 . Die Belehrung betreffs der grundsätzlichen Legitimität des obrigkeitlichen Schwertgebrauches bedeutet keineswegs eine Blankovollmacht für Gewaltanwendung bei jeder sich bietenden Gelegenheit 263 . Nachdem vielmehr die Obrigkeit durch die Lehre von den beiden Regimenten das rechte Wissen um ihre eigene Notwendigkeit und damit ihr rechtes Selbstvertrauen gewonnen hat 2 6 4 , geht es Luther allein darum, die Menschen in diesem Stand um so fester an ihren Dienst zu binden. Immer wieder schärft Luther ein, daß das obrigkeit2 β β Von hier aus wird eine Form des T a tdi ris ten turns gefährlich, das in seiner Christlichkeit „dort Einspruch erhebt, wo die ,Liebe' in der Rechtssphäre als Gewalt erscheint und erscheinen muß". So E . W o l f , Zur Frage des Naturrechts bei Thomas S . 2 0 2 ; vgl. audi R. Bring, D a s Verhältnis von Glauben und Werken S. 131 f. U 1 Vgl. oben S. 188f., auch ebd. A n m . 1 6 3 ; H.R.Gerstenkorn a . a . O . S. 1 0 3 f . : „Das Amt der Obrigkeit entspringt einem unmittelbaren Akt der göttlichen Gnade, aber es entstammt nicht der N a t u r des Menschen." 2 8 2 Diese Belehrung hat die Neubelebung des Wirkens in den Ständen zum Ziel (vgl. unten). Die Obrigkeit dagegen als „Werkzeug der Neusdiöpfung Gottes" zu bezeichnen (so G. Hillerdal a. a. O. S. 77) ist zumindest mißverständlich, da der Obrigkeit bei Luther jedes eschatologisdie Moment fehlt. ΫS Wenn es um die Anwendung des Schwertes geht, ist Luther so vorsichtig, daß er in einem Fall gegen die Vernunft und das politische Urteil der Fürsten nicht zu einem Präventivkrieg zu raten sidi entschließen kann; vgl. WA BW 4, N r . 1246. ! M WA 3 0 1 , 153,29—36 (Gr.Katechismus 1529): „Desgleichen ist audi zureden von gehorsam weltlicher oberkeit, welche . . . alle ynn den vater stand gehöret und am aller weitesten umb sich g r e i f f e t . . . Denn Gott gibt und erhelt uns durch sie (als durch unsere eitern) narung, haus und hoff, schütz und Sicherheit. Darumb weil sie solchen namen und titel als yhren hohisten preis mit allen ehren füren, sind wir audi schuldig, das wir sie ehren und gros achten fur den tewersten schätz und köstlichste kleinot auff erden."

204

licke Amt seinem Inhaber für seine festzulegenden Gesetze und sonstigen Entscheidungen bereits Mittel und Endzweck im voraus gebiete; das Mittel ist die Vernunft 2 6 5 , das Ziel ist der Friede, bzw. die Liebe 2ββ . Im Dienst an den anvertrauten Untertanen erschöpft und erfüllt sich das Leben im obrigkeitlichen Amt 2 6 7 . Dagegen verkehrt es sich gegen Gott und Welt, wenn der Mensch — wiederum mit Hilfe seiner Vernunft — die ihm anvertraute Gewalt zur Durchsetzung seiner Willkür und Eigensucht verwendet 2 6 8 . Die Gefahr f ü r den obrigkeitlidien Amtsträger liegt darin, „daß sein Inhaber in dem Bewußtsein, Gottes Werk zu treiben, sich hoffärtig an Gottes Stelle setzt. Darum muß er sich fürchten vor den Anschlägen seiner eigenen Vernunft" 2 0 ·. Also füllt der Mensdi sein Amt am besten aus, wenn er „ynn Gottes furcht und demut" 2 7 0 sich hineinstellt. Fragt man nun nach der Instanz, die berechtigt ist, die Menschen in bezug auf ihre Stände zu belehren und zu berichtigen, so lautet Luthers Antwort klar und deutlich: Das Predigtamt. Die Belehrung beginnt schon damit, daß Luther überzeugt ist, vom Wort Gottes her besser über die Obrigkeit zu lehren als alle seit der Apostel Zeiten 2 7 1 . Die Vernunft herrscht zwar in Weltdingen, ihr ist aber der Hintergrund dieser Dinge verborgen, weil sie gegen Gottes H e r r schaft opponiert, wenn sie nicht im Dienst des Glaubens steht. So ist nur bei dem Christen die zum ganzen Verständnis der politia entscheidende Möglichkeit gegeben, hinter dem vordergründigen Augenschein politischer Realitäten die Person Gottes, des Gebers zu entdecken 272 . Wenn dagegen die Vernunft nicht durch den Glauben, sondern den Unglauben vorbestimmt ist, sieht sie in der Ordnung des weltlichen Gemeinwesens nicht Gott am Werk, sondern schreibt diese Ordnung dem Zufall zu 2 7 S . Daraufhin fühlt der Fürst sich berechtigt, sich 2ω Vgl. WA 27, 418,3 f.; 34 I, 178,7; 41, 483,2; 49, 216,27; 51, 242,1—19. ÎM WA 42, 503 : „Finis legum corporalium omnium est pax, concordia, tranquilitas, seu, ut nos Theologi loquimur, diaritas. Ad hunc finem qui leges non refert, aut alio modo eas intelligit, toto errat coelo." Vgl. auch WA 40 I, 570, 18—21; 45, 252,39—253, 2; 15, 691,19. 267 WA 10 III, 382,47ff.: „Also söl der fürst gedencken: Christus hat mir gedienert und alle ding zu einer nachfolgung gethan, also wil idi audi meinem nedisten dienen, in besdiüczen und hanthaben bey dem seinen, und darümb hat mir got das ampt geben und hat audi das darümb, das ich im dienen sol." 268 Vgl. H. R. Geratenkorm a.a.O.S.133 mit Bei. 2M W.Maurer, Von der Freiheit S.97. 270 WA 31 1, 194,35. 271 WA 19,625,15ff.; 30 II, 110,1—4; TR I, Nr.433. 272 WA 401,173,24—174,15: „Hoc videre, non est hominis politici, naturaliter condidi, sed spiritualis. Hie solus discernit personam a verbo, larvam divinam ab ipso Deo et opere Dei . . . Universa . . . creatura est facies et larva Dei. Sed hic requiritur sapientia quae discernât Deum a larva Hanc sapientiam mundus non habet, discernere Deum a larva." Vgl. audi WA 40 III, 202,23—33. Ferner dazu die Ausführungen G.Hillerdais a.a.O. S.54f. 273 WA 31 I, 193,36—194, 2: „ . . . die tolle kluge vernunfft sampt allen weit weisen wissen gantz und gar nichts, das ein Gemeine Gottes gesdiepffe und Ordnung sey,

