Gesammelte Werke. Ergänzungs- und Nachlaßbände: Band 9 Frühe Werke
 9783110806274, 9783110158724

Table of contents :
Vorwort
1. Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium (1906)
2. Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (1908) (Urfassung)
Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (Schönschrift)
3. Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910)
4. Systematische Theologie von 1913
5. Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher (1915)
Literaturverzeichnis zu den Textgeschichten

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PAUL T I L L I C H F R Ü H E WERKE

W G DE

E R G Ä N Z U N G S - U N D N A C H L A S S B Ä N D E ZU D E N GESAMMELTEN WERKEN VON PAUL TILLICH BAND IX

WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1998

PAUL TILLICH

FRÜHE WERKE

HERAUSGEGEBEN VON GERT HUMMEL UND DORIS LAX

WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1998

© Gedruckt auf säurefreiem Papier das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Tillich, Paul: Gesammelte Werke / Paul Tillich. — Berlin ; New York : de Gruyter Teilw. im Verl. Evang. Verlagswerk, Stuttgart Ergänzungs- und Nachlaßbände Bd. 9. Tillich, Paul: Frühe Werke. - 1998 Tillich, Paul: Frühe Werke / Paul Tillich. Hrsg. von Gert Hummel und Doris Lax. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Gesammelte Werke : Ergänzungs- und Nachlaßbände ; Bd. 9) ISBN 3-11-015872-8

© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer G m b H , Berlin

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1. Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium (1906)

1

2. Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (1908) (Urfassung)

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Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (Schönschrift)

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3. Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910)

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4. Systematische Theologie von 1913

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5. Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher (1915) 435 Literaturverzeichnis zu den Textgeschichten

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Vorwort Bei der Beschäftigung mit dem wissenschaftlichen Lebenswerk Paul Tillichs erweist sich dessen Frühzeit, das heißt die Jahre zwischen Studium (seit 1904) und dem Ende des Ersten Weltkrieges (1918), als eine immer reicher sprudelnde Quelle. Aus diesem Grund haben sich die beiden Herausgeber und der Verlag Walter de Gruyter (Berlin/New York) darüber verständigt, bislang unveröffentlichte bzw. schwer zugängliche „Frühe Werke" Tillichs in einem weiteren Ergänzungsband zu den „Gesammelten Werken" zu edieren. Unmittelbarer Anlaß hierfür war die Entdeckung des ersten theologischen Systems von Tillichs Hand, der „Systematischen Theologie von 1913", von der bislang nur die ihre Paragraphen einleitenden „72 Thesen" durch eine Abschrift Richard Wegeners bekannt gewesen sind. Der Text erweist nicht nur die erstaunliche systematischtheologische Kompetenz des erst 27jährigen Verfassers, sondern wirft auch ein helles Licht auf die bewundernswerte Kontinuität seines Denkens, die von hier bis in das Spätwerk reicht. Einzelne Gedanken dieses Systems finden sich schon in einer Hallenser Seminararbeit über „Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium" aus dem Wintersemester 1905/06, die hier ebenfalls erstmals publiziert wird. Ihr folgen zwei Fassungen der sogenannten „Monismusschrift" (Bernet-Strahm, 2*), eine umfangreiche Examensarbeit aus dem Jahr 1908 über das Thema: „Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion?", die bislang nur in ihrer veränderten und gekürzten Abschrift bekannt war. Um einen Nachdruck handelt es sich dagegen bei Tillichs philosophischer Dissertation von 1910, die er in Breslau einreichte; sie trägt den Titel: „Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien". Die seinerzeit nur in wenigen Exemplaren erschienene Arbeit ist gegenwärtig lediglich in einer englischen Ubersetzung (von V. Nuovo; Buckwell University Press, 1974) zugänglich. Schließlich wird in dem vorliegenden Band zum ersten Mal auch Tillichs Habilitationsschrift: „Der Begriff des Übernatürlichen, sein

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dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität - dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher", vollständig publiziert. Die Verhältnisse während des Ersten Weltkrieges hatten es gestattet, daß der Habilitand bei der Theologischen Fakultät in Halle-Wittenberg nur etwa ein Viertel des Buches in gedruckter Form einreichen mußte; vom umfangreicheren „Rest" war bis jetzt nur die maschinenschriftliche Fassung im Original im Tillich-Archiv in Marburg zugänglich. Dieser Mangel ist hiermit behoben. Die unterschiedlichen Situationen der Entstehung der hier versammelten Schriften bringen es mit sich, daß sowohl Schreibweise und Zeichensetzung untereinander als auch innerhalb derselben differieren und daß bei einigen Arbeiten Entwicklungsphasen ausgemacht werden können, die nicht nur Tillichs Hand, sondern auch andere Autoren am Werk sehen. Die Herausgeber haben deshalb Schreibweise und Zeichensetzung in Tillichs Texten vereinheitlicht und den heute (noch) geltenden Gegebenheiten angeglichen, ferner Flüchtigkeitsfehler der handschriftlichen Fassungen ohne besonderen Vermerk verbessert, hingegen sachliche Fehler markiert und ausgefallene Wörter in eckigen Klammern (bei Tillichtexten) und in liegenden Klammern (bei Zitaten) eingefügt, wenn ein lesbarer Text dies erforderte. Darüber hinausgehende Besonderheiten sind gegebenenfalls in den vorangestellten textgeschichtlichen Einleitungen notiert. Fußnoten bringen Anmerkungen von Tillich selbst, von anderen Personen oder - im Falle der „Seminararbeit" ausnahmsweise von den Herausgebern; die jeweilige Autorschaft ist vermerkt oder unzweideutig erkennbar. Die Seitenumbrüche der ursprünglich in Schulheften niedergeschriebenen Texte sowie der maschinenschriftlichen oder gedruckten Vorlagen werden mit einem „/" markiert, die Heftumbrüche und das Ende des gedruckten Teils der „Habilitationsschrift" mit einem „//". Es soll nicht übergangen werden, daß die Originaltexte der „Seminararbeit", der sogenannten „Monismusschrift" und der „Systematischen Theologie von 1913" in Tillichs „deutscher" Handschrift abgefaßt sind, die teilweise sehr schwer lesbar ist. Die Herausgeber sind gleichwohl überzeugt, daß ihnen die Übertragung gelungen ist; dabei haben sie Herrn Professor Dr. Erdmann Sturm für vielfache Lesehilfen zu danken. Zu danken haben wir ferner den Mitarbeiterinnen am Institut für Evangelische Theologie der Universität des Saarlandes, Kerstin und Simone Flickinger sowie Sandra MüllerZewe, für die geduldige Unterstützung bei der Textherstellung. Gert Hummel, Doris Lax

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1. Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium (1906) Zur Textgeschichte

Nach Studienbeginn in Berlin (WS 1904/190S) und einem Semester in Tübingen (SS 1905) wechselte Tillich im November 1906 an die Universität Halle, wo er vier Semester (WS 1905/06 bis SS 1907) verbrachte. Diese zwei Jahre wurden für seine theologische Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Im „curriculum vitae" zu der 1911 an dieser Universität eingereichten Lizentiaten-Dissertation über „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung" schreibt er über die Zeit: „In Halle hörte (ich) Vorlesungen bei den Professoren Bornhäuser, Haupt, Kahler, Kattenbusch, Kautzsch, Loofs, Lütgert sowie bei dem Privatdozenten der Philosophie Medicus" (GW XIII, 19). Unter den Genannten waren es vor allem Martin Kähler, Wilhelm Lütgert und Fritz Medicus, die den nachhaltigsten Eindruck auf ihn machten, jene Vertreter der Vermittlungstheologie, dieser der eigentliche philosophische Mentor des jungen Studenten (vgl. ebd., 23f). In dem Seminar, das Medicus im WS 1905/06 unter dem Thema „Philosophische Übungen (Fichte)" ankündigte, schrieb Tillich die nachstehend abgedruckte Arbeit. Sie erweist schon in ihrer Fragestellung das gleichermaßen theologische wie philosophische Interesse Tillichs. Auch zeigen sich in ihr Gedanken - zum Beispiel die Unterscheidung von Autonomie und Theonomie; die Vierteilung der Religionsphilosophie; den nur nach Analogie menschlicher Personalität denkbaren Begriff des Personseins Gottes; das Absolute als eins mit dem Begriff der Wahrheit -, die Tillich in späteren Arbeiten aufgreift und weiterentwickelt. Ob Medicus die Arbeit korrigiert hat, ist nicht erkennbar. Die Randbemerkungen, die sie zahlreich aufweist, stammen eindeutig nicht von ihm, sondern von Wilhelm Lütgert, der in Halle zwar einen systematisch-theologischen Lehrstuhl innehatte, aber auch neutestamentliche Vorlesungen hielt, so im WS 1905/1906 eine fünfstündige „Erklärung des Matthäusevangeliums mit Vergleich der synoptischen Evangelien ". Offenkun-

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dig lag Tillich am Urteil des Theologen, der denn auch am Ende der Seminararbeit eine ausführliche Gesamtbeurteilung anfügt, die Tillichs Darlegungen in analytischer Hinsicht lobt, im Blick auf die Hintergründe der denkerischen Wahlverwandtschaft von Fichte und Johannes jedoch Desiderate markiert. Eine Benotung wird nicht gegeben. Tillich hat die Studie mit seiner markanten „deutschen" Handschrift in ein Schulheft der Größe 16 χ 20 cm geschrieben. Auf den 39 Textseiten ließ er für den Korrektor an den Außenseiten jeweils einen Rand von fünf Zentimetern frei; die Paginierung der Arbeit erübrigte sich verständlicherweise. Auf den Umschlag schrieb er in das dort zu Titelzwecken angebrachte weiße Feld: „Seminararbeit I. - P.Tillich. theol.". Da das Wintersemester 1905/06 das dritte Studiensemester Tillichs war, ist in der Tat anzunehmen, daß dies seine erste Seminararbeit gewesen ist. Den Termin ihres Abschlusses notierte er - später?— an den Rand der ersten Textzeile: „21. II. 1906". Ob es schriftliche Notizen oder gar einen Entwurf für die Studie gegeben hat, ist nicht nachzuweisen, jedoch aufgrund des Reinschriftcharakters des Manuskripts mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Allerdings fehlt ihr eine vorangestellte Inhaltsgliederung oder die Markierung der sechs gedanklichen Abschnitte, was die Herausgeber durch einen „*" verbessern. Der Begutachter scheint diesen Mangel auch empfunden zu haben, wenn er am Ende der einführenden fünf Seiten vermerkt: „Einführende Reflexionen". Diese und alle weiteren Randglossen bringt der nachstehende Abdruck als Fußnoten, desgleichen die abschließende Beurteilung. Weitere Fußnoten betreffen die Fichte-Quellen und Fichte-Zitate, die Tillich aus welchen Gründen auch immer und übrigens von Lütgert ungerügt- nicht dokumentiert. Erstaunlich ist überdies, daß nahezu keins der Zitate korrekt ist und auch Hinweise auf ihren Fundort nicht immer aus dem Text erschlossen werden können. Welche Werkausgabe Fichtes Tillich benutzte, ist ebenfalls nicht erkennbar; wir zitieren nach „Johann Gottlieb Fichte's sämmtliche Werke. Herausgegeben von J. H. Fichte", 8 Bände, Berlin 1845/46 (im folgenden: SW). Alle Sperrungen sind, wie im Manuskript Tillichs auch, getilgt. Das Original der Seminararbeit ist Bestand des Paul-TillichArchivs in Harvard und trägt die Archivnummer „T.A. 114:006 # 1583 (1 of 2)". Bei der Aufbewahrung hat der Archivar zwischen

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die Seiten 30 und 31 des Schulheftes eine kürzere exegetische Arbeit über Jesaja 11, 1-9 eingeschoben, welche die Überschrift „Seminararbeit II. Fortsetzung" trägt, wohl weil die betreffende Person vermutete, beide Hefte gehörten zusammen. Es ist aber unstrittig, daß die beiden Studien nichts miteinander zu tun haben.

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Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium Als ein Zwiefaches stellt sich das menschliche Geistesleben dar, 1 als Denken und Wollen. N u r selten wird das Ideal einer völligen Gleichheit 2 beider erreicht: Im allgemeinen nimmt eine Seite eine mehr oder weniger beherrschende Stellung ein. So ist es bei Individuen, so bei Völkern. Ihren stärksten Ausdruck findet diese Tatsache in der Verschiedenheit des religiösen Bewußtseins, dieser zentralsten, alles beherrschenden Äußerung des Geistes. Herrscht der Voluntarismus, so erscheint Gott als der lebendige, persönliche, der wollend und handelnd, liebend und zürnend in die Geschichte, / auch die des einzelnen, eingreift, und zu dem ich in ein persönliches, religiöses Verhältnis trete. Beim Intellektualisten dagegen wird Gott zur absoluten, ewig gleichen Idee, in der alle Erscheinung aufgeht, 3 zu der nur ein absolutes, das Individuelle vernichtendes Verhältnis möglich ist. Dementsprechend sieht die erste Richtung in der Geschichte das Werden und Vergehen realer Werte und spricht dem geschichtlichen Augenblick entscheidende Bedeutung zu, während die andere die Geschichte als Schein, höchstens als Entfaltung des schon Seienden, der Idee, betrachtet. Von entscheidender Bedeutung ist derselbe Gegensatz in der Ethik: Der eine handelt sittlich um Gottes willen auf/grund von Furcht und Liebe, der andere um seiner selbst willen aufgrund klarer Einsicht. Das erste kann ausarten in Lohnsucht, das andere in Selbstvergötterung, entsprechend der Herabziehung des Gottesgedankens einerseits und seiner Verflüchtigung andererseits. 4 In der Geschichte sind Juden und Griechen klassische Vertreter beider Richtungen gewesen. Nachdem die historische Entwicklung 1

Neben der ersten Zeile das Datum von Tillichs Hand: 21.11.1906.

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Unterstrichen und am Rand mit einem Fragezeichen versehen.

3

Der Halbsatz ist unterstrichen und am Rand mit einem Fragezeichen versehen.

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Die letzten beiden Sätze sind am Rand gekennzeichnet und mit folgender Bemerkung versehen: „ D a s hängt nicht mit dem obigen Gegensatz zusammen".

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die oben gefolgerten Mängel und Gefahren beider Einseitigkeiten herausgestellt hatte, gingen ihre Wahrheitselemente im Christentum eine Verbindung ein, durch die das gesamte Geistesleben der Menschheit bestimmt wird. Nicht als ob das Christentum ei/ne synkretistische Addition von Griechentum und Judentum wäre: Es tritt als etwas absolut Neues in die Welt. Aber es hebt darum das Alte, soweit es gut war, nicht auf, sondern gibt ihm eine neue Bedeutung und höhere Einheit. Gott offenbart sich in Christo als ein Gott der Gnade und Wahrheit. Beides ist in ihm vereinigt in vollkommener Harmonie. Pistis, die Aneignung der göttlichen charis, und gnosis, die Erkenntnis der göttlichen aletbeia, sind die konstituierenden Momente des christlichen Lebens. Natürlich ist der Gegensatz damit, daß er im Prinzip aufgehoben ist, nicht in Wirklichkeit verschwunden, und die vollkommene Harmonie ist ein Ideal. Es ist klar, / daß die Philosophie, ihrer Natur entsprechend, immer in Gefahr stand, einem einseitigen Intellektualismus zu verfallen, und das umso mehr, je freier sie der Religion gegenüberstand und je mächtiger sich die Spekulation entfaltete. Dies sind die Gesichtspunkte, unter denen allein das Verhältnis Fichtes zum Johannesevangelium zu beurteilen und zu verstehen ist. Ehe wir jedoch in die positive Untersuchung eintreten, muß uns ein kurzer Überblick über Fichtes Stellung zur Religion überhaupt die Genesis dieses besonderen Verhältnisses darlegen.5/ *

Fichte ist aus Kants Schule hervorgegangen. Nun gilt von der Kantschen Philosophie in hohem Maße, was über die intellektualistische und moralistische Auffassung des Gottesgedankens gesagt ist. Die Religion ist nach ihm eine rein subjektiv begründete Konsequenz des Sittengesetzes. Es bleibt der Willkür des einzelnen überlassen, ob er seine Pflichterfüllung unter den Gesichtspunkt der Autonomie oder Theonomie stellen will. Hier knüpft Fichte mit seiner „Kritik aller Offenbarung" 6 an, dem Werke, mit dem er in die Öffentlichkeit trat. 5

Am Rand: „Einleitende Reflexionen".

6

Der Titel der ersten von Johann Gottlieb Fichte publizierten Arbeit lautet korrekt: „Versuch einer Kritik aller Offenbarung". Sie erschien auf Empfehlung Kants 1 7 9 2 in Königsberg, zunächst - aus Versehen - anonym (im folgenden zitiert als „Kritik").

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Er m a c h t hier d e n a l l e r d i n g s m i ß l u n g e n e n V e r s u c h , a u f g r u n d der K a n t s c h e n P r i n z i p i e n e i n e p o s i t i v e r e B e g r ü n d u n g der R e l i g i o n z u g e b e n : „Ist d a s Sittengesetz allein v o n m i r g e / g e b e n " , s o a r g u m e n tiert er, „ s o s c h ä d i g e i c h n u r m e i n e S e l b s t a c h t u n g , falls ich es übertrete; b e t r a c h t e ich es a b e r als v o n G o t t gesetzt, s o v e r s a g e ich d a m i t a u c h G o t t m e i n e A c h t u n g : D a s sittliche H a n d e l n steht a l s o n i c h t in m e i n e r W i l l k ü r . I n s o f e r n der G o t t e s g e d a n k e d a d u r c h d e m Sittengesetze e i n e g r ö ß e r e K r a f t g i b t , h a b e ich d a s s u b j e k t i v e R e c h t , d e m r e l i g i ö s e n B e d ü r f n i s n a c h z u g e b e n " . 7 D a m i t ist n a t ü r l i c h n o c h n i c h t ü b e r e i n W e r t u r t e i l h i n a u s g e g a n g e n , u n d selbst d a s M o t i v ist n i c h t kräftiger, d a der G e h o r s a m g e g e n G o t t ja w i e d e r selbst ein S t ü c k 8 d e s v o n m i r a b h ä n g i g e n S i t t e n g e s e t z e s ist. Sehr c h a r a k t e r i s t i s c h für d e n M a n g e l a n j e d e m h i s t o r i s c h e n V e r s t ä n d n i s ist die D e d u k t i o n d e s Begriffes der O f / f e n b a r u n g , w o n a c h diese der Begriff e i n e r d u r c h die K a u s a l i t ä t G o t t e s in der S i n n e n w e l t b e w i r k t e E r s c h e i n u n g ist, i n s o f e r n ich ihr m e i n e n B e d ü r f n i s s e n e n t s p r e c h e n d d e n W e r t der G ö t t l i c h k e i t z u g e s t e h e , o h n e ein Urteil ü b e r ihre o b j e k t i v e R e a l i t ä t z u fällen. 9 Es g e h t a u s a l l e d e m klar h e r v o r , ' 0

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Entgegen dem Eindruck, den Tillich auf den ersten Blick durch die beiden in Anführung gesetzten Sätze erweckt, handelt es sich hier nicht um Zitate aus Fichtes Erstlingsschrift, sondern um eine eigene Zusammenfassung der entscheidenden Argumentationsschritte Fichtes. Tillich bezieht sich dabei wesentlich auf folgende Passagen in „§ 3. Deduction der Religion überhaupt": „Die Idee von Gott, als Gesetzgeber durchs Moralgesetz in uns, gründet sich also auf eine Entäusserung des unserigen, auf Uebertragung eines Subjectiven in ein Wesen ausser uns, und diese Entäusserung ist das eigentliche Princip der Religion, insofern sie zur Willensbestimmung gebraucht werden soll. Sie kann nicht im eigentlichsten Sinne unsere Achtung für das Moralgesetz überhaupt verstärken, weil alle Achtung für Gott sich bloss auf seine anerkannte Uebereinstimmung mit diesem Gesetze, und folglich auf Achtung für das Gesetz selbst gründet; aber sie kann unsre Achtung für die Entscheidungen derselben in einzelnen Fällen ... vermehren". „Es lässt sich also der Religion, insofern sie nicht blosser Glaube an die Postulate der praktischen Vernunft ist, sondern als Moment der Willensbestimmung gebraucht werden soll, auch nicht einmal für Menschen subjective Allgemeingültigkeit ... zusichern; ob wir gleich auch von der anderen Seite nicht beweisen können, dass endlichen Wesen überhaupt, oder dass insbesondere Menschen in diesem Erdenleben eine Tugend möglich sey, die dieses Momentes gänzlich entbehren könne" (Kritik, SW V, 55. 56f). Am Rand dazu die Bemerkung: „Das ist nicht richtig ausgedrückt". Die beiden letzten Satzteile sind am Rand kommentiert: „Werturteil, nicht Wahrnehmungsurteil". Am Rand: „Zu schnell geschlossen".

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daß aufgrund der Kantschen Prinzipien eine positive Religion nicht begründet werden kann. Aber Fichte war über Kant hinausgegangen. 1 7 9 4 hatte er mit der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" seine selbständige philosophische Ansicht in grundlegender Weise dargestellt. 1 7 9 6 hatte er im Zusammenhang damit die „Grundlage des Naturrechts" und 1 7 9 8 das „System / der Sittenlehre" folgen lassen. 11 Seine Absicht, diesen beiden eine Religionsphilosophie an die Seite zu stellen, wurde durch den Atheismusstreit vereitelt. Damit beginnt die zweite Periode, die bei der Darstellung seiner Stellung zur Religion in Betracht kommt. Es ist ein beträchtlicher Fortschritt vorhanden. Der Kantsche Subjektivismus und Skeptizismus 12 ist überwunden. Nicht fromme Wünsche, sondern die sittliche Uberzeugung, die ihre Gewißheit unmittelbar in sich trägt, muß die Religion begründen: Nun ist jedes Tun sinnlos, wenn es nicht von der Vorstellung eines Erfolges begleitet ist. Voraussetzung für Erfolge auf sittlichem Gebiet ist eine moralische Weltordnung, die trotz der gegenteiligen Er/fahrungen in der Sinnenwelt das Sittengesetz aufrecht erhält. Diese moralische Weltordnung, die die Voraussetzung, nicht Folge des sittlichen Handelns bildet, ist Gott. Moral und Religion sind einund dasselbe: „beides ein Ergreifen des Uebersinnlichen, das erste durch Thun, das zweite durch Glauben". 1 3 Diese Formulierung zeigt sehr deutlich den Fortschritt gegenüber der ersten Periode. Während dort die Religion nur als eine willkürliche Ergänzung der M o r a l angesehen wurde, erscheint sie hier als gleichwertig und eins mit der Moral. Eng damit verbunden ist ein anderes Zugeständnis an den Voluntarismus: 1 4 Während Fichte in seiner ersten Zeit nach Kants Vorgang die Freude am Guten für eine / Beeinträchtigung des sittlichen Wertes einer Handlung hielt, wird hier die Seligkeit, wenn auch noch

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Die hier zitierten Werke Fichtes sind: „Grundriss der gesammten Wissenschaftslehre", Leipzig 1 7 9 4 ; „Grundlage des Naturrechts nach den Principien der Wissenschaftslehre", 2 Bände, Jena und Leipzig 1 7 9 6 f ; „Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre", Jena und Leipzig 1798.

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Die beiden Begriffe sind unterstrichen und am Rand mit folgender Bemerkung versehen: „Das ist jedenfalls nicht .Kantisch' ausgedrückt".

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Das Zitat stammt aus Fichtes „Appellation an das Publicum" von 1 7 9 9 (SW IV, 2 0 9 ) .

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Am Rand: „Das hat nicht psychologische Gründe".

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nicht als gleichwertiges M o m e n t , so doch als notwendige Konsequenz des Guten hingestellt. Diese Seligkeit besteht ihm im Freisein von allem Empirischen und Erhobensein in die Sphäre des Göttlichen. Die weitere Entwicklung in dieser Richtung führt zu der dritten und abschließenden Periode in Fichtes Religionsphilosophie, der johanneischen. Sie wird angebahnt durch die „Wissenschaftslehre" von 1 8 0 4 1 5 und erreicht ihren adäquatesten Ausdruck in der 1 8 1 6 erschienenen „Anweisung zum seligen Leben". 1 6 Fichte sucht sich hier auf den Boden der positiven Religion zu stellen, / die immer eine objektive und eine subjektive Seite hat. Fichte hatte bisher nur auf letztere geachtet, indem er zu zeigen suchte, wie der Mensch zu Gott kommt. Jetzt muß er sich auch die Frage stellen, wie Gott zum Menschen kommt. Um die Frage nach der positiven Religion zu beantworten, nimmt er zwei Einschränkungen vor. Erst werden sämtliche anderen Religionen dem Christentume gegenüber negiert, dann sämtliche übrigen Auffassungen des Christentums gegenüber der des Johannesevangeliums. Diese Abgrenzungen sind aus den oben genannten Prinzipien der Fichteschen Philosophie leicht zu verstehen. Hören wir seine Charakterisierung des vorchristlichen, namentlich / auch jüdischen Gottesbegriffes: „Die alte W e l t " , sagt er, „hatte zum letzten Principe einen mit absoluter Willkür das gesellschaftliche Verhältniss der Menschen ordnenden G o t t " . 1 7 Ein solches Prinzip steht offenbar in direktem Widerspruch mit der Geschichtsauffassung Fichtes. Der anthropomorphe, in die Geschichte mit Willkür eingreifende Gott konnte ihm nur ein Zerrbild sein. Wenn er im Gegensatz dazu das Christentum als die vollendete Religion anerkennt, so auch das nicht ohne starke Einschränkung. Das Christentum enthält auch das Wahrheitsmoment der jüdischen Gottesauffassung. Dies mußte von Fichte eliminiert werden. Da es

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Der Titel lautet korrekt: „Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen im Jahre 1 8 0 4 . " (Erstpublikation 1834 im zweiten Band der von J . H. Fichte hgg. nachgelassenen Werke Fichtes).

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Der Titel lautet korrekt: „Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre. In Vorlesungen gehalten zu Berlin, im Jahre 1 8 0 6 " , Berlin 1 8 0 6 (Tillich gibt versehentlich das Erscheinungsdatum mit 1816 an; im folgenden zitiert als „Anweisung").

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Das Zitat stammt aus Fichtes „System der Sittenlehre" von 1812 (SW IV, 521).

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nach seiner Meinung bei Paulus am stärksten / hervortritt, so konstruiert er einen unüberwindlichen Gegensatz zwischen ihm und Johannes. Paulus habe das Judentum nicht aufgeben wollen und daher die Vorstellung von dem zornigen und eifrigen Gotte, der einen Vertrag mit den Menschen schließe, in das Christentum hinübergetragen und so die Idee des neuen Bundes gewonnen. Die nähere Ausführung dieser Behauptungen in den „Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" 18 zeigt zu evidente Unrichtigkeiten, als daß es sich lohnte, näher darauf einzugehen. Jedenfalls hat Fichte richtig gefühlt, daß er nach seinen Prämissen dem paulinischen Christentum, zu dem er auch die Synoptiker rechnet, nicht gerecht werden kann. Es / fragt sich nun, ob dies bei Johannes der Fall ist, was allerdings eine Spannung innerhalb des Neuen Testaments beweisen würde. Es muß also dargelegt werden, ob und wie weit Fichte und Johannes sich gleichen und auseinandergehen. Es darf hierbei nicht darauf ankommen, die zum großen Teil verfehlte Exegese Fichtes nachzuprüfen," sondern die Hauptgedanken seiner Religionsphilosophie herauszuarbeiten und mit denen im Johannesevangelium zu vergleichen. Sie gliedern sich nach drei Gesichtspunkten: Im ersten Teile handelt es sich um die metaphysischen Grundlagen, um Gott und die Welt und ihr gegenseitiges Verhältnis; im zweiten / um die historische Bedeutung Christi und des Christentums; im dritten um die sittlich-religiösen Konsequenzen. 20

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Zwischen den Extremen des toten Seins, zu dem sich der Gottesbegriff bei den Griechen, und des willkürlichen Herrschers, zu dem er sich bei den Juden herausgebildet hatte, liegt der persönliche, lebendige Gott der Christen, wie wir gesehen hatten. Nun ist ein persönlicher Gott für uns nur nach Analogie unserer Persönlichkeit denkbar; es müssen ihm also beide Seiten unseres Geisteslebens zugesprochen werden, das Denken und Wollen. Je nachdem eine Seite mehr betont wird, neigt / die Gottesvorstellung zu einem der 18

Es handelt sich um Fichtes Schrift „Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. In Vorlesungen, gehalten zu Berlin, im Jahre 1 8 0 4 - 1 8 0 5 " , Berlin 1806.

"

Am Rand: „Richtig!"

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Am Rand: „Kosmologie - Geschichte - Psychologie".

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beiden Extreme. 21 Wir hatten gesehen, wie Fichte von dem reinen Intellektualismus her sich dem christlichen Gottesbegriffe genähert hatte und den vollkommensten Ausdruck desselben im Johannesevangelium gefunden zu haben glaubte, der auch seiner Anschauung völlig entspräche. Nun ist bei Johannes in der Tat die Erkenntnisseite besonders stark betont, ohne daß damit jedoch eine Negation der anderen verbunden wäre. Einige charakteristische Termini werden den Gegensatz beleuchten: Bei Johannes wie bei Fichte ist Gott der Inbegriff des Lebens. Dieses äußert sich nach intellektueller Seite als Licht, ein Begriff, den ebenfalls beide anwenden, nach / der Seite des Willens als Liebe, eine Bezeichnung, die Fichte in diesem Sinne nie von Gott gebraucht, 22 die dem johanneischen Gottesbegriff dagegen wesentlich ist. Sehen wir, wie sich diese Begriffe im einzelnen bei beiden gestalten. Zunächst der Lebensbegriff. Fichte sagt: „Sein und Leben ist ein- und dasselbe; nur das Leben vermag selbständig dazusein. Gewöhnlich denkt man sich das Leben und Sein als ein stehendes, starres und totes; selbst die Philosophen fast ohne Ausnahme haben es also gedacht, sogar indem sie dasselbe als Absolutes aussprachen. Dies kommt lediglich daher, daß man keinen lebendigen, sondern nur einen toten Begriff zum Denken des / Seins mit sich brachte". 23 Damit ist der Begriff nach der einen Seite hin abgegrenzt. Nach der anderen geschieht es folgendermaßen: „Das Sein ist einfach, unveränderlich, bleibt ewig sich selbst gleich; darum ist auch das wahrhaftige Leben einfach, unveränderlich, ewig sich gleichbleibend. ... Das Scheinleben ist ein unaufhörlicher Wechsel, immerfort zwischen Werden und Vergehen schwebend". 24 Diese begrenzenden Bestim21

Der gesamte Abschnitt ist bis zu dieser Stelle am Rand mit einem Strich markiert.

22

Am Rand: „ W a r u m nicht? Das muß erklärt werden".

23

Das Zitat lautet korrekt: „Seyn ... und Leben ist abermals Eins und dasselbige. N u r das Leben vermag selbstständig, von sich und durch sich selber, dazuseyn ... Gewöhnlich denkt man sich das Seyn als ein stehendes, starres und todtes; selbst die Philosophen fast ohne Ausnahme haben es also gedacht, sogar indem sie dasselbe als Absolutes aussprachen. Dies k o m m t lediglich daher, weil man keinen lebendigen, sondern nur einen todten Begriff zum Denken des Seyns mit sich brachte" (Anweisung, SW V, 4 0 3 f ) .

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D a s Zitat lautet korrekt: „ D a s Seyn ist einfach, unveränderlich, und bleibt ewig sich selbst gleich; darum ist auch das wahrhaftige Leben einfach, unveränderlich, ewig sich gleichbleibend. ... Das blosse Scheinleben (ist) ein unaufhörlicher Wechsel, immerfort zwischen Werden und Vergehen schweb e n d " (Anweisung, SW V 405f).

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mungen bedingen den Inhalt des Begriffes. Durch die Eigenschaft der Unveränderlichkeit ist das lebendige Wollen, dessen wesentliche Bestimmung das Werden ist, ausgeschlossen. Es bleibt übrig als Definition des Lebens das „Sich-Selbst-Erfassen des Absoluten". 2 5 Indem Gott sich seines absoluten Inhaltes bewußt wird, tritt das absolute Wissen / ein, das Fichte Licht nennt. Insofern allerdings der Inhalt des absoluten Wissens zugleich das absolut Wertvolle 26 ist, erhält der Begriff des Lichtes eine ethische Seite. Johannes ist kein Philosoph, dessen Stärke im diskursiven Denken besteht; er definiert daher seinen Lebensbegriff nie, 27 sondern erfaßt ihn in seinen religiösen Erfahrungen. Er kann daher immer nur von den Äußerungen des göttlichen Lebens reden. Er sieht es in seiner ganzen Fülle in Jesu Christo; in ihm ist die Herrlichkeit des Vaters, voller Gnade und Wahrheit. Der Gnade, als Äußerung der göttlichen Liebe, steht parallel die Wahrheit, als Äußerung des göttlichen Lichtes. Licht und Liebe sind also nach Johannes die konstituierenden Momente des göttlichen Lebens. Auch bei Johannes hat der Begriff des Lichtes zunächst eine intellektuelle Be/deutung. Es ist das Mittel, durch 28 das sich Gott offenbart, sichtbar macht. Wenn der erste Johannesbrief Gott Licht nennt, so ist es auch hier zunächst auf die Erkenntnis bezogen, wie die enge Verbindung mit dem Wahrheitsgedanken bezeugt. Doch ist ebenso wie bei Fichte dieser Gedanke auch ethisch nuanciert, 29 wie die Worte vom Wandeln in der Finsternis zeigen. Wir können demnach folgende Bestimmung des göttlichen Lebens als beiden gemeinsam hinstellen: Es ist absolute Klarheit seiner selbst, absolutes Erfassen seines eigenen Inhaltes, des Guten. So weit sind beide übereinstimmend, doch bei der Bestimmung des Guten als Liebe steht Johannes allein; hier kann Fichte nicht mit. Schon der Begriff des Lichtes hat bei Johannes die Neben-

25

26 27 28 29

Die Stelle, auf die sich diese von Tillich selbst formulierte, aber als Zitat markierte Definition des Lebens bezieht, lautet: „Leben ... ist dieses das lebendige und kräftige Daseyn des Absoluten selber, welches ja allein zu seyn und da zu seyn vermag, und ausser welchem nichts ist, noch wahrhaftig da ist... und es ist zwischen dem Absoluten oder Gott... gar keine Trennung" (Anweisung, SW V, 443). Am Rand ein Fragezeichen. Am Rand: „17, 3". Am Rand: „Gott selbst ist Licht". Die drei letzten Worte sind unterstrichen und am Rand kommentiert: „Beides fällt eben völlig zusammen".

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bedeutung der Liebe und Freude im Gegensatz zur Finsternis, dem Falschen, Bösen und Unseligen. Der jo/hanneische Liebesgedanke braucht hier nicht näher erläutert zu werden; ihm entspricht notwendig die Anschauung vom Zorne Gottes, der das Böse richtet. Dieser Gedanke ist Fichte besonders unsympathisch, und er verwirft ihn als heidnisch und unwürdig. Schon darin zeigt sich der Abstand beider Anschauungen klar. J a , Fichte hält es für geradezu unsittlich, von Gott Gegenlieben zu verlangen oder als Motiv zum Guten zu benutzen. D a s „ D u " Gott gegenüber erscheint ihm Frevel. Nur „ I c h " ist Gott. 3 0 *

Dem Gottesgedanken entspricht die beiderseitige Anschauung über die Welt und ihr Verhältnis zu Gott. Bei Fichte geht die Welt aus dem Wesen Gottes hervor zum Zweck der Offenbarung seines Daseins. Bei Johannes wird die Welt durch den Willen Gottes geschaffen zum Zweck der Offenbarung 3 1 / seiner Liebe. Fichte unterscheidet in Gott Sein und Dasein. Als der Seiende ist er der Überzeitliche, Unwandelbare, ewig Eine, der aller Erscheinung zugrunde liegt. Die Erscheinung, in der sich Gottes Selbstoffenbarung vollzieht, ist nur in und durch Gott. Doch ist sie nicht mit ihm identisch. Denn in der Erscheinungswelt gibt es totes und lebendiges Dasein: Das tote Dasein ist das in sich nichtige, Gott als das NichtIch gegenüberstehende, das bloße Objekt des Handelns und Denkens, das ohne das göttliche Leben nicht einmal dazusein vermöchte. Wo aber in lebendigem, zweckvollem Geschehen, vor allem im menschlichen Handeln Gott aus sich heraustritt und sich dem Bewußtsein darstellt, da ist lebendiges Dasein. Diese Selbstoffenbarung Gottes in ihr ist Zweck der Welt, vor allem des Menschen. Der natürliche Mensch in Abhängigkeit von seinen Trieben/ ist nur Naturwesen, Erscheinung, Nichtseiendes. Erst der sittliche Charakter, der Herr ist über die Natur in ihm, der sich in den Dienst des Überindividuellen, Gottes, gestellt hat, ist wirklich und hat seine Bestimmung erfüllt. Diese liegt aber nicht in seinem Individuum, sondern im Absoluten, in das sich zu versenken Aufgabe jedes ein-

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Der letzte Satz ist markiert; am R a n d dazu: „Eine fundamentale Differenz".

31

Die letzten vier Worte sind unterstrichen; a m R a n d dazu: „Johannes reflektiert nicht über den ,Zweck' der S c h ö p f u n g " .

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zelnen ist, um so das tote Dasein in eine lebendige Realität zu verwandeln. Solange diese Realität nicht erreicht ist, steckt der Mensch im Nicht-Seienden, der Sünde. Dementsprechend hält Fichte das Böse für eine notwendige Durchgangsstufe der Selbstoffenbarung Gottes. Damit fallen natürlich die Begriffe Schuld, als Urteil Gottes über die Sünde, und Strafe, als Verneinung des Bösen durch die Tat, hinweg. Nun die johanneische Gedankenreihe: Im An/fang war das Wort und alle Dinge sind durch dasselbe gemacht. Gottes Wort hat die Welt geschaffen. Fichte sucht die Parallele, die Johannes mit Gen. 1, 1 zieht, als Antithese aufzufassen, wodurch Johannes den alttestamentlichen Schöpfungsgedanken widerlegen wolle. Aber das Wort ist der Ausdruck der Persönlichkeit und gerade dieser Gedanke des persönlichen Gottes wird an beiden Stellen betont. Gottes allmächtiger Wille hat die Welt geschaffen; er will sich in ihr offenbaren, aber nicht sein Dasein, wie Fichte meint, sondern seine Herrlichkeit und seine Liebe. Aus Liebe zu seinem eingeborenen Sohn, dem er die Welt zum Eigentum gegeben hat, und aus Liebe zu den Menschen, um derentwillen er seinen Sohn dahingegeben hat, und beides, um seine Herrlichkeit, deren innerstes Wesen / eben die Liebe ist, zu offenbaren. Dabei gewinnt natürlich der Mensch eine ganz andere Stellung. Nicht um Gottes Dasein zu verwirklichen ist er da, sondern weil Gott ihn liebt und er ihn wieder lieben darf und soll 32 . Die Überwindung des Bösen ist natürliche Folge der Liebesgemeinschaft mit Gott, nicht der Weg, zu Gott zu kommen. Und doch ist das Böse etwas ganz anderes als das Negative bei Fichte. Es ist Position und zwar kräftige 33 Position, die die Welt beherrscht, und in der das Licht zwar scheint, die aber ihre Macht unverändert ausübt. Daher ruht der Zorn Gottes auf der Welt, die dem Tode verfallen ist, da der heilige Gott die Sünde negieren muß. Das Weltgericht ist unabwendbar. *

Wir haben die Gedankenreihen beider vom / Gottesgedanken aus verfolgt. Wir haben den Gegensatz ihrer Anschauungen über Welt, 32

An dieser Stelle ist ein Zeichen eingefügt und am R a n d dazu ausgeführt: „nämlich, um ihm zu dienen, zur . F r u c h t ' " .

33

A m R a n d dazu: „nämlich Wille und W e r k " .

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Mensch und Sünde gesehen. Dadurch ergibt sich notwendig der Gegensatz ihrer Auffassung Christi und des historischen Christentums. Betrachten wir zunächst ihre Gedanken über das Verhältnis Christi zu Gott: Fichte faßt seine Exegese der ersten beiden Verse des Johannesevangeliums in folgende Worte zusammen: „Ebenso ursprünglich wie Gottes inneres Sein ist sein Dasein, und das letztere ist vom ersten unzertrennlich und ist selber ganz gleich dem ersten, und dieses göttliche Dasein ist in seiner eigenen Materie notwendig Wissen und in diesem Wissen allein ist eine Welt und alle Dinge wirklich geworden". 34 Der logos ist darnach ein notwendiges Stück des göttlichen Selbstbewußtseins, durch das er die / Welt und alles Seiende erfaßt, seine innere Selbstoffenbarung. Die nächsten Verse faßt er in folgende Worte zusammen: „In ihm, dem unmittelbaren göttlichen Dasein war das Leben, der tiefste Grund alles lebendigen Daseins. Dieses Leben ward im wirklichen Menschen Licht, bewußte Reflexion, und dieses ewige Urlicht schien fort in den Finsternissen der niederen Grade des geistigen Lebens". „So weit geht das absolut Wahre und Ewige, Göttliche des Evangeliums. Von da an fängt das zeitlich Bedingte an ,..". 3 S Fichte bezieht also den Prolog nicht auf den Christus, sondern hält ihn für eine allgemein gültige, metaphysische Wahrheit. Inhalt sei die Lichtwerdung des göttlichen Daseins im Menschen, das heißt die Entstehung des Selbstbewußtseins und der Erkenntnis. In zwei Richtungen/ äußert sich auch hier die intellektualistische Einseitigkeit Fichtes: „Nicht das Historische, sondern das Metaphysische macht selig" 36 ,

34

Das Zitat lautet korrekt: „Ebenso ursprünglich als Gottes inneres Seyn ist sein Daseyn, und das letztere ist vom ersten unzertrennlich, und ist selber ganz gleich dem ersten: und dieses göttliche Daseyn ist in seiner eigenen Materie nothwendig Wissen: und in diesem Wissen allein ist eine Welt und alle Dinge, welche in der Welt sich vorfinden, wirklich geworden" (Anweisung, SW V, 481).

35

Das Zitat lautet korrekt: „In ihm, diesem unmittelbaren göttlichen Daseyn war das Leben, der tiefste Grund alles lebendigen, substantiellen, ewig aber dem Blicke verborgen bleibenden, Daseyns; und dieses Leben ward im wirklichen Menschen Licht, bewusste Reflexion; und dieses Eine ewige Urlicht schien ewig fort in den Finsternissen der niedern und unklaren Grade des geistigen Lebens". „So w e i t . . . geht sein absolut Wahres und ewig Gültiges. Von da hebt an das nur für die Zeit ... Gültige" (Anweisung, SW V, 4 8 1 f ).

36

Das Zitat lautet korrekt: „Nur das Metaphysische, keineswegs aber das Historische, macht selig; das letztere macht nur verständig" (Anweisung, SW V, 4 8 5 ) .

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sagt er einmal. Allgemeingültig und allgemeinmenschlich muß der Prolog aufgefaßt werden, damit er ihn akzeptieren kann; nicht von einem einmaligen, einzigartigen Eintreten Gottes in die Geschichte darf er reden. Ebenso konsequent wie einseitig ist ferner die Behauptung, das Eintreten des göttlichen Lebens in die Welt bedeute das Entstehen des Selbstbewußtseins und Wissens - natürlich, da ja die Liebe nach ihm nicht zum göttlichen Leben gehört.37 Nach Johannes ist der logos allerdings auch ein notwendiges Stück des göttlichen Wesens, das Mittel seiner Selbstoffenbarung, aber nicht nur als Denken, sondern auch als Wollen seiner selbst, / das Objekt seiner Liebesoffenbarung. Als solcher ist er Person, die Person, für die Gott die Welt geschaffen hat, deren Eigentum die Welt ist. Also nicht nur Mittel seiner Selbstoffenbarung, wie bei Fichte, sondern auch Objekt seiner Liebesoffenbarung ist der logos. Als das ewige Licht war und ist er allerdings auch nach Johannes immer in der Welt wirksam, und alles Licht, was sie hat, stammt von ihm. Die völlige Gottesoffenbarung aber konnte er nur als Person, als Mensch wie wir, werden, und darum ward er Fleisch.38 In diesem Augenblick erschien einmal und ein für alle Male die Fülle der Gottheit, nicht nur als Wahrheit, wie Fichte will, sondern auch als Liebe und Gnade. Gnade ist die sündenvergebende Liebe, deren Offenbarung in Christo geschehen ist. Johannes stellt ohne Zweifel den Tod Christi in kausalen Zusammenhang mit der Sünden vergebenden Gnade Gottes: / Christus, der Herr der Welt, nimmt das göttliche Todesurteil über die Welt auf sich und bringt allen, die in Buße und Glauben dieses Urteil bejahen, Sündenvergebung und ewiges Leben - ein Gedanke, den Fichte mit den stärksten Ausdrükken abweist. Nicht König und Hoherpriester ist er nach ihm, sondern nur Prophet, der die Gnade Gottes verkündigt hat: „Wie könnte doch", sagt er, „das arme Nichtseiende, die Sünde, im Reiche Gottes etwas verwirren!"39 „Den ganzen Wahn von der Sünde und der Scheu vor einer Gottheit, die durch Menschen sich beleidigt

37

Ab dem Fichtezitat ist der Rest des Abschnitts am Rand mit einem Strich und der Bemerkung: „Richtig!" versehen.

38

Am Rand dazu: „Diese spekulative Begründung liegt Johannes fern".

39

Das Zitat lautet korrekt: „Wie könnte doch der arme, nichtseyende [sc.: sündige Mensch], in diesem Reiche etwas verwirren und die göttlichen Pläne stören?" (Anweisung, SW V, 4 9 0 ) .

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fühlen könnte, hat er weggetragen und ausgetilgt". 40 Seine Bedeutung besteht lediglich darin, daß er zum ersten Male diese Wahrheit ausgesprochen und in seiner Person völlig verwirklicht hat. „Daher muß jeder auf ihn hören und seinen Charakter in sich wiederholen und so in seiner Per/son das Dasein selber und das ewige Wort werden". 41

*

Das führt uns hinüber auf die Darstellung der religiös-sittlichen Konsequenzen, die sich aus der Lehre beider ergeben. Für beide ist es klar, daß Christus der Bringer des göttlichen Lebens ist, für Johannes in seiner Person und seinem Wort, für Fichte nur in seiner Lehre; denn für Johannes ist das göttliche Leben Gnade und Wahrheit, für Fichte nur Wahrheit. 42 Soll die Gnade aber gebracht und nicht nur wie eine andere Wahrheit verkündet werden, so muß sie in einer Person gebracht werden. Es fragt sich nun, wie wir uns dieses von Christo dargebrachte göttliche Leben aneignen. Christus ist nach Johannes das Leben und somit die Wahrheit und die Liebe; er bringt beide, indem er sich bringt, und damit beide als Einheit. We/der ist die Wahrheit nur intellektualistisch, noch die Liebe ein bloßes Gefühl, sondern beide sind gegeben in dem sittlichen 43 Willen, der Christus bejaht und annimmt. Diese Bejahung Christi ist der Glaube. Das Wesen des Glaubens ist Lebensgemeinschaft mit Christo, Anteil an seiner Wahrheit und seiner Liebe. Er ist Objekt des Wollens und Denkens. Bei Fichte ist Christus nicht Objekt, sondern Ursache, nicht der Liebe, sondern der Erkenntnis. Sehr viel Ähnliches hat

40

Das Zitat lautet korrekt: „Den ganzen W a h n demnach von Sünde, und die Scheu vor einer Gottheit, die durch Menschen sich beleidigt finden könnte, hat er weggetragen und ausgetilgt" (Anweisung, SW V, 4 9 0 ) . Lütgert am Rand dazu: „Diese Deutung des Werkes Christi ist in der späteren Theologie wiedergekehrt".

41

Das Zitat ist eine Kompilation aus entfernt voneinander liegenden Satzteilen und lautet korrekt: „Endlich, so nun jemand auf diese Weise den Charakter Jesu in dem seinigen w i e d e r h o l t . . . (könne und solle) [er] zur Einheit mit Gott kommen, und das Daseyn desselben selber, oder das ewige W o r t , in seiner Persönlichkeit werden" (Anweisung, SW V, 4 9 0 ) .

42

Am Rand: „Und was heißt Wahrheit bei Fichte".

43

Dieses W o r t ist gestrichen; unklar ist, ob von Tillich selbst.

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allerdings der Wahrheitsbegriff bei beiden. Wahrheit ist keine erkenntnistheoretische Formel, nicht Objekt der Verstandeserkenntnis, sondern die Objektivität, die über allem Individuellen steht und zum göttlichen Wesen gehört. Daß die Wahrheit für Johannes eine geoffenbarte ist, deren Bringer von Gott gekommen ist, sie zu bezeugen, während sie nach Fichte von der spekulati/ven Vernunft allein erfaßt werden kann, ist mehr eine Differenz im Gottesgedanken. Denn nach Fichte ist Gott ja der Vernunft gegenüber kein heteron, durch das sie erleuchtet werden könnte, sondern in der Vernunft stellt sich Gottes Dasein gerade dar. Doch noch eine Gabe Christi, die für Johannes mit Notwendigkeit aus der Lebensgemeinschaft mit ihm folgt, während sie den Fichteschen Grundsätzen widerspricht, ist zu erwähnen: Da Gott nach Johannes uns als Persönlichkeiten um unsertwillen liebt, nicht sich in uns objektiviert, wie nach Fichte, so will er auch eine Fortdauer unser[er] individuellen Persönlichkeit, nicht ihre Aufhebung. Voraussetzung dafür ist Auferstehung und Unsterblichkeit, die Fichte vergeblich aus Johannes herauszuexegesieren sucht. Eng damit verbunden ist der Glaube an eine ewige Seligkeit, / der von Johannes auch als Motiv zur Seligkeit aufgefaßt wird. Der Gedanke wird aber dadurch vor eudaimonistischer Verunstaltung geschützt, daß die Seligkeit im Schauen Gottes bestehend gedacht wird, ebenso wie ihr Gegenteil, die Unseligkeit in der Scheidung von Gott, die Liebe zu Gott aber und damit auch die Furcht, aus dieser Liebe zu fallen, das höchste religiöse Motiv in aller wahren Religion ist und bleiben wird.

*

Betrachten wir noch die subjektiven Voraussetzungen, die den Empfang der religiösen Gaben Christi - im Glauben bei Johannes, in der Erkenntnis bei Fichte - ermöglichen: Zur Erkenntnis der Wahrheit ist für Johannes unerläßlich die Wahrhaftigkeit, der Wille zur Wahrheit, zum Empfange der Liebe die Sehnsucht nach ihr, der Wil/le zur göttlichen Liebe. Auch bei Fichte ist es eine bestimmte, für das Wahre und Geistige empfängliche Willensrichtung des Menschen, von dem seine Fähigkeit zur Erkenntnis (nicht zur Liebe) abhängt. Es steht noch zum Schluß die Frage nach der Begründung des eben erwähnten Willens zum Guten oder Bösen. Hier tritt bei Johan-

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nes der Geistgedanke ein. Der Christus ist nicht nur der Bringer des Geistes, sondern auch sein Träger: Er hat ihn ohne Maß und gibt ihn, wem er will. Geist schafft Willen. Wen der Vater nicht zieht, der kommt nicht zu ihm. Den vollkommenen Geistbesitz erhält die Gemeinde erst nach seinem Tode. Da Gott es ist, der durch den Geist Willen wirkt, so wird durch diesen Gedanken sowohl ein naturhafter Determinismus wie auch ein unnatürlicher / Indeterminismus negiert; der Geistgedanke erhebt über dieses Dilemma. So erhoben über die Natur ist dieser Gedanke nur ein negativer, solange er von unserem natürlichen Verstände erfaßt werden soll, d.h. er ist unfaßbar; aber er ist Tatsache der religiösen Erfahrung und darum Wahrheit höherer Art. Fichte dagegen, der Schüler Kants, des Apostels der Autonomie, läßt den Willen nur aus sich selbst durch absolute Handlungen des Ich bestimmt sein. Der Gegensatz beider Gottesbegriffe tritt hier noch einmal scharf hervor. 44 Jacobi hat einmal gesagt, in Johannes 1, 1 stecke die ganze Wissenschaftslehre. Das ist, wie wir gesehen haben, nur mit großen Einschränkungen richtig. Vielmehr tritt uns auf allen Punkten der charakteristische Gegensatz klar vor Augen. Im Gottesgedanken wurzelnd und von diesem ausgehend durchzieht dieser Unterschied / ihr ganzes Denken und Fühlen, ihre Anschauungen über Gott, Welt und Mensch, Christentum und Sittlichkeit. Es ist der Gegensatz von intellektualistischer Weltanschauung einerseits, bei der alles vom Denken aus bestimmt ist, und Religion andererseits, die den ganzen Menschen nach allen Seiten seines Wesens unter Gott stellt und damit allem nicht nur sein Recht werden läßt, sondern es zu vollkommener Harmonie und Vollendung führt. Und zwar ist das im eigentlichen und höchsten Sinne nur im Christentum der Fall, in dem Gott alles vom Menschen fordert, sein Denken, Fühlen und Wollen, um es ihm gereinigt wiederzugeben: Eine Botschaft für alle Menschen, nicht nur für die, deren Verstand scharf genug ist, um in die Tiefen der Spekulation hinabsteigen zu können, deren Wille / stark genug ist, um das Ideal der Sittlichkeit aus eigener Kraft zu erreichen, sondern für die Unmündigen und Schwachen. Und so sehen wir, wie Johannes, einst der arme Fischer, weitere und tiefere Blicke in die Wahrheit getan hat als der große Philosoph. Andererseits ist die

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Die beiden letzten Sätze sind markiert und a m R a n d kommentiert: „ R i c h t i g " .

18

Gleichheit vieler G e d a n k e n beider 4 5 ein Beweis, daß der menschliche V e r s t a n d a u f g r u n d der ihm gegebenen Tatsachen und Fähigkeiten, w e n n er von einer kraftvollen sittlichen Persönlichkeit geleitet w i r d , imstande ist, w e n n auch nicht die W a h r h e i t w i e Religion und Sittlichkeit sie brauchen, so d o c h Wahrheiten zu begründen und als n o t w e n d i g zu verstehen und insofern eine wertvolle Stütze der Religion w e r d e n kann, sobald er sie nicht ersetzen will; denn dies v e r m a g keine Philosophie. 4 6 //

45

Die letzten vier Worte sind unterstrichen und am Rand mit folgender Bemerkung versehen: „Worin diese eigentlich besteht, müßte zusammenfassend dargestellt werden".

