Generation als Grundbegriff einer historischen Geschichtskultur: Die Nürnberger Tucher im langen 16. Jahrhundert 9783847098065, 9783899715880

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Generation als Grundbegriff einer historischen Geschichtskultur: Die Nürnberger Tucher im langen 16. Jahrhundert
 9783847098065, 9783899715880

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Formen der Erinnerung

Band 45

Herausgegeben von Jürgen Reulecke und Birgit Neumann

Christian Kuhn

Generation als Grundbegriff einer historischen Geschichtskultur Die Nürnberger Tucher im langen 16. Jahrhundert

Mit 26 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-89971-588-0 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Friedrich Freiherr von Haller’schen-Forschungsstiftung in Nürnberg. Ð 2010, V&R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Titelbild: Ausschnitt aus »Das genealogische Register«, Das »Große Tucherbuch«, StadtAN E 29/II Nr. 258, unpaginiert Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zur Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Nürnberger Geschichtskultur des langen 16. Jahrhunderts: Gattungen, Medien und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Politik und Geschichte in »Mein Doctor Christoffen Scheurls hochzeit« (1526) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Generationenwechsel als Übertragungssituationen: Sinnfragen der Geschichtsschreibung im bebilderten Scheurlbuch, ca. 1570 – 1600 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Die ›Tucherfenster‹ in der St. Lorenzkirche im Kontext der »Tucherischen Monumenta« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Aufstiegsfaktoren in der Geschichtsphilosophie des Nürnberger »Cantzley registrator« Melchior Kautz (ca. 1600 – 1609) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Nürnberger Tucher : ein sehr kurzes Porträt . . . . . . . . . . 1.4 »Generation« als Quellenwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Generationen als Erinnerungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . 1.6 Erinnern, Erinnerungskulturen und Gedächtnis . . . . . . . . . . 1.7 Die Medien der Gedächtnisbildung im systematischen Überblick (ca. 1520 – 1600) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Definitionsansätze, empirische Vielfalt und archivischer Erschließungsgrad der Geschlechterbücher . . . . . . . . . . 1.7.2 Das Briefarchiv um die Mitte des 16. Jahrhunderts: Quellenkritische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.3 Die Varianz genealogischer Ordnungsmuster in der frühen Familiengeschichtsschreibung (ca. 1520 – 1542) . . . . . . . . 1.7.4 Männliche ›Generation‹ in der Geschichtsschreibung familiärer Autorschaft in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.8 Landes-, historiographie- und generationengeschichtlicher Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen in der Spannung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft . . . . . . 2.1 Erzieherische Generationenbeziehungen im Zeichen von Kontinuitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Einführung: Generationenkonflikte im Gegenbild eines Mahnbriefs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Kommunikationssituation zwischen Jung und Alt während der Auslandslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Textnahe Lektüre von Diskurseffekten im brieflichen Kommunikationssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Erziehungsdiskurse im Spiegel eines Generationenkonflikts . 2.2.2 Das pädagogische Jugendbild als Darstellungsmittel von Erziehungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Krankheitsdarstellungen und Körpererzählungen: Zeichen von Frömmigkeit oder Argument? . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Vom Rand zur Mitte: Die ›unsichtbare‹ Mutter im Kontext des protestantischen Familienstereotyps . . . . . . . . . . . 2.2.5 Die Kleider des lautespielenden Jünglings. Ehr-, Standesund Geschlechtsinsignien als verordnete Männlichkeit . . . . 2.3 Erziehungskonformes Briefeschreiben als ›Scheinkommunikation‹ 2.3.1 Briefe über Briefe. Das Kommunikationsmedium im Spiegel von metakommunikativen Bemerkungen . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Unsicherheit des Botenwesens als Bedingung der Briefwechsel: ein Extremfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 In der Sprache des Vaters schreiben: Identität durch Diskurseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Briefliche Sprechweisen im Kontext. Epistemische Grundlagen der Generationenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Memorialbücher und ›praecepta‹ als Briefkondensate vom 15. bis zum 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Der »Knabenspiegel« (1554) und andere Werke Wickrams als Literatur des Bürgerlichen und des sozialen Aufstiegs . . 2.4.3 »Ist doch als sey der Vater nicht gestorben.« Kontinuitätsstiftung bei Generationenwechseln durch die biblische Weisheitsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Kommunikationsmittel im Archiv. Traditionsbildung durch Literarisierung der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.5.1 Die legitimierende Kommunikation als funktionales Gedächtnis und soziale Gedächtnisoperation . . . . . . . . 2.5.2 »Hab gern gehört […] das dir dein pimp […] all tag dein erster Wecker.« Von Sonderfällen zu sprachpragmatischen Briefdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Die Quellensorte und ihre Funktion in Generationenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Die Zeitumstände der Archivgenese als Entstehungsgrund und Überlieferungsfilter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.5 Briefe zwischen Kommunikation und literarisierender Meta-Kommunikation: Die Alterität vormoderner Generationenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Diskontinuitäten in zeitversetzten Vergangenheitsbildern: Paratexte als Spiegel von Generationenwechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Tuchersche Geschichtsschreibung in Zeithorizonten und Erinnerungsschichten 1526 – 1615 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 »Alle tzehen Jar ein Newe wellt«? Die Tucherbücher im Spiegel der Auftraggebergenerationen in der Familienstiftung (ca. 1526 – 1615) . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 »Der Tucher willen und verordnung« an der Wende zum 17. Jahrhundert. Geschichtskulturelle Überbietungsabsicht, Lebensstilreflexion und Apokalyptik . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Männer ordnen die Familiengeschichte zu »neuen umkreyß, das sein die Stammlini«. Planungsstadien und Kosten seit ca. 1574 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Der geschichtskulturelle Mehrwert des Kostenverzeichnisses. 3.2 Der Prachtkodex Tucherbuch. Die Form als Teil des historiographischen Inhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 »Register aller Generation [sic!]« und Monument. Aufbau und Gestaltung des Tucherbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die handgeschriebene Theuerdanktype als Trägermedium und Inhaltselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Agonale Geschichtskultur : Das »Große Tucherbuch« im Distinktionswettbewerb seiner Gattung und der städtischen Geschichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Historiographie zwischen Beharrung, Neugewichtung und Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Textfunktionen der »Vorred« (1590) im Spiegel der historiographischen Vorwortkultur . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.3.2 Der Münzwurf Berthold Tuchers 1364 als familiäres Ursprungsnarrativ in Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Index-Didaxe. Verzeichnisse als historiographische Vermittlungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Die Ikonographie der Genealogie: Text-Bild- und Bild-Text-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Affirmierende Weitergabe unter veränderten Vorzeichen. Textgleiche Stiftungsdarstellungen als familiäres Erbe und Nürnberger ›Zivilreligion‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. ›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs. Begriffsgeschichtliche Erschließung eines hybriden Konzepts . . . . . 4.1 »Ir Generation vnd Glori wird nit verleschen«. Positiv bewertete Übertragungsphänomene in Scheurls Widmung von 1542 . . . . . 4.2 Der Bedeutungsbereich Schöpfung, Zeugung und Seligkeit in der »Vorred« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Schöpfung und Geschichtstheologie: der religiöse Kontext des Generationsdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Offenbarung Gottes, protestantischer Schriftbegriff und Bibelhermeneutik als konfessionelle Anthropologie . . . . . 4.2.3 Vom konfessionellen Endzeitglauben zur familiären Kontinuität und Tradition als Aufgabe . . . . . . . . . . . . . 4.3 Vererbende Übertragung des Vermächtnisses: Die »Vorred« zu Erziehung und historischer Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Steigerung gattungsüblicher Repräsentationsabsichten: das Glaubensbekenntnis als der erstrangige Übertragungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die konfessionelle Krisis als identitätsstiftende Selbstbehauptung und Verzeitlichung ethischer Reflexionen . 4.3.3 »Durch die Geburtt [samblet] Gott Ihme sein Ewige Kirch«. ›Generation‹ und familiäre Generationenbeziehungen . . . . 4.4 Familiäre, soziale, konfessionelle und regionale Identitätsdarstellung in der »Vorred« . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 ›Handeltreibende Ritter‹. Das Mittelalter als Projektionsfläche für die Bewertung von Lebensstilkonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Herrscherliche Generationenkonflikte als Perversion der politischen Ordnung: Reichsstädtischer Patriotismus des 16. Jahrhunderts im Spiegel von ›Erzählkernen‹ der offiziösen Nürnberger Chronistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.4.3 »ein besigelten Tucherischen Brieff In die Fünffhundert Jar alt«: Die reflektierte Fragwürdigkeit historischer Identität in der Vorrede »Richsner« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Die behandelten Tucherschen Familiengeschichten in chronologischer Auflistung . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Alphabetische Gesamtliste der ungedruckten Quellen 7.2 Gedruckte und ediert vorliegende Quellen . . . . . . . . . 7.3 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung Das Vermächtnis der Alten ermahnt uns, dass wir den Spuren der Vorväter (sofern sie vom Ziel der Wahrheit und der Tugend nicht abweichen) folgen sollen und dass wir, indem wir ihr Vorbild ausüben, unseren Sinn dafür einnehmen. Denn das meiste, was den Sterblichen angemessen ist, tritt durch Übung, das was ihnen aber Schaden bringt, durch Trägheit ein. B. de Chasseneuz, Proœmium, Catalogus Gloriae Mundi, 15711 Die Vorstellung, die Erinnerung an die Ahnen, an die Vorfahren, an die Bedeutung der Familie sei ein moralisches Motiv in der Erziehung, aber auch in der Lebensführung, ist nicht so unsinnig, wenn man sich diese Vorstellung von natürlicher – also durch Geburt und durch die condition, die Bedeutung, in der man sich vorfindet –, vorgegebener Verfasstheit denkt und nicht ständig die Frage hat, soll man den Kriterien folgen oder nicht, soll man konform oder deviant handeln. Niklas Luhmann, bezogen auf vormoderne Eliten2

1.1

Zur Fragestellung

Gegenwarten orientieren sich stets an Bildern der Vergangenheit. Dieser Zusammenhang war in der Vormoderne in der Idee von der »historia magistra vitae« fixiert,3 zeigt sich aber vor allem in der Veränderung der Geschichtsbilder, wie sie im Vergleich von Quellen hervortritt, von diesen auch selbst reflektiert wird. Der Rückgriff auf die Vergangenheit in der Erinnerung ist keine zeitlose Handlung, sondern wird maßgeblich von ihrem jeweiligen Zeithorizont und von den Trägermedien mitbestimmt. Ein solcher Vorgang, der Vergangenheiten erinnert und deutet, auch mit Blick auf die Zukunft entwirft, ist die verstärkte Betonung von familiärem Zusammenhang, Erbe und Kontinuierung im Spiegel des Begriffs »Generation«. Beobachten lässt sich im 16. Jahrhundert eine Neu-

1 »Vetervm nos monet autoritas, patrum vestigia (si ” scopo veritatis & virtutis non deuiarint) imitari debere, & aliquo genere exercitationis animum pellicere; Cum plurima mortalibus commoda per exercitationem, damna verý per segnitiem eueniant.« Vgl. Barth¤lemy de Chasseneuz, Avtoris Proœmium, sive ad Lectorem; Præfatio, in: Ders., Catalogus Gloriae Mundi, Venedig 1571, unpaginiert. 2 Niklas Luhmann, Einführung in die Theorie der Gesellschaft, hg. von Dirk Baecker, Darmstadt 2005, 306 f. 3 Der Zusammenhang von Geschichtsschreibung und praktischer Klugheit war topisch. Historische Erkenntnis war daher als erfassbare Wirklichkeit mit rhetorischer Anschaulichkeit vor Augen zu stellen und musste, so ließe sich hinzufügen, zeitgemäß umgeschrieben werden, vgl. Rüdiger Landfester, Historia Magistra Vitae. Untersuchungen zur humanistischen Geschichtstheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts, Genºve 1972, 132 – 135, 140 – 142.

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Einleitung

ausrichtung der Familiengeschichtsschreibung, die am Beispiel der Nürnberger Tucher Gegenstand der folgenden Untersuchung ist. Das Gedächtnis bringt eine zeitspezifische Geschichtskultur hervor, die von den Zielen, Wünschen und dem Horizont der Zeitgenossen geprägt ist. Im 16. Jahrhundert kompensiert Geschichtskultur das gesteigerte Kontingenzbewusstsein,4 das sich an Hand der anthropologischen Grundfrage der beginnenden Neuzeit, wie der handelnde Mensch, das Subjekt der Geschichte, in einer von der Fortuna geprägten Welt bestehen kann, entfaltet.5 In diesem Kontext ist insbesondere die Konstruktion von familiärer Kontinuität ein geschichtskulturelles Leitmotiv. Im Nürnberg des 16. Jahrhunderts prägt es die verschiedenen Ausdrucksformen von Historie, Geschichtsreflexion und Sinnbildung, die anfangs miteinander konkurrieren, teilweise aber auch einander unterstützen, ergänzen oder einander in der Zeitfolge ablösen. Die Geschichtskultur der Tucher stand im Austausch und in Konkurrenz mit den Geschichtskulturen anderer sozialer Gruppen, wahrscheinlich sowohl anderer Familien außerhalb Nürnbergs als auch, nachweislich, in Nürnberg selbst. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu anderen Familien des Patriziats könnten es problematisch erscheinen lassen, von einer genuin auf das einzelne Geschlecht bezogenen familiären Geschichtskultur zu sprechen: Konnte es zwischen Familien, die in der Vergangenheit und potentiell in der Zukunft weiterhin miteinander durch Heiraten, geistliche Verwandtschaft, Patenschaften und andere Beziehungen verbunden waren, überhaupt abgrenzende familiäre Bemühungen um eine eigene Geschichtsschreibung geben? Die Frage der Autorschaft und Auftragvergabe muss für eine die Familie repräsentierende Familiengeschichte wie das Tucherbuch zentral thematisiert werden. Die Nürnberger Erinnerungskulturen intensivieren und diversifizieren sich deutlich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Als diese Entwicklung einen Höhepunkt erreicht, erhebt die wohl kostbarste patrizische Familiengeschichte, ein der sozialen Gruppe entsprechend so genanntes Geschlechterbuch der Tucher, das prinzipiell bereits früher bekannte Wort »Generation« zu einer historischen 4 Zu ›Fortuna‹ als überkonfessionellem, theologisch-philosophischem Sinnproblem vgl. Alfred Jakob Doren, Fortuna im Mittelalter und in der Renaissance, in: Bibliothek Warburg. Vorträge 1922 – 1923, Leizig 1924, 71 – 144. 5 Das Fortunaproblem war ausgehend von einer klassischen Formulierung in den Discorsi von Macchiavelli eine Grundfrage der Renaissance. Es bestimmte die nachfolgende Diskussion um die Interpretation historischer Prozesse, vgl. Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991, 336 – 338. Möglicherweise stand diese Perspektive auch Pate für die katalogartige Zusammenstellung familiärer Archivbestände in Barbara Schmid, Schreiben für Status und Herrschaft. Deutsche Autobiographik in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Zürich 2006. Allerdings wurde die dort auch für historisch-zeitgeschichtliche Quellen suggerierte Reflexion von Geschichte nicht weiter expliziert.

Zur Fragestellung

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Kategorie und macht es – so die eingehend zu kontextualisierende Arbeitsthese – zu einem reflektiert eingesetzten, ja unersetzbaren Grundbegriff. Dass »Generation« in der Tucherschen Geschichtsschreibung um 1590 neu als genealogische Ordnungseinheit eingeführt wird, bedarf der historiographiegeschichtlichen Auswertung der Historizität der Erinnerung.6 Aufbauend auf Ansätzen der frühen Wissenschaftstheorie der Geschichtswissenschaft7 ist das Erinnern als Prozess und Handlung anzusehen. Erinnerungskonstitution und Gedächtnis sind keine außersprachliche Realität, die als solche durchgehend hinter der kulturellen Konstruktion der Familiengeschichtsschreibung der Tucher zu entdecken wäre. Die biographischen Selbstbeschreibungen von Familienmitgliedern in den Briefen oder ihre Lebensporträts in der Familiengeschichte, die Anordnung in einer genealogischen Abfolge, die bildliche Darstellung dieser Personen, kurz: die diskursive Umsetzung der Genealogie konstituieren den Gegenstand selbst. Das Hauptaugenmerk richtet sich somit besonders auf den Wandel der kulturellen Konstruktion, um Veränderungen in der Akzentsetzung und Gestaltungsart kontrastierbar und so auch deren prospektiven Sinn fassbar zu machen.8 Die von den Tucher des langen 16. Jahrhunderts überlieferten Quellen erscheinen besonders geeignet, die theoretischen Prämissen der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft empirisch einzulösen.9 Die historiographische Kommunikation zwischen den Generationen wird dabei durch Briefe ergänzt. Diese Quellengruppen wurden in der Forschung bislang als Praxis und Reflexion getrennt behandelt, obwohl beide mit unterschiedlicher Reichweite familiäre Kontinuität stifteten. Wie die repräsentativen Geschlechterbücher sind auch die von den Tucher archivierten Privatbriefe weit davon entfernt, lediglich Überreste ihrer Zeit zu sein. Vielmehr wurden sie durch 6 Die theoretische Perspektive erläutert mit umfassenden Nachweisen Marcus Sandl, Historizität der Erinnerung/Reflexivität des Historischen. Die Herausforderung der Geschichtswissenschaft durch die kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung, in: Günter Oesterle (Hg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung (Formen der Erinnerung 26), Göttingen 2005, 89 – 120. 7 Johann Gustav Droysen, Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857) und in der letzten gedruckten Fassung (1882), in: Peter Leyh (Hg.), Johann Gustav Droysen, Historisch-Kritische Ausgabe, Band 1: Historik, Stuttgart Bad Canstatt 1977, 451 – 469. 8 Zur Anwendung dieser Unterscheidung vgl. Karl-Heinz Spieß, Materielle Hofkultur und ihre Erinnerungsfunktion im Mittelalter, in: Carola Fey/Steffen Krieb/Werner Rösener (Hg.), Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen (Formen der Erinnerung 27), Göttingen 2007, 167 – 184, 167 f. 9 Die in Deutschland zu aufgeregt geführte Diskussion um die Sprachlichkeit von Geschichte beruht auf einer starken Kohäsion von Sprache und Geschichte, so dass die ursprüngliche und so umstrittene Argumentationsrichtung mittlerweile auf die reinen Sprach- und Literaturwissenschaften in der Form eines ›historical turn‹ zurückwirkt, vgl. Jürgen Trabant, Vom linguistic turn der Geschichte zum historical turn der Linguistik, in: Jürgen Trabant (Hg.), Sprache der Geschichte (Schriften des Historischen Kollegs 62), München 2005, vii–xxii.

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Einleitung

Überlieferungspräferenzen gezielt Teil der historischen Geschichtskultur. In der historischen Erziehung stifteten Briefe zwischen Jung und Alt Kontinuität mit vordergründig berufsbildspezifischen Ausdrucksmitteln, sie waren ein für die Handlungspraxis bestimmtes, funktionales Gedächtnis; diese Briefe waren jedoch bereits zum unmittelbaren Zeitpunkt ihres Versands weniger als Informationsträger denn als Dokumentation der gelungenen Erziehung gedacht. In archivierter Form wandelte sich dieses zunächst nur funktionale Gedächtnis. Archiviert wurden die Briefe zu einem Teil der ›Geschichtskultur‹, zu deren Erschließung die Kontexte der ursprünglichen intergenerationellen Kommunikationssituation genauso behandelt werden müssen wie die innerstädtische sowie überregionale Wettbewerbssituation. Briefe wie Geschichtsschreibung werden als Selbstbeschreibungen der Tucher interpretiert, an deren verschiedenen Fassungen auch unterschiedliche Familienbilder und darin enthaltene ›Zeitwerte‹ in den Blick kommen können;10 auf den stadt- und landesgeschichtlichen Stoff wird hier also diskursanalytisch zugegriffen. Die geschichtskulturelle Kommunikation in Nürnberg kann nur in isolierten Einzelsträngen betrachtet werden. Ihre Komplexität soll durch vier als Schlaglichter ausgewählte Quellen illustriert werden, darunter sowohl vielzitierte als auch bislang der Forschung unbekannte. Vor allem sollen Gründe für die Vorgehensweise aufgezeigt werden, Definitionen der herangezogenen Quellengattungen (»Privatbrief« und »Briefarchiv«, »Geschlechterbuch«) entschieden zu problematisieren.11 Hinführend auf die eingehende Interpretation des durch eine Faksimileedition verfügbaren Tucherbuchs von 1590 sollen Beispiele für Vorläufer, Begleitmedien und nachahmende Quellen gegeben werden. Die Auswahl des Tucherbuchs als zentrale Quelle ist nicht in Hinblick auf den Höhenkamm des auch materiell wertvollen Kunsthandwerks erfolgt. Vielmehr stellt die Tuchersche Familiengeschichtsschreibung ein Ergebnis absichtsvoller familiärer Handlungen und Sinnbildung dar, die die Tucher – ausführlicher als andere Familien – teilweise selbst dokumentiert haben. Aus dem Blickwinkel einer diskursanalytischen Untersuchung weist insbesondere die ältere Forschung das methodische Defizit auf, die historische 10 Eine geschichtsphilosophisch anregende Fokussierung auf die Zeitlichkeit von Werten, was konkreter auch Kosellecks Arbeiten zu Grunde lag, findet sich in philosophischen Ansätzen, vgl. etwa Werner Stegmaier, Philosophie der Orientierung, Berlin/New York 2008. 11 Ausgangspunkt sind hervorragende Synthesen, gerade weil im Folgenden punktuell aussagekräftige Materialien ergänzt werden können, vgl. die umfassende, Forschungsergebnisse mit großer Tiefe referierende Studie und Forschungssynthese Gregor Rohmann, »Eines Erbaren Raths gehorsamer amptman«. Clemens Jäger und die Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft. Studien zur Geschichte des Bayerischen Schwabens 28), Augsburg 2001. Vgl. auch Carla Meyer, Die Stadt als Thema. Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 (Mittelalter-Forschungen 26), Ostfildern 2009.

Zur Fragestellung

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Selbstdarstellungsabsicht der Nürnberger Patrizierfamilien mit deren Interpretation gleichzusetzen. Dagegen soll hier der historiographiegeschichtlich vergleichende Blick die Wertgebung einer zeitlich, regional und familiär eingegrenzten Historie analysierbar machen.12 Die diskursive Ebene der Wirkungsabsichten der sich selbst kreativ dokumentierenden ›blühenden Geschlechter‹ soll, einschließlich ihrer erzielten Wirkung, dezidiert von der Ebene der historiographiegeschichtlichen Forschungsfragen getrennt sichtbar gemacht werden. Besonderes Augenmerk ist daher auf die begrifflichen Kategorien der Genealogie zu richten, die bislang zu wenig auf semantische Konnotationen und deren Stellenwert für die Geschichtsschreibung ausgewertet wurden.13 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert gewinnt das Wort »Generation« einen programmatischen Rang in der genealogischen Strukturgebung. Die Bedeutung der Kategorie als »Grundbegriff« zeichnet sich im Tucherbuch als einem ›Makrotext‹ ab, d. h. der Prachtband der Familiengeschichte ist als ein komplexes Zeichensystem mitsamt seiner äußeren und inneren Gestaltung von Kontinuitätssemantik geprägt. Diese ist einerseits durchaus üblich,14 andererseits erfolgt im Fall der Tucher eine besonders intensive Suche nach Ausdrucksformen für die vor allem – gemäß einer konfessionalisierten Theologie – als göttliche Gnade verstandene ›Generation‹ der Tucher, d. h. im Sinne der ›Blüte‹ dieses Geschlechts.15 Die semantische Dimension, die Bedeutung dieser Kategorie bildet ein Leitthema dieser Arbeit. Die folgenden Beispiele sollen den Problemhorizont der Produktion von historischem Sinn, wie er sich im Begriff »Generation« niederschlägt, illustrieren und die hier verfolgte Argumentation begründen.

12 Für eine anders angelegte regional beschränkte generationengeschichtliche Untersuchung vgl. Carola Groppe, Der Geist des Unternehmertums. Eine Bildungs- und Sozialgeschichte. Die Seidenfabrikantenfamilie Colsman (1649 – 1840), Köln/Weimar/Wien 2004. 13 Ähnlich wie in der Studie von Lubich soll der Akzent auf der »Sprache der Verwandtschaft« liegen, soweit diese den Geschichtsprozess charakterisieren sollen, vgl. Lubich, Gerhard, Verwandtsein. Lesarten einer politisch-sozialen Beziehung im Frühmittelalter (6.–11. Jahrhundert) (Europäische Geschichtsdarstellungen 16), Köln/Weimar/Wien 2008, hier bes. 124 – 127. Die historisch-semantische Pionierstudie bietet zum 16. Jahrhundert leider nicht die gleich Materialfülle wie für andere Epochen, vgl. Ohad Parnes/Ulrike Vedder/Stefan Willer, Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Frankfurt 2008, 40 – 63. 14 Zur bestimmenden Rolle von Kontinuität in der Geschichtsschreibung bzw. im »genealogischen Wissen« vgl. das Standardwerk zur historiographischen Sinnbildung, Beate Kellner, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004. 15 Vgl. Michael Diefenbacher, Tucher von Simmelsdorf, Patrizierfamilie, in: Michael Diefenbacher/Rudolf Endres (Hg.), Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 22000, 1089.

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1.2

Einleitung

Die Nürnberger Geschichtskultur des langen 16. Jahrhunderts: Gattungen, Medien und Werte

1.2.1 Politik und Geschichte in »Mein Doctor Christoffen Scheurls hochzeit« (1526) Als der Nürnberger Ratskonsulent Dr. Christoph Scheurl (1481 – 1542) 1519 Hochzeit hielt, waren die Feierlichkeiten – seiner eigenen Darstellung nach ein mehrere Tage dauerndes Ereignis – von Bedeutung für die ganze Reichsstadt. Diesen Eindruck sollte jedenfalls gewinnen, wer seinen Bericht darüber im »Pfinzing-Löffelholzschen Stammbuch« las.16 Diese wohl dem Kreis der Verwandten zur Kenntnis gegebene Familiengeschichte widmete Scheurl seinen Vettern Martin und Paulus Pfinzing, deren Wappen auf Pergament in die Familiengeschichte eingefügt sind, neben einer Reihe von familiengeschichtlichen Informationen wie einer Kinderliste und chronikalischen Berichten.17 Zwar enthält der Band ein Ex Libris von Christoph Scheurl, man muss sich aber dennoch fragen, was die Beschreibung der Scheurl-Fütterer-Hochzeit in diesem Familienbuch für die Pfinzing und Löffelholz zu suchen hat, auch wenn Scheurl zu den Nachfahren des Spitzen-Ahnenpaars gehört. 1526, als der Band begonnen wurde, war Scheurl, dessen Mutter eine Tucher war, bereits als Gelehrter und Politiker bekannt. Die Verbindung mit der mächtigen patrizischen Familie bedeutete für die Scheurl, die erst eine Generation zuvor nach Nürnberg gekommen waren, einen beachtlichen sozialen Prestigegewinn. Diesen vergegenwärtigt Scheurl, wenn er zur feierlichen Verlobungserklärung, der »Lautmerung« am »22 augusti«, ausführt, etwa 20 Bürger Nürnbergs hätten ihm zur Seite gestanden. Dabei habe »Nach Essens […] mein muter, die Jheronimus Ebnerin, auf meiner seiten zw Ir gepeten, die prawt heimzusuchen, Ir glück zu wünschen, vnd das Zeistla anzuhencken«, eine Handlung, der durch die historische Darstellung ein symbolischer Wert beigemessen wird. Scheurl schreibt vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses seiner patrizischen Mitbürger, die sich nicht als 16 Für Hochzeitsbeschreibungen vgl. etwa das Quetzische Hochzeitsbüchlein, Haller-Archiv Großgründlach. 17 Scheurls Bericht ist abgedruckt in: Eugen Freiherr Löffelholz von Kolberg, Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharine Fütterin am 29. August 1519, in: MVGN 3 (1881), 155 – 168, die Beschreibung der Handschrift auf 155. Hinzugezogen wurden auch die folgenden Teilkopien von Archivalien, Scheurl, Christoph von, Pfinzing-Loeffelholz-Buch, 1526, StadtAN, E 17/I, Depositum Frhr. Von Loeffelholz, B 3, Loeffelholz Stammbuch A; Teil-Fotokopie im Archiv der Frhr. Haller von Hallerstein, Pfinzingarchiv PB 2. Auf Grund des Scheurlschen Exlibris ist zu vermuten, dass der Band erst später in den Besitz der Familie Löffelholz gelangt ist. Scheurl hatte bereits eine Geschichte der Pfinzing angefertigt, vgl. Christoph von Scheurl, Familienbuch Pfinzing, »Copi doctor Cristoff Scheurls buch so er Martin vnd Paulus denn pfinzting v[er]eret hat«, StadtBN Amberger 48 Nr. 479, 1526.

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Stadtbürger sondern als eine dem Adel gleichwertige Gruppe ansahen. In einem Geschlechterbuch aus seiner Hand konnten die Widmungsempfänger einerseits Professionalität sehen, andererseits benutzte Scheurl das Werk auch, um sich in die Geschichtskultur der als höher angesehenen, relativ abgeschlossenen sozialen Gruppe der Patrizier einzuschreiben. Zunächst aber hebt Scheurl die an der Anbahnung der ehelichen Verbindung beteiligten Personen hervor, die am 6. August 1519 »auf dem Rothaus« anwesend waren, darunter »Herr Anthonj Tucher, Obrister losunger […] mit Ulrichen Fütrer, [der] mich mit seiner tochter Junckfrawen Katherina mit nemlichen gedingenn zuuerheiraten abgeredt hat«. Der mit 18 Seiten umfängliche Text deutet schon im Titel eine Selbstbeschreibung an: »Mein Doctor Christoffen Scheurls vnd Junckfrawen Katherina Fütrerin hochzeit«. Der Text verzeichnete die vollständige Liste aller Beteiligten, detailliert auch beim »Heimladenn« am 24. August. Dieses Ereignis ging der Verheiratung am 29. August voraus, zu der »mir zw ehren komen herr Johann Eck, Doctor vnd Ordinarius zw Ingolstat, Herr Ulrich von Dinsthet Doctor vnd sengmeister zw Wittnberg«.18 Die Besucher werden ausdrücklich als eine Form von sozialem Kapital dargestellt, denn Scheurl erläutert eigens, dass »Johann Eck« nicht etwa der gleichnamige fränkische Reformator sei, sondern der immer stärker in anti-protestantische Polemik geratende katholische Theologe. Dies nahm Scheurl offenbar billigend in Kauf, wenn er den Namen des Gastes anführte. Scheurls Darstellung lässt sich, im Sinne der Selbstzeugnisforschung, als Ausdruck eines zeitgebundenen, kulturell überformten Personenkonzepts lesen.19 Stärker als andere Hochzeitsbeschreibungen20 verfolgt der Text die Absicht, die Verflechtung, oder sogar die gesteuerte Einflechtung Scheurls in die streng gegliederte soziopolitische Hierarchie Nürnbergs aufzuzeigen und weiter zu befördern, Scheurl will den vollzogenen Aufstieg weiter steigern. Dies zeigt der Abschnitt zum »Kirchgangk« durch die Anordnung der städtischen Presti18 Löffelholz von Kolberg, Scheurls Hochzeit, 157. 19 Vgl. zusammenfassend für die anhaltenden Diskussionen über die Interpretationsweisen von ›Selbstzeugnissen‹, ja über die Terminologie selbst Gabriele Jancke/Claudia Ulbrich, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung (Querelles. Jahrbuch für Frauenund Geschlechterforschung 10), Göttingen 2005, 7 – 28. 20 Die Hochzeit des Ambrosius von Quetz (†1576) enthält zwar ebenfalls eine Liste der Gäste und Darstellungen des Tanzes auf dem Rathaus, daneben aber auch biographische Angaben und Erläuterungen zu der Zusammensetzung der insgesamt 2000 Gulden Kosten. Vgl. H. Doege (Hg.), Das von Quetzische Hochzeitsbüchlein, mit einem Nachwort von H. Doege, Offenbach 1913, für die Bereitstellung dieser Quelle und den Hinweis danke ich Bertold Freiherr von Haller. Vgl. auch Cäcilie Quetsch, Die Quetz (Quetsch), in: Axel M. Quetsch (Hg.), Die Quetz (Quetsch). 450 Jahre Wappenbrief-Erneuerung 1541 – 1991, Heidelberg 1993, 79 – 110.

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gehierarchie. Nacheinander treten die »Elternn Herrnn« auf, denen die »Elternn Burgermeistere« folgen, die in Rechtsfragen eine höhere Instanz als die »Jungen Burgermeister« bildeten.21 Die patrizische Vorherrschaft in Nürnberg hatte sich seit dem Spätmittelalter etabliert und grenzte sich von bürgerlichen Eliten etwa durch das Verbot ab, Inhaber eines Doktortitels in bestimmte städtische Ämter zu erheben. Erst auf die eigentliche Führungsgruppe der Reichsstadt folgten »Eins e[hrbaren] rots, vnd ander Doctoren Juristen« sowie Doktoren »in der Ertznej«; bürgerlicher Bildungsstolz und das Wissen um zunehmende Immatrikulationen von Patriziersöhnen an Universitäten klingen bei Scheurl an, der promovierter Jurist und Rektor der Wittenberger Universität gewesen war.22 Auf die Doktoren folgen »Genannte des kleinern rots«, die höheren Status besaßen als die 150 darauf folgenden »Genannte[n] des Grossen rots vnd ander erbar Burger vnd burgerin« mit ihren ›Hausfrauen‹. Darunter befand sich auch der bereits europaweit bekannte Künstler »Albrecht Durer [und] sein hausfraw«, der 1526 der Vaterstadt die Gemälde der »Vier Apostel« übergeben hatte. Seine Einordnung in den Aufbau des Zuges ist ein anschaulicher Beleg für die Dominanz der politischen Struktur und die Integration Scheurls darin. Die politische Hierarchie Nürnbergs war zwar starr, aber gerade deshalb unterlag die mit der Hochzeit verbundene Repräsentation auch deutlich agonalen Zielen. So wurde während der Hochzeit einer prachtvollen Kleidung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Scheurl hatte eine größere Zahl von Bürgern gebeten, »[v]on meint wegen […] Zum Kirchgang Vehenn [feh/fech, Adj. mit buntem Pelzwerk, bes. Hermelin besetzt, C. K.] geflugelt rock anzulegenn […] Weiter sein gebetenn auf meiner seytenn wullen mentel anzulegenn«23. Diese Personen nennt Scheurl namentlich, zahlreiche patrizische Namen wie Tucher, »Harstorfferin« usw. finden sich darunter. Die Verflechtung mit den Familien des Patriziats wird in den Hochzeitsritualen vor Augen geführt. So schildert der Autor »Frawen [Ehefrauen von Patriziern, C. K.] di am fruetantz, auf meiner seitn verert sein wordenn« – »Zum Nachttantz, sein auf meiner seitn von frawen verert worden Linhart Tucherin Christoff Kressin« – sowie welche »mans personen seyen auf meiner seytenn frw vnd auf di nacht verert wordenn Herr Melchior pfintzing probst von S. Seb[ald]«.24 Die Hochzeitsgesellschaft schriftlich niederzulegen bedeutete, soziales 21 Peter Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg. Die Herrschaft der Ratsgeschlechter vom 13. bis zum 18. Jahrhundert (Nürnberger Forschungen 31/1 – 3), Nürnberg 2008, Band I, 225. 22 Vgl. dazu die noch immer nicht ganz ersetzte prosopographische Studie Wilhelm Graf, Doktor Christoph Scheurl von Nürnberg (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 43), Leipzig/Berlin 1930. 23 Diese und das weitere Zitat nach Löffelholz von Kolberg, Scheurls Hochzeit, 162. 24 Ebd., 164.

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Wissen zu vergegenwärtigen und den – sicher wenigen, aber interessierten – Lesern Scheurls Integration in die Führungsschicht der Reichsstadt zu suggerieren.25 Die Hochzeit als solche drückte bereits gewisse Privilegien aus, die Scheurl beanspruchen durfte, denen ähnlich, die 1521 im städtischen »Tanzstatut« reglementiert worden waren. Scheurl selbst hatte 1516 in einer wahrscheinlich zur Veröffentlichung bestimmten Epistel die soziale Hierarchie in der Reichsstadt ›beschrieben‹, eine schriftliche Fixierung, die gerade durch die Behauptung bestehender Privilegien der als »edeln geschlechte[r] der alten wappens genossen« übersetzten »Patricii« auf die Legitimationsbedürftigkeit hinweist: Alles regiment unserer stat und gemainen nutzes steet in handen der so man geschlechter nennet, das sein nun soliche leut, dero anen und uranen vor langer zeit her auch im regiment gewest und uber uns geherscht haben. Frembdling so allda eingewurtzelt und das gemain völklein hat kainen gewalt: es steet inen auch nicht zu, dieweil aller gewalt von got, und das wolregirn gar wenigen und allein denen so vom schöpfer aller ding und der natur mit sonderlicher weyshait begabet sein verlihen ist.26

Die Führung der Stadt komme vor allem denjenigen Personen zu, deren Familien bereits lange geherrscht hätten, während die nicht weiter eingegrenzte Untertanengruppe, das »gemain völklein«, keinen Teil an der Regierung habe. Diese Zustandsbeschreibung wird mit dem Argument als angemessen dargestellt, dass offenbar nur die aus Tradition Herrschenden sowohl nach der dem gottgewollten Charakter ihrer Herrschaft als auch nach – wohl auf Erfahrung beruhender- »sonderlicher weyshait« zur Herrschaft überhaupt in Frage kämen. Geschichte kann so als Geschichte der eigenen Familie zum Argument im Distinktionswettstreit der sozialen Gruppen und innerhalb des Patriziats werden. Noch 1620 wurde der legitimierende Altersdiskurs als Distinktionsmittel in der Geschichtsschreibung eingesetzt, unter Kapitelüberschriften wie »Erste alte Geschlecht So Anno Christi 1198 im Rath gwest sein solle[n]«.27 Die dargestellten Hochzeitsfeierlichkeiten richten sich mit kompensatori25 Vgl. Gregor Rohmann, »mit seer grosser muhe und schreiben an ferre Ort«. Wissensproduktion und Wissensvernetzung in der deutschsprachigen Familienbuchschreibung des 16. Jahrhunderts, in: Birgit Studt (Hg.), Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (Städteforschung 69), Köln 2007, 199. Unter ähnlicher Maßgabe lassen die Testamente der Tucher Rückschlüsse auf die soziale Verflechtung und innerfamiliäre Zusammenhänge zu, vgl. Ulrich Meyer, Recht, soziales Wissen und Familie. Zur Nürnberger Testaments- und Erbschaftspraxis am Beispiel der Tucher (14.–16. Jahrhundert), in: Pirckheimer-Jahrbuch 14 (1999), 48 – 67. 26 Zitiert nach der Auswahl in Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250 – 1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, 269. vgl. dazu kritisch Carla Meyer, Nürnbergs Endeckung in Texten, 169 – 178. 27 Vgl. Nürnbergisches Geschlechter- und Wappenbuch des Christoph Derrer, Staatsarchiv Nürnberg B 213, fol. 9.

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schen Absichten auf die patrizische Familie der Braut. Auch der Überlieferungsort belegt die Legitimationsabsichten, denn Scheurl fügte die Beschreibung in ein Geschlechterbuch ein. Wie viele andere Nürnberger Geschlechter seit dem frühen 16. Jahrhundert beriefen sich auch die Pfinzing auf die Geschichte ihrer Familie in der Reichsstadt, wovon die zahlreichen überlieferten Geschlechterbücher Zeugnis ablegen.28 Scheurl, der seit 1526 als Autor solcher Werke für mit ihm verwandte Patrizierfamilien aufgetreten war, hatte das Ziel verfolgt, seine verwandtschaftlichen Beziehungen zum Patriziat deutlich sichtbar zu machen und zu festigen.29 Er hatte auch auf die eigene herausgehobene Stellung hingewiesen, indem er die Beschreibung seiner Hochzeit in das Geschlechterbuch der Pfinzing und Löffelholz eingetragen hatte, zusammen mit kleineren chronikalischen Aufzeichnungen wie einem Buch der ›Genannten‹ (der Mitgliedschaft eines nicht ausschließlich Patriziern vorbehaltenen Amts) bis 1531, kurzen Angaben über ein Nürnberger Gesellenstechen30 und andere Zentralthemen der Nürnberger Geschichtsschreibung.31 Wie Scheurl in der Widmung des Bandes an seine »jungen Oheime« Martin und Paulus Pfinzing vom 8. September 1526 erwähnt, bezogen sich die textlichen Aufzeichnungen auf eine graphische Abbildung: »[D]er gleichen hab ich inen auch Ir wappen tafeln, di in disem puch erclert wirdet, mit vleis malen lasen vnd am obgemelten tag [Mariä Geburt, also ebenfalls 8. September] vberschickt vnd inen geschanckt, mein dobey zugedencken.«32 Diesem 1526 begonnenen Geschlechterbuch folgten weitere Arbeiten aus der Feder Scheurls, so 1539 eine Geschichte der Fütterer sowie 1540/41 die der

28 Für einen Überblick vgl. Helmut Freiherr Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 65, Festschrift des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg zur Feier seines hundertjährigen Bestehens 1878 – 1978 (1978), 212 – 235 29 Diese These formuliert Gregor Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 199. 30 Scheurl beschreibt zwei bestimmte Gesellenstechen, nämlich das authentische von 1446 anlässlich der Hochzeit des Wilhelm Loeffelholz mit Kunigunda Paumgartner (Biedermann Tab 305) sowie das angebliche von 1451, das sich auf das Turnier von 1198 bezieht. Vgl. hierzu und zum Begriff des Gesellenstechens von Haller, Turnierwesen, 68, 250. 31 Ausgehend von der offiziösen Geschichtsschreibung diffundierte eine größere Anzahl von patriotischen Erzählungen durch Texte des 14., 15. bis in das 16. Jahrhundert und durchdrang verschiedene Gattungen historiographischen Schrifttums, ein Intertextualitätsphänomen, zu dem zusammenfassend zu verweisen ist auf Joachim Schneider, Heinrich Deichsler und die Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg/Eichstätt 5), Wiesbaden 1991. Diese Quellen werden in letzter Zeit verstärkt als Abbild eines Nürnbergdiskurses gelesen, vgl. Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten, 102 – 108. 32 Christoph von Scheurl, Pfinzing-Loeffelholz-Buch, 1526, StadtAN, E 17/I, Depositum Frhr. Von Loeffelholz, B 3, Loeffelholz Stammbuch A; Teil-Fotokopie im Archiv der Frhr. Haller von Hallerstein, Pfinzingarchiv PB 21, fol. 2.

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Tucher.33 Mehrere ›Scheurlbücher‹ waren vorausgegangen, 1523 ein »ScheurlStamm- oder Geschlechtsbuch«, das 1541 zum »Scheurl Geburt, Heirat Totten und Begrebnis«-Buch erweitert wurde, und eine weitere illustrierte Fassung, deren ›Autorschaft‹ noch nicht abschließend geklärt ist, jedoch wahrscheinlich von Christoph Scheurl d. J. angefertigt wurde.34 In diesen Jahren entstand auch eine Fassung des Tucherbuchs, die die Grundlage für die späteren Fassungen bildete, welche die vorliegende Arbeit in das Zentrum ihrer Betrachtung stellt. Die Form der Geschichtsschreibung, in der Scheurl bei der Hochzeitsdarstellung arbeitet, ist insofern zeitgebunden, als sie die Interessen und Sinnbedürfnisse des Verfassers – und bei den späteren Fassungen zunehmend die der Auftraggeber – reflektiert. Die Familienhistorie Scheurls ist auch ein Vehikel für seine eigene soziale Mobilität. Die Berücksichtigung dieser pragmatischen Dimension von Geschichtsschreibung ist in der historiographiegeschichtlichen Forschung bisher nicht selten angemahnt worden,35 womit ein wesentliches Desiderat markiert ist. Scheurl passte sich dem kulturellen Wertmaßstab der Familien des Nürnberger Patriziats an und macht die eigene Vergangenheit und die Verbindung mit alten Familien zum Hauptanliegen. Die stark wachsenden Investitionen in illustrierte Prachtcodices zeigen,36 dass dort wiedergegebene repräsentative Handlungen wie die eingangs vorgestellte Hochzeit, aber auch die Anlage von Familienarchiven und deren Erschließung durch Familienmitglieder 33 Zu Scheurl vgl. zuletzt die Nennungen von Quellen und möglichen Forschungsansätzen in Schmid, Deutsche Autobiographik, 60 – 64. Derzeitig kann die historiographische Leistung Scheurls noch nicht genau eingegrenzt werden, Entstehungsprozesse, -jahre und Formen benannt werden. Die folgende Darstellung der Materiallage beansprucht daher keine Vollständigkeit, vgl. für eine umfassendere Darstellung des Materials Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten, 76 – 108. 34 Vgl. Scheurlbuch, Scheurlarchiv, GNM [im Folgenden »Kleine Scheurlchronik«]. Es handelt sich um ein bebildertes Geschlechterbuch, dessen Einträge ca. 1568/70 – 1600 erfolgt sind. Dieses Exemplar hat in der Forschung m. W. bislang keine Berücksichtigung gefunden, vgl. Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 225 (dort auf 1541 datiert); vgl. auch Siegfried Frhr. von Scheurl, Die Scheurl von Defersdorf. Eine Patrizierfamilie hält Rückschau, in: MVGN 61 (1974), 283 – 292, hier 285, 287, 291. Auskünfte zu diesem Buch gibt das Scheurl-Archiv, GNM. Ich verdanke Herrn Guntram Freiherr von Scheurl die Möglichkeit zur Einsichtnahme und zum Abfotografieren des Bandes. Die hier geäußerten Einschätzungen zur Entstehungszeit und vermutlichen Entstehungsdauer beruhen auf einer Analyse der schreibenden Hände und auf inhaltlichen Erwägungen. Ich danke Herrn Bertold von Haller für seine ausführliche Einschätzung meiner Arbeitsaufnahmen. 35 So zuletzt die nicht konsequent ausgeführten, aber wertvollen methodischen Hinweise in Schmid, Deutsche Autobiographik, 53 – 57. 36 Für eine erste Übersicht vgl. Hartmut Bock, Die Chronik Eisenberger. Edition und Kommentar. Bebilderte Geschichte einer Beamtenfamilie der deutschen Renaissance – Aufstieg in den Wetterauer Niederadel und das Frankfurter Patriziat (Schriften des Historischen Museums Frankfurt am Main 22), Frankfurt/Main 2001, 479. Der Befund legt die Frage nahe, warum bebilderte Geschlechterbücher nahezu ausschließlich in den Städten Nürnberg, Augsburg und Frankfurt vorgekommen sind.

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oder Historiker von einem Legitimationsbedürfnis herrührten. Während Scheurl seine nichtpatrizische Herkunft aufwiegen wollte, bemühte sich das Patriziat, die Fähigkeit zum Konnubium mit Familien des Adels aufzuzeigen und soziale Distanz zu anderen, möglicherweise sogar reicheren, aber nichtpatrizischen Familien herzustellen. Die historische Begründung der politischen Privilegien des Patriziats zeigt: Die Familiengeschichtsschreibung im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nürnberg war die Projektionsfläche der Interessen einer von umfassenden wirtschaftlichen und politischen Veränderungen geprägten Gegenwart.

1.2.2 Generationenwechsel als Übertragungssituationen: Sinnfragen der Geschichtsschreibung im bebilderten Scheurlbuch, ca. 1570 – 1600 Das »Scheurlbuch« ist ein um ca. 1568/70 begonnener, in Buchdeckel mit Bildern Scheurls und seiner Frau gebundener Band. Die bebilderte Familiengeschichte im Folioformat enthält mehrere zum Teil gedruckte grafische Einlagen, die Grundsituationen von historischer Relevanz reflektieren: Das Verhältnis von Jung und Alt sowie die Erfahrung der Endlichkeit des menschlichen Lebens. Diese Themen strukturieren literarische Darstellungen von Familie wie auch ›reale‹ Familienkontakte und – so eine Arbeitshypothese – vor allem das Wertsystem der Familiengeschichtsschreibung.

Abb. 1: Kleine Scheurlchronik, hier unpaginiert.

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In der lavierten Federzeichnung stehen ein pelztragender Greis und ein Knabe im Gespräch über die menschliche Existenz sowie über deren Wesen und Sinn. Der Knabe fragt, »sage mir, ehrenwerter Greis, was ist es, das menschliche Leben zu führen?« Der von der Last des Lebens gebeugte Greis antwortet auf die Frage: »Die Geburt ist Schmerz, unendlicher Schmerz ist der Tod. Der Lebensverlauf ist Anstrengung, wenn jemand zu leben begehrt.«37 Diese Problematisierung des Lebenssinns ist im frühen 17. Jahrhundert als »meditatio mortis« topisch geworden.38 Der Wortwechsel wird sinngemäß in der Form literarischer Devisen in der unteren Hälfte wiederholt.39 Ähnliche Äußerungen finden sich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts auch in Stammbüchern,40 die im Wittenberger Kontext, einem Reizklima humanistischer und theologischer Auseinandersetzungen und einem intensiven Markt emblematischer Literatur, entstanden sind. Der Dialog bündelt eine Facette der Thematik des Bandes, die auf der folgenden Seite ergänzt wird. Dort spiegelt ein Amorknabe, hier eine Figur für die Vergänglichkeit, vanitas, die Eitelkeit des Lebens. Die auf einen Totenschädel gestützte Figur bläst spielerisch schillernde Seifenbläschen in die Luft, zersetzt das Leben.41 Das vom Kupferstecher Hendrick Goltzius (1558 – 1616) verwendete Motiv bezieht im Rahmen der Familiengeschichtsschreibung die Sinnfrage menschlicher Existenz auf die Familie,42 die Verwandtschaftsgruppe.43 Dem folgt 37 »Dic venerande senex/ Humanum viuere quid sit[?] Principium dolor est, dolor exitus ingens/ Et medium labor est, viuere quis cupiat.« 38 Vgl. Stephanie Wodianka, Vergegenwärtigter Tod und erinnerte Zukunft. Zeit und Identität in der protestantischen Meditatio mortis des 17. Jahrhunderts, in: Joachim Eibach/Marcus Sandl (Hg.), Protestantische Identität und Erinnerung. Von der Reformation bis zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR (Formen der Erinnerung 16), Göttingen 2003, 115 – 134, hier 115 – 118. 39 »O Necessitas/ Nascendi abiecta/ Viuendi misera/ Moriendi durissima« sowie »Nil vita est Hominis/ nisi cura labor[em]q[ue] perennis/ Exitium, maeror/ uiuere quis cupiat«, Kleine Scheurlchronik, unpaginiert. 40 Vgl. Wolfgang Klose (Bearb.), Wittenberger Gelehrtenstammbuch. Das Stammbuch von Abraham und David Ulrich, Benutzt von 1549 – 1577 sowie 1580 – 1623, Halle 1999 (hg. durch das Deutsche Historische Museum), vgl. auch http://www.dhm.de/texte/stammbuch/pdf/ WGSB.pdf [Zugriff am 20. März 2009], 144. Die bisherige geschichts- und literaturwissenschaftliche Lesart hatte sich auf einen faktischen Kern der Stammbucheinträge konzentriert, also auf Fragen wie die, welche Namen hier zu welchen Orten, anderen Namen und Jahreszahlen belegt sind. Diese interpretatorische Selbstbeschränkung ist bereits vor längerem kritisiert worden, vgl. ebd., 443. 41 Bettina Full, Eros, in: Maria Moog-Grünewald (Hg.), Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart/Weimar 2008 (Der Neue Pauly. Supplemente 5), 262 – 275. 42 Vgl. für die Abbildung unter dem unspezifischen Titel »Child Seated with Skull« in Walter Strauss (Hg.), Netherlandish Artists. Hendrik Goltzius, in: The Illustrated Bartsch, Bd. 3.1, New York 1980, 293. 43 Gregor Rohmann, Wissensproduktion und Wissensvernetzung, 89.

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die grammatische Deklination des Wortes Tod: »Declinatio Mortis/ Mors mortis, morti, mortem, O Mors, morte peremit/ Hinc mihi caelorum janua tota patet«.44 Die Reflexion auf das Lebensende hat seelsorgerlich-konsolatorische Funktion, die in Bezug zum folgenden bebilderten Geschlechterbuch steht. Dieses gibt nach einer moralisierenden Vorrede zwei Wappenbriefe wieder, und darunter steht »Der Scheurl geburt Heiratt totten vnd Begrebnus Buch anfencklich durch Doctor Christoffen Scheurl ordenlich beschriben im Jar MDXLI«. Dieses Werk kann nur von Scheurls Sohn angefertigt worden sein.45 Es ersetzt eine wesentlich stärker autobiographisch geprägte Handschrift des »Scheurlbuchs«, die noch von Christoph Scheurl selbst verantwortet worden war.46 Anstatt die – in der älteren Forschung oft moralisch bewertete – Selbstdarstellung des Autors wiederzugeben, ist die zitierte Fassung von ca. 1568/70 als »Bebildertes Geschlechterbuch« gestaltet und strebt damit eine einheitliche Gestaltung an.47 Die Darstellung des Lehrgesprächs von Greis und Knabe verweist im Rahmen der Familiengeschichte auf die Kontinuität zwischen den Generationen, um damit einem Ereignis wie der im Scheurlbuch berichteten Erhebung in den Adelsstand historiographisch zu entsprechen. Was vor dem Hintergrund der moralischen Vorreden, der verschiedenen Spielarten von Geschichtsschreibung und vor allem der Menge an Familienhistoriographie überrascht, ist die seltene Beschäftigung in der Forschung mit dem hier konstruierten historischen Sinn, oder dem diskursiven Umgang mit dem Problem der intergenerationellen Kontinuität.48 Das im 16. Jahrhundert überkonfessionell bestehende Sinnproblem wurde grundlegend durch die Dar-

44 »Der Tod, des Todes, dem Tode, den Tod, o Tod!, durch den Tod zugrunde gehen/ ganz ausgelöscht werden/ Mir steht der Zugang zum Himmel ganz offen von hier aus.« 45 Soll diese Familiengeschichte nicht nach dem Wortlaut allein bewertet werden, so ist der gleichnamige Sohn Christoph Scheurls als der Verfasser anzunehmen. Dieser hat das Buch vermutlich schon 1568, eher 1570 begonnen; der graphologische Befund zeigt, dass in seiner Biographie die Kinder, Nr. 55 – 60, von gleicher Hand nachgetragen wurden wie Ergänzungen zu 1600, so dass der 1592 verstorbene, gleichnamige Sohn Christoph Scheurls die Nachträge nicht selbst vorgenommen haben kann. 46 Darin waren ca. 80 Seiten über den Ratskonsulenten Scheurl enthalten, vgl. Pastenaci, Stephan, Psychohistorische Aspekte der Autobiographie des Nürnberger Ratskonsulenten Christoph Scheurl (1481 – 1542), in: Ralph Frenken (Hg.), Psychohistorie und Biographik, Heidelberg 1999, 1 – 18. Die Schwierigkeiten, solche Ergebnisse den archivischen Quellen zuzuordnen, zeigen deutlich den Bedarf eines Verzeichnisses, das alle bekannten Geschlechterbücher und Familiengeschichten umfassen sollte und das eine Gesprächsgrundlage weiterer Forschungen bilden könnte. 47 Collectaneenband B, Scheurl-Archiv, GNM. 48 Vgl. www.verwandtschaftsforschung.de sowie die angekündigte Internetdatenbank des Leibniz-Projekts »Verwandtschaft in der Vormoderne. Institutionen und Denkformen intergenerationeller Übertragung«, Frankfurt.

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stellung von »Ursprung und Kontinuität« nach einem letztlich biblischen Muster motiviert und strukturiert.49 Genealogie wird durch eine der Geschichtsschreibung einverleibte Wertematrix konstituiert. Genealogisches Wissen ist somit eigentlich immer ›sekundär‹, in dem Sinne, dass es eine Darstellungsweise ist, die kein »Dargestelltes« hat, das ohne seine Darstellung denkbar und hinter den Medien der Repräsentation zu entdecken wäre.50 Eine Trennung von sprachlichem Ausdruck und faktischer Sache würde letztlich zu einer essentialistischen Geschichtsschreibung führen;51 andererseits ließe ein einseitiger Blick auf die Textualität von historischen Quellen auch vergessen, dass sich durchaus Sehnsüchte, Wünsche, Bedürfnisse und Wirkungsabsichten häufig geradezu kontrafaktisch aus den Quellen ablesen lassen. Die eingeschriebenen Wünsche verweisen jedoch immer nur auf andere sprachliche Quellen, nicht auf eine – außersprachlich streng genommen nicht denkbare – historische ›Faktizität‹.

1.2.3 Die ›Tucherfenster‹ in der St. Lorenzkirche im Kontext der »Tucherischen Monumenta« Das Tucherfenster befindet sich im rechten – südlichen – Chorhals der Pfarrkirche St. Lorenz. Es wurde 1481 von dem Propst Lorenz Tucher (1447 – 1503) gestiftet und 1600/01 von einem der besten Glasmaler seiner Zeit, Jakob Sprüngli, erneuert. Die großflächige Fenstermitte stellt in Rundscheiben Tuchersche Wappenallianzen dar, die das Fenster zu einem besonderen »Tucherschen Monument« werden ließen. Im neuen Fenster wird der Einfluss des Propstes, Lorenz Tucher, durch die Abbildung als knieenden Betenden in der ersten Zeile, links unten, herausgestellt. Die Präsenz des Stifters ist insofern familienge49 Kellner, Ursprung und Kontinuität, 46 – 60. 50 Die Diskurse beziehen sich allerdings auf bestimmte Gefahren, die der Familie drohten, nämlich Unterbrechungen der sozialen Reproduktion aller Art, etwa Generationenkonflikte, unvorteilhafte Heiraten, Verlust materieller Resourcen oder gar das Aussterben, vgl. Horst Carl/Martin Wrede, Einleitung: Adel zwischen Schande und Ehre, Tradition und Traditionsbruch, Erinnerung und Vergessen, in: Dies. (Hg.), Zwischen Schande und Ehre. Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 73), Mainz 2007, 1 – 25. Für die prinzipiell Bedeutung der Repräsentation relevanter wissenschaftstheoretischen Fragen vgl. die luzide Darstellung in Francisca Loetz, Sprache in der Geschichte. Linguistic Turn vs. Pragmatische Wende, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 2 (2003), 87 – 103. 51 So auch einem vordergründigen Verständnis der Aussage des späten Reinhart Koselleck, Die Geschichte der Begriffe und Begriffe der Geschichte, in: Carsten Dutt (Hg.), Herausforderungen der Begriffsgeschichte. Zur Klärung der Begriffe, Heidelberg 2003, 3 – 16.

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schichtlich relevant, als diese Figur als einzige auf vier Scheiben mit Tucherschen Wappenallianzen dargestellt ist. Das wie ein Epitaph mit Säulendekor ausgestattete Fenster setzt an die Stelle des ikonographisch üblichen Weltenrichters am Jüngsten Tag mit den Engeln Gottes das Tucherwappen.52 Insofern stellt die Ikonographie den Bezug zwischen einer der wichtigsten geschichtstheologischen Sinnkategorien und der Familiengeschichte im Spiegel einzelner Ahnen her. Anders als die Abbildung in der Sammlung »Tuchersche Monumenta« zeigt, ist die Jahreszahl der Neugestaltung 1601, und nicht »1661«. Unter dem Titel »Tucherische Monumenta« im »18. Jh., Anfang 19. Jh.« angelegt und »1937 durch den Buchbindermeister im Germanischen Nationalmuseum […] in einer Mappe vereinigt«,53 ist diese Sammlung zwar wegen der enthaltenen Quelle heranzuziehen, dieses Material muss aber in einen zeitgenössischen Interpretationshorizont eingeordnet werden.54 Die Sammlung »Tucherische Monumenta« ist ein spätes Zeugnis für die seit dem frühen 17. Jahrhundert einsetzende konservatorische Arbeit der Familienstiftung. So ist das Fenster kein beliebiges Artefakt, das auch anders oder an anderem Ort hätte entstehen können, sondern ordnet sich in eine größere Tradition der geschichtskulturellen Repräsentation in Nürnberger Kirchenräumen ein,55 übersteigt jedoch auch die im Chorumgang üblichen Darstellungsspielräume. Ein weiteres Fenster der Tucher in St. Lorenz, noch vom Jerusalempilger und Autor eines weit verbreiteten Reiseberichts Hans IV. Tucher (1428 – 1491) 1457 im Chorhals links gestiftet, war 1590/91 durch eine Stiftung Herdegen Tuchers (1533 – 1614) erneuert worden,56 in eben jenem Jahr, in dem das Tucherbuch in seiner prachtvollsten Fassung neu entstanden war. Möglicherweise wurde die Bearbeitung durch den Tod Jost Ammans im Jahr 1591 unterbrochen, in der überlieferten Form ist jedoch eine Rahmendekoration mit Maßwerk erhalten, wobei das Andachtsbild den Gnadenstuhl, also der den gekreuzigten Sohn haltenden, sitzenden Gottvater zeigt. Dies war zwar auch eine protestantischtheologisch motivierte Aussage gegen das altgläubige Dogma der Wandlung der 52 Vgl. Veit Funk, Glasfensterkunst in St. Lorenz, Nürnberg. Michael Wolgemut, Peter Hemmel von Andlau, Hans Baldung Grien, Albrecht Dürer, Nürnberg 1995, 7. 53 Tucherische Monumenta in Nürnberg und auswärtigen Kirchen, StadtAN, Repertorium E 29/II Nr. 1610, 338. 54 Im Hallerarchiv Großgründlach befindet sich der Codex Monumenta Halleriana (CMH), mit teils lavierten, teils kolorierten Darstellungen der Hallerschen Altäre, Glasfenster, Epitaphien usw. in den Kirchen Nürnbergs und seines Umlands. Für ähnliche Darstellungen anderer Familien vgl. Weilandt, Sebalduskirche. 55 Dazu im folgenden die Darstellung Christian Blendinger, Der Lorenzer Hallenchor. Schatzkammer und Ort der Verkündigung, in: Herbert Bauer/Gerhard Hirschmann/Georg Stolz (Hg.), 500 Jahre Hallenchor St. Lorenz zu Nürnberg 1477 – 1977 (Nürnberger Forschungen 20), Nürnberg 1977, 41 – 62, vor allem 42 – 44. 56 Vgl. dazu Gottfried Frenzel, Die Farbverglasung aus St. Lorenz/Nürnberg, Augsburg 1968, 18 – 20.

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Abb. 2: StadtAN E 29/II Nr. 1610, 30.

Hostie auf dem Altar, hatte jedoch Wurzeln in der spätmittelalterlichen religiösen Erneuerungsbewegung der devotio moderna, die besonderen Wert auf die Verinnerlichung frommen Empfindens legte. Neben dieser Darstellung sind – wie im Zentrum der mittigen Fensterfläche – zwei Wappenschilde der Tucher angebracht. Der seit 1439 entstandene Hallenchor mit Chorumgang war für Prozessionen zu Ehren von Heiligen, darunter der in einem Schrein verehrte Deocarus, angelegt worden. Diese Frömmigkeitspraxis war jedoch nie nur religiös konnotiert, sondern wurde systematisch in die Repräsentation der herrschenden Familien eingebunden und von ihnen erst im Jahr 1456 durch Fensterstiftungen besetzt, zunächst von den Hirschvogel und den Tucher. Es folgte eine Reihe von Altar- und Fensterstiftungen, die von Geistlichen und Vertretern der Obrigkeit

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getätigt wurden,57 darunter das bekannte und von Friedrich III. gestiftete »Kaiserfenster« in der Mittelachse. Die Stiftungen der Patrizierfamilien erscheinen im Vergleich zu den anderen eher ›privat‹, sie lagern sich im Wesentlichen auch erst an die genannten ›offiziellen‹ Stiftungen an. Darunter befinden sich Fenster der Rieter (1479), das Volckamer- und Hallerfenster (um 1480) sowie die beiden Tucherfenster. Pröpste, nach der Reformation die Prediger, fügten dem so entstandenen Geschichtsraum weitere Stiftungen hinzu; darunter befindet sich ein nicht unbeträchtlicher Teil Tucherscher Stiftungen, vor allem aber der von Anton II. Tucher 1517 in Auftrag gegebene Marienleuchter mit 55 Kerzen, der 1518 freischwebend im Chor aufgehängt wurde.58 Die Präsenz der Tucher hielt während des gesamten 16. Jahrhunderts an, jedoch wurden die Fenster von 1456/1481 zu Beginn der 1590er Jahre und 1601 »durch Neuschöpfungen« ersetzt.59 Im Gegensatz zum Fenster der Haller (um 1480) bezieht sich das Fenster der Tucher nicht mit einer Passion-Christi-Darstellung auf das Gesamtgeschlecht, sondern nur auf einige Generationen der Familiengeschichte.60 Insofern steht das Fenster der Familiengeschichtsschreibung nahe, denn es zeigt die Allianzwappen von einigen Tucher, die weiter unten als Briefschreiber im Spiegel des erhaltenen Tucherschen Briefarchivs Erwähnung finden, nämlich beispielsweise Herdegen Tucher (1533 – 1614), im obersten rechten Feld mit dem Wappen der Pfinzing. Die Auswahl der abgebildeten Wappen, die Manifestation bestimmter genealogischer Zusammenhänge etwa des 1449 verstorbenen, mit einer Valzner verheiratenen Hans Tucher, müssten genauer erklärt werden. Vier der Tucherwappen finden sich auch in den kolorierten Handzeichnungen in den »Tucherischen Monumenta« wieder, nämlich die Schilde des Hans VI. Tucher (1428 – 1491), Berthold IV. Tucher (1424 – 1449), Hans V. Tucher (†1464) sowie Sebald III. Tucher (1434 – 1462), jeweils mit den Beischilden ihrer Ehefrau oder -frauen.61 Jedenfalls werden diese genealogischen Informationen durch doppelte Tucherwappen in einem Feld (links unten sowie in der Mittelspalte das zweite 57 Vgl. dazu die Befunde in Corinne Schleif, Donatio et Memoria. Stifter, Stiftungen und Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg, München 1990, passim. 58 Vgl. Wilhelm Schwemmer, Das Mäzenatentum der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher vom 14.–18. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 51 (1962), 18 – 59. 59 Vgl. Ursula Frenzel, Die Haller-Fenster in St. Lorenz, in: Herbert Bauer, Gerhard Hirschmann, Georg Stolz (Hg.) 500 Jahre Hallenchor St. Lorenz zu Nürnberg 1477 – 1977, Nürnberg 1977 (Nürnberger Forschungen 20), 109 – 138, hier vor allem 109 – 110. 60 Ibid. 111. 61 Tucherische Monumenta in Nürnberg und auswärtigen Kirchen, StadtAN, Repertorium, E 29/II Nr. 1610, 31: »Vier Tucherwappen aus dem Glasfenster […] in der Lorenzkirche«, 339. Zu Berthold Tucher vgl. auch Fleischmann, Rat und Patriziat, Bd. 2, 1008, dort auch mit weiteren Nachweisen.

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von unten) der Pröpste Sixtus (1459 – 1507) und Lorenz (1447 – 1503) verknüpft, so dass hier eine geschichtskulturelle Einheit mit Bezügen auf die geistliche, politische und wirtschaftliche Führung der Reichsstadt hergestellt wird. Das auch im Band »Tucherische Monumenta« abgebildete Tucherfenster übertrifft damit die Fenster anderer Familien; der agonale Charakter wird jedoch vor allem dadurch deutlich, dass der Züricher Glasmaler Jacob Sprüngli gleichzeitig für die Imhoff ein Fenster für die andere Nürnberger Pfarrkirche St. Sebald ausführte.62 Wie in der Familiengeschichtsschreibung zwischen Pfinzingbibel und Tucherbuch, könnte auch im Medium der Familienfenster mindestens ein Austausch der Tucher mit den Pfinzing existiert haben, wie das Pfinzingfenster in St. Sebald von 1515 zeigt. Auch materielle Kultur verkörperte also eigenständig Geschichte, nicht allein, wenn sie in die Geschichtsschreibung aufgenommen wurde. Realia wie die Tucherfenster konnten monumentalen Charakter besitzen, soziales Wissen darstellen, bewahren und repräsentieren. In diesem Sinne ist das »Tucherische Monumenta« bezeichnete Buch zu verstehen, das Ausgaben der Dr.-LorenzTucher-Stiftung für Geschichte repräsentierende Zwecke enthält.63 Darunter befinden sich Gegenstände, die verstorbene Tucher in Kirchen abbilden,64 die somit mit dem Gottesdienst und Prozessionen in Zusammenhang stehen und den Kirchenraum zugleich religiös und geschichtspolitisch aufladen: Die Tucherische Ewig-Licht-Lampe in der Sebalduskirche in der Form von 1657, verschiedene Tucherfenster mit biblischen Motiven, Handzeichnungen der Tucherschen Totentafeln für Verstorbene seit 1326, die Christus- und Apostelfiguren mit dem Tucherwappen an den Konsolen, aber auch 23 Darstellungen von Wandteppichen und Tapisserien.65 Die Abbildungsform der ›Tucherfenster‹ erzeugt dabei eine Gleichzeitigkeit der Lebenden mit den Ahnen. Die Übertragung von Stammbäumen, von genealogischen Zusammenhängen in architektonische Formen wie das Kirchenfenster war durchaus gebräuchlich und muss als ein gleichberechtigtes Medium im Kontext einer bestimmten, zeitlich, städtisch und familiär eingrenzbaren 62 Zum Vergleich könnten die Pfinzingfenster in St. Sebald (1515) und anderen Nürnberger Kirchen herangezogen werden, vgl. Funk, Glasfensterkunst in St. Lorenz, 105. 63 Vgl. Tucherische Monumenta in Nürnberg und auswärtigen Kirchen, Lavierte und Kolorierte Handzeichnungen, 18. Jh., StadtAN E 29 Familienarchiv Tucher, 1610; ebenso Tucherische Monumenta […], StadtAN E 29/III Nr. 14. 64 Für eine aktuelle und umfassende Studie zur Sebalduskirche vgl. Gerhard Weilandt, Die Sebalduskirche in Nürnberg, Nürnberg 2007; für die Breite der – unterschiedlich dicht überlieferten – Gegenstände der Memorialkultur vgl. die eingehend kommentierte katalogartige Zusammenstellung in Jutta Zander-Seidel, Textiler Hausrat. Kleidung und Haustextilien in Nürnberg von 1500 – 1650 (Kunstwissenschaftliche Studien 59), München 1990. 65 Tucherische Monumenta in Nürnberg und auswärtigen Kirchen, StadtAN, Repertorium, E 29/II Nr. 1610, 338 – 343.

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Geschichtskultur betrachtet werden; eine Interpretation von historiographischen Quellen im engeren Sinne muss im Bewusstsein des Medienverbundes erfolgen. Dennoch wird auch der Primat der textlichen Quellen deutlich: Auch der besonders vielschichtig mit Geschichtsrepräsentationen verschiedener Familien besetzte Kirchenraum von St. Sebald in Nürnberg war in all seiner – neuerdings besonders gut materialiter erforschten – Komplexität doch zu keiner Zeit eine alleingültige Geschichtsdarstellung.66 Vielmehr spiegelte sich die Geschichtskultur in einer Vielzahl von Medien und sozialen Handlungsweisen, darunter Stiftungen zu öffentlich sichtbaren Zwecken.67 Dagegen ist hier unter Geschichtskultur prinzipiell die Gesamtheit aller verschiedenen Formen von Geschichtsrepräsentation gemeint, die behutsam – im Sinne der neueren Kulturgeschichte – als repräsentiertes Geschichtsbild gedeutet werden kann.68 Diese ›Monumente‹ wurden von den Familienstiftungen durchaus ›kollektiv‹ gepflegt und in der Familiengeschichtsschreibung, etwa im Familienbuch von Conrad IV. Haller 1526 wiedergegeben, mit der Beschreibung »darin eytel gemain Haller und auch zweyr ritter helm und schilte stehen«.69 Zwar wird die Architektur stets neu gestaltet, sie wird dann aber auch neu in der Geschichtsschreibung kontextualisiert und dient damit der Vergewisserung der Familiengeschichte. Den Wertsystemen, die diesen literarisierenden Repräsentationen zu Grunde lagen gilt das Hauptaugenmerk.

66 Vgl. für den Reichtum der Artefakte vgl. wiederum die materialgesättigte Studie von Weilandt, Sebalduskirche, 243 – 274. Die Fugger behandelt Benjamin Scheller, Memoria an der Zeitenwende. Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation, ca. 1505 – 1555 (Studien zur Fuggergeschichte 37. Stiftungsgeschichten 3. Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft: Reihe 4, 28), Berlin 2004. 67 Diese Handlungen bestimmten auch die Leitmotive autobiographischen Schreibens, bspw. die Beteiligung an Umzügen zur »Heiltumsmesse«. Für einen intertextualitätsbezogenen Blick auf die angewandten Formen des Schreibens solcher »Erzählkerne« vgl. Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts. 68 Die Diskussion um »Geschichtskultur« als Gegenstand der Disziplin der Fachdidaktik umfasst wesentlich mehr Bezüge, vgl. Bernd Mütter/Bernd Schönemann/Uwe Uffelmann (Hg.), Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, Weinheim 2000 sowie Jörn Rüsen, Geschichtskultur, in: Aleida Assmann/Klaus Bergmann (Hg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 1997, 36 – 41. 69 Codex Conrad Haller Nr. 1, 1526, fol. 259 b, zit. nach Frenzel, St. Lorenz/Nürnberg, 111. Dort auch die Bemerkung über die Pflege durch die Familienstiftung der Haller, während Nachweise für das Tuchersche Engagement in den Quellen der Familienstiftung eigens herausgestellt werden: Die oft im frühen 17. Jahrhundert angefertigten Kollationen haben die Liste der jährlichen Erhaltungsmaßnahmen, Neu- und Zustiftungen gewissermaßen homogenisiert und als ein Tätigkeitsbereich dargestellt.

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1.2.4 Aufstiegsfaktoren in der Geschichtsphilosophie des Nürnberger »Cantzley registrator« Melchior Kautz (ca. 1600 – 1609) Während manche Familiengeschichten Maßstäbe setzten, versuchte die Familiengeschichte von Melchior Kautz, diese zu erreichen.70 Es handelt sich dabei um ein ca. 50 papierne Seiten enthaltendes Bändchen mit einigen unregelmäßig auftretenden ganzseitigen Abbildungen, die wie eine ebenfalls existierende Pergamentfassung in der Gestaltung eine gewisse Nähe zum Tucherbuch aufweist.71 Allerdings täuscht der prachtvolle Eindruck der Pergamenthandschrift, denn für die reiche Ausstattung wurden aus anderen Handschriften Goldauflagen ausgeschnitten und somit wiederverwendet. Dieser Befund belegt den Willen des Melchior Kautz, der erst 1620 Genannter wurde, sich im Medium der Geschichtsschreibung mit dem Patriziat zu messen. Das Hauptaugenmerk liegt im Folgenden auf der Papierhandschrift. Es handelt sich um eine planvoll in 21 ›Generationen‹ angelegte Handschrift, die die Geschichte der Familie seit dem 14. Jahrhundert, wohl ab dem Jahr 1377, bis ca. 1609 wiedergibt. Dem genealogischen Teil sind »Der Erste Wappenbrief von Keißer Carl dem Vierthen« mit Abbildung des Siegels und »Mein Melchior Kautzens [1567–nach 1620] von Curfürstlicher Pfaltz gegebener Wappenbrief« von 1594 mit einem Ausschnitt aus dem Wappen mit Goldauftrag vorangestellt.72 Diese Familiengeschichte leistet aber mehr, als nur den sozialen Status zu dokumentieren, denn die darauf folgende »Melchioris Kautzy Reipublicae Norimbergensis Registratoris Praefatio« reflektiert Geschichte in Bezug auf die Faktoren des sozialen Aufstiegs. Kautz äußert sich »In prosa piam« zur Aufgabe der Geschichtsschreibung. Üblich wäre hier die Ermahnung nachfolgender Generationen, den Vorfahren in den ›Fußstapfen‹ nachzufolgen. Diese Vorrede besteht dagegen aus einem lateinischsprachigen Teil, der ausführlicher als die deutschsprachige Übersetzung ist und die geschichtsphilosophische Begründung von Geschichtsschreibung beschreibt; die Familiengeschichte will offen70 Kautz-Buch, StadtAN, Familienarchiv Ebner, unverzeichnet. Für den Hinweis auf diese Handschrift danke ich dem Stadtarchiv Nürnberg, Herrn Direktor Dr. Michael Diefenbacher und Herrn Dr. Bauernfeind. Dieser Band findet in der Forschung nur am Rande Erwähnung, vgl. die folgenden Angaben: Bock, Die Chronik Eisenberger, Anhang 9, 479/N8 sowie ders., Die Familiengeschichtsschreibung der Welser, MVGN 95 (2008), 143 f, Anm. 161. 71 Hs. 2767, GNM, abgebildet in Thomas Eser/Anja Grebe (Hg.), Heilige und Hasen. Bücherschätze der Dürerzeit, Nürnberg 2008, 162, Nr. 60. Vgl. dort auch den Hinweis auf die leider nicht verfügbare Publikation H. Kautz: Die älteste Kautzsche Familienchronik von 1600, in: Beiträge zur Familiengeschichte der Stämme Kautz 2 (1970), 10 ff. Insbesondere die von einem Baum durchwachsenen Ehefrauen scheinen sich an das Tucherbuch anzulehnen. 72 Die Handschrift ist leider unpaginiert, wird hier auch vor allem wegen der Selbstbeschreibung in der Vorrede behandelt, die zwischen Wappenbriefen und genealogischer Darstellung zu finden ist.

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bar durch die lateinische Fassung gelehrt wirken, aber durch eine im Block nachfolgende deutsche Fassung auch rezipierbar bleiben. Die klassische Auffassung von Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens, ausgehend von der Identität von historischer Erfahrung und Zukunftserwartung, wird in dieser »Vorredt an das Geschlecht der Kautzen« zunächst auf die Ausübung politischer Ämter bezogen: Wie wol alle vnd Jede freye Künsten Zu des Menschen Zeitlichen leben sehr notwendig vnd fürtreglich sein So ist doch deren keine, zur Bürgerlichen Gemainschafft vnd Weltlicher Fürsichtigkeit mehr dienstlicher als die Politica und Historia, welche beede als aneinander hangen, das eine ohne die ander, mehr ein vergebener wahn, als eben dies so der nam mit sich bringt wol mag geschätzt werden. Dann obwol nicht ohne das die Historia von denen wir allein reden, fürnemblichen dahin gerichtet ist, wie man ein regiment füren, vnd demselben weislich vorsehen soll, so hat ein Politicus oder Regiments Persohn deßgleichen […] sich in den historien zu bespieglen vnd zu ersehen, nicht allein was großer vnterschiedt seyn zwischen dem was recht vnd Vnrecht fürsichtig oder vnfürsichtig gehandelt werden sondern auch was gutt oder böese an Schläge vnd Rathe zu Ieden Zeiten für einen außgang gehabt vnd so auch etwan gutte Rathschläg misrathen […] durch was verhinderung dißes geschehen, auch welcher massen die möchte in gleichen fällen verhüet […] werden.73

Zunächst wird die Nähe von »Politica« und »Historia« zueinander erläutert, aber so dass die Vergangenheit nicht als unverrückbares Gut bestimmter ›alter‹ Familien, sondern als Lerngegenstand, Handlungsoption und Tätigkeit, »sich in den historien zu bespieglen vnd zu ersehen«, erscheint. Die Sorge um das Gemeinwohl, so wird argumentiert, kann auch von geschichtsbewussten Nichtpatriziern verantwortungsvoll getragen werden. Die Entscheidungen der eigenen Vorfahren in vergangenen Situationen dienen damit dem an der Regierung beteiligten Bürger als Orientierungshilfe. Der Text richtet sich zwar dem deutschen Titel nach an das »Geschlecht« der Kautz, jedoch bleibt die Argumentation hier noch allgemeingültig, wie auch die schematische Bezeichnung »praefatio« generell keinen direkten Familienbezug ausdrückt. Die Beschäftigung mit Geschichte dient außer der politischen Praxis auch der individuellen charakterlichen Bildung, ist also »über Daß ein sonderBare Zier vnd anzaigung einer wolgeübten erfahrung«. Das Leben in seinem individuellen Vollzug bedarf ebenfalls historischer Erfahrungen, damit der Einzelne »weltliche fürsichtigkeit daraus erlangen« möge. Somit sei das Geschlechterbuch auch voller lehrreicher »historien«, »welche nichts andres dann ein Spiegel sein des gantzen Menschlichen lebens«. Diese prinzipielle Lösungsstrategie für ein scheinbar allgemein menschliches Problem wird jedoch in sozialer Perspektive zugespitzt. Die Geschichte bilde Vorbilder von »belohnung vnd straff« ab, die 73 Kautz-Buch, StadtAN, Familienarchiv Ebner, unpaginiert.

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»einem Jeden, was Standts […] oder Wesens der ist, durch gebürliche Ruhm Ehr oder schandt so Jedem nach verdienst zugemessen werden«. Sozialer Aufstieg ist hier also eine Frage der individuellen Tugend und des Verdiensts, die Geschichten der Vorfahren sollen »zur Erbarkeit raitzen« und somit zur Bildung des sozialen Charakters einer Person beitragen. In einem nächsten Schritt werden die historischen Erfahrungen als Voraussetzung und Garanten der sozialen Stellung und des geschichtlichen Erfolgs der ganzen Familie dargestellt: Es wer aller Wellichen Herkommens aller Erbarn Geschlechtern vnd deren auff vnd Zunemen, löblichen vnd ewigen rumbs wirdigen Thaten, gewonheit Freyheitten lengsten vergessen würdt noch täglich in Vergeß gestellt vnd wenig geachtet wann die nicht in ordtenlichen historien auffgezeichnet vnd auff vnsere Zeit weren gebracht worden, viel hetten sich solcher […] mühe vnd arbeit die sie offtermals erlitten nie vnterfangen, wann sie nicht verhofft, das sie diesmal eins von den nachkommen deßwegen sollen gerümbt werden vnd würde in Summa, wann keine Historien weren oder deren sich niemand achtet, kein vnterschiedt sein zwischen Achilles, Alexandro Magno, Camillo Scipione, Pompeio, Julio Caesare vnd andern mehr gewaltigen leutten vnd den geringsten Petlern vnd bösen Puben die zu Ihrer Zeit gelebt wann nicht Ihre gedechtnus in den historien wer erhalten worden.74

Der Hinweis, dass Geschichte unter ethischen Gesichtspunkten mitteilungswürdige Handlungen berichten solle, steigert einerseits den Status von Geschichtsschreibung allgemein. Die »ordtenlichen historien« besitzen einen Doppelwert, der einerseits in der Wertschätzung antiker Tugendberichte besteht, andererseits suggeriert, dass auch die Familiengeschichte der Kautz der Antike ähnlich lehrreich sei. Wenn nämlich Geschichte das statusgenerierende Gedächtnis »aller Erbarn Geschlechter« ist, so die Vorrede weiter, gelte dies erst recht für die Kautz. Denn diese »vnßere Voreltern [seien] sonderlichen auch bemühet geweßen, das sie nicht allein die Historien vnd Geschichten sondern auch wie ein Geschlecht auß dem andren entsprungen vnd erwachßen mit getreuisten vleis zu beschreiben damit es auff die nachkommenden gebracht [werde]«. Das Wort »Geschlecht« wird hier also in dem Doppelsinn von Stammfamilie und deren Generationen verwendet, zwischen denen Geschichte Kontinuität herstellen könne. Dies sei durch die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, das nur »ein schatten oder Plumb [sc. Blume oder Blüte] [ist,] welches heut in höchster Blüett sthet, vnd morgen von einem kleinen Windt leichtlich vmbgeblaßen werden kann«. Erst gegen Ende der deutschen Vorrede wird die soziale Kontinuität zwischen

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den Generationen noch um eine religiöse Komponente ergänzt,75 wobei das Erkenntnisziel aber der soziale Aufstieg und seine Sicherung bleiben: Wan nun [eine Familie] eines Nam[ens] vnd Standt, sonderlichen die sich vmb den gemainen nutz oder sonsten in Ehrlichen Ämptern wolverdient gemacht so baldt nicht erlesch oder erstürbe, So haben die Alten, denselben zur Ehren nach Ihrem absterben Statuas vnd Malzeichen erigiert vnd öffentlich auffgerichtet, auff das so offt die Nachkombling ihre Statuas an ehren sie der löblichen thatten erinnert würden nicht allein dem ewigen Gott vor seiner Genadt vnd guttat zu dancken das zu erhaltung des Regiments solche treffenliche Personen ihnen gnedlichen verliehen hat, sondern auch das jr zu betrachtung Ihrer Herrlichen Gaben die sie In Irem leben erwißen In Ihre fusstapfen tretten vnd sich befleißigen das sie auch ein solches lob nach Irem todt erlangen möchten[.]76

Zwar stehen die schriftlich niedergelegten und damit rezipierbaren »Statuas vnd Malzeichen« im Vordergrund, also die Erinnerung an die großen Taten der Vorfahren. Diese Bezeichnungen werden nicht weiter spezifiziert, sie behaupten damit jedoch die Existenz solcher Gegenstände. Der dadurch dokumentierte Erfolg beim Bekleiden politischer Ämter ist jedoch nicht ein durch Handlungen erlangtes Verdienst, sondern »allein dem ewigen Gott vor seiner Genadt vnd guttat zu dancken«. Die Verknüpfung von Tugenddiskurs mit dem religiösen Sinnsystem fällt sehr knapp aus, im Zentrum steht die soziale Reproduktion von Status, Ehre und Erfolg. Diese Doppelbestimmung steht prinzipiell auch in Beziehung zu einem durch das Wortfeld »Generation« umrissenen Diskurs, wie besonders prägnant in den kurzen und häufig zweisprachigen Versen im lateinischen Vorredenteil zum Ausdruck kommt. Dieser wird mit Sätzen wie etwa »Davon auch nachvolgende Vers die Warheit bekommen« kommentierend eingeleitet: Postquam de generes coeperunt nobilitari Nobilitas capit in multis degenerare das ist Nachdem der Adel hat angefangen Erblich an böeße zu langen Hat sein wirdte vnd aigenschafft Wol gar verlohrn sein crafft[.]77

75 Die religiöse Komponente in autobiographischen Texten der frühen Neuzeit ist intensiv diskutiert in Eva Kormann, Ich, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert (Selbstzeugnisse der Neuzeit 13), Köln u. a. 2004, 298 – 307. Kormann schlussfolgert in Bezug auf das Schreiben über das Ich, dass es nicht möglich gewesen sei, sich auf Nachkommen zu beziehen ohne gleichzeitig auf Gott. Hier steht dagegen weniger die plausibel als Heterologie zu bezeichnende autobiographische Schreibsituation im Mittelpunkt als vielmehr die familiäre Sinnstiftung. 76 Kautz-Buch, StadtAN, Familienarchiv Ebner, unpaginiert. 77 Kautz-Buch, StadtAN, Familienarchiv Ebner, unpaginiert.

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Diese frei übersetzenden Zeilen schildern den Prozess, in dessen Verlauf der ursprünglich eine hohe Ethik verkörpernde Adel an Ehre abgenommen habe, weil er erblich geworden sei. Das hier vorgeschlagene Verständnis von »in multis degenerare« richtet sich also auf »sein [des Adels] wirdte […] wol gar verlohrn sein crafft«, bzw. »an böeße zu langen«. Die Semantik von »genus«, »genero« und »generatio« ist, wie ein Blick in ein annähernd zeitgenössisches Lexikon zeigt, eine komplexe sozioethische Kategorie familiärer Existenz.78 »Generation« wird im Darstellungsteil der Kautzschen Familiengeschichte als genealogische Kategorie verwendet, was sich wie eine Kompensation der in der Übersetzung vorgetragenen Stellungnahme zum Tugenddefizit des privilegierten erblichen Adels liest: Mit aufwändigen Porträtfiguren werden die Vorfahren, die ›Generationen‹ präsentiert, werden ihnen also »Statuas« errichtet. Die Ablehnung von Geburtsstatus und gleichermaßen von – ostentativ zur Schau gestelltem – materiellem Besitz wird dezidiert vorgetragen, so dass allein die Tugend und das Verhalten als Distinktionskriterium erhalten bleibt: Edel werden ist vielmehr dann Edel sein von Eltern her Der ist recht Edel In der Welt der Tugent liebt, vnd nicht das gelt[.]79

Diese Ausführungen enthalten neben dem Angriff auf erblichen Adel – von dem das Patriziat keineswegs ausgeschlossen, aber auch nicht explizit erwähnt wird – die Aufforderung, sozial aufzusteigen. Freilich ist dies auch eine defensive Haltung, die gegen den Superioritätsanspruch geschlossener Statusgruppen ankämpft, wie einzelne polemische Formulierungen zeigen: »Welcher recht Edel werden will vnd nicht den Schatten des Adels hinter den Ofen tragen«, der solle sich der Tugend verschreiben. Im Kern ist das Programm jedoch konstruktiv, etwa »nobiliter vivens e[t] agens Haec nobilis est gens«.80 Diese Setzung steht in der Tradition der seit der Antike stereotypen und auch im Spätmittelalter verbreiteten Adelskritik, die im »Speculum humane vitae« 1488 die »schnoedigkeyte menschliches adels […] vnd wie sollich nit warlich edel geheyssen werdent« konstatierte.81 Dort wird erblicher Adel als »Adel des Fleysches« gekennzeichnet, der, wenn er ohne Tugend beansprucht werde, »vnfruchtbar 78 Vgl. etwa den Eintrag »degenero, Ich schlach aus dem geschlecht oder art« in: Dasypodius’ Dictionarium Latinogermanicum / Petrus Dasypodius. – 2007, Permalink: http://diglib.hab.de/edoc/ed000008/start.htm. 79 Kautz-Buch, StadtAN, Familienarchiv Ebner, unpaginiert. 80 Kautz-Buch, StadtAN, Familienarchiv Ebner, unpaginiert. 81 Vgl. Speculu[m] humane vite. Der menschen Spiegel/ Rodoricus . – [Electronic ed.]. – Augspurg : Berger, 23.VIII.1488, Permalink: http://diglib.hab.de/inkunabeln/ 17 – 8-eth-2 f/start.htm, hier http://diglib.hab.de/inkunabeln/17 – 8-eth-2 f/start.htm?i mage=00048 [23. August 2009].

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schamliche schaedlich üppigkeyt [sei] wa rechte tugent nit nachuolget«82. Diese ethische Bestimmung ›spricht‹ somit auch mit der prokreativen Semantik von »Generation« und ist darin dem Kautz-Buch vergleichbar. Der Status der Familie Kautz wird also durch einen Tugend- und Verdienstdiskurs repräsentiert und generationenübergreifend durch die genealogische Repräsentation in der Familiengeschichtsschreibung gesichert. Dazu wird zusätzlich zur hier zu Grunde liegenden Papierfassung ein Pergamentband mit Abbildungen angelegt, die Anleihen bei der Ikonographie des Tucherbuchs nehmen, sowohl im Hinblick auf den Aufwand bei der Verzierung als auch bei der Generationengliederung und der Baumikonographie,83 die – im ›Spiegel‹ der Vorrede – außer auf die biologisch-prokreative Kontinuität der Familie das eigentliche Hauptaugenmerk auf den bürgerlichen Lebensstil und die soziale Stellung richtete. Der ›Baum‹ der Familie, der die Ehefrau durchwächst, ist in der Ikonographie der Baumabbildungen zu selten, um hier lediglich von einer Zeitmode auszugehen, der die Kautz sich geöffnet hätten. Im geschichtskulturellen Agon Nürnbergs könnten die Tucher also eine Vorbildfunktion besessen haben.

1.3

Die Nürnberger Tucher: ein sehr kurzes Porträt

Vor dem Hintergrund, dass die Tucher eine üppige Überlieferung in textlichen und materiellen Quellen hinterlassen haben,84 deren Repräsentationsabsichten sie durch Familiengeschichtsschreibung krönten, erscheint gerade diese Familie für das hier zu untersuchende diskurs- und historiographiegeschichtliche Thema besonders geeignet. Die dokumentarisch greifbare Geschichte der Tucher in Nürnberg beginnt im 14. Jahrhundert, als »Bertholdus« Tucher Nürnberger Bürger wurde.85 Die Herkunft der Tucher, die seit 1500 zu den politisch mächtigsten und wirt82 Ebd., hier http://diglib.hab.de/inkunabeln/17 – 8-eth-2 f/start.htm?image=00049 [23. August 2009] 83 Vgl. die Abbildung in Eser, Bücherschätze der Dürerzeit, 163. 84 Zum Folgenden vgl. noch immer die materialgesättigte Darstellung in Ludwig Grote, Die Tucher. Bildnis einer Patrizierfamilie (Bilder deutscher Vergangenheit. Bibliothek des Germanischen National-Museums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte 15/16), München 1961 sowie Michael Diefenbacher/Stefan Kley (Hg.), Tucherbriefe. Eine Nürnberger Patrizierfamilie im 16. Jahrhundert, Nürnberg 2008. 85 Der Untersuchungsgegenstand wird hier nur skizziert, damit die im Laufe der weiteren Bearbeitung des Themas gegebenen weiteren Informationen eingeordnet werden können. Für eine umfassendere Darstellung und weiterführende Literatur sei auf das neue Handbuch zur patrizischen Herrschaft Nürnbergs verwiesen, Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg, Bd. 2, vor allem 1003 – 1026.

Die Nürnberger Tucher: ein sehr kurzes Porträt

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schaftlich erfolgreichsten Patrizierfamilien Nürnbergs zählten, wird von der neueren Forschung mit großer Distanzierung zur älteren Forschung behandelt. Noch der Eintrag »Tucher, ein Patricien-Geschlechte in Nürnberg« in Zedlers Universal-Lexikon hatte die Tucherschen Ursprungserzählungen – wie die Teilnahme an einem Turnier im Jahr 1198 – reproduziert. Dort werden nach wie vor die auch im Tucherbuch dargestellten und nachweislich auf einem gekauften ›Geschichtsgutachten‹ Reichsherold Rixners beruhenden86 Turnierteilnehmer Wolffgang und Siegmund Tucher wiedergegeben.87 Somit steht die enzyklopädische Darstellung der ausführlichen gedruckten Familiengeschichte des Johann Georg Tucher aus dem Jahr 1764, »Summarische Deduction von dem Alterthum, Thurnier-, Ritter- und Stifftsmäßigkeit, auch Reichs-Immedietät des Geschlechts der Tucher […]«, entgegen.88 Bereits 1748 hatte Johann Gottfried Biedermann die beiden angeblichen tucherschen Turnierritter nicht mehr wiedergegeben, denn »das edle Geschlecht befielet mir, ausser tüchtigen Bewiß nichts der Presse zu liefern«.89 Dennoch untermauerten Familien der städtischen Eliten mit derartigen historischen Darstellungen ihre Privilegien und grenzten sich von anderen sozialen Gruppen ab. In dieser Hinsicht war in Nürnberg das Patriziat »in fast idealtypischer Weise« ausgebildet.90 Die Überzeugungskraft der Geschichtskultur der Tucher ist einerseits lange ein ›Störfaktor‹ der historiographiegeschichtlichen Urteilsbildung über die Zeit vor dem Beginn der städtischen Schriftlichkeit geblieben; andererseits belegt die andauernde Wirkung auch die Effektivität, mit der Geschichtsbilder vermittelt werden konnten. Die Tucher verfolgten mit Stiftungen und Geschichtserzählungen Wirkungsabsichten, die ihr Bild teilweise bis hinein in eine Landesgeschichtsschreibung prägten, die – eigentlich historisierungsbedürftige – Darstellungskategorien unreflektiert übernahm. Vermutungen, die Tucher stamm-

86 Vgl. Bertold von Haller, Das Turnierwesen, in: Karel Halla (Hg.), Auf den Spuren eines Adelsgeschlechts. Die Notthaffte in Bömen und Bayern, Cheb 2006, 237 – 262. 87 Zum Zeitpunkt des Eintrags in Zedlers Universal-Lexikon (www.zedler-lexikon.de, Bd. 45, 724) lag bereits eine quellenkritische Widerlegung der so genannten Turnierlegende vor, auf die weiter unten genauer einzugehen ist. 88 Vgl. Johann Georg von Tucher, Summarische Deduction von dem Alterthum, Thurnier-, Ritter- und Stifftsmäßigkeit, auch Reichs-Immedietät des Geschlechts der Tucher von Simmelsdorf und Winterstein. Nebst einer Beschreibung dererselben merkwürdigen Civilund Militair-Chargen, geist- und weltlichen Fundationen … und andern historischen Nachrichten, Mit einem Vorbericht und Fortsetzung der gründlichen Widerlegung der Meynung als ob der Patriciat zu Nürnberg Anno MCXCVII seinen Anfang genommen hätte. Aus unverwerflichen Scriptoribus, Monumentis und Urkunden gesammelt und aufgesetzt von J. G. T., Schwabach [Enderes] 1764. 89 Biedermann, Tab. 493. Vgl. dazu auch von Haller, Turnierwesen, Anm. 79. 90 Vgl. Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 274 f.

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ten aus Ministerialenstand,91 der Dienstmannschaft der Grafen von Castell oder Hohenlohe waren bislang nicht zu substantiieren.92 Unwahrscheinlich ist diese Möglichkeit schon deswegen, weil der Name »Tucher« als Berufsname für Tuchhändler gedeutet wird.93 Genauer belegt ist dagegen die Handelstätigkeit, zunächst gemeinsam mit anderen Familien,94 danach – spätestens seit 1440 – im Rahmen einer eigenen Handelsgesellschaft.95 Die Tucher widmeten sich mehrere Jahrhunderte dem Handel, wobei sie einerseits der Verlockung von Finanzgeschäften widerstanden, sich aber andererseits auch den gesellschaftlichen Leitbildern einer sich pluralisierenden städtischen Elite stellen mussten. Die Schwerpunkte des Handels der Tucherschen Gesellschaft lagen seit 1440 in Mitteldeutschland, Polen, im Bodenseeraum, Ungarn und Österreich, aber auch schon in Venedig und Lyon, das ab dem 16. Jahrhundert im Vordergrund stand. Der Waren- und Rohstoffhandel umfasste Metalle, verschiedene Tuche, Häute und Pelze sowie Gewürze, vor allem Safran.96 Während die frühen Tucher noch im Venediger Handel besonders engagiert waren,97 wie sich unter anderem in den berufsspezifischen Inhalten der Ausbildung bspw. bei fremdsprachlichen Warenbezeichnungen oder Rechenkompetenzen zeigt, entwickelte sich die Tuchersche Handelsgesellschaft im 16. Jahrhundert zu einer der wichtigsten deutschen Firmen im Oberzentrum Lyon.98 Waren im 16. Jahrhundert die Kaufmannssöhne noch zum Erwerb von kaufmännischen Schlüsselqualifika-

91 So Michael Diefenbacher, Das Große Tucherbuch, in: Altfränkische Bilder, 2007, unpaginiert. 92 Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg, Bd. 2, 1003. 93 Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg, Bd. 2, 1004, Anm. 1. 94 Die Tucher waren zunächst an der Handelsgesellschaft Eberhard Vorchtels beteiligt, die geographisch relativ breit vernetzt war und Kontakte nach Flandern, Venedig und Ungarn besaß, vgl. Michael Diefenbacher, Tuchersche Handelsgesellschaft, in: Michael Diefenbacher/Rudolf Endres (Hg.), Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 22000, 1091. 95 Michael Diefenbacher, Die Tucherisch Compagnia. Ein Nürnberger Handelshaus um 1500 , in: Hans-Peter Becht/Jörg Schadt (Hg.), Wirtschaft – Gesellschaft – Städte. Festschrift für Bernhard Kirchgässner zum 75. Geburtstag, Ubstadt-Weiher 1998, 13 – 33. 96 Hermann Kellenbenz, Nürnberger Safranhändler in Spanien, in: Ders. (Hg.), Fremde Kaufleute auf der Iberischen Halbinsel (Kölner Kolloquien zur internationalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1), Köln 1970, 197 – 225. 97 Vgl. Daneben waren die Tucher auch an anderen Orten tätig, wie teilweise nur einzelne Belege vermuten lassen, vgl. Hektor Ammann, Oberdeutsche Kaufleute und die Anfänge der Reformation in Genf, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 8 (1954), 150 – 193, bes. 192. 98 Vgl. zu Lyon Richard Gascon, Grand commerce et vie urbaine au XVIe siºcle. Lyon et ses marchands (environ de 1520 – environ de 1580), Paris 1971 sowie Mark Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger. Soziale Beziehungen, Normen und Konflikte in der Augsburger Kaufmannschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts (Colloquia Augustana 9), Berlin 1998, 79 – 96.

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tionen nach Lyon geschickt worden,99 so zeigen Beispiele von Reisen jugendlicher Patrizier im frühen 17. Jahrhundert eher Züge von Kavalierstouren, Sprachund Bildungsreisen, wie sie auch im Adel üblich waren. Der soziokulturelle Wandel dieser Jahrzehnte wird in der Forschung kontrovers diskutiert, wobei als Alternativen der Verfall der Familie, Nachahmung des Adels und Pluralisierung von Lebensstilkonzepten zur Sprache kommen.100 Deutungsversuche, die Thesen zur ›Feudalisierung‹ aufstellen, fallen jedoch zu linear aus, um auch den Ankauf von Landgütern als lukrative monetäre Investitionsstrategie zu erklären. Als die Tucher 1648 die Handelstätigkeit einstellten, waren sie die letzte im Handel tätige Nürnberger Patrizierfamilie.101 Die Aufgabe des Handels mag ökonomischem Kalkül gefolgt sein, aber auch eine immer engere Ausrichtung des Lebensstils am Adel muss zu den Gründen gehört haben. Bereits seit dem Spätmittelalter beabsichtigten städtische Eliten, ihr Prestige an das des Adels anzugleichen. Zur Kompensation setzten sie das Nürnberger Ritual des ›Gesellenstechens‹ ein, vor allem aber auch bebilderte Geschlechterbücher.102 Die kulturelle Neuorientierung hatte auch bei den Tucher sicher früher eingesetzt, was sich auch im Erwerb von inner- wie außerstädtischem Grundbesitz seit dem 15. Jahrhundert, verstärkt seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zeigt. Landsitze besaßen auch dann Repräsentationskraft, wenn sie möglicherweise konservative Formen der Kapitalanlage waren. Käufe wie das Tucherschloss in Nürnberg oder in Simmelsdorf sind jedenfalls nicht ausschließlich nur Argumente im Rahmen einer Statusökonomie. Auf einzelne den Tucher gehörende Häuser nimmt auch die Geschichtsschreibung Bezug, wodurch die Familie gewissermaßen im städtischen Raum verortet und greifbar gemacht wird. Auch die mäzenatische Tätigkeit der Tucher, seit dem 16. Jahrhundert zunehmend durch die Familienstiftung finanziert, macht die Tucher in den öffentlichen Räumen der Kirchen sichtbar.103 Die Vergabe von Kunstaufträgen wie dem von Veit Stoß geschaffenen »Engelsgruß« in der St. Lorenzkirche beruhte keineswegs allein auf Frömmigkeit oder auf der Bereitschaft zur Kunstförderung. Vielmehr stellt der Stiftungszweck 99 Mathias Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern im spätmittelalterlichen Nürnberg. Kaufmännische Ausbildung im Spiegel privater Korrespondenzen, in: MVGN 77 (1990), 91 – 153. 100 Vgl. Gerhard Fouquet, Stadt-Adel. Chancen und Risiken sozialer Mobilität im späten Mittelalter, in: Günther Schulz (Hg.), Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Büdinger Forschungen zu Sozialgeschichte 2000 und 2001 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 25), München 2002, 171 – 192. 101 Vgl. Lambert F. Peters, Der Handel Nürnbergs am Anfang des Dreißigjährigen Krieges. Strukturkomponenten, Unternehmen und Unternehmer – Eine quantitative Analyse, Stuttgart 1994, vor allem 364. 102 Vgl. Pierre Monnet, La ville et le nom. Le livre des Melem, une source pour l’histoire priv¤e des ¤lites francfortoises ” la fin du Moyen ffge, in: Journal des Savants 40 (1999), 491 – 538. 103 Zusammenfassend dazu vgl. Schwemmer, Das Mäzenatentum der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher.

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eine Repräsentationsabsicht heraus, die über die Reformation und die damit verbundene Entwertung des jenseitsökonomischen Hintergrunds hinaus einen zivilreligiösen Repräsentationswert besaß.104 Weitere bekannte Stiftungen der Tucher widmeten sich anteilig dem Bau des Ostchors der Sebaldkirche,105 dem Epitaph für Propst Dr. Lorenz Tucher in St. Sebald, zahlreichen Bildwirkereien und Grabteppichen, aber auch Renovierungsarbeiten am später »Tucheraltar« genannten Altarwerk des 15. Jahrhunderts.106 Die Stiftungen der Tucher konzentrieren sich auf die Pfarrkirchen, die sie mit zahlreichen Zuwendungen bedachten. Am deutlichsten familienbezogen ist das Ewige Licht an der familiären Grablege in St Sebald, die 1657 mit einer Lampe aus Messing ausgestattet wurde; Epitaphien und Kunstwerke wären in großer Zahl zu nennen.107 Mit ihren Stiftungen reihten sich die Tucher in die dichte Nürnberger Stiftungslandschaft ein, die auf Initiativen patrizischer Familien beruhte, die teilweise auch performativen Charakter besaßen. So bestellten manche Familien Gebete für ihre Vorfahren, ließen Arme mit Kleidern in einer bestimmten Farbe ausstatten oder besonders wichtige öffentliche Räume wie Kirchen durch wappengezierte Kunstwerke (Statuen, Reliquienschreine, sogar ganze Gebäudeteile) oder mit liturgischen Gegenständen (Altäre evt. ausgestattet mit Pfründen, Messgeschirr, Talare) schmücken.108 Wenig am Bild der Tucher ist völlig unbeeinflusst von ihrer Selbstdarstellung. Ihre politische Rolle lässt sich jedoch aus flankierenden Quellen belegen.109 104 Christian Kuhn, Les fondations pieuses dans la repr¤sentation historique: l’exemple du Grand livre des Tucher de Nuremberg – 1590, in: Histoire Urbaine 27 (2010), 59 – 74. Den Repräsentationswert von ›frommen‹ Stiftungen – die tatsächlich nur schwer von familiärweltlichen Beispielen zu unterscheiden sind – beschreibt zudem Schleif, Donatio et Memoria. Zu Stiftungen und ihrer Interpretation als Memoria die exemplarische Studie von Scheller, Memoria an der Zeitenwende. Zur Thematik der Verwandlung von wirtschaftlichem Kapital durch das kulturell lesbare Phänomen der Gabe (›don‹ i. S. von Marcel Mauss) vgl. Eliana Magnani, Transforming things and persons. The Gift pro anima in the XI and XII century, in: Gadi Algazi/Bernhard Jussen/Valentin Groebner (Hg.), Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, Göttingen 2003, 269 – 284 sowie Dies., Les m¤di¤vistes et le don. Avant et aprºs la th¤orie maussienne, in: Dies. (Hg.), Don et sciences sociales: th¤ories et pratiques crois¤es, Dijon 2007, 15 – 28. 105 Vgl. Helmut Baier (Hg.), 600 Jahre Ostchor St. Sebald, Nürnberg 1379 – 1979, Neustadt a. d. Aisch 1979. 106 Vgl. zu den Stiftungen auch die Abbildungen zu Grote, Die Tucher, hier vor allem 55 – 59. 107 Vgl. für eine besonders vertiefte Untersuchung Weilandt, Selbalduskirche, 691 – 711, passim. 108 Für die Nürnberger Kirche St. Sebald einschließlich ihrer Stiftungen vgl. neben Weilandt, Sebalduskirche, noch immer Franz Machilek, Dedicationes ecclesiae sancti Sebaldi. Die mittelalterlichen Kirch- und Altarweihen bei St. Sebald in Nürnberg, in: Helmut Baier (Hg.), 600 Jahre Ostchor St. Sebald – Nürnberg 1379 – 1979, Neustadt/Aisch 1979, 143 – 159. Zum Stiftungswesen insgesamt vgl. Michael Diefenbacher, Das Nürnberger Stiftungswesen – Ein Überblick, in: MVGN 91 (2004), 1 – 34. 109 So sind nicht immer Handelsakten erhalten, jedoch dokumentieren Streitigkeiten im

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Vieles spricht dafür, dass die Tucher früh hohen Status erlangt hatten; die erfolgreiche Verheiratung mit den anderen Geschlechtern der Stadtoligarchie ist dafür ein Indiz, gleichzeitig dominieren hierzu aber auch Quellen mit starken Tradierungsabsichten wie die entsprechenden Heiratsregister im Tucherbuch. Einerseits ist das problematisch, weil auf Grund von Wirkungsabsichten zusammen- und dargestelltes Material unhinterfragt als Fakten weitergetragen werden könnten; andererseits bieten die historiographischen Quellen auch interessante Anhaltspunkte für den Mehrwert von Historiographie. So ermittelte die Forschung, dass Tucher seit dem 14. Jahrhundert Mitglieder des Kleinen Rats, der eigentlichen Regierungsinstanz, Nürnbergs waren.110 Im Zeitraum der hier interpretierten Quellen war Anton II. Tucher von 1505 – 1507 Zweiter Losunger, von 1508 – 1523 dann Vorderster Losunger, Leonhart Tucher 1536 – 1544 Zweiter Losunger und 1545 – 1565 Vorderster Losunger, beides hochstehende Ämter, die lange Zeit die oberste Nürnberger Finanzbehörde darstellten.111 Anton II. Tucher nahm somit erheblichen Einfluss auf die in Nürnberg behutsam vorbereitete Einführung der Reformation und auf die Abfassung des für das Patriziat so bedeutenden »Tanzstatuts«,112 während Leonhart Tucher die Nürnberger Politik in den Krisenzeiten des Schmalkaldischen Krieges und des Zweiten Markgrafenkriegs bestimmte. Diese unstrittigen Tatsachen der politischen Stellung der Tucher wurden allerdings im diskursiven Kontext der Selbstbeschreibung der patrizischen Familien besonders herausgestellt. Folgende Abbildung aus dem Inhaltsindex des Tucherbuchs zeigt beispielsweise, dass dort sowohl Namen als auch Ämterbezeichnungen aufgenommen wurden, denen jeweils die andere Information zugeordnet wurde. Dadurch wird Sichtbarkeit der vermittelten Inhalte verstärkt, wird so doch die Amtsbezeichnung »Lossungher« besonders hervorgehoben. Die Reihenfolge entspricht lose der zeitlichen Abfolge, vor allem aber wird die Anzahl der Amtsträger durch rote Nummerierung hervorgehoben (vgl. Abb. 3). Die Nummerierung erfolgt auch im Eintrag selbst, so dass die Person »Lossungher war Hanns Tucher No. 4. der erste vnter den Tuchern« nicht allein als Ahne in den Blick kommt. Die Tucher empfehlen sich durch die Nummerierung Rahmen eines Gerichtsprozesses relevante Sachverhalte, die sonst mit dem Verlust des Tagesschrifttums abhanden gekommen wären, vgl. Diefenbacher, Die Tucherisch Compagnia. 110 Die politisch-institutionelle Verankerung des Tucherschen Geschlechts war dauerhaft intensiv und kann in allen Einzelheiten der Ratsgänge seit 1318/23 jahrgangsweise nach Ämtern sortiert, im alphabetischen und im chronologischen Verzeichnis der Ratsherren nachvollzogen werden in Fleischmann, Rat und Patriziat, Bd. 3, 1183 – 1703. 111 Diese Angaben folgen Fleischmann, Rat und Patriziat, Bd. 3, 1719 – 1725. 112 Theodor Aign, Die Ketzel. Ein Nürnberger Handelsherren- und Jerusalempilgergeschlecht (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 12), Neustadt/ Aisch 1961, 103 f.

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Abb. 3: GTB, unpaginiert.

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für künftige Ämterbesetzungen. Darin besteht die pragmatische Dimension der Geschichtsschreibung. In einem oligarchisch von einer patrizischen Elite regierten politischen System wie in Nürnberg waren politische Ämter auch eine Form symbolischen Kapitals, sowohl hinsichtlich der Akzeptanz in der Führungsriege113 als auch hinsichtlich der repräsentativen Wirkung von Amtsnennungen in familienhistoriographischen Texten: Eine der ersten Informationen, die bspw. der Stadtsekretär Melchior Kautz dem Leser gibt, ist sein Amt. Er setzt diese Position durch porträthafte Abbildungen im Stile des damals berühmten Tucherbuchs und durch den Tugenddiskurs in Bezug zum Patriziat. Ähnlich verfährt der Nürnberger Ratskonsulent Dr. Christoph Scheurl, wenn er als Familienhistoriker unter anderem der Tucher sein Werk der Familie widmet: die erste, tatsächlich noch aus Scheurls Händen stammende Fassung des Tucherbuchs von 1542 enthält neben Augenzeugenberichten von bestimmten Quellen auch eine Widmung, mit der Scheurl das Werk als das seinige sowie sich selbst als hohen und kenntnisreichen städtischen Beamten, den Vertrauten mehrerer patrizischer Familien und sogar als »einen Tucher« kennzeichnet.114 Status zu erlangen scheint eine wesentliche Motivation des Schreibens der Geschichte eigener Ahnen, eines »Schreiben[s] für Status und Herrschaft«, gewesen zu sein.115 Die Statuskommunikation konnte aber auch von anderen Formen der Schriftlichkeit weitergeführt werden. So hat der städtische Baumeister Endres Tucher, dem die besonders umfangreiche Oberaufsicht über das private und kommunale Bauwesen übertragen war,116 aus ›sekundären‹ Überlegungen seine Tätigkeit schriftstellerisch dokumentiert. Sein »Baumeisterbuch« enthält Aufzeichnungen, die teilweise bereits von einem seiner Vorgänger angefertigt worden waren, jedoch gab Endres systematischer Auskunft über die Aufgaben und die Ausübung seines Amtes und blieb der Nachwelt dadurch in besonderer und personenbezogener Weise präsent.117 Damit kompensierte der wegen Kinderlosigkeit und erklärtermaßen mit dem Einverständnis seiner Frau in den Kartäuserorden eingetretene Endres Tucher seine Position in der Familiengeschichtsschreibung. Die repräsentativen Effekte literarischer Zeugnisse in der Öffentlichkeit dürften sogar ein maßgeblicher Teil der Reisemotivation von Hans VI. Tucher 113 Vgl. Albert Bartelmeß, Die Patrizierfamilie Tucher im 17. und 18. Jahrhundert, in: MVGN 77 (1990), 223 – 243. 114 Diese Äußerung in der Widmung wurde seit der Fassung von 1542 (Tucherbuch Rom) von allen bislang bekannten Fassungen des Tucherbuchs weitergetragen. 115 So eine der nicht in allen Fällen gleich deutlich eingelösten Arbeitshypothesen in Schmid, Deutsche Autobiographik, 26 – 56, bes. 53 f. 116 Matthias Lexer (Hg.), Endres Tucher d.J., Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg (1464 – 1475), Amsterdam 1968. 117 Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg, Bd. 2, 1012.

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(1428 – 1491) gewesen sein. Gemeinsam mit Sebald Rieter hatte er 1479 eine Pilgerreise nach Jerusalem unternommen, über die er 1482 einen von ihm auf Deutsch verfassten Reisebericht drucken ließ, der eine besonders hohe Verbreitung finden sollte.118 Der Erfolg dieses Berichts lässt sich an der Zahl der überlieferten Exemplare und der Überlieferungsorte ermessen, vor allem aber an den Nachdrucken, die der Autor teils selbst aus Unzufriedenheit mit der Redaktion der ersten Druckausgabe in Auftrag gab, die teils aber auch auf Grund großer Nachfrage auf dem Büchermarkt als Raubdrucke erschienen. Man mag Hans Tucher eine Bücherliebe zugute halten, auf Grund derer er in seinem Amt als »Junger Bürgermeister« auf die Gründung einer Stadtbibliothek hinwirkte. Bereits die von ihm selbst vorgelegte Form der Reiseliteratur stellte seine Person und damit seine Familie besonders heraus. Auch Schriften mit weniger klassischen Themen wurden mit Tradierungsabsichten erstellt, wie im Fall des in Venedig ausgebildeten Anton II. Tucher (1458 – 1524). Tucher war ein erfolgreicher Kaufmann und Mitleiter der Tucherschen Handelsgesellschaft. Er bildet keine Ausnahme darin, dass das Tucherbuch ihm eine besonders vorteilhafte Eheverbindung attestiert. Tucher korrespondierte intensiv mit Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen und beherbergte diesen Protagonisten der Reformation auch häufig bei Besuchen in Nürnberg. Seine unter dem Titel »Haushaltsbuch« edierten Aufzeichnungen für die Jahre 1507 – 1517 dienten teilweise dem praktischen Zweck, die haushälterische Kontinuität zu sichern; aber Tucher dokumentierte seine Ausgaben sicher auch mit der memorialen Zielsetzung, über seinen Tod hinaus erinnert zu werden.119 Das Haushaltsbuch ist nicht eindeutig einer Gattung oder einem Themenbereich zuzuordnen, unter anderem weil es einen Abschnitt »Aufzeichnungen über seine Familie und seine Ämter« enthält. Seine Ausführungen muss Tucher in einer Traditionslinie mit den früheren historiographischen Aufzeichnungen von Tuchern gesehen haben.120 Die damit verbundene Absicht ist keinesfalls, die private Erinnerung in einem hauswirtschaftlichen Sinne zu fördern. Im Ge118 Die außerordentliche Verbreitung solcher Schriftstellerei belegt Randall Herz, Studien zur Drucküberlieferung der »Reise ins gelobte Land« Hans Tuchers des Älteren. Bestandsaufnahme und historische Auswertung der Inkunabeln unter Berücksichtigung der späteren Drucküberlieferung (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 34), Nürnberg 2005. 119 Interpretationsmöglichkeiten zeigt auf Sina Westphal, Der Haushalt des Nürnberger Stadtadeligen Anton Tucher im Jahr 1508, in: Scripta Mercaturae 41 (2007), 39 – 67. 120 Der Abschnitt ist Anton II. Tucher, Aufzeichnungen über seine Familie und seine Ämter, in: Anton Tucher, Anton Tuchers Haushaltsbuch (1507 – 1517), hg. von Anton Wilhelm Loose, Tübingen 1877, Beilage 1, 172 – 178. Für ein breites, quellennahes Referat der Tucherschen Historiographie vgl. Carla Meyer, Die Stadt als Thema. Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 (Mittelalter-Forschungen 26), Ostfildern 2009, 102 – 108.

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genteil muss diese Form der Schriftlichkeit im Kontext der Überlieferungsgestaltung gesehen werden, dass Anton II. Tucher also Einfluss auf seine Außenwirkung nahm wie schon bei der Stiftung des »Engelsgrußes« und des Marienleuchters in St. Lorenz und des Drachenleuchters im Rathaus,121 wo Anton Tucher sich über den Leuchter hinaus auch an der Gestaltung des großen Rathaussaales und der für die Nürnberger Identität so zentralen Heiltumskammer maßgeblich beteiligte.122 Tuchers autobiographisches Schreiben steht am Beginn der typischen Prozesse der Geschichtsschreibung in deutschen Städten. Ein genauerer Blick auf die Tuchersche Geschichtsschreibung des Mittelalters wird hier nicht unternommen,123 jedoch sind die Professionalisierung von historiographischem Schreiben, die Delegierung an professionelle Autoren und die Ausweitung der Schreibperspektive auf eine überpersönliche, gesamtfamiliäre Ebene als zentrale Entwicklungslinien zu benennen. Von Anton Tuchers »Haushaltsbuch« unterscheiden sich die hier behandelten Tucherbuchfassungen dadurch, dass sie Zeugnis einer späten Stufe des familiären Gedächtnisbildungsprozesses sind, den sie fortsetzen und weiterführen.

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Die exemplarischen Skizzen zeigen, dass das kulturelle Zeichensystem der Familiengeschichten im Spannungsfeld von Dauer, Wiederholbarkeit und Übergängigkeit steht. Das Feld der genealogischen Wertkonzepte wird vom historischen Begriff ›Generation‹ besonders gut aufgeschlossen. Sowohl die damit verfolgten Absichten als auch die literarischen und bildrhetorischen Ausdrucksfelder gehen auf Fragen des Übergangs, des Erbes, des Ursprungs, der Nachfolge und der Kontinuitätssicherung ein. Im Deutschen war »Generation« noch im 17. Jahrhundert ein mehrdeutiges Fremdwort, das neben »Gebärung« auch im Kontext von »Stamm/Geschlecht« verstanden wurde.124 Der Begriff

121 Grote, Die Tucher, Abb. 36, unpaginiert. 122 Schmid, Deutsche Autobiographik, 75. 123 Vgl. dafür neuerdings die Arbeit von Matthias Kirchhoff, Gedächtnis in Nürnberger Texten des 15. Jahrhunderts. Gedenkbücher, Brüderbücher, Städtelob, Chroniken (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 68), Nürnberg 2010. 124 So verzeichnet das »Dictionarium Italicum« kein deutschsprachiges Lemma »Generation«; das italienische Wort »Generatione« wird in zwei verschiedenen Bedeutungen angegeben, neben »Gebärung« auch wie folgt: »Generatione, successione, linea di parentando, razza Stamm/Geschlecht«. Ein ebenfalls familiengeschichtlich konnotierter Zusammenhang wird unter »Degenerare« angegeben: »non seguire i costumi de suoi passati aus der Art schlagen«, vgl. Levinus Hulsius, Dictionarium Levini Hulsii Teutsch-Italiänisch undItaliä-

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prägte das genealogische Denken vom Beginn des Untersuchungszeitraums bis ins Revolutionszeitalter hinein,125 wandelte und verengte sich erst dann semantisch in Richtung der heutigen Verwendung als Kohortenbegriff. Die Alterität des Begriffs im 16. Jahrhundert ist hier als das zu einer bestimmten Zeit Sagbare zu analysieren. Die zeittypische Ausprägung von historischer Sinngebung changiert zwischen Ursprungsdarstellung, Gegenwartsorientierung und Kontinuitätserzeugung. In diesem Sinne soll eine historische Geschichtskultur als das Ergebnis von aktiver Gestaltung der eigenen historischen Identität thematisiert werden, wobei die sekundär erscheinende Ebene von Repräsentationen und Wahrnehmungen ausdrücklich mit einbezogen sein soll.126 In methodischer Hinsicht ist so auch durchgehend die Sprachlichkeit, Textualität und Narrativität der Quellen berücksichtigt, um die Konstruktion historischen Sinns verfolgen zu können.127 Die exemplarisch vorangestellten Quellen – die Hochzeitsschilderung (1526), die emblematische Abbildung im Scheurlbuch (nach 1560), das genealogische Kirchenfenster (ca. 1615) und die Reflexionen aus der Vorrede des ›Kautzbuchs‹ aus dem frühen 17. Jahrhundert – illustrieren die räumliche, zeitliche und mediale Dimensionierung des Gegenstandsbereichs und illustrieren damit die Notwendigkeit, die Fragestellung auf die Reflexion von Zeit und Geschichte zu begrenzen. Die materiellen Quellen bilden einen wichtigen Teil der als Ergebnis komplexer Differenzierungspro-

nisch-Teutsch. Jetzo auffs neue mit angelegnem Fleiß übersehen/ und dadurchhäuffig verbessert und vermehret, Franckfurt am Main 1687, 130, 188. 125 Stehen systematische begriffs- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen noch aus, so werden die vergessenen Bedeutungen des Generationeskonzepts, die es an der Schwelle zwischen Entstehung und Fortgang, Herkunft und Übertragung stehen lassen, vorläufig umrissen in Sigrid Weigel, Genea-Logik. Generation, Tradition und Evolution zwischen Kultur- und Naturwissenschaften, München 2006, 108 – 109. 126 Die Arbeit folgt den Ansätzen der ›neueren‹ Kulturgeschichte. Die anhaltende Debatte um kulturgeschichtlich motivierte ›Wenden‹ in der Geschichtswissenschaft resümiert Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006, 381 – 406. 127 Diese Grundposition war lange Zeit noch ein wissenschaftstheoretisches ›Glaubensbekenntnis‹, obwohl bereits Droysens Historik auf die sprachliche Verfasstheit der Quellen und deren Interpretationswürdigkeit hingewiesen hatte, vgl. Johann Gustav Droysen, Der erste Abschnitt der Einleitung in die Vorlesungen über Neuere Geschichte (1842), in: Peter Leyh/Horst Walter Blanke (Hg.), Johann Gustav Droysen. Historik, Texte im Umkreis der Historik unter Berücksichtigung der Vorarbeiten, Stuttgart/Bad Canstatt 2007, 174 – 178. Inzwischen ist das geradezu der Diskussionsstand, vgl. Mary Lindemann, »Stories in the Archive«. Aufklärung, Kriminalität und politische Kultur in Amsterdam, Hamburg und Antwerpen, in: Rudolf Vierhaus/Hans Erich Bödeker/Martin Gierl (Hg.), Jenseits der Diskurse. Aufklärungswelt und Institutionenwelt in europäisch komparativer Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 224), Göttingen 2007, 417 – 440. Für die breitere Strömung der »textually oriented history« vgl. Elizabeth A. Clark, History, Theory, Text. Historians and the Linguistic Turn, Cambridge 2004, bes. 156 – 158.

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zesse ausgebildeten historischen Geschichtskultur,128 können jedoch nur als Ausblick thematisiert werden. Die Historiographiegeschichte beruhte lange auf der prägenden grundwissenschaftlichen Unterscheidung von Traditionsquellen,129 von der ausgehend gattungssystematische Gliederungsversuche das Quellenmaterial strukturierten. Der in Droysens Historik angelegte pragmatische und auf die Textualität bezogene Aspekt von Geschichtsschreibung als Handlung von Geschichte schreibenden Wissenschaftlern wird erst in neuerer Zeit auch auf die historische Praxis der Geschichtspräsentation gewendet. Bei der Frage nach der Semantik von »Generation« ruht das Hauptaugenmerk auf der Frage nach den Handlungsspielräumen bei der Konstruktion historischen Sinns, nach den jeweils eingesetzten literarischen Mitteln und der spezifischen Einbettung in persönliche, familiäre, städtische oder auf soziale Gruppen bezogene Erinnerungskulturen. Die vormoderne Geschichtsschreibung soll aber nicht als eine vorhistoristische Epoche in den Blick kommen, die gegenüber der wissenschaftlichen Historie defizitär erschiene.130 Aus der Perspektive der globalen Historiographiegeschichtsschreibung können Bewertungsparameter historiographischen Schreibens nur neu aus dem Material entwickelt werden.131 Zum hier untersuchten Quellenkorpus liegt derzeit keine hinreichend aussagekräftige Begrifflichkeit vor, die eine konsequente Zuordnung zu Gattungen wie etwa der der »Geschlechterbücher« ermöglichte, wofür allerdings teilweise die Überlieferungs- und die Erschließungssituation verantwortlich sind.132 Die Gattungsdiskussion ist einerseits durch historische Bezeichnungen kontaminiert, durch die editorische Praxis der »Chroniken der deutschen Städte« und 128 Bereits ›Gebrauchstexte‹ wie Hochzeitsbeschreibungen haben sogar in der Adelsforschung nicht genügend Beachtung gefunden, vor allem aber fehlen Untersuchungen zum spezifischen Sinn von materiellen Erinnerungszeugnissen, vgl. Spieß, Materielle Hofkultur und ihre Erinnerungsfunktion, hier bes. 167. 129 Vgl. durchgehend die Vorgehensweise in Ernst Bernheim, Lehrbuch der Historischen Methode und der Geschichtsphilosophie, München/Leipzig 1914. 130 Diesem Ansatz scheint zu folgen Muhlack, Vorgeschichte des Historismus. 131 Zu dieser komplexen Neuausrichtung vgl. zusammenfassend den Überblick in Daniel Woolf, Historiography, in: Maryanne Cline Horowitz (Hg.), New Dictionary of the history of ideas. Studies of selected pivotal ideas, Detroit/Munich 2005, Bd. 1, XXXV–LXXXVIII. 132 Auch die besten Studien wie Rohmann oder – mit breiterem und stärker schematischem Zugriff – Bock zeigen die Varianz der »Gattung(en)« an. Wie zu zeigen ist, treten im Fall Nürnberg auch die Überlieferungsfragen stärker in den Vordergrund, was die Werkgenese und Frage nach Parallelwerken in verschiedenen Ausführungen betrifft. Die Unwägbarkeiten, die das bislang nur zu vermutende, unentdeckte Material dem Historiker auferlegt, bieten nicht »auch nur einen annähernden Überblick über die Gesamtsituation« der relevanten Quellen, vgl. Susanne Rau, Zu den theoretischen Grundlagen frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung und ihrer Rolle bei der Ausformung kultureller Gedächtnisse, in: Jan Eckel/Thomas Etzmüller (Hg.), Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, 135 – 170, hier bes. 149.

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die teilweise darauf aufbauende literaturwissenschaftliche Begriffsbildung etwa zum »Hausbuch«, einem »Typus spätmittelalterlicher Textsammlungen«, deren Schreiber zugleich die Sammler und Besitzer gewesen seien, aber »beruflich nichts mit Literatur zu tun« gehabt hätten.133 Dieser ästhetische (im Gegensatz zu einem pragmatischen) Literaturbegriff vermag keine Charakteristika herauszufiltern, die diese Gattung für historiographiegeschichtliche Untersuchungen relevant erscheinen lassen. Auch die Reflexion der Gattung an Hand von äußeren Kriterien erscheint nicht geeignet, die mit privater oder familiärer Schriftlichkeit verbundenen Darstellungsziele aufzuzeigen: Die Einteilung in Hausbücher, (bebilderte) Geschlechterbücher usw. ist bislang meist nur regional durchgeführt worden, begrenzt nicht zuletzt durch die der Forschung bekannten Beispiele. Die Nähe vieler Geschlechterbücher zu Hausbüchern und Chroniken ist jedoch im Werk Scheurls besonders sichtbar : Bei aller Varianz der Ordnungsmuster, Berichtsgegenstände und Ausfertigungsweisen kann hier der Zweck, zeit- und vergangenheitsgeschichtliche Repräsentationen zu erzeugen, als gemeinsames Kennzeichen angenommen werden. Die Medien für eine solche Repräsentationsabsicht befinden sich im 16. Jahrhundert im Umbruch. Text-bildliche Darstellungen gewinnen an Bedeutung und werden von Auftraggebern mit Überbietungsabsichten immer weiter ausdifferenziert. Während anfangs noch personenbezogene Autobiographik in der Familiengeschichtsschreibung vorherrscht, wird der Druck später immer größer, bestimmte gattungsbezogene Erwartungshaltungen zu erfüllen. Ein wichtiger Bezugspunkt scheint – im Detail muss dies kunsthistorischer, paläographischer und historiographiegeschichtlicher Forschung vorbehalten bleiben – die Geschichtsschreibung am Hofe Kaiser Maximilians gewesen zu sein.134 Anstatt das disparate, sich aber dennoch nach erkennbaren Tendenzen entwickelnde Material nach gattungstypologischen Kennzeichen zu gliedern, soll hier die Frage nach der Intention der Tradierung, ihrer medialen Umsetzung und Sprache als Form von Handlung im Mittelpunkt stehen.135 Dieses Anliegen ist in dem Sinne kulturgeschichtlich, als Geschichtsschreibung nicht primär nach grundwissenschaftlichen Kategorien beschrieben, sondern als Zeugnis von Repräsentationen und Wirkungsabsichten.136 Dabei können 133 Dieter H. Meyer, Hausbuch, in: Harald Fricke (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, Berlin/New York 2007, 12 – 14, hier 12. 134 Vgl. dazu Beate Kellner, Genealogien, in: Werner Paravicini (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift (Residenzenforschung 15 III), Ostfildern 2007, 347 – 360. 135 Auf eine ähnliche Weise hat bereits das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch die Überlieferung der frühen Neuzeit aufgefasst und der Gliederung Handlungen (»informierende Texte« etc.) zu Grunde gelegt, vgl. Oskar Reichmann/Klaus-Peter Wegera (Hg.), Frühneuhochdeutsches Lesebuch, Tübingen 1988, passim. 136 Für kulturgeschichtliche Interpretationsansätze vgl. Susanne Rau/Birgit Studt (Hg.), Ge-

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gattungsübergreifend Erzählungen sowie räumliche und performative Materialisierungen von Erinnerung herangezogen werden, so dass auch Briefsammlungen als Traditionsquellen gelesen werden können.137 Eine schwerpunktmäßig konfessionskulturelle Lesart ist nicht angestrebt, um vor allem die Eigendynamik der sinnstiftenden Texte vor dem Hintergrund der zentralen lutherischen Theologumene herauszuarbeiten.138 Diskursanalysen sollten gerade auch die textargumentative Seite der Sinnproduktion durch Geschichtsschreibung analysieren,139 was gelegentlich als Gegensatz zu einer konfessionsgeschichtlichen Betrachtung gesehen wird.140 Sicher müssen die zeittypischen Deutungen – beispielsweise die Wahrnehmung einer begrenzten, weil rasch vergehenden Zeit – in konfessionellen Kontexten verortet werden.141 Auf dieser Grundlage geht die Frage nach den genealogischen Diskursen mit dem Interesse an der Geschichte der dabei verwendeten Begriffe einher. Als genealogische Kategorie tritt das Wort »Generation« mehrfach in der Familiengeschichtsschreibung auf. Die jeweilige Wortverwendung wirft Fragen über die Wortbedeutungen auf,142 die hier nur dem Fragehorizont nach vorge-

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schichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350 – 1750), Berlin 2010. Vgl. dazu Jürgen Herold, Die Interpretation mittelalterlicher Briefe zwischen historischem Befund und Medientheorie, in: Andres Laubinger/Brunhilde Gedderth/Claudia Dobrinski (Hg.), Text – Bild – Schrift. Vermittlung von Information im Mittelalter (Mittelalterstudien 14), München 2007, 101 – 126, hier 104, 118. Vgl. für einen konfessionalisierungsgeschichtlichen Schwerpunkt Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546 – 1617 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 37), Tübingen 2007. Vgl. dazu Marcus Sandl, »Nicht Lehrer, sondern Erinnerer«. Zum Wandel des Verhältnisses von Historie und Diskurs am Beginn der Reformation, in: Zeitschrift für historische Forschung 27 (2000), 179 – 201, und ders., Interpretationswelten der Zeitenwende. Protestantische Selbstbeschreibungen im 16. Jahrhundert zwischen Bibelauslegung und Reformationserinnerung, in: Joachim Eibach/Marcus Sandl (Hg.), Protestantische Identität und Erinnerung. Von der Reformation bis zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR (Formen der Erinnerung 16), Göttingen 2003, 27 – 46. Vgl. Matthias Pohlig, Rezension zu: Joachim Eibach/Marcus Sandl (Hg.): Protestantische Identität und Erinnerung. Von der Reformation bis zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Göttingen 2003, in: H-Soz-u-Kult, 02.10.2003, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/re zensionen/2003 – 4-006 [Zugriff 22. Juli 2009]. Thomas Kaufmann, Apokalyptische Deutung und politisches Denken im lutherischen Protestantismus in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Arndt Brendecke/Ralf-Peter Fuchs/ Edith Koller (Hg.), Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit (Pluralisierung & Autorität 10), Münster 2007, 411 – 453. Zu den Problemen, das Lexikon der frühneuhochdeutschen Sprachstufe in den Bedeutungen verwendeter Wörter zu erschließen, beziehe ich mich im Folgenden auf Oskar Reichmann, Sprache und Kulturwissen – Ihre Darstellung im historischen Bedeutungswörterbuch. Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Sprachwissenschaftliche Kommission) Beiträge zum Ehrenkolloquium anläßlich des 75. Geburtstages von Prof. Dr.

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stellt werden können: Handelt es sich bei der hier am Beispiel von »Generation« zu untersuchenden Semantik um eine ›sprachzeichenimmanente‹ Entität? Oder : Handelt es sich beim Quellenwort »Generation« um eine Art von Kulturwissen, das in unterschiedlichen Sprachen verschieden bezeichnet wird, aber auch eine außersprachliche Referenz besitzt? Auf jeden Fall ist methodisch in Erinnerung zu rufen, dass die vorhandenen Quellen sprachlicher Natur sind und dass die Ergebnisse auf der Ebene von Diskursen liegen müssen und somit überindividuelle, Sprechern des Frühneuhochdeutschen verständliche Äußerungen und Sprachhandlungen betreffen.143 Insbesondere die einseitig soziologischen Theorieangeboten folgenden Forschungsansätze144 bedürfen der begriffsgeschichtlichen Unterfütterung. Der Begriff ›Generation‹ ist aus der Perspektive der Gegenwartssprache, in deren Feuilleton er geradezu freigegeben scheint,145 lediglich auf einen Bruchteil seines historischen Bedeutungsspektrums reduziert, zugespitzt und verengt. Die seit dem 16. Jahrhundert verlorenen semantischen Schichten und damit die Alterität der Quellen und der Theorie des frühneuzeitlichen Generationsdiskurses werden an einem für das Tucherbuch zentralen Ort sichtbar, nämlich in den autoreflexiven und kommentierenden Paratexten.146

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R. Große, http://www.saw-leipzig.de/forschung/kommissionen/sprachwissenschaft/reichmann_1 [Zugriff am 22. Juli 2009]. Zum Stand der Diskursforschung vgl. Andreas Gardt, Diskursanalyse. Aktueller theoretischer Ort und methodische Möglichkeiten, in: Ingo Warnke (Hg.), Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände. Berlin, New York 2007, 28 – 52. Die theoretischen Angebote stellt nach Konzepten geordnet vor Ulrike Jureit, Generationenforschung (Grundkurs Neue Geschichte), Göttingen 2006, während diese Ansätze bereits vorher eher nebeneinander aufgetreten sind, vgl. dazu die Listen in Thomas Schuler, Der Generationsbegriff und die historische Familienforschung, in: Peter-Johannes Schuler (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, 23 – 42. Frühere Ansätze der Generationenforschung waren weniger theoriebildend vorgegangen, vgl. nicht zuletzt die tabellarische Verzeichnung in Schuler, Historische Familienforschung. Zu Problemen der Anwendung des Generationenbegriffs als Kategorie in historischen Untersuchungen führt hin Sigrid Weigel, Familienbande, Phantome und die Vergangenheitspolitik des Generationendiskurses. Abwehr von und Sehnsucht nach Herkunft, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffes, Hamburg 2005, 108 – 126. Demnach könnten wohl auch vormoderne Erfahrungsräume, wie etwa in der Sieneser Deckenmalerei nach der Pestepidemie, prinzipiell generationengeschichtlich zu erschließen sein. Bei Paratexten handelt es sich um eine von G¤rard Genette vorrangig für ästhetisch-literarische Texte des 18. und 19. Jahrhunderts erstellte Interpretationskategorie, deren prinzipielle Unterscheidung zwischen ›Text‹ und Leser steuerndem, Absichten korrigierendem, späterem oder gleichzeitigem sowie Kritik berücksichtigendem Text auch für die hier vorgestellte Familiengeschichte inspirierend ist; berücksichtigt man, eingedenk Genettes Unterscheidung, die Entstehungsschichten des Großen Tucherbuchs, so fällt etwa der Entstehungszeitraum von 1542 bis hin zur Prachtversion, die trotz früherer Planung erst 1590 handwerklich begonnen und 1606 abgeschlossen wurde, auf. Für eine Interpretation

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Der genealogische Generationsdiskurs der Vormoderne war außerordentlich vielschichtig, er weist schöpfungstheologische, biologisch-prokreative und soziokulturelle Dimensionen auf.147 Der frühneuhochdeutsche Wortschatz war keine standardisierte Sprachvarietät, sondern historisch, regional und dialektal außerordentlich differenziert. Dennoch scheint in allen bisher lexikographisch erfassten Wortverwendungen übereinstimmend die Ambivalenz und Mehrschichtigkeit des Wortes »Generation« auf: »[G]enerieren« wird von lateinisch ›generare‹ (zeugen, hervorbringen) her erläutert, »jn./sich/etw. hervorbringen, erzeugen, ernähren«.148 Diese Semantik tauchte sowohl in Aussagen über materielle Gegenstände als auch über Menschen und ihr Handeln auf. Zeitgenössische Wörterbücher bestätigen diesen Befund, ordnet doch der »Teutsche Dictionarius« dem Lemma »Generation« Wörter aus dem biologischen und theologischen Wortfeld, nämlich »geberung/ erschaffung/ schöpfung« zu.149 Die Schöpfungs-, Geburts- und Kontinuitätssemantik von »generatio« und »Generation« kommt auch in der Sprache der Alchimie zum Tragen. Dazu war der Generationenbegriff einerseits durch die Ambivalenz zwischen den Bedeutungen von »genus« und »generatio« vorbestimmt, andererseits ließen sich mit ihm auch magische Vorstellungsbereiche der Naturlehre ausdrücken.150 Die Geschichtswissenschaft muss hier die Sprache ernst nehmen und das ›Atmosphärische‹ und das nicht in Personen und Strukturen allein nachweisbare Substrat historischer Veränderungsprozesse herausarbeiten.151 Kultur- und mentalitätsgeschichtliche Forschungsansätze mit begriffsgeschichtlicher Orientierung haben eine relativ kurze, aber vielversprechende Tradition.152 Ge-

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muss ein Schwerpunkt also auf den paratextlichen, nachgeholten und weitergetragenen historischen Absichtserklärungen und dem Umgang mit Kritik liegen. Zu den in die Untersuchung organisch eingegangenen Überlegungsansätzen vgl. die theoretische Fassung in G¤rard Genette, Paratexte, Frankfurt am Main/New York 1989, hier vor allem 230 – 231, 252. Hierzu zusammenfassend Weigel, Generation, Tradition und Evolution, bes 108 – 111. Joachim Schildt, »generation, s. generieren«, in: Ulrich Goebel/Anja Lobenstein-Reichmann/Oskar Reichmann (Hg.), Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, Bd. 6, Berlin/New York 2005, 905. Simon Roth, Ein Teutscher Dictionarius: Simon Roths Fremdwörterbuch (1567), hg. von Eugen Öhmann, (M¤moires de la Soci¤t¤ N¤o-Philologique de Helsingfors XI), Helsinki 1936, 225 – 370, hier 314. Jörg Barke, Die Sprache der Chymie. Am Beispiel von vier Drucken aus der Zeit zwischen 1574 – 1761 (Reihe Germanistische Linguistik 111), Tübingen 1991, 256. Vgl. Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Historische Diskursanalyse, Tübingen 2001. Vgl. Martin Dinges, Ehre und Geschlecht in der Frühen Neuzeit, in: Sibylle Backmann/ Hans-Jörg Künast/Sabine Ullmann/B. Ann Tlusty (Hg.), Ehrkonzepte in der frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen (Colloquia Augustana 8), Berlin 1998, 123 – 147 sowie Thomas Zotz, Urbanitas. Zur Bedeutung und Funktion einer antiken Wertvorstellung innerhalb der höfischen Kultur des hohen Mittelalters, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 100), Göttingen 1990, 392 – 451.

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genstand von Debatten ist nicht mehr der Ansatz als solcher, sondern die Methodik des begriffsgeschichtlichen Zugriffs.153 Als grundlegende Kritik wurde vorgetragen, dass neben dem Vorkommen von Einzelwörtern auch semantische Beziehungsnetze zu kombinieren seien, um soziokulturelle Handlungskontexte zu erschließen. Diese Einwände werden in der folgenden Untersuchung konstruktiv aufgenommen und Texte, Paratexte und Bilder und die Entwicklung ihres Zusammenspiels untersucht. Das deutsch-lateinische Wörterbuch des Schweizer Humanisten Petrus Dasypodius, das während der gesamten frühen Neuzeit gültig blieb,154 zeichnet ein semasiologisch und onomasiologisch vielschichtiges Bild. Für die einschlägig verzeichneten Wörter ist die biologische Hervorbringung zentral, etwa »Genero, as, Jch gebier. Vnde generatio, Ein geberung«. Andererseits wird auch eine aus dem sozialen Ort der »geberung« abgeleitete Identität des Geschlechts (i. S. von Familie) angesprochen, »Ite(m) genus, Ein geschlecht / oder das harkommen«. Die Bezugnahme auf »Et generosus, a, um« ist gerade für die hier verfolgte Frage interessant, weil biologische und soziale mit geschichtskulturellen Kategorien verbunden werden. Zur Erläuterung heißt es: »Edel/ eins gu˚ten harkommens/ wolgeborn wol geboren/ dapffer/ manlich«.155 Kategorien des Charakters, der Herkunft und des Status’ werden an eine offenbar als gemeinsam verstandene Etymologie von »genero« und »generosus« angelagert. Die semantische Einheit, die unter dem heutigen Forschungsbegriff ›Generation‹ zusammengefasst werden soll, umfasst im 16. Jahrhundert also ein heute in großen Teilen verloren gegangenes semantisches Feld von Übertragungs- und Reproduktionsphänomenen auf biologischem, erzieherischem, familiärem und soziopolitischem Gebiet. Bestätigt wird diese Einheit durch die Angaben zu den Komposita, die teilweise eine Konkretion oder das Gegenteil von ›Generation‹ ausdrücken: »Degenero, Ich schlach auß dem geschlecht/ oder art. Degener, Vnedel/ vnedel/ 153 Die transdisziplinäre Auseinandersetzung betrifft den von Koselleck angesetzten Begriff von Begriff sowie die Einbeziehung von weiteren textlichen Kontexten sowie anderer Wörter aus dem Begriffsfeld. Vgl. einige prinzipielle Bemerkungen in Gerd Dicke/Manfred Eikelmann/Burkhard Hasebrink, Historische Semantik der deutschen Schriftkultur. Eine Einleitung, in: Dies. (Hg.) Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Beziehungen von Rede und Schrift im Mittelalter (Trends in Medieval Philology 10), Berlin/ New York 2006, 1 – 14, hier 7, 12; dann auch Fritz Hermanns, Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte. Überlegungen zu Sinn und Form und Gegenstand historischer Semantik, in: Andreas Gardt/Klaus Mattheier/Oskar Reichmann (Hg.), Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Gegenstände, Methoden, Theorien (Reihe Germanistische Linguistik 165), Tübingen, 69 – 101. 154 Leider fehlt noch eine Vergleichsstudie, die verschiedene Fassungen in den Blick nähme. Vgl. die Einführung von Jonathan West in: Petrus Dasypodius, Dasypodius’ Dictionarium Latinogermanicum, hg. von Jonathan West, 2007, Permalink: http://diglib.hab.de/edoc/ ed000008/start.htm 155 Ebd. fol. 158.

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vnartig/ schlecht […] Progenero, Ich gebir weyter/ ich mehre das geschlecht«.156 Fortpflanzung wird hier auch in Bezug auf den sozialen Kontext eines Geschlechts interpretiert. ›Generation‹ konnte so verstanden werden, dass Selbstaussagen wie »Ich gebir weyter« möglich waren. Auch die ethische Kontinuität eines ›Geschlechts‹ wird durch die Aussage, »Ich schlach auß de[r] […] art«, hervorgehoben. Das Lateinwörterbuch für Deutsche, das seit dem ersten Druck 1535 mehrmals neu aufgelegt wurde, kann die semantischen Dimensionen des Generationsdiskurses aufzeigen, die mit dem Wort »Generation« und seinem Wortfeld verbunden wurden. Diese vereinen sowohl soziale, ehrbezogene als auch fortpflanzungs- und übertragungsbezogene Phänomene miteinander. Die Untersuchung der historischen Semantik von »Generation« versteht sich als Ergänzung der einschlägigen Kulturgeschichtsschreibung. Insbesondere sollen die soziale und theologische Dimension der Generationssemantik empirisch untersucht und den bislang bevorzugt erforschten philosophischen Quellentexten an die Seite gestellt werden.157 Im 16. Jahrhundert konnte der Begriff eine positiv vorbestimmte Dynamik bezeichnen. »Generation« entwickelte sich zu einer wünschenswerten Kategorie mit temporaler Struktur (und Wiederholbarkeit),158 die den lateinischen Wortsinn von erfolgreicher Fortpflanzung überstieg: »Generation« war ein positiv wertender Hybridbegriff, der auch die Weitergabe eines ›Erbes‹ im Sinne von Gegenständen, aber auch von immateriellen Gütern sowie gruppenkonstituierender Zusammengehörigkeit umfasste. Diese Breite bezieht auch die Geschichte von Erziehung und die damit verbundene Erinnerungskultur, etwa im Lichte von Briefarchiven, mit ein, bezweckten Briefe zwischen Jung und Alt doch die Weitergabe von Wissen.159 Beide Quellengruppen beziehen sich auf Beziehungen zwischen Jung und Alt und verfolgen Reproduktionsabsichten.160 In

156 Ebd. 157 Die interdisziplinäre Bearbeitung musste veröffentlicht vorliegende und daher überwiegend geistesgeschichtliche Quellen wie edierte gelehrte Korrespondenzen, Monographien und Lexika, heranziehen, vgl. Parnes, Das Konzept der Generation, 331 – 375. 158 Vgl. Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt/Main 2006, 92. Pragmatik und Semantik gehören demnach zusammen, wie Koselleck am Beispiel des Krisenbegriffs und der Endzeiterwartung schlagend erläutert; die Endlichkeit der Welt verzeitlicht diese und sorgt für eine Neuausrichtung des gesellschaftlichen Lebens. 159 Dieser Bedeutungsbereich wird von der aktuellen Erziehungsgeschichte weitgehend in den größeren Kontext erzieherischer Generationenbeziehungen gesetzt, ohne dass die historische Semantik dadurch vernachlässigt würde, vgl. Jörg Zirfas/Christoph Wulf, Generation, in: Dietrich Brenner/Jürgen Oelkers (Hg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Weinheim/Basel 2004, 409 – 421, hier vor allem 409 – 411. 160 Substantialistischen Prämissen über »Familie« als biologische Reproduktionseinheit ist eine Absage zu erteilen, um die Formen zu untersuchen, in denen sie literarisiert wurde.

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verschiedenen Reichweiten untersucht, verdient die in Generation thematisierte soziale Reproduktion den Rang eines historischen Grundbegriffs. Der Generationsdiskurs ermöglicht auch eine heilsgeschichtliche Konnotierung, ja Sakralisierung von Gegenständen der Geschichtsschreibung insbesondere unter genealogischen Vorzeichen.161 Im Bereich der historischen Semantik ist die »Auflösung des Scheins von Begriffskonstanz« ein Hauptanliegen.162 »Generation« tritt häufig ›objektsprachlich‹ in Geschlechterbüchern im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts auf,163 wobei allerdings noch keine einheitliche genealogische ›Sprache‹ zur Anwendung kam. Die eingehend reflektierte, hervorgehobene und konsistente Verwendung des Wortes »Generation« im komplexen, religiös aufgeladenen, aber realgeschichtlich applizierten Sinn, bleibt der Hauptquelle dieser Untersuchung, der abschließenden Fassung des Tucherbuchs von ca. 1590 vorbehalten. An diesem Beispiel soll die soziale Relevanz von ›Generation‹ untersucht werden, mit besonderem Augenmerk auf die mit der Semantik angestrebte Vergesellschaftung.164 Vor dem Hintergrund der erzieherischen Kommunikation, vor allem aber der Repräsentationspraxis der Nürnberger Patrizier ist die Begriffsgeschichte der historischen Geschichtskultur als die »Historie der Begriffsbildungen, -verwendungen und -veränderungen« am Beispiel der genealogischen Kategorie »Generation« zu analysieren.165 Die diachrone Veränderung eines Wortes im dadurch bezeichneten Sachbereich ist ein erster Zwischenschritt, um sich dem repräsentativen Handlungssinn anzunähern. Die Deutung, die der Begriff »Generation« in seiner Verwendung im Tucherbuch leistet, soll in seiner pragmatischen Dimension erfasst werden. Der historische Umgang mit dem Begriff »Generation« innerhalb der Familienge-

161 Heilsgeschichtliche Muster haben die europäische Geschichtsschreibung seit der Antike bis in die neuere Zeit geprägt. Vgl. zum Zusammenhang von Heilsgeschehen und dargestelltem Geschichtsprozess Dieter Timpe, Römische Geschichte und Heilsgeschichte (Akademieunternehmen »Griechische Christliche Schriftsteller« der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Hans-Lietzmann-Vorlesungen 5), Berlin/New York 2001. 162 So Carsten Dutt, Funktionen der Begriffsgeschichte, in: Ernst Müller/Falko Schmieder (Hg.), Begriffsgeschichte der Naturwissenschaften. Zur historischen und kulturellen Dimension naturwissenschaftlicher Konzepte, Berlin/New York 2007, 241 – 252. 163 Dies im Sinne von Rau, Grundlagen frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung, 145. 164 Eine Trennung zwischen der rein textimmanenten und einer lebensweltlich-praktischen Seite von Sprache ist fraglich, somit liegt hier eher eine Akzentverschiebung vor. Vgl. etwa die Anlage von Rolf Reichardt (Hg.), Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich (1680 – 1820), München 1985 ff., obwohl die entscheidende Innovation im Koselleckschen Begriff von Sprache darin lag, ›Sagbares‹ als Realitätsgrenzen anzunehmen und in dessen – selten lediglich stattfindenden als vielmehr gezielt herbeigeführten – Wandel die Handlungskomponente genauer zu bezeichnen. 165 Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/Main 1979, 107 – 128, hier 115.

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schichtsschreibung ermöglicht es, das Wort – und damit den damit gemeinten Geschichtsentwurf und historischen Sinn – zu erschließen.166 Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem semantischen Mehrwert der Verwendung gerade dieses um 1590 neu verwendeten Wortes. »Generation« ordnet die Familienmitglieder nur scheinbar wertungsfrei. Tatsächlich erläutert die predigtartige Vorrede im Tucherbuch das Konzept »Generation«; dieser Text erscheint geradezu nach den semantischen Bestandteilen des Generationenbegriffs gegliedert zu sein. Die besondere Relevanz dieses Inhalts wird durch die verwendeten literarischen Mittel des sermonartigen Textes herausgestellt. »Generation« ist durch den theologischen Kontext sicher ein Vorgriff, Erwartungs- und Zielbegriff göttlicher Gnade, insofern aber auch ein Erfahrungsregistrations- und Erfahrungsstiftungsbegriff, wie auch ein ethisch aufgeladener, auffordernder Begriff.167 Diese semantischen Kennzeichen lassen den Begriff fremd und interpretationsbedürftig erscheinen. Die Methodik der Arbeit ist dezidiert nicht der theologisch-dogmatischen Kirchengeschichte verpflichtet, sondern der durchaus »textargumentativ« sprachpragmatischen Diskursgeschichte.168 Historische Kulturen lassen sich im Grunde nur im Spiegel sprachlicher Quellen erschließen. Insbesondere in Texten einer reflektierten Geschichtskultur wie der des hier untersuchten Protestantismus sind zentrale Begriffe sinntragend.169 Diesem Gegenstand muss das Untersuchungsinstrumentarium angepasst sein. Entscheidend ist, was zu einer bestimmten Zeit sagbar war und wie es – sinnprägend – zu seiner Zeit ausgedrückt wurde. Das Quellenwort »Generation« ist ein Skopus des Tucherbuchs, weil hier der Sinngehalt auf dem Höhepunkt der Familiengeschichtsschreibung der Tucher um 1590 am fasslichsten 166 Die von Koselleck für politisch-soziale Begriffe erfundene Methodik scheint stellenweise und implizit auch die Pionierstudie von Parnes u. a. strukturiert zu haben, etwa im Bereich der Genealogien des Mittelalters. In einer maßgeblichen Studie zur vormodernen Genealogie fehlt dagegen die Kategorie »Generation« ganz, vgl. durchgehend die Studie Beate Kellner, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004. 167 Für diese Kategorien pragmatischer Semantik von Begriffen vgl. das Begriffs- und Sachregister in Koselleck, Begriffsgeschichten, 541 f. 168 Diese hier herangezogene Unterscheidung von »textargumentativ« wird hier wertungsfrei benutzt, um eine literarische Form, eine homiletisch aufgeladene, besondere und durchaus auch nicht zu einer praktischen Umsetzung intendierende Redeweise zu bezeichnen. Koselleck hat die Höhenkammorientierung als besonders wertvoll für Phänomene von Diskurswandel eingeschätzt, vgl. die Zitate in Ulrike Spree, Nachwort. Zu Einleitungsfragmenten Reinhart Kosellecks, in: Koselleck, Begriffsgeschichten, 539 – 540, hier 536 – 538. 169 Zu prinzipiellen Überlegungen vgl. Jochen A. Bär/Barbara Gärtner/Mark Konopka/Christiane Schlaps, Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch als Instrument der Kulturgeschichtsschreibung. Vom kulturhistorischen Sinn lexikographischer arbeit, in: Andreas Gardt (Hg.), Sprachgeschichte als Kulturgeschichte (Studia linguistica Germanica 54), Göttingen 1997, 267 – 294.

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ausgedrückt zu sein scheint.170 Dann wird dieses bereits vorher verwendete Wort zu einer Ordnungskategorie, die auf komplexe Weise reflektiert wird. Die Tendenz, diese Kategorie in der Geschichtsschreibung einzusetzen, ist auch in der viele Jahre umfassenden Geschichte der Auftragsvergabe durch die Familienstiftung nachweisbar. Das Wort »Generation« erschien den Auftraggebern immer weniger ersetzbar und war somit ein Grundbegriff dieser historischen Geschichtskultur. Die Untersuchung richtet sich auf die mit »Generation« in der Tucherschen Geschichtsschreibung verbundenen Wertsysteme. Um diese sichtbar zu machen, werden kontrastiv frühere Zeugnisse der Geschichtskultur herangezogen. Der so zu untersuchende Wandel zeigt anfangs eine tastende Systematisierung von Familiengeschichte, die auch nicht geradlinig ihren Endpunkt erreicht, wenn »Generation« ein in Vorreden, Verzeichnissen und im Bildprogramm reflektierter Ordnungsbegriff im Tucherbuch von 1590 ist und zu dem zu dieser Zeit Sagbaren gehört. ›Generation‹ als Konzept hat die Beziehungen zwischen Jung und Alt strukturiert, sowohl in Form der Belehrung in Briefen, der Kontrolle eingehender Briefe, als auch in direkter und exemplifikatorisch vorgehender Belehrung durch Geschichtsschreibung. Beide Quellengruppen strukturierten Beziehungen zwischen Jung und Alt und sind Zeugnisse einer Geschichtskultur, die immer intensiver die durch das Quellenwort »Generation« wiedergegebene familiäre Kontinuität reflektiert.

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Generationen als Erinnerungsgemeinschaften

»Generation« wird in der vorliegenden Untersuchung vor allem begriffsgeschichtlich untersucht. Die Entwicklung der Wortverwendung wird jedoch erst durch den Vergleich von Zeugnissen verschiedener generationeller Erinnerungsgemeinschaften in der Familie deutlich. Die Arbeitshypothese lautet daher, dass verschiedene Generationen die Geschichte ihrer Familie unterschiedlich neu schrieben. Vergangenheitserinnerung, die immer auch auf die Gegenwart bezogen ist, wurde im Laufe der starken konfessionellen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen im 16. Jahrhundert nachhaltig umgestaltet oder neu geschaffen.171 Daher sind veränderte Lebensbedingungen auch in der ver170 Die Untersuchung verwendet ein Verständnis von »scopus«, das der Schleiermacherschen Hermeneutik entnommen ist, vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers, hg. von Manfred Frank, Frankfurt/M. 1977. 171 Für eine Fallanalyse mit prinzipiellen Erwägungen zu vgl. Christian Kuhn, Das Erbe tradieren, die Gegenwart rezipieren. Erinnerungstendenzen der Familiengeschichte der Nürnberger Tucher in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Birgit Studt/Susanne Rau

Generationen als Erinnerungsgemeinschaften

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änderten vergangenheits- und zeitgeschichtlichen Erinnerung ablesbar.172 Auch Impulse, die von Individuen ausgegangen sind, konnten in kollektive Gedächtnisformen übergehen.173 Generationelle Erinnerungsgemeinschaften können also auch dann als solche kategorisiert werden, wenn dies nicht ausdrücklich ihrer Selbstauffassung entsprach. Die Familiengeschichte wird also in verschiedene Zeithorizonte gegliedert, die auf Grund von Generationalität verschiedene Erinnerungsschichten ausprägten. Mit Blick auf die Gedächtnisbildung ist die Generationenforschung erkenntnisleitend,174 hier verstanden als die Abfolge neuer diskursiver Praktiken, mit denen die Vergangenheitsdarstellung umgestaltet wird. Unterschiedliche Generationen in begrenzten und daher – auch im vorstatistischen Zeitalter – untersuchbaren Räumen und Gruppen agierten unterschiedlich. Selbstverständlich brechen sich historische Prozesse nicht nur in gesichtslosen Institutionen oder in Frömmigkeitspraktiken, sondern auch im Spiegel der sie tragenden Personen(gruppen). Solche Generationen sollen aus historischen Zeugnissen herausgearbeitet werden, ohne pauschal Generationen wie »Reformation« oder »Konfessionalisierung« in einem strengen soziologischen Sinne von Geburtsjahrgängen und Generationslagerungen zu behaupten. Vielmehr werden die Unterlagen eines der geschichtskulturellen Protagonisten, der Tucherschen Familienstiftung, als eine zwar auch detailliert rekonstruierbare Personengruppe, vor allem aber als eine Handlungsgemeinschaft aufgefasst. Ihre Entscheidungen wurden erklärtermaßen von den Ältesten maßgeblich mitbestimmt. Handlungen der Stiftungen sind somit im Sinne eines »Relationsbegriff[s]«175 Generation auf wichtige erfahrungsgeschichtlich konstituierte Eigenschaften ›anzurechnen‹. Mit dem Nachweis von Veränderungen soll jedoch lediglich die prinzipielle Möglichkeit von vormodernen Generationen in Medien familiärer Selbstwahrnehmung und Repräsentation belegt werden. Mit Blick auf

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(Hg.), Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350 – 1750), Berlin 2009, 309 – 318. Vgl. für diesen Zusammenhang der Generationenthematik Jureit, Generationenforschung, 115. Vgl. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, Stuttgart 2005, 13 – 15. Beispiele für die einzelpersonenzentrierte Memoria noch im 16. Jahrhundert bietet 1.7.3. Während an theoretisch systematisierenden Vorstößen in dieses Forschungsgebiet kein Mangel besteht, fehlt es doch an empirischen Untersuchungen insbesondere zur Vormoderne, ein seltenes Beispiel ist Groppe, Geist des Unternehmertums. Für aktuelle Synthesen vgl. die Angaben in Jureit, Generationenforschung und Ulrike Nagengast/Maximilian Schuh, Natur vs. Kultur? Zu den Konzepten der Generationenforschung, in: Hartwin Brandt/Maximilian Schuh/Ulrike Siewert (Hg.), Familie – Generation – Institution. Generationenkonzepte in der Vormoderne (Bamberger Historische Studien 2), Bamberg 2008, 11 – 29, http://www.opus-bayern.de/uni-bamberg/volltexte/2008/151/ [Zugriff 22. Juli 2009]. Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main 2001, 342.

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die begriffsgeschichtliche Entwicklung, jedoch ohne die erfahrungsgeschichtliche Generationenkonstellation zu vertiefen,176 wird der diskursive Wandel im genealogischen Denken und geschichtskulturellen Handeln verfolgt. Allein die Möglichkeit einer Generationengeschichte der Vormoderne ist oft bestritten worden. Erst die Moderne habe einen engen Zusammenhang von Erfahrung und Persönlichkeitskonstitution zugelassen und dazu geführt, dass ›Generationen‹ sich konfligierend ausgeprägt hätten. Reinhart Koselleck konstatierte im Bewusstsein der Sprachgebundenheit von Geschichte, dass es im Laufe der Zeit zu »einander überlappende[n] Erfahrungsräumen, die sich abschichtig ausschließen« in der Form von Generationenkonflikten komme.177 Für Koselleck handelt es sich ausdrücklich um wahrnehmungsgeschichtlich konstituierte Reibungen zwischen ›Generationen‹, nicht um erfahrungsbedingt geronnene Generationenformationen. Diese begriffsgeschichtliche Position insistiert auf der grundsätzlichen sprachlichen Konstituiertheit aller Überlieferung, die rhetorisch-pragmatisch durchwirkt und eine »methodisch irreduzible Letztinstanz« sei.178 Unter dieser Prämisse sind verschiedene Generationen nur dann voneinander zu unterscheiden, wenn sie ihre Geschichte unterschiedlich geschrieben haben. Anstatt also von der dem Ansatz nach ›sozialtechnologischen‹ Differenzierung Mannheimscher Generationensoziologie auszugehen, legen die Quellen eine wahrnehmungsgeschichtliche Generationenbegrifflichkeit nahe,179 die nicht unbedingt für die gesamte historische Gesellschaft anwendbar sein müssen. Generationenwechsel sind auch anzunehmen, wenn Nachfahren sich in der Form einer Setzung von ihrem Erbe distanzieren. Dabei ist bewusst keine Anwendung der historischen Soziologie Karl Mannheims angestrebt, für deren heuristische Größen wie »Generationenzusammenhang« und »Generationenlagerung« keine aussagekräftig statistisch auswertbare Quellengrundlage vorliegt.180 Aussagen über historische Generationen wären 176 Die Historiker mitunter ergreifende »spontane Evidenz« des Generationenbegriffs ist alarmierend, weil möglicherweise Generationenzuweisungen als »folgenschwere Behauptung[en]« unter dem Eindruck von Jugendkulturen des 20. und 21. Jahrhunderts den Blick auf sprachliche Quellen des langen 16. Jahrhunderts und den historischen Sinn ihres Zeichensystems verstellten, vgl. Björn Bohnenkamp, Vom Zählen und Erzählen. Generationen als Effekt von Kulturtechniken, in: Ders./Till Manning/Eva-Maria Silies (Hg.), Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster (Göttinger Studien zur Generationsforschung 1), Göttingen 2009, 72 – 90, hier 77, 86. 177 Koselleck, Begriffsgeschichte, 34. 178 Ebd., 99. 179 Ideen der Generationensoziologie Mannheims übernehmend, aber völlig neu operationalisierend, geht vor Robert Folger, Generaciones y Semblanzas. Memory and Genealogy in Medieval Iberian Historiography, Tübingen 2003. 180 Vgl. für die soziologische Konzeption den klassischen Aufsatz von Karl Mannheim 1911, Karl Mannheim, Das Problem der Generationen (1928), in: Kurt H. Wolff (Hg.), Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk (Soziologische Texte 28), Berlin 1964, 509 – 565. In

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Setzungen von sehr begrenzter empirischer Nachweisbarkeit. Gleichwohl sind bei regionaler Begrenzung des Untersuchungsgegenstands auch im 16. Jahrhundert Ansätze für generationengeschichtliche Fragestellungen gegeben, wie etwa in Bezug auf denkbare politische Generationenwechsel bei den Nürnberger Tucher im Laufe der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.181 In dieser Hinsicht sind Generationen als Erinnerungsgemeinschaften zu untersuchen. Gegenstand der Analyse sind also genealogische Sinnsysteme, die an Hand bestimmter Legitimationsbedürfnisse ›Zeitkörper‹ in historiographischen Medien erzeugten.182 Für diese im Grunde diskursive Größe wurden im 16. Jahrhundert bestimmte (bild-)rhetorische Mittel ausgewählt und gemäß den Interessen einer bestimmten sozialen Gruppe zu einer bestimmten Zeit eingesetzt. Das Schreiben von Geschichte war insofern nicht nur kognitive oder abbildend darstellende Handlung, sondern besaß im Rahmen der genealogischen Repräsentation auch performative Züge. Bilder, Wappen wie auch Porträts argumentieren gleichermaßen heraldisch, d. h. sie identifizieren mit genealogischen Mitteln eine historische Person. Jede Untersuchung muss sich auf die ›Sprache‹ beziehen, mit der die vormoderne Semantik der Bereiche Verwandtschaft, Jenseitsbezug und Überlieferung von ›Erbe‹ sprechen. Dieser Übertragungsgegenstand wurde von verschiedenen Erinnerungsgemeinschaften unterschiedlich aufgefasst und in Kontinuitätsperspektive gestellt. In der generationellen Abfolge familiärer Entscheidungsträger nahm das genealogische Ordihrer ausführlichen epochenübergreifenden erziehungs- und sozialgeschichtlichen Studie wendet Groppe, Geist des Unternehmertums, das Mannheimsche Generationenmodell an, indem sie nach verschiedenen generationenspezifischen Prägungen und Handlungsspielräumen der Unternehmerfamilie Colsmann in regionaler Begrenzung fragt. Punktuell festzumachende Veränderungen wie das Ende des Alten Reichs, die durch eine einschneidende gemeinsame Erfahrung eine »Generation 1806« konstituierte, sind selten; sie werfen zudem auch die Frage nach der Kontinuität der Quellenlage auf, wenn beispielsweise bestimmte Gattungen durch den Wandel selbst wegfallen, oder aber auch der ›Wandel‹ erst das Produkt späterer Zuschreibungen war, vgl. Wolfgang Burgdorf, Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reichs und die Generation 1806 (bibliothek Altes Reich 2), München 2006, 9 – 18, hier vor allem 13. 181 Vgl. Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559 – 1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2), München/ Wien/Zürich 2007, 478 sowie Wolfgang Reinhard, Sozialdisziplinierung – Konfessionalisierung – Modernisierung. Ein historiographischer Diskurs, in: Nada Boskovska Leimgruber (Hg.), Die frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft: Forschungstendenzen und Forschungserträge, Paderborn/München/Wien/Zürich 1997, 39 – 56, hier 48. Insgesamt erscheint die soziologische Diskussion jedoch einer pseudoessentialistischen Position, es habe klar trennbare reale soziale Entitäten (»Generationen«) gegeben, zu nahe zu stehen. Im Gegensatz zu einem solchen Anspruch soll hier der Diskurs über den Wandel zum Maßstab der Generationenanalyse genommen werden. Setzungen, wie die Repräsentationsund Wirkungsabsichten, erhalten hierdurch einen Eigenwert, der mit parallel laufenden »Zeitschichten« (Koselleck) durchaus vereinbar ist. 182 Vgl. Kellner, Ursprung und Kontinuität, 68 – 91.

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nungssystem immer stärker Anleihen aus dem Wortfeld der biologischen Reproduktion und näherte sich Beständen religiöser Tradition. Immer stärker erkennbar ist auch die Tendenz zur Eschatologisierung der Familiengenealogie.183 Genealogisches Schreiben, Abbilden und ›Aufführen‹ ist nach den Wertmaßstäben der Zeit zu interpretieren, ahistorische Kategorien wie die Frage nach Authentizität oder narrativer Stringenz vermögen nicht den historischen Sinn zu erfassen. Die Deutung muß vielmehr offen bleiben für die Absichten des historiographischen Schreibens des 16. Jahrhunderts.184 Suggestion und möglicherweise widersprüchliche Überlagerung von verschiedenen Sinnsystemen sind zu dekodieren, ohne dabei einseitig die logische Schlüssigkeit der genealogischen ›Grammatik‹ zu beachten. Im Mittelpunkt steht die von Koselleck klassisch formulierte Annahme, dass der vormoderne Zukunftsbegriff, die Erwartung des Kommenden, wesentlich vergangenheitskonstituierend vorgeht.185 Auf diese Weise von der Generationenforschung inspiriert soll die Suche nach historischer Sinnkonstitution auf eine Phase beobachtbaren Wandels zugeschnitten werden,186 um bewusst herbeigeführte Veränderungen genealogischer Repräsentation zu untersuchen. So geraten verschiedene – untereinander von Alterität geprägte – Vergangenheitsbilder in den diachron vergleichenden Blick. Der im Rahmen dieses Generationenwechsels beobachtbare Wandel (in seiner hier vorgeschlagenen regionalen, systematischen und methodischen Begrenzung) betrifft die diskursive Veränderung im Schreiben der Geschichte der Nürnberger Familie Tucher, die aus Gründen der Quellenüberlieferung ausgewählt wurde. Die Ursprungserzählung und die Kontinuitätsproduktion der Tucher findet im Laufe des 16. Jahrhunderts verschiedene Ausdrucksmittel und Ordnungsmuster, was die Frage nach dem Interesse an einer solchen nicht zu183 Vgl. die Programmatik des aktuell laufenden Projekts Erbschaftsforschung, die auch korpuslinguistische Methoden für den Nachvollzug der ›Wanderung‹ der Semantiken durch verschiedene Diskurse und Textsorten nutzt, vgl. Karin Gottschalk/Bernhard Jussen/Urban Kressin/Ohad Parnes/Ulrike Vedder/Sigrid Weigel/Stefan Willer, Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur in historischer Perspektive, im Ersch. 184 Die Historie ist trotz ihrer durch Vergleiche ermittelbaren Kreativität bei der Ausgestaltung von ›Vergangenheit‹ ernstzunehmen, was nicht in Relativismus münden muss. Die methodische Konsequenz, »Texte statt Tatsachen« und statt einsträngiger Entwicklungstendenzen und Professionalisierung die komplexere Alternative »Zirkularität« zumindest in der Rechtsgeschichte vorzuziehen schlug vor Marie Theres Fögen, Rechtsgeschichte – Geschichte der Evolution eines sozialen Systems, in: Rechtsgeschichte 1 (2002), 14 – 29, hier 28 f. 185 Koselleck, Begriffsgeschichten, 525. 186 Die gegen die Generationenforschung vorgebrachten Einwände sind wohl dem Umstand geschuldet, dass die Theoriebildung der empirischen Bearbeitung von Quellen vorangeschritten war. Aktuelle Synthesen der Generationenforschung sind daher eigentlich stets zugleich auch in Teilen explorativ und besonders stark thesenlastig.

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letzt auch kostspieligen Geschichtsschreibung und nach dem Wandel dieses Interesses aufwirft. Das Tucherbuch von 1590 schließt mit Hinblick auf den Systematisierungsgrad, die Innovativität und die Komplexität der Geschichtsreflexion eine geschichtskulturelle Intensivierungsphase ab. Warum tritt gerade im Laufe des 16. Jahrhundert die religiöse Dimension von Sinnkategorien wie göttliche Gnade, Seligkeit und soziale Zugehörigkeit immer stärker hervor? In den weiter unten vorgestellten Quellen fallen mehrere Veränderungen auch in der materiellen Ausgestaltung des familiären ›Gedächtnisses‹ auf,187 die im Zusammenspiel auf immer stärker in den Mittelpunkt der Geschichtsschreibung tretende Repräsentationsabsichten hindeuten. Diese ist keineswegs im Sinne der älteren Kulturgeschichte zu erfassen, die darin wohl so etwas wie die ›wahrhaft einem Fürsten gleiche Verherrlichung noch heute blühender Geschlechter‹ erkannte.188 Das Defizit an metasprachlicher Analyse ist durch die neuere Kulturgeschichtsschreibung beseitigt worden, die sich historischen ›Realitäten‹ mit Hilfe der Analyse von historischen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Repräsentationen anzunähern sucht.189 Der Vorwurf, die ernsthafte Beachtung von ›sekundären‹ Phänomenen wie Wahrnehmungen, Wirkungsabsichten negiere die Wissenschaftlichkeit und Wahrheitsfähigkeit der Geschichtswissenschaft, konnte die heuristische Leistungsfähigkeit nicht in Abrede stellen.190 Diese Arbeitshypothese wäre im Spiegel großer Teile der Generationenforschung für vormoderne Kontexte jedoch nicht zulässig oder nicht naheliegend.191 Die Gründe für die Ausgrenzung früherer Zeiten liegen jedoch nicht in den verfügbaren Quellen begründet, sondern in den dominierenden Ausle-

187 Zur historischen Entwicklung der Geschichtsschreibung und zur Herausbildung einer säkularen (im Sinne einer nicht mehr allein liturgischen Memoria der Lebenden für die Toten) Erinnerungskultur mit spezifischen Handlungsspielräumen und erheblichem Diffusionspotential von den höfischen zu den städtischen Eliten vgl. Jan-Dirk Müller, Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 2), München 1982 sowie Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 102 – 122. 188 Beispiele für solche Werturteile finden sind in der älteren landesgeschichtlichen Forschung, teilweise bei Ludwig Grote wie auch in der staunenden Bemerkung des früheren archivischen Bearbeiters Loose, das Tucherbuch sei eines »Fürsten würdig«, vgl. das Findbuch StadtAN E 29/III Familienarchiv Tucher. 189 Für ein grundlegendes, aber nicht einseitig theoretisches Plädoyer vgl. Roger Chartier, Kulturgeschichte zwischen Repräsentationen und Praktiken, in: Ders., Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, Berlin 1989, 7 – 20. Theoretischen Vorstößen folgten abwandelnde Einzelstudien, vgl. die Beiträge in Lynn Hunt (Hg.), The New Cultural History, Berkeley 1989 und Paul Münch (Hg.), »Erfahrung« als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte (HZ Beiheft N.F. 31), München 2001. 190 Für eine Synthese und für eine mit ethisch-prinzipiellen Gründen befrachtete Diskussion methodischer Perspektiven vgl. Richard Evans, In Defence of History, London 1997. 191 Vgl. für eine vermittelnde Diskussion Weigel, Genea-Logik, 107 – 143.

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gungen der klassischen Generationentheorie nach Karl Mannheim.192 Prinzipiell wäre möglicherweise auch ohne Bezug auf Generationen von der Zeitgebundenheit und regionalen Spezifizität von Geschichtsbildern auszugehen, wofür die unterschiedliche Sozialisation der sich erinnernden Personen verantwortlich ist.193 In den hier untersuchten Fällen sind jedoch die Entscheidungsträger für die Erneuerung der Gedächtnisquellen hinreichend bekannt, um Generationalität als Arbeitshypothese anzusetzen. Bestimmte Erlebnisse, Diskurse und Sensibilitäten prägten bestimmte Alterskohorten und erzeugten somit eine distinkte gesellschaftliche Formation, die Mannheim ›Generationen‹ nennt.194 Aus soziologischer Perspektive konzipierte Mannheim die Generationentheorie vor dem Hintergrund einer durch Nationalisierung, eine verstaatlichte Massengesellschaft im Anstaltsstaat und eine spezifische Jugendkultur geprägten Gesellschaft. In den Schützengräben des Ersten Weltkrieges hatten junge Männer als Soldaten gekämpft, gelitten und gehofft und waren durch – ihrer Qualität nach – vollkommen neue Kriegserlebnisse geprägt; diese Gruppe erlebte dann die Abschaffung der Monarchie und die soziokulturelle Pluralisierung in der Weimarer Republik. So stand Mannheim ein auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl beruhender »Generationenzusammenhang« vor Augen, den Mannheim dann auf theoretischer Ebene reflektierte. Dagegen sei den Menschen die eigene »Generationenlagerung« stets unbewusst; hierin sah Mannheim einen ›blinden Fleck‹, der die Wahrnehmung von Individuen in einer Weise beeinflusse, dass diese die Perspektivierung durch die Zeitumstände nicht bemerkten. Innerhalb der in einem ähnlichen Zeitraum geborenen Individuen könne demnach durch ähnliche Erfahrungen ein Generationenzusammenhang entstehen, in dem sich »Generationeneinheiten« als Gruppen mit homogenen Handlungs- und Reaktionsmustern bildeten. Diese Konzeption leitet sicher mit Recht die Soziabilität von Menschen von der von ihnen erfahrenen sozialen Realität ab. Der Spielraum individueller 192 Eine Statusbeschreibung für die 1980er und 1990er Jahre und einen konzisen Überblick über Generationenforschung gibt Jürgen Reulecke, Generation/Generationality, Generativity, and Memory, in: Astrid Erll, Cultural memory studies. An international and interdisciplinary handbook, Berlin 2008, 119 – 125, bes. 121. Ausschließlich für die Neuere und Neueste Zeit setzt Generationen an Bernd Weisbrod, Generation und Generationalität in der Neueren Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschehen 8 (2005), 3 – 9. Neben diesen eng begrenzenden konzeptionellen Stellungnahmen begegnet der Generationenforschung auch eine grundlegendere Kritik etwa aus der Soziologie, die mit den Schwierigkeiten argumentiert, die im Generationenmodell angedeutete Homogenität sei empirisch nicht nachweisbar, die Auswirkung rein kontingenter Faktoren auf die Ausbildung von Generationen sei dagegen nicht auszuschließen, vgl. Rainer Lepsius, Kritische Anmerkungen zu Generationenforschung, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, 45 – 52. 193 Vgl. zum Konzept von Erinnerung, Erinnerungskultur und Gedächtnis 1.7. 194 Für ein differenziertes Referat vgl. Jureit, Generationenforschung, 20 – 39.

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Weltaneignung wird dadurch aber nicht reduziert, vielmehr wird hier die hermeneutische Dimension des individuellen Zeithorizonts, der natürlichen Perspektivierung als Grundlage allen Verstehens und des Verhaltens zur Umwelt beschrieben. In dieser grundsätzlichen Hinsicht beginnt sich Generationengeschichte auch institutionell zu etablieren und ähnlich selbstverständlich zu werden wie etwa die noch relativ junge Geschlechtergeschichte.195 Als Ordnungsbegriff auf Gesellschaften der Moderne bezogen, kann die Geschichte von Generationen die aus bestimmten Ereignissen und Innovationen entstehenden Dynamiken beschreiben und erklären helfen; der Einfluss unkomplizierter medikamentöser Empfängsverhütung, besonderer wirtschaftlicher Prosperität und wahrgenommener Stabilität in den 1980er Jahren oder eventuell die Auswirkungen wiedererlangter Einstaatlichkeit nach 1989 können so genauer eingegrenzt und in Hinblick auf altersmäßig definierbare soziale Gruppen untersucht werden.196 Streng auszugrenzen sind jedoch klischeeartige Verwendungen von Generationenbezeichnungen, die gelegentlich ausschließlich den Charakter von weltanschaulichen oder gesellschaftsethischen Setzungen tragen. Solche heuristisch intendierten Generationenbezeichnungen mögen zwar unmittelbar einleuchten und dadurch Überzeugungskraft besitzen,197 forschungslogisch stehen derartige Annahmen jedoch in der Nähe einer petitio principii, d. h. dass Hypothesen auf eine Weise in die Untersuchung eingehen, dass sie das Ergebnis vorwegnehmen. Ähnliche Vorwürfe wurden gegen die Generationenmodelle in einer sehr frühen Phase der Beschäftigung mit der im späten 19. Jahrhundert entstehenden »Generationenlehre« in der Geschichtswissenschaft erhoben. Diese nahm in sympathetischem Sinne die prinzipielle Parallelität von Geschichtsprozessen und familiärer Generationenfolge etwa um 1515 an und entwickelte aus derartig konstatierten Modellen ein universelles Modell, das die Weltgeschichte als Generationenfolge lesbar machen sollte.198 195 Vgl. etwa Wolfgang Burgdorf, Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806, München 2006, sowie Hermann Schulz/Hartmut Radebold/Jürgen Reulecke, Söhne ohne Väter. Erfahrungen der Kriegsgeneration, Berlin 2004. 196 Vgl. auch Heinz Bude, ›Generation‹ im Kontext. Von den Kriegs- zu den Wohlfahrtsstaatsgenerationen, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, 28 – 44, bes. 37 f. Dabei sind Generationen auch als (Mit)Konstruktionen der Massenmedien anzusehen, vgl. Christina von Hodenberg, Politische Generationen und massenmediale Öffentlichkeit. Die ›45er‹ in der Bundesrepublik, in: Jureit/Wildt, Generationen, 266 – 294, bes. 270 f. 197 Vgl. die Ausführungen in 1.5, dort mit Bezug auf Bohnenkamp, Vom Zählen und Erzählen. 198 Als Beispiel sei etwa die ›Generation Praktikum‹ benannt, womit auf schwierige Arbeitsmarktverhältnisse für Berufsanfänger aufmerksam gemacht werden soll. Diese ähneln den legitimatorischen Setzungen im nur ungenügend rezipierten forschungsgeschichtlichen Hintergrund, vgl. Ottokar Lorenz, Leopold von Ranke. Die Generationenlehre und der Geschichtsunterricht, Berlin 1891, 174.

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Um nach Generationalität als Grundlage des Wandels zeitversetzter Vergangenheitsbilder im 16. Jahrhundert fragen können, bedarf die heuristische Begrifflichkeit der fallspezifischen Eingrenzung. Zunächst ist Generationalität nicht auf die nachrevolutionäre Epoche zu beschränken, sondern prinzipiell auch für die Vormoderne zu öffnen. Aus welchen prinzipiellen Überlegungen heraus sollten Ereignisse wie im 14. Jahrhundert das Auftreten der Pest, im 16. Jahrhundert die Reformation oder als bedrohlich wahrgenommene klimatische Veränderungen in der frühen Neuzeit nicht generationengeschichtlich nachweisbar sein?199 Auch diese quellenärmeren Epochen bieten in sündentheologischen Motiven der Malerei des 14. Jahrhunderts, in Bürgertestamenten der Reformationszeit ohne Beziehung auf Seelenheillegate sowie durch ethische Sensibilisierung im Laufe der frühen Neuzeit hinreichend Ansatzpunkte, um den Wandel auch im Spiegel von Generationen nachzuvollziehen. Die Reformationsgeschichtsschreibung ist jedoch forschungsgeschichtlich kontaminiert, wie die mit geschichtsphilosophischen, ja geschichtstheologischen Annahmen behafteten Studien Rankes zur Reformationszeit zeigen. Darin konstruiert er die Epochenschwelle als einen »Unterschied, der sich sofort in dem Typus der Jugend gegenüber dem Alter kund gibt« und somit den Umbruch vom Mittelalter in die Neuzeit im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts markierte.200 Darin zeichnet sich das Bild eines homogenen und von einer »gemeinsamen Idee« geprägten Mittelalters ab, das so von anderen Epochen abgrenzbar ist. Diese Setzung ist historisierungsbedürftig und illustriert den potentiellen Problemgehalt von Generationensetzungen, wenn sie eng auf Geschichtsprozesse bezogen werden.201 Die Vormoderne von der Generationengeschichte auszuschließen hieße, hinter die moderne Geschichte des Begriffs »Generation« zurückzugehen und seine »Futurisierung« (im Sinne Machos) seit der Französischen Revolution zu historisieren.202 Der moderne Generationsbegriff kann so angemessener als ein geschichtlicher Begriff verstanden werden, der die tradierende biologisch-genetische Übertragung mit epigenetischer Fortschritts- und Zukunftsorientierung verknüpft.203 Diese Übertragungsdimension hat die Generationbegrifflichkeit im Laufe ihrer Geschichte immer weiter ausgeblendet zugunsten einer 199 Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, München 2007, 215 f. Eine zeitversetzte Reaktion als Generationalität wertet Kadri-Rutt Hahn, Kirchliche und karitative Legate: Revaler Testamente in den ersten Jahrzehnten nach der Reformation (1524 – 1560), in: Markwart Herzog (Hg.), Seelenheil und irdischer Besitz. Testamente als Quellen für den Umgang mit den »letzten Dingen« (Irseer Schriften, N.F. 4), Konstanz 2007, 125 – 138, hier 127 f., 133 f. 200 Lorenz, Generationenlehre, 216. 201 Lorenz, Generationenlehre, 147. 202 Parnes, Generation, 83. 203 Weigel, Genea-Logik, 128 – 134.

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Futurisierung, Dynamisierung und auf Wandel gerichteten Bedeutung.204 Die dadurch ausgeblendeten Fragen von Herkunft, Vererben und Erbschaft sollten daher genauer untersucht werden.205 In diesem Sinne hatte die sozial- und bildungsgeschichtliche Studie Groppes eine epochenübergreifend verwendbare Begrifflichkeit für die Familienbiographik modelliert, die sie »Zeitgenossenschaften« nannte. Unter diesem Rubrum wird der Generationsbegriff als diachrone Gliederungseinheit für die Geschichte einer Familie verwendet, deren Archive Groppe für den Zeiraum 1649 bis 1840 ausgewertet hat. Unter bildungsgeschichtlichen Gesichtspunkten verwendet, ermöglicht der Generationenbegriff, »Wandlungsprozesse und Kontinuitäten der Lebensformen und Persönlichkeitsbildung in einer Familie über einen längeren Zeitraum zu beschreiben, z. B. als Veränderung der Erziehungspraxis und des Selbstverständnisses der jeweiligen Elterngeneration.«206 Groppe setzt dabei nicht etwa die ›Generation Aufklärung‹ an, sondern interpretiert die zu den diachron gegliederten Familienmitgliedern überlieferten Quellen als Zeugnisse eines sich verändernden bürgerlichen Selbstverständnisses, dem die Aufklärung als passendes Selbstdeutungsangebot vorkommen konnte. Eine weitere konzeptionelle Parallele zum Generationenbegriff Groppes ist die heuristische Begrenzung des Generationenkonzepts auf eine Region bei Einzelinterpretation einer bestimmten Familie. Die thesenbezogene Offenheit, mit der Groppe die »Zeitgenossenschaften« ansetzt, ist für die in dieser Arbeit generationenbezogen angesetzten »Zeithorizonte« und »Erinnerungsschichten« maßgeblich;207 die erzieherischen Generationenbeziehungen im Spiegel der archivierten Briefe zwischen Jung und Alt gliedern sich in die Interpretation als Erziehungsdiskurse ein.208 Mit dieser Operationalisierung der Generationenbegrifflichkeiten sollen so etwa altersbezogene Ordnungsvorstellungen und Dynamiken durch Generationenwechsel gleichermaßen erfasst werden.

204 Beide Bedeutungsbereiche scheinen in den Begriffskonnotationen aber weiterhin vorhanden zu sein, vgl. Weigel, Familienbande, 108 – 126. 205 Zeugnis der Fruchtbarkeit derartiger Historisierungen moderner Konzepte ist die naturwissenschaftliche Studie Steffan Müller-Wille/Hans-Jörg Rheinberger, De la g¤n¤ration ” l’h¤r¤dit¤. Continuit¤s m¤di¤vales et conjonctures historiques modernes, in: Maaike van der Lugt/Charles de Miramon (Hg.), L’h¤r¤dit¤ entre Moyen ffge et Ãpoque moderne. Perspectives historiques (Micrologus’ Library 27), Firenze 2008, 355 – 390, bes. 357 – 361. 206 Groppe, Geist des Unternehmertums, 26. 207 Vgl. 3.1. 208 Vgl. 2.

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1.6

Einleitung

Erinnern, Erinnerungskulturen und Gedächtnis

Erinnerung drückte sich stets zeitgebunden aus. Erfahrungs- (und eventuell Alters)gemeinschaften erinnern sich in einer Identität zugleich abbildenden und hervorbringenden Weise.209 Dieser kulturelle Konstruktionscharakter lässt es vielversprechend erscheinen, verschiedene historische Erinnerungsformen zueinander ins Verhältnis zu setzen. Dabei soll ein solches methodisches Vorgehen den theoriebezogenen Problemgehalt nicht ausblenden: Zwar kann ›hinter‹ dem Erinnerten keine irgendwie geartete Realität gefunden werden, die nur verschieden erinnert würde. Dennoch lassen sich verschiedene Fassungen von Texten zum ›gleichen‹ Gegenstand hinsichtlich der gerichteten Veränderungen interpretieren. Erinnerung materialisiert sich in den zu untersuchenden Quellen immer im Kontext bestimmter Repräsentationsweisen, die im Sinne der neueren Kulturgeschichte nicht als die Peripherie, sondern gerade wegen der teilweise geradezu manipulativ umgesetzten Wirkungsabsichten und des retrospektiven Projektionscharakters als zentrales und aussagekräfiges Interpretandum bearbeitet werden.210 Dies geschieht in allgemeinem Bezug auf den Reflexionsstand der Kulturgeschichtsschreibung, aber auch in Bezug auf das durch Maurice Halbwachs formulierte Paradigma der durch zeitgebundene ›gesellschaftliche Verständnishorizonte‹ (»cadres sociaux«) gegenwartsbestimmten Vergangenheitsbilder.211 Die generationen- und historiographiegeschichtliche Fragestellung erfordert eine Präzisierung der Theorieangebote für historische Phänomene der ›Erinnerung‹. Familiäres Erinnern stellt einen Sonderfall dar, ist doch das Familiengedächtnis durch mehrere Generationen konstituiert; das sich ausbildende kollektive Gedächtnis ist durch die Erinnerungen der Personen gekennzeichnet.212 Der Gegenstandsbereich dieses Gedächtnisses ist für die Familien der Nürnberger Eliten denkbar breit, er umfasst eine Vielzahl von Gegenständen geistlicher und weltlicher materieller Kultur wie auch – teilweise gleichzeitig – zahlreiche Texte aus Kontexten und Handlungen, die unterschiedlich nah an der 209 Zur inter- und transdiziplinären Genese der Theorien von Erinnerung, Gedächtnis und Erinnerungskulturen vgl. die eingehende Behandlung in Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, in: Ansgar Nünning/Vera Nünning (Hg.), Konzepte der Kulturwissenschaft. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven, Stuttgart 2003, 156 – 185, passim, sowie eingehender Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 2005, 12 – 39. 210 Die kontroversen Diskussionen über die kulturellen Wahrnehmungs- und Erfahrungsformen in der so genannten ›neueren‹ Kulturgeschichte fasst in theoretischen Grundpositionen zusammen: Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, Frankfurt 2001. 211 Vgl. hierzu Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt 1991. 212 Erll, Erinnerungskulturen, 16.

Erinnern, Erinnerungskulturen und Gedächtnis

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Kernfamilie abliefen.213 Die Quellen erfordern eine analytische Aufgliederung der Erinnerungsartefakte in verschiedene synchron anzusetzende, unterscheidbare Erinnerungsschichten. Die so greifbare Gedächtnisentwicklung ist jedoch ein durch und durch, vor allem von Erziehungs- und Repräsentationsabsichten gesteuerter Prozess. Die Halbwachssche Unterscheidung des Gedächtnisses (Traditionen und Erinnerungen der Gegenwartsgesellschaft) und Geschichte (Erkenntnisgegenstand der Analyse durch unbeteiligte Spätere) verdeutlicht an der Geschichtskultur der Nürnberger Tucher eher, wie eng die familienhistoriographischen Geschichtsbilder mit den identitätsbezogenen Gedächtnishandlungen verschränkt sind.214 Ähnlich kritisch muss das Paradigma des »kommunikativen Gedächtnisses« im Rahmen der brieflichen Generationenbeziehungen bewertet werden.215 Die Briefwechsel bilden in der Form von Diskurseffekten einen Wissensbestand ab, der der Lebenspraxis voller Verfehlungen und Anfechtungen normativ gegenübersteht. Zahlreiche der so vertexteten Normen beruhen auf ähnlichen Diskursquellen wie die Geschichtsschreibung, so dass die Erinnerungsdimension eher zeitnahe kommunikative mit eher langfristigen kulturellen Gedächtnisfunktionen verbindet.216 Die jeweils zu behandelnden Materialien legen in jedem Fall eine medienzentrierte Interpretation der Erinnerungshandlungen nahe. Um erzieherische Normen zu vergegenwärtigen und historisches Wissen zu präsentieren, wurden Medien – sowohl Briefe als auch historiographische Artfefakte – innerhalb ihres gattungsüblichen Rahmens und darüber hinaus genutzt.217 Die aus europäischen Handelsstädten an den Vater nach Nürnberg schreibenden Söhne konnten sich des zu erinnernden Normenbestands bemächtigen, sich konform darstellen und dadurch Handlungsspielräume gewinnen; die Geschichtsschreibung setzte insbesondere Erzählungen von Ursprungsmythen ein, um die Erwartungen an eine patrizische Familiengeschichte nicht nur nach kunsthandwerklichen Maßstäben, sondern auch inhaltlich zu übertreffen. Der mediale Rahmen ist also 213 Vgl. 1.7. 214 Im Verlauf der Arbeit wird ein gedächtnisheuristischer Lösungsvorschlag aufgenommen, demzufolge von »social memory« zu sprechen wäre, um die komplexe Gesamtheit der Vergesellschaftung von Erinnerung fallspezifisch auszuloten, vgl. 1.7.4. 215 Für das Theorem vgl. neben den Erläuterungen in Erll, Erinnerungskulturen, 28 f. die konzise und umfassende Skizze mit dem bezeichnenden Hinweis auf die Verschränktheit der Gegenwarts- und Vergangenheitsebene in der menschlichen »diachronic identity« in Jan Assmann, Communicative and Cultural Memory, in: Astrid Erll (Hg.), Cultural Memory Studies. An International and Interdisciplinary Handbook, Berlin 2008, 109 – 118. 216 Vgl. 2.5.5. 217 Vgl. zur auf Diskurseffekten basierenden Anverwandlung von Sprechweisen in den untersuchten Briefen w. u. 2.3 und 2.4. Die Übersteigerungsabsichten in der Geschichtsschreibung schildert 3.2.3.

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Einleitung

in besonders starkem Maße ein Speichermedium,218 das die Erinnerungshandlung erst auf seine spezifische Weise sichtbar macht. Diese über das Medium gebrochene Gestaltung soll besonders genau in Betracht gezogen werden, um die mit dem in sozialen Kontexten der familieninternen Vergesellschaftung und der familien- und gruppenübergreifenden Repräsentation entstandenen Erinnerungshandlungen auch als solche zu verstehen. Durchgehend werden diese Erinnerungen auf die zu Grunde liegenden diskursiven Wissensordnungen untersucht. Die Breite der Erinnerungsgattungen wird aufgezeigt, wobei die Aktualisierungen etwa während der Lesungen bei Treffen der Tucherschen Familienstiftung und durch performative Handlungen etwa bei Prozessionen ausdrücklich mit einbezogen werden. Einlässliche Interpretationen richten sich auf die textlichen Quellen. Um den organischen Zusammenhang dieser Texte mit anderen Materialisierungen von Erinnerungshandlungen anzudeuten, wird der historiographiegeschichtliche Zusammenhang als Geschichtskultur, im Sinne von zeitspezifischer Vergesellschaftung von Vergangenheit, bezeichnet. Die Reflexion der die untersuchten Erinnerungsobjektivationen motivierenden Legitimations- und Selbstvergewisserungsdiskurse begleitet diesen Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung.

1.7

Die Medien der Gedächtnisbildung im systematischen Überblick (ca. 1520 – 1600)

1.7.1 Definitionsansätze, empirische Vielfalt und archivischer Erschließungsgrad der Geschlechterbücher Bebilderte »Geschlechterbücher« sind bislang im Wesentlichen nur für die Reichsstädte Augsburg, Frankfurt und Nürnberg bekannt, scheinen dagegen aber in anderen Städten komplett zu fehlen oder doch keine vergleichbare Konkurrenzsituation familiärer Repräsentationsmedien erzeugt zu haben.219 Die Nürnberger Ausnahmeüberlieferung mag eine fallspezifische Eigengesetzlichkeit historiographischer Produktion aufzeigen. Umso mehr überrascht, dass auch für einen so produktiven Historiker wie Christoph Scheurl eine Liste seiner Werke, ihrer Provenienz und Abhängigkeit voneinander und von anderen Vorlagen derzeit noch fehlt.220 Die Grundlagenarbeit der Quellenrecherche, oft 218 Zum Begriff vgl. Stefan Rieger, Speichermedium, in: Nicolas Pethes/Jens Ruchatz (Hg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, Reinbek 2001, 550 – 553. 219 Vgl. die Übersicht in Bock, Die Chronik Eisenberger, Anhang 9, 479 – 484. 220 Vgl. die Synthese auf Grundlage der bislang vorliegenden und teilweise älteren Forschung in Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten, 102 – 109.

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hinter die bislang einschlägige Forschung zurückgehend, ist hier zu Vergleichszwecken im Rahmen der Fragestellung der Fallstudie geleistet worden. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht das Hauptwerk der Tucherschen Geschichtsschreibung, die abschließende Fassung und ›Prachtversion‹ des Tucherbuchs, einer im Wesentlichen seit 1590 angefertigten Pergamenthandschrift mit immens aufwändiger Gestaltung in Materialien, Kalligraphie und Illustrierung mit ganzseitigen Porträtabbildungen.221 Die darin enthaltenen prosopographischen Darstellungen sind auffällig nach Kriterien des Generationsdiskurses bestimmten männlichen Personen zugeordnet und dann jeweils nach einer Topik erstellt. Das Geschlechterbuch insgesamt ist konsequent nach einer genealogischen Struktur gestaltet, die durch verschiedene durchlaufende, alphabetische und systematische Register zugänglich gemacht ist. Neben Heiratslisten finden sich die für die Fassung von 1542 entstandene Widmung Scheurls, ein die Wappenkunst und heraldische Bedeutung erklärender Abschnitt sowie eine ausführliche und unbetitelte »Vorred«, die die nachfolgende Familiengeschichte in sehr grundsätzlicher Weise kontextualisiert. Diesem Text wird deswegen besondere Aufmerksamkeit zuteil werden, weil er für die Prachtversion 1590 eigens angefertigt wurde, obwohl diese ansonsten nur wenige Veränderungen im Vergleich zur Manuskriptfassung von der Mitte des 16. Jahrhunderts enthält.222 Die auftraggebende Tuchersche Familienstiftung hat die besonders umfangreiche Vorrede zudem noch kurz vor der kalligraphischen Ausführung überarbeiten lassen; dagegen blieben die prosopographischen Abschnitte weitgehend unverändert im Vergleich mit den ca. zwei Jahrzehnten früher entstandenen Fassungen. Interpretationsgrund ist zudem, dass die umfangreichen paratextlichen Zusätze m. E. singulär in der späten Geschlechterbücherkultur sind, jedenfalls aber der Intensität der Leserlenkung nach die Gattungskonventionen deutlich übersteigen.223 Veränderungen und Zusätzen wie diesen gilt das Hauptaugenmerk, konstituieren sie doch die Erinnerung neu und belegen die Interessen der Auftraggeber. Zu berücksichtigen sind die Beziehungen zwischen den beiden nach 1542 (ca. 1565 und 1590) entstandenen Fassungen des Tucherbuchs sowie Bezugnahmen auf die von Scheurl in seinem Todesjahr 1542 verantwortete Fassung. 221 StadtAN E 29/II Nr. 258, vgl. auch das kommentierte und animierte Faksimile Michael Diefenbacher/Horst-Dieter Beyerstedt (Hg.), Das Große Tucherbuch, Eine Handschrift zum Blättern, Stadtarchiv Nürnberg E 29 II 258, Eine CD-ROM herausgegeben vom Haus der Bayerischen Geschichte und dem Stadtarchiv Nürnberg, Augusburg 2004 (im Folgenden GTB). Für einen Überblick über die Familiengeschichte der Tucher vgl. die zusätzlich zum Komplettverzeichnis angelegte chronologische der verschiedenen Fassungen Übersicht unter 7.1.1. 222 Additional MS 19, 475, British Library London (im Folgenden Tucherbuch London). 223 Vgl. Bock, Die Chronik Eisenberger, 479.

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Zum Vergleich ist zusätzlich ein anderes von Scheurl gestaltetes Geschlechterbuch heranzuziehen, nämlich das der Zingel von 1542.224 Ebenfalls vergleichende Blicke sind auf Vorarbeiten, die Scheurlschen ›Collectaneenbände‹, zu werfen, bezieht sich doch noch die historische Darstellung in der Prachtversion des Tucherbuchs regelmäßig und explizit auf Notate Scheurls.225 Scheurl erstellte hier eine Liste von Stiftungen der Tucher und fügte auch eine Abschrift des früheren Memorials von Endres Tucher bei. Diese Materialsammlungen wurden in den biographischen Darstellungen der Familiengeschichten verarbeitet, sowohl durch Scheurl selbst im Tucherbuch von 1542 als auch in den nach seinem Tod entstandenen Tucherbüchern um 1565 und 1590. Diese beiden letzten Fassungen beziehen sich mehrfach explizit auf Scheurls Kenntnisse und scheinen dies als Argument für die Zuverlässigkeit der Geschichtsschreibung anzuführen. Im Zentrum steht hier die Analyse verschiedener Fassungen der offenbar nirgendwo in der Forschung mit systematischen Absichten – sondern meist wahrscheinlich verlegenheitsweise – so genannten ›Gattung‹ »Geschlechterbuch« bei den Tucher. Die Frage nach sinnvollen Gattungsbegriffen ist neu zu stellen und Perspektiven der Beantwortung sind zu evaluieren. Die Überlieferungssituation prägt in besonderem Maße die quellenmäßige Arbeitsgrundlage, denn die verwendeten archivischen Quellen entstammen nicht nur öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, sondern auch privaten, unterschiedlich stark provenienznahen Sammlungen und teilweise durch Verkäufe im Ausland lagernden Beständen.226 In der bisherigen Forschung zu den Tucher hatten sich teilweise Annahmen über die Provenienz und den Inhalt der Familiengeschichtsschreibung etabliert, die zu ergänzen und ergebnisrelevant zu revidieren sind. Prinzipiell sind durch die Quellenlage aber – gerade in Bezug auf die familien- und gattungsübergreifende Erforschung der Geschlechterbücher – Schranken auferlegt, denn trotz bspw. der beabsichtigt umfassenden Synthese von Haller von Hallerstein (1978) fehlt eine empirisch fundierte Gattungsdefinition für die Hausbücher, Familienbücher und -geschichten des Patriziats sowie die (bebilderten) Geschlechterbücher.227 Auch ältere landesgeschichtliche 224 Christoph Scheurl, Beschreybung des Erbern geschlechts der Zingel (1383 – 1542), HS 6976a, GNM. Ein zweites, hier aber nicht weiter behandeltes Exemplar: Österreichische Nationalbibliothek Wien, Hs. N M 60/72, Codex 12809. 225 Collectaneenbände, Scheurlarchiv, GNM. 226 Hierin liegt wohl der Grund, dass auch zu den besten Ergebnissen der landesgeschichtlichen Forschung zahlreiche Arbeiten von Nachfahren der Patriziergeschlechter und Historiker außerhalb der institutionalisierten Geschichtswissenschaft zählen, vgl. etwa die zitierten Arbeiten von Freiherr Haller von Hallerstein oder Hartmut Bock. 227 Vgl. Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, hier 212 f. Die Zurückhaltung der Geschichtswissenschaft beruht wohl vor allem auf dem Erschließungsstand des Materials, so dass lediglich sehr allgemeine Kennzeichen wie ›Regularität‹ der Gestaltung o. ä.