205

selber zum Herrn und Meister über die als herrenlos erklärte Ordnung seines Reiches zu erklären 2 7 1 . Je mehr Übung er darin gewinnt, dem Staat ein Selbstziel zu setzen, das seine Vernunft und sein Hochmut bestimmt 276 , d.h. je höher er steigt, desto eher fällt er dem Gericht Gottes in der Gesdiichte zum Opfer 2 7 9 . An dieser Stelle erkennen wir die immense Bedeutung der an sich sehr einfachen Beobachtung G.Törnvalls, daß Luther „fast nie vom geistlichen Regiment spridit ohne auch auf das weltliche zu kommen und umgekehrt" 277 . Eine Unrechte Entscheidung im weltlichen Amt ist f ü r Luther nicht einfach durch einen äußerlichen Mangel an Verantwortungsgefühl verursacht, sondern ist eine flagrante, aus Hochmut geborene Verneinung des an sich offenkundigen Gebotes des Standes von Seiten seines Inhabers. Der dabei maßgebende Hochmut ist gleichfalls nicht oberflächlich zu erklären, sondern ist Ausdruck der Sünde, die Gott verneint und den Menschen an Gottes Stelle setzt 278 . Damit ist gesagt, daß weltliches Unrecht sich am ganzen, einen Regiment in beiden Reichen vergreift, wie der Satan selbst ja auch gegen beide Reiche kämpft, indem er sie ineinander „kocht und braut" 279 . In jedem Fall weltlichen Unrechts liegt eine solche Vermischung der beiden Reiche vor, denn der Täter will seinen Eigenwillen gegen das Gebot des Standes und der Stunde durchsetzen, will sich selbst verwirklichen, wo er gerade dies nicht tun, sondern dienen sollte. Positiv ausgedrückt: Durch das verkündigte Reich Christi wird jede Entscheidung im weltlichen Leben limitiert und damit legitimiert. Das Reich Christi limitiert jede Entscheidung, indem es den Menschen personal Christus unterstellt 280 und damit dem Menschen untersagt, sich personal mit seiner Entscheidung zu identifizieren. Dadurch wird diese Entscheidung legitimiert und integriert, denn frei von der Angst und dem Stolz der Person ist Blick und Tat des Menschen jetzt ganz auf die Sache, auf seinen Dienst in Gottes Stand und an Gottes Geschöpfen gerichtet 281 . Das Wort des Schöpfers also, das die Gesetze und Sondern dendct nicht anders, es gerate ongefehr und plumbs weise also, das sich ein voldc zu samen hellt und bey einander wonet..." 274 WA 31, I, 441,33—442,20. 275 Das von der Vernunft gesetzte Selbstziel des Staates bringt diesen zu Fall: WA 40 III, 204,34—37. 276 Vgl. H.Zähmt a.a.O. S. 155 (mit Bei.): „Für Luther ist die ganze Weltgeschichte ein einziger großer Monarchiensturz." Das „i" im letzten Wort des Zitates ist allerdings nicht lutherisch, denn Gott stürzt die Person, um das Amt wiederherzustellen. 277 Ders. a. a. O. S. 32. 278 Von ungerechten Fürsten: » . . . Das macht, sie kennen Got und seine gäbe nicht und pochen auff sich selbs. Darumb können sie audi kein rechtschaffen werde rechten thun zum friede, Sondern müssen das widder spiel thun eben jnn dem, was sie rhümen, das sie frieden schaffen." WA 31 I, 442,29—32. 279 WA 11, 270,1 ff. 280 Vgl. die Darstellung zur Enarratio Ps.2 von 1532 oben S. 146 ff. 281 E. Wolff, Gottesrecht und Mensdienredit, ThEx NF 42, München 1954, S.22: „So macht die lex Christi die lex naturae erst wirklich zur lex naturae, indem sie . . . die Weltlichkeit, die reine, gerade unter Einsdiluß der Liebesforderung reine Weltlichkeit dieser lex zeigt." Man vermißt in E.Wolfs Luitherdarstellung nur das eine, daß Luthers

206

Stände der Welt trägt und deren Gerechtigkeit 282 ausmacht, von dem der Mensch indes sich getrennt hat, trifft den Menschen im Wort Christi. Dieses ist dem Wortlaut und seinen Mitteln nach ein anderes Wort 2 8 3 , aber seine Funktion ist genau die der Rückführung des Menschen zum Gebot, das Gott in den Stand gelegt hat. U m es an einem Beispiel zu sagen: Der Mensch, der im Amt der Obrigkeit anderen Menschen übergeordnet ist, benötigt den Glauben, daß er in dem Reich aufgehoben ist, in welchem Gleichheit herrscht 284 , um in seinem Stand mittels seines Übergeordnet-Seins nicht über die Stränge zu schlagen. Das Unterscheidung von Amt und Person durchgängig beibehalten wird (vgl. dazu ders., Politia Christi, in: Peregrinano, bes. S.237). Es ist freilich richtig, daß die Gerechtigkeit Christi sich über Christus hinaus erstreckt, aber eben einseitig auf die Personen der Menschen, genauer: auf die Menschen in der iustitia civilis, nicht aber auf diese iustitia als solche, welche einer Heiligung durch Christus gar nicht bedarf. Wolf stützt sich auf den Gr.Gal.kommientar. Durch die Stellvertretung Christi gilt: „ . . . deus videt totum mundum purgatura (WA 40 I, 438,2 f.). Den Zusammenhang dieser Stelle bestimmt indessen die Sündenvergebung („totus mundus liberatus a peccatis et morte per illum", ebd.). Mundus ist also die personal verstandene Menschenwelt. Die Gerechtigkeit Christi heiligt nicht die Sdiöpfung, sondern das Geschöpf für die Schöpfung, welche als solche keine Heiligung braucht. Indem jedoch der Stand des Menschen in der Welt der Sache nach auf den Menschen zugeschnitten ist, welcher seine Gereditigkeit in Christus hat, gilt: „Omnes ordinationes creatae sunt dei larvae, allegoria«, quibus rhetorice pingit suam theologiam: Sol als Christum in sich fassen" (ebd. 463,9—464,2). Diese Stelle kann man in der Tat auch so verstehen, daß die Gerechtigkeit Christi die weltlichen Stände als solche heiligt. Man muß es aber nicht, der Zusammenhang gibt keine Hinweise. Will man Luthers Worte an dieser Stelle so verstehen, daß er hier die Gerechtigkeit Christi auf „die menschliche Ordnung als solche" (so auch G.Törnvall a.a.O. S. 150; TörnvaMs Belege an dieser Stelle überzeugen gar nicht. Sie sprechen alle von der Anwendung auf den Menschen) anwendet, so muß wegen vier handschriftlicher Worte (der Drude läßt den christologischen Bezug aus) Luthers ganze Schöpfungslehre revidiert werden (Omnia bona sunt, sed sunt in abusu; WA 40 II, 203,5), ebenso die Unterscheidung von Amt und Person generell und noch manches mehr. Wird dagegen der Begriff der Gerechtigkeit streng personal verstanden, so ist tatsächlich „das Gerechtigkeitsmoment in der iustitia civilis . . . kein anderes als Christi Gerechtigkeit" (G.Törnvall ebd.), wobei sich allerdings der Zusatz erübrigt: „ . . . angewandt auf das weltliche Regiment" (ebd.), denn auf wen sonst soll denn Christi Gerechtigkeit angewandt werden als auf den Menschen im weltlichen Regiment? 282 WA 31 I, 195,36ff., wo Luther von den Fürsten sagt: „ . . . D e n n Gottes wort stifftet und macht sie zu Göttern und wirfft alles unter sie. Drumb sollen sie nicht über dassel'bige, das yhr einsetzer und stiffter ist, faren, Sondern yhm unterthan sein und sich durch dasselbige richten, straffen, schaffen und meistern lassen." 28J -ψΑ 3o χΐ ( 572,4—6: „ . . . G o t t selbs verschonet dem gantzen menschlichen geschlecht umb eines menschen willen, der Jhesus Christus heiß. Solt er die menschen ansehen allein so were eitel zorn da. Dodi sol predigtampt und welltlidi oberkeit soldis nicht thun das sie kein böses wolten achten noch ansehen. Denn sie sollen die bösen straffen ihenes mit dem wort, dis mit dem schwert." 884 Wie Luther die zwei Regimente immer zusammen behandelt, so auch die Tatsache der Ungleichheit in der Welt und der Gleichheit vor Gott. WA 40 I, 178, 29—179, 2: „Quare vult Deus inter nos servari difïerentiam personarum, non item coram ipso, ubi cessât omnis personatus. Ibi enim nec Graecus nec Judaeus, sed omnes unum sunt in Christo."

207

gleiche ließe sich von der Gewalt sagen usw. „Getrennt marschieren, vereint sdilagen!" — Dies ist der Rhythmus der Lehre von den beiden Reichen. D i e vertikale Limitation und damit die Integration des weltlichen durch das geistliche Regiment hat nun horizontale Folgen. Generell gilt, daß die Obrigkeit nidits gegen Gottes Gebot befehlen soll, denn man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen 286 . Besonders in Glaubensdingen gilt kein Obrigkeitsverhältnis; hier ist jedermann auf seine eigene Verantwortung gestellt 2 8 8 . Insoweit ist Gottes Gebot für die Obrigkeit ein Verbot. Es wird zum Gebot in den „drey heubt tugent" der Obrigkeit 2 8 7 , als weldie Luther nach Ps. 8 2 , 2 ff. nennt: 1. Freier Lauf dem Wort Gottes und Schutz dem Predigtamt, 2. Recht den Armen und H i l f e den Kranken und 3. Frieden dem Lande. Damit ist der Obrigkeit der Auftrag gegeben, seine Durchführung aber keineswegs gewährleistet. Deshalb gesellt Gott zur Obrigkeit einen Mahner und Strafer und Tröster, eben das Predigtamt, das sie also auch um ihrer selbst willen schützen soll. Weil auch das weltliche Amt durch das Wort besteht und Gott wirklich Gott sein will über die, die mit Mitteln ihres Amtes sich so gern zu Göttern machen, unterwirft Gott das Amt seinem Wort und gibt dem Predigtamt den Auftrag, diese Unterwerfung ständig neu zu vollziehen 2 8 8 . Ja, wo ist denn Gott? odder wie werden wir gewiß, dais Gott sey, der so sdiilt und strafft? Antwort: Du hörest wol hie, das er stehet ynn der Gemeine. Wo seinie gemeine ist, da soltu yhn finden. Denn daselbst hat er seine Priester und Prediger bestellet, welchen er das ampt befolen hat das sie leren, vermanen, straffen, trösten und summa, 185

