Germanische Heldensage. II. Band. 1. Abteilung. II Buch. Nordgermanische Heldensage [2] 3110092662, 9783110092660

Der Norden hat mehr Heldenfabeln bewahrt als hervorgebracht. Die Betrachtungen des zweiten Buches umfassen nur die skand

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German Pages VIII+328 [338] Year 1933

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Germanische Heldensage. II. Band. 1. Abteilung. II Buch. Nordgermanische Heldensage [2]
 3110092662,  9783110092660

Table of contents :
Einleitung 1
Erster (analytischer) Teil 4
A. Literaturgeschichte der nordgermanischen Heldensage 4
B. Die einzelnen Sagenkreise 18
Skjöldungensagen
Die ältere Skjöldungensage (Hrolf Kraki) 20
1. Die Quellen 21
Liedhafte Quellen. — Dänische Geschichtsschreibung. — Isländische Quellen.
2. Die Teile der Hrolfsage und ihr Zusammenwachsen 64
Hrolfs Ahnen. — Hrolfs Kämpfer. — Hrolfs Uppsalazug. — Hrolfs Ende.
3. Ältere (verlorene) Skjöldungendichtung 95
4. Vorgeschichte der Skjöldungendichtung 109
Die jüngere Skjöldungensage (Ingeld, Starkad)
1. Starkad und die Frodisippe 127
2. Die Neidingstaten 143
3. Sonstige Starkadfabeln 156
4. Starkaddichtung und Starkadgestalt 168
Anhang: Der Skjöldungenstammbaum 183
Harald Kampfzahn und die Bravallaschlacht 189
Die kleineren nordgermanischen Sagenkreise 210
1. Hagbard und Signe 210
2. Amled 225
3. Helgi 250
Zweiter (synthetischer) Teil 299
Literaturgeschichte der nordgermanischen Heldensage 299
1. Die älteste nordische Heldendichtung 299
2. Die gemeinskandinavische Blütezeit 305
3. Die norröne Spätdichtung 310
4. Der isländische Vorzeitroman 314

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GRUNDRISS DER

GERMANISCHEN PHILOLOGIE UNTER MITWIRKUNG

ZAHLREICHER FACHGELEHRTER

BEGRÜNDET

VON

HERMANN PAUL W E I L . ORD. PROFESSOR DER DEUTSCHEN PHILOLOGIE A N DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN

10/2

BERLIN UND LEIPZIG

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G.J.GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDL. — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP. 1933

GERMANISCHE

HELDENSAGE VON

HERMANN SCHNEIDER

II. BAND

I.ABTEILUNG

II. BUCH: NORDGERMANISCHE HELDENSAGE

BERLIN UND LEIPZIG

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G.J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDL. — GEORG REIMER — K A R L J. TRÜBNER — VEIT & C O M P .

1933

ALLE RECHTE, BESONDERS DAS DER] ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN.

Archiv-Nr. 43 05 33.

PRINTED IN GERMANY Druck von Walter de Oruyter & Co., Berlin W 10

DEM GEDÄCHTNIS

AXEL OLRIKS

INHALTSVERZEICHNIS Seite

Einleitung

i

Erster (analytischer) Teil A. Literaturgeschichte der nordgermanischen Heldensage . B. Die einzelnen Sagenkreise

4 4 18

Skjöldungensagen Die ältere Skjöldungensage (Hrolf Kraki)

20

1. Die Quellen Liedhafte Quellen. — Dänische Geschichtsschreibung. Isländische Quellen. 2. Die Teile der Hrolfsage und ihr Zusammenwachsen Hrolfs Ahnen. — Hrolfs Kämpfer. — Hrolfs Uppsalazug. Hrolfs Ende. 3. Ältere (verlorene) Skjöldungendichtung 4. Vorgeschichte der Skjöldungendichtung

21 — 64 — 95 109

Die jüngere Skjöldungensage (Ingeld, Starkad) 1. 2. 3. 4.

Starkad und die Frodisippe Die Neidingstaten Sonstige Starkadfabeln Starkaddichtung und Starkadgestalt

127 143 156 168

Anhang: Der Skjöldungenstammbaum Harald Kampfzahn und die Bravallaschlacht

183 189

Die kleineren nordgermanischen Sagenkreise

210

1. Hagbard und Signe 2. Amled 3. Helgi

Zweiter (synthetischer) Teil Literaturgeschichte der nordgermanischen Heldensage 1. 2. 3. 4.

Die Die Die Der

älteste nordische Heldendichtung gemeinskandinavische Blütezeit norröne Spätdichtung isländische Vorzeitroman

210 225 250

299 299 299 305 310 314

EINLEITUNG Der Norden hat mehr Heldenfabeln bewahrt als hervorgebracht. Die Betrachtungen des zweiten Buches umfassen nur die skandinavische Heldensage in diesem engeren Sinne, gelten also den Stoffen, die nordgermanischer Herkunft sind. Festländische Heldensage, die der Norden lediglich weitergebildet und überliefert hat, findet ihre Stätte im dritten Buch. Die Entscheidung, was zur germanischen Heldensage zu rechnen ist, was nicht, ist hier schwieriger als im Bereich des ersten Buches. Wir haben uns zu dem Grundsatz bekannt: die Heldenzeit, der germanische Heldensage entwächst, ist die Völkerwanderung. Was nicht nachweislich zu ihr zurückreicht, ist nicht Gegenstand dieser Darstellung. Für Mittelalterliches, zumal Hochmittelalterliches, ist nur dann Raum, wenn es aus einem altgermanischen Kern entwickelt ist, mag es noch so weit von ihm abführen. Alle Dichtungen um Dietrich von Bern waren mit einzubeziehen, weil ihre Hauptperson Völkerwanderungsheld ist. Der echt hochmittelälterliche Ortnid findet seine Stelle, weil er unlöslich mit der Geschichte Wolfdietrichs verbunden ist, eines Frankenkönigs des 6. Jahrhunderts. Aber König Rother, Orendel, Ruodlieb wird man im ersten Band vergeblich suchen; niemand vermag nachzuweisen, daß sie aus altgermanischer Zeit stammen. Diese Grundsätze scheinen klar und einfach. Aber sie lassen sich nicht ohne weiteres auf das Nordgermanische übertragen. Die Isländer und noch viel mehr der dänische Chronist haben wahre und vermeinte Vorzeithelden so miteinander vermengt, ein oft so schwer entwirrbares Ganzes aus ihren Fabeln bereitet, daß die Herauslösung der wirklich altersechten Stoffe große Schwierigkeiten macht. Unter dem Titel »Die Heldensagen des Saxo Grammaticus« hat Paul Herrmann das gesamte Stoffgebiet der ersten neun S c b n ei d e r t Heldensage II. i .

I

2

GRUNDSATZ

DER

AUSWAHL.

Bücher Dänengeschichte kritisch durchforscht. Wer dasselbe von der 'Nordgermanischen Heldensage' erwartet, wird enttäuscht werden. Es hieße den analytischen Grundsatz auf die Spitze treiben, wollten wir im Rahmen einer Darstellung der frühgermanischen Heldenstoffe das ganze wirre Geschling der Saxoschen Vorgeschichte entgliedern, um aus der Fülle schließlich das schmale Häuflein herauszusondern, das seine germanische Echtbürtigkeit nachweisen kann und in unserem Sinne als Heldensage anzusprechen ist; zumal dieser Erweis doch nie aus der dänischen Chronik selbst zu gewinnen ist, sondern durch das Hinzutreten gewichtiger Nachbarzeugnisse aus älterer Zeit. Wo diese ganz fehlen, müssen starke innere Gründe vorliegen, wenn wir an hohes Alter und somit an »Heldensage« glauben sollen. Die Zahl der hier behandelten Stoffe ist also nur wenig über den engen Kreis dessen erweitert, was für die Zeit vor 700 unmittelbar bezeugt ist. Die Fabeln von Harald Kampfzahn, Hagbard, Amled, Helgi entbehren der Altersgewähr. Ihre Aufnahme rechtfertigt sich nur dadurch, daß man sie meist als altgermanisch ansieht. Ob mit Recht, ist erst zu prüfen. Andere heldische Fabeln, die als Völkerwanderungsgut gelten könnten, scheinen mir bei Saxo, bei Snorri und in den Sagas nicht vorhanden zu sein. Die Auswahl, die wir unter den. nordischen Sagen treffen, deckt sich im großen Ganzen mit der von Heusler in Hoops Reallexikon, MünchOlsen, Norröne Gude- og Heltesagn, Christiania 1922, von der Leyen, Die Deutschen historia4

Heldensagen» 1926,

1923,

Schuck,

Petersen-Andersen,

Illustrerad

Illustreret

svensk

dansk

Literatur-

Literaturhistorie

1929. — Axel Olrik will in seinen beiden großen Werken Danmarks Heltedigtning und Geschichte der dänischen Literatur (handschriftlich im Nachlaß) scheinbar nur dänische Sagengeschichte schreiben.

Aber er ist so

bereitwillig, eine Sage für sein Heimatland in Anspruch zu nehmen, daß er fast die gesamte Stoffmasse unseres Bandes behandelt.

Die

Kapitel

über Harald Kampfzahn, Helgi, Amled, Hagbard liegen großenteils handschriftlich vor.

1901 hat Olrik

»Stützpunkte für eine Vorlesung über

dänische Sagengeschichte« drucken lassen und dabei so eingeteilt: ältere Skjöldungen —

jüngere

Kampfzahn) — Amled —

Skjöldungen —

jüngste

Skjöldungen

(Harald

Sigargeschlecht (Hagbard) — Helgi; eine Aus-

wahl, die genau der unseren, unabhängig getroffenen entspricht. Anspruch auf einen Platz unter den Völkerwanderungsfabeln haben bisweilen erhoben H a l f , der Führer der Halfsreckenschar, R a g n a r b r o k und H j a l m a r , der Schwede.

Lod-

Aber es bleibt für Half kaum ein

2

3

HAUPTTEILE.

Fabelkern übrig, wenn man seinen Roman um all die Entlehnungen aus der Hrolfssage erleichtert (s. Neckel bei Hoops I U I , 69 und A S B X I V , S. 38. Schneider, Siebsfestschrift 1933, S. 185 fi.). Von Kagnar bezweifelt niemand, daß er ein geschichtlicher Wikingführer des 9. Jahrhunderts war. Für Schücks Annahme, daß der Drachenkampf des Mannes mit der Lodenhose bedeutend älter sei als Ragnar selbst, ist eine Bronzeplatte aus öland kein

hinreichender

Erweis

(Schück,

Svenska

Tidskrift 1902, 131 ff. und III. Sv. Lit. hist.4, S. 75). stori*,

Fornminnesföreningens Hjalmar »enn

hugum-

wie er stabreimend heißt, ist der Held einer rührenden Liebesge-

schichte, die in Wikingszeiten spielt und durch eine der frühesten Rückblickselegien vielleicht eine ältere poetische Vergangenheit spiegelt.

Aber eine

heldische Liedfabel will sich aus den Darstellungen des 12. und 13. Jahrhunderts nicht ergeben; steckt hier wirklich tHeldensage«, so ist sie verloren (s. Heusler bei Hoops I I , 522 f. und Nerman, Studier över Svärges hedna litteratur 1913, S. 130 ff.).

Auch die Darstellung der nordgermanischen Heldensage wird sich in zwei ungleiche Abschnitte gliedern. Der eigentlichen Untersuchung, dem analytischen Teil, der abbaut und von den Quellen zu den Vorstufen aufsteigt, folgt ein kurzer aufbauender Teil, der von der erschlossenen Frühdichtung zu den erhaltenen Denkmälern absteigt und eine Synthese sämtlicher entstehungsgeschichtlich erfaßbarer Vorgänge versucht. Er begnügt sich mit einer allgemeinen Literaturgeschichte der nordgermanischen Heldensage. Der Vergleich zwischen ihr und der rein aufzählenden Literaturgeschichte zu Beginn des analytischen Abschnitts wird zeigen, in welcher Richtung unsere Darstellung ihre Ergebnisse sucht und ob sie ihren Zielen nahegekommen ist. — Den Verlauf des Geschehens in den einzelnen Sagenkreisen darzustellen, ist im synthetischen Teil nicht nochmals versucht. Ihre Entwicklungsgeschichte ist nach dem absteigenden Verfahren gegeben in meiner kleinen englischen und nordgermanischen Heldensage (Sammlung Göschen Nr. 1064).

ANALYTISCHER (ABBAUENDER, AUFSTEIGENDER) TEIL A. LITERATURGESCHICHTE DER NORDGERMANISCHEN HELDENSAGE Die Denkmäler der nordgermanischen Heldendichtung stehen entweder in der Volkssprache (ganz überwiegend norwegischisländisch, daneben ist nur für die Ballade dänische Überlieferung von Bedeutung, Schwedisches und Färöisches fällt kaum ins Gewicht) oder sind lateinisch abgefaßt. Nicht nur die Mehrzahl der Prosawerke, auch ein Teil der erhaltenen Lieder ist in dieser umschreibenden Übersetzung auf uns gekommen. Die Denkmäler der gebundenen Rede gehören den drei Gattungen: eddisches Lied, Rimur, Ballade an. In ungebundener Rede behandelt vor allem der Vorzeitroman (Fornaldarsaga) altheldische Stoffe. Aus ihm gehen Darstellungen in Geschichtsbücher und Lehrbücher über, z. T. mit solcher Treue und Ausführlichkeit, daß auch diese über das bloße Zeugnis hinauswachsend den Rang von Quellenwerken erhalten. Die eddischen L i e d e r aus dem Bereich der nordgermanischen Heldensage sind zum allergrößten Teil Ereignisgedichte. Nur in einem Fall streift ein Gedicht die Grenze der elegischen Gattung. Die alten Formen sind in der Regel stark verwischt, wenn nur lateinische Übersetzung zu uns spricht. Anderswo sind Lieder zertrümmert dadurch, daß ein Teil ihrer Strophen in ungebundene Rede aufgelöst ist. Nur eine Minderzahl ist selbständig überkommen, die Mehrheit ist in Prosaquellen eingebettet. Der Codex Regius der Edda (s. Bd. I, 64) enthält an Liedern unseres Umkreises die drei Helgilieder (Helgakvida H u n d i n g s b a n a I, Helgakvida Hjörvardssonar, Helgakvida Hundings-

EDDISCHE

5

LIEDER.

bana II), das 2. und das 3. fast bis zu völliger Auflösung der Form mit Prosa durchsetzt. Ein Stück des zweiten Hundingslieds erhält in der Prosa den Titel: V ö l s u n g a k v i d a en forna. Einzeln im Rahmen der Snorraedda ist erhalten das Lied Grottasöngr, ebenfalls in Prosa eingewoben. Als Einlage einer Fornaldarsaga begegnet der V i k a r s b a l k r in der jüngeren Gautrekssaga, der wohl vollständig erhalten ist. Die Altersfrage ist wie bei den eddischen Gedichten überhaupt kaum irgendwo lösbar. Die Datierung der Helgilieder ist ganz umstritten. Für die Vorstellung des Grottiliedes gibt das 10. Jahrhundert ein Zeugnis. Vikarsbalkr gehört junger Zeit an. Eddaausgaben s. Bd. I, 66. 1927, und II, 1931 gaben.

Hinzu kommt Gering, Kommentar I,

(hg. von Symons).

Grottasöngr in den meisten Aus-

Vikarsbalkr E M Nr. 5.

Im Latein von Saxos Dänengeschichte (s. S. 12) ist eine große Anzahl Lieder überkommen, von denen manches nur sehr mittelbar in unser Stoffgebiet gehört. Zu unseren Quellen im engeren Sinn zählen: Im 2. Buch die B j a r k a m a l , ein Hexametergedicht von annähernd 300 Versen. Sie haben eine Entsprechung im Isländischen, wo an sehr verstreuten Stellen vier ganze, drei halbe Strophen und eine Langzeile erhalten sind, die aber ganz außer Zusammenhang stehen. Die Strophen 1—3 übermittelt Snorris norwegische Königsgeschichte, die Heimskringla, die übrigen verschiedene Hss. der Snorraedda. — Saxos 6. Buch bringt das Goldschmiedslied, eine offenbar sehr späte Schöpfung, und das I n g e l d l i e d , jenes ganz in Hexametern, dieses in drei Teilen, erster und zweiter in sapphischen Strophen, der Schluß in Hexametern. Man nimmt aber an, daß ein einheitliches Lied vorliegt, das von Saxo nur ungeheuer zerdehnt wurde. — Das 7. Buch enthält das Lied von H a g b a r d und Signe, das kein ganzes mehr ist, sondern in eine Reihe strophisch geformter Auftritte zerfällt. Das wechselnde Versmaß kommt wieder auf Saxos Rechnung. Das 8. Buch enthält das L i e d von S t a r k a d s T o d , ein merkwürdiges Gemisch von Redeauftritt und Rückblicksgedicht, unlösbar mit der umgebenden Prosa verklammert und nicht selbständig zu machen. Es ist sicher das jüngste aller Gedichte unseres Bereichs. Wiederaufbauversuche an Bjarkamal, Ingeldslied von Olrik, Danske Oldkvad i Sakses historie» 1918.

und Hagbardlied

Deutsch, in Ranischs

Übersetzung von Olriks 'Nordisches Geistesleben' 1908 S. 178 ff., und in Thüle I.

Bjarkamal E M . Nr. 3, dort auch die isländischen Bruchstücke.

6

R I M U R UND

BALLADEN.

Lieder eddischen Stils wurden nach der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht mehr gedichtet. Die Überlieferung auf dem Gebiet der nordgermanischen Heldendichtung ist aber so dürftig und z. T. so jung, daß auch die Dichtgattungen des hohen und späten Mittelalters mit herangezogen werden müssen. Es sind dies das kunstmäßige und das volkstümliche Tanzlied, Rimur und Ballade, jene entstanden unter starkem Einfluß der lateinischen Hymnenpoesie, aber mit Stabschmuck neben dem siegreich gewordenen Endreim, diese vor allem aus festländischen Vorbildern abgeleitet. Die Ursprünge beider Gattungen mögen noch im 13. Jahrhundert liegen, zur Entfaltung kamen sie im 14. und 15. Sie schließen sich meist an Fornaldarsögur. Haben wir diese, so sind Rimur und Balladen in der Regel stoffgeschichtlich wertlos; also etwa die Ambales(Amleds)rimur. Nur wo sie den Stoff in sonst unbekannter Gestaltung zeigen, können sie Bedeutung gewinnen. Die B j a r k a r i m u r kommen in erster Linie in Betracht, die G r i p l u r sind Ersatz für eine verlorene Saga von Hromund Greipsson, haben aber mehr den Rang des Zeugnisses als der Quelle (für die Helgidichtung). Von allen nordgermanischen Stoffen ist nur einer als Ballade geformt und durch die Jahrhunderte lebendig geblieben: die Ballade von H a v b o r u n d S i g n e l i l l (DGF. X X ) die dänisch, norwegisch und schwedisch erscheint. Mit ihr berührt sich stofflich eine Anzahl anderer Viser, die gleich mehreren Balladen im Umkreis der Helgisage nur Zeugniswert besitzen. Bjarkarimur hg. von Finnur Jonsson in der Ausgabe der Hrolfssaga Kraka, s. u. Griplur von demselben Fernir Rimnaflokkar. Kop. 1896. Allgemeine Balladenliteratur s. Bd. I, 71. Dazu noch Nordisk Kultur, Stockholm Oslo Kopenhagen 1931 Bd. I X A Folkeviser, utgjeven av Knut Liestel.

Die eigentlich kennzeichende Form, die sich der Norden für die Erhaltung und Neubildung der altererbten Heldenstoffe geschaffen hat, ist die F o r n a l d a r s a g a . Die Gattung entbehrt der deckenden mittelalterlichen Bezeichnung und führt ihren jetzt 100 Jahre alten Namen daher, daß sie in der forn öld, d. h. der Zeit vor Islands Besiedlung, spielt. Alte Ausdrücke wie lygisögur, skröksögur würdigen sie herab. Entwicklungsgeschichtlich und stilistisch gleich merkwürdig, leidet der Vorzeitroman darunter, daß er fast nur in entstellter Form überkommen ist; entweder in freier lateinischer Überarbeitung (Saxo) oder in im-

FORN ALD ARSAGA.

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erfreulichen spätisländischen Ausläufern. Offenbar hat er lange nicht den Weg aufs Pergament gefunden, und die älteste Aufzeichnungsschicht ist auch noch verlorengegangen. Die geringen künstlerischen Werte, die in den erhaltenen Fas. stecken, haben die Gattung zu einem Stiefkind der Literaturgeschichte gemacht. Es waren eigentlich immer nur die Fragen nach Alter und Herkunft, die zur Behandlung lockten. Dennoch ist gerade da alles in Schwebe. Die Altersfrage lautet nicht nur: Seit wann gibt es eine Fornaldarsaga? sondern auch: wie verhält sie sich zeitlich und sachlich zu ihrer berühmteren und umworbeneren Schwester, der Islendingasaga ? Die Herkunftsfrage hat es nicht nur mit dem Problem: isländisch oder gemeinnordisch? zu tun, sondern auch mit der Abstammung des sehr mannigfaltigen Erzählgutes, das in den Fas. aufgehäuft ist. Eine Fornaldarsaga (von Hromund Greipsson) wird zuerst bezeugt in einem Auftritt der Sturlungasaga, der 1119 spielen soll. Die Gattung stand damals wohl noch in ihrer ersten Jugend. Man rechnet für diese Zeit schon mit einer wohlausgebildeten Islendingasaga, die sich auf mündliche Überlieferung und Einzelformung durch zwei Jahrhunderte stützen konnte. Demnach war also die Fornaldarsaga die jüngere, aber nicht reine Tochtergattung. Ihre Herkunft ist nicht so einfach zu erfassen, daß man sagt: als sich die isländischen Sagastoffe erschöpft hatten, griff man in die Vergangenheit zurück und formte auch Geschichten aus ihr nach Sagaart. Es fragt sich, wo diese Stoffe herkamen und ob man sie auch außerhalb Islands behandelt hatte. Für die Form denken Heusler u. a. vor allem an irische Muster, etwa bei der Verwendung der Liedeinlage. Aber vielleicht kommt man da doch mit den ererbten Vorbildern aus; Liest0I hat gut gezeigt, wie stark die Fas. immer mit heimischer Vergangenheit und mit örtlichkeiten des Nordens verbunden ist, wieviel die Schwestern also äußerlich gemein haben. Dennoch: sucht man, um die Fas. zu kennzeichnen, Dichtgattungen, die ihr nach Geist und Inhalt nahestehen, so wird man nicht mit Liest 0I in erster Linie die Islendingasaga nennen. Mit Recht fand man ihr benachbart (wenn auch nur weitläufig versippt) die anglofranzösischen Romandichtungen des 12. Jahrhunderts, die wikinghafte Lebensläufe mit altheroischen und märchenhaften Zügen ausschmückten. Schück läßt die Vorge-

8

FORNALDARSAGA.

schichte außer acht, wenn er auch den griechischen Roman zum Vergleich beizieht. Die Ähnlichkeit ist nur Endergebnis, der griechische Roman steht der Entartung der Fas. nahe, nicht ihrem ursprünglichen Wesen. Trachtet man nach einer wirklich durchschlagenden dichtungsgeschichtlichen Entsprechung, so kann man nur auf das mhd. Heldenepos verweisen. Wie dieses knüpft die Fas. an das Heldenlied an, vermischt das vorzeitliche Helden^ tum mit dem einer späteren Zeit und macht schüchtern den Versuch, auch modisches Rittertum anklingen zu lassen. Es liegen also hier wie dort mehrere kulturelle Schichten aufeinander'. Mit der Kudrun hat man die Fas. einmal verglichen. Noch näher dürfte die vollentwickelte und schon überreife Fas. dem Wolfdietrich D stehen. Man sieht hieraus schon, daß auch unsere Gattung sich in starkem Fluß befindet und eine weitgreifende Entwicklung durchmacht; sie ist sicher neben der konservativen Islendin-r gasaga des 12. und 13. Jahrhunderts die eigentlich moderne und hat den Ehrgeiz, es immer zu bleiben. Für die Literaturgeschichte spielt der Werdegang des Fas. bis jetzt aber noch kaum eine Rolle. Die unschätzbare Quelle Saxo hat man für sie noch lange nicht genügend ausgewertet. Die Darstellungen der großen Literaturgeschichten brauchen hier nicht eigens angeführt zu werden. Wichtig Schück, III. svensk Literaturhistoria4 1926 S. 212. Olrik, Kilderne til Sakses Oldhistorie 1892 f., II, 290 fl. Für Schweden auch Nerman, Studier över Svärges hedna litteratur Uppsala 1913, S. 30 ff. Die mustergültige Auseinandersetzung mit der älteren Theorie AI. Bugges bringt Heusler A B A 1914 Nr. 9, namentlich S. 4 ff., 30 ff. und 52 f. (formaler Einfluß der irischen Heldenepik). S. a. Neckel bei Hoops IV, 67 ff. Le R o y Andrews in Modern Philology V I I — X , namentlich X 371 ff.; Ake Lagerholm A S B X V I I Einleitung, und vor allem Liestol, Islendske Aettesaga, Oslo 1929, 153 ff. Schneider, V j s . X , 197 ff. Zur Weiterwirkung: Liestol, Norske trollvisor og norröne sogor, Kristiania 1915. — Kudrun und Fas.: Frings P B B 54, 391. Die dort angeführte Leipziger Dissertation von Helga Reuschel ist noch ungedruckt.

Von den überkommenen Fas. ist eine, die vor allem für die deutsche Heldensage ertragreich war, auch hier noch in einem Teilabschnitt wichtig: Die V ö l s u n g a s a g a handelt über Helgi. Hauptquellen sind die H r o l f s s a g a K r a k a und ein Ausschnitt aus der jüngeren G a u t r e k s s a g a , die immittelbare Umgebung des dort mitgeteilten Vikarsbalkr. Die Hrolfssaga zerfällt in eine Reihe einzelner ,£aettir' und gibt sich so äußerlich als Sammelt werk. Uneinheitlich ist auch die Gautrekssaga, die in zwei Fas-*

Isl. Prosaquellen.

9

sungen erhalten ist; nur die jüngere kennt die große Einlage, die sie als Heldensagenquelle ausweist. Zu den vollständig überkommenen Sagas tritt noch ein Bruchstück, genannt Sögubrot af nökkurum fornkonungum i Dana ok S v i a veldi. Es beginnt mit der Lebensgeschichte der Eltern Harald Kampfzahns, läßt in der Mitte eine große Lücke und bricht schließlich, allerdings schon in einem anderen Sagenzusammenhang, ab. Man vermutet hier ein Stück einer großen Skjöldungasaga des 13. Jahrhunderts. Quellen minderen Rangs sind die Hromundarsaga Greipssonar, von den Griplur erst abgeleitet, also ein sehr mangelhafter Ersatz für jene frühe, schon 1119 bezeugte. Sie hat ohnehin nur Zeugniswert, weil sie keine alte Fabel erzählt, sondern Personen der Helgisagen in bewährter Gruppierung einem neuen Roman einordnet. Die A m b a l e s s a g a schließlich (Amled) ist erst spätes 17. Jahrhundert und nun wirklich Lygisaga zu nennen. Sammelausgabe von Fas.: Fornaldarsögur Nordrlanda hg. von Rafn Kopenhagen

1829,

3 Bände.

Darin

Hrolfssaga Kraka I,

Hromundarsaga und Saga Gautreks konungs I I I . Finnur Jonsson, Kopenhagen 1900.

1904.

Sögubrot I,

Einzeln: Hrolfssaga von

Gautrekssaga von

Ranisch,

Sögubrot in Sögur Danakonunga, Kop. 1919/25, S. 4 — 2 5 .

Berlin

Ambales-

saga hg. von Gollancz, London 1899.

Von anderen isländischen Prosaquellen kommt vor allem die Snorraedda in Betracht (s. Bd. I, 69). Ähnlich wie die Nibelungensage aus Anlaß der Kenning »Ottervergeltung«, erzählt Snorri ein Stück Skjöldungensage zur Erklärung der Umschreibung »Krakis Aussaat« für Gold. Eine dritte Goldkenning, »Mehl des Frodi«, gibt Anlaß, den Grottasöngr mit umschließender Prosa mitzuteilen. Die Freude der Isländer an Geschlechtsregistern (Attatölur) und Heldenkatalogen hat auch noch in der späteren Sagazeit zur Anfertigimg langer Verzeichnisse geführt, die alle einmal irgendwie Zeugniswert für die Heldensage besitzen können, da es beliebt ist, mit den eigenen Ahnen und erst recht mit denen der Fürstengeschlechter in weite Vorzeit zurückzugehen. Freilich stiftet die Gleichförmigkeit der Benennung viel Wirrnis. Wichtig sind da die Abschnitte Hversu Noregr b y g g d i s k (und Fundinn Noregr) und Af Upplendinga k o n u n g u m , jenes in der Flateyjarbok, dieses in der Hauksbok, Auch das Eddaüed H y n d l u l j o ö gehört hierher. Von geschichtlichen Schriften der Is-

10

ARNGRIMUR

JONSSON.

länder beansprucht nur die Y n g l i n g a s a g a , der Einleitungsteil von Snorris Heimskringla, auf eine knappe Strecke einen gewissen Quellen wert. Fra Fornjoti

ok Hans sEttm&nnum

und Af

Upplendinga

konungum

Fas. II. — Dazu Olrik, Hist. Tidskrift udgivit ai den. norske hist. iorening III, 3, 168. Heimskringla hg. von Finnur Jonsson I, Kopenhagen 1893/1900. Vor Mißbrauch gleicher Namen in Sagendichtung, Stammstafeln und frühhistorischen Berichten warnen Olrik (im Nachlaß) und Koht, Norsk hist. Tidskrift 1917 S. 417 ff.

Nach vielen Jahrhunderten erst sollte der geschichtschreiberische Eifer eines jungen isländischen Gelehrten die ältere Prosadarstellung des sagenhaften Teils der Dänengeschichte der Nachwelt überliefern. A r n g r i m u r J o n s s o n verfaßte 1596/97 eine Schrift R e r u m D a n i c a r u m F r a g m e n t a , ein Seitenstück zu einer schwedischen und norwegischen Frühgeschichte, die schon vorlagen. Die Quelle dieser lateinischen Dänengeschichte ist für die historische Zeit, also etwa seit dem 10. Jahrhundert, die Knytlingasaga, eine isländische Darstellung der dänischen Herrscherreihe, aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Er will aber den gesamten dänischen Geschichtsstoff in einem Kompendium gefunden haben, und so wird wohl die Vermutung das Richtige treffen, daß die Knytlingasaga eine jetzt verlorene Einleitung gehabt hat, eine Geschichte der dänischen Vorzeit, die natürlich vor allem von dem großen dänischen Königsgeschlecht der Skjöldungen handelte. Eine Skjöldungasaga ist durch Snorri und sonstwo bezeugt; sie also ist vermutlich der Knytlingasaga vorausgestellt worden, und das Exemplar der isländischen Saga, aus dem Arngrim übersetzte, enthielt beide Teile, den vorzeitlichen und den geschichtlichen. Man nennt deshalb jenen kurzweg die Skjöldungasaga, muß aber bedenken, daß sicher nicht nur eine Übersetzung vorliegt, sondern ein Auszug. H g . von Olrik Aarb0ger 1894, 83 ff.

Trotz dieses froh zu begrüßenden isländischen Spätlings 'ist die Rolle der d ä n i s c h e n Geschichtschreibung für die Kenntnis und Erforschung der nordgermanischen Heldensage weitaus am bedeutungsvollsten. Die älteste Chronik von Dänemark, um 1140 von einem Geistlichen in Roskilde auf Seeland abgefaßt, bringt keine Ausbeute für die Heldensage. Sie ermangelt des Kapitels Vorgeschichte,

LEJRECHRONIK UND SVEN

AGGESÖN.

das spätere Darstellungen so wichtig nehmen, und das gleich bei Saxo auf neun Bücher anschwillt. Man vermutet aber, daß auch die 'Roskildechronik' hinterher noch eine Einleitung erhalten hat, die in die vorgeschichtlichen Jahrhunderte zurückführte. Dieser Prolog war kein Werk des ursprünglichen Verfassers, sondern eines Späteren, und selbständig entstanden. Durch einen Zufall der nicht mehr zu durchschauen ist, wurde er aus seinem früheren Zusammenhang losgelöst und in drei Hss. der Jahrbücher von Lund (Annales Lundenses) unter die Jahre 762/68 eingefügt. Er fällt da ganz aus dem Rahmen, zeigt auch so deutlich seeländischen Gesichtskreis und seeländische Sprachformen, daß er nicht gleich der Umgebung in Schonen entstanden sein kann. Diese knappe Darstellung der Königsgeschichte von Ledra (Lejre bei Roskilde in Seeland) ist kunstlos und vom geschichtlichen Standpunkt aus kindlich, hat aber noch auf spätere Annalisten gewirkt. Man nennt diesen Fremdkörper in den Annalen die L e j r e c h r o n i k (Chronicon Lethrense) oder die Chronik der Könige von Lejre und setzt sie in den Anfang der Waldemarzeit, um 1170. D i e k u r z e d ä n i s c h e K ö n i g s g e s c h i c h t e (Historia regum Daniae compendiosa) des S v e n A g g e s ö n , eines jütischen Adeligen, bringt den Aufschwung Dänemarks viel deutlicher zum Ausdruck. Aus seiner knappen Darstellung dänischer Großtaten der geschichtlichen und vorgeschichtlichen Zeit spricht starker nationaler Ehrgeiz, der sich vor allem gegen Deutschland wendet. Er hat ein wichtiges Stück Dänengeschichte als Gefolgsmann Absalons, des Bischofs von Roskilde und späteren Erzbischofs von Lund, miterlebt. Das letzte Ereignis, das er schildert, ist der Wendenzug von 1185, und man nimmt an, daß er unmittelbar hinterher seine Historia geschrieben hat. Die Vorrede betont, der Verfasser habe sich ausschließlich an die Aussagen alter und erfahrener Leute gehalten. Das deutet auf dänische mündliche Überlieferung. Doch scheinen ihm auch isländische Berichte zugänglich gewesen zu sein. Sein Latein, besser und gebildeter als das des Lejrechronisten, ist mit seinem schmückenden Floskelwerk schon auf dem Weg zu Saxö. Sein Streben ist, eine zuverlässige dänische Königsreihe aufzustellen, und er ist Saxo an kritischem Geist überlegen, knapper als er und in manchen Abschnitten ein flotter und fesselnder Erzähler. Petersen-Andersen, Literaturhistorie I S. 7 ö S . Ausgaben: S R D I. Gertz, Scriptores minores historiae Daniae I, 1917/18, bes. S. 35 ff. Kröniker

12

SAXO.

fra Valdemarstiden, oversatte af Jörgen Olrik Kopenhagen 1900/01 (mit ausführlichen Einleitungen). Ellen Jörgensen, Historieforskning og Historieskrivning i Danmark indtil Aar 1800 Kop. 1931 (namentlich S. 27 ff.).

Die weitaus wichtigste Quelle unseres gesamten Gebiets, wichtiger noch als die Thidrekssaga für die deutsche Heldensage, ist die Dänengeschichte (Gesta Danorum) des Saxo. Die Überlieferung des berühmten Buchs ist nicht gut; eine vollständige Handschrift gibt es nicht mehr, das Gesamtwerk ist nur bekannt aus dem ersten Druck, den Pedersen in Paris 1514 veranstaltete. Die vorhandenen Bruchstücke führen dem wahren Text auch nicht viel näher, weil sie, namentlich das älteste und wertvollste, selbst eine seltsame Gestalt aufweisen. Diese Angersbruchstücke, vier Pergamentblätter, die man seit 1879 kennt, sind eine Niederschrift aus Saxos eigener Zeit und tragen den Stempel der Unfertigkeit an sich. Der Schriftsatz scheint anzudeuten, daß von vornherein mit Einfügungen und Verbesserungen gerechnet war; diese sind denn auch reichlich vorhanden und geben sich teils als Änderungen, teils als Nachträge. Daß es sich um Saxos eigene Kladde handle, wie einige wollen, ist nicht nachweisbar. Aber als eine Vorstufe, die einen guten Einblick in Saxos Werkstätte gewährt, durfte man das Fragment wohl bezeichnen. Es legt die Frage nahe, ob sich nicht vielleicht die sehr häufigen Abänderungen und Doppelfassungen in Saxos eigenem Text ähnlich erklären, so nämlich, daß sie durch einen Unberufenen der endgültigen Fassung beigefügt wurden. Larsen nimmt sogar an, Pedersen habe kurz vor dem Druck auf Grund der Angershs. seine Druckvorlage noch durchgearbeitet und ergänzt. Aber abwandelnde Wiederholung ist auch ein beliebtes und bewußtes Stilmerkmal Saxos selbst. Ganz klar wird man wohl in diesen Dingen nie sehen lernen; Bruchstücke und Ausgabe erwecken gleichermaßen den Eindruck, daß die Dänengeschichte nicht zu ihrer letzten Rundung und Reife gediehen ist. Eingriffe Späterer sind nicht mit Sicherheit herauszuspüren. Über Saxo weiß man Einiges aus seiner eigenen Vorrede, aus dem Testament des Erzbischofs Absalon, das freilich nur das nahe Verhältnis beider bestätigt, und aus einer etwas unklaren Bemerkung Sven Aggesöns. Über sein Leben ist nirgends etwas Verlässiges ausgesagt, und man hat ihn vielleicht zu voreilig verschiedenen anderen Saxos in dänischen Zeugnissen derselben Zeit gleichgesetzt. Weder seine genaue Herkunft, noch seine

SAXO.

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Geburtszeit, noch auch nur sein Beruf stehen fest. Die Bezeichnung clericus, die an ihm haftet, braucht nicht den Geistlichen zu bezeichnen, sie deutet nur auf den buchgelehrten und lateinkundigen Mann, den das 14. Jahrhundert zu einem grammaticus, Lateinlehrer, steigerte. Doch hat es wenig Wahrscheinlichkeit, wenn man in ihm den Spielmann oder Soldaten sieht. In Absalons Gefolge mag er an den Feind gekommen sein, aber'er ist kein Kriegsmann. Die späte Angabe, die ihm Seeland zur Heimat gibt, kann das Richtige treffen. Die Vermutung, daß er in Paris studiert habe, entsprang wohl nur der Überlieferung seines Werkes. Absalons Rolle beim Zustandekommen der Dänengeschichte wird verschieden beurteilt. Saxo huldigt ihm als seinem Auftraggeber und beruft sich unmittelbar auf seine Angaben. Ihnen beiden mag die Liebe zur dänischen Vorzeit gemein gewesen sein und das Streben, viel von der Gegenwart in die Vergangenheit hineinzulegen und dem großen Dänenreich der Waldemare eine würdige Vorgeschichte zu schaffen. Auch die Bekanntschaft mit isländischen Sagaerzählern konnte Saxo in diesem Kreise machen. Worte Sven Aggesöns scheinen anzudeuten, daß er hier schon 1185 als gewiegter lateinischer Stilist galt, und man sich von seiner geschichtschreiberischen Leistung allgemein viel versprach. Dieser Jahreszahl — Abfassung von Svens Chronik — tritt eine andere zur Seite: 1208, der Elbübergang Waldemars II. von Dänemark. Saxo spielt auf ihn an, hat ihn also erlebt. Im übrigen errechnet man, ohne rechte Gewähr, die Zeit von etwa 1150—1220 für sein Leben. Viel früher kann er nicht geboren sein, da sein Vater und Großvater unter Waldemar I. gedient haben. 1185 also saß er wohl schon an der Arbeit. Die Reihenfolge der Entstehung seiner Bücher ist viel erörtert worden, Herrmann kommt zu einer verwickelten Aufstellung, für die das Maß der Abhängigkeit von lateinischen Gewährsmännern mit entscheidend ist. Seine Behauptungen sind nicht ganz zwingend, und nicht einmal sein Hauptsatz hat überall Zustimmung gefunden, daß die eigentliche D ä n e n g e s c h i c h t e (Buch 10—16, umfassend die Zeit 936—1202) früher verfaßt sei als die mehr fabelhafte Vorgeschichte (Buch 1—9). Man dachte sich bei jener in erster Linie Absalon als Gewährsmann, aber die Vorgeschichte beruft sich ebenfalls auf ihn. Vielleicht trifft die Annahme das Richtige, Saxo habe schon während der Abfassung des geschichtlichen Teils an dem sagenhaften gearbeitet.

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SAXOS

QUELLEN.

Vollends herrscht Uneinigkeit über die Q u e l l e n Saxos. Diese Frage ist hier von entscheidendem Gewicht; für uns steigt und fällt Saxos Bedeutung mit der Bewertung seiner Vorlagen und seines Verhältnisses zu ihnen. Olriks zweibändiges Werk nKilderne til Sakses Oldhistorie« hat die Quellenfrage auf eine neue Grundlage gestellt. Er führt eine Zweiteilung — hier dänische Herkunft, dort norröne — folgerichtig von Erzählung zu Erzählung durch, ja er zerlegt manchen Lebenslauf in einen dänischen und einen westnordischen Teil. Der Fortschritt, den er brachte, war groß, denn er brach das Vorurteil, daß Saxo im wesentlichen der Geschichtenerzähler Dänemarks sei. Heute freilich kann Olriks Zweiteilung nicht mehr die Grundlage aller Saxokritik bilden; wir sind allmählich aus ihr herausgewachsen, freilich ohne an Stelle seiner knappen Prägung eine gleich wirksame Formel setzen zu können. Die große Entdeckung, daß die isländische Fornaldarsaga eine Quelle von überragender Bedeutung für Saxo war, mußte nach Olrik erst noch gemacht werden. Er hatte in dem richtig herausgefundenen norrönen Erzählgut norwegische Überlieferung sehen wollen, erst Schiffermärchen, dann Erzählungen aus westnordischen Adelskreisen, die bei Absalons norwegischem Feldzug den mitreisenden Isländern zu Gehör kamen. All das, was für Olrik norwegisch war, ist für uns isländisch, und noch vieles mehr. Aber nicht nur die deutsche Forschung, der man in Dänemark die Neigung nachsagt, den Isländern möglichst viel zuzuschieben, hat sich von Olriks Formeln entfernt. Während sich die ältere Kritik noch dagegen auflehnte, daß Olrik der Heimat soviel Sagengut absprach, werden heute auch im dänischen Lager Zweifel laut, ob er ihr nicht noch zuviel belassen habe. Jörgen Olrik hält sich an Saxos Vorrede und unterscheidet dreierlei Quellen: erstens Absalons Berichte, zweitens dänische Lieder — die aber natürlich nicht in Runenschrift auf Steine geritzt waren, wie man herauslesen könnte — , drittens isländische Fornaldarsaga. Die eigentliche Frage bleibt in der Tat: was hat Saxo außer der Fornaldarsaga noch benutzt? Im Gegensatz zu der Meinung, die noch vor 50 Jahren selbstverständlich war, wird man heute fragen: hat er überhaupt noch dänische Quellen gehabt, und wie sahen sie aus ? An die schlichten, dem Alltag nahen dänischen Heldenerzählungen Olriks glaubt heute wohl niemand

SAXOS

QUELLEN.

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mehr. Die Frage wurde zuletzt hauptsächlich von Historikern erwogen, die Saxo in engen Zusammenhang bringen möchten mit der früheren dänischen Geschichtschreibung. Sicher ist ja, daß in Absalons Kreise die Keime zu einer phantastischen Frühgeschichte bereitlagen, wohl in Anlehnung an den Königsstammbaum der Dänen, dessen Anfänge vor 700 liegen. Auf diesen Überlieferungen fußen Sven und Saxo. Aber wie dieser das unmittelbar vorausgehende Werk seines »contubernalis« nicht merkbar benutzt hat, so braucht man auch keine verlorene alte Dänengeschichte anzunehmen, der er viel verdankt hätte. Am wenigsten glaubwürdig ist die große lateinische Chronik des Engländers Lukas, die nach Larsens Meinung eine novellistische Hauptquelle Saxos gewesen sein soll. Dieser Lukas, dessen das 14. Buch gedenkt, mag ihm immerhin Einiges geliefert haben; wenn Saxo von einem Zeitgenossen sagt, er sei ein Kenner alter Heldengeschichte gewesen, dann hat er, der Stofflüsterne, sich diese Quelle sicher nicht entgehen lassen. Aber es wird sich da wohl nur um Einzelheiten handeln. Wichtiger ist natürlich der Isländer Arnald. Man hat nicht völlig überzeugend eingewandt, Saxo sei zur Zeit von Arnalds Aufenthalt bei Absalon noch zu jung gewesen, um von ihm zu lernen. Jedenfalls ist er die einzige Persönlichkeit, die das starke Herüberwirken des isländischen Vorzeitromans nach Dänemark greifbar macht, und Olrik hat recht, den Symbolwert dieser Gestalt zu unterstreichen; er war in der Tat tidens aandelig handelsmand. Mußten sich die deutschen Forscher nachsagen lassen, sie hätten den dänischen Anteil an dem Vorzeitgut Saxos herabgedrückt, so haben manche von ihnen zum Ausgleich das eigene Verdienst des gelehrten Dänen höher bewertet als gemeinhin üblich ist, sogar in seiner Heimat. Gleich seinem Werk ist Saxo selbst sehr verschieden beurteilt worden. Es gibt nirgends eine Möglichkeit, seine persönliche Leistung genau nachzuprüfen. Nicht einmal den üblichen Ruf des Volksfreundes und Altertumsschwärmers hat man ihm allgemein belassen, man wollte ihn zum trockenen Stubengelehrten herabdrücken, der möglichst viel Stoff für lateinische Stilübungen zusammenbrachte. Das ist ungerecht. Er war ein Vorzeitenthusiast, und die Quellen, nach denen ihn dürstete, konnten nicht am Schreibtisch zum Fließen gebracht werden; sie liefen mündlich um, hauptsächlich wohl

l6

SAXOS

EIGENART.

bei den reisenden Isländern, aber da und dort auch noch in Dänemark selbst, und erschlossen sich nur heißem Sammlerbemühen. Als Kennzeichen für Saxo hebt man gerne hervor, daß ihm zweierlei fehle, was dem geistlichen Geschichtschreiber des Mittelalters sonst eignet: er kennt keine Jahreszahl und verwischt den zeitlichen Verlauf völlig; und es mangelt bei ihm jeder christliche Einschlag. Aber Larsen weist darauf hin, daß er den Ersatz genauer Zeitangaben durch allgemein überleitende Redensarten von Justin erlernt haben kann, und daß Lejrechronik und Sven ebensowenig christliche Prägung tragen wie die Dänengeschichte. In beidem liegt also weder Eigenart noch Eigenverdienst. So bleibt als persönliches Merkmal des Schriftstellers Saxo nur übrig: seine imbedingte Abhängigkeit vom lateinischen Stilvorbild. Die formale Leistung, die er vollbracht hat, ist für sein Jahrhundert außerordentlich. Aber wie durch diese alles überwältigende und durchdringende Sucht nach stilistischer Eleganz stoffliche Werte verloren gehen müssen, so mindert sie auch die künstlerische Bedeutung dessen herab, was er vorträgt. Sein Eigenes tut sich meistens als störender Fremdkörper kund, und es gilt, das fühlt jeder Leser, eine Schicht Saxo abzutragen, ehe man die Quelle erlauscht. Man hat das unwillkürliche Gefühl, daß seinem dichterischen Takt wenig zuzutrauen sei. Er ist sicherlich sehr geschickt im Verschieben von Gestalten, im Verschmelzen von Motiven, in der Auflösung alter und der Herstellung neuer Einheiten. Aber wo der Leser sich künstlerisch angesprochen fühlt, da wird er über Saxo hinaustrachten müssen, um seinen Dank abzustatten. Diese mehr gefühlsmäßigen Eindrücke werden in unserer weiteren Darstellung durch stoffvergleichende Betrachtungen zu erhärten sein. Es wird, so hoffen wir, gelingen, in der Quellenfrage vielerorts einen Ausweg aus der jetzt herrschenden Unklarheit zu finden. Saxobibliographie bis 1927 durch Carl Petersen in Apoth. Sibbernsens Saxobog, Kopenhagen 1927, S. 171 ff., und in J. Olriks Ausgabe in der E i n leitung verstreut.

Allgemeines Neckel bei Hoops IV, 85 ff. (s. a. die glück-

liche Kennzeichnung Germanen und Kelten 1919 S. 99 f.) und Herrmann, Dänische Geschichte des Saxo Grammaticus II, 1922, Einleitung. gaben: Saxo Grammaticus Gesta Danorum hg. von Holder,

Aus-

Straßburg

1886 (nach Seiten und Zeilen dieser Ausgabe wird im folgenden zitiert). Saxonis Gesta Danorum primum a C. Knape et P. Herrmann recensita recognoverunt et ediderunt Jörgen Olrik et H. Raeder I, 1931, Havniae. —

17

SAXOLITERATUR.

Deutsche Übersetzungen von Jantzen, Berlin 1900, und Herrmann, Leipzig 1901 (nur die ersten neun Bücher). Zu den Hss., Übersetzungen und ältesten Drucken ist Sibbernsens Buch zu vergleichen, das von allen wichtigen Blättern Abbildungen bringt. Über das Angersfragment Finnur Jonsson, Aarboger 1918, 61 ff. Ebenfalls in Aarb0ger: Rathsach 1920, 1 1 2 ff., Larsen 1925, 31 (im Kähmen eines sehr gedankenreichen Aufsatzes, der dem Saxoproblem mit großer Tatkraft zuleibe geht), Rathsach 1926, 281 ff. (Bedeutung der Dubletten und Varianten bei Saxo), Brix 1927, 192, Larsen 277 ff. — Elbüberschreitung: J . Olrik S. 37. — Quellen: Axel Olrik, Kilderne til Sakses Oldhistorie, 2 Bände, Kopenhagen 1892/94. Saxo und die Historiker: Weibull, Hist. Tidskrift för Skaneland VI, 1 ff. (1915, Saxo ein Stubengelehrter S. 40). Zusammenfassend über den jetzigen Stand der Quellenfrage: Herrmann S. 5 ff. und J . Olrik, Einleitung S. 42 s . Arnaldus Tylensis: A. Olrik, Folkelige Afhandlinger 1919 S. 81 (Isländer als geistige Handelsmänner S. 83). Lukas: Larsen S. 225 ff. (die Arnaldstelle Saxos S. 594, 33, die Lukasstelle 583, 21). Keine Darstellung der dänischen Vorzeit, die auf Saxo folgt, kann und will sich von seinem übermächtigen Einfluß freihalten. Einen leisen Eigenwert, den gelegentlich immittelbares Zurückgehen auf die dänische Volksüberlieferung verleiht, kann nur das R y d j a h r b u c h (Annales Ryenses) beanspruchen, das Werk eines Zisterziensers der ersten Hälfte des 1 3 . Jahrhunderts. SRD I Annales Danici medii aevi, editionem novam curavit Ellen Jörgensen Kop. 1920 (S. 14 und Historiesskrivning S. 22).

S c h n e i d e r , Heldensage I I . 1 .

2

B. DIE EINZELNEN SAGENKREISE

SKJÖLDUNGE NSAGEN Die Skjöldungen waren dem skandinavischen Mittelalter das größte und berühmteste dänische Herrschergeschlecht. Es ist nicht ganz sicher, daß der Name von Hause aus an einer Fürstenfamilie hing. Altenglische Quellen bezeichnen auch die Dänen insgesamt als Skyldingen. Aber da mag eine Entwicklung ähnlich der des Namens Amelungen sich angebahnt haben und dann wieder unterbrochen worden sein. Das Streben, die vorzeitlichen Könige in einen Stammbaum zusammenzufassen, ist schon für die Zeit um 700 bezeugt. Man wußte in England, in Dänemark und schließlich in Island, daß an der Spitze dieser Dynastie ein Herscherr namens Skjöld (Skyld) gestanden hatte. Die englischen Quellen, die aus dem 8. Jahrhundert stammen, und die nordischen, die tun 1200 einsetzen, grenzen den Begriff Skjöldungen aber verschieden ab. Die Zahl der Sippenglieder hat sich in diesem Halbjahrtausend gemehrt, und nicht nur auf dem natürlichen Wege der dichterischen Erzeugung. Der Norden des 13. Jahrhunderts rechnet der Familie Gestalten bei, die man 500 Jahre früher auch schon gekannt, aber den Skjöldungen ferngehalten hatte. Große Heldensippen ziehen ihre Umgebung, selbst zuweilen ihre Widersacher, zu sich heran und saugen sie auf, so gut wie große Heldenfiguren. Aber in unserem Fall ergibt sich, daß nicht nur dieses unbewußt waltende Vereinheitlichungsgesetz zur Ausbreitung des berühmten Geschlechtes beigetragen hat, sondern auch der Irrtum. So zeigt sich der nordgermanische Stammbaum bei seinem ersten Hervortreten schon sehr verästelt. Im weiteren verwirren sich die Zweige und greifen immer weiter aus. Die Höhe erreicht Saxo mit seinen mehr als 40 Skjöldungenkönigen; sein Vorgänger

3

SKJÖLDUNGENREIHEN.

in der dänischen Geschichtschreibung hatte nur etwa die Hälfte gekannt. Dabei ist Saxos Königsreihe aber fortwährend unterbrochen, Herrscher verschiedenster Herkunft treten dazwischen; und ebenso reißt die isländische Skjöldungenliste zweimal deutlich ab und setzt neu ein, wobei aber eine Verschwägerung mit der bisherigen Linie angenommen ist. Für unsere Betrachtung ergibt sich aus alledem die Schwierigkeit: wen sollen wir als Skjöldung gelten lassen, und welcher von diesen Skjöldungen reicht in die frühen Zeiten zurück, denen allein unsere Aufmerksamkeit zukommt? Die zweite Frage entscheidet sich, in unerwünschtem Gegensatz zu den Völkerwanderungshelden des Festlands, durch ein negatives Kennzeichen: nur die Glieder der dänischen Königsreihe kommen für uns in Frage, die zu alt sind, um zeitgenössischen Geschichtschreibern bekannt zu sein. Damit ist aber noch nicht ausgesagt, in welchen Zeitraum zwischen dem 5. und dem 9. Jahrhundert diese (sicher oft ungeschichtlichen) Gestalten fallen. So läßt sich nur allgemein sagen: als Skjöldungen gelten uns lediglich die Herrscher, die nach dänischer u n d isländischer Vorstellung dem berühmten Geschlecht angehörten; und wir handeln über sie nur dann, wenn sie sich durch eine kennzeichnende Fabel als Helden älterer Dichtung ausweisen. Von Olrik stammt die gut bewährte Trennung: ältere Skjöldungenreihe — jüngere Skjöldungenreihe — jüngste Skjöldungenreihe. Zur älteren rechnen wir nur die Gestalten, die ihre Daseinsberechtigung in dieser königlichen Sippe durch Zeugnisse schon des 8. Jahrhunderts dartun. Die Haupt- und Mittelglieder der jüngeren Reihe gehören an sich keiner jüngeren Schicht an und sind dem 8. Jahrhundert ebenso bekannt wie jene; nur ihr Skjöldungentum ist jünger. Bei der Gestalt, die für Dänen und Isländer im Mittelpunkt der jüngsten Reihe steht, ist Alter und Skjöldungentum umstritten. Die Stammbaumphantasien sind für die eigentliche Heldendichtung nicht fruchtbar geworden. So lassen wir ihre älteren und jüngeren Schöpfungen in den Hintergrund treten und verstehen unter ä l t e r e r Skjöldungensage im wesentlichen die Dichtungen, die sich um H r o l f K r a k i sammeln und von seinem Vater und Oheim, seinen eigenen Ruhmestaten, seinen Mannen, seinem Ende berichten. Die jüngere Reihe fesselt in erster Linie dort, 2*

20

ÄLTERE

SKJÖLDUNGENSAGE.

wo sie auch Altbezeugtes bietet, nämlich im Bereich der Ingeldfabel, in deren Mittelpunkt allerdings immer mehr der Gefolgsmann Starkad tritt, ein Held auch für vielfache Neudichtung. Nur den Skandinaviern bekannt ist das Haupt der jüngsten Reihe Harald K a m p f z a h n , an den sich die berühmte Fabel von der Bravallaschlacht heftet. Es ist nicht von vornherein möglich, die Reihen oder besser Gruppen der Skjöldungendichtung völlig auseinanderzuhalten; die Denkmäler, die sie behandeln, sind weithin dieselben. Es heißt sich damit abfinden, daß alle skandinavischen Quellen Ingeld samt Vater und Nachkommen als Verwandte Hrolfs und seiner Familie betrachten. Aber es wird sich herausstellen, daß nur die Gestalten vermischt sind, nicht die Fabeln, und daß man die alten Liedinhalte offenbar noch um 1200 genau so reinlich geschieden hielt wie 500 Jahre früher. DIE ÄLTERE SKJÖLDUNGENSAGE (HROLF KRAKI) Die Sagen um Hrolf Kraki enthalten eine Fülle großartiger und altersechter Handlung und kräftig geschauter Gestalten. Sie wachsen zu einer Höchstleistung germanischer Heldendichtung empor, mit der nur die Nibelungensagen den Vergleich aushalten. Auch die vielästige und verschlungene Überlieferung legt diesen Vergleich nahe. Die Weitung und Vermischung der Sagenstränge, die die nordische Überlieferung von Anfang an zeigt, erweckt den Eindruck einer verwirrenden Fülle, eines Geschlinges von Personen und Handlungsteilen. Durch sie gilt es sich zunächst einen Weg zu bahnen. Wir beginnen dabei, wie stets, nicht mit Zeugnissen, sondern mit zusammenhängenden Denkmälern, und lassen also die älteste Kunde von den berühmten Königen der »Speerdänen« erst später sprechen, wenn wir zum Verständnis dieser Anspielungen besser gerüstet sind. Die Denkmäler aber können wir zeitlich ordnen. Im nordgermanischen Sagenbereich pflegen die liedhaften Grundlagen sehr schmal zu sein. Hier stehen nur zwei Lieder zu Gebote, das eine durch die Dänen überliefert, das andere durch die Isländer. Altdänische Königssage aufzubewahren war Ehrenpflicht

21

GANG DER DARSTELLUNG.

der dänischen Geschichtschreiber. Kaum irgendwo haben sie so reichen und mannigfachen Stoff vererbt. Saxos Dänenchronik erreicht mit der Lebensgeschichte Rolvos im zweiten Buch ihren ersten Höhepunkt. Der isländische Ertrag ist nicht so reich, wie man bei der Volkstümlichkeit dieser Fabeln und Gestalten erwarten sollte. Es ist viel verloren, und der zusammenfassende Skjöldungenroman fehlt. Immerhin wird er in vielen Nachklängen und Ausschnitten deutlich, und das 14. oder 15. Jahrhundert bringt uns dann endlich eine Hrolfssaga Kraka. Die Rimur, die ihr wie üblich zur Seite treten, sind weitläufig, aber nicht zu Ende gediehen. Der Quellenschau soll sich die stoffvergleichende Betrachtung anschließen; dieser der Versuch, die lückenreiche Überlieferung zu einem umfassenden Bild der Hrolfdichtung des Nordens zu vertiefen. Dann erst wird der Blick hinreichend geschärft sein, um die frühen ags. Zeugnisse entstehungsgeschichtlich nutzbar zu machen; die Umrisse einer Gesamtgeschichte des Stoffes bilden den Abschluß. Ältere und jüngere Skjöldungenreihe: Olrik D H I, 3 1 6 f.

Allgemeine

Literatur über die ältere Skjöldungenreihe: A . Olrik, D a n m a r k s Heltedigtning I Kopenhagen 1903 (Hauptwerk; englische Übersetzung 1919). bei Hoops I V , 187 S .

Heusler

Herrmann, D i e Heldensagen des S a x o Grammaticus

I I , 1922, S. 137 ff. Boer, Aarb0ger 1922 S. 133 ff. Olrik h a t im Nachlaß noch eine kleine A n z a h l v o n E r g ä n z u n g e n zu D H I und I I zusammengestellt, die hier genutzt sind, soweit sie Überzeugendes und Aufschlußreiches bieten.

I n seiner Dänischen Literaturgeschichte bringt er eine ausführliche

Darstellung

der

älteren

Skjöldungendichtung,

die

keine

entscheidende

Änderung seiner A u f f a s s u n g zeigt.

1. E R H A L T E N E

SKJÖLDUNGENDICHTUNG.

LIEDHAFTE

QUELLEN

Von den zwei Lieddichtungen aus dem Bereich der älteren Skjöldungensage besitzen wir nur die eine im vollständigen altisländischen Text, die andere in Saxos lateinischer Übersetzung und verstreuten isländischen Bruchstücken. Da aber jene, das Mühlenlied, nur den äußeren Umkreis der Skjöldungensage streift, muß diese den Anfang machen trotz ihrer minder verlässigen Überlieferung. Sie ist auch sicherlich die ältere. D a s B j a r k i l i e d (Bjarkamdl en fomu) war eines der berühmtesten Heldengedichte des Nordens, das einzige fast,

22

Bjarkamal.

für dessen Volkstümlichkeit ein lebendiges Zeugnis spricht. Der Skald f>ormodr wurde am Morgen der Schlacht bei Stiklastadir (1030) von Olaf dem Heiligen aufgefordert, ein Lied vorzutragen, und er wählte statt der skaldischen Augenblicksschöpfung das wohlbekannte »alte Bjarkilied«. Diese Hüskarlahvöt (Aufruf der Gefolgsmannen) tat tiefe Wirkung auf die Scharen, die gleich Bjarki bereit waren, ihr Leben für den Gefolgsherm in die Schanze zu schlagen, i'/i Jahrhunderte später soll sie in Dänemark nach Saxos Zeugnis noch lebendig sein: m compluribus antiquitatis fieritis memoriter usurpatur« (67,3). Er hat das Gedicht dann zu 300 lateinischen Hexametern aufgedunsen, aber, wie man annimmt, seinen Inhalt treu gewahrt. Was das Mühlenlied wohl ehemals war, ist das Bjarkilied immer geblieben, reines Redegedicht. Zwei Helden König Rolvos, Hjalto und Bjarko, sind die Hauptsprecher, Bjarkos Gattin Ruta, Rolvos Schwester, gibt ein paar Worte dazu. Die Reden sind sehr mannigfaltig, Monolog und Dialog, Aufreizung und Scheltrede, Rückblick und Ausblick, Teichoskopie und unvermittelte Schilderung der Waffentaten. Das Ereignis — Untergang Rolvos und der Seinen bei einem Überfall auf die Königshalle in Lethra — spiegelt sich in diesen Reden dennoch nur unvollkommen wider, volle gegenständliche Klarheit liegt nicht in der Absicht des Dichters. Es kommt ihm auf den Preis der heroischen Gefolgsmannentreue an. Verlust und Verwirrung im Text haben das Ihrige dazu getan, uns das Bild des einzigartigen Denkmals zu trüben. Hjalto sucht mit lautem Ruf die Gefolgsmannen Rolvos zu erwecken: nicht zum Gekose mit Mädchen und nicht zum Weintrinken, sondern zum Kampf, der Tod oder Rache bringen wird.

Bjarko erwacht einen kurzen

Augenblick und ruft schlaftrunken seinem Diener, er solle den Saal rüsten, fremde Gäste seien gekommen.

Hjalto mahnt von neuem (noch nicht den

Bjarko besonders): Alles, was Rolvo ihnen an Gaben gespendet hat, sollen sie jetzt vergelten.

Die Feindesscharen nahen, die Schweden und Goten

dringen auf die Dänen ein.

Hjarthwarus hat sich durch Skuld zum Treu-

bruch an seinem Herrn verleiten lassen.

»Schon haben wir die letzte Mahl-

zeit genossen, der König ist verloren, die Stadt geht unter.

A m Tore tobt

der Kampf, der Schild des Königs ist zerhauen, schon stehen die Pforten von Verteidigern leer.«

E r weckt R u t a aus dem Schlaf und wendet sich

zumal an Bjarko: Welch fester Schlummer ihn in Banden halte?

O b er

im Feuer zu verbrennen gedenke ? E r scheint den Pflichtvergessenen durch einen Brand wecken zu wollen, den er in die Halle schleudert: Bären scheucht

BJARKAMAL.

23

man mit dem Feuer! Die Türen, die dem Feind nicht gewehrt haben, sollen fallen, um so fester müssen sich die Treuen zusammenschließen und dem König gehorchen, der einst den Rurik, den Sohn des geizigen Bokus, erlegte; er, der nie freiwillig gab, stand ohne Getreue vor Rolvo, mußte seine wohlgehüteten Schätze vor dem Sieger hinstreuen und wurde doch erschlagen. Rolvo aber verschenkte alles an die Seinen, kein Gold schien ihm so schön, daß er es den Freunden nicht neidlos überlassen hätte. Ein herrliches Dasein hat der König hinter sich: solange er am Leben war, hat sein glühender Heldenmut alles besiegt, er war rasch zum Kampf wie der angeschwollene Gießbach auf dem Weg zum Meer und wie der Hirsch zum eilenden Lauf. — Immer stärker dringt Hjarthwar mit den Seinen auf die Dänen ein, aber mit heiterem Lächeln sieht man den Enkel des Frotho in allem Kampfestoben — ihn, der einst die Firisgefilde mit Gold besäte. Da trifft Hjalto auf ein verschlossenes Tor: zum drittenmal muß er Bjarko aus dem Schlaf rufen. Der ermannt sich nun endlich und weist Hjaltos vorlauten Tadel zurück, denn schon wappnet er sich zum Kampf; hat er doch, der Armgeborene, dem König 12 Höfe zu danken. E r reizt nun seinerseits die Roivomannen auf: Keiner bewehre sich mehr mit Panzer und Schild! Aber mit den Ringen, die der König gespendet hat, bedecke man die Arme! Er denkt seiner früheren Taten: Agnar, Ingells Sohn, den größten der Helden, der im Tode noch zu lächeln vermochte, hat er mit seinem Schwert Snyrtix gefällt, und auch jetzt hat er schon einen edlen Kämpfer, einen Königssohn, getötet. Aber es hat sich auf der Seite der Dänen gelichtet, Rolvos Edle sinken dahin, für einen Schlag auf die Feinde erhält er drei zurück. Er sucht nach dem, der ihn erst aufrief und tadelte; er trifft ihn mit zerspaltenem Schild und immer noch mahnend, man solle die Versäumnis durch Taten gutmachen. Doch schon hat ein schwedisches Schwert Bjarkos Lauf gehemmt, und er fragt Ruta, ob sie den Schlachtengott Odin (dessen Erscheinen Tod bedeutet) auf der Wahlstatt sehe. Er möchte ihn selbst erschlagen, wenn er ihn fände. Es bleibt ihm nur noch ein rühmliches Ende vor den Augen seines Königs, und wenn dieser tot ist, so soll Bjarko zu seinen Häupten liegen, Hjalto zu seinen Füßen. Nicht nur die breite Auswalzung des Wortlauts, die zahllose Wiederholungen zur Folge hat, stört von

Saxos

Bearbeitung;

auch

Sinn

Genuß und und

Verständnis

Zusammenhang

scheinen an mehr als einer Stelle schwer zerrüttet.

er-

Diese fünf

Punkte bedürfen des Aufklärung: 1. Wie ist Bjarkos schwerer Schlaf begründet?

Warum scheuchen ihn Mahnwort, Kampf-

lärm und Feuer nicht empor, und wenn er solange gezaudert hat, warum weist er Hjaltos Tadelrede mit solcher Entrüstung zurück? vor?

2. Wie stellt sich der Dichter das Schicksal Rolvos

Ist er schon tot, fällt er im Lauf des Gedichts, lebt er bis

zum Schluß ?

E s heißt V. 87 Rex

perit

— wohl ein futurisches

24

D I E FÜNF

SCHWIERIGKEITEN.

Präsens; 99: jam clypeum regis vastae minuere secures. 147 nennt Hjalto regem jam claro funere functum, sagt 150 dum viveret, omnia vicit und wendet weiterhin beim Lob seiner Persönlichkeit die Vergangenheitsform an. 165 heißt es dann plötzlich: Attamen hic inter discrimina fataque belli Frothonis video laetum arridere nepotem. Zum Schluß: 288 ante oculos regis clades speciosa cadentes excipiat ... ad caput extincti moriar obrutus. 3. Ist Bjarko gerüstet oder nicht? Erst wappnet er sich, dann fordert er die Tapferen auf, ungerüstet zu kämpfen; daß er selbst soviel Mut nicht aufbringt, beweist 275, wo er von den duri tegmina ferri auf seinem Körper spricht. 4. Hjalto legt selbst Feuer an die Burg. Ist das glaublich? Er will Bjarko mit dem Feuer aus dem Hause hinaustreiben, wie man eben Bären mit Flammen scheucht (Anspielung auf seinen Namen). Nach geraumer Zeit zurückkehrend, findet er ihn aber aufs neue schlafend hinter den unversehrten verschlossenen Pforten. 5. Wer ist der hervorragende Krieger oder Königsohn, der Bjarki im Kampf tötet, wer der Hirsch, von dem er sagt: mihi videor cervum penetrare ferocem (208), und ist diese Wendung futurisch zu verstehen? Axel Olrik hat versucht, der dänischen Urgestalt des Gedichts nahezukommen. Er erkennt unsere Schwierigkeiten, wenngleich nicht allesamt ausdrücklich, und räumt sie mehr aus dem Weg als daß er sie klärt. Auch andere bekämpfen sie mit wenig Erfolg. Saxos Num te sopor occupat altus ? gibt er, wohl in der Absicht zutreffender Deutung mit: binder dig sövnruner? Den König läßt er gleich zu Anfang sterben, mit rex perit ist ihm schon das Todesurteil gesprochen und er hilft sich über die schwierigste Stelle — Rolvos Lächeln V. 166 — hinweg, indem er ein i deden einfügt; in der englischen Übersetzung hat er gar die Wendimg autorisiert: But the swordgiver smiles in his sleap of death (Str. 16). Auch Heusler und Ranisch stellen fest, sogar wie etwas Selbstverständliches, daß Rolvo zu Anfang des Gedichtes fällt. Herrmann aber hat zu jeder Zeit die Auffassung vertreten, daß der König bis zum Schluß am Leben bleibt. Er sucht unsere dritte Schwierigkeit zu entfernen, indem er Bjarkos Aufforderung, ohne Rüstung zu kämpfen, als Fremdkörper innerhalb des Gedichtes bezeichnet. Olrik disputiert sie weg, nicht überzeugend; denn hätte, wie er will, Bjarko ursprünglich die Weisung gegeben, die Rüstung wieder abzuwerfen, so könnte er selbst nicht zum Schluß noch im Panzer kämpfen. Seine Rekonstruktion läßt

DIE

FÜNF

SCHWIERIGKEITEN.

25

die Wappnung Bjarkos unerwähnt. — Unsere vierte Schwierigkeit beirrt Olrik am wenigsten, er fügt eine szenische Bemerkung ein, um die Situation zu verdeutlichen, erklärt aber nicht, warum das Feuer so wirkungslos geblieben ist. — Recht hat er mit der Feststellung, der wilde Hirsch könne nicht Hjarthvar sein — Heusler denkt an einen Helden Hjört, den auch die Bravallaschlacht unter den Dänen kennt — , in seiner Rekonstruktion ist der junge Königssohn, dessen Saxo so emphatisch gedenkt, auf eine Halbstrophe beschränkt und dadurch an Bedeutung herabgedrückt. Keine der fünf Fragen läßt sich ganz klären. Für die erste, Bjarkos Schlaf, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder hat Saxo etwas ausgelassen, was er selbst nicht verstand oder für unwahrscheinlich hielt — also eine übernatürliche Erklärung — oder das Motiv des hartnäckigen Schlafs wurde erst mit der Zeit unverständlich, als das Gedicht sehr anschwoll. Beanspruchte Hjaltos hvöt ehemals, statt 180 Saxoscher Hexameter oder 18 Olrikscher Strophen, nur die Hälfte oder ein Drittel davon, so war der Schlaf nicht mehr so wunderbar, das Ungestüm Hjaltos objektiv minder berechtigt und in des Tadlers vorlautem Wesen begründet. Das Mißverhältnis zwischen Hjalto- und Bjarkoteilen ist Olriks feiner Witterung nicht entgangen, seine Erneuerung teilt die Redestrophen ziemlich gleichmäßig zwischen beiden auf, während bei Saxo das Verhältnis 2 : 1 ist. Ursprünglich lag es vielleicht noch mehr zu Bjarkos Gunsten; es sollte doch schließlich ein Bjarkilied sein. Beim zweiten Punkt stehe ich auf Herrmanns Seite; auf die rechte Spur scheint mir zu führen V. 291. Vorher hat es geheißen: Fallen wir ruhmreich vor den Augen des Königs (288f.), dann: ad cafiut extincti moriar ducis obrutus. Soll die ganze Periode Sinn und Verstand haben, dann kann dieser V. 291 nur bedeuten: »Wenn der Führer dann tot ist, will ich zu seinen Häupten sterben.« Das wieder gibt uns den Fingerzeig für den von Herrmann ganz richtig aufgefaßten V. 147: regem claro jam funere functum im Sinn des Konditionalsatzes: »Wenn der König beigesetzt ist, dann wird er usw.« Damit sind aber die Hauptstellen, die der Auffassung Olriks Vorschub leisten, wirkungslos gemacht, und wir sind über das Hauptbedenken hinweggekommen, daß das Ende des großen Königs so klanglos, ohne Totenklage oder Totenpreis vorübergeht; kam es im Liede vor, so mußte es seinen erschütternden Höhepunkt bilden.

26

DAS

ISLÄNDISCHE

BJARKILIED.