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Forschungsleistungen haben den Blick auf die diffuse Quellenlage nicht geklärt, sondern vielmehr Höhepunkte wie das Tucherbuch (häufig auch nach einer Bezeichnung des 17. Jahrhunderts das »Große Tucherbuch« genannt) von ca. 1590 herausgehoben dargestellt. Dagegen kamen frühere Fassungen nicht zu ihrem Recht, wie auch – zeitgenössisch wirkungsmächtige – Geschichtsfiktionen nach späteren Maßstäben (z. B. Authentizität) abgewertet wurden.228 So war die quellenkritische Prüfung auf Fälschungen erkenntnisleitend, wenn etwa Bernheims klassisches und wirkungsmächtiges »Lehrbuch der Historischen Methode und der Geschichtsphilosophie« das Ritterturnierbuch als »genealogische Fälschung« charakterisiert.229 Der Quellenwert von Fiktionen für kulturelle Repräsentationen wurde damit definitiv bestritten. Im Gegensatz zu dieser früheren Forschungsperspektive ist das vorzustellende Quellenkorpus mit Blick auf die schrittweise Textgenese als sinnstiftendes Handeln der Tucherschen Geschichtsschreibung zusammengestellt. Dem systematischen Erkenntnisinteresse entsprechend sollen Geschichte repräsentierende Quellen in den Zusammenhang der stets zeit- und vergangenheitsgeschichtlich dimensionierten Geschichtskultur integriert werden. Unter historiographischer Schriftlichkeit wird zunächst die Gesamtheit der Überlieferung verstanden, ohne dass eine Gattung prinzipiell ausgenommen wird, auch nicht die eingangs zu betrachtenden Briefe zwischen Jung und Alt, die im Familienarchiv der Tucher abgelegt sind.

1.7.2 Das Briefarchiv um die Mitte des 16. Jahrhunderts: Quellenkritische Perspektiven In einem ersten Schritt werden die Briefe stichprobenweise auf ihren Charakter als Traditionsquellen untersucht. Sie wurden im familiären Empfängerarchiv gezielt für Vorbereitungsphasen von Generationenwechseln – während der Abwesenheit der in Kaufmannslehre befindlichen Söhne – gesammelt.230 Das Briefarchiv vereinigt in seiner heutigen Form ca. 1755 Briefe, meistens zwischen Familienmitgliedern oder seltener auch aus deren auswärtiger Korrespondenz und stellt eine sehr reichhaltige Quellensammlung privater, familiärer Proveusw. für eine Charakterisierung herangezogen werden, was nicht immer den Erinnerungssinn einfängt. 228 Vgl. für diese Einschätzung Rohmann, Wissensproduktion und Wissensvernetzung, hier 87. 229 Bernheim, Historische Methode, 833. 230 StadtAN E 29 Familienarchiv Tucher Briefarchiv. Während der Drucklegung der vorliegenden Arbeit wurden die Bestände des Briefarchivs neu verzeichnet. Jeder Brief enthält nunmehr eine fortlaufende Nummer. Diese verbindliche Neuregelung ist im Folgenden durchgehend berücksichtigt.

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nienz vornehmlich aus den ersten zwei Dritteln des 16. Jahrhunderts dar.231 Das erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Leihgabe in die öffentliche Hand übergegangene Archiv wurde nach dem Empfängerprinzip erschlossen. Die strukturelle Besonderheit, dass mehrere Teilserien von Briefen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts überliefert sind, wurde dadurch hervorgehoben.232 Vor allem die Väter Anton Tucher (1458 – 1524) und Leonhart Tucher (1487 – 1568) hatten von ihren Söhnen während deren kaufmännischer Auslandslehre regelmäßig Briefe empfangen. Die überlieferten Exemplare sind nur ein punktueller Ausschnitt aus der ursprünglich viel höheren Brieffrequenz und mehr Schreiber umfassenden Korrespondenz; nachweislich fanden auch Briefwechsel mit den Müttern statt. Empfangsvermerke in den in Nürnberg eingegangenen Briefen verweisen darauf, dass die Väter regelmäßig antworteten und so auch durch konkrete Handlungen ihren Anspruch verkörperten, Briefe zu erhalten. Solche Korrespondenzen waren erzieherisches Standardrepertoire im 16. Jahrhundert, sowohl im Adel als auch in den städtischen Eliten;233 dieser historische Selbstzeugnisdiskurs, Auskunft über sich selbst in einer bestimmten Rolle zu geben, ist hier gemeint, wenn von Selbstzeugnissen gesprochen wird.234 Diese ausschnittartigen Briefwechsel sind ein Spiegel dafür, wie die Lebensalter neben der sozialen Praxis auch im Archiv literarisiert werden: Die Wahrnehmung der Lebensalter bezog sich im 16. Jahrhundert vor allem auf ethische Werte, nicht allein auf ein biologisches Stadium. Die Heirat, die bei den hier untersuchten Beispielen meist noch fernstand, war ein markantes, soziobiologisches Schwellenkennzeichen. Die mit »Jugend« verbundenen Werte konnten repräsentativ und argumentativ eingesetzt werden, d. h. die Söhne konnten sich in die von Ihnen erwarteten Eigenschaften und Verhaltensweise ›einschreiben‹ und ihre ethische Einstellung glaubhaft machen. Das bedeutet nicht, dass das dabei zur Anwendung und Aktualisierung gekommene Jugendbild keinen

231 Diefenbacher, Tucherbriefe, 18. 232 Zum Zeitpunkt der Drucklegung wurden die Tucherbriefe neu nach durchlaufender Zählung verzeichnet, was allerdings dem hier vorgeschlagenen erinnerungskulturellen Verständnis der Briefe nicht entgegenkommt. Auf eine Aufnahme der neuen Bezeichnung nach fortlaufenden Nummern wurde daher verzichtet. 233 Briefe auf Deutsch, in Fremdsprachen oder Latein waren von jungen Adligen als rhetorische Übung und somit auch Demonstration zu liefern, vgl. Jill Bepler, Ferdinand Albrecht. Duke of Braunschweig-Lüneburg (1636 – 1687). A Traveller and his Travelogue (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 16), Wiesbaden 1988, 106. Zur Standardsituation des Briefeschreibens im kaufmännischen Beruf vgl. die Ausführungen in 2.1. bis 2.4. 234 Jede Untersuchung der zeitgenössischen Bedeutsamkeit der Briefe steht zwar mit Erkenntniskategorien unserer eigenen Zeit im hermeneutischen Dialog; angestrebt wird jedoch eine möglichst wenig anachronistische Erkenntnisabsicht, sondern vielmehr eine Annäherung an die Vergesellschaftung der Quellen.

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Realitätsbezug besessen habe;235 vielmehr wird diese ›Realität‹ durch Briefsprache generiert, was somit immer mit reflektiert werden muss.236 Insbesondere sind Aussagen zu historischem Verhalten in den Kontext der Diskurseffekte im brieflichen Kommunikationssystem insgesamt zu stellen, so dass emotive Ausdrücke einzelbefundübergreifend als – normativ in Briefstellern generierte – Repertoiresprache gesehen werden können.237 Grundsatz ist, dass nicht von Anthropologica ausgegangen wird, sondern von kulturellen Ausformungen, so dass keine essentialistischen Aussagen getroffen werden; alle in Briefen zu Wort kommenden Praktiken oder beschriebenen Entitäten waren letztlich »acquired ability«, wovon kein Bereich ausgenommen ist.238 Das Lernziel der Kaufmannsöhne lag offenbar in der Anverwandlung oder 235 Für ein Diskurseffekte hervorrufendes Konzept wie das verordnete und befolgte ›Jugendbild‹ vgl. Ilaria Taddei, Puerizia, adolescenza and giovinezza: Images and Conceptions of Youth in Florentine Society during the Renaissance, in: Konrad Eisenbichler (Hg.), The Premodern Teenager. Youth in society 1150 – 1650 (Publications of the Centre for Reformation and Renaissance Studies. Essays and Studies 1), Toronto 2002, 15 – 27. 236 Dieser Bereich der Quellendiskussion, in Briefen und Geschichtsschreibung Zeugnisse von Handlung und Kommunikation zu sehen, ist in der Geschichtswissenschaft zwar nicht neu, wurde jedoch nie an Quellen wie den hier bearbeiteten umgesetzt. Gemäß Ansätzen der englischen Geistesgeschichtsschreibung etwa Quentin Skinners kann Kommunikation und Sprache stets als Handlung auffasst werden. Zur prinzipiellen methodischen Grundlegung – am Beispiel geistesgeschichtlicher Diskursanalysen – muss der propositionale Gehalt einer Aussage in den Zusammenhang mit der ›Sprache‹, in der er wiedergegeben wird, gestellt werden. Prinzipiell besteht Sprache dann aus zwei verschiedenen Ebenen, nämlich der inhaltlichen und der – schwerer zu fassenden – Ebene »at which it makes sense to say that a particular author is speaking in the language of, say, ›humanism‹ or ›scholasticism‹ or ›political economy‹«. Auf dieser diffusen Bedeutungsebene von »Sprache« setzt J.G.A. Pocock sein Deutungsmuster von »Sprachspiel« an, das der Historiker lesen muss, hinsichtlich des spezifischen Vokabulars, Regeln, Voraussetzungen und Implikationen. Sprachliche Kontexte, auf die der Ansatz des Kontextualismus besonderen Wert legte, sind vielversprechende Kontexte. Dagegen wäre eine methodische Alternative, rein soziale oder familiäre Kontexte etwa im Sinne einer »historischen Verhaltensforschung« (so Mathias Beer) zu suchen. Dem sprachlichen Kontext ist jedoch ein gewisses Vorrecht eingeräumt werden: »We wish to study the language in which utterances were performed, rather than the utterances which were performed in them.« Vgl. J. G. A. Pocock, The concept of a language and the metier d’historien: some considerations on practice, in: Anthony Pagden (Hg.), The languages of political theory in early modern Europe (Ideas in Context 4), Cambridge 1987, 19 – 41. 237 Diese Gattung ist im 16. Jahrhundert besonders tief vergesellschaftet, wie – auch die brieflichen Quellen, zusätzlich aber auch – die Anzahl der Auflagen und die Durchsetzungskraft von Briefstellern zeigen, vgl. etwa Claudia Ortner-Buchberger, Briefe schreiben im 16. Jahrhundert. Formen und Funktionen des epistolaren Diskurses in den italienischen libri di lettere (Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen 53), München 2003, bes. 191 – 198. 238 Für diese radikale, von Foucaults wissensgenealogischer Methode inspirierte Feststellung vgl. Pieter Spierenburg, Social Control and History : An Introdcution, in: Herman Roodenburg (Hg.), Social control in Europe. 1500 – 1800 (History of crime and criminal justice), Columbus 2004, 1 – 25, bes. 20.

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Nachahmung von Werten in der brieflichen Repräsentation. Topoi als Momente von Standardisierung reduzierten die Deutungsvarianten der Kommunikation und erleichterten das Verstehen. Man kann kaum ein besseres Beispiel nennen als was etwa Gabriel Tucher aus Lyon am 23. Februar 1544 über die Erfüllung der Lernaufgaben versichert: »[…] ein gottwol ich mich hier Redlich will halten, vnd alle thon fleisig bevolhen lasen sein, vnd mit Rechnen vnd schreiben fleis an keren als Irs in wercken spüren werdt«.239 Die epistolographische Tradition der »Colores Rhetoricales« durchwirkte die Briefkultur fundamental, auch in elementarer Hinsicht etwa in Bezug auf Wiederholungen. Diese war »der erst Color«, die wichtigste Figur, und diente der rhetorischen Erhärtung von Aussagen. Die Benutzung solcher Elemente wurde der Absicht von Formularbüchern und Briefstellern gerecht, eine »Rethorica [zu bieten] daraus die Jungen lernen mögen allerley Missiuen vnd Sandtbrieffe oder Episteln zu machen«.240 Eine quantitativ-stilistische Analyse der Briefe würde die Gleichförmigkeit der Briefausdrücke klar zeigen; dies entspricht auch der Gestaltung der Inhalte: Stets wird der Erziehungserfolg angekündigt, das von Gabriel Tucher erwähnte »schreiben« bedeutet hier das Erlernen der Regeln für Briefbestandteile, Ausdrücke und Brieffrequenz. Die Söhne aktualisierten so regelmäßig den Wissenserwerb für die praktische Umsetzung im kaufmännischen Beruf und im sozialen Leben der städtischen Elite insgesamt. Als weitere Quellengruppe stehen die Briefsteller zwischen den eher diskursiv-normativ geprägten ästhetisch-literarischen und pragmatischen Quellen sowie den eher kommunikativ ausgelegten Briefen.241 Diese vornehmlich exemplarisch aufgebauten Handreichungen zum Verfassen von Briefen umfassten das gesamte mögliche Ausdrucksrepertoire förmlichen und emotional aufgeladenen Sprechens. Die Vermittlung rhetorischer Fertigkeiten zum Briefeschreiben illustriert die Alterität von ›Privatbriefen‹ während der gesamten Vormoderne.242 Insbesondere die Formierung von Ausdrücken emotionaler Bewegung unterscheidet sich wesentlich von späteren Briefkulturen;243 unterrichtet wurde eine Kommunikationstechnik, die der Programmatik nach Nichtvarianz und konstant angemessene Redeweise in den Mittelpunkt rückte. 239 StadtAN E 29/IV Nr. 126. 240 Retorica vnnd Formularium Teütsch, Tübingen, 1528 [VD 16-H5808], Hofbibliothek Aschaffenburg Inc. 167, XXIX und I. 241 Vgl. dazu zusammenfassend Reinhard M. G. Nickisch, Brief, Stuttgart 1991 (zuerst 1969) sowie Michael Hochedlinger, Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, Wien 2009, 45. 242 Vgl. Esther-Beate Körber, Der soziale Ort des Briefs im 16. Jahrhundert, in: Horst Wenzel (Hg.), Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter (Philologische Studien und Quellen 143), Berlin 1997, 244 – 258. 243 Robert Vellusig, Verschriftlichte Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert (Literatur und Leben 54), Wien 2000.

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Die Vater-Sohn-Briefe des 16. Jahrhunderts sind von modernen Ausprägungen trennscharf durch Schreibziel und Schreibweise zu unterscheiden, wie aus der Programmatik eines Briefstellers repräsentativ für die konservative Gattung zu entnehmen ist: »Variatio delectat, sed non prodest«.244 Dieser Hinweis auf die Regelhörigkeit bezieht sich deutlich nicht allein auf Formalitäten, sondern betrifft gleichzeitig auch die kommunizierten Inhalte, wie schon die thematische Gliederung der meisten Briefsteller andeutet,245 Zeichen für weitere Differenzierungstendenz brieflicher Kommunikation zwischen den Generationen bis zum 17. Jahrhundert.246 Äußerungen über Gegenstände wie bspw. Fremdsprachenkompetenzen bedienen durch ihre briefsprachliche Darstellung daher gleichzeitig immer auch Erwartungen des Vaters. Die Lernfortschritte bilden stets ein stillschweigendes Kriterium. Gerade diese Prämisse verleiht den Briefen ihren Quellenwert, will man das in ihnen enthaltene Personenkonzept einschätzen. Diese Form der pragmatischen Literatur ist von großer quellenkundlicher (und daher heuristischer) Bedeutung, denn die brieflichen Zeugnisse sind einerseits Selbstzeugnisse die als »selbst geschriebenes Leben« ein »Ich« enthalten,247 das Beobachtungen, Bewertungen und teilweise auch nachprüfbare politische, wirtschaftliche und medienwirksame Entwicklungen wiedergibt. Andererseits lässt sich – so eine Arbeitshypothese – jeder Ausdruck und jeder Gedanke in den hier untersuchten Briefen im Repertoire der Briefsteller wiederfinden, ist die Vermittlungsebene sozusagen entschlüsselbar.248 Das Hauptkennzeichen der Briefe ist nicht die Individualität, sondern vielmehr die Gleichförmigkeit und gerade dadurch erreichte genaue Erwartungserfüllung: Einerseits ging es um Information und Aushandlung, vor allem aber ging es um 244 Fabri, Heinrich/Saur, Abraham (Hg.), Rhetorica vnd Epistel Büchlein Deutsch vnd Lateinisch: Darin Begriffen Allerhand Missiuen vnd Sendbrieffen […], Franckfurt am Mayn 1593 [VD16-F145] Persistente URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/fabri1593, fol. 22r. 245 Vgl. für Nachweise noch immer Reinhard M. G. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre (1474 – 1800) (Palaestra. Untersuchungen aus der deutschen und englischen Philologie und Literaturgeschichte 254), Göttingen 1969. 246 In einem späteren Beispiel der konservativen Gattung der Briefsteller entfallen mehr als 100 Seiten auf den Themenbereich »Von Brieffen/ darinn die in der Frembde sich uffhaltende Kinder/ ihrer Eltern Zustand erforschen/ und den Ihrigen hinwieder berichten«, vgl. Alhard Möller, Praxis Epistolica […], Franckfurt 1670. 247 Vgl. für eine Diskussion der Grenzen und Möglichkeiten des Begriffs »Autobiographie« eine Studie, die die Selbstzeugnisforschung auf hermeneutische Leitlinien bündelt: Hans Rudolf Velten, Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 29), Heidelberg 1995, 7 – 14. 248 Dem liegt die kommunikationstheoretische Überzeugung McLuhans zu Grunde, dass Vermitteltheit konstitutiv für Kommunikation ist. Im literarischen Feld vertritt diese Position für Selbstthematisierungen Paul Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, München 1996.

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Rückbestätigung der erhofften ethischen Qualität des Nachwuchses. Die Frage nach der emotionensprachlichen ›Normallage‹ des Kommunikationssystems kann sich den Wert dieses Quellenbestands nutzbar machen. Es geht dabei um transpersonale Identifikationsmuster, um die dahinter stehenden transpersonalen Ideologeme, die sich in den Jung-Alt-Beziehungen als Disziplinierungsvorgänge abbilden. Andererseits ist auch zu fragen, wie durch die Integration in das – kritisch formuliert so benennbare – ›System Hausvater‹ Elemente von Eigenständigkeit gefunden werden konnten.249 Die bisherige Forschung hatte besonders Elemente von emotionalem Verständnis zwischen den Generationen herausgestellt. Fragen nach familiären Gefühlen und deren Ausdruck scheinen durchaus angebracht, aber ausschließlich dann, wenn sie auch vor dem Hintergrund der vorgeprägten, stereotypen Briefsprache und deren Darstellungsspielräumen gestellt werden. Antworten sind nur auf der Ebene der medialen Vermittlung im Brief, nicht dagegen als direkter Rückschluss auf familiäre Emotionalität möglich.250 Bestimmendes Kennzeichen der Briefe, der zitierten historischen Praxis des »schreiben«, von dem in den Briefen so häufig die Rede ist, ist gerade ihre Berechenbarkeit im Umgang mit Briefformeln.251 Der Sinn der Briefe besteht darin, dass die Söhne darin einen erlernten sozialen Habitus ausstellen. Briefe besaßen daher im Rahmen im Rahmen des hierarchischen Erziehungs- und Kommunikationssystems einen symbolischen Wert. Dies bezieht sich wesentlich auf die bipolare Beziehung, die in ein verwandtschaftliches und institutionelles Netzwerk eingebettet war.252 Die angemessene briefliche Kommunikation

249 Die Hausväterkultur wird inzwischen stark geschlechtergeschichtlich differenziert, Handlungsspielräume der anderen Mitglieder werden ausgelotet und somit die Geltungskraft normativer Festlegungen überprüft, vgl. etwa Gesa Ingendahl, Witwen in der Frühen Neuzeit. Eine kulturhistorische Studie, Frankfurt/Main 2006. Diese anhaltenden Diskussionen seien hier nur erwähnt. 250 Zur prinzipiellen medialen Vermitteltheit von Emotionen vgl. Peter Burke, Is There a Cultural History of the Emotions?, in: Penelope Gouk/Helen Hills (Hg.), Representing Emotions: New connections in the histories of art, music and medicine, Aldershot/Burlington 2005, 35 – 49. 251 Emotionale Äußerungen waren nicht frei wählbar, sondern sind für Standardsituationen wie Niederkunft und Tod formelhaft eingeübt; Bedauern, Freude und Stolz sind mit dem Briefsteller einzuüben, dazu bieten sich auch »Synonyma«, vgl. etwa den Abschnitt zum Thema »Geberen«, Fabri, Heinrich, Rhetorica und Epistel Büchlein Deutsch vnd Lateinisch, Frankfurt 1593 [VD16-F145], Universitätsbibliothek Heidelberg G 349 D (RES), digitaler Zugriff möglich unter http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/fabri1593, unpaginiert. 252 Zu diesem soziologischen Begriff von Institutionalität vgl. Gert Melville, Institutionen als geschichtswissenschaftliches Thema. Eine Einleitung, in: Ders. (Hg.), Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde (Norm und Struktur 1), Köln 1992, 1 – 24.

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in der Fremdsprache konnte Kontakte etwa zwischen verschiedenen Ständen je nach Bedarf verhindern oder ermöglichen.253 Die archivische Anordnung in Brieffolgen hebt den funktionalen Gedächtnissinn hervor, ist als strukturelle Besonderheit des Briefarchivs erkennbar, das im Vergleich mit der sonstigen brieflichen Überlieferung keinesfalls als überrestartig charakterisiert werden sollte.254 Als archivgenetische Arbeitshypothese ist Zufall zwar nie ganz auszuschließen, jedoch bietet gerade die Nürnberger Situation auch Anhaltspunkte für absichtsvolle archivische Selektionsvorgänge in den mehrere Jahrhunderte lang in der Familie verbliebenen Nürnberger Familienarchiven.255 Die Briefe werden hier mit dem Ziel bearbeitet, Überlieferungschancen und Überlieferungssteuerung näher zu charakterisieren.256 Die tradierenden Absichten des Briefarchivs beruhen jedoch zunächst auch auf der tagesaktuellen Relevanz der Briefe, die daher ebenfalls als Argumentationsgrundlage erarbeitet wird. Die von Nürnberger Patriziern erhaltenen Briefe haben die seit dem frühen 17. Jahrhundert orts- und gruppenspezifisch üblichen, umfassenden Archivsäuberungen überstanden.257 Kaufmannskorrespondenzen ganzer Jahrhunderte konnten im Zuge einer geschichtspolitischen Neuorientierung am adeligen Lebensstil vollständig verloren gehen. Zwar lassen sich einzelne Aktionen nicht genau rekonstruieren, denn Quellengattungen wie ›Arbeitsprotokolle‹ sind nicht bekannt. Allerdings verdeutlicht schon die Bemühung, Archivmaterial zu zerstören, um eine darauf potentiell aufbauende Vergangen-

253 Wie Droste für die Diplomaten an den Höfen Nordeuropas herausgearbeitet hat, vgl. Heiko Droste, Briefe als Medium symbolischer Kommunikation, in: Marian Füssel/Thomas Weller (Hg.), Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der städtischen Gesellschaft (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriften des Sonderforschungsbereichs 496. 8), Münster 2005, 239 – 256. 254 Eine ähnlich dichte Überlieferung ist außerhalb Nürnbergs sonst wohl nur in Sonderfällen wie der Beschlagnahmung der gesamten Schreibstube der Augsburger Kaufmannsfamilie Endorffer gegeben. Vgl. dazu in Kürze die Edition der Briefe der Familie Endorffer, Häberlein, Mark/Künast, Hans-Jörg/Schwanke, Irmgard(Hg.), Die Korrespondenz der Augsburger Patrizierfamilie Endorfer 1620 – 1627. Briefe aus Italien und Frankreich im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges (Documenta Augustana), Augsburg 2009 [im Ersch.]. 255 Gerhard Hirschmann, Die Archive der Familie von Tucher in den letzten 50 Jahren, in: Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern 21 (1975), 39 – 43. Zur Relevanz der auf den ersten Blick nichthistoriographischen Überlieferung vgl. wiederum Schmid, Deutsche Autobiographik. 256 Diese Bezeichnung hier im Sinne von Arnold Esch, Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, Historische Zeitschrift 240 (1985), 529 – 570. 257 Zu generellen Abgrenzungsbemühungen vgl. Hans Hubert Hofmann, Nobiles Norimbergenses. Beobachtungen zur Struktur der reichsstädtischen Oberschicht, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 28 (1965), 114 – 150, 142.

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heitsdeutung auszuschließen, auf den Identitätswert von familiären Archiven des 16. Jahrhunderts in der Folgezeit hin. Die gehäuft überlieferten Vater-Sohn-Korrespondenzen sollen in den Kontext pädagogischer Diskurse des 16. Jahrhunderts gestellt werden. Ästhetisch-literarische und gebrauchsliterarische Texte des 16. Jahrhunderts, Lehrbücher, Typenromane etwa Jörg Wickrams und Katechismen reflektieren ähnliche Konstellationen wie die Briefe. Dabei treten bestimmte Schwerpunkte auf, die besonders in der Rezeption des apokryphen aber stark rezipierten Buchs Jesus Sirach auftauchen, dies auch eine auffallende Parallele zur Figuration der Erzählinstanz oder Zitierung des Buches in der Geschichtsschreibung.258 Diese Quellen werden mit den diskursgeprägten Kommunikationszeugnissen verglichen, um Abhängigkeiten und Diskurseffekte nachzuweisen und Rückschlüsse auf die mit der Archivbildung verfolgten Ziele zuzulassen. Die geistesgeschichtlichen Problemkreise des zeitgenössischen Menschenbilds, der Affektenlehre und der Erziehungstheorie werden so im Spiegel ihrer markierten und unmarkierten Intertextualität mit den brieflichen und anderen Quellen behandelt. Der stichprobenartige Zugriff beabsichtigt, eine auf überwiegend gleichförmige, topische Weise erzählte, sprachlich-emotionale soziale Bindungsform von großer Intensität und Bedeutung für die Familie zu untersuchen. Die Frage, wann Quellenarbeit ›repräsentative‹ Ergebnisse erbringt und welche Materialgrundlage hinreichend ist, bleibt eine der methodischen Hauptfragen der Geschichtswissenschaft.259 Die hier vorgenommene Bearbeitung entspricht der Arbeitsthese, dass die brieflichen Quellen durchgehend stark von Diskurseffekten geprägt und die Briefinhalte erzieherisch ›codiert‹ waren.260 Damit unterscheidet sich die vorgenommene Lektüre von einer inhaltsorientierten, die eine andere mögliche Lesart gewesen wäre und die hier zugunsten einer Reflexion der medialen Bedingtheit ihrer Ergebnisse zurückgestellt wird. Die mit den Briefen zwischen Vätern und Söhnen verfolgten Absichten lassen 258 Vgl. etwa die Abbildung in Gregor Rohmann, Das Ehrenbuch der Fugger. Die Babenhausener Handschrift (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft 30/2), Augsburg 2004, 9. 259 Äußerungen wie das Nur-›Noch-Nicht-Erforschthaben‹, im Sinne des Freilegens eines außersprachlich existenten Gegenstands, müssen jedoch mit dem Vorwurf des Positivismus rechnen. Jede Quellenauswahl bleibt letztlich exemplarisch, jede Erkenntnis thesengeleitet. 260 Die vorgenommene Trennung zwischen ›diskursspendenden‹ und solchen Quellen, die eher ›Diskurseffekte‹ zu nennen sind, ist eher analytischer Bedeutung und erfolgt im Bewusstsein, dass Diskurs stets zugleich Setzung und sprachliche Ausformung ist. Ordnungssystem und Praxis fallen eigentlich zusammen. Die hier vorgenommene Unterscheidung trägt dem Grad der Ableitung Rechnung, der bei Briefen ein anderer ist als beim zeitgenössischen, eher konfliktorientierten Roman.

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sich sicher gegen ihre Intention lesen als wirtschaftsgeschichtliche Zeugnisse, als Zeugnisse für realen Kleider- und Weinkonsum und für Reisestationen der Jünglinge. Die ursprüngliche Intention der Briefe zum Zeitpunkt ihrer Entstehung im familiären Kommunikationssystem muss jedoch von den verlockenden Einsichten in die Lebenswelt von Familien der Stadteliten analytisch getrennt werden, ebenso wie von den traditionsbildenden Absichten, die den Bestand formten und instrumentalisierten. Briefe unterscheiden sich scheinbar von den übrigen hier herangezogenen Quellen vor allem durch ihren tendenziell ›privaten‹ Charakter. Zwar lassen sich die seit dem 19. Jahrhundert so genannten »Privatbriefe« des 16. Jahrhundert durchaus hinsichtlich des intendierten Publikums unterscheiden.261 Die während der Auslandslehre geschickten Briefe richten sich jedoch häufig auch explizit an mehr Leute als an den Vater, es werden Grüße ausgerichtet und Stil und äußere Form werden so strikt eingehalten, dass von mehr Lesern oder einem größeren Rezipientenkreis auszugehen ist. Briefe der Väter sollten von den Söhnen mehrfach gelesen werden, um die enthaltenen Anweisungen und Grundsätze wiederholend einzuprägen. Diese zumindest familieninterne ›Öffentlichkeit‹ macht die Andersartigkeit von Privatbriefen aus. Die Verknüpfung von individuellem, selbstzeugnishaftem Schreiben in Briefen und der Erziehung zeigt sich bereits in den Mustertexten der gebräuchlichen populären Schreiblehrbücher.262 Dennoch wenden sich Mitglieder der Familie Tucher in ihren zahlreichen literarischen Arbeiten an ein die Grenzen der Familie weiter übersteigendes Publikum.263

1.7.3 Die Varianz genealogischer Ordnungsmuster in der frühen Familiengeschichtsschreibung (ca. 1520 – 1542) Die historiographische Repräsentation der Tucher befindet sich im ersten Drittel im langen 16. Jahrhundert in einer Phase der Intensivierung.264 Die Anfänge liegen bei den Tucherschen »Memoriale« im 15. Jahrhundert,265 die aber nur 261 Heutige Leser müssen sich aus methodischen Gründen gegen die möglicherweise empfundene emotionale Nachvollziehbarkeit dieses Materials wehren, indem intertextuelle Vergleiche im Material selbst und den relevanten Vorlagen angestellt werden. 262 Vgl. Oliver Linke/Christine Sauer (Hg.), Zierlich schreiben. Der Schreibmeister Johann Neudörffer d. Ä. und seine Nachfolger in Nürnberg (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 25), Nürnberg 2007, 86 – 88. 263 Möglicherweise ist die Rezeption empirisch schwer nachzuweisen, daher liegt bislang die Rezeptionsanalyse zu Hans Tuchers Jerusalempilgerbericht in Herz, Drucküberlieferung der »Reise ins gelobte Land«, vor. 264 Der Übergangszeitraum vom späten 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert ist bislang wohl eher durch Disziplinengrenzen getrennt worden als durch breit applizierbare sachliche

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ansatzweise generationenübergreifend angelegte, gesamtfamiliäre Projekte waren. Sie verzeichneten ganz unterschiedliche ›Merkwürdigkeiten‹, darunter auch Familienbezogenes, ohne dabei eine auch in der äußerlichen Anordnung ausgedrückte Systematik bewusst einzuhalten, d. h. dem assoziativen Stil fehlen oft genealogische Kategorien etc. Das gilt in stärkerem Maße für spätere familiengeschichtliche Arbeiten Christoph Scheurls. Er legte wohl vor allem für die eigene Verwendung »Collectaneenbände« an, die gattungssystematisch bislang nicht erfasst sind. Auf diese eklektisch angelegten Bände war Scheurls Beschäftigung mit der Geschichte von Familien, die mit ihm verwandt waren, nicht beschränkt. Bis zu einer umfassenden Erforschung der Verwendung und der Quellenorientierung liegt nur die Edition eines Inhaltsverzeichnisses vor.266 Die Collectaneenbände waren zwar mit Sicherheit Vorarbeiten für die späteren »Geschlechterbücher«,267 versammeln universalhistorischen Stoff aus verschiedenen, divergent erscheinenden Themengebieten, aber auch detaillierte genealogische Einzelinformationen, Abschriften und Verzeichnisse etwa von Stiftungen. Diese Bände unterscheiden sich von den daraus entstandenen Geschlechterbüchern durch eine wenig repräsentative äußere und innere Gestaltung, d. h. es handelte sich um vergleichsweise private Arbeitsmittel in der Scheurl-Bibliothek.268 Auf dieser Grundlage, in die die Quellenbestände verschiedener Geschlechter, darunter das der Tucher, insbesondere die »Memoriale«, eingingen, fertigte der Ratskonsulent seit 1526 bis in die letzten Jahre vor seinem Tod 1542 familienhistorische Arbeiten über die Familien seiner Verwandten aus, die eine neue Form annahmen und teilweise auffällige autobiographische Züge aufweisen. So entstammt die eingangs zitierte Darstellung einem Geschlechterbuch über die Pfinzing-Löffelholz, also der Darstellung der Geschichte zweier anderer Fami-

265 266 267 268

Kriterien. Insbesondere die historiographiegeschichtlichen Fragestellungen zeigen erstaunliche Parallelen, vgl. etwa Pierre Monnet, Führungseliten und Bewußtsein sozialer Distinktion in Frankfurt am Main (14. und 15. Jahrhundert), in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 66 (2000), 12 – 77. Zu diesem Material vgl. die umfassende Studie Kirchhoff, Gedächtnis in Nürnberger Texten. Vgl. Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten, 529 – 542. Auf diese Intention der Vorstudien ist immer wieder hingewiesen worden, eine öffentlich zugängliche Verzeichnung, Regestierung oder gar Edition dieser Bände liegt aber bislang nicht vor. Die Kategorien »privat« und »öffentlich« sind häufig thematisiert worden, insbesondere aber bei der Bibliothek eines häufig in Korrespondenz mit anderen Humanisten stehender Ratskonsulent Nürnbergs können diese Kategorien nur im Vergleich für gültig erklärt werden. Gerade durch die Verwandtschaft mit verschiedenen Nürnberger Ratsfamilien ist bei der Privatheit der Scheurlschen Bände doch von einem hohen ›Diffusionsdruck‹ des dort gespeicherten Wissens auszugehen, besaß Vergangenheitswissen doch legitimatorische Funktionen.

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lien.269 Scheurls Bemühen um die Integration seiner Person in das Nürnberger Patriziat wird in einer Form deutlich, die aus der Perspektive der Netzwerkforschung eine auf einen einzelnen Akteur zentrierte Verflechtungsinitiative genannt werden müsste.270 Scheurl macht verwandtschaftliche Bezüge auf eine Weise deutlich, dass die Pfinzing-Löffelholz auch Vehikel für die Darstellung von Scheurls Person sind. Von diesem personenzentrierten Ausgangspunkt entwickelt sich die Geschichtsschreibung in Richtung auf die Repräsentation der Familie. Die zu den Tucher untersuchten Familiengeschichten lassen sich nach dem Entstehungsdatum und einem daraus resultierenden unterschiedlichen Systematisierungsgrad271 in der historiographischen Darstellung unterscheiden in (1.) unter dem Einfluss Scheurls bis 1542 selbst verfertigte Geschlechtergeschichten sowie (2.) die Geschlechterbücher, deren Ausfertigung der familiären Gedächtnisbildung unterlag. Die letzte Gruppe zeigt eine Veränderungsdynamik gemäß bestimmter Entwicklungstendenzen, die aber nicht in der Gliederung differenziert werden. Zur Scheurlschen Geschichtsschreibung des ersten Bereichs gehört »doctor Cristoff Scheurls buch so er Martin vnd Paulus denn pfintzing v[er]eret hat«.272 Diese »ordenliche beschreibung martin Pfintzings vruranherrenn vnnd vruranfrawen […] vnnd vngeuarlich aller dero die vonn Innen beyleuftig Innerhalb 150 Jaren« verwendet eine genealogische Struktur aus einem offenbar vorhandenen graphischen Stammbaum. Auf diese nicht als Abbildung beigegebene Darstellung wird explizit Bezug genommen, die textliche Darstellung entspreche dem, was »auch an d[er] Pfintzingtafel auf vnterschidlichen lienien gemalt

269 Christoph von Scheurl, Pfinzing-Loeffelholz-Buch, 1526, StadtAN E 17/I, Depositum Frhr. Von Loeffelholz, B 3, Loeffelholz Stammbuch A; Teil-Fotokopie im Archiv der Frhr. Haller von Hallerstein, Pfinzingarchiv PB 21 (teilediert auch in Eugen Frhr. Löffelholz von Kolberg: Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharina Fütterin am 29. August 1519, in: MVGN 3 (1881), 155 – 168, Beschreibung des Bandes: 155). 270 Als Variierung des Verflechtungsansatzes müssten dann genealogische, verwandtschaftliche Zusammenhänge im historiographischen Medium betrachtet werden, an der Stelle der häufiger ausgewerteten Quellenbestände zu sozioökonomischen Fragen, vgl. Mark Häberlein, Netzwerkanalyse und historische Elitenforschung. Probleme, Erfahrungen und Ergebnisse am Beispiel der Reichsstadt Augsburg, in: Regina Dauser/Stefan Hächler/Michael Kempe/Franz Mauelshagen/Martin Stuber (Hg.), Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts (Colloquia Augustana 24), Berlin 2008, 315 – 328. Quellenmäßig ist eine Vernetzungsgeschichte im historiographischen Material nicht konsequent in der Form des Nachweises sozialer Beziehungen zu leisten, handelt es sich doch um repräsentationsbezogene Quellen, die sich der Historie als Medium bedienen. 271 Diese Kategorisierung ist der Absicht nach wertungsfrei, sie folgt ausdrücklich nicht einem teleologischen Verwissenschaftlichungsparadigma, wie etwa in Muhlack, Vorgeschichte des Historismus, München 1991, 27 – 41. 272 Christoph von Scheurl, Familienbuch Pfinzing, StadtBN Amberger 48 Nr. 479.

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seyen«.273 Die Umsetzung ist jedoch nicht konsequent. Im ersten Drittel der Handschrift werden die Familienmitglieder auftsteigend durchgezählt, danach beginnt die Zählung nach »lini«, die die synchronen Querlinien eines Stammbaums gewesen sein könnten, wie etwa »auf der ersten lini seine martin pfintzing« Frau, während die Kinder »der andern lini sein gemalt«. Innerhalb einer »lini« werden die Kinder dann durchnummeriert, etwa »Die drit 4 lini Auf der drittenn lini stehen d[er] Jungenn pfintzing vier anherrn Vnnd anfraw nno 1.2.3.4. bezaichnet«. Scheurl habe die Schrift ausgeführt, damit die Kontinuität der Pfinzing auch in den einzelnen Nachkommen sichtbar sei, »Ut uideas filios filiorum et pacem super Israel«. Diese Bezugnahme auf Generationenwechsel sollte offenbar auch in der Bezeichnung zum Ausdruck kommen, denn das Hauptaugenmerk scheint bereits hier auf den männlichen Familienmitgliedern (»anat[en]«) mit Nachkommen (»gradt«) zu liegen: »Erclerung der erbar Martin Pfintzings vnnd anna Löffelholtzin Kinder wappentafel darin fürnemlich ir Zween vnnd dreissig anat vnnd etlich anderer ir anat biß in denn sechsten Siebenden achten neundenn vnnd Zehendenn gradt […] vnderschidlich vleißig […] angezeigt werdenn«. Neben der Konzentration auf die Fruchtbarkeit der Familie war auch die Dokumentierung des Alters besonders relevant, denn die ursprünglich auf 8 »lini« hin angelegte Familiengeschichte wird mit andersfarbiger Tinte durchgehend umnummeriert, um eine neunte »lini« hinzuzufügen.274 Für das eingangs zitierte Pfinzing-Loeffelholzsche Geschlechterbuch wurde notgedrungen die Edition herangezogen.275 Möglicherweise wurde es im engeren und weiteren Verwandtschaftskreis rezipiert, wie viele andere Beispiele um die Mitte der 1520er Jahre. Im »Register dises Büchs« tauchen ausschließlich Inhaltseinheiten wie Namen und Ereignisse auf, jedoch ist keine erkennbare Struktur, Angaben von Kapitelzahlen o. ä. eingearbeitet worden. Die eingangs zitierte Hochzeit steht in dem seit 1526 entstandenen Band neben sehr verschiedenen Abschnitten. Die thematische Bandbreite ist groß und scheint nicht konsequent geordnet. Die Reihenfolge überrascht zusätzlich dadurch, dass bei der Wiedergabe im Inhaltsverzeichnis auch nicht streng der numerischen Ordnung der Seitenzahlen gefolgt wird. So erscheint bspw. ein »Verzeichnus der Geschlechter so Innerhalb 100 Jarenn In Nürmberg, gar abgestorben sein«,276 »Der zwölf Thurnier eins Georgen Richsners Herolts Thurnierpuch, der Zw Nurmberg gez[ohen] ist 1189 [sic!] wie alle ding zugangen 273 Ebd., unpaginiert. 274 Von dieser Familiengeschichte existiert möglicherweise noch eine weitere Abschrift im im Archiv der Frhr. Haller von Hallerstein. 275 Christoph von Scheurl, Pfinzing-Loeffelholz-Buch, 1526, StadtAN E 17/I, Depositum Frhr. Von Loeffelholz, B 3, Loeffelholz Stammbuch A. 276 Ebd., fol. 160 – 346.

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seindt«,277 Berichte über Gesellenstechen, über »heirat und hochzeit von erbarnn frawenn«,278 »Doctor Christoffen Schewrls […] Hochzeyt«,279 »kelber vnd lemer di geschlachtet sein Zw Nürmberg, zw Osterlicher zeyt seindt [sic!] der Jarzal Christi 1495«,280 »der Pfinzing kaiserlichen adelbrif, begnadung vnd freihhait zu thurnirn ein kron zu füeren vnd …«,281 auch ein über 1526 hinausführendes Genanntenbuch ist zu finden. Gerade solche Texte erzeugen die Schwierigkeiten, Bearbeitungsstadien und den Zeitpunkt der Entstehung von Sammelhandschriften zu erschließen, in dem Einzelteile oder etwa die gesamte Zusammenstellung entstanden sind. Offenbar waren diese klar zur Identität Nürnberger Patrizierfamilien gehörigen Abschnitte durch ihre prinzipielle Anwesenheit wirksam genug, die Tendenz zur Ordnung und Umerzählung von Biographien der Familienmitglieder nimmt dagegen erst mit der Zunahme der familiären Schriftlichkeit zu.282 Das Pfinzing-Loeffelholzsche Buch ist seiner äußeren Struktur nach dem Geschlechterbuch für »Herdegen Tucher« von 1540 vergleichbar, denn auch dieses stellt die Töchter gleichberechtigt dar, d. h. dass deren Ehepartner und Kinder mit aufgenommen werden, obwohl sie den Namen der Familie eigentlich nicht weitertragen.283 Möglicherweise beruhte dieses Vorgehen auf dem Umstand, dass Scheurl selbst im ›Tochterstamm‹ mit den Tucher verwandt war : Ein vleisig gepürt hairat vnd Tottenbuch des Erbarn Herdegen Tuchers Elizabeth Pfintzingin seiner ehewirtin vnd aller dero die von Inen geporn vnd abgestigen sein Innerhalb hundert Jarn Nemlich von 1440 bis auff 1540 Jar284

Unter diesem Titel werden die ›Grade‹ der Familie angegeben, beginnend mit »Der erst Grad. Herdegen Tucher, Barbara Zolnerin vnd Elizabet Pfintzingin seine weyber«.285 Die Aufnahme von Töchtern (etwa »Vrsula Friderich Teztlin 277 278 279 280 281 282

Ebd., fol. 347 – 361. Ebd., fol. 368. Ebd., fol. 431 – 443. Ebd., fol. 451 – 469. Ebd., fol. 128r. Für die weiteren, hier nicht berücksichtigten Exemplare etwa für die Fütterer wäre ein Verzeichnis notwendig, das nicht allein über eine Synthese der älteren Forschung hinaus auch erweiterbar und korrigierbar bliebe. Dafür sollte eine maschinenlesbare Form der Metadaten im Sinne der DFG-Richtlinien für Handschriftenkatalogisierung gewählt werden. 283 Christoph von Scheurl, »gepurt, heirat vnd Tottenbuch des erbern Herdegen Tuchers, Elisabeth Pfintzingin seiner Ehewirtin vnd aller dero, die von inen geporn vnd abgestigen sein, innerhalb hundert jarn nemblich von 1440 bis auf 1540 jar« (Nachfahrentafel ausgehend von Scheurls Großvater Herdegen Tucher einschließlich der Töchter), StadtBN Amberger 48 Nr. 53. 284 Ebd., fol. 10r. 285 Ebd., fol. 12v.

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geporne Fhürerin«286) hat einen durchsichtigen Grund, den der Eintrag »Christoff Schewrls vnd Helena Tücherin 2 Shün, Doctor Christoff Schewrl Katherain Füttrerin sein weyb«287 zu erkennen gibt. Indem Scheurl die Töchter gleichberechtigt integrierte, schrieb er seine Vorfahren in die Familien des Patriziats ein. Die Darstellung der Kinderlisten erfolgt auch unter religiösen Vorzeichen, wie das Motto anzeigt: Prouerbiorum XX Der gerecht der in seiner ainfalt wandert Wirdet selige kinder hinter im verlassen.288

Die Anspielung auf den Generationsdiskurs, Wertschätzung der göttlichen Gnade von Kontinuität und Weitergabe innerhalb der Familie wirkt sich auch auf die genealogische Gliederung aus. Die schematische Angabe »grad« ist eine Kategorie für linearen Fortschritt.289 Einerseits drückt diese Kategorie also die Kontinuität der Familie aus, die Dauerhaftigkeit durch Wiederholung, dennoch wird die Verwendung der Kategorie im Entstehungsvorgang neu geregelt. Ab der dritten ›Grad‹-Position heißt diese Kategorie dann »Die drit Lini«, an die die durchnummerierte Darstellung des Kinderreichtums anschließt, »Herdegen Tuchers vnd Elsbeten Pfintzingin achzigk vrenigklein Mathesen Sawrmans vnd Anna Furerin achzehen Kinder«.290 Es folgt dann eine kommentierte Personenliste bis zur Nummer 240, bei der keine weiteren genealogischen Strukturangaben erfolgen. Scheurls eigener Sohn Christoff, geboren am 3. August 1535, wird eingehend dargestellt, »vberaus ein freundtlicher holtseliger schoner pub eins freidigenn hertzens als wolt er im nit gern Im maul vmbghin [sic!] lassenn, pete gernn, vnn Tranck weder wein noch pier, sunder allein Milich vnnd ein wening wassers bis er Zw funff Jarnn«. Die Darstellung des gut aussehenden und lebhaften Jungen, der sich nicht gern ›am Zügel herumführen‹ lasse, könnte zwar auf emotionale Nähe schließen lassen, jedoch besteht zu solchen methodisch schwierigen Annahmen kein Grund. Auf der Ebene der Rhetorik der Lebensschreibung eines Kindes ist eher der offenbar als möglich erachtete Alkoholkonsum im Kindesalter interessant. Scheurl instrumentalisiert seine Darstellung für den sozialen Aufstieg seiner Familie, wobei er ohne Selbstaussage vorgeht und von sich selbst 286 287 288 289

Ebd., fol. 25r. Ebd., fol. 30r. Ebd., fol. 10r. »gradatio Da das nachuolgig anfacht wie das vorder sich endet«, http://diglib.hab.de/ drucke/n-77 – 4f-helmst-2/start.htm?image=00070 sowie »Gradatio, Ein gestalt der rede/ da man das nachgendig anhebt wie dz vorder außgange¯ ist. […] Gradatim aduer. Gem[ä]chlich/ ordenlich nach einander«, http://diglib.hab.de/drucke/n-77 – 4f-helmst-2/ start.htm?image=00164 [Zugriff 7. Oktober 2009]. 290 StadtBN Amberger 48 Nr. 53, fol. 35r.

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als »seinem vatternn« spricht und – unter Nennung des berühmten Studienorts – auch von einer den Sohn betreffenden Voraussage berichtet: [Diesem, Christoph Scheurl] wurd im Julie Jar 1500 Zw Bononien pronosticirt, er solt in der Jugent Arm sein, im Alther reich werdenn vnnd einenn shun vberkummern der zw grossenn dinngenn gelanngen vnnd viell leuttenn ehrlich sein wurd, der güttig herr gott verleich Jorgenn vnnd Christoffen seinenn gotlichenn segenn vnnd gnad das sie gros werdenn in getrewer vhleissiger haltung siener gotlichenn gepot, So wirdet Inenn ann eherenn vnnd gutt nit mangelnn[.]291

Die auf »eherenn vnnd gutt«, Status und materiellen Reichtum bezogenen Ausführungen markieren Scheurls sozialen Anspruch und beabsichtigen damit, wie eine selbsterfüllende Prophezeiung zu wirken. Dem Schema der Familiengeschichte über Herdegen Tucher folgt auch das beigebundene Fürerbuch.292 In der Widmung erläutert Scheurl, bereits dem inzwischen verstorbenen Vater, dem »Erbarvesten Christoffen Fhürern, deinem lieben Vattern eherlicher gedechtnus«, eine Familiengeschichte gewidmet zu haben; dass Scheurl – nach offenbar 10 Jahren – eine neue Fassung vorlegt, ist ein Indiz für seine Rolle als historiographischer Dienstleister, der sich selbst Referenzen schaffen will. Scheurl wählt als genealogische Kategorie hier weder »grad« noch ›Linie‹, sondern an gleicher Stelle das Wort »Generacion«, wobei nur die erste und die siebte der insgesamt neun den lateinischen Titel »Generation« tragen.293 Nach jeder dieser Einheiten beginnt die Zählung der dargestellten Familienmitglieder neu, darunter auch die Ehefrauen und Kinder. Scheurl akzentuiert das Blühen des Geschlechts – mithin die ›Generation‹ dieser Familie – in besonderer Weise, er fügt in die Darstellung von »Christof Fhürer Christoffen Fhürers vnnd Katherina Im hoff Shun« ein Gebet ein, dass sich auf die Verstetigung der familiären Werte und des ›Stamms‹ bezieht: [D]er Barmhertzig herr got verleich Inen allen schon from Jung narhafftt menner weyber vnd viel wolgerathne Kinder Domit sie Ir allt erbar geschlecht lange Jar erhalten vnd noch weitter ausbreittenn vnnd manigfeltigen als die sandt kornner vnd das solich furderlich vnd bald beschech, damit inen nit begehen wie mir vnnd von Inen auch gesprochen werden, wer sein hairathen spart Ins alter vnnd das kleyben Ins Kalter der begind grosser narhait Zwo, Auff das sie sehen Ire kinder vnnd Enigklein vmb Iren tisch sthehen als die Jungen Öltzweiglein vnnd den Frid vber Israel Jhederman sprech Amen[.]294

Die Bitte dieses Gebets richtet sich auf eine Partnerwahl nach einem physischethischen Wertekomplex, »schon from Jung narhafftt«, dessen Sinn sich aus der 291 292 293 294

Ebd., fol. 57v. Ebd., fol. ab 71r. Ebd., fol. 78v, 83r. Ebd., fol. 87r.

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physisch-ethischen Reproduktion ergibt. Diese wiederum wird zwar den einzelnen Personen gewünscht, jedoch nicht in Bezug auf deren persönliches Leben sondern mit Blick auf die Entwicklung des Geschlechts. Dieses solle sich »noch weitter ausbreittenn vnnd manigfeltigen«, was in der unmarkierten biblischen Mengenbildlichkeit des unerschöpflichen Sandes ausgedrückt wird. Damit bezieht sich Scheurl auf seine Widmung, in der er das ganze Geschlecht hinsichtlich seiner ›Generation‹ in politischer und familiär-prokreativer Hinsicht als seinen historiographischen Gegenstand darstellt. Scheurl habe zeigen wollen, wie Ir Fhurer […] so heuttigs tags an lebenn bis in die Neunten generation, von einand[er] geporn vnd abgestigen seyt, vnnd ewer Burgerlich anwesen woll ob zweihundert Jarn In Nürmbergk herbracht lehen vnd aigenne gutter gehapt, geerbt erkaufft, allerley gutterthatten geübt, krieg gepraucht, gepawet getrachte[t] anfechtung gehabt an der narung ab vnd auff genommen gehandelt, euch aus gotlicher fürsichtigkait Reichlich vnnd woll gepessert, viel treffenlicher hayrat, vnnd mit Edeln, edeln, erbarn vnd den besten geschlecht[ern] getroffen, euch so weith befreundt, ausgepreitet vnnd gemenigueltigt habt, das die fürerisch freundtschafft heuttigs tags in viell weg nit die geringst in dieser loblich[en] stat ist.295

Die Existenz der Familie wird also in der linearen historischen Dimension der zählbaren Generationen, aber auch einer synchronen familiengeschichtlichen Ebene dargestellt; jederzeit mögliche Wandlungen des Glücks wolle Scheurl ebenso darstellen wie die Anhäufung von Kapital und Ehren, vor allem aber wie durch Verheiratungspolitik die Integration in die »mit Edeln, edeln, erbarn vnd den besten geschlecht[er]« gelungen sei. Die Aufzählung reiht nicht ohne Grund noch zwei Gruppen von Familien vor die »besten geschlecht[er]«, sondern verbindet damit eine Bewertung des Fürerschen Geschlechts, die sich auch in der – die Ehre der Fürer schmälernden – Einschränkung »in viell weg« und der rhetorischen Formel der verneinten Negation von »nit die geringst« spiegelt. Der hierdurch aufgezeigte soziale Aufstieg und ehrenmäßige Standort ist aber Teil des auch die biologische Prokreation einschließenden Generationsdiskurses, werden die Fürer doch charakterisiert als »weith befreundt [sc. verwandt sein mit], ausgepreitet vnnd gemenigueltigt«. Dieser – im Vergleich zum Geschlechterbuch für Herdegen Tucher – verstärkte Bezug auf den Generationsdiskurs könnte Antrieb für die Verwendung der genealogischen Kategorie »generacion«/»generation« gewesen sein. Hinsichtlich der genealogischen Komplexität handelte es sich bei der eigentlich nur diachronen Durchgliederung der aufeinanderfolgenden Generationen um eine gebräuchliche Art und Weise der Familiengeschichtsschreibung, die – so wird der Blick auf spätere Fassungen zeigen – im weiteren Laufe des 16. 295 Ebd., fol. 71r–71v.

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Jahrhunderts nicht mehr zur Anwendung kommt, während noch Geschlechterbücher um 1542 trotz stärkerer Systematisierungsversuche und Standardisierungsprozesse genealogischen Wissens an der rein vertikalen Durchgliederung der Vorfahren festhalten. Im Falle der Pfinzing schrieb ein anderer Familienzweig seine Geschichte und wählte dafür eine andere Anlage.296 So zeigt das um 1530 von Sebald IV. Pfinzing (»Sebaltt pfyntzing«, 1487 – 1543) angelegte »Pfinzingsche Stamm- und Wappenbuch«, dass eine Berücksichtigung der Töchter auch in exponierten repräsentativen Kontexten möglich war.297 Es handelt sich um einen großformatigen, mit Gold belegten Ledereinband, der zahlreiche Abbildungen von Wappen und Allianzwappen enthält. Die Darstellungen breiten vergleichsweise umfangreiche Informationen zu Einzelpersonen aus, wobei gelegentlich halbseitige Wappenabbildungen und eine einzige Porträtfigur vorkommen. Darüber hinaus wird die Rixnersche Turnierlegende wiedergegeben, eine identitätsrelevante und vergangenheitsgeschichtlich auf das Spätmittelalter ausgerichtete Geschichtsfiktion über Hochadelkontakte der jeweiligen Nürnberger Familie. In diesem Fall wird die Geschichtsfiktion mittelbar mit Quellenverweisen kombiniert; das Geschlechterbuch sei mit Hilfe von Urkunden entstanden. Will man die historiographische Operation des Quellenverweises bewerten, so kommt prinzipiell natürlich auch eine Quellenfiktion in Betracht. Das Buch zeigt die darstellerischen Spielräume von Geschlechterbüchern, denn ganz zu Beginn spricht der Verfasser in der Ichform von der materiellen Grundlage des Buchs; er gibt hier Hinweise auf Quellen, »zw merer beweysung soliche Brieff vnnd Sygel vnuersehert, alle bey meynen Handten«.298 Dennoch gehe es ihm nicht so sehr um Wissensspeicherung, sondern vielmehr um Wissenstransfer in ein neues Medium zum Zweck der Repräsentation. Allerdings ist dieses Buch unvollendet, wahrscheinlich fehlen auch erste Seiten, so dass die paratextlich fixierte Absichtserklärung nicht vollständig vor dem Hintergrund der in diesem Zeitabschnitt noch seltenen Bebilderung bewertet werden kann. In den gleichen 296 Es handelt sich dabei um die Lichtenhofer Linie der Pfinzing, eine zu Lichtenhof ansässige Hauptlinie, die sich wohl schon im frühen 14. Jahrhundert abtrennte, während eine andere Linie nach Schlesien abwanderte, die zu Marloffstein ab 1516, Henfenfeld ab 1530 usw., so dass die gegenseitige Kenntnis der Zusammenhänge erst einmal verloren ging. Das vorliegende Stammbuch beruht wahrscheinlich z. T. auf der Pfinzing-Genealogie im »großen« Konrad-Haller-Buch von 1533/36 im StAN, falls nicht umgekehrt. Dagegen bezieht sich das Pfinzing-Loeffelholz-Stammenbuch des Christoph Scheurl von 1526 – und darauf aufbauend der Stammbaum und die Ahnenfolge der Pfinzingbibel von 1568 – auf die Henfenfelder Linie. Erst das Geschlechterbuch des Georg Pfinzing von 1620 versuchte die Linien zusammenzuführen und den genealogischen Zusammenhang zwischen den beiden Hauptlinien darzustellen, laut freundlichen Hinweisen von Berthold von Haller. 297 Pfinzingsches Stamm- und Wappenbuch, [ca. 1530], StadtAN E 1/1255 Nr. 1. 298 Ebd., fol. 2r.

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Zeitrahmen fällt auch das »Scheurlbuch« (um 1542) selbst, das sich im ScheurlArchiv befindet, hier aber nicht herangezogen wurde.299 In diesen Zeitraum fällt eine weitere Fassung des »Scheurlbuchs« (ca. 1542),300 wie auch die »Beschreibung des erbern geschlechts der Zingel« (ebenfalls ca. 1542).301 In dieser Zeit ist ebenfalls eine Fassung des Tucherbuchs entstanden, die Fassung, für die Scheurl sein – über seinen Tod hinaus bis in die letzte Fassung 1590 beibehaltenes – Widmungsschreiben erstellt hatte. Das Vorhandensein dieser Widmung mag dazu geführt haben, dass die Forschung bisher ausnahmslos die in London liegende Fassung für die abschließende Scheurlsche gehalten hat; die falsche Zuordnung wurde konsequent tradiert,302 wobei die eigenständige Gestaltungskraft familiärer Geschichtsschreibung, die sich nach dem Tod Scheurls nach neuen Interessen ausrichtet, unterschätzt, jedenfalls aber nicht hinterfragt wurde. Die Fassung des Tucherbuchs von 1542 ist laut eines in der publizierten Forschung bislang noch nicht wahrgenommenen Provenienznachweises in die Vatikanische Bibliothek gelangt.303 Diese tatsächlich um 1542 entstandene Handschrift enthält eine konsequente paratextliche Gliederung die über eine bloß zeitlich angeordnete Liste dargestellter Personen hinausgeht. Die Illustrationsweise ähnelt im Stil dem Ehrenbuch der Fugger :304 Ehepaare werden als typisierte Kostümfiguren mit den Wappen ihrer Familien abgebildet. Der Band beginnt mit einem Index (»Register über das Tucherbuch«), der eine Gliederung bis zur »Generation« aufweist und alle behandelten Personen nach aufsteigenden Seitenzahlen verzeichnet. Diese Anordnung beginnt mit dem ältesten bekannten Tucher und schreitet bis zur Gegenwart des 16. Jahrhunderts fort, wobei eine »Generation« eine Ebene in einem offenbar zu Grunde liegenden grafischen – aber in der Forschung und Archiven unbekannten –305 oder grafisch imaginierten stammbaumartigen

299 Christoph von Scheurl, Scheurlbuch/ Collectaneenband B, Scheurl-Archiv, GNM. 300 Christoph von Scheurl, Scheurlbuch/ Collectaneenband Ab 274/284, Scheurl-Archiv, GNM. 301 Christoph von Scheurl, Beschreibung des erbern geschlechts der Zingel 1383 – 1542, Hs. 6972a, GNM, 1542. Hinweis und Transkription stammen von Barbara Rothbrust, der ich dafür danke. 302 So noch zusammenfassend mit allen Nachweisen in Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten, 102 – 108. 303 Vgl. Hans Tietze, Die illuminierten Handschriften der Rossiana in Wien-Lainz, Leipzig 1911, 19 mit Figur 26 (21). Den Hinweis auf diesen Katalog verdanke ich Franz Fuchs, der mir auch die Quelle zugänglich machte. Birgit Studt danke ich für die Vermittlung. 304 Christoph von Scheurl, Tucherbuch, Ross. 546, Bibliotheca Vaticana (im Folgenden »Tucherbuch Rom«). Vgl. zum Ehrenbuch die folgende detaillierte, in Bezug auf die erzielten Ergebnisse wohl abschließende Studie: Rohmann, Ehrenbuch. 305 So Auskunft des Stadtarchivs vom 19.06.2009, die sich auf die in Frage kommenden Bestände StadtAN E 29/II (Tucher/Gesamtgeschlecht und Jüngere Linie) und StadtAN E 29/IV (Tucher/ Ältere Linie) bezieht. Dort finden sich spätere Stammbäume und genealogische

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Schema bedeutet.306 Der Index weist für diesen ›impliziten Stammbaum‹ sozusagen neun Ebenen unter der Bezeichnung »Generation« aus. Scheurl schreibt seine Familie eher beiläufig in das Patriziergeschlecht ein, indem er sowohl »Helena Tucherin Christoffen Scheurls eewirttin« als auch darauf folgend »Christoff Scheurl Helena tucherin sein eewirttin[sic!]« kurze Einträge widmet.307 Unter dem Titel »VorRed Inn das Tucherbuch« folgt die aus der letzten Fassung bekannte Widmung Scheurls, mit ihr beginnt auch die originale Paginierung. Bevor der schematisch nach Kapiteln wie »Die Erst Generatio [sic!]« und »Die dritt Generation« gegliederte historiographische Inhalt beginnt, folgt noch der ebenfalls in der letzten Fassung 1590 beibehaltene Bericht über »Wolff vnd Sigmundt die Tucher«, der die Rixnersche Turnierlegende wiedergibt.308 Auch in dieser Fassung des Tucherbuchs sind noch die Töchter mitberücksichtigt. Ihre Heiratspartner werden prominent unter eigenen Unterüberschriften mit aufgenommen, wobei Scheurl offenbar auch seine Materialsammlung beispielsweise zu den Fütterer einarbeiten konnte. Bei seiner Arbeit konnte Scheurl offenbar von einem umfassenden Vorrat ahnenforscherlicher Daten ausgehen und diese dem Anlass gemäß neu kollationieren.309 Scheurls Geschichtsschreibung soll jedoch nicht im Rahmen eines langsamen Professionalisierungsprozesses gesehen werden, sondern als Handlungsobjekt gemäß mit dem eigenen sozialen Aufstieg verbundenen Handlungsabsichten.310 Auffällig ist auch, dass die Tucherschen Familiengeschichten um 1542 immer seltener von einzelnen Vertretern der Familie – vor allem nicht mehr in der IchForm – geschrieben wurden. Autobiographisches Schreiben fand bald in gat-

306 307 308 309 310

Aufzeichnungen, jedoch kein Stammbaum, der dem in Aufzeichnungen der Familienstiftung nachweisbaren Produktionsdatum 1599 entsprechen könnte. Hierhin gehende Nachfragen beim Stadtarchiv im Jahr 2009 blieben ergebnislos. Tucherbuch Rom, fol. 88r, 90r. Tucherbuch Rom, fol. 5v, 14r, 2v. Vgl. zu den zu Grunde liegenden Materialien Kirchhoff, Gedächtnis in Nürnberger Texten. Es wäre zu überprüfen, ob familiäre Aufzeichnungen nicht immer mehr ihre rechtliche Überlieferungsfunktion verloren, die die frühen Verzeichnisse von Besitzständen und Stiftungen besessen hatten. Diese Funktionen könnten gegen Ende des Mittelalters immer stärker von der städtischen Schriftlichkeit in öffentlichen Einrichtungen übernommen worden sein und Familiengeschichten für die historiographische Selbstbeschreibung freigegeben haben, vgl. für möglicherweise paradigmatische italienische Beispiele Christof Weiand, Libri di famiglia und Autobiographie in Italien zwischen Tre- und Cinquecento. Studien zur Entwicklung des Schreibens über sich selbst (Romanica et Comparatistica. Sprach- und literaturwissenschaftliche Studien 19), Tübingen 1993, 12 – 16. Die historische Dimension von der eigenen Familie wurde im 15. Jahrhundert daher bereits intensiv reflektiert, was auf das prinzipielle Sinnpotential schließen lässt, vgl. die hochartifiziell literarisierten Dialoge über normative Handlungsanleitungen der Familienmitglieder und des Geschlechts als ganzem in Leon Battista Alberti, Della Famiglia/Vom Hauswesen, München 1986.

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tungsmäßig neu bestimmten, separaten und formelle Eigendynamik entwickelnden Texten statt.

1.7.4 Männliche ›Generation‹ in der Geschichtsschreibung familiärer Autorschaft in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Nach 1542 entstandene Geschlechterbücher werden zu einem dritten Entwicklungsschritt zusammengefasst, der annähernd das letzte Drittel des 16. Jahrhunderts umfasst. Zunächst ist die heute in London liegende Fassung des Tucherbuchs (im folgenden »Tucherbuch London«) zu nennen,311 die aber keineswegs eine Abschrift von Scheurls Arbeit ist und auch nicht in direktem Abhängigkeitsverhältnis dazu steht.312 Schon die Vorrede verweist auf das Jahr 1565, in dem bei einem Treffen der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung der Entschluss getroffen worden sei, vorliegendes Buch anzufertigen.313 Dieses Buch enthält keine Abbildungen, Nachträge gehen stellenweise über das Jahr 1565 hinaus, so dass das Problem der zeitlichen Eingrenzung der Bearbeitung – zu dem ein paläographischer Vergleich der Hände nur relative Bezugspunkte liefert – weiterhin besteht. Vor allem aber unterscheidet sich die Struktur des Buchs von dem Scheurls: Es handelt sich um die textliche ›Vorlage‹ des Tucherbuchs von 1590, wenn auch weitere Änderungen etwa im Bereich der Orthographie erfolgt sind. Scheurl wird bereits als Autor angesprochen, es wird über ihn und seine Augenzeugenschaft berichtet. Um zunächst jedoch im Zeithorizont dieser Fassung zu verbleiben, fallen Ähnlichkeiten mit der annäherend zeitgleich entstandenen Fassung des (allerdings illustrierten) Scheurlbuchs auf,314 das ebenfalls in einem separaten Band eingebunden war. In diesem Stadium der Geschlechterbuchproduktion war eine moralbezogene Vorrede offenbar ein Standard der Ausstattung, der sowohl in Familien des Patriziats als auch außerhalb davon gebräuchlich war. Diese Tradition begann mit dem Bartholomäus-Haller-Buch, in dem acht Voraussetzungen und Verhaltensregeln für den Aufstieg in den Adel formuliert wurden.315 Der Katalog im Scheurlbuch scheint eher präventive Absichten besessen zu haben; noch vor einem Abschnitt über die Nächstenliebe werden die Söhne unter der Überschrift »Hürrerey [sic!] vnd Eebrüch zuuermeiden« vor vorehelichem Geschlechts311 Mit dieser Bezeichnung soll die irreführende archivische Bezeichnung »1542«, die oft als Teil der Signatur für das Londoner Exemplar angegeben, vermieden werden. 312 Tucherbuch London [1565]; British Library London, Additional MS 19, 475 (bei Meyer zitiert als »British Library PSI 1840, Faksimile StadtAN E 29/VII Nr. 129«). 313 Vgl. das entsprechende Kapitel in dieser Arbeit, w. u. 314 Kleine Scheurlchronik. 315 Vgl. hierfür Bock, Die Chronik Eisenberger, 372.

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verkehr gewarnt, damit keine Pflicht zur Heirat entstünde, weil die Unvermählte »beschlaffen« worden sei (»Junckfraw schwechen«).316 Prinzipiell kann die katalogartige Vorrede im Scheurlbuch wohl auf die Vorbildfunktion – wenn auch vielleicht nur eines Konzepts – der Pfinzingbibel von 1568 zurückgeführt werden. Diese verwendet eine moralische Vorrede zwar nicht erstmals als einen Maßstab für die ›Gattung‹, muss diese aber doch etabliert haben und dadurch Distinktionsdruck auf die anderen Beispiele ausgeübt haben.317 Dort finden sich katalogartige Ausführungen zu den Geboten, die dem Ziel dienen, »Zuuorderst Sollen wir vnnsern getreuen Gott […] vber alle ding furchten, lieben vnd vertrauen vnnd vnns als neugeborne Kinder Gottes […] befleissigen Ime allein vestigclich anzuhangen«.318 Die predigtartige Ausführung geht über einen allgemeinen Gottgefälligkeitstopos hinaus und liefert theologische Interpretamente für die Familiengeschichte. Diese in Regeln, Gebote oder Ermahnungen strukturierten Vorreden divergieren hinsichtlich der Anzahl und Inhalte der Einträge. Möglicherweise aber beruhen diese Texte auf einer Auswahl aus den Geboten des Katechismus, dem sich ab 1500 besonders stark ausdifferenzierenden Bildmotiv der ›sieben Werke der Barmherzigkeit‹319 oder anderen teils historiographischen, teils ökonomischen Quellen.320 Der vielfältigen Empirie dieser ›Katalogvorreden‹ wird wohl am ehesten die Vermutung gerecht, dass die Auswahl zwar auch aus Nützlichkeitserwägungen stattfand, aber auch, um bewusst eine Unterscheidung von anderen Vorreden herbeizuführen. Noch im Pfinzing-Löffelholzschen Stammbuch wurden nur die in Familiengeschichten gebräuchlichen Ermahnungen angeführt, die Lebenden mögen im Spiegel der Ahnen ihr Leben ethisch reflektieren. Scheurl äußert, es sei meins bedunckens, einem yden e[h]rlibenden rayzung gebirt, in seiner vorelternn, erbare fustapfen zutretten, vnd so er in so langen Jarnn, keinen findet vberblieben sein, das er auch gedenck, dermassen in den Gotlichen gebotten zw leben, das er al stundt, zum sterben geschickt vnnd berayt, befundenn werde, das verhelf vnns seligklich der Almechtig Got, durch den gekreuzigten, seinen einigen sun, vnsernn liben herrnn vnnd

316 Kleine Scheurlchronik, fol. 3v. 317 Vgl. die Vorrede zum genealogischen Teil der Pfinzingbibel (Pfinzing-Archiv Großgründlach), von der Maria Deiters freundlicherweise Arbeitskopien zur Verfügung stellte. 318 Pfinzingbibel, Pfinzing-Archiv Großgründlach, fol. 2v. 319 Vgl. für die epochenübergreifende Konjunktur dieses Bildmotivs Ralf van Bühren, Die Werke der Barmherzigkeit in der Kunst des 12.–18. Jahrhunderts. Zum Wandel eines Bildmotivs vor dem Hintergrund neuzeitlicher Rhetorikrezeption (Studien zur Kunstgeschichte 115), Hildesheim u. a. 1998. 320 Gerade die europäische ökonomische Literatur bestand aus Verhaltensregeln, die zur Haushaltung eigentlich sekundär erscheinen könnten, vgl. für deutsche als auch für spätmittelalterliche Vorläufer Irmintraut Richartz, Oikos, Haus und Haushalt. Ursprung und Geschichte der Haushaltsökonomik, Göttingen 1991, 57 – 180.

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seligmacher, Jesum Christum, Vollendet im Monat Julii 1526 Christoff Schewrl doctor [eigenhändige Unterschrift]321

Der Vorredendiskurs hat sich also bis zur Pfinzingbibel hin verändert. Familiengeschichte zeige und ermutige demnach weiterhin zur Ausführung des göttlichen Willens auf Erden, dazu seien aber nicht nur die historischen Beispiele nachzuahmen, sondern auch die Gebote einzuhalten. Überraschenderweise entfällt im Pfinzingbuch der bei den Tucher so prominente Hinweis auf den Autor Christoph Scheurl, obwohl nachweisbar größere genealogische Anleihen bei der früheren Vorlage gemacht wurden.322 Die Gliederung des Scheurlbuchs erfolgt nach »Generation« im Sinne von Ebenen im Stammbaum, wobei jeder »Generation« dann auch die zu dieser Generation gehörigen Töchter beigefügt sind. Im Tucherbuch von 1565 (»Tucherbuch London«) werden ›Querlinien‹ in einem vertikal aufgebauten Stammbaum mit der grafischen Metapher »Stammlini« geordnet.323 Dieser Bezug auf eine graphische Darstellungsweise der Familiengeschichte hatte wahrscheinlich schon 1565 ein reales Pendant; denn die berühmte »Pfinzingbibel«, die ihren familiengeschichtlichen Stoff auch durch räumliche Integration in besonderer Weise im Bibeltext kontextualisierte, verfügte beispielsweise über einen separaten Stammbaum, der zur Zuordnung einer historischen Person konsultiert werden konnte und der visuellen Evidenzierung diente.324 Der Ahn in der untersten Zeile bildet dabei den Ausgangspunkt des Baumwuchses, so dass die Querlinien (»Stammlinien«) eine zuverlässige zeitliche Orientierung in den einander ablösenden Generationen bieten konnten. Die auch für ihre aufwendigen Bebilderungen berühmte Pfinzing-Bibel entstand 1568, also möglicherweise wenige Jahre nach dem Londoner Tucherbuch, und war 1570 noch in 321 Christoph von Scheurl, Pfinzing-Loeffelholz-Buch, 1526, StadtAN E 17/I, Depositum Frhr. Von Loeffelholz, B 3, Loeffelholz Stammbuch A, fol. 80v. 322 Die Ahnenreihe des Pfinzing-Loeffelholz-Buchs erweist sich als eine unmittelbare Quelle für die Ahnenfolge der Pfinzingbibel. Diese setzt zwar eine Generation später ein (bei Martin II. Pfinzing), kann aber die Vorfahren von dessen Frau nur 2 Generationen zurückverfolgen (Scherl/Diemin, Paur/Plasbelgin). Alle übrigen Ahnen sind Christoph Scheurls Verzeichnis von 1526 entnommen (auch die wenigen genealogischen Daten wie Heirats- und Todesjahr, weitere Eheschließungen etc. stammen von dort), das aber ab Nr. 128 (Hans Pfinzing 1343; bei Scheurl Beginn der 7. Lini) noch wesentlich mehr Personen nennt als die Ahnenfolge der Pfinzingbibel, die sich bei den letzten 3 Generationen auf jeweils 3 Paare beschränkt. Der »Spitzenahn« Bertold Pfinzing, Schultheiß zu Nürnberg (Nr. 1024), fehlt zwar in Scheurls Liste, er wird aber im selben Band auf Bl. 81 (»von der Pfinzing alter«) als Vater des Bertold Pfinzing (»saß auf der Vesten von des Reiches wegen«, Nr. 512) erwähnt. Für die Pfinzing-Genealogie hat Scheurl Ulman Stromers »Büchl« und die Nachfahren der Klara Schürstab 1 Seitz Pfinzing im Schürstabbuch von 1464 miteinander kombiniert und zum Teil ergänzt. Für diese Hinweise danke ich Bertold von Haller. 323 Tucherbuch London. 324 Stammbaum Pfinzingbibel, GNM.

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Bearbeitung, als das im Stadtarchiv Nürnberg befindliche »Geburtstam[m] Vnnd Genealogia/ deß alt herkom[m]enden Geschlechts/ Der Tucher« entstand (im folgenden »Tucherbuch 1570«).325 Dieses unvollendet gebliebene Geschlechterbuch beginnt mit einem unpaginierten Namensindex, der nach den Anfangsbuchstaben ordnet; darauf folgt die Widmung Christoph Scheurls von 1542 und eine nach acht Geboten geordnete moralisierende Vorrede, das Tucherwappen sowie der Rixnersche Turnierbericht.326 Der Index verwendet keine genealogische Bezeichnung, es werden sowohl Söhne als auch Töchter mit Ehepartnern aufgenommen, wobei ›Tucherväter‹ rot hervorgehoben werden. Der Darstellungsteil des Buchs ist nach 33 »Linien« durchgezählt, wobei diese Kategorie dem zu entsprechen scheint, was in der letzten Fassung des Tucherbuchs eine »Generation« genannt wird, nämlich ein Tuchervater.327 Die Kinder eines männlichen Tuchers, einer »Linien«, werden dann nach ihrem »grad« durchgezählt. Die dabei in Anschlag gebrachten sachlichen Kriterien und ihre bereits paratextliche Umsetzung – etwa durch Rubrizierungen im Index – sind neu, jedoch ist vor allem ein neues Bildprogramm eingearbeitet worden: Die Baumabbildung beispielsweise unter der Überschrift »Antzaigung des Driten Grads der driten Linea Hannsen Tuchers Genealogia« ist ganzseitig;328 im unteren Teil der Seite wurzelnd, trägt der Baum auf Höhe des Erdbodens ein Wappen der Ehepartner und das Textfeld »Endres Tucher : Margret Baumgartnerin sein ehgemal«. Die Kinder wachsen als Früchte, an den Ästen sind ihre Wappen und die ihrer Ehepartner angebracht. Von dieser Darstellungsweise sind auch unverheiratete Kinder nicht ausgeschlossen, in diesem Fall taucht beispielsweise auch »Endres Tucher Cartheüser« mit auf. Diese Abbildungen werden relativ schematisch, mit geringen Differenzierungen in der Auswahl der Farben und Positionierungen – bei zu vielen Kindern auf der Doppelseite des aufgeschlagenen Buchs – ausgeführt, bis das Buch auf der Hälfte der bereits vorbereiteten und zusammengebundenen Blätter endet, bis auf wenige kursorische Eintragungen. Im fertig gestellten Bereich fällt jedoch eine gewisse ungewollt erscheinende Varianz der Bezeichnung in den Überschriften auf, so dass wohl von einem programmatisch intendierten, aber nicht konsequent durchdachten Geschlechterbuchvorhaben ausgegangen werden muss. Diese vorläufige Einschätzung und die Tatsache, dass keine Personen abgebildet werden, lassen 325 Vgl. Geburtstam[m] Vnnd Genealogia/ deß alt herkom[m]enden Geschlechts/ Der Tucher/ 1570 [im Folgenden »Tucherbuch 1570«, Verantwortung der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung, Eintrag »Tucherbuch-Vorarbeiten B3«], StadtAN E 29/III Nr. 15. 326 Tucherbuch 1570, zunächst unpaginiert, dann fol. 1r–7v. 327 So entsprechen einander etwa die »Zwaintzigiste Generation der Sechsten Stamlinien« (GTB, fol. 108r) der »20 Linea Sebalden Tuchers Plutstam[m]e[ns]«, Tucherbuch 1570, fol 75r. 328 Tucherbuch 1570, fol. 22r.

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darauf schließen, dass der Abbruch der Arbeiten eine Reaktion auf die in Nürnberg sicher bereits weit bekannte Herstellung der kunstvollen Abbildungen in der Pfinzing-Bibel durch den Künstler Jost Amman war.329 Dieser Verdacht wird dadurch bestätigt, dass für das in der Forschung häufig (ohne Verweis auf den m. W. einzigen Quellenbeleg des 17. Jahrhunderts) so genannte »Große Tucherbuch« ebenfalls Jost Amman engagiert wurde. Dieses Buch ist unter dem Kriterium des Systematisierungs- und Ausarbeitungsgrads ein Höhepunkt der Umsetzung von Tendenzen, die die gesamte Nürnberger Geschlechterbuchproduktion – wie auch die übrige Familiengeschichtsschreibung – prägten. Dieses Geschlechterbuch wird häufig, sogar in der verdienstvollen digitalen Faksimileedition, als von Scheurl verfasst oder an seine Texte angelehnte Fassung bezeichnet.330 Für die hier verfolgte Fragestellung ist das Verhältnis von kontinuierlicher Tradierung und umgestaltender Neuorganisation jedoch von zentraler Bedeutung. An dieser Stelle ist damit die Frage aufgeworfen, um welche Gattung es sich bei den vorliegenden Quellen handelt: um ein ›familiäres Selbstzeugnis‹, um Autobiographie, oder um Quellen, die eher für repräsentative Kontexte gestaltet wurden und die dementsprechend unter anderen Prämissen gelesen werden müssen?331 Grundsätzlich sollte statt einer allzu starren Gattungstypologie nach den Kriterien der Bebilderung, Patriziatszugehörigkeit, genealogischen Struktur, fiktiven oder nichtfiktiven Inhaltsgestaltung dieser Wissens- und Rechtswissenspeicher, doch eher die interpretativ zu ermittelnden, mit dem Buch verfolgten Absichten als Gattungskriterium gesehen werden.332 Nur durch die metasprachliche Trennung von den Quellenbegriffen (»Tucherbuch«, »Generation«) und der Reflexion der Begriffe älterer Forschung können familiengeschichtliche Werke verglichen und aemulative, agonale Zusammenhänge her-

329 Pfinzingbibel, Pfinzing-Archiv, Großgründlach, vgl. dazu Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 223. Zu Amman vgl. Wilhelm Schmidt, Amman, Host, in: ADB, Bd. 1, Leipzig 1875, 401. 330 Vgl. die Begleitinformationen auf GTB, unpaginiert. 331 Vgl. zu einer neuen Öffnung für die Fragen nach der Bedeutsamkeit von Geschichtsschreibung in der frühen Neuzeit die anregende Arbeit von Anthony Grafton, What was history? The Art of History in Early Modern Europe, Cambridge 2007 sowie das konsequent praxeologisch orientierte Forschungsprogramm, das dem folgenden Handbuch zu Grunde liegt: Studt, Geschichte schreiben. 332 Definitionsschwierigkeiten entstehen durch die Breite der empirischen Phänomene, ältere Forschungsbegrifflichkeiten und durch literaturwissenschaftliche Interessen vgl. Meyer, Hausbuch, bes. 12. Das familiengeschichtliche Schreiben könnte wohl auch stark von einer Forschungsperspektive profitieren, die Sprachgrenzen überstiege und historiographische Typen auf breiterer empirischer Basis, vor allem aber in größerer methodischer Ordnung als bislang herausarbeitete. Dies wäre im Grunde auch die Grundlage für eine Typisierung und wissenschaftliche Vergleichbarkeit des Materials.

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ausgearbeitet werden.333 Ein solcher Vergleich wird hier nur an Hand von Vergleichsbeispielen anderer Familien geleistet, etwa die archivisch derzeit noch nicht erschlossene, nur auszugsweise faksimilierte Familiengeschichtsschreibung der Familie Hertz.334 Die Ordnung des familienhistorischen Stoffes im Tucherbuch ist besonders elaboriert, so dass verschiedene Ebenen gleichzeitig den Stoff gliedern. Die offensichtliche Zählung der männlichen Familienmitglieder ist dabei im Kontext der Familiengeschichtsschreibung am wenigsten überraschend. Dagegen wird mit »Generation« keine Generation im heutigen Sinne von Alterskohorte bezeichnet, sondern vielmehr ein männlicher verheirateter Tucher mit Kindern; die ca. 46 »Generationes« werden ebenfalls durchnummeriert. Wie im Tucherbuch London werden neun »Stammlinien« gezählt, also Querschnitte in einem graphischen Stammbaum mit vertikaler Zeitachse. Diese Gliederung, die spezifische Verwendung des Wortes »Generation« und die ikonographische Umsetzung in den Bildern ausdrücklich und durchgehend vor jeder »Generatio[n]« 1590 sind Alleinstellungsmerkmale des Tucherbuchs in seiner letzten Fassung, die durch die Materialauswahl unterstrichen werden: Komplett auf große Bögen Pergament und in aufwendiger Kursive geschrieben, wird jegliches kunsthandwerkliche Detail der Illustrationen und der Einbandgestaltung genauestens geplant und der Fortschritt durch verantwortliche Mitglieder der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung penibel beachtet.335 Wie ein Blick in die Tradition der europäischen Stammbaumgliederungsschemata zeigen kann, ist die – im Kern mnemotechnische – Aufbereitung von einer »Generation« im Bild der durchrankten Ehefrau,336 unterstützt durch eine textliche (und durch Lesezeichen äußerlich am Buchschnitt ›greifbare‹) Indizierung. Hinzu treten zusätzlich offensichtlich manipulative Paratexte, darunter vor allem der Index, 333 Damit ist ein akutes Desiderat der Geschichtsschreibungsforschung im Allgemeinen angesprochen. Die damit formulierte Aufgabe ist hier jedoch nur im Ansatz aufzureißen. 334 Für eine Wiedergabe der Abbildungen aus der Hertzschen Familiengeschichte vgl. Ludwig Veit, Cor humanum. Das Herz. Symbol, Allegorie und Emblem, Nürnberg 1983, 9 sowie Gerhard Hirschmann/Franz Xaver Pröll (Hg.), 600 Jahre Genealogie in Nürnberg. Ausstellung der Stadtbibliothek Nürnberg anläßlich des 40jährigen Jubiläums der Gesellschaft für Familienforschung in Franken, Nürnberg 1961, unpaginiert. Diese Quelle ist – einschließlich eventueller ›Vorarbeiten‹, Studien oder anderer Fassungen – archivisch noch nicht erschlossen, vgl. demnächst evt. neuzugangene Bestände in StadtAN E 56, Familienarchiv der Ebner von Eschenbach. 335 Vgl. dazu 3.1.1 – 3.1.4 w. u. 336 Vgl. für eventuelle Vorbilder, Inspirationsquellen oder Abgrenzungsgegenstände die exemplarisch ausgewählten Abbildungen, darunter besonders die Darstellung des leiblichen Ursprung als Durchwachsen einer Person, in diesem Fall der Urvater im Stammbaum des Maximilian, oder auch die durchwachsenen Frauen in der »Nachkommenschaft Karls des Großen« (1493), in: Christiane Klapisch-Zuber, Stammbäume. Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde, München 2004, 94 f., 98 f.

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dessen Verschlagwortung identitätsrelevanten Inhalts eine innovative Weise der Sinnbildung ist. Diese Form wird nicht ausgeführt in einer Papierhandschrift von 1590, die teilweise aber bis 1701 fortgeführt wurde.337 Hierin findet sich bereits eine der Prachtversion von 1590 vergleichbare Vorrede, die vor allem in höherem Maße als die Vorrede der Pfinzingbibel homiletisch angereichert ist. Den kalligraphischen Ansprüchen der Prachtversion auf Pergament entspricht sie bereits in vollem Umfang, ist allerdings der Ausarbeitung nach in einem Planungsstadium verblieben, d. h. die Abbildungen sind erst skizzen- und umrisshaft vorgezeichnet.338 Auch Arbeiten dieses Abschnitts wurden zwar auf Charaktereigenschaften des als Autor angenommenen Scheurl und der dargestellten historischen Personen hin untersucht,339 dagegen fehlt eine quellenkundliche Synthese aller bekannten Geschlechterbücher. Frühere Arbeiten beziehen sich häufig noch auf falsche Signaturen, Verluste und Neufunde haben eine gewisse Unübersichtlichkeit hervorgerufen, teilweise durch das Fehlen eines systematischen, prinzipiell erweiterbaren und vor allem provenienzübergreifenden Quellenverzeichnisses über die Bestände öffentlicher und privater Nürnberger Einrichtungen. Die Folgen falscher Zuordnungen waren in diesem Fall zusätzlich schwerwiegend für die Interpretation. Einerseits folgte das Interesse an Nürnberger Familiengeschichtsschreibung lange bestimmten Prämissen, die im Sinne der alten Kulturgeschichte monumentale Manifestationen einer bestimmten Epoche interpretierten; das ›Gewordensein‹ solcher Geschichtsbilder ist hier das Auswahlkriterium, während weniger im Mittelpunkt – anders als bisher – etwa die Frage steht, welches der Geschlechterbücher am reichhaltigsten ausgestattet gewesen sei. Andererseits ist die Geschichtsschreibung, also die Herstellung von Vergangenheitserzählungen, wohl auch wegen der Verwechslung bestimmter Fassungen nicht in den Blick genommen worden: Insbesondere das Werk von Scheurl und daran anschließende Fassungen des Tucherbuchs bedürfen der 337 Die dem Findbuch nach vorhandene »Papierhandschrift des Großen Tucherbuchs«, StadtAN E 29/III Nr. 17, ist derzeit nicht benutzbar. Ich danke Dr. Michael Diefenbacher für die Bereitstellung von Abbildungen. 338 Für Möglichkeiten der Zuordnung in den Produktionsprozess vgl. bes. das Kapitel 3.1.3 w. u. 339 Die in Genealogien angegebenen Charaktereigenschaften lassen sich aber nicht deskriptiv lesen, vielmehr handelt es sich um durch und durch typisierte Legendendarstellungen, vgl. dagegen Pastenaci, Psychohistorische Aspekte der Autobiographie, 1 – 18. Für die Selbstbeschreibungen existieren literarische Muster und eine ausdifferenzierte Topik, deren Funktion nicht etwa die Einebnung persönlicher Individualität war, sondern die durch bestmögliche Erfüllung der Standards die ethische Individualität erst herstellte, vgl. die Beiträge in Thomas F. Mayer/Daniel Woolf (Hg.), The rhetorics of life-writing in early modern Europe. Forms of Biography from Cassandra Fedele to Louis XIV, Ann Arbor 1995.

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genauen Prüfung hinsichtlich ihrer Entstehungsdaten und Abfolge. Gerade die Frage nach der Geschichte des sinnkonstituierenden genealogischen Konzepts »Generation« bedarf im Grunde einer Quellengrundlage, die mehr als einen ›Höhenkamm‹ der Quellengattung reflektiert.340 Insofern wird die Quellenlage von der Fragestellung strukturiert, wobei der Erschließungsgrad der »Geschlechterbücher« und Familiengeschichten eine Grenze bildet. Die Quellenlage würde eine umfassende ›dichte Beschreibung‹ der Gattungsentwicklung, der ›Genealogie der Geschlechterbücher‹ (Hartmut Bock), schon in absehbarer Zeit ergänzungs-, und damit revisionsbedürftig machen.341 Die relativ isolierte Behandlung von Familiengeschichten wie dem Tucherbuch in seiner letzten Fassung überrascht umso mehr, als gerade die geschichtskulturellen (und -politischen, so eine weitere Arbeitshypothese) Aktivitäten der Auftrag gebenden Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung gleichermaßen architektonische Stiftungen, Rituale wie das Familientreffen »Tuchermahl«, als auch die schon vorher bestehenden historiographischen Repräsentationen bewahren, anregen und anstoßen. Im Spiegel dieser Förderung ist die Geschichtskultur also nie auf Geschichtsschreibung beschränkt, sondern immer auf verschiedene, mobile und immobile Medien im städtischen Raum bezogen. Die verschiedenen Repräsentationsformen der Tucher beruhen teilweise auf Mäzenatentum, aber sie erzeugen auch Bilder der Familie, die bestimmte zeitgebundene Werte betreffen. Die Tucher intensivieren ihre familiengeschichtliche Repräsentation spätestens seit den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, ihre Familiengeschichte wandelt sich mit jeder neuen Abfassung. Diese Überlieferung ermöglicht es, den Wandel des Geschichtsbildes im Spiegel seiner Ausdrucksformen zu skizzieren und behutsam generationengeschichtlich auszudeuten. Die Treffen der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung versammelten die männlichen Tucher und legten – auf das Alter der Teilnehmer bezogene – Kriterien für die geschichtskulturelle Beschäftigung fest, so dass dieses Organ als Ausdruck des 340 Dagegen war es in der Begriffsgeschichte gewollt und auch legitim, dass die Quellengrundlage vor allem dem ›Höhenkamms‹ entnommen war. Gerade diese Quellen zeigten einen reflektierten Wortgebrauch und seien daher besonders für die Fragestellung geeignet, vgl. Koselleck, Die Geschichte der Begriffe und Begriffe der Geschichte, bes. 3 – 6. 341 Diese Feststellung macht Synthesen zur Geschichtsschreibung einzelner Familien wie der Welser oder bestimmter systematischer Synopsen zur »Vorredenkultur«, Bebilderung etc. nicht weniger beeindruckend, vgl. etwa die Materialfülle in Bock, Die Familiengeschichtsschreibung der Welser, passim. Definitionsbemühungen sollten einerseits nicht mit dem – klassisch positivistischen – Argument kritisiert werden, das Material sei noch nicht hinreichend erforscht, denn jeder Zugriff auf Quellenmaterial kann stets nur eine Auswahl früherer und aktueller Fülle von historiographischen Realitätsvermittlungen sein. Andererseits ist der Erschließungs- (teilweise auch Bekanntheits)grad der häufig in Familienarchiven lagernden Quellen ein nicht zu verachtender Grund, Fragen nach der Gattung und deren eventuell linearer Entwicklung nicht vorschnell zu beantworten.

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›Familienwillens‹ angesehen werden kann. Davon ausgehend muss zwangsläufig gesagt werden, dass verschiedene Generationen ihre Geschichte unterschiedlich schreiben, wobei der zu einer Zeit ›übliche‹ Entwicklungsstand der Medien und Gattungen teilweise generationengebunden, teilweise eigendynamisch gewesen sein mag. In jedem Fall kann das Interesse von Teilen der älteren Forschung nur an den Höhepunkten der Familiengeschichtsschreibung kein legitimes Ziel der Beschäftigung mit diesem Material mehr sein,342 vielmehr muss die Entstehung und die Richtung der Veränderung zwischen verschiedenen Fassungen im Mittelpunkt stehen. Die davon zu erwartenden Ergebnisse liegen auf der Ebene der Darstellung von Geschichte, nicht notwendig aber auf der Ebene der genealogischen Erkenntnisse im Sinne der klassischen Grundwissenschaft. Die Unterschiede der Vermittlung von Geschichte sind am besten mit Methoden der Literaturwissenschaft aufzuzeigen, bspw. im Vergleich der verschiedenen hinzutretenden Verzeichnisse, Ordnungs- und Strukturbezeichnungen; der Vergleich verschiedener Vermittlungsformen ist im Grunde auch eine Problemstellung der Intertextualitätsforschung, vor deren Hintergrund das Schreiben und verändernde Neuschreiben von Geschichte als Handlung verstanden werden soll. Hinterfragt werden soll, ob reines Gegenwartshandeln überhaupt möglich war, oder ob nicht vielmehr stets ein Vergangenheitshorizont mitschwang. Dazu sind Anregungen verschiedener Disziplinen aufzunehmen und konstruktiv zusammenzuführen. So dienten scheinbar gegenwartsbezogene Quellen wie beispielsweise Porträts trotz aller Individualität der Darstellung doch als Zeugnisse eines familiären Erbes.343 Eine ähnliche geschichtskulturelle Dimension lässt sich auch in den so genannten ›Privatbriefen‹ erkennen, die im Familienarchiv systematisch gesammelt wurden. Zeitübergreifende Werte einen dieses disparat erscheinende Material, das aber von Erziehungsdiskursen durchdrungen ist und auf die Begründung familiärer Kontinuität abzielt. Für sich genommen, mithin aus dem geschichtskulturellen Kontext gerissen, konnten die Einzelheiten der Verhaltensvorschriften einer ›historischen Verhaltensforschung‹ Raum bieten.344 Diese Vorgehensweise hat ihre Berechtigung

342 Vgl. für diese Einschätzung auch Rohmann, Wissensproduktion und Wissensvernetzung, 87. 343 Zu dieser Bewertung historischer Porträts vgl. den grundlegenden und dichten Aufsatz von Hans Belting, Wappen und Porträt. Zwei Medien des Körpers, in: Martin Büchsel/Peter Schmidt (Hg.), Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, Mainz 2003, 89 – 100. 344 Diesen Ansatz verfolgt Mathias Beer, Eltern und Kinder des späten Mittelalters in ihren Briefen. Familienleben in der Stadt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung Nürnbergs (1400 – 1550) (Nürnberger Werkstücke), Nürnberg 1990.

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in der Erschließung der ›materialiter‹ in Briefen vermittelten Erziehung wie auch im Aufbau einer patrizischen Hochzeit im 16. Jahrhundert. Die hier verfolgte Fragestellung will die familiäre Überlieferung in Erinnerungsschichten strukturieren.345 So lässt sich etwa eine gesteuerte Archivbildung beobachten, die als Operation eines ›sozialen Gedächtnisses‹ verstanden werden kann.346 Die Überlieferung der Nürnberger Tucher ist daher unter dem einenden Aspekt zu untersuchen, mit welchen Mitteln und Intentionen die Vergangenheit historiographisch fixiert wurde. Zu zeigen ist, inwiefern die Handlungen und Repräsentationsformen patrizischer Familien wie der Tucher Teil einer umfassend als Zusammenspiel und Aushandlungsergebnis zu verstehenden historischen Geschichtskultur waren.347 Die Gedächtnisbildung ist am Schnittpunkt der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte städtischer Eliten, der Familiengeschichte, Historiographiegeschichte und Gedächtnisforschung, der Selbstzeugnis- und der Generationenforschung zu untersuchen, deren Forschungsstand und theoretische Positionen im Folgenden umrissen seien.

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In der Geschichtswissenschaft haben ›Generationenerzählungen‹ bereits vor der Soziologie Karl Mannheims eine lange Tradition, die wohl von ihrer vordergründigen Überzeugungskraft herrührt. Bereits Leopold Ranke schilderte die zur Zeit Friedrichs handelnden Köpfe als eine besonders für intensiven historischen Wandel prädestinierte Generationenkonstellation.348 Historischer 345 Die Begrifflichkeit von »Erinnerungsschichten« ist eine spätere Formulierung Kosellecks, die sich jedoch aus den grundlegenden Bestimmungen in Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft der Frühen Neuzeit. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/Main 1979, 17 – 38, speist. 346 Peter Burke, Geschichte als soziales Gedächtnis, in: Aleida Assmann/Dietrich Harth (Hg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt/Main 1991, 289 – 304. 347 Das Konzept von ›Geschichtskultur‹, wie es in der Historik gegenwartsbezogen formuliert worden ist, ist zu historisieren, auf vergangenes Vergangenheitsdenken zu beziehen und für die überlieferten Quellenbestände zu operationalisieren. Zur bisherigen Verwendung des Wortes ›Geschichtskultur‹ vgl. den anders angelegten Bezugsrahmen in Jörn Rüsen, Geschichtskultur, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (1995), 513 – 521. 348 Zu den geschichtsphilosophischen Annahmen, die mit der Generationensichtweise verbunden waren, vgl. Leopold von Ranke, Preußische Geschichte, hg. von Willy Andreas, Bd. 2, Wiesbaden/Berlin 1957, 412. Mit der Generationenbegrifflichkeit umschrieb Ranke einen teleologischen Geschichtsprozess, wie der folgende Ausschnitt zur »Generation« des Preußenkönigs zeigt: »Die Generation, welche Friedrich in dieser Zeit umgab, war eine der

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Wandel wurde vor Karl Mannheims klassischer Generationensoziologie, wohl in Anlehnung an Diltheys Hermeneutik, mit dem Anspruch beschrieben, eine bestimmte geburtsjahrgangsmäßige Kohorte verfüge über eine gemeinsame Erlebniswelt, auf Grund derer sie besondere Handlungsdispositionen aufzeige. Dennoch sollten Geschichtsprozesse nicht vorschnell mit Generationenwechseln und -konflikten identifiziert werden. Die gegenwärtige Generationenforschung scheint sich teilweise auf den nicht immer generationensoziologisch reflektierten aktuellen Sprachgebrauch zu beziehen, wenn dort Generationen als kulturelle Deutungsmuster349 bzw. als Gliederungsbegriff behandelt werden.350 Die Überzeugungskraft des Generationalitätsparadigmas sollte eher misstrauisch machen, denn neuere Perspektiven auf Generationalität demonstrieren, dass zwischen der Sicht der Akteure und den Erzählinstanzen, die Generationen zu erkennen vorgeben, unterschieden werden muss.351 Darüber hinaus sind auch frühere essentialistische Generationenanalysen zu historisieren, die beispielsweise die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte städtischer Eliten im Zeichen der Kategorien Karl Mannheims soziokulturelle Prägungen innerhalb von Alterskohorten ermittelt hatte.352 Was eine bestimmte Altersgruppe erlebt habe, bestimme ihre Zugehörigkeit zu einer Generationslagerung, zum Generationszusammenhang bzw. -bewusstsein und äußere sich in der Form einer bestimmten kollektiven Verhaltensäußerung der jeweiligen Generationseinheit.353 Als Gliederungsbegrifflichkeit für die Geschichte frühneuzeitlicher Kaufmannsfamilien sind Generationenmodelle stark von eher narrativ auszuwertenden Generationenschematisierungen belastet:354 Die Kaufmannsfamilie Fugger ist in einem Modell von dreischrittigen Generationenstufen interpretiert worden, das aus der Folge einer Etablierungs-, Affirmations- und Verfallsgeneration bestand. ›Gründerväter‹, geniale Führer und dekadente Adepten strukturieren das Bild der Fugger in der Studie von von

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geistesmächtigsten, die Norddeutschland jemals aus seinem Schoße hervorgebracht hat. Wie vielleicht die besten Generale der Welt, Münnich, der Marschall von Sachsen, der alte Dessauer und so viele andere Gefährten des Königs, Norddeutsche, so waren es die, auf denen die Regeneration der deutschen Philosophie und Poesie, die zum erstenmal hervorgehende Kritik und Altertumskunde beruhte. [Hvh. C. K.].« Bohnenkamp, Vom Zählen und Erzählen, 89 f. Jureit, Generationenforschung, 53 – 61. Bohnenkamp, Vom Zählen und Erzählen, 73, 77. Zum grundlegenden Artikel Mannheim, Das Problem der Generationen, vgl. Jureit, Generationenforschung, 20 – 25. Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, 335. Vgl. Götz Freiherr von Pölnitz, Das Generationenproblem in der Geschichte der oberdeutschen Handelshäuser, in: Karl Rüdinger (Hg.), Unser Geschichtsbild. Der Sinn in der Geschichte, Bd. 2 (Das Bildungsgut der Höheren Schule. Geschichtliche Reihe 2), München 1955, 65 – 80.

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Pölnitz.355 Die geschilderten Zeichen von Wandel werden inzwischen weniger stark gewertet, sondern neutraler als Pluralisierungsprozesse von angestrebten Karrieremustern geschildert.356 Ausgehend von der Position von von Pölnitz sollte eine generationengeschichtlich angelegte Untersuchung das Verhältnis von Quellenbasis und generationengeschichtlichen Interpretamenten kritisch reflektieren. Andererseits ist eine Generationengliederung prinzipiell auch nicht auszuschließen.357 Die Annahme, dass die Erinnerungskulturen der Tucher sich verschiedenen Generationen dieser Familie zurechnen lassen, kann durchaus eine Arbeitshypothese bilden. Diese Zurechnung soll aber nicht von den anderen Bedingungen ablenken, die ebenfalls für die Ausprägung der Geschichtsrepräsentationen von Bedeutung waren. Mannheim jedoch lehnte Zyklizität gesellschaftlicher Entwicklungen ab; seine Theorie basierte auf objektiven gesellschaftlichen Formationen. Historische Erfahrung konstituierte eine »Generationsentelechie«, die das generationenspezifische Verhalten berechenbar machte.358 Neben der Verwendung als – soziologisch konstituierte – Differenzierungssemantik wird »Generation« auch als ein historisches Konzept untersucht.359 Denn dabei handelt es sich in begriffsgeschichtlicher Perspektive um eine Kontinuitätssemantik, ein Übertragungskonzept von hoher Alterität. Im Verlauf der Vormoderne konnte »generatio« ein Deutungsmuster im Sinne von Hervorbringung, Übertragung und Identität sein.360 Taucht es in den Quellen auf, so ist einerseits Kontinuitätserzeugung ein grundlegendes Ziel des präsentierten ge355 Von Pölnitz’ Theorie wurde noch lange nach seiner Konstatierung kolportiert. Zum reichen wie problematischen Erbe der älteren Wirtschaftsgeschichtsschreibung vgl. Mark Häberlein, Die Fugger. Geschichte einer Augsburger Familie (1367 – 1650), Stuttgart 2006, 12 – 13. 356 Schwerpunktmäßig zu den Augsburger Führungsschichten vgl. Mark Häberlein, Sozialer Wandel in den Augsburger Führungsschichten des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, in: Günther Schulz (Hg.), Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2000 und 2001 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 25), München 2002, 73 – 96. 357 Allerdings ist das hier verfolgte Interesse schwerpunktmäßig auf die Geschichte des Konzepts bezogen, weniger auf die Verwendung von ›Generation‹ als Analyseinstrument. Als solches stünde ›Generation‹ aber selbstverständlich zur Verfügung, wie dominante zeitgeschichtliche Ansätze nur am Rande anerkennen, vgl. Bernd Weisbrod, Generation und Generationalität in der Neueren Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschehen 8 (2005), 3 – 9. Für eine Gegenposition vgl. etwa Ulrike Nagengast/Maximilian Schuh, Natur vs. Kultur? Zu den Konzepten der Generationenforschung, in: Hartwin Brandt/Maximilian Schuh/Ulrike Siewert (Hg.), Familie – Generation – Institution. Generationenkonzepte in der Vormoderne (Bamberger Historische Studien 2), Bamberg 2008, 11 – 29, http:// www.opus-bayern.de/uni-bamberg/volltexte/2008/151/ [Zugriff 22. Juli 2009]. 358 Für diese kritische Position vgl. Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, 337. 359 Sigrid Weigel, Die vergessene Geschichte des Generationskonzepts, in: Weigel, Generation, Tradition und Evolution, 107 – 144. 360 Parnes, Das Konzept der Generation, 21 – 39.

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nealogischen Wissens;361 derartige Reflexionen von Geschichte werden im Protestantismus intensiviert, weil Geschichte stets exegetisch erzeugt wird.362 Erfahrene Gegenwart wurde ›lesbar‹, erlangte einen »Bedeutungsüberschuss« und musste immer wieder zu einer neu aktualisierten Heilsgeschichte ins Verhältnis gesetzt werden.363 Diese Prozesse der rekurrierenden Auslegung waren konstitutiv für die protestantische Identität im späten 16. Jahrhundert. Ihnen muss in einer Untersuchung der historischen Semantik von »Generation« nachgegangen werden, die den semantischen Kontext bewusst weit ausdehnt, um die Auswahl des Wortes »Generation« und des dazugehörigen Wortfeldes als eigens neu eingeführte, herausgehobene genealogische Kategorie zu erschließen. Damit ordnet die Arbeit sich in die Erforschung der Historiographiegeschichte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit ein. Dieses Feld etabliert sich derzeit als Arbeitsgebiet neu und nimmt dabei ältere und aktuelle wissenschaftstheoretische Reflexionen auf.364 Die Form der Darstellung, die Ordnung des Wissens bestimmt dieses Wissen, zum Teil unter dem Einfluss unterschiedlicher Machtinteressen mit, so ließe sich ein Hauptgedanke der Wissensarchäologie und des ›neueren‹, kulturgeschichtlichen Umgangs mit Wissensrepräsentation formulieren.365 Die mediale Darstellung wird dann nicht mehr als ein sekundäres Phänomen aufgefasst, sondern ist selbst der Erkenntnisgegenstand, hinter dem nicht erst eine ›eigentliche‹ Realität zu finden wäre.366 Diese methodische Erkenntnis äußerte bereits Droysen, wenn er die Textualität und somit Vermitteltheit der Quellen der Geschichtswissenschaft charakterisiert: »[I]hre [sc. der Historie] ersten Materialien schon sind Abstractionen, sind nicht die Wirklichkeiten selbst, sondern eine subjective Auffassung, eine unendliche Umgestaltung derselben.«367 Obwohl die Grundüberzeugung schon in der klassischen Historik angelegt war, erleben die aktuellen Geschichtswissenschaften derzeit doch zahlreiche Neuperspektivierungen, die einerseits katalogartig verzeichnet werden,368 die andererseits aber auch auf ihre einenden

Kellner, Ursprung und Kontinuität, bes. 119 – 130. Sandl, Interpretationswelten der Zeitenwende, 44. Ebd., 32, 34. Vgl. Studt, Geschichte schreiben. Dem liegt maßgeblich eine Arbeit zu Grunde, vgl. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/Main 1974. 366 Vgl. den konzisen Beitrag von Loetz, Pragmatische Wende. 367 Droysen, Vorlesungen über Neuere Geschichte, 175. Droysen präsentiert hier kaum eine voraussetzungslose Wissenschaftstheorie, sondern richtet den Blick von früheren Vermittlungsformen von Geschichte auf die von ihm zu generierende wissenschaftliche Geschichtsschreibung der Zukunft. Die Reflexion der Modi von Geschichtsschreibung eröffnet somit den Blick auf ihre Textlichkeit. 368 Vgl. den Katalog in Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. 361 362 363 364 365

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wissenschaftstheoriegeschichtlichen Grundsätze zurückgeführt werden.369 Für die Historiographiegeschichte bietet das die neue Möglichkeit, die Quellen im Hinblick auf sprachlich-argumentative Erzeugung von historischem und traditionsorientiertem Sinn zu interpretieren, ohne dass die Ergebnisse einer konfessionsgeschichtlichen Perspektive lediglich eingeordnet würden.370 Wie zuletzt Barbara Schmid programmatisch andeutete, erzeugen zeit- und vergangenheitsgeschichtliche Quellen Erinnerungskulturen in der Form von Selbstbeschreibungen;371 diese Repräsentation wählen Aussagen über die Vergangenheit oder machen sich zugleich etablierte Maßstäbe des Schreibens über sich selbst und Individualität zueigen. Identitäten beruhen stets auf Überzeitlichkeit, so dass Kontinuitätsfragen von struktureller Bedeutung für Selbstbeschreibungen sind. Jeder Übergang von einer Generation zur nächsten schafft eine Übertragungssituation, so dass eine historiographiegeschichtliche Analyse das Schreiben von Geschichte als Handlungsprozess begreifen muss.372 Zu wenig berücksichtigt wurden Ansätze wie die der gemäßigt-narrativen Historik Paul Ricœurs, obwohl sie das Affiziertwerden durch die Vergangenheit als konstitutiv auch für historische Geschichtsschreibung annimmt.373 Gegenwartshandeln und Vergangenheitsdenken hängen demnach engstens zusammen, d. h. dass die Vergangenheit im Wahrnehmungshorizont einer (historischen) Gegenwart, vor allem aber in einer zeitgebundenen Form präsent ist. Eine historische Gegenwart konstituiert sich durch das Wechselspiel von »Erwartungshorizont« und »Erfahrungsraum«.374 Lediglich die Selbstzeugnisforschung hat inzwischen die Aufmerksamkeit von der Individualität und Ichbezogenheit autoreflexiver Sprachzeugnisse umgelenkt auf deren überindividuelle Bezüge.375 Aus dem Interesse an der Psychologie der Genera369 Diese Rückbindung ist übrigens in besonders konziser Form von einer theologischen Historiographiehistorikerin erfolgt, vgl. Clark, History, Theory, Text. 370 Vgl. die grundsätzlichen theoretischen Analysen in Sandl, Historie und Diskurs am Beginn der Reformation, 179 – 201. 371 Sandl, Interpretationswelten der Zeitenwende, 46. 372 Zum familiengeschichtlichen Umgang mit textlich-narrativen Bausteinen der Nürnberger Geschichtsschreibung in Hinblick auf Handlungs- und Repräsentationsziele vgl. Joachim Schneider, Humanistischer Anspruch und städtische Realität: Die zweisprachige Nürnberger Chronik des Sigismund Meisterlin, in: Rolf Sprandel (Hg.), Zweisprachige Geschichtsschreibung im spätmittelalterlichen Deutschland (Wissensliteratur im Mittelalter 14), Wiesbaden 1993, 271 – 316, bes. 280 – 284. 373 Paul Ricœur, Zeit und Erzählung, Bd. 3, Die erzählte Zeit (Übergänge. Texte und Studien zu Handlung, Sprache und Lebenswelt 18/III), München 1991, bes. 349 – 370. 374 Ebd., 371 – 389. 375 Diskurse konnten selbstzeugnisartige Darstellungen stark beeinflussen, vgl. Fabian Brändle/Kaspar von Greyerz/Lorenz Heiligensetzer/Sebastian Leutert/Gudrun Piller, Texte zwischen Erfahrung und Diskurs. Probleme der Selbstzeugnisforschung, in: Kaspar von Greyerz/Hans Medick/Patrice Veit (Hg.), Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500 – 1850) (Selbstzeugnisse der

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tionenbeziehungen arbeitete sich die Geschichtswissenschaft lange an der emotionalen Sprache der Briefe ab, während wohl für briefliche wie für historiographische Selbstbeschreibungen gleichermaßen eher die Handlungsspielräume etablierter stereotyper Sprachrepertoires ausgeleuchtet werden müssen.376 Die in Geschichtsschreibung und Geschichtskultur einfließenden Interessen lassen sich in textlichen und materiellen Medien untersuchen.377 Geschichtsschreibung folgte bis in die späte frühe Neuzeit einem Nützlichkeitsdenken und ordnete ihren Wahrheitsanspruch solchen pragmatischen Erwägungen unter, ja konnte ihre Gegenstände freier als andere Epochen modellieren, teilweise mit Ergebnissen, die ahistorisch »invented traditions« genannt werden können.378 Geschichtsschreibung konnte Identitäten Ausdruck verleihen, wie für städtische Chroniken der Reformationszeit gezeigt wurde.379 So rezipierte das Luthertum den Religionsfrieden als ein Schlüsselereignis seiner Konfession in verschiedenen Etappen.380 Personale Bindungen im Mittelalter müssen daher stets wechselseitig durch Vorgänge und deren Wahrnehmung erhellt werden.381 Dabei arbeitet die Generationenforschung mit einem Epochenkonzept von ›Vormoderne‹, die sich etwa von 1350 bis 1800 erstreckt; diese Positionierung wird von der

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Neuzeit 9), Köln/Weimar/Wien 2001, 3 – 34; Pierre Monnet, Reale und ideale Stadt. Die oberdeutschen Städte im Spiegel autobiographischer Zeugnisse des Spätmittelalters, in: ebd., 395 – 430. Vgl. etwa T. C. Price Zimmermann, Paolo Giovio and the Rhetoric of Individuality, in: Thomas F. Mayer, /Daniel Woolf (Hg.), The rhetorics of life-writing in early modern Europe. Forms of Biography from Cassandra Fedele to Louis XIV, Ann Arbor 1995, 39 – 62. Zum breiten Spektrum der Historiographiegeschichte vgl. Markus Völkel, Geschichtsschreibung. Eine Einführung in globaler Perspektive, Köln/Weimar/Wien 2006, für eine Darstellung mit geringerem Abstraktionsgrad vgl. Woolf, Historiography. Diese historische Kategorie trifft eigentlich alle Traditionen, Ursprungserzählungen und Herkunftslegenden, vgl. dazu Albrecht Koschorke, Zur Logik kultureller Gründungserzählungen, in: Zeitschrift für Ideengeschichte I/2 (2007), 5 – 12. Dennoch besitzt die Bezeichnung Erklärungskraft für die Unterscheidung verschiedener quellengedeckter oder legitimatorischer Absichten, vgl. daher Eric Hobsbawm, Das Erfinden von Traditionen, in: Christoph Conrad/Martina Kessel (Hg.), Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart 1998, 97 – 120. Vgl. Susanne Rau, Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas. Eine Reihe des Historischen Seminars der Universität Hamburg 9), Hamburg/ München 2002. Thomas Kaufmann, Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 29), Tübingen 2006, 392 – 412. Vgl. dazu die eingehende Berücksichtigung von historiographischen Quellen mit »faktographische[n] Inkonsistenz[en]« als Form der Repräsentation, Sinngebung und Geschichtskultur in Klaus van Eickels, Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt. Die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter (Mittelalter-Forschungen 10), Stuttgart 2002, bspw. 248 – 286.

Landes-, historiographie- und generationengeschichtlicher Forschungsstand

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aktuellen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte,382 wie auch von anderen, systematischen Gegenstandsbereichen verpflichteten Forschungsbereichen geteilt. Ein zentrales Feld der Historiographiegeschichtsforschung ist die Gattungsdefinition von familiärer Geschichtsschreibung. Die bislang bekannten Zeugnisse zeigen eine erhebliche empirische Vielfalt, die sowohl die Überlieferungsformen, die Ausstattung, die vergangenheitsgeschichtliche Berichtstiefe, die intendierten Leserkreis und – vor allem – die narrativ-textuelle Herstellungsart betrifft. Die Komplexität besteht schon für die Quellen einzelner Zeithorizonte, zusätzlich aber auch in diachroner Perspektive. So liegen Definitionen vor zu den Gattungen Hausbuch,383 Familienbuch,384 Geschlechterbuch,385 bebilderte Geschlechterbücher386 und Hauschroniken387. Diese Definitionsansätze beziehen sich auf verschiedene regionale Traditionen in verschiedenen Epochen und thematisieren die Übergängigkeit zu anderen ›Gattungen‹. Der methodische Weg der Typisierung im Sinne eines Weberschen Idealtyps wurde bisher nicht beschritten. Der Gewinn der anhaltenden Diskussion um Gattungsgrenzen ist, dass übereinstimmend die Sprachlichkeit, Narrativität und das Literarisierungspotential von Geschichtsschreibung bei der Wahl der Interpretationsmethoden in den Blick kommt. Im Rahmen dieser Untersuchung familiengeschichtlicher Quellen werden Formen der Repräsentation historischen Sinns auf die Mittel der Sinnerzeugung untersucht, ohne dass spezifische Einschränkung auf den Gegenstandsbereich der familiären Geschichtskultur vorgenommen werden. Dieser Stand methodischer Überlegungen bildet den Hintergrund für die Interpretation von Selbstaussagen in der familiären Geschichtsschreibung wie auch für die in Nürnberger Familienarchiven so zahlreichen brieflichen Quellen.388 Diese erscheinen stereotyp, bis zur Auswechselbarkeit, von Erziehungsdiskursen bestimmt. Die Überlieferung des Materials unterlag verschiedenen, genauer einzugrenzenden Filtern und Motivationen, die den Aspekt der Gedächtnisbildung berühren. Mit den Theorien des kulturellen Gedächtnisses,389 des sozialen Ge382 Michael North, Europa expandiert. 1250 – 1500 (Handbuch der Geschichte Europas 4), Stuttgart 2007, 1 – 12. 383 Vgl. Meyer, Hausbuch, 12. 384 Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 129 – 131 und 140 – 179. 385 Bereits die Grenzen der Bezeichnung reflektierend, schildert die empirische Breite Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, bes. 212. 386 Mehrfach in Arbeiten von Bock, zuletzt Bock, Die Familiengeschichtsschreibung der Welser, 108. 387 Gerhard Wolf, Von der Chronik zum Weltbuch. Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des späten Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 18), Berlin/New York 2002, bes. 23 – 47. 388 Die Briefe der Behaim als für die Nachkommen bestimmte Sammlung beschreibt vor allem Schmid, Deutsche Autobiographik, 93. 389 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, 29 – 48.

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dächtnisses390 und der Erinnerungsorte geht stets die Überzeugung einher, dass Erinnerung ein zeitgebundenes, potentiell generationengeschichtlich historisierungsbedürftiges Phänomen ist. Die Briefinhalte erscheinen dem heutigen Leser – vor allem bei Kenntnis ähnlicher Briefe – vertraut; diese gefährliche Nähe soll für die hier verfolgte Fragestellung im Sinne einer »ethnography of communication« problematisiert werden.391 Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte städtischer Eliten spielt ebenfalls stark in die hier zu untersuchende Geschichtskultur hinein. Zahlreiche Untersuchungen analysierten soziale und verwandtschaftliche Verflechtungsformen, die für Augsburger Führungsschichten besonders eingehend durchgearbeitet worden sind.392 Während frühere wirtschaftsgeschichtliche Arbeiten den Handel als solchen verfolgten,393 richten sich gegenwärtig historisch-anthropologische Fragestellungen immer stärker auf die Kulturgeschichte des Handels. So wurden die emotionalen Beziehungen zwischen Eltern und den im Ausland befindlichen Kindern,394 die den Kaufmannslehrlingen vermittelten Unterrichtsstoffe und Kompetenzen395 sowie Lebensstilfragen396 untersucht. Auch berufsstatusmäßige Wertschätzungen wie die Ehre des Kaufmanns finden immer stärker Beachtung.397 Der Forschungsstand im umrissenen Untersuchungsbereich des langen 16. Jahr390 Burke, Soziales Gedächtnis, bes. 289 – 292. 391 Vgl. Peter Burke, Introduction, in: Ders. (Hg.), The Social History of Language (Cambridge studies in oral and literate culture 12), Cambridge 1987, 1 – 20, bes. 3. 392 Vgl. für eine mustergültige Analyse familiärer Verflechtungen Katharina Sieh-Burens, Oligarchie, Konfession und Politik im 16. Jahrhundert. Zur sozialen Verflechtung der Augsburger Bürgermeister und Stadtpfleger 1518 – 1618 (Schriften der Philologischen Fakultäten der Universität Augsburg. Historisch-sozialwissenschaftliche Reihe 29), München 1986. Soziale Beziehungen nicht allein in ihrer positiven Wirkung, sondern dezidiert im ›Gegenlicht‹ ihres Ausfalls in der Krise betrachtet Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger. 393 So bspw. Kellenbenz, Nürnberger Safranhändler in Spanien. 394 Für diesen Interessenschwerpunkt vgl. Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern; Mathias Beer, »Et sciatis nos fortiter studere«. Die Stellung des Jugendlichen in der Familie des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Martin Kintzinger/Wolfgang Stürner/Johannes Zahlten (Hg.), Das Andere Wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, Köln/Weimar/Wien 1991, 385 – 407; Steven Ozment, Flesh and Spirit. Private Life in Early Modern Germany, Harmondsworth 1999. 395 Vgl. dazu Hanns-Peter Bruchhäuser, Die Berufsbildung deutscher Kaufleute bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Alwin Hanschmidt/Hans-Ulrich Musolff (Hg.), Elementarbildung und Berufsausbildung 1450 – 1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 31), Köln/ Weimar/Wien 2005, 95 – 107. 396 Für eine Fallstudie, die die Grenzen der Analysekategorien problematisiert, vgl. Häberlein, Sozialer Wandel in den Augsburger Führungsschichten, 73 – 96. 397 Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Gut vor Ehre oder Ehre vor Gut? Zur sozialen Distinktion zwischen Adels- und Kaufmannsstand in der Ständeliteratur der Frühen Neuzeit, in: Johannes Burkhardt (Hg.), Augsburger Handelshäuser im Wandel des historischen Urteils (Colloquia Augustana 3), Berlin 1996, 31 – 45.

Landes-, historiographie- und generationengeschichtlicher Forschungsstand

107

hunderts verlangt nach einer Synthese verschiedener Forschungsrichtungen und Ansätze, vor allem nach der besonderen methodischen Gewichtung der Sinnkonstitution durch das Zusammenspiel von Texten in verschiedenen Abfassungen, von Paratexten, Bildern und Gegenständen. Dieses Vorgehen wird von den überlieferten Quellen nahe gelegt.

2. Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen in der Spannung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft

2.1

Erzieherische Generationenbeziehungen im Zeichen von Kontinuitätssicherung

2.1.1 Einführung: Generationenkonflikte im Gegenbild eines Mahnbriefs Briefe sollten die familiäre Kontinuität sichern helfen. Die Jugendlichen wuchsen schon im Alter von oft nur 13 Jahren außerhalb ihres Geburtsorts auf, so dass kurz- und mittelfristig der Erziehungserfolg ein wichtiges Ziel war, das das Medium des Erziehungsbriefs hervorbrachte. Dazu wurden bei Konflikten zwischen Jung und Alt die Anlässe und die Mittel zur Bewältigung der Kontingenzen der Erziehung besonders deutlich zur Sprache gebracht. Die erziehungsbezogene Generationenthematik erlangt jedoch eine langfristige Bedeutung in der Gedächtnisbildung der Familie. Scheinbar tagesaktuelle Kommunikation unterlag detailliert dem familiären Wertsystem und wurde zudem zu Überlieferungszwecken im Familienarchiv gesammelt. Die Verbindung des im Folgenden untersuchten Materials mit dem familiären Gedächtnis kommt durch Normen und Werte zustande, die die Briefsammlung zum Bestandteil einer Geschichtskultur aufwerteten, ein Prozess, der durch die Briefbestände verfolgt wird. Einzelne Briefe sind zunächst inhaltlich zu erfassen, eingangs insbesondere die selten überlieferten Briefe von Leonhart Tucher (1487 – 1568) an seine Söhne während der Auslandslehre. Diese Briefe stehen daher einer systematisierenden Übersicht derjenigen erzieherischen Wissensbestände voran, die die kommunikative ›Normallage‹ der Briefe bildeten. Erst wenn diese Topik weiter unten katalogartig vorgestellt ist, lassen sich die behandelten Briefe aus dem Briefteil des Tucherschen Familienarchivs gattungsmäßig problematisieren. Eine auf den hier verfolgten Zweck hinzielende Typologie soll die bisher in der Forschung zu pauschal als zufällig, überrestartig qualifizierten privaten Briefe im Hinblick auf Textfunktionen differenzieren.

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Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen

Diesem Ansatz steht zunächst die Lektüre eines Briefes Leonhart Tuchers am 27. Juni 1560 an seinen Sohn Herdegen (1533 – 1614) voran, aus dessen folgender Passage maßgebliche Problemkreise und Fragekomplexe der vorliegenden Arbeit besonders gut abgeleitet werden können: [D]o nym das Exempell für die handtt wie es ytz mit paider orttell als das florentzius auch Seb[a]lt orttels seligen nach gelasne sunen gestallt ist vnd nit vill andern der gleichen mer also stett das sie nitt mer zu andern Erlichen sachen durffen kumen oder sehen lassen das volgt wan man der welt mit wolust der mossen nach henckt das man darin Erdringt vnd zu thornd wirtt[.]398

Tucher unterrichtet Herdegen an einem Beispiel. Die namentlich nicht genannten Söhne von Florentzius (†1556) und Sebalt Orttel [=Oertel] (†1552)399 haben durch ihr Verhalten eine berufliche Krisensituation herbeigeführt; sie haben das Vertrauen ihrer Kunden verspielt und sind selbst nicht mehr in der Lage, es wiederzugewinnen. Die Gefahr, es ihnen gleichzutun, besteht potentiell auch für andere, so die Argumentation, aber diese beiden seien besonders nachhaltig von den Folgen ihres Handelns beeinträchtigt. Die Brüder seien gesellschaftlich und beruflich isoliert, die ihrem Stand eigentlich zukommenden Kontakte stünden ihnen nicht zur Verfügung. Ihre Ehre habe Schaden genommen, und damit verbunden seien sie von »Erlichen sachen«, der standesgemäßen Soziabilität in einem allgemeinen Sinne, ausgegrenzt. Die Handelspraktiken unter den oberdeutschen Kaufleuten zielten zentral auf das Vertrauen unter den miteinander Handelnden, die sich gegenseitig Geld liehen und Informationen austauschten.400 Die beschriebenen Folgen müssen daher gravierend gewesen sein, war doch die Kaufmannsehre eine leicht zu beschädigende Form von sozialem Kapital. Stadtgesellschaften reagierten sensibel auf vorsätzliche Verfehlungen durch ausgrenzende Ehrenstrafen,401 wobei auch das dichte Beziehungsnetz der europäischen Kaufleute drastisch auf Störungen reagierte; auch 398 StadtAN E 29/IV Nr. 404. Hier auch die folgenden Zitate, sofern nicht anders gekennzeichnet. 399 Helene Burger, Nürnberger Totengeläutbücher, Bd. 3, St. Sebald 1517 – 1572, Neustadt/ Aisch 1972, dort Nr. 5582 und 4482. 400 Zu diesem sozialanthropologischen Konzept als der Grundlage des spätmittelalterlichfrühneuzeitlichen Fernhandels vgl. Craig Muldrew, The Economy of Obligation. The Culture of Credit and Social Relations in Early Modern England (Early Modern History : Society and Culture), 2001. Zum sozialen und geographischen Umfang der Vernetzung von Nürnberger Kaufleuten in Europa vgl. die Ausführungen in Lambert F. Peters, Strategische Allianzen, Wirtschaftsstandort und Standortwettbewerb Nürnberg 1500 – 1625, Frankfurt/ Main 2005. 401 Zu den drastischen, zur sozialen Ausgrenzung zur Verfügung stehenden Mitteln und legitimen Schmähpraktiken vgl. Matthias Lentz, Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmähbriefen und Schandbildern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (ca. 1350 bis 1600). Mit einem illustrierten Katalog der Überlieferung, Hannover 2004.

Erzieherische Generationenbeziehungen

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innerhalb von Familien und familiär geführten Handelsgesellschaften dominierten wirtschaftliche Überlegungen die verwandtschaftlichen Beziehungen.402

Abb. 4: Porträtmünze Florenzius »Orttell«, von Joachim Deschler (1534 – 1556), vgl. Florenzius Orttel, von Joachim Deschler (1534 – 1556), in: Georg Habich (Hg.), Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts. Geordnet nach Meistern und Schulen, 1. Band, 2 Hälfte, München, o. J., 175.

Die »Orttell« waren von hohem gesellschaftlichem Ansehen, verfügte doch ein Familienmitglied namens Florenzius Orttel, das mit dem erwähnten »florentzius« nicht notwendigerweise übereinstimmt, über die gezeigte Porträtmünze.403 Der Grund des beispiellosen Abstiegs der Brüder ist der Angelpunkt des gesamten, sehr langen Briefes. Die Söhne hatten sich einseitig an ihren Affekten orientiert. Das sei zwar prinzipiell erlaubt und unschädlich, sie aber hatten sich der natürlichen Tendenz der Körperlichkeit und »wollust« in einem zu großen Maße hingegeben, ihre Ehre wird »der mossen« zerstört. Die dieser Einschätzung zu Grunde liegende Überzeugung ist eine erzieherische Polarisierung. Während die Folgen von Affektsteuerung durch Erziehung 402 Zu diesem Befund gelangt am Beispiel der Augsburger Familie Weyer Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, 338 – 391. 403 Zum kulturellen Kommunikationswert von Proträtmünzen vgl. die Abbildungen in Paul Grotemeyer, »Da ich het die gestalt«. Deutsche Bildnismedaillen des 16. Jahrhunderts (Bibliothek des Germanischen National-Museums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte 7), München 1957 sowie die Nachweise in Ulrich Pfisterer, Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008.

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Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen

und Selbstkultivierung den Belehrungen im übrigen Brief vorbehalten bleiben, werden die Folgen von freiem, haltlosem Vollzug des Lebens am Maßstab der eigenen unbestimmten, wirkmächtigen Emotionen mit den Worten beschrieben, »das man darin Erdringt vnd zu thornd wirtt«. Darin kommt der irreparable Verlust der Ehre der Brüder zum Ausdruck, eine Ausschließlichkeit, die den Wollüstigen möglicherweise nicht selbst bewusst war. Die Torheit war im 16. Jahrhundert jedoch auch durch religiöse Diskurse bestimmt,404 die im väterlichen Vorwurf anklingen. Die Trennung zwischen ›äußerem‹ und ›innerem‹ Menschen, zwischen sozialer Rolle und emotional reagierendem Wesen war während der Auslandslehre ein wichtiges Element des individuellen Lebensvollzugs.405 Trotz großer Gichtschmerzen, dies freilich der podagra-Topos der zwar an Gicht leidenden, aber trotzdem schreibenden Humanisten, habe Tucher wegen der gegenwärtig problematischen und irreführenden Zeitläufte dem Sohn schreiben wollen, um vill vnd offt mal allerley ErInerung pey der ytzigen vngezogne[n] welltt hinein schreiben so will doch palltt vergessen wern, vnd das vnwessen gegen gott noch der welt nit mer gefarhtt noch zu hertzen genomen[.]

Der Tod der alten Orttel war eher beiläufig, zur Identifikation der beiden Söhne, erwähnt worden. Leonhart schien lediglich sichergehen zu wollen, dass Herdegen sich an das Beispiel der Orttels erinnert. Dennoch legt sein Brief die Zentralität der Vaterrolle bei der Erziehung nahe, mithin die strukturelle Parallelität der erzählten Situation und des Handlungsbedarfs im Jahre 1560 gegenüber seinem inzwischen weit über 20 Jahre alten Sohn. Seine Rolle sieht er in der »ErInerung pey der ytzigen vngezogne[n] welltt«, d. h. er sieht die Notwendigkeit der Aktualisierung und Affirmierung von Werten, die die von Wandel, ja Verfall von ethischen Werten »gegen gott« und gegenüber der »welt« geprägte Gegenwart vergessen lasse. Die Wahrnehmungsweise erscheint hier generationenbezogen vorstrukturiert. Gerade dieser Topos erreicht durch seine unspezifische Erscheinungsweise die erzieherische Applizierbarkeit. Gleichzei404 Vgl. die für das hier verfolgte Erkenntnisinteresse noch immer grundlegenden Stellensammlungen in Adda Schöningh, Der intellektuelle Wortschatz Luthers in den paulinischen Briefen des Septembertestaments, Emsdetten (Westf.) 1937. In der lutherischen Anthropologie konnte der Mensch seine eigene Situation und sittliche Erfordernisse mit dem Herzen erkennen. Der so erlangten Weisheit stellte Luther die Torheit als ihr Gegenteil gegenüber. In seiner Übersetzung des 2. Korintherbriefs bezieht Luther Torheit auf das »Sich-Selbst-Rühmen«, Selbstzufriedenheit und Ignoranz gegenüber den Heilsbotschaften des Evangeliums. 405 Die umfangreiche Forschungsdiskussion von Elias’ überhellender Theorie des Geschichtsprozesses in anthropologischer Perspektive beurteilt kritisch Gerd Schwerhoff, Zivilisationsprozeß und Geschichtswissenschaft. Norbert Elias’ Forschungsparadigma in historischer Sicht, in: Historische Zeitschrift 266 (1998), 561 – 605.

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tig eröffnete sich auch ein Ausweg für den Beschuldigten, der nunmehr sein Fehlverhalten der Umwelt und den Zeitläuften anhängen durfte. Vor allem aber musste Herdegen verstehen: Das Schicksal der Orttel werde ihn nicht treffen, solange er den Vater noch habe und seinem Rat folge. Bisher hatte er sich dem durch den Vater verkörperten Vermächtnis jedoch deutlich widersetzt und Fehler gemacht, wie die Mängelliste des Briefes belegt. Hatte er darüber hinaus, wie der Vater schreibt, auch noch eine erziehungskonforme Haltung brieflich angedeutet und den Vater getäuscht? Doch könnte es sich um erzieherische Ironie handeln, wenn Tucher bemerkt: »[I]ch her gern aus deinem schreiben das du mein vetterlich und treuliche warnung zu danck annymst mit vermeltn du wolst gott teglich anrueffen dich vor allen so dir vbel anstett wolle bewarn«. Frömmigkeit und Gottvertrauen setzt der Vater mit der Geltung seiner eigenen Position ineinander, eine Figuration, die relativ stereotyp und zeitgebunden war.406 Der Vater polarisiert narrativ, bestimmend für den ganzen folgenden Brief, einerseits seine eigene Position, die Frömmigkeit, die Affektmäßigung und Erziehungskonformität, andererseits die Vaterlosigkeit, die Gottabgewandtheit und die Unkultiviertheit der dem Menschen inhärenten Neigungen. Diese Grundunterscheidung durchzieht den gesamten Katalog, die Wiederholungen, Beispiele und Ermahnungen. An zentraler Stelle, als sich die nie wirklich als peripher bewerteten Verfehlungen des »zutrincken[s]« und der unstandesgemäßen Gesellschaft in Wiederholungen erhärten, spitzt Leonhart die Problematik weiter auf die Vater-Sohn-Beziehung in familiengeschichtlicher Perspektive, auf den Generationenwechsel zu: In kurzer Folge fallen Sätze wie »das ist zu mein[en] Zeitten [weder] von mir noch andern nit geprauch worn […] man mir zu mein Zeitt nitt gedultt noch gestatt hatt zu druncken […] ir habts Je von mi[r] nitt gesehen noch gelerntt […] will dich also noch vetterlich gewarnt haben[.]« Die Konstruktion einer ethisch höherwertigen Vergangenheit mag als erzieherischer Gemeinplatz angesehen werden, aber auch als solcher wäre die dahinter stehende Kritik an der Gegenwart bedeutsam. Vielmehr deutet sich gerade in der vom Lob der vergangenen Lebenswirklichkeit des Vaters beanspruchten Allgemeingültigkeit eine besondere Wirkkraft an, die sich im breiteren Erziehungsdiskurs der Zeit manifestiert. Stark ästhetisiert lassen sich an den Emblemata als einer im 16. Jahrhundert durch Einblattdrucke und Emblembücher verbreiteten Gattung analog zum hier geschilderten Fall deutbare

406 Für eine aktuelle Zusammenfassung der Deutungen von Vaterfiguren durch die Erziehungsgeschichte vgl. Sabine Andresen, Vaterbild und Männlichkeit, in: Dietrich Benner (Hg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Weinheim 2004, 1091 – 1107.

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Allegorisierungen von Generationenbeziehungen, Vaterfiguren und Bilder von der »gefährdete[n] Jugend« ablesen, das als Beispiel herangezogen sei.407 Die gattungstypisch simplistische ›pictura‹ zeigt einen Igel im Umland einer im Hintergrund an Kirchtürmen erkennbaren Stadt, um den herum Mäuse unbedacht und interessiert zu spielen scheinen. Die Tierallegorie auf die vermeidbaren, weil selbstgeschaffenen Gefahren junger Menschen, der mit dem arglistigen Igel spielenden Mäuse, wird in der Devise zunächst knapp wiedergegeben: »Zu sagen viel mit Wenig Wörtern/ So bleib/ o Jugend/ weg aus dunckeln örtern.« Das hier konstruierte Jugendbild verweist zentral auf ein Erziehungsbedürfnis junger Menschen. Damit sollte einer natürlichen Tendenz der Jugendlichen zu einer gefährlichen, außerfamiliären und in der Anspielung der ›pictura‹ auch außerstädtischen Soziabilität entgegengewirkt werden. Die Jugend sei ungeschützt vor den lauernden Gefahren, könnten junge Menschen den ihnen inhärenten Trieben nicht überlassen werden: »Lernt junge Leute/ lernt/ lernt dunckle Winckel schauen/ Ihr möget offenbahr euch ohn Gefahr erfreuen: Wofern ihr aber sucht und liebt die Finsterniß/ Ist das Verderben euch nur mehr als zu gewiß[.]« Das Jugendbild ist also kein einseitig negatives, sondern eher eine zur Legitimierung von Familie und Erziehung herangezogene Interpretation einer narrativ konstruierten Jugendkultur. Die intellektuell verfeinerte emblematische Literatur bildet jedoch vor allem eine Zuspitzung einer breiter rezipierten, fallspezifischen und durch dialogische Anlage unterhaltsamer gehaltenen Erziehungsliteratur, wie beispielsweise die Schwänke, Anekdoten und Romane des Colmarer Stadtschreibers Jörg Wickram (1505 – 1562).408 Sein »Knabenspiegel« verdeutlicht die in der Jugend typischen ethischen Probleme während der Abwesenheit vom Elternhaus und die Gefahren eines sozialen Abstiegs wie auch die Möglichkeiten eines sozialen Aufstiegs. Das Problem der Kontinuität über den Generationenwechsel hinweg, die Unwahrscheinlichkeit eines geglückten Übergangs der familiären Führungs- und Verantwortungsposition vom Vater auf den Sohn bilden den Grundakkord dieser 407 Die Mehrzahl der vielen hier einschlägigen Emblemata ist freilich auf unspezifisch viele Fälle applizierbar, was den literarischen Absichten dieser Gattung entspricht; als Fallbeispiele kommt das Emblem dennoch besonders in Frage, weil gerade die eher strukturell zu nennende Wissensform des Emblems eine Folie bildet, vor deren Hintergrund Aktualisierungen von Normen und deren spezifische Umstände interessant zu beobachten sind, vgl. Artur Henkel/Albrecht Schöne (Hg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1996, hier 596. 408 Jan-Dirk Müller (Hg.), Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten, Jörg Wickram, Knabenspiegel (Bibliothek der frühen Neuzeit 1), Frankfurt/Main 1990. Zu Wickrams Popularität vgl. die aktuelle Zusammenfassung bei Werner Röcke, Fiktionale Literatur und literarischer Markt: Schwankliteratur und Prosaroman, in: Marina Münkler Werner Röcke (Hg.), Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart 1), München 2004, 463 – 506.

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Literatur. Die Relevanz für reale Erziehungssituationen konnte die Forschung insbesondere für Wickram belegen, sein starker ›Sitz im Leben‹ spricht für einen hohen Grad an Vergesellschaftung der Inhalte.409 Leonhart Tucher konstruiert mit den beiden Orttels daher zwar narrativ ein passendes Beispiel aus der gemeinsamen Erfahrungswelt. Er hätte aber auch bei unverminderter rhetorischer Evidenz mit den Figuren des »Knabenspiegel[s]« argumentieren können, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts, wenige Jahre bevor der Brief geschrieben wurde, erschienen war. Die Spuren des allgemeinen Erziehungsdiskurses im Brief lassen eine einseitig auf den Briefinhalt gerichtete Interpretationsweise nicht berechtigt erscheinen.410 Vielmehr muss der Text des Briefes als eine zweckhafte Erzählung und Sprachhandlung gelten, die die biographische Vergangenheit zur Veranschaulichung des ohnehin etablierten väterlichen Primats heranzieht. Die Nähe des »Knabenspiegel[s]« zur Lebenssituation verdeutlicht, dass die Literaturgattungen Brief und Dialogliteratur in pragmatischen Kontexten standen und als wie dünn die Trennung zwischen beiden von den Zeitgenossen angesehen werden konnte.411 Analysen von Briefen zwischen Jung und Alt haben daher entschieden von einem breiten Literaturund Gattungsbegriff auszugehen.412 Die strukturell-plotmäßigen und die inhaltlichen Kongruenzen von Literatur und Briefen sind weiter unten deutlicher hinsichtlich des in beiden Gattungen vertretenen Jugendbildes und der davon abgeleiteten Erziehungsbedürfnisse und -mittel herauszustellen. Im Folgenden soll der vorgestellte Brief zu anderen Mahnbriefen ins Verhältnis gesetzt werden,

409 Elisabeth Waghäll Nivre, Facts or Fiction: Reading and Writing in Early Modern Popular Literature, in: Mary Lindemann (Hg.), Ways of Knowing. Ten Interdisciplinary Essays, Boston 2004, 67 – 84. Sprachpragmatisch-narrative Ansätze für die historische Briefforschung bietet Teuscher, Bernische Privatbriefe, bes. 384 f. 410 Eine solche gegenstandsbezogene Lesart bietet allerdings eine auch für Quellen der Frühen Neuzeit überraschende Anschaulichkeit, tauchen doch in Briefen von Familienmitgliedern zahlreiche interessante, teils vertraute, teils fremde Einzelheiten auf, wie die kommentierten Teileditionen Ozments gezeigt haben, vgl. zuletzt Steven Ozment, Flesh and Spirit. Private Life in Early Modern Germany, Harmondsworth 1999. Diese verdienstvollen Arbeiten sind ein hervorragender Ausgangspunkt für generationengeschichtliche Fragestellungen. 411 Zur Diskussion der Gattungsgrenzen vgl. zusammenfassend Röcke, Fiktionale Literatur und literarischer Markt. Zur sich Fragen der Literarisierung öffnenden Briefforschung vgl. die Skizze in Körber, Der soziale Ort des Briefs im 16. Jahrhundert. 412 Zum breiten Literaturbegriff vgl. die Arbeiten des Mittelgermanisten Wehrli, der auch sogenannte Gebrauchstexte mit in den philologischen Gegenstandsbereich einschließt. Er überwand dabei zugleich die sonst übliche scharfe Trennung von Mittelalter und mit der Reformation beginnender Frühneuzeit zugunsten eines Übergangszeitraums. Diese Programmatik ist umgesetzt in Max Wehrli, Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter, Stuttgart 1980, spezifisch auf familiengeschichtliche Zeugnisse vgl. Wolf, Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken, 24 – 32.

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um eine methodische Perspektive für die Analyse der Erziehungskommunikation in den Briefen des Tucherarchivs zu erarbeiten. Auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung lassen sich die Erkenntnisse zu Untersuchungsgegenständen wie der Kaufmannsbildung, der Anthropologie und Briefforschung konstruktiv zu einer Kommunikationsgeschichte zusammenführen, die auf die Frage antwortet, was die untereinander in Briefkontakt Stehenden im Erziehungskontext taten, wenn sie Briefe schrieben. Damit ist eine Frage in den Raum gestellt, die durchaus nicht mit einer rein phänomenologischen Interpretationsmethode anzugehen ist.413 Der relationale Charakter brieflicher Kommunikation umfasst die Funktion der Briefinhalte und Ausdrucksweisen, daher ist der Brief im Spiegel seiner Konventionen fast schon zu einer Art von ›Scheinkommunikation‹ zu erklären. War ein Brief eventuell ein Zeichen in einem rekursiven Kommunikationssystem, das von Erwartungen und Erwartungserwartungen strukturiert war, die von metakommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten ›bedient‹ wurden? Diese Briefe sollen mithin gedeutet werden als Erziehungsmittel von Jugend als »geschichtlich eingeübte soziale Verhaltensweise«.414

2.1.2 Die Kommunikationssituation zwischen Jung und Alt während der Auslandslehre Die im Tucherschen Briefarchiv überlieferte Korrespondenz zwischen den Generationen ordnet sich in eine berufliche Standardsituation ein. Die im 15. und 16. Jahrhundert stark familiär strukturierte Wirtschaft verlangte es, dass die eigenen Söhne frühzeitig auf die Übernahme der Firma vorbereitet wurden.415 Die Beziehung des Unternehmens mit dem sozialen Verband der Familie und seiner Mitglieder (im Gegensatz zu auswechsel- oder vertretbaren Funktionsträgern und Angestellten) nahm vom 15. zum 17. Jahrhundert zwar an Intensität 413 Damit ist auch dezidiert von einer überholten Sittengeschichte Abstand zu nehmen, die in quellennahen Lektüren psychologische Erwägungen vollzog. Im Gegensatz dazu sind die Ergebnisse der soziologischen Emotionenforschung seit Goffman schwerpunktmäßig zu rezipieren. Für ein frühes Beispiel der expliziten Überzeugung, dass Emotionen stets von Medien, wenn nicht überhaupt stets von der Erinnerung vermittelt vorliegen vgl. Erving Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life, Middlesex 1959; diese Ansätze werden in der neueren, Mittelalter und Frühe Neuzeit kaum mehr trennenden Emotionenforschung aufgenommen in Rüdiger Schnell, Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung, in: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 38 (2004), 173 – 276. 414 Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, Frankfurt/Main 1979, 14. 415 Michael North, Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 59), München 2000, 25.

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ab, jedoch war diese Tendenz im 16. Jahrhundert noch nicht so weit vollzogen, dass die Ausbildung der Söhne davon erkennbar berührt gewesen wäre und eine Auslandslehre aus karrieremäßigen Gründen überflüssig gemacht hätte.416 Bei den Tucher war der Handel zwar auch auf das Reich und die nähere Umgebung Nürnbergs bezogen.417 Der Schwerpunkt ihres Engagements lag im Untersuchungszeitraum jedoch vor allem in Italien, Spanien, Frankreich, später dann auch in Genf. Als Ausbildungsorte wären zwar auch deutsche Orte wie Augsburg möglich gewesen, jedoch kam Lyon die Spitzenstellung zu.418 In diesem Oberzentrum fanden mehrmals im Jahr große Messen statt, die durch Privilegien der französischen Könige für deutsche Kaufleute besonders interessant waren. Dies zeigt sich auch daran, dass die den Habsburgern geschäftlich so eng verbundenen Fugger trotz der politischen Gegnerschaft ihrer Partner mit den französischen Königen durch Agenten auf den Lyoner Messen in ganz erheblichem Umfang präsent waren; in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts konzentrierten sich die Geschäftsaktivitäten nicht allein der Tucher auf Lyon.419 Das Funktionieren einer Firma an verschiedenen Standorten basierte vor allem auf Vertrauen, blieb doch auch bei bester Beobachtung und Kontrolle ein Rest an Unkontrollierbarkeit der für die Firma arbeitenden Faktoren durch räumliche Distanz erhalten.420 Durch ein umfassendes Informationsnetzwerk aus losen Kontakten, festen Korrespondenten und Agenten in Lyon sicherten die bedeutendsten Kaufmannsfamilien dieser Zeit421 einen informationsbezogenen Einblick in diesen wichtigen Markt,422 wo ihnen insbesondere die Präsenz des 416 Die These eines Wandels der Unternehmensstruktur fasst zusammen Reinhard Hildebrandt, Unternehmensstrukturen im Wandel. Familien- und Kapitalgesellschaften vom 15. bis 17. Jahrhundert, in: Hans-Jürgen Gerhard (Hg.), Struktur und Dimension. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag (Vierteljahreshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte), Stuttgart 1997, 93 – 110, bes. 99,110. 417 Im Unterschied zu den Fugger erwarben die Tucher nur zögerlich, mit kleinem Engagement und erst spät Beteiligungen an Gruben im Bergbau, vgl. Richard Dietrich, Untersuchungen zum Frühkapitalismus im mitteldeutschen Erzbergbau und Metallhandel, Hildesheim/ Zürich/New York 1991, passim. 418 North, Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit, bes. 32 f., 64. 419 Markus A. Denzel, Eine Handelspraktik aus dem Hause Fugger (erste Hälfte des 16. Jahrhunderts). Ein Werkstattbericht, in: Markus A. Denzel/Jean Claude Hocquet/Harald Witthöft (Hg.), Kaufmannsbücher und Handelspraktiken vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 163), Stuttgart 2002, 125 – 152, bes. 137. 420 Zur Zentralrolle von Vertrauen und seiner Implementierung in Wirtschaftsbeziehungen vgl. Tanja Ripperger, Ökonomik des Vertrauens. Analyse eines Organisationsprinzips (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaft. Studien in den Grenzbereichen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 101), Tübingen 1998, 199. 421 Die enge Verflechtung des oberdeutschen Handels erschließt umfassend Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, 79 – 96. 422 Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, 120 f.

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Nürnberger Finanzagenten Hans Kleeberger diente. Die Tucher richteten hier einen Sitz ihrer Firma ein, was Lyon zu einem bevorzugten Ausbildungsort machte. Für die oft mehrere Jahre dauernden Ausbildungsphasen bedurfte es eines hohen Grades an Institutionalisierung schon bei der bis zur Unterzeichnung eines Lehrvertrages oft mehrere Monate dauernde Suche nach Faktoren.423 Der große Aufwand und die Umsicht der Behaim, in Mittelosteuropa geeignete Lehrherren zu finden, gehen aus einer umfänglichen und teilweise ediert vorliegenden innerfamiliären Kommunikation hervor.424 Befürchtet wurde, erhebliche Honorare zu zahlen, während die Abhängigkeitssituation eines Lehrjungen ausgenutzt werden konnte. Die Lehrstellensituation war durch die konkurrierende Nachfrage von Kaufleuten aus ganz Europa bestimmt, denen kulturenübergreifend ein in Grundsätzen gemeineuropäisches kaufmännisches »Berufsbewusstsein« zugeordnet werden kann.425 Die europäische Dimension war im Fernhandel der frühen Neuzeit selbstverständlich, wie der in Nürnberg hergestellte Rechenpfennig des Rechenpfennigmachers Hans Krauwinckel zeigt. Er warb in deutscher Sprache mit seinem guten Ruf, »IN FRANCKREICH VND AVCH IN NIDERLONT […] BEKONT« zu sein, wichtigen Gebieten des Nürnberger Handels. Die zu untersuchende Kommunikationsform war grundlegend von der Kommunikationssituation und sich aus der räumlichen Entfernung ergebenden Bedürfnissen bestimmt, d. h. ohne kaufmännische Auslandslehre wären keine oder andere Briefe überliefert. Es handelt sich um einen Bildungsgang, für den im Untersuchungszeitraum von der erziehungsgeschichtlichen, anthropologischen und handelsgeschichtlichen Forschung übereinstimmend Kontinuität hervorgehoben wurde.426 Aus der Perspektive der aktuellen sozialgeschichtlichen Forschung ist dieses Bild hinsichtlich der beruflichen Leitbilder zu differenzieren. So war die Kontinuität der Familie im 16. Jahrhundert bereits durch immer stärker pluralisierte berufliche Leitbilder zu sichern, wie die neuere Forschung betont hat. Auch einer Kaufmannsfamilie 423 Beer, Eltern und Kinder des späten Mittelalters, 103 ff. 424 Vgl. Hanns-Peter Bruchhäuser (Hg.), Quellen und Dokumente zur Berufsbildung deutscher Kaufleute im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Quellen und Dokumente zur Geschichte der Berufsbildung in Deutschland. Reihe C, 4), Köln 1992. 425 Erich Maschke, Das Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Fernkaufmanns, in: Paul Wilpert (Hg.), Beiträge zum Berufsbewusstsein des mittelalterlichen Menschen (Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts an der Universität Köln 3), Berlin 1964, 306 – 336. 426 Die Ansicht, in der Ausbildung von Kaufleuten überwiege bis ca. 1550 die Kontinuität, kommt in der Anlage der Arbeiten von Beer [besonders Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern] und Bruchhäuser, Berufsbildung, zum Ausdruck. Für eine unveränderte Situation städtischer Jugendlicher allgemein und bis zur Frühaufklärung argumentiert Klaus Arnold, Familie – Kindheit – Jugend, in: Notker Hammerstein (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1, 15. bis 17. Jahrhundert, München 1996, 135 – 153, bes. 147.

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Abb. 5: Rechenpfennig von Hans Krauwinckel, Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, 18205916.

konnte es durchaus nützen, wenn ihre Söhne wichtige politische oder geistliche Ämter in der eigenen oder einer anderen Stadt übernahmen. So haben beispielsweise die Pröpste Sixtus und Lorenz Tucher starken Einfluss in Nürnberg gewonnen und durch ihre Stiftungstätigkeit das Tuchersche Wappen als Familiensymbol im städtischen Raum präsent gemacht.427 Lorenz Tucher errichtete sogar die tuchersche Familienstiftung, eine Institution, die wenige Jahre vor der Reformation den Grundstein für einen starken familiären Zusammenhalt durch regelmäßige Treffen bot. Seine Stiftung zeichnete langfristig verantwortlich für die Erinnerungsarbeit der Träger des Namens des Stifters und seines Geschlechts. Die Tätigkeit als Kaufleute konnte der Generation Leonhart Tuchers noch als eine grundlegende Sicherung des familiären Fortbestands erscheinen. Noch um die Mitte des 16. Jahrhunderts sicherte der Fernhandel der Tucherschen Handelsgesellschaft den Wohlstand. Der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung folgend hatten die Erfolge zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits ihren Höhepunkt überschritten, begannen Bankrotte von Handelsfirmen Probleme anzudeuten und ihrerseits auch selbst zu bilden. Neben endogenen Problemen des Wirtschaftssystems unterlag der Handel jedoch auch einem Mentalitätswandel. Die Tucher könnten dem Überlieferungsbild nach im 17. Jahrhundert große Teile ihrer Handelskorrespondenz zerstört haben,428 auch lassen sich distanzierende Bemerkungen zu ihrem angestammten Berufsfeld in der Familiengeschichtsschreibung erkennen. Dort 427 Dazu zusammenfassend Corinne Schleif, Donatio et Memoria. Stifter, Stiftungen und Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg, München 1990. 428 Vgl. zur Diskussion dieser Forschungsthese die Ausführungen in 2.5.4.

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wird erklärt, dass die ritterlichen Vorfahren der Tucher sich im Hochmittelalter in Nürnberg angesiedelt hätten und dann nur um der Sicherung ihres anspruchsvollen Lebensstandards willen Kaufleute geworden seien.429 Durch eigentlich bürgerliche Betätigungen wie Kauf und Verkauf habe die Ebenbürtigkeit mit dem (Land)adel gesichert werden sollen. Die im späten 16. Jahrhundert deutlich zum Ausdruck kommende Entwertung kaufmännischer Karrieren bahnte sich durch die gesellschaftliche Konkurrenz mit neureichen Kaufleuten an. Diesen Aufsteigern musste das (eben unvergleichlich) hohe Alter der Familie als ein sozialer Mehrwert entgegengehalten werden, dessen Begründung und Kontextualisierung weiter unter beschrieben sind. Eine Zerstörung oder auch der Verlust von Handelskorrespondenzen bei Nürnberger Familien könnte als Indiz für einen Mentalitätswandel interpretiert werden, der sich in der Familiengeschichtsschreibung bereits anbahnt und in den Briefen in ambivalenten Einzelheiten durchscheint. Trotz der sich abzeichnenden Diskontinuitäten oder Pluralisierungen blieben die Karriereabsichten, die Väter für ihre Söhne vorsahen, um die Mitte des 16. Jahrhunderts auf die kaufmännische Auslandslehre fixiert. Die Umsicht bei der Absicherung einer kaufmännischen Laufbahn schon vor Beginn der Ausbildung und dann auch während ihrer Durchführung belegt die große Konsequenz bei der Kontinuitätssicherung der Generationenfolge einer Kaufmannsfamilie. Wie die Forschung auf breiter Quellenbasis gezeigt hat, waren bereits die Auswahl eines geeigneten Lehrmeisters, einer Stadt und der zeitliche Umfang der Lehre Gegenstand familiärer Anstrengungen.430 Der Handelsdiener der Tucher, Jakob Reyther, hatte die gängige Praxis der Lehrausbildung außerhalb des heimatlichen oberdeutschen Handelszentrums mit dem im Ausland zu gewinnenden Erkenntnisgewinn begründet. Er schrieb 1547 an Leonhart Tucher, als dieser bereits alle Söhne in eine Lehre vermittelt hatte: »[D]er jugett ist nichst pesseres, dan frembde landtt zw erkundigen[.]«431 Damit stellt er die Handelslehre in den breiteren Kontext der Auslandsaufenthalte allgemein. Diese Form der Ausbildung hatte Konsequenzen für das Zusammenleben der Familie, wobei dies unabhängig von der Frage der Autorität des Hausvaters ist; die neuere Forschung hat auch für den Normalfall festgestellt, dass seine zentrale Rolle nicht unbestritten gewesen sei, dass nämlich Frauen im Notfall stärker in 429 Diese wahrnehmungsgeschichtlich bemerkenswerte Äußerung ist von einer Diskussion über die Entstehung und den Wandel von Formen der Ehre flankiert. Tugendadel, kriegerischer Adel und der symbolische Ausdruck von Ehre in Wappen sowie der historischen politischen Ordnung Nürnbergs werden ausführlich in den Vorreden des »Großen Tucherbuchs« diskutiert, vgl. die Abschnitte in 4.4. w. u. sowie die Einleitung in GTB. 430 Die Darstellung folgt hier Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern. 431 Zitiert nach ebd., 101, Anm. 50.

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den Vordergrund treten konnten, aber auch generell stark involviert waren und wichtige Funktionen wahrnahmen. Gerade die Untersuchung der Rolle von Müttern hat Bereiche wie die Gesundheitsvorsorge, Krankheitswahrnehmung und familiäre ›Mediation‹ erschlossen.432 Vor dem Hintergrund der hier behandelten Quellen kam dagegen gerade ausschließlich den Vätern die zentrale Rolle zu, wenn es bei Auslandsaufenthalten der Söhne zu Konflikten kam. Sie waren es auch, die den Ort der Auslandslehre letztendlich brieflich vorvereinbarten und vertraglich festlegten.433 Dabei berücksichtigten sie vor allem die Qualität der Ausbildung, eine Überlegung die noch im 15. Jahrhundert die Söhne führender Familien in das Handelszentrum Venedig gebracht hatte, das zusätzlich zur Spitzenstellung im Fernhandel auch die Möglichkeit zum Erlernen des Italienischen und bewährter Handelspraktiken bot.434 Als sich die Frage der Ausbildung der Söhne Leonhart Tuchers stellte, sein erster Sohn also das für den Ausbildungsbeginn übliche 13. Lebensjahr erreicht hatte, betätigte sich die Tuchersche Handelsgesellschaft vor allem in Lyon.435 Handelsschwerpunkte der Tucher waren erst seit dem 16. Jahrhundert zunehmend nach Westeuropa verlagert worden. Städte wie Antwerpen und kurzzeitig auch Lissabon lösten vormals attraktive osteuropäische Orte wie Breslau, Krakau oder das ungarische Ofen (Budapest) ab.436 Sixtus Tuchers (1528 – 1585) älterer Bruder Christoph (1524 – 1550) kannte das katalanische Umfeld offenbar gut genug, um dem Vater von Barcelona als Ausbildungsort abzuraten.437 Er begründete sein Urteil mit der Entwicklung des Handels und unmittelbaren Ausbildungsinhalten, darunter Grundoperationen wie die qualitätsmäßige Bewertung des kostbaren und empfindlichen Safrans; darüber hinaus führte er auch sekundär erscheinende Ausbildungsinhalte an, sorgte er sich doch um die Sozialisation des Bruders, um derentwillen er die Saragossaer Bevölkerung wegen ihrer Urbanität vorzog. 432 Zum Stand der Forschung zur Rolle von Müttern in Beziehung zu ihren Söhnen, in nützlicher diachroner Perspektive vgl. Martin Dinges, Mütter und Söhne (ca. 1450- ca. 1850). Ein Versuch anhand von Briefen, in: Jens Flemming/Pauline Puppel/Werner Troßbach/ Christina Vanja/Ortrud Wörner-Heil (Hg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag, Kassel 2004, 89 – 119. 433 Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 102 – 109. 434 Hanns-Peter Bruchhäuser, Kaufmannsbildung im Mittelalter. Determinanten des Curriculums deutscher Kaufleute im Spiegel der Formalisierung von Qualifizierungsprozessen (Dissertationen zur Pädagogik 3), Köln 1989, 183 – 185. 435 Vgl. dazu neben Diefenbacher, Die Tucherisch Compagnia noch immer Grote, Die Tucher, 33. 436 Bruchhäuser, Kaufmannsbildung, 191. 437 Kellenbenz, Nürnberger Safranhändler in Spanien, bes. 205 f. Dazu auch Bruchhäuser, Kaufmannsbildung, 192.

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Für eine praxisnahe Ausbildung musste die Wahl des Ortes mit Blick auf das spätere Betätigungsfeld etwa im spanischen Safranhandel erfolgen. Dies konnte daher auch zu einem Wechsel des Ausbildungsortes führen. Leonhart Tuchers Sohn Gabriel (1526 – 1588) schloss seine Lehre 1547 wohl noch in Lyon ab, während sein Bruder Sixtus bei einem aragonesischen Händler ausgebildet wurde. Beide trafen dann im Safranhandelsort Saragossa zusammen.438 Die vom Tucherschen Handlungsdiener Reyther hervorgehobene Bedeutung eines Auslandsaufenthaltes betraf den Erziehungsaspekt der Auslandslehre. Er bewertete diese Sozialisationsphase auch im Hinblick auf die Nachfolge, denn in der familiären Handelsgesellschaft war regelmäßig die Nachfolge zu regeln. Die Söhne mussten das gesamte, noch sehr stark differenzierte Spektrum der Handelstätigkeiten persönlich erlernen.439 Die Auslandslehre war für die Väter eine große finanzielle Belastung, der Erfolgsdruck und die Sicherungsmechanismen entsprachen den hohen Kosten zwischen dem 13. oder 14. und dem 19. Lebensjahr der Söhne. Richteten sich die Sorgen im Vorfeld der Lehre auf den möglichen Missbrauch der Söhne durch die Lehrmeister als Geldquelle und weitere Gehilfen bei niederen Arbeiten,440 so bildeten die Briefwechsel mit Söhnen während der Lehre eher eine Instanz zur Kontrolle der Söhne und ihrer Schreibkompetenz. Die Lehrmeister mussten den Jugendlichen anspruchsvolle Kleidung und ›Freizeit‹ wie etwa für das Lautenspiel zugestehen, wie eine Vereinbarung Michael Behaims vom Beginn des 16. Jahrhunderts mit dem Lehrmeister Antonio de Nobili zeigt. Ebenfalls dazu gehörte die Sorge um das körperliche Wohl und das standesgemäße Auftreten der Lehrlinge.441 Der Lehrmeister verpflichtet sich, »kost vnd klaydung zw erhalten, wie dan einen solchen jungen seines standts und wesens zwsteht und die notturfft erfordern wirdt«.442 Über eigene Anschaffungen führten die Tucherschen Lehrlinge Buch und sandten regelmäßig zur Prüfung Rechnungen an den Vater, darunter häufig Kleidungsstücke.443 438 Bruchhäuser, Kaufmannsbildung, 185. 439 In diachron vergleichender Perspektive gelangt zu dem anderen Ergebnis, dass nämlich basale Handelstätigkeiten im 16. Jahrhundert immer stärker an Spezialisten delegiert worden seien, Bruchhäuser, Kaufmannsbildung, 188. 440 Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 106. Die Unsicherheit der Verhandlungen mit Lehrmeistern spiegelt sich in den zahlreichen erhaltenen, d. h. dokumentartig bewahrten Briefen im Vorfeld der abzuschließenden Verträge. 441 Dazu zusammenfassend Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 107 – 110. 442 Zitiert nach ebd., 109. 443 So wurden Ausgaben für Kleidung zwar gelegentlich als Luxus, als übertretene Grenze des unbedingt Nötigen benannt, so regelmäßig Ozment, Private Life in Early Modern Germany. Beer subsumiert die Hemden und Brusttücher mit Ausgaben für »Wegzehrung« als Kosten, die das »leibliche Wohl« betroffen hätten, vgl. Beer, Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 110, ohne jedoch diesen Befund zu den Briefen mit flankierenden

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All diese Maßnahmen belegen den Erwartungsdruck, der durch den Vater auf Lehrmeister und Sohn – durch das familiäre Netzwerk und seine Zukunftsaussichten aber auch auf dem Vater – während der Auslandslehre lastete. Die Vorarbeiten und Absicherungen lassen, umgekehrt betrachtet, auch die Schwierigkeiten erkennen, die während der Trennung der Söhne vom elterlichen Haushalt auftreten konnten. Im Regelfall waren Eltern und Söhne ein halbes Jahrzehnt relativ dauerhaft voneinander getrennt. Diese Trennung sollte durch Briefe überbrückt werden, eine Grundgegebenheit familiärer Kommunikation städtischer Eliten bis in das 17. Jahrhundert. Sie prägte das Medium in Aufbau und Gebrauch, wie sich am thematischen Index gebräuchlicher Briefsteller, die von Festtagsgrüßen bis hin zu Anlässen emotionaler Relevanz Musterlösungen anbieten, ablesen lässt.444 Zeugnisse dieser Differenzierungen der auf briefliche Kommunikation angewiesenen Generationenbeziehungen finden sich in der Briefstellerliteratur. In der »Praxis Epistolica« des Alhard Möller von 1670 bilden die Regeln gerade für Briefe von Kindern im Ausland an ihre Eltern, relativ zum Umfang dieses Briefstellers, einen Schwerpunkt. Neben Regeln zur Durchformung aller Teile der in großer Breite vorgestellten Briefe wie Neujahrswünsche sind die Briefe zwischen Eltern und Söhnen während der Auslandslehre mit Abstand am breitesten abgehandelt, nämlich auf 101 von insgesamt ca. 650 Seiten: »Von Brieffen/ darinn die in der Frembde sich uffhaltende Kinder/ ihrer Eltern Zustand erforschen/ und den Ihrigen hinwieder berichten«.445 Dagegen fehlt dieser Themenbereich noch in einem Briefsteller des 16. Jahrhunderts.446 Eine Zunahme von rhetorischen Regeln lässt in einem konservativen Fachbereich wie der Brieflehre den Schluss zu, dass, auf der Ebene des vermittelten Stoffes, 1670, eine veränderte Praxis des tatsächlichen Briefeschreibens nachvollzogen worden war. Konstatiert man diese Entwicklung, so kann sich die Fragestellung stärker Quellen, wie etwa Abbildungen in illustrierten Ständebüchern zu kontrastieren. Im Kontext der historischen Darstellung einer Familie städtischer Eliten kam der Kleidung eine zeichenhafte Rolle zu, wie im Rahmen einer aus Vorbildern und Abbildern bestehenden »Genealogie der Bilder« von bekleideten Personen gezeigt wird, vgl. hierzu Bock, Die Chronik Eisenberger, 405 – 420. 444 Vgl. für ein umfangreiches Beispiel den Index in Heinrich Fabri, Rhetorica und Epistel Büchlein Deutsch vnd Lateinisch, Frankfurt 1593 [VD16-F145], Universitätsbibliothek Heidelberg G 349 D (RES), digitaler Zugriff möglich unter http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/fabri1593, hier http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/fabri1593/0679. Zum stilistischen Ideal der Variationsarmut vgl. 1.4.2. 445 Dagegen wurden den »Unterricht- Anweiß oder Vermahnungs-Schreiben/ deren sich Eltern/ […] Vormundere […] gebrauchen können« lediglich 15 Seiten gewidmet: Alhard Möller, Praxis Epistolica, unpaginiertes Inhaltsverzeichnis. 446 Vgl. ein Beispiel aus dem Jahr 1532, M. Fabian Franck, Ain Cantzley vnd Tittelbuechlin/ Darinnen gelernet wirt/ wie man Sendbriefe foermlich schreiben/ vnd einem jeglichen seinen gebürlichen tittel geben soll. Orthographie Teutsch/ lernet recht buechstaebig schreiben, 1532.

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auf die formelle und inhaltliche Regelhaftigkeit von Briefen richten als allein auf ihren emotionalen Gehalt.447 Die notwendige Interpretation, die historisch anthropologische Fragestellungen unter kommunikationsbezogenen Aspekten weiterführt, soll mit einer gattungstypologischen Einschätzung sowie einer diskursgeschichtlichen Einordnung der hier vorliegenden Quellen abschließen.448 An divergierenden Beispielen ist eingangs die Variabilität aufzuzeigen, mit denen in Briefen Emotionen und soziale Bindungen vertextet wurden.

2.2

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2.2.1 Erziehungsdiskurse im Spiegel eines Generationenkonflikts Die kaufmännische Ausbildung mag vordergründig der Hauptgegenstand der Überlegungen von besorgten Vätern gewesen sein und ihren familiären erzieherischen Erfahrungshorizont maßgeblich bestimmt haben. In diesem Rahmen trugen die erzieherischen Briefe jedoch auch Spuren allgemeiner anthropologischer Überlegungen. So bezogen sich die erzieherischen Maßregelungen ganz zentral und grundsätzlich auf die Attribute des jungen Menschen. Das zentrale Personenkonzept war alters- und daher kompetenzgestuft. Dieser Erziehungskomplex soll anhand eines Briefs dargestellt werden, den Leonhart Tucher an seinen 19 Jahre alten Sohn Sixtus Tucher (1528 – 1585) in Lyon am 24. Februar 1547 schrieb: Mein grus zuvor vnd wyß das ich dir auff ad[i] primo detto mein Jüngsten hab geschrieben bin gutter Hoffnung solcher sey dir pyß her wohl zw kumen. Im selben dir etzlich anzeigung thun nach dem der gabriehl In Spania wer. Das du dester Emssiger vnd fleyssiger seyest. Dem Jacob Reyther mit allem thun hilfflig gehorsam vnd willig seist. Was er dir wirt bevelhen vnd hayssen also nach zw kumen doch solchs nit nach deinem willen aber gut beduncken anderst wollest thun dan wie man dirs bevolhen hatt. Vnd dich nit wollen beduncken lassen wie die J[ung] welt […] wollen verant447 Diese Perspektive hat die bisherige Forschung zu interessanten Ergebnissen zur Rolle von Kindern in Familien des 16. Jahrhunderts geführt. Bereits im Spätmittelalter, deutlich aber im 16. Jahrhundert prägten emotionale Ausdrücke die Briefe zwischen Eltern und Kindern, so durchgehend Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlich Kindern; auch wurden bei Entscheidungen über die Ausbildung eines Sohnes neben seiner Eignung gelegentlich doch auch dessen individuelle Interessenslage und Gefallen an verschiedenen Laufbahnoptionen zum Entscheidungskriterium erhoben, bspw. gegen den Kaufmannsberuf und für eine andere Perspektive. 448 Nicht mehr berücksichtigt werden konnte die Studie von Carmen Furger, Briefsteller. Das Medium »Brief« im 17. und 18. Jahrhundert, Köln 2010.

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wortten. Es sey eben sovill vnd gelt gleich. Damit wollen sie Irn vnertigen aigenwilligen poßhafftigen willen verthaidigen damit will ich dich noch mahl zum trawlichsten gewarnet haben. sunder wolst vill mer dich befleyssigen das schreiben Rechen vnd was des Handels notturft ist zw lernen vnd dich stettigs damit zw vben. Vnd sunderlich was Einem Jung zw der Ehr vnd lob Raicht sich emssiglich fleyssen zw pessern zw folgen vnd dem vnErttigen Zorn vnd Thorette gehorsam meyden. Vnd dich davon ab zw ziehen vnd so das geschiht das haist vom vbell abgestanden vnd den verstandt zw fassen. Damit Ein Junger zw deren Erkantnus kumpt, das das vorhaben der Juge[n]t nichts wert ist welchs die straff von den Elttern oder von den die Im für gesetzt sein nit gutlich an Nehmen will. Darumb wollst zw hertzen fassen vnd dich entschliessen ob du furan dich wolst was man dich hayst oder mit dir schafft wolst gefolglich vnd gehorsam dich erzaigen vnd mit schreiben Rechen auch was dem selben anhengt befleyssen zw lernen vnd pessern. Wilt du dem also nach kumen so schreib mir nit allein zw sunder sich das der mossen solchs Ins werck volziehung thun. So will ich dagegen auch der gepur erzaigen Solt ich aber ein anders wissen oder gewar werden so will ich mich dennest mit gottes gnadt u[nd] hilff aber nach gelegenhaitt darein schicken das du mein Ernst solst spurn damit will ich dich got zw pesserung bevolhen haben vnd wolst mir mit Erstem wider antwortt schreiben[.]449

Dieser Brief ist zusammen mit Briefen überliefert, die der Vater in Nürnberg von seinem Sohn Paulus Tucher (1524 – 1603) im gleichen Jahr aus Lyon empfangen hatte.450 Die Archivgeschichte weist darauf hin, dass diese Einordnung vom Empfänger selbst bewusst so vorgenommen wurde, befand sich das Tuchersche Familienarchiv doch jahrhundertelang in den Händen von Nachkommen.451 Im zitierten Fall war eine eigens angefertigte einzelne Kopie aufbewahrt worden; das verdeutlicht die grundsätzliche Bedeutung, die diesem Brief zugekommen sein muss, eine Annahme, die sich in seinem inhaltlichen Credo und dessen besonders elementarer Begründung durchaus spiegelt. Rein äußerlich und strukturell handelt es sich jedoch um einen keineswegs untypischen Brief. Im Gegenteil folgt der Brief der üblichen rhetorischen Formierung. So entbietet Leonhart in der »salutatio« zunächst seinen kurzen Gruß und informiert im »exordium« über bereits geschriebene Briefe und, möglicherweise mit dem Überbringen des Briefes in Zusammenhang stehend, über den spanischen Aufenthalt Gabriel Tuchers. Die »narratio« stellt den Gehorsam und das Fehlverhalten des Sohnes antithetisch dar. Der Sohn wird als Vertreter der jungen Generation, als Kaufmannslehrling und damit Lerner der damit 449 StadtAN E 29/IV Nr. 503. 450 StadtAN, Findbuch E 29 Übersicht der Briefschaften von Anton und Linhart (eigentlich: »Leonhart«) Tucher im Freiherrlich v. Tucher’schen Familienarchive, 19. 451 Das »Tuchersche Briefarchiv« blieb bis 1963 in Familienbesitz, Hinweise auf eine Umordnung des Materials sind nicht erkennbar. In zwei, die Integrität des Archivs auch materiell verbürgenden »Holztruhen« wurden die Briefe als Teil des Archivs der Älteren Linie des Tucherschen Geschlechts dem Stadtarchiv Nürnberg als Leihgabe übergeben: Hirschmann, Die Archive der Familie von Tucher, bes. 40.

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verbundenen Kernkompetenzen sowie im Verhältnis zu seinen Eltern angesprochen. Diese Gliederung ist endlich verknüpft mit der handlungsfordernden »petitio«, die ergebnishaft die Darstellung in der »narratio« auf die praktische Umsetzung der erhobenen Forderungen in die Tat zuspitzt. Die »conclusio« bestärkt das weitere Vorgehen des Vaters, das einerseits in der Androhung von Sanktionen besteht und andererseits eine baldige Antwort einfordert. Formell ist der Brief daher unauffällig, ja erscheint die Gestaltung sogar ausgesprochen musterhaft.452 Auch stilistisch entspricht die Kürze und Prägnanz, Überzeugungskraft und Folgerichtigkeit den in den Briefstellern seit dem 15. Jahrhundert mehrere Jahrhunderte lang unablässig geforderten Stilprinzipien. Allein die »narratio« unterlag dabei den Gestaltungsmöglichkeiten das Autors, während die anderen Strukturteile im Grunde als vorgegeben angesehen werden müssen bei einem (Beschwerde)Brief des »genus adhortativum«, das über einen knappen und schnell zielführenden Stil verfügte.453 Dem gewählten Beispiel stilistisch sehr ähnliche briefliche Aufforderungen finden sich in großer Zahl in den Briefbüchern, die invariabel und gleichförmig, in vielen Auflagen lediglich für bestimmte Gruppen adaptiert auf dem Buchmarkt verfügbar und in den Kanzleien gebräuchlich waren.454 Den darin geforderten Regeln lässt sich der Aufbau und der Stil des Briefs ohne Schwierigkeiten zuordnen. Inhaltlich lassen sich zunächst die auf den äußeren Handlungszusammenhang der Kommunikation bezogenen, also metakommunikativen Bemerkungen von den unmittelbaren Inhalten des Briefes trennen. Als Rückversicherung erwähnt der Vater seinen letzten Brief, der Sixtus bereits erreicht haben sollte. Der Inhalt von »mein[em] Jüngsten« Brief wird auch thematisiert, offenbar handelte er vom Aufenthalt des Gabriel Tucher in Spanien. Diesen Inhalt setzt Leonhart in Beziehung mit Sixtus’ Verhalten allgemein, und gegenüber dem Tucherschen Handlungsdiener Jakob Reyther im besonderen. Die Personen stehen im Zusammenhang mit dem Briefwechsel zwischen Vater und Sohn, möglicherweise hatte Gabriel auch Briefe befördert oder Reyther hatte Einblick in und Einfluss auf diese Kommunikationsform zwischen Vater und Sohn. Solche Nennungen stehen in Beziehung mit der Äußerung »solt ich aber ein anders wissen oder gewar werden«, womit Wege der Information angesprochen sind, die unabhängig vom Schreiben (und eben Nichtschreiben) des Sohns sein Verhalten dem Vater offenbaren könnten. 452 Die Darstellung folgt Nickisch, Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern, bes. 21 ff. 453 Die formelle, streng gattungstypologische Analyse von Briefen bis in 16. Jahrhundert behandelt eine von Jürgen Herold angekündigte Studie. 454 Beispiel für Briefe von Stadtbürgern zu verschiedenen Zwecken finden sich in Franck, M. Fabian, Ain Cantzley vnd Tittelbuechlin/ Darinnen gelernet wirt/ wie man Sendbriefe foermlich schreiben/ vnd einem jeglichen seinen gebürlichen tittel geben soll. Orthographie Teutsch/ lernet recht buechstaebig schreiben, 1532, XXIX.

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All diese metakommunikativen, den regulären brieflichen Kommunikationsweg als Medium betreffenden Äußerungen zeigen den Netzwerkcharakter der durch schriftliche Mitteilungen gewährleisteten sozialen Beziehungen an. Die Söhne waren als Lehrlinge geradezu von ›Informanten‹ umgeben waren, dringen doch Nachrichten von Fehlverhalten zuverlässig und erstaunlich schnell nach Nürnberg. Darauf ist zurückzukommen bei der Bewertung der Quellensorte des »Privatbriefes« im Spiegel seiner Vergesellschaftung, die über die Personen des Absenders und Empfängers gleichermaßen wie über den Zeitpunkt des erstmaligen Lesens hinausging. Der Briefinhalt ist klar nach verschiedenen, aufeinander aufbauenden, aber ineinander verschränkt eingebrachten Wertsystemen gegliedert, in die der Kaufmannslehrling eingebunden war. Dazu zählen ganz allgemein der Gehorsam gegenüber den Eltern und dem Handlungsdiener als deren Vertreter, der fleiß- und leistungsorientierte Lebenswandel, gegenüber den eigenen jugendtypischen Fehlern und Zurückhaltung im Umgang mit anderen Jugendlichen, die Beachtung der kaufmännischen Kernkompetenzen als Hauptziel des Auslandsaufenthaltes sowie die Frömmigkeit, die der Vater geradezu als ›Appellationsinstanz‹ an den Sohn am Briefende gebraucht. So fordert der Vater von seinem Sohn: Vnd sunderlich was Einem Jung zw der Ehr vnd lob Raicht sich emssiglich fleyssen zw pessern zw folgen vnd dem vnErttigen Zorn vnd Thorette gehorsam meyden. Vnd dich davon ab zw ziehen vnd so das geschiht das haist vom vbell abgestanden vnd den verstandt zw fassen. Damit Ein Junger zw deren Erkantnus kumpt, das das vorhaben der Juge[n]t nicht wert ist welchs die straff von den Elttern oder von den die Im für gesetzt sein nit gutlich an Nehmen will[.]455

In diesen wenigen Zeilen sind grundlegende Problemfelder der Auslandslehre verdichtet, wie der wohlhabenden jungen Menschen fehlende Ehrgeiz, das ungesteuerte Ausleben gefährlicher Emotionen im Sinne der Affektenlehre und das Problem der effizienten Implementierung von Sanktionsinstanzen in das durch die Entfernung schwerer zu kontrollierende Leben des Jugendlichen. Diese Probleme sind geradezu von leitmotivischer Bedeutung für die Ausbildung von Kaufmannslehrlingen.456 Die bei der Auswahl eines Lehrers bemühten Netzwerke waren offenbar auch mittelfristig bei der Kontrolle des Lehrmeisters und des Sohnes behilflich. Somit scheint die Auslandslehre lediglich eine gewisse durch räumliche Trennung verzögerte Erziehungskontrolle, die durch den Reise- und Postweg zum Aufenthaltsort des Sohnes bedingt war. Vor Ort waren vor allem Fremdsprachenkenntnisse, Grundlagen der Buchführung, Eigen455 StadtAN E 29/IV Nr. 503. 456 Ohne der w.u. genauer ausgeführten Darstellung vorwegzugreifen, kann auf die zusammenfassende Darstellung bei Bruchhäuser, Berufsbildung, verwiesen werden.

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schaften und Qualitätsstufen der Produkte zu erlernen,457 daneben jedoch auch Umgangsformen mit verschiedenen sozialen Gruppen der Kollegen und Kunden sowie andere für den Einstieg in die väterliche Handelsgesellschaft notwendige Kompetenzen wie »schreiben Rechen auch was dem selben anhengt«. Aber grundsätzlich solle sich die Motivation verbessern, fordern die Worte auf, »sich emssiglich fleyssen zw pessern zw folgen«. Dieser Befund entspricht genau den an dieser Stelle zu erwartenden, mit der zeitgenössischen Kaufmannsbildung und auch allgemeiner der Hausväterliteratur verbundenen Lehren. Ein emsiges Leben ohne übermäßigen Müßiggang ist eine Forderung, die der christlichen Hauslehre entstammt.458 Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine normative Belehrung, die von der Realität des Alltags entfernt wäre; vielmehr finden sich auch Hinweise auf die Notwendigkeit von »Kurzweil«, die der allerdings im Vordergrund stehenden und ethisch begründeten Notwendigkeit zur fleißigen Arbeit gegenübergestellt wird. Die Hausväterliteratur war Ratgeberliteratur, die Arbeit als eine Grundkonstituente ehrenhafter Existenz kennzeichnet und andererseits Müßiggang als der Ehre und der Subsistenz des Haushalts schädlich darstellt.459 Der Lebenswandel allgemein wird im Brief Tuchers zusätzlich mit einer altersabhängigen Begründung von Ehre verknüpft, »sunderlich was Einem Jung zw der Ehr vnd lob Raicht«. Ehre wird hier also nicht als primär standes-, sozialgruppen- oder verhaltensbezogen dargestellt,460 ein Verständnis das von der Rezipientenerwartung der Hausväterliteratur wahrscheinlich ohnehin vorausgesetzt und auch in diesem Brief nicht der Erwähnung wert war.461 Vielmehr ist Ehrenhaftigkeit von altersspezifischen Verhaltensparametern bestimmt. Demnach sind bestimmte Handlungen des Sohnes anders zu bewerten als etwa 457 Das Spektrum praktischer Kaufmannsliteratur gibt wieder Jochen Hoock, Handbücher und Traktate für den Gebrauch des Kaufmanns. Zu den Beständen der Herzog August Bibliothek, 1500 – 1800, in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 4 (1981), 245 – 266. 458 Vgl. hierzu z. B. die dem zitierten Brief vorgängigen und zeitgenössischen Beispiele aus der »Oeconomia Christiana« des Justus Menius mit populären Rezeptionsformen des Sprichworts u. a. bei Paul Münch (Hg.), Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und Dokumente zur Entstehung der »bürgerlichen Tugenden«, München 1984, bes. 49 f., 54 f. 459 Vgl. Christof Jeggle, »Arbeit« als Norm – Normierung durch »Arbeit«: Historische Perspektiven, in: Angelika Klampfl/Margareth Lanzinger (Hg.), Normativität und soziale Praxis. Gesellschaftspolitische und historische Beiträge, Wien 2006, 51 – 69. 460 Ulinka Rublack, Anschläge auf die Ehre. Schmähschriften und -zeichen in der städtischen Kultur des Ancien Regime, in: Klaus Schreiner/Gerd Schwerhoff (Hg.), Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Köln 1995, 381 – 411, hier 382; Martin Dinges, Die Ehre als Thema der Stadtgeschichte. Eine Semantik im Übergang vom Ancien Regime zur Moderne, in: Zeitschrift für historische Forschung 16 (1989), 409 – 440, hier passim. 461 Zur literatur- und rezipientensoziologischen Situation dieser und anderer Literatur vgl. Waghäll Nivre, Facts or Fiction.

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dem als Hausvater agierenden (älteren) Vater. Ehre ist mithin altersspezifisch bestimmt. Eine solche Forderung zeigt sich auch durchgehend in der für das stadtbürgerliche Publikum entstandenen Erziehungsliteratur, besonders deutlich jedoch im »Knabenspiegel« Wickrams von 1554. In diesem Roman treten ethisch typisierte Personen auf, wie etwa der verdorbene »Lottarius« oder der weichherzige, tugendhafte »Friedbert«. In dieser Konstellation überschreiten die Jugendlichen die von der Familie gesetzten Grenzen. Die Ordnungsvorstellung schafft einen streng hierarchisierten Herrschaftsraum der Kernfamilie, in dem die Generationen gesichert miteinander leben. Der »Knabenspiegel« geht vor allem darin über den Befund zum familiären Erziehungsprogramm in anderen Werken Wickrams hinaus, dass Familie und Gesellschaft als engstens miteinander zusammenhängend dargestellt werden. Somit ist der literarisierte »Katechismus frühbürgerlicher Ethik« nicht auf Generationenbeziehungen beschränkt, sondern besitzt allgemeine, ständeübergreifende Relevanz im Sinne einer Tugend- und Leistungsethik.462 Gescheiterte Generationenübergänge werden als Schaden für das Gemeinwesen interpretiert. Wickram hatte sich am Buchmarkt orientiert, fanden doch die familienbezogenen Themen das Interesse der Käufer, so dass der Roman bereits 1555, 1557 und 1571 neu aufgelegt wurde.463 Die Generationenthematik wird vom sterbenden Vater zugespitzt;464 er hält dafür, dass Ehre stets altersabhängig sei und ihre Beachtung dauerhaften Nutzen bringen könne. Bemerkenswert ist diese Situation für die darin aufscheinende Vaterrolle, weil es sich dabei um den unmittelbaren Übergang der Rolle des Vaters auf den Sohn handelt. Eine ähnlich konzentrierte Situation im »Knabenspiegel« ist der Gesang des ›verlorenen‹ Rittersohnes Wilbald, der nach zügellosen Jahren der Abwesenheit mittellos und gereift in die Heimat zurückkehrt. Er singt, um sich Geld für die Wegzehrung zu verdienen, in einer Taverne ein autobiographisches Lied singt, so dass er vom zufällig anwesenden Halbbruder Friedbert erkannt wird. Dieser ist inzwischen zu Ehren gekommen und wohlhabend.465 Die den Handlungsverlauf programmatisch bestimmenden Werte werden somit in der Form eines ›Gesanges im Roman‹, im literarischen ›Hohlspiegel‹ dargestellt. Die Probleme werden immer wieder auf die Grenzsi-

462 So Röcke, Fiktionale Literatur und literarischer Markt, 503. 463 Die Jahreszahlen für Auflagen als Indizien guten Verkaufs sind www.vd16.de entnommen (Zugriff 1.7.2007). Trotz des umfassenden Ansatzes dieses Katalogs könnten weitere Auflagen sowie Raubdrucke existieren. Unzweifelhaft ist jedoch, dass Wickram Zugang zu den überregionalen Büchermärkten besaß. 464 Müller, Knabenspiegel, 806. 465 Ebd., 735 f., 770.

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tuation des Generationenwechsels, wie am Sterbebett, bezogen.466 Neben dieser literaturimmanenten Analyse konnte auch in literatursoziologischer Perspektive der didaktische Bezug zum Lebensvollzug nachgewiesen werden,467 ein Befund der die generationenbezogene Interpretation der Ehrthematik belastbarer für die brieflichen Generationenbeziehungen macht, wie auch die männliche Geschlechterbezogenheit des hier vom Vater in Anschlag gebrachten Ehrkonzepts verdeutlicht.468 Dem Brief unterliegt ein erzieherisches Jugendbild. Offenbar geriet der »Jung« durch sein Alter leichter in Gefahr, emotionengeleitet zu handeln. Dies musste ihm als Vertreter seiner Altersklasse verboten werden. Er sollte »vnErttigen Zorn vnd Thorette gehorsam meyden«. Diese altersspezifische Ausgangssituation des jungen Menschen bestimmt auch seine Lernleistung und deren Bewertung, nämlich »dich davon ab zw ziehen vnd so das geschiht das haist vom vbell abgestanden vnd den verstandt zw fassen«. Der junge Sohn ist durch die Orientierung an den Affekten regelrecht gefährdet. Das ihn bedrohende »vbell« ist in einem ganz umfassenden, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sinne aufzufassen. Die Belehrung wird dem Sohn auch durch den unvermeidlichen drohenden Schaden einsichtig gemacht. Im Gegensatz zur zeitgenössischen Affektenlehre des Neustoizismus469 geht es in der brieflichen Argumentation nicht um eine vorgängige Anwendung des Verstandes, damit etwa störende Emotionen ausgeschaltet und unschädlich gemacht würden. Der Einfluss dieser verstandeszentrierten Lehre läge zwar nahe und kann kaum vollständig ausgeschlossen werden, jedoch argumentiert Tucher mit den praktischen Auswirkungen eines falschen Lebens, wenn er mehr Fleiß und Gehorsam einfordert. Erst die durch Überwindung hemmender Emotionen ermöglichte unablässige Arbeit führt geradezu ›therapeutisch‹ dazu, dass ein junger Mann den »verstandt« fasst. Nur der arbeitsame Lehrling kann mit seinem Verstand die eigentlichen und übergreifenden Ziele des Kaufmanns erfassen und erfolgreich verfolgen; Arbeit ist die Voraussetzung für den Prozess des Lernens von zielgerichtetem kaufmännischem Handeln, das vom kaufmännischen »Nutz« gesteuert ist.470 Diese Leitkategorie kaufmännischen Handelns 466 Ebd., 808. 467 Wickram selbst hat eine poetologische Reflexion auf die Wahrscheinlichkeit des Dargestellten geliefert, die gerade auf das Beispiel von Generationenbeziehungen referiert, nämlich im Werk »Dialog vom verlorenen Sohn«, vgl. dazu Röcke, Fiktionale Literatur und literarischer Markt, 504. 468 Die geschlechterbezogene Dimension von Ehre als sozialer Wertigkeit und Kapital beschreibt einführend Dinges, Ehre und Geschlecht in der Frühen Neuzeit, 123 – 147. 469 Vgl. zur einflussreichen neustoizistischen Affektenlehre und Ethik vgl. Günter Abel, Stoizismus und frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik, Berlin 1978. 470 Maschke, Berufsbewusstsein, 309.

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wird ausdrücklich mit der Neigung junger Menschen, ganz allgemein der »Juge[n]t«, kontrastiert, eigenständige und somit von den Eltern unkontrollierte »vorhaben« vorzunehmen. Hiermit wird die Notwendigkeit der Erziehungsaufgabe des Vaters aufgerufen und auf Kosten der Urteilsfähigkeit des Sohnes legitimiert. Als junger Mann ist die Abhängigkeit von der elterlichen Erziehung für ihn konstitutiv. Ohne die Anleitung und die Korrektur durch die Eltern könne er nicht auskommen und müsse sich mit ihren Sanktionen und Strafen abfinden und diese annehmen. Dem Sohn wird die Urteilsfähigkeit einerseits abgesprochen, andererseits wird ihm genau dieser Erkenntnisprozess eigentlich zugemutet, nämlich zu erkennen, was »nicht wert« sei. Sicher schwingt hierin auch die Aufwertung der Rolle des Lehrmeisters, bei dem Sixtus Tucher sich befand, mit. Ihn soll der Sohn als einen Stellvertreter der Eltern anerkennen. Auf diesem Wege versucht der Vater, die elterliche, von Mutter und Vater herstammende Autorität über die Distanz nach Lyon hinweg im Leben des Sohnes aufrechtzuerhalten. Er droht dem Sohn recht unspezifisch Sanktionen an, nämlich dass »mein Ernst solst spurn«. Er fordert die Stellungnahme bis zum festgelegten Termin, »wolst mir mit Erstem wider antwortt schreiben«. Der häufige Briefwechsel verkörperte offenbar bereits als solcher ein verlässliches Verhältnis zwischen den Generationen und wurde hier früher als sonst und ausdrücklich angefordert. Abschließend fordert Leonhart noch einmal die Änderung des Verhaltens und droht, wie bereits angeführt, mit seinem »Ernst«; wichtiger erscheint im Kontext der so wirkungsvollen lutherischen Gewissens- und Gnadentheologie der in diesem anders als in anderen Briefen einmalige Bezug auf »gottes gnad u[nd] hilff«. Noch enger an das eigene Gewissen des Sohnes wird die Aufforderung gebunden, »damit will ich dich got zw pesserung bevolhen haben«. Die Frömmigkeit wird als der verlässlichste Wert, weil ›innerer Richterstuhl‹, als abschließende Aufforderung zur Verhaltensänderung angeführt. Trotz dieser beiläufigen, scheinbar bloß dekorativen Funktion dürfte der gesamten Kommunikation ein konfessioneller Diskurs zu Grunde gelegen haben.471 Das Haus mit dem Vater an der Spitze wird in der zeitgenössischen Literatur mit dem Verhältnis der Menschen zu Gott parallelisiert;472 diese Affirmation der zentralen und (bis auf einzelne Aushandlungsprozesse) im Normalfall unanfechtbaren Hausvaterrolle schwang in der Gewissensforderung Tuchers sicher 471 Neben weiter unten folgenden empirischen Belegen vgl. den epochenübergreifenden ›psychogenetischen‹ Ansatz bei Heinz D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, Frankfurt/Main 1991. 472 Vgl. die erziehungsgeschichtlichen Perspektiven bei Andresen, Vaterbild und Männlichkeit; zur christlichen Dogmengeschichte vgl. zusammenfassend Karl-Heinrich Bieritz/ Christoph Kähler, Haus, in: Gerhard Müller (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 24, Berlin/New York 1989, 474 – 492.

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Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen

mit. Sie wird, wie alle angeführten Wertsysteme, mit dem Mittel der Antithese von positivem Leitbild und mangelhaftem Leben wiedergegeben. Dieses Darstellungsmittel mag durch den besonderen Fall und Anlass des Briefes, den ungehorsamen Sohn, vorgegeben gewesen sein. Die Bildung von Gegensätzen entspricht ohnedies der Stilforderung nach gemäßigter aber effizienter Kritik, die ihren Standpunkt verständlich und nachvollziehbar sprachlich umsetzt.473 Zusammenfassend ist zu Form, Stil, Inhalt und Argumentation zu bemerken, dass hier verschiedene Wertsysteme in kaum noch weiter zu verdichtender Weise ineinander verwoben werden. Die emotionalen Äußerungen des Ärgers über den Ungehorsam des Sohnes erscheinen durch ihre briefliche Vertextung stark vermittelt und kodifiziert. An diesem Befund ist Peter Burkes Frage nach der prinzipiellen Möglichkeit einer Geschichte der Emotionen für die Brieftopik zu bestätigen. Die Analyse zeigt die rhetorische Verwendung von Normen als kommunikativen Code. Auf dieser Ebene sollen zentrale Elemente des Generationsdiskurses aufgezeigt werden. Der Rahmen der Interpretation sei durch die Skizzierung eines zweiten Briefes Leonhart Tuchers genauer umrissen. Dieses Schreiben Tuchers an den Sohn Herdegen (1533 – 1614) vom 27. Juni 1560 folgt inhaltlich einer vergleichbaren Topik, obwohl zwischen beiden Situationen 13 Jahre lagen und der Sohn Herdegen bereits wesentlich älter als seinerzeit sein Bruder Sixtus war. Die väterliche Bewertung unterlag demnach konstanten Maßstäben und Normen, die die wesentlichen Punkte des Briefes bereits vorbestimmt haben dürften. Die Ereignisse im Vorfeld des Briefes474 Leonharts an Herdegen lassen sich erschließen. Offenbar hatten die Ermahnungen früherer Briefe generelle Probleme der Leistungsbereitschaft Herdegens und seines Verhaltens allgemein zum Gegenstand. Dadurch müssen sich die Spannungen zwischen Vater und Sohn bereits drastisch erhöht haben, bevor der gichtkranke Vater schließlich aus einem konkreten Anlass zur Feder griff: Es sindtt ytz aber mal 8 paln Saffran genumirtt heraus kumen, die haben No 79 80 81 82 83 84 85 86 soln sein die sindtt genumirtt gewest nemlich No 79 80 81 82 vnd dan 4 paln aber mitt No. 79 80 81 82 darauff gestanden darpey spurtt man den fleis deren die solchs thun haben nun aber dis vergangen iar her ser vill paln falsch genumirtt heraus kumenn, dan sich der in halltt vill anderst hie am auff thun hatt dan in den ausentt Zettell her kumen in sich gehalten das ist nun zu E[t]lich mal hinein solcher yrttumb geschriben aber kein pesserung will hernach volgen [Wer im Handel] also vnfleissig vmbgehett wie gett der dan in andern sachen zu[.]475

Tucher beschreibt die Mängel des gelieferten Safrans an einem aktuellen Beispiel der Doppeltvergabe von Zählnummern; er kann aber zudem auf frühere Fälle 473 Nickisch, Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern, 30. 474 StadtAN E 29/IV Nr. 404. 475 Ebd.

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dieser Art verweisen. Seiner Interpretation zu Folge ist es nicht möglich, dass es sich dabei um zufällige Versehen handelt, sondern um die Unaufmerksamkeit des Sohnes bei der Ausführung oder Beaufsichtigung von kaufmännischen Grundoperationen.476 Die kurzfristigen kaufmännischen Konsequenzen fallen bei der Bewertung nicht so sehr ins Gewicht wie die langfristig daraus resultierenden Folgen. Deren Bedeutung sieht Leonhart Tucher vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung. Wie könne jemand ein geachtetes Mitglied der städtischen Gesellschaft sein bei solcher Unachtsamkeit und Vertrauensunwürdigkeit im Umgang mit seinen Kunden, fragt er mehrfach.477 Über die Einzelheiten der Rolle Leonharts in den Geschäftsaktivitäten seiner Söhne lassen sich in diesem Fall keine genaueren Aussagen treffen; deutlich zeigen seine Worte jedoch ethische Bedenken. Handel war Vertrauenssache. Man musste auf einen guten Ruf zurückgreifen können, um »Leuttern handel«,478 lautere Geschäftstätigkeit, ausüben zu können.479 Diese Voraussetzung besaß umso mehr Bedeutung für Fernhandelskaufleute, als die Ware erst nach Erhalt besichtigt und geprüft werden konnte. Besondere Brisanz mag dieser Vorfall und seine Vorgeschichte aufgrund der Tatsache gewonnen haben, dass es sich bei Safran um einen Haupthandelsgegenstand der Nürnberger Fernhandelskaufleute und der Familie Tucher handelte.480 Der Kauf und Verkauf des besonders hochwertigen Gewürzes, dessen Qualität in den bekannten Safranschauen genauestens untersucht wurde, konnte leicht die Bilanz gefährden. War die Ware etwa zu feucht, so bezahlte ein Einkäufer einen zu hohen Preis für ein Paket und hatte zudem geradezu verdorbene, kaum weiter veräußerliche Ware erworben.481 Die geschäftlichen Anweisungen heben sich deutlich von dem unmittelbar auf den Handel bezogenen Kanon ab und bilden erst den Auslöser und Ausgangspunkt für eine umfassende Kritik am Lebenswandel des Sohnes Herdegen, die im Folgenden schlaglichtartig nachgezeichnet werden soll. 476 Zu einem umfassenden Überblick zu Kaufmannsfertigkeiten vgl. Bruchhäuser, Kaufmannsbildung, 223 – 230. 477 Zur umfassenden Bedeutung von Ehre in der frühneuzeitlichen Stadtgesellschaft vgl. Dinges, Die Ehre als Thema der Stadtgeschichte, bes. 409 f. 478 StadtAN E 29/IV Nr. 404. 479 Vertrauen war eine allgemein relevante Form sozialen Kapitals und an vielfältigen Kommunikationsformen beteiligt, vgl. zu Ansätzen der Theoriebildung Ute Frevert (Hg.), Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003. 480 Vgl. dazu überblicksartig North, Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit, 22, 62. 481 Einen Einblick in den Lyoner Handel mit Safran bietet Hermann Kellenbenz (Hg.), Lorenz Meder, Handelsbräuche des 16. Jahrhunderts. Das Meder’sche Handelsbuch und die Welser’schen Nachträge (Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit 15), Wiesbaden 1974. Für den größeren Kontext vgl. Karl Otto Müller, Welthandelsbräuche (1480 – 1540), Stuttgart 1934.