Vgl. u.a. WA 6, 265,15—19; 43, 507,38—42; 44, 125,33ff.; 47, 564,8—12. Besonders klar: WA BW 4, Nr. 1201. 287 WA 31 I, 204,4. Vgl. zum folgenden ebd. 199—204. 288 S. oben Anm. 282. Zum folgenden die sehr gute Verwendung von Luthers Auslegung des 82.Ps. (1530) durch W.Brunotte, Das geistliche Amt bei Luther, Berlin 1959, S. 95 ff. Von Luthers Schriften audi besonders wichtig die „Predigt daß man Kinder zur Schule halten soll" (1530), WA 30 II, 522 ff. Alle Schriften dieser Zeit scheinen unter dem Coburg-Erlebnis zu stehen. Vgl. hierzu audi F. Lau, Luthers Lehre S. 74 ff. Dort zunächst ausführliche Belege zum Gedanken des Predigtamts als Strafamt (S. 76 Anm. 176). Im Blick auf Luther ist es wohl richtig, auf den Ausdrude „prophetisches Amt der Kirche" (ebd. S. 90) zugunsten von „Berichtigung aller Stände durch das Predigtamt" (ebd. S. 74) zu verzichten. Aber hat der heutige Ausdruck nicht doch das Redit, sich auf die Propheten des AT berufen zu können? Und gereicht es zur Klärung der Sache, wenn dieses Mahnamt des Predigtamts ein opus alienum des Predigtamts genannt wird (74 f.)? Luther selbst sagt das nicht, sondern stellt einfach hinter die Aufgabe des Predigtamts im geistlichen Regiment als zweites diese Aufgabe im Rahmen des weltlichen Regiments (s.F.Laus Belege zur Stelle). Laus Protest gegen eine isoliert christologisdie Soziallehre ist verständlich. Aber verläßt Lau seinerseits die Problematik nicht durch die entgegengesetzte Tür, wenn er dabei Halt macht, im politischen Bereich sei „an sich ein weltlicher Maßstab" (ebd.75) am Werk? Um Gut und Böse geht es eben nicht, geht es dem Predigtamt auch hier nidit. Nein, Menschen sind da am Werk! Menschen, die sich hier in der politia rechtfertigen, demütigen, zu Göttern erhöhen, zu Tieren erniedrigen, die hier ihren Gott gefunden haben und deshalb hier so viel Unheil anrichten. Und Gott hat sie in Wahrheit doch schon gefunden, sie könnten hier so viel Gutes tun! Ist das kein Thema, kein Hauptthema für das Predigtamt? 286

208

das wort Gottes treiben sollen. Wo nu Gottes wort befolhen wird, da ist Gottes ampt zu straffen 2M .

Der Prediger ist kein Aufrührer, wenn er dem ihm befohlenen Strafamt nachkommt, wenn er dauernd in kritischen Worten das Handeln der Personen am Gebot ihres Standes und der Stunde mißt, im Gegenteil — er wäre ein Aufrührer gegen Gott, wenn er es nicht täte 290 . Er muß dabei ganz für sich stehen, darf weder Hofdiener noch Bauernknecht sein2®1, um gleichermaßen Herrn und Knecht ohne Ansehen der Person mahnen zu können. Indem er dieser seiner Aufgabe nachkommt, geht von seinem Wirken eine neu belebende Kraft aus, die eine ständige Erneuerung des Lebens der Menschen in den weltlichen Ordnungen bewirkt. Laiß die Welt gleißen, » . . . yan des thut mein ungleißender pfarher die tugend, das er Gottes reich mehret, den himel füllet mit heiligen, die hellen plündert, den teuffei beraubt, dem tode weret, der sunden steuret, darnach die Welt Unterricht und tröstet, einen ¡glichen ynn seinem stände, erhellt frieden und einigkeit zeugt fein jung volck auff und pflantzt allerley tugent im volck, Und kurtz, eine neue wellt schaffet er und bawet nicht ein vergenglich elendes haus, sondern ein ewiges, sdiönes paradis, da Gott selbs gerne ynne wonet." 292

Aus zwei Gründen haben wir Luthers Gedanken über die Funktion des Predigtamtes gegenüber dem Staat so ausführlich dargestellt. Einmal nehmen sie, tief begründet und präzis zugespitzt auf die Bedrohtheit des Menschen im politischen Amt, Niebuhrs Gedanken von der Aufgabe der kirchlichen Verkündigung im politischen Bereich vorweg2®s. Zum andern nun erlauben sie, so scheint es uns wenigstens, den Sprung mitten in unsere Zeit hinein. Für Niebuhr gibt es ja, wie wir sahen, noch ein Instrument staatlicher Kontrolle neben der Kirche, nämlich die Demokratie2®4. Was enthält denn Niebuhrs Begründung der Demokratie anderes als die Grundgedanken der Lehre Luthers vom Predigtamt gegenüber dem Staat, angewandt auf die Struktur der staatlichen Ordnung selbst? Für Luther kämpft Gott mit dem Wort des Predigtamtes und dem Schwert der Obrigkeit gegen die Sünde des Menschen im weltlichen Amt, welche immer zugleich Unrecht und Idolatrie ist. Niebuhr meint es genauso. Darüber hinaus wendet er aber die Erkenntnis, daß der Mensch, getrieben von der Sünde, immer versucht ist, über das rechte Maß seines Anspruches und seiner Aufgabe hinauszuschießen, auf die Struktur der Ordnung an, in der sich das alles abspielt. Er sieht in der Demokratie das Mittel, die Struktur der Gesellschaft rechtlich so zu verfassen und die anfallenden sozialen Kräfte so zu lenken, daß der Staat schon in seiner Verfassung und nicht erst in einem Akt direkten staatlichen Gewalteingrifíes seinem obrigkeitlichen Auftrag nachkommt. In einer 289

WA 31 I, 196,4—9. Ebd. 197,29—198,18. Vgl. H.R.Gerstenkorn a.a.O. S.225ff. 281 WA 11,262. 262 WA 31 I, 199,27—34; 30 II, 537, 3ff.; 554, 9ff. Vgl. audi G. Wingren a.a.O. S.36.41 f.; ferner W.Brunotte a.a.O. S.98f. 2M 294 S. oben S. 189 . S. oben S. 188. 880

14 8134 Neubauer, Gerechtigkeit

209

demokratischen Ordnung von Staat und Gesellschaft neutralisieren sidi bis zu einer gewissen Grenze die rivalisierenden K r ä f t e gegenseitig — gewissermaßen automatisch. D a m i t ereignet sich schon, um Luthers drastischen Ausdruck zu gebrauchen, „des weiblichen regiments werck und ehre, das es aus wilden thieren, menschen macht und menschen erhellt, das sie nicht wilde thiere w e r d e n " 2 9 5 . Demnach wäre Demokratie nichts anderes als Luthers Obrigkeit, jedoch eingebradit in die Rechtsverfassung der wirtschaftlichen und politischen K r ä f t e des Staates selbst. Im wörtlichen und vollen Sinne tritt also die Verfassung des demokratischen Staates an die Stelle, wo bei Luther der Fürst steht. Es wäre dann ferner auch die beunruhigende Frage von Grund auf falsch gestellt, ob von der Theologie her z . B . der Gewerkschaft das Recht der Machtanwendung gestattet werden kann, d a dodi dieses Recht allein der Obrigkeit zusteht und nicht zur Durchsetzung eines Interesses, sondern zum Vollzug eines Dienstes designiert ist. Wenn es richtig ist, daß das Obrigkeitsmoment im demokratischen Staat in der Reditsverfassung der rivalisierenden K r ä f t e liegt, so kann die Frage nach dem Recht der Machtanwendung niemals so gestellt werden, daß sie isoliert auf einen der sozialen Gegner abzielt, sondern muß sich jeweils auf die Spannung zwischen zwei Gegnern richten. Wenn das klar ist, wird indessen sofort deutlich, daß die Machtanwendung der Gewerkschaft sehr wohl obrigkeitliches Handeln ist, an den Arbeitgebern nämlich, wie auch deren Machtanwendung obrigkeitliches Handeln an den Arbeitnehmern ist. Dieses verfassungsmäßige Obrigkeitswerk kommt dem Staat, der Obrigkeit im engeren Sinn, schon vor seinem direkten Eingriff entgegen. E r nimmt es auch entgegen, gewissermaßen als Obrigkeit im Rohstoff und steht nun seinerseits vor der Aufgabe, durch Lösen und Binden beteiligter K r ä f t e ein Gleichgewicht der Rechte und Belastungen herzustellen, soweit das jeweils möglich ist, so daß aus sozialen Gegnern im Gesamtorganismus des Staates Partner werden. Wir müssen hier abbrechen, da eine weitere Erörterung der Frage nicht mehr durch das Thema dieser Arbeit gedeckt werden kann. Freilich wäre es töricht, diese Überlegungen bei Luther sudien zu wollen. Der Reformator weiß nur sehr deutlich davon zu reden, daß im K a m p f der Weltmächte gegeneinander sich Gottes Gericht vollzieht, das den menschlichen Übermut an der Erfüllung seiner Pläne hindert 2 9 6 . Demnach wären obige Gedanken einfach die innenpolitische Anwendung der Erkenntnisse, die Luther außenpolitisch beschränkt. Dieser Befund ist indessen klar: Innerhalb eines Gemeinwesens lehnt Luther in seiner Zeit klar und deutlich jedes Gegeneinander und Spiel der K r ä f t e als positive Möglichkeit zur Erhaltung und Förderung von Frieden und Recht ab, ja, er kann sich eine solche Möglichkeit überhaupt nicht denken 2 9 7 . Für ihn ist überhaupt nur das autoritär und ständisch gegliederte WA 30 II, 555, 5. Vgl. dazu H.Zahrnt a.a.O. S. 149ff. mit Bei. WA 19, 638, 24ff. 2 , 7 Dieses Spiel der Kräfte fällt für Luther von vornherein aus dem Rahmen der Ordnung Gottes heraus. Vgl. WA 19,635,7—16: „Man darff dem Pöfel nicht viel pfeiffen.Er 285 !M