Die Aufforderung zum Kampf ohne Schutzwaffen in Bjarkos Munde hat man für ein Einschiebsel gehalten; es gälte zu zeigen, woher es stammen könnte. Man dachte an ein anderes Bjarkilied; die Frage ist demnach für uns erst spruchreif, wenn die ganze Überlieferung ausgebreitet ist. Feuer an die Halle pflegen die Feinde zu legen. Vielleicht ist es ein Mißverständnis Saxos, wenn hier Hjalto, etwas kindisch, die bösen Türpfosten anbrennt, weil sie nicht zu Rolvo gehalten haben ( m ) . Die Szene ist um so verfehlter, als dieses mit so großen Worten angelegte Feuer alsbald erloschen sein muß; denn Bjarko ist ja keineswegs verbrannt, sondern hat hinter verschlossenen Türen ruhig weitergeschlafen. Natürlich ist das Brandmotiv alt; sicherlich auch die sehr glückliche Anspielung auf Bjarkos Namen: »Das Haus fängt schon an zu brennen; nun, Bjarko, wirst du wohl herauskommen, denn Bären lassen sich ja durch Feuer verscheuchen.« Aus diesen Worten hat vielleicht erst Saxo fälschlich geschlossen, Hjalto selbst habe den Brand gelegt, um jenen zu wecken. — Daß er bei der Wiederkehr stets verschlossene Türen findet, erklärt sich auch nur, wenn nur eine kleine Zeitspanne vergangen ist, d. h. wenn Hjaltos Reden ehemals kürzer waren. Zwischen Saxos V. 105 und der ersten großen Rede Bjarkos (183 ff.) kann schon deshalb kein größerer Abstand geduldet werden, weil V. 192 immittelbar auf 105 antwortet: »Aut exi aut igne •premeris« — »Nemo magis clausis refugit •penetralibus uri«. — Die sieben dazwischen stehenden Strophen Olriks sind schon des Guten zuviel. Die fünfte Frage ist mit den vorhandenen Mitteln nicht lösbar. Wir kämen auf ein älteres Bjarkilied, oder vielmehr wir erahnen es ganz von ferne, das in der Schlachtschilderung knapper war und die Rurikerzählung entweder noch gar nicht oder nur in flüchtigem Umriß brachte. Bisher war unser Trachten, das Lied zu kürzen. Nun ergibt sich von einer anderen Seite her scheinbar die Nötigung, es zu verlängern. Außer der weitgestreckten lateinischen Übersetzung des Bjarkiliedes besitzen wir ja ein paar isländische Strophen, die man im 13. Jahrhundert B j a r k a m a l en f o r n u , das alte Bjarkilied, nannte. Seine Anfangssätze sind überliefert durch die Geschichtschreiber, die die Schlacht bei Stiklastadir schildern. Snorri teilt in diesem Zusammenhang drei Strophen mit, ein paar weitere wachsen noch anderswoher zu.

DAS

ISLÄNDISCHE

BJARKILIED.

27

»Der Tag ist heraufgekommen, den Freunden erwächst Mühsal. Wacht, ihr Freunde, Gefolgsleute des Adils, Har, Schütze Hrolf und alle Edeln, die nicht fliehen. Ich wecke Euch nicht zum Wein und nicht zum Weibergekose, sondern zum harten Spiel der Hild (Kampf).« Aus der Snorra Edda kennen wir eine Dreiheit von Strophen, die in fortwährender kenninghafter Abwandlung den Begriff Gold wiederholen. »Der freigebige Fürst gab den Seinen — Gold, Gold, Gold,« so tönt es immer in den verschiedensten Wendungen wieder. Zwei Strophentrümmer stammen aus dem Endteil des Gedichts: »Hrolf der Große sank in das Haar der Erde« (ins Gras) und: »Ich will ihn erwürgen wie die Katze die Maus.« Das ist, wie die späte Prosa lehrt, ein Stück aus der Zornrede Bjarkis gegen Odin. Die isländischen Strophen haben großenteils bei Saxo nicht ihresgleichen. Dennoch sieht man auf den ersten Blick, daß es sich um ein und dasselbe Gedicht handelt. Saxos eröffnender Satz: »Ocius evigilet, quisquis se regis amicum ... fatetur« klingt wörtlich wieder in dem »Vaki ce ok vaki vina höfuä« von Str. 2, und noch näher steht die Halbstrophe 3, die von vifs rünum handelt, Saxos Versen 7 ff. von den virginei ludi. Sicherlich wird der frühere Strophenbestand des Bjarkilieds nicht durch einfaches Zusammenzählen wiedergewonnen. Es ist nämlich ganz deutlich, daß die isländischen Strophen ebenfalls zwei verschiedenen Schichten angehören. Am handgreiflichsten ist das bei den Kenningarstrophen, die in einem Heldenlied um 1000 doch wohl eine Unmöglichkeit sind. Kennzeichnend ist freilich, daß hier wie dort das beherrschende Motiv von Hrolfs Freigebigkeit die Dichter zur Ausweitung ermuntert. Aber Saxo tritt die Rurikepisode breit, der Isländer hängt ein Bündel Umschreibungen für Gold vermutlich an die Erwähnung des Goldsäens, nicht an die Hrörikgeschichte. Der Ausfall Bjarkis gegen Odin ist von unheldischer Derbheit, und wieder in einem verzwickten Kenningstil gehalten. Immerhin ist lehrreich, daß auch die isländische Überlieferung einen Odinauftritt kennt. Strophe 7 zeigt, daß wir mit Recht bei Saxo eine Erwähnimg von Hrolfs Ende vermißt haben; sie ist, auch im Skaldenstil, von dem Isländer beigegeben worden. All diese Prägungen liegen, wie man sieht, auf einer Linie, und es ist verführerisch, diese Umbildung des Heldenlieds ins Skaldische mit seinem

28

DAS

ISLÄNDISCHE

BJARKILIED.

Übergang in die Hände des skaldischen Hofdichters zusammenzubringen. Jedenfalls sind diese Wendungen allesamt für ein wirklich altes Bjarkilied preiszugeben. So kommen nur die drei Strophen als Ergänzung Saxos in Betracht, die die Geschichtschreiber dem Jjormodr in den Mund legen. Dagr er upp kominn — so beginnt nach Snorris Bericht Jjormodr den Vortrag der Bjarkamal. Wir hegen den Verdacht, daß Skald oder Historiker den Anfang zu ihrem Zweck umgeformt haben. Bei Snorri (Heimskringla II, Kap. 208, so auch Olafssaga ens helga Kap. 194) heißt es eigens: er härm (König Olaf) vaknadi, pd rann dagr upp. Da soll Jjormodr die Mannen durch ein Lied anfeuern. Wußte er wirklich eines, das so treffend zur Lage paßte, daß es mit den Worten begann: Dagr er upp kominn? Das wäre ja an sich denkbar; man braucht auch nicht überhaupt zu bezweifeln, daß diese Verse in den Bjarkamal vorkamen; nur ihren Anfang haben sie schwerlich gebildet. Sinn und Stimmung der Uberfallsszene zu Lejre hängen daran, daß sich die Ereignisse bei Nacht abspielen. Wie steht Bjarki erst da, wenn er auch noch in den Tag hineingeschlafen hat! Nein, zu Anfang der alten Bjarkamal war der Tag noch nicht heraufgekommen. Mochte sein Herannahen im Lauf des Gedichts, vielleicht gegen Ende zu, mit den Worten unserer Halbstrophe angedeutet sein; dann war der Ausblick: mäl er vilrnggum at vinna erfidi erst recht am Platz. Olrik hat sicher gegenüber der neueren Ergänzung in der Sammlung Thüle das Richtige getroffen. Vaki or ihm den Neidingsnamen und vielfache Not erschuf. Er soll Vikar a m hohen Baum den Göttern weihen, aber sein Speer trifft den Helden ins Herz. Das war ihm das harmvollste seiner Werke, und er irrte seitdem herrenlos umher, allen verhaßt. Jetzt sitzt er stumm am Hof der Ynglingenherrscher, den jungen Knappen ein Spott. Jeder lacht über seinen wilden Blick und seine Häßlichkeit und glaubt an ihm die Spuren der Riesenart zu sehen, der acht Hände, die ihm fx>r einst abschlug. Das Lied macht starken Eindruck, und seine Darstellung ist äußerst stilvoll in der kurzen, abgehackten, rauh herausgestoßenen Rückschau und Selbstcharakteristik des alten Helden, an dem alles gewaltig ist, aber unidealistisch gesehen, abstoßend, grotesk, häßlich.

Der Dichter besitzt eine seltene Fähigkeit zur

Prägung anschaulicher Bilder und treffender Ausdrücke.

Unsere

Inhaltsangabe hat einen Mittelteil übergangen, den Ranisch als Zusatz weggestrichen hat; mit Neckel einen noch älteren Kern ( 1 — 1 0 und 16—18) des 11. Jahrhunderts aus jüngerer Umgebung lösen zu wollen, heißt doch wohl unser kritisches Vermögen überschätzen. Die Prosa steuert außer mancher erwünschten

Erklärung

einige sachliche Ergänzungen bei: Der Riese Starkad hat Alfhild, die Tochter Alfs, geraubt, die J>or haben sollte. J)or erschlägt den Riesen und holt sie zurück, sie bekommt aber ein Kind von Starkad, das Storverk heißt; ein schöner Mann mit schwarzem Haar, größer und stärker als andere. Er tritt in König Haralds Dienst und raubt Una, die Tochter des Jarls von Halogaland. Die Schwäger verbrennen sie alle in der Nacht und lassen aus Furcht keinen heraus. Dennoch entkommt der kleine Starkad (wie?) und wird nach dem Untergang der Mordbrenner von König Harald aufgezogen, bis König HerJjjofr von Hördaland diesen überfällt und tötet und seinen Sohn Vikar als Geisel mitnimmt. Ein Mann namens Grani aus dem Gefolge des Königs nimmt den dreijährigen Starkad mit sich nach Ask auf der Insel Fenhring. Dort wird auch Vikar von HerJjjof zum Wächter eines Signalfeuers bestellt und findet dabei den wunderlich groß gewachsenen Ziehbruder. Beide gewinnen ein Schiff und fliehen. Über den Vergeltungsfeldzug gegen HerJ)jof weiß die Saga nichts Neues zu sagen, berichtet nur, daß Vikar sein Vatererbe wieder antrat und darauf in Gautland zu heeren begann. Dort stieß er

VIKARPROSA.

149

am Vener mit Sisar (Csar) zusammen, dem König von Känugard (Kiew); auch dieser Kampf wird nur nach den Strophen geschildert. Eine ausführliche Erläuterung zu den Versen des Vikarsbalkr setzt erst dort wieder ein, wo von der Fahrt Vikars nach Hördaland erzählt wird. Das Schiff bleibt an einer Insel liegen, es hat lange widriges Wetter. Es ergibt sich, daß Odin ein Hängopfer haben will, und das Los trifft den König. In der Nacht wird Starkad von seinem Ziehvater Hrossharsgrani geweckt und auf eine Waldrodung geführt, wo elf Männer auf Stühlen sitzen; als zwölfter nimmt Grani Platz, alle begrüßen ihn als Odin. Er verkündet, es solle über Starkads Schicksal bestimmt werden. Da nimmt Jjor das Wort: Alfhild, die Mutter von Starkads Vater, habe den weisen Riesen dem Asaf>or vorgezogen, und so verhängt er dem Starkad, daß er weder Sohn noch Tochter haben solle. Odin antwortet: Ich lasse ihn drei Menschenalter leben. f>or: In jedem Mannesalter soll er eine Neidingstat begehen. Odin: Er soll die besten Waffen und Kleider haben. J)or: Er soll weder Land noch Leute besitzen. Odin: Er soll reichlich fahrenden Besitz haben. J>or: Es soll ihm nie genug sein. Odin: Ich gebe ihm Sieg in jedem Kampf. Jjor: Ich lege ihm auf, daß er in jedem Kampf eine schlimme Wunde bekommt. Odin: Ich verleihe ihm Dichtkunst. J>or: Er soll sich an das nicht erinnern, was er geschaffen hat. Odin: Er soll den mächtigsten und vornehmsten Leuten als der trefflichste erscheinen. J)or: Er soll der Menge verhaßt sein. Das alles erkennen die Richter dem Starkad zu, und das Ding ist beendet. Bei der Rückkehr verlangt Grani von Starkad einen Gegendienst: er soll Vikar zu ihm senden. Starkad sagt es zu, da gibt ihm Hrossharsgrani einen Speer und verheißt, der werde aussehen wie ein Rohrstengel. Am Morgen kommen die Ratgeber des Königs überein, es solle eine Art Andeutung (minning) des Opfers gemacht werden. Es steht eine Fichte in der Nähe und dabei ein Baumstumpf; unten hat die Fichte einen biegsamen Zweig Um ihn windet Starkad frische Kalbsdärme. Das ist der Galgen des Königs; auf dem Baumstumpf stehend, legt er ihm die Därme um den Hals. Starkad, der den Fichtenzweig nach unten hält, stößt mit dem Stengel nach dem König und weiht ihn dem Odin: da wird der Stengel zum Speer, die Därme werden starke Holzgerten, der Baumstumpf stürzt um, der Fichtenast schnellt in die Höhe und der König stirbt. — Auf seiner Flucht kommt Starkad zu den Schwedenkönigen Alrek und Eirik, und an ihrem Hof trägt er, nach seinen Schicksalen befragt, das Gedicht Vikarsbalkr vor. Er wird nach dieser Tat in Norwegen nicht mehr seßhaft, bleibt aber auch nicht am Hofe zu Uppsala, wo ein Dutzend Berserker unter Otrygg ihn verhöhnen und einen wiedergeborenen Riesen nennen; er läßt sich von Eirik ein Schiff geben und verrichtet große Wikingtaten.

Am meisten fesselt hier das Gespräch zwischen J)or und Odin; der bekannte Märchenauftritt von der guten und der bösen Fee ist auf die geistvollste und schlagkräftigste Weise zur dramatischen

150

O D I N UND ]JOR.

Szene ausgebaut. Immer wieder sucht Odin Schläge des Widersachers aufzufangen, immer wieder vergällt dieser ihm die Gaben an seinen Günstling: Keine Nachkommenschaft: — dafür selbst drei Menschenalter — in jedem Menschenalter eine Neidingstat — ! Odin beginnt von neuem: Die besten Waffen! — Kein Land! — Viele lose Habe! — Nie genug! — Abermals hebt Odin an: Immer Sieg! — Jedesmal eine böse Wunde! — Ein drittes Mal: Dichtergabe ! — Keine Erinnerimg! — Ein viertes Mal: Hohes Ansehen! — Den Leuten verhaßt! — Damit endet der Streit, und der Feind hat das letzte Wort behalten. Dieses Leben wird vom Unglück gezeichnet sein. — Aber merkwürdig ist: nichts deutet auf die unmittelbar bevorstehende Untat, zu der ihn ja Odin verleitet. Sie steht vielmehr im grellsten Widerspruch mit all den wohlmeinenden Versprechungen. J>or hat ihm die Neidingstaten auferlegt, Odin ist es, der den Vertrauensseligen zum Neiding wider Willen macht! Die prächtige Szene verliert dadurch viel von ihrem Sinn. Wir erinnern uns, daß im Lied J>or für die Tat verantwortlich gemacht wurde (Str. 18). Der Auftritt ist natürlich viel zu gut für den späten Sagamann, der, ein Stümper, die Starkadgeschichte mit Gewalt in seine Erzählung hineinzog. Nicht er ist für das Mehr der Prosa gegenüber dem Lied verantwortlich, das zeigen ja schon die Namen Storverk, Alrik, Eirik, die im Lied nicht vorkommen, aber sicher am Platze sind; es lag auch nicht so, daß sie ohne weiteres »der mündlichen Sage« entnommen werden konnten. Es gab eine Prosadarstellung, — schwerlich ein Lied, trotz der Stäbe, die man heraushören wollte •— von Starkads Frühzeit, die dem Verfasser der jungen Gautrekssaga neben dem Gedicht vorlag. Nach Saxo stammt Starkad aus den Ländern östlich der Ostsee. Die Sagen, die ihm riesische Abkunft nachsagen und berichten, J)or habe ihm die überflüssigen Hände ausgerissen, verwirft der Historiker. Auch die Beziehung zu einem Gott gibt Saxo nur mit Vorbehalt zu: Odin habe den Tod des Vikarius, Königs von Norwegen gewünscht, aber nicht offen ins Werk setzen wollen. So stattete er den riesigen Starkad mit tapferem Mut und mit der Gabe der Dichtkunst aus und erhoffte dafür Dankbarkeit. Auch drei Lebensalter versprach er ihm, damit er in jedem eine Schandtat ausführe. Die erste war die Ermordung des Vikar. Starkad verpflichtet sich zu ihr, macht sich in böser Absicht an Vikar heran und geht mit ihm auf einen Wikingszug.

STELLUNG

SAXOS.

151

Als sie Windstille bekommen, beschließen sie die Götter durch Opferung eines Menschen günstig zu stimmen, und das Los trifft den König. Staxkad macht einen Strick aus Weidenruten und hängt den König auf, angeblich für kurze Zeit und zum Schein. Aber er erwürgt ihn mit dem festen Knoten und tötet den noch Zuckenden mit dem Schwert. Die Ansicht lehnt Saxo ausdrücklich ab, daß die weichen Ruten sich von selbst zu einer eisernen Schlinge verhärtet hätten. — Starkad begibt sich dann mit Vikars Schiff auf Wikingsfahrten. Seine Reue wird nicht unterstrichen. Wir besitzen also drei Darstellungen von Vikars Tod: Die knappe Strophe 19 des Liedes, die Schuld oder Unschuld unentschieden läßt, den Helden aber mit der vollen sittlichen Verantwortung belastet und nur von ferne den Unheilstifter J>or zeigt; die Prosa Saxos, die eine Verlockung zum Bösen durch Odin annimmt, den Helden aber die Tat mit vollem Willen und Bewußtsein ausführen läßt; schließlich die isländische Prosa, der Starkad ein Mörder wider Willen ist, von Odin betört. Wo liegt das Ursprüngliche ? Saxo scheint darin allein zu stehen, daß er die besondere Feindschaft ]?ors nicht kennt. Nehmen wir gleich ein weiteres hinzu: Er weiß nichts von dem N o r w e g e r Starkad. Vielleicht hängt beides zusammen, und hat man in Norwegen erst das feindliche Verhältnis des Gottes zu dem Helden ausgesponnen. Anderseits macht stutzig, daß die Bemerkung über die ausgerissenen Arme sich hier ganz benachbart findet; es liegt nahe, anzunehmen, daß Saxos Vikarerzählung so gut wie das Lied der überflüssigen Gliedmaßen gedachte, die J)or ihm ausriß. In beiden Fällen ist er es ja noch selbst, der sie verliert, erst die Prosa verselbständigt den Riesen Starkad zu seinem Großvater und begründet von da aus die Feindschaft mit J>or. Wenn aber Saxos Vikargeschichte den mißgünstigen )Dor schon kannte, so liegt der Verdacht nahe, daß er selbst den zweiten Gott aus der Erzählung entfernt hat. Ob der böswillige Gott nun schon vor Saxo seine Stelle in der Geschichte gehabt hat oder nicht, ursprünglich ist er auf keinen Fall. Er wurde hinzuerfunden, als man den Widerspruch immer deutlicher zu fühlen begann: Der Gott, der Starkad so wohl will, verführt ihn zugleich zur Neidingstat. Das war sinnwidrig und unwürdig. Als die Vorstellung von Starkads Riesennatur festgesetzt und er zum natürlichen Feind J>ors geworden

152

BRUCH

IN D E R

ODINGESTALT.

war, da führte man J)or an Odins Stelle neu ein und modelte die Geschichte von der Gabenverteilung um nach dem bekannten Märchenschema von den drei Feen. Sicherlich verhängte J>or dabei eine oder drei Schandtaten. Man braucht die Lebensgeschichte des Helden aber nicht nach diesen dreien abzusuchen. Der Dichter dieses Auftritts hatte außer der Ermordung Vikars kaum schon bestimmtes im Auge, die drei Taten sind nur Jiors Antwort auf Odins Verheißung der drei Lebensalter. Übrigens geht die Rechnung nicht rein auf, denn nach dem Schema standen Odin nur zwei Wünsche zur Verfügung, wenn J>or einen Fluch sprach. Die Szene ist also bei Saxo jedenfalls verdorben. Unter den Gaben Odins kann der »kühne Mut« ohne weiteres fehlen, den kann die Natur verliehen haben. Vielleicht lautete schon die erste Segnung: drei Menschenalter. Auch die Ursprünglichkeit der Skaldenkunst kann man bezweifeln. Sie verdankt ihr Dasein einem Mißverständnis und setzt, gleich dem Motiv von den drei Lebensaltern, eine weite Ausbreitung der Starkaddichtung voraus. So ist nicht abzusehen, in welcher Gestalt der Auftritt dem geistvollen isländischen Bearbeiter überkam, der ihn zur wirksamen wahrheitsvollen Szene steigerte. Jedenfalls wollte er die Sache gründlich bessern und zeigte Odin folgerichtig in der Rolle dessen, der nicht nur gute Gaben spenden kann, sondern auch Verwünschungen nach Kräften lahmlegt. Den mißlichen Übergang zur folgenden Szene hat er sich dadurch aber nur erschwert. Wie ist nun diese Unfolgerichtigkeit, der innere Bruch der Odingestalt zu erklären ? Olrik hat auch hier das Rechte gesehen: Die ganze Vikargeschichte ist sakralen Ursprungs. Wie von manchem schwedischen König, mochte man sich von Vikar erzählen, daß er Odin geopfert wurde, und die Vorstellung wurzelte in uralter Sitte. Odin verlangte ehemals sein Opfer und durfte es verlangen. Die wirkliche Opferung schwächte sich mit dem sinkenden Glauben zur sinnvollen Andeutung ab; wie nahe lag es, zu erzählen, daß der Gott das ihm Gebührende sich holte, indem er die Menschen überlistete und den zum Schein Getöteten wirklich sterben ließ! Das mag erst der Sinn seines Verhaltens gewesen sein, und Starkad war soweit ursprünglich unschuldig. Später bildete man um: Odin b e s t i c h t einen Menschen, die Scheinopferung zu einer wirklichen zu machen. Die Gaben, die der Gott auf ihn häuft, lassen ihn als Odins Günstling erscheinen,

OLO UND

VIKAR.

153

trotzdem ist er Mörder, und der Widerspruch ist da, von dem die literarischen Erfindungen ihren Ausgang nahmen. Die Geschichte von Olos Ermordung hat hier also ein Gegenstück, das, wie man sieht, in sehr starken Wettbewerb mit ihr tritt. Beide können nicht derselben Erzählschicht angehören, und man kann nicht zweimal ganz unabhängig Starkad zum Mörder des eigenen Herrn gemacht haben. Olo ist schon der ältesten erreichbaren Quelle Skjöldung. Ob man sich dafür auf die Hyndlujoö berufen durfte, ist fraglich (s. S. 116); aber er erscheint im Hattalykill Fridleif und Frodi benachbart. Scheinbar hat er also den ersten Anspruch darauf, in Starkads Nähe zu rücken. Aber es bleibt fraglich, ob er wirklich ursprünglich hierher gehört, und die Geschichte seiner Ermordung entbehrt der eigenartigen Züge. Unsere beiden Berichterstatter fassen sie etwas verschieden auf. Arngrim legt auf die Schlaffheit des Badenden Nachdruck, bei Saxo kreuzen sich offenbar zwei Motive: der König verhüllt sein Haupt, um den Nahenden nicht durch seinen Augenglanz zu blenden; und: Starkad führt den Hieb von hinten, in den Nacken, offenbar auch, weil er ihm nicht ins Gesicht sehen konnte. Man mag bei der ganzen Szene an Ägisth und Agamemnon denken, wo sich das Bad und die Verhüllung auch finden, diese allerdings anders gewendet. Olos Augen spielen in dem Auftritt keine durchaus notwendige Rolle, sind also sicher nicht für ihn ersonnen. Im ganzen kann man durch diese Berichte zu nichts Älterem durchstoßen, was schon Olrik beklagte; sein Seitenblick auf Iring, den Mörder des eigenen Herrn, ist nur schüchtern, und ich glaube in der Tat nicht, daß hier Beziehungen vorliegen. Die eigenartigere und ihrer Wurzel nach altertümlichere Geschichte ist jedenfalls die von Vikar. Eine sichere Entscheidung, ob diese Neidingstat oder jene älter ist, läßt sich kaum treffen. Olrik, Heusler und Neckel lassen aus verschiedenen Gründen Olo den Vortritt. Neckel hält die Tat an Vikar für eine Abschwächung christlicher Zeit: Thema ist nicht mehr der Mord, sondern die Reue des Täters. Heusler fühlt sich von der Olofabel liedhaft angemutet, und Olrik schließt mit paradoxer Kühnheit: W e n n Starkad schon zum Mörder wurde, dann auch ganz; die v o l l e Neidingstat begreift sich als aufsehenerregende Neuschöpfung besser als die halbe. Das sind also alles nur Gefühlsgründe, und man kann ihnen

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S T A R K A D G E S C H I C H T E UND

OLOGESCHICHTE.

ungescheut einen andern entgegenstellen: Starkad wurde zuerst zum Helden einer in altertümlichen Vorstellungen wurzelnden Geschichte vom Mord am eigenen Herrn; er opferte ihn symbolisch dem Gott und tötete ihn wider Willen. Eine solche Tat war nicht so ungeheuerlich wie das Verbrechen an Olo; als unwissentlicher Mörder und »treulos Treuester« will uns der alte Sittenwart möglicher dünken, denn als vorsätzlicher Meuchler, der sich mit 120 Pfund hat bestechen lassen. Später konnte man die Geschichte umbilden und einen anderen Erzähltypus vom verratenen und gemordeten Herrn einsetzen. Starkad hat also nicht als Mörder Olos einen anderen verdrängt, wie Herrmann will; die frühere Frage: ist Starkad oder Olo in der Mordgeschichte älter? wäre zu Starkads Gunsten beantwortet. Vielleicht läßt sich dieses Urteil doch aus dem Umkreis des rein Gefühlsmäßigen zu allgemeiner Geltung erheben. Nimmt man nämlich an, Starkad sei zuerst durch Odins Tücke zum Mörder Vikars geworden, dann hat man auf einmal Einsicht in die Wege der zunächst so rätselhaften Entwicklung des Oloromans. Man hat ja ganz vergebens versucht, ihn stofflich irgendwo anzuknüpfen. Möllenhoffs Hinweis auf den Alewih des Vidsiö verschlägt ebensowenig wie die von Neckel behauptete Ähnlichkeit mit der Havelockgeschichte (die ich nicht herausfinden kann). Der Roman ist auch keine frühe Einheit, hat keinerlei älteren Kern, sondern stellt sich als junges Gebilde dar. Derselbe S t a r k a d , der Olo dem Kühnen des Leben nahm, gibt soviel Erzählstoff an ihn ab, daß überhaupt erst ein Ololeben entstehen kann! Beginnen wir mit der Weissagung: als ältestes erschienen uns zwei Segnungen, ein Fluch, hier wie dort. Und der Fluch besagt hier: er wird seinen Herrn töten — dort: er wird von seinem treuesten Diener getötet werden. Dem Vikarsbalkr ist Starkad in der Jugend ein Aschenlieger. War das auch Olo ursprünglich ? Saxos Satz könnte so gedeutet w e r d e n . . . juventam damnans, que debitum virtuti tempus inercia dilabi pateretur (S. 250 Ende). Das Räuberabenteuer stellt Olo nicht zu Starkad, aber wenigstens zu dem Skjöldung Fridleif. Völlig aus Starkadmotiven setzt sich dagegen die Esaszene zusammen — so leid es einem tut, sie zu zerpflücken. In geringer Verkleidung in der Halle aufzutauchen, das ist Starkads oft bezeugte Gewohnheit. Er offenbart seine Heldengröße durch den durchdringenden Blick seiner Augen

ENTLEHNUNGEN

A U S DER

STARKADGESCHICHTE.

155

{acerrimus oculorum vigor 200, 29). Ingell und Helga erschrecken vor ihm wie Esa vor dem verhüllten Fremden. Zugleich entlehnt Olos scharfer Blick eine seiner Zauberwirkungen auch einem Gegner Starkads: Von dem Helden Wisinnus heißt es: hic omnem telorum aciem ad hebetudinis häbitum solo conspectu redigere solebat 187, 6, bei Olo: adeo visu efferus erat, ut, quod alii armis, ipse oculis in hostem ageret (250, 32). Das ist nicht dasselbe, aber das eine liegt auf dem Weg zum anderen. Ganz handgreiflich wird die Entlehnung gegen Schluß der Esageschichte, die dem Heidekampf nachgebildet ist: Olo leistet einem Mädchen Beistand gegen verhaßte Werbung; eigentlich sind es ihrer zwei, die Esa bedrängen, aber sie werden, um die Ähnlichkeit mit dem Helgaabenteuer voll zu machen, von zehn Gesellen unterstützt, und der eine Olo hat es, um Starkad noch auszustechen, mit Zwölfen aufzunehmen. Es sind namhafte Kämpfer der isländischen Vorzeitsaga, diese Scati und Hjalli, wenn auch nicht so berühmt wie Angantyr und seine Brüder, die Samseykämpfer. Sehen wir die Dinge so an, dann beginnt unsere Schlußkette zwar mit einem Fragezeichen: wie man dazu kam, Starkad zum unfreiwilligen Helden jener alten Odinsfabel zu machen, läßt sich nicht sagen. Aber die weiteren Handlungszüge fügen sich zusammen, ohne zuviel Rätsel aufzugeben. An Stelle Vikars machte man einen Skjöldungen zum Opfer Starkads; man verfiel auf den kriegerischen Olo, Fridleifs Sohn, von dem man nichts wußte, als daß er ein großer Wiking war und viele Seekönige besiegte. In seine Umgebung paßt also Starkad trefflich. Olos Tod stand zunächst allein fest; auf diesen Tod hin wird ein Lebenslauf zusammengefügt, der gleich seinem Abschluß weithin aus Starkadmotiven gebildet war. Man sieht, die Entwicklung geht in einer Linie. Bei jeder anderen Annahme ergeben sich verwickelte Verhältnisse: Trat Starkad an Stelle eines anderen Mörders des Olo, mußte es vorher eine ausgebildete Olosage geben; die meisten Bausteine dieser Saga hat aber doch der reiche Motivschatz der Starkadschicksale geliefert. Wurde gar der Mord an Vikar dem Mord an Olo nachgebildet, so entstand ein völliges Zickzack des Gebens und Nehmens: erst bauen Starkadmotive eine Olosage, dann ein Olomotiv eine Starkadsage, die aber nur die allgemeinste Ähnlichkeit aufweist. Indessen, die Geschichte der Heldendichtung führt oft seltsame Wege, und so muß auch hier das wenigst Unwahrschein-

156

DER

WIKING.

liehe nicht notwendig das Wahre sein; ein einfacherer und klarerer Weg der Erklärung müßte aber erst gefunden werden. Die engen Berührungen zwischen Oloroman und Starkaddichtung würden nur noch eine andere Erklärung zulassen: die beiden Fabelreihen zogen sich an, weil sie so viele Ähnlichkeiten hatten. Aber sicher ist doch das Verhältnis von Nehmen und Geben das viel Natürlichere. OIo: OIrik 1 3 1 — 1 4 8 , namentlich 134 f.—• Iring: 146 ff.— Herrmann S. 527 s . —• Vikarsbalkr: Ranisch, Die Gautrekssaga: Palästra X I , 1900 S. 12—34, dazu Einleitung S. L X X X I I I ff. E M 5 (dazu S. X X I X ff.). Thüle I» Nr. 25. Olrik S. 1 8 1 — 2 1 2 und 3 1 7 ff. Neckel, Beiträge S. 351 ff. Vorstufe der Saga: Olrik S. 200. Stäbe im Götterthing: Herrmann S. 428 f. Altersverhältnis Olo—Vikar: Olrik S. 1 3 1 , Heusler (bei Hoops) I V S. 277 f., Neckel S. 357, Herrmann S. 4 1 1 . — Olo als Armodr im Nornagest: Olrik DSt 1912, 146. Alewih: Müllenhoff, Nordalbingische Studien I 162. Havelock: Neckel bei Hoops IV 71. Olosage und Fridleifsage: Herrmann S. 529, Olrik S. 291.

3. SONSTIGE ST ARKADFABELN S t a r k a d der W i k i n g . Fünfmal in dem knappen Abschnitt des 6. Buches 184—189 sehen wir das Schema befolgt: Starkad tritt als Kämpfer in den Dienst eines Königs und streitet für ihn und mit ihm in fernen Ländern; meist sind es Kleinkönige, die selbst ein Wikingleben führen. Nur der letzte, Frotho, ist ein seßhafter Großkönig. Der erste ist Vikar; er kämpft nach der Vaterrache gegen Sisar, den Starkad tötet. Dann zieht Starkad mit Bemonus gegen die Russen; die besäen den Boden ihres Landes mit spitzen Nägeln, die Helden aber binden sich Holz unter die Füße und heben das Bergversteck des Fürsten Flokkus aus. Zum Dritten zieht Starkad mit Hako nach Irland gegen König Hugleik, den reichen Geizhals, der von den Schuhen, die er verschenkt, die Riemen für sich behält, und nur für Schauspieler und Gaukler eine offene Hand hat; in der Schlacht reißt dieses leichtfertige Gesindel aus, so daß von Hugleiks Kämpfern nur noch Gegath und Svibdag übrigbleiben, die Hako und Starkad stark zusetzen. Dem Hako legt ein Hieb die Leber bloß, Starkad erhält durch Gegath eine heftige Kopfwunde, von der er später in einem Gedicht bemerkte, es habe ihn nie ein böserer Hieb getroffen. Nach Hugleiks tödlicher Niederlage werden die Possenreißer ausgepeitscht und geplündert. Viertens kämpft

STARKADS

GEGNER.

157

Starkad gemeinsam mit dem Slavenfürsten Winus gegen die Kuren, Samländer und Sangallen; den berühmten Kämpfer Wisinnus, dessen Blick jede Waffe stumpf macht, besiegt er, indem er über sein Schwert eine dünne Haut zieht. In Byzanz überwindet er den Riesen Tanna, in Polen einen Kämpen, den die Dänen Waske nennen, die Deutschen Wilzke. Endlich tritt er im Zweikampf mit dem sächsischen Krieger Hama an Stelle Frothos, wie wir schon wissen. Zu fast allen diesen Namen und Taten finden sich anderwärts Parallelen, die aber noch knapper zu sein pflegen. Der einzige Bericht aus der Reihe, der etwas Farbe gewinnt, wiederholt sich in Kapitel 22 der Ynglingasaga: der Krieg gegen Hugleik, Svipdag und Geigad. Daseinsberechtigung erhält das Ereignis innerhalb der schwedischen Urgeschichte nur dadurch, daß Hugleik als König von Schweden erscheint und der Feldzug nicht nach Dublin geht, sondern nach Uppsala. Die Hauptzüge stimmen, aber Snorris Bericht ist so abgeblaßt, daß er nicht einmal auf die Wunde zu sprechen kommt; er weiß nur, daß Starkad der Alte am Kampf beteiligt ist und daß Geigad und Svipdag sechsfacher Übermacht erliegen. Starkads Todeslied spricht von dem Feldzug gegen Dublin, nennt aber nicht den Namen des besiegten Königs. Außerdem weiß es von den Gegnern Hama, Vaze und Wisinn, dem Genossen Winus. Hako kennen wir schon aus dem Ingellied, wo auch die Nüchternheit dieser Wikingschar und Starkads Haß gegen Gaukler unterstrichen ist wie hier. Die Liste der Bravallakämpfer nennt neben Starkad Hako, Hama und Bemonus. Auf unseren Zusammenhang beschränkt bleiben also nur Tanna und Flokkus. Aber auch durch mehrfache Bezeugung fällt auf kaum einen dieser Namen Licht. Der geizige Spielmannsfreund Hugleik wird in Uppsala um nichts begreiflicher. Seine Gefolgsleute Geigad und Svipdag als Entlehnungen aus der Hrolfsage zu bezeichnen, ist falsch; auch dort erschienen sie uns als Eindringlinge, und was von ihnen erzählt wird, setzt Kenntnis des Starkadkampfes voraus (s. S. 71 f.). Bei soviel Unklarheit ist auch die Behauptung Olriks gewagt, Geigad sei einfach aus dem Beigad des Ingelliedes gebildet. Vergessen wir aber nicht, daß gerade Olrik der Frage nach der Herkunft all dieser scheinbar krausen und nichtssagenden Namen eines der scharfsinnigsten Kapitel seiner Untersuchung gewidmet hat.

I58

ALTER RÜCKBUCKSMONOLOG ?

Er stellt zunächst fest, daß der Schauplatz von Starkads Taten hauptsächlich im Osten liegt; auch der Venersee des Sisarkampfs hat vielleicht eine östlichere Gegend verdrängt. (Wie kommt der Fürst von Kiew dahin?) Die Kriegszüge, an denen er teilnimmt, fallen in die Ostseeländer, und die Zweikämpfe führen in ferne Gegenden. — Die einzelnen Helden, die er bezwingt, sind z. T. einfach Vertreter ihrer Länder: Haina der Hämer oder Tavaster aus der Gegend von Nowgorod; Vazi der Vadjer in Ingermanland, Vizinn der Wizzi Adams von Bremen am Ladogasee; Starkad bekämpft also die Völker des Ostens, mit denen es die Nordleute zu tun hatten. Winus soll den alten Namen der Düna tragen und ihre Personifikation sein; noch fraglicher sind die Zusammenhänge des byzantinischen Tanna mit dem Don. Der Name Beimuni weist auch nach Osten, er ist nach neuerer Ermittlung aus dem Finnischen abzuleiten. Alles das ist aber recht künstlich und blutlos. Wenn man daher diesen Teil von Olriks Beweisführung anerkennt, so muß man den folgenden sinnvollerweise ablehnen: das ostnordische Lied grauen Alters (Mitte 9. Jahrhunderts!), das gleichzeitig mit dem Eindringen der Nordleute in Rußland Starkads Kriege gegen dessen Völker besungen haben soll, ist in jedem Betracht eine Unmöglichkeit. Und auf gleich schwachen Füßen stehen andere Datierungen. Zwei nur scheinen besser begründet: die Eroberung Dublins 1094 und das Eindringen des deutschen Joculatortypus in Dänemark um 1150. Vor jenem Zeitpunkt, meint Olrik, kann der Dublinzug nicht erfunden sein, vor diesem nicht der Hugleikkampf, in dem die Spielleute so schlecht fahren. Beiden zeitlichen Stützpunkten entnehmen wir nur die Mahnimg, diese Dinge nicht zu weit hinaufzurücken. Über die Lebensform der aufgereihten Starkadtaten hat sich Olrik sehr genaue Rechenschaft zu geben versucht. Jenes erste Gedicht ist ihm ein monologisches Rückblickslied, von dem zwei weitere abstammten: Starkads Todeslied in Saxos 8. Buch und ein anderes Lied, dessen Spuren im 6. Buch vorliegen sollen, eben in jener knappen Aufzeichnung von Starkads Taten vor Frothos Ermordung. Wir erinnern uns der Berufung auf ein Lied in diesem Zusammenhang (Verwundung durch Geigad). Es ist von Olrik und Heusler gefordert und von diesem dann sorgfältig wiedererbaut worden. Olrik nennt es das Jugendlied, und es ist ihm eine späte Schöpfung, sicher 50 Jahre jünger

JUGENDLIED ?

159

als sein Nebenbuhler, Starkads Todeslied, das ja auch eine ausgiebige Rückschau enthält und sich darin mannigfach mit dem Jugendlied berührt. Der Vikarsbalkr ist ebenfalls von der Familie und ungefähr gleichaltrig, auch er also monologisches Rückblicksgedicht. Abhängig sind alle diese Gedichte, zumal das Jugendlied, vom Ingellied, das ja auch einen großen Rückblick bringt und Hakis gedenkt. Wir eignen uns von Olriks Schlußkette nur die Annahme an: Es gab ein älteres, rückschauendes Starkadlied, das auf die Gedichte des 12. Jahrhunderts einwirkte; wir setzen es freilich früher als Olrik das Todeslied. Die Annahme eines »Jugendliedes« wird sich nur rechtfertigen, wenn es dem Todeslied gegenüber bedeutende stoffliche Eigenwerte aufweist. Die Überschneidung mit dem Vikarlied ist auf alle Fälle mißlich; es müßten etwa gleichzeitig und in gleicher Form zwei Rückblickselegien Starkads gedichtet worden sein, die sich stofflich eine ganze Strecke deckten. Sicher hat Saxo die vorhin herangezogenen Heldenkataloge nicht selbst zusammengestellt; aber die große Rückschau auf Starkads Jugendtaten stellt uns ja nicht nur die Wahl: Saxo oder Lied? — sondern sie kann in einer Prosadarstellung, die Saxo vorlag, zuerst aufgebaut worden sein. Und deshalb ist es voreilig, aus der Bemerkung über ein Starkadlied, in dem eine Einzelheit aus unserer Umgebung gestanden hat, zu schließen, all das habe einstmals Liedform gehabt. S t a r k a d s Tod. Das Verhältnis von Vers und Prosa in Saxos Starkaderzählung hat uns schon vor manche Schwierigkeit gestellt. Hier ist die Sache ganz besonders merkwürdig, und trotz vieler entstehungsgeschichtlicher Erörterungen ist das Rätsel, das diese Abschnitte aufgeben, noch nicht befriedigend gelöst. Wir folgen zunächst Saxos Bericht (268, 19ff.). Starkad ist alt und lebensmüde geworden; das Greisenalter hat seine K r a f t gebrochen.

E r wünscht aber einen edleren Tod als durch Siechtum

und Alter, und zieht deshalb blind und schwach aus, um sich einen Mörder zu kaufen; das Sündengeld, das ihm Olos Ermordung eingebracht, trägt er um den Hals in einem Beutel. zwei Stäbe stützt er sich.

Zwei Schwerter hat er umgegürtet, auf

Zuerst begegnet ihm ein gewöhnlicher Mann

(popularius quidam), der meint, an den zwei Schwertern habe er zuviel, er solle ihm das eine schenken.

Starkad lockt ihn zu sich und tötet ihn.

Hatherus, dessen Vater Lenno Starkad aus Reue über den Mord an Olo erschlagen hat, kommt gerade auf der Jagd vorüber und sieht den Alten. Zwei seiner Leute, die ihm einen Schabernack spielen wollen, schlägt dieser

i6o

STARKABS

TOD.

mit seinen Stöcken t o t . Da erkennt ihn Hather und fragt, ob er nicht seine Schwerter gegen einen Wagen umtauschen wolle. Starkad beklagt, daß er den Jüngling, der ihn verspotte, nicht sehen, geschweige denn töten könne. Und er gibt seinem Unwillen die Form des Liedes. Zuerst lange Altersklage: der Leib ist dahingewelkt, das Auge erloschen, nirgends hilft ihm mehr einer. Nur auf seinen Freund Hather setzt er noch Hoffnung, dessen Treue ebenso bewährt ist wie seine Kriegstüchtigkeit. Er, Starkad, h a t sein ganzes Leben im Dienst des Kriegsgottes geführt, stets in Waffen gewacht, ist im Blute dahingewatet, von Kampf zu Kampf geschritten. Das wird ebenso breit dargestellt wie vorher die Beschwerden des Alters. Darauf nimmt Hather das Wort und nennt ihn Danicae vates promptissimus Musae. Auch er stellt fest, wie ihn das Alter verunstaltet und geschwächt h a t ; er kann keine Bälle mehr schlagen und keinen Nußkern mehr beißen. Es wäre besser für ihn, das Schwert zu verkaufen und sich ein Wägelchen mit einem frommen Pferd dafür anzuschaffen. Wenn er sich von dem Schwert nicht trennen kann, dann wird man es ihm nehmen und ihn damit töten. Wie das gemeint ist, zeigt erst die Antwort: »Du Schurke forderst f ü r deine Führung Belohnung, die doch anständigerweise umsonst zu leisten war!« Und nun ergießt sich eine Flut von Schmähungen über den Unwürdigen, der Starkad frech gelästert h a t und seinen alten R u h m herabdrückt. E r wolle das Schwert haben ? Das passe nicht in die Hände eines Ochsentreibers (bubulcus), der auf dem Rohr sein Lied pfeift, sich abends an den Fettopf heranmacht und sich den Küchendünsten widmet, ein Sklave des Bauchs, der sich bequem auf dem Mantel neben dem Herd ausstreckt. E r h ä t t e wohl nicht versucht, ihm das Schwert zu nehmen, als er mit steter Lebensgefahr dem Sohn des Olo diente, als er mit Holzsohlen die Eisenspitzen Kurlands b e t r a t ; als er Hama erschlug und Rinus, den Sohn des Flebex, als er mit den Sangallen kämpfte und sich von den telemarkischen Schmieden einen blutigen Kopf holte. Als er die Söhne Svertings beim Schmause erlegte, f ü r das teure Mädchen sieben mächtige Brüder im Kampf tötete, wo noch jetzt das Gras dorrt, von seinen Gedärmen versengt. Darauf bekämpfte er den Wiking Kerr und Waze. Dem frechen Schmied gab er einen Hieb in den Arsch, machte die Waffen des Wisinnus stumpf und erlegte ihn, besiegte die vier Söhne des Ler in Bjarmland; er fing den König von Irland und f ü h r t e seine Schätze aus Dublin weg, am meisten Ruhm aber erwarb er sich in der Bravallaschlacht. Aber es ist unmöglich, seine tapferen Taten zu erschöpfen, das Gerücht bleibt sicher hinter ihnen zurück. Endlich erfährt Starkad, so fährt die Prosa fort, daß er es mit Hather, dem Sohn des Lenno, zu t u n hat. E r bietet ihm den Nacken z u m Todesstreich und verspricht ihm das Gold, das er von Lenno bekommen hat. In knappen Versen fleht er ihn nochmals a n : er hat ihm den Vater erschlagen; er kennt nichts Schöneres als von der Hand eines Edlen zu fallen; Hather gehorcht nur dem Willen der Natur, wenn er den alten Baum

161

U N S T I M M I G K E ITEN .

fällt. Endlich (wieder Prosa) gibt Hather nach, und Starkad rät ihm noch, er solle, bevor seine Leiche umfalle, schnell zwischen Kopf und Rumpf hindurch springen, dann werde er gegen Waffen gefeit sein. schlagene Kopf des Alten beißt noch in eine Erdscholle.

Der abge-

Hather wagt aber

nicht, dem R a t zu folgen, er wittert eine Tücke und meint, Starkad wolle ihn mit seinem Körpergewicht erdrücken. auf der Heide Roljung

Der Mörder läßt die Leiche

beisetzen.

Dieser Bericht ist voller Unstimmigkeiten.

Man sollte sie

einmal zunächst innerhalb der Verspartien aufsuchen und nicht nur immer feststellen, daß Vers und Prosa schlecht zusammenstimmen.

Vor allem ist eines klar: die Überschrift

»Contra

Hatherus hu jus modi Carmen habuitv. (270, 37) ist ein Irrtum Saxos.

Der Sprecher k a n n nicht Hather sein, der

treue Freund.

erwartete

Auch die übliche Wendung der Starkadgeschichte

wollte man hier zu Unrecht finden: der Alte wird von seinem (wie Ingell von der Jagd heimkehrenden) Freund nicht gleich erkannt.

Der diese Rede beginnt, k e n n t Starkad, der sich ja

auch dann gar nicht zu erkennen geben muß; die Anrede an ihn; »oberster Dichter der Dänen« ist deutlich genug. den Namen- Hather, bubulcus,

so entsteht

die einfache

Streichen wir Situation:

ein

der den Alten kennt, höhnt ihn erst wegen seiner K r a f t -

losigkeit, hilft ihm ein Stück weiter und fordert das Schwert zum Dank.

Mit anderen Worten, die Szene ist eine sehr breite

Ausführung dessen, was die Prosa knapp andeutet: ein

popularius,

der das Schwert haben will, empfängt seinen Lohn; und nur deshalb kam

Saxo auf die törichte Vorstellung, hier spreche

Hather, weil diesem in der Prosa die höhnische Aufforderung in den Mund gelegt ist, Starkad solle sich einen Wagen kaufen. Darauf

also jene Flut

von

Schmähungen,

die dem gemeinen

Menschen (auf dem B a u e r liegt kein Nachdruck) in den Augen des aristokratisch gesinnten alten Helden zukommt; die Uberleitung: »das hättest du nicht gewagt als . . .« ist bekannt,



und an sie schließt sich eine recht bunte Aufzählung von Taten, offenbar ohne chronologische Ordnung; Starkad ist hier selbst Mörder der Svertingsöhne, und auch des elenden Goldschmieds wird im Vorübergehen gedacht. — Endlich, so legt es sich nun Saxo zurecht, löst sich das Mißverständnis, der vermeinte

bubulcus

ist Hatherus, den der Blinde nicht erkannt hat, und der Raum ist frei für die Todesszene. In Wahrheit stehen sich Prosa und Lied also nicht so fern. Schneider,

Heldensage II, I.

UNSTIMMIGKEITEN.

Bis zum Auftreten des Hatherus kommt es im Lied gar nicht; vermutlich mußte der Bauer erst den Tod finden. Die Prosa aber ist in sich geschlossen und fährt nach der langatmigen Einlage ganz folgerichtig fort. Gehörten die folgenden Zeilen noch zu dem Lied, dann müßte ein mächtiges Stück aus ihm verloren oder von Saxo übergangen sein. Wir haben uns damit schon zur Ansicht Olriks bekannt: die Prosa ist hier ursprünglicher als die Verse und dichterisch mehr wert, wenigstens soweit beide demselben Thema gelten. Das ergibt sich auch aus einem Vergleich der Verse mit anderen Starkaddichtungen. Vieles mutet äußerst bekannt an. Starkad ist gealtert, häßlich, ein Gegenstand des Hohns für gemeines Volk; die Begegnung mit dem Bauern erinnert genau an das Nachspiel zum Roijungkampf, die Farben für die Schilderung des popularius stammen aus Schmiedelied und Ingellied; aus jenem die Verachtung des niedrigen Kerls überhaupt und die Schilderung der Faulheit, mit der er sich hinstreckt; aus diesem »der Sklave des Bauchs« samt allen genießerischen Einzelheiten. Ist solch ein Massenborg schon ein Armutszeugnis, so wäre ganz unerträglich, wenn Starkad wirklich — wie Saxo meint — gar keinen solchen Kerl vor sich hätte, sondern sich ihn nur ausmalte; dann wäre sein Haß gegen Weichlinge, Fresser und schlechte Musikanten — auch auf sie fällt ein Hieb — völlig zur kindischen Monomanie geworden. Halten wir für die Zeitbestimmung fest: dieser Poet kannte alles, selbst die jüngste Starkaddichtung (Goldschmied) und ausgesprochen auch die Prosadarstellung der Roijungheide. Der Übergang zur rückschauenden Betrachtung seines Lebens: »Wärest du damals dabei gewesen als —!« ist ganz ähnlich wie im Vikarsbalkr. Die Reihe der Taten nun bietet größtenteils Bekanntes; und auch sie schöpft aus der Prosa der Roijunggeschichte und kennt den Goldschmied. Sie ist also gleiche Schicht mit den übrigen Versen; jüngste Starkaddichtung. Sollte dennoch in diesem Teil ein älterer Kern stecken, so ist er gründlich überarbeitet und ähnelt in seiner Abhängigkeit von Prosaerzählungen dem Goldschmiedslied; nur daß das Ganze noch jünger ist. Den Ehrentitel: »Starkads Todeslied« verdient diese junge Zusammenstellung nicht. Mit keinem Wort ist in ihr von Starkads Tod die Rede. So eifrig diese Verse mit alten Bausteinen der Starkad-

VERLUSTE ?

dichtung arbeiten, so vereinzelt stehen sie unter ihresgleichen: alle andere erhaltene Starkaddichtung ist monologisch; hier haben wir ein Dialoggedicht. Ist es nicht vollständig, so müßten noch weitere Reden Hathers kommen und hinterher ein Bericht; denn es ist unvorstellbar, daß die Ereignisse bei Starkads Tod in einen Monolog Hathers gekleidet waren. Es widerstrebt einem überhaupt, anzunehmen, daß sie je Versform hatten. Wenn aber nicht, wo und womit schloß dann das Lied? Es ist leicht, die Lücken aus der Phantasie zu ergänzen, wie das Neckel tut; schwerer, nachzuweisen, daß Saxos höchst zusammenhanglose Zeilen Bruchstücke eines altehrwürdigen, hochstehenden Gedichtes sind. Wozu einen großen Verlust annehmen ? Die Prosa, die nach dem Rückblick einsetzte, ist für uns die Darstellung von Starkads Tod; eine poetische Konkurrenzfassung, ob jünger oder älter, hat es nie gegeben. Die Prosa mag aber Lausavisur enthalten haben, und es müssen zwei prächtige Strophen gewesen sein, in denen der greise Held so stürmisch seinen Tod verlangte (Saxo 273, 16 ff.). Das Lied, das Saxo mitteilt, baute entweder auf Lausavisur auf, oder war nur eine selbständige nachträgliche Versifizierung der Prosa, die verblüffend den Stil des Goldschmiedsliedes traf. Die Annahme, daß aus der älteren Prosa junge Verse flössen, haben wir früher einmal gemacht und finden sie grundsätzlich von Heusler und Olrik geteilt. Aber das wollen wir, wie gesagt, nicht glauben, daß Saxos Versreihe ganz der älteren Grundlage entbehrt: sie lenkt vielmehr mit dem wohl kenntlichen Übergang hinüber zu der Rückblickselegie; diese halten wir nicht für neu ersonnen, sondern nur für überarbeitet und aufgeputzt. Man sieht also: Wir sind weit davon entfernt, »Starkads Sterbelied« zu besitzen; wir dürfen nur aus unserem Stück die Vermutung herleiten, daß es eines gegeben hat. Sicher entwuchs es ganz anderen Voraussetzungen: der Alte war nicht auf der Suche nach einem Mörder, sondern er sah den Tod herannahen, hatte die Todeswunde schon empfangen — wie das bei anderen Sterbeliedern Voraussetzung ist. Jetzt, wo wir plötzlich für das Dasein einer Rückblickselegie des sterbenden Starkad kämpfen müssen, schrumpfen die Aussichten des »Jugendliedes« sehr zusammen. Man wird zugeben: 11*

STARKADS

TODESLIED.

die Wahrscheinlichkeit, daß es ein Sterbelied gegeben hat, ist ungleich größer als die, daß ein anderer bälkr von Jugendtaten mit dem Vikargedicht in die Schranken trat. Die Helden aber, die Olrik für das Jugendlied beanspruchte, sind im wesentlichen dieselben, die im Sterbelied vor der Erweiterung bereits ihren Platz hatten: Hama, Vaze, Winus und der Dublinkampf, auf den nicht näher eingegangen wird. Gewiß, unser Lied hat seine Kerrus und Ler und den rätselhaften »Sohn Olos«; das Jugendlied müßte Flokkus und Tanna genannt haben. Hugleik und seine Kämpen fehlen dem Sterbelied offensichtlich deshalb, weil die Kopfwunde jetzt von den Hämmern telemarkischer Schmiede gehauen wird — die niemand für älter halten wird als Geigad und Svipdag. Ich glaube an ein altes, von jeglichem Dialog und jungem Beiwerk freies Todeslied Starkads, eine Rückblickselegie des Sterbenden auf sein Leben. Vikar und Ingell mögen nicht gefehlt haben; ob Olo eine Stelle hatte, ist fraglich. Von seinem Gold, das nicht einmal der Nachdichter heranzieht, war sicher noch keine Rede; wie überhaupt die Voraussetzungen dieses Sterbens ganz andere gewesen sein müssen als jetzt. Ich setze dieses Gedicht dem alten Starkadmonolog gleich, der nach Olrik dem Saxoschen vermeinten Sterbelied vorausliegen muß. Für ein »Jugendlied« ist nach alledem weder Raum noch Stoff. .Starkads Tod' hat mit der ganzen Sterbeliedfrage nichts zu tun. Ihn hat, wie gesagt, zuerst und ausschließlich der Prosadichter geformt. Man darf in die einfache packende Erzählung nicht zuviel hineindeuteln. Keinenfalls liegt hier die von manchen heißgesuchte dritte Neidingstat vor: es ist in Wahrheit nicht Starkads Absicht, zum Mörder seines Mörders zu werden. — Über Hatherus hat man sich den Kopf zerbrochen und Neckel bemüht das stattliche Aufgebot von Hödr, Haedcyn und Hadubrand, die alle irgendwie in der rätselhaften, aber doch sichtlich jungen und unheldischen Gestalt stecken sollen. Dieser Jüngling muß bestochen werden, daß er Vaterrache übe. So jemand hat keine heldische Vergangenheit! A m Ende von Starkads Lebenslauf läßt der Dichter die riesenhafte Abstammung des Helden noch einmal hervortreten; es ist Riesen- und Trollenart, den schwächeren, aber siegreichen Gegner ins Verderben zu bringen, indem man sich, vielleicht schon sterbend, auf ihn fallen läßt. Und auch das abgeschlagene,

UNGEFORMTE

ÜBERLIEFERUNG.

165

aber noch lebende und ingrimmige Haupt mutet riesisch an. Der Zug ist nicht von dem Prosaiker erfunden, denn er paßt ganz schlecht in den Zusammenhang. Der kraftlose Alte, der soviel Geld aufwenden muß, um zu einem leidlich geziemenden Tod zu kommen, beißt nicht in die Erde: das tut der rasende Krieger, den man endlich zur Strecke gebracht hat, und der auch getötet noch nicht vom Kämpfen lassen kann. So kam der Zug dem Dichter zu. Schon das zweite Helgilied weiß, daß »König« Starkad in der Schlacht das Haupt verlor und daß der Rumpf fortkämpfte; das muß also auch umgekehrt erzählt worden sein; aber das Haupt, das ins Gras beißt, hat mehr anschauliche Kraft als der gespenstisch zuschlagende kopflose Rumpf. Gerade der sterbende und tote Starkad tritt ganz zum Riesentypus über in der schonischen Volkssage. Ungeformte Überlieferungen. Zunächst verblüffen diese durch ihre Verwandtschaft mit der literarischen Quelle. Das Jahrbuch des Klosters Ryd scheint sogar eine ausführlichere Sagengestalt als Saxo zu kennen: Starkad sucht den Hödr, dessen Vater er getötet hat, mit Gold als Mörder zu gewinnen, und dieser schlägt ihm mit Starkads eigenem Schwert Skuld das Haupt ab. Aber als er mit dem Schwert umgürtet über die Boillyng-Brücke ging, sprang es aus der Scheide und liegt seitdem auf dem Grund des Wassers. Man möchte meinen, der Schwertroman, den das Todeslied anspinnt, finde hier seinen organischen Abschluß. Aber es ist doch wohl nur ein Wandermotiv, das sich an Helden verschiedener Zeiten und Völker anhängt und so als Zugabe in den Bericht gekommen ist, der im übrigen Saxo ausschreibt. Den Flußnamen bringt Olrik mit der Roijungheide in Zusammenhang, die er in Schonen sucht, und die eine typische Starkadstätte gewesen sein muß. Es scheint da einen Starkadhügel gegeben zu haben, der bald als Starkads Kampfstätte, bald als sein Grab galt, und mit oder ohne Namensbezeichnung auf Starkad gingen in Schonen noch allerhand Geschichten vom letzten Riesen um. Sein riesiger Zahn, den Sigurd, der Fafnirtöter, ihm ausschlug, sollte in Lund in der Domkirche hängen, ja gar nach Deutschland gewandert sein. Wichtig ist bei alledem für die Heldensagenforschung nur die Frage nach dem Verhältnis dieser Ortsüberlieferung zu den literarischen Formungen der Sage. Man kann sich nicht ohne weiteres dabei beruhigen, daß das Erzählmaterial aus Saxo

L66

STARKAD

IN

DÄNISCHER

ORTSÜBERLIEFERUNG.

nach Schonen übernommen ist. Denn Saxo kennt ja an zwei Stellen die Lokalisierung in Roljung; es ist eine Erleichterung, es mit Olrik nach Schonen zu verlegen; denn lag es wo anders, so gälte es, die Bodenständigkeit der Starkadüberlieferung hier wie dort zu erklären. Jedenfalls fand Saxo die Beziehungen zu Roljung vor und hat sie nicht erfunden. Ist es in seiner nächsten Nähe zu denken, etwa in Seeland, dann konnte mündliche Ortsüberlieferung im Spiele sein, aus der er seine prosaisch geformten (und also isländischen) Quellen ergänzte. Schonen könnte ja auch noch in Hörweite gelegen haben. Andrerseits ist es denkbar, daß mit dem ehemals dänischen Starkadstoff der Name Roljung zu den Isländern und auf dem Umweg über Saxo wieder in seine Heimat Schonen zurückgekehrt ist. Auf alle Fälle ist zu ermitteln, was Starkad mit und auf Roljung zu tun hatte, d. h. welche seiner Taten da ehemals beheimatet waren, sei es noch zu Saxos Zeiten oder vor der Wanderung des Stoffes nach »Thyle«. War der Heidekampf (der einer dänischen Prinzessin geilt) oder Starkads Tod dänische Überlieferung? Beides ist an sich möglich. So gut wir für das dänische Inselreich ortsgebundene Erinnerungen von der Skjöldungensippe annehmen, so gut kann auch Starkads Name in Verbindung mit einer örtlichkeit und einer sehr einfachen Handlung fortgelebt haben. Hier in Roljung schlug Starkad die Neune und erhielt eine furchtbare Wunde, oder hier starb er durch einen Schwerthieb, den er selbst bestellt hatte, und wurde begraben; das genügt als Gegenstand der Ortssage völlig. Sicher muß dann aber dieses knappe Handlungsschema zum Erzählmaterial des Isländers gehört haben, und ob der Name erst durch Saxo wieder hinzugekommen oder sich von je gehalten hatte, bleibt unerheblich. Beide Erzähltypen wären ätiologischen Charakters und Starkad stünde in ihnen für den berühmten Vorzeithelden überhaupt. Die Verriesung, die in der schonischen Ortssage um sich greift, wäre dann jüngere Erfindung. Aber der Riese Starkad ist an sich ja nicht so jung. Nur daß er offenbar nicht in Dänemark, sondern in Norwegen zu Hause ist. Da weiß schon um iooo der Skald Vetrlidi von dem Gotte J>or zu rühmen, daß er den Starkad zur Erde stürzte. Die sonstigen Erzählungen von Starkads Riesennatur finden sich in isländischer Prosa, wo auch der Beiname Aludrengr auf-

DER

RIESE.

167

tritt. Die Hervararsaga weiß, wie schon der Vikarsbalkr, von Starkad als achtarmigem Riesen, dem J)or die Überzahl der Arme ausriß. Saxo hat ja diese Tradition auch gekannt und schiebt sie verächtlich zur Seite. Hier würde noch nichts auf Norwegen weisen, wenn nicht der Beiname Aludreng eine Erklärung verlangte. Olrik sieht darin einen allgemeinen Ausdruck für Wassertroll; aber die schon im 17. Jahrhundert, nicht erst von modernen Forschern, behauptete Beziehung zu den Ulefossär, mächtigen Wasserfällen in Norwegen, ist doch nicht von der Hand zu weisen. Zumal diese Fälle in Telemarken liegen und, wie wir wissen, das Todeslied so merkwürdige Verbindungsfäden nach diesem Landstrich zieht: von den Schmieden Telemarks hat Starkad seine böseste Wunde empfangen. Hier spricht nicht nur der Lokalpatriotismus eines telemarkischen Dichters, es müssen Beziehungen Starkads zu dieser Landschaft bestanden haben, die jetzt verdunkelt sind. Darin mag Olrik recht haben: Man kam auf das Ausreißen der Arme, weil man sich Starkad zwar als grimmen Vorzeitrecken, aber doch als Menschen dachte. Der Vikarsbalkr spielt ja wirksam mit der Vorstellung. Anderswo, so in der Prosa der Gautrekssaga, hilft man sich, indem man zwei Starkade scheidet: Großvater und Enkel. Und das Zwischenglied bildet die schon Saxo bekannte durchsichtige Erfindimg eines Storverk. Scheinbar ist es also etwas ganz junges, diese Zweiheit des Menschen und des Riesen Starkad. Aber um 1000 konnte die Verriesung noch nicht so gänzlich vollbracht sein, und so besteht alle Wahrscheinlichkeit, daß jener Starkad, den por bezwang, von Hause aus wirklich ein ganz anderer gewesen ist als der, dessen Schicksale wir hier verfolgt haben. Neben dem Riesen Starkad tritt vor allem der K ä m p f e r , genauer der Schlachtenheld, in ungeformtem zerstreutem Sagenmaterial eindrucksvoll hervor. Eine große Schlacht erhält ihre Bedeutung dadurch, daß man Starkad mitkämpfen läßt. Am nachdrücklichsten zeigt sich das in den zwei Berichten von der Bravallaschlacht, im Sögubrot noch mehr als bei Saxo. Es war eine Hyperbel des Kampfberichts: Starkad hat mitgestritten. Das steigerte sich, und noch mehr Ruhm brachte es einem Helden, wenn man von ihm sagen konnte: Starkad ist vor ihm geflohen oder gar gefallen. So heißt es schon im 2. Helgilied, bei Saxos Otherus (227, 37f.) und spät noch bei Sigurd, dem Fafnirtöter (NornagestJ)attr). Eine wirkliche Rolle hat Starkad in all diesen

GESCHICHTE

DER

STARKADDICHTUNG.

Fabeln nicht, sie beweisen nur, daß er zum Typus oder vielmehr zum Prototyp des übermächtigen Vorzeitkämpfers geworden ist. Starkads Wikingzüge: Olrik 88—130 (Geigath 118,

Repräsentanten

der Länder S. 96ff.). Waza = Wilze: v. Kralik, Überlieferung der Thidrekssaga 1931

S. 2of.

Beimuni: Nordenstreng,

Namn og Bygd

1923,

25S.

Jugendlied: Olrik 88f., 220. E M S. X X X I f. Herrmann 43öS. — Starkads T o d : Olrik 1 4 9 — 1 7 7 , Herrmann 557ff. Olrik S. 151.

Goldschmiedlied zugesetzt?

Prosa den Versen vorzuziehen: Heusler A f d Ä 35, 181.

Neckel,

i>ie Überlieferungen vom Gotte Balder 1920 S. 234ff. ebenda: »die jüngeren Gedichte haben doch wohl ah die mündliche Prosa angerankt«. — geschlagener

Kopf, kämpfender R u m p f : Dehmer,

Primitives

Ab-

Erzählgut

in den Islandingersögur 1927 S. 4 4 I und 131. — Schonische Überlieferung: Olrik iöofi. Starkad der Riese 1 6 5 — 1 7 7 . Herrmann S. 4 2 5 I — Aludrengr: Olrik 180 A. S. 12.

Herrmann 422.

Bugge, Norsk Sagafortaelling i Island 1908

Bravallaschlacht s. S. 189 ff.

4. S T A R K A D D I C H T U N G UND S T A R K A D G E S T A L T G e s c h i c h t e der S t a r k a d d i c h t u n g . Sie scheint mit weniger Unbekannten zu arbeiten, als wir gewöhnt sind. Das liegt an dem Reichtum der liedhaften Uberlieferung. Freilich weist diese Fülle auf Jugend. Aber mit dem Ingellied durften wir bis ins 10. Jahrhundert zurückgehen, die Zahl der noch nachfolgenden Lieder ist uns leidlich klar (wir nehmen eines weniger an als Olrik), und ihr Verhältnis ergibt sich auch leicht. Hier bereiten uns also nicht wie sonst die Lieder Schwierigkeiten, sondern die Prosa. Es erhebt sich die Frage nach Umfang und Beschaffenheit von Saxos nicht poetischen Quellen. Weitere Probleme ergeben sich dann jenseits des zeitlichen und stofflichen Umkreises des Ingelliedes. Ich nehme die Lösung der ersten Frage gleich vorweg: Es hat eine große, zusammenhängende, und wohlaufgebaute Starkadsaga bestanden, und Saxo gibt sie im ganzen genau wieder. Die Beweisführung hat natürlich zu beginnen mit dem Heidekampf, denn bei ihm allein herrscht Einigkeit darüber, daß er nie in poetischer Form vorhanden war (Heuslers »dänisches Spielmannsepos« ist Augenblickseinfall). Er ist die Schöpfung eines bedeutenden Prosaikers, der seine Eigenart am besten in jener seltsamen Szenenfolge zeigt, die dem Kampf angefügt ist: die Vertreter verschiedener Stände gehen an Starkad vorbei. An Art und Gesichtskreis dieses Verfassers fühlt man sich aufs

R O M A N VON O L O U N D

STARKAD.

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stärkste gemahnt in der Einleitung zum Todeslied: der freche •popularius ist genau so gesehen. Die Frage kann offen bleiben, ob der Heidekampf einmal ein Sonderdasein als Prosaerzählung geführt hat; jedenfalls hat der erste Verfasser einer Starkadsaga in dem Vorspiel zum Schlußakt ganz deutlich und bewußt an sie angeknüpft. Ein festes Band hält aber auch den Oloteil der Dichtung mit dem Schluß zusammen: Das Gold, das der Mörder bezahlen soll, ist der Blutpreis für den ermordeten Herrn. Eine ausgezeichnete Erfindung, die dem Aufbauvermögen des Sagamannes alle Ehre macht. Daß der Zug »alt« sei, d. h. in einer Einzelfabel von Starkads Tod gestanden habe, wird von allen Anhängern der Liedtheorie behauptet; aber gerade das Lied kennt ihn nicht. Heidekampf, Olos Tod, Starkads Tod sind also für ein und dasselbe Prosawerk gesichert. Olos Tod bedingte doch wohl auch Olos Lebenslauf. Aber da erhebt sich nun die eine Schwierigkeit: der Oloroman arbeitet weithin mit Starkadzügen. Innerhalb eines Starkadromans möchte ein solches Ausschreiben seiner selbst seltsam erscheinen; nimmt man aber gesonderte Entstehung der Ologeschichte an, so wäre zu fragen, wo denn der Verfasser diese Starkadzüge alle zusammen vorfand, wenn nicht in einem fortlaufenden Starkadroman? Aus der Starkadsaga wäre also eine Olosaga erwachsen, die nun aber natürlich Starkads Mordtat auch erzählte. Bei Saxo erst hätten sich beide Geschichten gefunden, und Olos Tod hätte ihm in zwei Fassungen vorgelegen. Dazu würde unsere frühere Beobachtung einer Motivkreuzung wohl stimmen; aus dem Oloroman wäre das verhüllte Antlitz gekommen, aus dem Starkadroman der Nackenhieb. Aber dazu stimmt wieder nicht, daß die spätere Überlieferung (Arngrim) gerade das Augenmotiv kannte. Am Ende gab es also doch nur einen großen Roman, der von Olo und Starkad handelte. Einfacher scheint uns die Frage nach der Herkunft und Tatenreihe des Wikings. Wir haben uns schon dafür entschieden, daß dieser Abschnitt der Jugendtaten bei Saxo keine unmittelbare Liedquelle zu haben braucht, und nicht er es war, der sie in Prosa faßte. Also brachte schon die Saga die flüchtige Aufzählung der Jugendabenteuer, die ihr natürlich aus der Rückblickselegie zugeflossen waren; sie kannte vor allem die Vikargeschichte samt Vorspiel und kannte, da sie im Skjöldungenkreis zu Hause war, die niederdeutschen Abenteuer Frodis.

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STARKADARSAGA.

Der Bau des Romans war offenbar ausgezeichnet. Die drei Neidingstaten, die J>or verhängt, gaben ja sichtlich n i c h t die Einteilung ab; keiner Künstelei ist es gelungen, einer dritten auf die Spur zu kommen, und fehlen wird aus der Mitte heraus schwerlich etwas. Dagegen stehen, in trefflicher Symmetrie, die zwei Neidingstaten, von denen wir allein wissen, am Anfang und am Ende dieses Lebens; die Ermordung Vikars, auf Odins Veranlassung unternommen, eröffnet Starkad die glänzende Heldenlaufbahn, die Ermordung Olos — der Götterspruch mochte als fatalistische Entlastung gelten — bricht ihm das Herz und läßt ihn den eigenen Tod herbeiführen. Denn von der Bravallaschlacht, Starkads Teilnahme an ihr und gar ihrer poetischen Verherrlichung durch den Alten wußte die Saga wohl nichts. Ihre Anlage, wie sie Saxo bezeugt, verbot auch dem Mörder noch die langen Wanderungen aus Gram und Reue; jüngere Quellen wissen davon zu erzählen, und zwar ebensowohl im Anschluß an Vikars wie an Olos Tod. Dieser Starkad nimmt als Wiking und als Einzelkämpfer am liebsten seinen Weg nach Osten. Mit Norwegen hatte er noch nichts zu tun, wohl aber auffallend viel mit Schweden. Allerdings spielt es, wie man mit Recht bemerkt hat, eine Rolle nur als Schlupfwinkel, in dem der Held seine Zeit abwartet, wenn er auf der Bühne nicht gebraucht wird. Dennoch gibt allerlei hier zu denken: einmal seine Ablehnung des Freyrdienstes in Uppsala. Undenkbar, daß ein Isländer des 12. Jahrhunderts damit den Schweden wegen ihres weibischheidnischen Gottesdienstes einen Hieb versetzen wollte; das hätte nur ein näherer Nachbar tun können und mindestens 200 Jahre früher. Und dann — wie entstand die Vorstellung von Starkads Geburt in östlichen Gegenden ? Es könnte eine passende Heimat für den Halbriesen sein, denn dort dachte man sich Jötunheim. Aber ob unsere Saga wohl von ihm wußte? Saxo spricht ganz anders von der Quelle, die die Heimatbestimmung bot — memoriae proditum constat klingt sehr gläubig (182, 40) — als von den Gerüchten über die riesische Abstammung (fabulosa et vulgaris opinio). So wird unserm Prosaiker die Vorstellung von dem östlichen Helden aus den östlichen Schauplätzen seiner Taten erwachsen sein. Wie der Held in dieses slavischbyzantinische Gebiet kam, steht hier noch nicht zur Frage. Den Bau der Saga hat man sich demnach so zu denken. Vorspiel: Starkad und Odin (£>or?) A. Jugendtaten: 1. Vikars

BAU

DES

ROMANS.

171

Tod, 2. Wikingsfahrten mit Beimuni, 3. Zug gegen Hugleik, der Kampf mit Wisinnus, 4. vermischte Abenteuer. B. Starkad und die Frodifamilie: 1. Starkad begibt sich zu Frodi, Kampf mit Hama. 2. Nach Frodis Tod: Starkad und Helga, der Heidekampf. 3. Starkad und Ingell. C. Starkad und Olo: 1. Olos Jugend. 2. Olos Tod. Nachspiel: Starkads Tod. Eine Schwäche der sonst sehr klaren und klugen Komposition ergibt sich: der Faden reißt nach der Rachetat an den Svertingsöhnen ab. Zu Olo hinüber gab es offenbar kein Bindeglied als die Verwandtschaft ; das Schicksal des Oheims hinkt dem des Halbneffen nach. Und eine kleine Unklarheit bleibt: Hat auch die Saga schon so früh, gleich vor dem ersten Auftreten Frodis, von dem Feenorakel für Olo erzählt ? E s wäre zu verstehen, wenn Saxo es aus der Jugendgeschichte herausgelöst hätte. Die chronologischen Schwierigkeiten, die der Geschichtschreiber zu bekämpfen hatte, gab es für den Sagamann allerdings nicht. Starkad kommt als reifer Mann zu Frodi, als Greis tritt er nacheinander neben dessen Kinder. E r sieht drei Generationen, aber nicht drei Menschenalter. Die endgültige Formung des Stoffes war aber damit für Island noch nicht gefunden. Aus der knapperen älteren Saga des 12. Jahrhunderts entwickelte sich, wie häufig, eine breitere, umfassendere im 13. Wir dürfen sie uns als Literaturwerk vorstellen, und sie hat verschiedenenorts Literaturwerke beeinflußt. Von ihr besitzen wir keine Nacherzählung. Zeugnis legen für sie ab: Ynglingasaga, Skjöldungasaga, Hervararsaga, Gautrekssaga. Wir nehmen der Einfachheit halber an, daß allen vieren eine Quelle floß; nichts Entscheidendes spricht dagegen. Auch dem Verfasser dieses verlorenen Werkes gebührt der Meistertitel. Erinnern wir uns des starken Eindruckes, den die Neugestaltung des Götterprologes machte; das glänzende Wechselgespräch zwischen f>or und Odin! Das magere Zeugnis der Skjöldungasaga zeigt wenigstens das Eine: der jüngere Romandichter hat den wunden Punkt in dem Aufbau des älteren Werkes richtig erkannt und Heilung geschaffen: Olos Tod ist nicht das Werk aufsässiger Barone (die in eine Statistenrolle gedrängt sind), sondern das Werk Frodis. Jetzt bekommt alles Zusammenhalt. Freilich die Chronologie wird verschoben, Olos Tod ist der Abschluß der Jugendtaten, der Zusammenhang mit Starkads eigenem Tod ist aufgegeben. Das Vorspiel des Romans wird sehr geweitet.