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Tucher beschreibt die Handelspraxis gleichzeitig als Verhalten, das er als relevant für den Fortbestand der familiären Handelsgesellschaft wahrnimmt. Dabei steht für ihn als Vater eine Erfolg versprechende Handelstätigkeit funktional im Verhältnis zur Lebensführung im umfassenden Sinne. Die Abhängigkeit des Kaufmanns vom Vertrauen seiner Kunden prägt Tuchers Worte leitmotivisch, jedoch ergänzt er diese Überlegung, indem er die Kontingenzen von Generationenwechseln ins Auge fasst. Er argumentiert mit dem bereits eingangs zitierten Beispiel zweier hinterbliebener Söhne der ehrbaren Kaufmannsfamilie Orttel. Demnach habe noch der Vater einen besonders guten Ruf genossen, während nach seinem Tode die Söhne durch ihr Verhalten dieses Privileg verspielt hätten. Maßlosigkeit beim Alkoholgenuss und Unverlässlichkeit gehörten demnach zu den Hauptfehlern: [N]ym das Exempell für die handtt wie es ytz mit paider orttell als das florentzius auch Seb[a]lt orttels seligen nach gelasne sunen gestalltt ist vnd nitt vill andern der gleichen mer also stett das sie nitt mer zu andern Erlichen sachen durffen kumen oder sehen lassen das volgt wan man der welt mitt wolust der mossen nach henckt das man darin Erdringtt vnd zu thornd wirtt, darvmb so hatt es die vrsach nit wie forgemelt hayllossen leicht ferttigen leuten mit vbermessigen drincken vnd andern vberstandt befleckt sein nit allein keins Lob werdtt sunder man soll in nit allein nit nach hencken sunder sich vill me Irer geselschafftt meyden[.]482

Dieser gescheiterte Generationenwechsel drücke sich vor allem im Ehrverlust aus, so dass die Brüder bei »andern Erlichen sachen«, also bei zu Stande kommenden seriösen Geschäften, nicht mehr als Geschäftspartner akzeptiert würden. Maßgeblich dafür sei ihr eigenes ungezügeltes, der »wolust« verfallenes Verhalten verantwortlich. Wer sich aber der Lust hingebe, erlaube sich undisziplinierten Alkoholgenuss und falsche Gesellschaft. Herdegen solle die beiden gerade deswegen als negatives Beispiel bedenken, weil dieser Ehrverlust geradezu irreversibel sei. Offenbar wäre zwar die Ehre prinzipiell wieder herstellbar und das System der Ehre dynamisch genug für eine solche Zuweisung; die Entehrten sind zu einer Verhaltensänderung jedoch gar nicht mehr in der Lage, denn »das volgt […] das man darin Erdringtt vnd zu thornd wirtt«. Diese Folgen könnte auch Herdegen zu spüren bekommen. Daher solle er die Widersprüche zwischen solchem Umgang und den ihm zuträglichen Normen des »nutz«, d. h. der Zweckrationalität, erkennen: Es hat kein vernunftigen verstandt das man mit solichen leuten Je zu Zeitten muss heben und legen dan es kan kein nutz mit in oder pey in gesucht aber erlangtt wern, Erstlich so wirtt einer durch sie mitt allem verfurtt sunder auch mit in zu schanden, vnd kumpt in das vnwessen das sich ainer nit me[r] davon kan Enthalten[.]483 482 StadtAN E 29/IV Nr. 404. 483 Ebd.

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Die Argumentation ist hier jedoch keinesfalls allein auf das geschäftsschädigende Fehlverhalten einzelner Kaufmannssöhne bezogen; vielmehr muss dem 1560 schon 73 Jahre alten Leonhart Tucher die Situation der Tucherschen Handelsgesellschaft vorgeschwebt sein. Im erzählten Beispiel der missratenen Brüder spiegelt sich deutlich die vergleichbare Problemlage der Familie Tucher. Es muss Tucher somit um die gefährdete Kontinuität des familiären Ganzen gegangen sein. Der Brief folgt dem gebräuchlichen Muster »Von Brieffen/ darinnen manjemand straffet/ vermahnet unnd unterricht[et]«, wo unter der Seitenüberschrift »Wegen Trunckenheit« sehr ähnliche Vorlagen für diesen Brief gefunden worden sein könnten. Dort werden lediglich die von Leonhard Tucher konkret angegebenen Beispiele mit rhetorischen Fragen aufgerufen: Bei Trunkenheit würden demnach »auß einer edlen/ vernünfftigen und nach GOTTES Bilde erschoffener Creatur/ ein ohnverständige Esel/ ja ein grobe ohnflaetige Sau gemacht […] Hast du denn das niemahls an andern gesehen?«484 Andere Brieftypen dieser Kategorie waren »Vermahnung von boeser Gesellschaft abzulassen« oder das auf gute Gesellschaft, Vertrauen und regelmäßigen Brieftausch gerichtete »Lob und Vermahnungsschreiben eines Vattern«.485 Tucher weist darauf hin, auch durch informelle Informationswege Kenntnis vom Fehlverhalten Herdegens bekommen zu haben. Er war somit nicht allein auf Briefe seines bereits 27 Jahre alten Sohnes angewiesen, ein Beispiel, das verdeutlicht, wie nachrangig die Informationsfunktion von Privatbriefen sein konnte. Auch für Lehrmeister, die vom Müßiggang der Zöglinge an den Vater schreiben wollten, standen Briefmuster bereit.486 Offenbar ging es daher bei den Lehrlingsbriefen nicht um den Austausch von Informationen im Sinne einer Vorstufe der Zeitung oder dergleichen;487 zwar schrieben Kaufleute Briefe, um Informationen vertraulich übermitteln zu können, jedoch wurden vor allem persönliche Einschätzungen in Briefen kommuniziert. Die Ehre eines Kaufmannes wurde in verschiedenen Formen der Soziabilität vermittelt, durch 484 Christoph Achatius Hager, Formular Teütscher Missiven oder Brieffe : Erster Theil. Von Nothwendigen Theilen oder Stücken/ einer Teütschen Missiv/ oder Brieffs. Ander Theil. Wie solche Theil oder Stücke/ in ein richtige […] Form zu bringen. Dritte Theil. Wie Wechsel-Advis- Fracht- und Handels-Brieffe […] unter Kauff- und HandelsLeüten/ stylisirt werden. Vierdter Theil. Von den EhrenTituln der Geistlichen unnd Weltichen StandesPersonen, Hamburg 1637, 129. 485 Ebd., 106 – 147, 142. 486 Ebd., 106 – 111. 487 Bereits Beers Definitionsversuche haben die Schwierigkeiten eindeutiger Festlegung bei Funktion und Genus des »Privatbriefs« aufgezeigt, Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 31 – 71. Sinnvolle definitorische Festlegungen auf einzelne Funktionen sind zwar immer noch schwierig, aber die vertrauensvolle Kommunikation zwischen Vätern und Söhnen über geschäftsrelevante Informationen zur Politik und Wirtschaft ging weit genug, um die familiär-väterlichen Kompetenzen so weit aufzuweichen, dass der Vater dem Urteil des Sohnes vertraute.

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Handelsreisende befördert und ›diffundierte‹ in der Form von Fama über die Entfernung zwischen Lyon und Nürnberg.488 Diese informellen Wege, neben brieflichen Mitteilungen von Angehörigen des Tucherschen Hauses, nimmt der Vater offenbar als Informationsquellen über seinen Sohn ernst: Du werst mein yttzig[es] vorig[es] schreib[en] zu hertzen nemen vnd dich darnach richtten vnd sunderlich des strefflich lesterlichen vbermess[ig]en drincken damitt man meintt Ein lein[sc. etwas, d. h. Ruhm] zu erlangen nit ist, damit das wider spill von verstendigen vnd Erlichen leutten geachtt vnd geredtt dan wo ich des mer soltt in Erfarung kumen Es wer in vnsserm oder auserhalb vnsers haus nit Ein gerings misfallen darob Empfahen[.]489

Eine differenziertere Form »ehr«- und »nutz«-gefährdenden Verhaltens erläutert Leonhart Tucher in aller Ausführlichkeit am Beispiel des Geldleihens. Aus seiner Sicht hatte die Fülle an verfügbarem Geld Gabriel und Herdegen dazu verführt, durch private Sympathien und freundschaftliche Beziehungen bedingt Geld zu verleihen und wirtschaftliche Interessen zu ignorieren. Dies habe ihnen einerseits wirtschaftlichen Schaden eingetragen, seien sie doch auf das Wohlwollen ihrer Schuldner angewiesen und würden weitere Anfragen zum Leihen kaum begründet ablehnen können. Daher habe es auch aus prinzipiellen Gründen dem Ansehen beider geschadet. Ein weiteres Argument gegen das informelle Verleihen von Geld an Bekannte sei das Fehlen von Sicherheiten, insbesondere da damals durch eine Kreditblase Staatsbankrotte drohten. Der Kaufmann solle seinen Kunden vertrauen können, beim Geldleihen auf privater Basis sei das jedoch prinzipiell und insbesondere zu dieser Zeit kaum möglich: [D]u pist pis her mit solchen vnd der gleichen personen vill gemeinschafftt vnd geselschafft gesuchtt wie es mitt dem selben yttz gestalltt ist das siechst du voraugen vnd solst pillich ob solchen Ein Exempell nemen, dich vor der gleichen leutt Zu huetten die dich zu Im gehaymsen dich vmb gellt zu betriegen hast vrsach genong Es sey dir von mir verpotten niemendtt vnvorwissen oder erlaubtnus zu leyhen, oder für standtt zu thun, die weill du zuuor in solichen verachtt seist kumen du hast woll ettlich nurmberger [die] so in Einem grossen an sehen sindtt die man ittz scheuhtt damitt ist der federn nitt zu trauhen[.]490

488 Solche Formen von Soziabilität verfolgt der Sammelband von Susanne Rau/Gerd Schwerhoff (Hg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 21), Köln/Weimar/Wien 2004. Die Rolle von ›Hörensagen‹-Kommunikation behandelt Hans Joachim Neubauer, Fama. Eine Geschichte des Gerüchts, Berlin 1998, und erbringt damit den Nachweis, dass auch quellenarme Phänomene wirkungsvoll sein konnten. 489 StadtAN E 29/IV Nr. 404. 490 Ebd.

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Manchen Menschen sei auch nach schriftlicher Garantie nicht zu trauen, begründet der Vater sein generelles Leihverbot für Herdegen. Tucher führt mehrere Argumentationslinien zusammen, damit der Sohn sein Verhalten ändere. Es bestehe die Gefahr der Ausgrenzung, hatte der Vater eingangs bemerkt; dem fügt er nun eine positive Seite hinzu. Es sei am besten hauszuhalten und vorausschauend sparsam zu sein: [W]olst dich auch Sunst des glei[che]n hin vnd wider leyhen auch Enthalltten dan du bedenckst nitt was aus dem s[e]lben für leichttferttigkaitt Ervolgtt, wolst auch Sunst all vnser thun mit pesten fleis vnd nach zu dencken aus wartten dan Es pey den sorglichen vnd schweren leufften woll nott ist auch im haus halten pey den spreden gewinnung [sc. spröder Gewinn] was man vber flüssiges abschneiden vnd Ersparn kan in achtung haben sunderlich so der gabriell vnd [der Lehrherr] hutter mit dinen sein vnd den andern ein gutt Exempell vortragen mitt allem andern thun sich wessenlich zu halltten[.]491

Geld zu verleihen widerspreche dem Sparsamkeitsgebot, einem unverzichtbaren kaufmännischen Handlungsgrundsatz.492 Auch für die Leihenden erwächst aus dem Umgang mit geliehenem Geld Gefahr, negative Folgen für andere Menschen mithin, die Herdegen noch gar nicht absehen könne und die ehrschädigend auf ihn als Verleiher zurückfielen. Als er Geld verliehen habe, sei er jedoch nicht durch das Leihen und die schlechte Gesellschaft allein in solchen Verruf gekommen, sondern zusätzlich auch durch sein eigenes öffentliches Auftreten. Er habe ehrbare Menschen grundlos »hitzig« angefahren und durch sein agressives Gebahren, »leichtfertigen reden«,493 verschreckt. Der Vater benennt die Gründe für diese Entwicklung; demnach lasse sich Herdegens schlechte Handelspraxis auf falsche Gesellschaft zurückführen: Es mir in sunder […] für kumen das du Ehrlichen Jungen so in geselschafft pey ander gewest dich ser beruembt haben, wie du vbermessig vill weins vormogst drincken vnd gedultten das mich nit wenig so Es wer worn von dir beschwert, mus Erst bedencken das durch solch dein drincken in dem vnradt mit weinkman [sc. die Ulmer Familie Weickmann] vnd orttell geraten pist das sindtt die werck! So daraus ervolgen wen man sagtt man muss pey den leutten Je ein vberichs thun, das Eurer lieber geric[h]tt das sindtt nitt Erber hendell oder solche geselschaft dan nach Zu volgen ist[.]494

Herdegen hatte, seiner gesellschaftlichen Stellung unangemessen, das Verhalten von Geächteten (»vnradt«) übernommen und praktiziert. Der Alkoholgenuss habe zu einer engeren Verstrickung mit diesem Milieu geführt. Leonhart rät daher, ausschließlich gemischten, verdünnten Wein zu trinken. Seiner repetiti491 492 493 494

Ebd.; zur Identifizierung des Lehrherren vgl. Diefenbacher, Tucherbriefe, 29. Vgl. dazu Maschke, Berufsbewusstein, bes. 309 f. StadtAN E 29/IV Nr. 404. Ebd.

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ven ethischen Argumentation gegen Schäden an »sel leib vnd er« verleiht er einmal ausdrücklich durch medizinische Bedenken rhetorische Evidenz.495 So müsse es Herdegen doch einleuchten, dass der Missbrauch von Alkohol gefährlich sei, insbesondere weil er die Folgen medizinisch hatte behandeln müssen, »Ertzney« oder Drogen eingenommen hatte: [I]ch hab dich pis her woll Etliche mall gewarntt die wein nit vngemueschtt zu drincken von wegen deins gesindts vnd der andern nach dem ich in [er]farunng befindt das irs Jars etliche mall pflegtt Ertzney Einnemen das ist zu mein Zeitten von mir noch andern nit geprauch[t] worn, do hab ich mich vermindt es kum aus dem das ir die wein ding vngemuschtt man mir zu mein Zeitt nitt gedultt noch gestatt hatt zu druncken so mus ich yttz yrttaln das solchs aus dem vbermessigen wein trincken ervolgtt das doch ein schentlich lesterlich werck vor gott vnd der welltt pillig soll gehalten vnd geacht wern, das mit zum hochsten entgegen vnd nichtts gutts kan darzu reden noch gegen den selben zu verthaidigen ir habts Je von mir nitt gesehen noch gelerntt mus also gedencken wan etwan vnradtt in lion oder auserhalb zu fallen das aus solchen vbermessigen wein sauffen vnd durch die straff gottes verhengtt wirtt[.]496

Die Argumentation ist hier, wie insgesamt im sehr langen Brief, nie auf ein Erkenntnisziel mit einem Argument bezogen, sondern überlagert verschiedene Begründungen und belegt sie mit anschaulichen Beispielen und einem moderat religiös angereicherten invektiven Sprachstil. Wie an der zitierten Stelle, so zeigt der gesamte Brief religiöse Invokationen und Beschwörungen der göttlichen Gnade und Strafe. Am Anfang, und sonst nur ein einziges weiteres Mal, tritt dagegen im obigen Abschnitt eine Abgrenzung verschiedener Generationen als Argument auf, bei der die ethischen Maßstäbe der gegenwärtigen Lebenswelt mit denen kontrastiert werden, in denen Leonhart Tucher aufwuchs und lebte. Dieser konstruierte Gegensatz von historischen Erfahrungshorizonten und Handlungsräumen ist auch als Teil eines auffordernden Texts relevant für generationengeschichtliche Überlegungen zur Kaufmannsbildung. Offenbar stellte Tucher seine eigene Sozialisation nicht nur der des eigenen Sohnes entgegen, sondern verband das Argument auch historisch mit einem angeblich vollzogenen gesellschaftlichen Wandel. Damit behauptete der Vater das Vorhandensein von unterscheidbaren, mithin historisierbaren Sozialisationen, die dem Mannheimschen Konzept der »Generationenlagerungen« sehr nahe kommen.497 Er hatte bereits zu Beginn des Briefes auf die »ytzigen vngezogne wellt« als Schreibgrund hingewiesen:

495 Ebd. 496 Ebd. 497 In diesem Sinne ist ein durch die Quellen gedeckter Umgang mit einem sozialwissenschaftlichen Generationenbegriff nicht von der methodologischen Kritik an »deduktiv« vorgehender Generationengeschichte betroffen; vgl. Rainer M. Lepsius, Kritische Anmer-

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[I]ch hab dir lang nitt geschriben [weil mir] die hendtt ser vnglenck worn wie woll Es von notten das ich vill vnd offt mal allerley ErInerung pey der ytzigen vngezogne welltt hinein schreiben so will doch palltt vergessen wern, vnd das vnwessen gegen gott noch der der welt nit mehr gef[ar] hat noch zu hertzen genomen sein[.]498

Die von Tucher angenommene Erziehungsrelevanz dieser Ausführungen ist auch bedeutungsvoll für eine Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Darstellungsweise historischen Wandels um die Mitte des 16. Jahrhundert, vor allem aber für ein generationengeschichtlich strukturiertes Geschichtsbild. Die kanonartigen Belehrungen über die Handelspraxis erlangen dadurch ihre Bedeutung. Herdegens Verhalten ließ sich damit womöglich auf die schlechten Umstände seiner Zeit zurückführen und entschuldigen. Die Ursachenerwägungen belegen die Gefahr, die von Herdegen Tucher für die familiäre Kontinuität vorübergehend ausgegangen war. Dagegen hatte die ältere Forschung, in enger Anlehnung an historische Darstellungen der Tucher, Herdegen Tucher stets positiv bewertet.499

2.2.2 Das pädagogische Jugendbild als Darstellungsmittel von Erziehungskonformität Die privatbrieflichen Quellen sind von der Forschung weder zu einem benennbaren Typus zusammengefasst, noch durchgehend kategorisiert worden.500 Die Faszination dieses Materials, das scheinbar direkte Einblicke in das Familienleben des 16. Jahrhunderts ermöglicht, hat die Gattungsfrage an den Rand gerückt. Für die Überlieferung wurden vor allem Briefe zwischen Jung und Alt selektiert. Daher soll eine dezidiert auf die Musterhaftigkeit der Briefe konzentrierte Blickrichtung eingenommen werden. Dazu ist im nachfolgenden Kapitel die Serialität an einem Beispielbriefwechsel herauszuarbeiten, während hier auf inhaltlicher Ebene die Grundzüge eines zu Grunde liegen Jugendbilds entfaltet werden sollen. Die Erziehungsprobleme während der Auslandslehre erscheinen in den Quellen in stereotyper Form. Vielfach scheint der Vater strukturell vergleichbare kungen zur Generationenforschung, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, 45 – 52, bes. 52. 498 StadtAN E 29/IV Nr. 404. 499 So wurde insbesondere die federführende Rolle bei der Inauftraggebung der Prachtversion des Großen Tucherbuchs positiv hervorgehoben; Schwemmer, Das Mäzenatentum der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher, bes. 33. 500 Steht noch in der Quellenreflexion Beers der direkte Zusammenhang von Leben und Brieftext im Vordergrund, so deuten sich dagegen in Zwischenbefunden durchaus eher strukturelle Ergebnisse wie ein »Leitbild« bei der Entwicklung Jugendlicher und ein »kaufmännische[r] Tugendkatalog« an. Diese Perspektive ist hier mit Konsequenz einzuschlagen. Zur Andeutung dieser methodischen Schwierigkeit vgl. Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 144, 148.

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Problemfelder nur an verschiedenen Beispielen verdeutlicht zu haben. Im Zentrum der erzieherischen Briefe steht ein zeittypisches Jugendbild, das dem Jugendlichen bestimmte Attribute zuordnet.501 Die Gleichförmigkeit bietet Einblicke in die historische Anthropologie des Lebensabschnittes zwischen Kindheit und Erwachsenenalter im 16. Jahrhundert. Diese Topik zeigt, dass Kommunikationsbedingungen des brieflichen Mediums vielmehr eine weitere metakommunikative Ebene hervorrufen. Gerade die vorgeprägte Sprache eröffnet dann Handlungsspielräume, indem die Muster abgewandelt oder zu neuen Zwecken verwendet werden.502 Gabriel Tucher (1526 – 1588) schreibt am 16. Januar 1546 an seinen Vater von seinen Sorgen wegen des als jünger charakterisierten Bruders Daniel. Dieser hatte sich seinem Lehrmeister entzogen, weil er unter den Einfluss eines Altersgenossen geraten sei: »So habe ich In Eurm schreiben meins pruders danihel halbenn nach Lengs v[er]nomen wie Er zu mailandt also sorgfeltig Ist worden, kon wol gedencken das Ims also ein Jonger darzu v[er]ursacht[.]«503 Offenbar wurde die selbständige Sozialisierung als ein Risiko für den Jugendlichen wahrgenommen. Dadurch muss eine Form der Unkontrollierbarkeit, ein dem Informationsnetzwerk der Eltern, des Lehrmeisters, anderer Bekannter vor Ort und Familienmitgliedern unzugänglicher sozialer Raum entstanden sein. Die Bildung einer erzieherischen Nische erklärt Gabriel als das Hauptproblem der Situation: »[F]ürcht auch es sey der grost mangel das er niemantz pey Im hatt der Im aus Reden vnd Recht zu v[er]sten kindt geben/ die weil E[r] [ab]er also In sich pilt hatt vnd Ir sorg habt [wo] Ir In nit wecknempt es mecht ein grosers doraus vileicht mit Im Entston[.]« Diesem Urteil über den Bruder liegt ein Jugendbild zu Grunde, das von der Verletzlichkeit und Verführbarkeit des ahnungslosen und nicht unabhängig von den Eltern urteilsfähigen Jugendlichen bestimmt ist. Daraus wird die Notwendigkeit zur Anleitung und pädagogischen Steuerung begründet. Diese besteht einerseits aus einem in Regeln fixierten Bestandteil, dem »Recht v[er]sten«. Darin spiegelt sich die grundlegende Absicht brieflicher Kommunikation, über die Generationen hinweg und insbesondere zwischen ihnen trotz der geographischen Entfernung eine ethische Präsenz im Leben des Sohnes zu erhalten. An diese Notwendigkeit erinnern die Worte Leonhart Tuchers auch den Sohn

501 Eine breit angelegte empirische Untersuchung dazu bietet Beer, Die Stellung des Jugendlichen, wobei der humanistische Kontext (bietet Taddei,Images and Conceptions of Youth als Folie in den Blick kommen muss. 502 Zu Möglichkeiten der sprachpragmatischen Interpretation vgl. den linguistisch inspirierten Ansatz von zu einem räumlich und zeitlich nahen Quellenkontext in Heike Sahm, Dürers kleinere Texte. Konventionen als Spielraum für Individualität, Tübingen 2002. 503 StadtAN E 29/IV Nr. 140.

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Levin (1537 – 1594) am 22. August 1559.504 Dieser hatte ein »püxen« (Büchse i. S. von Gewehr) aus dem Haus seines Vaters mitgenommen, obwohl ihm das verboten worden war : »Mein grus zuvor lieber Levinus Ich pin In erfarung kumen das du dich vntterstanden hast noch ein püxen so des Jorg Rottengatters ist hast mit dir von hin gefürt das Ich mich dieweil Ich dies vorpott[en] hab […] vnd solst wissen das Ich dirs nit will also hin lasse[n] gen vnd gedenck vnd schick mir die vnd mit dem erst[en] potten heräus In mein handt[.]«505 Der Vater verlangt in diesem Fall, dass Levin die Tat rückgängig macht, und deutet Sanktionen des Verhaltens des 22 Jahre alten Sohnes an, wie es einem jüngeren Sohn angemessen gewesen wäre, doch er es »nit will also hin lasse[n] gen«. Auch in diesem Fall erfolgt eine Begründung, die wesentlich auf Hierarchie zwischen den Generationen unterschiedlichen Alters abhebt. Die erhobenen Forderungen scheinen direkt dem Lehrkanon entnommen: [D]en solt es dahin gelang’ wen Ich etwas aus gütt[en] vrsach[en] verpuet vnd du wolst dich haymisch duckisch wider meine[n] willen vnttersten. Des soll ich nach deine willen für zu nehmen das wie Ich dir nit geduld darvmb Ich dich nemlich will gewarnt haben. Solst villmer gedencken wie Ich di[r] bevolh[en] hab, dich geg[en] gott zw befleg[en,] In teglich fro züm auf sten vnd zu nacht Zum nyder gen mit deme hochlich gepott als ein armer sund[er] zw bekennen vnd fleelich auch hertzlich zw peett vmb gnad vnd ein selligs Ennde vnd dich Im In sein Geschehe barmhertzigkait schutz vnd schirm zu beuelh[en] die gnad vnd gaist verstandt geb[en] Recht zw thün vnd unRecht zw mayd[en,] vnd des du gegen seiner Ewig goth art auch meniglich verantwortlich sey[st], des du auch In mass[en] wie andere mit schreib[en] Rechnen vnd züm Handel dinstlich mag[st] sein dich wolst befleyss[en] vnd nit all mall wartt[en] pis ma[n] dich ein ding […] heiss’ das z[uvor] beuolh[en] ist zu thün vnd des selbig willig vnd mit fleys zw bericht[en][.]

Der Vater aktualisiert gewissermaßen Forderungen aus der Lehrlingszeit, dabei erinnert er zunächst an die Pflicht des Sohnes, einsichtsvoll gemäß seiner Autorität zu handeln. Dieser Gehorsam bedeutet »Recht zw thün vnd unRecht zw mayd[en]«. Der dazu nötige »verstandt« sei nur durch die Gnade Gottes zu erlangen, um die Levin bitten und für die er beten solle. Daran schließt Leonhart Tucher einen Katalog der handelspraktischen Kompetenzen an, die neben den elementaren Fähigkeiten und ihrer beflissenen Ausübung auch die Selbstmoti504 Die folgenden Zitate entstammen StadtAN E 29/IV Nr. 341. 505 Linhart Rottengatter war Gesellschafter in der nach dem Tode Lorenz Tuchers »Linhart Tucher und Mitverwandte« genannten Firma, vgl. Horst Wagenführ, Handelsfürsten der Renaissance, Stuttgart 1957, 129; eine weitere, erst sehr positiv und dann immer zurückhaltender, ja anklagend kommentierte Verbindung mit der Ulmer Familie bestand zu Jakob Rottengatter, der 1546 Christoph Tucher auf seiner Reise nach Saragossa zuverlässig begleitet hatte, aber schon bald durch Nachlässigkeiten im Briefverkehr mit Nürnberg und durch Fehlkäufe von Safran, zumal von einem den Tucher unliebsamen Verkäufer, Kritik auf sich gezogen hatte, vgl. Kellenbenz, Nürnberger Safranhändler in Spanien, 202.

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vation des Sohnes bei der Ausführung der gestellten Aufgaben mit einbezieht. Hierbei kommt das bereits in anderen Briefen sich abzeichnende Jugendbild kaufmannsspezifischer zum Tragen. Leonhart Tuchers Begründung erschöpft sich jedoch nicht in der (wahrscheinlich bereits auch bei Levin schon wiederholten) Anführung eines relativ fixen Wissensbestandes im Brief. Die handelspraktischen Forderungen sind eingewoben in das um die Mitte des 16. Jahrhunderts im Protestantismus wohl wirkungsmächtigste ethische Movens, das individuelle Gewissen:506 »Solst villmer gedencken wie Ich di[r] bevolh[en] hab, dich geg[en] gott zw befleg[en,] […] vnd des du gegen seiner Ewig goth art auch meniglich verantwortlich sey[st][.]« Hatte der Sohn gegen die Autorität des Vaters verstoßen, so appelliert dieser nun an das fromme Gewissen des Sohnes, das den Gehorsam gegenüber dem Vater mit umschließt. Die Parallelisierung des Vaters und Hausvaters mit Gott selbst entspricht durchaus zeitgenössischen ökonomischen Lehren.507 Damit wird einerseits ein Gegenbild zum anstößigen Verhalten des Sohnes aufgebaut, andererseits fungiert diese Anbindung der väterlichen Autorität an die Frömmigkeit als Triebfeder zur Verhaltensänderung. Die Erwähnung der elementaren Frömmigkeitspraktiken des Gebets, des frommen Andenkens an die göttliche Gnade bis hin zur Sorge um »ein selligs Ennde« verleiht diesem Ziel rhetorische Evidenz. Leonhart Tucher ›handelt‹ mit Worten von Gott508 im sozialen Kontext der Kaufmannspraxis, zu dem Ziel, »des du auch In mass[en] wie andere mit schreib[en] Rechnen vnd züm Handel dinstlich mag[st] sein«. Die Funktion sozialer Vorbilder, »wie andere« fleißig zu arbeiten, gerät dabei in den Hintergrund eines sündentheologisch konstruierten Tabus. Zum Abschluss fordert er den Sohn auf, seinen Gehorsam nicht nur (mittelfristig unkontrollierbar) im Alltag umzusetzen, sondern dies auch in Briefen an den Vater zu dokumentieren.

506 Seit der Reformation steigerte sich die Bedeutung des Gewissens, vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, 31 – 158. Die dogmatische und moraltheologische Fundierung sowie die Erhebung zu einem leitenden Theologumen stellt dar Friedhelm Krüger, Gewissen II. Neues Testament, in: Gerhard Müller (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 8, Berlin/New York 1984, 213 – 225. 507 Die wenigstens normativ verankerte Zentralität der Vaterrolle ist ein Befund, dessen Interpretation kontrovers in der aktuellen Forschung diskutiert wird, sich gleichwohl aber auch in den Briefen spiegelt. Vgl. Gotthardt Frühsorge, Die Begründung der »väterlichen Gesellschaft« in der europäischen oeconomia christiana. Zur Rolle des Vaters in der »Hausväterliteratur« des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutschland, in: Hubertus Tellenbach (Hg.), Das Vaterbild im Abendland. Rom-Frühes Christentum-Mittelalter-Neuzeit-Gegenwart, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978, 110 – 124. 508 Zu negativen Wirkungsweisen von Sprechakten vgl. Francisca Loetz, Mit Gott handeln. Von den Zürcher Gotteslästerern der Frühen Neuzeit zu einer Kulturgeschichte des Religiösen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 177), Göttingen 2002.

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Die Aufforderung, bis zu einem gesetzten Termin zu antworten, teilt dieser Brief mit anderen erziehungsbezogenen Briefen Leonharts. Wie an Briefen von den Söhnen zu zeigen sein wird, antworten diese in einer regelkonformen Weise, so dass die väterlichen Forderungen sich als Belege für einen die Generationenbeziehungen ganz grundsätzlich bestimmenden Diskurs deuten lassen, mithin als notwendige Aktualisierungen bestimmender Regeln, Werte und deren topischer Ausdrucksform. In Bezug auf das tägliche Gebet schreibt beispielsweise Daniel am 12. November 1545 aus Mailand, dass ihm die Gelegenheit zum Beten fehle, was ihm sein Gewissen besonders belaste; er habe vorübergehend das Bett mit dem anderen Lehrling teilen müssen, »der war ein Welscher [sc. Italiener]«, der aber nicht bete und womöglich die Betpraxis des Nürnbergers öffentlich als ketzerisch denunzieren würde: [D]er schlief mit mir in meinem Bett, und wisst, wenn sie sich niederlegen oder aufstehen, dass sie gar nicht beten, und wenn ich mich mit demselben Jungen niederlegte, dass ich ja auch nicht durfte beten, denn ich hatte Sorge, wenn er’s hört, so möchte er’s sagen, und hatte Sorge, man würde danach sagen, ich wäre ein Lutherischer[.]509

Der eingangs dargestellte Konflikt bezog sich auf die Kontinuität zwischen den Generationen am Beispiel der Kaufmannsbildung, der Kompetenzen und allgemeiner charakterlicher Eigenschaften, die zu erwerben waren; der Brief des Vaters besaß jedoch über berufliche Fragen hinaus auch für den Ruf und Status der Familie Relevanz. Die Berufsbilder der städtischen Eliten pluralisierten sich, der soziale Status wurde immer öfter auch durch andere Berufe als den des Kaufmanns gesichert. Das Patriziat war adeligem Assimilationsdruck ausgesetzt und nahm neue Lebensformen und Distinktionsweisen auf.510 Der städtische Raum war stark durch den Status des Patriziats strukturiert,511 eine Hierarchisierung, die auch das Haupterkennungsmerkmal des sozialen Status’ einer Person, die äußere Erscheinung in der Form von Kleidung, mit einschloss. In den Briefen der jungen Tucher weisen zahlreiche Abrechnungen und 509 StadtAN E29/IV Nr. 113, zit. nach Diefenbacher, Tucherbriefe, 46 f. 510 Zu den städtischen Ritterturnieren im 16. Jahrhundert vgl. Thomas Zotz, Adel, Bürgertum und Turniere in deutschen Städten vom 13. bis 15. Jahrhundert, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 80), Göttingen 1985, 450 – 500. 511 Zur sozialen Aufteilung öffentlich zugänglicher Räume vgl. Donatella Calabi, The Market and the City. Square, Street and Architecture in Early Modern Europe, Aldershot/Burlington 2004, bes. 45 – 57; die Verknüpfung von »Sozialkapital« und wirtschaftlichem Kapital in Räumen der spätmittelalterlichen Stadt zeigt in exemplarischen Ansätzen Matthias Meinhardt/Andreas Ranft (Hg.), Die Sozialstruktur und Sozialtopographie vorindustrieller Städte. Beiträge eines Workshops am Instituts für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 27. und 28. Januar 2000 (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 1), Berlin 2005, passim.

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Ausgabenlisten beträchtliche Beträge für die Anfertigung von Mänteln, Schuhen und Mützen auf.512 Anton Tuchers Einträge in sein Haushaltsbuch deuten bezeichnenderweise auch darauf hin, dass er dem Nürnberger Ratskonsulenten Dr. Christoph Scheurl ein Kleidungsstück als Anerkennung für erwiesene Dienste zugedachte.513 Kleidung war ein komplex vergesellschaftetes, situativ zwar variables aber auch ständisch vorgegebenes Zeichensystem zur Markierung sozialer Differenzen, der Kennzeichnung von Marginalisierung wie der Distinktion. Die Kleidung der städtischen Eliten war nur am Rande Verbrauchsgegenstand, sondern vielmehr »Wertgegenstand« und Teil der Repräsentation im Alltag.514 Diese Konnotation schwingt mit, wenn Leonhart Tucher die Säuberung von Kleidung erwähnt. Der Sohn solle sich »nit schemen dem [Lehrherrn] hutt[er] wan es die notturft erfodert seine claid vnd Schuch zw seubern«,515 d. h. die Kleidung als Spiegel des standes- und ehrgemäßen Verhaltens. War Levin nicht bereit gewesen, die Kleidung eigenhändig zu reinigen? Es ist zu vermuten, dass dem jungen Sohn der eigene Status so weit bewusst geworden war, dass er die seinem Alter angemessene Position überschätzt hatte und offenbar bereits auf Dienstleistungen zurückgreifen wollte. Briefe der Söhne bieten gelegentlich auch Einblick in die vertretungsweise übernommene ›väterliche‹ Erziehungsrolle, wenn z. B. Paulus Tucher (1524 – 1603) das Verhalten seines Vetters Martin kommentiert und von der Aufsicht über den Bruder Herdegen berichtet.516 Dieser Brief ist vom väterlichen Jugendbild geprägt; gleich mehrfach betont Paulus die erziehungskonforme Haltung der Brüder, indem er über sie aussagt, sie seien »Eins Züchtich[en] wandels vnd wesse« und besäßen »Ein rechtschaffe[n] vnd Züchtich wandell«. Paulus versichert dem Vater die »fleissigest« Ausführung von »all ewer thun vnd handlun[g]« sowie auch die schriftliche Rückversicherung seiner Ergebenheit: »Ir ein Gott will nit anderst vernemen soltt[.]« Damit baut Paulus Tucher bei seinem Vater eine inhaltliche Erwartungshaltung gegenüber den Briefen auf; andererseits stärkt er damit auch den Vertrauenswert des Mediums, beteuert er 512 Weitere briefliche Beispiele finden sich im Wittenberger Briefwechsel Paulus Tuchers mit seinem Vater, wobei für die erscheinenden finanziellen Aufwändungen im Brieftext teilweise Ursachen ergänzt werden. 513 »Item adi 9 marczo [1517] schenckt dem doctor Kristof Schewrll ein stuck schwarcz czamlott, der gestet mich 8 gülden.« Vgl. Wilhelm Loose (Hg.), Anton Tuchers Haushaltsbuch (1507 – 1517) (Bibliothek des literarischen Vereins 134), Stuttgart 1877, 77. 514 Dieser Argumentation folgt Anne-Kathrin Reich, Kleidung als Spiegelbild sozialer Differenzierung. Städtische Kleiderordnungen vom 14. bis zum 17. Jahrhundert am Beispiel der Altstadt Hannover (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsen 125), Hannover 2005, 177. Dort auch Angaben zum Zusammenhang von Kleidung und Konsumbegrenzung in Luxusordnungen. 515 Vgl. für eine Transkription neuerdings Diefenbacher, Tucherbriefe, 29 sowie Abb. 29, 30. 516 StadtAN E 29/IV Nr. 504.

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doch, dass der Vater nichts anderes vernehmen werde, auch nicht auf anderem Wege der Kommunikation, möglicherweise dem informelleren mündlichen Austausch mit anderen Reisenden. Der Brief des Sohnes spiegelt die in der Erziehung vermittelten Werte, wenn er seine ethische Disposition beschreibt: [M]it allem thun welchen wir hoffen mit gotts hilff mit allen fleis nach zu kumen vnd mit dem Haußhaltt auff das eingezognest halltt[en] als sein kann vnd all ewer thun vnd handlun[g] soll auff das fleissigest außgewardt wern vnd mit dem naus schreib wol wir vns mit gotts hilff auch fleysig das so offt es sein kann soll eüch mit allem fleis nauß geschriben werden welchs wir zy gott hoffe vnd Im auch teglich darümb bitten woln[.]

Die Schilderung von Erziehungskonformität erfolgt in einer nicht systematischen Weise, d. h. hier wird nicht lediglich ein Tugendkatalog angeführt. Vielmehr erscheint die Verhaltensbeschreibung in einer eng verwobenen Form, werden die erklärtermaßen befolgten Werte geradezu ›ausgestellt‹ durch die rhetorische Ausbreitung, ausdrucksmäßige Vereinzelung sowie durch Wiederholungen. Eine qualitative Lesart dieses Materials kann den variantenreichen redundanten Ausdruck und offensichtliche Wiederholungen nur ignorieren, wobei sich die Arbeitsmaximen konsequent auf die Vorgehensweise auswirken. Insbesondere an den Wiederholungen scheint der soziale Sinn des Briefeschreibens ablesbar zu sein, beruhten sie doch offensichtlich auf väterlichen Erwartungshaltungen. Paulus antizipierte diese Erwartungen und gestaltete in diesem Sinne seinen Brief. Die Schreibsituation beruhte vor allem auf der Gegenseitigkeit der Erwartungshaltungen, die dem hierarchischen Verhältnis der Generationen entsprechend die Korrespondenz strukturierten. Erst in diesem grundlegenden Sinne ist die Versicherung zu verstehen, Paulus und sein Bruder würden bald wieder schreiben. Die damit verbundene Garantie betrifft das Verhältnis der Söhne zu dem Vater ganz grundlegend. Die Korrespondenz war keineswegs (im Rahmen der ohnehin aus zahlreichen Vorgaben bestehenden ›ars scribendi‹) nur affektiv bestimmt, sondern erlangte gleichzeitig den Charakter eines Dokuments sozialer Beziehungen. Diese Verbindung von affektivem Gehalt und »Vertragscharakter« hat eine lange alteuropäische Tradition im Beziehungstypus der erst neuerdings stärker in den Blickpunkt geratenen ›amicitia‹.517 In diesem sozialen Zusammenhang entstandene Briefe bildeten offenbar ein Kommunikationssystem, das verschiedene hierarchische Unterschiede überbrücken half. Briefpartner, die relativ eng vertraut waren, wurden genauso behandelt wie neuere 517 Für dieses lange vor dem hier bearbeiteten Untersuchungszeitraum liegende Beispiel vgl. Verena Epp, Amicitia. Zur Geschichte personaler, sozialer, politischer und geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 44), Stuttgart 1999, 64.

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Korrespondenzteilnehmer ; so waren beide Seiten in der Pflicht, sich brieflich zu melden und den Austausch von Briefen zu einer Art von sinnträchtigem Ritual mit einem metakommunikativen Eigenwert werden zu lassen. Analog zu dem von Epp an frühmittelalterlichen Briefen herausgearbeiteten Modell von amicitia,518 zeichnet sich auch die gesellschaftliche Differenzierungsform von Jung und Alt in einem spezifischen semantischen Korrelat, den Briefserien im Familienarchiv, ab. Der zitierte Brieftext verleiht somit nicht nur den Beziehungen zwischen den Generationen Ausdruck, sondern ist ein Bestandteil dieser Beziehungen. Die scheinbare Nähe der Briefe zu einer durch persönliche Anwesenheit geprägten Erziehung deutet sich an in der assoziativen Reihung der Gedanken und einer inhaltlichen Progression. Besonders der letzte Abschnitt scheint einen Mündlichkeitsindikator zu enthalten, nämlich eine unmerkliche Lücke in der Ausdrucksweise, die auf eine – beim Sprechen oder lauten Nachdenken vorkommende – zu hohe Geschwindigkeit beim Wechsel der phrasenbezogenen Sinnkontexte innerhalb eines Satzes zurückzuführen ist. Diese »Junktion« von Komponenten zweier Satzteile in eine einzelne syntaktische Einheit bleibt in der linguistischen Forschung – wie die gesamte historische Mündlichkeitsforschung – umstritten, jedoch ist dies eines der wenigen Instrumentarien zur Annäherung an die verlorene Intensität mündlicher face-to-face-Kommunikation.519 Der Brief ist nicht ahistorisch als ein Vorgriff auf aufklärerische oder gar moderne Briefwechsel zu deuten, etwa als ›Ersatz‹ des direkten Gesprächs.520 Vielmehr soll die Vergesellschaftung der in ihnen vertretenen Werte erschlossen werden, um die spezifische Form der sozialen Bindung herauszuarbeiten. Paulus wägt die Situation mit den Augen des Vaters ab. Aus dieser Sicht ist der Jüngere durch Müßiggang gefährdet, dieser sei »nit gern daselbst wer lieber hie[r,] will Im die zeitt zu lang wern«. Freiheit von Pflichten wurde als eines der Hauptprobleme besonders der jungen Menschen angesehen. Wohl ohne Beschränkung auf einzelne soziale Gruppen, aber mit besonderer Emphase auf das städtische Bürgertum findet sich Langeweile, Faulheit und Müßiggang in der zeitgenössischen Literatur, wie z. B. in der in zahlreichen Auflagen und Übersetzungen aus dem Lateinischen verbreiteten Emblemsammlung des Alciatus 518 Zum systemtheoretischen Hintergrund vgl. Epp, Amicitia, 2, Anm. 1. 519 Wolfgang Raible, Junktion. Eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 1992/2), Heidelberg 1992. 520 Noch in der intimsten Kommunikation unter Freunden werden keine unmittelbaren Gefühlslagen abgebildet, sondern in das briefliche Medium und somit in eine Sprache der Vertraulichkeit transformiert, ja in der Sprache der Vertraulichkeit ausgesprochen. Für den Historiker kann es kein Erkenntnisobjekt geben, das hinter dieser Sprache läge, vgl. Vellusig, Verschriftlichte Gespräche, bes. 62.

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unter dem Titel »Desidiam abijciendam. Faulkeyt ist zu fliehen«: »Das man sich auff den protkorb leg, […] das thuet nur der faul vnd treg […] Deß kumbt er dan in not vnd plag.«521 Die soziale Kontinuität wird darin als gefährdet dargestellt, denn einerseits fehle Vorsorge, andererseits schwingt auch eine religiös unterlegte Sittlichkeitsauffassung mit, die besonders die jungen Menschen betrifft. Denke doch der faule junge Mann, »es bleyb im alweg/ Gesunder leyb, dass er all tag/ Sein speyß mit fueg gewinnen meg«. Vermag der junge Mann noch leicht sich zu versorgen, so bleibt dem Alten dies verwehrt, wodurch hier auf den familiären Versorgungszusammenhang angespielt wird, der einen durch körperliche Gebrechen arbeitsunfähigen Alten an den Armutsrand der Gesellschaft zwingt. Paulus’ Bemerkung bezieht sich jedoch nicht allein auf eine etablierte Norm, sondern er argumentiert damit im Sinne der Erfüllung seiner eigenen Aufgaben als ältester Bruder. Er war selbst noch zu erziehen, jedoch sollte er offenbar auch seine Brüder kontrollieren. Die Frage der Verantwortlichkeit musste sich also regelmäßig dann stellen, wenn seine Brüder gegen Regeln verstießen und Paulus an den Vater zu schreiben hatte. Im Schreiben des Paulus bahnt sich in dieser Frage eine vorsichtige Verschiebung der Verantwortung ab. So lässt sich sein Bezug auf das Böse, den Teufel in der Welt lesen, den er als eine Quelle der Verführung besonders junger Menschen darstellt.522 Ein apologetischer Argumentationsgang ist insbesondere im Lichte der folgenden Informationen wahrscheinlich. Das Jugendbild war zentral durch engen Bezug der Söhne zum Vater gekennzeichnet.523 Die Ordnung der Familie war durch göttliche Gnade errichtet worden und konnte durch Gehorsam der Söhne bestätigt werden.524 Die stereotyp wiederholten frommen Beteuerungen dienten daher der Selbstdarstellung, könnten aber durchaus auch eine wörtliche Bedeutung gehabt haben. Sie bilden jedenfalls im Verlauf des Briefes eine Positivfolie, gewissermaßen den einen Teil einer Antithese der Schilderung des gefährlichen Umgangs von Martin und Herdegen. Paulus macht die zitierten Versprechungen, verleiht Hoffnungen Ausdruck und kommt erst dann vorsichtig auf die in seinem Verantwortungsbereich entstandenen Probleme zu sprechen, die er mit Hinweis auf den Müßiggang Martins zu Beginn des Briefes ausgedeutet hatte. Keineswegs war damit das Wohlergehen von Martin selbst gemeint, vielmehr standen Herdegens Situation sowie Paulus’ Selbstdarstellung als urteilender Bruder im Vordergrund. 521 Dieses Emblem ist abgedruckt in Münch, Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit, 53. 522 Der Einfluss ist von noch größerer Einflusskraft im Knabenspiegel-Roman, wird ihm doch regelmäßig die Schuld am Verderben der Kinder gegeben, vgl. z. B. Müller, Knabenspiegel, 735, 737. 523 Andresen, Vaterbild und Männlichkeit. 524 Bieritz, Haus, hier 481 f.

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Paulus beschreibt Martin nun äußerlich und mit Bezug auf seine körperliche Erscheinung, eine Körperauffassung, die von der ›Lesbarkeit‹ des Körpers ausgegangen zu sein scheint.525 Ekelerregende Anzeichen von Krankheit parallelisiert Paulus genauer in einem hier nur kurz heranzuziehenden Brief über Herdegen vom 14. Juli 1547.526 Martin sehe krank aus, weil er am unsanktionierten Konsum von Obst, »obs«, leide. Im Garten seines Lehrmeisters hatte Martin sich offenbar gänzlich von seinem Appetit leiten lassen und war nun von dieser Diät geschwächt (»schwag«). An den Befund der äußeren Erscheinung schließt sich die sonstige Kritik an: »Will mir sunst an seim thun auch nit gefall[en]«. Paulus erklärt: Martin verhalte sich »vbel […] als einer der es etwa nit verstehtt. Es wer gutt das er von danen hinweck kem dan ich hab sorg E[r] wer nit sunder mer da lernen[.]« Offenbar waren die typischen Probleme mit einem Lehrmeister aufgetreten, die bereits Gegenstand der Vorverhandlungen über eine Lehrstelle gewesen waren. Abhilfe kann in diesem Falle ausschließlich ein Wechsel des Lehrmeisters schaffen. Die Gründe dafür liegen jedoch auch bei Martin, dessen Anwesenheit einen schlechten Einfluss auf Herdegen habe: »Hab auch sorg wen er offt vmb den herdeg[en] wür sein Er wür In in vilen Verkern wiewoll ich Im bevolh[en] hab Er soll nit vill vmb In sein[.]« Soziabilität besaß einen hohen erzieherischen Stellenwert im Kontext der frühneuzeitlichen Stadtkultur, war doch der Raum der Stadt symbolisch durch Markierungen wie ständebezogene Kleidung in ihren Luxusstufen strukturiert. Die Stadt als Ordnungsraum konnte auch als Bedrohung wahrgenommen werden, die eine positive Entwicklung des abwesenden Sohnes gefährden und den Sohn dem Vater entfremden konnte.527 Die Dramaturgie von Wickrams »Knabenspiegel« beruht ganz auf dem schädigenden Einfluss junger Männer wie »Lottarius« und »Willibald« aufeinander und deren gruppenspezifischer Eigendynamik, die sich der väterlichen Kontrolle entzieht und die Kommunikation im Grunde abbricht.528 Die Konstellation der Brüder beim Versuch, sich vor dem Vater zu rechtfertigen, erlaubt Hypothesen zum kommunikativen System der Briefe. So lassen sich diese Schriftstücke als rekursiv entstandene Rückversicherungen charakterisieren, die den Charakter eines mit mittelfristiger Geltungsfunktion ausgestatteten Dokuments besessen haben, das Erziehungskonformität verbürgte: 525 Krankheitsdarstellungen besaßen den Charakter von Wahrnehmungen. Daher ist es nicht sinnvoll, eine ›historische Diagnose‹ der Leiden zu verfolgen, vielmehr sind Erfahrungs(und Darstellungs-)muster zu verfolgen, vgl. Michael Stolberg, Homo patiens. Krankheitsund Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln 2003. 526 StadtAN E 29/IV Nr. 511. 527 Zu einem Extrembeispiel von Formen männlicher Soziabilität vgl. auch Michael Rocke, Forbidden Friendships. Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, Oxford/ New York 1996. 528 Zu Wickram vgl. unten IV.3.

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»So hab ich meinen Bruder Herdeg[en] sunst auch fleisig bevolh[en] das er offt her vnd auch Euch naus soll schreib[en] will Im auch hie dester offter schreib[en] auff das ich Im ursag gib dester offtter zw schr[eiben][.]« Herdegen bedurfte der aktiven Erinnerung an die familiäre Tradition und den Bildungsauftrag, mit dem er zur Auslandslehre geschickt worden war. Beim Briefeschreiben aktualisierten sich diese Wissensbestände. Der briefliche Habitus sollte die Lebenspraxis gleichzeitig wiedergeben und formieren. Hierin scheiterten viele Briefe, hob sich doch das reale Verhalten von den Versprechen in Tintenschrift merklich ab. Das standesangemessene Schreiben in der Gattung des Briefes, unter Einschluss aller dazugehörigen Werte, war somit eine pädagogisch verordnete Kultur, die zumindest im Brief, bestenfalls aber auch in der Praxis ihre Entsprechung finden sollte: in einem spezifisch kaufmännischen, patrizisch-stadtbürgerlichen Habitus.

2.2.3 Krankheitsdarstellungen und Körpererzählungen: Zeichen von Frömmigkeit oder Argument? Beinahe jeder Brief zeigt in der formelhaften sprachlichen Gestaltung die Bedeutung an, die das Wohlergehen der Empfänger für den Absender besaß. Stets wird formulartypisch dem Angeredeten der Gruß entboten, die eifrige Dienstwilligkeit beteuert und nach der Gesundheit gefragt. So schreibt der 14-jährige Herdegen Tucher 1547 an seinen Vater : Dem […] weisen Lienhart Tucher meinem liebenn […] vater […] Mein […] willige dinst zuvor lieber herr vatter wist das wir hie zu lion im hauss alle frisch vnnd gesundt sein […] wenn ir sampt der Mutter vnnd das ganntz hauss gesindt in frischer gesundheit wert das wer mir ein grosse freudt von euch zuvernemenn[.]529

Die Frage nach der »frischen Gesundheit« und die Bestätigung, man sei selbst frisch und gesund, treten im Nürnberger Briefarchiv besonders deutlich in ihrer großen Gleichförmigkeit entgegen. Jeder der Briefe der Söhne enthält diese Wendung. Auch wenn sie nur einen Ausschnitt aus einem Kommunikationszusammenhang darstellen, so erschließt sich aus dem für das mittels des Briefprotokolls inszenierte erzieherische ›Sprachspiel‹ doch die metakommunikative Bedeutsamkeit. Der 18-jährige Herdegen Tucher bestätigt in seinem Brief vom 20. Februar 1551 den Erhalt des Briefs vom 23. Januar. Auch sei seine Sendung einer Schachtel, eines Fasses und einiger Rebhühner bereits angekommen. Der von ihm nach Nürnberg gesandte Zucker, Anis und »Kolliander« sei – wenn auch 529 StadtAN E 29/IV Nr. 5.

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etwas verspätet – doch überhaupt noch eingetroffen. Er habe vorher für den Vater einkaufen können, nämlich »für euch kaufft kost 4 fl 5 st, neher hab ichs nit kunen zw wegenn bringenn ist thewr genug[.]«530 Größere Mengen dieses Materials könnten zwar auch nach Straßburg geliefert werden, aber nach Genf werde es schneller gelangen. Inzwischen seien »schwartzen Kropff fell vnnd mentell« relativ teuer geworden, aber [W]ill ich damit in gutter acht haben […] alß dan so sols ewre begertte gattung wie ir mir schreybt vnnd in dem pri[f] wie ir dem pruder daniell geschrieben habt wie er mirs memoria gelassen hatt/ kaufft werden[.]

Unmittelbar auf diese doch stark aus dem Tag heraus zu erklärenden, auswechselbaren Mitteilungen schreibt Herdegen Folgendes: So hab ich in ewrm schr[eiben] auch mit laidt v[er]nomen wie got der almechtig mein Liebe muter sampt meim pruder Cristoff zw sich hat genomen aus diessem Ellendt. Solchs wir im bevelhenn mussen vnnd in stets vor augenn habenn. Der woll vns allenn Ein seligs endt gebenn vnd v[er]leyh[en.]

Der Tod der Mutter wird mit schütteren Worten an später Stelle im Brief angesprochen. Emotionale Anteilnahme ist lediglich in die Worte »mit laidt« hineinzudeuten, jedoch bestimmt die Einsicht in die Endlichkeit des menschlichen Lebens diese Stelle. Der Tod der Mutter wird abgeklärt eingereiht in den theologischen Horizont der Interdependenz von Leiden und Heil, Tod und »seligs endt«. Nahtlos fügen sich daran Glückwunsche zur Hochzeit des Vetters Anton Tucher, sowie zur Geburt eines Kindes an: [W]eitt[er] [mir zuuor zw wyssen ist worden] auch wie des vetter[s] wolff tucher weyb Eins Suns ist genessen, vnnd ir glucklich vnd woll damit ist gangen gott hab lob/ will auch wieder Zeit was mich vetter wolff tucher wurd[t] hayss[en] volg thun/ vnd in auch frag[en] in allem was den handell betrifft so ich nit wayßs[.]

Auch die Geburt wird dem Geschäftlichen nachgeordnet, nur die Entbindung des mit dem Schreiber verbundenen Familienmitglieds wird sehr knapp erwähnt. Ebenso werden weniger drastische Erkrankungen berichtet und in die offenbar den Textteilen und der Reihenfolge nach vorgegebene Struktur des Briefes eingeordnet. So beginnt ein Brief Herdegens vom 23. März 1551 wie folgt: »Soll auch ewr handlun[g] vnd geschefft mit gantzen vleis ausgewart werden vnnd kein vleis nit gespartt werdenn gott behut vn[s] für vnfall amenn«. Nach einigen geschäftlichen Berichten folgt der Bericht über beide Vettern in Genff, »wolff tucher und daniell«, die beide sehr krank seien und von »harm« betroffen. So habe Wolff sich 530 Ebd.

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zw nacht am viell auff stehen erkelt [und Schmerzen seien ihm] in die paider arm geschossen […] das er mit der handt kaum zum [m]undt kun komen […] hoff […] zw gott es soll ietz so die werm Anhalt pesser mit im wern. [daniell] hat auch ein schwere langwirige kranckhait gott der almechtig woll in paidenn gnedig vnd barmhertzig von solchenn kranckhaitten abhelffenn vnd inen sampt vns allen durch seinen Lieben sun herr Jesus Cristus ein fridliche froliche gesundthait v[er]leyhenn amenn[.]

Das vorliegende Material mag zu objektivistischen Fragen mit Bezug auf die tatsächlichen Krankheiten verleiten, also zu Fragen wie derjenigen, ob es sich nun um Reißen durch Zugluft handelte oder dergleichen. Die Positionierung der Krankheitsdarstellung als ein – wenn auch theologisch befrachteter – Teil des Geschäftsalltags ist jedoch entscheidender. Herdegen betet um seine eigene Gesundheit und demonstriert damit Frömmigkeit. Allerdings konnten eigene wie fremde Krankheiten in der Tat das Geschäft deutlich gefährden, wie aus einem Brief von Hieronymus (1502 – 1546) an seinen Großvater Anton Tucher vom 6. Mai 1521 aus Lyon hervorgeht: In des vetter Linhart Tuchers schreiben vernem das geschray der sterbetten leüft halb hat grossen schaden procht vnd vill leüt so sünst wern her kümen dahaymbt behalten/ es tragen die frantzossen auch allerley sorg eins zw selbigen kriegs von vnsserm hern kaysser das gott dürch sein genad woll v[e]rhuetten [möge][.]531

Epidemien beziehen sich ganz direkt auf den Geschäftserfolg, andererseits sind im Text auch ethische Konsequenzen erkennbar, wie die unmittelbar vorhergehende Passage nahelegt: [Hieronymus hatte Briefe von Linhart und Anton Tucher erhalten] des In halt mit fleyß verlessen vnd der gütten vntterRicht von E[urer] W[eisheit] hoch danckpar pin/ will mich mit der hilff gottes fleyßen zw halten das man nichts vnpilligs sol horn/ Ich f[e]st[en] wille[n]s die vergangen fasten zw Einem schreyber zw gen/ Es wolt sich aber der sterbetten leüfft halben nit leiden/ pin aber der hoffnong nach disser oster mes sol es füg haben das Ich zw Einem mag gen/ damit will ich kein fleyß sparn Etwas zw lern, So ist mir Ein priff durch […] potten ad[i] 25 abrill […] zw kümen des dattüm geben ist aüff 13 detto do In mir angezaigt wie mir dan vetter Linhart Tucher auch angesagt hat das mein lieben mutter mit todt ist abgang[en] derer vnd aller gläubigen sellen got woll genedig vnd parmhertzig sein/ vnd ist mir ein getrewlich groß laydt das ich doch gott mueß beuelhen vnd E[urer] W[eisheit] clagen[.]

Hieronymus demonstriert im Angesicht des Todes so vieler Menschen und besonders seiner Mutter die Stärke seines Glaubens. Dessen Kraft scheint durch die im Tod veranschaulichte Endlichkeit und Gefährdung des Lebens erst gebührend aus einem Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit hervorzutreten. Damit signalisiert Hieronymus, dass er die geforderten Maßstäbe der Erziehung durch den Vater erfüllt. 531 StadtAN E 29/IV Nr. 272.

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Diese Signalfunktion erachtete Hieronymus auch als ein wirksames Argument, um sich am 24. Oktober 1524 gegen Anschuldigungen des Vetters »Linhart« zu verteidigen, die in seiner eigenen Wiedergabe zugespitzt werden auf das Folgende: »Ir schreybt mir Ir maindt Ich nem mehr geltz Ain dan Ich mir hab zu geschryb[en][.]«532 Der Brief, der diese Worte enthält, beginnt mit einer markiert erziehungskonformen Passage und einer Beschreibung der Gesundheit des Hieronymus. Er hofft, der Brief vom 5. Oktober sei gut angekommen: In solchem [Brief] all Eüer mainnüng Eüch ofter zu schreyben [wie ich es bisher nicht getan habe] solchs Eygendlich wyll fürpas thun […] es nem Eüch wunder wo Ich hin gedenck das Ich in Kurtzer Zeitt so vyll geltz hab an gewo[nnen] vnd des bedünck[t] Euch Ich mach vyll Klaiter [sc. Kleider] und [Ge]schenck[e] darnach solche wider legt und las herrnach frische machen […] Ich verwar nit mein Kranckhait die [ich] hab gehabt vnd mein schenckel die Ich habe gehabt die hab mich nit Ain [kl]eins [ge]kost[et] Ich habe Ain Lochlein in den Lincken Schenkell pey dem knochen 2 gantze Jar gehabt das hatt mir nit wollen hayllen dan […] solichs hab ich Auch mit mir von Nürnberg her geprocht gehabt man sols d[r]aussen woll Ettwan an mein hoffen sehen […] wyst Lieber vetter das Ich [mich] fürpas wyl[, so] mir Gott der her gesundthaitt [will geben] mit dem Geltt geschmeydiger haltten das soltt Ir fürpas sehen will mich auch A[n] Gott vyll halten vnd lernen solchs gelt widrum [h]erum zu pringen solt auch Ain gott wyll nit von mir v[er]nehmen das mich die possen frawen noch possen geselschaft so noch spyll soll v[er]fürren[.]

Die hohen Lebenshaltungskosten werden in direkten apologetischen Zusammenhang mit dem gesundheitlichen Zustand des Schuldigen gesetzt. Nach dem Ende der Krankheit würden die Abrechnungen weiterhin ordnungsgemäß sein und niedriger ausfallen, der 22-jährige Hieronymus werde ein religiös frommes Leben führen durch die mehrfach bekräftigte Orientierung an Gott. Dann werde er auch wieder – oder möglicherweise nur weiterhin – den Verlockungen und Anfechtungen durch Huren, schlechte (männliche) Gesellschaft und das Glücksspiel widerstehen können. Die Instrumentalisierung der Krankheit erfolgt in apologetischer Absicht, vor Gericht eingereichten Suppliken ähnlich.533 Krankheitsdarstellungen teilen mit anderen Körpererzählungen, dass sie ethische Maßstäbe kommunizieren. Die Inanspruchnahme des Körpers für andere Diskurse tritt in der emblematischen Literatur deutlich hervor. Wie der fühlende Leib als zwar irreführendes, aber doch beherrschendes und beherrschbares Kognitionsorgan herausgestellt wird, vermitteln briefliche Berichte über den Körper auch rhetorische Evidenz. Empfindung und Wahrheit 532 StadtAN E 29/IV Nr. 282. 533 Stefan Kleinschmidt, »ein fast abgemergekten man, der nunmehr uf seiner gruben gehet«. Der kranke Körper als Begnadigungsinstrument, in: Susanne Conze (Hg.), Körper Macht Geschichte – Geschichte Macht Körper. Körpergeschichte als Sozialgeschichte, Bielefeld 1999, 222 – 247.

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gewinnen in der beschriebenen räumlichen Erstreckung des Körpers ein glaubhaftes Gegenstück. Die Liebeslust als Inbegriff von korrumpierbarer Emotionalität wird im mythologisch angereicherten Diskurs der Ethik und Pädagogik dargestellt als die den männlichen Körper »verweichlichende Liebeslust«, ›libido effoeminans‹.534 Die Affektenlehre wird hier gleichsam auf die Geschlechter übertragen, so dass implizit mitschwingt, die negative weibliche Körperlichkeit könne auf den männlichen Körper übergehen.

Abb. 6: Barptolemaeus [sic!] Anulus (Barth¤lemy Aneau), Picta Poesis. Vt Pictvra Erit, Lvgdvni (Lyon) 1552, 32.

Die speziell auf den männlichen Körper bezogenen Passagen der Briefe spiegeln sich auch in den seltenen Ermahnungen durch Väter, wie an einem Beispiel gezeigt werden soll. Der Brief des bereits greisen Leonhart Tucher vom 27. Juni 1560 an den schon lange erwachsenen Herdegen bezieht den Körper des Sohnes in die Ermahnungen ein.535 Zunächst hatte er den Brief mit Hinweis auf sein eigenes Alter eröffnet, ein Argument, mit dem er im Verlauf des Briefes

534 Die Abbildung ist entnommen Henkel, Sinnbildkunst, 1628 – 1629, dort unter dem Titel »FONS SALMACIDOS. LIBIDO EFFOEMINANS«. 535 StadtAN E 29/IV Nr. 385.

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mehrfach Autorität beansprucht und das er an den gichtigen Körper, »die hendt ser vnglenck worn«, rückbindet. Eigenhändig zu schreiben war in der herausgehobenen sozialen Schicht des patrizischen Bürgertums unüblich, zumal Leonhart Tucher reicher Kaufmann und Stadtoberhaupt gewesen war. Möglicherweise schien ihm dies aus Diskretionsgründen nötig, eine nicht konsequent verfolgte Praxis, zumal der Brief sogar in einer Kopie erhalten ist. Im Kern nimmt der Vater verschiedene Unregelmäßigkeiten im Handelsgeschäft des Sohnes zum Anlass, dessen Lebenswandel zu kritisieren, Gerüchte über »vbermessigen drincken vnd andern vberstandt« anzubringen und allgemeine Regeln für angemessenes Verhalten zu formulieren. Zuviel Alkohol sei eine insbesondere durch falsche Gesellschaft hervorgerufene Gefahr : Es hat kein vernunftigen verstandt das man mit solichen leuten Je zu Zeitten muss heben und legen dan es kann kein nutz mit oder pey in[en] gesucht oder erlangtt wern, Erstlich so wirtt einer durch sie mitt allem verfurtt sunder auch mit in zu schanden, vnd kumpt in das vnwessen […] das dan an sel leib gesun[d]hait zum hochsten schedlich ist vnd zu lettz nymer mag davon geholffen werden […] [es ist] für kumen das du Ehrlichen Jungen so in geselschafft pey ander gewest dich ser beruembt haben, wie du vbermessig vill weins vormogst drincken vnd gedultten[.]

Die einmal zitierte, aber häufig vorkommende Formulierung »an sel leib gesundhait zum hochsten schedlich« zeigt deutlich die kulturelle Überformung, d. h. die Zeichenhaftigkeit des Körpers und dessen Aufladung mit ethischen, ja religiösen Kategorien. Wie in der niederländischen Oberschicht galten Körper als gesellschaftlich ›lesbar‹ und somit formungsbedürftig, eine Interpretationsweise, die dort sogar zu korrigierenden orthopädischen Eingriffen in die Körperhaltung der eigenen Kinder führen konnte.536 Im konkreten Fall wird der Körper im Diskurs der Triebminderung geradezu zu einem Einfallstor des Teufels in das individuelle Leben stilisiert: [D]as sindtt nitt Erber hendell oder solche geselschaft den[en] nach Zu volgen ist Ja es sindtt des possen feintz [sc. des Teufels] geselschafft[.]

Die Argumentation des Briefes führt Diskurse des Körpers und der Religion in eine synkretistische Briefsprache zusammen. Dennoch wird der religiöse Subtext, der weniger merklich auch die Briefe der jüngeren Lehrlinge geprägt haben muss, deutlich angesprochen. Die Triebhaftigkeit, die Orientierung an den unsicheren Empfindungen und an der Wollust gefährden den Menschen, seine soziale Stellung und sein Seelenheil; schon auf Erden ereilt Gottes Strafe den, der seinen Neigungen und Affekten folgt, wie insbesondere am Beispiel des Alkohols 536 Herman Roodenburg, The Eloquence of the Body. Perspectives on gesture in the Dutch Republic, Zwolle 2004, bes. 77 – 82.

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gezeigt worden war. Die körperlichen Folgen des Trinkens von »wein nit vngemueschtt« sind zusätzlich auch religiöse, wird doch der Alkohol »durch die straff gottes verhengtt«. Leonhart spitzt hier die Lebenspraxis Herdegens zu und stellt das ungezügelte Genussleben in Gegensatz zu einem gemäßigten, ehrbaren und am »Nutz« ausgerichteten Kaufmannsleben. Herdegen solle zur rechten Zeit aufstehen und zu Bett gehen, Leute nicht »hitzig«, also in ungezügelter Erregung aufgehen, sondern verständig sein und sich »pfleglich halten« durch die Vergegenwärtigung der Leiden Christi am Kreuz. Vor allem aber, dies wiederholt Tucher dreimal, sei der zerstörerische Alkoholgenuss, das »vbermessige« Trinken verboten. Der evozierte Anblick der zwei Vettern Orttel in Lyon, die seit dem Tod ihrer Väter vollkommen zügellos tränken, spielten und unwiderruflich in Verruf gekommen seien, lässt fremde Körper die eigentlich ethischen, frommen und berufsbildungsbezogenen Anliegens des Vaters verdeutlichen. Die angeführten Beispiele haben durchgehend einen Bezug auf den männlichen Körper, eine Gemeinsamkeit, die die kulturelle Überformung, die brieftextliche Einordnung der Krankheitsdarstellungen prägt. Kontrastiv lassen sich dazu die durchgehend knappen, aber häufigen Attribuierungen von Frauen anführen, d. h. Müttern und Schwestern als »schwag«, als vom Tod bedroht oder verstorben. Die extrem hohe Kindersterblichkeit tritt in den Briefen nur in sehr blassen Äußerungen von Betroffenheit auf. Im Tucherbuch werden als Todesursache von Verwandten häufig Seuchen genannt, in den Briefen in verkürzender Redeweise als »sterb« bezeichnet.537 Die Deutungen von aktuell ausgebrochenen Seuchen fallen weniger entschieden als göttliche Vergeltung und Strafen aus als das in der zeitgenössischen Chronistik der Fall ist.538 Zusammenfassend lässt sich zu Krankheiten, Todesfällen und Seuchenbeschreibungen in den Serien des Tucherschen Briefarchivs sagen, dass das Material hochgradig stereotyp erscheint.539 Demgegenüber zeigte beispielsweise die Korrespondenz der Eheleute Baumgartner ein davon deutlich verschiedenes

537 Zur Allgegenwärtigkeit von Seuchen, in Praxis und Wahrnehmung, vgl. Franz Mauelshagen, Pestepidemien im Europa der Frühen Neuzei (1500 – 1800), in: Mischa Meier (Hg.), Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas, Stuttgart 2005, 237 – 265. 538 Ein umfassendes Bild der Wahrnehmungen von Seuchen in reichsstädtischer Chronistik zeichnet Benedikt Mauer, Gemain Geschrey und teglich Reden. Georg Kölderer – ein Augsburger Chronist des konfessionellen Zeitalters (Studien zur Geschichte des bayerischen Schwabens 29), Augsburg 2001, insbes. 287. 539 So der Befund für die untersuchten Beispiele, von denen ausgehend die gemäß der Regesten in insgesamt 175 Briefen erfolgten Nennungen von Krankheiten überprüft werden könnten. Auch der dadurch zu erzielende Befund würde sich allerdings nur auf einen Ausschnitt der ursprünglich erfolgten Kommunikation beziehen.

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Bild.540 Auch hier stehen zwar die Nachfragen nach Gesundheit am Anfang des Briefes, aber in weniger protokollhafter Form; Krankheitsdarstellungen unterscheiden sich deutlich von denen der Lehrlingsbriefe, gleichen sie doch eher einem vertrauten Austausch über das eigene Wohlbefinden und über den zweifelhaften Heilungserfolg durch die Quellheilwässer. Allerdings stehen neben scherzhaften Klagen über zu wenig Essen, über das Verbot von Bier und Wein, auch fromme Anrufungen Gottes im Sinne der eigenen Gesundheit. Der Grad der Vermitteltheit der Struktur, der äußeren Form und des Inhalts des Briefes scheint hier wesentlich geringer gewesen zu sein als bei den Lehrlingsbriefen und den Briefen der Söhne an ihre Väter überhaupt. Anders erscheinen auch die Briefe der Familie Behaim, die Ozment unter dem Titel »Three Behaim Boys« versammelt hat. Darunter finden sich beispielsweise Briefe der Mutter an ihren Sohn Friedrich 1578, in denen sie unvermittelt fragt, ob sich der Zustand seiner Augen inzwischen gebessert, ob das gesendete Wasser eine Wirkung erzielt habe oder ob sie ein Medikament mischen lassen und dem Sohn senden solle.541 Das Briefeschreiben war, so lässt sich festhalten, ein prägender Bestandteil des Curriculums während der kostspieligen Auslandslehre. Schon die aufwändige Lehrmeistersuche legt dies nahe, aber auch die sonstigen hohen Kosten zeigen, dass neben dem Erlernen bestimmter Praktiken und Techniken auch der Habitus des Briefschreibens als Hauptkommunikationsform der Fernhandelskaufleute von zentraler Bedeutung war. Gelungene Briefe demonstrierten Prestige, Status und Leumund, Faktoren, die das Geschäftsklima konstituierten, von dem der Erfolg eines Kaufmanns abhängig war. Im Fall etwa des in der öffentlichen Meinung in Verruf geratenen Augsburger Zunftbürgermeisters Jakob Herbrot zeichnet sich ab,542 welch hohen Stellenwert ein vertrauensfördernder Habitus in der Ausbildung der Lehrlinge gehabt haben muss und wie viel Beachtung dieses sensible soziale Kapital erforderte, um Generationenwechsel zu überdauern. Auch körperbezogener Habitus war ein wichtiger Gegenstand der Korrespondenzen, wie sich in den Beschwerden über den jüngeren und viel zu impulsiven Bruder zeigte. Ein solches Verhalten entsprach nicht dem sozialen Rang der (teilweise adligen) Geschäftspartner, ja verletzte diesen sogar. In den glei540 Steven Ozment, Magdalena & Balthasar. Briefwechsel der Eheleute Paumgartner aus der Lebenswelt des 16. Jahrhunderts vorgestellt von Steven Ozment, München 1989, 114 – 128. 541 Ozment, Growing up in early modern Germany, 113. 542 Durch politische Entscheidungen, vor allem aber auch durch seinen rasanten sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg ist Herbrots Biographie als eine Geschichte der Ächtung und des Vertrauenentzugs lesbar, vgl. Mark Häberlein, Jakob Herbrot 1490/95 – 1564. Großkaufmann und Stadtpolitiker, in: Wolfgang Haberl (Hg.), Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben (Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte, Veröffentlichungen Reihe 3), Memmingen 1997, 69 – 112.

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chen Kontext der äußeren Erscheinung des männlichen Körpers fallen die häufigen Ermahnungen, die Kleider zu wechseln und angemessen zu erneuern. Die Söhne mussten regelmäßig Rechnungen über ihre Ausgaben senden, die von dem Umfang der Kleiderkäufe zeugen. Häufig machen Beträge für in Auftrag gegebene Hüte, Mäntel und Schuhe den Hauptbestandteil der monatlichen Ausgaben aus, die dem Vater in den Aufstellungen übermittelt wurden. Der Umgang mit dem eigenen Körper reihte sich so im Bereich der Gesundheit und der äußeren Erscheinung in den Kanon der Erziehungsziele der Auslandslehre ein. Die Briefe dienten keineswegs nur ihrer direkten Mitteilung. Sie waren vielmehr selbst ein Teil der Erziehung der jungen Männer, die sie gleichwohl doch kommunizierten. Die Söhne positionierten sich während ihrer Lehrlingszeit in einer Weise, die zeigt, dass ein väterlicher Habitus der Führung, Verantwortlichkeit und anderer Rollenkennzeichen eingeübt werden sollte. Die auf heutige Leser befremdlich wirkenden Wiederholungen sowie die gleichförmige ethische Unterlegung von Krankheitsdarstellungen in den Briefen waren Teil dieser ›verordneten Männlichkeit‹. Dieser Zusammenhang wird durch die Überlieferungschancen im Empfängerarchiv unterstrichen, in dem sich fast ausschließlich Briefe von Söhnen an ihre Väter, dagegen überhaupt keine Briefe von Frauen oder Töchtern erhalten haben.

2.2.4 Vom Rand zur Mitte: Die ›unsichtbare‹ Mutter im Kontext des protestantischen Familienstereotyps Im Zentrum der überlieferten Familienkorrespondenz fehlen Briefe von und an Frauen; es handelt sich um ein relativ geschlossenes serielles Empfängerarchiv von Briefen zwischen jungen und alten Männern. Diese Überlieferung spiegelt die Auswahl- und somit auch die Gebrauchskriterien, gemäß derer das Familienarchiv erst in der vorliegenden Form durch Selektion und archivische Bewertung entstanden ist. Die Ausmaße der ursprünglichen Korrespondenz und der Charakter der Überlieferung sind erst infolge der veränderten Sicht der Forschung auf die Rolle des Hausvaters eingehender berücksichtigt worden.543 Nur einzelne Bemerkungen in den Briefen der Söhne deuten auf Frauen hin, wenn etwa Paulus die Mutter grüßen lässt, Briefe ankündigt oder auch tat543 In der älteren Forschung herrschte ein unkritisches Bild der normativen Selbstdarstellungen der zentralen Vaterrolle vor, die neuerdings stärker als Diskurs und ›Aushandlungsprojekt‹, also als Gegenstand von Implementierung gesehen wird, vgl. dazu Valentin Groebner, Außer Haus. Otto Brunner und die »alteuropäische Ökonomik«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Zeitschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands 46 (1995), 69 – 80.

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sächlich geschrieben hat.544 Im Wittenberger Briefwechsel des Paulus Tucher finden sich auch Hinweise auf eine Korrespondenz des Sohnes mit der Mutter, die jedoch der des Sohnes mit dem Vater beigeordnet gewesen sein muss, ersetzten kurze Bemerkungen doch oft den eigens an die Mutter verfassten Brief oder begleiteten den dem Vater mitgeschickten, an die Mutter gerichteten Brief: »Ich hab meiner mutter auff dis mahl nichts besunders wissen zu schreyben ich het yr sunst geschriben will yr etwa auff ein andermal schreyben[.]«545 In Kaufmannsfamilien griffen Söhne und Mütter also durchaus nachweisbar zur Feder, jedoch blieb ihnen eine kommunikative Nische neben der zweifellos bestimmenden Korrespondenz der Väter. Lediglich in eine Ersatzposition des Vaters konnte so die Witwe Klara Behaim einrücken. Ihr Sohn hatte mit 15 Jahren seinen Vater verloren und beanspruchte nun, wie andere Jugendliche ins Ausland geschickt zu werden, um nicht wegen Verweiblichung, übermäßigem Einfluß von Frauen, geradezu verlacht zu werden.546 Erst in der Auslandslehre würde er in geordnete Verhältnisse eintreten; im Frauenhausstand in Nürnberg dagegen »so gar aller welt gespot werden«, weil das entscheidende Erziehungsziel des »nutz« nicht erfüllt sei.547 Offenbar waren nicht nur die positiven Effekte des Auslandsaufenthaltes bekannt, sondern vor allem hätte der weitere Verbleib im Nürnberger Haushalt Einwände von anderer Seite hervorgerufen, fehlte diesem Haus doch der Mann. Die Erziehung war also maßgeblich an die diskursive Instanz des Vaters gebunden. Dieser allein war imstande, den Sohn zurechtzuweisen; eine Witwe dagegen konnte dem zeitgenössischen Stereotyp entsprechend nicht die Willensstärke aufbringen und vollendete ethische Reife vermitteln. Vor dem Hintergrund der neueren Männergeschichte erscheint es notwendig, den vordergründig möglichen Ausgleich zwischen Vater und Mutter auch mit Bezug auf die Erziehung zu untersuchen.548 Die Auslandslehre bei der Familie eines Lehrmeisters konnte ausgleichen, was Hans Behaim bei seiner verwitweten Mutter fehlte; nur dort, so kommentiert eine mittelbar beteiligte Beobachterin, sei der Junge durch den Hausvater seinem Geschlecht und den damit verbundenen Aufgaben gemäß zu erziehen. Die Mutter dagegen strafe ihn nicht und überlasse ihn zu sehr seinen natürlichen Neigungen, seinem »eignen willen«.549 Damit wird die zeitgenössische Überzeugung aktualisiert, die Erziehung sichere den beruflichen Erfolg auch durch eine Loslösung von der Mutter. Dass Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 143. StadtAN E 29/IV Nr. 485. Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 144 f. Zitiert nach Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 144. Diese kulturgeschichtliche Erweiterung der Familiengeschichte fasst prinzipiell zusammen Andresen, Vaterbild und Männlichkeit. 549 Zitiert nach Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 145. 544 545 546 547 548

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dieser konkrete Ratschlag von einer Frau stammte, lässt erkennen, dass auch die Briefe, die unvermittelter und situativer wirken, tatsächlich durch und durch diskursstrukturiert waren.550 1529 hatte Christoph Kreß seiner Mutter Katharina die für sich und für seinen Stand angemessen erscheinenden Erziehungsgrundsätze zusammengefasst mit den geschlechtergeschichtlich bedeutungsvollen Worten, die Jugendlichen sollten »behertzter und manlicher« werden.551 Die »jugendtt« ist im Kontext der Briefe eine dezidiert negativ zugeschriebene Eigenschaft, ein Befund, den das Jugendbild in der humanistischen Erziehungsliteratur in vollem Umfang spiegelt. Patrizisch-stadtbürgerlichen Jugendlichen konnte keine Witwe den männlichen Habitus beibringen, versuchte sie es, musste sie eine Art familiäre Mimikry der Geschlechterrollen durchlaufen und die Rolle des Vaters durch engen Kontakt mit den Vormündern simulieren.552 Die kommunikativen Chancen Briefe schreibender Frauen dürften somit zwar höher gewesen sein, als sich an Hand des Tucherschen Briefarchives zeigen lässt. Die Entfernung von Briefen der Mütter spiegelt jedoch die Einschätzung, dass der Männlichkeitsdiskurs einen Fluchtpunkt für die Konstitution der Elternrollen bildete.

2.2.5 Die Kleider des lautespielenden Jünglings. Ehr-, Standes- und Geschlechtsinsignien als verordnete Männlichkeit Die Disziplinierungsvision des Erziehungsdiskurses erstreckte sich auch auf die materielle Kultur, deren Spuren in textlichen Nennungen und Abrechnungen zu finden sind. Selten auftauchende Gegenstände wie eine Laute stehen in unmittelbarer Beziehung zu den Kernthemen der Unterweisung und exemplifizieren die übergreifenden Erziehungsintentionen. Das wertvolle Saiteninstrument soll daher als Teil der für die jungen Männer vorgesehenen Soziabilität interpretiert werden, die stark geschlechterspezifisch gewesen zu sein scheint. Das Spiel auf der Laute war mit hohen finanziellen Kosten und großem Zeitaufwand verbunden und schlug sich gelegentlich auch in den Verhandlungen um eine Lehrstelle nieder. Insgesamt behandeln immerhin sechs Briefe die Laute, zwei 550 Der hier formulierte Befund, dass etwa bei den Tucher keine Briefe von Frauen zu finden sind, steht der Briefforschung entgegen. Insbesondere Frauen seien als Briefschreiberinnen in Familien und Sozietäten vollkommen unterschätzt worden, gelte es daher eine geschlechterdifferenzierte Briefkultur zu erschließen, so Ann Crabb, How to Influence Your Children: Persuasion and Form in Alessandra Macigni Strozzi’s Letters to Her Sons, in: Jane Couchman/Ann Crabb (Hg.), Women’s Letters Across Europe 1400 – 1700. Form and Persuasion, Aldershot/Burlington 2005, 21 – 42. 551 Zitiert nach Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 146. 552 Ozment, Growing up in early modern Germany, 93 ff.

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ein Lautenbuch, aber auch mehrere Briefe spezifischer den Lautenunterricht und die Lautenmacher.553 Dieser unscheinbare Gegenstand ist exemplarisch zu vertiefen, um die Reichweite der Hauptziele der Kindererziehungsliteratur auszuloten: Neben »Vnterrichtung der Wahren Gottesfurcht« und »nottürftiger Vnterhaltung des Leibs« werden auch die Kenntnis »guter Kuenste/ vnd feiner hoefflicher Sitten« gefördert.554 Das didaktische Konzept dieser Schrift setzt zwar auf relativ konkrete Beispielsituation, jedoch kann am Beispiel des Lautenspiels die mögliche Vertiefung de Katalogs aufgezeigt werden. Die Erziehungspraxis muss die Lehrbücher weiter vertieft haben, denn die »Instruction [sei] vornemblichst durch die Augen und Ohren« aufzufassen, um »hernach durch fleissige Nachfolge im Werck practiciret« zu werden.555 Die soziale Bedeutung der Laute im 16. Jahrhundert ist mit dem hohen Stellenwert des Klaviers in den Haushalten und Salons des modernen Bürgertums seit dem späten 18. Jahrhundert zu vergleichen,556 bisher jedoch noch nicht eingehender für die Erziehungsbriefe städtischer Eliten berücksichtigt worden.557 Dabei hat Roodenburg die Wahrnehmung der Laute in der niederländischen Republik herausgestellt, indem er ihr als dem Wahlinstrument Castigliones eine hohe Wertschätzung auch im Bürgertum zumisst.558 Ohne eingehender dieses Instrument zu betrachten, sieht Roodenburg in der Erziehung von Söhnen einen Prozess der soziokulturellen Formierung der körperlichen Erscheinungsform des Menschen vollzogen, den er »Inkulturation« nennt. Von Spanien und Italien aus verbreitete sich durch Europa die Lautenmode. Die 553 Vgl. das Sachregister zum Briefarchiv StadtAN E 29/IV. 554 Christoph Achatius Hager, Jugendt-Spiegel von ehrbar- und höfflichen Sitten vor die auffwachsende Jugendt, Hamburg 1631, II. 555 Ebd., III. 556 So auch Heinz Zirnbauer, Musik in der alten Reichsstadt Nürnberg. Ikonographie zu Nürnberger Musikgeschichte (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 9), Nürnberg 1965, 30. 557 Der Forschungsstand überrascht umso mehr, als zahlreiche aktuelle Arbeiten zur Musikkultur und Lautenmusik vorliegen, vgl. Joachim Lüdtke, Die Lautenbücher Philipp Hainhofers (1578 – 1647) (Abhandlungen zur Musikgeschichte 5), Göttingen 1999; Herbert Huber, Musikpflege am Fuggerhof Babenhausen (1554 – 1836) (Materialien zur Geschichte der Fugger 3), Augsburg 2003; Erich Tremmel, Musikinstrumente im Hause Fugger, in: Renate Eikelmann (Hg.), »lautenschlagen lernen und ieben« Die Fugger und die Musik Anton Fugger zum 500. Geburtstag, Augsburg 1993, 61 – 70. 558 Roodenburg, Eloquence of the Body, 55 f. Baldassare Graf Castigliones (1478 – 1529) humanistisch-höfische Bildungslehre »Il libro del cortegiano« erschien nach der Erstauflage 1528 dann unter dem Titel »Der Hofmann« 1565 auf deutsch. Die Laute war schon vor Castiglione das »aristocratic accompanying instrument par excellence«, so James Haar, The Courtier as Musician. Castiglione’s View of the Science and Art of Music, in: Robert W. Rosand David Hanning (Hg.), Castiglione. The Ideal and the Real in Renaissance Culture, New Haven/London 1978, 165 – 190, hier 174.

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Vergesellschaftung des Lautenspiels, die Musikkultur, wird so als Teil der Taxonomie einer Person durch andere Personen erschlossen.559 Dabei ist Freizeit als ein modernes Konzept anzusehen, das sich so noch nicht in der Frühneuzeit finden lässt. Der Besuch von Feierlichkeiten als Orten gesellschaftlicher Repräsentation wurde besonders sensibel behandelt und daher eigens begründet. So rechtfertigte sich der Wittenberger Theologiestudent Paulus Tucher einmal, er habe eine Feier besucht und empfinde dies durchaus als angemessenen Zeitvertreib. Zudem seien dieser Besuch und sein dorthin mitgenommenes Geschenk durchaus notwendig gewesen für sein Ansehen und das der Familie.560 Diese Passage belegt den positiven Stellenwert, den das Auftreten bei Festen haben konnte. Deutlicher noch stellt Paulus am 6. März 1545 den Besuch eines Turniers, »rennen turrnieren vnd stechen«, des Kurfürsten von Sachsen als eine standesgemäße Beschäftigung dar, die er nur rhetorisch in Frage stellt, »hoff yr solt kein vngefallen daran haben«.561 Paulus Tucher nennt seine Gesellschaft »meine etlichen guten gesellen«, was den Vater genauso beruhigt haben dürfte wie frühere Nachrichten über die eher alltäglichen Freizeitaktivitäten des Sohnes: Yr begert auch in Ewern schreyben von mir zu wissen das ich euch soll anzeygen ob es in seiner zeytt gebreuchlich hie ist für das thor hinaus spacirn zu gehen so las ich euch wissen das es sehr gebreuchlich ist dan wir haben sunst hier kein ander kurtz weyll nit dan das wir zu nachts nach essen naus für das thor spacirn gehe[n][.]562

Die Gefahr von Überfällen sei gering und die Ausritte daher nicht zu kritisieren. Genauer lässt sich das Konzept von Freizeit, das Paulus hier prägt, kaum rekonstruieren. Die Erziehungsliteratur, die väterlichen Verbote und Rechtfertigungen scheinen am ehesten auf Exzesse bei geplanten Feiern bezogen gewesen zu sein. Den damit verbundenen materiellen Aufwand belegen indirekt die städtischen Luxusordnungen, die den Konsum von Speisen und Alkohol, aber auch die Anzahl der Gäste begrenzen sollten. Jedem Fest muss dabei gleichzeitig auch eine Vielfalt von Normen in Bezug auf die Kleidung gegolten haben; einerseits bildete und sicherte Kleidung Identitäten, andererseits bestand automatisch immer auch »Prestige-Konkurrenz« zwischen individuellen Kostümen.563 Wie sich in der Kleidung die Mannwerdung abzeichnete, z. B. in der Kostü559 Roodenburg, Eloquence of the Body, 20. 560 Die Angaben zu dieser Korrespondenz sind, soweit nicht anders gekennzeichnet, den 29 Briefen im alten Archivfaszikel StadtAN E 29/IV Nr. I/13a entnommen. 561 StadtAN E 29/IV Nr. 491. 562 StadtAN E 29/IV Nr. 489. 563 Gerhard Jaritz, Kleidung und Prestige-Konkurrenz. Unterschiedliche Identitäten in der städtischen Gesellschaft unter Normierungszwängen, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 44 (1993), 8 – 31, hier 8 f.

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mierung mit Beinkleidern,564 so waren auch andere in den Rechnungen auftauchende Gegenstände kulturell kodiert. Im Hinblick auf ihre Repräsentationsfunktion sind nicht alle Bezeichnungen einer differenzierteren Analyse zugänglich, wenn etwa »wams«, »rock« und »schuchen« zwar den größten Kostenfaktor ausmachten und somit besonderes Augenmerk erfahren haben dürften, aber dadurch nur als Aufmerksamkeitsfeld hervorstechen. Die Pflicht, die Kleidung genau zu beachten, tritt jedoch deutlich hervor ; Einträge im JugendtSpiegel von 1631 belegen dies in der Form eine verallgemeinerten Aufforderung: »Hebe deine Kleiderlein vnd Buecher fleissig auff/ laß sie nicht in allen winckeln ligen/ mach darüber ein Verzeichnueß damit du nichts darvon verlierest.«565 Während täglicher Geldbedarf (»notturft«) relativ pauschal aufgeführt wird, widmen die Quartalsabrechnungen schon bei kleineren Reparaturen an der Kleidung und Bestellungen große Akribie. Die Söhne rechneten Bekleidungsgegenstände zwar vorrangig ab, um die kaufmännische Technik des Bilanzierens zu üben und ihre Kenntnisse gegenüber dem Vater auszustellen. Eine Rechnung demonstrierte jedoch zugleich ihr Verständnis, sich angemessen zu kleiden.566 Wurde dieser Erziehungsfortschritt von Beobachtern zweiter Ordnung festgehalten, so argumentieren diese Äußerungen stärker als die direkten Briefe im Sinne des Erziehungsdiskurses. So schreibt Paulus Tucher (1524 – 1603) an seinen Vater Leonhart nach Nürnberg, er habe seinem Bruder eine Laute gekauft und auch sonst gut auf ihn Acht gegeben.567 Paulus nennt die Laute in einem Katalog von verschiedenen Erziehungshandlungen: So habe er dem Jakob Reyther zur weiteren Verbesserung nun ein »memorial« an die Hand gegeben, in dem die bereits mündlich vermittelten Anweisungen nun auch schriftlich fixiert seien. Der mitverantwortliche, seine eigene ethische Qualität mit kommunizierende Bruder schildert dem Vater Fortschritte des Bruders, um damit auch sich selbst zu legitimieren. Er ermöglichte dem Jüngeren das Erlernen des Lautenspiels, das mit wenigen Ausnahmen der Oberschicht vorbehalten war, eine Sachlage, die im Folgenden vor allem durch den musikpädagogischen Kontext zu umreißen ist. Einige zur autodidaktischen Beschäftigung geschaffene Notenbücher stehen dem Elitencharakter des Lautenspiels keineswegs entgegen. Sie demonstrieren 564 Heider Wunder, Wie wird man ein Mann? Befunde am Beginn der Neuzeit (15.–17. Jahrhundert), in: Christiane Eifert/Angelika Epple/Martina Kessel/Marlies Michaelis/Claudia Nowak/Katharina Schicke/Dorothea Weltecke (Hg.), Was sind Frauen? Was sind Männer? Geschlechterkonstruktionen im historischen Wandel, Frankfurt/Main 1996, 122 – 155. 565 Christoph Achatius Hager, Jugendt-Spiegel von ehrbar- und höfflichen Sitten vor die auffwachsende Jugendt, Hamburg 1631, 143. 566 Vgl. Valentin Groebner, Die Kleider des Körpers des Kaufmanns. Zum »Trachtenbuch« eines Augsburger Bürgers im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 25 (1998), 323 – 358. 567 Brief vom 27. März 1547, StadtAN E 29/IV Nr. 13.

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vielmehr den auf weitere Schichten ausstrahlenden Prestigekampf. Die Worte des Lautenlehrers Newsidler in seinem »Newgeordnet künstliche Lautenbuch« (Nürnberg 1536) öffnen den Zugang zur Musik für weitere Kreise: »[H]ab auch mein vermügen dermassen dargethon/ das ein yeder gerings verstands/ der nur lesen und sein fleiß auff die verzaichneten pünctlein geben kann/ von im selber/ unnd on ein Meister solches kunst des Lauten leren mag[.]«568 Paulus Tucher erwähnt dieses Buch in seinem Brief vom 3. Juni 1545 aus Wittenberg.569 Die differenzierte Lautenliteratur und die Formenvielfalt der Instrumente bilden die Verbreitung und den Stellenwert des Lautespiels ab. So konkurrierten in Rom mehr als 80 verschiedene Lautenbauer um Käufer für ihre hochwertigen Instrumente, was nebenbei zu einer ornamentalen Differenzierung in der Peripherie des Instruments führte. Technische Veränderungen in der Anzahl der »Chöre« (Stimmen), der Größe und der Stimmbarkeit lassen sich dagegen eher auf die sich wandelnden Bedürfnisse ihrer Vergesellschaftung hin interpretieren. Die zunehmende Komplexität des Instruments erreichte im späten 17. Jahrhundert mit 13 Chören einen Grad der Verfeinerung, der den Niedergang einleitete, jedoch spiegelt der Weg dahin die Hochschätzung der Laute im Untersuchungszeitraum, wie etwa schon Hans Sachs mit den Worten »aller Instrumenten Kron« ausdrückte.570 Diese Attraktivität stimulierte den Markt für Instrumentenbauer, ein Zeugnis für die vielfältigen Verwendungsweisen als Soloinstrument und später mehr als Begleitungsinstrument in seiner europäischen Verbreitung. Nürnberg war neben Neuss ebenfalls ein Zentrum des Lautenbaus und schöpfte einen Teil seines Vermögens insbesondere aus Drahtzieherei für die Besaitung von Lauten.571 Lauten markieren ein Übergangsfeld zwischen bürgerlicher Distinktionsabsicht und dem angestrebten höfischen Stil, eine Spannung, wie sie in Augsburg noch durch den 1564 in Nürnberg geborenen Künstler Hans Leo Haßler vertreten wird. Einer der anerkanntesten Lauteninterpreten, Melchior Neusiedler aus Preßburg, prägte die städtische Musikkultur ganz grundlegend, wurden doch Gattungen wie das von der Laute zu begleitende Kunstlied besonders populär, auch erfolgten zahlreiche Transponierungen polyphoner Instrumentalmusik in die Stimme der Laute.572 568 Zur Laute folge ich ohne detaillierten Nachweis für Einzelheiten der umfassendenden Darstellung von Peter Päffgen, Lauten, in: Ludwig Finscher (Hg.), Musik in Geschichte und Gegenwart, Bärenreiter 1996, 942 – 994. 569 StadtAN E 29/IV Nr. 492. 570 Ernst Pohlmann, Laute, Theorbe, Chitarrone. Die Lauten-Instrumente ihre Musik und Literatur von 1500 bis zur Gegenwart, Lilienthal/Bremen 1982, Vorsatz. 571 Zirnbauer, Ikonographie zur Nürnberger Musikgeschichte, 31. 572 Ein lebendiges, allerdings von historistischen generationsgeschichtlichen Theorieprämissen durchtränktes Bild von der Augsburger Musikkultur zeichnet Bernhard Paumgartner,

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Das Lautenspiel wurde eine von europäischen Modeerscheinungen stark geprägte und immer wieder veränderte Soziabilitätstechnik. Zeugnis der Elitenfixierung des Lautenspiels war etwa die wertvolle Ausstattung der Handschriften etwa des Lautenbuchs von Vincenzo Capirola (Brescia, 1518 – 1520). Hier sind neben Anweisungen zum Spiel auch ausgeführte Übertragungen der Notation von Vokalwerken in die Griffschrift der Laute, Intavolierungen sowie Ricercari und Tänze enthalten, Gelegenheiten zum Spiel mithin, die sich nur in der repräsentativen Kultur des Adels etablieren konnten. Dergleichen hielt auch das Nürnberger Lehrbuch »Newgeordnet künstlich Lautenbuch« bereit, dort findet sich ein »ser guter hoff tantz mit durch straichen«.573 Erst im späten 16. Jahrhundert kristallisierte sich die französische Kunstliedform als klassische Gattung in der Liedersammlung »Livre d’Airs de Cours, miz sur le luth« heraus; diese Liebes- und Trinklieder waren vereinfachte Lieder in Strophenform, die von den Interpreten auch improvisiert werden konnten. Bankette und gesellschaftliche Anlässe standen im Mittelpunkt während der Blütezeit der Lautenmusik, die dann von Stücken wie dem in mehreren Auflagen erschienenen »Nobilit” di Dame« von Fabritio Caroso (Venedig 1600) abgeschlossen und gekrönt wurde. Die Sensibilität des Genres zeigt sich auch in der Politisierung der kulturellen Technik des Tanzes und seiner musikalischen Begleitung.574 Gerade in der Ablehnung etwa der spanischen Kultur lässt sich deren Dominanz ablesen; vor diesem Hintergrund sind die Erwähnungen im frühen 16. Jahrhundert hinsichtlich ihrer Aussagekraft für das Lautenspiel allgemein zu interpretieren, fanden sich doch bereits damals Stücke wie ein »Spaniyelischen hoff dantz« oder »Katala ala spagnola« in Notenbüchern.575 Das Lautenspiel gehörte zu den kulturellen Kompetenzen, deren Beherrschung Prestige verbürgen konnte und den Anschluss an städtische Eliten ermöglichte. Im Laufe des 16. Jahrhunderts nahm im deutschen Sprachraum zwar die Polemik gegen einen als fremd wahrgenommenen ›spanischen‹ Habitus drastisch zu. Karikaturen zeigen Träger spanischer Kleidermode als »Affen«; dieser »Kleiderspott« reagierte aber auf eine überwältigende Praxis, setzten sich doch als »spanisch« wahrgenommene Sitten gegen bisherige »heimische« GeZur Musikkultur Augsburgs in der Fuggerzeit, in: N. N. (Hg.) Jakob Fugger Kaiser Maximilian und Augsburg 1459 – 1959, Augsburg 1959, 77 – 89, hier bes. 86 und 88 f. 573 Päffgen, Laute und Lautespiel, 967. 574 Zur kulturkritischen Haltung und dem politischen Hintergrund im 16. Jahrhundert vgl. G. L. Pinette, Die Spanier und Spanien im Urteil des deutschen Volkes zur Zeit der Reformation, in: Archiv für Reformationsgeschichte 48 (1957), 182 – 191, hier 191. Auch die später einsetzenden sprachpuristischen und alamode-kritischen Bestrebungen zielen auf eine die Mode beeinflussende Kulturentwicklung hin, die als Verfremdungsfaktor der als authentisch angesetzten (sprachlichen usw.) Urkultur kritisiert wurde, vgl. Andreas Gardt, Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Berlin/New York 1999, 99. 575 Päffgen, Laute und Lautenspiel, 973.

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wohnheiten durch.576 An dieser durch die Realität formierten kritischen Haltung änderte auch nichts, dass die politische Konstellation der Habsburgermonarchie einen katholischen, spanisch geprägten Kaiser Karl V. der protestantischen Partei entgegengesetzt hatte und somit zum Widerspruch herausfordern musste. Die spanische Hofkultur stimulierte fraglos die mit den kulturellen Leitbildern der städtischen Eliten verbundenen Überbietungsabsichten. Diese Modeformen lassen den in einem Erziehungskommentar berichteten Kauf einer Laute im Licht des anzuerziehenden Lebensstils erscheinen. Die Musikpflege in Nürnberg, wie auch am Fuggerhof in Babenhausen, lassen auf eine Hinwendung zur Musik schließen. Der Besitz einer Laute war für Jakob Fugger (1542 – 1598) aber durchaus im Zusammenhang der stadtadligen Lebensführung zu sehen. Durch seinen gleichnamigen Neffen Jakob Fugger (1567 – 1626), den späteren Fürstbischof von Konstanz, wurde der Kontakt zum Regensburger Domkapellmeister Gregor Aichinger während des Studiums in Ingolstadt hergestellt. Der alte Jakob Fugger nahm den Studenten häufig als Gast im Augsburger Palast der Fugger auf. Spielte der junge Jakob Laute, von der ein Exemplar von 1577 im Babenhausener Museumsbestand erhalten ist, so war mit Aichinger ein Spezialist des Lautenspiels in der Augsburger Residenz häufig in Reichweite. Die Musik im Hause Fugger war weniger stark kirchenmusikalisch ausgerichtet als im Babenhausener Landsitz.577 Raymund Fugger wurden Ausgaben und Originalwerke gewidmet und geschenkt, wie die zahlreichen Dedikationsepisteln anzeigen. Darunter befindet sich »Ein altt geschriben lauttenbuch auff die Welsch tabulatur«; es ist mit Texten, die die Erziehung von Jugendlichen betrafen zusammengebunden, nämlich: »Augspurgisch hochzeyttordnung sanpt andern darbey gebunden tractat […] Loci communes pueriles […] La civilite puerile«.578 Lauten besaßen im 16. Jahrhundert also erheblichen materiellen, aber auch idellen Wert; Raymund Fuggers d. J. Musikinstrumentensammlung verbindet beide Aspekte miteinander.579 Im oberdeutschen Bürgertum wurde eine Sammlung angelegt, deren Umfang und Qualität der damals größten Musikaliensammlung, das königlich-spanische Hofkapellinventar, vergleichbar war.580 Musik war Teil der Festkultur, wie neben den Reglementierungen in den Aufwandsordnungen auch in einem positiven Sinne Bilder wie das »Augsburger

576 Pinette, Spanier und Spanien, 190. 577 Huber, Musikpflege am Fuggerhof Babenhausen, 27 f. 578 Paul Lehmann, Eine Geschichte der alten Fuggerbibliotheken 1. Teil (Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für bayerische Landesgeschichte Reihe 4 Band 3 Studien zur Fuggergeschichte 12), Tübingen 1956, 179. 579 Tremmel, Musikinstrumente, 66. 580 Tremmel, Musikinstrumente, 65.

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Gartenfest« und andere Beispiele zeigen.581 So schütter die Quellen als historische Argumentationsgrundlage für Aussagen zum Lebensstil teilweise auch bleiben, so stark lässt sich der kulturgeschichtliche Kontext für die Frage nach Gegenständen, Funktionsweise und Zielen der Generationenbeziehungen beanspruchen. Die Trennung von Sitten- und Kulturgeschichte einerseits, Warenverkehrsund Buchhaltungsgeschichte andererseits ist nicht sinnvoll, wie die späteren Erziehungsbücher Hagers zeigen.582 Die Erziehung hatte zur Aufgabe, das Kaufmännische in einen habituellen Lebensstil zu transformieren und Kontinuität zu ermöglichen. Die oberdeutschen Kaufleute standen, wie Gabriel Tuchers kritische Bemerkungen über den am französischen Hof tätigen Finanzmakler Kleeberger zeigen werden, in sehr engem Kontakt mit der höfischen Kultur. Als Geldgeber waren sie zudem in geschäftliche Beziehungen getreten, die die Zivilisierung des Lebensstils stärker in den Vordergrung rückten; »fürnehme leut« bezog sich bei aller Kritik an der Eliasschen zivilisationsgenetischen These doch auf eine zumindest als höherwertig wahrgenommene verfeinerte kommunikative Alltagskultur, die ein Kaufmannslehrling beherrschen musste, um seine Chancen auf sozialen Aufstieg zu erhalten. Die Tucherbriefe erwähnen meist nur das Instrument oder seine Bedienung, jedoch müssen diese mit Blick auf einen größeren kulturellen Wert interpretiert werden.

2.3

Erziehungskonformes Briefeschreiben als ›Scheinkommunikation‹

2.3.1 Briefe über Briefe. Das Kommunikationsmedium im Spiegel von metakommunikativen Bemerkungen Die bisherigen inhaltsbezogenen Ausführungen haben identitätskonstituierende Themenkomplexe bearbeitet, um zu zeigen, dass Briefe in einem Kommunikationssystem standen und daher seinem Code gehorchten. Im Mittelpunkt des Schreibens stand stets die Aktualisierung von bereits vorher feststehenden Wissensbeständen und Werteformationen. Erst das Nichtaktuelle, Nichtorigi581 Für die Abbildung vgl. Hartmut Boockmann/Pia M. Grüber (Hg.), »Kurzweil viel ohn’ Mass und Ziel«. Alltag und Festtag auf den Augsburger Monatsbildern der Renaissance, München 1994. 582 Vom gleichen Autor, Christoph Achatius Hager, stammen maßgebliche Lehrbücher zur italienischen Rechenkunst, d. h. doppelten Buchführung, und zur allgemeinen Erziehung in ›höflichen‹ Sitten: »Tugend-Spiegel Von ehrbahren und höflichen Sitten vor die [Jugend] Daraus dieselbe zu lernen, wie sie Gott, Eltern, Präceptores [zu begegnen habe«], Hamburg 1676, sowie »Schatz-Kammer Ital. Buchaltens«, Hamburg 1654.

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nelle und Erwartbare machte die Vertrauenskommunikation aus, auf deren Basis dann auch Aktualitäten, Informationen und mehr oder weniger persönliche Wertungen ausgetauscht wurden. Die 29 Lyoner Briefe des anfangs 17 Jahre alten Gabriel Tucher (1526 – 1588) an Leonhart Tucher in Nürnberg sind besonders stark von den hier profilierten Kommunikationsstrukturen durchzogen. Ein Brief vom 30. Dezember 1543 enthält die Abrechnung für Gabriel und den Bruder Christoph. Der Brieftext sei zur exemplarischen Veranschaulichung in Gänze wiedergegeben: Dem fürsichtigen erbernn vnnd weisenn Linhartt tucher meinem Liebenn herren vnd vatter zw hande zw Nürnberg/ Mein vntherthenig gehorsam wilige dienst zwuoran Lieber Herr vatter, wan es eüch sambt meine[r] Lieben mütter vnd meinen geschwistratten wol gieng das wer mir ein grosse freüdt vonn eüch zw vernemen/ deselben gleichen wist mich sampt meinem Lieben prüder cristoff/ vnd Jacob Reytter in gütter frischer frischer [sic!] gesündtheit/ gott dem herren sey Lob vnd danck gesagtt vnd verLey ein gottwol Lenger mit freiden/ Liber Herr vatter ich schrib eüch mein Jüngst, auf ad[i] 6 Dezember p vlrich Klamer sant galer pott/ pin gütter hoffnüng/ solcher sey eüch vor diesem wol zw kümen/ So ist mir seidt ewr prieff de ad[i] 3 december In nürnberg geben, vnd aüf ad[i] 18 detto p matheys wtter wol zw kümen/ dor In ewr schreiben/ mit vleis vber Lesen/ vnnd Erstlich gern vernomen, das eüch meiner 2 prief wol zw sein kümen/ Lieber herr vatter ich schick eüch hie neben mein Rechnong/ hof ein gotwol Ir solt kein mangel daran nit h[aben] So will ich mich ein gottwoll hir Redtlich haltten/ vnd dem haws/ vnd [ehrer]pütigen fleisig aüs wartten, vnd thün was zw thün is, das Ir ein gottwol kein mangel daran solt haben/ So will ich mich mit meinem schreiben vnd Rechen/ aüch stetz uben/ vnd fleis an keren Lieber herr vatter ich weys eüch aüf dismal nichtz sonders mer zw schreiben, vnd pitt euch wolet mit meinem posen schr[ei]ben aüf dismal vergütnemen, der Leüft halben ist man Jetzvnder gar stil, damit thw ich eüch in die gnadt gotes bevelhen Gabrihel [sic!] Tucher[.]583

Gabriel Tucher versichert dem Vater in jeder Hinsicht, dass die familiäre Beziehung intakt sei, und gibt darüber unter mehrfachen Gottesinvokationen detailliert Auskunft. Der Brief bestätigt zunächst den Erhalt von zwei Briefen des Vaters seit Anfang Dezember, denen ebenfalls zwei Briefe des Sohnes seitdem gegenüberstehen. Möglicherweise waren dies Antworten gewesen, die bereits Empfangsbestätigungen enthalten hatten. Gabriel konnte jedoch nicht mit Sicherheit vom Eingang seiner früheren Bestätigung beim Vater ausgehen und wiederholte diese Informationen nunmehr unter Angabe der jeweils beauftragten Boten. Neben diesen technischen Angaben finden sich jedoch weitere metakommunikative Bestandteile, wie die erziehungskonformen Gesundheitswünsche, Versicherung der eigenen Gesundheit und Ausdruck von Frömmigkeit. Ebenfalls kaum Neuigkeitswert kann besessen haben, dass Gabriel Fleiß in 583 StadtAN E 29/IV Nr. 4.

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der Ausbildung, die Richtigkeit der Rechnung sowie die Befolgung des letzten Schreibens »mit vleis vber Lesen« zu haben beteuert. All dies besaß für den Vater keinerlei unmittelbar informativen, sondern lediglich rückbestätigenden Wert. Gabriel äußert auch, »auf dismal nichtz sonders mer zw schreiben« zu haben, weil auch die äußere Lage ohne nennenswerte Entwicklungen sei. Offenbar hatte also die obligatorisch zu sendende, wahrscheinlich durch das Jahresende erforderte Abrechnung diesen Brief gleichsam als Respektnote und Anschreiben erfordert. Die Hinweise auf eine kommunikative Normallage der Briefe sind zahlreich. Der auf Rekursivität beruhende Systemcharakter und die ›Blindheit‹ der brieflichen Kommunikation gegenüber sich noch auf dem Weg befindlichen Briefen finden sich in den Briefeingängen. So schränkt Gabriel im Brief vom 30. März 1546 seine letzten Briefe hinsichtlich ihres Mitteilungswertes und ihrer Relevanz stark ein: »[A]uf adi 21 [März] […] schrieb ich Euch mein Jongsten darin Euch nichtz sonders anzeigett v[er]hoff werdt Euch vor diessem wol sein zu kumen[.]«584 Gabriel hatte ohne Not und ohne nennbaren Anlass einen Brief geschrieben. Er hatte habituell gehandelt und damit allein die Abwesenheit von Problemen angezeigt. In der brieflichen Kommunikation besaß daher auch die Nichtkommunikation einen Kommunikationswert, d. h. dass Korrespondenzen grundsätzlich (und zunächst unabhängig von den in der Selbstzeugnisdiskussion betonten Inhalten) von der Gleichmäßigkeit ihrer Frequenz gekennzeichnet waren. Insbesondere bei brieflich kommunizierten Generationenbeziehungen ist die Frage der prinzipiell praktizierten Frequenz Anlass für den Vater, beispielsweise Sixtus prinzipiell zum Schreiben – mithin zum Antworten – aufzufordern. Leonhart hatte die Umsetzung der von Sixtus brieflich mitgeteilten Verhaltensverbesserungen eingefordert, weil er um die Manipulierbarkeit von Briefen wusste. Sixtus hatte sich in Briefen anders dargestellt, als er sich verhielt, er nutzte somit den repräsentativen – einen Habitus möglicherweise auch fingierenden – Charakter von Briefen aus. Diese Briefe waren strukturell fiktional, waren sie doch Selbstbeschreibungen,585 die sich zudem noch an Abwesende richteten. Allerdings blieben die zwischen Vater und jugendlichem Sohn gewechselten Briefe das einzige Mittel, die großen Kontingenzen einer Erziehung ohne persönliche Anwesenheit zu reduzieren und durch die Verordnung und Kontrolle von Erziehungszielen zu kompensieren.

584 Ebd. 585 Zur strukturellen Fiktionalität von Selbstbeschreibungen vgl. Ricœur, Das Selbst als ein Anderer.

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2.3.2 Die Unsicherheit des Botenwesens als Bedingung der Briefwechsel: ein Extremfall Die briefliche Kommunikation musste bereits durch einzelne außerordentliche Vorkommnisse unsicher erscheinen. Informationen konnten mit dem Medium verloren gehen, in fremde Hände gelangen oder verspätet eintreffen, Sorgen, die zur beständigen Veränderung des Nürnberger Botenwesens bis hin zu seiner Neuordnung führten.586 Schon im günstigsten Fall war man auf Rückversicherungen angewiesen, damit trotz terminlicher Unsicherheiten den Korrespondierenden alle Schriftsätze dem Inhalt und wenigstens dem Versand nach bekannt waren. Da auch solche, die Briefkommunikation selbst beschreibenden Briefe Teil dieser beschriebenen Kommunikation waren, erweiterte sich der Rahmen, in dem die eigenen Briefe und der Erhalt von Briefen bestätigt werden mussten. Zwangsläufig waren so mindestens die beiden letzten versendeten und empfangenen Briefe anzugeben, um die Wahrscheinlichkeit funktionierender Kommunikation zu erhöhen. Dieser umständlich wirkenden Praxis lagen Erfahrungswerte zu Grunde, wie im Folgenden an einem Einzelbeispiel dargelegt werden soll. Gabriel Tucher hatte gegen Ende Januar 1547 von seinem Bruder Christoph erfahren, dass dieser Briefe von Gabriel mehrere Wochen verspätet erhalten habe, denn der Brief vom 5. November sei erst am 5. Dezember eingetroffen. Gabriel berichtet seinem Vater ausführlich von diesem Vorfall und erwägt auch offen eine diskrete Aufklärung des Falls, hält sich jedoch äußerst zurück mit Informationen, die die Kommunikation mit dem Vater betreffen, als antizipiere er damit einen erneuten Verlust: »Eur schreiben myt fleis v[er]lessen dorauf nit sonders zu antworten not ist[.]«587 Gabriels Brief bestätigt damit gleich eingangs den Empfang des Briefes, »ist mir Eur schreiben ad[i] 5 detto auf ad[i] 20 Jenner p eygenn potten von Jenff her […] wol zu kumen«. Hiermit wird lediglich rückbestätigt, dass eine Antwort nicht nötig sei. Die Bestätigung des Briefeingangs genügt und der Empfänger gibt den Inhalt nicht weiter an, um damit die Gefahr der Verbreitung von Geschäftsgeheimnissen zu vermindern. Gabriel dachte an den Fall, dass der Brief in fremde Hände gelangen könne, wie seine Schilderung andeutet: [B]riefen [die] dem Crystoff Erst auf ad[i] 5 dezenber sindt zu kumen werden In suma den Theu[t]schen vnder Ir hendt sein kumen yst in wol mitt solcher pubery wan sy dar 586 Zu diesen Entwicklungen umfassend Hans Sessler, Das Botenwesen der Reichsstadt Nürnberg. Eine rechtsgeschichtliche Studie, Erlangen 1946, bes. 38 – 65. 587 Gabriel an Leonhart Tucher am 24. Januar 1547, StadtAN E 29/IV Nr. 4. Die folgenden Angaben zu Gabriels Briefen sind durchgehend, sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, ebenfalls diesem Faszikel entnommen.

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durch Irn nutz schafen solens […] ein gott will mit der Zeyt kein pfaffen peuchten [sc. beichten] […] wie wol man niemandt die schuldt darff vnd kon geben oder ein blinder solt es sehen vnd Ein Narr ermessen von wan solche vntreu kombtt dan Entlich die vntreu ist gr[o]s Jetzunder auf der Weltt thut mir Im hertzen we das solche prief so schendtlych geantwort ist worden[.]

Gabriel verteidigt seine Position und die seines Bruders und gibt den sich verschlimmernden Zeitläuften Schuld; in einer Zeit des ethischen Verfalls sei es geradezu zu erwarten, dass es zu dieser »pubery« gekommen sei und weiter kommen werde. Gabriel gebraucht emotive Worte, die eine starke Regung evozieren, so »thut mir Im hertzen we«. Er verleiht seiner Darstellung durch eine ethische Selbstdarstellung Gewicht; möglichen Vorwürfen des Vaters gegen den Sohn beugt er so wirksam vor. Den Betrug als erklärten Gegenstand seiner Aufregung verknüpft er in agitierender Weise mit einer stark polarisierenden konfessionellen Argumentation. Er tut dies in einer Weise, die Ozments Beispielen für Tolerenz während Aufenthalten von Protestanten im katholischen Ausland widerspricht.588 Gabriel verdächtigt oberdeutsche Kaufleute, weil er ihnen die altgläubige Sündentheologie zur Last legt; sie vermeinten sicher, einen Betrug wie das Aufhalten eines Briefes durch die Beichte sühnen zu können. Er funktionalisiert ein theologisches Hauptproblem seiner Zeit, ist doch der wichtigste Kirchenvertreter Nürnbergs, Andreas Osiander, mit der Kritik der Absolution beschäftigt.589 Doch die späteren Erkundigungen Gabriels, wer die Täter gewesen sein könnten, bleiben ergebnislos, so der Brief vom 20. März 1547: »[S]o kinden wir noch nit darhinder kumen In was frembt hendt der prief kumen ist, so dem Crystoff so lang ist aus gestanden dem sol […] entlich noch teglych mit vleis nach gedacht werden[.]« Gabriel wusste also weiterhin keineswegs, wer die Briefe tatsächlich aufgehalten haben könnte. Seine Äußerung über die Täter bediente daher in erster Linie ein kulturelles Stereotyp und demonstrierte damit die Prägung seiner sozialen Gruppe, des protestantischen Bürgertums. Schon die ersten Vermutungen hatten die Kontingenzen der brieflichen Kommunikation verdeutlicht und erklärt, es sei bei Briefen große Vorsicht notwendig. Dabei setzt Gabriel das eigentlich vom Vater herangezogene Altersargument ein, dass Jugendliche der Orientierung durch Ältere bedürften: Wie wol vn[s] d[er] Crystoff hie die schuldt gibtt wie wol die schuldt von vns nit herkompt wan wir haben Je vnser pest auf Severa zu thunn vnd solcher prief auch 14 tagen auf ad[i] 19 dezenbe[r] dohin ist kumen aber dem Jacob Rott[engatter] mag man Ja die schuldt geben wan Er [Stelle unleserlich] damit gemacht hatt als Ir es selbs In 588 Ozment, Private Life in Early Modern Germany, 93 – 160. 589 Gottfried Seebaß, Das reformatorische Werk des Andreas Osiander (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns XLIV), Nürnberg 1976, 257 ff.

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seim schreiben Ermessen kindt als alt Er ist solt Es pillych pas zu hertzenn gefast haben vnd pesser ord[n]ung geben habenn[.]

Gabriel steht offenbar unter Rechtfertigungsdruck und versucht den Vater mit dem Hinweis auf seine mangelnde eigene Erfahrung und des ihm nahe stehenden Jacob Rottengatters Nachlässigkeit zu überzeugen. Diese Argumentation musste dem Sohn vor dem Hintergrund der Briefe des Vaters plausibel und verbindlich erscheinen, daher setzt er sie konkret bei seiner Selbstdarstellung ein. Sodann verweist er auf die Ausmaße des Schadens, verursacht durch das Ausbleiben des Briefes: Insuma ist Euch von der pubery des priefs auf halten halben ein gutte anlegung zu thon vnderlassen worden wies dan der Crystoff schreibt wo Er den prief be[i]zeytt het gehabt so het Er zu Einer gutten anlegung mygen kumen wen es ja Rott[engatter] wol bedacht het vnd von stundan als paldt Er den prief Empfangen hatt gehabt den negsten selbs gen Caspa[?] solt geRytten sein da wers ein gewyse pottschaft gewest hett auch In d[er] Zeytt zu Servera nicht v[er]saumen kinden Er Reytt sunst offt gen Ecabone[?] vnd bleibt Lang da hett Er dahin auch wol kindenn Reytten[.]

Gabriel untermauert die bereits pauschal durch das Altersargument eingeführte Anschuldigung durch Hinweise auf Unregelmäßigkeiten Rottengatters. Dieser habe längere Zeit nicht mehr geschrieben und einige Briefe nicht beantwortet, obwohl er diese sicher erhalten habe, seien sie doch durch den den Tucher eigenen Boten überstellt worden; insbesondere aber sei der Lauf bestimmter Warenbestände unklar. Rottengatter hatte eigenmächtig über den Verkauf und Transport von Safranballen entschieden. Eine ähnliche Grundhaltung habe ihn vermutlich dazu verführt, die Risiken des Briefverkehrs zu ignorieren oder aus Bequemlichkeit hinzunehmen. War Gabriel von Christoph beschuldigt worden, so positioniert Gabriel sich nunmehr gegen den seinem »schlechten [sc. schlichten] beduncken« nach schuldigen Rottengatter. Er kritisiert Rottengatter zwar offensiv, stellt das Urteil jedoch dem Vater anheim, »schreibt d[er] Rott[engatter] sunst auch gar plindtlych als Ir es vil pas Ermessen werdt«. Dazu solle der Vater endlich eine Erklärung verlangen, [S]olt er [Rottengatter] Euch pillych ein pessern grundt davon schreiben wen ich mit ein 15 tag d[r]inen wer gewest wol[t] ich mich schemen das ich Euch so schlechten grundt ob allem solt schreiben solt Im pillich nach Laut seim schreiben Eur thon vnd Lon pas befolh[en] Lasen sein[.]

Die aufmerksamkeitssteuernde Absicht dieses Briefes tritt hervor, mag diese nun manipulativ und berechnend oder berechtigt gewesen sein. Gabriel demonstriert seine erziehungskonforme Haltung in deren Gegenbild, wenn er Rottengatter als unverschämt kritisiert. Der komplexe Streitfall verdeutlicht den Charakter der Beziehung zwischen Jung und Alt, jedoch steht der auf die Beförderung des Mediums bezogene Aspekt im Mittelpunkt. In der (eigens für den

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Vater erstellten) Darstellung des Vorganges durch Gabriel stehen die Gefahren des Briefverkehrs ganz im Mittelpunkt. Davon leiten sich die Verhaltensweisen und Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung der latent bestehenden Risiken des Briefeversendens ab.

2.3.3 In der Sprache des Vaters schreiben: Identität durch Diskurseffekte Die stereotypen, auf das Medium und seinen Austausch bezogenen metakommunikativen Angaben finden im Inhalt des Briefes ihre Entsprechung. Für eine reine Informationsübermittlung irrelevant, wiederholen sich die Briefe in den aufgezeigten postalischen Rückblenden und zusätzlich auch jenseits solcher Sicherheitsbestätigungen; durchgehend finden sich die in der Forschung kaum als solche behandelten Bestätigungen väterlicher Autorität. So scheinen die Söhne implizit verpflichtet gewesen zu sein, ihre Briefe gewissermaßen auch ohne Anlass und somit der Frequenz und dem Inhalt nach habituell gestaltet zu schreiben. In den Briefen heißt es häufig, dass die Söhne nichts mehr zu schreiben hätten, obwohl sie dann trotz dieser Einschränkung schreiben. Bei der topischen Bemerkung, es gebe eigentlich nichts Neues, handelt es sich im Rahmen der Briefrhetorik keineswegs nur um eine ›praeteritio‹, sozusagen eine ›redende Schweigensbekundung‹ als Einstieg in die gerade abgelehnte Redeweise. Vielmehr ist es eine häufig wörtlich zu nehmende Beendigung des Mitteilungsteiles eines Briefes; dann wird ein Brief ohne Neuigkeitswert habituell übersandt. Anhand der zahlreichen Ausnahmen eines dennoch beredten Briefes lässt sich ablesen, welche impliziten Verpflichtungen den Briefwechsel strukturierten. Begann doch in einigen Fällen erst mit der Bemerkung, weiter sei nichts zu berichten, ein ausgesprochen umfangreicher Bericht der Zeitläufte oder Kriege. Schon im ersten Brief zeichnet sich ab, dass Gabriel alles daran setzt, die mit der Auslandslehre verbundenen Ziele zu erreichen und dabei das bestehende briefliche Kommunikations-, also Vertrauensverhältnis zu unterstützen und regelmäßig zu bestätigen.590 Liest man mehrere erhaltene Briefe nacheinander, so fällt die Regelmäßigkeit der Briefinhalte und der Versicherungen auf. Der im Folgenden darzulegende Befund bestimmt nicht so sehr die Möglichkeiten einer Antwort auf die Fragen, die die für autobiographische Selbstbeschreibungen festgestellte »Entdeckung des Ich« betreffen mögen.591 Die auch im Vergleich mit 590 Vertrauen muss den Akteuren als wirtschaftlich tragbarer erschienen sein als eine ständige Kontrolle, eine Überzeugung die sich mit der aktuellen Wirtschaftsphilosophie deckt, vgl. Ripperger, Ökonomie des Vertrauens, 221. 591 Vgl. für diese Entwicklungsthese Richard van Dülmen (Hg.), Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2001.

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zeitgenössischen Briefen des frühen 16. Jahrhunderts auffällige inhaltliche und formelle Gleichförmigkeit soll vielmehr unter dem Aspekt untersucht werden, welchen Ausdruck die dominierende soziale Bindung zwischen Vater und Sohn fand und wählte und welches Personen- und Rollenkonzept dabei in Anschlag gebracht wurde. So beginnen die Briefe vom 19. Januar 1546 und vom 24. Januar 1547 mit der Bemerkung, Gabriel habe »Eur schreiben myt fleis v[er]lessen dorauf nit sonders zu antworten not ist«; dennoch beginnt danach eine ausgreifende Zusammenfassung aktueller Nachrichten wirtschaftlicher und politischer Natur und relativ eng begrenzt, sofern sie von Relevanz für das eigene Wirtschaften erscheinen. Die Rolle Gabriels wird dabei vor allem in der Art und Weise deutlich, in der er die Nachrichten unter Angabe der Wahrscheinlichkeit und in persönlicher Einschätzung referiert. Vom Grad der Eigenständigkeit und der sehr unterschiedlich explizit werdenden Berücksichtigung des Urteils und der Autorität des Vaters soll eine Reihe von Beispielen, der anscheinenden Bedeutung nach geordnet, einen Eindruck vermitteln. Die Ansichten des Vaters werden nur dann klar anerkannt, wenn beide vollkommen zusammenstimmen. Gabriel schreibt am 23. Januar 1545, dass er selbst mit dem Handlungsdiener Jakob Reyter in der Frage der Lehrmeisterwahl für den jüngeren Bruder Daniel vollkommen übereinstimme, beide ihre begründete Entscheidung jedoch letztlich dem Vater anheimstellten: [M]eins pruders danihell halben hatt Jacob Reytter pey den Lucqueser hie nach gefragtt haben Ietzmal fast all teuschtz aber auf ostern wern Ir vielleicht etlich von In kumen der parentzy vnd rhenany haben gesagt auf ostern welens sys sehen der meinung bin ich vnd Jacob Reyter so ver[n] es Eur mainung ist In die oster mes her zu schicken als dan v[er]hof[fen] wir Im allveg zu ein[em] ytalianer zu thun wan die ytalianer nehmen ein Jonge nur gern an sy sehen In dan vor[.]592

Offenbar vermischte sich hier eine stärker von Grundsätzen her entscheidbare Alternative mit der besser von Gabriel einzuschätzenden Situation, so dass das Urteil des Sohnes bestätigend relevant sein konnte, wie auch bei kleineren Sachverhalten und Bestellungen, z. B. von roten Rebhühnern: »mitt den Rotten Rephuner furcht ich es werdt aus sein wan die keltte« einsetzt. In einer kurzfristig entstehenden Situation schreibt er am 19. Januar 1547, war Gabriel weit über den ihm vom Vater eröffneten Handlungsrahmen hinaus gegangen und hatte mit legitimen Gewinnabsichten zu überhöhten Preisen Safran eingekauft: In [Eurem] prief gern v[er]numen was Ir mitt Safran geschaft habt auch solcher Euch pis her noch woll zu kumen ist gott hab Lob so hoff [ich] zu gott mit gotz hylff d[er] Rest 592 Alle Angaben zum Briefwechsel Gabriels sind, außer bei ausdrücklicher Kennzeichnung, den Briefen des alten Faszikels StadtAN E 29/IV Nr. I/4 entnommen.

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hinach sol Euch auch teglich wol zu kummen vnd g[ott] wol vnschaden v[er]kauft werden wir haben zimlich vyll safran die allerheilig mes hie Ein kauftt vnd auch vber Eurn befelch gangen Im pris v[er]hoff doch zu gott soll vnschaden sein[.]

Neben solchen eigenständigen Einschätzungen finden sich jedoch auch politische Informationen, deren Zuverlässigkeit und Bedeutung Gabriel deklariert. Besonders kritisch verfährt Gabriel mit dem mehrfach überlieferten Augenzeugenbericht von einem militärischen Sieg des Landgrafen von Hessen. Bevor er den Wahrheitsgehalt in die Nähe von Wunschdenken rückt, gibt Gabriel die Quelle der Nachricht an: Ein Postillon sei durch den Ort gekommen, der es wahrscheinlich von einer Gabriel dem Namen nach bekannten und am Geschehen beteiligten Person selbst erfahren habe, möglicherweise der vor Ort befindliche Kleeberger. Die Information sei ihm willkommen, versichert Gabriel am 6. November 1545, jedoch sei keinesfalls sicher dass sie wahr sei: Neue Zeyttung halb ist auf ad[i] 4 detto In d[er] nacht hier ein post[illon?] durch geloff[en] hatt Zeyttung pracht als […] cleberg[er] Im woll selbs gesagt hatt das d[er] Langraf von hesen die schlagt sol gewon[nen] habe vnd sol dem von praunschweich vnd sein sun gefang[en] habe[nn] solchs mag sein od[er] nit wer gutte Zeyttung so er war wer[.]

Dies verdeutlicht bereits die Urteilskraft, die der Kaufmann im Konzert der Informationsmedien schon im frühen Stadium des Druckzeitalters gegenüber ›Zeitungen‹, d. h. mündlichen und schriftlichen Meldungen und Neuigkeiten, notwendig besitzen oder erlernen musste. Gabriel übermittelt am 11. November 1545 seine eigene Überlegung und gibt somit einen Einblick in die zeitgenössische kommunikative Tugend des Skeptizismus:593 Neuer Zeyttu[n]g halbe ist hier Jetzmals gar stil […] sagt Hans cLeberger auf ad[i] 8 ditto […] er het prif Empfang[en] das gewis war wer das sy an einander geschlagen hetten vnd d[er] Landgraf von Hesen vnd Kurfuerst vom Saxen hatten die schlag gewonen vnd den von prauschweig vnd sein sun gefangenn genomen kann Im noch kein glauben geben gott d[er] almechtig wol das war sey[.]

Auch in diesem Bericht überwiegt die Skepsis und ebnet damit die Evidenz der erneuten Bestätigung des hessischen Sieges ein; offenbar hatte die üppige Publikationswelle vor allem von Einblattdrucken und Tagesschrifttum eine kritische Aufmerksamkeit erzeugt, die Gabriel von den zur Unterhaltung verbreiteten spektakulären Ereignissen auf sein Wissen von den politischen Vorgängen im Reich überträgt. Ein zusätzlicher Grund für Zweifel mag der Charakter des Deutsch-Lyoners Kleeberger gewesen sein, den Gabriel in Bezug darauf erwähnt, dass er ihm sein Pferd noch nicht zum Verkauf anbieten wolle. Offenbar hatte der 593 Zu dieser Entwicklung vgl. Brendan Maurice Dooley (Hg.), A Social History of Skepticism: Experience and Doubt in Early Modern Culture, Baltimore 1999.

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Vater genau dies gefordert, jedoch erschien Kleeberger dem Sohn zu unstet und daher wenig verlässlich. Wiederum urteilt er, diesmal in stärkerem Maße eigenständig als zuvor, im Sinne des Vaters. Am 2. Juni 1546 formuliert Gabriel mit Bezug auf die Wahl und die Kostenzusage der Lehrstelle er habe sich der Zusage enthalten, »wan ich entlych acht das Irs kein gefallen wurdt haben«. Gabriels eigene Verlässlichkeit bildet eine Kontrastfolie für die Ambiguität des Verhaltens des Anderen: Eurs Zeltners halb v[er]nomen ist vberaus wol mit mir Rein gangen […] cLeberger hatt mir noch nit dorvmb zu gesprochen Im den an zu pietten ist no wol tzu thun wan Es ist ein seltzam man heut mochtz Im gefallen morgen not also das ich Im den nitt anpiett[en] will wen Er mir aber darvmb zu spricht so will ich mich nach Lautt Eurm schreiben gegen Im haltten[.]

Gabriels Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit werden somit auch narrativ konstruiert, gehörte sein Urteil doch zum Kernbereich des Wirtschaftens. Am Schluss des Briefes findet sich ein Beispiel für die mögliche Reichweite einer Bewertung von Informationen. Die wirtschaftlich bedeutende Linie der Welser war offenbar bei Geldgeschäften mit der Kurie beobachtet worden; die politischen Implikationen dieses Kapitaltransfers scheinen allerdings Gabriel stärker bewegt zu haben als die damit verbundenen finanziell lukrativen Aussichten. Überhaupt wird in den Andeutungen, Vermutungen und Übermittlungen deutlich, wie stark die Nürnberger Gesellschaft von brieflichen Nachrichten abhängig gewesen sein muss: Ir werdt v[er]nomen haben das Hans Saxen für die Bartt[olomäus] welserischen auf d[ie] post von hinan In 5 tagen hinaus gen augspurg postiert ist ist der halben geschehen das man sagt das der pabst 4 mal hundert dause[n] duckett[en] hinaus Ins teuschlandt gemacht hat daran haben die barttbelscherischen auch theil die suma Las ich pleiben wie vil es ist sol aber gewis sein das d[er] pabst vil geltz hinaus gemacht hat auch obgemelt hans Saxer deshalben hinaus postiert hatt ist sonst von allem gar viel hie wirdt garnichtz vom könig von franckreich geRedt was er vor wollonynia schaf ist ein Zeigen das Im nit woll gett Etlich wollen sagen er hab ein 6 wochen mit dem von Engelandt Contrat gemachtt vnd der Ceiser sol zwischen in peyden im frid handlen mag sein oder nit[.]

Die Unwägbarkeiten der tatsächlichen Situation gibt Gabriel an den Vater weiter, ohne sie aufzulösen. Damit erfüllt er eine für seine Rolle zentrale Aufgabe, bestätigt er doch dem Vater am Ende, »was mitt allem teglich weytter volgt sol Euch peim Ersten hernach vnv[er]porgen pleiben«. Hieraus spricht die Erfahrung, dass sich Informationen bewähren müssen, um ihren Wahrheitsgehalt zu belegen. Daher schreibt Gabriel am 15. Januar 1546 mit Bezug auf Truppenbewegungen aus dem Burgund in das Piemont, dass der Zweck dieser Handlung des Königs zur Zeit erst vermutet werden könne, keineswegs aber bereits erwiesen

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sei: »[M]an wil auch gentzlich hie sagen der könig sampt seinem hoff der sol auf zu kunftig herbst auch her kumen dem man [ab]er noch kein glauben gibt solchs zeytt zu Er kennen wirdt geben wen aber der krieg Im pimont solt fort gen als man sah dan besorgt so derft d[er] könig wol her kumen gott der almechtig wels als Zum pesten nach seinem Lob schickenn.« Aktuelle Nachrichten waren so unsicher, dass die Öffentlichkeiten mehrerer Orte als Informationsquellen einander entgegengesetzt werden mussten. Gabriel schildert am 30. März 1546, was er, vermittelt durch einen beiden bekannten Kollegen, über den König erfahren habe: »[V]on Zeyger dis v[er]nomen das […] das geschrey sol sein das der könig wider auf zu kunftig fruling ainlaß beger so sollchs volgen solt wirdtz es [o]n Vrsach nit sein wirdt aber hie von nichte geredt«. Erkenntnisse diffundierten also von verschiedenen Quellen aus, konnten möglicherweise im Kreis gehen oder gegangen sein und daher nur scheinbar als Bestätigung hervortreten. In dieser Medien gegenüber skeptischen Lage stellt Gabriel sich als einen zuverlässigen Beobachter dar, der geradezu seismographisch alle erhältlichen Informationsangebote dem Vater anzeigt und dessen Nachfragen voraussieht und berücksichtigt. Am 2. Juni 1546 berichtet er von einem Gerücht, den französischen und englischen König betreffend: Neuer Zeyttung halb ist es hie gar styl ein Lein die sag wie d[er] konig von FranckReich myt dem konig von Engelandt in ein frydt ste etlich wellen sagen er sol schon gemacht sein worde[n] gott der her wol In allem gluck vnd heyl v[er]Leyhen[.]

Waren die betreffenden Informationen von geschäftlicher Relevanz, musste Gabriel auch auf der Grundlage unsicherer Informationen eigenständig handeln und die Verantwortung dafür übernehmen, wie er am 28. Juni 1546 schreibt. Er selbst habe gesehen, dass ein »seltzsams volck da« umherziehe, dass es jedoch letztlich an verlässlichen Informationen mangele: Es »wirdt hir von mancherley gesagt das keiner weis was Einer Klaubenn sol«. Gabriel erwägt, dass der weiterhin funktionierende Eingang von Waren auch deren Versenden ermögliche, obwohl das »geschrey«, also so etwas wie die öffentliche Meinung oder der Konsens einer großen Anzahl von Menschen,594 dies abstreite: [D]ie weil man gutt[er] her last gan so v[er]hoff ich man sol die hinab auch gon lassen so machet das geschrey so gros hie das ich nit wist wie ich Im thun solt v[er]hof sol nit vnRecht seinn[.]

Das Vertrauen, das Leonhart dem Sohn entgegenbringen musste, wird insbesondere dann deutlich, wenn verschieden lautende und dennoch gleichermaßen 594 Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit beruhte auf anderen Medien, wie an Hand von chronikalisch dargestellter öffentlicher Meinung hervorgeht aus Mauer, Gemain Geschrey und teglich Reden.

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plausible Nachrichten vorlagen. Gabriel musste nach eigenem Ermessen handeln, wie er am 29. November 1546 schreibt. Er bestätigt dem Vater zunächst den Erhalt von dessen Nachricht, er habe darin »nyt gern v[er]numen das pede Leger noch starck gegen einander sindt gelegen«; jedoch kommentiert er weitere Truppenbewegungen, Kämpfe und deren Ergebnisse mit den Worten: [W]irdt doch seltten was grundtlichs davon gesagt nun ist auch zu sorgen wen schon peder Leger abziehen werden so werdt es einmal auf keiner stras sycher sein die gutter zu v[er]fercken sonder yn plackerey nit zergon wirdt Inn suma schendtlich gewagt miessen werden gott der almechtig wol Euch vor schaden behuetten wan Ir eben vi[l] gutter auf der stros werdtt haben gott der herr wel sy beleydenn[.]

Am 9. Januar 1547 verdeutlicht Gabriel weiter, wie stark Informationen als Entscheidungsgrundlage der Veränderung unterworfen waren, sich somit eine vormals berechtigte Entscheidung rasch als falsch herausstellen konnte. Ein Bericht an den Vater sei somit nicht verlässlich und aus diesem Grund »v[er]gebentz«: Neue Zeyttung halben wirdt hie teglich vil gesagt vnd alle tag kompt was neus her […] von dem Krieg daussen wirdt teglich vil neus vnd vngleich davon gesagt got almechtig wolle Es zu Einem frydtt lasen kumen wie wol nach dem die Zeyttung Jetzund hie lauffen hartt geschehen wirdt wirdt auch gesagt es sol zu Nür[nberg] ein Reichstag werden So lest sich teglich hie ansehen das d[er] Konig v[on] F[rank]Reich In eine fürnemen ist wohin mag man noch nit wissen wirdt v[er]meindt Er werdt auf den Früeling Ins pimont ist auch die sag Er werdt sein sun dolffin für franckfort schicken da Romischer Konig zu werden solchs mag sein od[er] nit zeyge[n]s Euch v[er]gebentz an[.]

Gabriel hatte demnach unter situativen Umständen erziehungskonform zu handeln, jedoch war eine Rechtfertigung dieses Handelns kaum mehr möglich, weil sich die Ausgangslage stark gewandelt hatte. In brieflicher Kommunikation trat immer stärker, abhängig von der zunehmenden Erfahrung des Sohnes und der zunehmend prekären allgemeinen Situation, das Vertrauen in den Vordergrund. Die Eigenständigkeit der Söhne findet nur auf der Grundlage der rekursiv bestätigten Erziehungskonformität Ausdruck, wobei das habituell geprägte Medium als Plattform benutzt wird. Zwang schon das Medium als solches die Korrespondenten, d. h. vor allem den Vater dazu, Ansprüche auf Bestätigung und Beweise auf einen wöchentlichen Brief zu beschränken, so wurde diese hierarchische soziale Bindung vor allem im situationsgebundenen Handeln während der Krise deutlich. Der religiös bestimmte Fluchtpunkt aller Bewertungen, Mutmaßungen und Plausibilitätsannahmen mag dabei eine gemeinsamkeitsstiftende Rolle im Verhältnis der Generationen eingenommen haben, die im Grunde als noch wichtiger erachtet wurde als die kaufmännischen Kompetenzen, wie aus einem Brief vom 11. November 1545 hervorgeht, »will

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solchen Eurn schreiben vleissig nach kumen vnd sonderlich vor allem gotz furchtig sein vnd mir Eur thun vnd Lon hie vleisig bevolhen lassen sein auch mitt allem Einschreiben vnd Rechnung gutt achtt darauf haben wils gott«. Der gebetsmühlenartig und variantenarm hervorgehobene Bezug auf Gott war somit sowohl ein Element der Beziehung zwischen den Generationen als auch ihr Ausdruck. Der Sohn urteilte vorausschauend im Sinne des Vaters und, ein hierarchisch strukturiertes Sprachspiel praktizierend, sprach situationsgebunden in der Sprache des Vaters. Briefe sind in erster Linie Zeugnisse für Diskurseffekte. In den oben präsentierten Katalog von vorsichtigen Bewertungen ließe sich auch die Seuche einordnen, von der Gabriel am 30. April 1545 berichtet. Hier wägt Gabriel zu Beginn eines längeren Berichtes verschiedene Meinungen über die Ursachen der Seuche ab: »Sterbens Leuft halben stirbt es noch teglich ein wenig hie Eins sagt er sey pesteLentz das ander es sey gift[.]« Verzichtet Gabriel einerseits darauf, die Situation zu erklären, so lässt er die Erzählung doch zielgerichtet in die stereotype Frage nach guter und schlechter Gesellschaft und der jeweiligen Folgen einmünden und erweitert dadurch die Bedeutung der Darstellung erheblich: [W]ie wol ein […] jar her die Leut fast als am gift seindt gestorben so mann Imerzu gesagt hab es sterben an d[er] pesteLentz der selbig Leutt die dan also hie die thur mit gift angestrigen haben hatt man schon 22 angethan dorunder 6 mener vnd d[er] Rest Lautter weyber gewest die mener hat man mit Zangen Zweigtt vnd darnach die Recht handt vnd Kopf abgehauenn vnd darnach in 4 getheilt vnd den weibern hatt man die Recht handt abgehauen vnd darnach v[er]prent mans also Lebendig mit cleinem feuer ist Iemerlicher Thott gott der almechtig behuet ein Jeden davor sindt Irer noch ein 20 hie gefangen so man auch teglich anthun wirdt so fecht maner auch noch teglich mer man schmirtt auch noch teglich hie an gott behuett ein Jeden vor vnRatt es palt einer die selbig halben an Rürt so mus ers sterben hat hie gar kein artzt der hat er In selbs v[er]geben vnd sy machen sterben ist ein arm ding gott der almechtig wils pessern[.]

In dieser Passage wird möglicherweise eine alltägliche Erziehungsmaxime auf die soziale Segregation in der Stadt angewendet. In den Briefen des Vaters, in der späteren Erziehungsliteratur Wickrams sowie auch im Tugendkatalog des biblischen Buchs Jesus Sirach bedingte der direkte alltägliche Umgang mit ehrlosen Personen den Verlust des eigenen Wohlergehens und der Ehre. Gabriel nutzte also einen Interpretationsspielraum zur sozialen Konstruktion der Seuche als einem (über die faktische Mortalitätsrate hinaus) sozialen Ereignis.595 595 Krankheiten und Seuchen wurde ihr gesellschaftlicher Charakter erst zugeschrieben. Zu der im geschilderten Fall zu Grunde liegenden, konstruktivistischen Methodik vgl. Robert Jütte, The Social Construction of Illness in the Early Modern Period, in: Jens Lachmund/ Gunnar Stollberg (Hg.), The Social Construction of Illness. Illness and Medical Knowledge in Past and Present (Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 1), Stuttgart 1992, 23 – 38, bes. 23 f.

Erziehungskonformes Briefeschreiben als ›Scheinkommunikation‹

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Gabriel bedauert die Bestrafung der Schuldigen sehr, ausdrücklich sieht er die derart von »ein Iemerliche[n] Thott« Getroffenen dennoch als einen Teil der Gesellschaft an, beschwört er doch, »gott der almechtig behuet ein Jeden davor«. Auf der Basis dieses Gemeinschafts- stellt er jedoch auch den Marginalisierungsaspekt heraus, wobei Gabriel die gleiche Invokationsformel, »gott behuett ein Jeden«, benutzt, um die ehrbare Gesellschaft vom Fremdkörper »vnRatt« abzusetzen. Städtischer Raum ist in hohem Maße mit der gesellschaftlichen Zuweisung von Ehre verknüpft, wie Gabriels Deutung der Vorkommnisse als Durcheinander von Ehrbaren und Unehrbaren andeutete. Wenig später, am 23. Mai 1545 interpretiert Gabriel die inzwischen verschärfte Krankheitssituation als eine Strafe Gottes: Sterben Leuft halben styrbtt es noch teglich ein wenig hie das volck schmirt auch noch teglich an was kranck wirdt kompt vnder 30 nit einer auf [sc. genese von 30 Erkrankten kaum ein Einziger] glaub es sey ein straf von gott von den leutten die also an schmirn pis her hat man […] 31 person v[er]prentt mon […] auch noch teglich[.]

Gabriel deutet seine Gegenwart und die Ereignisse in einem religiösen Horizont als von Gott bestimmte Eingriffe in das städtische Ordnungsgefüge. In Bezug auf Krankheiten ist dieses Interpretationsschema geradezu gemeinplatzartig, wurde doch traditionell Krankheit als durch Sünde hervorgerufen gesehen.596 Im Medium des Briefes wird diese (heuristisch eigentlich unhintergehbare) Wahrnehmung nun auf das Gemeinwesen ausgedehnt. Gabriel kontextualisiert das Sünde-Krankheit-Schema innerhalb der hierarchischen Kommunikation zwischen den Generationen, so dass der faktische Inhalt zugleich ein Zeichen der Selbstdarstellung wird. Im Angesicht der wachsenden Gefahr, Prüfung und Drastik des Eingreifens Gottes in die Lebens- und Erfahrungswelt erhöht sich zugleich auch der Druck auf den Sohn, gehorsam zu sein und dies auch brieflich anzuzeigen. Insbesondere am 23. Mai 1545 fällt eine Zuspitzung des Briefes auf erziehungskonforme Handlungen auf, eine Konzentration, die sich auf den engen Zusammenhang von Ermahnung und Ausführung hin deuten lässt. Dabei steht die äußere Erscheinung, der Kleidung, an zentraler Stelle: [S]olchs hab ich mit fleis v[er]lesen darin gern v[er]nomen meins hinaus Reytten halben solchem will ich mit vleis nach kumen das Ie ein gott will kein klag ob mir solt haben will dem schwager Linhart Rottengatter mit allem vntherthenig sein will mich auch mit kleidung nach Lautt Eurm schreiben haltten auch vor meins abschidt hie den gregory von allem vnter Richtten das Er hernach ein gottwil kein mangel sol finden[.]

596 Wolf von Siebenthal, Krankheit als Folge der Sünde. Eine medizinhistorische Untersuchung (Heilkunde und Geisteswelt. Eine medizinhistorische Schriftenreihe 2), Hannover 1950.

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Die Kleidung des Kaufmannslehrlings verlieh geschlechtsbezogen seinem Alter, seinem Status und seinem standesgemäßen Reichtum Ausdruck;597 Aspekte dieser Art durchziehen aber auch andere Themen, wie etwa die Trinkkultur. So wird Gabriel Tucher eine krätzeartige Erkrankung an der Hand später auf seinen Weingenuss beziehen, bevor diese ihn durch große Schmerzen abgehalten hatte, dem Vater schon vor dem 23. Februar 1544 mit wichtigen neuen Nachrichten zu schreiben: [H]ab ewr schreiben mit fleis vberlessen, vnd alle meinung dorin gern vernomen […] hett ich eüch gern Lengst antwort aüf ewer schrieben geben so hab ich nit wol kinen schreiben, wan ich hab wider einn geschwer In der Rechtten handt am damen gehabtt, aber gott hab Lob es als wider wekc ist gangen, vnd empfindt mich Jetzvvntter wol gott hab Lob […] vermaint man aüch hier, der dürck werdt mit groser machtt auf yttaLia [sic!] zw ziehen werden mag sein oder nitt[.]

Gabriel scheint dem Vater durchaus nicht der einzige Informant gewesen zu sein. Jedenfalls wollte er den Vater weniger informieren als demonstrativ sein Interesse an solchen für den Handel so wichtigen Vorgängen zu bekunden. Überhaupt trägt dieser Brief stark apologetische Züge. So lässt sich die Authentizitätsbeschwörung, seine Beteuerungen seien keine leeren Worte, sondern verbindliche Vorsätze, durchaus als Problemerwartung deuten. Die auffällig aufgesetzte und phrasenhafte Erwähnung erinnert direkt an den Befund der väterlichen Mahnbriefe: »[G]ottwol ich mich hier Redlich will halten, vnd alle thon fleisig bevolhen lasen sein, vnd mit Rechnen und schreiben fleis an keren als Irs in wercken spüren werdt[.]« In Gabriels Brief vom 16. April 1544 werden Reaktionen auf Maßregelungen deutlich, die sich auf den Alkoholgenuss, mithin auf die damit verbundene Form der Geselligkeit und des Auftretens in öffentlichen Räumen bezogen haben müssen: So ist ewr begern ich sol euchs wissen Lasen ob ich nochs kretzig bin oder nit, so wist das ich noch Immer zw ein wenig kretzyg bin, wie wol gar nit so feindlich als ich es andermal gehabt hab, ich hett gemeindt es solt mir den wintter weck sein [ge]gang[en] nit weis ich wie es kempt mit aber alzet wider aber vor dem starcken vngemischten wein zw trincken, das vor will ich mich ein gottwol hüetten, vnd trinck warlich kein wein dan ich thü wol waser darein, aber hab nit gern gehort das es an euch auch ist gewest will aber ein gott wol hofen es werdt an euch nachgelasen habe gott woll es als zum pesten schicken amen[.]

Handelt es sich um Ironie, dass der Sohn im Zusammenhang mit der eigenen durch Wein hervorgerufenen Erkrankung erwähnt, der Vater habe auch daran gelitten? In dieser Frage kann lediglich vermutet werden, dass Gabriel einen 597 Vgl. Monnet, Führungseliten und Bewußtsein sozialer Distinktion.

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Spielraum wahrnahm, in dem er wörtlich (im Sinne der erziehungskonformen Topik des Genesungswunsches) oder anschuldigend verstanden werden konnte, rührte doch auch die Krankheit des Vaters von dem Vergehen her, das dieser dem Sohn vorwerfen konnte. Gabriel hatte, ob in ironischer Absicht oder nicht, die ›Sprache‹ des Vaters gesprochen. In jedem Fall wird jedoch die Bezugnahme des Briefes auf Maßregelungen deutlich, die mehrmals bestätigt wird; Gabriel verspricht, dem Sohn des Vetters bei Gelegenheit angemessen zu begegnen: »[W]ie ich mich gegen Im erzaigen sol hab ichs In eürem schreibenn wol vernumen dem selben sol volg geschehen vnd kein fleis gespart werden als [ir] zu seiner Zeit vernemenn solltt«. Auch wiederholt er gegen Ende des Briefs die Beteuerung, seine Vorsätze seien ernster Art: »[S]chick euch hiemit ein Tuch hof ein gott wol Ir solt kein mangel daran finden vnd pit euch wolet auf dismal mit meine schreiben vergut nehmen/ So wil ich mich ein gottwol Redlich haltten als Ir es spuren solt«. Nicht zuletzt diese Wiederholungen legen nahe, dass die Briefe in hohem Maße dem Inhalt und Ausdruck nach vorgegeben und durch den Kontext des Briefwechsels präfiguriert waren. Dagegen scheint Gabriels Brief vom 26. April 1544 ausnahmsweise in Teilen unmittelbar entstanden zu sein. Der relativ seltene Befund eines erst kurz vor dem Absenden entstandenen Briefes bietet wenigstens graduell das von Beer und programmatisch auch von Ozment vorstrukturierte Bild von Privatbriefen als unmittelbaren Zeugnissen. Gabriel berichtet nach durchaus vorhandenen üblichen Präliminarien stark sachbezogen von Verhaftungen in Paris, in deren Rahmen auch er in Lyon festgehalten worden sei. Grund sei der Krieg Kaiser Karls V. mit einer Koalition von protestantischen Landesfürsten gegen den französischen König Franz I. gewesen. Die insgesamt vier Kriege in den Jahrzehnten vor 1544 waren um Italien geführt worden, somit berührte der Krieg unmittelbar mehrere Schwerpunkte des Tucherschen Handels in Frankreich und zugleich auch in Italien. Erst im Jahre 1544 wurde im Frieden von Cr¤py ein Kompromiss geschlossen, einige Kriegsfolgen finden sich im Brief Gabriels: [W]ie wol ich vor 2 tagen herkumen wer wan da Jacob Reytter sach das die ander also hinweck Rytten vnnd daßs geschrey kam wie der schlüselberger vnd der gilt orttel zw paris Arestiert wern wordenn, da schickt mich Jacob Reytter auch weck, vnd als ich vntter das Thor kam, da hiltten mich die gardes aüff vnd sagtten ich solt hin gen vnd solt ein pa[s]portt holen, wan der gouwerner selbs het Ins verpotten sy sollten kein natzion noch die frantzhosen an ein pasport nit naus Lasen, vnd als dan must ich widerumb rheinn Reitten […] So ist Jacob Reytter zw morgest früe selbs zum gouwerner gangen vnnd ein pasport für mich begert, aber ich pin mit Im gewest vnd In suma Lang keins hat geben welen[.]

Letztendlich habe Gabriel dann aber doch einen Pass erhalten, weil er nur nach Genf hatte reisen wollen und weil das Verbot, die Stadt zu verlassen, ohnehin von

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vielen auf dem Wasserweg umgangen worden sei. Am 16. Tag des Monats habe sich die Lage entspannt durch die Nachricht vom französischen Sieg: So kum das geschrey ad[i] 16 detto spatt ge[n] Lion wie die frantzhosen […] die schlac[ht] gewonnen hetten […] das mag sein oder nitt als dan must man ad[i] 17 detto ein feyerttag machen vnd machet procession vnd zw nacht must man vberal freiden fewer machen[.]

Nach diesem längeren Bericht, der relativ kurzatmig und spontan geschrieben worden war, fügt Gabriel hinzu: Unmittelbar bevor er hatte abreiten wollen, sei Jakob Reytter mit diesen Neuigkeiten hereingekommen und habe ihn veranlasst, diese seinem Brief hinzuzufügen: So hat Jacob Reytter […] welen von seinet wegen davon reden wan er eben dahin ist kumen wie ich habe wollen weck reitten, hoff ein gott wol es soll kein nott haben[.]

Einschübe, die situative Zwänge wiedergeben, sind selten und gehören keineswegs zum erwarteten Repertoire. Bemerkenswert ist zudem noch die familienöffentliche Dimension des Briefes, denn auch vom Schwager Lorentz – dem Gabriel gehorsam zu sein versichert – und vom Bruder Christoph richtet Gabriel dem Vater Leonhart Grüße aus; in Gabriels stark durch Abhängigkeit vom Handlungsdiener Reyther und Schwager Leonhart Rottengatter geprägter Situation, die in der brisanten politischen Lage extrem belastet gewesen sein muss, lässt sich eine familieninterne Transparenz des brieflich Mitgeteilten annehmen. So dürfte der Vater auch eingegriffen haben, damit Gabriel Tucher ein Dankesschreiben an den Vetter Lorentz Tucher schrieb und dies, am 29. November 1546, bestätigte. In diesem breiten familiären Kontext gewinnen die erziehungskonformen Äußerungen einen größeren, fast schon dokumentarischen Stellenwert. Daher wiederholt Gabriel aus Anlass der Abrechnung seiner eigenen Kosten am 13. Juni 1544, also aus Legitimationsgründen, eine Reihe bereits zuvor abgegebener Äußerungen: So schick ich euch hiemit ein Zettel daron zw vernemen/ vmb was ich das par gelt aus geben hab das ich zu Lion vnd hie auf mein nottorft eingenomen/ hoff ein gottwol Ir solt kein mangel nit daran finden/ so will ich mich ein gott wol Lautt eurs schreiben vnd beuelch haltten/ vnnd Irs mit der Zeytt spurn solt/ was mich schwager Linhart Rottengatter wirdt heysen oder beuelhen dem selben mitt fleis nach kumen, vnd Ir ein gottwol kein klag ob mir nit solt haben is gotz will[.]

All diese Beteuerungen sind Ergebenheitsgesten, die sich aus der Ausgabenbilanzierung ergeben haben. Im Fall des Berichtes von der Reiseeinschränkung war Gabriel in der Rolle eines selbstbewusst urteilenden Berichterstatters, dessen Bewertung kaum angezweifelt werden konnte, eine Situation, die insgesamt untypisch für die frühen Briefe Gabriels ist.

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Allerdings findet sich dergleichen noch einmal im Brief vom 23. Januar 1545 aus Lyon, in dem die üblichen Bemerkungen gleich eingangs fallen: »Seyder hatt sich nichtz v[er]Endert davon Euch sonders zu schreiben west«, woran ein Bericht über die Lehrstellensuche für Daniel anschließt, die ebenfalls einen Anhaltspunkt für die eigene Einschätzung Gabriels bietet. Dies gilt für die bereits zitierten Überlegungen über den Lehrstellenort, dass man »zu Schalong [sc. Chalon-sur-Saone/Burgund]/ vnd mackong [sc. M’con/Burgund] Redt man ein gutte sprag ist auch nur 10 meil weg von hinen hofen Im zu seiner Zeytt alweg Ein hern do zu finden«. Gabriel unterstreicht, dass Sprache und Dialekt eine distanzierende Funktion besitzen. Der Symptomwert von Sprache trennt die gesprochene Sprache immer stärker von der Leitvariante, die sich auch in nachgestellten Situationen unterrichten und lernen ließe. Daniel, so Gabriel am 16. Januar 1546, solle Italienisch und Französisch gleichzeitig lernen, keinesfalls aber sei das dortige Französisch als Lernstoff zu empfehlen: »[W]ie wol man die sprag aus wendig pas Lernet dan hie als zu schalung markon oder digon So Redt man ein gutte frantzhoysichs sprach ist auch nit weytt von hinen solchem allen sol weytter mit vleys nach dacht werden[.]« Die insgesamt 26 Erwähnungen von Französischkenntnissen im Tucherschen Briefarchiv widmen sich in der Regel dem Lernziel, d. h. welche Sprache in welcher regionalen Ausprägung und bis zu welchem Verständigungsgrad gelernt wurde.598 Diese Sprachreflexion verweist auf die familiären Kontinuierungsabsichten, die zugleich auf die soziale Gruppe insgesamt bezogen sind. Die zeitgenössischen und daher befangenen Definitions- und Abgrenzungsversuche Gabriel Tuchers betreffen die Sprachausformung nur exemplarisch, gelten aber für alle Bereiche. Hans Kleeberger war durch seine Kontakte zu Augsburger Kaufleuten noch um 1546 einer der wichtigsten oberdeutschen Bankiers des französischen Königs in Lyon, dem wichtigsten Finanzstandort Frankreichs.599 Gabriel Tucher berichtet am 21. März 1546, kurz vor dem Tod Kleebergers, von der Bedeutung des Finanzmaklers und seiner gesellschaftlichen Stellung in der Stadt. Kleeberger war seit 1545 Schöffe in Lyon gewesen, wahrscheinlich weil er einer der reichsten Bürger war und bereits seit 1543 königlicher Kammerdiener. Die angebotene ehrenvolle Aufnahme in den Rat wies er zurück. Kleebergers eigener Erwerb von drei Landgütern, sowie die später von seiner zweiten Frau gekauften vierzehn Landgüter weisen jedoch darauf hin, dass er sein Vermögen freier, ohne

598 Diese Angabe beruht auf den seit 2007 vorliegenden Sachregister zum Tucherschen Briefarchiv, StadtAN E 29/IV. Der geographischen Schwerpunktbildung gemäß werden Italienischkenntnisse nur dreimal thematisiert. 599 Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, 121, 129.

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die Annahme der Ratsmitgliedschaft, verwalten konnte, hatte er doch bereits sein Nürnberger Bürgerrecht zurückgegeben:600 So hatt der Hans Cleperger vorgestern auch Ein prief als Er für gibt vom Konig Empfangen daran Er Im anzeygtt sol haben Er werdt auf Künftig oster mes ein gutte suma geltz bederfen dem möeg Er sampt seinenn mit v[er]wantten nach trachten […] so wol Er die vnderschreibung machen wies d[er] H[ans] Kleberger haben well also das sy v[er]meinen d[er] monssier le dolvin wer sich auch vnderschreiben werden solchs Zeytt zu Erkenen wirdt geben So werdt Ir vorlengst v[er]nomen haben wie man den H[ans] Kleberger Zu Einem Rotthern hie gemacht hatt solcher hat keiner wolen sein sol auch nit in Ratt hie kumen sein[.]

Gabriels relativ wertungsfreier Bericht über die abgelehnte Ratswürde zeichnet die Pluralisierung städtischer Karrieren in zweierlei Perspektive nach. Aus der Sicht des Patriziats befand sich das politisch privilegierte Bürgertum in immer stärkerer Konkurrenz zu neureichen Aufsteigern wie Kleeberger und deren Partnern, »sampt seinenn mit v[er]wantten«. Kleeberger musste die in Nürnberg im Wesentlichen dem Patriziat vorbehaltene Ratsmitgliedschaft keineswegs als die einzig anzustrebende Karriere vorkommen. Ein anderer Aspekt ist die generelle großbürgerliche Tendenz, den Repräsentationsdruck des Adels durch Ankauf von Landgütern zu erwidern. Vermutlich ist aus diesem Grund, resultierend aus der Beobachtung neuer sozialer Aufstiegswege, die Handlungsweise des Hans Kleeberger für Gabriel Tucher interessant. So schreibt er am 29. November 1546: [W]irdt doch seltten was grundtlichs davon gesagt […] So ist die sag auch hie wie der gramfella an das Konigs von F[rank]Reych hoff sol sein vnd sol Im sein tochter für den Jongen prince aus spania Er werben solchs mag sein od[er] nytt so würdt noch von nicht[s] gehort oder gespurt das der konig […] etvan auf zu kunftig fruling was anhaben wolt solchs noch die zeytt Erkenen wirdt geben[.] So ist des hans Clebergers nach seinem abschidt hie auch von stundan v[er]gessen worden wie Ir meldt das er wenig gelt vnder anderen gesellen dem könig gelihen gehabtt wie wol er auch 3 gros herschaft bei R[hein] kauft hatt gehabtt er hat ander dem Konig zu Leyhen wol hinein kinden furn vnd sich daraus machen hatt denog d[er] Konig v[er]meint das gelt gehör Im vielleicht als zu ist zu besorgen es mecht mit der Zeytt seinem Erb hierumb etwan vil wider genomen werden[.]

Die soziale Verortung der Berichterstattung aus Lyon lässt sich durchaus als ein Teil der Erziehung ansehen, bildete die Distinktion des alten Geschlechtes der Tucher doch gerade durch die Ratsmitgliedschaft, ja schon durch die Ratsfähigkeit das zentrale Merkmal ihrer politischen Identität. Die frühere negative Einschätzung des Charakters Kleebergers als unstet mag zwar auf eine ohnehin bestehende kritische Grundhaltung hindeuten, jedoch ist allein der Bericht 600 Vgl. Michael Diefenbacher, Hans Kleeberger, in: Diefenbacher, Stadtlexikon, 543.

Epistemische Grundlagen der Generationenbeziehungen

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gerade über die Frage der Ratsmitgliedschaft ein Eingeständnis ihrer Relevanz. Seine eigentliche Brisanz erhält der Bericht durch die Abweichung zum verbreiteten Bild vom üppig in Lyon stiftenden Kleeberger, der für seine besondere Freigebigkeit »le bon allemand« genannt wurde.601 Gabriel dachte, beobachtete und schrieb in den Kategorien familialer Netzwerke, sozialen Aufstiegs und Stands, mithin praktizierte er die Sprache des Vaters und der Familie. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bearbeiteten Briefe nicht lediglich ein konventionalisiertes Protokoll aufwiesen, das etwa in benennbaren Schreibregeln aufginge. Weit über solche Gleichförmigkeiten hinaus steht deutlich der erziehungskonforme Ausdruck als ein Effekt des Erziehungsdiskurses im Mittelpunkt. Im Weiteren sind bis in wörtliche Übereinstimmungen reichende Details, darunter beispielsweise das Gebot des Vaters, Wein nur gemischt zu trinken, in den breiteren literarischen und religiösen Kontext des Erziehungsdiskurses zu stellen.

2.4

Briefliche Sprechweisen im Kontext. Epistemische Grundlagen der Generationenbeziehungen

2.4.1 Memorialbücher und ›praecepta‹ als Briefkondensate vom 15. bis zum 16. Jahrhundert Die Situation der Söhne während der Auslandslehre wurde von den Vätern auch aus eigener Erfahrung vorhergesehen. Sie kannten die Gefahren der großen Handelsstädte. Leonhart Tucher hatte gleich mehrere Söhne in der Auslandslehre und war durch eine stärker institutionalisierte Religiosität nach der Reformation erzieherisch sensibilisiert. Der Hauptteil der erzieherischen Kommunikation fand in den Briefen statt, jedoch waren Hauptproblemkreise in einer personalisierten Handreichung, einem »memorial«, den Söhnen für die Auslandsreise mitgegeben. Diese sind nicht mit den gleich benannten kaufmännischen Memorialen zu verwechseln, die von den Lehrlingen selbst anzufertigen waren.602 Es handelt sich um eine weit verbreitete zweckliterarische Gattung, deren lückenhafte Überlieferung möglicherweise gerade auf ihre intensive 601 Zu Kleeberger vgl. Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, 120 – 146 sowie noch immer Richard Ehrenberg, Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Kreditverkehr im 16. Jahrhundert, Jena 1896, passim. 602 Hager befindet das Memorial zum Buchhalten unverzichtbar, es werde gebraucht »Vmb darein alle Taegliche vnd stets vorlauffende Negotien/ Gewerb vnd alles so in Handelungen passiret/ von einem jedem/ der der selben bei wohnet/ pro memoria und zur Nachrichtung zu schrieben vnd zu verzeichnen«. Vgl. Christoph Achatius Hager, Buchhalten über Proper, Comission- und Compagnia-Handlungen, Hamburg 1666, fol. 1r.

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Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen

Vergesellschaftung und ihren materiellen Verschleiß zurückzuführen ist.603 Als eine seit der Antike bestehende Textgattung erlebt sie im 15. und 16. Jahrhundert Konjunktur, die später aus dem familiären Kontext in andere publizistische Formen heraustritt. Noch im 18. Jahrhundert spielt ein Einblattdruck auf diese pragmatische Textgattung an, indem er den »Wolgemeinte[n] Erinnerungs Regeln Für einen Jungen Kauff- und Handelsmann« einen immerwährenden Nützlichkeitswert beimisst.604 Den Belehrungen wird kein definitives Erstellungsdatum beigegeben, sondern das ›Druckdatum‹ angegeben mit »in diesem Jahr«, als sei das Spektrum der die Söhne erwartenden Gefahren durch die Unterweisungen erschöpfend eingefangen. Nachweislich existierten solche Memoriale im Sinne von erzieherischen ›praecepta‹ in der Familie Tucher. Mit einer nicht genauer bestimmten Angabe bestätigt Gabriel Tucher am 2. Juni 1546 in der üblichen willfährigen Weise den Besitz oder den Erhalt eines derartigen Handbuchs: »So hab ich In eurm schreiben meins hinaus Reytten v[er]numen dem sol nach Lautt Eurm schreiben myt fleys nach kumenn werden, v[er]hoff mich nach dem stras puchlen vnd aus L[inhart] Rotth[engatt]er memoria mit gotz hilf wol Zu Richten sol In allem vnter wegen ein gott will kein fleis gespart werden.«605 Ähnliche, Gehorsam verbürgende Formulierungen finden sich 1518 bei Hieronymus Tucher, der sogar von einer wöchentlich einmaligen, also vermutlich sonntäglichen Lektüre des Merkbüchleins spricht.606 Durch die Nähe zur Reformation mag diese pseudo- oder semireligiöse Praxis auf die Zeitumstände angerechnet werden. Dennoch ist es bezeichnend für die Wahrnehmung der Vaterrolle in der spezifisch protestantischen Familienimagination, dass das Wort des Vaters im Rhythmus der Lektüre des Gottesworts zu lesen war ; die familiäre Führungsund die theologische Abhängigkeitsposition des Vaters können gerade in den ersten Jahren der Reformation von zentraler Bedeutung sein.607 Trotz ihrer mehrfach nachweisbaren Existenz bei mehreren Tucher ist diese 603 Handbücher zur Glaubens- und Sittenlehre waren ab dem 16. Jahrhundert weit stärker verbreitet als die beliebten rhetorischen Praecepta, vgl. J. Engels, Praeceptum, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 7, Darmstadt 2005, 12 – 22, hier bes. 17 f. 604 Georg Steinhausen, Der Kaufmann in der deutschen Vergangenheit. Mit 150 Abbildungen und Beilagen nach den Originalen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert (Monographien zur deutschen Kulturgeschichte 2), Leipzig 1899, unpaginiert. 605 StadtAN E 29/IV Nr. 4. 606 Der Hinweis bei Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 111, Anm. 87, ordnet den Befund, Gabriel habe ein ›Merkbuch‹ besessen, ohne Anhaltspunkte anzuführen dem Vater zu. Dagegen bietet auch das von ihm versammelte Material Anzeichen für außerbriefliche schriftliche Ermahnungen gegenüber Hieronymus, Christoph und Herdegen Tucher. 607 Zu diesen Ideen vgl. Albrecht Koschorke, Die Heilige Familie und ihre Folgen. Ein Versuch, Frankfurt/Main 2000, 151.

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Quellensorte nicht überliefert. Durch die Gleichförmigkeit der Befunde zu Briefen zwischen Jung und Alt kann auf Parallelbeispiele anderer Familien zurückgegriffen werden.608 Auf der Ebene des synchronen Vergleiches, sowie im Verlauf des späten 15. und 16. Jahrhunderts, bietet sich ein Bild der Einheitlichkeit mit lediglich graduell unterschiedlich gewichteten Gravitationszentren der Ermahnungen. Das früheste Beispiel ist das »Regiment« des Christoph Scheurl, das er Hieronymus Haller für die venezianische Auslandslehre erstellte.609 Dieses Schriftstück ist in einer Familienchronik der Scheurl überliefert.610 Die Überlieferungsform trägt das Erziehungsmittel in den Kontext möglicherweise nicht erst hinein, sondern ordnet dem »Memorial« – zusätzlich zu der ursprünglich erzieherischen Funktion – eine memorative Funktion im Rahmen der Familiengeschichtsschreibung in selbstverständlicher, nicht weiter kommentierter Weise zu. Seiner Bedeutung nach ist das »Regiment« Scheurls hier in ganzer Länger in Transkription wiederzugeben: Hieronymus Hallers Regiment Jhesus [Christus] Maria Anno Inn 1488 adj 3 febrer In Venedig Lieber Schwager Jheronimus diesem nachgeschribem, dir gesetztem Regiment gedennckh Zw aller Zeyt mit vleys nach Zukhamen, Item am ersten vnd vor allen dingen hab got den almechtigen vor augen, dem diene mit vleys, so wirt es dir allenthalben In all deynem furnemen, thun vnnd lassen dester bas geen, Ganng des abennts Zw rechter Zeit schlaffen, auf das Dw des morgens Zw Rechter Zeit aufsteen mugst, vnnd hore vor allen dingen Meß, darnach ganng Zum Rechenmayster d[a] bleib vnnd lern vnntz ein h[alb] stund nach wetz[?], das dw als dan[n] Zw gewonlicher Zeit so die Walchen Im Teutschen Haws sein, dobey Inen aynes Tuchtygen wesens erscheynest Vnnd so es dan[n] Zeit an Realt Zugeen ist, do erschein auch, Nach tisch magstu 1 stunde oder 2 ergetzlichkait haben, vnnd dan[n] Zum Rechenmayster geen, darnach dich aber zw gewonlicher Zeit bey anndern erbern Kaufleuten Im teutschen Haws ertzaigen vnnd finden lassen, darnach am Realt vnntz die pennckh aufsteen, da hab acht was yeder man[ß] hanndlet, gesell dich Zw erbern leuten, such das lob vnnd fleuch das laster, dan[n] man groß auf sehen auf dein wesen haben wird, Item hab albegen ein tefelein bey dir, vnnd vleys dich all Zeyt die leufft oder verenndrung aller pfennbart [?] Zuerfarn der gleichen was yeder man hanndlet, auf was 608 Wiederum sind die Quellen hinsichtlich ihrer zentralen, gleichförmigen Wissensbestände zu untersuchen, nicht vorrangig nach den individuellen pädagogischen Ausformungen. Zum letzteren Ansatz vgl. Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 112. 609 Die einschlägige Quellensammlung gibt ein Regest aus dem Jahre 1884 wieder. Die Befunde der Forschung zum Inhalt solcher Merkbücher zeigen ein einheitliches Bild, vgl. Bruchhäuser (Hg.), Berufsbildung, 128 f. 610 Christoph Scheurl d.Ä., Hieronymus Hallers Regiment, in: Collectaneenband B (alte Nr. 284), Scheurl-Archiv, GNM, fol. 332 – 333, wird auch in A. von Scheurl, Christioph Scheurl, Dr. Christoph Scheurls Vater, in: MVGN 5 (1884), 13 – 46, 16 – 17 erwähnt.

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dw newes das Zw auf oder abschlag der Pfenbart dienen horest, das alles beZaichen, mir Zw sch[rei]ben, Vnnd so ein bot Zulauffen Zusagt, so schreib mit guter mues für, nit sparn dein schreyben vnnz ein bot gleich auf will seyn Erfragstu dan[n] In solche Zeit was weyters das schreib dartzw gedennckh mir meyne brief In allen artickheln vnnd puncten Zuuerantwurten. Item alles das so dw hanndlest es sey mit kauffen oder verkauffen mit den pennckhen, bezahlungen adj anndern, das schreib von stundan In dein tefel[n] Vnnd mit namen leg dich kains abennt schlaffen dw habst dan[n] solchs lauter In deyne bucher geschriben, Mag die geschefft haleb nit so vill weyl werden, solchs In dem Capis vnnd schulbuch Zeschreiben, so schreibs aufs mynst In Jornall getraw deynem kopf nit, nichts vber nach daryn Zutragen wan[n] so dw dein hanndlung eingeschriben vnnd deinen Khopf geräumbt hast, khumb dich der schlaf vnnd all annder ding dester sannffter an Item mir bis In allen dingen gehorsam willig getrew vnnd gewer, veracht mein schreiben nit, Ich will dich nichts wnrechts hayssen thun, noch vnterweysen, offennbar meyne henndel vnnd geschefft nymants, Leich nymants kain gelt, noch w[erd] fur niemants Burg noch selbschuld. Bis diemutig, freuntlich, dienstlich gegen den leutten so ist yederman dester genaigter dir widerumb freundschafft Zuthun vnnd dich das vnnterweysen, das dw nit waist vnnd notturfftig bist, Wann ein freund schafft sucht die annder bis auf recht, warhafftig In all deynen henndeln, Las ligen was nit dein ist Meyd leichtfertig leut, las geselschafft frawen spil vnnd anndere laster, darumb wirstu von dem almechtigen lon vnnd lob vonn den leuten erlanngen, Es wird auch dy hannd deynes vattern dadurch dest[o] milter gegen dir erscheynen. Dartzw Ich so verr dw dich recht anlest vnnd heltest guter fürderer verhof zusein Item So dw mir mit aynem botten schreibst so schreib mit albeg mit dem nehern darnach was dw mir mit dem ersten geschriben hast vnnd besonnder war notturfftiger henndel sein, dy repetir mir vnnd das darumb wo ein brief verlorn wurd das Ich der selben ding Im mindern darnach bericht werde[.] Christof Schewrl

Bei diesem Schriftstück handelt es sich um den Prototyp einer Belehrung von Auslandslehrlingen, treten doch wesentliche Züge späterer Beispiele und zahlreicher Briefe bereits in diesem frühen Text hervor. Scheurl hebt die Bereiche (1) des allgemeinen moralischen Verhaltens und Tagesablaufs, (2) der kaufmännischen Techniken und (3) die Beziehungen des jungen Haller zur alten Generation und sozialen Umwelt hervor. Die Frömmigkeit bleibt auffällig im Hintergrund, lediglich eine kurze zeittypische Invokation, »am ersten vnd vor allen dingen hab got den almechtigen vor augen«, steht am Beginn des Briefes. Vergleichsweise detailliert fallen (1) die Anweisungen zum Tagesablauf aus, neben dem regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes fordert Scheurl einen regelmäßigen Schlafrhythmus, ein der kritischen Öffentlichkeit des Fondaco dei Tedeschi angemessenes Benehmen, seien doch die deutschen Kaufleute besonders aufmerksam und empfindlich. Sogar die Pausenzeit wird eigens erwähnt und auf »1 stunde oder 2 ergetzlichkait« bemessen, freilich erst nachdem Haller seinen

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täglichen Gang zur Rialtobrücke gemacht habe, wo er in vorsichtiger und kritischer Kontaktnahme zu den Kaufleuten deren Handelsgüter und Marktpreise zu beobachten hatte. Unabhängig vom Tagesablauf, doch von latenter Wichtigkeit, stellt Scheurl (2) die kaufmännischen Techniken des ständigen Mitschreibens heraus, damit die auf Anforderung nach Nürnberg an Scheurl weitergegebenen Informationen möglichst zuverlässig seien. Demgegenüber sei das Erinnerungsvermögen keine sichere Alternative und Scheurl bedürfe präziser, vollständiger und belastbarer Informationen. Haller habe auch ein eigenes Interesse an der Verschriftlichung von Wirtschaftsdaten, denn das könne ihn frei von Sorgen um das Vergessen schlafen lassen, leitet Scheurl aus der Verantwortung gegenüber dem »Schwager« genannten Hieronimus ab. Das hierarchisch strukturierte Verhältnis zwischen den Generationen bildet den Hauptgedanken des dritten Abschnitts des Memorials. Kreditmäßige Geschäftsbeziehungen, generell die Formen des Umgangs mit Kollegen, freundschaftliche Beziehungen, informelle Geselligkeit finden hier mahnend Erwähnung. All diese sozialen Verbindungen bezieht Scheurl auf die Autorität des Vaters Haller, der den Sohn nach diesen Kriterien beurteilen werde. Er schwört den möglicherweise als Schwiegersohn ausersehenen Hieronimus auf die Geheimhaltung aktueller Kenntnisse des Wirtschaftens ein, »offennbar meyne henndel vnnd geschefft nymants«. Hieronismus’ Vater Jobst war mit 400 Gulden am Scheurlschen Handel beteiligt.611 Der junge Haller solle kein Geld leihen oder verleihen, aber seinen echten Freunden gegenüber zuverlässig und ehrlich sein, »leichtfertig leut« dagegen genauso in ihrer Gefährlichkeit als »laster« erkennen wie beispielsweise Frauen und Spielgenossen. Um die väterliche Sanktionsmöglichkeit aufrechtzuerhalten, erbittet Scheurl, dass Haller in den Briefen die erhaltenen und gesendeten Briefe sicherheitshalber erwähne. Scheurl war offenbar mit der Erziehung des Knaben bis 1492 kommissarisch betraut.612 Zu diesem Zeitpunkt befand sich seine Familie erst seit kurzem in der »Freundschaft« der patrizschen Tucher, so dass durch den Verwandtschaftsgrad auch der patrizische Status auf die Scheurl ausgedehnt worden war. Die womöglich geplante Heirat kam aber nicht zustande, nachdem Hieronimus Haller nach Nürnberg zurückgekehrt war, heiratete er 1494 Katharina Wolf von Wolfsthal und arbeitete im Handelshaus von Heinrich Wolf.613 611 Vgl. StadtAN Rep. 59b Nürnberger Salbücher Nr. 296b, Bl. CCLXXXIv. Eine Abschrift des Ausbildungsvertrags vom 2. November 1487 findet sich im Scheurl-Codex B, Scheurlarchiv, fol. 330v-332r. Diese Hinweise stammen von Bertold von Haller. 612 Spätestens danach war Hieronimus Haller auch auf eigene Rechnung in Venedig tätig, vgl. die Quittung vom 8. Oktober 1492, mit Scheurl ihn aus seinem Dienst verabschiedete, Scheurl-Codex B, Scheurlarchiv, GNM, fol. 335. 613 Helmut Freiherr Haller von Hallerstein, Größe und Quellen des Vermögens von hundert

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Die Aufnahme von Scheurls Memorial in die familiengeschichtlichen Aufzeichnungen dokumentierte die kulturelle Qualifikation der Scheurl. Ähnliche statuskommunizierende Wirkungsabsichten lassen sich aus der Kombination der Wappen der Tucher und der Scheurl herauslesen, eine Synthese, die Albrecht Dürer 1512 für eine Wappendarstellung der Eltern Christoph Scheurls vollzog, mit der die genealogische Bemühungen um die Tucher fixiert werden. Wurde das Memorial auch für die Annäherung an das Patriziat überliefert, so decken sich die darin enthaltenen Forderungen und ihre argumentative Herleitung doch weitgehend mit den Befunden aus späterem brieflichen Material; prinzipiell ist sogar eine Ausstrahlung über die zwischen Memorial und Briefen liegende Zeit hinweg zu erkennen. Um die Beharrungskraft ethischer Regeln mit ihrer Wandlung zu gewichten, bedarf es des Vergleichs mit später entstandenen Memorialen. Dieser Vergleich ist mit dem Augsburger »Memorial und Recorda für mein Eniklen Antoni Christof Hörmann« aus dem Jahr 1588 zu führen.614 Zu den Hörmann ist bekannt, dass Georg Hörmann seit dem frühen 16. Jahrhundert in Diensten der Fugger gestanden hatte und 1530 von Kaiser Karl V. geadelt und 1536 von König Ferdinand zum königlichen Rat erhoben wurde.615 Ist der soziale Kontext des Vergleichsbeispiels somit keineswegs konträr zum Nürnberger Beispiel, so ist doch der Anlass des Memorials gänzlich anders, besuchte der Adressat, Anton Christof Hörmann, doch nur für zwei Jahre eine Memminger Lateinschule und erhält so von seinem Großvater eine die übliche Erziehung nur ergänzende Ermahnung. Zum Antritt der Schulzeit erhielt Anton Christof Hörmann ein »Memorial und Recorda« benanntes Schriftstück, das, im Ganzen betrachtet, sämtliche ethischen, die Lebensführung betreffenden Bestimmungen enthält, diese aber gewichtet und mit individuell personalisierenden, jugendalterspezifischen und lebensstilbezogenen Regeln weiterführt. Wörtlich taucht auch hier eine religiöse Instruktion auf, die allerdings wesentlich stärker ausgebreitet und theologisch entfaltet wird: »[W]insch ich dir zu solcher Rais und Vorhaben von Gott dem Herrn vil Glick […] du wöllest vor allen Dingen gottsforchtig sein und dich alle Morgen, so du aufsteest, un[d] Nachts niedergeest, der hailigen Dreifaltigkeit, Gott Vater, Sun und hailigen Gaist bevelchen und treulich anruefen und bitte, dass er dich in warem Christlichen Glauben auf rechter Pan laiten, fueren, erNürnberger Bürgern um 1500, in: Stadtarchiv Nürnberg (Hg.), Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Bd. 1, Nürnberg 1967, 117 – 176, hier 122 f. 614 Dieses Memorial zählt zu den wenigen bisher edierten Beispielen dieser rinascimentalfrühmodernen Gattung mit einer umfassenden Vorgeschichte im italienischen Raum. Der Text ist im Folgenden zitiert nach Anton Hörmann, Memorial und Recorda: Aus dem Bildungsgange eines Augsburger Kaufmannssohnes vom Schlusse des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg, 1874, 137 – 182, 146 – 149. 615 Ebd., 140 f.

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Abb. 7: Albrecht Dürer, Das Wappen der Scheurl und Tucher, 1512.

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halten und von allem Ubel Leibs und der Seelen gnediglich behueten wöll.« Auch die folgenden Aufforderungen zum Einhalten der Feiertage, Predigtbesuch aus Anlass der Leiden Christi, zum Einholen kirchlicher Sakramente zu den höchsten christlichen Feiertagen gehen weit über die Anweisungen Scheurls hinaus. Der strafende Lehrmeister sei zu achten, Ermahnungen demütig anzunehmen und gegebenenfalls die Affekte zu bändigen. Dies sei der Sohn der Mutter, die für die Kosten der Fernerziehung aufkomme, schuldig; daher seien der Stoff sowie das Schreiben und Rechnen auch fleißig zu lernen und die Zeit bestmöglich zu nutzen. Der dritte, letzte und umfangreichste Teil des Memorial zeugt von der Verfeinerung nicht nur auf religiösem Gebiet, sondern auch in der Disziplinierung im Alltag im Sinne von täglich wiederholten und somit regelmäßig aktuellen Situationshandlungen. Der Katalog könnte topischer kaum sein, fordert der Großvater doch »Huet dich vor Muessiggang«, »Huet dich vor boeser Geselschaft Gespilschaft Unzucht und anderere Leichfertigkait sondern gesell dich zu erbern und frumen, darvon du was Guets sehen und lernen magst«, »trink kain Wain, er sey dann wol gewessert oder gemischt«. Diese Forderungen gehören zum bereits von Scheurl vorgeführten Kanon der Kindererziehung, so dass eine prinzipiell nichtinnovative Fortschreibung und Kontinuität anzunehmen ist. Stärker als in Scheurls Memorial tritt der eigentliche Schulbesuch in den Hintergrund, erscheint die Religiosität wesentlich intensiviert, genauso wie personen- und jugendalterspezifische Aspekte stärker berücksichtigt werden. Die das Betragen betreffenden Forderungen stehen im Vordergrund. Sie machen mehr als die Hälfte des Textes aus, sind aber zu einem Teil als rhetorische Amplifizierung zu werten, etwa »huet dich vor dem Laster der Trunkenhait und Fillerey, daraus aller Unart erfolgt«. Hierbei tritt eine gewisse Individualisierung hervor, nämlich »sonderlich huet dich dass du nit in die Hitz trinkest, weil du aufs Plueten genaigt bist«, die jedoch häufig in das topische »wöllest guet Achtung auf dich selber geben« einmündet. Die durchgehend altersspezifisch formulierten Erwartungshaltungen fallen recht pauschal und auf den hergebrachten Kanon aufgesetzt aus: »[S]elbst waist, was dir als einem Jungen [im Alter von 13 Jahren] wol oder ubel ansteet«, Äußerungen die kaum ein neues Thema erschließen, sondern in neuer sprachlicher Verfasstheit affirmativ auf die üblichen Regeln wirken sollen. Auch die Disziplinierungsmaßnahmen gehen kaum über eine zeittypische Anverwandlung der bereits spätmittelalterlichen Regeln zur äußeren Erscheinung hinaus. Allerdings wird Anton Christof Hörmann relativ detailliert angehalten, auf »Baden, Haupt- und Fuesswaschen« achtzugeben, eine Maßnahme, die sich – der Kleidungsvorschrift gleich – auf die äußere Erscheinung bezieht: »In deinen Kleidern bis sauber, heb die irdenlich auf, lass nit auf den Penken

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umbfaren, lass dir auch nichts von Seidenklaidern machen.« Zwar bilden das Alter und der Stand Anton Christof Hörmanns fixe Bezugspunkte seiner Erscheinung, aber sie begrenzen auch die Repräsentation auf bestimmte Kleidersorten. Diese waren offenbar nicht unübliche Modeerscheinungen, die Druck auf die Träger auch jungen Alters ausgeübt haben müssen. So verbindet der Großvater das Seideverbot mit der viel weiter ausgreifenden Warnung vor dem Einfluss ›schlechter‹, im historischen Wortsinn niederer oder schlichter Gesellschaft, »bis […] nit leichtfertig […] ainem Jeden nachzuthuen, was du siehst«. Zur äußeren Erscheinung des Jungen zählt des Memorial aber nicht nur seine Person in Ausstattung und Benehmen, sondern auch ihre schriftliche Repräsentation in den die Person vertretenden Briefen, die demnach eine symbolische Bedeutung besaßen: »Deiner Muetter, mir und andern deinen Herrn Gefreunten wöllest underweilen Lateinisch und Teutsch und aufs wenigest alle Monat ainmal schreiben, damit wir sehen kinden, wie du dich in latein und teutsch Stellen[sc. konzipieren] und Schreiben bösserest[.]« Diese erhöhte Sensibilität auf den sozialen Zeichencharakter des im 15. Jahrhundert wohl stärker noch als Informationsträger kategorisierten Briefes bildet einen hermeneutischen Schlüssel zur Briefkultur zwischen Jung und Alt im 16. Jahrhundert allgemein. Unabhängig vom Inhalt wird mindestens ein Brief pro Monat erwartet. Das spiegelt die gesellschaftliche Erwartungshaltung, die der Großvater stellvertretend für den Vater formuliert. Anton Christof Hörmann war freilich kein kaufmännischer Lehrling, der wesentliche Neuigkeiten zu berichten gehabt hätte, wie etwa der junge Haller aus einer der europäischen Handelsmetropolen. Dennoch zeichnet sich eine Entwicklung zum eingeübten Schreibstil als einem Habitus ab, die ganz wesentlich die Genese des Tucherschen Briefarchivs mitbestimmt haben könnte. Nachreformatorische Merkbücher deuten auf eine epochenübergreifende Struktur der Auslandslehre hin.616 Veränderungen scheinen eher einen weiterhin verbindlichen Kanon zu modifizieren. Der empirische Befund zu den einzelnen Briefen kann daher, ausgehend von einem auffällig strukturierten Quellenbestand im Briefarchiv der Tucher, verallgemeinert werden auf die diachrone Entwicklung dieser Untergruppe der privatbrieflichen Quellensorte. Die weiter oben behandelten erziehungskonformen Briefe scheinen sich geradezu aus diesen Merkbüchern bedient zu haben, leiten sich die Briefinhalte anscheinend doch direkt aus den Merkbüchern ab. Die Gleichförmigkeit der Merkbücher lässt ihrerseits auf einen textlichen Typus und ein Stemma sehr naher Reproduktion schließen, d. h. dass die Textinhalte nur konservativen Änderungen unterlagen. ›Praecepta‹ entwickelten sich im 16. Jahrhundert zu 616 Arnold, Familie-Kindheit-Jugend, 145 – 147.

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einer der wichtigsten zweckliterarischen Gattungen, die noch nicht umfassend erforscht sind.617 Sie wurden innovationsarm aktualisiert, durch zahlreiche Abschriften, teilweise sogar auf dem wertvolleren und haltbareren Pergament, wie die Lehrbücher zum Strukturieren, Gestalten und Schreiben von Briefen, die Briefsteller.618 Denn wie die behandelten Mahnbriefe der Tucher, so bilden die Merkbücher auch eine eng befolgte Vorlage von Briefen zwischen Alt und Jung in anderen Familien und familiären Netzwerken.619 Beer stellt diesen Befund deutlich heraus, interpretiert jedoch nicht die Folgen dieser starken textlichen Abhängigkeit und streng verfolgten Topik von Jugendbild und kaufmännischen Ausbildungszielen. Zwischen beiden Beispielen existieren starke Parallelen, die unabhängig von der verschiedenen Entstehungs- und Überlieferungssituation sind; auffällig ist allein der qualitative Kontrast, der eine intensivierte Religiosität und soziale Verfeinerung in den projizierten Erziehungszielen erkennen lässt. Die ›praecepta‹ bilden die Grundlage für die dominierende Eigenschaft des brieflichen Materials, seine Gleichförmigkeit. Suchte Beer vorhandene Varianzen und individuelle Spezifizierungen als Ausdruck von Emotionalität zwischen Eltern und Kindern hervorzuheben, wird hier der entgegengesetzte Weg eingeschlagen.620 Die Strukturen brieflicher Erziehung stehen zu den weniger fallspezifischen Quellen in Abhängigkeit. Das heuristische Potential von Merkbüchern und den im Folgenden zu behandelnden Quellensorten ist jedoch gerade durch die Bezugnahmen auf die brieflich mitgeteilten Wissensformationen, den Diskurseffekten, im Hinblick auf Generationenbeziehungen auszuschöpfen. Die Erziehungsintentionen lassen sich in ihrer die gesamte Persönlichkeit betreffenden Allgemeinheit nur analytisch in charakterliche und eher fachliche Kompetenzen, »Primärinhalte[n] kaufmännischer Qualifizierungsprozesse«621 trennen. Diese werden in den untersuchten Briefen neu vermittelt, geben im Grunde jedoch deren Inhalt vor. (1) Fremde Sprachen zu lernen war für Kaufleute eine besonders wichtige Zugangsqualifikation zu Märkten im Ausland und 617 Zum Stand der Erforschung vgl. Engels, Praeceptum, bes. 12 f. 618 Zur zwischen 1400 bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes konservativen Briefstellerliteratur vgl. noch immer Nickisch, Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern. 619 Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 112. 620 Die Frage, ob die Unterscheidung zwischen ›individuellen‹ Emotionen und allgemeinen Verhaltensformen sinnvoll oder überhaupt möglich ist, sei hier nur für den unmittelbaren Zweck der Polarisierung beantwortet. Die historische Emotionenforschung behandelt mit Emotionen verbundene Schematismen, topische Ausdrucksformen in Texten und Bildern der Vormoderne stärker als subjektive Aspekte affektiver Äußerungen zu gewichten, vgl. dazu zusammenfassend Rüdiger Schnell, Liebesdiskurs und Ehediskurs im 15. und 16. Jahrhundert, in: Lynne Tatlock (Hg.), The Graph of Sex and the German Text. Gendered Culture in Early Modern Germany, 1500 – 1700 (Chloe 19), Amsterdam 1994, 77 – 120. 621 Bruchhäuser, Kaufmannsbildung, 193.

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zum Umgang mit fremden Kaufleuten in deutschen oder europäischen Warenund Geldumschlagsplätzen. Stets kommentieren die Söhne daher ihre Fortschritte beim Sprachenlernen, schreiben gelegentlich einen Brief in der Fremdsprache. (2) Die Handelsusancen treten dagegen als Lernziele stärker hervor, denn ausdrücklich werden Lehrmeister in einiger Entfernung und Reichweite der eigenen Faktoreien gewählt. Erkennbar war auch das Bestreben, italienische Lehrmeister wohl wegen (3) der überlegenen Rechentechnik zu wählen. (4) Die Warenkenntnis wird durch das Übersenden von Warenproben geprüft, so dass die Väter einen Eindruck von der Urteilskraft der Söhne gewinnen konnten. (5) Das von Bruchhäuser als eigener kurrikularer Bestandteil der Auslandslehre ausgegrenzte »soziale Verhalten« ist von integrierender Wirkung für (6) die gesamte »Handelstechnik«, d. h. die Erfolg verbürgende Kompetenz im Zusammenspiel von Marktentwicklungen, Käufern und Verkäufern. Maschke hat bereits für Kaufleute des Spätmittelalters die Wechselwirkung von Sprachgestus und Wirtschaftshandeln, »kommerziell bestimmt[er]« Frömmigkeit und gottgnadenabhängigem Gewinnstreben gezeigt.622 Die Invokationen besitzen einen symbolischen Wert und tangieren keineswegs die wie auch immer zu konzipierende Person des Schreibenden. Es handelt sich um eine schematisierte Andeutung des Risiko- und Endlichkeitsbewusstseins schon der italienischen Kaufleute im 14. Jahrhundert, um ihren »Frömmigkeitsstil«, nicht aber um ihre Frömmigkeit. Am Beispiel der Tucher ist zu erkennen, dass die protestantische Familie der Kaufmannsbildung ihrer Söhne lediglich einen konfessionellen Mehrwert hinzugefügt hat, der für eine neue Sensibilität im Umgang mit dem Fortbestand der Familie spricht.

2.4.2 Der »Knabenspiegel« (1554) und andere Werke Wickrams als Literatur des Bürgerlichen und des sozialen Aufstiegs In einem Thesenroman wie dem »Knabenspiegel« Jörg Wickrams lassen sich die Personen, vordergründigen Themen und Entwicklungen besonders klar skizzieren, weil die Personen vor allem typisiert und nur in diesem Rahmen psychologisch-individuelle Komplexität erhalten. Das dialogreiche Werk ist als ein früher Erziehungsroman interpretiert worden, steht doch die Erziehung als Vorbereitung des Generationenübergangs im Mittelpunkt. Der Ritterssohn Willibald rückt auf Grund von schlechtem Einfluss von den für ihn maßgeblichen ritterlichen Erziehungszielen ab und kann diese erst nach langen Bemühungen erlangen. Die ihm abverlangten Tugenden, geradezu ein »Katechismus 622 Maschke, Berufsbewusstsein, 326.

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bürgerlicher Werte«,623 erfüllt dagegen der nicht adelige Friedbert ganz gehorsam. Willibald wird im Gegensatz dazu als »halbstarck«, d. h. eigensinnig und mithin besonders leicht negativ beeinflussbar, gekennzeichnet. Seine ursprüngliche Haltung wird durch die Schmeichelei der Verführerfigur mit dem ethisch negativ konnotierten Namen Lottarius verstärkt, drückt dieser doch in platitüdenhafter, weil stark markierter Weise einen Lebensstil der freien ungezogenen Jugend aus: »O du schnoder vnnd argelistiger Lottarius/ dein namen an dir ist warlich nit vergeben.«624 Lottarius übt stereotyp schlechten Einfluss auf Willibald aus, der auf diese Störung einer geregelten Erziehung nicht vorbereitet worden war : »Zu einem bosen jungen gesellet/ welcher gar schnoder stuck pfleget/ so einem frummen knaben nit gezimmen.«625 Lottarius stimuliert gewissermaßen die Eitelkeit als eine negative Seite des von Unerfahrenheit und nicht nachhaltig durch ethische ›praecepta‹ geprägten Charakters Willibalds, indem er ihm die eigene Hochschätzung vorspielt: »Das zusagen aber vnd versprechen des Lottars gefile jm [Willibald] auß der massen wol/ dann er meinet sich schon ein juncker sein/ wie dann gewonliche alle Jungen geneigt seind/ wo si etwas guts vnd rychtumb hinder in wissen.«626 Der natürliche Hochmut, die überzogene Selbsteinschätzung, ja der Dünkel scheinen somit die wichtigsten ursprünglichen Gefahren der Einflussnahme auf den eigentlich gut erziehbaren Sohn zu sein. Wird der Sohn des Geburtsstands und des Geburtsreichtums zu sicher, so scheinen die ethischen Perpetuierungstechniken sich durch falschen Umgang beeinträchtigen zu lassen: »Sein groste tugend ist anders nichts/ dann liegen schlecken vnd stelen/ die knaben von den tugenden zu den lastern zu bringen.«627 Er hofft vergebens, dass die Kraft der Erziehung durch den Lehrmeister ausreichen werde, schlechte Gesellschaft zu kompensieren und unwirksam zu machen. Der Vater richtet daher die folgenden Worte an den Lehrmeister : [W]öllest […] meinen son wider in die forcht ziehen/ vnd kein rut an jm sparen/ damit er von solcher üppigen vnd bösen gesellschaft abstand/ wider in sein erste zucht vnd scham trette[.]628

Ein vergleichbarer literarischer Befund ergibt sich für die Widmung, wo schlechte Gesellschaft ebenfalls als ein virulentes Problem dargestellt wird. Die bei Wickram über die üblichen Gattungsgrenzen der Widmung hinaus beson623 Röcke, Fiktionale Literatur und literarischer Markt, 503. Hier sind die bereits eingangs als Untersuchungsperspektive angedeuteten Überlegungen aufzunehmen und zu vertiefen. 624 Müller, Knabenspiegel, 737. 625 Ebd., 705. 626 Ebd., 702. 627 Ebd., 705. 628 Ebd., 706.

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ders apologetisch und dienerisch wirkenden Zueignungen nennen diese Bedrohung als den Hauptgrund, warum der Text letztendlich vorgelegt worden sei. »Forcht« und »scham« als Voraussetzung und Ausgangsdisposition zur Annahme weiterer Tugenden, seien besonders durch »bößer gsellschaft« gefährdet, weil Junge so leicht durch andere Junge vom Gehorsam gegen ihre Eltern abzulenken seien:629 [H]ab ich euch diß mein schlechts büchlein (so dann auch nur für die jungen kinder gemacht) zu schreiben wollen/ damit die jugend/ als euwer liebe kind sich selb vor arger vnd bößer gsellschaft hüten mög/ den tugenden mehr dann den lastern nachgedenken[.]630

Auch der in der Forschung als Ankündigungs- und Werbungsschrift für den Roman angesehene »Dialog vom ungerathenen Sohne« hebt diese Aspekte in zuspitzender Darstellung einer schlechten, weil – durch rücksichtsvoll gemeinte Unterlassung – fehlenden Erziehung hervor. Daraus ergibt sich das Ausgangsdefizit der Erziehung, denn das Kind entwickelt den negativ dargestellten, auf Ablehnung jeglicher erzieherischer Verhaltensänderung hinzielenden Eigensinn und die unsteuerbare Selbstbestimmung. Diese werden nicht durch institutionalisierte Erziehung in der Schule oder Lehre gebrochen, sondern können in einem negativen Sinne frei entwickeln gemäß dem zeitgenössischen Bild von Kindheit und Jugend. Dies mündet im Grunde in sozialen Abstieg, so dass der Lehre in diesem ›Werbetext‹ für den »Knabenspiegel« nichts weniger als eine Sicherungsfunktion für die standesgemäße Kontinuität der Familie des städtischen Bürgertums zukommt: Darumb ist diß gesprech gemacht Damit die Kinder haben acht Was frucht vnd nutz die leer vns bringt Auch was fur ein tugendt darauß entspringt So man an kinden spart die Ruht […] So bleibt dann das kind hin als h[e]r Geht on all forcht vnd scham dohin Gwindt gar ein halssterrigen sinn […] Henckt sich erst boser gsellschaft an Da lernt er war er vor nicht kann Allen mutwill vnnd buberey Er gibt sich allen lastren frey. Vnd verthut all sein gut vnd hab Damit kompt er am Bettel stab[.]631 629 Ebd., 683. 630 Ebd., 684. 631 Johannes Bolte/W. Scheel (Hg.), Georg Wickrams Werke, Bd. 2, Vom ungeratenen Sohn (Bibliothek des literarischen Vereins 223), Stuttgart 1901, 826 f.

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Die behauptete Praxisnähe des Romans mag als marktorientierte Verkaufsförderung gewertet werden,632 die die Relevanz und Aktualität des Druckwerks hervorhob, um für ein möglicherweise überhellt dargestelltes Problem eine Lösungsmöglichkeit anzubieten. Der Roman gehörte mit insgesamt acht Auflagen bis 1600 zu den »literarischen Bucherfolgen«.633 Wickram verweist darauf, dass der Roman auch bereits in den Schulen gelesen werden könne, um die Erziehbarkeit der jungen Menschen zu steigern: So man das etwann in teütschen schulen braucht/ vnd die jungen darauß lernen lesen/ das sie dannocht bey spielen ein schrecken empfahen/ vnd sich dester mehr in zucht vnd forcht jrer schulmeister geben werden[.]634

Im Gegensatz zu den ebenfalls und affirmativ erwähnten brachialen Formen der Erziehung ist die Aufgabe des Romans daher, Eltern die Erziehung durch literarisch-beispielhafte Überredung zu ermöglichen, ein Weg, den der Dialog als eigentlich fahrlässig dargestellt hatte. Dieser Weg der ästhetischen Erziehung sei durch die Parallelen zur potentiellen Lebenswirklichkeit junger Menschen eröffnet, deren eigene Natur und Lebensumstände sich mimetisch im Roman abbildeten: Sagt schon einer/ wo ich die geschichte erfaren h[ätte]/ würt er mich on antwurt nit finden/ dann ich würd sagen bey vnser jugendt/ sihe ich noch taglich der gleich […] Gott geb gnad/ das sich die jugent besser vnd in der forcht aufwachs[.]635

Das Bild einer gefährdeten und daher erziehungsbedürftigen Jugend ist bereits durch die humanistische Literatur seit 1300 vergegeben. Mafeo, Alberti, und andere prägen an Hand dieses Jugendbilds einen dann kontinuierlich auftretenden Generationsdiskurs aus.636 Um die affirmative Rezeption dieser Erziehungstheorie und -praxis im deutschen Sprachraum aufzuzeigen, wären verschiedene weitere literarische Quellen möglich, darunter eher gelehrte Traktate und verdichtete Kunstformen wie die Emblemata oder die Flugblattliteratur. Der Roman Wickrams eignet sich aus verschiedenen Gründen am besten als Stellvertreter des breiteren Erziehungsdiskurses. Die Ergebnisse lassen sich sinnvoll mit den Befunden zu den Briefen überblenden, weil das Veröffentlichungsdatum 1554 annähernd mit den Briefen übereinstimmt. Zusätzlich erschließt sich ein 632 Diese These vertritt Waghäll Nivre, Facts or Fiction, die damit das von ihr ursprünglich verfolgte factum/fictio-Frageschema eigentlich verwirft. 633 Diese Zahl der Auflagen ist die prinzipiell nachweisbare, was jedoch schwer in kausale Verbindung zu setzen ist mit der Rezeption, vgl. Röcke, Fiktionale Literatur und literarischer Markt, 504. Zur überaus großen Verbreitung vgl. Müller, Knabenspiegel, 1262. 634 Müller, Knabenspiegel, 809. 635 Ebd., 810. 636 So das Ergebnis von Taddei, Images and Conceptions of Youth.