46

Die Gesamtbeurteilung lautet: „Der Unterschied zwischen Fichte und Johannes wird gut hervorgehoben, aber wie Fichte überhaupt auf den Gedanken kommen konnte, mit Joh. übereinzustimmen, wird nicht ganz klar. Der spinozistische Einschlag in seinem Gottesgedanken schien ihm mit Joh. und seiner .Gemeinschaft mit Gott' übereinzustimmen. Ferner die trinitarische Konstruktion, verte'. / Ferner ist von Bedeutung die Überwindung des Kantischen Moralismus, die Idee einer über dem Handeln, jenseits desselben liegenden Seligkeit, in der Kontemplation, dem Schauen Gottes". //

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2. Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (1908)

Zur Textgeschichte Das Sommersemester 1907, das letzte der Hallenser Studienzeit, erschien Tillich noch ein halbes Menschenalter später (1943) „bis heute als der größte Abschnitt meines Lebens" (GW XIII, 26). Zur Fülle der wissenschaftlichen Anregungen, die ihm dort zuteil wurde, trat sein Engagement als Erstcharchierter im „Wingolf", welche Aufgabe er mit Leidenschaft und Erfolg bewältigte. Im Wintersemester 1907/08 immatrikulierte er sich wieder an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Als Brandenburger wollte er das Erste Theologische Examen in seiner heimatlichen Landeskirche vor dem dortigen Königlichen Konsistorium ablegen. Zwischen den beiden Semestern lagen ein paar Wochen Ferien im Ostseebad Misdroy, wo sich die Familie Tillich mit der Familie seines verehrten Hallenser Lehrers Wilhelm Lütgert traf (vgl. EW V, 42). Das Wiedereinleben in Berlin fiel Tillich allerdings nicht leicht, war er doch dem „großen Kreis der Familienpflichten" und der „unglaublichen Unruhe" des väterlichen Hauses entwöhnt (ebd.). Auch begeisterten ihn die Professoren hier weit weniger als diejenigen in Halle (vgl. EW V, 45). Mit jedem Tag nahm „das Schreckgespenst des Examens" konkretere Züge an. Denn obgleich dessen Termin erst im Wintersemester 1908/09 lag, „(dauerte) die Vorbereitung... ein Jahr und mehr, wovon ein halbes Jahr auf die großen schriftlichen Arbeiten fiel" (GW XIII, 22f). Zwei solche schriftliche Arbeiten hatten die Kandidaten zu fertigen, in der Regel eine neutestamentliche und eine systematischtheologische. Für jene hatte Tillich das Thema: „Die Stellung des Logosbegriffs im Johannesevangelium" zu bearbeiten, die mit „recht gut" benotet wurde (vgl. EW V, 52); sie ist leider bislang nicht auffindbar. Die systematisch-theologische Arbeit ist die hier folgende Studie; ihre Benotung lautete „vorzüglich" (vgl. ebd.). Zwischen

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dem 31. Januar und dem 2. Februar 1909 fanden die mündlichen Prüfungen einschließlich der Prüfungspredigt - über 1. Kor. 3, 2123 - statt; das Gesamtzeugnis des Examens lautete ebenfalls: „recht gut bestanden". Nachstehend werden mit guten Gründen zwei verschiedene Fassungen dieser systematisch-theologischen Prüfungsschrift Tillichs publiziert. Keine davon kann jedoch als die beim Königlichen Konsistorium der Provinz Brandenburg eingereichte Version verifiziert werden. Einerseits, weil bedauerlicherweise die Personalakte Tillichs im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Kirche nicht erhalten ist, andererseits, weil keines der unserem Abdruck zugrundeliegenden handschriftlichen Originale die hierfür übliche offizielle „Adresse" trägt, wie dies von derartigen Prüfungsarbeiten, die erhalten sind, belegt ist. All dies zeigt bereits, daß die sogenannte „Monismusschrift" eine komplizierte Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte besitzt und daß bis heute einige ungelöste Rätsel mit ihr verbunden sind, die vielleicht nie mehr aufgeklärt werden können. Fest steht zunächst allerdings, daß Tillich im Sommer 1908 neben anderen Examensvorbereitungen, die ihn kräftemäßig stark belastet haben müssen (vgl. EW V, 48) - an dieser Studie gearbeitet hat und daß ihre originale Fassung im Herbst 1908 zu Ende gebracht wurde. Wenn nicht alles trügt, geschah dies in dem oben genannten Ostseebad Misdroy. Dies geht jedenfalls aus den Beschriftungen hervor, die sich auf vier der fünf Schulhefte (Harvard, T. A. 114: 002 # 1579) befinden, die den Text in Tillichs unverkennbarer „deutscher" Handschrift enthalten. Dabei ist zu präzisieren, daß nur das erste Heft mit der römischen Zahl „1" von Tillich selbst mit der Aufschrift versehen wurde: „Paul Tillich. stud, theol. 1908 ", während die vier folgenden Hefte von seiner Hand lediglich die römischen Zahlen zeigen, ihre Beschriftungen aber - auf Heft II: „Paul Tillich, Misdroy 1908, herbst" [sie!], auf den Heften III bis V nur: „Paul Tillich, Misdroy 1908" - eindeutig von anderer Hand hinzugefügt worden sind. Wichtig ist außerdem, daß der Text der fünf Hefte nur ganz wenige Abschnittsmarkierungen oder gar Überschriften enthält, in keinem Fall aber jene zahlreichen Haupt-, Zwischen- und Untertitel, die seine ausgeführte Inhaltsgliederung darstellen und zweifelsfrei erst nach Fertigstellung des Textes formuliert wurden. Sie findet sich in einem separaten Schulheft (Harvard, T. A. 114: 003 # 1580- 3 of 4), das (wieder von fremder Hand) die Aufschrift „Paul Tillich. Herbst 1908 " trägt und zur Sache außer der

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Gliederung noch einige aphoristische Bemerkungen Tillichs zur benutzten „Literatur" enthält. Es ist also unstrittig, daß die Originalfassung der sogenannten „Monismusschrift" zumindest in dieser Form nicht die Examensarbeit Tillichs gewesen sein kann, die er beim Konsistorium einreichte. Allerdings gibt es nun eine zweite Version von ihr, die den formalen Anforderungen eines solchen Prüfungsobjekts eher entsprechen würde, weil sie in einer gut lesbaren, schönen Handschrift abgefaßt ist. (Original in: Harvard, Ύ.Α. box 204, ohne Signatur; Kopie im PaulTillich-Archiv Marburg; es ist übrigens diese Fassung, die A. BernetStrahm irrtümlich für das Original hielt und 1982 erstmals publiziert hat; vgl. Literaturverzeichnis.) Doch bestehen auch gegenüber dieser Fassung erhebliche Bedenken, ob es sich dabei um das Prüfungsexemplar handelt. Denn erstens fehlt auch ihr die offizielle Adresse, darüber hinaus die sachlich wichtigen Bemerkungen zur Literatur. Zweitens bringt sie zwar eingangs das oben genannte ausführliche Inhaltsverzeichnis, gliedert dann jedoch den Text selbst nur noch - ohne jede Rubrizierung - nach den Untertiteln. Drittens sind auf dem breiten Rand, der jeweils auf der linken Hälfte der Seiten freigelassen ist, kommentierende Bemerkungen angebracht; was diese angeht, so stammen sie zum allergrößten Teil eindeutig von Fritz Medicus, dem Hallenser Privatdozenten für Philosophie, der aber kein Examinator des Berliner Konsistoriums war; ferner sind einige Bemerkungen offenkundig von Tillichs Freund Hermann Schafft (später) hinzugefügt worden. Viertens weist das Titelblatt am unteren Rand die Notiz auf: „1908 - Druck u. Verlag - Gilbert van der Smißen"; was diesen Hinweis angeht, so ist zunächst festzustellen, daß es sich bei Gilbert van der Smißen um einen WingolfBundesbruder Tillichs handelt, dessen künstlerische Begabung durch ein „Bilderbuch" dokumentiert ist, das Tillichs „X-Semester" in Halle mit Reimen und Illustrationen Revue passieren läßt (vgl. EW V, 42. 44). Ein Schriftvergleich erweist, daß er zumindest der Autor dieses Hinweises gewesen ist; ob er auch die Schönschrift gefertigt hat, erscheint fraglich. So läßt sich mit Sicherheit aus alledem nur folgern, daß Tillich diese im Unterschied zur Originalfassung an vielen Stellen veränderte und gekürzte Version irgendwann seinem verehrten Philosophielehrer zur Begutachtung schickte, der sie mit zahlreichen interessanten - und deshalb von uns abgedruckten Bemerkungen versehen hat, und daß er die Arbeit später zum gleichen Zweck auch einem Freund zur Einsicht gab. Ob dies im Hin-

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blick auf eine eventuelle Publikation geschah, wissen wir nicht; verwirklicht wurde sie jedenfalls zu Tillichs Lebzeiten nie. Es ist überhaupt zu fragen, wie ernst die Verlags-Notiz auf dem Titelblatt genommen werden darf. Offen muß auch bleiben, wer aus der Originalfassung den Text formuliert hat, den wir als „Schönschrift" bezeichnen. So ist mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß es noch eine weitere beim Konsistorium eingereichte- wohl maschinenschriftliche - Fassung der Prüfungsarbeit gegeben hat. Welchen Text aber wies sie auf, den der Originalversion, den der „Schönschrift" oder gar eine dritte Version? Nur die Wiederauffindung neuer Quellen oder der konsistorialen Personalakte Tillichs mit der zur Prüfung eingereichten Schrift könnten in diesen Fragen weiterbringen. Der vorliegende Band publiziert mithin zum ersten Mal die wirkliche Originalfassung der sogenannten „Monismusschrift" von 1908. Sie endet übrigens mitten im Satz auf der letzten beschriebenen Seite des Hefts V; die beiden Schlußsätze sind deshalb in eckigen Klammern nach der „Schönschrift" ergänzt. Um der Klarheit willen werden die Haupt-, Zwischen- und Untertitel aus der vorangestellten Inhaltsgliederung im Text vollständig wiederholt. Als Anhang sind außerdem Tillichs Literatur-Hinweise abgedruckt und deren spärliche bibliographische Angaben ergänzt. Zitiert hat Tillich in der ganzen Schrift nirgendwo; jene Hinweise versuchen, diesen Tatbestand zu rechtfertigen. Ferner bringt der vorliegende Band die „Schönschrift" der Studie nebst den - bei Bernet-Strahm weggelassenen - Bemerkungen von Fritz Medicus und Tillichs Freund Hermann Schafft. Sowohl der Vergleich der beiden Versionen - insbesondere dort, wo sie differieren - als auch die Kommentare werfen ein interessantes Licht auf die Beschäftigung Tillichs mit dieser für ihn lebenslang zentral gebliebenen Thematik.

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Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion (Urfassung) Inhalt EINLEITUNG

a) Die Renaissance des Idealismus in der Gegenwart; Kritik der Ritschlschen Position gegenüber der Philosophie b) Allgemeines über das Verhältnis von Religion und Philosophie; der Begriff des Absoluten und seine Notwendigkeit in der Theologie ERSTER HAUPTTEIL: GESCHICHTLICHE VORBEREITUNG

Erster Abschnitt: Die Erscheinungsformen des Gegensatzes von Monismus und Dualismus in der Geschichte in kurzem Überblick I. Der Gegensatz in der griechischen Philosophie II. Die Einwirkungen auf die Alte Kirche III. Die Entwicklung im Mittelalter IV. Die Entwicklung in der Neuzeit Zweiter Abschnitt: Begriffsbestimmung und Einteilung des Stoffes / I. Definition von Monismus und Dualismus II. Die Grundformen des Gegensatzes III. Das Zentralproblem Z W E I T E R HAUPTTEIL: SYSTEMATISCH-GENETISCHE

DARSTELLUNG

Erster Abschnitt: Die physisch-ontologische Stufe des Monismus und das religiöse Verständnis des Naturgeschehens. Die dualistische Kritik dieser Stufe I. Allgemeines über das begriffliche Verhältnis von göttlichem Geschehen und Naturgeschehen a) Der Schöpfungsgedanke. Die Identität von göttlicher und Weltsubstanz; Psychisches und Physisches / b) Der Erhaltungsgedanke. Atomistische und psychologistische Welterklärung

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II. Die religiösen Konsequenzen aus der monistischen Fassung und die dualistische Kritik a) Das religiöse Verhalten des Menschen in seiner Verflochtenheit in den Naturlauf 1. Begriff der göttlichen Weltregierung 2. Übel, monistische Theodizee und dualistische Kritik 3. Das Bittgebet um äußere Gaben 4. Das Wunder b) Das religiöse Verhalten des Menschen in seiner persönlichen Stellung zu dem Naturlauf 1. Das Welterkennen als Gotteserkennen und die dualistische Kritik / 2. Das Weltgefühl als Gottesgefühl und die dualistische Kritik. Der Gegenstand der Kunst (erste Stufe) 3. Das genießende und handelnde Weltbejahen als Gottesbejahung und die dualistische Kritik III. Das Ziel des Naturgeschehens a) Die Vollendung des Individuums (Mikrokosmos) 1 b) Die Vollendung der Natur (Makrokosmos) IV. Die definitive Überwindung des physisch-ontologischen Monismus durch die Tat der Freiheit Zweiter Abschnitt: Die geistig-teleologische Stufe des Monismus und das religiöse Verständnis des geistigen Geschehens. Die dualistische Kritik dieser Stufe und der Ansatz / zu ihrer Überwindung Einleitung: Das Telos des idealistischen Monismus und das höchste Gut der Ch [risten] I. Die rein teleologische Stufe und das religiöse Verständnis des geschichtlichen Geschehens A)Die monistische Betrachtungsweise dieser Stufe nach ihrer positiven Seite a) Das rechtliche Geschehen als Übergang vom physischen zum geistigen Geschehen; religiöse Wertung von Inhalt und Durchsetzung des Rechts b) Das geistige Geschehen als göttliche Selbstdarstellung 1. Die geistige Selbsterfassung 2. Die ästhetische Erfassung des geistigen Geschehens. Gegenstand der Kunst (zweite Stufe) 1

[Am Rand: „Kritik des psychologischen Dualismus".]

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3. Die sittliche Selbstsetzung 4. Universelles und individuelles Geistesleben. Die individuelle Persönlichkeit als Form der Selbstdarstellung Gottes. Das Freiheitspröblem B) Die dualistische Kritik. Die negative Seite der monisti/schen Betrachtungsweise, ihr Recht und ihre Grenze a) Der Widerstand des Nicht-Ich oder die Sünde 1. Das Wesen der Sünde, ihre individuelle Unverständlichkeit und universale Notwendigkeit 2. Sünde und Übel 3. Erlösung: Die beginnende Hypostasierung des Gottesbegriffs b) Autonomie und Gewißheit: Gott als Quelle der Norm; der theistische Gottesgedanke II. Der Ansatz zur Synthese zwischen ontologischem und teleologischem Monismus: Die religiöse Stufe A) Das Wesen Gottes a) Gott als der Allmächtige b) Gott als der Gerechte/ c) Gott als Vater 1. Der Inhalt seines Wesens: Wahrheit und Liebe 2. Die Form seines Wesens: Die absolute Persönlichkeit B) Das Verhältnis zu Gott a) Das positive Verhältnis 1. Das Kindschaftsverhältnis: Furcht und Vertrauen 2. Glaube und Mystik 3. Natürliche und geschichtliche Offenbarung b) Das negative Verhältnis 1. Die Sünde als Schuld 2. Sünde, Zorn und Tod III. Die dualistische Kritik dieses Ansatzes: Der Begriff der Verzweiflung Schluß: Die idealistische Kosmogonie / Dritter Abschnitt: Die vollendete Synthese von ontologischem und teleologischem Monismus in der Person Christi I. Jesus als die vollkommene Offenbarung Gottes a) Jesus als das absolute Glaubensmotiv b) Jesus als die wirksame Offenbarung der göttlichen Gnade c) Jesus als Autorität 1. Die Spannung in der individuellen Glaubensstellung

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2. Die Spannung in der historischen Stellung Jesu d) Christologisches II. Jesus als die allentscheidende Persönlichkeit: Sein messianisches Wirken a) Die Rechtfertigung b) Die messianische Gemeinde Schluß: Zusammenfassung /

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Einleitung

a) Die Renaissance des Idealismus in der Gegenwart; Kritik der Ritschlschen Position gegenüber der Philosophie Als nach Hegels Tode in jähem Wechsel der Materialismus zum Dogma der Naturwissenschaft und mit ihr eines großen Teils der Gebildeten wurde und der deutsche Idealismus nur ein Gegenstand verständnislosesten Spottes war, dachten wohl wenige, daß nach einem halben Jahrhundert das Verhältnis sich wieder umkehren würde. Und doch charakterisiert unsere philosophische Situation die in ihr sich vollziehende Renaissance des Idealismus. Die Notwendigkeit, über Kant hinauszugehen, die auch von den meisten Neukantianern anerkannt wird, zeigt sich schließlich als eine Notwendigkeit, in der Richtung auf Fichte hin zu gehen. Das plötzliche Umschlagen in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts war aber keine wirkliche Überwindung des Idealismus, sondern eine Flucht vor ihm. Darum mußte er wiederkommen, und seine Renaissance ist keine in sich unmögliche Repristination. Das gleiche Schicksal traf nun die Theologie, die nach ihrem Anschluß an jene Systeme spekulativ genannt wird. Und aus demselben Grunde ist auch ihre Re/naissance zu erwarten, wenn auch nur Ansätze bisher zu beobachten sind. Kompliziert wird nun die ganze theologische Situation durch das Ritschlsche Postulat der Scheidung von Theologie und Metaphysik. Da dieser Grundsatz jede Erörterung über das „Wie" der Bedeutung von Monismus und Dualismus für das Christentum von vornherein durch eine Bestreitung des „Daß" überflüssig macht, so ist hier eine Stellungnahme erforderlich. Merkwürdig ist, daß die Ritschlsche These eine doppelte Begründung zu erfahren pflegt: eine philosophische und eine religiöse. Herrmann formuliert dies geradezu so, daß die Kantsche Philosophie der reformatorischen Tendenz, die Religion frei zu machen von der Metaphysik, erst die Waffe dazu in die Hand gegeben habe. Damit ist deutlich ausgesprochen, daß an die Stelle der metaphysischen eine erkenntnistheoretische Auseinandersetzung zu treten hat. Da nun beides offenbar in ein Abhängigkeitsverhältnis

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zum Welterkennen bringt, so ist die Sache nicht so, daß eine / Verselbständigung der Theologie eingetreten ist, sondern so, daß die Theologie einfach der philosophischen Debatte gefolgt ist und ebenso wie diese sich mit Hilfe des Kantianismus vor dem Materialismus zu retten sucht. Dem wird zunächst dadurch begegnet, daß die Erkenntnistheorie von der Metaphysik isoliert wird. Das ist aber einfach eine Täuschung. Auf ein Vierfaches möge hier hingewiesen sein: 1. Die kantische Philosophie ist nur aus der Metaphysik seiner Zeit verständlich. Nicht nur das Begriffsmaterial stammt aus ihr, sondern auch inhaltlich sind die gemeinsamen Voraussetzungen weitreichend.2 2. Die kantische Philosophie hat gezeigt, daß sie in eminenter Weise fähig ist, Metaphysik zu erzeugen, und zwar in ihren Konsequenzen notwendig dazu führt. 3. Dieser Sachlage trägt die gesamte von Kant abhängige Philosophie, soweit sie sich nicht auf Kantphilologie beschränkt, Rechnung. 4. Die Ritschlsche Theologie hat aus der Kritik der praktischen Vernunft eine Reihe von Positionen übernommen, denen metaphysische Voraussetzungen deutlich zu Grunde liegen. / Damit ist also deutlich gemacht, daß eine faktische Emanzipierung von der Metaphysik durch den Anschluß an die Kantsche Philosophie nicht zu erreichen ist; es ist eine andere Form der Metaphysik, wie auch der nachkantische Idealismus eine ganz andere Form ist als die vorkantische Metaphysik, aber es ist Metaphysik. Ähnlich steht es mit der Motivierung der Ritschlschen These aus spezifisch religiösen Voraussetzungen. Die Reformatoren haben gezeigt, daß die Religion ein rein persönliches Verhalten praktischer Art sei und der Glaube etwas ganz anderes als die Anerkennung von kirchlichen Lehren. Indem der Mensch Metaphysik treibe, suche er jedoch nach naturhaften Kategorien, die Welt zu erklären / und auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit herauszukommen, lauter Begriffe, die im Widerspruch stünden mit der freien persönlichen Stellungnahme zu einer Persönlichkeit. Nun trifft dieser Einwand offenbar diejenige Philosophie nicht, die die Welt nicht nach physischen, sondern nach persönlichen Kategorien erklären will, und die die Entscheidung abhängig macht von der Frage, was für ein Mensch jeder ist, d.h. den nachkantischen Idealismus. Es ist merkwürdig, daß in der Ritschlschen Schule nicht klar unterschieden wurde zwischen der vorkantischen und nachkantischen Metaphysik, da doch letztere in weitgehendster Weise auf gleichem Boden mit ihr steht. 2

[Am Rand: „s. Schlatter".]

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Die Debatte über den Begriff des Werturteils hat gezeigt, daß ein wirklicher Agnostizismus auch in dieser Schule nicht vertreten wird, denn es wurde allgemein zugegeben, daß ein Werturteil ein Seinsurteil notwendig einschließe, nur das Urteil selbst in einem praktischen Verhalten, nicht in einer theoretischen Reflexion seinen Grund habe. So blieben denn auch, sobald eine systematische Darstellung überhaupt ver/sucht wurde, Anleihen an die Metaphysik nicht aus, wie die Stangesche Kritik der Kaftanschen Dogmatik scharf bewiesen hat. Wir halten also die Ritschlsche These betreffs Trennung von Metaphysik und Religion für eine Selbsttäuschung, die durch die Verwechslung von Metaphysik überhaupt mit vorkantischer Metaphysik veranlaßt ist, wie sie dem Neukantianismus überhaupt eigen ist. (Ähnlich siehe Windelband.) Damit ist natürlich über die Ritschlsche Theologie selbst kein Urteil gefällt, im Gegenteil, daß sie sich faktisch dem zeitgemäßen Welterkennen, mithin dem durch Kant irgendwie beeinflußten, geöffnet hat, ist ihre Bedeutung. b) Allgemeines über das Verhältnis von Religion und Philosophie; der Begriff des Absoluten und seine Notwendigkeit in der Theologie Wir sind durch die letzte Debatte zu dem Urteil gekommen, daß das Christentum notwendig mit irgendeiner Metaphysik, momentan] mit der von Kant abhängigen, in Beziehung treten müsse. Das Urteil muß positiv begründet werden. Wir haben die Begriffe Christentum, Religion, Metaphysik bisher promiscue gebraucht, nicht ohne Absicht. Es liegt dem folgender Gedankengang zugrunde: Das Christentum ist eine Religion, die den ganzen Men/schen in Anspruch nimmt. Alle Versuche einseitiger Formulierungen sind fehlgeschlagen. Der Glaube ist ein Überzeugtwerden des Intellekts, ein Überwältigtwerden des Gefühls, eine Tat des Willens. Dem Denken fällt dann weiter die Aufgabe zu, sich über Inhalt, Voraussetzungen und Konsequenzen dieser seiner grundlegenden Bestimmtheit klar zu werden. Diese gnosis en teleiois ist die theologische Aufgabe. Sie ist zuerst von Paulus in umfassender Weise in Angriff genommen, nicht in systematischem Interesse, aber von einheitlichen Voraussetzungen. Das diskursive Denken, auch wenn es nicht im Rahmen eines Systems sich vollzieht, charakterisiert die Theologie; aber auch der mehr intuitive Johannes ist Theologe, ja er hat - das ist meine Überzeugung - durch die Logoskonzeption in grundlegender Weise die Beziehung zur Zeitphilosophie hergestellt. Und auch Paulus argumen-

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tiert mit den wissenschaftlichen Mitteln der Synagoge. Die theologische Aufgabe ist also keine Zunftaufgabe; von der Zunft der Leh/rer hat Jesus M[ath]. 23, vergi. 1. Kor. 2, definitiv befreit; es ist diejenige Seite der religiösen Aufgabe überhaupt, in der der Glaubensinhalt unter dem Gesichtspunkt der Wahrheit Gegenstand der gwoszs wird. Mit Absicht ist jedoch nicht Theologie, sondern Religion gesagt. Die Motive der Weltanschauungen sind eben nur zum Teil theoretische. Und die Bedeutung der monistischen resp. dualistischen Weltanschauung beschränkt sich keineswegs auf die Theorie; es sind ebenso praktische Lebensrichtungen ethischer und ästhetischer Art, die hier in Gegensatz treten, und darum Religion und nicht Theologie. Von Bedeutung werden die genannten Weltanschauungen für die christliche Religion, wenn über gleiche Gegenstände in beiden geurteilt wird, so daß entweder ein bestätigendes resp. ausführendes oder ein entgegengesetztes Urteil über denselben Gegenstand aufgewiesen wird. Der vornehmste Gegenstand ist nun der Gottesbegriff selbst, und zwar ist es speziell der Begriff des Absoluten, der hier die Brücke bildet vom Gott-Herr-und-Vater der Religion und letztem Welterklärungsprinzip der / Philosophie. Über die Berechtigung dieser Übertragung ist gestritten worden. Kähler nennt das Absolute einen Götzen, ähnlich auch Ritschi. Aber der Ritschlianer Kaftan führt den Begriff mit Betonung wieder ein; er ist in der Tat unentbehrlich: Gott die letzte Ursache, der letzte Grund, das letzte Ziel der gesamten Wirklichkeit, das ist offenbar ebenso eine religiöse wie eine metaphysische Aussage. Die Möglichkeit von Gegensätzen bei der näheren Fassung ist damit gegeben, besonders wenn das Verhältnis zur Welt dabei ins Auge gefaßt wird. Der Freiheitsgedanke ist die Voraussetzung für jedes ethische und wirklich religiöse Verhalten. Der Materialismus bestreitet die Tatsache. Ähnliches beim Sündenbegriff, in der Christologie, Soteriologie, besonders Eschatologie. Es genügt da nicht, sich kurzerhand auf den eignen Standpunkt zu berufen, der seine Gewißheit in sich trage; geschlagen ist der Gegner erst, wenn er es auf eignem Boden und mit eignen Waffen ist. Und das Christentum zerteilt den Menschen nicht in einen heidnischen Kopf und ein christliches Herz. Gewiß wird jeder einzelne und manche Zeit insbesondere derartige Spannungen durch/zumachen haben, und es ist dann an der Zeit, die Glaubensgewißheit in der Form des Gegensatzes zu behaupten; aber auf die Dauer ist dieser Zustand unmöglich; er zerreißt den Menschen und er zerreißt eine ganze Zeit. Und daß

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eine derartige Gebrochenheit zum Teil unserer Zeit eignet, ist eine Folge dieser dauernden Gegensätzlichkeit von „Glauben und Wissen". Die Ritschlsche Theologie ist der Ausdruck dieses Zustandes; jetzt ist es an der Zeit, ihn zu überwinden, wenn der Bruch nicht definitiv werden soll. Der Monismus in seinen drei Hauptformen als Materialismus, als Parallelismus und als Idealismus kommt uns von seiten des Welterkennens entgegen; daneben allerlei dualistische Bestrebungen. Die theologische Kritik im positiven - und das ist zu betonen - aber auch im negativen Sinne hat Stellung zu nehmen. Es ist nicht möglich, über den Monismus und Dualismus zu schreiben, ohne eine Erklärung gegeben zu haben, was darunter/ verstanden werden soll. Der Materialismus hat den Namen Monismus usurpiert, um sich ein ungefährliches Ansehen zu geben. Portig gebraucht ihn für die gesamte Philosophie bis auf ihn. Külpe trennt ihn vom Singularismus als der Frage nach der Zahl der Prinzipien, stellt ihn gemeinsam mit dem Dualismus zwischen Spiritualismus und Materialismus und identifiziert ihn wesentlich mit Parallelismus. Auch das ist jedoch dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zuwider und zu eng. Dem Sinne nach bedeutet es zunächst jede Philosophie, die ein letztes Prinzip anzunehmen geeignet ist. Umfassender ist der Gebrauch des Gegenteils: Man spricht ohne weiteres von einem ethischen (Askese), erkenntnistheoretischen (Kant), religiösen (Manichäismus) und metaphysischen Dualismus. Demgegenüber beschränkt sich der Gebrauch des Wortes Monismus auf die Metaphysik, und es ist kein Anlaß, eine Erweiterung vorzunehmen, / zumal da Zusammenstellungen wie monistische Ethik oder Erkenntnistheorie doch nicht einen klaren Gegensatz ergeben würden. Monistische Ethik z.B. würde eine aus dem metaphysischen Monismus (gewöhnlich materialistischer Art) folgende Ethik bedeuten, etwa: Ethik ohne Sündenbegriff oder dergl.3 Als wirklichen Gegensatz zu dualistischer Ethik spricht [man] von einheitlicher, ähnlich in der Erkenntnistheorie. Der Gegensatz zu religiösem Dualismus ist Monotheismus, denn beide liegen innerhalb des Theismus. Der sog. ästhetische Monismus im Sinne Goethes kommt nur als Motiv in Betracht, wie auch ethische Motive hereinspielen, da er eine selbständige Theorie nicht darstellt, sondern sich einfach an Spinoza anschließt. Es bleibt also der Gegensatz innerhalb der Metaphysik, wo er immerhin noch genug Spielarten läßt. 3

[Am Rand: „Aphorismen".] 32

Es ist noch die spezifisch religionsphilosophische Seite der Metaphysik einer Betrachtung zu unterziehen. Demokrit konnte bekanntlich seinen Materialismus mit dem Götterglauben vereinigen; es ist dies solange / möglich, als der Begriff des Absoluten noch nicht eingeführt ist für die Gotteserkenntnis. Denn wenn Gott nur ein besonders bedeutender Teil der allgemeinen Weltsubstanz ist, so ist gleichgültig, wie diese Substanz naturwissenschaftlich aufgefaßt wird. D a s ist aber im Christentum unmöglich. Es ist historisch denkwürdig, daß die griechische Philosophie bis hin zum Neuplatonismus mit ganz geringen Ausnahmen einen Ort für den Polytheismus der Volksreligion fand, daß dagegen die Philosophie der christlichen Zeit entweder den christlichen Gottesgedanken bekämpfte oder mit ihrem obersten metaphysischen Prinzip identifizieren mußte. Damit ist gezeigt, daß ein besonderes Eingehen auf den Gegensatz Pan(en)theismus - Theismus - Deismus nur nebenbei nötig ist, da die Entscheidungen in der eigentlich metaphysischen Debatte fallen und die Übertragungen dann sofort notwendig werden. In der metaphysischen Debatte nimmt der Gegensatz eine dreifache Form an und zwar in der geschichtlichen Ent/wicklung des Griechentums wie der Moderne. Die erste Form ist die naiv-realistische der Vorsokratiker im Griechentum; ihr entsprechend die dogmatistische der Vorkantianer. Alle möglichen Antworten werden hier in klarer Form gegeben: Materialismus (Demokrit - franz. Aufklärung), Spiritualismus (Eleaten - Leibniz), Parallelismus (Spinoza), Dualismus (Anaxagoras - Descartes). Demgegenüber tritt die subjektivistische Skepsis auf in Griechenland in den Sophisten, denen der englische Empirismus entspricht. Daraus wird die erkenntnistheoretische Fragestellung geboren, die Sokrates dort, Kant hier vertritt. Zur Sicherstellung der objektiven Wahrheit entstehen dann in schneller Aufeinanderfolge die idealistischen Systeme des Seins: Plato - Fichte, Schelling, und des Werdens: Aristoteles - Hegel. Dieser erkenntnistheoretische Zweck ist so hervorragend, daß er die älteren Fragestellungen zum großen Teil unberücksichtigt läßt. Sie zeigen ihre Kraft dann wieder, sobald diese Höhepunkte überschritten sind, / und es treten allerhand Kombinationen beider Formen des Gegensatzes ein, wie die Stoa und namentlich der Neuplatonismus zeigen. Ein Hinzutreten praktischer Probleme 4 ist für diese Zeit außerdem charakteristisch. Dementsprechend ist die Frage nach dem Verhältnis von Geist und

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[Darüber eingefügt: „(Das Wertproblem - Nietzsche )".]

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Materie, Seele und Leib, wie sie in der Gegenwart von neuem energisch aufgenommen wird, zu beurteilen. Die Synthese derartiger Probleme mit denen der idealistischen Perioden vollzieht sich, und in diese Debatte sucht sich die vorliegende Arbeit hineinzustellen.5 /

ERSTER HAUPTTEIL: GESCHICHTLICHE VORBEREITUNG

Erster Abschnitt: Die Erscheinungsformen des Gegensatzes von Monismus und Dualismus in der Geschichte in kurzem Überblick6 Es war eine gewaltige Errungenschaft, als dem unreflektierten Monismus der ersten griechischen Physiologen gegenüber Anaxagoras den Dualismus mit prinzipieller Klarheit aussprach; zwar hat er im weiteren System für ihn keine Bedeutung mehr; als erstes Bewegungsprinzip ist der nous gedacht und dann wieder fallengelassen; aber die Beobachtung der zwei unterschiedensten Seiten der Wirklichkeit war damit formuliert worden. Bei Plato treten beide Seiten der Wirklichkeit als logisch gleichartig der transzendenten Ideenwelt gegenüber; erst in der Stoa hat der nous eine Stätte gefunden; allerdings in einer widerspruchsvollen Weise. Der monistische Materialismus der Stoa konnte den psychologischen Dualismus nur ertragen, weil die ethischen Motive einen Dualismus verlangten; aber faktisch wurde er zu demjenigen Motiv des stoischen Denkens, der in seinen edelsten Erscheinungen wie Seneka und Mark Aurel eine / dem christlichen Denken zu ähnliche Ausprägung fand. Die Erlösungsbedürftigkeit war philosophisch erkannt und mit ihr die Offenbarungsbedürftigkeit. Zugleich begann in der neupythagoreischen Philosophie in alex[andrinischer] Zeit 7 der Gottesbegriff eine doppelte Entwicklung durchzumachen. Einmal wurde er nach Art der negativen Theologie in die Transzendenz verflüchtigt, andererseits wurde er als geistig seinem Wesen nach erkannt. Beide Motive sind von der 5

Anmerkung: Selbstverständlich ist der oben gezeichnete Parallelismus nicht schematisch lückenlos: Cartesius beginnt formell mit dem Z w e i f e l , also erkenntnistheoretisch, aber die Eile, mit der er ihn überwindet, zeigt, daß sein eigentliches Interesse woanders liegt. - Die voluntaristischen Elemente Fichtes, die in Hegels Antitypos Schopenhauer zum Durchbruch gekommen sind, dürften auf griechischem Boden schwerlich eine Parallele finden. - Doch scheint mir im ganzen die Ähnlichkeit zu überwiegen. /

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[Im Textheft lautet die Überschrift: „Der Gegensatz auf der ersten Stufe und seine Bedeutung für das Christentum. I. Historisches".]

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[Die letzten drei Worte sind irrtümlich vor „Philosophie" eingefügt.]

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christlichen Theologie aufgenommen und zwar das erste besonders von den Apologeten zur Anknüpfung des Logosbegriffs, das zweite von der theologischen Tradition im allgemeinen, in monistischspiritualistischer Fortbildung von den Alexandrinern (Orígenes). Der stoische Materialismus tritt noch einmal bei Tertullian auf, einigermaßen paralysiert jedoch durch die Energie seines monotheistischen und juristisch-persönlichen Denkens. Wie wirksam für den christlichen Gottesgedanken dieser Materialismus wurde, / zeigt die Tatsache, daß Tertullian gerade durch ihn die vorbildlich klaren Formeln über das Verhältnis von Substanz und Personen in Gott fand und auch seine so wichtig gewordenen Gedanken über die Erbsünde hier ihren Grund haben. Freilich, ob diese physischen Kategorien genügen, ist eine andere Frage. Von physischen Kategorien ist auch der origenistische Spiritualismus nicht frei; er denkt den Weltprozeß emanationistisch; dieser neuplatonische spiritualistische Emanationismus ist namentlich infoi [ge] seiner eschatologischen Konsequenzen von der Kirche schließlich ausgestoßen worden. Ein wirklich konsequenter Monismus ist hier nirgends in die Theologie eingedrungen; dazu war das Bewußtsein des ethischen Dualismus zu tief in die Gemüter eingedrungen und die alttestamentliche Religiosität war die stärkere Macht. Zu begrifflicher Formulierung war der religiöse Dualis/mus des Judentums bei Philo gekommen; der Gottesbegriff hatte in der Synagoge, ja im Kanon schon, eine Richtung zu dieser abstrakten Überweltlichkeit genommen. Eine merkwürdige Ausprägung fanden diese verschiedenen Motive in den gnostischen Weltschöpfungsmythen. Nirgends ist der Dualismus zu schärferer Ausprägung gekommen, namentlich in den östlichen Schulen; aber trotzdem war die monistische Tendenz nicht zu unterdrücken; in evolutionistischen und emanationistischen Theogonien kam sie zum Ausdruck. Beides konnte das Christentum nicht tragen: der Gnostizismus wurde ausgeschieden. Mit großer Sicherheit fand sich die Gemeinde durch die hin und her wogenden Philosopheme dieser wirrsten Periode des antiken Denkens hindurch. Nur die allgemeine Voraussetzung des Hellenismus nahm sie mit: die physische Fassung der Trinitätslehre und Christologie. Der Neupla/tonismus und seine Wirkungen auf Augustin und weiterhin gehören einer anderen Stufe an. Das traditionelle Kirchentum erschöpfte sein Interesse in anderen Zusammenhängen. Die unausgesprochene Voraussetzung war in Konsequenz des rein religiösen und kirchlichen Interesses naiv-dualistisch, bewußt dualistisch nur in der Ethik.

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I. Der Gegensatz in der griechischen Philosophie Wir lassen uns zunächst nicht ein auf die Fülle dessen, was als Dualismus oder Monismus bezeichnet wird, um einen Begriff zu gewinnen, mit dem dann an die Geschichte gegangen werden müßte. Die Definition muß in ihrer Schärfe aus der Betrachtung der Geschichte selbst erwachsen; nur im allgemeinen kann gesagt werden: Der Monismus behauptet ein Welterklärungsprinzip, der Dualismus zwei selbständige. Auf welche Seite der Welterklärung das nun zutrifft und wie sich da der Gegensatz spezialisiert, zeigt die Geschichte. Und zwar müssen wir bei den Anfängen der griechischen Philo/sophie beginnen, da ihre sämtlichen Gedanken in irgendeiner Weise in dem großen Gemenge der religiösen Perioden des Hellenismus, in der die christliche Theologie beginnt, wirksam wurden. Die drei ersten Jonier waren naiv-realistische Monisten; eines Widerspruchs zur Volksreligion wurde sich keiner von ihnen bewußt, trotzdem schon Anaximenes den modernen darwinistischen Evolutionismus vorausnahm. Monisten - des Werdens einerseits, des Seins andererseits - waren auch Heraklit und die Eleaten. Aber schon Xenophanes spottet über die Göttermythologie der Dichter: Er behauptet einen pantheistischen Monotheismus, der bei Parmenides zum völligen Akosmismus wird. Die ersten Versuche, die Erfahrung zu erklären, hatten zu der Leugnung des zu Erklärenden geführt. Der Wirklichkeit gerechter wurde der Dualismus, wie er zum ersten Mal von Empedokles angedeutet und dann von Anaxagoras ausgeführt wurde: / der Dualismus von Bewegungsursache und bewegtem Stoff. Nun ist dieser bewegende Stoff zwar selbst wieder etwas Materielles, wird aber nach Analogie des Seelischen vorgestellt als nous und ordnender Weltbildner. Es findet hier also ein Monismus bezüglich des letzten Prinzips, ein Dualismus bezüglich der Erfahrung statt: Ein denkwürdiger Versuch, denn daß später statt materieller Substanz einfach Substanz gesetzt wurde, ist nur ein Fortschritt der Abstraktion, den unser populäres Denken noch jetzt nicht zu machen imstande ist. Wie aus Anaxagoras Demokrit wurde, so aus Descartes Spinoza; dieser Dualismus ist nie weit vom Monismus entfernt; denn hinter beiden Seiten steht die gemeinsame Substanz. Im System des Materialismus war die eine der möglichen Formen zu prinzipieller Klarheit gebracht. Was moderne Philosophen hinzugetan haben, ist höchstens eine Verschlechte/rung. Wir haben uns daher nur mit Demokrit, nicht mit seinen modernen

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Repristinatoren, sei es Holbach, Moleschott, sei es Büchner, sei es Haeckel, auseinanderzusetzen. Demokrit hat gegen den Polytheismus des Heidentums nicht polemisiert; er konnte den Göttern einen Platz anweisen und mit vollem Recht, denn die Identifikation von Gott und Absolutem war noch nicht getan. So ist es im Griechentum geblieben; erst in der christlichen Ära ist eine Stellungnahme für oder wider auch auf diesem Gebiet notwendig geworden. Die griechische Aufklärung zerstörte den naiven Realismus dieser Philosophien. Sokrates bahnte den Idealismus an, Plato vollendete ihn. Damit war die ganze Fragestellung auf eine höhere Stufe gehoben. Die erkenntnistheoretische Fragestellung war hinzugekommen. Aber die Sophisten hatten auch die Ethik kritisiert. Auch hier bahnte Sokrates die Entwicklung an und Plato hob / sie auf ihren Höhepunkt. Die Fragestellung war durch die nach der ethischen Norm erweitert. Der Gegensatz von Ideen- und Erscheinungswelt bedeutet das erste prinzipielle System des Dualismus innerhalb der Philosophie. Seinen erkenntnistheoretischen Ursprung zeigt es schon in der Tatsache, daß die Welt der Ideen keineswegs geistig, sondern lediglich immateriell gedacht ist und als solche der teils materiellen, teils geistigen Wirklichkeit gegenübersteht. Der ethische Dualismus spiegelt sich bedeutsam wider im psychologischen von Leib und Seele und in der Vorstellung] von der Unsterblichkeit der Seele. Diese Form des Dualismus ist die populäre bis auf den heutigen Tag, und dem christlichen Denken hat er die stärksten Motive geliefert. Ein weiteres wichtiges Motiv ist die Überordnung der Idee des Guten oder Gottes über die übrige Ideenwelt. Die Entwicklung, welche von / dort bis zu dem Monotheismus des Geistes führte, ist ebenfalls dem Christentum aufs stärkste entgegengekommen. Und schließlich hat [sie!] der Gegensatz von teleologischer und mechanischer Welterklärung, die Plato beide behauptete, bei Unterordnung der letzteren, der christlichen Apologetik immer anhaften geblieben. So besteht die zweifellose historische Tatsache, daß das erste große System des Dualismus dem christlichen Denken die meisten Begriffe geliefert hat, und es macht sich demgegenüber merkwürdig, wenn in diesen Formen gedacht wird und sie dann als das dem gesunden Menschenverstand Natürliche der philosophischen Spekulation gegenübergestellt werden. Als ob der platonische Dualismus natürlich oder auch nur in der Geschichte der Philosophie primär wäre. Zugleich zeigen sich hier deutlich seine Hauptmotive: der erkenntnistheoretische und der ethische, nicht eigentlich der metaphysische und theologische.

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Der Gegenschlag ist identisch mit / der Geschichte der griechischen Philosophie und endet mit dem System des Monismus, dem Neuplatonismus. Der erste Versuch geht von Aristoteles aus. Das System des Werdens sucht die unveränderliche Ideen- und die veränderliche Erscheinungswelt zu vereinigen. Gelungen ist es nicht; die widerstrebende Materie einerseits, das proton kinoun andererseits beweisen das. In dem ersten Begriff zeigt sich die Reaktion des Wirklichkeitssinns gegen die durchgängige Teleologie; im zweiten die platonische Tradition, das erkenntnistheoretische und ethische Motiv; aber es gewinnt einen neuen Inhalt, indem es als Selbstbewußtsein charakterisiert wird; das ist die zweite wichtige Stufe zum Monotheismus des Geistes. Doch beginnt auch hier schon der Versuch der Überwindung. Die Ideenschau ist das höchste ethische Ziel, das Nachdenken des göttlichen Denkens, der erste Ansatz zur neuplatonischen Mystik. Verloren geht dagegen die individuelle / Unsterblichkeit. Nur das Geistig-Vernünftige, Überindividuelle, die Entelechie des Menschen ist ewig. Aristoteles hat der mystischen Strömung in der Kirchengeschichte damit die entscheidenden Motive gegeben wie Plato der populären und der offiziellen Kirche. Charakteristischerweise bleibt auf dieser erkenntnistheoretischen Stufe der Monismus immer nur ein telos. Und das ist verständlich, wenn man bedenkt, daß es sich hier um das Verhältnis von Gott und Mensch in erster Linie handelt und die Welt im übrigen nach persönlichen Kategorien gedeutet wird. Die Sehnsucht der Materie nach Gott ist eine Analogie des religiösen Verhaltens. Den dritten Schritt zur Überwindung des Dualismus tun die Peripatetiker, Straton einerseits, die Stoa andererseits. Der erste leugnet die Selbständigkeit des proton kinoun sowohl als der Materie. Die Behauptung der Notwendigkeit ihres Beieinanderseins begründet einen Monismus, der am besten aus vorsokratischen Tra-/ditionen verstanden wird. Deutlich wird das in der Stoa, die sich bewußt an Heraklit (Logoslehre) und Demokrit (Naturnotwendigkeit) anschloß. Wir finden hier ein Zusammentreffen der Motive aus der vorsokratischen Stufe mit der erkenntnistheoretischen; die Vorsokratiker waren sämtlich Materialisten gewesen. Die Stoiker und die Epikuräer sind es auch und zwar in der Form, die Anaxagoras angebahnt hatte. Das Problem war seitdem nicht fortgebildet worden, und die Stoa übernimmt es einfach: Der erscheinende Logos zerteilt sich in den feinen Stoff des pneuma, eine Fortbildung des nous, und den groben materiellen Stoff. So findet an diesem Punkte

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derselbe Zwiespalt von dualistischer und monistischer Tendenz statt wie bei Anaxagoras, aber der platonische Dualismus ist nahezu überwunden. Der logos, das vernünftige teleologische Weltprinzip, ist identisch mit der heimarmene der demokritischen Naturnotwendigkeit. Der aristotelische Monotheismus ist mit seinen erkenntnistheoretischen Motiven verschwunden. Einen Riß bringt nur der ethische Dualismus. Hier findet eine der beachtenswertesten Entwicklungen statt. Der ethische Dualismus war nicht nur stark genug, den Zusammenhang des Demokritismus zu zerreißen, sondern hat im weiteren Verlauf Erscheinungen wie Mark Aurel, Seneka, Epiktet hervorgebracht, die dem Christentum bekanntlich aufs nächste stehen. Der Dualismus hat sein Hauptinteresse in der Ethik, im Begriff der Willensfreiheit. Selbst Epikur hat sich dem nicht entziehen können; im Gegenteil, seine Schule, die des ästhetischen, aufgeklärten, atheistischen Genußmenschen, hat den Begriff des Indeterminismus metaphysisch gebildet und damit auch ihrerseits den Demokritismus zerrissen. Im Epikurismus ist der Begriff der metaphysischen Willensfreiheit zur Begründung einer atomistischen Herrenmenschenmoral gebraucht, und damit das Extrem / des Dualismus an diesem Punkt und aus diesem Motiv gezogen. Ein völliger Umschwung tritt durch das Eintreten der religiösen Probleme ein. Die Voraussetzungen dafür waren gegeben. Der stoische Gegensatz von pneuma und sarx im Menschen wurde, aus ethischen Motiven entsprungen, immer prinzipieller und metaphysischer. Der geistige Monotheismus des Aristoteles wirkte fort. Aber die Entscheidung brachte ein Doppeltes: Erstens die aus dem religiösen Denken der Juden stammende Transzendenz Gottes, die in Philo ihren philosophischen Ausdruck fand; er formuliert den religiösen Dualismus mit prinzipieller Klarheit und begründet damit die Notwendigkeit der Offenbarung. Zweitens vollzieht sich aus den neupytagoräischen Mysterien und ihrer Verbindung mit der platonischen Ideenlehre die Identifizierung von Geistigem und Immateriellem. Hier beginnt die Überwindung der materialistischen Traditionen der Vorsokratiker zu einem Monismus des Geistes. / An beide Formen lehnte sich das Christentum an: an den religiösen Dualismus des Philo in den Apologeten, an den geistigen Monotheismus des Aristoteles die sonstige Theologie, namentlich Orígenes. Aber das metaphysische Denken fand in dem Dualismus keine Ruhe. Die Transzendenz und Immanenz Gottes wird bei Philo durch den Logosbegriff vermittelt, im Neuplatonismus durch das System des Emanatio-

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nismus. Und Orígenes wird der Führer des alexandrinischen Spiritualismus in der Theologie. Aber der ethische und religiöse [Dualismus] blieb bestehen. Er ist zu überwinden durch Askese und Mystik. Er bleibt letztlich ein telos wie bei Aristoteles. Offenbar werden diese Verhältnisse durch ihre extrem-phantastischen Formulierungen in den gnostischen Systemen. Der Dualismus ist immer religiös-ethisch. Metaphysisch versuchten die Größten der Gnostiker evolutionistische emanatistische, jedenfalls aber monistische Theogonien zu beschreiben. Die Kirche hat all diese Bildungen abgestoßen. Die griechische Philosophie zeigt / demg[emäß] folgende Verhältnisse: I. Ausgang und Ziel der Gedankenbildung ist der metaphysische Monismus: erst der materialistische, in der Stoa der mehr parallelistische, im Neuplatonismus der spiritualistische. II. Der Dualismus tritt ein: 1. durch diesen Übergang vom materialistischen in spiritualistischen Monismus; 2. aus erkenntnistheoretischen, ethischen und religiösen Motiven. Er wird überwunden 1. durch die in I. gezeigte Entwicklung, und der erkenntnistheoretische [Dualismus] durch die aristotelische Ideenschau, 2. der religiöse durch die Mystik, 3. der ethische durch die Askese. III. Der Gottesgedanke entwikkelt sich dualistisch einerseits zum geistigen Monotheismus, andrerseits zur Transzendenz. Die Überwindung dieses Dualismus geschieht einerseits durch die Spiritualisierung der Welt, andrerseits durch Emanationismus. / II. Die Einwirkungen auf die Alte Kirche Ehe die Frage, was davon in die kirchliche Tradition übergegangen ist, beantwortet werden kann, muß der Einfluß des Judentums klar sein. Von Philo ist schon gesprochen worden; er gehört in die Geschichte der griechischen Philosophie. Aber das Motiv seines Denkens, das ihn zur Transzendenz Gottes und der Logosvorstellung führte, ist ein speziell jüdisches: die religiöse Unterscheidung Gottes von der Welt. Bekanntlich führte sie schon in der synagogalen Entwicklung zu einer immer stärkeren Betonung der Überweltlichkeit Gottes. Der Schöpfungsgedanke ist zwar eine Brücke, aber da er rein in der Analogie der freien, zeitlich wirkenden Persönlichkeit bleibt, kann er über den Dualismus nicht hinwegbringen. Und darin liegt die weltgeschichtliche Kraft des jüdischen Gottesgedankens, daß er rein nach Analogie menschlich-persönlicher Beziehungen vorgestellt ist, niemals in physischen. / Diese Form des Dualismus ist daher vom

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Gemeindebewußtsein stets als die normale empfunden worden und jede Abweichung als Ketzerei beurteilt; in ihm treten das religiöse und ethische Motiv des Dualismus aufs schärfste hervor. Im Neuen Testament ist eine Entscheidung nirgends zu finden; es geht über die rein religiöse Betrachtung nicht hinaus; aber in dieser Betrachtung sind allerdings verschiedenartige Keime zu erkennen. Zunächst die unzweifelhafte Tatsache, daß das religiöse Verhältnis nach Analogie eines persönlichen unerschütterlich feststeht. Damit ist jeder Monismus ausgeschlossen, der das Verhältnis von Gott und Mensch oder Gott und Welt in physischen Kategorien vor/stellt. Dem entspricht durchaus die dualistisch klingende Sprache, die sich in einer Reihe von Begriffspaaren namentlich ethischer Art darstellt. M a g bei Paulus ein Einfluß stoischer Formulierungen vorliegen, jedenfalls kann ihm ebensowenig wie Johannes gnostischer Dualismus zugesprochen werden. Dieses Extrem hat das N T ebenfalls gemieden. Es sind aber auch Ansätze entgegengesetzter Art wahrzunehmen. Zunächst ist der Weltschöpfungsgedanke, der dann auf Ch[ristus] übertragen wird, eine gewisse Überwindung. Die Notwendigkeit der Schöpfung wird niemals behauptet und also kein ursprünglicher Dualismus. Dann zeigen Worte wie Apg. 17 und 1. Kor. 15, daß die Tendenz, auch einen Wesenszusammenhang zwischen Gott und der Welt aufzuzeigen, nicht fehlte. Endlich liegen Ausdrucksweisen wie: in Gott, in Ch[ristus] sein, / oder: von Gott und Ch[ristus] bewahrt sein, auf der Linie, in der die Mystik fortgeschritten ist. Die Wortvorstellung ist jedenfalls lokal, also physisch; freilich soll sie nur die Intensität der religiösen Gemeinschaft betonen, nicht ein wirklich adäquater Ausdruck sein. (Näheres s. oben.)

III. Die Entwicklung im Mittelalter Die griechische Periode der Theologie ist für unsere Frage wenig ergiebig. Das Problem war das christologische und trinitarische. Die trinitarische Gedankenbildung sichert immer in gewisser Weise vor Monismus bezüglich des Gottesgedankens. Die emanatistischen Tendenzen des Orígenes waren ja ausgeschieden. Von Bedeutung ist auf griechischem Boden nur noch die neuplatonische Mystik des Areopagiten. Sie bildete die Grundlage für die mystische Strömung des Mittelalters, die bekanntlich auch unter den Scholastikern // zu konstatieren ist. Von noch bedeutenderem Einfluß ist Augustin. Er hat

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den Neuplatonismus in der Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Welt nie ausgeschieden. Sein Prädestinationismus ist monistisch. Andererseits vertritt er den klaren ethischen Dualismus, der namentlich in seiner Geschichtsphilosophie in dem Dualismus der beiden Reiche zum Ausdruck kommt. Nicht einmal teleologisch ist dieser Dualismus überwunden; eine apokatastasis-Lehre fehlt. So zieht sich durch das ganze Mittelalter diese doppelte Linie: der Neuplatonismus mit seinen monistisch-pantheistischen Zügen namentlich in der Mystik; der ethisch religiöse und erkenntnistheoretische, vor allem auch psychologische Dualismus in der Scholastik. Aber hier ist auch die Tradition nicht einheitlich: der platonischaristotelische Realismus, der in Skotus Eriugena zum ersten Male zeigte, daß er durch den Begriff des ens realisstmum hindurch zum monistischen Pantheismus führen könne, wie er ja im Neuplatonismus dazu geführt hatte, / einerseits; der Nominalismus, der schließlich zu einem idealistischen Monismus tendierte, andrerseits. Und schließlich ist das Höchste nicht nur in der Mystik, nicht nur in der intellektualistischen Scholastik, sondern sogar bei Duns Skotus als die ewige Anschauung Gottes bestimmt, ein aristotelisches Erbe. Zum Durchbruch kommen diese Tendenzen in der Renaissance. Die Renaissance ist unbedingt monistisch. Sie hat dies nicht nur in der Metaphysik wie Bruno zu metaphysischem Ausdruck gebracht, sie zeigt es namentlich in der Stimmung des universalistischen Optimismus. Die pantheistische Unterströmung wurde weitergetragen durch die deutsche Mystik und ihre Ausläufer auch im Reformationszeitalter. Geschichtslosigkeit ist hier ein charakteristisches Merkmal. /

IV. Die Entwicklung in der Neuzeit Bei Cartesius treffen monistische und dualistische Motive zusammen. Der ethisch-psychologische Dualismus ist auch bei ihm wirksam. Indem er ihn zum metaphysischen Prinzip macht, hat er das System des Dualismus typisch vorgebildet. Aber hinter beidem steht der Begriff der Substanz; und dieser Abstraktion die höhere Realität zuzusprechen gegenüber ihren beiden Erscheinungsformen, ist die Tat des Spinoza. Nur so erklärt es sich, daß das erste durchgebildete System des Dualismus in das charakteristische des Monismus umschlug. Das zweite cartesianische Motiv ist sein von der Mathematik gewonnener Rationalismus; es hat in der weiteren Entwicklung den

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erkenntnistheoretischen Dualismus, der im Mittelalter z.T. bis zur Behauptung der doppelten Wahrheit verstärkt war, zurückgedrängt, freilich dabei seinen Gegensatz, den agnostizistischen Empirismus, hervorgerufen. Aus der Vermittlung beider stammt die Erneuerung dieses Dualismus bei Kant. Seine Vollendung / findet das System des Rationalismus bei Leibniz, der zugleich spiritualistischer Monist ist und die Ansätze des Panlogismus in sich birgt. Zu gleicher Zeit hatten die demokritischen Motive der Aufklärung in Frankreich die erste Erneuerung des Materialismus gezeitigt. Überholt wurden alle diese Entwicklungen durch die des deutschen Idealismus, der eine ähnliche Stellung einnimmt wie der griechische und erkenntnistheoretischen Problemen entspringt und sofort auf die Höhepunkte der Gesamtentwicklung führt. Die Identifizierung des kantischen Dings an sich mit dem subjektiven Prinzip bei dem Zustandekommen der Erscheinung bedeutet den großen Schritt Fichtes, der für alle Folgezeit bestimmend war. Der Monismus des Geistes ist damit formuliert und zwar, in deutlichem Unterschiede von Ähnlichem im Hellenismus, in persönlichen, nicht mehr in physischen Kategorien. Der empirische Dualismus bleibt dabei bestehen in Begriffen wie das Nicht-Ich bei Fichte, das / Anderssein des Absoluten bei Hegel; aber eine selbständige metaphysische Bedeutung kommt diesem anderen Prinzip nicht zu; sein ganzes Wesen besteht darin, nicht zu sein. Im Hegeischen Panlogismus bricht die rationalistische Voraussetzung dieses Idealismus durch. In Schellings letzter Periode entwickelte sich daraus der metaphysische Irrationalismus, dessen Konsequenzen Schopenhauer zieht. Beider Vereinigung strebt Hartmann an in seinem System des Unbewußten, vielleicht das konsequenteste Werk des Monismus. In die Theologie ist der idealistische Monismus in doppelter Weise gedrungen. In selbständiger Fortbildung bei Schleiermacher, von Hegel abhängig bei der sogenannten spekulativen] Theologie. Schleiermacher verbindet den Spinozismus mit der Kantschen Erkenntnistheorie durch den Begriff des Abhängigkeitsgefühls. Dieses ästhetische Weltgefühl seiner „Reden" ist ein typisches Motiv monistischer Weltbetrachtung. Monistisch können auch die Weltbilder von Herbart und Lotze genannt werden, insofern sie / zwar einen Pluralismus der Realen resp. Wirkungsbeziehungen behaupten, dann aber die Einheitlichkeit der Substanz dieser Realen. Von größerer Wirkung auf die Theologie ist keins der beiden Systeme geworden. Die Lage der Gegenwart zeichnet die Einleitung. Der deutsche Idealismus war monistisch. Das Resultat der griechischen

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Philosophie war monistisch. Die Naturwissenschaft denkt monistisch und die ästhetische Weltanschauung ebenso. Demgegenüber ist es im Grunde nur die ethisch-religiöse Position, die ein Gegengewicht bildet. Wir sind jetzt zu einer eingehenden Definition dessen, was hier als monistisch verstanden werden soll, fähig. /

Zweiter Abschnitt: Begriffsbestimmung

und Einteilung des Stoffes

I. Definition von Monismus und Dualismus Der Gang durch die Geschichte der Philosophie hat gezeigt, daß in dem Monismusproblem eine Fülle der verschiedensten Fragen und Problemgebiete sich durchkreuzen. Es könnte bei dieser Sachlage geboten erscheinen, jedes einzelne Gebiet, in dem der Gegensatz sich findet, auf unsere Fragestellung zu prüfen. Dem steht jedoch folgendes entgegen: Zunächst wendet der Sprachgebrauch das Wort Monismus eigentlich nur für die rein metaphysische Fragestellung an. Dem erkenntnistheoretischen oder ethischen Dualismus steht nicht ein Monismus auf diesen Gebieten gegenüber. Das hängt aber wieder damit zusammen, daß diese Gebiete im Grunde nur als Motive mitwirken und ihre eigentliche Kraft und ihre Konsolidierung in einem metaphysischen System finden. So ist es vorbildlich im System des Plato und Spinoza. Im Gegensatz der Ideen- und Erscheinungswelt dort, in der Einheit der alles umfassenden Substanz hier verschlingen sich sämtliche dualistischen und monistischen Motive zu einer einheit/lichen metaphysischen Konzeption von eindrucksvollster Wirksamkeit. Daneben bestehen Systeme, in denen dualistische Motive in Ethik oder Erkenntnistheorie sich mit einem metaphysischen Monismus vereinigen, der dann mehr teleologisch vorgestellt ist. Für unsere Aufgabe bleibt jedoch die metaphysische Betrachtung die entscheidende, und die übrigen Gebiete kommen teils als Motive teils als Konsequenzen in Betracht. Damit ist das genus gefunden, von dem der Begriff8 des Monismus und Dualismus eine species ist. Der Monismus ist also diejenige metaphysische Betrachtungsweise, die als letzten Erklärungsgrund der Wirklichkeit nur ein selbständi-

[Darüber eine unleserliche Einfügung.]