E s ist von

172

JÜNGERER

STARKADROMAN.

doppelter Art, die Ahnen gehen nach gutem Brauch voran. Hier trat der Riese Starkad, Aludreng, auf und erlebte sein eigenes Schicksal, sogar einen doppelten Liebesroman, wenn die Hervararsage Glauben verdient. Der Halbtroll Hergrim raubt ihm die Braut, er holt sie sich wieder, aber sie nimmt sich das Leben, um ihm nicht angehören zu müssen. Da raubt Starkad die Alfhild, die Tochter Alfs von Alfheim, der Vater ruft f>or um Hilfe an, er erschlägt Starkad. Den zweiten Teil kennen wir aus der Gautrekssaga. (Auch das Sögubrot spricht gegen Ende von diesen Dingen, ohne freilich Starkad zu nennen.) Sodann wird also die bekannte Erweiterung der Anfangspartie des Starkadromans vorgenommen. Odin rückt als Hroßharsgrani zum Ziehvater auf, das Vikarabenteuer wird ausdrücklich vorbereitet, und die Kindheitsgeschichte des Gedichtes wurzelt hier. Ob Odin dem Schützling weiter zur Seite stand, ist fraglich. Die Beziehungen zu Schweden mehren sich. Das halbhistorische Königspaar Alrik und Eirik übernimmt die Herrenrolle, die früher ein geheimnisvoller Haidan spielte. Das hat nicht der Vikarsbalkr erfunden; die Szenerie, in der das Gedicht gesprochen wird, mußte vorher geschaffen und also bekannt sein. Die Ynglingasaga kannte sie auch. —• Die ältere Saga hatte nach dem Zeugnis Saxos und des Todesliedes den Kampf gegen Hugleik nach Dublin verlegt. Hier spielt er in Schweden, und Snorri hat sich diese Bereicherung der Ynglingenreihe trotz ihres zweifelhaften Wertes gleich zunutze gemacht. Man sollte auch meinen, die Geschichte habe damit heimgefunden. Aber welch große poetische Vergangenheit schreibt man ihr damit zu und wie verwickelt man das Quellenverhältnis der Saga! Sonst läßt sich über diese junge Starkadsaga nichts aussagen. Lockende Fragen wären: Hat sie sich nun endlich das Programmwort: drei Neidingstaten zunutze gemacht? Wie füllte sie die Zeit von der Erweckung Ingjalds bis zu Starkads Tod aus ? In sie müßte die dritte Untat fallen. Oder erzählte sie den Tod des Alten gar nicht, den auch die Skjöldungasaga verschweigt? Lockend wäre, den wirksamen Schluß der Todesfabel in den Jahrbüchern von Ryd für sie zu beanspruchen. Aber um 1250 führte von Island schwerlich ein Weg zu dem schonischen Kloster. Spielmannepos: Heusler AfdA 35, 180. Hervararsaga hg. v. Jon Helgason 1924 S. goff.

D a s Werden der S t a r k a d g e s t a l t .

Wir kennen aus der

DIE

BEOWULF STELLE.

i;3

Betrachtung der älteren Skjöldungensage die Stellen der altenglischen Poesie, die von Ingeld und seinem Geschlecht handeln. Die Erzählung ist in seltsamer Technik gestaltet: die eine Hauptperson ist Beowulf persönlich bekannt, es ist Freawaru, die Tochter Hrodgars (2020 ff.). Er weiß, daß sie Ingeld, dem fröhlichen Sohn Frodas, versprochen ist; Hrodgar hat das verfügt, um die alte Fehde, die tödliche Feindschaft zwischen Dänen und Headobearden zu enden. Aber Beowulf verspricht sich nichts Gutes von dieser Vermählung. Sein Bericht sieht in die Zukunft: Wenn die Braut ankommt, und ihre Begleiter machen sich breit in den Waffen, die Erbstücke der Headobearden waren und ihnen im Kampf entrissen wurden, wird das den König und sein ganzes Gefolge kränken, und dann wird wohl beim Bier bei diesem Anblick ein alter Krieger (cesc-wiga) sich mit neuem Groll der früheren Fehden erinnern und die Rachelust des jungen Kämpfers erwecken: »Kannst du wohl, mein Freund, das Schwert erkennen, das dein Vater zum Gefecht trug unter dem Helm zum letzten Male, das teure Eisen, da ihn die Dänen schlugen und die Walstatt behaupteten, seit Wiöergyld erlag, nach dem Falle der Helden, die grimmen Skyldingen ? Nun geht der Sohn eines dieser Mörder mit dem Schwert frohlockend über den Fußboden, rühmt sich des Mordes und trägt das Kleinod, dessen du mit Recht walten solltest.« So mahnt er andauernd mit schmerzendem Wort, bis die Zeit kommt, wo der Gefolgsmann der jungen Frau für die Taten des Vaters durch Schwertschlag blutfarbig entschläft, am Leben gestraft; der andere kommt mit dem Leben davon, des Landes kundig. Dann werden auf beiden Seiten die Eide gebrochen, in Ingeld schwillt tödliche Feindschaft empor, und seine Liebe zum Weib wird nach dem Kummer kühl! — Ausbruch des Kampfes und Untergang werden nicht erzählt. Man weiß aus dem Vidsiö, daß Ingeld einen Feldzug gegen die Dänen unternahm, seine Macht sich aber vor Heorot brach. Hroögar und Hroöulf blieben Sieger, Ingeld verlor wohl das Leben. Man sieht sofort: das ist die Frühgestalt unseres ältesten Starkadliedes. Das Schwergewicht verteilt sich im englischen Bericht anders: der Beowulf kannte ein ausgesprochenes I n g e l d l i e d , und unter diesem Namen lebte es auch fort. Alkuins bekanntes Wort: Quid Hinieldus cum Christo? bezeugt, daß der junge Hadobardenfürst noch im England des 9. Jahrhunderts eine der bekanntesten Sagengestalten war.

174

DIE

ALTE L I E D F A B E L VON

INGELD.

Also ein Starkadlied war es auf keinen Fall; dennoch ist durchaus glaubhaft, daß in diesem Gedicht (wohl schon des 7. Jahrhunderts) der alte Speerträger einen Namen trug. Bei der Bedeutsamkeit, die seiner hvöt schon auf dieser Sagenstufe zukommt, liefe es germanischer Liedtechnik zuwider, wenn er unbenannt bliebe. Wohl aber entspricht es dem Verfahren des Beowulfdichters, Namen, die er kennt, zu verschweigen, namentlich beim ersten Auftreten der Personen. Wie lang hat er gebraucht, bis er Frewaru nannte, wie spät innerhalb der Erzählung fällt der Name Ingeld! Ich zweifle nicht, daß ihm schon damals ein Starkad zur Seite getreten ist. Bugges Ableitung Stark = hadr, der starke Hadubarde, hat doch viel verlockendes, und vollends überzeugend ist der Hinweis desselben Gelehrten auf den Einklang zwischen dem zweiten Helgilied Str. 27 und der Beowulfstelle (2044); hier heißt es von dem alten Kämpfer: htm bid grim sefa, dort ist Starkad enn grimmüdgasti. Es bietet sich hier eine fast einzigartige Gelegenheit, Bau und Fortentwicklung der altgermanischen Liedfabel zu durchschauen. E i n e große Szene mindestens lebt vor uns auf, die später den ganzen Liedinhalt füllen mußte. Ehemals war das wohl anders, Niederlage und Fall Ingelds müssen zum wenigsten in Andeutungen in das Lied hereingeragt haben, und das wäre im Rahmen des großen Hallenauftrittes nicht möglich gewesen. Der Kampf, dem Froda zum Opfer fiel, liegt offenbar schon eine Anzahl von Jahren zurück; sein Mörder trat im Lied nicht auf, und es sind die Söhne der ehemals siegreichen Dänen, die jetzt mit den Waffen der Hadobarden prunken. Einer also trägt Frodas Schwert. Man hat raten wollen, wer er ist: ein naher Verwandter des Königshauses wohl, vielleicht gar der Bruder der Braut, Hroögars Sohn. So begriffen wir mit einemmal, daß der nur dem Beowulf bekannte Hroögarsohn Hroömund so schnell und spurlos verschwindet: er fiel in jungen Jahren der Hadobardenfehde zum Opfer. Der andere müßte dann sein Bruder gewesen sein; aus der Bemerkimg, daß er als Landeskundiger habe fliehen können, schließt man gerne, es sei hier von dem Mörder des dänischen Gasts, einem Landeskind also, die Rede. Aber wie die Dinge nun schon lagen, brauchte der wohl kaum zu fliehen; und es ist nicht undenkbar, daß auch ein Däne im Hadobardenland Bescheid wußte. — War dem allem so, dann muß wohl Hroögar, vielleicht in Gemeinschaft mit Halga, den Froda er-

ALTES

INGELDLIED.

175

schlagen haben. Aber es ist hier alles unsicher, vor allem kommt uns der rätselhafte Name Wiöergyld in die Quere; es steht nicht einmal da, auf wessen Seite dieser offenbar mächtige Held gestanden hat. Auf jeden Fall warnt er uns, die Rechnung ohne Unbekannte zu machen. Olrik freilich leugnet, daß hier ein Eigenname vorliegt; aber der Vidsiö kennt ihn (124). Jedenfalls bildete den oder einen ersten Höhepunkt des Liedes eine Szene beim Gelage: Freawaru (und ihre Brüder?) sitzen als freundlich begrüßte Gäste beim Mahl, da betritt Starkad den Plan und hällt seine Reizrede. Im Lied hörte sie sich anders an als in der zerflossenen, kräftigen Ausdruck und scharfe Zuspitzung meidenden Stilgebung des Epos. Es kommt zu einem völligen Stimmungsumschwung beim König und den Hadobarden insgesamt: aller Zorn richtet sich gegen den jungen Dänen, der Frodas Schwert trägt (als ob er ihn auch getötet hätte!), und er wird erschlagen; von wem, hört man nicht. Echte Gefühlsseligkeit des englischen Epos ist es wenn es heißt: Ingelds Empfindungen gegen Freawaru wurden kühler. Wir zweifeln nicht, daß der Ingeld des Liedes sein junges Weib verstoßen hat. Dann begann erst für ihn die Vaterrache. Der Überfall auf Lejre, der Brand Heorots, die Überwindung der Erbfeinde durch die Dänen, das alles mochte noch packende Szenen geben. Frodi war ein alter Skjöldungenname, und so hat die Folgezeit die Hadobarden zu Skjöldungen gemacht. Sie tat es auf zwei Arten: die eine Darstellung hielt an der Gleichzeitigkeit von Frodi und Hroögar, Ingeld und Hroöulf fest; sie ließ Halfdan durch Frodi fallen, Frodi durch Hroar oder Helgi, während Ingelds Rachetat in unsern Berichten verkümmert ist; das ist die Darstellung Saxos (VII) und der Saga. Die andere läßt der Ingeldsage ihre Selbständigkeit und drückt sie nicht zum Anhängsel der Hroar-Helgigeschichte herab; dann mußte sie aber die alte Chronologie aufgeben und diesen Frodi von dem alten Dänenkönig, dem nahen Verwandten der berühmtesten Skjöldungen, weit abrücken, Das machte wieder die Erfindung eines neuen Gegners nötig, durch den Frodi fiel, und gegen den sich Starkads hvöt richten konnte. Mit diesem Sverting wissen wir freilich nichts anzufangen. Zwar kennt auch der Beowulf den Namen; aber dort ist er ein Gautenkönig (Beowulfs Urgroßvater?) und kann schon aus zeitlichen Gründen an diesen erst etwa 10 Jahre zurückhegenden

SAXOS

INGELDLIED.

Ereignissen nicht beteiligt gewesen sein. Vermutlich stammt aber die Einfügung Svertings doch nicht erst von unserem Lieddichter. Er fand den neuen Stammbaum und den neuen Gegner bereits vor. Wahrscheinlich war ihm auch ein Ereignislied vorangegangen, das auf diese Voraussetzungen aufbaute und alles geordnet erzählte, anstatt es sich nur in Starkads Reden spiegeln zu lassen. Die Umbildung ist ja ungemein geschickt. Auch hier bleibt der eigentliche Mörder Sverting hinter der Szene. Nur seine Kinder sind da, die Tochter als Ingelds Frau. So zielt die hvöt durchaus nur auf die Anwesenden, die nach Starkads Willen allesamt der Rache Ingelds zum Opfer fallen sollen; keinem fernen, im Augenblick nicht erreichbaren Feinde gilt der eigentliche Groll und Racheschwur. Diese eine Szene: Mord der Svertingsöhne und Verstoßung der Tochter brachte miteins die ganze Vergeltung. Die Menschenzeichnung mußte sich verzerren, um die Gegensätze greller zu machen: Ingeld, im Englischen noch als Frohnatur geschildert, war zu jung, um gleich zur Rache zu schreiten; ein Makel haftete nicht auf ihm; und erst recht nicht auf Freawaru, der Tochter des edlen Hroögar. Der Ingeld des dänischen Liedes wird herabgedrückt: er ist ein gewissenloser Schwelger, verliebt in sein buhlerisches Weib. Das ist wieder einmal deutliches 10. Jahrhundert im Gegensatz zu der idealistischeren Haltung der Personen im altgermanischen Lied. Herrschten dort Mannesehre und Sippengebot, die Hadobarden so gut wie Dänen beseelten, so hat sich hier eine ethisch nicht so hochwertige, eng dänische Fremdenfeindschaft entwickelt, der damals wie später Neumodisches und Verwerfliches mit Deutschem gleichbedeutend war. Die Svertingsippe stammt ebenso aus Deutschland wie alle die schwelgerischen Küchenrezepte. Und daneben wuchs als Vertreter echter altheimischer Art der heldenhafte Urdäne Starkad empor, nicht mehr Mahner an alte halbvergessene Blutschuld, sondern Aufrüttler der verkommenen Jugend überhaupt, laudator temporis acti im großen Stil und erste sentimentalische Figur der nordischen Heldendichtung. Das 10. Jahrhundert liefert aber auch noch ein anderes Zeugnis, das alle unsere Vorstellungen von der geordneten und durchsichtigen Entwicklung der Starkaddichtung über den Haufen

DER

i 77

SCHLACHTENHELD.

wirft. Um 995 preist der Skald Vetrlidi £or als Sieger über den Riesen Starkad. Vetrlidi ist Isländer, aber sein Zeugnis weist nach Norwegen und erfährt ein paar hundert Jahre später Bestätigung: der achtarmige Riese Starkad, ein Wassertroll mit dem nach Telemarken weisenden Beinamen Aludreng, wird von J>or getötet. Das mag um iooo noch nicht mit all den Einzelheiten erzählt worden sein. Aber so viel ist sicher: d i e s e r Starkad hatte mit dem alten Eschenkämpfer des Beowulf und dem Erzieher der Frodikinder nicht das Geringste gemein. Er war eine ganz andere Figur. Nun schweigen die Quellen ein Jahrhundert. Das nächste Zeugnis ist das des Helgiliedes. Seine Datierung ist fraglich, aber es ist erheblich älter als unsere lateinischen Quellen und wird zum wegweisenden Markstein in der Entwicklungsgeschichte der Starkadgestalt. Und was lehrt es? Wir sehen ganz ab von persönlichen Beziehungen innerhalb dieser verworrenen Reihe von Hödbrodds Bundesgenossen; auch den »König« geben wir als Irrtum eines Unkundigen preis. Dennoch ist der Ertrag dieser Zeilen groß: Starkad, so erzählte man 100 Jahre vor Saxo, fiel in der Schlacht, das Haupt wurde ihm abgehauen, der Rumpf kämpfte weiter. Es ist also nichts mit dem von Olrik behaupteten hohen Alter des Saxoschen Auftritts: Starkads Tod; man wird nicht aus Eigensinn daran festhalten, daß dieser noch gar nicht festgefügte Lebenslauf schon so früh zwei verschiedene Abschlüsse kannte! Starkad starb den Schlachtentod. Der Nachdruck liegt hier auf der S c h l a c h t . Starkad erliegt nicht im Einzelkampf, er ist von Beruf der Schlachtenheld, den man herbeiholte um Helgis Triumph zu verherrlichen. Das haben wir schon festgestellt. H i e r ist nun von besonderer Wichtigkeit, daß das so früh geschieht. Es ist unser erstes Zeugnis von dem Helden Starkad außerhalb der Ingeldfabel. Und andere, gleichgeartete schließen sich an: Das historische Ereignis des Jahres 1094, der Fall von Dublin, gewinnt Gewicht dadurch, daß man Starkad an ihm beteiligt sein läßt. In benachbarte Zeit kann man die poetische Darstellung der Bravallaschlacht verlegen: In ihr wird Starkad eine Hauptperson, aber in etwas anderem Sinn als im Helgilied. Es wird erzählt: Starkad siegte, erhielt aber eine schwere Wunde. Diese wird von jetzt an stehend, in jeder Schlacht, die Starkad mitmacht, erhält er sie von neuem, S c Ii n e i d e r , H e l d e n s a g e I I , I .

12

17«

HUGLEIK

UND

SVERTING.

so daß sich jenes vaticinium post eventum f>ors in der zweiten Saga wohl rechtfertigte. Beide Schlachtberichte haben noch ihre Besonderheiten, die für die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung bedeutungsvoll sind. Zunächst erscheint hier wie dort Haki neben Starkad. In der Bravallaschlacht als Gegner, dem der Alte den Garaus macht; aber das ist sicher späte Verwechslung, Haki und Starkad sind die Kampfgenossen in den ersten berühmten Schlachten, die Starkad entscheidet, und die ihm seine schlimmen Wunden einbringen. Das Ingellied zeigt, daß der Zug mit Haki Starkads älteste Wikingstat ist. Man könnte denken, daß die jüngeren Darstellungen und Anspielungen auf die Stelle in dem älteren Gedicht aufbauen und Haki also eine Erfindung des Ingelldichters wäre. Aber ebenso gut kann auch er eine Anspielung machen; Schlachtbruderschaft und Wunde hätte man aus dieser Anregung schwerlich herausentwickelt. Nehmen wir dazu den Namen Hugleik: sollte es Zufall sein, daß zwei scheinbar junge Gegner Starkads Namen aus der alten Gautendynastie tragen? Hugleik gehörte wohl von Haus aus ebensowenig nach Irland wie Sverting nach Deutschland, und auch beide kaum nach Schweden. Aber sie gehörten in eine Schlacht, die Starkad mit einem Haki gemeinsam schlug, und bei der er sich eine furchtbare Wunde holte. Ist Sverting nicht Hugleiks Großvater, wie man gewöhnlich annimmt, sondern sein Oheim, wie Hoops will, so ist das noch wahrscheinlicher. So sind auch wohl Geigad und Svipdag in diesem Zusammenhang älter, als Olrik für wahr haben will. Für junge Schöpfungen treten sie wieder zu selten und zu wenig planvoll auf. Es steht nichts im Wege, hier eine ursprüngliche ganz selbständige Starkadfabel anzunehmen, deren Ursprünge nach Ausweis der Namen nicht weniger tief in die Vorzeit führen wie die der Ingeldfabel. Die Voraussetzung für diese Annahme haben wir geschaffen dadurch, daß wir Starkad als selbständige Figur des 7. Jahrhunderts bereits anerkannten. Aber die Frage verwickelt sich. Helgilied und Bravallalied kennen nicht nur den wunden Schlachtenhelden, sondern auch wenn nicht den Riesen so den übernatürlichen, trollartigen Kämpfer. Im Helgilied streitet der Tote noch fort, in der Bravallaschlacht spricht ihn Visna als pussinn, Unhold, an. Also auch die Trollnatur des Helden reicht weit zurück. Der R i e s e ist

STARKAD

DER

179

UNHOLD.

ja schon um 1000 bezeugt, wie wir sahen. Aber er steht zunächst in seiner norwegischen Ortsüberlieferung und bleibt für sich. Die Vorstellung des Unholds, des Mannes mit übernatürlichen Kräften zum mindesten, gesellt sich schon vor 1100 dem Schlachtenhelden. Mit der Formel: späte Übertragung riesischer Züge von der norwegischen Lokalfigur des Aludreng auf den alten Skjöldungendienstmann — kommt man also auf keinen Fall aus. Es versteht sich keineswegs von selbst, daß der Bezwinger Svertings und Hugleiks, der Gegner Geigads und Svipdags, der Genosse Hakis von Anfang an trollhafte Züge getragen hat. Immerhin, wer denkt nicht an das ähnliche Schicksal, das seinem Gegner, dem Gauten Hugilaicus zuteil wurde, der im Liber monstrorum eine Stätte fand? (s. Beowulf (II, 2)). Wir geben Starkads ursprüngliches Einssein mit der hadobardischen Reckengestalt nicht auf, wenn wir annehmen, daß auch er sich zum monstrum wandelte; vielleicht bahnte sich das schon in einer gleichzeitigen Liedfabel an. Auf alle Fälle läßt sich sagen: Hier, in diesem entstehungsgeschichtlich so nebelhaften Überlieferungszweig, tritt der trollhafte Kämpfer zuerst hervor. Die Wunde mag damit im Zusammenhang stehen. Eine Verletzung, die so furchtbar war, daß sich Jahrhunderte von ihr erzählten, setzte mit ihrem mehr als menschlichen Ausmaß eine mehr als menschliche Widerstandskraft voraus. D i e s e r Starkad hält dann auch in der Skjöldungensage Einzug, aber erst spät. Im Heidekampf ist er dämonisiert; nicht nur durch seine erstaunliche Abhärtung, sondern vor allem durch die wunderbare Reise, die er von Schweden herunter macht, zwölf mal so schnell als jeder andere. Z u Beginn des 12. Jahrhunderts mag in Island die Modegattung der Todeselegien aufgekommen sein. Wir haben uns schon dafür ausgesprochen, daß das Sterbelied Staxkads in seiner ursprünglichen Gestalt dieser A r t ganz entsprochen hat. Es war Rückblicksgedicht und reines Selbstgespräch, kein Ereignislied und kein Dialoglied. Olrik, der sein Alter bedeutend überschätzt, glaubt es triftig vom Ingeldslied abhängig, das j a auch Monolog ist und Rückblicke bringt. Ob es von Anfang an die jetzigen Beziehungen zur Skjöldungengeschichte enthielt, ist fraglich; jedenfalls war es der Hauptsache nach stofflich ganz anders beschaffen. E s baut auf e i n e r Voraussetzung mit dem zweiten Helgilied auf: Starkad ist in erster Linie Schlachtenheld und fällt schließlich einmal in der Schlacht. Der Name des Gegners, dem 12*

i8o

STARKAD,

ODIN,

]?OR.

er unterlag, wurde vielleicht gar nicht genannt. Die Erfindung des erkauften Todes gab es damals noch nicht, der Helgidichter hätte sie nicht aus Eigenem umgebogen. Das Sterbelied zählte in der üblichen Weise die bezwungenen Helden auf; mindestens alle, die der Jugendgeschichte und dem »Todeslied« bei Saxo gemein sind. Hier herrscht also die Vorstellung, daß die Taten des Helden alle sich im Osten abspielen; auch Hama gehört ja, wie wir wissen, ursprünglich nicht nach Niederdeutschland; und den Kampf mit Wisinnus verlegt Olrik an die Düna. Diese ausgesprochene Ostrichtung stellt uns vor ein neues Fragezeichen. Starkads östliche Herkunft ist wohl erst ihr Ergebnis, nicht ihre Voraussetzimg. Offenbar handelt es sich hier zum guten Teil um Neuerfindungen, die an einiges Bekannte — Vikar, Hugleik, Haki — angehängt wurden. Daraus erklärt sich auch am besten die prunkend gelehrte Art des Liedes und die Unlebendigkeit dieser vermenschlichten Völkernamen. Die Vikargeschichte, die schon vorher geformt worden sein muß, zeigt ja wieder einen anderen Starkad: den Odinshelden. Er steht mit keiner sonstigen Auffassung der Gestalt in kenntlichem Zusammenhang; mag die Begabung durch den Gott übermenschliche Eigenschaften begründen, keinenfalls ist Odin ihretwegen an die Seite des Helden gestellt worden. Wir stehen vor einer völlig neuen Fabel. Sie erschien uns älter als das Sterbelied, reicht also weit ins 12. Jahrhundert zurück. Es ist nicht unbedingt nötig, für sie ein Erzähllied zu fordern; der Vikarsbalkr gibt jedenfalls keinen bestimmten Anhalt dazu, obschon Neckel einen Teil seiner Strophen für verhältnismäßig alt hält. Aber sie haben es mit dem Norweger zu tun, der schon stark riesisch angehaucht ist. Auch hier ist zu völliger Klarheit nicht zu kommen. War es wirklich, wie Herrmann meint, ein Irrtum Saxos, daß er jDor mit unserem Starkad in Verhältnis setzte statt mit dem Großvater? Dann wäre Starkad ledigüch Riesensprößling und als solcher ein Halbtroll, kein richtiger Riese. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die frühesten Stellen, die von dem dämonischen Starkad handeln, eine so verwickelte Vorgeschichte haben. Vermutlich hat Saxo von Starkad als einem Riesen gehört, denn auch im Vikarsbalkr wollen ja die Knappen an ihm selbst die Spuren der ausgerissenen Arme sehen. Die Trennung in Großvater und Enkel ist also erst spät, sie entstammt einer Zeit, die

DIE

VIER

STARKADFABELN.

X 81

das allzu vielseitig und widerspruchsvoll gewordene Starkadbild gleich uns befremdete. Starkad, an sich schon mit einem Stich ins Trollhafte versehen, wurde zum Riesen, weil man jenes von f>or bezwungenen Riesen gedachte. Ob der Aludreng die Verbindung mit Olo förderte (der ja schon als Skjöldung im Gesichtskreis lag) — oder ob umgekehrt Ali an Aludreng erinnert und so die ganze norwegische Lokaltradition für ihn aufgeboten hat, läßt sich nicht entscheiden. Wenn auch Saxos Sagenvorlage noch nichts von dem Norwegertum des Helden wußte, so liefert er doch schon ein Zeichen für diese Verpflanzung: Die Verse des Todesliedes sprechen von den Schmieden von Telemarken, und der Goldschmieddichter scheint auch auf sie anzuspielen. (Ich vermute mehr und mehr, daß diese beiden Lieder von einem Dichter stammen.) Wahrscheinlich geben sie eine Ortssage wieder: wie die telemarkischen Schmiede einmal einem Riesen ihre Handfestigkeit zeigten; die völlige Aneignung des Helden, der nunmehr von dem Riesen geschieden ist, erfolgte dann wohl erst im 13. Jahrhundert und durch einen Isländer, der Norwegen gut kannte. Die herkömmliche Annahme, daß die Starkadgestalt unserer Quelle durch »Synkrasis« entstanden sei, besteht zu Recht. Wir finden zweierlei Starkade, die nicht unvereinbar waren und sich sogar schon auf dem Weg zueinander befanden: den hadobardischen Krieger und den norwegischen Lokaldämon. Wichtiger ist die Frage, wieviel Starkadfabeln oder Fabelkreise zu scheiden sind. Darauf wäre zu sagen: zunächst vier. Der Stoffkreis des Ingeldmannes; des Schlachtenhelden, dessen Kämpenkraft ans übernatürliche streift; des Odinmannes, der vom Gott in Schuld verstrickt wird; des Riesen, der der Feindschaft Jpors erliegt. Dieser vierte Kreis kommt am spätesten zur Entfaltung und nie zu geschlossener Dichtform. Wir sind an der Schwelle der erhaltenen Dichtung angelangt. Sie zeigt im Verhältnis zu anderen Sagenkreisen ein seltsames Gesicht. Es war offenbar im 12. und 13. Jahrhundert nur ein altgermanisches Lied lebendig und ein junges, aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Der Weg, den die Entwicklung einschlägt, ist aber nicht der, daß die alten Liedfabeln vorn und hinten angesetzt oder ganz neu behandelt werden. Man kannte nicht viele D i c h t u n g e n von Starkad, sondern ein paar Züge, die sich an ihn knüpften und immer neue Verwertung fanden.

STARKADDICHTUNG.

Es herrscht eine merkwürdige Motivarmut. Dreimal tritt Starkad als mahnender Vertreter alten Heldentums unter die verkommene Frodijugend. Sechsmal hören wir, immer unter verschiedenen Begleitumständen, von seiner furchtbaren Wunde; zweimal erschlägt er den eigenen Herrn; dreimal läßt er seine Wut gegen, und noch öfter über Spielleute und Komödianten aus; dreimal zeigt er seine aristokratische Verachtung der niederen Stände, dreimal geisselt er Kleiderluxus, dreimal die Sklaverei des Bauchs. Die Wiederholung ist ja auch sonst ein wichtiges und stofferweiterndes Mittel der Heldendichtung. Aber sie wirkt in der Regel schöpferischer. Der erste, große Starkadroman, den das Island des ausgehenden 12. Jahrhundert schuf, vereinigt alle vier Motivreihen, kennt aber nicht alle Züge, die an dem Riesen hingen; es ist ja aus Saxo nicht einmal sicher zu belegen, daß diese Saga die Feindschaft f»ors kannte; jedenfalls nicht den Namen Aludrengr. Die vorhandenen Lieder (Ingellslied, Vikarlied, Sterbelied) verarbeitete sie sehr frei. Vielleicht hat der Sagamann das Sterbelied z. T. wörtlich mitgeteilt. Jedenfalls schuf er eine Anzahl Losestrophen. Man muß aber daneben annehmen, daß die Prosa die Lieddichtung auf Island neu anregte, die bisher nur die Todeselegie hervorgebracht hatte: Goldschmiedslied und dialogisches Vorspiel zu dem Todesauftritt entstanden nun erst. Den Starkadgedichten, von denen wir wissen, ist das eine gemein: sie sind allesamt Monologe des Helden. Nur die umgearbeitete Gestalt des Sterbelieds macht ein kleines Stück weit eine Ausnahme und kennzeichnet sich dadurch schon als junges Machwerk. Anlaß mag die kühne gattungsschöpferische Neuerung jenes Dänen des 10. Jahrhunderts gewesen sein, der das Ingeldlied zu einem Starkadlied umschuf; die Verschiebung führte dazu, daß es neben dem jetzigen Haupthelden überhaupt redende Personen nicht mehr gab. Die übliche Bauart der Rückblickselegie schrieb die gleiche Technik vor, Goldschmiedslied und Vikarsbalkr schließen sich dem älteren Vorbild an, und zeitig wurde Starkad zum poetischen Erzähler der Bravallaschlacht. Die für Starkad neugeschaffene Gattung des monologischen Liedes brachte einen hartnäckigen Irrtum bei den Gelehrten des 12. und 13. Jahrhunderts zuwege: man hielt Starkad für einen großen Dichter der Vorzeit. Das muß der isländische Gewährsmann dem Saxo beigebracht haben; er beurteilte die Strophen

STARKAD DER

SKALD.

183

und Lieder seines mündlichen Starkadromans wie die Einlagen eines Skaldenlebens. Aber schon der Verfasser dieser ersten Saga hatte den Irrtum mitgemacht und begründet geistvoll die Kunst des Alten aus der Gunst des Dichtergottes. Die Geschichtsschreiber und Lehrbücher der Skaldik rechnen mit dem Dichter Starkad wie mit einer geschichtlichen Größe. Olaf Hvitaskald übermittelt eine Halbstrophe des vermeinten Poeten, vielleicht ein Stück Todeselegie. Der Skald Starkad, das ist die letzte Erscheinungsform des wandelbaren Alten, der für das nordische Altertum achtarmiger Riese und Meisterpoet, Hüter höfischer Zucht und rauher Berserker, treuster Gefolgsmann und Mörder des eigenen Herrn in einer Person war. Die Beowulfstelle: Olrik 37

(Widergyld 37 A).

Die unrichtige A u f -

fassung, daß der ssscwiga seine hvöt gar nicht an Ingeld richte, ist

von

Heusler A f d A 35, 177 widerlegt (s. auch Herrmann 445 s . und Boer Aarb0ger 1922, I 3 7 f i . , mit bestechender Interpretation), will aber nicht verschwinden; s. Schücking E S t . 53, 468

(Widergyld ist der getötete Vater), Malone

MPh. 1930, 257!!. und L. Wölfl,

Die Helden der Völkerwanderungszeit

S. 240 (wo eingewandt wird: der Alte könne doch den eigenen König unmöglich mit »Mein Freund« anreden; ich würde aus dieser Wendung eher schließen, daß

Starkad schon damals Ingjaldsfostri

war). —

Für

Kjer

(Beowulf S. 98) ist Froda schon jener Zeit ein Dänenkönig und Halfdans Bruder gewesen; er unterwarf die Hadobarden und wurde ihr Herrscher.



Der grimme Starkad: Bugge Helgedigtene S. 158. — Hugleik und Sverting: Hoops, Beowulfstudien S. 105. — Starkad und der Osten: Nerman, Studier över Svärges hedna litteratur 1913 S.94fi. —Zusammenfassendes Charakterbild Starkads und Entwicklungsskizze der Starkaddichtung: Olrik 173 ff. und 220.

Herrmann 4 1 7 0 .

Heusler A f d A 35, 181; Hoops XV, 277f.

Auch

Nerman S. 92 f.

A N H A N G

DER SKJÖLDUNGENSTAMMBAUM Das Beowulfepos ist ein überraschendes und lehrreiches Zeugnis dafür, wie früh sich Heldenstammbäume gebildet haben. Nicht nur so, daß man ursprünglich selbständige Helden zu einer Familie zusammenfaßte; auch der rein erdachte, aus dem geschichtlichen Umkreis ganz herausführende Stammbaum ist nicht erst die späte Frucht klügelnder Gelehrsamkeit. Er hängt in unserem Fall auch nicht mit dem Buchcharakter des Beowulf zusammen, sondern war dem Dichter gleich seinem übrigen

SCYLD UND SCEAF.

Stoff aus Dänemark überkommen, vermutlich in der Form von Merkversen. Der Name Skjöldungen bezeichnet im späteren nordischen Schrifttum das Herrschergeschlecht, im Beowulf ebenso oft die Dänen überhaupt. Schon einer Quelle des ausgehenden 7. Jahrhunderts heißen die Dänen Skaldingen. Die Skjöldungen suchen nun ihren Namenshelden nicht in nebeliger Vorzeitferne, sondern überraschend benachbart zu geschichtlichen Gestalten, umwehen ihn aber dennoch mit geheimnisvollem Schimmer. Denn der Beowulf erzählt ja, Scyld, der Sohn des Sceaf, sei als hilfloses (feasceaft) Kind in einem Nachen, von Waffen umgeben, nach Schonen getrieben und von den Bewohnern auferzogen worden, bis er als ihr Herrscher das Land zu schirmen und der Dänen Ruhm zu mehren wußte. Als seine Schicksalsstunde schlug, da legte man ihn wieder in ein geschmücktes Schiff und ließ es ins Meer hinaustreiben. Diese Meerfahrt ins Jenseits kennen wir von Sinfjötli, und sie wird hier wie dort keltischen Ursprungs sein; daß Skyld noch lebendig zurückkehrt, wie der Schwanenritter, nahm man wohl zu Unrecht an. Aber es ruht kein Nachdruck auf diesem Nachspiel. Der Kern der Geschichte liegt am Anfang, der Stammheld dieses kriegerischen Volkes ist schon mit Waffen zur Welt gekommen, irgendwoher, durch göttliche Sendung. Seine Wahrzeichen deuten auf seine und des Volkes Zukunft. Das war eine heldische Phantasie; wie mein meinte, die Abwandelung eines bekannten Motivs aus anderem Umkreis. Das ist ja eigentlich schon eine Entgleisung, daß der rätselhafte Findling einen Vater hat. Skyld ist dem Beowulf der Sohn des Scäf oder Sceaf. ' Am nächsten mochte liegen, daß man dabei an den König der norddeutschen Langobarden dachte, den der Vidsiö kennt. Die Wortbedeutung seines Namens ist aber »Garbe«. Und von Scef erzählt Aethelweards Chronik ums Jahr 1000 dasselbe wie der Beowulf von Scyld: er ist armis circumdatus als Knabe in Schonen gelandet und später zum König emporgestiegen. Das scheint zur Wortbedeutung nicht zu passen: König Schild von Waffen umgeben, das begreift sich, zu König Garbe passen sie nicht. Gut 100 Jahre später bei Wilhelm von Malmsbury hört es sich denn auch so an: Des Sceldius Vater Sceaf wurde als Knabe an die germanische Insel Scandza geDie trieben, schlafend, eine Kornähre neben seinem Haupt.

SCYLD UND SCEAF.

I8 5

Bewohner sahen das als ein Wunder an, machten ihn zu ihrem König, er herrschte in der Stadt, die damals Slaswic, jetzt Haithebi (Hedeby) heißt, in der alten Heimat der Angeln. Olrik sieht in diesem »König Garbe« die volkskundlich allein echte und berechtigte Vorstufe zu der Fabelei von Skyld. Sceaf ist ihm ein Korndämon, die ganze Erzählung ein früher Fruchtbarkeitsmythus, anklingend an germanische und finnische Bräuche, den Kult der letzten Jahresgarbe. Sydow hat diese Ähnlichkeiten abgeleugnet: die anmutende Erzählung entbehrt in Wahrheit der volkskundlichen Unterlage. Es ist eine Findelkindgeschichte, weiter nichts; das Kind liegt mit dem Kopf auf der Ähre, deshalb heißt es Sceaf. Die Ankunft sei es Sceafs, sei es Scylds auf dem Schiff kennzeichnet das seefahrende Volk: sein König ist aus dem Wasser gekommen. Dafür finden sich volkstümliche Parallelen. Dennoch sieht Sydow in Sceaf die ältere der beiden Gestalten, in Scyld die Nachbildung. Und dieser berührt ja in der Tat künstlicher, gewollter als jener. Freilich die Zeugnisse für Skyld führen weiter zurück. Aber die englischen Stammbäume, deren Gerippe im 8. Jahrhundert schon festgestanden haben muß, wissen alsbald auch von Sceaf. Einige lassen ihn unmittelbar von Noah abstammen und legen so Zeugnis für die Schiffsfabel ab. Scyld als Sohn des Sceaf, das würde dann nur bedeuten, daß man jene Geschichte dieser nacherzählt hat. Das umgekehrte, daß Wilhelms Bericht von Sceaf nur eine geschickte Nachahmung der Scyldfabel darstellt, ist freilich auch behauptet worden; namentlich Brandl betrachtet diesen Gewährsmann mit Mißtrauen. Nehmen wir wenigstens als e i n e Möglichkeit an: es bestand eine Geschichte von einem König Sceaf, der von über Meer als Findelkind zu seinem Volk gekommen war, und im Anschluß an sie schuf ein Däne — es fällt schwer, ein anderes Volk zu bemühen — für seine kriegerischen Landsleute einen Stammvater Skjöld, der nun aber nicht mit der Ähre, sondern mit Wehr und Waffen über Meer kam. Von einem Mythus ist hier keine Spur zu finden, auch die spätere Anknüpfung Skjölds an Odin, die dem Norden beliebte, beweist nichts für alte Göttlichkeit. Es war ein bloßes feines Spiel, das die Gestalt erstehen ließ, aber es machte Eindruck noch weit über Beowulfs Zeiten hinaus. Aethelweard wußte, daß der Name des Ankömmlings Sceaf war, aber er stand noch im Banne der kriegerisch selbst-

SCYLD UND

SCEAF.

bewußten Neuerfindung des Dänen und gab dem Sceaf Scylds kriegerische Wahrzeichen. Auch Wilhelm von Malmesbury kommt von der dänischen Fassung nicht ganz los: immer noch muß sein Held, wie im Beowulf, in Schonen landen, aber er herrscht dann über das alte Angelnreich. Darin möchten schließlich doch auch geschichtliche Beziehungen zu suchen sein. Brachten die Angeln die Sceafgeschichte mit übers Meer? Und auch das gibt zu denken, daß Sceaf auf diese Art in die nächste Nachbarschaft des anderen geschichtlichen Sceaf gerückt wird, des Langobardenherrschers des Vidsiö. Solche Erwägungen führen zu einer z w e i t e n Möglichkeit: man könnte die Findelkindfabel ganz nüchtern auffassen und sagen: die Dänen müssen einmal einen auswärtigen Herrscher bekommen haben, der über Meer zu ihnen fuhr. Vielleicht war der Urgroßvater Hroars und Helgis noch gar kein Däne, nachdem der Vater »halber Däne« geheißen wird. Ein Südvolk mochte ihnen den neuen König geliefert haben, man verfiel auf Sceaf. Über die Könige vor Scyld, vielleicht seine Ahnen, gab es trotz der Findelkind- oder Schwanrittersage auch Überlieferungen. Die englischen Königslisten nennen als Scylds Vater Heremod, eine rätselhafte Persönlichkeit, von der auch der Beowulf weiß, ohne sie mit Scyld zu verknüpfen. Sceaf hat zweifellos weder in Skandinavien noch in England in volkstümlichem Brauch oder religiöser Vorstellung eine Rolle gespielt. Bei dem zweiten Glied der Ahnenreihe aber scheinen Olriks Vermutungen, die wieder in derselben Richtung gehen, der Nachprüfung besser standzuhalten. Lange Zeit wußte man mit dem Nachfolger Skjölds gar nichts anzufangen, weil dänische und englische Quellen hier ganz auseinandergehen. Er heißt für die englischen Stammbäume Beaw, für das Epos Beowulf, für die Dänen Frodi. Die isländischen Quellen stellen sich auf die dänische Seite; nur wo sie englisch beeinflußt sind, wie Langfedgatal und s£tt Haralz frä Adam in der Flateyjarbok, nennen sie an dieser Stelle einen Beaw; einmal mit dem Beisatz: er kgllum ver Bjär. Diese seltsame Doppelheit der Überlieferung erhellte Olrik, ein Lichtbringer von seltener Kraft. Der zweite Band von Danmarks Heltedigtning war schon fertig, als man in Panzers Beowulf lesen konnte: »Wie die Verschiedenheit der Namen für den Scyldsohn zu erklären sei, und wer er eigentlich war, weiß ich

BEOW



FRODI.

I87

nicht, weiß, soviel ich sehe, auch sonst niemand und wird vielleicht solange niemand wissen können, als uns verborgen bleibt, was von ihm eigentlich Charakteristisches erzählt wurde.« Olrik gewinnt sein Ergebnis zunächst aus einer Namensbetrachtung: beow heißt Korn, unord. *beggvo. Der Korndämon der Finnen ist Pekko; ursprünglich stammt dieser aus dem germanischen Bereich (Byggvir in der Lokasenna). Wie aber paßt Frodi in diese Umgebung? Der Name bleibt stumm, um so deutlicher spricht das, was von ihm erzählt wird: Frotho I I I in Saxos 5. Buch findet den Tod durch den Stoß einer Seekuh, die in Wahrheit eine Hexe ist. Seine Leiche wird drei Jahre künstlich erhalten und nach wie vor auf dem königlichen Stuhl durch das Land getragen. Man wird nicht alle, oft etwas künstlichen Schlüsse mitmachen, die Olrik an diese Erzählung knüpft, und doch gerne glauben, daß die Folge: Tod durch den Stoß eines wilden Tiers, feierlicher Umzug durch das Land, Trauer und Klagegesang — diesen König Frodi in den Bereich der Adonis-Attismythen hinüberzieht, ihn also zum Fruchtbarkeitsgott stempelt. Beow ist noch persönlich gewordene Frucht, Frodi aber ist völlig vermenschlicht und trägt einen Namen, der eine menschliche Eigenschaft bezeichnet. Den Dänen ist er der Herrscher, der das goldene Alter heraufgebracht hat; das ist für die ältere Vorstellung nicht die Zeit, in der die Mühlen Gold mahlen und ein Goldreif unbeachtet auf der Erde liegen bleibt, sondern in der die Ähre besonders reich trägt. Nicht also die Engländer haben hier Verwirrung gestiftet; der Name, den sie der Vegetationsgottheit geben, ist vielmehr wohl der echtere. Farbig wird aber die Vorstellung von dem segensreichen Walten dieses Königs erst bei dem dänischen Ersatz Frodi. Dem englischen Epiker wird aus Dänemark noch die ursprüngliche Namensform zugekommen sein. Saxo hat die Eigenschaften und Taten des Friedensfrodi auf eine ganze Anzahl Herrscher dieses Namens verteilt. Aber nicht einmal der erste dieses Namens stammt für ihn mehr unmittelbar von Skjold ab. Es sind, wie in der Skjöldungasaga, jüngere Zwischenglieder aufgeschossen. Und an der Spitze der ganzen Königsreihe steht für ihn bereits der kümmerliche, nicht mehr heroisch geschaute, sondern nüchtern klügelnd erdachte König Dan, dem es freilich nach Olriks Nachweis auch nicht ganz an Bodenständigkeit gebricht. Zu bestimmter Zeit muß

DIE

FRODISIPPE.

Dan mit Skjold in Wettbewerb getreten sein. Ursprünglich (und noch bei den Isländern) sein Nachkomme, wurde er schließlich zum Ahnherrn aller Dänenherrscher. Die gerade Linie, die der Beowulf kennt, hat für die meisten Gewährsmänner schon mit den Halfdanenkeln ihr Ende erreicht; ergreift nach einigen Quellen als letzter von ihnen noch Hredric die Herrschaft, so ist die Vorstellung doch nicht die, daß er sie weiter vererbte. Daneben wissen wir, daß frühzeitig von anderer Seite ein Einbruch in dieses Geschlecht erfolgte: Der Name Frodi kam auch dem Hadobardenkönig zu, und so machte man ihn und seine Nachkommen zu Skjöldungen. Wir erinnern uns, daß das auf zweierlei Weise erfolgte. Dem Ausbau des Stammbaums kam vor allem die zweite Art zugute: Frodi und Ingeld rücken zeitlich von ihren geschichtlichen Gegnern aus dem Skjöldungengeschlecht ganz ab. Sie setzen deren Reihe auch nicht eigentlich fort, sondern ein neuer Stammvater eröffnet diese junge Linie; und das ist eben Dan, der Mitbewerber Skjolds um die Ahnherrnwürde, dem nun in gewolltem Gleichlauf ein Doppelgänger des Friedensfrodi, Frodi der Friedfertige, nachgeschickt ist. Dann kommt Fridleif und dann Frodi, der Vater Ingelds. Freilich gibt es auch da, trotz ausgleichender Versuche der Isländer, alsbald wieder Verwirrung, und der Friedensfrodi wird schon dem Mühlenlied zum Sohn des Fridleif, trotzdem man Halfdan und Hrolf als seine Nachkommen zu kennen scheint. Mit Ingeld reißt der Faden dann ein zweites Mal und endgültig ab. Die Quellenberichte am bequemsten bei Förster, Beowulfmaterialien 1928 S. 4ff. —

Olrik I, 223—277; II, 223—279.

5

Herrmann S. 67—75.

Heusler bei Hoops IV, 187. Panzer, Beowulf S. 398 f. Chambers Beowulf » Cambridge 1932 S. 68ff. — Englische Königsreihe: Brandl H A 137, 6ff. Hackenberg Diss. Berlin 1918. Chambers S. r95ff. —

Skjöld, Frodi etc.:

Kjer, Beowulf 1915 S. 840. Neuhaus, Arkiv 35, 166. Schütte, Vor mytiske kongeraekke. Studier fra Sprog-og Oldtidsforskning 1917, i f f .

Björkman,

Nordisk Tidskrift för Vetenskap 1918, 163 ff. Sydow, Namnog Bygd 1924, 63 ff. Brix, Aarb0ger 1927, 193 ff. Philippsohn, Germanisches Heidentum bei den Angelsachsen 1929 S. 95ff.

Halfdan: Much, Germanistische For-

schungen 1925 S. 36 (Sceaf S. 63). — und

S. auch die Literatur zu Beowulf

Grottasöngr. Chadwicks Abdingtonsage

(The

origin

of

the

english

nation

2780.) kann aus der Reihe der Quellen füglich verschwinden.

1907,

HARALD

KAMPFZAHN.

H A R A L D K A M P F Z A H N UND D I E B R A V A L L A SCHLACHT Der letzte große Skjöldung, von dem die Quellen zu berichten wissen, ist Harald Kampfzahn. In ihm scheint das berühmte Geschlecht einen äußersten Höhepunkt zu erreichen, das Dänenreich einen äußersten Machtgipfel. Von den älteren geht nur Sven Aggesön seltsamerweise an ihm vorüber. Er habe, so sagt er etwas gewunden, über diese Zeit nichts Sicheres in Erfahrung bringen können. Mag sein, daß schon sein gewissenhaftes Historikerurteil unsicher gemacht wurde nicht durch den Mangel, sondern durch die Vielheit der Überlieferung. Er wußte nicht, wie er den sagenhaften König einreihen sollte, und das genealogische Drauflosfabulieren in Saxos Art ist seine Sache nicht. Harald Hilditönn erscheint in allen ausgeführten Stammbäumen hinter der Ingeldsippe. Aber die Verwandtschaftsverhältnisse werden ganz verschieden dargestellt, und auf Island macht sich das Streben geltend, ihn möglichst unmittelbar an die ältere Skjöldungenreihe heranzurücken. Seines Verhältnisses zu Hrolf Kraki wird nirgends gedacht, aber zu dem Skjöldung Hrörik tritt er in nahe Beziehung, und auch der Name Halfdan begegnet immer wieder in seiner Nachbarschaft. Die isländische familiengeschichtliche Forschung des 12. Jahrhunderts sieht in ihm den Sohn Hröriks und gibt ihm selbst wieder Söhne, auch einen Hrörik und einen Thrand den Alten, also ein Namensheld für den Throndheimer Gau. Landnamabok und Njalssaga (Kap. 2 5 , 1 ) kennen genau die Glieder, die von ihm bis zu den isländischen Besiedlern führten. Diese legen Wert darauf, daß sie von den Skjöldungen abstammen; aber die Zahl der Zwischenglieder ist zu klein, um ins 6. Jahrhundert zurückzuführen, und so macht dieser Stammbaum durch seine Kürze ebenso mißtrauisch wie der Saxosche durch seine Länge und Verwickeltheit. Die Unsicherheit der Historiker tut sich vor allem darin kund, daß sie den Vaternamen fortwährend wechseln lassen. Freilich nur Saxo tut das innerhalb seines eigenen Werkes und setzt unvermittelt zwei Stammbäume nebeneinander: Harald ist entweder Sohn oder Enkel des Borkar, eines schonischen Kleinkönigs, und in diesem Fall Sohn eines Halfdan (bei dem man schwerlich je an den Skjöldung gedacht hat). Die Lejrechronik kennt keinen Vaternamen, weiß nur, daß die unmittelbar

190

WER

WAR

HARALD

KAMPFZAHN ?

vorangehenden Skjöldungen Olaf und Ingeld waren. Es scheint auch Svens Meinung zu sein, daß Harald nur von der mütterlichen Seite diesem Geschlecht zugehörte. Die Skjöldungasaga (Arngrim) hat nicht den Mut, den Vater zu nennen, offenbar aus kritischer Einstellung gegen den Bericht der Hervararsaga, aus dem sie in dieser Umgebimg schöpft. Sie kennt einen Dänenkönig Valdar, der aber unwesentlich ist neben der mütterlichen Sippe: es ist eine weitverbreitete Vorstellung, daß Harald der Enkel des mächtigen und ränkevollen Schwedenkönigs Ivar vidfadmi (der weitumfassende, von der Größe seines Reiches) ist. Die Mutter heißt Aud, was das Eddalied Hyndluljod der isländischen Sagaprosa bestätigt. Die Frage: wer war Harald Kampfzahn? erledigt sich also nicht so leicht. Wie seine Abstammung, so ist auch seine Lebenszeit ganz unsicher, und die Vielgestaltigkeit der Überlieferung, gehalten etwa neben die großartige Gleichmäßigkeit, mit der gewisse Grundtatsachen der älteren Skjöldungengeschichte durch die Jahrhunderte bestehen blieben, läßt an dem Helden und seinem Anspruch auf eine Stelle in der Geschichte der altgermanischen Heldendichtung zweifeln. Von dem »hohen Halfdan« kennen wir keine Lebenstatsache, keinen bezeichnenden Zug, und sind doch sicher, daß ein dänischer König dieses Namens im ausgehenden 5. Jahrhundert gelebt hat. Trotz oder gerade wegen des vielen, was über Harald Kampfzahn erzählt wird, müssen wir zunächst in Frage stellen, ob es diesen dänischen König je gegeben hat, und zum mindesten, ob er zu den Herrschern der Frühzeit zählte. Wir haben seine Fabel zu befragen und aus ihrem inneren Charakter Schlüsse auf Alter von Held und Geschichte zu ziehen. An Harald Kampfzahns Namen hängt die Fabel von der Bravallaschlacht. Der Norden weiß von einer Riesenschlacht, die sich nach ihrem Ausmaße etwa der Rabenschlacht des 13. Jahrhunderts an die Seite stellt. Sie fand statt auf den Bravellir, die man sich an der schwedischen Ostküste in der Nähe des heutigen Norrköping denkt, einer Ebene zwischen Waldgebirge, Fluß und Strand; in alter Zeit war das noch nicht schwedisches, sondern gautisches Gebiet. Saxo, der wichtigste Gewährsmann, kennt allerdings den Namen Bravellir nicht und scheint den Schauplatz der Schlacht in Smaaland zu suchen.

SAXO ÜBER

HARALD.

191

Der Dänenkönig Harald Kampfzahn ist der Sohn Haidans, des Helden von Saxos V I I . Buch. Sein Vater fällt in der Schlacht, seine Mutter Gurith rettet ihn auf ihren Schultern aus dem Getümmel. Odin, der schon den Fluch der Unfruchtbarkeit von Gurith genommen hatte, sorgte weiter für den Knaben und verlieh ihm die Gnade, daß er für Eisen unverwundbar war. Dafür versprach er dem Gott alle, die vor seinem Schwerte bleiben würden. Als er zur Vaterrache auszieht, werden ihm zwei Zähne ausgeschlagen, es wachsen ihm während des Kriegs Backenzähne, und davon erhält er den Namen Kampfzahn. Andere behaupten freilich, er habe wegen seiner hervorstehenden Zähne so geheißen. Er kämpft unbewehrt in vielen Schlachten, macht Schildmädchen unschädlich, erobert Schonen, gewinnt den kräftigen Gegner Ubbo den Friesen zum Vasallen und greift die Schweden an, wobei ihm Odin die Geheimnisse der keilförmigen Schlachtordnung beibringt. Seine Schwester vermählt er dem hinterlistigen Schweden Ingeld, beider Sohn ist Sigurd, zubenannt Ring. Schließlich herrscht er über den ganzen Norden, samt Teilen von England und Frankreich, 50 Jahre lang, ohne daß jemand wagt, ihn anzugreifen. Als Vertrauter steht ihm Bruno zur Seite, der mit ihm aufgewachsen ist. Auf seinen häufigen Reisen zu Ring (dem Regenten von Schweden) verunglückt Bruno, Odin tritt in seiner Gestalt neben Harald und stiftet Unfriede zwischen Oheim und Neffe, so daß Ring und Harald sich die Freundschaft kündigen und sieben Jahre zum Krieg rüsten. Einige sagen freilich, Harald sei wegen seines hohen Alters dem Lande zur Last geworden und habe es vorgezogen, durch das Schwert zu sterben, nicht durch Krankheit. Um mit einem möglichst großen Gefolge ins Totenreich einzuziehen, veranstaltete er den ungeheuern Feldzug; er wünschte aber dem Ring den Sieg, denn der sollte überleben und nach ihm herrschen. V I I I . Buch. Die Geschichte dieses Krieges hat Starkad in dänischer Sprache behandelt. Die Teilnehmer der großen Schlacht werden von Saxo nach seinem Vorbild in systematischer Folge aufgezählt. Auf Haralds Seite kämpfen Dänen, isländische Skalden, dazu aus anderen Ländern, die ihm dienten, die Schildmädchen Webiorg (mit dem Schleswiger Hako), Wisna und Hetha, Ubbo der Friese, Ary der Einäugige, und eine Anzahl Norweger. Das Meer ist so mit Schiöen bedeckt, daß Seeland und Schonen wie mit einer Brücke verbunden sind. Rings Mannen sind Schweden, ebenfalls Norweger, von denen die Telemärker besonders ausgezeichnet werden, Isländer und noch sieben unabhängige Könige, darunter der Enkel des Russenkönigs Ratbarthus. Auch Ring bringt eine Flotte von 2500 Schiffen auf, ihr Führer ist Olo (bekannt aus der Starkadgeschichte). Harald Sitzt auf einem Wagen, er ist blind und kann nicht mehr mitkämpfen. E r und Ring feuern ihre Krieger durch Reden vor der Schlacht an. Der Kampf ist ungeheuer, als ob der Himmel sich auf die Erde senke. Starkad, der die Schlacht selbst geschildert hat, tötet viele Feinde und schlägt der Bannerträgerin Wisna die rechte Hand ab. Den tapferen Haki wirft er zu

192

UNSTIMMIGKEITEN

BEI

SAXO.

Boden, empfängt aber eine furchtbare Wunde, die lange nicht heilen will. Webiorg bleibt vor den Pfeilen der Telemärker,

auch Ubbo, der Friese,

der gewaltig unter den Schweden gehaust hat, wird aus der Ferne niedergestreckt, 144 Pfeile durchbohren seinen Leib.

Harald,

um

den Ausgang

des Kampfes besorgt, fragt seinen Wagenlenker, den falschen Bruno, wie denn Ring seine Kämpfer geordnet habe.

Bruno erwidert: in Keilform.

Harald ist darüber sehr betroffen und merkt, daß er es mit Odin selbst zu tun hat.

E r fleht ihn um Sieg, aber Bruno wirft ihn aus dem Wagen

und zerschmettert ihm den Schädel mit einer Keule. E r fällt in den dichten Leichenhaufen, der so hoch reicht wie seine Deichsel —

30 000 Dänen,

12 000 Schweden von Adel sind gefallen — , und man muß fast einen T a g nach ihm suchen.

Mit seinem Fall ist die Schlacht zu Ende, Ring will

ihm die letzte Ehre erweisen.

Mit Roß und Wagen läßt er ihn verbrennen

und veranlaßt die Edeln, Gold und Kostbarkeiten auf den Scheiterhaufen zu werfen, damit der tote Held würdig bei den Unterirdischen einreite.

Der Bericht fordert mehrfach die Kritik heraus. Vor allem kann sich Saxo für keine der beiden Ursachen des Feldzugs gegen Ring entscheiden. Die Begründung, Harald habe für sich nur einen ehrenvollen und großartigen Tod gesucht, schließt emphatisch das 7. Buch ab, die Szene des 8., wo er um die Entscheidung bangt und von Odin um Sieg und Leben betrogen wird, ist damit ganz unverträglich. Man hat den Eindruck, daß auf alle Fälle Odin in schlechtes Licht gesetzt werden soll, und daß deshalb zu Anfang wie zum Schluß die Lesart bevorzugt wird, die ihn zum ränkevollen Betrüger stempelt. — Auch die Doppelüberlieferung über die Entstehung des Namens Kampfzahn ist unbefriedigend. Keine der beiden Erklärungen leuchtet ein, die zweite scheint von Saxo selbst nicht verstanden; offenbar erinnerten die hervorstehenden Zähne des Königs an den Eber, der mit den Zähnen kämpft. Überkritisch wäre es dagegen, der Quellenangabe für die Schlachtschilderung zu mißtrauen. Aufzählende Rückblicksgedichte aus Starkads Mund sind uns auch sonst bekannt. Und sicher war Saxo im guten Glauben, als er den Alten als Gewährsmann nannte; tritt er doch auch in Skaldenlisten auf. Ein isländischer Parallelbericht geht unter dem Titel Sögubrot af n o k k r u m f o r n k o n u n g u m i Dana ok S v i a v e l d i . Er ist vorne und hinten verstümmelt, aber am empfindlichsten ist, daß ein großes Stück aus der Mitte fehlt. Wir erfahren die Geschichte von Haralds Eltern und hören noch von einigem, was sich nach seinem Tode ereignet hat, aber die Schilderung seiner

193

SÖGUBROT.

Mannestaten ist verloren. Die Lücke war wohl ziemlich beträchtlich. Immerhin, der Bericht über die Bravallaschlacht ist ganz erhalten. Hier ist Harald der Sohn König Hröriks von Dänemark und der Aud en djupudga, d. h. der tiefsinnigen, Tochter des Schwedenkönigs Ivar. Zuerst hatte sich Helgi, Hröriks Bruder, vergebens um Aud beworben. Als Hrörik und Aud nun verheiratet sind, weckt Ivar die Eifersucht des Dänenkönigs gegen seinen Bruder, und er tötet ihn. Später findet Hrörik selbst durch die Heimtücke seines Schwiegervaters den Untergang, aber auch Ivar geht zugrunde, unmittelbar durch Odin, der die Gestalt seines Ziehsohnes Hörd angenommen hat. Aud hat sich schon vorher nach Rußland geflüchtet und sich dort mit dem König Radbard vermählt (beider Sohn ist Randver). Harald übernimmt mit 15 Jahren die Regierung. Seiner Jugend wegen wird er gegen Eisen festgemacht, gewinnt nun viele Schlachten und erobert viele Länder, darunter einen Teil von England. Seinen Beinamen Kampfzahn hat er von seinen großen goldfarbenen Schneidezähnen. (Lücke) Als Harald sehr alt geworden ist, setzt er seinen Verwandten Hring (den Sohn des Randver) über Schweden und Gautland. Als er 150 Jahre zählt, will man ihn loswerden und in einem heißen Bad töten. Aber er wünscht sich einen königlicheren Tod und sendet Boten nach Schweden zu Hring mit der Aufforderung, ihm mit einem mächtigen Heer zu begegnen. Er zieht mit der Menge seiner Krieger dorthin, wo es Bravik heißt, auf die Bravellir. Bruni ordnet das Heer Haralds, das aus Süden und Osten viel Zuzug erhalten hat. Bei ihm befinden sich die Schildmädchen Yisma, Heidr und Vebjörg, Ubbi der Friese, Ari der Einäugige, Haki höggvinkinni. Harald läßt sich von Bruni erzählen, daß Hring sein Heer in Keilform aufgestellt habe; Odin scheint also nicht zu wollen, daß die Dänen siegen. Er verspricht ihm die gesamte Wal. Auf Hrings Seite kämpfen Ali der Kühne, Starkad der Alte, Storverks Sohn, wackere Männer aus Telemarken, auch Hrings Verwandter Radbard. Die ersten großen Erfolge erringt Ubbi, gegen den der König den alten Starkad aufruft. Aber selbst er überwältigt ihn nicht und trägt sechs Wunden davon. Auch die Schildmaid Vebjörg, eine hervorragende Kämpferin nach Starkads eigenem Bericht, trifft ihn furchtbar und spaltet ihm den Kiefer. Der Schildmaid Visma aber haut er die rechte Hand ab. Im Kampf mit Haki wird er so verwundet, daß die Lunge herausfällt. Harald will dem Kampf nicht untätig zusehen, er kniet sich in seinen Wagen, treibt die Pferde an und schlägt mit zwei Schwertern um sich. Schließlich wird er durch einen Keulenschlag aufs Haupt getötet, Bruni ist sein Mörder. Darauf gebietet Hring dem Kampf Einhalt. Am nächsten Tag wird der Leichnam Haralds aus der ungeheueren Wal gefunden und auf seinen Streitwagen gelegt. Hring läßt einen großen Hügel öffnen, heißt Haralds Roß töten und legt den eigenen Sattel darauf. Dem S c h n e i d e r , Heldensage II t 1 .

13

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SAXO UND

BROT.

toten Freunde steht nun frei, nach Valhall zu reiten oder zu fahren.

Die

Männer werfen noch Kleinode und gute Waffen auf die Leiche, und der Hügel wird geschlossen.

Das Bruchstück erzählt flüchtig und ordnungslos. Man erkennt den späten Auszug. Etwas Unwirksameres als die Darstellung des Todes des großen Königs, auf den doch die ganze Handlung zustrebt, läßt sich nicht denken; die erwachende Einsicht in die verlorene Huld Odins ist von der Katastrophe des Helden ganz getrennt, und aus Bruni wird niemand klug. Auch lästige Wiederholungen und Übertreibungen verstärken den mittelmäßigen Eindruck. Starkads berühmte furchtbare Wunde, die ursprünglich ganz einzig in ihrerArt sein sollte, erlebt mehrere Wiederholungen, der Alte geht von einem zum anderen, um sich Schläge zu holen. Das Brot übertreibt und vergröbert allenthalben. Wenigstens aber steht ihm fest, daß der große Kampf nicht durch irgendwelche Ränke verursacht wurde, sondern durch den klaren Wunsch des alten Helden, mit einem Totengefolge sondergleichen in Valhall zu erscheinen. Trotz der abweichenden Vorgeschichte und trotz der großen Lücke, die auf weite Strecken einen Vergleich unmöglich machen, leuchtet die nahe Verwandtschaft der beiden Berichte ein, des lateinischen und des zweifellos viel jüngeren isländischen. Bemerkenswert ist, daß sie am engsten zueinanderstehen in der Darstellung der Bravallaschlacht. Die Vorgeschichte scheint nur diese vier Motive zu teilen: i. Kampf zahn. 2. Unverwundbarkeit. 3. Keil. 4. (im Brot zu erschließen) Errichtung eines dänischen Riesenreichs. Von ihm weiß auch die Lejrechronik, also scheint die Vorstellung in Dänemark volkstümlich gewesen zu sein. Der Schlachtbericht kennt hier wie dort vor allem das doppelte Ziel des Königs: Sieg und Tod. Er kennt das Bild des Greises, der auf dem Wagen fährt, den Begleiter Brun, der dem König zunächst die Kunde von dem Verrat seines strategischen Geheimnisses bringt und ihn dann mit der Keule niederstreckt. Er kennt die gleichen Gruppenbildungen bei den Kämpfern und nennt als die hervorragendsten Haraldsleute Ubbi, Hako und die drei Mädchen, als Hrings Paladine Starkad, Olo, Radbard und die Telemärker. Beide Berichte sind sich einig in dem ungeheuren Ausmaße der Schlacht und der Schlachtopfer, endlich in dem glanzvollen Leichenbegängnis des Helden. Die Riesenschlacht — das ist aber nicht nur ein inhaltliches,

DIE

GEMEINSAME

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QUELLE.

sondern auch ein stilistisches Moment. Das Hyperbolische, das dem Brot eignet, ist auch dem Dänen-nicht fremd, wenngleich es bei ihm nicht eigentlich zum Grotesken ausartet. Die dänische Flotte bedeckt den ganzen Sund, die schwedische umfaßt 2500 Schiffe; es fallen im ganzen allein vom Adel 42 000; Toki wird von 144 Schüssen durchbohrt — man fühlt sich erinnert an die Zahlen jenes anderen großen Völkertreffens der Heldendichtung, der Rabenschlacht. Weder Saxo noch die späte schlechte Erzählung aus Island haben mit diesen Aufbauschungen den Anfang gemacht, sie fanden sich sicher schon in der gemeinsamen Quelle, die vorauszusetzen ist. Die Frage: was stand in dieser Vorlage? kann aber erst beantwortet werden, wenn wir wissen, welcher Gattung sie zugehörte. Über die Prosaform unserer beiden Darstellungen zurück führt die Beobachtung, die man schon vor 100 Jahren gemacht hat: die Kämpferreihen des Schlachtberichts fügen sich zu stabenden Zeilen zusammen. Es gab also ein Lied von der Bravallaschlacht, und es enthielt alle diese Namen, die man zunächst für epische Zutat halten könnte. Olrik hat, frühere Versuche mit bekannter Meisterschaft übertreffend, den erfolgreichen Versuch des Wiederaufbaus der poetischen Kämpf erliste gemacht. Und auch sonst glaubten nordische Gelehrte dieses Bravallalied in helle geschichtliche Beleuchtung rücken zu können; sie sprachen sich sehr bestimmt aus über Zeit und Anlaß seines Entstehens, über den Grundriß, nach dem es gefertigt, die Bausteine, aus denen es gefügt war. Namentlich Bugge faßte das Problem kräftig von zwei Seiten an, der geschichtlichen und der literarischen. Er fragte nach anderen Schlachten und nach anderen poetischen Darstellungen, die auf das Lied von dem großen Völkerringen eingewirkt haben könnten. Berührungen mit berühmten Schlachten des Nordens hatte schon Storm aufgezeigt; bei Bugge schwillt die Liste an: die Eroberung Yorks durch die Dänen 866, die Schlacht bei Hafrsfjord 872, die bei Svold 1000, bei Clontarf 1014, bei Helgea 1026 sollen ihre Spuren hinterlassen haben. Bei den zwei ersten gibt es nur Namensanklänge. Svold und Helgea sahen Schweden und Norweger im Bunde gegen die Dänen. Von den Mannen König Olafs auf dem berühmten Schlachtschiff Ormr enn langi gab es eine poetische Liste, die nach Olrik auf die Bravallareihe gewirkt hat. Besondere Mühe gibt sich Bugge, die Beziehungen zu 13*

196

VORLAGEN.

der irischen Schlacht bei Clontarf, der Brianschlacht herauszuarbeiten. Auch hier waren nordische Helden aus allen Reichen versammelt, und ihre Namen wurden poetisch aufgereiht. Eine Darstellung dieser Schlacht, von einem Nordmann in Irland verfaßt, soll bei der ersten Abfassung eines Bravallaliedes benutzt worden sein. In Namen und Situationen finden sich Ähnlichkeiten. Aufhorchen macht allerdings nur das eine Argument: Harald benutzt einen Streitwagen; das ist irischer Brauch, wenigstens im Bereich der Heldendichtung, der Norden kennt ihn nicht. All diese Einflüsse wurden nun aber — wenn wir Bugge weiter folgen — nicht auf das Bravallagedicht ausgeübt, das Saxo und dem Brot bekannt war, sondern auf eine Vorstufe dieser Dichtung; sie selbst hat erst 1066 Gestalt gewonnen, zur Zeit des norwegischen Königs Harald Hardradi, und zwar während seiner kriegerischen Fahrt nach England. Damals nahm man unter der Kämpferschar neue Gruppierungen vor, und sie erhielt eine letzte Bereicherung vor allem durch die Einführung Starkads. Auch hier ein verführerisches Argument: es hat schon immer verwundert, daß in der Bravallaschlacht Norweger gegen Norweger kämpfen (übrigens auch Isländer gegen Isländer!). Bugge gibt die hübsche Erklärung: 1064/65 haben sich die norwegischen Uppländer gegen Harald erhoben, deshalb sind in dem Bravallagedicht die Uppländer äuf des Dänen Seite (der nun zufällig auch Harald heißt). Man wird manche von diesen Ergebnissen mit Dank annehmen und doch im Ganzen die hochgespannten Vorstellungen von unserem Wissen über dieses Gedicht stark herabmindern. Es überrascht nicht, daß die Heldenliste reichlich aus skandinavischer Geschichte gespeist ist, am wenigsten, daß wichtige Entscheidungsschlachten ihre Spur hinterlassen haben. Für die Brianschlacht ist der Erweis nicht ganz geglückt. Auch der Streitwagen verliert sein Befremdliches, wenn man bedenkt, daß irisches Erzählgut ja auch sonst, namentlich auf dem Boden der Fornaldarsaga, reichlich zutage tritt. Bei einem Gedicht, das soviel Tatsächliches widerspiegelt, ist es auch ganz gut möglich, daß Zustände des Jahres 1066 unmittelbar eingewirkt haben, zumal ja noch eine andere Spur nach Norwegen weist: die hervorragende Rolle, die den Telemärkern zugeteilt ist. Aus einem geschichtlichen Vorgang läßt sich das nicht erklären; Bugge hat triftig zwischen

EIN

NATIONALES

GEDICHT?

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Telemarken und der Starkadgestalt Verbindungslinien gezogen: beider Einführung dürfte zugleich geschehen sein. Von hier aus suchte Olrik der Verfasserfrage näherzukommen: ein Telemärker hat dem Gedicht die letzte Form gegeben. Dieses Ergebnis berührt sich mit einer neueren Untersuchung durch Seip; die Sprachform der Namen scheint ihm auf das südöstliche Norwegen zu verweisen. Eine der beweiskräftigen Erscheinungen, der Sproßvokal vor r (Krokar usw.) ist Saxo wie Brot gemeinsam, weist also auf die ältere Quelle zurück. Auch für die Entstehungszeit findet Seip einen Gesichtspunkt, der zu Olriks Erwägungen stimmt: Erhaltung des h vor r weist noch aufs 11. Jahrhundert. Das Gedicht würde demnach in der Tat, wie Bugge wollte, von einem Südnorweger des ausgehenden 11. Jahrhunderts stammen. Für Olrik, wie schon vorher für Storm, war aber etwas anderes die Hauptsache: es war ein hervorragend patriotisches Lied, eine Verherrlichung gemeinskandinavischen Heldentums in ganz großem Stil. Den nationale stolthetsfölelsen hat es zur Welt gebracht — man soll doch wohl glauben, der Norweger, und darf dann nicht fragen, ob es für das norwegische Nationalitätsgefühl ein so erhebendes Schauspiel war, die Kämpfer des eigenen Volkes gegeneinander antreten zu sehen als Vasallen teils des Dänen, teils des Schweden? Olriks klarer Blick wird öfter getrübt, wenn er Heimatgefühl und Vaterlandsstolz im Spiele wähnt. Sein hauptsächlicher Mißgriff liegt hier aber auf anderem Gebiet, auf dem literarhistorischen. Sein gemeinskandinavisches Heldenepos (denn das wäre dies Lied nach seinen Ausmaßen gewesen, und er gebraucht selbst den Ausdruck) von der Bravallaschlacht ist noch mehr als eine äußere eine innere Unmöglichkeit. Heusler hat darüber schon lange das Nötige gesagt, es ist ihm aber nicht gelungen, Olrik den Glauben an das Lieblingskind seiner Phantasie zu nehmen. Tatsächlich ist es undenkbar, daß Schlachtbericht und Kämpferliste in einem Denkmal vereinigt waren — vorausgesetzt, daß man Erfahrungstatsachen der nordischen Literaturgeschichte zugrundelegt und nicht Wunschgebilde, die es einmal irgendwo gegeben haben könnte, für die aber kein Zeugnis spricht. Die Kämpferliste, darin muß man Heusler zustimmen, steht in naher Nachbarschaft der »J>ulur«, jener Erzeugnisse gelehrter

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BRAVALLA{>ULA.