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enger Bezug zu einem patrizisch-stadtbürgerlichen literarischen Markt.637 Die Anbindung an ›bürgerliche‹ Werte unterläuft alle Deutungen des »Knabenspiegel« als adlig-konservativ, als Roman mit sozial nicht verortbaren komplexen Charakteren oder gar als eine Frühzeit des modernen Bürgertums. Bezogen auf die Rezeptionsgeschichte des Romans bedarf die Analyse der Leser, d. h. des potentiellen Marktes dieses Buches als Untersuchungsinteresse dieser Arbeit, ohnehin der Aktualisierung durch die differenzierte Sichtweise auf die Paradigmen des »Stadtadels« und die Verbreiterung der Führungsschichten durch Konnubium und Reichtum. Die von Münch pauschal als »bürgerliche Tugenden« deklarierten Normen erscheinen demnach eher als nur in bürgerliche Vermittlungsformen umgegossene Wissensbestände, die bereits im 14. und 15. Jahrhundert dem Adel zugerechnet werden konnten. Tüchtigkeit und andere Tugenden kennzeichnen ein Normensystem, dem städtische Finanz- und Professionseliten nachstreben konnten.638 Der »Knabenspiegel« steht in einer langen Tradition der moralisierenden Aufnahme antiker ethisch-politischer Philosopheme; gerade durch Übersetzungen wurden die historischen Vorlagen oft stark bearbeitet und überformt. Die humanistische Gelehrtheit wird beispielsweise in Wickrams »Die Zehen alter der Welt« mit christlichen Beigaben popularisiert. Im Zentrum steht die paulinische Verkündigung des Endes der Welt (Thess, 5,1), die den persönlichen Fleiß und die Tugendhaftigkeit der Gemeindemitglieder vor dem implizit angekündigten Hintergrund des letzten Tages fordert: »Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau, und es gibt kein Entrinnen.«639 In diesen Worten wird das Kommen des Jüngsten Tages dargestellt, wisse doch die Schwangere um die Endlichkeit ihrer Umstände und muss aus Erfahrung mit dem berechenbaren Ende als der Konsequenz ihres Zustandes rechnen, während das zuvor für Gottes Gericht gewählte Bild eines in der Nacht kommenden Diebes weniger verbindlich erkennbar auf ein Ende zulaufe. Damit zitiert Paulus 637 Dazu zusammenfassend Hannes Kästner, Antikes Wissen für den ›gemeinen Mann‹. Rezeption und Popularisierung griechisch-römischer Literatur durch Jörg Wickram und Hans Sachs, in: Bodo Guthmüller (Hg.), Latein und Nationalsprachen in der Renaissance: Vorträge des 37. Wolfenbütteler Symposions in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 25. bis 28. September 1995 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 17), Wiesbaden 1998, 345 – 379. 638 Zu einer neuen Bestimmung von »Stadtadel« als einer sozialen Gruppe in der Stadt, ihren Ursprüngen, Rekrutierungs- und Kontinuierungsmechanismen im Reich insgesamt vgl. den zugleich konzisen und umfassenden Aufriss in Gerhard Fouquet, Stadt-Adel. Chancen und Risiken sozialer Mobilität im späten Mittelalter, in: Schulz, Sozialer Aufstieg, 171 – 192, hier 180, 192. 639 Für die Angaben von Bibelzitaten vgl. Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg/Basel/Wien 1980.

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zugleich Jesus Sirach, wo ebenfalls dem Bild einer göttlichen Strafe eine Wahrscheinlichkeit verliehen worden war, die mit dem Eintreten der Schwangerschaftswehen vergleichbar ist. Diese Parallele mag zur Überzeugungskraft beigetragen und im Hintergrund über beiden Traditionslinien gestanden haben. An anderer Stelle zeigen sogar programmatische oder repräsentative Wendungen Wickrams in einer Widmung, dass sich paulinische Theologumene problemlos mit Zitaten aus dem deuterokanonischen Jesus Sirach verknüpfen ließen.640 Diese Warnung läuft auf das breiter ausgeführte Gebot hin, fleißig und ordentlich zu sein sowie sich gegenseitig zu disziplinieren, um sich gleichsam für den Tag des Herrn vorzubereiten: »Wir ermahnen euch, Brüder : Weist die zurecht, die ein unordentliches Leben führen« (Thess, 5,14). Damit sind die zwei Grundthemen der »Zehe[n] alter d[er] welt« Wickrams benannt, erklärtermaßen ein Fastnachtsspiel, dem die göttliche Strafe als die Folge von mangelhafter Zucht, Fleiß und Ordnung an zentralen Stellen als Motto und Schlussfolgerung beigegeben wird: All üppigkeyt thut yetz auffston/ Sicht man beim kind biß uff den alten, Wie sich ein yeder yetz thut halten. Paulus uns das gar klarlich schreibt: ›Wann sich nohen die letsten zeyt, Werden gar vil vom glauben weichen, Den teüfelschen lern sich vergleichen.‹ […] Darumb ein yeder selbs betracht, Eygentlich in sein gwissen gang, Ob nach untz auff die zeit sey lang, Die uns sant Paulus hat erklart.641

Der zeichenhaft für das Ende der Welt hindeutende moralische Verfall wird dann programmatisch in einem Katalog von zehn angesetzten Lebensaltern exemplifiziert. Ein kaum näher eingeführter »waldtpruder« belehrt die zehn unzüchtigen Menschen mit stereotypen Ermahnungen. Die starre literarische 640 Vgl. hierfür Johannes Bolte (Hg.), Georg Wickrams Werke, Bd. 3, Die Siben Hauptlaster/ sampt jren schönen früchten vnd eygenschafften (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 224), Tübingen 1903, 147 – 311, 150, zur Arbeitsauffassung das Paulus, der im Rahmen der Erwartung des Tages Gottes mit besonderem Nachdruck an ethische Maximen erinnert, die Wickram kurz zuvor im Text der Widmung aus einer prägnanten Formulierung Sirachs gewonnen hatte. 641 Johannes Bolte (Hg.), Georg Wickrams Werke, Bd. 5, Die Zehen alter der welt. Nach gemeinem lauff der welt/ Mit vil schönen newen historien begriffen/ Vß der bible gezogen/ fast nützlich zu lesen/ vnd zu hören/ Vnd sindt disser Zehen alter/ von wort zu wort/ nach jnhalt der matery vnd anzeygung der figuren von newem gespylt gemert vnd gebessert worden/ Durch ein ersame burgerschafft einer loblichen Statt Kolmar etc. im jar MCCCCCXXXI (Bibliothek des literarischen Vereins Stuttgart 232), Tübingen 1903, 1 – 67, 4.

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Struktur der Reihenkatechisation wird durch den nochmaligen Hinweis des Erzählers auf das bevorstehende Weltende und einen Authentizitätsbezug unterlegt: Ir sehent wol, wie es jetzt got, Ob ich vyl dorinn hab gelogen, Oder ob mich Paulus hab betrogen.642

Der Bezug auf das Gewissen ist freilich, wie die formulierten Regeln, literarischer Topos, der daher aber umso mehr Geltung besessen haben muss. Der im 16. Jahrhundert wahrgenommene kulturelle Wandel, die Auflösung ständisch fixierter sozialer Gruppen in einer zumindest nach bürgerlichen Grundsätzen des Wettstreits um Erfolg und sozialen Aufstieg geordneten sozialen Umgebung, ging mit einer theologisch motivierten Krisenauffassung einher. Dieser Endpunkt wird nicht allein der ganzen Menschheit in Aussicht gestellt, sondern ausdrücklich auch auf das individuelle, mit dem Tode endende Lebensschicksal hin vereinzelt. Auch streicht der Autor den Anruf der Jungfrau Maria, betont jedoch ganz unreformatorisch den Wert der guten Werke und kritisiert den zersetzenden Einfluss der Lehre vom »freyen willen« als vom Teufel eingeblasenen Maßstab der ethischen Beliebigkeit,643 eine invektive Vereinfachung des theologischen Streites um die Freiheit des Willens zwischen Erasmus und Luther. Der Text erfuhr erst in den zahlreichen Weiterbearbeitungen – 26 Auflagen und mehrere ›Teilraubdrucke‹ – merkliche protestantische Veränderungen, was ebenso für das Identifikationspotential dieses Stückes spricht wie die zahlreichen Aufführungen auch außerhalb von Colmar, darunter in den Orten Frankfurt am Main, Augsburg und Nördlingen.644 Aber schon so ist er strukturell von der protestantischen Interdependenz von Leiden und Heil geprägt.645 Die Generationenbeziehungen werden besonders drastisch gezeichnet, als ein empfindlicher Faktor sozialer Reproduktion. Die Eltern-Kind-Beziehung kommt einerseits negativ zum Tragen, wenn die Eltern dem Kind schlechtes Beispiel sind: Das kindt. Nun mag es doch nit anderst sein, Ich folg vatter und muter mein. Sobald als ich gieng auß der wiegen, Lorten s[ie] mich schworen, schlecken, liegen. […] Deß ich hie also üppig stand Der jungen welt zu einer schand […] Der waldtbruder underweißt das kind und alle welt. 642 643 644 645

Ebd., 33. Ebd., 9. Ebd., XXIIf. Ebd., 31.

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Do sindt ir eltern schuldig an, Die ire kind on straff londt gan Und weysents weder zucht noch eer.646

Die Zentralkategorie der Ehre erscheint im Gegensatzpaar »schand« und »Eer«, wobei diese Unterscheidung altersspezifisch markiert wird; »das kind« ist der »jungen welt«, der erwarteten Unschuld des jungen Alters, eine Schande. Die männlichkeitsspezifischen Bezüge bleiben implizit, doch schwingt in der Nichtunterscheidung der Laster mit, dass die für die familiäre Kontinuität entscheidenden männlichen Kinder besonders betroffen sind. Erst am Ende des Abschnitts verengt sich auch die Darstellung auf die Söhne: Sobald sie dann gondt auß der wiegen, So müssens degen an in han Und uff das bubest eynher gan. […] Drumb laufft voll buben yetz das land. […] Dieweils das kind wigt also gring, Was mag dann thun der jüngeling?

Diesen Befund belegt die Schwerpunktsetzung der Unterweisung auf »insunderheit die jungen knaben« in der Vorrede zu »Hauptlaster«.647 Erziehungsverbindungen zwischen Eltern und Kindern können auch umgekehrt zwischen Kindern und Eltern wirksam werden. So stellt das Kapitel »Der neüntzigjerig« die Kinder als Korrektiv in Generationenbeziehungen dar : Der waltbruder. Firwar, hetst vattr und mutter geert, So waer es dir jetz auch beschaert. Wie d[u] in hast gmessn (solt glauben mir), Deßgleych dein kind auch messen dir, Der neüntzigjerig. Dasselb ich worlich wol empfind. Mich hasset jetz all mein haußgsind, Knecht, maegt, [desgleichen] die kinder ouch.648

Seine Ehre ist somit unwiederbringlich zerstört, wird er doch auch von seinen Kindern an seinen früheren Taten gemessen. Erst in diesem hohen Alter bereut der Mann seine Taten, wird also das Sündigen als lebenslang anhaltende Verblendung konstruiert. Dem Neunzigjährigen steht nunmehr nur noch der letzte Tag des Richtens aus, unabhängig davon, dass er nicht in voller Absicht ein Leben lang gefehlt haben mochte, sondern auch Grundlage falscher Erziehung durch die Eltern oder auch durch die Verführungen des Teufels. Der Teufel wird dann auch als eine verweichlichende, schmeichelnde Frau geschildert, die den 646 Ebd., 6 f. 647 Bolte, Die Siben Hauptlaster, 147 – 311, 152. 648 Bolte, Die Zehen alter der welt, 1 – 67, 26 f.

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jungen Männern systematisch von der Annahme der Erziehung abrät.649 In der Logik der Erzählung relativiert der Teufel die fixierten und altbekannt überlieferten ethischen Normen, indem er den freien Willen und den kurzsichtigen Egoismus stimuliert.650 Dennoch seien die ethischen Regeln für beide Geschlechter gültig und führe nur die Gegenwart des »jüngling« einen illegitimen Standard von Männlichkeit ein. Der junge Mann reagiert auf die Gehorsamsforderung des Einsiedlers, indem er schildert, warum er handelt, wie er es freimütig bekennt. Er rechtfertigt sich mit einem Normenwandel in verschiedenen Formen von Soziabilität. Der – wenn nicht zwingend notwendige, so doch übliche – Umgang verhindere geradezu, dass der Jüngling sich angemessen verhalte: Wann ich solt folgen deiner leer, So wer ich dieser welt unmehr. Es ist yetzund warlich der sitt, Wann einer geht zum gsellen nit Und leyt nicht tag und nacht beym wein, So helt man in fir ein begyn. Wann einer dann nit dapffer schwert Und auff der gassen geht zerzert, Mit allen menschen bochen kan, Spricht man gar bald, er sey keyn man.651

Wickram hat für dieses Werk lediglich eine ältere Dichtung des Baseler Buchdruckers Pamphilus Gengenbach überarbeitet.652 Dieser hatte wohl neben Anknüpfungen an Brants Narrenschiff auch gängige Elemente der Ständesatire wie die Figur des Einsiedlers übernommen, um seinen Text für Aufführungen um das Jahr 1500, aber auch für das lesende Publikum interessant zu gestalten.653 Stärker als die Vorlage verknüpft Wickram humanistische Stoffe mit christlichen Interpretamenten. Diese Rezeption in verschiedenen literarischen Formen im Werk Wickrams ist durch die poetologischen Gegebenheiten des späten 16. Jahrhunderts zu erklären. Die Rolle des Autors war die eines Künstlers, der die ›ars‹ handwerklich besser als andere beherrscht.654 Ohne biographistische Zirkelschlüsse vom Autor auf das Werk zu tätigen, war doch der Lebens- und Erfahrungskontext Wickrams selbst durch soziale Mobilität und Statusfragen gekennzeichnet, entstammte er als unehelicher Sohn dem Patriziat von Colmar. Dort übte er den eigentlich bürgerlichen Beruf des Ratsschreibers aus, so dass er 649 650 651 652 653 654

Ebd., 8. Ebd., 9 – 10. Ebd., 10. Bolte, Georg Wickrams Werke 5, XV. Ebd., XIXf. Kästner, Antikes Wissen für den ›Gemeinen Mann‹, 363.

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dem patrizisch-stadtbürgerlichen Milieu nahe stand und ihm verbunden war, gleichzeitig jedoch auch ein relativ unbeteiligter Beobachter sowohl des Bürgertums als auch des Adels blieb.655 Die in der Forschung viel diskutierte Sozialdisziplinierung baute einerseits auf Kontinuitäten zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit auf, andererseits drückt sich im Werk Wickrams eine Intensivierung dieser Tendenz in der mit ihm einsetzenden Antikenrezeption aus; allerdings reicht eine lineare Erklärung von Disziplinierung und ihren Subjekten kaum hin, um die komplexen Marktmechanismen der Literatur zu erfassen.656 Wickram bearbeitete Ovids »Metamorphosen« daher auch nicht ausgehend vom lateinischen Original, sondern bezog sich auf eine frühere deutsche Übersetzung.657 Obwohl neuere Arbeiten das von Wickram selbst behauptete Fehlen lateinischer Sprachkenntnisse misstrauisch als Topos einschätzen, zeigen doch stilistische und syntaktische Untersuchungen, dass Wickram sich sprachlich eng an volkssprachliche Übersetzungen anlehnte.658 Seine christlich moralisierende Schriftstellerei hatte im französischen »Ovide moralis¤« bedeutende Vorläufer. Die Vermittlungsabsicht Wickrams bezog sich jedoch auf breitere Schichten ohne ein akademisches Studium. Die Lektüre sollte Melancholie und andere negative Folgen des Müßiggangs vermeiden helfen, konsolatorisch wirken und moralisch belehren, wie Vorreden seiner Schriften und Werke zeitgenössischer Autoren topisch ankündigen.659 Insbesondere der Erziehung der Jugend misst Wickram Bedeutung zu, eine bildungspolitische Schwerpunktsetzung, die den Einfluss eines der bedeutendsten Humanistenkreise manifestiert.660 Wimpfeling hatte für die Schüler der Lateinschulen eine humanistische Pädagogik entwickelt, deren Augenmerk auf Bildung, Sittenlehre und katechetische Ermahnung Wickram popularisierte. Die literaturwissenschaftliche Forschung hat diesen Befund in seinen Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen bisher quellenimmanent dargestellt, während die Entwicklung eines bürgerlichen, leistungsethisch begründeten Lebensstilkonzepts im Mittelpunkt historischer Arbeiten zu sozialem Aufstieg stand. ›Das Bürgerliche‹ war im Spiegel des literarischen Marktes für Wickrams Bücher ein Gegenstand des Interesses für die Jungen des Niederadels, der Stadtbürger wenn nicht gar von Bauern. Seine kulturpädagogische Aufgabe löste Wickram durch 655 Kästner, Antikes Wissen für den ›Gemeinen Mann‹, 345 f., 357. 656 Zu den Zeitumständen der Popularisierung folge ich im weiteren den Belegen und der Darstellung in Kästner, Antikes Wissen für den ›Gemeinen Mann‹, 357. 657 Kästner, Antikes Wissen für den ›Gemeinen Mann‹, 361. 658 Albert Lake Lancaster, The Language of Jörg Wickram’s »Galmy« and a Comparison of it with that of »Der Jungen Knaben Spiegel«, Chapel Hill 1949, 165. 659 Kästner, Antikes Wissen für den ›Gemeinen Mann‹, 363. 660 Ebd., 364 ff.

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Kondensierung des beispielsweise durch die Ovidübersetzung bereitgestellten Materials, durch Exemplifizierung und Moralisierung des antiken Erzählguts mit didaktischen Absichten. Dem literarischen Werk wurde so ein christlicher Sinn abgewonnen, der die Rezeptionsfähigkeit des Zielpublikums herstellen und sichern sollte. Diesem Ziel dienen auch die Holzschnitte, die Wickram erstmalig einer deutschen Ovidübersetzung beifügte um mit mehreren Medien, darunter auch Gesang und theatralischer Darstellung, auf den Rezipienten einzuwirken.661 Diese Techniken hatten sich am Beispiel der Werke Luthers als besonders wirksam, ja von ausschlaggebender Bedeutung erwiesen und bilden einen hermeneutischen Schlüssel zu Luthers publizistischem Erfolg.662 Die didaktischen Absichten wirken sich auf Wickrams sonstigen Umgang mit der Antike aus, bediente er sich doch nur sehr selektiv und nach christlichen Kriterien antiker Zitate.663 Humanistische Autoritätsargumentation konnte seine Texte aufwerten, waren diese doch Teil der topisch als rückständig klassifizierten Volkssprache. Daher ist der soziale Kontext, das Interesse breiterer Schichten für die bisher weniger zugänglichen Wissensbestände als Hauptmotivationspunkt anzunehmen, der von ästhetischen Versuchen von Dichtern, die Volkssprachen gegenüber den klassischen Sprachen aufzuwerten, nur begleitet wurde.664 Wickrams Romane und Dialoge, die zu den erfolgreichsten zeitgenössischen (zweck)literarischen Produktionen des 16. Jahrhunderts gezählt werden dürfen, lassen sich als ein Fundus der brieflichen Erziehung lesen, denn auch die rhetorischen Darstellungsformen entsprechen einander in Grundzügen und lassen einen – beide Textsorten gleichermaßen bestimmenden – Erziehungsdiskurs annehmen. Eine strikte strukturhomologische Analyse, also die Parallelisierung von dramatischem Personal und Korrespondenten, führt jedoch nicht weiter.665 Grund dafür ist der hohe Abstraktionsgrad des Romans, der noch im späten 661 Ebd., 375. 662 Für Luther, eine sprachbildnerische Zentralfigur des Deutschen im 16. Jahrhundert, lässt sich für alle wichtigen Bereiche des literarischen Schaffens die rhetorische Programmatik als der entscheidende Erfolgsfaktor feststellen. Dazu, vor allem aber neben der Homiletik zur Bibelübersetzung vgl. Birgit Stolt, Martin Luthers Rhetorik des Herzens, Tübingen 2000, 84 – 126. 663 Kästner, Antikes Wissen für den ›Gemeinen Mann‹, 376. 664 Gardt, Sprachwissenschaft, 45 – 70. 665 Insbesondere die historisch-materialistische Analyse in Hannelore Christ, Literarischer Text und historische Realität. Jörg Wickrams »Knabenspiegel«- und »Nachbarn«-Roman (Literatur in der Gesellschaft 22), Düsseldorf 1974, ist zu einseitig durch theoretische Vorgaben vorstrukturiert und verfährt zu werkimmanent, um die hinter dem Handlungsverlauf literarischer Texte verborgenen historischen Diskurse benennen zu können. Entgegen ihrem gleichwohl innovativen kritischen Ansatz sollte hier der Autor nicht als Gegenstand der Textinterpretation herangezogen werden, sondern um den Kenntnis- und Bedingungshorizont der diskursgeprägten Textgenese zu markieren.

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17. Jahrhundert den Abdruck des Romans in einem Werk der Kindererziehungsliteratur als »schöne lehrreiche und lustige Comoedische Historia von zween jungen Knaben« ermöglichte.666 Auch eine materialistisch orientierte Sozialtopographie des Bürgertums im 16. Jahrhundert kann kein legitimes Ziel sein, weil die Begründung und Weitergabe ›bürgerlicher‹ Erziehungsziele im Mittelpunkt steht. Die erkennbaren literarischen Diskurse stimmen im Vergleich mit den teilweise später entstandenen Briefen überein. Als Grundprinzip der familiären Schriftlichkeit im Brief ist die umformende, aber hauptsächlich legitimierende ideologische Aktualisierung von Erfahrungsbeständen und pädagogischen Wissensformationen zu erkennen: »Consuetudo, est altera natura.«667

2.4.3 »Ist doch als sey der Vater nicht gestorben.« Kontinuitätsstiftung bei Generationenwechseln durch die biblische Weisheitsliteratur Die Forschung zur Kaufmannsbildung und zu Generationenbeziehungen hat den Zusammenhang praktischen und religiösen Wissens nicht eingehend berücksichtigt,668 ja geradezu bestritten.669 Die familiäre Kontinuitätssicherung beruhte vordergründig zwar auf der Rückversicherung berufsgruppen-, schichten- und alterspezifischer Wissensbestände. Der brieflich vermittelte ethische Gehalt aber, ja teilweise sogar im Ansatz kaufmännisches Spezialwissen beziehen ihre Durchschlagskraft aus den alttestamentarischen Weisheitsbüchern Prediger Salomo, Sprichworte und Jesus Sirach.670 Wenn, wie bei Maschke, nach dem inzwischen historisierbaren Sombartschen Wirtschaftsmentalitätsparadigma als ethische Zentralkategorie der (soziale und wirtschaftliche) 666 Der gesamte Roman wird ohne Nennung des Autors Wickram abgedruckt in: Christoph Achatius Hager, Jugend-Spiegel von Ehrbaren- und höflichen Sitten vor die auffwachsende Jugendt, Hamburg 1676, 307 – 498. 667 Christoph Achatius Hager, Jugendt-Spiegel von ehrbar- und höfflichen Sitten vor die auffwachsende Jugendt, Hamburg 1631, IV, dort mit Bezug auf den »Auctor der Frantzösischen Academie im 42. Capitel des andern Theils«. 668 Die stereotypen frömmigkeitsbezogenen Passagen sind zwar aufgeführt in Beer, Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 126 – 128. Jedoch wird die Bedeutungsvielfalt des frühneuhochdeutschen Wortes »frum« nicht ausgeschöpft. 669 In diesem trennenden Sinne stellt Bruchhäuser, Kaufmannsbildung, 20 – 32, eine theologische Bewertung des Kaufmannsberufs seinen Überlegungen voran, behandelt dann jedoch nicht die religiösen Bestandteile der kaufmännischen Curricula. Dies kommt einer Ablehnung gleich, umfasst sein Quellenkorpus doch auch wesentlich private Briefe, die zwischen den Generationen geschrieben worden sind. 670 Diese Titel und die folgende Zitate sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, der folgenden Übersetzung entnommen: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg/Basel/Wien 1980.

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»Nutzen« galt, dann wurden die daraus abgeleiteten Sekundärtugenden wie Ehrbarkeit, Zeit- und Risikobewusstsein, Bescheidenheit, Vernunft und Selbstbeherrschung geradezu ihres religiösen Kontextes entkleidet und fast durchgehend säkularisiert.671 Für Moral sucht Maschke eine zweckrationale, utilitaristische Begründung, etwa dass bescheidene Kleidung den Neid der Mitbürger vermeiden helfe.672 Italienische Rechnungsbücher und spätmittelalterliche Kaufmannsbriefe seien demnach zwar mit religiösen Invokationen und mehr beiläufigen Berufungen auf Gott »durchtränkt«, dennoch scheint die Frömmigkeit bei der quellenimmanenten Interpretation auf die Bezugspunkte der frommen Bitte um Erfolg und eine wirtschaftlichen Nutzen verheißende religiöse Konformität verkürzt.673 Auch in der theologischen Forschung zählt die intensive Rezeption der alttestamentarischen oder in lutherische Tradition als apokryph angesehenen Schrift Jesus Sirach seit dem 16. Jahrhundert erst zu den Ergebnissen neuerer Forschung.674 Die Tugendkataloge der Sirachliteratur und der Briefe sich weitgehend deckungsgleich. Die Sprechsituation des Buches Jesus Sirach ist die Belehrung durch die personifizierte Weisheit. Auf Grund der Vermittlungsabsicht steht in Jesus Sirach auch nicht so sehr thematische Kohärenz an erster Stelle wie die Steigerung der literarischen Attraktivität durch einen Wechsel und eine mit persuasiven Absichten gestaltete Abfolge verschiedener literarischer Formen. So finden sich didaktisch zuspitzende literarische Kleinformen und exemplifizierende Erzählungen, die sich aus der Perspektive der Bibelhermeneutik deuten lassen als eine bewusste Aneignung und konzentrierte Anwendung der bereits in früheren Texten etablierten Muster. Auch die Inhalte von Jesus Sirach spiegeln stark die Vermittlungsabsicht und lassen innovatorische Züge in den Hintergrund treten. Insbesondere die katalogartige Zusammenstellung der Tugenden und Lebensregeln passt sich nicht organisch in diesen Text ein, sondern wirkt seltsam von seiner eigenen Entstehungszeit abstrahiert, fehlen doch beispielsweise Namensnennungen. Auch wirkt der Erzählrahmen der redenden Weisheit, der die reihende Darstellung umgibt, nur relativ schwach und teilweise brüchig. Sowohl der Inhalt als auch die Darstellung müssen insbesondere dem noch stark semiliteraten und daher teilweise auch durch mündliche (Weiter)Kommunika671 Zur kritischen ›Ent-Sombartisierung‹ der vormodernen Handelspraktiken vgl. Mark Häberlein/Christof Jeggle, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Vorindustrielles Gewerbe. Handwerkliche Produktion und Arbeitsbeziehungen in Mittelalter und früher Neuzeit (Irseer Schriften. Studien zur schwäbischen Kulturgeschichte 2), Konstanz 2004, 11 – 16. 672 Maschke, Berufsbewusstsein, 313. 673 Ebd., 326. 674 Ernst Koch, Die »Himlische Philosophia des heiligen Geistes«. Zur Bedeutung alttestamentlicher Spruchweisheit im Luthertum des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Theologische Literaturzeitung. Monatsschrift für das gesamte Gebiet der Theologie und Religionswissenschaft 10.115 (1990), 708 – 719.

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tion geprägten 16. Jahrhundert, dem Zeitalter forcierter volkssprachlicher Bibelübersetzungen, dadurch entgegen gekommen sein, dass der Text in einzelnen Abschnitten lesbar war. Jesus Sirach lässt sich als eine Belehrung junger Männer über ihr Verhältnis zum Alter lesen. Hierauf deutet der zentrale Stellenwert der Pflicht, die lebenslang relevant bleibe. Dabei spricht die Erzählerin stellenweise in der Rolle des Vaters: »Mein Sohn, steh fest in deiner Pflicht und geh ihr nach,/ bei deinem Tun bleibe bis ins Alter« (Sir 11,20). Anderenorts werden allgemeine Regeln für die Strukturierung von Generationenbeziehungen formuliert, wobei die Erzählerin sich sowohl an den zu erziehenden Sohn als auch an den strafenden Vater gewendet haben könnte; in den weniger theologisch ausgeprägten Passagen tritt im weiteren Verlauf des Buches immer stärker die Kontinuitätssicherung als die zentrale Aufgabe der Erziehung hervor: Wer seinen Sohn liebt, hält den Stock für ihn bereit,/ damit er später Freude erleben kann. Wer seinen Sohn in Zucht hält,/ wird Freude an ihm haben und kann sich bei Bekannten seiner rühmen […] Stirbt der Vater, so ist es, als wäre er nicht tot;/ denn er hat sein Abbild hinterlassen.675

Diese Regeln sind durchaus nicht ohne einen theologischen Mehrwert und theologische Anspielungen wie die Vaterfigur, jedoch liegt der Akzent deutlich auf der Vermittlung von Zielen und Wegen der Erziehung. Der Vater sei dem Sohn ein Vorbild zur geflissentlichen Nachahmung; die Erziehung soll zur normativen Abbildlichkeit der durch den Vater verkörperten Grundsätze führen, so dass das unterlegte Jugendbild einer steuerungsbedürftigen, nicht eigenständig ethisch urteilsfähigen Person dominiert. Auf die Regel folgt die rhetorische Antithese, diesmal wieder an die Rolle des Vaters gerichtet, nämlich dass der Sohn keinesfalls unerzogen bleiben dürfe. In einer drastischen, auf Arbeitspferde bezogenen Bildlichkeit von Zuggeschirr und gewaltsame Verletzungen wird auch auf die Gefahr eines dauerhaften Generationenkonfliktes hingewiesen: Wer den Sohn verzärtelt, muss ihm einst die Wunden verbinden;/ dann zittert bei jedem Aufschrei sein Herz. Ein ungebändigtes Pferd wird störrisch,/ ein zügelloser Sohn wird unberechenbar. […] Halte deinen Sohn in Zucht und mach ihm das Joch schwer,/ sonst überhebt er sich gegen dich in seiner Torheit.676

Die Gegenüberstellung von gelungener und gescheiterter Erziehung durchzieht das Buch leitmotivartig; im Rahmen der literarischen Komposition erscheint es schlaglichartig in Reihungen, die bestimmte, relativ disparate Aspekte hervorheben. Eine solche Reihung sei stellvertretend angeführt: 675 Sir. 30,1 f.,4. 676 Sir. 30,7 f.,13.

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Schande für den Vater ist ein missratener Sohn,/ eine (missratene) Tochter ist ihm zur Schmach geboren. Eine kluge Tochter bringt ihrem Mann Besitz ein,/ eine schändliche macht ihrem Vater Kummer ; die trotzige bereitet dem Vater und dem Gatten Schande,/ von beiden wird sie verachtet. Wie Musik zur Trauer ist eine Rede zur falschen Zeit,/ Schläge und Zucht aber zeugen stets von Weisheit. Wer mit einem Toren redet, redet einen Schlafenden an;/ schließlich fragt dieser : Was ist denn?677

An diesen Abschnitt schließt in Sir. 22,11 f. ohne jeden Übergang die Belehrung über den Umgang mit Toten an, in Sir. 22,13 wird der Leser angehalten, sich von Unvernünftigen abzugrenzen, und in Sir. 22,16 – 18 wird bilderreich der Nutzen kluger Überlegung und der Affektkontrolle für eine stoische Standhaftigkeit dargelegt. In diesem deuterokanonischen Buchtreten zentrale Forderungen der Briefe auf. Zwar treten die Nahtstellen zwischen den Lehrstücken stark in den Vordergrund, jedoch rekurriert der Text ausdrücklich vor allem auf die erzieherische Thematik der Generationenbeziehungen. Demut vor der Wandelbarkeit des Glücks solle sich im frühen Aufstehen und in der Verehrung Gottes ausdrücken, denn wie Gott einen Armen schnell reich machen könne, so folge die Verteilung seines Segens einschließlich weltlicher Güter dem Grad an Gerechtigkeit der Person (Sir. 11,21 f.). Reichtum und Besitz seien daher nicht durch gutes Verhalten allein zu erzielen, sondern lägen in der Hand Gottes. Diese Verlagerung des Geschicks auf eine übermenschliche Instanz mindert jedoch nicht den der Erziehung beigemessenen Stellenwert, sondern steigert ihn im Gegenteil. Daher bezieht sich die immer wieder variiert auftretende Kontrolle der emotionalen Neigungen, Lüste und Befindlichkeiten besonders auf den Bereich, der dem Menschen als Handlungsrahmen verbleibt: Folg nicht deinen Begierden,/ von deinen Gelüsten halte dich fern. Wenn du erfüllst was deine Seele begehrt,/ erfüllst du das Begehren deines Feindes. Freu dich nicht über ein wenig Lust;/ doppelt so schwer wird dann die Armut sein. Sei kein Fresser und Säufer ;/ denn sonst bleibt nichts im Beutel. Wer das tut, wird niemals reich,/ wer das wenige gering schätzt, richtet sich zugrunde. Wein und Weiber machen das Herz zügellos;/ wer sich an Dirnen hängt, wird frech. […] Freche Gier richtet den zugrunde, über den sie herrscht. Wer schnell vertraut, ist leichtfertig, wer sündigt, verfehlt sich gegen sich selbst. Wer den Lüsten widerstrebt, krönt sein Leben. Wer seine Zunge beherrscht, lebt ohne Streit. […] Um eines Wortes willen kommt der Tor in Wehen/ wie eine Gebärende durch ihre Leibesfrucht.678

Die emotionale Seite des Menschen wird als nicht verlässlich und in sozialen Beziehungen schädlich disqualifiziert, wobei Maximen und exemplifizierende Rede gemeinsam auf erzieherische Ziele hin wirken. Der Konkretionsgrad 677 Sir. 22,3 – 10. 678 Sir. 19,1 ff.

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richtet sich auf wiederkehrende Situationen wie das Verhalten bei Tisch, benennt aber nicht bestimmte Personen mit Namen. Solche Passagen legen die Vermutung nahe, normative Texte wie die mittelalterlichen Tischzuchten speisten ihre Anweisungen aus Jesus Sirach.679 Um Vernunft als das Gegenmittel gegen übermäßige Emotionalisierung des Charakters zu gewinnen, betet die Erzählerin. Als Grund für die erbetenen Gaben wird angeführt, dass die eigenen Gefühle das Denken durchdringen könnten und die Entscheidungsgrundlage aller Handlungen verletzten: Wer setzt eine Wache vor meinen Mund,/ vor meine Lippen ein kunstvolles Siegel, damit ich durch sie nicht zu Fall komme/ und meine Zunge mich nicht ins Verderben stürzt? Herr, Vater und Gebieter meines Lebens,/ bring mich durch sie nicht zu Fall! Wer hält eine Peitsche bereit für mein Denken/ und eine Zuchtrute für mein Herz, um ihre Vergehen nicht zu schonen/ und ihnen keine Sünden zu gestatten, damit meine Fehler sich nicht mehren,/ meine Sünden sich nicht häufen […] Übermütige Augen gib mir nicht,/ halte fern von mir die Begierde! Unzucht und Sinnenlust sollen mich nicht ergreifen,/ schamloser Gier gib mich nicht preis.680

Auch in Bezug auf die Diätetik erfolgen Mäßigungsregeln (Sir. 38,30 f.), sowie auf den Konsum von Wein, der auf keinen Fall ungemischt zu genießen sei (Sir. 31,25). Neben den Emotionen gewinnt ihr verbaler Ausdruck eine eigenständige Position. Der Text richtet sich auffordernd an den jungen Menschen, beim öffentlichen Auftreten an die Eltern zu denken, um deren Ehre und damit auch die eigene genauer im Blick zu behalten und zu beachten.681 Der junge Mensch wird gewarnt, dass er sich durch seine Jugend unmerklich an »schändliche Reden«, Schwüre und Blasphemie gewöhnte, dies dann nicht mehr erkennen und daher auch nicht mehr abstellen könne. Die Strafe Gottes und der Menschen sei ihm daher sicher, genau wie dem klandestinen Ehebrecher eine gesellschaftliche Strafe durch das Eingreifen Gottes unvermeidlich ausstehe (Sir. 23,16 – 27). Die Kontrolle der Affekte leitet über in ein Lob der Weisheit (Sir. 24,1 – 22), indem sie sich selbst preist, historisch verortet und aus der fernen Vergangenheit wie ein Vermächtnis herleitet: »An mich zu denken ist süßer als Honig,/ mich zu besitzen ist besser als Wabenhonig./ Mein Andenken reicht bis zu den fernsten Generationen« (Sir. 24,20). Lebensführung wird so stets mit der Erinnerung an die Vorfahren verknüpft, so dass ein Geschichtsbild konstruiert wird, das die Triebfeder zur Einhaltung des Tugendkatalogs bildet. 679 Moritz Geyer (Hg.), Altdeutsche Tischzuchten (Nachricht von dem Friedrichs-Gymnasium zu Altenburg 75), Altenburg 1882, 27 – 29. 680 Sir. 22,27; 23,1 – 6. 681 Vgl. Sir. 23,24, daneben auch die erstaunlich reformatorisch erscheinende Erwähnung des Gewissens in der Form einer dem Menschen inhärenten moralischen Kontrollinstanz für »bessere Auskunft/ als sieben Wächter auf der Warte«, vgl. Sir. 37,13.

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Zur rechten Zeit zu schweigen und zu reden (Sir. 22,6), sich nicht durch Faulheit selbstverschuldet ausgrenzen zu lassen (Sir. 22,1), nicht durch schlechten Umgang sich wie mit »Pech« dauerhaft anzuschwärzen (Sir. 13,1), Strafen anzunehmen (Sir. 22,6), nicht ungeprüft und eigentlich nie Geld zu leihen (Sir. 29), keine Männlichkeit durch übermäßigen Weinkonsum zu demonstrieren (Sir. 31,25), die Ordnung des Hauses und die Höchstinstanz des Vaters zu akzeptieren und als Mann weiterzutragen (Sir. 33,20 – 33), sich durch Reisen und dabei gemachte neue Erfahrungen bereichern zu lassen (Sir. 34,10 f.) sind Erziehungsideale des Buches Jesus Sirach. All diese Ziele werden in unterschiedlich hohen Abstraktionsgraden und stets rhetorisch amplifiziert vorgetragen. Die auf den unmittelbaren Vollzug des Lebens bezogenen Regeln figurieren allesamt vor dem Hintergrund der Gottesfurcht in der Form der Weisheit der Vorfahren. So heißt es zu den Schriftgelehrten, die der religiösen und höchsten Wahrheit am nächsten seien: »[W]er sich der Gottesfurcht widmet/ und das Gesetz des Höchsten erforscht […] [d]ie Weisheit der Vorfahren ergründet er/ und beschäftigt sich mit den Weissagungen« (Sir. 38,34; 39,1). Geschichte wird hier jedoch nicht einseitig glorifiziert; auch die Fehler der Vorfahren kommen vereinzelt kontrastiv zur Sprache (Sir. 48,16). Gottesfurcht, die Ehrfurcht vor dem Heiligen und Verborgenen, beruhen in Jesus Sirach ausdrücklich auf der Geschichte, andererseits verbürgt sie auch die Kontinuität im eigentlichen Sinne, der den personellen Fortbestand und die materiellen Grundlagen des Lebens umfasst und übersteigt: »Nachkommenschaft und Städtebau geben dem Namen Bestand,/ doch mehr als beide Weisheit zu finden […] Hat man Gottesfurcht, so gibt es keine Not,/ neben ihr braucht man keine Stütze zu suchen, die Gottesfurcht ist wie ein gesegnetes Paradies,/ über seine ganze Pracht [breitet sich] ihr schirmendes Dach« (Sir. 40,19). Diese Gottesfurcht wird in Jesus Sirach in den Vorfahren anachronistisch vorgestellt und damit bewiesen. Das Volk Israel erschließt sich in seiner Bedeutung für die Späteren durch seine Frömmigkeit, die in einer Art Nacheinander von exemplarisch frommen Menschen vorgeführt wird,682 eine Vorgehensweise, die einen Hintergrund für das Briefarchiv der Tucher gebildet haben könnte. Um der Weisheit und dem Andenken der Vorfahren willen erhält sich der Glaube der Gegenwärtigen, wie in Gebetsform beschworen wird (Sir. 44,1 – 15). Insgesamt bildet die Genealogie Israels, der Lobpreis der Väter (Sir. 44,1 – 50,24), eine Begründung der glorifizierten ›goldenen‹ Gegenwart ab, die in einer nicht die Gegenwart (etwa im Sinne eines Topos von einem Goldenen Zeitalter)

682 Bernhard Lang, Anweisungen gegen die Torheit. Sprichwörter – Jesus Sirach (Stuttgarter Kleiner Kommentar. Altes Testament 19), Stuttgart 1973, 84 – 87.

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übertreffenden Tradition situiert wird. Die Vergangenheit sollte die Gegenwart aufwerten. Geschichte und Gegenwart gehören eng zusammen durch ihren gemeinsamen Bezug auf Weisheit, sind doch die Vorfahren weise und sollten es auch die in der Gegenwart Lebenden sein. Mit einer vielschichtigen Baummetaphorik (Sir. 14,20 – 15,10; 24) wird die zeitlose Bedeutung der genealogisch vorgeführten Geschichte charakterisiert, als ein Schutz spendender, Unterschlupf bietender und durch Festigkeit der Verwurzelung und seine Früchte die Weisheit auch in Zukunft noch nährende Lebensauffassung. Weisheit wird also, in einer in familiengenealogischen Darstellungen des 16. Jahrhunderts zentral und regelmäßig auftretenden Ikonographie zur Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ob der Kontinuitätsaspekt die familiengeschichtliche Wurzel-(/Baum-/›Frucht‹-)Metaphorik auch mit expliziten Bezügen auf Jesus Sirach umfasst, ist durch das Auftretens Jesus Sirachs auf dem Deckblatt des Ehrenbuchs der Fugger angedeutet.683 In einer stärker auf die Alltagspraxis bezogenen Lektüre stellen die brieflichen Quellen starke Bezüge auf Jesus Sirach her, deckt sich ihr Inhalt in zentralen Punkten. Die Rezeption des zwischentestamentarischen Buchs Jesus Sirach dominierte große Teile des Buchmarkts, die Hochzeits- und Totenreden, Predigten und die Kirchenmusik.684 Die Anzahl neubearbeiteter didaktischer Lehrbücher schon im 16. Jahrhundert verweist auf eine intensive Rezeption, davon ein Beispiel: »Das Büchlein Jesu Sirach: in Gesänge verfaßt/ in Gesang weiß verfaßt durch Magdalena Heymairin, Teutsche Schulmaisterin zu Regenspurg. Jetzt aber von newem Corrigiert durch Greogorium Sunderreüter 1578« wendet sich erklärtermaßen an Schulkinder und spricht aus der Perspektive Jesus Sirachs selbst.685 In zeitgebundener Neubearbeitung wird Geschichte hier allgemein auf die 683 Vgl. demnächst zu dieser Form der Sirachrezeption Hartmut Bock, Generationenbeziehungen in und an Bebilderten Geschlechterbüchern (1500 – 1650): Von Familien, von Texten/Bildern, von Stamm- und Ordnungsbäumen, in: Mark Häberlein/Christian Kuhn (Hg.), Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten, Konstanz vorauss. 2010. 684 Das Buch Jesus Sirach wurde bisher noch nicht als einer der bestimmenden Stoffgeber auch für die evangelische Gesangstradition benannt. Die kirchengeschichtliche Forschung hat durch ihr Interesse an praktisch-theologischen Fragen auf die unverminderte Stärke dieser Tradition bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hingewiesen, dazu vgl. Michael Gnan, Nachklänge des Buches Jesus Sirach. Von synagogalen Gesängen bis zur Gegenwart. Beiträge zur Rezeptionsgeschichte insbesondere zu Sir. 51, 12a-o; 50,24 – 26 (Lutherbibel); 44,16.20 (Vulgata), Passau 1996, 146. Vgl. auch Ernst Koch, Studien zur Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte des Luthertums im 16. bis 18. Jahrhundert (Texte und Studien zum Protestantismus des 16. bis 18. Jahrhunderts 3), Waltrop 2005. 685 Magdalena Heymeir, Das Büchlein Jesu Sirach: in Gesänge verfaßt/ in Gesang weiß verfaßt durch Magdalena Heymairin, Teutsche Schulmaisterin zu Regenspurg. Jetzt aber von newem Corrigiert durch Greogorium Sunderreüter 1578.

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epochenübergreifende diskursive Ordnung von Generationenbeziehungen hin perspektiviert; zeitgebunden werden hier jedoch auch die Notwendigkeit einer ›reinen Lehre‹ und die Einsicht in das nahe Ende der Welt beigetragen, eine Überlagerung verschiedener Diskurse des Luthertums, die so auch im Tucherbuch auftaucht. Aus dem frühen 18. Jahrhundert sind ähnliche Befunde überliefert, wie beispielsweise »Ecclesiasticus oder Jesus Syrach von der Hauß-Zucht: wie man sich gegen Gott u. seinem [sic!] Nächsten verhalten soll« von 1724.686 Noch hier steht die Kontinuität über den Generationenwechsel hinaus im Vordergrund, sowie die Rolle der Eltern: »der Mensch hat sein ehr von der Ehr seines Vatters«; »Wie ein Ehrloser ist/ d. seinen Vatter verlässet/ vnd verflucht vom Herrn/ der seine Mutter erzürnet und trutzet.« Um die Rezeptionsschwerpunkte unter ethischen Gesichtspunkten nachzuzeichnen, kann auf dem derzeitigen Stand der Forschung noch nicht auf umfassende Befunde zu zeitgenössischen Verarbeitungsformen, Gebetbüchern und Predigtliteratur zurückgegriffen werden.687 Dieses Material ist zur Zeit noch nicht systema-tisch, in seiner vollen Breite, erarbeitet worden, jedoch lässt die Reformationsgeschichte den Rückgriff auf Luther direkt zu, dessen Theologie durch persönlichen Kontakt mit seinen Mitarbeitern wie Bugenhagen oder Osiander als Multiplikatoren im deutschsprachigen Raum, besonders in Nürnberg, die religiöse Kultur prägte. Luthers Urteil soll abschließend die Sirach-Lektüre perspektivieren. Diese Vorgehensweise löst das Problem nicht völlig, dass aus einer heutigen Perspektive ein mehr oder weniger allgemein gültiger, bestenfalls sogar historischer, historisierbarer Sinn gesucht wird. Jedoch legt der Text durchaus eine lebenspraktische Lesart nah, der Text scheint direkt umsetzbar gewesen zu sein und eine konsolatorische Wirkung entfaltet zu haben, wie die zahlreichen Auflagen, teilweise in Taschenbuchformat, belegen.688 Die Reaktion der Zeitgenossen beruhte vor allem auf der Eignung des auch in protestantischen Bibeln abgedruckten apokryphen Textes für eine exemplarische Katechese.689 In den Tischgesprächen beklagt Luther die mangelnde Konsequenz der Gläubigen bei der Umsetzung der Regeln, die sie – wie Luther implizit gutheißt – unter anderem aus Jesus Sirach entnommen hätten:

686 Johann Dietenberger, Ecclesiasticus oder Jesus Syrach von der Hauß-Zucht: wie man sich gegen Gott u. seinem Nächsten verhalten soll, unpaginiert; die folgenden Zitate sind dem 219 Seiten umfassenden Kinderbuch entnommen. 687 Vgl. die Skizze des Forschungsstandes bei Koch, Zur Bedeutung alttestamentlicher Spruchweisheit im Luthertum des 16.und 17. Jahrhunderts, der auch die Mengen des Materials andeutet. 688 Ebd., 715. 689 Ebd., 716.

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Quid est Hiesus Syrach? Quamvis optimus liber, ad apostolorum et Christi verba tantum est legalis, juristisch vnd öconomisch liber. Hoc miratur mundus, vnd sol die majestetischen wordt Christi de victoria mortis, peccati, inferni, de vita aeterna so schlefferich vbergehen […] Pfu dich an nostrae ignorantiae[.]690

Nur vor dem Hintergrund der Evangelien, der die Worte Christi verkörpernden Berichte der Apostel, sei demnach Jesus Sirach zu tolerieren; andererseits könne, so Luther weiter, Sirach das gute religiöse Leben des Einzelnen auch stabilisieren und beim Wort Gottes halten. Bei der Einschätzung des Erfolgs Jesus Sirachs auf dem Buchmarkt für Bibeltextübersetzungen in das Deutsche geht Luther noch weiter ; der Reformator ordnet Sirach in eine Reihe mit dem von ihm 1522 vorgelegten, außergewöhnlich erfolgreichen Septembertestament, den Büchern Mose und dem Psalter – freilich an letzter, weil in Luthers Übersetzung noch ausstehender Stelle – ein. Luther setzt sich intensiv mit Sirach und der biblischen Weisheitsliteratur auseinander, wenn auch gegen seinen ursprünglichen Willen und somit vor allem mit allgemein pädagogischen Absichten, um zum Glauben und den eigentlichen biblischen Schriften als dem Wort Gottes hinzuführen. Diese Theologie berührte die zeitgenössischen Tucher aber nicht erst vermittelt durch die ohnehin schon sehr intensive geistliche Kultur und den Buchmarkt, sondern auch auf direkter persönlicher Ebene. Die persönlichen Beziehungen der Tucher zum Reformator drücken sich sogar in seinem Schaffen aus. Für Luther steht das Nürnberger Patriziergeschlecht in einem unmittelbaren Bezug zu seiner Theologie, bzw. der sie ausführenden städtischen Politik. Das Wittenberger Studium des Paulus Tucher war nur ein Berührungspunkt. Insbesondere in der in Editionen als »Kindererziehung« betitelten Tischrede tritt die Beziehung zur Patrizierfamilie deutlich hervor. Salomon, so Luther mit Bezug auf die biblischen Weisheitsbücher, habe als immer noch gültige und nützliche Maxime formuliert, dass Kinder zu züchtigen seien. Er habe bestimmt, »züchtige deinen Sohn«, eine Formulierung, die auch einen zentralen Gegenstand des Tugendkatalogs bei Jesus Sirach bildet. Diese denkbar breit applizierbare Maxime führt Luther dann mit einem Autoritätsargument aus, indem er auf eine von Anton II. Tucher gebrauchte Redeweise verweist: »Anthonius Tucher aus Nürnberg pfleget zu sagen: Gute wort vnd straff gehörn in ein regiment. Das man den leuten fein freundlich sei vnd nichts des der weniger immer mitt zu gesteupet«!691 Die hierin aufgerufene Weisheit Tuchers wird konkretisiert, indem Luther sie auf Generationenbeziehungen engführt. Im Rahmen der Tischrede behandelte der Reformator also nicht allein die 690 Luther Werke, WA TR Band 3, 254 f., Nr. 3295a. 691 Luthers Werke, WA TR Band 5, 254, Nr. 5571.

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praktisch-katechetischen Fragen in ihren theologischen Grundlagen und Begründungen, sondern situierte seine Argumentation auch gesellschaftlich. Dabei beanspruchte er nicht die kritische Haltung gegenüber dem Bürgertum, die sich sonst gerade auch im Rahmen seiner Sirach-Exegese findet. Luther bezieht sich affirmativ auf Sir. 26,28 und behauptet, Kaufleute seien schwerlich ohne Sünde, liehen sie doch und nutzten ihre Position zu einer Form von Betrug im Sinne von Handelsmargen. Die Sirach-Rezeption lässt sich für große Teile Nürnbergs im Spiegel des Buchmarkts beweisen. Dazu sind zunächst einige Anhaltspunkte zu nennen, bevor das einschlägigste Beispiel, das Behemsche Ratebüchlein, im Wortlaut seiner zwei Auflagen von 1535 und 1564 interpretiert wird. Belege für die SirachRezeption in der Reichsstadt finden sich im Urteil des Verfassers der Brandenburgisch-Nürnberger Kirchenordnung, Andreas Osiander. Dieses Mitglied der von Scheurl so genannten »sodalitas staupitziana« half die Veränderungen der Reformation in der Stadt umzusetzen. Osiander deutete das Buch Sirach über ein eher unmittelbares Verständnis des Textes hinaus. Der Dresdner Hofprediger Glaser und andere mit dem Herausgeben des Alten Testaments beschäftigte Pfarrer hatten im späten 16. Jahrhundert noch eine auf den Rahmen der Gemeinde und ihrer Familien bezogene Deutung vorgeschlagen.692 Diese Autoren unterlegten ihren Ausgaben den Zweck, den im biblischen Buch zentralen Bezug der belehrend erzählenden Weisheit auf die hörende Jugend besonders herauszustellen. Damit wollten sie ihre Bücher auf die Katechismusunterweisung hin konzipieren; erklärtermaßen sahen sie deren Ort vor allem in der Familie, wo auf Grund des dauerhaften persönlichen Kontaktes der Generationen zur Erziehung geeignete Texte vorgelesen werden konnten. Auf dieser Grundlage sollte die Sirachausgabe zusammen mit der Hauspostille und dem Katechismus die Eltern, »Hausveter […] vnd Hausmütter«, bei der Unterweisung der Kinder unterstützen. Der erzieherische Einsatz Sirachs im Schulwesen belegt diese Strömung weiter,693 wie auch die, die Attraktivität des Textes steigernden, Reimfassungen und auf das Alltagsleben zugespitzten Auslegungen.694 Die Dominanz Jesus Sirachs in der familiären Katechisation legt auch das Werk Jörg Wickrams nahe, die Multiplikatoren humanistischer und christlicher Wissensbestände des 16. Jahrhunderts mit kulturpädagogischen Absichten waren. Sie konnten sich, wie in der Widmung zu seinem Werk »Die Siben Hauptlaster/ sampt jren schonen fruchten vnd eygenschafften« direkt auf Jesus Sirach beziehen. Gleich mehrfach begründet er seine Entscheidung, sogar sein 692 Koch, Zur Bedeutung alttestamentlicher Spruchweisheit im Luthertum des 16.und 17. Jahrhunderts, 709. 693 Ebd., 709. 694 Ebd., 708, 712.

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besonders bescheidenes Buch den Lesern vorzulegen, indem er Jesus Sirach in lebenspraktischen Zusammenhängen wie dem Verwandeln von übermäßiger Reflexion in die Tat und den negativen Folgen des Müßiggangs anwenden will.695 Auch dies sind Belege für eine unerwartete Blickrichtung religiöser Exegese- und Vermittlungsschwerpunkte jenseits der offenbarungstheologisch aufgewerteten Evangelien. Die Lernbarkeit der Texte rückt spürbar bei den »Rate- oder Rätselbüchern« in den Vordergrund, deren erstes Beispiel das 1535 gedruckte »Christlich Radtbüchlin« von Johann Behem ist.696 Es stand Katechismen zur Seite, indem es kleinen Kindern mit Impuls- und Prüfungsfragen, teilweise in Rätselform, eine Antwort abverlangte und nahe legte, die vorrangig aus der biblischen Weisheitsliteratur zu beantworten war, nämlich mit konkreten Stellen vor allem auch aus Jesus Sirach. Behem richtet sich aus seiner Sicht als marktorientierter Verleger gegen ein katholisches Pendant, so dass ein konfessionell differenzierter Markt, keineswegs aber ein auf den Protestantismus beschränkter Leserkreis anzunehmen ist. Die Theologen rechtfertigten den Gebrauch der Weisheitsbücher des Alten Testaments neben der paulinischen Theologie durch die eschatologische Dimension dieser Texte; in der Tat fügten sie diese Begründung einer das Alltägliche und menschliches Verhalten betonenden Lesart lediglich hinzu.697 In engster Kongruenz zu den Briefen steht jedoch Johan Behems »Ein Christlich Radtbüchlin Fur die kinder. Aus den büchern Salominis vnd Jhesu Syrach/ vleissig zusamen bracht«.698 Die kleine Schrift von 60 Seiten im handlichen Format von 10 mal 14 cm wurde mindestens 1535 in Wittenberg und in (durch Umformatierung des Layouts) auf 80 Seiten erweiterter Form 1564 in Lauingen gedruckt, eine Überarbeitung, die dieses jugendliterarische Buch noch stärker zu einer entscheidenden Quelle für die Analyse der epistemischen Grundlagen der Briefe erhebt und eine eingehende Untersuchung erfordert. Das »Radtbüchlin« besteht aus 66 kurzen Kapiteln, die je drei oder vier Fragen oder Rätsel und deren Antworten mit Verweisen auf die Herkunft des Stoffes aus der Weisheitsliteratur mit drei Siglen enthalten. Im Register heißt es daher : »Erstlich sollen die kinderlin mercken/ das das wörtlin Pro. Bedeut das Capitel jnn den 695 Bolte, Die Siben Hauptlaster, 147 – 311, 149. 696 Otto Brunken, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Vom Beginn des Buchdrucks bis 1570, Stuttgart 1987, 52 f. 697 Koch, Zur Bedeutung alttestamentlicher Spruchweisheit im Luthertum des 16.und 17. Jahrhunderts, 713 f. 698 Johan Behem, Ein Christlich Ratsbüchlin Fur die kinder. Aus den büchern Salominis vnd Jhesu Syrach/ vleissig zusamen bracht, Wittenberg 1532 (Exemplar der BSB München, Verweise auf das unpaginierte Heft werden daher in der römischen Nummerierung der kurzen Kapitel angegeben).

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Spruechen Salomonis. Eccls. Bedeut das capitel im prediger Salomo Eccli. Bedeut das Capitel im Jhesus Syrach.« Der lesefähigen Leserschar wird also nicht nur ein Inhalt vermittelt, sondern gleichermaßen auch die Quelle für die thematischen Kapitel. Wäre es unmittelbar um die moralische Unterweisung allein gegangen, so wäre etwa für den folgenden Text, der abstrahiert formulierte Einzelprobleme amplifiziert, keine Verweisangabe nötig gewesen: »Von Eltern. XX […] Welcher vater ist gestorben/ vnd ist doch als sey er nicht gestorben? Der seins gleichen hinder sich lest [Pro. 13.].« Fast in wörtlicher Übereinstimmung findet sich dieser Inhalt auch in Jesus Sirach. Offenbar lag der Akzent bei der Quellenangabe auf der Vermittlung des Inhalts, der mit einer autoritativ wahrgenommenen Textgrundlage begründet wurde. Die Belege konnten daher relativ unsystematisch bleiben. Die Frage-Antwort-Struktur verweist prinzipiell auf das Dialogische als eine literarische Technik mit pädagogischen Absichten, die in der volkssprachlichen Literatur seit ihrem Beginn Anwendung gefunden hatte. Die Nähe der Antworten zu den zu stellenden Fragen deutet aber auch auf eine gemeinschaftliche Lektürepraxis und Vergesellschaftung hin, dass Schüler einander diese Fragen stellten, während in stiller Lektüre Einzelner die Antworten doch für den Leser unübersehbar nah der Frage gewesen wären. Die Theologie, bei der der Glaube im Sinne des lutherischen ›sola fide‹Prinzips ohne Bezüge auf eine rechtfertigende Lebenspraxis im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, durchzieht wie alle ethisch relevanten Bereiche auch die Familie und ihre Rollenauffassungen des Mannes, der Frau und der Kinder. Im Mittelpunkt steht jedoch die Erziehung der Söhne zu urteilsfähigen Männern. Diese besondere Intention hat sich umfassend in der Umsetzung der Katechese niedergeschlagen. Schon die Auswahl der Stichwörter unterliegt dieser pädagogischen Absicht und hermeneutischen Maxime. Jeder zeitgenössische Blick auch nur in das Register muss imstande gewesen sein, die kulturellen Vorstellungen aufzurufen, die, wie die Widmung hervorhebt, auch in anderen Medien bereits vermittelt worden waren und hier, wenn nicht neu eingeführt, so doch mindestens gefestigt werden konnten. Beispielhaft seien folgende Buchstaben aufgeführt: A Arbeit/ Arme […] B Bös gewissen/ Bürge werden […] H Von Heiligen/ Heut glück morgen vnglück/ Hoffart/ Hoffnung/ Holtz/ Hurerey […] W Warheit bekennen/ Weiber/ Weisheit

Die biblische Weisheitsliteratur wird thematisch sortiert aufbereitet und auf gesellschaftliche Erziehungsziele zugespitzt, d. h. dass der soziale Status und der soziale Aufstieg in Fragen der Zivilisierung im Umgang und in der Lebensführung, der Ehre und ihres Erhalts, der Grundsätze der Politik abgehandelt werden. Die Obrigkeit erscheint zwar in der Gegenwart legitimiert durch göttliche

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Eingebung, wobei sie ihrer Geschichte entkleidet erscheint. Im besonders langen Kapitel »Oberkeit XVIII« finden sich jedoch auch Andeutungen von Geschichtlichkeit, Entwicklung und in diachroner Perspektive wahrgenommener Kontinuität, die auf eine Gedächtniskultur im Ansatz hinweisen. So treten insbesondere das Recht und seine Legitimation als eine überzeitliche Instanz auf: Wer ordnet Könige/ Fürsten und Oberkeit? Wer macht das recht vnd gibt gesetz? Gottes weisheit […] Welches Königs thron bestehet ewig? Der die armen trewlich achtet. […] Was erhebt eine stadt? Der segen der frommen/ weisen vnd auffrichtigen.

Soziale Unterschiede werden hier durch den Verweis auf ihre göttliche Herkunft legitimiert. Im Spiegel der »stadt« wird implizit auf das Gemeine Gut hingewiesen, das auf ähnliche Weise eine Aktualisierung im Abschnitt »Kauffen und verkauffen XXV« erfährt. Darin wird einerseits die radikale Kritik Luthers an mit Kapitalvermehrung verbundenen Handelspraktiken perpetuiert, andererseits wird das Hauptaugenmerk dieser ›Destruktion‹ wohl in allgemein konsensfähiger Weise auf den Betrug enggeführt: Welche Menschen können sich schwerlich für sunden vnd vnrecht huten? Kremer vnd Kauffleut/ Denn vmb guts willen/ thun viel vnrecht/ Vnd gleich wie ein nagel zwischen zweien steinen stecket/ also steckt auch Sunde zwischen kauffern und verkauffern. Was ist ein grewel für Gott? Falsche wage.

Der Bewertung der Praktiken, mit denen Reichtum erlangt wird, stellt das Kapitel »Reichthum XXXIII« den Umgang mit erworbenem Kapital zur Seite. Kaufmännischer Profit war somit prinzipiell denkbar und wurde zumindest akzeptiert, jedoch hing der Wert dieses Kapitals von seinem Zustandekommen und seinem Gebrauch ab: Wenn ist reichthum gut? Wenn mans one sunde braucht. […] Welcher güter z[er]gehen bald? Die plötzlich gewunnen werden.

Der zeitgenössische Wirtschaftsdiskurs basierte auf der Annahme, dass die Gesamtmenge des Kapitals in einem Wirtschaftsraum wie der Stadt hinsichtlich seiner absoluten Summe begrenzt sei.699 Vor diesem Hintergrund wurde im Ratebuch die Bewertung vermittelt, dem Hinzugewinn von Kapitel durch Einzelne seien Grenzen auferlegt, deren Überschreitung Ehrverlust mit sich bringe. Die Ehre wird dabei jedoch nicht nur auf einen dynamischen Teil der weltlichen Ehre begrenzt, sondern mündet ausdrücklich auch in eine göttliche Gerechtigkeitsdimension, dazu weiter das Kapitel »Reichthum«: 699 Zur Theorie der begrenzten Güter vgl. Winfried Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz. Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft der frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge 13), München 1987.

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Wo kömpt der Gottlosen ehre vnd reichthumb hin/ wenn sie sterben? Es feret eilends dahin wie ein schatten/ wie ein newes geschrey/ wie ein schnel schiff auff dem meer […] Also verferet der Gottlosen gut vnd ehre.

Der Grundsatz des rechtmäßig zu erwerbenden Kapitals wird also hervorgehoben als eine überzeitlich gültige Kategorie. Die Unsicherheit der Zeitumstände und ihrer Wahrnehmung wird in den Worten »newes geschrey« ausgedrückt, womit einerseits schnelle Veränderungen und Neues, andererseits aber auch die zeitgenössisch als unzuverlässig wahrgenommene populäre Öffentlichkeit des »geschrey[s]« abgewertet werden. In diese wandelbare, mithin auch in einem geistlichen Sinne vergängliche Dimension werden die Gottlosen gestellt; die Möglichkeit von auch heilsrelevanter Memoria wird den Gottlosen dabei abgesprochen: »Gottlos XVII […] Welcher menschen vergisset man bald? Der Gottlosen.« Derartige Bemerkungen hätten ebenso gut – dem Geist und dem Buchstaben nach – in den Mahnbriefen der Väter auftauchen können: Burge werden LIII. Was ist einem gefangenen Rehe gleich/ Oder einem vogel jnn der hand des voglers? Einer der bürge ist worden/ hat sich mit seiner rede selbs gefangen. Was verterbet vnd vertreibet reiche leute? Burgschafft.

Die Nähe zu den Reichen erscheint also als erstrebenswert, wird doch eindrücklich vor dem Bürgen gewarnt, um nicht von Reichen gemieden zu werden. Die Glaubwürdigkeit von Kreditgebern war eine fragile Größe. Die Frage großen Vermögens wird daher durchaus ambivalent beantwortet, zumal auch die durchaus verdienten Reichtum affirmierende Stimmungen durchklingen. Am deutlichsten formuliert dies das Kapitel »Erbeit LV«: »Wozu ist der mensch geschaffen? Zu erbeiten. Wie will Gott die erbeit bezalen? Mit fülle des brods vnd reichthum.« Zu diesem nach protestantischen Aufmerksamkeitsfeldern geordneten Lehrgebiet treten weitere Dichotomien, vor allem aber sei es der von Wechselhaftigkeit gekennzeichneten ›conditio humana‹ angemessen: Heut gluck morgen vngluck LX. Es sind zween brüder miteinander geporen/ können sich aber nicht miteinander vertragen/ darümb halten Sie einen tag vmb den anderen haus/ Radt wer sind sie? Der gute tag vnd der böse.

In synkretistischer Normengenese fließen in Form von Geboten und Verboten Regeln für die Lebenspraxis zusammen, wovon die für die Generationenthematik bezeichnendste wohl »Die vier LXIII [sic!]« ist: Welches sind die vier haupt laster? Das erst/ Vndanck der kinder gegen jren eltern/ wenn sie inen fluchen/ Das ander/ Heuchley oder getichte fromheit/ Das drit hoffarrt oder verachtung/ Das vierd vnterdrückung der armen vnd Tyrannen.

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Auflistungen wie diese verdeutlichen den sekundären pädagogischen Charakter des Ratebüchleins. Seine Aufgabe ist die konfessionelle Sensibilisierung auf der Grundlage der den Schülern bereits bekannten bescheidenen, Strafen annehmenden charakterlichen Grundhaltung. Ohne Vorwissen in der Sache könnte das vierte Hauptlaster der Formulierung nach jedoch als eine Kritik an der »vnterdrückung« von Tyrannen gelesen werden, steht »vnterdrückung der armen« doch in grammatischer Kongruenz mit »[vnterdrückung der] tyrannen«. Das Ratebüchlein vermittelt ein komplexes Wertsystem, in dessen Zentrum eine (zeitgebundene) Exegese der biblischen Weisheitsliteratur steht, die auf die zu erziehenden Söhne der städtischen Eliten mit Zugang zum städtischen Schulsystem abzielt.700 Zentrale Bestandteile der Ermahnungen, die im Rahmen von Briefen der Tucher zwischen Jung und Alt ergingen, finden sich bis in wörtliche Übereinstimmungen hinein wieder und beruhen somit auf der gleichen epistemischen Grundlage. Inhalt und Vergesellschaftung im 16. Jahrhundert lassen das Buch Jesus Sirach zu einem Scharnier zwischen den brieflichen Generationenbeziehungen und dem ihnen unterlegten Sinnsystem werden; Generationenbeziehungen waren seit der Reformation unverkennbar von einer eng mit dem Wortsinn verbundenen Rezeption des biblischen Buches gekennzeichnet. Briefe nehmen die Beziehungen zwischen Vater und Sohn, ehr-, geschlechts- und standeskonstituierende Verhaltensregelungen in erstaunlicher Analogie auf. Die sirachschen Faktoren der Familienkonstitution kamen somit der protestantischen Imagination von der idealen Familie sehr entgegen.701 Die Beziehungen zwischen den allgemein applizierbaren Tugendkatalogen und den Briefen legen einen Diskurszusammenhang nahe. Die eher stereotyp und implizit auf die familiäre Vergangenheit im Spiegel des derzeitigen Standes und Ansehens hinweisenden Briefe verbinden Vergangenheit und Gegenwart. Diese Geschichtskultur schwang in den Briefen stets mit.

700 Zu den grundlegenden Institutionen vgl. Marcel Lepper, Wo die Meistersinger das Lesen lernten. Elementarbildung in Nürnberg um 1500, in: Alwin Hanschmidt/Hans-Ulrich Musolff (Hg.), Elementarbildung und Berufsausbildung 1450 – 1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 31), Köln/Weimar/Wien 2005, 125 – 144. 701 Für den bereits für die Figur des Vaters zitierten protestantischen Vorstellungs- und Werthorizont vgl. die auf Kontinuität des Topos der heiligen Familie abhebende Darstellung in Koschorke, Die Heilige Familie.

Traditionsbildung durch Literarisierung der Familie

2.5

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Kommunikationsmittel im Archiv. Traditionsbildung durch Literarisierung der Familie

2.5.1 Die legitimierende Kommunikation als funktionales Gedächtnis und soziale Gedächtnisoperation Die vorangegangenen Kapitel bestimmten die zu verwendende Begrifflichkeit von Wahrnehmung, Erfahrung und Repräsentation neu, waren Briefe doch von starken hierarchischen Intertextualitätsbeziehungen geprägt. Die exemplarisch untersuchten Briefe der Söhne sind stark erziehungskonform ausgeführt. Die brieflichen Zeugnisse von Generationenbeziehungen beruhen auf klassischen »Diskurseffekten«. Dieser Befund zur hierarchischen Kommunikation zwischen den Generationen differenzierte die bisher in das Material projizierte Forschungsmeinung von relativer Authentizität. Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch die Herleitung der vermittelten Inhalte und Ethik aus der beruflich, konfessionell und sozial argumentierenden Erziehungsliteratur, die die Briefe doch hauptsächlich narrativ beeinflusst und im Wesentlichen vorstrukturiert. Diese Musterhaftigkeit auf sprachlicher, inhaltlicher und ›ideologischer‹ Ebene bedarf einer heuristischen Neubestimmung dessen, was die Selbstthematisierung angeht. Die Befunde decken sich mit Ergebnissen zu den Leitmedien öffentlicher Kommunikation des Reformationszeitalters, Predigt und Flugblatt.702 Konfession als die umfassendste Sozialisierungsgröße der Menschen im 16. Jahrhundert führte dazu, dass häufig im Rahmen von Erfahrungsmustern geschrieben wurde. Das Religiöse bildete somit die unhintergehbare Basis für die »Interpretationsgemeinschaft« des geschichtlichen Lebens, Religion war »die allenthalben wahrnehmbare Präsenz christlicher Traditionsbestände in Welt-, Gesellschafts-, Sinn-, Lebens- und Selbstentwürfen der Frühneuzeit«.703 In der Reformationszeit kam es zu einer immensen Zunahme von Selbstthematisierungen Einzelner in Bezug auf ihr jeweiliges Verhältnis zu Gott, wobei frühere Ansätze etwa der Mystik nicht völlig revolutioniert, aber doch popularisiert wurden. Die Rede vom Ich erscheint im synchronen gattungsübergreifenden Kontext daher häufig als Topos. Prinzipiell ist daher stets eine starke gesellschaftliche Vermittlung von Erfahrungsdarstellungen anzunehmen. Das gilt für Briefe während der Auslandslehre in besonderer Weise, waren diese doch 702 Dieser Abschnitt folgt dem aus kirchengeschichtlicher Perspektive gewählten Ansatz von Kaufmann, der die oft zu kleinteilig geführte Debatte um den Charakter und das spezifische Interpretationsbedürfnis von Selbstzeugnissen eigentlich aushebelt, indem den Texten programmatisch ihre Textualität zuerkannt wird, vgl. Thomas Kaufmann, ›Erfahrungsmuster‹ in der frühen Reformation, in: Historische Zeitschrift. Beihefte 31 (2001), 281 – 307. 703 Ebd., 282.

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deutlich von der hierarchischen Erziehungs- und Abhängigkeitssituation geprägt. Indem Briefwechsel zwischen den Generationen sich eng an die Erziehungsdiskurse anlehnten, bildeten sie eine Form von sozialem ›Kurzzeitgedächtnis‹, war doch Zweck der Kommunikation, die mit der Erziehung verbundenen Werte zu bestätigen. Briefe dienten in ihrer eigenen Zeit zur Orientierung und gegenseitigen Vergewisserung in der sozialen Nahwelt von Generationenbeziehungen. Für derartige Phänomene hat Aleida Assmann das Konzept des funktionalen Gedächtnis entwickelt.704 Nach dieser Phase der Aktualität im Prozess der Erziehung wurden die Briefe durch ihre Archivierung zu einem Teil der längerfristigen Gedächtnisbildung. Als heuristische Maxime formuliert heißt das, dass Quellen für unmittelbare Erfahrung nicht vorliegen. Die Briefe sind textliche Zeugnisse von narrativ (mit)konstruierten Darstellungen, die sich auch unter dem Aspekt ihrer Funktion lesen lassen, wie etwa Kaufmann für die gezielt ausgeformten Erfahrungen in frühreformatorischen Predigten herausarbeitet. Dort war die Hauptfunktion, sich selbst zu legitimieren und den Bruch der Reformation psychologisch nachvollziehbar darzustellen. Das eigene Verhältnis zu Gott konnte auch zur Steigerung der Autorität dargestellt werden. Das ist somit eine narrative Indienstnahme von Erfahrungsdarstellungen, wie sie die gesellschaftliche Basis des epochalen Wandels, der »kulturellen Reformation« (Koslofsky) bestimmt.705 Die frühreformatorischen Publikationen, die maßgeblich zur »Kommunikationsrevolution« im von 1517 bis 1617 dauernden »Reformationsjahrhundert« geführt hatten,706 bilden insgesamt gerade keine den Einzelnen als Einzelnen verfeinernde, individualisierende Renaissancekultur aus, die in der Folge von Jakob Burckhardt eine Leithypothese und Grundunterscheidung zur Kennzeichnung der Epochenschwelle zur Neuzeit war. Der Erfahrungsbegriff der protestantischen Theologie führt von den vom Individuum tatsächlich erlebten, affektmäßig affizierten Wahrnehmungen als solchen weg. Wie bei den hier untersuchten Briefen handelt es nicht um ›Überreste‹, sondern um stereotyp argumentierende Kommunikationsmittel; durch die gezielte Briefsammlung entsteht eine weitere Sinnebene, die eigene Tradierungsabsichten besitzt.707 Er704 Vgl. Aleida Assmann, Zur Mediengeschichte des kulturellen Gedächtnisses, in: Astrid Erll/ Ansgar Nünning/Hanne Birk/Birgit Neumann/Patrick Schmidt (Hg.), Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität, Berlin/New York 2004, 45 – 60 705 Bernhard Jussen/Craig Koslofsky, Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400 – 1600 (Veröffentlichungen des Max Planck Instituts für Geschichte 145), Göttingen 1999. 706 Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung, 1517 – 1617, Stuttgart 2002. 707 Vgl. dazu Jürgen Herold, Die Interpretation mittelalterlicher Briefe zwischen historischem Befund und Medientheorie, in: Andres Laubinger/Brunhilde Gedderth/Claudia Dobrinski

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fahrungsdarstellungen leiten Identifizierungsprozesse ein, was in die geschichtswissenschaftliche Methodendiskussion seit der pragmatischen Wende einzuordnen und in einer Quellendiskussion und Gattungsbestimmung von Briefen weiterzuführen ist. Der Stil und der pragmatische Zusammenhang, in dem religiöse Identität in Gattungen öffentlicher Kommunikation dargestellt wird, spielen wörtlich in die untersuchten Briefe hinein. Sie signalisieren Frömmigkeit, wenn auch freilich topischer als die Predigten, aber wie diese auch auf eine ›Öffentlichkeit‹ als Empfänger und intendiertes Objekt einer Sprachhandlung zielend, die kontinuierliche Weiterführung der Kommunikation bezweckte. Erfahrungsdarstellungen verweisen auf einen Grundzug des Personenkonzepts in reformatorischen Texten. Selbstthematisierungen konnten, wie erziehungskonforme Briefe, bestimmten Zielen dienen und somit Handlung sein. Diese Handlungsdimension unterscheidet Erziehungsbriefe von Briefen in anderen Kommunikationssituationen. In Briefen zwischen gleichgestellten Familienmitgliedern oder in Liebesbriefen tauchen andere Selbstthematisierungen auf, die schlaglichtartig vorgestellt werden sollen.

2.5.2 »Hab gern gehört […] das dir dein pimp […] all tag dein erster Wecker.« Von Sonderfällen zu sprachpragmatischen Briefdefinitionen Eine formale Definition der Gattung Brief ist hochproblematisch,708 scheint doch gerade der gedächtnisbezogene Charakter der hier untersuchten Briefe durch formale Kriterien eher verstellt zu werden. Die Leistung von Briefen zwischen Jung und Alt würde ausgeblendet oder eingeebnet, würde der Blick nicht auf die oben vorgestellten Befunde von formeller und inhaltlicher Rekursivität gelenkt, darauf also, auf welche Weise diese Briefe Handlung waren. Die Erzeugung von Kontinuität in der Kommunikation und in der Weitergabe von Werten bildete die Grundlage brieflichen Schreiben, die sogar noch von satirischen oder emotionalen Briefen angewendet – wenn auch konterkariert – wurden. (Hg.), Text – Bild – Schrift. Vermittlung von Information im Mittelalter (Mittelalterstudien 14), München 2007, 101 – 126, bes. 104, 118. 708 Privatbriefe waren von der älteren Forschung nach zeitgebundenen Kriterien zu einer Quellengruppe zusammengefasst worden. Den Anfang dieser Entwicklung bildet die Pionierleistung von Steinhausen, der auch die folgende, derzeit häufig problematisierte Quellensammlung vorlegte Georg Steinhausen, Deutsche Privatbriefe des Mittelalters, Bd. 2 (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte), Leipzig 1907. Die Fragen, mit denen Definitionen konfrontiert würden, benennt Martin Camargo, Where’s the Brief ? The Ars Dictaminis and Reading/Writing Between the Lines, in: Carol Poster/Richard Utz (Hg.) The Late Medieval Epistle (Disputatio. An Interdisciplinary Journal of the Late Middle Ages 1), Evanston (Illinois) 1996, 1 – 17.

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Auffällig von den behandelten Briefen weichen die Reaktionen ab, die Lucas Behaim auf Grund seiner bekannt gewordenen Verlobung erhielt.709 In Nürnberg wussten gegen Jahresende 1612 viele davon, dass Lucas Anna Maria Pfinzing heiraten würde. Lucas Behaim hielt sich zu dieser Zeit auf einer erfolgreichen Geschäftsreise in Kitzbühel auf und erhielt von seinen Cousins neckende Briefe, die um Einladung zur Hochzeit baten oder, auf satirische Weise, ihre ›Hilfe‹ bei der Überwindung der Trennung des Paares anboten. Daraus sei ein bemerkenswerter längerer Abschnitt des Briefes von Albrecht zitiert, der in einer sexualisierenden Darstellung des menschlichen Körpers das soziale Normensystem der Ehe aufruft, es jedoch gleichzeitig unterläuft: Darauss ich […] die garn guete Bewilligung deinem lieben Annelein das feüer auss dem arsch zublasen/ vernomen/ welches ich auch warlich hertzlich gern thun wollte wofern ich dessen erlaubnus von meiner lieben jungenfrauen haben könnte/ dan ich vermeint solches nicht füglicher geschehen könnte als so ich ihr mein selbst gewach[s]enes Rohr am bauch vorn hienein steckete und darmit dapfter hienein bliese so worden alsodan die Kolen und übrige hitz zum hindern hienauss fahren/ so dir nun solches mein Rath gefellig kanstu leichtlich durch ein schreiben solches bei meiner jungenfrauen aussbitten/ dan wofarn ich solches ohne ihr vorwissen thete würdt warlich die suppen sauer und die gueten wort gart theuer werden. Hab auch gern gehoert das dir dein pimp so sehr steht und alle tag dein erster Wecker seie/ welche fröliche zeitung ich dan den sohntag […]/ solches deinem liebsten Annelein zuverkünden und sie darmit zutrösten und zu einer geringen gedult zuwisen[.]710

Dabei nutzt Albrecht das Briefschema und die Elemente der Rhetorik für übliche Briefe. Er erwähnt den vergangenen Brief und dessen Inhalt, wenn er gattungstypisch mit willfährigen Worten seine Hilfe anbietet. So stellt Albrecht zwar die obligatorische Frage nach der Gesundheit des Empfängers, bezieht sich jedoch mit einer stilistisch bemerkenswerten Unaussprechlichkeit auf den fremden Körper. Unter zumindest vorgeblicher Bezugnahme auf den Brief Lucas’ bestätigt er der Verlobten ausrichten zu wollen, dass ihr künftiger Ehemann eine ausgeprägte Morgenerektion habe. Dies scheint er als Zeichen von Enthaltsamkeit, Potenz, Fruchtbarkeit und Sehnsucht zu deuten, denn mit dieser Mitteilung verspricht er die Verlobte zu trösten. Auch bezieht er sich affirmativ und grundsätzlich völlig regelkonform auf seine eigene Ehe, indem er vordergründig auf die Einhaltung der ehelichen Ehre verweist. Der dann von ihm vorgebrachte Vorschlag wirkt dagegen geradezu als Kontrafaktur der üblichen brieflichen Erwartungshaltungen. Um die durch die Trennung entstandenen Liebesqualen zu lindern, bietet er, als wäre dies in einem 709 Bei der Darstellung dieses Falls beziehe ich mich auf den quellennahen Befund bei Ozment, Private Life in Early Modern Germany, 22 f. 710 Albrecht an Lucas, 29. Januar 1613, Behaim Archiv, Fasz. 154, zit. nach Ozment, Private Life in Early Modern Germany, 274.

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Brief stilistisch auch nur als Zitat möglich, ohne Scham zu signalisieren, den sexuellen Kontakt zur Verlobten Lucas’ an um diese zu trösten. Er steigert die Komik seines Angebotes, indem er die Handlungen bis ins Detail ausführt, wobei er sich beim Vorgang selbst eng an die pornographisch-grobianische Literatur anlehnt, um mit Umschreibungen durchsetzte Sexualkomik die »lettere amorosa« zu parodieren: In der Tradition antipetrarkistischer Dichtung konnte die behutsame Werbung durch sexuelle Zielsetzungen ersetzt und als »sorpresa«, als überraschend Neues, in ›konventionelle‹ Briefschemata eingefügt werden.711 Diese Komik war briefstellerisch fixiert und somit bereits selbst Konvention, jedoch entstand der Überraschungseffekt vor dem Hintergrund des Kontexts, in dem gescherzt wurde. Albrecht bedient sich auch der Affektökonomie der frühen Neuzeit bei der Begründung seiner Handlung, will er doch die Wirkungen des affektmäßig ungebändigten weiblichen ›Feuers‹ lindern, eine Vorstellung, deren Körperbezogenheit stark auf die Tendenzen zur Verkehrung der Alltagswelt in eine ästhetisch konstruierte Gegenwelt im 16. Jahrhundert hindeutet. Anders als in der Erziehungskorrespondenz schafft Albrecht Behaim sich einen humorigen Freiraum, indem er die Topik beibehält und im Grunde auch vollständig umsetzt, sie dabei jedoch mit unzulässigen Inhalten füllt. Diese satirische Kontrafaktur steht in ganz engem Bezug zu den bisher behandelten (Erziehungs)briefen. Gerade die an Briefe herangetragenen Erwartungshaltungen lassen den Brieftext komisch wirken und müssen eine verletzende, jedenfalls aber berührende Wirkung auf Lucas gehabt haben. Ihm schien ersichtlich, dass diese Wirkung besser als durch einen nicht an formelle Muster gebundenen Scherz durch die Benutzung der Brieftopik zu erreichen sei. Durch diese Distanzierung von einem noch immer erkennbaren Schema kann er spielerisch auf Distanz zum Habitus gehen. Dadurch wird die Vermitteltheit der ›Selbstzeugnisse‹ deutlich. Emotionale Authentizität anzunehmen wäre hier ebenso schwierig wie bei anderen Ausdrücken von Emotionen überhaupt. Dieser Brief weicht von den Standards der intergenerationellen Briefe ab durch eine spezifische Vermittlung einer Sicht auf eine Situation und eine soziale Beziehung. Unterschiedlich war vor allem also die Wirkungsabsicht, die bei dem deftigen Brief der Behaimschwager durchaus im Augenblick gelegen haben mag, keineswegs aber hatten die Korrespondenten zu berücksichtigen, dass die Briefe dauerhaft archiviert würden. Den Cousins bot sich jedoch anscheinend ein größerer Spielraum, wie beispielsweise die Berichte über informelle voreheliche Sexualkontakte in Lucas Friedrich Behaims Briefen an Freunde zeigen. Dort hatte er aus seinen Aufenthalten in Italien und Frankreich von seiner großen sexuellen Offenheit gegen711 Ortner-Buchberger, Briefe schreiben im 16. Jahrhundert, 84 – 88.

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über Frauen und konkreten Situationen, in denen sich diese Haltung auswirkte, berichtet.712 Freilich charakterisiert Ernstberger diese Haltung gleichsam nebenbei und verflacht in seinem Bericht über die Epoche anhaltend wahrgenommener Türkengefahr, das frühe 17. Jahrhundert, die Kontakte zur »orientalische[n] Frauenschönheit« als lediglich »flüchtig«. Die Vergesellschaftung des Liebesbriefes lässt sich jedoch zeigen. Das Liebespaar schrieb einander Briefe, die im Blickwinkel der Briefdisposition durchaus konventionell gerieten. Insbesondere, so Ernstberger, seien die Briefe der Braut weniger persönlich ausgefallen als die ihres Bräutigams, ein Ausdruck des Rollenverständnisses.713 Was sich für Anna Maria Pfinzing vor der Heirat nicht ziemte, stand Lukas Behaim dagegen durchaus frei, nämlich »reich und vielgestaltig […] die Symphonie seiner Liebe auf- und aus[zubauen]«. Die von Ernstberger selbst herausgearbeiteten Leitmotive Glaube und Sehnsucht verdeutlichen, dass es sich bei den ›Liebesbriefen‹ um hierarchiekonstituierende Rückbestätigungen im Rahmen einer sich entwickelnden emotionalen Bindung handelte. Lukas lobt die Frömmigkeit seiner Braut und beschwört die Sehnsucht der beiden zueinander nicht aus persönlicher Rührung und Regung allein; vielmehr bringt er sich in der von den Familien ausgehandelten Heiratsverbindung zweier alter ratsfähiger, ›stadtadliger‹ Geschlechter durch seine Briefe ein. Er kanalisiert somit die Emotionen der Frau und erweist seine eigene Offenheit für die Heirat. Die Anbahnung und Bekanntgabe von Verlöbnissen beeinflusste die Stellung einer Familie doch je nach der Vermögensentwicklung, dem Besitz von Landgütern und auch gemäß dem Stand der Familie andauernd neu. All diese Faktoren gerieten durch eine eheliche Verbindung in Fluss und mussten daher frühzeitig ausgehandelt werden. Heiraten konnten prestige- oder vermögensmäßig ungünstig verlaufen, wodurch zwar nicht der Status der Ratsfähigkeit, aber doch die damit verbundene Ehre beschädigt werden konnte. Patrizische Familien befanden sich auf einem Prestigemarkt zwischen Kaufmannsfamilien und dem Adel, aus dessen Sicht die städtischen Eliten neureich und jung waren. Heiratsverträge bildeten daher den Abschluss der umfangreichen, einem großen Hochzeitsfest vorausgehenden Verhandlungen. In den Verträgen wurden die Mitgift und weitere Kapitaltransfers verbindlich erklärt und somit in eine für die familiäre Öffentlichkeit objektivierte Form gebracht. Ähnlich öffentlich war die Verlobung Lukas Behaims bekannt gegeben wor-

712 In der vom 19. Jahrhundert stark geprägten Darstellung Ernstbergers finden sich keine Nachweise über die als Mehrzahl angeführten »Freundesbriefe«, vgl. Anton Ernstberger, Liebesbriefe Lukas Friedrich Behaims an seine Braut Anna Maria Pfinzing 1612 – 1613, herausgegeben mit einem Vor- und Nachwort, MVGN 44 (1953), 317 – 370, 327, Anm. 17. 713 Ebd., 328.

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den. Dieses offizielle Zeichen für die spätere Heirat hatten die Eltern festgesetzt, noch während der Sohn in der Tiroler Faktorei der Behaim weilte; erst Ende Mai erlaubte der Vater dem erwachsenen Sohn, nach Nürnberg zurückzukehren.714 Sowohl die Behaim wie die Pfinzing gehörten zu den angesehensten Geschlechtern, deren stadtadelige Privilegien seit dem 16. Jahrhundert von immer zahlreicheren neureichen Kaufmannsfamilien bedroht worden waren. Dagegen waren sie durch ihr hohes Alter, ihr Vermögen und ihre lange Präsenz in Nürnberg, also ihr Status, vor anderen Familien ausgezeichnet.715 Die Prästabilisierung der Beziehung der beiden Patrizier, in dem skizzierten familiären Kontext, war mithin das eigentliche Ziel der Korrespondenz. Die Sicherung der sozialen Kontinuität war dem Briefwechsel grundlegend eingeschrieben, wofür die Emotionalität in einer Sprache der Frömmigkeit und des Verlangens stereotyp kodifiziert wurde. Gefühlsmäßige Authentizität im Ausdruck hätte von den Schreibenden schon im kurzfristigen Rückblick als Fehlleistung angesehen werden müssen, wie die beiden folgenden Beispiele aus den letzten erhaltenen Briefen zeigen. So kommentiert Lucas Behaim seine eigene Offenheit sehr selbstkritisch, weist jedoch seiner Verlobten die Pflicht zur Geheimhaltung zu. Was er über deren engste Verwandte teilweise geschrieben habe, könnte dem Paar zum Nachteil gereichen. Diese Aufforderung scheint die Briefe als besonders privat zu markieren. Andererseits könnte der Vertrautheitstopos auch eine ›praeteritio‹ überdecken, die Privatheit angibt, um dann tatsächlich öffentlich wirksame Aussagen erst zu treffen. Möglich wäre freilich auch, dass Behaim überrascht war, dass die Braut seine Briefe weitergegeben hatte. Es könnte sich im Folgenden jedoch auch um eine vorgetäuschte, ostentative Markierung des Briefs als ›privat‹ in einer Situation handeln, in der der Bräutigam ohnehin von der Zugänglichkeit seiner Briefe für Mitglieder der anderen Familie ausgehen konnte: Ferner so verstehe ich auch aus Eures Brudern Schreiben, dass Euer Schwester, Frau Sebastian Imhoff, meiner Schreiben eines an Euch bei Eurer Ahnfrau gefunden und dasselbe gelesen, darinnen sie gleichwohl anders nichts als, wie er schreibt, lauter Geistlichkeit gefunden […] wollte wünschen, dass ihnen durch meine geringfügige, schlechte Schreiben mein frommes, getreues Herz gegen Euch so bewusst könnte werden, als es, Gottlob, Euch ist. Allein, weil ich zu Zeiten verträulicher Weis Euch sowohl von gedachter Eurer Schwester und ihrem Mann als Eurem Herrn Vettern haben zugeschrieben, welches, so sie es erfahren sollten, mir ohne Unglimpf nicht würde abgehen, also bitt ich, herzliebster Schatz, Ihr wolet inskünftig meine Schreiben besser verwahren, damit sie nicht etwas darinnen finden, so mir und Euch zu Nachteil geraten mögte[.]716 714 Ebd., 367. 715 Fouquet, Stadt-Adel. 716 Ernstberger, Liebesbriefe Lukas Friedrich Behaims, 366.

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Der letzte erhaltene Brief, in Form eines nicht genauer zu bestimmenden Briefkonzepts, umreißt die doppelte private und zugleich öffentliche Kodierung der Briefe. Lucas signalisiert seinen Willen zu familiärer Eintracht besonders nachdrücklich und scheint seine früheren Aussagen durch die Uminterpretation als Spaß relativieren zu wollen. Dies ist nun eindeutig mehr als eine Mitteilung an seine Braut allein, sondern bezieht deutlich eine gewissermaßen implizierte familiäre Leserschaft mit ein. Der Bruder hatte offenbar in die Korrespondenz eingegriffen, eine Intervention, die sicher nicht nur punktuell erfolgte und das Interesse des Bruders an weiteren eintreffenden Briefen annehmen lässt: Daß Ihr Euch ferners, allerschönster Schatz, so hoch entschuldigt wegen dessen, so Euer Bruder vom Reichstag Euretwegen mir zugeschrieben, ist es ganz ohn Not, weil mir ohne das Euer fromm, züchtig und gottselig Gemüt auf das beste bewusst, sondern will nochmals ganz freundlich und dienstlich gebeten haben, Ihr wollet solch mein nächstes unverschämbte und allzu verträuliche Schreiben im besten aufnehmen und gedenken, dass solches vielmehr scherzweis und meinen gewöhnlichen, doch zu Zeiten ungereimbten Possen nach geschehen und keineswegs übel von mir gemeint seye[.]717

Die Familien waren der eigentliche Bezugspunkt dieser frühneuzeitlichen ›Liebesbriefe‹, die von der statuskommunizierenden Funktionsbestimmung geplanter Eheanbahnung geprägt waren.718 Durchtrennten emotionale Regungen das Netz der familiären und geschlechterbezogenen Erwartungshaltungen, so wurden diese Situationen als Makel empfunden.

2.5.3 Die Quellensorte und ihre Funktion in Generationenbeziehungen Die zitierten Briefe waren Teil einer ›Eheanbahnungsdokumentation‹. Sie sind hinreichend, um auch die in 2.1 und 2.2 ausgeführten Befunde unter methodologischen Gesichtspunkten zu systematisieren und fruchtbar zu machen. Für eine Arbeitsdefinition von Briefen, die in engen, emotional bestimmten sozialen Bindungen entstanden sind, empfiehlt es sich, vor allem die kommunikativfunktionalen Zusammenhänge zu berücksichtigen. Die herangezogenen Briefe zeigten die Grenzen der Individualität solcher »Selbstzeugnisse« vor allem in den Schreib- und Lesebedingungen. Brieflich Mitgeteiltes unterlag einer schematischen Musterhaftigkeit des Ausdrucks, der Gliederung usw., aber auch einer Vorselektion der Schreibenden, so dass im Ganzen betrachtet (und hier bewusst zugespitzt und anfechtbar formuliert) 717 Briefvorschrift noch aus Kitzbühel, Mai 1613, Ernstberger, Liebesbriefe Lukas Friedrich Behaims, 366 f. 718 Zur Historizität von Emotionen vgl. als Ausgangspunkt der Debatte Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt am Main 1982.

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Briefe ein männliches Medium genannt werden könnten. Jedenfalls unterlag die Sammelabsicht einer dermaßen nach gender ordnenden Wirkungsabsicht. Zusammenfassend sind als strukturelle Faktoren die Entstehung im Zusammenhang der Familienmitglieder, der Transport durch Brüder, die Übergabe der Briefe durch sie, die häufige Relektüre der Briefe zu erzieherischen Zwecken sowie nicht zuletzt die Archivierung von Briefkopien und Briefen beim Vater anzuführen. Diese Rahmenbedingungen eröffnen einen neuen heuristischen Horizont für den Umgang mit den Interpretationsschwierigkeiten der häufig unmotiviert oder repetitiv wirkenden Briefe. Das Ergebnis hat unweigerlich Auswirkungen auf die Einschätzung der Funktionsweise eines Erziehungssystems, das die spezifische Gruppe der Kaufleute, hierin vergleichbar mit der des Adels, betraf. Die heuristische Perspektive muss nunmehr Personenkonzepte verfolgen,719 die in pragmatischen Kontexten argumentativ eingesetzt werden konnten. Der Weg für eine Bestimmung, was ein Privatbrief sein kann, lässt sich mit Hilfe der »pragmatischen Wende« in den Textwissenschaften eröffnen.720 Die Briefschreiber, Jung und Alt, Söhne und Väter, Braut und Bräutigam verließen beim Briefeschreiben nicht ihre familiäre Struktur, sondern ersetzten die persönliche Anwesenheit durch schriftliche Kommunikation, die einen hohen Grad an Regularität aufwies. Durch diese Eigenschaft entstand Identität. Bereits den Zeitgenossen müssen »Regelhaftigkeiten ein notwendiges Inventar handlungsbestimmender Erfahrungsdeutungen [geboten haben], und Regelkompentenz ist ein wesentliches Moment von Identitätsstärke«721. Nimmt man diese theo719 Vgl. für die aktuelle Diskussion um die Interpretaion von Selbstdeutungen die Darstellung in Gabriele Jancke/Claudia Ulbrich, Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, in: Dies. (Hg.), Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung (Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung 10), Göttingen 2005, 7 – 28. 720 Die Rezeption insbesondere der Pragmalinguistik Austins und Searles in der Geschichtswissenschaft beschreibt Loetz, Pragmatische Wende, die Impulse aufnimmt von Robert Jütte, Sprachliches Handeln und kommunikative Situation. Diskurs zwischen Obrigkeit und Untertanen am Beginn der Neuzeit, in: Helmut Hundsbichler (Hg.), Kommunikation und Alltag in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Veröffentlichung des Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit 15), Wien 1992, 159 – 181. Weniger der Theoriebildung als der empirischen Beschreibung von Sprachhandlungen in Texten verpflichtet ist Natalie Zemon Davis, Fiction in the Archives. Pardon Tales and their Tellers in sixteenth century France, Cambridge 1987. 721 So Rüsen in seinen allgemeinen Erläuterungen der Topik, in der er Geschichtsdarstellungen anthropologisiert, wobei die Sprachgebundenheit einerseits durch Historiographiegeschichte problematisiert, andererseits der zukünftigen Forschung normativ eine typologische Differenzierung von Geschichtsschreibung entgegengearbeitet wird, vgl. Jörn Rüsen, Lebendige Geschichte. Grundzüge einer Historik, Bd. 3, Formen und Funktionen des historischen Wissens, Göttingen 1989.

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retisch weitausgreifenden Differenzierungen der Historik zu Hilfe, so lässt sich damit auch die narrative Sinnbildung im brieflichen, exemplarischen (zeit)historischen Erzählen umfassen. Indem die Briefpartner Regelkompetenz besitzen, diese erwarten und erfüllen, bestimmen sie die Möglichkeiten der Kommunikation, binden diese an die Normalform der Briefe als Konsensform, in die unterschiedliche Erfahrungen und Interessen eingebracht werden konnten. Die untersuchten Briefe trugen somit prinzipiell Kennzeichen von narrativer Sinnbildung, die in ihrem unmittelbar intendierten Zusammenhang beim Briefwechsel zum Tragen kommen konnte. Die durch Überlieferungssteuerung entstandenen Lücken sogar in den noch relativ zusammenhängenden Briefserien lassen dennoch die Interpretation von Briefen als historiographischem, erinnerungsbezogenem und vergegenwärtigendem Medium schon im Zusammenhang ihrer Entstehung, besonders aber in ihrer nachträglich archivierten Form zu.

2.5.4 Die Zeitumstände der Archivgenese als Entstehungsgrund und Überlieferungsfilter Das Briefarchiv ist ein vielschichtiges historisches Produkt, das zeitgenössischen und späteren Überlieferungsbedingungen unterlag. Aus der ursprünglichen Fülle der regelmäßigen Korrespondenzen sind vor allem Briefe erhalten, die von den Söhnen während der kaufmännischen Auslandslehre an die Väter nach Nürnberg gesendet wurden. Dieses Empfängerarchiv gruppiert sich vor allem um Anton Tucher, mehr noch aber um Leonhart Tucher, die 1524 und 1568 starben. Nur vereinzelt sind Briefe Leonhart Tuchers im Rahmen dieser Korrespondenz in Kopien überliefert, da die Väter offenbar nur in bestimmten Fällen die Entscheidung zur Archivierung trafen. Auch die nachweisbar regelmäßig zwischen Müttern und Söhnen gewechselten Briefe fehlen. Die Korrespondenz Leonhart Tuchers mit seinen sieben Söhnen in deren Jugend umfasst in diesem Zustand ca. 200 Briefe, wobei alle Söhne eine kaufmännische Lehre absolvierten und nur Paulus (bevor auch er in den Kaufmannsberuf einstieg) an der Universität in Wittenberg studierte.722 Um die Mitte des 16. Jahrhunderts befanden sich die städtischen Eliten in einem tiefgreifenden Strukturwandel des Handels mit Waren, pluralisierte sich das kaufmännische Berufsbild und trat das städtische Patriziat in immer stärkere Konkurrenz zu neureichen Kaufmannsfamilien und dem Adel. In diese Zeit fallen mehrere Ansätze der historiographischen Darstellung und Selbstvergewisserung der Familie Tucher, als der Nürnberger Ratskonsulent Christoph 722 Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 101.

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Scheurl 1542 seine familiengeschichtlichen Studien den Trägern dieses Namens widmete, Material, das von der Tucherschen Familienstiftung 1565 in Form einer Handschrift, 1590/96 in eine aufwändige Prachtversion überführt wurde. In diesen identifikatorischen Zusammenhang lassen sich nicht nur historische Darstellungen im üblichen gattungsmäßigen Sinne bringen, sondern auch scheinbar so disparate Quellensorten wie Briefe, verleihen doch auch sie einem Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung in einer insgesamt unsicher gewordenen Gegenwart Ausdruck: Die realen Gefahren zeigen sich in den Bankrotten zahlreicher familial geleiteter Handelsfirmen in den oberdeutschen Zentren des Handels und spiegeln sich auch in der für das bürgerliche Publikum entstandenen Erziehungsliteratur, die, wie die Romane Wickrams, die ethischen Regeln der Hausväterliteratur in moralisch binär gestalteten – also Erfolg und Scheitern verkörpernden Figurenkonstellationen – verdeutlicht. In dieser Situation um die Mitte des 16. Jahrhunderts erstellt Leonhart Tucher eine umfassende Sammlung von Briefen, die heute einen Schwerpunkt auf seinen Söhnen aufweist. Die Briefe aus bedeutenden Handelsstandorten oder aus dem Studium bilden damit ein Quellenkorpus, dessen topische, erziehungskonforme Strukturierung durch die hier vorgestellten Kontexte hinsichtlich seiner ursprünglichen Funktionsweise exemplarisch durchleuchtet wurde. Die bemerkenswerte und bedeutsame Gleichförmigkeit des Materials sollte interpretatorisch zum Tragen kommen. Fällt der Blick dagegen auf den allgegenwärtigen Erziehungsdiskurs, der dieses Material ausnahmslos nicht nur durchzog, sondern es erst überhaupt motivierte, so erscheint das Empfängerarchiv wie eine Kollektion von narrativen Aktualisierungen der zwischen Vätern und Söhnen geltenden Regeln. Legen die Serien erziehungskonformer Briefe von Söhnen dies schon nahe, so verdeutlichen die in wenigen Fällen eingelegten Kopien von Briefen Leonharts die Ununterscheidbarkeit ihrer ethischen Maximen von der Traktatliteratur seit dem 15. Jahrhundert. Der Tugendkatalog des Nürnberger Stadt- und Familienoberhaupts umfasst Fleiß, Sparsamkeit, Frömmigkeit unter Leitkategorien wie dem kaufmännischem »nutz«; seine Forderungen sind auf das Kaufmännische hin perspektiviert, entsprechen im Wesentlichen jedoch der normativ fixierten Struktur von Generationenbeziehungen. Seine Briefe zeigen die gleichen Bestandteile auf wie die Tugendkataloge in Albertis »Über das Hauswesen« (1434), Menius’ »Oeconomia Christiana« (1529), späterer Beispiele von Emblemata sowie literarischer Verarbeitungen wie der in Wickrams Knabenspiegel (1554).723 Die Liste zeitgenössischer Beispiele ließe sich erweitern, hatte doch im späten Mittelalter eine breite Produktion von kaufmännischen Lehrbüchern 723 Zu dieser literatur- und geistesgeschichtlichen Einordnung vgl. Paul Oskar Kristeller, Humanismus und Renaissance. Philosophie, Bildung und Kunst, München 1980, 51.

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eingesetzt, die bis zur Ununterscheidbarkeit reichende inhaltliche Gemeinsamkeiten aufwiesen.724 Der zeitgenössisch geltende literarische Standard bewertete die zielgruppenspezifische Ausformung von Belehrung höher als die inhaltliche Originalität des Anspruchs, worin prinzipiell der Grund für die Alterität der Kommunikation zwischen den Generationen liegt. Das Briefarchiv protokollierte daher vor allem die Lernerfolge der Söhne und die darauf beruhende Kontinuität. Die forschungsgeschichtlich, in der Folge von Ariºs, so wichtige Frage nach der Emotionalität von Eltern-Kind-Beziehungen kann auf Grundlage des hier ermittelten Befundes zur Topik von Briefen nicht mehr mit einer schwerpunktmäßig auf Authentizität bezogenen Heuristik gestellt werden; dem widerspräche der aktuelle Stand der methodischen Entwicklung in Richtung auf Codifizierungen, Vertextungsformen und Medialisierungen von Emotionen. Emotionale Beziehungen zwischen Eltern und Kindern wären nur eine schwache Hypothese für die Archivbildung. Auch die Zufallshypothese, mithin die Annahme von Beliebigkeit, Ungerichtetheit der archivischen Selektion und Überlieferung schöpft die hier erarbeiteten Interpretationsmöglichkeiten nicht aus und bedarf der Revision. Mehr als in den vorgetragenen Deutungsangeboten lässt sich im Briefarchiv besonders aber in seiner Struktur, das Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung der Familie und ihrer Fortführung ablesen.725 Die Sammlung und die Anordnung des Materials legen nahe, dass diese Briefe in der Familie tief vergesellschaftet waren. Wie die briefliche Kommunikation des späten Mittelalters besaßen diese, von der Forschung eher anachronistisch »privat« genannten Texte eine umfassende und hohe Alterität im Vergleich zur modernen Weise zu schreiben, zum modernen Postgeheimnis und zu möglichen Alternativen des Kommunikationsweges.726 Im Einzelfall lässt sich die Erinnerung an die Pflicht zur andauernden Lektüre durch den auf Abwege geratenen Kaufmannslehrling Sixtus in Lyon nachweisen. Die Struktur des Archivs könnte ebenfalls die wiederholte identifikatorische Lektüren widerspiegeln. Die Existenz dieser Lebenszeugnisse muss – ohne dies 724 Zusammenfassend zur alteuropäischen ökonomischen Literatur vgl. Richartz, Oikos, Haus und Haushalt. 725 Eine umfassende Perspektive auf schriftliche Tradierungsformen bietet Dietrich Harth, Geschichtsschreibung, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 7, Darmstadt 2005, 832 – 870. 726 Die Alterität des Mediums und seiner Vermittlungsweise verdeutlicht an einem Korpus zeitgenössischer Briefe von Familien des Reichsfürstenstandes Cordula Nolte, Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440 – 1530) (Mittelalter-Forschungen 11), Ostfildern 2005, 339 – 373. Schwerpunktmäßig die ›technischen‹ Aspekte des stilbezogenen und strukturregelgemäßen Briefschreibens verfolgt das Dissertationsprojekts von Jürgen Herold.

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zeitlich einzugrenzen – dokumentartigen Charakter darüber besessen haben, dass die Söhne das Stadium der Abhängigkeit hin zu eigenständigem wirtschaftlichen und familiären Urteilen und Handeln abgeschlossen hatten, zeigt sich doch eine Konzentration der Sammlungen auf das jugendliche Alter zwischen 13 und ca. 20 Jahren, ein Befund, der sich aus dem sensibilisierten Jugendbild der zeitgenössischen pädagogischen Anthropologie und der Briefsteller als Überlieferungsfilter ergibt.

2.5.5 Briefe zwischen Kommunikation und literarisierender Meta-Kommunikation: Die Alterität vormoderner Generationenbeziehungen Die textliche Funktionsweise der erzieherischen Briefe erscheint im Kontext der zeitgenössischen Literatur als der Schlüssel zur Gedächtnisrelevanz dieser Quellen. Der kommunikativen Dimension von Briefwechseln muss eine abgestufte Erinnerungsdimension hinzugefügt werden. Jeder eingehende Brief verkörperte überzeitlich geltende Werte, zunächst jedenfalls, bis zum Eingang weiterer Nachrichten. Diese Form eines sozialen Kurzzeitgedächtnisses ist aber untrennbar mit der langfristigeren Gedächtniskultur der Familie verbunden. Intertextuelle Bezüge der tagesaktuellen Briefe mit literarischen und familiengeschichtlichen Quellen lassen engste Diskursbeziehungen erkennen. Den Briefen zwischen Jung und Alt unterlag ein Schreibprogramm, das die Implementierung von Werten in das Kommunikationssystem verfolgte, mithin eine Form der exemplifizierenden Geschichts-schreibung von Erfahrungswissen als »beglaubigter Tradition« verkörperte:727 »Zeitlicher Zwang/ Arbeit vnd Lehr/ Bringt die Jugend zu grosser Ehr.«728 Regelwerke konnten sehr detaillierte Regeln über das Verhalten etwa bei Tisch enthalten, die der Knabe bei Einladung zu vornehmen Leuten einzuhalten habe, wie »nage kein Bein nicht’/ sondern schneid es mit dem Messer herab« oder »Fege auch nicht die Butzen aus der Nase«.729 Die didaktische Umsetzung der Erziehung in den Briefen und in der Erziehungsliteratur erfolgte dagegen durch Beispielerzählungen, denen Glaubwürdigkeit und Konkretion beigemessen wurde. Daneben behandeln andere Beispielerzählungen vorgeblich reale Vorkommnisse, wie die Titel zeigen: »Eine Gottselige Vnterweysung vnd schoene Lehr/ welche ein grosser Potentat vnd 727 Harth, Geschichtsschreibung, 850. 728 Christoph Achatius Hager, Jugendt-Spiegel von ehrbar- und höfflichen Sitten vor die auffwachsende Jugendt, Hamburg 1631, 125. 729 Ebd., 137 f.

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Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen

fürnehmer Herr seinem Sohn hinterlassen/ danach er sich die ganze Zeit seines Lebens richten sol.«730 Die Briefe vermitteln bei aller konkreten Ausformung doch stets die gleichen Werte wie die Erziehungsliteratur. Der Blick in dieses Material bildet die Grundlage für die Interpretation der im eigentlichen Sinne historiographischen Texte des Tucherschen Geschlechterbuches von 1542 und der Prachtversion vom Ende des 16. Jahrhunderts. Wie die Briefe, aber mit anderen Ausdrucksformen, zeigen beide das Bemühen, die Kontinuität der patrizischen Privilegien zu legitimieren, sich mit historischen Argumenten gegen die Ehre generierende Wirtschaftskraft neureicher Kaufmannsfamilien abzusichern und (mit besonderem Nachdruck in der Prachtversion von 1590) die Fähigkeit zum Konnubium mit dem Adel nachzuweisen. Historiographiegeschichtlich sind die Möglichkeiten einer textgenetischen Untersuchung verschiedener Fassungen der Familiengeschichte im Kontext des Nürnberger Patriziats noch nicht ausgeschöpft. Theoretische Ansätze zur Beschreibung von Selbstzeugnissen haben die historiographiegeschichtlichen Interpretationsmöglichkeiten der Nürnberger Briefarchive bisher verdeckt.731 Dagegen soll die Archivgenese als Kompensationselement von wahrgenommenen Bedrohungen interpretiert werden, die auf Kontinuitätssicherung abzielte, eine Absicht, die sich derjenigen der erzählenden »exemplarischen Sinnbildung« in der Geschichtsschreibung seit dem Spätmittelalter vergleichen lässt und die von der Reformation lediglich neu genutzt worden zu sein scheint.732 Das Briefarchiv ähnelt der Geschichtsschreibung darin, dass die historiographische Technik die zueinander in Bezug gesetzten Beispiele und allgemeinen Regeln, in Begriffen der Historik formuliert, eine historische ›Identität‹ in der Form von »praxisermöglichender Regelkompetenz« konstruieren.733 Zur historiographischen Dimension des Briefarchivs liegen Thesen vor, dass es – typisch für patrizische Briefarchive – durch gezielte, strukturgebende archivische Selektion maßgeblich geschaffen worden sei.734 Wenn der Handel an 730 Ebd., 190. 731 Dieses heuristische Modell stellt die Authentizität von emotionaler Empfindung, Schreibund Rezeptionsprozess in den Vordergrund. Beer, Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern, 1 – 33. Dieses Modell zog zwar kontroverse methodische Diskussionen nach sich, vgl. Brändle, Selbstzeugnisforschung, 3 – 34. 732 Harth, Geschichtsschreibung, 850. 733 Rüsen, Lebendige Geschichte, 45, 47. 734 Der bereits zitierte Hofmann hat die Bedeutung des Literaturnachweises zu seiner These schon wenig später relativiert und als »etwas übertreibend« bezeichnet. Einen Quellenbeleg kann er nicht anführen, so dass die archivische Selektion eher dem Anschein nach anzusehen ist, die vor dem Hintergrund der Komplexität familiärer Überlieferungsprobleme in privaten Archiven empirischer Überprüfung bedürfte. Im Grunde widerspricht die Existenz der Tucherbriefe den Thesen Hofmanns diametral. Hans Hubert Hofmann, Nobiles

Traditionsbildung durch Literarisierung der Familie

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Bedeutung verlor, das Material auch keine rechtliche Funktion wie Urkunden und Verträge etc. besaß, warum wurden dann die erhaltenen Bestände aufbewahrt? Eine gezielte Kassation erscheint als plausible These, die auch der Vergesellschaftung von Briefen im 16. Jahrhundert wie auch den Erziehungs- und somit Generationenbeziehungsdiskursen entspräche. Die archivierten Briefserien waren ein über Jahrzehnte andauernder Versuch, die Familie durch eine Sammlung von Zeugnissen zu dokumentieren. Das Kaufmännische war darin in einem, zugleich politische, konfessionelle und andere Wertgrößen zusammenführenden Habitus vom Vater verordnet und von den Söhnen geleistet worden. Generationenwechsel und Erziehungsdiskurse waren nicht zufällig auch Schwerpunkte der Überlieferung brieflicher Quellen. Gründe für den Befund archivischer Überlieferung gerade seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts könnte auch die Wahrnehmung der Kindersterblichkeit zu Lebzeiten Anton und Leonhart Tuchers gewesen sein. Auf der Grundlage des vorliegenden Archivs allein kann aber kaum genaueres über Zeitpunkt und Interessen bei der archivischen Selektion ausgesagt werden, ohne ›Arbeitsprotokollen‹ vergleichbare Quellen zur Verfügung zu haben. Mit diesen Vorbehalten lassen sich die Briefe dennoch in die Gedächtnisbildung der Tucher einordnen. Prinzipiell steht die Gedächtnisrelevanz brieflicher Überlieferung außer Frage.735 Der Prestigeverlust des kaufmännischen Berufsbildes nach dem Ende des 16. Jahrhunderts lässt sich in den Rechtfertigungen der buchhalterischen Literatur ablesen. So vermerkt eine Ausgabe eines Lehrbuchs über das Buchhalten aus dem Jahr 1666, dass der Mensch »durch einen wunderbahren Trieb der Natur/ allezeit nach loeblichen Ehren« strebe und daher möglicherweise den Handel abschätzig betrachte.736 Jedoch sei auch auf diesem Gebiet der Erwerb von Ehre möglich. Wenn man die kaufmännischen Wissenschaften betreibt, um »die Zierde/ den Nutzen vndt die Ehre/ so sie mit sich bringet [zu gewinnen]/ so muß man bekennen/ wie groeblich sich die vergreiffen/ welche sich unterstehen/ sie zu verachten/ wie gering sie auch Eusserlich anzusehen«.737 Der Autor erwartete offenbar, dass die gesellschaftlichen Leitbilder sich gewandelt hatten, so dass er für eine verbesserte Marktfähigkeit seines Buchs Einwänden damit begegnete, dass er über die erzieherische Vervollkommung des Menschen und die Philosophie Platons referierte. Die umfassende Bildung der Zöglinge näherte sich damit dem Anschein nach dem Profil von Adelsakademien an. Vor dem Hintergrund der zahlreichen geschichtskulturellen Ansätze der Norimbergenses. Beobachtungen zur Struktur der reichsstädtischen Oberschicht [im gleichen Jahr überarbeitete Fassung], in: Vorträge und Forschungen X, Konstanz/Stuttgart 1965, 53 – 92, Anm. 101. 735 Hofmann, Nobiles Norimbergenses (I), 142. 736 Christoph Achatius Hager, Buchhalten über Proper-, Comission- und Compagnia-Handlungen, Hamburg 1666, unpaginiert. 737 Ebd., fol. 1.

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Generationenbeziehungen in kaufmännischen Erziehungsbriefen

Tucher erscheint die bisher übliche Gattungstrennung in Texte, die entweder historiographische oder lebenspraktische Ziele verfolgen, als eine analytische Projektion. Identität war nicht nach historischen und aktuellen Elementen zu trennen, beide Dimensionen bildeten für die Tucher eine Einheit. In diesem Zusammenhang dokumentieren auch die ungedruckten Zeugnisse von Familienmitgliedern neben gedruckten Berichten von der Reise in das Heilige Land, Chroniken usw. eine Dokumentation der Familie. Wenn Unterschiede zwischen diesen verschiedenen familienbezogenen Texten bestanden haben, dann sind diese in der spezifischen Vergesellschaftung der Gattungen zu suchen. Die Briefe verbindet mit diesen zahlreichen, von den Tucher überlieferten Zeugnissen738 die Absicht, die Familie mit erinnerungsbezogenen Absichten – gleichsam historiographisch – zu literarisieren.

738 Für eine kenntnisreiche Übersicht vgl. noch immer Grote, Die Tucher.

3. Diskontinuitäten in zeitversetzten Vergangenheitsbildern: Paratexte als Spiegel von Generationenwechseln

3.1

Die Tuchersche Geschichtsschreibung in Zeithorizonten und Erinnerungsschichten 1526 – 1615

3.1.1 »Alle tzehen Jar ein Newe wellt«? Die Tucherbücher im Spiegel der Auftraggebergenerationen in der Familienstiftung (ca. 1526 – 1615) Die Geschichtsschreibung der Tucher ist unter Gattungsgesichtspunkten kaum sinnvoll über ihre gesamte Entwicklung hinweg einzugrenzen. Zu verschiedenen Zeiten bewegen sich die derzeit bekannten historiographischen Quellen zwischen Autobiographie, gewidmetem Schreiben sowie Repräsentation und agonalem Luxus. Die Gedächtnisbildung der Nürnberger Tucher lässt sich in die übergreifenden Tendenzen der Familiengeschichtsschreibung einbetten, aber die in der Einleitung vorgenommene Typisierung ist vor allem als Orientierungshilfe nützlich. Schon der Erschließungsgrad der Nürnberger Familiengeschichtsschreibung, vor deren Hintergrund die Tuchersche sich bewegt, ermöglicht nur eine Arbeitsdefinition als erste Annäherung. Jede der Fassungen ist vom Zeithorizont ihrer Gegenwart geprägt, die sich immer mehr als vorläufig erfuhr, sowohl hinsichtlich bereits geplanter Neufassungen als auch hinsichtlich apokalyptischer Reflexionen. Das Titelzitat stammt aus einer von Scheurl persönlich unterzeichneten Widmung im Geschlechterbuch für die Fürer. Die Neubearbeitung sei wegen der Veränderung der ›Welt‹ notwendig geworden, womit Scheurl teilweise seine alte Arbeit kritisieren muss: Nun spricht man gern all tzehen Jar ein Newe wellt von dannen bin ich Itzo widerumb bewegt wordenn ehegemelte Fhurerische Vrkundenn abermalen virderhanden zunemen, auszutziehen ordenlich zuunderscheid[en] vnnd anzutzeigen, wie vnd welchergestalt Ir Fhurer, so heuttigs tags an lebenn bis in die Neunten generation, von ei-

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Diskontinuitäten in zeitversetzten Vergangenheitsbildern

nand[er] geporn vnd abgestigen seyt, vnnd ewer Burgerlich anwesen woll ob zweihundert Jarn In Nürmbergk herbracht […][.]739

Aussagen wie die über den Weltwandel innerhalb der letzten zehn Jahre sollten als instrumentalisierte Aussagen in den Blick kommen und zunächst nicht dem vordergründigen Sinn nach als Zeugnis für einen essentiellen Generationenwechsel etc. gelesen werden. Zwar werden innerhalb von zehn Jahren auch neue Familienmitglieder geboren. Diese wurden üblicherweise nachgetragen. Scheurl aber schreibt sich mit seinen Geschlechterbüchern in die Geschichtskulturen der Patrizierfamilien nicht nur als angesehener Historiograph, sondern auch als Verwandter ein.740 Daher liegt die Vermutung nahe, Scheurl argumentiere mit einem vorgeblichen Weltwandel, um die Neufassung des Geschlechterbuchs wieder einem lebenden Vertreter der Familie widmen zu können. Die Tätigkeit Scheurls ist noch nicht hinreichend erforscht, um die Entstehung der Familiengeschichte – über Selbstaussagen in Widmungen hinaus – genauer zwischen Eigeninitiative, Patronage oder gar Auftrag vom Schreibvorgang her zu charakterisieren. Dagegen sind zur protagonistisch auf die Geschichtskultur der Tucher Einfluss nehmenden Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung Quellen bekannt, die Auskunft über Beweggründe für die intensive Förderung der Geschichtsschreibung geben. Spätestens seit 1565 war die Familienstiftung das geschichtskulturelle ›Sprachrohr‹ der Familie, nahm sogar die Stiftungspraxis Einfluss auf die Geschichtskultur. Im Spiegel der relevanten Organisationsform und Tätigkeitsbereiche der Stiftung soll die Entstehung der Fassungen des Tucherbuchs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert, die maßgeblich im Kontext der Stiftungsarbeit entstanden, dargestellt werden.741 Die prinzipielle Frage nach der Autorschaft, welche Spielräume also Individuen, Gruppen oder Kollektive oder die Familie bei der Konstruktion der eigenen Vergangenheit – bewusst oder vielleicht auch unbewusst – in Anspruch nehmen konnten, strukturiert die Ausführungen. Die Tuchersche Familienstiftung ist Teil einer Nürnberger Tradition seit dem Spätmittelalter. Sowohl die 1386 von Bartholomäus Stromer oder die 1447 von Berthold Holzschuher errichteten Stiftungen sollten die Zinsen des veranlagten Kapitals nach bestimmten, meist sozialen Kriterien den Mitgliedern der eigenen Familie zukommen lassen. So hatte auch der Nürnberger Propst Dr. Lorenz Tucher 1503 bestimmt, dass die jährlichen Erträge der Stiftung armen Mitglie739 Christoph von Scheurl, Familienbuch Fürer, (Beigebunden Familienbuch Herdegen Tucher), StadtBN Amberger 48 Nr. 53, fol. 71v. 740 Vgl. dazu 1.4.4. 741 Als Orientierung über die hier relevanten Aspekte des Instituts der Tucherschen Familienstiftung dient noch immer die Studie von Wilhelm Schwemmer, Dr. Lorenz Tucher (†1503) und seine Familienstiftung, in MVGN 63 (1976).

Die Tucherbücher im Spiegel der Auftraggebergenerationen in der Familienstiftung

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dern der Familie ausgezahlt und Überschüsse dem Stiftungskapital zufließen sollten. Der Werdegang von Lorenz Tucher ist, nach dem Studium der Rechte in Italien, seit 1462 in Leipzig, Promotion ebendort 1470 und ehrenvollen beruflichen Stationen u. a. als Domherr in Regensburg, eng mit der politischen Entwicklung der Reichsstadt Nürnberg verbunden. Der Rat der Stadt hatte bereits länger angestrebt, die Kandidaten für das Amt des Propstes selbst zu benennen. Dieses Präsentationsrecht hatte der Rat seit 1474 nur eingeschränkt innegehabt. 1477 hatte Papst Sixtus IV. dann die Pfarreien zu Propsteien erklärt, was die Besetzung einer solchen Stelle für die Tucher besonders attraktiv erscheinen lassen musste. 1481 erfolgte die päpstliche Bestätigung für die Präsentation, die Lorenz Tucher 1478 angenommen hatte und bis 1496, als er das Amt auf Grund von Auseinandersetzungen um dessen Besetzung aufgab, innehatte. Schon zu Lebzeiten stiftete Lorenz Tucher eine Reihe von Kunstwerken in Nürnberger Kirchen, die die Präsenz der Tucher in diesen Geschichtsräumen auf lange Zeit sicherten.742 Solche Zielsetzungen waren in den testamentarischen Festlegungen Lorenz Tuchers nicht zentral. Er bestimmte neben der Begleichung von Verbindlichkeiten, dass sein Vermögen teils an Arme als Gotteslohn ausgezahlt, teils zur Gründung einer Familienstiftung nach dem Muster der Holzschuher-Stiftung verwendet werden solle. Das Testament war durch seine Brüder Hans IX. Tucher und Martin Tucher auszuführen. Als das von Lorenz Tucher hinterlassene Geld durch Veranlagung in der Tucherschen Handelsgesellschaft und Zustiftungen des verstorbenen Hans IX. auf ca. 700 Gulden angewachsen war, hat Martin Tucher am 14. September 1522 eine engstens mit der Stiftung in Zusammenhang stehende Tuchersche Familientradition vorbereitet, das »Tuchermahl«.743 742 Vgl. das als einleitendes Beispiel geschilderte Fenster in St. Lorenz, das allerdings nicht – wie bei Schwemmer vermerkt – restlos verloren ist. Vielmehr ist der Teil der Fensterstiftung, der eine Hostienmühle abbildete, nach Ersatz des Fensters in ein anderes Fenster dieser Kirche, das Schlüsselfelderfenster, überführt worden. Vgl. Einleitung und Schwemmer, Wilhelm, Dr. Lorenz Tucher, bes. 132 f. 743 Allerdings wurde dieses Gründungstreffen noch nicht als »Tuchermahl« bezeichnet, offenbar wurde die Stiftungsarbeit mit den Treffen identifiziert. Eine Parallele zum Tuchermahl stellt – wie auch das Äquivalent bei den Fugger – das »Hallermahl« dar, das von der Jobst-Haller-Stiftung ausgerichtet wurde. Für jährlich 5 Gulden wurden seit 1519 folgende Personen eingeladen: Acht Nachkommen des Großvaters Jobst I. Haller, die drei Verwalter der Ruprecht-Haller-Stiftung, 3 Nachkommen seines Ururgroßvaters Peter III. Haller, 2 der sonstigen Vettern, der Schaffer von St. Sebald, der Kaplan auf der Hallerpfründe in St. Sebald sowie jeweils einer der Vikarier zu St. Sebald, der Hallerschen Heilig-Kreuz-Kapelle und zu St. Johannis, dazu Kirchenmeister und Kirchner zu St. Sebald. Nach der Mahlzeit sollte die Ausrichtung der geistlichen Geschicke angezeigt, die Stiftungsurkunden verlesen und die Ruprecht-Haller-Stiftung abgerechnet werden, wovon in den Hallercodices ab 1526 Abschriften angefertigt wurden. Diese Auskünfte stammen von Bertold von Haller, Hallerarchiv Großgründlach.

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Diskontinuitäten in zeitversetzten Vergangenheitsbildern

Bereits zum ersten Familientreffen dieser Art lud er alle männlichen Tucher über 18 Jahre zu einem feierlichen Treffen ein, um den testamentarischen Willen Lorenz Tuchers zu verkünden und umzusetzen. Gemäß der Holzschuherschen Tradition sollte die Hilfe bedürftiger Familienmitglieder Stiftungszweck sein,744 mit der Einschränkung auf männliche Familienmitglieder. Die Organisation der Stiftung sollte durch einen Verwalter übernommen werden, der jährlich bei einem Mahl über die Kapitalentwicklung und Ausgaben berichten und daraufhin wiedergewählt werden sollte. Der tatsächliche Rhythmus der Treffen zum Tuchermahl geht aus dem »Gehaim-Buch« der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung hervor, das über die Belange der Tucherschen Stiftung seit ihrer Gründung berichtet: »Anfang der Tucherischen Stifftung, auch wass vndt von wem darzu gestifftet worden, Wer die Verwalther derselben gewest, Wass Sie Jährlichen von den gefällen vndt Einkommen erspahrt vndt angelegt haben, auch Wann sonsten bey den tuchermahlen oder andern Zusammenkünfften abgeredt vnd sonsten Denckwürdiges gethan worden«; darüber hinaus ist noch eine Bilanz der jährlichen Stiftungsrechnungen aus dem Jahr 1652 beigegeben.745 Von einer regelmäßig jährlich stattfindenden Abrechnung ist also einerseits auszugehen, andererseits wurde die Einladung zu einem Tuchermahl nicht ebenfalls jährlich ausgesprochen, wie das Verzeichnis der Tuchermahle zeigt: Volgen Die Tuchermahl vndt wann Solche gehalten worden Ao. 1524 den 5. Juni ist das erste Tuchermahl gehalten worden, darbey 10 Tucher gewest […] Ao. 1525 den 25. Juli ist das Andere tuchermahl gehalten wordeten darbey 9 Tucher gewest […] Ao. 1528 den 17. Juli ist das Dritte Tuchermahl gehalten worden, darbey 9 Tucher gewest […] Ao. 1536 den 11. Juni ist das Vierte Tuchermahl gehalten worden, darbey 9 Tucher geweset […] Ao. 1551 den 12. Juli ist das fünffte Tuchermahl gehalten wordt[e]n, darbey 11 Tucher geweset […] Ao 1565 den 30. Septemb[er] ist das Sechste Tuchermahl gehalten worden, darbey 12 Tucher gewest […] Ao. 1567 den 2. Novemb[er] ist das Sibende Tuchermahl gehalten wordten, darbey 9 Tucher gewest […] Ao . 1569 den 9. Octob[er] ist das Achte Tuchermahl gehalten wordten, darbey 10 Tucher gewest […] Ao. 1571 den 14. Octob[er] ist das Neundte Tuchermahl gehalten wordten, darbey 9 Tucher gewest […]

744 Diese Terminologie bezieht sich aus der Stiftungsforschung, vgl. Scheller, Memoria an der Zeitenwende, 22 – 24. 745 Gehaim-Buch […] der Tucherischen Stifftung, StadtAN E 29/II Nr. 1161, hier unpaginiert.

Die Tucherbücher im Spiegel der Auftraggebergenerationen in der Familienstiftung

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Ao. 1574 den 5. Decemb[er] ist das Zehendte Tuchermahl gehalten wordten, darbey 10 Tucher gewest[.]«746

Die Tuchermahle waren der Konzeption nach eine Institution der familiären Interessensäußerung, denn, so der Eintrag zu 1522, »Soll ein ieder verwalter, so er im Jahr einmahl will Rechnung thun, vndt so es den andern Tuchern am gelegensten ist, Sie alle zusam[m]en beruffen, die hie zw Nürnberg seyndt, vnd 18 Jahr, vnd darob alt seyn vndt Ihnen ein guet mahlzeit zueßen geben«, bevor er die Rechnung zur Kenntnis gebe und »die Tucher alle davon reden, ob gelt vorhandten were, wie es damit soll gehalten werdten, vndt ob man den Verwalther oder Pfleger mit Einnehmung der zinß wolle länger beleiben laßen oder nit, vndt den andern nothürfftigen dingen reden, wie sie gut bedüncket«.747 Somit sind die Verwalter der Stiftung einerseits gehalten, die Abrechnung auf Wunsch familienöffentlich durchzuführen, so dass Treffen potentiell im jährlichen Rhythmus hätten stattfinden können. Die Beweggründe für ein Tuchermahl, das »alsdann dem Verwalther […] von den zinßen bezahl[t]« wurde, konnten vor allem von den einzuladenden männlichen Tucher hervorgebracht werden. Insofern ist in der anscheinend nur lückenhaft umgesetzten Institution des Tuchermahls eine Handlungsinstrument der Familie zu sehen, dass einen Wechsel des Verwalters oder »nothürfftig«, also erforderlich oder vielversprechend erscheinende Entscheidungen zum Anlass für ein Tuchermahl nehmen konnte. Die dauerhafte Funktion dieses familiären Kontrollmechanismus’ wurde dadurch sichergestellt, dass der Verwalter in Nürnberg leben musste; die Führung der Stiftung liegt bei dem ältesten Tucher, der einen wiedergewählten Verwalter um die Annahme der Wahl bitten solle. Damit war die Führung nicht an eine bestimmte Person gebunden, dennoch konnte die Entscheidungsgewalt eindeutig einem Anwesenden zugesprochen werden. Ähnlich soll auch mit der Verwahrung des Besitzes der Stiftung verfahren werden, denn die Urkunden und Verträge sollen in einer eigens anzuschaffenden Truhe mit zwei Schlössern verwahrt werden, wobei allein die beiden ältesten Tucher je einen Schlüssel erhalten sollten, sofern sie »derselben zeit nit Pfleger oder Einnehmer dießer Zinß seyndt«.748 Man erkennt, dass hier ein auf das ganze Geschlecht bezogener Handlungsrahmen institutionalisiert wird,749 denn die 746 747 748 749

Ebd., unpaginiert. Ebd., fol. 5. Ebd. Bei den Haller existierte eine ähnliche Institution: Die für die Aufbewahrung der Urkunden und Gelder bestimmte eiserne Truhe ist in der Behausung eines in Nürnberg ansässigen Haller oder des Hallerkaplans zu St. Sebald aufzustellen; von den drei verschiedenen Schlüsseln verwahren je einen die Nachkommen des Jobst II., des Wolfgang III. und des Hieronymus II. (d. h. die Nachkommen des gemeinsamen Großvaters Jobst I.). Nach

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Diskontinuitäten in zeitversetzten Vergangenheitsbildern

Dokumente sollten nur mit »der andern Tucher wißen undt willen« hervorgeholt werden; eventuelle Interessenkonflikte einzelner Anwesender oder Funktionsträger der Stiftung, die den Zusammenhalt während der Verhandlungen gefährden könnten, sollten durch Verlassen der Sitzung der einzelnen Person gelöst werden. Um familiären Konflikten vorzubeugen, waren darüber hinaus nahe Verwandte, der Vater oder der Sohn der betreffenden Person, ebenfalls ausgeschlossen. Wohl um den Kreis der Beteiligten und Mitwissenden möglichst gering zu halten, waren ledige Männer – die auch nicht Mitglieder des Inneren Rats Nürnbergs werden konnten – von den Sitzungen der Stiftung ausgeschlossen, bevor der älteste Tucher die Frage an die Teilnehmer zu richten habe, »welcher etwas hab anzubringen der möge das thun«. Diese Frage ermöglichte es den Teilnehmern ihre Bitten zu stellen, zu begründen und dann zur Beratung den Raum zu verlassen; unverheiratete Männer wurden dabei offenbar nicht als nützliche Teilnehmer – vielleicht sogar als Risiko – angesehen, waren Ledige doch noch nicht durch Heirat mit anderen Familien des Patriziats vernetzt. Bestehende familiäre Konflikte konnten während der Familientreffen geschlichtet werden: »Item wo zween oder mehr Tucher miteinander vneins weren, die solln auch alda gegen einander verhört werdten, vndt durch die andern Tucher nieder getruckht, so viel müglich ist.«750 Erst nachdem auf diese Weise die Konflikte wenn nicht gelöst, so doch nach Kräften unterbunden und die Abrechnung der Kosten für das Mahl und Hilfszahlungen erledigt seien, sollten »die Jungen tucher wieder eingelassen werdten«, um die verbleibenden Gelder und Güter der Stiftung angemessen anzulegen.751 Die Entscheidungsfähigkeit der Versammlungen im Rahmen der Stiftung wird durch weitere Regelungen abgesichert. So sollten die Schlüsselinhaber nicht Vater und Sohn oder Brüder sein, »wo man den Wechßel mag gehaben«, d. h. sofern es möglich ist, diese enge verwandtschaftliche Konstellation zu vermeiden.752 Das »Gehaim-Buch« hält neben diesen Regelungen aber auch konkrete Zustiftungen fest, etwa 1523 Martin Tuchers »Wießen bey Steinpühl gelegen« oder 1524 der testamentarisch festgelegte Eingang von 1000 Gulden durch Anton Tucher.753 Die Vereinbarung, nur männlichen Familienmitgliedern zu helfen, war eine erklärte Abweichung von der Holzschuherstiftung, die beim ersten Tuchermahl 1524 prinzipiell beibehalten und teilweise revidiert wird:

750 751 752 753

Aussterben einer oder mehrerer dieser Linien sind andere Haller aus der Linie des Ururgroßvaters Peter III. Haller hinzuzuziehen. Im Conrad-Haller-Buch 1526 (CCH-I, Hallerarchiv Großgründlach, fol. 373) befindet sich eine Notiz diesen Inhalts, für deren freundliche Übermittlung ich Bertold von Haller danke. StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 6. Ebd., fol. 6. Ebd., fol. 7. Ebd.

Die Tucherbücher im Spiegel der Auftraggebergenerationen in der Familienstiftung

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Bey dießem Tuchermahl ist abgeredt vndt beschlossen wordten, Obwohln von Vmbschriebene[r] Ordnung aus der Holzschuer Stifftung gezogen, welche allein zulasset denen Manns Persohnen vmb etwas zu bieten, dz doch sie die gemeine Tucher ihnen, deshalben ein offene hand bevor behalten haben wollten, also ob sich aus ehrhafft begebe, dz ein weibs persohn von den Tucherinnen in der noth auch bieten würdte, dass ihr durch ein mehrers von den tuchern etwas ertheylt were, dass als dann solches auch kräfftig vndt bestendig, vndt [n]izt wieder dieße ordnung oder Stifftung gethan seyn solle[.]754

Während also noch die Organisationsstruktur der Stiftung, durch die Beschränkung auf die volljährigen und im Grunde auch verheirateten Männer des Geschlechts, ein klassischer Diskurseffekt der alteuropäischen Hausväterstruktur zu sein scheint, wirkt die Ausweitung des Stiftungszwecks anders. Den mit Tuchern verheirateten Frauen oder den Tuchertöchtern wird hier die Gleichstellung vor der Familienstiftung zugestanden, mit der Einschränkung der Prüfung ihrer Ehre. Aber schon die Formulierung »Tucherinnen«, die bei Ehepartnerinnen nicht untypisch war, ist eigentlich schon dem gewählten Ausdruck nach eine semantische Integration der Frauen in das Geschlecht der Tucher. Die Frauen werden in den sich in der Stiftungspraxis manifestierenden, geschichtskulturellen ›Zeitkörper‹ integriert. Dies war zwar in Bezeichnungen wie ›die Tucherin‹, ›die Pfinzingin‹ oder analog bei anderen Familien durchaus üblich, jedoch war dies – zumal in Stiftungsakten – nicht ohne Alternativen. Das Kapital der Stiftung stieg schnell, sowohl durch Verzinsung als auch durch Zustiftungen von bspw. 4900 Gulden (1541) auf 7500 Gulden (1549) und 10000 Gulden (1555). Dennoch blieb ein Teil des Vermögens auch mit der Handelsgesellschaft »Leonhardt Tucher und Consorten« verbunden.755 Die Bedeutung der Familienstiftung nahm somit zu, wie auch über die Treffen hinaus immer spürbarer auch in äußeren Zeichen eine Institution dargestellt wurde. Die seit den frühen Sitzungen der Stiftung geltenden Regeln über die Verwahrung von Dokumenten wurde 1552 bekräftigt durch den Kauf einer »eyßerne[n] Truhen mit der Tucher Schildt gemahlt, so 2 schlößer vndt zu einem jeden 2 schlüßel« für weniger als 15 Gulden.756 Damit wird die Handlungsfähigkeit der Stiftung für die Zukunft gesichert. Um diese Zeit wird auch das Kapital der Stiftung aus der Tucherischen Handelsgesellschaft entnommen und auf die Losungstube transferiert, »mit vorwißen vndt bewilligung aller andren Tucher so damals hie geweßen«. Dort wurde das Geld weiterhin mit »5 von hundert« verzinst, unter dem Titel »zue der Tucher mannlichs stam[m]ens vorschickung gehörig eingeschrieben«.757 754 755 756 757

Ebd., fol. 8. Ebd., fol. 19. Ebd., fol. 17. Ebd.

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Diskontinuitäten in zeitversetzten Vergangenheitsbildern

Das »Gehaim-Buch« weist nur wenige erhebliche Fälle von Hilfe auf, so dass der Eindruck entsteht, die Familienstiftung habe bis ca. 1565 auch teilweise den Charakter einer familieninternen ›Versicherung‹ besessen. Der Stiftungszweck, ›Tuchern‹ und »Tucherinnen« in Notlagen zu helfen, erscheint einerseits doch relativ leicht applizierbar, so dass die Zahl der aufgezeichneten Hilfszahlungen eher klein erscheint. Ein Beispiel ist das folgende: [I]st von allen dazumahl allhie verheurathen Tuchern bewilligt wordten, Frantz Tucher, so aus verführung seines mitgesellschafters Lienhardt Thorna in vbermeßige große schuldt gerathen, deswegen er sich dann mit seinen glaubigern hat vertragen müßen, zu einer nothwendigen hülff 2000 [Gulden] zu geben. Vndt wie wohl man vermög dießen vorschickhung Ihme solches vndt sonderlich mit einer solchen stattlichen Sum[me] zu thun nicht schuldig geweßen were, So seyndt ihme doch soliche bewilligte 2000 [Gulden] von Herrn Lienhardt Tucher vndt mitverwanthen bezahlt wordten, in ansehung d[aß] er vnschuldigerweyß in dießen vnfall gerathen [1561, C. K.],758 vndt ihm sein bruder Herr Lazarus Tucher in Antorff zu solcher hülff gleichermaßen 10000 [Gulden] zu geben versprochen hatt, welche er ohne gemelte der Stifftung hülff auch nicht geleystet haben würdt[.]759

Hierdurch wird der Geist des Stiftungshandelns deutlich, der sogar die Grenzen des Stiftungszwecks auslotet und erklärtermaßen übersteigt, wenn dadurch einem Familienmitglied nicht nur Kapital, sondern auch die Ehre und Status zurückgegeben werden können: Das Tucherbuch führt nämlich auch auf, dass Frantz Tucher (1504 – 1587), »der Sibentzehenden Generation […] Son« und selbst »Die Acht vnd Zwaintzigiste Generatio [sic!] der Sibenden Stamlinien« im Jahr 1561 »deß Raths […] entsätzt« worden sei,760 weil sein Mitgesellschafter ihn »vmb Ehr vnd Gueth gebracht hatte/ so vbel anfüehret vnd in grosse Schulden einstecket« habe.761 Solche Begründungen werden bei konkret beschriebenen Zahlungen jedoch selten nötig; als 1561 Thomas Tuchers Wittwe und ihre zwei Töchter 100 Gulden empfangen, weil sie »durch die Liegsaltzen daselbst [sc. in München] in große armuth [ge]kommen« seien,762 wird dies nicht explizit begründet. Nach Martin Tuchers Anfangsbemühungen übernahm Hans XI. Tucher 1524 die Verwalterfunktion, 1536 Wolffgang Tucher, 1551 Sebald Tucher, 1561 Sylvester Tucher,763 seit 1565 Marx (sc. Marcus) Tucher,764 worauf Herdegen und Endres folgten. Die Arbeit der Familienstiftung widmet sich während des 758 759 760 761 762 763 764

GTB, fol. 130v. StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 21. Ebd., fol. 140r. GTB, fol. 140v. StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 22. Ebd., fol. 21. Ebd., fol. 24.

Die Tucherbücher im Spiegel der Auftraggebergenerationen in der Familienstiftung

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sechsten »Tuchermahl[s]« 1565 nicht mehr allein ihrem sozialen Zweck, sondern geschichtskulturellen Interessen des Geschlechts. Das Treffen fand »in Jacob Tuchers behaußung am Milchmarck[t]« statt, wobei es sich wahrscheinlich um einen familiengeschichtlich besonders stark mit präsentierten ›Erinnerungen‹ verbundenen Ort handelt, hatte doch bereits Bertholdt Tucher im 14. Jahrhundert in seinem Haus am Milchmarkt765 einem familiengeschichtlich bedeutsamen Münzorakel Folge geleistet und als damals letzter lebender Tucher – in fortgeschrittenem Alter – wieder geheiratet.766 Das dort stattfindende Treffen hat den Wechsel des Stiftungsverwalters zur Folge, Marx Tucher (1532 – 1574), im Tucherbuch Marcus Tucher genannt, übernahm die Verwaltung; dazu das Tucherbuch: Herr Marcus Tucher Der Ander diß Namens No. 129 Ieronimi Tuchers/ der Neun vnd Zwaintzigisten generation vnd Katharina ImHoff/ Sohn […] Nam den Neuntzehenden Octobris/ Anno 1565 die Verwaltung der Tucherstifftung an[.]767

Unter seinem Vorsitz fandt der erste Beschluss statt, der nicht nur den wichtigsten Teil der familiären Geschichtskultur, die Geschichtsschreibung, betraf und tendenziell für mehrere Jahrzehnte prägte. Bei dieser Sitzung war Leonhart Tucher noch anwesend, »sambt seinen 4 Söhnen Paulus, Gabriel, Herdegen vndt Levinus die Tuchern«. Leonhart Tucher war das älteste anwesende Mitglied, jedoch wurde ihm keiner der zu vergebenden drei Schlüssel anvertraut,768 sondern dem der Familienstiftung für die Hilfszahlung und Ehrenrettung zu Dank verpflichteten, 1504 geborenen Franz Tucher sowie Jacob Tucher (1498 – 1568), letzterer im Tucherbuch als »Die Dreyssigiste Generatio der Sibenden Stamlinien« bezeichnet sowie hinsichtlich seines Wohnsitzes in der »Altvätterliche[n] behaussung am Milchmarckt« charakterisiert.769 Alle anderen Anwesenden waren um das erste Drittel des 16. Jahrhunderts geboren: Tobias Tucher (1534 – 1590) »Drej vnd Viertzigiste Generatio der Achten Stamlinien«;770 Adam Tucher (1536 – 1575) »Die Acht vnd

765 Bei dem Tucherschen Haus am Milchmarkt handelt es sich um das Anwesen AlbrechtDürer-Platz 11, vgl. Fritz Traugott Schulz, Nürnbergs Bürgerhäuser und ihre Ausstattung, Wien/Leipzig 1933, 54 f. 766 Vgl. dazu 3.3.2 w. u. 767 GTB, fol. 186v. 768 Für das Jahr 1567 wird Leonhart Tucher wegen »alter vndt schwachheit […] seins leibs« als nicht anwesend vermerkt, so dass er möglicherweise schon beim »Tuchermahl« 1565 möglicherweise nicht konsequent nach dem Alterskriterium berücksichtigt wurde. StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 27. 769 GTB, fol. 146v. 770 Ebd., fol. 188v.

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dreyssigst Generatio der Achtn [sic!] Staml[inie]«;771 Christoff Tucher (1540 – 1603) »Die Fünff vnd Viertzigist Generation der Achten Staml[inie]«.772 Alle Teilnehmer waren also je eine »Generation« im Sinne des Tucherbuchs in seiner Fassung von 1590. Es nahmen ausschließlich verheiratete Tucherväter an den Verhandlungen im engeren Sinne teil, was ein Zeichen dafür ist, dass konkret in der familiären Zusammensetzung wie auch symbolisch mit der Geschichtskultur Kontinuität erzeugt werden sollte; diese Tendenz lässt sich gerade an dem 1565 teilnehmenden, noch unverheirateten Christoff Tucher ablesen.773 Sein Vater war nur wenige Wochen vor der Geburt 1540 verstorben, woraufhin Christoff 1551 oder später »zu seines Vatter seeligen Brüdern geschickt worden, die haben Ihne nachmals Anno 1555 in Franckreich nach Vienna […] die Sprach zulernnen verschickt«, so dass Christoff nach Stationen in Ungarn Kammerdiener »Konig Carols des Neunten Cammerdiener« werden konnte. Der im Tucherbuch nicht explizit erwähnte Einfluss der Tucherstiftung war spürbar durch die Nachfolgefrage des Bruders des Vaters von Christoff Tucher : »Aber auff seines vettern vnnd Vatters Brudern Siluester Tuchers/ mehrmals zuschreiben vnd ermahnen/ sich heraus zu Ihme zubegeben/ dann er schwach vnd Alt/ auch kein Leibeserben nicht hette/ gedacht Ihne auff sein absterbn zu Instituirn vnd eintzusetzen«, woraufhin Christoff Tucher vor 1567 nach Nürnberg zurückkehrte und durch die ›Erzeugung‹ von acht Kindern »Die Fünff vnd Viertzigist Generatio der Achten Staml[inie]« konstituiert.774 Eine ähnliche durch die Familieninteressen geleitete Vorgehensweise findet sich auch bei Adam Tucher, der nach dem Tod seines Bruders Martin, damals Verwalter der Familienstiftung, der einzige Sohn war, dass er 1555 »anhaimbs« befohlen wurde; nach seiner Rückkehr wird er der familiären Kontinuitätsstrategie insofern unterstellt, als man »verheyratt Ihne« mit Anna Tetzel, mit der er Nachkommen erzeugte, woraufhin er mit »lust und delectatio« sein Leben verbrachte, »Rhuelich, aller Empter vnd handelsgeschefft vnbeladen«, und »auff S. Johannis Gottesacker bey seinen Eltern begraben«.775 Die – Generationen einer Familie übergreifende – Kontinuität wird hier noch durch die Nennung der Grabstätte verdeutlicht, vor allem aber verfolgten die Tucher das Ziel, durch ›Beweibung‹ und ›Verheiratung‹ der jungen Männer die Kontinuität der Tucher vor Ort sicherzustellen. Unter dieses Ziel ordnen sich die beschlossenen Maßnahmen einerseits unter, 771 Ebd., fol. 172v. 772 Ebd., fol. 198v. 773 Tatsächlich hat auch Tobias erst 1566 geheiratet, jedoch war eine Partnerwahl wie diese, nämlich »Frawen Katharina/ Herrn Endreß Imhoff/ Eltisten Lossungherrn […] Tochter«, mit Sicherheit bereits im Vorfeld vereinbart, vgl. ebd., fol. 188v. 774 Ebd., fol. 198v. 775 Ebd., fol. 172v.

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andererseits verleihen sie ihm auch eine repräsentative Ausgestaltung. Im Mittelpunkt steht die bereits genannte Festlegung, »dass man forthin die haubtbücher, Schultbrieff, vndt was zur dießen Stifftung gehört […] in eine eyßerne Truhen soll legen« und die drei Schlüssel Jacob Tucher, Frantz Tucher sowie »dem Verwalther« geben werde. Somit werden die nach Leonhart Tucher zwei ältesten anwesenden Tucher zur Kontrolle des Vermögens gemeinsam mit deren Verwalter herangezogen, wird Stiftungseigentum gesichert. Ein zweiter Beschluss betrifft die eher symbolische Repräsentation der familiären Kontinuität in der Form von Geschichtsschreibung: Zum andren ist Marx Tucher, als verwalther auch befohlen wordten, ein ordentlich Tucherbuch von vnßers geschlechts nahmen vndt Stam[m]en mit allen wappen gemahlt, auff der Stiftung Costen von Pergamen[t] machen zu laßen, das hat man Jacob vndt Frantz Tucher, ihme Marx Tucher darinnen verhülfflich zu seyn erbetten hatt[.]776

Die »ein ordentlich Tucherbuch« betreffende Notiz erfolgt erst an zweiter Stelle nach der Regelung der Urkundenverwahrung, was die Interessenrangfolge um 1565 ausgedrückt haben könnte. Grund dafür könnte gewesen sein, dass zu dieser Zeit bereits ein mit Wappen illustriertes Geschlechterbuch vorlag,777 das sogar über 1542 hinausreichende Einträge enthält und somit noch recht aktuell erscheinen hätte müssen. Dann bleibt nur zu vermuten, dass die Motivation in der inneren und äußeren Gestaltung – »ordenlich«, »allen wappen gemahlt«, »von Pergamen[t]« – gelegen haben muss. Zwar sind die nach 1565 und vor 1590 entstandenen bislang bekannten Familiengeschichten allesamt Papierhandschriften, darunter auch nichtillustrierte, jedoch muss die Absichtserklärung, zukünftig das höherwertige Material zu verwenden, in diesem Beschluss zur Kenntnis genommen werden. Die Forderung, »ein ordenlich Tucherbuch« sei herzustellen, ist erklärungsbedürftig. Scheurl hatte sein Werk bereits 1542 ein »tucherbuch« genannt, mithin ein Beispiel aus der Kategorie der üblichen Geschlechterbücher, das aber darüber hinaus auch ein »Cronica« sein wolle. Obwohl Scheurl bereits 23 Jahre zuvor das Wort »tucherbuch« benutzt hatte, bezieht sich die Formulierung »ein ordentlich Tucherbuch« aber nicht notwendig kritisch auf jenes (bereits vorliegende) »Tucherbuch«, das durch dieses neue, ›ordentliche‹ zu ersetzen sei. Im Sprachgebrauch der Frühneuhochdeutschen konnte »ordenlich« nicht nur die Struktur bezeichnen, sondern auch die Vollständigkeit und Richtigkeit des Dargestellten.778 Allerdings ist im Frühneuhochdeutschen auch dasjenige »or776 StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 24. 777 Tucherbuch Rom. 778 »Historia / Ein ordenlich geschicht / da alle vmbstend gemeldet werden.«, oder: »Catalogus. Ein ordenlich erzelung / ein register.«, vgl. Dasypodius’ Dictionarium Latinogermanicum / Petrus Dasypodius. – 2007 Permalink: http://diglib.hab.de/edoc/ed000008/start.htm.

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denlich«, das gleichermaßen regelgemäß und/oder legitim ist;779 »ordenlich« bezeichnet also eine Anpassung an einen geänderten familiengeschichtlichen Stil oder an veränderte, damit verfolgte Interessen, wie im Vergleich der verschiedenen überlieferten Fassungen überprüft werden soll. Möglicherweise steht auch das dritte beim »Tuchermahl« 1565 besprochene Ziel mit der Neugestaltung der Geschichtsschreibung in Beziehung. Die Anlage des Stiftungskapitals in der Firma von Leonhart Tucher, die inzwischen auf 5100 Gulden angewachsen war, und »daselbst Zw 5 Proc[ent] das Jahr auff verzinßung« liege, solle zukünftig flexibler eingesetzt werden können. Da dieses Geld immer mehr zunehme und die Firma eine Entnahme vielleicht nicht zu jedem Zeitpunkt leisten könne, so legt der Text die Überlegung dar, sollte das Geld gewinnbringender in Immobilien investiert werden; wenn einer der Tucher von einer günstigen Gelegenheit zum Ankauf erführe, solle er es den anderen sagen: [V]ndt [weil] sich die Sum[men] je lenger je mehr mehren thunt, vndt gedachten Herrn gelegenlich nicht seyn mochte, so große sum[men] in die l[a]ng läng[sic!] auff verzinßung zuebehalten, dass wofern Einem oder dem andern was zu stünde, so zu verkauffen were, er daßelbige den andern anZeigen wollte/ damit man solch gelt oder ein theyl darvon an gute liegente gütter möchte anlegen[.]780

Einerseits könnte es sich um eine der Situationen in der Familienstiftung gehandelt haben, bei denen Streitigkeiten im Einvernehmen aller Teilnehmer gelöst werden sollten. Hinter der rücksichtsvoll wirkenden Beachtung der Interessen der Firma des 1565 bereits greisen Leonhart könnten auch andere Gründe versteckt worden seien, etwa neue lebensstilbezogene Prioritäten außerhalb des Handels. Dafür würde auch sprechen, dass die Familienstiftung während des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts eine große Zahl von Grundstücken, Gütern, Aktivlehen und 1598 das Rittergut Simmelsdorf von der Adelsfamilie Türriegel angekauft wurden.781 Man kann darin eine zeittypische Doppelmotivation erkennen, nämlich sowohl dauerhaft sichere Geldanlagen zu gewinnen als auch den eigenen Status, durch die Aneignung von Rittergütern die Fähigkeit zum Konnubium mit dem Adel zu erhöhen. Ein Schnittpunkt dieser und verschiedener anderer aufgezeichneter Stif779 »Ein ordenliche weiß die geperden zu˚ furen. Von welcher die Rethores lerend.«; »Construo / Jch ordne zu˚mal / fug ordenlich zu˚samme¯.«, vgl. Ebd. 780 Verzeichnus Wass denen Verwalthern der Tucherischen Stifftung zu ihren Jährlichen besoldung vndt Recompens wegen ihrer Laborum geben worden ist. Extracttus Auss dem Alten Tucherischen Gült- vndt Zinß Buch, StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 25 – 26. 781 Für diese Feststellung liefert quellennah Belege Schwemmer, Dr. Lorenz Tucher, 135 f. Das »Gehaim-Buch« enthält in der Folge der Grundsatzentscheidung auch eine Reihe von Belegen für den Ankauf von Grundstücken, vgl. StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 28 – 30. Die Erwerbung von Simmelsdorf schildert ausführlich Volker Alberti, Die Herrschaft Simmelsdorf (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft 41), Simmelsdorf 1995, 55 – 57.

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tungsaktivitäten scheint die öffentliche Repräsentation der Familie gewesen zu sein. So wird eine neue »Totentaffel in St Sebald« für 154 Gulden in Auftrag gegeben,782 die einige Jahrzehnte später offenbar zu Archivierungszwecken – wahrscheinlich da sie inzwischen ergänzt worden war – abgeschrieben wurde. Die gebotenen Informationen lassen nur vermuten, ob beim »Achte[n] Tuchermahl« 1569 eine Neufassung des Tucherbuchs Gegenstand der Beratungen war. In jedem Falle beginnen die weiter unten ausführlich – mit Blick auf die Gedächtnisbildung – wiedergegebenen Stiftungsaufzeichnungen zum »TucherBuch« erst im Jahr 1574. Aber auch vorherige Treffen müssen intensive Verhandlungen gebracht haben, wird doch 1572 der Verwalter Marcus Tucher wegen »seiner mühewaltung in der verwaltung dießer der Tucher Stifftung« belohnt, denn er erhält eine »silberne vergulde scheuren [sc. Becher]« mit einer Abbildung des Tucherwappens, die insgesamt 75 Gulden gekostet hatte.783 Zu der intensiven Beschäftigung mag auch beigetragen haben, dass die Ordnung offenbar nicht in überpersönlicher Weise festgehalten, sondern nach dem Tod eines Verwalters immer wieder Gegenstand neuer Aushandlungen wurde. Nach dem Tod von Marcus Tucher schlägt Paulus Tucher 1573 ein neues Vorgehen vor : Darauff vndt ehe man zue der wahl eines neuen verwalthers geschritten, hatt Paulus Tucher erinnert, weilen ihre Vorfahren vndt sie zum theyl, so noch in leben, wohlbedächtig versehen, d[a]z ein verwalther die briefflichen Vrkunden nicht allein in versper[r], sondern in alleweg zwey andere als die Eltiste[n] ein ieglicher ein besondern schlüßel dar zw haben solle, damit keiner ohne vorwißen oder beyseyn des andern zu solchen brifflichen Vrkunden vndt geschrifften könnte, man zuförderst davon zureden hatte[.]784

Nachdem die vertrauens- und gruppenstabilisierende Praxis, Dokumente und Rechtstitel nur gemeinsam einzusehen, offenbar erst wieder eingesetzt wurde, ist Tobias Tucher zum neuen Verwalter der Stiftung erklärt und einige Neuerungen in der Verwaltungsstruktur eingeführt worden: Die Abrechnung sei jetzt unbedingt jährlich zu erledigen und den »zweyn Eltisten Tuchern, so verheyrathet seyn« bereits vor einem Treffen vorzulegen; allein die darauf folgende »gute mahlzeit« steht auch den unverheirateten Tucher frei, allerdings werden sie hierzu nicht lediglich eingeladen, sondern »erfordter[t]«. Während des Mahles dürfen nur diejenigen unverheirateten und 18-jährigen alten Tucher Einblick in die Abrechnung erhalten, die »bey ihrn mannbahren Jahren« sind. In der Sprache des Tucherbuchs bedeutet das, dass allein diejenigen Tucher beteiligt wurden, die in der Struktur der Familiengeschichtsschreibung »Generation« bereits waren oder potentiell sein könnten. Diese Gruppe wird hier zum ei782 StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 30. 783 Ebd., fol. 33. 784 Ebd., fol. 35.

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gentlichen Handlungsorgan erhoben, denn der Stiftungsverwalter musste die Versammlung verlassen und die Stiftung qua Familie handelt. Ein weiterer Beschluss betrifft die Gewinnträchtigkeit der neuerworbenen Güter, auf denen »die Vnterthanen in die pflicht« genommen werden sollen, um so die »güter […] in einen rechten Werth bekom[m]en könne«.785 Auch am 14. Oktober 1574 finden sich weitere Notizen zu den Liegenschaften und deren Bewirtschaftung, teilweise Verabredungen, teilweise aber auch Ausgaben; darunter erfolgt ein Hinweis auf die Familiengeschichtsschreibung: »dieweil Hannß Mackh mit dem tucherbuch, auch mit kauffung etlicher Zinß viel mühe vndt arbeit gehabt, d[a]z man ihm 60 [Gulden] verehrt, vndt seinem sohn 2 Gulden geb[e]n soll«.786 Daran fällt auf, dass das Tucherbuch im Zusammenhang mit dem Erwerb von Landgütern auftaucht. Die Absichten dieser Ausgaben können unterschiedlich interpretiert werden, während manche Zahlungen der Familienstiftung konkretere Bewertungen zulassen. Die Gründung der Universität Altdorf wird als ein Projekt dargestellt, an dem sich die Tucher erklärtermaßen nicht aus hehren Gründen allein beteiligten. Beweggrund war den internen Unterlagen zufolge die Herstellung der Vergleichbarkeit mit dem Engagement anderer Patriziergeschlechter : [E]tliche der fürnembsten Erbaren geschlecht, etliche gemächer in der schuel zue Altdorff haben bauen laßen, d[a]z man auch 2 stüblein alda wegen vnßerst Stam[m]ens vndt nahmens gleich andern täffeln laßen vndt Paulus Tucher die weilen solche gesehen, es dem Pfleger Bernhardt Paumgärtner befehln soll[.]787

Diese Begründung, man stehe unter Zugzwang und müsse es den anderen Patriziergeschlechtern gleichtun, zeigt die Ehrökonomie des Stiftens an: Bei einem früheren Beschluss hatte die Familienstiftung noch von höheren Zahlungen ausdrücklich abgesehen und nur eine kleine und regelmäßige Gabe beschlossen.788 Die Tucher wollten also prinzipiell beteiligt sein um die eigene Sichtbarkeit sicherzustellen. Die familiäre Repräsentation hatte ein System ausgebildet, das die Familien einerseits unter Zugzwang stellte, andererseits auch auf einem Gruppenbewusstsein beruhte. Das Gefühl, zum Patriziat zu gehören und sich in dessen Rahmen kompetitiv und anschlussfähig zugleich zu positionieren, scheint den Wettbewerb auf graduelle Überbietungsabsichten beschränkt zu haben. Einerseits wurde Repräsentation also durch ökonomische Sachzwänge 785 Ebd., fol. 37. 786 Ebd., fol. 38. 787 Ebd., fol. 38. Zur exemplarischen, auch quantitativen Dimensionierung der Geschichtsschreibung der »fürnembsten Erbaren geschlecht« vgl. Bock, Familiengeschichtsschreibung, 123. 788 Schwemmer, Dr. Lorenz Tucher, 136. Die jährlich zu zahlenden 50 Gulden wurden 1576 erstmals gezahlt, zusammen mit 100 Gulden für die nunmehr »Käm[m]erlein« genannten Räume, vgl. StadtAN E 29/II Nr. 1161, fol. 40.

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beschränkt, andererseits mussten geschichtskulturelle Innovationen auch Rücksicht auf den Zusammenhang der sozialen Gruppe und der in ihr üblichen Repräsentation nehmen. Die Spielräume der Gestaltung lassen sich aus den verzeichneten Überlegungen und konkreten Zahlungen für die Herstellung ›des‹– die Reihe der Tucherbücher abschließenden – Tucherbuchs ab 1574 ablesen.

3.1.2 »Der Tucher willen und verordnung« an der Wende zum 17. Jahrhundert. Geschichtskulturelle Überbietungsabsicht, Lebensstilreflexion und Apokalyptik Die Stiftungsaktivität nimmt die Neubearbeitung des Tucherbuchs um 1590 erneut auf, nachdem der bereits 1565 erfolgte Anlauf ohne eine pergamentene Fassung verhallt war. Überhaupt lässt sich die Bitte Tobias Tuchers in einem Rechnungsbuch der Familienstiftung zum Jahr 1588, ihm einen »von wegen meiner Schwachheit und sonst mit andern Geschäften auch beladen […] insonderheit dieweil si[ch] täglich die Händel häuffen, auch von wegen deß Tucher Buchs und anders mir ist von obgemelten Tuchern bewilligt, mir noch einen Zum Beystand zuzuordnen«,789 als ein Zeichen intensivierter Stiftungsaktivität verstehen. Auch die Ziele der Stiftung scheinen sich in dieser Zeit präzisiert zu haben, denn als am 16. Oktober Paulus Tucher aus Antwerpen darum bittet, ihm 800 Gulden zu leihen, wird sein Anliegen abgelehnt. Ihm waren bereits bei früherer Gelegenheit 1200 Gulden ausgezahlt worden, so dass eine erneute Zahlung ohne die Angabe von Sicherheiten nicht im Interesse der Stiftung liege, »sich solches der Stiftung halben nicht wohl verantwortten lest«.790 Neben dem wirtschaftlichen Kern, Sicherheiten für Kredite zu verlangen, scheint sich immer stärker auch die strategische Zielsetzung der Familienstiftung etabliert zu haben. Dafür spricht auch, dass die Ergebnisse der Sitzungen vom 26. September und vom 16. Oktober 1588 zusammengefasst wurden, somit lässt sich eine gewisse Nähe vermuten: Nach einer Reihe von Fragen, die Einzelheiten der Rechnungslegung durch den Verwalter betreffen, wird am Ende in aller Kürze und ohne Einzelheiten zu nennen das Tucherbuch erwähnt: »Das Tucherbuch soll man in ein rechte Ordnung bringen auch einen Arborem darein machen lassen.«791 Mag u. a. diese Aufgabe Tobias Tucher wirklich sehr in An789 Rechnungsbuch der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung, StadtAN E 29/III Nr. 161, fol. 15r (zu 26. September 1588). Der hier herangezogene Abschnitt trägt den Titel »Was zu ieder Rechnung[slegung] geordnet oder erlassen wirdt«, jedoch sind die Einträge retrospektiv erfolgt. 790 Ebd., fol. 15v. 791 Ebd., fol. 16v.

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spruch genommen haben oder nicht, die Tucher waren jedenfalls am 14. November 1589 bereit, ihm über das »Trinckgeschirr« hinaus, das aus seiner Sicht die Mühen nicht hinreichend kompensierte, er sich also »nicht will sättigen laßen«, weitere Güter »zuverEhren«.792 Die Forderung und ihre Erfüllung bestätigen gleichermaßen die zunehmend geschichtskulturelle Ausrichtung der Familienstiftung, wie folgende Maßnahmen anzeigen. In der Lorenzkirche werden »Sieben Manns Stühl« in Auftrag gegeben, wobei die Qualität der Ausführungen und zugleich der Preis genauestens im Blick behalten werden: »[D]er Heinrich Behaim, Schreiner 50 Gulden darvon Zumachen fordert, soll man mit ihm derwegen abkom[m]en, das solche auf d[a]z fleißigste gemacht werden die Seuhlen glatt vnd die Wappen daran, wie die Jenige bey St. Sebald, an formb sein, gut von Holz […] Gleichesfalls der Fenster halbn, in obgedachter Kirchen, soll man die ieztmahls schmelzen laßen, und auf Künftigen Frühling die Fenster machen.«793 Fragen, die die Verwendung des Stiftungsvermögens betreffen, fließen mit Fragen zu Stiftungen, der Geschichtskultur in den Kirchen und der Entscheidungsbefugnis innerhalb der Stiftung zusammen. Der Prozess der Institutionalisierung des gedächtnisorientierten Stiftungszwecks schreitet dabei weiter fort, denn es werden Lösungen für Entscheidungsprobleme gesucht, die das Problem des Todes des ältesten Tucher betreffen, weil bei ihm das Tucherbuch aufbewahrt werden sollte. Offenbar wurde dem jeweils ältesten Tucher zwar weiterhin eine herausragende Rolle zugestanden, jedoch wurde die Verantwortung auf die drei ältesten Tucher verteilt, so dass einerseits Kontinuität, aber auch Kontrolle in Benutzung und Herstellung – wohl auch wegen posthum erfolgender Einträge – gewährleistet waren:794 Den 26. Novembris 1597 […] unter andern auch abgeredt und beschlossen worden, das hinfüran, d[a]z Tucher-Buch, der Arborum, und was demselben anhängig und zugehörig, in deß ältesten Tuchers verwahrung zubehaltten, und da ins kunftig ein Tucher

792 Ebd. 793 Ebd., fol. 17r. 794 Die Kontinuitäts- und Kapitalsicherung konnte beim Tod des Ältesten, oder aber auch beim Tod mehrerer Ältester zum praktischen Problem werden, wie 1633. Damals waren die zwei Ältesten verstorben, Philipp Jacob Tucher und Thomas Tucher. Bisher seien die »Rechnungen, den Elltesten Dreyen vorgelegt, und also Secreto gehalten worden«; aus diesem Grund vermerkt der letzte in die Verwaltung der Stiftung eingeweihte Tucher, »hat mich für Rathsamb angesehen, eüch iezo noch vorhandene Herren Brüder Und Vettern sam[m]entlich Umb allen Ungleichen gedencken vor zu sein, Alle bschaffenheit Unserer Stifftung zu offenbahren, […] um auch eine wißenschaft zubekom[m]en, weil ich bey Zimblichen Alter, […] es hat auch sonst den Verstand gar nit, d[a]z eben der Elltiste solche verwaltung haben soll oder mus Sonder welche man hierzu am qualificirte[ste]n achtet«, Ebd., fol. 24v.

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mit Tod würde abgehen, was derowegen und sonst darein geschrieben vnd gemahlet soll werden, d[a]z solches mit vorwissen der ältesten Dreyen Tucher soll geschehen[.]795

Auf diese Weise wird die Geschichtskultur insgesamt, besonders aber das Tucherbuch zu einem generationenübergreifenden Projekt. Die Familiengeschichtsschreibung wird hinsichtlich der Verantwortung den rechtsverbindlichen Urkunden gleichgestellt, und tendenziell häufiger an Experten delegiert. Für eine Diskussion der Gattungszugehörigkeit sind diese Faktoren bislang noch nicht hinreichend berücksichtigt worden, was einerseits an der Disparatheit des bekannten Materials liegt, andererseits aber auch daran, dass der Erschließungsgrad des in Frage kommenden Materials bislang eigentlich nicht für Gattungsthesen hinreicht: Im Familienarchiv der Ebner tauchte vor einigen Jahrzehnten eine Familiengeschichte der Familie Hertz auf, die aber bis auf wenige Faksimiles nicht rezipiert wurde, obwohl die ikonographische Darstellung der des Tucherbuchs sehr nahe kommt.796 Andere bekannte und zugängliche Quellen werden durch Arbeiten des 19. Jahrhunderts, etwa in den »Chroniken der deutschen Städte«, eigentlich eher verstellt, so dass das Desiderat einer Quellendiskussion nach – dafür zu erhebenden – funktionalen Eigenschaften, intertextuellen und kunsthandwerklichen Beziehungen zwischen Geschlechterbüchern derzeit noch nicht zu erbringen ist. Allerdings sind Überlegungen zur Vergesellschaftung und dem intendierten Zeithorizont der Geschichtsschreibung zwischen den Polen individueller Autobiographie und generationenübergreifendem Gedächtnis unverzichtbar. Die Zukunftsorientierung der Familiengeschichtsschreibung findet im Spiegel des Herstellungsprozesses auch eine Unterstützung oder mittelbare Fortsetzung in anderen ›Medien‹ der materiellen Kultur. Die herausgehobene Stellung, die Wappenabbildungen im Tucherbuch einnahmen, besonders die ganzseitige Darstellung des Tucherschen Wappens,797 wird in einer familiären Perlenkrone intermedial aufgegriffen und im frühen 17. Jahrhundert für den frühneuzeitlichen sozialen Raum der Hochzeiten bereitgestellt. Prinzipiell mögen viele Gegenstände mit dem Tucherschen Wappen hergestellt worden sein, die eventuell auch nicht in den Stiftungsunterlagen auftauchten, jedoch zeigt die Reglementierung, dass die Perlenkrone möglicherweise kompensatorisch in den Prozess der Familiengeschichtsschreibung integriert wurde. Das Tucherbuch in der 1590er Fassung berücksichtigte die Töchter in einer gewissen Abstufung und unterlegte damit der Familiengeschichtsschreibung ein vorder795 Ebd., fol. 17v. 796 M. W. zuerst abgebildet in Hirschmann, 600 Jahre Genealogie in Nürnberg, unpaginiert. Die maßgebliche Beschreibung bei Solleder, Begegnung mit Veit Stoß, Abbildungen in Veit, Cor humanum, vgl. w.u. 797 GTB, fol. 24r.

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gründig männlich konnotiertes Modell von ›Generation‹. Die »Perline Cron« und der »Perlein Crantz« werden mit besonders großem Aufwand bedacht, sowohl was die Sicherung der kommemorativen Funktion sowohl durch die Qualität der Herstellung betraf. Besonders der repräsentative Gebrauch im Sinne des gesamtfamiliären Willens in Bezug auf die Ehre des Geschlechts, den Nutzen der Nachkommen und »guter gedächtnus«, dem dieser Brautschmuck »möge ewiglich vorbehaltten werden«, finden eingehende Beachtung. Der eindringliche Abschnitt soll in ganzer Länge wiedergegeben werden: Dem Tucher Geschlecht zu Ehren, und allen Tucherischen Nachkom[m]en Zum besten Ein schöne Perline Cron, wie die Bräuth allhier Zutragen pflegen, wie auch einen Perlein Crantz, und Zu solchem ieder sein Haarband und zugehörung machen Zulassen Und derowegen Tobias Tuchers seel. Hinterlaßne Wittib zuerbitten, Daß Sie solche mühe und verrichtung uff sich nehme, und mit Rath und gutachten Herrn Christophen und Lienhart der Tuchere Haus frawen, alß an solchem allen kein gebührende notturft erspahrt, nicht Plazwerck sondern alls bestendig weehrhafft und Zierlich gemacht werde, Damit eß dem Geschlecht Zu Ehren und guter gedächtnus möge ewiglich vorbehaltten werden. Und soll hernacher solche Cron, Crantz Haarbänder und Zugehörung uff gut achten der ältesten Tucher iederzeit einer unter de[n] Tucherin[nen] zugestellt und Zutrewen Handen Überantwortt werden, Die solches alles in ihrer verwahrung und versperr habe und ohne vorwissen der Eltisten Tucher nit herausgebe, Auch niemand verleyhe, Denn einer gebornen Tucherin, und derselben Eheleiblichen Töchtern, Auch eines Tuchers Braut oder verlobten, außer denen soll Sie für sich selbsten ichtwas, was das sey, davon zuverleyhen nit macht haben, […] [bei Zuwiderhandlung im Verleih] sollen Sie die Eltisten Tucher verpflicht sein, alles von derselben wieder abzufordern, und einer andern, die der Tucher willen und verordnung besser nachkom[m]en und in Acht nehme, zu überantwortten[.]798

»Der Tucher willen« ist offenbar ein männliches Agens. Die von den ältesten Tucher ausgewählte Frau führt den Auftrag des männlichen Familienkollektivs aus. Der Auftrag betrifft alle diejenigen Frauen, die in der Familiengeschichtsschreibung bislang auch noch gebührend berücksichtigt wurden, jedoch im Tucherbuch in seiner Prachtfassung 1590 ausgeblendet werden. Denn die Krone wird nicht als Schmuck im Sinne von auffälligem Konsum, sondern als ein Medium der Verherrlichung des Geschlechts im Rahmen eines sozialen Reproduktionsmechanismus konzipiert. Diese Absichten müssen auch dann ernst genommen werden, wenn sie nicht wie geplant umgesetzt wurden; bemerkenswert daran bleibt, dass schon der eigentlich gescheiterte Plan in die Unterlagen aufgenommen wurde, vor allem aber, dass das Projekt später wieder aufgenommen wird, wie nach 24 Jahren ein Nachtrag auf dem Seitenrand zeigt:

798 StadtAN E 29/III Nr. 161, fol. 17v-18r.

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Ist nichts daraus [geworden] und wieder eingestellt worden, Und […] vermög Anthoni Tuchers Rechnung Ao. 1632 ein dergleichen Cron erkauft worden, welche er in seiner verwahrung haben und niemand außer deß Geschlechts wie specificirt verleyhen soll[.]799

Untersucht man jedoch die Stiftungshandlungen als ein Instrument der Willensbildung der Tucher, so treten neben den Absichten und Gegenständen auch Zeichen einer Mentalität auf, die nicht durch die Zweckrationalität einer Geschichtskultur im Rahmen der Nürnberger Familiengeschichtsschreibung allein zu verstehen sind. Bei der Verteilung des Stiftungskapitals wurde mit dem Ende der Welt als einer realen Gefahr argumentiert, wobei die bisher verfolgten geschichtskulturellen Stiftungszwecke mit einbezogen wurden. Es sei »allerley Reden […] erschollen«, das Stiftungskapital sei »niemand nutz […] Und mueße als ein Verborgener Schaz mit der Weltt untergehen«. Im Kontext der Stiftungsaufzeichnungen sollte diese Aussage nicht als zynische Distanzierung abgetan werden, als die die Äußerung sonst durchaus denkbar wäre. Die Holzschuher-Stiftung habe aus ähnlichen Erwägungen ihre Stiftungspraxis geändert und regelmäßig Kapital an die Mitglieder ausgezahlt. Wurde das familiäre Gedächtnis auch kontinuierlich gepflegt, so ist bei aller Kontinuität doch auch festzustellen, dass die Bedeutung der Familienstiftung zurückgegangen sein muss. Seit 1610 hatte kein Treffen mehr stattgefunden, das übliche Procedere mit Rechnungspräsentation durchzuführen, war zwar »von Unsern vielgeliebten VorElltern seel. […] zu Ehr und aufnehmung deß ganzen Geschlechts angesehen, und verordnet […] worden«, jedoch 1615 »aus allerley verhinderung nu[n]mehr in das 7. Jahr kein allgemeine sämptliche Zusam[m]enkunft gehalten« worden. Offenbar hatten nur besondere Anstregungen der ältesten Tucher dazu geführt, dass es wieder eine Vollversammlung, »säm[m]ptlichen Zusam[m]enkunft« geben konnte. Die ältesten hatten offenbar in Briefen die vertrauensvolle Praxis der Ahnen beschworen, »Unserer lieben VorElltern seel. Gute Treüherzige wohlmeynung und damit auch unter uns selbsten gute verträulich Correspondenz und Zuneigung gepflanzet, und langwührig erhalten werden möge, erinnerung gethan«.800 Die Aufzeichnungen gehen von einem sicheren Weltende aus, was im Lichte der Textgattung der Stiftungsrechnung keine rein topische Formulierung ist. Man habe »ein stattliches erspahrt Und an hauptguth, als liegenden Güttern auf dem Landt Aigenschafften, und angelegten geldern, in dieser Statt angewießen und an Unterschidtlichen orthen angelegt worden«, von dem »unter unß keine nothhülff davon […] ieziger Zeit und viel Jahr her begeben«. Diese Kapitalfülle mag auch ein Grund für Veränderungen gewesen sein, jedoch zeigen die Re799 Ebd., fol. 17v. 800 Ebd., fol. 19r-20r.

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flexionen darüber hinaus theologische Erwägungen für die Frage, ob »Wohl ichtw[a]z unter die Tucher könne ausgetheilt, und nicht wie eß den laut hat, mit der weltt müsse untergehen«. Eine Auszahlung sollte erfolgen »allen verheyratheten und Unverheyratheten Alt und Jungen Tuchern, so Bürger allhie sein, und einem ieden besonders, soviel Jahr Er alt, so viel gulden zu […] geben und zu haus schicken soll, Damit ein ieder Ursach habe, dem Allmechtigen Gott für solchen Gnaden Reichen Seegen zu Dancken, und ferners darumb zubitten, dabey auch ein ieder für sich den Armen und deß Allmos[e]n geben zuerinnern selber wißen wirdt«.801 Aus dem nahenden Weltende werden nicht nur der vordergründig aufgerufene Umgang mit dem Stiftungskapital, sondern auch ethische Implikationen für die Empfänger abgeleitet. Auch die Stiftung selbst gibt Teile ihres Kapitals als Almosen ab, allerdings nur an späterer Stelle des Katalogs und mit der Maßgabe, die Wirkung der – auch nicht zwingend vorgeschriebenen – Zahlungen an Hausarme auf die Außenwirkung des Geschlechts im Blick zu behalten: Sonst soll man auch bedacht sein, Ob man was von dieser Stiftung Hausarmen Leuthen reichen und geben wolle/ Und wie solches allmosen ausgeben anzustellen, damit eß wohl angelegt sey und dem Geschlecht zu Ehren Reiche[.]802

Teilweise stehen die Stiftungszwecke also in Kontinuität zu früheren Intentionen. Die Stiftungspraxis ist aber auch von neuen kulturellen Diskursen geprägt, die möglicherweise der disziplinierend gemeinten Rede vom Weltende eingeordnet werden können. Denn einerseits werden zunehmend wichtiger werdende Karrierewege gefördert, indem »unter die Jungen Tucher, so auch Bürger hie sein« jährliche Stipendien vergeben werden sollen. Unter die förderungswürdigen Tätigkeiten zählt »auf Universiteten Studiren, oder sich in Kriegs Sachen und Zügen gebrauchen, auch […] frembde Lande zu besehen raysen werden, oder an Fürsten Höfen und fürnehmen Herren dienen«; ähnliche Stiftungszwecke wurden auch von familiären Stiftungen anderer Familien verfolgt.803 Die Abnahme des kaufmännischen Berufsbilds ist jedoch nicht die einzige Schlussfolgerung, die aus diesem Katalog gezogen werden kann;804 vielmehr 801 Ebd., fol. 20r, 20v. 802 Ebd., fol. 20v. 803 Die folgenden Hinweise verdanke ich Bertold von Haller : Die Sebald-Haller-Stiftung 1578 (laut Testament vom 27. September 1572) stellte jährlich 50 Gulden für Stipendienstiftungen für Juristen zur Verfügung; die Carl-Haller-Stiftung (laut Testament vom 31. Mai 1587) förderte alle Haller die studieren (außer in den Fächern Astronomie, Medizin und evangelische Theologie) oder Kriegs- oder Hofdienst verrichten. Der katholische Stifter Carl II. Haller von Hallerstein (Biedermann, Tab. 111) lebte in Brüssel und starb 1592. 804 Die lebensstilbezogene Neuorientierung ist gleichwohl aus Quellen des Briefarchivs ablesbar, vgl. Christian Kuhn, Fremdsprachenkenntnisse zwischen Kaufmannsbildung und sozialer Distinktion. Das Beispiel der Nürnberger Tucher im 16. Jahrhundert, in: Mark

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liegt darin auch eine Flexibilisierung auf die Zukunft hin, die es schwer macht, an die »Futurisierung« von Werten als einem alleinigen Signum der Moderne zu denken.805 Die Förderung von studierenden oder im Ausland sich aufhaltenden Tucher unterliegt im Einzelfall der Einschätzung der ältesten Tucher, vor allem aber ist für die Zukunft vorgesehen, dass die nachfolgenden Ältesten diese Förderung verändern dürfen: [N]ach Rath und gutachten der Elltisten Zweyer oder Dreyer tucher, die dann die Ingenia, wie einer oder der ander Qualificirt, zu tiscerniren wißen werden, Denen eß auch iederzeit soll bevorstehen, so sich einer nit wohl sondern Übel leichtferttig, und d[a]z geldt Unnütz verschwenden Verspielen, dem Geschlecht zu Schand und Spott, als zu Ehren verhielte, ihme ider ihnen solches gar zu nehmen und auf andere zuwenden, Auch wie viel ieder ein Jahr soll gegeben werden, und stehet ins künftig den nachfolgenden Elltesten Tuchern dieses alles, in einem und dem andern Zu mehren und zu Minder oder gar abzuthun frey[.]806

1627 wird an Zahlungen erinnert, die 1587 – 89 in drei Einzelbeträgen an Paulus Tucher nach Antwerpen und Lazarus Tucher »auf sein flehentliche Bitt« gezahlt worden seien, insgesamt 2100 Gulden.807 Die Sprache, mit der über die nicht erfolgten Rückzahlungen berichtet wird, über den Nachteil, den die Stiftung aus dem als Geldanlage gedachten Verleih erlitten hat, ist auffällig religiös geprägt: [Das Geschäft ist] wieder alle zuversicht sogar in der Stiftung nachtheil ergangen, wie d[a]z Dr. Sebastian Stockamer von Speyer auch geschrieben, d[a]z er sich eher Him[m]el einfallen besorgt als dergleichen U[nhei]l und gleichfals auch etliche der hiesigen Consulenten sich darob nit gnugsamb verwundert, Der Allmächtige Gott wolle die Stiftung und d[a]z ganze Geschlecht ins künftig vor dergleichen frembden, zugetrungenen Unfreundlich schaden […] ferner gnädig behütten, und diesen Niederlänndern solche Unbilligkeit nach seinem willen, in ihr gewissen kom[m]en laßen, derohalben ist dieses zu einem Exempel und künftiger warnung nach lengs hiebevo[r] beschrieben worden[.]808

Sicher konnten die Tucher ihre Familie nicht als an den Ort gebunden wahrnehmen, jedoch wird die Bezeichnung ›Niederländer‹ abgrenzend verwendet. Die Darstellung erfolgt erklärtermaßen als Exempel und mit Blick auf zukünftige Situationen und könnte die Geschäftsmentalität der Tucher und ihr wenig risi-

805

806 807 808

Häberlein/Christian Kuhn (Hg.), Fremde Sprachen in frühneuzeitlichen Städten. Lernende, Lehrende und Lehrwerke (Fremdsprachen in Geschichte und Gegenwart 7), Wiesbaden 2010, 47 – 74. So beispielsweise die Setzung in Thomas Macho, Künftige Generationen. Zur Futurisierung der Ethik in der Moderne, in: Sigrid Weigel/Ohad Parnes/Ulrike Vedder/Stefan Willer (Hg.), Generation. Zur Genealogie des Konzepts – Konzepte von Genealogie, München 2005, 315 – 324. StadtAN E 29/III Nr. 161, fol. 20v. Ebd., fol. 22v. Ebd., fol. 23v.

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kobereites Engagement insbesondere in Geldgeschäften erhellen. Diese Einschätzung wird belehrend und mit einer theologisch aufgeladenen Sprache, die stark auf den lutherischen Gewissenbegriff rekurriert, wiedergegeben.809 Beim Treffen 1633 wird die Kontinuität der Familienstiftung in den Mittelpunkt gestellt, so dass künftige Rechnungen »wie bißhero bey Eltesten Dreyen verbleiben [sollen], so dieser Zeit Thomas, Georg und Jeronymus Tucher sein«. Die Stiftungspraxis stimmt hier mit dem Stiftungszweck überein, denn auch die Fortführung des Tucherbuchs wird hier auch thematisiert: Diese sein auch bittlichen ersucht, und darzu erküeßt worden, weiln in Unserm Stam[m]buch und selben Arb[o]rum nun viel ein zu machen, dass mit erster gelegenhait mit einandern d[a]z noch darein gehörige auch einmachen soll laßen, Die eß also zuverrichten auf sich genom[m]en Sein demnach darauff im alles besten freündlich und in guter einigkeit von einander geschieden, Gott bestettige es ferner, Amen[.]810

Die erwähnten Ergänzungen betreffen keinen separaten Stammbaum, sondern – in synonymischer Doppelbezeichnung für den gleichen Gegenstand – ausdrücklich den Stammbaum, wie er im Tucherbuch in Einzeldarstellungen aufgeteilt erscheint. Die hier gewünschten Nachträge, die aber jedenfalls nicht konsequent in die bekannten Papier- und Pergamentfassungen eingegangen sind, machen es wahrscheinlich, dass die im Hallerarchiv nachgewiesene Handschrift eines tucherschen Stammbuchs, die laut altem Inventar auch sehr späte Nachträge enthalten hat, wahrscheinlich eine weiterhin unbekannte Handschrift ist.811

3.1.3 Männer ordnen die Familiengeschichte zu »neuen umkreyß, das sein die Stammlini«. Planungsstadien und Kosten seit ca. 1574 Die folgende Aufstellung der Kosten für das »TucherBuch« bezieht sich auf eine im Wesentlichen seit 1652 erstellte Liste.812 Diese gibt an, teilweise auf einer jeweils auch genannte Anzahl von »zettel[n]« zu beruhen, deren »aufweis« hier zusammengetragen werde, also vor allem aus den jährlichen Abrechnungen der 809 Zusammenfassend zur lutherischen Gewissenstheologie und zum apokalyptischen Denken vgl. Pohlig, Konfessionelle Identitätsstiftung. 810 StadtAN E 29/III Nr. 161, fol. 25v. 811 Vgl. Auskunft Bertold von Haller, Archiv der Frhr. Haller von Hallerstein Großgründlach: Handschriftlicher Versteigerungskatalog Pfinzing-Bibliothek, 1819, Pfinzing-Archiv Großgründlach [darin: Nr. 2431 »Geschichte des von Tucherischen Geschlechtes beschrieben von Herrn Doctor Christoph Scheurl 1590. Es sind mehrere Fortsetzungen welche zum Theil bis in das erste Viertel des 18. Jahrhunderts gehen, beygeschrieben«]. 812 StadtAN E 29/III Nr. 14.

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Verwalter der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung. Die Aufstellung ist chronologisch angelegt und berichtet über Ausgaben in den Jahren 1574 bis 1620. Die vor diesem Zeitpunkt entstandenen Fassungen wurden um die Mitte des 17. Jahrhunderts offenbar nicht einmal mehr als Vorgeschichte des »TucherBuch[s]« wahrgenommen. Diese Unterscheidung, d. h. dass die Tucher 1652 nicht mehr bereit waren, das von Scheurl 1542 selbst noch als »Tucherbuch« bezeichnete Werk als solches einzuschätzen, könnte eine Interpretation der veränderten genealogischen Gestaltung zwischen den Fassungen des Tucherbuchs gewesen sein. Die im Folgenden wiedergegebene Liste von Ausgaben zeigt zunächst aus materieller Perspektive, worauf das Hauptaugenmerk der Repräsentation zu welcher Zeit gelegen hat. Dabei sollen bewusst Momente des Wandels mit aufgenommen werden, um den Entstehungsprozess in ursprünglichen Absichten, deren gelegentlichen Veränderungen und Ausführung zu verfolgen. Der Beginn der Arbeiten an dem prinzipiell im Singular genannten »TucherBuch« wurde im Nachhinein auf 1574 festgesetzt – obwohl bereits für 1565 Pläne nachweisbar sind – d. h. in diesem Eintrag liegt auch eine Bewertung, ja Abwertung des früheren Materials: Aus Tobiae Tuchers 1ten Rechnung geschlossen 1. November 1574 Erstlichen zahlt Paulus Tucher Herrn Hannßen Kauffmann, Predigern alhir vmb den eingang vornen [sc. die Vorrede] im Tucherbuch zumachen […] 12 guldengroschen[.]813

Der Termin dieses Auftrags wird durch die Eintragung der Jahreszahl in einer eigens dafür angelegten Spalte hervorgehoben sowie durch die Bemerkung »Erstlichen« markiert. Dabei ist offensichtlich, dass eine Vorrede kaum der allererste Schritt war, sondern dass die Familiengeschichte bereits in irgendeiner Weise vorbereitet gewesen sein muss. Darüber hinaus lassen die verzeichneten Zahlungen auch eine gewisse zeitliche Abfolge von Handlungen konstruieren, nach denen erst als letzter Schritt die Beträge anfielen; d. h. dass die Vorrede von »Hannßen Kauffmann« die Vorrede in der Londoner Fassung des Tucherbuchs sein könnte, obwohl diese – möglicherweise in späterer Abschrift – eine Besprechung der Tucherstiftung des Jahres 1565 wiedergibt.814 Grundsätzlich sind von Beginn an Indizien zu erkennen, ein Konzept auf Papier oder gar eine Papierfassung neben der eigentlichen Fassung herzustellen. Eine der ersten Zahlungen für Papier, »6 bücher groß [rea]l papier so zu den concept solches Tucherbuchs sein kom[m]en haben kost […] 3 [Gulden]«,815 bezieht sich noch auf eine Vorschrift für das Tucherbuch. Für diese ›Prachtfassung‹ folgen noch im gleichen Jahr Zahlungen über 30 Gulden für den we813 Ebd., fol. 685. 814 Tucherbuch London, fol. 18v. 815 StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 685.

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sentlich stärker durch Qualitätsabstufungen gekennzeichneten Beschreibstoff Pergament, auf Grund seiner natürlichen Struktur durch Narben der Tiere und eventuell störende Verarbeitungsspuren: Mehr dem Caspar mitler [Mittler, C. K.] Pergamen Macher für 100 heut Pergamen, für iede ein Vierthels thal vnd 2 thaler hienüber, dieweil sie schön groß seyn, thutt 27 thaler zu 17 Patzen […] 30 [Gulden][.]816

Der buchhalterische Sinn der Stiftungsaufzeichnungen tritt gelegentlich hervor, etwa wenn beauftragte Künstler und Kunsthandwerker durch ihren Tod materielle Verluste verursachen, einmal durch den Besitz von Gold, das wahrscheinlich als Goldauflage gedacht war : Mehr dem Magister Mathes Strobel geben das goldt zum Tucherbuch zuzurichten, 6 alt ungerische ducaten, nach dem er aber seither hernach gestorben, ist solches nit mehr einzubringen also verlohren seyn […] 10 [Gulden][.]

Eine Reihe von Einzelzahlungen betreffen kunsthandwerkliche Aufgaben, die hier nicht vollständig wiedergegeben werden, sondern nur insofern, als sie in Bezug zur Interpretation der letzten Fassung – teilweise unter Rückgriff auf Arbeiten an Vor- und Parallelfassungen – stehen. Die genealogische Repräsentation in der Form von Wappen wird durch die hochwertige Gestaltung dieser Darstellungsmittel von Herkunft und Status gewährleistet, von einem Maler aus überregional bekannter Werkstatt, deren Vertreter in anderen Reichsstädten und auch für Kaiser Rudolf II. tätig waren: Mehr dem Maister Endres Sollis, mahler, für die Wappen im Tucherbuch zu machen, seynd ihme 7 stückh für ein gulden angedingt worden, darauff ihme etlich mahl auf rechnung geben […] 44 [Gulden][.]817

Wie diese Malarbeiten zeigen können, werden die Tätigkeiten nicht monumentalistisch als Meisterleistungen verklärt. Vielmehr finden auch Korrekturarbeiten Aufnahme, etwa wenn die Stiftung 1 Gulden »zahlt einem ander Mahler allerley Wappen so Meyster Endres Sollis falsch vnd vnrecht gemacht, im buch zu endern«. Auch werden kleinere Aufgaben verzeichnet, etwa 3 Gulden um »solche[s] buch einzubinden« oder weitere 3 Gulden »dem Jeorg During zahlt für allerley schrifften, laut eines Zetels«. Die Abrechnung spricht also dafür, dass 1574 bereits eine mit Wappen illustrierte Fassung existiert haben muss. Diese – oder eine andere Fassung – hat zudem bereits zumindest in Konzeptform vorgelegen, denn 20 Gulden werden an »Christoff Dag in der [unt]ern Registratur zahlt das gantz Concept in obgemeltes Buch zu schreiben«. Unter den bislang zugänglichen Exemplaren kann es 816 Ebd., fol. 685. 817 Ebd., fol. 685 – 686.

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sich dabei nur um das Tucherbuch handeln, das bislang gemäß seines Titels auf das Jahr 1570 datiert wurde: »Geburtstam[m] Vnnd Genealogia/ deß alt herkom[m]enden Geschlechts/ Der Tucher/ 1570«.818 Es handelt sich um einen Band mit lederbezogenen Deckeln ohne erkennbare Wappen, aber mit Messingecken und Schließen, der voll durchnummerierte Seiten enthält, die aber nur bis fol. 101v ausgeführt sind, so dass von einem zur Vollausführung gedachten Projekt auszugehen ist. Der archivische Vermerk im Inneneinband lautet »Tucher-Buch-Vorarbeiten B3«, so dass der Vorgang der Gedächtnisbildung der Tucher hier vom Ende her verstanden wurde, ohne diese Phase der Entstehung selbst als einen eigenständigen Zeithorizont zu verstehen. Dieses Buch war also ursprünglich als eine vollgültige Familiengeschichte geplant, nicht als Konzeptfassung. Der Band enthält bereits einen Index der Vornamen, der allerdings mit einer Ausnahme beginnt: »Acht Sone Zu Obgemelten Ertzeugten Hanns Tucher vnnd Hedwig Holtznerin sein hausfraw […] Linea Fol 21[.]«819 Der Index enthält Rubrizierungen, die auf bestimmte »plutstammen« verweisen, die nach einem eigenständig erscheinenden Schema mit Ordnungsangaben versehen sind: »Erclerung deß 5 Grads der 13. Linea Leonharden Tuchers Genealogia […] Leonhardt Tucher Magdalena Stromerin Katharina Nützlin seine Ehegemahel.«820 Insgesamt werden bis Tobias Tucher 33 »Linea« gezählt, eine genealogische Strukturgröße, die jeweils über eine bestimmte Anzahl von Graden verfügt. Jede Linea erhält eine seitenmittige, relativ einfache Baumabbildung, deren Äste in Wappen von Kindern dieses Ehepaares münden. Die Angaben in den Überschriften der »Linea«-Bäume changieren dabei teilweise; unter den letzten Angaben findet sich beispielsweise die folgende Überschrift: »Erclerung des ersten grads mendlichs [sic!] Geschlechts der 33. Linien Wolff Tuchers plutstammen [Tobias Tucher].«821 Dieser Eintrag deutet noch den Wandel der verwendeten Kategorien an, denn »mendlichs« musste nur deswegen vermerkt werden, weil die bislang geübte Praxis, auch die Töchter und deren Ehemänner aufzunehmen, noch als Teil der Lesererwartung vermutet wurde. Die durchgeführten Arbeiten werden nur summarisch aufgeführt und mit vergleichsweise sehr erheblichen 60 Gulden »Hannßen Mackhen [be]zahlt für sein mühe vndt arbeit so er in vil dingen gehabt, im concipirn des Tucherbuchs […] auch anderer viel gehabter mühe so er von wegen dießer Stifftung etlich jahrgehabt vndt noch haben mocht«. Im Anschluss an diese Einträge kommt es wieder 1589 zu Zahlungen, unter anderem 2 Gulden an »Herrn Erasmus [für

818 819 820 821

StadtAN E 29/III Nr. 15. Ebd., Index, unpaginiert. Ebd., fol. 59v/60r. Ebd., fol. 98r.

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Dienstbarkeit] des Tucherbuchs halben«, wobei es sich um einen (Mit)Autor der Vorreden, Erasmus Rubinger, gehandelt haben könnte.822 Im Jahr 1590 wurde offenbar aber an zwei verschiedenen Medien der Geschichtsrepräsentation gearbeitet, wie Kosten für einen »Tucherischen Stam[m]Baum, vndt von wegen desselbigen buchs« anzeigen. Diese Lage zeigt die Konkurrenzsituation zwischen den Familien deutlich an, denn gegen Ende der 1560er Jahre hatten die Pfinzing unter Mitarbeit von Jost Amman die Arbeiten an der Pfinzingbibel begonnen und parallel zu prachtvollen Abbildungen auch einen Stammbaum erstellen lassen, der Bezug auf die Pfinzingbibel nahm.823 Dieser Stammbaum ist jedoch im Schloss Simmelsdorf, im Tucherschloss und im Stadtarchiv nicht mehr zu finden, wie Anfragen 2009 ergeben haben. Dies zeigt möglicherweise an, dass die Tucherstiftung zunächst die Pfinzing nachzuahmen plante, dann aber einen innovativen geschichtskulturellen Weg wählte, um in der Prestigekonkurrenz ein Alleinstellungsmerkmal zu erlangen. So erscheinen die auffälligen Baumabbildungen im Tucherbuch als die Inkorporation einer sonst großformatig und überwiegend graphisch abgebildeten Struktur.824 Ebenfalls für den Bezug auf die pfinzingsche Geschichtskultur spricht die Zahlung von 30 Gulden an den Maler, den diese Familie bislang in Auftrag hatte: »13. Aug[ust] Ao. 1589 […] [an] Jobst Aman, mahler 10 [Gulden] mehr hernacher im Octob[er] 20 Gulden vnd ist beedes für der Tucher Arborem oder Baum auffs papier zu mahlen[.]« Die derzeitige Archivlage zeigt eine Papierfassung des Tucherbuchs, die auf 1590 datiert ist und die über vorgezeichnete Abbildungen verfügt, darunter auch genealogische Baumdarstellungen wie diejenigen im Tucherbuch.825 Mit Sicherheit lässt sich in den Zahlungen die 822 Ebd., fol. 687. Zu Erasmus Rubinger, der der protestantischen Minderheit Bambergs angehört haben muss, ließen sich leider keine Nachweise der zitierten Quellen finden, vgl. Hans-Christoph Rublack, Zur Sozialstruktur der protestantischen Minderheit in der geistlichen Residenz Bamberg am Ende des 16. Jahrhunderts, in: Wolfgang J. Mommsen/ Peter Alter/Robert W. Scribner (Hg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland (Veröffentlichungen der Deutschen Historischen Instituts London 5), Stuttgart 1979, 130 – 148. 823 Vgl. Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 223. 824 Die Tradition der Baummetaphorik als Ordnungsmodell war während der gesamten Vormoderne bis um 1590 von reichhaltigen Anwendungen und häufigen Variationen geprägt, vgl. Klapisch-Zuber, Stammbäume. 825 Diese kommende Fassung von ca. 1590 kommt jedoch weniger in Frage, denn in dieser aus konservatorischen Gründen für die Benutzung gesperrten Familiengeschichte sind die meisten Abbildungen nur vorgezeichnet, jedoch in einer der Pergamentfassung stark ähnelnden – wahrscheinlich identischen – Weise, vgl. StadtAN E 29/III Nr. 17, das bislang bereits korrekt auf 1590 datiert, aber nicht in der Forschung zur Gedächtnisbildung berücksichtigt worden ist. Die Angaben könnten sich auch auf folgende Fassung beziehen, die prinzipiell auch eine mittelseitige Baumdarstellung und Wappen enthält StadtAN E 29/III

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gleichzeitige Bearbeitung von graphischem Stammbaum und Familiengeschichte nur in einem prinzipiellen Sinn nachvollziehen, etwa wenn am 17. Dezember 1589 Endres Tucher »für allerley von wegen der Tucher baum vndt buchs ausgeben« 13 Gulden erhält. Sicher ist auch, dass eine große Zahl von Pergamenthäuten erstmals am 29. April 1590 abgerechnet werden, so dass von späteren Abrechnungen und – der Formulierung nach – auch von späteren Lieferungen für 41 Gulden auszugehen ist: »Jobst Schultes, Per[gamenter] auf dreymahl, erstlich den 29. April Ao. 1590 […] ist alles für 104 große haut, zu der Tucher Stam[m]buch, vnd dißelbigen baums gehörig, zu sechs patzen das stückh«. Besonders überraschend ist die erneute Vergütung einer nicht eindeutig in den Quellen lokalisierbaren Vorrede, für die 15 Gulden »im Majo [1590] Magister Erasmus Rubinger von Bamberg bezahlt oder verehrt worden an dem eingang oder Vorredt des Tucherbuchs, was mehrers Zumachen vnd Zuvbersehen«. Rubinger wurde die Erweiterung und Korrektur einer früheren Fassung bezahlt, so dass nur die erste, 1565 katechetisch ausgerichtete Vorrede gemeint sein konnte, wie sie sich in den 1570er Jahren in einer Art von kommentiertem Gebotekatalog findet.826 Dagegen scheint die Entwurfs-, jedenfalls aber Papierhandschrift von 1590 eine bislang in der Forschung unberücksichtigte Fassung zu sein, die der letzten ähnelt, aber wesentlich kürzer ist.827 Wahrscheinlich entstand die Papierfassung aber zum Teil oder ganz erst noch, denn 4 Gulden erhält »Wolff Lantzingern für 7 buch Nürnberger groß Regalpapier Zum Tucher Stam[m]buch gehörig, vmb ein halben thaler das buch«. Am 8. Februar 1590 wurde dann eine für das Tucherbuch in seiner abschließenden Gestaltung und die sehr ähnliche Papierfassung von 1590 eine entscheidende Neuausrichtung vereinbart. Verhandlungsgegenstand war zwar auch die Vergütung des Malers, in seltener und bemerkenswerter Ausführlichkeit wird jedoch die bestellte genealogische Struktur erläutert. Darunter sticht vor allem die ikonographische Bevorzugung von Paaren mit Kindern hervor, während ausdrücklich die nicht zur Reproduktion bestimmten geistlichen Laufbahnen und die unverheiratet gestorbenen Tucher dagegen in Kontrast gesetzt werden. Insofern spiegelt die Entscheidung auch die Entscheidungsstruktur der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung wieder, die bei relevanten Entscheidungen teilweise nur verheiratete Tucher informierte und ihnen mehr Handlungsspielraum zugestanden hatte:

Nr. 15. Allerdings gibt das Findbuch StadtAN einen anderen Maler an (»gemalt von A. E.«, Findbuch StadtAN E 29/III). 826 Vgl. bspw. Tucherbuch London, aber auch das Kleine Scheurlchronik und die Pfinzingbibel. 827 StadtAN E 29/III Nr. 17.