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ges Prinzip annimmt, sei es, daß er dazu eins der in der Wirklichkeit gegebenen stempelt, sei es, daß er ein der gegebenen Wirklichkeit transzendentes postuliert. Der Dualismus dagegen sucht auch metaphysisch den in der Wirklichkeit beobachteten Gegensatz zweier großer Prinzipien zu hypostasieren. /

II. Die Grundformen des Gegensatzes Wir unterscheiden zwei Hauptstufen des Gegensatzes zwischen Monismus und Dualismus. Die erste ist in der griechischen Philosophie durch den naiven Realismus der Vorsokratiker, in der modernen Philosophie durch den dogmatistischen Rationalismus der Vorkantianer bezeichnet. Er charakterisiert sich dadurch, daß eine kritische Reflexion gegenüber der Möglichkeit metaphysischer Spekulation noch nicht stattgefunden hat. Der Monismus auf dieser Stufe liegt auf der Linie zwischen Materialismus und Spiritualismus. Der Widerspruch dieser beiden extremen Theorien mit der Emp[irie] wird von der einen Seite dadurch vermindert, daß das Psychische als notwendiges Akzidenz des Materiellen, und [von] der andern Seite, daß das Physische als die Außenseite des Psychischen dargestellt wird. Die dritte Form ist endlich die, daß beide Seiten als gleich relativ der einen umfassenden Substanz gegenübergestellt werden. Der Verzicht auf den Begriff dieser Substanz führt / sofort zum Dualismus, der eine Wechselwirkung beider gleich realen und selbständigen Substanzen als Welterklärung behauptet. Das Wesentliche dieser Anschauungen ist, daß sie einen Begriff, der in der erkenntnistheoretischen Reflexion die Stelle eines Objektiven einnimmt, zum Welterklärungsprinzip machen, daher sie Naturerklärung in physischen Kategorien sind und ihre höchste Kategorie die der Naturnotwendigkeit ist. Das Recht dieser Form der Welterklärung bestreitet die erkenntnistheoretische Skepsis der Sophisten in Hellas, der Empiristen in England. Demgegenüber wird von Sokrates und Kant die Realität des Geisteslebens und seiner Kategorien aufrecht erhalten. Das Prinzip der Subjektivität tritt in die Geschichte der Metaphysik, aber zugleich mit dem Anspruch, objektivste Realität zu sein. Ein Begriff des geistigen Lebens wird nun zum metaphysischen Prinzip erhoben: von Sokrates der Begriff. / Damit war der Rationalismus gegeben; er findet seinen metaphysischen Ausdruck in der Idee. Bei Kant (z.T.

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schon bei Augustin) die praktische Vernunft. Es wird zur reinen geistig-sittlichen Aktivität bei Fichte. Diese höhere Form des Gegensatzes charakterisiert sich nun dadurch, daß sie aus erkenntnistheoretischen und ethischen Motiven einen empirischen Dualismus nicht verleugnen kann, ihn aber nicht durch einen Begriff der kategorialen Wirklichkeit wie etwa den der Substanz überwindet, sondern durch einen solchen des geistigen Innenlebens, deshalb nicht aitiologisch, sondern teleologisch wird. So schließt' auch hier der ursprüngliche Dualismus, den Plato scharf formuliert hat, der aber schon innerhalb seines Systems durch die Einführung der Stufenleiter in die Ideenwelt seine Überwindung anbahnt, bei Aristoteles eine weitgehende Verdrängung durch den Monismus erfahren [hat], wenn sich auch die Entwicklung / erst im Neuplatonismus mit Hilfe von Kategorien der ersten Stufe vollendet. Im deutschen Idealismus hat es einer solchen Entwicklung nicht bedurft. Schon Fichte, der sämtliche Prinzipien und Keime dieser Richtung in sich enthält, ist teleologischer Monist. Die mannigfaltigen Kreuzungen, in denen sich die beiden Stufen später vereinigen, haben weniger prinzipielles Interesse. Im Hellenismus ist eine wirkliche Verschmelzung nicht erreicht. Stoa und Neuplatonismus sind doch wesentlich von der ersten Stufe bestimmt. Noch weniger in der modernsten Philosophie. Teils ist es einfache Erneuerung des Spinozismus, teils des Idealismus.

III. Das Zentralproblem Aller Monismus muß konsequenterweise jedes Einzelgeschehen als notwendig aus dem obersten Prinzip ableiten. Nur dann ist es wirklich Erklärungsprinzip. Diese Notwendigkeit ist / entweder eine naturnotwendige; so ist es im ganzen Hellenismus, der über physische Kategorien des Geschehens nie hinweggekommen ist; am klarsten ist es ausgesprochen im Emanationismus. So ist [es] auf der ganzen ersten Stufe des Gegensatzes. Oder die Notwendigkeit ist eine logische: So vor allem bei Leibniz und weniger rationalistisch bei Hegel. Endlich die teleologische Notwendigkeit des Fichteschen Idealismus. Der Dualismus, der zwei selbständige Prinzipien hat, kann eine freie Wechselwirkung behaupten, muß aber konsequenterweise die ursprüngliche Notwendigkeit beider Prinzipien anerkennen. 9

[Gemeint: endet.]

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Die Übertragung des Begriffs vom Verhältnis des Absoluten zur Welt auf den Gottesgedanken führt unmittelbar in unser Problem. Das religiöse Verhältnis steht in Analogie zum freien persönlichen der Menschen untereinander. Die Begriffe der Liebe und des Zornes, der sittlichen Verantwortung und Schuld spielen hier die / entscheidende Rolle. Es fragt sich also, ob die monistische resp. dualistische Auffassung dieses Verhältnis begrifflich verstehen hilft, oder ob sie ein Verständnis verwehren und so schließlich zur Bestreitung der Tatsache führen. Die allgemeine Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Welt zerfällt naturgemäß in die beiden nach dem Verhältnis Gottes zur Natur in weitestem Sinne, und dem Verhältnis Gottes zum persönlichen Leben des Menschen.

ZWEITER HAUPTTEIL: SYSTEMATISCH-GENETISCHE DARSTELLUNG

Erster Abschnitt: Die physisch-ontologische Stufe des Monismus und das religiöse Verständnis des Naturgeschehens. Die dualistische Kritik dieser Stufe10 I. Allgemeines über das begriffliche Verhältnis von göttlichem Geschehen und Naturgeschehen a) Der Schöpfungsgedanke. Die Identität von göttlicher und Weltsubstanz; Psychisches und Physisches Alles gruppiert sich um diese Frage: das Absolute in seinem Verhältnis zum Ursprung, zum Wesensbestand, zum Werden der Welt. Weltschöpfung, Welterhaltung, Weltleitung sind die entsprechenden religiösen Begriffe. Wir betrachten zunächst den christlichen Weltschöpfungsgedanken. Er enthält folgende Momente: 1. die Abhängigkeit der Welt von dem göttlichen / Willen; 2 . die Geschiedenheit Gottes von der Welt. Demgegenüber behauptet der Monismus die 1. Identität der Welt mit der göttlichen Natur und 2. damit ihre Ewigkeit, und der Dualismus die Unabhängigkeit der Welt von

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[Im Textheft lautet die Überschrift: „Die erste Stufe des Gegensatzes oder die physischen Weltanschauungen. I. Gott und W e l t " . ]

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der göttlichen Natur und damit auch ihre Ewigkeit. 11 Nach dieser Darstellung könnte es scheinen, als ob der christliche Schöpfungsgedanke die Mitte einnähme, gegen den Monismus die Unterschiedenheit und gegen den Dualismus die ursprüngliche Einheit (im göttlichen Willen) von Gott und Welt behaupte. D a s ist aber nur Schein, wie eine genaue Betrachtung des Begriffs der Schöpfung aus Nichts zeigt. Hier ist auf die eigentliche Frage überhaupt nicht reflektiert. Denn offenbart [sie!] würde eine streng philosophische Ausdeutung dieser Vorstellung in Widersprüche führen. Die selbständige Realität einer Substanz außer der göttlichen führt wieder zum Dualismus. Die Unselbständig/keit aber behauptet ja gerade, daß die gesamte Wirklichkeit dieser Substanz in der göttlichen Wirklichkeit eingeschlossen ist, ein Teil dieser Wirklichkeit ist. Demgegenüber ist nicht darauf zu rekurrieren, daß eine im göttlichen Wesen gegebene Möglichkeit noch keine von seinem Willen bejahte Wirklichkeit zu sein braucht. Denn dieser Unterschied setzt Zeitkategorien für das überweltliche Wesen Gottes voraus, zu deren Übertragung kein Recht vorhanden ist und wogegen sich das dogmatische Denken mit dem Satz gewehrt hat, daß die Zeit zugleich mit der Welt geschaffen ist. Der christliche Weltschöpfungsgedanke steht also prinzipiell nicht zwischen Monismus und Dualismus, sondern auf Seiten des Monismus gegen den Dualismus. Die Weltsubstanz hat keine metaphysische Realität gegenüber der göttlichen Substanz. 1 2 Sie verhalten sich wie das Absolute zu seinen Erscheinungsweisen. Aber der Weltschöpfungsgedanke ist auch nicht identisch mit dem / monistischen dieser Stufe; denn die göttliche Realität ist nicht identisch mit der Weltrealität. Aber auch nicht mit einem Teil derselben, etwa dem Psychischen; dann würden dieselben Schwierigkeiten des Dualismus bei der Materie entstehen und andererseits wäre die göttliche Unterschiedenheit von der Welt nicht gewahrt. Doch sind hier ein paar Bemerkungen am Platze über das, was hier unter „psychischer Substanz" gefaßt werden soll. Das Psychische beginnt, wo die Empfindungswelt, also ein „Innenleben", beginnt. Bekanntlich sind diese Grenzen so fließend, daß der panpsychistische Monismus daraus seinen stärksten Beweis nehmen " 12

Anm. Die höhere Q u a l i t ä t der göttlichen Natur wird zwar beibehalten, aber die niedere Qualität der Welt hat die metaphysisch gleiche Notwendigkeit. Anm. Substanz ist hier nicht in schulmäßig korrektem Sinn, sondern nur gleich Wesensinhalt oder dergleichen gebraucht.

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kann. Dennoch findet sich in unserem Bewußtsein die klare Unterscheidung. Auf einer höheren Stufe kommt die Vorstellungstätigkeit hinzu. Alles das ist jedenfalls Gegenstand desjenigen Teils der Naturwissenschaft, der Psychologie heißt. Bekanntlich wird auch diejenige erkenntnistheoretische Metaphysik, die diese Welt der Psyche als einzige Realität behauptet, Idealismus genannt. Und der / nachkantische Idealismus hat ja durch die Vermittlung von Kant ein Stück davon in sich; dennoch ist er aufs schärfste davon zu entscheiden. 13 Jeder geistige Vorgang, der Objekt der Psychologie werden kann, ist damit als nicht subjektiv im eigentlichen Sinne charakterisiert. Denn das Wesen des Ichhaften ist freie Aktivität und reine Subjektivität. Der Psychologismus als metaphysische Theorie ist psychischer Materialismus. Einen gewissen Übergang scheint der Rationalismus etwa von Leibniz zu machen. Das liegt daran, daß die logische Nötigung zwingender erscheint als etwa die ethische, dagegen weniger zwingend als die physische. Aber man vergleiche etwa Wundts psychologische Grundlegung der Logik mit der Fichteschen Deduktion der Kategorien, und man wird den Unterschied zwischen Psychologismus und Idealismus auch hier erkennen. Diese ganze Bemerkung hatte den Zweck zu zeigen, daß der Satz von der Geistigkeit Gottes nicht / im Widerspruch steht mit dem Satze, daß Gott auch überpsychisch ist - als Heilsgott. Denn das ist das Ziel unseres ganzen Gedankenganges zu zeigen, daß die Unterscheidung Gottes von der Welt nicht identisch ist mit einer Unterscheidung zweier Substanzen - also nicht dualistisch gedacht werden kann - sondern daß sie identisch ist mit der Unterscheidung zweier Relationen oder Weisen sich darzustellen, in Gott selbst. b) Der Erhaltungsgedanke. Atomistische und psychologistische Welterklärung Das gewonnene Resultat kann ohne weiteres auf den Erhaltungsgedanken angewandt werden. Ist die Weltwirklichkeit ein Teil der Wirklichkeit Gottes selbst, so ist damit ihre Daseinsnotwendigkeit (natürlich im Zusammenhang der Kosmogonie - s. das[elbst]) gegeben, aber auch die unbedingte Abhängigkeit von der göttlichen Realität. Damit ist offenbar kein Akosmismus gegeben, sondern die Realität der Welt aufs stärkste behauptet, aber einer bestimmten 13

[Gemeint: „unterscheiden".]

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Deutung unterworfen. Über die Bedeutung des Gegensatzes von psychologistischer oder atomistischer Naturerklärung ist damit nichts ausge/sagt, kann auch direkt nichts ausgesagt werden. Solange sie darauf verzichten, etwas anderes als Naturerkenntnis sein zu wollen, ist es gleichgültig, welche Form der monistischen Naturerklärung sich behauptet, sobald nur die Einheitlichkeit der gesamten Natur in ihrer göttlichen Realität gesichert ist. Selbst die Behauptung einer psychophysischen Wechselwirkung ist in diesem Sinne monistisch, sobald sie nur besagen will, daß innerhalb der verschiedenartigen, in Wechselwirkung stehenden Qualitäten der Natur diese beiden besonders verschiedenartig und umfassend gegensätzlich sind - und solange sie nicht behauptet, daß wir es hier mit zwei grundlegenden metaphysischen Realitäten zu tun haben. 1 4 /

II. Die religiösen Konsequenzen aus der monistischen Fassung und die dualistische Kritik a) Das religiöse Verhalten des Menschen in seiner Verflochtenheit in den Naturlauf 1 5 1. Begriff der göttlichen Weltregierung Die Naturwissenschaft und exakte Psychologie hat immer durchschlagender gezeigt, in wie vollständiger Weise der Mensch ein Naturwesen ist, eingeschlossen in die Entwicklung, das Werden und Vergehen, die Gesetze des natürlichen / Geschehens. Die religiöse Betrachtung postuliert eine Leitung dieses Naturgeschehens, namentlich so weit es den Menschen betrifft, durch Gott im Rahmen des Heilsplans. Die orthodoxe Dogmatik hatte für diese Verhältnisse den Begriff des concursus eingeführt; er soll die Mitwirkung Gottes bei allem Geschehen ausdrücken und doch die Selbständigkeit der secundae causae behaupten. Der Gedanke ist echt dualistisch. Aber eben darum genügt er nicht. Ein selbständiges Geschehen der Natur

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Anm. Allerdings wird die Erörterung des zweiten Teils zeigen, daß im Interesse einer einheitlichen Weltanschauung die mehr spiritualistischen Fassungen den Vorzug verdienen; doch ist eine Entscheidung darüber hier weder möglich noch nötig. /

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[Im Textheft lautet die am Rand eingefügte Überschrift: „I. Der Mensch in seiner Verstricktheit in den Naturlauf und G o t t " . ]

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verträgt keine andere Wirksamkeit Gottes als eine eingreifende, d.h. die Selbständigkeit aufhebende. Aber das Postulat ist auch nicht notwendig für die religiöse Gewißheit, die es verständlich machen soll. Es handelt sich um die Fähigkeit Gottes, die Welt zum Heil der Gläubigen zu leiten. Das ist die Gewißheit des Bittgebets Jesu in der 4ten Bitte. Wir schließen die Betrachtung absichtlich an das Gebetsleben an, weil es die zentrale religiöse Betätigung ist und jede Theologie ihr Kriterium daran / hat, ob sie das Gebet in seinen verschiedenen Beziehungen verständlich macht oder nicht. Auch die späteren Erörterungen werden nach Möglichkeit davon ausgehen.

2. Übel, monistische Theodizee und dualistische Kritik Die Bitte um Abwendung des physischen Übels und Zuwendung des physischen Glücks ist es also, von der auszugehen ist. Betrachten wir zunächst die Voraussetzung der Bitte. Sie bildet denjenigen Teil des Theodizeeproblems, der die Vereinbarkeit des Übels in der Natur mit ihrem göttlichen Ursprung zu erklären sucht. Die Voraussetzung dieses Problems wiederum ist die Meinung, daß die physische Selbstvollendung, d.h. das Glück des individuellen Organismus, das göttlich Normale ist. Die gewöhnliche Dogmatik pflegt das Problem mit der Behauptung zu lösen, daß das Übel als Folge des Sündenfalls in die Welt gekommen ist. Damit ist gegeben, daß der gegenwärtige Bestand der Natur nicht etwa bloß in Zufälligkeiten, sondern in seinem tiefsten Wesen unnormal ist; denn er ist eben auf das Leiden und Vergehen der Individuen angelegt. Um diesen / Gedanken, der einen grundlegenden, in allen ethischen und religiösen Betätigungen von den schwersten Konsequenzen begleiteten Dualismus behauptet, zu überwinden, hat Leibniz den Begriff des Unvollkommenen mit dem der Endlichkeit gleichgesetzt. Aber die Vollkommenheit des Unendlichen ist eine Behauptung, die im Griechentum z.B. noch aufs schärfste bestritten wäre und die jedenfalls nicht zu beweisen ist. Leibniz brachte auch nur eine reale Zeitstimmung in eine problematische Formulierung. Die Unmöglichkeit, einen ätiologischen Optimismus zu begründen, führte den Pessimismus als Rückschlag herbei. Beides sind monistische Betrachtungsweisen und ihrer Einseitigkeit gegenüber leistet der oben angedeutete Dualismus allerdings die Aufgabe, den Übergang zu einem teleologischen Monismus zu bilden. Das Übel hat die Aufgabe, die physische Wirklichkeit als eine abgeleitete verstehen zu lehren. Denn wenn es die wahre Wirk-

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lichkeit wäre, so würde das Nichtsein ihr wesentlich sein, und der Pessi/mismus wäre am Platze. Es ist damit ausgesagt, daß das rein physische Individuum eine absolute Realität nicht hat, daß die göttliche Realität in der physischen Produktion nicht aufgeht, aber es ist nicht damit gesagt, daß die physische Produktion nicht göttlicher Art wäre. Die in sich notwendige Bestimmtheit der Natur durch das Übel ist also nichts fremd Hineingekommenes, sondern im göttlichen Wesen selbst Begründetes, aber nicht in der Endlichkeit der Natur, sondern in der nur teleologischen Realität der Natur als Mittel des Geistes. 3. Das Bittgebet um äußere Gaben Damit ist auch das relative Recht der Bitte um Glück behauptet, das absolute bestritten. Das Gebet um Bewahrung vor dem physischen Übel hat immer an der teleologischen Bedingtheit des Wertes der Natur seine Grenze. Die Erreichung des telos kann ebensowohl geschehen durch Gabe der in der Natur vorhandenen göttlichen Lebensrealität als durch die Offenbarung ihrer Grenze. Im Gebet stellen [wir] das Urteil darüber Gott anheim. Damit sind wir zum Ausgangspunkt zurück[ge]kehrt, der Frage nämlich, ob das monistische Verhältnis // von Gott und Welt die soteriologisch-teleologische Leitung des Weltlaufs nicht unmöglich machte. Offenbar liegt die Lösung in der eben begründeten teleologischen Bestimmtheit der Natur. Darum ist es aber auch nicht nur ohne Bedenken, sondern in der Tat von höchstem Wert, wenn der faktische, naturwissenschaftlich zu erkennende Lauf der Welt als die Materie des soteriologischen Handelns Gottes erkannt wird. Dem stellt sich nun folgender Gedankengang entgegen: Das Gebet hat gerade darin seine Bedeutung, daß Gott etwas tun soll, was er ohne das Gebet nicht getan hätte. Dies würde natürlich bei der monistischen Identifizierung wegfallen; der Glaube an die nicht nur subjektive Wirkung des Gebets würde dadurch zerstört. Aber dieser Gedanke geht von einer indeterministischen Fassung des Geisteslebens aus, die selbst ein Vorherwissen Gottes ausschließen würde; statt dessen muß der Gedanke so gefaßt werden, daß jedes ernstliche Gebet allerdings eine Realität in dem individuellen und universalen Geistes/leben ist, zu dem sich das Naturgeschehen teleologisch verhält, und daß darum der Naturlauf in seinem speziellen Sosein mitbestimmt ist durch die Realität des Gebets.

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4. Das Wunder Über das Verhältnis der Wunderfrage zu unserm Problem ist nur soviel zu sagen, daß der Gedanke, durch das Wunder vollzöge Gott mittelst Aufhebung des gewöhnlichen selbständigen Naturgeschehens an irgendeinem Punkte ein direktes Naturwirken, rundweg abgewiesen werden muß. Ob dagegen innerhalb des göttlichen Naturgeschehens Ereignisse besonderer Art geschehen, ist ein Problem, das in voller Kraft bestehen bleibt und für dessen Lösung unsere Ausführung keinen Beitrag liefert. Die physische Gebundenheit des Menschen an den Naturlauf an 16 Gebundenheit an göttliches Geschehen infolge der teleologischen Bestimmtheit der Natur war das Resultat dieses Abschnittes. Es führt zu der Frage nach der Bedeutung des persönlichen Verhaltens des Menschen zum Naturlauf, der /als göttliches Geschehen aufgefaßt ist. b) Das religiöse Verhalten des Menschen in seiner persönlichen Stellung zu dem Naturlauf 17 Es entsteht jetzt die Aufgabe, die so allgemein gefundenen Sätze in den einzelnen Formen der religiösen Betätigung durchzuführen. Das Problem zerfällt in folgende drei: 1. das Welterkennen als Gotterkennen; 2. das Weltgefühl als Gottesgefühl; 3. die handelnde und genießende Weltbejahung als Gottesbejahung. 1. Das Welterkennen als Gotteserkennen und die dualistische Kritik Unsere Frage ist nicht etwa identisch mit der nach der natürlichen Gotteserkenntnis. Um aus der Natur einen geistig-persönlichen Gott zu ersehen, ist die innere Anerkennung und Erfahrung einer solchen Realität nötig. Sondern es handelt sich um die religiöse Wertung des Naturerkennens als solches. Es ist dies ja eins der ernstesten Probleme in einer Zeit, wo die Naturwissenschaft das Schibboleth des Unglaubens ist, und der Gegenstoß nur in der schwächlichen Weise der alt-apologetischen Lückenbüßertheorie geschieht: Dies und das ist noch nicht naturwissenschaftlich bewiesen, also kann hier für

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[Gemeint: „als".]

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[Im Textheft lautet die am Rand eingefügte Überschrift: „II. Der Mensch in seiner Überwindung des Naturlaufs und Gott".]

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Gott noch eine Stelle sein. Daß diese Schwächlichkeiten, die außerdem naturgemäß ein Rückzugsgefecht / sind, das Ansehen des christlichen Gottesgedankens nicht vermehren, ist nur zu klar. Viel wertvoller ist da schon der neuerdings von Portig vertretene konsequente Dualismus, der Gott in dauernde, notwendige Wechselwirkung mit der Welt bringt; aber er wird von den Schwierigkeiten des Dualismus gedrückt, der oben abgewiesen ist. Viel eindrucksvoller und der Absolutheit des christlichen Gottesgedankens ebenso wie dem Zeitbewußtsein [entsprechend] ist der Gedanke, daß Naturerkenntnis, rein wissenschaftliche natürlich, nicht irgendwie für Gottesbeweise zurecht gestutzte, identisch ist mit Gotteserkenntnis. Es war abgewiesen, diesen Gedankengang mit dem sich nur [auf] die natürliche Gotteserkenntnis der Heiden [beziehenden] zu verwechseln. Was daran jedoch richtig ist, liegt in der Möglichkeit, von der Einzelfassung weiter zu einem Gesamtbild zu kommen, zu einer einheitlichen Naturanschauung. Bekanntlich wird das gegenwärtig erschwert durch das infolge der spezialisierten Einzelfassung sich / immer breiter machende unfreie Banausentum. Gerade die Gedanken, die in der Natur ein göttliches Gesamtleben anzuschauen vermögen, sind geeignet, das zu überwinden; und es ist ein schwerer Fehler, wenn sich das Christentum dagegen verschließt, anstatt auch diese Wahrheit sich Untertan zu machen. Nun treten aber demgegenüber dualistische Tendenzen hervor, in der Philosophie zunächst in erkenntnistheoretischer Form. Die platonische Idee ist der vollendete Ausdruck für diese Abwendung vom zweifelhaft gewordenen Naturerkennen zu dem Reiche der höheren Wahrheit. Aristoteles setzt dann anstelle des kausalen Erkennens des Demokrit das teleologische und formuliert so klassisch den Unterschied beider Weltanschauungen. Denn wo Teleologie ist, muß ein telos sein. Da dies nicht wieder aus der Natur entnommen werden kann, muß es aus dem Geistesleben entnommen sein. Das ist die idealistische Deutung der Wirklichkeit. Sie führt durch einen Dualismus hindurch und endigt im Monismus des Geistes. Ganz parallel ist / dann die Entwicklung in theologischer Beziehung. Der Zerfall mit dem Naturerkennen führt zur Skepsis gegenüber der göttlichen All-Einheit der Natur. Die wahre Göttlichkeit wird dann der transzendenten Welt zugesprochen, und so tritt der Dualismus ein; seine Überwindung findet erst auf der zweiten Stufe statt. Dem griechischen Idealismus ist sie nicht gelungen, der deutsche hat sie bereits als Voraussetzung.

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Der monistische Gedanke von der Einheit von Gott und Welt hat für die christliche Erkenntnis den Wert der Eroberung dieses Gebietes durch den Gottesgedanken und einer selbständigen Erkenntnis Gottes. Die Grenzen dieser Betrachtungsweise zeigen sich in dem Hervorbrechen dualistischer Motive als Resultat der Skepsis. Dieser Zwiespalt zeigt aber nur, daß die physische Stufe der monistischen Betrachtungsweise über sich selbst hinausführt.

2 . Das Weltgefühl als Gottesgefühl und die dualistische Kritik. Der Gegenstand der Kunst (erste Stufe) Das Weltgefühl als Gottesgefühl, so könnte man die Periode Schleiermachers und seiner Zeit überschreiben, die durch seine „Reden" bestimmt ist. M i t ursprünglicher Kraft bricht hier / die im Neuplatonismus zum ersten M a l ausgesprochene, in der Renaissancephilosophie klassisch modernisierte, im Spinozismus durch die mathematischen Formeln hindurchleuchtende Stimmung hindurch, in der die ästhetischen Motive des monistischen Pantheismus ihren Ausdruck finden; es war die Zeit Goethes und der beginnenden Romantik. Unsere modern-monistische Bewegung hat hier vielleicht ihre stärkste Kraft. An keinem Punkt ist nun die christliche Gemeinstimmung ablehnender als hier. Der Ästhetizismus ist zu oft an Stelle der Religion gesetzt worden, als daß dies anders als natürlich wäre. Normal ist es darum nicht. Es bringt von vornherein einen R i ß in unser Geistesleben. In den weitesten Kreisen der Gebildeten stehen Religion und Ästhetik einfach nebeneinander. Das war im Neuplatonismus nicht so, der zum ersten Mal eine Theorie der Ästhetik brachte und sie sofort unter religiösen Gesichtspunkt stellte. Das war auch im Alten Testament nicht so, / das durch das großartigste religiöse Naturgefühl gekennzeichnet ist. Eine Vernachlässigung an diesem Punkt rächt sich immer durch einen Zwiespalt im einzelnen und in der Zeit. Nur wenn die Welt in ihrer Schönheit als Gottes Schönheit empfunden wird, ist dieser Zwiespalt überwunden. Der Dualismus kann das offenbar nicht. Denn wenn er auch von einem Walten Gottes in der Natur reden kann, so bleibt doch der Widerstand der selbständig-realen Natur übrig, der nie überwunden werden kann und immer das Gegenteil eines Gottesbeweises bedeutete. Aber der Dualismus kann sich auch hier auf die Beobachtung stützen, daß die Tatsache des Häßlichen, des Unharmonischen eine unbedingte Realität hat. Nach Aristoteles hat die Materie sowohl

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eine Sehnsucht nach der Form, wie auch ein Streben gegen sie. Da sich diese Beobachtung nicht leugnen läßt, erweist sich der Dualismus auch in der Ästhetik als der notwendige Durchgangspunkt für eine höhere Form des Monismus. Es wird dies oft so aus/gedrückt, daß der Schatten notwendig sei, um den Hintergrund für das Licht zu geben. Das ist nicht ganz richtig, sondern es muß so gewendet werden, daß eine Materie da sein muß, die von der Form gebildet werden kann, oder um es Fichtesch auszudrücken, die Tätigkeit des Ich muß an ihrer Grenze zum Bewußtsein kommen. Damit ist das Urteil: die Welt ist schön, verwandelt in das andere: die Welt soll schön sein. Das Häßliche, das der Dualismus metaphysisch zu hypostasieren suchte, hat keine andere Realität als die in unendlicher Tätigkeit zu überwindende Grenze des Schönen zu sein. Mit dieser philosophischen Überwindung ist auch der Ästhetizismus als endgültige Lösung überwunden. Denn das Soll führt auf Normen und Geist. Ein wichtiges Licht fällt von hier aus auf die schwierige Frage nach den Gegenständen der Kunst. Es ist zu begrüßen im Sinne unserer Darstellung, daß die moderne Bewegung die Darstellung sämtlicher Objekte der Natur zur Losung macht, anstatt in dualistischer Weise zwischen darstellbaren und nicht / darstellbaren Objekten prinzipiell zu unterscheiden. Aber das ist allerdings richtig, daß nur ein Objekt dargestellt werden darf, das von der Form beherrscht ist; sonst würde eine rein technische Wiederholung der reinen Materie stattfinden. Insofern hat also der Dualismus recht, daß eine Scheidung stattzufinden hat; aber sie darf nicht prinzipiell gemacht werden, d.h. der Monismus muß teleologisch wiederhergestellt werden, nachdem er ontologisch zerfallen ist.18 3. Das genießende und handelnde Weltbejahen als Gottesbejahung und die dualistische Kritik Die dritte Form des persönlichen Verhaltens des Menschen zur Natur führt uns zu den wichtigen ethischen Problemen der Askese und des Quietismus; Askese in dem weiteren Sinne: Verzicht auf genießende, Quietismus als Verzicht auf handelnde Weltdurchdringung. Die historische Übersicht hat gezeigt, wie stark die Ethik dualistische Ge-

"

[Am Rand: „Wiederholung auf Stufe II".]

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dankengänge wachhielt. Der ethische Dualismus des Plato ist erst in der Reformation überwunden worden, und zwar protestierte das Luthertum namentlich gegen die Askese, die Reformierten gegen den Quietismus. Es fragt sich, ob die hier vertretene monistische Ansicht diesen Protesten die theoretische Grundlage geben kann. Und das dürfte in der Tat der Fall sein. Denn jene ethischen Grundsätze postulieren doch zweifellos, daß in der zu genießenden oder zu beherrschenden Welt an sich nichts Realität hat, was von Gott scheiden könnte; „es ist alles Gottes G a b e " , ist die religiös-plastische For/mulierung. „Es hat keine Realität, als göttliche", kann es philosophisch ausgedrückt werden. Dem scheint zunächst die Beobachtung zu widersprechen. Nirgends tritt der Dualismus mit größerer Sicherheit auf als hier. Und in der Tat, wenn wir durch unsere modernen Großstädte gehen und die immense widergöttliche Wirkung der Verstrickung in die sachliche Kultur, den Luxus und die Technik zu seiner Produktion beobachten, kann sich die Annahme einer selbständigen Macht aufdrängen, die die Kultur nur benutzt, um die Menschen in ihre Gewalt zu bekommen. Das zeigt jedenfalls deutlich, daß auch hier der naive Monismus zwar Ausgangspunkt sein darf, aber nicht fähig ist, Ruhepunkt zu sein. Das weltgenießende und handelnde Weltbejahen soll eine Bejahung Gottes sein. Die Kultur soll von der Liebe angeeignet werden; sonst wird sie zur Unkultur, das Genießen zum Ekel, die Herrschaft zur Knechtschaft. Darum ist auch die genießende / und tätige Naturbejahung nicht ein ethischer Wert, der dauernde Selbständigkeit beanspruchen könnte; denn die Realität der Natur im eigentlichen Sinn ist eine teleologische. Darum muß das Naturgenießen und die darauf gerichtete technische Kultur schließlich in den Dienst des Geisteslebens und seiner Werte, in den Dienst der Liebe treten. Diese Betrachtungsweise ist von immenser Bedeutung für die Ethik. Der naiv-monistische Ausgangspunkt entspricht der ungetrübten Weltfreudigkeit des ungebrochnen Sinnes. Der kritisch dualistische Rückschlag verhindert ein Stehenbleiben auf dieser Stufe. Der teleologische Monismus enthält die Bejahung in geläuterter Form in sich. Dieser Stufengang ist nun nicht etwa bloß methodisch gemeint; er ist von jedem einzelnen und ganzen Zeiten in immer anderen Formen wieder durchzuleben, und die Spannung, die hier beschrieben ist zwischen ontologischem und teleologischem Monismus, bringt Bewegung in die Eintönigkeit einseitiger monistischer Betrachtungsweisen. /

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III. Das Ziel des Naturgeschehens a) Die Vollendung des Individuums (Mikrokosmos) Der christliche Weltschöpfungsgedanke war der Ausgangspunkt gewesen, der christliche Weltvollendungsgedanke muß der Zielpunkt sein. Das Christentum behauptet nicht Weltvernichtung, sondern Weltverklärung: d.h. eine Welt, die frei ist vom Übel und von der Sünde. Uns geht hier das erste an. Wir hatten den Satz aufgestellt, daß das Übel die Grenze der Realität des Physischen bedeute und auf die höhere teleologische Realität der Natur hinweise. Jede teleologische Realität unterscheidet sich nun von der ontologischen wie das SeinSollen vom Sein. Die Natur hat also dann ihre volle Realität, wenn das telos erreicht ist, wenn das Sein-Sollen mit dem Sein identisch ist. Wenn die Natur völlig vom Geiste angeeignet ist, ihre ganze Aufgabe, Mittel der ichhaften Tätigkeit des Geistes zu sein, erfüllt hat, hört sie auf, nur teleologische Realität zu haben. Ehe wir die Konsequenzen dieses Gedankens für den Makrokosmos verfolgen, müssen wir das parallele Problem beim / Mikrokosmos betrachten. Ich nenne diejenige Ansicht psychologischen Dualismus, die das Nebeneinander zweier selbständiger Realitäten (eventuell in einem Dritten vereinigt) in der menschlichen Persönlichkeit behauptet, etwa eine geistige „Seelensubstanz" und eine leibliche Substanz. Erstere wird dann ganz nach Plato unsterblich gedacht; nach der christlichen Lehre erhält sie dann bei der Auferstehung einen neuen Leib. Nun fragt es sich, ob in dem Schema: „Irdischer Leib - Leiblosigkeit (resp. Zwischenleib) - Geistiger Leib" das Mittelglied nicht einfach platonisch-dualistischer Einfluß ist und mit dem christlichen Gedanken nichts zu tun hat. Die religiöse Gewißheit, die der platonischen Formulierung zugrunde liegt, ist nun die allgemein menschliche, daß die Realität des Ich nicht aufgeht in der des physischen Organismus, zu dem es in engster Beziehung steht. Das führt in der zeitlichen Vorstellungsweise zu der dualistischen Vorstellungsweise des unsterblichen und sterblichen Teils des Menschen. Diese Vorstellung hat das Christentum nun prinzipiell durch die Erkenntnis / überwunden, daß der Leib notwendig zu der vollen Persönlichkeit gehört. Aber die zeitliche Vorstellungsweise hat dann wieder das platonische Element hereingebracht, das der populären Redeweise auch unentbehrlich ist. Der physische Monismus an diesem Punkte ist der Standpunkt des Materialismus und Psychologismus; er ist von hoher Bedeutung als Forschungsprinzip und Ausgangspunkt der Betrachtung des Men-

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sehen, nämlich als Naturwesen; und je stärker das betont wird, desto mehr besteht der Zwang, zur Natur eine positive Stellung einzunehmen; und darin besteht seine weite Bedeutung. Aber an keinem Punkte ist auch der Protest des Dualismus von gleicher Schärfe und prinzipieller Bedeutung. Denn die Erfahrung des geistigen Lebens ist eine innere und bedeutet die grundlegende Tat der Selbstsetzung der geistigen Persönlichkeit, von der aus überhaupt erst der Makrokosmos gedeutet werden kann. Darum bleibt aber gerade hier die Aufgabe, den teleologischen Monismus zu erreichen, in voller Kraft. Der Peripatezismus hat da die / aristotelischen Motive zur Vollendung gebracht und die notwendige gegenseitige Bedingtheit von Stoff und Form energisch behauptet. Der moderne Idealismus schreibt die Initiation der Form, d.h. dem Ich, zu nach der Kategorie der teleologischen Dependenz. b) Die Vollendung der Natur (Makrokosmos) Nun darf das Verhältnis nicht rein individuell gefaßt werden; das macht schon die Tatsache unmöglich, daß das Werden und Vergehen des Leibes eigenen naturwissenschaftlich zu beobachtenden Gesetzen folgt. Es kann sich also immer nur um die Abhängigkeit der Gesamtnatur von dem geistigen Gesamt-Telos handeln, ein Gedanke, der die völlige Unbegreiflichkeit des Todes bei individueller Teleologie erklärt. Damit sind wir wieder zum Makrokosmos zurückgekehrt: Der geistige Leib des gesamten Geisteslebens, d.h. die verklärte Natur, und der individuelle Leib des Individuums entsprechen einander. Das ist der monistische Weltverklärungsgedanke des Idealismus. / Über die Bedingungen und die Form des Eintritts dieser Vollendung ist naturgemäß in der Spekulation eine Lehre nicht vorhanden, die der christlichen parallel stünde; denn letztere ist christologisch und führt darum auf eine höhere Stufe der Betrachtungsweise. Hier muß nur als Resultat aufgestellt werden, daß das Telos des teleologischen Monismus bezüglich der Aneignung der Natur durch den Geist die begriffliche Form für den christlichen Naturverklärungsgedanken zu liefern imstande ist. IV. Die definitive Uberwindung des physisch-ontologischen Monismus durch die Tat der Freiheit Damit sind wir am Schluß der Betrachtungsweise auf der ersten physischen Stufe des Gegensatzes. Der leitende Gedanke war der,

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dal? der physische Monismus den Ausgangspunkt zu bilden hat, insofern er fähig ist, die begriffliche Form für das Verhältnis von Gott und Natur und damit auch von Mensch und Natur nach christlicher Betrachtung zu geben im Stande ist; daß der Dualismus derselben Stufe dagegen die Aufgabe hat, das Stehenbleiben auf ihr zu verhindern, / insofern er die Grenzen des ontologisch-physischen Monismus als zu überwindende aufzeigt und damit zum teleologischen Monismus, dem Monismus des Geistes, überführt. Dementsprechend wird nun die Aufgabe entstehen, den teleologischen Monismus, seine Bedeutung und ev[entuell] seine Grenzen für das Verständnis des Verhältnisses von Gott und Geistesleben zu betrachten. Die Dialektik unserer Gedankenführung hat durch sich selbst den Versuch des physischen Monismus, auch die geistigen Kategorien zu erklären, für unmöglich erklärt; es ist darum nicht nötig, näher darauf einzugehen. Der entscheidende Punkt ist die geistige Selbstsetzung der sittlichen Persönlichkeit, die im Christentum als selbstverständlich vorausgesetzt ist und nach der die religiöse Beziehung zu Gott gedeutet ist. Uberall, wo diese Erfahrung fehlt oder durch physische Kategorien, auch psychologische, ihres eigentlichen Inhalts beraubt wird, ist daher ein Verständnis des christlichen Erlebnisses unmöglich. Der konsequente physische Monismus des Spinoza hat die Willensfreiheit für Selbsttäuschung erklärt. / Nun ist das nicht logisch zu widerlegen; auf seinem eignen Gebiet, mit eignen Waffen den physischen Monismus zu schlagen, hat schon Fichte als unmöglich erkannt. Hier kommt es darauf an, „was für ein Mensch einer ist", d.h. auf eine persönliche Tat, eben die der Selbstsetzung, die immer nur erkannt werden kann, insoweit sie geschieht. Wir treten damit aus dem Reich der Notwendigkeit in das der Freiheit.

Zweiter Abschnitt: Die geistig-teleologische Stufe des Monismus und das religiöse Verständnis des geistigen Geschehens. Die dualistische Kritik dieser Stufe und der Ansatz zu ihrer Überwindung Einleitung: Das Telos des idealistischen Monismus und das höchste Gut der Ch[risten] Wissenschaftlich kann nach den Gebieten der äußeren Darstellung der Satz auch so umgeformt werden: aus dem Gebiet der Natur in das der Geschichte. Der Monismus des Geistes das Ziel, der göttliche Geist oder Gott als Geist das Substrat der Weltgeschichte, dieser

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zentrale Gedanke des Monismus der zweiten Stufe muß verstanden und auf seinen Erkenntniswert für die religiöse Erfahrung geprüft werden. Bei einem teleologischen Monismus liegt es in der Sache, mit / der Darstellung des Telos zu beginnen, dessen Bestimmung ja alle andern Gedanken beeinflussen muß. Fichte, den wir der ganzen folgenden Debatte zugrunde legen, unterscheidet zwischen dem Sein und dem Dasein Gottes. Gott ist überall da, wo in der Welt die göttliche Realität an der Überwindung des Nicht-Ich zur Darstellung kommt. Die göttliche Realität selbst ist das Sein Gottes, ganz abgelöst von seiner Darstellung. Danach ist das Ziel des Geschehens die vollkommene Darstellung Gottes in der Welt als Überwindung des Nicht-Ich, die Unbegrenztheit des göttlichen Daseins. Bei Schelling wird daraus die Überwindung der Differenz, bei Hegel die Synthese des Seins und Andersseins Gottes im absoluten Geist. Nun zerlegt sich dies Telos in ein individuelles und universales, entsprechend Mikrokosmos und Makrokosmos. Im persönlichen Leben ist das Ziel die vollkommene Bestimmtheit durch Freiheit und Geist, die Überwindung von allem, was als Unfreiheit, als Nicht-Ich in uns erfahren wird, und ins Universale übertragen, das Einswerden mit dem göttlich-geistigen / Gesamtleben. Und das universale Ziel erhält zum spezifischen Inhalt die Zusammenfassung aller individuellen Wirklichkeiten durch den umfassenden Geisteswert, die Liebe. Dem ganz parallel ist nun im Christentum die doppelte Fassung des höchsten Gutes: als Gotteskindschaft und Reich Gottes. Das Gotteskind ist der Mensch in seiner persönlichen Vollendung als vollkommen bestimmt durch den göttlichen Geist; und das volle Gottesreich ist die Liebesgemeinschaft der Gotteskinder in der verklärten Wirklichkeit. So parallel, ja identisch die Gedanken zunächst erscheinen, so gewichtige Bedenken erheben sich doch sofort. Ist der Gedanke von dem göttlichen Gesamtleben nicht doch letztlich geeignet, die persönliche Selbständigkeit der Menschen und auch Gottes zu zerstören? Ist das Liebesverhältnis eine Aufhebung der Selbstbehauptung und so von einer wirklichen persönlichen Vollendung nicht die Rede? Diese Fragen führen auf die weiteren nach der Art, in der das geschichtliche Werden als göttliches Werden vorgestellt ist. /

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I. Die rein teleologische Stufe und das religiöse Verständnis des geschichtlichen Geschehens A) Die monistische Betrachtungsweise dieser Stufe nach ihrer positiven Seite a) Das rechtliche Geschehen als Übergang vom physischen zum geistigen Geschehen; religiöse Wertung von Inhalt und Durchsetzung des Rechts Die Grundlage für alles geschichtliche Werden ist das Recht. Die Rechtsnotwendigkeit bildet den Übergang von der physischen zur sittlichen [Stufe]. Die Rechtsidee wird in der christlichen Dogmatik als eine göttliche betrachtet und damit der positivistischen Betrachtungsweise widersprochen, die sie aus utilitaristischen Vertragsverhältnissen ableitet. Aber wenn das Recht gewissermaßen nur als Gabe betrachtet wird zur äußeren Ordnung der persönlichen Beziehungen, also lediglich Mittel für höhere Zwecke wird, so verliert es ein Wesentliches an seiner Kraft. Die wird nur dann rein gewahrt, wenn die rechtliche Entwicklung als eine göttliche gedacht wird, d.h. als eine der Formen, in der sich göttliches Sein durchsetzt. Natürlich bleibt die Betrachtungsweise hier teleologisch. Überall, wo wirkliches Recht vorhanden ist, ist göttliche Offenbarung. Der Gedanke erweist sich namentlich fruchtbar im Hinblick auf soziale Bewegungen wie die sozialdemokratische. Wie ist es möglich, daß das / soziale Ideal der Sozialdemokratie für viele ein religiöses wird, das das christliche verdrängt, das sogar fähig ist, ohne Unsterblichkeitshoffnung als Ziel einer vielleicht noch fernen Zukunft Begeisterung des Kampfes zu geben, wenn hier nicht wirklich etwas Religiöses dahinter läge. Es wäre gut, wenn in den christlichen Kreisen das soziale Verständnis tiefer wäre; und das würde erreicht, wenn es viel eindrucksvoller gemacht würde, daß die soziale Sache eine göttliche Sache ist, daß überall, wo das Recht nicht zum Durchbruch kommt, ein Stück der Selbstdarstellung Gottes im Geschichtslauf verhindert ist. Dem entspricht die Energie der Durchsetzung des Rechts. Der Gedanke kann als der Schlüssel des alttestamentlichen Gottesgedankens gelten. Darum war auch das Alte Testament so außerordentlich sozial interessiert. Hegel hat in der absoluten Rechtstheorie dem Gedanken den kraftvollsten Ausdruck gegeben. Das Recht auch als sich durch/setzendes Strafrecht hat seine Motive und Entscheidungen rein in sich selbst, nicht in irgendwelchen pädagogischen oder utilitaristischen Erwägungen. Der Verbrecher hat Recht auf

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Strafe. Das ist ein monistischer Gedanke, denn er befreit das Recht von individueller Willkür und stellt es in den universalen Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens. b) Das geistige Geschehen als göttliche Selbstdarstellung 1. Die geistige Selbsterfassung Die Geschichte als denkende, fühlende und handelnde Selbsterfassung des universalen Geistes; die Geschichte der Welt- und Lebensanschauungen und -gestaltungen, die sich vollzogen hat und vollzieht in Individuen, in Gemeinschaften, in Zeitströmungen, in der Gesamtgeschichte; und das alles als Selbstdarstellung Gottes in Form der Uberwindung des Nicht-Ich: Das ist der Hauptgedanke des idealistischen Monismus. Selbsterfassung gleich Welterfassung gleich Gotteserfassung ist die große Gleich[ung] dieses Monismus. Es wird dem oft von christlicher Seite entgegengehalten, daß die Selbsterfassung zum Inhalt nur die Erfahrung des Unwerts der eignen Persönlichkeit habe, des ungöttlichen / und unsittlichen Wesens in ihr. Das ist jedoch ein MißVerständnis. Denn 1. ist unter Selbsterfahrung im idealistischen Sinn nicht die empirische Tatsächlichkeit der Person zu verstehen, sondern ihre teleologisch-geistige Eigenart, die noch völlig unentwickelt sein kann, die aber als ihr Telos und damit als ihre Eigenart unvergänglich ist. So ist in der demütigsten Erfahrung gerade ein Bewußtsein des Soll enthalten und dieses Bewußtsein ist dann eigentlicher Inhalt der Selbsterfassung. 2. steht in dieser Selbstbesinnung Subjekt und Objekt sich nicht einander gegenüber, sondern die ganze Realität des Objekts besteht darin, Subjekt, d.h. Freiheit zu sein. Die Selbstbesinnung ist also zugleich immer ein Akt der Selbstsetzung. Und jede Selbstsetzung ist eine Sich-Durchsetzung der universalen Weltvernunft an einem Punkte. Insofern dies in Form der Reflexion geschieht, ist es geistige Selbsterkenntnis als Weltanschauung und Lebensanschauung. / Nun ist dieser ganze Gedanke in der christlichen Theologie immer bejaht worden. Uberall, wo von einem logos spermatikos die Rede ist, liegt er zugrunde, ja überall, wo die normative Bedeutung des Gewissens als des Funkens göttlichen Lebens in uns behauptet wird, haben wir diesen Monismus. Er hat seine Kraft darin, daß das Christentum im Besitz der Wahrheit die Möglichkeit dieser Wahrheitserkenntnis bei allen sittlichen Persönlichkeiten voraussetzen muß, bei allen, die aus der Wahrheit sind. Die Offenbarung muß etwas im Menschen finden,

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was sie bejaht. Die Wahrheit ist nichts der Person Äußerliches, autoritativ ihr Gegenüberstehendes, sondern ist ihr eigenstes Wesen. Der Niederschlag dieser geistigen Selbsterkenntnis sind die philosophischen, ethischen usw. Richtungen, die den Zeitgeist ausmachen und sich im einzelnen individuell verschieden darstellen. 2. Die ästhetische Erfassung des geistigen Geschehens. Gegenstand der Kunst (zweite Stufe) Eindrucksvoller noch, weil lebendiger ist die ästhetische / Empfindung und Darstellung dieser geistigen Wirklichkeit. Sie lebt in den Werken unserer größten Künstler und übt von da aus immerwährend eine gewaltige Wirkung. Wir haben hier absichtlich die Ästhetik nach ihrem Objekt geschieden; so weit dies der Naturlauf, die natürlichen Empfindungen usw. sind, gehört sie in die erste Stufe. So weit sie das geschichtliche Werden, d.h. das Ringen der geistigen Werte um ihre Durchsetzung mit dem Individuum und gegen dasselbe zum Objekt hat, so weit gehört sie in unsere Stufe. Es ist nun von gewaltiger Bedeutung für das Christentum, eine volle bejahende Stellung dazu einzunehmen. Und das geschieht, wenn auch die Kunst als eine Form der geistigen Selbstdarstellung des göttlichen Wesens gefaßt wird und das Wesen des Christentums] in den Werken unserer Größten nicht verachtet wird. Es wird Zeit, daß die unselige Zwitterstellung der gebildeten Christen zwischen ihrer Religion und ihrer Bildung aufhört; und / auch die Bildung nur als ein Stück des religiösen Werdens erkannt wird. Wir behandeln auf dieser Stufe noch einmal die Frage nach den Gegenständen der Kunst. Die Antwort ist hier noch klarer: Alles, was unter den Gesichtspunkt göttlichen Geschehens gebracht werden kann, muß Gegenstand der Darstellung werden, damit natürlich auch alles, was Widerstand bedeutet; das ist nicht etwa ein Eingriff der Ethik in die Ästhetik. Sondern die Norm der Ästhetik hat in sich selbst dies Postulat; nur was Sein hat, kann ästhetisch wirken. Alles Sein ist also Gegenstand, aber nur was göttlich ist, hat Sein; alles andre ist Grenze. Und das muß in der Darstellung zum Ausdruck kommen. / Das ist allerdings ein Widerspruch gegen den dunkelsten Pessimismus der Formula Concordiae, wenn sie den natürlichen Menschen für einen truncus und lapis gegenüber dem göttlichen Wirken erklärt, oder gar gegen Flacius, der die Substanz des Menschen in der Erbsünde sieht. Aber diese Formulierungen machen die Erlösung zur Magie. Sie drücken die ganze Fragestellung auf die physische Stufe 64

herab und werden dem ersten Artikel nicht gerecht. W a s daran dennoch berechtigt ist, wird in dem Abschnitt: Widerstand des NichtIch, behandelt werden. Ich muß hier eine vorgreifende Bemerkung machen. Wenn wir in Jesus die Fülle der Gottheit sehen, so ist damit doch nicht gesagt, daß wir sie ohne Vermittlung uns aneignen und verstehen. Und gerade wenn wir in unsern Kunstwerken das Ringen der Menschen und unser eigenes Ringen gefunden haben, wird uns die Hilfe und der Sieg wertvoll, den wir in Jesus finden. Und ebenso ist [es] mit der Wahrheit. Jesus gibt nur auf Fragen Antwort. Eine fragende und suchende Menschheit war es, die im Jahre seines Todes die Welt erfüllte; und weil die Fragen des Menschen so brennend geworden waren, darum wurde die Antwort so begeistert empfangen. Und das muß sich zu aller Zeit wiederholen. Darum muß das Ringen des menschlichen Geistes nach Freiheit als Offenbarung Gottes angesehen werden und erkannt werden, daß jede Darstellung einer N o r m , sei es im Denken, sei es in der Kunst, sei es in der T a t , eine Darstellung / göttlichen Lebens, Gottes selbst ist. 3. Die sittliche Selbstsetzung Die Verwirklichung der Normen ist das Handeln, das Tun der Wahrheit, die Liebe. Der Dualismus zeigt den Zwiespalt zwischen Wollen und Handeln auf und protestiert gegen den sokratischen Intellektualismus, der das Tun als unmittelbare Folge des Erkennens faßt. Wie weit das bei Sokrates zutrifft, ist bekanntlich ein historisches Problem. Den deutschen Idealismus trifft es jedenfalls nicht. Denn das Problem gewinnt sofort ein andres Gesicht, wenn die Erkenntnis selber eine T a t ist; dann ist die sittliche T a t nicht eine Naturnotwendigkeit, wie das dem Intellektualismus mit Recht vorgeworfen wird, sondern eine sittliche Notwendigkeit von Anfang bis zum Ende, nämlich Freiheit. Das entspricht ja ganz dem Verhältnis von Glaube und Liebe im Christentum. Die Gewißheit der Gotteskindschaft hat das Leben als Gotteskind unmittelbar in sich, aber auch nicht naturnotwendig: Wandelt im Geist, da ihr im Geiste seid, muß gesagt werden. Aber doch mit / sittlicher Notwendigkeit. Denn der Satz ließe sich nicht etwa auf die Voraussetzung zurückführen: Ihr habt den Geist, aber ihr wandelt nicht in ihm. Denn die höchste Gabe des Geistes ist die Liebe. W o Liebe ist, ist Gottes Geist, sagt die religiöse Vorstellung. Jeder Akt der Liebe ist eine Selbstdarstellung Gottes, eine Überwindung des Nicht-Ich, ein Schritt des Geistes auf

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dem Wege zu sich selbst; das sagt der Idealismus. Es gibt einen starken Antrieb der Gedanke, daß jede unsittliche Tat eine Verhüllung Gottes, ein Zurückbleiben hinter seinem Ziel ist und jede Liebesübung eine Verwirklichung göttlichen Lebens. Das ist weit mehr als wenn der Dualismus von der Erreichung meines Ziels und der Vollendung meiner Persönlichkeit spricht. Natürlich ist das unbedingte Voraussetzung, aber die Betrachtungsweise ist verschieden und die monistische 1 9 die höhere. 4. Universelles und individuelles Geistesleben. Die individuelle Persönlichkeit als Form der Selbstdarstellung Gottes. D a s Freiheitsproblem Das Letztgesagte führt auf ein Problem, das [sich] ungenannt durch die ganze Erörterung hindurchzog: die Frage nach dem / Verhältnis von individuellem und universellem Geistesleben. Es scheint der M o nismus hier seine pantheistische Tendenz darin zu zeigen, daß er den einzelnen aufgehen läßt in der Gesamtheit, während das Christentum ein Reich frei erschaffener, gottähnlicher Persönlichkeiten will. Es handelt sich um die Bestimmung des Freiheitsbegriffs, der ja nach Fichte einfach mit Geist oder Ich vertauscht werden kann. Wir hatten im ersten Teil die völlige natürliche Eingeschlossenheit des Menschen in das Gesamtnaturgeschehen betont, ohne darum die organische Selbständigkeit des Menschen zu leugnen. Ganz parallel ist es auf geistigem Gebiet. D a s Individuum stellt gewissermaßen einen Organismus dar, in dem die geistigen Werte zur Darstellung kommen. Das hängt mit der teleologischen Bedeutung der Natur zusammen. Weil die Natur die Grundlage, den Stoff und das Mittel der geistigen Betätigung bildet, muß das Geistesleben sich an einem Punkte vollziehen, w o die Natur in völlige tele/ologe 20 Dependenz zum Ich gebracht werden kann, und das geschieht in der psycho-physischen Anlage des Menschen. Das ist [ein] Gedanke, der umgekehrt auf die Notwendigkeit der Leiblichkeit für den Menschen ein Licht wirft, selbständig aber nun weiter die Bedeutung hat, daß er ein Aufgehen im Unbestimmten verhindert, denn die psycho-physische Anlage des Menschen ist der Träger seiner Individualität. Doch trifft die Individualität allerdings die doppelte Beurteilung der Physis überhaupt, daß

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[Das folgende Wort ist unleserlich.]