210

Gesellschaftsbild diskutabel 298 . Im geistlichen Regiment hat er das hierarchisch vermittelte Gottesverhältnis und die hierardiisdi-linear geleitete Verantwortung beseitigt, derzufolge der Mensch nur über den ihm im Amt vorgeordneten Menschen mit Gottes Gabe und Gebot zu tun bekommt. Im weltlichen Regiment hält er bewußt daran fest 2 ". Für den untergeordneten Menschen fallen, abgesehen von geistlichen Dingen 800 , der ihm im Amt Vorgesetzte und Gott einfach zusammen 301 . Das ist jetzt nicht im Sinne der theologischen Erkenntnis gemeint, daß Gottesdienst und Dienst in der Welt sich nicht widersprechen, sondern steht als Regel für die Praxis da. Innerhalb der ständischen Hierarchie gibt es Kritik nur nach unten, Rechenschaft nur nach oben. Natürlich hängt das auch damit zusammen, daß Luther den Obrigkeitsgehorsam aus dem 4. Gebot ableitet 802 . Beklagen sich die Bauern über unredite Herrschaft, so können sie nur beten, d.h. „Gott dazu treiben, selbst einzugreifen, vorbei an seiner auf Erden aufgerichteten Ordnung" 303 . Hier beginnen nun unsere Fragen. Sie richten sich allein auf das Festhalten an der autoritären, ständischen Gesellschaftsstruktur, über die, geschichtlich gesehen, der Reformator im Wittenberg des 16. Jahrhunderts nicht hinausblicken tollet sonst gerne; und ist billidier dem selbigen zehen eile abbrechen, denn eine handbreit, ja eins finger breyts einreumen ynn sokhem fai, Und besser, das die Tyrannen hundert mal yhn unrecht thun, denn das sie den Tyrannen ein mal unrecht thun." Sehr lehrreich ist auch ebd. Z. 30—32: „Die Schweytzer habens warlidi audi bis her mit viel bluts theur bezalet, bezalen auch noch ymer; wie es hynaus gehen wird, kan man leichtlich abnemen." 299 WA 46, 623,1—4: »Das bleibt stehen: ein Fürst ist besser denn ein Unterthan, ein Vater besser denn der Son, ein Herr besser denn der knedit, diesen unterscheid hat Gott also geschaffen und wil jn als ein geschöpff und Ordnung gehalten haben." 2M WA 19, 652, 31—653,12: » . . . der Keyser, wenn er sich gegen Gott keret, so ist er nicht Keyser, sondern eine eintzelne person, wie alle andere für Gott; keret er aber sich zu seinem unterthanen, so ist er so viel mal Keyser, so viel er unter yhm hat. Also ist auch von allen anderen öberkeiten zu reden, das wenn sie sidi zu yhrem öberherren keren, so haben sie keine öberkeit... Wenn sie sich herunter keren, so werden sie mit aller öberkeit gezieret. Das also zu letzt alle öberkeit hynauff zu Gott kome, des sie alleine ist. Denn er ist der Keyser, Fürst, Grave . . . und alles und teilet sie aus, wie er wil, gegen die unterthanen und hebt sie widderümb auff gegen sich selbs... Und hieraus sihestu, wie die widder Gotts Ordnung streben, die der öberkeit widder streben." In diesen Sätzen ist ganz deutlich neben dem Gedanken, daß Gott das Amt verleiht und sich selbst gegenüber aufhebt, der ganz andere Gedanke enthalten, daß Gott dabei den Dienstweg des politischen status quo einhält. 300

S. oben S.200 zu Anm.239. WA 32, 453, 8ff.: Niemand kann zwei Herren dienen . . . „ . . . das heißt er aber zween Herren, die da widereinander sind, nicht die da miteinander regieren. Denn das ist nicht widereinander, wenn ich dem Fürsten oder dem Kaiser und Gotte diene." 302 Neben dem Gr. Katechismus WA 30 I, 153, 29ff. vgl. audi WA 16, 505,25ff. 303 G.Wingren a . a . 0 . s . 8 0 . Vgl. auch WA 31 1, 193,21—26: „...Weichs teil aber das seine nicht thun wil, sondern so die gemeine ungehorsam und die öberkeit mutwillig ist, sollen sie beide fur Gott des tods schuldig sein und gestrafft werden, die Gemeine durch die öberkeit, die öberkeit durch Gott, der die gewaltigen vom stuel stürzen . . . kan, wie denn die exempel wol anzeigen..." 301

14*

211

konnte. D a s Werk der „ S d i w e y t z e r " 3 0 4 hat Bestand gehabt und hat dazu noch in geographischer und soziologischer Breite Schule gemacht. Wir brauchen Luther in nichts nachzustehen, der die Gesellschaftsstruktur seiner Zeit als „Gottes Geschöpf und Ordnung" hinnahm 3 0 5 . Dieses Hinnehmen indessen stellt uns, wie es bei Luther auch der Fall war, erst vor die Aufgabe, das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen unserer Zeit so zu begreifen, daß die Theologie in eine die Gegebenheiten und Erfordernisse unserer Zeit treffende Sozialethik umschlägt. Es ist die These dieser Untersuchung, daß wir dabei auf Luther hören können bis zu dem Punkt, wo die Verknüpfung mit der Gesellsdiaftsstruktur der damaligen Zeit die Lehre des Reformators beeinflußt. Wir halten uns an seine — recht verstandene! — Lehre von den zwei Reichen, an seine Unterscheidung von A m t und Person und vor allem an seine einmalige Lehre vom weltlichen Stand und Beruf. D o d i all dies bringt uns zu Niebuhrs Verständnis der Demokratie. 304

212

Vgl. oben Anm. 297.

305

Vgl. oben Anm. 298.

Schlußfrage: C h r i s t l i c h e r A b s o l u t h e i t s a n s p r u c h in der S o z i a l e t h i k ? Für den Abschluß der Arbeit haben wir uns eine schwer zu fassende und heikle Frage aufgehoben. Sie ist sdiwer zu fassen, weil sie sich auf Denkmotive und Antriebe richtet, die dem Denkenden oft unbewußt oder zumindest nur uneingestanden bewußt sind. Sie ist heikel, weil solche Denkmotive, wenn sie ans Licht gezogen werden, oft sich als gar nidit im Einklang mit dem stehend herausstellen, was die Zeilen der Gedanken offen kundgeben. Die Frage, die wir im Sinn haben, wird von G. Wingren in einem Gesamturteil zu Luthers Lehre vom Beruf im Vergleich zu heutigen Denkantrieben klar formuliert: Wenn wir . . . daran gehen, diesen beweglichen . . . Zug in dem äußeren Leben nach Luther zu behandeln, und setzen denselben in Zusammenhang mit der unaufhörlich vor sich gehenden Neuschöpfung Gottes auf Erden, dann ist es wichtig, von vorneherein festzustellen, daß wir hier nicht unterscheiden zwischen dem natürlichen und dem christlichen Menschen. Was primär von dem Christen zu sagen ist, ist dies, daß er durch die Verheißung des Evangeliums im Himmel lebt, und dieses Leben ist dasselbe wie das Entgegennehmen der Gnade: er empfängt ein anderes Reich als das irdische. Dieses Leben im Himmel hat seine Wirkung auch auf Erden, aber die moderne Manie, die ethischen Fortschritte des Christen zu fixieren und auf solche Weise ihn von anderen auszusondern als besser geeignet auch für die Lösung aller irdischen Probleme, diese Manie ist bei Luther nicht zu finden. Man kann im übrigen nur schwer dem Verdacht aus dem Wege gehen, daß das enorme Interesse der Modernen für die guten moralischen und sozialen Folgen des christlichen Glaubens im selben Moment wach wurde, als der schlichte Glaube an ein wirkliches Leben nach dem Tode verlorenging 1 .