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aus befelch der andern verheurathe[eten] Tucher […] [wurde] mit Jobst Aman, Mahler hi[e]rob gehandelt, vmb den Arborem der Tucherstam[m] auff Perment aufs zierlichst vnd schönst von Farben auch golt zu mahlen ferne auch vm dergleichen der Tucherstam[m]buch auch Permento, iede generation besonder auf ein blatt, derer 45, mehr die jenigen so ledigs stands mit todt abgangen, Mehr so Geystlich gewest, vnd zu vorderst zwey blatt mit TucherWappen Item alle große buchstaben mit Zügen zu ziehen auch abzureißen was auff die comperta [sc. der Deckel] des buchs soll gemacht werden, von allem vberhaubt hatt er 300 [Gulden] begehrt, im endt mit ihme vmb 250 [Gulden übereingekommen][.]828

Offenbar wurde zwar ein besonders prächtiger Stammbaum, aber doch prinzipiell in der zu dieser Zeit üblichen Form, in Auftrag gegeben. Dagegen werden für das »Tucherstam[m]buch« genaue Auflagen gemacht, die implizit das Wort »generation« als Bezeichnung für ein verheiratetes Paar mit Kindern verwenden. Eine Auswahl von »[den]jenigen so ledigs stands mit todt abgangen« soll offenbar ebenfalls eine Abbildung erhalten sowie Geistliche unter den Tucher. Diese ikonographische Hierarchisierung der – als männliche Existenzweisen gedachten – Familienformen ist wohl ebenfalls Gegenstand der Verhandlungen mit Amman gewesen. Sie ist ungewöhnlich für den Gattungskontext der Geschlechterbücher in Nürnberg.829 Jedenfalls wird die Konzeption nach dem Tod Ammans 1591 mit Nachdruck weiter verfolgt, denn am 7. Mai 1591 werden der Witwe als Gegenleistung für die bereits erfolgten Zahlung und für weitere 50 Gulden »in beyseyn ihrer Vormünder mit ihr abgehandelt, d[a]z sie vns auch noch etlich abriß zuegestellt, vnd ihr für alle so zuvor darauff empfangen gehabt zu vberlaßen«. Möglicherweise hatte Amman die Arbeiten am Stammbaum bereits abgeschlossen, denn in der Abrechnung des Stiftungsverwalters im Mai 1592 wird dieser zum letzten mal hinsichtlich seiner Herstellung erwähnt, unter der Summe die »von wegen der Tucher Stammen Baum vnd buch aus[ge]geben« worden ist. Erst 1599 wird wieder die Rede von der Stammbaumzeichnung sein, wenn ein Behältnis, »ein hülzerne büchsen zu der Tucher baum oder Arborem« angefertigt wird,830 was außer auf die Existenz auch auf die generelle Relevanz, wenn nicht die Benutzung und den Transport des Stammbaums schließen lässt. In der Forschung ist diese Gestaltungsweise bislang nur am Rande erwähnt worden,831 in Hinblick auf das prinzipielle Vorhandensein eines Baums und auf 828 StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 689 – 690. 829 Vgl. für andere Illustrationsformen und eine grundsätzliche Kritik an vorschnellen Zuweisungen von Gattungsgrenzen auf Grundlage von bislang mit Ausnahme weniger Überblicksdarstellungen fehlenden Eigenschaftsbündelungen in Quellen mit dem Ziel eines nach offenliegenden Kriterien gebildeten Gattungsbegriffs Stefan Benz, Geschichtskultur. Neuerscheinungen zur Historizität und zu ihren sozialen Orten in der Frühneuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 88 (2006), 157 – 201, 174. 830 StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 704. 831 Vgl. etwa Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 222.

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eine nie genauer erklärte, erneuerte genealogische Ordnung. Die Aufzeichnungen der Familienstiftung bieten jedoch Hinweise auf gemeinsames, familiäres Handeln und einen kollektiven Willen und eine langfristig verfolgte Programmatik. Denn auf die offenbar zähen Verhandlungen mit dem berühmten Künstler Amman wird die begonnene Gestaltung nicht nur – wie schon aus praktischen Gründen nahegelegen hätte – weitergeführt, sondern ausdrücklich mit der Erklärung, dass dem ausführenden »Mahler vor [sc. für] 31 generationes von der 7te[n] an biß auf vnd mit der 37 zu mahlen [je] für 3 [Gulden]«, insgesamt 93 [Gulden] gezahlt worden seien. Ob es sich dabei um die farbliche Ergänzung der von Amman angelegten Umrisszeichnungen oder um eine komplette künstlerische Gestaltung von Aufriss bis zur abschließenden Kolorierung handelte, ist aus der Quelle nicht eindeutig zu beantworten, denn ein folgender Eintrag könnte prinzipiell beide Möglichkeiten bedeuten: »Mehr von 6 generationes von der 38 an biß auf vnd mit der 43 allein bis auff den Stam[m]en der Kinder ausgemahlt zuemachen, zuw [je] 2 12 [Gulden] für eine [jede]«, so dass insgesamt 15 Gulden ausgezahlt wurden. Der etwas geringere Preis deutet für diesen Fall auf ein abschließendes Kolorieren hin, während »des Paulus Tucher von Antorff generation« wieder 3 Gulden kostete. Paulus Tucher (geb. 1536, Tod nicht mehr eingetragen) wird im Tucherbuch als »Die Viertzigiste Generatio der Achten Stamli[nie]« abgebildet, jedoch finden die fünf als Wappen am Baum abgebildeten Kinder Alexander, Hieremias, Hieronimus, Lassarus und Paulus – mit Ausnahme von Paulus (1563 – 1578) – keine textliche Erwähnung, könnten also ebenfalls früh (nach dem Tod der Mutter 1577) verstorben sein.832 Aus diesen Angaben scheint sich nicht ableiten zu lassen, warum gerade diese »Generatio« erst nachträglich eingemalt worden ist, zumal sie im zuvor abgerechneten Abschnitt bis zur 43. »Generatio« ja bereits eingeplant gewesen sein muss. Insofern ist von einer konzeptionell festgelegten Planung auszugehen, die möglicherweise nur wegen fehlender genealogischer Informationen über Paulus Tucher aufgehalten wurde. Denkbar wäre auch, dass die in der ganzseitigen Abbildung zusätzlich enthaltenen Gegenstände (Brustpanzer, Schilde, Bogen, Köcher) und der lanzenpräsentierende Degenträger in ähnlicher Kleidung wie der größer eingezeichnete und farblich stärker akzentuierte Paulus von den zusätzlichen Kosten abgedeckt wurden.833 Auffällig sind die Kosten für »Lienhardt Tuchers generation zumahlen«, die sogar nur 2 Gulden betragen haben; jedoch zeigt das Tucherbuch in diesem Fall nur die Ehepartner, während der üblicherweise die Kinder tragende Baum nur prinzipiell in Hüfthöhe der Frau eingezeichnet ist, aber über ein kurzes Stück

832 GTB, fol. 178v, 179r. 833 Ebd., fol. 718r.

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Stamm hinaus nicht zur Abbildung kommt.834 Möglicherweise war »Leonhard Tuchers vnd Juliana Imhoff/ Tochter«, das einzige vermerkte, am 15. August 1584 geborene Kind der beiden, im Kindesalter verstorben, und der rigide Schematismus des Tucherbuchs konnte bei diesen Lebenden nicht – oder nicht mehr rechtzeitig – angewendet werden und das kinderlose Paar blieb »Die Sechs vnd Viertzgiste Generatio der Neünten Stamli[nie]«.835 Die Konzipierung, das Schreiben der Papierfassung und der Pergamentfassung sind im Spiegel der Abrechnung wahrscheinlich in dieser zeitlichen Abfolge erfolgt, denn zunächst erhält »Paulus Mair, so das Tucherbuch aufs papier geschrieben au[ch] sonst gerissen von 16 May biß den 19 Octob[er] A 1591 daran gearbeitet thuett 32 wochen zu 2 [Gulden] für kost vnd alles« 64 Gulden;836 zuletzt taucht die papierne Fassung 1596 auf, als für die Widmung Scheurls und »die vorred« Papier geschnitten und der Schreiber Prechtel entlohnt wird, diese Texte zu schreiben.837 Ebenfalls für einen früheren Abschluss – zumindestens faktischen Abbruch – der Schreibarbeiten an der Papierfassung spricht das Honorar an »Herrn Dr Joachim Camerario [sc. Nürnberger Arzt, Botaniker, Naturforscher, 1534 – 1598] für ein Türckhisch Fell, das geschrieben papiern buch darein zubinden« in Höhe von 2 Gulden im Jahr 1591.838 Dieser Befund wird von den Tucher nachträglich eingeebnet, wenn 1597 zu Zahlungen an Endres Tucher erläutert wird, er habe sich verdient gemacht, indem er »ins werckh gebracht das buch doppelt auf papier vndt Pe[rga]ment«.839 Die einzige der bekannten Papierhandschriften, die auf die Entstehungsjahre nach 1590 passt, ist jedoch schon den Abbildungen nach nicht abgeschlossen.840 834 Ebd., fol. 203 f. 835 Die derzeit noch nicht restaurierte und daher fast gar nicht benutzbare Papierhandschrift wäre nötig, um den Fall zuverlässig und abschließend zu bewerten. Tatsächlich finden sich auch Gegenbeispiele von früh verstorbenen, aber eingezeichneten Kindern; allerdings stand dieses Ehepaar den Zeitgenossen noch lebhaft vor Augen, so dass hier eine andere Auslegung der historiographischen Ikonographie stattfand als bei lange verstorbenen Paaren. 836 StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 690 – 691. 837 Ebd., fol. 701: 1596 »Mehr dem Prechtel von der Vorred sambt Herr doctor Scheuerl schreiben zum Tucherbuch auf papier geschrieben, gehörig, für schreiberlohn vnd zu zieren« 8 Gulden. 838 Ebd., fol. 690 – 691. 839 Ebd., fol. 703. 840 Den Stiftungsrechnungen werden sich relevante Handschriften nur dann eindeutig zuordnen lassen, wenn kunsthandwerkliche Techniken genauer berücksichtigt werden. Eine zusätzliche Komplexität ergibt sich daraus, dass beispielsweise auch in einem bereits gebundenen Buch noch planmäßig Kolorierungen vorgenommen werden konnten (so Bock, Chronik Eisenberger, 376 f.) oder ein großer Teil der schriftlichen Einträge. So erfolgt noch eine Eintragung zur Papierfassung im Jahr 1592, als Paulus Maier einen Gulden für das Schreiben erhält, vgl. StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 693. Unklar bleibt, ob es sich bei dem Papierkauf im Jahr 1596, »darauff die Vorredt in das papiern Tucherbuch widerumb soll

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Die Pergamentfassung wird durch Endres Kauffmann in mehreren Teilabschnitten bis 1596 geschrieben, wie Zahlungen im April 1592, Mai 1593, Oktober 1593, Juni 1595 und im April 1596 anzeigen, wobei jeweils der Arbeitszeitraum angegeben wurde. Kauffmann hatte sich 1596 über zu geringe Bezahlung beschwert und daraufhin ein Zusatzhonorar von 6 Gulden erhalten.841 Kaufmann war damit offenbar mittelfristig nicht mehr zufrieden, denn auf Grund seiner Beschwerden erhielt er 1607 ein weiteres Zusatzhonorar, ohne dass weitere Arbeiten erwähnt würden: »Endres Kauffmann so das Tucherbuch beschrieben, dieweil sich was sehr beklagt/ gleichwohl mit vngrundt/ d[a]z er wenig dardurch erobert, ihme derhalben noch aus guten willen ver[ehrt] 6 [Gulden]«.842 Offenbar hatte Kaufmann tatsächlich keine weiteren Leistungen erbracht, denn andere Schreiber werden auch mit kleineren Aufgaben in zusammenfassenden Bemerkungen verzeichnet.843 Man mag dies dem Verhandlungsgeschick eines Kunsthandwerkers zurechnen, dennoch sind diese Zahlungen auch ein Indikator für die Vergesellschaftung von Geschichtsschreibung in der Geschichtskultur der Nürnberger Familien. Offenbar sah sich Kaufmann nachträglich veranlasst, den Wert, den seine Dienstleistung für die Tucher nach Abschluss der Arbeiten besaß, als erhöht anzusehen. Die Tucherstiftung war an der Alleinstellung ihrer Familiengeschichte interessiert, so dass die – wahrscheinlich auch anderen potentiellen Auftraggebern bekannten – Ansprüche eines der ausführenden Künstler die Wirkung des Tucherbuchs untergraben hätten. Gerade mit Hinblick auf die Nürnberger Konkurrenz bei Geschlechterbüchern muss es Kaufmann gelungen sein, Druck auf die früheren Auftraggeber zu erzeugen und daraus Profit zu schlagen. Auch das Beispiel des »Caspar Dratz« lässt sich so interpretieren, dass das Tucherbuch einen gewissen Bekanntheitsgrad und Ehre begründenden Status erlangt haben muss. Zu seiner Hochzeit, einem auf Repräsentation beruhenden öffentlichen Vorgang, erhielt Dratz, »Martin Hallers schreiber«, 1603 einen offenbar als Auszeichnung gemeinten Besuch von den Tucher, jedenfalls aber ein Geldgeschenk von zwei Gulden, in der Form »ein[es] vngerschen ducaten«. Die Begründung, »dieweil er was am Tucher Stam[m]buch geschrieben vnd nichts darfür nehmen wollen«, deutet auf einen durch die Bearbeitung des Tuchervmbgeschrieben werden«, um eine Angleichung an die Vorrede in der Pergamentfassung (und Ersatz einer früheren Fassung) oder einen Nachtrag handelt, vgl. StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 699. Der Plan mit der Papierfassung wurde nachweislich 1596 umgesetzt, als acht Gulden »dem Prechtel von der Vorred sambt Herr doctor Scheuerl schreiben zum Tucherbuch auf papier geschrieben, gehörig, für schreiberlohn vnd zu zieren« übergeben wurden, vgl. StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 701. 841 Ebd., fol. 692 – 703. 842 Ebd., fol. 702. 843 Eine Ausnahme bildet ein Eintrag von 1601, demgemäß Kauffmann 4 Gulden ausgezahlt wurden, weil er Angaben ergänzt und abgeschlossen, »compliret«, hatte, vgl. Ebd., fol. 704.

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buchs erlangten repräsentativen Gewinn hin, den Dratz offenbar für sich in Anspruch nehmen durfte.844 Zu dieser Arbeit am Geschlechterbuch herangezogen zu werden war offenbar nicht allein durch ein Honorar gedeckt – welches Dratz gleichwohl erwartet haben mochte –, sondern schon durch die Nähe zum Statusobjekt. Offenbar war es kurze Zeit nach der Herstellung des Tucherbuchs bereits eine Ehre, an der Bearbeitung beteiligt – im Fall von Endres Kaufmann: gewesen – zu sein. Etliche Angaben über die Materialien werden dagegen eher für Kunsthistoriker interessant sein, die diese mit Aufwendungen für andere Geschlechterbücher vergleichen können.845 Im hier verfolgten Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Eintragungen auch kleine Beträge umfassen und anscheinend minutiös den Materialbedarf wiedergeben. Im Vordergrund sollen jedoch die vorrangig interpretierten Bestandteile des Tucherbuchs stehen, vor allem die Vorrede. Die Niederschrift der Vorrede in das pergamentene Tucherbuch lässt sich durch die Honorarzahlung an Endres Kauffmann zeitlich eingrenzen; am 3. April 1592 werden 8 Gulden eingetragen, es habe ihm »angestanden dießes buch zuschreiben, soll ihme die w[och] für Kost vnd alles 2 [Gulden] geben werden, der hatt biß 6 t[en] May darauf empfangen nemlich 8 Gulden«.846 Setzt man diesen Vermerk im Jahr 1592 als frühestmöglichen Termin für die ›Fixierung‹ der – erklärtermaßen »auff dises 1590 Jar Christi« geschriebenen –847 Vorrede an, so müssten die letzten aktenkundigen Veränderungen am Text noch enthalten sein. Denn nach Honoraren für Hannß Kauffmann 1574 und Erasmus Rubinger 1589 sowie 1590 werden noch einmal 1591 »dem Herrn Heinrich Prediger zu St. Sebaldt, [2 Gulden] zur Verehrung geben, wegen der Vorredt im Tucherbuch«.848 Dabei handelt es sich um Mag. Heinrich Schmiedel (Fabricius), 1537 – 1598.849 Dieser war seit 28. Februar 1575 Predigeradjunkt in St. Sebald, 844 Ebd., fol. 705. 845 Häufige kleinere Posten lassen den Prozess der Ausfertigung der Pergamentfassung auch vom Materialeinkauf her hervortreten, darunter »gold zum schreiben« für 7 Gulden, auch »seyndt solche [Seiten] gen Nörtling geschickt wordten zum schreiben alda zuzurichten darvon Wege zahlt« 3 Gulden, weiter acht Beschläge und zwei »Clausurn« an Frantz Kilga 1 Gulden, und der Buchbinder erhält für Papier- und Pergamentschneiden 3 Gulden, wie auch »allerley farben, gum(m)i, Vltramarin zum schreib[e]n« für 4 Gulden aufgezeichnet werden, vgl. Ebd., fol. 691. Eingehendere restauratorische Untersuchungen sollten zeigen, ob beispielsweise 1596 zur Hervorhebung von Inhalten rubriziert wurde, wie der Eintrag »rothen Atlas zum registerlein« – wobei Atlas normalerweise einen Stoff bezeichnet – nahelegen könnte, vgl. Ebd., fol. 701. 846 Ebd., fol. 692. 847 GTB, fol. 7v. 848 StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 692. 849 Vgl. Matthias Simon, Nürnbergische Pfarrerbuch (EAKB 41), Nürnberg 1965, 202 und 319. Vgl. ebenfalls Andreas Würfel, Diptycha ecclesiae Sebaldinae, das ist: Verzeichnüß und

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seit 1595 Prediger ebenda gewesen, so dass er mit Sicherheit aus der Perspektive der Stiftungsrechnung »Prediger« genannt worden sein könnte. Die Gründe für seine Beschäftigung mit der Vorrede können nur vermutet werden. Während ein Bamberger Mag. Erasmus Rubinger nicht zu ermitteln war, ist der erste und vermutlich auch maßgebliche Autor Mag. Johann Kauffmann (Hersbruch 1532- Nürnberg 1596) durchaus in einer Weise hervorgetreten, die Korrekturen an seinem Werk notwendig gemacht haben könnte. Johann Kaufmann war seit 1562/65 Klara-Nonnenprediger, ab 1563 außerdem Franziskanerprediger und ab 1565 auch Jakob-Mittagsprediger gewesen sowie ab 1584 Prediger in Heilig-Geist. Kurze Zeit bevor er gemäß den Stiftungsrechnungen der Tucher 1574 eine Zahlung für die Vorrede erhalten hat, wurde Johann Kaufmann 1571/73 seines Amtes enthoben.850 Ihm wurde vorgeworfen, zwei des Flacianismus beschuldigte Geistliche öffentlich verteidigt zu haben. Zwischenzeitlich erhielt daraufhin Schmiedel (Fabricius) dessen Stelle als Prediger bei den Barfüßern. Auf Grundlage der Abrechnungen kann nur vermutet werden, dass es sich bei den vorgenommenen Änderungen um Überarbeitungen auch aus theologischen Gründen handelte. Bei den Honorarzahlungen fällt besonders auf, dass die Kostengliederung für die Abbildungen bestimmte Kategorien von Personengruppen wiedergibt. So erhält der Maler »xiij [=12 12]« Gulden für die Abbildung von »Eheleuth[en] so ohne leibliche Erben abgestorben, zu mahlen zu 1 14 [Gulden] von stückh thutt«; es folgen 16 Gulden für »28 stückh ledigen Persohnen vnverheurath abgestorben, als Geistliche, krigsleuth vndt ander zumahlen«.851 Die Leitunterscheidung bleibt hierbei – neben dem unterschiedlichen Aufwand – ob Kinder vorhanden waren, wie ein späterer Eintrag von 1595 über den Maler Hertz zeigt, der 3 Gulden dafür erhält, »6 generationes Kinder wappen zumahlen«.852 Geradezu scheint es, als wiederholte die Abrechnung die genealogischen Kategorien aus mnemotechnischen Erwägungen heraus, um diese eigens zu betonen, etwa wenn Hertz 1 Gulden erhält für die »neu[en] vmbkreyß, das sein die Stam[m]lini […] zu mahlen geben«. Möglicherweise waren damit die ganzseitigen, floral eingeLebensbeschreibungen der Herren Prediger […] Schaffer und […] Diaconorum […] bey St. Sebald in Nürnberg […], Nürnberg 1756, 12 – 15. Für diese Hinweise danke ich Herrn Bertold von Haller. 850 Simon, Pfarrerbuch, 106, Nr. 612 mit weiteren Nachweisen. Vgl. auch Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon Teil II (Nürnberg/Altdorf 1756), 269 – 273 und Teil IV (Nürnberg 1805), 194 f. Zur Amtsenthebung und Wiedereinsetzung vgl. auch Historischdiplomatisches Magazin für das Vaterland und angrenzende Gebiete, Bd. 1, Nürnberg 1781, 349 – 359. Diese Hinweise verdanke ich Bertold von Haller. Für eine neuere Darstellung der religiösen Konflikte vgl. Karl Schornbaum, Nürnberg im Geistesleben des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Konkordienformel MVGN 40 (1949), 1 – 96. 851 StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 692 – 693. 852 Ebd., fol. 696.

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rahmten Seiten gemeint, auf denen eine neue Stammlinie durch reich verzierte Auszeichnungsschrift wie »Die Achte Stammlini« angekündigt wurde.853 Auch die Schreibarbeiten werden nicht etwa nach fortlaufenden Manuskriptseiten abgerechnet, sondern nach der familiengeschichtlichen Sinnkategorie »Generation«: »Mehr zahlt dem N. Sauer, schreiber, von der 12 generation 1 1 [Gulden] mehr von der 13ten 3 12 vndt von der 14 vnd 15 t[e]n 5 14 [Gulden] aus 4 Zu ziehen«;854 »Mehr dem Sauer, schreiber, widerumb auf mehrmalh bezahlt von 4 generationes auszuZiehen zu gulden vndt zu zieren für alles laut der Zettel 17 [Gulden]«.855 Die Zählung von »generationes« erscheint regelmäßig auch bei anderen Arbeitsvorgängen, etwa wenn 1596 »Mehr dem Prechtel zahlt vor 12 generationes auszuziehen zu gulden, vnd zu zieren zu drey gulden für eine auff mehrmahls zahlt, thuett 36 [Gulden]«.856 Auch Ergänzungen werden nicht nach einem Schematismus wie den Folioseiten angegeben, sondern nach der Anzahl der »Generation«: »von einem Scheurl Schildlein in Paulus Tuchers generation, Zu seiner dochter Barbara«. Noch die Änderungsarbeiten des Jahres 1620 werden mit der Zahl der »Generation« angegeben: »sein nemblich die 44te Generation im Tucherstam[m]buch wegen seines ietzig weibs zuendern vnd einzubringen« 4 Gulden; »Mehr dem Hertzen davon zu mahlen« 4 Gulden; »Mehr dem Sauer von den Ze[tt]eln in die gemelte Generation zu schreiben« 4 Gulden sowie ein kleinerer Betrag »dem buchbinder, davon hiemit zu hefften«.857

3.1.4 Der geschichtskulturelle Mehrwert des Kostenverzeichnisses Die Zusammenstellung der der Stiftung entstandenen Kosten und die abschließende Summierung auf den Maximalbetrag von ca. 2200 Gulden war rückblickende Geschichtspolitik. Damit ersetzte die Familienstiftung bereits vorliegende, von einzelnen Mitgliedern der Familie vorgenommene Aufzeichnungen.858 Wahrscheinlich sollte der Abstand zu anderen Geschlechterbüchern dokumentiert werden, wenn auf jeder Seite der Saldo der Gesamtkosten mitgeführt wurde. Demnach beliefen sich die Gesamtkosten 1595 auf erst 988 Gulden. Mitte der 90er Jahre des 16. Jahrhunderts war also erst die Hälfte der Kosten entstanden. Das Kostenverzeichnis ermöglichte also, das Tucherbuch im 853 854 855 856 857 858

GTB, fol. 160r. StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 694. Ebd., fol. 696. Ebd., fol. 698. Ebd., fol. 706. Vgl. etwa das »Verzaichnus was ich Paulus vnser des fürgenomen tucher puch halber, von wegen der selben Stifftung ausgeben«, StadtAN E 29/II Nr. 46.

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Spiegel der abschließenden – wenn auch durch Geldentwertung geringer erscheinenden – Gesamtkosten wahrzunehmen. Die Prachtversion des Tucherbuchs war der hervorragende Gegenstand der familiären Geschichtskultur. Wie die gleichzeitige Herstellung der Familiengeschichte auf unterschiedlichen Materialien sowie in graphischer Form als Stammbaum prinzipiell zeigte, wurden die Ahnen in der Gegenwart des ausgehenden 16. Jahrhunderts gleichzeitig in verschiedenen Medien präsentiert. Auch Porträtbilder müssen in diesem Zusammenhang als genealogische Medien angesehen werden, ähnlich denen im städtischen Raum präsenten Listen mit Namen verstorbener Tucher. Eine dieser Tafeln wird 1596 gewissermaßen ›verdoppelt‹, indem ihr Informationsgehalts archiviert wird. Dies zeigt der Eintrag »der Tucher Toden Taffel bey St Sebald so wir zuvor nicht [gehabt] haben, [wurde] abgeschrieben«.859 Die verschiedenen geschichtskulturellen Medien standen in großer Nähe zueinander. Die Familiengeschichte kann dabei nicht allein als textliches Sinnkonstrukt aufgefasst werden, sondern muss in den Kontext performativer Akte gestellt werden. So hielt die Papierfassung aus dem Jahr 1565 im Vorwort fest, bereits Scheurl habe die jungen Tucher in »seiner Vorred, so er In seinem Leben gemacht vnd gueter getrewer wolmainung an sy [die jungen Tucher] geschrieben«, dazu »vermant«,860 dass aus Geschichte zu lernen sei. Es sei daher eine Pflicht, dass die männlichen Tucher bei den jährlichen Treffen der Familienstiftung diese Familiengeschichte eingehend zur Kenntnis nähmen: sonnderlich bey Jeder [Zusam]menkunfft die Jungen daraus sehen vnd vernemen mögen […] wer Ire voreltern gewesen vnd sy destomehr zur Furcht Gottes (welches Ain anfanng der weißheit ist) Auch Aller zucht vnd Erberkeit gerayzt vnnd gefürdert vnd hierdurch erInnert werden fürohin hernach Auch Also zu halten zu Continuiern vnnd der Eltern Fueßstapffen nachzufolgen[.]861

In die für Familientreffen, Hochzeiten und andere Anlässe anzunehmenden Rezeptionsweisen fügt sich das 1596 hergestellte »geheuß« ein, das mit Eisen »beschlagen« worden war, gefüttert (»leder ins geheuß zu machen«) und geschmückt (»Tucherwappen ins geheuß zu truckh[e]n«) war.862 Diese Dinge weisen auf Gebrauchsintentionen hin, die von Reparaturen an den Schlössern im Laufe des 17. Jahrhunderts nahelegen.863 Offenbar wurden für eine intensive 859 860 861 862 863

StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 699. Tucherbuch London, fol. 18v. Ebd., fol. 18v. StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 700. Ein Spiegel der späteren Benutzung sind die folgenden Aufträge: 1683 »dem Meister Valentin für ein Braun Tischlein das große Tucher[ische] Stam[m]buch darauf zu legen«, 1694 »An den Kasten des Tucherbuchs des Schloß so verderbt war, abzubrechen vnd wieder anzumachen einem neuen darin anzureichten auch an das Schlüßelein einen neuen Bart zu

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Benutzung auch Einlegeseiten verwendet, nämlich seit 1600 »3 buch Postpapier, die gemähl darin zuvnterlegen«; ebenfalls für eine intensive Benutzung sprechen Fingerabdrücke auf bestimmten Porträtabbildungen,864 wie auch der Auftrag an einen Buchbinder, »zu schlagen, zu beschneiten, auch die eingetruckht löcher im futter mit leder Zuvermachen, vnd d[a]z er sonst in beiden büchern allerley gemacht«.865 Offenbar war aber schon die Herstellung eine Form von Repräsentation, denn mehrere Familienmitglieder werden 1597 mit insgesamt 18 Gulden entschädigt für »so von wegen der Tucherbuch vile mühe gehabt auch seines Tuchers Magden so in der zeit der schreiber gemeltes buch in seiner Behaußung geschrieben, derhalben mit einhaitzen der stuben kehren«.866 Mag dieser Posten noch wie eine Unkostenabrechnung erscheinen, so würde dies für einen der höchsten aufgeführten Beträge viel weniger gelten, 600 Gulden für Endres Tucher, die mit folgender Begründung aufgeführt wurden: Mehr vmb dieweil Endres Tucher, das Buch sambt der Tucherstam[m], sich vnterfangen, auch ins werckh gebracht, das buch doppelt auf papier vndt Pe[rga]ment, in seiner behaußung angeben vnd beschrieben, auch das gemalt von Persohnen, wappen, auch theyls der züg der grossen buchstaben, vnd den Arborem, bey Mahle[r]n vnd schreibern in ihren häußern verfertigen laßen, dergleichen auch die bücher einbinden das silber vergult geschmeyd bei Gol[d]schmid machen vnd in allem bey 7 in 8. Jahren mit zugebracht, auch dem schreiber so er da Zw Hauß gebraucht, im weiter von den seinen Lichter geben, auch stueben heitzen laßen, was sonst darüber gegangen, hat er verrechnet, vnd ist ihme besonder, nach inhalt dißer vndt meiner vorigen Rechnungen von No 2 an/ widerumb gut gethan wordten, vber solches vnd vorstehent auch seiner gehabten mühe, ist ihme auf gut achten der Eltern Tucher, vergnügt vndt verehrt worden, nemblich 600 [Gulden][.]867

Somit wird ein ganz erheblicher innerfamiliärer Erstattungsvorgang in die objektiven Kosten des Tucherbuchs mit aufgenommen, in die »Summa so von wegen vermelts Tucherbuchs, auch Arboris, von anfang biß zw beschluß dießer Rechnung d[a]z ist von 1590 Jahr an in alles ist ausgeben worden«. Anscheinend war der Stammbaum zu dieser Zeit bereits stärker in den Hintergrund getreten, und scheint sich die Aufmerksamkeitssteuerung auf das in der Überschrift durchgehend im Singular festgehaltene »TucherBuch« in der Prachtversion

864 865 866 867

machen« sowie 1715 »für 2 Haacken, vnd das eine Schlößlein am Kasten das Tucher Buchs zuzurichten zahlt«, vgl. Ebd., fol. 706. Für diese Auskunft danke ich dem Direktor des Stadtarchivs Nürnberg, Herrn Dr. Diefenbacher, ganz besonders, weil aus konservatorischen Gründen das GTB derzeit nur selten und dem Einband nach (oder in der Form von Ektachromen) zu besichtigen ist. StadtAN E 29/III Nr. 14, fol. 704. Ebd., fol. 702. Ebd., fol. 702, 703.

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konzentriert zu haben. Offenbar sollte dieses Werk mit dem größtmöglichen Betrag, 1620 2213 Gulden,868 monumental in Szene gesetzt werden. Die für das Tucherbuch ausgeführten Arbeiten lassen sich in den Stiftungsaufzeichnungen gut nachvollziehen, wenn sie auch trotz des internen Charakters von einem gewissen Interesse geprägt sind, sicher auch auswählten und dadurch verkürzten. Unbestreitbar ist jedoch das kontinuierliche Interesse der Familienstiftung an der Familiengeschichte, die den verschiedenen Fassungen zum Trotz stets nur einen Gegenstand in der Familiengeschichtsschreibung sieht. Die Gesamtkosten, die unter der Kapitelüberschrift »TucherBuch« auf jeder Seite und in Form einer Gesamtsumme bilanziert werden, sind nicht auf den Pergamentband allein bezogen. Vielmehr ist eine Reihe von anderen Medien, darunter ein mobil auszustellender Stammbaum, eine Abschrift der fest montierten Totentafel in St. Sebald und die weniger wertvolle Papierfassung, in die Gesamtsumme mit einberechnet. Dieser Sekundärwert der Dokumentation, der darin zitierten Zahlen der projektbezogenen summierten Gesamtkosten, sind um die Mitte des 17. Jahrhunderts nicht mehr aus buchhalterischen Abrechnungszwecken und entsprechender Akribie aus den Unterlagen der Stiftung zusammengetragen worden. Die unter dem Titel »TucherBuch« in der Kollationsrechnung verzeichneten Kosten stehen für verschiedene geschichtskulturelle Initiativen und gehen auch über den im Titel der Zusammenstellung aufgerufenen Hauptgegenstand »TucherBuch« deutlich hinaus. Die ›Rechnung‹ besitzt einen geschichtskulturellen Eigenwert, macht sie doch den Umfang der familiären Aktivität der Rezeption mit Hinblick auf das vorliegende Ergebnis zugänglich. Die Zusammenstellung der Kosten sollte dem Tucherbuch einen Nimbus der Kostbarkeit verleihen, somit wird der medialen Repräsentationsabsicht des Bandes selbst gewissermaßen sekundiert. Die erst 1683 verwendete Benennung »das große Tucher[ische] Stam[m]buch« verrät, dass die in der Stiftung organisierten Tucher den Status dieses Buches erhöhen wollen.869 Der Eindruck sollte erweckt werden, der Pergamentband allein habe diesen Betrag gekostet, während doch tatsächlich ein erheblicher Teil der Zahlungen an Familienmitglieder geleistet worden ist, die diese wie im Fall des ›Trinkgeschirrs‹ auch tatsächlich beanspruchten und zusätzlich zum ausgezahlten Honorar forderten. Diese Namensgebung und Selbstbezeichnung der Tucher spiegelt Tendenzen der Gedächtnisbildung, denn um 1600 hatten die Tucher den bereits vorliegenden Band nicht mehr in der gleichen Intensität weitergeführt, sondern als kaum mehr zu überbietendes Erbe 868 Ebd., fol. 706. 869 Diese Bezeichnung ist die einzige mir aus Quellenmaterial bekannte, die die häufig in der Forschung wiedergegebene Formulierung »Großes Tucherbuch« inspiriert haben könnte. Vgl. ebd., fol. 706.

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und Vermächtnis übernommen. Der qualifizierende Zusatz sollte daher verdeutlichen, dass die Gattungskonventionen überstiegen und somit die Familiengeschichten anderer Familien überboten worden seien. Das familiäre Interesse an einer Selbstdarstellung im Medium der Familiengeschichte, das die Bezeichnung »Großes Tucherbuch« nicht enthielt, war unverändert. Diese Wirkungsabsicht erreichte jedoch nicht immer ihr Ziel, wie ein Beispiel aus der Kommunikation unter Patriziern zeigt. Mitglieder anderer patrizischer Familien, wie Albrecht [»Alberto«] Behaim in einem Brief vom 13. Februar 1612, zeigten nur wenig Respekt für die Tuchersche Selbstdarstellung. Er berichtet »Federigo Behaim« nach Venedig von politischen Nachrichten, darunter den Tod Kaiser Rudolf II. am 20. Januar 1612, und die Auswirkungen der Neuwahlen auf in Nürnberg zu feiernde Feste. Darauf kommentiert Albrecht in Nürnberg anstehende Heiraten: Auch gibt es ietzundt zimlich Hochzeit zu Nürmberg alß vff künfftigen Montag Paulus Tucher mit des Gebhardts in d[er?] Schaw tochter, (welches ein zimlich Pflatzshen [sic!] in das Tucherische Stambuch Machen würdt.)870

Zunächst bezeichnet Behaim das Tucherbuch mit dem Gattungsnamen, »das Tucherische Stambuch«, damit vermeidend, das Tucherbuch im Sinne der Tucherschen Selbstverständnisses benennen zu müssen. In seiner distanzierten Wahrnehmung unterscheidet der Brief zwischen der überhöhenden Repräsentation und dem ihm ebenfalls bekannten ›Familiensubstrat‹, dem Hochzeitspaar. Paulus Tucher wurde im Tucherbuch nicht mehr nachgetragen, von seiner Braut sind lediglich Lebensdaten und Eltern bekannt.871 Es hat sich also um eine klassische Missheirat gehandelt, ein »zimlich Pflatzshen« bezieht sich also auf eine Darstellung im Tucherbuch von etwas gänzlich Misslungenem, ein ›Bauchplatscher‹, Tintenklecks oder Schandfleck. Diese lapidare Äußerung über ein von der Familienstiftung mit langanhaltendem, größtem Engagement betriebenes Projekt zeigt möglicherweise auch einen Geschmackswechsel an, der Mitgrund gewesen sein könnte für das Abnehmen der patrizischen Familiengeschichtskultur seit dem frühen 17. Jahrhundert. Der im Tucherbuch erzeugte historische Sinn hatte den Höhepunkt seiner Überzeugungskraft bereits überschritten, konnte er doch ironisch thematisiert werden. Dennoch behielt die soziale Gruppe des Patriziats ein Interesse daran, die allenfalls in persönlichen Briefen kritisierte Wirkung der historiographischen Distinktionsmedien nicht zu gefährden. Die internen Aufzeichnungen helfen insbesondere, erste Schlussfolgerungen 870 GNM Behaim-Archiv 154, Brief vom 13. 2. 1612. Für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Johannes Staudenmaier. 871 Johann Gottfried Biedermann, Geschlechtsregister des hochadelichen Patriciats zu Nürnberg […], Bayreuth 1748 [ND Neustadt/Aisch 1982], Tabelle 519.

Der Prachtkodex Tucherbuch

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für den Quellenwert der Tucherschen Familiengeschichtsschreibung zu ziehen. Prinzipiell entschied die Familienstiftung über Jahrzehnte gemeinsam, verteilte die Anstrengungen auf verschiedene Familienmitglieder. Die Geschichtsschreibung und die dabei zur Verwendung kommenden historiographischen Textformen, Materialien und Techniken wurden genau geplant. Die Neuordnung der Familiengeschichte und die Vorrede sind das Produkt von mehrjähriger Überlegung und Reflexion. Um nicht bei den Absichtsbekundungen der Familienmitglieder stehen zu bleiben, muss der Versuch gemacht werden, die Zeitgenossen wenigstens punktuell besser zu verstehen als sie sich selbst verstanden.

3.2

Der Prachtkodex Tucherbuch. Die Form als Teil des historiographischen Inhalts

3.2.1 »Register aller Generation [sic!]« und Monument. Aufbau und Gestaltung des Tucherbuchs Die für den Band übliche Bezeichnung »Großes Tucherbuch« taucht in diesem selbst nicht auf, sondern wurde an die Quelle herangetragen. Allerdings scheint sie offenbar noch immer zu überzeugen, was auf die besondere äußere Gestaltung des 43x61 cm großen Pergamentbandes zurückgeführt werden kann, der wohl die kostbarste nichtfürstliche Familiengeschichte ist. Der Band enthält 252 beidseitig beschriebene Seiten, die Buchenholzdeckel sind mit Puttenköpfen als Sperren beschlagen sowie mit großen vergoldeten Silberbeschlägen im Schweifwerkdekor.872 Der schwarze Samtbezug des Deckels hebt das Bildprogramm der Kreuzigungsszene, der Tugendallegorien und des Tucherwappens hervor. Der Wunsch, ein Monument mit der Absicht statussichernder Rezeption herzustellen, wird durch die Devise über dem Tucherwappenbeschlag »Generis antiquitas Honestatum, Virtutem & Nobilitatem omnium mortalium iudicio commendat« verdeutlicht.873 Von außen sichtbare Lesezeichen am ›Schnitt‹ des Buchblocks verweisen auf die Benutzungsabsicht, denn jede ›Stammlinie‹ ist durch ein Lesezeichen schnell zu finden. Bereits von außen ist zu erkennen, dass die Pergamentseiten eine spezifische natürliche Wellung besaßen, die aber nunmehr durch die Restau872 Zur äußeren Gestaltung folge ich, sofern nicht anders gekennzeichnet, der Digitaledition des GTB, unpaginiert (Menüpunkt »Gesamtinhalt«). 873 Für eine Abbildung des Einbands und des Buchschnitts vor der Restaurierung vgl. Grote, Die Tucher, Abb. 99. Die allegorischen Elemente der Rückseite ebd., Abb. 102 – 105.

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rierung und den mit der Öffnung des Buchblocks verbundenen Feuchtigkeitsaustausch verstärkt wurde.874 Die Gestaltung der einzelnen Seiten ist durch die Digitalisierung teilweise mit geringerer Auflösung, teilweise aber auch unter Verlust von Farbnuancen wiedergegeben im Vergleich mit den gutachterlichen Detailaufnahmen.875 Die festgestellten haptischen Eigenschaften des Kalbspergaments, durch Aufrauhen mit samtig-matter Oberfläche, sind einerseits typisch für den Beschreibstoff, andererseits war hier das unbeschriebene, noch feuchte Pergament gekalkt worden. Dadurch wurde die Oberfläche dieses potentiell unregelmäßig kolorierten und starken (0,12 – 0,37 mm teilweise innerhalb eines Doppelblatts) Naturstoffs gleichmäßiger.876 Die sehr großen Pergamentblätter waren aus ganzen Kalbsfellen herausgeschnitten worden, so dass die Wahrscheinlichkeit von Unebenheiten wuchs, wie auch die Spannungsaufwölbung. Um das Material für die Beschreibung zu optimieren, wurde es beschichtet, wodurch die Poren geschlossen, die Transparenz und die Farbhaftung verbessert wurden. Ähnlich aufwändig wie die Vorbereitung des Pergaments wurde die Schreibschrift in den Registern, Lebensläufen und Beschriftungen in den Miniaturen mit Eisengallustinte ausgeführt, mit Höhungen durch Goldtusche. Die Auftragung erfolgte mit drei verschiedenen Federn, teilweise wurden mit Spitzfedern Vorzeichnungen in den Schriftzügen der Initialen eingefügt, die dann mit Breitfeder nachgezogen wurden. Die Auszeichnungsschrift der männlichen Tucher mit Nachkommen wurde mit roter (Zinnober) und die der weiblichen mit blauer (Azurit, Lapislazuli) Tusche eingetragen. Noch weit differenzierter wurden die mit Miniaturen zu bemalenden Flächen geglättet und grundiert, so dass die Pigmente in einem aufwändigen Bindemittelsystem aufgetragen werden konnten.877 Der heutige Zustand zeigt gewisse Abplatzungen, die aber meist auf der Zusammensetzung von Tinten, Kontaktkorrision zwischen Pigmenten der Malschichten verbunden mit Klimareflexen des Materials, mithin auf »systemimmanenten, endogenen« Ursachen beruhen. Konservatorische Analysen können derartige Erscheinungen relativ sicher von Benutzungspuren unterscheiden, darunter Verwischungen in den Malschichten, wie auch Kratzer in den Gesichtern der Miniaturen, die von Fingerzeigen herstammen.878 874 Die folgenden Angaben zur Zusammensetzung des Bands entnehme ich hier nicht den Stiftungsrechnungen, sondern einem konservatorischen Gutachten des Stadtarchivs, vgl. Bert Jacek, Das Große Tucherbuch. Zustandsbeschreibung der Schreib- und Malmittel. Die Festigung der Schreib- und Malmittel, unveröffentlichtes Gutachten, Köln 1999. 875 Ebd., passim. 876 Ebd., 3 f. 877 Ebd., 12. 878 Ebd., 15.

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Der illustrierte Pergamentband steht in der Tradition der Trachtenbücher, die den sozialen Rang im Spiegel der Kleidung darstellten, woraus teilweise ahistorische Kleiderdarstellungen resultieren.879 Die Familiengeschichte macht ebenfalls Anleihen bei Porträtbüchern, wobei zwar viele Miniaturen nach Porträts gearbeitet wurden, häufig aber auch andere Vorlagen eingearbeitet wurden, etwa aus Dürers Kupferstichen. Die Ausführung erfolgte durch einige der wohl angesehensten Künstler der Zeit, von denen die bereits in den Rechnungen auftauchenden Jost Amman und Georg Hertz besonders bekannt waren. Zusammenfassend zur äußeren Gestaltung lässt sich sagen, dass die materielle Ausstattung eine symbolische Bedeutung im Kontext der Repräsentation besitzt, so dass bereits vor der Lektüre ein ästhetischer Eigenwert durch die aufwändigen Verzierungen der Initialen, der Randverzierungen und der floralen Ornamentik der Abbildungen, wie auch allein schon durch die Hochwertigkeit der Schreibschrift erreicht wird.880 Der inhaltliche Aufbau umfasst daher eigentlich bereits die äußere Erscheinung des Bandes. Der im eigentlichen Sinne textlichen historischen Darstellung stehen zahlreiche unpaginierte Paratexte voran. Die erste Seite beginnt mit einem vornamenalphabetischen Gesamtregister, das Namen und Sachstichworte verzeichnet.881 Die Aufmerksamkeit des Lesers soll sich ganz auf die dargestellten Inhalte richten, fehlt doch ein Titel. Anders der nächste Index, der mit »Verzaichnis der Tucher so ainerley Tauffnamen gehabt« überschrieben ist und die Tucher in der Reihenfolge Ihres Auftretens verzeichnet.882 Darauf folgt das »Register aller Generation [sic!] vnd Richtige Anweisung der gehaltenen Ordnung des gantzen Tucherbuchs«.883 Die im Plural auftretenden »Generationes«, wie vertikal eingetragen ist, stehen offenbar in Zusammenhang mit dem im Titel genannten Konzept »Generation«, die sich in den angezeigten neun »Stammlinien«, den ihnen zugeordneten 46 »Generationes« und der Durchnummerierung zeigt. Wurde in früheren Beispielen der Familiengeschichtsschreibung die Anzahl der Söhne mit »Graden« angegeben, so werden hier zwar alle männlichen Tucher durchgezählt, aber die Söhne einer »Generation« erhalten fortlaufende Nummern. Frauen werden als Gattinnen und als Töchter berücksichtigt, erhalten jedoch keine Nummer. Ein weiteres Verzeichnis dient allein der Übersichtsdarstellung »Zu was für Geschlechten die tucher geheyrat wie offt vnd welches Jar zu einem Jeden«.884 879 So Bock, Die Chronik Eisenberger, 419. 880 Zur Wertigkeit und zum sozialen Kontext der Schreibschrift vgl. das Kapitel weiter unten, wie auch zusammenfassend Linke, Schreibmeister. 881 GTB, fol. Ir-XXIVr. 882 Ebd., fol. XXVIIr-XXXIIIr. 883 Ebd., fol. XXXIVr-XXXIXv. 884 Ebd., fol. XLIIIr-XLVr.

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Ohne Folionennung, wohl aber in der Reihenfolge des Auftretens im Tucherbuch, erfolgen Angaben über die Familien, in die Tucher eingeheiratet hatten. Von diesen Familien werden ausschließlich Nürnberger Patrizier durch Rubrizierung hervorgehoben. Familien, in die geborene Tucherinnen eingeheiratet haben, werden analog unter »Was für Geschlecht zu den Tuchern geheyrat welches Jar vnd wie offt« dargestellt.885 Die Paginierung beginnt zwar mit der »VORRED [Versalien der Auszeichnungsschrift]«, dennoch handelt es sich bei der in dieser besonderen Form erstmals 1590 hinzutretenden Vorrede um einen erläuternden Paratext.886 Anders als viele frühere Vorreden ist die »Vorred« nicht – wie noch Christoph Scheurls Vorrede – als Werk eines Autors markiert und erschöpft sich auch nicht in einem Katalog von meist acht Geboten, wie traditionell häufig seit dem Bartholomäus-Haller-Buch.887 In singulärer, sermonartiger Textgestaltung behandelt die »Vorred« die Heilsgeschichte seit der Erschaffung der Welt, über den Sündenfall bis zur Erlösung durch Jesus Christus, bevor dann die zweite Hälfte eher eine familiengeschichtlich-geschichtstheologische Argumentation verfolgt. Es kommt sowohl die statuskonstituierende Turnierteilnahme der Tucher im Jahr 1198 als auch die Kaisertreue der durch Machtgier des Papstes zerstörten Stadt zur Sprache. Diese Zerstörung wird neben dem Aufstand von 1348/49 als Grund für familiengeschichtliche Quellenarmut angeführt. Die Vorrede des frühesten Tucherbuchs aus dem Jahr 1542, wenn auch mit Widmungscharakter, erfolgt unter dem Titel »Herrn Doctor Christoff Scheürl Schreiben vnd Eingang deß Tucherbuchs«,888 woran eine ganzseitige Abbildung des Tucherwappens, »Der Tucher gedechtnus vnd Stammbuch« unterschrieben, mit einer lyrischen Erläuterung des Wappens,889 und der Wappentraktat »De Insignibus Armorvm« anschließen.890 Bevor der Bericht über die ritterliche Herkunft der Tucher und den diese beglaubigenden Reichsherold Rixner unter dem Titel seines verbürgenden Namens, »Georg Richsner, genant Jherusalem […]«,891 die Paratexte abschließt, wird die damals bereits umstrittene Turnierteilnahme ins Bild gesetzt: »Wolff vnd Sigmund die Tucher« werden mit Tucherwappen und prinzipiell im Rahmen der Ikonographie der Miniaturen im Tucherbuch abgebildet, wobei die Ornamentik reichhaltiger und der die Namen 885 886 887 888 889 890 891

Ebd., fol. XLVIIr-XLVIIIv. Ebd., fol. 1r-20v. Vgl. dazu Bock, Die Chronik Eisenberger, 372. GTB, fol. 23r. Ebd., fol. 24v-26v. Ebd., fol. 25r-26v. Ebd., fol. 27v-28r. Der Abschnitt zu »Richßner« taucht jedoch bereits textgleich in der früheren Fassung des Tucherbuchs, das ab 1565 als Manuskript entstanden war, auf, nämlich Tucherbuch London, fol. 27r-28v.

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wiedergebende Schriftzug zurückhaltend schraffiert erscheint.892 Erst danach beginnt die historische Darstellung im engeren Sinne, die aber gleichwohl von verschwenderisch eingefügter paratextlicher Strukturierung begleitet wird; der Schriftzug »Die Erste Stammlini« wird allein mit Verzierungen auf einer ganzen Seite eingetragen. Diese Praxis setzt sich für die kommenden acht »Stammlinien« fort. Bis auf unausgeführte Ausmalungen bei der einen oder anderen »Generation« der letzten, neunten Stammlinie wird die Gliederung konsequent durchgehalten.

3.2.2 Die handgeschriebene Theuerdanktype als Trägermedium und Inhaltselement Mehrere Zeilen umfassende Majuskeln, eine übersteigerte und geradezu bis zur Unkenntlichkeit getriebene Ausschmückung mit floralen Ornamenten in einer handgeschriebenen Theuerdanktype kennzeichnen den opulenten Charakter der Prachtversion des Tucherbuchs.893 Dieser Befund ist bisher meist pauschal in Hinblick auf den damit verbundenen außergewöhnlich hohen materiellen und zeitlichen Aufwand qualifiziert worden,894 so dass die Konnotierungen der handgeschriebenen Frakturschrift im Rahmen eines Geschlechterbuchs – während die Effizienz drucktechnischer Vervielfältigung immer weiter gesteigert wird – keineswegs erschöpfend behandelt sind.895 Im Gegenteil war die Historiographie an den Fürstenhöfen auf Dauer hin angelegt. Sie überführte Memoria überdies regelmäßig in eine materielle Geschichtskultur von Münzen, Gobelinserien usw. Im Fall des Tucherbuchs schlug sich das Darstellungsziel jedoch auch in auffallender Weise in der Gestaltung der Schrift nieder.896 Mit der Gestaltung der Geschichtsdarstellung ist ein Mehrwert verbunden, der hier zunächst spezifisch schriftgeschichtlich herausgearbeitet werden soll; 892 GTB, fol. 27r. 893 Vgl. neben der Digitalfassung (GTB) auch Grote, Die Tucher, sowie die Abbildungen nebst teilzitiertem Herausgeberkommentar der digitalen Edition: Michael Diefenbacher, Das Große Tucherbuch, in: Altfränkische Bilder. Neue Folge 2 (2007), 9 – 12. 894 Der Kommentar in GTB nennt lediglich kurz den Schreibmeister, ohne die Bedeutsamkeit dieser Herstellungsweise familiärer Memoria weiter zu charakterisieren. 895 Die Hinweise von Diefenbacher verweisen auf den singulären Charakter der Gestaltung von Texten und Bildern, vgl. Diefenbacher, Das Große Tucherbuch, während – um stark verkürzt formuliert – Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 180, 182, die Buchgestaltung als Anknüpfung an liturgische Traditionen deutet. 896 Die medienübergreifenden Bezüge von Historiographie, dass nämlich »Ahnengalerie, Historienzyklus, Gobelinserien und Medaillensammlungen […] als effektivere Werkzeuge individuellen Ruhms sowie dynastischer Memoria« galten, ist ein durchgehender Befund, der sich aus der vorliegenden empirischen Untersuchung ergab, ohne ihr ursprünglich zu Grunde gelegt worden zu sein, vgl. Völkel, Geschichtsschreibung, 229.

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sodann ist die äußere Erscheinung des Einbandes der Prachtversion des »Großen Tucherbuchs« auf die Wirkungsabsicht hin zu untersuchen, wie auch ein Blick auf die Illustrationen, ihre Vorbilder und die mit deren Reproduktion und (Neu-) Kontextualisierung verbundenen Absichten zu richten ist. Die Prachtversion des Tucherbuchs ist durchgehend in Initial-, Auszeichnungs- und Zeilenschrift mit Ornamenten gestaltet. Wie sich mit einer Schriftanalyse der Ober- und Unterschleifen zeigen lässt,897 ist die von den Tucher gewählte Schrift mit einem Schreibmusterbuch im Halbfolioformat von 1573 deckungsgleich,898 das auf mehreren Pergamentseiten eine kalligraphische, farben- und goldbelagmäßige Komposition mit Beispieltexten ausstellt, wie an der überaus häufig überlieferten Gattung von Schreibproben gesehen werden kann.899 Diese Schriftprobe stammt vom bekannten Schreibmeister des Tucherbuchs, Franz Joachim Brechtel.900 Die Brechtel waren eine Familie von Schreibmeistern und Kunsthandwerkern, die im Rahmen von Erbschaftsangelegenheiten und Vormundschaften enge familiäre Beziehungen zu den Tucher besaßen, vor allem zu den mit der Ausführung des Prachtkodex befassten Herdegen und Tobias Tucher.901 Obwohl Kontakte zum Begründer der wichtigen und stilbildenden Nürnberger Schreibschule Neudörffer belegt sind, wurde bisher für Franz Joachim Brechtel ein Berufs- und Ortswechsel vermutet. Die Schriftzüge sind jedoch vollkommen identisch, so dass das erklärtermaßen durch Brechtel ausgeführte Musterbuch nahelegt, dass er weiterhin als Schreibmeister und Kalligraph tätig war.902 897 Kriterien für eine solche Analyse böte beispielsweise die Erschließung mit systematischen Absichten in P. Neumann, Frakturtype, in: Severin Corsten/Günther Pflug/Friedrich Adolf Schmidt-Künsemüller (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens. Zweite, völlig neubearb. Aufl., Stuttgart 1987 ff., 13. 898 »Zu gueter gedechtnuss vnnd zu sonderm gefallen herrn Johann Newdörffern Rechenmaister zu Nürmberg hat Frantz Joachim Brechtl diese schrifften geschrieben anno 1573«, Staatsbibliothek Bamberg J.H. Msc. Art. 88 (III.97). 899 Weitere Beispiele bietet Friedrich Pfäfflin (Hg.), Wolfgang Fugger, Ein nutzlich vnd wolgegrundt Formular Manncherley schöner schriefften: Ein nutzlich vnd wolgegrundt Formular Manncherley schöner schriefften. Vollständige Faksimileausgabe des Schreibmeisterbuchs von 1553, München-Pullach 1967, 157. 900 Diese Information, mit einem Hinweis auf die Beteiligung eines Schreibmeisters »Sauer«, bei Diefenbacher, Das Große Tucherbuch. 901 Dazu der zeitgenössische Bericht Neudörfers, dessen Ausführungen vermutlich ungekennzeichnet durch Andreas Gulden fortgeführt worden sind: G. W. L. Lochner (Hg.), Johann Neudörfer, Nachrichten von Künstlern und Werkleuten: Des Johann Neudörfer Schreib- und Rechenmeisters zu Nürnberg Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547. Nebst der Fortsetzung des Andreas Gulden (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance X), Wien 1875, 194 f. 902 Für eine anhaltende Wertschätzung der von Brechtel hergestellten Handschriften spricht die Kontinuität von Schreibmusterbüchern, die eine Zwischenstellung zwischen um Auf-

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An Hand des Musterbuchs lässt sich der Zusammenhang von Schrift und Textinhalt demonstrieren. Diese wenigen Seiten waren, wie der Titel andeutet, eine ›Gabe‹, einen Dedikations- und Repräsentationsgegenstand: »Zu gueter gedechtnuss vnnd zu sonderm gefallen herrn Johann Newdörffern Rechenmaister zu Nürmberg hat Frantz Joachim Brechtl diese schrifften geschrieben anno 1573«. Johann des Älteren Neudörffers (1497 – 1563) Nachfolger, Johann der Jüngere Neudörffer (1543¢1581), wird hier monumentalisierend angeführt, jedoch wird kein expliziter Bezug auf seine Person, den seit dem ersten nordalpinen Schreibmusterbuch 1519 bedeutendsten Nürnberger und deutschen Schreibmeister, hergestellt.903 Weitere Vorläufer der Zierschrift des Tucherbuchs sind die Pfinzingschen ›Prachturkunden‹ von 1554/55 zu nennen; diese zeigen diverse Privilegien Karls V. auf Pergament in Gold- und Silberhöhung und großen Metall-Siegelkapseln.904 Die Frakturschrift der Prachtversion des Tucherbuchs ging aus der Theuerdanktype hervor, die im höfischen Kontext als drucktechnische Innovation für die fiktive Autobiographie Kaiser Maximilians I. hergestellt worden war, dessen Brautfahrt zu Maria von Burgund zu einer ritterlichen »aventiure«- Fahrt im Epos stilisiert wird.905 Gegenläufig zum standardisierenden Einfluss des Druträge werbenden Musterbüchern und zur Selbstniederschrift anleitenden Briefstellern einnehmen: So zeigt eine dieser Produktionen von Johann Neudörfer d. Älteren (1549, Nürnberg) Initialalphabete mit Flechtzügen, die nachweislich noch nach 1587, unter anderem in Antwerpen, benutzt worden sind; hieran angeheftet findet sich u. a. das Neudörfersche Lehrbuch der Schreibkunst von 1519. Weitere Fraktur-Initialalphabete enthalten die Proben von Adam Strobel 1590 sowie Johannes Weigel von »vor 1590«, wobei ersterer in die Werke Johann Neudörffers d. Älteren eingebunden ist. Christoph Fabius Brechtels 1602 entstandene »Kurtze vnnd Getrewe vnterweißung der Fürne[m]/sten Teutsche Hauptbuchstaben etc Sampt angehengten etlich derselben newen Alphabete[n]/ in kupffer gestochen. / Durch/˙Christoph Fabium Brechtel/ Rechenmeister vnnd Burger zu Nür[nberg]/ Mit Röm: Kay :Mtt:/ Freyheit nicht nachzutrucken« wurde 1636 neu aufgelegt, und enthielt ornamental Rahmungen und gedruckte Kupfertafeln mit Initial-Buchstaben. Der Schreibmeister des Tucherbuchs widmete dieses Werk den Patriziern Hieronymus Baumgartner und Joachim Nützel, so Werner Doede, Bibliographie deutscher Schreibmeisterbücher von Neudörffer bis 1800, Hamburg 1958, 42, 51 und 54. Sein Werben scheint Erfolg gehabt zu haben, wenn auch nicht bei den Nützel, so doch bei den Pfinzing, deren Geschlechterbuch von 1620 eine – mit dem Tucherbuch identische kalligraphische Gestaltung – wenngleich bei verschiedener Ikonographie, aufweist; mit Abbildungen in Haller von Hallerstein (1978), Abb. 4, 230. 903 Werner Doede, Schön schreiben, eine Kunst. Johann Neudörffer und seine Schule im 16. und 17. Jahrhundert (Bilder aus deutscher Vergangenheit. Bibliothek des Germanischen National-Museums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte 6), München 1957, 37 – 53. 904 Original-Holzkisten mit Wappen, Haller-Archiv Großgründlach. 905 Die Selbststilisierung in Ritterepen hat zu einer historischen Rezeption des Kaisers als dem ›letzten Ritter‹ vor Beginn ›der Neuzeit‹ geführt, vgl. Claudia Brinker-von der Heyde, Die literarische Welt des Mittelalters, Darmstadt 2007, 179, 181.

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ckens auf die Schrifterscheinung sollte das Ritterepos »Theuerdank« handschriftlich anmuten, aber die Leistungen der Drucktechnik verdeutlichen.906 Diese ›gedruckte Schreibschrift‹ verlangte zusätzlich zu kurrent aussehenden Lettern einen besonderen Variantenreichtum, um die Anschlussmöglichkeiten zwischen den Buchstaben möglichst authentisch handschriftlich aussehen zu lassen; einzelne Buchstaben wurden daher in mehreren Varianten eingesetzt. Den immensen Aufwand, das Medium der Drucktechnik in dieser Weise zu verfeinern, konnte nur der kaiserliche Hof bewältigen, ein Zeichen für das Bedürfnis nach Prestigesteigerung: Die als exklusiver Privatdruck beabsichtigte Produktion des »Theuerdank« richtete sich vor allem an Reichsfürsten. Das Versepos muss als Privatdruck mit politischen Absichten gelten, mythologisiert es doch den Weg Maximilians zur Geliebten, auf dem er den Widerstand der personifizierten Laster überwindet. Der Buchdruck konnte dem Kaiser als ein effizientes neuartiges Mittel erscheinen, um erstmals die hochmittelalterliche – als Hochzeitsgedicht spätantike – Gattung mit propagandistischen Absichten innerhalb bestimmter Grenzen zu popularisieren. Das eigentlich Neue an Maximilians Vorgehen sind jedoch die verzierten Unter- und Oberschleifen der vom kaiserlichen Schreiber Vinzent Rockner entworfenen, als »Schreibmeisterschnörkel« bezeichneten Lettern, die eine Handschrift nachahmen, entgegen der Rationalisierungstendenz der Drucktechnik also besonders hochwertige Drucke schaffen sollten. Daher wird auch keine Standardisierung angestrebt, sondern es werden Buchstaben variiert, so dass es mehrere Versionen eines Buchstaben auf einer Seite geben konnte. Ziel des Theuerdank-Druckes ist die überbietende Nachahmung fürstlicher Prunkhandschriften; der Kaiser verfeinerte mit großem finanziellem Aufwand die drucktechnisch zur Verfügung stehenden Mittel.907 Der Zeitaufwand, kalligraphisch zu schreiben, war um 1500 ebenfalls sehr hoch, wie die zwölf Jahre (1504 – 1516) dauernde Bearbeitungszeit des großformatigen »Ambraser Heldenbuchs« durch den an Kaiser Maximilians Hof tätigen Hans Ried verdeutlicht.908 Die Frakturschrift wurde von Neudörffer systematisierend weitergeführt bis 906 Die Entstehung und Praxis der Nürnberger Schreibmeisterkunst beschreibt eingehend und mit Quellenverzeichnissen Linke, Schreibmeister, 82 – 118, 123 – 127. 907 Wolfgang Neuber, Ökonomie des Verstehens. Markt, Buch und Erkenntnis im technischen Medienwandel der Frühen Neuzeit, in: Horst Wenzel/Wilfried Speidel/Gotthart Wunberg (Hg.), Die Verschriftlichung der Welt. Bild, Text und Zahl in der Kultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Schriften des Kunsthistorischen Museums 5), Wien 2000, 181 – 213, hier 209. 908 Freilich handelte es sich bei Hans Ried um einen freigestellten Zolleinnehmer, der aber trotz seines Eigeninteresses an der längeren Bearbeitungsdauer das Ambraser Heldenbuch kanzleischriftlich vollendet vorlegte, vgl. Brinker-von der Heyde, Die literarische Welt, 44, 50.

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zum 1538 erschienenen Lehrbuch »Eine gute Ordnung und kurzer Unterrichte Zierlichs schreybens«.909 Die Schriftgestaltung entfaltete sich jedoch nicht gemäß tagesaktueller Moden, sondern bezog kunsttheoretische Entwicklungen mit ein, wie die Lehre von harmonischer Proportion, die etwa Albrecht Dürer in Form von Leonardos »De Divina Proportione« rezipierte und 1525 in einem selbst in Neudörfferscher Frakturtype gesetzten Traktat weiterführte.910 Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verfeinerte sich die Schriftgestaltung, wie die mehr als 35 Varianten des durch Listenform wiederholten Wortes »Item« in der Abschrift des Nachlassinventars Willibald Imhoffs (1519 – 1580) zeigen.911 Kalligraphische Schriftgestaltung war ein sich beständig verschärfender Überbietungswettstreit, in den insbesondere das Nürnberger Patriziat mit Geschichtsdarstellungen der Stadt und des eigenen Geschlechts sowie der mit ihm verbundenen Wappen einstieg.912 Ein gnadenloser Wettbewerb der Anbieter handschriftlicher Dienstleistungen ging einher mit der Überbietungsabsicht von Auftraggebern, eine agonale Konstellation, die bereits Kaiser Maximilian I. veranlasst hatte, fürstliche Prunkhandschriften zu übertrumpfen.913 Die Theuerdank-Schrifttype verbreitete sich in ganz Europa,914 war jedoch besonders beliebt in Nürnberg. Spätere Schriftmusterbücher orientierten sich stark an Neudörffers Vorbild, indem sie die Tradition der Schreibschrift und die Lehraufgabe mit seinen verfeinerten didaktischen Mitteln weiterführten; noch 1631 werden Schreibproben angelegt,915 die denen aus dem Anhang der »Guten Ordnung« Neudörffers916 wie auch der hier in den Mittelpunkt gestellten Schreibprobe ähneln. Ein weiterer Blick richtet sich auf die Bedeutsamkeit des in den Schreibproben wiedergegebenen Inhalts; das Musterbuch enthält auf seinen wenigen Folioseiten katalogartig Schriftproben verschiedener Güte und für unterschiedliche soziale Bezugsrahmen. Die Auswahl der Texte für die Mustertafeln ist dabei von großer Bedeutung; die gewählten Inhalte korrespondierten mit der Vermittlungsabsicht. Ähnliches gilt auch für die Schreibmeisterbücher, etwa wenn ein späterer Johann Neudörffer ein Privileg Kaiser Karls V. für einen Kanzleischreiber als Textfüllung des Schreibmusters einfügt, um damit die hohe Würde eines Schreibers und die Angemessenheit seiner Künste für den Kaiserhof zu Doede, Schreibmeisterbücher, 12 – 25. Fugger, Formular, 217 f. Doede, Schreibmeisterbücher, 68. Ebd., 73. Zu Maximilians Absichten vgl. Neuber, Ökonomie des Verstehens, 209; die finanziellen Unwägbarkeiten im Schreibgewerbe stellt dar Doede, Schreibmeisterbücher, 73. 914 Die Verbreitung deutet sich in den Auflagenzahlen in verschiedenen Sprachen an, so Fugger, Formular, 219. 915 Doede, Schreibmeisterbücher, 80. 916 Dieses ist verkleinert abgebildet ebd., 32. 909 910 911 912 913

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beanspruchen.917 Im Bamberger Schreibmusterbuch wurden ebenfalls jeweils schriftartspezifisch zu erwartende Texte gewählt, wobei eine der ersten Proben, die exakt der laufenden Schrift der Prachtversion des Tucherbuchs einschließlich der besonders charakteristischen Majuskeln entspricht, zur Darstellung der Schrift eine Arenga Kaiser Karls V. heranzieht: Wir Karl der Fünnfft von Gottes gnaden Romischer Kaiser zu allenn Zeitten meerer des Reichs in Germainien zu Hispanien vc. Künnig Bekennen offenntlichen vnnd thuen khunndt aller mennigcklich Wie wol wir aller vnnd jeder vnnser vnnd des Heiligen Reiches vnnterthanen vnnd getrewen Ehre vnnd aufnemmen Zu mehren genaigt So ist doch ist vnnser gemüet Insonnders gegen denen[.]918

Die Gestaltung stimmt bis in die Einzelheiten der kunsthandwerklich phantasievoll anmutenden ornamentalen Ausschmückung der Familiengeschichte überein. Die Buchstaben der ersten beidenWörter »WIR KARL« gehen in eine wohl zum Zweck der Überwältigung des Betrachters dicht verwobene Struktur von Rundungen ohne Ansätze von Ende und Anfang ein, so dass die Buchstaben kaum wahrnehmbar sind und dem Lesenden erst nach und nach erkennbar werden. Die aufwertende Abbildung eines als bekannt vorausgesetzten Sachverhalts scheint somit das Hauptanliegen gewesen zu sein, während die Darstellungsfunktion bei dieser Schrift weit in den Hintergrund gerückt ist. Ähnliche Funktionen von kalligraphischer Ausschmückung lassen sich in der liturgischen Buchmalerei ausmachen, wo die Verzierung den Text fast unkenntlich macht und so den Betrachter zum Einhalten vor der Lektüre eines geistlichen Textes zwingen soll.919 Die versenkende Betrachtung und Bewunderung scheint den Auftraggebern wichtiger gewesen zu sein als die Lektüre.920 Diese Ambivalenz kommt im genannten Schreibmusterbuch zum Ausdruck, ebenso in der Prachtversion des Tucherbuchs. Ihre Finanzierung wurde bereits im Jahr 1567 angefangen, d. h. parallel zur Entstehung der Manuskriptfassung von 1565 bis in die 1570er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt standen, wie das Musterbuch zeigt, bereits neue künstlerische Mittel zur Verfügung, um eine Familiengeschichte anzufertigen. Daher kann keineswegs dichotomisch von einer Leseausgabe und einer Repräsentationsfassung des Tucherbuchs ausgegangen werden, werden die Texte doch zu917 Ebd., 80. 918 Staatsbibliothek Bamberg J. H. Msc. Art. 88 (III.97), fol. 2. 919 Ein Beispiel für verrätselnden kalligraphischen Schmuck ist der um die Jahrtausendwende entstandene Sakramentar Heinrich II., der auf Bl. 12 V/21R eine Initialzierseite mit den Majuskelbuchstaben des Wortes »Incipit« bietet, so dass die Buchstaben geradezu in floralen und geometrischen Ornamenten unterzugehen scheinen, vgl. Luitgar Göller (Hg.), 1000 Jahre Bistum Bamberg 1007 – 2007. Unterm Sternenmantel. Katalog, Petersberg 2007, 98. 920 Diese Aufteilung vollzieht zu scharf Doede, Schreibmeisterbücher, 73.

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Abb. 8: Die »Vorred«, GTB, fol. 1r. Abb. 9: Personendarstellung, GTB, fol. 61v.

sätzlich zu – die Anschaulichkeit erhöhenden – Einzelheiten auch durch umfängliche paratextuelle Lesehilfen und -anleitungen ergänzt. Die Goldeinlagen deuten vor allem auf die soziale Markierungswirkung der Schriftprobe hin, in einem weiteren Beispiel mit einem religiösen Text fehlen diese nämlich: Jesu nostra redemptio, Amor et desiderium Deus creator omnium, Homo in fine temporum Puate[?] vicit clementia, Ut feres n[ost]ra crimina Crudelem mortem patiens, Ut nos a morte tolleres[.]921

Dieses Schreibmuster ist der Laufschrift nach nahezu mit der Schrift der Prachtversion identisch, auch finden sich in bescheideneren Ansätzen Initialmajuskeln, die eine ornamentale Kalligraphie andeuten. Der Ausschmückungsgrad war dem religiösen Inhalt angepasst worden, Verzierungen waren demnach nur der Wiedergabe eines kaiserlichen Textes angemessen, zumal dem im protestantischen Nürnberg auch aus konfessionellen Gründen verehrten Karl V., dem als Garanten der reichsrechtlichen Anerkennung des Luthertums wahrgenommenen Herrscher. Die Konfessionalisierung hatte durch diese Aufwertung des Protestantismus 921 Staatsbibliothek Bamberg J. H. Msc. Art. 88 (III.97), fol. 3.

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beiden Richtungen gemeinsame Möglichkeiten der Abgrenzung geschaffen, so dass dem Kaiser als ›Schutzmacht‹ besondere Wertschätzung erteilt wurde. Die Herkunft der Frakturschrift aus der kaiserlichen Kanzlei dagegen hätte man wohl mehr als 50 Jahre nach ihrer Übernahme und Weiterentwicklung durch Neudörffer um 1519 nicht mehr zwingend durch einen kaiserlichen Text ausdrücken müssen.922 Die Schrift als Trägermedium von Informationen war in gesteigertem Maße Ausdrucksmittel in agonalen sozialen Zusammenhängen geworden. Dürers Werk »Die vier Apostel«923 ziert daher ein an den Nürnberger Rat gerichteter, auf die Beibehaltung der Reformation abzielender Schriftzug in der Ausführung durch Neudörffer.924 Auch im frühen 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der Drucktechnik, blieb die Distinktionsabsicht mit der Schrift eng verbunden. Der Repräsentationscharakter der Theuerdank-Type und der daraus später hervorgegangenen Frakturschrift war im Zeitkontext herausragend. Im Vergleich mit dem Formularbuch von Wolfgang Fugger von 1553 muss gegen Ende des 16. Jahrhunderts, nach Neudörffers Tod, ein größerer Spielraum für repräsentative Assoziationen durch den Einsatz der Theuerdank-Type möglich gewesen sein. War es nur eine besondere Spielart, die bei Fuggers eher alltäglichen Textbeispielen, teilweise zur autodidaktischen Anleitung, nicht vorkam, oder handelte es sich bei dem Musterbuch von 1573 um eine besonders wertvolle Warenprobe in Zeiten gesteigerten Effizienzdrucks im Druckgewerbe? Der Befund, dass im Tucherbuch eine zeitaufwändige Schrift zu finden ist, die in einer zeitnah entstandenen, einem Schreibmeister gewidmeten Probe einen Text des Kaisers wiedergab, korreliert mit der buchkünstlerischen Gestaltungsentscheidung, das Tucherbuch mit einem beschlagenen Einband zu versehen. Der Pergamentkodex des Tucherbuchs ist von Buchdeckeln in schwarzem Samt umfasst, auf die vier Allegorien an den äußeren Ecken, eine zentrale Darstellung Christi am Kreuz und das Tucherwappen sowie sechs Gesperren aufgesetzt sind.925 Alle Beschläge gruppieren sich in die drei Darstellungstypen: figurativer Eckbeschlag, puttenförmige Sperre und Zentralmedaillon. Auch die inhaltlich hinten und vorne unterschiedlichen Zentralmedaillons, die Kreuzi922 Zur Vorgeschichte der kaiserlichen Kanzleischrift, der Grundlage für die spezifische Nürnberger Rezeption und Ausdehnung des Gebrauchs über bestimmte soziale Grenzen hinaus vgl. Heinrich Fichtenau, Die Lehrbücher Maximilians I. und die Anfänge der Frakturschrift. Mit 40 einfarbigen und 4 mehrfarbigen Wiedergaben nach Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, Hamburg/Wien 1961, zu einer besonders nahen Vorgängerschrift vgl. 38. 923 1526, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen. 924 Diese Angaben beziehen sich auf Fedja Anzelewsky, Dürer – Werk und Wirkung: XI. Die letzten Jahre 1521 – 1528. Digitale Bibliothek Band 28: Dürer: Das Gesamtwerk, 377, sowie auf Anja Grebe, Albrecht Dürer. Künstler, Werk und Zeit, Darmstadt 2006, 162 – 166. 925 Abbildungen sind greifbar bei Grote, Die Tucher, Anhang, unpaginiert.

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gung und das Wappen, sind einheitlich in Silber ausgeführt. Gefertigt wurden die Einzelteile dieses Ensembles von Hans Kellner.926 Es handelt sich bei den Eckdarstellungen auf beiden Seiten um die Tugendallegorien Wahrheit (»VERITAS« mit dem Licht des Strahlenkranzes die Welt erleuchtend), Friede (»PAX« mit Ölzweig und Taube), Klugheit (»PRUDENTIA« mit dem Spiegel der Erkenntnis und der Schlange als dem klügsten Tier) sowie Einfalt (»SIMPLICITAS« in einer Szene des Landlebens), während auf der Rückseite Weisheit (»SAPIENTIA« nach einer Vorlage von Maarten de Vos mit aufgeschlagenem Buch), Gerechtigkeit (»JUSTITIA« mit Waage und Schwert), Tapferkeit (»FORTITUDO« mit Samsons Attributen Säule und Löwe) sowie der Mäßigung (»TEMPERANTIA« mit zwei Gefäßen) figurieren. Die mittelalterliche Rezeption dieser antiken, den Werken Platons und des Aristoteles sowie teilweise auch Werken stoischer Philosophie entnommenen Lehrbereiche sah in diesen vier Teilen Grundelemente der antiken Philosophie. Kirchenlehrern wie Augustinus und Thomas stand hier eine Grundlage bereit, der die christlichen Tugenden von Glaube, Liebe und Hoffnung hinzugefügt werden konnten, während die Kardinaltugenden, von denen die weiteren Tugenden abgeleitet wurden, als dem natürlichen Menschen qua Menschen zugehörten. Die Allegorese der sieben Kardinaltugenden christlicher Prägung umfasste nicht nur kalligraphische oder bildende Werke der Kunst, sondern schloss auch die musikalische Komposition mit ein.927 Der Deckel des Tucherbuchs dagegen verfügt über acht Tugenden, wobei die vier Kardinaltugenden auf der Rückseite abgebildet sind. Sie umgeben das Wappen der Tucher, über dem die Devise »Generis antiquitas Honestatum, Virtutem & Nobilitatem omnium mortalium iudicio commendat« (»Die Vergangenheit der Familien stellt Ehre, Tugend und 926 So der Kommentar in der Digitaledition des GTB, unpaginiert. 927 Während der Zusammenhang von Ethik, Affekten und Musik bereits weiter oben dargestellt wurde, dazu zusammenfassend Klaus Wolfgang Niemöller, Tradition und Innovation des Affekt-Denkens im Musikschrifttum des 16. Jahrhunderts, in: Joachim Poeschke/Thomas Weigel/Britta Kusch (Hg.), Tugenden und Affekte in der Philosophie, Literatur und Kunst der Renaissance (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertessysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 1), Münster 2002, 77 – 94. Für die Tugendallegorese ist ein Jahrzehnte nach dem Tucherbuch entstandenes Beispiel zu nennen, eine Sammlung einstimmiger Generalbaßlieder aus Nürnberg, die für ein musiktheoretisches Beispielwerk des alten Systems der Kompositionslehre der Moduslehre gehalten wird, nämlich die »Tugendsterne« von Georg Philipp Harsdörffer und Johann Sigmund Theophil Staden (1645). Aus musikgeschichtlicher Perspektive schreiben die »Tugendsterne« eine Tradition der musikalischen Tugendallegorie des frühen 16. Jahrhunderts fort, die von Martin Schaffners Planetenbild ausgegangen war, und die bis hin zur allegorischen Darstellung von Instrumenten mit den »Tugendsterne[n]« reicht; die Siebenzahl der Gestirne korrespondieren mit musikalischen Strukturmerkmalen, ein Befund, der prinzipiell auf die Relevanz der (freilich acht) Tugendallegorien auf dem Tucherbuchdeckel verweist, vgl. Werner Braun, Deutsche Musiktheorie des 15. bis 17. Jahrhunderts. Zweiter Teil. Von Calvisius bis Mattheson (Geschichte der Musiktheorie 8/II), Darmstadt 1994, 143 – 147.

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Adel dem Urteil der Menschen anheim«) platziert ist. Die Verdienstkomponente wird höher bewertet als der Distinktionsgrad des Adels.

Abb. 10: GTB, unpaginiert, Bucheinband, vorn. Abb. 11: GTB, unpaginiert, Bucheinband, hinten.

Die als Engel oder Putten gestalteten Gesperre verhindern einerseits das Aufliegen der Deckelfläche auf dem schwarzen Samt, indem sie harmonisch in Freiräume der Ornamentik eingefügt sind; vier von ihnen bilden jedoch auch deutlich ein Kreuz und nehmen damit eine kunsthandwerklich bereits seit dem Hochmittelalter verbreitete ikonographische Tradition auf. Die Einbandgestaltung enthält Anspielungen auf die liturgische Buchkunst, die ähnliche Verzierungen bis zu einem Grade steigerte, der die Handschrift unbenutzbar machte. So wurde das Textkorpus des St. Galler »Evangelium Longum« für die bereits hergestellten Buchdeckel mit Elfenbeineinlassung und aufwändigsten Goldschmiedearbeiten bearbeitet.928 Entscheidend für die Interpretation des Tucherbuchs ist die Darstellung des Gottessohnes, umgeben von Cherubim und Zeichen der Evangelisten, unter dem Titulus »Hic Residet Xp[istv]c Virtutum Stemmate Septus«, »Hier thront Christus umgeben vom Kranz der Tugenden«. Die Tugenden sind das Evangelium, in seiner Darstellung durch die vier Evan928 Anton von Euw, St. Galler Kunst im frühen und hohen Mittelalter, in: Peter Ochsenbein (Hg.), Das Kloster St. Gallen im Mittelalter. Die kulturelle Blüte vom 8. bis zum 12. Jahrhundert, Stuttgart 1999, 167 – 204 sowie 183.

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gelisten. Dieses Evangelistar von ca. 900 steht in der ostfränkischen und italoalpinen Kunst fast beispiellos dar, Rezeptionsstränge aus der Spätantike erscheinen deutlich in den wertvollen Materialien wie Gold, Minium und Silber überhöht; besonders hervorgehoben ist der Beginn des Evangeliums Mt. 1,1 – 16 zur Vigil vor Weihnachten, die mit der Titelseite »In Exortu S[an]c[t]e Genitricis D[ei] Mariae« sowie der Initialzierseite »L[iber Generationis]« ausgezeichnet ist.929 Die filigrane Elfenbeinarbeit dürfte jedoch dieses Buch genauso wenig für den täglichen Gebrauch geeignet gemacht haben wie etwa das Evangeliar Ottos III. von 1000, dessen Prunkeinband so mit Edelsteinen, Perlen und antiken Gemmen besetzt ist, dass ein imaginäres Kreuz durch punktuell eingesetzte größere Steine hervortritt.930 Auch das Sakramentar Heinrichs II., bald nach 1002, zeigt in einem Herrscherbild eine ähnliche Vierteilung, bei der der Mittelpunkt des Kreuzes sich in der Zentralfigur Jesus Christus, wenn auch mit der Abbildung des durch Christus gekrönten Heinrich selbst vereint, trifft.931 Wie in der kalligraphischen Ornamentik des Tucherbuchs wurden Initialseiten so ausgeschmückt, dass ihre admirative Entzifferung ästhetischen Genuss und Beschäftigung erforderte, wie im Fall des in die durchgehenden Goldbeläge einer ganzen Folioseite verteilten »INCIPIT«.932 Ein drittes und letztes Beispiel ist die Luxushandschrift des »Bamberger Psalter[s]« von 1220/1230, auf dessen Frontdeckel der segnende Christus, umgeben von den kreuzweise zugeordneten Medaillons mit den Symbolen der Evangelisten, ergänzt von zwei Cherubim und den Erzengeln Michael und Gabriel zu sehen sind;933 die vier Tugenden in Form von vier Frauenköpfen mit Nimben sind auf dem Rückdeckel um die Jungfrau Maria herum platziert. Der mit empfindlichen Hornplatten besetzte Einband wäre bei regelmäßiger Benutzung kaum erhalten, so dass seine Existenz auf die Wertschätzung schon der physischen Präsenz des Kodex hinweist, mochte er auch einer individuellen Frömmigkeitspraxis und einem besonderen Frömmigkeitsbedürfnis entsprungen sein. Dieser Präsenzwert scheint auch der in Nürnberg 1652 hergestellten schwarzsamtenen Bibel des Fürsten Moritz von Sachsen-Zeitz zugekommen zu sein, die, dem Tucherbuch vergleichbar, kunstvolle Eckbesätze aufwies, jedoch das Wappen des Besitzers in den Mittelpunkt des Buchdeckels setzte.934 929 930 931 932 933 934

Euw, St. Galler Kunst, 184. Göller, Bistum Bamberg, 94, 97. Ebd., 25 und 96. Ebd., 98. Ebd., 108 – 110. Für diese Abbildung vgl. Margrit B. Krewson (Hg.), Dresden. Treasures from the Saxon State Library, Washington, D. C. 1996, 72. Der Abbildung zufolge zeigt der Samtbezug keinerlei Benutzungsspuren, jedoch wären gegebenenfalls nötige Angaben zu einer erfolgten Restaurierung nicht Teil der genannten Publikation. Wäre jedoch eine regelmäßige tägliche Benutzung, wie sie auch aus den Stundenplänen junger sächsischer Prinzen hervorgeht

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Der Einband der Prachtversion des Tucherbuchs steht mithin in einer buchkünstlerischen Tradition, deren Repertoire zeit- und anlassgebunden zu einer Familiengeschichte und »kleine[n] chronik« einer alten Familie des protestantischen Patriziats kombiniert werden konnte. Wie die gattungskritischen, distanzierenden Bemerkungen der Widmung Scheurls und der »Vorred« zeigten, ist eine Überbietung in jeder Hinsicht zu erwarten. Hatte die Frakturschrift in der ursprünglichen Verwendung durch Kaiser Maximilian genau diese Überbietung fürstlicher Prachtschriften im Blick, so bedarf der Einband der Kontextualisierung an einem Parallelbeispiel. Das bisher unedierte »Scheurlbuch« besitzt zwei mit porträtmünzenähnlichen Reliefs verzierte Buchdeckel. Die vier Tugenden werden auf die dargestellten Personen, Christof Scheurl und seine Frau Katharina Fütterer, aufgeteilt.935 Scheurl hatte 1530 Schaumünzen von sich und seiner Frau anfertigen lassen,936 eine kostspielige Investition, die jedoch möglicherweise bereits mit Blick auf das »Scheurlbuch« getätigt wurde.937 Die dargestellten Gesichtszüge sind mit denen zweier Schaumünzen identisch.938 Die Anordnung ihrer Abbildungen auf der Vorder- und Rückseite der Familiengeschichte verbindet das Ehepaar in einer Weise, die wie die Ganzfigurabbildungen im Tucherbuch Anleihen bei den diptychischen Klappaltären nimmt. Anders ist die äußere Gestaltung von Konrad Hallers Nürnberger Geschlechterbuch akzentuiert.939 Seine lederbezogenen Holzdeckel im Folioformat tragen zwar auch auf beiden Seiten vier vergoldete Messingbeschläge, im Zentrum steht jedoch das Stadtwappen, »den halben Adler mit dem sechsmal schrägrechts getheilten Schilde zeigend, umgeben von einem mit Band durchschlungenen Lorbeerkranze«,940 eine Gestaltung, die dem Wasserzeichen des Papiers, dem zweiköpfigen Adler mit Kaiserkrone, korrespondiert. Haller hatte sein Geschlechterbuch dem Rat der Stadt gewidmet, um eine Liste der Geschlechter zu veröffentlichen und die Position des Hallerschen Geschlechts zu

935 936 937 938 939 940

(Georg Müller (Hg.), Zwei Unterrichtspläne für die Herzöge Johann Friedrich IV. und Johann zu Sachsen-Weimar, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 11 (1890), 245 – 262, 261), vorgesehen gewesen, so wären vermutlich Gesperre angebracht worden. Kleine Scheurlchronik. Grotemeyer, Deutsche Bildnismedaillen, 6. Porträtmedaillen, wenn auch von Verfassern, auf dem Einband haben in verschiedenen Varianten auch die Codices des Bartholomäus von Haller von 1533 ff., vgl. Haller von Hallerstein, Geschlechterbücher, 220. Die Abbildungen beruhen auf eigenen Fotoaufnahmen im Scheurl-Archiv, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Die Aufnahmen sind wiedergegeben in Grotemeyer, Deutsche Bildnismedaillen, Abb. 55, 56. Vgl. zur Quellenlage Haller von Hallerstein, Geschlechterbücher, 218 f. Franz Heinrich, Das Geschlechterbuch des Konrad Haller, in: Archivalische Zeitschrift 2 (1877), 254 – 262, 254.

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Abb. 12: Einband vorn, Kleine Scheurlchronik Abb. 13: Einband hinten, Kleine Scheurlchronik

erhöhen; sein Werk wurde ikonographisch die Vorlage für weitere, recht eng daran angelehnte Geschlechterbücher.941 Haller, der sich selbst als Autor abbildet und nennt,942 vollzieht mit seinem Wappenbuch eine entschiedene Wende zur patriotisch verankerten Familiengeschichtsschreibung. Bereits wesentlich frühere Texte wie das »Tuchersche Memorial« hatten Bezüge auf Identitätselemente der Stadt hergestellt.943 Jedoch werden bei Haller die Erzählkerne früherer Geschichtsschreibung, variantenhaft überlieferte Ereignisse vom Ursprung der Stadt und ihres Namens, aus dem legendenhaften Leben des Stadtheiligen St. Sebald, der Kaisertreue der Stadt und aus dem Verhältnis zwischen Patriziat und übriger Bevölkerung während des – schon der Benennung nach als exemplarischer, pragmatisch-historischer Bezugsgegenstand deklarierten – ›Aufstands‹ erst bei Haller auf ihre Identitätsfunktion einer städtischen Elite als sozialer Gruppe hin fokussiert. Die Widmung überdeckt die Nahtstelle zwischen der patriotisch bestimmten Memoria eines

941 Die Abhängigkeitsverhältnisse mehrerer Geschlechterbücher von Hallers, auch auf Messen mitgeführtem Geschlechterbuch untersucht Bock, Die Chronik Eisenberger, 373 f. 942 Auf der Rückseite der ersten Seite, auf deren Vorderseite das kaiserliche Wappen über dem der Stadt abgebildet ist, Heinrich, Konrad Haller, 262. 943 Vgl. dazu Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts, 124.

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einzelnen Geschlechts und derjenigen der sozialen Gruppe, deren Teil sie ist, ja stellt sie als organisch miteinander verbunden dar : Ob yemant dytzs mein angezaigt Werck nit gefallen würdt, des Ich doch nit mit kleiner mühe, Arbaytt vnnd Kostung im aller besten zu eheren Einem Fürsichtigen Erbarn Weysen Rath dyser loblichen Stat, meynen lieben herren vnnd Frendten, auch allen Erbarn geschlechtenn, den nach komenten zu einer gedechtnus vnd anraytzung eines erbarn wesens gemacht, demselben wolt ich gonnen, das er ein bessers machte, oder an meyner stat gewesenn were. Ich habs aber denen, so es gefallen würdt, in allem guten, so vil mir möglichen zuerfaren gewest, von wegen vnsser lieben eltern, auch zu hannthabung jrer gedechtnus bei mir vnnd mit mir, nit wollen erleschen lassen[.]944

Stadt und Familie wurden verknüpft, das Geschlecht somit in den Rahmen der städtischen Elite eingeschrieben, wobei die Beweggründe hier wohl gerade in dem hohen Alter der Haller (durch Übernahme des Titels von einem angeblich ausgestorbenen Geschlecht zur Verbesserung des Wappens zu »von Hallerstein«) zu sehen sind, ermöglichte dieses historische Wissen doch gerade ihnen die legitimatorische Instrumentalisierung der in offiziösen und anderen Chroniken der Nürnberger Geschichtsschreibung fixierten Vergangenheit.945 Stand dagegen, wie bei den Tetzel, die Darstellung des Geschlechts im städtischen Raum im Vordergrund, wie die doppelseitigen kolorierten Federzeichnungen von Stifterfamilien und ein Verzeichnis von »Tetzel-Fenster[n]« in Nürnberger Kirchen nahelegen, so konnte das jeweilige Wappen den zentralen Platz auf dem Einband einnehmen; das Geschlechterbuch des Joachim Tetzel verfügt über einen ornamental gestempelten Ledereinband mit vergleichsweise einfach gestalteten, zugleich als Gesperre fungierenden Eckbeschlägen und einem durch einen Messingkranz zusätzlich zur Zentralpositionierung herausgehobenem Wappen der Tetzel.946 Durch Wappen der Eigentümer auf dem Buchdeckel, von Franz I. im frühen 16. Jahrhundert eingeführt, wurde das Werk bereits von außen gekennzeichnet.947 Waren »Exlibris« auf dem Vorsatz befindliche Wappendarstellungen, so wurden »Supralibros« als ihr Gegenstück vorne oder hinten auf der Mitte des Buches angebracht, eine Technik, die insbesondere für den sogenannten »Fürsteneinband« typisch wurde. Die Kommerzialisierung der Nürnberger Wappenmode948 lässt die hilfswissenschaftlich übliche Bezeichnung ›Besitzver944 Das Zitat folgt Heinrich, Konrad Haller, 262, dort auch Angaben zur damals verwendeten Originalquelle. 945 Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts, 115 – 221. 946 Beschreibung und Abbildung in Lotte Kurras (Hg.), NORICA. Nürnberger Handschriften der frühen Neuzeit (Kataloge des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. Die Handschriften des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg 3), Wiesbaden 1983, 49 und 53. 947 Richard Kurt Donin, Stilgeschichte des Exlibris, Wien 1949, passim. 948 Vgl. dazu die breit ausgeführten Ergebnisse einer wirtschafts- und gewerbeorientierten

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merk‹ zu blass, weil zu einseitig funktional erscheinen. Individuen investierten enorme Summen und beträchtlichen Aufwand in die Gestaltung und Vervielfältigung ihrer Wappen auf Einblattdrucken, in Einzelzeichnungen von Hand oder in Schaumünzen. Der kunsthandwerkliche Markt ist ein Spiegelbild der mit den Wappendarstellungen verbundenen Interessen, die durch die Anzeige des Besitzes eines Buches dieses stets aufwerten wollten. Die Intensivierung solcher Repräsentationsabsichten ist an den Geschlechterbüchern des Nürnberger Patriziats ablesbar. Noch wenige Jahre zuvor konnte ein ebenfalls altes Geschlecht wie die Zingel ihre schon vom Format (21x15 cm) und der Blattzahl (43 Bl.) viel kleinere Familiengeschichte in einem schlichten Ledereinband mit Rollen- und Einzelstempeln ausfertigen, da es sich doch um eine eher ›privat‹ – im Sinne von weniger offensichtlich patriotisch aufgeladener Familiengeschichtsschreibung – zu nennende, autograph von Christoph Scheurl seiner Schwägerin Anna geb. Zingel gewidmete Geschlechterchronik handelte.949 Hätte am Zusammenhang von Darstellungsabsicht, Darstellungsart und -weise und Einbandgestaltung kein Zweifel bestehen können, so zeigte der Durchgang durch einzelne Beispiele doch Facetten der Nürnberger Geschichtskultur, die sich auf interessante Weise unterscheiden. Neben humanistisch-patriotischen Elementen bis ca. 1550 trägt das spätere Tucherbuch eher Spuren der nach 1580 beschleunigten Konfessionalisierung. Im späten 16. Jahrhundert konnte eine Geschlechtergeschichte gleichzeitig patriotisch und religiös verankert sein. Familiengeschichte fand stets einen zeitgebundenen Ausdruck und veränderte sich auf diese Weise.950 Im Wert und Inhalt der äußeren Gestaltung manifestierte sich die Absicht, ein (geschichts)kulturelles Erbe dauerhaft an die Nachkommen zu übergeben. Die Übertragungsabsicht vermittelt Vergangenheit und Zukunft in der Darstellung Christi am Kreuz, daher wird dieses Bild an den ikonographischen Platz des Supralibros gesetzt und tritt an die Stelle des ›Besitzers‹ dieses Buches. Mittelalterliche Epitaphien bildeten die Stifter häufig knieend vor dem Kreuz ab, so finden sich einzelne Stifter wie Lorenz Tucher in der Nürnberger Pfarrkirche St. Sebald, aber auch ganze Stifterfamilien in Verbindung mit dem Kreuz. Die Frömmigkeit des Stiftens als des Gebens an Gott wird somit ausgestellt, indem die Stiftenden zum Gekreuzigten beten. Die reformatorische Abwertung der Werkgerechtigkeit scheint nicht in der vollen Schärfe ihres dogmatischen Bruchs in die Ikonographie durchgeschlagen zu haben. Die Motivik erscheint im Kunstgeschichte in Wolfgang Schmid, Dürer als Unternehmer. Kunst, Humanismus und Ökonomie in Nürnberg um 1500 (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 1), Trier 2003. 949 Kurras, Norica, 49. 950 Diese Tendenz wird in 4. hinsichtlich der Auswahl von exemplarischen Ereignissen in der historischen Darstellung untersucht werden. Hier sollte vor allem deutlich werden, dass in der äußeren Erscheinungsform des Geschlechterbuchs zeitgebundene Werturteile die Ausformung vorhandener Ausdrucksmuster bestimmen konnten.

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Gegenteil auf einer allegorisch-enthymematischen Ebene angestrebt worden zu sein: Wie die Vorrede der Manuskriptfassung hervorhebt, war die regelmäßige Lektüre des Tucherschen Stammbuchs während der alljährlichen Versammlungen der Familienstiftung bezweckt. Dies, so das Vorwort von 1565, sei der Grund für die Investition von Seiten der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung. Auch die Vorrede der Prachtversion von 1590 wertet die Absichten des Geschlechterbuchs an Hand der Kosten auf. Man habe die Umarbeitung, Korrektur und Verbesserung der Familiengeschichte sich »nicht wenig kosten lassen«, um die Nachkommen umso stärker zur Nachfolge zu mahnen. Diese vorgebliche Hauptintention ist freilich Topos, denn der offensichtliche Luxus einer Handschrift mit Goldauflagen macht die Repräsentations- und Überbietungsabsichten unübersehbar. Auf der Ebene der Geschlechter- und Familienbuchtopik jedoch wird somit das Tucherbuch als Stiftungsgegenstand der andachtsvollen, auch religiösen Reflexion anheimgestellt. Zahlreiche Bildnisse von Stiftern belegen, dass auf die geistliche Karriere und katholische Frömmigkeitspraxis, war sie inzwischen auch durch ablehnende konfessionelle Normvorstellungen ersetzt, noch immer affirmativ Bezug genommen werden konnte.951 Die Darstellungen einzelner Personen berichten von Stiftungen und begründen diese auch. Stifterinnen werden, vor Altären kniend, von hinten abgebildet, während epitaphische Stifterabbildungen meist Profile zeigten: Die vor dem Kreuz knieende Stifterfamilie war, wie bei den Männertreffen der Tucher-Stiftung auch, in Vater-Söhne- und Mutter-Töchter-Gruppen durch das Kreuz getrennt. Die allegorische Abbildung des Kreuzes auf dem Buchdeckel des Tucherbuchs erzeugt somit eine Verhaltensaufforderung, die sich an lebende und zukünftige Mitglieder der Tucherfamilie richtet, nämlich niederzuknien. Das Gedächtnis der im Buch in textlicher und bildlicher Darstellung über die Epochen hinweg simultan versammelten Familienmitglieder soll in der Gegenwart und in der Zukunft an Hand des gestifteten Tucherbuchs andachtsvoll realisiert werden. Das Kreuz auf dem Buchdeckel vermittelt den Auftrag zum Handeln zu memorativen Zwecken. Diese Abbildung ist freilich erst möglich durch die offensive Zurschaustellung der lutherischen Kreuzestheologie. Die Spruchbänder deuten auf das zentrale Theologumen der Leiden-Heil-Dichotomie hin: »Mors, ubi est aculeus tuus« (»Tod, wo ist dein Stachel«), sowie »Amor meus in cruce pendet« (»Meine Liebe ist auf das Kreuz gegründet«).952 Neben dem Kreuz stehen der Abendmahlskelch und die Hostie. Ohne den theologischen Hintergrund der lutheri951 So werden geistliche Damen mit Miniaturen versehen, während kinderlose Männer durchgehend nicht gemalt wurden. Allerdings wurden diese Miniaturen kleiner gestaltet. 952 Diese Transkription, die Übersetzungen sowie die folgende Bildbeschreibung waren nicht direkt der digitalen Edition zu entnehmen, sondern deren unpaginiertem Kommentar zu den Beschlägen des Tucherbuchs, vgl. GTB.

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schen Gewichtung dieser Heilssituation wäre diese Zentralpositionierung nicht möglich gewesen; der Grund für diese exponierte Ikonographie ist jedoch in der Konfessionalisierungsgeschichte und dem Generationenwechsel um 1580 zu suchen, in dessen Folge unverhohlener als zwei Jahrzehnte früher auf konfessionell geprägten Sichtweisen beharrt wurde.953 Die Gattung des Geschlechterbuchs bot Spielraum für diese Positionierung, hatte doch bereits Hallers Geschlechterbuch das Nürnberger Wappen hier angebracht und die Stadt als Widmungsempfängerin, als die avisierte ›Besitzerin‹ des Widmungsgegenstands eingesetzt; auch war die Gestaltung privater Einbände stark diversifiziert und konnte spielerisch Motive des Inhalts – etwa bei den aus der italienischen ricordanze-Gattung abgeleiteten Kaufmannsbüchern das Thema des Gelds – verarbeiten.954 Diente eine Geschlechtergeschichte der Aufwertung auch der eigenen Familie im Lichte des Widmungsbezugs auf die ganze Stadt, um wie viel mehr durfte der Bezug auf das Kreuz, eine scheinbar objektive Bezugnahme, auf die Aufwertung des eigenen Geschlechts hoffen lassen.

3.2.3 Agonale Geschichtskultur: Das »Große Tucherbuch« im Distinktionswettbewerb seiner Gattung und der städtischen Geschichtskultur Vormoderne Erinnerungs- und Geschichtskulturen sind eigentlich immer agonal, handelt es sich doch um eine gesellschaftliche Repräsentationsweise. Die Tendenz verschiedener sozialer Gruppen, sich selbst im Spiegel ihrer Vergangenheit darzustellen, führte zu Reibungen zwischen Adel, Patriziern und Kaufleuten.955 Die spätmittelalterliche Adelskritik entwickelte und intensivierte 953 Diesem Ergebnis der Konfessionalisierungsforschung lässt sich der Wandel in der für den Generationsdiskurs so wichtigen Rezeption des biblischen Jesus Sirach als Beispiel aus der Kinder- und Jugendliteratur zu Seite stellen. Hatten die als epistemische Grundlagen von Erziehungsbriefen bearbeiteten Traktate noch keine konfessionelle Markierung ihrer Inhalte explizit herausgestellt, so stellt die durch Josua Opitz überarbeitete, 1578 erschienene Melodie-Text-Kombination geradezu radikal die Thematik der ›reinen Lehre‹ und die Erziehungsnotwendigkeit kleiner Kinder als Schutz vor dem als schlechtes ethisches Beispiel kritisierten Klerus heraus. Innerhalb von wenig mehr als einem Jahrzehnt war in verschiedenen protestantischen urbanen Milieus in Deutschland eine Radikalisierung vonstatten gegangen, hatte womöglich ein Generationenwechsel einen Wandel der Erziehungsdiskurse hervorgerufen, vgl. Magdalena Heymeir, Das Büchlein Jesu Sirach: in Gesänge verfaßt/ in Gesang weiß verfaßt durch Magdalena Heymairin, Teutsche Schulmaisterin zu Regenspurg. Jetzt aber von newem Corrigiert durch Greogorium Sunderreüter 1578. 954 Ein Beispiel mit der Abbildung eines kaufmännischen Kontobuchs ist greifbar in Brinkervon der Heyde, Die literarische Welt, 52. 955 Klaus Graf, Der adel dem purger tregt haß. Feindbilder und Konflikte zwischen städtischem

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sich im Laufe des 17. Jahrhundert hin zu einer umfassenden Kulturkritik. Eine Tendenz zur verstärkten Reflexion von erzeugtem Schein und (oft nach bürgerlichen Kriterien gemessenem) Sein ist klar zu erkennen.956 Die historische Selbstverortung, allgemeiner die soziale Ordnung, war vom Interesse der Schreibenden abhängig; in Fremdbeschreibungen, in Berichten über Nürnberg, wurde die Absicht von Patriziern, adelsgleich zu gelten, im Spiegel ihrer, eines Königs würdigen, Häuser dargestellt; dabei fanden die Turniere, Ausweis ritterlicher Herkunft, ebenfalls Erwähnung.957 Die Geschichte sozialer Gruppen, sozialer Ordnung und sozialer Mobilität kann besonders im Fall des Nürnberger Patriziats kaum anders als wahrnehmungsgeschichtlich befragt werden.958 So hatte der häufig gesteigerte, überzogene, ja teilweise bis ans Arbiträre reichende Altersanspruch einzelner Gruppen auch die Ironisierbarkeit dieser sozialen Distinktionsfunktion erhöht; satirische Inversionen führen die sonst kaum thematisierten Normen durch Umkehrung der Wirkungsabsichten vor Augen,959 in reflektierter Form in einem Augsburger Holzschnitt in einer Flugschrift von 1532.960 Dieser schildert den Dialog zwischen »Freud«, die enthusiastisch und anderen nacheifernd eine Vergangenheit beansprucht, und »Ver-

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Bürgertum und landsässigem Adel im späten Mittelalter, in: http://www.histsem.uni-freiburg.de/mertens/graf/adel98.htm [Zugriff am 24.1.2007, 12 Uhr], 1998; Stollberg-Rilinger, Distinktion zwischen Adels- und Kaufmannsstand, 31 – 45. Die im Tucherbuch anklingende Kulturkritik an Spanien besitzt protestantische Wurzeln, vgl. dazu Wolfgang Reinhard, ›Eine so barbarische und grausame Nation wie diese.‹ Die Konstruktion der Alterität Spaniens durch die Leyenda negra und ihr Nutzen für allerhand Identitäten, in: Hans-Joachim Gehrke (Hg.), Geschichtsbilder und Gründungsmythen (Identitäten und Alteritäten 7), Würzburg 2001, 159 – 178). So charakterisiert der spätere Papst Aeneas Silvius 1448 die Nürnberger Bevölkerung aus dem Interessensblickwinkel der Kirche. Zu deren Konflikt zur Zeit Kaiser Friedrichs III. vgl. die Analyse der Inhaltsauswahl durch Anders, Nürnberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts, 106 – 108. Zu den Definitionsbemühungen vgl. Valentin Groebner, Ratsinteressen, Familieninteressen. Patrizische Konflikte in Nürnberg um 1500, in: Klaus Schreiner/Ulrich Meier (Hg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des späten Mittelalters und in der frühen Neuzeit (Bürgertum 7), Göttingen 1994, 278 – 308. Der Kupferstecher Beham gestaltete ein Phantasie-Wappen mit der Umschrift »Von Gottes Gnaden Her von weiss nit weer«. Ein anderes ›Wappen‹ aus der Werkstatt Graf gab einen Gelehrten mit einem durch seine Schellenkappe gekennzeichneten Narren und ein freizügiges Weib wieder. Graf fügt jedoch an statt des Wappenschildes eine Reisetasche, statt einer Helmzier zwei Papierrollen und drei Gänsefedern, Attribute der sozialen Abhängigkeit des Gelehrten, ein. Die satirischen Absichten treten durch das gewählte Medium hervor, das ja gerade soziale Unabhängigkeit signalisieren sollte, dazu vgl. Reinhold Freiherr von Lichtenberg, Ueber den Humor bei den deutschen Kupferstechern und Holzschnittkünstlern des 16. Jahrhunderts (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 11), Nendeln/ Liechtenstein 1979, 58. Dieses durch satirische Umkehrung aufschlussreiche Beispiel ist zu finden in KlapischZuber, Stammbäume, 203.

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nunfft«, die auf bürgerliche Werte961 wie Bescheidenheit und Leistung verweist: »Ich hab einen adelichen vrspru[n]g«, in einer späteren Replik heißt es, »Mein Stam[m] ist alt vn[d] erwirdig« und »Groß ist d[er] Adel meiner voreltern« usw. Die Lächerlichkeit dieser Behauptungen springt durch die Naivität hervor, mit der die personifizierte »Freud« fast habituell und phrasenhaft den Anspruch auf Adel erhebt, diese Kulturtechnik aber in angelernter Weise und daher nur abstrakt, ohne auch nur rhetorische Evidenz anzugeben, benutzt. In den zitierten Repliken zeichnet sich die optimistische Erwartungshaltung ab, dass der erhobene Anspruch Akzeptanz finden könne, so dass Leser der Flugschrift über die mangelnde Selbstreflexion der »Freudt« gelacht haben mögen. Der nebenstehende, von Bauern gestützte und von niederen Personen gekrönte Gesellschaftsbaum hilarisiert die in der Genealogie übliche Baum-Topik, indem das korrumpierte Baumschema eine Störung der gesellschaftlichen Ordnung in dem Medium vorführt, dessen bestimmende Ordnungskategorie und Bildlichkeit es ursprünglich begründete. Ein im Vergleich zu anderen Beispielen seiner Gattung spät entstandenes Geschlechterbuch wie das der Tucher962 muss daher auf seine argumentative Vorgehensweise untersucht werden, mithin darauf, welche Legitimationsbedürfnisse mit welchen Begründungen gestillt werden. In der »Vorred« finden sich alle, an dieser Stelle in Geschlechterbüchern gebräuchlichen Topoi,963 jedoch sind die Gründe, »es [das Stammbuch] vor Augen zuuernewen vnd vermehren dieser Zeitt« schon deswegen zusätzlich interpretationsbedürftig, weil das, eingangs zum Desiderat erklärte, umfassende Geschlechterbuch ja bereits wenig mehr als ein Jahrzehnt früher, in Manuskriptfassung, vorgelegen hatte.964 Die Wettbewerbssituation kommt darin zum Ausdruck, dass nach der Fertigstellung des »Tucher-Fürer-Stammenbuch« 1540/41 der Auftrag zur Abfassung einer Geschichte der Tucher an Scheurl ergangen war.965 Der revisionsbedürftige Kenntnisstand von 1961, dass dieses Exemplar in London befindlich sei, hatte sich ungebrochen auch in besten Arbeiten erhalten.966 961 Vgl. für die anhaltende Diskussion über den in der Bezeichnung möglicherweise liegenden Anachronismus Manfred Lemmer, Haushalt und Familie aus der Sicht der Hausväterliteratur, in: Trude Ehlert (Hg.), Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit, Sigmaringen 1991, 167 – 181. 962 Für eine Übersicht der Familiengeschichten Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 221. 963 Bock, Die Chronik Eisenberger, 381 – 386. 964 Tucherbuch London. 965 Dazu auch im Weiteren Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 221 – 223. 966 So zuerst Grote, Die Tucher, 85 – 86. Danach Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 222, die 2004 erschienene Edition GTB und wiederum in Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500, 102 – 109. Das fragliche Londoner Manuskript wird zwar häufig verzeichnet als »Tucherbuch 1542; British Library London, Additional MS 19,

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Scheurl hatte sich möglicherweise bereits vor 1523 Verdienste um die Tucher erworben, schenkte ihm doch Anton Tucher einen Stoff, dessen erhebliche Kosten er in seinem in diesem Zeitraum geführten Haushaltsbuch vermerkt hat: »Item adi 9 marczo [1517] schenckt dem doctor Kristof Schewrll ein stuck schwarcz czamlott, der gestet mich 8 gülden.«967 In dem hier dokumentierten Fall zeichnet sich eine Beziehung zwischen Tucher und Scheurl als Vertretern verschiedener sozialer Gruppen ab, eine Verbindung, die bereits Scheurls Mutter angebahnt hatte. Diese hatte das Nürnberger Stadtoberhaupt Anton Tucher gebeten, ihren Sohn für zu besetzende Wittenberger und Nürnberger Positionen zu empfehlen. Christof Scheurl widmete 1542 neben anderen »Anthonen […] Tucher [einer des] grössern Raths genannten vnd Bürgern zu Nürmberg Gebrüdern vnd Geuettern, meinen freundlich Lieben Ohaimen« das von ihm zusammengestellte Tucherbuch.968 Die umfängliche Begründung einer Neufassung des Tucherbuchs ist eingehender zu analysieren: Es hatt auch vor Zway vnd Fünfftzig Jaren/ Der Ehrnuest/ Achtbar vnd Hochgelehrt/ Herr Christoff Scheürl seeliger/ der Rechten Doctor/ dieser Statt Rath vnd Bürger/ Vnser lieber Freund vnd Ohaimb/ vnd hierinn erstlich gedient/ vnd vnsere Voreltern/ in ein Stambuch helffen zusammen bringen/ Uß gemainer Statt Jarregistern vnd Cronicken/ auch ettlicher vnser Vattern vnd Voreltern priuatschrifften/ Vrkhunden/ Lehenbrieffen/ vertzeichnüssen vnd Haußbüchern/ souil er hieruon gründtlich vnd warhafftigs/ auch an frembden vnd andern Ortten/ hatt können Zuwegen bringen/ Ist vns aber/ nach der Zeitt (neben dem/ dass auch der Stam sich vermehret) viel fürkommen/ solches vnser Stammbuch zuuermehren vnd verbessern[.]969

Der Abstand zum Jahr 1565, als beschlossen wurde, die Handschrift von 1542 zu erneuern, betrug 23 Jahre.970 Scheurl hatte prinzipiell spätestens 1523 die Vorbereitungen aufgenommen, 1542 ein Tucherbuch vorgelegt und den Tucher gewidmet, das 1565 dann offenbar als änderungsbedürftig angesehen worden

967 968 969 970

475«, aber die durchgehend paginierte und zur Schreiblenkung kolophonierte Papierhandschrift, fast durchgehend von einer Hand geschrieben, ist eindeutig nach 1565 entstanden. Diese Zahl nennt das Vorwort, außerdem gibt es einzelne spätere Jahresangaben, etwa über die Nachfolge als »Ambtman vber den wald Laurenti« im Jahr 1570 sowie über den Hauskauf »am Ponersberg« im Jahr 1572 im Porträt »Cristoff Tucher«, Tucherbuch London, fol. 147v. In der British Library ist bisher keine weitere Fassung des Scheurlschen Textes bekannt, vgl. Robert Priebsch, Deutsche Handschriften in England, Erlangen 1896, 180. Dieser schon ältere Forschungsstand wurde mir freundlicherweise von Jens Röhrkasten im Jahr 2005 bestätigt, mit der Ausnahme eines Nürnberger Geschlechterbuchs, British Library, Add. MS 12467. Wilhelm Loose (Hg.), Anton Tuchers Haushaltsbuch (1507 – 1517) (Bibliothek des literarischen Vereins 134), Stuttgart 1877, 77. Tucherbuch London, 19R. GTB, fol. 14 V. Dazu zusammenfassend Schwemmer, Dr. Lorenz Tucher, 36.

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war. Daraus lässt sich schließen, dass um die Mitte des 16. Jahrhunderts bis zu dessen Ende ein dramatischer historischer Wandel erfahren wurde. Die Tatsache, dass »der Stam sich vermehret«, ein eigentlich ausreichender Überarbeitungsgrund, wird nur kurz erwähnt. Im Gegensatz dazu seien Verbesserungen nötig gewesen, weil »nach der Zeitt [sc. seit der Fertigstellung der Manuskriptfassung] viel fürkommen«. Die zeitliche Distanz zu Scheurl steht im Vordergrund, während die Aktualisierung seiner Arbeit durch die Überführung in eine neue Handschrift keine Erwähnung findet. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass unterschiediche Generationen ihre Geschichte unterschiedlich schreiben. Die Diskontinuität des Geschichtsbildes, die ›Verbesserungen‹ erst nötig macht, wird heruntergespielt. Ein Verstetigungsgegenstand wie die Familiengeschichte sollte möglicherweise nicht zu sehr mit Trennungen belastet und die Kontinuität der Familie nicht in Frage gestellt werden. Die Änderungen aufgrund erfahrener Diskontinuität betreffen in der Historiographie fast ausschließlich die paratextliche Kommentierung, dagegen nur in Einzelheiten die Genealogie der Tucher selbst. Das vorrangige Darstellungsziel bleibt die Sicherung der ›Tradition‹. Bereits das Vorwort der 1565 in Auftrag gegebenen Fassung hatte die Notwendigkeit der Eintracht, ähnlich der Pfinzing-Schaumünze durch die Aufschrift »Concordia«971, als Ziel der Familiengeschichte in Erinnerung gerufen.972 Die familiäre Selbstdarstellung steht somit zwischen traditionaler und zeitgebundener Sinnbildung. Die veränderten politischen Wahrnehmungen, in der Folge davon des Geschichtsbildes, waren in der 1570er Jahren von einem Generationenwechsel verursacht worden.973 Die Verantwortung für die Anfertigung des »Großen Tucherbuchs« lag nun nicht mehr bei erwachsenen Zeitzeugen des Augsburger Religionsfriedens, sondern bei Mitgliedern einer jüngeren Kohorte, wie Markus und Herdegen Tucher. Stehen Ergebnisse der Konfessionalisierungsforschung zum politischen Generationenwechsel als Erklärungsmuster bereit, so lässt sich auch allein auf Grundlage der Quelle eine 971 Die stets stark belasteten familiären Beziehungen für auch wirtschaftlich interagierende Familienmitglieder und Verwandte stellt schwerpunktmäßig am Beispiel Augsburgs heraus Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, bes. 392. 972 Vgl. für die Interpretation 4.3.1. 973 Während Reinhard, Sozialdisziplinierung, 48, die Konfessionalisierung als Breitenphänomen auffasst, spricht Schilling spezifischer von den politischen Entscheidungsträgern, deren konsenszentrierte »Vätergeneration«, wohl eine Art ›Generation 1555‹, von Söhnen abgelöst wurde, die die bisher stumm weitergetragenen Konflikte offensiv gemäß der sich drehenden »Konfessionalisierungsspirale«, vorbrachten. Diese Vorgeschichte und Anbahnung der Konfessionskriege fanden in einem ebenfalls konfessionalisierten Kaiser, Rudolf II. (1576 – 1612) nur aus politischem Kalkül keinen Protagonisten, so die gemäßigt essentialistisch anmutende Synthese in Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559 – 1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2), München/Wien/Zürich 2007, hier 478.

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Änderung des historiographischen Diskurses beobachten. Ohne einen Generationenwechsel der ›Autoren‹, der Auftraggeber und auf der Seite der erwarteten Leser, mithin ohne einen Wechsel politischen Klimas wäre jede inhaltliche Begründung gegenstandslos gewesen.974 Zunächst wird der zwar ›ehrenfeste‹ Christoph Scheurl in zweifacher Hinsicht benannt, einerseits als Dienstleister der in diesem Zusammenhang aufgewerteten Tucher, andererseits als Beispiel für Bildung und historische Wahrheit. Das 16. Jahrhundert steigerte die Belehrungsaufgabe der Literatur und band die Geschichtsschreibung der ›historiae‹, während ein Kollektivsingular ›Geschichte‹ fehlte, an das Wahrheitsgebot, um Weisheit, Klugheit und Gelehrsamkeit angemessen weiterzugeben.975 Die Delegierung der Familiengeschichte verdeutlicht den Bildungsstolz städtischer Eliten; andererseits wird damit aber auch eine Neujustierung der Geschichtsschreibung vorgenommen, oblag es bis dahin doch Familienvätern, die Geschichte festzuhalten,976 eine Aufgabe, die nunmehr von einer externen Person wahrgenommen wird. Scheurls bereits in seiner eigenen Widmung von 1542 dokumentierte Leistung wird hier eigens thematisiert und kommentiert, so dass die Handlung des Geschlechts im Mittelpunkt steht, dagegen aber die Leistung als Zuarbeit wirkt. Dieser sozialen Abgrenzung korreliert auch die Darstellung von Scheurls Mutter, die aus größter persönlicher Not Scheurls gleichnamigen Vater geheiratet und tugendhaft den ethischen Maßstäben einer patrizischen Frau gemäß gelebt habe, ihren Schmuck verkaufte, um den Sohn studieren zu lassen (»Kleinot« [ca. 1590] war sicher kein Lesefehler von »Kleidung« in der Handschrift von ca. 1565) und seinen sozialen Aufstieg vorzubereiten; auch starb sie betrübt, während der skandalträchtige Vater Scheurls keine Erwähnung findet.977 Die Distanz zum Verdienst des Historikers Scheurl ist nur ein Grund für die 974 Für einen konfessionell relevanten familiären Generationswechsel vgl. etwa Wolfgang Behringer, Gegenreformation als Generationenkonflikt oder : Verhörprotokolle und andere administrative Quellen zu Mentalitätsgeschichte, in: Winfried Schulze (Hg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), Berlin 1996, 275 – 293. 975 Diese Zusammenhänge zwischen Zwecken und Mitteln von Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert stellt in weiter abstrahierter Form vor Völkel, Geschichtsschreibung, 198. 976 Birgit Studt, Erinnerung und Identität. Die Repräsentation städtischer Eliten in spätmittelalterlichen Haus- und Familienbüchern, in: Dies.(Hg.), Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen 69), Köln 2007, 1 – 33, hier 2. Ohne den dort skizzierten Gender-Aspekt eigens zu reflektieren, verortet die Delegierung der Geschichtsschreibung »nur sehr mittelbar« als Geste der Professionalisierung Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 200. 977 Felix Streit, Christoph Scheurl, der Ratskonsulent von Nürnberg, und seine Stellung zur Reformation, Plauen 1908, 6.

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soziale Demarkation, vielmehr war das Distinktionsbedürfnis gegenüber dem seinerseits weiter ausdifferenzierten Adel und gegen andere städtische Schichten gestiegen.978 Die 1565/73 zentral im Vorwort fixierte didaktische Inanspruchnahme Scheurls für die Erziehung der patrizischen Jugend wird relativiert. Das »Regiment«, die Handreichung, die der alte Scheurl für den jungen Kaufmannslehrling und Patriziersohn Haller verfertigt hatte, war in das »Scheurlbuch« aufgenommen worden.979 Die Prachtversion des Tucherbuchs negiert dagegen den sich abzeichnenden Gleichwertigkeitsanspruch der Scheurl.980 Frühere textliche Gattungen der Geschichtskultur der Tucher werden im Anschluss zusammenfassend benannt, kritisiert und untergeordnet. So sei es Scheurls Verdienst gewesen, in ein Stambuch helffen zusammen bringen/ Uß gemainer Statt Jarregistern vnd Cronicken/ auch ettlicher vnser Vattern vnd Voreltern priuatschrifften/ Vrkhunden/ Lehenbrieffen/ vertzeichnüssen vnd Haußbüchern/ souil er hieruon gründtlich vnd warhafftigs/ auch an frembden vnd andern Ortten/ hatt können Zuwegen bringen[.]981

Die Liste der herangezogenen Quellen, »gemainer Statt Jarregistern vnd Cronicken […] vnser Vattern […] priuatschrifften/ Vrkhunden/ Lehenbrieffen/ vertzeichnüssen vnd Haußbüchern«, legt die Gattungsfrage nahe, denn die Bezeichnung »Stambuch« war flexibel genug, um einer Erläuterung zu bedürfen.982 Die Quellen bestimmen den Charakter der vorgelegten Schrift: Beansprucht wird die Autorität der städtischen Quellen, die Authentizität und Legitimität von »priuatschrifften«, die soziale Markierung von »Lehenbrieffe[n]« sowie die Nähe zu den Protagonisten bei »vertzeichnüsse[n] vnd Haußbücher[n]«. Die Geltungskraft der historischen Darstellung wird hinsichtlich ihrer Wahrheit und 978 Dieser komplexe und wechselseitige Prozess zeigt sich an der im 16. Jahrhundert verstärkten adeligen Selbstvergewisserung in der literarischen Produktion, vgl. Heide Stamm, Das Turnierbuch des Ludwig von Eyb (cgm 961). Edition und Untersuchung. Mit einem Anhang: Die Turnierchronik des Jörg Rugen (Textabdruck) (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 166), Stuttgart 1986, hier vor allem 9. Zusammenfassend und mit weiteren Angaben Rudolf Endres, Adel und Patriziat in Oberdeutschland, in: Winfried Schulze (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs 12), München 1988, 221 – 238, sowie Michael Diefenbacher, Stadt und Adel – Das Beispiel Nürnberg, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141 (1993), 51 – 69. 979 Vgl. den Abschnitt zu epistemischen Grundlagen der Kaufmannserziehung, bes. 2.2.1 und 2.2.2. 980 Die Scheurl waren geadelt worden, vgl. dazu den Wappenbrief im Kleine Scheurlchronik, fol. 15r-18v. 981 GTB, fol. 14v. 982 Verschiedene Beispiele für die Breite der heuristisch schwer zu bestimmenden ›Gattung‹ bieten Studt, Repräsentation städtischer Eliten, und Marc von der Höh, Zwischen religiöser Memoria und Familiengeschichte. Das Familienbuch des Werner Overstolz, in: Studt, Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft, 33 – 60. Dort auch Angaben zur umfangreichen Literatur zur Gattungstypologie.

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damit in Bezug auf ihre Lehrhaftigkeit aufgewertet, indem neben dem Familienarchiv auch außerfamiliäre, ›objektive‹ Überlieferungsformen und -orte herangezogen worden waren, so dass der zeitgebundene Wahrheitsbegriff ohne den Einwand der interessegeleiteten Befangenheit erfüllt werden konnte.983 Man soll erkennen: Das vorliegende Stammbuch ist kein ohne professionellen Quellengebrauch entstandenes ›Hausbuch‹. Die demonstrierte Souveränität im produktiven Umgang mit prinzipiell bekannten historischen Wissensbeständen und öffentlichen Formen der Erinnerung sollte den Rang des Geschlechts der Tucher belegen.984 Die Authentizitätsbehauptung antwortet auf die Frage, wie die vorliegende Geschichte sich in den tendenziösen historischen Darstellungen ihrer Zeit positioniert. Der humanistische Anspruch, alle Quellen zu sichten, um die Wahrheit herauszuarbeiten und in genauer Quellenbindung vorzugehen, dient erst in zweiter Linie dazu, einen Spielraum zu schaffen, um den nach humanistischen Methoden wahrheitsgetreu erarbeiteten Text zu verändern. Um solche Veränderungen zu legitimieren, wird die Notwendigkeit von Familiengeschichtsschreibung herausgestrichen, hier zunächst an einem Negativbeispiel: Es vermahnet Sanct Paulus an Titum vnd Timotheum/ wider die Stamregister (was es auch/ der Zeitt gewesen/ vnd wie man sich in der Kirchenn mitt denselben vergriffen/ word doch alsß ein vnnöthig ding zulehren/ vnd dass vnnöthige Fragen gebe/ vnd nichts schlichten noch bawen können/ angetzogen) alß vngefährlich/ dass man sich zu sehr vnd vil bekümmern wollte/ wie nahent Maria Christi Mutter vnd Elisabeth/ einander zugehört (dass doch der Griechische Lehrer Epiphanius bericht) dieweil man sich daran hatt genügen zulassen/ dass sie der Euanglist Blutsverwandte oder Muhmmen nennet/ als wann man sagen wölt/ man hette wol nöttiger vnd nützlichers auß der Schrifft zusuchen vnd zulernnen/ vnd wer besser man redet von Ihrem/ der seeligen Jungckfrawen/ Lied/ denn Magnificat/ vnd von Elisabeth reden/ Sachariae Lied/ Johanne dem Tauffer/ Ihren Sohen/ vnd Marien verwandten[.]985

Religiöse Konnotationen gehören im 16. Jahrhundert stets in den Vorstellungsbereich von ›Generation‹. Geschichte in Form von »Stamregister[n]« ist eine Informationsquelle, deren Existenz die soziale Ordnung bedingen, Konflikte lösen oder Ansprüche legitimieren kann. Diese pragmatische Funktion von Geschichtsschreibung steht im Mittelpunkt, wenn zwischen »vnnöthige[n]« Fragen und »nützlichers« unterschieden wird. In Abgrenzung zu »der Kirchenn«, mit deren Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse im Umkreis der Heiligen Familie niemand »nichts schlichten noch bawen« könne, wird gut 983 Die pragmatische Dimension von Geschichtsschreibung ging ihrem Wahrheitsanspruch voraus, ja bedingte diesen erst, so Völkel, Geschichtsschreibung, 198. 984 Auf diesen Zusammenhang verweist in abstrahierender Reduktion auf das Kernphänomen für die gesamte Frühe Neuzeit seit dem Späthumanismus Ebd., 201. 985 GTB, fol. 14v, 15r.

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reformatorisch auf den Stellenwert der Evangelien als den Auschlag gebenden Quellen für all diese Fragen verwiesen. Man soll verstehen: Das Evangelium allein sei in der Lage, konfessionellen Streit zu »schlichten«, sei der Fels, auf den eine Kirche am besten zu bauen sei, während die Kirche sich auch aus heilsirrelevanten Abstammungsverhältnissen ableite. Daher wird das aus Lukas 1,46 – 55 bezogene Preislied, das als »Magnificat« in die Liturgie eingegangen war, auf seinen näheren Textbezug hin gelesen und die auf genealogischer Phantasie beruhende Spekulation über dieses Lied abgelehnt: Mitt welchem allen solche vnsere vnd dergleichen GeschlechtRegistern nicht gemaint sein/ noch diß hieher zutziehen/ dieweil eines Gaistliche/ diß Politische/ vnd nicht in die Kirchen gehören/ anderst dann alß wie oben von den alten Testamenten erinnert vnd können ohne ordentliche Geschlech[t]Register/ die Weltlichen Historien/ vererbung vnd verenderung der Herrschaften vnd Länder/ nicht gelesenn noch verstanden/ auch verwandte vnd Frembde nicht vnderschieden werden[.]986

Anders als geistliche Genealogien dienen politische Geschlechteraufzeichnungen zur Orientierung in den Machtverhältnissen der sozialen Welt, die etwa bei Generationenwechseln Änderungen erfahren hatten und erfuhren. Auch die Verwandtschaft als die wohl wichtigste Bezugsgröße damaliger sozialer Identität wird als geschichtsbestimmt dargestellt, d. h. dass auch Bezüge gemeint waren, die, mehrere Generationen zurückliegend, in Vergessenheit geraten waren und somit den Status durch Herkunft bestimmten. Dennoch nimmt der Text dann affirmativ auf die religiöse Genealogie Bezug, nämlich auf das Geschlecht Christi. Die Herkunft wird auf die Rechtmäßigkeit von politischen Machtverhältnissen bezogen, indem auch hier ein Geschlechtsregister für notwendig erklärt wird, das als »Urkhundt« und mithin rechtlicher Nachweis in den Evangelien gelte: Vnd hatt Christus sein Geschlecht durch den Euangelisten Mattheum von Abraham vnd Dauid zur Vrkhundt füehren lassen/ deren baider Sahmen/ Ehre/ mitt Namen/ von Gott verhaissen/ vnd Jacob die Zusag/ so Abraham seinem Anherrn geschehen dem Stammen Juda/ mit seiner Prophecey verneweret/ wie Gott hernach/ nach Taussent Jaren/ die mit Dauid vernewert/ der aus dem Stam Juda/ Lucas aber füehret das auch von Adam/ Seth/ Noha/ Sem/ biß auff Abraham/ Mus doch gleich wol auch mitt den Politischen GeschlechtRegistern ein Maaß gehalten werden/ vnd ist woll belacht worden/ dass vor ettlich wenig Jaren/ einer deß Königes von Hißpannia Stam vnnd Geschlecht/ von Adam hero in offentlichen druck außzufüehren sich vnterstanden[.]987

Die geistliche Abstammung des Messias wird in der Sprache der Vaterschaft im Spiegel der Evangelien des Matthäus und, noch weiter bis auf Adam zurückgehend, des Lukas wiedergegeben und als geistliche Genealogie anerkannt. Damit 986 Ebd., fol. 14v. 987 Ebd.

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ist der Spielraum dieses Geltungsbereiches erschöpft, liest sich die Geschichte der Tucher doch als Analogie und Fortsetzung dieser geistlichen Herkunft vom gleich eingangs zur »Vorred« beschworenen Christus her. Es folgt eine Darstellung realhistorischer Genealogie, die karikaturesk vorgeführt wird. In der Folge macht der Text unfreiwillig klar : Das Abstreiten anderer, früherer oder gegenwärtiger Geschichtsbilder belegt deren Wirkmächtigkeit, gerade weil diese so vehement abgewehrt werden.988 Die Gegenstände des historiographischen Distinktionswettbewerbs zwischen Dynastien des Adels, städtischen Geschlechtern und anderen Familien werden im Extrembeispiel der realhistorischen Rückführung auf die biblische Grundlage der Genealogie Christi vorgeführt, wobei spanienkritische Äußerungen mit der traditionellen patrizischen Behauptung gegen den Adel und im Geiste humanistischer Quellenbindung zusammengeführt werden.989 Religion und gesellschaftliche Kommunikation wurden aber nicht durchgehend ineinsgesetzt. Die vollständig sakralisierte Geschichte spanischer Könige wird als Beispiel für eine gemeineuropäische Hofhistoriographie in der Form von »Ehrenwerken« abgelehnt.990 Religion und historische Gesellschaft bleiben also prinzipiell amalgamierbar, wenn sie auch in diesem Fall abgelehnt werden. Weltliche und geistliche Genealogien werden unterschieden, jedoch zeichnet sich die Möglichkeit ab, historische Handlungen quellenverbürgt zu schildern und ihnen dennoch eine Aura des Religiösen zuzugestehen.991 Diese Dimension bleibt auch bei den Tucher zentral. Als eine ›praeteritio‹ erscheint die Darstellung jedoch vor allem deswegen, weil die Drucklegung hier ja auch prinzipiell 988 Diese schon aus rhetorischen Gründen einleuchtende Auffassung vertritt am etwas früheren empirischen Beispiel, der Ablehnung römischer Genealogien während der Ausbildung von Nationalgefühlen, Klaus Schreiner, Religiöse, historische und rechtliche Legitimation spätmittelalterlicher Adelsherrschaft, in: Otto Gerhard Oexle/Werner Paravicini (Hg.), Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 133), Göttingen 1997, 376 – 430, 414. 989 Die konfessionellen, politischen und (mit Bezug auf die Sklaverei) zivilisationskritischen Aufmerksamkeitsfelder seit Luther, dort freilich mit rassistischem und antisemitisch-antikonvertitischem Einschlag beschreibt Reinhard, Konstruktion der Alterität, 165. 990 Der Hof erforderte tendenziell seit dem 15. Jahrhundert zeitgeschichtliche, vergangenheitsgeschichtliche und antiquarische Wissensbestände, die seiner Legitimation dienen sollten. Dabei nahmen die »Ehrenwerke« in der Form genealogischer und herkunftsmythologischer Ausführungen einen zentralen Stellenwert ein. Die Vernetzung der Hofhistoriker war auch personell und methodisch gegeben, beruhten doch die Quellenrecherchen vor allem auf den parteiisch nach Machtinteressen verwalteten Archiven, so Völkel, Geschichtsschreibung, 216 f. 991 Bevor Religion sich historisch als ein eigenständiges Kommunikationssystem ausdifferenziert hatte, nach eigenen Standards und relativ unabhängig kommunizierte, verblieb die Kommunikation historischer Gesellschaften in der Ambivalenz, zwar religiös durchtränkt, keineswegs aber durchgehend sakralisiert zu sein, vgl. Luhmann, Ausdifferenzierung der Religion, bes. 258.

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aufgewertet wird (durch die Ablehnung ihrer Autorität im Fall der spanischen Monarchie) und die Tucher sich selbst auf die Rixnersche Turnierlegende beziehen und damit über die noch verfügbaren Quellen ab dem frühen 14. Jahrhundert hinausgehen. Diese Argumentation tritt allerdings erst zum quellengebundenen Nachweis der Familiengeschichte hinzu, wie sie hier mit Emphase vorgeführt wird: Was aber vnser der Tucher Stamm belangt/ weist dieses Buch/ den nicht länger/ als wie gemelt vnd im Stammbuch volgenst zusehen/ dann wenig Jar mehr alß dreyhundert Jar/ von Conrad Tucher dem Ersten diß Namens/ welcher gestorben Anno Christo/ 1326/ Daß aber auch vor der Zeitt vnd vor disem Conrad Tuchern Tucher gewesen/ weiset nicht allein dieses Ersten/ in disem Stammbuch/ StammVatter vnd ErtzVatter/ Conrad Tucher Vatter aus/ dessen Eltern Namen wir nicht wissen/ sonder es weisen auch vnserer Statt Jarregister vnd Cronicken/ dass im Jar Christi 1198 vnter Kaiser Hainrich dem Sechsten/ vnd also vor Vierhundert Jaren/ da der grosse vnd zwöffte Teutsche Turnier/ von demselben Kayßer zu Nürnberg gehalten/ vnter denen/ die ein Erbar Rath auß Ihrem mittel/ zu hülff den Thurnir Vögten beschaiden/ Einer Wolff Tucher/ gewesen sey/ vnd ein Anderer/ auch der Zeitt Sigmund Tucher/ mith Turniret/ vnd vil gutter Treffen gethan hab/ auch diese baider/ Wolff vnd Sigmund Tucher nachmals neben Vierhundert Pferden Ihrer Mithbürger/ vnd von der Statt Fürnemen Geschlechten/ wol außgerüstet[.]992

Das Stammbuch enthalte nur nachweisbare Informationen und konjiziere nicht, fülle keine Lücken in der Überlieferung. Ergänzungen wie die, wer die Eltern des »ErtzVatter« gewesen seien, blieben daher nur folgerichtig unterlassen. An das Kriterium der Quellenbindung knüpft nun der Altersdiskurs nur vorgeblich an, nämlich mit der vom Reichsherold Rixner für den Nürnberger Rat erstellten Turnierlegende. Seine historische Darstellung wird herangezogen, während nachfolgende Teile der »Vorred« nach zwei historischen Situationen gegliedert sind, die den Verlust aller verfügbaren historischen Quellen bis zum Beginn des Spätmittelalters begründen sollen. Im Gegensatz zu den topischen Verlusterklärungen im privaten Rahmen, wie etwa im Falle der Nürnberger Rieter,993 gibt die »Vorred« exemplarische Situationen der offiziösen Chronistik an, in denen die Schreibabsicht didaktisch reduziert und wiederholt wird: Ist also wie zuuor die verwüstung der Statt/ vnter Kayßer heinrich dem Fünfften/ Also auch die Auffrhur derselben vnter Carolo dem vierten/ in vnd auß trewen diensten vnd 992 GTB, fol. 15r. 993 Die Rietersche Geschichtsschreibung hält fest, dass namenlose Witwen den Rieter aus Unachtsamkeit ihre Geschichte geraubt hätten, denn sie hätten den dokumentarischen Wert dieses Materials nicht erkannt. Ein weiterer Beleg für die familiärer Wertschätzung historischer Quellen ist, dass gegen 1530/31 die Fürer alle zugänglichen familienbezogenen Dokumente in aufwändigen und mit je 700 Seiten umfangreichen Bänden abschreiben ließen, so Schmid, Deutsche Autobiographik, 63.

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Pflichtslaistung gegen der Kayserlichen Oberigkaitt/ vnd dem Reich entstanden/ vnd stundt die Statt in gleicher gefahr/ Fünfftzig Jar hernach/ da Kayßer Wentzel deß Kayßerthumbs entsetzt wurdt/ wann sie sich nich fürgesehen[.]994

Die hier zusammengefassten historischen Narrative dienen der Konstruktion der sozialen Identität des protestantischen Patriziats in der Reichsstadt, sollen die Privilegien dieser Elite gegen die Zünfte legitimieren und durch den reichsrechtlichen Status der Stadt gegenüber dem Kaiser noch erhöhen. Der Kaiser wird historisch zu einer positiven, der Papst zu einer negativen Integrationsfigur für die Identität der exemplarisch als kaisertreu aufgezeigten Stadt stilisiert, wobei durchgehend Anleihen bei der offiziösen Geschichtsschreibung Nürnbergs getätigt werden.995 Die Turnierschilderung umfasst das Geleit, das neben anderen auch die Tucher mit 14 Pferden dem 1198 nach Italien ausziehenden Kaiser bis Donauwörth gegeben haben sollen. Aus Dankbarkeit habe er die Begleiter geadelt, eine Darstellung mit überdeutlicher Rechtfertigungstendenz: [I]nsumma derselbe höchstgedachte Kaißer Hainrich der Sechst/ an allen der Statt vnd deren Geschlechten/ diensten vnd außrichtung solchen gefallen gehabt/ das Er alle/ so auß Ihren Geschlechten Ihne damals belaittet (vnter denen auch Wolff vnd Sigmund die Tucher neben anderen Ihren Vetteren vnd Verwandten) Genedigist/ mitt Adellichen Rittermässigen Eehren vnd Freyhaitten begenadet vnd die dem Adel allerdings gleich sein/ vnd gehalten werdenn sollen/ woferne sie sich (wie der Zeitt es gehalten worden) an Ihren Landtgüttern/ deren Renthen vnd Gülten/ genüegen lassen würden/ vnd deren allein nehrten/ vnd Bürgerlicher Händel vnd gewerb/ der anderen gemainen Bürgerschafft/ sich enthielten/ wie das alles in derselben deß Zwölfften Thurnirsbeschreibung zufinden/ Welches Turnirshistorie/ auch an ein Rittermessig Geschlecht in nider Sachßen/ die von Veldthaimb/ kommen/ vnd nachmalß zu Summern/ auff dem Hundtsrück/ im Druck außgange/ auß welchem allen zuuernemmen/ dass auch vor dem Jar Christi/ 1198 die Tucher müssen gutte/ wolbekanndte/ wolgehaltene/ BürgersLeuth gewesen sein/ vnd noch viel Jar zuuor/ ehe noch dann sie geadelt worden/ alß die zurselben Zeitt Ihrer begnadung/ in Ehrn vnnd Ehrnstanden berhüembte Leutt gewesen[.]996

Während andere Geschlechterbücher die Wappenbriefe wiedergeben,997 erfüllt hier die präsentische Formulierung, die Tucher sollten in »Adellichen Rittermässigen Eehren vnd Freyhaitten […] gehalten werdenn«, diese Legitimationsfunktion. Das vermeintlich kritische Vorgehen des Textes zeigt sich in dem 994 GTB, fol. 19v. 995 Die spezifischen Weisen dieser Anleihen sind w.u. eingehender zu behandeln. Zur historiographischen Basis dieses tendenziösen Rezeptionsvorgangs vgl. zusammenfassend Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts. 996 GTB, fol. 15v. 997 So die Kleine Scheurlchronik.

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präzisen Verweis auf die Quellenbasis, »wie das alles in derselben deß Zwölfften Thurnirsbeschreibung zufinden«.998 Diese Quellenangabe, wie auch die beanspruchte Autorität des gedruckten Werkes von einem »Rittermessig Geschlecht in nider Sachßen«, belegen den Rechtfertigungsbedarf, der die Unsicherheit der Faktenlage spiegelt, ja verrät. Verleugneten patrizische Geschlechter schon Jahrzehnte später ihr traditionelles Engagement im Handel bis hin zu offiziellen Zertifizierungen adligen Lebensstils,999 so deutet sich hier eine ähnliche Tendenz im Umgang mit der eigenen Handelstätigkeit1000 vor dem Hintergrund eines gestiegenen sozialen Distinktionsbedürfnisses an. Was als übertragende Weitergabe deklariert wird, war also schwerpunktmäßig ein konstruiertes, umgedeutetes Erbe. Der Adelstitel sei zu der »Ehrn vnnd Ehrnstanden« der ja ohnehin bereits vor der Erhebung in den Adel turnierbeteiligten Tucher lediglich bestätigend hinzugetreten. Die Diskussion um den heuristischen Begriff »Stadtadel«1001 und den stärker historisch mitbestimmten Terminus »Patriziat« lässt sich vermittelnd auf die Fixierung auf sozialen Aufstieg zusammenführen, bei dem der Adel einen wichtigen Bezugspunkt bildete, ohne aber Karrierewege zu verdrängen. Die Patrizier sahen sich in der Pflicht, die Forderung, sich »Ihren Landtgüttern/ deren Renthen vnd Gülten/ genüegen [zu] lassen […] vnd deren allein nehrten/ vnd Bürgerlicher Händel vnd gewerb/ der anderen gemainen Bürgerschafft/ sich enthielten«, mit dem Nachweis dieser Besitzstände zu beantworten; dies leistet die Topik der Personenporträts in beiden Fassungen des Tucher998 Als Quelle ist Rixners Turnierbericht gemeint, der in »Summern [Simmern, C. K.]« 1530/ 32/33 gedruckt wurde. Wird dagegen auf Ludwig von Veltheim und die – ausführlichere – angeblich in seinem Besitz befindliche handschriftliche Turnierchronik abgehoben, so ist anzumerken, dass dieser sich bereits 1526 bei Scheurl findet, also noch vor dem Tucherbuch Rom im CHH-III (Scheurl Codex H), Haller-Archiv Großgründlach, lt Auskunft von Bertold von Haller. Scheurl könnte also in die Erfindung der Turnierfabel eingebunden gewesen sein. 999 Zu diesen Vorgängen vgl. die auch ohne (manchmal allerdings schmerzlich zu vermissende) durchgehende Quellenverweise einleuchtende und wirkungsmächtige Arbeit von Hofmann, Nobiles Norimbergenses, 114 – 150. 1000 Die Tucher hatten sich 1590 bereits länger im eurpäischen Fernhandel engagiert, was auch nicht unerwähnt in den biographischen Porträts des Tucherbuchs bleibt. Allerdings zeichnete sich dabei bereits eine Ambivalenz der Deutung ab, wie w. o. am Beispiel des Fremdsprachenerwerbs zwischen Kaufmannsbildung und sozialem Distinktionsgegenstand gezeigt wurde, ließen sich doch Auslandsaufenthalte bereits zur Bildungsreise umdeuten, als sie zum Hauptzweck noch das Kaufmännische hatten und noch nicht ausdrückliche Bildungsreisen waren. 1001 Aus frühneuzeitlicher Perspektive erscheinen die Tendenzen sozialen Aufstiegs eher als Pluralisierungsprozess, vgl. Mark Häberlein, Die Fugger. Geschichte einer Augsburger Familie (1367 – 1650), Stuttgart 2006, 186 – 203, während mediävistische Positionen eher einen gerichteten ›Feudalisierungsprozess‹ zu sehen scheinen, vgl. Fouquet, Stadt-Adel. Für eine abwägende Reflexion beider Sichtweisen vgl. Studt, Repräsentation städtischer Eliten.

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buchs, verstärkt durch paratextliche Register. Die Begriffe, die im Register den Inhalt des Tucherbuchs verzeichnen, ihre Lemmatisierung und ihre sprachliche Erläuterung scheinen darauf abgestellt gewesen zu sein, Gegenständen wie der rechtlichen Terminologie, »Renthen« usw., möglichst häufig Raum zu geben. Diese interessengeleitete Darstellungsabsicht wird in eine Sprache der übertragenden Weitergabe eingebettet. Der Text spielt mit der rechtlichen Terminologie des Erbens und Vererbens, indem der Bedeutungskomplex ›Übertragung‹ umfassend auf ein Vermächtnis materieller, religiöser und soziokultureller Art ausgedehnt wird: [D]ie ersten/ so in Weltlichen Rechten vnd policeien/ Testament vnd letzte Willen genännt werden vor Ihrem absterben vnd End/ Ihren Kindern vnd Nachkommen/ Ihren letzten Willen betzeugt haben/ für nämblich weß sie sich in Ihrem Gottesdienst/ vnd Gottseeligen wandl/ vnd also gegen Gott vnd den Menschen verhalten sollten/ daran für sich selbst/ vnnd Ihnen den Alten/ mehrgelegen/ alß an aller Ihrer zeittlichen verlassenschafft/ darmitt fürnemblich der rechte Gottesdienst/ die ware Göttliche Lehr/ von den Eltern vnd Vättern/ auff die Kinder vnd Nachkommen gebracht vnd vererbt würde/ vnd diß ist in den Testamenten vor Alters also versehen worden/ darauff dann nachmalß/ die verordnung deß Zeittlichen Erbens in Testamenten geuolgt/ da yetzt zu vnsern Zeitten in Weltlichen Testamenten/ allein das Zeittliche/ durch dieselben verordnet vnd bestellt zuwerden pflegt/ vnd vmb das Ewige bey den Nachkommen zubestellen vnd zuuersehen/ zu deren verwarung vnd Seeligkaitt (daran vilmehr vnd alle gelegen) pflegt man sich in disen nicht zubekümmern/ da doch bey den Alten das Widerspiel erscheinet[.]1002

Schien die bisherige Unterscheidung von weltlichen und geistlichen Geschlechtsregistern eine säkularisierende Reduzierung auf den rechtlichen Charakter von Geschichte nahezulegen, so wird hier das Gegenteil vorbereitet: Geschichte soll auch das religiöse Erbe und die von ihm abgeleiteten ethischpolitischen Regeln vermitteln. Der Vorgang des Vererbens von rechtlich definierbaren Gegenständen wird nur als Teil einer historischen Entwicklung dargestellt, in deren Zuge der Kontinuität sichernde, Religion und Ethik umfassende Übergangsmechanismus hin auf Weitergabe von Gütern verengt worden sei. Diese Tendenz wird jedoch zu stark zugespitzt, wie empirische Untersuchungen religiöser Gegenstände und Formeln in Testamenten verschiedener Epochen zeigen. Geschichte wird ihrer rechtlichen Funktion nunmehr entkleidet; das Stammbuch sei in erster Linie ein »Vralt […] Testament« im Sinne der »Alten« und erfülle die Aufgabe, den »rechte[n] Gottesdienst/ die ware Göttliche Lehr/ von den Eltern vnd Vättern/ auff die Kinder vnd Nachkommen« zu vermitteln. Das »schlichten« und »bawen«, wovon zuvor die Rede gewesen war, gewinnt hier 1002 GTB, fol. 12r.

Der Prachtkodex Tucherbuch

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Konturen im konfessionell-politischen Rahmen des Augsburger Religionsfriedens, dessen ursprünglich brisanter Teil der Augsburger Konfession im späten 16. Jahrhundert als reichsrechtlich anerkannt galt: Demnach wir auch die Tucher von Nürnberg/ In dieser Vorrede dises vnsers Stambuchs auch/ Alß zu einem Vralten Testament/ vnsere kinder vnd Nackommen/ an die drey obgemelte Symbola vnsers Christlich Glaubens/ für nemblich wöllen angewisen haben/ vnd wie die in der Augspurgischen Confession/ Kaiser Carlen den Fünfften/ im Jar 1530 vbergeben/ vnd in den Büchern Lutheri vnd corporis doctrinae erklert, vnd da etwas noch in denselben strittig fürfallen sollte/ dass man sich deß auß volgenden Schrifften derselben vnd deren gleichen Lehreren/ so auß Gottes Wort/ erholte/ dergleichen gelegenhait vnsere GroßAhnen/ zu Ihren Zeitten nicht gehabt/ deß wir dann auch vor Ihnen Gott zu dancken haben/ auch desto mehr schuldig sein/ die Jenigen so wir nach vns lassen/ diß fahls trewlich vnd Christlich zubedencken/ welches in disem Leben das fürnembste ist[.]1003

War die Frage des angemessenen Gottesdienstes zuvor noch in den Mittelpunkt der kritischen Betrachtung gerückt worden, so wird nun die eigene Position der Tucher bei aller Abgrenzung doch sehr irenisch herausgestellt durch überkonfessionell konsensfähige Formulierungen wie »vnsers Christlich Glaubens« und Bezüge auf »Gottes Wort«. Die Bedeutung der konfessionellen Auseinandersetzungen erscheint stark reduziert, indem für den Fall von innerlutherischen oder interkonfessionellen Auseinandersetzungen auf die »gelegenhait vnsere GroßAhnen/ zu Ihren Zeitten nicht gehabt«, mithin auf die durch Martin Luther ins Deutsche – das erstmals Latein als Zielsprache ablöste – übertragene Bibel hingewiesen wird. Den Zeitgenossen durfte die Bibel in der Volkssprache als ein ungetrübter und unanfechtbarer Erfolg des Luthertums vorkommen, war doch auf die Publikation des Septembertestaments die Veröffentlichung zahlreicher anderer Bibelübersetzungen gefolgt, die mit der lutherischen Übersetzung mithalten mussten.1004 Das Konfliktpotential dieser Entwicklung und ihrer Folgen wird hier stärker als in der früheren Fassung des Geschlechterbuchs hervorgehoben; durch den Hinweis auf das Jahr 1530 als den Beginn der Auseinandersetzungen, die zum Augsburger Religionsfrieden und der reichsrechtlichen Anerkennung des Luthertums geführt hatten, ist ein Indiz für einen Generationenwechsel und den daraus resultierenden verschärften konfessionellen Ton gegeben.1005 1003 Ebd., fol. 11r. 1004 Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert, 30 – 47. 1005 Diese Verschärfung ging zwar einher mit einer generellen Beruhigung der reichsrechtlich anerkannten lutherischen Konfession im status quo, jedoch war mit der selbstbewussten Behauptung dieses Ergebnisses auch eine Radikalisierung gegenüber den Reformierten verbunden, wie die Nürnberger Bilder Herneisens zeigen, zunächst 1593 ein vom Rat der Stadt Nürnberg vehement kritisiertes Spottbild auf die Reformierten, vor allem aber das in

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Die Ablehnung von »Abgötterey« wird zwar universell auf die Erkenntnis Gottes als das, was »in disem Leben das fürnembste ist«, ausgeweitet, aber nicht anklagend auf die Vorgänger ausgedehnt. Stattdessen wird die religiöse Praxis früherer Generationen mit den Zeitumständen erklärt und so historisiert, dass einerseits der legitimierende Altersdiskurs nicht ausgehebelt wird; andererseits erscheint der theologische Erkenntnisforschritt so, dass die Mahnung künftiger Generationen, die wohl einförmigste topische Aufgabe des europäischen Hausbuchs der Renaissance,1006 hier besonders aufgewertet wird. Diese Intensivierung weist auf eine Krisenwahrnehmung hin, die sich aus der wieder stärker polarisierten konfessionellen Situation ergeben zu haben scheint, sowie aus der Abschottung adeliger Schichten gegen Einheiratung von Nichtadeligen.1007 Verbunden mit der stärker umkämpften privilegierten Stellung des Patriziats im späten 16. Jahrhundert war auch die Zuwanderung der nur einmal und nur im letzten Paratext erwähnten ›Eindringlinge‹ (»einkimblinge«). Die Übertragung des kulturellen Erbes steht in engem Bezug mit dem Generationenbegriff. Im Folgenden ist auf das Medium der illustrierten Prachthandschrift einzugehen, ein für eine besonders lange Dauer hergestellter familiärer Gegenstand, ja Erbstück.

3.3

Historiographie zwischen Beharrung, Neugewichtung und Veränderung

3.3.1 Textfunktionen der »Vorred« (1590) im Spiegel der historiographischen Vorwortkultur Interpretiert man die »Vorred« textimmanent, so werden die Bezüge innerhalb des Textganzen besonders gewichtet. Ihre ›dichte Beschreibung‹ allein könnte jedoch die Veränderungen des Tucherbuchs aus dem Blick verlieren, die somit vorab im Folgenden im Mittelpunkt stehen sollen. Bislang wurden eher die Parallelen zwischen Manuskriptfassung und Prachtversion des Tucherbuchs, mehreren Kopien um 1599 an die Öffentlichkeit gegebene »Gedenkbild auf die Übergabe der Augsburger Konfession«. Die Zugehörigkeit zum Augsburger Bekenntnis wird hier stärker hervorgehoben, während die diversifizierten Zweige der reformierten Konfessionen abgelehnt werden, vgl. Kurt Löcher (Hg.), Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, Ostfildern-Ruit 1997, 254 – 257. 1006 Die Befunde von Christiane Klapisch-Zuber, Das Haus, der Name, der Brautschatz. Strategien und Rituale im gesellschaftlichen Leben der Renaissance (Geschichte und Geschlechter 7), Frankfurt/Main 1995, bieten hier den Anlass, verallgemeinernd vom ›Hausbuch‹ als einem europäischen Typus zu sprechen. 1007 Zur gegenseitigen Abschottung von Patriziat und Niederadel vgl. Endres, Adel und Patriziat.

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zwischen der späteren Illustrationshandschrift und ihrem textlichen Grundstock hervorgehoben.1008 Die genealogischen Haupttexte der historisch-prosopographischen Darstellungen wurden gegen Ende des 16. Jahrhunderts jedoch nicht nur mit porträtähnlichen Personenabbildungen versehen. Sie wurden auch überarbeitet, das Vorwort gar revolutioniert. Die Änderungen sollen nun kontrastiv zur Manuskriptfassung aufgezeigt werden. Das erste Tucherbuch von 1542 enthält neben einem Register der in neun »Generation[en]« gegliederten Familiengeschichte die – auch in andere Fassungen des Tucherbuchs übernommene – Widmung Scheurls, die hier noch als alleinige »Vorred Inn das Tucherbuch« betitelt ist.1009 Als einziger weiterer Paratext wurde der Bericht über die Turnierteilnahme von »Wolff vnd Sigmundt die Tucher« aufgenommen.1010 Die Manuskriptfassung des Tucherbuchs von 1565 enthält auch die Texte der ersten Fassung.1011 Jedoch findet sich hier ein anderes Register, das Namen männlicher Familienmitglieder in nach dem ersten Buchstaben alphabetisierter Reihenfolge enthält, so etwa »Bertholdt Tucher [in Auszeichnungsschrift] Conraden Tuchers vnnd Gertraut Holtzbergin Sone, Elisabeth von Mayenthal, vnnd Anna Pfinzingin sein Eegem[ahl] 2 fo[l] 10«.1012 Darauf folgt »A[n] die Uhranen vnd der[selben] Nachuolger bißhiehero des Erbar Erlich vnd altherkommen Geschlechts der Tucher«, eine an die Familienmitglieder gerichtete kurze Vorrede.1013 Diese ist eine knappe Anrufung Gottes, der sich den Vorfahren offenbart und somit Unterscheidungskriterien von Gut und Böse gegeben habe, auch »was Zu erhaltung Gottes Ehre Zu Lob vnnd Preiß seines Namens, wnnd Inen [den Urahnen] wnd dem Geschlecht durch ordtenlich bedachte guete Mitel Zu Nuz vnnd wolfart geraiche«; diese Inhalte würden von der vorliegenden Familiengeschichte thematisiert auf Initiative der Familienstiftung der Tucher, woraufhin auf die Widmung Scheurls übergeleitet wird.1014 Vor dem textgleich in 1008 Diese Position der landesgeschichtlichen Forschung beruht wahrscheinlich auf einem Missverständnis der Widmung Scheurls, die in die Londoner Handschrift des Tucherbuchs übernommen worden war. Es scheint, dass dieser Text daher zur von Scheurl verantworteten Fassung deklariert wurde, so Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 200, Anm. 449. Dort findet sich aber auch der Hinweis auf die ungenügende Erforschung der Scheurlschen »Familienbücher« (Ebd., 200, Anm. 450). 1009 Tucherbuch Rom, fol. 1r-2v. Für die Interpretation dieser »Vorred« bezeichneten Widmung Scheurls vgl. 4.1. 1010 Tucherbuch Rom, fol. 2v-5v. 1011 Tucherbuch London. 1012 Ebd., fol. 1r-17v. 1013 Ebd., fol. 18r-18v. 1014 Die familiäre Vorrede nimmt Bezug auf die Widmungsvorrede Scheurls. Erklärtermaßen handelt es sich um eine Inanspruchnahme des moralischen Vermächtnisses Scheurls, dessen Forderung von 1542, die »Haylige Erbschaft« der Vorfahren zu bewahren und »Ir generation vnnd Ir glori« zu erhalten, gerade 1566 (»Am Sontag den dreyssigisten Sep-

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die Prachtversion übernommenen Abschnitt zu »Georg Richßner genant Jherusalem« findet sich der umfangreichste Text, der »Ein trewe vnd Christliche vermanung zu einem Gottseelichen leben vnd Wandel nach Ordnung vnd Inhalt der Zehen Gepot Gottes Allen so dises Tucher puch leßen Zur Vnderrichtung« betitelt ist.1015 Hier werden die christliche Anthropologie (»Mensch […] alls ein Geschöpf vor allen dingenn«), die Dreifaltigkeit Gottes (lediglich mit dem »vnnterschied […] Das der Vatter die Erst Person sey, die den Sohne, Als die Anndere Person von Eewigkeit erzeuet«)1016 und die Interdependenz von irdischem und ewigem Leben (»Ein New Leben«) herausgestellt.1017 In den aus der kollektiven »wir«-Perspektive sprechenden Text werden Glaubensregeln eingewoben, so die Verehrung Gottes in einem bestimmten Gottesdienst, seine alleinige Verehrung im Sinne des ersten Gebots usw. Vor allem aber wird betont, dass nicht »das Leyden, Wunden, Marrter vnnd Sacramenta deß Herrn nit mit füeßen tretten, nit Zauberey treiben, vnd den Teuffel Inn nöten vmb hülff vnnd Rath ansuchen, sonnder vnnserm Gott die Eher Allein geben«1018. Eine reformatorische Sprache theologischer Reinigung und forcierter Weitergabe des rechten Wissens wird mit dem familiengeschichtlichen Topos der Übertragung vermischt, nämlich »das ein Ieder nach seinem vermögenn willig vnnd gern helffe, das Kirchen Schulen, vnd das PredigtAmbt erhalten werde, Damit Gottes wort Allezeit mög […] Leuter gepredigt, vnd Auch auf die Kinder vnd Nachkommen gepracht werden«. Ist die Rede hier auch ohne Einschränkung auf das ganze Christentum bezogen, so stand sie doch am Beginn der Familiengeschichte und hatte sich der Text allen Lesern zur Erinnerung empfohlen. Den übrigen Geboten werden nicht durchgängig eigene Zwischenüberschriften gewidmet, lediglich »Von dem fünfften Gepot«1019, »Das Sechst Gebot von messige[m] vnd nüchtern Züchtigen Keüschen leben vnd wie Zu wem vnd warümb man heyraten soll«1020, »Vom Siebenden Gepot wie man die Narung das Teglich Brot gewinnen vnd wie man Reichthumb Gellt vnd Guet prauchen soll«1021 sowie zuletzt »Das Acht Gepot von warhait trew vnd glauben zuhalten vnd das man niemand die Ehr abschneid oder vbel nachred sonder alles zum pesten Kehren«1022 solle.

1015 1016 1017 1018 1019 1020 1021 1022

tembris deß vorganngnen FünffZehenhundert Fünfwndsechzigisten Jars«) »fürohin hernach Auch Also zu halten Zu C o n t i n u i e r n, vnnd der Eltern Fueßstapffen nachzufolgen« hervorgehoben wird, Tucherbuch London, fol. 18r-19v. Ebd., fol. 20r-26v. Ebd., fol. 20v. Ebd., fol. 20r, 20v. Ebd., fol. 20v. Ebd., fol. 22v. Ebd., fol. 23r. Ebd., fol. 24r. Ebd., fol. 25v.

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Die Gebote werden somit auf eine gesellschaftliche Anwendungsebene hin konkretisiert, eine Tendenz, die sich auch in den anderen Überschriften zeigt: »Wie sich die Christen Vntereinander oder ain Mensch gegen dem andern verhalten soll Vnd erstlichen was der Eltern vnd Kinder beruff vnd Ampt sey«1023 und »Von Gesellschafften«1024. Letzterer Abschnitt verweist nur knapp auf die Gefahren schlechten Einflusses: »vor beser gesellschafft soll sich Ain Jeder hüeten das er nit […] [in] deß Teuffels strick vnd garn gerathe dann wie die Gesellen sein«. Die Ehre einer individuellen Person, so die folgende Erläuterung, wird stets neu durch den Umgang konstituiert, denn »man Sagt wann man einen kennen welle, so soll man nur sein Gesellschaft ansehen«1025. Der auf Generationenbeziehungen im engeren Sinne gerichtete Abschnitt, der von der Liebe des Menschen zu Gott auf die Liebe der Menschen untereinander überleitet, ist besonders herausgehoben: »[D]iese Lieb Aber sollten Erstlich die Eltern hern vnd Frawen Oberkaiten vnnd was Zu Regiernn hat oder ann der Eltern stat ist, gegen Iren Kindern, Haußgesind vnnd vnderthonen beweisen vnnd erzaigenn das sie dieselbenn mit Christlichem Vleyß Aufziehen[.]«1026 Politische Machtbeziehungen und erzieherischen Generationenbeziehungen werden parallelisiert; jedoch scheint auch die Vater-Kinder-Beziehung als ein generelles Denkschema und Wahrnehmungsmuster von gerechter Ordnung durch. Religiöses Leben bedarf daher der erzieherischen Gestaltung, gleichermaßen im städtischen oder familiären Raum, für eine Erziehung in Erbarkeit Gottesforcht Zucht Studiern, Lateinisch wnnd Anndere Sprachen, oder ehrliche Hanndtierung vnnd gewerb Le[rnen] Lassen Zum Catechismo Predigten vnnd Gottes wort halten, Inen mit Irem Leben vnnd wanndel nit ergernus oder böses exempel geben, nit Zu Sünden helffen vnnd durch die Finger sehen sonnder die Rutten so es die Not erfordert Inn der Hanndt nehmen straffen vnnd Zuchtigen, Auf das die Kinder nit Vbel gerathen, vnnd die Eltern etvan nit Allerlei schand An Inen erleben vnnd sehen[.]1027

Die Erziehungsfrage wird über ihre unmittelbar familiäre Relevanz hinaus als religiös notwendige und legitimierte Maßnahme dargestellt. Die ethische Lebensführung, das konkrete Eingreifen in den Lebenswandel und -vollzug,1028 sind aber auch teilweise nicht Selbstzweck, sondern »bey Zeit Ziehen vnd weisen [diene dazu] das sy Leernen Ir Narung vnd Brot mit Ehrn gewinnen Peßern vnd 1023 1024 1025 1026 1027 1028

Ebd., fol. 21r. Ebd., fol. 23r. Ebd. Ebd., fol. 21r. Ebd. Rüdiger Schnell, Mittelalterliche Tischzuchten als Zeugnisse für Elias’ Zivilisationstheorie, in: Rüdiger Schnell (Hg.), Zivilisationsprozesse. Zu Erziehungsschriften in der Vormoderne, Köln/Weimar/Wien 2004, 85 – 152.

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mehren«, mithin dem bei Generationenwechseln von Familien und ganzen Geschlechtern weiterzugebenden kulturellen Erbe: [A]n welcher Zucht den Eltern vnnd Kindern, Ja ainem gannzen Geschlecht am Allermaisten vnnd vilmehr dann Am Raichtumb gelegen ist, dann was ist es wann ein Vatter sein Kindt nit wol Aufzeicht, aber Ime schon viel Tausent gulden verlest. Tugend, Eer, fromkeit, Gottsforcht ist besser dann viel Silber vnnd Golt, Wie sich wol Exempel Inn dieser Stat zugetragen haben, das frome Eltern wolerZogne Kind die nichts oder gar wenig gehabt, Zu großen Guetern, stenden, dapffern Heyraten, Amptern vnnd Ansehen kommen sein, Vnnd das hergegen Reicher vnnd dapfferer Leuth Kinder weil dieselbigen vbel Auferzogen vmb Ir hab vnnd gueter Kommen vnd Zu betlern worden sein, souil liegt An der Zucht In der Tugendt[.]1029

Religiöse und weltliche Elemente sind eng miteinander verbunden, die pragmatische Dimension, der ethische Impuls als Antwort auf die wahrgenommenen Gefährdungen werden überdeutlich. Versammelten sich die Väter und jungen Männer bei den jährlichen Treffen der Tucherstiftung, sollte ihnen die Bedeutung der erbrachten Erziehungsleistung für sie selbst und das gesamte Geschlecht bewusst werden. Diese nach Geschlechtern segregierte Kommunikationssituation benennt die zumal für die nachfolgende Familiengeschichte wichtigsten Kriterien für die Einschätzung vergangener und anzustrebender Lebensläufe, nämlich Vermögen (»großen Guetern«), soziopolitischen Rang, etwa durch Mitgliedschaft in städtischen Ämtern (»stenden«), angemessene oder vorteilhafte Verheiratung (»dapffern Heyraten«) sowie leistungsethisch erworbenen Ruf (»Ansehen«). Diese Elemente kennzeichnen die Topik, der die biographischen Porträts in beiden Fassungen des Tucherbuchs folgen. Soziale Mobilität wird nicht eigens thematisiert, sondern als Chance und Gefahr für Individuen und das ganze Geschlecht vorausgesetzt. Galt in der frühen Neuzeit die wirtschaftliche Überzeugung, dass Güter etwa in einer Stadt prinzipiell begrenzt, mithin nur unterschiedlich aufzuteilen seien, so gewinnt die Erziehung eine zentrale Bedeutung. Materielles Erbe, »viel Silber vnnd Golt«, wird hinter Erziehung, die immaterielles Erbe trägt und Kapitalerwerb erst ermöglicht, zurückgesetzt. Die Verdienstkomponente von sozialem Stand wird hier in die Zukunft projiziert, weil sie für die Vergangenheit plausibel und in der Gegenwart gefährdet erscheint, eine Wahrnehmungsweise, die sich auch in der Mahnung spiegelt, Erziehung habe der Selbsterhaltungsfähigkeit der Nachkommen zu dienen. Diese Forderung wird in der Prachtversion historisiert und abgelehnt.1030 Der vorliegende Text dient somit nicht einer über die Familie hinausgehenden Repräsentation, sondern zielt topisch auf familieninterne Belehrung 1029 Tucherbuch London, fol. 21v. 1030 Vgl. 4.4.1 w. u.

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ab.1031 Diese Sensibilität im Umgang mit Erziehung mündet ein in eine Erziehungstheorie, die eine religiöse Seelenheilargumentation umfasst: Ir vater Ziehet eure Kinder Auf In Zucht vnd vermanung Zum Herrn vnnd Salomon In Sprüchen Am XXIII du solt die Züchtigung nit Abwenden vom Sone, Schlecht du Ine mit der Ruten der tirbt [sic!] nit dauon, du wurdest Ine mit der Rutten schlagen vnnd wurdest sein Seel von der hell erledigen, Darnach Am XXIX Die Rutten vnnd die straf gibt weißhait, Aber das Kindt dem man seinen willen lest, wurdet seine Mutter schenden, Vater weiß deinen Sone vnnd er wirt dich erquicken vnd deiner Seelen freud machen, Syrach Am XXXL wer seinen Sohne Liebet der Gayselt Ine manigfeltig, damit er sich seiner Am Lezten frew Pewg deß Sohns Nacken weil er noch Jung ist, Wer seinen Sone Liebe hat der Züchtige Ine Vnnd Je grösser Liebe Je grössere Rutt[.]1032

Dem Sohn schade es nicht, gezüchtigt zu werden. Vielmehr rette dies seine Seele vor der Hölle, verleihe ihm Weisheit, bewahre ihn vor falschen Handlungen, ja gar inzestuösen Perversionen des Generationenverhältnisses. Diese »Vaterliche vnnd Muetterliche Zucht« solle den Kindern einleuchten, einschließlich der Erkenntnis, »das sy [die Eltern] von Got gesetzt vnd geordnet sein, Ann seiner [Gottes] Stat die Kinder zuziehen« und die Eltern sich ohnehin Verdienste erworben hätten, eingedenk ihrer Schmerzen und Anstrengungen, die bemerkenswerterweise mit Bezug auf »Prouerb: XXIII« zugespitzt werden: »Ehre deinen Vater der dich geporn hat [sic!], vndd dein Mutter, so sy Alt[.]«1033 Das vierte Gebot wird kurz erwähnt, breit umschrieben und mit Bibelstellen belegt, im Zentrum steht jedoch der religiös konstituierte Generationsdiskurs, der die Geburt, die Weitergabe angemessenen Verhaltens und den ›ethisch-physischen‹ Bestand der Kinder umfasst, einschließlich bestimmter Fragen der Generationengerechtigkeit. Nachkommen sollen bedenken, welche Schmerzen, mühe vnnd Arbeit die die Eltern mit Inen gehabt haben von Jugend Auf, wye saur sy Inn worden, vnnd derhalben sie Ehren, Inen gern volgen, gehorsam sein, dienen, Lieben, vnd werth habenn, vnnd ob sy wol etwan vnrecht thon, doch mit Inen gedult haben Ire menngel vnnd gebrechen nit wie der Gotloß Chain offenbaren vnnd großer machen, sonnder Zudecken, In bedrachtung das sy Mensch[en] vnnd auch Kinder, das sy Eltern, wir Aber Kinder seyen denen Auch solches begegnen könne Solches sollenn die Kinder thon Darumb vnd dieweil es Gott Im vierten gepot beuolhen hat Da er spricht, Ehre Vatter vnd Mutter, vnnd henkt die verheissung vnd belohnung daran, das solches Kindt soll Lanng Leben, Es soll Ime Auf Erden wol geen, es soll gesegend werden, wie wir Auch sehen das vngerathne Kinder, Auch Entlich mit Armut, Kranckheit vnnd Annderm Vnglück gestraffet vnnd hergegen fromme gehorsamme vielfeltig gesegnet werden[.]

1031 So zuletzt zusammenfassend Schmid, Deutsche Autobiographik, 114. 1032 Tucherbuch London, fol. 21v. 1033 Ebd., fol. 22r.

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Zwei Gründe für die Verehrung der Eltern gemäß dem vierten Gebot werden angegeben, nämlich neben der Vergeltung der für die Kinder erbrachten Mühen vor allem das eigene Wohlergehen auf Erden, das in der eigenen Lebensdauer, in Gesundheit, Wohlstand und der Anzahl der Nachkommen (»vielfeltig gesegnet«) verheißen ist. Das vierte Gebot wird somit ganz im Hinblick auf die Übertragungssituation und Bedrohung der Kontinuität der Familie über die aktuelle Situation des Generationendialogs hinaus gedeutet. Das eigene Verhalten, so fasst der Text zusammen, hat Vorbildfunktion für die nachkommenden Generationen: »Inn Summa, das ist gewiß, wie wir vnnsern Eltern halten, Also halten vnns vnnsere Kinder wiederumb Wie Syrach Am III Sagt, wer seinen Vater ehrt, der wirdet An seinen Kindern erfreut, vnd Am tag seines Gepets erhöret werden[.]«1034 Erzieherische Generationenbeziehungen sind somit gleichermaßen symbolische Bezüge auf die Kontinuität des Geschlechts, sind jedoch auch in konkreten Erziehungsfragen Vorläuferkonstellationen für ›Generation‹. Dieser Begriff verkörperte ein positiv bewertetes Grundkonzept von Genealogie mit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. In diesem Sinne war ›Generation‹ eine Verpflichtung, mit deren Einhaltung Jung und Alt in der Familie stets aktuell beschäftigt sind und die daher den Auftakt des paratextlichen Tugendkatalogs der Manuskriptfassung des Tucherbuchs bildet, darin dem Vorwort des Scheurlbuchs ähnlich. In der illustrierten Familiengeschichte der Familie Scheurl, dem ›Scheurlbuch‹, ist die Darstellung wesentlich schematischer.1035 Die aufwändig in Frakturtype gehaltene Handschrift ist teilweise mit den für die Neudörffersche Schreibkunst typischen Ziermustern abgesetzt, wahrscheinlich handelt es sich um eine Abschrift der ebenfalls vorliegenden Manuskriptfassung.1036 Die Ausführung ermöglicht eine annäherungsweise Datierung auf das späte 16. Jahrhundert, denn die am 9. November 1586 geborene »Lucretia Scheurlin« ist noch in der Frakturschrift eingetragen.1037 Wie der Name, so ist der Text des Scheurlbuchs geschrieben. Dagegen ist die Benennung »Philip Harstörffers Ehewirttin« nach der Hochzeit von 1604 bereits von anderer Hand nachgetragen worden, wie auch auf der folgenden Seite die Kinder. Neben zahlreichen, aber nicht durchgehend eingemalten Illustrationen sind auch allegorische oder porträthafte Kupferstiche eingefügt, darunter der Autor der Vorlage und des wohl bekanntesten Familienmitglieds, Dr. Christoph Scheurl, ein weiteres Indiz für die historiographische Verflechtungsabsicht dieser Familie mit dem Nürn-

1034 Ebd., fol. 21r. 1035 Kleine Scheurlchronik. 1036 Dieser Kodex ist dort in die Collectaneenbände eingestellt, trägt aber auf dem Schnitt die Aufschrift »Scheurlbuch«. 1037 Kleine Scheurlchronik, fol. 98r.

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berger Patriziat, das schon im ›Ex Libris‹ Scheurls und dem Tucher-ScheurlDoppelwappen hervorstach.1038

Abb. 14 Christoph Scheurl, Kleine Scheurlchronik.

Die Vorrede des Scheurlbuchs ist betitelt mit »Christenliche Vorred In des Scheurl Buch. Genad und Frid von gott vnserm lieben herrn In seinem ainigen Sune Christo Jhesu«. Auf sie folgt ein in der Form von Überschriften im Erklärungstext hervorgehobener, abstrakt gehaltener Tugendkatalog,1039 der nach zwei Wappenbriefen im Abschnitt »Vom Scheurl Wappen«1040 noch einmal in Reimform zusammengefasst wird:

1038 Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 199. 1039 Diese lauten (Kleine Scheurlchronik, fol. 2r) »Gott den ob allen dingen zulieben«, (Ebd., fol. 2v) »Die gebot gottes zühalten«, (Ebd., fol. 3v) »Hurrerey vnd Eebruch zuuermeiden«, (Ebd., fol. 4r) »Den nechsten zulieben als dich selbst«, (Ebd., fol. 5v) »Almußen zugeben«, (Ebd., fol. 6v) »Die Eltern zu erenn« (eine Passage voller Ecclesiasticus-Zitate), (Ebd., fol. 7v) »Die Kinder In gottes forcht aufzutziehen«, (Ebd., fol. 8r) »Nach eeren vnd frumkeit zuheuraten«, (Ebd., fol. 9r) »Erlich gesellschafft zuhalten«, (Ebd., fol. 10v) »Nach Zimlichen gutten gut zu streben«. 1040 Ebd., fol. 14r »Vom scheurl wappen«, Wappenbrief, »Wir Karl der fünfft von Gottes Genaden Römischer K«, »Wir Ferdinand von gottes gnaden«, Ebd., fol. 15r, 21r.

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Wolmeinende anmanung für das Scheurl geschlecht auf 10 Artickel gestellt Gott vber alles zulieben/ in gottes gebot stets zu üben/ Vntzucht vnd Ehebruch zumeiden/ Den nechsten zulieben vnd nicht zu beleiden Almusen zugeben macht sehr reich Eltern ehrn vnd lieben deßgleich Auch Kinder halten zu Gottes Wort Nach Ehrn heirathen an fromme orth Erbare gesellschaft halt in hut Magst wol trachtenn nach erlichem gutt[.]1041

Die Gebote waren jeweils auf ein bis zwei Seiten erläutert worden, jedoch ohne durchgehenden namentlichen Bezug auf die Familie Scheurl. Die Parallelen zur Manuskriptfassung des Tucherbuchs bestehen in einer großen Zahl von Zitaten, so beispielsweise im Abschnitt zum Gebot »Die Eltern zu erenn«1042. Die hauptsächliche Bezugnahme folgt eine Seite weiter durch die Abbildung des Scheurlwappens: Die Prachtversion des Scheurlbuchs teilt somit eine innerfamiliäre Lehraufgabe mit der Manuskriptfassung des Tucherbuchs, weist doch die eng an den tucherschen Tugendkatalog angelehnte Gestaltung auf die Absicht zur Nachahmung eines repräsentativen Gestus ebenso hin wie die Abbildung des Tucherwappens in Verbindung mit dem der Scheurl.1043 Das Scheurlbuch von ca. 1568/70 – 1600 reicht, anders als das frühe Tucherbuch, über den familiären Rahmen hinaus, da die weit detaillierteren Ausführungen etwa zu Christoph Scheurl d.Ä., die noch im früher angefertigten »Schewrlbuch«1044 angebracht worden waren und seine Kompetenzen in der Kaufmannsbildung durch Wiedergabe eines Memorials hervorheben, hier nun ausbleiben.1045 Stattdessen werden die Begegnungen mit Reichsfürsten ausgeführt. Im Vorwort bestand bei den Scheurl offenbar keine Neigung zu konfessionell geprägten Ausführungen etwa in Bezug auf »Antichrist«-figurationen, war doch Christoph Scheurl d. J. nur ein moderater und durch demonstrative Freundschaften mit Lutherfeinden ambivalenter Befürworter der Reformation gewesen.1046 Einer derartig konser1041 Ebd., fol. 26v. 1042 Ebd., fol. 6v. 1043 Die Abbildung von Allianzwappen findet sich in dem von Albrecht Dürer entworfenen Ex Libris (Ebd.). 1044 Collectaneenband B, Scheurlarchiv, GNM. 1045 Allerdings erfolgt eine relativ ausführliche Darstellung des Ehepaars Katharina Fütterer und Dr. Christoph Scheurl, vgl. Kleine Scheurlchronik, fol. 50v-51v. 1046 So war der schärfste Luthergegner Dr. Eck bei der Hochzeit Scheurls in Nürnberg anwesend, auf den Luther sich gelegentlich unter Auslassung des Punkts zwischen Titel und Name als »Dreck« bezog; Scheurl korrespondierte mit Luther und Eck.

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Abb. 15: Kleine Scheurlchronik, fol. 26v, 27r.

vativen Tendenz setzte die Prachtversion des Tucherbuchs in der programmatischen »Vorred« einen zeitgebunden konfessionalisierten Text entgegen. Allerdings könnte das Scheurlbuch als Reaktion auf eine sich erneuernde Vorredenkultur gelesen werden, denn es enthält einen in der von ca. 1570 stammenden Schrift gehaltenen »Beschluß«.1047 Dort kommen geschichtsphilosophische und -theologische Bewertungskriterien von Familiengeschichte zur Sprache, ohne dass konkret auf die Scheurl eingegangen würde. So wird zunächst der angefochtene Mensch als Agens »Der gantzen welt historia« dargestellt, der unter dem Gebot der Fruchtbarkeit stehe. Ob eine Familie »In den staub gelegt«, ob ein »name aber wirt umbgebracht vnd vertilget immer vnd ewigklich«, liegt ganz in den Händen Gottes, der »also pflegt haws zuhalten«.1048 Die Blüte einer Familie verbleibt aber nicht in der Hand Gottes allein, sondern ist durch das Verhalten beeinflusst, denn »der gerechte[n] kinder vnd kinder kinder [werden] gesegnet«. Die Verteilung des göttlichen Segens richtet sich nach den historischen Leistungen, die – wie das Scheurlbuch – in der Familiengeschichte niedergelegt ist: »Zeigen auch die Stambücher an wie man in den 1047 Kleine Scheurlchronik, fol. 151r-153v. 1048 Ebd., fol. 152r.

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geschlechten hatt hausgehalten vnd das got von wegen etlicher gotfürchtiger leut Der andern verschonet.«1049 Ausdrücklich wird also auf die patrizische Geschichtskultur Bezug genommen und dass deren historische Leistungen implizit gegenwartsrelevant seien. Diese Kernaussage wird in Bibelzitaten mit Begriffen der Übergänglichkeit, des Transfers und der gezielten Übertragung dargestellt. Durchgehend ist in Bezug auf biblische Genealogie die Rede von allgemeinen Bezeichnungen, die auf die Geschichte einer aktuellen Familie appliziert werden können: »[N]achkommen«, »Ertzvater Abraham«, »das land erben«, »mancherley verenderung […] das das eine [Geschlecht] in aufnemen kommt vnd wechset das ander aber geringert wird«, »die gerechten erben das land«, »alle geschlechte [wallen] auff erden [..] vndt nach einer andern wonung trachten«, »die hüt[t]e der fromen wirt grunen«, die Güter des Herrn gelangen an die »geschlechte welche den Herrn fürchten«, »des same wird gewaltig sein auf Erden das geschlecht der fromen wirt gesegnet sein«1050. Die Argumentation läuft auf die Dokumentation der Segenswürdigkeit der Familie in der Geschichtsschreibung zu: Jedermann solle froh sein, dass die Vorfahren sich so verhalten hätten, dass Gott »in ausbreitung ihres Geschlechts von got sind gesegnet worden und vielen Leuten in der regirung vnd andern löblichen hendlen gedienet haben« und somit Vorbilder für kommende Generationen sind. Die Hoffnung könne sich aber allein auf die »andere wohnung« richten, darauf, dass »auch ein ider im Stambuch der lebendigen gefunden und sein bis Inn ewigkeit nicht vergessen werde amen«.1051 »Stambuch« wird also doppelt verwendet für das Werk, dessen Schlusswort vorliegt sowie für die göttliche Ordnung der Welt. Diese Ordnung entspricht derjenigen, die dem »Catalogus Gloriae Mundi« in der Form eines Kupferstichs von Jost Amman im Exemplar der HAB beigebunden ist,1052 darüber hinaus aber in die Tradition neuplatonischer Emanationsschemata einzuordnen ist: Die bildliche Umsetzung zeigt deutlich eine Äquivalenz der Kosmen etwa der Heiligen oder der Engel, wobei die Hierarchien aufeinander verweisen.1053 Das undatierte »Schlußwort« im Scheurlbuch könnte auch deutlich nach dem Tucherbuch, womöglich im frühen 17. Jahrhundert, entstanden sein. Die »Vorred« des Tucherbuchs ist ebenfalls theologisch ausgerichtet. Allerdings berichtet dieses einzigartige Werk als ganzes nicht nur von Erinne1049 1050 1051 1052

Ebd., fol. 153r-153 f. Ebd., hier unpaginiert. Die Zitate vgl. ebd., fol. 151r-153v, das letzte fol. 153v. Barth¤lemy de Chasseneuz, Catalogus Gloriae Mundi (zuerst 1529), Frankfurt: Feyerabend 1579 [VD16-C2074], HAB 41 Quod. 28, unpaginierter Bildteil. 1053 Zum prinzipiell neuplatonischen Charakter des »Catalogus Gloriae Mundi« vgl. F. Secret, Le Catalogus mundi de Barth¤lemy de Chasseneuz et la Dignitas hominis, in: Bibliothºque d’humanisme et renaissance 20 (1958), 170 – 176.

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rungshandlungen wie geistlichen Stiftungen etc.,1054 sondern ist selbst eines der in der »Vorred« genannten »monumenta« im Sinne eines zur Verehrung Gottes und zur Erinnerung der Familie geschaffenen Gegenstands. Die Prachthandschrift war zur dauerhaften und schwer zu übertreffenden Erinnerung, die noch Generationen weitergeführt werden konnte, bestimmt. Die theologisch-dogmatischen Wendepunkte der »Vorred« sind vor dem Hintergrund der Vorrede der Manuskriptfassung des Tucherbuchs zusätzlich kontextualisiert, die der desjenigen Scheurlbuchs ähnelt. Im Sinne der Entwicklungstendenz hin zu einer repräsentativen Geschichtskultur stellt die »Vorred« eine Innovation und Steigerung der Vorwortkultur dar, verdeutlicht jedoch auch, dass sich schon im städtischen Rahmen Nürnbergs im späten 16. Jahrhundert in familien- und konfessionenübergreifender Perspektive kaum von einem Generationenwechsel im Sinne der Mannheimschen ›Sozialtechnologie‹ sprechen lässt,1055 sondern vielmehr von einer veränderten Sinngebung familiär, konfessionell und politisch bedeutsamer Symbole.1056 Diente der Generationsdiskurs als generelle Orientierung der Geschichtsschreibung, so konnte er doch in unterschiedlichen konfessionellen Kontexten spezifisch verarbeitet werden, wobei Interpretamente von verschiedenen Seiten anverwandelt werden konnten. Die in historischen Selbstbeschreibungen aufgefundenen Generationenwechsel sind Setzungen, die vor allem Unterscheidungs- und Distinktionsabsichten belegen, nicht jedoch essentiell zu verstehende kulturelle Veränderungen abbilden. Vielmehr sind Tendenzen der Konfessionalisierung zu erkennen, nämlich veränderte Wirkungsabsichten, auf denen im Folgenden das Hauptaugenmerk ruht.

3.3.2 Der Münzwurf Berthold Tuchers 1364 als familiäres Ursprungsnarrativ in Nürnberg Anfangs- und Gründungserzählungen sind keine unschuldigen Mythen, sondern schaffen der kollektiven Vorstellungskraft durch »retroaktiv[e]« Vergangenheitsdarstellung eine Legitimationsgrundlage.1057 Wird ein Anfang als Ur1054 Zur memorativen Valenz von Stiftungen in der Stadt des 15. und 16. Jahrhunderts und der Weitervermittlung dieser Memoria in der Geschichtsschreibung vgl. Kuhn, Les fondations pieuses. 1055 Diese Bezeichnung sei aus einem anderen Zusammenhang bei Habermas entlehnt, der »Sozialingenieure« und »Insassen« polarisierte, Jürgen Habermas, Dogmatismus, Vernunft und Entscheidung. Theorie und Praxis in der verwissenschaftlichten Zivilisation, in: Ders., Theorie und Praxis, Frankfurt am Main 1978, 338. 1056 Zu anderem Material schlägt diese Binnendifferenzierung von Generationenforschung vor Uwe Steiner, »68 – 89«. Literarische und mediale Wendungen der Wende, in: Jochen Hörisch (Hg.), Mediengenerationen, Frankfurt/Main 1997, 16 – 59, 19. 1057 Die Konstitution von historischen Anfängen gemäß den Interessen einer Gegenwart

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sprung geschildert, so führt das zur Paradoxie, muss die zurücklaufende Reflexion doch in »einer nicht aufzuholenden Nachträglichkeit« zum Dargestellten verbleiben. Die Ursprungserzählung wird in der Gedächtnisbildung der Tucher paratextlich in mehreren Schritten genauer fokussiert, ein Quellenbefund der im Folgenden genauer beachtet werden soll. Um diese Inkorporierung früherer Schichten in neue Sinnzusammenhänge aufzuzeigen, soll hier zunächst die historische Darstellung eines familiären Schlüsselereignisses wiedergegeben werden, die dann im Spiegel ihrer paratextlichen Aufbereitung zu untersuchen ist. Wie die »Vorred« thematisiert, wäre der Name der Tucher drei mal dem Aussterben nahe gewesen, lebte zu drei Zeitpunkten nur jeweils ein männlicher Tucher, der den Namen an seine Nachkommen hätte weitervererben können. Insbesondere die erste dieser Situationen, nämlich schon beim zweiten Tucher, der im Sinne der im 16. Jahrhundert vorliegenden Quellen als historische Person rekonstruierbar angesehen wurde, Berthold Tucher, soll hinsichtlich ihrer Ausgestaltung eingehend berücksichtigt werden. Damit soll der familiengeschichtliche Modus der Erzählung nachgezeichnet werden. Die »Vorred« hatte auf die biblische Situation des Münzwurfs bei der Ersetzung des Apostel Judas verwiesen, nämlich die Stelle in der Apostelgeschichte, bei der Gott sich im Losverfahren für Matthias, aber gegen den anderen Kandidaten, Joseph Barsabbas, offenbart hatte.1058 Die »Vorred« erwähnt das literarische Muster, ruft es jedoch mit einem verkürzenden Hinweis auf die ausführlichere biographische Skizze auf, die in der Prachtversion neu hinzugesetzt worden war und die verstärkte Gewichtung dieser Situation verdeutlicht: der Kontinuitätsdiskurs der »Vorred« lässt die dem biblischen Matthias verliehene Verkündigungsaufgabe parallel zu derjenigen der weiterbestehenden Tucher erscheinen, so dass den genealogischen Informationen ein geistlicher Sinn unterlegt und diese religiös überhöht werden. Das Geschlecht der Tucher erscheint so als Multiplikator des Glaubens konnotiert, die historische Darstellung vereint Beispiele christlich musterhaften Lebens. Die Münzwurfepisode ist die prominenteste Entscheidungssituation in der Tucherschen Historiographie, überragt Berthold Tuchers späte Neuverheiratung doch andere biographische Erzählungen an Umfang und Ausschmückung. Ein weiteres ›Münzorakel‹ in Nürnberg war zwar bekannt, wurde ebenfalls als Einflussfaktor in der Familiengeschichte angesehen, ist jedoch im Vergleich mit

schildert in komprimierter abstrakter Form Albrecht Koschorke, Zur Logik kultureller Gründungserzählungen, in: Zeitschrift für Ideengeschichte I/2 (2007), 5 – 12, hier vor allem 9. 1058 Zu dieser Episode vgl. die auch den Kontext der »Vorred« berücksichtigende Interpretation in 4.

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der Tucherschen Legende blasser.1059 Dessen Dominanz spiegelt sich nicht nur im prosopographischen Text, sondern auch im weiter unten zu interpretierenden thematischen Index, und zwar hinsichtlich der Anzahl der Einträge dieses Ereignisses in verschiedenen Konkretionen und variantenreichen Zuspitzungen1060 der in beiden Fassungen identischen Erzählung: Dan[n] der gannz Tucher stammen nach Absterben Conrad Tuchers auf dem Ainigen Bertholden tucher Achthundreissig Jar gestannden vnnd er Ime vierundfünzig Jar Alt, wardt er seer Zweiffenlich wider Zu heyrathen oder aber sein Leben in Gaistlichen Standt zuuolenden. Doch Einzlichen Schluß er dahin, Denn Herr Gott trewlich zu pitten Ime seinen göttlichen willen vnnd wol gefallenn In sein gemuet zu geben weß er sich verhalten sollte. Nun hette Kayser Carl der viert gemeiner Stat Innerhalb Acht Jarn Als Am tag Sebastianj Anno 1356 Zu Sultzpach erlaubt heller mit einem Kreutz vnnd Hannt, daran Ainunddreissig Schilling wnnd vier Heller vff ein Hellische Marckh geen sollten Zu münzen, der name er Ainen Inn die Hand, Schnellet den Kniend nach halber achter Maß Inn seiner Her nacher Iheronimusen Tuchers Haus Cappellen Am Milchmarckht Dreymahl In die Hohe, vnd erwälet durch das Creuzlein den Geistlichen, vnd durch das Hendlein den Elich stanndt. Also fueget Gott der Herr, das das Hendlein Alle dreymal oblag Darauf er noch desselben Tags nach Essens Auf Sannt Egieden Hoff gieng für deß Alten Herrn Bertholdt Pfinzings Eckbehausung [Am Rand steht hier in anderer Schrift »Pfintzing«] die von Denn Pfintzingen auf der Melber, von Inen auf der Peßler/ dann Auff die Letscher, wnnd Jetzt vff herrn Doctor Christof Gugel kommen ward von Albrechten Letscher schier von Newem erpautt ist, [Berthold Tucher] saß auf den Stain, Leutet An, vnnd warb selbst vmb sein Tochter Jungckfraw Annenn, die ward Ime noch vor Nachts mit Fünffhundert Pfundt Hellern haimbstewer, gegenn Acht hundert Pfundt hellrn Zu schatz zugesagt, mit der erzeigt er paldt Auf einannder vier Söne vnd vier Töchter. Dieser Berthold Tucher ist ain Raths Person gewesen[.]1061

Die Entscheidungssituation wird hier nicht in psychologischen, sondern in ethischen Handlungsmaßstäben erzählerisch ausgestaltet. Berthold will die Entscheidung nicht treffen, ohne Gottes Willen zu erkunden, so dass er sich Gott 1059 Das Schreyersche Orakel wird von Sebald Schreyer über seinen Vater Hans berichtet, der ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau mit 66 Jahren 1443 wieder geheiratet hatte. Vorher hatte er eine Münze dreimal auf ein Schachbrett geworfen, stets ein weißes Feld getroffen, so dass die Geburt des bedeutenden Nürnbergers Sebald Schreyer durch ein Münzorakel beruhte, vgl. Elisabeth Caesar, Sebald Schreyer. Ein Lebensbild aus dem vorreformatorischen Nürnberg, MVGN 56 (1969), 1 – 213, hier 13. Dort wird Bezug genommen auf Schreyers Kopialbuch A, Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 52a Nürnberger Handschriften Nr, 301, fol. 19v. Für den Hinweis danke ich Bertold von Haller. 1060 Die Bandbreite der rhetorischen Amplifizierung bei der Erstellung des Registers wird in 3.3.3 zusammengestellt. Ob die ›auf einem Mann stehenden‹ Tucher, die Lebensstilentscheidung Bertholds, sein Münzwurf oder die Braut Gegenstand der Aufnahme in den Index sind, so führt die Verweisung doch stets auf die Folioseite seines biographischen Porträts auffällig häufig und ohne zwingende sachliche Gründe zurück, um nur einige thematische Schwerpunkte zu nennen. 1061 Tucherbuch London, fol. 30v, 31r.

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durch die Situierung in der »Cappellen« seines Privathauses nähert. Er wird den Lesern des 16. Jahrhunderts als Hieronymus Tuchers Haus vorgestellt, dabei werden Einzelheiten eingestreut. So »saß [Berthold] auf den Stain«, auch wird der konkrete Ort geschildert, so dass der städtische Raum als Erinnerungsort einerseits beansprucht, andererseits auch konstruiert wird und die historische Verbindung der Tucher mit der Stadt ungebrochen erscheinen musste. Solche impliziten Hinweise besitzen programmatischen Rang, wie am Beispiel der narrativ wiedergegebenen Verflechtung mit dem anderen Patriziergeschlecht die nachgetragene Randbemerkung »Pfintzing« zeigt; diese Annotierungspraxis dient in beiden Fassungen des Tucherbuchs als nachträgliche Lesehilfe, die durch Nennung der Geschlechternamen Lesern einen Eindruck von der Verflechtung der Tucher bietet.1062 Die Nähe zu Gott demonstriert Berthold durch seine knieende Haltung, in der er die durch das Privileg Kaiser Karls IV. in Nürnberg gültige Münze dreimal werfen wird. War Berthold vor dem Münzwurf »seer Zweiffenlich« gewesen, so sieht er das Ergebnis als göttliche Fügung (»Also fueget Gott der Herr«) an, unterstellt der Text, was ihn zu heiraten veranlasste. Die Auswahl der Kandidatin, ein im Spätmittelalter wie in der frühen Neuzeit komplexer sozialer Prozess,1063 ist zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs endgültig, wie die am gleichen Tag erfolgende Heiratszusage und Absprache der Höhe der Mitgift zeigen; dennoch ist Berthold Tucher sich seiner hervorragenden Positionierung bewusst, so dass er mit kühlem Herzen, dies soll man wohl der Bemerkung »nach Essens« entnehmen, um die Hand der Tochter »deß Alten Herrn Bertholdt Pfinzings« bittet und sie schnell erhält. Der Heirats-, besser Verheiratungsmarkt der reichsstädtischen Eliten darf als einigermaßen präfiguriert, durch vorausschauende Planung von Allianzen strukturiert, angesehen werden. Vor diesem Hintergrund will der Text die Angemessenheit der Verbindung demonstrieren, indem er die Entscheidung in den beiden prominent aus dem Stadtensemble hervorstechenden Patrizierhäusern als besonders schnell und berechenbar herausstreicht.1064 Das dargestellte ›Pathos der Dis1062 In der Forschung stehen in der Folge von Reinhards wirkmächtiger Einführung heuristischer Kategorien für personale, d. h. Beziehungs-, Verwandtschafts- und Geschäftsbeziehungen, sozioökonomische Beziehungen im Vordergrund, während historiographische Quellen Raum für eine Geschichte dargestellter Beziehungen und ihrer Bewertung bieten. Für das Konzept vgl. Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. ›Verflechtung‹ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979. 1063 Vgl. zusammenfassend Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 291 – 298; zu Repräsentationsformen von Ehepaaren und familiärer Investitionspraktiken in die Verheiratung vgl. Anette Völker-Rasor, Bilderpaare-Paarbilder. Die Ehe in Autobiographien des 16. Jahrhunderts (Rombach Wissenschaft Reihe Historiae 2), Freiburg 1993, hier vor allem 179 – 184. 1064 Die Stadt der frühen Neuzeit war eine mit Werturteilen und -wahrnehmungen besetzte Topographie, zu Nürnberg vgl. Calabi, Street and Architecture, 45 – 57.

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tanz‹, erst nach dem Essen, ohne Eile und ohne vom standesgemäßen Tagesablauf des Essens abzuweichen, wurde im Geschlechterbuch der Pfinzing als tucherspezifische Distinktionsgeste interpretiert und prominent präsentiert.1065 Das Tuchersche Münzorakel kommt bei Scheurl 1526 und in der Pfinzingbibel nicht vor, weil Anna Pfinzing zur späteren Lichtenhofer Linie der Pfinzing gehörte. Ihr Vater wird in dem von Sebald Pfinzing angelegten Stammbuch erwähnt, der in erster Ehe mit Agnes Irrer, in zweiter Ehrer mit Katharina Lauffenholz verheiratet war.1066 Dort heißt es lapidar, als sei die Münzwurfepisode bekannt und unangefochten, »Anna hett Zw der ehe hern Bertholt Tucher, der denn hendtles Haller hatt auf geworffenn«.1067 Diese Ursprungserzählung wird bei den Tucher seit der ersten Tucherbuchfassung textlich weitgehend unverändert weitergetragen.1068 Auch die Prachtversion des Tucherbuchs hat diesen Text mit einigen Zuspitzungen übernommen, etwa heißt es dort über die Zeugung der Kinder, ihre Geburt sei »kürtzlich auff einander« erfolgt und es habe sich um Nachkommen gehandelt, »die seinen Todt erlebten«.1069 Insbesondere die letzte Behauptung verschweigt unpassende Informationen, wie das didaktisch vertextete Register anzeigt, in dem mehrere Kinder Bertholdts als verstorben angezeigt werden, nämlich »Peter Tucher/ No. 5 Bertholdten Tuchers/ vnd Anna Pfintzingin/ Sohn/ Starb Jung [Fol.] 35«1070. Dieser Indexeintrag unterscheidet sich vom Porträt Bertholds, wobei die Indexeinträge und textlichen Veränderungen erst in der Prachtversion hinzugefügt wurden, somit die Gegenläufigkeit des völlig neu hinzugekommenen Index’ zum eigens überarbeiteten Personenporträt hätte bemerkt werden müssen, wäre sie relevant gewesen. Die Überzeugungskraft des historischen Exemplums wurde im späten 16. Jahrhundert durch empirische Widersprüche offenbar nicht als gefährdet angesehen. Trotz dieser Modifikationen zwischen beiden Fassungen ist insgesamt von Textpermanenz zu sprechen, bewegen sich die angebrachten Veränderungen doch auf keiner entscheidenden inhaltlichen Ebene. Dennoch wird die familiäre Kontinuität deutlich zugespitzt, die Tode mehrerer Kinder im Grunde verschleiert, durch den zu erwartenden baldigen Tod des Vaters uminterpretiert, obwohl ein Indexeintrag das Gegenteil andeutet, ja beinahe ostentativ darauf verweisen musste. Das Gestaltungsprinzip setzte offenbar keine Priorität auf die 1065 Vgl. »Die Sechste Lini« im Stammenbuch des Georg Pfinzing, 1620, Hallerarchiv Großgründlach, fol. 15r. In dieser Familiengeschichte wurden erstmals wieder die verschiedenen Linien der Familie Pfinzing zusammengeführt. 1066 Biedermann, Geschlechtsregister, 396. 1067 StadtAN E 1/1255 Nr. 1, fol. 6r. 1068 Tucherbuch Rom, fol. 8v. 1069 GTB, fol. 33r. 1070 Ebd., unpaginierter Indexeintrag.