Spielerei, die mehr der Freude an der sachlichen Fülle entwachsen als am Klang der Verse und dem inneren Gewicht der aufgezählten Namen. Sie galt bisher als ausgesprochen isländische Gattung. Läßt man Seips Beobachtungen gelten, so muß man annehmen, daß diese Kunst gelegentlich auch außerhalb der Insel auf norrönem Gebiet geübt wurde; nicht weiter verwunderlich bei den offen zutage liegenden gemeingermanischen Wurzeln der Gattung (schon der Vidsiö enthält J>ulur). Ob isländisch oder nicht isländisch ist aber nicht weiter bedeutungsvoll. Die Hauptfrage bleibt: wie sah das Lied aus, was enthielt es außer der Namensreihe noch, und wie war diese eingeführt und begründet? Jeder epische Rahmen wäre durch sie gesprengt worden. Das Gedicht, in dem sie stand, kann unmöglich auch die Fabel von Haralds Kampfansage, Zerfall mit Odin, Untergang enthalten haben. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Jrnla des Rahmens ganz entbehrte. Das wäre ungewöhnlich, wie wiederum isländische und angelsächsische Beispiele zeigen. Die gelehrten Namenslisten bedürfen der Einkleidung. Welche man hier wählte, läßt sich aus Saxo erschließen, und eine Stelle des Brot (FAS I, 384, Z. 8 v. u.) bringt eine Bestätigung. Kein Zweifel, Starkad hat die pula zuerst gesprochen, ihm legte man sie mit ein paar einleitenden Versen in den Mund und er erschien selbst in erster Person. Er war ja schon ein bewährter Meister der rückblickenden Schilderung. Der Dichter, der auf den Gedanken kam, den Alten an dieser wie an mancher anderen berühmten Schlacht teilnehmen zu lassen, zieht auch gleich die Folgerung und läßt sie ihn beschreiben. Hat Saxo das Gedicht gekannt? Seip bejaht die Frage, er will sogar Zeit und Gelegenheit ermittelt haben, die den Dänen mit dem südostnorwegischen Lied bekannt machte. Wir haben dagegen schon festgestellt: Saxo und Brot schöpften aus einer gemeinschaftlichen Vorlage. Nachdem die Seifenblase des riesigen epischen Bravallagedichts zerplatzt ist, wissen wir, daß diese Vorlage kein Gedicht war, sondern höchstens das südnorwegische Gedicht enthielt oder verarbeitet hatte. Es bleibt kaum etwas anderes übrig als anzunehmen, daß es eine Prosaquelle war, eine Fornaldarsaga. Sie mochte Strophen aus dem Gedicht enthalten oder sie bereits, wie Saxo und Brot, mit deutlich durchfühlbarem Anklang an das Gedicht aufgelöst haben.

HARALZSAGA

HILDITANNAR.

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Seip meint nun aber, Saxo müsse das Lied schriftlich vor sich gehabt haben. Das ist auf keine Art vorstellbar. Die Saga, die wir mutmaßen, ist ihm bestimmt nicht auf dem Pergament entgegengetreten. Und hätte er außer ihr noch ein Liedmanuskript in der Hand gehabt, so hätte sich wohl ein seltsames Gemisch eingestellt. Überdem zeigt ja auch das Brot die norwegische Dialektspur. So bleibt nur die Annahme, daß die isländische Vermittlung dem Lied seinen Lautcharakter nicht ganz genommen hat. Unsere Anschauungen über die Vorlage Saxos haben uns weit von Bugge und Olrik abgeführt. Es kann kaum ein Zweifel sein, daß die Fornaldarsaga, in der wir die eigentliche Quelle und das Gefäß für die Bravallafmla sehen, die Form der Haraldsvita hatte. Die Wiederherstellung im ganzen ist unmöglich gemacht durch die starke Lücke des isländischen Berichts. Was Saxo von Haralds Heldentaten erzählt, ist zu flüchtig und salzlos. Immerhin läßt sich einiges von dem wohlerwogenen Aufbau dieser Saga des 12. Jahrhunderts ahnen. Schwerlich hatte die Geschichte von Harald und Guritha hier ihre Stelle, trotz der Verse, die sich bei Saxo finden. Das Brot weist die richtigere Spur: das Geschick der Voreltern wird mit Haralds eigenem Lebenslauf zusammengehalten durch die Gestalt Odins, der wie später neben Harald so neben seinen Großvater in der Maske des Vertrauten tritt und ihn vom Leben scheidet — hier allerdings zur Strafe für Frevel, dort zum Lohn für Heldentaten; der Gegensatz ist sehr wirksam. An anderen Stellen hat wieder Saxo die Beziehungen zu dem Gott besser gewahrt. Sie werden uns später noch im Zusammenhang beschäftigen. Politisch gesehen muß die große Leistung Haralds gewesen sein: zunächst die Unterwerfung von fünf Kleinkönigen, die damals Dänemark unter sich geteilt hatten, und dann die Eroberung der nordischen Nachbarstaaten. Dem Kampf um Schweden ist besonders viel Raum gegönnt. Das hatte ehemals natürlich die Begründung: es handelt sich um das Muttererbe. Auch lagen hier ja schon die Keime für die spätere Riesenschlacht. Der Gegner Sigurd Hring soll ja nicht nur durch Zufall Regent von Schweden sein. Die Kampfleistungen Haralds bleiben ziemlich farblos. Die Unverwundbarkeit mochte zu wirksamen Szenen derart führen,

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HARALZSAGA

HILDITANNAR.

wie sie Saxo ausmalt: der Held ohne Schutzwaffen vor einem Haufen Gegner. Seine militärischen Erfolge hingen hauptsächlich an der Hilfe Odins. Von ihm durfte er, nicht der einzige Günstling des Gottes im Norden, das Geheimnis der keilförmigen Schlachtordnung lernen. Es liegt uns hier nicht ob, ihr Wesen zu erklären, und die Erörterung darüber, ob die Ausdrücke hamalt fylkja und svinfylkja gleichbedeutend sind, berührt uns nur insofern, als es wünschenswert ist, den scharfen Sinn des entscheidenden Wortwechsels zwischen Gott und Held in einer Haraldssaga zu ergründen. Nach Neckel bedeutete es nicht dasselbe, wenn Bruni sagt, der Feind habe svinfylkt her sinum, und Harald dann erschüttert fragt: Hverr mwn Hringi hafa kent hamalt at fylkia ? Jenes ist das Besondere, dieses das Allgemeine. Die adelige, in ihrem Ursprung göttliche Kunst der geordneten Schlachtreihe erreicht ihren Höhepunkt in der Aufstellung nach dem Grundriß der Eberkopfs. Wir lehnen mit Neckel die Bedeutungsgleichheit ab und können uns dabei auf das Zeugnis Saxos stützen; auch bei ihm heißt es in des verkappten Gottes Äußerung bestimmt: der Feind rückt in der geflügelten Schlachtreihe an, und Haralds Erwiderung ist allgemeiner: wer hat dem Hring die Kunst einer solchen Schlachtordnung beigebracht? (263, 18 f. u. 21 f.). Die sehr nahe Verwandtschaft unserer beiden Berichte leuchtet wieder aus dieser Stelle hervor. Haralds Beziehung zu den Schildmädchen, die in der Bravallaschlacht eine große Rolle spielen, muß in den vorausgehenden Abschnitten dieses Heldenlebens irgendwie angebahnt worden sein. Bei Saxo hilft er erst einem auswärtigen König gegen seine Schwester, die ihn entthront hat — sicher war sie auch Schildmädchen — dann zieht er femirtea admodum -presumpcione permotus (249, 22), gegen zwei Schildmädchen, die den Norwegerkönig Olaf bedrängen. Es ist ja unfolgerichtig, daß der Feind dieser Amazonen am Ende seines Lebens seine besten Truppen von Amazonen befehligen läßt; aber ein Zusammenhang zwischen diesen und jenen Schildmädchen muß bestehen, sei es auch nur der, daß der Verfasser unserer Fornaldarsaga eine Vorliebe für solche romantischen Figuren hatte. Die eine Schildmaid wird sogar Regentin von Dänemark. Denn das ist ja merkwürdig: man hält im übrigen vergebens nach eigentlichen Haraldshelden Umschau. Der Roman handelte in der Hauptsache von dem Herrscher selbst und seinen Taten.

HARALZSAGA

HILDITANNAR.

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Die Mannschaft, die er und Hring aufbieten, ist von den verschiedensten Seiten zusammengeborgt: Helden des Starkadkreises, des älteren Skjöldungenkreises; die Jomsvikinger stellen Toki, geschichtliche (darunter wohl auch Ubbi) und phantastische Gestalten aus allen nordischen Gauen kommen dazu. Die Schildmädchen allein müssen irgendwie mit dem Dänenreiche Haralds in Beziehung stehen, dessen Ortschaften ja auch nach ihnen benannt sein sollen. Wie Hrolf Kraki und die zwei Frothos errichtet Harald schließlich eine Art Weltreich, wenigstens vom nordischen Gesichtswinkel aus. Wo immer „Normannen« gesessen haben, dahin erstreckt sich seine Herrschaft; nach Rußland, England, an die französische Küste, ja ans Mittelmeer. Der Gedanke der großen Schlacht, die dies Heldenleben krönen soll, birgt nun aber eine große Unstimmigkeit in sich. Saxo und Brot wissen: der Heldentod ist der Abschluß, dem Harald zustrebt. Sie erzählen, daß Odin den König diesem Ziel zuführt; es ist aber eine Heimtücke des Gottes, er geht vor wie ein Meuchelmörder, und Harald stirbt mit ihm verfeindet. Es wäre ein großer dichterischer Einfall: das Sehnen des Lebensmüden nach Tod wird im entscheidenden Moment der Schlacht zurückgedrängt durch das übermächtige Streben des Helden nach Sieg, das ihm ein Weiterleben zur Pflicht macht. Keinem unserer Berichte gelingt es, den Gedanken herauszugestalten. Die Vorstellung dagegen herrscht unbedingt (wir trafen sie auch in anderen Heldenfabeln): der Tod des Führers besiegelt oder bedeutet recht eigentlich die Niederlage des Heeres. Den eigenen Tod ersehnen hieß also dem Feind den Sieg gönnen. Saxo hebt das ganz richtig zu Ende des 7. Buchs hervor. Aber von einer inneren Umkehr ist nichts angedeutet. Die Unterredung mit Bruni auf dem Schlachtfeld ist wohl so zu verstehen, daß Odin den Blinden mit Willen betrügt: die Schweden rücken gar nicht in Keilform an. Die Kunde, die er ihm bringt, hat nur den Sinn: Du wirst unterüegen und sterben. Sie durfte den lebenssatten Helden eigentlich nicht erschüttern. Ist die Odinfabel ursprünglich, so konnte der Wunsch des Harald nach dem Heldentod nicht der eigentliche Anlaß der Schlacht sein. Odin brauchte das Opfer nicht zu morden, das sich ihm selbst darbot. Und tat er es, dann war es keine Tücke. Der Verfasser des Haraldromans wollte dem Lebenslauf des Helden einen würdigen Ab-

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DER

ODINSCHÜTZLING.

Schluß geben. Es genügt ihm nicht, daß der König nach seinem endlosen Leben (die 150 Jahre sind auch eine der Übertreibungen, die uns an die festländische Heldenepik gemahnen) den Heldentod stirbt, er muß ihn auch sterben w o l l e n , ganz Meister seiner selbst und seines Schicksals sein. Das ist das würdigste Ende eines großen Mannes. Und es ist offenbar: diese schöne krönende Erfindung k r e u z t e s i c h mit einer älteren Vorstellung, nach der Harald sich nicht freiwillig dem Gott zum Opfer brachte, sondern der Gott sich den Widerwilligen holte. Dieser ganze Lebenslauf stand im Zeichen der göttlichen Schutzherrschaft. Das Verhältnis lockerte sich nur am Schluß, durch die an sich echt heroische Erfindung des Sagamanns, der den König aus eigenem Antrieb zum Heldentod schreiten läßt. Das wären die Grundlinien dieser Odinsfabel: 1. Der Gott hilft zu Haralds Geburt. 2. Er übt für ihn Vaterrache (Brot). 3. Er erzieht ihn (so ist natürlich die Angabe zu verstehen, Bruni sei mit ihm aufgewachsen). 4. Er macht ihn fest. 5. Er lehrt ihn die keilförmige Schlachtordnung. 6. Er bleibt ihm als Vertrauter zur Seite. 7. Schließlich aber holt er ihn sich heim nach Valhall. Daß dem Helden Niederlage und Tod schwer fallen, ist nur menschlich. Aber er teilt das Schicksal manches anderen, der Odni signadr war. In diesem Licht sah den Helden und seine Sippe das Island des 11. und 12. Jahrhunderts nach dem Zeugnis der Hyndluljod (Str. 28: ßeir vöro gumnar godom signadir). Auch die Vorstellung ist ja verbreitet, daß eine Unfolgerichtigkeit, ja eine Tücke des Gottes darin liegt, daß er sich seine Lieblinge von der Erde wegholt. In der Vikarfabel ist der Gedanke bis zur letzten, für Odin auch ausgesprochen ungünstigen Folgerichtigkeit getrieben. Bei unserem Stoff waren es wohl nur die mißgünstigen Heidengegner, die Odin sittlich allzustark belasteten. Der ursprünglichen Fabel ist er in seinem Recht. Sicherlich ist es viel berechtigter, hier einen altertümlichen Kern zu suchen als in der Darstellung der Bravallaschlacht selbst. Die dünkt uns jung in allen ihren Teilen und Helden, läßt keinerlei ältere Fabelumrisse erkennen, keine irgendwie liedhaft zu denkende Szene. Der einzige wirksame Auftritt hat mit der Schlacht als solcher nur mittelbar zu tun und gehört in den Bereich der Odinfabel. Man hat in beiden Richtungen — Odinfabel und Schlachtbericht — nach altgermanischen Wurzeln gegraben. Wir verfolgen erst die aussichtsreichere Spur.

HARALDLIED ?

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Heusler erwärmt sich für ein altheroisches Lied, das den Gedanken der Riesenschlacht nur als ein Nebenbei enthielt, dessen Hauptgegenstand die Heimholung eines großen Helden durch Odin war. Niemand kann verkennen, daß die Szene mit Bruni altgermanischen Liedcharakter trägt. Sie erinnert unmittelbar an des Paulus Bericht über die Schlachtschau und den Untergang des Herulerkönigs Rudolf (D. S. 395). Neckel liest die Langzeile aus dem Sagabericht: Hverr hefir Hringi kent ha.ma.lt at fylkia ? Aber auch Nachfahren der eigentlichen Heldendichtung haben den Reiz solcher Szenen noch gefühlt und sie oft glücklich nachzubilden versucht. Es wäre zu fragen: für welche Zeit ist die Vorstellung bezeugt, daß Odin sich Helden für Valhall sammle, sie lange beschütze und endlich zu sich nehme — doch wohl um gegen Ragnaröks Schrecken bewehrt zu sein? Ist diese Vorstellung schon im Norden des 6. Jahrhunderts lebendig gewesen ? Es gibt nur ein äußeres Zeugnis für das Alter der Haraldssage: der Skald Einar Skalaglam nennt den Helden zuerst, und zwar als Stammvater der dänischen Könige. Die Zeit ist etwa 970. Seit mindestens Mitte des 10. Jahrhunderts wußte man also im Norden von diesem dänischen Vorzeitherrscher. Das Alter des realistisch heroisierten Valhallglaubens läßt sich viel schwerer ausmachen. In dem Gedicht Eiriksmal wird die Aufnahme eines gefallenen Königs in Valhall geschildert. Odin schickt zu seinem Empfang Sigmund und Sinfjötli aus. Sigmund fragt den Gott — die Stelle war uns schon früher aufschlußreich: Hvi namt kann sigri, pds potti snjallr vesa ? — und er erhält die bekannte Antwort: pvi at övist es at vita: ser Ulfr enn hqsvi ä sjqt goäa. — Das Lied fällt um 950. Man sieht: Erich Blutaxt, der Held der Eiriksmal, Sigmund selbst und unser Harald stehen vor derselben Frage: wie kann ein Odinsliebling fallen und den Sieg verlieren? — und Odin antwortet allen drei Helden zugleich. Der Fall liegt bei Sigmund sehr ähnlich wie bei Harald. Auch dieser fleht ja um den Sieg, und der Gott verweigert ihn ihm, auch dieser vermag den Grund nicht einzusehen und hält Odin für seinen Feind. Es gibt auch sonst Berührungen zwischen Sigmunds Schicksal und dem Haralds. Sie sind nicht stark genug, um etwa einen Einfluß des größeren Völsungenlieds auf unsere Haraldsaga zu

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HARALDLIED

DES

IO. JAHRHUNDERTS.

beweisen, aber sie zeigen doch eine nahe Verwandtschaft der Vorstellungen vom Odinschützling. Auch von der Stammutter der Völsungen muß Odin erst den Fluch der Unfruchtbarkeit nehmen. Auch den Sigmund läßt Odin ein hohes Alter erreichen (Vs. Kap. Ii, 20 und 39). Die gelegentlich bezeugte Vorstellung, daß er unverletzlich ist, vor allem gegen Gift, hat mit Odin nichts zu tun, aber in der letzten Schlacht scheint er in der Tat durch höhere Fügung »fest« zu sein, denn es heißt 11, 43: mart spjöt var par ä lopti ok grvar; en svd hlifpu honum hans spddlsir, at kann varp ekki sdr — bis Odin ihm entgegentritt und ihm die Waffe zerschlägt; da wendet sich das Kriegsglück und Sigmund fällt — freilich nicht auf so rohe Weise wie Harald und nicht durch den verkappten Gott selbst. Es mag Zufall sein, daß die beiden frühesten Anspielungen auf Harald Kampfzahns Persönlichkeit und auf eine Fabel, die der seinen ähnelt, annähernd in die gleiche Zeit fallen: 970 die eine, 950 die andere. Jedenfalls aber haben wir keinen Anhalt für eine frühere Datierung eines Liedes von Haralds Untergang, und es ist nicht bedeutungslos, daß nachweisbar in dieser Zeit die Gestalt des Odinsschützlings, der nach Valhall eingehen muß und darf, die Dichter fesselte. Sonst hätten die Eiriksmal zur Verherrlichung des toten Königs nicht die Situation aufgegriffen, und die heikle Frage gestellt: War denn Eirik Götterliebling? Wir haben früher angenommen, daß das Geschick Sigmunds in dieser späten Zeit erst die Schlußwendung erhielt, die uns aus der Völsungasaga geläufig ist. Umso größer ist die Wahrscheinlichkeit auch für Harald. Aus Vorstellungen, Stimmungen, und verwandten dichterischen Vorwürfen des 10. Jahrhunderts heraus begreift sich also eine Haraldfabel am besten. Sie k a n n natürlich auch älter sein; man mochte von Harald erst anderes erzählt haben, ehe man jenen Auftritt auf ihn übertrug. So ist weiter zu fragen: Wie alt ist die H a r a l d g e s t a l t ? Zweifel an ihrem hohen Alter kamen uns schon angesichts des Stammbaums, den die Isländer, allzu karg, aufbauten. Andererseits hat man gesagt: Harald Kampfzahn ist so alt, daß kein historischer Bericht über ihn vorliegt. Das will bei einem Dänenkönig nicht viel heißen, führt aber doch über Einar Skalaglam und die Odinsfabel hinaus. Ist er für den Skalden der Ahnherr der dänischen Könige, so mußte man versuchen, ihn zu den Skjöldungen irgendwie in Verhältnis zu setzen. Geschah das schon im 9. Jahrhundert oder

HARALDS

ABSTAMMUNO.

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früher, dann war mit einem gedrungenen Stammbaum zu rechnen, und die Hauptfrage mußte sein: wie verhielt sich Harald zu d e n Skjöldungen Halfdan, Helgi, Hroar, Hrolf? Wir erinnern uns, daß drei Quellen ihn in Beziehung setzen zu Hrörik Schleuderring. Dort, wo die Skjöldungenüberlieferung für uns den stärksten Riß erleidet, im Dänischen wie im Isländischen, hätte er seine Stelle. War die Lejredynastie mit Hrolf oder dem Sechsstundenkönig Hjörvard n i c h t zu Ende, folgte der dritte Halfdanenkel in der Regierung — wir haben uns zu dieser Anschauung bekannt — so ist der Gedanke sehr verlockend, daß der Dänenkönig mit dem H-stab ehemals schon die ganze hehre Reihe abschloß und tatsächlich der letzte Skjöldung war. In dem noch ungedruckten dritten Band von Danmarks Heltedigtning, der dem Kampfzahn gewidmet ist, hat Olrik denn auch die Meinung vertreten, Harald sei Hrolf Krakis Nachfolger gewesen, und mit ihm habe der Glanz nicht nur der Skjöldungen, sondern auch des frühesten Dänenreichs sein Ende gefunden; etwa Mitte des 6. Jahrhunderts. Der Stammbaum des Helden, wie ihn das Eddalied Hyndluljod angibt, erscheint ihm vertrauenswürdig; entspricht er doch dem altgermanischen Stabreimgesetz, das nach 700 bei der Namengebung in Verwirrung gekommen ist, und zeigt außerdem die folgerichtige Anwendung des rühmenden Beiworts: Ivar der Weitumfassende, Aud die Tiefsinnige, Hrörik der Ringeschleuderer, Harald Kampfzahn. Das alles spricht für alte Fabeleinheit. Die historische Aud (oder Unn) des 9. Jahrhunderts, die berühmte landndmskona, soll nach jener Persönlichkeit der schwedisch-dänischen Heldendichtung heißen, die also auch aus diesem Grund samt ihrer Sippe in vorhistorische Zeit hinaufrückt. Hrörik wurde ja allerdings nach Olriks Meinung von dem eigenen Vetter Hrolf Kraki entthront und getötet, nicht vom Schwiegervater; aber das, meint er, wird richtig sein, daß die Mutter den kleinen Harald rettete, und dieser nach Hrolf und Hjörvard tatsächlich den dänischen Thron bestieg. Die dichterische Behandlung seiner Schicksale hat sich alsbald so verselbständigt und so weit von seiner Sippe abgeführt, daß man seine Zugehörigkeit zu den Skjöldungen in Dänemark ganz vergaß. Man sieht, das sind Möglichkeiten, nicht einmal Wahrscheinlichkeiten. Wie konnte ein so klarer und eindrucksvoller Zusammenhang so gründlich vergessen werden; wie es zu der tasten-

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HARALD

GESCHICHTLICH?

den Unsicherheit unserer Quellen über Haralds Geschlecht kommen, die Olrik selbst beklagt ? Wie sollten junge isländische Quellen das Rechte erhalten haben, während die dänischen Gewährsmänner sich in phantastische Irrtümer verloren? In der alten Heimat der Skjöldungen gab es doch nach Ausweis der Lejrechronik um 1150 noch mündliche Kunde von Harald und seinem Riesenreich. Auch d a s ist eine ungewöhnliche Erscheinung, daß sich die dichterische Geschichte einer Sippe so völlig spaltet. Aus derselben Wurzel können mehrere Fabeln stammen, aber sie pflegen sich nicht zu meiden, sondern anzuziehen. Man erinnere sich, wie die Ingeldfabel, weit entfernt ihren Zusammenhang mit den Skjöldungen zu vergessen, ihn im Lauf der Jahrhunderte immer enger knüpfte. Schwedische Historiker von heute würden gegen Olriks Anschauung noch andere Bedenken ins Feld führen. Nerman nimmt neuerdings alles, was von Haralds Lebenszeit und seinem großen Reich überliefert ist, sehr ernst. Er glaubt an Harald als Enkel Ivar vidfadmis, der der erste »Unionskönig« von Dänemark und Schweden war, und alles, was die Ynglingasaga von diesen Persönlichkeiten und Zeiträumen berichtet, ist ihm geschichtlich. Leider versäumt er die Klärung der wichtigsten Vorfrage, welche Quellen sein Gewährsmann benutzt hat. Was nämlich von Ingjald illradi und Ivar in der Ynglingasaga erzählt wird, trägt so deutlich das Gepräge der Fornaldarsaga, daß man es nicht als geschichtlich gelten lassen kann; zum mindesten hat es einen so weiten Weg hinter sich, daß die Erhaltung historischer Züge reiner Zufall sein müßte. Gestützt auf die Erzählung Snorris schließt aber Nerman so: Unmöglich kann Harald der Sohn Hröriks gewesen sein; die Zeitfolge der Skjöldungengeschichte verwiese ihn ins 6. Jahrhundert, die der Ynglingasaga ins ausgehende 7. und ins 8. Der Stammbaum der Hyndluljod (auf dem Olrik aufbaut) ist unmöglich, Hrörik kann nicht der Schwiegersohn eines hundert Jahre Jüngeren gewesen sein. Aber auch Nermans eigene Anschauung verliert dadurch jede Sicherheit. Das Verhältnis Haralds zu Ivar ist grundsätzlich nicht besser bezeugt als das zu Hrörik. Gehörte er nun zu diesem und war ein König des 6. Jahrhunderts oder zu jenem und fand sein Ende um 750 ? Wir wissen es nicht. Wir wissen überhaupt nicht bestimmt, ob und wann er gelebt hat. Waren nun aber spätere Geschlechter — nicht allzu späte,

URSPRÜNGE

DER

BRAVALLASCHLACHT.

207

man muß ans 9. oder 10. Jahrhundert denken — vor die Frage gestellt, wie und wo dieser Harald unter die Stammväter der dänischen Könige einzureihen sei, so gab es zwei Möglichkeiten: entweder er stammte von den Skjöldungen ab, oder er hat sie verdrängt und ersetzt. Vielleicht ist es ja Zufall, aber dann ein sehr seltsamer, daß jede unserer beiden Quellen eine dieser zwei Möglichkeiten verwirklicht. Der isländischen ist Harald der Sohn des Dänenkönigs Hrörik, des letzten Halfdanenkels; wo also die Kenntnis von dieser Dynastie aufhörte, ließ man ihn gleich einspringen. Bei Saxo (247, 31) besiegt er einen Rörik, und kann daraufhin Lethra in Besitz nehmen. Ein Held anderer, zunächst unbestimmter Herkunft stößt den letzten Skjöldungen vom Thron. Zuerst scheint man nur von seiner mütterlichen Verwandtschaft gewußt zu haben, die Vaterstelle war frei. So würden sich alle Erfindungen und widerspruchsvollen Angaben erklären. Geht nun vielleicht die Bravallaschlacht auf altgermanische Zeit zurück? Ist Harald Held einer Vorzeitdichtung gewesen, so wird dieses Lied wohl auch von der Bravallaschlacht berichtet haben. Olrik holt eine Jordanesstelle hervor, um zu zeigen, daß in der Tat im 6. Jahrhundert viel um den Besitz der fruchtbaren götländischen Ostküste gekämpft worden ist. Der letzte große Dänenkönig Harald, so meint er, habe, wie manche auswärtige Heerschar nach Jordanes Zeugnis, den Versuch gemacht, an dieser Stelle, bei der Mündung des Motalaflusses, das Gautenreich mit einer Flotte anzugreifen. Sein Gegner war Hring, der Gautenkönig (H-stab der gautischen Herrscherfamilie!), nach dem das nahegelegene Hringsted benannt ist. Die Gauten blieben Sieger, das dänische Reich zerfiel nach der großen Niederlage und dem Tod Haralds. Es war ein Augenblick der Schicksalswende im Norden. Der großen Schlacht ist aber auch von anderer Seite vorzeitliches Alter zugeschrieben worden, ein Alter, das unabhängig ist von dem Haralds, oder wenigstens des Dänenkönigs Harald. Namentlich schwedische Forscher haben sich dafür eingesetzt, daß dieser altehrwürdige, durch zahlreiche frühgeschichtliche Funde belebte Boden Schauplatz eines großen Völkertreffens gewesen sei.

208

BRAVAI.LASCHLACHT GESCHICHTLICH ?

Der Beowulf gibt prophetisch Kunde von einem Kampf, durch den Schweden die Oberherrschaft über Gautland gewinnen werde. Diese Schlacht, so meinte mein, fand auf den Bravellir statt, und die Erzählung von ihrem riesigen Ausmaß erhielt sich bis in Zeiten, die schon längst den Grund der Fehde und die streitenden Parteien vergessen hatten. Auch das ein würdiger Anlaß für eine Überlieferung, die noch nach dreiviertel Jahrtausenden dem ganzen Norden Eindruck machen konnte! Dort das Ende der dänischen, hier der Anfang der schwedischen Macht. Die Schlacht, an die Stjerna und andere dachten, hat den Vorzug, daß sie wirklich einmal stattgefunden haben muß, während es dafür ja kein Zeugnis gibt, daß die Dänenmacht im 6. Jahrhundert durch einen unglücklichen Feldzug nach Schweden oder Gautland einen starken Stoß erhalten hat. Für die schwedischen Forscher stehen archäologische Erwägungen im Vordergrund, die ja auch Olrik für sich verwendet: altumkämpftes, begehrenswertes, burgengeschütztes Land. Man hat dem Verlauf eines »Götavirk« nachgeforscht, das die Brabucht militärisch sicherte und gleich der Burganlage des nahen Ringsted aufs 6. Jahrhundert deutet. Weiter verwies man auf die übliche kriegerische Kopfbedeckimg des 6. Jahrhunderts, den Eberhelm; Haralds Beiname stimmt dazu, man sah diesen großen Krieger unter dem Bild des Ebers. Anderes mag noch schwächer anmuten: Schück macht auch den H-stab im gautischen Königshaus geltend: Hilditönn müßte ja ein Gautenfürst gewesen sein, wenn er tatsächlich in jener Entscheidungsschlacht den Schweden erlag. Einzelne Heldennamen aus der Schlacht glaubte man auf alten schwedischen und dänischen Runensteinen wiederzufinden, Ari den Einäugigen und Ymi. Nerman aber, einst Überzeugtester Verfechter der GautenSchwedenfehde des 6. Jahrhunderts, setzte dann die Bravallaschlacht volle 200 Jahre später an. Wir sahen schon, daß die Zeitfolge der Ynglingasaga ihn dazu zwingt. Die Schlacht, auf die der Beowulf ausblickt, beläßt er im 6. Jahrhundert, aber sie fand nicht auf den Brafeldern statt und brachte nur dem Westgautenreiche den Untergang. Auf der berühmten Stätte kämpfte vielmehr ein dänischer Großkönig gegen seinen eigenen Unterfürsten. Es stimmt bedenklich, daß hier wieder alles auf eine Karte gesetzt wird: unbedingte Glaubwürdigkeit der Ynglingasaga. Und die Angaben der Überlieferung über Harald werden

209

B ü A V A L L A S C H LACHT HISTORISCH ?

nach Bedarf angenommen und verworfen. Die ältere Theorie war geschlossener und folgerichtiger, aber doch auch nur einer der vielen schönen Träume der Heldensagendichtung. W e r wird sich nach dem A b f a l l eines ihrer Begründer noch für sie einsetzen wollen ? Auf der Suche nach einem geschichtlichen Hintergrund schritt man schließlich vor bis ins 9. Jahrhundert. B u g g e v o r allem setzte sich ein f ü r ein Ereignis, das Einharts fränkische Geschichte z u m Jahre 812 berichtet. K ö n i g Hemming von Dänemark, hören wir da, war gestorben, und um seine Nachfolge entspann sich Streit zwischen Sigifred und Anulo, den Verwandten (nepos) des früheren Königs Heriold. Sie begegneten sich in einer Schlacht und fanden beide den Tod, Anulos Partei war aber siegreich und machte Anulos Brüder Heriold und Reginfrid zu Königen. In der Schlacht sollen 10940 Mann gefallen sein. Eine Ähnlichkeit ist hier wirklich vorhanden, namentlich wenn man, wie schon Storm t a t , in Anulo A l i (Olo) sieht, und gleichzeitig annimmt, daß der Name Hring aus einer Mißdeutung v o n Anulo z u lateinisch anulus entstanden sei. Die drei Namen Olo, Sigurd, Harald finden sich in schönem Verein,' und wenn nicht die Dichtung, so h a t das Gerücht der Schlacht ungewöhnliche A u s m a ß e verliehen. Freilich, ein Entscheidendes fehlt wieder, der Hinweis auf den Schauplatz. D i e s e Schlacht h a t , so sollte m a n meinen, in Dänemark stattgefunden. Einhart weiß nichts davon, daß mehrere Völker in sie verwickelt waren, und auf jeden Fall ging der Streit um die dänische Krone. O b nun im Anschluß an den K a m p f v o n Schweden und Gauten u m 550, v o n Schweden und Dänen u m 750, an eine ganz andere Schlacht u m 812 — oder vielleicht auch ohne einen bestimmten A n l a ß : es m u ß im Norden v o m 10. Jahrhundert an die Vorstellung eines großen Treffens auf den Bravellir bestanden haben. A m sichersten geht man vielleicht mit der Annahme, daß sie in einer Ortssage wurzelte. V o n Befestigungen, Waffenfunden, Kriegergräbern in dieser Gegend wissen nicht erst unsere Archäologen. Sie heischten schon in früheren Jahrhunderten Erklärung, und a m einfachsten war, wo man sie fand, ein altes Schlachtfeld z u mutmaßen. A l s nun der greise Dänenkönig Harald K a m p f z a h n sich mit dem Schweden Hring messen sollte, da fand die Dichtung keinen besseren Schauplatz für die E n t scheidungsschlacht als jenes alte K a m p f f e l d , das man sich recht S c h n e i d e r , Heldensage II, i .

14

2IO

LITERATUR.

gut als Grenze eines großdänischen und eines schwedischen Reiches denken konnte. Allgemeines: Heusler bei Hoops II, 449 t., Herrmann, Saxo 511 ff. und 541 ff. Stellung des Sögubrot: Aarbeger 1894, S. 146. — Bravallalied: Müllenhofl, D A K V, 335 ff. Olrik, Arkiv 10, 223 (Rekonstruktion, die in •den Nachlaßpapieren noch einmal sehr sorgfältig vorgenommen ist). Dazu Heusler, H A 116, 235 ff. Bugge, Norsk Sagafortelling i Irland Kristiania 1901/08 (darin die ältere Literatur S. 78 f.). Olrik, Kilderne II, 249 und 269 ff. Heltedigtning II, 125 ff. Larsen, Aarb0ger 1925, 147 ff. Seip, Norsk tidsskrift f. sprogvidenskap III (1929) S. 5 ff. — H a r a l d s Geschlecht: Jon Jonsson, Arkiv 36, 26 ff. — hamalt fylkja: Neckel, Arkiv 34, 284 ff., namentlich 317. — Geschichtliche Grundlage: Olrik, Namn og Bygd II, 297 ff. Nerman, Det svenska rikets uppkomst Stockholm 1925, 213 ff. örtlichkeit der Schlacht: Türe Hederström, Fornsagor och Eddakvädan i geografisk belysning, Stockholm 19x7, S. 20 ff. (mit sehr genauer Karte). Norden, Meddelanden frän Östergötlands fornminnes-och museiförening 1925/26 S. 55 ff. und Ord och Bild 1925, 1. Schweden-Gautenschlacht: Stjerna, Svenska Fornminnesförenings Tidskrift 12, 359 ff. Nerman, Studier över Svärges hedna litteratur 1913 S. 74 ff. Schück, III. Svensk Lit. historia 4 1926 S. 60. — A l y der Einäugige: v. Friesen, Upsala nya tidning 31. 12. 12 (dagegen aber Friesens frühere Deutung des Steins von Möjebro bei Noreen Altisl. G r a m m a t i k 3 S. 340). Imi: Läffler, Fornvännen 1906, 185. Axel Olriks Nachlaß enthält große Teile des Manuskripts zu Danmarks Heltedigtning III, Harald Hildetand. Ein weitangelegter Anfangsteil handelt über Oldtidens navneskikh, ein starker Anhang über Halfdan den Starken und die meist sagenhistorisch wertlosen vielen Halfdane der Quellen. Die ausgeführten Teile gelten vor allem dem vermeinten Bravallagedicht und der Jugendgeschichte Haralds. Die Erörterung über Herkunft, Alter und älteste Gestalt der Odinsfabel ist nicht zu Ende gediehen. Im gleichen Sinn und knapper handelt über Harald ein Abschnitt der dänischen Literaturgeschichte.

DIE KLEINEREN NORDGERMANISCHEN SAGENKREISE HAGBARD UND SIGNE Es gibt eine einzige Fabel in unserem gesamten Gebiet, die immer und ohne jede künstlich gelehrte Nachhilfe im Norden lebendig gewesen und geblieben ist; die nicht wie andere in die spätmittelalterliche Dichtform hinübergerettet und durch sie noch eine Zeitlang gefristet werden mußte, sondern ihr rechtes Leben und Wirken erst zur Balladenzeit begann. Das ist die

SAXOS

211

HAGBARDGESCHICHTHE.

Sage von Hagbaxd und Signe. Auch darin scheint sie eine Sonderstellung einzunehmen, daß sie ihrem ursprünglichsten und innersten Wesen nach Liebesgeschichte ist, was ja Hildesage, Walthersage, Brünhildsage von Hause aus nicht waren. Man hat den Eindruck, erst das hohe Mittelalter habe die Fabel seinem Geschmack gemäß gefunden; jedenfalls hat es mit dem größten Eifer an ihr weitergebaut und durch zahlreiche örtliche Aneignungen immer wieder gezeigt, in wievielen verstreuten Gegenden Skandinaviens man sich die Gestalten dieser Sage nahe wußte. Die sagenhistorische Vergangenheit des Stoffs ist schwerer zu ergründen. Wiederum, und hier am dringendsten, erwächst die Aufgabe, seine Daseinsberechtigung in der Reihe der altgermanischen Heldendichtungen nachzuweisen. Und auch hier, werden wir sehen, läßt sich über Möglichkeiten und Mutmaßungen nicht hinauskommen. Ausgangspunkt und Endpunkt jeder Betrachtung über Werden und Form des Stoffes vor der Balladenzeit ist Saxo. Er allein überliefert eine Darstellung. Aber, wie oft, ist er wieder so reich mit Gaben, daß man doch schließlich von einer doppelten Überlieferung reden kann. Er erzählt den Liebesroman in ausführlicher Prosa, und an einigen Höhepunkten streut er ziemlich umfangreiche Liedeinlagen ein. Sein 7. Buch (228 ff.) berichtet von einem Dänenkönig Sigarus, der drei Söhne hatte, Sywaldus, Alf und Algerus, und eine Tochter Sygne. (Der Text enthält hier die Schreibglosse, daß nach diesem Sigar die dänische Stadt Syersted benannt sei.) Alf und Alger treffen (230, 30) bei ihren Wikingsfahrten auf Söhne des Königs Hamundus, Helwin, Hagbarthus und Hamundus und versöhnen sich nach heißer Schlacht mit ihnen. Hagbarth, so ist wohl die etwas verwirrte Darstellung zu verstehen, kommt mit ihnen nach Dänemark und gewinnt die Liebe Sygnes, um die gleichzeitig ein schöner und stattlicher, aber untüchtiger und ruhmloser Deutscher namens Hildegisleus wirbt. Aber Signe achtet nicht auf das Äußere ihrer Freier, und als die Mägde die Großtaten einzelner Fürsten miteinander vergleichen, da stellt sie den kriegsberühmten Hako über Hildegisl. Hier folgt eine Anzahl Verse, in denen es heißt: »wenn ihm auch die schöne Gestalt fehlt, so wiegt sein tapferer Sinn das auf; diesem verleiht nicht die Körpergestalt, sondern der Waffenruhm Preis, für jenen spricht nur der hübsche Kopf und der goldhelle Scheitel. Schönheit vergeht, Tapferkeit besteht, äußerer Schein soll mich nicht blenden.« Das Lied wird bekannt, jeder weiß, daß unter Hako Hagbard verstanden wird. Auch Hildegisl hört davon und verleitet den blinden Bolwisus, Sigars bösen Ratgeber, zwischen Hamundsöhnen und Sigarsöhnen Unfriede zu säen. Er bringt es M*

212

SAXO.

durch seine W a r n u n g e n v o r der Verschlagenheit der Hamundsippe dahin, d a ß Alf und Alger Helwin und H a m u n d töten. H a g b a r d k o m m t m i t frischen T r u p p e n und nimmt Rache, die Sigarsöhne fallen, Hildegisl entrinnt m i t einer schimpflichen W u n d e a m Hintern. H a g b a r d h a t Sygnes W o r t ,

sie wolle i h m angehören.

N u n legt er

Weiberkleider an, weil er in seiner wahren Gestalt nicht mehr a m Dänenhof erscheinen darf, gibt sich f ü r eine K a m p f m a i d des H a g b a r d aus und erdenkt E r soll die N a c h t bei den Mägden zubringen.

eine B o t s c h a f t an Sigar.

A l s ihm die Dienerinnen die F ü ß e waschen, staunen sie über seine rauhen Schenkel und harten Hände.

D a erwidert er (in Versen): »Was Wunder,

d a ß meine Sohle hart geworden ist und mein B e i n struppig, eile ich doch auf rauhen W e g e n dahin; auch meine Brüste sind nicht lind wie die eueren, die Linnen b e d e c k t ; unsere Hände haben es nicht mit dem R o c k e n zu t u n sondern m i t mordtriefenden Geschossen.« Saxoschem Wortschwall.

Signe bestätigt das m i t echt

U m die Fremde zu ehren, bestimmt Signe sich

ihr selbst zur Bettgenossin.

A l s die beiden Liebenden beieinander liegen,

sprechen sie inter mutue voluptatis colloquia (233, 30) so zueinander: »Wenn mich dein V a t e r f ä n g t und ich dahin bin, wirst du dir dann schnell einen neuen B u n d suchen?

Ich darf nicht auf Gnade hoffen, dein V a t e r t ö t e t

mich, er rächt den T o d seiner Söhne, und d a ß ich dich gegen seinen Willen i m A r m halte.

Sag, was ist dein Vorsatz, wenn d u meiner U m a r m u n g

beraubt bist ? « — »Mit dir, Geliebter, will ich sterben. W e n n dich der T o d ergreift und du in der Henker Gewalt dein A u g e schließest, weihe ich mich d e m gleichen Geschick und sage jeder anderen Liebe ab. A u c h in der Todespein werde ich den Mund pflückte.

nicht verlassen, der die ersten Küsse v o n meinem

D a s Gelübde soll gelten, wenn j e das W o r t einer F r a u

Treue in sich trägt.« — H a g b a r d schöpft hohe Zuversicht aus diesen Worten, trotzdem er weiß, d a ß sich sein Geschick erfüllen muß. Die Mägde verraten ihn, er wird nach tapferer Gegenwehr gefangen genommen und v o r die Volksversammlung geführt.

Bilwisus, der Bruder des Bolwisus und des

K ö n i g s guter R a t , verteidigt ihn und meint, m a n solle seine T ü c h t i g k e i t d e m L a n d e nutzbar machen.

Bolwisus aber rät seinen T o d : er habe nicht

nur die Söhne des K ö n i g s erschlagen, sondern auch seine Tochter entehrt. D i e Mehrzahl fällt diesem Urteil bei.

Die Königin l ä ß t ihm darauf einen

Becher reichen und spricht folgende Verse: »Nun, unverschämter H a g b a r d , w o du des Todes würdig erklärt bist, lösche deinen Durst aus diesem B e c h e r und dann trinke, die F u r c h t verscheuchend, den tödlichen T r a n k , durch den du zur Unterwelt eingehen wirst; dem Galgen deinen Leib, der Hölle deine Seele!«

Hagbard e r w i d e r t : »Ich fasse diesen letzten T r a n k m i t der

H a n d , mit der ich deine Söhne erschlug.

Nicht ungerächt werde ich nach

V a l h a l l eingehen, denn ich schickte jene in die düstere Hei.

Rasendes

W e i b , kinderberaubte Muter, nie kehrt dir zurück, was d u verloren hast!« E r schleudert den Becher der Königin zu und begießt ihr Gesicht m i t Wasser. — S y g n e fragt ihre Mägde, ob sie ihr in den Tod folgen wollen.

OLRIKS

HAGBARDGEDICHT.

213

Als sie es bejahen, läßt sie Stricke aus ihren Gewändern drehen und ordnet an, daß auf ein bestimmtes Zeichen Feuer an das Gemach gelegt werden solle. Hagbard wird zum Galgen geführt und bittet den Henker, erst seinen Mantel aufzuziehen. Das geschieht, und in diesem Augenblick sieht der Todgeweihte zu seiner stolzen Freude das Schlafhaus der Mädchen in Flammen stehen. Die Treue der Geliebten preisend, mahnt er (in Versen) die Umstehenden, schnell auch an ihm das Urteil zu vollziehen, damit er ins Jenseits ihr zueilen könne. Er wird gehängt. Saxo fügt hier die Versicherung bei, die Spuren dieser alten Geschichte seien noch jetzt zu finden; man hat sogar dem Absalon erzählt, ein Bauer sei beim Pflügen auf den Balken gestoßen, an dem einst Hagbard hängen mußte. Dann läßt er noch ein gedehntes Nachspiel folgen: Hako, der letzte der Brüder, nimmt grausame Hache für Hagbaxds Tod (es begegnet dabei das bekannte Motiv vom wandernden Wald) und wird dafür wieder von Siwaldus, dem letzten Sohn des getöteten Sigar, zur Rechenschaft gezogen.

Axel Olrik hat das alte Gedicht von Hagbard und Signe wieder aufgebaut. Es schien ihm eine leichtere Aufgabe als bei Ingeldlied und Bjarkamal. Er fügt die bei Saxo eingelegten Strophen zu einem Ganzen zusammen, wobei nur an der ersten Rede Signes bedeutende Kürzungen vorgenommen werden müssen. Am reinsten hört er den Klang des alten Liedes aus dem Doppelstrophenpaar heraus, das die Liebenden in der Nacht wechseln. Die Wucht und Geschliffenheit der Antwort Hagbards an die Königin scheint er mir zu verkennen, namentlich verwischt er die starken Gegensätze: ich nach Valhall, jene zur Hölle — und die versteckten Anspielungen auf das kommende Geschick auch Signes, die in seinen Worten enthalten sind. In dieser Gestalt tut das Gedicht starke Wirkung, allein sin Ganzes ist es nicht. Namentlich am Anfang muß viel fehlen, und so bleibt auch fraglich, ob es ein reines Redegedicht war. Daß der prosaische Bericht nur Reden einstreut, ist ja begreiflich. Zunächst aber muß uns die Frage beschäftigen: sind Prosa und Verse eine Schicht? Das würde bedeuten, daß Saxo eine Prosavorlage mit Einlagestrophen vor sich hatte. Andere Möglichkeiten wären: Er kannte ein selbständiges Lied und umgab es mit breiten Darstellungen in gebundener Rede; oder: er kannte eine gebundene und eine ungebundene Stoffbehandlung und hat beide vermischt. Finden sich, so wird man zunächst fragen müssen, Widersprüche zwischen Versen und Prosa? Sie sind auf keinen Fall so augenfällig wie anderswo, etwa

214

EIGENE

ZÜGE

DER

PROSA.

bei der Ingellgeschichte. Nur in einem Fall wird man von einer wirklichen Unstimmigkeit reden dürfen, die aber Saxos oder eines Vorgängers ausgleichende Geschicklichkeit bereits überdeckt hat. Was soll ein Verräter in der Hagbardgeschichte, wenn er nicht Hagbard und Signe verrät? Es sind aber die Dienerinnen, nicht dieser böse Blinde, durch die Hagbard ertappt wird und ins Verderben kommt! Ebenso wichtig ist, daß eine Menge von Zügen der Prosateile ohne Entsprechung in den Versen bleibt. Außer diesem bösen Rat, dem ein noch überflüssigerer guter an die Seite gestellt wird, weisen sie folgendes Mehr auf: i . die Gestalt des Hildegisl. Man darf sie nicht aus der ersten Versrede Signes herauslesen. Es besteht vielmehr Verdacht, daß sie da hineingelesen wurde. Noch Saxo, der doch die Figur kannte, drückt sich so aus (unsere Wiedergabe folgt darin genau), daß das verächtliche Gegenstück zu dem unschönen, aber tapferen Hagbard ebensogut ein Phantasiegeschöpf sein könnte. Mit der Gestalt des Nebenbuhlers und des bösen Rates hängt eng zusammen 2. die Entstehung des Zwists zwischen Hamundsöhnen und Sigarsöhnen; daß Hagbard überhaupt je mit der Sigarsippe gut Freund war, ist in den Strophen nicht bezeugt, und so kann auch 3. das Verlöbnis der beiden, das zuzeiten des Einvernehmens der Familien zu einer Ehe geführt hätte, nur als Eigentum der Prosa gelten. Recht wunderlich ist 4. die völlige Zurückdrängung Sigars. Der von der Tochter hintergangene und von ihrem Verführer schwer gekränkte Vater stellt diesen zur Aburteilung lediglich einer Volksmenge vor (concio in der Rede der Königin 235, 15). 5. Wieder in die Strophen hineingelesen scheint der Zug, daß Signe und die Mägde auch den Tod des Erhängens sterben. Ursprünglich hat sie nur gesagt: »welches deine Todesart sei, ich teile dein Geschick, d. h. ich sterbe auch.« Das nimmt die Prosa offenbar zu wörtlich. Und schließlich 6. braucht das Lied von einer Doppelrache, wie sie Hako und Sivald noch nehmen, wahrhaftig nichts gewußt zu haben. Ein Bruder Hako konnte schon aus dem Kosenamen abgeleitet werden, den Signe in einer Strophe dem Hagbard gibt. Aber er hatte doch wohl wirklich einen Hako neben sich, den die Seekönigslisten kennen und der schon in der Lejrechronik eine typische Rächerfigur geworden ist. Man sieht, fast alle diese überschüssigen Motive der Prosa liegen auf einer Linie; eine planvolle Erweiterung der Handlung

S C H I C H T E N B I L D UM G B E I

SAXO.

215

führt den Nebenbuhler ein, den bösen Rat, den guten Rat, läßt die Brüder von Held und Heldin die Bühne betreten und behängt die an sich einfache Handlung mit einer Kette von Sippenkonflikten, die nach dem Tod des Helden erst recht auflodern. Von diesen Neuerungen könnte auf Saxo deuten die verzerrte Gestalt des Hildegisl. Aber er braucht sie nicht erfunden zu haben. Sicher war nur er es, der ihn zum Deutschen machte. Mittelpunkt dieser ganzen Neuerfindung ist ohne Zweifel der Verräter. Aber es ist, wie schon gesagt, schwer denkbar, wie man zu seiner Einführung kam, wenn man den einzigen in dieser Liebesgeschichte nötigen Verrat anderen übertrug. Am wahrscheinlichsten wäre diese Lösung: Nach der Vorstellung des Gedichtes haben die Mägde das Paar verraten, nach der Vorstellung der Prosa Bölwis. Saxo folgte in seiner Prosa hier ausnahmsweise der Vorstellung des Liedes. Nun findet sich ja Blindr der Unheilstifter oder Bölwis der Blinde auch in der Helgigeschichte (s. S. 254). Wie geht es da? Ein Held hat Weiberkleidung angelegt, Bölwis kommt ihm auf die Spur und verrät ihn. Unmöglich kann das zuerst in einem Lied oder Roman von Helgi gestanden haben. Der Weiberkleider anlegte, ist von Haus aus nicht er, sondern Hagbard. Bei ihm ist diese Verkleidung das Rückenstück der Fabel, bei Helgi unbedeutende Nebenhandlung. Also läßt sich sagen: Es gab eine Darstellung der Hagbardgeschichte, in der Bölwis den verkleideten Hagbard aufspürte und entlarvte, d. h. also dem König Sigar verriet. Die Balladen werden später dieses Ergebnis bestätigen. Damit ist die vorhin gestellte Frage bejaht: es liegt Schichtenbildung in Saxos Bericht vor. Die Prosaerzählung ist viel reicher und wich ehemals an einem entscheidenden Punkt von der Vorstellung des Gedichts ab. Zugleich haben wir einen Beweis, daß das Gedicht mehr Strophen enthalten haben muß, als Saxo und Olrik ihm zubilligen. Nicht zu entscheiden ist, ob Strophen und Prosa dem Dänen ungetrennt zukamen. Es wäre schließlich denkbar, daß eine Quelle, etwa eine isländische Saga, eine größere Anzahl Strophen des Hagbardliedes enthielt, als ihm willkommen war, und er also einige wegließ. Und auch das ist uns schon vorgekommen, gerade in der Fornaldarsagaprosa, daß die eingesprengten Verse inhaltlich der neu um sie herumgeschaffenen Prosa nicht völlig entsprachen. Wir erinnern uns

216

G U T E R UND BÖSER

RAT.

des Liedes von der Vaterrache der Halfdansöhne und seiner Stellung in der Hrolfssaga Kraka. Auf alle Fälle sind die Strophen nicht Lausavisur einer Saga, sondern Bruchstücke eines selbständigen Gedichts. Das war nicht so selbstverständlich, wie man immer annahm. Bisher hatte man eigentlich nur den einen Beweisgrund: so gute, packende Lausavisur wären unerhört. Das alte Lied von Hagbard und Signe muß zu den allerstärksten Schöpfungen altskandinavischer Liedkunst gerechnet werden. Der Prosadichter — wir kommen um die Annahme einer Hagbardssaga og Signyjar nicht herum — schneidet weniger gut ab. Er war gewiß nicht einfallos, und die Art, wie er in dieser Sippenfehde Schlag auf Schlag folgen läßt, ist nicht unwirksam. Die Gestalt des Hildegisl zeigt den zupackenden Charakteristiker. Andererseits wandelt dieser Sagamann auf ausgetretenen Spuren. Den schmählichen Arschhieb kennen wir aus Hrolfssaga und Starkadgeschichte, der nahende Wald ist ein wohlbekanntes Wandermotiv. Auch bei der einschneidesten Veränderung des alten Handlungsverlaufs ist dieser Isländer offenbar unselbständig gewesen. Wie kamen der gute und der böse Rat in diese Geschichte? Der böse kann an sich nicht verwundern, nur das fiel uns auf, daß er erst jemanden aus seiner gegebenen Rolle verdrängen mußte. Ein Verräter war immer schon da. Nun hat man das Richtige geahnt, indem man sagte: Der Tod des Helden am Galgen brachte den Verräter mit sich. Man denkt natürlich an den Randver der Svanhildgeschichte. Bölwis wäre demnach eine Neuauflage des Bikki. Aber es läßt sich nicht nachweisen, daß Bölwis jemals allein in dieser Saga sein Wesen trieb; das Fehlen des brüderlichen Gegenspielers in der Helgigeschichte (und in der Ballade, wovon später) beweist dafür nichts. Und Bikki hat niemanden neben sich. Nun erinnern wir uns: der Galgentod Randvers, von seinem Vater Ermanrich verhängt, schien uns ein unursprünglicher Zug der Svanhildsage. Ehemals, so sagten wir, waren es andere, die Ermanrich zum Galgen verurteilte, nämlich seine Neffen, die Harlungen; und aus dieser zweiten, leider so undurchsichtigen Liedfabel von dem großen Gotenkönig ist der Zug des Erhängens samt der Figur des bösen Rats erst auf Randver übergegangen. In der Harlungengeschichte aber haben wir von einem gewissen

217

BALLADE.

Zeitpunkt an zwei gegensätzliche Ratgeberfiguren; neben dem bösen Sibich den getreuen Eckart. auch ein Licht

Vielleicht fällt von hier aus

auf die ehemalige Verfehlung der

Harlungen.

Die Ths. deutet ja so etwas an, als ob sie wegen eines Unzuchtversuchs zum Galgen verurteilt werden (II, 165, iöff.). (isländische)

Dichter einer Hagbardssaga

von den

Daß der

Harlungen

und ihrer Todesart genau Bescheid wußte, ist nicht verwunderlicher, als daß der Däne Saxo einen so langen, sicher z. T . auf isländischen

Quellen

beruhenden

Roman

von

Ermanrich

zu

erzählen weiß, in dem er ja der Harlungen auch gedenkt. Die Betrachtung der Balladen wird uns vermutlich eine der durch

Saxo übermittelten

können.

Quellen noch etwas näher bringen

E s läßt sich freilich noch nicht voraussagen ob die Saga

oder das Lied. Die Überlieferung der Ballade von H a v b o r

und

( D G F 20) ist reich, aber nicht besonders verwickelt.

Signelill

Der Grund-

typus ändert sich nicht, einen Unterschied macht nur das größere und mindere Beiwerk und seine Beschaffenheit. Ballade gewöhnlich für dänisch;

Liestel erwägt

Man hält die norwegischen

Ursprung. König Havbor hat einen Traum; ihm ist, als sei er im Himmelreich mit Signelille im Arm und stürze mit ihr durch die Wolken herab. Die Mutter oder ein Zauberweib werden befragt. Sie meint, das bedeute, daß er die Jungfrau besitzen und für sie sterben werde. Havbor läßt seine Haare wachsen, zieht Mädchenkleider an und reitet zu König Sivards Burg. Signelille selbst oder ihr Vater empfangen ihn; er erklärt, von Havbor gesendet zu sein, um alle weiblichen Arbeiten von ihr zu lernen. Sie will ihn aufnehmen und bei ihrer Magd schlafen lassen. Er aber ist gewöhnt, mit Königskindern zu schlafen, und so will sie ihm auch das gewähren. Er ritzt, so gut er kann, Hirsche und Hunde, die im Wald laufen, aber als alle Mädchen sticken, da hält er die Nadel im Mund. Eine Magd schöpft Verdacht: die Fremde kann j a nicht nähen, und kein Becher ist so groß, daß sie ihn nicht austrinkt. Er weist sie schroff ab und geht mit der Königstochter zu Bett. E r fragt sie, ob ihr Sinn irgend jemanden auf der Welt begehre; sie antwortet: keinen als Havbor. »Er ist dir ganz nahe.« »Wenn du Havbor bist, warum bist du nicht zu meinem Vater geritten, um mich zu werben?« »Dein Vater ist mir feind und droht mir mit dem Galgen.« »Sei still, meine falsche Magd liegt wach und belauscht uns.« »Es liegen auch mein Schwert und meine Brünne unter dem Bett.« — Schon aber hat die Magd sie verraten, sie ist zu Signelills Vater geeilt: »Wacht auf, König Sivard, Hagbard ist bei eurer Tochter im Bett.« Havbor wird überfallen, leistet tapferen Widerstand und kann nur, auf der Verräterin Rat,

2l8

EIGENE

Z Ü G E DER

BALLADE.

durch ein Haar von Signelills Haupt gefesselt werden.

E r mahnt die Ge-

liebte: »Wenn ihr mich hängen seht, dann laßt euer Haus verbrennen.« Als man ihn zum Tode führt, läßt er erst seinen Mantel hinaufziehen, da legt Signe Feuer an ihr Haus; nun will Havbor selbst nicht mehr leben und heißt sich eilends hinaufziehen.

Der König sucht umsonst die Tochter und

nun auch Havbor zu retten, es ist zu spät.

»Hätte ich gewußt, wie stark

diese Liebe war, ich hätte es nicht um hunderttausend Mark (oder um ganz Dänemark) getan.«

Die Verräterin wird lebendig begraben.

Folgende Züge, die vereinzelt begegnen, sind noch buchenswert: Signelill wundert sich über die Brust ihrer Gefährtin: »meine Brüste sind nicht gewachsen, weil es in meines Vaters Land Sitte ist, daß die Mädchen zum Thing reiten; unter den Brünnenringen sind sie nicht gewachsen«. Anderswo findet sie selbst die Brünne Havbors und meint, sie habe noch nie bei einer Jungfrau ein so hartes Hemd gesehen. Wiederum zieht eine Dienerin dem Havbor die Schuhe aus. Diese drei Züge stehen sicher in Zusammenhang mit der Liedfassung, die Saxo kennt. Die Einfügung ist nicht besonders geschickt, da Signe selbst an Stelle der Dienerinnen in Verwunderung gerät, und Havbor, knapp ehe er sich zu erkennen gibt, sie in der Täuschung zu erhalten sucht. In einer Fassung hat das Mädchen nicht vor ihrem Vater Angst, sondern vor dem Bruder; in mehreren gibt sich Havbor als seine eigene Schwester liden Kristin aus; Havbor hat sie gesandt, damit sie nähen lernt. Die Bildwerke, die sie stickt, werden bisweilen ausführlich beschrieben. Die Ballade ist ein Meisterwerk ihrer Art; entbehrt sie der Geschlossenheit und Gedrungenheit etwa des Gedichts von Sivard und Brynhild, so schöpft sie mit ihrem breiteren Ausladen und eingehenden Ausmalen aller Situationen das Thema fast episch aus. Ganz neu, wenngleich typisch in der Balladendichtung, ist das Traummotiv, der Traum selbst im Hinblick auf das Ende wundervoll ersonnen. Die Zerlegung in Auftritte würde jedem alten Heldenlied Ehre machen. Die Erweckung des Königs, die Fesselung des Helden, der in einigen Fassungen zum wahren Simson wird, sind originell ausgestaltet. Überraschend knapp für dieses Werk der sentimentalen Zeit ist der Abschied der Liebenden; nur in dem unglücklichen Zuspät der letzten Strophen und dem Reueausbruch des Königs wird der balladenhaften Empfindsamkeit ihr Recht. Es kann kein Zweifel sein, daß nicht nur jene Fassungen,

EIGENE

ZUGE

DER

BALLADE.

219

die das Schildmaidmotiv anklingen lassen, sondern schon die Urgestalt der Ballade auf dem Heldenlied aufbaute, das wir wenigstens zu einem guten Teil kennen. Es ist nicht häufig, daß so Lied an Lied anknüpft. Hier aber ist es unverkennbar. Die Saga, die wir voraussetzen, kommt gar nicht in Betracht. Das Gedicht, ursprünglich ganz wikinghafter Weltanschauung entwachsen, hat hochmittelalterliche Tracht angelegt. Der Held ist nicht mehr Schildmaid, sondern höfische Dame, Signe eine Meisterin in weiblichen Künsten. Das Verkleidungsmotiv, ehemals heroisch gesehen und auf die einmalige Erfüllung des Liebesverlangens abzielend, wird jetzt nach zahlreich erprobten Vorbildern auf das schwankhaft-novellistische zu entwickelt: ohne die Verräterin könnte das vermeinte näheifrige Jüngferlein lange Monate unbehelligt bei der Geliebten sein und dann wieder abziehen. Die einst offenbar gar nicht persönlich gewordene Verräterrolle — Saxo gebraucht die Mehrzahl: er wurde von Mägden verraten — erscheint jetzt sehr wirksam ausgebaut. Der Umfang der Rolle ist in den Fassungen verschieden. Aber sicher war es ein künstlerischer Vorteil, daß das Gegenspiel vereinheitlicht wurde; das alte Lied mochte dazu keinen Raum haben. Am merkwürdigsten ist, daß die Ballade, in deren Stilwelt solch unerbittliche Tragik sonst nicht liegt, an dem Opfertod Signes nicht rüttelt. Das wußte wohl jedermann in ganz Skandinavien, ebenso wie Hagbards Ende am Galgen, daß Signe ihm in den Feuertod gefolgt war. Die Nachbarballaden, die die Namen wechseln und deshalb größere Freiheit in der Handlungsführung haben, ändern da sofort dem Zeitgeschmack gemäß. Das Mädchen stirbt vor Leid, wie ja auch Brynhild vor Leid zersprang. Zur Familie gehören die Balladen Kong Göreis Datter, Karl og Rigmar, Karl af Nörrejylland, Grev Henrik og Kongens Söster (DGF 430—433). Am wichtigsten ist die Weise von I s m a r u n d B e n e d i k t (DGF 474), die die alte Handlung planvoll und klug völlig ins Hochmittelalterliche umbaut. Die Namen bekommen einen internationalen Anstrich, das Abenteuerliche wird auf ein mögliches Maß herabgesetzt. Das Verkleidungsmotiv ist gefallen, der Held stickt nicht mehr Hirsch und Hindin, sondern zwischen seinen Liebesbesuchen bei der Königstochter jagt er sie. Diese fesselnden stilgeschichtlichen Vorgänge sind uns hier freilich minder wichtig als die stoffgeschichtliche Besonderheit der einen norwegischen Fassung dieser Ballade. Olrik hat sie

220

BENEDIKTBALLADE.

in das rechte Licht gerückt. Schon Grundtvig hatte zwei entscheidende Züge hervorgehoben: Den Verrat übt nicht die böse Dirne, auch nicht ein smaadreng, wie in den meisten Fassungen der Benediktballade, sondern Blinden Molvigsen, natürlich also Bölwis. Er wird später zur Strafe von Pferden zertreten. In allen dänischen und färöischen Texten steht Höge Hergrimsson (Haki Hamundsson) dem Helden zur Seite und ist die treibende Kraft bei der Rache, die der Bruder schließlich übt. Mehrere Gestalten der Vise, auch gerade die norwegische, legen auf die Rache so großen Nachdruck, daß eine völlige Verschiebung des Schwergewichts eintritt. Das gibt einen Fingerzeig für das Quellenverhältnis. Die Hagdbardgeschichte lag dem Verfasser der Benediktballade natürlich zunächst in der Fassung der Havborvise vor. Aber schon er zog daneben eine andere Quelle bei, die von der Rache ausführlich wußte. Es läßt sich nicht nachweisen, daß das bei dem alten Hagbardlied der Fall war. Die starke Unterstreichung der Rache durch den Bruder Haki ist uns vielmehr als ein Kennzeichen vor allem der Sagaform erschienen. Und nun geht es, wie oft in der Entwicklungsgeschichte der Viserdichtung: Der jüngere Bearbeiter nimmt immer mehr literarische Quellen zur Hand. So trat später zu dem unverkennbar hierher entlehnten Haki auch noch Bölwis. Seine Strafe erinnert an die Hinrichtung Svanhilds; wieder meldet sich die Ermanrichgeschichte. Hier ist uns wohl noch ein abgesprengtes Stück Saga überkommen. Auch in der Hromundsaga büßt Bölwis für seinen Verrat; der Zug kam, gleich dem Ratgeber, aus einer Darstellung der Ermanrichsage. Auch an Sibichs und Sabens Ende darf man erinnern. Die Wolfdietrichsage wird uns gleich noch eine Parallele liefern. Die stärksten stofflichen Neuerungen der Havborballade, zu der wir zurückkehren, waren: erstens die Traumszene, zweitens die novellistische Neufassung des Verkleidungsmotivs. Beginnen wir mit diesem: man hat schon mehrmals darauf hingewiesen, daß die Havborgeschichte sich eng berührt mit der Erzählung von Hugdietrich und Hildburg in Wolfdietrich B. Am nächsten sind die Beziehungen dort, wo die zierliche Erscheinung der Jungfrau beschrieben wird, wo die Mädchen lebendige Jagdszenen wirken und schließlich, wo Hugdietrich sich für seine eigene Schwester ausgibt. Es kommt noch dazu, daß das umworbene

WOLFDIETRICH

B

VÖLSUNGASAGA.

221

Mädchen in D G F 430 E den Namen Hildborg führt. Es scheint also wieder eine Berührung mit deutscher Epik vorzuliegen, die sich auf mehrere Entwicklungsstufen der Ballade verteilt. Vielleicht weisen diese Übereinstimmungen aber doch nur auf eine gemeinsame Quelle. Die Geschichte vom Freier in Weiberkleidern ist dem 13. Jahrhutndert geläufig. Vielleicht hat sie schon zeitig im 12. Jahrhunderts ein Versnovellist, auf den man in verschiedenen Ländern hörte, in einem »Spielmannslied« verarbeitet, und es wirkte im Bayern wie im Dänemark des 13. Jahrhunderts weiter. Freude an der mädchenhaften Erscheinung junger Helden und an künstlicher Stickarbeit zeigen alle mittelalterlichen Literaturen jener Zeit. Der Eingang: Traum und Besuch bei der spdkona führt uns auf einen noch abgelegeren Ausschnitt der Heldendichtung. Über ihn aber war ohnehin zu handeln, denn er enthält eine der wenigen literarischen Anspielungen auf Hagbard in den späteren Dichtungen des Nordens. Im 25. Kapitel der Völsungasaga, im Bereich des von Heusler abgesteckten Traumliedes, möchte Brynhild ihre Besucher in Gudrun aufheitern und sagt: »Wir wollen uns unterhalten und von mächtigen Königen und ihren Großtaten sprechen!« (43, 40 bei Ranisch). Als die hervorragendsten bezeichnet sie selbst gleich darauf Haki und Hagbard, die Söhne Hamunds. Gudrun will das nicht recht gelten lassen: »Miklir väru ßeir ok dgcetir, en pö nam Sigarr systur peira, en hefir apra inni brenda, ok eru peir seinir at hefna.« — (Olrik liest: en hefir brapra inni brenda — und sieht darin ein Stück Sippenfehde). — Das klingt verworren und sinnlos: Haki und Hagbard haben doch keine Schwester; und wer sollen die sein (man faßt es als männlichen Acc. Plural) die Sigarr einbrannte? Auch ich sehe hier Verwirrung, finde aber eine Anspielung darauf, daß Hagbard sich für seine eigene Schwester ausgab; und wenn apra brenda Accusativ der weiblichen Einzahl ist, dann kann man an Signe denken: eine andere hat er eingebrannt, was ja auch nicht richtig ist, aber es stimmt doch wenigstens der Flammentod. Man möchte hier verwilderte Erinnerung an eine Liedform mutmaßen, die Hagbards Verkleidung in die eigene Schwester und Signes Untergang kannte. Jenes ist aber bereits ausgesprochen Ballade. Und dazu stimmt, daß das Traumlied sich ansieht wie eine Nachahmung des Eingangs der Havborballade: Böser Traum, der zunächst der Um-

222

VORGESCHICHTE

DER

HAGBARDDICHTUNG.

gebung vorgelegt wird (hier der Mutter, dort dem Kammerweib); Fahrt zu der spdkona, die hier Brynhild ist. Diese deutet dann den Traum auf das künftige Los der Fragerin und weissagt den tötlichen Ausgang. Wir sind uns bewußt, daß die Havborvise mit diesem Eingang im Bann der Balladentypik steht. Aber das muß danach bei dem Traumlied auch bereits der Fall gewesen sein, und wenn es schon an eine Ballade anknüpfte, dann liegt am nächsten die von Hagbard, da sie dessen Namen nennt. D a ß wir hier im Umkreis eines Hagbardliedes sind, beweist ja auch der Männer vergleich im Mund der beiden Jungfrauen. Vielleicht sind wir hier wieder einer Übergangsform des Stoffes auf der Spur. Ob Haki damals noch nicht Rächer war, sondern einer der erschlagenen Brüder? Von Rache scheint die Hagbardquelle des Traumliedes wenigstens nichts gewußt zu haben, wenn Gudrun der Sippe daraus einen Vorwurf machen kann. Seit dem alten wikinghaften Hagbardgedicht, von dem Saxo große Stücke gerettet hat, vollzieht sich also die Entwicklung geradlinig und im wesentlichen vor unseren Augen. Von dem Lied stammt erst die Saga, dann die Ballade; diese scheint auf die Spielmannsdichtung des 12. Jahrhunderts zurückzugreifen, und von ihr zweigt eine Anzahl späterer Viser ab, die z. T. den W e g zur Saga zurückfinden. Die Geschichte unseres Stoffes seit dem 12. Jahrhundert ist also leidlich klar; seine Vorgeschichte ist umso dunkler. Wir ermangeln fast ganz der Zeugnisse darüber. Nicht daß Hagbard älteren Zeiten ein Unbekannter war. Sein Name begegnet zuerst im 9. Jahrhundert bei dem Skalden Jjiodolf. Ein paar Jahrhunderte lang werden aber er und die Personen seiner nächsten Umgebung, zumal Sigar, immer nur genannt, wenn es sich darum handelt, Umschreibungen für Galgen und Strick zu finden. Daraus ergibt sich: was an der Hagbardgeschichte immer den meisten Eindruck machte, was diesen Helden von anderen schied, war die Todesart. Sie galt als ausgesprochen schimpflich; Hagbard war kein Verbrecher, aber er fiel durch einen besonders unversöhnlichen und barbarischen Feind. Keines der Vergehen, auf denen nach uns bekanntem altgermanischem Rechtsbrauch Hängen stand, kommt für ihn in Betracht. Die Dichtung weiß vom Tod am Galgen als Strafe für Verbrechen gegen die Keuschheit; allerdings vorzugsweise für den Ehebruch (Randver).

ALTER

DES

VERKLEIDUNGSMOTIVS.