Es ist doch tatsächlich so: Wer vom Ansatz her verschwiegen schon darauf aus ist, eine bessere Tauglichkeit des Christen für die Bewältigung der Weltaufgaben des Menschen herauszufinden, indem er sich auf das Gebiet der Sozialethik begibt, wird von Luther notwendigerweise enttäuscht. Zunächst scheint alles Wasser auf seine Mühle zu sein: Nur der Christ kann die Person Gottes von Gottes Larve unterscheiden, nur er kennt die causa efficiens et finalis der politia und oeconomia, nur er weiß um das Gewidit, das Wesen und den Ursprung der Sünde, nur er entdeckt in der Liebe das Maß aller Gesetze und Ordnungen, nur er kann sich frei von sich selber ganz dem Dienst an den Menschen hingeben 2 . Das Ziel scheint greifbar nahe zu sein: „Nur" der Glaubende ist „in der Lage" 3 , das Leben in Staat und Wirtschaft richtig zu gestalten; der Christ ist der wahre Garant von Redit und Ordnung und lebendigem Geschiditsfluß. Mit einemmal kommt es jedoch bei Luther ganz anders: „Satis 1 3

G. Wingren a. a. O . S. % . So G. Forde a. a. O. S. 35.48.

!

Vgl. oben S. 197 ff.

213

est ad Caesarem, ut habeat rationem." 4 Immer noch kann man sich zwar mit der Feststellung helfen, der Glaube entdecke in der Tat keine neuen Maßstäbe für das Leben im weltlichen Regiment, aber sei doch eben die einzige Position, in der die Sünde den Menschen nicht mehr vom Willen und der Ordnung Gottes in den Ständen trenne. Auch das ist richtig, und doch — es hilft nichts. Zum ersten ist die Sünde keineswegs eine automatische Verdunklung der Vernunft, zum zweiten gibt es den Christen in Reinkultur gar selten, und wenn es ihn gibt, gilt für ihn: Proficere est semper incipere 5 . Zum dritten geht es in weltlichen Dingen tatsächlich nur um die Vernunft. Zum vierten ist das Liebesgebot ein Teil des vernünftigen, natürlichen Redites. Zum fünften stehen Nichtchristen genauso im Stand wie Christen usw. usw. Dem Christen wird alles mitgegeben, was er für seine Aufgabe in der Welt braucht. Es wird ihm sogar unendlich viel mehr mitgegeben als dem Nichtchristen, und doch steht er dann in der Welt zwischen solchen Nichtchristen, die genau das gleiche tun wie er und es im konkreten Fall sogar einmal besser machen können als er. Dieses Ergebnis ist für manchen ärgerlich, aber das ist eben Luther! Wir stehen hier bei der tiefsten Entsprechung zwischen Luther und Reinhold Niebuhr, denn genau diesen Ärger haben Niebuhrs Ergebnisse bei vielen seiner Betrachter ausgelöst. Was den Ärger veranlaßt, muß wohl bei Niebuhr liegen. Warum aber seine Betrachter sich über diesen Anlaß ärgern, diese Frage zu beantworten sind sie wohl selber an der Reihe. Fragen wir nach dem Anlaß bei Niebuhr selbst, so ist auf seine ganze Stellung innerhalb der amerikanischen Theologie zu verweisen und darauf, wie Niebuhr diese Stellung versteht. Ihm vorausgegangen waren endlose Streitigkeiten zwischen Fundamentalisten und Liberalen. Mit einem in Europa nie aufgekommenen Eifer verbissen sich die Fundamentalisten in endlose Repetitionen des Dogmas gegenüber allen selbständigen Ansätzen, um so die christliche Religion dem Menschen zu erhalten. In ebenso eifriger Freisinnigkeit verwarfen die Liberalen alle überkommenen Lehren der Christenheit und fingen ganz von vorn, d.h. pragmatisch wieder an. In Wahrheit fingen sie natürlich bei den Voraussetzungen der Zeit an, wie z . B . „Wissenschaftlichkeit", „Realismus" usw.*. Die Fundamentalisten hätten nicht so stur an der alten Lehre festhalten — und die Liberalen nicht ihre weithergeholten Beweisführungen für die Religion mit Mitteln des Zeitgeistes unternehmen können, wenn sie nicht beide in ihrem eigentlichen Glauben einig gewesen wären, nämlich im Glauben an den religiösen Menschen. Eine dritte Kraft war nun, auch sie lange vor Niebuhr, in dem „Social Gospel" entstanden. Abgesehen von allen möglichen geistigen Abhängigkeiten ist ihr eine echte Eigen4 Vgl. WA 7, 337, 30 ff.; gute Bei. bei H.Preuß, Martin Luther, der Christenmenwh, Gütersloh 1942, S . 3 4 3 f . ; vgl. auch WA 4, 350,14. 5 Vgl. R. Prenter a. a. O. S . 8 1 ff., wo der Begriff der vorfindlidien Gerechtigkeit des Christen abgelehnt wird. • Eine gute Darstellung dieser Auseinandersetzungen durchzieht G. H a m m a r s Untersuchung a. a. O.

214

ständigkeit zuzuschreiben. Die Emphatik von Männern wie Josiah Strong, Washington Gladden und Walter Rauschenbusch entzündete sich nicht an Dogmatik, Wissenschaft, Psychologie o. dergl., sondern an dem Entsetzen vor den sozialen Zuständen in der Welt des Hochkapitalismus. Die Kluft zwischen individualistischer Kirdienreligion und der Hoffnungslosigkeit des industriellen Elends, zwischen dem bürgerlichen Zerrbild christlicher Verantwortung und echter Verantwortung für die ganze, gerade auch die soziale Welt, kurz — der Gegensatz zwischen der Ordnung des Hochkapitalismus und dem „Reich Gottes" trieb ihre Verkündigung an 7 . Aber auch sie trauten dem Ansporn dieser Verkündigung bei den Menschen ihrer Zeit zu, eine progressive „Christianisierung der Sozialordnung" 8 zu bewirken. Sie glaubten also gleichfalls an den religiösen Menschen. Seit den Tagen Jonathan Edwards hatten alle amerikanischen Theologen so oder so Fühlung mit dem „revivalism", mit dem Pietismus der Erwedkung gehabt. Man muß sich diese Lage vergegenwärtigen, wenn man die Sensation verstehen will, die Niebuhrs „Moral Man and Immoral Society" seinerzeit verursachte. Dieses Buch warf einfach alles um, indem es den Glauben an den religiösen Menschen umwarf. Nicht zu Unrecht hat man die Auswirkung dieses Buches mit der von Barths ersten Römerbriefkommentar in Europa verglichen ». Ausgerichtet großenteils auf die soziale Frage an die Kirche fand sich auf dieses Buch hin unter Niebuhrs anregender Führung von rechts und links her eine Gruppe von Theologen zusammen, die sich „Realisten" oder „Neo-Orthodoxe" nannten, das erstere wegen ihres politischen „Schubes nach links" und das zweite wegen ihres theologischen „Schubes nach rechts". Später zerfiel die Einheit der Gruppe wieder, es standen wieder „Neo-Liberale", „Neo-Naturalisten" und „Neo-Orthodoxe" neben-, wenn auch nicht allzu polemisch gegeneinander10. Sie blieben sich darin einig, daß „die Sünde ihren zerstörerischsten Ausdruck nicht 7 Vgl. H . Richard Niebuhr, D e r G e d a n k e des Gottesreidies im amerikanischen Christentum, N e w Y o r k 1948.; ferner Ch. H o p k i n s , The Rise of the Social Gospel, N e w H a v e n 1940. 8 S o der Titel eines der Bücher W. Rausdienbusdis, N e w Y o r k 1912. Ein allgemeines Wort sei' hier erlaubt. D a s negative Urteil über das „Social G o s p e l " ist so sehr in aller Munde, daß es an der Zeit ist, die positiven Momente dieser Periode amerikanischer Kirche und Theologie wieder ans Licht zu bringen. Als solche sind zu nennen: 1. Die K r i t i k an der individualistischen Ethik des protestantischen Christentums, 2. die K r i t i k an sozialen Institutionen und Bräuchen von seiten und mittels der biblischen Wahrheit, d . h . Uberwindung der Eigengesetzlichkeit der Welt gegenüber der christlichen Verkündigung, 3. die Entdeckung der Welthaftigkeit der vita Christiana, 4. die Entdeckung von Gottes J a hinter Gottes Nein. Wenn m a n hinter die Kulisse liberaler Begrifflidikeit steigt, in der die Vertreter des „Social G o s p e l " sprachen, entdeckt man viel Verwandtes zwischen ihnen und dem, was man heute auf evangeliischen Kirchentagen hört. Freilich wurde das „Social G o s p e l " durch seine säkularisierte Eschatologie d a r a n gehindert, sich mit einer genuinen, trinitarisdien Theologie zu befassen. p W. M. H o r t o n in Protestant Thought in the Twentieth Century, ed. by A. S. N a s h , N e w Y o r k 1951, S . 1 1 4 . 10 Vgl.ebd.S.119.