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schlüssige Vernetzung der Informationen in den verschiedenen Texten der historischen Darstellung, sondern vielmehr auf die Vermittlungsform, Überzeugungskraft und Anschaulichkeit des Textes und seiner Fülle als Wirkungsprinzip.1071 Das Tucherbuch aus dem Jahr 1570 hatte die Münzwurfepisode auf grundlegend andere Weise dargestellt und in einen spezifischen genealogischen Sinnzusammenhang eingebunden.1072 Unter dem Eintrag »Die Erste Linea« wird am Fuße einer Baumdarstellung neben »Cunrad Tucher« zwar auch Bertholdt Tucher erwähnt;1073 jedoch wird ihm eine eigene ganzseitige Baumdarstellung und genealogische Kategorie gewidmet: »Erclerung deß Ersten Manlichen Grads der ersten Linea/ Cunradten Tuchers Genealogia oder Plutstammens[.]«1074 Erst darauf folgt sein biographisches Porträt, das kurz die späte Entscheidung des 54Jährigen wiedergibt, die Münze zu werfen und davon sein Leben und folglich die Existenz des Tucherschen Geschlechts abhängig zu machen. Diese Episode schien aber wichtig genug, um nach Darstellung der Kinder einen längeren paargereimten Text folgen zu lassen, der Bekanntes in rezipierbarer Weise wiederholt: Nach crist gepurt dreyzehenhu[n]dert iar Vnd sechs vnd Zwentzig die iarzal war. Vnd aller tucher stam gemein, Auff pertolt tucher stund allein. Vnd elisabet sein eelich weib von meye[n]tal, Gesetzt ward an der totten Zal Im iar XIII.LXIIII hub es sich an, Auß gottes verhencknuß derselb man Sein eelich oder geistliche wal, Zu kisen durch eins Hallers val[.]1075

1071 Vgl. dazu Berndt Hamm/Wolfgang Huber (Hg.), Lazarus Spengler, Schriften, Bd. 1, Schriften der Jahre 1509 bis Juni 1525 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 61), Gütersloh 1995, 411 – 426, wo Spengler den suggestiven Charakter von Sprache in positiv wertender Weise thematisiert, im Zusammenhang mit seelsorgerlichen Fragen, die er auf allgemeinere hermeneutische Basis zu stellen bereit ist. Die sich darin spiegelnde humanistische Schreibweise von Geschichte thematisiert Kessler, der den Plausibilitätsstandard der Geschichtsschreibung und ihrer Theorie für die historiographische Praxis zwar im Wahrheitsstreben sieht, dieses jedoch als stets wertendes, weil das Leben anleitendes charakterisiert: Eckhard Kessler (Hg.), Theoretiker humanistischer Geschichtsschreibung. Nach exemplarischen Texten aus dem 16. Jahrhundert (Humanistische Bibliothek. Abhandlungen und Texte. Reihe II 4), München 1971, hier vor allem 44. 1072 Tucherbuch 1570. 1073 Ebd., fol. 9r. 1074 Ebd., fol. 10r. 1075 Ebd., fol. 13v. Ein ausführlicheres Zitat dieser Stelle erfolgt w.u.

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An wenigen Stellen finden sich interpretierende Momente, so wird hier Berthold Tuchers Ausgangssituation – nicht deren Lösung durch den Münzwurf – als »gottes verhencknuß« benannt. Insgesamt aber wird die graphische Darstellung in den lyrischen Text überführt und damit weiter evidenziert, hier am Beispiel der Kinderdarstellung: Myt der [sc. Anna Pfinzing] er gewahn der Söne mehr, Vnnd Vier Töchter Allßdann die Auf Zwaien Seuten gemalt sind hie/ Inn Roten Plummen Als Ir hie findt Die Geschwistergit der ersten gesip sindt Was Nun Von den In Roten Blumen Darnach Von Kindern sindt bekumen Dieselben sindt der geschwistergit kindt Die In den blawen gemalet sindt Vnnd haist die annder gesipp mit Namen Von Vrsprung dises Mannes samen[.]1076

Die Texte werden mit den unausgeführten Abbildungen verknüpft; gemeinsam dokumentieren und suggerieren sie des »Mannes samen«, auch im Sinne seiner exemplarischen Handlungen.1077 Diese Form der rhetorischen Umsetzung findet sich hier jedoch letztmalig, außer in einer weiteren annähernd zeitgleichen, illustrationslosen aber textlich vollständigen Fassung, die daher nicht in allen Teilen eine Abschrift gewesen sein kann.1078 Sicher ist, dass hier die Wertschätzung Kontinuität sichernder Vaterschaft und familiärer ›Generation‹ exemplarisch an Berthold Tucher hervorgehoben wird, was auch die konsequente Rubrizierung von Tuchervätern in der paratextlichen Kommentierung erklärt. Der Generationsdiskurs zeigt sich nicht so sehr am Normalfall, sondern vielmehr am Scheitern der Kontinuitätserzeugung: So wird der verheiratete (»ward beweibt«) »Jheronimus Anthoni Tuchers Vnnd Cordula Wolfflin Sone« zwar aufgeführt, auch wenn die Ehe kinderlos blieb (»Erzeügt kain kindt«). Der Mann wird als das Agens des Zeugens thematisiert, so dass das Ausbleiben der Rubrizierung seines Namens in diesem Falle von der Kinderlosigkeit herrühren könnte. Die Schilderung des Lebens Berhold Tuchers, »der Erste diß Namens dauon

1076 Die Unterscheidung genealogischer Linien, der Filiationslinien auf den Stammbäumen, nach Farben etwa in der Form von Einrahmungen der betreffenden Wappen, war nicht unüblich. Bei den Holzschuhern wurden regelrecht eine blaue, rote, braune und grüne Linie unterschieden, vgl. Biedermann ab Tab 120. Laut Auskunft von Bertold von Haller gab es seit 1488 ähnliche Beispiel bei den Haller. 1077 Tucherbuch 1570, fol. 13v. 1078 Tucherbuch London, vgl. dazu w.u. 3.3.4.

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wir wissen«1079, ist daher auf ihren ethischen Gehalt hin zu lesen, sicherte doch dieser Ahn die Kontinuität der Familie über Jahrhunderte hinweg, indem er »ein Holdselig angenem, verdient vnd wolgehalten Mann bey Rath vnd Gemain« war, dessen Haus »die Gemain« beim Aufstand 1349 zur Seite sprang »vnd sagten/ dem frommen Mann wollen wir nichts geschehen lassen«. War Berthold beim Kaiserbesuch wegen »gemainer Statt hochwüchtigen sachen« auf die Burg geladen und waren ihm neben der Ehre der Anwesenheit auch bedeutendere Aufgaben zu Teil geworden, so hatte die von ihm in mehreren Stiftungen dokumentierte Freigebigkeit eine Tuchersche Tradition begründet; auch spätere Tuchersche Bewohner seines Hauses dankten der Bevölkerung Nürnbergs symbolisch und signalisierten Eintracht mit der Führungsschicht: »Von dannen verursachet vnd auffkommen ist/ das die Tucherischen Innhabere bemelter seiner behaussung am Milchmarckt/ den Metzkern alle Jar an irem Vaßnacht Tantz/ Krapffen vnd ein Trunck geben haben«. Wiederum wird die Erinnerung an die Ahnen im städtischen Raum verortet. Wie in den Feierlichkeiten zu den römischen Saturnalien wurden im europäischen Mittelalter im Karneval soziale Hierarchien umgekehrt. So wurden Bischöfe in umgedrehter Position auf einem Esel durch französische Städte getrieben1080 oder trugen Angehörige städtischer Führungsschichten den Armen auf und bedienten sie in invertierter Rolle, ein Vorgang der in Nürnberg rituell durchgeführt wurde.1081 Interpretationen solcher Rituale werden nach wie vor kontrovers diskutiert, vor allem die soziale Dimension, der Umgang der Stände miteinander sowie die Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Stadt finden Beachtung. Die Tucher des 16. Jahrhunderts schätzten es sehr, dass ihre Vorfahren während des Zunftaufstands gleichermaßen mit Zünften, Obrigkeit und dem die patrizische Regierung restitutierenden Kaiser übereingestimmt hatten. Neben der politischen Kontinuitätssicherung werden die Taten Bertholds auch auf das Kapital der Tucher, die symbolische Besetzung des städtischen Raums durch Häuser sowie der kirchlichen Sphäre durch Stiftungen zugungsten des Ostchors von St. Sebald, Jahrestagstiftungen und der Tucherschen Grablege hervorgehoben: Politisch einer »von den vordersten« im Rat vor und nach dem Aufstand 1349, war Tucher auch wirtschaftlich erfolgreich in der »Gesellschaft und Handlung/ mit Conraden Wagnern hett ettliche hundert gulden Leibsge1079 Wie die folgenden Zitate GTB, fol. 33v. 1080 Natalie Zemon Davis, The Reasons of Misrule, in: Dies., Society and culture in early modern France. Eight Essays, Cambridge 1987, 97 – 123. 1081 Diese in Städtelobdichtungen thematisierten Vorgänge behandelt im Kontext der Stiftungskultur Christian Kuhn, Totengedenken und Stiftungsmemoria. Familiäres Vermächtnis und Gedächtnisbildung der Nürnberger Tucher (1450 – 1550), in: Studt, Hausund Familienbücher in der städtischen Gesellschaft, 121 – 134.

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ding«, neben zahlreichen anderen Einkommensquellen, wie unter anderem »Vier vnd Zwaintzig Aygenschafften in der Statt«, auch der »Kauffmanshandel«, der es ihm ermöglichte, seinen acht Kindern »yedem Sechshundert gulden zu einem vorauß« zu vermachen. Aber auch »als er noch nit hoffnung hette Mannlich Erben zubekommen/ vnd die Lehenherrn noch nit so eng beschlagen waren/ das er seine Lehen Mannen vnd Frawen schicken vnd vermachen möchte«, handelte er mit großem Geschick und mit Nachdruck bis hin zur gerichtlichen Durchsetzung seiner Ansprüche vor dem Königlichen Hofgericht weiter. Hielt Berthold das Kapital zusammen, so sind diese Anstrengungen noch in der Gegenwart durch Besitzkontinuität dokumentiert, etwa durch die Häuser am Milchmarkt: [A]uch eben vil ligent Erb/ aigene (vnd die er mainsten thails bey dem andern Weib erkaufft) Lehengütter in der Statt vnd auff dem Landt/ darunder die Stainenheüsser am Milchmarckt […] Item ettliche heüsser Garten/ Hof vnd Stadel […] von Herman von Braittenstain […] zu Lehen rürendt/ wann domals noch nicht erweittert was/ […] welche heusser alle biß auff den heütigen Tag der Tucher bliben/ vnd von Martin vnd Lorentzen den Tuchern besessen worden[.]1082

Thesen zur ›Feudalisierung‹ des Stadtbürgertums haben meist mit dem Erwerb von Landsitzen und Grundbesitz argumentiert, eine für das 15. und 16. Jahrhundert vermutete Tendenz, den landsässigen Adel nachzuahmen. Dieser zeitgenössische Bewertungsmaßstab wird in die historiographische Konstruktion implementiert. Obwohl Geschichte durchaus einen Wahrheitsanspruch besaß, einschließlich Quellenbindung und regulativem Vollständigkeitsbemühen, handelte es sich trotz beanspruchter Quellendeckung immer auch um eine ethische Wahrheit, die es ermöglichte, aus den Taten der Vergangenheit zu lernen.1083 Die Familiengeschichtsschreibung seit dem Spätmittelalter nahm erklärtermaßen didaktische Aufgaben innerhalb der Familie und repräsentative Leistungen auch außerhalb der Familie in den Blick,1084 eine pragmatische Dimension historischer Darstellungen.1085 Diese Pragmatik lässt sich hinsichtlich der unterschiedlichen narrativen Wiedergabe von ›Erzählkernen‹ in unterschiedlichen Kontexten im Vergleich nachvollziehen.1086 Bezieht man diese 1082 GTB, fol. 33r. 1083 Dagegen scheint in Geschlechterbüchern der dokumentarisch-rechtssichernde Aspekt in den Hintergrund getreten zu sein, der die städtische Chronistik angetrieben hat, dazu vgl. Volker Honemann, Die Stadtschreiber und die deutsche Literatur im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit, in: Walter Haug (Hg.), Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts. Dubliner Colloquium 1981 (Reihe Siegen. Beiträge zur Literatur- und Sprachwissenschaft 45), Heidelberg 1983, 320 – 353. 1084 von der Höh, Zwischen religiöser Memoria und Familiengeschichte, bes. 51, 54. 1085 Für eine aktuelle, grundlegende und weiterführende Darstellung vgl. Studt, Die Repräsentation städtischer Eliten, bes. 3. 1086 Das Bild der »Erzählkerne« eignet sich zur Thematisierung des Verhältnisses von Tradi-

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Darstellungsabsicht in die Interpretation ein, so wird deutlich, dass die Stiftung von Kontinuität das Erkenntnisziel der Lektüre sein soll. Wie er für seine Ehefrau vorgesehen hatte, ließ Tucher sich 1379 in der späteren Grablege der Tucher beisetzen: »Er wählt seine Begrebnus bey seiner verstorbenen Ehewürtin zu S. Sebaldt vor S. Niclaus Altar/ schickt Ime ainen aignen Jarstag/ zwölff armen zu kleiden«1087 und andere Wohltaten mehr, die mit seinem Geschlecht verbunden bleiben sollten. Regelmäßig wird als Ruheort der Tucher bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts die von Berthold Tucher eingerichtete Grablege im Ostchor der Sebaldskirche angegeben. Hier wurde als erste Person seine Frau Elisabeth von Mayenthal begraben.1088 Der Text erlaubt eine Annäherung an die Frage nach der Autorschaft. Während Scheurl gelegentlich von seinen eigenen Eindrücken in der Ich-Form gesprochen hatte, wird mehrfach erwähnt, »Herr Doctor Scheurl selbsten beyhanden gehabt, gelesen vnd gesehen« und »dessen hat mehr gedachter Herr Doctor Scheurl Brieffliche Vrkundten selbsten gesehen«. Auf dieser Grundlage habe jedoch keine, hinter Berthold Tucher zurückreichende Genealogie ermittelt werden können. Wollte Scheurl als Autor seiner historischen Darstellung einen stärkeren Anschein von Objektivität verleihen oder wurde dieser Text nachträglich von Bearbeitern gestaltet, die mündlich oder schriftlich überliefertes Wissen von Scheurls Recherchen besaßen? Sicher erscheint die Wirkungsabsicht, möglichst überzeugend Quellentreue glaubhaft zu machen. Berthold war Testamentar (»Testamentari«) seiner Tante »Fraw Geysel Großhaintzin«, er schuf ihr ein »Seelhauß«, »ordnet[e an]/ das der Eltiste Tucher dasselb verwalten/ vnd sechs arme Schwester oder Seelnunnen die ainig vnd fridlich ohne krieg vnd beschwernus/ gehorsamblich mit einander lebten/ auffnemen vnd wo noth zu urlauben/ aber nit macht haben solt/ etwas dauon Zuempfrembten«. Die Bestimmung, dass stets das älteste Mitglied der Tucher diese Funktion übernehmen solle, deutet das Kontinuitätsstreben ebenso an wie der Aspekt der fortgesetzten und intensivierten Verflechtung mit anderen Familien. Berthold macht den zum Zeitpunkt seines zu erwartenden Todes noch recht jungen Söhnen strenge Auflagen zur Veräußerung des Erbes und ernennt Vormünder, darunter »Herrn Berthold seine Schwäger die Pfintzing« für den Fall »ob sie [die Söhne] sines Gescheffts halben einiche Irrung«, Auseinandersetzung erlebten und loyaler Schlichtung bedürfen sollten. Diese Entscheidung war deswegen bedeutungsvoll für die Vernetzung mit anderen Familien, als er »Anno

tion und Innovation, wobei Situationen und Personen übernommen, aber in verschiedenen Fassungen im Prozess der Anverwandlung unterschiedlich ausgeformt werden können. 1087 GTB, fol. 33r. 1088 Ebd., fol. 33v.

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sein Tochter erster Ehe/ verheyrat [hatte] Herrn Bertholt Pfintzing am Weinmarckt«. Die Tucher und Pfinzing des 14. Jahrhunderts übersprangen 1364,1089 als Tucher die Anna Pfinzing und Pfinzing die Anna Tucher heiratete, einmal eine auch religiös imprägnierte Generationenstufung,1090 indem ein Vater die viel jüngere Töchter des anderen heiratete.1091 An Illustrationen dieses Falles soll die Rezeption von Generationenbeziehungen und -schranken analysiert werden. Dazu richtet sich ein erster Blick auf das Geschlechterbuch der Pfinzing, das zur Schilderung der Heirat eine kontrovers zu interpretierende Miniatur eines Gemäldes von Lucas Cranach wiedergibt.1092 In der Werkstatt Lucas Cranachs entstanden Variationen dieses Bildes mit ähnlichen Personenkonstellationen des Jung-Alt-Unterschieds, wobei hochbrisante, ja sündentheologisch relevante Episoden wie Lots inzestuöse Beziehungen zu seinen Töchtern und alterslüsterne Greise dargestellt wurden.1093 Das Werk Cranachs entwickelt die Thematik Lots zeitnah zur Beschäftigung mit der an Inzest grenzenden Thematik ungleicher Liebespaare für ein Altarbild 1565, auch greift der Maler Hans Baldung zitierend die Lotdarstellung Cranachs in Sündenfalldarstellungen auf.1094 Die Kunst Cranachs war auch durch das Bürgertum in Auftrag gegeben worden und 1089 1310 geboren, war Berthold Tucher bei der Heirat 54 Jahre alt gewesen, mithin 1364. 1090 Im Gegenbild von inzestuösen Missbrauchsformen und Wahrnehmungsschemata sexueller Devianz zeigt Berkel die religiösen Strukturen von Altersstufen und Generationenbeziehungen in der europäischen Kultur vgl. Irene Berkel, Missbrauch als Phantasma. Zur Krise der Genealogie, München 2006. 1091 Allerdings ist hier Berthold Pfinzing nicht ein- und dieselbe Person, sondern der eine wohnte am Egidienplatz, der andere am Weinmarkt. 1092 Ein Abdruck der Berthold Tucher durch Kombination mit Text und Darstellung des Tucherschen Wappens zugeordneten Miniatur findet sich in Hermann Veit/Ludwig Mau¤, Münzen in Brauch und Aberglauben. Schmuck und Dekor – Votiv und Amulett – Politische und Religiöse Selbstdarstellung, Mainz 1982, 43. 1093 Auf die biblischen Zusammenhänge der auf ungleiche Partnerschaft bezogenen Warnungen, dass beispielsweise auch gerettete Gerechte wie Lot ins Unrecht fallen können durch Inzest, verweisen Dieter Koepplin/Tilman Falk, Lukas Cranach. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, Bd. 2, Basel/Stuttgart 1974, 566 – 573. Cranachs Maltechnik ökonomisierte den Malprozess, indem sie Personenschemata in verschiedenen Bildkontexten schablonenartig wiederaufnahm; dennoch ist der thematische Komplex von ungleichen Partnerschaften durchgehend von schematisch abgebildeten katzenhaft blinzelnden jungen Frauen und narrenhaft lachend die Zähne zeigenden Greisen gekennzeichnet. 1094 Die zeitgenössische Inzestdiskussion, Spiegel der Eheauffassungen des 16. Jahrhunderts, ist jedoch sehr vielschichtig und eine Interpretation der Bilder müsste einen mehrschichtigen Befund nachvollziehen. Insbesondere die Eheauffassung unterlag starker Reglementierung und rückte – als gemeinsames Kennzeichen aller Entwicklungen – in das Zentrum der Konfessionalisierung, dazu am Beispiel von bildnerischen Darstellungen von Ehepaaren Völker-Rasor, Die Ehe in Autobiographien, 159 – 199. Für breitere Zusammenhänge ist zu verweisen auf Joel F. Harrington, Reordering marriage and society in Reformation Germany, Cambridge 1995, hier vor allem 27 – 47.

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hatte trotz teilweise außerkirchlicher Rezeption erklärtermaßen einen belehrenden Sinn.1095 Dieses Gemälde hat sich 1637 in der Scherlschen Kunstkammer befunden. Martin II Pfinzing war mit Katharina Scherl verheiratet, so dass Georg Pfinzing 1620 wohl aus diesem Grund auf das Gemälde als Vorlage für die Darstellung in seinem Codex kam. Eine identische Darstellung des ungleichen Paars Tucher/Pfinzing findet sich in Federzeichnung bereits im Geschlechterbuch des Paul Pfinzing von 1567.1096

Abb. 16: Lucas Cranach d.Ä., Ungleiches Paar, ca. 1530, GNM, Gm 218.

Repräsentativen Absichten einer Familiengeschichte hätte die Darstellung eines derartigen Skandalons vollkommen widersprochen, denn im Gegensatz zur religiösen oder abergläubischen Hochschätzung der heilenden und prophetischen Kräfte von Münzorakeln erscheint hier eher eine ethische Perversion ins Bild gesetzt. Eine solche anklagende Wertung findet sich im OettingenWallersteinischen Grundbuch, ein Verzeichnis einer privaten Sammlung; es handelt sich um eine vorhersehbare, aber nachträgliche Abwertung des Bildes, 1095 Dies führt zum Themenkreis der ›Weibermacht‹ am Beispiel ungleicher Paare aus Koepplin, Cranach, 562. Vgl. für die folgende Abbildung (Abb. 16) Löcher, Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, 141. 1096 GNM, Handschrift Lö. 224. Möglicherweise handelte es sich jedoch um einen Nachtrag, so Bertold von Haller, auf den dieser Befund zurückgeht.

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von dem im Katalog der Privatsammlung unhistorisch behauptet wird, es sei von Tuchers Verwandtschaft in Auftrag gegeben worden, um ihn zur Heirat zu bewegen.1097 Möglicherweise lag dieser Behauptung eine eher von zeitübergreifenden Bildmotiven als vom Einzelwerk geprägte Auffassung zu Grunde, so dass ein Bild des 16. Jahrhunderts als Fortführung eines Motivs des 14. Jahrhunderts gelten konnte. Die ethischen Maßstäbe hatten sich jedoch fundamental geändert, wie ein Blick auf spätmittelalterliche Darstellungen des biblischen Joseph zeigt, dessen Greisenhaftigkeit maximiert wurde, um die Jungfräulichkeit der 13- oder 14-jährigen Maria nahezulegen.1098 Im 16. Jahrhundert änderte sich diese Darstellung, da ein derart ungleiches Paar dem Predigtpublikum nicht mehr vorbildhaft vermittelt werden konnte; im späten 15. Jahrhundert konnte sich der Prediger Johannes Geiler von Kaysersberg auf Ovids Rat beziehen, Ehepartner mögen gleichen Standes, Vermögens und Alters sein. Die zeitgenössische Kunst nahm diesen auch in Jesus-, Marien- und Josephsviten fixierten Wandel auf, machte Joseph zu einem Hausvater und versetzte Maria in die stadtbürgerliche Lebenswelt.1099 Anderswo wird die Greisenhaftigkeit mit negativen Attributen wie Trunksucht, Hinfälligkeit und Alterslüsternheit karikiert. Cranachs Bild war jedenfalls die Grundlage für die Abbildung im Geschlechterbuch der mit den Tucher verwandten Pfinzing, das einige Jahre nach dem Tucherbuch entstanden war.1100 Das Gemälde lag dem Maler des »Pfinzingbuchs« vor, bleiben doch die Gesichtszüge der jungen Frau und das Greises aus dem Gemälde erhalten.1101 Die vom Maler in das Bild eingeschriebene kritische Distanz zum närrischen Freier und seiner kurtisanenhaften Braut wird in das Geschlechterbuch übertragen, während die Erzählung des Münzwurfs in völliger Übereinstimmung mit dem Tucherbuch diese Distanzierung nicht spiegelt; der Befund erscheint also geeignet, die beiden patrizischen Familien als Erinnerungsgemeinschaft zu charakterisieren. Das Geschlechterbuch, das »Stammenbuch des Georg Pfinzing«, war um 1620 auf Veranlassung des Herrn Georg Pfinzing von Henfenfeld in der vorliegenden Form angefertigt worden. Der Entstehungszeitpunkt lässt sich kaum genau fi1097 Dieser Befund findet sich zu Lucas Cranach d.Ä. »Ungleiches Paar« von 1530 in Löcher, Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, 140 – 142. Die Schwierigkeiten des Befundes in einem vermutlich aus dem frühen 19. Jahrhundert stammenden Verzeichnis über ein Bild des 16. Jahrhunderts, das mit Berthold Tuchers Wiederheirat die historische Ethik des 14. Jahrhunderts thematisiert, werden dort nicht weiter thematisiert. 1098 Klaus Schreiner, Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, Wien 1994, 43. 1099 Ebd., 45, 49. 1100 Für eine Teiledition vgl. Georg Frhr. von Kress, Aus einem Pfinzing’schen Geschlechtsbuche, in: MVGN 4 (1882), 212 – 213. Dazu existierten noch ein zugehöriger Stammbaum und ein Entwurf mit Angaben zu den gewünschten Abbildungen. 1101 Es handelt sich um ein 86,7x58,5 cm großes, auf Lindenholz gemaltes Bild, vgl. Löcher, Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, 141.

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xieren, jedoch war dieser Bürgermeister der Reichsstadt im Jahre 1568 geboren und bezeichnet sich auf seinem Porträt auf den letzten Seiten der Familiengeschichte als »author genealogiae aet. LII«.1102 Somit ist das frühe 17. Jahrhundert als Entstehungszeitraum anzunehmen, das Buch wurde nicht über das 17. Jahrhundert hinaus geführt. In der Ausstattung kaum an das Tucherbuch heranreichend, ist das Pfinzingbuch dem Buchblock nach eher dem illustrierten Scheurlbuch vergleichbar,1103 enthält die Papierhandschrift doch eine Schrift mit kunstvollen Initialen sowie Wappen- und Figurenmalerei, im Format Imperialfolio. Gemäß einer Teilabschrift wird die frühe Verwandtschaft mit den Tucher thematisiert, bevor die insgesamt neun Linien seit der Heirat von Anna Pfinzing mit Berthold Tucher vorgestellt werden. Zunächst wird in diesem auf die Pfinzing bezogenen Narrativ auf die Ein-Mann-Situation der Tucher nach Conradt Tuchers Tod hingewiesen, dessen Sohn Berthold bereits 54 Jahre alt und seit 38 Jahren der letzte Tucher gewesen sei.1104 Die Bezugnahme der einen Patrizierfamilie auf die frühe Geschichte einer anderen erscheint geradezu apologetisch, damit erfolgte eine Gleichstellung im Rahmen des Verwandtschaftskreises. Die Übernahme des Textes zeigt deutlich, wie eng die geschichtskulturellen Beziehungen in der Nürnberger Führungsschicht waren, ein Befund, der die familiengeschichtliche Ausprägung eines Nürnberger Patriotismus verdeutlicht. Teilten Nürnberger Patrizier Vergangenheitswissen als Zeichen der Verbundenheit der Geschlechter untereinander und mit der Stadt,1105 so tritt im Hin1102 Georg Frhr. von Kress, Aus einem Pfinzing’schen Geschlechtsbuche, in: MVGN 4 (1882), 212. 1103 Vgl. Kleine Scheurlchronik. 1104 »Die sechste lini: Anna, Bertholdt Pfintzing deß fünfften mit der Irrerin Tochter, wardt verheurath Bertholdt Tuchern ao. 1348 vnd verhild sich also Demnach der ganntze Tucherische Stammen nach Absterben Conradt Tuchers auff dem einigen Bertholdten Tucher acht vnnd dreissig Jahre gestannden vnnd er im vier vnd fünfftzigisten Jahr seines Allters, wardt ehr sehr zweiffelich wiederumb zu heurathen oder aber sein Leben im Geistlichen Stannde zu vollenden, doch letztlichen schloß er dahinn, denn Herrn Gott treulich zu bitten, ihm seinen göttlichen Willen vnnd Wohlgefallen in sein Hertz vnd Gemüth zu geben, Wessen er sich inndeme verhalten solle. Nunn hette Kaiser Karl der Vierde Gemeiner Stadt Innerhalb acht Jahrn alß am Tag Sebastianj ao. 1346 zu Sultzbach erlaubt, Heller mit einem Creutz vnnd Hendlein, deren einvnndreissig Schilling vnnd vier Heller auff ein Hellische Marckh gingen, zu müntzen, der nam er einen in die Handt, Schnellet den Kniehent nach vollbrachter Meß in der Capellen in seiner Behaußung am Milchmarckh dreymal inn die Höhe vnnd erwehlet durch daß Creutzlein den Geistlichen vnnd durch daß Hendlein den Ehelichen Stannde. Also fügte Gott der Herr, das daß Hendlein alle dreymal oben lag. Darauff er noch desselbigen Tages nach Essens auff S. Egidien Hoff ging für deß alten Herrn Bertholdt Pfintzings Eckhbehaußung […].« Zitiert nach Georg Frhr. von Kress, Aus einem Pfinzing’schen Geschlechtsbuche, in: MVGN 4 (1882), 213. 1105 Weitere als Entlehnungen zu deutende Parallelen von Geschlechterbüchern in der Nach-

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blick auf die Erzählung eines Ursprungs und exemplarischen Ursprungsnarrativs im Rahmen der familiären Kontinuität ein weiteres, möglicherweise defensives oder völlig unerwartet zynisches Moment hinzu:1106 Nahmen die Pfinzing die Verwicklung der Anna Pfinzing in die Entscheidung des Berthold Tucher in Kauf, wenn sie dem an göttliche Einsicht glaubenden Greis stereotyp Alterslüsternheit unterstellten? Dem widerspräche die Abbildung des Tucherwappens, das zwischen beide, der Körperhaltung und Gestik nach vom Gemälde übernommenen Figuren gestellt ist, mit der Abweichung, dass Pfinzing eine Blume darreicht und Berthold, die Münze zeigend, das Ergebnis des Orakels eröffnet. Der Gehalt des Cranachschen Bildes war also nicht unbekannt; wahrscheinlicher ist die Annahme, dass das damals bereits öffentlich mit Berthold Tucher assoziierte Bild in defensiver Absicht in das Geschlechterbuch Aufnahme fand. Auch die historisch-theologische Sinnebene des Generationsdiskurses im Judentum muss berücksichtigt werden. Genealogie hat im Alten Testament eine immense Bedeutung als verpflichtendes Vermächtnis der Herkunft aus dem Schoße Abrahams, wobei besondere oder illegitime Themen der Sexualität toleriert wurden im Sinne des Ausbleibens von Strafe, sofern sie der Fortpflanzung dienten. Die sündenvolle Beziehung zwischen Lot und seinen Töchtern, die gegen die »jüdische soziosymbolische Ordnung« verstieß, wurde ebenfalls durch das Prokreationsgebot des jüdischen Volkes gerechtfertigt.1107 Eine solche Deutung bestätigt der Befund zum Tucherbuch; bei annähernder Textgleichheit beider Fassungen tritt zum prosopographischen Abschnitt Berthold Tuchers sein Porträt, revolutioniert die Prachtversion jedoch vor allem die genealogische Gewichtung des Vorgangs durch die Hinzufügung von Paratexten: die »Vorred«, das Register zur Verheiratung der Tucher sowie das unbetitelte, also als natürlicher Bestandteil des Buches markierte Register.1108 Insbesondere letzteres überhöht den Münzwurf Bertholds durch die äußerlich nach Anfangsbuchstafolge eines Hallerschen Codex, wenn auch nicht des Konrad-Haller-Buchs von 1533/36 im StAN, zeigt auf Bock, Die Chronik Eisenberger, 476 – 485. 1106 Die Ambivalenz dieser Memoria spiegelt nicht nur der ikonographische Befund allein, sondern zudem auch eine wahrscheinlich spätere Rezeption im Adel, die sich im Oettingen-Wallersteinischen Grundbuch niedergeschlagen hat und das Entstehungsdatum des Bilds wahrscheinlich satirisch und gewollt assoziativ-unhistorisch mit der zwei Jahrhunderte früher stattgefundenen Entscheidungssituation in Verbindung bringt, vgl. Löcher, Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, 140 – 142. 1107 Vgl. Berkel, Missbrauch als Phantasma, 159. Für Berkel ergeben sich aus der religiösen Imprägnierung der Generationenverhältnisse derartig überzeitliche, strukturell für Europa bedeutsame, starre Ordnungsmuster, dass sie im Gegenwartsfilm des 20. Jahrhunderts eine Tendenz zum ästhetischen Interesse an inzestuösen Beziehungen sieht, die gegen die noch immer herrschenden Ordnungsvorstellungen ein Gefühl der Exklusivität bezeugen, vgl. ebd., 172. 1108 GTB, unpaginiert.

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ben alphabetische Ordnung, wobei eine Anordnung in der Alphabetsreihenfolge der folgenden Buchstaben unterbleibt, das eigentliche Darstellungsinteresse nicht die systematisierende Verzeichnung zur Wiederauffindung, sondern vielmehr die rhetorische Evidenz der Namen von Familienmitgliedern.1109 Alle Einträge sind sehr kurz, als handelte es sich um Konversationsnotizen, Gedanken, mit deren Hilfe sich im sozialen Rahmen von Treffen eine Geschichte hätte erzählen lassen können. Die Paratexte kamen mithin einer eiligen Lektüre in einer solchen Weise entgegen, dass stets ethische Einsichten vermittelt wurden. Der Münzwurf Berthold Tuchers wird auffällig häufig thematisiert, unter Nennung seines Namens, unter dem Lemma »Creutzleinsheller«, »Kreützleins [sic!] oder Händtleinsheller« des Namens »Pfintzing«, »Tucherische Innwohner/ der Behaussung am Milchmarckt«, »Pfintzing/ Tucher vnd Ebner/ sein vor langen Jaren mechtige Leute gewesen« usw. Das erst der Prachtversion beigegebene Register dient also vornehmlich legitimatorischen Zielen.1110 Um die Wirkung der durch ›Index-Didaxe‹ verstärkten Ursprungssage zu skizzieren, sei die veränderte Darstellung des gleichen Stoffs in katalogartige nach Namen geordneten Handschrift »Ursprung der Geschlechten der ietzigen Rathsfähigen Herrn in der Kayserl[ich] Freyen ReichsStadt Nürnberg« von 1700 herangezogen.1111 Auf den 98 Seiten werden die Geschlechter unalphabetisch durchnummeriert und seit ihrer Ankunft in Nürnberg dargestellt. Während die Pfintzing »zu den ältesten Geschlechten der Stadt geheiratet […] und zu vielen Edlen auf dem Land« sowie »etliche Herrn Häußer« besäßen,1112 erstreckt sich der ausführliche Bericht über die Tucher vor allem auf eine um psychologische und ethische Elemente angereicherte Darstellung des Münzwurfs. Zunächst wird auf das prinzipiell hohe Alter der Tucher eingegangen, wobei Scheurls im Tucherbuch 1590 berichtetes Hörensagen eines Tucherischen Briefs mit größerer Verbindlichkeit dargestellt wird: Seit 1140 seien die Tucher in Nürnberg, ihre Herkunft sei »wegen lang vergangener Zeit nit wissend«, aber »es wird dieser Tucher vor etlich hundert Jahren gedacht, wie ein alter Brief anzeigung giebt, über eines Bauern Gut, darin[n]en ein Tucher bezeugt, der ihn gesehen, und A[nno] 1490 gelebt hat«.1113 Der Anspruch – des hier gemeinten – Scheurls, ›ein Tucher‹

1109 Vgl. 3.3.2. 1110 Die Interessensleitung von Paratexten, die bei späteren Ausgaben des ›Textes‹ aus paratextlicher Perspektive etwa auf ergangene Kritik reagieren konnten, stellt zuerst und an eher literarischen Beispielen heraus: Genette, Paratexte, 232 – 234. 1111 Ursprung der Geschlechten der ietzigen Rathsfähigen Herrn in der Kayserl[ich] Freyen ReichsStadt Nürnberg, HAB Cod. Guelf. 247 Blankenburg. 1112 Die Zitate ebd., fol. 19r-20v. 1113 Ebd., fol. 35v-40r, hier fol. 36r.

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geworden zu sein, war ca. 160 Jahre später faktisch in das Gedächtnis des Patriziats eingegangen.1114 Auch die Münzwurfepisode wird gegenwartsverträglich angereichert, eingangs mit Hinblick auf die Erhaltung des Familienkapitals. Berthold Tucher habe »offtmahls mit befreunden Rath« gehalten, und erst nachdem diese ihm empfohlen hatten, »sein alt ansehlich geschlecht wieder fortzupflanzen, damit seine Güther erhalten würden«, entschied er sich, Gottes Willen zu prüfen.1115 Der an das Orakel anschließenden Brautwerbungszene wird eine soziale und ethische Hierarchie eingeschrieben: »Berthold Pfinzing von dem alten geschlecht« wurde von seinen Bediensteten gerufen und ging Tucher »bald herab entgegen«, weil dieser das Haus erst betreten wollte, wenn ihm die Ehe mit einer von Pfinzings Töchtern zugesagt worden sei. Hier wird einerseits eine soziale Hierarchie angedeutet, vor allem aber die ethische Fragwürdigkeit der Hochzeitspläne dargestellt, denn Pfinzing »etw[a]z sich entsezete, dann er nit vermeint, dass ez ein Ernst wäre […] und doch d[a]z begehrn nit außschlagen wolte«.1116 Berthold Pfinzing erbittet sich von Tucher, der vor der Tür auf einem »Ruhstein der Antwortt wartete«, die Gelegenheit, seine Töchter befragen zu dürfen, die sich bereit erklären, sich von Berthold Tucher ehelichen zu lassen. Die Rolle der Töchter, »die sich darüber [sc. die Werbung] erfreueten«, wird gegenüber der bloßen ›Beweibungsfunktion‹ im Tucherbuch erheblich eigenständiger dargestellt. Der Abschnitt resümiert die Zunahme der Tucher, die zahlreichen Stiftungen in Kirchen in Nürnberg und der Umgebung wie auch dass diese Familie »eines großen Herkom[m]ens [und] vermögens« sei. Dieses Lob wird jedoch erheblich durch die Angabe geschmälert, die Tucher hätten »vor alter Zeit, wie auch bißhero, große Kauffhändel getrieben, damit Sie ein groß Gut erworben, und leben noch biß zu diesen Zeiten in einem guthen und ansehlichen Stand«.1117 Die Tucher gehörten zu einer der letzten im Handel tätigen Nürnberger Patrizierfamilien, was möglicherweise die abschließende Bewertung, vor allem aber die Darstellung der Münzwurfepisode, mitbestimmt haben könnte. Diese späte Rezeptionsform zeigt die Beweglichkeit von Vergangenheitsgeschichte an.

1114 Für die Briefepisode und die daran abzulesende Unsicherheit der frühen Familiengeschichte vgl. 4.4.3. 1115 Ursprung der Geschlechten der ietzigen Rathsfähigen Herrn in der Kayserl[ich] Freyen ReichsStadt Nürnberg, HAB Cod. Guelf. 247 Blankenburg, fol. 37r. 1116 Ebd., fol. 38v. 1117 Ebd., fol. 40r.

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3.3.3 Index-Didaxe. Verzeichnisse als historiographische Vermittlungsinstanz Die relativ konstanten historiographisch-darstellenden Texte in den verschiedenen Tucherbüchern werden in besonderem Maße durch die hinzutretenden und aufwändig veränderten Paratexte mitbestimmt.1118 Dieses literarische Verfahren der Sinnproduktion hatte eine umfangreiche Tradition. Neuauflagen von antiken Klassikern der Historiographie kommentierten frühere Kommentare, so dass Editionen durch diese Ergänzungseditionen immer weiter anwuchsen. Die Zusätze leiteten vor allem dazu an, die in den ›res gestae‹ exemplifizierten Tugenden durch Taten ›praktisch zu kommentieren‹.1119 Die Paratexte des Tucherbuchs versammeln Texte von 1542, ca. 1565 und 1590, die eine konzertierte Anleitung zur Lektüre der Familiengeschichte sein wollen, aber unverkennbar Elemente des Wandels im Laufe des 16. Jahrhunderts enthalten. Die bisher zentral behandelten Paratexte sind übliche Bestandteile von Geschlechterbüchern.1120 Heiratsverzeichnisse oder Vorreden gehören in Familiengeschichten auch des Adels zu Hilfsmitteln, Informationen zugänglich zu machen und die Aufmerksamkeit der Leser zu steuern.1121 Diesen gattungsspezifischen Rahmen sprengt das Tucherbuch. Es hebt sich insbesondere von seiner Vorgängerfassung außer durch eine mediale Erweiterung auch durch zwei Indices ab, die genealogische Informationen auf bestimmte Weise vertexten. Zum einen handelt es sich bei dem hier genauer zu betrachtenden Index um eine seltsame pseudolexikographische Form des Registers, in der Informationen zu den Persönlichkeiten der historischen Tucher, ihren Taten, Karrieren, Erlebnissen und Stiftungen mit allgemeiner Geschichte vermengt werden. Zum anderen greift ein Index die genealogische Ordnung im prosopographischen Teil des Tucherbuchs auf, und kondensiert dessen Struktur zur besseren Orientierung auf wenige Seiten; dieses Makrostrukturverzeichnis ersetzt ein nach Anfangsbuchstaben alphabetisch verfasstes Register aller auftauchenden Namen, das in der Manuskriptfassung des Tucherbuchs die Auffindung einer gesuchten historischen Person ermöglichte.

1118 Diese These bedarf einer Erweiterung um die verselbstständigte, konzertierte Gestaltung von Paratexten, eine von Völkel zu historischen Kommentaren eingeführte Öffnung der Genetteschen Ansätze, vgl. Markus Völkel, Historiographische Paratexte. Anmerkungen zu den Editionen antiker Geschichtsschreiber im 16. und 17. Jahrhundert (Caesar/Sueton), in: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), 243 – 276. 1119 Zu dieser Auffassung vgl. Völkel, Der Kommentar zu Historikern, 183. 1120 Für Aussagen zu Geschlechterbüchern als Gattung ist bislang ein Überblick zu historiographischen Paratexten maßgeblich: Bock, Die Chronik Eisenberger, 381 – 403. 1121 Vgl. Andreas Röpcke (Hg.), Die Mecklenburger Fürstendynastie und ihre legendären Vorfahren. Die Schweriner Bilderhandschrift von 1526, Rostock 1995, Einband hinten, unpaginiert.

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Die familiengeschichtliche Systematisierung schreibt, wie jede Ordnung,1122 dem dargestellten Material eine interessegeleitete Struktur ein. Der genealogische Teil des Tucherbuchs ist in »Stammlini«, »Generationes« und Nummern gegliedert, eine Anordnung, die eher der Systematisierung zu dienen scheint als der Wiederauffindung. Die »Stammlini« bezeichnen keine historische Verlaufskategorie, sondern bedeuten eine synchrone ›Generation‹ im heutigen Wortsinne von Elterngeneration oder Kindergeneration. Im 300 Jahre umfassenden Berichtszeitraum werden neun »Stammlini« ausgewiesen. Gleicht »Stammlini« der heutigen Wortbedeutung von ›Generation‹, so bedeutet die Bezeichnung einer historischen Person als »Generatio« im historischen Wortgebrauch, dass es sich um einen männlichen Vertreter der Tucher mit Nachwuchs handelt, eine Kategorie von ›Tuchervater‹, die bis 46 – dies war »Leonhard der Fünffte [dieses Namens] No. 148« – durchnummeriert wird. In der Bezeichnung spiegelt sich die zentrale Rolle des Vaters, werden doch kinderlose Söhne und Töchter unter seiner »Generation«-Nummer abgehandelt. Dagegen ist die durchgehende Zählung nach Nummern relativ schematisch auf alle männlichen Tucher bezogen, es werden 189 männliche Tucher gezählt. Diese Gliederung wird gewissermaßen ordnungsimmanent im »Register aller Generation [sic!]/ vnd Richtige Anweisung der gehaltenen Ordnung des gantzen Tucherbuchs« erschlossen. Das Inhaltsverzeichnis ist primär fortlaufend nach »Generationes« gegliedert, dann nach »Stamlini« und einer durchgehenden Nummerierung, Ordnungselemente, die mit besonders prächtiger Auszeichnungsschrift hervorgehoben werden. Im Vergleich zur Manuskriptfassung des Tucherbuchs wird die historische Darstellung übersteigert, indem die Familienmitglieder genealogisch durchgeordnet werden. Die im Tucherbuch spezifisch bestimmte Struktur wird im erschließenden Register umgesetzt, während das Verzeichnis der früheren Fassung lediglich alphabetisch nach den Anfangsbuchstaben vorgeht. Die Tatsache, dass Angaben wie »Herr Conrad Tucher der Erste dis Namens/ No. Gertraut Holtzbergerin/ sein Ehewürtin Ertzeügten zway Kinder Berthold der Erste No2 […] Elisabeth Conrad Buckin« überhaupt durch die ›genea-logische‹ Zuordnung, »Die Erste 1122 Der von Foucault besonders fasslich dargestellte Gedanken von der Ordnung der Diskurse gehört zu den Topoi der Historik, während die Sprachreflexion Humboldts die Sprachund Diskursgebundenheit historischer Erkenntnis grundlegend auf die Möglichkeiten von Geschichtsschreibung ausdehnt, vgl. etwa von Wilhelm von Humboldt, Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers, in: Andreas Flitner (Hg.), Schriften zur Anthropologie und Bildungslehre, Frankfurt/Main/Berlin/Wien 1984, 96 – 110, sowie Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, in: Ders., Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann, Frankfurt/Main 1991, 7 – 50. Stärker auf die Heuristik von Familiengeschichten, aber ebenfalls mit diskursanalytischen Zielsetzungen Sigrid Weigel, GeneaLogik. Generation, Tradition und Evolution zwischen Kultur- und Naturwissenschaften, München 2006.

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Abb. 17: Das systematische genealogische Register, GTB, unpaginiert.

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Stamlini vnd Erste Generatio«, ergänzt werden, wird durch Mehrfarbigkeit der Schrift und prächtige Auszeichnungsschrift herausgestrichen. Die Anordnung erfolgt trotz der Kosten für die Gestaltung durchaus verschwenderisch, werden doch die Kinder nicht nur als »Ertzeugte« den Eltern zugeordnet, sondern wird das Schema dermaßen strikt eingehalten, dass bei den Kindern der Name der Eltern wiederholt wird: Die Ander Generatio/ der andern Stamlini […] Herr Berthold Tucher der Erste/ No. 2 Elisbeth von Mayenthal/ vnd Anna Pfintzingin seine Ehegemahlen […] Ertzeuget Erster Ehe/ Zwo Töchter Anno Berthold Pfintzingin […] Elisabeth [dieser Name in Lauftextform] Anderer Ehe acht Kinder Anna/ Jacob Grolandin [usw.][.]1123

Unverheiratete Kinder werden grundsätzlich in der im Tucherbuch üblichen Laufschrift dargestellt, so etwa »Sebaldt der Erste/ No. 6«, ein Zeichen dafür, dass die Prokreativität im Mittelpunkt der Vermittlung steht, wie auch Folioseiten nur für die neuen »Generationes« angegeben werden, nicht jedoch für die Familienmitglieder, nach denen ein Benutzer möglicherweise suchen könnte. Die interne Ordnung des genealogischen Wissens steht für sich, wird jedoch durch die vorangestellten Register und Verzeichnisse dem suchenden Leser oder dem präsentierenden Aussteller der Familiengeschichte weiter erschlossen. Während die »Vorred« nach ihrer Textgattung – rhematisch – und nicht gegenstandsbezogen – thematisch – bezeichnet wurde, sind die Titel der Hochzeitsverzeichnisse vergleichsweise ausführlich und genau, nämlich »Was für Geschlecht zu den Tuchern geheyrat welches Jar vnd wie offt« sowie »Zu was für Geschlechten/ die Tucher geheyrat/ wie offt vnd welches Jar Zu einem Jeden«. Beide Register füllen etwa fünf Seiten, indem die Seiten großzügig auf die durchnummerierten Geschlechter in der Reihenfolge der Verheiratung mit den Tucher gesetzt sind, mit üppig Platz für weitere Verbindungen der Familien: »1 Holtzberger/ Anno 1280 Ao. […] 2 Mayenthal/ Anno 1330 Ao. […] Pfintzing/ Anno 1364 Ao. 1448. Ao. 1564. Ao« usw. Im Gegensatz zu den Heiratsverzeichnissen fehlt dem ebenfalls unpaginierten, mit 28 Seiten besonders umfangreichen Index eine Überschrift. Das Fehlen eines Titels könnte den Eindruck erweckt haben, es handle sich bei diesem Verzeichnis um einen organischen Teil des Tucherbuchs, nicht um einen steuernden Zusatz. Ein entsprechender Titel wäre auch kaum leicht zu finden gewesen, ohne die didaktische Absicht dieses oft Textform annehmenden Paratextes durchscheinen zu lassen. Ein Grundbestand an Situationen, Personen, Stiftungen, Gegenständen und Räumen ist wie in Indexeinträgen zusammengetragen, jedoch folgen teilweise lange textliche Erläuterungen und wiederholen sich gleiche Inhalte und Verweise auf bestimmte Folioseiten, insbe1123 GTB, unpaginiert.

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Abb. 18: Beginn des Index’, GTB, unpaginiert.

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sondere zu Berthold; die mit dieser seltsamen Paratextform verbundenen Absichten scheinen durch die Wahl der Inhalte hindurch. Eine große Zahl der Einträge sind genealogische Verweise auf den Text, etwa »Georg Tucher/ No. 172, Thobias Tuchers vnd Katharina Imhoff/ Sohn [ohne Seitenangabe]«, oder »Georg Friderich Tucher No. 177 Endres Tuchers vnd Barbara Schnitterin Sohn/ Starb Ledig zu Neapolis, [Fol.] 194«1124. Eine Sentenz, die den Bildungsstolz städtischer Eliten hervorhebt, sticht aus der Menge der Informationen heraus: »Gelehrte Vätter/ lassen Ihre Söhn/ auch geren Studieren [Fol.] 68[.]« Einerseits wird hier der Aufbruch traditioneller Karrieremuster zugunsten des immer öfter auch vom Adel wahrgenommenen1125 Universitätsstudiums aufgezeigt; andererseits wird diese Entwicklung in der Übertragungssituation der Karrierewahl des Sohnes durch den Vater erzählt. Während die Geldmacht der Städte die »Adelskrise« herbeiführte, wuchs der Drang des Adels zum Studium, um eine brüchig gewordene Stellung in der Gesellschaft wiederherzustellen. Dies führte zu einer Aufwertung des Studiums als soziales Distinktionskriterium, so sehr, dass viele Nürnberger Patrizier studierten, obwohl gleichzeitig die akademische Graduierung eine Führungsposition in der Reichsstadt ausschloss.1126 Der Index nimmt schwerpunktmäßig Erzählkerne aus der »Vorred« auf und bietet sie in Form kurzer Erklärungen dar. War in den narrativen Paratexten noch Skepsis gegenüber der Turnierlegende vernehmlich gewesen, so affirmieren die zuversichtlichen Ausführungen die Ereignisse in einer Weise, die sich den Wünschen der Auftraggeber anpasst: Ankunfft der Tucher [bis hierher in Auszeichnungsschrift] hette elter mugen gefunden werden/ wo nicht allein der Alten Erbarn Geschlecht, Sondern auch gemainer Statt alte monumenta so wissentlich Anno 1106 Da Nürnberg geschlaifft vnd um der Empörunge Anno 1340 [sic!] sambt vilen Prünsten/ Mehrers thails vertzogen entwandt vnd vmbgebracht worden Fol. 27 […] Nürnberg/ hatt alletzeitt bey Ihrem Herrn/ den Römischen Kaysern gehalten/ vnd ist ehe geschlaifft/ vnd verderbt worden/ ehe sie abgefallen [Fol.] 27 […]

Der Bericht von der Schleifung der Stadt und vom Aufstand bleibt hier nur einmal ohne explizite Bezugnahme auf die Tucher. In mehreren weiteren Einträgen folgen diese Bezüge variantenreich nach:

1124 Ebd., unpaginiert. 1125 Reinhard Jakob, Schulen in Franken und in der Kuroberpfalz 1250 – 1520. Verbreitung – Organisation – Gesellschaftliche Bedeutung (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg/Eichstätt 16), Wiesbaden 1994, 393. 1126 Jakob, Schulen in Franken, 395 f.

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Fastnacht/ haben die Innwohner der Tucherischen Behaussung am Milchmarckt/ allewegen Krapffen vnd einen Trunck geben/ den Metzgkern/ Welches vom Aufflauff Anno 1349 herkommen [Fol.] 33 […] Gemain zu Nürnberg/ springt Bertholden Tuchers No. 2, Behaussung am Milchmarckt/ Im aufflauff Zue/ mitt vermelden/ sie wollen dem from[m]en Mann nichtzit geschehen lassen [Fol.] 33 […] Krapfen vnd ein Trunck/ haben die Tucherischen Innwohnere der Behaussung am Milchmarckt/alle Jar/ den Metzgkern/ an Ihrem Fastnachttantz/ geben/ seidt des Aufflauffs [Fol.] 33 […] Tucherische Innwohner/ der Behaussung am Milchmarckt/ haben alle Jar/ den Metzgkern/ an Ihrem Fastnacht Tantz/ Krapffen vnd ein Trunck/ geben [Fol.] 33 […]

Die Aufstandserzählung wird unter größtmöglicher Ausschöpfung der Variationsmöglichkeiten eines alphabetischen Verzeichnisses wiedergegeben. So kommt es zu inhaltsgleichen Einträgen, die unter jeweils einem mit ihnen verbundenen Gegenstand vermerkt werden, so dass Einträge dazu über das ganze Alphabet verstreut sind. Zwischen den Lemmata werden Assoziationen ermöglicht, so von der »Behaussung am Milchmarckt« zum Bewohner und der besonders dominierenden Münzwurfszene, wie die Liste der direkt aufeinander folgenden Einträge zu Berthold Tucher selbst zeigen soll: Berthold Tucher No. 2 Conrad Tuchers vnd Gertraut Holtzbergerin Sohn Elisabeth von Mayenthal vnd Anna Pfintzingen seine Ehewürtin [Fol.] 30.33 […] Berthold Tucher schnelt ein Creutzleins oder Hendleinspfeinung [sic!] dreymal in die höch vnd erwöehle durch das Kreutzlein den Gaistlichen/ vnd durch das Händlein den Weltlichen standt [Fol.] 33 […] Berthold Tucher wird wegen gemainer Statt Zu Kaiser Carol dem Vierten gehn auffgeschickt [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 ward verordnet Zur Tagsatzung/ mitt Burggraff Friderich […] Für Kayser Carol dem Vierten [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 Behaussung am Milchmarckt springt ein Gemain Zu im Aufflauff Anno 1340, mitt vermelden/ sie wöllen dem frommen Mann/ nichts geschehen lassen [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 Bawet das neben Hauß/ an seiner Behaussung am Milchmarckt so das Saltzfaß genanndt [Salz als Reichtum des Mittelalters] [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 Erlanget von seinen Lehenherren/ sonderlich Burggraff Fride-

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richen Anno 1364, seine Lehen/ Mannen vnd Frawen zuschicken vnd Zuuermachen [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 wird Bürg/ für Burckhard von Seckendorff/ gegen dem Rappen Jugen/ vmb Fünfftzig Pfundt Häller [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 Sigelt mitt Rottemwachs [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 bringt Burggraffen Gerhard […] in die acht/ Anno 1375 [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 hatt Zehen Lehenherren/ das Römische Reich/ Würtzburg/ Bamberg/ Burggraffen/ Hohenberg Braittenstein/ Haydeck/ Berg/ Wilhelmßdorff vnd Rinßmaul [Fol.] 33 […] Berthold Tucher No. 2 ordnet/ dass Jedertzeit der Eltiste Tucher die Verwaltunge deß Seelhauß ob dem Rossenbath haben solle/ vnd wie es mit solchen soll gehalten werden [Fol.] 34 […] Berthold Tucher No.2 schickt ein Ewige Meß/ in S. Katharina Chor/ bey dem Fronleuchnamheußlein [Fol.] 34 […] Berthold Tucher No.2 schickt hundert Pfundthäller Zu dem Gemach der Pilgram vor dem Newen Thor Zum haylligen Creutz/ des Her Berthold Haller bawet [Fol. 34] […] Berthold Tucher No. 2 Erwöhlet sein Begrebtnus Zu S. Sebald/ vor S. Niclaus Altar/ daruon der anfang der tucher begrebtnus daselbsten [Fol.] 34 […] Berthold Tucher No. 2 schickt den Armen vnd Newen Spital/ vber die Ordnunge/ in einenm halben Jar/ sechs Rath zuhalten/ vnd allemal Zway Pfundthäller [Fol.] 34

Das biographische Porträt Tuchers ist durchgehend in das Register aufgenommen worden, wie die identischen Verweiszahlen zeigen. Die Darstellungsabsicht ist dabei die Darstellung der Lehensbeziehungen Berthold Tuchers, die Symbolisierung seines Reichtums in Stiftungen sowie Praktiken wie das Siegeln und die mündliche Überlieferung von der Benennung seines Hauses als »Saltzfaß« nach dem im Mittelalter teuren Gewürz sowie Vernetzung mit anderen Familien nicht zuletzt durch die Münzwurfszene. Diese wird gar unter Varianz der Anfangsbuchstaben von »Creutzleinsheller« mehrfach genannt: Creutzleinsheller schnellet Bertholdt Tucher/ dreymal in die hoeh/ vnd erwöehlet durch das Creützlein den Gaistlichen, vnd durch das Hendlein den Weltlichen standt [Fol.] 33 […] Handtleinsheller/ Schnellet Berthold Tucher No. 2 dreymal inn die Hoeh/ vnd erwöhlet

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durch das Kreützlein den Gaistlichen/ vnd durch das Händtlein den Weltlichen standt [Fol.] 33 […] Kreützleins oder Händtleinsheller/ schnellet Bertholdt Tucher/ dreymal inn die Höch/ vnd erwählet durch das Kreutzlein/ den Gaistlichen/ vnd durch das händtlein den Weltlichen Standt [Fol.] 33

Diese Variationen könnten Spiegel einer anvisierten Lesepraxis sein, die auch dem in gesellschaftlichen Zusammenhängen wie einem Fest, Treffen oder Essen befindlichen Besucher oder neuen Familienmitglied Gelegenheit zur Erkenntnis bestimmter Topoi bieten sollte. Das folgende Beispiel, das drei Namen permutiert und dadurch an drei Stellen anbringen kann, zeigt deutlich, dass der Inhalt keineswegs als solcher die Darstellungsabsicht gewesen sein kann. Auch bedeutet die mehrfache Vertextung eines ›Historiographems‹ der »Vorred«, dass die textliche Vernetzung sehr dicht ist, findet sich doch dort mit dem legitimierenden Hinweis auf »Maisterlein« diese Aussage:1127 Ebner/ Tucher vnd Pfintzing/ sein vor langen Jahren/ mechtige Leuth geweßen [Fol.] 28 […] Pfintzing/ Tucher vnd Ebner/ sein vor langen Jaren mechtige Leute gewesen [Fol.] 28 […] Tucher/ Pfintzing vnd Ebner/ sein vor langen Jaren mechtige Leut gewesen [Fol.] 28

Die Gestaltung des Index ging, berücksichtigt man solche offensichtlichen Wiederholungen, von einer punktuellen Lesepraxis aus. Wurden nur wenige Seiten eingesehen, so sank die Wahrscheinlichkeit, den tendenziösen Charakter von Äußerungen über die Mächtigkeit der Vorfahren zu hinterfragen. Die historische Selbstdarstellung umfasst politische Spitzenämter, herausragende Stiftungen und Leistungen wie die auch überregional und nachhaltig rezipierte Pilgerreise Hans Tuchers:1128

1127 So heißt es in der »Vorred«, mit dem wagen Zusatz »vor gar langen Jaren« [Hervorhebung vom Verfasser], ebenfalls, die Tucher seien »mechtige Leutt gewesen«, vgl. GTB, fol. 27v, 28r. 1128 Hans Tucher gestaltete Zeugnisse seiner Reise bereits zu Lebzeiten für den Druck um, während die Rezeption eigenständig blieb. Zu dieser komplexen Basis der Wahrnehmung einer Familie im Spiegel ihres Mitglieds vgl. Randall Herz, Hans Tuchers d.Ä. ›Reise ins Gelobte Land‹, in: Klaus Arnold (Hg.), Wallfahrten in Nürnberg um 1500. Akten des interdisziplinären Symposiums vom 29. und 30. September 2000 im Caritas PirckheimerHaus in Nürnberg (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 17), Wiesbaden 2002, 79 – 104.

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Hanns Tucher/ No. 4 der Erste Lossungherr/ vnter den Tuchern [Fol.] 39 […] Lossungherr/ war Hanns Tucher/ No. 4 der erste vnter den Tuchern [Fol.] 39 […] Hanns Tucher/ No. 4 Schaffet ein stück grünen Sammant/ zu ainem Ornat/ Zu Sanct Sebaldt [Fol.] 39 […] Hanns Tucher/ No. 4 Schaffet vmb ein Reiche Allmoß Schüssel Zugeben/ ainhundert vnd fünfftzig Gulden [Fol.] 40 […] Ritter/ wird zum Hailligen Landt geschlagen/ Hanns Tucher/ No. 4 [Fol.] 74

Der Index als Instrument der Lesersteuerung weist somit auf bestimmte Themenkomplexe hin, etwa auf den Stadtpatron und Heiligen Sebald: Sebald vnd Hanns die Tucher/ Gebrüder/ Stifften das Hunger Tucher/ zu Sanct Sebaldt [Fol.] 35 […] Sebalt Tucher/ Stifftet das immerwehrendt Liecht vnd Lammppen/ vber der Tucher begrebtnus/ Zu Sanct Sebaldt [Fol.] 35 […] Sebald Tucher/ ordnet einen Rothen Sammanten Chormantel Zu S. Sebaldt [Fol.] 35 […] Sammänt noch Seiden oder Gulden stuck/ verbeutt ein Erbar Rath/ hinfüro über die Baar/ zugebrauchen [Fol.] 40 […] Sanct Sebald/ wird erhaben vnnd Canonisirt [Fol.] 40 […] Tucherbegrebtnus [sic!]/ Zu Sanct Sebald/ vor Sanct Nicolaus Altar anfang/ von Bertholden Tuchern/ No.2 [Fol.] 34

Zunächst ist die Assoziationskette interessant, die vom samtenen Chormantel zum Samtverbot durch den Rat, zum ebenfalls direkt darauf den Eintrag bezüglich der Erhebung St. Sebalds reicht. Die Bedeutung von Heiligen für eine städtische Zivilreligion, im Sinne einer Religionskultur, in der politische und religiöse Handlungen miteinander verschmolzen und Identität bildeten, war eine Tradition spätmittelalterlicher Stadtgeschichte.1129 Die Nürnberger Verehrung Sebalds, seine Ehrung durch vorreformatorische Kirchenpfleger1130 und 1129 Pierre Monnet, Les Rohrbach de Francfort. Pouvoirs, affaires et parent¤ ” l’aube de la Renaissance allemande (Travaux d’Humanisme et Renaissance CCCXVII), Genºve 1997, 93, 113. 1130 Arnd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters: Politik, Wirtschaft und Verwaltung (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 177), Stuttgart 2005, 228, 232.

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seine über die Reformation hinausreichende, religiös unterfütterte patriotische Wertschätzung1131 lassen die Amalgamierung von Stiftungen der Tucher in der Sebaldkirche als Kontinuität zu Praktiken des Mittelalters erscheinen: Im Medium des Index werden assoziative Bezüge nahegelegt, die die große Anzahl der lemmatisch getrennten Einträge als einen organischen Zusammenhang erscheinen lassen. Der Eintrag des Tucherwappens im Index wird kaum die konkrete Benutzung und sein Auffinden erleichtert haben. Die ganzseitige farbige Abbildung, verzeichnet durch den knappen Eintrag »Tucher Wappen [Fol.] 24«, wäre auch ohnedem zu finden gewesen. Der Index erweitert also das Spektrum der Funktionen eines Index um eine eigenständige Informationsfunktion. Der Generationsdiskurs motivierte die Paratexte maßgeblich. Prokreativität und religiöse Überhöhung standen im Vordergrund bei der zeitgebundenen Rekontextualisierung der historischen Darstellung. Abschließend ist ein Blick auf den Modus der Neuerzählung von Erzählkernen der früheren Tucherbuchfassung zu richten, die im Spiegel der Manuskriptfassung als gerichtete und zeitgebundene Rekontextualisierungen gedeutet werden sollen. So findet sich in der Manuskriptfassung eine meistersangartige Dichtung zum Thema Berthold Tucher, die hier wiedergegeben sei: Nach Christo Geburt Dreyzehenhundert Jahr Vnnd Sechßvnd Zwainzig die Jahr Zal war Vnnd aller tucher Stam gemain Auff Berthold Tucher stundt Allein Vnnd Elisabeth sein Ehelich weib von Mayenthal Gesetzt wardt ahn der Todten Zahl Im Jahr 1304 hub es sich Ahn Auß Gottes verhengnus derselbig Man Sein te[g]lich oder Gaystlich wahl Zu Kiesen durch eines Hellers fall Der auf einer seiten Ein Kreutzlein het Welchs Gaystlich Leben An Im besteet Am anndern orten Henntlein stundt Durch welches die Ehe Ihm wurde Kunth Welches Inn drey würfen oben Am manisten erschin, Kreutzlein oder Hendlein dasselb zuthun Das Loß warff Er vor dem Altar Nach Ainer gesprochenen Meß Nembt wahr Laß man Im Ihn der Capellen zu der Frist, Alls die nach Inn diesem Hinterhaus ist Nun Gott der Allweg das Pest erkennt 1131 Arno Borst, Die Sebaldslegenden in der mittelalterlichen Geschichte Nürnbergs, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 26 (1966), 19 – 178, hier vor allem 158, 172.

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Abb. 19: Tucherwappen, GTB, fol. 19r.

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Gab das sich der Häller dreymal wendt Auf Creutz vnd Kher, gehn Berg die Hanndt Aus dem der Mann sich Erlich erkannt Zu worden, aus Göttlichem fürsehen Vnnd ward Im desselben Tags besehen Vmb Ainen Gemahel Inn Aigner Person Vnnd sich Als baldt Nach Mittag Ahn Auf Sannt Egidien Hoff den wegermass Da ettwan der Alt Bertholdt Pfinzing saß1132 Vnnd warb vmb sein Tochter Anna auf der Farth Die Ihm vor Nachts zugesagt wardt Vnnd het Auch Hochtzeit mit Ihr schier Mit derer gewahn der Söne mehr Vnnd vier Töchter Als dann die Auf zweyen seitten gemahlet [sic!] sindt hie Inn Roten Plumen Als Ir hie findt Die Geschwistergit der Ersten gesip sindt Was nun von den In Roten Blumen Darnach von Kindern sindt bekummen Dieselbigen sindt der geschwistergit kindt Die Inn den Blaven [sic!] gemahlet sindt Vnnd heist die Annder gesip mit Namen Von Vrsprung dieses Mannes Samen Welche Nun sitzen Inn den Praunen blumen Die sindt von den In denn Blowen komen Vnnd werden geschwistergit Enigklein erkant Vnnd sindt der dritten gesip genannt Vnnd was Ir Inndenn weissen Lilien findt Sindt der Inn der Braunen blumen Kindt Geschwistergit vreniglein der Namn In Zimpt Vnnd sindt Inn der vierten ges[i]pt bestimbt Vnd die In der Gelben Lilien gemalt Sindt Kindter In der weisen gezahlt Geschwistergit, Vhr/Vhr Eniglein sindt die Der fünfften gesip alls stehen dann hie Inn dem Gemehl nach einannder findt Hiermit die gesipe geschiden sindt Im Jar 1474 Inn Gottes Namen Gott helff vnns Allen gehen hinie[den] amen[.]1133

Dieser 1590 nicht übernommene Text belegt, dass der Generationsdiskurs bereits in der früheren Fassung bestimmend gewesen, jedoch noch anders er1132 Tucherbuch London, fol. 38v. 1133 Ebd., fol. 39r.

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zählerisch verfasst worden war. Während die familiäre Kontinuität durch göttliche Gnade im Rahmen der Münzwurfepisode die zentrale Aussage des Textes bildet, bieten die dürftigen Reime auch unfreiwillige Auskunft über das genealogische Denken der Verfasser. Der Text bezieht sich gegen Ende auf unbekannte, in dieser Familiengeschichte nicht auftauchende graphische Abbildungen der verschiedenen Generationen von Nachkommen Berthold Tuchers. Diese seien unterschiedlich dargestellt, so dass »hiermit die gesipe geschiden sindt« bis zur fünften Generation 1474, mithin der fünften »Stammlini« des späteren »Großen Tucherbuchs«. Vorgeführt werden Nachkommen, die »Von Vrsprung dieses Mannes Samen« sind, d. h. auf alle Tucher. Diese Herkunft als ein kulturelles Erbe ist der linearen Darstellung der Nachkommen eingeschrieben, die einmündet in »Die Sindt Kindter In der weisen gezahlt Geschwistergit, Vhr/Vhr Eniglein sindt die der fünfften gesip alls stehen dann hie Inn dem Gemehl [man] nach einannder findt«. Dieses Vermächtnis war bedeutsam, wie die wertenden Formulierungen für den Münzwurf durch ihre geschichtstheologische Konnotierung anzeigen: So habe Tucher »Gottes verhengnus« beschworen, dann »aus Göttlichem fürsehen« die Entscheidung erhalten, die auch die Beste sei, denn »Gott der Allweg das Pest erkennt Gab das sich der Häller dreymal wendt«. Dennoch wird sein »Same« hier noch nicht mit dem aus dem religiösen Sprachgebrauch stammenden Wort »generatio« belegt, ein Sprachgebrauch, der zu dieser Zeit durchaus etabliert war.1134 Trotz des nachweislich vorhandenen Spielraums der Wortwahl unterbleibt hier die spätere »generatio«-Gliederung noch, dagegen werden »gesip« der »Geschwistriget« als Unterscheidungskategorie herangezogen. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass im Verlauf des 16. Jahrhunderts die Gedächtnisbildung der Tucher eine religiöse Imprägnierung erfährt, die mit der zunehmenden Konfessionalisierung einhergeht. Die Prokreation wird heilsgeschichtlich überhöht, die Ursprungssituation an göttlichen Willen rückgebunden. Der Generationsdiskurs erscheint als ein Krisendiskurs und ist in der genealogischen arbor-Ikonographie ebenfalls wiederzufinden.

3.3.4 Die Ikonographie der Genealogie: Text-Bild- und Bild-Text-Beziehungen In der Prachtversion des Tucherbuchs wird der Geschichtsschreibung eine ausgesprochen aufwändige Ikonographie von Miniaturen mit einer durchgehenden Baumdarstellung beigegeben. Diese Gestaltung setzt den Generations1134 Die religiöse Semantik von »generatio« im Sprachgebrauch des Deutschen des 16. Jahrhundert lässt sich in einem zeitgenössischen Wörterbuch zeigen, vgl. Öhmann, Ein Teutscher Dictionarius, 225 – 370, 314.

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diskurs konsequent um, wie mit kunsthistorischen Interpretamenten zur Baumsymbolik, zum Porträt-Wappen-Komplex und der geschichtskulturellen Verankerung von familiären Genealogiedarstellungen gezeigt werden soll. Der Zählweise der Vorfahren gemäß der Nachkommenzeugung als »Generatio« korrespondiert die Darstellung des baumähnlichen Weinstocks: Der tuchersche Ehemann steht auf einer Recto-Folioseite zur Rechten seiner Frau oder seiner Frauen auf dem Stamm, der in die Frauen hineinwachsend gestaltet ist und in unnatürlicher Biegung über den Köpfen der Ehepartner die Wappen der Kinder als Früchte trägt. Die Angabe der Wappen bei späteren Heiraten markiert die Abbildungen als nachträgliche, systematisierende und interpretierende. Bei kinderlosen Ehepaaren fehlt jedoch die Baumdarstellung, bis auf die stets als Rahmen beigegebene, dezentere florale bzw. weinstockartige Gestaltung. So wird beispielsweise die kinderlose Ehe von »Endres Tucher der Ander Bawmaister«1135 mit seiner Frau zwar in porträtartigen Ganzkörperabbildungen dargestellt, diese nehmen aber nur die halbe Seite ein und hätten, wie andere Beispiele zeigen,1136 nicht nach einer Leerseite auf einer Recto-Folioseite platziert sein müssen, sondern sind einfach nach Gelegenheit eingepasst worden (vgl. Abb 20). Die prokreative Seite der Ikonographie ist somit die zentrale bildbestimmende Komponente des Generationsdiskurses, die wie die im Register wiedergegebene genealogische Kategorisierung nachträglich und bewusst eingefügt ist. Baumartig dargestellte Verwandtschaftsbeziehungen besaßen einen religiös fundierten ethischen Mehrwert, diente in der Bibel doch gerade ein Baum der Unterscheidung von Gut und Böse, eine Tradition, die in der klassischen Entscheidungsszene auf eine Heuristik der Baumesfrüchte zurückgreift.1137 Diese Bildbereiche werden zwar nicht voll von den Illustrationen im Tucherbuch ausgeschöpft, jedoch bleibt die nirgendwo kommentierte Baumabbildung offen für die komplexen Anspielungen, die dieser Bildbereich in der europäischen Ikonographie besitzt.1138 Das Zweige treibende Holz vom Kreuz Christi signalisierte den dauernden Heilswillen Gottes, eine Bedeutungsebene, 1135 GTB, fol. 51r. 1136 Die als »Generatio«-Begründer gezählten Paare werden bis zur 46. Generation zwar mit Ausnahmen wie Endres Tucher, sechster Generation und vierter Stammlinie, aber regelmäßig ganzseitig und auf Frontseiten abgebildet; dagegen wirdt »Hannß Tucher der Zehendte« keiner Stammlinie explizit zugeordnet und wird seine Abbildung in den Lauftext eingepasst, vgl. ebd., fol. 71v. 1137 So in Matth. 7,13 f. und Luk. 13,24 ff. 1138 Vgl. zu den folgenden Ausführungen einführend Gerd Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst, Düsseldorf/Köln 51979, 44 – 54, spezifischer Walter Föhl, Baum, in: Otto Schmitt (Hg.), Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Stuttgart Waldsee 1948, 63 – 90, sowie J. Flemming, Baum, Bäume, in: Engelbert Kirschbau (Hg.), Lexikon der christlichen Ikonographie, Rom/Freiburg/Basel/Wien 1968, 258 – 268.

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Abb. 20: GTB, fol. 51r.

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Abb. 21: GTB, fol. 33r.

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Abb. 22: GTB, fol. 94r.

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deren Überdachung durch Fruchtbarkeits- und Lebensmotive recht nahe lag.1139 Auch das ›Wurzel Jesse‹-Motiv ist eine baumähnliche Genealogie von Davids Vater Isai, aus dessen Körper die Vorfahren des israelischen Königsstammes und die Vorfahren des Messias hervorwachsen, doch als Baum in Kirchenfenstern von der Romanik bis zur Renaissance allgegenwärtig, so in der Kathedrale von Chartres oder im Volkamerfenster der St. Lorenz-Kirche in Nürnberg.1140 In der mittelalterlichen Tradition der Baumdarstellungen drückt sich eine Zeitvorstellung aus, die von der Gegenwärtigkeit aller Familienmitglieder bestimmt ist.1141 Das Motiv des eine Person durchwachsenden Baums war bereits im Dominikaner-Altar von Hans Holbein verwendet worden,1142 offenbar war dieses Motiv im späten 16. Jahrhundert für die familiengeschichtliche Verwendung frei geworden. Aus dieser vielschichtigen Semantik dominiert im Tucherbuch die Darstellung zeitlicher, kultureller oder abstammungsmäßiger Abhängigkeit. Die Bildbereiche der jahreszeitlichen Zyklizität von Vergehen und Neuaufleben, die Wurzelgleichheit für die Äste und Zweige als eine natürliche Gemeinschaft wurden zur gleichnishaften Darstellungsform von Familie und »Consanguinität«1143. Mit Ahnentafeln war meist ein legitimatorischer Anspruch verbunden, Ahnenproben führten bei Rittern und Adligen seit 1100 zu immer komplexeren künstlerischen Ausgestaltungen, eine Tendenz mit erheblicher Konjunktur während des ganzen 16. und 17. Jahrhunderts. War oft ein Baum als Baum Grundlage für weltliche (und geistliche) Abstammungsschemata, so passte etwa der um 1600 entstandene Stammbaum der Kurfürsten von Brandenburg die Baumform der Zahl und den Verwandtschaftsbeziehungen der darzustellenden Verwandten an.1144 Die Breite verschiedener Bedeutungen und der Gestaltungsspielraum dieser Ikonographie1145 kam der im Tucherbuch ausgestellten Programmatik des Generationsdiskurses entgegen. Die Fülle der Prokreativität musste im Baum, der zwischen fruchtbaren Ehepartnern üppig ausschlägt, an den Früchten sichtbar werden, die bestimmende Rolle des Mannes wurde durch seine auf dem Stamm stehende Position affirmiert. Die Anzahl der Abbildungen

1139 Flemming, Baum, 260. 1140 Zum Nürnberger Befund, der bei Schleif so nicht verzeichnet ist, vgl. Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole, 47. 1141 Weigel, Genea-Logik, 29; die Vergegenwärtigung als Grundprinzip mittelalterlicher Genealogie charakterisiert Peter Czerwinski, Gegenwärtigkeit. Simultane Räume und zyklische Zeiten, Formen von Regeneration und Genealogie im Mittelalter, München 1993. 1142 Klapisch-Zuber, Das Haus, der Name, der Brautschatz, 160 f, 110 f. 1143 Föhl, Baum, 74. 1144 Die nur noch entfernt baumähnliche Form zeigt eine Abbildung in Ebd., 86. 1145 Für die historischen Ausprägungen derartiger Abbildungen vgl. die umfassende Arbeit von Klapisch-Zuber, Stammbäume.

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Abb. 23: GTB, fol. 43r.

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erhöhte durch die verschwenderische Platznutzung auf den Pergamentseiten auch die Maße des Buchblocks. Bei der maßgeblich von der Baumdarstellung geprägten Gestaltung handelte es sich somit um einen naturallegorisch literarisierten Generationsdiskurs. Die Vollständigkeit der Eintragung von Kindern mag in diesem Genre häufig auf Jenseitsfürsorge abgezielt haben.1146 Weitaus wichtiger, ja durchgehend bestimmend dargestellt wurde der familiäre Fortbestand, der in der »Vorred« in ein – konfessionell motiviertes – interdependentes Verhältnis zur Gefahr des Aussterbens gestellt wurde. Richtet man den Blick aus der Gattung heraus auf die kunstgeschichtliche Dimension von Personendarstellungen, so treten engste Bezüge zwischen Wappen und porträthaften Abbildungen hervor. Die Typologie dieser unterschiedlichen Bildgattungen lässt sich in ihrer Genese kaum sinnvoll trennen. Beide Gattungen sind engstens durch ihre Funktion verbunden, einen kulturell konstituierten ›Zweitkörper‹ zu schaffen.1147 Die mimetische Abbildungsintention darf als ein besonders überzeugendes Missverständnis von Porträts gelten, kopierten doch Porträts Vorbilder,1148 so dass sich Parallelen zwischen miteinander unverbundenen Bildwerken nachweisen lassen. Leonhart Tucher trägt in verschiedenen Darstellungen die gleichen Gesichtszüge (vgl. Abb. 24 und 25).1149 Die Rezeptionszusammenhänge von Wappen und Porträt lassen auf die Parallelität von individuellem und heraldischem Gesicht schließen. Zeitgenössische Äußerungen zur Rezeption von Porträts belegen zusätzlich, dass Bildnisse nicht individuell verstanden wurden, sondern im Grunde genealogisch und als eine ererbte Physiognomie. In dieser wurde der kollektive Körper der Familie weitergegeben und in seiner typischen Neuausprägung in ›individuellen‹ Körpern abgebildet. So zeichnet sich die Repräsentationsfunktion ab, die die Präsenz eines 1146 Hatte diese Motivation nach Rohmann Kinderdarstellungen im Ehrenbuch der Fugger zu Grunde gelegen, leiteten diese sich allgemein aus Memoria ab, so wurde die Loyalitätserwartung bürgerlicher Porträts und Wappenabbildungen auch in der Kunstgeschichte konstatiert, vgl. Hans Belting, Wappen und Porträt. Zwei Medien des Körpers, in: Martin Büchsel/Peter Schmidt (Hg.), Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, Mainz 2003, 89 – 100, hier 89. 1147 Bei dieser Argumentation folge ich dem Ansatz der kunstgeschichtlichen Analyse von Medien der historischer Geschichtskulturen in Belting, Wappen und Porträt, bes. 90. 1148 So beziehen sich die Kaiserbilder Dürers besonders deutlich nicht auf historische Ansichten, sondern sind Idealporträts, vgl. Anja Grebe, Albrecht Dürer. Künstler, Werk und Zeit, Darmstadt 2006, 100. Porträts unabhängig von ihrer sozialen Funktion, vorwiegend als Ausdruck des Interesses an Individualität, deutet John Pope-Hennessy, The Portrait in the Renaissance. The A.W. Mellon Lectures in the Fine Arts. 1963. The National Gallery of Art, Washington, D.C. (Bollingen Series XXXV. 12), Princeton/ New Jersey 1966. 1149 »Monogrammist MS«, in: Georg Habich (Hg.), Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts. Geordnet nach Meistern und Schulen, 1. Band, 2 Hälfte, München, o. J., 188.

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Abb. 24: Porträtmünze Leonhart Tucher Abb. 25: GTB, fol. 118r.

Wappenherren über seinen Handlungsraum, ja über seinen Tod hinaus verlängerte.1150 Übernahm das Bürgertum im Laufe des 15. Jahrhunderts die Porträtmalerei in seinen geschichtskulturellen Habitus, so wurde in diesen Porträts die soziale Hierarchie, die noch ein Hauptgegenstand des Darstellungsmonopols des Adels gewesen war, allmählich abgestreift. Porträtmedaillen bezeugen den humanistischen Einfluss durch die enthaltene Devise, diente diese Darstellungsform doch als polemische Ablehnung der stereotypen Wappendarstellungen. Vielmehr, so ist die komplizierte Entwicklung für die hier verfolgte Argumentation abzukürzen, erhielt der individuelle Tod die größte Beachtung. Neu war daran, dass es sich um ein von allen gesellschaftlichen Hierarchien unabhängiges Schicksal handelte, dessen Bewältigung durch persönliches Ethos angezeigt werden sollte.1151 Diese Kompensationsaufgabe bestimmte auch die Darstellungsziele von Porträts: Durch humanistischen Einfluss war die Körperbeschreibung zum Ausdruck einer individuellen Lebenskonzeption geworden, die eigen und un1150 Dieser kunstgeschichtliche Befund bezieht sich auf die wesentlich allgemeineren Thesen in Otto Gerhard Oexle, Die Gegenwart der Toten, in: Herman Braet/Werner Verbeke (Hg.), Death in the Middle Ages (Mediaevalia Lovaniensia. Series 1: Studia 9), Leuven 1983, 19 – 77. 1151 Belting, Wappen und Porträt, 97.

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verwechselbar im Sinne von exemplarisch war. Sie verfolgte jedoch das Ziel, eine spezifische historische Antwort auf das für alle Menschen vorgezeichnete Ende ihres Lebens darzustellen. Der Schlüssel zur Individualität der Personen und der Porträts liegt bei der Überkreuzung von verschiedenen allgemeinen Rollen und Eigenschaften, die nur von einem einmaligen Menschen vereint werden können. Leben und Tod, Körper und Körperbild treten hier miteinander vermittelt dem Betrachter entgegen. Mit den Abbildungen war insofern eine ›Sozialästhetik‹ verbunden, als Bilder immer auch Bedeutung in gesellschaftlichen Kontexten besaßen. Die intermediale Konstellation von Wappen, Porträt und Devisen konnte den jeweiligen Zeitumständen gemäß neu vermittelt werden. Während verschiedene Generationen im Einzelnen andere, zeitbestimmte Ziele mit Aufträgen für Porträtdarstellungen verbanden, andere Medien wie etwa eine Porträthandschrift statt Tafelmalerei wählten, blieben grundlegende Funktionen doch konstant. Porträts wurden durch die Reformation nicht völlig ihrer religiösen Konnotationen, der Aufforderungsdimension, beraubt; vielmehr behielten dargestellte Individuen als Körperverweise und Ersatzkörper ihre Stellvertreterfunktion und pragmatische Aufladung. Insbesondere der genealogische Kettenbezug des Wappens auf den im Porträt gezeigten individuellen Körper komprimierte das Erbe der Geschichte einer sozialen Größe wie des Geschlechts der Tucher auf die Größe einer Tafel in der Familiengeschichte. Prokreative Dynamik, das ethische Vermächtnis der Ahnen in intensiver Präsenz von Ganzkörperabbildungen und die mit der Zugehörigkeit des Geschlechts zur Elite des Patriziats verbundenen Interessen flossen mit protestantischer Gewissensfrömmigkeit ineins. Andere Nürnberger Genealogien in Baumform, etwa die der Ketzel von 1595, stellen Maria mit dem Kind in den Mittelpunkt.1152 Die baumartigen Verzweigungen wachsen von Maria als dem Ursprung aus nach unten weiter, jedoch führt der Stamm an keiner Stelle durch eine Frau hindurch. Die Abbildungen im Tucherbuch sind daher keineswegs ›Illustrationen‹ im Sinne von eigentlich irrelevanten Fortsetzungen textlichen Sinns.1153 Im Gegenteil unterstreichen die Bilder Textaussagen unter Zuhilfenahme einer dem bildlichen Medium eigenen genealogischen Ikonographie. Allerdings übernahmen Porträts diese Aufgaben von Wappendarstellungen und Bildern, die ihre Funktion auch erfüllen konnten, ohne eine Person

1152 Vgl. die Abbildungen in Löcher, Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, 373. 1153 Die vielfältigen Bezüge von Bildern in verschiedensten Medien zeigt, ebenso wie die ethischen Vermittlungsformen in Bildern, Völkel, Geschichtsschreibung, 230 – 232. Die Evidenzierungskraft von Bildern zu Texten war demnach in der gesamten Vormoderne besonders stark, konnten Bilder auch durchgehend mit ethischem Interesse rezipiert werden.

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darzustellen.1154 Auch konnte eine Malerei, die keine Personen oder Wappen abbildete, im Einzelfall genealogische Funktionen übernehmen. So allegorisierten die Medici ihr Wappen in Gemälden; neuere Interpretationen deuten die bisher schwerpunktmäßig philosophiegeschichtlich als neuplatonisch eingeordneten Bilder als Aussagen innerhalb der agonalen politischen Kultur in Florenz.1155 Eine Historiographiegeschichte muss daher nichttextliche Quellen einbeziehen.1156 Der mit den Abbildungen im Tucherbuch verbundene Konstruktionsgrad wird besonders daran deutlich, dass die Tucher ihrem Alter nach wie in einer Galerie synchron erscheinen; darüber hinaus kommen dem Anschein nach, vor dem Hintergrund der weiter oben behandelten Ikonographie der Lebensalter etwa bei Cranach, auch die Altersunterschiede zwischen Ehepartnern nicht zur Darstellung. Andere bebilderte Familiengeschichten gebrauchen die Semiotik der Kleider in den Abbildungen gezielt zur Einschreibung in die sozial stratifizierte Textilkultur einer höheren sozialen Gruppe, um damit ihren Wert in der »¤conomie de la distinction« zu erhöhen.1157 Wie die pragmatische Dimension von Wappen und Porträts,1158 so überdauerte auch die Erzeugung von statusbezogener Ehre durch plurimediale Darstellungen die spätmittelalterliche Stadtkultur bis weit über die Reformation hinaus.1159 Die Abbildungen zeigen jedoch deutlich historisierende Stilkennzeichen.1160 Zu vermuten ist, dass die Anciennität der Bilder die Aura der Familiengeschichte unterstützen sollte. Ein Beispiel für den Wechsel zwischen Personendarstellungstypen bietet sich im Scheurlbuch, wo der Übergang von der dritten zur vierten »Generation« von einem Typenwechsel in der Darstellungsweise be-

1154 Diesen Fall zeigt Gottfried Boehm, Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985, 111 – 143. 1155 Horst Bredekamp, Sandro Botticelli. La Primavera. Florenz als Garten der Venus, Berlin 2002, 62. 1156 Die Multimedialität, mit der die Medici im 15. Jahrhundert sich selbst stilisierten, beschreibt beispielsweise an Medaillen, textlichen und materiellen Allegorisierungen sowie Gemälden Tobias Leuker, Bausteine eines Mythos. Die Medici in Dichtung und Kunst des 15. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2007, 113 – 126, 165 – 182 und 233 – 258. 1157 Dieses Mittel der Darstellung verfolgt Pierre Monnet, La ville et le nom. Le livre des Melem, une source pour l’histoire priv¤e des ¤lites francfortoises ” la fin du Moyen ffge, in: Journal des Savants (1999), 491 – 538, hier vor allem 496 – 497 und 537. Vgl. auch Rohmann, Ehrenbuch. 1158 Hierzu ergänzend auch die Analyse rhetorischer und ethischer Interpretamente in der visuellen Kultur in Boehm, Bildnis und Individuum, 71 – 89. 1159 Die Familiengeschichte der Melem ist nur ein Beispiel, weitere versammelt Bock, Die Chronik Eisenberger, bes. 479 – 485. Nachweise für Beispiele aus anderen sozialen Kontexten in Monnet, La ville et le nom, 538. 1160 Es liegen Hinweise vor, denen in kunstgeschichtlicher Perspektive nachgegangen werden sollte, ausgehend von den Ansätzen bei Bock, Die Chronik Eisenberger. 417 – 420, bes. 418.

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gleitet wird.1161 Die Figurentypen der linken Seite wirken gedrungen, der Physiognomie nach schematisch und auf wenige Kleidungsattribute reduziert, wie etwa noch um 1480 üblich.1162 Die Wappen werden nur als Rumpf der Figuren eingemalt. Dagegen wird das Wappen auf der rechten Seite mit einer größeren künstlerischen Eigenständigkeit ausgeführt. Die das Wappen haltenden Figuren sind stärker von der Renaissance bestimmt, wie sich im Gestus und im üppigeren Aufbau der Frauenfigur zeigt.1163 Dieser Figurendarstellungstypus wird noch Anfang des 17. Jahrhunderts im Kautzbuch aufgenommen, womöglich um die Vorfahren altertümlich wirken zu lassen.1164 Der auf einer Doppelseite abgebildete Stilwechsel von älterem zu neuerem Stil im Scheurlbuch diente womöglich dazu, die Vergangenheit gestuft erlebbar zu machen.1165 Zum Tucherbuch lässt sich festhalten: Kombiniert man die Paratexte, Texte und Abbildungen, so zeigt sich der Generationsdiskurs als der entscheidende Formfaktor der historischen Darstellung in Text und Bild. Hatte das historische Konzept von »Generation« der Familiengeschichtsschreibung zu Grunde gelegen, so ist der mit seiner Neugestaltung im Generationenwechsel verbundene Aufwand doch beträchtlich. Das Tucherbuch war durchgehend von der Tendenz bestimmt, bestehende, mithin den Betrachtern bereits bekannte Malereien, Epitaphien oder Porträtmünzen von Familienmitgliedern bei der Gestaltung mit einzubeziehen.1166 Der Intensität nach war die Porträtkonjunktur eine Nürnberger Besonderheit, war doch hier in der Folge des Geschlechterbuchs Konrad Hallers häufig mit mimetischen Absichten nach Vorbildern gearbeitet worden.1167 Die Porträ1161 Das Bebilderungskonzept sieht vor, dass ab fol. 71 nur noch die Allianzwappen wiedergegeben werden. Die Altertümlichkeit mancher Abbildungen könnte von einer früheren Vorlage herrühren. 1162 Dieser Darstellungsstil lässt sich außer in Drucken auch in der Tafelmalerei ausmachen, für ein Beispiel vgl. das Bildnis des Levinus Memminger von Michael Wolgemut, um 1485, in: Peter Strieder, Tafelmalerei in Nürnberg 1350 – 1550, Königsstein/Taunus 1993, 78, Abb. 91. 1163 Für diesen Miniaturfigurenstil ließe sich in der Nürnberger Tafelmalerei etwa das Bildnis des Nürnberger Goldschmieds Jakob Hoffmann heranziehen, das Georg Pencz 1544 mit einer sehr plastischen, realistischen Figurengestaltung und einer Wappenimplementierung anfertigte, vgl. Strieder, Tafelmalerei in Nürnberg, 288, Abb. 185. 1164 Eser, Bücherschätze der Dürerzeit, 162 f. 1165 Die Bebilderung bedürfte aber einer eingehenden kunstgeschichtlich-stilistischen Untersuchung, um die bewussten Stilvariierungen abschließend zu interpretieren. 1166 Diesen Befund formuliert der Kommentar zu GTB, dessen hier relevanter Teil außer in der unpaginierten digitalen Editionskommentierung auch gedruckt vorliegt in Diefenbacher, Das Große Tucherbuch, bes. 10. Allerdings liegen zu den für die Ausfertigung verantwortlichen Malern Amman und Herz keine aktuellen, umfassenden Studien vor, die Einblicke in die mit den Abbildungen verfolgten Absichten zulassen würden. Vgl. jedoch Staub, Zwischen Denkmal und Monument. 1167 Vgl. dagegen zum Konrad-Haller-Buch von 1526 (CCH-I, Hallerarchiv Großgründlach)

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Abb. 26: Kleine Scheurlchronik, fol. 38v-39r.

tierungsabsicht scheint dabei vor allem das Gesicht betroffen zu haben, wurde doch die absolute Größe der Person nach der Bedeutung für die Familie entschieden: hatte ein Tucher »generatio«-Status, so war seine Abbildung ganzseitig, bei geistlichen Vertretern der Familie oder kinderlosen Paaren fanden halbseitige Abbildungen Verwendung. Die prokreative Seite des Generationsdiskurses überwog andere Aspekte, wurde doch sogar ein berühmter Tucher wie »Endres der Ander Bawmeister« wegen kinderloser Ehe nur halbseitig abgebildet.1168 Die relative Größe der Männer zu ihren Ehefrauen ist standardisiert, sie überragen ihre Frauen stets geringfügig.1169 Die abwechslungsreich gestaltete Kleidung ist nicht durchgehend historisch korrekt,1170 jedoch bestand hier üblicherweise die Möglichkeit, aus Kleidungskatalogen wie dem Ammans geeigBock, Die Chronik Eisenberger, 418, das ein wichtiges Vorbild für andere bebilderte Geschlechterbücher war. 1168 GTB, fol. 51r. Weitere Beispiele sind die geistlichen Vertreter der Familie, einschließlich der Abbildungen der Pröbste, deren kleinere Abbildungen sogar von einer kleinen Textspalte umgeben sind, vgl. etwa Sixtus Tucher, ebd., fol. 56r., Lorenz Tucher, ebd., fol. 65r., oder völlig gleich Apollonia Tucher, ebd., fol. 62v. 1169 Vgl. etwa Hans Tucher, ebd., fol. 74r., oder Anton Tucher, ebd., fol. 82r. 1170 Für ein Beispiel von möglicherweise unbeabsichtigter Aktualisierung der historischen Kleidung vgl. Bock, Die Chronik Eisenberger, 419.

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nete Vorlagen zu übernehmen. Auffällig typisiert erscheinen dagegen die Beinhaltung der Männer, die Blicke der Frauen und ein kleines Repertoire von Handhaltungen.1171 Der Grad, durch den bei den Frauen Schwangerschaft durch einen gerundeten Bauch angedeutet zu sein scheint, schwächt sich im Verlauf der Galerie deutlich ab. Bereits Elisabeth, die Frau des »Nicolaus Tucher de[s] Andere[n]«, hat nur noch einen leicht gewölbten Rumpf,1172 während noch bei der zweiten Ehefrau von »Hanns Tucher de[m] Sechste[n]«, der als elfte »Generatio« und fünfte »Stammlini« eingeführt wird, die Schwangerschaft überdeutlich herausgestrichen erscheint.1173 Die Abnahme dieser Darstellungsweise könnte anzeigen, dass die Vergangenheit umso mehr zur Projektionsfläche von Diskursen, ja zum Diskurseffekt selbst geraten war, als sie weiter zurück liegt. Insbesondere bei den Gesichtern wäre eine schematische Wiedergabe am einfachsten gewesen, wie etwa diejenige in der Genealogie der mecklenburgischen Herzöge.1174 Dagegen war es weitaus teurer – zumal auf Pergament anstatt auf separaten, als Papierausschnitte hinzuzufügenden Einzelblattabbildungen – nach einer ›individuellen‹ Vorlage zu arbeiten. Die »Hertz’sche Familienchronik«, möglicherweise diejenige der Familie des Malers des Tucherbuchs, scheint einen völlig identischen Aufbau der Bildseite, Anordnung der Figuren in der Abbildung, der Baumdarstellung von »Generati [sic!]«, Beschriftung in Frakturschrift sowie Wappenabbildung besessen zu haben.1175 Jedoch wirken dort die Gesichter extrem typisiert und uncharakteristisch, ein Befund, der jedoch nur auf der Grundlage des veröffentlichten Ausschnitts getroffen wurde.1176 Ob es sich bei dem Tucherbuchmaler Herz um ein Mitglied der Familie »Hertz« gehandelt hat liegt zwar durch die Ähnlichkeit der Abbildungen nahe, jedoch ist in jedem Fall eine Rezeptionsbedingung ablesbar, wenn eine »Wirtsfamilie« Hertz die patrizische Geschichtsschreibung der Tucher detailgetreu nachahmte. Die Überbietungsabsichten der Geschichtskultur sind unübersehbar und 1171 1172 1173 1174

Vgl. Rohmann, Ehrenbuch, 50. GTB, fol. 76r. Ebd., fol. 74r. Durchgehend handelt es sich in einer Bilderhandschrift des Jahres 1526 um schematisierte Abbildungen von Gesichtern, die lediglich durch leicht veränderte Kopfhaltung variiert werden, vgl. durchgehend die Abbildungen in Röpcke, Die Mecklenburger Fürstendynastie. 1175 Vgl. die Abbildung auf der ersten Umschlagseite, dort nämlich »Die Achte Generati«, Pröll, 600 Jahre Genealogie in Nürnberg, unpaginiert. 1176 Nach Solleder befand sich diese Quelle, das »Stammregister der Hertzen zu Nürnberg«, im Bestand der Ebnerbibliothek, vgl. Fridolin Solleder, Begegnung mit Veit Stoß und der Künstlerfamilie Hertz aus Nürnberg. Ein Kulturbild (mit einer Kunstdruckbeilage und 10 Skizzen), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 11/12 (1953), 85 – 107. Von dort muss es in das »Archiv der Frhr. Ebner von Eschenbach« überführt worden sein, vgl. Haller von Hallerstein, Nürnberger Geschlechterbücher, 231.

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erklären die großen Anstrengungen, die bezüglich klappbarer Diptychen, Porträtmalerei und Wappenabbildungen unter Nutzung vielfältiger Steigerungsmöglichkeiten bewältigt wurden.1177 Unter den mit dem Adel konkurrierenden bürgerlichen Auftraggebern hatten die Tucher bereits lange vor der Entstehung des Tucherbuchs hinsichtlich der Zahl der Aufträge und deren wirtschaftlichem Ausmaß eine Spitzenstellung eingenommen.1178 Die Ausnahmestellung des mit dem Tucherbuch verbundenen Aufwands steht somit in der Kontinuität der Geschichtskultur in Nürnberg.

3.3.5 Affirmierende Weitergabe unter veränderten Vorzeichen. Textgleiche Stiftungsdarstellungen als familiäres Erbe und Nürnberger ›Zivilreligion‹ Stiftungen sollen einen Stiftungszweck dauerhaft sichern, darüber hinaus besitzen sie jedoch auch einen symbolischen Wert für die Ehre der Stiftenden. In den Stiftungen materialisierte sich die Ehre und wurde der Status einer Familie bestimmt, wie die Schrift »Catalogus Gloriae Mundi« des Juristen Barthºlmy de Chasseneuz (1480 – 1541) bestätigt.1179 Ausgehend von der Ehredefinition, dass »Honor […] excellentia alicuius« sei, wird einerseits das Streben der Menschen nach Ehre eingegrenzt, »Gloriae cupiditas vitanda est«; andererseits wird das Streben nach Ehre, »homines qui volunt honorari«, auch ausdrücklich legitimiert. Wer Ehre beanspruche, benötige herausragende äußere Zeichen. Ein »testimonium« von Ehre sei allein möglich »per aliqua signa exteriora, vel verboru[m], vel factorum, vel rerum, de quibus singulariter in suis locis dicemus«. Nur so werde die Ehre als gesellschaftlicher Status dauerhaft eine »nobilita[s] transitoria ad successores«.1180 Der Abstraktionsgrad dieser Reflexionen und die erfolgende Exemplifizierung lassen die Ausführungen nicht allein auf ihren juristischen Ausgangspunkt zurückführen;1181 vielmehr ist darin auch theologisches, ökonomisches und gesellschaftliches Denken enthalten. 1177 Zu Beispielen für die breite Überlieferung der Ehepaarporträts vgl. Petra Kathke, Porträt und Accessoire. Eine Bildnisform im 16. Jahrhundert, Berlin 1997, 171 ff.; Privatporträts werden in ihrer ganzen Ikonologie mit umfassenden Absichten im Übergangsbereich vom Mittelalter zur Frühneuzeit dargestellt in Angelica Dülberg, Privatporträts. Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert, Berlin 1990. 1178 Zu diesen Möglichkeiten vgl. zusammenfassend Schmid, Dürer als Unternehmer, 113, 523 – 525. 1179 Barth¤lemy de Chasseneuz, Catalogus Gloriae Mundi (zuerst 1529), Frankfurt: Feyerabend 1579 [VD16-C2074], HAB 41 Quod. 28. 1180 Ebd., fol. 1r, 56r, 196v. 1181 So durchgehend die Fragestellung in Michael Randall, The gargantuan polity. On the individual and the community in the French Renaissance, Toronto 2008, 157 – 168. Der Catalogus habe damit die Funktion, seine Leser über Grenzen und Lizenzen ihres Status zu orientieren.

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Eine Form von Ehrmanifestation ist daher in der Prachtversion des Tucherbuchs erkennbar, erscheint es doch im Spiegel der Paratexte und der Abbildungen als Zeugnis von Neugestaltung und Diskontinuität. Im Widerspruch zu diesem Befund ist die Beziehung der prosopographischen Einzeltexte von 1590 zu denen der früheren Manuskriptfassung bisher einhellig als kontinuierlich konstatiert worden. Ein kurzer Blick bestätigt die relative Textgleichheit zwischen beiden Fassungen: semantisch relevante Modifikationen, Kürzungen oder Ergänzungen im vergangenheitsgeschichtlichen Bericht, der in beiden Fassungen bereits abgeschlossen war, liegen in den prosopographischen Berichten nur selten vor. Die konfessionelle Absetzungsbewegung in der »Vorred« legt die Frage nahe, mit welchen Absichten der in strengem Sinne ›eigentliche‹ Text des Tucherbuchs in beinahe unmodifizierter Form weitergetragen wurde. Als Untersuchungsgegenstand bieten sich vor allem die als erinnerungswürdig markierten Stiftungen, ihrerseits Teil der materialisierten Geschichtskultur, an. Stiftungen prägten das Bild einer Stadt in Texten des Städtelobs.1182 Dieser Eindruck blieb während des gesamten 16. Jahrhunderts erhalten, wie der zuerst 1529 erschienene »Catalogus Gloriae Mundi«, der noch im frühen 17. Jahrhundert nachgedruckt wurde, erläutert. Demnach zeichne sich die Weltordnung darin ab, wie die »Gloria« unter anderem auch auf Städte und ihre Gemeinwesen aufgeteilt sei. Im 61. Abschnitt des 12. Teils, »De excellentia aliquarum vrbium, seu oppidorum«, wird das Lob Nürnbergs von Conrad Celtis aufgegriffen. Der »Catalogus Gloriae Mundi« übernimmt die positive Wertung der Stiftungsdarstellung aus dem Städtelob und ordnet sie in die Darstellung der städtischen Gesellschaft ein: »Tum de Pietatibus & Eleemosynis vrbis, & ieprosis. Tum de magistratibus vrbis & poenis sontium. Denique de vniversali vrbis iustitia, legibus, conuiuiorum, & nuptiarium […] Quae omnia (lector candide, si contingat tuam ciuitatem laudare) tibi commodo esse poterunt.«1183 Das Lob der administrativen Organisation der Stadt, ihrer Justiz als auch der mit den Hochzeiten verbundenen Festkultur entsprach der von den Lesern erwarteten Wahrnehmung. Dies zeigt die freilich topische Bemerkung Chasseneuz’, dass dem »unvoreingenommenen Leser«, der seine eigene Stadt loben wolle, die Eigenschaften Nürnbergs gefällig finden werde. Gerade die Tucher konnten sich dauerhaft im Spiegel ihrer Stiftungen Ruhmes erfreuen, wie eine ihnen im frühen 17. Jahrhundert gewidmete »Beschribung [des] herkommens Des alt Adeliche[n] geschlechts der Tucher« zeigt. Der Autor Hieronymus Böring skizziert die frühe Ankunft der Tucher in der Stadt, ihre Turnierfähigkeit und »Ritter1182 Christian Kuhn, Totengedenken und Stiftungsmemoria. Familiäres Vermächtnis und Gedächtnisbildung der Nürnberger Tucher (1450 – 1550), in: Studt, Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft, 121 – 134. 1183 Barth¤lemy de Chasseneuz, Catalogus Gloriae Mundi (zuerst 1529), Frankfurt: Feyerabend 1579 [VD16-C2074], HAB 41 Quod. 28, fol. 258r.

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werck« und listet die »Landt Güeter« und die bis 1590 von Tucher wahrgenommenen hohen städtischen Ämter »Consules vnd Scabini« auf.1184 Der umfangreiche Abschnitt zu den Stiftungen bestätigt die Korrelation mit der Familienehre, denn Böring schildert diese mit »Vnterthänig getrew wolmeinender Affection mit recom[men]dirung seiner wenigen Person«, und richtet sich daher nach den an ihn gerichteten Erwartungen: Von Ihren Stifftungen findt man in der Statt Nürnberg noch gar viel in den Kürchen vnd Clösstern, so sie bey gemeiner Stadt vnd den Geistlichen gethan, wie sie dann auch Ansehenliche Stifftung Vnder ihnen selbsten gemacht, allen Tuchern vnd Tucherinnen zum bessten, die viel vnd groß ein ko[m]en järlich ertragen deßgeleichen nicht bald ein Geschlecht in der Stadt Nürnberg [aufzuweisen hat][.]1185

Die Einordnung der geistlichen Stiftungen in die Stiftungstätigkeit der Tucher macht deutlich, dass diese einen konfessionsunabhängigen Identifikationswert besessen haben. Auch in nachreformatorischen Stiftungsdarstellungen ergibt sich nicht der Widerspruch zwischen berichteten frommen Stiftungshandlungen zur aktuellen konfessionellen Religionsausübung. Die erste prosopographische Darstellung im Tucherbuch beginnt mit der Schilderung einer Stiftung. So habe der »Ertz- und Stammvatter« des Geschlechts,1186 »der Erste diß Namens dauon wir wissen«1187, Berthold Tucher (1310 – 1379), »zu stein des Bawens Fünffzehen Pfundtheller« als Anteil an den 24000 Gulden Baukosten des neuen Ostchors der Nürnberger Sebalduskirche gezahlt, dem Ort der Tucherschen Grablege bis zur Verlegung der Begräbnisstätte außerhalb des Kirchenraums im 16. Jahrhundert.1188 Die Kirche des Stadtpatrons, des auf Drängen des Nürnberger Rats später von Papst Martin heiliggesprochenen Sebald, war bereits im 14. Jahrhundert, verstärkt im 15. und 16. Jahrhundert,1189 ein patriotischer Erinnerungsort geworden. Die segnende Wirkung Sebalds wurde über die Reformation hinaus durch die Öffnung des aufwändigen Schreins des Heiligen in Anspruch genommen und in evangelischen Festgottesdiensten gefeiert.1190 Herrschereinzüge führten zur Kirche im Zeichen dieses »Souverän[s]« des idealen Nürnberg und »Ver1184 Hieronymus Böring, Beschreibung herkommen Des alt Adeliche[n] geschlechts der tucher, (1 Heft 88), Anfang 17. Jh., E29/II Nr. 59, fol. 6r, 7r, 10r, 10v. 1185 Ebd., fol. 9r. 1186 So die »Vorred«, GTB, fol. 14v. 1187 Ebd., fol. 34r. 1188 Zu diesem Vorgang vgl. den Überblick in Craig M. Koslofsky, The Reformation of the Dead. Death and Ritual in Early Modern Germany. 1450 – 1700, Aldershot/Burlington 2000. 1189 Vgl. Fritz Schnelbögl, Sankt Sebald in Nürnberg nach der Reformation, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 32 (1963), 155 – 172. 1190 Borst, Die Sebaldslegenden, 158.

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körperung von Nürnbergs geschichtlichem Selbstbewusstsein«, dem aller humanistische und reformatorische Spott nichts anhaben konnte.1191 Im Gegenteil durfte Nürnberg, als es das Investiturrecht für seine Pfarrkirche vom Bamberger Bischof erlangte, einen außenpolitischen Triumph empfinden. Stiftungsdarstellungen erscheinen besonders geeignet, sozioreligiöse Handlungen von Stadtbürgern auf eine zugrundeliegende städtische Religionskultur und ›Zivilreligion‹ zu untersuchen.1192 Die Darstellung impliziert zwar Absichten historischer Personen, belegt damit jedoch vor allem die ›Prestigeheuristik‹ von Familiengrabstätten gegen Ende des 16. Jahrhunderts. War eine Familie unbekannt, so konnte zur Erklärung der Ort der »begrebnus« und das Ausmaß der sie umgebenden Stiftungen angegeben werden.1193 Die Stiftung der Tucherschen Grablege und andere Episoden stilisieren die Sebaldkirche zu einem familiären Erinnerungsort städtischer Dimension. Der Status der Reichsstadt, die Frömmigkeitsdarstellung und das Familienschicksal werden miteinander verwoben. Dies geht wiederum aus vom Münzwurf Berthold Tuchers, der die Handseite der die Privilegien der Reichsstadt verkörpernden und beglaubigenden Münze erhalten hatte; dieser Wurf war ihm Zeichen für späte Wiederverheiratung anstelle eines geistlichen Lebensabends durch Gottes Willen gewesen, heißt es doch »also fueget Gott der Herr«. In der Prachtversion des Tucherbuchs rückt der Index den Münzwurf in eine Schlüsselposition. Die paratextuelle Schwerpunktsetzung findet sich parallel zum Index auch in der »Vorred«, die den Münzwurf in der biblischen Geschichte zur Nachfolgeentscheidung des Apostels Judas verortet hatte.1194 Die Stiftung für eine »Tucher begrebnus« soll in ein neues Licht gerückt werden, konnte darin doch vermächtnisartige Memoria gesehen werden, eine kluge Tat des Ahnen. Es handelt sich bei der historischen Darstellung um eine Konstruktion ex post, die 1191 Ebd., 172 f. 1192 Während »religion civique« Interpretament für antike Zivilisationen war, wurden die Begrifflichkeit auch in einer interdisziplinären und epochenübergreifenden Mediävistik rezipiert, vgl. zu Nürnberg: Martial Staub, Eucharistie et bien commun. L’¤conomie d’une nouvelle pratique fondatrice a l’exemple des paroisses de Nuremberg dans las seconde moiti¤ du XVe siºcle: s¤cularisation ou religion civique?, in: Andr¤ Vauchez (Hg.), La Religion Civique ÷ L’Ãpoque M¤di¤vale et Modern (Chr¤tient¤ et Islam) […] (Collection de l’¤cole francaise de Rome 213), Rom 1995, 445 – 470. 1193 So hatte Hans II. Tucher (†1449) in die unbekannte Familie Valtzner eingeheiratet, so dass gleich nach ihrer Wappenbeschreibung (»ein gelbes Tisch in schwartzem Velt sein auß dem Landts Behaim herkommen«) Angaben zur Familiengrablege folgen, haben doch die Valtzner ihr »begrebnus im Newen Spital vnd daselbst in Ihrer Capel ein aigne Pfündt gestifft«, GTB, fol. 46v. 1194 Der Verweis auf die Apostelwahl durch Loswurf findet sich in GTB, Vorred. Laut Apg. 1,23 hatten sich zwei Kandidaten um die Nachfolge des Judas Iskariot beworben, Barsabas und Matthias, woraufhin Matthias aufgenommen wurde, vgl. Hans Schmoldt, Kleines Lexikon der biblischen Eigennamen, Stuttgart 1990, 50 und 168.

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eine kontinuierliche Entwicklung in Anschlag bringt, von der der Stifter angesichts des Fehlens von Nachkommen bis zum Münzwurf kaum überzeugt war. Dieser Fall zeigt die Notwendigkeit, nicht allein Stiftungen, als vielmehr deren historische Darstellung zu untersuchen. Das Motiv frommer Stifter von Seelmessen, Jahrestagsfeiern und liturgischen Gegenständen bezog sich immer auch auf die irdische Verewigung der Erinnerung.1195 Die Funktionalität von Stiftungen wurde in der Forschung weiter differenziert,1196 ohne jedoch deren Erinnerungsaufgabe zusätzlich zu historisieren. Die Quellen zur Gedächtnisbildung der Nürnberger Tucher, Memoriale des 14. Jahrhunderts, Jahrbücher des 15. Jahrhunderts sowie die Vorarbeiten zum Tucherbuch aus den 1520er Jahren sowie die verschiedenen Fassungen von ca. 1540, 1565 und 1590 legen die Frage besonders nah, wie Stiftungen erinnert wurden. So war es zunächst ein Stiftungsverzeichnis, mit dem der Familienhistoriograph die Vorarbeiten zum Tucherbuch im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts begonnen hatte.1197 Auf diese Notate einer Quellenrecherche verweist das Tucherbuch häufig im Rahmen der freilich topischen Autopsieerklärung explizit sowie durch unmarkierte Zitate aus Quellen. Stiftungen zeichneten das Gemeinwesen in der zeitgenössischen städtelobenden Dichtung Rosenplüts oder Cochlaeus’ aus, waren sie doch Argumente für das verfolgte Darstellungsziel.1198 Das Tucherbuch enthält Stiftungen als integralen Bestandteil der biographischen Porträts seit dem 14. Jahrhundert, wie ein Blick auf die historiographische Topik zeigt: Die Darstellung eines jeden männlichen Tucher mit Nachkommen und solcher mit geistlichen Karrieren ordnet Informationen zu Familie und Herkunft des Ehepartners, der politischen oder wirtschaftlichen Laufbahn, zu Vermögensverhältnissen, einer kurzen Charakterisierung von Persönlichkeit, körperlicher Erscheinung und familiärem Engagement; abschließend werden 1195 Oexle, Die Gegenwart der Toten, stellt die Stiftungsmemoria als Teil einer Auffassung dar, nach der auch die Toten kontinuierlich Teil der Gemeinschaft blieben. Vgl. auch Gregor Rohmann, Joachim Moller gründet ein Geschlecht. Erinnerungsräume im Hamburg des 16. Jahrhunderts, in: Mark Hengerer (Hg.), Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, 91 – 130. 1196 So unterscheidet Scheller am Beispiel der Stiftungen der Fugger »Stiftungszweck« (bspw. Seelmessen), »Stiftungsmotiv« (bspw. Seelenheil) und »Stiftungsvollzug« (bspw. durch Angehörige) als Teil der somit komplexen Stiftungswirklichkeit und ›Totalität‹ einer Stiftung, vgl. Scheller, Memoria an der Zeitenwende. An den Übertragungsphänomenen ist auch die Testamentsforschung interessiert, die an Nürnberger Beispielen die Verflechtung von Familienmitgliedern untereinander und mit anderen Familien herausarbeitet, so Ulrich Meyer, Recht, soziales Wissen und Familie. Zur Nürnberger Testamentsund Erbschaftspraxis am Beispiel der Tucher (14.–16. Jahrhundert), in: PirckheimerJahrbuch 14 (1999), 48 – 67. 1197 Dazu demnächst Kirchhoff, Gedächtnis in Nürnberger Texten. 1198 Zur Darstellungen von Nürnberger Stiftungen in ›laus civitatis‹-Texten vgl. Meyer, Die Entdeckung Nürnbergs in Texten, 245 – 342.

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stets der Begräbnisort, Testament und Stiftungen genannt. Stiftungen entzogen versteuerbares Kapital einer Familie dem städtischen Fiskus, Kapital mithin, das den Nachkommen der Stifter in größtmöglicher Höhe und repräsentativer Form erhalten blieb. Rituelle Handlungen wie Prozessionen zu Kleiderstiftungen, Gedenkgottesdienste und Speisungen erinnerten an die Gebenden; öffentliche städtische Räume wie die Pfarrkirchen waren dauerhaft mit Manifestationen patrizischer Freigebigkeit besetzt. Neben architektonisch integrierten Wappendarstellungen mündeten die Repräsentationsbemühungen auch in Gobelinserien, den Kirchen vermachte Wandteppiche mit Wappen ehelicher Allianzen und Bahrtücher ein. Stiftungen, die ursprünglich Teil eines multimedialen Konzerts der agonalen Geschichtskultur gewesen waren, verblieben dort auch in der Familiengeschichtsschreibung.1199 Die historische Darstellung entwickelte die in Stiftungen materialisierte Memoria gemäß den Bedürfnissen der Gegenwart weiter, aktualisierte die freigebigen Handlungen somit gerade durch ihre narrative Weiterund Neuvermittlung.1200 Spätestens beginnend mit Konrad Hallers seit 1537 in der Losungerstube aufbewahrtem Geschlechterbuch besaß diese Gattung eine politische Dimension im Kontext der Reichsstadt, die durch die Bezeichnung »Stamregister« aufgerufen wird.1201 Fromme Stiftungen waren nach der Reformation in Nürnberg disqualifiziert,1202 blieben jedoch weiterhin darstellbar zum Zweck der Legitimierung einer immer stärker durch Migration und soziale Mobilität von Kaufmannsfamilien gefährdeten Machtstellung des Patriziats. In dieser gesellschaftlichen und konfessionellen Umbruchssituation scheint eine Kontinuität der Repräsentationskultur der spätmittelalterlichen Stadt bis zum späten 16. Jahrhundert auf. Die theologischen Vorbehalte des Nürnberger Protestantismus löschten die Memoria altgläubiger Stiftungen nicht, vielmehr scheint die protestantische »religiöse Verweltlichung der Welt« geeignet,1203 die Erinnerungsökonomie von Stiftungen in die Zukunft weiterzutragen. Die These von einer Kontinuität der Memoria ist Interpretandum für diese textgenetische Skizze. Die von Probst Lorenz Tucher begründete Familienstiftung kam für die Kosten beider Fassungen des Tucherbuchs auf.1204 Das verschwenderisch angereicherte Manuskript wurde erklärtermaßen mit ›Verbesserungen‹ versehen, 1199 Verschiedene Bereiche materieller Kultur als Geschichtskultur parallel zur Geschichtsschreibung vergleicht programmatisch Völkel, Geschichtsschreibung, 201, 216, 232. 1200 Zu den Überbietungsabsichten, die die Fortentwicklung öffentlicher Formen der Erinnerung bestimmten, vgl. Völkel, Geschichtsschreibung, 201. 1201 Schmid, Deutsche Autobiographik, 62. 1202 Seebaß, Andreas Osiander, 64. 1203 Friedrich Wilhelm Graf, Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart, München 2006, 80. 1204 Tucherbuch London.

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desweiteren mit Paratexten wie den Vorreden, Erläuterungen und Indices, denen besondere Relevanz zukommt,1205 will man das Stiftungsmotiv des Tucherbuchs im späten 16. Jahrhundert untersuchen. Zu zeigen ist, dass familiäre und städtische Identität engstens miteinander verknüpft werden. Gerade Stiftungen kamen in der vergangenheitsgeschichtlichen Perspektive des Tucherbuchs einer spezifischen Darstellungsabsicht entgegen, wie an den Beispielen der Stifter Hans I. Tucher (1368 – 1425), Sixtus I. Tucher (1459 – 1507) und Anton II. Tucher (1458 – 1524) zu zeigen ist. Spätmittelalterliche Stiftungen drücken in der historischen Darstellung die städtische Identität aus, die möglicherweise bereits Motiv der Stiftungswirklichkeiten gewesen war. Im Medium der historischen Darstellung wurden diese Absichten jedoch wenigstens aktualisiert, jedenfalls aber beansprucht und zur Repräsentation neu kontextualisiert. Die zu Hans Tucher (1368 – 1425) mitgeteilte Stiftung soll als Beispiel für patriotische Stadtbezogenheit dienen, als gleichermaßen religiöse und politische Handlung. Tucher testierte mehrfach, möglicherweise um seinen letzten Willen auf den neuesten Stand seines Vermögens oder der Empfänger zu bringen, oder auch, weil er seinen Willen geändert hatte. Tradiert ist nur der Abschluss dieser Entwicklung von 1423. In der letzten Fassung des Testaments legte Hans Tucher unter anderem fest, wie er zu bestatten sei. Er richtete aber auch eine jährliche Kleiderstiftung für einen einzelnen Nürnberger ein, der »Sechsthalb Eln« einfaches Kleidungsmaterial bis an sein Lebensende erhalten solle, nicht ohne damit ein ethisches Vermächtnis an diese Person zu hinterlassen, damit sie sich »alle Jar mitt einem Rock mehret vnd bessert«.1206 Die Kleiderstiftung erscheint im Tucherbuch im Kontext der Frömmigkeitspraxis, die einerseits als vorreformatorisch-zeitgebunden und damit überholt kommentiert wird: »Er war gottsfürchtig, ehret und liebet Gott und auch […] die verstorbenen Hailigen[,] fieng an irem Tag [Allerheiligen, C. K.] an 1410 Gott zu Ehrn einem armen Menschen sechsthalb Eln grobes Tuch zu einem Rock zu geben […]«, d. h. wohl, dass er erstmals an Allerheiligen 1410 zur Ehre Gottes mit der Kleiderausteilung begann, die er alljährlich bis zu seinem Tod beibehielt. Die Austeilung der Tuchstiftung des Sixtus Tucher fand ebenfalls am Abend vor Allerheiligen statt. Hans Tuchers bisherige Neigung zu Karten- und potentiellem Glücksspiel endete hiermit. Er begleitete die Prozession, mit der am 22. März 1424 die Reliquienschätze auf Anweisung Kaiser Sigmunds in die Stadt verbracht wurden. Anton Tucher, »der hernacher Losungherr ward«, nahm ebenfalls als 1205 Tucher hatte eine Hälfte seines Vermögens in die Tuchersche Familienstiftung, die andere Hälfte, wohl im Zeichen der Stiftungstätigkeit des Heiligen Laurentius, als Gotteslohn den Armen vermacht, vgl. Schleif, Donatio et Memoria, 175. 1206 Vgl. für folgende Zitate GTB, fol. 39v.

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Engel gekleidet an dieser Erinnerungshandlung teil, mithin in nächster Nähe des Symbols kaiserlichen Schutzes für die Stadt, des »Ehrerbiettung« erweisenden Rates sowie »der Gaistlichkait vnd aller Burgerschafft«. Dieser für die Identität der Reichsstadt konstitutive Akt ist im Vergleich mit der früheren Fassung der Tucherbuchs auf die Darstellung des Rats, der vor der »Gaistlichkait« eingereiht wird, und die Exklusivität der Feierlichkeit zugespitzt.1207 Die intensivierte Erinnerung an die Reichskleinodien, deren »Weisung« während der Handelsmessen zum Konflikt mit Frankfurt führte und deren imperiale politische Dimension die Reformation überdauerte,1208 belegt die Synthetisierungskraft familiärer Geschichtskulturen. Indem die Autoren des Tucherbuchs die vorreformatorische, Heilige verehrende Frömmigkeit ihres Ahnen kommentieren, projizieren sie die lutherische Gewissenstheologie in die Vorreformationszeit, wovon weder die Heiltumsverehrung noch weitere typisch vorreformatorische fromme Stiftungen betroffen sind. Hans Tucher stiftete der Sebaldkirche »vmb Gottes willen«, also für sein Seelenheil, eine große Geldsumme und besonders kostbares Material, grünen Samt für einen Talar sowie außerdem Gegenstände der Liturgie. Noch den Lesern im späten 16. Jahrhundert sei insbesondere das prachtvolle Gewebe dieser Schenkung vertraut, auch der Stifter sei noch immer identifizierbar durch sein am Talar angebrachtes Wappen und das seiner Frau, Anna Behaim. Die Kostbarkeit des Stoffes und die prominente Plazierung des Wappens erzeugten eine starke Verbindung zum Stifter. Denn vor dem Übergang des grünen Samts an St. Sebald sollte das später für den Gottesdienst bestimmte Material seine eigene Bahre während des Kondukts bedecken: 1423 schicket […] ein grün Samates stück welches Hundert vnd Viertzig Gulden gestundt vber die Pahr zudecken vnd zu einem Ornat zuuerbrauchen des zu S Sebaldt noch mitsampt dem Chormandel verhanden daran sein vnd seines Weibs Wappen. Mehr hundert Gulden sampt seinen Klaidern vmb Gottes willen Vnd hundert vnd fünfftzig Gulden vmb ein Reiche Allmuß Schüssel[.]1209

Die Stiftungen verweisen auf eine gesellschaftliche Spitzenstellung durch weithin und dauerhaft sichtbare Effekte, eine öffentliche Darstellung in einem allgemein zugänglichen Raum. Hans Tucher monopolisierte den Raum der Kirche, die wenige Jahrzehnte zuvor mit den Reliquien des Nürnberger Stadtheiligen 1207 Die frühere Fassung lautet: »feyret Iederman Inn der gannzen Stat« (Tucherbuch London, fol. 40v), dagegen heißt es im GTB »hielt mennigclichen in der gantzen Statt ein Fest vnd Feiertag« (GTB, fol 39v). 1208 Franz Machilek, Die Nürnberger Heiltumsweisungen, in: Klaus Arnold (Hg.), Wallfahrten in Nürnberg um 1500. Akten des interdisziplinären Symposiums vom 29. und 30. September 2000 im Caritas Pirckheimer-Haus in Nürnberg (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 17), Wiesbaden 2002, 9 – 52, 12, 45. 1209 GTB, fol. 39v, 40r.

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und Stadtpatrons Sebald ausgestattet worden war, bevor im Laufe des 15. Jahrhunderts Pläne zur Gestaltung eines Sebaldusgrabes zur Ausführung kamen. In der Nachbarschaft der 1397 in die Kirche transferierten Gebeine des schon seit dem Hochmittelalter in der Sebalduslegende verehrten Wunderheilers ordnete Hans Tucher sein eigener Kondukt an. Die Prachtversion der Tucherbuchs hebt durch den Zusatz, »daran sein vnd seines Weibs Wappen«, die Präsenz und die Geschlechtsbezogenheit hervor, eine Neugewichtung der, Zivilreligion zu nennenden, religionskulturellen Stiftungshandlungen. Tucher wird engstens mit Sebald in Zusammenhang gebracht, denn mit seinem abschließenden Testieren im Jahre 1423 fallen die im Tucherbuch unerwähnten Bemühungen des Nürnberger Rates zusammen, Sebalds Heiligsprechung zu erwirken. Als dies am 26. März 1425 endlich gelang, feierte Nürnberg dieses Ereignis mit einer achttägigen Prozession.1210 Sebalds legendäre Weihung einer Peterskirche an dieser Stelle hatte Wallfahrten angezogen, er behielt das durch die Heiligung aufgewertete patriotische Identifikationspotential sogar weit über die Reformation hinaus. Die Kontinuität der Verehrung Sebalds belegt die intensive Stiftungstätigkeit der Nürnberger Patrizier in der Sebalduskirche während des 14., 15. und 16. Jahrhunderts, die sich in der opulenten Innenausstattung niederschlug. Der Loeffelholzaltar, Werke des Veit Stoß, zahlreiche Fensterstiftungen, Glasmalerei, vor allem aber das Sebaldusgrab stammen aus dieser Zeit. Trotz der Konkurrenzsituation der agonalen Memoria war die Reglementierung von Stiftungen unüblich. Nach dem Kondukt des Hans Tucher führte der Rat jedoch eine Strafe für übermäßige Pracht bei Begräbnissen ein und belegte damit die Wirkung einer solchen Repräsentationsleistung, deren Verbotscharakter auch als Spiegel einer bestehenden Praxis gelesen werden kann.1211 Der Rat verbot »Guldentuch Sammat noch Seidengewandt vber die Leucht zu gebrauchen bey Fünfftzig Gulden Pueß«, eine fast schon ehrenrührige Reaktion des Rates, die im Tucherbuch in einem deutlich affirmativen Licht erscheint. Lediglich der späte Zeitpunkt der Sanktion erscheint ungewöhnlich, denn mit der Niederlegung des Testaments war das opulente Begräbnis in Nürnberg bekannt, zumal an der Erstellung des Testamentes als Zeugen nicht nur Familienmitglieder, sondern auch standesgleiche 1210 Findet sich in der früheren Fassung die Zeitangabe mit dem Singular von »Procession«, nennt die Prachtversion dieses Textes die Mehrzahl »Processen« (ebd., fol. 40r.). 1211 Der Probst von St. Lorenz, Lorenz Tucher, hinterließ beispielsweise ein Bahrtuch, das den Heiligen Laurentius in den Mittelpunk rückt, den Stifter dagegen zum Gebet kniend am Bildrand durch ein Wappen identifiziert zeigt. Die Reglementierungsüberlegungen des Rats sind dokumentiert, möglicherweise wurde Lorenz Tucher aber seine geistliche Position zugute gehalten. Nach seinen Stiftungen nimmt die politische Konnotation von pröbstlichem Engagement deutlich ab, vgl. Schleif, Donatio et Memoria, 175 – 178, Abb. 165.

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Patrizier und Inhaber städtischer Ämter beteiligt waren und Testamente »soziales Wissen« zu erkennen geben. Die Reglementierung scheint zur Erlangung städtischer Anerkennung geeignet gewesen zu sein, denn bruchlos wird ein Bericht über die prachtvolle, feierliche und von der ganzen Stadt acht Tage lang begangene Heiligsprechung Sebalds angefügt, die den Kult Sebalds zum 19. August ›im ganzen Erdkreis‹ anordnete.1212 In allen Nürnberger Kirchen seien damals, im Jahre 1425, Messen gesungen und Prozessionen durchgeführt worden, weil »Sanct Sebaldt desselben Jars mitt grossen Solenniteten erhaben Canonisirt […] welches sein Hochtzeitlich Fest vnd gemeiner Statt Patronat gerath hundert bestundten«. Das Tucherbuch ruft das 100-jährige Jubiläum dieses Festes 1525 wach, das zudem mit dem Jahrestag der Einführung der Reichskleinodien nach Nürnberg im Jahr 1424 gleichgesetzt wird, habe es sich doch »gleichergestalt auch mit dem Hayligthumb vnnd desselbigen weyssung zugetragen«,1213 orientierte der Bericht sich an Mustern und Geschichtsimagination.1214 Die Tucher am Beispiel des stiftenden Verwandten und Nürnberg im Spiegel der symbolisierten kaiserlichen Privilegien werden hier gegenseitig aufgewertet, die Stiftung fungiert als ein historiographisches Argument. Die frommen Stiftungen des Sixtus Tucher (1459 – 1507) umfassen unter anderem Zuwendungen für Altäre und einen Jahrestag. Diese werden jedoch nicht nur aufgeführt, sondern auch inhaltlich als dem Gemeinwohl dienend begründet. Als Probst von St. Lorenz unterstützte Sixtus Tucher die Versorgung der »Kirche mit Singen und Läeßen«, sowie das »Pfarvolck« der St. LorenzKirche mit den »hailigen Sacramenten« durch Stiftungen. Dazu verteilte er 36 Gulden Kostgeld sowie Zuwendungen an die Kirchendiener, um den Engpass von nur fünf Kaplänen auszugleichen; der heiligen Monica stiftete er einen Jahrestag, dazu weitere tägliche Gottesdienste und Frühmessen mit Orgelspiel, Glockengeläut und Messe in »Chorröcken vnd mitt Monstrantzen, wie ein ander hochfest täglich zu begehen«.1215 Der auf das Seelenheil bezogene, mithin vorreformatorische Teil der Stiftung wird in zeitgebundenen Kategorien dargestellt: Tucher habe sich um »kunfftige leben vnd seiner Seelen Seeligkait« kümmern wollen. Wird auf das Gemeinwohl Bezug genommen, erfolgt eine affirmative Hervorhebung, so in den einleitenden Worten: »Er war ein wolstandt Ehr vnd Zier, gemainer Statt vnd seiner 1212 Christoph von Imhoff, Magnet Sebald, in: Helmut Baier (Hg.), 600 Jahre Ostchor St. Sebald – Nürnberg 1379 – 1979, Neustadt a. d. Aisch 1979, 12 – 31, hier 26. 1213 GTB, fol. 40r. 1214 Zu Ereigniskonstitutionen in der stets von einer Gegenwart aus reflektierenden Erinnerung vgl. Johannes Fried, Erinnerung und Vergessen. Die Gegenwart stiftet die Einheit der Vergangenheit, in: Historische Zeitschrift 273 (2001), 561 – 593. 1215 GTB, fol. 56r.

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Freundschafft der Tucher[.]«1216 Offenbar schien es gegenüber Lesern des 16. Jahrhunderts notwendig, Stiftungen zu rechtfertigen. Die Sorge um das Seelenheil anderer mag bereits bei Sixtus Tucher als Beweggrund angelegt gewesen sein.1217 Diese Begründung wird jedoch von der historischen Darstellung aufgenommen und somit bestätigt. Damit vollzieht das Tucherbuch einen generellen Wandel der Nürnberger Stiftungspraxis seit 1450 nach, der das Gemeinwohl zum vornehmlichen Beweggrund von Stiftungen werden ließ und ›memoria‹ individueller Personen zugunsten von gemeinschaftlicher Erinnerung im Sinne von ›memoria memorata‹ ablöste.1218 Tuchers Stiftungen dienen somit als Beleg für die Identifikation des Geschlechts mit der Stadt. Denn erst 1477 hatte der Nürnberger Rat erreicht, dass die Pfarrkirchen zu Propsteien erhoben wurden.1219 Damit hatte die Reichsstadt kirchenpolitische Unabhängigkeit gewonnen, wie die Bulle von Papst Sixtus IV. von 1474 bestätigt, in der dem Rat das Recht, eine Pfarrstelle zu besetzen, zugestanden wurde. Dieser politische Erfolg ist in der Darstellung untermauert, stiftet Sixtus doch einen Betrag in der Höhe der Pfründe, die er von St. Lorenz erhalten hatte, ein Akt von symbolhafter Gegenseitigkeit. Ihre Stellung sei herausragend, habe doch »er [Sixtus] neben dem Abt Sa[n]ct Egidien [der letztinstanzlich über die Besetzung der Pfarrstellen entschied] vnd Herrn Eraßmo Toplern Doctorn vnd Probsten Sacti Sebaldi den vordersten Stand in der gantzen Statt«.1220 Auch der Rücktritt von der Würde des Probstes habe Tuchers »Gewissen« geplagt, weil unsicher geworden sei »mitt wem gemaine statt weitter versorgt werden möchte«. Eine konfessionelle Entwertung vorreformatorischer Stiftungen findet also auch hier nicht statt; vielmehr bleiben sie – ihrer salvatorischen Wirkung entkleidet – deutlich präsent. Insgesamt wird sogar ein zaghafter Protest gegen die Folgen der Reformation für die Stiftungen an eine längere Liste von Stiftungen, beispielsweise zu Ehren der Heiligen Monica sowie von Stiftungen für Zahlungen an die Kirchendiener und Pfarrherrn, angehängt: »Welche zwo Stifftung trewlich gehalten wurden biß auff Sontag den funfften Juny 1216 Ebd., fol. 57r. 1217 So heißt es bereits in anderer Überlieferung: »Sixt Tucher Doctor Pfarrer zu Sant Laurentzen […] gestift ein tegliche gesungen früemeß vnd deshalb auch darumb das souil desterpass die kirchen mit singen vnd lesen vnd das pfarrvolck mit den heilgn Sacramenten versehen werden einen«, Doctor Sixt Tuchers Stifftung der frümess vnd begencknuss Scta Monigka Ao 1504 Inn Sant Lorentzen Kirchen, StadtAN E 29/III Nr. 94. 1218 Martial Staub, Memoria im Dienst von Gemeinwohl und Öffentlichkeit. Stiftungspraxis und kultureller Wandel in Nürnberg um 1500, in: Otto Gerhard Oexle (Hg.), Memoria als Kultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 112), Göttingen 1995, 285 – 334, 286 f., 319. 1219 Schleif, Donatio et Memoria, 167. 1220 GTB, fol. 56r.

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1524. Daran wenig Personen/ vnbewust vnd vnbewilligt eines Erbarn Raths/ mercklich Kirchennewrung fürnamen[.]«1221 Indem beide Fassungen übereinstimmend diesen Vorwurf vorbringen, verteidigen sie die Stiftungen als einen familiären Besitzstand durch den Topos der ›novitas‹, ein stereotypes theologisches Argument.1222 Dagegen erscheinen in beiden Fassungen Stiftungen »Innsumma […] gedacht auff das kunfftige leben und seinern Seelen Seeligkait« deutlich affirmativ und auf das Geschlecht bezogen, nämlich »das allemal die Zween Eltisten Tucher [die Renth vnd Gült] einnemen/ vnd die zwo Eltisten Tucherin/ Järlich an Allerhailigen abend zwaintzig haußarmen Menschen […] [zur Bekleidung austeilen] vnd verpflichten Gott dem Allmechtigen vnd seiner Würdigsten Mutter Marien/ drey Rossenkrentz zubetten«.1223 Ähnlich der Augsburger Sozialstiftung Jakob Fuggers bestimmte Sixtus Tucher, dass eine bestimmte Zahl von Armen als Gegenleistung für die gewährte Unterstützung für das Seelenheil des Stifters beten sollten. Diese Haltung entsprach wohl der Tendenz von Stiftungen seit 1450, sich dem Gemeinwohl zu widmen,1224 daher konnte dieser Text ohne alle Modifikationen übernommen werden, gemeinsam mit dem »Epitaphium Doctoris Sixti Tucheri«, das mit der topischen ›vestigia sequi‹-Aufforderung, »Tucherus hic lector tibi sit Virtutis imago«,1225 endet. Anton Tuchers (1457 – 1524) Stiftung des »Englischen Grußes« von 1518 ist ein Beispiel dafür, wie sich die Nürnberger Zivilreligion im konfessionellen Spannungsfeld materialisierte. Die Reformation wurde in Nürnberg 1526 durch den Rat eingeführt, nachdem im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts die ›sodalitas staupitziana‹ reformorientierte Nürnberger versammelt hatte.1226 Neben Albrecht Dürer war auch Anton Tucher Teil dieses Kreises gewesen, hatte Kontakte zum sächsischen Kurfürsten gepflegt und dennoch einen Rosenkranz sowie einen Marienleuchter für den Chor der St. Lorenz-Kirche gestiftet, deren Wiedergabe im Tucherbuch die fromme Handlung affirmiert: Stifftet in die Kirchen bey S. Lorentzen vnd ließ machen einen Rossenkrantz vnd vbergulden Leuchter, so noch aldar im Chor hangen die Costen Fünffhundert drey vnd Neuntzig Guldin vnd acht Pfenning Anno 1518 vnd ward hernach solcher Rossenkrantz wegenn deß Osiandri Predigers daselbsten mitt einem fürhang vbertzogen vnd verhengt, wie solches noch am Tag zusehen[.]1227 1221 1222 1223 1224 1225 1226

Ebd. Pohlig, Konfessionelle Identitätsstiftung, 293. GTB, fol. 57v. So die Generalthese in Staub, Stiftungspraxis. GTB, fol. 57v. Dazu zusammenfassend Wolfgang Reinhard, Die Anfänge der Reformation in Nürnberg, in: Volker Kapp/Frank-Rutger Hausmann (Hg.), Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen (Erlanger romanistische Dokumente und Arbeiten 6), Tübingen 1991, 9 – 25. 1227 GTB, fol. 82v.

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Die Stiftung erfolgte in der Lorenzkirche, deren Patronatsrecht 1477 an den Nürnberger Rat übergegangen war, mit einer weiteren erheblichen Erweiterung im Jahr 1508.1228 Offenbar wurden Rosenkranz und Leuchter während der Reformation mit der Verhüllung eines Teils ihrer religiösen Bedeutung enthoben und funktional reduziert. Die tuchersche Familienstiftung wuchs zu dieser Zeit durch Zuwendungen an und betrieb die materielle Erhaltung von Stiftungen, vor allem diejenige Anton Tuchers, den durch Veit Stoß geschaffenen Engels- oder Englischen Gruß.1229 Der spezifisch städtische Identifikationswert auch einer frommen Stiftung zeigt sich hier, gerade weil die aktuelle konfessionelle Bewertungsgrundlage die ursprünglich zugrunde liegende Frömmigkeitspraxis negiert und einen Akt der Freigebigkeit im städtischen Raum freilegt. Dieser machte den Stifter Anton Tucher ähnlich präsent wie der in seinem Auftrag von Veit Stoß für das Nürnberger Rathaus 1522 geschnitzte Drachenleuchter.1230 Mit einem abschließenden Blick auf die zeitlich gestaffelten Beispiele lässt sich festhalten: Die Memoria im Tucherbuch führt das in Stiftungen materialisierte Andenken modifiziert fort. Als pragmatische Geschichtsschreibung griff es die soziale Praxis des Stiftens überformend auf. Daran zeigten sich die Mehrschichtigkeit familiärer Memoria und Stiftungswirklichkeiten. Stiftungen und die Erinnerung der Toten konnten einen Kristallisationspunkt für die Artikulation zeitgebundener Werte bilden, wurde das ererbte Vermächtnis sehr spezifisch Teil der Identität der Gegenwart und damit auch einer Zukunftserwartung.1231 Das Totengedenken in Form von Stiftungen kam somit nicht ausschließlich den Empfängern der Zuwendungen und dem Gedächtnis der Stifter zugute. Die Memoria beförderte vielmehr auf mehreren Ebenen des Erinnerns die familiäre Kontinuität. Durch den affirmativen Umgang mit dem eigentlich fremdgewordenen Vermächtnis von stiftungsbezogenen Zeugnissen von Frömmigkeit wird die familiäre Geschichte räumlich greifbar und als Ensemble von Erinnerungsorten konstruiert. Stiftungen verdeutlichen, in Kontinuität zur spätmittelalterlichen Familiengeschichtsschreibung,1232 familiäre und städtische Belange. Der für die vorstaatliche Epoche typische Amalgamcharakter von Religion und Politik bleibt erhalten,1233 fromme Motive erscheinen in der späteren historischen 1228 1229 1230 1231

Schleif, Donatio et Memoria, 152. Ebd., 167. Grote, Die Tucher, Abb. 36, der Entwurf durch Albrecht Dürer ebd., Abb. 35. Zur Verknüpfung von historischen Zukunftserwartungen, Gegenwartsanalysen und Vergangenheitsbildern vgl. Reinhart Koselleck, »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« – zwei historische Kategorien, in: Ders., Vergangene Zukunft, Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/Main 1979, 349 – 375. 1232 Monnet, Les Rohrbach de Francfort, 110. 1233 Das enge Wechselverhältnis von Religion und Politik, jedoch unter Ausschluss einer to-

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Darstellung ununterscheidbar von gruppen- und stadtbezogenem memorialem Handeln. Die Stiftungen wurden in der historischen Darstellung über die Reformation hinaus bis in die Phase der Konfessionalisierung des Luthertums belassen. Die geringfügigen, im Grunde aber auf inhaltliche Zuspitzung abzielenden Änderungen sind Indizien für eine bewusste Weitergabe des Vergangenheitswissens um die Vorfahren. Die seit Christoph Scheurls Collectaneenbänden nachweisbaren historiographischen Übertragungs- und Transferbemühungen stimmen mit ›baudenkmalsbezogenen‹ Katalogisierungs- und Konservierungsarbeiten überein, die der Bewahrung der materiellen Relikte von Stiftungen gegolten hatten. Die Repräsentationsaufgabe von Stiftungsdarstellungen deutet auf religiöse Rahmenbedingungen hin, die flexibel auf Legitimierungsbedürfnisse reagieren konnten, ohne die seit der Reformation veränderte Stiftungspraxis in die Vergangenheit zu projizieren. Insgesamt lässt sich von historiographischen Tendenzen im Zeitraum von 1380 bis um 1600 im Zeichen der Zivilreligion sprechen. Weitere Blicke ließen sich mit ähnlichen Ergebnissen richten auf die als historische »Abgötterey« bezeichneten, zugleich aber auch narrativ als Erinnerungsort konstituierten Heiltumsmessen, die ehrenvollen Tucher in geistlichen Ämtern (»Bapisten«) oder auch affirmative Darstellungen des katholischen Kaisers in der protestantischen Musterstadt. Diese Zivilreligion ließ sich durch hinzugesetzte Abbildungen und Paratexte zeitgemäß rekontextualisieren.

talen Sakralisierung nichtreligiöser Lebensbereiche, konstatierte Luhmann, Die Ausdifferenzierung der Religion, 259.

4. ›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs. Begriffsgeschichtliche Erschließung eines hybriden Konzepts

4.1

»Ir Generation vnd Glori wird nit verleschen«. Positiv bewertete Übertragungsphänomene in Scheurls Widmung von 1542

Die Familiengeschichtsschreibung des 15. und 16. Jahrhunderts besitzt wohl kaum noch eine so häufig erwähnte und doch bisher unbearbeitete Quelle wie die Prachtversion des Tucherbuchs. Von Interesse ist hier weniger die empirische Vervollständigung einer regional, ständisch oder gattungsmäßig eingegrenzten Wissenslandschaft, als vielmehr die im Tucherbuch vorgenommene Profilierung eines Grundbegriffs der Genealogie, nämlich des Begriffs ›Generation‹ in einem kontextspezifischen Sinne. Konstant tritt der Begriff in allen früheren Fassungen des Tucherbuchs auf, indem das Vorwort Christoph Scheurls von 1542 in den folgenden Fassungen beibehalten wurde.1234 Im Mittelpunkt steht die Entwicklung von ›Generation‹ als einem in wechselnder Weise eingesetzten genealogischen Gliederungsbegriff zu einer familiengeschichtlich und geschichtstheologisch durchreflektierten genealogischen Bewertungskategorie. Das Tucherbuch erscheint hinsichtlich seiner Ausführlichkeit, seiner Reflektiertheit und des mit der Ausführung seinerzeit verbundenen Aufwands als das Produkt einer Phase grundlegender Neuorientierung der städtischen Eliten im Spiegel der hier vorrangig behandelten Tucher. Die Bezugsgrößen und Darstellungsmittel von Identität veränderten sich, waren nicht mehr selbstverständlich, mussten auch eigens erklärt und legitimiert werden. Hierin liegt die heuristische Chance, den sonst häufig unausgesprochen mitkommunizierten epistemischen Grundlagen von Genealogie auf die Spur zu kommen. Muß das zu einer Zeit Sagbare begründet werden, so treten die Konnotationen und Interpretamente hervor, die für den Historiker sonst nur schwer erschließbar sind. 1234 Dagegen lässt die Pfinzingbibel trotz großer Anleihen bei den genealogischen Arbeiten Scheurls den Hinweis auf seine Arbeiten scheinbar ganz weg.

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

Der Generationsdiskurs wird zentral und konzise in der Vorrede Scheurls von 1542, »Herren Doctor Christoff Scheürl Schreiben vnd Eingang deß Tucherbuechs«, behandelt.1235 Scheurl verwendet darin das Wort »Generation« in einem Zitat aus dem biblischen Buch Jesus Sirach. Der Bibeltext thematisiert das Andauern der »Generation und Glori« der Eltern von Kindern, deren Eigenschaften katalogartig dargestellt wurden.1236 Der Generationsdiskurs wird in einer Zitatenreihung ausgedrückt, die die erklärten »vrsachen vnd bewegnus« Scheurls, die Geschichte Tucher geschrieben zu haben, bilden. Der Abschnitt markiert diese Zitate zwar als Zitate, synthetisiert und integriert das Material jedoch in einen neuen Sinnzusammenhang: Matthei. 24. der Gerecht würdt Plüen wie ein Palm vnd wie ein Ceder im Packoffen gemanigualtigt. Darumb stehet geschrieben/ Syrach. 44. Wir sollen Redliche Menner loben/ vnd vnsere Eltern in Ihrer geburt/ vnd das weitter die Gütter bleiben bey Irem Samen/ das ist ein hailige Erbschafft/ Ihre Enigklein vnd deren Samen stehet in Ihren Geschefften/ vnd Ihr Kinder werden von Irentwegen allemal bleiben/ Ir Generation vnd Glori wird nit verleschen/ Ir Leib sein im fridt begraben/ aber ire Namen werden Ewig leben Genesis.22. Ich wirdt dich segnen/ vnd deinen Samen manigkualtigen wie die Stern deß Himels/ vnd wie den Sandt am gestatt deß Meers/ dein Samen wirdt besitzen die Porten irer feindt. Deut: 4. Bewar die gebott vnd beuelch die Ich dir gebeutt/ darmit dir vnd darnach deinen Kindern wol sey/ vnd das du lange Zeit auff Erden verharrest. So spricht Dauid Psalmo. 37. Ich bin Jünger gewessen vnd Elter worden/ vnd haben keinen Gerechten nie verlassen gesehen noch seinen Samen nach Brodt gehen [sc. betteln gehen]. Deutronom.28. Gott würdt die mannigkualtigen alle Gütter/ die frucht deines Leibs/ vnd die Frücht deiner Thier vnd Pruerb: 17. Ein Cron der Alten/ sein ire Kindts Kinder/ vnd ein Glori der Sone sein ihre Vätter Dann die Benedeiung Gottes ist gleicherweis wie Wasser auß einem Fluß. Eccles: 39. Also ist es auch gewiß das vnrecht Guth nit bel[o]hnet noch erbet/ wie Eccles: cap: 40. Die Reichtumb der Schalckhafften werden auß dorren wie ein Fluß[.]1237

Liest man zunächst die Zitatliste auf der inhaltlichen Ebene, so ist die Familie der systematische Gegenstand; während das Bild von der »Zeder im Packoffen« wohl eher der Übersetzung oder Überarbeitung zuzuschreiben ist, besitzen zentrale Stellen über die historische Sprachstufe hinweg Zitatcharakter, so etwa »Ihre Nachkommen haben für immer Bestand,/ ihr Ruhm wird niemals ausgelöscht« (Sir. 44,13).1238 1235 Die frühere Manuskriptfassung ist – bis auf orthografische Einzelheiten ohne erkennbare inhaltliche Relevanz – unverändert, den gleichen Text mit der erklärten Datierung 1542 (Tucherbuch London). Dieser war in der ersten Fassung enthalten (Tucherbuch Rom). 1236 GTB, fol. 23r. 1237 Ebd. 1238 Da die Vorlage für diese Reihung zitatähnlicher Textstellen unbekannt ist, Scheurl jedoch nur ein gemäßigter Befürworter der Reformation war, wäre eine genauere Ermittlung des Verarbeitungsgrades auch nicht möglich. Behandelt man den Text als Handlungseinheit,

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Ein erster Blick richtet sich auf die natürliche Prokreativität, die in Beziehung zum normkonformen Verhalten des »Gerecht[en]« gesetzt wird. Das Fortbestehen eines Geschlechts erscheint als Folge der Treue zu Gott. Gott belohnt den Gerechten, ohne natürlich dass dadurch Werkgerechtigkeit herrschen würde, indem er seinen »Samen« grenzenlos »manikualtigen« und seinen materiellen Reichtum und Erfolg gegen die »feindt« verteidigen wird. Dieses letztlich agonale Element beruht aber auf einer Übertragung der segensvollen ethischen Regeln, »gebott vnd beuelch die Ich dir gebeutt/ darmit dir vnd darnach deinen Kindern wol sey«. Das Leben des Einzelnen und seiner Nachkommen ist immer gefährdet und bedarf daher der Frömmigkeit und Gerechtigkeit, nur so würden sie von Verarmung, »nach Brodt gehen« zu müssen, verschont. Der familiäre Fortbestand, im umfassenden Sinne von Prokreation, Gerechtigkeit und gelingender Erziehung, wird den »Schalckhaften« verwehrt bleiben. Die Ehre (»Glori«), die Söhne den Vätern machen und die von den zu lobenden »Redliche[n] Menner[n]« auf die Nachkommen übergehen soll, ist eine durch die Erinnerung gestiftete, in der Gegenwart wirksame und die Zukunft bestimmende kulturelle Imagination, mithin »ein hailige Erbschafft«. Im genealogischen Bezugsrahmen sind vetustas und dignitas stark reflektierte Begriffe, die hier – zunächst ohne Bezug auf ihre Materialisierung – in der geschichtsphilosophischen Kontextualisierung dargestellt werden sollen. »Gloria« war ein zentral auf Perpetuierung hin reflektiertes Konzept, wie die 1529 erschienene Schrift des Juristen Barthºlmy de Chasseneuz, »Catalogus Gloriae Mundi«, verdeutlicht. Angelegt als eine allumfassende Darstellung der Verteilung von Ehre, Status und »Gloria« in der Welt, finden sich im »Catalogus« zwischen theologischen Ausführungen zur Rangordnung der Engel, zur Verehrungswürdigkeit des Gottesthrons und zur Rangfolge von immateriellen Gegenständen und Städten auch Ausführungen zum Konzept der gesellschaftlichen »Gloria«. Wie bei den Abschnitten zu den Engeln oder den Heiligen (»Deus dat gloriam sanctis in gloria«), wird die »nobilitas« zunächst als »excellentia alicuius« definiert und als in Grenzen erstrebenswert diskutiert, »istud bonum honoris & gloriae multum appetitur«.1239 so verkürzt man ein historisches Verständnis freilich um einen Teil des Kontextwissens der historischen Leser, das jedoch durch die um ca. 50 Jahre zeitversetzte Einfügung der Widmung ebenfalls verloren war. So wird man dem Verständnis dieses Textes wohl am ehesten durch eine gegenstandsbezogene Lektüre gerecht. Historischer Buchbesitz kann lediglich im Hinblick auf positive Hinweise auf tatsächlichen Buchgebrauch in Inventarien untersucht werden, vgl. Bettina Wagner, Nürnberger Büchersammler um 1500. Inkunabeln aus dem Besitz von Christoph Scheurl und einigen seiner Zeitgenossen in Oxforder Bibliotheken, in: MVGN 82 (1995), 69 – 87. 1239 Barth¤lemy de Chasseneuz, Catalogus Gloriae Mundi (zuerst 1529), Frankfurt: Feyerabend 1579 [VD16–C2074], HAB 41 Quod. 28, fol. 1r. Vgl. zum Autor Roman D’Amat,

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

Ein eigener Abschnitt widmet sich in dem in einer späteren Ausgabe graphisch wiedergegebenen Hierarchieschema von Jost Amman der familiären Weitergabe von ›Gloria‹, nämlich im Abschnitt 24 des VIII. Teils: »Nobilitas transit in filios in infinitum.«1240 Im Titel thesenhaft festgeschrieben, differenziert die Erläuterung dann auch Bedingungen für die erfolgreiche Weitergabe: »Nobilitas etiam causatur in filios nepotes, & descendentos in infinitum, quando causa nobilitatis existens in parentibus transit in eos […] nobilitas ciuilis durat & continuatur vsque ad nepotes inclusiue, nec vltra eos extenditur.«1241 Die Grundlage für den gesellschaftlichen, adeligen Ehrstatus ist die Übertragung ihrer Voraussetzungen an die folgenden Generationen. Prinzipiell ist dieser Status ewig möglich, »[v]sque in infinitum nobilis erit ille«. Die Voraussetzungen werden nur relativ summarisch als »consuetudo multum attenda est« benannt, aber auch die Herkunft und die geschichtliche Erinnerung bedingen den Adel als »nobilita[s] transitoria ad successores«: »Cum inter nobiles originis, & inter eos, qui per tantum temporis, cuius initij memoria non extat in contrarium, tales fuerunt reputati«.1242 Die Adelsqualität ist also eine Zuschreibung, die auf Grundlage von historischem Wissen und – »virtutem [debet sequi] honor« – von Tugend erfolgt, im Zusammenspiel von Gott und Gesellschaft: »testimoniu[m] suae excellenti[ae] quaerunt: & hoc est aut coram Deo, aut coram hominibus«.1243 Dennoch ist das Ehrkonzept eine essentialistisch gedachte Eigenschaft, die vom bloßen Lob und von der Verehrung, »a laude & reuerentia«, unterschieden wird.1244 Im historischen Begriff ›Generation‹ sind diese verschiedenen Dimensionen aufgehoben, die prokreative Grundkomponente ist ohne die religiöse, soziale und geschichtskulturelle, ja -politische Dimension nicht denkbar. Gottesverehrung, ethisches Verhalten, vererbende Weitergabe und familiäre Gemeinschaft werden hier als Einheit dargestellt. »Generation und Glori« sind im Scheurlschen Sprachgebrauch familiengeschichtliche Erfolgskategorien. Diese qualitative Bestimmung von »Generation« ist in die quantitative Bestimmung der genealogischen Kategorie »Generationes« im Tucherbuch letzter Fassung eingegangen. Der Titel des genealogischen Registers und daher auch aller »Generationes«, das »Register aller Generation [sic!]«, markiert die semantische Übereinstimmung.1245 Die 1590 entstandene »Vorred« des Tucherbuchs ist nach den semantischen

1240 1241 1242 1243 1244 1245

Chasseneuz, Barthºlemy de, in: M. Prevost/Roman d’Amat (Hg.), Dictionnaire de Biographie FranÅaise, Bd. 8, Paris 1959, 714 f. HAB 41 Quod. 28, fol. 196v. Ebd. Ebd. Ebd., fol. 1r, 196v. Ebd., fol. 1v. Vgl. 3.2.1.

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Bestandteilen des Begriffs ›Generation‹ gliederbar. Die folgende, auf die historische Semantik gerichtete Untersuchung, ist dementsprechend strukturiert und gibt in den Abschnitten 4.2, 4.3 und 4.4 die Elemente des Generationsdiskurses wieder, wie sie sukzessive im Text der »Vorred« auftreten. Die Aufnahme der Scheurlschen Vorrede in die detailliert geplante und gestaltete Prachtversion des Tucherbuchs akzentuiert die Zentralstellung von ›Generation‹ darin, die – nach einlässlicher Interpretation von Scheurls Wortgebrauch – in ein Verhältnis zur programmatisch gesteigerten Wortverwendung im Kontext des Tucherbuchs gesetzt werden soll. Scheurls Integrations- und Aufstiegsabsichten richten sich 1542 auf das Patriziat, in das seine Familie eingeheiratet hatte. Scheurls Mutter war eine Tucher, was Christof den Zugang zu verschiedenen Karrierestationen eröffnete, die dieser auch ausdrücklich aufführt; die Wirkmächtigkeit eines familiären Beziehungsnetzwerkes darzustellen, war Scheurl in diesem Genre in einem stärkeren Maße opportun erschienen als etwa allein seine eigenen Verdienste zu skizzieren. Es erscheint wahrscheinlich, dass das gesamte historiographische Schaffen Scheurls, sowohl in Familiengeschichten als vermutlich auch in den im Grunde noch unbekannten Collectaneenbänden, auf die Darstellung seiner Tucherverwandtschaft wie auf einen Fluchtpunkt zulief, um geradezu eine Klientelbeziehung herzustellen.1246 Indem sich Scheurl auch durch die Widmung in die Tuchersche Familiengeschichte einschreibt, wertet er seine eigene soziale Position auf, eine Intention, die ähnlich programmatisch seiner üppig ausgerichteten und nachträglich beschriebenen Hochzeit zu Grunde gelegen haben mag.1247 Zum Ausweis seiner Ebenbürtigkeit mit Gästen aus dem Patriziat hat Scheurl seine Hochzeit im Pfinzing-Löffelholzschen Geschlechterbuch ›zu Protokoll‹ gegeben. Zwar gehörte er durch die Heirat seiner Mutter zur ›Freundschaft‹, d. h. zur Verwandtschaft der Tucher, wodurch sich ihm das Privileg der Anwesenheit in patrizi1246 Darauf weist die Akzentuierung insbesondere von Herdegen Tucher (†1462) hin, dem Urgroßvater Scheurls. Tuchers Tochter Helena (1462 – 1516) hatte Scheurls Vater geheiratet und somit die Nähe zum Patriziat hergestellt. Zu vermuten ist, dass die Collectaneenbände eine Materialsammlung waren, um die Verwandtschaft zu dokumentieren. Dafür wäre jedoch vor allem ein Katalog der Inhaltsverzeichnisse nötig, der aber nur für einen Band vorliegt, vgl. den Anhang in Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten, 529 – 542. 1247 »Mein Doctor Christoffen Scheurls vnd Junckfrawen Katherina Fütrerin hochzeit. Als Herr Anthonj Tucher, Obrister losunger durch herrn Caspar Nützeln den elternn, mit Ulrichen Fütrer, mich mit seiner tochter Junckfrawen Katherina mit nemlichen gedingenn zuuerheiraten abgeredt hat, demnach ist solche abred im namen der heiligen Dreiueltigkeit beschlossenn, auf dem Rothaus, Sunnabent den sechsten Augusti, siben stund auf den tag, Anno 1519, vnd sein bey solchen beschlus auf meiner seyten gewesenn […]«, Eugen Freiherr Löffelholz von Kolberg, Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharine Fütterin am 29. August 1519, in: MVGN 3 (1881), 155 – 168, hier 155 f.

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scher Soziabilität eröffnete, ihm aber dennoch eine patrizische Position in der Reichsstadt nicht zukam.1248 Das Geschlechterbuch stellt jedoch die sozialen Perspektiven der Tucher in den Mittelpunkt, die sich von neureichen Kaufmannsfamilien bedroht sahen, die in ähnlicher Weise aber vom Adel wahrgenommen wurden. Hatte Scheurl zuvor die Verdienste der Tucher als Gründe hervorgehoben, sie zu loben, so instrumentalisiert er nun die Widmung, um sich in den höheren Stand einzuschreiben: Darümb Ich nicht vnzeittig ein gutter Tucher bin/ solches mit meiner langwürigen arbeit erzeugen vnd kunth machen soll/ dienstlichs freündtlichs vleis bittent/ Ihr meine Herrn Oehaimen/ wöllet diß mein fürhaben Zu kainem missfallen von mir annemen/ sonder mein im besten darbey gedencken/ vnd dannoch dahin schliessen/ zugleichenweiß vnsere vorfordern alle abgestorben sein/ Also müssen wir Inen auch alle nachuolgen/ darumb wir nit vnzeittlich vnser Leben darnach richten sollen[.]

Die Setzung, Scheurl sei »ein gutter Tucher« und die Rede von »vnsere[n] vorfordern« flicht der Autor in eine Rechtfertigung ein. Diese Zugehörigkeit habe er sich erworben, so dass er nicht zu früh, »vnzeittig«, ein Tucher geworden sei. Scheurl konstatiert einen vollzogenen sozialen Aufstieg also zunächst, um ihn dann durch seine Verdienste zu begründen. Die Familiengeschichte ist zunächst das Produkt von »langwürige[r] arbeit«, die im 16. Jahrhundert durchgehend ein mit moralischen Ansprüchen durchsetztes Konzept war,1249 das er in der Widmung »kunth mach[t]«. Die Endlichkeit des Lebens gebietet zwar allen Menschen, der jeweils »vnsere[n] vorfordern« zu gedenken; im Medium des Vergänglichkeitstopos’ beansprucht Scheurl aber implizit die gleichwertige Verwandtschaftsbeziehung mit den Tucher, eine Position, die die ca. 50 Jahre später entstandene »Vorred« distanzierend beantwortet.1250 Waren die Tucher durch »Generation vnd Glori« in ihrer besonders langen Geschichte ausgezeichnet, so beansprucht Scheurl hier nichts weniger als auch selbst Teil der in der Gegenwart so wertvollen Vergangenheit der Tucher zu sein und ihrem Stand als »ein Tucher« anzugehören unter dem Schutz Gottes, der »mit vns allen« sei. Vor dem Hintergrund des Handlungscharakters von Vorreden und Widmungen, die dedikativ hervorgehobenen ethischen Qualitäten des Empfängers auch 1248 Zum Verhältnis von sozialer Gruppe und Geschichtsschreibung vgl. neben den bereits angeführten Angaben zu Scheurl die Angaben in Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, passim. 1249 Zum historischen Arbeitsbegriff und seiner komplexen Semantik vgl. die Ausführungen von Christof Jeggle, »Arbeit« als Norm – Normierung durch »Arbeit«: Historische Perspektiven, in: Angelika Klampfl/Margareth Lanzinger (Hg.), Normativität und soziale Praxis. Gesellschaftspolitische und historische Beiträge, Wien 2006, 51 – 69. 1250 Vgl. 4.3.2.

Positive Übertragungsphänomene in Scheurls Widmung von 1542

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einzufordern,1251 erkennt man: Direkter hätte eine pragmatische Textsorte wie die Widmung ihren Anspruch auf Ebenbürtigkeit kaum auszudrücken vermocht. Indem Scheurl die »Generation« der Tucher lobt, wertet er auch seine eigene Vergangenheit mit auf. Der adhortative Gebrauch von ›Generation‹ als erwünschter Qualität familiären Weiterlebens ist eine erklärungsbedürftige historische Sprachverwendung. Das Wort »Generation« tritt in einem Bibelzitat auf und ist möglicherweise aus einer zeitgenössischen Bibelübersetzung übernommen worden. Aber auch als eigene Sprachkomposition für den »Eingang« Scheurls von 1542 wird die Verwendungsweise, vor allem an einer exponierten Stelle wie der Widmung, kaum für beliebig gehalten werden dürfen. In einer damals üblichen Lesart biblischer Texte argumentiert Scheurl mit mehreren Zitaten von Bibelstellen, wenn es ihm um die Beweggründe seines Schreibens geht, die in eine Selbstthematisierung des Autors einmünden: [Dies sind] zum theil meine vrsachen vnd bewegnus/ warumb Ich was von meiner lieben Muttern Vatter Herdegen Tucher/ beederseeliger gedechtnus/ in hundert Jaren/ biß in die Fünnffte Generation abgestiegen vnd geboren ist/ vnd dartzu meine Ohaimen die Pfintzing/ Zingel/ Füterer/ Löffelholtz/ Scheurl/ vnd andere mehr vleissig zusammen zubringen[.]1252

Scheurls familiengeschichtliche Arbeit für seine Eltern habe bis zur fünften »Generation« – im heutigen Sinn von Großeltern-, Eltern- und Kindergeneration – zurückgegriffen, während der als Begründung herangezogene Gebrauch des Wortes »Generation« davon abweicht. Die Erinnerungsdimension, die Scheurls historiographische Anstrengungen motiviert habe, sei »Generation und Glori« gewesen, die die »hailige Erbschafft« bei dem ihm zugehörigen Stamm belassen solle. Wie die Rede von ›Erbschaft‹ und ›Erben‹ signalisiert, handelt es sich um eine Situation zwischen Erinnerung und Zukunftserwartung, Ursprung und Fortgang. Die Erinnerung an die Menschen der Vergangenheit kann die Zukunft ihrer Nachkommen bestimmen, so dass die Herkunft des Einzelnen ihn erst zu dem macht, was er in seiner Gegenwart ist. Damit sind Fragen nach der Herkunft des Menschen insgesamt aufgeworfen, eine Lesart, die von der »Vorred« auch 1251 Vorreden und Widmungen werden in der neueren Forschung nicht gattungsmäßig getrennt, sondern lassen sich nach ihren werbenden, Werk und Autor legitimierenden, erklärenden oder inhaltlichen Funktionen differenzieren. Das »Widmungswesen« zeitigte vor allem eigennützigen Zielen dienende Bitten um Unterstützung, wobei die neuere Forschung schwerpunktmäßig auf gedruckte Werke abzielt, vgl. Bärbel Schwitzgebel, Noch nicht genug der Vorrede. Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 28), Tübingen 1996, 3 – 8, hier vor allem 8. 1252 GTB, fol. 23r.

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eigens in einer anthropologischen Deutung des achten Psalms thematisiert wird: »Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst,/ das Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott,/ hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. […] Herr, vnser Herrscher,/ wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde« (Ps. 8,5,6,10). Die »Vorred« verherrlicht die Menschen so sehr über die Engel hinaus, dass die Bewertung des Menschen im Psalm als die Stellung Christi lesbar sei: [D]er achte Psalm/ der die Menschen gegen den Engeln helt/ vnnd mitteinander vergleichen will/ den [i.e. achten Psalm] doch ettliche allein auff Christum/ wollen gedeuttet vnd getzogen haben/ welcher Christus/ doch allein der Gaistliche/ vnd nicht der Historische/ vnd der Erste/ vnd des Buchstaben/ verstandt ist[.]1253

Der mehrfache Schriftsinn wird hier abgelehnt und die Inanspruchnahme des biblischen Textes in einem direkten Sinne hervorgehoben.1254 Wenn diese Erklärung auch nicht dem Vorwort entstammt, so scheint sie auch für die zahl- und umfangreich zitierten Bibelstellen einen heuristischen Schlüssel bereitzustellen, fehlen doch ausdrückliche Bekundungen, warum die Zitate angeführt worden seien, fast ganz; grundlegend scheint, wie über das genannte Beispiel hinaus zu zeigen ist, die von Augustinus herstammende Unterscheidung zwischen »verbum« und »signum«, Wort und Zeichen, ›Wortsinn‹ und ›übertragenem Sinn‹. Schöpfungsgeschichte kann so als Verweis auf die »Generation« der Familie behandelt werden. Scheurl hatte für mehrere Nürnberger Familien deren Geschichte geschrieben, darunter für die schon sehr lange in Nürnberg ansässige Familie Pfinzing, aber bezeichnenderweise auch für die eigene, erst relativ neu im 15. Jahrhundert in Nürnberg nachzuweisende Familie der Scheurl. Trotz der Verschiedenheit der Darstellungsgegenstände begründet der Autor die Entstehung all dieser so ungleichen Bücher in einer gemeinsamen Einlassung. Er sei, so Scheurl selbst, von einer Überzeugung getragen gewesen, die sich aus der Situation der Familien in der Reichsstadt insgesamt ergeben habe: Vil Erbarer Geschlecht dieser Kay[serlichen] Statt haben allerlej Buchlein Ihre Gefreundten/ derselben Geburt/ heyrat/ sterben vnd begrebnus inhaltent/ Fürnemblich aber/ welcher gestalt dieselben auffkommen vnd widerumb abkommen vnd Zum theil gentzlich abgestorben sein/ Wie Ich dann obhundert Erbarer wolbekanter geschlecht wüste zunennen/ die Gemaine Statt Regirt haben Inn Ehr vnd Guth gesessen vnd entlich verstorben sein. Dann Ihr Guth lang leben vnd alle diese zeittliche ding stehen

1253 Ebd., fol. 3v. 1254 Zur komplexen theologischen Hermeneutik des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit vgl. Max Wehrli, Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung, Stuttgart 1984, 236 – 270.

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allein in vnsers Herrn Gottes Handen vnd gewalt wie der 3 Psalm sagt: Gott demütiget vnd Erhöhet er macht Arm vnd Reich[.]1255

Scheurl schildert die Geschichtskultur der städtischen Eliten Nürnbergs so, dass das Tucherbuch sich nicht lediglich in eine Reihe mit anderen, früher entstandenen Familiengeschichten ein- und somit unterordnet. Viele ehrbare Geschlechter der angesehenen Stadt hätten eine Familiengeschichte gemäß den als Gattungstopoi »Geburt/ heyrat/ sterben vnd begrebnus« der Verwandten erstellt, führt Scheurl wertend aus. Das Schreibprogramm enthält neben dem individuellen Statuswechsel beim Tod auch Bemerkungen über das ›kollektive Aussterben‹ der Familien. Damit scheint er weniger ein biblisch motiviertes ›vanitas‹-Motiv anzubringen; gemeint ist vor allem, dass die »erbare[n] Geschlechter« im Medium ihrer eigenen Geschichtsschreibung eingestehen mussten, »welcher gestalt dieselben auffkommen vnd widerumb abkommen vnd Zum theil gentzlich abgestorben sein«. Den jeweils letzten Generationen war offenbar nur geblieben, das Scheitern der eigenen Familie dokumentarisch festzuhalten. Das ist das Gegenteil von Scheurls Zielen als Historiker, er polarisiert zwei verschiedene Typen von Geschichtskultur in dem als »Kay[serliche] Statt« charakterisierten Raum. Die Tucher werden aufgewertet, indem sie von einer anonym gehaltenen, summarisch geschilderten Gattung von Familien und Familiengeschichten abgegrenzt werden. Man soll erkennen: Das von Scheurl 1542 abgeschlossene Tucherbuch befindet sich auf einem Achtungsmarkt familiärer Vergangenheiten, die sich mit agonalen Absichten gegenseitig nachahmen und einander zu übertreffen suchen. Scheurl vermittelt den Eindruck, Familiengeschichtsschreibung sei bisher ein zum Ritual erstarrter regionaler Habitus gewesen, der sich demzufolge mit kurzen Worten klassifizieren und bewerten lasse. Betraf dieser Vorwurf noch besonders die zahlreicheren Ehrbaren, die also nicht zum Patriziat gehörten und somit nicht im engeren Sinne an der Regierung Nürnbergs beteiligt gewesen waren, so verallgemeinert Scheurl seine Unterscheidung, indem er sie sozial höher ansetzt bei den amtsfähigen Patriziern. Scheurl wertet auch seine eigene soziale Position als Historiograph auf, indem er die Zahl der ihm bekannten ausgestorbenen Geschlechter unspezifisch hoch, als »obhundert«, ansetzt. Ob ihm diese Geschlechter nun aus ihren Familiengeschichten oder aus anderen Quellen bekannt sind, lässt er offen, konstatiert jedoch, sie hätten »Ehr vnd Guth« besessen und in ihrer herausgehobenen Position »die Gemaine Statt Regirt vnd [seien] entlich verstorben«. Scheurl dekliniert soziale Distinktionskriterien in verkürzender Weise durch, wobei seine abgrenzenden Absichten hervorstechen: Herkunft, gegebenenfalls daraus resultierende Macht, Reichtum 1255 GTB, fol. 23r.

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und Ehre als rechtlicher Status werden vorgestellt. Zwischen der so charakterisierten Menge an Familien der städtischen Elite Nürnbergs und derjenigen der Tucher eröffnet sich dem Leser zunächst keine rhetorische Antithese, da sie sich in die schicksalsartige Bestimmung der familiären Existenz durch Gott integriert: »Dann Ihr Guth lang leben vnd alle diese zeittliche ding stehen allein in vnsers Herrn Gottes Handen vnd gewalt wie der 3 Psalm sagt: Gott demütiget vnd Erhöhet er macht Arm vnd Reich«.1256 Dies ist eine Negativfolie, vor der die Erfolgskategorie »Generation und Glori« aufleuchten soll. Die unkommentiert bleibenden Bibelzitate können geradezu als Teil dieser Argumentation gelesen werden. Die herangezogenen Psalmen rufen eine alttestamentarisch anmutende Interpretation des Absterbens einer Familie als Ausweis von Gottes Wirksamkeit in der Welt auf, die an die Befolgung der Gebote gebunden sei: »Psalm 2. und 3. Selig ist der Mann so den Herren fürchtet in seinen Gebotten/ sein Samen würdt mechtig sein auff dem Erdtrich/ die Geburt der frommen würdt gesegnet«.1257 Das Wort »Geburt« bedeutet hier die Nachkommen der Frommen, im Grunde die »Generation« der Frommen und hat somit auch eine positive ethische Bedeutung. Die Segnung der Frommen wird durch ihre Geschichte nachgewiesen; der Historiograph macht die Gnade Gottes sichtbar, Geschichte ist der Offenbarungsraum der Schöpfung Gottes. Ausgestorbene Familien mögen in der Vergangenheit ausgestorben sein nach einer langen Reihe von Vorfahren. In der ›Zeitheimat‹ Scheurls bleiben sie ohne den Aufweis von »Generation und Glori«. Scheurls beansprucht mit seiner dedikatorischen Würdigung der Tucher nicht nur, den Wechsel eines blinden Schicksals darzustellen, sondern möglicherweise auch, sie von anderen Familien abzugrenzen. An keiner Stelle mildert Scheurl die Ambivalenz, dass ausgestorbene Familien zwar von Gott gestraft, die tugendreichen Tucher aber von Gott gesegnet worden seien. Der in »Generation und Glori« ausgedrückte Generationsdiskurs ist eine hybride religiös-biblische, Jung-Alt-Beziehungen übergreifende und auf Vermittlung und Vererbung von Ehre abzielende Konstruktion, die sich in einer Sprache ausdrückt, die Nuancen von christlichen Normen, Wechsel von Familiengenerationen, erinnerter Ehre, verpflichtendem Vermächtnis, Schöpfung und prokreativer Zeugung in eine ununterbrochene Reihe setzen kann, weil diese miteinander verschmolzen sind. Diese konzertiert abgerufene Polysemie des Begriffs »Generation« und sein Ausdruck in verschiedenen sprachlichen 1256 Ebd. 1257 Es handelt sich um eine Synthese der folgenden Passagen: »Wohl allen, die ihm [dem Herrn, C. K.] vertrauen« (Ps. 2,12) sowie Davids Gesang in Feindesnot »Beim Herrn findet man Hilfe./ Auf dein Volk komme dein Segen.« (Ps. 3,9). Mag sich Scheurl auch auf eine die Inhalte grundlegend anders gewichtende Übersetzung gestützt haben, so wird doch die Tendenz bei der Auswahl dieser Passagen, zumal auch in synthetisierter Form, deutlich.

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Ausdrücken des Wortfeldes ›Erbe‹ und ›Übergang‹ verdeutlichen, mit welchen Schwierigkeiten die Erschließung einer historischen Semantik verbunden ist.1258 Wörter besitzen grundsätzliche mehrere oft nicht streng voneinander getrennte Bedeutungen, die von Fall zu Fall mehr oder weniger zutreffen mögen oder in Konnotationen kontextgemäß mitschwingen. Das Lemma »Generation« wird im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch zu einseitig von der lateinischen Wortbedeutung von »generatio« als prokreativer Vorgang dominiert.1259 Im Korpus des Frühneuhochdeutschen Wörterbuchs dominierte der Bereich von Zeugung, so dass die anderen Bedeutungsebenen kaum durchscheinen. »Generation« ist daher durch einen Zugriff auf größere Sinneinheiten – als etwa einzelne Sätze – zu erschließen. Die ältere Begriffsgeschichte hat bereits auf die methodische Notwendigkeit hingewiesen, in einem arbeitsökonomisch vertretbaren Rahmen auch ganze Absätze, Texte usw. heranzuziehen.1260 Im Vergleich zum Frühneuhochdeutschen Wörterbuch ist der Zugriff hier wesentlich zu erweitern auf die Materialien, in denen sich der Begriff »Generation« semantisch von einer zunächst rein quantitativen Zähleinheit zu einer qualitativen Leitkategorie entwickelt. Auf der Erarbeitung dieses noch relativ unerschlossenen begriffsgeschichtlichen Zusammenhangs soll das Hauptaugenmerk liegen, und zwar so, dass weder in der Weise eines historischen Bedeutungswörterbuchs isolierte Wortverwendungen katalogisiert und ausgewertet, noch der Untersuchungsgegenstand unbegrenzt ausgedehnt würde;1261 zwischen beiden Vorgehensweisen empfiehlt sich als Mittelweg, einen komplexen Paratext wie die »Vorred« einlässlich zu betrachten und im Zusammenhang intertextueller, gattungsmäßiger und landesgeschichtlicher Bezüge zu analysieren. Scheurl hypostasiert die Tucher, indem er seine historiographischen Bemühungen und die Erinnerungswürdigkeit des Geschlechts biblisch unterfüttert. 1258 Zum Zusammenspiel der Bedeutungen im historischen Generationenkonzept vgl. die Ankündigung systematischer Untersuchungen in Weigel, Generation, Tradition und Evolution, 109. Die Sprachgebundenheit der historischen Quellen macht die historische Lexikographie zu einer kulturpäpdagogischen Herausforderung, die die Probleme und Erkenntnismöglichkeiten eines sprachgeschichtlichen Bedeutungswörterbuchs übersteigt, vgl. Reichmann, vgl. Sprache und Kulturwissen – ihre Darstellung im historischen Bedeutungswörterbuch, http://www.saw-leipzig.de/sawakade/10internet/sprachwi/reichmann1.html [Zugriff am 26.7.2007, 12 Uhr]. 1259 Vgl. Schildt, generation, 905. 1260 Für einen über das Minimalsyntagma hinaus erweiterten textlichen Kontext von Wörtern (Satz, Abschnitt, Text, Buch usw.) plädiert vor dem Hintergrund der »Geschichtlichen Grundbegriffe« Koselleck, Begriffsgeschichten, 86. 1261 Im Gegensatz zu dieser Vorgehensweise hat die bislang zu »Generation« vorliegende Pionierstudie die Zeugnisse zu »Generation« eher in deren Breite herangezogen und in diesen Schlaglichtern einen epochenübergreifenden Wandel aufgezeigt, vgl. Parnes, Das Konzept der Generation.

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Die Tucher werden anderen Familien vorangestellt, auch seinen »Ohaimen die Pfintzing/ Zingel/ Füterer/ Löffelholtz/ Scheurl vnd andere mehr«, deren Familiengeschichten er geschrieben hatte.1262 Die Überordnung ist jedoch auch eine Beiordnung, denn auch für die genannten Familien betont er die verdiente Ehrwürdigkeit, die er ebenfalls wie »Alle tucher vnd Tucherin Alt vnd Jung/ so lenger dann in zweyhundert Jaren geboren sein/ sambt Iren Erbarn heuratten/ Rathsemptern Sterben vnd begrebnussen/ vnd wer dieselben Zu denen sie geheuratt haben« verzeichnet habe. Den Tucher ist Scheurl jedoch besonders verpflichtet, verdankt er ihnen doch so wichtige Karrierestationen wie Bologna (»ein Mutter aller Studien«) und Wittenberg (»zu Herrn Friderich Churfürsten von Sachßen«).1263 Diese Unterstützung sei ein Grund für die besondere Verehrung gewesen, warum der Historiker die verdienstvollen Vorfahren dokumentiert, sie »in diß gegenwertig Buch ordentlich zusammen« gestellt habe unter Einbeziehung »der Tucher vier Annalen/ vnd was sich dasselb Jar verloffen hat/ darmit einer nit allein ein Tucherbuch/ sondern auch ein kleine Cronica zulesen findet«. Scheurl verbindet mit Geschichtsschreibung also eine Art von Dienstleistung, die zu erbringen er als seine dedikatorische Pflicht annimmt. Damit wolle er sich seinen Gönnern willfährig erweisen, sollen doch die Verwandten seiner »im besten darbey gedencken«,1264 eine Bitte, die auch in anderer familiengeschichtlicher Memorialliteratur geschildert wurde. Das Tucherbuch von 1542 unterscheidet sich von anderen bislang bekannten von Scheurl erstellten Geschlechterbüchern jedoch im Grunde nur dem Systematisierungsgrad nach; das Buch ist einheitlich gestaltet, aber Wappenmalerei, wappenhaltende Kostümfiguren und die Absicht, Einheitlichkeit zu erreichen, waren nicht ungewöhnlich. Geschichte zu schreiben besaß für Scheurl jedoch auch eine professionelle Seite, die sich nicht in schlichter Kompilierung und Verzeichnung erschöpfte, sondern in ordnungsgebender Weise generiert wurde, wie Scheurl in Abgrenzung von »der Tucher vier Annalen« andeutet.1265 Diese Aufgabe habe er erfüllt und das zu erwartende Ergebnis, »ein Tucherbuch« als Verkörperung einer 1262 GTB, fol. 32r. Zu Scheurls historischem Interesse und Engagement ist noch immer auf Graf (1930), 104 – 115, zu verweisen. Erneut zusammengestellt in Schmid, Deutsche Autobiographik, 62. 1263 Anton Tucher hatte Scheurl dem sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen empfohlen, so dass dieser sich Scheurls, des späteren Rektors der Wittenberger Landesuniversität, annahm, vgl.: Graf, Scheurl, 31. In Wittenberg hatte Scheurl maßgeblichen Einfluss auf den dortigen Humanismus und intensivierte sein Engagement für die Geschichtsschreibung, vgl. Heinz Kathe, Die Wittenberger Philosophische Fakultät 1502 – 1817 (Mitteldeutsche Forschungen 117), Köln/Weimar/Weimar/Wien 2002, 21 – 23. 1264 GTB, fol. 23r. 1265 Diese werden in eingehenden Analysen der Nürnberger Chronistik behandelt in Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts.

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gattungsgemäß systematisierten Familiengeschichte, noch übertroffen. Scheurl setzt die Familiengeschichte mit der ›allgemeinen‹ Geschichte in Beziehung, so dass die Tucher in ihrer Bedeutung für die politischen Bezugsgrößen der Reichsstadt und des Reichs zu erkennen sind, wobei die in der Widmung eher pauschal markierten identifikatorischen Bezugnahmen auf Nation, Reich und Stadt sich bereits in Scheurls Rede in Bologna, in »De laudibus Germaniae et Ducum Saxoniae« finden.1266 In der aus der ersten Fassung der Tucherbuchs 1542 übernommenen Vorrede Scheurls fällt »Generation« gleichsam am Rande, aber in einer heute fremdgewordenen Bedeutung und epistemischen Struktur von familiärer Vergangenheit und Geschichtsperspektive. Die Grundelemente des polysemen Wortes, das nie allein eine seiner nur analytisch zu trennenden Bedeutungen trägt, sollen hier historisch-semantisch in die Teilbereiche Zeugung, vererbende Übertragung und Gruppenkonstitution gegliedert werden. Dem Wort »Generation«, wie Scheurl es benutzt, ist eine Anthropologie der Erinnerung eingeschrieben, deren Hauptbestandteile als Interpretament an der im Zeit- und Gattungskontext ungewöhnlichen, sermonartigen »Vorred« erprobt werden.

4.2

Der Bedeutungsbereich Schöpfung, Zeugung und Seligkeit in der »Vorred«

4.2.1 Schöpfung und Geschichtstheologie: der religiöse Kontext des Generationsdiskurses Der inhaltlichen Sonderstellung des Tucherbuchs entspricht seine äußere Form: Ein bedeutendes buchmalerisches Unternehmen mit einer Herstellungsdauer von vielen Jahren, immensen Kosten und mit ausführlichen Texten. Dieses Artefakt übererfüllte die Konventionen und die Ansprüche an die Gestaltung einer verbreiteten historiographischen Gattung.1267 Unter generationengeschichtlicher Perspektive ist vor allem die »Vorred« interessant, weil diese ›res gestae‹, etwa Stiftungen, politische Führungspositionen und ethisch musterhaften Le1266 Dieter Mertens, Auslandsstudium und »acts of identity« im Spätmittelalter, in: Elisabeth Vogel (Hg.) Zwischen Ausgrenzung und Hybridisierung: Zur Konstruktion von Identitäten aus kulturwissenschaftlicher Perspektive (Identitäten und Alteritäten 14), Würzburg 2003, 97 – 106 1267 Zum monumentalen Charakter von Geschlechterbüchern vgl. Martial Staub, Zwischen Denkmal und Dokument. Nürnberger Geschlechterbücher und das Wissen von der Vergangenheit, in: Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 14. Wissen und Gesellschaft in Nürnberg um 1500. Akten des Interdisziplinären Symposions vom 5. und 6. Juni 1998 im Tucherschloß in Nürnberg (1999), 83 – 104.

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bensvollzug, programmatisch in eine religiöse Sinndimension einbettet. Dagegen scheinen die biographischen Porträts in beiden Fassungen des Tucherbuchs Anleihen bei der humanistisch vermittelten, etwa von Tacitus in der Schrift für seinen Schwiegervater »Agricola« geprägten ethischen Charakterdarstellung genommen zu haben,1268 die stärker als die ebenfalls wirkungsvolle Biographik Suetons – mit der Scheurl sich noch in Wittenberg ausführlich auseinandergesetzt hatte –1269 ihre Leser ethisch beeinflussen wollte. Die Familiengeschichte vergegenwärtigt keineswegs allein prosopographische Einzelheiten von Familienmitgliedern im Lichte damals verfügbarer, zeitgemäß bearbeiteter Quellen, sondern befragt die Tucher in religiös legitimierter, universal-, heils- und politikgeschichtlich angereicherter Perspektive. Der interpretatorische Weg führt durch theologische Ausführungen der »Vorred« mit einer spezifischen, in konzentrischen Wiederholungen kreisenden, die Erkenntnisziele immer weiter in pathetischem Stil ergänzenden textlichen Gestaltung. Auf diese Weise werden theologische und realgeschichtliche Reflexionen sprachlich ineinander verwoben und dadurch inhaltlich verquickt. Die textliche Form theologischer Aussagen war in der Reformationszeit untrennbar mit deren Inhalten verbunden. Die Äußerungsform konstituierte und bekräftigte die Geltungsansprüche vor dem Hintergrund des auf Überwindung der scholastischen Theologie, Wiederherstellung und Aktualisierungsnotwendigkeit des Wortes Gottes beruhenden reformatorischen Zeitmodells.1270 Daher trägt die familiäre Selbstthematisierung in der Argumentationsweise auch Züge des hybriden vormodernen Generationsdiskurses. Die Untersuchung konzentriert sich an Hand der über 40 Folioseiten einnehmenden Reflexionen der »Vorred« in textnaher Lektüre auf zentrale Begriffsbedeutungen des Generationsdiskurses. Vorreden der von Scheurl verfassten Genealogien konnten kürzer ausfallen und schematisch wirken. Im Fall der Zingel richtete Scheurl sich 1542 »an seinen lieben sun«,1271 den 17-Jährigen, 1268 Die Darstellung des beruflichen cursus und der individuellen Eigenschaften sind von einer literarischen Tradition bestimmt, die Anschaulichkeit zu ethischen Zwecken erreichen wollte. Die antike Tradition der Charakterdarstellung wurde etwa in den Porträts Paolo Giovios weitergeführt, vgl. für eine empirische Studie T.C.Price Zimmermann, Paolo Giovio and the Rhetoric of Individuality, in: Thomas F. Mayer/Daniel Woolf (Hg.), The rhetorics of life-writing in early modern Europe. Forms of Biography from Cassandra Fedele to Louis XIV., Ann Arbor 1995, 39 – 62. 1269 Vgl. Graf, Scheurl, 28. 1270 Marcus Sandl, Martin Luther und die Zeit der reformatorischen Erkenntnisbildung, in: Arndt Brendecke/Ralf-Peter Fuchs/Edith Koller (Hg.), Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit (Pluralisierung und Autorität 10), Berlin 2007, 377 – 410, bes. 384 – 388, 403. 1271 Diese Geschlechtergeschichte umfasst eine »Beschreibung des Erber[n] geschlechts der Zingel, irer geburt, heiraten, sterben, vnnd Begrebnussen«, sowie eine »Vorrede«. Scheurl nennt als Ziele des 42seitigen farbig bebilderten »Zingelbuchs«, es sei dem Sohne zum »wolgefallen« geschrieben und solle ihn zur Nachfolge anhalten, zuvor aber ihm und

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in Paris studierenden Albrecht Scheurl, der die Familiengeschichtsschreibung seines Vaters nicht nur berichtigen, sondern diese auch engagiert weiterführen und mehren sollte.1272 Die viel umfangreichere, in pompöser Kalligraphie gestaltete und VorredenTopoi ausbreitende »Vorred« des Tucherbuchs ermöglicht es ungleich besser als die an Albrecht Scheurl gerichtete Vorrede, die Wahrnehmungssteuerung familiärer Vergangenheit aus den mit der Prachtversion des Tucherbuchs verfolgten Repräsentationsabsichten abzulesen. Die Analyse gilt einem Text, der stark topisch geprägt ist und dessen Interpretation auf seine Textualität als solche zurückweist. Der Text vermittelt die Sinnbereiche des Generationsdiskurses, Schöpfung, Übertragung und soziale Identität, in einer zeitgebundenen Form.1273 Dieser Gliederung in Elemente des Generationsdiskurses in drei aufeinander aufbauende Teile folgt die Untersuchung, weil gerade einem Paratext wie der »Vorred« in der frühen Neuzeit eine repräsentative und aufmerksamkeitssteuernde Aufgabe zukam.1274 Die Bedeutung geht schon aus dem textlichen Umfang, aber auch aus dem hohen Stil hervor. In ornamental geschmückter Auszeichnungsseinen Nachkommen Kenntnis der Vorfahren geben, »damit du vnd deine nachkommen wis[s]et wer eure voreltern von allen handen gewesen«, dass sie u. a. »mermalen zum adel geheirat haben, wie sie auch sunderlich im land zu Franck[en?] edelleut, vnd andern vom adel gemeß geehrt vnd gehalten«, und welche »Stiftungen, begrebnus und gedechtnis« von den Vorfahren Zeugnis ablegten. Die »vorvorderenschaft« der Mutter sei leider »abgestorbenn vnd nahent vergessen«, jedoch sei mit Gottes Hilfe die Hoffnung auf die Brüder der Mutter zu richten, damit »durch ir vnd ander gutten freundschaft vnd fürdrung, zuuovrderst aber durch ir selbst frumbkeit, geschickligkeit, vnnd arbeit, ir frumme voreltern, widerumb errecken[aufrecken?] vnd aufspringen werden«. Ethik und ihre Übertragung in Beziehungen zwischen Jung und Alt, Gottes Hilfe, mithin zentrale Bedeutungen von ›Generation‹ fallen untrennbar zusammen, was mit einem kurzen Verweis auf eine biblische Generationenbeziehung ›belegt‹ wird. Ist das Zingelsche Geschlechterbuch, trotz seiner farbigen Illustrationen, doch der »Vorrede« nach zu urteilen vorrangig für die innerfamiliäre Verwendung gedacht, so steht das »Große Tucherbuch« dazu im Gegensatz. Vgl. Scheurl, Christoph, Beschreibung des erbern geschlechts der Zingel 1383 – 1542 (Germanisches Nationalmuseum Hs 6972a), GNM Hs. 6976a. Für die Überlassung von Kopien dieser Quelle danke ich Bärbel Rothbrust. 1272 Geschichte scheint für Scheurl eine vom Humanismus geprägte Obsession gewesen zu sein, die für ihn einen Eigenwert besessen haben muss. Die »translatio studii« nach Deutschland, die Aneignungs- und Vermittlungsprozesse und »Diffusion« humanistischer Gelehrsamkeit beschreibt Johannes Helmrath, »Vestigia Aeneae imitari«. Enea Silvio Piccolomini als »Apostel« des Humanismus. Formen und Wege seiner Diffusion, in: Johannes Helmrath/Ulrich Muhlack/Gerrit Walther (Hg.), Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäpischer Humanisten, Göttingen 2002, 99 – 141, bes. 101. 1273 Der hier gewählt hermeneutische Zugang besteht in einer einlässlichen Textinterpretation, die über eine lemmagetreue Exzerpierung von Wortverwendungsweisen hinausgeht und den Text als sinnkonstituierenden Zusammenhang auffasst. 1274 Schwitzgebel, Vorrede volkssprachiger Sammlungen, 1 – 10

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schrift der Neudörferschen Prägung gestaltet, heben die Worte der ohne Verfasserangabe, in der Erzählerrolle der Tucherschen Gesamtfamilie gehaltenen »Vorred« wie folgt an: Der Wahre Einiche Allmechtige Ewige Gott/ ohne allen Anfang und Ende/ Ein Vnendlich Weßen Vnendlicher Weyßhaitt vnd Voll alles Gutten/ Vnermeßlich vnd Vnendlich Dißer allein Ware vnd Rechter Gott/ hatt in seinem Ewigen Rath/ vor einichem Anfang aller ding/ geschlossen von Ewigkait (alß bey deme kain Zeytt ist/ Sondern alles Ewig) sich und seine Gütte Offenbar vnd Khundt zumachen Darauff vnd hiertzu Er dann Nachmals Zu seiner Zeitt/ vnd die Ihme gefallen/ Vernünfftige Creaturen Erschaffen hatte/ denen Er sich nicht allein geoffenbaret/ Sondern auch etwas seiner Natur vnd Güttens/ seiner Bildtung vnd Gleichnuß/ Ihnen mitthailet/ deren zu seiner Ehrn vnd diensten/ vnd Ihrer Ewigen Seeligkaitt zugebrauchen[.]1275

Bereits die Verknüpfung des ersten syntaktischen Zusammenhangs, »Der Wahre Einiche Allmechtige Ewige Gott«, mit dem übrigen ersten Satz der »Vorred« verweist auf einen sermon- oder predigtartigen Stil; so wird das Subjekt des Satzes, »Gott«, durch gereihte Attribute der Außerzeitlichkeit und Allvorgängigkeit des Schöpfergottes herausgestellt, bevor der Satz diesen wieder mit »Dißer« aufnimmt. Die stilistische Eigenart, bei der sprachlich eigenständige Bestandteile zusammengeführt werden, stilisiert den Text als mündlich. Der predigtnahe Stil wendet die Gattungstopik der Predigt im 16. Jahrhundert an, rühren die zahlreichen Wiederholungen, metatextlichen Bemerkungen und gebetsartigen Einschübe doch von dort; weitere predigttypische Kennzeichen sind die invocatio, der mottoartige Ausgang von einem Bibelvers, dessen Explikation in der narratio auf einen identifizierenden Zusammenschluss zum ›Wir‹ in Anbetracht drohender Gefahr hinausläuft.1276 Diese Darstellungsweise verleiht der reformatorischen Theologie Ausdruck, die vor dem Hintergrund des nahen Weltendes einen »Gestus der Abkehr« von überzeitlich gültigen Glaubenswahrheiten in dem Sinne kultiviert hatte, dass die Exegese stets vom historischen Moment abhängen solle; die Übergänglichkeit wurde zum neuen Modus der Erkenntnisbildung erhoben, so dass die Auslegung von Gottes Wort ständig zu erneuern und zu aktualisieren war, so dass die situationsbezogene Interpretation von Gottes Wort eine neue Erkenntnissicherheit schuf.1277 Zentral für die Gestaltung des Texts und seiner eingangs erfolgten Invokation Gottes ist die lutherische Unterscheidung einer allein durch Wortverkündigung 1275 GTB, fol. 1r. Vgl. Abb. 8. 1276 Für eine knappe Charakterisierung der Predigttopik, stilistischer Formelsortimente und der auch Inhalte umfassenden ›artes praedicandi‹ vgl. Nirit Debby, Renaissance Florence in the Rhetoric of two popular Preachers. Giovanni Dominici (1356 – 1419) and Bernardino da Siena (1380 – 1444) (Late Medieval and Early Modern Studies 4), Turnhout 2001, 39 f. 1277 Sandl, Zeit der reformatorischen Erkenntnisbildung, 397, 402.

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konstituierten »ecclesia invisibilis« von der, vor allem durch Institutionenfixierung bestimmten Ekklesiologie der Altgläubigen.1278 Der weitere Gang der Untersuchung wird die Bedeutung der Predigt als Darstellungsmedium des Glaubensbekenntnisses aufzeigen, führt diese doch ein Geschlechterbuch ein. Die Annäherung an eine Gattungsbestimmung konstituiert erst den historischen Erkenntniswert der Quelle für generationengeschichtliche Fragen, sind hier doch zentrale familienbezogene Absichten im Medium komplexer Theologumene ausgedrückt.1279 Inhaltlich erfolgt lange keine grundsätzliche Progression über den ersten Satz hinaus, vielmehr werden seine Bestandteile im Sinne einer klassischen rhetorischen Amplifizierung zum Zweck der Veranschaulichung, Vermittlung und Begründung in längeren Abschnitten besonders gewichtet. Dennoch ist der ununterbrochen wirkende, einen festen Bestand an Formeln assoziativ bewegende Redefluss des predigenden Sprechens gliederbar. In einem ersten Abschnitt steht die Erschaffung des Menschen im Mittelpunkt.1280 Diese wird universalgeschichtlich, ohne ausdrückliche konfessionelle Markierung, dargestellt, nämlich dass Gott auf Grund seiner Überzeitlichkeit einen Zeitpunkt für die Schaffung des Menschen festlegen konnte. Die in die erfahrbare Zeit hinein gesetzten Menschen gefielen Gott, eine Bewertung, die später ausführlich und zugespitzt am achten Psalm belegt wird. Der Schöpfer offenbarte sich seinen Geschöpfen; im Sinne der Zeitphilosophie des Augustinus blieben die zeitlichen Wesen aber ohne Kenntnis ihrer Existenz. Daher rührt das prinzipielle Vermögen, die das menschliche Leben und seine Wahrnehmungsmöglichkeiten übersteigende Transzendenz anzuerkennen. Diesem prinzipiellen Wissen fügte Gott Andeutungen über seine Güte und seine Natur hinzu. Damit bezweckte er, die Menschen ethisch anzuleiten und zu beständiger Suche nach ihm und seinem Willen zu bewegen. Für Gott tätig zu werden, nämlich »zu seiner Ehrn vnd diensten«, ist nur in der Welt möglich; die von Gott den um Verständnis ringenden Menschen gegebenen Gleichnisse sollen ihnen vor allem zu einer Hoffnung auf ein Leben verhelfen, das über den Tod als das Ende ihrer zeitlichen Existenz hinaus geht. Die Erkenntnis und Hinwendung auf Gott ist von den Menschen zu »Ihrer Ewigen Seeligkaitt zugebrauchen«, ein Wert, der die Erkenntnisabsicht der »Vorred« insgesamt zu motivieren scheint. Hierzu werden biblische Ereignisse, die Heilsgeschichte, ›Realgeschichte‹ und theologische Autoritäten synthetisiert.1281 1278 Matthias Pohlig, Konfessionskulturelle Deutungsmuster internationaler Konflikte um 1600 – Kreuzzug, Antichrist, Tausendjähriges Reich, in: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002), 278 – 316, 301. 1279 Vgl. zum Bestand an Erfahrungsdarstellungen Kaufmann, ›Erfahrungsmuster‹. 1280 GTB, fol. 1r-6v. 1281 Protestanten konnten das Alte Testament im Anschluss an Luther als einen Handlungs-

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Im Zentrum steht die zunächst unmarkiert bleibende theologische Anthropologie Luthers, die das Empfinden des Menschen als Grundlage seiner endlichen Existenzform und Kognitionsfähigkeit ansetzt.1282 Der notwendig perspektivische Blick des einzelnen Christen kann sich der Darstellung zufolge nur auf das in der Offenbarung ergangene Evangelium richten, wobei der Mensch sich durch sein Herz und sein Gewissen ethisch orientiert. Der Leib-SeeleDualismus wird ausführlich thematisiert, was an die Ontologisierung der menschlichen Existenz bei Luther erinnert in den Worten »Homo est creatura Dei carne et anima spirante constans«.1283 Luther konzipiert das Wesen, die Kreatürlichkeit des Menschen in der Dualität von Leib und Seele als eine Konstante, die die Grundlage für seinen Begriff von weltgebundener körperlicher Existenz und Glauben bildet. Hält das Fleisch den Menschen vom Glauben ab, indem es ihn verleitet und Anfechtungen bereitet, so ist der Gegenstand des Theologen der Geist als Medium des Glaubens. Erinnert dieses Menschenbild noch an den vorreformatorischen Reflexionsstand, so spezifiziert Luther menschliche Existenz als eine Seinsweise, in der der Mensch zwar frei handelt, aber diese Handlungsoptionen erst durch Gott erhalten hat. Der handelnde Mensch steht in einer Glaubenswirklichkeit: Indem der Mensch glaubt, vergegenwärtigt sich der Schöpfergott im Glaubenden selbst.1284 Gott kann durch den Menschen aber nur perspektivisch und daher prinzipiell menschlich-unvollkommen erkannt werden, was die anhaltende Interpretationsbedürftigkeit der Offenbarungsschriften ausmacht. Die »Vorred« hebt somit allgemeine traditionelle Theologumene hervor, die auch im Zentrum der lutherischen Anthropologie stehen. Sie dienen als Ausgangspunkte für die theologische Hermeneutik der geschichtlichen Existenz der Menschheit. So situiert die Geschichtstheologie der »Vorred« historische Prozesse zwischen dem selbstverantwortlichen Handeln des Menschen und der Einflussnahme Gottes auf die Welt. Die Macht des Menschen scheint dem Glaubenden im Rahmen seiner Kreatürlichkeit gegeben zu sein; die Macht, die ihn schuf, bleibt ihm jedoch nicht ein blindes Schicksal, sondern ist diejenige des allmächtigen Schöpfergottes. Menschliche Machtausübung beruht daher immer auch auf der göttlichen Machtausübung. Die in der Welt geschaffenen Menschen dienen letztlich der göttlichen Machtausübung, nämlich der Erfüllung der katalog lesen, dessen Gegenstände abgeschlossen waren und einer Bewertung harrten, die unter anderem in Luthers politischen Gutachten zum Tragen gekommen ist, so Eike Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte XLVII), Gütersloh 1977, 22. 1282 Zur Theologie Luthers und ihrer historischen Rezeption vgl. Albrecht Beutel (Hg.), Luther Handbuch, Tübingen 2005, 392 – 403. 1283 Ebd., 396. 1284 Ebd., 397.