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[Gemeint: „teleologische".]

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sie als Mittel des Geisteslebens überwunden werden muß, insofern sie Schranke ist, angeeignet und verklärt werden muß, insofern sie Stoff ist. Das gibt wertvolle Gesichtspunkte für die Beurteilung der christlichen Individualität, insofern die Normen des Wahren, Guten und Schönen unbedingt, objektiv, d.h. ichhaft sind. Überwindung des Individuellen, ja das ist das ethische Ziel des Lebens geworden; insofern die Normen ihren Stoff in der Mannigfaltigkeit der natürlichen wie geschichtlichen Bedingtheit finden, ist die Verklärung und damit die höchste Bejahung des Individuellen das Ziel. / Doch bleibt noch die Frage nach der individuellen Freiheit bestehen. Für den Idealismus ist die Willensfreiheit insofern kein Problem, als sie die primäre sittliche Tat ist, in der das Ich sich selbst fort und fort bejaht. Damit ist sie aber dem kategorialen Denken, das sich auf das Physische bezieht, enthoben und kann weder von dem psychologischen Determinismus noch Indeterminismus gefaßt werden. Die Freiheit kann weder naturnotwendig noch naturzufällig aufgefaßt werden. Sie liegt, wenn man sich so ausdrücken will, zwischen beiden, und es kommt auf die jeweilige Beziehung an, welche von beiden Seiten betont wird. Nun ist es berechtigt, im Blick auf das Individuum die Zufälligkeit, im Blick auf das Ganze die Notwendigkeit zu betonen. Kein Akt ichhafter Tätigkeit ist ohne Zusammenhang und teleologisch als notwendig zu begreifender Platz im Gesamtleben; und doch ist es unmöglich, diese Notwendigkeit ätiologisch zu verstehen, d.h. naturnotwendig. In dieser Doppelseitigkeit liegt das Recht der Prädesti/nationsgedanken, aber auch ihrer Bestreitung. Die Unverständlichkeit des sittlich-religiösen Vorgangs ohne den Zusammenhang mit dem göttlichen Willen ist das Motiv für das erste, das Bewußtsein der sittlichen Verantwortlichkeit für das zweite. Der idealistische Monismus kann beiden die Formeln liefern, aber auch beide vor Extremen behüten.

B) Die dualistische Kritik. Die negative Seite der monistischen Betrachtungsweise, ihr Recht und ihre Grenze a) Der Widerstand des Nicht-Ich oder die Sünde 1. Das Wesen der Sünde, ihre individuelle Unverständlichkeit und universale Notwendigkeit Das Problem der Sünde wäre vom Standpunkt des idealistischen Monismus leicht zu lösen, wenn es ohne weiteres möglich wäre, die

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Sünde als das noch nicht angeeignete Nicht-Ich zu bezeichnen. Das würde aber der Erfahrung nicht gerecht werden; denn in ihr gibt es die Tatsache des bösen Willens. Es ist ein vornehmliches Kriterium des Pantheismus in jeder Form, daß er dieser Erfahrung nicht gerecht zu werden [verjmag. Das Problem hat sich häufig dahin zugespitzt, ob es möglich ist, das Böse als das me on zu verstehen, um so dualistischen Konsequenzen zu entrinnen. Die christliche Dogmatik pflegt die notwendige Möglichkeit der Sünde zu behaupten, ihre not-/wendige Wirklichkeit dagegen zu bestreiten, da dies ihrem Begriffe als freier, verantwortlicher Tat widerspräche. Sie behauptet dann wohl gar die begriffliche Notwendigkeit der Unverständlichkeit der Sünde. Wir haben zunächst davon auszugehen, daß das Verständnis der Sünde doppelter Art sein kann, ätiologischer und teleologischer. Während ersteres der physischen Stufe des Gegensatzes entspricht, findet sich das zweite auf der idealistischen. Die Sünde ist die zu überwindende Schranke des Geistes oder schärfer: der Mangel an überwundenem Nicht-Ich, das Zurückbleiben der geistigen Persönlichkeit hinter ihrem telos. Der Ton ist auf geistige Persönlichkeit zu legen; dann wird klar, daß dies Zurückbleiben nicht nach Analogie eines physischen Vorganges zu denken ist, sondern in der Tat als böser Wille verstanden werden kann. Nur ist dieser Wille nicht logisch auf gleicher Stufe mit dem sittlichen Willen; er ist rein psychologisch und bedeutet die Selbstbehauptung der sarx, d.h. des Menschen als Naturorganismus mit natürlichem Lebenstrieb. Der sittliche Wille dagegen ist die Selbstbejahung II der geistigen Persönlichkeit. So oft diese Selbstbejahung unterbleibt, findet Sünde statt. Wird nun weiter gefragt, warum das geschieht, so ist für den einzelnen Fall jede ätiologische Erklärung ausgeschlossen. Dagegen ist für den Gesamtverlauf des Lebens zu behaupten, daß die Sünde in der teleologischen Notwendigkeit des Nicht-Ich ihren Grund hat. Damit ist ein ähnliches Spannungsverhältnis gegeben wie in der christlichen Lehre von der Erbsünde und Tatsünde. Die eine behauptet die universale Notwendigkeit, die andere die individuelle Freiheit der Sünde. Daß in der Lehre von dem freien Fall Adams keine darüber hinausgehende Erkenntnis gewonnen wird, macht die Notwendigkeit dieser Lehre zweifelhaft. Denn wenn die völlig freie Tatsünde für gewöhnlich doch als aus der Erbsünde entspringend verstanden wird, so / liegt im Sündenbegriff jedenfalls keine Nötigung zu dieser Lehre. Aber auch für die Theodizee macht sie nichts aus; denn dann müßte

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die bei dem erbsündlichen Verderben jedes Menschen von neuem versucht werden. Es liegt also in der christlichen Lehre keine andere Nötigung vor als sie im idealistischen Monismus zum Ausdruck kommt: [daß] die Sünde im einzelnen als frei und verantwortlich, insgesamt als notwendig verstanden wird, als das zu Uberwindende. 2. Sünde und Übel Wir hatten die historisch-mythologische Form der Verknüpfung von Übel und Sünde abgelehnt, ohne damit den Gedanken selbst treffen zu wollen. Zwar seine Form als individuelle Vergeltungslehre ist weder philosophisch noch theologisch brauchbar. Dagegen besteht sein Recht in einer doppelten Erwägung. / Einmal bringt es die teleologische Beziehung des Naturlebens überhaupt mit sich, daß ehe das Telos nicht erreicht ist, die Natur in ihrer Unangeeignetheit durch den Geist, in ihrem Charakter als Grenze sich wirksam zeigt. Da nun diese Aneignung der Natur letztlich ein ethisches Ziel ist, so ist jedes Zurückbleiben hinter diesem Ziel eine Ursache für das Bleiben des Übels. Das ist die universalistische Gedankenreihe. Zweitens, individuell liegt der Zusammenhang im Subjekt. (Ganz abgesehen wird hier von den Sünden, die mit dem Übel in Naturzusammenhang stehen wie gewisse Krankheiten.) Je mehr der Mensch reines Naturwesen ist, desto mehr wird das Übel als solches als Lebenshemmung empfunden, eventuell direkt als gesandt empfunden, um aus dem natürlichen Leben aufzurütteln. / Besonders deutlich wird das beim Tod. Für den Frommen ist er wesentlich Übergang in die Ewigkeit, ohne daß darum das Grauen des Naturorganismus wegfällt. Für den, dessen Sein vollständig mit seinem physischen Dasein zusammenfällt, ist der Tod der Inbegriff des Schreckens, denn er bedeutet in der Tat sein Ende, den ewigen Tod. Eine Vorstellung wie die Ewigkeit der Hölle ist dem Monismus allerdings fremd; denn das Nicht-Seiende kann nicht ewig sein; sonst würde es ein eignes Sein haben; das hieße den Dualismus aufstellen. 3. Erlösung: Die beginnende Hypostasierung des Gottesbegriffs Der monistische Erlösungsgedanke ist inhaltlich identisch mit der monistischen Eschatologie. Erlösung ist Befreiung von der Schranke des Nicht-Ich, sei es als Übel, sei es als Sünde, ist Vollendung der Persönlichkeit. Formell scheint er den Charakter / der Selbsterlösung zu haben. Es sind Taten der Selbstsetzung, in der sich die Überwin-

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dung des Nicht-Ich vollzieht; aber es ist doch nur Schein. Denn nicht das Individuum als solches ist es, was die geistige Selbstsetzung vollzieht, sondern der Geist, das universale Geistesleben als Einheit gedacht, in ihm. Und an diesem Punkt vollzieht sich unter dem Druck der dualistischen Kritik die höchst bedeutungsvolle Scheidung der objektiv als Realität gedachten Geistigkeit von der im Subjekt sich durchsetzenden. Hier setzt die Überwindung des rein teleologischen Monismus und sein Zurücklenken in einen ontologischen ein, wodurch zugleich dieser Idealismus dem theistischen Gottesbegriff gerecht zu werden vermag. Der Gottesglaube hypostasiert das Postulat der unbedingten Gültigkeit und Realität der geistigen Werte / in ein pleroma der Geisteswerte, das auch unabhängig von dem Einzelgeist Realität hat. Es ist das mehr als der Glaube an eine moralische Weltordnung, denn das absolute Ich Fichtes ist lebendige Wahrheit, Selbstbewußtsein und Geist. b) Autonomie und Gewißheit: Gott als Quelle der Norm; der theistische Gottesgedanke Noch eine zweite Gedankenlinie führt zu diesem entscheidenden Resultat. Es war von der Selbstbesinnung und Selbsterfassung des Ich die Rede. Das scheint zu besagen, daß das Ich die Quelle seines geistigen Inhalts ist, der durch Selbstbesinnung zum Bewußtsein gebracht wird. Das ist der Kantsche Autonomie-Gedanke. Wie kommt Gewißheit zustande, d.h. wie kommt das Subjekt zum Objekt, fragte Kant. Theoretisch überhaupt nicht, war die Antwort; Gewißheit haben nur die praktischen Ideen, die unbedingte Gültigkeit des Sittengesetzes. Denn sie sind / das Gesetz unseres Wesens. Kant hat darum das radikale Böse nicht geleugnet. Der christliche Gedanke spricht von einer Menschheitserziehung auf Jesus hin und einer Geschichte der Aneignung Jesu in der Menschheit. Jesus ist Autorität, wie alles, was göttlichen Geist hat. Die Theonomie ist Synthese von Heteronomie und Autonomie. Denn Gott steht uns als Herr gegenüber, und doch sind wir nach seinem Bild geschaffen. Eben dasselbe will nun der Idealismus sagen, wenn er der dualistischen Skepsis gegenüber die Wahrheit unabhängig macht von ihrer mangelhaften Realisierung im Individuum und sie in Gott hypostasiert. Gott wird zur lebendigen Wahrheit, während in uns die Wahrheit nur zu verdorben ist durch das Unangeeignete und Heteronome in ihr. Die Gemeinschaft mit dem Urquell des Guten und Wahren setzt / [und] gibt die Kraft zur Selbstbehauptung des geistigen Ich

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und Überwindung seiner Schranke. Das ist der erste Ansatz zur Überwindung des rein teleologischen Monismus, und diese Stufe muß nun betrachtet werden.

II. Der Ansatz zur Synthese zwischen ontologischem und teleologischem Monismus: Die religiöse Stufe A) Das Wesen Gottes a) Gott als der Allmächtige Von dem so erreichten Gottesbegriff ist zunächst ein Rückblick zu tun auf sein Verhältnis zu den bisher erörterten Formen der Selbstdarstellung Gottes. Dem entspricht in der Dogmatik ein Teil der Lehre von den Eigenschaften Gottes, etwa das, was unter Allmacht, Allgegenwart und Allwissenheit Gottes verstanden wird. Der Satz von der Substanzeinheit Gottes und der Welt macht diese Begriffe insofern überflüssig, als sie in ihm ohne weiteres enthalten sind. Aber ihr Inhalt geht doch noch weiter; das liegt an ihrem Ursprung aus dem religiösen Verhältnis, infolgedessen der Heilsgott zur Durchführung seines Heilsplans der Welt unbe/dingt mächtig sein muß. Diesem Postulat wird nun der teleologische Monismus insofern gerecht, als nach ihm die Allmacht Gottes diejenige Eigenschaft Gottes bedeutet, nach der in ihm die unbedingte Garantie gegeben ist, daß der Weltlauf, trotz gegenteiliger Empirie, seiner teleologischen Beziehung zum geistigen Telos unterworfen wird, insgesamt sowie im einzelnen; die Allgegenwart, daß an jedem Punkt des Weltgeschehens trotz entgegengesetzten Scheins die göttliche Wirksamkeit auf das Telos hin am Werke ist; Allwissenheit, daß jedes Moment dieses Geschehens im Gesamtgeschehen seinen beabsichtigten und notwendigen Platz hat, was auch für Unerklärlichkeiten die Welt darbietet. Was an diesen Begriffen zu fehlen scheint, ist das persönliche Moment des religiösen Erlebnisses. Das führt nun auf die Frage nach dem eigentlichen Inhalt des idealistischen Gottesgedankens. / b) Gott als der Gerechte Die überleitende Idee ist wieder die Rechtsidee. Die Gerechtigkeit ist in der Theologie eine der Eigenschaften Gottes; ihre Hauptbedeutung liegt in der Rechtfertigungslehre. Die eigentümliche Zwischenstellung dieser Idee zwischen dem Physischen und Geistigen bringt es

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mit sich, daß sie teils höchst geeignet erscheint, die sittlichen Verhältnisse konkret zu veranschaulichen, teils eine unberechtigte Übertragung in ein höheres Gebiet bedeutet. Für unsre Betrachtung bezeichnet der Begriff nur die Hypostasierung der Rechtsidee im Gottesgedanken, d.h. die Garantie der unbedingten Realisierung des Rechts in Darstellung und Durchführung, unabhängig von dem empirischen Widerstand. Nun bezieht sich der Rechtsgedanke insofern auf Sachen, als sein Inhalt die Durchsetzung des Anspruchs jeder Persönlichkeit auf den ihr zukommenden Teil der sachlichen Wirklichkeit bedeutet, insofern / auf Personen, als er mit dem Anspruch eines Gesetzes auftritt, das die Kraft hat, sich auch gegen die Einzelperson durchzusetzen; diese zweite Beziehung gibt nun die Analogie ab für die höheren teleologischen Normen der sittlichreligiösen Wirklichkeit. Die Analogie besteht also darin, daß die Norm unbedingte Gültigkeit hat, - aber nicht, wie im Recht, auf das Zustandekommen äußerer Verhältnisse und Handlungen abzweckt, sondern auf innere Realitäten, - darin, daß die Norm sich unbedingt auch gegen die Person durchsetzt, - aber nicht, wie beim Recht, durch Mittel, die der Person schließlich äußerlich bleiben, sondern durch das Zustandekommen oder Verfehlen des telos der geistigen Persönlichkeit, was identisch mit ihrer Strafe und ihrem Lohn ist. Demnach kann in dieser Beziehung nicht von der Gerechtigkeit Gottes als einer selbständigen Eigenschaft gesprochen werden, sondern es kann damit nur die Form bezeichnet werden, in / der sich der göttliche Lebensinhalt unbedingt durchsetzt. c) Gott als Vater 1. Der Inhalt seines Wesens: Wahrheit und Liebe Dieser Lebensinhalt wird nun in der idealistischen Spekulation seit Aristoteles als in sich ruhendes Denken, als Selbstbewußtsein betrachtet, also wesentlich nach der intellektuellen Seite unseres Geisteslebens gedeutet. Das christliche Denken hat dagegen immer ein voluntaristisches Moment in sich, denn die Liebe Gottes ist ein Wille. Namentlich von Augustin stammt diese Seite der Übertragung; sie findet ihre extremste Ausbildung in Duns Skotus, der für Wille Willkür setzt. Der Idealismus hat in Fichte und Schelling noch beide Momente in sich, während Hegel schon wieder zum Intellektualismus überschlägt, wodurch der Gegenschlag Schopenhauers und die versuchte Synthese Hartmanns verständlich wird. Der Volunta-

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rismus hat aus seiner antiintellektualistischen Po/lemik immer ein Moment des Irrationalismus aufgenommen, das ihm eigentlich nicht wesentlich ist. Im Begriff der Liebe ist dies Moment ausgeschieden und er ist daher als der Inhaltsbegriff von Wille anzugeben, während der Inhalt von Selbstbewußtsein Wahrheit ist. Es ergibt sich demnach folgendes Schema: Das Ich als in sich ruhendes ist formell Selbstbewußtsein, und alles, was Inhalt daran ist, ist wahre Wirklichkeit, Wahrheit als objektive Realität im johanneischen Sinne; und das Ich als über sich hinausgehendes ist Wille, und alles, was gewollt ist, ist Liebe. Liebe ist die Substanz der Welt des Geistes und der Geister, Wahrheit ist ihr Lebensinhalt. 2. Die Form seines Wesens: Die absolute Persönlichkeit Diese Gedanken haben ihre Bedeutung in ihrer Fähigkeit, den Begriff des persönlichen Gottes philosophisch zu erfassen, was / dem physischen Monismus unmöglich ist. Das Problem liegt in dem Begriff der absoluten Persönlichkeit. Der Begriff enthält das Postulat, das Persönliche so zu denken, daß es von allen Schranken befreit ist, die dem Begriff des Absoluten widersprächen, und dem Begriff des Absoluten einen solchen Inhalt zu geben, daß das Wesentliche des Persönlichkeitsbegriffs nicht zerstört wird. Was das erste betrifft, so hilft der Unterschied von Individualität und Person weiter. Im Begriff der Individualität liegt nun, daß dem einen als Eigenart zukommt, was dem anderen nicht zukommt, daß also die eine Individualität ihre Grenze an allen andern hat. Das gilt natürlich nicht für das Absolute, das sein Wesen als Unbegrenztes verlieren würde, wenn es an etwas wirklich Seiendem seine Grenze hätte. Es wird hier oft der Unterschied / von infinitum und indefinitum betont. Ersteres käme Gott zu, aber nicht letzteres; er würde sonst begrifflich entleert werden im Sinne der negativen Theologie. Das trifft nun in der Tat auf die negative Theologie zu, nicht aber auf die idealistische; denn diese behauptet das Allerpositivste, daß Gott an nichts Realem seine Grenze habe. Nun aber muß von der andern Seite her dem Realen eine Definition gegeben und damit dem Absoluten ein Inhalt gegeben werden, der ihn als Persönlichkeit erkennen lehrt. Dieser Inhalt ist nun Liebe und Wahrheit, und damit ist das doppelte Postulat erfüllt: Gott ist die Liebe, d.h. überall, wo Liebe ist, ist er, und Gott ist die Wahrheit, d.h. überall, wo Wahrheit ist, ist er. Und formell dasselbe: Überall, wo Selbstbewußtsein und Wille ist, kann die göttliche Rea-

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lität zur vollen Darstellung kommen. Kann zur Darstellung kommen, / muß nicht - das ist der Gedanke, der für das Verhältnis der endlichen Persönlichkeiten zur unendlichen von entscheidender Bedeutung wird. Denn damit ist gegeben, daß die Form der Persönlichkeit noch nicht den göttlichen Inhalt garantiert, daß der rein in der göttlichen Persönlichkeit vorhanden ist, und daß deshalb eine Trennung und Scheidung der endlichen von der unendlichen Persönlichkeit erreicht wird, ohne daß eine Trennung des Inhalts daraus folgte. Denn die Form der Persönlichkeit hat schließlich ihre Teleologie zum göttlichen Inhalt und damit so viel Realität als sie Inhalt hat. Das Verhältnis von absoluter und endlicher Persönlichkeit kann also so beschrieben werden, daß die endliche Persönlichkeit insofern eine Grenze der absoluten ist, als sie durch den göttlichen Inhalt noch nicht erfüllt ist, daß sie insofern eine Darstellung der absoluten ist, als sie sich / diesen Inhalt angeeignet hat, d.h. insoweit als sie Freiheit erreicht hat.

B) Das Verhältnis zu Gott a) Das positive Verhältnis 1. Das Kindschaftsverhältnis: Furcht und Vertrauen Die tiefste religiöse Bezeichnung des Verhältnisses von Gott und Mensch ist der Kindschaftsbegriff. Er enthält die übrigen Analogien wie Herr, Schöpfer etc. in sich, aber geht weit über sie hinaus. Gelingt es dem idealistischen Monismus, diesem Ausdruck des religiösen Bewußtseins gerecht zu werden, so ist das ein entscheidender Beweis für seine Fähigkeit, den philosophischen Ausdruck für die religiöse Wahrheit zu geben. Nun ist das Kindschaftsverhältnis formell ein Ich-und-Du-Verhältnis, inhaltlich eine Vereinigung von Abhängigkeit und Gleichheit, von Furcht und Vertrauen. Es wird dem Monismus immer schwer, auf die Frage nach der Berechtigung des Du im Gebet zu Gott mit einem runden Ja zu antworten. Der Dualismus scheint hier im Vorteil zu sein. Er kann / ohne weiteres das Verhältnis der Individuen untereinander als logisch gleichwertig auf das von Gott und Mensch übertragen, was dem Monismus nicht möglich ist. Für den Monismus ist es eine Selbstsetzung Gottes, wenn der Mensch sich im Gebet zur Freiheit durchringt; und im Selbstbewußtsein Gottes sind als Inhalt alle Individuen, soweit sie ihr Telos erreicht haben, enthalten. Und doch ist auch für ihn die Form,

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in der Gott in der Welt diese Selbstdarstellung vollzieht, die der Selbstsetzung der Einzelpersönlichkeit mit ihrer Selbstunterscheidung von allen übrigen Persönlichkeiten. So stoßen wir an diesem Punkte wieder auf das Problem der geistigen Persönlichkeit, ihrer Freiheit und ihrer Abhängigkeit. Wir können die kategorial-logisch unbegreifliche Wirklichkeit bis zu der Antinomie zuspitzen: Der Mensch ist umso weniger selbständig Gott / gegenüber, umso mehr er zur Freiheit durchgedrungen ist; oder: Die Form der freien, sich selbst als unterschieden setzenden Persönlichkeit ist es, in der Gott sich in seiner tiefsten Wirklichkeit offenbart. Man könnte dafür den modernen Begriff des übergreifenden Ich einführen, der besagen soll, daß das Geistesleben sich immer in der Form des Ich vollzieht, daß es aber nicht in lauter individuelle Ichs zerteilt ist, sondern sie alle in einem übergreifenden, ichhaften Lebenszusammenhang stehen. Diese Doppelseitigkeit des formellen Kindschaftsverhältnisses führt zur Betrachtung des Begriffsinhalts die Karikatur der Furcht ist Angst; Angst ist Furcht ohne Vertrauen. Die Karikatur des Vertrauens ist Frechheit; Frechheit ist Vertrauen ohne Furcht. Der Dualismus ist in Gefahr, in diese beiden unnormalen Formen des Verhältnisses zu Gott zu fallen. Betont er die / Selbständigkeit der persönlichen Realität gegenüber der göttlichen, so entsteht Frechheit. Betont er ihre Minderwertigkeit, so entsteht Angst. Der Monismus dagegen ist imstande, aus dem betrachteten Doppelverhältnis das normale Spannungsgleichgewicht herzustellen. Furcht ist insofern am Platze, als die Form der freien Persönlichkeit auch die Möglichkeit in sich birgt, den göttlichen Inhalt nicht aufzunehmen, Form zu bleiben und als solche zu vergehen; Vertrauen dagegen, insofern als das Bewußtsein regieren kann, daß meine ganze Realität in die göttliche eingeschlossen ist und in ihr die Garantie für die Erreichung meines Telos gegeben ist, sowohl in bezug auf die teleologische Beziehung des Naturgeschehens, als in bezug auf die Kraft der göttlichen Realität, sich gegenüber der Grenze des Nicht-Ich siegreich zu behaupten. / Daß dies geschehe, ist der Inhalt des göttlichen Lebenswillens; und indem ich den auf mich zu beziehen wage, gewinne ich das Vertrauen der Kindschaft.

2. Glaube und Mystik Durch die Geschichte des Christentums geht ein doppelter Strom des religiösen Lebens, der mystische und der kirchlich-historische. Der

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zweite ist der offiziell kirchliche; das liegt im Wesen der Sache. Denn die kirchliche Gemeinschaft ist im Besitz der geschichtlichen Offenbarung und weckt Glauben durch Wort und Gnadenmittel. Die Mystik dagegen emanzipiert das Individuum von der historischen Vermittlung und bringt es in direkte, gewissermaßen substantielle Berührung mit Gott. Diese Berührung kann nun je nach der Fassung des Substanzbegriffs mehr physisch oder mehr geistig gedacht werden. In der vom Neuplatonismus abhängigen Mystik überwiegt entschieden die / physische Kategorie. Die Gemeinschaft mit Gott tritt nicht an dem hellsten Punkte des Geisteslebens ein, dem selbstbewußten Willen, sondern mehr oder weniger im Unterbewußtsein, in Gefühl und Ekstase. Das ist nun anders im Idealismus. Schon die aristotelische und ebenso die spinozistische Mystik steht höher. Sie vollzieht sich in der höchsten Erhebung des denkenden Selbstbewußtseins, sie ist Ideenschau. Bei Fichte tritt nun noch die andre Seite hinzu, die Willensversenkung, die Liebe. Diese Form der Mystik ist eine in vollem Bewußtsein und höchsten Willen sich vollziehende „Vergottung", ein Teilnehmen am göttlichen Leben in klarer Erkenntnis und doch weit erhoben über die kategoriale Wirklichkeit. Sie entspricht der einen Seite des Verhältnisses von individuellem und überindividuellem Ich, dem zufolge aller reale Inhalt der / Persönlichkeit göttlicher Inhalt, göttliches Ich ist. Aber diese Mystik wird zur Selbstvernichtung, wenn die Form der individuellen Persönlichkeit dabei verloren geht. Die evangelische Kirche hält demgegenüber daran fest, daß es keine normale Gemeinschaft mit Gott gibt, die nicht die Form des Glaubens hat. Das Charakteristische des gläubigen Verhaltens ist es aber, die Überwindung einer Spannung darzustellen; es ist die Spannung zwischen verschiedenartigen Erfahrungen, die zu überwinden ist; wir machen teils Erfahrungen, die Gottesbeweise sind, teils Erfahrungen, die Gottesverhüllungen sind. Der Glaube besteht nun darin, aufgrund des ersten Teils der Erfahrungen den Gegenstoß der zweiten zu überwinden. Insofern dies sittliche Pflicht ist, nimmt der Glaube die Form des Gehorsams an. Offenbar liegt in diesem Verhalten das Bewußtsein der Unterschiedenheit / von dem Objekt des Glaubens, aber zugleich im gelingenden Glauben das Bewußtsein der aufgehobenen Geschiedenheit. Da kann dann die christliche Mystik einsetzen; sie hat demnach immer die Form des gelungenen Glaubensaktes und ist damit entscheidend orientiert an den Stützen des Glaubens innerhalb des Erfahrungsgebietes.

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3. Natürliche und geschichtliche Offenbarung Die gesamten Tatsachen, an denen eine Erfahrung Gottes gemacht werden kann, werden zusammengefaßt unter dem Begriff der Offenbarung Gottes. Inwieweit der physische Weltlauf Offenbarung Gottes ist, hat der erste Teil gezeigt; inwiefern das geistig-persönliche Geschehen, alles, was dieser Teil behandelt. Es handelt sich jetzt nur um die Art, in der das göttliche Leben als solches erkannt und in seinem tiefsten Wesen verstanden wird. Betrachten wir zunächst den aus der orthodoxen Tradition stammenden / Offenbarungsbegriff: Er unterscheidet eine natürliche Offenbarung in Natur und Gewissen von einer geschichtlichen, supranaturalen in der Heilsgeschichte. Die Gottesoffenbarung in der Natur ist identisch mit den landläufigen „Gottesbeweisen", die im Gewissen mit der religiösen und sittlichen Veranlagung; die historische dagegen vollzieht sich durch ein besonderes Wunderwirken Gottes. Das Ungenügende dieser Formulierungen folgt nun erstens aus der Tatsache, daß die natürliche Offenbarung niemals von sich aus zu einem persönlichen Gottesbegriff kommen kann, sondern immer nur zu einem physischen, und nur von höheren Voraussetzungen aus in einen persönlichen überführt werden kann. Zweitens ist es unberechtigt, die Offenbarung im Gewissen und die historische zu scheiden. Das Gewissen ist inhaltlich von der Geschichte abhängig und andrerseits / vollzieht sich die geschichtliche Offenbarung als Offenbarung im Gewissen, als Fortschritt in der Freiheit oder Gottesgemeinschaft. Der Offenbarungsbegriff in seiner gewöhnlichen Fassung ist ein Kind des supranaturalistischen Rationalismus; die Reaktion ist immer der naturalistische, jetzt evolutionistische Rationalismus. Der idealistische Offenbarungsbegriff ist geeignet, diese Kluft, die auch unsere Zeit zerteilt, zu überwinden. Nach ihm ist Offenbarung im höchsten Sinne überall da, wo eine Persönlichkeit oder eine Gemeinschaft einen neuen Geisteswert entdeckt, einen neuen Schritt zur Freiheit gemacht hat, das heißt aber überall da, wo Gott sich in einer Persönlichkeit durchgesetzt, in neuer Weise dargestellt hat. Das geschieht nach einer Teleologie des Welt/geschehens, die uns in ihren letzten Gründen völlig undurchsichtig ist und darum den Eindruck des Unbegründeten, Übernatürlichen macht. Daß im Volke Israel sich die höchsten religiös-sittlichen Werte durchsetzten, ist schließlich nur teleologisch aus der Beziehung des gesamten Weltgeschehens zur religiösen Offenbarung zu verstehen. Die Frage, warum die

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Propheten in Israel auftraten und nicht in Moab oder warum Paulus der größte Apostel wurde und nicht ein andrer in ähnlicher Lage, ist mit keinerlei Notwendigkeit zu beweisen. Es ist ein Geheimnis der Persönlichkeit und das heißt ein göttliches Geheimnis. Darum kann es nur mit dem Begriff der Erwählung religiös erfaßt werden; und doch wird Israel verworfen, und Paulus schafft seine Seligkeit mit Furcht und Zittern. Darum bleibt es aber doch Aufgabe der religiö/sen Psychologie und Religionsgeschichte, die äußeren und inneren Voraussetzungen für den Eintritt der Offenbarung verständlich zu machen. Die Teleologie des Naturgeschehens bringt es mit sich, daß nur, wo diese Voraussetzungen vorhanden sind, die Offenbarung eintritt, aber nicht durch sie. Jede Offenbarung tritt nun an den einzelnen, der mit ihr bekannt wird, in der Form des Gebotes heran, des Gebotes, dieselbe Erfahrung zu machen, nicht heteronom zu bleiben, sondern in Freiheit einen neuen Schritt zur Freiheit zu machen. Aber es ist nicht so, daß die Offenbarung erst nur objektiv äußerlich bliebe; sie wirkt, indem sie auftritt; nur muß sie den Widerstand der inneren Unfreiheit überwinden. Und dieser Akt der Persönlichkeit ist der Gehorsam gegen die Offenbarung. Das ist das Doppelverhältnis, das schon in Glaube und Mystik sich zeigte und / das seinen Grund in dem Doppelverhältnis der individuellen zur absoluten Persönlichkeit hat. b) Das negative Verhältnis 1. Die Sünde als Schuld Der Widerstand gegen die Norm ist Sünde, war oben gesagt; der Widerstand gegen die Gottesoffenbarung ist Schuld. Dieser Widerstand hat die doppelte Konsequenz, die Erkenntnis der Offenbarung als solche zu verhindern und es zur Durchführung ihrer Forderung nicht kommen zu lassen. Darum ist die Sünde nach Johannes Lüge, d. h. Widerstreben gegen die Gottesoffenbarung als Wahrheit, und Mord, d. h. Widerstreben gegen ihren Inhalt als Liebe. Jeder Akt des Widerstrebens ist somit ein Mangel an Vereinigung mit Gott, ein reales Geschiedensein von Gott. Schuld ist der religiöse Ausdruck für dieses Verhältnis. Die negative Seite / des göttlichen Liebeswillens, der jede Individualität zum Gefäß für seinen Inhalt machen will, ist die Abweisung des Gefäßes, das diesen Inhalt nicht aufnimmt, oder Zorn Gottes. Zorn Gottes ist der Ausdruck für die nur teleologische Realität des Individuums, insofern das Verfehlen des Telos die Ent-

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fernung des Individuums von der Quelle aller Realität und damit seine Vernichtung bedeutet. Tod ist das Ziel des göttlichen Zornes. Natürlich ist der Zorn Gottes kein selbständiger Wille in ihm, das würde einen Dualismus in Gott ergeben, gegen den der Idealismus protestieren muß. Dagegen wird durch die obige Betrachtungsweise dem Zorn Gottes der volle Ernst gewahrt, ohne daß eine Spannung in ihm angenommen wird. Insofern ist der Zorn auch das, was die Gerechtigkeit in der Liebe ist, nämlich das Sichdurchsetzen der göttlichen Realität auch gegen das Widerstreben. /

2. Sünde, Zorn und Tod Die Größe des göttlichen Zornes, weil seiner Heiligkeit, wird im christlichen Bewußtsein durch die Vorstellung ausgedrückt, daß eine einzelne Sünde genügt, um den Tod des Sünders herbeizuführen. N u n ist diese Vorstellung innerlich erträglich nur in Verbindung mit dem Gnadenbewußtsein, und sie tritt auch nur als Korrelat zu ihm auf, um die Bedeutung der Gnade zu erhöhen. Für die dargelegte idealistische Betrachtungsweise käme der definitive Zorn nur als Resultat definitiver Scheidung von Gott in Betracht. Die einzelne Sünde dagegen wäre identisch mit einem Punkt der aufsteigenden Linie, der noch unterhalb des Endpunkts liegt. Die Sünde ist dann ein „Noch nicht" der Gemeinschaft mit Gott, die sich ja notwendig als fortlaufende Überwindung der Unfreiheit durchsetzt. Aber die Voraussetzung dafür ist eben die aufsteigende Linie. Nun ist es aber die tiefe Erfahrung / aller derer, von denen eine aufsteigende Linie am ersten ausgesagt werden könnte, daß in Wirklichkeit kein sittlicher Fortschritt vorliegt, daß die Linie teils auf derselben Höhe oder besser Tiefe bleibt oder gar abwärts geht. Dann gewinnt allerdings jeder einzelne Moment dieser Linie den Charakter des Ausdrucks der Getrenntheit von Gott oder der fortschreitenden Trennung und hat vor sich das Ziel des Todes. Es fragt sich nun, ob der Monismus auch für diese Erfahrung ein begriffliches Verständnis haben kann, oder ob er sie dem Dualismus als Waffe überlassen muß. Nun wird der Dualismus immer im Vorteil sein, wenn es sich um ätiologische Betrachtung dieser Tatsache handelt; aber die ist bei der Kritik der Urstandslehre schon als ungenügend erkannt worden. Es bleibt die teleologische Deutung und die gibt // Paulus in dem großen Wort: Er hat alles unter die Sünde beschlossen, auf daß er sich aller erbarme, damit sich kein Fleisch rühme. Die Liebe als Gnade, d. h. die Sünder-

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liebe, ist die tiefste Form der Gotteserkenntnis, und um sie offenbaren zu können, gab Gott alle Menschen der Trennung von ihm hin. Würde die Geschichte des einzelnen und die Geschichte der Menschheit eine aufsteigende Linie sein, so könnte Gott seine Gnade nicht offenbaren; darum mußte sie ein Ringen sein, dessen letztes Resultat Verzweiflung war. III. Die dualistische Kritik dieses Ansatzes: Der Begriff der Verzweiflung Die tiefste Wurzel aller Verzweiflung ist die Gewißheit des verfehlten telos, der nicht erreichten Gottesgemeinschaft. Sie setzt voraus ein Bewußtsein um das Ziel, ein Ringen nach ihm und ein schließliches Mißlingen des Kampfes. / Zum näheren Verständnis müssen wir auf den Glaubensbegriff zurückgreifen. Es war gezeigt, wie er ein Spannungsverhältnis bedeutet zwischen widersprechenden Beobachtungen. Der Widerspruch kann nun nicht auf die Dauer bleiben, er würde den Menschen zerreißen. Der normale Weg ist, daß die eine Seite in immer entscheidenderes Übergewicht kommt; dies geschieht, wenn sich die ihr günstigen Beobachtungen dauernd mehren und die entgegengesetzten sich ebenso vermindern. Das Resultat ist, daß aus dem Glauben ein Schauen geworden ist. Der unnormale Weg ist der, daß keine Seite fähig ist, das Übergewicht zu erreichen und daß dann schließlich ein gewaltsames Sichverschließen gegen die eine Seite der Beobachtungen eintritt, das ebenso leicht in sein Gegenteil umschlägt. Doch ist im zweiten Fall auch noch / ein Weg möglich, der nämlich, der die verschiedenen Beobachtungen zeitlich trennt, das heißt der Weg der Hoffnung. Das Vorhandensein all dieser Formen charakterisiert die Fülle der Zeiten. Die Erkenntnis der göttlichen Wahrheiten fehlte nicht, der Gott der Liebe und Wahrheit war in den Herzen lebendig; es war dem Menschen gesagt, was gut und böse ist. Jesus hat keine Normen gebracht, die nicht schon da waren. Aber all das hatte eben nur teleologische Realität. Gott stand als das lebendige Soll der Menschheit gegenüber, und darum mußte sie verzweifeln. Die Normen, die sich nicht durchsetzen konnten, wurden ungewiß. Das war die Skepsis oder die Verzweiflung an der Wahrheit und der Pessimismus oder die Verzweiflung am Guten; und aus beiden der Unglaube oder die Verzweiflung an Gott. Die Unmöglichkeit der Dauer dieses Zustandes führte dann zu / dem Auseinanderfallen in Verzicht auf die

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Normen und Gott und gewaltsames Durchsetzenwollen, in Gottlosigkeit und Gesetzlosigkeit einerseits, in freches Gottvertrauen und Gesetz[es]gerechtigkeit andrerseits; in epikureische Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit einerseits und in synkretistisch-gnostisches Allwissen andrerseits. Das einzig Lebenskräftige war die Hoffnung der Stillen in Israel, aber auch sie wäre schließlich zerbrochen. Dieses für alle Zeiten typische Bild ist die große weltgeschichtliche Kritik des rein teleologischen Monismus, selbst auf seiner höchsten Stufe der Gotteserkenntnis. Der Dualismus muß das letzte Wort behalten, wenn es der idealistische Monismus nicht wagt, den zweiten entscheidenden Schritt zur Überwindung seiner nur teleologischen Anschauung zu / tun, wenn er es nicht wagt, in Jesus die letzte Deutung 21 der Welt zu erblicken. Daß er es kann, ohne seine Prinzipien zu verleugnen, soll nun noch gezeigt werden. Schluß: Die idealistische Kosmogonie Z u v o r lohnt es sich, noch einen Blick auf die idealistische Kosmogonie zu werfen, d.h. seine ätiologische Auffassung der Welt zu betrachten. Während in der physischen Stufe des Monismus der Schöpfungsgedanke an den Anfang gestellt und mit der Betrachtung des Ziels geschlossen wurde, ist es in der teleologischen Stufe naturgemäß umgekehrt. Darum kommt diesen Spekulationen auch weniger Bedeutung zu; sie sind das Dunklere, zu Erschließende, während das telos das Gewisse ist. Die Kosmogonie verstehen, heißt ihre Notwendigkeit begreifen, begreifen, warum das Absolute sich in kategorialer Welt darstellt. Das kann nun entsprechend der idealistischen Fassung des Ab/soluten in doppelter Weise geschehen. Entweder wird es aus der Form des Selbstbewußtseins abgeleitet oder aus der des Willens oder aus beiden. Die Übertreibung der einen Seite gibt den Hegeischen Panlogismus, die der anderen den Irrationalismus des späteren Schelling. Bei Fichte liegt beides noch verhältnismäßig zusammen, wenn auch die logische Seite schon das Übergewicht hat. Nach Fichte kann das Selbstbewußtsein nur durch eine Begrenzung des in unendlicher Aktivität befindlichen Ich zustande kommen. Am Nicht-Ich kommt das Ich zu sich selbst; aber das Nicht-Ich hat nur Realität, insofern es Begrenzung des Nicht-Ich ist; es ist schließlich doch im Ich gesetzt. So bleibt hier die ungelöste

[Die letzten beiden Worte unleserlich; aus Schönschrift

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übertragen.]

Schwierigkeit, daß einerseits dem Nicht-Ich nur relative Notwendigkeit zugesprochen wird, andrerseits seine Deduktion aus dem Ich unmöglich bleibt; der Satz vom / Nicht-Ich ist der zweite der drei absoluten [Sätze]. Schelling hat in seiner Indifferenzperiode diese Schwierigkeit gelöst, konnte dann aber keinen Übergang zur wirklichen Welt finden. Hegels Panlogismus ist zum guten Teil logische Spielerei, so namentlich die ersten Sätze von Sein und Werden. Auch das System des Werdens konnte nicht helfen, denn der Ausgangsund Zielpunkt mußte fixiert werden und dann das Motiv des Werdens verstanden werden. Seine rein logische Bestimmung als die Negation und Synthese erwies sich als unfähig, die Wirklichkeit zu umfassen. So verlegte der späte Schelling das Irrationale in Gott, um den Monismus zu retten und doch die Welt verständlich zu machen. Aber diese Bestimmung des Irrationalen ist nur Reaktion gegen das Prinzip des Rationalen in seiner Überspannung. Schon Augustin hat tiefer geblickt und im Willen als Liebe das Prin/zip zur Deduktion der Trinität gefunden. Nun leiden alle derartigen trinitarischen Spekulationen an der Unfähigkeit, die dritte Person verständlich zu machen; es liegt darum nahe, den Gedanken vorerst zur Erklärung der Welt zu verwenden. Dann würde er also von dem christlichen Gedanken, daß Gott aus Liebe die Welt geschaffen hat, die Willkür, die darin liegen könnte, entfernen und die in der Liebe selbst liegende Notwendigkeit der Offenbarung zeigen. Es ist hier nicht der Platz, das näher auszuführen; es sollte nur gezeigt werden, daß der Monismus fähig ist, auch als Anfangspunkt der Entwicklung sich zu rechtfertigen, daß aber hier von vornherein die ganze Art dieser Entwicklung sich zeigt, die immer als Überwindung des jeweilig auftretenden Dualismus aufzufassen ist. /

Dritter Abschnitt: Die vollendete Synthese von ontologischem teleologischem Monismus in der Person Christi

und

Als vollendete Synthese des ontologischen und teleologischen Monismus soll die Person Jesu verstanden werden. Das ergibt zwei Betrachtungen. Die erste tritt unter den Gesichtspunkt der Offenbarung, die zweite unter den des Mittlers. Inwiefern in Jesus das telos zum on geworden [ist] und von uns erkannt wird, und inwiefern durch ihn das me on überwunden und das telos erreicht wird, sind die beiden Fragen.

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I. Jesus als die vollkommene Offenbarung Gottes a) Jesus als das absolute Glaubensmotiv Es war das Postulat aufgestellt, an einem Punkte der Wirklichkeit eine Offenbarung zu sehen, die durch keine entgegenstehenden Momente verdunkelt wird, um so ein vollkommenes Glaubensmotiv werden zu können. In einer Person muß die Verzweiflung an Gott überwunden werden können, dadurch daß nichts an ihr zu finden ist, was Gott verhüllt. Unter diesem Gesichtspunkt wird Jesus / zum vollendeten Glaubensmotiv. Nicht als ob deduziert werden könnte, daß er es ist; gezeigt soll nur werden, daß die Erfahrung der christlichen Gemeinde von ihm vom idealistischen Monismus verstanden werden kann. Der Offenbarungsgesichtspunkt ist namentlich von Johannes eingeführt worden: Wir sahen seine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, und zwar eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater. Er ist der Abglanz und das Siegelbild seiner Herrlichkeit, sagt der Hebräerbrief. Kann der Idealismus diesen Gedanken annehmen? Strauß hat bekanntlich Hegel das Recht dazu bestritten. Die Idee liebe es nicht, ihre ganze Fülle in ein Individuum auszugießen. Das trifft nun bei Hegel insofern zu, als ein System der Entwicklung nur einen Ausgangs- und Endpunkt, aber keinen Höhepunkt haben kann. Doch ist, wie noch Fichte zeigt, diese Form des Entwicklungsgedankens prinzipiell dem idealistischen / Monismus nicht notwendig. Die Geschichtskonstruktion kann auch in folgendem Schema sich darstellen: Versuch der Erreichung des Zieles verzweifelndes Mißlingen - vollkommene Offenbarung - Aneignung derselben; und dies Schema kann als notwendig erkannt werden, wenn die vollkommene Offenbarung nur auf dem Hintergrund der Verzweiflung sich vollziehen konnte, wie oben gezeigt. Der Offenbarungsbegriff fällt nicht etwa mit dem zusammen, was prophetisches Amt genannt wird. Die Offenbarung ist nicht in den Worten allein gegeben, sondern in der Person, und wird uns erkenntlich in allem, was ihre Äußerung ist, in Wort und Schweigen, in Handeln und Unterlassen, in Liebe und Zorn. Das göttliche Leben ist der tragende Grund seines ganzen Wesens. An keinem Punkte ist ein Zurückbleiben hinter dem Telos zu beobachten. / Darum konnte er der verzweifelten Skepsis des Pilatus entgegenhalten: Ich bin in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Wer sich einmal in die geistige

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Wirklichkeit, in das Reich des göttlichen Lebens gehoben hat, der kann, wenn er an seiner Fähigkeit zur Wahrheit verzweifelt, in Jesus die Wahrheit sehen, in der Gemeinschaft mit ihm an sich erfahren. Der Fromme, der den 73ten Psalm nachbetete und das große Dennoch darin nur mit Zagen mitsprach, er hatte an ihm den festen Grund, die unerschütterliche Erfahrung, die stärker war als alles, was dagegen sprach. Der Trotz des Glaubens war nicht mehr in Gefahr zu scheitern. Der Glaube Hiobs mußte nicht in der auf die Dauer unerträglichen Resignation sein Heil suchen, er wußte, wozu das Leiden des Frommen da war. / Und der Pharisäer Paulus, der in Verzweiflung die Verzweiflung überwinden wollte, sah ein, daß er den tiefsten Inhalt des göttlichen Wesens noch nicht erfaßt hatte, die Sünderliebe, die Gnade, die Jesus geübt und ans Licht gebracht hat. b) Jesus als die wirksame Offenbarung der göttlichen Gnade Das ist also der Inhalt seiner Offenbarung. Es war schon gesagt, daß die Normen- und Gotteserkenntnis der Fülle der Zeiten entsprechend einer Steigerung nicht mehr fähig war, außer an diesem Punkt. Und zwar sind es beide Seiten, die in Betracht kommen, deren zweite, trotz 1. Kor. 1-3, oft nicht genug gewürdigt wird: Die vollkommene Gottesgemeinschaft ist möglich trotz der Sünde, trotz der Verdunkelung; die / natürliche Gerechtigkeit und die natürliche Weisheit muß zuschanden werden, denn sie geht vom Individuum aus und geht zu Gott. Gottes Wahrheit ist ihr ein Postulat ihrer Weisheit, Gottes Gnade ist ihr ein Postulat ihrer Gerechtigkeit. Der Weg beginnt unten statt oben. Die eigne Wahrheit ist sicherer als die göttliche; die ist nur ihre Konsequenz. Die eigne Gerechtigkeit ist sicherer als die göttliche Gnade; die muß ihr folgen. Der Gnadengedanke, die Gnadenoffenbarung in Jesus kehrt das Verhältnis von Grund auf um; das Vorhergehende ist Gott, sein Handeln, seine Wahrheit und Gerechtigkeit. Daraus erst folgt die Erkenntnis und die Liebe der Individuen. Darum ist das Verhältnis Jesu auch doppelseitig gegen die beiden Formen der Verzweiflung. Derselbe und darum auch dasselbe Evangelium ist für die Armen am Geiste und die Sünder Gnade / und für die Wissenden und Gerechten Zorn und dann, wenn sie zerbrechen in ihrem eignen Tun, wie Paulus, wieder Gnade. Die absolute Präzedenz des göttlichen Handelns vor dem menschlichen ist diese höchste Erkenntnis, die sich in diesem doppelten Verhalten Jesu zeigt. Das kann der idealistische Monismus ver-

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stehen. Nicht die Individuen, die Formen, die erst den göttlichen Inhalt empfangen sollen, sind die erst Aktiven, sondern die Person, die die Fülle alles dessen in sich hat und göttlich ist; Gott selbst ist der Handelnde. Der negative Ausdruck für Gnade ist Sündenvergebung, genauer Schuldbeseitigung. Nach den Erörterungen über Schuld ist dann Sündenvergebung diejenige Aktivität Gottes, durch welche die Scheidung von Gott aufgehoben und die zum Tode führende Entwicklung der Menschen in eine zum Leben führende umgewandelt wird; und das alles, / um die alleinige Aktivität Gottes zum Heil des Sünders zu offenbaren. Von einer realen Spannung in Gott zwischen Heiligkeit und Liebe kann dabei natürlich nicht die Rede sein. Denn die Gnade ist nicht bloß eine deklaratorische, sondern ist eine reale Überwindung der Sünde, weil, wer in Gottes Gnade steht, den tiefsten Inhalt der göttlichen Liebe erfahren hat, seine Liebe nämlich, insofern sie trotz des Irrwegs den Menschen zur Gemeinschaft mit sich beruft und das alles in Jesus. c) Jesus als Autorität 1. Die Spannung in der individuellen Glaubensstellung Ist Jesus die Offenbarung der ganzen göttlichen Fülle, aller Normen, so ist er Autorität und das normale Verhältnis zu ihm das des gehorsamen Empfangens. Das scheint einen Konflikt mit dem Autonomismus des Idealismus zu ergeben. Es fragt sich, wie die Autorität Jesu näher vorzustellen ist. Die erste Voraussetzung ist zunächst die, daß wir eine Erfahrung gemacht [haben], aus der heraus wir / Jesus diese Stellung für uns geben, d.h. er muß uns in grundlegender Weise als absoluter Träger der Norm entgegengetreten sein. Diese Erfahrung aber ist eine Gewissenserfahrung und darum autonom oder besser: theonom. Die Stellung, die ihm gegenüber dadurch begründet wird, ist die des gläubigen Vertrauens, d. h. die Annahme seiner Person als der unbedingt zuverlässigen Quelle alles wahrhaft Wertvollen für uns. Aber auch hier hat das Glaubensverhältnis den Charakter der Spannung. Wir sehen nicht sofort die ganze Fülle Christi und wachsen nicht sofort zum Maß der Reife Christi an. Die Geschichte der persönlichen Aneignung Jesu ist eine Geschichte, deren Ausgangspunkt ein teilweises Schauen war, deren bewegendes Moment eine zu überwindende Glaubensspannung ist und deren Ziel in einem vollendeten Schauen liegt. Es wäre ein ungläubiges Verhalten, nur so viel glauben zu wollen als geschaut / ist.