215

im privaten, sondern im öffentlichen Leben des Menschen" 1 1 findet. Niebuhr selber jedoch blieb nicht nur im Blick auf das soziale Interesse seines ersten großen Buches, sondern gerade auch im Blick auf das Urerlebnis jenes Buches sein Leben lang mit sich einig. Das aber hat man nie ganz verstanden 1 2 , oder man wollte es nie ganz verstehen, wollte dem ersten Sprecher des neuen Ansatzes hierin doch nicht ganz folgen. In seltsamem Einvernehmen meinen so viele Betraditer der Lehre Niebuhrs, das Denkmotiv des großen Mannes bestehe doch trotz jenes Buches weiterhin darin, müsse weiterhin darin bestehen, herauszufinden, wie nun trotz des religiösen Dilemmas der Christ doch wiederum die Welt zu meistern vermöge. Wendet Niebuhr sich angesichts der grundsätzlichen Zweideutigkeit des Menschen zur biblisdien, altkirdilichen und reformatorischen Theologie zurück, so tut er es nadi Meinung dieser Kritiker, kann es nur tun „unter dem Gesichtspunkt der sozialethischen Brauchbarkeit" 18 ; er nimmt die Theologie auf „als Quelle zur Erfüllung sozialethisdier Forderungen" 1 4 — wie könnte es auch anders gemeint sein? Zwischendurch wird sachlich festgestellt, daß Niebuhrs Sozialethik „mehr analytisch-kritischer als programmatischer A r t " sei 1 5 , was bei Niebuhrs angenommenem Gesamtwollen ein eigenartiges Manko wäre. Mit Bedauern wird dann dargelegt, daß Niebuhr im Grunde „in Christus lediglich das Symbol für die Bedeutung der menschlichen Existenz in der Geschichte" 16 sehe. Der ganze Niebuhr wird auf „Möglichkeiten einer Sozialethik" 1 7 untersucht mit dem Resultat, daß alles im Sande verläuft: Niebuhr kapituliert und wird Pessimist 18 . Bei allem geht dem Kritiker nicht auf, daß Niebuhr doch wohl selber mit seinem Ergebnis unzufrieden sein müßte, wenn er wirklich das ihm unterstellte Anliegen teilte, eine Sozialethik, unter allen Umständen eine Sozialethik zu entwickeln, welche die Theologie zu dem Zweck anwendet, den Christen über die Zweideutigkeit des natürlichen Menschen hinauszuführen. Die Kritik fußt darauf, daß angenommen wird, Niebuhrs Hauptthema sei lebenslang das der Ethik, also der Spannung zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen mit dem Ziel, theologisch das Unmögliche möglich zu machen 19 . Tatsächlich hat der Amerikaner dieses Thema nicht dahingehend zu Ende geführt; nach Meinung seiner Kritiker ist das ein Scheitern. So J . C . Bennett ebd. S. 137, vgl. überhaupt 131 ff. Dieses Urerlebnis macht ihn zum „Lutheraner", nur dies. Vgl. das Urteil J . C . Bennetts in der Einleitung dieser Untersuchung, oben S. 5. 1 9 So O. Weichenhan a . a . O . S. 111. 14 Ebd. S. 176. 1 5 Ebd. S. 120. 17 Vgl. ebd. die Gliederung. »· Ebd. S. 174. 1 8 Ebd. S. 197. 1 9 Von diesem Ansatz her versteht audi G . H a m m a r den amerikanischen Theologen. Eine rühmliche Ausnahme madit H . H o f m a n n , der entdeckt, daß Niebuhr über alle anderen Themen hinaus zum Problem des Mensdien in der Gesdiidite gelangt, wie ja audi Niebuhr selber es immer wieder betont. 11

11

216

Bis zu diesem Punkt der Untersuchung haben wir uns die Besprechung einer weiteren Arbeit über R.Niebuhr aufgespart: Shirley C.Guthrie, Der theologische Charakter der Sozialethik Reinhold Niebuhrs 20 . In diesem Buch ist manches gute Urteil zur Theologie im engeren Sinn enthalten 21 . Audi diese Urteile sind indessen im Grunde überspitzt, und zwar aus zweifachem Grund. Einmal wird Niebuhr wiederum ganz vom ethischen Problem her verstanden und interpretiert 82 . Natürlich steht dann dieses Problem am Ende wieder ungelöst da. Daß Niebuhr an diesem Problem gerade wegen dessen Unlösbarkeit das tiefere, eigentliche Problem des Menschen selbst klären und dann bei diesem eigentlichen Problem bleiben will, ohne es bloß zur Einrenkung des Dilemmas der Ethik zu benutzen, kommt Guthrie gar nicht in den Sinn. Aber nun das zweite — man höre und staune: Wenn Niebuhrs „Konzept der revelatio generalis keine volle theologische Erklärung der unmöglich-möglidien Ethik der Liebe gibt, welchen spezifisch neuen Inhalt anderen Charakters verleiht ihr dann seine Sicht von Gottes Offenbarung in Jesus Christus"? Diese Frage „ist der letztgültige Test für seinen Erfolg in der . . . Aufgabe, die er sidi gestellt h a t . . . Definiert Niebuhr „die christliche Theologie und1 Ethik in einer solchen Weise, daß dabei eine ethisdie Tat resultiert, welche die Limitationen durchbricht und über die Möglichkeiten des Menschen im allgemeinen hinausgeht"24? Das Ergebnis: Wird der Christ „nicht mit den gleichen Limitationen und Möglichkeiten, um den Willen Gottes zu wissen, alleine gelassen wie jeder andere Mensch"25? „Anstatt durch die Begrenztheiten des Menschen hindurchzubredien und ihn mit neuen Möglichkeiten auszustatten, scheint Niebuhrs Christologie durch das bestimmt zu sein, was der Mensch in Wissen und Tat von sich aus vermag und nicht vermag." 28 Zugegeben, daß ein sdiwadier Punkt in Niebuhrs Lehre hier getroffen wird; wo so gefragt wird und w o so argumentiert wird, kann man gar nicht umhin, sofort die Gegenfrage zu stellen: Woher nimmt Guthrie eigentlich die Legitimation so zu messen, zu fragen und zu denken? Wo gibt es das in der Schrift und im Bekenntnis des Christentums, daß der Zweck einer Erlösungslehre (Guthrie redet doch von einem Zweck dieser Lehre!) darin bestehen soll, den Christen bei der ethischen Aufgabe über die Möglichkeiten des natürlichen Menschen hinauszuführen und zu erheben — wo in aller Welt gibt es das? An welchem Punkt erlaubt die von Guthrie so oft zitierte Theologie der Offenbarung Gottes in 20 Erschienen Winterthur 1959. Das Buch liegt nur in Englisch vor: The Theological Character of Reinhold Niebuhrs Social Ethic. 21 Z.B. S. 166: „Ist es nidit eine Tatsache, daß Niebuhr auf der Basis seiner Voraussetzungen es nicht nötig hat und nicht vermag, die Realität des lebendigen, sich selbst offenbarenden und wirkenden Herrn, Jesus Christus, zu erkennen und audi nicht erkennt? Und trifft es nicht zu, daß man genau aus diesem Grund sagen muß, daß seine Voraussetzungen selbst und ebenso die Theologie und die Ethik, die daraus folgen, nicht autonom christlich sind?" 22 Ebd.S. 13—79: „Das ethische Problem" — S.80ff.: „Klärung des Problems" — S. llOff.: „Die Lösung des Problems". 29 24 Ebd. S. 109. Ebd. S. 113. 25 2 Ebd. S. 127. « Ebd. S. 132.