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immer mit der Schöpfung verbundenen »Heilszielstrebigkeit«.1285 Die Engel sind einerseits die »Mundboten« Gottes, treten aber auch auf, um den Menschen in positiver Weise zu helfen oder ihnen in Form von Prüfungen zu ›schaden‹: Es sein aber baide diese fürnämbste Creatur oder Geschöpff/ Engel vnd Menschen/ nitt lang inn Ihren Würden vnd Wesen geblieben/ in dem sie erschaffen/ wie dann ales was Gott geschaffen gutt ist/ vnd das böser von Ihme nicht her kunbt/ sondern kumbt vom teüffel/ vnd von der vernünfftigen Creatur selbst/ vnd ist deren baider aigne/ vnd nicht Gottes schuldt/ Dann nach dem Vernunfft nicht sein kann/ ohne freye Wahl/ vnd wollen des Willens/ vnd was nicht anders/ als wie es ist/ sein vnd thun kann/ vnd kainen Willen hatt/ nicht wöehlen noch wöllen kann da kann kein Vernunfft noch Verstandt sein/ noch verstanden werden/ vnd beweist sich alle Vernunfft/ Frombkait vnd Tugendten/ in dem/ das man Fromb vnd Tugendtsamb sey/ da man anderst sein/ vnd böß vnd Vntugendtlich sein kündt vnd dürffte/ so man wollte/ daraus dann auch die grose Gütt Gottes zuachten/ der für vnd für/ von Ewigkait in Ewigkait gutt ist vnd bleibet/ da doch baider seine vernünfftige vnd beste Creaturen/ Engel vnd Menschen/ vnd denen solche Gaben seiner gleichnus vnd Ebenbildts/ vnd sich selbst mittgethailt/ so baldt von Gott vnd Ihnen selbst/ vnd auß dem gutten/ darein vnd mitt sie erschaffen/ gefallen vnd abgefallen sein[.]1286

Die Geschöpfe Gottes sind trotz ihrer Gottesebenbildlichkeit, und obwohl Gott sich ihnen geoffenbart habe, sündig geworden, obwohl sie ihre Vernunft gebrauchten. Nur im Rahmen dieses generellen Sündeneingeständnisses ist die Bezugnahme auf die Werkgerechtigkeit zu verstehen, nämlich dass sich die Existenz von »Vernunfft/ Frombkait vnd Tugendten« nur im tatsächlichen Handeln zeige.1287 Indem die Pflicht zum guten Handeln mit der genuinen Sündhaftigkeit des Menschen verbunden wird, entsteht eine unauflösbare Gewissensfrage, die moralische »Programmierung« des Protestantismus.1288 Richtet der Mensch sein Leben an der Sündhaftigkeit aus und bemüht sich um gutes Handeln, so bleibt ihm die Erlösung doch stets unerreichbar und er muss, unabhängig von seinem Handeln und daraus entstehenden positiven wie negativen Folgen, doch ein schlechtes Gewissen behalten. Demnach kann Geschichte nur als das Streben der Menschen beurteilt werden, Erwartetes, 1285 Ebd., 401. 1286 GTB, fol. 2r. 1287 Die Konzeption des freien Menschen, positiv bewerteten guten Werken und dem tatsächlichen menschlichen Vernunftvermögen, ist in theologiegeschichtlicher Perspektive problematisch, zum derzeitigen Stand der Forschung vgl. Beutel, Luther, 359. 1288 So provozierend beschreibt Luhmann Religion und bietet ein »Theorieangebot« zur Beschreibung sozialer Systeme im Allgemeinen, und ethischer Reflexion von (christlicher etc.) Moral im Besonderen. Seine soziologischen Überlegungen verdeutlichen in diesem historischen Zusammenhang, welche zeitgebundenen Größen das Gewissen bestimmen und es funktionalisieren, vgl. Niklas Luhmann, Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt/Main 1989, 259 – 357.

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wenngleich auch unvollkommen, doch erfüllen zu wollen. Die Geschichtstheologie bewegt sich in einem moralischen Dilemma. Gutes und Schlechtes kommen zugleich von Gott, der es bösen Wesen erst eingegeben hat,1289 und beide können jeweils auf Gottes ewige Güte hin interpretiert werden: Die Frommen Engel aber/ die in der Warheit vnd Ihrem gutten/ bestanden/ vnnd nicht abgefallen/ sein im Himel bey Gott blieben/ vnd bleiben Ewigklich/ die braucht Gott zu seinen diensten/ auch wie oben gemeldt/ zu vnser Menschen Schutz vnd bewarung/ als die steeter gefahr vnd anfechtung stehen/ vonn den Teuffeln/ wider die wir auch nicht allein eintzelich/ sonder auch ein ainiche Person von vielen/ vnd einem gantzen h[e]er Engel behüet werden[.]1290

Jeder Einzelne und die Gemeinschaft werden von Gott, ›personifiziert‹ in den Engeln, beschützt und maßgeblich moralisch orientiert. So könnte eigentlich das sündentheologische Defizit der Menschen aufgefangen und aufgehoben werden, kommt den Engeln doch eine an Hand von Matthäus und Paulus belegte zentrale Rolle im Heilsprozess zu. Sie sind bereits Werkzeuge Gottes im Diesseits, d. h. auch Böses kann in vermittelter Weise von Gott kommen: Es braucht sich auch Gott derselben gutten seiner Engel diensten/ […] auch zum bösen/ vnd Straff der Bösen/ Die gutte Engel schlagen die Erstgebornen in Aegypten/ Ein gutter Engel/ schlecht [sc. straft] das Volck davit [sic!] mitt dem Schwerdt der Pestilentz/ vor Davids Augen Item das Höer Sennacherib vor Jeruselem/ schlecht der Engel des Herrn Diß und dergleichen thun die gutten Engeln/ vnd nicht die bösen vnd Teuffel/ mit denen Gott alß seinen verfluchten vnd verdambten Feinden/ nichtzit tzu thun hatt noch zu thun haben kann vnd will/ braucht sie nicht/ weder zu Stattknechten noch Zu Hengckern/ können seine diener nicht sein/ was sie thun/ das thun sie nicht auß Gottes beuelch/ noch in seinen diensten/ sonder auß Verhängcknus/ können bey allem Ihrem Gewaldt/ Herrschafft vnd Fürstenthumb/ vber die Welt/ nicht ein Herdt Fewr ins Wasser werffen/ ehe Ihnen das Christus verhengckt[.]1291

Alle vernünftigen Lebewesen stehen auch ihrer Willenskraft nach unter dem Einfluss Gottes und sind von ihm bestimmt, neben den guten auch die bösen Engel. Wie den Menschen, so hat Gott auch den Engeln ihre Macht erst gegeben. Als seine Geschöpfe handeln die Engel in der Welt und beeinflussen das Leben 1289 Eine solche Darstellung findet sich auch in Teufelsbüchern des 16. Jahrhunderts, beispielsweise unter dem Rubrum »Warumb Gott dem Teufel verhenge schaden und verderbniß anzurichten«, vgl. Ria Stambaugh (Hg.), Ludwig Milichius, Zauberteufel, Teufelbücher in Auswahl, Bd. 1 (Ausgaben deutsche Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts Berlin 1970, 1 – 184, 76. Zur Bedeutung dieser Teufelsbücher, die mit Spiel-, Sauf- und Gotteslästererteufeln eine ganze Reihe von gesellschaftliche Phänomenen behandelt, auf dem zeitgenössischen Büchermarkt vgl. Heinrich Grimm, Die deutschen »Teufelbücher« des 16. Jahrhunderts. Ihre Rolle im Buchwesen und ihre Bedeutung, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Frankfurter Ausgabe 100 (1959), 1734 – 1790. 1290 GTB, fol. 2v. 1291 Ebd.

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der Menschen, können über Leben und Tod entscheiden; das wirft Fragen nach der Deutbarkeit historischer Entwicklungen zwischen zufälligem »Verhängnis« und gottgesteuertem Schicksal auf. Erst die christliche Offenbarung schafft einen Sinnhorizont, während die menschliche Erkenntnis vor der Menschwerdung Christi lediglich eine blinde Macht des Schicksals in erlebten Unbilden erkennen musste. Christen dagegen wissen um die Bedingtheit der irdischen Mächte, um »Gewaldt/ Herrschafft vnd Fürstenthumb« auch schlechter Mächte und um ihren ethischen Sinn, der von theologischer Hermeneutik auszulegen ist. Wie Christus am Kreuz litt, so implizit die Interdependenz von Leiden und Heil, um die Kraft des Glaubens an den heilsbringenden Gott zu erfahren, werden die Menschen in ihrem Glauben geprüft, während sie »in steeter gefahr vnd anfechtung stehen«. Dies ist die Stellung des – sonst nur als »Verhängcknus« allein erkennbaren – Geschichtsprozesses im Heilsplan, der in einer von Augustinus ausgehenden Tradition als ein ›Schauspiel Gottes‹ ausgelegt wird. Die Güte Gottes kann so zwar in die Vorgänge der Welt eingreifen, steht aber kategorial darüber. Um die Bedingtheit der Geschichtsprozesse zu erkennen, bedarf es der Auslegung der Schrift, deren Charakter und Deutungsbedürfnis immer wieder als Grundlage für das Menschsein, nämlich für seine Beziehung zu Gott, thematisiert werden.

4.2.2 Die Offenbarung Gottes, protestantischer Schriftbegriff und Bibelhermeneutik als konfessionelle Anthropologie Die Begriff der Heiligen Schrift in der »Vorred« ist zeitgebunden und spiegelt die konfessionelle Identität im Rahmen der Auslegungsbedürfnisse dieses Offenbarungsmediums. Dem liegt eine Vorstellung der menschlichen Sprache zu Grunde, die prinzipiell »analogiefähig für das Wort Gottes« ist.1292 Der Charakter der schriftlichen Quellen von Gottes verkündigendem Wort wird zunächst allgemein historisch hergeleitet. Die judeo-christliche Geschichtskonzeption beruht auf der Typologie der biblischen Geschichte, die die Darstellungen des Alten Testaments und seiner Propheten von dem Erscheinen des angekündigten heilsbringenden Messias unterscheidet. Das Christentum bezieht so die älteren jüdischen Traditionen eines Messianismus in seine Glaubensgrundlage, das Neue Testament, als dessen noch unerfülltes Heilsversprechen mit ein. Die christliche Theologie hebt die jüdischen Traditionen auf und führt sie einerseits kontinuierlich weiter, andererseits nur in einer durch die christliche Offenbarung überhöhenden und das Vorausgehende aufhebenden Form: 1292 Stellvertretend für sprachgeschichtliche Arbeiten beispielsweise von Polenz’, vgl. für diesen und weitere Nachweise hierzu Beutel, Luther, 253.

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

Vnd hatt im Rath der Haylligen Dreyfaltigkaitt/ Menschlich hieruon zureden/ der Sohn Gottes das Menschliche Geschlecht verbetten/ der zu seiner Zeitt solt vnd wolt Mensch werden/ vnd mit seinem Leyden vnd Sterben die Süne der Menschen Büßen/ die Menschen mitt Gott aussönen/ sie vnd das Ewige Leben/ vnd die Ewige Seeligkait (dartzu sie einmal geschaffen/ vnd doch die Verwürckt) Ihnen widerbringen/ wie das nachmals/ vnd vor Fünfftzehenhundert vnd Neuntzig Jarn/ von dem Sohn Gottes/ also verbracht vnd Exequirt ist da Er inn die Welt vom Himel kommen/ ein Mensch worden vnd geborn/ drey Jar Gelehrt vnd gepredigt vom Dreyssigsten Jar seines Alters/ bis ins angehent sein Vier vnd dreyssigists/ darinnen Er gecreutziget vnd gestorben/ vom Todt wider aufferstanden/ vnd den Viertzigisten Tag/ nach seiner Vrstendt/ gen Himel gefahren/ sein Menschhait dahin erhaben/ dahin vor Ihme kein Mensch nie kommen/ vnd dieselbs sein Menschhait/ nun daselbst Zur Rechten Gottes erhöhet hatt/ als die mit dem Sohn Gottes in ain Person/ verainiget/ vnd von dannen/ vnd daselbst/ Ihme auff Erden/ auß seinem so hoch geliebten geschöpff/ der Menschen/ ein Ewig Kirch vnd Vollck samlet/ die neben seinen auch lieben Engeln bei Ihme in Ewigkait sein vnd bleiben sollen in Ewiger Frewd vnd Seeligkait/ dann wie auch Paulus schreibt/ kein Aug nie gesehen/ kein Ohr nie gehört/ vnd nicht Zuesagen ist noch außsprechlich/ was Gott seinen lieben Leutten vnd Trewglaubigen in seinem himel zugeniessen zuberaittet hatt[.]1293

Im Wort der Heiligen Schrift bietet sich, auch zum konkreten Zeitpunkt, der alleinige Zugang zur Offenbarung Gottes, die dieser »Menschlich hieruon zureden« hatte. In dieser ›menschgemäßen‹ Rede ist Gott erkennbar, jedoch ist menschliche Gotteserkenntnis stets nur perspektivisch und eingeschränkt durch diese Quellenbasis möglich, wie auch die Heilsgeschichte nur so erkennbar ist. Der menschgewordene Gott wird durch das Gebet unmittelbar mit den Betenden verbunden, was sich auch in der realhistorischen Zeitangabe bis zur Entstehung der hier eingeleiteten Familiengeschichte der Tucher ausdrückt: »vor Fünfftzehenhundert vnd Neuntzig Jarn« habe Gott den Menschen befohlen, sie »verbetten«, ihren Glauben mit den von ihm zeugenden Worten auszudrücken. Das Glaubensbekenntnis mag allgemein christlich und überkonfessionell von Bedeutung sein, jedoch wird es hier in der Absicht herangezogen, den Glauben als den einzigen Ausgangspunkt und die alleinige Grundlage der protestantischen Theologie anzusetzen. Wird der Glaube des Einzelnen aufgewertet, so bleibt der Stellenwert der Tradition, etwa der Kirchenväter, unerwähnt. Der Heilswahrheit wird durch die Angabe der Rede Gottes rhetorische Evidenz verliehen. Damit nutzt der Text eine Überzeugungstechnik, die etwa auch die seelsorgerische Epistolographie Luthers prägte.1294 1293 GTB, fol. 3v. 1294 Gerade in Krisensituationen thematisierte Luther zentrale Inhalte des Gottesbezugs, so des Betroffenseins des eigenen Herzens und das Anteilnehmen aller Gläubigen in der Gebetsform. So sind Gott und Mensch, aber auch Mitbeter im Glauben verbunden und in der Zustimmung zu oder Ablehnung von Zuständen oder erwarteten Ereignissen, vgl.

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Um die Eindringlichkeit zu erhöhen, übernimmt der Sprachgestus Komponenten des Glaubensbekenntnisses, eine den Lesern aus dem religiösen Alltagsleben bekannte feierliche Praxis und konfessionspolitisch hochsensible Textsorte. Von frühchristlichen Taufbekenntnissen, ja traditionell von den Aposteln selbst abgeleitet, enthält dieses Gebet die wesentlichen Glaubenslehren des Christentums. In konfessionellen Ausprägungen wurde es zum Kampfmittel. Das Glaubensbekenntnis wurde zum Politikum, weshalb Papst Pius IV. es 1564 für die Gottesdienstpraxis normierte und auch das lutherische Konkordienbuch 1580 eine einheitliche Lösung finden sollte.1295 Die Nebenfunktionen des Bekenntnisses, Gemeinschaften innerlich zu konsolidieren, die falsche Lehre (der jeweils anderen) abzugrenzen oder die Anhänger der reinen Lehre zu mancherlei politischen Zwecken zu sammeln, zeichnen sich als bestimmende Faktoren neben dem Bekenntnis zum christlichen Glauben ab.1296 Die lutherische ›sola fide‹-Theologie, dass der lebende Mensch den Glauben in seinem Herzen als der spirituellen Erkenntnisinstanz trägt1297 und erst daher sich um die Erfahrung Gottes bemüht, kommt hier zur Wirkung. Erst das glaubende In-der-Welt-Sein bedarf einer institutionell organisierten Theologie. Im Zentrum steht dabei jedoch der Gläubige allein vor Gott, wie weiter zugespitzt wird: Hierinnen vnd auff dem Stehet alles Christliches wesen/ Thun/ Kunst vnd Wissenschafft der Hailligen/ diß ist vnd haist die gantze Haillige Schrifft des Alten vnd Newen Testaments/ Bundt und verhaissung/ als in ainer Summa/ welche ist Christus/ sein Person/ sein Lehr/ sein Verdienst/ den lernnen/ wissen vnd kennen/ ist alles Hail vnd Seeligkait/ auf einmal/ vnd mitt vnd bey einem Wort zusagen vnd zugedencken/ wer hie bestehet/ der ist nicht allein Weis vnd Wolgelehrt/ vnd über alle Menschliche Weißhait vnd Trefflichkait/ sonder hatt auch aller Engel vnd himlische Kunst/ vnd dartzu das Himelreich/ Ewige Seeligkait/ in seiner Hand vnd Hertzen/ hatt einen Genedigen Gott/ vnd ist bey Lebendem seinem Leib im Himel vnd bey Gott/ den Er in seinem Hertzen tregt/ vnd in dem der Sohn vnd Vatter sein wohnung haben[.]1298

Der Gläubige erkennt Gott in seinem »Hertzen«, er sollte ausschließlich »Christus […] lernnen/ wissen vnd kennen«, um dessen Verdienste für das Heil

1295 1296 1297 1298

Gerhard Ebeling, Luthers Seelsorge. Theologie in der Vielfalt der Lebenssituationen an seinen Briefen dargestellt, Tübingen 1997, 442 – 444. Zur Bedeutsamkeit und Genese des lutherischen Glaubensbekenntnisses vgl. Friedrich Mildenberger, Theologie der Lutherischen Bekenntnisschriften, Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 1983, bes. 17 – 22. Für dieses pauschale, aber zahlreiche vertiefende Untersuchungen summarisch abschließende Urteil vgl. Wolfgang Reinhard, Glaube und Macht. Kirche und Politik im Zeitalter der Konfessionalisierung, Freiburg im Breisgau 2004, 14. Zur theologischen Schlüsselposition des Herzens bei Luther sowie dessen bibelhermeneutischen und katechetischen Auswirkungen vgl. zusammenfassend Birgit Stolt, Martin Luthers Rhetorik des Herzens, Tübingen 2000. GTB, fol. 3v.

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der Menschen willen, eine Bestimmung, die geradezu wörtlich aus dem »Bekenntnis« Luthers von 1528 übernommen worden sein könnte, wo Christus als alleiniger Heilsbringer bezeichnet wird, als »das ist unser [trost], so wir solchs […] ynn unserm hertzen fulen, das Gott wil unser Vater sein, sunder vergeben und ewige leben geschenckt haben«.1299 Diente die Einführung des Bekenntnisgebets noch dem Zweck der Vergegenwärtigung, so stellt das »Hertz« den individuellen Nachvollzug biblischer Wahrheit in den Mittelpunkt.1300 Nur durch den eigenen Glauben kann sich der Mensch Gott erkennend annähern; im gläubigen Suchen nach Gott allein, also implizit unter Ausschluss einer situativ fixierbaren Werkgerechtigkeit und Buße, wird er einen Zugang zu den Geheimnissen und Wohltaten des Himmels finden können. Der Mensch ist die höchste Form der Schöpfung, wie in der Kritik einer rein christologischen Deutung des achten Psalms gezeigt wird, wo es heißt: »Du hast ihn [sc. den Menschen] wenig niedriger gemacht als Gott/ mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt[.]«1301 Dazu wägt die »Vorred« die bereits eingangs zitierten verschiedenen Deutungen ab, wobei eine Deutung des gemeinten Gegenstands als Christus »doch allein der Gaistliche/ vnd nicht der Historische/ vnd der Erste/ vnd des Buchstaben/ verstandt ist«. Die Schriftexegese folgt der Schöpfung des Menschen als gottähnlichem Wesen erst nach. Die hermeneutische und im Gang der Erkenntnissuche doch ergebnisoffen scheinende Anstrengung belegt in der vermittelnden Predigt bereits der Darstellungsweise nach die lutherische Worttheologie. Die »Vorred« führt den Erkenntnisprozess, der für sie der einzige vertretbare sein kann, exemplarisch vor, vermittelt die Ergebnisse jedoch auch katechetisch, wie in Formulierungen wie »wie nun offtgesagt« (oder »wie nun auch offt gesagt«1302) zur Begründung der zahlreichen Wiederholungen und Wiederaufnahmen formuliert wird. Das Vokabular bezieht sich häufig auf den Bereich des Verstehens. Regelmäßig tauchen Vokabeln des Bedeutungsbereichs »erkennen«, »Erkenntnis« usw. auf, nicht ohne dass der anthropologische Zusammenhang von »offenbarung und erkanndtnus« hervorgehoben wird; dagegen wird die Vernunft des Menschen abgewertet.1303 Aus dem Menschenbild wird eine ethische Verpflichtung des Einzelnen abgeleitet, besonders unter Zuhilfenahme der ausführlichen Darstellung der Engel. Diese hätten teilweise unmoralisch gehandelt und ›sozusagen‹ (»also zureden«) Gott durch diesen Vertrauensbruch so gekränkt, dass die ebenfalls in Sünde gefallenen Menschen und ihre Welt endlich wurden: 1299 1300 1301 1302 1303

Beutel, Luther, 357 f. Ebd., 358. Dieses Zitat ist der Einheitsübersetzung entnommen. GTB, fol. 5r. Ebd., fol. 4r.

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[Die Menschen sind] aus stoltz/ vbermut vnd trotz/ wider Gott/ stoltz/ vbermüttig vnd trotzig abgefallen/ also auch in Ihren trotz/ stoltz vnd vbermut Ihrem Zorn vnd Rach wider Gott/ sein Werck/ Geschöpff vnd liebe Menschen/ als deren allen vnnachlessige ewige Feindt/ den Menschen angegriffen/ vnd durch deß verfüherung/ Gott zu Laide (also zureden) Ihne den Menschen/ vnd das gantze Geschöpff/ himel vnd Erden/ verderbt/ dass die Menschen zeittlich sterben/ vnd die Welt verbrennen mus/ die auch sich den guten Engeln/ in solcher Freindtschafft widersetzen/ vnd sich deren wehren dorffen[.]1304

Den Menschen steht es frei, sich selbst gegen die guten Engel zu wehren, auch sind die Menschen ausdrücklich offen für Verführung und Anfechtung. Die unauflösbare Situation des Menschen, unvollkommen und immer schon sündig, gleichzeitig aber auch in Gottes Güte zu stehen und sein höchstes Geschöpf zu sein, entspricht der von Pico della Mirandola in der einflussreichen Schrift »De dignitate hominis« in klassischer Fassung konzipierten humanistischen Anthropologie, die vom christlichen Humanismus Melanchthons theologisch auf das Bild Gottes im Menschen hin zugespitzt worden ist.1305 Erst der vom Schöpfungsstatus her privilegierte Mensch macht die Geschichte und ihren Verlauf aus, denn als Geschaffener konstituiert er durch seine Handlungen den Bedingungszusammenhang von überzeitlicher Göttlichkeit (»stabilis aevi«) und verfließender Zeit, ja der Mensch ist ihr Bindeglied (»fluxi temporis interstitium«).1306 Dieses Geschichtswesen ist als ein freies Wesen auch ein Objekt göttlicher Normen, nach denen die »Vorred« fragt: Disem allem nach/ verwündert sich der Achte Psalm/ der grossen Lieb/ wie doch Gott/ vnd aus was vrsachen/ Gott den Menschen so hoch lieb/ vnd fast vber all seine Werck vnd Geschöpff/ dann spricht Er/ Was ist der Mensch/ dass du, so gewaltiger grosser Gott/ der du Himel vnd Erden geschaffen hast/ an die Menschen gedenckest/ due du also angelegen sein lessest. Was ist ein Mensch Was ist an Ihm dass du auff Erden Ihn sichest/ vnd die Ihn so hoch beuolhen sein lessest? Dann nur dass du Ihn nicht aller ding den Engeln gleich gemacht hast/ sondern etwas wenig/ vnd auff ein klaine Zeitt/ geringer als einen Engel[.]1307

Die Fragen nach der Natur des Menschen und deren Folgen sind deutlich mit einem ethischen Sinn unterlegt. Vor Gott ist der Mensch ein schuldiges Geschöpf, dessen Gewissen in Anerkennung der großen und einzigartigen Liebe des Schöpfers ihn zu Folgsamkeit bewegen sollte. Wie bei Pico werden in einer eigentlich überchristlichen, gleichwohl aber theologischen Untersuchung die 1304 Ebd., fol. 6r. 1305 Günter R. Schmidt (Hg.), Philipp Melanchthon, Glaube und Bildung. Texte zum christlichen Humanismus, Stuttgart 1989, 81 – 89. 1306 Gerd von der Gönna (Hg.), Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate. Rede über die Würde des Menschen, Stuttgart 1997, 4. 1307 GTB, fol. 6v.

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Engel und die Cherubim als moralische Vorbilder hervorgehoben;1308 so erscheint die didaktisch vorgeplante, nämlich schriftgleich ausgeführte, das Wort Cherubim erläuternde Glosse in der »Vorred« spezifisch motiviert,1309 um eine ethische Programmatik zu verankern, wobei eine irenische, überkonfessionelle Grundlage gewählt wird. Die Herkunft vom höchsten Vater, dem Sohn als ›Erbe‹ mitgegeben, soll bei Pico della Mirandola wie in der »Vorred« die Orientierung an den Cherubim und an den Stammvätern Jakob und Abraham, ja sogar Moses (bei Pico darüber hinaus auch an heidnischen Philosophen wie Pythagoras) als Lebensziel übertragen werden.1310 Wie Augustinus schreibe, so Pico della Mirandola, unterscheide die Wertschätzung des Göttlichen, der Schönheit seiner Schöpfung, den Menschen von allen anderen Lebewesen, mache erst dies die Würde des Menschen überhaupt aus: Doch wozu trage ich diese vor? Damit wir begreifen: Wir sind geboren worden unter der Bedingung, dass wir das sein sollen, was wir sein wollen […] Geradezu heiliger Ehrgeiz soll uns befallen, dass wir, nicht zufrieden mit dem Mittelmaß, [mittels des gütig verliehenen freien Willens] nach dem Höchsten lechzen […] in den überweltlichen Palast, der sich in nächster Nähe der hocherhabenen Gottheit findet[.]1311

Die Ursprünge des menschlichen Lebens, sein Gewordensein und seine Eigenschaften erzeugen eine handlungsleitende Spannung. Diese wird von Pico prinzipiell, von Melanchthon in christlicher Fixierung vorgestellt. Die »Vorred« exemplifiziert die allgemeine Forderung nach Vervollkommnung zeitspezifisch 1308 Von der Gönna, Würde des Menschen, 17. 1309 In der Randglosse heißt es »(Cherubia) heist auff Hebraisch ein Gestalt/ vnd wird inn der Schrifft/ verstanden/ ein Gestallt aines Jünglings/ von dannen mahlet man die Engel/ als Jungegesellen/ wie Sie dann auch dem Loth erscheinen/ auch dreyen Männern/ dem Abraham/ vnd auß dem Gesicht Esaiae/ mitt Flügelen. Erscheinen doch auch inn Fewersgestalt/ wie inn der Historien vom Sameson do singt der 104. Psalm Wind vnd Fewerflammen seind deine diener/ vnnd Botten die du verschickest/ vnd haißen vom Fewer Hebraisch Seraphim«, GTB, fol. 1v. 1310 Als solche kognitive Kompetenz findet sich dieses humanistische Menschenbild aber ebenfalls bei Melanchthon: »All dieses Gute [eine für Weisheit und Gerechtigkeit empfängliche Natur, Strahlen seiner Weisheit, die ihm entsprechende Gerechtigkeit, Wahlfreiheit, Leben und ewige Freude] legte er so in uns hinein, dass er uns gleichzeitig selbst einwohnen , unsere Weisheit mehren und durch seine Regungen uns leiten wollte. Was lässt sich Größeres denken?«, Schmidt, Glaube und Bildung, 83, 85. 1311 »Sed quorsum haec? Ut intellegamus, postquam hac nati sumus condicione, ut id simus, quod esse volumus, […] Invadit animum sacra quaedam ambitio, ut mediocribus non contenti anhelemus ad summa adque illa (quando possumus si volumus) consequenda totis viribus […] ultramundanam curiam eminentissimae divinati proximam advolemus.« von der Gönna, Würde des Menschen, 12 – 15. Zu den Ausführungen über Augustinus, die Väter Jakob, Abraham, Moses, sowie der familiär-generationellen Sprache über die Grundlagen der humanistischen Anthropologie und der aus diesem Menschenbild sich ergebenden Handlungspflichten vgl. Ebd., 7, 19, 21, 27 und 37.

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und spitzt sie auf das reale Eintreffen der Endzeit der Welt und das Auftreten des Antichristen zu. Der deutsche Protestantismus sah sich in der Rolle einer wiedergestalteten Urkirche, die die religiöse Heilsordnung um eine weltliche Stütze ergänzte, eine Position, die das Reich, mithin auch der Kaiser, einnahm.1312 Die Erwartung der Endzeit und die konfessionskirchlich bedingte politische Affinität waren beide Teil der Identität. Der mit Bibelzitaten durchwobene Text der »Vorred« markiert nicht die Herkunft der vorgebrachten Theologumene. Der Leser ist mit einer Folge von Reflexionen konfrontiert, die die Erwartung einer Perspektivierung auf die Geschichte der Tucher hin bisher nur aufgebaut, aber nicht einmal in Ansätzen eingelöst hat. Wie der Hinweis Scheurls, sein Anliegen sei nicht allein die Herstellung eines gattungsmäßig bereits etablierten »Tucherbuch[s]« sondern auch »eine kleine Cronica«, deutet auch die »Vorred« auf den 1590 grundlegenden Funktionswandel des bis 1542 noch stärker auf rechtliche und politische Funktionen hin angelegten Geschlechterbuchs hin.

4.2.3 Vom konfessionellen Endzeitglauben zur familiären Kontinuität und Tradition als Aufgabe Der konfessionell geprägte Blick auf die Offenbarung sowie auf die Natur des Menschen wird im weiteren Verlauf der »Vorred« auf die konfessionellen Gegensätze hin gesteigert. Die bisherigen Themen bilden geradezu eine rhetorische ›Schwungmasse‹ für die folgende Positionierung im Lichte der Endzeiterwartung, »wie dann auch Johannes schreibt/ vor Funfftzehenhundert Jaren/ in seiner Epistel: Ihr Kinder/ es ist vmb die letzte Stundte«.1313 Grundlegender als bei der Schöpfung beginnend hätten die lutherische Sündentheologie und das Weltende als ihr ›Dringlichkeitsfaktor‹ kaum dargestellt werden können: Es ist aber die Welt bis auff dises 1590 Jar Christi gestanden/ Fünfftaussennt Fünfhundert vnd Sechßig Jar/ fehlen noch 440 bis auff Sechstaussent/ welcher Zeitt niemandt leichtlich zubereden/ ohne ainiche Propheterei/ allein auß den Jenigen Zaichen/ die Christus selbst vnd/ alsß kennzaichen der letzten Zeitt/ hatt weisen wollen/ dass also zuachten/ es werden an mehrgedachten Vierhundert Jaren/ mehr als ainhundert abgehen/ vnd der Jüngste Tag neher sein als man glaube/ von dem/ vnd von gedachten letzten zwaitausent Jaren der Welt/ wöllen wir auch kürtzlich dise erinnerung thun[.]1314 1312 Diese Entwicklung stellt nicht nur als deutsche Entwicklung dar, sondern kontextualisiert sie auch mit kritischen, etwa jesuitischen Gegenstimmen Völkel, Geschichtsschreibung, 202. 1313 GTB, fol. 7r. 1314 Ebd., fol. 7v.

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Die im 16. Jahrhundert geläufige Darstellung des Alterns der Welt will verunsichern, in der Interpretation der historischen Ereignisse sollen Zeichen für die nahende Apokalypse gefunden werden. Die bis zum Weltende verbleibende Zeit wird als unbestimmt endlich dargestellt, »welcher Zeitt niemandt leichtlich zubereden/ ohne ainiche Propheterei«. Die heuristische Offenheit der eigentlich chiliastischen Reflexion, dass das Ende zwar sicher eintreten werde, aber vielleicht noch viel Zeit bis dahin sei, wird sehr stark gewichtet, im Lichte der »Jenigen Zaichen/ die Christus selbst vnd/ alsß kennzaichen der letzten Zeitt/ hatt weisen wollen […] der Jüngste Tag neher sein als man glaube«. Berechnungen des Weltendes seien kaum verlässlich und könnten dies auch gar nicht sein. Die theologisch ermittelten Zeichen werden dagegen als sicher erachtet, sie sollten somit für den anstehenden Untergang und die Beachtung ethischer Fragen stärker sensibilisieren.1315 Die drohende Endzeit soll an das Gewissen appellieren, getreu der im späten 16. Jahrhundert intensivierten biblisch-geschichtstheologischen Apokalyptik.1316 Die apokalyptischen Zeichen erschienen Luther nicht als bloße Verweise auf ein kommendes Ende der Welt, sondern waren Teil eines als real aufgefassten Geschichtsprozesses.1317 Dennoch wurden Endzeitankündigungen flexible Deutungsmuster, die in verschiedenen Situationen auf bestimmte Parteiungen präzise zugeschnitten konnten, mit identifizierenden und polemischen Absichten gleichermaßen gegen Papsttum oder Protestantismus angebracht werden. Dabei entwickelte die lutherische Konfession in Selbst- und Fremdbeschreibung eine spezifische Semantik, die der »Vorred« unterlegt und auf einen bestimmten Zweck hin gestaltet wird. War apokalyptisches Denken in Kontexten politischer Publizistik vor allem ein Symptom von aktueller Krisenwahrnehmung, so wurde hier eine emotive Ausdrucksweise nicht einfach wie ein situativer Reflex aufgerufen, ohne diese an die Schreibsituation anzupassen. Vielmehr konnten »im Hinblick auf das zu erwartende Weltende die Reformationstat Luthers heilsgeschichtlich als letzte Reinigung der Lehre unmittelbar vor der Wiederkunft Christi gedeutet« und die ethischen Auswirkungen konkretisiert werden.1318 In der lutherischen Historiographie wurde das Jüngste Gericht direkt auf die Kirchengeschichte seit ihren Anfängen bezogen, eine wahrgenommene Entwicklung, an deren Ende Christus die Welt reinigen, sie endgültig ›reformieren‹ werde. 1315 Das Gewissen als zentrale ethische Erfahrungskategorie in der frühen Neuzeit wird in der »Vorred« jedoch nicht reproduzierend ›abgehandelt‹, sondern vielmehr auf die Familiengeschichtsschreibung und genealogische Arbeit zugespitzt. 1316 Zur breiten Tradition endzeitlicher Deutungsmuster und der dazugehörigen Semantiken vgl. Pohlig, Konfessionalle Identitätsbildung, bes. 278. 1317 Sandl, Interpretationswelten der Zeitenwende, 37. 1318 Hier und im Weiteren vgl. Pohlig, Konfessionelle Identitätsbildung, 297.

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Die programmatisch vorgetragene theologische Sensibilität entstand auf dem Höhepunkt einer Frömmigkeitskrise im deutschen Luthertum um 1600.1319 Das Luthertum nahm in dieser Zeit eine besonders selbstkritische moralische Haltung ein, die sich seit den 1550er Jahren anbahnt, wie ein Katechismus dieser Zeit verdeutlicht: [W]ir die wir zum Predigampt beruffen in diesen letzten vnd ergsten zeiten [müssen] vns auch in die sach schicken, die reine Lehr des heiligen Evangelij fleissige Leren vnd Predigen vnd Gott befehlen und heimstellen, wie solchs gepredigt Wort von wenig zur Seligkeit wird aufgenommen […] als durch die Eltern, Praeceptores vnd die hohe vnd nidrige Obrigkeit eusserliche Disciplin vnd gute Policey wird auffgericht vnd erhalten[.]1320

Von den Zeitgenossen wurde der Widerspruch akzeptiert, dass eine konfessionelle Reinigungs- und Ordnungskampagne trotz der Aussicht auf das baldige Ende der Welt noch angestrebt wurde. In diesem Spannungsverhältnis werden die mit der Eschatologie verfolgten ethischen Ziele verdeutlicht. Die dogmatisch fixierten Positionen waren auch in politischer Hinsicht geschmeidig genug, um Widersprüche zu kompensieren, ließ sich doch die Position »apokalyptische[n] Antikatholizismu[s’]« bei gleichzeitiger Reichstreue aufrechterhalten.1321 Die lutherische Wortverkündigung garantierte eine »ecclesia invisibilis«, im Gegensatz zu den Institutionen der Altgläubigen. Dies war auch nach dem Konzil von Trient eine relativ »quietistisch[e]« und keineswegs militante Semantik. Der Rationalitätsstandard war jedoch kein szientifisch-logischer ; vielmehr konnten sich theologische, politische und andere Interpretamente flexibel zu einem Bedeutungskomplex überlagern, ohne dass dessen Plausibilität durch Widersprüche zwischen den Identitätselementen notwendig gefährdet gewesen wäre. Vor dem Hintergrund einer möglicherweise widersprüchlichen und synkretistischen Argumentation ist daher die folgende Gegenwartsdarstellung zu interpretieren: Christus aber der Messias/ vnd sein Christlicher Gottesdienst/ ist gestanden biß auff dises Jar Christi/ da man nach der Geburt Christi/ 1590 schreibt/ […] wer kann nun wissen/ ob auch Gott gefallen wolle/ […] inn vnd mitt seinem Euangelio/ viel länger/ alß die Figur vnd bedeüttunge Christi/ der Welt lassen möchte/ sonderlich in so großer Vndanckbarkeit der Welt/ vnd bey souil zaichen/ aüff die Gott vns angewisen hatt/ vnd die Zumercken fürgestelt vnd beuolhen/ so ist der letzte grewel der Welt/ vnd die letzte vnd gröste Abgötterey der Meß/ vnd deß Haylligen Nachtmals Christi[.]1322 1319 Diese Position entspricht dem Stand der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung, vgl. die Nachweise in Sandl, Interpretationswelten der Zeitenwende, 39 et passim. 1320 Zit. nach Pohlig, Konfessionelle Identitätsbildung, 297. 1321 Ebd., 301. 1322 GTB, fol. 7v, 8r.

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Einerseits wird das Christentum durch die Bezugnahme auf Christus und »sein[en] Christliche[n] Gottesdienst« überkonfessionell-irenisch angesetzt. Diese potentielle Gemeinchristlichkeit wird jedoch, andererseits, auf das schärfste mit der Messe als dem konfessionellen Gegensatz und »letzte vnd gröste Abgötterey« kontrastiert. Die Rezeption trägt Luthers theologische Bedenken gegen die Selbstversöhnung der Menschen mit Gott in der durch Stiftungen erworbenen und von der Kirche ›verkauften‹ Messe weiter, wie auch die in der Schrift Luthers »De captivitate« geübte Kritik an der katholischen Abendmahlstradition als einer Erweiterung der biblisch verbürgten Taten Christi.1323 Jedoch verschärft die »Vorred« die kritische Wertung über Luthers Standpunkt hinaus, indem sie die Mißstände der Kirche über die literarischen Konventionen der Lutheranhänger hinaus, die eine 400 Jahre währende Fehlentwicklung konstatierten,1324 auf Kaiser Karl den Großen ausdehnt. Dieser hatte im späten 16. Jahrhundert, besonders nach 1560, eine neue Legitimation erhalten.1325 ›Die Deutschen‹ waren bis dahin von Enea Silvio Piccolomini als rechtmäßige Erben der Reichsgewalt charakterisiert worden. Neben Humanisten um Maximilian I. hatten auch Anhänger der Reformation diese Argumentation aufgegriffen, so dass Karl der Große als der erste Träger der Reichsgewalt erscheinen konnte – mit deutlichem nationalem Bezug, wenn nicht gar auf die Christenheit insgesamt durch die Anhäufung von Reliquien.1326 Ab 1560 wurde die Legitimierung verstärkt, indem auf Papst Leo III. als den ›Ausführer‹ der ›translatio imperii‹ verwiesen wurde, die mithin Karl dem Großen auch verdientermaßen zukam, nämlich für den Schutz der Kirche und des Heiligen Stuhls gegen die 1323 Beutel, Luther, 267, 273. 1324 Gerald H. Seufert, Hans Sachs, Die Wittenbergisch Nachtigall. Spruchgedicht, vier Reformationsdialoge und das Meisterlied Das Walt Got, Stuttgart 1974, 13 – 40, bes. 19, 101 – 116. 1325 Herfried Münkler/Hans Grünberger/Kathrin Mayer (Hg.), Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland (Politische Ideen 8), Berlin 1998, 175 – 178. 1326 Berichte durchreisender Europäer belegen schlaglichtartig die Legendenbildung um Karl den Großen, die eine Pilgerfahrt nach Jerusalem und die daher rührenden Reliquien in Nürnberg einschloss, so der junge spanische Ritter Pero Tafur 1438 im Bericht über seine Durchreise. Neben Dingen, die den an der Planung des Brüsseler Lanzenstechens beteiligten Pilger und politischen Informanten interessiert haben werden, wie die Produktion der europaweit »Nürnbergisch« genannten Panzerhemden (»aqu„ se fazen los jaceranes que dizen de Nirumberga«), erwähnte er die Reliquienschau vor allem deshalb, weil er ihren Wert provozierend dadurch relativieren konnte, dass er ›dieselben‹ Reliquien bereits in Konstantinopel gesehen habe (»yo dixe como la av„a visto en Constantinopla«). Die Legendenbildung, auf deren durchsichtige politische Ziele möglicherweise die Vorrede anspielt, entstammte hier womöglich dem Altfranzösischen, vgl. Otto Anders, Nürnberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts im Spiegel ausländischer Betrachtung, in: MVGN 50 (1960), 100 – 112, hier vor allem 103 – 106.

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Langobarden. Diese bisher dem Papsttum zugeschriebene Rolle wurde in der Folge von Huttens zu einem tugendbezogenen Nationendiskurs, die in der kürzlich wiederentdeckten »Germania« des Tacitus beschriebenen bellizistischen Tugenden der Deutschen umgewidmet und das Papsttum somit zum Werkzeug Gottes bei der Erfüllung des göttlichen Heilsplans. Das Tucherbuch lässt die Rolle des Handelnden offen, indem es das Übel zum handelnden Subjekt macht, das »sich […] eingesetzt« habe: [Das Heilige Nachtmahl Christi] das nun in die Achthundert Jar hero/ von Kaißer Carols/ des großen Zeitten/ sich in Tempel Christi/ seines Volcks vnd Kirchen/ eingesetzt hatt/ dises ist Zu disen vnsern Zeitten so hoch kommen/ vnd hatt sich dermassen gesterckt/ dass auch die Ausserwöehlten sich zu befahren haben (wie Christus dauon Propheceyet) wie dann auch die Reformirten Kirchen vnserer Zeitt/ sich in disem artickel nicht genugsam fürsehen noch verwaren […] ist zubesorgen/ dass noch allerley/ vnd die allergrösten Veruolgung vnd verenderung/ so dem Ende der Welt vorstehen/ daraus entspringen vnd volgen werden[.]1327

Im Gegensatz zu dieser kirchengeschichtlichen Wertung hatte der Nürnberger Sänger Hans Sachs, Zeitgenosse und Sprachrohr der Reformation, in seiner Luther verherrlichenden Ballade »Die Wittenbergisch Nachtigall« einen kürzeren Zeitraum für Fehlentwicklungen in der Kirche angegeben, entgegen der Angaben Luthers.1328 Der folgende Text spricht also möglicherweise dafür, dass in der »Vorred« ein Synkretismus aus Nationendiskurs und Kirchenpolitik vorliegt: Jst Doctor Martinus Luther/ Zu Wittenberg Augustiner/ Der vns auffwecket von der nacht/ […] Der Sophisten hin vnde here/ Jnnerhalb der vierhundert jaren/ Die seynd nach jr vernunfft gefaren/ Vnd hond vns abgefueret ver/ Von der Ewangelischen ler/ Vnseres hyrten Jhesu Christ/ Hyn zuo dem loewen in die wist/ Der leo wirt der Bapst genent/ Die wuest das gaystlich Regiment/ darinn er vns hat weyt verfürt/ Auff menschen fünd als man yetz spürt[.]1329 1327 GTB, fol. 8r. 1328 Die Sachs’sche Rezeption und Weitervermittlung der lutherischen Theologie war jedoch ihrerseits nicht voll auf Luther eingegangen, der die von ihm wahrgenommenen Missstände der Kirche und der Regierung des Antichrists bereits um 600 anbrechen sah, so die Forschungssynthese in Beutel, Luther, 48 f. 1329 Seufert, Die Wittenbergisch Nachtigall, 19, vv. 100 – 116.

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

Sachs’ wirksames Engagement bei der Verbreitung der neuen, der eigenen Absicht nach aber radikalkonservativen Lehre Luthers wird in der »Vorred« übertrumpft, indem es in einen größeren historischen Zusammenhang seit dem Frühmittelalter gestellt wird. Vor allem aber wird die Zweiteilung in institutionelle Kirche und Protestanten ausgeweitet auf die Reformierten, die anders als die Lutheraner 1590 nicht antikatholisch und gleichzeitig kaisertreu sein konnten. Die eschatologische Deutung der katholischen Abendmahlspraxis und die Kritik am Kaiser, dessen Stellung kaum unabhängig von der Ankündigung reflektiert wurde, dem baldigen Ende der Welt würden sicher noch »allergrösten Veruolgung[en] vnd verenderung[en]« vorausgehen, widersprachen sich. Ungeachtet der keineswegs militant-reformatorisch formulierten Kritik wird doch eine Tendenz zur ethischen Ausdeutung dieser Zeichen erkennbar. Die Missstände wurden als Vorzeichen des nahen Endes gedeutet, somit als Anreize zur eigenen Verhaltensänderung. Das Luthertum hatte mit dem Konkordienbuch seine Heterogenität abgelegt,1330 obwohl natürlich weiterhin regional begrenzte Bekenntnisse existierten. Die aber wenigstens doch vermeintlich ›vereinheitlichte‹ Konfession nahm sowohl die Türken als auch den Papst als Objekt der Kritik wahr, während Luther selbst differenzierter war, bis hin zu gelegentlich turkophilen Tendenzen.1331 Luther wie Lutheraner schätzten die Verkörperung des Antichristen im ›Türken‹ weniger schädlich ein als die des Papstes; vielmehr ging das Luthertum einen eigenen Weg, der von der katholischen Kreuzzugssemantik abwich, und betrachtete die Existenz und Bedrohung durch die Türken als ethisch stimulierendes Element, als »Rute«, die den Christenmenschen zum bußevollen Leben ermutigen sollte. Mit der Topik der unheilbringenden Türken ging eine große Zahl der Theologen bis kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges konform, als die militärischen Handlungsoptionen stärker in den Mittelpunkt rückten, während die konfessionellen Auseinandersetzungen in Frankreich eher als randständig interpretiert werden: [Dies] sein alles merckliche vnd känntliche Zaichen/ Vber diese/ fecht auch an/ deß Bapsts gewalt/ auß Gottes genaden Zümblich zufallen/ bey Hispannien vnd Franckreich/ entgehet in Franckreich/ wirdt darauff mehr volgen/ bey vns Teutschen vnd Frembden/ vnd werden alß dann die Vierthalb Jar/ im Propheten Daniel/ die der Antichrist wehren soll/ von dem gewalt/ Macht vnd Herzligkait/ Zu der Er dieser Achthundert Jar hero kommen ist/ vnd also von den letzten Zeitten seiner Herrlichkait/ zudeutten vnd Zuuerstehen sein/ mit den Er auffhören/ vnd in der der Herr Ihn schlagen soll/ Man gebe demnach achtung auff den Bapst/ sein Meß (mag auch der 1330 Vgl. dazu Pohlig, Konfessionelle Identitätstiftung, 325. 1331 Die Darstellungen der Eschatologie entnehmen Eckpunkte der klar strukturierten und dichten Darstellung in Ebd., hier 288 f. Luther nahm die Osmanen jedoch eher als Plage Gottes in den Blick.

Der Bedeutungsbereich Schöpfung, Zeugung und Seligkeit

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Türck mitt bedacht werden/ der wider Christi Gottheit ist/ vnd sich für ein Feindt aller Christen bekennt/ außgibt und schreibt) vnd bedenck als dann/ was noch der Welt hinderstellig vor dem Jüngsten Tag/ da doch Gott den Antichrist auch mit dem Schwerdt vnd Gaist seines Mundts schlagen soll[.]1332

Auch gegen die Juden wird die Wahrheit und Reinheit der lutherischen Lehre hervorgehoben, der Blasphemievorwurf bewegt sich dabei im Rahmen der Eschatologie und einer quietistisch anmutenden, die »Christen« von der anderen Religion abgrenzenden Bezeichnung. Die ältere Tradition wird keineswegs abgewertet, sondern in Beziehung gesetzt zum neutestamentlichen Heilsgeschehen, das als die heilsblind dargestellte Theologie der Juden widerlegt: Neben dem allem/ bedenck man/ wie das Römische Reich stehe/ welches die letzte monarchia sein soll/ Dieweil aber wir dieser Eliasischen prophecey gedacht (welche die Juden in Ihrem Thalmud eingeleibt) können wir hierneben vnerinndert nicht lassen/ wider sie die Juden/ vnd Ihre Gotteslästerliche verlaugnüs/ dass Messias kommen sey/ daraus antzutzeichen/ dass sie (vermög dieser Ihrer aygenen Propheycey) bekennen/ wie das Leuitische Gesetz nicht länger dann biß auff Messiam/ weren soll/ vnnd also Messias/ nach Viertaussent Jaren kommen soll/ dass demnach Er nun mehr Ihrer aygenen Rechnung nach/ kommen sey/ dann biß auff dieses vnsers Christi 1590 Jar/ Zehlen die Juden selbst/ das Jar der Welt 5350 sein 350 Jar vber Fünfftausent/ vor denen Messias/ Ihrer selbst bekanndtnüs nach kommen sey/ vnd das Gesetz auffgehört/ da doch besserer vnd warer Rechnung/ biß auff dieses 1590 vnsers Christi Jar/ 5560/ der Welt zutzurechnen/ von irem anfang[.]1333

Die richtig verstandene Offenbarung eröffnet also den Blick auf das Sein des Geschöpfes Gottes. Die Schöpfung des Menschen durch Gott steht, den eschatologischen Abschnitt abschließend, in engstem Zusammenhang mit der Zeugung von Nachkommen in der Familie. Die prokreative ›generatio‹ »durch den Ehestandt vnd Weibliche Geburt« ist eine Funktion der »Seeligkait« sichernden göttlichen ›generatio‹ des Menschen, eine komplexe Beziehung, die wirkungsvolle kulturelle Stereotype über die Familie hervorgebracht hat, ohne Bezüge der Zeugung und Geburt als Folgen des Sündenfalls darzustellen. Am Ende des eschatologischen Abschnitts wird das Wortfeld der ›generatio‹, d. h. der konkreten Zeugung und Geburt, in den Kontext der Heilsgewißheit gerückt. Ähnlich dem »Beschluß« des Scheurlbuchs, das zwischen einem irdischen und eines himmlischen Stammbuch unterschied, werden realexistierende Personen des sich in der fruchtbaren Ehe ausbreitenden Menschengeschlechts als Mitglieder der »Ewige[n] Kirch[e]« dargestellt. Das verleiht dem Katalog von tugendreichen Vorfahren in einer Familiengeschichte wie dem Tucherbuch eine religiöse Dokumentationsfunktion: 1332 GTB, fol. 8r. 1333 Ebd., fol. 8v.

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Auß obgesagtem allen biß anhero/ ist nun genugsam dargethan vnd Zuuerstehen/ wie Christus vns Christen alles vnd allein ist/ den Gott vns hatt fürgestellt zur Weyßhaitt vnd Seeligkait/ in dem vnd auff dem stehet alle seine Offenbarung/ in der Er sich vns mithgethailt/ vnd allen vnsere Seelige wissenschafft/ der offenbart vnd erklert vns alle Schrifft vnd Prophecey/ des Leuitischen Gottesdiensts/ die gantze hayllige Schrifft des alten Bundts vnd Testaments/ durch das newe sein Euangelium/ dardurch Er Ihme nun mehr/ vom Himel/ vnd der Rechten Gottes/ sein hinderstellige Ewige Kirch vnd Volck samlete/ das Er durch den Ehestandt vnd Weibliche Geburt Ihme zusammenbringt[.]1334

Vereinigte die »Vorred« in ihrem Predigtcharakter unter worttheologischen Prämissen die Gläubigen zu einer Kirche im Sinne des Protestantismus, so wird dieser allgemeintheologische Anspruch im Familienbezug sozial konkretisiert. Durch inhaltliche Wiederaufnahmen, Vorblenden und kombinatorische Varianz des Textes vollzieht die »Vorred« langsam eine thematische Progression hin zur Ehe. Dabei handelt es sich nicht, wie ein erster Blick in den ungewöhnlich sermonartigen Text zeigt, um eine beliebige Frage der Vertextung und Formgebung des Gesagten in bestimmten literarischen Gattungskonventionen. Die besondere Form der Rede vermittelt den Eindruck organischen Ineinanders und besonders hoher Mitteilungswürdigkeit. Die Theologumene werden der Selbstvergewisserung der Tucher zugeführt. Die verflochtenen Gedanken wiederholen bewusst bereits Gesagtes, markieren dies auch autoreflexiv und bilden somit die Einheit zwischen den Elementen des Generationsdiskurses ab. Dies sind konkret die Schöpfung und die weiterzugebende Heilsbotschaft sowie neben dieser ›geistigen Erhaltungsweise‹ der Menschheit, auch die biologische Prokreation. Die Ehe und ihr objektiver Vollzug in der Form von geborenen Kindern schaffen und erhalten erst die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, ein kulturelles Stereotyp, dessen Gegenstandsbereich im weiteren Verlauf auf die Nürnberger Tucher verengt wird.

4.3

Vererbende Übertragung des Vermächtnisses: Die »Vorred« zu Erziehung und historischer Darstellung

4.3.1 Die Steigerung gattungsüblicher Repräsentationsabsichten: das Glaubensbekenntnis als der erstrangige Übertragungsgegenstand Das Vorwort der Fassung des Tucherbuchs von 1565 vermerkt, dass eine Neuabschrift der noch von Scheurl verantworteten Handschrift angefertigt worden sei. Die Rechtfertigung erfordert genauere Berücksichtigung, denn dieser Text 1334 Ebd.

Vererbende Übertragung des Vermächtnisses

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stellt den Wunsch Scheurls, »Generation vnd Glori« solle den Tucher beschieden sein, in direkten Zusammenhang mit der erzieherischen Kontinuitätsabsicht: Demnach sind Am Sontag den dreyssigisten Septembris deß verganngen FünffZehenhundert Fünfvndsechzigisten Jars Inn deß Erbarn vnnd vesten Jacoben Tuchers Behausung Am Milchmarckt Personlich erschinen vnd Alda Ain Malzeit gehalten Die Ernvesten fürsichtig Erbare vnd weisen Allewegen die Eltisten nach einannder volgenden mit Namen Herr Leonhardt, Jacob, Franntz, Paulus, Gabriel, Marx, Herdegenn, Thobias, Caspar, Adam, Leuinus vnnd Christoff die Tucher, Vatter Söhne, Brüeder vnnd Vettern, Vnnd Obwol Anthon Tucher Auch hier zu erpetten, Aber Aus Eehehafften vrsachen er nit er scheinen Können sonnder sich durch obgenannten Paulusen Tucher seinen Vettern entschuldigen lassenn, vnd deß nachstennden Auch wol zufrieden gewesen. Damals sich vnnder Annderm Notwendigem fürpringen Auch einhellig beschlossen Nach dem vor etlich Jarn, Ir der Tucher Namens vnd Stamens […] hochgelert […] Scheurl der Rechten Doctorn Ir Ohaim seligen mit bestem fleiß zusammen colligirt, vnnd Inn Schrift verfast, das dasselbig In Ain Buch ordenlich [zusam]mengebracht werde, damit man Zur Notturfft vnnd sonnderlich bey Ieder [Zusam]menkunfft die Jungen daraus sehen vnd vernemen mögen […] wer Ire voreltern gewesen vnd sy destomehr, Zur Forcht Gottes (welches Ain anfanng der weißheit ist) Auch Aller Zucht vnd Erberkeit gerayzt vnnd gefürdert vnd hierdurch erInnert werden. Solches fürohin hernach Auch Alsß zuhalten zu Continuiern, vnnd der Eltern Fueßstapffen nachzufolgen, Darzu sy dann Eerngemelter Herr Doctor Christof Scheurl seliger getreulich vermant, Neu aus volgennder seiner Vorred so er in seinen Leben gemacht vnd gueter getrewer wolmeinung, An sy geschriebenn Zuuernemen ist[.]1335

Die hier geäußerte Kontinuitätsforderung wird durch die Situationsschilderung verstärkt, dass die namentlich genannten Tucher einhellig zu der Überzeugung gekommen seien, für das Jahrestreffen der Tucher-Stiftung eine lesbare Abschrift des Stammbuchs herzustellen. Diese sei nötig, damit die Jugend das verpflichtende Vermächtnis kennenlerne und den Eltern und Voreltern eifrig in Frömmigkeit und Ethik nachfolge – aus dem gleichen Grund also, aus dem schon die bisherige historische Darstellung von so großartigem Rang gewesen sei. Die ›Jugend‹ war als Adressat stereotyp,1336 gewinnt hier jedoch eine reale Bedeutung im Spiegel der Stiftungstreffen. Die Argumentation zeigt das Bedürfnis der Gegenwart nach Vergangenheitswissen, um damit kommende Generationen anzuleiten: Die hier dargestellte familiäre Identität der ›Dynastie‹ der Tucher wird in der späteren Fassung und Prachtversion dezidiert ›soziohistorisch‹ durch Rückblenden auf verwandte Geschlechter erweitert werden. War auch der vormoderne Zukunftsbegriff vergangenheitsbestimmt,1337 so durchbricht die

1335 Tucherbuch London, fol. 18r, 18v. 1336 So Schmid, Deutsche Autobiographik, 114. 1337 Eine Futurisierung der Ethik, eine Zukunft um des erst noch zu erreichenden Fortschritts und Vervollkommnung der Freiheit willen, waren Entwicklungen erst seit der Französi-

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auf Nachfolge abstellende Ethik diese Grenze, die auch durch Luthers Endzeitglauben gestützt wurde.1338 Mithin kann der Generationsdiskurs keineswegs völlig durch das konfessionelle Wertsystem konstituiert worden sein. Die Metaphorik der ›Fußstapfen‹ verdeutlicht die Ambivalenz eines Weges, auf dem bereits gerichtete Spuren zu sehen sind, die für den eigenen, darüber hinausgehenden Weg bestimmend wirken sollten.1339 Es handelt sich bei dem sequi-vestigia-Topos um eine Formulierung des lateinischen Sprachbildschatzes, die mit großer Konstanz bis zum 16. Jahrhundert poetologische und historische Diskurse bestimmt hatte.1340 Im Tucherbuch verdeutlicht er, dass Geschichte in der historischen Darstellung als Beobachtungs- und Lerngegenstand verfügbar gemacht wird, weil erst so die Orientierung an den Spuren möglich und durch deren wertende Vermittlung wahrscheinlich wird. Diese didaktische Absichtsbekundung bleibt in der späteren Fassung erhalten, jedoch folgt dort auch ein Bericht von Scheurl, als habe sein Interesse die Tucher erst dazu bewegt, ihre eigene Vergangenheit zu erarbeiten. Die für die Neuabfassung angegebenen Gründe reichen jedoch nicht für eine historische Erklärung hin, wie eine Kontextualisierung zeigen soll. Im Entstehungsjahr des Tucherbuchs situierte sich eine Nürnberger Familiengeschichte in einem sozialen Raum, der von einer intensivierten Geschichtskultur und Repräsentationsaktivität des Patriziats und anderer sozialer Gruppen geprägt war.1341 Zu verschenkende Wappendrucke, deren Vorlage

1338 1339

1340

1341

schen Revolution, möglicherweise aber auch schon seit Diderot, vgl. Koselleck, Begriffsgeschichten, 298, 525. Der protestantistische Endzeitglaube rechnete mit dem nahen Ende der – alternden – Welt, somit war eine in die Zukunft gerichtete Ethik überhaupt nicht denkbar, vgl. Koselleck, Begriffsgeschichten, 319. Die Metaphorik von hinterlassenen Spuren, vor allem aber von Wegen hat eine durchaus breite Geschichte in Autobiographien von Einzelpersonen seit dem Spätmittelalter. Diese Tradition legt nahe, dass es sich beim Tucherbuch um eine kollektive Autobiographie handelt, im dem Sinne, dass die Familie sich selbst ihre Geschichte widmet. Zu Beispielen von Wegmetaphern vgl. Andreas Beriger, Die Wegmetapher in den Autobiographien von Johannes Butzbach und Ignatius von Loyola, in: Paul Michel (Hg.), Symbolik von Weg und Reise, Frankfurt/Main 1992, 57 – 81. In Verbindung mit der Imitatio Christi hatte sich mit Auswirkungen auf die Literatur, Kunst, Religion und Theologie ein Nachfolge-Nachahmungs-Diskurs herausgebildet, so Dina De Rentiis, Die Zeit der Nachfolge. Zur Interdependenz von ›imitatio Christi‹ und ›imitatio auctorum‹ im 12.–16. Jahrhundert (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 273), Tübingen 1996, bes. 46, 150, 157. Zu Thesen über die gerichtete Wandlung und Intensivierung der Nürnberger Gedächtniskultur sei vorab auf zwei diachron angelegte Untersuchungen hingewiesen, die vor dem sozioökonomischen Hintergrund des Stiftungswesens und kunstgeschichtlicher Befunde den Wandel der Erinnerungsfunktion vor Augen stellen, während schon die nachreformatorischen textlichen Bezugnahmen und Gewichtungen spätmittelalterlichen historischen Wissens Legitimierungsbedürfnisse im Wandel anzeigen vgl. Staub, Stiftungspraxis und kultureller Wandel sowie Joachim Schneider, Anfänge in der Stadtgeschichte. Über Legenden in der mittelalterlichen Nürnberger Stadtchronistik und ihren historischen

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aufwändig herzustellen war und deren Druck auch unter den effizienten Vervielfältigungsmöglichkeiten des 16. Jahrhunderts erhebliche Beträge kostete, stellten einen vorindustriellen Geschäftszweig dar, dessen Konjunktur im 16. Jahrhundert anhielt:1342 Als Modeerscheinung, parallel zu ebenfalls geschäftsmäßig von Kunsthandwerkern ausgeführten Stammbucheinträgen,1343 provozierte die Annahme eines Einblattdruckes mit einem Wappen die Herstellung eines eigenen Exemplars, gewissermaßen als eine sozialen Status markierende ›Visitenkarte‹. Reisende Patriziersöhne dokumentierten ihre Itinerare durch Einträge ihrer ausländischen Gastgeber, denen sie als einer ›patrizischen Öffentlichkeit‹ ebenfalls besonders kunstvoll gestaltete Wappenbildchen in Stammbücher einmalen ließen. Die Wappen, Inbegriff eines Nachweises historischer Verankerung des Standes, sollten die Tradition vergegenwärtigen und soziale Beziehungen geschichtskulturell überhöhen. Dieses Vorgehen übernahmen auch Bedienstete des Habsburgerhofes und Bürgerliche. Sie gaben Wappendarstellungen bei Albrecht Dürer in Auftrag, die denen der Patrizier ähnlich waren, ein Befund, der neben der horizontalen auch die vertikale, zwischen sozial verschiedenen Gruppen entstandene Agonalität belegt.1344 Ähnliches ist auf dem Gebiet der als eine Art ›soziokulturelles Zahlungsmittel‹ intendierten Schaumünzen zu beobachten. Als exemplarischer Fall aus dem Patriziat verdient für die sich im 16. Jahrhundert immer weiter intensivierende und popularisierende Geschichtskultur eine mehrere Brüder einer patrizischen Familie im frühen 16. Jahrhundert abbildende Münze Beachtung. Zwar bieten die umfassenden Sammlungen Habichs zahlreiche Beispiele für Auskunftswert, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 87 (2000), 5 – 46. 1342 Die bisher eher motivgeschichtlich behandelte Gattung deutet ausdrücklich unter unternehmerischen Aspekten Schmid, Dürer als Unternehmer, 434, 515 – 517. 1343 Die auf Reisen mitgeführten Stammbücher ermöglichten die Dokumentierung der Reise und die dabei geschlossenen sozialen Kontakte, so dass das Stammbuch soziales Kapital kommunizierte. Für eine differenzierte Diskussion des historischen Auskunftswertes vgl. Jörg-Ulrich Fechner, Stammbücher als kulturhistorische Quellen. Einführung und Umriß der Aufgaben, in: Ders. (Hg.), Stammbücher als kulturhistorische Quellen (Wolfenbütteler Forschungen 11), München 1981, 7 – 22 sowie Christiane Schwarz, Studien zur Stammbuchpraxis der Frühen Neuzeit. Gestaltung und Nutzung des Album amicorum am Beispiel eines Hofbeamten und Dichters, eines Politikers und eines Goldschmieds (etwa 1550 bis 1650) (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 66), Frankfurt am Main 2002, 263 – 270. Zu Stammbüchern vgl. Werner Wilhelm Schnabel, Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts (Frühe Neuzeit 78), Tübingen 2003. Zur memorativen Funktion von handschriftlichen Stammbucheinträgen vgl. Ulinka Rublack, Grapho-Relics: Lutheranism and the Materialization of the Word, in: Past and Present. Supplement 5 2010, 144 – 166, 158. 1344 Vgl. Schmid, Dürer als Unternehmer, 525.

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Münzen, etwa von Leonhart, Martin und Sixtus Tucher, jedoch ohne ähnlich tiefe hilfswissenschaftliche Ergebnisse.1345 Es handelte sich um eine weitere, aber exklusivere Spielart der Selbstdarstellung.1346 Unter der einzigen Aufschrift »Concordia Fratrum« ließen sich Sigismund (1479 – 1554), Melchior (1481 – 1535), Ulrich (1484 – 1530), Seifried (1485 – 1545) und Martin Pfinzing (1490 – 1552) zu fünft, in die gleiche Richtung nach rechts schauend, im Profil abbilden. Nur ein Exemplar ist erhalten geblieben, jedoch existiert auch ein Holzmodell dieses Motivs, so dass die mehrfache Reproduktion möglich und beabsichtigt war ; die nur einseitige Porträtmünze ist gelocht und war vermutlich zum Aufhängen gedacht, was dem ohnehin hohen Wert einer Bronzemünze, hier vor allem durch Herstellungskosten erhöht, gerecht wird. Diese Schaumünze eignete sich vor allem als Geschenk für Personen, die die Pfinzing bereits kannten, fehlte doch jeder Hinweis auf ihren Verwandtschaftsgrad und den Familiennamen. Letztes als eine überzeitliche Bezugsgröße hervorzuheben, scheint die Hauptintention der Münze gewesen zu sein, signalisiert doch die Anordnung der Brüder in der Folge ihrer Geburtsjahre die harmonische Einheit, während die Kleidung auf die verschiedenen Karrieren der Brüder verweist: Gehörte Martin Pfinzing 1523 dem Rat an und führte 1532 das Nürnberger Kontingent im Türkenkrieg, während Ulrichs geistliche Karriere durch die Tonsur und das Ordensgewand markiert wird, wobei das Herstellungsjahr, 1519, noch vor der Phase der zentralen reformatorischen Auseinandersetzungen in Nürnberg selbst liegt.1347 Einende Bezugsgröße über sich anbahnende konfessionelle Uneinigkeiten zwischen den Brüdern hinweg war das Geschlecht der Pfinzing. Das Bekenntnis zur familiären Einheit war durch die Feierlichkeiten zur Aufstellung des wohl wichtigsten ›patriotischen‹ Ortes der protestantischen Stadt, des Sebaldus1345 Die monumentalen Bände sind zwar schwer zugänglich und teilweise nicht im Fernleihverkehr erhältlich, jedoch bildet vor allem die Erschließung des Materials nach den kunsthandwerklichen Kriterien den Vorteil, die in der Münzproduktion wirkenden agonalen Bestrebungen – vergleichbar denen in der Nürnberger Wappeneinblattdruckmode – im Spiegel der Auftraggeber und Auftragsempfänger nachzuvollziehen. Beispiele wie die Münze des Markgrafs Albrecht von Brandenburg legen nahe, dass ein Prestigewettkampf hinsichtlich der Qualität und des Wertes der Abgüsse stattfand, der durch die Wahl der Werkstatt maßgeblich mit konstituiert wurde, vgl. Georg Habich (Hg.), Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts. Geordnet nach Meistern und Schulen, 1. Band, 2 Hälfte, München, o. J., 188. 1346 Bisher unbekannter Exemplare bei Peter Volz, Unbekannte deutsche Schaumünzen des 16. Jahrhunderts. Teil II (3 Abbildungen), in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 42/43 (1992 – 1993), 245 – 250, 247. 1347 Seebaß, Andreas Osiander, 90, während gerade die Einführung der Reformation in Nürnberg geschmeidig und teilweise in Kontinuität zu früheren innerstädtischen Reformbestrebungen verlief, vgl. Reinhard, Anfänge der Reformation in Nürnberg.

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Grabmals erfolgt.1348 Dieser Heilige besaß eine außergewöhnliche identifikatorische Bedeutung, so dass das Amt des Kirchenmeisters trotz damit verbundener Ausgaben und Anstrengungen für Sebald Schreyer mit einem religiösen Privileg verbunden gewesen war ; dieser ließ daher beispielsweise mehrmals Oden zu Ehren des Heiligen aufführen, die Sauberkeit seines Schreins peinlich genau kontrollieren und dessen Öffnung in autobiographischen Schriften hervorheben.1349 Melchior Pfinzing hatte als Propst von St. Sebald die Anfertigung des über dem Schrein des Kirchen- und Stadtpatrons angebrachten bronzenen Daches aktiv verfolgt. Die daraufhin ohne Jahresangabe entstandene Münze wurde später, als die Angabe der Jahreszahl und der Namen und Ämter der Brüder bereits aufgrund der zeitlichen Distanz notwendig geworden war, weiter vervielfältigt und konnte somit potentiell für einen breiteren Empfängerkreis in Nürnberg, vor allem aber darüber hinaus ergänzt werden. Der Stadtpatron, den der Nürnberger Rat im 15. Jahrhundert unter großen Anstrengungen hatte heilig sprechen lassen als Symbol für die Stadt,1350 und der 1348 Der reformatorischen Ablehnung der Heiligenverehrung stand in Ausnahmefällen die Beharrungskraft städtischer Gemeinwesen entgegen, vgl. Thomas Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria im 16. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), 587 – 614. Im Falle des Nürnberger Stadtpatrons mag auch das langjährige, erfolgreiche Engagement des Rats für die Heiligsprechung des in zahlreichen populären Sagen überlieferten Sebalds gewichtet worden sein. Um die Zeit der Reformation waren die Tucher, deren Grablege gemäß einer Stiftung des frühen 14. Jahrhunderts im Ostchor von St. Sebald, gegenüber dem nunmehr neugeschmückten Grab des Heiligen, gelegen war, dem Höhepunkt ihres politischen Einflusses nah. Andere Patriziergeschlechter wie die Löffelholz, die in der Sebald gewidmeten Pfarrkirche einen Altar, Fenster usw. gestiftet hatten, wären in ihrem Vermächtnis und in ihrer liturgischen Memoria freilich herabgestuft worden, so dass ein fundiertes Interesse an der Fortführung der Heiligenverehrung bestand. Allerdings wurde das (1993 zuletzt durchgeführte) Ritual, den Reliquienschrein feierlich zu öffnen und die Gebeine des Heiligen zu besuchen, nach 1503, dem dritten Mal seit 1463, um mehr als ein Jahrhundert nach 1629 verschoben, vgl. Georg Stolz, Sebaldusgrab, in: Diefenbacher, Stadtlexikon, 969 f. Mit dieser Verehrung muss sich die Errungenschaft des Patronatsrechts verbunden haben, hatten doch 1474 und 1513 Papst und Bischof von Bamberg diese dem Nürnberger Inneren Rat überlassen. 1349 Zu Schreyers besonderer Kirchenmeisterposition vgl. Arnd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters: Politik, Wirtschaft und Verwaltung (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 177), Stuttgart 2005, 121, 228 f. Die auffällig detaillierten Reinigungsanweisungen, mehrmals jährlich und vor allem zum Jahrestag des Heiligen den Schrein insgesamt, vor allem aber die Abbildung des Ölbergs zu polieren, krönen die dem Kirchenmeister ansonsten obliegende Reliquienpflege in St. Sebald. Zu den Polierarbeiten wurden teilweise sogar die Künstler persönlich herangezogen, so dass die Kosten erheblich waren, zumal sie vom Kirchenmeister – zusätzlich zu kommissarisch für die Kirchenfabrik zu zahlenden Baukosten – in voller Höhe übernommen werden mussten. 1350 Sebalds Verehrung hatte durch das von dem Losunger Anton Tucher in Auftrag gegebene Grabmonument 1507 eine neue Intensität gewonnen, die sich auch in Nachdrucken seiner

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Anspruch der Pfinzing auf ihre reichsstädtische Führungsrolle, verkörpert in der – bald nach dem Prägedatum wohl auch – überkonfessionellen Einheit ihres Geschlechts, bilden die komplexe geschichtskulturelle Bedeutung dieser Münze im Herstellungsjahr 1519 und darüber hinaus. Sie wurde in ergänzter Form neu aufgelegt, was auf veränderte Bedürfnisse und den Grad an Vergesellschaftung hinweist. In Nürnberg wetteiferten verschiedene ›Vergangenheiten‹ in verschiedenen Repräsentationsmedien, so dass von einem Überbietungssystem der Führungsgruppe zu sprechen ist. Von den Tucher sind dagegen nur Einzelporträtmünzen überliefert, so dass in ihrem Fall möglicherweise die Kompensationsmöglichkeit dieses geschichtskulturellen Defizits durch eine übersteigert ausgeschmückte Familiengeschichtsschreibung wahrgenommen wurde. Das Beispiel der Pfinzing und das Tucherbuch berühren sich in diesem Prestigekampf inhaltlich. Trennen beide Situationen auch Jahrzehnte, so war doch die Schriftgestaltung des Tucherbuchs in der angesehenen Schreibschrift erfolgt, deren ursprüngliche, viel frühere und das Distinktionspotential dieser Schrift erst konstituierende Verwendung in der kaiserlichen Kanzlei Maximilians I. Melchior Pfinzing als Kunstberater des Kaisers und Verfasser des Theuerdank-Epos mit verantwortete.1351 Die »Vorred« gibt die historische Darstellung in den agonalen Kontexten des 16. Jahrhunderts wieder, indem sie zunächst das Gemeinwohl als die oberste Sozialnorm in der Stadt der frühen Neuzeit aufruft. In der heilsgeschichtlichen Rede positioniert sich die »Vorred« politisch und bereitet eine zentrale Thematik wie den Handwerkeraufstand des 14. Jahrhunderts vor, hatte sich doch im Verlauf des 16. Jahrhunderts mit der Augsburger Zunftregierung eine aktuelle Gefährdung der patrizischen Herrschaft gezeigt. Zu politischen Zwecken der Gegenwart wird die Episode der Zunftregierung in Augsburg und ihr Scheitern im Schmalkaldischen Krieg angedeutet, erscheint doch die oligarchische Herrschaft des Patriziats als verteidigungsbedürftig. Bürgerliche Kaufleute auch aus Italien, die Einwanderung sehr erfolgreicher Hugenotten, aber auch die Nürnberger Handwerkerschaft mögen Legitimationsbedürfnisse erzeugt haben, Führungspositionen zu erhärten. Dazu wird der Gemeine Nutzen in Anspruch genommen:1352

Legende in den Folgejahren zeigte. Seit 1512/13 war der Stolz auf den Heiligen mit dem politischen Erfolg verbunden, vom Bamberger Bischof das Präsentationsrecht für die beiden Pfarrkirchen Nürnbergs erhalten zu haben. Melchior Pfinzing erlangte als erster Nutznießer das Amt des Propsts von St. Sebald, woraufhin er sich für die Aufnahme Sebalds unter die Hausheiligen der Habsburger einsetzte, vgl. Borst, Die Sebaldslegenden, bes. 142 – 144, 152. 1351 Volz, Unbekannte deutsche Schaumünzen, 247. 1352 Zur Breite des Diskurses und seiner Anverwandlung vgl. Schulze, Vom Gemeinnutz.

Vererbende Übertragung des Vermächtnisses

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[Der jüngste Tag sei ein Grund den Christus uns gegeben habe,] vnser vnter einander/ ein Gottseeliges vnnd Ihme gefälliges Leben/ zu seinen Ehren vnd vnser Seeligkaitt/ vnnd gemainem Nutz, füehren/ vnd nach dem Ebenbildt seines Gesätzes[.]1353

Wiederum wählt die Vorrede eine heilsgeschichtliche Sprache, um familiäre Kontexte zu behandeln. Dem Menschen ist nach Melanchthon durch seine Gottähnlichkeit auch Anteil an Weisheit und Gerechtigkeit gegeben, d. h. Menschen haben prinzipiell Einsicht in das Gute und sind stets schon gemeinschaftsbezogen.1354 Der protestantische Begriff von ›Gemeinem Nutzen‹ war jedoch spezifisch auf die patriotische Haltung nach dem Augsburger Religionsfrieden bezogen, hatte doch 1582 Georg Mylius in seinem »Christliche[n] Sendbrief« an den Rat der Stadt Köln mit der Bitte um Toleranz für die dortigen Anhänger der »Confessio Augustana« mit Hinweis auf die stabilisierende Funktion der reichsrechtlichen Aufwertung des Luthertums argumentiert. Nichts habe dem »gemeinen Nutzen unseres allgemeinen Vatterlands«, mithin der zwei Konfessionen umfassenden Entität einer ›Nation‹, mehr genützt als die Stabilisierung der zur unkontrollierten Pluralisierung neigenden konfessionellen Situation.1355 Die historische Selbstdeutung des Luthertums umfasste auch die politische Komponente der beide Konfessionen einenden Rechtsordnung im Reich, der im Schmalkaldischen Krieg eine heftige Erschütterung vorangegangen war. Auch die konfessionellen Auseinandersetzungen in Frankreich und den Niederlanden verliehen dem konfessionspolitischen Harmoniebestreben Plausibilität, während die katholische, jesuitische Kritik am Religionsfrieden (bis hin zur Wahrnehmung von »radikalpapistischen Terroristen«) gegen Ende des 16. Jahrhunderts den entscheidenden Ausschlag zum protestantischen Nationalpatriotismus in Bezug auf die Friedensordnung im Reich gegeben haben muss.1356 Dieser Diskurs schwingt in der zuletzt aus der »Vorred« des Tucherbuchs zitierten Passage nur mit, konkretisiert sich in den angedeuteten Linien jedoch weiter. Wie sich durchgehend zeigt, stammen zahlreiche Wendungen aus den Bereichen von »Erbe« und »Vererbung«, »Weitergabe« und »Tradition« sowie »Generation«. Das »Ebenbildt seines Gesätzes« wird als Handlungsgrundlage 1353 GTB, fol. 9r. 1354 Zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen im Kontext der ethischen Folgerungen vgl. Schmidt, Glaube und Bildung, 81. 1355 Zu dieser konfessionsgeschichtlichen Argumentation und zum Zitat vgl. Kaufmann, Konfession und Kultur, 394. 1356 Ebd., 396, 398. Für eine aktuelle konzeptuelle Auseinandersetzung mit dem Konfessionalisierungsparadigma vgl. stellvertretend für die breite Forschung die europäischen Perspektiven in John M. Headley/Hans J. Hillerbrand/Anthony J. Papalas (Hg.), Confessionalization in Europe, 1555 – 1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan, Aldershot/Burlington 2004.

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

bestimmt, das wie die Offenbarung von Gott ›gegeben‹, mithin auf die Menschen ›übertragen‹ worden ist. Auffällig ist das gehäufte Sprechen über religiöse und familiäre Gegenstände mit der gleichen ›generatio‹-bezogenen Semantik.1357 So wird die Aufwertung des Menschen in der religiösen Anthropologie wiederaufgenommen und Gottes besonderes Gefallen am Menschen hervorgehoben für die biblische Situation, in der nur zwei Menschen lebten und Gott sich vor dem Untergang des Menschengeschlechts doch gegen eine Neuschöpfung entschieden habe. Seine Liebe zum Menschen sei daher ungleich größer gewesen als gegenüber den Engeln: [Gottes Liebe gegen die Menschen die einst nach dem Schöpfungsbericht] nur auff Zwayen Personen gestanden/ die sich selbst/ durch seinen Segen/ vermehren sollten/ waren also/ in den baiden/ auch all Ihre nachkommen/ die Ihnen hetten kommen können vnd sollen/ verdorben[.]1358

Lebten nach biblischer Überlieferung insgesamt nur zwei Menschen, so kam ihnen die Liebe Gottes zu, lebte das Geschlecht doch weiter. Gott hatte sie gerettet, nachdem er sie in diese Situation gebracht hatte mit der Absicht der Prüfung: Es thutt auch Gott/ der alles vorhin weis/ ehe es geschicht/ vnd vor dem nichts künfftig/ derselbe Gott/ sag Ich/ thutt nichts böß[.]1359

Einmal öfter wird hier, durch die Wendung »sag Ich«, Mündlichkeit als Wirkungsabsicht angedeutet, eine betonte Weitschweifigkeit, die besonders vor dem Hintergrund des Aufwands zu repräsentativen und didaktischen Zwecken Bedeutung gewinnt, finden die Wiederholungen doch in einem teuren Medium statt. Von tatsächlich gehaltenen Predigten wären wohl auch eher konsolatorische Hilfestellungen zum Umgang mit den Härten des Lebens zu erwarten gewesen, so auch in den oft sehr appellativen, didaktisch gestalteten Konsolationsbriefen Luthers. Diese enthalten Wendungen mündlicher Vermittlungsformen, z. B. »höret«, oder die 1. Person Singular wie »Was ich nu mit ihm geredt habe«.1360 Auch in dezidiert nichtmündlichen Texten konnte zugunsten litera1357 Zu dieser semantischen Eigenart, religiöse Beschreibungen und religiöse Generationenverhältnisse in Beziehung zu anderen Generationenverhältnissen zu setzen, formuliert erste, aber bereits provozierende Thesen Urban Kressin, Zur mittelalterlichen Semantik des Problems: Verwandtschaft, Jenseitsbezug und Überlieferung in der Sprache des Erbes, www.erbschaftsforschung.de (Zugriff am 8.6.2007). 1358 GTB, fol. 11v. 1359 Ebd. 1360 Die freilich oft stärker auf das individuelle Leben und seine eingetretenen Unwägbarkeiten bezogenen Gegenstandsbereiche und die brieflichen Vermittlungsformen erarbeitet, dabei Raum für Thesen über die (individuelle oder familiäre) Vergesellschaftung von literarischen Briefen schaffend, Ute Mennecke-Haustein, Luthers Trostbriefe (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 56), Gütersloh 1989, 227 f.

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turdidaktischer Absichten in metaliterarischen Bemerkungen eine Mündlichkeit suggeriert werden. Die in der »Vorred« angestrebte Verknüpfung von stoischer Didaxe mit der lutherischen Kreuzestheologie war ebenfalls nicht ohne eine literarische Tradition, gibt es doch Beispiele für emotionsbefreites Erdulden bei gleichzeitiger Hoffnung auf Erlösung von den Qualen. Ansätze dazu reichen von dem seit Beginn des Buchdrucks häufig aufgelegten christlichen Autor Boethius,1361 der den Stoizismus in kryptochristlicher Fassung als Lebensregelsystem thematisiert hatte, bis – nur einige Jahrzehnte nach dem Tucherbuch – Epik des Martin Opitz, wo es im »Trostgedicht In Widerwertigkeit des Kriegs« heißt: »Von Adams Zeiten her ; nicht einer ist zufinden/ Der sonder Boßheit sey : Wir sind auß Gottes Huld/ Entfallen durch vns selbst vmb vnsrer Laster Schuld.«1362 Die so beschriebene Sündhaftigkeit des Menschen habe den Zorn Gottes, in Form von Kriegsauswirkungen auf Deutschland, »vnser schönes Land« (v. 287), auf sich gezogen und erfordere einen einsichtigen, christlichen Umgang mit diesem Leiden: »Nicht einen den er liebt/ Den lässt Er vngestrafft vnd allzeit vnbetrübt […] Ein rechter Christ zuseyn/ Creutz/ Vnglück/ Angst vnd Qual ist vnser Prüfestein« (vv. 291; 295 f.). Leiden wird als Erziehungsmittel interpretiert, das den Menschen prüft, ob er verzweifelt und vom Glauben lässt oder die Leiden – stoisch – in der Hoffnung auf Erlösung erträgt. Zwischen hoffnungserzeugendem Heilsversprechen und Ermahnung zur Duldsamkeit erscheint hier noch eine deutliche Nahtstelle, jedoch werden sie gleichsam als aneinander anschlussfähige Einheit vorgestellt, um ein Kollektiv, eine Gruppe der Leidenden, ja die deutsche Nation zu begründen. Kreuz und Verfolgung werden somit als Zeichen der wahren Kirche gedeutet, ein Theologumen, das offenbar flexibel modellierbar war. Die heilsgeschichtlichen Bezüge in der »Vorred« erhöhen die Zielsetzung des Geschlechterbuchs, die eine gesteigerte Dimension der Geschichtstheologie anstrebt und diese repräsentativ vereinnahmt. Diese Überhöhung hat einen sozialen Sinn: die Diskussion der Herkunftsfrage fügt den üblichen historiographischen Formen der Genealogie einen anderen Repräsentationsmaßstab hinzu. Relevant ist dann nicht mehr allein, wie das Bürgertum genealogische Repräsentationsformen vom Adel übernimmt, sondern auch, ob die Familiengeschichtsbücher andere Distinktionsmechanismen entwickeln als die ge-

1361 Zu einer Interpretation der kulturellen Einflüsse des Buchdrucks, seiner Schwerpunkte, Ziele und Ergebnisse vgl. Hans-Jörg Künast, »Getruckt zu Augsburg«. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555 (Studia Augustana 8), Tübingen 1997, bes. 236 – 240. 1362 Jan-Dirk Müller (Hg.), Martin Opitz. Gedichte. Eine Auswahl, Stuttgart 1970, 40, vv. 262 – 264.

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bräuchlichen Besitz-, Alters-, Herkunfts- und Verdienstdiskurse.1363 Dieser Einbettung in den heilsgeschichtlichen Diskurs galt der bisher untersuchte Abschnitt.1364 Sind die religiösen Erkenntnisziele gesichert, so werden diese in die eigentlichen Absichten der Familiengeschichtsschreibung integriert. Den Glauben zu vermitteln, weiterzugeben und zu vererben sticht als eine Hauptintention des Tucherbuchs hervor. Die inhaltliche Progression der »Vorred« scheint sich somit nur einer weiteren Facette des Bekenntnisses der Tucher zuzuwenden, wenn nunmehr die historiographische Gattung des Geschlechterbuchs, das Tucherbuch als ihre singuläre Ausprägungsform, mit der Absicht der Abgrenzung behandelt wird: Diß sey also ein einfüehrung/ auß Ihrem Gründt vnd Anfang/ vnser waren Religion/ Christlich wesens vnd glaubens […] Welcher summa vnd anweißung/ in solchen Stambüchern vnd Registern/ wie dieses deß Geschlechts der Tucher ist/ fürnemblich vnd vor allen anderen soll eingeleibt werden/ darmitt vnßere Kinder vnd Nachkommen/ vor allen dingen bericht empfahen/ in was glauben vnd Religion/ Ihre Voreltern vnd Eltern/ gelebt vnd gestorben/ vnd die sie von denen geerbt/ vnd dergleichen Ihrem Exempel nach/ Leben vnd Sterben sollen vnd ertzogen werden [zum Ziel des ewigen Lebens und Heils][.]1365

Diese Passage markiert einen Generationenwechsel im historiographischen Diskurs, bettet diesen aber zugleich in ein Kontinuitätsnarrativ ein. Die Konfessionsfrage wird mit einer Setzung beantwortet, was im Kontext der Vorredentradition der »anweißung[en]« in Geschlechterbüchern interpretiert werden muss.1366 Disqualifizierte die konfessionell geprägte Darstellung der Glaubensgrundsätze die vorreformatorische christliche Tradition als zeitgebunden verzerrt, so wird die Problematik einer solchen Diskontinuität für die Familie selbst übergangen. Offenbar wurde die eigene Deutungshoheit der protestantischen, zumindest der nach der Reformation geborenen Generation über die vorherige gestellt, wobei die Berechtigung dieses Urteils, zu dem die Vorgänger nicht gekommen waren, beansprucht wird. Die »Voreltern« werden in einen religionsgeschichtlichen Bereich versetzt, in dem sie keineswegs die Offenbarung in der als authentisch dargestellten Weise Luthers aufnehmen konnten. Sie müssen 1363 Zu den sich familienhistorisch und -historiographisch auswirkenden Kontakten zwischen ländlichen und städtischen Eliten in Oberdeutschland vgl. Rohmann, Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, 194. 1364 Dieser Abschnitt erstreckte sich bis GTB, fol. 12r. 1365 Ebd. 1366 Der in Teil 3.3.1 behandelten Vorredentradition gemäß enthielten Geschlechterbücher einen Tugend- und Verbotskatalog. Die Manuskriptfassung des Tucherbuchs enthält vergleichbare Absätze, deren Ablösung durch die vier Paratexte der Prachtversion als Hinweise auf einen Wechsel der Legitimierungsbedürfnisse und mögliche Mittel gedeutet werden können.

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somit nach falschen Vorgaben gelebt, ihre religiöse Praxis der Messe sowie die immer wieder erwähnte ›Wissenschaft vom guten und bösen Handeln‹, die doch erst den guten oder bösen Menschen ausmache, ernst genommen und befolgt haben. Die Rede über die Vorfahren drückt sich hier in einer Sprache aus, die dem Gegenstand eine biblische Konnotation verleiht. Die vorreformatorische Familie ist gleichermaßen Identifikationsgegenstand und Gegenstand von Kritik, eine widersprüchliche Dimension der »Vorred«, die aber als solche nicht thematisiert wird. Die Vorfahren werden als Teil der Kontinuität aufgeführt, weil sie entweder falsch informiert oder verführt worden waren. Anknüpfungspunkte für eine derartige Argumentation mögen etwa Melanchthons Theorie der natürlichen Religiosität geboten haben, eine Art von ›ethischem Christentum‹ bereits vor dessen Entstehung. Neben dem sozialen Druck, eine kontinuierliche Familiengeschichte zu repräsentieren, lässt auch die doppelt kodierte, nie allein religiöse oder historische, sondern historisch-religiöse Sprache den Widerspruch von Kritik und Vereinnahmung der Vorfahren gar nicht erst aufkommen. In genealogischen Darstellungen war der Verweis auf die Väter topisch auch auf die ›Väter‹ des Glaubens Abraham, Isaak und Jakob bezogen, die im Alten Testament den Glauben und einen stetigen Vererbungsprozess begründen.1367 Im Zentrum steht hierbei jedoch der Anfang nicht als Ereignis und Akteur, sondern das Beginnen als ständig präsentes Prinzip, auf das alles Spätere sich beziehen wird.1368 Die Segnung des Samens Abrahams erscheint bei Luther auf das Engste mit der Heilsgeschichte verbunden.1369 Der erhaltene Segen sollte durch die Väter weitervermittelt werden. Familiengeschichtliche ›Generation‹ wird so zu einer historischen Ursprungssituation der Heilsgeschichte.1370 Auch wurden im 16. Jahrhundert die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob in parallelisierender Typologie mit der lutherischen Gemeinschaft gleichgesetzt, beide darin vereint, von Gott erleuchtet zu sein.1371 Diese Deutung der biblischen Vorväter fand sich bereits als ein zentrales Begründungselement der humanistischen Anthropologie, aber auch die sprachliche Fassung der Gottesbeziehung des Menschen als einer Beziehung ›zum höchsten 1367 Christoph Goldmann, Ursprungsstituationen biblischen Glaubens. Eine Einführung in das Alte Testament für die religionspädagogische Praxis, Göttingen 1976, 64. 1368 Im Judentum ›realhistorische‹ Träger des Heilsguts, wurden diese Zuschreibungen durch Paulus (Röm. 4,16) ihrer ethnischen Spezifizierung enthoben und als vermächtnishafte Ursprungsfiguren uminterpretiert. Die spätere Kirche bezog sich auf diese Zuweisung, wie auch die Hausväterfiguren antikische Züge des Vaterseins annahmen, vgl. Alfred Schindler, Geistliche Väter und Hausväter in der christlichen Antike, in: Hubertus Tellenbach (Hg.), Das Vaterbild im Abendland, Bd.1, Rom, Frühes Christentum, Mittelalter, Neuzeit, Gegenwart, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978, 70 – 82. 1369 Kaufmann, Kultur und Konfession, 132. 1370 Goldmann, Ursprungssituationen, 75. 1371 Pohlig, Konfessionelle Identitätsstiftung, 309.

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Vater‹ hatte einflussreiche Vorläufer.1372 Melanchthon gibt einen ähnlichen Hinweis auf die »Ureltern« (»primos parentes«) »Adam Eva, Seth, Noah, Sem, Abraham, Isaak Jajkob, Joseph«, die nach 1. Petr. 3,19 in Beziehung zu Jesus standen, nachdem sie durch ihn erlöst worden seien, und daher als Beispiele neben den Aposteln den Glauben zu stärken imstande sein sollten.1373 Die »Vorred« unterstellt die Kenntnis göttlicher Gebote bei Abraham und »als ein Zeichen der Erkenntnis von Geschlecht zu Geschlecht« (Sir. 44,16) in der biblischen Weisheitsliteratur.1374 Diese Ansatzpunkte wurden sowohl in genealogisch ›deskriptiven‹ als auch ›normativen‹ Darstellungen breit rezipiert.1375 Gerade die deuterokanonische, apokryphe Schrift Jesus Sirach stand im Brennpunkt der Aufmerksamkeit der Akteure der Reformation. Das Tucherbuch unterlegt seine Sirachlektüre mit einer ethisch-propädeutischen Lesart zu einem »eminent dogmatische[n]« hermeneutischen Umgang in soteriologischer Perspektive.1376 Gattungskonventionen der Geschlechterbücher und, allgemeiner, das darin sich ausdrückende Vergangenheitsbedürfnis der ›Dynastien‹ erzwingen es, auf die konfessionspolitisch disqualifizierten Vorfahren affirmativ Bezug zu nehmen, wird doch auch die Zugehörigkeit zur Gattung thematisiert: »[I]n solchen Stambüchern vnd Registern/ wie dieses deß Geschlechts der Tucher ist[.]« Der Gegensatz zwischen genealogischer Kontinuität und dem Bruch durch die religiöse Reinigung wird zentral thematisiert, wobei die Aufarbeitung angekündigt wird ohne das Trennende hervorzuheben. Diese Entscheidung erscheint jedoch ambivalent, weil die konfessionelle Diskontinuität auch historisiert wird. Die Vorfahren hätten erst durch den maßgeblichen äußeren Umstand der Weltalterung, erklärt durch den verehrten Luther, klarer die Notwendigkeit der Reformation sehen können. Das zeitgenössische Bekenntnis zur Reformation in den Jahren nach 1517 (und nach konkreten politischen Maßnahmen in 1372 Von der Gönna, Würde des Menschen, 7, 9, 37. 1373 Die angegebenen Stellen [Schmidt, Glaube und Bildung, 89] stehen im Kontext der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, der deswegen auch die Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit zum ethisch richtigen Leben (»die unerschütterliche Unterscheidung von Ehrenhaftem und Schändlichem«, ebd., 83) besitze. 1374 Georg Sauer (Hg.), Jesus Sirach/ Ben Sira. Übersetzt und erklärt von Georg Sauer (Das Alte Testament Deutsch. Apokryphen. Neues Göttinger Bibelwerk 1), Göttingen 2000, 303. 1375 Die Analogie des himmlischen mit dem irdischen Hausvaters Vaterbilds stellt in diachroner Perspektive ab dem 16. Jahrhundert heraus Schindler, Geistliche Väter und Hausväter, bes. 71. 1376 Eve-Marie Becker, Jesus Sirach und das Luthertum des 16. Jahrhunderts. Über Inhalt und Funktion eines schlesischen Katechismus von 1561, in: Renate Egger-Wenzel (Hg.), Ben Sira’s God. Proceedings of the International Ben Sira Conference Durham – Ushaw College (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft), Berlin/New York 2002, 352 – 360, wobei allerdings die in 2.4.3 herangezogenen Kinderbücher keine Berücksichtigung finden.

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Nürnberg erst nach 1525) kann so als ein Höhepunkt in der graduellen Steigerung unter den Erfolgen der Tucher insgesamt festgehalten werden, die eben immer schon exemplarisch gelebt hätten, dies auch in Bezug zur Reformation; eine bereits ehrenvolle Vergangenheit wird durch das Bekenntnis nur überhöht. Die Verrechnung früherer Taten mit Zeitumständen, die Historisierung, mag auch ein Grund dafür gewesen sein, das Geschlechterbuch nicht wie üblich auf genealogische Informationen allein zu reduzieren, sondern vielmehr auch zu einer ›kleinen Chronik‹ (1542) werden zu lassen, ja die Prachtversion mit umfänglichen Paratexten auszustatten. So konnte die »Vorred« die Taten rechtfertigen und legitimieren. Gegenstand der Aufarbeitung und ›Einverleibung‹ der Reformation in die Geschichtsschreibung der offenbar als ein ›Leib‹, organische Einheit und Zeitkörper interpretierten Familie war ein als neu dargestelltes Generationenbewusstsein, dem ein konstatierter Generationenwechsel zu Grunde gelegt wird: Der »glauben und die religion« der Vorfahren hatten seit dem Beginn der von Anfang an moderaten, aber konsequenten Reformbestrebungen in Nürnberg im Gegensatz zu deren Vorfahren gestanden. Schärfer konturierte Wahrnehmungswelten sind kaum denkbar, zumal Ereignisse wie die Bauernkriege und der Schmalkaldische Krieg keineswegs zu einer Entspannung jenseits pragmatischer Rücksichtnahmen geführt haben dürften. Im hier verfolgten begriffsgeschichtlichen Sinn von ›Generation‹ kommt der Bruch auch wegen der zeitgenössischen Mehrfachbedeutungen nicht zum Tragen. ›Generation‹ bedeutet hier vor allem ein Konzept von Zeugung und Schöpfung, Vererbung und Weitergabe, war mithin zentral ein Übertragungsbegriff mit verschiedenen Bedeutungsbereichen. Damit war ein Bruch nicht nur nicht zu fassen, sondern auch besonders gut zu überdecken, indem im Sinne von Tradition eine organische Entwicklung des Ererbten hervorgehoben wurde. Die Abgrenzung gegen andere Ansätze der Familiengeschichtsschreibung hätte kaum schärfer ausfallen können, werden doch frühere familiengeschichtliche Arbeiten der Tucher herabgestuft zu Steinbrüchen für die vorliegende, durch die »Vorred« eingeleitete Genealogie, während andere Geschlechter gänzlich abgewertet werden. Zunächst werden die Tucher hinsichtlich ihrer Persistenz hervorgehoben, so heißt es, es sei »kleglich zusehen/ wann Edle Alte woluerdiente Geschlecht absterben/ vnd wie man pflegt/ Schildt vnd Helm mitt den Todten begrebt«.1377 Das Aussterben einer Familie geschieht durch göttlichen Willen, ohne dass explizit ethisch negative Bewertungen einfließen; dagegen ist das Weiterleben der Tucher ein Zeichen für verdienten göttlichen Segen:

1377 GTB, fol. 14v.

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Dieweil dann Gott auch vnser der Tucher Geschlecht/ inn vnd ausser vnserem lieben Vatterlandt/ der Stadt Nürnberg/ Also genedigklich gesegnet/ dass wir auß seinen genaden/ vom Jar Christi/ 1198 vnd also von Vierhundert Jaren hero/ vnd länger/ bey dieser Statt herkomen vnd häußlich gesässen/ auch bey der von so vilen Jaren hero/ mitt höchstem/ hohen vnd anderen Amptern verehrt vnd gebraucht/ als wolgehaltene Leütt/ vnd bis auff disen Tag Rathsstandts genossen vnd Rathmessig/ vnd deren yetzt in so gutter antzahl/ allein in Nürnberg in die Acht häußliche seßhafft vnd Mannlich Stammens in die Acht vnd Zwaintzig person Leben/ eines herkommens vnd linien[.]1378

Das Fortdauern der Tucher erscheint in Antithese. Während andere Familien ausgestorben seien, hätten die Tucher sich seit »Vierhundert Jaren hero/ vnd länger« hier in der Elite behauptet. Obwohl die ritterliche Vorvergangenheit des Nürnberger Patriziats im 16. Jahrhundert bereits umstritten und kaum mehr haltbar war, bevor sie gänzlich wiederlegt wurde, nimmt der Text darauf Bezug. Die rhetorische Steigerung, »vnd länger«, bleibt dem Leser als Assoziation in Erinnerung und bedarf keiner weiteren Präzisierung. Neben dem Alter des Geschlechts und seiner Ratsfähigkeit tritt die »so gutte antzahl« der lebenden Tucher hervor, offenbar eine positive Qualität im Sinne des Generationsdiskurses sowie Veranlassung zur historischen Darstellung der Familie: [A]n vnd nach einander haben wir Gott Zu Lob/ Ehrn vnd danck/ für solchen seinen Segen vnd Gnad/ vnd vnseren Nachkommen zu einem Exempel/ Ihrer Voreltern vnd Stammens sich gemeß zuhalten/ Gott gemainem Vatterlandt vnd Ihren selbst/ zu Lob/ Ehren vnd danck/ Ihrer Voreltern Löbelichen Fußstapffen nach zuschreitten (vnd dieser allein/ vnd keiner andern mainung) dises vnser Stambuch der gestalt wie es vor Augen zuuernewen vnd vermehren dieser Zeitt fürgenommen[.]1379

Das Ziel der Geschichtsschreibung, nämlich Gott für seine Wohltaten zu ehren, ist keine beliebige Motivationsbekundung in einer Zeit des intensivierten Darstellens der eigenen Geschichte im Rahmen der hier vor allem patrizischen Öffentlichkeit. Gott zu loben erschien auch möglich in einem Geschlechterbuch, das die Nachkommen an die Werte der Vorfahren erinnern soll. Mithin war Gott für den Familienerfolg als Gnadenerweis zu danken, der durch pragmatische Geschichtsschreibung zu sichern war. Diese fromme Vordergrundrede wird jedoch unterfüttert durch die Erziehungsziele, »gemainem Vatterlandt vnd Ihren selbst« zum Besten die Erinnerung wachzuhalten und auch zu befolgen. Neben der allgemeinen Topik von Familienbüchern in städtischen Eliten Europas, die durchgehend für die Nachkommen ein Exempel setzen wollen,1380 erscheint hier die besondere Ge1378 Ebd. 1379 Ebd., fol. 14v. 1380 Klapisch-Zuber, Das Haus, der Name, der Brautschatz, 7 – 23.

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wichtung des Erziehungsaspekts in rhetorischer Emphase, die Tucher seien sehr entschlossen »vnd dieser allein/ vnd keiner andern mainung«. Die historische Selbstdarstellung unterlag im 16. Jahrhundert offenbar besonderem Distinktionsdruck auf genealogische und autobiographische Textproduktion.1381 In dieser Zeit wurden verstärkt Texte verfasst, Briefe gesammelt und Memorialbücher angelegt, gleichermaßen in Patriziat, Niederadel und Bürgertum,1382 Befunde zur Geschichtskultur, die als Teile einer integralen genealogischen Memoria zur Geltung kommen.1383

4.3.2 Die konfessionelle Krisis als identitätsstiftende Selbstbehauptung und Verzeitlichung ethischer Reflexionen Behauptete Kontinuität birgt stets Veränderungen in sich, die überhaupt erst einer Verstetigung bedürfen. Am deutlichsten tritt diese narrative Strategie in den Vordergrund, wenn die altgläubigen Vorfahren aus der konfessionellen Perspektive des 16. Jahrhunderts historisiert und gleichzeitig Hauptgegenstand einer Identitätskonstitution werden: Es haben vnsere Liebe Vätter/ der mainste [sic!] thail vnserer Großelteren/ Ahnen vnd Ahnherren alle sambt/ auß den Symbolis vnd Artickeln vnsers Christlichen Glaubens vast nichts rain vnd lautter gehabt/ alß die Lehrartickel von der Haylligen Dreyfalltigkeitt/ Wesen vnd Natur Gottes/ von dem ainichen Gott vnd dreyen seiner Personen/ vnd das auß denen der Sohn Mensch worden/ vnd warumb das/ vnd ist doch die Lehr von der waren Menschhait deß Sohns Gottes vnsers Herrn Jesu Christi/ in dem Artickel vom Sacrament des Haylligen Abendtmals/ vnd in der Meß/ Ihnen verderbt worden Seinen waren vnd allein gefälligen Gottesdienst belangend/ ist die Kirchen/ bey Ihren/ vnser Voreltern Zeitten voll Abgötterey gewest/ vnd nicht allein das erste gebott Gottes in den Zehengebotten/ nicht nottürfftig erklert worden/ sonder auch hiertzu/ vnd vber diß/ ein besondere Abgötterey in anruffung der verstorbenen Haylligen/ vnd verlassenem Haylthumbs von Ihnen/ Göttliche Ehr Ihrer bilder/ vnd mitt vnrechtem brauch der Sacrament/ mit den Elementen Brod vnd Weins im Haylligen Abendtmal/ vnd der Abgöttischen Opfferung/ Wasser der Tauff/ eingefüehrt vnd geübt/ neben vntzehlichen 1381 Die tendenziell intensivierte historiographische Schriftstellerei schildert unter Einschluss auch redaktioneller und archivischer Spuren, hier am Beispiel des Behaimschen Familienarchivs, Schmid, Deutsche Autobiographik, 93 f. 1382 So die umfassende Quellensammlung, die neben den verfügbaren Quellen sehr vielversprechend mögliche Ansatzpunkte für hypothesengeleitete Bearbeitungsmöglichkeiten andeutet, dort zu autobiographischen Schriften der Tucher Schmid, Deutsche Autobiographik, 75. 1383 Wurden historische Darstellungen bisher vor allem hinsichtlich ihrer »Referenz« auf bestimmte propositionale Inhalte gelesen, so bedürfen sie zusätzlich auch der Analyse der sprachlichen »Performanz«, mithin der Medialität und Rhetorizität des Erinnerungstextes als solchem, so Wagner-Egelhaaf, Autobiographie, 13, 16.

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vil anderem Aberglauben vnnd Weyhen/ welches alles lautter Abgötterey/ vnd die sich nicht beschonen/ vilweniger entschuldigen lest/ da doch sonsten/ vnd one das/ die Welt auch bey den Christen/ voll Abgötterey gewesen/ wegen deß/ dass wie gemeldt/ das Erste gebott Gottes nicht nottürfftig erklert worden[.]1384

Werden die historischen Mitglieder der Familie einerseits in der Perspektive eines legitimierenden Altersdiskurses mit »vnsere Liebe Vätter« und »vnserer Großelter[n]/ Ahnen vnd Ahnherren« als positive Elemente historischer Identität angesprochen, so wird gleichzeitig eine Traditionsanbindung der eigenen Vorfahren an die »Bapisten« eröffnet. Die Reformation wird hier identifizierend als »Rückverwandlung« verstanden,1385 ist eine Gegenwartsdeutung des späten 16. Jahrhunderts, die die Vorfahren im Sinne eines Generationenkonflikts mit den Großeltern eigentlich disqualifizieren müsste. Dieser naheliegende Schluss unterbleibt, wie die passivische Konstruktion, den Vorfahren sei der »Artickel vom Sacrament des Haylligen Abendtmals/ vnd in der Meß/ Ihnen verderbt worden«, Praktiken, wie die außerevangelische Heiligenverehrung, seien ihnen »eingefüehrt« worden sowie andererseits die Darstellung der historischen Krise zeigen. In Anknüpfung an die Darstellung bei Johannes wird die unverfälschte Annahme der Heilsbotschaft, wovon ein ganzer Katalog religiöser Praktiken abgeleitet wird, nicht als Bruch, sondern als Hinwendung zum Heil selbst und somit als eine progressive Abwendung von der Verdammnis interpretiert. Somit wird der Reinigungsprozess als eine natürliche Fortentwicklung dargestellt, die – obwohl sie auch das Ende der Welt andeuten könnte – zu begrüßen sei, gerade weil sich diese Erkenntnis- und Abwehrmöglichkeit erst rezent geboten habe und nunmehr »Zwang zur Vorausschau«, ja Zeitnot im Rahmen des Heilsplans gebietet.1386 Damit wird unterstellt, die Vorfahren hätten unter gleichen Voraussetzungen, den eschatologischen Zeichen der alternden Welt, die gleichen Schlüsse zu ziehen gehabt. Die reformatorische Geschichtstheologie und das davon abgeleitete Zeitdenken gewannen gerade aus dem institutionalisierten Traditionsbruch, der Ablehnung, theologischen Sinn vorauszusetzen, den Grund für ihre Erkenntnisbildung; Zukünftiges und Vergangenes bildeten somit eine Einheit der Überlieferung und den Impetus, auch in der Zukunft mit neuen

1384 GTB, fol. 12r. 1385 So Johannes Burkhardt, Alt und Neu. Ursprung und Überwindung der Asymmetrie in der reformatorischen Erinnerungskultur und Konfessionsgeschichte, in: Peter Burschel/Mark Häberlein/Volker Reinhardt/Wolfgang E. J. Weber/Reinhard Wendt (Hg.), Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, Berlin 2002, 152 – 171, bes. 159. Der Anschein der Innovation konnte zu einem gewichtigen Vorwurf in konfessionellen Auseinandersetzungen werden, vgl. Pohlig, Konfessionelle Identitätsbildung, 293. 1386 Koselleck, Begriffsgeschichten, 205.

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heilgeschichtlichen Interpretationswelten Gottes Wort Gültigkeit zu verschaffen.1387 Die Darstellung des protestantischen Standpunkts impliziert eine Ablehnung der altgläubigen Position, vor allem vor dem Hintergrund der religiösen Kognition durch das Gewissen: Gott fordert dise drey von vns Ihme allein/ vnd dass wir Ihne allein/ vor allem dingen/ vnd vber alles allein/ Lieben/ Furchten vnd Ihme vertrawen/ auff Ihne allein vns verlassen/ Hierauff vnd auß/ examinir vnd brüeffe sich ein Jeder selbst/ ob vnd was er für Frembde Götter habe/ vnd wer sein Gott seye/ da der gemaine Mann kein andere Abgötterey verstehet noch kennet/ alß/ wann man einen Haidnischen Götzen Ehret vnd Anbettet/ der alß ein Gott vnnd an statt Gottes sein will vnd soll/ vnd darumb dem Wort nach ein Götz heist/ als einen Gott oder Gott gleich/ anstatt Gottes vnd bedencken gar nichts was für einen Abgott vnd Teüffel sie in Ihrem Hertzen/ mitt vnd bey sich tragen/ den sie Ehren vnnd Anbetten/ vnd sein doch hierüber bey vnßern Altuättern/ die obangetzogene vnd genanndte Abgöttery eingefüehret worden/ wie noch bey den Bapisten Täglich/ so lang Ihn gott das gestatten wirdt Der gröste Grewel aber vnd Abgott/ ist die Opffermeß vnd die Abgötterey/ so mitt dem Sacrament deß Haylligen Abentmals getriben/ da für sich ein Jeder Frommer vnd Trewglaubiger Christ/ hatt Zuhütten vnd Fürtzusehen/ dass er nicht wissent oder vnwissent/ sich der thailhafft mache/ vnd gilt hier zum höchsten/ der Warheit nachforschen/ sich erkhundigen/ darmit wir vns nicht Abgötter machen/ vnnd Abgöttisch werden/ Abgötterey treiben vnd mehren[.]1388

Die freigelegten Quellen des Glaubens, seine textliche Basis in der Bibel und ihr demonstrativer Ausdruck werden autoritativ, weil die Grundlagen im Anruf des Gewissens des Einzelnen für unmittelbar einsichtig erklärt werden, »brüeffe sich ein Jeder selbst/ ob vnd was er für Frembde Götter habe«. Die Selbstbefragung vorgeschlagen, damit die Verdammnis ausgeschlossen wird, die sowohl »wissent oder vnwissent« auf falsche Religion und die Relativierung Gottes folge. Die Schärfe von Formulierungen wie »Bapisten« und »Abgötterey« ist eine Aufnahme frühreformatorischer Streitschriftenpolemik, die keine Verständigung mit der altgläubigen Seite zulässt. Dadurch – und durch die Gewissensfrage – wird das Luthertum gruppenmäßig abgegrenzt und aufgewertet. Der mit dem Protestantismus verbundene Erkenntnisprozess wird als Suche nach der Wahrheit und Unverstelltheit der Religion dargestellt. Die eigenen Vorfahren scheinen in diesem Prozess befindlich, nämlich als »ein Jeder Frommer vnd Trewglaubiger Christ«, ähnlich den Formulierungen, die häufiger in den biographischen Porträts auch von Tuchern mit geistlichen Karrieren erscheinen. Die Erkenntnis der wahren, ursprünglichen Religion ist ein familiärer Lernprozess, von der Unwissenheit der Vorfahren ausgehend hin zum späten 1387 Sandl, Zeit der reformatorischen Erkenntnisbildung, 43 f. 1388 GTB, fol. 12 r.

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16. Jahrhundert. Der Versuch, die Vorfahren zu entschuldigen, wird zwar abgestritten, habe es sich doch gehandelt um »alles lautter Abgötterey/ vnd die sich nicht beschonen/ vilweniger entschuldigen lest/ da doch sonsten/ vnd one das/ die Welt auch bey den Christen/ voll Abgötterey gewesen«. Im Widerspruch zu diesem Wortlaut wird jedoch die abgestrittene Entschuldigung tatsächlich vorgenommen, indem apologetisch auf die Zeitumstände hingewiesen wird. Da diese Verblendung nunmehr von Luther durchbrochen worden sei, so ließe sich der Gedanke ergänzen, gebe es 1590 überhaupt keine Entschuldigung mehr für die Ablehnung der als unhintergehbar dargestellten lutherischen Theologie. Die Autorität des Gewissens bedeutet jedoch nicht eine Emanzipationsmöglichkeit, eine Rechtfertigung individueller Freiheit oder gar eine gezielte Subversion von Autoritäten. Vielmehr bedingt das Gewissen, dass im eigenen Glauben keine Vertretbarkeit denkbar ist.1389 Die kognitive Rolle des Gewissens1390 mündet in eine familiär fokussierte, auf kommende Generationen der Tucher ausgerichtete Ethik ein.1391 Die Kohäsion der gemeinten Gruppe ist keineswegs eindeutig, wie die Bezeichnung »vnsere Bludtsfreundte/ die mitt vns im Leben/ vnd vnsere Nachkommen« zeigt. Ist darin zwar nicht die moderne Auffassung von kommenden Generationen der Menschheit zu sehen, so ist doch der Textgegenstand offen angelegt, um auch für Mitglieder anderer Familien, Städte und soziale Gruppen, die durch Einheiratung in der Zukunft verwandt werden könnten, relevant zu sein. Dies wird möglich, weil das Gewissen Teil der lutherischen Anthropologie ist. In der folgenden familiengeschichtlichen Wendung bahnt sich ein der futurisierenden Ethik der Moderne nicht unvergleichbares Konzept an: Also mus nun ein Jeder selbst sich hierinnen brüffen vnd fürsehen/ Wir können nichts weitters als vnsere Bludtsfreundte/ die mitt vns im Leben/ vnd vnsere Nachkommen/ 1389 Bernhard Lohse, Gewissen und Autorität bei Luther (1974), in: Leif Grane/Bernd Moeller/ Otto Hermann Pesch (Hg.), Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, Göttingen 1988, 265 – 287, 282. 1390 Dass das Gewissen für die lutherische Anthropologie und Sündentheologie von zentraler Bedeutung war, zeigt in einer historischen Herleitung Lohse, Autorität bei Luther, 269. Dabei wird teilweise der oft behauptete theologische Innovationscharakter der Gewissenstheologie Luthers relativiert. 1391 Kommende Generationen der Menschheit betreffende Überlegungen werden bisher vor allem der Vormoderne zugeordnet vgl. Macho, Futurisierung der Ethik, ein Befund, der von der geschichtswissenschaftlichen Diskussion nicht nur der Epochengliederung [Gerrit Walther, Technik: Epochen als Lesart der Geschichte, in: Matthias Meinhardt/ Andreas Ranft/Stephan Selzer (Hg.), Mittelalter, München 2007, 159 – 166] nach, sondern auch der Exklusivität des Konzepts nach zu diskutieren ist. Das Problem wird an Hand der Frage aufzunehmen sein, ob eine exklusiv geschlechterbezogene Ethik im soteriologisch unterfütterten theologischen Rahmen des »Großen Tucherbuchs« überhaupt denkbar ist, ohne dass damit die Innovation der ethischen Überlegungen des Revolutionszeitalters in Frage gestellt, sicher jedoch relativiert werden müsste.

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Trew vnd Christlich/ diß falß verwarnen/ dann offtmals die Jenigen/ so es am wenigsten zu sein/ noch gehalten sein wöllen/ die gröste Abgötterer sein vnd befunden werden/ welches wir dann auch dieser Vrsach halben außdrücklich hiebey melden müssen/ dieweil in nachuolgenden Stamregister/ bey ettlichen vnsern Alten Stammleütten vnd Personen/ der Meß/ Seelmeß vnd Haylthumbs/ Closterlebens/ auch gelübts Zu den Haylligen vnd deren anruffung/ sonderlich der Junckfrawen Marien/ gedacht wirdt/ auch Jubel Jar zu betziehen/ darmitt sich daran niemandt haben zuergern [sic!][.]1392

Der religiöse Missbrauch der eigenen Zeitgenossen soll hier aber keineswegs den religiösen Missbrauch der Vorfahren entschuldigen. Somit wird das Gewissen als Appellationsinstanz nicht rückgeblendet auf die Zeit vor der Reformation. In der Gegenwart dagegen wird eine Ethik, mit Luhmann religionssoziologisch gesprochen: ›moralische Programmierung‹ der ohnehin und durch und durch sündhaften Menschen auf ein Heilsziel außerhalb ihres Lebens, mit Handlungszielen in ihrem Lebensvollzug aufgebaut. Das zu erreichende Ziel ist die Gnade Gottes, jedoch ist sie weder positiv im Leben spürbar noch prinzipiell jemals zu erreichen. Gnade ist auch bei konformem Verhalten nur glaubend zu erhoffen, das ›schlechte Gewissen‹ treibt dennoch zu gutem Verhalten an, das aber keine innerweltliche Aussicht auf Vergeltung hat. Negative Führung wird als Möglichkeit geradezu ausgeblendet.1393 Darin unterscheidet sich das Luthertum von der hier entschuldigten Altgläubigkeit der eigenen Vorfahren, die die Messe, Seelmesse, Reliquien, geistlichen Lebensstil, Heiligen- und Marienverehrung sowie Ablass in päpstlichen Jubeljahren praktiziert hätten.1394 Eigentlich hätte all dies nach der Reformation theologisch disqualifiziert sein sowie aus der Reichsstadt entfernt sein müssen.1395 Im Gegensatz zur realen Entwicklung seit der Reformation wird in die1392 GTB, fol. 12v. 1393 Diese Perspektive behandelt Religion in einer, ›Vormoderne‹ (»Alteuropa«) und Moderne als Entwicklungsstadien der Ausdifferenzierung von Religion überspannenden Makrosoziologie, Luhmann, Ausdifferenzierung der Religion, 352. 1394 Möglicherweise liegt in der Einbeziehung der Jubeljahre eine zeitgeschichtliche Reaktion auf die Verschärfung des ursprünglich 100–jährigen Intervalls zwischen den ablassgewährenden Jubeljahren, die seit ca. 1300 von Bonifatius VIII. zur Erteilung eines vollkommenen Ablasses, eigentlich aber im Streit mit Philipp dem Schönen zum Gehorsam gegen die Apostel und deren Nachfolger aufrufen wollte. Von römischen Kirchen vorgenommene Fälschungen von Ablässen nutzten die lukrativen Möglichkeiten des Ablasses und inflationierten diesen Markt so weit, dass bald der Besuch der sieben Hauptkirchen verbindliche Vorgabe für den Ablass war. Im Wahrnehmungsbereich der Zeitgenossen des Tucherbuchs oder davor, spätestens seit 1575, wurde von den Päpsten der Besuch der sieben Hauptkirchen verbindlich gefordert, nachdem nicht nur die Bedingungen für die Erteilung des Ablasses, sondern auch die Intervalle von Jubeljahren relativ arbiträr geworden und unter eine Lebensdauer gefallen waren. Denkbar wäre, dass die Erwähnung der Jubeljahre (anstatt beispielsweise des mit der Reformation so bekenntnishaft verbundenen Ablasses) auf die Zeitumstände reagiert. 1395 Zur gemäßigten Einführung der Reformation, den über mehrere Jahre erfolgenden Stufen

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sem, auch ausdrücklich als kostspielige und anstrengende Leistung der Tucher dargestellten Geschlechterbuch doch »ettlichen vnsern Alten Stammleütten vnd Personen […] gedacht«, mithin das Gegenteil des beanspruchten Protestantismus als ›ritualgereinigter‹ Glaubensreligion praktiziert.1396 Offenbar bestand weiterhin ein die Religion übersteigendes Interesse an der Erinnerung etwa von Jahrestagsstiftungen, die, wie auch Stiftungen von Sachgegenständen oder Baukosten, die Präsenz adliger Geschlechter in ihren Wappen im städtischen Raum Platz greifen ließen: Wertvolle Glasfenster, Stifterabbildungen in Epitaphien, in der Liturgie verwendete Kelche trugen die Wappen der Stifter, genauso wie vom ewigen Licht hervorgehobene Grablegen der Nürnberger Geschlechter wie die der Tucher in St. Sebald.1397 Der Repräsentationswert geistlicher Stiftungen wie der Lesung von Jahrestagsmessen besaß eine kommemorative Funktion, die zwar mit dem liturgisch-religiösen Kontext organisch verbunden war, in diesem jedoch nicht nur nicht aufging, sondern ihn nur als Darstellungsraum und ›Bühne‹ zu benutzen schien. Auch nach der Reformation war die nunmehr verändert auftretende Religion doch keine isolierte Größe der Gesellschaft. Statt sich als eigenständiger Kommunikationsraum und gesellschaftliches Teilsystem auszudifferenzieren, steigerte sich die Verflechtung von Kirche, Politik und Geschichte in der Konfessionalisierung noch weiter, bis hin zum Hauptkriterium einer gesellschaftlichen Identität.1398 So lassen sich memorative Praktiken nicht prinzipiell als kirchliche oder politische – wie hier die Wahrnehmung der Reformation im späten 16. Jahrhundert zeigt – trennen, sondern müssen als eine kontinuierliche Erinnerungsbemühung in den Blick kommen: Teppiche mit Abbildungen der Stifterwappen oder gar der Stifter, oft auch mit den Wappen ihrer Frauen, wurden sowohl für private Räume als auch für Kirchenräume hergestellt. Ein Beispiel für die Parallelität, ja Einheit der Geschichtskultur ist der Teppich der tucherischen Grabstätte in der St. Sebalduskirche aus dem späten 15. Jahrder Umsetzung vgl. Seebaß (1976), 180 – 183. Osiander war durch seine »Gutachten« genannten Auftragsschriften zu problematischen Zeitfragen zu einer Zentralfigur der politischen Entwicklungen geworden, eine Rolle, die im 15. Jahrhundert noch juristischen Gutachtern vorbehalten gewesen war, vgl. Seebaß, Andreas Osiander, 65. 1396 Zur Ritualreduktion in der Liturgietheorie während der Reformation vgl. den epochenübergreifenden und konsequenten Zugriff auf historische Ritualdiskurse in Philippe Buc, The Dangers of Ritual. Between Early Medieval Texts and Social Scientific Theory, Princeton 2001. 1397 Zum Ewigen Licht vgl. die Kurzdarstellung in Kuhn, Gedächtnisbildung der Nürnberger Tucher. 1398 Die Konfessionalisierungsdebatte und Luhmanns Religionssoziologie sind meines Wissens bisher noch nicht auf ihren weitgehenden Zusammenklang untersucht worden, obwohl beide sich in der Ununterscheidbarkeit von Religion und Politik zu treffen scheinen. Ein möglicher Grund dafür ist, dass es sich aus Sicht der Geschichtswissenschaft um eine während der Vormoderne zu wenig dem Wandel unterlegene strukturelle Bedingung der Gesellschaft gehandelt hat.

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hundert, der die Wappen der Ehe von Anton I. Tucher (1412 – 1476) mit Barbara Stromerin von Reichenbach (gest. 1484) neben vier biblischen Szenen vom verlorenen Sohn zeigt,1399 eine Erinnerung an Heiratsallianzen, die auch in der Form von Exlibris umgesetzt wurde.1400 Teppiche dieser Art, von denen die Stifter mehrere gestiftet hatten,1401 finden sich zeitgleich und später ebenfalls in Privathaushalten, wo sie mit erheblichen Kosten in Auftrag gegeben worden waren, um dauerhaft weiter vererbt zu werden; es finden sich hier religiöse Motive, aber auch reine Wappenteppiche im Besitz von Kirchen, gleichermaßen lässt sich ein besonderer Aufwand mit der Herstellung nachweisen, wie etwa Einblattdrucke aus dem Umfeld, aus der Werkstatt oder »Nachfolge« von Albrecht Dürer, die im Jahre 1550 Vorlage für einen Teppichauftrag wurden.1402 Im späten 16. Jahrhundert hatte diese Form von geschichtskulturellem ›branding‹ öffentlicher Räume in Form von Hauszeichen und Wappen auf Textilien sogar die vererbte Tisch- und Bettwäsche erfasst, die etwa im Nachlass des Christoph Kress als »1 Paar Leilach mit dem Tucherisch Zeichen […] 1 Fatscheunlein mit ploben Leisten mit dem Tucher und Hauszeichen« verzeichnet waren.1403 Wappendarstellungen waren auch in Ex Libris und in Stammbüchern Kommunikationsformen sozialen Kapitals, die kunsthandwerklich gattungsübergreifend auf Schaumünzen, Einblattdrucken und Kleintextilien abgebildet und ausgetauscht werden konnten.1404 Der in umfangreichen Sammlungen hervorragend dokumentierte ›soziale 1399 Dieses Material findet sich in der folgenden Veröffentlichung: Germanisches Nationalmuseum (Hg.), Germanisches National-Museum Nürnberg, Am Kornmarkt 1. Fränkische Bildteppiche aus alter und neuer Zeit. Ausstellung März-Mai 1948, Zirndorf 1948, 11, sowie Abb. 23, während die neuere und umfassendere Veröffentlichung auf Grundlage von Materialien des Germanischen Nationalmuseum dieses Beispiel nicht erwähnt, vgl. Zander-Seidel, Textiler Hausrat. 1400 Solche Allianzwappen als Auswirkung des häuslichen Buchbesitzes am Beispiel des für Willibald Pirckheimer und seine Frau Crescentia, geb. Rieter, von Dürer angefertigte sowie weitere Beispiele die für eine breite Vergesellschaftung sprechen, benennt Donin, Stilgeschichte des Exlibris, 17 – 22. 1401 Vgl. Leonie von Wilckens, Die Teppich der Sebalduskirche, in: Baier (Hg.), 600 Jahre Ostchor St. Sebald, 133 – 142, hier 137 f. Dagegen scheinen diese Materialien nicht behandelt zu werden in Weilandt, Sebalduskirche, 703. 1402 Für den nach Dürerschen Vorlagen gefertigten Teppich vgl. Germanisches Nationalmuseum, Fränkische Bildteppiche, 12. Dort auch Beispiele für die epochen- und gebrauchskontextübergreifende Überlieferung von Teppichen. Andere Beispiele zeigt die neuere, mit umfassendem Anspruch erstellte Studie von Zander, die trotz fehlender Angaben zur Größe der Stücke doch interessante Beispiele für wappentragende »Textilien«, einer allerdings zu wenig funktional differenzierten Kategorisierung, anbietet, wie etwa die Wollwirkerei mit dem Wappen der Familie Haller im 16. Jahrhundert, vgl ZanderSeidel, Textiler Hausrat, 367. 1403 Zander-Seidel, Textiler Hausrat, 366, Anm. 328. 1404 Die Nürnberger Wappenmode im Spiegel ihrer Auswirkungen beschreibt Schmid, Deutsche Autobiographik, bes. 443.

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Verkehrswert‹ muss auch für Stiftungen nach der Reformation weiterhin angenommen werden, deren Herkunft von den Tucher die Topik der biographischen Porträts konkret belegt, schließt die inhaltliche Abfolge der Darstellungen vom Leben der Ahnen doch stets auch einen Abschnitt über getätigte Stiftungen mit ein. Die »Vorred« geht damit in einer ›praeteritio‹ um, indem das Verwerfliche und das Blasphemische entschuldigend vorgebracht werden, nicht ohne dieses dann doch eingehend und affirmativ zu dokumentieren – eine Absicht, die sich mit den Bemühungen der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung späterer Jahrhunderte deckt, die Stiftungen der Tucher – analog taten dies auch andere Patrizierfamilien – zu katalogisieren und zu konservieren.1405 Die zweckgebundene Rechtfertigung der Stiftungen trotz des zugespitzten konfessionellen Hintergrunds diente vor allem der Konstitution der sozialen Größe des Geschlechtes der Tucher ; diese Identität ist jedoch keine abgeschlossene, sondern bleibt offen für die Erweiterung des Geschlechts durch Zuheiraten aus verschiedenen Gruppen, vermutlich sogar altgläubigen Familien, sofern die Möglichkeit des Übertritts zum Protestantismus aus Gewissensgründen gegeben scheint: Es ist auch durch diese Abgötterey/ sonderlich der Meß/ vnd mitt dem Haylligen Sacrament deß Nachtmals/ die Lehre von der Buß vnd bekherung deß Sünders vnd seiner Rechtfertigung/ wie er Gerecht vnd Vnschuldig für Gott werde/ durch Vergebung aller Sünden/ Widergeburt/ Vernewerung/ Haylligung vnd Newem gehorsam/ Dise alle sein bey vnseren Vorfahren/ wie dann noch bey den Bapisten verdunckelt worden/ vnd ist die Lehre von der Buß vnd bekherung deß Sünders/ darauff all vnser Seeligkaitt stehet vnd hafftet/ in ettlichhundert Jaren/ so klar vnd lautter in der Kirchen/ vnd Volck Gottes/ nicht gewesen/ als wie sie nun von Sechßig Jaren hero/ durch Herrn Doctoren Lutherum widerbracht/ in vnser vnd der Augspurgischen Confession Kirchen gelehrt vnd geprediget wirdt[.]1406

Die Reformation wurde in der Situation der Formulierung ihrer Grundsätze, der Augsburger Konfession 1530, festgemacht und als konservative Reformation im Sinne einer Wiederherstellung ursprünglicher Grundsätze dargestellt, ein Erkenntnisprozess, der »in vnser […] Kirchen« bereits vollzogen ist und allen anderen offensteht. Luthers Erscheinen wurde biblisch gedeutet, indem in seinem Schaffen die apokalyptische Auffassung erkannt wurde, kurz vor dem Jüngsten Tag werde die Heilige Schrift wieder freigelegt werden.1407 Gegenüber dem früheren Versuch Augustinus’, die Welt heilsgeschichtlich zu deuten, beanspruchten reformatorische Theologen offenbar, diese Deutung intensiviert zu haben. Die Augsburger Konfession ist aber auch zentral von der reichsrechtli1405 Vgl. hierzu die Nachweise in Schwemmer, Mäzenatentum. 1406 GTB, fol. 13r-13v. 1407 Sandl, Interpretationswelten der Zeitenwende, 40.

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chen Anerkennung des Luthertums mit bedingt, lässt sie sich doch auf einen politischen Emanzipationsprozess beziehen, der mit den Augsburger Ereignissen des Jahres 1530 beginnend angesetzt wurde.1408 Die Übergabe der Glaubensgrundsätze an Kaiser Karl V. war auch ikonographisch als Akt der Selbstbehauptung in aufwändigen Konfessionsgemälden inszeniert worden, im Sinne einer »mit Beystandt göttlicher genaden steiff Vndt Vest da Bey Zu Bleiben. So Wahr ihnen got Helff« ausgeführten Tat.1409 Wie die Konkordienformel von 1577, so bezweckten die situativ exemplifizierten, »allegorisierten« Übergabedarstellungen die Bestärkung der lutherischen Orthodoxie in Abgrenzung zu innerlutherischen und interkonfessionellen Auseinandersetzungen.1410 Dieses Ereignis war in der protestantischen Selbstbeschreibung der »Vorred« aus theologischen Gründen so prominent. Die konfessionalisierte protestantische Identität beruhte auf der Differenz zur exegetischen Tradition.1411 Die reformatorische Überzeugung, Auslegungen seien ständig zu erneuern, führte zu einer »rekursiv-zirkulären Zeitstruktur«. Die andauernde hermeneutische Annäherung an den Sinn des Gottesworts sollte das Verständnis des theologischen Sinns zum Zeitpunkt der Auslegung sicherstellen. Das erweiterte den Gegenstand der theologischen Hermeneutik, nun wurde über Gottes Wort hinaus auch die historisch gewordene Welt der Gegenwart einbezogen. Die Schöpfung Gottes offenbart sich in der historischen Welt. Die methodische Entwicklung der Hermeneutik spiegelt das Bemühen um verlässliche Operationalisierung, damit die unendliche Neuinterpretation nicht zu einem grenzenlosen Unterfangen würde.1412 Die »Vorred« entspricht also einem klassischen reformatorischen exegetischen Modell der zweiten und dritten Generation nach der Reformation.1413 Musste der nicht wiederherstellbare Sinn von Gottes Wort ständig aktualisiert werden, brauchte ein im Grunde exegetischer Text wie die »Vorred« ihren Autor 1408 Helmut Baier, Die Augsburger Konfession, ihre Entstehung und Geschichte, in: Angelika Marsch (Hg.), Bilder zur Augsburger Konfession und ihren Jubiläen, Weißenborn 1980, 10 – 32, 32. 1409 So lautet die Bildeinschrift im Konfessionsgemälde im Herrenchor der St.-Johannis-Kirche von Schweinfurt, die von Szenen lutherischen Gottesdienstes umrahmt ist und ungefähr auf die Entstehungszeit der Vorrede des Tucherbuchs, das letzte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, datiert worden ist Marsch, Bilder zur Augsburger Konfession, Abb. 16. Die Bildunterschrift stimmt stereotyp mit derjenigen anderer Konfessionsgemälde überein und spiegelt den Identitätsbezug auf diese projizierte Situation als eine Form von exemplarischer Sinnbildung wider, vgl. Marsch, Bilder zur Augsburger Konfession, 41. 1410 Ebd., 40. 1411 Vgl. für eine Untersuchung dieses Ineinandergreifens von Bibelauslegung und Reformationserinnerung am Beispiel des Augsburger Bekenntnisses 1530 und des Konkordienbuchs von 1580 in Sandl, Interpretationswelten der Zeitenwende, bes. 30 f., 43 – 46. 1412 Ebd., 33. 1413 Ebd., 31.

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nicht thematisieren. Die seltenen Äußerungen wie »in vnser [Kirchen]« führen aus der sachbezogenen Ebene des Textverlaufs heraus und verweisen auf die Familie als Erzählinstanz und Publikum, wie zuletzt wohl in der Äußerung zu den immensen Kosten des Codex oder im Hinweis, dass Scheurl »vns […] gedient« habe. Da die »Vorred« ein leserlenkender Paratext zum genealogischen Teil des Tucherbuchs ist, verweist die unmarkierte Verfasserschaft und die Annahme einer sermonartigen Erzählerrolle an nur wenigen Stellen darauf, dass die Inhaltsebene, die Verkündigung, in den Vordergrund gerückt werden sollte.

4.3.3 »Durch die Geburtt [samblet] Gott Ihme sein Ewige Kirch«. ›Generation‹ und familiäre Generationenbeziehungen An den theologischen Abschnitt schließen sich Ausführungen über die Familie als Gemeinschaft aus Jung und Alt an. Hier wird sowohl auf die Versorgung der Alten als auch auf die katechetische Erziehung der Kinder eingegangen, ein Beleg für die Wahrnehmung eines patrizischen Geschlechts als einer Generationengemeinschaft und Teil der Kirche als Gottesdienstgemeinde: Hiebey können vnd sollen wir/ zugutt den Jenigen/ die Raissen oder Schwachheitt halben/ den Predigten nicht nöttüfftig [sic!] beywohnen/ noch vil zulesen/ Zeitt vnd geschickligkaitt haben/ in trewer Christlicher wolmainung vnd Liebe/ vnerinnert nicht lassen/ dass solche Personen sich der Christlichen Lieder vnd Gesäng/ die wir zu vnsern Zeitten/ vnd in vnsern Kirchen/ Gott Lob/ die menig haben/ befleissen wöllen/ in deren ettlichen die gantze Lehr deß gantzen Christenthumbs sehr wol vnd nottürfftig begriffen/ vnd diß fahls solches Ihres arguments vnd Inhalts halben/ wollen wir denselben vnseren Blutsfreunden/ vnd dises vnsers Testaments mithuerwandten vnnd genossen/ vor anderen Gesänge diese drey volgende/ vnd vor allem fürgeschlagen vnd beuolhen haben/ Herrn Doctor Lutheri: Nun frewdt euch Lieben Christen gemein/ Vnd Pauli Sperati: Es ist das Hayl vns kommen her/ Vnd fürs dritte/ vnsers werden Landßmanns Lassari Spenglers: Durch Adams fahl ist gantz verderbt/ Vnd dieser drey für die Alten vnd erwachßenen/ Für die Kinder aber vnd Jungen/ das Weyhennachten Christtags Liedt/ auch Doctor Luthern: Von Himel hoch da kam Ich her/ Darinnen das gantze der Engel Gesang/ Ehr sey Gott in der Höhe/ Fride uff Erden/ Gantz wol vnd Englisch erklert wirdt/ das doch auch den Alten vnd erwachßenen hiemitt dergleichen Zubefelhenn/ vnd ob es wol allen Christen nutz vnd gutt Zu Ihrer Seelen Seeligkaitt/ in allen vnserer Zeitt/ Christlichen Gesängen/ geübt zusein/ (deren wir im newen Testament die menig haben/ vnd sich teglich vermheren/ da im Alten Testament nur das ainiche Buch der anderthalbhundert Psalmen Dauids/ vnd anderer Senger vberbliebenn/ Man schreibt aber von Salomon/ dass er in die Viertaussent Lieder solle gemacht haben/ von denen doch nichts mehr alß das hohe Lied/ vnd etlich wenig so vnter den Psalmen Dauids/ bey drey oder Vieren auff das mainste/ alß für seine vermaint werden können/ auff vns vnd vnsere Zeitt gebracht vnd erhalten worden) wöllen wir doch vor allen

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vnserer Kirchengesängen/ die obangetzaigten Vier Lid/ vnserern Leütten abermals befolhen haben[.]1414

War das Geschlecht bisher unter genealogischen Gesichtspunkten behandelt worden, so wandelt sich die Perspektive hier auf die Verwandtschaftsfamilie der Gegenwart, im Sinne eines Miteinanders von Personen, als Teil der Gemeinde und damit – gemäß der lutherischen Ekklesiologie – der gesamten Verkündigungsgemeinschaft. Um die Grenzen der Predigt- und Gemeindekirche nicht im Kirchenraum enden zu lassen, werden die »Christlichen Lieder vnd Gesäng/ die wir zu vnsern Zeitten/ vnd in vnsern Kirchen/ Gott Lob/ die menig haben« denjenigen empfohlen, die dem Gemeindegottesdienst wegen körperlicher Gebrechen nicht beiwohnen können. Die hier zitierte Passage interessiert weniger hinsichtlich ihres konkreten geistlichen Inhalts als vielmehr aufgrund ihrer Terminologie, die sich öffnet von »vnseren Blutsfreunden/ vnd dises vnsers Testaments mithuerwandten vnnd genossen« hin zu »vnserern Leütten«. Bei den Termini handelt es sich um ein steigerndes Trikolon, das vom engeren Familienkreis der Gegenwart (»Blutsfreunden«) ausgeht, dann über den möglicherweise größeren Kreis von Verwandtschaft (»mithuerwandte«) zum weiteren Kreis der Verwandtschaft (»genossen«) hin fortschreitet. Insbesondere die anvisierte Lebensdauer des Tucherbuchs verleiht der textlichen Entwicklung hin zu »vnserern Leütten« eine programmatische Bedeutung, sollte doch eine soziale Diversifizierung der Familie damit vorausgedacht werden, wie die prokreations- und kontinuitätsbezogene Ausrichtung im Weiteren zeigt: [V]vnd dieselbe vnsere Leutt [wollen wir] auch deß hiermitt ermahnet haben/ dass sie Ihre Kinder nicht allein in aller andern Zucht/ vnd Christlichen gottesdiensten ertziehen vnd halten/ sondern darneben vnd hierüber/ neben Ihrem Cathechismo/ auch die fleissig vnd weil/ in vnseren Christlichen Gesangbüchlein vben/ vnter denen die besten/ die Wüttenbergische vnd Lutherische/ vnd der Psalter in Teutsche Raim auß den Frantzösischen Liedern gebracht da es nicht zulang werden wolt/ wüsten wir gar vil Exempel fürtzubringen vnd antzuziehen/ Erstlich Christlicher guetter/ frommer vnd Weyßer Leuth/ die Ihre Kinder der gestalt in den Gesängen vben vnd zuüben verordnen nd zum Andern/ vieler seeligen Seelen/ die in Ihren Tödtlichen Kranckhaitten/ in gefahr des Todts/ gegen dem Ende Ihres Lebens/ vnd biß in den Todt/ sich auß solchen Gesangsprüchen vnd gesätzen derselben/ bericht vnd getröst/ mehr als die beywesenden Ihre Priester/ Pfarrherren vnd Predig[e]r/ bey Ihnen schaffen/ Thun vnd Zuuerzichten vermügend/ vnd die/ mitt solcher Liedersprüchen/ die sie in Ihren Stechbettlein vnd Todtsnöthen ergriffen/ vnd deren ingedenck/ vnd darauf vnd darauff Ihr bekanndtnus gethan/ vnd also darum vnd in rechtem Ihrem Glauben/ Seeligklichen sein abgeschaiden vnd hingefahren/ das wollen vilgedachte vnsere Leuth also zu 1414 GTB, fol. 13v.

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Hertzen nehmen/ vnd vnsere trewe Christliche wolmainung hieraus vermercken/ dann es denen nicht glaublich die es nicht erfahren haben/ was die Christliche Gesang bey gemainen Leuthen/ in solchen fällen vnd Todtsnöthen sonderlich Würckenn vnd schaffen[.]1415

Die Bezeichnung »vilgedachte vnsere Leuth« ist eine progressive Chiffre, die die Zukunft der Tucher bezeichnet. Das auf eine besonders lange Dauer hin angelegte Tucherbuch ist das generationenübergreifende, in die Zukunft gerichtete Medium »vnsere[r] trewe[n] Christliche[n] wolmainung«, das das konfessionelle Bekenntnis, die Erfahrung und Weisheit mitumfassen soll. Insbesondere wird auf die Krisensituation des Todes hingewiesen, in der die Lieder eine Glaubensbestärkung mit konsolatorischer Wirkung bieten können, »mehr als die beywesenden Ihre Priester/ Pfarrherren vnd Predig[e]r« leisten könnten. Die Familie wird gleichsam sakralisiert, als Versorgungsgemeinschaft mit geistlichem Beistand, aber auch als Weitergabe- und Übergangsgemeinschaft: Das doppelte Ziel umfasst zunächst die von Gott zur Weitergabe der Offenbarung geschaffene Familie, dann aber auch im Kleinen und programmatisch die aus jeder Ehe hervorgehenden Kinder. Der sakrale Charakter der Familie bedingt die Lebensformen, die somit stets religiös relevant werden: Vnter den Gaben aber dises Zeittlichen Lebens/ ist die Fürnembste/ der Segen der Früchten deß Leibes/ dieweil Gott durch die Geburtt Ihme sein Ewige Kirch samblet/ vnd sein Volck zusamen bringt/ dass mit/ bey vnd vmb Ihne/ in seinem Himelreich in alle Ewigkeit sein soll Hiertzu braucht er seinen von Ihm eingesätzten vnd geordneten Ehestandt/ vnd ist diß der Erste Segen/ im Paradeis Wachßet vnd mehret euch vnd füllet die Erden So sagt der Psalm/ Das Haus der frommen wirdt gesegnet/ welcher Segen erweist sich fürnemblich an den Leibsfrüchten/ wie gesagt/ vnd hatt Gott die Ersten Welt/ vor vnd nach der Sündflutt/ dieser Vrsachen halben fürnemblich/ mitt sehr langem Leben/ vnd vielen Leibsfrüchten gesegnet/ darmitt die ware Lehr vor Gott/ vnd seinem dienst zu den Nachkommen gebracht vnd erhalten würde/ vnd sonderlich die Zwaytaussent Jar der ersten Welt/ von adam biß auff Abraham vnd Mosen/ ehe dann noch Moses kommen/ vnd der Leuitische Gottesdienst durch Ihne offenbart vnd beschrieben worden/ Mittlertzeitt haben die obbeschriebene Testament das beste thun müssen/ durch welcher der Vorfahren Gottesdienst erhalten vnd forttgesetzt worden/ vnd schreibt der Weyße Plato/ Es gebür sich/ diß fahls/ sich der Natur gemeß zuhalten/ welche für vnd für Ihre Frucht bringt/ vnd dass also auch man Kinder Zeügen vnd Kindeskinder lassen könne/ vnd also Leuth seines Stammens vnd Geschlechts/ die/ wann Er mitt Todt abgehet/ Gott/ an seiner Statt dienen/ widerumb ein antwortte[.]1416

Das Geschlecht besteht aus Kernfamilien, die den menschlichen Fortbestand durch Prokreation sichern, dies aber vor allem zum religiösen Zweck, ist es doch Gott, der »sein Ewige Kirch samblet« durch die ›Leibesfrüchte‹. Die Beziehungen 1415 Ebd., fol. 13v-14r. 1416 Ebd., fol. 14r.

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der Ehepartner zueinander und zu ihrem Nachwuchs werden als gottgegeben dargestellt, als »von Ihm [Gott] eingesätzten vnd geordneten Ehestandt«, eine Überhöhung der Familiengeschichte, die im Grunde ausschließlich aus ehelichen Verbindungen als ihren Elementen zusammengesetzt ist, was sich ikonographisch in den Ehepartnerporträts des Tucherbuchs, aber auch in den ehepaarbezogenen Wappenteppichen in den Kirchen und patrizischen Haushalten zeigt. Der synkretistische Charakter des Generationsdiskurses wird kaum deutlicher als an dieser Fortpflanzung, Weitergabe und Heilssicherung verbindenden Stelle. Physische und geistliche Präsenz der Menschen gingen seit Beginn der Schöpfung ineinander auf, habe Gott die frühen Menschen »mitt sehr langem Leben/ vnd vielen Leibsfrüchten gesegnet/ darmitt die ware Lehr vor Gott/ vnd seinem dienst zu den Nachkommen gebracht vnd erhalten würde« begabt. Glaube und Religion als Gegenstände, die durch das »Testament« gewissermaßen menschheitsgeschichtlich vererbt werden sollen, damit »der Vorfahren Gottesdienst erhalten vnd forttgesetzt worden«, stehen daher ganz natürlich in Bezug zur familiären Prokreation. Es sei Sorge zu tragen um die Gnade Gottes, dass »man Kinder Zeügen vnd Kindeskinder lassen könne/ vnd also Leuth seines Stammens vnd Geschlechts/ die/ wann Er mitt Todt abgehet/ Gott/ an seiner Statt dienen«, wird mit Bezug auf den »Weyße[n] Plato« dekretiert, dessen Rezeption, etwa durch Marsilio Ficino, dem antiken Philosophen hohe Geltungskraft beimaß. Allerdings legt schon der Kontext des Zitats nahe, dass die Erwähnung Platos auch klischeeartig erfolgt. Der dem richtigen Bekenntnis gemäß abgehaltene Gottesdienst war ein Gegenstand, der den Nachkommen vorrangig übertragen werden sollte. In den zuletzt zitierten Stellen wurde der Bezug auf die soziale Größe der Familie deutlich, dessen Schilderung als Identifikationsgegenstand für die in der Gegenwart des Tucherbuchs Lebenden und vor allem für die zukünftig zum Geschlecht gehörigen »Leütte« bereit gestellt wurde. Die Konfession arbeitete somit mit einer progressiven Gedächtnisbildung,1417 um nachhaltig zur Identitätsbildung beizutragen. Denn beanspruchte die Reformation religiöse Reinigung und Rückkehr zu den klaren Ursprüngen des Glaubens, so wird diese Klarheit legitimatorisch, historisch und glaubensgeschichtlich als »ware Lehr vor Gott« verortet, so dass die konfessionelle Krisis der protestantischen Tucher als positive historische Entwicklung und Leistung, das Urchristentum wiederhergestellt zu haben, verstanden werden kann.

1417 Diese Überlegung steht im Mittelpunkt der – Augsburger und Nürnberger Überlieferungen umfassenden – Ausführungen in Kirchhoff, Gedächtnis in Nürnberger Texten.

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

Familiäre, soziale, konfessionelle und regionale Identitätsdarstellung in der »Vorred«

4.4.1 ›Handeltreibende Ritter‹. Das Mittelalter als Projektionsfläche für die Bewertung von Lebensstilkonzepten Die Konstitution der Identität der Tucher im Spiegel ihrer Geschichtsschreibung lässt sich in frühere politische Vorgänge in der Reichsstadt einordnen. Bereits Jahrzehnte vor der Konjunktur von Geschlechterbüchern in Nürnberg war 1521 die Rolle des Patriziats in der Form einer Verordnung zur Regelung der offiziösen Festkultur festgelegt worden. Das so genannte »Tanzstatut« beschränkte die Teilnahme an Bällen im Rathaussaal, dem ›Tanz auf dem Rathaus‹, auf eine festgelegte Anzahl von ratsfähigen Patrizierfamilien. Durch diese Teilnahmebeschränkung am jährlichen Ball, der etwa auch beim Besuch von Fürsten stattfinden konnte, war das Patriziat als soziale Gruppe fixiert. Die aus dem lateinischen Text stammende Selbstbezeichnung »Patriziat« wurde von der Forschung hinsichtlich ihrer Bedeutung problematisiert.1418 Verbunden mit diesem in Christoph Scheurls Beschreibung der Reichsstadt Nürnberg auftauchenden Quellenwort sind verschiedene metasprachliche Alternativen vorgeschlagen worden; die Konzeptualisierungsversuche bevorzugen teilweise lineare Modelle, teilweise werden lebensstilbezogene Pluralisierungsvorgänge der Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten hervorgehoben.1419 Der Formierungsprozess der städtischen Führungsschicht seit dem 15. Jahrhundert, der durch das Tanzstatut festgeschrieben werden sollte, hat insbesondere auf die Bewertung von Lebensstilen Auswirkung. Die zahlreichen, von der Forschung angesetzten Konzeptualisierungsversuche für das Patriziat als Typus, konkrete Gruppe oder Führungsschicht sollen hier für eine Lektüre des Tucherbuchs sensibilisieren, um das spezifische Begründungsschema als eine historische Identität, eine wesentliche historiographische Wirkungsabsicht, lesen zu können. Als faktischer Bericht markiert,1420 dient die Turnierepisode, der gemeinsame 1418 Zur kontroversen Diskussion vgl. die grundsätzlichen Nachfragen auch zum »Tanzstatut« in Groebner, Ratsinteressen, Familieninteressen. 1419 Eher lineare Prozesse, wenn auch mit differenzierteren Wegen, scheint Diefenbacher, Stadt und Adel, zu sehen, während auch in anderen Kontexten für Pluralisierung argumentiert wurde. So sei es in verschiedenen Familien nach der Generation, die wie Anton Fugger im späten 15. Jahrhundert geboren und um die Mitte des 16. Jahrhunderts gestorben sei, verstärkt zu akademischen Karrieren gekommen; im Fall der Fugger ist daher von einem Nebeneinander beispielsweise kaufmännischer und politischer Funktionen auszugehen, vgl. Häberlein, Sozialer Wandel in den Augsburger Führungsschichten, 189. 1420 Zum aktuellen Stand vgl. zuletzt die pointierte Darstellung von Klaus Graf, Herold mit vielen Namen: Neues zu Georg Rüxner alias Rugen alias Jerusalem alias Brandenburg …,

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Auszug etlicher Vertreter des Patriziats und die Erhebung in den Adelsstand durch den »Kaißer Hainrich de[n] Sechst[en]« im 12. Jahrhundert der Objektivierung der Verhältnisse. Besonders gekennzeichnet wird dieser Gegenwartsanspruch durch die präsentische Formulierung, die vom Kaiser verliehenen Privilegien seien adelsgleich gewesen und sollten auch weiter für adelsgleich gehalten werden: [H]atte insumma derselbe höchstgedachte Kaißer Hainrich der Sechst/ an allen der Statt vnd deren Geschlechten/ diensten vnd außrichtung solchen gefallen gehabt/ das Er alle/ so auß Ihren Geschlechten Ihne damals belaittet (vnter denen auch Wolff vnd Sigmund die Tucher neben anderen Ihren Vetteren vnd Verwandten) Genedigist/ mitt Adellichen Rittermässigen Eehren vnd Freyhaitten begenadet vnd die dem Adel allerdings gleich sein/ vnd gehalten werdenn sollen/ woferne sie sich (wie der Zeitt es gehalten worden) an Ihren Landtgüttern/ deren Renthen vnd Gülten/ genüegen lassen würden/ vnd deren allein nehrten/ vnd Bürgerlicher Händel vnd gewerb/ der anderen gemainen Bürgerschafft/ sich enthielten[.]1421

Die Gegenwartsbedeutung für das späte 16. Jahrhundert gewinnt der Text vor allem deswegen, weil die damals angesetzte und im zitierten Text offen eingestandene Bedingung für den Statuserhalt gebrochen wurde, indem die Tucher seit der Mitte des 15. Jahrhunderts durch »Bürgerliche[n] Händel vnd gewerb« maßgeblich für ihr Einkommen sorgten. Die zeitgenössische Legitimitätsdiskussion des Adels führte genau zu dieser Frage, und scheint von den Kaufleuten durch Landgutankäufe beantwortet worden zu sein, die einen adeligen Lebensstil signalisierten und gleichzeitig eine krisensichere Geldanlage waren.1422 Die Bedeutung dieses adeligen Lebensstils wird nicht wiedergegeben, ohne sie als zeitgebunden und eventuell veraltet zu qualifizieren, nämlich sei ein Einkommen aus Renten dem Adel damals vorgeschrieben gewesen, »wie der Zeitt es gehalten worden«. Die Absichten dieser Geschichtskultur, ja Geschichtspolitik treten in der präsentischen Formulierung vor Augen, dass die Patrizier »dem Adel allerdings gleich […] gehalten werdenn sollen«. Die Turnierlegende, Teil des Auftragswerks des Reichsherolds Rixner aus dem frühen 16. Jahrhundert, muss 1590 von großer Bekanntheit aber auch bereits in: Ritterwelten im Spätmittelalter: Höfisch-ritterliche Kultur der Reichen Herzöge von Bayern-Landshut (Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 29), Landshut 2009, 115 – 125. 1421 GTB, fol. 15r. 1422 Für eine konkrete Abwägung vgl. Häberlein, Die Fugger, 188 – 199. Die Frage, wie der Landkauf, adelige ›Verschwendungssucht‹ und bürgerliche ›Zweckrationalität‹ zu bewerten seien, ist bereits öfter gestellt worden. Mit Blick auf den von Max Weber ausgehenden, wissenschaftsgeschichtlich inzwischen historisierten »Bann« einer allzu strengen Typisierung von Adel und Bürgertum untersucht die Problemstellung Stollberg-Rilinger, Distinktion zwischen Adels- und Kaufmannsstand, bes. 44.

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zunehmend zweifelhafter Geltungskraft gewesen sein.1423 So wird deren Glaubwürdigkeit gesteigert, indem – zunächst ohne Verweis auf den Autor – auf eine öffentliche Drucklegung hingewiesen wird. Diese muss in einiger zeitlicher Distanz zum Tucherbuch gestanden haben, wird doch die Quelle nicht genauer charakterisiert. Hätte das späte 16. Jahrhundert die von Patriziern wie von Herzogsgeschlechtern beanspruchte Turnierfähigkeit im 12. Jahrhundert unangefochten für wahr gehalten, so hätte dieses Narrativ nicht der Begründung bedurft; mithin indiziert der Rechtfertigungsbedarf auch die Unsicherheit der Faktenlage: [Der Bericht schildert] wie das alles in derselben deß Zwölfften Thurnirsbeschreibung zufinden/ Welche Turnirshistorie/ auch an ein Rittermessig Geschlecht in nider Sachßen/ die von Veldthaimb/ kommen/ vnd nachmalß zu Summern/ auff dem Hundtsrück/ im Druck außgangen/ auß welchem allen zuuernemmen/ dass auch vor dem Jar Christi/ 1198 die Tucher müssen gutte/ wolbekanndte/ wolgehaltene/ BürgersLeuth gewesen sein/ vnd noch viel Jar zuuor/ ehe noch dann sie geadelt worden/ alß die zurselben Zeitt Ihrer begnadung/ in Ehrn vnnd Ehrnstanden berhüembte Leutt gewesen[.]1424

Die Rixnersche Turnierbeschreibung ist als Legitimationslegende durchsichtig. Die damit verbundenen gesamtpatrizischen und einzelfamiliären Legitimationsabsichten treten in den überlieferten Varianten deutlich hervor und weisen eventuell auf Einflussnahmen Scheurls hin.1425 Rixner behauptete wohl auf Geheiß der Patrizier, Heinrich VI. habe 1198 eben diese Auftraggeber geadelt, sofern sie sich vom Handel fernhielten; diese fingierte Adelserhebung kollidierte mit der Tatsache, dass weder 1198 auch nur irgendeine der patrizischen Familie nachweisbar war und sie beinahe ausnahmslos im Handel beschäftigt waren.1426 Dieser Befund spricht aber nicht gegen, sondern gerade für die Wirkmächtigkeit derartiger verlockender Erzählungen. Der Nürnberger Rat hatte Rixner für dessen interessengeleitete Geschichtsdarstellung Zahlungen geleistet.1427 So zeichnen die Veränderungen vom handschriftlichen Exemplar hin zum Druckexemplar die Gegenwartsbedeutung nach, beispielsweise durch die Aufnahme der Familie Kress in den Erstdruck 1530.1428 In der ursprünglichen Fassung von 1526 war das Turnier noch als 39 Familien umfassend beschrieben worden, von denen 1526 noch 15 existierten, wobei die Kress noch fehlten. Der Aufstieg des Christoph Kress, der seit 1513 Mitglied des Rats gewesen war, bald 1423 Zu Rixner vgl. Georg Kurras, Georg Rixner, der Reichsherold ›Jerusalem‹, in: MVGN 69 (1982), 341 – 344. 1424 GTB, fol. 15v. 1425 Vgl. für diese Untersuchung bislang eigentlich nur von Haller, Das Turnierwesen. 1426 Von Haller, Turnierwesen, 243. 1427 Kurras, Georg Rixner, 342. 1428 Ebd.

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als Gesandter der Reichsstadt fungierte und seinen Aufstieg 1532 als Dritter Oberster Hauptmann krönte, bezeichnete eine Tendenz, die Rixner und seinen vermutlich patrizischen Auftraggebern auch zum Zeipunkt der Drucklegung 1530 kaum verborgen geblieben sein konnte.1429 Dennoch wäre es müßig und für die hier verfolgten wertungsfreien ›phänomenologischen‹ Zwecke verfehlt, zwischen Interpretamenten wie ›Erfindung‹ und ›Wahrheit‹ zu unterscheiden, eine missverständliche Tendenz der Forschung, die den Quellenwert von historiographischen Quellen für Fragen historischer Identität und historisierbarer Plausibilitätswahrnehmung verstellen könnte.1430 Wie Rixners Geschichtsschreibung selbst,1431 so war auch seine Rezeption von den zeitgenössischen Sinnbedürfnissen bestimmt.1432 Eine politisch-historische Tendenzschrift Meisterlins wurde im frühen 16. Jahrhundert populär, weil sie in der Vergangenheitsperspektive eine Legitimierung für die ausschließliche patrizische Regierung in Nürnberg bereit hielt. Darstellungen der Frühgeschichte der Stadt waren bereits vorher vorhanden, ein Ereignis wie der Bauernkrieg jedoch steigerte das Legitimationsbedürfnis bis hin zur Aufnahme der Rixnerschen Turnierlegende in die Nürnberger Chronistik. Meisterlins Chronik wurde 1526 rezipiert, im Jahr der Übergabe der Rixnerschen Turnierbeschreibung an Bartholomäus Haller (1486 – 1551) sowie fünf Jahre nach der Veröffentlichung des, die exklusive Herrschaft des Patriziats bestätigenden, Tanzstatuts. Die Rezeption verkehrte Meisterlin im Grunde gegen seine eigenen Intentionen, hatte er doch den Wahrheitsanspruch der Reichsherolde grundsätzlich in Frage gestellt.1433 Der offensichtliche Widerspruch, dass Handel treibende Patrizier eine Tur1429 Albert Bartelmeß, Der Reichsherold Caspar Sturm und Nürnberg, in: MVGN 69 (1982), 185 – 195, 189. 1430 Die Unterscheidung wird möglicherweise dadurch eine nützliche und daher gebotene, wenn statt einer objektiv gemeinten Dichotomie eher die historische Unterscheidung zwischen reglementierter wahrgenommener Unwahrheit und historisch-legitimer Richtigkeit aufgestellt wird. Auf diese Historisierung des Problems scheint abzuzielen Rolf Sprandel, Die Fälschungen in der öffentlichen Meinung des Spätmittelalters. Eine Studie zur Chronistik in Deutschland 1347 – 1517, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, München, 16.–19. September 1986. Teil I. Kongressdaten und Festvorträge. Literatur und Fälschung (Monumenta Germaniae Historica. Schriften 33, I), Hannover 1988, 241 – 262. 1431 Auch andere soziale Gruppen reagierten auf soziale Veränderungen, vgl. Heinz Krieg, Ritterliche Vergangenheitskonstruktion. Zu den Turnierbüchern des spätmittelalterlichen Adels, in: Hans-Joachim Gehrke (Hg.), Geschichtsbilder und Gründungsmythen (Identitäten und Alteritäten 7), Würzburg 2001, 89 – 118, bes. 111 f. 1432 Zur Aufnahme Rixners in die offiziöse Chronistik folge ich der Untersuchung Schneiders, dort auch weiterführende historiographiegeschichtliche Informationen zur nach 1500 so intensiv rezipierten, mittelalterlichen Geschichteschreibung: Schneider, Humanistischer Anspruch und städtische Realität, bes. 220 f. 1433 Ebd., 22.

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nierteilnahme mit der daran gebundenen adeligen Lebensform beanspruchen, wird durch eine zeitgeschichtliche Kontextualisierung abgefedert; so seien zunächst auch Fürsten nicht mehr auf eine rein adelige Lebensform festzulegen, gingen vielmehr inzwischen auch diese höheren Schichten nichtadeligen Tätigkeiten nach. Bei den ritterlichen Tucher sei es eine Notlösung gewesen, mit Waren zu handeln; dagegen sei es aber keine ursprüngliche Existenzgrundlage wie bei den Kaufleuten gewesen, sondern lediglich die Basis, um den erreichten adelsähnlichen Status erhalten zu können. Hatten die Tucher lediglich versucht, ihren Rang nicht einzubüßen, so hatten neureiche Kaufleute ihren Reichtum zur Statuserhebung erworben; vor dem Hintergrund der Turnierteilnahme besaß Reichtum allein im Grunde aber keine Distinktionskraft: Was aber Handthierung vnd Gewerb/ vnd andere Bürgerliche narung/ ausserhalb der Renth vnd Gülten einkommen belangent/ sollten die/ dem verdienten vnd erworbenen Adel vnd Thurniersgerechtigkaitt etwas benehmmen/ wird manchem/ nicht allein Rittermessigen vnd Adelspersonen/ sondern auch hoheren vnd Fürstlichem standts/ Ihr herkommen vnd Hoheitt verfallenn/ vnd deren das mainste thail in kainen Thurnir reitten/ noch den besuchen dörffen/ wie nun in souil Jaren kainner außgeschrieben/ vnd die alten Turnir/ vnd deren Ordnung/ abgangen vnd erloschen/ vnd ein ander vnd new Turnirn auffkommen vnd eingeführt/ vnd ist dem Ritterstandt die noth gebracht/ von den Werbenden HandelsLeütten/ dass sie/ Die Rittermässigen/ vor den HandelsLeütten/ vnd denen geleich/ Ihren Standt nicht füehren/ noch zuerhalten vermügendt/ wo sie sich nicht auch in Handelßgewerb einliessen[.]1434

Diese Argumentation vereinbarte die Realität einer Gegenwart mit den widersprüchlichen Eigenschaften einer beanspruchten Vergangenheit, für die Rixner die Hauptgrundlage bildete. Seine viele Jahrzehnte andauernde Überzeugungskraft spiegelt sich in mehreren Nachdrucken, so 1566, 1578 und 1579 in Frankfurt am Main sowie in zahlreichen, auch späteren handschriftlichen Wiedergaben.1435 War Rixners Turnierbuch zunächst im Auftrag des Pfalzgrafen Johannes II. bei Rhein, Herzog in Bayern und Graf von Sponheim 1530 erschienen, so griff auch ein Herzogshaus wie das mecklenburgische auf Rixner – vermutlich im Jahre 1530 – zurück.1436 Sein undatierter handschriftlicher Codex war offenbar kaum zum Druck vorgesehen, enthält selbst auch keinerlei Datierungen von Herrschaftszeiten und scheint aus großer räumlicher Entfernung 1434 GTB, fol. 15v-16r. 1435 Klaus Arnold, ›Georg Rixner genandt Hierosalem, Eraldo vnnd kunig der wappen‹, und sein Buch über Genealogie und Wappen der Herzöge von Mecklenburg, in: Matthias Thumser/Annegret Wenz-Haubfleisch/Peter Wiegand (Hg.), Studien zur Geschichte des Mittelalters. Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2000, 384 – 399, 395. 1436 Allerdings beruhte Rixners zu den Ursprüngen der Mecklenburger auf den Arbeiten Marschalcks, was ein weiterer Grund sein sollte, den Ursprung der Ursprungslegenden historiographiegeschichtlich zu erforschen. Arnold, Herzöge von Mecklenburg, 391.

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angefertigt zu sein, fehlen doch einzelne Ereignisse der Entstehungszeit; dagegen erfolgt eine Herleitung des »Rechten Blutstame der Hertzogen zu megkelnburg, wie sie den von konglichen stand vnd herkomen bewissen vnd anczögen mugen ob achthundert jaren her bis vff dissen tag von eim vatter vff den andern«, mit Ausgriffen bis auf Alexander den Großen, eine zeitübliche Mythologisierung. Die Motivation wird in einer wenig überraschenden Vorrede und Widmung beschrieben: Genadiger herr, Gleich wie eynn yeder vernunfftiger mensch, als die philosophi vnd außleger der Naturlichenn Weisheit schreiben, angeborene Naigung hat got denn Almechtigen vnd seine creaturenn In vnd ob dem himel schwebent zuerkennen, Also genadiger herr Ist er auch hochbegierig seines stammens vnd geschlechtß vorfarn vnd elternn zuerlernen mit irem herkummen […] Darumb aus obangezaigtenn vrsachenn Ich fur mich genommen habe, euern F. g. zu eren einen außzug zumachen mit nammen wappen vnd titel E. g. vorelternn herkummen vnd anzaygen, ongeuerlich zubeweisen von Achthundert Iaren her von eim vatter vff den andernn, wie sie (der Schwertseitten halb) von kuniglichem geschlecht herkummen vnd erwachssen sein[.]1437

Im Gegensatz zum Anspruch, einer »angeborene[n] Naigung« in Gottes Kreaturen Genüge zu leisten, zumal durch eine Kollationierung verfügbarer Quellen, befand das mecklenburgische Herzogshaus sich genauso wie die Tucher unter großem sozialen Druck.1438 Rixner erfüllte die ihm gestellten Aufgaben in einer Zeit, in der Reichsherolde immer mehr von ihren ursprünglichen, mit der Organisation von Turnieren verbundenen Tätigkeiten entbunden wurden, um sich heraldischen Problemen zu widmen. Am Beispiel des Tucherbuchs spiegeln sich die in die Turnierlegende hineinprojizierten Hoffnungen, aber auch die Zweifel späterer Zeiten, die schon um 1590 zu angestrengten Ausbreitungen und Mehrfachbegründungen dieses klassischen Erzählkerns der Familiengeschichtsschreibung patrizischer Geschlechter in Nürnberg führten. In den sich abzeichnenden Distinktionsbemühungen ist eine Tendenz des 17. Jahrhunderts erkennbar. Karrieremuster pluralisierten sich und eine kaufmännische Ausbildung der ab ca. 1580 geborenen Patriziersöhne wurde bereits verstärkt in die Bahnen einer adligen Kavalierstour gelenkt.1439 Die Nürnberger Patrizier, »nobiles norimbergenses«, bezogen sich nur wenige Jahrzehnte nach dem Tucherbuch immer weniger affirmativ auf kaufmännische Tätigkeiten.1440 1437 Ebd., 392. 1438 Die politischen Legitimationsbedürfnisse behandelt mit weiterführenden Angaben Ebd., 386 – 388. 1439 Ernstberger, Patrizier- und Geschlechtersöhne, 356. 1440 Zur Darstellungsabsicht ihrer Identität beziehe ich mich zentral auf Hofmann, Nobiles Norimbergenes I, dessen nicht immer befriedigend belegter Ansatz vor dem Hintergrund der hier interpretierten Quellen anregend bleibt, wenn auch eine Gesamtthese zur Geschichtskultur archivischer Arbeitsprotokolle bedürfte.

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Während große Teile der älteren Forschung eine Aristokratisierung städtischer Eliten festmachen und mit der unübersehbaren Nachahmung des Landadels durch Ankauf von Landgütern argumentieren, sollte der Befund wertungsfreien empirischen Untersuchungen der tatsächlichen Ziele von Investitionsstrategien eröffnet werden. Land- und Landgüterkäufe der stärker als die Tucher an Geldgeschäften beteiligten Fugger werden inzwischen beispielsweise eher als konservative Kapitalanlagen interpretiert.1441 Die patrizische Identität ist weder allein auf die veränderten repräsentativen Wirkungsabsichten der städtischen Eliten noch auf sozioökonomische Strukturen der Einkommensquellen festzulegen. Stets sind beide Bereiche miteinander verquickt, wie die im 16. Jahrhundert relativ konservative Entwicklung des ersten Repräsentationsgegenstands, der als Wertgegenstand betrachteten Kleidung, trotz der Aufnahme internationaler Modeerscheinungen indiziert.1442

4.4.2 Herrscherliche Generationenkonflikte als Perversion der politischen Ordnung: Reichsstädtischer Patriotismus des 16. Jahrhunderts im Spiegel von ›Erzählkernen‹ der offiziösen Nürnberger Chronistik Der Historiographiegeschichtsforschung zu Nürnberg seit dem Hochmittelalter ist bekannt, dass klassische Erzählkerne der offiziösen städtischen Geschichtsschreibung identifikatorisch wiedergegeben werden konnten.1443 So liegen detaillierte Arbeiten zur Rezeption der Nordgauverschwörung vor, bei der Heinrich V. den alten Kaiser Heinrich IV., seinen Vater, auf der Nürnberger Burg belagerte.1444 Die ideologische Instrumentalisierung dieser Episode, mithin eines ereignishaft zugeschnittenen Erzählkerns, erscheint im Kontext der hier verfolgten Fragestellung und der dazu herangezogenen Quelle noch sehr flexi1441 Häberlein, Die Fugger, 186 – 202 sowie Robert Mandrou, Die Fugger als Grundbesitzer in Schwaben, 1560 – 1618: Eine Fallstudie sozioökonomischen Verhaltens am Ende des 16. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 136), Göttingen 1997, 190 – 196. 1442 Während Jaritz eher die Distinktionskraft von Kleidung hervorhebt (Jaritz, Kleidung und Prestige-Konkurrenz), beschreibt Lehner etwa am Beispiel der Kopfbedeckungen die ruhige ›Schwingungslage‹, ja Innovationsferne von Modeerscheinungen, vgl. Julia Lehner, Die Mode im alten Nürnberg. Modische Entwicklung und sozialer Wandel in Nürnberg, aufgezeigt an den Nürnberger Kleiderordnungen (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 36), Nürnberg 1984, 88 – 92. 1443 Die ›Wanderungen‹ bestimmter Themen durch spätmittelalterliche Texte mit Blick auf gruppenkonstituierende Thematisierungen der Stadt untersucht Meyer, Nürnbergs Entdeckung in Texten. 1444 Karl Bosl, Das staufische Nürnberg, Pfalzort und Königstadt, in: Gerhard Pfeiffer (Hg.), Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, 16 – 28, 18.

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bel.1445 Es handelt sich um eine Darstellung politischer Ereignisse als Generationenkonflikt, bei dem die ethische Dominanz der Vaterrolle durch den Einfluss des Papstes unterminiert worden war. Die Entscheidung für diese im Folgenden eingehender zu kontextualisierende Darstellung in familienbezogener Sprache erfolgte auf Grund eines die gesamte Vormoderne durchziehenden Generationsdiskurses, wie ein Blick in eine wesentlich spätere Quelle zeigt, nämlich das Buch des Johann Dietenberger von 1724, »Ecclesiasticus oder Jesus Syrach von der Hauß-Zucht: wie man sich gegen Gott u. seinem Nächsten verhalten soll«. Große Teile dieser als Auswahlübersetzung markierten, aber mit 219 unpaginierten Seiten sehr umfänglichen zweckliterarischen Produktion sind mit namenlosen, d. h. breit applizierbar gehaltenen Bewertungen von Generationen- und Vater-Sohn-Beziehungen wie den folgenden gefüllt: »der Mensch hat sein ehr von der Ehr seines Vatters«; »Wie ein Ehrloser ist/ d[er] seinen Vatter verlässet«.1446 Die Vaterrolle ist, in absichtlicher Überhellung, zeitübergreifend ›alteuropäisch‹ zu nennen, sind doch die durch das generationenorientierte Erzählmuster an die Zerstörung Nürnbergs herangetragenen negativen ethischen Konnotationen Teil einer kontinuierlichen Lehre, die sich in einer anderen Nachdichtung Jesus Sirachs von 1578 auch in konfessionalisierter Ausprägung zeigt.1447 Wurde die Sirach-Rezeption im ersten Teil dieser Studie bereits unter dem Aspekt der Erziehung ausgewertet, so ist hier der Zusammenhang mit der historiographen Sinnstiftung darzustellen. Diese beruht auf ähnlichen Diskurseffekten wie die erzieherischen Generationenbeziehungen.1448 Die Interpretation reibt sich an der Polysemie, den hybriden Strukturen, die im Medium der verknüpften Diskurse der Identität einer Gruppe, eines Geschlechts oder 1445 Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts, 225. 1446 Johann Dietenberger, Ecclesiasticus oder Jesus Syrach von der Hauß-Zucht: wie man sich gegen Gott u. seinem Nächsten verhalten soll, Amberg 1724, unpaginiert. 1447 Für die Kontinuität des Generationsdiskurses, der Vater-Sohn-Beziehungen, im Frühmittelalter vgl. Karl Heinrich Krüger, Herrschaftsnachfolge als Vater-Sohn-Konflikt, in: Frühmittelalterliche Studien 36 (2002), 225 – 240. Die dahinter stehenden Diskurse durchziehen die gesamte ›Vormoderne‹ bis in das 18. Jahrhundert, vgl. für Nachweise 2.4.3. 1448 Bei diesem möglicherweise gewagt erscheinenden Unterfangen ist auf die bisherige Rezeptionsforschung der historischen Theologie zu verweisen, die Abhängigkeiten des Luthertums im späten 16. Jahrhundert von Jesus Sirach konstatiert hat, vgl. Becker, Jesus Sirach und das Luthertum, nicht ohne genauer die anthropologischen Bestimmungen im deuterokanonischen Text selbst zu beachten, vgl. die besonders konzise Darstellung in Oda Wischmeyer, Theologie und Anthropologie im Sirachbuch, in: Renate Egger-Wenzel (Hg.), Ben Sira’s God. Proceedings of the International Ben Sira Conference Durham – Ushaw College 2001 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 321), Berlin/New York 2002, 18 – 32. Die dort erstmals aufgezeigten Rezeptionsweisen bieten einen idealen Ausgangspunkt für eine Analyse der damit im Einzelfall verbundenen Zwecksetzungen.

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einer noch genauer zu bestimmenden sozialen Größe zu einer bestimmten Zeit Ausdruck verleihen. Der im Folgenden zu behandelnde Abschnitt der »Vorred« bildet eine Art chronologischen Rahmen für die Familiengeschichte, gegliedert durch zwei Ereignisschilderungen. Sowohl die Zerstörung der Stadt als auch der Handwerkeraufstand werden als Gründe angegeben, warum die Überlieferungschancen von Nürnberger Quellen im Stadtgebiet so schlecht gewesen seien, warum mithin die Stadt deutlich jünger erscheine als sie in Wahrheit sei. Die Familiengeschichtschreibung sei daher schon quellenbedingt eingeschränkt. Man habe lediglich die Überlieferung außerhalb der Stadt zur Verfügung, allerdings thematisiert die von Scheurl aufgeführte Liste keine Quellen außerhalb der Stadt: Daß aber die Nahmen/ herkommen/ vnd Geschlecht/ derselben Vralten/ nicht allen können specificirt vnd ertzehlt werdenn/ wie sie nach: vnd voneinander/ biß auff Conradt Tucher den Ersten in disem Buch kommen/ sein Zwo grosse vnd erbarmliche vrsachen Die erste/ dass Anno Christi 1105 die Statt Nürnberg/ vnter Kayßer Hainrich dem Vierten/ geschlaifft worden/ durch seinen deß Kayßers Sohn/ Hainrich dem Fünfften/ der seinem Vatter/ auß verbannung deß Bapst Gregory deß sibenden/ vnd nach dem Bapst Paschalis deß andern/ das Kayßerthumb abgetrungen/ vnd weil die Statt Nürnberg wider Ihne dem Vatter/ als dem Erwöehlten vnd Regirenden Kayßer/ gethane pflicht/ dem Sohn/ vnd des Bapsts verbannung/ nicht beypflichten können/ hatt derselbe Sohn Hainrich der Fünffte/ die Statt belägert/ gestürmet/ vnnd erobert/ das Kayßerliche Schlos/ ietzt die Vesten genannt/ eingenommen/ vnd die Statt geschlaifft vnd verwüst/ sambt dem Landt vnd Landtgüettern vmb die/ vnd also alle alte gedechtnus/ von Schrifften vnd gebäwen mitt verwüst/ vnd ist nichts alß dann geblieben/ alß was noch in den Alten benachbarten Stüfften vnd Klösterlibereyen/ da[v]on beschrieben gefunden/ vnd also erhalten worden[.]1449

Der Text ermittelt und affirmiert zunächst eine hypothetische Vorvergangenheit, deren Existenz auf zwei Weisen begründet wird, mit Bezug auf Themenstränge der reichsstädtischen Geschichtsschreibung als feste und belastbare Wissensbestände. Der vordergründige Zweck, die bereits im Lichte von Rixners Turnierlegende eingeführte Hypothese der familiären Ursprünge, war zunächst zu unterstreichen. Gleichzeitig, gewissermaßen durch gegenseitige Begründung, wurde die Rolle der Familie hypostasiert, denn die Tucher gehörten erklärtermaßen bereits zur Turnierzeit zu den geschätzten Geschlechtern der Stadt. Die Tucher waren mithin Teil der gegen den eigenen Vorteil kaisertreuen Stadt. Die bei der Zerstörung abhanden gekommenen frühen Dokumente des Geschlechts werden somit zu Zeugnissen solcher politischen Werte stilisiert, die noch im späten 16. Jahrhundert geschätzt werden. Es wird erläutert, Nürnberg 1449 GTB, fol. 15r.

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erscheine nur durch seine Zerstörung als eine jüngere Stadt als sie in Wahrheit sei. Diese Ereignisgeschichte mit legitimatorischen Absichten war auch in Hallers offiziösem Geschlechterbuch wiedergegeben worden.1450 Die Aufzeichnungen waren in der Losungerstube 1537 deponiert,1451 wurden somit ratsnah rezipiert. Die so aufgewertete historische Darstellung wird im Tucherbuch auf das eigene Geschlecht bezogen. Neben seinem narrativen Eigenwert, der Bezugnahme auf den Generationsdiskurs, wird es vor allem durch die offiziöse Bedeutungsebene bemerkenswert. Das Geschehen wird im Grunde als eine Generationenbeziehung lesbar gemacht, in die Ungehorsam durch den – zeitgebunden nunmehr offen zum personifizierten Antichrist erklärten – Papst hineingetragen wird. Zunächst habe »deß Kayßers Sohn/ Hainrich dem Fünfften/ der seinem Vatter […] das Kayßerthumb abgetrungen«, die ihm durch die Verbannung zur Verfügung stehenden Machtmittel genutzt, sich zum Gegenkaiser aufzuschwingen; dies war ein Verstoß gegen die natürliche politische, von Nürnberg aufrecht erhaltene Ordnung, konnte Nürnberg doch »dem Vatter/ als dem Erwöehlten vnd Regirenden Kayßer/ [in] gethane[r] pflicht/ dem Sohn/ vnd des Bapsts verbannung/ nicht beypflichten«. Die Bezeichnung »Vatter« in Beziehung auf den legitimen, weil aktuell gewählten Kaiser und Souverän der Reichsstadt und den reichsrechtlichen Status der Augsburger Konfession sichernde Institution, steigert die Geltungskraft durch den Generationsdiskurs. Die frühneuzeitlich sakral konnotierte Rolle des Vaters veränderte den politischen Sinn somit nicht grundlegend, sondern trug eine weitere Dimension an die Kaiserrolle als eine Vaterrolle heran, verhielt sich doch die Stadt Nürnberg gegen den alten Kaiser so, wie es dem Sohn des Kaisers zugekommen wäre.1452 Negativ fällt dies auf den Papst als historische Person und Institution zurück, der die in der »Vorred« insgesamt zentral thematisierten, ordnungsgemäßen Generationenverhältnisse durch seinen Einfluss gestört hatte. Diese recht auffällige, aber letztlich doch implizite Vater-Sohn-Konstellation wird weiter exemplifiziert, denn so habe Kaiser Conrad, »ohne Zweyfel«, genau diese ethischen Qualitäten berücksichtigt, als er in Wiederherstellung der generationenüber-

1450 Der Eintrag im 1536 entstandenen, dem Rat Nürnbergs gewidmeten Geschlechterbuch lautet: »Wie die Stat von Kayser Haynrichen dem Fünfften gewonnen, vnnd zerschleifft wardt etc. Fol 26«, vgl. die ältere Wiedergabe in Heinrich, Konrad Haller, 257 (heute im StAN aufbewahrt). 1451 Vgl. dazu Schmid, Deutsche Autobiographik, 62. 1452 Anders als in der auf Regelübertretung eingestellten modernen Gesellschaft war die Einhaltung der weitgehend sozial und familiär vorgegebenen Konventionen ein Kennzeichen der ›vormodernen‹ Gesellschaft im Sinne einer historischen Soziologie. Erziehungsdiskurse blendeten die Möglichkeit zu Regelüberschreitungen aus, vgl. Luhmann, Theorie der Gesellschaft, 306 f.

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greifenden Treuevergeltung auf Seiten des Kaisers Nürnberg wieder aufbauen ließ und die Zerstörung durch »seine[n] Ohaimb« Heinrich V. beseitigte: [V]nd fehlt dieses Ain vnd dreyssigiste Jar in das Jar Christi/ 1139 da Kayßer Conrad der dritte/ ein Hertzog auß Schwaben/ Kayßer worden/ Kayßer Hainrich deß Fünfften Schwester Sohn/ Dießer hatt Nürnberg widerumb zubawen angeschafft/ ohne Zweyfel/ in betrachtung Ihrer vnuerschuldten verwüstung/ von seinem Ohaimb Kayßer Hainrich dem fünfften geschehen/ darumb dass sie nicht wider Ihren Kayßer Hainrich dem vierten dem sie geschworen/ wegen der Bapst verbannung/ haben abfallen wöllen vnd sie also wegen Ihrer geschwornen Trew vnd Glaubens/ gegenn Ihrer Höchsten vnd ordentlicher Oberigkait Ihrem Kayßer/ Hainrich dem vierten/ sich lieber verderben haben lassen wollen/ dann wider Aydt/ Pflicht vnd Ehr handlen vnd ist auch dieser Hainrich der vierte/ der erste Kayßer gewesen/ den der Bapst verbannet[.]1453

Die Aufwertung der Bindung an den Kaiser ist ein Musterbeispiel narrativer Sinnbildung, das im Räsonnement Argumente mit einbindet, die eigentlich noch ganz anderen, weiteren Zwecken dienen. So deuten Formulierungen wie »geschwornen Trew vnd Glaubens/ gegenn Ihrer Höchsten vnd ordentlicher Oberigkait« auf das Verhältnis des Nürnberger Rats als der hier letztlich legitimierten Obrigkeit zur Nürnberger Bevölkerung voraus, wie es im Handwerkeraufstand exemplarisch problematisiert wird. Die Zuverlässigkeit der Reichsstadt wurde somit genauso belohnt wie etwa die Stiftungen und symbolischen Verbrüderungsgesten des Patriziats eine getreue Bürgerschaft belohnen wollten: Inn solchem auch vngetzweiffeltem bedencken/ hatt dießer Kayßer Conrad der dritte/ Nürnberg nicht allein widerumb zubawen geschafft/ sonder auch nochmals/ vast vmb den dritten thail Ihres begrieffs/ vom Innern Laufferthor vnd dem Trewberg/ biß Zum eüsseristen/ vnd vmb den Trewberg/ erweittern lassen/ vnd mitt viel Freyhaitten wider begabt[.]1454

Die Vergrößerung des Nürnberger Stadtgebietes und die Gewährung von lukrativen Freiheiten werden jedoch nicht nur dargestellt, um die Wohltaten mitzuteilen, sondern auch um die Bindung der Nürnberger Gemeinde an ihre – hier historisch mitkonstruierte – Obrigkeit zu stärken. In prinzipieller thematischer Übereinstimmung mit Hallers Geschlechterbuch, das in mehrerlei Hinsicht Vorlage für andere Geschlechterbücher wurde,1455 folgt der Bericht vom 1453 GTB, fol. 16r, 16v. 1454 Ebd., fol. 16v. 1455 Während zahlreiche Anleihen auf thematischer Ebene bei Haller zu erkennen sind, so bleiben doch mehrere auf ähnlich viel Raum ausgebreitete Ereignisse unberücksichtigt, wie insbesondere ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt: Heinrich, Konrad Haller, bes. 257. Ergänzend zur Inhaltsangabe in Heinrich vgl. für einen Vergleich verschiedener Geschlechtsbücher Bock, Die Chronik Eisenberger, 476 – 484.

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zwölften Turnier, das gemäß dem Rixnerschen Bericht in Nürnberg stattgefunden habe: Nach Barbarossa kombt sein Sohn Kayßer Hainrich der sechst Anno Christi 1191 der acht Jar hernach/ im Jar Christi 1198 den zwöfften vnd grossen turnier/ daruon oben gesagt/ gen Nürnberg gelegt hatt/ Montag nach Purificationis/ der verderbten Statt dardurch wider aufftzuhelffen/ der auch dasselbe Jar in Sicilia im October gestorben/ Hatt also die Statt Nürnberg billich/ dem Bapst/ nicht allein von seiner Antichristischen verfelschung der Christlichen Warheit/ vnd eingefüehrter Abgötterey wegen/ antzufeinden (wie sie dann derhalben die Erste Reichßstatt ist/ die sich zu der AugsPurgischen Confession bekännt/ vnd die unterschrieben) sonder auch dieser vrsach halben/ dass sie wegen seines vngöttlichen/ vnchristlichen/ Tyrannischen angemasten Bannens/ wider die höchste Weltliche Oberigkait/ vor Fünffhundert Jaren in grundt geschlaifft ist worden/ dann Kaiser Hainricht der vierte/ der erste Kayßer ist/ wie gesagt/ der vor dem Bapsts verbannet worden/ daruon entstanden ist/ vnnd auß deß Bapsts verhetzung/ dass sein Sohn Hainrich der Fünffte/dem Vatter das Reich hatt abtrüngen müssen/ vnd Nürnberg derhalben geschlaifft worden/ wie dann er Hainrich der Fünffte/ das Jar Zuuor/ ehe dann er für Nürnberg getzogen/ auff einem Tag zue Northaussen/ mitt ettlichen versambleten Bischoffen gehalten sich offentlich entschuldiget/ dass Er denselben Krieg wieder seinen Vatter/ nicht auß Ehergeytz/ noch Regierens begir/ sondern allein seinen gehorsam dem Bäpstischen Stuel zu Rom zubeweißen fürgenommen[.]1456

Dieses Vergangenheitsnarrativ lobte ursprünglich das Patriziat. Seiner Funktion tritt die Verknüpfung mit Nürnberg als Reichsstadt zur Seite: Aus der konfessionalisierten Perspektive des späten 16. Jahrhunderts wird der Papst als Verfälscher des Glaubens in das Mittelalter zurückprojiziert, während Nürnberg bereits 1105 tendenziell im Sinne der 1530 unterschriebenen Augsburger Konfession Bedenken gegen die »Abgötterey« gehegt habe, die im Grunde bereits 1105 zum »vngöttlichen/ vnchristlichen/ Tyrannischen angemasten Bannen« führte. Seine »verhetzung« allein, keineswegs »Ehergeytz/ noch Regierens begir«, habe den »Sohn« zur Folgsamkeit gegen den eigenen Vater bewogen. Radikaler könnte eine Ablehnung der päpstlichen Autorität in weltlichen wie in geistlichen Belangen kaum vorgeführt werden, wirkt der »gehorsam dem Bäpstischen Stuel zu Rom« des Sohnes doch wie eine Perversion der politischen Ordnung im Reich, für deren Erhaltung Nürnberg als Garant gelten könne. Die begründete Quellenarmut wird mit einer Aufwertung der Nürnberger Geschichte verknüpft, so dass Nürnberg als Ort einer Art von ›Vor-Reformation‹ erscheint, bei der schon damals die Kaisertreue im Vordergrund stand. Diese patriotische Geschichtserzählung wird für den eiligen Leser vorangestellt, um sodann mit weiteren Erläuterungen zum päpstlichen Anspruch auf das

1456 GTB, fol. 16v, 17r.

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Institutionsrecht, bei dem Heinrich IV. sowohl von Papst Gregor VII. als auch Paschalis II. gebannt worden sei, ausgebreitet zu werden: Dieweil aber Nürnberg von wegen deß Bäpstischen Bannens wider Kayßer Heinrich den vierten/ in den schaden Ihrer schlaiffung kommen/ da Jemandt solcher verbannung gründliche Vrsach zuwissen begeren möchte/ wöllen wir desselben hiemitt diesen bericht vnd auff kürtzt einleiben[.]1457

Um diese Erzählung für den hier verfolgten Zweck zusammenfassen, ist die kurrzeitige Wiederverleihung der Laieninvestiturrechte an Heinrich V. zu erwähnen, die fünf Jahre später – ähnlich wie beim Vater Heinrichs V. – wieder mit Gewalt genommen worden sind: »Ihme dasselb priuilegium wider genommen/ ein prauilegium genennt/ welches jme mitt Gewaldt were abgetrungen[.]« Daraufhin habe Paschalis Heinrich V. in den Bann getan, »darauß dann abermals viel newe Vnruche im Reich vnd der Kirchen entstanden«, auch weil der 1118 Papst gewordene Gelasius Heinrich V. abgesetzt habe, »vnd einen andern für den gesetzt«, formuliert der Text hier. Damit stellt er den Beispielcharakter seiner Argumentation aus, die regelmäßig im Text in Passagen auftaucht wie »hatt Bapst Paschalis der ander/ den Bann vernewert/ Heinrich den vierten/ aber vnd zum andernmal vnd von Newem in den Bann gethan/ alle Kayßerliche Zier Ihme genommen/ vnd ist sein Son Heinrich der fünffte/ wider seinen Vatter/ Kayßer worden/ in Jar Christi/ 1105«, eine Redeweise, die den Erziehungsdiskurs aufruft. In den Mittelpunkt rückt die politische Unzuverlässigkeit, auch den eben erst unrechtmäßig und ohne die Interessen des Reichs zu berücksichtigen eingesetzten Kaiser zu bannen: »Wie aber derselbe Kayßer von Rom wider nach Teutschlanndt verrayset/ hatt der entsatzte Bapst Gelasius den Kayßer in abwesen also verbannet vnd verflucht/ dass ein newe entpörung« die Folge war, und bis zum Wormser Konzil 1122 Heinrich V. sich seines Kaisertums nicht sicher sein konnte, bis »derselbige Kayßer Heinrich der fünffte/ aller erst/ mitt dem Stuel zu Rom [sich] wider außgesönet/ vnd dem Kayßer wider eingeraumbt worden die Bißthumb vnd Praelaturn Zuuerleyhen vnd inuestirn Ist also den Schlaiffern der Statt Nürnberg/ Bapst vnd Kayßeren selbst/ solch Ihr vnthat/ nicht zu klainer vnruehe/ ein gutt Zeitt gerathen«. Die Rede von »Teutschlanndt« und dem zum negativen Integrationsfaktor erhobenen Papst, »welcher seiner Tyranney sich nitt allein ein ainiche Statt/ sonder auch alle vnnd Jeder Reichsständt insonderhaitt billich haben zu beschwehren/ wie Er dann ohne das/ die Kayßer vnter sich gebracht«,1458 indizieren die humanistisch vorgeprägte nationale Bestrebung des Luthertums.1459 Die 1457 Ebd., fol. 17r. 1458 Ebd., fol. 18r. 1459 Zu den Beziehungen des Humanismus, der Konfessionen und Politik auf die Bildung von

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wohl wichtigste politische Eigenständigkeit, die Ämter zu besetzen, wird in weiteren Szenen geschildert, etwa wenn der Gegenkaiser »Kayßer Rudolph« auff seinem Todtbeth/ denselbem seinen Mainaidt bereuhet vnd beclagt/ dann alß man Ihm sein in der Schlacht abgehawhene Rechte hanndt gebracht/ hatt er die seinen BeuelchsLeutten fürgewisen vnd kläglich gesagt/ sehe Ihr/ das ist die Handt die Ihrem Kayßer/ Ihre Pflicht angelibt hatt/ wider den er sich so hart/ vnd auß verhetzung deß Bapsts/ entböret/ wie obgesagt[.]

In konzentrischen, Wertungen und Verurteilungen neu kombinierenden Wiederholungen werden die polarisierenden ethischen Interpretamente immer wieder variiert. Metasprachliche Rahmensätze steuern die Aufmerksamkeit der Leser und lenken sie auf die immer selbstverständlicher erscheinenden Werturteile: Also hatt auch Nürnberg der Zeitt sagen mögen/ von Ihrer Branndtstatt/ das ist die Statt/ die wider Aydt vnd pflicht/ sich zu deß Bapsts Vbermueth/ Geitz/ Muethwillen vnd Vntrew/ wider Ihren Herrn den Kaißer/ dem sie gelobt vnd geschworen/ nicht hatt wöllen brauchen lassen Also lest der Bapst/ die/ Ihrer Trew vnd gebür/ in laistung Ihrer Aydtspflicht geniessen Diß heist Aydt vnd pflicht gehalten/ vnd Bäpstlichenn vbermuth/ Geytz vnd Freuel/ wider Gott vnd Ehr/ nicht dienen wöllen Das sey von dem Bäpstlichem Bann gesagt/ vber dem vnd dessenthalben Nürnberg geschlaifft worden/ welcher auß ainer Weltlichen Politischen vrsach/ vnd keinem der Religion oder GlaubensArtickel entstandten/ wie dießer bericht außweist[.]1460

Kampfbegriffe wie »Branndtstatt« bezeichnen Nürnberg als Objekt des ehrlosen Angriffs, während Reihungen wie »Vbermueth/ Geitz/ Muethwillen vnd Vntrew« und »vbermuth/ Geytz vnd Freuel/ wider Gott vnd Ehr« den Papst angreifen. Mit ethischen Kategorien wird ihm religiös fundierter Machtmissbrauch zu politischen Zwecken vorgeworfen. Der Geschichtsverlust der Nürnberger Geschlechter wie der Tucher ist also durch eine böswillig herbeigeführte Störung der Ordnung im Reich bedingt, eine Konstellation, die auch für den zweiten Grund, den Aufstand von 1349, gilt und exemplarisch über den berichteten Gegenstand hinausweist: Ist also wie zuuor die verwüstung der Statt/ vnter Kayßer heinrich dem Fünfften/ Also auch die Auffrhur derselben vnter Carolo dem vierten/ in vnd auß trewen diensten vnd Pflichtslaistung gegen der Kayserlichen Oberigkaitt/ vnd dem Reich/ entstanden/ vnd Nationenbewusstsein vgl. Caspar Hirschi, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005, bes. 428 – 440, 485 – 488. Die Reformation näherte sich dem humanistischen Nationalismus an, wobei natio zunächst aber nur einen Stand bezeichnete. Die deutschen Stände waren damit zu obrigkeitlich gesteuerten Reformation und zur Gruppenbildung aufgerufen. 1460 GTB, fol. 18r.

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stundt die Statt in gleicher gefahr/ Fünfftzig Jar hernach/ da Kayßer Wentzel deß Kayßerthumbs entsetzt wurdt/ wann sie sich nich fürgesehen[.]1461

Um die Vermittlungsabsicht des Textes zu demonstrieren, sei diese interpretierende Bemerkung dem eigentlichen Bericht vorangestellt; eine Trennung zwischen Faktum, Interpretation oder gar Fälschung ist jedoch nicht gegeben, handelt es sich doch um einen legitimatorischen Text, der zwar einen pragmatisch verbindlichen Geltungsanspruch, aber nur auf diesen begrenzt auch einen Objektivitätsanspruch besaß.1462 Politische Klugheit steht jedoch über politischen Allianzen, denn die als wiederkehrend dargestellten Gefahren für die Stadt rühren eben von deren Bindung an den Kaiser her, so dass der Rat gegen Ende des 14. Jahrhunderts gut daran getan hatte, sich bei der Absetzung Kaiser Wenzels »fürgesehen« und Schaden von Nürnberg abgewendet zu haben. Ereignisse wie der Schmalkaldische Krieg, der die auch in anderem Zusammenhang erwähnte Reichsstadt Augsburg mit militärischer Besetzung betroffen hatte, mögen hier den Hintergrund für die prinzipielle Kaisernähe ohne Aufgabe des Gemeinen Nutzens der Reichsstadt gebildet haben. Der Quellenverlust als Geschichtsverlust wird auf den Gemeinen Nutzen bezogen, heißt es doch wenig später, die Stadt habe sich zahlreicher Tucher für die Verwendung in politischen Ämtern ›bedient‹, eine Bewertung historischen Wissens, die zunächst noch nicht deutlich formuliert wird: Die ander vrsach der verfallenen GeschlechtRegister/ ist die Auffruhr/ die in Nürnberg entstanden/ zwischen einem Rath vnd Gemain der Statt/ Im Jar Christi/ 1349 vmb Michaelis vnter Carolo dem Vierten/ welche Zwischen Ihnen entstanden/ hieraus/ das/ Nachdem Kayßer Ludwig der Fünffte/ deß Reichs/ abermalß durch verbannung des Bapsts entsetzt/ ist von ettlichen Carolus der vierte/ ettlichen aber Graff Günther von Schwartzenberg/ Zum Kayßerthumb (fürnemblich durch den Pfaltzgraffe) gewöehlet wordenn vnd also die Wahl strittig worden (vnd doch Carolus der vierte Kayßer blieben) haben derowegen die Reichsstätt sich verglichen/ kainem Theil zuschweren vor außtrag der sachen/ Alß dann die Gemain der Statt Nürnberg/ Graff Güntern von Schwartzenberg/ wider einen Rath zu eim Kaiser haben wöllen/ vnd darüber wider einen Rath sich empört/ den Rath sich vnderstanden antzugreiffen/ der dann zu Rettung Ihres Leibs vnd Lebens/ flüchtig zuwerden/ vnd sein gewahrsam allerweis zusu1461 Ebd., fol. 18v. 1462 Zu diesem Zusammenhang formulieren Völkel, Geschichtsschreibung, 230, und Eckhard Kessler (Hg.), Theoretiker humanistischer Geschichtsschreibung. Nach exemplarischen Texten aus dem 16. Jahrhundert (Humanistische Bibliothek. Abhandlungen und Texte. Reihe II 4), München 1971, 44, dass die Nützlichkeit als Plausibilitätskriterium für Objektivität gedient habe. Zur textlichen Gestaltung der exemplarischen Geschichtsschreibung stellt Völkel, Geschichtsschreibung, 230, Bezüge zur Allegorie und Allegorese als einer ›populären‹ gelehrten Form her, deren Eingängigkeit und Potential zur emotionalen Vereinnahmung im 16. Jahrhundert besonders geschätzt wurde.

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chen getrüngen/ alß dann die Gemain/ inn das Rathhaus/ alle der Statt Schätz vnd Vorrath/ auch in der Herren deß Rathsstandts Häusser/ vnd aller der von der Statt Erbaren Geschlechten/ eingefallen/ die geplündertt/ alle Brieff/ Bücher auch Wappen derselben/ in Fenstern/ Wänden/ auff Gräbern/ Kirchen/ Gebäwen vnd wo die gefunden/ zurschlagen/ Zürrissen/ verderbt vnd sich aller dings deß Regiments vnd Regierung vnderfangen/ vnd einen Newen Rath gesetzt[.]1463

Wiederum bewirkt die »verbannung« durch den Papst die politische Krise, in deren Folge »die Gemain« sich gegen die fliehenden »Herren deß Rathsstandts« auflehnt und deren, aber auch »aller der von der Statt Erbaren Geschlechten« Häuser geradezu systematisch verwüstet. Dabei sei es das Ziel gewesen, alle Rechtsansprüche und Statusunterschiede verbürgenden oder repräsentierenden Gegenstände zu zerstören. Der im Tucherbuch verwendete historische Quellenbegriff umfasst materiell-architektonische Zeugnisse, Rechtsdokumente und Geschlechterbücher. Daran lässt sich der Gegenstandsbereich der Geschichtskultur des 16. Jahrhunderts ablesen, zeigt sich hier doch die Bandbreite der damit gemeinten Gegenstände im öffentlichen und privaten Raum, nämlich »Brieff« im Sinne von rechtserheblichen Dokumenten, »Bücher« als Aufzeichnungen, Sammlungen und Abschriften erinnerungswürdiger Daten, Informationen und Erzählungen, sowie materielle Abbildungen von Wappen in Glasfenstern, Wänden, Grabmonumenten, Kirchenräumen und Gebäuden. Die Darstellung der zerstörten Güter spiegelt den organischen Zusammenhang, in dem sie aus der Sicht des 16. Jahrhunderts standen. Die Wahrnehmung von Zeugnissen familiärer Existenz im 16. Jahrhundert strukturiert die Liste verlorener Quellen, sind doch weder der Aufstand noch dessen Folgen zeitnah in der Nürnberger Geschichtsschreibung dokumentiert, sondern vielmehr erst in späteren Projektionen erhalten.1464 Offenbar wurden Kirchen- als Geschichtsräume wahrgenommen, dienten Wappendarstellungen im kirchlichen wie im städtischen Raum gleichermaßen dem Repräsentationszweck.1465 Die verbindende, memorative Kraft von gestifteten Gegenständen und den davon zeugenden Wappen im öffentlichen Raum Nürnbergs spielte auch in die Behandlung von ursprünglich noch auf das Seelenheil ausgerichteten Stiftungen hinein und überwand theologische Bedenken durch die Überzeugungskraft der repräsentativen Wirkung etwa gestifteter Glasfenster. Die Zerstörung dieser Präsenz im städtischen Raum ist »der ander Schadt/ welchen die Statt/ doch die 1463 GTB, fol. 18r, 18v. 1464 Im 15. Jahrhundert erlebten Darstellungen des Aufstands eine Konjunktur im Spiegel einer kleinen Zahl von Hauptmotiven, die um Fiktionen bereichert wurden. Zu diesem historiographischen Aneignungsverfahren vgl. Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts, 198 – 200. 1465 Diese umfassende Geschichtskultur umreißt Völkel, Geschichtsschreibung, 229.