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Das wäre nun eine Notwendigkeit für den Monismus, wenn es ihm unmöglich wäre, zur Geschichte ein normales Verhältnis zu finden; denn die Notwendigkeit des Glaubens ist die Tatsache unserer geschichtlichen Verflochtenheit. Nun war aber gezeigt, daß auch der Monismus eine geschichtliche Offenbarung versteht, und wenn er diesen Gedanken nicht entwertet, kann er auch die Notwendigkeit des Vertrauensverhältnisses würdigen. Wenn wir, der Unmündigkeit entwachsen, uns nach einem Ort in der Geschichte umsehen, dem wir unsere Normen entnehmen wollen, so sind wir ja eben noch nicht in ihrem Besitz; sie können also noch kein Kriterium abgeben, o b dieser Ort in der Geschichte in der T a t der aufzusuchende ist; es ist demnach bis zu einem gewissen Grade Willkür, welche W a h l wir treffen. Aber nur bis zu einem gewissen Grade; denn die Pflicht ist es, den Ort zu wählen, / der nach dem bisherigen Besitz der Normen der wertvollste ist. Dieser Besitz wiederum stammt zum größten Teil aus der Geschichte unserer Unmündigkeit, ist also Notwendigkeit. So ist unsere Freiheit eingewurzelt in diese doppelte Grundlage, und es ist ihre Aufgabe, sich aus ihr heraus zu entwickeln. Es ist nicht so, daß wir uns völlig abstrahiert von unsrer Geschichte autonom hinstellen können und wählen, was wahrhaftige N o r m ist. Das ist die grundlegende Kritik alles geschichtslosen Rationalismus, der die Väter seiner Gedanken vergessen hat. Das muß der Idealismus aber nicht sein, zumal nicht, wenn er sozial denkt und den universalen Zusammenhang des geschichtlichen Lebens über das Individuum stellt. Der Gedanke hat aber noch eine tiefere Wurzel. Die weit/geschichtliche Kritik des autonom-teleologischen Monismus, von der gesprochen war, liegt zum guten Teil darin, daß in ihr die Notwendigkeit zutage trat, die rein göttliche Aktivität auch darin zu erkennen, daß der einzelne in dem gottgewirkten Geschichtslauf seine Stelle, sein Teil und seinen Wert hat und nicht darüber hinaus kann, und daß schließlich das ganze Menschheitsheil in einer geschichtlichen, d.h. göttlichen T a t begründet ist. Philosophisch kann die Sachlage auch so formuliert werden, daß die Abhängigkeit des einzelnen von einem geschichtlichen Faktum identisch ist mit der Offenbarung der ausschließlich göttlichen Aktivität in der Erreichung des Welttelos. Natürlich, reale Gottoffenheit findet in uns nur statt, soweit wir die Normen in uns realisiert haben, soweit sie uns Subjektsgehalt gewonnen haben. D a ß / wir die Normen aber nicht abgesehen von der Geschichte in uns finden, das ist das Wesen des Glaubensgehorsams, den Jesus verlangt. Und dieser Glaubensgehorsam gegen

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Jesus ist nur wieder ein Stück des rezeptiven Verhaltens dem göttlichen Wirken gegenüber, das da wirkt, wo es will, und sich offenbart, wie es will, nicht wo und wie wir es wollen, aber immer wo und wie es uns zum Heil ist. 2. Die Spannung in der historischen Stellung Jesu Das ganze Problem erfährt nun noch eine Komplikation durch die weltgeschichtliche Verflochtenheit Jesu; das ist das wichtige moderne Problem: geschichtlicher Jesus und Christus des Glaubens. Es ist dem eben Besprochenen ganz analog und führt zu denselben Spannungen. Es besteht die Tatsache, daß wir Jesus nur durch ein doppeltes Medium sehen: durch das der grundlegenden Aneignung seiner Person in der Urchristenheit und durch / [das] der abgeleiteten Aneignung in der Kirche. Jesu Autorität fällt dadurch zusammen primär mit der biblischen, sekundär mit der kirchlichen Autorität. Das Verhältnis von kirchlicher und biblischer Autorität ist so von den Reformatoren grundlegend festgestellt, nicht ebenso das von biblischer und persönlicher Autorität Jesu. Das Recht der geschichtlichen Bibelkritik liegt in dem Streben, über die biblische Autorität noch hinwegzukommen zur persönlichen; in je größerem Maße das möglich ist, desto wertvoller ist diese Arbeit. Nun ist aber eins ihrer zweifellosesten Resultate, daß selbst in der ursprünglichsten Überlieferung schon die Glaubensstellung zu Jesus entscheidend mitwirkte. Diese Tatsache hat das doppelte Extrem hervorgerufen: einerseits wieder zur unbedingten Schriftautorität zurückzukehren, andererseits auf ein religiös brauchbares Christusbild überhaupt zu verzichten. Demgegenüber muß bei richtiger Würdigung der / geschichtlichen Offenbarung folgendes festgehalten werden: Die grundlegende Erfahrung von der absoluten und wirksamen Gottesoffenbarung in Jesus kann an seinem biblischen Bild erfahrungsgemäß jederzeit gemacht werden. Diese Erfahrung stellt den Kern der biblischen Christusanschauung vor kritischer Zerstörung sicher, denn die Norm hat in sich selbst das Bewußtsein ihrer Realität. Damit ist jedoch weiter gegeben, daß in der fortdauernden Aneignung dieser Persönlichkeit die Geschichte ihrer grundlegenden Aneignung auf ihre historischen Bedingungen geprüft und geschieden wird zwischen dem, was mit der grundlegenden Erfahrung von Jesus notwendig gegeben ist, und dem, was den historischen Vorbedingungen für diese Erfah-

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rung, wie sie im N T vorliegt, angehört. Das ergibt natürlich wiederum eine Spannung, insofern einerseits die Kriterien dieser Unterscheidung aus der Christuserfahrung stam/men müssen, andrerseits diese Erfahrung abhängig ist von dem historisch jeweilig erkannten Bestand. So bleibt auch hier wieder die Hoffnung, daß die in Jesus erschienene] Gottesfülle sich gegenüber allen persönlichen und historischen Irrungen durchsetzen werde. Diese Hoffnung hat aber im Unterschied von der vorchristlichen die Gewißheit zur Grundlage, die in der primären Erfahrung an Jesus gemacht ist; sie ist darum unzerbrechlich. So zeigt sich an diesem kompliziertesten Problem, daß der große metaphysische Gesichtspunkt des idealistischen Monismus nicht nur fähig ist, diese Probleme zu verstehen, sondern daß er geradezu zu ihrer Lösung beiträgt durch sein Postulat, in der Geschichte nur das als Realität anzuerkennen, was sich als Träger der Norm erweist, und alles in der Geschichte, was dieses Zeugnis mit sich führt, gegen alle historische Verdunkelung / aufrecht zu erhalten, und wenn es der absolute Träger der Norm ist, ihm unbedingte Autorität zu zollen. d) Christologisches Der absolute Träger der Norm - das war die Voraussetzung für alles Gesagte. Daß es dem Idealismus nicht unmöglich ist, diese Tatsache zu verstehen, war gezeigt. Es fragt sich nun noch, ob er fähig ist, sie zu erklären, d.h. eine Christologie zu bilden. Die Kirche hat diese Aufgabe immer empfunden und mit den Mitteln ihrer Zeit gelöst. Christologie treiben heißt, das Verhältnis Jesu zu Gott zu verstehen suchen oder noch genauer: die Notwendigkeit der Person Jesu zu beweisen. Die Alte Kirche hat mit der Zweinaturenlehre diese Notwendigkeit nach Analogie einer physischen gedeutet. Sie ist damit der biblischen Christologie nicht gerecht geworden. Denn diese bewegt sich nicht in der Alternative: physische Notwendigkeit oder ethische Zufälligkeit, sondern / kennt den Begriff des Geistes, der das Verhältnis zu Gott weder als unsicher noch als naturhaft charakterisiert und doch die Aktivität Gott zuschreibt. Das ist nun ganz der idealistische Freiheitsbegriff, der diese drei Momente auch in sich vereinigt: göttliche Aktivität, freie Selbstsetzung, unzerbrechlicher Zusammenhang mit Gott. In Jesus ist dies Dreifache in vollkommener Darstellung und Einheit vorhanden; es ist nicht gehemmt durch das Nicht-Ich. Inwiefern daraus ein besonderes metaphysisches Ver-

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hältnis zu Gott und Welt sich ergibt, auch zur Materie, die er in vollkommener Weise teleologisch überwunden und angeeignet hat (Auferstehung), sind Spekulationen, deren W e r t in ihrer religiösen Bedeutung liegt, die aber / für die philosophische Spekulation zwar nicht unverständlich-sind, aber doch abseits liegen. 22

II. Jesus als die allentscheidende Persönlichkeit: Sein messianisches Wirken a) Die Rechtfertigung V o n entscheidender Bedeutung dagegen ist die Frage nach der Stellung des Idealismus zu der messianischen Betrachtungsweise Jesu. Jesus als die real wirksame, allentscheidende, für das Verhältnis von Gott und Mensch unumgänglich notwendige Persönlichkeit zu erkennen, ist die Aufgabe. Es ist damit gesagt, daß er nicht bloß die Stätte der Offenbarung ist, an der man Gott sehen kann, um dann selbständig mit ihm in Beziehung zu treten, sondern daß er jede Beziehung zu Gott dauernd vermitteln muß, daß er also nicht nur das entscheidende Glaubensmotiv, sondern auch das entscheidende Glaubensobjekt ist. Näher bestimmt sich die Aufgabe dahin, zu verstehen, inwiefern Gott seine Gnadenwirk/samkeit durch Jesus ausdrückt. Der Rechtfertigungsgedanke besagt in seiner prägnante-

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Anmerkung: Autorität Jesu, der Schrift und der Kirchenlehre kann natürlich niemals den Sinn haben, etwas anderes als autoritativ zu erklären als die Normen, die sich in Jesus u.s.w. darstellen. Normen sind aber alle diejenigen Wahrheiten und Werte, die göttlichen, d.h. ichhaften Charakter tragen, deren Notwendigkeit mit der geistigen Selbstsetzung des Ich gegeben ist, religiös ausgedrückt: alles was Gegenstand religiöser Erfahrung werden kann. So kann und muß es erfahren werden, daß an der Stellung zu Jesus sich das Geschick der Menschen entscheiden wird, daß durch ihn der Weltlauf seinem Ziele zugeführt wird; dagegen ist es lediglich Vorstellungsgehalt, der historisch bedingt ist, wenn die Eschatologie im einzelnen durchgeführt wird. Das Recht dazu ist völlig unbestreitbar, nur der Allgemeingültigkeit entbehrt es. Dagegen wird oft die zunächst rein historische Tatsache der Auferstehung / Jesu und ihre Heilsbedeutung geltend gemacht. Aber der darin enthaltene religiöse Kern besteht doch nicht darin, daß eine Verwandlung der gestorbenen Leiblichkeit stattfand, sondern vielmehr darin, daß er ein vollkommenes persönliches Leben mit teleologisch völlig angeeigneter pbysis lebt, daß er den Tod überwunden hat, wie es alle werden, die an ihm bleiben, ohne daß bei ihnen ein der Vorstellung des leeren Grabes paralleler Vorgang möglich wäre. /

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sten Formulierung: Gott erklärt den Sünder für wohlgefällig aus Gnaden im Glauben um Christi willen, näher um des im Kreuze vorliegenden Verdienstes Christi willen. Die religiöse Kritik, die sich immer wieder dagegen richtet, gründet sich auf die rein sachliche Würdigung des Verdienstes Christi. Die Tatsache, daß in ihm in wirksamer Weise die Offenbarung Gottes als absolute Kritik der Sünde am Kreuz und als absolute Aufrichtung des göttlichen Willens als Gnade erschienen ist, muß auch als Kern der Rechtfertigung verstanden werden. Insofern wir Christus haben, haben wir die Gnade Gottes, nicht insofern er etwas getan hat, was in der Betrachtung als sein Verdienst objektiv von ihm losgelöst werden kann. Christus ist uns gemacht zur Rechtfertigung, nicht etwas / von ihm, eine Tat von ihm. Daß der Tod dennoch die entscheidende Rolle spielt, ist damit nicht ausgeschlossen. Vor allem aber bleibt der Gedanke klar: um Christi willen. Nur weil in ihm erschienen ist die Fülle der Gottheit, kann Gott die tatsächliche Entwicklung der Menschheit überwinden durch die Gnade, die in Jesus die alleinige Aktivität Gottes anerkennt und sich in der Gemeinschaft mit Jesus unter seine Wirksamkeit stellt. Es ist von Wichtigkeit zu konstatieren, daß der Idealismus keineswegs identisch sein muß mit der rationalistischen Auffassung der Rechtfertigung als Kundmachung des nicht zürnenden, sondern nur liebenden Vaters, sondern vollkommen fähig ist, die reale und entscheidende Bedeutung Jesu und seines Kreuzes in der Rechtfertigung zu verstehen. / b) Die messianische Gemeinde Der Herr der messianischen Gemeinde ist der Erhöhte. Das ist die Quelle der trinitarischen Probleme: den Erhöhten so zu denken, daß der monotheistische Gottesgedanke nicht zerstört wird, und andererseits seine Einheit mit Gott so zu denken, daß das Antlitz des irdischen Herrn nicht verloren geht. Es war schon abgewiesen, die trinitarischen Probleme hier eingehender zu behandeln; es fragt sich nur, ob der Idealismus dem darin enthaltenen religiösen Wert gerecht werden kann. Das scheint mir nur durch den Gedanken zu geschehen, daß es keine vollkommene Wirksamkeit Gottes geistigreligiöser Art gibt, die nicht durch den Geist Jesu Christi vermittelt wäre; dieser Geist ist aber unauflöslich verknüpft mit der historischen Erscheinung Jesu, so daß die Anrufung Christi nicht ein Gebet zu einem gottheitlichen Wesen neben Gott bedeuten kann, sondern

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die Anrufung des Gottes, der für uns das Antlitz / des irdischen Herrn trägt, in dem er sich uns vollkommen gezeigt hat. Doch ist ohne weiteres zugegeben, daß damit das Mysterium nicht gelöst ist; nur ist offenbar, daß der Dualismus oder naive Realismus um nichts weiter kommen kann. Die messianische Gemeinde hat nun ihr Charakteristikum eben darin, daß sie unbedingt orientiert ist an dem historischen Jesus und der göttlichen Offenbarung in ihm. Sie tritt damit in Gegensatz zu jeder Richtung, die nur indirekt unter den Wirkungen Jesu steht: etwa der allgemeinen Kulturbewegung. Während diese nur Wirkungen von Jesus ableitet, die von seiner Person losgelöst sind, kennt die Gemeinde keine Wirkung Gottes, die nicht durch Jesus hindurch sich vollzöge. Das hängt aber mit der Geschichtsbetrachtung zusammen, / wie sie dem Christentum notwendig, dem Idealismus möglich ist. Damit wird [er] wieder zu der allentscheidenden Persönlichkeit, der, die auch die Vollendung des einzelnen und der Welt bedingt.

Schluß: Zusammenfassung Wir sind am Schluß und fassen noch einmal zusammen: Der Gegensatz von dualistischer und monistischer Weltanschauung hat für die christliche Religion die Bedeutung, daß er sie vor die Aufgabe stellt, den Monismus als die ihr entsprechende philosophische Position sich anzueignen, aber so, daß jede monistische Position durch die dualistische Kritik solange auf eine höhere Stufe getrieben wird, bis das der Person des Herrn entsprechende [und dem christlichen Heilsbesitz völlig gerecht werdende philosophische Weltbild erreicht ist. Diese Entwicklung, die nicht nur methodisch, sondern durchaus real gemeint ist, hat ihren Ausgangspunkt zu nehmen bei dem naiv physischen Monismus, fortzuschreiten zu dem geistig teleologischen Monismus und seiner höchsten Stufe, der religiösen, und seinen Zielpunkt zu sehen in einer Synthese der ersten und zweiten Stufe, wie sie durch die Person Christi ermöglicht und grundlegend verwirklicht ist.] //

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Literatur Für den geschichtlichen Teil: Windelband, [W.] Geschichte der Philosophie, [1892]. Für den systematischen Teil bestand die Möglichkeit, die Gedanken in Form einer Debatte über die ältere und neuere Literatur, soweit sie Beziehung zum Thema hat, zu entwickeln. Das hätte jedoch, wenn es auch nur einigermaßen umfassend sein sollte, ein außerordentlich umfangreiches Studium nicht nur der Geschichte der Philosophie und Theologie, sondern auch der Fülle der modernen Monographien über das Thema erfordert, das mir in der erforderten Zeit nicht entfernt möglich gewesen wäre und den hier gebotenen Rahmen weit überschritten hätte. Ich habe darum prinzipiell darauf verzichtet und es für geboten gehalten, die Arbeit gewissermaßen als Zusammenfassung der Resultate meines bisherigen philosophischen und systematischen Studiums auf diesem / Gebiete zu behandeln. Doch fühle ich mich verpflichtet, die wichtigsten Quellen meiner Gedankengänge anzugeben. Auf philosophischem Gebiet kommt in erster Linie in Betracht: F. Medicus, Privatdozent in Halle, mein persönlicher Lehrer, von dem auch vielfach die Formulierungen stammen, und auch sein Buch: 24 Vorlesungen über Fichte, [= Medicus, F.: J.G. Fichte: Dreizehn Vorlesungen, gehalten an der Universität Halle, 1905], Ferner eine Anzahl Fichtescher Schriften und Die Kritik der reinen Vernunft, [= Kant, I.: Critik der reinen Vernunft, 1781]. An Einleitungen in die Philosophie: Külpe, [= Külpe, O.: Einleitung in die Philosophie, 1895]; Paulsen, [= Paulsen, F.: Einleitung in die Philosophie, 1892]; Flügel, [= Flügel, O.: Die Probleme der Philosophie und ihre Lösungen. Historisch und kritisch dargestellt, 3. Aufl. 1893]. Dann vor allem Windelband, Prolegomena [nicht überprüfbar], Eucken, Grundbegriffe [= Eucken, R.: Die Grundbegriffe der Gegenwart: Historisch und kritisch entwickelt, 1893]; Riehl, Α.: Philosophie der Gegenwart [= Riehl, Α.: Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Acht Vorträge, 1903]; Schlatter, Der religiöse Ertrag der philosophischen Arbeit seit Cartesius [= Schlatter, Α.: Die philosophische Arbeit seit Cartesius nach ihrem ethischen und religiösen Ertrag: Vorlesungen an der Universität Tübingen gehalten, 1906]; Portig, Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes [= Portig, G.: Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes in den Reichen der Natur und des Geistes. 1. Bd.: In der Mathematik, Physik und Chemie, 1903. 2. Bd.: In der Astro-

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norriie und Biologie, 1904]; Heim, Weltbild der Zukunft [= Heim, K.: Weltbild der Zukunft. Eine Auseinandersetzung zwischen Philosophie, Naturwissenschaft und Theologie, 1904]; aus der theologischen Literatur kommt in Betracht: Schleiermacher, Glaubenslehre [= Schleiermacher, F.D.E.: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 1821/22]; Frank, Geschichte und Kritik der Theologie des 19. Jahrhunderts [= Frank, F.H. von: Geschichte und Kritik der Theologie, insbesondere der systematischen, seit Schleiermacher. Aus dem Nachlass des Verfassers herausgegeben von P. Schaarschmidt, 1894]; Dorner, Glaubenslehre [= Dorner, I.A.: System der christlichen Glaubenslehre, Bd. 1: Grundlegung oder Apologetik, 1879, Bd. 2,1: Specielle Glaubenslehre, 1880; Bd. 2,2: Specielle Glaubenslehre, 1881]; / Stange, Der dogmatische Ertrag der Ritschlschen Schule [= Stange, C.: Der dogmatische Ertrag der Ritschlschen Theologie nach Julius Kaftan, 1906]; Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode [= Kierkegaard, S.: Die Krankheit zum Tode, übersetzt von H. Gottsched, 1850]. Zur Sache selbst möchte ich noch bemerken, daß die Geschichte ebenso wie die Systematik mich dazu führte, von einer systematischen Darstellung des Dualismus abzusehen. Ich habe ihm statt dessen die Aufgabe zugewiesen, die er in der Geschichte immer erfüllt hat, den Monismus durch die Macht der Tatsachen über seine niederen Stufen hinauszutreiben, und glaube damit der Art, in der sich der Gegensatz von Monismus und Dualismus auszuwirken pflegt, am gerechtesten geworden zu sein. /

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Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (Schönschrift) Inhalt EINLEITUNG

a) Die Renaissance des Idealismus in der Gegenwart, Kritik der Ritschlschen Position gegenüber der Philosophie b) Allgemeines über das Verhältnis von Religion und Philosophie; der Begriff des Absoluten und seine Notwendigkeit in der Theologie ERSTER HAUPTTEIL: GESCHICHTLICHE VORBEREITUNG

Erster Abschnitt: Die Erscheinungsformen des Gegensatzes Monismus und Dualismus in der Geschichte I. Der Gegensatz in der griechischen Philosophie II. Die Einwirkungen auf die Alte Kirche III. Die Entwicklung im Mittelalter IV. Die Entwicklung in der Neuzeit

von

Zweiter Abschnitt: Begriffsbestimmung und Einteilung des Stoffes I. Definition von Monismus und Dualismus II. Die Grundformen des Gegensatzes III. Das Zentralproblem / Z W E I T E R HAUPTTEIL: SYSTEMATISCH-GENETISCHE DARSTELLUNG

Erster Abschnitt: Die physisch-ontologische Stufe des Monismus und das religiöse Verständnis des Naturgeschehens. Die dualistische Kritik dieser Stufe I. Allgemeines über das begriffliche Verhältnis von göttlichem Geschehen und Naturgeschehen a) Der Schöpfungsgedanke. Die Identität von göttlicher [und] Weltsubstanz

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b) Der Erhaltungsgedanke. Atomistische und psychologistische Welterklärung II. Die religiösen Konsequenzen aus der monistischen Fassung und die dualistische Kritik a) Das religiöse Verhalten des Menschen in seiner Verflochtenheit in den Naturlauf 1. Begriff der göttlichen Weltregierung 2. Übel, monistische Theodizee und dualistische Kritik / 3. Das Bittgebet um äußere Gaben 4. Das Wunder b) Das religiöse Verhalten des Menschen in seiner persönlichen Stellung zum Naturlauf 1. Das Welterkennen als Gotteserkennen und die dualistische Kritik 2. Das Weltgefühl als Gottesgefühl und die dualistische Kritik. Gegenstand der Kunst (I. Stufe) 3. Die genießende und handelnde Weltbejahung als Gottesbejahung und die dualistische Kritik III. Das Ziel des Naturgeschehens a) Die Vollendung des Individuums (Mikrokosmos). Kritik des psychologischen Dualismus b) Die Vollendung der Natur (Makrokosmos) IV. Die definitive Überwindung des physisch-ontologischen Monismus durch die Tat der Freiheit Zweiter Abschnitt: Die geistig-teleologische Stufe des Monismus und das religiöse Verständnis des geistigen Geschehens. Die dualistische / Kritik dieser Stufe und der Ansatz zu ihrer Überwindung Einleitung: Das telos des idealistischen Monismus und das höchste Gut des Christentums I. Die rein teleologische Stufe und das religiöse Verständnis des geschichtlichen Geschehens A) Die monistische Betrachtungsweise nach ihrer positiven Seite a) Das rechtliche Geschehen als Übergang vom physischen zum geistigen; religiöse Wertung von Inhalt und Durchsetzung des Rechts b) Das geistige Geschehen als göttliche Selbstdarstellung 1. Die geistige Selbsterfassung 2. Die ästhetische Erfassung des geistigen Geschehens. Gegenstand der Kunst (II. Stufe)

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3. Die sittliche Selbstsetzung 4. Universelles und individuelles Geistesleben. Die individuelle Persönlichkeit und das Freiheitsproblem / B) Die dualistische Kritik. Die negative Seite der monistischen Betrachtungsweise a) Der Widerstand des Nichtich und die Sünde 1. Das Wesen der Sünde, ihre individuelle Unverständlichkeit und universale Notwendigkeit 2. Sünde und Übel 3. Erlösung. Die beginnende Hypostasierung des Gottesbegriffs b) Autonomie und Gewißheit: Gott als Quelle der Norm. Der theistische Gottesgedanke II. Der Ansatz zur Synthese von ontologischem und teleologischem Monismus: Die religiöse Stufe A) Das Wesen Gottes a) Gott als der Allmächtige b) Gott als der Gerechte c) Gott als Vater 1. Der Inhalt seines Wesens: Wahrheit und Liebe 2. Die Form seines Wesens: Die absolute Persönlichkeit B) Das Verhältnis zu Gott a) Das positive Verhältnis 1. Das Kindschaftsverhältnis: Furcht und Vertrauen/ 2. Glaube und Mystik 3. Natürliche und geschichtliche Offenbarung b) Das negative Verhältnis 1. Die Sünde als Schuld 2. Sünde, Zorn und Tod C) Die dualistische Kritik dieses Ansatzes: Der Begriff der Verzweiflung Rückblick: Die idealistische Kosmogonie Dritter Abschnitt. Die vollendete Synthese von ontologischem und teleologischem Monismus in der Person Christi I. Jesus als die vollkommene Offenbarung Gottes a) Jesus als absolutes Glaubensmotiv b) Jesus als die wirksame Offenbarung der göttlichen Gnade c) Jesus als Autorität 1. Die Spannung in der individuellen Glaubensstellung 2. Die Spannung in der historischen Stellung Jesu

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d) Christologisches / II. Jesus als die allentscheidende Persönlichkeit. Sein messianisches Wirken a) Die Rechtfertigung b) Die messianische Gemeinde Schluß: Zusammenfassung /

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Die Renaissance des Idealismus in der Gegenwart, Kritik der Ritschlschen Position gegenüber der Philosophie Als nach Hegels Tode in jähem Wechsel der Materialismus zum Dogma der Naturwissenschaft und mit ihr eines großen Teils der Gebildeten wurde und der deutsche Idealismus nur ein Gegenstand verständnislosesten Spottes war, dachten wohl wenige, daß nach einem halben Jahrhundert das Verhältnis sich wieder umkehren würde. Und doch charakterisiert unsre philosophische Situation die in ihr sich vollziehende Renaissance des Idealismus. Die Notwendigkeit, über Kant hinauszugehen, die auch von den meisten Neukantianern anerkannt wird, zeigt sich schließlich als eine Notwendigkeit, in der Richtung auf Fichte hinzugehen. Das plötzliche Umschlagen in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen / Jahrhunderts war eben keine wirkliche Überwindung des Idealismus, sondern eine Flucht vor ihr. Darum mußte er wiederkommen, und seine Renaissance ist keine in sich unmögliche Repristination. Das gleiche Schicksal traf nun die Theologie, die nach ihrem Anschluß an jene Systeme spekulativ genannt wird, und aus demselben Grunde ist auch ihre Renaissance zu erwarten, wenn auch nur Ansätze bisher zu beobachten sind.1 Kompliziert wird nun die ganze theologische Situation durch das Ritschlsche Postulat der Scheidung von Theologie und Metaphysik. Da dieser Grundsatz jede Erörterung über das „Wie" der Bedeutung von Monismus und Dualismus für das Christentum von vorn herein durch eine Bestreitung des „Daß" überflüssig macht, so ist hier eine Stellungnahme erforderlich. Merkwürdig ist, daß die Ritschlsche These eine doppelte Begründung zu erfahren pflegt: eine philosophische und eine re/ligiöse. Herrmann formuliert dies geradezu so, daß die Kantsche Philosophie der reformatorischen Tendenz, die Religion freizumachen von der Metaphysik, erst die Waffe dazu in die Hand gegeben habe. Damit ist deutlich ausgesprochen, daß an die Stelle der metaphysischen eine erkenntnistheoretische Auseinandersetzung zu treten habe. Da nun beides offenbar in

Am Rand von Medicus: „gut".

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ein Abhängigkeitsverhältnis zum Welterkennen bringt, 2 so ist die Sache nicht so, d a ß eine Verselbständigung der Theologie eingetreten ist, sondern so, d a ß die Theologie einfach der philosophischen D e b a t t e gefolgt ist und ebenso wie diese sich mit Hülfe des Neukantianismus vor dem Materialismus zu retten gesucht hat. D e m wird zunächst dadurch begegnet, daß die Erkenntnistheorie von der M e t a p h y s i k isoliert wird; das ist aber eine Täuschung. A u f ein Vierfaches möge hier hingewiesen werden: 1. Die kantische Philosophie ist nur aus der Meta/physik seiner Zeit verständlich. 3 N i c h t nur das Begriffsmaterial stammt aus ihr, sondern auch inhaltlich sind die gemeinsamen

Voraussetzungen

weitreichend. 2 . Die kantische Philosophie hat gezeigt, d a ß sie in eminenter Weise fähig ist, Metaphysik zu erzeugen und zwar in ihren Konsequenzen notwendig dazu führt. 3. Dieser Sachlage trägt die gesamte von K a n t abhängige Philosophie, soweit sie sich nicht auf Kantphilologie beschränkt, Rechnung. 4 . Die Ritschlsche Theologie hat aus der Kritik der praktischen Philosophie eine Reihe von Positionen ü b e r n o m m e n , deren metaphysische Voraussetzungen deutlich zutage liegen. D a m i t ist also deutlich gemacht, d a ß eine faktische Emanzipierung von der M e t a p h y s i k durch den Anschluß an die kantische Philosophie nicht zu erreichen ist. Es ist eine andre F o r m der M e t a physik, wie auch der nachkantische / Idealismus eine ganz andere F o r m ist als die vorkantische Metaphysik; aber es ist M e t a p h y s i k . Ähnlich steht es mit der Motivierung der Ritschlschen These aus spezifisch religiösen Rücksichten. Die R e f o r m a t o r e n hätten gezeigt, d a ß die Religion ein rein persönliches Verhalten praktischer Art sei. Indem der M e n s c h Metaphysik treibe, suche er jedoch nach physischen Kategorien die W e l t zu erklären und auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit herauszukommen. Lauter Begriffe, die im W i derspruch stünden mit der freien persönlichen Stellungnahme zu

2

Am Rand von Medicus: „Verhältnis der Abhängigkeit von einer Theorie des Welterkennens (?)"

3

Von Medicus am Rand: „Dies würde von einem idealen Kantianismus (von der Idee der Transzendentalphilosophie) allerdings nicht gelten! Freilich können Sie dagegen fragen, ob nicht gerade der Versuch, die Transzendentalphilosophie in idealer Reinheit darzustellen, zum Bruch mit dem ganzen Kantianismus (d.h. der Beschränkung auf rein formal-erkenntnistheoretische Fragestellungen) geführt hat und führen muss".

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einer Persönlichkeit. Nun trifft dieser Einwand offenbar diejenige Philosophie nicht, die die Welt nicht nach physischen, sondern nach persönlichen Kategorien erklären will, das heißt: den nachkantischen Idealismus. Es ist merkwürdig, daß in der Ritschlschen Schule nicht klar unterschieden wurde zwischen der vorkantischen und nachkantischen Meta/physik, da doch letztere in weitgehendster Weise auf gleichem Boden mit ihr steht.4 So bleiben denn auch, sobald eine systematische Darstellung überhaupt versucht wird, Anleihen an die Metaphysik nicht aus (s. die Stangesche Kritik der Kaftanschen Dogmatik). Die These von der notwendigen Trennung der Metaphysik und Theologie ist eben undurchführbar und kann vor allem durch eine Berufung auf Kant nicht gerechtfertigt werden (s. auch Windelband, Gesch. d. Ph., S. 526).

Allgemeines über das Verhältnis von Religion und Philosophie; der Begriff des Absoluten und seine Notwendigkeit in der Theologie Wir sind durch die letzte Debatte zu dem Urteil gekommen, daß das Christentum notwendig mit einer Metaphysik in Beziehung treten müßte. Das Urteil soll jetzt positiv begründet werden. / Wir haben die Begriffe Christentum, Religion, Theologie promiscue gebraucht, nicht ohne Absicht: Das Christentum ist eine Religion, die den ganzen Menschen in Anspruch nimmt. Der Glaube ist ein Uberzeugtwerden des Intellekts,5 ein Überwältigtwerden des Gefühls, eine Tat des Willens. Dem Denken fällt dann weiter die Aufgabe zu, sich über Inhalt, Voraussetzungen und Konsequenzen dieser seiner grundlegenden Bestimmtheit klar zu werden. Diese gnosis en teleiois ist die theologische Aufgabe. Sie ist zuerst von Paulus in umfassender Weise in Angriff genommen worden, nicht in systematischem Interesse, aber von einheitlichen Voraussetzungen. Paulus argumentiert mit 4

Am Rand dieses Satzes ein Fragezeichen, von Medicus daneben: „Jene Unterscheidung zwischen vorkant. und nachkant. Philos, wäre gewiß sehr nötig; aber Ritsehl selbst hat gerade bes. die hegelisch beeinflusste Theologie u. Metaphysik im Auge - ohne sie freilich von ferne zu verstehen. - An weitgehende Gemeinsamkeit zwischen Ritsehl u. der spekulativen Metaphysik glaube ich nicht. Daran hindert vor allem R.s unsäglich unkritische, völlig prinziplose Stellung zur Geschichte".

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Am Rand von Medicus: „Soll das .Überzeugtwerden des Intellekts' über das noch hinausgehen, was im nächsten Satze als weitere Aufgabe des Denkens formuliert wird?"

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den wissenschaftlichen Mitteln der Synagoge, und Johannes hat durch die Logoskonzeption die Beziehung zur Zeitphilosophie hergestellt. Die Theologie ist diejenige Seite der religiösen Aufgabe überhaupt, in der der / Glaubensinhalt unter dem Gesichtspunkt der Wahrheit Gegenstand der Gnosis wird. Daß im Thema dennoch nicht Theologie, sondern Religion gesagt ist, hat sein Recht darin, daß die Motive der Weltanschauungen eben nur zum Teil theoretische sind; die Bedeutung der monistischen resp. dualistischen Weltanschauung beschränkt sich keineswegs auf die Theorie. Es sind ebenso praktische Lebensrichtungen ethischer, ästhetischer, religiöser Art, die hier in Gegensatz treten und darum: Religion und nicht Theologie. Der vornehmste Gegenstand, bei dem Konflikte eintreten können, ist nun der Gottesbegriff selbst, und zwar ist es speziell der Begriff des Absoluten, der hier die Brücke bildet vom „Gott-Herrund-Vater" der Religion und letztem Welterklärungsprinzip der Philosophie. Über die Berechtigung dieser Übertragung ist gestritten worden. Kähler nennt das Absolute ei/nen Götzen, ähnlich auch Ritschi. Aber der Ritschlianer Kaftan führt den Begriff mit Pathos wieder ein; er ist in der Tat unentbehrlich! Gott, die letzte Ursache, der letzte Grund, das letzte Ziel der gesamten Wirklichkeit, das ist offenbar ebenso eine religiöse wie eine metaphysische Aussage. Der Freiheitsgedanke ist die Voraussetzung für das Verständnis jedes ethischen Verhaltens. Der physische Monismus bestreitet die Tatsache; usw. Es genügt da nicht, sich kurzerhand auf den eignen Standpunkt zurückzuziehen, der seine Gewißheit in sich trage. Geschlagen ist der Gegner erst, wenn er es auf eignem Boden und mit eignen Waffen ist, 6 und das Christentum zerteilt den Menschen nicht in einen heidnischen Kopf und ein christliches Herz. 7 Gewiß wird

6

7

Am Rand ein Fragezeichen; daneben von Medicus: „Warum sollte nicht der Fehler des Gegners darin bestehen, dass er sich auf zu engem Boden eingerichtet hat? Wer z.B. nur mathemathische u. formal-logische Begründungen gelten lässt, kann nicht auf seinem Boden u. mit seinen Waffen geschlagen werden". Am Rand ein Strich; von Medicus daneben: „Ganz recht. Aber wo kein christliches Herz ist, kann doch ein heidnischer Kopf sein: Dieser hat also immerhin die Möglichkeit separater Existenz. Mit seinen eignen Waffen ist er dann nicht zu besiegen: er kann ja dasjenige, wovon er überzeugt werden soll, gar nicht verstehen: er kann sich sogar mit formallogischen Mitteln klar machen, dass sein christlicher Gegner sich selbst fortwährend widerspricht:

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jeder einzelne und manche Zeit insbesondere derartige Spannungen durchzumachen haben, und / es ist dann berechtigt, die Glaubensgewißheit in der Form des Gegensatzes zu behaupten. Aber auf die Dauer ist dieser Zustand unmöglich. Er zerreißt einen Menschen und er zerreißt eine ganze Zeit. Daß eine derartige Gebrochenheit z.T. unsrer Zeit eignet, ist eine Folge dieser dauernden Gegensätzlichkeit von Glauben und Wissen. Die Ritschlsche Theologie ist der Ausdruck dieses Zustande. Jetzt ist es an der Zeit, ihn zu überwinden, wenn der Bruch nicht definitiv werden soll. Der Monismus in seinen beiden Hauptformen als physischer und teleologischer kommt uns von seiten des Welterkennens entgegen, daneben allerlei dualistische Bestrebungen. Die theologische Kritik im positiven - das ist zu betonen - , aber auch im negativen Sinn muß Stellung dazu nehmen.

Der Gegensatz in der griechischen Philosophie Wir lassen uns zunächst nicht ein auf die Fülle dessen, was / als Dualismus und Monismus bezeichnet wird, um einen Begriff zu gewinnen, mit dem an die Geschichte gegangen werden müßte. Die Definition in ihrer Schärfe muß aus der Betrachtung der Geschichte selbst erwachsen. Nur allgemein kann gesagt werden: Der Monismus behauptet ein Welterklärungsprinzip, der Dualismus zwei selbständige. Auf welche Seiten der Welterklärung das nun zutrifft und wie sich da der Gegensatz spezialisiert, zeigt die Geschichte. Die drei ersten Jonier waren naiv realistische Monisten; eines Widerspruchs zur Volksreligion wurde sich keiner von ihnen bewußt, 8 trotzdem schon Anaximenes den darwinistischen Evolu-

denn alles Reden vom Übersinnlichen bedarf der Aufstellung widersprechender Thesen (was bes. Hegel gut gesehen hat). Religion ist für den Intellekt nie ohne Paradoxie - dem isolierten, heidnischen Kopfe wird sie notwendig zur Torheit. Verte! / Fichte schrieb einmal (1794) an Goethe: ,So lange hat die Philosophie ihr Ziel noch nicht erreicht, als die Resultate der reflektierenden Abstraktion sich noch nicht an die reinste Geistigkeit des Gefühls anschmiegen': Wem es nun an der .reinsten Geistigkeit des Gefühls' (die etwas Moralisches ist) fehlt, der versteht die Abstraktionen des Philosophen nicht, er versteht gar nicht, wovon dieser überhaupt redet - u. versteht meist auch nicht, dass er dies nicht versteht". 8

Von Medicus am Rand: „Oho! Anaximander! (Vgl. Erwin Rohde, Psyche 3II, 119, 187).

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tionismus vorausnahm. Aber schon Xenophanes spottet über die Mythologie der Dichter, er behauptet einen pantheistischen Monotheismus, der bei Parmenides zum völligen Akosmismus führt. / Die ersten Versuche, die Erfahrung zu erklären, hatten zu ihrer Leugnung geführt. Der Wirklichkeit gerechter wurde der Dualismus von Anaxagoras, der Dualismus von Bewegungsursache und bewegtem Stoff. Nun ist dieser bewegende Stoff 9 selbst wieder etwas Materielles, wird aber nach Analogie des Seelischen vorgestellt als nous. Es findet sich hier also ein Monismus bezüglich des letzten Prinzips, ein Dualismus bezüglich der Erfahrung: ein denkwürdiger Versuch; denn daß später statt materieller Substanz einfach Substanz gesetzt wurde, ist nur ein Fortschritt der Abstraktion; wie aus Anaxagoras Demokrit wurde, so aus Cartesius Spinoza; dieser Dualismus ist nie weit vom Monismus entfernt, denn hinter den „beiden" Seiten steht die gemeinsame Substanz. Im System des Materialismus war die eine der möglichen Formen zu prinzipieller / Klarheit gebracht. Was Moderne hinzugetan haben, ist höchstens eine Verschlechterung. Demokrit hat gegen den Polytheismus nicht polemisiert, er hatte für die Götter einen Platz, denn diese Identifikation von Gott und Absolutem war noch nicht vollzogen.10 So ist es im Griechentum geblieben. Erst in der christlichen Ära ist eine Stellungnahme der Philosophie notwendig geworden. Die griechische Aufklärung zerstörte den naiven Realismus dieser Philosophen. Sokrates bahnte den Idealismus an, Plato vollendete ihn. Damit war die ganze Fragestellung auf eine höhere Stufe gehoben, die erkenntnistheoretische und ethische Fragestellung war hinzugekommen. Der platonische Gegensatz von Ideen und Erscheinungswelt11 bedeutet das erste prinzipielle System des Dualismus. Sein erkenntnistheoretischer Ursprung zeigt sich schon in der Tatsache, daß die / Welt der Ideen keineswegs geistig, sondern lediglich immateriell gedacht ist und als solche der teils materiellen, teils geistigen Wirklichkeit gegenüber-

' 10

11

Am Rand von Schafft: „Ursache?". Am Rand von Medicus: „Schon Anaximander hat (nach Aristoteles' Bericht) vom apeiron gelehrt, periecheirt hapanta kai panta kybernan ... kai tout' einai to theion". Am Rand ein Strich, von Medicus dazu: „Eigentlich nicht Erscheinungswelt, sondern Scheinwelt. Und da diese ein me on ist, also in Wahrheit nicht ist, darf füglich bezweifelt werden, ob Piaton als Dualist bezeichnet werden darf: Piaton ist für die einfache Einordnung in die Disjunktion Monismus-Dualismus zu groß".

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steht. Der ethische Dualismus spiegelt sich bedeutsam wider im psychologischen von Leib und Seele und in der Unsterblichkeit der Seele. Diese Form des Dualismus ist die populäre bis auf den heutigen Tag und hat dem christlichen Denken reichliche Motive geliefert. Schließlich hat der Gegensatz von teleologischer und mechanischer Welterklärung, die Plato beide behauptete bei Unterordnung der letzteren, der christlichen Apologetik immer eine zweifelhafte Waffe in die Hand gegeben. So besteht die zweifellose historische Tatsache, daß das erste große System des Dualismus dem christlichen Denken die meisten Begriffe geliefert hat; es macht sich dem gegenüber merkwürdig, wenn in diesen Formen / gedacht wird und sie dann als dem gesunden Menschenverstand natürlich der philosophischen Spekulation gegenübergestellt werden; als ob der platonische Dualismus natürlich oder in der Geschichte der Philosophie primär wäre. Zugleich zeigen sich deutlich seine Hauptmotive: das erkenntnistheoretische und ethische, nicht eigentlich das metaphysische und theologische. Von diesen geht vielmehr der Gegenschlag aus, der mit dem System des Monismus endigt. Der erste Versuch geht von Aristoteles aus: der Monismus des Werdens. Die widerstrebende Materie einerseits, das proton kinoun andrerseits beweisen, daß er nicht vollständig gelungen ist. Im ersten Begriff zeigt sich die Reaktion des Wirklichkeitssinnes gegen die durchgängige Teleologie, im zweiten das erkenntnistheoretische und ethische Motiv des Piatonismus. Seine Charakterisierung als Selbstbewußtsein bedeutet die erste wichtige Stufe zum Mono/theismus des Geistes. Die Charakterisierung des höchsten ethischen Ziels als Versenkung in das göttliche Selbstbewußtsein hat der monistisch-mystischen Strömung in der Kirchengeschichte die entscheidenden Motive gegeben. Verloren geht dagegen die individuelle Unsterblichkeit, da nur das überindividuell Geistige, die Entelechie des Menschen ewig ist. Den zweiten Schritt zur Überwindung des Dualismus tut Straton einerseits, die Stoa andrerseits. Der erste leugnet die Selbständigkeit des proton kinoun einerseits, der Materie andrerseits. Die Behauptung der Notwendigkeit ihres Beieinanderseins begründet einen Monismus, der namentlich in der Psychologie von weitreichender Bedeutung geworden ist. In der Stoa findet ein Zusammentreffen der vorsokratisch materialistischen mit den platonisch idealistischen Motiven statt. Die Stoa behauptet einerseits einen materialistischen Monismus, andrerseits einen idealistischen Monismus (der Logos / teilt sich in Materie und Geist). Das Prinzip der Einheit ist das ebenso

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vernünftig wie als naturnotwendig gedachte Weltprinzip, die heimarmene. Der aristotelische Monotheismus ist verschwunden, nur der ethische Dualismus beweist seine Kraft, vor allem auf psychologischem Gebiet im Gegensatz von sarx und pneuma und in dem intensiven Interesse, das alle Schulen am Begriff der Willensfreiheit haben. Im Epikureismus ist der Begriff der metaphysischen Willensfreiheit geradezu zur Begründung einer atomistischen Herrenmenschenmoral konzipiert und damit das indeterministische Extrem des Dualismus herausgestellt worden. Ein wichtiger Umschwung tritt in der religiösen Periode durch ein Doppeltes ein: 1. durch die aus dem religiösen Denken der Juden stammende Transzendenz Gottes, die in Philo ihren philosophischen Ausdruck fand, 2. vollzieht sich aus den neupythagoreischen Mysterien und ihrer Verbindung mit der platonischen Ideenlehre die Identifizierung von / Geistigem und Immateriellem. Hier beginnt die Überwindung der materialistischen Tradition der Vorsokratiker zu einem Monismus des Geistes. Denn das metaphysische Denken fand in dem Dualismus keine Ruhe. Die Transzendenz und Immanenz Gottes wird bei Philo durch den Logosbegriff vermittelt, im Neuplatonismus durch das System des Emanationismus.

Die Einwirkungen auf die Alte Kirche Ehe die Frage, was in die kirchliche Tradition übergegangen ist, beantwortet werden kann, muß der Einfluß des Judentums klargestellt sein. Von Philo ist schon gesprochen worden, er gehört in die Geschichte der griechischen Philosophie, aber das Motiv seines Denkens ist ein spezifisch jüdisches: die religiöse Unterscheidung Gottes von der Welt. Die weltgeschichtliche Kraft des jüdischen Gottesgedankens liegt darin, daß / er rein nach Analogie menschlichpersönlicher Beziehungen vorgestellt ist, niemals in physischen Kategorien. Im N.T. sind höchstens Keime für verschiedenartige Betrachtungsweisen zu erkennen: einerseits eine Reihe dualistisch klingender Begriffspaare, namentlich ethischer Art. Mag bei Paulus ein Einfluß stoischer Formulierungen vorliegen, jedenfalls kann ihm ebensowenig wie Johannes gnostischer Dualismus zugesprochen werden. Es sind aber auch Ansätze entgegengesetzter Art wahrzunehmen. Zunächst ist der Weltschöpfungsgedanke eine gewisse Überwindung des Dualismus, dann zeigen Worte wie Act. 17, 28 und 1. Kor. 15,

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28, daß die Tendenz namentlich auf einen teleologischen Monismus nicht fehlte. Den gnostischen Dualismus ebenso wie den Evolutionismus zwar hat die Gemeinde abgestoßen, den religiösen Dualismus des Philo aber in den Apologeten aufgenommen und den geistigen Monotheismus resp. Monismus in Orígenes. / Die griechische Periode der Theologie ist für unsre Frage wenig ergiebig. Die Ausscheidung der emanatistischen Tendenzen des Orígenes sowie die trinitarische Gedankenbildung sicherten den Gottesgedanken vor Monismus. Von größerer Bedeutung ist auf griechischem Boden nur die neuplatonische Mystik des Areopagiten. Sie bildet die Grundlage für die mystische Strömung des Mittelalters.

Die Entwicklung im Mittelalter Augustin hat den Neuplatonismus in der Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Welt nie ausgeschieden. Sein Prädestinatianismus ist monistisch. Andrerseits vertritt er den klaren ethischen Dualismus, der namentlich in seiner Geschichtsphilosophie in dem Dualismus der beiden Reiche zum Ausdruck kommt. Nicht einmal teleologisch ist dieser Dualismus überwunden: eine Apokatastasislehre fehlt. So zieht sich durch das ganze Mittelalter diese doppelte Linie: der Neuplatonismus mit seinem monistisch-pan/theistischen Zuge namentlich in der Mystik; der ethisch-religiöse und erkenntnistheoretische, vor allem auch psychologische Dualismus in der Scholastik. Die Tradition ist jedoch nicht einheitlich: der platonischaristotelische Realismus, der in Skotus Eriugena zum ersten Male zeigte, daß er durch den Begriff des ens realissimum hindurch zum monistischen Pantheismus führen könne - einerseits; der Nominalismus, der schließlich zu einem idealistischen Monismus neigte - andrerseits. Zum Durchbruch kommen diese Tendenzen in der Renaissance, sie ist unbedingt monistisch. Das System des Bruno hat die Stimmung des universalistischen Monismus zum metaphysischen Ausdruck gebracht. Die pantheistische Unterströmung wurde weitergetragen durch die deutsche Mystik und ihre Ausläufer im Reformationszeitalter: Geschichtslosigkeit ist ihr Merkmal.12

12

Am Rand von Medicus: „Dies gilt nicht von Seb. Franck".

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Die Entwicklung in der Neuzeit Wie das erste System des Dualismus (Cartesius) in das / bedeutendste des Monismus umschlagen mußte (Spinoza), war gezeigt. Die rationalistischen Elemente des Cartesius finden ihre Vollendung im spiritualistischen Monismus von Leibniz, der die Ansätze des Panlogismus in sich birgt. Zugleich hatten die demokritischen Motive in der französischen Aufklärung die Erneuerung des Materialismus gezeitigt. Überholt wurden alle diese Entwicklungen durch den deutschen Idealismus, der eine ähnliche Stellung einnimmt wie der griechische, aus erkenntnistheoretischen Problemen entspringt und sofort auf die Höhepunkte der gesamten Entwicklung führt. Die Überwindung des kantischen Ding-an-sich durch die metaphysische Hypostasierung des subjektiven Faktors der kantischen Erkenntniskritik durch Fichte ist die idealistische Formulierung des Monismus des Geistes. Der empirische Dualismus bleibt sichtbar in Begriffen wie das Nichtich bei Fichte, das Anderssein des Absoluten bei Hegel. Aber eine metaphysische Selbständigkeit / kommt ihm nicht zu. In die Theologie ist der idealistische Monismus in doppelter Weise gedrungen: in selbständiger Fortbildung bei Schleiermacher, von Hegel abhängig bei der sog. spekulativen Theologie. Schleiermacher verbindet den Spinozismus mit der Kantschen Erkenntnistheorie durch den Begriff des Abhängigkeitsgefühls. Das ästhetische Weltgefühl seiner „Reden" ist ein typisches Motiv monistischer Weltbetrachtung. Monistisch können auch die Weltbilder von Herbart und Lotze genannt werden, insofern sie zwar einen Pluralismus der realen resp. Wirkungsbeziehungen behaupten, daneben aber die Einheitlichkeit der Substanz. Die Lage der Gegenwart ist in der Einleitung gezeichnet.

Definition von Monismus und Dualismus Der Gang durch die Geschichte der Philosophie hat gezeigt, daß in unsrem Problem eine Fülle verschiedenster Fragen und / Problemgebiete sich kreuzen. Es könnte bei dieser Sachlage geboten erscheinen, jedes einzelne Gebiet, in dem der Gegensatz sich findet, auf unsre Fragestellung zu prüfen. Dem steht jedoch folgendes entgegen: Zunächst wendet der Sprachgebrauch das Wort Monismus nur für die rein metaphysische Fragestellung an; das liegt aber an der eigentümlichen Form der Debatte zwischen Monismus und Dualismus, die

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sich durch die ganze Geschichte hinzieht. Der Monismus ist immer das Ziel der Gedankenentwicklung, während der Dualismus gewissermaßen den Kritiker spielt, der aus den verschiedensten Erfahrungsgebieten den tatsächlich vorhandenen Zwiespalt aufzuweisen sucht, selten aber und nur übergangsweise sich metaphysisch festlegt. 13 Daher spricht man häufiger von einem erkenntnistheoretischen, ethischen, psychologischen, religiösen als metaphysischen Dualismus. Für die Definition kommt also nur das Gebiet der Metaphysik in Betracht, die andern Gebiete haben nur / die Bedeutung von Motiven für oder gegen. Der Monismus ist also diejenige metaphysische Betrachtungsweise, die als letzten Erklärungsgrund der Wirklichkeit nur ein selbständiges Prinzip annimmt, sei es, daß er dazu eins der in der Wirklichkeit gegebenen stempelt, sei es, daß er ein der gegebenen Wirklichkeit transzendentes postuliert. Der Dualismus dagegen sucht den in der Wirklichkeit beobachteten Gegensatz zweier großer Prinzipien metaphysisch zu hypostasieren. Die Grundformen des Gegensatzes Wir unterscheiden zwei Hauptstufen des Gegensatzes. Die erste ist in der griechischen Philosophie durch den naiven Realismus der Vorsokratiker, in der modernen Philosophie durch den dogmatischen Rationalismus der Vorkantianer bezeichnet. Der Monismus auf dieser Stufe liegt auf der Linie zwischen Materialismus und Spiritualismus, in / der Mitte liegt der Parallelismus. Von diesem ist es nur ein Schritt zum Dualismus. Das Wesentliche all dieser Anschauungen ist, daß sie einen Begriff, der in der erkenntnistheoretischen Reflektion [sie!] die Stelle eines Objektiven einnimmt, zum Welterklärungsprinzip machen, daher sie Naturerklärung in physischen Kategorien sind (auch der Psychologismus s.u.). Das Recht dieser Form der Welterklärung bestreitet die erkenntnistheoretische Skepsis der Sophisten in Hellas, der Empiristen in England. Demgegenüber wird von Sokrates und Kant die Realität des Geisteslebens und seiner Kategorien aufrecht erhalten. Das Prinzip der Subjektivität tritt in die Geschichte der Metaphysik, aber zugleich mit dem Anspruch, objektivste Realität zu sein. 14 Diese Form des Gegensatzes 13

Am Rand zu diesem Satz ein Strich und daneben von Medicus: „gut".

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Am Rand von Medicus: „Statt,objektivste Realität' wohl besser: (wahrhafte Realität u.) Grund aller Objektivität".

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charakterisiert sich dadurch, daß sie aus erkenntnistheoretischen und ethischen Motiven einen empirischen Dualismus nicht verleugnen kann, ihn aber nicht durch einen Begriff der kategorialen Wirklichkeit, wie etwa Sub/stanz und Kausalität, überwindet, sondern durch einen solchen des geistigen Innenlebens, deshalb nicht ätiologisch sondern teleologisch wird.

Das Zentralproblem Aller Monismus muß konsequentermaßen jedes Einzelgeschehen als notwendig aus dem obersten Prinzip ableiten. Diese Notwendigkeit ist eine naturnotwendige auf der ganzen ersten Stufe des Gegensatzes, oder sie ist mit einigen Übergängen eine teleologische, so im Idealismus. Die Übertragung dieser Begriffe von Notwendigkeit auf das Verhältnis des Absoluten zur Welt führt unmittelbar in das Problem. Das religiöse Verhältnis steht in Analogie zum freien persönlichen der Menschen untereinander: Liebe und Zorn, sittliche Verantwortung und Schuld spielen hier die entscheidende Rolle. Es fragt sich also, ob die monistische resp. dualistische Auffassung diese Verhältnisse verstehen hilft, oder ob sie ein Verständnis verwehren und / dadurch schließlich zur Bestreitung der Tatsachen führen. Die allgemeine Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Welt zerfällt naturgemäß in die beiden Fragen nach dem Verhältnis Gottes zur Natur im weitesten Sinne und dem Verhältnis Gottes zum persönlichen Leben des Menschen. Der Schöpfungsgedanke. Die Identität von göttlicher und Weltsubstanz Nach Abstreifung des Zeitschemas enthält der christliche Weltschöpfungsgedanke folgende Momente: 1. die Abhängigkeit der Welt von dem göttlichen Willen; 2. die Geschiedenheit Gottes von der Welt. Demgegenüber behauptet der Monismus die Identität der Welt mit der göttlichen Natur und damit ihre Ewigkeit, und der Dualismus die Unabhängigkeit der Welt von der göttlichen Natur und damit auch ihre Ewigkeit. Anmerkung: Die höhere Qualität der göttlichen Natur wird / zwar vom Dualismus beibehalten, aber die niedere Qualität der Welt hat metaphysisch gleiche Notwendigkeit (s. Portig).