217

Christus etwas derartiges zu denken? Wo gestattet das Bekenntnis der Christenheit es dem heutigen Theologen, den in der Geschichte gescheiterten Fortschrittsglauben theologisch und für den Christen reserviert wieder aufzunehmen? Sollte G. Wingren mit der Annahme recht haben, daß das Christentum in dem Moment, wo seine Notwendigkeit in bezug auf das Jenseits verlorenging, sich daran machte, der Welt seine Notwendigkeit für das Diesseits aufzudrängen? Die Quelle dieser ganzen Denkweise ist jedenfalls klar. Die Definition des Grundthemas der amerikanisch-liberalen Ethik lautet: „Das christliche Leben" (!) ist weder „ein Weg, auf dem jemand aus dieser Welt heraus gerettet wurde, noch in dieser Welt für die nächste Welt, sondern einfach ein Bemühen, die Welt zu retten"! 2 7 Wohl gemerkt, das christliche Leben sollte es tun, anscheinend nicht nur im Liberalismus! Niebuhrs Überlegungen verlaufen ganz anders. Er fragt nicht, wie mit Hilfe irgendeiner Theologie das Dilemma des Menschen welthaft überwunden werden könne. Nein, dieses Dilemma ist ihm als so umfassend aufgegangen, daß es selbst durch keine „theologische Existenz" überwunden werden kann. Sollte das theologisch nicht zu rechtfertigen sein? Von daher kommt Niebuhr erst zur Theologie, nämlich mit der Frage, wie innerhalb der welthaften Ausweglosigkeit des menschlichen Lebens ein solches Leben überhaupt noch sinnhaft sein könne. Wer über diese Frage schon hinaus ist, oder diese Frage nebenbei behandeln zu können meint und an H a n d der Theologie vom neuen Menschen schon wieder im Rahmen der Sozialethik die Fragen nach den Möglichkeiten dieses neuen Menschen als zweite, weiterführende Frage stellen zu können meint, ist schon eins weiter als Niebuhr. Er meint schon wieder, infolge des Glaubens an Christus auch schließlich und endlich an den Christen glauben zu können. Niebuhr hingegen glaubt an Christus, weil er immer wieder an den Christen nicht glauben kann! Dabei bleibt er, und was ihm die Schrift und die Erfahrung der Geschichte sagen, gibt ihm auch nicht die geringste Veranlassung, davon abzugehen. Es ist die Frage, ob wir dieses innerste Denkmotiv, diese letzte Opposition gegen das moderne Denken auch gerade da, wo es dem theologischen Anspruch des Christen H a l t gebietet, überhaupt verstehen können. N u r von hieraus ist Niebuhrs Rede vom Menschen, von der Sünde, vom stellvertretenden Leiden Christi und vor allem vom Glauben als Buße erst zu begreifen 2 8 . Wenn Niebuhr J . C.Bennett in Protestant Thought in the Twentieth Century S. 125. Es ist beinahe grotesk, wie Guthrie in seiner Fragestellung verfangen ist. Wo er auf Niebuhrs Betonung der Demut und Buße zu sprechen kommt, sagt er: „Wir denken besonders an die Tatsache, daß er (sc. Niebuhr, Anm. d. Vf.) seine politische Lösung vor allem auf den Ruf nach — und der Hoffnung auf — Amerikas Anerkennung seiner sündigen und geschöpflichen Grenzen gründet, um so in ,Buße', ,Demut' und ,Reue' zu handeln. Ist diese Forderung und diese Erwartung weniger sentimental, naiv, übereinfach und moralistisdi als die Politik des Liberalismus, die Niebuhr verwirft? Ist es realistischer zu sagen, z . B . : » . . . Wenn Amerika nur bescheiden w ä r e . . . " î7 w

218

sagt, die Verheißung des Lebens beginne in dem Moment, wo der Mensch im Vertrauen auf Gottes Gnade hinter Gottes Gericht und daher im Hinnehmen dieses Gerichtes aufhört, seine Zweideutigkeit selbst loswerden zu wollen, so ist das für ihn tatsächlich kein Trick, den Faden des modernen menschlichen Selbstvertrauens, für den mittlerweile die philosophische Wolle ausgegangen ist, mit theologischen Mitteln weiterzuspinnen. Der Faden soll vielmehr wirklich ahreißen, es ist ernst gemeint, daß erst dann etwas Neues beginnen kann, wenn auch gerade die Christen ihn nicht wieder aufnehmen können. Deshalb ist es kein Mangel, sondern die Tugend der Lehre Niebuhrs, daß sie dem Christen außer Gottes Gnade überhaupt nichts Großes verspricht. Sie zeigt dem Mensdien nur, daß er seine Armut getrost Gott bekennen kann, daß Gott auf nichts als auf dieses Bekenntnis wartet, um eben so das Leben des Menschen sinnhaft in den Dienst der Liebe zu stellen und daß in diesem Dienst, in dem Christen und Heiden stehen, zwischen dem Unrecht zur Linken und dem zur Rechten dann Entscheidungen des Rechts und der menschlichen Bruderschaft fallen — alles dies vorläufig, eingestandenermaßen bescheiden und verkehrt, aber alles auch fröhlich und offen für die Zukunft, für Gottes Zukunft. Man wird sich zu entscheiden haben, was auf dem Gebiet der Sozialethik der theologischen Wahrheit besser entspricht und für die Welt mehr verspricht — ob hier gesagt werden soll, daß auf Grund der Rechtfertigung die einen Sünder den anderen Sündern in Sachlichkeit der Liebe dienen, oder ob gesagt werden soll, daß auf Grund der Rechtfertigung die einen Sünder den anderen Sündern etwas vormachen können. Tertium non datur. Niebuhr sagt das bezeichnenderweise nie und meint es auch so nie, wie es ihm hier vorgeworfen wird! Guthrie ist so voreingenommen durch sein Denkmotiv, daß er ohne weiteres annimmt, auch Niebuhr sei durdi das gleiche Motiv bewegt — um es kraß zu sagen: auch Niebuhr verwende Christus und die radikale Buße nur als himmlisches Mittel zum irdischen Zweck.

219

Kurzes Namen- und Sachregister Analogie, theologisch 165, 192 Anarchie 30, 159, 182, 203 Anknüpfungspunkt 66, 98 Antichrist 159 f. anxiety 55 ff., 82, 93 Ärgernis 96, 102 Auferstehung 155 Augustin 7, 50, 97, 159, 171 Autorität, sozial 191 Barth, Karl 51, 66, 68, 97, 114, 153, 177 Bennett, John C. 5, 181, 218 Brunner, Emil 7, 27, 49, 57, 66, 68, 71, 114, 170, 178 Bultmann, Rudolf 111 ff., 152 Buße 10, 124, 131, 163

Freiheit Gottes 107 f. Freiheit des Menschen 25, 56 ff., 72 ff., 94, 156, 186 — radikale 48 ff., 63, 72 ff., 76 ff., 156 ff., 170 — unverlierbar 72 Frieden Gottes 110, 123 Gerechtigkeit Gottes s. G o t t — des Menschen s. Mensch Gericht Gottes 64, 97, 105, 118 f., 166 — jüngstes 155 Geschichte 26, 52 f., 68 ff., 74, 93, 103, 113, 122, 128, 133, 152 ff. Gesetz, theologisch 70, 161 — der Liebe 27, 72, 109 f., 160, 167 ff., 180, 182

Calvin, Calvinismus 5, 139 Christologie 93 ff. Christus — wahrer Mensch, Norm des Menschen 104 ff. — Mensch und Gott 107, 115 — Stellvertretendes Leiden 108 — in der Geschichte 159, 161 — pro et in nobis 28, 108, 117 ff. — Wiederkunft 154 — Zurechnung seines Werkes 120 f. Demokratie 188, 209 Dialektik 53 ff. Dogma 115 f. Ebenbildlidikeit 28, 56 ff., 59, 68, 105 Erbsünde 58 Erfahrung 129 ff., 163 ff. Eschatologie 114, 153 ff. Ethik 110, 172, 179 Ethik Jesu 101 f., 178 Evolutionismus 112 Ewigkeit 154 Fanatismus 137 Fortschritt, geschichtlich (Fortschrittsglauben s. Progressivismus) 74 ff., 156 ff.