223

Signys Name erscheint ebenfalls im 9. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Galgen; er ist das Roß von Signys Mann. Also schon für £>iodolf muß Signy Hagbards Geliebte gewesen sein und im Zusammenhang mit seinem Tod gestanden haben. Die Fabel und damit ein Lied ist für das 9. Jahrhundert gesichert. Wie diese Fabel aussah, wissen wir freilich nicht. Man hat gemeint, sie könne unmöglich damals schon die Verkleidungslist enthalten haben. Die Kormakssaga zitiert aus einem Gedicht des 10. Jahrhunderts, das ein isländisches Schnitzwerk beschreibt. Da war der Kopf Hagbards abgebildet, und zwar war es ein bärtiger Kopf. Also, schließt Herrmann, wußte die Fabel damals noch nichts von der Verkleidungslist; selbst in der heroischen Form, die Saxo ihr gibt, ist sie jung. Durchschlagend ist die Erwägung nicht; sie zieht Unwissenheit oder künstlerische Unbekümmertheit des Schnitzers nicht in Rechnung. Die wikinghaft gestaltete Fabel, die das 9. Jhd. schon kannte, mag die falsche Schildmaid immerhin schon enthalten haben. Ob es nötig war, für sie die Überlieferung orientalischen Erzählstoffes auf dem heute etwas überanstrengten Ostweg zu bemühen, mag dahinstehen. Ausgesprochenes Einfuhrgut tritt erst in der späteren novellistischen Behandlung des Motivs an die Oberfläche, und gerade da gibt es nicht nur orientalische Seitenstücke — Olriks Nachlaß zieht vor allem zwei neugriechische Volkslieder bei — sondern auch starke deutsche Entsprechungen. Tasten wir noch weiter zurück, so verlieren sich die Spuren der Sage ganz im Ungewissen. Einzig ein Name scheint ihr hohen Altersanspruch zu gewähren: nach Olriks Meinung wäre Sigar, der Vater der Signe, einer der ältesten geschichtlichen Könige Dänemarks, von denen wir wissen, Vorläufer noch der Skjöldungen und also 4. oder 5. Jahrhundert. Im Vidsiö heißt es: Sigehere lengest Sce-Denum weold (V. 28) wobei lengest wohl kaum: vor längster Zeit heißen wird. In dem seeländischen Sigersted, bei Ringsted, an das schon Saxos Schreiber dachte, sieht Olrik den alten, vorskjöldungischen Sitz der dänischen Könige. Nennung eines Namens im Vidsiö verbürgt noch keine Fabel, und Sigar allein bringt noch nicht die Hagbardsage mit sich. Es gab nach Ausweis des zweiten Gudrunliedes, wo von Kämpfen zwischen Sigar und Siggeir die Rede ist, und der Helgilieder, in

224

ALTER

DER

HAGBARDFABEL.

denen Sigax eine ganz unklare Rolle spielt, noch andere Überlieferungen von ihm. Dennoch ist es reizvoll, auf Olriks Spuren sich auszumalen, wie eine älteste, altgermanisch heldischem Empfinden entwachsene und genugtuende Hagbardfabel ausgesehen hätte. Eine Liebesdichtung, so meinte man, konnte die altgermanische Fabel nicht sein. Olrik rückt also die Sippenfehde in den Mittelpunkt: die in Saxos Lied ganz unterdrückte Rache gehörte ehemals notwendig zur Handlung. Hagbards Tod war nur ein Akt in dem großen Drama, seine Liebesgeschichte also zur Nebensache herabgedrückt, wie die Hedins und Walthers. V. d. Leyen wendet die Dinge etwas anders: ehemals war es ein Lied der Treue, später erst der Liebe. Daß Hagbard und Signe gemeinsam starben, das war das Große und Heldische; daß es aus Liebe geschah, Nebensache. Seine Lösung befriedigt mehr als die Olriks; diese ist aus der Sagafassung abgenommen, die uns als jüngere Weitung des Liedinhalts erschien; auch die Balladen dehnen den Racheteil nur aus, wo sie auf der Saga fußen, d. h. wo der Name Haki im Spiel ist. Im ganzen ist ein altgermanisches Lied von Hagbard und Signe verlockend, aber von keiner Seite gesichert. War es vorhanden, dann muß es bis zu seinem Auftreten bei Saxo mindestens eine große Neugestaltung erfahren haben. Der die Liebe als weltbeherrschende und todbezwingende Macht in den Mittelpunkt rückte, war der Dichter des nächtlichen Gesprächs. Man sieht in ihm einen Dänen des n . Jahrhunderts; vielleicht gehörte er auch schon dem 10. an. Von späterer isländischer Empfindsamkeit steht unser Lied jedenfalls noch weit ab. Aber auch Urtümliches haftet ihm nirgends an. Es ist ein Hauptbeleg für das Dasein einer mittleren Liedblüte, die zwischen die altgermanische und spätisländische tritt und in ihren Voraussetzungen, ihrer örtlichen Verbreitung und zeitlichen Ausdehnimg noch genauer festgelegt werden muß. D G F I, 258 ff. (daselbst die Skaldenstellen und Ausführliches über örtliche Festlegung; s. dazu Olrik, Grundsaetninger S. n o f . ) . Haloygminne

1923, 1

ff.

Olrik, Kilderne I I

Liestal,

245 ff. Danske Oldkvad i

Sakses Historie 1898, 26 ff., deutsch von Ranisch, Nordisches Geistesleben 1908 S. 198 ff. Folkelige Afhandlinger 1919 S. 96 ff. v . d. Leyen, deutschen Heldensagen 1912 S. 127.

Die

Heusler bei Hoops II, 361 ff. Herr-

mann II, 490 ff. Schück, Studier i Ynglingatal 1906, 830. —

östlicher

Ursprung: F. R. Schröder G R M V I I I 283. Die

Hagbardsage

sollte

Gegenstand

des 4. Bandes von

Danmarks

225

A M LED.

Heltedigtning werden (daneben noch der Hjadningenkampf). Der Nachlaß enthält eine ziemlich vollständige Darstellung, die mit dem Abschnitt in der dänischen Literaturgeschichte (s. S. 2 u. ö.) einhellig geht. Der Grundgedanke, der in dem kleineren Aufsatz in den Folkelige Afhandlinger hervortritt, wird hier auf die Spitze getrieben. Die Hagbardgeschichte ist nicht nur die berühmteste, sondern auch die älteste Heldensage des Nordens. Sie ist geschichtlich und fällt mehrere Jahrhunderte vor die Skjöldungenzeit. Ihr eigentlicher Kern ist der Untergang von Sigars altem Dänenreich durch die Rache der Sippe Hagbards. Also eine Familienfehde, in der auch als Unheilstifter der Verräter seinen Platz hatte. Erst später, als man die Liebe der Kinder dieser feindlichen Häuser in den Mittelpunkt rückte, wurde er durch die Mägde ersetzt. Den Beweis für dieses alte Dänenreich des Siguharir findet Olrik außer in der Vidsiöstelle auch in archäologischen Funden, die in die Bronzezeit und die frühste Völkerwanderungszeit weisen, dann aber aufhören. Da verschwand also Reich, Residenz und Familie Sigars vor der Rache der Hagbardsippe vom Boden, nur die Ortssage wußte noch etwas von versunkener Königsherrlichkeit. — Für unsere Auffassung, die zunächst die Quellen befragt, stellt Olrik die Geschichte der Sage auf den Kopf. Gewiß ist schon im Hagbardlied von getöteten Söhnen des Sigar die Rede, aber das ist doch nur die Voraussetzung für die Feindseligkeit des Vaters gegen den Freier. — Die Folge davon ist, daß Olrik auch Alter und sagengeschichtliche Bedeutung der anderen Siklingengeschichten überschätzt. Was Saxo von ihnen im 7. Buch mitteilt, ist im Ganzen sicher Neuerfindung isländischer Vorzeitromane des 12. Jahrhunderts. AMLED Mancher

Sagenheld des nordgermanischen

Mittelalters ist heute noch volkstümlich.

Altertums

und

E r hat dann meist aus

eigener Lebenskraft heraus den Weg in die Neuzeit gefunden, und die Nachhilfe, die öhlenschläger und andere zu leisten suchten, war wohl gemeint, aber für den Ruf der Vorzeithelden nicht entscheidend.

Der Amledstoff hätte sich aus der Geschichtenfülle

Saxos wohl kaum eine Sonderstellung erwerben und sicher nicht von allen der volkstümlichste werden können, wäre nicht der große Dichter des beginnenden 17. Jahrhunderts zu Hilfe gekommen.

Ein seltsamer Zufall, daß seine Neuentdeckung für Island

ganz unabhängig davon im selben Jahrhundert glückte. Die Amledfabel ist eine der ausführlichsten, die Saxo mitteilt, und er hat sichtlich auf ihre rhetorische Ausgestaltung viel Fleiß verwandt.

Sie greift vom dritten Buch, das sie fast zur Hälfte

ausfüllt, noch stark in das vierte hinüber. Amled ist der Sohn Horvendills, des Statthalters von Jütland, und S c h n e i d e r , Heldensage II, x.

15

226

AMLED BEI

SAXO.

Geruthas, der Tochter des dänischen. Königs Rörik. Horvendillus hat sich in einem siegreichen Zweikampf mit dem norwegischen König Collerus sehr ausgezeichnet. Sein Glück und Ruhm erregt den Neid seines Bruders und Mitregenten Fengo. Fengo ermordet ihn und vermählt sich mit Gerutha. Amled stellt sich wahnsinnig, um den Verfolgungen des Oheims zu entgehen. Er verunreinigt die Gemächer seiner Mutter, wälzt sich im Kote, meist aber sitzt er in der Küche, wühlt in der Asche und schnitzt an hölzernen Klammern, die er mit Widerhaken versieht. Als man ihn befragt, erklärt er, er wolle damit seinen Vater rächen. Seine Umgebung verlacht ihn, einige aber schöpfen Verdacht, und um seine Verstandeskräfte zu prüfen, bringen sie ihn mit einem schönen Mädchen zusammen; heuchle er den Stumpfsinn nur, dann werde er, so meinen sie, der Lockung nicht widerstehen können. Die Begegnung soll draußen im Freien stattfinden. Amled. setzt sich verkehrt zu Pferde und zäumt es am Schwanz auf. Unterwegs sehen seine Begleiter einen Wolf und suchen Amled zu bereden, es sei ein Füllen; Amled, den Reichtum seines Oheims geißelnd, meint, leider seien wenige solche in Fengos Herde. A m Strand sagt er beim Anblick eines Schiffssteuers: damit könne man einen großen Schinken schneiden; und von dem Ufersand, den seine Gefährten als Mehl bezeichnen, meint er,, er sei von den Stürmen des Meeres gemahlen. Die Begleiter lassen ihn scheinbar allein und wollen die Begegnung mit dem Mädchen versteckt mitansehen. Aber unter ihnen befindet sich ein Ziehbruder des Amled;. er möchte ihn warnen und bindet deshalb einer Bremse einen Strohhalm unter den Schwanz und treibt sie in der Richtung, die Amled eingeschlagen hat. Amled versteht die Warnung, führt das Mädchen weit weg von den Lauschern und vollzieht dort seinen Willen an ihm; sie verrät ihn aber nicht, weil sie seine Ziehschwester ist. Später erklärt er auf die Frage, was er mit dem Mädchen gemacht habe: er habe es beschlafen auf dem Huf eines Zugtieres, auf dem K a m m eines Hahns, auf dem Gespärre eines Daches. — Ein Vertrauter Fengos erbietet sich, Amled der Verstellung zu überführen; er versteckt sich im Bettstroh und belauscht ihn im Gespräch mit der Mutter; Amled aber wittert Unrat, kräht wie ein Hahn, tritt auf das Stroh und sticht dann mit seinem Schwert solange hinein, bis der Lauscher tot ist. Er zerhackt die Leiche und wirft sie den Schweinen hin. Seiner Mutter hält er dann in harten Worten den Verrat an seinem Vater und ihre Verbuhltheit vor und erreicht ihre völlige innere Umkehr. Dem Fengo sagt er, sein Vertrauter sei in den Abtritt gefallen und dort von Schweinen gefressen worden. Fengo, von Amieds Gefährlichkeit überzeugt, möchte ihn aus dem Wege räumen, getraut es sich aber Geruthas und Röriks wegen nicht und schickt ihn mit zwei Begleitern zum König von England. Er gibt den beiden eine Holztafel mit, auf der geschrieben steht, man solle Amled töten. Auf der Reise bemächtigt sich Amled, während sein Begleiter schlafen, dieses Uriasbriefes und ändert die Runen ab: der König solle seine Begleiter töten lassen und dem verständigen Jüngling

AMLED BEI

SAXO.

227

seine Tochter zur Frau geben. Der König von England lädt ihn zu Tisch, aber er berührt die Speisen nicht. Nachts erklärt er das seinen Begleitern, und ein Lauscher des Königs hört alles mit a n : I m Brot, sagt Amled, war Blut, das Getränk schmeckte nach Eisen, das Fleisch nach Leichen. Der König h a t Knechtsaugen und die Königin beträgt sich wie eine Magd. Der König läßt darauf nachforschen: in der Tat ist das Brotgetreide auf einem alten Schlachtfelde gewachsen, die Schweine haben von einer Leiche gefressen, in der Quelle, aus der das Wasser stammte, lagen verrostete Klingen. (Nach anderen, f ü g t Saxo bei, war der Honig zu dem Tischgetränk von Bienen genommen, die sich von einer Leiche genährt hatten.) Der König muß weiter erfahren, daß er in der Tat der Sohn eines Knechts ist, und seine Frau von einer Kriegsgefangenen abstammt. Amieds außerordentlicher Verstand macht ihm solchen Eindruck, daß er tut, was die Tafel vorschreibt, dem Fremden die eigene Tochter zur Frau gibt und die Begleiter hängen läßt. Dem scheinbar entrüsteten Amled b ü ß t er den Mord mit Gold, er läßt es in zwei Holzstöcke einschmelzen. Nach einem J a h r kehrt er zurück. Seiner Weisung gemäß hält die Mutter gerade eine Totenfeier f ü r ihn a b ; sie h a t dazu die Wände des Saals mit verknoteten Wandbehängen schmücken lassen. Amieds Auftreten erregt zuerst große Bestürzung, und man macht sein Schwert durch einen Nagel unbrauchbar; aber er treibt seine gewöhnlichen Tollheiten und erklärt auf die Frage nach seinen Begleitern: er habe sie mitgebracht, und weist die beiden Stöcke vor. Als alle trunken sind, läßt er die Wandbehänge auf die Schlafenden herabfallen und knotet sie mit Hilfe der einst von ihm geschnitzten Stifte so zusammen, daß sie unentwirrbar sind. Dann zündet er die Halle an und alle verbrennen. Zuletzt sucht er den Fengo in seinem Schlafgemach auf und vertauscht dessen Schwert mit dem seinen, der aufgestörte König will sich mit dem unbrauchbaren wehren und wird niedergestoßen. Am nächsten Tag rechtfertigt Amled seine Tat vor den Landsleuten in ausführlicher Rede und wird von ihnen als Fürst anerkannt. Darauf f ä h r t er mit drei Schiffen wiederum nach England und f ü h r t einen Schild mit sich, auf dem all seine Taten abgebildet sind. Aber sein Schwiegervater h a t einstmals gelobt, den Tod des Fengo zu rächen, und so schickt e r ihn zu der wilden grausamen Königin von Schottland, die noch alle Freier zurückgewiesen hat, mit dem Auftrag, sie f ü r ihn zum Weibe zu gewinnen. Als Amled und seine Begleiter sich in der Nähe der Burg dieser Hermuthruda zum Schlafen gelegt haben, werden ihm heimlich sein Schild und der Werbebrief unterm Kopf weggezogen. Die Königin erkennt an den Bildern, daß Amled zu ihr kommt, und ändert den Brief dahin ab, d a ß f ü r ihn selbst ihre Hand begehrt werde. Amled geht darauf ein und bringt Hermuthruda als seine eigene Gattin zu seinem Schwiegervater zurück. Die erste Frau findet sich damit ab, der König aber trachtet ihm weiter nach dem Leben. Schließlich messen sie sich in der Schlacht, und

228

UNVERSTANDENE

STELLEN.

Amled gebraucht dabei die List, die Gefallenen immer wieder aufrichten zu lassen, als kämpften sie mit. So siegt er, und der König wird auf der Flucht erschlagen. Nach Dänemark zurückgekehrt, findet Amled seine Mutter von dem neuen Dänenkönig Vigletus bedrängt. Er rüstet zum Kampf, Hermuthruda gelobt, an seiner Seite zu bleiben und sein Schicksal zu teilen. Aber Amled fällt in der Schlacht und seine Witwe vermählt sich alsbald mit dem Sieger. Hic Amlethi exitus fuit, schließt Saxo ab, qui si parem nature atque fortune indulgentiam expertas fuisset, equasset fulgore superos, Hercúlea virtutibus opera transcendisset (106, 19).

Die bunte Seltsamkeit und innere Uneinheitlichkeit dieser Erzählung fordert vielerorts die Kritik heraus. Vor allem entstehen Zweifel, ob Saxo das, was er erzählen will, immer verstanden hat. Für den ersten Teil, namentlich für die Szenen vor der Englandreise, ist die Frage durchweg zu verneinen. Der Scharfsinn der Erklärer hat viel zu tun gehabt, um den offenbar geistvollen und geschliffenen Antworten Amleds, die bei Saxo ihren Salzgehalt verloren haben, wieder zur alten Würze zu verhelfen; gelungen ist es nicht überall. Der Sinn der ersten Antwort an die Begleiter (beim Anblick des vermeinten Füllens) wird nur voll erreicht, wenn man die Spitze etwas anders wendet. Amled muß etwa gesagt haben: Am Hof meines reichen Oheims sind viele Füllen, aber so ist nur eines da; nämlich ein Wolf. Und dieser Wolf wäre dann Fengo selbst; ein vortrefflicher Vergleich, da doch der Wolf als Sinnbild der Gier, des Blutdurstes und der Geilheit gilt! — Das Meer als die Mühle, die den mehlartigen Dünensand reibt, das ist ein verständliches Bild; wir haben dafür überdem das Zeugnis eines Skalden, der das Meer »Amlodis Mühle« nennt. Den Schinken hat neuerdings Meißner hübsch erklärt: es ist ein Wortspiel zwischen isl. leer Schinken und Ii Küstengewässer; altdänisch wären die Worte sogar buchstabengleich. Hat Saxo hier nur die Redespitzen nicht aufgefaßt, so bleibt ihm anderwärts eine ganze Szenenfolge dunkel. Was es mit dem Mädchen auf sich hat, was die Warnung durch die Bremse soll, was die Antwort, das alles mißversteht er und stumpft es ab. Auch die Erklärer tasten im Ungewissen; Malone meint, Amled verliere wirklich die Herrschaft über sich selbst, wie bei den Szenen mit der Mutter; Meißner sieht zwischen beiden Auftritten insofern eine Verwandtschaft, als man auch hier gehofft habe, vertrauliche Äußerungen Amleds zu belauschen. Darin hat er sicher recht, daß Saxos Darstellung von Grund aus sinnlos ist: ließe Amled das Mädchen unberührt,

ABGESTUMPFTE

SPITZEN.

229

dann erwiese er sich viel eher als beherrscht denn als wahnsinnig. Und diese Erwägung lehrt auch, den ehemaligen Sinn der Szene recht verstehen: Die Höflinge ahnten ein Liebeseinverständnis der Ziehgeschwister und suchten sie bei dem Stelldichein zu belauschen. Amled aber gebärdete sich wie ein wirklicher Irrsinniger, schleppte das Mädchen fort und erweckte den Eindruck, als täte er ihr Gewalt an. In Wahrheit war das kaum nötig, und aus Amieds, wieder von Saxo nicht verstandener, Antwort ersteht eine idyllische Szene: auf Huflattich (dän. hestehov), Hahnenkamm und Schilfrohr (das zum Dachdecken verwendet wurde) haben die Liebenden ihr Lager gehabt; so A x e l Olrik, während Jörgen Olrik die Bremsenwarnung erklärt: der herunterhängende Strohhalm ist das Sinnbild des Korndiebs, also eines, der sich verrät. E s besteht Gefahr, daß Amled sich mit dem Mädchen vergißt; die Bremse sagt ihm: Sei auf der Hut, du wirst belauscht. Die Scharfsinnsproben hat Saxo wohl im allgemeinen richtig wiedergegeben. Stutzig macht nur die Notiz: einige erzählten, der Honig des Tranks sei unrein gewesen, nicht das Wasser. Man meinte danach, Saxo müsse verschiedene Formen der Amledgeschichte vor sich gehabt haben. Das ist aber nicht nötig. Die Schweine haben bereits von einer Leiche gefressen, wenn es nun die Bienen auch tun, ist das nicht nur lästige Wiederholung, sondern nebenbei noch Unsinn. E s ist ein mißglückter Beitrag Saxos selbst zu den geistvollen Spitzen der Amledgeschichten, die sein Wohlgefallen fanden, obwohl er ihnen nicht gewachsen war. D a s spürt jeder Leser: die eigentliche Amledfabel ist mit dem dritten Buch zu Ende; nicht nur, weil Shakespeare sie nicht weiter kennt, sondern weil sie wirklich innerlich abgerundet ist. Man darf die Tragweite dieses richtigen Gefühls nicht überschätzen. Die Scheidung in Amledsage und Amledroman war übertrieben; oder vielmehr sie mußte gerechtfertigt werden durch den Nachweis, daß zwei in sich abgeschlossene, gänzlich verschiedenartige Amleddarstellungen vorgelegen haben, die sich jetzt auf die Bücher 3 und 4 verteilen. Wir haben hier die Quellenfrage noch nicht zu stellen, sondern nur das vorliegende Erzählmaterial zu beurteilen. Und da ergibt sich, trotz des starken Einschnitts — der übrigens nicht stärker ist als etwa der in der Lebensbeschreibung Harald Kampfzahns — daß 'Saxo die gesamte Lebensgeschichte Amieds als Einheit erhalten haben muß. Hauptbeweis dafür ist das Auftreten des Uriasbriefes hier

230

SAXOS VORLAGE

EINHEITLICH ?

und dort. Es ist undenkbar, daß er zweimal ganz unabhängig mit Amled in Verbindung gebracht wurde. Sobald das aber ein zweites Mal mit Hinblick auf das erste geschah, war die Hermuthrudageschichte nicht mehr ein selbständiger Amledroman, sondern eben eine Fortsetzung; und mehr behaupten wir nicht. Es hat einer die alte geschlossene Amledgeschichte angelängt, und diese Fortsetzung ist schlechterdings undenkbar ohne die zwei Motive: Amled Schwiegersohn des Königs von England, und Uriasbrief. Man wird nicht sagen können, daß der Fortsetzer eine sehr glückliche Hand hatte. Das Motiv von der freierspröden Jungfrau war hier gänzlich fehl am Ort, wo es sich darum handelte, den Uriasbrief von einem manneslüsternen Weibe umfälschen zu lassen, und es bleibt ja auch sonst völlig blind. Die ganze Fortsetzung ist in Aufbau und Charakteristik so oberflächlich, daß man sogar eher annehmen könnte, Saxo habe sie selbst ersonnen, als eine selbständige Quelle mit dem alten Amledbericht verbunden. Es wird aber wahrscheinlich weder das eine noch das andere der Fall gewesen sein; er hat einfach wiedergegeben, was ihm eine ausführliche und innerlich undurchgebildete Quelle bot. Auch zahlreiche Einzelheiten sprechen für die Einheit: so vor allem die idyllischen Landschaftsschilderungen beim Holmgang des Horvendillus (86,3) und bei der Ausmalung von Amieds ländlicher Schlafstätte (102,7). Es ist nicht abzusehen, warum Saxo gerade diese beiden Stellen mit solchem Zierat behangen hätte, sie beweisen die Stilgebung einer einheitlichen Quelle. — An der Stelle 105, 29, wo von dem Exil des Fjallerus in Undensakre die Rede ist, hatte Saxo einen halbverstandenen isländischen Bericht im Ohr, der von Udäinnsakr (Gefilde der Unsterblichen) sprach. Wir werden uns alsbald für eine isländische Vorlage auch des Vaterracheteils entscheiden. Olriks Zweiteilung der Saxoquellen hatte auch unseren Bericht getroffen. Doch lautet die Formel diesmal nicht: hier dänische, hier riorröne Uberlieferung, sondern die Hermuthrudageschichte ist ihm englisch und ein Beweis für die Weiterwirkung der Erzählungen jenes Engländers Lukas auf Saxo. Neuerdings hat Larsen die ganze Amledgeschichte auf einen englischen Gewährsmann zurückführen wollen. Die allgemeine Ansicht hat sich aber seit Olrik beträchtlich geändert. Heusler und nach ihm v. d. Leyen, Herrmann, Meißner halten es für falsch, wenn Olrik die Isländer aus dem verwickelten

ISLÄNDISCHER AMLEDROMAN ?

231

Entstehungsvorgang der Amledsage ganz ausschalten will. In der richtigen Erkenntnis, daß diese Geschichte von Hause aus viel eher die Eigenart des Romans als des Lieds an sich trägt, verlegen sie die hauptsächliche Formung der Abenteuerreihe in das Island der Fornaldarsagenzeit. Den Anteil der älteren Lieddichtung wie der jüngeren dänischen Poesie an dem Stoff denkt und erklärt man sich verschieden, und den Hermuthrudateil der isländischen Amledsaga zuzurechnen, trägt man Bedenken. Wir halten diese letzte Frage für erledigt: wenn Saxo einen isländischen Roman von Amled erzählen hörte, so wird dieser bestimmt auch das selbstausschreibende Anhängsel enthalten haben. Unsere Vorstellungen von der »reinen« Amledsage und der trefflichen Erzählkunst der Isländer dürfen dieser natürlichen Annahme nicht im Wege stehen. Die Hauptfrage dagegen: Gab es überhaupt einen isländischen Amledroman? will mit allem Ernst geprüft sein. Denn es darf nicht zur gedankenlos angewandten Formel werden: Saxo gibt isländische Fornaldarsögur wieder. Drei Tatsachen berechtigen zu einer bejahenden Antwort: 1. ein isländischer Skald, den man ohne volle Gewähr in den Anfang des 11. Jahrhunderts setzt, zeigt Kenntnis einer Einzelheit der Amledfabel und nennt den Namen Amlodi. 2. Die Amledfabel wirkt auf die isländische Fornaldarsagendichtung des 12. Jahrhunderts ein. 3. Es gibt in Island eine sehr ausgebreitete Überlieferung von Amlodi, schriftlich und mündlich, auch mit geändertem Namen des Helden. Diese Überlieferungen führen nicht weiter zurück als etwa in die Mitte des 17. Jahrhunderts, und das ist der Hauptgrund dafür, daß man isländischem Ursprung der Saga von Amled mißtraut hat. Sie tritt vor 1700 in Island auf die literarische Oberfläche, offenbar als eine neue Erscheinung, und hat sofort starken Erfolg. Isländische Amleddichtung kennen wir also erst aus dieser Zeit, und zwischen 1000 und 1650 entbehren wir jedes direkten Zeugnisses. Trotz dieser sehr ungünstigen äußeren Umstände, die von vorneherein starke Zweifel an der A m b a l e s s a g a erwecken müssen, empfiehlt sich, sie gründlich zu studieren. Man hat es sich mit ihr, zumal nach Axel Olriks sehr bestechendem Urteil über sie, vielleicht doch etwas zu leicht gemacht. Auch mit dem sog. Amledmärchen, dem doch Olrik volle Beachtung schenkte.

232

AMBALESSAGA.

Wenngleich er es für älter hält, als die Saga, beginnen wir mit dieser,

denn

ihre

drei

Aufzeichnungen

sind

17. Jahrhundert,

während die älteste Handschrift des Märchens von 1707 stammt. Der Sohn des Königs von Cimbria hat von seiner Gattin Amba zwei Söhne, der jüngere ist Ambales. Eine Völva hat ihm prophezeit, er werde allen ein Narr erscheinen. In der Tat ist er unschön und störrisch und liegt meist in der Herdasche. Er wird daher Amlodi genannt. Als er 8 Jahre alt ist, bekriegt der heidnische König Faustinus den König von Cimbria und nimmt ihn gefangen. Er läßt ihn aufhängen und ebenso seinen ältesten Sohn, der Rachegedanken hat. Amlodi lacht über die Todeszuckungen des Vaters, und so läßt man ihn als Narren leben. Faustinus wird König, der gute Rat seines Vorgängers, Gamaliel, bleibt an seiner Seite und führt die Sache der Christen. Der neue König versucht vergebens, Amba zu seiner Gattin zu machen, der Himmel schützt sie. Amlodi wird ungewöhnlich groß und stark, aber er ist schmutzig und hält sich meist in der Küche auf, wo er lange hölzerne Stifte anfertigt und ihre Spitzen härtet. Eines Tags wünscht ihn der König zu sehen, er wird blutrot und kommt mit zum Gelage. Als ihm der König zu trinken bietet, erklärt er, er trinke und trinke doch nicht, leert das Glas und harnt dann hinein. Der König zieht sein Schwert, Amlodi entreißt es ihm und gibt es ihm zurück, die Spitze gegen sich selbst gerichtet. Er hat also von der Möglichkeit zur Rache keinen Gebrauch gemacht, und alle sind von seiner vollkommenen Narrheit überzeugt, zumal er auf die Frage, wo ihn der Tod seines Vaters am meisten geschmerzt habe, erwidert: am Hintern. Er geht darauf wieder ins Küchenhaus und setzt seine Mutter mitten ins Feuer, so daß man ihr eilends Hilfe bringen muß. Der König bestimmt, er soll sich bei den Viehhirten aufhalten. Sie holen ihn ab und sehen seine Stifte; er sagt, er wolle sie zur Vaterrache haben und nicht haben. Unterwegs erklärt er beim Anblick eines Sees, Wind sei ins Wasser gekommen und wieder heraus, und später, am Abend würden alle Wasserfälle herauflaufen statt herunter. Ein furchtbares Unwetter in der Nacht macht die Prophezeiung wahr. Dazwischen fallen Kämpfe Amlodis mit Riesen und Räubern, bei denen er seine ungeheuere K r a f t zeigt. Der König verwendet ihn dann weiter als Schweinehirt, er gibt den Säuen das zerstüclkete und gesottene Fleisch von wilden Tieren zu essen. Durch einen Traum gewarnt, faßt der König neues Mißtrauen gegen Amlodi, und einer seiner Getreuen erbietet sich, ihn beim Gespräch mit der Mutter zu belauschen. Er versteckt sich unter dem Bett. Amlodi aber, dem Anschein nach völlig toll, durchsticht das Bett mit seinem Speer und tötet ihn so. Sein zerstückeltes und gekochtes Fleisch wirft er den Schweinen vor. — Um den Narren unschädlich zu machen, schickt ihn der König, den zwei Träume gewarnt haben, mit zwei Begleitern und einem Uriasbrief zu seinem Bruder, dem König Tamerlaus von Skythien. Während die Begleiter schlafen, wirft Amlodi den Brief ins Wasser und schiebt einen neuen unter. Strahlend schön erscheint er

AMB ALESSAGA.

233

vor dem fremden König, der begreift, daß ihm der Brief diesen edlen, weisen Jüngling anempfiehlt. Die Begleiter kommen mit dem Leben davon, weil sie sich bereit erklären, das Christentum anzunehmen. Bei Tische weist Amlodi die Speisen zurück, im Schlafgemach vernimmt dann ein Späher des Königs den Grund: Die Äcker, von denen das Brot stammt, liegen über Leichen. Die Leckerbissen waren den heidnischen Götzen geweiht, und mit dem König trinken wollte er nicht, weil dieser ein Hurensohn ist. Alles trifft zu. Der König ehrt Amlodi hoch, macht ihn zu seinem Vertrauten und Feldherrn und vermählt ihm seine Tochter. Nach drei Jahren — er ist nun achtzehn — kehrt er nach Hause zurück. E r erscheint mit einem großen Sack beim Gelage des Königs, seine Stifte sind darin verborgen, er aber kommt erst mit seiner Last durch die Türe nicht hindurch, fällt schließlich kopfüber in den Saal und führt sich also gleich wieder als Narr ein; nicht alle erkennen ihn. Schließlich kriecht er unter die Sitze, zieht die Kleider der Trinkenden durch die Löcher der Bänke und macht sie mit seinen Stäben fest. Als alle trunken sind, entfernt er die Mutter und Gamaliel sowie alle anderen Christen, seine Stifte entzünden sich, die ganze Halle samt dem König und den Seinen verbrennt. Am Morgen beruft Amlodi ein Thing und ergreift die Herrschaft.

Es ist leicht, ein Verdammungsurteil über diese späte Lygisaga auszusprechen. Ihre Schwächen liegen auf der Hand, eine Menge von Zügen, die augenscheinlich ganz jung und willkürlich sind, entstellt sie aufs schwerste. Vor allem der pseudogelehrte Kram, das ausländische Namenwerk, dann drei Arten von stehenden Zusätzen: heldischer, zauberischer, christlicher Art. (Unser Auszug bringt sie nur, wo es unbedingt notwendig ist.) Zauberkunst trägt zu Amlodis Erfolgen wesentlich bei, seiner erstaunlichen Körper kraft wurde schon gedacht. Das christliche Element ist aufdringlich zugesetzt und hat an zwei Stellen offenkundige Entstellungen früherer Vorstellungen verschuldet: erstens dort, wo die Mutter entlastet wird und Faustinus' Anschläge gegen sie auf geheimnisvolle Art zuschanden werden. Offenbar ist dadurch eine ältere Darstellung überdeckt, die die Mutter auch schuldig wußte. Denn warum trägt Amlodi sie sonst ins Feuer ? Der Zug ist vollkommen sinnlos, was ja seine Narrenstreiche auch hier sonst ausgesprochen nicht sein sollten. Zweitens dort, wo die schurkischen Reisebegleiter sich durch die Taufe Amieds Gunst erkaufen. Mit seinen Streichen und zugespitzten Reden steht es ähnlich wie in der dänischen Überlieferung: sie sind nicht mehr recht verständlich, weil sie schon dem Verfasser der erhaltenen Auf-

234

UNVERSTÄNDLICHE

STELLEN.

Zeichnungen unklar waren. In den Antworten, die sich selbst sofort widerrufen: drekka og ekki drekka muß ursprünglich ein Sinn stecken. Hier ein anderer als Jiriczek meint: es ist kein Grund, daß Amlodi den Trank des Königs ausschüttet, also nur scheinbar trinkt; das heißt man nicht »trinken und nicht trinken«. Der Sinn ist offenbar: ich trinke und tue das Gegenteil von Trinken, d. h. ich leere das Gefäß und fülle es, denn er harnt es j a voll. Schwerer ist das zweite Wort derart zu fassen. Folgen wir Jiriczeks Konjektur: »hefna papa ok ekki hefna«, so könnte das Gegenteil von »den Tod rächen« nur sein: »zur Rache töten«, und es wäre anzunehmen, daß der feindliche König von Amlodi auch als »papa« bezeichnet wurde; daß er ehemals auch hier sein Stiefvater war, haben wir ja gesehen. Doch ist die Anknüpfung dann vielleicht auch für einen Narren zu verwegen, und wir legen auf die Vermutung keinen allzu großen Wert. Nur dassollte damit gesagt sein: es lohnt sich hier, zu vermuten, genau so gut wie bei Saxo. Wir haben es doch vielleicht nicht mit ursprünglich Wertlosem, sondern mit hinterher Entwertetem zu tun. Darauf weisen auch Mängel des Aufbaus: die Äußerung über den Schmerz im Hintern ist von der Sterbeszene des Vaters weggenommen, wo sie ebenso sicher hingehört, wie das Wort über die Bestimmung der Stäbe zu dem Auftritt, in dem sie gefertigt werden. Zum Schweinehirten wird Amled nur wegen der Rolle der Schweine im Poloniusabenteuer; der Traum des Königs, der zur einmaligen Warnung wohl am Platz wäre, wiederholt sich ohne inneren Grund. Sicher ist es eine schwache und rohe Erzählung. Sie verliert noch, wenn man sie neben das isländische M ä r c h e n v o n B r i a m hält. Es ist etwas geschlossener und zeigt, bei auffallender Übereinstimmung, mehr Ordnung. Zu der Vergröberung tritt aber hier auch die Verbürgerlichung: Der Vater ist ein armer Häusler, der Feind aber nach wie vor ein tyrannischer König. Vater und Brüder werden getötet, nur der Held des Märchens nicht, weil er erklärt, der Tod des Vaters schmerze ihn am Hintern. Er vollführt eine Anzahl Narrenstreiche und törichte Reden, auch die Frage, was für Wetter es gebe, beantwortet er: vind og ei vindi, er macht hölzerne Stifte und antwortet auf die Frage nach ihrem Zweck hefna papa ekki hefna papa. Mit ihnen nagelt er dann beim Gelage den König und die Seinea an ihren Bänken fest, sie geraten in Streit und erschlagen sich.

MÄRCHEN.

235

gegenseitig. — Auch hier ist das Unwesentliche, nicht Vergleichbare beiseite gelassen, der Anschein einer sehr straffen Komposition also nur vorgetäuscht. Das Wortspiel wind og ei vindi« bereitet wieder Schwierigkeiten. Es gehört irgendwie zusammen mit der Szene am Wasser in der Saga, wo es heißt, »der Wind geht ins Wasser und aus dem Wasser«. Maurers Auslegung ist zu harmlos. Die Schlußwendung ist durch das Eindringen eines Märchenmotivs umgebogen: es kommt häufig vor, daß Feinde sich selbst unschädlich machen, indem sie gegeneinander wüten. Wie verhalten sich Saga und Märchen zueinander? Die Antwort erfolgt am besten im Anschluß an diesen sinnvollen Unsinn in Amieds Mund. Die Zahl der Antworten vom Typus »a und nicht a« ist im Märchen um eine vermehrt, man könnte bei ihm die ursprünglichere Formung finden wollen. Aber entscheidend ist doch wohl die sinnvolle und durchsichtige Äußerung über das drekka og ekki drekka in der Saga. Der gescheiteste Ausspruch dieser Art kann nicht hinterher zuerfunden sein. — Das Natürliche wäre ja, daß die Volkserzählung von der Saga abstammt. Aber das sog. Amledmärchen ist durch ein Zeugnis schon für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts erwiesen, und das Dasein unserer Saga läßt sich für diese Zeit nicht erhärten. Das Verhältnis von Saga und Märchen ist aber nur ein Teil der umfassenderen Frage nach dem Verhältnis der Amledtexte unter sich: es ist nicht wohl loszutrennen von der vergleichenden Betrachtung Saxos und der Saga. Mir scheint, man hat dieser dabei immer Unrecht getan. Für Axel Olrik stellen sich die Dinge so dar: Auf Island lebte die Amledgeschichte stets nur in den Niederungen des Volkes. Eine ernsthafte Saga gab es nicht, Snorri zeigt keinerlei Kenntnis von ihr. Das Märchen, das Olrik offenbar für skandinavischen Gemeinbesitz ansieht (gleich dem zum Gattungsbegriff herabgesunkenen Namen Amlodi) überdauerte die Jahrhunderte. Im 17. erst fand Islands langer und mühsamer Kampf -um eine Hamleddichtung (Gollancz) einen Abschluß, indem aus dem Märchen und aus Saxos Bericht die Saga entstand. Die Formel ist sehr verführerisch; so sehr, daß auch die meisten deutschen Forscher, die dem Stoff eine ältere poetische Vergangenheit in Island bewilligten, zögern, eine Verbindungslinie zwischen der erhaltenen Saga und der Fornaldarsaga des 12. Jahrhunderts zu ziehen. Sie werden aber leichter mit einer

236

S A X O UND

SAGA.

Schwierigkeit fertig, die Olrik entschieden zu wenig anfocht: das Märchen mußte doch wohl gesunkene Kunstpoesie sein; wo war diese zuhause gewesen und wie hatte sie ausgesehen? Wagen wir es und legen Saxo und Saga nebeneinander, ohne die vorgefaßte Meinung, daß unmittelbarer Borg die Ursache der vielen Übereinstimmungen sei. Im Allgemeinen stimmt ja das Rechenexempel Olriks nur allzugut: Saga = Saxo + Märchen. Aber vielleicht glückt es, Züge zu finden, die die Saga mehr neben als nach und unter Saxo stellen. Wir werden nur selten behaupten können, daß im Umkreis des Vergleichbaren das, was die Saga bietet, besser ist; es genügt uns das Zugeständnis, daß es a u c h gut ist, zu gut für den trostlosen Spätling, der an der Saga allein schuldig sein soll. Es ist keine üble Szene der Saga, in der Ambales und sein Bruder der Hinrichtung des Vaters beiwohnen; die beiden sind noch Kinder, und ihr Heroismus tut sich auf verschiedene Weise kund: der ältere weint und spricht seine Rachesehnsucht aus, der jüngere hat schon den Racheplan fertig und handelt darnach. Die Szene der versäumten Rache zeigt ebenfalls den denkenden Kopf: wie kann Ambales seine Pläne besser verhüllen als dadurch, daß er, schon der Erfüllung seiner Wünsche nah, sich dem Feind wieder in die Hand liefert und eine günstigere Gelegenheit abwartet, bei der er nämlich nicht sofort das eigene Leben aufs Spiel setzt? Auch das ist begrüßenswert, wenn die Figur des Gegenspielers nicht so farblos bleibt, wie es bei Fengo der Fall ist; der König der Saga hat mit dem bösen Gewissen zu kämpfen und wird durch Traumgesichte geschreckt. — Bei Saxo wird Amled nach England geschickt, um dort zu sterben. Die Weisung an den befreundeten König ist von keiner Voraussetzung abhängig. In der Saga ist die Sache spannender: wenn Ambales in England ebenso närrisch ist wie in der Heimat, dann kann er leben bleiben. Dadurch gewinnt alles besseren Sinn und Zusammenhang. Die Rücksicht auf Rörik bei Saxo ist doch sicherlich ein junger Zug. Fengo als abhängiger Jarl, das wäre eine kümmerliche Rolle. — Es fällt gar zu schwer, zu glauben, daß ein später Stümper das Übermaß der Proben bei Saxo von sich aus so geschickt auf die übliche Dreizahl zurückgeschraubt hat. In der Tat finden sich ja dort zwei zuviel. Die Saga hat freilich auch Unordnung angerichtet. Das Ursprüngliche war: die Speise schmeckt nach Leichen, der Trank nach blutigem

SAXO

UND

SAGA.

237

Rost, der Gastgeber ist ein Knecht. Ganz albern ist der christliche Einschlag der Saga, und bei Saxo treffen wir zwei glatte Wiederholungen (König und Königin vom Knechtsstamm, zweierlei Speisen durch Leichenreste verunreinigt). Man hat den großartigen Auftritt bewundert, in dem der totgeglaubte Amled bei Saxo urplötzlich die Bühne betritt. In der Saga ist sein Erscheinen minder pathetisch, dafür aber von fesselnder närrischer Tollheit: Kopfüber, von dem Gewicht des eigenen zu breiten und zu schweren Sacks zu Boden geworfen, purzelt er in den Saal. So oder so ist die gegensätzliche Wirkung im Hinblick auf die folgende Katastrophe glänzend. Und diese selbst schließlich? Die Art, wie die Gefolgsleute in der Saga gefesselt werden, ist angeschauter, dafür bleibt sie bei Saxo mehr in der Stilweit der Fürstenhalle. Der Hauptunterschied ist: Der Däne hat die Abrechnung mit dem schurkigen Oheim abgetrennt und ihm noch eine eigene Sterbeszene verliehen; in der Saga allein gehen alle, Herr und Diener, in e i n e r Flamme zugrunde. Ist die brenna nicht grausam, wenn sie nur die Diener trifft? Lohnen sich die großen Vorbereitungen mit Stiften und geknüpften Teppichen, wenn sie der Hauptperson gar nicht gelten? Saxos Amled schärft die Spitzen n i c h t , um den Vater zu rächen! Unser Bestreben bei all diesen Erwägungen ist, eine Antwort zu finden auf die Frage: wie sah eine isländische Amlederzählung im 12. Jahrhundert wohl aus? Früher schon sagten wir: ihr Dasein hat sie kundgetan dadurch, daß sie auf die isländische Fornaldarsaga derselben Zeit wirkte. Es ist längst festgestellt, daß die Geschichte von der Vaterrache der Half dansöhne mit Amledzügen bereichert wurde. Sehen wir zu, was wir aus dem trümmerhaft erhaltenen Lied und aus der späten Hrolfssaga lernen können. Die Halfdansöhne sind zu zweit; als ihr Vater getötet wird, stehen sie noch in jugendlichem Alter. Als sie herangewachsen sind, vollziehen sie die Rache. Ihnen zur Seite steht ein Ziehvater, der zu gleicher Zeit treuer Vasall des brudermörderischen Königs ist. Die Knaben wachsen in der Wildnis auf. Dann kommt der Zug, der am deutlichsten auf die unmittelbare Entlehnung verweist: als sie ausreiten, setzt sich der eine verkehrt aufs Pferd und lenkt es bei dem Schwanz. Der feindliche König hat, ehe die Rache ihn ereilt, einen Warnungstraum, der auf

238

ISLÄNDISCHE

AMLEDSSAGA DES

12. JHDS.

seinen gewaltsamen Tod hinweist. Er geht in dem Feuer zugrunde, das seine Neffen angezündet haben. Von diesen Punkten stimmen auffallend gut zu den Voraussetzungen der Ambalessaga: die Zwitterstellung Gamaliels, der Aufenthalt in der Wildnis, der Traum des Königs und sein Ende im Feuer. Der verstellte Wahnsinn stimmt besser zu Saxo. Manches mußte ja die Fabel von den Halfdansöhnen schon von jeher mit der Amledgeschichte gemein haben: den Oheim als Mörder des Vaters in erster Linie. Und so sind auch die Zweizahl und Jugend der Rächer eher Gemeinsamkeiten als Entlehnungen. Im ganzen aber kann man sagen: allerlei von dem, was die Saga von Saxo unterscheidet, war schon einer isländischen Amlederzählung des 12. Jahrhunderts eigen. Die anderen Züge, die uns die Saga im Vorteil zeigten, brauchen nicht so alt zu sein, können es aber. Teilweise treten sie ja in Wettbewerb mit Saxo. Da wird wohl öfter die Saga das jüngere haben. Deutlich nachweisen läßt es sich für den Szenenkomplex: Amled bei den Hirten. Er hatte es schon ehemals mit dem Viehhüten zu tun. Aber die Gespräche, die sich auf Wind und Wasser bezogen, sind bei Saxo richtiger und besser eingereiht als bei dem späten Sagamann. Denn auch dafür steht ein isländisches Parallelzeugnis zu geböte, eben das Zeugnis des Skalden Snaebjörn. Er hat durch die neueste Erklärung Meißners noch greifbarerere Beziehungen zu einer bestimmten Amledszene bekommen als man ihr früher zuschrieb; von den Wogen heißt es: »die dem Amlodi vor langer Zeit den Sand mahlten.« Damit wird einmal deutlich auf die Szene angespielt, in der Amled die Bezeichnung des Sandes als Mehl, die boshafter Unsinn war, ins Sinnvoll-Poetische wendet. Dann erfahren wir, daß für diesen Mann des 11. Jahrhunderts die Amledgeschichte eine alte Fabel ist. Beide Zeugnisreihen zusammengenommen, erhalten wir eine Fornaldarsaga des 12. Jahrhunderts, die in den meisten Zügen mit Saxos 3. Buch ging, aber durchaus nicht in allem. Sie hält zu Saxo gegen die Saga vor allem in der Szene des verkehrt zu Roß Sitzens und in der Unterredung am Meeresstrand. Aus äußeren Gründen stellen wir uns lieber auf die Seite der Saga bei des Königs Traum und Untergang, aus inneren bei der einfacheren und einleuchtenderen Motivierung der Englandfahrt und der Formulierung der Scharfssinnsproben.

GESCHICHTE

DES

AMLEDSTOFFES

IN

ISLAND.

239

Wir behaupten durchaus nicht, die Ambalessaga sei 12. Jahrhundert. Nur das erscheint, im Hinblick auf das Zeugnis der Hrolfssaga und einige gute Züge der Ambalessaga, nicht mehr nötig, dem Isländer des 17. Jahrhunderts eine Anleihe bei Saxo zuzutrauen. Er fand doch wohl auf seiner Insel den Stoff für seinen Roman zusammen. Daß Snorri von Amled keine Kunde hatte, braucht nicht zu überraschen; wieviel andere Fornaldarsögur ermangeln der Bestätigung durch ihn! Der Stoff lebte also nicht nur im Schwankmärchen fort, aber er lebte auch in ihm. Seine Entstehung erklärt sich nun doch wohl so, daß es zunächst aus der literarischen Saga geflossen ist. Sie hat sich seit Saxos Zeiten beträchtlich geändert. Eine nähere Beziehung zwischen Saga und Märchen braucht nicht zu bestehen. Die Quelle, die im 17. Jahrhundert bei der Neuschaffung der Ambalessaga vorlag, hatte vielleicht zwei Jahrhunderte früher die Grundlage der Volkserzählung abgegeben. Wieder erstaunt der Reichtum Islands an mündlichen Sagafassungen, und es läßt sich eine kleine Geschichte dieses Prosaromans auf der Insel schreiben. Es trat noch vor Schluß des 12. Jahrhunderts eine Spaltung ein. Die eine Bearbeitung schloß die Fabel mit Amieds Triumph ab. Die andere bildete sie noch weiter und erzählte von Amieds Heirat (die mit der englischen Königstochter war ja für den Roman unergiebig geblieben, also mußte es eine andere sein) und von seinem Ende. Insofern ist die Saga des 17. Jahrhunderts echter als Saxo, als sie dieses ja auch noch isländische Anhängsel nicht kennt. Dagegen zeigt Saxo große Treue im einzelnen in der Szene des verkehrten Reitens, in dem Wortwechsel an der See. Die isländische Kurzfassung hat wohl zunächst keine starken Zusätze mehr erfahren. Erzieherfigur und Traum sind ja früh bezeugt, bei der Schwertszene konnte man einen gewissen Alterswert erwägen. Dagegen hat Saxo für sich vor allem die wichtigen Auftritte mit dem Mädchen. Es fällt schwer, zu glauben, daß sie verloren gingen. Dennoch könnte es sein, denn die Zeitspanne ist lang, die die früheste isländische Amledsaga von ihrer ersten Aufzeichnung trennt. Der Bearbeiter, der Hermuthruda einführte, war vielleicht der Nächste dazu, auch dem ersten Teil ein wenig erotische Würze zu verleihen. Doch sollte man meinen, das »Ophelia «abenteuer sei wesentlich geistreicher und origineller als jene öde und z. T. abgegriffene Erzählung.

240

AMLEDSSAGA.

Ähnliche Erwägungen ließen sich an das Motiv der goldgefüllten Stöcke knüpfen. Ist es Zusatz, dann würde es gleiche Schicht sein mit der Erfindung des kostbaren Schildes. Aber es liegt auch wieder in einem ganz anderen Stilumkreis und auf höherer geistiger und künstlerischer Ebene; dazu verstehen wir seine Streichung durch einen späteren Bearbeiter gut, durch den nämlich, der mit den christlichen Motiven die Begnadigung der beiden Begleiter einführte. Mögen nun die Schichten gelagert sein, wie sie wollen, es ist deutlich, daß die uns vorliegende Überlieferung auf eine mehrfache isländische Romanformung unseres Stoffes zurückgeht. Und so ist es Zeit, nach den Bestandteilen zu fragen, aus denen diese Fornaldarsögur zusammengeschweißt wurden; die ursprüngliche, die in der Hauptsache das Saxo und der Ambalessaga gemeinsame Gut enthielt, von einem unbezweifelten Meister. Es ist nicht feststellbar, wie diese früheste Saga eingeleitet war, was und wieviel sie von Amieds Vater und seinem Tod erzählte. Saxo umschleicht ja diesen Punkt und verdeckt die Lücke mit rednerischen Wendungen. Sicher scheint, daß seine Vorlage bereits den Kampf mit Collerus enthielt (s. o.); für die früheste Saga ist es zweifelhaft. So zerfiel diese in die zwei Hauptteile: i . Amled in Dänemark, 2. Amled in England. Untertitel könnten sein: Amieds Torheit, Amieds Weisheit. Drei Szenen oder Szenenfolgen heben sich im ersten Teil heraus: 1. die Vorbereitungen zur Vaterrache und die scheinbar törichten Antworten. 2. Die Szenen mit den Spähern des Königs und die scheinbar törichten Antworten am Wasser. 3. Die Szene mit der Mutter und die Ermordung des Aufpassers. Der König beschließt darauf ihn zu beseitigen, wenn er wirklich ein Narr ist. Das soll in England erprobt werden. Es ist ein glänzender und für den Aufbau höchst fruchtbarer Gedanke, daß von diesem Augenblick an Amleds Klugheit in hellerem und hellerem Licht erstrahlt. Der Sagamann, der dem Stoff Romanbreite verlieh, hat hier ausgiebig aus Märchengut von allerlei Herkunft geschöpft. Die Geschichte vom Glückskind mit dem Uriasbrief, die Schick vor uns ausgebreitet hat, stammt aus dem Orient, und man nimmt gerne an, daß sie von dort direkt durch Rußland nach dem Norden kam. Doch ist sie in der jüngeren Form, die dann in der Hermuthrudageschichte auftritt, schon dem Frankreich des 12. Jahrhunderts bekannt. Die Scharfsinnsproben mögen zugleich oder unabhängig denselben Weg gegangen

ALTE

ZÜGE DES

STOFFES.

241

sein. Olrik macht etwas zuviel Aufhebens davon, daß hier zum ersten Mal an eine heimisch dänische Sage ein reicher internationaler Märchenschmuck gehängt worden sei. Für uns ist das Auftreten solcher Züge in der isländischen Fornaldarsaga nicht ungewöhnlich. Bei aller ausgezeichneten Verkettung dieser beiden Teile und bei aller Wirksamkeit des Gegensatzes zwischen dem verlachten blöden und dem hochgeehrten weisen Amled läßt es sich nicht verkennen, daß hier so etwas wie ein Fremdkörper vorliegt. Die Geschichte verliert ihre Einheitlichkeit, die die harte Entschlossenheit des Helden in der Durchführung des Rachewerks von Anfang an erwarten ließ. Als Amled abreist, hat er den Plan zur Vergeltung bis in die letzte Einzelheit fertig. Der Leser oder Hörer, der die hochheilige Vaterrache ernst nahm, mußte die Abschweifung nach England als lästige Verzögerung empfinden. Und auch moderene Kritiker des Stoffes haben gefühlsmäßig immer wieder eine alte Amledfabel gefordert, die ganz geradlinig auf das Ziel hinstrebte. Leider ist man bei solchen Untersuchungen fast ausschließlich auf eigene Witterung, eigenes Stilgefühl angewiesen. Die Spuren einer anderen selbständigen Uberlieferung von Amled, die man in manchen Zeiten und Literaturen zu finden glaubte, haben sich als trügerisch erwiesen. Für die Gestaltung einer früheren Amleddichtung gibt es nur einen einzigen Anhaltspunkt: die Stelle bei Snaebjörn. Sie darf wohl auch in dem Sinne verwendet werden, daß es eine Amleddichtung schon vor der Zeit der Fornaldarsaga gab. Allerdings bietet sie keine vollkommene Sicherheit dafür. Sie beweist durch das eine Wort »die Wogen mahlten den Sand für Amled« Kenntnis des gesamten ersten Teils der Fabel, Verstellung zum Zweck der Rache, Versuchung durch die Höflinge, ihre Abschüttlung durch tiefen Unsinn. Man könnte annehmen, daß all diese Züge einer liedhaften Behandlung des Stoffes angehörten. Schon da, oder richtiger da noch trat die Verwandtschaft der Gedanken- und Wortspiele Amieds mit der Psychologie und Technik der skandinavischen Kenning zutage. Es versteht sich aber von selbst: ein Heldenlied alten Schlages konnte das nicht sein. Auch sonst scheint das eigentlich Heldische der Fabel fern zu bleiben, wenn man von Saxos Darstellung der Schlußszene S c h n e i d e r , Heldensage II, 1 .

242

DER

MORDVERSUCH.

absieht; die Ermordung des Lauschers ist keine Großtat, selbst wenn sie minder kraß erschien als in der »kindischen Märchengrausamkeit« (v. d. Leyen) der Saga; die Schweinefütterung zeigt ja schon die gemeinsame Vorlage auf dem Weg des niedrig Grotesken, den die späten isländischen Quellen so ausgiebig beschreiten. Und auch die brennet läßt mehr die Schlauheit als den Heldenmut obsiegen, namentlich wenn ihr der halbheroische Abschluß der Gegenüberstellung Mann gegen Mann fehlte; einem ritterlichen Kampf weicht ja Amled auch da aus. Es ist aber nicht nur dieser Mangel an Heldischem, das uns an dem vereinfachten Inhaltsschema stört. Eine Amledfabel so einfachen Baus, gleichviel ob in Liedform oder nicht, entbehrte der spannenden Steigerung, wenn sie wirklich nur diese Elemente enthielt, wenn sie versäumte, das Maß des Königs voll zu machen, ehe ihn die Rache traf. Die Englandreise ist gewiß jüngerer Romanzusatz, aber ihre Grundlage, der Mordversuch an dem Helden, muß unbedingt älter sein. Dieser Zug eignete sich offenbar ursprünglich allein zu heldischer Behandlung. Man darf vermuten: Amled wurde mit zwei Begleitern ausgeschickt, um ermordet zu werden. Aber seine List oder seine Stärke triumphierten über die Gegner, und er kam allein unversehrt zurück. In keiner unserer Fassungen ist mehr Raum für diese Episode, die allein die Handlung zur Peripetie emportreiben konnte. Da mag es immerhin ein wenig zu denken geben, daß das deutsche Bandenstück vom bestraften Brudermord eine Szene kennt, in der der bedrängte Hamlet seine beiden Begleiter durch List dahin bringt, sich gegenseitig zu töten; trotz aller Kindlichkeit doch ein wohlvorbereiteter und wirksamer Höhepunkt des Stücks. Es hat sich zeigen lassen, daß Hans Sachs die gleiche Vorstellung hat, und daß sie bis zu Krantz zurückgeht: der König gibt dem Hamlet zwei Begleiter mit auf die Reise, sie erliegen aber seiner List, statt daß sie ihn töten. Es ist verführerisch, hier etwas ganz Altes zu wittern, und in der Tat hat man schon eine Seitentradition der Hamletgeschichte gemutmaßt, die von der sonst allen gemeinsamen Quelle, Saxo, unabhängig wäre und doch Ende des 16. Jahrhunderts ihre geheimnisvolle Wirkung auf Deutschland und England ausüben konnte. Aber wir haben so gar keine Vorstellung, wie diese Quelle ausgesehen, wo sie hergestammt, welche Form sie gehabt haben könnte. Und so ist die Annahme wohl ausreichend, daß bei Krantz Versehen vorliegt,

DER

NAME

243

AMIED.

der englische Dramatiker aber, der das Vorbild zum Brudermord schuf (es war ja wohl nicht Shakespeare) aus guter Theaterwitterung anstelle der unbühnenmäßigen Reise nach England oder des völligen Verschwindens des Helden diese neue Szene sich ausgedacht hat. Also mit dieser Seitenquelle ist es nichts, und unsere Vermutung eines älteren Amledgedichts erhält von dieser Seite keine Bestätigung. Lassen wir denn dieses Tasten und suchen Aufschlüsse anderer Art zu gewinnen. Noch sind die Namen unserer Geschichte ungenutzt, die der Personen wie der örtlichkeiten. Man wird Meißner beistimmen, daß einige Altersgewähr nur für zwei Namen vorliegt, für den Helden selbst und seinen Gegenspieler. Der Vater Horvendillus wird um nichts deutlicher, wenn man ihn neben den Aurvandill der Mythologie stellt, auch der Hinweis auf die norddänische Landschaft Vendel sagt nicht mehr, als wir schon wissen, daß man sich den Fürsten in Jütland zuhause dachte. Gerutha ist keine Gertrud, sondern eine Geirrid, doch bedeutet der Name auch in dieser Form nichts. Der Name des Helden selbst hat bei dieser ganzen entstehungsgeschichtlich so rätselreichen Fabel am meisten Pein gemacht. Nach meiner festen Uberzeugung gehören nun aber alle Erörterungen über Herkunft und Bedeutimg von »Amlodi« in ein nordgermanisches etymologisches Wörterbuch und nicht in eine Darstellung der Heldensage. Die seit Olrik gangbare Ansicht, daß der Name des vermeinten Irrsinnigen weitum im Norden (sogar im älteren Englisch, bezeichnenderweise aber nicht im Dänischen!) zu einem Appellativ geworden sei, das einen Verrückten bezeichne, steht auf allzu schwachen Füßen. Sie setzt voraus, daß die Amledgeschichte in ganz Skandinavien und bei den skandinavischen Besiedlern der britischen Inseln sich einer unerhörten Volkstümlichkeit erfreute. Wir hören ja: Olrik glaubte an ein altes Amledmärchen, das keineswegs auf Island beschränkt war. W i r begriffen dieses Märchen als Ableger der isländischen literarischen Überlieferung und fanden keinen Grund, es auch anderwärts zu vermuten. Es ist widersinnig, bei der zeugnisärmsten aller germanischen Sagengestalten eine Entwicklung vorauszusetzen, wie sie den volkstümlichsten Helden nicht zuteil wurde. Nirgends ist ein »Sigurd« oder ein »Hagbard« oder auch nur »Kraki« zum Appellativ erhoben worden. Die »Wielande«, die es gibt, sind älter als die Heldendichtung. 16*

244

A M LODI.

Wahrscheinlicher ist, daß der Name des Helden lautlich nur in der Nachbarschaft des älteren Begriffs amlódi = Trottel gelegen hat, und daß man ihn an diesen erst anglich. Es geschieht ja nicht überall, Saxos Namensform Amleth muß keineswegs Abschwächung von Amlodi sein. Nur wenn sich sonst gar keine Spur eines ähnlichen Namens zeigte, der frei ist von dem Verdacht, die Bezeichnuug eines Stumpfsinnigen zu sein, könnte man sich zu Olriks Erklärung flüchten. Nun gibt es aber einen lautlich nahestehenden nordischen Namen. Das Zeugnis, das ihn uns überliefert, führt in den Beginn des io. Jahrhunderts zurück, zu einer großen Wikingerschlacht, die bei Dublin geschlagen wurde. Der eigentliche Held dieser Schlacht und Besieger des heimischen Königs war ein Nordmann Amlaidhe. — Das irische Gedicht, das von seiner Tat erzählt, bringt diese Namensform in Reimsicherung. Man hat nun angenommen, dieser Amlaidhe sei verwechselt worden mit einem Anuleif, den die Iren Amlaibh nennen. Ein solcher Anulaif, in jüngerer Form Olaf, mit dem Beinamen Kuaran, hat der folgenden Wikingergeneration angehört und durch seine Doppelehe, zumal seine Verbindung mit einer berüchtigt mannstollen Fürstin, Aufsehen erregt. So glaubte man, die Grundlage eines »Amledromans« gefunden zu haben. Wer diese Gleichsetzung erwägenswert findet, braucht deshalb an unseren Darlegungen über isländischen Ursprung der Hermuthrudageschichte nicht irre zu werden. Es kommt öfter vor, daß die Fornaldarsaga historische Erinnerungen an die Wikingzeit einmengt. Aber man sollte verlangen, daß die Beziehungen deutlicher sind. Auf keinen Fall hat jener Irensieger mit dem Vaterrächer das Geringste zu tun. Auch nach anderer Seite hat man das etymologische Rätsel durch historische Anknüpfung der Gestalt zu lösen gesucht. Für Malone ist Amled ein wütiger (òdi) Ali oder Anale, und identisch mit dem Onela des Beowulf. Es sind äußerst gewundene Pfade, die zu diesem Ziel führen, und die Namenserklärung geht wieder von Amlodi aus. Meißner wendet gegen sie ein, das Beiwort 6di sei für den Helden nicht passend, der ja eher stumpfsinnig als rasend sei. Das stimmt nicht ganz, und Malone kann ihm entgegenhalten, daß auch das isl. Verbum amia (nutzlos geschäftig sein) von dem Meißners eigene Etymologie ausgeht, nicht zu Amled paßt (für ihn ist er ein »nutzlos geschäftiger Odi«). Beide sehen also in dem Namen eine Zusammensetzung von Eigennamen und

AMLODI.

245

kennzeichnendem Beiwort; Meißner verzichtet auf eine geschichtliche Ausdeutung des Namens Odi. Dagegen hat früher Detter jedes ursprünglich namenhafte Element in dem Wort Amlodi abgelehnt. Er bedeutet »verdrußwütend«. Nordfeldt, für den die Bezeichnung aus England kommt, läßt den Helden ehemals »se hamelode«, der Verstümmelte (nämlich geistig), zubenannt sein. Ich glaube, daß amlodi kein Name ist. Aber jene irische Stelle erlaubt die Annahme, daß es den Namen Amled wirklich gegeben hat, und daß man in dem Verlauf der Amledfabel die Berechtigung sah, den Helden mit leichter Umbenennung als amlodi, d. i. Trottel auftreten zu lassen. Daß es sich um einen Namensersatz handelt, beweisen u. a. die Oddaannalen, die den Bericht über Amled den Gesta Danorum entnehmen, den Helden aber A m l o d i nennen. Vielleicht spiegelt sich dieser alte Zustand in der Saga wieder, die zwischen dem Helden Ambales (das b ist Aussprachehilfe bei der Lautgruppe ml) und seinem schimpflichen Beinamen »Amlodi« unterscheiden. Für eine Einwirkung des römischen Namens Brutus — von der Fabel reden wir gleich noch — ist kein Raum. Man hat nicht, durch die Ähnlichkeiten der Handlung veranlaßt, eine nordische Analogie für lat. brutus gesucht — »amlodi« und »se hamelode« wären ziemlich fernliegende Entsprechungen — sondern der heimische Ausdruck bot sich durch die Ähnlichkeit des Wortbilds ungezwungen. Nun zu dem Gegenspieler. Fengi ist ein Wotansheiti, und Meißner mag recht haben, daß die Isländer diese vertrautere Form wählten anstelle eines Feggi oder Foggi. So nennen ihn einige Chroniken, deren abweichende Namensform gerade dann Gewicht hat, wenn sie sich in ihrem Bericht an Saxo anschließen. Mehrmals begegnet die Angabe, die Rache an Fengi sei in Viborg vollzogen worden. Auch wird ausdrücklich die Vorstellung einer brenna unterstrichen, bei der der König zugrunde ging. Solche Notizen sind bedeutungsvoll; sie vertreten zwar keinen selbständigen Überlieferungszweig der ganzen Amledgeschichte, beweisen aber, daß man in Historikerkreisen Interesse für diesen Dänenprinzen hatte und mehr von ihm wußte, wahrscheinlich aus örtlicher Überlieferung, als Saxo darbot. Die Bestätigung unserer Vermutung wegen der brenna ist schon wertvoll genug. Dänische Lokalsage; damit ist eine mündliche Überlieferungs-

246

ANTEIL

DÄNEMARKS.

form gegeben, in der Elemente des Stoffes fortleben konnten. Es liegt nahe zu glauben, daß er in Dänemark zuhause war, trotz des Zweifels an seinem nordischen Ursprung, den manche Seltsamkeit nahelegt, und dem Nordfeldt am stärksten Ausdruck gibt. Aber es fragt sich, wieweit die Dänen in seiner Gestaltung gekommen sind. Waren diese lückenhaften Nachrichten die einzige Form, in der der Stoff in der Heimat lebte, oder gab es poetische Verarbeitungen ? Einen dänischen Amledroman lehnten wir ab; wir finden keinen Raum für ihn in der dänischen Literaturgeschichte, die Ansprüche Islands auf diesem Gebiet gehen allen anderen vor, und neben der isländischen Saga können wir die dänische Ausschmückung oder Nacherzählung als Zwischenglied zu Saxo hin vollkommen entbehren. Auf der anderen Seite bestehen Olriks Beobachtungen, daß jütische Küste und Binnenlandschaft hier entscheidende Spuren hinterlassen haben; wir ziehen mit Amled über sandige Dünen und erreichen inmitten von Wäldern sumpfiges Gelände, das mit Schilf und Blattpflanzen bestanden ist. Es sind gut dänische Pflanzennamen— freilich nicht nur dänische! —, die in Amieds Mund eine versteckte Anwendung finden. Der Stoff hat darnach nicht nur als dänische Lokalsage gelebt, sondern hat in Jütland vermutlich dichterische Formung gefunden. In diesem Lied waren Amieds geistvoll spielerische Antworten am Meeresstrand angeführt. Es ließe sich denken, daß das Wortspiel mit dem Huflattich und Hahnenkamm schon damals in die enge Nachbarschaft der Meeresmühle gehörte. Diese Pflanzen brauchten ja nicht von Anfang an die Unterlage einer Liebesszene zu bilden. Gehörte das Amledlied nun in jene dänische Schicht, die uns den ersten großen Starkadmonolog (das Ingellied) geschenkt hat, so gewinnt die Frage noch erhöhtes Interesse: wo stammte dieser Stoff her ? Da er in seiner späteren Entwicklung so eifrig aus der Fremde schöpft, zumal aus der östlichen, war die Versuchung groß, ihn überhaupt daher abzuleiten. Zumal sich verlockende Vergleichsmöglichkeiten boten. Man fand einen römischen, einen persischen, einen finnischen Amled. Gemeint muß dabei natürlich immer sein: einen Rächer, der sich wahnsinnig stellt, um zum Ziel zu kommen; die Stoffgeschichte wurde unnötig verwickelt und der Blick vom wesentlichen abgelenkt, als man auf dieses Hauptmerkmal verzichtete und auch altfranzösische

AMLED

UND

BRUTUS.

247

Fabeln beizog (Boeve, Havelock), die teilweise gleiche Anlage zeigen, aber sicherlich nur durch weitgehende jüngere Motivgemeinschaft mit Amled verbunden sind. Für Herkunft aus der Brutusfabel hat sich vor allem Detter eingesetzt, dessen Verdienste um die Erforschung des Stoffes nicht gering geachtet werden dürfen. Hier aber hat er zweifellos geirrt. Die Fabeln sind nicht wesensgleich und eine ist nicht aus der anderen geflossen. Wohl aber hat die Geschichte des Brutus auf zwei verschiedenen Stufen der Amledgeschichte Einfluß gewonnen. Brutus stellt sich wahnsinnig, um den Tarquinius über seine Umsturzpläne zu täuschen. Es gelingt ihm und er vertreibt den Tyrannen (tötet ihn nicht!). Einmal macht er eine Reise zum delphischen Orakel mit zwei Begleitern und opfert dort als Sinnbild seiner selbst einen goldgefüllten Stab (Symbol seines inneren Wertes trotz der schlechten, närrischen Hülle). Der Gedanke ist gar zu verführerisch, daß dieser Zug, den schon der knappe Bericht des Livius kennt, in dem Goldstabmotiv des Saxo wiederkehrt. Es wäre in der Tat eine geniale Umsetzung einer altgermanischen Vorstellung (vom Wergeid) in die Bildersprache der antiken Fabel. Man konnte auf die isländische Redensart »einen Erschlagenen im Beutel tragen« hinweisen; so trägt Amled seine ermordeten Begleiter, d. h. das Wergeid für sie, in den Stöcken bei sich. Es trifft sich gut, daß wir nach Lage der Dinge Übernahme und Einbettung dieses Zuges nur dem Amleddichter zuschreiben können, der uns als der schöpferischste von allen erschienen ist: jenem feinen und an literarischen Kenntnissen reichen Kopf, der den ersten Amledroman baute. Das Stockmotiv hängt ja aufs engste zusammen mit der Erfindung der ganzen Englandreise, die wir ihm zuschrieben. Es bleibt nun, nachdem er so sichtlich aus einer Buchquelle schöpft, doch zweifelhaft, ob volksmäßige Märcheneinfuhr aus dem Orient ihm Uriasbrief und Scharfsinnsproben zugetragen haben, oder ob nicht auch dafür eine literarische Vermittlung vorlag. Mit'Recht hat man sich also dagegen gewehrt, den Erfinder dieses geistvollen Motivs in Saxo zu sehen. Und doch ist auch er selbständig durch die Amledgeschichte an die Brutusfabel erinnert worden und hat das deutlich zum Ausdruck gebracht; aber in seiner Art nicht durch motivliche Bereicherung der Darstellung,

248

PERSISCHER

UND

FINNISCHER

AMLED.

sondern durch Einstreuung eines wörtlichen Zitats aus des Valerius Maximus Brutuserzählung (obtusi cordis esse 88, 27). Wie Uhland immer wieder die Ähnlichkeiten gewisser Partien des Schachnameh mit der Wolfdietrichsage anstaunen mußte, so wird die Ähnlichkeit zwischen den Jugendschicksalen Kai Chosros und Amieds immer wieder verwundern. Auch der Vater des persischen Helden ist von einem Tyrannen ermordet worden, er selbst stellt sich närrisch, um nicht gefährdet zu werden, aber in seinen scheinbar törichten Reden liegt ein tiefer Sinn. Seine Rache gelangt schließlich ans Ziel, er tötet den Feind mit eigener Hand. Man sieht, diese Analogie schlägt noch ganz anders durch als die mit Brutus. Man brauchte sie nicht, wie geschehen ist, auf den Aufenthalt bei Hirten, die Anfertigung der Stifte und die Reise nach England auszudehnen; aber daran ist nicht zu rütteln, daß die Hauptumrisse stimmen. Dabei ist es nicht ein bloßes Wandermotiv, um das es sich handelt (wie etwa beim Hildebrandstoff, der auch im persischen seinesgleichen hat), sondern eine ganz fest umrissene Fabel. Sie war dem Orient des 12. und 13. Jahrhunderts bekannt wie dem gleichzeitigen Island. Auch zu der finnischen Kullervosage sind die Beziehungen unverkennbar. Aber da ist das Verhältnis wenigstens klar: die Finnen haben sich die skandinavische Fabel zu eigen gemacht. Man muß das zugestehen, trotzdem dieser etwas wirren Erzählung das entscheidende Wahnsinnsmotiv fehlt, und sie mit Ermordung des Vaters durch den Oheim, Viehhüten, überraschender Heimkehr, brenna, Rache haushält. Die finnische Erzählung zeigt den jungen Helden im Feuer, wo er unverletzt bleibt, mit einem Haken die Brände schürt und droht, er werde den Vater rächen. Dann erscheint er mit einem Ruder in der Hand auf dem Wasser und spottet seiner Verfolger. Es ist klar, daß die zwei bestbezeugten Auftritte aus Amieds Narrenleben: das Hakenhärten am Feuer und der Wortwechsel am Wasser hier verwirrte Spuren hinterlassen haben. Also der Stoff ist weder finnisch noch römisch, er ist auch nicht persisch, sondern es wäre nur zu erwägen, ob er aus jenem südöstlichen Sammelbecken stammt, das sich schon in frühen Jahrhunderten nach Christus für den Norden als so ergiebig erwies. Dann kann die Übernahme also auch schon sehr früh erfolgt sein — sofern nicht die innere Beschaffenheit der Fabel Bedenken erregt.

249

ALTGERMANISCHE A B K U N F T ?

Durch sie ließ man sich ja auch davon abhalten, die Bildung der Amledfabel und die erste Abfassung eines Amledliedes in das klassische Zeitalter des Heldenlieds zu verlegen. Wir sahen, daß es der Fabel an Möglichkeiten zu heldischen Auftritten nicht gebrach, und auch der Grundgedanke: Vaterrache um jeden Preis und in gefährlichster eigener Lage ist gut altgermanisch. Das Mittel, mit dem der Held zum Ziel kommt, und die Szenen, zu denen sein vermeinter Wahnsinn Anlaß gibt, sind es umso weniger. Doch das sind Gefühlsfragen. Sicheren Anspruch auf einen Platz unter den germanischen Heldensagen hat also die Amledfabel auf keinen Fall. Ihr Auftreten weit im Nordosten, wohin nur skandinavischer Kultureinfluß reichte, macht ihr Dasein im Dänemark des 10. Jahrhunderts noch wahrscheinlicher. Aber nichts weist mit Sicherheit darauf hin, daß sie damals aus einer älteren germanischen Liedgestalt neu gebildet wurde. Zweifelhaft mag auch scheinen, ob die Dänen die Aneignung des südöstlichen Stoffes unmittelbar vollzogen oder ob sie ihn von den britischen Inseln her übernahmen. Man hat ja nicht ohne Grund die Amledgestalt gänzlich ungermanisch gefunden und sich durch sie an keltische Helden erinnert gefühlt, etwa an den listigen Tristan. Von den Kelten hätten die Isländer ja wohl auch den Stoff unmittelbar beziehen können. Aber eine dänische Zwischenstufe allein erklärt die Aufnahme des Helden unter die dänischen Könige, den jütischen Lokalton, das Eingehen in die Ortsüberlieferung. Der frühe Weg des Stoffes, ehe er zu Saxo kam, ist nur durch das Zeugnis Snaebjörns erhellt. Dieser Wink darf auf keinen Fall ungenützt bleiben, Island aus der Geschichte der Amledfabel nicht hinausgewiesen werden. In dieser Erkenntnis, und eigentlich nur in ihr, beruht der Fortschritt der neueren Amledforschung über Olrik hinaus. Allgemeines: v . d. Leyen, 78f.