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N a c h dieser Darstellung könnte es fast erscheinen, als o b der christliche Schöpfungsgedanke die Mitte einnähme. D a s wird jedoch durch eine genaue Betrachtung des Begriffs der Schöpfung aus nichts widerlegt. Denn offenbar würde eine streng philosophische Ausdeutung dieser Vorstellung in Widersprüche führen. Die selbständige Realität einer Substanz außer der göttlichen führt aber wieder zum Dualismus; soll aber behauptet werden, daß die gesamte Wirklichkeit dieser Substanz in der göttlichen Wirklichkeit eingeschlossen ist, ein Teil dieser Wirklichkeit ist, so ist das eben monistisch. Demgegenüber ist nicht darauf zu rekurrieren, daß eine im göttlichen Wesen gegebene Möglichkeit noch keine von seinem Willen bejahte Wirklichkeit zu sein braucht. Denn diese Unterscheidung setzt Zeitkategorien für das überweltliche Wesen Gottes voraus, / wogegen sich das dogmatische Denken mit Recht durch den Satz gewehrt hat, daß die Zeit zugleich mit der Welt geschaffen ist. Der christliche Weltschöpfungsgedanke steht also prinzipiell nicht zwischen Monismus und Dualismus, sondern auf Seiten des Monismus gegen den Dualismus. Die Weltsubstanz hat keine metaphysische Realität gegenüber der göttlichen Substanz (Anmerkung: Substanz ist hier nicht in schulmäßig korrektem Sinn, sondern nur gleich Wesensinhalt und dergl. gebraucht). 1 5 Darum ist der christliche Weltschöpfungsgedanke noch nicht identisch mit dem monistischen dieser Stufe, denn die göttliche Realität geht nicht auf in der Weltrealität. Denn das ist das Ziel des Gedankenganges, zu zeigen, daß die Unterscheidung Gottes von der Welt nicht identisch ist mit der Unterscheidung zweier Substanzen, also nicht dualistisch gedacht werden kann, 1 6 sondern identisch ist mit der Unterscheidung zweier Relationen in Gott selbst. /

Der Erhaltungsgedanke. Atomistische und psychologistische Welterklärung Das gewonnene Resultat kann ohne weiteres auf den Erhaltungsgedanken angewandt werden. Ist die Weltwirklichkeit ein Teil 1 7 der

15

Am Rand zur Anmerkung von Medicus: „dürfte wegfallen".

"

Am R a n d ein Strich und von Medicus dazu: „ g u t " .

17

Am Rand von Medicus: „ D e r Terminus .Teil' ist nicht ungefährlich".

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Wirklichkeit Gottes selbst, so ist damit ihre Daseinsnotwendigkeit gegeben 18 (die Beschränkung s. unter idealistischer Kosmogonie), aber auch die unbedingte Abhängigkeit von der göttlichen Realität. Damit ist offenbar kein Akosmismus gegeben, sondern die Realität der Welt aufs stärkste behauptet, aber einer bestimmten Deutung unterworfen. Es sind hier ein paar Bemerkungen am Platze über den Unterschied von „psychischer Substanz" und geistiger Realität. Das Psychische beginnt, w o die Empfindungswelt, also ein „Innenleben" beginnt. Das Fließende der Grenzen hat zwar zum Panpsychismus führen können; dennoch findet sich in unsrem Bewußtsein eine klare Unterscheidung. Auf höherer Stufe kommt dann noch die Vorstellungs/tätigkeit hinzu. Alles das ist jedenfalls Gegenstand desjenigen Teils der Naturwissenschaft, der Psychologie heißt. Jeder geistige Vorgang aber, der Objekt 1 9 der Psychologie werden kann, ist damit als nicht subjektiv charakterisiert. Der Psychologismus als metaphysische Theorie ist psychischer Materialismus. Darum ist auch über den Gegensatz von psychologistischer und atomistischer Naturerklärung in unserm Zusammenhange nichts auszumachen; solange sie darauf verzichten, etwas anderes als Naturerkenntnis sein zu wollen, ist es gleichgültig, welche Form sich behauptet, sobald nur die Einheitlichkeit der gesamten Natur in ihrer göttlichen Realität gesichert ist.

Begriff der göttlichen Weltregierung Die Naturwissenschaft und exakte Psychologie hat immer durchschlagender gezeigt, in wie vollständiger Weise der Mensch ein Naturwesen ist,20 eingeschlossen in die Entwicklung, das Werden

18

Am Rand doppelt markiert u. von Medicus dazu: „Doch bloß unter der Voraussetzung, dass die Daseinsnotwendigkeit Gottes feststeht (was die Zustimmung zum ontol. Argument einschließen dürfte), u. zwar eines solchen Gottes, der die Existenz der Welt in seiner Existenz einschließt".

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Am Rand von Medicus: „Besser wohl: Jeder geistige Vorgang, sofern er Objekt der ...". Am Rand von Medicus: „,in wie vollständiger'? Nein! soll der Ton auf .vollständig' liegen, so erhebe ich Einspruch, dass dies überhaupt gezeigt wäre, u. soll der Ton auf ,wie' fallen, so hat das nicht die Naturwissenschaft, sondern die Philosophie zu zeigen".

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und Vergehen, die Gesetze des / natürlichen Geschehens. Die religiöse Betrachtung postuliert eine Leitung dieses Naturgeschehens durch Gott im Rahmen des Heilsplans. Die orthodoxe Dogmatik hat für diese Verhältnisse den Begriff des concursus eingeführt; er soll die Mitwirkung Gottes bei allem Geschehen ausdrücken und doch die Selbständigkeit der secundae causae behaupten. Der Gedanke ist dualistisch, aber er genügt nicht. Ein selbständiges Geschehen der Natur würde keine andre Wirksamkeit Gottes ertragen als eine eingreifende, d.h. die Selbständigkeit aufhebende. Aber das Postulat ist auch nicht nötig für die religiöse Gewißheit, die es verständlich machen soll. Es handelt sich um die Fähigkeit Gottes, die Welt zum Heil der Gläubigen zu leiten. Das ist die Gewißheit des Bittgebets Jesu in der 4. Bitte, an die wir unsre Betrachtung anschließen wollen.

Übel, monistische Theodizee und dualistische Kritik Wir betrachten zunächst die Voraussetzung dieser Bitte. Die Betrachtung bildet denjenigen Teil des / Theodizeeproblems, der die Vereinbarkeit des Übels in der Natur mit ihrem göttlichen Ursprung zu beweisen sucht. Vorausgesetzt ist dabei immer, daß die physische Vollendung, d.h. das Glück des individuellen Organismus das göttlich Normale ist. Die gewöhnliche Dogmatik pflegt das Problem mit der Behauptung zu lösen, daß das Übel als Folge des Sündenfalls in die Welt gekommen ist. Damit ist gegeben, daß der gegenwärtige Bestand der Natur in seinem tiefsten Wesen unnormal ist. Denn er ist eben auf das Leiden und Vergehen der Individuen angelegt. Um diesen Gedanken zu vermeiden, der nicht nur die Naturwissenschaft völlig entwertet, sondern auch einen grundlegenden, in allen ethischen und religiösen Betätigungen von den schwersten Konsequenzen begleiteten Dualismus behauptet, hat Leibniz den Begriff des Unvollkommenen mit dem der Endlichkeit gleichgesetzt. Er suchte damit ätiologisch einen Optimismus zu begründen, der zwar eine reale Zeitstimmung zum Ausdruck brachte, / dem aber als Rückschlag sehr bald ein ätiologischer Pessimismus folgte. Beides sind monistische Betrachtungsweisen, deren Einseitigkeit gegenüber [der] der oben angedeutete Dualismus allerdings die Aufgabe hat, den Übergang zu einem teleologischen Monismus zu bilden. Das Übel hat die Aufgabe, die physische Wirklichkeit als eine abgeleitete verstehen zu lehren. Das rein physische Individuum hat keine abso-

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lute Realität, die göttliche Realität geht in der physischen Produktion nicht auf. Es ist damit jedoch nicht gesagt, daß die physische Produktion nicht göttlicher Art wäre. Die in sich notwendige Bestimmtheit der Natur durch das Übel ist also nichts fremd Hineingekommenes, sondern etwas im göttlichen Wesen selbst Begründetes, aber nicht in der Endlichkeit der Natur, sondern in der nur teleologischen Realität der Natur als zu überwindendes und anzueignendes Mittel des Geistes. Das Bittgebet um äußere Gaben Damit ist auch das relative Recht / der Bitte um Glück behauptet, das absolute bestritten. Das Gebet um Bewahrung vor dem physischen Übel hat immer an der teleologischen Bedingtheit des Wertes der Natur seine Grenze. Die Erreichung des telos kann ebenso wohl geschehen durch Gabe der in der Natur vorhandenen 21 göttlichen Lebensrealität als durch die Offenbarung ihrer Grenze. Das führt uns wieder zu der Frage, ob das monistische Verhältnis von Gott und Welt die soteriologische Leitung des Weltalls nicht unmöglich macht. Offenbar liegt die Lösung in der oben begründeten teleologischen Bestimmtheit der Natur. Darum ist es aber auch nicht nur ohne Bedenken, sondern in der Tat von höchstem Wert, wenn der faktische, naturwissenschaftlich zu erkennende Lauf der Welt als die Materie des soteriologischen Handelns Gottes erkannt wird. Dem stellt sich nun folgender Gedankengang entgegen. Das Gebet hat gerade darin seine Bedeutung, daß Gott etwas tun soll, was er ohne das Gebet nicht getan hätte. Das müßte / bei der monistischen Identifizierung wegfallen. Der Glaube an die nicht nur subjektive Wirkung des Gebets würde dadurch zerstört. Aber dieser Gedanke geht von einer indeterministischen Fassung des Geisteslebens aus, die selbst ein Vorherwissen Gottes ausschließen würde. Statt dessen muß 22 der Gedanke so gefaßt werden, daß jedes ernstliche Gebet 21

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Am Rand von Medicus: „,in der Natur vorhandenen'? durch die Natur vermittelten". Am Rand ist der voranstehende Satz markiert und von Medicus kommentiert: „Ich verstehe nicht, worin dieses .Statt dessen muss' begründet sein soll. Ist der Indeterminismus eo ipso unzulässig? Oder ist das Vorherwissen Gottes religiöses Postulat? Ich würde beide Fragen verneinen müssen, sehe aber im Text keinen Anhaltspunkt zu einer dritten Formulierung und kann folglich den nebenstehenden Schlusssatz nicht gerechtfertigt finden, sofern er eine Überwindung des indeterministischen Gedankenganges sein soll".

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allerdings eine Realität in dem individuellen und universalen Geistesleben ist, zu dem sich das Naturgeschehen teleologisch verhält und daß darin der Naturlauf in seinem speziellen Sosein mitbestimmt ist durch die Realität des Gebets.

Das Wunder Über das Verhältnis der Wunderfrage zu unsrem Problem ist nur so viel zu sagen, daß der Gedanke, durch das Wunder vollzöge Gott mittels Aufhebung des gewöhnlichen selbständigen Naturgeschehens an irgendeinem Punkte ein direktes Naturwirken, rund abgewiesen werden muß. Dem Wunder kommt dann die Bedeutung zu, / an irgendeinem Punkte des Naturgeschehens das Vorhandensein einer hervorragend göttlich-geistigen Realität dadurch zu dokumentieren, daß die teleologische Aneignung und Überwindung der Natur in hervorragendem Maße sich vollzieht. Ob [der] Naturlauf identisch ist mit dem naturwissenschaftlichen Begriff von Naturgesetz ist eine Frage, von deren Beantwortung für unsre Betrachtung nichts abhängt. Eine Erörterung über Bedeutung und Geltung von Naturgesetzen ist darum überflüssig. Nur eine Durchbrechung der Naturgesetze ist selbstverständlich ausgeschlossen.

Das Welterkennen als Gotteserkennen und die dualistische Kritik Unsre Frage ist nicht etwa identisch mit der nach der natürlichen Gotteserkenntnis: Um aus der Natur einen geistig persönlichen Gott zu ersehen, ist die innere Anerkennung und Erfahrung einer solchen Realität nötig. Sondern es handelt / sich um die religiöse Wertung des Naturerkennens als solche. Es ist das ja eins der ernstesten Probleme in einer Zeit, wo die Naturwissenschaft das Schibboleth des Unglaubens ist und der Gegenstoß nur in der schwächlichen Weise der altapologetischen Lückenbüßertheorie geschieht. „Dies und das ist noch nicht naturwissenschaftlich bewiesen, also kann hier für Gott und den Glauben noch eine Stelle sein". Daß diese Schwächlichkeiten, die naturgemäß ein Rückzugsgefecht sind, das Ansehen des christlichen Gottesgedankens nicht vermehren, ist nur zu klar. Viel wertvoller ist da schon der neuerdings von Portig vertretene konsequente Dualismus, der Gott in dauernde notwendi-

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ge Wechselwirkung mit der Welt bringt. Aber sein System wird von den Schwierigkeiten des Dualismus gedrückt, die oben aufgewiesen sind. Viel eindrucksvoller und der Absolutheit des christlichen Gottesgedankens ebenso wie dem Zeitbewußtsein entsprechender ist der Ge/danke, daß Naturerkenntnis - rein wissenschaftliche natürlich, nicht irgendwie für Gottesbeweise zurechtgestutzte23 - identisch ist mit Gotteserkenntnis. Es war abgewiesen, diesen Gedankengang mit dem die natürliche Gotteserkenntnis betreffenden zu verwechseln. Was daran jedoch richtig ist, liegt in der Möglichkeit, von der Einzelforschung weiter zu einem Gesamtgebilde zu kommen, zu einer einheitlichen Naturanschauung. Gerade die Gedanken, die in der Natur ein göttliches Gesamtleben anzuschauen vermögen, sind geeignet, das sich immer breiter machende, aus der spezialisierten Einzelforschung stammende Banausentum zu überwinden. Es ist ein schwerer Fehler, wenn das Christentum es versäumt, sich auch diese Wahrheit Untertan zu machen.24 Nun treten aber demgegenüber dualistische Tendenzen hervor, in der Philosophie zunächst in erkenntnistheoretischer Form. Die platonische Idee ist der vollendete Ausdruck für / diese Abwendung vom zweifelhaft gewordenen Naturerkennen zu dem Reiche der höheren Wahrheit. Aristoteles setzt dann an Stelle des kausalen Erkennens des Demokrit das teleologische und formuliert so klassisch den Unterschied beider Weltanschauungen. Denn wo Teleologie ist, muß ein telos sein, das nicht wieder aus der Natur entnommen werden kann, sondern aus dem Geistesleben stammen muß.25 Das ist die idealistische Deutung der Wirklichkeit. Sie führt durch

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Am Rand doppelt markiert und von Medicus dazu: „.wissenschaftliche' soll hier wohl so viel heißen wie .naturphilosophische'? Wenigstens macht der folgende Absatz deutlich, dass die Einzelforschung nicht gemeint ist, u. die Erwägung der prinzipiellsten naturwiss. Gesetze ist logisch von derselben Art wie die allerspeziellste Untersuchung. Auch wüsste ich nicht zu verstehen, wie auch die allerprinzipiellsten naturwissenschaftlichen Einsichten (z.B. periodisches System der Elemente in der Chemie oder etwas der Art) auf die Anschauung eines göttlichen Gesamtlebens in der Natur führen sollen".

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Am Rand von Medicus: „Diese Wahrheit müsste nur erst einmal in Gestalt einer wirklich brauchbaren Naturphilosophie ausgesprochen sein".

25

Am Rand zu diesem Satz von Medicus: „(In dieser Allgemeinheit doch nicht zutreffend. Nicht das telos selbst, sondern nur sein Prinzip muss aus dem Geistesleben stammen: damit ist aber noch durchaus keine idealistische Deutung der Wirklichkeit begründet)".

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einen Dualismus hindurch und endigt in einem Monismus des Geistes. Ganz parallel ist die Entwicklung in theologischer Beziehung. Der Zerfall mit dem Naturerkennen führt zur Skepsis gegenüber der göttlichen Alleinheit der Natur. Die wahre Göttlichkeit wird dann der transzendenten Welt zugesprochen, und so tritt der Dualismus ein. Seine Überwindung findet erst in der zweiten Stufe statt. Dem griechischen Idealismus ist sie nicht gelungen, der deutsche hat sie bereits als Voraussetzung. /

Das Weltgefühl als Gottesgefühl und die dualistische Kritik. Der Gegenstand der Kunst (I. Stufe) Das „Weltgefühl als Gottesgefühl" könnte man die Periode Schleiermachers und seiner Zeit überschreiben, die durch seine „ R e d e n " bestimmt ist. M i t ursprünglicher Kraft tritt hier die im Neuplatonismus zum ersten M a l ausgesprochene, in der Renaissancephilosophie, im Spinozismus durch die mathematischen Formeln durchleuchtende Stimmung hervor, in der die ästhetischen Motive des monistischen Pantheismus ihren Ausdruck finden. Während die modern monistische Bewegung hier vielleicht ihre stärkste Kraft hat, ist die christliche Gemeinstimmung kaum an einem Punkte ablehnender als hier. Der Ästhetizismus ist zu oft an Stelle der Religion gesetzt worden, als daß das anders als natürlich wäre; normal ist es darum nicht. Eine Vernachlässigung an diesem Punkt rächt sich immer durch einen Zwiespalt im einzelnen und in der Zeit. / Nur wenn die Welt in ihrer Schönheit als Gottes Schönheit empfunden wird, ist dieser Zwiespalt überwunden. 2 6 Der Dualismus kann das offenbar nicht; denn wenn er auch von einem Walten Gottes in der Natur reden kann, so bleibt doch der Widerstand der selbständig realen Natur übrig, der niemals überwunden werden könnte und immer das Gegenteil eines Gottesbeweises bedeuten würde. Aber der Dualismus kann sich auch hier auf die Beobachtung stützen, daß die Tatsächlichkeit des Häßlichen, des Unharmonischen unbestreitbar ist. M a n versucht dies oft so zu überwinden, daß man den Schatten für notwendig erklärt, um den

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Am Rand markiert und von Medicus dazu: „Ich möchte annehmen, dass die Ausführung dieses Programms (dessen Legitimität ich anerkenne) identisch ist mit der (S. 39-41 geforderten) Naturphilosophie; eine Naturphilosophie, die etwas anderes wollte, scheint mir phantastisch ausfallen zu müssen".

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Hintergrund für das Licht zu geben. Das genügt jedoch nicht, sondern es muß mit dem teleologischen Monismus das Urteil: „Die Welt ist schön" verwandelt werden in das andere: „Die Welt soll schön sein". 2 7 Das Häßliche, das der Dualismus metaphysisch zu hypostasieren suchte, hat keine andre Realität / als die in unendlicher Tätigkeit zu überwindende Grenze des Schönen zu sein. 28 Ein wichtiges Licht fällt von hier aus auf die schwierige Frage nach dem Gegenstand der Kunst. Es ist zu begrüßen im Sinne unserer Erörterung, daß die moderne Bewegung die Darstellung sämtlicher Objekte der Natur zur Losung macht, anstatt in dualistischer Weise zwischen Darstellbarem und nicht Darstellbarem prinzipiell zu unterscheiden; aber das ist allerdings richtig, daß ein Objekt nur so dargestellt werden darf, daß die Beherrschung durch die Form zum Ausdruck kommt, also keine technische Wiederholung der noch nicht teleologisch angeeigneten Natur stattfindet.

Die genießende und handelnde Weltbejahung als Gottesbejahung Die dritte Form des persönlichen Verhaltens des Menschen zur Natur führt uns zu den wichtigen ethischen Problemen der Askese und des Quietismus. / Askese in dem weiteren Sinne: Verzicht auf genießende, Quietismus: als Verzicht auf handelnde Weltaneignung. Die historische Ubersicht hat gezeigt, wie stark die Ethik dualistische Gedankengänge wach hielt. Der ethische Dualismus des Plato ist erst in der

27

28

Am Rand von Medicus: „Nach meinem Dafürhalten muss es statt ,Die Welt ist schön' heißen: ,Die Welt ist Ausdruck (= Symbol) Gottes' - u. bei diesem Urteil hat es sein Bewenden. (Physische und moralische Übel vermögen niemals u. an keiner Stelle die göttliche Weltregierung wahrhaft zu stören, sind darum nur scheinbare Schwierigkeiten)". Ab dem Seitenumbruch am Rand markiert und von Medicus dazu: „Hier ist mir die ästhet. Stellung zur Welt zu sehr in Parallele zur sittlichen behandelt. Allein diese (bei allen Kantianern beliebte) Methode, die philos. Disziplinen möglichst parallel zu behandeln, verkennt, dass die Vernunft nicht eine Kommode mit 3 (oder 4) parallelen Schubfächern ist, sondern eine organische Einheit, in der jede Funktion eine völlig eigenartige Bedeutung hat. Die Behandlung nach einem feststehenden methodischen Schema wird zwar immer zu Resultaten führen, aber nie in das eigentlich Wesentliche der einzelnen Disziplinen hineinleuchten können".

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Reformation überwunden worden; und zwar protestierte das Luthertum namentlich gegen die Askese, die Reformierten gegen den Quietismus. Die hier vertretene monistische Ansicht ist geeignet, diesen Protesten die theoretische Grundlage zu geben. Denn sie postulieren doch zweifellos, daß in der zu genießenden oder zu beherrschenden Welt an sich nichts Realität hat, was von Gott scheiden könnte. „Es ist alles Gottes Gabe", ist die religiös-plastische Formulierung, „es hat keine Realität als göttliche", die philosophisch-abstrakte. Dem scheint zunächst die Beobachtung zu widersprechen; und in der Tat, wenn wir die immense widergöttliche Wirkung der Verstrickung in die sachliche Kultur, den Luxus und die Technik zu seiner Produktion beobach/ten, kann sich die Annahme einer selbständigen Macht aufdrängen. Doch zeigt sich darin nur, daß auch hier der naive Monismus zwar den Ausgangspunkt bilden darf, aber nicht fähig ist, Ruhepunkt zu sein. Die Weltbejahung soll eine Bejahung Gottes sein. Die Kultur soll von der Liebe angeeignet werden, sonst wird sie zur Unkultur, 2 ' das Genießen zum Ekel, das Herrschen zur Knechtschaft. Das Naturgenießen und die darauf gerichtete technische Kultur muß schließlich in den Dienst des Geisteslebens und seiner Werte treten. Der naive monistische Ausgangspunkt entspricht der ungetrübten Weltfreudigkeit des ungebrochenen Sinnes. Der kritisch dualistische Rückschlag verhindert ein Stehenbleiben auf dieser Stufe. Der teleologische Monismus enthält die Bejahung in geläuterter Form in sich. Dieser Stufengang ist nun nicht etwa bloß methodisch gemeint, er ist von jedem einzelnen in immer / anderen Formen wieder zu durchleben. Die Spannung, die hier beschrieben ist zwischen ontologischem und teleologischem Monismus, bringt mittels der dualistischen Kritik Bewegung in die Eintönigkeit einseitiger monistischer Betrachtungsweise.

Die Vollendung des Individuums (Mikrokosmos). Kritik des psychologischen Dualismus Das Christentum behauptet nicht Weltvernichtung sondern Weltverklärung, d.h. eine Welt, die frei ist von Übel und Sünde. Uns geht 19

Am Rand von Medicus: „zur .Unkultur' vielleicht nicht so sehr als zu der noch schlimmeren Uberkultur (d.h. zu einer Kultur, in der der substanzielle Geist erstorben ist)".

118

zunächst das erste an. Wir hatten den Satz aufgestellt, daß das Übel die Grenze der Realität des Physischen bedeute. Jede teleologische Realität unterscheidet sich nun von der physischen wie das Seinsollen vom Sein. Die Natur hat also dann ihre volle Realität, wenn sie ganz vom Geiste angeeignet ist, ganz ihre Aufgabe, Mittel der geistigen Tätigkeit zu sein, erfüllt hat. 30 Wir be/trachten zunächst das Problem beim Mikrokosmos. Ich nenne diejenige Ansicht psychologischen Dualismus, die das Nebeneinander zweier selbständiger Realitäten in der menschlichen Persönlichkeit behauptet, etwa eine geistige Seelensubstanz und eine leibliche Substanz. Erstere wird dann nach Plato unsterblich gedacht; nach der christlichen Lehre erhält sie dann bei der Auferstehung einen neuen Leib. Nun fragt es sich, ob in dem Schema: irdischer Leib - Leiblosigkeit (Zwischenleib) - geistiger Leib das Mittelglied nicht einfach platonisch-dualistischer Einfluß ist und mit den christlichen Gedanken nichts zu tun hat. Die religiöse Gewißheit, die der platonischen Formulierung zugrunde liegt, ist nun die allgemein menschliche, daß die Realität des Ich nicht aufgeht in der Realität des physischen Organismus. Das führt in der zeitlichen Vorstellung zu dem Dualismus von sterblichem und unsterblichem Teil des / Menschen. Diese Vorstellung hat das Christentum nun prinzipiell durch die Vorstellung überwunden, daß der Leib notwendig zur vollen Persönlichkeit gehört. 31 Aber die zeitliche Vorstellungsweise hat dann wieder das platonische Element hereingebracht, das der populären Redeweise auch unentbehrlich ist. Die physisch-monistische Betrachtungsweise ist an diesem Punkte Materialismus oder Psychologismus, die zwar als Forschungsprinzipien Bedeutung haben, denen gegenüber aber der Dualismus mit dem schärfsten Protest im Recht ist, sobald damit die Erfahrung der geistigen Freiheit bestritten werden soll. Um so mehr bleibt die Aufgabe, den teleologischen Monismus zu erreichen, in voller Kraft. Der Peripatetizismus hat durch die Behauptung, daß Stoff und Form sich notwendig gegenseitig bedingen, den Ansatz dazu gemacht. Die psycho-physische Organisation muß als die Basis betrachtet werden, deren höchste Spitze die mit geistigem Inhalt zu er/füllende Persönlichkeitsform ist. Das Rätsel des Todes kann bei individueller

30

Am Rand von Medicus dazu: „gut".

31

Am Rand von Medicus: „auch zur absoluten Persönlichkeit Gottes?!"

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Betrachtungsweise überhaupt nicht gelöst werden. Es muß verstanden werden im Zusammenhang des Gesamtgeschehens, ganz ebenso wie das Sündenproblem nur universell zu lösen ist.32 In beiden Fällen verbindet sich universale Notwendigkeit mit individueller Unverständlichkeit. Darum ist die christliche Vorstellung auch im Rechte, wenn sie die Auferstehung nur im Zusammenhang mit der universalen Weltvollendung behauptet. Spekulationen über die Zwischenzeit sind schon wegen des dabei vorausgesetzten Zeitschemas zu verwerfen. Einen Dualismus begründen sie keineswegs.

Die Vollendung der Natur (Makrokosmos) Der geistige Leib des gesamten Geisteslebens, d.h. die verklärte Natur und der individuelle Leib des Individuums entsprechen einander: Das ist der monistische Weltverklärungsgedanke / des Idealismus. Über die Bedingungen und die Form des Eintritts dieser Vollendung ist auf dieser Stufe nichts auszumachen. Die christliche Betrachtungsweise ist christologisch bedingt und gehört samt der entsprechenden philosophischen auf eine höhere Stufe. Hier kann nur als Resultat aufgestellt werden, daß das telos des teleologischen Monismus bezüglich der Aneignung der Natur durch den Geist imstande ist, die begriffliche Form für den christlichen Naturverklärungsgedanken zu liefern.

Die definitive Überwindung des physisch-ontologischen Monismus durch die Tat der Freiheit Die Dialektik unsrer Gedankenführung hat durch sich selbst den Versuch des physischen Monismus, auch die geistigen Kategorien zu erklären, abgewiesen. Es ist darum nicht nötig, näher darauf einzugehen. Religiös führt das Stehenbleiben auf diesem Standpunkt zur Naturreligion, nach der gewisse Moder/ne scheinbar wieder Verlangen tragen, wenn auch mehr noch in ästhetischer Form, so doch nicht ohne Kultus (s. die Schilderung der monistischen Kirche bei Häckel).

32

Am Rand von Tillich selbst: „vgl. S. 6 5 f f " .

120

Der entscheidende Punkt ist die geistige Selbstsetzung des Individuums, 33 die im Christentum als selbstverständlich vorausgesetzt ist, und nach der die religiöse Beziehung zu Gott gedeutet ist. Überall, w o diese Erfahrung fehlt oder durch physische und psychologische Kategorien des eigentlichen Inhalts beraubt wird, ist daher ein Verständnis des christlichen Erlebnisses unmöglich. Hier kommt es darauf an, „was für ein Mensch einer ist", wie auch Fichte erkannt hat, d.h. auf eine persönliche Tat, eben die der Selbstsetzung, die immer nur erkannt werden kann, insoweit sie geschieht.

Das telos des idealistischen Monismus und das höchste Gut des Christentums Wir treten jetzt aus dem Reich / der Natur in das der Geschichte: Der Monismus des Geistes als Ziel, der göttliche Geist oder Gott als Geist das Substrat der Weltgeschichte, dieser zentrale Gedanke des Monismus der zweiten Stufe muß verstanden und auf seinen Erkenntniswert für die religiöse Erfahrung geprüft werden. Es liegt im Begriff des teleologischen Monismus, daß mit der Darstellung seines telos begonnen werden muß. Nach Fichte ist es das Ziel des Weltgeschehens, daß das göttliche Sein durch Überwindung des Nichtich zum Dasein, d.h. zur Selbstdarstellung in der angeeigneten Natur komme. Bei Schelling wird daraus die Überwindung der Differenz, bei Hegel die Synthese des Seins und Andersseins im absoluten Geiste. Im persönlichen Leben ist das Ziel das vollkommene Bestimmtwerden durch Freiheit und Geist. 34 Die Überwindung von allem, was als Unfreiheit, als Nichtich in uns erfahren wird, das Einswerden mit dem göttlich-geistigen Gesamtleben. Das hat nun wieder/um zum Inhalt die Zusammenfassung aller individuellen Wirklichkeit durch den umfassenden Geisteswert der Liebe; dem ganz parallel ist nun im Christentum die doppelte Fassung des höchsten Gutes als Gotteskindschaft und als Reich Gottes. Das Gotteskind ist der Mensch in

33

Am Rand von Medicus: „des Individuums? der Persönlichkeit! (Nur da vermag etwas Individuelles die Tat der Selbstsetzung zu vollziehen, w o dieses Individuelle teleologisch bestimmt ist, sich zur Persönlichkeit zu gestalten)".

34

Am Rand von Schafft: „Was ist Freiheit oder das von uns als Nicht-Ich Empfundene? Ist das etwas inhaltlich Bestimmbares?"

121

seiner persönlichen Vollendung als vollkommen bestimmt durch den göttlichen Geist, und das Gottesreich ist die Liebesgemeinschaft der Gotteskinder in der verklärten Wirklichkeit.

Das rechtliche Geschehen als Übergang vom Physischen zum Geistigen; religiöse Wertung von Inhalt und Durchsetzung des Rechts 35 Die Rechtsidee wird in der christlichen Dogmatik als eine göttliche betrachtet und damit der positivistischen Betrachtungsweise widersprochen, die sie aus utilitaristischen Vertragsverhältnissen ableitet. Doch erhält sie erst dann ihre eigentliche Kraft, wenn die rechtliche / Entwicklung als eine göttliche gedacht wird, d.h. als eine der Formen, in der sich göttliches Sein durchsetzt. Natürlich bleibt die Betrachtungsweise rein teleologisch: Überall, w o wirkliches Recht vorhanden ist, ist göttliche Offenbarung. Der Gedanke erweist sich namentlich als fruchtbar im Hinblick auf soziale Bewegungen wie die sozialdemokratische. Es wäre unmöglich, daß das soziale Ideal der Sozialdemokratie für viele geradezu ein religiöses geworden wäre, 36 das sogar fähig ist, ohne Unsterblichkeitshoffnung als Ziel einer vielleicht noch fernen Zukunft Begeisterung des Kampfes zu erwecken, wenn hier nicht wirklich auch ein religiöses Gut dahinterläge. Es wäre gut, wenn es in christlichen Kreisen eindrucksvoller verkündigt würde, daß die soziale Sache eine göttliche Sache ist, daß überall, w o das Recht nicht zum Durchbruch kommt, ein Akt göttlicher Offenbarung verhindert wird. / Dem entspricht die Energie der Durchsetzung des Rechts. Hegel hat in der absoluten Rechtstheorie dem Gedanken den kraftvollsten Ausdruck gegeben: Das Recht auch als sich durchsetzendes Strafrecht hat seine Motive und Entscheidungen rein in sich selbst, nicht in irgendwelchen pädagogischen oder utilitaristischen Erwägungen. Der Verbrecher hat Recht auf Strafe; das ist ein monistischer Gedan-

35

Am Rand von Medicus: „Die folgenden Ausführungen bringen, soviel ich sehe, nichts zur Begründung dieser These, dass das Recht den Übergang vom Physischen zum Geistigen bezeichne. (Ein etwaiger Versuch, den Gedanken auszuführen, würde sich auf Fichtes Naturrecht stützen dürfen; übrigens halte ich gerade diesen Gedanken für falsch)".

36

Am Rand von Schafft: „Reifezeugnis für die Parteischule!"

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ke, denn er befreit das Recht von Willkür und stellt es in den universalen Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens.

Die geistige Selbsterfassung Die Geschichte als denkende, fühlende und handelnde Selbsterfassung 37 des universalen Geistes; die Geschichte der Welt- und Lebensanschauungen und -gestaltungen, die sich vollzieht in Individuen, Gemeinschaften, Zeitströmungen in der Gesamtgeschichte; das alles als Selbstdarstellung Gottes in Form der Überwindung des Nichtich, das / ist der Hauptgedanke des idealistischen Monismus: Selbsterfassung = Gotteserfassung. Es wird dem oft von christlicher Seite entgegengehalten, daß die Selbsterfassung zum Inhalt nur die Erfahrung des Unwerts der eignen Persönlichkeit habe, des ungöttlichen und unsittlichen Wesens in ihr. Das ist jedoch ein Mißverständnis des Idealismus. Denn erstens ist unter Selbsterfassung im idealistischen Sinne nicht die empirische Tatsächlichkeit der Person zu verstehen, sondern ihre teleologisch-geistige Eigenart, die noch völlig unentwickelt sein kann, die aber als ihr telos und ihre Eigenart unvergänglich ist. So ist in d[er] demütigendsten Erfahrung gerade ein Bewußtsein des Soll enthalten. Dieses Bewußtsein ist dann eigentlichster Inhalt der Selbsterfassung. Zweitens steht in dieser Selbstbesinnung Subjekt und Objekt sich nicht einander gegenüber als Betrachtetes und Betrachtendes, sondern die Selbstbesinnung ist immer ein Akt der Selbstsetzung, / und jede Selbstsetzung ist eine Durchsetzung der universalen Weltvernunft an einem Punkte. Nun liegt dieser Gedanke in der christlichen Theologie überall da vor, wo von einem logos spermatikos die Rede ist, ja überall da, wo die normative Bedeutung des Gewissens als der göttlichen Offenbarung in uns behauptet wird. Seine Notwendigkeit liegt darin, daß das Christentum, indem es sich an alle richtet, bei allen die Möglichkeit der Wahrheitserkenntnis anerkennen muß. Die Offenbarung muß etwas im Menschen finden, das sie bejaht, natürlich nur bei denen, die aus der Wahrheit sind,38 d.h. bei denen, die die grundlegende Tat 37

38

Am Rand von Medicus: „Ob es möglich ist, von einer ,fühlenden Selbsterfassung' zu sprechen, könnte wohl bezweifelt werden: denn Selbsterfassung meint eine Tätigkeit (wie Denken oder Handeln); aber inwiefern soll .Fühlen' Charakteristikum einer Tätigkeit sein?" Am Rand ist dieser Satz markiert, von Medicus dazu: „gut".

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der Freiheit vollzogen haben.3' Die Wahrheit ist nichts der Person Äußerliches, autoritativ ihr Gegenüberstehendes, sondern ist ihr eigenstes Wesen.40 Das ist allerdings ein Widerspruch gegen den dualistischen Pessimismus der Konkordienformel, wenn sie den natürlichen Menschen für einen truncus et lapis gegenüber dem göttlichen Wirken erklärt. / Derartige Formulierungen machen die Erlösung zur Magie, sie drücken die ganze Fragestellung auf die physische Stufe herab und werden Luthers I. Artikel nicht gerecht.41

Die ästhetische Erfassung des geistigen Geschehens. Gegenstand der Kunst (II. Stufe) Wir haben absichtlich die Ästhetik nach ihrem Objekt geschieden; soweit dies der Naturlauf, die natürlichen Empfindungen usw. sind, gehört sie in die erste Stufe; soweit sie das geschichtliche Werden, d.h. das Ringen der geistigen Werte um ihre Durchsetzung mit dem Individuum und gegen dasselbe zum Objekt hat, gehört sie in die 2. Stufe. Es ist von großer Bedeutung für das Christentum, eine vollendete bejahende Stellung dazu einzunehmen.42 Es wird Zeit, daß die verderbliche Zwitterstellung der gebildeten Christen43 zwischen ihrer Religion und ihrer „Bildung" aufhört44 und auch die Bildung nur als ein Stück des / religiösen Werdens erkannt wird.45 Wir behandeln auf dieser Stufe noch einmal die Frage nach den Gegenständen der Kunst. Die Antwort ist hier noch klarer: Alles, was unter dem Gesichtspunkt göttlichen Geschehens gebracht werden kann, muß Gegenstand der Darstellung werden. Damit natürlich auch alles, was Widerstand bedeutet. Das ist nicht etwa ein Eingriff der Ethik in die Ästhetik. Die ästhetische Norm hat in sich selbst dies Postulat. Nur was Sein hat, kann ästhetisch wirken; alles Sein ist also

3

'

40

Am Rand von Schafft: „dualistischer Optimismus u. Pelagianismus!" Am Rand ist der Satz markiert, von Medicus kommentiert: „ g u t " .

41

Am Rand von Schafft: „Seite 5 8 oben Luthers II. Artikel noch viel weniger!!"

42

Am Rand eine nicht eindeutig identifizierbare Bemerkung von Büchsei (?).

43

Am Rand ein Fragezeichen.

44

Am Rand ein Fragezeichen.

45

Am Rand von Schafft: „Etwas, was bleibt, oder etwas das überwunden wird - erst dann ist die Frage nach ,Zwitterstellung' oder nicht entschieden; cf. Anmerkung von Medicus S. 9 9 " .

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Gegenstand, aber nur, was göttlich ist, hat Sein, alles andere ist Grenze: Und das muß in der Darstellung zum Ausdruck kommen.46

Die sittliche Selbstsetzung Die Verwirklichung der Normen ist das Handeln, das Tun der Wahrheit. Der Dualismus zeigt den Zwiespalt zwischen Wollen und Handeln auf und protestiert gegen den sokratischen Intellektualismus, der das Tun als unmittelbare Folge des Erkennens faßt. Wie weit das bei / Sokrates zutrifft, ist bekanntlich ein historisches Problem. Den deutschen Idealismus trifft es jedenfalls nicht; denn der Gedanke gewinnt sofort ein anderes Gesicht, wenn die Erkenntnis selber eine Tat ist; dann ist die sittliche Tat nicht eine Naturnotwendigkeit, sondern eine sittliche Notwendigkeit von Anfang bis zu Ende, nämlich Freiheit. Das entspricht ganz dem Verhältnis von Glaube und Liebe im Christentum. Die Gewißheit der Gotteskindschaft hat das Leben als Gotteskind unmittelbar in sich, aber auch nicht naturnotwendig: „Wandelt im Geist, da ihr im Geiste seid", muß gesagt werden; und doch ist es eine sittliche Notwendigkeit, denn der Satz ließe sich nicht etwa auf die Voraussetzung zurückführen: Ihr habt den Geist, aber ihr wandelt nicht in ihm. Die zusammenfassende sittliche Norm ist die Liebe. Jeder Akt der Liebe ist ein Akt der Selbstdarstellung Gottes, eine Überwindung des Nichtich, ein Schritt des Geistes auf dem / Wege zu sich selbst. Es gibt dieser Gedanke einen starken Antrieb, daß jede unsittliche Tat eine Verhüllung Gottes, ein Zurückbleiben hinter seinem Ziel ist, und jede Liebesübung eine Verwirklichung göttlichen Lebens. Das ist weit mehr, als wenn der Dualismus von der Erreichung meines Ziels und

46

Der letzte Satz ist am Rand markiert; von Medicus dazu: „Der eigentliche Sinn dieser Sätze ist mir nicht klar: Aus den Behauptungen ,Nur was Sein hat, kann ästhetisch wirken' - ,nur was göttlich ist, hat Sein' scheint hervorzugehen, dass die Möglichkeit einer ästhetischen Frivolität geleugnet werden soll wogegen alle formalästhetischen Normen Einspruch erheben, da sie gegen den Gehalt des Kunstwerks indifferent sind. Die Forderung, die der nebenstehende Schlusssatz erhebt, scheint nun allerdings auch anzuerkennen, dass es ästhetisch Wirkendes gibt, das kein göttliches Sein hat: aber wenn es so gemeint ist, so ist das Verhältnis zu den voraufgehenden Behauptungen zum mindesten undeutlich".

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der Vollendung meiner Persönlichkeit spricht.47 Natürlich ist das unbedingte Voraussetzung, aber die Betrachtungsweise verschieden und die monistische (der reformierten nahestehend) die höhere.

Universelles und individuelles Geistesleben. Die individuelle Persönlichkeit und das Freiheitsproblem Das Letztgesagte führt auf ein Problem, das sich ungenannt durch die ganze Erörterung hindurchzog: die Frage nach dem Verhältnis von individuellem und universellem Geistesleben. Es scheint der Monismus hier seine pan/theistische Tendenz darin zu zeigen, daß er den einzelnen aufgehen läßt in der Gesamtheit, während das Christentum ein Reich frei erschaffener, Gott ähnlicher Persönlichkeiten will. Es handelt sich um die Bestimmung des Freiheitsbegriffes, der ja nach Fichte einfach mit Geist oder Ich vertauscht werden kann. Wir hatten im ersten Teil48 die völlige natürliche Eingeschlossenheit des Menschen in das Gesamtnaturgeschehen betont, ohne darum seine organische Selbständigkeit zu leugnen. Ganz analog ist es auf geistigem Gebiet. Die individuelle Persönlichkeit stellt gewissermaßen einen Organismus dar, in dem die geistigen Werte zur Darstellung kommen; weil die Natur Grundlage, Stoff und Mittel der geistigen Betätigung bildet, muß das Geistesleben sich an einem Punkt vollziehen, wo die Natur in völlige teleologische Dependenz49 zum Ich gebracht werden kann, d.h. in der psycho-physischen Anlage / des Menschen. Damit ist ein Aufgehen ins Unbestimmte verhindert. Doch trifft die individuelle Persönlichkeit allerdings die doppelte Beurteilung der physis überhaupt, daß sie als Mittel des Geisteslebens überwunden werden muß, insofern sie Schranke ist, angeeignet und verklärt werden muß, insofern sie Stoff ist. Die Behauptung der Freiheit besagt nun, daß diese Aneignung der individuellen Natur-

47

48 49

Am Rand markiert, von Medicus dazu: „gut"; von Schafft daneben: „ist diese Begrenztheit mit jeder Art von Dualismus notwendig verbunden?" Von Medicus am Rand: „Vgl. S. 3 2 " . Am Rand von Medicus: „Unter teleologischer Dependenz pflegt ein kategoriales Verhältnis verstanden zu werden, d.h. also: ein Verhältnis zwischen Objekten. Hier aber handelt es sich um ein Verhältnis zwischen Ich u. objektiver Tatsächlichkeit. - Ich würde etwa sagen: ,... an einem Punkte vollziehen, wo die Natur unmittelbarer Ausdruck des Ich wird, d.h. in der . . . " ' .

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basis sich in einer Form vollzieht, die von dem kategorialen Denken nicht erfaßt werden kann, da sie ichhaften Charakter hat. Weder der psychologische Determinismus noch Indeterminismus, weder Naturnotwendigkeit noch Naturzufälligkeit genügen zur Begriffsbestimmung. Die Willensfreiheit liegt,50 wenn man sich so ausdrücken will, zwischen beiden, und es kommt auf die jeweilige Beziehung an, welche von beiden betont werden muß. Nun ist es berechtigt, im Blick auf das Individuum die Zufälligkeit, im Blick auf das Ganze die Notwendigkeit zu / betonen. Kein Akt ichhafter Tätigkeit ist ohne Zusammenhang und teleologisch als notwendig zu begreifender Platz im Gesamtleben; und doch ist es unmöglich, diese Notwendigkeit ätiologisch zu verstehen. In dieser Doppelseitigkeit liegt das Recht der Prädestinationsgedanken, aber auch ihrer Bestreitung: die Unverständlichkeit des sittlich religiösen Vorgangs ohne den Zusammenhang mit dem göttlichen Willen einerseits, das Bewußtsein der sittlichen Verantwortlichkeit andrerseits. Der idealistische Monismus kann, was dem indeterministischen Dualismus unmöglich ist, beiden Seiten die Formeln liefern, aber auch beide vor Extremen behüten.

Das Wesen der Sünde, ihre individuelle Unverständlichkeit und universale Notwendigkeit51 Das Problem der Sünde wäre vom Standpunkt des idealistischen Monismus leicht zu lösen, wenn es ohne weiteres möglich wäre, die Sünde als das noch / nicht angeeignete Nichtich zu bezeichnen, als das me on. Das würde aber zunächst der Tatsache des bösen Willens nicht gerecht werden. Die christliche Dogmatik pflegt die notwendige Möglichkeit der Sünde zu behaupten, ihre notwendige Wirklichkeit aber zu bestreiten; sie behauptet dann wohl gar die begriffliche Notwendigkeit der Unverständlichkeit der Sünde. Wir haben zunächst davon auszugehen, daß das Verständnis der Sünde doppelter Art sein kann, ätiologischer und teleologischer. Während ersteres der physischen Stufe des Gegensatzes entspricht, findet sich das zweite auf der

50

Von Medicus am Rand: „Ich würde mich nicht so ausdrücken wollen: die hier vertretene These der Willensfreiheit liegt doch auf einer anderen Höhe; sie involviert eine ganz andere Stellung zum Realitätsproblem".

51

V o n Tillich selbst am Rand: „vgl. S. 50".

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idealistischen. Die Sünde ist der Mangel an überwundenem Nichtich, präziser und der Tatsächlichkeit entsprechender das Zurückbleiben der geistigen Persönlichkeit hinter ihrem telos,52 wobei der Ton auf geistige Persönlichkeit zu legen ist. Denn dann wird klar, daß dies Zurückbleiben nicht nach Analogie eines physischen Vorganges zu denken ist, sondern in der / Tat als böser Wille verstanden werden kann. Nur ist dieser Wille nicht logisch auf gleicher Stufe mit dem sittlichen Willen;53 er ist rein psychologisch und bedeutet die Selbstbehauptung der sarx, d.h. des Menschen als psycho-physischer Organismus mit natürlichem Lebenstrieb.54 Der sittliche Wille dagegen ist die Selbstbejahung der geistigen Persönlichkeit, der formell natürlich auch der Wille als psychologische Tatsache zugrundeliegt, die aber inhaltlich darüber hinausgeht. So oft diese Selbstbejahung dieser Persönlichkeit unterbleibt, findet Sünde statt. Wird nun weiter gefragt, warum das geschieht, so ist für den einzelnen Fall jede kausale Erklärung ausgeschlossen, dagegen ist für den Gesamtverlauf die teleologische Notwendigkeit der Sünde aus größeren Zusammenhängen zu verstehen. Damit ist ein ähnliches Spannungsverhältnis gegeben, wie in der christlichen Lehre von der Erbsünde und Tatsünde. Die eine behauptet die universale Notwendig/keit, die andere die individuelle Freiheit der Sünde. Da in der Lehre vom Falle Adams keine darüber hinausgehende Erkenntnis gewonnen wird, so ist die Notwendigkeit dieser Lehre zweifelhaft; denn wenn die völlig freie Tatsünde doch als aus der Erbsünde entspringend verstanden wird, so liegt im Sündenbegriff jedenfalls keine Nötigung zu dieser Lehre; aber auch für die Theodizee macht sie nichts aus. Denn dann müßte diese bei dem erbsündlichen Verderben jedes Menschen von Neuem versucht werden. Es liegt also in der christlichen Lehre keine andere Nötigung vor als im idealistischen Monismus: die Sünde im einzelnen als frei und verantwortlich, insgesamt als notwendig zu verstehen, als das zu Überwindende.

52

Am Rand von Schafft: „nicht Fisch und nicht Fleisch".

53

Am Rand ist dieser Satz markiert und mit einem Fragezeichen versehen.

54

Von Medicus dazu: „Es könnte hinzugefügt werden, dass das Ich auf dieser Stufe nur formal, nur seiner Form gewiss ist: Der psycho-phys. Organismus ist ja etwas aus dem Reich der Objekte, auch beim Tier vorhanden, also nicht charakteristisch für die Sünde. Es würde darauf ankommen, zu zeigen, dass das formale Ich in sich selbst eine notwendige teleologische Beziehung auf die Materie der Ichheit hat".

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Sünde und Übel Wir hatten die historisch-mythologische Form der Verknüpfung von Sünde und Übel abgelehnt, ohne damit den Gedanken selbst / treffen zu wollen. Zwar seine Form als individuelle Vergeltungslehre ist weder philosophisch noch theologisch brauchbar, dagegen besteht sein Recht in einer doppelten Erwägung. Einmal bringt es die teleologische Beziehung des Naturgeschehens überhaupt mit sich, daß, ehe das telos nicht erreicht ist, die Natur in ihrem Charakter als Grenze des Geistes sich wirksam zeigt. Da nun die Überwindung der Natur ein ethisches Ziel ist, so ist jedes Zurückbleiben hinter diesem Ziel eine Ursache für das Bleiben des Übels: Das ist die universalistische Gedankenreihe. Bei der individuellen muß von den Übeln abgesehen werden, die mit der Sünde in direktem Naturzusammenstande [sie!] stehen, obgleich sie bis zu einem gewissen Grade auch hierher gehören. Der eigentliche Zusammenhang liegt im Subjekt. Je mehr der Mensch reines Naturwesen ist, desto mehr wird das Übel als Lebenshemmung empfunden.55 Besonders deutlich wird das beim Tode. Für den / Frommen ist er wesentlich Übergang in die Ewigkeit, für den jedoch, dessen Sein vollständig mit seinem psychischen Sein zusammenfällt, ist der Tod der Inbegriff des Schreckens; denn er bedeutet in der Tat sein Ende, den ewigen Tod (eine Vorstellung wie die der Ewigkeit der Hölle ist dem Monismus allerdings fremd; denn das Nichtseiende kann nicht ewig sein, sonst würde es sein eigenes Sein haben, daß hieße den Dualismus verewigen).56

Erlösung. Die beginnende Hypostasierung des Gottesbegriffs Der monistische Erlösungsgedanke ist inhaltlich identisch mit der monistischen Eschatologie.57 Erlösung ist Befreiung von der Schranke des Nichtich, sei es als Übel, sei es als Sünde, ist Vollendung der Persönlichkeit. Formell scheint er den Charakter der Selbsterlösung

55

Am Rand von Medicus: „ g u t " .

56

Die Klammerbemerkung ist am Rand markiert und von Schafft kommentiert: „eine ziemlich wichtige Klammer! (Gericht und .unsterbliche Seele' - oder apokatastasis panton? dann also F e g e f e u e r - ) " .

57

Am Rand von Schafft: „cf. die 'christ'-liche Eschatologie, sonderlich Jesu - des 'Enthusiasmus'!"

129

zu haben; es sind Taten der Selbstsetzung, in der sich die Überwindung des Nichtich vollzieht. Aber das / ist doch nur Schein. Denn nicht das Individuum als solches ist es, was die geistige Selbstsetzung vollzieht, sondern der Geist, das universale Geistesleben als Einheit gedacht in ihm. An diesem Punkt vollzieht sich nun unter dem Druck der dualistischen Kritik 58 die höchst bedeutungsvolle Scheidung der objektiv 59 als Realität gedachten Geistigkeit von der im Subjekt sich durchsetzenden. Hier setzt die Überwindung des rein teleologischen Monismus und sein Zurücklenken in einen ontologischen ein,60 wodurch zugleich dieser Idealismus den theistischen Gottesbegriff philosophisch zu begründen vermag. Der Gottesglaube hypostasiert das Postulat der unbedingten Gültigkeit und Realität der geistigen Werte, indem er seine Durchsetzung unabhängig vom Einzelgeist macht.

Autonomie und Gewißheit: Gott als Quelle der Norm. Der theistische Gottesgedanke Noch eine zweite Gedankenlinie / führt zu diesem entscheidenden Resultat. Es war von Selbstbesinnung und Selbsterfassung die Rede. Das scheint zu besagen, daß das Ich die Quelle seines geistigen Inhalts ist, der durch Selbstbesinnung zum Bewußtsein gebracht wird. Der christliche Gedanke spricht von einer Menschheitserziehung auf Jesus hin und von einer Geschichte der Aneignung Jesu in der Menschheit. Jesus ist Autorität 61 wie alles, was göttlichen Geist hat. Die Theonomie ist Synthese von Heteronomie und Autonomie. 62 Denn Gott steht uns als Herr gegenüber, und doch sind wir

58

Am Rand von Schafft: „warum?"

59

Medicus dazu am Rand: „Der Ausdruck,objektiv' wäre hier besser vermieden worden; also etwa: ,... Scheidung der als unbedingte Realität...'". Am Rand markiert und von Medicus dazu: „Dies kann eigentlich nicht gesagt werden, weil auch schon bisher unter idealistischem Monismus keine reine Teleologie verstanden wurde, sondern eine solche, die (wie Fichtes W.-L.) zugleich Theorie sowohl des objektiven Daseins wie der absoluten Realität ist".

60

"

Am Rand von Medicus: „Autorität?"

62

Medicus dazu: „Nein, die Theonomie ist vielmehr die Vollendung der Autonomie".

130

nach seinem Bilde geschaffen.63 Eben dasselbe will nun auch der Idealismus sagen,64 wenn er der dualistischen Skepsis gegenüber die Wahrheit unabhängig macht von ihrer mangelhaften Realisierung im Individuum und sie in Gott hypostasiert. Gott wird zur lebendigen Wahrheit, während in uns die Wahrheit verdorben ist durch das unangeeignete Nichtich und die Elemente der Heteronomie. / Die Gemeinschaft mit dem Urquell des Guten und Wahren gibt die Kraft zur Selbstbehauptung des geistigen Ich und zur Überwindung der Schranke. Das ist der erste Ansatz zur Überwindung des rein teleologischen Monismus, und diese Stufe muß nun betrachtet werden.

Gott als der Allmächtige Von dem so erreichten Gottesbegriff ist zunächst ein Rückblick zu tun auf sein Verhältnis zu den bisher erörterten Formen der Selbstdarstellung Gottes. Dem entspricht in der Dogmatik ein Teil der Lehre von den Eigenschaften Gottes, etwa das, was unter Allmacht, Allgegenwart und Allwissenheit Gottes verstanden wird. Der Satz von der Substanzeinheit Gottes und der Welt macht diese Begriffe insofern überflüssig, als sie in ihm ohne weiteres enthalten sind. Doch geht der Inhalt noch insofern darüber hinaus, als sie religiös besagen, daß der Heilsgott zur Durchfüh/rung seines Heilsplans der Welt unbedingt mächtig ist. Diesem Postulat wird nun der teleologische Monismus insofern gerecht, als nach ihm die Allmacht diejenige Eigenschaft Gottes bedeutet, nach der in ihm die unbedingte Garantie gegeben ist, daß der Weltlauf trotz seiner gegenteiligen Tatsächlichkeit seiner teleologischen Beziehung zum geistigen telos unterworfen wird; die Allgegenwart, daß an jedem Punkt des Weltgeschehens die göttliche Wirksamkeit auf das telos hin am Werke ist; Allwissenheit, daß jedes Moment dieses Geschehens seinen beabsichtigten und notwendigen Platz hat (natürlich letztlich im göttlichen Selbstbewußtsein seine Realität hat).

63

Medicus am Rand dazu: „Nein; Gott steht zwar zu uns im Verhältnis des Herrn, aber er steht uns nicht als solcher gegenüber. Ascendere ad Deum, hoc est intrare ad semetipsum, et non solum ad se intrare, sed ... in intimis etiam seipsum transiré (Η. v. St. Victor). Also zwar Unterscheidung in aller Schärfe, aber kein Gegenüberstehen".

64

Von Schafft am Rand: ,„Du' sagen?"