— und Evangelium (s. auch u.Luther) 162 Gewissen 67 Glaube 74, 101, 115 ff., 124 ff., 129ff., 163, 182 Gleichheit — Ungleichheit 176, 180, 186 Gnade, allgemein 75, 93 ff., 97 — Paradox der Gnade 117 ff. Gott — Geheimnis 7 — natürliche Erkenntnis 66, 98 — Freiheit 107 f. — Offenbarung 96 f., 98 ff. — Gerechtigkeit 107 f. — Macht — Ohnmacht 107 f. Hegel, Friedrich 67, 157 Heiliger Geist 117, 119, 129 Heiligung 127 ff. Heilsgeschichte — Weltgeschichte 152 ff. Hobbes, Thomas 186 Idealismus 23, 48 f., 68, 93, 117, 178 Ideologie 61 ff., 73, 80, 98 Imago s. u. Ebenbildlichkeit Individualismus, religiös 28, 35, 113, 171 Inkarnation 98 ff., 109 Interesse 63, 74, 80, 118, 164, 174, 185 Interim der Geschichte 125 ff., 152 ff. 221

Kant, Imanuel 121, 127 Katholizismus 27, 69, 77 ff., 127 Kierkegaard, Sören 7, 56, 58, 115 Kirche 116, 135 Kirche — Staat 188 ff. Kollektivproblem 95, 170, 173 ff. Kompromiß 175 Kreuz Christi 98 ff., 110, 131, 163, 169, 176 Krieg 175 Kulturproblem, theologisch 74, 100 f. Liberalismus 22 f., 100, 115, 120, 214 Liebe Gottes 106 ff., 109, 114, 179 Liebe — Verhältnis zu weltlidien Gesetzen 170 ff., 179 — Norm aller Normen 167 ff., 178 ff. — leidend, sich opfernd 126, 168 f. — gegenseitig 171, 193 f. Logos 93, 109 Löwith, Karl 74, 130, 132, 152 Luther, Martin — Amt — Person 37, 43, 87 ff., 194 ff., 197, 201, 206 f. — Beruf 28, 150 — Christus, Stellvertreter 143 ff. — Ebenbildlichkeit 86 ff. — Eitelkeit 82 — Erfahrung des Glaubens 36 — Ethik, Niebuhrs Kritik 28, 33, 39, 197 — Evangelium 138 ff. — Freiheit des Christen 25, 87 f. — Geschichtsbild 26, 82, 86, 165, 199 — Gesetz Gottes 42, 84 ff. — Gesetz und Evangelium 143 ff. — Gesetz und Gesetze 196 — Glaube und Werke 39, 198 — Hierarchien 198 f. — iustitia civilis 30, 41, 69 — iustitia passiva 38 f., 84 ff. — Larven Gottes 42 — Lex charitatis 194 f. — Lex Christi 195 — Liebe und weltliche Gesetze 91 f., 198, 205 — Mensch 38, 83 ff. — Natürlich Redit, Billigkeit 91, 192, 195, 199 f. — Naturrecht, Schöpfungsordnung 33, 79 f., 90 ff. — Obrigkeit, Staat 29 ff., 33, 42 f., 203 ff. — „Obrigkeitshörigkeit" 29, 33, 42 222

— Recht 33, 208 — Rechtfertigung 138 ff., 144 ff. — Regiment und Regimente Gottes 36 f., 87 ff., 197 ff., 207 — Reich Christi 145, 147 f., 199, 206 — Zwei Reiche 29, 37, 146 ff., 199 ff. — Schöpfer, Geschöpf, Schöpfungsglaube 39, 87 f., 193 f. — Schwert, Gewalt, weltliche Macht 44, 202 ff. — Simul iustus et peccator 26, 139, 144 — Stand, Stände 87 ff., 197 ff. — Sünde 21, 25 f., 81 ff. — Theologia crucis 139 ff. — Verderbnis, totale 28, 86, 139 — Vernunft 40, 83 f., 85, 150, 199, 205 — W o n Gottes 140 f., 208 Machtproblem 61, 64, 95 f., 106, 166, 175 ff., 181 ff. Marx, Marxismus 23, 61, 67, 157, 175 Melanchthon 103, 114 Mcnsch — Ursprungsgerechtigkeit 45 ff., 56 ff., 68 ff. — sich transzendierend 48 ff. — Selbst, Person 48 ff., 72 ff. — Geschöpf und Schöpfer 73 f., 76 — Neuer Mensch 118 ff. M e l a n i s m u s 93 ff. Moralismus 177 f, 182 Mystik 50, 94, 97 Mythos 111 ff., 140 Naturalismus 23, 47, 93 Natur-Geistproblem 46ff., 77, 116, 120f., 127 Naturrecht 76 ff., 179, 190 Nomos 167 Nygren, Anders 171 Natürliche Religion und Theologie 97 Offenbarung 65, 96, 98 ff., 117, 168, 178 Ontologie 55 f., 71 ff. Ostern 139 other-wordliness 154, 176 Pascal, Blaise 7, 71 Philosophie 53 ff., 67, 101, 107, 133, 136 Politische Verkündigung 166, 183 ff. — Ordnung 173 ff. Progressivismus 106, 152, 157 f.

Propheten 65, 96 Prophetisches Amt der Kirdie 208 Providentia dei 131, 165 Ranke, Leopold v. 154 Rauschenbusch, Walter 58, 215 Recht 27, 78, 177 Rechtfertigung 25, 27, 108, 110, 123 ff., 127 ff., 135 f., 177, 190 Reich Gottes 78, 153, 164, 174, 183, 215 Religion, kritisch 61 f. Rousseau, J. J. 186 Sakrament 123 Schöpfung 39, 46 ff. Seele, Unsterblichkeit 155 Simul iustus et peccator 26, 125 ff., 135 Sinnlichkeit 62 Skeptizismus 136 Social Gospel 5, 152 f., 214 f. — mind 183, 192 Sozialethik, grundsätzlich 52,121 f., 171 ff. Staat 183 ff. Staatsreligion 183 f. Stolz (superbia) 60 ff. Subjektivismus 120 Sünde 21, 25, 39, 56 ff., 70, 81, 122

Sündenfall 70 f. Sündenvergebung 102 ff., 117 ff. Synergismus 104, 142 Synthese Reformation u. Renaissance 31, 74, 134 Tillich, Paul 55 f., 63 Tod 64, 118 Toleranz 27, 134 ff. Tora 167 Torheit s. u. Weisheit Transzendenz 49, 108 ff., 160 Trinität, trinitarische Theologie 116, 162 Troeltsch, Ernst 32 Tyrannei 30, 78, 159, 182, 203 Verderbnis, totale 28, 68, 71 Vernunft 62 f., 72, 74, 77, 80, 110, 115, 129, 132 ff., 165, 177, 182, 205 Wahrheitsfrage 134 ff. Weisheit-Torheit, göttlich-menschlich 65 f., 93 f., 108, 115, 129 Wort Gottes 65,140 Zyklisches Geschichtsbild 74, 93, 158 Zorn Gottes 97, 107, 122

223

Dogma und Denkstrukturen Herausgegeben von Wilfried Joest und Wolßart Pannenberg. 1963. 177 Seiten, kart. 19,80 DM, Ln. 25,— DM. Diese Edmund Schlink gewidmete Festschrift enthält vier systematischtheologische, einen neutestamentlichen und einen frömmigkeitsgeschichtlichen Beitrag zu einer Fragestellung, die der systematischen und ökumenischen Theologie neue grundlegende Aspekte zu eröffnen verspricht.

F o r s c h u n g e n zur S y s t e m a t i s c h e n u n d ö k u m e n i s c h e n T h e o l o g i e Herausgegeben von Edmund Schlink

Band 9

REINHARD

SLENCZKA

Ostkirche und Ökumene Die Einheit der Kirche als dogmatisches Problem in der neueren ostkirchlichen Theologie. 1962.316 Seiten, broscb. 28,50 DM. „Auf die forschungsgeschichtliche Einführung sei besonders verwiesen . . . Alles in allem ein reiches und lehrreiches Buch, das den nachdenklichen Leser tief in die theologischen Gegenwartsfragen einer evangelisch-orthodoxen brüderlichen Gemeinschaft in Christus hineinzuführen vermag." Ev.-Literaturbeobachter 12/1962

Band 10

WOLFGANG

DIETZFELBINGER

Die Grenzen der Kirche nach römisch-katholischer Lehre 1962. 229 Seiten, kart. 24— DM. „Die ganze Untersuchung bestätigt, wie sehr die Frage nach den Grenzen der Kirche und die ekklesiologische Qualifizierung der nichtrömischen Christenheit zu den ökumenischen Zentralthemen und zugleich zu den Verlegenheiten Roms gehörten. — Das Buch wird mit seinen reichen Informationen und seinen vielen kritischen Anfragen dem theologischen Gespräch mit Rom einen wichtigen Dienst erweisen." ökumenische Rundschau 4/1962

Bandii

HORST-GÜNTHER

REDMANN

Gott und Welt Die Schöpfungstheologie der vorkritischen Periode Kants. 1962. 167 Seiten, kart. 16,80 DM. „Kants Ringen um die Probleme Gott und Schöpfung werden hier mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und großer Sachkenntnis verfolgt." Das Neueste 4/1963

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N UND ZÜRICH