Die

Olrik

Kilderne

II,

158/181.

deutschen Heldensagen

158s.

Detter

ZfdA

36,

iff.;

Heusler bei Hoops

I,

Herrmann Saxo II, 248s., 286ff. — Der Korndieb: J. Olrik Fejlberg-

iestschrift 1911 S. 98ff. —

Die isländische Überlieferung: Jiriczek Germ.

Abh. 12, 61 ff. Gollancz, Hamlet in Iceland 1898 (Text e i n e r Hs. mit englischer Übersetzung, Bryansmärchen u. a. Zeugnisse).

Olrik,

Amled-

sagnet pä Island Arkiv 15, 360ff. — Zur Stoffgeschichte: Zenker, BoeveAmlethus Berlin 1905. Schick, Corpus Hamleticum I und I I (Das Glückskind mit dem Todesbrief) 1912 u. 1932. —

Historische Herleitung: Zenker

i n ff.; Malone, The literary history of Hamlet I, 1923. -— »Der bestrafte Brudermord«: Evans Diss. Bonn 1902. D N L 23. — Namen: Detter a. a. O.

250

HELGI.

S. 7; Nordfeldt, Spräkvetenskapliga 1927, I I 55ff. — Meißner, Idg.

Sällskapets i Uppsala

Forschungen 45, 37off.

Förhandlingar

(mit zahlreichen

feinen und förderlichen Bemerkungen zur Amledsage überhaupt: Snaebjörn S. 373 fi., die Ziehschwester S. 389 f., 39if.).

der Schinken

S.

389,

Fengo S.

Malone R E S III, 257ff., IV, i f f . — Brutussage: Detter a. a. O . ;

Zenker S. 79ff., 192)5.; Nordfeldt S. 93. — Die persische Fassung: Jiriczek, Z d V f V k . X , 353fi.

Setälä, Kullervo-Hamlet

Helsingfors

1911. •— Für westliche Herkunft und irische Beeinflussung

Die

finnische:

setzen sich

neuerdings besonders ein Larsen Aarb. 1925, 233; Meißner, S. 379; Nordfeldt 77ff. (Hinweis auf Tristan S. 84).

HELGI Ein Hauptreiz bei der Erforschung der Heldensage liegt in der starken Verschiedenheit ihrer äußeren Erscheinungsform; sie führt zu einer großen Mannigfaltigkeit der Fragestellung und zu sehr abwechslungsreichen Verfahren beim Versuch einer Lösung. Wir hatten oft zu klagen über Mangel an ursprünglichen Denkmälern und fanden uns gehemmt, weil wir mit Darstellungen zweiter Hand vorlieb nehmen mußten, Anspielungen und Nacherzählungen. Wenn wir nur Lieder hätten! war oft unser Stoßseufzer. Die Helgisage bringt uns in die umgekehrte Verlegenheit. Sie ist fast ausschließlich aus Liedern bekannt; wir haben von ihr, muß man fast sagen, mehr Lieder als uns lieb ist. Denn diese drei Gedichte, weit entfernt davon, jene urtümliche Sagengestalt zu enthalten, der wir nachträumen, wenn wir an verlorene Lieder von Hrolf Kraki, von Amled denken, zeigen die Helgisage in jungen und verzweigten Ausläufern; sie sind so schwer miteinander in Einklang zu bringen und wollen sich so gar nicht zu einer durchsichtigen geschichtlichen Entwicklung zusammenfügen, daß uns diese zeitlich einander ganz nahestehenden Denkmäler keine geringere Beschwer verursachen als in anderen Sagenkreisen das Gewirr von englischen, dänischen, isländischen Zeugnissen aus einem halben Jahrtausend. Ja man möchte zunächst Bedenken tragen, von der Helgisage zu sprechen, so verschiedene Gestalten nimmt sie an. Zur Zeit der Entstehung der Liederedda glaubte man denn auch nicht von e i n e m Helgi zu wissen, sondern von dreien. Der Beweis, daß diese drei ursprünglich eins waren und eine Helgisage am Anfang aller Entwicklung steht, muß jedenfalls erst erbracht werden. Eddische Qellen. Die drei Helgilieder, die die Liederedda in einer Reihe aufzeichnet, machen schon von außen einen

I.LIED

VOM

HUNDINGSTÖTER.

251

seltsamen Eindruck. Nur wo sonst in der Edda deutlich Sagareste vorliegen, im Bereich von Sigurds Jugendgeschichte, sind die Strophen derart mit Prosa durchflochten, mit Prosa, die dringend nötig ist zum Verständnis der Verse. Und nirgends treten die Spuren einer klaubenden und raffenden Sammlertätigkeit so verletzend hervor wie hier. Genau genommen haben wir nur ein wirkliches Helgilied, ein ganzes, das von keiner Prosa unterbrochen und ihrer nicht bedürftig ist. Man nennt es D a s erste Lied v o n H e l g i , d e m H u n d i n g s t ö t e r . Es ist aber wichtig zu wissen, daß es in der Handschrift benannt ist: Kvcedi frd Helga Hundingsbana peira ok H (gdbrodds?), Völsungakvida. Das Lied beginnt in hohen Tönen (man hat längst erkannt, daß sie der Völuspa abgeborgt sind): Ar vas alda — da gebar Borghild dem König (der Name erst Str. 11) Sigmund dem Ylfingen einen Sohn. Die Nornen spannten ihr Seil durch den Weltenraum, ein Rabe schreit Angstprophezeiung vom Baum: den eben Geborenen sieht er schon im Harnisch stehen, und die Wölfe und Waldvögel können sich seiner freuen. Sigmund kehrt von der Schlacht heim und gibt ihm den Namen, Helgi, dann begabt er den Bruder Sinfjötlis mit vielen Höfen und einem Schwert. Herrlich wächst er auf, und mit 15 Jahren tötet er den tapferen König Hunding. Den Söhnen verweigert er die Buße, abermals reißt Frodis Friede, Helgi zieht zu Felde und tötet alle Hundingsöhne, Alf und Eyjolf, Havard und Hjörvard. Nach der Schlacht sitzt er am Arastein, da bricht ein Licht aus den Logabergen, behelmte Frauen erscheinen hoch in der Luft. Helgi lädt sie zu sich ein, Sigrun aber erklärt, der Sinn stehe ihr nicht nach Gelage. Ihr Vater Högni hat sie dem Hödbrodd vermählt, Granmars Sohn, und er denkt sie in wenig Nächten zu holen. Er dünkt sie aber verächtlich wie ein Katzenjunges. Helgi sagt ihr Hilfe zu und bietet eine gewaltige Flotte auf. Bei Hedinsey sammeln sie sich, kaum zählbar sind die Schiffe, die aus dem Örvarsund kommen (Hjörleif, Helgis Begleiter, gibt die Mannschaftszahl auf 3600 oder gar 36000 an). Sie kommen in ein Ungewitter, und Ägirs Tochter würde sie versenken, wenn Sigrun sie nicht von oben schützte. Besorgt sehen die Feinde vom Svarinshügel sie nahen. Gudmund fragt, wer die Flotte lenke. Sinfjötli erwidert: wenn er am Abend die Säue tränke und die Hündinnen füttere, solle er melden, daß die Ylfinge gekommen seien. Gudmunds Antwort nimmt Bezug auf Sinfjötlis Wolfsleben und seinen Brudermord (an den Söhnen Siggeirs), der Gegner wirft ihm vor, er sei ein Weib gewesen, eine widrige Walküre, eine trugvolle Völva, nach ihm, Sinfjötli, lüstern, und schließlich habe er ihm neun Wölfe geboren. Gudmund meint, daß sei nicht möglich, denn Sinfjötli sei ja längst von Riesenmädchen entmannt worden. In Bravöll war er eine Stute, während

252

E I G E N A R T VON H H .

I.

Gudmund, wie man wiedrum von Sinfjötli hört, als zuchtloser Knecht Geissen gemolken hat. Worauf Gudmund ausbricht: »der Teufel mag mit dir zanken, ich will lieber am Frekasteine dein Fleisch den Raben zum Fraß geben, als Hunde und Schweine füttern«. Nun tritt Helgi dazwischen und verbietet dem Sinfjötli die Schmähung der tapferen Gegner. Hödbrodd erhält die Nachricht von Helgis Herannahen und entbietet soviel Helden als er kann: Högni und Hrings Söhne, Atli und Yngvi, Alf •den Alten. Beim Frekasteine beginnt die Schlacht, Sigrun schützt Helgi von oben. Aus ihrer Glückwunschrede am Schluß des Gedichts allein erfährt man, daß Helgi den Gegner getötet und damit sie selbst sich erworben hat.

Das erste Helgilied ist eines der merkwürdigsten Gedichte der Edda, nach Anlage und Stil. Man hat mit Recht bemerkt, es stehe eigentlich an der Schwelle des skaldischen Preislieds. Nirgends ist die sonstige Objektivität des Heldendichters so hintangestellt zugunsten einer schrankenlos großsprecherischen Verherrlichung des Helden, nirgends auch das Gesetz der epischen Geschlossenheit so vernachlässigt. Als das eigentliche Ziel: Sieg und Triumph des Helden erreicht ist, klingt das Lied rasch aus. E s arbeitet mit ungewöhnlich lauten Tönen und starken Farben, und der sie handhabt ist in seiner Art ein Meister. Aber es ist nicht Hochromantik, wie man meinte, sondern Spätromantik, etwa Fouquescher Richtung. Viele Nacherzähler stimmen in seinen Ton gläubig ein in dem Gefühl, hier kraftvoll altgermanische oder zumindest wikinghafte Poesie wiederzugeben, und Ussing kann, wenn er von dem Lied spricht, das Wort pragtfuld nicht oft genug gebrauchen. Neckel schon hatte richtiger gesehen, wenn er von Theaterwalküren sprach. Das Fremdartige zu erklären, das in diesem Überschwang und dieser gleißenden Lichtgebung liegt, mag man diesmal wirklich mit Bugge das oft beschworene irische Vorbild bemühen. Die Schwärmer pflegen, wie gewöhnlich, auch zu übersehen, daß an dem Gedicht nicht alles klappt. Zunächst sind die Anfangsstrophen lückenhaft. Die Nornen stellen ein bloßes lebendes Bild, den seherischen Spruch, den man von ihnen erwartet, bleiben sie schuldig. Dafür läßt sich der Rabe vernehmen, aber was er sagt, t u t eine ganz falsche Wirkung: den Ohren von Heldeneltern sollte es gut klingen, wenn sie hören, daß ihr Sohn die Waltiere letzen wird. Ussing meint, der Rabe verkünde das Ende des Vaters, der ja nur gerade aus der Schlacht herbeigeeilt sei, um das Neugeborene zu grüßen, und alsbald wieder zurückmüsse. Der Ge-

DAS

STREITGESPRÄCH.

253

haxnischte in der Wiege, das bedeute die sofort übernommene Rachepflicht, nach dem Muster des eintägigen Rächers Vali der Göttersage. Aus unserem Lied allein heraus wird man zu dieser Erklärung nicht kommen, trotzdem es auffällig ist, daß der Vater gleich aus der Geschichte verschwindet. Man könnte sich ja denken, daß sein hartes Los in dem optimistischen Weltbild desDichters keinen Platz findet. Aber umsomehr hätte dieser sich freuen müssen, seinen Helden mit dem Ehrenreiß des Vaterrächers zu schmücken. An dem Streitgespräch hat man Anstoß genommen, es wohi gar stillos gefunden inmitten so erhöhter Menschen und herrlicher Taten. Damit verkennt man den Stil des Dichters gründlich: schon die Schmähung Hödbrodds durch Sigrun zeigt, daß er es allenthalben liebt, stark aufzutragen. Ich kann (mit Wessen) nicht finden, daß man das Gedicht besser macht und von einem Fremdkörper entlastet, wenn man die in ihrer Art nicht üblen Scheltstrophen hinausweist (auch in der Sammlung Thüle geschieht dies). Äußerlich ist es ja leicht, gleich Neckel die beiden Strophen, in denen vom Füttern der Hunde und Schweine die Rede ist, aneinanderzurücken und alles, was dazwischensteht, zum späteren Einschiebsel zu stempeln. Damit ist aber immer noch kein guter Zusammenhang hergestellt. Das Hauptbedenken gegen die Streichung ist, daß unser Dichter seine Redeszenen allesamt breit anlegt; der Gesprächsstumpf von salzloser und steigerungsloser Grobheit tut seiner Art nicht Genüge. Wäre das Gedicht in der Form überkommen, die ihm Genzmer gibt, so müßte man annehmen, es sei etwas ausgefallen. Nicht unverträglich mit dem Stil des Dichters ist der jähe Schluß. Lob des Helden ist sein einziges Ziel, höher als durch diesen dritten Sieg, der ihm die Braut gewinnt, kann es nicht getrieben werden. Was sonst noch an Schicksalen Helgis bekannt war, scheint sich nicht zur preisenden Darstellung geeignet zu haben. Sicher also wußte der Dichter von späterem Unheil. Freilich bleibt auch die Möglichkeit offen, daß der Sammler das Ende des Gedichts wegließ, weil er über Helgis Tod später zu berichten gedachte, so wie er es der allgemeinen Anschauung nach mit dem Schluß des alten Sigurdliedes gemacht hat. Zunächst geht er mm zu einem anderen Stoff und einem anderen Helgi über. Aber dann lenkt er wieder zurück und

254

2 . L I E D VOM

HUNDINGSTÖTER.

handelt aufs neue frä Vqlsungum. Man spricht, ohne handschriftliche Gewähr, vom zweiten Lied von Helgi dem Hundingstöter. Der Anfang bringt Prosa mit eingestreuten Versen. König Sigmund in Bralund hat von seiner Gattin Borghild einen Sohn, den er nach Helgi Hjörvardssohn nennt. Sein Pflegevater ist Hagal. König Hunding von Hundland, ein berühmter Krieger mit vielen streitbaren Söhnen, lebt in Fehde mit den Ylfingen. Helgi zieht unter dem Namen Hamal — Hagais Sohn heißt so — an Hundings Hof und trifft dessen Sohn Heming. Als er sich fortschleicht, läßt er ihm in einer Strophe bestellen, Helgi wisse wohl, wen die Feinde gefällt hätten; sie meinten, Hamal sei dagewesen, es war aber der graue Wolf. Blind der Bösewicht (enn bölvlsi) setzt ihm mit Mannschaft nach, er geht zu Hagal, verkleidet sich dort und stellt sich als Magd an die Mühle. Blind fallen seine scharfen Augen und sein mächtigen Hände auf (2 Str.), aber Hagal weiß ihn zu beschwatzen (eine Str.), das sei eine gefangene Walküre, die Schwester Högnis und Sigars. So kommt Helgi davon und tötet den Hunding auf einem Heereszug. Seitdem heißt er Helgi der Hundingstöter. E r liegt in Brunvagar mit seiner Flotte, sie schlachten am Strand und essen rohes Fleisch. Sigrun, die Tochter Högnis, eine Walküre, die in L u f t und Wasser reitet, spricht ihn dabei an. Helgi nennt sich Hamal aus Hlesey. Er sucht sich aber vergebens zu verleugnen (wozu nicht paßt, daß er sich nidr Ylfinga nennt): Sigrun kennt ihn und war Zeuge seiner Taten im Kampf gegen Hunding; es nützt ihm nichts, daß er in Kampfrunen spricht. Dieses Gespräch füllt neun Strophen. Dann kommt wieder Prosa. König Granmar auf Svarinshaug hat mehrere Söhne, Hödbrodd, Starkad, Gudmund. Bei einer Königsversammlung wird Högnis Tochter, Sigrun, dem Hödbrodd anverlobt. Helgi hat einen Sieg über die Hundingssöhne erfochten, und sie alle, Alf und Eyjolf, HiQrvard, Hervard gefällt. Nun sitzt er kampfmüde am Adlerstein, da kommt Sigrun zu ihm, legt ihm die Hände um den Hals und küßt ihn, wie das im alten Völsungenlied gesagt ist. Sie erzählt ihm, was ihre Verwandten über sie beschlossen haben, gesteht ihre Angst vor dem Zorn der Ihren und ihre Liebe zu ihm, die sie schon hegte, ehe sie ihn sah. Helgi beruhigt sie und verspricht ihr Hilfe; vard hilmi hugr d vifi (14). Die Szene umfaßt 4—5 Strophen. Dann wieder Prosa: Helgi fährt mit einer großen Flotte nach dem Frekastein und kommt in ein starkes Unwetter; da blitzt es über ihnen, sie sehen in der Luft neun Walküren reiten, es sind Sigrun und die Ihren. Nun legt sich der Sturm und sie kommen heil ans Land. Gudmund, der Sohn Granmars, sitzt auf einem Hügel und sieht die Flotte landen. Da reitet er ans Ufer und erkundigt sich, wie es im Helgilied geschrieben steht: Wer ist der Fürst, der die Flotte steuert usw. und Sinfjötli antwortet, wie das gleichfalls schon mitgeteilt

HH. II.

255

ist. Gudmund reitet mit der Kunde heim; ein mächtiges Heer versammelt sich, darunter auch Högni und seine Söhne Bragi und Dag. In einer großen Schlacht iallen die Granmarsöhne und auch sonst alle Anführer, nur Dag wird geschont und leistet den Völsungen Eide. Sigrun geht über das Schlachtfeld, trifft den sterbenden Hödbrodd (eine Strophe) und begrüßt den Sieger Helgi voller Freude. Er sagt ihr aber, daß er Högni und Bragi getötet habe, daß auch Starkad und die Hrollaugsöhne gefallen seien und ihre meisten Verwandten. Sigrun weint, da tröstet er sie: »Du warst uns Hild. Niemand kann dem Geschick widerstehen.« Sie meint: »Könnte ich nur (wie Hild) die Toten lebendig machen und dich dennoch im Arme halten!« (Vier Strophen, die letzte im Spruchmaß.) Nun ein seltsamer Nachtrag: So sagte Gudmund, Granmars Sohn. »Wer ist der Herr dieser Flotte, sie scheint mir Unfrieden zu bringen.« Sinfjötli antwortet: »Hier kann Hödbrodd Helgi erkennen, der das ganze Erbe eurer Sippe unter sich gebracht hat.« Gudmund sagt: »Zuvor sollen am Frekastein die Schwerter entscheiden; es ist Zeit, Hödbrodd, daß wir uns rächen, denn wir haben lange den Kürzeren gezogen.« Darauf Sinfjötli: »Dir ziemt es eher, Geißen zu hüten als das Schwert zu führen«. Dann folgt, wörtlich wie im ersten Lied, Helgis Eingreifen (sechs Strophen). Die Prosa berichtet weiter: Helgi und Sigrun vermählten sich und hatten Kinder miteinander. Helgi lebte nicht lange. Dag sann auf Vaterrache, opferte dem Odin und erhielt dessen Speer. Damit tötete er Helgi im Fjöturlund. Dann kommt Dag zu Sigrun, ihr die Tat zu melden. Umsonst bietet er ihr Buße an, sie spricht einen furchtbaren (poetisch prachtvollen, an Rechtsformeln geschulten) Fluch über ihn aus und preist den toten Helden, der emporragte wie ein junger Hirsch über das Wild und wie die Esche über das Gestrüpp. Helgi wird in einem Hügel beigesetzt. Als er nach Valhall kommt, empfängt ihn Odin mit großen Ehren; in einer Strophe befiehlt er dem Hunding, niedrige Knechtsdienste zu tun. Sigruns Magd kommt am Abend an seinem Grabhügel vorbei und sieht Helgi mit vielen anderen darauf zureiten. Sie spricht ihn an und er versichert, es sei kein Blendwerk und auch nicht Hereinbrechen der Götterdämmerung. Die Magd meldet der Herrin, was sie gesehen hat; Helgis Wunde blute, er hat gebeten, daß Sigrun sie stille. Sigrun geht zu ihm in den Hügel und äußert wilde Freude; aber sein Haar ist mit Reif bedeckt, seine Brust blutig, wie kann sie ihm helfen? Er erwidert, ihre Tränen vor dem Schlafengehen fielen blutig auf seine Brust. Sigrun bietet ihm Trank, bereitet ihm ein Lager und liegt die Nacht über bei ihm, die Lebende beim Toten. Dann muß er wieder wegreiten, und am nächsten Abend wartet Sigrun vergeblich auf seine Wiederkunft. (Sie hat diese Nacht nicht geweint und ihn dadurch vom Spuken erlöst.) Die Prosa weiß noch, daß Sigrun nicht mehr lang lebte.

Jedermann wird wohl dieser reichen und uneinheitlichen

256

U N ST IMM IGKE ITEN .

Handlungsfolge gegenüber das Gefühl haben: es liegt alles andere vor als ein geschlossenes Lied. Wer an die Einheit wenigstens aller Verse glaubt, kann sich darauf berufen, daß von einer Strophengruppe zur anderen öfters Brücken führen: der Name Hamal, die Bezeichnung Hqgna mär für Signin in ihrem eigenen Mund. Aber wenn selbst alle Strophen ehemals zueinander gehört hätten, müßte dieses Lied ausnehmend gelitten haben und etwa zur Hälfte verloren gegangen sein. Nicht nur sind allenthalben Prosazwischensätze nötig, auch die erhaltenen Strophen geben Rätsel die Fülle auf. So etwa die erste und vierte. W e n haben die Hundinge getötet? Herrscht Kriegszustand zwischen den Ylfingen und der Sippe Sigruns? Völlig verworren ist die Schilderung der Schlacht samt ihrem Vorspiel. Wenn das Lied, um das es sich hier handelt, das Kampfgespräch mit enthielt, warum hat der Sammler dann zuerst auf ein anderes Lied zurückverwiesen und hinterher die Strophen doch noch angeflickt? Und wie sind die Hindeutungen auf frühere Zusammenstöße zwischen Helgi und den Granmarsöhnen zu verstehen, die weder in der Prosa noch im ersten Lied ihresgleichen haben ? Und liegt es endlich im Phantasiebereich dieses Dichters, daß Hunding und Helgi sich in Valhall wiedersehen und ihren Zank in alle Ewigkeit fortsetzen? Dieses wirre Geschling muß zerlegt werden. Möglichst wenige, einfache, geschlossene Einheiten wären zu finden. D a s ist wohl am mindesten wahrscheinlich, daß Bruchstücke vieler verschiedener Lieder ineinander verwebt sind. Eine Hauptfrage wird auch sein, für welche Abschnitte der Titel »Altes Völsungenlied« gilt und welcher Alterswert ihm zukommt. Am verschiedensten hat man die vier in Prosa gebetteten Eingangsstrophen beurteilt. Heusler rät auf ein eigenes Jugendlied, aber es ist mißlich, anzunehmen, der Sammler habe eben nur vier Strophen von ihm gekannt, und nicht glaubhafter, er habe nicht mehr von ihm mitteilen wollen. Auch das müßte man fragen, wieweit ein solches Lied sich erstreckte; gab es mehr abschlußlose Episodenlieder aus diesem Leben? — und wenn dieses erst mit Helgi selbst sein Ende nahm, was hindert, ihm den Schluß zuzusprechen, den ihm die Edda gibt ? Wir glauben nicht an ein zertrümmertes Lied, auch nicht mit Symons und Boer an eingesprengte Fremdkörper — aus den Karuljod (s. S. 272) oder einem Hagbardgedicht — , sondern suchen uns zu

DIE

VIER

EINGANGSSTROPHEN.

257

helfen wie Grundtvig bei dem Hjörvardlied: Der Anfang des 2. Lieds bringt ehemalige S a g a p r o s a mit Stropheneinlagen. Also muß es einen Helgiroman gegeben haben, er ist wahrscheinlicher als eine so ungewöhnlich personenreiche Liedepisode. Davon unabhängig ist die Frage nach dem Sinn der Strophen 1 und 4. Daß Hagal einen Sohn Hamal hatte, wird man billig bezweifeln, der Sammler mag sich ihn ausgedacht haben. Die Auslegung ist hübsch, Helgi habe sich bei den Feinden als Hammel ( = harmloser Kerl) ausgegeben, während doch der graue Wolf (aus der feindlichen Yflingensippe) in ihm steckt. Dann ist aber nicht klar, wieso er diesen Namen auch später beibehält. Er findet sich Str. 6 in einem ganz anderen Zusammenhang wieder. Weiter heißt es in Str. 1: Helgi denke daran, wen die Männer (die Hundingsleute) gefällt haben. Er hat also wohl einen nahen Verwandten durch sie verloren und eine Rachepflicht zu erfüllen; es ist schwer anders vorstellbar, als daß das sein Vater war, Sigmund, der hier ebenso schnell und spurlos verschwindet wie im ersten Lied. In der eddischen Liedreihe darf offenbar von einer Vaterrache Helgis nicht die Rede sein, denn die kommt nach den folgenden Liedern Sigurd zu. Man hat es mit Recht seltsam gefunden, daß Helgi sich bei seinem Ziehvater verbergen muß, daß Hagal weder gegen die Hundingsleute kämpft, noch sie ihm etwas zuleide tun. Man wird an die Rolle des Pflegers in der Geschichte von den Halfdansöhnen erinnert; aber es war vorschnell, deren Verhältnisse hier genau wiederfinden zu wollen. — Die gewandte Ausrede Hagais, die an die Eddalieder Grottasöngr und J>rymskvida gemahnen mag, setzt voraus, daß die Yflingen in Feindschaft liegen mit der Sippe der Könige Högni und Sigar, und daß aus ihr Schildmädchen hervorgegangen sind; es scheint sich aber um eine Schwester der Könige zu handeln. Ist dies Vordeutung auf Künftiges, eine geschickte Überleitung zum Sigrunabenteuer ? — dann wäre es wohl für einen Roman denkbar, der auf lange Sicht und mit offenbar langen Zeiträumen arbeitet. Helgi der Hundingstöter — das ist für den zweiten Dichter wie für den ersten zur bloßen Formel geworden. Es steht keine greifbare Vorstellung mehr dahinter. In einer Saga brauchte das nicht ebenso zu sein. Das eilige Hinweggleiten des Sammlers über die Schlacht mit dem Feind des Vaters würde sich hinreichend erklären, wenn es in diesem Zusammenhang keine Verse gab. Schneider,

Heldensage I I , i .

258

WAS

IST

DAS

„ALTE

VÖLSUNGENLIED" ?

Der Eingang der ersten Redeszene mit Sigrun erinnert an den Beginn der Streitauftritte. Sie bleibt im weiteren etwas unklar: was veranlaßt Helgi, in »Valrunen« zu sprechen? Offenbar ist er in Feindesland und muß auf der Hut sein. Aber wen mag er nach Hundings Tod zu fürchten haben? Sollte der Auftritt ehemals in seiner Lebensgeschichte weiter vorne gestanden haben? Das lange Gespräch als Romaneinlage wäre zur Not denkbar. Dann würden wir auch verstehen, warum es so wirkungslos ausgeht. Die Prosa lenkt nun plötzlich in die Bahn des ersten Liedes ein. Aber die folgende Redeszene atmet wieder einen ganz anderen Geist. Hier wird nun ausdrücklich auf das alte Völsungenlied verwiesen. E s ist eine Streitfrage, wie es abzustecken ist. Finnur Jonsson nennt die ganze »Helgakvida Hundingsbana II« so. Wir sahen schon, daß das unmöglich ist. Bugge und Wessen machen einen scharfen Trennungsstrich nicht nur zwischen den verstreuten Anfangsstrophen und dem zusammenhängenden Lied dieses Titels, sondern mit besonderem Nachdruck zwischen den beiden Szenen Sigruns. Bugge sagt mit Recht: die Strophen 1 4 — 1 8 (die zweite Redeszene) müssen die erste Begegnung zwischen Sigrun und Helgi darstellen. Die Versicherung, daß sie ihn schon aus der Ferne geliebt habe, verliert allen Reiz, wenn sie nicht beim ersten Zusammentreffen ausgesprochen wird, sondern später einmal beiläufig. Nun hat aber Ussing einen guten Ausweg gefunden. Die Prosa zwischen 1 3 und 1 4 (der ersten und zweiten Szene mit Sigrun) ist sicherlich junge Sammlerzutat, und so ist gar kein Grund vorhanden, von z w e i Szenen zu sprechen; wir haben nur eine, ziemlich lange, die durch eine kurze Erzählstrophe 14 zu einem steigernden zweiten Teil hinübergeleitet wird. E s ist ja auch schwer zu glauben, daß die Strophen 1 3 und 1 7 verschiedene Verfasser haben. So ist auch auf einmal erklärt, warum der vermeinte erste Auftritt so leer ist; er war eben nur Einleitung. Die Berufung auf das ältere Völsungenlied vor Str. 1 4 wäre dann nicht so zu verstehen, daß damit einer neuen Quelle das Wort gegeben würde, der Sammler kehrte lediglich zu ihr zurück. Bei der Unordnung, die in diesem Abschnitt ärger ist als irgendwo im Codex regius, braucht man sich über eine nachgetragene Überschrift nicht zu wundern. Vielleicht war »altes Völsungenlied« gar keine landläufige Bezeichnung; das erste

259

U N STIMM I G K E I T E N .

Helgilied hieß für den Sammler »Völsungenlied«, der neue Titel sollte nur andeuten, daß er dieses für das ältere hielt — wie die meisten Erklärer ja auch! E s bieten sich also zwei Wege an: entweder man schlägt wegen der rückdeutenden Züge den ersten Auftritt zur Saga, der Prosadarstellung von Helgis Jugend; oder man nimmt mit Ussing beide Auftritte zusammen. Das zweite Auskunftsmittel ist zu einleuchtend, um verworfen zu werden, trotzdem es nicht alle Rätsel löst, und es auch an sachlichen und stilistischen Unstimmigkeiten nicht fehlt. Sicher dürfte dann das eine sein: Sigrun und Helgi treffen sich in Hundingenland, wohl nach Hundings Tod; denn da, auf diesem Boden, wissen wir, ist er als Hamal aufgetreten. Auch darin hat Ussing recht: die Prosa zwischen den beiden Szenen, die in Wahrheit nur eine einzige darstellen, ist völlig zu streichen, von Hundingssöhnen und dem Kampf mit ihnen hat das zweite Gedicht hier nichts gewußt, alles hat der Sammler aus dem ersten nachgetragen. Die Schwierigkeiten wachsen bei der Schilderung des folgenden Feldzugs. Mit I gemeinsam ist die Vorstellung, daß Helgi gegen Granmar, Högni und vor allem Hödbrodd zu Felde zieht. Die Prosa, die zunächst wieder folgt, hält sich in Inhalt und Ausdruck so nah an das erste Lied, daß sie zweifellos aus ihm entnommen ist; es wird ja zu Beginn des Streitgesprächs auch unter dem Namen »Helgilied« zitiert. Str. 1 4 zeigt nun, daß das »alte Völsungenlied« kein reines Redegedicht war; es erzählte auch und mußte also irgendwie von dem Gespräch zur Schlacht überleiten. Warum ist ihm der Sammler darin nicht gefolgt, warum hat er lieber selbst einen schlechten Prosaauszug aus der Helgakvida gemacht ? Das verstehen wir nicht, und noch ratloser macht uns das angeflickte Zankgespräch. Wollte er es übergehen und reute ihn der Vorsatz später? Oder haben wir da wieder ein Stück Saga? Dann kämen wir wenigstens ohne neue Quelle aus. Anderseits wäre zu fragen: wenn der Sammler in der Saga eine zusammenhängende Darstellung ungefähr dieser Dinge hatte, warum stümpert er selbst einen Text zusammen, anstatt jene auszuziehen? Doch vielleicht hat der Leser diesen Einwand schon gegen die Prosa um die Strophen 1 — 4 gemacht. E s ist eben hier überall höchst unsicherer Boden. Die Streitstrophen haben mit dem ersten Sigrungespräch gemein, daß sie geheimnisvolle Rückverweise enthalten; sie 17*

2Ö0

DIE

HÖDBRODDSCH LACHT.

könnten an sich wohl in einem älteren Völsungenlied zu Hause gewesen sein, aber das hätte recht anders aussehen müssen als unser erstes Helgilied. Aus den Reden der Gegner kann man schließen, daß Hödbrodd und Helgi sich nicht das erste Mal messen. Hödbrodd (der ja eigentlich gar nicht da ist!) wird zweimal angeredet, zuletzt vom eigenen Bruder daran gemahnt, wieviel Unbill sie von Helgi erlitten haben. Wie und wann das wohl geschah? Hatte ein vierter großer Kampf in Helgis Laufbahn eine Stelle ? Oder ist das die Art, wie das ältere Lied eines Zusammenstoßes mit der Hundingssippe gedachte, und gehörten Granmar und die Seinen zu ihr ? Sicherlich wich auch die äußere Situation, unter der dies Kampfgespräch geschah, vom ersten Hundingslied ab: Hödbrodd war zur Stelle. Eine große Schlacht, in der außer zwei Königssippen noch allerlei berühmten Kämpfer aufgeboten werden — Starkad, hier ein König, aber mit seinem uralten Beiwort enn grimmudgasti (s. S. 174) geschmückt, und die Söhne Hrollaugs, eines Gardakönigs, den die Hervararsaga kennt — eine Schlacht dieses Ausmaßes, die — vielleicht nicht durch Zufall — an Bravalla und an die Rabenschlacht gemahnt, und die nicht Selbstzweck war, sondern Episode, konnte doch eigentlich nur eine Saga ausdenken und ausarbeiten. Aber es ist kein Zweifel, daß die Mehrzahl dieser Namen im alten Völsungenlied enthalten waren, denn der Auftritt auf dem Schlachtfeld ist nötig wegen der Fäden, die von vorne und nach rückwärts angesponnen werden. Man vermißt sogar eine Strophe, in der Dag begnadigt wird. Eine kleine Schwierigkeit noch bietet die Ljodahattstrophe 29: Bugge hat ihre Echtheit verteidigt, für Gering stammt sie aus einem anderen Gedicht desselben Gegenstandes. Hier wird Sigrun zur Hild; ein jüngerer mag den guten Einfall gehabt haben, das Schicksal Helgis und Sigruns in Beziehung zu setzen zu dem berühmtesten Liebespaar dieser Vikingwelt und damit eine heimliche vorhandene Entlehung in das Bewußtsein des Hörers zu erheben. Die Darstellung von Helgis Tod und Wiederkehr, die künstlerisch den Höhepunkt des ganzen Gedichts bringt, erscheint — bei einer kleinen Streichung — aus einem Guß. Zweifellos gehört sie zu dem Lied, das in jener Doppelszene für die Liebe zwischen Helgi und Sigrun den Charakter schwärmerischer, fast übersteigerter Empfindsamkeit festlegte. Das war also das alte Völsungenlied. Es mag sein, daß ihm am Schluß etwas

V E R H Ä L T N I S DER B E I D E N

HELGILIEDER.

261

fehlt. Der Ausklang durch die Rede der Magd ist matt, und von Sigruns Tod wollte doch schon der Hörer des Lieds etwas wissen. Ein Fremdkörper ist die Hundingstrophe. Nach Grundtvigs Nachweis war es in der Tat ein verbreiteter Glaube, daß verächtliche Menschen im Jenseits die Sklaven ihrer irdischen Feinde sein werden. Das beweist aber nur, daß die Einfügung hier von einem erfinderischen Kopf herrührt. Ihm war eine vereinzelte Strophe überkommen, d. h. die einzige Strophe, die den berühmten Gegner Hunding auf die Bühne brachte. Eine liedhafte Darstellung dieses Kampfes gab es längst nicht mehr, so mußte für die Strophe ein anderes Unterkommen gefunden werden. Ehemals spielte sie natürlich nicht unter seligen und unseligen Geistern, sondern unter Lebenden: wir haben hier ein altes Bruchstück einer Scheltrede zwischen Hunding und Helgi. Die zwei Hauptfragen, die sich an das zweite Lied knüpfen, sind also nur mangelhaft zu beantworten: wie sah das alte Völsungenlied aus, und welches ist das Verhältnis der zwei Helgilieder? Für uns klafft am Anfang von jenem eine Lücke. Von den Kämpfen, die dem ersten Zusammentreffen vorausgingen, hören wir nur ganz schattenhaft; und Sigrun, die doch auch hier Walküre ist, weil sie sonst den Helden nicht hätte belauschen können, tritt in dieser Rolle nicht ernsthaft in Erscheinung. Nie sehen wir sie, wie sonst in aller Helgidichtung, über dem Geliebten schützend schweben. Dabei muß sie auch für diesen Dichter das Vermögen besessen haben, at rida lopt og leg. Ebensoviel fehlt aber in der Mitte; die große Schlacht verlangte breite Entfaltung; die Frage nach dem Dasein des Zankgesprächs mußte offen bleiben. Die beiden Helgilieder haben nur e i n e Szene von unbezweifeltem Gleichlauf: das erste Zusammentreffen von Held und Heldin. Dort heroisch, hier sentimental, dort knapp sachlich, hier von fast zerfließender Breite. Dort scheint der Mann zu werben, und die Frau weist ihn ab, ehe er um sie gekämpft hat. Hier wirbt die Frau, und der Mann läßt sich zu Liebe und Kampf bestricken. Zwei verschiedene Welten scheinbar, aber nicht eigentlich verschiedene Altersschichten. K a u m ist hier mehr etwas echt wikinghaft, geschweige denn gut altgermanisch. Aus der Art des Streitgesprächs im ersten Lied schlössen wir schon, daß es nicht wohl als A u f Schwellung einer sehr knappen

2Ö2

VERHÄLTNIS

DER BEIDEN

HELGILIEDER.

Grundgestalt gelten darf. Sollte es überhaupt Daseinsberechtigung haben, dann mußte es Saft und Ausmaß zeigen. Die Sache war nicht mit ein bischen harmloser Schelte äbzutun. E s wird also auch nicht so sein, wie viele als selbstverständlich annahmen, daß das Zankgespräch des ersten Liedes aus dem des zweiten hervorgewachsen ist. Wohl aber werden beide auf e i n e Vorlage zurückgehen, die im zweiten Lied verkürzt wird. E s finden sich in jeder Strophe von I I wörtliche Berührungen zu I, und die Abweichungen erklären sich z. T. aus dem Streben von I, unverständliche Anspielungen zu entfernen. Die beiden Schlußstrophen, Helgis Mahnung an Sinfjötli, stimmen hier und dort genau überein. Sie mögen ein festes Glied der sonst wandelbaren Strophenkette gewesen sein, oder aber in der Quelle des Sammlers gefehlt haben, so daß er sie aus I herbeiholen mußte. Mit der öfter behaupteten Abhängigkeit des ersten Lieds vom zweiten ist es also nicht weit her, ebenso wenig wie mit dem Alter von II. Jedenfalls kann es nicht die alleinige Grundlage gewesen sein, auf der sich das prunkende Gebäude von I erhob. Schon Bugge und Ussing glaubten an eine gemeinsame Quelle. Viele Abweichungen erklären sich freilich aus der ganz verschiedenen Art der beiden Dichter. Z.B. mag der erste die abenteuerliche Jugendgeschichte Helgis weggelassen haben, weil sie in sein idealistisches Gesamtgemälde nicht paßte, wie der Verfasser des Nibelungenepos die reckenhafte Jugend Sigfrids streicht, ohne doch ihre Spuren ganz verwischen zu können. So erschwert die Lückenhaftigkeit des einen Liedes, die eigenwillige Umformung des Stoffes im anderen den Zugang zu älteren Schichten. Suchen wir andere Wege. Niemand zweifelt, daß Helgi erst durch späte Umdichtung zum Sohne Sigmunds gemacht worden ist. Die Verbindung bleibt äußerlich und ist merkwürdiger als die zwischen Sigmund und Sigurd (die j a auch dem Festland bekannt war); es fehlt der Anklang der Namen, und so kann die Verschweißung zur Sippe erst von einer Zeit vorgenommen worden sein, die allen Sinn für die Bedeutung des Stabs in den Familienverbänden verloren hatte. Auch d a s Band zwischen Helgi und Sigmund war nicht eng genug, das durch die Bezeichnung »Wülfinge« gegeben ist. Man mochte an Sigmunds Wolfsleben denken, auf das ja auch Gudmunds Schmährede anspielt, aber man hat die zwei wohl nicht deshalb für Verwandte gehalten.

HELGI

UND

SIGURD.

263

Helgisage und Sigurdsage haben sich nun aber wechselseitig beeinflußt. Das beweisen schon äußerlich die Hundingsöhne, Sigurds Gegner bei der Vaterrache. Dann weiter das Auftreten eines ganzen Motivkreises, der der ursprünglichen Sigurdsage sicherlich fremd geblieben war. Sigurd ist, so drückt es Ussing aus, ein Seekönig geworden. Seine Versetzung in die Wikingwelt hat die isländische Spätdichtung auch anderorts vorgenommen, wir nahmen an, in der Meiri. Hier aber kann kein Zweifel sein, daß die Anregung von der Helgidichtung ausging. Die Spuren eines Vaterrächers Helgi in unseren erhaltenen Quellen sind ja schwach. Aber dennoch spricht vieles dafür, daß Helgis Vaterrache samt ihrem Seefahrerumkreis im ganzen auf Sigurd übertragen wurde. Auf diese Art hätte der neue Held ja eigentlich auch Sieger über Hunding werden müssen. Aber das ging nicht an, offenbar wußte jedermann, daß der Hundingsbani eben Helgi war. Vielleicht darf man noch einen Schritt weiter wagen im Vermuten: da es bei Sigurd die Hundingssöhne sein mußten, an denen er Rache nahm, wollte man hinterher den Hundingstöter auch noch mit diesem neuen Lorbeer schmücken, und der Dichter des ersten Liedes schob die farbenschwache Episode ein. Hunding braucht deshalb ehemals nicht sohnlos gewesen zu sein. Nur war seine Nachkommenschaft zu anderem aufbehalten, als in Masse von Helgi hingestreckt zu werden. Ist dem allem so, dann darf man wohl erwarten, daß sich in dem Bericht über Sigurds Vaterrache eine alte Darstellung von H e l g i s Vaterrache spiegelt. Denn es ist nicht Heldendichterbrauch, ein kahles Handlungsgerippe zu erborgen. Die Entlehnung eines Fabelumrisses geht meist Hand in Hand mit der Übernahme einzelner Szenen, Züge und Prägungen. Einige Strophen des Vaterrachelieds sind so unbestimmt gehalten, daß sie sich ebensogut wie auf Sigurd auf Helgi beziehen könnten (vor allem Reginsmal Str. 13 und 14, wo der Held als frekr ülfr und Yngva konr bezeichnet wird! — auch die Schlußstrophe 26). Aber man darf darauf keinen großen Wert legen. Denn es läßt sich ja nicht beweisen, daß es je ein Helgilied gegeben hat, das eine Vaterrache für S i g m u n d erzählte. Auch das wäre Übertreibung, wenn man die Gestalt des Ziehvaters aus der Helgisage ableitete. Man hat ja dazu noch gemeint, sein Name Regin stamme aus der Vaterrache der Halfdansöhne. So jung ist Regin in der Sigurdsage sicher nicht.

2Ó4

ALTE

STEHE

DES

STREITGESPRÄCHS.

Bleiben wir im Wikingumkreis und merken zunächst an, daß der junge Held von seinem Ziehvater Schiffe und Ausrüstung für den Rachezug verlangt. Nimmt man die Darstellung von Edda, Völsungasaga und Nornagestf>attr zusammen, so ergeben sich diese Vergleichspunkte: i . der Held fährt aus in Begleitung eines Bruders (Hamund in Norn. Er hat in der Schlacht eine kleine Rolle). 2. Sie kommen auf der Fahrt in einen großen Sturm. Dieser Sturm wird durch übernatürlichen Eingriff zur Ruhe gebracht. 3. Die Seefahrer werden von einem Mann am Ufer angeredet und geben Bescheid über sich selbst. Die beiden Strophen, die das hier und dort tun, stehen in ziemlich genauem Gleichlauf (Rm 16 zu HHu II 19). Das Helgilied, nehmen wir an, bot hier überall die Anregung. Aber das meiste ist gründlich gewendet. Die Odinfigur ist Zutat der Sigurddichtung. Wir wissen, daß sie aus dem alten Sigmundliede stammt. Es war also eine andere Zauberkraft, die ehemals den Sturm abwandte, und wir zweifeln nicht, daß die Darstellung des ersten Helgilieds hier die rechte Spur weist. Auch die parallelen Strophen waren ehemals nicht die Einleitung zu einer harmlosen Unterredung mit einem Fahrgast, sondern wir hören hier noch einen Widerhall des Streitgesprächs. Dieses hatte also von Hause aus seine Stelle in dem K r i e g s z u g g e g e n den M ö r d e r des V a t e r s . Wir wagen gleich einen Schritt weiter: Gab es in der Vorlage schon ein solches Streitgespräch, so kam als Gegner nur Hunding in Betracht. Nun klärt sich plötzlich der Zusammenhang, in dem ehemals die Strophe gesprochen wurde: »Du sollst, Hunding, jedem Manne ein Fußbad bereiten und Feuer anzünden, die Hunde anbinden, die Pferde bewachen, den Schweinen Sutt geben, ehe du schlafen gehst« (H Hu II 39). Und sofort hört man heraus: Sinfjötlis Gepolter — »Sag heute Abend, wenn du die Schweine fütterst und euere Hündinnen mit Fraß lockst« stammt aus dieser Quelle, d. h. aus einem alten Streitgespräch zwischen Hunding und Helgi, oder vielleicht Helgis Bruder. Durch all diese Erwägungen wird unser Glaube nur gestärkt an einen Helgi, der Vaterrache zu nehmen hatte; und zwar Vaterrache an Hunding. Für welchen Vater — das steht uns noch nicht fest. Helgi ist nicht nur Sigmunds Sohn. Ein drittes eddisches Gedicht handelt von H e l g i d e m H j ö r v a r d s o h n . Es beginnt mit ausgiebiger Prosa: Ein König namens Hjörvard (sein

Helgakyida Hjörvardssonar.

265

Sitz ist nach einer späteren Stelle in Norwegen) hatte drei Frauen. Ein Gelübde band ihn, die schönste, von der er hörte, zum Weib zu gewinnen. Atli, sein Gefolgsmann, wird eines Tages von einem Vogel auf Sigrlinn, die Tochter des Königs Svafnir, aufmerksam gemacht (so ist der verdrehte Bericht wohl zu verstehen). Sie sei schöner als alle Frauen Hjörvards, und gegen hohe Spenden verspricht der Vogel, bei ihrer Erwerbung behilflich zu sein. Hjörvard schickt Atli nach Svavaland, wo er auf den Rat Jarl Franmars zunächst abgewiesen wird. Er kommt später wieder (der Bericht ist abermals wirr), findet das Land im Kriegszustand, tötet unwissentlich den Franmar, der in Adlers Gestalt auf dem Dach eines Hauses sitzt, findet im Innern Sigrlinn und Alof, Franmars Tochter, und geht mit ihnen davon. König Hrodmar, erfahren wir hinterher, hatte um Sigrlinn geworben, und als er abgewiesen war, das Land verwüstet und Svafnir erschlagen. Hjörvard und Sigrlinn haben einen schönen und großen Sohn, der aber stumm ist und deshalb namenlos bleibt. Einst sitzt er auf einem Hügel, da sieht er Walküren reiten. Die stattlichste unter ihnen spricht ihn an: »Helgi, du wirst nie ein Krieger werden, so mutig du auch bist, wenn du immer schweigst.« Das löst ihm die Zunge: »Was gibst du mir zu dem Namen Helgi?« fragt er. »Es kann nichts geringeres sein als dich selbst.« Sie nennt ihm ein kostbares Schwert, das bei vielen anderen in einem Hügel verborgen liegt. Die Prosa weiß, daß die Walküre Svava heißt, König Eylimis Tochter. Sie schützt Helgi in seinen Schlachten. Zunächst aber tritt er vor seinen Vater und wirft ihm Lässigkeit vor: Hrodmar ist es noch nicht vergolten, daß er seinen Großvater Svafnir tötete. Hjörvard rüstet ihm einen Heerzug aus, er findet Svavas Schwert und erschlägt Hrodmar. Dann zieht er mit Atli noch femer auf Wikingzügen umher. Dabei tötet er den Riesen Hati. Als sie am Hatifjord (in Telemarken) liegen, hält Atli die Nachtwache. Da fragt die Riesin Hrimgerd: »Wer sind die Helden am Hatifjord ? Die Schiffe sind mit Schilden besetzt.« Atli antwortet: »Helgi heißt der Führer, und du kannst ihm nichts anhaben«. Es entspinnt sich ein Scheltgespräch zwischen beiden. Das Hexenweib, das offenbar in Pferdegestalt erscheint, meint, Atli würde beim Anblick ihres Schwanzes wiehern, wie ein Hengst, wenn er nicht verschnitten wäre. Atli: »Wenn ich an Land gekommen bin, wirst du den Hengst spüren und den Schweif einziehen.« Hrimgerd: »Du wirst dich nicht trauen, in der Warinsbucht in meine Krallen zu kommen«. Nun ruft sie Helgi auf; er soll ihr den erschlagenen Vater büßen und eine Nacht mit ihr verbringen. Helgi weist sie derb zurück, und sie erwidert, sie kenne die Maid, die er begehre; die habe Helgis Schiffe gegen die Riesin geschützt. Helgi hält sie auf mit der Frage, wieviel Walküren sie gesehen habe, sie erwidert: dreimal neun, und verliert sich in ihrer Schilderung, bis der Tag anbricht und das Nachtwesen vor dem Licht zu Stein erstarrt. Helgi, berichtet dann die Prosa, warb bei Eylimi um seine Tochter

266

SCHWIERIGKEITEN!.

Svava, die beiden wurden Mann und Frau und liebten sich über die Massen. Hedin, Helgis älterer Bruder, trifft in der Julnacht im Walde ein Zauberweib auf einem Wolf reitend, die ihm ihre Gesellschaft anbietet. Er schlägt sie aus, und sie verheißt ihm Vergeltung beim Weihebecher. In der Tat gelobt er (unter einem unbewußten Zwang) Helgis Frau Svava zu gewinnen. Dann packt ihn die Reue und er zieht südwärts, bis er Helgi findet. Nun folgt strophische Wechselrede. Hedin gesteht seine Schuld, aber Helgi antwortet ergeben: »Das Gelübde wird sich erfüllen; mich hat in der dritten Nacht ein Fürst zum Kampfe bestellt, ich werde wohl kaum heimkehren«. Umsonst bittet Hedin, ihn zu strafen. Helgi stellt sich dem Alf, Hrodmars Sohn, zur Schlacht auf dem Sigarfeld. Er wird tötlich verwundet und sendet den Sigar mit eiliger Botschaft an Svava. Eine kleine Strophenreihe zeigt die Ankunft des Boten und die Meldung: Helgi ist vor dem Frekastein vor Alfs Schwert geblieben. Svava trifft ihn noch lebend, er bittet sie, nicht zu weinen und nach seinem Tod Hedins Weib zu werden. Umsonst wendet sie ein, sie habe sich gelobt, fürder keinem anzugehören. Hedin verheißt, nicht eher um sie zu werben, als bis Helgi gerächt sei. Von Helgi und Svava heißt es, sie seien wiedergeboren worden, schließt die Prosa ab.

Man sieht, die Schwierigkeiten, die dieses Lied bietet, sind noch beträchtlicher als beim zweiten vom Hundingstöter; oder besser: dieses hier ist noch weiter davon entfernt, ein Lied zu sein. Der Eindruck Grundtvigs von dem ersten der vier Teile — in der Hs. überschrieben: frd Hjörvardi ok Sigrlin — ist durchaus richtig: Sagaprosa mit Lausavisur. Der Hrimgerdteil fällt schon durch das Versmaß heraus, er steht im Liodahatt, wie so manche Scheltgedichte. So kann es sich nur um die Frage handeln, ob die beiden Teile, die es wirklich und hauptsächlich mit Helgi zu tun haben, die kurzen Redeszenen mit Svava und mit Hjörvard und der Schlußteil von Helgi und Hedin, eines Ursprungs sind. Sonst zerfiele uns das Ganze hoffnungslos. Neckel verneint die Einheit. Die Hedinngeschichte ist ihm ritterliches Hochmittelalter, die Erweckung des stumpfen Helgi knüpft an alte nordische Vorstellungen vom Heldenleben an. Damit ist aber nur eine Mehrheit der Schichten erwiesen, nicht der Lieder. Es läßt sich, meine ich, nichts Ernstliches dawider einwenden, daß Svavastrophen und Hedinhandlung aus dem gleichen Gedicht stammen. Auch noch zu untersuchen, wie dies einst zusammengewachsen war, geht über unser Vermögen. Aber auch wenn man zweiten und vierten Teil zu einer Einheit zusammentreten läßt, hat man nur traurige Trümmer

H H J

UND D I E

HUNDINGSLIEDER.

267

in der Hand. Der Vater steht in der eigentlichen Helgifabel beiseite, die Kämpfe, die den Helden ausweisen und seinen Bund mit der Schildmaid besiegeln sollen, sind farblos und haben nicht an einer Stelle strophische Fügung. Wie dieses Helgilied aussah, wissen wir nicht. Die Hrimgerdarmal, wie man das große Zwischenstück im Spruchmaß gerne nennt, können in der Tat ein Sonderdasein geführt haben. Vielleicht bauten sie einen Ansatz des Liedes aus. Auch an eine gestreckte Sagaeinlage könnte man denken. Bei Saxo würde ein solches Gedicht als Einsprengsel in die Romanhandlung nicht verwundern. Es ist aber alles zu unsicher, als daß man eine große Saga annehmen dürfte, in der zunächst das Schicksal des Vaters einen breiten Raum einnahm. Ein Vergleich mit dem Erzählgut der zwei Lieder vom Hundingstöter scheint zunächst aussichtslos, Menschen und Schicksale zu verschieden. Erst allmählich gewahrt man, daß als gemeinsame Vorlage sich doch nicht nur ein blutloses Schema denken ließe, sondern daß da und dort sich mancherlei belebendes Beiwerk zeigt. Die Namen scheinen ja aus verschiedenen Welten zu stammen. Hieße der Held nicht Helgi, so käme man vielleicht zunächst gar nicht auf den Gedanken, die beiden Erzähltypen zu vergleichen. Ein Sigar hier und dort will nichts besagen, die gemeinsamen Ortsnamen Varin und Frekastein stehen zunächst in ganz verschiedenen Zusammenhängen. Einzig Alf macht stutzig. Er ist in unserem Gedicht, wenngleich er hinter der Szene bleibt, Hauptperson. Seiner Vaterrache fällt Helgi zum Opfer. Im ersten Helgilied und in der Prosa des zweiten erscheint Alf in der Reihe der Hundingssöhne. Auch er ein Vaterrächer, aber ohne Glück; da erliegen ja alle Hundingssöhne dem Mörder des Vaters. Lyngvi scheint später für Sigurd neu erfunden, und nur die Prosaquellen nehmen eine gerechte Teilung vor, jedem Sigmundsohn die Hälfte der Hundinge zumessend. Die Hauptähnlichkeit ist natürlich das Verhältnis des Helden zur Walküre. Unser Gedicht faßt es umgekehrt auf als das vom Hundingstöter: dort ist das Mädchen die Schutzflehende, hier schützt die Walküre den erst noch »tumben« Helden. Sieht man genauer zu, so findet man, das auch in den Liedern vom Hundingstöter zweierlei Mädchentypen sich kreuzen: Sigrun ist zugleich schützende Walküre, die als solche das Unwetter ab-

268

HHJ UND die Hundingheder.

wendet, wie Svava die Nachstellung der Meerriesin, und schutzlose Jungfrau, die von einem verhaßten Freier bedrängt wird. Der Widerspruch ist namentlich im ersten Lied so geschickt überdeckt, daß man ihn kaum bemerkt. Erst wenn man das Lied vom Hjörvardsohn dazunimmt, findet man, daß die Gestalt in ihm reiner und einfacher zutage tritt. So hat sie ein ursprünglicher Helgidichter sicher gesehen. Auch die Verbindung zwischen den Gegnern knüpft sich leicht: Hrodmar ist der große Feind des Geschlechts, der getötet wird, dem Sohne kommt die Rache zu. Allgemeiner: Helgi fällt durch den Sohn eines Königs, der ihm in der Schlacht erlegen ist. Man bemerkt sogleich, daß die Fabel in dem Lied vom Hjörvardssohn viel einfacher ist; und daß die beiden Arten der Verwicklung, die sie im zweiten Hundingslied durchgemacht hat, in unmittelbarem Zusammenhang stehen: der Zwist in ihrer Sippe erst macht das Mädchen zur Schutzflehenden und ihren Geliebten zum Mörder ihres Vaters, ihren Bruder zum Rächer. Ein oft beobachteter Vorgang! Auch in dieser Spätzeit zeigt die Heldendichtung noch ihre alte Neigung, kriegerische Verwicklungen ins Sippenhafte umzubiegen. Nun aber die so gänzlich verschiedenen Namen! Much meint, über sie hinwegzufinden: Hundinge, das ist ein Volk, ihr König ist der Hunding, muß aber auch einen eigenen Namen haben, und der könnte Hrodmar gewesen sein. Svava ist die Swebin und könnte Sigrun geheißen haben. Die Idee ist bestechend; aber wenn man bedenkt, daß in unserm Stoffbereich auch Hodbrodd eine Rolle spielt, in dem man den Hadubarden sieht, so kommt man zu einer Liedfabel, in der alle Personen nach den Namen ihres Volkes benannt werden! Das kann einmal durch Versehen geschehen, schließlich auch einmal Absicht sein, aber zum Grundsatz kann es niemals erhoben worden sein. Es ist erst recht nicht glaublich, wenn man mit Much annimmt, daß auch »Helgi« bloßer Beiname ist. Ein Lied ist schließlich keine Pseudonymensammlung. Also die Schwierigkeit gibt sich nicht so leicht. Rache ist auch der Zweck des Zugs gegen Hrodmar. Der Vater ist aber noch am Leben, wenigstens richtet Helgi an ihn die Mahnung, ihm bei der Rache beizustehen. Es ist also die nächstältere Generation, deren gewaltsamer Tod vergolten werden muß, der Muttervater Svafnir. Da gibt zu denken, daß auch

HHJ und Hundinglieder.

269

Sigurd zu einer Großvaterrache auszieht; dem der Str. 1 5 von Reginsmal scheint sie sogar die Hauptsache. Das bringt uns zu der allgemeineren Beobachtung, daß die Sigmundsage auch in diesem Gedicht ihre Wirkung geübt hat, trotzdem es den Vater Hjörvard nennt. E s gibt dem Helden dafür zur Mutter Sigrlinn, die deutsche Sigelint. Wir haben uns früher ( 1 , 1 6 2 ) schon im Anschluß an Uhland, Müllenhoff, Much und viele andere dafür ausgesprochen, daß da eine durchgehende Verwechslung vorliege: an die Seite des Hjörvard gehörte Hjördis, an die des Sigmund Sigrlinn. Die Sigurdsage hat recht, wenn sie Hjördis zur Tochter des Eylimi macht. Also hat unser Gedicht weiter vertauscht, und es spricht ja auch jede Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Vater Svavas Svafnir aus Svavaland hieß. Genau genommen hätte also Helgi einen Großvater Eylimi zu rächen, und das ist wieder der Punkt, wo die Helgigeschichte ursprünglich die Gebende gewesen sein muß. Für uns unterscheiden sich die beiden Formen der Heigierzählung dadurch, daß die eine die Großvaterrache aufweist, die andere wohl ehemals eine Vaterrache enthielt. Sehen wir die Sigurdsage an, so erscheint es uns wenn nicht wahrscheinlich, so doch auch nicht unmöglich, daß beide Rachetaten sich zu einer verbanden; der Feind der Familie, mochte er nun Hunding heißen oder wie sonst, hatte Vater und Großvater getötet. Man mag sich das so ausmalen, daß er wie in der Sigurdsage der Nebenbuhler des Vaters gewesen ist; ob er nun beide Gegner in derselben Schlacht fällte, so wie dort, oder in zwei durch längere Zeit getrennten Feldzügen 4 Helgi, erzählte also ein älterer Liedtypus, rächte beide, unter dem Schutz der Walküre stehend. In diesen Rahmen wird das Zankgespräch gehört haben. Der Name Varinsbucht taucht hier und da für die örtlichkeit auf, und auch das Motiv ist gemeinsam, daß die Walküre das Unheil der Meerdämonen von Helgis Schiff abwandte. Der besiegte und getötete König aber hinterließ einen Sohn, und der nahm nun Rache an Helgi. Der Ort, wo der Held fällt, heißt hier Frekastein; in den Hundingsliedern eine Stätte seines Siegs. Das Deckende tritt hervor, wenn wir sagen: Zwei Kämpfe spielten in Helgis Leben eine Rolle, die Racheschlacht und sein letzter Kampf. Einer davon fand am Frekastein statt. — Eine gemeinsame Szene war schließlich auch das erste Zusammentreffen von Held und Heldin. Entscheiden wir uns für

270

HEDIN.

Ussings Auslegung des zweiten Hundingslieds, dann kennen wir den Auftritt dreimal in ziemlich parallelem Aufbau (sonst viermal). Die Walküre erscheint dem Helden plötzlich, in aller Herrlichkeit und allem Wissen der Wunschmaid. In zwei Darstellungen spielt die Namensfrage eine Rolle, und sofort wird Helgis Begier nach der Wunderbaren erweckt. Das erste Hundingslied erhöht am meisten ins Heldische und wird in der Darstellung dieser Liebe am wenigsten gefühlvoll, während die beiden anderen, freilich unter besonderer Nachhilfe der Prosa, eine ungewöhnlich tiefe und zärtliche Liebe voraussetzen. Das Schlußbild freilich: Svava an Helgis Leiche, enttäuscht neben der Liebe Sigruns, die die Grenze der Zeitlichkeit überdauert. Das aber hängt zusammen mit der neuen Wendung, die dem Schicksal der Walküre in dem Lied vom Hjörvardsohn gegeben ist. Der Bruder, den wir schon früher an Helgis Seite fanden, hat hier eine besondere Rolle inne; als Kriegskamerad des Wikings hat Atli, ein alter Diener der Königsfamilie, eintreten müssen. Dieser Bruder heißt Hedin. Person und Handlung sind grundverschieden beurteilt worden. Bugge sieht in ihm eine Hilfsfigur aus der Hildesage, Olrik lehnt jede Beziehung zu ihr ab. Ihm ist Hedin ein ererbtes Glied des Stamms, der schon früh einen Hafrawolafr hervorgebracht hat, und er meint, die ganze Stelle vom Zauberweib sei von der eddischen Prosa gründlich mißverstanden. Keine Hexe hat Hedin begegnet und verzaubert, sondern die todkündende Walküre ist Helgi selbst erschienen und hat ihn folgen heißen; auf ihn bezieht sich der Vers der Quelle: Reid d vargi er rekkvit var, fljöd eitt, er hann fylgio beiddi. Aber es ist doch anzunehmen, daß die Prosa alten Versen und damit dem wahren Sinn von Str. 35 näher steht, als Olrik zugeben will. Zum mindesten wird noch die Liedstufe in die Bahn der Hildedichtung eingelenkt sein; daß sie sich schon in dem Sinn der vielleicht noch älteren Str. 35 getäuscht haben kann, ist freilich nicht ganz ausgeschlossen. Bugge hat darauf aufmerksam gemacht, daß eine nordische Seitenquelle zur Hildesage, der Sörla£>attr, die Begegnung zwischen Hedin und dem Zauberweib auch kennt. Sie erscheint sehr ausgeschmückt neben der mehr als kargen Darstellung unseres Liedes, im Grunde ist es aber ganz dieselbe Ereignisfolge. Ein

EINFLUSS

DER

HILDESAGE.

271

Hedin begeht, durch die Liebe angestachelt, etwas ganz Ungeheuerliches; der eine streckt die Hand nach der Tochter des Schwurbruders aus, der andere nach der Braut des Bruders. Beiden ist der Sinn verwirrt durch ein Zauberweib, das sie im Wald getroffen haben. (Sie veranlaßt ihn auch, die Gattin Högnis zu töten, der Vater dieser Gattin heißt Hjörvard.) Hedin wird unter ihrem Einfluß unzurechnungsfähig, und was von ihm gesagt wird, gilt wörtlich von dem Namensvetter im Helgilied und macht dessen Handeln erst verständlich: Svd var Hedinn fanginn i illsku ok öminni af gli fivi, er kann hafdi drukkit (bei ihm ist's allerdings ein Zaubertrank, den das Weib ihm gereicht hat) at honom stfndist ekki annat rdd en petta (nämlich zu tun, was ihm das Zauberweib suggeriert hat) Fas. I, 401. Ein starker Einfluß der Hildegeschichte hat auch sonst stattgefunden, und zwar in beiden Zweigen der Helgisage; schon die Namen des Hjörvardliedes widerlegen die Annahme, daß das hier und dort unabhängig geschehen sei. Die Ynglingasaga weiß von einem König Hjörvard dem Ylfing. Er kommt zu König Granmar von Södermannland und wird dessen Schwiegersohn. Seine eigene Frau ist Hild, die Tochter Högnis von Östergötland. In der Reihe der Ynglingenkönige erscheinen ferner Alf und Yngvi, Alfs Muttervater ist König Dag. Auch unter den Ynglingen gibt es einen Dag, den Klugen, und sein Sohn, bei Snorri Agni, heißt in der Historia Norvegiae Högni; also die beiden in nächster Nähe. Merkwürdig, wie diese Namen der schwedischen Dynastien über die Helgilieder scheinbar wahllos ausgegossen sind. Zu Hjörvard gehört bei Snorri Granmar, zu Alf Dag. Es hat nicht den Anschein, als ob diese Massenentlehnung auf einmal erfolgt sei; damit würden wir die Frühgestalt der Helgidichtung viel zu sehr belasten. Sicher ist nur hier, wie bei Sigmundsage und Hüdesage: auch die reiche Entlehnung aus der Ynglingengeschichte oder wenigstens Ynglingenstammtafel geschah schon zeitig und hat sich immer wiederholt. Wir sagen nicht, der Name des Vaters sei aus der Ynglingengeschichte entnommen; man hat sie nur in den Stoffbereich der Helgisage hereingezogen, hat wohl zwei Hjörvarde einander gleichgesetzt. Auch sonst wurde ja gerade diese Gestalt reich ausgeschmückt. Seltsam, daß der Heldenvater zu einem großen Frauenritter gemacht wird, dessen ganzer Harem aber versinkt

272

HJÖRVARD.

in dem Augenblick, wo die rechte erscheint, die Mutter des Helden. Die Vielweiberei ist ein völlig blindes Motiv. Ich vermute, es beruht auf einer Verwechslung. Die Halfssaga weiß von einem König Hjörleif enn kvennsami, dem Weiberfreund, der auch eine ganze Reihe von Königstöchtern umwirbt und dem das, wie billig, übel bekommt; unter den umworbenen ist auch Hild, Högnis Tochter. Stand es nun von dem Ylfing Hjörvard fest, wie die Ynglingasaga ja beweist, daß er in die Sippe der Högnitochter Hild hineingeheiratet hat, so vollzog sich die Verwechslung um so leichter. Zu dem anmutigen, aber verstümmelten Brautwerbermärchen hat man allerlei vergleichbare Geschichten herbeigebracht, aber keine Ähnlichkeit ist so recht durchschlagend. Recht sinnreich ist ja die Parallele, die Bugge zu der Brautwerbung Attilas in der Ths. zieht; zumal eine balladenhafte Behandlung des Themas den Werber zwar nicht Attila, sondern, entsprechend der Saga, Rodingeir (Raadengaard) nennt. Aber es bleibt ein beträchtlicher Abstand, und der einzig wirklich kennzeichnende Zug der Liedprosa, die mitwirkenden Vögel, haben nirgends ein deckendes Vorbild. Auch die Vergleiche, die Haupt anstellt, genügen noch nicht. Es mag ja sein, daß die Geschichte aus Deutschland bezogen ist. Aber dann berührt sie sich nur ganz fern mit dem Typus, der ähnliche Namen aufwies. Die Ballade kann Ths. und Edda gekannt haben.

Seitenquellen. Es gab noch einen dritten Helgi. Die Schlußprosa des zweiten Liedes vom Hundingstöter weiß darüber zu sagen: »Das war die Meinung in der Vorzeit, daß die Leute wiedergeboren würden. Jetzt heißt man das Altweiberglaube. Von Helgi und Sigrun heißt es, daß sie wiedergeboren worden seien. Er hieß da Helgi der Haddingenkrieger {Haddingjaskati) und sie Kara, die Tochter Halfdans, und war Walküre, wie das in den Karaliedern (Karuljöd) gesagt ist.« Dieser Helgi und seine Kara treten auf in der Saga von Hromund dem Greipssohn, die zu den ältestbezeugten Fornaldarsögur gehört und schon im Jahre 1119 einer norwegischen Hofgesellschaft vorgetragen worden sein soll. Leider ist ihre Überlieferung sehr schlecht, und auch Saxo weiß nichts von ihr. Die einzige Fassung der Geschichte, die wir besitzen, ist offenbar

273

HROMUNDARSAGA.

nichts weiter als ein dürftiger Auszug aus den Griplur, einer Rimurdichtung, die auf der älteren verlorenen Hromunddichtung fußte. Ein norwegischer Gaukönig Olaf hat zwei böse Ratgeber Bildr und Voli und in seinem Gefolge einen jungen Helden Hromund, der unter seinen acht Brüdern, den Söhnen des Großbauern Greip, hervorragt. Auf einem Heereszug landen sie an der Mündung des Götaelf. Kari und örnulf gehen auf des Königs Bitte an Land kundschaften und bemerken sechs große Schiffe. Kari fragt, wer Herr über die Schiffe sei; ein Unhold nennt sich Hröngvidr und fordert sie für den nächsten Tag heraus. Kari meint, die Wölfe würden wohl dann sein Fleisch fressen; er kenne keinen übleren Kerl und wolle ihn in kleine Stücke hauen. Worauf Hröngvidr: er habe 33 Jahre Krieg geführt und sei in 60 Schlachten dabei gewesen, sein Schwert habe ihn noch nie im Stich gelassen; und das wolle er am Morgen dem Kari in die Brust stoßen. In dem Kampf am nächsten Tag fallen die beiden Brüder, Hromund verkleidet sich als alter Mann und schlägt den durch Eisen unverletzlichen Hröngvidr mit der Keule nieder. E r sieht hinterher am Steven eines Schiffes einen Mann, der auf seine Frage erklärt, er sei Helgi der Kühne, der Bruder des Erschlagenen, und wolle von Frieden nichts wissen. Hromund läßt seine Wunden heilen. E s folgen verschiedene Abenteuer Hromunds, am berühmtesten macht ihn die Gewinnung des Schwertes Mistiltein, das er einem Toten in einem Hügel abgewinnt. Dann zieht er an Olafs Hof und vergnügt sich (gjöräi str kdtt) mit dessen Schwester Svanhvit. Die bösen Ratgeber Voli und Bildr schöpfen Verdacht, und der König schickt Hromund und seine Brüder von seinem Hofe weg. Svanhvit ist darüber sehr ungehalten und meint, Voli und Bildr verdienten, gehängt zu werden. Der König gibt vor, Hromund habe sie verführen wollen. Einige Zeit darauf wird Olaf von zwei schwedischen Königen, den Haddingen, zu einer Schlacht auf dem Eis des Venersees entboten. Bei ihnen ist Helgi, Hröngvids Bruder. Olaf fordert Hromund und seine Brüder zur Hilfe auf, aber sie versagen sich ihm. Da sucht Svanhvit Helgi zu Hause auf und bittet ihn um Hilfe für ihren Bruder. E r solle das ihr zu Gefallen tun; sie will ihm einen Schild geben, der von ihm alle Gefahr abwehrt. Helgi nimmt sie gut auf und folgt ihrer Bitte. Die Schlacht ist heiß, Hromund bleibt ihr zunächst wegen eines bösen Traums fern, die Brüder greifen mutig an. Aber ein Zauberweib in Schwanengestalt nimmt an dem Kampfe teil, sie singt solche Zauberlieder, daß niemand darauf bedacht ist, sich zu wehren. Sie heißt Kara. Als sie über die Greipssöhne hinfliegt, kann Helgi sie alle acht töten. Da kommt Hromund in die Schlacht; Helgi sagt, nun sehe er den Mörder seines Bruders Hröngvidr, der das Schwert aus dem Hügel holte. E r fordert den Gegner auf, Mistiltein niederzulegen, Hromund trennt sich, um nicht mutlos zu erscheinen, von dem Schild, Schneider,

Heldensage I I , 1 .

lg

274

SAGA UND

GRIPLUR.

weil der Gegner ihm vorwirft, er verlasse sich auf ein Mädchen und habe sich von ihr unverwundbar machen lassen. Helgi der Kühne h a t t e immer gesiegt, und seine Geliebte, Kara, schwebte als Schwan über ihm. Jetzt hebt er sein Schwert so hoch, daß er ihr den F u ß abhaut. Sofort weiß er, d a ß er jetzt verloren ist; Kara sinkt t o t nieder. E r verwundet Hromund, doch der spaltet ihm mit Mistiltein den Schädel. E r sitzt dann müde und wund auf dem Eise und klagt, daß er keine Hilfe von seinem Mädchen habe. Aber Svanhvit spürt ihn auf, n ä h t seine Bauchwunde zu und gibt ihn zu einem Bauern namens Hagal in Pflege. König Hadding h a t einen schlimmen R a t Blindr, der sagt ihm, Hromund sei am Leben und werde heimlich bei Hagal gepflegt. Der König läßt ihn suchen, Blindr fährt mit einigen Männern zu Hagal, die Frau Hagais h a t ihn aber versteckt. Sie kehren nach einiger Zeit wieder, da ist Hromund als Weib verkleidet und dreht die Mühle. Er wirft ungeheuere Blicke (leit öhyrt) auf die Sendboten, die schöpfen aber zunächst keinen Verdacht, bis Blindr auf dem Heimweg, immer dieser Blicke eingedenk, erkennt, daß das Hromund gewesen sein müsse. Später sammelt Olaf ein Heer, zu dem sich auch Hromund gesellt, und überfällt Hadding. Hromund tötet ihn zur Bruderrache mit der Keule, Blindr (inn bölvisi), den böse Träume vorher geängstigt haben: ein Wolf werde bei Hagal gefüttert — wird gehängt. Olaf vermählt Hromund und Svanhvit, sie lieben sich sehr und bekommen vortreffliche Söhne und Töchter.