131

Was an diesen Begriffen zu fehlen scheint, das persönliche Moment des religiösen Erlebnisses, führt nun auf die Frage nach dem eigentlichen Inhalt des idealistischen Gottesgedankens. /

Gott als der Gerechte Die überleitende Idee ist wieder die Rechtsidee. Die Gerechtigkeit ist in der Theologie eine der Eigenschaften Gottes; ihre Hauptbedeutung liegt in der Rechtfertigungslehre. Die eigentümliche Zwischenstellung dieser Idee zwischen der physischen und geistigen bringt es mit sich, daß sie teils höchst geeignet erscheint, die sittlich-religiösen Verhältnisse konkret zu veranschaulichen, teils eine unberechtigte Übertragung in ein höheres Gebiet bedeutet. Für unsre Betrachtung bezeichnet der Begriff nur die Hypostasierung der Rechtsidee im Gottesgedanken, das heißt: die Garantie der unbedingten Realisierung des Rechts. Nun bezieht sich der Rechtsgedanke insofern auf Sachen, als er die Durchsetzung des Anspruchs jeder Persönlichkeit auf den ihr zukommenden Teil der sachlichen Wirklichkeit fordert, insofern auf Personen, als er mit dem Anspruch eines Gesetzes auftritt, das die Kraft hat, sich auch / gegen die Einzelpersonen durchzuführen [sie!]. Diese zweite Beziehung gibt nun die Analogie ab für die höheren Normen der sittlich-religiösen Wirklichkeit. Die Analogie besteht also darin, daß 1. die Norm unbedingte Gültigkeit hat - aber nicht, wie im Recht, auf das Zustandekommen äußerer Verhältnisse und Handlungen abzweckt, sondern auf innere Realitäten; 2. darin, daß die Norm sich auch unbedingt gegen die Person durchsetzt - aber nicht, wie beim Recht, durch Mittel, die der Person schließlich äußerlich bleiben, sondern durch das Zustandekommen oder Verfehlen des telos der geistigen Persönlichkeit, was für den Monismus identisch ist mit ihrem Lohn und ihrer Strafe. Es kann also auf dieser höheren Stufe nicht von einer Gerechtigkeit Gottes (abgesehen natürlich von dem Verständnis des Wortes im eigentlichsten Sinn, s.o.) als einer selbständigen Eigenschaft gesprochen werden, sondern es kann damit nur die Form bezeichnet werden, in der sich der göttliche / Lebensinhalt unbedingt durchsetzt.

132

G o t t als V a t e r . D e r I n h a l t seines W e s e n s : W a h r h e i t u n d L i e b e D e r g ö t t l i c h e L e b e n s i n h a l t w i r d n u n in der idealistischen Spekulatio n seit A r i s t o t e l e s als in sich r u h e n d e s D e n k e n , als S e l b s t b e w u ß t s e i n b e t r a c h t e t , a l s o w e s e n t l i c h n a c h d e r intellektualistischen Seite unseres Geisteslebens gedeutet.65 D a s christliche Denken dagegen

hat

i m m e r ein v o l u n t a r i s t i s c h e s M o m e n t in sich, d e n n die L i e b e G o t t e s ist ein W i l l e ; n a m e n t l i c h v o n A u g u s t i n s t a m m t diese Seite d e r Ü b e r t r a g u n g . Sie findet ihre e x t r e m s t e A u s b i l d u n g in D u n s S k o t u s , 6 6 d e r für W i l l e W i l l k ü r setzt. D e r I d e a l i s m u s h a t in F i c h t e u n d Schelling n o c h beide M o m e n t e in sich, w ä h r e n d in H e g e l d e r I n t e l l e k t u a l i s m u s wieder z u m Durchbruch k o m m t , w o d u r c h der Gegenschlag Schop e n h a u e r s u n d die v e r s u c h t e Synthese H a r t m a n n s v e r s t ä n d l i c h w i r d . D e r V o l u n t a r i s m u s h a t a u s seiner a n t i i n t e l l e k t u a l i s t i / s c h e n P o l e m i k i m m e r ein M o m e n t des I r r a t i o n a l i s m u s in sich a u f g e n o m m e n , d a s i h m eigentlich n i c h t w e s e n t l i c h i s t . 6 7 I m Begriff d e r L i e b e ist dies M o m e n t a u s g e s c h i e d e n , 6 8 u n d er ist d a h e r d e r I n h a l t des g ö t t l i c h e n W i l l e n s , w ä h r e n d d e r I n h a l t seines S e l b s t b e w u ß t s e i n s W a h r h e i t ist. 6 9

65

Medicus dazu am Rand: „Ich halte den Ausdruck .intellektualistisch' hier für bedenklich, so beliebt er auch in diesem Zusammenhange ist; besser wäre ,theoretisch'. Gott als ,in sich ruhendes Denken' ist doch etwas ganz anderes als Intellekt".

66

Medicus am Rand: „Dies stimmt nicht ohne Einschränkung, steht allerdings wohl noch in allen Lehrbüchern. (Vgl. Büchseis Thesen)".

67

Am Rand von Medicus kommentiert: „sehr richtig. In der antiintellektualistischen Polemik steckt eben meist ein Missverständnis dessen, was das in sich ruhende Denken meint".

68

Medicus am Rand: „gut".

69

Am Rand von Medicus: „Die folgenden Sätze sind mir nicht ganz deutlich. Terminologisch möchte ich die Ausdrücke .Selbstbewusstsein'; ,formell'; .objektive Realität' beanstanden: Ich nehme an, dass folgendes gesagt werden soll: Wenn ich sage, Gott ist die lebendige Wahrheit, so will ich damit betonen, dass in ihm absolute Klarheit ist, kein dunkler Urgrund Jakob Böhmescher Art, dass Gott sicher davor ist, durch seine .Natur' überrascht zu werden; also Negation alles Pathologischen in ihm. Indem nun Gott als die einzige schlechthinnige Realität gelten kann, ist in dieser These, dass die absolute Realität die lebendige Wahrheit sei, die absolute Realität alles irgendwie Naturhaften negiert. Absolute Realität hat nur die Freiheit, nur das Ich. - Sage ich nun, Gott ist die Liebe, so charakterisiere ich damit die Freiheit näher. Freiheit, Ichheit kann nicht untätig sein. (Nur wenn das Absolute ein Ding wäre, könnte es untätig gedacht werden.) Es ist Aufgabe der praktischen Philosophie, in ihren dialektischen Entwicklungen den Inhalt

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Es ergibt sich daraus folgendes Schema: Das göttliche Ich als in sich ruhendes ist formell Selbstbewußtsein, und alles, was Inhalt davon ist, ist wahre Wirklichkeit, Wahrheit als objektive Realität im johanneischen Sinne, und das göttliche Ich als über sich hinausgehendes ist Wille, und alles, was gewollt ist, ist Liebe.

Gott als Vater. Die Form seines Wesens: Die absolute Persönlichkeit70 Diese Gedanken haben ihre Bedeutung, den Begriff des persönlichen Gottes philosophisch zu begründen. Das Problem liegt in dem Begriff der absoluten Persönlichkeit. Der Begriff ent/hält das Postulat, das Persönliche so zu denken, daß es von allen Schranken befreit ist, die dem Begriff des Absoluten widersprächen, und dem Begriff des Absoluten einen solchen Inhalt zu geben, daß das Wesentliche des Persönlichkeitsbegriffs nicht zerstört wird. Was das erste betrifft, so hilft der Unterschied von Individualität und Persönlichkeit weiter. Im Begriff der Individualität liegt, daß der einen als Eigenart zukommt, was der anderen nicht zukommt, daß also die eine Individualität ihre Grenze an allen anderen hat. Das gilt natürlich nicht für das Absolute, das sein Wesen als unbegrenztes verlieren würde, wenn es an etwas wirklich Seiendem seine Grenze hätte. Es wird hier oft der Unterschied von infinitum und indefinitum betont: ersteres käme-Gott zu, aber nicht letzteres. Das trifft nun in der Tat auf die negative Theologie zu, nicht aber auf die idealistische. Denn diese behauptet das Allerpositivste, / daß Gott an nichts Realem seine Grenze habe. Nun aber muß von der anderen Seite her dem Realen eine Definition71 und damit dem Absoluten ein Inhalt gegeben werjener religiösen Aussage (Gott ist die Liebe) zu erreichen, also die Selbsthingebung als höchste Gestalt der Freiheit zu erweisen. Weil Gott die Wahrheit ist, offenbart er sich als Liebe". 70

Medicus am Rand: „Die Form der endlichen Persönlichkeit ist ihre Individualität: in dieser Form erscheint ihr Gehalt. ,Form' - .Individualität' .Erscheinung' - .Negativität' sind gleichbedeutende Ausdrücke. Spreche ich von der absoluten Persönlichkeit, so behaupte ich eine durch keine Determination mehr beschränkte, mithin überindividuelle (natürlich nicht im Sinne der Abstraktion) und formlose geistige Persönlichkeit".

71

Am Rand ein Fragezeichen und von Medicus dazu: „Definieren kann ich im strengsten Sinne nur, was ich aus seinen Bedingungen verstehen kann mithin nie das Unbedingte!"

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den, der ihn als Persönlichkeit erkennen lehrt. Dieser Inhalt ist nun Liebe und Wahrheit, d.h. etwas Persönliches, und damit ist das doppelte Postulat erfüllt. Gott ist die Liebe, d.h. überall, wo Liebe ist, ist er; und Gott ist die Wahrheit,72 d.h. überall, wo Wahrheit ist, ist er; und formell dasselbe: überall, wo Selbstbewußtsein und Wille ist, kann die göttliche Realität zur vollen Darstellung kommen: „kann zur Darstellung kommen", muß nicht. Das ist der Gedanke, der für das Verhältnis der endlichen Persönlichkeiten zur unendlichen von entscheidender Bedeutung wird. Denn damit ist gegeben, daß die Form der Persönlichkeit73 noch nicht den göttlichen Inhalt garantiert, daß dieser rein nur in Gott vorhanden ist, und daß deshalb eine Trennung und Scheidung der endlichen Persönlichkeit von der unendlichen sich vollziehen / kann, ohne daß eine Trennung des geistigen Inhalts daraus folgte. Denn die Form der Persönlichkeit als höchste Spitze der psycho-physischen Basis hat schließlich ihre Teleologie zum göttlichen Inhalt und damit so viel Realität als sie Inhalt hat.74 Das Verhältnis von absoluter und endlicher Persönlichkeit kann also so beschrieben werden, daß die endliche Persönlichkeit insofern eine Grenze der absoluten ist,75 als sie durch den göttlichen Inhalt noch nicht erfüllt ist, daß sie insofern eine Darstellung der absoluten ist, als sie sich diesen Inhalt angeeignet, d.h. insoweit, als sie Freiheit erlangt hat.

72

Am Rand von Schafft: „Erörterung".

73

Medicus am Rand: „Statt ,Form der Persönlichkeit' sollte es heißen ,Form der Ichheit'". Am Rand markiert und von Medicus kommentiert: „Diesen Satz verstehe ich nicht: Unter .Form der Persönlichkeit' kann ich mir im besten Fall (ohne den Ausdruck glücklich zu finden) die individuelle Subjektivität denken: aber diese hat als Form überhaupt keine Realität. - Vielleicht könnte der Satz in etwa dieser Weise ersetzt werden: ,Denn die endliche Persönlichkeit hat ihren Inhalt nur aus und in der unendlichen Persönlichkeit Gottes, und sie hat überhaupt nur insoweit Realität, als in ihr diese ihre teleologische Beziehung auf die göttliche Weltregierung verwirklicht ist'".

74

75

Medicus dazu: „Ich würde diese Formulierung doch ablehnen. Grenze sein heißt entgegengesetzt sein. Jeder Versuch einer Entgegensetzung gegen das Absolute bedeutet aber sofort die Vernichtung des Entgegenzusetzenden (da eben dieses keinen Inhalt aus sich selbst hat, der aus Gott stammende Inhalt aber nie Gott entgegengesetzt sein kann). Nur in einer vollkommen leeren Reflexion kann von Grenzen des Absoluten geredet werden".

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Das Kindschaftsverhältnis: Furcht und Vertrauen Die tiefste religiöse Bezeichnung des Verhältnisses] von Gott und Mensch ist der Kindschaftsbegriff. Das Kindschaftsverhältnis ist formell ein Ich- und Du-Verhältnis. Es wird dem Monismus immer schwer, die Frage des Du im Gebet zu Gott zu bejahen. 76 / Der Dualismus scheint hier im Vorteil zu sein. Er kann ohne weiteres das Verhältnis der Individuen untereinander als logisch gleichwertig auf das von Gott und Mensch übertragen, was dem Monismus nicht möglich ist. Für ihn ist es eine Selbstsetzung Gottes, wenn der Mensch sich im Gebet zur Freiheit durchringt, und doch ist auch für ihn die Form, in der Gott in der Welt diese Selbstdarstellung vollzieht, die der Selbstsetzung der Einzelpersönlichkeit mit ihrer Selbstunterscheidung von allen Individuen. So stoßen wir an diesem Punkte wieder auf das Problem der geistigen Persönlichkeit, ihrer Freiheit und ihrer Abhängigkeit. Wir können die kategorial-logisch unbegreifliche Wirklichkeit bis zu der Antinomie zuspitzen: Der Mensch ist umso weniger selbständig Gott gegenüber, 77 je mehr er zur Freiheit durchgedrungen ist; oder die Form der freien, sich selbst als unterschieden setzenden Persönlichkeit ist es,78 in der Gott sich in seiner tiefsten Wirklichkeit / offenbart. Man könnte dafür den modernen Begriff des übergreifenden Ich einführen, der besagen soll, daß das Geistesleben sich immer in der Form des Ich vollzieht, daß es aber nicht in lauter individuelle Ichs zerteilt ist, sondern daß sie alle in einem übergreifenden ichhaften Lebenszusammenhang stehen. Diese Doppelseitigkeit des formellen Kindschaftsverhältnisses führt zur Betrachtung des Begriffsinhalts: Furcht und Vertrauen. Die Ka76

Medicus am Rand: „Nein. Nachdem die Undefinierbarkeit Gottes u. überhaupt die Unzulänglichkeit der formalen Logik ihm gegenüber feststeht, ist zwar ausgeschlossen, dass das Du in demselben Sinne stehen kann, in dem es in der Erfahrungswelt seine Stelle hat: aber es bleibt doch das notwendige und adäquate Symbol zum Ausdruck der erlebten Beziehung der endlichen Persönlichkeit auf die unendliche". Zu Medicus' Kommentar bemerkt Schafft: „Das überrascht mich!"

77

Am Rand von Medicus dazu: "NB! Diejenige Selbständigkeit Gott gegenüber, die der Unfreie zu haben meint, besteht nur in seiner Einbildung. Es gibt kein wirkliches Stören der göttlichen Weltregierung".

78

Medicus am Rand: „NB! Dasjenige, was in der endlichen Persönlichkeit Form (- Negation) ist, ist nicht Mittel, sondern Grenze der Gottesoffenbarung".

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rikatur der Furcht ist Angst, Angst ist Furcht ohne Vertrauen. Die Karikatur des Vertrauens ist Frechheit. Frechheit ist Vertrauen ohne Furcht.79 Der Dualismus ist in Gefahr, in diese beiden unnormalen Formen des Verhältnisses zu Gott zu fallen. Betont er die Selbständigkeit der persönlichen Realität gegenüber der göttlichen, so entsteht Frechheit. Betont er ihre Minderwertigkeit, so entsteht Angst. Der Monismus dagegen ist imstande, aus dem betrachteten Doppelverhältnis das normale / Spannungsgleichgewicht herzustellen. Furcht ist insofern am Platze, als die Form der freien Persönlichkeit auch die Möglichkeit in sich birgt, den göttlichen Inhalt nicht aufzunehmen, Form zu bleiben und als solche zu vergehen; Vertrauen dagegen insofern, als das Bewußtsein regieren kann, daß meine ganze Realität in die göttliche eingeschlossen ist und in ihr die Garantie für die Erreichung meines telos gegeben ist, sowohl in bezug auf die teleologische Beziehung des Naturgeschehens, als in bezug auf die Kraft der göttlichen Realität, sich gegenüber dem Nichtich siegreich zu behaupten.

Glaube und Mystik Durch die Geschichte des Christentums geht ein doppelter Strom des religiösen Lebens: der mystische, der „historische". Der zweite ist der offiziell kirchliche, das liegt im Wesen der Sache. Denn die kirchliche Gemeinschaft ist im Besitz der geschichtlichen Offenbarung und weckt Glauben / durch Wortverkündigung. Die Mystik dagegen emanzipiert das Individuum von der historischen Vermittlung und bringt es in direkte, gewissermaßen substantielle Berührung mit Gott. Diese Berührung kann nun je nach der Fassung des Substanzbegriffs mehr physisch oder geistig gedacht werden. In der vom Neuplatonismus abhängigen Mystik überwiegen entschieden physische Kategorien. Die Gemeinschaft mit Gott vollzieht sich nicht am hellsten Punkte des inneren Lebens, dem selbstbewußten Willen, sondern darunter im Gefühl und in der Ekstase. Das ist nun anders im Idealismus. Diese Form der Mystik ist eine im vollen Bewußtsein und bei höchstem Willen sich vollziehende „Vergottung", ein Teil79

Von Medicus am Rand: „Frechheit ist aber doch eigentlich mehr Vertrauen auf sich selbst als auf den andern! Deshalb scheint mir hier die Analyse nicht ganz konsequent geführt zu sein".

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nehmen am göttlichen Leben in klarer Erkenntnis und doch weit erhoben über die kategoriale Wirklichkeit. Sie entspricht der einen Seite des Verhältnisses von individuellem und überindividuellem Ich, der zufolge aller reale Inhalt der Persönlichkeit / göttlicher Inhalt ist. Aber diese Mystik wird zur Selbstvernichtung, wenn die Form der individuellen Persönlichkeit dabei verlorengeht. Die evangelische Frömmigkeit hält daran fest, daß es keine normale Gemeinschaft mit Gott gibt, die nicht die Form des Glaubens hätte. Das Charakteristische des gläubigen Verhaltens besteht nun darin, die Überwindung einer Spannung darzustellen, und zwar die Spannung zwischen denjenigen Erfahrungen, die Gottesbeweise sind, und den anderen, die Gottesverhüllungen bedeuten. Insofern diese Uberwindung sittliche Pflicht ist, nimmt der Glaube die Form des Gehorsams an. Offenbar liegt in diesem Verhalten das Bewußtsein der Verschiedenheit von dem Objekt des Glaubens, aber zugleich als Resultat des gelingenden Glaubensaktes das Bewußtsein der aufgehobenen Geschiedenheit. Da kann dann die christliche Mystik einsetzen. Sie hat demnach immer die Form des gelungenen Glaubensaktes und ist damit entscheidend / orientiert an den Stützen des Glaubens innerhalb des Erfahrungsgebietes.

Natürliche und geschichtliche Offenbarung Die gesamten Tatsachen, an denen eine Erfahrung Gottes gemacht werden kann, werden zusammengefaßt unter dem Begriff der Offenbarung Gottes. Inwieweit der physische Weltlauf Offenbarung Gottes ist, hat der erste Teil gezeigt, inwiefern das geistig-persönliche Geschehen, dieser Teil. Es handelt sich jetzt nur um die Art, in der das göttliche Leben als solches erkannt und in seinem tiefsten Wesen verstanden wird. Betrachten wir zunächst den aus der orthodoxen Tradition stammenden Offenbarungsbegriff. Er unterscheidet eine natürliche Offenbarung in Natur und Gewissen von einer geschichtlich-supranaturalen in der Heilsgeschichte. Die Gottesoffenbarung in der Natur ist dann identisch mit den landläufigen „Gottesbeweisen", die / im Gewissen mit der religiösen und sittlichen Veranlagung, die historische dagegen vollzieht sich durch ein besonderes Wunderwirken Gottes. Das Ungenügende dieser Formulierungen folgt nun erstens aus der Tatsache, daß die natürliche Offenbarung niemals von sich aus zu einem persönlichen Gottesbegriff kommen

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kann, sondern immer nur zu einem physischen und nur von höheren Voraussetzungen aus in einen persönlichen übergeführt werden kann. Zweitens ist es unberechtigt, die Offenbarung im Gewissen und in der Geschichte zu scheiden. Formell ist die Tatsache des Gewissens allerdings identisch mit der teleologischen Beziehung unserer psychophysischen Grundlage zum geistigen Inhalt überhaupt; inhaltlich aber ist es von der Geschichte abhängig. Der Offenbarungsbegriff in seiner gewöhnlichen Fassung ist ein Kind des supranaturalistischen Rationalismus. Die Reaktion ist immer der naturalistische, jetzt evolutionistische Rationalismus. / Der idealistische Offenbarungsbegriff ist geeignet, diese Kluft, die auch unsre Zeit zerteilt, zu überwinden. N a c h ihm ist Offenbarung im höchsten Sinne überall da, wo eine Persönlichkeit oder Gemeinschaft einen neuen Geisteswert entdeckt, einen neuen Schritt gemacht hat, das heißt: überall da, wo Gott sich in einer Persönlichkeit durchgesetzt, in neuer Weise dargestellt hat. Das geschieht nach einer Teleologie des Weltgeschehens, die uns in ihren letzten Ursachen 80 völlig undurchsichtig ist und darum den Eindruck des Übernatürlichen macht. Die Frage, warum die Propheten in Israel auftraten und nicht in M o a b , oder warum die Griechen die Formen des höchsten Denkens fanden und nicht die Perser, oder individuell: warum Paulus der größte Apostel wurde und nicht ein andrer in ähnlicher Lage, ist mit keiner Notwendigkeit zu beweisen. Es ist ein Geheimnis der Persönlichkeit, und das heißt: ein göttliches Geheimnis. Darum bleibt es aber / die Aufgabe der religiösen Psychologie und Religionsgeschichte, die äußeren und inneren Voraussetzungen für den Eintritt der Offenbarung verständlich zu machen. Die Teleologie des Naturgeschehens bringt es mit sich, daß nur, wo diese Voraussetzungen vorhanden sind, die Offenbarung eintritt, aber sie ist nicht mit ihnen identisch.

Die Sünde als Schuld Der Widerstand wider die N o r m ist Sünde, der Widerstand gegen die Gottesoffenbarung ist Schuld. Dieser Widerstand hat die doppelte

80

Am Rand von Medicus: „Der Ausdruck .Ursache' wäre hier besser vermieden worden: die Kategorie dieses Namens kann ja gar nicht in Frage kommen".

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Konsequenz, die Erkenntnis der Offenbarung als solcher zu verhindern und es zur Durchführung ihrer Forderung nicht kommen zu lassen. Darum ist die Sünde nach Johannes Lüge, d.h. Widerstreben gegen die Gottesoffenbarung als Wahrheit, und Mord, d.h. Widerstreben gegen ihren Inhalt als Liebe. Jeder Akt des Widerstrebens ist somit ein Mangel an Vereinigung mit Gott, ein reales / Geschiedensein von Gott. Schuld ist der religiöse Ausdruck für dieses Verhältnis. Die negative Seite des göttlichen Liebeswillens, der jede Individualität zum Gefäß für seinen Inhalt machen will, oder der Zorn Gottes ist die Abweisung des Gefäßes,81 das diesen Inhalt nicht aufnimmt. Zorn Gottes hat seine begriffliche Möglichkeit in der nur teleologischen Realität des Individuums, insofern das Verfehlen des teios die Entfernung des Individuums von der Quelle aller Realität und damit seine Vernichtung bedeutet.82 Tod ist das Ziel des göttlichen Zorns. Natürlich darf der Zorn nicht als selbständiger Wille in Gott aufgefaßt werden. Gegen diesen Dualismus muß der Idealismus protestieren. Der Ernst des Gedankens wird durch die obige Betrachtungsweise gewahrt, ohne daß eine Spannung in Gott angenommen wird. Insofern ist der Zorn auch das, was 83 die Gerechtigkeit in der Liebe heißt, nämlich das sich Durchsetzen der göttlichen Realität auch gegen das Widerstrebende.84 /

Sünde, Zorn und Tod Die Größe des göttlichen Zorns als Folge seiner Heiligkeit wird im christlichen Bewußtsein durch die Vorstellung ausgedrückt, daß eine einzelne Sünde genüge, um den Tod des Sünders herbeizuführen. Nun ist diese Vorstellung innerlich erträglich nur in Verbindung mit

81

Medicus am Rand: „Der Ausdruck .Abweisung' lautet so, als ob ein selbständiger Willensakt gemeint sei, wogegen jedoch nachher mit Recht Verwahrung eingelegt w i r d " .

82

Schafft am Rand: „Hier dieselbe Schwierigkeit auf Seiten Gottes wie auf S. 66 auf Seiten des Menschen".

83

Medicus am Rand: .„Insofern fällt der Zorn unter das, was . . . ' " .

84

Schafft am Rand: „wieso? Sie werden dessen nicht inne, sondern sterben nach einem .schönen' Leben alt und lebenssatt - oder ... Gericht, Fegefeuer?" Über dem „sterben nach" von gleicher Hand eingefügt: „doch, ruhen im Nichts".

140

dem Gnadenbewußtsein,85 und sie tritt auch nur als Korrelat zu ihm auf. Für die dargelegte idealistische Betrachtungsweise käme der definitive Zorn nur als Resultat definitiver Scheidung von Gott in Betracht. Die einzelne Sünde dagegen wäre identisch mit einem „Noch nicht" der Gemeinschaft mit Gott, die sich ja notwendig als fortlaufende Überwindung der Unfreiheit durchsetzt. Aber die Voraussetzung dafür ist eben eine aufsteigende Linie. Nun ist es aber die tiefe Erfahrung aller derer, von denen eine aufsteigende Linie am ersten ausgesagt werden könnte, daß die Linie in Wirklichkeit entweder in derselben Tiefe bleibt oder gar abwärts geht.86 / Dann gewinnt allerdings jeder einzelne Moment dieser Linie den Charakter, Ausdruck definitiver Geschiedenheit von Gott zu sein und den Tod als Ziel in sich zu tragen. Es fragt sich, ob der Monismus auch für dieses Verhältnis ein begriffliches Verständnis hat, natürlich ein teleologisches. Ein solches ist nun angedeutet durch das Wort des Paulus: „Er hat alles unter die Sünde beschlossen, auf daß er sich aller erbarme", und dies: „damit sich kein Fleisch rühme". Die Liebe als Gnade,87 d.h. die Sünderliebe ist die tiefste Form der Gotteserkenntnis. Um seine Gnade offenbaren zu können, gab Gott alle Menschen der Trennung von ihm hin (nicht etwa in physisch deterministischem Sinn, sondern in Form des oben besprochenen Freiheitsverhältnisses). Würde die Geschichte des einzelnen und der Menschheit eine aufsteigende Linie sein, so könnte Gott seine Gnade nicht offenbaren.88 Darum war sie ein Ringen, dessen letztes Resultat Verzweiflung war. / Der Begriff der Verzweiflung Die Wurzel der Verzweiflung ist die Gewißheit des verfehlten telos. Sie setzt voraus ein Bewußtsein um das Ziel, ein Ringen nach ihm 85

Dieser Satz ist markiert und von Medicus kommentiert: „Im Grunde ist sie's auch dann nicht. M a n darf nie vergessen, dass wahrhafte Gerechtigkeit die Liebe zur Voraussetzung hat und zwar diejenige Liebe, die eine Gestalt der vernünftigen Freiheit ist (vgl. oben 7 7 / 7 8 ) . Im nebenstehend notierten orthodoxen Gedanken ist die .Gnade' aber W i l l k ü r " .

86

Medicus dazu: „etwas verunglückte Formulierung".

87

A m R a n d von Medicus: „,Die Erkenntnis der Liebe als . . . " ' .

8

"

Medicus dazu: „ D e n meisten Lesern würde es vielleicht in diesem Zusammenhange ganz nützlich sein, daran erinnert zu werden, dass Gottes Sünderliebe die höchste Bewährung seiner vernünftigen Freiheit ist. Er hört nicht auf, die Wahrheit zu sein, indem er gnädig i s t " .

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und ein schließliches Mißlingen des Kampfes. Z u m näheren Verständnis müssen wir auf den Glaubensbegriff zurückgreifen. Er bedeutet, wie gezeigt, ein Spannungsverhältnis zwischen widersprechenden Beobachtungen. Der Widerspruch kann nun nicht auf die Dauer bleiben, er würde den Menschen zerreißen. Der normale W e g ist, daß die eine Seite in immer entscheidenderes Ubergewicht kommt. Dies geschieht, wenn sich die ihr günstigen Beobachtungen dauernd mehren und die entgegengesetzten sich ebenso vermindern. 8 9 Das Resultat ist, daß aus dem Glauben ein Schauen geworden ist. Der unnormale W e g ist der, daß keine Seite fähig ist, das Ubergewicht zu erreichen, und daß dann schließlich ein gewaltsames Sichverschließen eintritt. D o c h ist im zweiten Fall / noch ein andrer W e g möglich, allerdings nur für gewisse Zeit, daß man nämlich die verschiedenen Beobachtungen zeitlich trennt, das heißt: der W e g der Hoffnung. Das Vorhandensein all dieser Formen der Verzweiflung charakterisiert die „Fülle der Zeiten". Die Erkenntnis der Wahrheit fehlte nicht, es w a r den Menschen gesagt, was gut und böse ist. Jesus hat keine N o r m e n gebracht, die nicht schon da waren, aber das hatte eben nur teleologische Realität. Gott stand als das lebendige Soll der Menschheit gegenüber und darum mußte sie verzweifeln. 90 Die N o r m e n , die sich nicht durchsetzen konnten, wurden ungewiß, es

89

90

Am Rand von Medicus kommentiert: „Diese psychologische Erwägung macht den Eindruck, aus einer sehr antiidealistischen Quelle geflossen zu sein; sie wirkt wie ein ganz fremdartiger Einschlag. Was vernunftnotwendig (= teleologisch notwendig) ist, kann nicht im eigentlichen Sinne psychologisch abgeleitet werden. Und so weit eine psychologische Erörterung überhaupt sinnvoll ist, hat sie doch im Zusammenhang dieser Abhandlung nichts zu suchen". Medicus am Rand: „Aber die vorchristliche, auf heidnischem Boden erwachsene Mystik (Dionysoskulte)? Auch aus diesen Erscheinungen allein hören wir die - freilich nur unvollkommen formulierte und unvollkommen erlebte, im Mythus halbversteckte - Gewissheit herausklingen, die Eriugena später dahin formuliert hat, dass, wenn auch wir uns von Gott abwenden, doch er uns nicht verlässt. Ich gebe gerne zu, dass die Überwindung der Kluft zwischen Sein und Sollen, die Errettung von der .Verzweiflung' ein Werk des Logos ist: aber die Identifikation des Logos mit dem historischen Jesus gilt nicht schlechthin, sondern nur von der Vollendung jener Offenbarung Gottes als des liebenden Vaters, die das Wesen aller (auch der heidnischen) Mystik ausmacht. Und dazu ist ferner zu bemerken, dass die Kluft zwischen Sein und Sollen zwar noch in der Kantischen Philosophie da ist, dass dieser Dualismus aber im Nachkantischen Idealismus - zu dessen Verteidigung, bzw. Weiterführung doch die ganze vorliegende Abhandlung geschrieben ist - als bereits überwunden zu gelten hat. Vgl. die folgende Seite".

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entstand die Skepsis oder die Verzweiflung an der Wahrheit und der Pessimismus oder die Verzweiflung am Guten und aus beiden der Unglaube oder die Verzweiflung an Gott. Die Unmöglichkeit der Dauer dieses Zustandes führte dann zu dem Auseinanderfall in Verzicht auf die N o r m und Gott und gewaltsames Durchsetzenwollen, in Gottlosigkeit und Gesetzlosigkeit einerseits, / in freches Gottvertrauen und Gesetzgerechtigkeit andrerseits, in epikuräische Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit und in synkretistisch-gnostische Allwisserei. D a s einzig Lebenskräftige war die Hoffnung der „Stillen" in Israel, aber auch sie hätte schließlich zerbrechen müssen. Dieses für alle Zeiten typische Bild ist die große weltgeschichtliche Kritik des rein 91 teleologischen Monismus, selbst auf seiner höchsten Stufe, der religiösen. Der Dualismus muß das letzte Wort behalten, wenn es der idealistische Monismus nicht wagt, den zweiten entscheidenden Schritt zur Uberwindung seiner nur teleologischen Anschauung zu tun, wenn er es nicht wagt, in Jesus die letzte Deutung der Wirklichkeit zu erblicken. Daß er es kann, ohne seine Prinzipien zu verleugnen, soll nun noch gezeigt werden.

Die idealistische Kosmogonie Während in der physischen Stufe des Monimus der Schöpfungsgedanke an den Anfang gestellt und mit der Betrachtung des Zie/les

Medicus am Rand: „Vgl. S. 71 - Von einem rein teleologischen Monismus (worunter doch wohl nur ein Monismus zu verstehen ist, der das ontologische Problem überhaupt ausschaltet, wie Kants .teleologia rationis humanae' oder Windelbands Philosophie) ist aber in den früheren Ausführungen nur ganz wenig die Rede gewesen; vielmehr stammten die systematischen Grundlinien in der Hauptsache von Fichte und Hegel: hier aber steht doch Gott nicht ,als das lebendige Soll der Menschheit gegenüber' (95), sondern die Kluft zwischen Teleologie und Ontologie (Kant, Windelband, auch Riehl) ist a priori überwunden. Nun haben ja Fichte und Hegel aus ihrer historischen Abhängigkeit vom Evangelium kein Hehl gemacht: aber im folgenden soll doch wohl mehr behauptet werden. - Ich würde also die Überleitung zum Dritten Abschnitt für nicht ausreichend halten. Der Begriff der Verzweiflung würde nur dann diese Überleitung ermöglichen, wenn zu zeigen wäre, dass der nachkantische Monismus (der gewiss nicht rein teleologisch sein will) durch eine innere Dialektik zur Selbstauflösung getrieben wird, u. dass nur das Ergreifen der Person Jesu vor dieser dualistischen Zersetzung bewahrt. Aber wenn dies gezeigt werden sollte, so müsste auch das Verhältnis der Person Jesu zur heidnischen Mystik klargestellt werden (vgl. S. 112)".

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geschlossen wurde, ist es in der teleologischen Stufe naturgemäß umgekehrt. Darum kommt diesen kosmogonischen Spekulationen auch weniger Bedeutung zu. Sie sind das Dunklere, zu Erschließende, während das telos das Gewisse ist. Die Ableitung der kategorialen Wirklichkeit kann nun entweder aus der Form des Selbstbewußtseins oder aus der des Willens geschehen. Entweder ist der Gedanke der, daß das Selbstbewußtsein nur durch eine Begrenzung der ins Unendliche gehenden Tätigkeit des Ichs zustande kommt. Dann ist aber die Deduktion des Nichtich unmöglich 92 und darum die Gefahr des Dualismus nicht überwunden. Das führte Schelling zum Begriff des Irrationalen, durch den dann die Zweiheit in Gott selbst verlegt wird. In weniger irrationalistischer Weise hat schon Augustin im Liebeswillen Gottes das Prinzip der trinitarischen Spekulation gefunden. Nun leiden alle derartigen trinitarischen Spekulationen an der Unfähigkeit, die dritte Person verständlich zu machen. Es liegt / daher näher, den Gedanken vorerst zur Erklärung der Welt zu verwenden. Dann würde er aus dem christlichen Gedanken, daß Gott aus Liebe die Welt geschaffen hat, die darin eventuell liegende Willkür entfernen und die in der Liebe selbst liegende Notwendigkeit der Offenbarung zeigen. Es ist hier nicht der Platz, dies näher auszuführen. Es sollte nur gezeigt werden, daß der Monismus auch fähig ist, den Anfang der Weltentwicklung christlichen Gedanken entsprechend zu verstehen.

Jesus als absolutes Glaubensmotiv Es war das Postulat aufgestellt, an einem Punkte der Wirklichkeit eine Offenbarung zu sehen, die durch keine entgegenstehenden Momente verdunkelt wird, um so ein vollkommenes Glaubensmotiv werden zu können. In einer Person muß die Verzweiflung an Gott überwunden werden können, dadurch daß nichts an ihr zu finden ist,93 was / Gott verhüllt. Es fragt sich, ob der Idealismus diesen Gedanken verständlich machen kann. Strauß hat bekanntlich Hegel das Recht dazu bestritten: die Idee liebe es nicht, ihre ganze Fülle in

92 93

Am Rand schwer lesbar von Medicus: „Na na!" Medicus am Rand: „Diese negative Formulierung genügt nicht - zumal einer Persönlichkeit gegenüber, über die rein historisch außerordentlich wenig festzustellen ist".

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ein Individuum auszugießen. 9 4 D a s trifft nun bei Hegel insofern zu, als sein System der E n t w i c k l u n g nur einen A u s g a n g s - und E n d p u n k t , aber keinen H ö h e p u n k t haben kann. 9 5 D o c h ist diese F o r m des Entwicklungsgedankens

prinzipiell dem idealistischen

Monismus

nicht notwendig. Die Geschichtskonstruktion kann sich auch in folgendem Schema darstellen: Geschichte der O f f e n b a r u n g der N o r men 9 6 - Unfähigkeit ihrer Durchsetzung aus eigner K r a f t - O f f e n b a rung der rein göttlichen Aktivität - Geschichte ihrer Durchsetzung; und dieses Schema kann als notwendig erkannt werden, w e n n die höchste O f f e n b a r u n g , die der absoluten Aktivität Gottes (Gnade), sich nur auf dem Hintergrund der V e r z w e i f l u n g vollziehen konnte. E s w i r d dies Schema einer geschichtsphilosophischen

Betrachtung

dem W e s e n des geschichtlichen / W e r d e n s insofern gerechter, als es nicht in logischen Kategorien gedacht ist, 97 die immer nur einer Seite des Geisteslebens gerecht werden. D a ß die O f f e n b a r u n g nicht e t w a in den W o r t e n Jesu (Entdeckung neuer N o r m e n ) gegeben ist, sondern in der Person selbst, nämlich in der Realisierung sämtlicher N o r m e n in ihr, 98 und z w a r der w i r k s a m e n Realisierung, w a r schon

54

Medicus am Rand: „ N B ! Davon, dass ,die ganze Fülle' der Idee in einem den Forderungen Hegels widersprechenden Sinne in ein Individuum ausgegossen sein solle, kann gar nicht die Rede sein. Niemand sucht bei Jesus, was Raffael oder Beethoven in die Weltgeschichte gebracht haben".

55

Am Rand von Medicus: „Einen Endpunkt in dem Sinne, dass nun keine Geschichte mehr möglich wäre, gibt es auch bei Hegel nicht. In dem andern Sinne aber, in dem es Endpunkte bei ihm gibt (für die Philosophie hat er sich selbst für einen solchen gehalten), wäre doch wohl auch die Anwendung auf Jesus möglich".

96

Medicus am Rand: „Nicht bloß zu dieser Stelle will ich bemerken, dass es dem nachkantischen Idealismus besser entspräche, wenn nicht so sehr von Offenbarung der Normen als von Offenbarung des göttlichen Seins gesprochen würde. Der Ausdruck .Norm' ist bes. durch Windelband beliebt geworden: er erinnert daher noch stark an den kantischen Dualismus zwischen Sein und Sollen (Wirklichkeit und Vernunft), der in der Statuierung von Dingen an sich seinen bezeichnendsten Ausdruck gefunden hat".

97

Medicus am Rand: „Soll das gegen Hegel eingewendet sein? Es wäre dann doch daran zu erinnern, dass bei ihm die Logik keine einseitige Betrachtung des Geisteslebens ist sondern dessen prinzipielle Erschöpfung; seine Kategorien sind nicht formal". Schafft am Rand: „Die Schwierigkeit, die in den Worten Jesu liegt - (Synopse, cf. Math, die letzten Kapitel) - ist doch damit nicht erschöpft - es handelt sich nicht nur um neue Normen - sondern (Frage nach der Eschatologie pp) um bestimmte metaphysische Aussagen".

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gesagt. Der idealistische Gedanke ist also nicht rationalistisch, sondern johanneisch.

Jesus als die wirksame Offenbarung der göttlichen Gnade Die Betrachtung muß auch hier doppelseitig sein. Der Gnadengesichtspunkt darf nicht nur das selbständige Handeln, sondern muß auch die selbständige Erkenntnis überwinden: die vollkommene Gottesgemeinschaft ist möglich trotz der Sünde, trotz der Finsternis;99 die natürliche Gerechtigkeit und die natürliche Weisheit muß zuschanden werden. Denn sie geht vom Individuum / aus, der Weg beginnt unten statt oben. Gott ist nur eine Konsequenz der eignen Wahrheitserkenntnis, seine Gnade der eignen Gerechtigkeit. 100 Die Gnadenoffenbarung in Jesus kehrt das Verhältnis von Grund auf um. Das Vorangehende ist Gott, sein Handeln und seine Liebe. Daraus erst folgt die Erkenntnis und die Liebe der Individuen. Der idealistische Monismus kann diesen Gedanken verstehen: nicht die Individuen, die Formen, die erst den göttlichen Inhalt empfangen sollen, sind die [zu]erst aktiven, sondern Gott selbst. Der negative Ausdruck für Gnade ist Sündenvergebung, genauer Schuldbeseitigung. Nach den Erörterungen über Schuld ist Sündenvergebung diejenige Aktivität Gottes, durch welche die Scheidung von Gott aufgehoben und die zum Tode führende Entwicklung der Menschen in eine zum Leben führende umgewandelt wird und das alles, um die alleinige Aktivität Gottes zum Heil des Sünders zu offenbaren. Von einer realen Spannung in Gott zwischen Heiligkeit und Liebe kann dabei na/türlich nicht die Rede sein: denn die Gnade ist nicht bloß eine deklaratorische, sondern ist eine reale Überwindung der Sünde, weil, wer in Gottes Gnade steht, den tiefsten Inhalt des göttlichen Wesens in sich erfahren hat, wie er angeeignet wird durch den Glauben an Jesus.

" 100

Am Rand von Schafft: „Hier fehlt ganz von selbst die Aesthetik!" Medicus am Rand: „Die erste Betrachtungsweise also nimmt das Selbstbewusstsein als Erkenntnisgrund, die religiös vollendete Betrachtungsweise nimmt Gott als Realgrund: Darum vertragen sich beide Betrachtungen miteinander, u. man darf, ganz genau zu sprechen, nicht von einer Umkehrung des Verhältnisses reden".

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Jesus als die Autorität: Die Spannung in der individuellen Glaubensstellung Ist Jesus die Offenbarung der ganzen göttlichen Fülle, so ist er Autorität und das normale Verhältnis zu ihm das des gehorsamen Empfangens. Das scheint einen Konflikt mit dem Autonomismus des Idealismus zu ergeben. Es fragt sich, wie die Autorität Jesu näher vorzustellen ist. Die erste Voraussetzung ist die, daß wir eine Erfahrung gemacht haben, aus der heraus wir Jesus diese Stellung für uns geben, d.h. er muß uns in grundlegender Weise als absoluter Träger der Norm entgegengetreten sein. Diese Erfahrung ist aber eine Gewissenserfahrung und darum auto/nom, besser theonom. Die Stellung, die ihm gegenüber dadurch begründet wird, ist die des gläubigen Vertrauens, d.h. die Annahme seiner Person als der unbedingt zuverlässigen Quelle alles wahrhaft Wertvollen für uns. Aber auch hier hat das Glaubensverhältnis den Charakter der Spannung. Die Geschichte der persönlichen Aneignung Jesu ist eine Geschichte, deren Ausgangspunkt ein teilweises Schauen war, deren bewegendes Moment eine zu überwindende Glaubensspannung ist und deren Ziel in einem vollendeten Schauen liegt. Es wäre ein ungläubiges Verhalten, nur so viel glauben zu wollen, wie geschaut ist. 101 Es wäre vor allem ein geschichtsloses Verhalten, was zwar des Rationalismus, aber nicht des Idealismus würdig ist. Denn es ist nicht so, daß wir uns völlig abstrahiert von unsrer Geschichte autonom wählen könnten, was uns Norm sein soll; das hieße seine eigne Geschichte vergessen, in der sich die Freiheit immer nur aus der Notwendigkeit

101

Am Rand von Medicus: „Ich verstehe hier nicht ganz. Ein Vergleich soll mein Bedenken erklären. Meine Überzeugung, dass Luther aus der Kraft Gottes heraus gehandelt hat, geht aus von einem .teilweisen Schauen'. Ich bin auch durchaus dessen gewiss, dass Gottes Wirken in Luther vieles umfasst, was sich meinem Schauen entzieht. Allein ich kann es nicht für rationalistische Geschichtslosigkeit halten, wenn ich Luthers Stellung zur Doppelehe Philipps v. Hessen für bedauerlich halte, nicht aber versuche, mich hier damit zu trösten, dass mein Verhältnis zur Geschichte gläubig zu sein hat, wo es mit dem Schauen nicht gehen will. Luther kann mir aber nie Autorität werden! Soll nun eine historische Gestalt aus der Reihe der endlichen Träger des göttlichen Geistes herausgehoben werden, so sehe ich doch nicht, inwiefern die nebenstehenden Ausführungen über unsere geschichtliche Bedingtheit diesem Zwecke dienen können: aus solchen Ausführungen würde ich nur die Schwierigkeit der Aufgabe zu folgern wissen, die uns aus unserm Verhältnis zur Geschichte erwächst. (Ich finde nachträglich S. 107 ein gut Teil der hier vermissten Aufklärungen)".

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der äußeren / Umstände einerseits und der Willkür noch nicht völlig motivierter Handlungen andrerseits heraus entwickelt hat. Der Gedanke hat aber noch eine tiefere Wurzel. Die Kritik des autonom teleologischen Monismus liegt zum guten Teil darin, daß in ihr die Notwendigkeit zutage tritt, die rein göttliche Aktivität auch darin zu erkennen, daß der einzelne sowie die ganze Menschheit in einer geschichtlichen, d.h. göttlichen Tat ihr Heil finden muß. Philosophisch kann die Sachlage auch so formuliert werden, daß die geschichtliche Abhängigkeit des einzelnen identisch ist mit der Offenbarung der ausschließlich göttlichen Aktivität zur Erreichung des telos.

Jesus als die Autorität: Die Spannung in der historischen Stellung Jesu Das ganze Problem erfährt nun noch eine Komplikation durch die moderne Debatte über das Verhältnis von ge/schichtlichem Jesus und Christus des Glaubens. Wir sehen Jesus nur durch ein doppeltes Medium, durch das der grundlegenden Aneignung seiner Person in der Urchristenheit und durch das der abgeleiteten Aneignung in der Geschichte der Kirche. Jesu Autorität fällt dadurch zusammen primär mit der biblischen, sekundär mit der kirchlichen Autorität. Das Verhältnis von biblischer und kirchlicher Autorität ist also von den Reformatoren grundlegend festgestellt, nicht ebenso das von biblischer und persönlicher Autorität Jesu. Das Recht der geschichtlichen Bibelkritik liegt in dem Streben, über die biblische Autorität noch hinwegzukommen zur persönlichen; in je größerem Maße das möglich ist, desto wertvoller ist diese Arbeit. Nun ist aber eins ihrer zweifellosesten Resultate, daß selbst in der ursprünglichsten Überlieferung schon die Glaubensstellung zu Jesus entscheidend mitwirkte. Diese Tatsache hat das doppelte Extrem hervorgerufen, einer/seits wieder zur unbedingten Schriftautorität zurückzukehren, andrerseits auf ein religiös brauchbares Christusbild überhaupt zu verzichten. Demgegenüber muß bei richtiger Würdigung der geschichtlichen Offenbarung folgendes festgehalten werden: Die grundlegende Erfahrung von der absoluten und wirksamen Gottesoffenbarung in Jesus kann an seinem biblischen Bild erfahrungsgemäß gemacht werden. Diese Erfahrung stellt den Kern der biblischen Christusanschauung vor kritischer Zerstörung sicher, denn jene Erfahrung

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ist eine Tat der geistigen Selbstsetzung, die darum das Bewußtsein ihrer Realität in sich selber hat. Damit ist jedoch weiter gegeben, daß in der fortdauernden Aneignung dieser Persönlichkeit, die Geschichte ihrer grundlegenden Aneignung auf ihre historischen Vorbedingungen geprüft wird und geschieden zwischen dem, was mit der grundlegenden Erfahrung von Jesus notwendig gegeben ist, und dem, was den / historischen Vorbedingungen angehört. Nun tritt jedoch wiederum insofern eine Spannung ein, als die Kriterien dieser Unterscheidung einerseits aus der grundlegenden Erfahrung selbst, andrerseits aus den Normen historischer Kritik genommen werden müssen. Jedenfalls gibt der idealistische Monismus zur Lösung des Problems das Postulat, in der Geschichte nur das als Realität anzuerkennen, was sich als Träger der Norm erweist, und alles in der Geschichte, was dieses Zeugnis in sich trägt, gegen alle historische Verdunklung aufrechtzuerhalten. 102

Christologisches Jesus als den absoluten Träger der Norm zu verstehen, liegt, wie gezeigt, im Sinn des Idealismus. Es handelt sich nun noch um die Erklärung dieser Tatsache, d.h. die Christologie. Die Kirche hat diese Aufgabe immer empfunden und mit den begrifflichen Mitteln ihrer Zeit zu lösen ver/sucht. Christologie treiben heißt die Notwendigkeit des außerordentlichen Verhältnisses Jesu zu Gott zu verstehen suchen. Die alte Kirche hat mit der Zweinaturenlehre diese Notwendigkeit nach Analogie einer physischen gedeutet. Sie ist damit der biblischen Christologie nicht gerecht geworden, denn diese bewegt sich nicht in der Alternative: physische Notwendigkeit oder ethische Zufälligkeit, sondern kennt den Begriff des Geistes, der das Verhältnis zu Gott weder als unsicher noch als naturhaft charakterisiert und doch die Aktivität Gott zuschreibt. Das ist nun ganz der

102

Dazu von Medicus am Rand: „Diese letzte Wendung ist doch als Maxime der historischen Tatsachenforschung nicht ganz einwandfrei. Es hat mystisches Gotterleben vor Jesus gegeben u. ferner mystisches Gotterleben in der christlichen Gemeinschaft: Hier wie dort folglich ein Erleben, das Züge liefern konnte, die tauglich erschienen, das Bild des historischen Jesus genauer zu fixieren (vergleichbar dem Kranz sinniger Sagen, die sich um die Gestalt des Franziscus v. Assisi ranken). Solches trägt den Stempel der echten Gottesoffenbarung, ist aber gleichwohl noch nicht hinlänglich historisch bezeugt".

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idealistische Freiheitsbegriff, der diese drei Momente auch in sich vereinigt: göttliche Aktivität, freie Selbstsetzung, unzertrennlicher Zusammenhang mit Gott. In Jesus ist dies Dreifache in vollkommner Darstellung und Einheitlichkeit vorhanden. Weitere Spekulationen trinitarischer Art haben ihren Wert und ihr Recht in der religiösen Betrachtungsweise. Im übrigen bieten sie dem kategorialen Denken, von welchem philosophischen Standpunkt / es auch ausgehen mag (auch dem naiven Realismus), die gleichen Schwierigkeiten. Ihre Behandlung kann daher hier ausgeschlossen werden. (Anmerkung: Autorität Jesu, der Schrift und der Kirchenlehre kann natürlich niemals den Sinn haben, etwas anderes für autoritativ zu erklären als die Normen, die sich in Jesus darstellen. Normen sind aber alle diejenigen Wahrheiten und Werte, die göttlichen, d.h. ichhaften Charakter haben, 103 deren Notwendigkeit mit der geistigen Notwendigkeit des Ich gegeben ist. So kann und muß es erfahren werden, daß an der Stellung zu Jesus sich das Geschick der Menschen entscheiden wird, daß durch ihn der Weltlauf seinem Ziele zugeführt wird. Dagegen ist es lediglich Vorstellungsgehalt, der historisch bedingt ist, wenn die Eschatologie im einzelnen durchgeführt wird. Das Recht dazu ist völlig unbestreitbar, nur Allgemeingültiges wird dadurch nicht erreicht. Dagegen wird oft die zunächst rein historische und darum nicht direkt erfahrbare Tatsache der / Auferstehung Jesu und ihrer Heilsbedeutung geltend gemacht. Aber der darin enthaltene religiöse Wert besteht doch nicht darin, daß eine Verwandlung der gestorbenen Leiblichkeit stattfand, sondern vielmehr darin, daß er ein vollkommenes persönliches Leben mit teleologisch völlig angeeigneter Leiblichkeit -soma pneumatikon - , daß er den Tod überwunden hat, wie es alle werden, die an ihm bleiben, ohne daß bei ihnen ein der Vorstellung des leeren Grabes paralleler Vorgang möglich wäre.) Die Rechtfertigung Von entscheidender Bedeutung ist die Frage nach der Stellung des Idealismus zu der Aufgabe, Jesus als die real wirksame, allent103

Medicus am Rand dazu: „Dann aber liegt das Kriterium des .Autoritativen' gar nicht in der Geschichte, sondern allein in dem sich selbst erkennenden Ich - m.a.W. von Autorität ist eigentlich keine Rede, sie ist aufgegangen in Autonomie".

150

scheidende, für das Verhältnis von Gott und Mensch unumgänglich notwendige Persönlichkeit zu erkennen. Es ist damit gesagt, daß er nicht bloß die Stätte der Offenbarung ist, an der man Gott sehen kann, um dann selbständig mit ihm / in Beziehung zu treten, sondern daß er jede Beziehung zu Gott dauernd vermitteln muß, daß er also nicht nur das entscheidende Glaubensmotiv, sondern auch das entscheidende Glaubensobjekt ist. Näher bestimmt sich die Aufgabe dahin, zu verstehen, inwiefern Gott seine Gnadenwirksamkeit durch Jesus ausübt. Die religiöse Kritik, die sich gegen den orthodoxen Rechtfertigungsgedanken richtet, gründet sich auf die rein sachliche Würdigung des Verdienstes Christi. Es liegt in der Konsequenz der idealistischen Anschauung, diese sachliche Würdigung zu überwinden durch eine persönliche. Insofern wir Christus haben, haben wir die Gnade Gottes, nicht insofern er etwas getan hat, was als sein Verdienst objektiv von ihm losgelöst werden könnte. 1 0 4 Christus ist uns gemacht zur Rechtfertigung, nicht etwas von ihm, eine Tat von ihm. N u r weil in ihm erschienen ist (und zwar in höchstem Maße in seinem Kreuzesgehorsam) die Fülle der Gottheit, kann Gott die tatsächliche Entwicklung der Menschheit über/winden durch die Gnade und den darauf gerichteten Glauben, der in Jesus die ausschließliche Aktivität anerkennt und sich in der Gemeinschaft mit Jesus unter seine Wirksamkeit stellt: Die Paradoxie der Sündenvergebung ist identisch mit der Paradoxie der Sendung Jesu. Der Idealismus darf also nicht mit dem Rationalismus verwechselt werden, der nur eine Kundmachung des liebenden, nicht auch des zürnenden Gottes kennt. 105

Die messianische Gemeinde Der Herr der messianischen Gemeinde ist der Erhöhte; das ist die wichtigste Quelle der trinitarischen Probleme: den Erhöhten so zu denken, daß der monotheistische Gottesgedanke nicht zerstört wird, und andrerseits seine Einheit mit Gott so zu denken, daß das Antlitz

104

Medicus a m R a n d : „ g u t " .

105

Am Rand von Medicus: „Die Schlusswendung ist sehr kurz: vielleicht missverstehe ich sie infolgedessen; aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie wie ein Rückfall in die auf der voranstehenden Seite abgelehnte orthodoxe Rechtfertigungslehre wirkt".

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des irdischen Herrn nicht verloren geht. 106 Es war schon abgewiesen, die trinitarischen Probleme spekulativ zu behandeln. Dem religiösen Gehalt der Vorstellung kann der Idealis/mus durch den Gedanken gerecht werden, daß es keine vollkommene Wirksamkeit Gottes geistig-religiöser Art gibt, die nicht durch den Geist Jesu Christi vermittelt wäre. Dieser Geist ist aber unauflöslich verknüpft mit der historischen Erscheinung Jesu, so daß die Anrufung Christi nicht ein Gebet zu einem gottheitlichen Wesen neben Gott bedeuten kann, sondern die Anrufung des Gottes, der als der Heilsgott für uns das Antlitz des irdischen Herrn trägt, in dem er sich uns vollkommen gezeigt hat. Die messianische Gemeinde hat nun ihr Charakteristikum eben darin, daß ihre Anrufung Gottes im oben erläuterten Sinn vermittelt ist durch Jesus. Sie unterscheidet sich dadurch auch von der allgemeinen Kulturbewegung, die nur indirekt unter den Wirkungen Jesu steht. Während diese nur Wirkungen von Jesus ableitet, die von seiner Person losgelöst sind, kennt die Gemeinde keine Wirkung / Gottes, die nicht durch Jesus hindurch sich vollzöge. Die Gemeinde ist der Ort, an dem sich die Wirkung Jesu in Form einer historischen Gemeinschaft darstellt und fortpflanzt. So weit der Idealismus nicht geschichtslos denkt - und in seinem Wesen liegt das nicht - , kann er die Notwendigkeit der Kirche philosophisch begründen.