Helgi ist, wie man sieht, nur Nebenperson. Immerhin erfährt man das Wesentliche von seinem und Karas Schicksal: sie schwebt im Kampfe über ihm, er tötet sie durch Unvorsichtigkeit, und als sein guter Geist von ihm gewichen, ist sein eigenes Los besiegelt. Die Saga wimmelt aber auch sonst von Helgimotiven, und der Helgi, den wir aus den Liedern der Edda kennen, tritt uns dort am deutlichsten entgegen, wo von Helgi gar nicht die Rede ist. Das Wichtigste: Hromund wird bei Hagal verborgen gehalten. Blindr sucht ihn, er steht als Magd an der Mühle und fällt durch seinen scharfen Blick auf. Hier finden sich die Züge, die die Einleitung zum zweiten Helgilied bildeten, wirklich in einem Roman beisammen. (Während es dort Str. i heißt: er ülf graan inni hgfdod ehe Helgi zu Hagal flüchtet, ahnt Blindr hier at celist einn ülfr hid Hagli kalli, Griplur VI, n . ) Dazu andere Erlebnisse Hromunds: ein Mädchen kommt hinter dem Rücken seiner Anverwandten zu ihm und erbittet Waffenhilfe von ihm. Es waffnet ihn (ist aber selbst keine Walküre). Sein Schwert hat er schon vorher gewonnen, aber auch aus einem Grabhügel. Eine zweite Begegnung: nach dem Kampf erscheint sie und heilt den migttwdr«.

H R O M U N D UND

275

HELGI.

Schließlich die zwei Zankgespräche, von denen das erste am meisten die uns gewohnte Bahn einschlägt: die Gegner auf Schiff und Festland verteilt, auf der einen Seite ein Brüderpaar, auf der anderen ein Bruder wenigstens im Hintergrund. Auf die Frage nach dem Wer und Woher sofort eine Schmähung und die Drohung, am andern Tage Rache zu nehmen. Hier klingt das erste Hundingslied wörtlich wieder: Fyrr vilda ek at Frekasteini hrafna sedia d hrkom ptnom HHI. 44: Fyrir skula ülfar eta pitt hold Griplur I, 33. Hromund hat also viel mehr von Helgi als der Haddingenkämpfer. Bei diesem erinnert an den eddischen Namensvetter vor allem das Verhältnis zur Walküre, die schützend über ihm schwebt. Die Schwanengestalt ist neu, sie mag aus der Vorstellung des Wielandslieds von den drei Südlandsmädchen abgeleitet sein, von denen ja auch eine Svanhvit heißt. Svava-Sigrun ist aber gleichzeitig ins Dämonische, Hexische verzerrt worden. Sie ist eine Zauberin, die sirenenhafte Klänge hören läßt und die Männer vom Kampf abhält. Vielleicht waren die »Karuljod« zunächst gar keine wirkliche Dichtung, sondern man nannte die Zaubergesänge der Hexe so. Auch Helgi bekommt einen dämonischen Anhauch, seine Kraft ist nicht mehr rein heldisch. Wir erleben es mit, wie bei vielen Balladen, daß Zauberei und Hexenwesen das märchenhaft Wunderbare verdrängen. Die Vorstellung, die hier waltet, möchte man als besonders jung bezeichnen. Es ist die Erwägung eines Rationalisten, daß man sich in Acht nehmen müsse, wenn man einen solchen flugkundigen Schutzgeist besitze; hebt man das Schwert zu hoch, so kann man sich und ihn leicht schädigen. Wie erhaben ist dagegen die Vorstellungswelt selbst noch des ersten Lieds vom Hundingstöter! Eine lange, sagengeschichtliche Vergangenheit trauen wir dieser Kara nicht zu, wenngleich sie eines Halfdan Tochter ist. Dagegen hatte sie noch ein Nachleben, das für uns schon so früh bezeugt ist, daß wir die Karafabel doch mindestens dem 12. Jahrhundert zuschreiben müssen. Man hat längst gesehen, daß die Geschichte Hertnits und Ostacias in der Thidrekssaga enge Verwandtschaft mit Karas und Helgis Schicksal zeigt. Hertnit hat in der Hitze des Kampfes einen über ihm schwebenden und ihm helfenden Drachen verwundet; als er nach Hause kommt, findet er sein Weib mit eben dieser Todeswunde. Einen Schritt weiter also in der Verhexung und Verteufelung. Das Schutztier ist nicht 18*

276

H E L G I UND

KARA.

mehr der edle Schwan, sondern der Drache, der ja meist den Teufel bedeutet; das Aufspüren der Verwundeten in der eigenen Behausung ist ein sehr üblicher Zug der Unholdmärchen. Eine böhmische Erzählung, die Cosmas mitteilt, und die uns zwingen würde, mit der Karageschichte bis ins 11. Jahrhundert zurückzugehen, ist doch vielleicht fernzuhalten. Da haben wir auch ein zauberisches Vogelheer und die verwundete Frau im Hause nach der Schlacht, aber ohne inneren Zusammenhang. Die Namensgleichungen Haupts sind ohnehin preiszugeben. Im übrigen hat er aber sicher das Verhältnis der festländischen Fabel zu der Helgisage richtig erfaßt: diese war die gebende. Trotzdem sie eine herabgewürdigte Form der Walkürenvorstellung zugrunde legt, muß die Geschichte doch unbedingt aus dem Lande stammen, in dem der Walkürenglaube zuhause war. Ein dänisches Lied von Helgi und Kara, das Haupt fordert, würde am leichtesten alles erklären. Er wäre aus ihm mehr als das Motiv von Segen und Fluch dieser Verbindung zwischen Held und Schildmädchen in ein niederdeutsches Lied eingegangen: man wird Much beistimmen, daß der Name Hertnit von dem der Haddingen nicht gut zu trennen ist. Nur dieser im Norden nebensächlichere Name hat sich gehalten, der des Bezwingers ist uns in seiner ursprünglichen Form auf keine Weise mehr zugänglich, und die Walküre Ostacia ist unter den Einfluß des russischen Heldenmädchens Nastasia geraten, wie schon Heinzel sah. Der Weg zu Dietleib und seinem Meerweib ist mir zu weit. Die Umrisse eines alten Lieds von Helgi und Kara sind uns nicht deutlicher geworden. Immerhin ermutigt die deutsche Nachahmung, einige Züge der Hromunddichtung als ursprünglich anzuerkennen: Helgis anfänglichen Sieg über eine Anzahl Heldenbrüder; schließlich Eintreten eines starken Helfers in die Schlacht, schwere, wenn nicht tödliche Verwundung dieses Helfers durch den todgeweihten Helden. Wer die Gegner waren und wer die Haddingen, entzieht sich unserer Kenntnis. Haddingische Brüder sind auch sonst bekannt, etwa in der Schar der Arngrimssöhne (die ja auch einen Hervard und eine Hjörvard nebeneinander kennen, wie die Liste der Hundingssöhne im ersten Lied), aber das Brudermotiv in unserer Geschichte spielt gar keine Rolle. Es ist dann nur noch ein König Hadding, und der hat ja einen bedeutenden, durch eine lange Lebensbeschreibung geehrten dänischen Namensvetter bei Saxo. Die Schlacht auf dem Eis

R E G N E R U S UND

des

Vener

erinnert

an

alte

A b e r unter den Helden, die E n t s c h e i d u n g

277

SVANHVITA.

Schweden-

und

Gautengeschichte.

die die S k j ö l d u n g e n s a g e a u f b i e t e t ,

herbeizuführen,

d i n g e n auf keine W e i s e P l a t z .

findet

H e l g i m i t seinen

E s m u ß s i c h u m eine g a n z a n d e r e

S c h l a c h t handeln, die nur den S c h a u p l a t z aus der sage u n d vielleicht letzten E n d e s aus der Saxos Sein

erstes

Lebenslauf

H e l g i f a b e l her.

Buch gibt

berichtet

zwar

um

Had-

keine

von

Skjöldungen-

Geschichte

einem

entlehnte.

König

Ähnlichkeit

mit

Hadding. irgendeiner

A b e r es wird, a m E n d e des ersten B u c h s ,

von

i h m e r z ä h l t , d a ß er i n d e m S c h w e d e n k ö n i g H u n d i n g e i n e n F r e u n d u n d Verehrer besaß, der auf die falsche N a c h r i c h t v o n seinem T o d hin ein großes E r b m a h l v e r a n s t a l t e t e u n d in d e m riesigen fasse, d a s er d a f ü r aufgestellt h a t t e , ertrank. also d a s S c h i c k s a l eines Y n g l i n g e n k ö n i g s (Ynglingsaga

Kap. 11)

E s wird

angehängt,

Bier-

Hunding

den

Snorri

Fjölnir nennt.

Hadding hat zwei Kinder, einen Sohn Frotho und eine Tochter Svanhvita.

Hundings Söhne Regner und Thoraldus (42, 8ff.) werden von seiner

zweiten Frau Thorilda sehr schlecht gehalten, sie müssen die königlichen Herden hüten und sehen sich dabei von Gespenstern und Larven aller A r t belästigt.

Svanhvita macht sich mit ihren Schwestern auf, um die

edlen Kinder vor dem Verderben zu schützen.

Ihre Gefährtinnen wollen

absteigen, sie hält sie davon zurück wegen der ringsum drohenden

Ge-

spenster, denen sie zu Pferde besser begegnen werden (Versrede von 20 Hexametern).

Regner gibt sich für einen Knecht des Königs aus, er be-

hauptet, er und seine Brüder hätten ihre Herde verloren und trauten sich nun aus Furcht vor Strafe nicht nach Hause (16 Hexameter).

Svanhvit

sieht ihm aber in die Augen und erkennt an ihrem Feuer, an seiner Schönheit und dem Adel seiner Glieder seine hohe Geburt (minime tarn spectati celaminis simulacrum obscurus opifex äbsolvit 43, 33).

Regner erwidert,

auch unter einem schmutzigen Rock finde sich bisweilen eine kräftige Hand.

Er fürchte keine Gespenster, ausgenommen die Macht des Gottes

J)or, und es werde Svanhvit nicht gelingen, seinen männlichen Mut mit Furcht zu erfüllen.

(Diese Reden in Prosa, aber mit deutlichen Spuren

einer poetischen Formung.)

Svanhvit staunt die Kühnheit des Jünglings

an, läßt an Stelle der herrschenden Dunkelheit leuchtende Klarheit treten, verspricht ihm ein tüchtiges Schwert und stellt sich ihm in ihrer Schönheit dar, so daß er von Liebe entflammt wird und sich mit ihr verlobt.

Sie

überreicht ihm das Schwert (wiederum mit einer Versansprache, 16 Hexameter).

Darauf kämpft sie die ganze Nacht gegen die Gespenster und

Larven;

als das Tageslicht scheint, erkennt man deren wahre

auch Thorild, mit Wunden bedeckt, ist unter ihnen.

Gestalt

Svanhvit verbrennt

allesamt und verschafft dem Regner die Herrschaft über Schweden.

Darauf

278

HELGIMOTIVE B E I

REGNER.

eilt Frotho aus dem Osten herbei und schlägt in Schweden eine Schlacht mit seiner Schwester Svanhvit. E r unterliegt und kommt in der Nacht auf einem Boot der feindlichen Flotte nah; Svanhvit sieht ihn und fragt, was er suche. Die Geschwister versöhnen sich endlich, denn Svanhvit kann Frotho daran erinnern, daß er ihr einst Freiheit in der Gattenwahl zugesagt habe, und so macht er seinen Frieden mit Regner und verläßt ihn reich beschenkt. Man hört dann nur noch, daß Regner nach langer Herrschaft über Schweden stirbt und Svanhvit bald den Folgen einer Krankheit erliegt. Sie will nicht länger leben und von ihm getrennt sein. Fieri namque solet, ut quidam ob eximiam caritatem quam vivis impenderant, eciam vita excedentes comitari contendant ( 5 2 , 3 1 ) . — Beider Sohn ist Hodbrodd.

In dieser merkwürdigen Geschichte kommt der Name Helgi nicht vor, dennoch hat sie das Aussehen und den Wert eines wahren Kompendiums der Helgidichtung; man würde sie als buntestes Mischwerk aus allen uns bisher bekanntgewordenen Erscheinungsformen der Helgigeschichte bezeichnen, wäre sie nicht selbst ein Ganzes, mit dem sich etwa die Griplur an innerer Geschlossenheit und Überzeugungskraft nicht messen können. Am nächsten benachbart ist Saxos Bericht dem zweiten Teil des Lieds vom Hjörvardsohn. Helgi erscheint da freilich nicht in der Niedrigkeit, aber der verachtete Hirt im schmutzigen Gewand hat auch in der Erscheinung Ähnlichkeit mit dem namenlosen stummen Königssohn, den nordische Vorstellung als Aschenlieger sehen mochte. Beiden offenbart sich, in wirksamem Gegensatz, die strahlende Walküre und erweckt sie zu neuem Leben, in der schlechten Schale die edle Frucht erkennend. Beiden bietet sie das Schwert, beide werden sofort von Liebe zu ihr erfaßt. Der Bund ist geschlossen, man wartet auf gemeinsame Taten. Von ihnen weiß Saxo freilich ebensowenig wie das Lied. Dafür treten jetzt andere Berührungspunkte hervor; H u n ding wird wenigstens von der Ferne gezeigt. (Seltsamerweise wird er ja auch in den Griplur in ganz entlegenem Zusammenhang II, 38 genannt.) Er wird wohl kaum des Helden Vater gewesen sein; das ist ein Mißverständnis Saxos (wenn man nicht mit Much annehmen will, daß die Mutter des Helden den Mörder und Nachfolger des Gatten ehelichen mußte. Dazu paßt aber wieder nicht die Stiefmutter, die hier an allen Verfolgungen schuld ist.) Die Hauptsache: es gab eine Fassung der Helgigeschichte, die den in der Jugend stumpfen Helgi kannte, samt der erweckenden und schwertspendenden Walküre, und in der

KARA

SVANHVIT.

279

zugleich Hunding auftrat — doch vermutlich in seiner bekannten Rolle als Helgis Widersacher. Eine erste Brücke zwischen den scheinbar unvereinbaren Fassungen der beiden Liedgruppen von Helgi! Die Verbindung hinüber zu der Darstellung der Hromundgeschichte gibt der Name Svanhvit. Sie ist hier, was sie dort nicht ist, Walküre, scheinbar also Kara und Svanhvit zugleich. Was dämonisch an Kara war, ist hier auf eine andere Gestalt zusammengetragen, die Stiefmutter, die völlig dem Zauberweib der Ths. gleicht. Ein Band zwischen der noch völlig ideal gesehenen Walküre Kara und Svanhvit ist die nahe Zugehörigkeit zu den Haddingen. Kara kämpft im Haddingenheer, Svanhvit ist die Tochter Haddings. Kara erscheint in Schwanengestalt, wie andre Walküren (Völundlied, Helreid); der Name Svanhvit soll sicherlich derselben Vorstellung Ausdruck geben. Die beiden Svanhvit haben das gemein, daß sie sich ihrer Gattenwahl wegen zunächst mit dem Bruder verfeinden, daß er sie aber dann doch mit dem Geliebten vereinigt. Saxos Svanhvit zeigt, daß Kara sich vermutlich auch um Helgis willen mit ihrer Sippe, hier wohl ihrem Bruder, überworfen hat. Sie gehörte dem Haddingenstamm an. Die Frage ist nun: war Helgi tatsächlich, wie uns die Hromundgeschichte glauben machen möchte, von Anfang an ein Kämpfer der Haddingen ? Der in der Eddaprosa überkommene Beiname ist nicht gut anders zu deuten. Aber dann hätten wir es hier mit einer ganz anderen Art Helgi zu tun; ein Königssohn war er nicht. Vielleicht also lautete der Beiname ursprünglich anders und ist mißverstanden worden; der Bekämpfer der Haddingen ? Haddingjaskati könnte ja an sich auch heißen: der Haddingenfürst. Aber es führt uns nicht weiter, ihn dazu zu machen. Er war selbst kein Hadding. Seine Geliebte aber war es, wenn es auch in Griplur und Saga nicht eigens gesagt ist. Also die Heldin mit dem Helden zusammen gegen die eigene Sippe stehend; diese Vorstellung lag wohl auch der Karadichtung zugrunde. Ein weiteres verband sie mit den bekannten Helgidichtungen: das wenn nicht gemeinsame so doch zeitlich wenig getrennte Ende, tragische Ende der beiden Liebenden. Als Kara tot ist, ist es auch mit Helgi aus; Sigruns ungeheures Leid zwingt den toten Helgi noch einmal aus dem Jenseits herbei, und als er ihr endgültig entschwunden ist, stirbt sie ihm bald nach. Svanhvit

28O

PARALLELEN

ZUR

SCHELTSZENE.

lebt nicht lange mehr nach Regners Tod. Die Krankheit, die Saxo herbeiruft, ist nüchterner Rationalismus, er selbst zeigt durch seine pathetische Betrachtung, daß sie an gebrochenem Herzen gestorben sein muß. Bugge hört auch aus anderen Saxostellen noch Anklänge an die Helgigeschichte. Das Gespräch zwischen Gram, Gro und Bessus im ersten Buch (13, 18 ff.) berührt sich vorübergehend wörtlich mit der Anrede Sigruns an Helgi im zweiten Lied vom Hundingstöter. Aber die Ähnlichkeit verliert sich rasch, man müßte sie denn in der allgemeinen Lage finden: das Mädchen spricht mit dem Jüngling, der sie von einem unwillkommenen Freier erlösen wird und sich in eine Maske gehüllt hat. Fast wichtiger scheinen uns die Beziehungen dieser beiden Szenen, die Fragen nach dem Wer und Woher bringen, zum Anfang der Scheltszene. Diese selbst ist von Bugge verglichen worden mit einem Auftritt des fünften Buches; Ericus disertus kommt dort mit seinem Bruder an Land (es wird die Insel Läsö genannt und ist von strandhggg und Essen von rohem Fleisch die Rede; beides wie im zweiten Hundingslied) und beginnt mit Grep ein Wortgefecht (132, 23), das in manchem von fern an die Scheltszene Gudmunds und Sinfjötlis erinnern mag und jedenfalls zeigt, daß solche Gespräche saftige Breite und langsame Steigerung nötig haben und nicht mit ein paar dünnen und salzlosen Grobheiten erledigt wurden. Indes besteht keine Nötigung, eine unmittelbare Beziehung anzunehmen. Verweilen wir aber d a b e i einen Augenblick: es haben sich jetzt doch mehrere Darstellungen gefunden, in denen die bekannte Frage nach Wer und Woher von einem Mädchen gestellt wurde. Das lockt, eine Verbindungslinie hinüberzuziehen zu der sehr flüchtig mitgeteilten Szene bei Saxo, wo Bruder und Schwester in der Nacht sich treffen und sich zunächst nicht erkennen. Ein Zankgespräch scheint hier seine Stelle gehabt zu haben. In den Griplur setzen sich Svanhvit und ihr Bruder nicht auseinander; aber es ist merkwürdig, daß zu Beginn der Hromundsaga ein Streit zwischen Helgis Bruder und dem gänzlich gleichgültigen, sofort wieder aus der Saga verschwindenden Kari vorgeführt wird. Der Anlage nach ist es das bekannte Gespräch, und kein Zweifel, daß es mit der Scheltszene der Helgigeschichte in irgendwelchem Zusammenhang steht. (Die Griplur zeigten uns ja sogar einen wörtlichen Anklang.) Verlockend, anzunehmen, daß es

HELGIQUELLE

DER

HROMUNDGESCHICHTE.

281

einmal ein solches Gespräch zwischen K a r a und irgendeinem Fremden oder Widersacher gegeben hat! Im Lied vom Hjörvardsohn ist ja auch ein Weib am Streitgespräch beteiligt. Alles deutet darauf hin, daß die Karadichtung einstens nicht völlig selbständig neben den Liedern vom Hjörvardsohn und Hundingstöter stand, sondern daß sie sich mit ihnen vielfach berührte, ja sogar wohl aus einer Wurzel mit ihr stammte. Die mannigfache Vermischung und Verschlingung der Gestalten hindert uns auch, hineinzusehen in die Entstehungsverhältnisse unserer zwei wichtigsten Nebenquellen zur Helgisage, eben der Griplur und des Saxoabschnittes. Saxo fußt sicherlich auf einem Lied, das des Prosarahmens entbehrte. Die Mischform, in der die Fabel bei ihm erscheint, muß auf diese älteste Quelle zurückgehen. Schwieriger ist die Frage bei den Griplur und der Saga zu entscheiden. Es gab eine ältere Hromundarsaga (die Le Roy Andrews allerdings auch erst in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts setzt), und von ihr sollte man annehmen, daß sie die Vermischung mit Helgizügen noch nicht so weit getrieben hätte, wie unsere Überlieferung. Le Roy möchte ihr mit Hilfe der vielverbreiteten Ramund(Rambolt-, Ranild-)ballade näherkommen. Er vermutet, vor allem gestützt auf die norwegische Fassung, in der ein Helgi enn hvassi als Gegner des Helden eine Rolle spielt, die ältere Hromundsaga sei beeinflußt gewesen von dem auch Saxo bekannten Lied von Helgi und Svanhvit. Aus ihr haben die Balladen nämlich das Motiv der schlechten Kleidung des Helden, derentwegen er sich vor der Königstochter schämt. Svanhvit wäre dann also in unserer Saga die sagenhistorisch ältere Gestalt, Hromund leistet ihrer Sippe (hier dem Vater) große Dienste durch Beseitigung gefährlicher Feinde und wird darauf ihr Gatte. Der schon vorhandene Gegner Helgi wäre erst durch die Griplur zu dem Haddingenhelgi umgebildet und die ganze Fabel durch reiche Anleihen aus dessen Geschichte erweitert worden. Auch mir ist eine Entlehnung in Schichten wahrscheinlich, aber die Rechnung geht nicht rein auf, die Stellung des Streitgesprächs bleibt ungeklärt, und vor allem wird bei dieser völligen Lostrennung der Svanhvit von Kara nicht beachtet, daß auch jene in Verbindung mit den Haddingen steht. Die Ramundballade ist eine Fortbildung der Hromundgeschichte und für die Helgidichtung nur insofern ergiebig, als

282

BALLADEN.

sie das sonst nur bei Saxo bezeugte Motiv der schlechten Kleidung auch für einen anderen Überliefer ungszweig nachweist. Dagegen rechnen wir zu den Quellen der Helgisage — freilich in noch weiterem Sinn als Saxos Regnergeschichte und die Griplur — mehrere B a l l a d e n , die schon Bugge in Beziehung zu unseren Liedern gebracht hat. Leider ist bei ihnen kaum ein Ertrag für die Vorgeschichte des Stoffes zu finden. Ein besonders kennzeichnender Beleg für unsere alte Anschauung, daß die Ballade aus dem Literaturwerk hervorgeht, in diesem Fall aus dem Liederkodex, nicht aus einer vorliterarischen Form des Einzellieds, gibt die B a l l a d e v o n R i b o l d (die Grundtvig untriftig auch mit dem Waltherstoff in Beziehung bringen wollte). Sie vereinigt in sich die zwei Züge der Helgidichtungen, die für den Geschmack der Balladenzeit am wirksamsten und rührendsten waren: der jüngste Bruder entkommt dem allgemeinen Verwandtenmord durch den unerwünschten Freier und nimmt Rache, und: der sterbende Held gibt die Braut weiter an den eigenen Bruder; also Hjörvardlied und zweitens Hundingslied vereinigt. Die Gestalt des Blind Molvigsen, die nach Olriks Nachweis in der Ballade ursprünglich ist, geht zurück auf die kurze Notiz der Prosa von HH II über Blindr inn bglvisi. — Die B a l l a d e v o n H e r r n H j e l m e r (nach Bugge: isl. hilmer — Fürst) kennt nur das Motiv des verschonten und treulosen Bruders, baut es aber aus: die Schwester reicht dem Rächer, der triumphierend mit des Gatten Haupt ihr Haus betritt, den Todestrank und stirbt ihm dann nach. Beide Viser übrigens sind in der balladenhaft verkürzenden und vereinheitlichenden Zusammendrängung eines verzweigten Stoffes Meisterleistungen. — Von der Adlerballade war schon die Rede. Möglich, daß sie einfach auf eine Strophe im Prolog des Hjörvardliedes zurückgeht und ihn selbständig ausbaut. Wir erhalten durch sie jedenfalls keine Kenntnis eines größeren und sinnvolleren Zusammenhangs, in den jener früher gehört hätten. Dagegen müssen die Beziehungen zu der Ballade Faestem a n d e n i G r a v e n doch vielleicht anders eingewertet werden. Die Ähnlichkeit zum Schlußteil des zweiten Helgiliedes ist mit Händen zu greifen und von Grundtvig längst herausgestellt. Es stimmt nicht nur die Doppelvorstellung: der tote Liebste zeigt sich erst außerhalb des Grabs und empfängt dann den Besuch der Überlebenden im Grab, das Tränenmotiv und der

FiESTEMANDEN I GRAVEN.

283

baldige Tod der Liebsten, sondern auch eine Anzahl Einzelheiten: das Befühlen des Haars, die Berufung auf den Hahn, dessen Schrei ihn zum Weggehen zwingt. Dennoch ist nicht anzunehmen, daß unser Lied die Grundlage der Ballade gebildet hat. Erwägt man die weite Verbreitung des Motivs nicht nur, sondern eines ähnlich gebauten Lieds, von der Grundtvig nur einen schwachen Begriff gibt, dann wird man wahrscheinlicher finden, daß die Helgidichtung hier einlenkt in den Verlauf eines damals schon bekannten balladenhaften Gedichts. Das alte Motiv: Treue bis zum Tod, verstärkt durch die Vorstellung der Totenerweckung aus der Hildesage, hat diese Entlehnung verursacht. Auf diese frühe balladenähnliche Gestaltung des Motivs und nicht auf eine Helgidichtung hätte man die Einführung des antiken Protesilausmotivs irgendwie zurückzuleiten. Olriks Nachlaß enthält darüber sehr eingehende Betrachtungen und eine wunderschöne Kennzeichnung der Eigenart des zweiten Helgiliedes im weiten Umkreis der Lenoredichtungen — aber keine endgültig klärende Lösung des Abhängigkeitsverhältnisses.

Die a l t e r s e c h t e n Motive. Wir haben — wenn wir wie billig von den Balladen absehen — fünf Helgiquellen, von denen eine den Namen des Helden ganz verloren, eine weitere ihn nur halb bewahrt hat. Die Quellen halten drei verschiedene Helgi auseinander. Es hat sich ergeben, daß dieser Fünfheit und Dreiheit keine entsprechende Zahl alter Fabeln zugrunde liegen kann. Die beiden Liedhelden erschienen schon manchem Erklärer ähnlich genug, so daß man einer gemeinsamen Wurzel nachzugraben suchte. Nun können wir beifügen: auch die Geschichte von Helgi und Kara war nicht wesentlich anders geartet als die der eddischen Helden; es scheint im Grunde immer dieselbe Fabel gewesen zu sein, allerdings mit starken Abweichungen und mit selbständigen Erweiterungen des alten Grundrisses. Der Stoff stellt damit vor einen Befund, der in der Heldendichtung seinesgleichen nicht hat. An der Persönlichkeit pflegt eine feste Fabel zu haften; sie kann abgewandelt, erweitert, verkürzt und abgebogen werden, der Held kann mit immer neuen Gestalten in Beziehung treten, die Dichter können sich mannigfach wiederholen; gewisse Grundlinien, gewisse Szenen und Prägungen, gewisse Namen, die im Leben des Helden eine Rolle

284

EIGENART

DER

HELGISAGE.

spielen, sind unverrückbar. Es ist eine sonst unbekannte Erscheinung, daß nur ein ganz allgemeiner Grundriß einer Fabel wiederkehrt, der immer aufs neue ausgefüllt wird, als wäre der frühere Dichter gar nicht am Werke gewesen; namentlich, daß in denselbem Rollen immer wieder ganz verschieden benannte Personen erscheinen. Am merkwürdigsten ist das bei Sigrun, Svava, Svanhvit, Kara; selbst wenn sich schließlich feststellen läßt, daß einer der vier Namen größeren Altersanspruch hat als die anderen, ist diese Vielheit nicht erklärt. Sonst herrscht in den Überlieferungen der Heldendichtung das Gegenständliche, hier das Abgeleitete. Man kennt nach Jahrhunderten noch einen Namen, ein paar Verse eines Auftritts; hier scheint man theoretisch zu wissen: dieses Leben enthielt den und jenen Höhepunkt; er gehört aber nicht als gestaltetes Wesen zu einem Erbgut, sondern muß immer wieder geformt, die Personen, die zu dem Helden gehören, immer wieder neu gefunden werden. Einer der Gründe für ein solches Werden könnte die Pflege des Stoffes auf weit auseinanderliegenden Gebieten sein; wie verschieden haben Deutschland und der Norden schließlich Sigfrids Drachenkampf gesehen! Bei der Helgisage fehlt jedes Zeugnis für weite Verbreitung. Man redet immer wieder von der d ä n i s c h e n Helgidichtung; dabei hat Saxo nur ein paar andeutende Worte eines Isländers über den Hundingstöter aufgefangen. Bugges e n g l i s c h e Hypothese hat nur die schwache Stütze, daß die eine aus dem Helgistoff schließlich herausgeformte Ballade in England verbreitet war, vielleicht sogar dort gedichtet worden ist. Aber was bedeutet schon die Entstehung einer Ballade für die Heimat des Stoffes! Jedenfalls lebten die drei Helgifabeln in dem Island des 12. Jahrhunderts ruhig nebeneinander, und ihre letzten Erscheinungsformen machen nicht den Eindruck, daß man sie weither hätte entlehnen müssen. Diese Sagas und Lieder hatten sich an Ort und Stelle gebildet. Eine örtlich verzweigte Geschichte des Stoffes läßt sich also nicht nachweisen; unsere drei Hauptfassungen zeigen uns nicht etwa den englischen, den schwedischen, den dänischen Helgi. So bleibt nur die Annahme, daß der Stoff eine lange Lebensdauer gehabt hat und daß er den Isländern nach vielhundertjährigem Dasein so verwittert und lückenhaft zugekommen ist, daß in Island selbst immer neue Aufbauversuche nötig wurden. Äußere Beweise für dieses hohe Alter gibt es nicht; vor Saxo

ALTE

MOTIVE :

VATERRACHE.

285

hört man nie und nirgends von Helgi dem Hundingstöter. Und auch bei ihm nur den Namen. Auf Island erscheint Helgi lediglich dreimal im Rahmen der Völsungenzyklen, also ganz im Schatten des vermeinten großen Bruders. Kein Zeugnis erhellt seine Vorgeschichte und seine ehemalige Gestalt. Wollen wir uns daran wagen, sie so gut es geht wieder aufzubauen, so haben wir keine Hilfsmittel als die vergleichende Motivgeschichte und die Kritik der Namen. Die Vaterrache ist nirgends unmittelbar bezeugt; um so häufiger begegnet das Motiv der allgemeinen Verwandtenrache. Der Anfang des zweiten Hundinglieds legt die Annahme nahe, daß die Hundinge den Vater getötet hatten; was bedarf Helgi sonst (in seinem heroischen Wikingdasein, nicht in der isländischen Bauernwelt) eines Pflegevaters, was muß er sich im eignen Reich verbergen? Im Hjörvardlied nimmt er für den Großvater Rache; wir teilen seine Verwunderung, daß der Vater das nicht schon getan hat, und wissen nur den einen Grund, daß es eben keinen Vater mehr gab. Die Mahnung, ihm die Rachefahrt zu rüsten, richtete sich dann ehemals an einen Ziehvater, wie bei Sigurd. Wir wissen auch schon, wer Helgi später dieser Tat beraubte; er ist nicht der erste Held, der seine schönsten Erfolge der zyklischen Einreihung zum Opfer bringen mußte. Als Sohn Sigmunds konnte er den Vater nicht mehr rächen. — Aber auch der Sohn Hjörvards rächt ihn ja nicht. Das Liedstück, das den jungen, stummen Helgi vorführt, muß die alten Voraussetzungen vergessen haben. Besser scheinen sie in der Regnergeschichte durchzuschimmern, wo der Königssohn als schmutziger Hirte im Freien weilt; unmöglich, sollte man denken, bei einem wohlgeratenen Sohn zu Lebzeiten des Vaters. Es gab da also zwei Auffassungen: Helgi der Aschenlieger und Helgi der Verstoßene. Dieser setzt den frühen Tod des Vaters und die Herrschaft eines Eindringlings voraus. Der Name Hunding für den Vater ist vielleicht der Rest der Vorstellung eines Thronräubers. Zu der üblichen Aschenliegergestalt hätte sich Helgi erst gewandelt, als das Motiv der Vaterrache gefallen war; nun mußte eigens begründet werden, warum der Thronfolger des Reiches einer schützenden Walküre bedurfte. Saxo hat hier also Spuren des Älteren gegenüber dem Lied, an Stelle des verfolgenden Feindes ist aber bei ihm die jüngere Gestalt der Stiefmutter getreten, die sich irgendwie wunderlich mit der Walküre ver-

286

ALTE

MOTIVE: D I E

WALKÜRE.

mischte oder vielleicht auch als Gegenstück zu ihr ersonnen wurde. Ein später Roman, so stellen wir uns weiter vor, hat dann weitläufig ausgemalt, wie Helgi, herangewachsen, die Rache vorbereitete und sich den Hundingen auf mannigfache Art verdächtig machte. Da nahm er auch den Decknamen Hamal an, den man mit dem Hamr des gleichfalls auf Vaterrache brütenden Skjöldungen Helgi verglichen hat. Die beiden Erzählungen dürfen einander aber nicht zu nahe gerückt werden. Man muß annehmen, daß »Hunding« von jeher der Name des Feindes war; neben Helgi der älteste, der uns feststeht, trotzdem ihn nicht alle Quellen kennen. Von den Namen der W a l k ü r e begreifen wir nur die Entwicklung von Svava zu Svanhvit — gefördert durch die Vorstellung der Schwanenmädchen. Schließlich kann auch Bugge recht haben, wenn er in Sigrun eine absichtlich umgetaufte »Victoria« sieht, die an die Seite des Sigmundsohns besonders gut paßt. Es wäre das aber eine Erfindung mehr im Stile des ersten Hundinglieds, und Sigrun kommt auch im zweiten vor. So aufdringlich sprechende Namen kennt die Heldensage sonst nicht. Mag sein, daß die Stelle, wo von den Valrunen die Rede ist, den Namen begründete: Du sprichst in Valrunen, könnte die Walküre etwa gesagt haben (Str. 12), mit mir erhältst du Sigrunen. — Wir werden später noch aus namensgeschichtlichen Gründen bestätigt sehen, daß Svava wohl der älteste Name war. Nur zu Kara führt keine Brücke. Die allgemeine Vorstellung: Helgi, der Verwandtenrächer, kennen Hjörvardlied und Hromunddichtung; sie sind sich auch darüber einig, daß die Walküre dem Helden ihren Schutz eben für diesen Rachezug leiht. Im Lied weist sie ihm eigens das Schwert an für diesen Rachezug, Kara hilft dem Helgi, der den Mörder des Bruders bekämpft, der Kampf, zu dem Svanhvit den Hromund mit dem Schild wappnet, ist in seinem Kern ebenfalls eine Verwandtenrache. Wozu Svanhvit dem Regner ein Schwert überreicht, erfahren wir nicht, von Taten ist keine Rede, aber das Lied, das Saxo vorlag, muß sie gekannt haben. Ist ein Hunding in der Nähe, so steht zu vermuten, daß das Schwert sich wider ihn wandte. So wäre also die Frage zu beantworten: welches war der Feldzug, bei dem ehemals die Walküre dem Helden ihre irdische Hilfe lieh und, buchstäblich, über ihm schwebte? Sie rüstete, stachelte und half ihm zur Verwandtenrache, ehemals Vaterrache.

ALTE

MOTIVE:

SCHELTGESPRÄCH.

287

Man sieht, wie jung von diesem Standpunkt aus das zweite Hundingslied ist, oder vielmehr das »alte« Völsungenlied. Da treffen die Liebenden erst nach der Hundingsfehde zusammen, für die Prosa von II und für I gar nach der Fehde mit den Hundingssöhnen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß eine ältere Dichtung die beiden Triumphe unmittelbar aneinanderschloß. Von dem Feldzug gegen Hunding ist nur eine Einzelheit bekannt: ein S c h e l t g e s p r ä c h . Es kann von dem Helden selbst geführt worden sein oder von einem anderen. Als Widersacher steht Hunding durch Str. 39 des zweiten Liedes fest. Ebendort ließ sich schon lernen, daß alle erhaltenen Streitgespräche aus jener Keimzelle stammen. — Als Ersatz für Helgi in dieser unadligen Szene kommt der B r u d e r in Betracht, keine Darstellung läßt ihn an seiner Seite vermissen. Die Namen bieten sich wieder in bunter Fülle: Sinfjötli, Hröngvid, Thoraldus, Hedinn. Sie alle sind natürlich ganz jung. Hat ein Name Anspruch darauf, alt zu sein, so ist es der Hamund aus Fra dauj)a Sinfjötla und Nornagest. Der H-stab paßt in die Sigmundsippe ebensowenig wie Helgi selbst; und die Gestalt ist allenthalben so verblaßt, daß man annehmen muß, sie sei mitgeschleppt, nicht zu irgend einem Zweck erfunden. Wieder hätte, wie bei der Vaterrache überhaupt, allein der Abklatsch der Helgisage in der Sigurdbiographie das ältere gewahrt. Das Gespräch ist dann weiter umgebildet worden; man zog die Walküre herein, und so mag es die Tonart gewechselt haben. Eine ausgeführte Szene dieser Art ist aber nicht überkommen. Ebenso ist es dunkel, auf welcher Stufe und in welcher Form zuerst die Erfindung von einem weiblichen Troll aufkam, gegen den das übernatürliche Lichtwesen den Geliebten zu schützen hatte. Olrik führt die Vorstellung von einer Riesin Hrimgerd auf örtliche Sage zurück; auch die Versteinerung kann Volksvorstellung sein und braucht nicht aus dem nahe benachbarten Eddalied zu stammen. Aber das Seetrollweib einer Schiffersage konnte sich nicht gut in die gespenstische Thorild wandeln, und so mögen die letzten Ursprünge der Gestalt wo anders liegen. Helgi, dessen Haupttat die Verwandtenrache war, f ä l l t e i n e r V e r w a n d t e n r a c h e z u m O p f e r ; diese Vorstellung hat sich viel besser gehalten als jene, alle Quelle teilen sie, mit Ausnahme der Regnergeschichte, die sichtlich verstümmelt ist. Und zwar noch in der besonderen Ausprägung: sein Gegner

288

ALTE

MOTIVE:

FALL

DURCH

VERWANDTENRACHE.

nimmt dieselbe Rache, die er selbst einst geübt hat; Helgi in der Saga rächt den Bruder und erliegt einer Bruderrache. Sehen wir Helgi nun in den beiden Liedzweigen einer Vaterrache zum Opfer fallen, so ist der Rückschluß wieder zwingend, daß er Vaterrache geübt hatte. Darin treten nun aber die beiden Helgilieder, die vom Tod des Helden wissen, vollkommen auseinander: dem einen gehört des Helden Tod noch in die Kette der Kämpfe mit jenem Erbfeind, für das andere ist eine ganz neue Fehde mit der Sippe der Walküre ausgebrochen. Dieser Zug findet namentlich durch die Nebenquellen reiche Bestätigung. Die beiden Svanhvit verfeinden sich zunächst mit dem Bruder wegen ihrer Liebe zu dem Helden, und die Regnergeschichte lehrte uns überdem, daß es der Haddingentochter, also wohl Kara, ehemals ebenso ging. Dagegen steht also nun das einzige Zeugnis des Lieds vom Hjörvardsohn: Helgi fällt durch Alf, den Sohn Hrodmars. Daß er das ist, weiß nur die Prosa. Es fällt ins Gewicht, daß Alf auch ein Hundingsohn ist; aber das könnte den Sammler veranlaßt haben, den rätselhaften Helden dem Erbfeind zuzuordnen. Hier fassen wir die Frage an, die für den Aufbau der ältesten Helgidichtung grundsätzlich wichtig ist: war ihr Grundriß so einfach, daß sie sich in die zwei großen Akte gliederte: Vaterrache mit Hilfe der Walküre — Erliegen vor dem Vaterrächer (wohl trotz der Hilfe der Walküre ?) oder war sie von vornherein breiter angelegt: Kampf mit der Sippe der Hilfreichen, neue Blutschuld an einem Vater, für den dann der Sohn Rache nimmt ? Gefühlsmäßig möchte man für den ersten Grundriß stimmen, und es läßt sich auch nichts Entscheidendes gegen ihn vorbringen. Nur damit muß man sich abfinden: er ist durch keine Quelle unmittelbar bezeugt. Im anderen Fall hätte das Lied aus zwei Handlungssträngen bestanden, die sich unabhängig voneinander abwickelten. Ein Lied mit Doppelhandlung, oberflächlich durch zwei Personen zusammengehalten. Das ist nicht Brauch der Heldendichtung. Die erhaltenen Lieder machen den Fehler ja auch nicht: sie interessieren sich mehr und mehr für die Sippenfehde (dazu gehört der ganze Hödbroddkampf in I und II) und lassen den Hundingteil verkümmern. So erklärt sich auch die Verpflanzung des Streitgesprächs. Es gibt uns einen sicheren Anhaltspunkt: der Schwerpunkt dieses Kriegerlebens lag ehemals

SIPPENFEHDE

BEI

DER

WALKÜRE.

289

wo anders, dort, wo das Streitgespräch zu Hause war, eben in der Hundingfehde. Die Dinge stehen also wohl so: der einfache Grundriß wurde erweitert, die Liebesgeschichte rückte in den Mittelpunkt und man machte, wie wir schon wissen, kräftige Anleihen bei der Hildefabel. Ob wohl dadurch erst die Fehde zwischen Ges c h w i s t e r n ersetzt wurde durch den Zwist zwischen Vater und Tochter? Man könnte in der Str. 4 des zweiten Hundingsliedes, wo die Walküre eine S c h w e s t e r Högnis und Sigars ist, den Rest einer alten Vorstellung sehen. Bei den zwei Svanhvit bleibt die Sippenfeindschaft einfach, negativ: die Verwandten wollen von dem Helden als Bräutigam nichts wissen. In den beiden Liedern vom Hundingstöter, die von einem Högni als Vater der Heldin wissen, verfügt der Vater über die Hand der Tochter, und sie setzt sich zur Wehr. Die Erzählung lenkt ein in die bekannte Formel: Befreiung eines Mädchens von dem verhaßten Bewerber — die bei Saxo bis zum Überdruß geläufig ist; hier kannte er sie schwerlich, er hätte sie sich nicht entgehen lassen. So entstand die Hödbroddfehde der beiden Lieder, die in ihren überhitzt heroischen und ihren sentimentalen Teilen offenbar das jüngste Neuland der Helgidichtung ist — abgesehen von den verschiedenen Ausschmückungen von Helgis Tod. Wie hieß der Held ursprünglich, vor dem Helgi blieb ? Sicherlich weder Dag noch Alf; wir haben gesehen, daß jener Name ganz sicher, dieser wahrscheinlich aus der Ynglingenreihe herübergekommen ist; aus ihr hat man in verschiedenen Schichten entlehnt, schon zu Hjörvards, auch noch zu Sigmunds Zeiten. Helgi muß durch einen Hundingsohn gefallen sein, dafür haben wir uns entschieden. Der Namensschwall, den junge Quellen für diese Sippe zur Verfügung haben, darf nicht blenden; das sind alles jüngste Entlehnungen. Ein verlorener Rest steht in H H u I I 1: Heming heißt da ein Hundingsohn; bestimmt ein ganz alter Name, sonst vergessen, im Nornagest und dem Prosastück Frd Fornjoti aus der Helgiprosa wiederholt; also sicher nicht ad hoc erfunden. Es ist aber nicht gesagt, daß dieser Heming der Sohn Hundings, daß er der Rächer war. Beängstigend unter all den jungen entlehnten Gestalten ragt die Figur des Hödbrodd hervor. Wir wissen nichts mit ihm anzufangen. Daß ihn Sigrun mit Verachtung straft, bedeutet Schneider, Heldensage II, i. ig

290

DER

GEGNER —

IM T O D

VEREINT.

nicht viel; anderswoher, aus Saxos zweitem Buch, wissen wir, daß der Sieg über Hödbrodd zu den großen Ruhmestaten Helgis gerechnet wurde. Er ist der gefährlichste Gegner in der großen Schlacht und hat Gefolgsleute vom Range Starkads aufzubieten. Da drängt sich ein Schluß auf, den schon Much gezogen hat: Hödbrodd ist der Sohn Hundings. Das kann man auch aus Saxo herauslesen, bei dem die beiden Großvater und Enkel sind, Regnerus ein völlig unsinniges Zwischenglied. Oder man schließt so: Es gibt im ganzen Umkreis der Helgisage keinen, der durch Ruf und Altersbedeutung würdig wäre, als Besieger Helgis zu gelten; andererseits tritt ihm in Hödbrodd ein berühmter Gegner imbekannter Herkunft entgegen. Setzen wir die zwei Unbekannten einander gleich! Es ist nicht zwingend, aber es ist auch nicht übermäßig gewagt, wenn man den Quellen zum Trotz in Hödbrodd, dem Sohn Hundings, den ehemaligen Bezwinger Helgis sieht. Unsere drei Hauptquellen wissen gleichmäßig, daß Held und Heldin im T o d v e r e i n i g t waren. Es gibt eine heldische und zwei gefühlvolle Lesarten; die eine dann vernüchtert, die andere mit kühner Genialität die Grenzen der Zeitlichkeit überschreitend. Der heroischen Spielart möchte man gefühlsmäßig den Vorzug geben. Eine empfindsame Wendung erhielt das Verhältnis erst, als die Sippenfehde hinzutrat. Dagegen haben wir uns freilich verwahrt, daß die Walküre erst durch eine klägliche Unvorsichtigkeit des Helden das Leben verlor und er dann, gemäß der Formel vom vertriebenen Schutzgeist, ihr nachstarb. Aber d a r i n wird die traurig verstümmelte Geschichte von Helgis und Karas Untergang wohl noch das Alte festhalten: sie sterben beide in oder an den Folgen derselben Schlacht. Die hohe Tragik, die schon ehemals in diesem Ende gelegen haben muß, wird nirgends mehr faßlich. Die allgemeine Wesensart dieser Fabel verweigert den Aufschluß über ihr Alter. Es gibt kein Mittel, festzustellen, von wann an Walkürenglauben oder Schildmädchengestalten in die Heldendichtung ihren Einzug gehalten haben. Im übrigen ist sie zeitlos. Ist die Darstellung der Fehde von jeher in der Form eines Seekrieges erfolgt, so hätten wir es mit einer Wikinggeschichte zu tun und kämen nicht weiter zurück als frühestens ins 9. Jahrhundert. Alle anderen Züge der Helgigeschichte, in denen man ihre

ROMANTISCHE

ZÜGE

DER

HELGIFABEL.

291

Eigenart vor anderen zu sehen pflegt, namentlich alles, was man an ihr romantisch und sentimental genannt hat, gehören nach unserer Auffassung späteren Schichten an. Gewiß gibt zu denken, daß diese Fabel solche Züge immer wieder anzieht, daß in verschiedenen Zweigen immer neue Romantisierung vollzogen worden sein muß. Aber das kommt auch sonst vor, etwa in der Hildefabel, die von Hause aus auch weder Liebesgeschichte noch Jenseitsmärchen gewesen ist. Wie dort der Tod von Vater und Bräutigam, so mag hier der gemeinsame Tod von Held und Jungfrau ein Anlaß zum Eindringen des Gefühlvollen in die Dichtung gewesen sein. Die Frage verdient allerdings Erwägung, woher Liebesmotive und Jenseitsmotive kamen; man wollte sie ohne volle Gewähr in Verbindung setzen mit jenem eigentümlich Glanzvollen, Prunkhaften, Prahlerischen, das namentlich dem ersten Hundingslied eignet. Bugge hat zur Erklärung von alledem westliche, inselkeltische Vorbilder bemüht, Schröder östliche, russische. Beide glauben aber nur an eine Vermittlung, nicht an Ursprung in diesen Gegenden; im Grunde sind es orientalische und antike Liebesmotive, die hier ihren Einzug halten, und selbst die volupté funèbre des zweiten Liedes (das Lenorenmotiv) hat schon in der Antike ihresgleichen. Zu sicheren Ergebnissen ist hier nicht zu kommen, denn zur örtlichen Unsicherheit tritt die zeitliche. Die geschmückte Art zumal des ersten Liedes weist nur auf Kenntnis skaldischer Vorbilder, nicht auf Gleichzeitigkeit mit den Dichtern, an die Bugges scharfes Ohr Anklänge heraushörte. Für uns aber, wie gesagt, ist die Hauptfrage ja nicht, wie alt diese erotischen und jenseitigen Züge sein mögen, und anderer später Schmuck der Handlung. Wir wünschen, zu ergründen, zu welcher Zeit man überhaupt begann, von Helgi zu singen. F r ü h g e s c h i c h t e der S t o f f e . Mit zwiefachem Recht glaubte man höheres Alter für die Helgifabel beanspruchen zu dürfen : aus ihren Namen heraus und aus archäologischen Gründen. Diese wiegen federleicht. Mag sein, daß ein Ringschwert, wie es dem Helgi in dem Hjörvardslied Str. 9 gezeigt wird, nun für die Zeit von 500/700 bezeugt ist, der Schluß führt irre, daß das Lied selbst ebenso alt sein müsse. Als es Ringschwerter gab, wird man diese Zierrat als selbstverständlich angesehen und gar 19*

292

NAMEN

DER

H E L G I D ICHTUN G.

nicht erwähnt haben. Und als sie außer Gebrauch waren, haben die Ringschwerter schwerlich hinter Schloß und Riegel auf die moderenen Archäologen gewartet, sondern sie sind aus alten Grabstätten auch den Menschen der nächst jüngeren Zeiten zugekommen. Wenn ein Dichter das Alter seiner Fabel hervorheben wollte, konnte er den Helden leicht solch altertümliche Waffe in die Hand geben. Nach Olrik soll die Waffe des Hjörvardssohns ein damasziertes Schwert der Völkerwanderungszeit sein, das in keiner nordischen Quelle so richtig aufgefaßt ist wie hier (was wird alles über den »Wurm in der Klinge« gefabelt!). Er zieht aber vorsichtiger den Schluß: die Schwertstrophen müssen der Völkerwanderungszeit näher stehen als die meiste eddische Heldendichtung. Unsere Lieder, vor allem das erste, sind sehr reich an N a m e n . Uber sie haben sich drei verschiedene Anschauungen gebildet. Die einen sagen, es seien rein ersonnene Märchennamen. (Wolfstein, Arstein, Fesselhain, Sinnheim, Gemütsberg, Himmelsau usw.) Bugge hat einen großen Teil der örtlichkeiten an der Südküste der Ostsee (örvarsund = Stralsund, Hedinsey = Hiddensee, Varinsfjord wie Warnemünde, Svarinshaug wie Schwerin) und in dänischen Gewässern (Läsö usw.) wiedergefunden. Schauplatz der Handlung ist für ihn also Norddeutschland, Dänemark und die angrenzenden Gewässer. Türe Hederström dagegen sucht zu zeigen, daß Helgis Heimat durch die Ortsbezeichnung Bralund eindeutig festgelegt werde; das ist Lund an der Brabucht (nahe den Bravellir), und der Held stammt also von der östergötländischen Küste. Man hat es sich mit der Ablehnung von Hederströms Zusammenstellungen zu leicht gemacht. Uber manches wird man kaum hinweggehen können. Daß die Insel Brandey in der Brabucht liegt (HHu I 22) gibt keinen minder deutlichen Wink als die Lage von Hedinsey. Nur macht auch Hederström wieder den Fehler, alles auf einen ganz kleinen Umkreis zusammenzudrängen. Und ganz übereilt ist der Schluß, daß Helgi, weil er sich in Schweden verwurzelt zeigt, ein geschichtlicher schwedischer König gewesen sein müsse. Dazu macht ihn auch Nerman, für den die Ynglingensaga die Wirklichkeit eines Hjörvard, Granmar, Högni erweist. Sie können aber, auch wenn sie gelebt haben, als dichterische Gestalten in die Helgigeschichte eingegangen sein. Soviel bleibt von dem heißen Bemühen der schwedischen Forscher bestehen, die Helgi

ALTE

NAMEN.

293

für ihr Heimatland retten wollen: Es gibt eine schwedische und eine norddeutsch-dänische Namensschicht; mit jener ist es ebenso bestellt wie mit denYnglingennamen, sie finden sich nicht nur in der Hjörvarddichtung, die nach der Ynglingasaga in Schweden spielen muß, trotzdem sie selbst von Norwegen spricht, sondern auch in der Hundingdichtung. Unsere erhaltenen Quellen, das zeigt sich bei dieser Gelegenheit wieder, sind eben nicht unbedingt alt oder jung, sondern weisen allesamt merkwürdige Mischformen auf. Alle drei vorhin genannten Anschauungen haben also recht. Es mischen sich in den Helgidichtungen Märchennamen mit Namen der deutschen Nordküste, der schwedischen Ostküste. Man wird das sich wohl nur mit Schichtenbildung erklären können. Ein Held, der aus Ostgötland stammte, konnte an der Südküste der Ostsee heeren; aber daß ein Dichter sich hier wie dort gleich gut auskannte, ist unwahrscheinlich. Es sind nur ganz wenige Völker- und Personennamen, denen Aufschluß über Alter und Heimat der Fabel abgewonnen werden kann. Am meisten Gewicht kommt den zwei Zeilen des Vidsiö zu (V. 22 f.): Witta weold Swcefum, Wada Hcelsingum, Meaca Myrgingum, Mearchealf Hundingum. Es g a b also einen altgermanischen Volksstamm, der »die Hundinge «hieß. Er wohnte nicht fern den Myrgingen und den Swaefen, vielleicht auch den im vorhergehenden Vers 21 genannten Holmrugiern und Glommen (Wada verdankt sein Auftreten wohl nur der gemeinsamen Fabel, die ihn mit Hagena und Heoden verbindet, denn er wohnt ja über Meer). Genau kennen wir nur die Sitze der Swaefen; es sind natürlich jene nördlichen, die nach einer späteren Vidsiöstelle (44) die feindlichen Nachbarn der Angeln waren und von Offa gezwungen wurden, sich südlich der Eider zu halten. Nach Saxo bekämpfte Helgi den Hunding bei Stade; nach dem Nornagest mußten die Vaterrächer südlich am Holsatenland und östlich bei den Friesen vorbei, um das Land der Hundinge zu erreichen. Das letztere ist zwar etwas wirr (vielleicht ist sogar an Frankenland gedacht, das ja die Hundinge nach Sigmunds Tod besetzt haben sollen), aber im Großen deckt sich die Vorstellung. Much möchte aus einer Sage bei Paulus den Beweis er-

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H U N D I N G E UND

YLFINGE.

bringen, daß die Hundinge zu den Langobarden gehörten. Das ist ebenso unwahrscheinlich wie die nahe Verwandtschaft der Ylfinge mit den Glommen (den »Bellern«). Da ferner nach Much die Hadobarden und Langobarden dasselbe sind, scheint auf die einfachste Art erwiesen, daß Hödbrodd, der Hadobarde Bugges und Boers, Hundings Sohn war. Wirklich sicher dürfte sich aus unserer Stelle nur ergeben, daß die Hundingen und die Swaefen norddeutsche Nachbarvölker waren. Mit den Namen ihrer Könige wissen wir gar nichts anzufangen, ihre Nennung hier hat sicher nicht die geringste Beziehung zu der späteren Helgifabel. Aber d a s wird Geschichte sein, daß die Hundingen und die Schwaben miteinander im Kampf lagen. In Hunding bekämpfte also auch Svava einen Erbfeind ihres Volkes. Das zu erhärten, hilft uns vielleicht doch ein alter Heldenname, den der Beowulf, nicht der Vidsiö spendet. Ihm ist (V. 1945) der. Angelnkönig Offa »Hemings (oder Hemmings) Verwandter«. Heming ist nach jener einzelnen Liedstelle Hundings Sohn. War Hundings Geschlecht mit dem Offas versippt, dann waren in der Tat Hundinge und Swaefen Todfeinde. (Der Name ist freilich in Schweden verbreitet und auch der Ballade geläufig.) Auch die Ylfingen kommen in beiden altenglischen Quellen vor. Hruef (weold) Höcingum, Helm Wulfingum, heißt es Vidsiö 29. Im Beowulf sind die Wi(y)lfingas die Feinde des EcgJjeow. Er flieht vor ihnen zu den Dänen, über die damals der junge Hrodgar herrscht, und dieser versöhnt die Wiltingen durch reiche Gaben. Über ihre Heimat läßt sich aus dem Vidsiö nichts Sicheres abnehmen. Sie folgen in der Liste auf Juten, Friesen, Seedänen, Hokingen, die ja gleichfalls Dänen sind. Aus dem Beowulf ließe sich aber die Vorstellung ableiten, daß sie ein Nachbarvolk der Gauten waren, denn sie leben von Hrodgars Standpunkt aus über See; die Schweden folgten ihnen in der Vidsiöliste mit geringem Abstand. Olrik hat sie, wie öfter, ohne hinreichende Gründe für ein dänisches Teilvolk erklärt. Sind sie nun mit unseren Ylfingen identisch? Dafür scheint zu sprechen, daß in der Fürstenfamilie offenbar der H-stab herrschte; Helm heißt der König im Vidsiö, und der Beowulf weiß, daß der von Ecgpeow Erschlagene Headolaf hieß. Stellt man ihn neben den Hjörleif des ersten Hundingslieds und neben

YLFINGE.

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den Vaternamen Hjörvard, so erscheint eine ganz folgerichtige Reihe von Heldennamen, die immerhin einigen Glauben verdient, und der Name Helgi fügt sich gut ein. Der trügerischen Sicherheit früherer Darstellungen gegenüber muß betont werden, daß nichts auf südliche Heimat Helgis verweist. Die Swaefin ist ihm gegenüber ausdrücklich die Südländerin, und Hiddensee und Stralsund sind Sammelpunkte, nicht Heimatshäfen seiner Flotte. Seine Heimat dachte man sich bestimmt irgendwann, wenn auch nicht gerade bei der Abfassung all unserer Lieder, an der schwedischen Ostküste. Bralund spricht eine deutliche Sprache, und noch verläßlicher ist die offenbar feste und nicht gerade junge Verbindung mit den Ynglingen. E s ist zu beachten, daß keine Quelle von all den Granmar, Yngvi, Alf etc. mehr weiß, daß sie Ynglingen sind. Freilich scheint nach der Vorstellung der Ynglingasaga der König Hjörvard der Ylfing, der bei Granmar von Östergötland einkehrt und später sein Schwiegersohn wird, ein Seekönig, d. h. also wohl ein Fremdling von über Meer, kein Wylfing im Sinn des Beowulf. In diesem Kap. 37 der Ynglingasaga findet sich eine seltsame Bemerkung. Als Hjörvard von Hildigunn, seiner künftigen Gattin, begrüßt wird, da erhebt sie einen Silberkelch und trinkt

ihm zu mit den Worten: Allir heilir Ylfingar at Hrölfs minni Kraka! (68, 5). Die schwedische Königstochter scheint also die Frage bejahen zu wollen, die so viele Philologen beschäftigt hat: war Helgi vielleicht Skjöldung? Ihrer Äußerung ist sonst schwer ein Sinn abzugewinnen. Snorri kann natürlich nicht so wie Saxo Helgi Halfdansohn und Helgi Hjörvardsohn für ein und denselben gehalten und deshalb Hrolf hier ins Spiel gebracht haben; denn er weiß ja gar nichts von einem Sohn Helgi dieses Hjörvard und würde überdem die Zeitfolge niemals so verrenkt haben. Gerade das macht seine Notiz merkwürdig; sie muß auf alte, unverstandene Zusammenhänge zurückgehen. Wir haben früher abgelehnt, daß die beiden Helgi eine und dieselbe Person sind. Das sollte aber nur den Sinn haben: die Fabel von Helgi Halfdansohn wird um nichts klarer, wenn wir annehmen, er habe vorher oder nachher die Taten ausgeführt, die unter des anderen Helgi Namen gehen. Der Beowulf weiß nichts von irgendwelchen Kriegsleistungen Haigas. So läßt sich

296

YLFINGE.

nur allgemein sagen: Helgi und Hjörvard sind Skjöldungennamen. Man konnte dem Hjörvard zur Not einen Sohn Helgi, nach dem berühmten Oheim benannt, andichten; es würde sich damit ein zweiter Bewerber für Hrolf Krakis erledigten und durch Hjörvard nur vorübergehend besetzten Thron melden. Darüber ließe sich schließlich hinwegfinden, daß jener Willkommgruß des königlichen Mädchens dann gerade dem Mörder des Hrolf Kraki gegolten hätte! Größer sind die Schwierigkeiten, die in dem Namen der Ylfinge liegen. Lassen wir die Hundinge und Swaefen des Vidsiö gelten, dann müssen die Wülfinge auch als selbständige alte Völkerschaft geachtet werden. Die Gründe, die Much für ihr Südgermanentum anführt, sind nicht durchschlagend. Man kann sagen: die Vernunft fordere es, daß man den norddeutschen Hundingen keine so fern wohnenden, sondern benachbarte Widersacher gebe. Damit setzt man voraus, daß in den hier geschilderten Kämpfen alte geschichtliche Verhältnisse und Verwicklungen fortleben (viele, unter ihnen Much, halten das für selbstverständlich). Wir wissen nun aber aus hinreichend vielen Beispielen, daß die Heldendichtung ihre Stoffe und Fehden nicht nur aus der Wirklichkeit bezog; sie tut es nicht einmal dort immer, wo sie ihre Gestalten in geschichtliche Verhältnisse hineinstellt (Walther, Sigfrid). Eine alte Feindschaft zwischen Swaefen und Hundingen schien uns wahrscheinlich. Sollte die Geschichte auch Hundinge und Wülfinge im Kampf miteinander gesehen haben? So witzig ist nicht die Wirklichkeit, sondern höchstens die Dichtung. Wie in der Finnsage mag ein Poet Völkerstämme und Fürsten nach Laune zusammengebunden und dabei schon gleich die einen als Hunde, die anderen als Wölfe gewertet haben — beides im Anschluß an wirkliche, aber weit von einander entlegene Namen. Das ist die eine Art, sich die Dinge zurechtzulegen. Die andere: gerade in hohnvoller Beziehung auf die vorhandenen feindlichen Hundinge nannten sich die grimmen überlegenen Gegner »Wülfinge« (wie Siegmund der Wölfing in der Walküre von seinem Vater sagt: ein Wolf war er feigen Füchsen). War das aber so, dann ist der eigentliche Völkername verschollen, und wir sind nicht mehr in der Lage, Helgi und seinem Vater eine Heimat, einen Stamm zu geben. Sie waren vielleicht Dänen, vielleicht sogar Skjöldungen, und dafür muß sie halten,

ALTGERMANISCHE LIEDFABEL ?

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wer über den Willkommgruß der Königstochter Hildigunn nicht hinwegfindet. Sonst könnten sie aber auch irgendwo südlich oder westlich der Ostsee daheim gewesen sein. Mit den gautischen Wülfingen hatten sie dann von Hause aus ebenso wenig zu tun wie mit den gotischen (der Sippe Hildebrands), die man hier ganz aus dem Spiel hätte lassen sollen. Später aber wußte man das nicht mehr und ließ den (sogenannten) »Ylfing« Hjörvard im alten (wirklichen) Ylfingenland, Östergötland, anlanden und heimisch werden. Einen sicheren Anspruch auf eine Stelle unter den altgermanischen Liedfabeln hat unser Stoff nicht. Er gehört für die ältere Zeit zu den schlecht est bezeugten, und alte Vorstellungen schimmern nur ganz selten durch. Besser besteht er die Prüfung auf altgermanischen Geist, und man hat immer wieder das Gefühl, daß durch alle überschwängliche Liebesromantik, allen fahlen Überweltlichkeitsschimmer und allen Theaterflitter die herbgedrungene Kraft einer germanischen Heldenfabel durchbricht. D i e Helgisage ist v o n d e r F o r s c h u n g m e r k w ü r d i g s t i e f m ü t t e r l i c h b e h a n d e l t worden. Seit Bugges B u c h : Helgedigtene i d e n x l d r e E d d a Kopenh a g e n 1896 h a t n i e m a n d m e h r i n g r ö ß e r e m Z u s a m m e n h a n g über sie geh a n d e l t , t r o t z d e m es m e h r f a c h versprochen w o r d e n ist (von Neckel 1908 f ü r E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e u n d T e x t k r i t i k , v o n F . R . Schröder 1920 f ü r d i e Stoffgeschichte; ü b e r Olrik s. u.). So ist Bugge i m m e r noch m a ß g e b e n d , m i t R e c h t , weil sein B u c h eine große Menge h a l t b a r e r neuer E r k e n n t n i s s e g e b r a c h t h a t ; i h n e n gegenüber fallen dreierlei Fehlgriffe n i c h t zu schwer i n s G e w i c h t : d e r Glaube a n die englisch-irische E n t s t e h u n g , a n die n a h e V e r w a n d t s c h a f t m i t d e r W o l f d i e t r i c h d i c h t u n g u n d a n d e n (irisch v e r m i t t e l t e n ) E i n f l u ß der A n t i k e . Bezug g e n o m m e n ist auf folgende Stellen: 170 d a s M o t i v : d e r Feind im Jenseits (s. d a z u a u c h Gering-Symons E d d a k o m m e n t a r I I S. 127) 175 Sigrun = Viktoria. 1 7 8 ! , d a z u 198 u n d 330 g l a u b h a f t e irische Beziehungen. 201 erste Begegnung m i t Sigrun. 224 »Parallelismus d e r Sagenform« in d e n E d d a l i e d e r n v o n Helgi. — E i n e s p ä t e Widerlegung m a n c h e r Ü b e r t r e i b u n g d u r c h B j ö r n M. Olson, A r k i v 39» 87. — Olrik h a t b a l d n a c h Erscheinen des Buches eine sehr weitläufig angelegte B e u r t e i l u n g niedergeschrieben, die die h a u p t s ä c h l i c h e n Schwächen bloßlegt. Über die Helgisage i. a. h a n d e l n s e i t d e m : Mogk Grdr. II» 612—23 (die d o r t angegebene ältere L i t e r a t u r wird hier n i c h t wiederholt). Neckel, Beiträge z u r E d d a f o r s c h u n g 1908 S. 292ff., 3 2 5 0 . , 358ff. (über die K ü r z u n g des Streitgesprächs S . 3 5 9 f . T h e a t e r w a l k ü r e 366). Ussing, O m d e t i n d b y r d e s Forhold m e l l e n H e l t e k v a d e n e i Aeldre E d d a 1910 S. 5—63 (S. 7ff. ü b e r H H I I , 47 G r u n d t v i g ü b e r die Prosa v o n H H j . F ü r Symons K o m m e n t a r

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HELGILITEBATUR.

S. 28 ist ganz H H j »am besten als gekürzte Fornaldarssaga zu denken«). Von der Leyen, Die deutschen Heldensagen I I 1912 S. 193 s . Heusler bei Hoops I I 497Ö. Much, ZfdA 57, 1570., dazu 61, 1050. (Mit das Bedeutendste, das seit Bugge über Helgi gesagt worden ist; schade, daß die Sicherheit der Ergebnisse zwiefach gefährdet wird: durch das zu große Vertrauen in die Etymologie und das Streben, junge ethnographische Angaben mit denen des Tacitus auf gleich zu bringen.) Sehr gewinnbringend auch Wessen Fornvännen 1927, iff., 65if. — Gering-Symons Kommentar I I , 2 7 s . Malone A l P h 47, 3 1 9 s . Einzelnes: Helgi, der Skjöldung: Bugge 149, Boer P P B 22, 368, Olrik D H I 174, Kilderne I I 144, Herrmann I I 150 und oben S. 69. — Hödbrodd: Bugge 153, Boer ebd. 377, Much ZfdA 61, io8f. (Helgis Töter). — Einfluß der Hildesage: Bugge 181, 308, Much ZfdA 57, 161 ff. — Högni in der Historia Norwegiae (Agni bei Ari und Snorri) ed. Storm 1880 S. 99. — Atlis Brautwerbung: Bugge 268ff., H a u p t , Zur nd. Dietrichssage 1914, S. i5off. D G F X I I . Olrik verzeichnet viele Parallelen zum sprechenden Vogel. — K a r a : Heusler bei Hoops 497f. Nd. Weiterbildung Helm P P B 32, 113, H a u p t a . a . O . S.52ff. Griplur: Fernir fornislenzkir rimnaflokkar er Finnur Jonnssongaf u t 1896. Hromundarsaga: Le Roy Andrews, Studies in the Fornaldarsögur, Modern Philology Chicago 1910—13. Boer a. a. O. — Regner: Bugge S. 318, Le Roy 1912/13 S. 601 ff. Herrmann S. 135, Much ZfdA 57, 171. •— Sonstige Stellen bei Saxo: Bugge 147 (Gram) und 190 (Ericus). •— Balladen: Fästemanden i Graven D G F L X X X , Bugge S. 206, Olrik im Nachlaß sehr ausführlich. Ribold D G F CXXVI, Bugge S. 283 und Olrik, DSt 1906 I75ff. Helmer D G F CDXV Bugge S. 295 R a m u n d : D G F X X V I I und X X V I I I . Le Roy 1911, 371 ff. — Antiköstliche Züge: Bugge S. 95 und 209, F. R . Schröder GRM V I I I 284. Irische Züge: Eleonor Hull, The Helgi L a y in irish Literature, in Medieval Studies in Memory of G. Schöpperle 1927 S. 265s. •— H e i m a t : Dänische Ortsnamen: Bugge S. I25ff., Much ZfdA 57, 155 (Glommen). F ü r Schweden: Türe Hederström, Fornsagor och Eddakvädan I I , Stockholm 1919. Nordin, Saga och Sägn i Brabygden Norrköping 1922 (mir unbekannt). Schück, Literaturhistoria 1926, S. 186. —Archäologische Alterskennzeichen: Nerman, The Poetic E d d a in t h e light of archaeology Coventry 1931 S. 4off. Über das Schwert schon Montelius Aarb0rger 1920,42. — Helgi historisch: Nerman, Det svenska rikets upkomst S. 240. — Alte Völkerverhältnisse: Bugge S. 159, Much ZfdA 57, 145 (passim) 61, 109, 62, 120. F ü r Olrik (Nachlaß) s t a m m t Helgi unmittelbar von den Helm des Vidsiö ab. Helgi Hundingsbani findet im 5. Band von D H seine Stelle. Die Aufzeichnungen über diesen Sagenkreis, den Olrik sonst nirgends im Zusammenhang behandelt h a t , sind das eigenartigste und bedeutendste des Nachlasses und verlangen nach dem Druck.

SYNTHETISCHER (ABSTEIGENDER, AUFBAUENDER) TEIL LITERATURGESCHICHTE DER NORDGERMANISCHEN HELDENSAGE X. D I E Ä L T E S T E NORDGERMANISCHE HELDENDICHTUNG Die Geschichte der nordgermanischen Völker beginnt für uns spät. Erst nach 800 setzen ausführlichere Berichte ein. Von der Dichtung spricht auch da noch lange kein Zeugnis. Aber es erhellt manches von nordischer Frühgeschichte aus der Poesie eines anderen germanischen Volkes, der Angelsachsen, und es ist schwer vorstellbar, daß erst durch sie historische Namen und Geschehnisse Skandinaviens zu Dichtung geworden sein sollten. Die Stärke und Nachhaltigkeit, mit der nordgermanische Stoffe übers Meer herüberwirkten, läßt auf eine zeitige skandinavische Liedblüte schließen. Auch mit einer baldigen Einfuhr ist zu rechnen. Die festländischen Stämme, die den Nordgermanen nächst benachbart waren, haben schon früh das Heldenlied gepflegt. Über die Anzahl der heimisch frühnordischen Liedfabeln läßt sich keine Sicherheit gewinnen. Die altenglischen Quellen bringen Darstellungen, die entschieden Liedeignung besitzen, für die ein Lieddasein aber nicht bezeugt ist. Spätere nordische Liedinhalte zeigen öfter den Geist und auch die Formung des germanischen Altertums; aber es mangelt ihnen das Alterszeugnis. Nur aus dem stofflichen Bereich der frühen Dänengeschichte läßt sich eine kleine Anzahl Liedfabeln abstecken. Sogar ihre Zeitfolge ist leidlich klar. Der Dänenname begegnet im 6. Jahrhundert bei den Geschichtsschreibern. Man glaubt, daß der jugendkräftige Stamm

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ALTDÄNISCHE

LIEDFABELN.

sich gegen Ende des 5. Jahrhunderts, von Schonen kommend, neue Sitze in Jütland und Seeland erkämpft hat. Die Historiker lassen ihn in Zwiespalt mit den schon länger ansässigen Herulern geraten. Davon weiß die Lieddichtung nichts. Wohl aber kennt sie die Auseinandersetzung mit einem anderen südgermanischen Stamm, den Hadobarden in Norddeutschland. Sie mögen nahe Nachbarn und ein Teilstamm der Langobarden gewesen sein. Noch früher aber muß das Heldenlied innerdänische Streitigkeiten behandelt haben. Wir wissen, daß Sippenzwist ein besonders beliebter Vorwurf frühgermanischer Erzähldichtung war. So lieferte der königliche Stamm der Dänen durch sein eigenes Tun und Erleben gleich die beste Liedfabel. Denn das ruhmreiche Haus der Schildunge war offenbar von Anfang des 6. Jahrhunderts an durch Verwandtenfehde zerrissen. Der erste König, den man für geschichtlich halten darf, ist der hohe Halfdan. Er hat zwei Söhne, Hroar und Helgi. Dieser scheidet zunächst gleich dem Vater aus der Lieddichtung aus. In ihren Mittelpunkt tritt Helgis Sohn Hrolf, wohl der geschichtlich bedeutendste all dieser Herrscher, der seine Rechte gegenüber der eigenen Familie, vor allem den anderen Halfdannachkommen, mit List und Gewalt durchzusetzen wußte. Aber schließlich ereilte ihn doch sein Schicksal: er fiel in seinem Sitz Hleidr in Seeland dem Mordbrand zum Opfer, den sein Vetter Hjörvard angelegt hatte, und sein Vetter Hrörik wurde König. Das Lied hatte es wohl vor allem mit diesem heroischen Untergang zu tun. Erst auf dieser Grundlage konnte sich das Lied vom Hadobardenkrieg erheben. Ihm sind Hroar und Hrolf gemeinsame Dänenherrscher, die in der Halle zu Hleidr sitzen, und sein Hauptvorwurf ist der Entscheidungskampf zwischen dem Dänen und dem Südvolk, das dem Untergang geweiht ist; er findet in und vor eben dieser Halle statt, die, wie im ersten Lied, in Brand gerät. Auch das mag weithin Geschichte sein. Aber an dieser Liedfabel wird deutlicher als an jener, wie die Heldendichtung Gestalten und Geschehnisse der Wirklichkeit für ihre Zwecke umbiegt: die Stammesfehde erscheint, wie so oft, im Lichte einer Verwandtenfehde. Ingeld, der junge Herrscher der Hadobarden, ist Hroars Schwiegersohn geworden — die alte Feindschaft soll durch Heirat beigelegt werden. Als aber die Braut neben dem Hadobarden beim Mahle sitzt, erinnert der alte Krieger Starkad den jungen König daran, daß er sich mit den Mördern seines

ALTDANISCHE

LIEDFABELN.