Resultate Der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung hat für die christliche Religion die Bedeutung, daß er sie vor die

106

Der Satz ist markiert und von Medicus kommentiert: „ D i e ganze Schwierigkeit dieses Problems tritt erst hervor, wenn die heidnische Mystik in die Untersuchung hereingezogen wird (vgl. oben 95/96). Der Erhöhte wird identisch mit dem .Geist': solange man nun von der heidnischen Mystik absieht, lässt sich die Beziehung auf den historischen Jesus noch leicht als Identität denken: wird aber auf das Heidentum reflektiert, so wächst die Schwierigkeit außerordentlich. Soll der Monotheismus gewahrt bleiben, d.h. sollen alle mythologischen Phantasien ausgeschlossen bleiben, so wird es zwar dabei bleiben, dass die Offenbarung der hingebenden Sünderliebe Gottes in Jesus ihren vollkommenen Ausdruck u. darum ihren Abschluss gefunden hat. Allein zu einer einfachen Identifikation des Logos mit dem historischen Jesus als dem eingebomen Sohne sehe ich keine Möglichkeit. (Mit den im nebenstehenden Absatz verwendeten Formulierungen bin ich einverstanden)".

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Aufgabe stellt, den Monismus als die entsprechende philosophische Position sich anzueignen, aber so, daß jede monistische Position durch die dualistische Kritik so lange auf eine höhere Stufe getrieben wird, bis das der Person Jesu entsprechende und dem christlichen Heilsbesitz völlig gerecht werdende philosophische Weltbild erreicht ist. Diese Entwicklung, die nicht nur methodisch, 107 sondern / durchaus real gemeint ist, hat ihren Ausgangspunkt zu nehmen bei dem naiv physischen Monismus, fortzuschreiten zu dem geistig teleologischen Monismus und seiner höchsten Stufe, der religiösen, und seinen Zielpunkt zu sehen in einer Synthese der ersten und zweiten Stufe, wie sie durch die Person Christi ermöglicht und grundlegend verwirklicht ist. 108 //

107

Medicus dazu am Rand: „Wenn die Entwicklung bloß methodisch, im Gegensatz zur realen Geltung, gemeint wäre (Kants regulative Maximen), so wäre sie ein harmloses Vergnügen (ein bloß .formales Reflektieren', wogegen Fichte energisch kämpft). Es liegt im Grundgedanken des spekulativen Idealismus, dass die Dialektik der Vernunft das Wesen der Realität aufdeckt: nur der Glaube an Dinge an sich kann diese Einsicht verdunkeln / und damit ein .leeres, formales Reflektieren' produzieren, das lediglich methodisch sein will".

108

Von Schafft dazu: „Zum Ganzen cf. Müller, Kirchengeschichte 1, S. 133f über Clemens pp".

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3. Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910) Zur Textgeschichte Die Prädikatsnote, die Tillich beim Ersten Theologischen Examen erreichte, eröffnete ihm die Möglichkeit einer Promotion. Als Doktorvater konnte er den Hallenser Systematiker Wilhelm Lütgert gewinnen. Dieser akzeptierte das vorgeschlagene Dissertationsthema „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung", wozu Tillich vor allem durch die Darstellung der Schellingschen Philosophie in Adolf Schlatters Buch „Die philosophische Arbeit seit Cartesius" angeregt worden war (vgl. Wenz, Main Works 1, 21). Für die Verwirklichung des Promotionsvorhabens fügte es sich glücklich, daß Tillich nach dem Examen nicht gleich in den Vikarsdienst eintreten mußte, sondern im März 1909 als „Pfarrverweser" (EW V, 71) in die Gemeinde Lichtenrade bei Berlin beordert wurde, deren Pfarrer, Ernst Klein, eine auf etwa drei Monate befristete Tätigkeit bei der „Deutschen Orient Mission" übernommen hatte (vgl. EW V, 73), Tillich aber auch nach seiner Rückkehr noch bis zum Oktober des Jahres zur Unterstützung bei sich behielt (vgl. EW V, 52). Da gleichzeitig mit Tillich ein Vikar, Tillichs späterer Freund Richard Wegener, in Lichtenrade wirkte, konnte sich jener ausgiebig der Arbeit an seiner Dissertation widmen und täglich „einen Kubikmeter Schelling" (EW V, 53) bearbeiten. Das Vorhaben nahm so Gestalt an; das Konsistorium verlängerte den Aufschub des Vikarsdienstes für Tillich ins folgende Jahr hinein. Im Frühjahr 1910 kam es jedoch zu einer überraschenden Wende im Promotionsvorhaben: Tillich erfuhr von der Ausschreibung des „evangelischen Säkularstipendiums" der Stadt Berlin (vgl. EW V, 56). Es sollte demjenigen Theologen zuteil werden, der bis zum 1. August des Jahres einen philosophischen Doktorgrad erwerben würde. Da Tillich es sich zutraute, seine Vorarbeiten für die theologische Dissertation teilweise für das neue Unternehmen zu nutzen, bewarb er sich. Die philosophische Promotion gleichfalls in Halle zu versu154

cheti, erschien freilich nicht ratsam; überdies kam Fritz Medicus, sein Lehrer aus den Hallenser Studienjahren, als Erstgutachter nicht in Frage, da er noch Privatdozent war. So versuchte es Tillich an der Königlichen Universität Breslau und fand in dem Philosophieprofessor Eugen Kühnemann einen interessierten Referenten für die Arbeit. Für das mündliche Examen, so erfuhr er bei seinen Vorstellungsbesuchen im Mai dort, wurden neben Philosophiegeschichte auch Logik, Psychologie, Hebräisch, Aramäisch und allgemeine Geschichte verlangt, ein kaum zu bewältigendes Programm (vgl. Pauck, 301). Tillich stürzte sich gleichwohl in diese „abenteuerliche Doktorangelegenheit" (EW V, 71). Am 4.6.1910 stellte ihm das Kuratorium des Säkularstipendiums die Verleihung in Aussicht, falls er die Bedingungen erfülle; vier Tage später sagte Tillich zu (vgl. EW V, 56). Noch im Juli vermochte er die Arbeit bei der Fakultät einzureichen; am 27. Juli 1910 fand das „examen rigorosum" statt. Da die Statuten des Stipendiums das Nachreichen der gedruckten Arbeit und des Doktordiploms erlaubten, stand der Verleihung nichts mehr im Wege. Am 22. August 1910 wurde Tillich nach seinem Promotionsvortrag über „Die Freiheit als philosophisches Prinzip bei Fichte" in Breslau feierlich zum Doktor der Philosophie promoviert. Den Druck der Arbeit übernahm die Breslauer Buchdruckerei H. Fleischmann. Die Druckvorlage - handschriftlich oder maschinenschriftlich? - ist nicht erhalten. Wie groß die Auflage war, ist ebenfalls nicht mehr auszumachen, doch dürfte sie - wie üblich bei Dissertationsdrucken - nicht hoch gewesen sein. Dies ist die Ursache dafür, daß Tillichs erste akademische Schrift heute kaum zugänglich ist. Auch wurde sie weder in die „Gesammelten Werke" noch in die „Main Works / Hauptwerke" aufgenommen, obwohl sie eine hochinteressante Ergänzung seiner theologischen Lizentiatendissertation darstellt und viele Gedanken enthält, die in die „Systematische Theologie von 1913" hinübergreifen. Im folgenden wird der Text des Breslauer Erstdrucks wiedergegeben. Einige wenige Ungenauigkeiten bei den Zitaten sind (ohne Vermerk) korrigiert.

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Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings p o sitiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien

Inhalt Einleitung

Erster Abschnitt: Die erkenntnistheoretischen und metaphysischen Ausgangspunkte der Geschichtskonstruktion I. Die allgemeine Prinzipienlehre 1. Die Entwicklung der Potenzenlehre bei Schelling 2. Darstellung der Potenzenlehre in der „positiven Philosophie" II. Gott, Welt und Mensch 1. Der Gottesbegriff a) Die Entwicklung des Gottesbegriffs bei Schelling b) Darstellung des Gottesbegriffs in der „positiven Philosophie" c) Der Gottesbegriff als höchstes Erkenntnisprinzip; Negative und positive Philosophie 2. Der Anfang des Weltprozesses: Die Schöpfung der Ideenwelt 3. Das Ende des Naturprozesses und der Anfang der Geschichte: a) Der Mensch als Zentralidee b) Der Fall der Ideenwelt Zweiter Abschnitt: Die Religionsgeschichte A) Die Mythologie I. Der Ausgangspunkt, die absolut vorgeschichtliche Zeit und der Übergang zur Geschichte II. Der mythologische Prozeß 1. Erste Epoche: Relativ vorgeschichtliche Zeit. Uranos 2. Zweite Epoche: Perser, Babylonier, Araber. Urania 3. Dritte Epoche: a) Erste Periode: Kanaanäer und Phönizier. Kronos b) Zweite Periode: Phrygier und Thrakier. Kybele c) Dritte Periode: α) Ägypter: Typhon, Osiris, Horos

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β) Indier: Brama, Schiwa, Wischnu γ) Griechen: Hades, Poseidon, Zeus III. Der Abschluß des mythologischen Prozesses: Die griechischen Mysterien IV. Untermythologisches und Antimythologisches in der Mythologie 1. Götter und Götzen 2. Reaktionserscheinungen a) China b) Der Parsismus c) Der Buddhismus V. Der rationale Prozeß B) Die Offenbarung I. Das Judentum (Mohammedanismus) II. Das Christentum 1. Die Fülle der Zeit 2. Das Werk Christi 3. Die Entwicklung der Kirche Dritter Abschnitt: Die religions- und geschichtsphilosophischen zipien der religionsgeschichtlichen Konstruktion I. Der Religionsbegriff 1. Methodisches 2. Der Religionsbegriff im allgemeinen 3. Natürliche Religion und Vernunftreligion 4. Offenbarungs- und philosophische Religion II. Der Geschichtsbegriff 1. Zeit und Ewigkeit 2. Geschichtsphilosophie und geschichtliche Philosophie 3. Übergeschichtliche und empirische Geschichte 4. Innere und äußere Geschichte

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Prin-

Einleitung Es gibt keine Schellingforschung, weder von theologischer noch von philosophischer Seite in dem Sinne oder gar in dem Umfange, wie es z.B. eine Schleiermacherforschung gibt; das gilt in besonderem Maße von der späteren Schellingschen Philosophie. Und doch ist Schelling der anerkannte Hauptträger der idealistischen Entwicklung. Alle Führer des Idealismus, selbst Fichte nicht ausgenommen, haben Einwirkungen von ihm erfahren. Schleiermacher und Hegel sind in vieler Beziehung seine Schüler, und durch sie hat er den weittragendsten Einfluß gehabt. Direkt knüpft an ihn an die theistische Philosophie von Weisse, dem jüngeren Fichte, Fechner u.a. Wahrscheinlich ist von ihm abhängig Schopenhauer, sicher E. von Hartmann. Die Bedeutung Schellings für die religionsphilosophische Basierung einzelner theologischer Schulen wird unten angemerkt werden. Schon diese unbestreitbaren Tatsachen müßten zu eingehender Schellingforschung anregen. Aber die Schellingsche Philosophie selbst könnte ein genügend starkes Motiv dazu abgeben. Ich meine ihre Eigenart, im wesentlichen Entwicklungsgeschichte zu sein. Eine Fülle von Keimen sind in jeder seiner Perioden ausgestreut, die teils von anderen entwickelt, teils unbenutzt liegen geblieben sind. D a s Letzte gilt in überwiegendem Maße von den späteren Perioden. Der historischen Untersuchung ist damit die doppelte Aufgabe gestellt, / einerseits die festen Grundlinien des Systems herauszuarbeiten, andrerseits die einzelnen Gedankengänge mit ihren mannigfaltigen Voraussetzungen und Komplikationen zu verfolgen. Die erste Aufgabe ist die grundlegende, aber der Wert der Schellingforschung für die systematische Arbeit der Gegenwart liegt in der zweiten. Denn gerade in den Spezialproblemen liegt bei Schelling ein reiches, noch unverwertetes Material vor. Ein drittes Motiv, diese Arbeit in Angriff zu nehmen, folgt aus der Tatsache, daß in derselben Weise, wie auf Kants „Religion innerhalb der Grenzen . . . " die großen religionsgeschichtlichen Systeme folgten, gegenwärtig aus der kantisch beeinflußten Religionsphilosophie eine idealistisch-religionsgeschichtliche zugleich von theologischer und von philosophischer Seite hervorgegangen ist (Troeltsch - Eu-

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ken). Unter diesen Umständen dürfte es angebracht sein, von neuem auf diejenige Gestalt der idealistischen Philosophie, speziell Religionsphilosophie, hinzuweisen, die den Abschluß der gesamten Entwicklung bildet und mit ihrem Voluntarismus, Realismus und Positivismus dem modernen Denken trotz der besonders starken Anstöße, die sie gibt, im Grunde näher steht als irgend eine andere. Im übrigen ist der Idealismus nicht nur eine wissenschaftliche, sondern vor allem eine religiöse Bewegung. Wer daher, sei es als Theologe, sei es als Philosoph, die Verknüpfung von Theologie und Metaphysik zu einem einheitlichen System der Weltanschauung prinzipiell ablehnt, kann doch nicht umhin, die idealistische Geistesbewegung unter dem Gesichtspunkt einer bestimmten Ausprägung christlich-religiösen Lebens religionsgeschichtlich zu betrachten. Sie selbst machte diesen Anspruch und muß darum zunächst einmal rein positiv-historisch in diesem Sinne gewürdigt werden. In Schellings Begriff der „philosophischen Religion" kommt das religiöse Selbstbewußtsein des Idealismus zu charakteristischem Ausdruck. Vorliegende Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, in das Zentrum der „positiven Philosophie", / die religionsgeschichtliche Konstruktion, einzuführen. Das ist aber nur möglich mit Hilfe der erkenntnistheoretischen und metaphysischen Prinzipien des gesamten Systems. Ohne die Potenz[en]lehre ist überhaupt kein Schritt in der positiven Philosophie möglich. Ohne den Gottesbegriff und die Anthropologie bleibt der Religionsbegriff unverständlich, ohne die Ideenlehre der Geschichtsbegriff. Bei dem Mangel einer anerkannten Schellingforschung konnten diese Fundamente des Systems nicht als bekannt vorausgesetzt werden, abgesehen davon, daß ihr Verständnis durch den Verfasser auf jeden Fall zu explizieren war. Hier zeigten sich jedoch bedeutende Schwierigkeiten. Die „positive Philosophie" gehört nicht nur zu den unerforschtesten, sondern auch zu den problemreichsten Stücken der philosophischen Literatur. Ohne die Kenntnis der Entwicklung ihrer Begriffe bei Schelling ist sie von vornherein unverständlich. Die Entwicklungsgeschichte ist aber zum Teil höchst kompliziert (Potenzenlehre, namentlich Gottesbegriff). Es wird noch eingehender Arbeit von verschiedenen Seiten bedürfen, ehe hier alles aufgeklärt ist. Der zweite Teil bringt dann die religionsgeschichtliche Konstruktion selbst. Diese liegt bei Schelling in genügender Deutlichkeit zutage. Der erste Teil bildet zusammen mit dem zweiten die Grundlage des Gesamtsystems der „positiven Philosophie". Der dritte Teil

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wendet sich den beiden religionsgeschichtlichen Zentralproblemen zu, dem Religions- und Geschichtsbegriff. In ihm liegt der Schwerpunkt der Arbeit. Die Literatur über die „positive Philosophie" konnte nur in geringem Maßstabe benutzt werden. Die Darstellungen der Geschichte der Philosophie geben im allgemeinen nur kurze, meist polemische Andeutungen. Kuno Fischer referiert ausführlich, aber er bleibt zu sehr im Referieren; die inneren Zusammenhänge, namentlich der Entwicklungsgeschichte bei Schelling, sind nicht genügend klargestellt. Von der Spezialliteratur kommen ebenfalls die meisten Darstellungen als bloße Referate nicht in Betracht (Frantz, Groos, Beckers, / Pfleiderer, Planck, Schaper, Dorner etc.). Nur E. von Hartmann („Schellings positive Philosophie als Einheit von Hegel und Schopenhauer", „Schellings philosophisches System") läßt sich auf Analyse und Kritik ein. Aber seine Kritik ist so negativ und so offensichtlich von dem eignen Standpunkt beeinflußt, daß sie Schelling in keiner Weise gerecht zu werden vermag (s. u.). Unter diesen Umständen ist auf Zitate aus der Literatur und polemische Auseinandersetzungen mit ihr im wesentlichen verzichtet und statt dessen den Schelling-Zitaten ein großer Raum gegeben. Unter „positiver Philosophie" ist im Thema die gesamte letzte Periode des Schellingschen Philosophierens verstanden, also die positive Philosophie im engeren Sinne und die negative oder rationale. Ob die weitere oder engere Bedeutung gemeint ist, sagt jedesmal der Zusammenhang. Die Hauptmasse der „positiven Philosophie" ist enthalten in den vier Bänden der zweiten Abteilung der Sämtlichen Werke. Doch kommt auch der siebente bis zehnte Band der ersten Abteilung für alle diejenigen Punkte in Betracht, wo seit der „Freiheitslehre" ein prinzipieller Fortschritt nicht erfolgt ist. /

Erster Abschnitt: Die erkenntnistheoretischen und metaphysischen Ausgangspunkte der Geschichtskonstruktion I. Die allgemeine Prinzipienlehre 1. Die Entwicklung der Potenzenlehre bei Schelling 1) Seit Kant in der „productive(n) Synthesis der Einbildungskraft" den „Grund der Möglichkeit aller Erkenntniss, besonders der Erfah-

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rung" 1 entdeckt und den intelligiblen Charakter des Ich als Freiheit bestimmt hatte 2 , seit Fichte aus der Tathandlung des absoluten Ich die Welt abgeleitet und der junge Schelling in der Freiheit das Unbedingte gefunden hatte 3 , war der Wille zum letzten Prinzip erhoben. „Schlechthin handeln ... heißt Wollen ... Der Geist ist ein ursprüngliches W o l l e n " 4 , so sprach Schelling in einer seiner frühesten / Schriften. Der „Wille" in diesen Sätzen ist nun freilich nicht das psychologische Phänomen, sondern „der ... absolute Freiheitsakt, mit welchem alles Bewußtseyn beginnt" 5 . Der Wille als Erscheinung ist Willkür, d.h. „jener Gegensatz gleich möglicher Handlungen im Bewußtseyn", der die Bedingung ist, „unter welcher allein der absolute Willensakt dem Ich selbst wieder zum Objekt werden k a n n " 6 . Erst die spätere Entwicklung, speziell die Frage nach dem Ursprung der Erscheinungswelt, zwang Schelling, ein M o m e n t der Willkür in den absoluten Freiheitsakt selbst aufzunehmen. Zunächst gilt: Die „Selbstbestimmung des Geistes heißt W o l l e n " , und der Akt des Wollens überhaupt ist die höchste Bedingung des Selbstbewußtseins 7 ; d.h. ist letztes erkenntnistheoretisches Prinzip, die Handlung, welche „theoretische und praktische Philosophie vereinigt" 8 . In diesem Sinne formuliert Schelling sein Verhältnis zu Kant und zugleich seinen eignen Standpunkt aufs treffendste, wenn er sagt: „Also ist offenbar, daß Kants theoretische und praktische Philosophie beide gleich grundlos und unbegreiflich sind, wenn sie nicht beide aus

1

Kritik d. r. V., S. 1 2 8 f (Kehrbach; 2 . Auflage 1 8 7 7 ) .

2

Die hier wie im folgenden angedeutete Beurteilung Kants hat nicht den Sinn einer Kantinterpretation durch den Verfasser, sondern soll den Hervorgang Schellings aus Kant kennzeichnen, wie er sich Schelling darstellte. Im übrigen ist die Wahrheit der Schellingschen Position unabhängig von der Richtigkeit seiner Kantinterpretation. - Dasselbe gilt von Schellings Beurteilung der übrigen philosophischen Standpunkte. W o selbständige Vergleiche durch den Verfasser vorliegen, sind sie entweder in die Anmerkung verwiesen oder ausdrücklich als solche gekennzeichnet.

3

1. Abth., Bd. I, S. 1 4 9 ff [Schelling, F . W . J . : Sämmtliche Werke. Erste Abtheilung, 1 8 5 6 - 1 8 6 1 . Zweite Abtheilung 1 8 5 6 - 1 8 5 8 ] ,

4

1, I, 3 9 5 .

5

1, III, 5 7 6 .

6

5 7 6 ; ebenso 1, I, 4 4 0 .

7

1, I, 3 9 5 .

8

1, I, 3 9 5 .

161

Einem Princip, dem der ursprünglichen Autonomie des menschlichen Geistes, hervorgehen" 9 . 2) Während nun aber für Kant das Ding-an-sich die Bedingung und die Grenze der einzelnen Erkenntnis bildet und aus der intelligiblen Freiheit das irrationale Faktum des radikalen Bösen seinen Möglichkeitsgrund erhält, während für Fichte ohne die vom absoluten Ich gesetzte Schranke seiner Tätigkeit keine Deduktion des Selbstbewußtseins erreichbar ist, sucht Schelling von vornherein eine ursprüngliche Doppelheit der Willensrichtung nachzuweisen. Das Wesen des Geistes ist, „daß wir ... in einer und derselben Handlung zugleich / passiv und aktiv, zugleich bestimmt und bestimmend sind, kurz, daß eine und dieselbe Handlung Realität (Nothwendigkeit) und Idealität (Freiheit) in sich vereinigt" 10 . Weil „die ursprüngliche Natur des Geistes in jener absoluten Identität des Thuns und des Leidens besteht", ist Fichtes Satz, daß das Ich sich das Nicht-Ich schlechthin entgegensetze, „theoretisch ganz falsch" 11 . 12 Diese Fassung des Erkenntnisprinzips war in der Tat der Boden, auf dem die Naturphilosophie erwachsen mußte. Es genügt nicht zu zeigen, daß das Ich alles sei, sondern auch umgekehrt, daß alles gleich Ich sei, mußte begriffen werden 13 . Die Natur ist keine unbegreifliche Schranke der Tätigkeit, sondern selbst Tätigkeit, schaffender Wille, werdende Freiheit, Ringen nach Bewußtsein; sie ist der fortschreitende Sieg einer bewußten Tätigkeit über eine bewußtlose, bis im Menschen als Naturwesen das Gleichgewicht erreicht ist. Die bewußtlose Tätigkeit ist die reelle, expansive, die bewußte die ideelle, repulsive. Aus der Nacht der Bewußtlosigkeit wird das Bewußtsein gestaltet. Insofern die Natur „Grund von Realität oder Schwere" ist, bleibt sie „ewige Nacht, ein Abgrund ewiger Stille und Verborgenheit, in dem die Dinge ohne eigenes Leben sind". Erst „das Licht ist die ewige

'

398.

10

411.

11

412.

12

Aber praktisch richtig. Da nun für Fichte die Entgegensetzung allein um des praktischen Zweckes willen erfolgt und die Erklärung des Nicht-Ich rein teleologisch ist, so scheiden sich hier Naturphilosophie und Ethik, um erst in der Religionsphilosophie wieder zusammenzutreffen - freilich nur vorübergehend, da die Naturphilosophie erst in der geschichtlichen Philosophie ihre letzten Auswirkungen erfährt. - Während bei Fichte die Tätigkeit allein v o m Ich ausgeht, ist für Schelling das Ich selbst Resultat einer doppelten Tätigkeit.

13

1, VII, 351.

162

Bejahung aller Dinge dem besondern Leben nach; es ist das ewige Wort der N a t u r " , die Ursache von Realität 1 4 . Diese naturphilosophische Formel enthält aufs deutlichste den Grund/gedanken von Schellings Kosmologie und Logoslehre in allen Perioden seiner weiteren Entwicklung: Der Logos ist nicht der Grund, sondern die Ursache der Realität, nämlich der Dinge als unterschiedener und gestalteter. Die Konstanz dieses zentralen Punktes seiner Spekulation darf bei der Beurteilung von Schellings philosophischen Wandlungen nicht übersehen werden. 3) Hatte Schelling in seiner Fichteschen Periode den Widerstreit der Tätigkeiten unter dem Übergewicht der ideellen, in der Naturphilosophie der reellen Tätigkeit betrachtet, so leistete das Prinzip der Identität, von dem er ausgegangen war, nun die Begründung beider Seiten der Betrachtung aus einer höheren Einheit. Diese Einheit konnte nur jenseits des Widerstreits der Tätigkeiten gefunden werden, durfte also selbst nicht eigentlich als Tätigkeit beschrieben werden. Vielmehr: „eine Thätigkeit, die so ruhig wie die tiefste Ruhe, für eine Ruhe, die so thätig wie die höchste Thätigkeit" 1 5 ist, ist die Identität. Es kann nicht bestritten werden, daß durch diese Fassung der Identität, verbunden mit dem Anschluß an Spinoza, den Schelling jetzt vollzog, die prinzipielle Bedeutung des Willens zurückgedrängt, wenn auch keineswegs aufgehoben wurde. Die Einheit von Affirmierendem und Affirmiertem, wie die Identität jetzt oft genannt wird, ist sowohl Selbstanschauung wie Selbstbejahung, und die intellektuelle Anschauung ist die Liebe, mit der Gott sich selbst liebt 16 . 17 Im Universum ist nun nirgends die reine Identität zu / finden, sondern nur relative Indifferenzpunkte, in denen ein quantitatives Übergewicht der reellen oder ideellen Tätigkeit stattfindet. Insofern im Menschen das Gleichgewicht erreicht ist, stellt er das Gegenbild der absoluten Identität dar und ist der intellektuellen

14

1, VI, 2 6 6 .

15

1, IV, 3 0 5 .

16

1, VI, 6 3 ; 5 5 6 .

17

In Schellings Identitätsbegriff findet der materielle Freiheitsbegriff seine vollkommenste Ausprägung. Während die Identität von Freiheit und Notwendigkeit (Freiheit = absolute Selbstbestimmung) bei Spinoza unter dem Exponenten der Notwendigkeit, bei Fichte unter dem der Freiheit steht, ist bei Schelling die Identität vollendet. Die Aufstellung dieses Prinzips war die negative Voraussetzung für die Aufnahme des formellen (irrationalen) Moments in den Freiheitsbegriff.

163

Anschauung fähig. Auch diese anthropologische Grundanschauung mit ihren erkenntnistheoretischen und religionsphilosophischen Konsequenzen ist Schellings dauernder Besitz geblieben. Die Stufen des Ubergewichts der einen der beiden Tätigkeiten nennt Schelling im Anschluß an die Mathematik Potenzen, einfach im Sinne der Steigerung eines der beiden Faktoren. Aufgabe der Philosophie ist die Konstruktion der Potenzen aufgrund der intellektuellen Anschauung. Der erkenntnistheoretische Grundcharakter der Identität macht offenbar den Begriff einer rein reellen oder rein ideellen Tätigkeit von vornherein unmöglich; insbesondere liegt der Begriff eines ideelosen Willens oder einer willenlosen Idee Schelling völlig fern 18 . 4) Bald nach der Konzeption des Identitätssystems trat Piatos Ideenlehre in Schellings Gesichtskreis und wurde von ihm verarbeitet. Schellings Verständnis der Ideenlehre war bedingt 1. von metaphysischer Seite her durch die Kombination von Spinozas Universalismus und Leibnizens Individualismus, die sich durch Herder, Schleiermacher und Schellings Naturphilosophie vollzogen hatte; 2. von erkenntnistheoretischer Seite durch die Kant-Fichtesche Kritik der Reflexionsbegriffe in ihrer Anwendung auf das Ding-an-sich und Absolute. So entstand die, historisch betrachtet, unplatonische Auffassung / der Idee als höhere Einheit von abstraktem Begriff und konkretem Einzelding, von Einheit und Vielheit; das heißt aber, die Idee ist Gegenstand der intellektuellen Anschauung: intellektuell, denn sie enthält das Allgemeine; Anschauung, denn sie enthält das Besondere. Daraus ergab sich nun weiter die Identifizierung der Ideen- und Potenzenlehre. Der wichtigste Erfolg dieses Schrittes war eine weitere Verschiebung der Betrachtungsweise zugunsten des Allgemeinen. Bezog sich in der Naturphilosophie die Anschauung der schöpferischen Naturtätigkeit unmittelbar auf die einzelnen Naturgegenstände, waren sie durch den Potenzbegriff zu gewissen umfassenderen Gruppen vereinigt, so gewinnen jetzt diese Gruppen gegenüber den Einzeldingen eine Konstanz, die zu immer negativerer

18

Wenn E. v. Hartmann in der Aufstellung dieser Begriffe an Schelling einen Vorgänger zu finden glaubt, so liest er Schopenhauers allerdings ideelosen Willen in Schelling hinein und übersieht, daß der Potenzbegriff den spinozistischen Gegensatz von Denken und Ausdehnung überwindet; kurz, er vergißt den erkenntnistheoretischen Charakter der Identität, der einer Scheidung widerstrebt, und betritt vorkritische Bahnen.

164

Beurteilung der letzteren führt: „So sind es also die Dinge in der hervorbringenden Natur, welche nicht freiwillig, sondern gezwungen dem Dienst der Eitelkeit unterworfen sind. Jene ewigen Urbilder aber der Dinge sind gleichsam die unmittelbaren Söhne und Kinder Gottes" 1 9 . Die Ideenwelt bildet also ein Mittelglied zwischen dem Absoluten und der Welt der Erscheinungen. Sie ist Gegenstand der unmittelbaren Selbstbejahung der Identität. „Aus der Vereinigung des Maßes mit der unendlichen Kraft entspringt das heitere Götterbild Idea, ein Empfängniß der nothwendigen Lust des reinen Bejahens, aber gesänftigt durch die Einheit aller" 2 0 . Doch mit der Einschiebung des Mittelgliedes war das Problem der Erscheinungswelt nicht gelöst. Wie kam es, daß die Idee sich nicht sänftigen ließ, heraustrat aus der Einheit aller und darum auseinandergerissen wurde in die einzelnen Erscheinungen, die vergänglich sind, weil keine dem Wesen völlig entspricht? „Die alte, heilige Lehre . . . : daß die Seelen aus der Intellektualwelt in die Sinnenwelt herabsteigen" 2 1 , kann allein/ Antwort geben. Woher aber diese Freiheit der Ideen, die doch die unmittelbaren Kinder der absoluten Selbstbejahung sind? Sie kann ihnen nur vom Absoluten selbst gegeben sein. Das heißt aber: In der Indifferenz liegt ein Prinzip der Differenz, des Abfalls von sich selbst, ein Irrationales 2 2 .

"

1, IV, 2 2 3 .

20

1, VII, 2 0 4 .

21

1, VI, 4 7 .

22

Auf diese Weise wurde Plato für Schelling der Wegbereiter zur christlichen Beurteilung der Wirklichkeit. An zwei Punkten sei dies verdeutlicht: Der Begriff der Anschauung enthält einen doppelten Protest gegen die Aufklärung. Nämlich gegen den Intellektualismus einer abstrakten Reflexion und den Moralismus einer abstrakten Ethik; daher ein heftiger Kampf gegen reflektierenden Verstand und kategorischen Imperativ. Aber dieser Gegensatz rief zwei andere nicht minder bedenkliche Erscheinungen hervor: Mystizismus und Quietismus. Je mehr nun die Anschauung eine intellektuelle wurde, desto weniger konnten die individuellen Erscheinungen als solche von ihr bejaht werden und desto mehr mußte die Forderung entstehen, für sie eine andere Würdigung zu finden. So kam es denn, daß nach jener platonischen Periode die intellektuelle Anschauung für die Ideen vorbehalten bleibt, für die Erscheinungswelt aber der Verstand und das Gesetz in ihr volles Recht eintreten. Da aber die prinzipielle Beurteilung dieselbe bleibt, so tritt jetzt die Erscheinungswelt unter den Gesichtspunkt des Anormalen; der Normalismus der früheren Periode gilt nur noch für die Ideenwelt. - Auch ein Vergleich mit Schleiermacher bezeugt die Wichtigkeit des Piatonismus für Schelling. Schleiermacher hat in seinem Protest gegen die Aufklärung und in dem

165

5) Als Schelling diesen Schluß zog, trat er in die zweite Hauptperiode seiner Entwicklung, die mit der „Freiheitslehre" 23 von 1809 begann. Die Aufnahme des irrationalen Moments in das Absolute hatte ein kräftiges / Wiederhervorkehren des Willens als Prinzip zur Folge. Die ursprüngliche Doppelheit der Willensrichtung, die auf dem transzendental- und naturphilosophischen Standpunkt einfach als gegeben vorausgesetzt werden konnte, war durch die konsequente Ausführung des Identitätssystems selbst ein Problem geworden. Zugleich aber gab der amphibolische Charakter des Willens die Lösung an die Hand: Im Willen selber liegt ein irrationales Moment, eine „Potenz" des Widerspruchs mit sich selbst. Das reelle, dunkle Prinzip der Naturphilosophie ist nichts anderes als die Aktualisierung dieses Widerspruchs. Die Indifferenz wird different, sobald der Wille in Widerspruch mit sich selbst tritt. Die Freiheit, die das Absolute den Ideen mitteilt, ist die Macht dieses Widerspruchs. Freiheit ist die Macht, mit sich selbst uneins zu werden24. Diese Macht nennt Schelling, der Wortbedeutung sich anschließend, jetzt Potenz. Am Irrationalen hat die Identität die Potenz der Freiheit, das Irrationale ist die Potenz kat' exochen. Aber auch der ursprüngliche Sinn des Potenzbegriffs bleibt erhalten: Der Potenz des Widerspruchs steht gegenüber die, der widersprochen wird, wie der reellen die ideelle Tätigkeit; doch muß immer beachtet werden, daß es sich jetzt zunächst nicht um wirkliche Tätigkeiten handelt, sondern nur um Möglichkeiten. Und in diesem Sinne ist die erste Potenz diejenige,

Begriff der Anschauung den gleichen Ausgangspunkt wie Schelling. D o c h betont er neben der Anschauung als dem gegenständlichen Bewußtsein das Gefühl als zuständliches. Als er sich dann enger an Schellings Identitätssystem anschloß, gewann das Gefühl in dem Mai? an Bedeutung, als die Anschauung abstrakter, spekulativer und gegenstandsloser wurde. Weiter, d.h. über den Piatonismus zur Freiheitslehre, folgte Schleiermacher Schelling nicht und blieb darum in vieler Beziehung dem kirchlichen Christentum ferner. 23

„Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit e t c . " 1, VII; gewöhnlich „Freiheitslehre" genannt.

24

Der so formulierte formale Freiheitsbegriff ist Bedingung des materialen. Soll die Freiheit als Selbstsetzung nicht etwas absolut Unlebendiges, das reine Sein, bedeuten, soll sie vielmehr das „Sich-selbst-Setzen als sich selbst setzend" heißen, so m u ß sie eine „Potenz" des Sichentgegensetzens enthalten. Denn das „ a l s " in jener Formel setzt einen überwundenen Gegensatz voraus. D a es sich aber um das Absolute handelt, so kann nur von einem irrationalen S e / t e W i d e r s p r u c h im Absoluten die Rede sein.

166

der dieser Name insbesondere zukommt, während in dem alten Sinne der Steigerung die erste Potenz zugleich die unterste ist. Das Ringen der beiden Potenzen im Weltprozeß und die stufenweise Uber/windung und Verklärung der ersten durch die zweite schildert Schelling in den Kategorien der Naturphilosophie, aber mit den Farben Boehmescher Theosophie: Das Irrationale ist die Sehnsucht des Einen, sich selbst zu gebären, d.h. sich zur Existenz zu bringen durch Überwindung der Finsternis. Aber sich selbst überlassen ist es ein Chaos, in dem nichts Gestalt gewinnen kann. Erst wenn das Ideale wie ein W o r t hineingesprochen wird, kommt das Chaos zur Scheidung der Gestalten und zur Kreatur. Es ist die Armut, die mit der Idee vermählt allen Reichtum der Welt erschließt, das Regellose, das zur Ordnung gebracht, der Wahnsinn, der vom Verstände bewältigt ist, die Basis aller Kreatur, die tätige Kraft der Selbstverschließung, durch die jedes Ding zu einer Eigenheit wird, der göttliche Egoismus, der der göttlichen Liebe Kraft und Halt gibt. Im Menschen ist seine ganze Tiefe erschlossen, denn in ihm ist das Band mit dem Idealen vollkommen; darum ist er frei von beiden Prinzipien, d.h. Geist. Damit ist ein neues Prinzip von weittragendster Bedeutung gewonnen. Auch im Identitätssystem war im Menschen die Indifferenz beider Potenzreihen gefunden; aber hier handelte es sich lediglich um ein quantitatives Gleichgewicht, das nie als ein neues Prinzip betrachtet werden konnte. Seitdem aber der Gegensatz der Tätigkeiten als auf einem qualitativen Widerspruch beruhend aufgefaßt wurde, mußte die Vereinigung beider Gegensätze ein neues Prinzip konstituieren. Der Geist verhält sich zur Identität wie aktuelle Einheit zur substantiellen, wie mittelbare (durch einen Gegensatz hindurchgegangene) Selbsterfassung zur unmittelbaren. Der Geist ist die Freiheit in der höchsten Potenz; er ist die Potenz des Ziels. Entsprechend der Dreiheit der Potenzen fordert Schelling jetzt Begriffsdreiheiten und polemisiert gegen die „abgezogenen Begriffe des Endlichen und des Unendlichen" 2 5 . Der Position steht / nicht sowohl eine Negation als vielmehr eine entgegengesetzte Position gegenüber 2 6 . Der Geist, der die Einheit eines Nein und eines J a ist, bleibt

25

1, VII, 3 7 1 .

16

Vergleiche damit Hegel, Religionsphilosophie, 2 . Aufl., Bd. I, S. 2 0 2 : „ D a s Geistige ist die absolute Einheit des Geistigen und Natürlichen, so daß dieß nur ist ein vom Geist Gesetztes, G e h a l t e n e s " ; und S. 6 6 : „Die höchste

167

G e i s t , a u c h w e n n er d a s N e i n a k t u a l i s i e r t . G e r a d e d a s ist ja seine F r e i h e i t : N e i n s a g e n zu k ö n n e n . D i e s e F a s s u n g des Geistbegriffs ist für s ä m t l i c h e P r o b l e m e v o n h e r v o r r a g e n d e r B e d e u t u n g . N a m e n t l i c h a u f ihr b e r u h t d e r U n t e r s c h i e d v o n Schellings beiden H a u p t p e r i o den27. Die Geschichte der Potenz[en]lehre vor der „positiven Philos o p h i e " ist m i t d e r H e r a u s a r b e i t u n g dieses Begriffes a b g e s c h l o s s e n . In d e r „ p o s i t i v e n P h i l o s o p h i e " selbst bleiben die bis d a h i n g e w o n n e n e n G r u n d l a g e n u n a n g e t a s t e t . N u r die D a r s t e l l u n g ist neu u n d bedeutungsvoll. /

2 . D a r s t e l l u n g d e r P o t e n z e n l e h r e in d e r „ p o s i t i v e n P h i l o s o p h i e " 1) D e r ursprünglichste, umfassendste und notwendigste Inhalt der V e r n u n f t ist d a s Seiende; w e n n d a s D e n k e n v o n j e d e m

einzelnen

G e g e n s t a n d a b s t r a h i e r t , s o k a n n es d o c h n i c h t a b s t r a h i e r e n v o n d e m B e g r i f f eines G e g e n s t a n d e s ü b e r h a u p t -

a u c h n i c h t , w e n n es sich

selbst z u m G e g e n s t a n d m a c h t 2 8 . Dieses Seiende ü b e r h a u p t liegt o f f e n b a r jenseits alles w i r k l i c h e n Seins u n d k a n n d a r u m die u n e n d l i c h e P o t e n z des Seins g e n a n n t w e r d e n 2 9 . E s ist dies d e r einzige u n m i t t e l Bestimmung des Geistes ist Selbstbewußtseyn, welches diese Gegenständlichkeit in sich schließt"; und S. 2 0 0 : „Das Andere, wovon der absolute Geist weiß, ist er selbst und er ist so erst der absolute Geist, daß er sich weiß". Für Hegel ist der Geist Selbst-Wissen: Er setzt sein Anderes, um zum Selbstbewußtsein zu kommen. Für Schelling ist der Geist Selbst-Wollen: Er setzt seinen Widerspruch, um sich in Freiheit selbst zu wollen. Bei Hegel stehen Natur und Geist wie Negation und Position, bei Schelling Wille und Gegenwille wie Position und Position gegenüber. Hegel erklärt das „Andere" nur teleologisch (damit Geist sei), Schelling auch ätiologisch (weil im Willen ein Irrationales ist). 27

In wieweit der Umschwung durch Boehme und Baader bedingt war, ist einer speziellen Untersuchung wert. Jedenfalls ist Schelling nicht von seinem von Kant aus fortschreitenden Wege abgedrängt worden, wie ein Blick auf Kants Lehre vom radikalen Bösen zeigen kann. Denn dort liegt der Irrationalismus des zweiten Schelling im Keim unzweifelhaft vor. Mir scheint der Einfluß Baaders durchaus in Analogie mit dem Spinozas und Piatos zu stehen: In allen Fällen handelt es sich um die Rezeption älterer Gestaltungen auf dem Boden des Kritizismus, so daß die kritische Grundlage unerschüttert blieb, der Aufbau aber sich modifizierte, je nachdem in der Durchführung der idealistischen These eine neue Wendung sich anbahnte und wahlverwandte Elemente andersartiger Systeme auf die Neugestaltung Einfluß gewannen. An dieser Auffassung kann auch der starke formelle Einfluß Baaders und Boehmes auf die „Freiheitslehre" u.a. nicht irre machen.

28

1, X , 2 3 3 .

29

2, III, 64.

168

bare Inhalt des Denkens, „mit dem dieses sich nur in sich selbst, in seinem ... Aether bewegt"30. In der unendlichen Potenz findet nun das analysierende Denken einen inneren Organismus aufeinanderfolgender Potenzen, an dem es „den Schlüssel zu allem Seyn hat, und der der innere Organismus der Vernunft selbst ist. Diesen Organismus zu enthüllen, ist Sache der rationalen Philosophie"31. Ihr Organ ist die reine Denkerfahrung, früher intellektuelle Anschauung genannt. Was den Versuch betrifft, durch logische Bearbeitung des Seinsbegriffs die drei Potenzen: Subjekt, Objekt, Geist zu gewinnen, so muß vor allem beachtet werden, daß die intellektuelle Anschauung des Seinsbegriffs nichts anderes ist, als die intellektuelle Anschauung der geistigen Persönlichkeit, in der allein dem Philosophen das Sein in concreto gegeben ist. Das zeigt sich unzweifelhaft in den voluntaristischen Kategorien, die rein logisch aus dem Seinsbegriff nicht deduzierbar sind, und in der Art des Fortschreitens, die ebenfalls nicht logisch bedingt ist, sondern teleologisch: Damit Geist sei, muß das Sein dreifach gesetzt werden. Das ist die Rechtfertigung dieser Deduktion vor dem / erkenntnistheoretischen Idealismus, und unter diesem konkreten Gesichtspunkt, als Analyse des Geistes, müssen die folgenden Ausführungen betrachtet werden. Im übrigen hebt die Anknüpfung an den Seinsbegriff den absoluten Universalismus der Potenzen scharf hervor, was für die Beurteilung der religionsgeschichtlichen Erscheinungen von großer Bedeutung ist. 2) Der Begriff des Seienden steht in unmittelbarem Gegensatz zu allem wirklichen Sein, er ist also nur die unendliche Möglichkeit, Potenz alles Seins, das Subjekt zu allem Seienden32, das Sein-Könnende. Der Begriff des Könnens, der an sich so viel heißen könnte

30 31 32

76. 76. Die erste Potenz ist das Prinzip der Subjektivität, insofern durch Erhebung des irrationalen Willens die Einheit in der Identität zerstört und jedes Ding zu einer Selbstheit wird, deren Basis in jenem irrationalen Grunde aller Kreatur liegt; d.h. die erste Potenz ist Subjekt (hypokeimenon), insofern sie G r u n d selbstischer Einzelwesen oder -willen ist. - Die schärfste Zuspitzung der Subjektivität liegt im menschlichen Ich, dem Prinzip des Sündenfalls, wie es Schelling gegen Fichte nennt. Fichtes subjektiver Idealismus mache dieses Prinzip, das Basis bleiben müsse, zum Prinzip überhaupt. - Diese Umkehrung des Begriffspaares S u b j e k t - O b j e k t schließt sich an die Wortbedeutung und den scholastischen Sprachgebrauch an (objektiv-ideell, subjektiv-reell).

169

wie logische Möglichkeit, ist nun aber durchaus real zu denken (s.o. 1.): „Es bedarf, um in das Seyn zu gelangen, nichts als des bloßen Wollens". „Jedes Können eigentlich nur ein ruhender Wille". „Der Wille an sich ist die Potenz kat' exochen, das Wollen der Actus kat' exochen"13. „Kein wirkliches Seyn ist ohne ein wirkliches ... Wollen denkbar" 34 . Gegenstand heißt Widerstand oder Selbstbehauptung, und das leistet nur der Wille. „Selbst Gott ... kann den Willen nicht anders als durch ihn selbst besiegen" 35 . Der Wille bleibt solange Potenz, wie er nicht ins Wollen übergegangen ist; das aber ist ihm natürlich; es ist das / Wesen des Willens, zu wollen 36 . Sobald dieses Faktum aber eingetreten wäre und dies wäre unmittelbar geschehen, wenn kein entgegenstehender Wille es gehindert hätte - , so wäre aus dem Sein-Könnenden ein Seiendes geworden und zwar ein Sein-Müssendes, denn ein Zurück gibt es nicht. Wie das Können des Menschen Kraft und Stärke ist, die er nicht an Geringfügiges verschwenden soll 37 , wie aber eine Tat nicht zurückgenommen werden kann und der Täter unfrei ihr gegenüber wird, so ist das Sein-Könnende, wenn es ins Sein übergegangen ist, seiner nicht mehr mächtig, ekstatisch 38 . Anschaulich wird das im Spinozismus, der die potentia existendi gar nicht anders als bereits untergegangen ins Sein kennt 3 '. „Und wer hätte nicht auch z.B. das Ekstatische des Spinozismus ... gefühlt"? 40 „Ueberrascht und übereilt gleichsam von dem blindlings über ihn hereinstürzenden Seyn verliert er gegen dieses, - dem er in der Tat keinen Anfang weiß, ... gegen das er also keine Gewalt hat, gegen das er ganz ohnmächtig ist, ... selbst alle Freiheit" 41 . Daran, daß im Seinsbegriff ein subjektives, potentielles, irrationales, voluntaristisches Moment erhalten bleibt, hängt Freiheit und Geschichte. Insofern es auf die Potentialität dieses Prinzips ankommt, darauf, daß es nicht ins aktuelle Sein übergeht, sondern nur die Macht dazu ist, kann es auch das me on,

33

2 , III,

34

206. 206.

35 36

207.

37

208.

38

205.

209.

39

2 , II, 3 8 .

40

2 , III,

4

'

163.

2 , II, 3 8 .

170

das relativ Nicht-Seiende im Gegensatz zum ouk on, dem absolut Nicht-Seienden, genannt werden42.43 An der / Realität des NichtSeienden hängt die Realität des Gegensatzes von Wahrheit und Irrtum, von Gut und Böse44. 3) Damit das Moment der Potentialität erhalten bleibe, muß das Seiende an zweiter Stelle als Aktualität beschrieben werden, dem Sein-Könnenden gegenüber als das Sein-Müssende oder rein Seiende. Denn dann ist der Platz, den das Sein-Könnende einnehmen will, behauptet, so daß ein natürlicher Übergang ins Sein nicht mehr stattfinden kann. Dieses rein Seiende ist der völlig begierdelose, gelassene Wille; er braucht das Sein nicht zu begehren, denn er ist das von selbst Seiende45. Dennoch ist er Potenz, denn er ist ja eine Bestimmung des Seienden überhaupt, also nicht eines wirklichen Seins, sondern dessen, was sein wird46. Ist die erste Potenz unendlicher Mangel an Sein, so ist die zweite absolute Fülle47. Also ergänzen sich beide, und es waltet zwischen ihnen die größte „Annehmlichkeit" 48 . Das rein Seiende ist „die überfließende Güte eines sich gleichsam nicht versagen könnenden Wesens" 49 . Es ist das an sich Selbstlose, während die erste Potenz das selbstisch sein Könnende ist. Diese zieht jenes an, weil es selbst arm ist und seine Blöße decken will. Wäre es voll von sich selbst, so würde es das zweite abstoßen50. All diese Bilder besagen nur, daß die Ruhe der absoluten Identität / gewahrt bleibt, solange die Subjektivität Potenz, Basis und Träger der Objektivität ist, daß alle Differenz aber entsteht, wenn

42

Schellings Bedeutung in der Geschichte der Philosophie kann geradezu in der Erfassung dieses Begriffs, der crux philosophiae von Parmenides bis Hegel, gesehen werden. In dem irrationalen Willen hat er den amphibolischen Charakter des Nicht-Seienden positiv und konkret bestimmt: Es ist das Prinzip der Freiheit von Gott und Mensch, es ist das Nichts, aus dem die Welt geschaffen ist und das Nicht-Sein-Sollende, das die Kraft der Sünde und des Irrtums ausmacht. Schellings Darstellung der ersten Potenz ist eine Ontologie des Nichtseienden.

43

2, I, 2 8 8 .

44

1, IX, 2 4 1 .

45

2, III, 2 1 3 .

46

215.

47

2, II, 4 9 .

48

50.

49

51.

50

52f.

171

die Subjektivität als solche hervortritt und die Stelle des Objektiven einnehmen will: Die Konzeption ist im tiefsten Grunde ethisch. Der Sinn, in dem Schelling die zweite Potenz nimmt, wird anschaulich in ihrer einseitigen Bevorzugung, durch die gekennzeichnet ist „jener schaale, absolut impotente, durchaus nichts zu erklären vermögende Theismus oder Deismus, der der einzige Inhalt unsrer sogenannten rein moralischen und aufgeblasenen Religionslehren ist" 5 1 . Hier fehlt die „Zeugungskraft", die Macht des „aus sich Herausgehens, des sich ungleich Werdens" 5 2 . Es fehlt die Potenz der Subjektivität. 4) In der ersten Potenz ist das, was sein wird, als reine Potenz, in der zweiten als reiner Aktus gesetzt. Insofern sich beide ausschließen, kann in keiner der beiden Bestimmungen das Ziel der Deduktion erreicht sein. Es muß das Seiende zum Dritten als von beiden Einseitigkeiten freies Subjekt-Objekt gesetzt werden: Die Freiheit der dritten Potenz besteht darin, daß sie als Subjekt nicht aufhört, Objekt zu sein, und als Objekt nicht aufhört, Subjekt zu sein. Sie ist das bei sich Bleibende, das sich selbst nicht verlieren Könnende, „das zu seyn und nicht zu seyn erst wirklich Freie" 5 3 . „Für dieses sich selbst Besitzende ..., das im Actus Potenz, im Seyn Macht zu seyn bleibt, hat nun aber die Sprache kein anderes Wort als Geist" 5 4 . Ist die erste Potenz das Sein-Könnende, die zweite das Sein-Müssende, so ist die dritte das Sein-Sollende 55 . Sie / ist die Potenz des Monotheismus. Das führt aber von der Betrachtung des Seienden zu der Betrachtung dessen, der das Seiende ist.

51

41.

52

41.

53

2, 111, 2 3 5 .

54

2, II, 57.

55

Zur Veranschaulichung und zugleich Würdigung dieser Potenzenlehre sei eine historische Gruppierung philosophischer Richtungen nach ihrer Stellung zu den Potenzen angedeutet: Die einseitige Hervorhebung der zweiten Potenz, des Sein-Miissenden (Vernunftnotwendigkeit, ewige, rein logische Wahrheiten), wie sie in der Leibniz-Wolffschen Schule vertreten wurde, ist durch Kants Kritik des Rationalismus unmöglich geworden (Ansätze dazu jedoch wieder bei Krause). Eine starke Betonung der dritten und unzureichende Behandlung der ersten Potenz charakterisiert Fichte und Hegel. Beide leben im Sein-Sollenden; ihre Welterklärung ist teleologisch; sie bilden den idealistischen Flügel des Idealismus. Schopenhauer dagegen nimmt nur die erste Potenz auf: Das Sein-Könnende begründet einen Voluntarismus, dessen relativistische und positivistische Konsequenzen in mancherlei Gestaltungen bis

172

II. Gott, Welt und Mensch 1. Der Gottesbegriff a) Die Entwicklung des Gottesbegriffs bei Schelling 1) Die Entwicklung der Potenzenlehre steht in enger Beziehung zu der des Gottesbegriffs. Ist die Potenzenlehre eine Analyse des höchsten Prinzips, der Identität, so gewinnt der Gottesbegriff seinen Inhalt aus der Bestimmung seines Verhältnisses zu jenem Prinzip. Diese Entwicklung / vollzieht sich in drei Stufen, deren erste eine vollständige Identifizierung Gottes und des Absoluten kennzeichnet. Es ist dies der Standpunkt der Identitätsphilosophie, in der Schelling anfing, den Gottesbegriff in sein System hineinzuziehen. Da infolge der Gleichsetzung Gottes mit der Identität alles, was von dieser gilt, auf den Gottesbegriff übertragbar ist, kann von einer näheren Erörterung abgesehen werden 56 . Auf die Frage, ob es sich um Pantheismus handele, antwortet Schelling später, daß dies zu verneinen sei in dem Sinne, als ob die Summe aller einzelnen Dinge gleich Gott sei, da ja vielmehr Gott als das allein wahrhaft Wirkliche im Gegensatz zu den Dingen in ihrer Einzelheit stehe 57 ; zu bejahen sei die Frage aber in dem Sinne, als Gott hier keine Freiheit hat von seinem Sein, er nicht Herr des Seins und dieses nicht ein von ihm selbst Gesetztes ist 58 . Die weitaus bedeutendste religionsphilosophische Schrift dieser Periode sind die Vorlesungen über Theologie und Christentum in den „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" 59 , über deren geschichtsphilosophische Seite noch zu reden sein wird.

zur Gegenwart zum Ausdruck kommen; der realistische Flügel des Idealismus. Ε. v. Hartmann kombiniert die erste und zweite Potenz; aber weil bei ihm der Wille an sich ideelos und die Idee willenlos ist, kommt er nicht zu der dritten Potenz, und der Weltprozeß endet bei ihm wie bei Schopenhauer im Nichts. Nietzsche endlich vereinigt die erste und dritte Potenz; die zweite, das Allgemeingültige, fehlt ganz. - Die Hervorhebung der dritten Potenz führt zu einem evolutionistischen Optimismus, die der ersten zum Pessimismus. Der rationale Gegenwartsoptimismus ist mit der zweiten Potenz in den Hintergrund gedrängt. 16

17

Theologisch wirksam geworden ist dieser Gottesbegriff mit bestimmten M o difizierungen in Schleiermachers Glaubenslehre. 1, X , 4 6 .

58

22.

59

1, V, 2 0 7 - 3 5 2 .

173

Sie stehen schon unter deutlichem Einfluß des Piatonismus und teilen dessen Bedeutung als Übergangsstufe. Erst auf dem Standpunkt der „Freiheitslehre" sind sie zu voller Wirksamkeit gelangt. Der Gottesbegriff wird hier konstruiert in der Dreieinigkeit des Ewigen, Endlichen und Unendlichen. Das Ewige ist Gott-Vater in der noch unentfalteten Identität, das Endliche und Unendliche sind die Ideen, wie sie „in der ewigen Anschauung Gottes" sind60. Die unbedingte Identifizierung Gottes und des Absoluten ist in diesen Formulierungen insofern aufgegeben, als den beiden Ideen / selbständige Bedeutung zukommt; da aber die wahre Wirklichkeit letztlich doch nur in der Identität gefunden wird, so ist jene Gleichsetzung im Grunde nicht überwunden. 2) Das war erst auf dem Freiheitsstandpunkt möglich im Zusammenhange mit der Behauptung eines reellen Widerstreites im Absoluten, wodurch es zu einer Unterscheidung des göttlichen Selbst kam von dem, was nicht er selbst in ihm ist, dem Grunde, der Natur in Gott. Den Begriff einer Natur in Gott hat Schelling im Anschluß an die Theosophie gebildet, in dem Interesse, die Immanenz der Dinge in Gott mit ihrer Freiheit zu vereinigen. „Um von Gott geschieden zu seyn, müssen sie