30I

Vaters verschwägern will; denn König Frodi ist einst vor den Dänen geblieben, wahrscheinlich vor Hroar. Ingeld tötet einen, der mit dem Schwert des Erschlagenen prunkt, und nun ist kein Halten mehr, bis im Endkampf vor Hleidr der Stamm der Hadobarden vernichtet wird. Erstaunlich früh, noch zeitiger als bei der Dietrichdichtung des Südens, setzt sich hier eine Sproßfabel an, die den Auftakt zu der späteren Vasallendichtung um die Schildunge darstellt. Eine örtlich verbreitete Spukgeschichte wird ins Heldische erhoben. Schon damals erzählte man sich, daß dieses oder jenes Haus zu einer bestimmten Zeit, meist um das Julfest, von einem Troll heimgesucht wurde, der die Menschen plagte oder gar tötete und nur durch einen starken Helfer aus der Fremde bezwungen werden konnte. Die aus zwei Liedern bekannte Halle zu Hleidr wurde zum Schauplatz dieses Trollmärchens: Hroars oder Hrolfs Haus hat lange unter dem Dämon gelitten, bis der starke Gaute Bewar herbeikommt und das Untier erlegt. Man könnte hier ein gautisches Lied auf der Grundlage der beiden dänischen erwägen; denn das Abenteuer schlug nicht sehr zu Ehren des Skjöldungenkönigs und der Seinen aus. Gauten und Dänen müssen immerhin als Freunde gegolten haben. Feinde dagegen waren Gauten und Schweden, und auch davon hat die Dichtung gewußt. Liedhaft faßbar wird von alledem nichts, wohl aber läßt sich ein Lied des 7. oder 8. Jahrhunderts umreißen, das die Feindschaft zwischen Schweden und Dänen zeigte. Eine zweite Fabel knüpft sich an den Hleidrkönig Hrolf und wird zur eigentlichen Grundlage seines vielhundertjährigen Ruhms: Hrolfs Uppsalafahrt. Er sucht mit wenig getreuer Mannschaft seinen Feind heim, den Schwedenkönig Adils (er gehört wohl auch der Geschichte an), gegen den er eine Schatzforderung durchzusetzen hat. Er trotzt ihm in seiner eigenen Halle ab, was ihm gebührt. Als er aber dann davon zieht und ein großes Schwedenheer ihn verfolgt, da streut er von seiner Goldbeute auf den Boden, verwirrt und hemmt dadurch das Schwedenheer und kann mit dem vorauseilenden Adils abrechnen. Noch mancherlei Liedgut scheint in dem Skandinavien jener Jahrhunderte bereitgelegen zu haben; die Fehden im gautischen und schwedischen Königshaus, vielleicht auch schon eine große Entscheidungsschlacht zwischen den nach Süden drängenden Schweden und einem Nachbarvolk, Gauten oder Dänen auf den

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EIGENART

DER EINHEIMISCHEN

STOFFE.

Brafeldern beiNorrköping. Es mag ferner die Gestalt des Starkad im Anschluß an die Ingeldfabel in den Mittelpunkt eines Lieds vielleicht einer Gautenfehde gerückt sein, Bewar, der Sieger im Ungeheuerkampf, sich auch mit einem menschlichen Skjöldungenfeind, mit Agnar gemessen haben. Doch bleibt all das in ungewissem Dämmer, mehr sichere Posten als jene vier Lieder des Skjöldungenkreises enthält die Rechnung nicht. So entbehren wir j eder genauen Kenntnis von altschwedischem und altgautischem Heldensang. Dazu kommt nun eine früheste Einfuhrschicht. Von der deutschen Heldensage brachte sie zunächst Hildefabel und vielleicht Wieland; sie hielt sich hierbei wie überhaupt an die norddeutsche Nachbarschaft. Der nächste Nachbar war der Angle Offa. Die liedhafte Kunde von seinem Heldenkampf gegen die südlichen Anwohner lebte weiter, als neue Siedler die Eidergegend betreten hatten. Der ursprüngliche Liedbestand der nordgermanischen Heldendichtung ist für uns schmal, schmaler jedenfalls als im Süden, dem die Völkerwanderungszeit wenigstens eine Dutzendzahl von Heldenstoffen geliefert hat. Sicher gab es noch andere Lieder; aber ihnen muß die für Jahrhunderte zündende und fortzeugende Kraft gefehlt haben. Auch die fortlebten, schlugen nicht gleich den meisten südgermanischen durch; den Weg zum Festland haben sie allesamt nicht gefunden. Das mochte aber auch mit ihrer Eigenart zusammenhängen; die vier einheimischen Stoffe, zu denen man billig noch die Offasage rechnen kann, tragen allerhand Kennzeichen an sich, die dem Süden fremd sind. Drei von unseren fünf Liedern sind im ausgesprochenen Sinn vaterländisch. Die deutsche Heldendichtung ist das, wie wir wissen, nicht, und so hat sie auch die südliche Völkerwanderungsfabel, die es am deutlichsten war, zeitig abgestoßen, die Sage von der Hunnenschlacht; nur im Norden ist sie heimisch geworden. Dänische Dichtung verherrlicht den Triumph dänischer Könige über Schweden und Südstämme. Die Gauten mochten zum eigenen Ruhm den heimischen Helden in der dänischen Halle siegreich zeigen. War die Trollfabel aber von Hause aus dänisch, dann brachte sie eine weitere Besonderheit: diese nordgermanischen Fabeln sind in viel höherem Maß als die südgermanischen ortsgebunden. Es gab nicht weniger als drei Lieder, deren Schauplatz

EIGENART

DER

EINHEIMISCHEN

STOFFE.

303

die Königshalle zu Hleidr ist und der Natur der Dinge nach allein sein kann. Die Hildesage mochte wandern, diese Geschichten verloren ihren Sinn, sobald sie von der Scholle gelöst wurden. So haftet Hrolfs Goldsäen an den Feldern bei Uppsala, Offas Großtat am Ägisdor. Keine südliche Fabel bleibt so fest und ihrem Ursprungsboden innerlich so verbunden. Artverwandschaft mit der sonstigen germanischen Heldendichtung zeigt diese nordische vor allem in zwei Zügen: sie bildet das staatliche und stammesmäßige Geschehen ins Persönliche und Familienhafte um und durchsetzt die Heldenfabel mit Märchenzügen. In beiden Punkten dringt aber dann doch wieder nordische Eigenart durch. Offas Streit ist ein Einzelkampf, wenn er auch Folgen trägt, wie sie sonst nur die große Entscheidungsschlacht zu bringen pflegt: endgültige Zähmung eines widerspenstigen Nachbarn und Grenzregelung. Ingeld ist Führer des feindlichen Volkes, zugleich aber aufrührerischer Verwandter. Auch den Schwedenkönig Adils betrachtet man früh als mit den Skjöldungen versippt. Aber das Volkhafte, Politisch-Militärische schwindet hier nicht so vollständig aus der Fabel, wie das z. B. in den frühen Nibelungendichtungen der Fall war. Der feindliche Schwiegersohn führt ein Heer gegen die dänische Halle, Adils setzt dem kühnen Eindringling mit einem Heer nach, der Uberfall auf Hrolf durch den feindlichen Vetter erfolgt mit Hilfe eines schwedischen Heers. Die kriegerische Masse, die Schlacht spielt für das nordgermanische Heldenlied noch eine Rolle; wohl möglich, daß schon jene Jahrhunderte die Schilderung der großen Bravallaschlacht irgendwie zum Liedvorwurf machten. Wiederum denkt man an die Hunnenschlachtfabel, die durch ihre uralten Strophen die Kunde von dem riesigen Hunnenheer im Norden fortleben ließ. Wie Sigfrid nach der ältesten Sage irgendwelche elbischen Hortbesitzer tötet, und Sigmunds Drachenkampf in den Mittelpunkt einer Liedfabel tritt, so preist und gestaltet schon das 7. Jahrhundert die körperliche Kraftleistung des gautischen Spukbezwingers — samt der Seelenstärke, die das Niederringen der Gespensterfurcht verlangt. Skandinavisch ist dabei aber die Beschaffenheit dieses dämonischen Wesens. Es ist nicht Riese, Zwerg, Albe oder Drache, die man im Süden kennt, sondern es ist der ausgesprochen nordische Unhold, der Troll, der hier als Hausspuk sein Wesen treibt. Die Ortssage wird Quelle der Helden-

3»4

Gestalten.

dichtung, und der Troll wächst mit der Fabel ins Riesenhafte und Heroische empor. Darf man auch das zu den Eigenheiten einer nordischen Vorzeit rechnen, daß ihre Liedfabeln der Frau eine verschwindend geringe Rolle geben ? Unsere fünf Fabeln benötigen sie nur an einer Stelle als Hilfsfigur, der aber vielleicht nicht einmal ein Wort gegönnt wurde: Ingeld mußte seine dänische Gattin verstoßen. Keines der anderen Lieder scheint auch nur eine weibliche Nebenrolle gekannt zu haben. Die Mutter als Helferin Hrolfs, die Schwester als Todfeindin, das haben sich erst viel spätere Zeiten ausgesonnen. Offa und der Trollheld sind alle Zeit männisch geblieben. Für den gänzlichen Mangel an tragenden weiblichen Rollen entschädigt die fesselnde Eigenart mancher Heldengestalt. In Hrolf trat offenbar ein heldischer Neiding in den Liedmittelpunkt, eine rücksichtslos unbedenkliche Kraftnatur, die nicht nach Recht und Unrecht fragt. Die südlichen Lieder suchen das sittliche Recht doch mehr auf der Seite ihres Helden. Auch Wieland sieht man ja im Norden in minder günstigem Licht als anderswo. Eine neue Gestalt ist der kindjunge Held, der nicht mit dem sich selbst unbekannten Waldwildling Sigfrid zu vergleichen ist, sondern dessen erste Großtat ganz im Dienst von Volk und Vaterland steht. Nebengestalten, die ihresgleichen im Süden nicht finden, wären der greise, wehrlose König und der fürstliche Geizhals — Gegensatzfiguren zu den herkömmlichen heroischen Vorstellungen des wehrhaften und des gebefreudigen Herrschers. Merkwürdig ist, daß die Stimmung dieser nordischen Fabeln freudiger, weit bejahender zu sein scheint, als die des südgermanischen Heldenlieds. Siegesjubel füllt die Skjöldungenhalle am Schluß der Bardenfehde, des Trollkampfes, des Uppsalazuges; den Angelnhof nach Offas Triumph. Hrolfs Tod endete kein großes Trauerspiel, sondern mochte verdient erscheinen und keinerlei Leid wecken. Ingeld eignete sich zur tragischen Figur, aber das Lied war wohl nicht von ihm aus gesehen. Wie anders Gesamtstimmung und Ende in den drei Festlandsfabeln von Wieland, Hunnenschlacht und Hilde! Aber man darf daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen. Der Norden kannte noch andere Lieder, und sie mochten auf tragischeren Ton gestimmt sein. Die Fabeln also, die Skandinavien damals erfand, haben

SKANDINAVISCHE

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LIEDBLÜTE.

eigenen Wuchs und Gang und zeigen, daß Dänemark, Gautland und Schweden keineswegs erst in späten Wetteifer mit überragenden auswärtigen Vorbildern traten. Die Schöpfungen des Nordens bilden einen selbständigen und kräftigen Ast am Baume der gemeingermanischen Heldenlieddichtung. 2. DIE SKANDINAVISCHE LIEDBLÜTE In der Frühzeit zeigten sich die Dichter des Nordens noch nicht sehr beredt. Sie mögen reicher gewesen sein, als man heute nachweisen kann, und ihre Eigenart fand sich kräftig ausgeprägt. Dennoch liegt die eigentlich starke Leistung auf dem Gebiete des Heldenlieds nicht in diesem Zeitraum. Sie ist auch dem späteren Island fernzuhalten, das in der ererbten Heldensage eine bescheidenere Nachlese hielt als im Umkreis der Südstoffe. Die Blütezeit des einheimischen Heldenlieds ist für den Norden das 10. Jahrhundert; möglich, daß auch noch eine kurze Spanne des 9. oder 11. dazuzurechnen ist; in diesem wandelt sich das Bild jedenfalls schnell und beträchtlich. Das deutsche Heldenlied zeigt, zu Hause wie in seinen skandinavischen Weiterbildungen, eine Frühblüte und eine Spätblüte. Jener zählten wir die alte eddische Schicht noch bei, wie das Wielandslied ihr anzugliedern wäre. Dieser wird so gut wie alles andere zugehören. Nur weniges, etwa das Drachenlied, nötigte, ins 10. oder 11. Jahrhundert zurückzugehen. Hier ist es anders. Neuformung und Neuschöpfung, Umgestaltung des Erblieds und Aufbau der Sproßfabel fallen in eine mittlere Zeit. Sagen wir: 9. bis 10. Jahrhundert, so ist damit gegeben, daß der Schwerpunkt dieser Dichtung wohl kaum in Island liegen wird. Es ist noch eine gemeinskandinavische, zunächst vorzugsweise ostskandinavische Liedpoesie. Der schöpferische Charakter dieser Zeit zeigt sich in allem: neue Stoffe — die ja dann über unseren engen Bereich hinausführen —, neue Formen, neuer Geist. Die äußerlich merkbarste Neuerung liegt auf dem Gebiete der Form und scheint zuvörderst das Erblied betroffen zu haben. Man stellt alte Stoffe aus neuer Gesinnung, mit neuen Mitteln, von neuem Gesichtswinkel aus dar. Die nordgermanische Heldendichtung hatte bisher nur das Erzähllied gekannt. Die englischen Eigenschöpfungen waren sicher nicht nach Skandinavien herübergelangt, und aus dem Schneider,

Heldensage II, 1.

20

306

NEUE

FORMEN.

Festland war eine neue Form einstweilen nicht zu beziehen. Der Norden schuf sie sich selbst. Von jeher hat das germanische Lied Rede und Handlung wechseln lassen, jene hatte das Ubergewicht. Jetzt läßt man den Bericht verschwinden, die Rede herrscht durchaus. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: entweder besteht das Lied aus lauter Wechselreden, oder es spricht nur einer, das Gedicht hat also die Form des Monologs. Es ist anzunehmen, daß beide Neuerungen rasch hintereinander vollzogen wurden. Nachweisbar sind sie zuerst in dänischen Gedichten. Übergangsformen, Redelieder mit ganz spärlich eingestreuten oder nur eröffnenden Erzählstrophen, die zum Verständnis des Gesprochenen dienen, stellen sich immer wieder ein. Es bedeutet ein Näherheranrücken, ein Besitzergreifen von Personen und Handlungen, wenn der Dichter als Mittelsmann ganz ausscheidet und nur die Menschen selbst reden läßt. Zugleich ist es eine starke Hinlenkung zum seelischen Geschehen: wichtig ist nur noch Fühlen und Denken der Handelnden, das sich in Rede kundtut, nicht mehr die Handlung selbst. Etwas anders als im England des 8. Jahrhunderts wird hier die naiv geübte Heldendichtung überwunden. Man nimmt Abstand von der Zeit, in der diese Gestalten lebten, man schlüpft als Sänger in eine Rolle, wenn man sie sprechen läßt. Die Vorzeithelden erscheinen als Muster und Mahner gegenüber der eigenen Mitwelt. So kann das Heldenlied eine Art Zeitgedicht werden. Im Dänemark des 10. Jahrhunderts, das einen Selbstbehauptungskampf gegen die nordwärts drängende deutsche Kaisermacht führte, sind mehrere zeitgenössische Lieder entstanden. Sie sind allesamt nicht neu, aber sie zeigen die alten Stoffe in neuem Licht. Zwei von ihnen gestalten Erblieder des Skjöldungenkreises um: der Untergang Hrolfs in Lejre erscheint als Dialoggedicht, der Ausbruch der Fehde zwischen Ingeld und der Sippe seiner jungen Frau wird in einem Monolog des alten Starkad dargestellt. Die Tugend des dänischen Gefolgsmannes alten Schlags zu preisen ist die Hauptaufgabe beider Dichtungen. In den Bjarkamal erscheint das hochmittelalterliche wie frühgermanische Ideal des freigebigen Gefolgschaftsherrn. Aber auch das Erzähllied konnte in den Dienst des vaterländischen Gedankens gestellt werden: der Angle Uffo, jetzt ein Däne geworden, verteidigt die Heimat gegen deutsche Ansprüche und obsiegt. Und noch von anderen berühmten Königen der dänischen

WIKINGDICHTUNG.

307

Vergangenheit berichtete das Lied: von dem großen Reich, das Harald Kampfzahn errichtet hatte, von dem verschlagenen und kühnen Amled und seiner Vaterrache. Das Offalied zeigt aber schon, daß nicht die sentimentalische Dichtung, wie sie damals den Skjöldungenkreis schon ergriff, die Stärke dieser Generation ausmachte. Sie ist lediglich Erweis ihres künstlerischen Reichtums, nicht unbedingtes Kennzeichen ihrer Eigenart. Wie hier ein kräftiges Ereignislied vaterländischen Heldengeist als wirklich, nicht als historisch darstellt, so wird auch sonst die heroische Gegenwart bejaht und lebensvoll ergriffen. Das Neulied blüht empor, frische Fabeln setzen sich an, und Erblieder werden bis auf den Grund abgetragen, um neugeformt wieder zu erstehen. Die Lieddichtung eddischer Art wird Ausdruck und Denkmal des kühnen, abenteuerlichen, wundergläubigen, an das Ungeheure gewöhnten Wikinggeistes. Es ist der Forschung besonders schwer geworden, ihn von dem altgermanischen Geist zu scheiden, die landläufige Vorstellung hat diese Trennung noch gar nicht vollzogen. Unsere Lieder weisen auf die rechte Spur. Sie zeigen eine Entwicklungsstufe von Heldengesinnung und Heldendichtung, die auf dem Festlande nicht ihresgleichen hat. Dessen Heldenpoesie kannte ja auch nur zwei Gipfel: Frühzeit und Hochmittelalter. Die Frage, wieweit dieses Neue ein Eingeführtes war, ist noch nicht spruchreif. Für die Formen ist es kaum denkbar, für die Inhalte nur in einzelnen Fällen notwendig. Bei manchem hat man Einfuhr orientalischen oder spätantiken Erzählguts auf dem Ost weg angenommen. Stoffwähl und Art dieser Poesie wird dadurch im Ganzen nicht verständlicher, und auch Einzelnes läßt sich kaum erhellen. Mag immerhin der Freier in Weiberkleidern und der Wahnsinn heuchelnde Rächer daher stammen, die Gesamterscheinung einer künstlerischen Blüte muß aus inner nordischen Gründen einleuchtend werden. Der erhöhte Lebensmut und der gewaltig erweiterte Anschauungskreis des Wikings ist doch vielleicht Erklärung genug. Die äußere Lebensform des nordischen Seekönigs ist freilich nur in der einen Helgifabel Voraussetzung. Immer noch sucht die Handlung der Heldenlieder örtlichen Anhalt, aber nur noch wenige sind wirklich fest verwurzelt. Andere wandern von Stätte zu Stätte, so Hagbard und Helgi, 20*

308

NEUE

GESTALTEN.

oder werden mit Stätten neu in Zusammenhang gebracht, denen sie ursprünglich offenbar fremd waren, so Harald Kampfzahn mit dem Brafeld, einem altberühmten Schlachtenschauplatz. Heimische Dichtung bleibt es aber, ehe die Lieder die weite Fahrt nach Island antreten. Dort erst schwindet ihnen der vaterländische Grundton, und der Dänenkönig kann als bösartiger Nimmersatt erscheinen. Was neu berührt, ist weniger die Eigenart der Handlung als der Gestalten. Der enge Rahmen und die gleichbleibende Art der vorzeitlichen Dichtung ist geweitet, die Menschen sind in scharf sehender realistischer Kunst erfaßt und in packendem Gegensatz zueinander gestellt. Der knorrige Vorzeitrecke Starkad tritt neben den weichlichen Weiberhelden und Feinschmecker Ingeld, Hrolfs Untergang spiegelt sich in den Reden zweier getreuer Dienstleute, des bedächtig überlegenen Bjarki und des lebhaften, vorlaut unstäten Hjalti. Welche bildenden Kräfte waren nötig, um Figuren zu schaffen, wie den klugen Königsohn, der sich töricht stellt, um langsam zu dem sicheren Ziel der Rache zu gelangen, oder den uralten König, der eine Riesenschlacht veranlaßt, um mit ungeheuerem Gefolge in Valhall einziehen zu können! Steht diese Dichtung aber weit von der alten Schicht ab, so hängt das weniger an der Erschaffung bis dahin ungewohnter Heldengestalten, als an der neuen, mannigfaltigen und häufigen Rolle der Frauen. Sie halten zunächst ihren Einzug in Fabeln, die früher ganz männisch waren: Hrolf trotzt zu Uppsala dem Adils die Schätze nicht mehr ab, sondern Yrsa entwendet sie und spielt sie ihm in die Hände; Hrolfs Untergang zu Lejre verschuldet jetzt ein hinterlistiges und herrschsüchtiges Weib, seine Schwester Skuld. Das Weib erscheint als böser Dämon, namentlich die schlimme Königin dringt in mehrere Fabeln: Hagbard (ebenso wie der eingeführte Wieland), einst nur von grausamen Fürsten bedroht, findet nun auch die trotzige Gegnerschaft der Königsfrau. Das Weib ist aber auch Verführerin, die harmlos Freawaru wandelt sich zu der bösartig verbuhlten Sächsin des neuen Starkadliedes. Kaum daß eine Fabel noch frauenlos bleibt, wie es die von Harald Kampfzahn ursprünglich gewesen sein muß. Am meisten dem Geist der neuen Zeit gerecht wird aber die Handlung, in der das Treueverhältnis, zumal also die Liebe von Mann und Weib eine Rolle spielt.

DIE

LIEBE. —

DAS

ÜBERNATÜRLICHE.

309

Man darf hier den empfindsamen Geist der isländischen Spätzeit noch nicht finden wollen; sein Fehlen ist sogar ein Hauptkennzeichen zur Altersbestimmung unserer Stoffe. Aber berühmte Liebespaare erscheinen auch jetzt: Hagbard und Signe, Helgi und Svava oder Sigrun, Hjalmar und Ingeborg (sie in einer schwedischen Neuschöpfung dieser Zeit). All diese Geschichten handeln nicht von unglücklicher Liebe; es herrscht tiefste gegenseitige Neigung, und die Tragik des Schicksals liegt nur in dem frühen gewaltsamen Tod, der dem Liebhaber bestimmt ist und dem Mädchen das Weiterleben unmöglich macht. Helgi bleibt in der Schlacht, Hagbard wird vom Vater ermordet, Hjalmar fällt gegen den Nebenbuhler. Signe stirbt alsbald durch freiwilligen Entschluß, die beiden anderen teilen das Grab mit dem Geliebten. All diese Schicksale zeichnet hoher Ernst aus, Weichheit und Überschwang bleiben fern. Hagbard erscheint an Sigars Hof als Schildmaid, Sigrun Svava ist es selbst. Unsere Dichtung hat viel Raum für diese romantische Gestalt der Wikingszeit. Der ganz männische Typus, wie ihn die neugeschaffene isländische Hervor vertritt, ist selten. In den Helgifabeln erscheint das anmutende Bild treuer Waffenkameradschaft zwischen Held und Jungfrau. Da streift die Schildmaid auch öfter die Grenze des Jenseitigen: sie schwebt als zauberkundige Schützerin über dem Geliebten. Als Odinstochter sieht unsere Zeit sie noch nicht. Aber sonst bildet das Hereinspielen des Übernatürlichen eines der Kennzeichen dieser mittleren Blütezeit. Daß die märchenhaft heldische Leistung, der Ungeheuerkampf, in den Hintergrund tritt, mag Zufall sein. In der späteren isländischen Dichtung lebt er weit über das in der Vorzeit eingehaltene Maß wieder auf. Ein anderes Übernatürliches drängt sich nun in den Vordergrund, dessen Dasein im altgermanischen Heldenlied keine Gewähr hat: Odin übernimmt in vielen Fabeln die geistige Führung. Er ist ja, wie wir von früher wissen, spätestens im 10. Jahrhundert in die ehemals deutsche Sigmundfabel eingezogen. So wird er auch vom Bjarkidichter aufgeboten und gibt den Ausschlag für den Untergang des Dänenkönigs und der Seinen. Bjarkis Ungebärdigkeit gegen ihn läßt auf den Haß des Christen schließen. Es war also gewollte Altertümelei, wenn der Gott hier eindrang; der Dichter will sagen: diese Geschichte spiele in der vergangenen Zeit des Heidentums. Wichtiger wird

3io

GEMILDERTE

TRAGIK.

Odin in einem anderen Stoffkreis, der Sage von Harald Kampfzahn. Er ist der ständige Begleiter seines Helden und holt ihn sich schließlich im letzten Kampf gewaltsam nach Valhall. Auch hier liegt auf seiner Tücke viel Nachdruck, aber schwerlich war das die Stimmung der ursprünglichen Fabel; ebensowenig wie in der Geschichte von Starkads Herrenmord. Dieser buntbewegten Welt voll starker Leidenschaften, kräftiger selbstbewußter Menschen und geheimnisvoller Mächte eignet erst recht nicht mehr die zwar gefaßte, aber schwer schicksalsbefangene Tragik der germanischen Frühzeit. Wir vermißten sie schon in den frühesten skandinavischen Fabeln; aber das war uns nicht von Bedeutung. Jetzt, ähnlich wie im Deutschland des 10. und n . Jahrhunderts, sucht man tragische Schlüsse abzubiegen. Ingeld erliegt nicht mehr dem Verwandten im Kampf, dem er die Tochter zurückgeschickt hat, sondern er rafft sich auf und wird zum kräftigen Herrscher. Wielands Geschichte mag auch schon ins Versöhnliche umgebildet worden sein. Bjarkamal und Haraldslied konnten wohl nicht anders enden als mit dem Tod ihrer Helden, aber in beiden Fällen gaben Triumph und Verherrlichung den Schlußton an. Die Amledgeschichte endet gleich der den Dänen neugewonnenen von Uffo ebenfalls mit Siegesjubel und schöner Zukunftshoffnung für das heimische Reich, und die Schwere eines dumpf lastenden Geschicks spricht eigentlich nur aus dem norrönen Mühlenlied, das von allen am unwirklichsten ist. Die Liebesgeschichten freilich lassen sich ihre Tragik nicht rauben, sie kreisen ja vom Anfang an um die Idee des Liebestods, der aber nicht als düsteres Verhängnis erscheint, sondern als gewolltes großartiges Opfer. Das 10. Jahrhundert schuf eine Kunst, der jede Entartung fernbleibt, jedes Abgleiten ins Spielmännische, jedes Übersteigern ins Barocke, jede Aufweichung ins Gefühlvolle. In der Fabelfindung der Frühzeit ebenbürtig, in der Formung auf ihrer Höhe, in der Weite des Blickes und der Fülle der Mittel ihr oft überlegen. 3. D A S NORRÖNE HELDENLIED DER SPÄTZEIT Von der Mitte des n . Jahrhunderts an übernimmt der westliche forden die Pflege des Liedes aus der Heldensage. Bis ins 13. Jahrhundert dauert sie an. Mehr und mehr tritt Island in den Vordergrund. In diese Zeit fällt die Nachblüte der deutschen

NEUE

DICHTUNG

VON H E L G I

UND

STARKAD.

311

Liedstoffe. Wer sich der großen und eigenartigen isländischen Nibelungendichtung des 12. Jahrhunderts erinnert, wird durch die Nachgeschichte der heimischen Heldenlieder enttäuscht werden. Die große Mode der elegisch erotischen Dichtung sucht ihre Stoffe vor allem in der südlichen Sage, die nordischen Liedfabeln waren für sie ein minder dankbares Feld. Schöpferisch erweist sich die Zeit nur auf dem Gebiet der Helgisage. Zwei Dichter, wohl Isländer, denen die moderne Empfindsamkeit innewohnt, haben sie neu gestaltet. Lockte den einen zur Neuformung die überkommene Wendung, daß Held und Heldin einander bald nachstarben, so fesselte einen anderen der Anfangsteil dieses Lebenslaufes: er sah ihn und Helgis große Liebe zur Walküre in heroisch sieghaftem Licht. Mag sein, daß Helgi diesem Poetengeschlecht wichtiger war als andere nordische Vorzeithelden, weil man ihn jetzt dem berühmtesten südländischen Königsstamme zurechnete. Die spätere isländische Heldendichtung hat kaum etwas hervorgebracht, was sich dem »alten Völsungenlied« an die Seite stellen ließe. Es mag in seiner Art die vorhandene Überlieferung von Helgi nicht weniger stark umgestaltet haben, als Meiridichter und Skammadichter den Brynhildstoff. Es ist Neudichtung auch in dem Sinn, daß zum großen Teil neue Liedumrisse geschaffen werden. Sonst tröpfeln die epischen Neulieder spärlich. Sproßfabeln auf altem Boden zeigen sich nur in einem sicheren und einem möglichen Fall. Das 12. Jahrhundert sieht ziemlich zu Anfang das Lied von der Vaterrache der Halfdansöhne erstehen. Die weiteren Schicksale Hroars und Helgi scheinen nicht bis zur Liedstufe zurückzureichen. Dagegen mag von Starkads Neidingstat an Vikar zunächst episch erzählt worden sein, ehe auch hier die alles überwuchernde Form der Rückblicksdichtung ihren Einzug hielt. Noch das erhaltene Lied zeigt viele norwegische Ortsfarbe. Das dänische Starkadlied des 10. Jahrhunderts war noch nicht Elegie, trug aber die Keime dazu in sich. Einst und Jetzt werden eindrucksvoll in Gegensatz gestellt. Von der durchgängigen Haltung der isländischen Rückblicke unterscheidet diesen dänischen, daß Hoffnung noch vorhanden ist und sich sogar im Rahmen des Lieds erfüllt. Drei Rückblickslieder des Starkad muß es zum mindesten

312

NEUE

STARKABLIEDER.

gegeben haben. Dem ersten darf man rein elegischen Charakter zuschreiben. Starkad hatte die Todeswunde empfangen und sah auf sein Leben zurück. Es gab dabei mehr zu beklagen als das Dahinschwinden der Zeit und des alten Reckenideals. Stärker wird diese Klage, und das ganze Leben erscheint durch eine unselige Tat verdorben und verfehlt in dem spätesten und einzig erhaltenen der drei Gedichte, dem Vikarabschnitt. Das dritte rückschauende Starkadlied unterliegt einer Gefahr, die bereits das Todeslied nicht vermeiden kann: es ist vielmehr als Elegie Kataloggedicht. Das Motiv der Riesenschlacht auf den Brafeidern erfährt so eine neue Gestaltung, die mit Heldendichtung kaum mehr etwas zu tun hat und der norrönen Vorliebe für gelehrte Aufzählung und große Heldenschau genug tut. Man möchte an eine der üblichen spätisländischen fiulur glauben, dabei scheint das Gedicht aber norwegisch und noch n . Jahrhundert. Merkwürdig bleibt, wie wenig die Lieddichtung die vielen künstlerischen Möglichkeiten des allmählich vollentwickelten älteren Skjöldungenstoffes voll ausgenützt hat. Während man nicht müde wurde, dem angeblichen Skalden Starkad Lieder in den Mund zu legen (nach 1150 kommt ja noch das Goldschmiedslied hinzu und wird das Todeslied dialogisch umgearbeitet), lockt Helgis, Hrolfs, Bjarkis Schicksal weder Ereignisdichter noch Elegiker hervor. An das alte epische Lied von Hrolfs Untergang scheint ja im 12. Jahrhundert etwas Arbeit verwendet worden zu sein; aber sie reichte zu keinem Neulied aus. Auch zur Gestaltung von Harald Kampfzahns, Amieds und Hagbards Schicksal hat Islands Lieddichtung nichts beigesteuert. Dagegen machte man wahrscheinlich erst damals das Wielandslied dem neuen Geschmack dienstbar. Die isländische Lieddichtung dieser Zeit ist nicht nur im Verhältnis arm, sie ist auch in sich ganz uneinheitlich, oft fast stilwidrig, jedenfalls kein Ganzes. Sie ist nach zwei Seiten hin merkwürdig unselbständig. Sucht ein Dichter die alte Liedfabel ganz oder teilweise neu zu bilden, so entlehnt er aus verschiedensten Quellen; andere experimentieren auf dem Gebiet der Form so stark, daß sie den Stilbereich des eddischen Liedes weit überschreiten. Die eine Helgidichtung erhält einen neuen Mittelteil, die andere einen neuen Schluß durch kräftige Anleihe bei der Hildesage. (So wird die Hunnenschlacht geweitet, indem die Figuren

SKALDISCHE

EINFLÜSSE.

313

eines vorhandenen, aber stofflich abseits liegenden Hervörlieds Eingang finden.) Die Vaterrache der Halfdansöhne arbeitet weit stärker, als sonst in der Heldendichtung üblich, mit erborgtem Gut, das die Amledsage, vor allem aber das große Völsungenlied liefert. Man sieht, die schöpferische Zeit ist wirklich zu Ende. In der Form fällt mehrmals auf die Verwischung der Grenze zur skaldischen Dichtung hinüber. Die Bjarkamal kommen nach Island und erhalten dort eine skaldische Bearbeitung, die ihnen alles Mark aus den Knochen saugt. Statt der wenigen, groß angeschauten Bilder, die den goldverschwendenden König Hrolf verlebendigen, stellt sich eine endlose kahle Reihe skaldischer Kenningar ein, die immerzu den einen Begriff »Gold« breittreten. Auch erzählende Teile des Liedes sind davon angekränkelt worden. Am seltsamsten gibt sich ein neues Erzähllied, das auf kurz zuvor geschaffener Stoffgrundlage steht: das erste Gedicht von Helgi dem Hundingstöter ist in Technik und Sprache vom skaldischen Preislied gespeist. So hellflutendes Licht wie hier fällt über kein altgermanisches Heldenleben. Es spricht nicht der tiefblickende Dichter, der hinter dem glänzenden Augenblickserfolg das ragende Verhängnis gewahrt — man denke an die Sigurddichtung —, sondern der Hofpoet, der an seinem König alles in den schönsten Farben sehen will und vor dem kommenden Unheil geflissentlich die Augen zudrückt. Seinem geblähten Heroismus bleibt die Empfindsamkeit fern, die die Epoche sonst kennzeichnet. Überreich ist sie vorhanden in den beiden anderen Helgidichtungen, auf denen in Gegensatz zu jenem von Sorgen unbeschwerten Preislied das Gefühl der Schicksalsgebundenheit lastet. Dem einen ist das Schlußmotiv: neues Lieben, neues Leben zwangvoll aufgehaftet, das andere steigert die Endformel des Helgiliedes: Treue bis zum Tod in: Treue bis über den Tod. Die Grenzen der Zeitlichkeit verwischen sich hier wie in Brynhilds Heifahrt und in Gudruns Aufreizung. Der Volksglaube, der sich mit dem dauernden Verlust des Toten nicht abfinden mag, dringt in das Heldenlied ein; schon das Hervörlied schilderte wie manche Saga den Besuch im Totenhügel. Die Helgidichtung wandelt den bösartigen Geist des Abgeschiedenen, den ältere Erzählungen dieser Art beschwören, in den Liebenden, dessen Gefühl durch Grab und Jenseits nicht erstickt werden kann. — Lebendiger Aberglaube wirkt sich auch sonst in den Liedern aus und mindert

314

REALISMUS.

den Abstand zwischen der Welt des isländischen Alltags (wie auch der isländischen Saga) und des Heldenliedes. Das Zauberweib hat die Handlung des Vaterracheliedes maßgebend beeinflußt. Die entstellende Übertreibung, wie sie die Atlamal zeigen, bleibt unseren Liedern fern. Die Starkadfigur konnte Anlaß dazu geben, aber die Ausgestaltung des groben Vorzeitrecken zeigt doch eigentlich mehr das Eindringen des Realismus in das Heldenlied. Da mochte auch der farbig malende Däne des 10. Jahrhunderts vorgearbeitet haben, jetzt aber ist der Alte selbst, runzlig, gebückt und verwittert, Gegenstand der wahrheitsgetreuen Schilderung. Ein anderer Fall von greller Wirklichkeitsnähe ist die Schilderung, wie ein Königskind zur niederen Minne abirrt (Goldschmiedslied). Die Sigurddichtung dieser Stufe zeigt sich immer stärker von Märchenmotiven umwoben, auch bei der Wielandgeschichte ist der märchenhafte Aufputz ganz deutlich: die Geschichte von den Schwanmädchen, herbeigerufen durch die Flugkunst des Schmiedes, kennzeichnet sich als wenig organischer Anwuchs. Die heimischen Stoffe sah man in nüchternerem Licht. Die Vaterrachedichtung zeigt bunte Abenteuerlichkeit, aber keinerlei Märchenkausalität. Ob die Lieder noch vom Lejretroll und schon von dem Bären Bjarki zu berichten wußten, entzieht sich unserem Wissen. Alle Erfindungskraft, wirklichkeitsnaher und märchenhafter Art, alle neue Abenteuer- und Liebesromantik kam nicht der isländischen Lieddichtung zugute, vor der offenbar keine Zukunft mehr lag, sondern der Romandichtung, der großen Modegattung des 12. Jahrhunderts. 4. DER ISLÄNDISCHE VORZEITROMAN Es lag nicht nur an mangelnder Teilnahme, daß in der Lieddichtung des 12. Jahrhunderts die heimischen Stoffe ins Hintertreffen gerieten. Eben weil man sie als heimisch empfand, war eine andere Art von dichterischer Behandlung für sie angemessener. Isländisches Geschehen seit der Besiedelung wahrte man in der Form des ungebundenen Berichts, und allmählich begann man mit dem Ausbau von größeren Romanwerken auf dieser fließenden und doch tragfähigen Grundlage. Nicht lange darnach wird man auch Geschichten aus der Fornöld, der Zeit vor der Besiedelung, der neuen Form dienstbar gemacht haben.

STOFFWAHL D E R

FAS.

315

Was für Vorzeitstoffe behandelte die mündliche Fornaldarsaga des 12. Jahrhunderts? Die Antwort muß wohl sein: so gut wie alle. Man vereinigte die ganzen Fabeln von den älteren Skjöldungen zu einem großen Hrolfroman, die der jüngeren Reihe zu einem großen Starkadieben. Der Ahnherr Frotho bekam seine eigene Geschichte. Es gab Romane von Harald Kampfzahn, von Amled, von Hagbard und Signe, von Sigurd. Die Thidrekssaga erschließt einen Roman von Wieland, die Edda Reste eines Helgiromans. Die Hunnenschlacht wurde in den Schlußteil der Hervararsaga eingebettet und das Leben des Vaters Heidrek zum vorbereitenden Roman ausgesponnen. Hüde und Ermanrich wirken in Romanform auf Saxo. So fehlt von allen Stoffen aus dem Umkreis der »Heldensage« nur Uffo. Er scheint erst durch die dänischen Geschichtschreiber der Prosa erobert worden zu sein; Island kennt ihn nicht. Der Gleichlauf in der Entstehung von Islandroman und Vorzeitroman darf nicht überschätzt werden. Die Fornaldarsaga entstand ja nicht auf Grund der Attatglur und der Aussagen der fröür menn, sie setzte sich auch keineswegs immer aus einzelnen vorhandenen Jjaettir zusammen. Ihre Grundlage ist das L i e d . Wie das Heldenepos episiert die Fornaldarsaga alte Lieder, hier wie dort lautet die entstehungsgeschichtliche Kernfrage: wie verhalten sich Lied und epische Darstellung zueinander? Es bestehen drei Möglichkeiten, und sie werden allesamt Wirklichkeit: die Saga teilt das Lied vollständig mit oder sie streut einige Strophen ein oder sie verzichtet ganz auf dichterische Einlage. Aber die Frage verwickelt sich: erstens gibt es die sogenannten Losestrophen; zweitens haben sich auch einzelne Zeilen erhalten, nicht nur ganze Strophen. Der erste Fall, Aufnahme eines ganzen Liedes, setzt voraus, daß dieses zur wirklichen lyrischen Einlage geeignet ist, ein Ruhen und Verweilen bedingt. Situationsgedichte, Rückblicke und Ausblicke werden also bevorzugt, dazu Redelieder, für die der erzählende Bericht den epischen Rahmen geschaffen hat. Wir denken an Hildebrands Sterbelied. Ein Äußerstes an Ausmaß erreicht jene Hrolfssaga, die möglicherweise die ganzen Bjarkamal eingelegt und dabei die ungebundene Erzählung völlig durch Verse ersetzt hat. Der Fall wiederholt sich bei der Hunnenschlacht der Hervararsaga, aber da werden doch weithin auch alte Strophen in Prosa umgesetzt.

316

LIED

UND

ROMAN.

Ebenso selten ist das andere Extrem: völlige Auflösung eines ganzen Lieds in die Erzählform. Saxo, der meist Gewährsmann ist, verfährt, wie wir wissen, verschieden, und Rückschlüsse auf seine Vorlagen können trügen. Es steht also nicht ganz fest, ob die Amledsaga, die ihm vorlag (und etwa der Wielandroman der Ths.), ganz strophenlos waren. Man hat aber doch den Eindruck, daß gute Romandichter sich bisweilen getrieben fühlten, den Stoff ganz in die neue Gestalt einzukörpern und die Mischform zu vermeiden: der Starkadroman kannte in seiner Darstellung von Ingelds gestörter Mahlzeit sicher keine Einlage von der Strophenfülle des alten Ingeldliedes, sonst höben sich Liedschicht und Romanschicht nicht jetzt noch so deutlich voneinander ab. Hier ist erst Saxo an der Mischung schuldig. Bei der Hagbardsaga mag es ebenso sein. Vermutlich aber enthielt die Starkadsaga in diesem Umkreis ein paar Lausavisur. Saxo teilt die Schmähverse des Alten gegen den geschlagenen Sänger nicht mit, aber er erwähnt sie und hat sie also sicher sprechen hören. In den Rahmen des Liedes passen sie gar nicht, waren also wohl Neubildungen des Sagamanns. Sonst fällt es oft schwer, die Entscheidung zu treffen: ob Lied, Liedbruchstück, Losestrophe. Was sich zum Lied zusammenzuschließen scheint, mag oft nur ein Strophenbüschel sein, das für diese Stelle von einem Sagamann geschaffen worden ist; z. B. die Verse des incola an Frotho im 2. Buch; »Starkads Todeslied« konnte als spätes Gemisch aus Losestrophen und der älteren Rückblickselegie entlarvt werden. Die reichsten und schönsten Beispiele für die Losestrophe, die einen Gipfel bezeichnet und schmückt, zeigen die Prosaberichte der Edda über die beiden Helgi; anerkannt ist das freilich nur für die Einleitung zu dem Lied vom Hjörvardsohn. Eine letzte Möglichkeit: die Strophen sind hinterher erst in den Prosatext verwoben. Dafür begegnet das klarste Beispiel in der erhaltenen Hrolfssaga gleich zu Anfang. Schon der älteste Hrolfroman wird hier das Lied von der Vaterrache ausgenützt haben; der Nachfahre legt große Stücke davon ein, ohne zu beachten, daß gebundene und ungebundene Darstellung nicht zueinander passen. Saxo ist das öfter begegnet, und in den Sagas aus jüngeren Stoffkreisen häufen sich die Beispiele durch ständigen, oft unorganischen Verszuwachs (Asmundarsaga, Hervararsaga, Halfssaga).

L I E D UNO

ROMAN.

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Hier allenthalben herrscht also Überfluß an Quellen, die Mischung wird schädlich und ungenießbar. Auf der entgegengesetzten Seite liegen die Fälle, in denen die Quelle allzu dünn fließt und nur noch wenige Verse sich erhalten haben, die nun zum Gerüste eines Prosaberichtes werden müssen. Wir erinnern uns an die drei Langzeilen, die Säulenstümpfe des Uppsalaberichts der Skjöldungasaga. Dem inneren Wesen dieses Umformungsvorganges von Lied zum Prosaepos tritt man näher durch die Frage: wie wird aus dem Lied ein Roman ? Das geschieht auf mancherlei Weise; je stärker eine Saga anschwillt, um so verschiedener verfährt sie ausweitend und verbreiternd. Eine breite epische Grundlage wird dort gewonnen, wo der Sagadichter mehrere vorhandene Lieder aneinanderreiht. Meist geschieht das in zeitlicher Folge, und das Ergebnis ist die Lebensgeschichte. Die beiden großen Romane unseres Umkreises, von Hrolf Kraki und Starkad, entstehen so. Zwei Weitungsmöglichkeiten lehrt die Islendingasaga. Von ihr kommt die Anregung, auch für die Vorzeit Familiengeschichte zu schreiben, einen Stammbaum zu entwerfen, von Eltern und Ahnen, Geschwistern, Vettern und Nachkommen zu reden. Die verselbständigte Geschichte der Vorfahren liefert dann neue Romane. Dies Verfahren blüht am meisten auf dem Boden der Skjöldungensage. Auch die Geschichte Helgis setzt mit der des Vaters Hjörvard ein; wer weiß, ob sie nicht gleich der des älteren Frodi selbständig war. Die Keimzelle der Islendingasaga ist der J>attr, und er ist auch ihr wichtigstes Streckmittel. Die Hrolfssaga schwillt eben durch Jjaettir immer mehr an, sie nimmt zunächst die verschiedenen Geschichten von Bjarki auf, dann die von Hvitserk oder Svipdag. Der Starkadroman erhält ein mächtiges Einschiebsel in Gestalt des mehrteiligen Olo^attr, der fast Sagaeigenart besitzt und vielleicht auch für sich bestanden hat. Aber natürlich entsteht auch das Prosaepos nicht hauptsächlich durch Zusammenrückung, Anlängung und Aufnahme von Fremdkörpern. Es erfordert eine innere epische Umbildung, wie das Versepos. Derselbe Vorwurf, den das Lied knapp und ohne Beiwerk behandelt hat, wird jetzt in die Breite gewalzt, reicher und farbiger ausgeschmückt; der Szenenansatz wird zum behaglichen Auftritt, neue Gestalten beleben die Handlung, neue

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L I E D S T I L UND

ROMANSTIL.

Szenen, die sachlich nicht fördern, werfen nach allen Seiten helleres Licht. Es hat sich zeigen lassen, wie geschickt der Verfasser der Hagbardsaga aus den knappen Angaben des Lieds Personen und Auftritte herausspinnt, so vor allem die Gestalt des nur schönen Freiers und die Thingszene. Aber gerade hier treibt auch die Eigenerfindung ihre besten Blüten: zu dem ungleichen Ratgeberpaar gab es nur eine stofflich ganz fern liegende Anregung. Wir kennen einen Meister solch wirksamer Bereicherung und Belebung des epischen Gerüstes durch neuersonnene Episoden, die z. T. kleinsten Anregungen der Lieder abgewonnen sind: den Dichter der älteren Hrolfssaga; die Vorgeschichte Hjaltis, die Auftritte Vöggrs, der Auftritt mit der frilla sind Höchstleistungen der isländischen Vorzeitromanerfindung. Wesentlich für die ganze Kunstgattung ist aber bei diesen Neuschöpfungen: Erfindung und Formung des Romans stehen weit ab von der des Liedes. Wo der Sagamann stofflich nicht gebunden ist, sondern aus Eignem neu schafft, da geht er echt epischen Schritt. Ein gutes Beispiel dafür ist der lange Auftritt auf der Roijungheide. Starkad im Schnee, Starkad Flöhe suchend, Starkad verwundet, Starkad nacheinander mit den Vertretern verschiedener Stände sich herumzankend, Starkad schließlich von dem jungen Bauern, den er allein würdigt Hand an ihn zu legen, wieder zusammengeflickt — diese Folge ist gut und wirksam, aber so undramatisch und daher so liedfern wie nur möglich. Behaglicher Romanstil. Was dazwischensteht, stammt ursprünglich aus einem Lied, ist aber auch in ganz anderer Technik vorgetragen als dieses sie bot. Erkennt hier jedermann auf den ersten Blick den gänzlich unliedhaften Gegenstand, so wollte man anderwärts ein Lied fordern, weil Menschen und Handlung darnach geartet schienen. Aber der Vortrag schließt oft aus, an eine vorprosaische Darstellung zu denken. Das ist der Fall im Bereich der Geschichte von Helgi und Yrsa. Zugegeben, es wäre ein heroischer Liedvorwurf; die Möglichkeiten, die in ihm stecken, sind alle verabsäumt. Am deutlichsten wird das in der Darstellung der Skjöldungasaga. Da herrscht ausgesprochenste Romantechnik, vor allem im Verzicht auf jede Zusammendrängung und dramatische Zuspitzung der Auftritte. Der Dichter hat Zeit, er arbeitet Einzelheiten heraus und tut alles, um einen kräftigen und atemlosen Verlauf der Dinge hintanzuhalten. Liedstil und Romanstil liegen voneinander ab. Aber die

DAS

HELDENTUM

IN

DER

FAS.

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Eigenart der Fornaldarsaga tut sich mindestens ebensosehr wie im Formalen in Stoff- und Motivwahl kund. Auch hier lagen zunächst einmal die Bindungen durch die Erbpoesie vor. Die Prosadichtung fügt sich ihnen erst, wächst aber dann aus ihnen heraus. Was interessiert nun also den Fornaldarsagamann vor allem, worin sieht er und sehen seine Hörer den stofflichen Reiz dieser neumodischen Romandichtung? Heldendichtung ist die Fornaldarsaga immer geblieben. Aber die Auffassung des Heldischen bildet sich um. Hrolf ist für die Bjarkamal der Idealherrscher, und noch die älteste Saga scheint diese Züge stark unterstrichen zu haben; das beweist vor allem die Schöpfung der Vöggrszene, die den milden und redeklugen Fürsten ergänzend neben den Helden des Uppsalazuges stellt. Aber die große Saga hat, schon hundert Jahre später, das Interesse an diesem edlen Helden verloren, und der bärenstarke und gewalttätige Bjarki sagt ihr und ihren Lesern viel mehr. Noch früher hat die Vergröberung sich der Starkadgestalt bemächtigt. Hält sie sich in den Roijungauftritten noch in den Grenzen des Belustigenden, so verliert sie sich in den Goldschmiedsszenen ins Brutale. Der Zweikampf bleibt der bevorzugte heldische Auftritt, das Schwert spielt eine große Rolle und wird nur gelegentlich verdrängt durch eine unhöfischere Waffe, etwa die Axt. Die Kämpfe nehmen an Ungeschlachtheit langsam zu. Schon die älteste erkennbare Schicht verleiht dem Agnarkampf die Züge grotesker Furchtbarkeit. Das Wohlgefallen an wilden Hieben, schrecklichen Wunden, qualvollem Sterben setzt sich mehr und mehr durch. Diese Neigung zum Geblähten und Übertreibenden ergreift die Kampfschilderung ganz im allgemeinen und führt zur Ausgestaltung des Massenstreits neben dem früher vorherrschenden Einzelkampf. Die Aufgabe etwa, die große Bravallaschlacht zu schildern, hat erst der Roman zu lösen vermocht. Erinnere man sich, wie sehr die Massen dabei aufquollen, wie Übertreibung in Zahl, Ausdruck und Gebärde hervortrat. Die Hunnenschlacht wurde so zum geeignetsten und wirkungsvollen Schlußstück der an kleineren Kämpfen reichen Hervararsaga, Ermanarich wird Kriegsheld, und selbst den Schmied Wieland hat man mit einer Schlachtfabel in Verbindung gebracht. Die allmähliche Wendung vom kraftvoll Heldischen ins massig Geschwollene und Gewalttätige hat noch zu manchem

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LIEBESGESCHICHTEN.

gelungenen Auftritt geführt, bedeutet aber nur sehr bedingt eine Bereicherung. Größere Werte birgt eine andere Richtung, die von früh an der Fornaldarsaga eignete und immer mächtiger in ihr zur Geltung kam: die Zuhörer forderten vom Roman zwar nicht unbedingt, daß er Liebesgeschichte sei, aber doch, daß er Liebesgeschichten bringe. Es ist lehrreich zu verfolgen, wie sich an die alte Skjöldungensage im Rahmen der verschiedenen Hrolfromane immer mehr Liebesnovellen ansetzen. Den Anfang machte wohl die Geschichte Helgis und Yrsas, und ihr schickte man dann zunächst eine gewürztere, stärker erotisch gehaltene Darstellung des Handels mit der Mutter voraus. Dem verliebten Helgi folgt ein verliebter Adils, der ersten ungewußten Liebschaft zwischen Vater und Tochter die zweite bewußte. Für die Zwischenzeit bot man ein Elfenweib auf, mit dem sich Helgi trösten konnte. Sogar über ein Verhältnis von Yrsa zu Hrolf fallen Andeutungen. Bjarkis Lebensgeschichte bringt von neuem einen Mann zwischen zwei Frauen. Ähnlich ist es im Starkadroman, der Alte tritt als Sittenwächter so verschieden gearteten liebenden Paaren zur Seite wie Ingeld und der Sächsin, Helga und Helgi, Helga und dem Schmied. Aber die Liebe dient nicht nur zur Formung der unterhaltenden, anmutenden und wohl auch aufreizenden Episode. Die Fornaldarsaga zeigt sich auch der tragischen Würde der Hagbardfabel völlig gewachsen und findet für sie wie für manche andere nebensächlichere Liebeshandlung und Empfindung starke und echte Gefühlstöne. Helgi ist von Anfang an sentimentaler Liebhaber und kein Weiberheld, wie später der vielseitige König Hjörvard. Kampfesmut und Liebe sind elementare Gegenstände der heldischen Dichtung, die aus dem adeligen Umkreis dieser Erbpoesie nicht hinausführen, selbst wo sie herabgedrückt oder übersteigert sind. Anderswo verliert die Fornaldarsaga ganz die Fühlung mit ihren heroischen Ahnen; dort, wo sie wiederum in erster Linie Saga ist und die bürgerlich-bäuerliche Welt des nordischen Alltags sucht. Auch ihre königlichen Helden führt sie gern und oft in diese Umgebung oder steckt sie gar in die Hülle kleiner Leute. Thora ist Bauerntochter (erst später adelt man sie), und Yrsa ist ein Hirtenmädchen. Hrolf und die Seinen kehren auf der Fahrt nach Uppsala beim Bauern ein, Helgi bedient in Magdkleidern eine Handmühle, Starkad bezeichnet den Bauern als den besten aller Stände. Gemeine Leute treten vorher und

DAS

BÄUERLICHE. —

DAS

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ÜBERNATÜRLICHE.

nachher reichlich in seinen Gesichtskreis, mit denen er sich streitet, und auch Vöggr entstammt ganz kleinen Verhältnissen. Der realistische Sinn der Sagamänner richtet sich gern auf die behaglichen Einzelheiten des Werktags, Starkad verbreitet sich über Essen und Trinken, die Traulichkeit des heimischen Lebens, des treuen Familienzusammenhaltes wird eindringlich gemacht in der Esageschichte und im Haus des Bauern Svip. Starkad wird zum ethischen Theoretiker und Lobredner altfränkischer Moral. Nach anderer Seite weicht die Fornaldarsaga ab, wenn sie dem Übernatürlichen und Märchenhaften einen großen Raum gönnt. Jenes war in einigen Fällen von den Liedvorläufern schon angeregt, dieses konnte aus der ältesten Zeit der Heldendichtung übernommen werden. Ausschlaggebend ist also auch hier nicht das Was sondern das Wie, die Neigung zu Übertreibung und zu Veräußerlichung. Der Haraldroman ist von Haus aus Odinsfabel. Aber das übernommene Motiv wird vervielfältigt: auch im Leben der Eltern hat Odin schon eine Rolle gespielt, ja er steht, feindlich, gesinnt, dem bösen Großvater zur Seite und verschuldet sein gewaltsames Ende. Der Gott, der ehemals nur am Ende der Hrolfgeschichte auftaucht, ist jetzt schon vorher mit dem Helden in Verbindung gebracht. Aus der einen Begegnung werden erst zwei und schließlich vier. Das Märchenhafte erscheint mit Vorliebe in der ausgesprochen nordischen Form des Zauberischen, kein überweltlich Wunderbares, sondern Äußerung der gesteigerten Kräfte einzelner Menschen. Der Hrolfroman brachte wohl erst die Erklärung von Bjarkis Stumpfheit während des Endkampfs; sie knüpft an den Volksglauben vom Seelentier an, aber Bjarki erscheint doch zugleich als der Zauberkundige, der in Tiergestalt zu kämpfen vermag. Der sterbende Starkad erhält die volkstümlichen Züge des gewaltigen Riesen. Es bedarf aber nicht des Übernatürlichen, um die Handlung der Vorzeitromane gegenüber den älteren Sagenformen romantisch erscheinen zu lassen. Das Abenteuerliche im Sinn des seltsamen, unerwarteten und unberechenbaren Geschehens nimmt einen ebenso breiten Raum ein. Der Leser erlebt die merkwürdige Flucht, Verfolgung und Rettung der Halfdansöhne; der mächtige König Helgi tritt als Bettler auf; seltsam überlegene List kann Schneider,

H e l d e n s a g e I I , x.

21

322

STOFFGESCHICHTE.

das Geschick ebenso gut lenken wie Zauberkraft, das zeigt vor allem Amieds Leben, aber auch das Wielands, dem in der nüchternen Darstellung der Ths. das eigentlich Wunderbare ganz ferngehalten ist. Nicht nur die Menschen erleben ihre verschlungenen Romane, auch die Gegenstände, wie der Ring Sviagris. Vieles Eigentümliche der Fornaldarsaga ist durch unseren Wiederaufbauversuch an ihren früheren verlorenen Denkmälern durchsichtiger geworden; auf stoffgeschichtlichem Gebiet ist unser Erträgnis am unbefriedigendsten. Die Frage nach dem Woher bleibt betrüblich oft unerledigt. Wir sehen auch hier in manchem klarer, können das Eindringen von Gestalten und Lebensformen aus dem Umkreis der geschichtlichen Saga feststellen, sehen in dem Vorwalten des Glaubens an Zauber aller Art, an Wiedergänger usw. echt isländisches Gemeingut beider Gattungen. Auch das war unverkennbar, daß die Vorzeitromane sich durch gegenseitiges Ausschreiben bereichert haben. Der große Frothoroman des 2. Saxobuchs macht sich ganz unbefangen den berühmtesten Auftritt aus der Hrolfgeschichte zunutze, das Goldsäen; und es wird erinnerlich sein, wie schrankenlos die Hromundsaga die Helgisaga plünderte, die Halfssaga die Hrolfromane. Die Hauptfragen bleiben dagegen ungelöst: in welcher Form wurden die zahllosen novellistischen und märchenhaften Züge eingeführt, die der Vorzeitroman mit der Erzählliteratur des frühen und hohen Mittelalters gemein hat? Brachten fremde »Spielleute« Schwänke und Anekdoten nach dem Norden, wirkten die westlichen Literaturen durch ihre Vermittlung ein oder ging das Meiste den Weg durch die Niederungen, so daß im 12. Jahrhundert das Volksmärchen schon als Fundstätte mitrechnet? Und wo holten sich besonders die Isländer alle diese Schätze, die ihnen doch wohl nur ganz selten von Fremden und gar durch Bücher ins Land geführt wurden; im sonstigen Skandinavien oder in England? Wer waren die Mittelsleute, Kelten, Deutsche, Varäger — und welchen selbständigen Anteil hatten sie schon am Fabelaufbau ? Wie weit bezogen die großen Erzähler des 12. Jahrhunderts Rohstoff, wie weit schon verarbeitetes Material, das sie oft wieder zerlegen und neu zusammenschweißen mußten? Wie weit gaben fremde Aufbauformen dabei neue Anregung ? Es gibt offenbar zweierlei Vorzeitromane, wie es von Anfang

ENTWICKLUNG

DER

FAS.

323

an zweierlei Heldenliedfabeln gab: wunderfreie und wunderbare. Daneben — sich zum Teil mit dieser deckend — steht die Doppelheit: nordische Romane und fremdländische Romane. Manche Fornaldarsögur scheinen von vorneherein dazu bestimmt, Sammelbecken eingeführter, aus Orient, Antike, Irland stammender Züge zu sein; so Amled, Wieland. Andere atmen viel reinere nordische Luft und halten sich das fremdartige fern, wie die Geschichte von Harald Kampfzahn. Es soll kein Werturteil in dieser Unterscheidung liegen, schon deshalb nicht, weil sie sich nicht durchführen läßt. Wir erinnern uns der unlösbaren Frage: ist der Freier in Weiberkleidern heimisch oder eingeführt? — und nicht einmal so weit geht die Sicherheit unseres Urteils, daß wir dort, wo die Hagbardfabel zweifellos entlehnt, die Herkunft der neuen, schwankhaften Züge erkennen; die nahe Beziehung zu griechischen Volksliedern verweist in den Osten, aber als Übergangsglied bietet sich deutsche Epik an. Diese Kennzeichnung von Stoffart und Stoffbildung der Fornaldarsaga umreißt auch schon ihre Geschichte. Eben die Züge, die vom Ererbten abführen, dringen gegen Ende des 12. Jahrhunderts immer stärker bei ihr durch. Wir betonten schon: dieses Abrücken vom Altheroischen und Altheimischen bedeutet nicht reinen Verlust. Das Neue, das man z. T. in der Fremde erlernte, vermehrte nicht nur die Buntheit der Handlung, sondern führte auch in die Tiefe. Welch ergreifende Gestalt muß durch die zunehmende Sentimentalisierung aus dem Skjöldung Helgi geworden sein; wie geistvoll ist durch die Klugheitsproben, die einst Indien erdacht haben mag, an die Seite des verachteten Toren der bewunderte Weise Amled gestellt! Aber im ganzen ging die Entwicklung darauf aus, das früher Geschaffene immer mehr zu überbieten: Kampfleistung, Liebesverwicklung, Zauber. Dieser Weg führt zur Fremdartigkeit, zur Verschnörkelung, schließlich zur Verflachung. Ein Äußeres geht damit Hand in Hand: die Saga büßt ihren kunstmäßigen Aufbau ein. Er war das Kennzeichen der Blütezeit, also zumal ihrer vorliterarischen Lebensform. Da waltete ein hohes Maß von Besonnenheit über dem oft weitschichtigen Plan, sinnvolle Verbindungslinien zogen sich von einem Handlungsteil zum anderen. Das Bedürfnis nach innerer Begründung und Verzahnung ist zunächst in stetem Wachsen, und die Zusätze späterer Fassungen erklären sich mindestens ebenso oft aus

324

LEBEMSFORM

DER

FAS.

verständigem Erklärungsbedürfnis wie aus Erzählfreude. Auch hier also bringt, wie in der Stoffgestaltung, die spätere Zeit den Abstieg. Zunächst läßt sich beobachten, daß die Romane anschwellen; das geht so bis ins 13. Jahrhundert hinein, obschon es offenbar schon bald Aufbaukünstler gegeben hat, denen Gedrungenheit über alles ging. Die große Hrolfssaga, die erste Starkadvita, der zweiteilige Amledroman mögen hinter den umfangreichsten Leistungen der Islendingasaga wenig zurückgeblieben sein. Die zweite Hrolfssaga ist schon auf das Kürzen eingestellt, und dieses Streben ist durchgedrungen in der Zeit, aus der es endlich Niederschriften gibt. Es nimmt aber da schon unkünstlerische Formen an. Man vereinfacht nicht, man überhetzt die Darstellung, statt nach Knappheit zu streben, verfällt man in Flüchtigkeit. Die Hrolfssaga, die wir haben, ist hastiger Auszug, und man weiß, durch wieviel abgeleitete Quellen uns eine reizlos leere und magere Hromundsaga zugeflossen ist. Sind die Fornaldarsögur zu Beginn des 13. Jahrhunderts große Sammelbecken geworden, bereit, immer weitere Jjaettir in sich aufzunehmen, so schrumpfen sie im 14. mehr und mehr zusammen. Roher Stoffhunger bestimmt ihre Auswahl, ihre Anlage, ihr Ausmaß. Sieht man den Vorzeitroman auf solche Art anwachsen und abschwellen, Umfang, inneres Gewicht und Tempo verändern, so erhebt sich die Frage: waren die vorliterarischen Sagas des 12. Jahrhunderts feste Größen ? welches war ihre Erscheinungsform, ihre Lebensform? Was Meister geschaffen hatten, muß durchgedrungen sein. Mancher Auftritt war durch einen ersten Dichter, der ihn ersann und mündlich weitergab, ein für allemal festgelegt. Die witzige Namengebung: littu verär Vöggr feginn haftet nicht weniger fest als die Langzeile: Ei flyr sd eidin er yfir hleypr. Aber natürlich war nicht alles an einem so beträchtlichen Erzählwerk gleich eindrucksvoll und gleich festgefügt. Der Dichter selbst mochte bei Wiederholungen in manchem abweichen, ein anderer die gleiche Freiheit beanspruchen. Hat Arnald oder sonst ein Isländer dem Saxo eine Saga erzählt, so spielte der Natur der Sache nach die eigene Prägung eine größere Rolle als beim Vortrag eines Lieds. Aber man darf glauben, daß der Stoff auch so nicht vogelfrei war, und der Erzähler nicht weniger Achtung vor dem Willen des Schöpfers hatte als der Sänger.

LEBENSFORM

DER

FAS.

325

So ist von der gelegentlich freien, umfärbenden, kürzenden, einen Jjattr beifügenden Nacherzählung wohl zu scheiden die gewollte Neubearbeitung. Saxos Bericht im zweiten Buch und die alte Hrolfssaga treten in so gewichtigen Punkten auseinander, daß kein vorzeitstreuer und den fröäir menn trauender Isländer sie rein willkürlich beim Nacherzählen so abgebogen hätte. Es bedurfte eines neuen Schöpfungsaktes, nicht geringer als der, durch den die Skamma entstand oder die Atlamal. Diese Neudichtung ließ aber offenbar dazwischen ganze Teile unberührt. Wie beim Tristanroman, so kann man in der Entwicklungsgeschichte der Fornaldarsögur scheiden zwischen festen und unfesten Abschnitten. Jene erhalten sich allem Wechsel des Zeitgeschmacks zum Trotz, diese können da sein oder fehlen, sie können so gefaßt sein oder anders. Oft stimmt das inhaltliche Gerippe, die Ausführung ist verschieden. Aber es herrscht, zeitlich betrachtet, nicht nur das Nacheinander, sondern auch das Nebeneinander. Der Amledroman Saxos ist weder Vorläufer noch Nachfahre der Stoffgestalt, die in Island lebendig blieb, sondern die beiden sind Parallelfassungen, die in Wettbewerb miteinander getreten sein müssen wie die Baldrromane Snorris und Saxos. Eine gemeinsame Vorlage ging voraus. Die kurze Hrolfssaga, Saxos Vorbild, stammt von der alten, die Fassung der Skjöldungasaga geht ganz unabhängig von jener auf diese zurück. In der literarischen Zeit führen dann Gelehrte die Feder und schmelzen verschiedene Fassungen desselben Stoffes zusammen. Derart ist die große Hrolfssaga. Ähnlich steht es mit der Haraldssaga Hilditannar: Saxos Vorlage ist in vielem mit der des Sögubrot unvereinbar; aber wieder nur auf einige Strecken, feste Teile stehen dazwischen unerschütterlich, und das nicht nur dort, wo sie durch einen alten Gedichttext festgelegt sind. Die Fornaldarsaga scheint ihrer äußeren Gestalt nach unfester als die Islendingasaga, ihre ältere Schwester. Dadurch vor allem erlitt sie das traurige Schicksal, daß sie nur in späten schlechten, verkümmerten Stücken zur Nachwelt dringen durfte. Der Grund ist offenbar der, daß es ihr an Bodenständigkeit gebrach. Keine Genossen der Familie und Landschaft konnten eifersüchtig über ihre Reinheit wachen, keine froiir menn sie mit der jahrhundertealten mündlichen Tradition vergleichen, keine Skaldenstrophen bildeten den unverrückbaren Anhaltspunkt und Schmuck einzelner Szenen. Der älteren Fornaldarsaga hat es ja auch nicht

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BALLADE,

RIMUR.

an dem urkundlichen Wahrheitsbeleg aus Dichtermund gefehlt; das waren eben die eingelegten Liedstrophen. Aber als die Kunstform des Romans ihre Rechte geltend machte, die Prosa der Verse immer mehr entraten lernte, da lockerte sich auch das alte Gebälk. Dem formalen Verzicht auf Erbpoesie mußte der sachliche nachfolgen, und schließlich gab es kein Halten mehr. Der Unterhaltungsroman, der am Schluß mancher Stoffgeschichte steht, wiegt künstlerisch nicht schwerer als das Volksbuch vom gehörnten Sigfrid. Auch daraus erwuchs den altüberkommenen Stoffen wenig Heil, daß sie z. T. noch einmal den Rückweg aus der Prosa in die Poesie fanden. Die eine große Kunstleistung auf dem Gebiet der Ballade, die einen heimischen Stoff behandelt, ist wohl hinterher durch Züge eines Romans belebt worden, war aber ursprünglich unmittelbar aus dem Lied geflossen. Die sonstige Ausbeute an Heldenballaden ist ganz unbedeutend, die Rimurdichtung hat von vornherein in Form und Anlage die Fühlung mit dem Altheldischen verloren.

SCHLUSSBEMERKUNG Für die Abfassung dieses Halbbandes war unumgänglich die Kenntnis alles dessen, was Axel Olrik über nordgermanische Heldensage geschrieben hat. Ich habe mich bemüht, die reichen Nachlaßschätze nur zu studieren, nicht zu plündern, und künftigen Veröffentlichungen nicht vorzugreifen. Unterstützung und Entgegenkommen fand ich in reichem Maß. Meine Schülerin Lore Gm in der hatte die Olrikpapiere auf der Folkemindesammlung in Kopenhagen für meine Zwecke einer ordnenden Vorprüfung unterzogen, der treue Erbwalter Hans E l l e k i l d e erschloß mir den Hort nicht nur des Nachlasses, sondern auch seiner reichen persönlichen Erinnerungen an Axel Olrik. E l l e n j 0 r g e n s e n leitete mich durch die alte dänische Geschichtschreibimg, die Kgl. Bibliothek in Kopenhagen zeigte all ihre liebenswürdige Gastlichkeit. Allen, die mich so gefördert haben, danke ich herzlich.

Grundriß der germanischen Philologie unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter begründet von mann

Paul,

Her-

weil. o. Professor der deutschen Philologie an Universität München.

der

Groß-Oktav.

Von der neuen Auflage des Paulschen Grundrisses sind die folgenden Bände erschienen: I. i . G e s c h i c h t e d e r g o t i s c h e n S p r a c h e . Von M. H. J e l l i n e k , a. o. Professor an der Universität Wien. IX, 209 Seiten. 1926. RM. 9 . — , geb. 10.80 II. U r g e r m a n i s c h . Vorgeschichte der altgermanischen Dialekte. Von Dr. F r i e d r i c h K l u g e , weil. Professor a. d. Univ. Freiburg i. B. XI, 289 Seiten. 1913. RM. 5.40, geb. 7.20 III. G e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n S p r a c h e . Von Dr. O t t o B e h a g h e l , o. Professor au der Universität Gießen. Mit 1 Karte. Fünfte, verbesserte und stark erweiterte Auflage. X X I X , 588 Seiten. 1928. RM. 16.20, g e b . 1 8 . — I V . G e s c h i c h t e d e r n o r d i s c h e n S p r a c h e n , besonders in altnordischer Zeit. Von A d o l f N o r e e n , ehem. Prof. a. d. Universität Upsala. Dritte, vollständig umgearbeitete Auflage. 239 Seiten. 1913. RM. 4.50, geb. 6.30 V . G r u n d r i ß d e s g e r m a n i s c h e n R e c h t s . Von Dr. K a r l v o n A m i r a , o. Professor an der Universität München. Dritte, verbesserte und erweiterte Auflage. I, 302 Seiten. 1913. RM. 4.50, geb. 6.30 V I . G e s c h i c h t e d e r e n g l i s c h e n S p r a c h e . II. Historische Syntax. Von Dr. Eugen Einenkel. Dritte, verbesserte und erweiterte Auflage. XVIII, 223 Seiten. 1916. RM. 5.40, geb. 7.20 V I I . G e s c h i c h t e d e r m i t t e l n i e d e r d e u t s c h e n L i t e r a t u r . Von Dr. H e r m a n n J e l l i n g h a u s . Dritte, verbesserte Auflage. VIII, 90 Seiten. 1925. RM. 4.50, geb. 6.30 VIII. D e u t s c h e V e r s g e s c h i c h t e mit Einschluß des altenglischen und altnordischen Stabreimverses. Von Dr. A n d r e a s H e u s l e r , o. Professor an der Universität Basel. Erster Band. Teil I und II: Einführendes; Grundbegriffe der Verslehre; Der altgermanische Vers. V, 316 Seiten. 1925. RM. 14.40, geb. 16.20 Zweiter Band. Teil III: Der altdeutsche Vers. VIII, 351 Seiten. '927. RM. 14.40, geb. 16.20 Dritter (Schluß-) Band. Teil IV und V : Der frühdeutsche Vers. Der neudeutsche Vers. V, 427 Seiten. 1929. RM. 19.80, geb. 21.60 IX. D i e G e r m a n e n . Eine Einführung in die Geschichte ihrer Sprache und Kultur. Von T o r s t e n E v e r t K a r s t e n , a. o. Professor an der Universität Helsingfors. Mit 4 Tafeln und 8 Textabbildungen. X , 241 Seiten. 1928. RM. 11.70, geb. 13.50 X. G e r m a n i s c h e Heldensage. Von Dr. phil. H e r m a n n S c h n e i d e r , 0. Universitätsprofessor, Tübingen. 1. B a n d : Einleitung: Ursprung und Wesen der Heldensage. I. Buch: Deutsche Heldensage. Unser Verzeichnis

X, 443 Seiten.

1928.

RM. 13.50, geb. 15.30

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