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Herren vnd Regenten fürnemblich/ an allem dem gemainem vnd Ihrem Guett erlitten haben«, wobei offenbar die Stiftungen von Glasfenstern in das Gemeine Gut eingereiht werden, mithin die Rolle der städtischen Eliten legitimieren. Der Nürnberger Patriotismus bezieht sich immer auf Patriziat und Geschlechterregierung, neben der konfessionellen Identität ein durchgehendes Thema. Unverhohlen wird der aus der Stadtgeschichte abgeleitete Führungsanspruch auch für die Gegenwart beansprucht, habe der Aufstand doch nur »das dritte vierthail Jar« anhalten können, »wie dann kein Auffrhur lang bestehen kann«1466. Mithin hatte die ›Empirie‹ eine Einsicht bestätigt, deren Aktualität am Beispiel Augsburgs festgemacht wird: Baldt aber vnd das ander Jar/ nach der Auffrhur/ deß Jars Christi/ 1350. Alß Kayßer Carol der vierte/ seine Widerwertige/ die Schwartzbergischen/ gedämpfft/ ist er dasselbe 1350 Jar/ mitt Höereskrafft/ für Nürnberg getzogen/ die Auffrührer deß Newen Raths betzwungen/ die Statt aufftzugeben Alß dann er der Kayßer die Auffwigler der Auffrhur gestrafft/ den Alten Rath widerumb in Ihre alte Regierung/ Standt vnd Wesen gebracht/ vnd die von Newen priuilegirt vnd begnadet/ Ist also dieselbe Auffruhr nicht länger dann in das dritte vierthail Jar (wie dann kein Auffrhur lang bestehen kan) von Michaelis 1349 bis Pfingsten des volgenden Fünfftzigisten gestanden Als dann auch der widergebrachte Rath die Statt/ dergleichen/ wider solche Fäll/ mitt newer bestallung der Statt policey vnd Regierung versehen Den Zünfften der Gemain eingegriffen/ vnd mitt denen ein Newe Versehung getroffen vnd soll die Statt Augspurg/ alles was Nürnberg damals/ dißfalls abgeschafft/ in Ihrer Statt auffgericht vnd eingefürt haben/ vnd ist baides dieser widerwertigen/ bey dieser baiden Reichstetten zugleich vnd auff einen Tag geschehen/ wie wir bericht werden[.]1467

Hatte Augsburg nach der Episode des an der Seite der Kaisergegner verlorenen Schmalkaldischen Krieges durch die persönliche Intervention von Anton Fugger in Ulm letztendlich doch noch die enge Bindung der großen Handelshäuser an das habsburgische Herrscherhaus zur Rettung vor Vergeltung einsetzen können,1468 so beanspruchte Nürnberg nunmehr unter Abgrenzung vom abfällig gewordenen Augsburg die ihm traditionell im Reich zukommende zentrale Rolle. Gründe für diese Annahme sind die als Gegensätze zugespitzt dargestellten Regierungsformen der beiden bedeutendsten oberdeutschen Reichsstädte, dem im 16. Jahrhundert oligarchischen Nürnberg und dem von Zünften mitregierten Augsburg. Insbesondere die für Augsburg fatale Episode des Schmalkaldischen Kriegs 1466 Zu den Aufruhrdarstellungen in der Nürnberger Chronik Meisterlins und einer Augsburger Chronik Kirchhoff, Gedächtnis in Nürnberger Texten, 250 – 300, bes. 266 – 275. 1467 GTB, fol. 18v. 1468 Vgl. zu den dabei entstandenen Korrespondenzen Paul Hecker, Die Correspondenz der Stadt Augsburg mit Karl V. im Ausgang des schmalkaldischen Krieges, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 3 (1874), 257 – 309.

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war bis ins späte 16. Jahrhundert hinein zur Kritik an der Zunftregierung herangezogen worden.1469 Mit dem historischen Augsburg wird eine Episode in Erinnerung gerufen, »wie wir bericht werden«, so heißt es: »[Es] soll die Statt Augspurg/ alles was Nürnberg damals/ dißfalls abgeschafft/ in Ihrer Statt auffgericht vnd eingefürt haben[.]« Der historische Bericht schließt auf die Gegensätzlichkeit von Augsburg und Nürnberg. Vor dem Hintergrund der Konkurrenz beider Städte auf zahlreichen Feldern ist dies eine kompetitive Äußerung, die auch vor dem Hintergrund der Berichte über Abwanderung während der Zerstörung der Stadt und Aufruhr ihre Absicht, Menschen und Kapital in der Stadt zu halten, durchscheinen lässt. Die angedeuteten Legitimitätskriterien der Stadtverfassungen beziehen sich patriotisch auf das Geschlecht der Tucher. Ausgeblendet bleibt dagegen eine rezentere Krise, bei der ebenfalls Quellen vernichtet wurden, nämlich die zeitgenössisch noch lange beachtete Belagerung Nürnbergs durch die Hohenzollern im Markgrafenkrieg 1553/54.1470 Möglicherweise waren bei der fast noch aktuellen Relevanz dieser Vorgänge politische Interessen zu direkt betroffen, um auf sie zu verweisen. Das Tucherbuch wählte vor allem deshalb eine vergangenheitsstatt einer zeitgeschichtlichen Perspektive, um eine gestaltungsfähige weil ungefährliche Projektionsfläche für die Darstellungsziele zu eröffnen. Begrenzen die zwei in der historischen Darstellung ausgeführten Gründe die Möglichkeiten einer Geschlechtergeschichte, so richtet sich der abschließende Blick der »Vorred« wieder zurück auf die, nunmehr – als eine durch äußere Umstände reduzierte Teilüberlieferung – aufgewerteten Quellen als Grundlage der historischen Darstellung: Da es nun ohne die baider Vrsach diser Hinderung hett sein sollen/ hetten nicht allein solche Stammbücher volkümmblicher sein/ sondern auch vil anderes nützlichers vnd nöttigers berichts von vielen dingen/ daran dieser Statt vnd gemainem Teutschlandt/ 1469 Zu einem Brennpunkt der Kritik an der zwar kurzen, dafür aber kompromisslosen Zunftregierung unter dem Zunftbürgermeister Jakob Herbrot vgl. die umfassende prosopographische Darstellung in Mark Häberlein, Jakob Herbrot 1490/95 – 1564. Großkaufmann und Stadtpolitiker, in: Wolfgang Haberl (Hg.), Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben (Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte, Veröffentlichungen Reihe 3), Memmingen 1997, 69 – 112. Das breite Spektrum der Kritik an Herbrot ist jedoch keineswegs auf den Einzelfall zu beschränken, sondern war längerfristig mit den Interessen städtischer Eliten verbunden, vgl. dazu Christian Kuhn, Urban Laughter as a »Counter-Public« in Augsburg. The Case of the City Mayor, Jakob Herbrot (1490/5 – 1564), in: International Review of Social History. Supplement 52 (2007), 77 – 93. 1470 Die Gefahr für Verluste von Quellen war durch die mittelfristige Anbahnung des Konflikts geringer als die Nürnberger angesichts der Befestigungs- und Vorbereitungsmaßnahmen befürchtet haben müssen, vgl. Gerhard Pfeiffer, Vom ›Nürnberger Anstand‹ zum Augsburger Religionsfrieden, in: Ders. (Hg.), Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, 164 – 170, bes. 168 – 169.

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viel gelegen/ können erhalten werden/ das also verfallen vnd dahinnden bleiben mus[.]1471

Auch in einem überregionalen Kontext – »dieser Statt vnd gemainem Teutschlandt« – wird die verlorene Überlieferung gedeutet mit Blick auf verlorene Nachweise historischer Verdienste. Zentral steht die Setzung, dass am Alter des Nürnberger Patriziats »viel gelegen« sein würde, ein Pathos der Distanz, das im Weiteren auf die Tucher zugespitzt wird, indem die Familienkontinuität religiös konnotiert wird: Es ist aber in diesem vnserem der Tucher Geschlecht Register oder Stammbuch innsonderhaitt/ Gott zu Ehren vnd danck/ zuerinndern/ dass diß vnser Geschlecht zum drittenmal auff ainer aintzelichen Person gestanden/ [1] von Conrad dem ersten/ biß auff Bertholden/ sein (Conrad deß ersten) Sohn/ acht vnd dreyssig/ vnd [2] dann von dem biß auff Hannßen dem Ersten/ ain vnd Viertzig Jar/ vnd [3] letzlich auff dem aintzigen Hannsen allein/ vnd dannoch auß Göttlichen genaden erhalten/ auch bißhero Reichlich gesegnet worden/ vnd hatt dießer Bertholdt Tucher der Erste diß Namens/ vnser anderer Altuatter gar mercklich vnd andechtig/ seiner Nachkommen Stammensgrundt/ von Gott erfragt vnd erbetten/ vnd durch ein Loß/ wie die Apostel in Ihren Geschichten vmb Matthiam vnd Barnabam gelost haben/ wie das volgents in Beschreibung seiner Person am 33. Blat dieses Stammbuches vermeldt vnd angetzaigt wirdt[.]1472

Die Gefahr, dass das Geschlecht der Tucher aussterben werde, sei bereits dreimal eingetreten. Berthold Tucher hatte »mercklich vnd andechtig« Gottes Wille im Gebet und durch das Los befragt. Die seitdem den Tucher zuteil gewordenen »Göttlichen genaden« werden als Grund für die Gottgefälligkeit der »Nachkommen Stammensgrundt« angegeben. Analog hätten die Apostel Judas’ Mitgliedschaft im Kollegium durch das Los zwischen Matthias und »Barnabas« (richtig wäre »Joseph Barsabbas« gewesen) entschieden, wobei sich Matthias durchsetzte.1473 Diese biblische Legende (Apg. 1,28) war durch Reliquientranslationen nach Trier, Wandmalereien und Orakelfeiern mindestens bis ins Spätmittelalter im Bewusstsein geblieben. Matthias war aus dem Lukasevangelium (Luk. 10,1) als Jünger Jesu, aus der »Legenda Aurea« als Vetter Jesu und somit Teil der heiligen Sippe (Mt. 10,13,55) bekannt; in ›volkskulturellen‹ Praktiken wurden Fragen der Liebe und des Todes im Gedenken und Glauben an die biblische Losgeschichte durch Münzwurf entschieden: Nachdem die Apostel zwei Männer aufgestellt hatten, sprachen sie im Gebet: »Herr, du kennst die Herzen aller ; zeige, wen von diesen beiden du erwählt hast, diesen Dienst und 1471 GTB, fol. 18v, 19r. 1472 Ebd., fol. 19r. 1473 Angaben zu dieser Episode in Hans Schmoldt, Kleines Lexikon der biblischen Eigennamen, Stuttgart 1990, 50, 168.

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dieses Apostelamt zu übernehmen« (Apg. 1,24 – 25). Die missionarische Aufgabe, die Matthias durch die religiös überhöhte Erlosung zugekommen war, stellt die Weiterexistenz der Tucher, indem Berthold Tucher heiratete, statt im hohen Alter das klösterliche Leben zu wählen, in eine auf ein christliches Leben bezogene Perspektive. Diese Darstellung wird in der »Vorred«, den Zwecken des Paratextes gemäß, nur kurz wiedergegeben, war doch diese Episode leicht als niedere Absicht eines Greises lächerlich zu machen.1474 Die explizite Angabe des narrativen Musters für die Familiengeschichtsschreibung verweist neben der Aufwertungsabsicht auch auf die Doppelung von verbum und signum des genealogischen Textes,1475 dessen Allegorese hier als authentische Geschichte und zugleich als religiös stimulierte Gewährleistung der Kontinuität seit dem 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart vorgeführt sowie in gereihten Sentenzen gewissermaßen belegt wird: Das Teutsche Sprichwort sagt/ Kinder vnd Bynstöck/ nehmen bald ab vnd zu/ aber Gottes gab ist es/ sagt der Psalm/ Gott Segnet mit Früchten deß Leibs/ der segnett die Vnfruchtbaren/ vnd füllet Ihnen das Haus mitt Kindern/ in deme Er sich sonderlich bey seinem Volck/ den Juden/ Genedig ertzaigt/ dann Es in kainem Volck vnd Hystorien/ kaine ältere Geschlecht zufinden/ vnd nicht allein im Stamm Judae/ sondern auch den andern Stämmen/ Vnd Gottes Straff vnd Fluch ist es/ ainsam vnd ohne Kinder sein/ vnd Alte Geschlecht lassen abgehen vnd außrotten/ wie auch die Psalmen weißen[.]1476

Bemerkenswert im Vergleich zu anderen bereits zitierten Reihungen von Zitaten zur Prokreation ist vor allem die singuläre Zitierung eines »Teutsche[n] Sprichwort[s]«, das auf eine im Textverlauf erst spät eingeführte Identitätskomponente hinweist, nämlich den agonalen Nationendiskurs und frühen ›Kulturnationalismus‹, in dessen Zuge den Volkssprachen ein Eigenwert beigemessen wurde.1477 1474 Zur Zeit der Niederschrift der Vorrede des »Tucherbuchs« hatte die Heiratsepisode polemische Resonanz erhalten, die auf den Altersunterschied der Partner, vor allem aber auf einen alterslüsternen Tucher und auf eine mit hurenhaften Zügen in einem Gemälde Cranachs dargestellte Pfinzing herabsahen. Während über den Entstehungskontext des betreffenden Bildes keine Zeugnisse vorzuliegen scheinen, ist doch eine Rezeption im späten 16. Jahrhundert belegt, die einen Bezug auf die Tucher herstellt. Das entsprechende Bild ist wiedergegeben in Mau¤, Münzen in Brauch und Aberglauben, 43. 1475 Die auch hier zu erkennende Zweiteilung in wörtlichen und geistlichen Sinn ist beispielsweise für die Bible Moralis¤e diskutiert worden in Reiner Haussherr, Petrus Cantor, Stephen Langton, Hugo von St. Cher und der Isaias-Prolog der Bible Moralis¤e, in: Hans Fromm/Wolfgang Harms/Uwe Ruberg (Hg.), Verbum et Signum II. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Studien zur Semantik und Sinntradition im Mittelalter, München 1975, 347 – 364, 348. 1476 GTB, fol. 19r. 1477 So die weiter zugespitzten Thesen zum ›deutschen‹ Kampf gegen das ›römische Joch‹ in Caspar Hirschi, Vorwärts in neue Vergangenheiten. Funktionen des humanistischen Nationalismus in Deutschland, in: Thomas Maissen/Gerrit Walther (Hg.), Funktionen des

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

Abschließend werden in der »Vorred« die Erkenntnis- und Darstellungsziele zusammengefasst, als würde dem Leser eine Erinnerungsstütze gefertigt, und zugleich weitere inhaltliche Nuancen hinzugefügt: Was gestalt aber/ der Genedige trewe Gott/ vnser Geschlecht so von disen dreyen/ Conrad/ Berthold vnd Hannßen den Tuchern/ vnsern ersten Altvettern/ die wir dißer Zeit vnd stund wissen/ herkombt in anderer Zeyttlicher Wolfahrt gesegnet/ vnd was Ehren vnd guts Er vns/ deren Nachkommen/ diese dreyhundert Jar vber beschert/ weiset diß vnser Stammbuch/ darfür wir dann seiner Göttlichen Allmechtigkaitt Lob vnnd danck sagen/ Vnd soll solches vnßer der Tucher Stambuch also erstlich ein Bekänntnus/ vnsers Glaubens vnvd Testament vnd anweyssung sein bey den Nachkommen/ die an rechte erkanntnus Gottes/ seines Wesens vnd Natur/ vnd seines Willens/ wie der von vns will geehret sein/ vnd Ihme gedienet haben/ baides seiner Offenbarung nach antzuweisen/ vnd also Ihr Ewige Seeligkaitt/ Segen vnd Zeyttliche Wolfahrt zuschaffen[.]1478

So wird die bisherige Kontinuität jetzt primär in den göttlichen Handlungsbereich verwiesen. Daher ist die Geschichtsschreibung eine Verpflichtung für jeden Tucher, die Vollständigkeit ein anzustrebendes Ziel, Erkenntnisse, »die wir dißer Zeit vnd stund wissen«, mithin später noch erweitern sollen, die ›weltliche‹ Seite des göttlichen Segens. In dieser Situation kann die historische Darstellung nur in erster Linie der Ausdruck des »Bekänntnus[ses]/ vnseres Glaubens« sein, sowie anleitendes Vermächtnis für die kommenden Generationen, nämlich »Testament vnd anweyssung […] bey den Nachkommen«. Eine entscheidende Erweiterung, obwohl scheinbar nur eine Nuancierung, erfährt der Ausdruck der Dankbarkeit, indem er sich an Gott and die »Leutte« richtet, die offenbar mit der eigenen sozialen Gruppe und der ganzen Reichsstadt als Einheit identifiziert werden. Das Tucherbuch ist daher Zum andern ein Vrkhundt vnßer schuldigen Danckbarkeitt/ vor Gott vnd den Leutten/ dass Gott vnser Geschlecht gesegnet/ von Vierhundert Jaren hero erhalten/ vnd in deme/ so vielen/ Ehr vnd Guett bescheret/ vnd deren nutzlichen diensten/ gemaine Statt vnser Vatterlandt/ inn Ihrer Regierung sich gebraucht hatt/ vnd noch gebrauchet/ vnd biß anhero in allen Ihrer Regierung/ Ehrenständen/ erkennt/ brauchet vnd bleiben lest/ vnd dass Gott so wunderbarlichen sonderlicher weis/ vnser Geschlecht vnd Stamm erhalten/ da es ettlichmal auff einer aintzelichen Person gestanden/ vnd auff der ainen wie obgesagt/ Acht vnd dreyßig Jar/ deren Person auch Gott durch ein Loß sich erklert hatt/ dass Er denselben seinen Stamm nicht wollte lassen abgehen/ vnd Ihme die erhaltung desselben durch ein Loß offenbart/ wie sich das nun in dreyhundert Jar außweist/ vnd doch/ noch nach dem/ abermalß auff ainen hatt kommen lassen[.]1479 Humanismus. Studien zum Nutzen des Neuen in der humanistischen Kultur, Göttingen 2006, 362 – 395, bes. 376, 389. 1478 GTB, fol. 19r, 19v. 1479 Ebd., fol. 19v.

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Diese bereits Gesagtes repetierende Passage charakterisiert die textliche Strategie. Die Inhalte werden nicht allein zu mnemotechnischen Zwecken wiederholt, sondern in konzentrischen Kreisen nach und nach inhaltlich angereichert. Die Wiederholungen verbürgten womöglich auch die Objektivität des Dargestellten, das vor allem im Rahmen rhetorischer ›variatio‹ aufbereitet ist. Werden die drei »wunderbarlichen sonderlicher weis« geglückten Kontinuitätskrisen kurz zitiert, so wird hier dem Los Bertholds weitergehend ein Offenbarungsstatus zugeschrieben, göttlicher Wille direkt auf die Fortexistenz der für Nürnberg so dringend nötigen Tucher bezogen. In der Kombination von »nutzlichen diensten«, deren »gemaine Statt vnser Vatterlandt/ inn Ihrer Regierung [der Tucher] sich gebraucht hatt«, klingt eine zentrale und flexibel einsetzbare, immer positiv konnotierte Argumentationsformel des Gemeinen Nutzens an. Die politische Führungsposition der Tucher wird in einem gesteigerten Trikolon ausgedrückt, dass Nürnberg diese Familie »gebraucht hatt/ vnd noch gebrauchet/ vnd biß anhero in allen Ihrer Regierung/ Ehrenständen/ erkennt/ brauchet vnd bleiben lest«. Damit wird die familiäre Kontinuität historisch lesbar gemacht, so dass dem aufmerksamen Christen die darin liegende Legitimation und Verpflichtung enthymematisch vor Augen stehen musste: Gottes Wille und das Geschlechterregiment werden so, anders als noch bei der Schilderung des Aufstands, in eine organische Beziehung gesetzt, während bisher von der kurzen Dauer der Zunftregierung als Zeichen für deren Unrechtmäßigkeit berichtet worden war. Das Alter, hier auch kurzerhand 100 über die ebenfalls noch einmal genannten 300 Jahre verlängert, und die religiös und ethisch verdienstvolle Kontinuität der Tucher werden als ein selbstredendes Argument für die Rechtmäßigkeit vorgebracht. Die allgemein formulierten und daher frei applizierbaren Sentenzen aus der Bibel scheinen die konkreter gehaltenen, auf die Tucher bezogenen Inhalte autorisieren zu sollen. Sie nennen Belege für den Zusammenhang von Gottes Gaben mit »dieße[m] Segen der Leut vnd Landen«. Damit werden die eben noch in Nürnberg regierenden Tucher jetzt als göttlicher »Segen« apostrophiert: Nun stehet geschrieben/ […] dass ettliche Psalmen/ fürnemblich der 112 vnd 128/ dass aller dießer Segen der Leut vnd Landen/ ein gab Gottes sey/ die er denen gebe/ die Ihne Ehren/ Fürchten/ vnd ein Gottseeliges Ihme gefälliges Leben führen/ dass sie mit Leybesfrüchten sollen gesegnet werden/ vnd nicht allein sie Fruchtbar/ sondern auch die Stätt vnd Länder/ inn vnnd bey den sie wöhnen vnd haussen/ von Ihrent wegen vnd zu seeliger ertziehung Ihrer Kinder sollen gesegnet werden/ vnd ist dieße Zusag sehr lieblich in Zwayen letzten versen/ deß 128 Psalm/ dießes innhalts/ verß 5 Vnd der Herr wird dich ferner segnen/ auß seinem Sytz Zion/ dass die Statt in der du wohnest/ soll gesegnet sein/ Er wirdt Hierusalem bystehen von deinet wegen/ dass sich alles guts vnd Wolfahrt in Ihr hauffen soll/ vnd deine Augen Ihren Lust an Ihr sehen/ dein Lebenlang.

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Vers: 6 Du wirst dein hauß sich mehren sehen vnd zunehmmen/ vnd dass du deine Kinderkinder vnd Enicklein sehest sich fortpflantzen/ vnd mitt Hierusalem der Statt/ vnd dem Lande deines Volcks alles wolstehe/ deren glück/ Fried/ Hayl vnd wolfahrt/ vnd deine Augen sollen auch diese Ihre Lust vnd Frewd sehen/ deren geniessen/ die Gott dir schaffen wird[.]1480

Der bisher vordergründig dynastiebezogen und -beschränkt erscheinende religiös-prokreativ-erzieherische Generationsdiskurs wird in den zusammenfassenden und schlussfolgernden Passagen der »Vorred« ausdrücklich markiert und, besonders herausgestellt durch rhetorische ›correctio‹, auf den sozialen Raum und dessen kommende Generationen ausgedehnt: Unter der Voraussetzung, »Gottseelig« zu leben, erstreckt sich der Segen über die Grenzen der Familie hinaus, so dass »nicht allein sie Fruchtbar/ sondern die Stätt vnd Länder/ inn vnnd bey den sie wöhnen vnd haussen/ von Ihrent wegen vnd zu seeliger ertziehung Ihrer Kinder sollen gesegnet werden«. Prokreation und »ertziehung« scheinen dem Wortsinn nach kaum voneinander getrennt, verbunden im stets implizit angesprochenen Generationsdiskurs, dessen Kenntnis und Beweiskraft eigentlich vorausgesetzt wird, weil er überall evident ist, schöner jedoch als anderswo »ist dieße Zusag sehr lieblich in Zwayen letzten versen/ deß 128 Psalm« gefasst. Dort wird ebenfalls die eigene Familie mit dem sozialen Raum des Gemeinwesens gleichgesetzt, nämlich »dass du deine Kinderkinder vnd Enicklein sehest sich fortpflantzen/ vnd mitt Hierusalem der Statt/ vnd dem Lande deines Volcks«. Übertragen auf die Redesituation eines Nürnberger Geschlechterbuchs musste die Darstellung der eigenen Geschichte voll Erinnernswertem zu belehrenden Zwecken immer bedeuten, dass die Zukunft des eigenen Geschlechts selbstverständlich andere Familien bestenfalls höheren, möglicherweise aber auch gleichen oder gar niederen Standes mit umfasste. Diesen Kreis steckte die repräsentative Aufmachung des Geschlechterbuchs gleichsam als ihr Zielpublikum ab und bezog sich paradoxerweise durch familiären Selbstbezug in der historischen Darstellung auch auf Nichtverwandte in der nahen oder fernen Zukunft, als Folge davon zusätzlich aber auch auf die ganze Stadt und das »Vatterlandt«. Auf dieser Basis ist der familiengeschichtliche Topos, die Geschichte solle die Nachkommen erziehen helfen, differenzierter als bisher zu interpretieren,1481 1480 Ebd. 1481 Bisher hat die vergleichende Perspektive von Familiengeschichten im deutschen Sprachraum vor allem die Gemeinsamkeiten der Geschlechterbücher gewichtet, die als »Kultur der Vorreden« mit einem festen Bestand an Topoi bezeichnet worden sind. Die Schreibabsichten, der mit Geschichtsschreibung verbundene Nutzen, werden schwerpunktmäßig auf die eigene Familie bezogen. In konziser Form schildert diesen Befund, eine bis dahin nicht verfügbare Schnittmengendarstellung, Bock, Die Chronik Eisenberger, 382 – 386.

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obwohl sie sich dem Anschein nach auf die dem eigenen Geschlecht zugeordneten Nachkommen bezieht: Solt also/ dem allemnach/ vnd Zum Beschlus dießes Stammregisters hiertzu dienen/ daß vnßere Kinder vnd Nachkommen zur Gottseeligkaitt/ Gottesforcht/ Christlichem Erbaren Leben vnd wandel ermahnet/ darinn ertzogen vnd erhalten werden/ in dem auch viel guetter nützlicher Historien angetzogen vnd eingeleibt werden/ wie dann auch/ zum Exempel/ gebürliche praedicat vnd rhümbliche Khundtschafft/ woluerdienter Personen/ in dem/ beygeschrieben werden/ darnach zu thuen vnd zulassen Wöllen also/ vnd derenthalben/ dießes vnßer Stammbuch/ auch auß diesen vrsachen/ vnd Zu dießem Ende/ allen vnßeren Kindern vnd Nachkommen hiemitt bevolhen haben (dass wir vnns auch nicht wenig haben kosten lassen) vnd dass sie das Gott fürnemblich/ vnd dem Stammen zu Ehren/ erhalten vnd erweittern/ so lang es Gott gefallen wirdt vnßer Geschlecht auff Erden/ vnd in dießer Welt bleiben zulassen[.]1482

Hier erscheint wiederum der »Stamm« als Gegenstand der pragmatischen Geschichtsschreibung, bestätigt auch durch die hohen familieninternen Aufwendungen für die Anfertigung, um damit dem »Stammen zu Ehren« zu sein. Die Schlussfolgerung fokussiert ähnlich das eigene Wohl, erweitert jedoch ohne allen Philanthropismus die Segensankündigung derjenigen »Leutten/ die Fried/ Ruhe/ Freundtschafft vnd ainigkeitt Lieb haben/ deren sich fleissen« über deren engeren Angehörigenkreis hinaus auf »derselben Land vnd beywohnung/ vnd also in gemain vnd sonderhaitt«, die »wölle Er segnen/ gesegnet wissen vnd haben«: Letzlich aber/ vnd zum Beschlus/ wöllen wir/ Christliche vnd Freundtlich/ die vnßeren alle/ samptlich vnd sonderlich/ vnd zum hächsten ermahnt haben/ dass sie/ wie Gott vnns in einen Stamm/ eines Geschlechts/ Namens vnd herkommens/ genedigklich also gesamblet/ [sc. zusammengebracht hat, d. h. von verschiedenen sozialen Orten verwandtschaftlich vereint] gefasset vnd verainigt hat/ wir also auch/ mitt Christlicher/ hertzlicher Liebe/ ainigkaitt vnd trewe/ einander alß Vettern vnd Blutsfreund/ mitt laistung aller schuldigen/ hülff/ Raths/ fürderung/ diensten/ in allem guten für vnd für beständigklich beywohnen/ dardurch dann wir wider alle vnßere widerwertige iedertzeit vns verwaren/ vnd vnßer samptliche wolfahrt/ aller Orth/ schaffen/ wie dann der 133 Psalm gar lieblich verhaist/ dass Gott solchenn Leutten/ die Fried/ Ruhe/ Freundtschafft vnd ainigkeitt Lieb haben/ deren sich fleissen/ derselben Land vnd beywohnung/ vnd also in gemain vnd sonderhaitt/ wölle Er segnen/ gesegnet wissen vnd haben/ dass sie eines seeligen gutten Lebens/ in aller wolfahrt/ für vnd für geniessen sollen[.]1483

Wenn im Gebet die Tucher, alle die ›zu diesem Buch gehören‹, in der Gegenwart des Jahres 1590 sprechen, richten sie sich auf die Zukunft der Stadt nicht nur aus 1482 GTB, fol. 20r. 1483 Ebd.

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politischen Gründen, sondern auch unter Einbeziehung des Generationsdiskurses: Hiemitt sagen wir alle/ Alt vnd Junge/ die zu dißem Buch gehören/ Lob/ Preyß/ Ehr vnd danck/ von gantzem grundte vnßers Hertzens/ die Gott Vatter/ Sohn/ Heylligem Gaist/ dem Vatter vnßers Herrn Jhesu Christi/ vnßers Mittlers vnd Hayllandtzs/ deme so Genedigen/ Trewen/ Wolthättigen ainichen Gott/ auch für dieße deine so grosse Wolthatt/ die du vnßerem Stammen/ Geschlecht vnd Hauß/ innsonderheit bewisen hast/ vnd noch täglich sambtlich vnd sonderlich vnns beweissest/ vnd beuelhen dir hiemitt/ in deine genad vnd Schutz vnßer Liebe Vatterlandt/ gemaine Statt/ vns/ vnßer weib vnd Kind/ all vnser Hayl/ Wolfahrt/ Thuen vnd hoffen/ vnd bitte dich/ durch denselben deinen lieben Sohn/ vnßeren Herrn Jhesum Christum/ sein Leyden/ Sterben vnd Fürbitt/ du wöllest deine Warheitt/ bey vns/ vnd vnßeren Kindern vnd Nachkommen genedigklich erhalten/ vnd vns vnßer Geschlecht vnd Nachkommen/ das du so genedigklich vnd wunderbar/ so lang her gebracht/ vnd noch/ vnd biß anhero/ in deinem Schutz vnnd Schirm heltest vnd bleiben lest/ dasselbe auch forthin inn dein dein genad vnd Barmbhertzigkaitt/ dir beuolhen sein lassen/ das ferner Segnen/ vnd in Würden genedigklich/ bey Ehren vnd Guett Segnen/ vnd in Würden genedigklich/ bey Ehren vnd Guett erhalten/ darmitt wir in deiner Haylligen Kirchen bleiben/ deinen Ehren dienen/ vnßer Hayl schaffen/ vnd alß Gefeß vnd Wercktzeuch sein deiner genaden sambtlich/ vnd in rechtem warem deinem Dienst beharren/ wie wir auch Zue deinen Ehren dießes vnßer Stammbuch stifften vnd vermainen/ deren es dienen soll/ zu Rhuem vnd danck des allein guetten/ so du nun souiel Jar/ vnßeren Leütten ertzaigt hast/ vnd also vns Zeyttlich vnd Ewig Segnen/ dass wir nimmermehr von dir geschaidenn werden/ dich in aller Ewigkaitt Loben vnd Preyßen Amen Geschrieben den Erst[en] Tag Februari im Jar Jhesu Christi 1590[.]1484

Für die identitätsstiftende Funktion wird in diesem letzten Absatz vor allem die zweite geistliche Sinnebene relevant, widmen die Betenden doch die Geschlechtergeschichte »Zue deinen Ehren« und bezeichnen sich selbst als »Gefeß vnd Wercktzeuch […] deiner genaden sambtlich«. Die Tucher stellen sich als Empfänger und Förderer des Heils dar und beanspruchen mittels religiöser Legitimierung weiterhin ihre Führungsrolle.

4.4.3 »ein besigelten Tucherischen Brieff In die Fünffhundert Jar alt«: Die reflektierte Fragwürdigkeit historischer Identität in der Vorrede »Richsner« In der letzten der vier Vorreden, die den Reichsherold und Legitimationshistoriker Rixner zum Gegenstand hat, wird ein quellenkritischer Bericht vorgebracht, der unfreiwillig zeigt, wie schwierig die historischen Ausführungen zu 1484 Ebd., fol. 20r, 20v.

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authorisieren waren. Es handelt sich um einen historischen Fall mündlicher Überlieferung, die 1590 bereits aus jahrzehntelanger Distanz geschildert wird. Dem jungen Christoph Scheurl (†1542) habe seine Mutter von einem Erlebnis ihres Bruders berichtet, der vor einigen Jahrzehnten bei einem Bauern einen nicht genauer spezifizierten »Tucherischen Brieff« gesehen habe. Der Darstellung im Tucherbuch zufolge hat Scheurl das Vorkommnis geäußert, als er bereits als Historiker für verwandte Geschlechter tätig war. Die große zeitliche Distanz zeigt die geringe Überzeugungskraft dieses Arguments auf. Scheurl war nach Ablauf des ersten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts kaum noch als jung einzustufen, als er den – über mehrere Personen vermittelten – Bericht nur gehört habe. Auch die Auskunft des Augenzeugen selbst lag bereits einige Zeit zurück und hätte kaum vager sein können. Als Entstehungszeitpunkt der »In die Fünffhundert Jar alt[en]« Urkunde muss dem Bericht nach wohl das frühe Hochmittelalter anzunehmen sein. Das Zeugnis wird nur der rein äußeren Existenz nach beschrieben, schon die Bezeichnung als »Tucherisch« zeigt an, wie familiäre Interessen den Bericht über das sagenhafte Schriftstück geprägt haben:1485 Der Alte Bertholt Tucher hatt einer Mummen Margaretha Tucherin zu Engelthal inn seinem Geschefft geschickt vnd legirt/ Dieselbig mus Ja auch einen Tucher zum Vatter gehabt haben Der gantz Stamm ist 38 Jar auff Ihme Bertholt Tucher allein gestanden/ das gibt genugsam vermutung/ das mehr Tucher/ vnd das Tucher [hervorgehobene Schrift im Original] vor derselben Zeit ein Geschlecht gewessen sey/ ob man schon die selben nit aigentlich wais Zubenennen. Vnd meldt Herr Doctor Scheurl noch weitter wie er in seiner Jugent gehört/ das seiner Mutter Bruder Steffan Tucher/ einen besigelten Tucherischen Brieff In die Fünffhundert Jar alt [Hervorhebung im Original] dartzu so haben Sigmundt Maisterlein ein Pfarrherr zu Grundlach in seiner Nürnbergischen Cronica im andern Buch im sechsten Capitel geschriben Das Tucher Pfintzing Ebner vor gar langenn Jaren mechtige Leutt gewessen Vnd schleust allein dahin obgedachter Richsner werden nichts der Warheit vnenlichs von Ludwig vom Velthen [Veltheim, C. K.] empfangen/ so er her nach einenm Erbarn Rath alhie verehrt/ vnd in offentlichen truck gegeben haben Von benanten Wolff vnd Sigmundt den Tuchern kann man dieser Zeitt mehrers vnd gründtlichers zuschreiben nicht wüssen[.]1486

Dieser Hinweis war noch von Scheurl selbst geschrieben worden, findet er sich doch schon in der ersten Tucherbuchfassung von 1542,1487 d. h. dass hier trotz Widersprüchen zu den Aussagen Rixners die Handschrift von Ludwig von 1485 Die Formierung der Erinnerung scheint der Historik inzwischen ein auch kognitiv unhintergehbarer Formationsprozess von Orientierungswissen zu sein. Vor der umstrittenen neuronalpsychologischen Dekonstruktion von Erinnerung wurde die Frage des Gedächtnisses eher an konkreten Beispielen diskutiert, vgl. dazu Fried, Erinnerung und Vergessen. 1486 GTB, fol. 27v, 28r. 1487 Tucherbuch Rom,, fol. 5, 5v.

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Velthen weiterhin als authentische Quelle für den Rixnerschen Turnierbericht angesehen wird.1488 Pragmatische Geschichtsschreibung beabsichtigt ihrem Zweck nach nicht zentral, empirische Befunde zu versammeln, sondern will vor allem nach ihrer Überzeugungskraft bewertet werden; werden mehrere Gründe für denselben Nachweis angegeben, um das Alter eines Geschlechts zu beweisen, so muss allerdings die Schlussfolgerung sein, dass ein einzelner schlagender Grund kaum genannt werden kann. So gibt das Erbe Bertholds an andere Tucher »genugsam vermutung«, dass er nicht der erste des Geschlechts war. Scheurl als autoritativ dargestellter Träger eines hohen städtischen Amtes hatte einen mündlichen Bericht über Indizien für glaubwürdig erachtet und sei daher – berechtigt – von der hochmittelalterlichen Geschichte der Tucher in Nürnberg überzeugt gewesen. Der Historiker »Maisterlein« [sc. Sigmund Meisterlin] habe im 15. Jahrhundert, also wohl bereits ohne die beim Aufstand verlorengegangenen Quellen, »in seiner Nürnbergischen Cronica im andern Buch im sechsten Capitel geschriben[,] Das [die Geschlechter] Tucher Pfintzing Ebner vor gar langenn Jaren mechtige Leutt gewessen«. Ein drittes Argument betrifft wiederum eine mündliche Überlieferung; von der Situation wird berichtet, Ludwig von Veltheim habe von »ernannten Nürnbergischen Thurnier in einem altenn Buch vorlangen Jaren In Studio zu Erfurt/ Ime Richsnern mittgethailt«. Offenbar war dem Reichsherold Rixner bereits 1542, aber noch immer gegen Ende des 16. Jahrhunderts, bereits so sehr misstraut worden, dass dessen berichtete Augenzeugenschaft bei der Einsichtnahme »in einem altenn Buch« bereits glaubhafter erscheinen konnte als das Rixnersche Turnierbuch selbst. Die Textkohärenz von Vorrede, Scheurls Widmung und den »De insignibus Armorum« und »Georg Richsner« überschriebenen Abschnitten leitet sich aus den in stets neuen Kontexten vermittelten Wertungen ab. Einerseits wird die Stichhaltigkeit der Turniersaga mit verschiedenen Argumenten und teilweise auch in reformulierter Fassung begründet, auch postuliert die Abbildung zweier Ritter bereits die unbedingte Vorgabe ihrer Existenz, werden doch die am Turnier beteiligten Tucher so vorstellbar gemacht. Wolff und Sigmundt Tucher werden in die Porträtgalerie der Ahnen eingeordnet, indem ihnen eine ganzseitige Abbildung gewidmet und damit der Anschein der Verbürgtheit vorgegeben wird, mithin »Von benanten Wolff vnd Sigmundt den Tuchern kann man dieser Zeitt mehrers vnd gründtlichers zuschreiben nicht wüssen«.1489 Die nach der Vorrede eingefügte Widmung Scheurls, »Herren Doctor Christoff Scheürl Schreiben vnd Eingang deß Tucherbuechs« hatte ihre ursprüngliche Notwendigkeit 1590, 50 Jahre nach ihrer Entstehung, freilich ver1488 Von Haller, Turnierwesen, 244. 1489 GTB, fol. 28r.

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loren und wurde auch nicht mehr in gleicher Weise zum Zweck des Gedenkens an Scheurl eingeführt wie noch in der ursprünglichen Fassung. In seiner Widmung zum ersten Tucherbuch 1542 hatte Scheurl im abschließenden Segenswunsch versucht, sich in das Patriziat einzuordnen, schreibt er doch »Daß verleihe vns der Güttige Herr Gott vnd sey mit vns allen Datum Nürnberg dienstag/ den ersten Monats tag Augusti/ Anno Taussent Fünffhundert Zwey vnd viertzig«. Diese Integration scheint in der Prachtversion nicht mehr zu funktionieren, wird Scheurl doch geradezu als zuverlässiger und daher autoritativer Kollationator, aber nur distanziert auch als ›zu diesem Buch gehöriges‹ Familienmitglied angesprochen; die Autorrolle wurde nun der Familie zugewiesen. Die agonale Geschichtskultur steht im Spannungsfeld von mehreren komplex und je nach Kontext auch widersprüchlich miteinander verbundenen Parametern, nämlich der Fülle von Wappen allgemein, ihrer nach Alter und brieflichen Bestätigung gestuften Qualität, ihrem ethischen Wert in der ja eigentlich beanspruchten kriegerisch-ritterlichen Vergangenheit und der stärker den Verdienstaspekt berücksichtigenden Gegenwart. Der kommentierende Durchgang durch die Vorrede »De insignibus« wird zeigen,1490 dass die Argumentation auf den nachfolgenden Abschnitt zu »Georg Richsner« zuläuft, indem durch die konzentrisch kreisende textliche Gestaltung eine Erwartungshaltung befördert wird, die eine patrizische Identität nicht nur definiert, sondern auch gegen den ritterlichen Adel abgegrenzt sehen will. Auf dieser Ambivalenz liegt das Hauptaugenmerk der Interpretation. Wappen kommunizierten Status besonders wirkungsvoll, wenn die allen Familienmitgliedern zukommenden Wappen die Spannweite der Verwandtschaftsbeziehungen aufzeigten. Einer der Hauptpunkte des Abschnittes »De Insignibus Armorum Von den Wappen Büldtnus vnd Gemel den in Schilden vnd Helmen der Kriegßrüstung«1491 ist daher der Aufweis der üppigen Menge von Wappen im Stammbuch und der damit verbundene gestalterische Aufwand, hat doch »Diß Buch Alß ein Stambuch […] mit vielen Wappenschilden müssen bemalt werden«. Dieser Aufwand wird im Gegensatz zur römischen, patrilinear dominierten Genealogie hier auch für die Frauen betrieben: [A]uch der Jenigen allen Geschlecht mit denen sich die Tucher Ehelich befreundt als der Mütterliche Stam/ Oheime/ Muhmen vnd Basen/ welche die Sachssen Spielmagen/ das ist Spindelmegen nennen/ von der lincken der Mutter vnd Weiblichen seitten Dieweil für nemlich die allten / Leut vnd Geschlecht der Wappen genosen bey den Schildten vnd Helmen gemelden deßgleichen auch die Neugeadelten oder die sunst guten herkommens darbey erkennet werden. Ist demnach vnd auß diesen vrsachen bedacht worden dises ortts vnd nach der Vorred dieses Stammbuchs auch etwas von 1490 Ebd., fol. 25r-26v. 1491 Ebd., fol. 25r.

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den Wappen deren herkommen vnd gebrauch zuerindern souiel sich diß ortss leiden will[.]1492

Die Integration der Wappen auch der Frauen in die Genealogie war zwar allgemein üblich, bedurfte aber offenbar der Rechtfertigung, während aus Darstellungen anlässlich der Hochzeit bereits seit dem 15. Jahrhundert Teppiche mit Wappendarstellungen beider Ehepartner überliefert sind.1493 Auch in Geschlechterbüchern bedürfte diese Praxis keiner Begründung. Hier dagegen wird die Begründung gegeben, um damit den Status der Tucher im Spiegel der dokumentierend eingebrachten Wappen rechtfertigen zu können. Möglicherweise gerade weil so viele andere Familien auch Wappenabbildungen angefertigt hatten, differenziert diese Vorrede die unterschiedliche Berechtigung solcher Wappendarstellungen, wobei relativ neu erworbene und die ›eigentlichen‹ unterschieden wurden. Die von »den Sachssen« in das Nürnbergische übersetzte Ausdrucksweise deutet auf eine auf Nürnberg konzentrierte Diskussion hin, bildete sich doch in dieser Zeit eine als höherwertig angesehene überregionale Schreibsprache heraus, in der schon die meisten Briefe gehalten sind.1494 Die Übersetzung demonstriert die Fokussierung auf den Nürnberger Raum, der durch seine Geschlechteroligarchie aus den Führungsschichten anderer Städte herausgehoben erscheinen sollte. Die Vergangenheitsdarstellung von Wappen beruht auf einem heuristischen Gegenwartsbedürfnis. Die Verschränkung der zeitlichen Perspektiven ist wiedergegeben als das Verhältnis von »herkommen vnd gebrauch«. Die Vergangenheit wird wertend wiedergegeben, bereits die Auswahl der dargestellten Gegenstände weist auf die damit verfolgte Vermittlungsabsicht hin; der bürgerlich konnotierte Verdienstaspekt wird in die ritterlichen Kriegsübungen hineingetragen und dem Altersdiskurs der Wappen beigeordnet: [D]ie wort vnd Namen Schildt vnd Helmen an im selbst […]/ auß Kriegsubungen entstanden vnd herkommen auch ein Adeliche Kriegs-Zier die ihres anfangs gewesen sey/ die weil Schildt vnd Helmen/ wie dann die Helme vnd Haubtharnisch noch Zur Kriegsrüstung vnd bewappenung gehoren auch nicht alle noch aller Kriegßleut Schildte anfengklich bemahlt gewesen/ sondern nur die woluerdienten Welcher anweysung nach nun ferner zubedencken vnd nachzusuchen wann die entstanden/ wie alt sie sey/ vnd was von Adels vnd solcher Ad[ligen] ankunfft gefunden vnd zufinden[.]1495

1492 Ebd. 1493 Vgl. Zander-Seidel, Textiler Hausrat, passim. 1494 Peter O. Müller, Usus und Varianz in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schreibsprache Nürnbergs, in: Zeitschrift für germanistische Linguistik. Deutsche Sprache in Gegenwart und Geschichte 30 (2002), 56 – 72, bes. 56 f. 1495 GTB, fol. 25r.

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Hatte die Berufung auf Rixner der Anbindung an die ritterliche, aus Quellengründen ›vorgeschichtliche‹ Vergangenheit gedient, so wird diese weiter sozial differenziert in die »woluerdienten« und diejenigen, die keine Wappen auf ihrer Kriegsrüstung trugen. Diese Unterscheidung klang im zitierten Text erst an, diente aber zentral als Historisierung der eigenen Gegenwart und ihrer Bemessungsmaßstäbe sozialer Distinktion: Vnd ist bei den Römern ein jeder auß der Gemain/ oder iren Reüttern/ wann er in den Rath der Statt komen/ dardurch/ vnd von des Rathstandts wegen/ zum Adel komen/ vnd vnter den geacht vnd gehalten worden/ do es sich bey vnsern Zeitten Also verkert/ dass die Ritterschafft die Fürnebmsten vnd mainsten in zugen/ vnd die nicht Hendler noch sein sollen sondern die Bürger vnd gemaine Leutt[.]1496

Wurde bisher vor allem die Kontinuität vom Rittertum her betont, so bleibt dieser Anspruch zwar in der Entgegensetzung zu ›neuem‹ Adel bestehen. Im 16. Jahrhundert hielt der ritterliche Adel aber tatsächlich selbst keine Turniere mehr ab. Allerdings wird in Auseinandersetzung mit dem ritterlichen Adel, der die Patrizier Jahrhunderts nicht zu seinen Turnieren zugelassen hatte, dieser historisiert als ›Verkehrung‹ seiner Position, neben der ›novitas‹ ein schwerer Vorwurf in der frühen Neuzeit. Die glorifizierende Darstellung des Rittertums wird dadurch nicht aufgehoben, sondern gleichzeitig in der Perspektive seines eigenen Anfangs im römischen Rittertum analysiert, eine historische Konstruktion, die die Niedrigkeit von Rittern aufzeigen soll, indem auf die erst nach dem Einzug in die Stadt Rom erfolgte Erhebung in den Adel hingewiesen wird, während in der näheren Gegenwart lediglich »die Fürnemsten« hinzugezogen würden. Durch diese adversative Konstruktion werden Fragen nach der Bedeutung des Verdienstdiskurses aufgeworfen, galt doch die Mitgliedschaft als standesdefiniert. Auch scheint dem hier konstruierten Rittertum eine zivilisierungstheoretische Komponente innezuwohnen, wird doch die vorsintflutliche Zeit hinzugezogen, als eine Zeit voller »vnzucht vnd schwelgerei/ fressens vnd sauffens als Kriegens vnd Mordens«. Diese auffällig früh angesetzte Vorgeschichte des Wappenwesens scheint als Perspektivierung zu dienen für die ethische Aufwertung der Wappenträger und ihren Niedergang in der Gegenwart: Sein also die Wappengemählt vnd Wappengenossen anfenglich von dern Kriegßleutten entstanden/ aber nachmals/ vnd sonderlich yetziger Zeit auch auff sonst woluerdiente ehrlich Leüth/ in andern vnd allerley [sic!] Stenden/ die auch nicht Kriegßleutt/ Gelehrte vnd vngelehrte komen/ die auch anderer vrsachen halben der Adlungwappen würdig […] Es ist aber die Schildtbemahlung vor dem Feindt sonderlich bey vns deutschen vor vil Jaren abgangen/ wie dann Jetzund die Schildt in vnser Kriegßrüstung gar erloschen/ vnd kheine mehr gegen dem Feindt geführt werden/ So sein die Helmenzier vnd Kleinot bey vns Deutschenn auch nicht gegen dem Feindt sonder fast 1496 Ebd., fol. 26r.

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allein in den Turniren vor Jaren gefürt worden/ vnd pflegenn ettliche dieser zeitt Brustharnisch vnd Krebß in Türckenzügen/ mit Crucifixen zubemahlen/ wie man dann auch die Kriegßfehnlein/ vor Jaren/ alßdann/ domit bemahlt hatt/ vnnd wol noch So lest man es auff den Helmen in Schimpff vnd Ernst/ bey den Federbüschen vnd gemainen Haubtgeschmück auch bleiben[.]1497

Die Wappenzierung sei »in Schimpff vnd Ernst«, einer üblichen Formel in Wappenbriefen, lediglich noch in verkleinerter Form, d. h. ersetzt durch ein Kreuz, auf dem Helm vorhanden. Die Abbildungen würden auch von »sonst woluerdiente[n] ehrlich[en] Leüth[en]/ in andern vnd alle[r]ley Stenden« getragen, mithin sei das Wappen kaum mehr ein wirksamer Ausweis von sozialer Distinktion. Die Formulierung enthält gleichwohl eine weitere kritische Bemerkung auf dem Weg der Rückprojektion. Von dem durch den Altersdiskurs legitimierten Adel wird ein ›Verdienstadel‹ verlangt. So seien Verdienste nämlich Bedingung der nachträglichen Wappenverleihung, gleichzeitig aber auch eine Nebenbedingung der älteren Wappen gewesen, die »auch auff sonst woluerdiente ehrlich Leüth/ […] die auch nicht Kriegßleutt […] auch anderer vrsachen halben der Adlungwappen würdig« verliehen worden seien. Dagegen wurde in einem vornehmlich an den Adel gerichteten Wappentraktat, »Von Vrsprung deß Adels/ Auch wie es mit den Wappen vnd Edelen geschaffen sey«,1498 noch ganz direkt von Kampf, Sieg und Ehre und den Wappen als einem Medium gesprochen, »darin ein jeder seine vbung vnd Ritterliche Mannheit beweisen« könne. Das dem »Stam Vnd Wapenbuchlein« von Herzog August zu Grunde liegende gedruckte und mit leeren Blättern durchschossene Emblembuch von Theodor de Bry richtete sich gerade mit der prinzipiellen Fixierung auf das Wappenverständnis des Adels auch an diejenigen nichtadeligen Käuferschichten, die dem Adel nachahmen wollten, weswegen »der gebrauch der Wapen vnd Stam[m]buecher nicht allein vnder hohes vnd nidriges Standes/ sondern auch bey Manns und Weibs Personen jetzunder im schwang gehet«.1499 Der adlige Anspruch auf von Moses »gesegnet[e] vnd eyngesetzt[e]« Wappen wird in einer geschäftlichen Doppelstrategie zugleich anerkannt und andere Formen des Wappentragens daneben akzeptiert. Im Tucherbuch wird die Diversifizierung der Wappen auf andere als den Rittern festgestellt und mit besonderer Gewichtung des Verdienstes befürwortet. 1497 Ebd., fol. 26v. 1498 So das für die Anlage eines Stammbuchs geeignete Emblembuch von Theodor de Bry, Emblemata, Nobilitati Et Vulgo Scitu Digna […], Frankfurt 1592, vor allem die Käufer umwerbende Vorrede. 1499 Stam und Wapenbuchlein 1594 – 1604/ Herzog August d.J. zu Braunschweig und Lüneburg, Emblemata, Nobilitati Et Vulgo Scitu Digna, Cod. Guelf. 84.6, Aug. 48, 7, 16. Für die Anlage des Stammbuchs wurde das de Bry’sche Emblembuch mit zahlreichen Seiten durchschossen.

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Die Tucher als Kaufleute schaffen somit Raum für ihren Wappenruhm, der ihnen als Kaufleuten verwehrt geblieben wäre. Dagegen lehnen sie die Zunahme an Wappen aus anderen Gründen auch ab, vor allem weil die Herolde nicht mehr die Richtigkeit verbürgen könnten und keine Kontrolle mehr möglich sei: Vnd sein endtlich neben den Schildt vnd Helmenzieren auch vnsere Herolden/ mitt irer Wappenkunst gefallen/ vnd obwol Keißer vnd König ihr hochheitt mitt der Adlung behalten/ machen doch die Kaiser Comites Palatij, Herrn vnd gemaines standts/ denen sie die Zu Wappnen vbergeben/ vnd also auch die Herolden nicht vil mher zu denen gebraucht Auch viel ietzt durch Tromettern vnd andere verricht wirdt/ das ettwan allein den Deutschenn Herolden geburt hatt/ vnd dartzu sie allein vor zeitten gebraucht worden. Vnnd ist nun mehr dohin mit den Wappen komen/ das fast ein ieder selbst/ was er im Schildt vnd auff dem Helm füeren will im aussinnet vnd wehlt seines gefallens vnd im bestettigen läst Wie dann auch der güldene Ritterstandt [Träger goldener Ketten1500, C. K.] sehr abgeht/ vnd sich zu vnsern Zeitten/ nicht viel zu Rittern schlagen lassen/ der vor Zeitten gar hochgeacht worden/ vnd Schildt/ Helm vnd andere Waffen vnd Zeug verguld hat vnd allein Gott zufüren gehabt hatt[.]1501

Hatten die Auftraggeber des Einbandes des Tucherbuchs einer Christusabbildung mit Tugendallegorien den Vorzug vor einem möglichen Wappenabdruck gegeben, um nicht soziales Kapital in einen Markt voller anderer angebotener Wappen einbringen zu müssen, sondern in neue Darstellungsformen auszuweichen? So habe der Ritterstand eigentlich immer Gott ›im Wappen getragen‹, habe sich also daher der Wert seines im wörtlichen Sinne getragenen Wappens bemessen. Dieses Rittertum werde jedoch immer unbedeutender, weil nur noch wenige Ritter neu hinzukämen durch den Ritterschlag, möglicherweise eine Reaktion auf die zunehmende Beliebigkeit bei Wappen, dass nämlich inzwischen »fast ein ieder selbst/ was er im Schildt vnd auff dem Helm füeren will im aussinnet vnd wehlt seines gefallens vnd im bestettigen läst«, ein Wappen also vielmehr die soziale Imagination des Trägers abzubilden beginnt und weniger seine rechtmäßige und ethisch einsehbare Qualität. In allgemeiner Formulierung, »vnsere Herolden«, wird auf die frühere Kontrollinstanz der geheimen Kunde von Wappen hingewiesen, die jedoch durch die Delegation ihrer Aufgaben weiter verbreitet und dadurch letztlich aufgehoben worden sei. Bereits Franz I. habe kein goldenes Wappen tragen wollen, ohne durch Kriegszüge bewiesen zu haben, dessen würdig zu sein: »Auch König 1500 Vgl. zu dieser speziellen Gruppe und ihren Privilegien Eberhard Schmitt, Behaust im Heiligen Römischen Reich? Das europäische Beziehungsnetz der »equites aurati« im Zeitalter Kaiser Karls V., in: Sefik Alp Bahadir (Hg.), Kultur und Region im Zeichen der Globalisierung. Wohin treiben die Regionalkulturen? (Schriften des Zentralinstituts für Regionalforschung der Universität Erlangen-Nürnberg 36), Neustadt a. d. Aisch 2000, 417 – 427. 1501 GTB, fol. 25r.

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›Generation‹ als genealogischer Grundbegriff des Tucherbuchs

Franciscus der erst/ in Franckreich kein gulden Ritterzaichen an seinen Waffen vnd Zeugen hatt füren wöllen/ ehe dann er diese Ehre/ in seinen Kriegszügen/ ime erwürbe[.]« Dieser Bericht verweist auf die Parteilichkeit in der heraldischen Untersuchung: Der Wappen/ Schildt vnd Helmen brauch belangendt/ sein derenn bilder vnd gemählt erstlich/ wie bericht kennzaichen/ von Alters/ vnd ihres anfangs/ des Adels/ vnd der Altenn Geschlecht Kriegßübung/ Mannheit vnd Streittbarkeit/ Ehrnpreis/ Der Jungern aber vnd Newen Leut/ auch anderer Tugendt Lobs vnd Ehrenhalber/ vnd mus der Alte Adel/ vnd deren absterbende geschlecht durch den Newen Adel ersetzt werden So sicht auch der Adel an im selbst nicht allein auff kriegs vbung vnd Streittbarkeit/ vnd ist auch an im selbst nicht Mannheit allein ein Tugendt/ sondern es sein auch neben der viel andere/ die auch Tugendt sein vnd heissen/ vnd die nichts weniger/ auch ettlicher mehr Ehr vnd Preis würdig/ als Mannheit vnd Streittbarkeit Nemlich Fromheit Redlichkeit Gerechtigkeit vnd vor allen Gottseligkeit/ Item Mildigkeit/ Barmhertzigkeit/ Messigkeit & Weißheit Geschickligkeitt vnd Kvnst[.]1502

Der Adel wird geschichtssoziologisch differenziert in »Alte Geschlecht[er]«, denen hohes Alter sowie im Kriegsdienst bewiesene Mannheit und Ehre zukämen, veraltete Werte, die zudem mit ihren Trägern ausstürben. »Der Jungern aber vnd Newen Leut«, der »Newe Adel«, schätze andere Werte und Tugenden. Diese seien »Fromheit Redlichkeit Gerechtigkeit vnd vor allen Gottseligkeit/ Item Mildigkeit/ Barmhertzigkeit/ Messigkeit & Weißheit Geschickligkeitt vnd Kvnst«, also ausnahmslos Werte einer Tugendethik, die auch von Familien wie den Tucher erbracht werden konnten. Offenbar werden hier Vorwürfe des Adels an das Patriziat kompensiert, wobei aus den Augen geraten sein muss, dass die Tugendethik eine Strategie sein konnte, mit der nichtpatrizische soziale Gruppen das Patriziat unter Rechtfertigungsdruck setzten. Das hier konstruierte Geschichtsbild dient somit der programmatisch bereits im Buchdeckel festgehaltenen tugendethischen Legitimation der Tucher, die sich weniger innerhalb der heraldisch argumentierenden und vom Adel dominierten Geschichtskultur, sondern wenigstens zusätzlich dazu auch in Form einer religionskulturellen Positionierung beweisen wollte. Offenbar war aber ritterliche Tugend dennoch dermaßen konservativ, dass die Ablehnung weiter begründet werden musste. So wird der Tugendbegriff zunächst als männliche Tugend konzipiert, danach historisiert und abschließend nach zeitgebundenen Maßstäben bewertet: Männlichkeit sei eine Leittugend im Urteil des gemeinen Mannes, tatsächlich aber handle es sich dabei jedoch um Eigennutz, obwohl der durch kriegerische Männlichkeit erreichte Schutz der Familie darüber hinwegtäusche. Andere, wie die zum »Newen Adel« angeführten Tugenden, förderten 1502 Ebd., fol. 26r.

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den Gemeinen Nutzen in einer Weise, die durch Tugend im singulären Wortsinn von ›Mannheit‹ nicht gefördert werde: Das aber in gemain Mannheit vnd Großmutigkeit oder Streittbarkeit/ allen andern vorgezogen wirdt/ auch im Latein alle andere Tugendt/ von der/ Virtus vnd Virtutes heisen ” Viro als ob die vnd an der allein/ andere alle Tugendte stunden/ vnd die allein ein Tugendt wäre diß hatt sein vrsach/ dauon auch Aristoteles ein frag auffgibt Geschicht fürnemlich darauf/ vnnd also das der gemain Mann für die gröste wolthat achtet vnd das höchste Gutt den Feind vnd alle gewalt von irem Leib Weib vnd Kindern/ Haab vnd Gutt/ abzutreiben vnd zuuorkomen/ vnd das inen in friden vnd wolfahrt Zuleben/ Hausen/ Handtieren/ in Nahrung allerort vnachindert Zutreiben geschafft werde/ dartzu dann vnd hierinnen die Mannheit vnd Streittbarkeit in Kriegßübungen vor andern sich verdient/ welches doch alles nur ein priuat vnd eigen nutz ist das ein ieder für sich gutte tag/ wie mann spricht Fridt vnd gemach habenn mag/ In gemain aber vnd gemainem nutz dientt der Fridt fürnemlich der Religion vnd Glaub[en]ssach/ vnd guetter Zucht vnd Kinder Zucht vnd alle vnd die gantze policei vnd Regiment Verhalten/ in den Iusticia Recht vnd Gerechtigkeit/ vielmehr nutz schafft auch an im selbst ein höchere Grössere vnd Schönere Tugendt/ als vnuerzagte Mannheit vnd Streittbarkeit/ Welcher Iusticien man auch im Krieg/ vnd dessen Zeitten nicht gerathen kann vnd also beyde Zu Kriegs vnd Fridtszeitten geübt werden vnd dienen mus wie dann auch andere mehr Tugend da Mannheit allein in Kriegszeitten sich fürnemlich sehen lest vnnd nutzett[.]1503

Man soll letzlich erkennen: Die alten Tugenden sind nicht mehr akzeptabel und nicht mehr zeitgemäß. Um zu diesem Erkenntnisziel zu gelangen, wird jedoch die gegnerische Position zunächst reformuliert, wobei polemische Spitzen eingestreut werden, dass etwa »in gemain« und »der gemain Mann für die gröste wolthat« die Kriegstugenden halte. Die gleiche Formulierung wird erneut aufgenommen und uminterpretiert, dass »In gemain aber vnd gemainem nutz dientt der Fridt fürnemlich der Religion vnd Glaub[en]ssach«. Das erreichte Ziel war selbstgestellt, nämlich die nur kriegsgeeignete Einwert-Tugend des Alten Adels als unzureichend darzustellen und mit Teilen adeligen Verhaltens eine Ethik gegen den als alt dargestellten Teil des Adels zu formulieren, an die das Patriziat anschlussfähig ist. Paradoxerweise wird die Distinktionskraft des historischen Alters erhalten, auch wenn sie vor dem Hintergrund der Tugenddiskussion relativiert wird oder gar strittig erscheinen mag: Derwegen dann vnd auß diesem vrsprung auch noch die alte Kriegs vnd der Ritterschafft Wappenn höcher als die Newen [vnd die nicht auß Kriegsübungen her kommen geacht werden] Vnd nachdem Zum andern auch zu allen Briefflichen Vrkunden vnd Verschreibungen die Wappen zur besiglung vnd mehrer versicherung gebraucht werden/ sein auch an im selbst alle besiglungen die von Alter vnd Adelicher befreiung 1503 Ebd.

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von der hohen Obrigkeit herkomen/ ansehlicher vnnd Krefftiger/ als die Newen vnd vnbestettigte/ vngeacht woher sie auch/ vnd von wannen sie entstanden/ vnd herkomen[.]1504

Wappen, »Angeborner/ ererbter vnd erworbener« Adel, so die nur scheinbar joviale Formulierung gegenüber »handtzaichen/ Handels- vnd Haußzaichen/ die ein ieder selbst ime macht vnd erdicht«, sei zwar im Fall der Tucher besonders zu achten, »Aber Traw vnd Glauben vberwigt Brieff vnd Sigel«. Offenbar konstruieren die Tucher hier, unter implizitem Verweis auf das Fehlen eines in anderen Geschlechterbüchern häufig abgedruckten Wappenbriefs, eine historische Distinktionsbegründung ihrer Stellung in der Reichsstadt und somit im »Vatterlandt«, die gleichsam offen bleibt für die bereits angeheirateten Familienmitglieder aus Familien, die lediglich einen guten Ruf aufweisen konnten. Dafür wird die agnatische, patrilineare Herkunft für die erzählende Wiedergabe herausgestellt: Aber Traw vnd Glauben vberwigt Brieff vnd Sigel wie dann ietzund zu vnsern Zeitten/ die handtzaichen/ Handels- vnd Haußzaichen/ die ein ieder selbst ime macht vnd erdicht bey Edlen/ geadleten vnd vngeadleten/ Deutschen vnd Außlendern/ nichts weniger gelten vnd ansehelich sein/ als mitt angeborner/ ererbter vnd erworbener Schildt vnd Helmen besigelte Brieff/ verschreibung vnd Bekantnus Daß haben wir also auch vnser Stammens Wappenn zu Ehren/ von den Wappen berichten wollen/ Welches vnser Stamm/ der gestallt wie es gemahlt/ von Vierhundert Jaren hero vnd darüber vnuerendert gefürt hatt/ Wie dann auch der gantze vnser Stamm von einem aintzigen vnserem Altuatter von dreyhundert Jaren her vnd von einer linien ohne einige Collaterales seiten magen oder Vettern hergefürt stehet/ welches nicht in viellen Stammbüchern also zu finden Der Allmechtige Barmhertzige Gott/ wöll dern gnedigklich/ zu seinen Ehren vnd gemainem Vatterland diensten/ vnd vns alle in demselben erhalten vnd Segnen Amen[.]1505

Wird hier argumentiert, dass Adelsbriefe eigentlich unzeitgemäß seien und im sozialen Medium des Vertrauens vergleichbare Sicherheit der sozialen Orientierung liege? Die dokumentarische Absicht des Tucherbuchs wird hiermit erheblich aufgewertet, verortet es die Tucher doch in einem das Patriziat ausdrücklich übersteigenden sozialen Feld. Die behauptete Exklusivität, »welches nicht in viellen Stammbüchern also zu finden«, entspricht besonders deutlich nur der Selbstsicht der Familie, denn in Nürnberg war Familiengeschichtsschreibung beinahe die Regel. In der Form einer ›praeteritio‹ werden dem Ausdruck der behaupteten Akzeptanz Gründe für die Nichtakzeptanz beigegeben; gleichwertig seien »handtzaichen/ Handels- vnd Haußzaichen/ die ein ieder selbst ime macht vnd 1504 Ebd., fol. 26r, 26v. 1505 Ebd., fol. 26v.

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erdicht bey Edlen/ geadleten vnd vngeadleten/ Deutschen vnd Außlendern/ nichts weniger gelten vnd ansehelich sein«, eine Bestätigung, die man auch als Antwort auf das Problem lesen kann, dass eben diese Wappen »weniger gelten vnd [weniger] ansehelich« wahrgenommen wurden. Das Tucherbuch will erklärtermaßen eine vertrauensschaffende Geschichtsdarstellung bieten, deren heraldische Ausstattung und Pracht im Sinne der paratextlichen Selbstinterpretation die Fähigkeit zum Konnubium, Adel in tugendethisch-konfessioneller und in adelstheoretischer Hinsicht nachweisen soll. Die angestrebte ›Ehre‹ hat auch eine wirtschaftliche Dimension für die Tucher. Die Unterscheidung zwischen adeliger Verschwendung und bürgerlicher Zweckrationalität ist hier weniger trennende Beschreibung als vielmehr die Benennung der Teile einer organischen Einheit,1506 auch wenn erst das 18. Jahrhundert diese Projektion festigte. Die Ambivalenz der abschließenden Bewertung, Relativierung und Aufhebung der beschriebenen Standesgrenzen ermöglicht die familiäre Einheit der Familienmitglieder bis hin zur Einheiratung in den Adel. Leserspezifisch wird die Frage der sozialen Distinktion im Sinne der Tucher beantwortbar, auf der auch bei Konzessionen das Hauptaugenmerk ruhte. Diesen Befund belegt der vierte paratextliche Abschnitt, der mit den Worten »Georg Richsner genant Jherusalem Weil[andt] Pfaltzgrauen Friderich Herolt vnd Chundtger der Wappen« beginnt.1507 Die bereits angesprochenen Bezüge auf Rixner sollen hier nur in den aufgefundenen polemischen Gewichtungen behandelt werden, zeigen sie doch die verschärfende Entwicklung der textlich vermittelten Abgrenzungen auf. Rixner habe alhier zu Nürnberg Anno 1526 den zwölfften Thurnier verehrt welchen Kaiser Hainrich der sechste könig zu Neapolis Scilien vnd Sardinien Hertzog zu Schwaben Kaiser Friderichen deß ersten genant Barbarossa Sohne Montag nach Liechtmeß Anno Christi 1108 in dieser Statt Nürnberg gehalten. […] In welchem Thurnier zwölff Erbare Burger darunder Wolff Tucher gemelt worden die ein Rath auß Iren mitteln [sic!] außgeschossen vnd verordnet hab dem Thurnier alle notturfftige fürsehung zuthun. Vnd das drey Burger darunder Sigmundt Tucher im Thurnirn vnd stechen vil gutte treffen vor andern gethon dero geschicklichkait als ob sie an Höfen ertzogen weren der Kaiser hochgelobet vnd damit er sie sehen möchte mit Vorreihen Zuuerehren beuolhen habe. Das auch Kaiserliche Mayestett die Nürnbergischen Geschlecht mit vierhundert Pferden wolgerüstet (darunder die Tucher Vierzehene gehabt) gen Thonawert belaittet/ daran dann Ihr May[estät] mercklichen wolgefallen gehabt Sie auch all souern sie sich Irer Renth vnd Gult nehreten/ vnd gemainer Burgerschafft die Hendel vnd Gewerb frey

1506 Zu dieser Vorstellung vgl. Stollberg-Rilinger, Distinktion zwischen Adels- und Kaufmannsstand, 44 f. 1507 GTB, fol. 27v.

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liessen/ von Newem erhaben Geadelt Thurniergenoß gemacht/ vnd andern vom Adel gleicht vnnd zu gesetzt hab[.]1508

Hier werden Emotionen des Kaisers rhetorisch amplifiziert, um die Situation der Begegnung so direkt wie möglich erscheinen zu lassen. Der Grund für das Wohlgefallen, das zur Verleihung des Adelstitels geführt habe, sei die besondere, einem Ritter und seiner höfischen Ausbildung ähnliche Geschicklichkeit gewesen, »im Thurnirn vnd stecken vil gutte treffen vor andern gethon dero geschicklichkait als ob sie an Höfen ertzogen weren«. Hierin liegt ein durchsichtiger Anachronismus oder Gegenwartsbezug, wurden doch im 16. Jahrhundert in Deutschland Adelsakademien gegründet,1509 aber waren auch zahlreiche Ritterturnierbücher wie das Rixners und »Schönbartbücher« in Nürnberg rezipiert worden, wirkungsvoll etwa im Hallerschen Geschlechterbuch von 1536, aber auch in der Deckengestaltung des Nürnberger Rathauses.1510 Die Tucher übernehmen die Vergangenheitskonstruktion des Adels, hatte doch der Adel eine große Zahl von Turnierbüchern hervorgebracht. Die Ritterturniere waren Teil einer generellen Orientierung an kulturellen Entwicklungen adeliger Höfe auch innerhalb des Adels, obwohl diese um 1485 endeten um in den Einladungen Kaiser Maximilians in veränderter Form wieder zu entstehen. So wurden habituelle Ausdrucksformen bis hin zu musikalischen Traditionen übernommen.1511 Die stadtgeschichtlichen Exkurse zur Zerstörung der Stadt und dem Aufruhr gewinnen so abschließend ihre Bedeutung, weil auf sie als einen Wissensbestand zurückgegriffen werden kann, wenn das zwölfte Turnier als zuverlässig wahr beschrieben wird: Wie das vnd anders gedachter zwölffter Thurnier mit vernerm vnd mehrern begreifft vnnd außweist Wiewol nun der Tucher vnd anderer Geschlecht in Nürnberg mehr/ gründtliche wüssentliche ankunfft souil man glaublich erkundigen auch antzaigenn mag von disem Thurnier hero fast die Eltiste ist So ist doch Stattlich zuuermuten/ das noch Eltere hetten mügen gefunden werden wo nit allein der Erbarn alten Geschlecht sondern auch Gemainer Statt alte monumente wie wüssentlich als König Hainrich der 1508 Ebd. 1509 Die in Deutschland zunehmende kulturelle Sensibilität Adelsakademien betreffend spiegelt Conrads, der u. a. deutsche Übersetzungen von Statuten 1592 anführt: Norbert Conrads, Ritterakademien der frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 21), Göttingen 1982, 326 – 333. 1510 Zotz, Adel, Bürgertum und Turnier, bes. 489. 1511 So betrachteten Adelige wie Patrizier gleichermaßen den Hof des Herzogs von Burgund, Philipp des Guten (†1467), als kulturell nachahmenswert; ein schwerpunktmäßig mit Bezug auf musikalische Entwicklungen geführter Nachweis findet sich in Heinrich Besseler, Umgangsmusik und Darbietungsmusik im 16. Jahrhundert, in: Ellen Rosand (Hg.), The Garland Library of the History of Western Music. Renaissance Music Part 1, New York/ London 1985, 77 – 99, bes. 84, 93.

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Fünffte Anno 1100 das Schloß oder Vestenn erobert/ die Statt geschlaifft vnd dann hernach in deß Thörichten Pöffels Aufflauff vnd empöhrungen Anno 1340 dieselben mehrersthails verzogen/ entwandt vnd vmbbracht worden weren[.]1512

War bisher noch von der revoltierenden »Gemain« die Rede gewesen, so wird der pejorative Duktus hier auf »Thörichten Pöffel« gesteigert. Die Wörter, die Geltungsbestimmungen dokumentieren, also Formulierungen wie »gründtlich wüssentlich«, »souil man glaublich erkundigen auch antzaigenn mag«, »Stattlich zuuermuten«, »alte monumente wie wüssentlich [zerstört worden]«, lassen darauf schließen, dass die in der Vorrede vermittelten Inhalte der abschließenden Bewertung entgegengearbeitet worden waren. Dazu wurden die Erzählungen zunächst konsensfähig ›traditionalisiert‹, um abschließend die damit eigentlich verfolgten ständepolitischen Ziele anstreben zu können. So legt es der folgende Abschnitt nahe, wird dort doch von Rixner zusammenfassend konstatiert: »ist in der Vorred angetzogen vnd vermeldt/ dass Kaiser Hainrich disen Thurnier darumben gen Nürnberg gelegt habe dieselben Statt dardurch widerumb zuerheben vnd auffzubringen/ da er sich auß dem Reich in sein Erbreich thon/ vnd gutte ordnung vnd ainigkeit/ hinder ime lassen wöllen«. Schon die offiziöse Chronistik hatte ein Repertoire von historischen Erzählungen eingesetzt, um Ziele der Gegenwartspolitik legitimierend zu stützen.1513 Noch einmal wird daher im Spiegel der Zerstörung der Stadt die Kaisertreue der Reichsstadt beschworen, »Innsonderhait aber ohne Zweiffel auch darumb das Nürnberg von Alters hero iren Herrn anhengig gebliben [nämlich] in obangezognem 1106 Jar von König Hainrich sich verderben lassen vnd geschlaifft worden ehe dann sie irem Herrn seinem Vatter ir trew brechen wöllen«. Möglicherweise hatte sich die Rixner bereits länger kritisch gesonnene Atmosphäre während der 16-jährigen Bearbeitungsdauer des Tucherbuchs im Vergleich zur früher geschriebenen Vorrede verschärft. Diese spätere Argumentation für die Turnierlegende wirkt geradezu gereizt. So wird neben anderen Einzelheiten des Turniers wiederholt, was »alle[n] kandtlich vnd wol bewüst« sei, nämlich »das sie vor hundert Zwayhundert vnd lenger Jaren als Erbare Leut guttes Geschlechts/ vnd mainsten thails Rathmessig in Nürnberg gesessen sein«. Während zwar zahlreiche Erkenntnisse durch den Aufstand fehlten, »So wais man doch das dieser Vorfahren/ vor zwayhundert vnd mehr Jaren/ aüch Eltern vnnd Voreltern gehabt die mehr zuuermutten/ auch Bürgerlichen Standt gefürt haben/ dann dass sie newe einkimbling vnd schlechte Leute gewessen sein«, eine Formulierung, die die Fragwürdigkeit der unbelegbaren, aber gewünschten 1512 GTB, fol. 27v. 1513 So Schneider, Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts, 75, 217 ff.; zur zukunftsorientierten historiographischen Instrumentalisierung der Zerstörung Nürnbergs durch Deichsler vgl. ebd., 225.

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Vergangenheit zeigt. Handelte es sich möglicherweise bereits um eine Reaktion auf die gegen Ende des 16. Jahrhunderts einsetzende Glaubens- und Wirtschaftsmigration, die der von der Nürnberger Oligarchie geführten Stadt neue ehrgeizige Bürger zuführte? Waren es deren Zweifel und Einwände, die zu Aussagen wie den folgenden geführt haben: Vnd hett warlich nicht ein vngeschickter sondern vil wüssenter dichter solche der Warheit enliche ding erdacht der allein die geschriben/ so man waiß lange Jar hie gesessen/ vnd die Jhenigen aussen gelassen/ die nit so lange Jar Bürger in Nürnberg gewessen sein Als wie man sagen möchte/ Die tucher kommen auß Herr Conradt dem nächstuolgenden Tucher der gestorben ist Anno 1326 Er vnd sein Sohn der Alt Herr Bertholt Tucher sein Statthaffte beerbte vnd belehent Leüt gewest haben zu Erbarn alten gutten Geschlechtern vnd Leütten auch vom Adel geheyrat Ihre Eltern wais man nicht zu nennen/ dann souil Conradt Tucher Mutter so Kunigundt gehaissen/ darumb volgt nicht Ist auch die vermuttung nicht das sie von nichten kommen/ noch auß einem Stain gesprungen sein[.]1514

Die Zweifler an der Turnierlegende werden mit polemischen Absichten mit der für Absurdität stehenden Hypothese, die Vorfahren seien »auß einem Stain« und somit einer Sphäre entsprungen, in der soziale Unterschiede keine Rolle gespielt hätten, abgeschmettert. Gegen wen hier genau gesprochen wird, bleibt zwar offen. Aber hatte sich während der Herstellung des Tucherbuchs eventuell harscher Widerspruch gegen die Turnierlegende erhoben, vielleicht von Seiten eines neuen Wirtschaftsbürgertums?1515 Möglicherweise ist diese Rede ironisch, hatte doch schon Ovid die Herkunft der Römer aus einem Stein beschrieben, indem er die daran geknüpften Hoffnungen und Wunschvorstellungen, ›alt‹ und ›hart‹ zu sein, wiedergab.1516 Die Rezeption Ovids als eines Kollationisten von naturreligiösen Mythen weist eher auf eine Lesart hin, die die Steingeburt als absurd dargestellte Alternative erscheinen lässt. Die polemische Gegenüberstellung von Turnierlegende und mythischem Erzählschema deutet darauf hin, dass eine orthodoxe Rezeption Rixners je1514 GTB, fol. 27v, so bereits in Tucherbuch Rom. 1515 Zur Wirtschaftsmigration und der zunehmenden Wichtigkeit der Rolle, die fremde Kaufleute in Nürnberg spielten, vgl. Hermann Kellenbenz, Wirtschaftsleben zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Westfälischen Frieden, in: Gerhard Pfeiffer (Hg.),Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, 295 – 302, hier 301. 1516 Das Tucherbuch referierte möglicherweise auf eine Ursprungserzählung in den »Metamorphosen« Ovids, nach der Deucalion, der Sohn des Prometheus, mit seiner Gattin Pyrrha ein neues Menschengeschlecht geschaffen hatte, auf das sich die Römer bezogen: »Und nach der Götter Willen erhielten die Steine, die Mannes Hände geworfen, Mannesgestalt in kürzester Frist und ward das Weib durch die Würfe des Weibes wiedergeschaffen. Daher sind wir ein hartes Geschlecht, erfahren in Mühsal, geben so den Beweis des Ursprungs, dem wir entstammen.« Niklas Holzberg (Hg.), Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, in deutsche Hexameter übertragen von Erich Rösch (Sammlung Tusculum), München/Zürich 1990, 27, vv. 411 – 415.

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denfalls gegen Ende des 16. Jahrhunderts nicht mehr möglich war, auch wenn diese Texte bereits 1542 entstanden sind. Nach wie vor bedurfte die Rede vom Turnier einer kritischen Einschränkung seines freilich noch immer und immer intensiver – und daher weniger wirkungsvoll – als authentisch dargestellten Berichtes. Darüber hinausgehende Schlussfolgerungen mussten inzwischen strikt als nurmehr wahrscheinliche Szenarien gelten. Dieser historiographischen ›Kennzeichungspflicht‹ kamen die Autoren oder der Autor dieser Vorrede mit Humor nach, gaben sie doch mit Ovid ein Beispiel für ein zeitgebundenes Herkunftsnarrativ, das einem »nicht vngeschickte[n]« Dichter entnommen worden war. Vor diesem Hintergrund wird die Suche nach einem Ursprung als zeitübergreifende Konstante dargestellt, jedoch die für die Tucher gefundenen Ergebnisse als plausibel und, wo hypothetisch, als gut begründet hervorgehoben.

5. Zusammenfassung

Die Geschichtsschreibung und die untersuchten Briefe sollten historisch ein bestimmtes Bild erzeugen. Zunächst dienten sie der erzieherischen Erinnerung. Neben diesen relativ kurzfristigen Traditionsabsichten erlangten sie später weitere Gedächtnisfunktionen. Die Reichweite dieser Gedächtnisformen umfasste so verschiedene Phänomene wie die Rückversicherung in der annähernd wöchentlichen Kommunikation während der Auslandslehre, die Dokumentation der Erziehungsbemühungen im väterlichen Briefarchiv, die eher familieninterne Erinnerung an verwandtschaftliche Zusammenhänge und Leistungen der Vorfahren sowie die heilsgeschichtlich angereicherte Verherrlichung und Repräsentation der Geschichte der Familie. Die Briefe scheinen ihre archivische Relevanz als Erziehungsmittel nicht über das zweite Drittel des 16. Jahrhunderts hinaus bewahrt zu haben, denn die selektive Überlieferung endet um 1565. Um diese Zeit ersetzen die historiographischen Quellen einander besonders intensiv in bewusster Absetzung von früheren Fixierungen der Familiengeschichte.1517 Dieser Gedächtnisbildungsprozess wurde auf die Wertmaßstäbe untersucht, mit Blick auf die Zeithorizonte der spezifischen Gegenwarten. Dabei war grundsätzlich eine eher praxeologische von einer repräsentationsbezogenen Untersuchungsebene zu unterscheiden: Die Überlieferungs- und Wirkungsabsichten der Familie verherrlichten vor allem das Tucherbuch, dessen monumentale Erscheinung seinen Entstehungsprozess vergessen lassen könnte. Die kulturgeschichtliche Untersuchung sollte Repräsentationsformen und Wahrnehmungen historisieren, so dass die Entstehung des Tucherbuchs als längerfristiges geschichtskulturelles Engagement und als Repräsentationsabsicht in den Blick kam. Um die Repräsentationsleistung festzustellen, wurden verschiedene Fassungen der Tucherschen und der Nürnberger Geschichtsschreibung sowie die Quellengruppe der Briefe vergleichend herangezogen. Die untersuchten Briefe überbrückten die räumliche Distanz der Söhne zum Vater in Nürnberg und gewährleisteten erzieherische Kommunikation zwischen 1517 Zur Einbettung dieser Medien in die städtischen Geschichtskulturen vgl. 1.2 w. o.

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Abwesenden.1518 Das Briefeschreiben war, so lässt sich festhalten, ein prägender Bestandteil des Curriculums während der kostspieligen Auslandslehre. Im Kern bestätigte sich die Ausgangsthese, dass die konkrete Lebensrealität der Söhne zwar von den Briefen zum Teil gespiegelt wurde, dies aber, wie die Wiederholungen zeigten, durch topische Elemente im Rahmen der bestehenden Briefkonventionen. Sowohl väterliche Mahnbriefe als auch in Nürnberg eingegangene Briefe der Söhne waren in textlicher Hinsicht vom Kommunikationszusammenhang geprägt; die während der Erziehung entstandenen Briefe sind klassische Diskurseffekte, die sich ausnahmslos in ihrer Referenz auf belehrende Erziehungs- und Ratgeberliteratur aufschlüsseln lassen. Erziehungsziel war die möglichst genaue Befolgung der Muster, daher die Identität in Ausdruck, Aufbau und die verlässliche Frequenz der Briefe. Der im rechtzeitigen und regelmäßigen Versand des Briefes bestehende Eigenwert wird in den Erinnerungen der Väter an das Briefeschreiben deutlich. Gelegentlich finden sich daher Briefe, die ausschließlich geschrieben wurden, um die Frequenz beizubehalten, vermerken sie doch, es sei nichts mitzuteilen. Der regelmäßige Austausch bildete somit eine kommunikative Normallage, die in Bezug auf den kommunikativen Eigenwert der Briefhäufigkeit als ›Scheinkommunikation‹ bezeichnet werden kann.1519 Zum habituellen Senden regelkonformer Briefe gab es offenbar besonders während der Ausbildungsphase keine Alternative. Die Briefe können geradezu als ›Stilübungen‹, als perfektionierte rhetorische Selbstbeschreibungen gelten. Das Ausdrucksrepertoire des Mediums bestimmte mit, was sagbar war ; dem Ausdruck situativer Emotionalität wurde kein Raum gegeben, der nicht durch Sprachmuster definiert und vom Vater erwartet war. Die rekursive Erfüllung von Erwartungen war jedoch nicht inhaltsleer, sondern besaß als solche eine wichtige erzieherische Funktion und war somit Handlung. Die Söhne konnten auch Aushandlungsversuche unternehmen, und in der Sprache des Vaters eigene Fehler rechtfertigen oder Wünsche formulieren. Im Mittelpunkt des Kommunikationssystems stand vor allem die Kontrolle der Söhne und ihrer Schreibkompetenz. Die Briefe während der Zeit der Ausbildung könnten unter pragmatischen Gesichtspunkten als eine eigene kommunikative Gattung angesehen werden. Eine Geschichte der Emotionen an Hand des gelegentlich verlockend konkret und unmittelbar erscheinenden Quellenmaterials müsste die rhetorischen Gepflogenheiten von Selbstbeschreibungen und die kommunikativen Codes als Interpretationsebene berücksichtigen. Briefe waren an Abwesende gerichtet und enthalten rhetorisch und topisch konditionierte Selbstaussagen, so dass die forschungslogische Konsequenz ist, diese Quellen als strukturell fiktional zu kategorisieren. 1518 Zu den Kontinuitätsstrategien vgl. 2.1 und 2.2. 1519 Vgl. 2.3.

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Die qualitative Lektüre der Briefe zeigte einen variantenreichen und zugleich redundanten Ausdruck, wobei sich insbesondere in den Wiederholungen der soziale Sinn des Briefeschreibens abbildet, beruhten sie doch offensichtlich auf den von den Söhnen antizipierten väterlichen Erwartungshaltungen. Die nachweisbaren regelmäßigen Kontakte mit der Mutter traten der Zentralposition des Vaters lediglich zur Seite. Die Briefe legitimierten die schreibenden Söhne auch dann, wenn die älteren Brüder die Lernfortschritte der jüngeren ohnehin schilderten. Die identitätskonstituierende Leistung der Briefe bestand in der Aktualisierung von bereits vorher feststehenden Wissensbeständen und Werten. Vertrauen wurde gerade dadurch aufrechterhalten, dass Originalität besonders bei Ausdrücken emotionaler Nähe unterbunden wurde. Erst auf dieser Basis konnten dann auch aktuelle Informationen und Tagesnachrichten und mehr oder weniger persönliche Wertungen ausgetauscht werden. Die den Briefen eingeschriebenen Werte entstammen einer Familienimagination, die sich in vielfältigen Quellen manifestierte. Im Rahmen der Familie selbst wurden so Memoriale hergestellt, die als Wort des Familienvaters gemeinsam mit dem Gotteswort sonntäglich zu lesen waren. Weitere, die erziehungskonformen Briefe vorstrukturierende Quellen waren Wickrams »Knabenspiegel« und literarische Verarbeitungen des biblischen Buchs Jesus Sirach. Die intertextuellen Analogien zwischen verbreiteter Erziehungsliteratur und den Briefen der Tucher zwischen Jung und Alt reichen bis zu wörtlichen Übereinstimmungen, was auf eine gemeinsame epistemische Grundlage hinweist. Daß Verstöße im Grunde ganz fehlen, erklärt sich durch die kommunikative Gattung, allerdings auch durch die Überlieferungsabsichten und -chancen für Briefe. Die Alterität der Briefe beruht auf der Kommunikationssituation. Dazu zählt die Entstehung der Briefe im Betreuungskontext während der Lehre, aber auch der Transport und die häufig durch die Brüder oder Vertraute erfolgende Übergabe der Briefe sowie nicht zuletzt, dass die Briefe zu erzieherischen Zwecken (mehrfach) gelesen wurden. Darauf weisen – bis auf wenige briefliche Anmerkungen – die Archivierung der Briefe und die auch vom Vater verfertigten Briefkopien hin. In diesem interpretatorischen Horizont müssen die häufig unmotiviert oder repetitiv wirkenden Briefe gelesen werden. Dieser kommunikativen Dimension von Briefwechseln tritt eine Erinnerungsdimension hinzu. Briefe zwischen Jung und Alt implementierten Werte in das Kommunikationssystem und exemplifizierten Erfahrungswissen als beglaubigte Tradition. So konnten die Briefe im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts offenbar kurz- und mittelfristig identifikatorische Valenz besitzen und im Rahmen der Auslandslehre ein prinzipielles Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung in einer durch sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Wandel unsicher gewordenen Gegenwart ausdrücken. Explizitere Reaktionen auf zeitgebundene Bedürfnisse nach Selbstvergewis-

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serung bietet jedoch die Geschichtsschreibung der Tucher. Zu Beginn der Untersuchung stand die Arbeitsthese, dass Zeitvorstellungen, genealogische Ordnungen und Vergangenheitsdarstellungen stets in hohem Maße und daher auch zeitversetzt unterschiedlich konstruiert waren. Die Tuchersche Geschichtsschreibung wurde daher zunächst ihrer Entwicklung nach dargestellt. Dabei wurden in verschiedenen Zeithorizonten entstandene Geschichten anderer Familien zum Vergleich herangezogen, um die historiographische Arbeitsweise des Verfassers, des gelehrten Juristen Christoph Scheurl, mit Blick auf die Tucher anzudeuten. Nach dem Tod Scheurls, ab der Mitte des 16. Jahrhunderts, verfolgte die Tuchersche Familienstiftung immer stärker geschichtskulturelle Zielsetzungen. Durch die jährlich angesetzten Treffen institutionalisierte sich ein familiärer Wille, in dem die verheirateten Männer entscheidenden Einfluss besaßen. Die Repräsentation der Familie beruhte während der frühen Neuzeit zentral auf der Dokumentation ihrer Geschichte, wie die Planungstätigkeiten und nicht zuletzt auch die Anlage von Exzerpten aus Stiftungsrechnungen zeigten. Obwohl mehrere Fassungen hergestellt wurden, ist in den Stiftungsunterlagen stets nur von dem Tucherbuch die Rede; auch werden die Kosten für mehrere Fassungen, für die Sicherung eines Epitaphs und für einen heute verlorenen Stammbaum in die Herstellungskosten des Tucherbuchs mit eingerechnet, um dessen Wert noch höher erscheinen zu lassen. Auch der älteren Forschung war prinzipiell bekannt, dass die Investitionen in die kunsthandwerklich und thematisch konsequent durchstrukturierte Prachtversion des Tucherbuchs erheblich gewesen sein mussten. Diese Feststellung ließ aber vergessen, dass »das TucherBuch« über einen langen Zeitraum hergestellt und bereits seit 1565 erwünscht und geplant gewesen war. Die Tucher dokumentierten die Planungsstadien in einem eigens dafür hergestellten Auszug der Stiftungsrechnungen. Dieser ermittelt die für das letzte Drittel des 16. Jahrhunderts ganz erhebliche Zahl von 2200 Gulden. Diese Summe im Rechnungsauszug »TucherBuch« enthält jedoch auch Zahlungen an Familienmitglieder, die für ihr Engagement entlohnt werden sollten. Ebenso werden Kosten für eine – möglicherweise als Konzeptfassung gedachte – Papierfassung und einen dann wohl bald aufgegebenen Stammbaum mit in die Rechnung eingefügt.1520 Die Selbstthematisierung zeigt, dass das ab dem frühen 17. Jahrhundert in Stiftungsunterlagen so genannte »Große Tucherbuch« in den Repräsentationsabsichten und der Wahrnehmung Element der gesamtfamilären Geschichtskultur war. Die tradierenden Absichten nicht zuletzt der Buchhaltungspraxis haben möglicherweise dazu beigetragen, dass die früheren Fassungen des Tucherbuchs 1520 Vgl. 3.1, 3.2 und 3.3.

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bislang nicht als eigenständige Vergangenheitsbilder in den Blick gekommen waren. Jedenfalls ist der Kenntnisstand zur Werkgenese seit der ersten Untersuchung 1962 nicht kritisch hinterfragt worden, so dass die Fassungen des Tucherbuchs vor der Prachtversion nur unvollständig zur Kenntnis genommen und teilweise falsch zugeordnet wurden. Die familiäre Gedächtnisbildung konnte damit nicht in den Blick kommen. Die Prachtversion hatte suggeriert, dass der Humanist Dr. Christoph Scheurl der Autor dieses 1590 vorliegenden Buchs gewesen sei, um daraus einen Qualitätsanspruch abzuleiten. Dabei wird im Tucherbuch häufiger von Scheurl im Kontext etwa von Quelleneinsichtnahme gesprochen; über ihn wird in der historischen Darstellung berichtet, er habe bspw. Urkunden selbst zur Hand gehabt. Allein daraus hätte hervorgehen müssen, dass die historische Darstellungsweise im Tucherbuch von 1590 gegenüber der Scheurlschen Fassung grundlegend überarbeitet worden sein muss, Scheurl aber keineswegs der Autor sein kann. Die Umarbeitungen umfassen auch eine neue Vorrede, die in bemerkenswerter Weise ein reformatorisches Zeitkonzept aufzeigt. Der mit großem Aufwand präsentierte Text ist gemäß den Sinnbereichen des Generationsdiskurses gegliedert. Diesen im Wesentlichen drei Bestandteilen, Schöpfung, vererbende Weitergabe und Identität der sozialen Gruppe, hatte die Untersuchung zu folgen. Die Familie Tucher gestaltete das Bild ihrer eigenen Vergangenheit in einer Form, die ihr für die dauerhafte Weitergabe bis zum erklärtermaßen – so die Vorrede des bislang unbekannten Theologen – bald erwarteten Ende der Welt passend erschien. Dargestellt werden sollten vor allem die familiäre Fortpflanzung und soziale Reproduktion in der Vergangenheit, die aber durch Kontinuität nicht von der Gegenwart oder der Zukunft losgelöst gedacht wurde. Die Ahnen wurden präsent gemacht, um in christlicher Perspektive die Zukunft der kommenden Generationen durch die Exemplifizierung tugendhafter Lebensläufe in der Vergangenheit zu sichern und der Gegenwart eine Orientierung zu bieten, so dass der Widerspruch zwischen Apokalyptik und familiärer Kontinuitätsperspektive aufgelöst wird. Diesen Zweck unterstreichen die Materialwahl und die besonders hohe kunsthandwerkliche Qualität, wie besonders die stilmäßig hochwertig konnotierte und aufwändig ausgeführte Schriftgestaltung. Auf der narrativen Ebene fallen die intensiv den Leser lenkenden Paratexte auf, die im Zusammenspiel untereinander und im Zusammenhang mit der auffälligen Bebilderung die Darstellung distinguiert erscheinen lassen. Die in dieses komplexe Medium eingeschriebene genealogische Struktur wird dabei ausführlich theologisch begründet. In Scheurls Widmung von 1542 wird »Glori« – im Sinne des Chasseneuz’schen Stufenmodells – als familiäre Ehre dargestellt und in das Spannungsfeld der Determinanten Schicksal und Verdienst gestellt. Im Kontext der familiären Ehre wird unter »Generation« der vom Menschen mitverantwortete, im Kern aber göttlicher Gnade entspringende Vorgang pro-

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kreativer Neuschöpfung und sozialer Weitergabe und Übertragung verstanden. Das mit dem lateinischen Wort »generatio« bereits vorgegebene Wortfeld Geburt und Erbe wird mit christlichen Elementen von Schöpfung, Fortexistenz und Seligkeit durchsetzt. Die Baumdarstellung der als »Generation« gezählten Männer unterstreicht diesen Zusammenhang. Die Ikonographie durchwachsender Bäume war zuvor für die Geschichte geistlicher Orden benutzt worden, konnte im 16. Jahrhundert aber offenbar mit neuen Interpretamenten besetzt werden. In der Interpretation der Widmung Scheurls und der Vorrede wurde gezeigt: Das Konzept »Generation« erweiterte seine Semantik von einer Einheit der horizontalen Gliederung der Ahnentafel, einer genealogischen Zählkategorie, zu einer Bezeichnung der in der familiären Geschichtsschreibung dokumentierten fortdauernden Ehre, die durch Tugend der Vorfahren und vor allem durch göttliche Gnade in der Zukunft sicher sei. Das weiterzugebende familiäre Erbe wurde nicht als historisch abgeschlossene Kenntnis der Taten der Vorfahren aufgefasst, sondern essentialistisch als Garant von Heilsgewissheit,1521 so die nach den semantischen Bereichen des Generationsdiskurses gegliederte Vorrede des Tucherbuchs. Ausgehend von der Dreieinigkeit Gottes und von der Schöpfung, der Kontinuität herstellenden Übertragung des Erbes und seiner Konkretisierung im Identitätsdiskurs der sozialen Gruppe entfaltet die »Vorred« den Generationsdiskurs.1522 Die im Stil einer Predigt nachempfundene, sermonartige Darstellungsweise der ausführlichen Vorrede könnte die Grundlage für die prägnante Formulierung im »Beschluss« des Scheurlbuchs gewesen sein. Der »Beschluss« deutet die Geschichtskultur in der Form von familiengeschichtlichen ›Stammbüchern‹ zwar auch als einen Dokumentationsvorgang realgeschichtlicher Personen, die aber durch ihre historiographisch fixierten Tugenden auch religiös überhöht werden. Der religiöse Doppelsinn eines Stammbuchs ist im Wunsch ausgedrückt, dass die genannten und zukünftig zu nennenden Familienmitglieder auch in den Himmel, das ewige »Stammbuch der lebendigen«, eingingen.1523 Aus theologischen Gründen wird also in der irdischen Welt ein Sinnüberschuss wahrgenommen. Das verleiht der Familiengeschichte eine Heilsdimension, wie auch den reformationsgeschichtlichen Ereignissen, der Exegese und der protestantischen Selbstbeschreibung. Die allegorische Deutung etwa der historischen Person Luther verknüpft Geschichte und Heilsgeschichte eng miteinander. Die auf diese Weise konzipierte Familiengeschichte wird, wie Stiftungsunterlagen belegen, neu strukturiert in »Stammlini« und »Generatio1521 Vgl. 4.2.2, 4.2.3. 1522 Die Gliederung von 4 lehnt sich an diese Bedeutungsbereiche an, vgl. als Exposition 4.1, bes. 4.2, 4.3 und 4.4. 1523 Vgl. zur Entwicklung der paratextlichen Sinnbildung 3.3.1, zum theologischen Verständnis der Familiengeschichte 4.2.3.

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nes«.1524 Diese reflektierte Änderung des Wortgebrauchs überträgt die Semantik von »Generation« als positive Verlaufs- und Orientierungskategorie der Familiengeschichte aus dem seit 1542 beibehaltenen Widmungsschreiben Christoph Scheurls in die genealogische Struktur.1525 Dem Interesse an »Generation« als erneuerter genealogischer Kategorie und familiengeschichtlichem Sinnbegriff liegt zu Grunde, dass Geschichtsschreibung stets ein Ordnungsprinzip unterlegt ist. Die im Laufe des 16. Jahrhunderts planmäßig vorgenommenen Veränderungen der genealogischen Ordnung in der Tucherschen Familiengeschichtsschreibung sind damit als veränderte Sinnbildung zu verstehen. Die beschriebenen Veränderungen bieten Aufschluss darüber, auf welche Weise der Familiengeschichtsschreibung immer stärker religiöse Sinnmuster eingeschrieben wurden. Die folgende Untersuchung weist die Komplexität des genealogischen Sinnsystems auf und gibt damit gute Gründe für die zukünftige Einbeziehung der als paradigmatisch zu erachtenden italienischen Vorbilder wie der libri di famiglia.1526 Am Anfang der hier behandelten Tucherschen Familiengeschichten stehen die so genannten »Collectaneenbände« von Christoph Scheurl, die auf Grund des derzeitigen Erforschungsstands nur konstatierend als Beginn der Scheurlschen familienhistoriographischen Aktivität dargestellt werden konnten. In den daraus hervorgegangenen familiengeschichtlichen Arbeiten demonstriert Scheurl die Absicht, den eigenen Status zu erhöhen. So enthalten von ihm verfasste Familiengeschichten ausführliche Widmungen und Darstellungen seiner Person. Scheurl fokussiert nicht ohne Grund mit Herdegen Tucher (†1462) denjenigen Tucher, der seine Tochter einem Scheurl zur Frau gegeben hatte und damit Scheurls Verwandtschaft mit einer patrizischen Familie begründet hat. Die familiengeschichtlichen Arbeiten Scheurls belegen die Unsicherheit und die intensive Suche nach angemessenen genealogischen Kategorien, die u. a. zwischen »generacion«, »lini« und »grad« changieren.1527 Teilweise wechselt die Benennung in ein- und demselben Buch, lediglich die Durchnummerierung der Familienmitglieder, ein Signum der Geschichtsschreibung Scheurls, bleibt relativ konstant. Die Geschichtsschreibung nach 1542 war stärker als zuvor von den Rücksichten familiärer Gedächtnisbildung geprägt, lange jedoch, ohne eine eindeu-

1524 Vgl. für den Prozess der Neuordnung 3.1.3. 1525 Zum Wortgebrauch »Generation vnd Glori« vgl. 4.1. 1526 Ein vielversprechender Vergleich sollte idealerweise bei vorliegenden Untersuchungen anknüpfen, vgl. etwa die behutsam auf Gattungsfragen abzielende Darstellung in Weiand, Libri di Famiglia, 318. 1527 Zur Frage der familienhistoriographischen Kategorien in Scheurls Geschichtsschreibung vgl. 1.5.3.

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tige Lösung für die Familienordnung zu finden.1528 So enthält noch das Tucherbuch von 1570 eine Zählung nach »grad« und »linea«, jedoch changieren hier Zusätze im Wortfeld »Plutstammens«. Die Unterlagen der Tucherschen Familienstiftung ermöglichen den Nachweis, dass 1590 eine einheitliche Benennung angestrebt wurde, nämlich ausdrücklich in der Form von »Stammlinie« und »Generation«. Diese programmatische Umbenennung ist Teil des konfessionell-religiösen Sinnsystems. Demnach eröffnet erst die durch Luthers Hilfe richtig verstandene Offenbarung den Blick auf die Schöpfung des Menschen durch Gott, die in enge Abhängigkeit mit der Zeugung von Nachkommen in der Familie gesetzt wird. Diese Form der ›Generation‹ schafft die »Seeligkait« sichernde göttliche ›Generation‹ des Menschen im Grunde immer wieder neu. Die Ehe und die darin geborenen Kinder schaffen und erhalten die Kirche als auch physische Gemeinschaft der Gläubigen. Die Schöpfung, die weiterzugebende Heilsbotschaft, die ›geistliche Erhaltungsweise‹ der Menschheit und die biologische Prokreation bilden einen untrennbaren, zeitlich undifferenzierten Wirkungszusammenhang, der nach allgemeiner Erläuterung auf die Tuchersche Familiengeschichte verengt wird. Dieser theologische Komplex verlangt es, Gott auch, ja gerade in einem Geschlechterbuch zu loben, das die Nachkommen der Zukunft an die Werte der Vorfahren erinnern soll. Mithin war Gott für den Familienerfolg als Gnadenerweis zu danken, der durch pragmatische Geschichtsschreibung, die sich in topischen Beteuerungen und katechetischen Gebotskatalogen an die Nachkommen wendete, gesichert werden sollte. Das Tucherbuch von 1590 deklariert zwar noch immer eine übertragende Weitergabe, dies war jedoch schwerpunktmäßig ein konstruiertes, zeitgebunden, im Geiste konfessionalisierten Luthertums umgedeutetes Erbe. Auch die Identität der sozialen Gruppe ist Teil der familiären Selbstthematisierung in den Paratexten. Wie der Wappentraktat zeigte, werden einerseits auch vom Adel Verdienste erwartet, die omnipräsenten Adelsinsignien jedoch ausdrücklich in Zweifel gezogen und ethisch als lediglich kriegerische Siegeszeichen hinterfragt. Erhebungen in den Adelsstand werden relativiert, so sei der Titel der »Ehrn vnnd Ehrnstanden« bei den bereits zuvor turnierbeteiligten Tucher gleichsam bestätigend hinzugetreten. Die in die Turnierlegende projizierten Hoffnungen und die ebenfalls thematisierten Zweifel daran führen um 1542 sowie affirmiert, erneuert und erweitert um 1590 zu großen Anstrengungen, um diesen in der Familiengeschichtsschreibung patrizischer Geschlechter in Nürnberg klassischen Erzählkern dennoch wirksam heranziehen zu können. Die patrizische Familie musste sich gegen neureiche nichtpatrizische Familien wehren, wie auch den erworbenen Status gegenüber dem Adel behaupten. 1528 Zu dieser Phase der Familiengeschichtsschreibung familiärer Autorschaft vgl. 1.5.4.

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Zwischen Dynastien des Adels, patrizischen Geschlechtern und Mittelschichtfamilien läuft ein historiographischer Distinktionswettbewerb ab, der historische Identitätsdiskurse strukturiert. Der Kaiser wird historisch zu einer positiven, der Papst zu einer negativen Integrationsfigur für die Identität der als exemplarisch kaisertreu dargestellten Stadt Nürnberg stilisiert, mit stereotypen Anleihen bei der offiziösen Geschichtsschreibung. Auch der angebliche Verlust von spätmittelalterlichen Quellen der Nürnberger Geschlechter wie der Tucher wird im Grunde einer böswillig herbeigeführten Störung der Ordnung im Reich zugeschrieben, wie auch der Aufstand von 1349 herangezogen wird, um einen Nürnberger Patriotismus mit Blick auf die reichsstädtische Patriziatsregierung zu stärken. Der aus der Stadtgeschichte abgeleitete patrizische Führungsanspruch wird auch für die Gegenwart als Ordnungsmodell angesehen, der der kurzfristigen Unordnung, »wie dann kein Auffrhur lang bestehen kann«, gegenübergestellt wird. Die mit Luther verbundene unverfälschte Annahme der Heilsbotschaft wird aber nicht als Bruch sondern als Hinwendung zum Heil selbst und somit als eine progressive Abwendung von der Verdammnis interpretiert. Als religiöser Reinigungsprozess konstatiert, wird die Reformation dann als eine natürliche Fortentwicklung aufgefasst. Die zu einem Zentraldogma erhobene lutherische Kreuzestheologie prägte auch den vorderen Buchdeckel des Großen Tucherbuchs, auf dem anstelle des zu erwartenden Familienwappens eine Kreuzesabbildung zu finden ist, die die Außerzeitlichkeit der Heilsperspektive andeutet. Die Kontinuität erzeugende Darstellung der Kirchengeschichte unterbindet nicht die Darstellung von Formen älterer Frömmigkeit. Offenbar bestand ein die Konfession übersteigendes Interesse an der Erinnerung religiöser Handlungen im städtischen Raum; gestiftete Jahrtage, Kirchenfenster, liturgische Gegenstände bleiben integrale Bestandteile der Erinnerungskultur. Der konfessionelle Diskurs ermöglicht eine Rede von der Familie, von »vilgedachte[n] vnsere[n] Leuth[en]«, in der Form einer progressiven Chiffre, die auch die Zukunft der Tucher bezeichnet. Das auf lange Dauer hin angelegte – dann aber im Wesentlichen nicht über das erste Drittel des 17. Jahrhunderts hinaus fortgeführte – Tucherbuch ist insofern generationenübergreifend. Im Sinne »vnsere[r] trewe[n] Christliche[n] wolmainung« ist es in die real- und heilsgeschichtliche Zukunft gerichtet.1529 Die familiäre ›Generation‹, die beständige Weiterführung des Namens und die Weitergabe der dokumentierten Werte ist zugleich Vermächtnis für die Nachkommen wie auch Zeichen für die erwiesene göttliche Gnade. Die Tucher sind daher Multiplikatoren des Glaubens als Verkündigungsgegenstand und zugleich Zeichen des Heils, verkörpert durch die Geschichte dieser Familie. Diese Gleichzeitigkeit von Vergangenheits-, Gegen1529 Vgl. dazu 4.3, bes. 4.3.3.

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warts- und Zukunftsperspektive ist der hermeneutische scopus der Geschichtskultur und des Erinnerungsdiskurses der Tucher. Das reformatorische Zeitmodell tritt erst im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts auf. Die repräsentative Geschichtskultur zeigt eine Entwicklungstendenz, in deren Rahmen die »Vorred« die in Familiengeschichten übliche Vorwortkultur schon dem Umfang, vor allem aber dem Gegenstandsbereich nach steigert. Von diesem Befund ausgehend ließe sich der nachgezeichnete Wandel der Interessen im städtischen Rahmen Nürnbergs im späten 16. Jahrhundert in familien- und konfessionenübergreifender Perspektive als Generationenwechsel im Sinne der Mannheimschen Soziologie deuten. Das würde das Untersuchungsergebnis allerdings mit beinahe essentialistischen Thesen befrachten, die für die hier vorgenommene Interpretation des historischen Sinns von Repräsentationszeugnissen keinen Mehrwert bietet. Sowohl in Briefen als auch in Geschlechterbüchern erschienen Generationenaussagen in erster Linie als zu bestimmten Zwecken geäußerte Setzungen, sei es der mahnende Vater oder Scheurls Rechtfertigung einer erneuten Fassung des Geschlechterbuchs nach dem Tod des früheren Widmungsempfängers. Die belehrenden oder rechtfertigenden Zwecke mindern nicht den Überzeugungswert der Äußerungen, diese fügen sich jedoch nicht in die Interessen einer historischen Generationensoziologie ein. Von Generationenzuschreibungen wurde auch dann kein systematischer Gebrauch gemacht, als die veränderte Sinngebung familiengeschichtlich, konfessionell und politisch bedeutsamer Symbole der Tucher sich im Rahmen der Stiftungstätigkeit den verantwortlichen Tucher zuordnen ließ. Im Vordergrund steht, dass den genealogischen Informationen ein geistlicher Sinn unterlegt wurde, um sie religiös im Sinne des Generationsdiskurses zu überhöhen, was im Vordergrund der zeitgebundenen Rekontextualisierung der historischen Darstellung stand. Paratexte, Texte und Abbildungen zeigen den Generationsdiskurs als den entscheidenden Formfaktor der historischen Darstellung. Die Repräsentationskultur verkörpert und beschwört Kontinuität, was wesentlich als Selbstvergewisserung der Familie in einer tiefgreifenden gesellschaftlichen und konfessionellen Krise zu interpretieren ist. Die Familie wird als ›Zeitkörper‹ konstruiert, in dem Sinne, dass zu einer bestimmten Zeit ein historisch konturiertes, genealogisch geordnetes Objekt geschaffen wird. Die Überlieferungssituation lässt dabei einerseits deutliche Erinnerungsschichten erkennen. Dennoch ist die Textgenese der Familiengeschichtsschreibung noch viel komplexer, beruht sie doch vor allem auf Veränderung und Fortschreibung. Das macht die familiengesteuerte, von langfristig existierenden Institutionen gesicherte handschriftliche Geschichtsschreibung weiter interpretationsbedürftig. Im Gegensatz zu dieser Entwicklungsperspektive hatte die bisherige Forschung sich offener dafür gezeigt, ihre eigenen Erwartungen an dieses familiäre Projekt an den historischen Wirkungsabsichten des Tucherbuchs aus-

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zurichten und die mit monumentalen Absichten zur Gedächtnisstiftung tradierten Angaben zu den immensen Kosten, zur Autorschaft und zu einem im Werk selbst angegebenen Zeitpunkt der Fertigstellung weitergetragen. Die zahlreichen Nachträge, Korrekturen und Neuansätze zeigen aber auch die intensive Vergesellschaftung und den hohen Stellenwert der Geschichtsschreibung für Identitätsfragen auf. Ihr kam die Aufgabe zu, die Herkunft der Familie, ihre fortwährende Neuschöpfung durch biologisches und kulturelles ›Vererben‹ zu sichern. Die Untersuchung der Bedeutungen und Verwendungsweisen des Wortes »Generation« zeigte, dass sowohl familiäre Beziehungen zwischen Jung und Alt als auch genealogische Quellen von religiösen Sinnmustern im Sinne des Generationsdiskurses strukturiert waren. ›Generation‹ war eine zeitgebundene Vorstellungsgröße, die in Medien der Geschichtskultur generiert wurde und zugleich das Selbstverhältnis des Historischen abbildet.1530 Insofern wurde »Generation« zu einem unersetzbaren Grundbegriff.

1530 Sandl, Historizität der Erinnerung, 118.

6. Dank

Für konstruktive Gespräche, verlässliche Unterstützung und für positiven Druck danke ich den Betreuern der Dissertation, Herrn Prof. Dr. Klaus van Eickels (Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte) und Herrn Prof. Dr. Mark Häberlein (Lehrstuhl für Neuere Geschichte). Mein Interesse an Generationenbeziehungen und ihren kulturellen Ausprägungen wurde durch die Kombination der verschiedenen Perspektiven erheblich angeregt, war stets Ansporn, die Generationenthematik quellengerecht zu operationalisieren und einen eigenen guten Weg zu finden. Herr Prof. Dr. Mark Häberlein ermöglichte seinem Assistenten im Februar 2009, eigene Vorschläge zu einer Tagung zum Thema »Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (ca. 1250 – 1750)« einzubringen. Das Ergebnis der wie immer sehr intensiven und auch menschlich angenehmen gemeinsamen Bearbeitung der Beiträge wird zeitgleich mit der vorliegenden Veröffentlichung in der Reihe »Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven« im Universitätsverlag Konstanz erscheinen. Die exemplarische Anwendung der Generationenthematik war auch für den Abschluss der Überarbeitungen zur Drucklegung der vorliegenden Dissertation förderlich. Die vorliegende Arbeit wurde vom Graduiertenkolleg 1047 der DFG »Generationenbewusstsein und Generationenkonflikte in Antike und Mittelalter« an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg gefördert, so dass die Dissertation unmittelbar nach Ablauf der Förderung am 16. Oktober 2007 an der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg eingereicht werden konnte. Die mündliche Prüfung wurde am 10. Dezember 2007 absolviert. Ich danke stellvertretend den Sprechern Prof. Dr. Hartwin Brandt und Prof. Dr. Ingrid Bennewitz für die unbürokratische Förderung durch ein Promotionsstipendium seit dem Wintersemester 2004/05 bis Sommersemester 2007, wie auch für die Bezuschussung von notwendigen Reisen in Archive und Anregungen zur Teilnahme an bereichernden und fokussierenden Tagungen. Für richtungsweisende Hinweise im Sommersemester 2004 in Heidelberg

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Dank

danke ich Herrn Prof. Dr. Bernd Schneidmüller. Ebenfalls noch am Ausgangspunkt der Arbeit standen Diskussionen in Tampere/Finnland 2005, bei der insbesondere die israelischen Teilnehmer europäische Traditionen der Memorialkultur anregend problematisierten, vor allem der Mediävist Prof. Dr. Michael Goodich (†2006, Haifa) und die Kunsthistorikerin Dr. Nirit Debby (Beer Sheva). In Bamberg waren auch die intensiven Diskussionen im Kreis der Stipendiaten des Graduiertenkollegs anregend. Das Vernetzungstreffen im Jahr 2006 mit dem Göttinger Graduiertenkolleg »Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert« war sehr klärend in Bezug auf die Frage, ob Generationalität als zumindest denkbares Phänomen für Gesellschaften prinzipiell aller Epochen konzipiert oder ausschließlich für das 19. und 20. Jahrhundert zugelassen werden sollte. Auf intellektuell anregende Weise stellte im Sommersemester 2007 Frau Prof. Dr. Sigrid Weigel in Bamberg konzeptionelle Eckpunkte der Erbschaftsforschung vor. Der Workshop bot die Gelegenheit zur eingehenden Diskussion historischer und genealogischer Ordnungen und Werte und der damit verbundenen Übertragungsabsichten. Weiterhin danke ich den Mitgliedern des Netzwerks der DFG »Historiographiegeschichte der frühen Neuzeit 1400 – 1800«, das sich unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Rau seit 2006 mehrfach in Potsdam und Dresden zu erinnerungs- und historiographiegeschichtlichen Diskussionen traf, die ein wichtiger Bezugspunkt meiner Arbeit waren. Herr Prof. Dr. Joachim Schneider gab spezifische Hinweise zur Nürnberger Geschichtsschreibung. Frau Prof. Dr. Birgit Studt gab zahlreiche hilfreiche Anregungen und stellte den Kontakt zu Prof. Dr. Franz Fuchs her, der mir freundlicherweise eine für meine Fragestellung wichtige und bis dahin in der Forschung unbekannte Quelle bereitstellte. Dr. Harald Bollbuck hat eine frühere Fassung der vorliegenden Arbeit aufmerksam gelesen und die Absichten der Arbeit mit Blick auf die lutherische Geschichtsschreibung konstruktiv und in freundschaftlicher Offenheit kommentiert. Seine Hinweise haben zur Präzisierung beigetragen. Herrn Prof. Dr. Gerd Schwerhoff danke ich für seine ausführliche Stellungnahme zu einer früheren Fassung der Arbeit, die von wesentlicher Bedeutung für die Überarbeitung war. Dr. Gregor Rohmann hat aus reicher Erfahrung mit Familiengeschichtsschreibung in freundlicher und offener Kollegialität seine Sicht geschildert und durch hilfreiche Hinweise und Fragen geholfen, die Ergebnisse behutsamer zu kontextualisieren. Britta Schneider hat eine spätere Fassung genau gelesen, wofür ich ihr herzlich danke. Zu danken ist nicht zuletzt den Archiven und Bibliotheken, die Ihre Bestände stets effizient und hilfsbereit zur Verfügung gestellt haben. Namentlich nennen kann ich hier nur Frau Erika Zeltner, Frau Dr. Christine Sauer sowie Herrn Dr. Michael Diefenbacher, Herrn Bertold Freiherr von Haller und Herrn Dr. Guntram Freiherr von Scheurl. Herr Bertold Freiherr von Haller ermöglichte mir bei

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mehreren Besuche im barocken Hallerschloss in Groß Gründlach (Nürnberg) umfangreiche Einsicht in die dort aufbewahrten Quellen und damit Einblicke in die Nürnberger Überlieferungs- und Archivsituation. Als unermüdlicher Korrespondent und exzellenter Kenner der Geschichte der Reichsstadt hält Herr von Haller eine in seiner Familie jahrhundertelange Tradition aufrecht. Seine kritische Lektüre und zahlreiche wichtige Hinweise sind in die Arbeit eingegangen. Manchen Rat verdanke ich Herrn Dr. Hartmut Bock. Die Kunsthistorikerin Dr. Maria Deiters (Berlin/Leipzig) gab Hinweise auf den Zusammenhang zwischen der von mir bearbeiteten Geschichtstheologie und der ikonographischen Gestaltung in Nürnberger Geschlechterbüchern. Unsere Diskussionen stimmen mich optimistisch, dass die für Historiographiegeschichte notwendige Interdisziplinarität möglich ist. Herrn Prof. Dr. Jürgen Reulecke und Frau PD Dr. Birgit Neumann (beide Gießen) danke ich für Ihre Bereitschaft, die Arbeit in die Reihe des Gießener SFB »Erinnerungskulturen« aufzunehmen, als deren Band 45 die für den Druck überarbeitete und ergänzte Dissertation erscheint. Im Göttinger Verlagshaus wurde die Arbeit von Frau Ulrike Schermuly zügig und umsichtig betreut, Frau Katharina Wöhl war auf der Seite der Produktion stets für alle Fragen der Gestaltung offen. Meine Eltern Rosemarie und Adam Kuhn haben das Dissertationsprojekt stets mit Interesse und wohltuender Fürsorge begleitet. Meine Frau, Dr. Bettina Full, hat das Manuskript mehrfach eingehend und kritisch gelesen, wofür ich ebenso herzlich danke wie für unsere intensiven Diskussionen. Die Verantwortung für im vorliegenden Buch verbliebene Einseitigkeiten liegt – trotz der Ausführlichkeit der Danksagung – allein bei mir. Greifswald, im August 2010

Christian Kuhn

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

7.1

Ungedruckte Quellen

Transkriptionsgrundlage sind die Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland e.V., 2009, vgl. www.ahf-muenchen.de (Zugriff am 4. Oktober 2009). Auf die Verwendung von Abkürzungen wurde bis auf MVGN (Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Nürnberg) verzichtet.

7.1.1 Die behandelten Tucherschen Familiengeschichten in chronologischer Auflistung Die folgende Liste stellt – zusätzlich zum Quellenverzeichnis – die behandelten Familiengeschichten der Tucher und verwandter Familien zusammen. Die Angabe des Autorennamen erfolgt nur für die Werke, die zu Christoph Scheurls Lebzeiten entstanden sind. Zwar wurden auch danach umfangreiche Texte Scheurls beibehalten, die Autorschaft der nach 1542 entstandenen Familiengeschichten als ganzen liegt jedoch bei der Familie (vgl. dazu 3.1). Arbeiten Scheurls: Scheurl, Christoph von, Pfinzing-Loeffelholz-Buch, 1526, StadtAN E 17/I, Depositum Freiherr von Loeffelholz, B 3, Loeffelholz Stammbuch A; Teil-Fotokopie im Archiv der Freiherren Haller von Hallerstein, Pfinzingarchiv PB 21 (teilediert in Eugen Freiherr Löffelholz von Kolberg: Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharina Fütterin am 29. August 1519, in: MVGN 3 (1881), 155 – 168). Scheurl, Christoph von, Familiengeschichte der Pfinzing, »Copi doctor Cristoff Scheurls buch so er Martin vnd Paulus denn pfinzting v[er]eret hat«, StadtBN Amberger 48 Nr. 479, 1526. Scheurl, Christoph von, Familiengeschichte der Fürer (Beigebunden Familienbuch Herdegen Tucher), StadtBN Amberger 48 Nr. 53, 1535.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Scheurl, Christoph von, Familiengeschichte des Herdegen Tucher, »gepurt, heirat vnd Tottenbuch des erbern Herdegen Tuchers, Elisabeth Pfintzingin seiner Ehewirtin vnd aller dero, die von inen geporn vnd abgestigen sein, innerhalb hundert jarn nemblich von 1440 bis auf 1540 jar« (Nachfahrentafel ausgehend von Scheurls Großvater Herdegen Tucher), StadtBN Amberger 48 Nr. 53, 1541. Scheurl, Christoph von, Beschreibung des erbern geschlechts der Zingel 1383 – 1542 (Germanisches Nationalmuseum Hs 6972a), 1542 (Ein weiteres Exemplar ist Österreichische Nationalbibliothek Wien, Hs. N M 60/72, Codex 12809). »Tucherbuch Rom« Scheurl, Christoph von, Tucherbuch, Bibliotheca Vaticana, Ross. 546 [vgl. Hans Tietze, Die illuminierten Handschriften der Rossiana in Wien-Lainz, Leipzig 1911, 19 mit Figur 26 (21)], teilweise mit Kostümfiguren, Wappenabbildungen; 1542. [Tucherbuch, beginnend mit fol. 21r], StadtAN E 29/II Nr. 47. [vermutlich eine Abschrift; Scheurls Widmung von 1542 kommt ganz vor, aber es fehlt eine neunte »Generation«, die im »Tucherbuch Rom« eingetragen ist], daher ca. 1526 – 1542 entstanden. »Tucherbuch London« Tucherbuch London [1565]; British Library London, Additional MS 19, 475) [gelegentlich mit der irreführenden Angabe »1542« zitiert]. »Tucherbuch 1570« Geburtstam[m] Vnnd Genealogia/ deß alt herkom[m]enden Geschlechts/ Der Tucher/ 1570 [Tucherbuch 1570, Verantwortung der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung, »Tucherbuch-Vorarbeiten B3«], StadtAN E 29/III Nr. 15 [darin 33 »linea«, die wohl in GTB als »generation« genannt werden wären, daneben hier noch »grad«-Einheiten gezählt]. Eventuell identisch mit einem in der Pfinzing-Bibliothek um 1800 nachweisbaren, aber verlorenen Exemplar (Handschriftlicher Versteigerungskatalog PfinzingBibliothek, 1819, Pfinzing-Archiv Großgründlach [darin: Nr. 2431, »Geschichte des von Tucherischen Geschlechtes beschrieben von Herrn Doctor Christoph Scheurl 1590. Es sind mehrere Fortsetzungen welche zum Theil bis in das erste Viertel des 18. Jahrhunderts gehen, beygeschrieben«]). »Tucherbuch 1590a« Tucherbuch, Papierhandschrift, StadtAN E29/III Nr. 17 (datiert auf 1590, Eintragungen bis 1701; nahe Vorlage des GTB. »Tucherbuch 1590b« StadtAN E 29/VI Nr. 2614 (ebenfalls Vorrede 1590, Eintragungen bis 1720). »GTB« StadtAN E 29/II Nr. 258, auch greifbar als kommentiertes und animiertes Faksimile Michael Diefenbacher/Horst-Dieter Beyerstedt (Hg.), Das Große Tucherbuch. Eine Handschrift zum Blättern, Stadtarchiv Nürnberg E 29 II 258, Eine CD-ROM herausgegeben vom Haus der Bayerischen Geschichte und dem Stadtarchiv Nürnberg, Augusburg 2004. [Durch unterschiedlich umgesetzte Planungen und später ausgeführte Nachtragungen und Änderungen ein familiäres Projekt des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts mit einer auf 1590 datierten Vorrede].

Ungedruckte Quellen

499

7.1.2 Alphabetische Gesamtliste der ungedruckten Quellen Die Aufstellung erfolgt, wo dies sinnvoll ist, nach dem Autornamen oder nach der Provenienz aus den heutigen archivischen Fundorten. Böring, Hieronymus, Beschreibung herkommen Des alt Adeliche[n] geschlechts der tucher, (1 Heft 88), Anfang 17. Jh., StadtAN E 29/II Nr. 59. Dürer, Albrecht, »The arms of Christoph Scheurl II; a WL female figure holding…« 1900,0613.17, Asset No: AN90903001 British Museum. Familienarchiv Behaim, GNM: – Behaim-Archiv 154, Brief vom 13. 2. 1612, GNM. Familienarchiv Ebner von Eschenbach, StadtAN E 56: – Kautz-Buch, (derzeit im Prozess der Verzeichnung). – Hertz-Buch, seit 1978 nicht auffindbar in »Archiv der Freiherren Ebner v. Eschenbach«, nach Transferierung in das StadtAN derzeit in Erschließung befindlicher Bestand, Abbildungen in Ludwig Veit, Cor humanum. Das Herz. Symbol, Allegorie und Emblem, Nürnberg 1983, 9 sowie in Gerhard Hirschmann/Franz Xaver Pröll (Hg.), 600 Jahre Genealogie in Nürnberg. Ausstellung der Stadtbibliothek Nürnberg anläßlich des 40jährigen Jubiläums der Gesellschaft für Familienforschung in Franken, Nürnberg 1961, unpaginiert. Familienarchiv von Tucher, StadtAN E 29: – Rechnungen über Kosten für das Tucherbuch 1609, StadtAN E 29/II Nr. 48. – Rechnungsbuch der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung, StadtAN E 29/III Nr. 161 – Gehaim-Buch, Darinn zu finden Der Anfang der Tucherischen Stitfftung, auch wass vndt von wem darzu gestifftet worden, Wer der Verwalther derselben gewest, Wass Sie Jährlichen von den gefällen vndt Einkommen erspahrt vndt angelegt haben, auch Wass sonsten bey den tuchermahlen oder andern Zusammenkünfften abgeredt vnd sonsten Denckhwürdiges gethan worden, Ingleichen ein kurtzer Entwurff, wie hoch dass Capital der Stifftung Jährlich geweßen ist, StadtAN E 29/II Nr. 1161 – [Tucherbuch], ca. 1526 – 1542, StadtAN E 29/II Nr. 47 [möglicherweise eine Abschrift von 1600, so eine Auskunft von Bertold von Haller 31. 10. 2008; beginnend mit fol. 21r] – [Tucherbuch] Geburtstam[m] Vnnd Genealogia/ deß alt herkom[m]enden Geschlechts/ Der Tucher/ 1570 [Tucherbuch 1570, Verantwortung der Dr.-Lorenz-TucherStiftung, »Tucherbuch-Vorarbeiten B3«], StadtAN E 29/III Nr. 15 – Tucherbuch, Papierhandschrift, StadtAN E29/III Nr. 17 (datiert auf 1590, Eintragungen bis 1701, auch Brief von Beyerstedt) Vorlage des Tucherbuchs in der Prachtversion – Tucherbuch, StadtAN E29/VI Nr. 2614 (mit einer auf 1590 datierten Vorrede, Eintragungen bis 1720) – Tucherische Monumenta das ist Ordentlich vndt Ausführliche Beschreibung aus den Stifftungs Rechnungen gezogen vnd zu besserer nachricht zusamm(en) getragen was wegen der Tucherischen Kirchenfenster Kirchenstühl Altär Bilder Lampen Deppicht Begräbnussen Todtentaffel Epitaphien Messgewänder vnd ander Kirchen Ornat auch auff die zwey Stüblein auff dem Collegio zu Altdorff dann zu vnterhaltung der Academi daselbst von Jahren zu Jahren aufgewendet vnd aus der Stifftung gezeicht worden

500

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ingleichen was das tucherbuch die Baar- oder Leichtücher vnd die Berlein Braut Cron gekosten haben MDCLII [Berichtszeitraum 1555 – 1731, entstanden 1652 – 1731] StadtAN E 29/III Nr. 14 – Tucherische Monumenta in Nürnberg und auswärtigen Kirchen, Lavierte und Kolorierte Handzeichnungen, 18. Jh., StadtAN E 29/II Nr. 1610 – Verzeichnus Wass denen Verwalthern der Tucherischen Stifftung zu ihren Jährlichen besoldung vndt Recompens wegen ihrer Laborum geben worden ist. Extracttus Auss dem Alten Tucherischen Gült- vndt Zinß Buch, StadtAN E 29/II Nr. 1161 – Verzeichnus Wass denen Verwalthern der Tucherischen Stifftung zu ihren Jährlichen besoldung undt Recompens wegen ihrer Laborum geben worden ist. Extractus Auss dem AltenTucherischen Gült- vndt Zinß Buch, StadtAN E 29/II Nr. 1163 – Verzaichnus was ich Paulus vnser des fürgenomen tucher puch halber, von wegen der selben Stifftung ausgeben, StadtAN E 29/II Nr. 46 (wie bei Schwemmer erwähnt: Kosten für das Tucherbuch 1574, darunter Maler Endres Salis 43 fl) Tuchersches Briefarchiv, Stadtarchiv Nürnberg, E 29/IV: StadtAN E 29/IV Nr. 4 StadtAN E 29/IV Nr. 5 StadtAN E 29/IV Nr. 13 StadtAN E 29/IV Nr. 140 StadtAN E 29/IV Nr. 272 StadtAN E 29/IV Nr. 282 StadtAN E 29/IV Nr. 341 StadtAN E 29/IV Nr. 385 StadtAN E 29/IV Nr. 404 StadtAN E 29/IV Nr. 485 StadtAN E 29/IV Nr. 489 StadtAN E 29/IV Nr. 491 StadtAN E 29/IV Nr. 492 StadtAN E 29/IV Nr. 503 StadtAN E 29/IV Nr. 504 StadtAN E 29/IV Nr. 511 Die folgenden Klassifikationstitel sind nach der Neuverzeichnung des Bestands archivisch überflüssig geworden, weil neue Signaturen vorliegen. Sie werden hier zusätzlich wiedergegeben, weil daraus die Struktur und die Dichte des Empfängerarchivs hervorgeht: – I 2 Christoph Tucher (26 Briefe und Rechnungen des Christoph Tucher [1524 – 1550] aus Lyon und seltener aus Genf, Saragossa und Barcelona 1543 – 1547 an seinen Vater Leonhart Tucher in Nürnberg) – I 4a Gabriel Tucher (29 Briefe des Gabriel Tucher [1526 – 1588] aus Lyon und Saragossa 1543 – 1554 an seinen Vater Leonhart Tucher in Nürnberg) und I 4b (42 Briefe und Rechnungen des Gabriel Tucher [1526 – 1588] aus Genf, Lyon und Saragossa 1544 – 1559 an seinen Vater Leonhart Tucher in Nürnberg) – I 5 Herdegen Tucher (33 Briefe und Rechnungen des Herdegen Tucher [1533 – 1614] aus Lyon 1547 – 1561 an seinen Vater Leonhart Tucher in Nürnberg)

Ungedruckte Quellen

501

– I 6a Hieronymus Tucher (47 Briefe und Rechnungen des Hieronymus Tucher [1502 – 1546] aus Lyon 1517 – 1531 an seinen Großvater Anton Tucher in Nürnberg bzw. an seinen Vetter Leonhart Tucher); I 6b (7 Briefe des Hieronymus Tucher [1502 – 1546] aus Lyon und seltener aus Genf 1524 – 1533 an seinen Vetter Leonhart Tucher in Nürnberg) – I 9 Levin Tucher (10 Briefe des Levin Tucher [1537 – 1594] aus Lyon 1553 – 1559 an seinen Vater Leonhart Tucher in Nürnberg) – I 10 Leonhart Tucher (9 Briefe des Leonhart Tucher [1487 – 1568] aus Nördlingen und Lyon 1520 – 1521 an seinen Vater Anton Tucher den Älteren) – I 10b Leonhart Tucher (Briefwechsel des Leonhart Tucher) – I 13a Paulus Tucher (31 Briefe des Paulus Tucher [1524 – 1603] überwiegend aus Wittenberg und vor allem 1544 – 1545 an seinen Vater Leonhart Tucher in Nürnberg) und I 13b (16 Briefe und Rechnungen des Paulus Tucher [1524 – 1603] aus Lyon 1547 an seinen Vater Leonhart Tucher in Nürnberg) Haller-Archiv und Pfinzing-Archiv, Großgründlach – Handschriftlicher Versteigerungskatalog Pfinzing-Bibliothek, 1819 – Stammbaum zur Pfinzingbibel, GNM (Faksimile). – Stammenbuch des Georg Pfinzing, 1620. – Pfinzing-Bibel [ca. 1568]. – Pfinzingsche Prachturkunden 1554/55, Original-Holzkisten mit Wappen. – Handelsbuch (ca. 1500), HAB Aug 18.4 48. Nürnbergisches Geschlechter- und Wappenbuch des Christoph Derrer, Staatsarchiv Nürnberg B 213. Pfinzing, Sebald, (»Sebaltt pfyntzing« [1487 – 1543]), Pfinzingersches [sic!] Stamm- und Wappenbuch, ca. 1530 StadtAN E 1/1255 Nr. 1. Scheurl d.Ä., Christoph, Hieronymus Hallers Regiment, in: Scheurlbuch B (alte Nr. 284) befinden, Scheurl-Archiv, GNM, fol. 332 – 333 [genannt in A. von Scheurl, Christioph Scheurl, Dr. Christoph Scheurls Vater, in: MVGN 5 (1884), 13 – 46, 16 – 17.] Darauf bezieht sich wahrscheinlich auch die Angabe Christoph von Scheurl, Scheurlbuch, Scheurl-Archiv, Germanisches Nationalmuseum, »Ab 274/284«, ca. 1542 in Pastenaci, Autobiographie. Scheurl, Christoph von, Beschreibung des erbern geschlechts der Zingel 1383 – 1542 (Germanisches Nationalmuseum Hs 6972a), 1542 (Ein weiteres Exemplar : Österreichische Nationalbibliothek Wien, Hs. N M 60/72, Codex 12809 Scheurl, Christoph von, Tucherbuch, Bibliotheca Vaticana, Ross. 546 [vgl. Hans Tietze, Die illuminierten Handschriften der Rossiana in Wien-Lainz, Leipzig 1911, 19 mit Figur 26 (21)] Scheurl, Christoph von, Pfinzing-Loeffelholz-Buch, 1526, StadtAN, E 17/I, Depositum Freiherren von Loeffelholz, B 3, Loeffelholz Stammbuch A; Teil-Fotokopie im Archiv der Freiherren Haller von Hallerstein, Pfinzingarchiv PB 21 (teilediert auch in Eugen Freiherr Löffelholz von Kolberg: Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharina Fütterin am 29. August 1519, in: MVGN 3 (1881), 155 – 168). Scheurl, Christoph von, »gepurt, heirat vnd Tottenbuch des erbern Herdegen Tuchers, Elisabeth Pfintzingin seiner Ehewirtin vnd aller dero, die von inen geporn vnd abgestigen sein, innerhalb hundert jarn nemblich von 1440 bis auf 1540 jar« (Nachfahrentafel ausgehend von Scheurls Großvater Herdegen Tucher einschließlich der Tochterstämme), StadtBN Amberger 48 Nr. 53.

502

Quellen- und Literaturverzeichnis

Scheurl, Christoph von, Familienbuch Fürer, (Beigebunden Familienbuch Herdegen Tucher), StadtBN Amberger 48 Nr. 53. Scheurl, Christoph von, Familienbuch Pfinzing, »Copi doctor Cristoff Scheurls buch so er Martin vnd Paulus denn pfinzting v[er]eret hat«, StadtBN StadtBN Amberger 48 Nr. 794. Scheurl, Christoph von, Scheurlbuch, Scheurl-Archiv, GNM, ohne Signatur [»Kleine Scheurlchronik«], Einträge ca. 1570 – 1600. Tucherbuch London [1565]; British Library London, Additional MS 19, 475. Ursprung der Geschlechten der ietzigen Rathsfähigen Herrn in der Kayserl[ich] Freyen ReichsStadt Nürnberg, HAB Cod. Guelf. 247 Blankenburg, ca. 1700.

7.2

Gedruckte und ediert vorliegende Quellen

Alberti, Leon Battista, Della Famiglia/Vom Hauswesen, hg. von Walter Kraus, München 1986. Amman, Jost, Im Frauwenzimmer Wirt vermeldt von allerley schoenen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber/ hohes vnd niders Stands/ wie man fast an allen Orten geschmueckt vnnd gezieret ist/ Als Teutsche/ Welsche/ Frantzoesische/ Engellaendische/ Niderlaendische/ Boehemische/ Vngerische/ vnd alle anstossende Laender. Durchauß mit neuwen Figuren gezieret/ dergleichen nie ist außgangen […]: Die Frauen Europas und ihre Trachten Nachdruck der ersten Ausgabe des »Frauen-Trachtenbuches« von 1586, hg. von Curt Grutzmacher, München 1971. Baader, Josef (Hg.), Nürnberger Polizeiordnungen aus dem XIII. bis XV. Jahrhundert (Bibliothek des literarischen Vereins 63), Stuttgart 1861. Beer, Johannes, Der [sic!] Berühmte Narren-Spital/ Darinnen umschweifig erzehlet wird/ was der faule Lorentz hinter der Wiese vor ein liederliches Leben geführet/ und was vor ehrliche Pursche man im Spital angetroffen habe. Denen Interessenten zum besten/ männiglich aber zu Verkürtzung der Melancholischen Stunden beschreiben und heraus gegeben/ Durch Hanß guck in die Welt: in: Das Narrenspital sowie Jucundi Jucundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Mit einem Essay ›Zum Verständnis der Werke‹ und einer Bibliographie, hg. von Richard Alewyn (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft), Hamburg 1957. Behaim, Lukas Friedrich, Liebesbriefe Lukas Friedrich Behaims an seine Braut Anna Maria Pfinzing 1612 – 1613, hg. von Anton Ernstberger, MVGN (44), Nürnberg 1953, 317 – 370. Behem, Johan, Ein Christlich Ratsbüchlin Fur die kinder. Aus den büchern Salominis vnd Jhesu Syrach/ vleissig zusamen bracht, Wittenberg 1532. Bruchhäuser, Hanns-Peter (Hg.), Quellen und Dokumente zur Berufsbildung deutscher Kaufleute im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Quellen und Dokumente zur Geschichte der Berufsbildung in Deutschland. Reihe C, 4), Köln 1992. Bry, Theodor de, Emblemata, Nobilitati Et Vvlgo Scitv Digna singulis historijs symbola adscripta et elegantes versus historiam explicantes. Accessit Galear[um] expositio, et Disceptatio de origini Nobilitatis […] Stam und Wapenbuchlein Wolgestelte und kunstliche Figurn, Sampt deren Poetischer erklärung, auch vo[n] Adels anku[n]fft beid

Gedruckte und ediert vorliegende Quellen

503

für Adelsperson vnd allerhandt Standt, vo[n] newen in kupffer gestochen, durch Dieterich von Bry¨ Leodien. Emblemata, Nobilitati Et Vulgo Scitu Digna, Frankfurt 1592. Chasseneuz, Barth¤lemy de, Catalogus Gloriae Mundi (zuerst 1529), Frankfurt: Feyerabend 1579 [VD16-C2074], HAB 41 Quod. 28. Cranach, Lukas, Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, Bd. 2, hg. von Dieter Koepplin/ Tilman Falk, Basel/Stuttgart 1976. Das große Tucherbuch. Eine Handschrift zum Blättern. StadtarchivNürnberg E 29 II 258, CD-ROM, hg. von Michael Diefenbacher/Horst-Dieter Beyerstedt, Augsburg 2004. Dasypodius, Petrus, Dictionarivm Voces Propemodvm Vniversas in autoribus latinæ linguæ probatis, ac uulgý receptis occurrentes Germanicº explicans, pro iuuentute Germanica primum in literis Tyrocinium faciente, fideliter & magno labore iam recens concinnatum, hg. von Jonathan West, Straßburg 1535, Permalink: http://diglib.hab.de/ drucke/n-77-4f-helmst-2/start.htm und Permalink: http://diglib.hab.de/edoc/ ed000008/start.htm Dietenberger, Johann, Ecclesiasticus oder Jesus Syrach von der Hauß-Zucht: wie man sich gegen Gott u. seinem Nächsten verhalten soll, Amberg 1724. Eser, Thomas/Grebe, Anja, Heilige und Hasen. Bücherschätze der Dürerzeit, Nürnberg 2008. Fabri, Heinrich/Saur, Abraham (Hg.), Rhetorica und Epistel Büchlein Deutsch vnd Lateinisch: Darin Begriffen Allerhand Missiuen vnd Sendbrieffen (…), Frankfurt 1593 [VD16-F145], Universitätsbibliothek Heidelberg G 349 D (RES), Persistente URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/fabri1593. Franck, M. Fabian, Ain Cantzley vnd Tittelbuechlin/ Darinnen gelernet wirt/ wie man Sendbriefe foermlich schreiben/ vnd einem jeglichen seinen gebürlichen tittel geben soll. Orthographie Teutsch/ lernet recht buechstaebig schreiben, 1532. Fugger, Wolfgang, Ein nutzlich vnd wolgegrundt Formular Manncherley schöner schriefften: Ein nutzlich vnd wolgegrundt Formular Manncherley schöner schriefften. Vollständige Faksimileausgabe des Schreibmeisterbuchs von 1553, hg. von Friedrich Pfäfflin, München-Pullach 1967. Geyer, Moritz, Altdeutsche Tischzuchten (Nachricht von dem Friedrichs-Gymnasium zu Altenburg 75), Altenburg 1882. Habich, Georg (Hg.), Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts. Geordnet nach Meistern und Schulen, 1. Band, 2 Hälfte, München, o. J. Häberlein, Mark/Künast, Hans-Jörg/Schwanke, Irmgard (Hg.), Die Korrespondenz der Augsburger Patrizierfamilie Endorfer 1620 – 1627. Briefe aus Italien und Frankreich im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges (Documenta Augustana 21), Augsburg 2010. Hager, Christoph Achatius, Buchhalten über Proper-, Comission- und CompagniaHandlungen, Hamburg 1666 [HAB M: Ob 48 48]. Hager, Christoph Achatius, Formular Teütscher Missiven oder Brieffe: Erster Theil. Von Nothwendigen Theilen oder Stücken/ einer Teütschen Missiv/ oder Brieffs. Ander Theil. Wie solche Theil oder Stücke/ in ein richtige […] Form zu bringen. Dritte Theil. Wie Wechsel-Advis- Fracht- und Handels-Brieffe […] unter Kauff- und HandelsLeüten/ stylisirt werden. Vierdter Theil. Von den EhrenTituln der Geistlichen unnd Weltlichen StandesPersonen, Hamburg 1637 [HAB A: 579.3 Quodl.] Hager, Christoph Achatius, Jugend-Spiegel von Ehrbaren- und höflichen Sitten vor die auffwachsende Jugendt, Hamburg 1676 [HAB M: Qu N 967 (3)].

504

Quellen- und Literaturverzeichnis

Hager, Christoph Achatius, Jugendt-Spiegel von ehrbar- und höfflichen Sitten vor die auffwachsende Jugendt, Hamburg 1631 [HAB A: 144.6 Eth. (1)]. Henkel, Artur/Schöne, Albrecht (Hg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1996. Herzog August d. J. zu Braunschweig und Lüneburg, Stammbuch 1594 – 1604, Herzog August d. J. zu Braunschweig und Lüneburg, hg. von Wolfgang/ Maria von Katte, Stuttgart 1979 [Faksimile von »Stam und Wapenbuchlein 1594 – 1604/ Herzog August d.J. zu Braunschweig und Lüneburg, Emblemata, Nobilitati Et Vulgo Scitu Digna, Cod. Guelf. 84.6, Aug. 48]. Heymeir, Magdalena, Das Büchlein Jesu Sirach: in Gesänge verfaßt/ in Gesang weiß verfaßt durch Magdalena Heymairin, Teutsche Schulmaisterin zu Regenspurg. Jetzt aber von newem Corrigiert durch Greogorium Sunderreüter 1578. Hörmann, Anton, Memorial und Recorda: Aus dem Bildungsgange eines Augsburger Kaufmannssohnes vom Schlusse des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg, 1874, 137 – 182. Hulsius, Levinus, Dictionarium Levini Hulsii Teutsch-Italiänisch und Italiänisch-Teutsch. Jetzo auffs neue mit angelegnem Fleiß übersehen/ und dadurch häuffig verbessert und vermehret, Franckfurt am Main 1687 (HAB Xb 6422). Krauwinckel, Hans, Rechenpfennig von Hans Krauwinckel (1562 – 1635), Rechenpfennigmacher, Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Objektnummer 18205916, vgl. http://smb.museum/ikmk/object.php?id=18205916. Kress, Georg Freiherr von, Aus einem Pfinzing’schen Geschlechtsbuche, in: MVGN IV (1882), 212 – 213. Lemmer, Manfred (Hg.), Das Ständebuch. 133 Holzschnitte mit Versen von Hans Sachs und Hartman Schopper, München 1976. Löffelholz von Kolberg, Eugen Freiherr, Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharine Fütterin am 29. August 1519, in: MVGN 3 (1881), 155 – 168. Luther, Martin, D. Martin Luthers Werke, Weimar 1883 ff. McQuade, Paula (Hg.), Catechisms Written for Mothers, Schoolmistresses and Children, 1575 – 1750 (The Early Modern Englishwomen: A Facsimile Library of Essential Works; III, Part 3, 2) Aldershot/Burlington 2008. Meder, Lorenz, Handelsbräuche des 16. Jahrhunderts. Das Meder’sche Handelsbuch und die Welser’schen Nachträge, hg. von Hermann Kellenbenz (Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit 15), Wiesbaden 1974. Melanchthon, Philipp, Glaube und Bildung. Texte zum christlichen Humanismus, hg. von Günter R. Schmidt, Stuttgart 1989. Milichius, Ludwig, Zauberteufel, in: Teufelbücher in Auswahl, Bd. 1 (Ausgaben deutsche Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), hg. von Ria Stambaugh, Berlin 1970, 1 – 184. Möller, Alhard, Praxis Epistolica: Praxis Epistolica denuý adauctata, das ist: Eine neue und vielverbesserte Anleit- und Unterweisung, welcher Gestalten mancher Art fliessende Send-Schreiben […] abzufassen, Franckfurt 1670. Müller, Georg, Zwei Unterrichtspläne für die Herzöge Johann Friedrich IV. und Johann zu Sachsen-Weimar, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 11 (1890), 245 – 262. Münch, Paul (Hg.), Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und Dokumente zur Entstehung der »bürgerlichen Tugenden«, München 1984.

Gedruckte und ediert vorliegende Quellen

505

Neudörfer, Johann, Nachrichten von Künstlern und Werkleuten: Des Johann Neudörfer Schreib- und Rechenmeisters zu Nürnberg Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547. Nebst der Fortsetzung des Andreas Gulden (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance X), hg. von G. W. K. Lochner, Wien 1875. N. N., Retorica vnnd Formularium Teütsch […], Tübingen 1528 [VD 16-H5808], Hofbibliothek Aschaffenburg Inc. 167. Opitz, Martin, Martin Opitz. Gedichte. Eine Auswahl, hg. von Jan-Dirk Müller, Stuttgart 1970. Ovid [Publius Ovidius Naso], Metamporphosen. In deutsche Hexameter übertragen und herausgegeben von Erich Rösch. Mit einer Einführung von Niklas Holzberg (Sammlung Tusculum), München/Zürich 1990. Pedro de Medina, Das Buech der Warheit […], München 1603 [VD17 – 12:105873 T], Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 183.33 Theol (2). Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate. Rede über die Würde des Menschen, hg. von Gerd von der Gönna, Stuttgart 1997. Rohmann, Gregor, Das Ehrenbuch der Fugger. Die Babenhausener Handschrift (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft 30/2), Augsburg 2004. Roth, Simon, Ein Teutscher Dictionarius, Simon Roths Fremdwörterbuch (1567), (M¤moires de la Soci¤t¤ N¤o-Philologique de Helsingfors XI), hg. von Eugen Öhmann, Helsinki 1936, 225 – 370. Sachs, Hans, Die Wittenbergisch Nachtigall. Spruchgedicht, vier Reformationsdialoge und das Meisterlied Das Walt Got, hg. von Gerald H. Seufert, Stuttgart 1974. Snchez de Ar¤valo, Rodrigo/Steinhöwel, Heinrich, Speculu[m] humane vite. Der menschen Spiegel, Augspurg 1488, Permalink: http://diglib.hab.de/inkunabeln/17-8-eth2 f/start.htm. Scheurl, Christoph von, Gutachten über Rixner [1541], in: Christoph von Wölckern, Singularia Norimbergensia, Nürnberg 1739, 62. Stück, 463 – 488. Scheurl, Christoph von, Christoph Scheurl’s Briefbuch. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation und ihrer Zeit, hg. von Franz von Soden/J. K. F. Knaake, Aalen 1962. Schürstab, Erasmus, Erasmus Schürstabs Geschlechtsbuch, hg. von Friedrich Weech, in: Jahrbuch für Mittelfranken 31 (1863), 39 – 84. Schwartzenbach, Leonhard, Leonhard Schwartzenbachs »Synonyma«. Beschreibung und Nachdruck der Ausgabe Frankfurt 1564. Lexikographie und Textsortenzusammenhänge im Frühneuhochdeutschen, hg. von Ulrike Haß (Lexicographica Series Maior 11), Tübingen 1986. Spengler, Lazarus, Schriften der Jahre 1509 bis Juni 1525, in: Lazarus Spengler. Schriften, Band 1, hg. von Berndt Hamm/Wolfgang Huber (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 61), Gütersloh 1995. Steinhausen, Georg, Deutsche Privatbriefe des Mittelalters 2 (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte), Leipzig 1907. Strauss, Walter (Hg.), Netherlandish Artists. Hendrik Goltzius, in: The Illustrated Bartsch, Bd. 3.1, New York 1980. Strieder, Peter, Tafelmalerei in Nürnberg 1350 – 1550, Königsstein/Taunus 1993. Tucher, Anton, Anton Tuchers Haushaltsbuch (1507 – 1517) (Bibliothek des literarischen Vereins 134), hg. von Wilhelm Loose, Stuttgart 1877.

506

Quellen- und Literaturverzeichnis

Tucher, Endres d.J., Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg (1464 – 1475), hg. von Matthias Lexer, Amsterdam 1968. Tucher, Johann Georg von, Summarische Deduction von dem Alterthum, Thurnier-, Ritter- und Stifftsmäßigkeit, auch Reichs-Immedietät des Geschlechts der Tucher von Simmelsdorf und Winterstein. Nebst einer Beschreibung dererselben merkwürdigen Civil- und Militair-Chargen, geist- und weltlichen Fundationen … und andern historischen Nachrichten, Mit einem Vorbericht und Fortsetzung der gründlichen Widerlegung der Meynung als ob der Patriciat zu Nürnberg Anno MCXCVII seinen Anfang genommen hätte. Aus unverwerflichen Scriptoribus, Monumentis und Urkunden gesammlet und aufgesetzt von J. G. T., Schwabach [Enderes] 1764. Ulrich, Abraham/Ulrich, David, Wittenberger Gelehrtenstammbuch. Das Stammbuch von Abraham und David Ulrich, benutzt von 1549 – 1577 sowie 1580 – 1623, bearb. von Wolfgang Klose, Hall 1999 (hg. durch das Deutsche Historische Museum), vgl. auch http://www.dhm.de/texte/stammbuch/pdf/WGSB.pdf [Zugriff am 20. März 2009] Volz, Peter, Unbekannte deutsche Schaumünzen des 16. Jahrhunderts. Teil II (3 Abbildungen), in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 42/43 (1992 – 1993), 245 – 250. von Eyb, Ludwig, Das Turnierbuch des Ludwig von Eyb (cgm 961). Edition und Untersuchung. Mit einem Anhang: Die Turnierchronik des Jörg Rugen (Textabdruck) (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 166), hg. von Heide Stamm, Stuttgart 1986. von Quetzisches Hochzeitsbüchlein, hg. und mit einem Nachwort von H. Doege, Offenbach 1913. Wickram, Georg, Vom ungeratenen Sohn, in: Georg Wickrams Werke, Bd. 2, hg. von Johannes Bolte/W. Scheel (Bibliothek des literarischen Vereins 223), Stuttgart 1901. Wickram, Georg, Die Siben Hauptlaster/ sampt jren schönen früchten vnd eygenschafften, in: Georg Wickrams Werke, Bd. 3, hg. von Johannes Bolte, (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 224), Tübingen 1903, 147 – 311. Wickram, Georg, Die Zehen alter der welt. Nach gemeinem lauff der welt/ Mit vil schönen newen historien begriffen/ Vß der bible gezogen/ fast nützlich zu lesen/ vnd zu hören/ Vnd sindt disser Zehen alter/ von wort zu wort/ nach jnhalt der matery vnd anzeygung der figuren von newem gespylt gemert vnd gebessert worden/ Durch ein ersame burgerschafft einer loblichen Statt Kolmar etc. im jar MCCCCCXXXI, in: Georg Wickrams Werke, Bd. 5, hg. von Johannes Bolte (Bibliothek des literarischen Vereins Stuttgart 232), Tübingen 1903, 1 – 67. Wickram, Jörg, Knabenspiegel, in: Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten (Bibliothek der frühen Neuzeit 1), hg. von Jan-Dirk Müller, Frankfurt/Main 1990.

7.3

Literaturverzeichnis

Abel, Günter, Stoizismus und frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik, Berlin 1978. Aign, Theodor, Die Ketzel. Ein Nürnberger Handelsherren- und Jerusalempilgerge-

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Lavierte Federzeichnung »Principium dolor est […]«, Kleine Scheurlchronik, hier unpaginiert, 22. Abb. 2: Zeichnung des Tucherfensters, StadtAN E 29/II Nr. 1610, darin Nr. 30, 27. Abb. 3: GTB, unpaginiert, 42. Abb 4: Porträtmünze Florenzius »Orttell«, von Joachim Deschler (1534 – 1556), in: Georg Habich (Hg.), Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts. Geordnet nach Meistern und Schulen, 1. Band, 2 Hälfte, München, o. J., 175, 111. Abb. 5: Rechenpfennig von Hans Krauwinckel, Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, 18205916, 119. Abb. 6: Barptolemaeus [sic!] Anulus (Barth¤lemy Aneau), Picta Poesis. Vt Pictvra Erit, Lvgdvni (Lyon) 1552, 32. (Henkel, Sinnbildkunst, 1628 – 1629, dort unter dem Titel »FONS SALMACIDOS. LIBIDO EFFOEMINANS«), 153. Abb. 7: Albrecht Dürer, Das Wappen der Scheurl und Tucher, 1512. Albrecht Dürer, »The arms of Christoph Scheurl II; a WL female figure holding…« 1900, 0613.17, Asset No: AN90903001 British Museum, 191. Abb. 8: Die »Vorred«, GTB, fol. 1r, 285. Abb. 9: Weibliche Personendarstellung, GTB, fol. 61v, 285. Abb. 10 und 11: Einband vorn und hinten, GTB, 288. Abb. 12 und 13: Einband vorn und hinten, Kleine Scheurlchronik, 291. Abb. 14: Christoph Scheurl, Kleine Scheurlchronik, unpaginiert, 317. Abb. 15: Kleine Scheurlchronik, fol. 26v, 319. Abb. 16: Lucas Cranach d.Ä., Ungleiches Paar, ca. 1530, GNM, Gm 218, 332. Abb. 17: Das genealogische Register, GTB, unpaginiert, 340. Abb. 18: Sachindex, GTB, unpaginiert, 342. Abb. 19: Das Tucherwappen, GTB, fol. 19r, 349. Abb. 20: GTB, fol. 51r, 353. Abb. 21: GTB, fol. 33r, 354. Abb. 22: GTB, fol. 94r, 355. Abb. 23: GTB, fol. 43r, 357. Abb. 24: Porträtmünze Leonhart Tucher, 360. Abb. 25: GTB, fol. 118r, 360. Abb. 26: Kleine Scheurlchronik, fol. 38v-39r, 363.

8. Register

Abendmahl 294, 407, 410 Abraham 23, 75, 303, 320, 335, 404, 423 f., 438 Abstammung 303 Achtungsmarkt 387 Adel, adlig 17, 22, 25, 34 f., 39, 72, 90, 106, 120, 143, 164, 184, 199, 204, 226 f., 229 f., 234, 248, 262, 288, 295 – 297, 301, 304, 306 f., 310, 329, 335, 338, 343, 359, 365, 382, 384, 393, 421, 440 f., 443 f., 467 – 470, 472 – 476, 478, 488 f. Affekt 111, 113, 130, 154, 192, 210, 222, 225, 287 Affektenlehre 78, 127, 130, 153 Affektökonomie 225 Agent 117 Alberti 89, 198, 231, 248 Alciatus 146 Allegorie 95, 286, 454 Alltag 128, 142, 144, 166, 192, 229 Almosen 256 Altdorf, Universität 250, 269 Alter 32, 64, 66, 82, 85, 92, 97, 109, 120, 124, 130, 141, 144, 153, 180, 192 f., 199 f., 202, 208, 226 f., 233, 245, 252, 262, 292, 308, 333, 336 f., 361, 400, 422, 426, 433, 458 f., 461, 466 f., 472 f., 477 altersspezifisch 128 – 130, 192, 202 alteuropäisch 145, 157, 232, 243, 447 amicitia 145 f. Amman, Jost 26, 38, 94, 262, 264 f., 277, 320, 362 f., 382 Anachronismus 297, 476

anat 82 Anfechtung 67, 86, 152, 396, 398 f., 403 Anschaulichkeit 11, 115, 285, 326, 392 Anthropologie 112, 116, 140, 233, 312, 339, 391, 396, 399, 403 f., 420, 423, 430, 447 Antichrist 318, 395, 405, 409 – 411, 449 Antikatholizismus 407, 410 Antikenrezeption 204 Antithese 132, 147, 208, 388, 426 Apokalyptik, apokalyptisch 251, 406, 485 apologetisch 147, 152, 180, 197, 334, 430 Archiv 16, 20 f., 24, 46, 65, 72, 77 f., 80 – 82, 88, 91, 94, 125, 164, 187, 221, 224, 229, 232, 234 f., 258, 264, 274, 281, 290, 304, 307, 338, 364, 395 Archivgeschichte 125 Außerzeitlichkeit 394, 489 Aushandlung 75, 249 Auslandsaufenthalt 120 – 122, 127, 158, 307 Auslandslehre 72, 79, 109, 112, 116 – 118, 120 – 123, 127, 139, 149, 156 – 158, 172, 185, 187, 193, 195, 221, 230, 481 – 483 Auszeichnungsschrift 270, 276, 278, 311, 339, 341, 343, 394 Authentizität 60, 71, 221, 225, 227, 232, 234, 301 Autobiographie, autobiographisch 24, 75, 89, 94, 96, 237, 253, 281, 324, 331, 414, 427 Autopsie 369 autoreflexiv 50, 103, 412

540 Autorität 49, 120, 131, 141 f., 154, 172 f., 189, 222, 301, 305, 307, 392, 395, 430, 451 Autorschaft 12, 21, 90, 238, 330, 488, 491, 493 Baldung, Hans 26, 331 Bankrott 119, 231 Barcelona 121 Barsabbas, Joseph 322, 458 Barth¤lemy de Chasseneuz 11, 320, 365 f., 381 Basel 53, 199, 203, 206, 331, 352 Baumeisterbuch 43 Baumgartner, Eheleute 155 f., 281 Begriffsgeschichte, begriffsgeschichtlich 25, 53 – 55, 58, 60, 97, 389, 414, 428 Begriffskonstanz 54 Behaim, Familie 105, 118, 156, 158, 224 – 228, 252, 274, 368, 372 – Alberto 274 – Federigo 274 – Friedrich 225 – Klara 158 – Michael Behaim 122 Belehrung 56, 112, 128, 130, 139, 186, 188, 207 – 209, 232, 314 Berufsbewusstsein 118, 130, 195, 207 Berufsbild 143, 230, 235, 256 beweiben, beweibt 327 Bibel 92, 94, 199, 205 f., 208, 213, 289, 309, 352, 385, 429, 461 Bildung 15, 32 f., 132, 140, 204, 231, 235, 300, 403 f., 419, 424, 452, 476 Bindung, soziale 104, 124, 146, 173, 177, 226, 228, 450, 454, 456 biographisch, Biographie 13, 17, 70, 115, 307, 314, 322 f., 326, 345, 369, 392, 429, 434 Blasphemie 210 Bologna 390 f. Botenwesen 169 Brechtel, Franz Joachim 280 f. Breslau 104, 121 Brief 13 f., 49, 53, 56, 65, 67, 71 – 79, 98 f., 104 – 106, 109 – 113, 115 f., 118, 120 –

Register

126, 128, 130 – 132, 135, 138 – 140, 142 – 163, 166 – 173, 175, 177 – 183, 185, 187 – 190, 193 – 195, 198, 206 f., 209, 216, 220 – 236, 255, 274, 336, 401, 420, 427, 468, 481 – 483, 490 Briefarchiv 14, 28, 53, 71, 77, 116, 125, 149, 155, 159 f., 183, 193, 211, 230, 232, 234, 256, 481 Briefbücher 126 Briefkopien 229, 483 Briefprotokoll 149 Briefsammlung 49, 109, 222 Briefsprache 73, 76, 154 – sorpresa 225 Briefsteller 73 – 76, 123 f., 126, 132, 194, 233, 281 Buchdruck 216, 282, 421 Buchhaltung 166, 185, 235, 260, 273, 485 Buchmarkt 126, 129, 212, 214 f. Budapest, Ofen 35, 121 Bugenhagen, Johannes 213 Burckhardt, Jacob 222 Bürger, Bürgertum, bürgerlich 16, 18, 32, 36, 162, 183, 190, 256, 298, 469, 478 Burgund 175, 281, 476 Camerarius, Joachim 266 Capirola, Vincenzo 164 Caroso, Fabritio 164 Castiglione 160 Catalogus Gloriae Mundi, s.a. Barth¤lemy de Chasseneuz 11, 320, 365 f., 381 Chalon-sur-Saone/Burgund 183 Cherubim 288 f., 404 christologisch 402 Christus 29, 187, 278, 288 f., 303 f., 386, 398 f., 401 f., 405 – 409, 412, 419 Chronistik 20, 30, 155, 291 f., 305 f., 329, 390, 443, 446 f., 455, 477 Cochlaeus 369 Collectaneenbände 70, 80, 316, 378, 383, 487 Cranach, Lucas 331 – 333, 361, 459 Curriculum 121, 156, 482 Dialog

23, 72, 89, 130, 197 f., 205, 296

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Dialogliteratur 115 Diätetik 210 Dijon 40 Dilthey, Wilhelm 100 Diskontinuität 120, 237, 299, 366, 422, 424 Diskurs 25, 34, 36, 46, 49 f., 59 f., 62, 73, 78, 103, 112, 131, 143, 152 – 154, 157, 205 f., 213, 229, 256, 300, 339, 364, 408, 414, 418 f., 422, 447, 489 Diskursanalyse, diskursanalytisch 49 – 51, 73 Diskurseffekt 67, 73, 78, 124, 172, 178, 194, 221, 243, 364, 447, 482 Diskursgeschichte 55 Distinktion 77, 80, 106, 144, 180, 184, 256, 296, 441, 469 f., 475 Distinktionswettbewerb 295, 304, 489 Disziplin, Disziplinierung 30, 98 Dratz, Caspar 267 f. Droysen, Johann Gustav 13, 46 f., 102 Dürer, Albrecht 26, 140, 190, 245, 277, 283, 286, 293, 318, 358, 365, 376 f., 415, 433 Ebner-Eschenbach, Familie 31 f., 34 f., 95, 253, 364 Eccliasticus 213, 217, 317, 380, 447 Eck, Johann 17, 286, 318 Ehre 17, 25, 27, 34 f., 51, 86, 106, 110 – 112, 120, 128 – 130, 133 – 135, 167, 178 f., 202, 210, 217 – 219, 224, 226, 234 f., 243 f., 254, 256 f., 267 f., 284, 287, 303, 311, 313, 315, 325, 328, 361, 365, 371, 375, 381, 386, 388, 402, 417, 419, 426, 429, 444, 458, 460 f., 463 f., 470, 472, 474 f., 486 Ehrökonomie 250 Ekklesiologie 395, 437 Elias, Norbert 112, 313 Elite, städtische 11, 18, 37 – 39, 43, 61, 66, 72, 74, 99 f., 106, 123, 143 f., 160, 164 f., 220, 226, 230, 291 f., 300 f., 306 f., 324, 329, 343, 360, 379, 387 f., 422, 426, 446, 456 f. Emblem, Emblematik 95, 114, 147

541 Emotion 76, 112, 116, 124, 127, 130, 132, 194, 210, 225 f., 228, 232, 476, 482 Emotionalität 76, 153, 194, 227, 232, 482 emotionensprachlich 76 Empfängerarchiv 71, 157, 230 f. Endzeitglauben 405, 414 Englischer Gruß, Engelsgruß 376 f. enthymematisch 294, 461 Epitaph 26, 40, 484 Erbe 11, 45, 53, 56, 58 – 60, 98, 101, 137, 154, 269, 273, 293, 307 f., 310, 314, 320, 329 f., 351, 360, 365, 385, 389, 392, 404, 408, 419 f., 466, 486, 488 Erfahrung 19, 22, 32 f., 58 f., 61 – 63, 66, 81, 101, 103, 139, 148, 171, 175, 177, 185, 199, 211, 221 f., 230, 401, 438 Erfahrungsraum 103, 377 Erinnerung 11, 13, 23, 25, 34, 44, 49 f., 57, 62, 66 – 69, 99, 105 f., 116, 149, 186, 210, 232, 245, 255, 295, 299 f., 302, 312, 321, 328, 369 f., 372, 374 f., 377, 381 f., 385, 391, 405, 426, 432 f., 457, 465, 481 f., 489, 491 Erinnerungsgemeinschaft 56 f., 59, 333 Erinnerungsökonomie 370 Erinnerungsort 106, 324, 367 f., 377 f. Erinnerungsschicht 57, 65, 67, 99, 237, 490 Erwartung 55, 60, 67, 75, 116, 145, 200, 367, 405, 482, 491 Erwartungserwartungen 116 Erwartungshorizont 103, 377 Erzählkern 30, 291, 329, 343, 348, 445 f., 489 Erziehungsbrief 109, 160, 223, 295 Erziehungsdiskurs 65, 98, 105, 113, 115, 124, 159, 162, 185, 198, 205, 222, 231, 235, 295, 449, 452 Erziehungskommunikation 116 erziehungskonform, Erziehungskonformität 113, 144, 152, 166 f., 171, 177, 179, 181 f., 185, 193, 221, 223, 231, 483 Erziehungsliteratur 114, 129, 159, 161, 178, 221, 231, 233 f., 483 eschatologisch 216, 410 f., 428

542 Ethik, ethisch 35, 129 f., 153, 221, 257, 287, 308, 333, 393, 413 f., 430 f., 473 Evangelium, Evangelien 112, 288 f., 303, 396, 430 Evidenz, rhetorische 58, 115, 138, 142, 152, 174, 297, 336, 400 Exegese 215 f., 220, 394, 487 Exemplum 325 Exlibris 16, 292, 433 Faktizität 25 Faktorei 195, 227 Fama 136 Familienarchiv 21, 29, 31 f., 34 f., 61, 71, 77, 95, 97 f., 105, 109, 125, 146, 157, 253, 302, 427 Familienimagination 186, 483 Familienstiftung, Tuchersche 26, 30, 39, 56 f., 68 f., 89, 119, 231, 237 – 239, 243 – 246, 248, 250 – 252, 255, 258, 265, 270 f., 273 – 275, 294, 311, 370 f., 377, 484, 488 Fastnachtsspiel 200 Fernhandel 110, 118 f., 121, 307 Ficino, Marsilio 439 Florenz 361 Formular 135, 280, 283 Fortpflanzung 53, 335, 439, 485 Frankreich, französisch 54, 64, 77, 104, 117, 164, 166, 176, 181 – 183, 204, 225, 328, 410, 419, 414 Franz I. 181, 292, 471 Freizeit 122, 161 Fremdsprache 72, 77, 195, 257 Freundschaft 189, 318, 383, 393 Frömmigkeit 39, 113, 127, 131, 142, 149, 151, 167, 188, 195, 207, 211, 223, 226 f., 231, 293, 372, 377, 381, 413, 489 Fruchtbarkeit 65, 82, 224, 319, 356 frühneuhochdeutsch 48 – 51, 55, 206, 247, 389 Fugger, Familie – Babenhausen 78, 160, 165 – Jakob Fugger 30, 164 f., 376 – Raymund Fugger 165 Fugger, Wolfgang 280, 286 Fußstapfen 31, 414

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Fütterer, Familie 16, 20, 83, 89, 290, 318 Futurisierung 64 f., 257, 413, 430 Gattung 16, 20, 44, 47 – 49, 59, 67, 70 f., 73, 75, 91, 94, 97 f., 105, 113 – 115, 149 f., 163 f., 185, 190, 194, 221, 223, 236, 280, 282, 295, 297, 301, 338, 358, 365, 370, 387, 391, 412, 415, 422, 424, 433, 482 f. gattungstypologisch 48, 124, 126 Geburt 11, 20 f., 23 f., 51, 150, 246, 315, 323, 325, 348, 380, 386 – 388, 392, 407, 411 f., 471, 486 Gedächtnis 12 – 14, 33, 45, 57, 62, 66, 68, 80, 89, 99, 105 f., 109, 111, 221 f., 253, 255, 294, 337, 369, 377, 439, 456 Gedächtnisbildung 57, 68, 81, 99, 105, 109, 222, 235, 237, 249, 261 f., 273, 322, 328, 351, 366, 369, 432, 439, 485, 488 Gegenwart 11, 22 f., 56, 67, 88, 102 f., 109, 112 – 114, 142, 163, 172, 179, 203, 211 f., 217, 220, 231, 237, 257, 271, 294, 314, 321, 329, 359, 369 f., 374, 377, 381, 384 f., 413, 418, 423, 431, 435, 437, 439, 444, 456, 459, 463, 467 – 469, 481, 484 f., 489 f. Gehaim-Buch 240, 242, 244, 248 Gehorsam 14, 124 f., 127, 130, 141 f., 147, 167, 179, 182, 186, 188, 196 f., 315, 431, 434, 451 Geiler von Kaysersberg, Johannes 333 Geltungsanspruch 454 Gemeinwohl 32, 374 – 376, 418 Genannte 12, 18, 20, 28, 31, 37, 40, 66, 70, 79, 94, 98, 110, 141, 189, 215, 232, 247, 250, 258 f., 277, 284, 289, 298, 321, 386, 390, 408, 413, 432, 440, 461, 484, 486 f. Genealogia 93, 261, 326, 334 Genealogie, genealogisch 13, 15, 25, 48, 55, 87, 92, 95 – 97, 123, 211, 253, 257, 297, 299, 303 f., 316, 320, 330 f., 335, 351, 356, 360, 364, 379, 392, 421, 425, 444, 467 f. Generacion 58, 85 f., 487 Generati [sic!] 364 generatio 11 – 13, 15 f., 34 – 36, 45 – 47, 49 – 59, 62 – 65, 85 f., 88 – 90, 92 – 95, 97,

Register

99, 101 – 103, 119, 125, 188, 237, 244 – 246, 249, 254, 257, 264 – 266, 270, 275, 277, 279, 299, 302, 311, 316, 327, 339, 341, 351 f., 361 – 364, 379 f., 382 – 386, 388 f., 391, 393, 411, 413, 419 f., 422 f., 425, 435 f., 440, 486 – 489, 491 Generation 13, 24, 28, 31, 33 – 36, 45, 50, 56 – 59, 62 – 64, 66, 75 f., 80, 86, 92, 95, 98, 100 f., 116, 129, 131, 138 – 141, 143, 145 f., 177 – 179, 189, 195, 206, 210, 212, 215, 221 f., 232, 246, 253, 257, 265, 269 f., 277, 299, 303, 310, 316, 320 f., 339, 341, 351, 360, 382, 387, 413, 430, 438, 447, 449, 460, 462, 485, 487, 489 Generationenbeziehung 53, 65, 67, 104, 109, 114, 123, 129 f., 143, 166, 168, 185, 194, 201 f., 204, 206, 208 f., 212 – 214, 220 – 222, 228, 231, 233, 313, 316, 331, 393, 436, 447, 449 Generationenkonflikt 25, 58, 109, 124, 208, 300, 428, 446 f. Generationenlagerung 58, 62, 138 Generationenmodelle 63, 100 Generationensoziologie 58, 100, 490 Generationenwechsel 58 – 60, 65, 71, 82, 100, 113 f., 130, 134, 156, 206, 213, 235, 237 f., 295, 299 f., 303, 309, 314, 321, 362, 422, 425, 490 Generationenbewusstsein 425 Generationseinheit 100 Generationslagerung 57, 100 Genette, Gerard 50 f., 336 Genf 38, 117, 150, 181 Gerücht 136, 154, 176 Geschichte 12 – 14, 16, 19 – 21, 25, 28 f., 31 – 33, 36, 43 f., 46 f., 49 – 51, 53 f., 56 – 65, 67, 69 – 71, 76, 79 f., 87, 91, 94 f., 97 – 106, 115 f., 118, 121, 132, 136, 142 – 145, 152, 155 – 157, 160, 163 – 165, 172, 178, 198, 211 f., 218, 222, 229, 234, 257 f., 269, 271, 287, 290, 296 f., 299 – 302, 304 f., 307 f., 310, 320, 324, 326, 329, 334, 336, 338, 348, 360, 365, 368, 370, 375, 377, 380, 384, 386, 388, 390 f., 393, 397, 399, 403, 405, 414 f., 426, 430, 432,

543 435, 444, 446, 451, 457 – 459, 462, 466, 468, 478, 481 f., 484, 486 f., 490 Geschichtsbild 11, 30, 37, 67, 96 f., 100, 139, 210, 296, 299, 304, 443, 472 Geschichtsimagination 374 Geschichtskultur 12, 14, 16 f., 30, 37, 46 f., 54 – 56, 67 f., 71, 97, 99, 104 – 106, 109, 220, 238, 245 f., 252 f., 255, 262, 264, 267, 271, 279, 293, 295, 301, 320 f., 358, 364 – 366, 370, 372, 387, 414 f., 427, 432, 441, 445, 455, 467, 472, 481, 485 f., 490 f. Geschichtspolitik 270, 441 Geschichtsreflexion 12, 61 Geschichtstheologie 391, 396, 398, 421, 428 Geschichtswissenschaft 12 f., 46 f., 51, 59, 61, 63, 70, 73, 78, 99, 102, 104, 112, 229, 432 Geschlechterbuch 12, 14, 17, 20 f., 24, 32, 69 f., 80, 82 f., 86 f., 93 f., 105, 234, 237 f., 247, 268, 279, 281, 290 – 295, 297 f., 309, 325, 331 – 333, 335, 362, 370, 384, 393, 395, 405, 421 f., 425 f., 432, 449 f., 462, 476, 488, 490 Geschwistergit 327, 350 f. Gesellenstechen 20, 39, 83 Gesundheit 149, 151 f., 156 f., 167, 224, 316 Gewissen, Gewissenstheologie 131, 142 f., 201, 210, 217, 253, 257, 267, 273, 375, 396 f., 403, 406, 429 – 431 Gegenwartsbezug 66, 98 f, 441 f., 468, 476 Glauben 151, 174, 176, 186, 190, 200, 202, 214, 309, 312, 322, 396, 399 – 402, 421 – 425, 427, 429 f., 437, 439, 450 f., 458, 460, 474, 478, 490 Glaubensbekenntnis 46, 400 f., 412 glori 311, 379 – 382, 384 f., 388, 413, 485, 487 Gloria 365 f., 381 f. Glücksspiel 152, 371 Gnade, göttliche 15, 55, 61, 84, 138, 141 f., 147, 256, 284, 296, 317, 351, 388, 431, 439, 486, 490 Gott 26, 34, 85, 91, 112 f., 125, 131, 138 f.,

544 141 f., 144 f., 150 – 152, 154 – 156, 166 f., 170, 173 f., 176 – 182, 186, 190, 198 – 200, 207, 209 f., 213 f., 218 f., 221 f., 256 – 258, 271, 284, 293, 296, 303, 308 – 313, 315, 317 – 324, 326 f., 334, 337, 348, 350 – 352, 368, 371 f., 376, 380 – 382, 384, 386 – 388, 392 – 403, 407 – 413, 419 – 421, 423, 426 – 429, 431, 434 – 439, 445, 447, 453, 458 – 464, 467, 471, 474, 486, 488 Gottesdienst 29, 188, 308 f., 312, 372, 374, 407 f., 412, 427, 435, 437 – 439 Gottesebenbildlichkeit 397, 419, 424 Gottesfurcht 160, 211 Grablege 40, 328, 330, 367 f., 417, 432 grad 78, 83 – 85, 93, 97, 115, 118, 156, 163, 173, 209, 229, 261, 277, 288, 326, 364, 418, 487 f. gradt 82 Habitus 76, 149, 156 f., 159, 164, 168, 193, 225, 235, 359, 387 Habsburger 117, 418 Hager, Christoph Achatius 135, 160, 162, 166, 185, 206, 233, 235 Haller, Familie – Bartholomäus 90, 278, 290, 443 – Bartholomäus-Haller-Buch 90, 278 – Conrad-Haller-Buch 30, 242 – Hieronymus 187 – Konrad 290 – 292, 362, 370, 449 f. – Konrad-Haller-Buch 87, 335, 362 Handel 11, 38 f., 51, 58, 71, 106, 113, 116 – 119, 121, 125, 130, 132 f., 135, 141 f., 176 f., 180 f., 189, 227, 229 – 231, 233 – 235, 248, 261, 265, 294, 307, 337, 378, 396 – 398, 423, 442 – 444, 474 Handelsdiener 120 Handelsgesellschaft 38, 44, 111, 119, 121 f., 128, 134 f., 239, 243 Handelspraktiken 110, 117, 121, 207, 218 Handelspraxis 134, 137, 139 Handlungsspielraum, Handlungspielräume 263 Haßler, Hans Leo 163 Hausbuch 48, 94, 105, 302, 310 Haushaltsbuch 44 f., 144, 298

Register

Hauslehre 128 Hausvater 76, 120, 129, 142, 157 f., 333, 424 Hausväterliteratur 128, 142, 231, 297 Heil 121, 150, 201, 294, 392, 399, 401, 422, 428, 464, 489 f. Heiliges Land 44, 79, 236, 408 Heilsgeschichte 54, 102, 278, 395, 400, 423, 487 Heilsplan 399, 409, 428 Heiltum 45, 372, 378 Heinrich IV., Kaiser 446, 452 Heinrich V., Kaiser 446, 450, 452 Herbrot, Jakob 156, 457 Herkunft 22, 36, 46, 50, 52, 65, 216, 218, 260, 278, 286, 296, 303 f., 335 f., 351, 369, 382, 385, 387, 404 f., 422, 434, 474, 478, 491 Hermeneutik 56, 100, 386, 396, 399, 435 Herold 49, 126, 222, 232, 440, 471 Herrschereinzug 367, 469 Hertz, Georg 277 Hertzsche Familienchronik 95, 253, 364 Hessen, Landgraf von 174 Historik 13, 22, 46 f., 58, 68, 70, 73, 99, 102 f., 146, 229 f., 234, 339, 379, 387, 390, 465 f. Historiographiegeschichte, historiographiegeschichtlich 47, 99, 102 – 104, 229, 361 historisieren 64, 99 f., 361, 369, 481 Historizität 13, 222, 228, 264, 491 Hochmittelalter 120, 288, 373, 446, 465 Hofkultur 13, 47, 165 Hohenzollern 457 Holzschnitt 114, 205, 296 Holzschuher, Berthold 238 f., 255, 327 Holzschuher-Stiftung 239 f., 242, 255 homiletisch 55, 96 Hörmann, Anton Christof 190, 192 f. Humanismus, humanistisch 11 f., 23, 73, 103, 140, 159 f., 198 f., 203 – 205, 215, 231, 293, 302, 304, 326, 359, 368, 390, 392 f., 403 f., 403, 408, 423, 443, 452 – 454, 459 f.

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Identifikationswert 367, 377 Identität 23, 32, 45 f., 49, 51 f., 66, 83, 101 – 105, 161, 172, 184, 223, 229, 234, 236, 296, 300, 303, 306, 347, 371 f., 377, 379, 391, 393, 399, 405, 413, 428, 432, 434 f., 440, 443, 445 – 447, 456, 464, 467, 482, 485, 488 f. Imhoff, Willibald 283 Index 88 f., 93, 95, 123, 261, 277, 323, 325, 336, 338, 341, 343, 346 – 348, 368 Informationsfunktion 135, 348 Informationsnetzwerk 117, 140 Inkulturation 160 Institutionalisierung 118, 252 Integrationsfaktor 452 Inventar 229, 258 Inversion, satirisch; invertiert 296 Investiturrecht 368 Invokation 138, 188, 195, 207, 394 Israel 82, 85, 211 Italien 77, 89, 117, 143, 160, 181, 225, 239, 306, 376, 408, 418 Italienisch 45, 73, 89, 121, 166, 183, 190, 195, 207, 295 f., 361, 487 Juden 411, 459 Jugend, jugendlich 64, 72, 114, 116, 118, 166, 193, 196 – 198, 204, 206, 210, 215, 230, 233, 301, 315, 413 Jugendbild 73, 114 f., 130, 139 f., 142, 144, 147, 159, 194, 198, 208, 233 Kanon 133, 157, 192 f. Kapital, soziales 17, 40, 43, 86, 110, 130, 133, 143, 156, 218 f., 238, 243 f., 255 f., 328 f., 370, 415, 433, 457, 471 Karl der Große, Kaiser 408 Karl IV., Kaiser 324 Karl V., Kaiser 165, 181, 190, 281, 283 – 285, 435, 456, 471 Karriere 117, 120, 184, 294, 338, 369, 416, 429, 440 Katechese 213, 217 Kauffmann, Hans 259, 267 – 269 Kaufleute 38, 106, 110, 117 – 121, 135,

545 166, 170, 183, 187 – 189, 194 f., 215, 229, 295, 418, 441, 444, 471, 478 Kauffmann, Endres 267 f. Kaufmann, Johann 269 Kaufmannsbildung 116, 121 f., 128, 133, 138, 143, 194 f., 206, 256, 307, 318 Kaufmannsfamilien 100, 117, 158, 226 f., 230, 234, 370, 384 – Kautz, Melchior 18, 31 – 36, 43, 362 Kautzbuch 46, 362 Kavalierstour 39, 445 Kernfamilie 67, 129, 438 Kirchenfenster 29, 46, 356, 489 Kirchengeschichte 55, 170, 367, 406, 489 Kirchenpfleger 347 Kleeberger, Hans 118, 166, 174 f., 183 – 185 Kleiderstiftung 370 f. Kleidung 18, 29, 122 f., 143 f., 148, 161 f., 179 f., 207, 265, 277, 300, 363, 416, 446 Klugheit 11, 287, 300, 454 Knabenspiegel 114 f., 129, 147 f., 195 – 199, 205, 231, 483 Kohorte 100, 299 Kommunikationssystem 73, 76, 79, 116, 124, 145, 166, 233, 304, 482 f. Kondukt 372 f. Konfession, Augsburger 309 f., 434 f., 449, 451 Konfessionalisierung 57, 59, 104, 285, 293, 299, 321, 331, 351, 378, 401, 432 konfessionell 49, 56, 131, 155, 170, 195, 216, 220 f., 235, 258, 285, 294 f., 300, 303 f., 309 f., 318, 321, 358, 366 f., 370, 375 – 377, 395, 399, 401, 405 – 408, 410, 414, 416, 419, 422 – 424, 427 f., 434, 438 – 440, 456, 475, 488 – 490 König, französischer 100, 117, 175 f., 181, 183 f., 190, 218, 296, 303 f., 471, 475 – 477 Konkordienbuch 401, 410, 435 Konnubium 22, 199, 234, 248, 475 Konsolationsbrief 420 Kontingenz 109, 134, 168, 170 Kontinuität, Kontinuitätsstiftung 12 – 15, 24 f., 33, 36, 44, 53, 55 f., 59, 65, 82, 84,

546 98, 102, 109, 114, 118, 135, 139, 143, 147, 166, 192, 197, 202, 204, 211, 213, 218, 220, 223, 227, 232, 234, 246 f., 252, 255 f., 258, 280, 299, 308, 316, 325, 327 f., 330, 335, 348, 351, 365, 370, 373, 377, 405, 416, 423 f., 427, 447, 459 – 461, 469, 485 f., 489 f. Kontinuitätssemantik 15, 51, 101 Kontrafaktur 224 f. Konzil von Trient 407 Körper, Körperbild, Körpererzählung 98, 148, 152 – 155, 157, 162, 224, 356, 358, 360 Korrespondenz 39, 53, 71 f., 77 f., 80, 116, 145, 155 – 158, 161, 168, 227 f., 230, 456 Krakau 121 Krankheit, Krankheitsdarstellung 148, 151 f., 155, 178 f., 181 Krauwinckel, Hans 118 Kreß, Familie – Christoph 159, 433, 442 Kreuzestheologie, lutherische 294, 421, 489 Kultur, politische 29, 44, 46, 51, 55, 57, 60, 66, 79, 101, 104 f., 118, 128, 149, 159 f., 164, 166, 213 f., 253, 282, 331, 339, 361, 370, 375, 385, 419, 423, 441, 460, 462, 471 Kulturkritik 296 Kupferstich 277, 316, 320 Landadel 446 Landgüter 39, 183 f., 226, 250, 446 Laster 187 – 189, 192, 196 f., 202, 219, 282, 421 Laute 146, 159 f., 162 – 165, 188, 227, 317 Lautenliteratur 163 Lebensalter 72, 200, 361 Lebensdauer 316, 431, 437 Lebensführung 11, 134, 165, 190, 210, 217, 313 Lebensstil 36, 39, 77, 165 f., 196, 307, 431, 440 f. Legitimation 68, 218, 304, 408, 461, 472 Legitimationsbedürftigkeit 19, 25, 59, 68, 182, 297, 306, 321, 418, 442 – 445, 464

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Lehre 49, 120, 122, 128, 130, 142, 197, 201, 213, 230, 283, 295, 302, 401, 406, 410 f., 434, 447, 483 Lehrmeister 120, 122 f., 127, 131, 135, 140, 148, 158, 192, 195 f. Lehrvertrag 118 Leiden 148, 150 f., 155, 192, 201, 294, 399, 421, 468 Leipzig 18, 47, 49 f., 88, 94, 186, 223, 239, 245, 389 Leitmedium, Leitmedien 221 Leistungsethik 129 Lemma 45, 51, 336, 389 Liebesbrief 223, 226 – 228 Lied 129, 164, 287, 302 f., 436 – 438 Linea 39, 45, 93, 261, 326, 488 lini 82, 84 f., 87 f., 92 f., 125, 170, 175, 178, 242, 261, 269, 302, 308, 325, 327, 334, 419, 426, 460, 474, 487, 490 Lissabon 121 Literarisierung 115, 221 Löffelholz, Familie 16 – 18, 20, 80 f., 383, 417 Losunger 17, 41, 383, 417 Losungerstube 370, 449 Lot 331, 335 Luthertum 104, 207, 212 f., 215 f., 285, 309, 378, 407, 410, 419, 424, 429, 431, 435, 447, 452, 488 Luxus 122, 237, 294 Luxusordnung 144, 161 Lyon 38 f., 74, 117 f., 121 f., 124 f., 131, 133, 136, 151, 155, 167, 181, 183 – 185, 232 M’con/Burgund 183 Mafeo 198 Mailand 143 Mannheim, Karl 58, 62, 99 – 101 Männlichkeit, männlich 69, 82, 90, 93, 95, 97, 113, 130 f., 147 f., 152 f., 155, 157 – 159, 202 f., 211, 229, 240 – 242, 254, 264, 271, 276 f., 311, 322, 339, 369, 472 Manuskriptfassung 69, 284, 294, 297, 299, 310 f., 316, 318, 321, 338 f., 348, 366, 380, 422

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Maximilian I., Kaiser 61, 281, 283, 286, 408, 418 Medici 361 Meisterlin, Sigismund 103, 443, 456, 466 Meistersang 163, 348, 409 f. Melanchthon 403 f., 419, 423 f. Memmingen 156, 457 Memoria 28, 30, 40, 57, 61, 119, 150, 185 f., 219, 240, 279, 291, 301, 321, 329, 335, 358, 368 – 371, 373, 375, 377, 382, 417, 427 memoria memorata 375 Memorial 44, 70, 79 f., 162, 185 – 187, 189 f., 192 f., 291, 318, 369, 378, 483 Memorialbücher 185, 427 Menius 128, 231 Menschenbild 78, 396, 402, 404 Mentalität 255 Messe 31, 117, 202, 233, 291, 374, 408, 423, 431 metakommunikativ 116, 126 f., 140, 146, 149, 166 f., 172 metasprachlich 61, 94, 440, 453 Migration 370 mimetisch 198, 358, 362 Miniatur 276 – 278, 294, 331, 351 Mittelalter 12 – 15, 18, 20, 39, 44 f., 49, 51 f., 55, 64, 74, 89, 98, 103 – 106, 110, 114 – 116, 118, 121, 128, 133, 136, 142 f., 145, 164, 172, 199, 207, 223, 229, 231 f., 280 – 282, 288, 296 f., 328, 343 – 345, 347 f., 356, 365, 386, 417, 423, 430, 440, 443 f., 451, 453, 459 mnemotechnisch 95, 269, 461 Mobilität, soziale 21, 39, 199, 203, 296, 301, 314, 370 Mode 164, 283, 446 Moderne 58, 63 – 65, 75, 128, 130 f., 142, 146, 160 f., 199, 232, 257, 397, 430 f., 449 Möller, Alhard 75, 123 Monument 25, 30, 275, 362, 476 f. Mündlichkeit, mündlich 420 f. Münzorakel, Münzwurf 245, 322 f., 325, 332 Musik 23, 160, 163, 165, 209, 287

547 Muster 25, 54, 96, 135, 140, 148, 207, 225, 239, 322, 374, 459, 482 Mutter 16, 131, 149 – 151, 156 – 159, 192, 202, 213, 265, 294, 298, 300, 302, 315, 333, 376, 383, 385, 390, 393, 465, 467, 478, 483 Mylius, Georg 419 Mystik 221 Mythologisierung 445 Nachkommen 33 f., 82, 105, 125, 239, 241, 246, 254, 276, 293 f., 308, 312, 314 – 316, 322, 325, 351, 369 f., 380 f., 385, 388, 393, 411, 420, 422, 426, 430, 438 f., 458, 460, 462 – 464, 488, 490 Nachrichten 37, 127, 161, 173, 175 – 177, 180, 233, 274, 280 Narrativ 60, 100, 103, 105, 113 – 115, 175, 221 f., 230 f., 306, 324, 329, 334, 343, 370, 378, 427, 442, 449 f., 459, 485 Netzwerk 76, 123, 127, 185, 194 Neudörfer, Johann 280 f. neuplatonisch 320, 361 Neusiedler, Melchior 163 Neuss 163 Neustoizismus 130 Newdörffer, Johann 280 f. Nichtkommunikation 168 Niederlande, niederländische Republik 419 Nobili, Antonio de 35, 122, 382 novitas 376, 469 nutz 19, 34, 129 f., 134, 136, 154 f., 158, 170, 192, 197, 207, 209, 231, 235, 254 f., 296, 418 f., 436, 454, 460, 462, 473 Offenbarung 396, 399 f., 402, 405, 411 f., 420, 422, 438, 460, 488 öffentliche Meinung 156, 176, 443 Öffentlichkeit 43, 63, 79, 176, 188, 219, 223, 226, 310, 375, 415, 426 Ökonomie, ökonomisch 172, 282 f., 293 Oligarchie 106, 324, 478 Opitz, Martin 295, 421 Ordnungsvorstellung 65, 129, 335 Orientierung 14, 51, 92, 130, 152, 154,

548 170, 222, 238, 303, 321, 338, 404, 414, 474, 476, 485 Ortell (Oertel), Familie – Florentzius 110 f., 134 – Sebalt 110 Orthodoxie 435 Osiander, Andreas 170, 213, 215, 370, 416, 432 Österreich 38 Ovid 204 f., 333, 478 f. Ovide moralis¤ 204 Pädagogik, pädagogisch 53, 113, 121, 153, 204 Papst Gregor VII. 452 Papst Leo III. 408 Papst Martin 367 Papst Paschalis II. 448, 452 Papst Pius IV. 401 Papst Sixtus IV. 239, 375 Papsttum, Papst 278, 296, 306, 406, 409 f., 417, 447, 449, 451 – 453, 455, 489 Paratext, paratextlich 50 – 52, 95, 107, 237, 277 f., 310 f., 335 f., 338, 341, 343, 348, 362, 366, 371, 378, 389, 393, 422, 425, 436, 459, 485, 488, 490 Paris 38, 181, 382, 393 patrilinear 467, 474 patriotisch 20, 291, 293, 348, 367, 371, 373, 416, 419, 451, 457 Patronatsrecht 377, 417 Perlenkrone 253 Personenkonzept 17, 75, 124, 223, 229 Pfinzing, Familie: – Georg Pfinzing von Henfenfeld 333 – Sebald IV. 87 Pfinzing-Löffelholzsches Geschlechterbuch 383 Pfinzing-Löffelholzsches Stammbuch 16, 91 Pfinzingbibel 29, 87, 91 f., 94, 96, 262 f., 325, 379 Pfinzingsches Stamm- und Wappenbuch 87 Piccolomini, Enea Silvio 393, 408 Pico della Mirandola 403 f.

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Piemont 175 Plato 438 f. Pluralisierung 39, 49, 62, 120, 184, 392, 419, 440 plutstammen 261, 326, 488 Porträt 36, 59, 98, 277, 298, 307, 311, 314, 323, 325 f., 334 f., 345, 352, 358 – 361, 365, 369, 392, 429, 434 Porträtmünze 111, 290, 359, 362, 416 Posen 167 Prachthandschrift 310, 321 Prachtversion 50, 69 f., 96, 139, 231, 234, 271 f., 279 – 281, 284 f., 290, 294, 301, 310, 312, 314, 318 f., 322, 325, 335 f., 351, 366, 368, 373, 379, 383, 393, 413, 422, 425, 467, 484 f. praecepta 185 f., 193 f., 196 praeteritio 172, 227, 304, 434, 474 Pragmatik 30, 53, 329 pragmatisch 21, 43, 47 f., 54 f., 58, 74 f., 104, 115, 186, 223, 229, 291, 302, 314, 329, 360 f., 377, 385, 425 f., 454, 463, 466, 482, 488 Präsentationsrecht 239, 418 Predigt 212, 221 – 223, 313, 394 f., 402, 420, 436 f., 486 Prestigemarkt 226 Privatbrief 13 f., 74, 79, 98, 115, 127, 135, 181, 223, 229 Privileg 134, 283, 324, 383, 417 Prokreativität 341, 348, 356, 381 Propst, Pröspte 25, 40, 238 f., 417 f. prosopographisch 18, 69, 311, 323, 335, 338, 366 f., 392, 457 Prozession 27, 29, 68, 370 f., 373 f. Quellenbindung 302, 304 f., 329 Quellengattung 14, 77, 97 Quellensorte 127, 187, 193 f., 228, 231 Ranke, Leopold 63 f., 99 Rationalitätsstandard 407 Ratskonsulent 16, 24, 43, 80, 144, 230, 300 Rechenpfennig 118 Rechnungsbuch 251 Reformation, Reformationsgeschichte,

549

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Reformationsgeschichtsschreibung 23, 28, 30, 38, 40 f., 44, 49, 57, 64, 73, 103 f., 115, 119, 142, 164, 185 f., 215, 220 – 222, 234, 262, 286, 300, 318, 331, 348, 360 f., 367, 370, 372 f., 375 – 378, 380, 408 f., 416 f., 422, 424 f., 428, 430 – 432, 434 f., 439, 451, 453, 489 Regelkompetenz 230, 234 Regensburg 165, 239 Reichskleinodien 372, 374 Reichtum 30, 85, 180, 199, 209, 218 f., 344 f., 381, 387, 444 Rekursivität 116, 148, 177, 435, 482 Religionsfrieden, Augsburger 104, 299, 309, 419, 457, 478 Reliquien 372, 408, 431 Renaissance 12, 18, 21, 73, 111, 141, 148, 160, 166, 199, 231, 280, 287, 310, 320, 346 f., 356, 358, 361 f., 365, 372, 391, 394, 476 Repräsentation 18, 25 – 27, 30, 36, 46, 48, 57, 59 – 61, 68, 71, 74, 77, 79, 81, 87, 97, 103 – 105, 144, 161, 193, 221, 237, 247, 249 – 251, 259 f., 267, 272, 274, 277, 294, 300 f., 304, 307, 314, 329, 371, 481, 484 Reyther, Jakob 120, 122, 124, 126, 162, 182 Rhetorik, rhetorisch 84, 186, 205, 224, 232, 401 Rialto 189 Richsner, Georg 82, 278, 464 – 467, 475 Ricœur, Paul 75, 103, 168 Rieter, Sebald 28, 44, 305, 433 Ritter 30, 37, 281, 306, 347, 356, 408, 440 f., 444, 466, 469 – 471, 476 Rixner, Georg 37, 278, 305, 307, 441 – 445, 448, 464 – 466, 469, 475 – 478 Rockner, Vinzent 282 Rolle, Rollenkennzeichen 15, 40, 47, 72, 85, 112, 120 f., 123 f., 129, 131, 133, 136, 139, 142, 157, 159, 173, 175, 177, 182, 203, 208, 213, 252, 293, 328, 337, 339, 356, 360, 398, 405, 409, 430, 432, 440, 448 f., 456, 478 Rosenplüt 369 Rottengatter, Jacob 141, 171, 179, 182

Rubinger, Erasmus 262 f., 268 f. Rudolf II., Kaiser 260, 274, 299 Sachs, Hans 44, 100, 163, 199, 289 f., 408 – 410 Safran 38, 121, 132 f., 141, 173 f. Sakralisierung 304, 438 Salomo 206, 214, 217, 315, 436 Saragossa 121 f., 141 Schaumünze 290, 293, 299, 358, 415 f., 418, 433 Scheinkommunikation 116, 166, 482 Scheurl, Familie – Albrecht 18, 72, 104, 114, 186, 224 f., 245, 274, 322 f., 393, 396, 416 – Christoph I. 187, 190, 318 – Christoph II. 16, 21, 24, 43, 80 f., 293, 300, 316 f., 378 f., 383, 440, 465, 484 f., 487, »Scheurl Geburt, Heirat Totten und Begrebnis«-Buch 68, 70 Scheurl-Stamm- oder Geschlechtsbuch 21 Schmalkaldischer Krieg 41, 418 f., 425, 454 – 456 Schmiedel, Heinrich, Prediger zu St. Sebaldt 268 f. Schöpfung 51, 388, 391, 393, 397, 402, 404 f., 411 f., 425, 435, 439, 485 f., 488 Schreibmeister 79, 277, 279 – 282, 286 Schreibprogramm 233, 387 Schreyer, Sebald 323, 417 Schriftbegriff 399 Schriftsinn 386 Sebaldkirche 40, 348, 368, 372 Sebaldusgrab 373, 417 Segen 85, 209, 218, 319, 388, 420, 423, 425 f., 438, 460 – 462 Selbstbeschreibung 13 f., 17, 31, 41, 49, 89, 96, 103 f., 168, 172, 321, 435, 482, 487 Selbstdarstellung 24, 40, 147, 157, 170 f., 179, 274, 299, 331, 346, 416, 427 Selbstzeugnis 94, 99 Selektion, archivische 157, 232, 234 f. Semantik, historische 35 f., 47, 50 – 55,

550 59 f., 99, 102, 128, 351, 356, 377, 383 f., 389, 397, 406 f., 420, 459, 486 f. Serialität 139 Seuche 155, 178 Sexualkomik 225 Sigmund, Kaiser 278, 287, 305 f., 371, 441, 466 Simmelsdorf 15, 37, 39, 248, 262 Sinnbildung 12, 14 f., 96, 230, 234, 299, 435, 450, 486 f. Sinnsystem 34, 59 f., 220, 487 f. Sirach, Jesus 78, 178, 200, 206 – 208, 210 – 217, 220, 295, 380, 424, 447, 483 Skepsis 174, 343 Skeptizismus 174 sodalitas staupitziana 215, 376 sola fide 217, 401 Sollis, Endres 260 Sombart, Werner 206 f. Soziabilität 62, 110, 114, 135 f., 148, 159, 203, 384 Sozialdisziplinierung 59, 204, 299 Sozialisation 62, 121, 138 Sozialstiftung 376 Spanien 38, 106, 117, 121, 126, 141, 160, 164 f., 296 Sparsamkeit 128, 147, 231 Sprache 13, 15, 25, 39, 48 – 51, 53 f., 59, 73, 103 f., 109, 118, 140, 146, 172, 178, 181, 183, 185, 194, 205, 211, 227, 249, 257 f., 278, 283, 303, 308, 312 f., 319, 326, 329, 388 f., 399, 404, 419 f., 423, 447, 458, 468, 482 Sprachreflexion 183, 339 Sprachrepertoire 104 Sprachspiel 73, 149, 178 St. Lorenzkirche 25, 39 Städtelob 45, 366 Stadtkultur 148, 361 Stadtpatron 347, 367, 373, 417 Stammlini, Stammlinie 92, 95, 258, 270, 275, 277, 279, 339, 351 f., 364, 487 f. Status, sozialer 12, 18, 31, 33 f., 36, 39, 41, 43, 52, 85, 143 f., 156, 180, 189, 217, 226 f., 244, 248, 260, 267, 273, 303, 306,

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309, 363, 365, 368, 381 f., 388, 415, 444, 449, 467 f., 487, 489 Stereotyp 35, 76, 104 f., 113, 139, 147, 155, 158, 170, 172, 178, 196, 200, 206, 220, 222, 227, 335, 359, 376, 411 – 413, 435, 489 Stiftungskapital 239, 248, 255 f. Stiftungspraxis 238, 243, 255 f., 258, 375 f., 378, 414 Stiftungszweck 39, 240, 243 f., 252, 255 f., 258, 365, 369 Stil 43, 79 f., 88, 126, 132, 163, 167, 174, 223, 248, 362, 392 – 394, 482, 485 f. Stilprinzip 126 stoisch, stoizistisch, Stoizismus 209, 287, 421 Stoß, Veit 39, 253, 364, 373, 377 Straßburg 150 Stromer, Bartholomäus 92, 238 Studium 165, 204, 214, 231, 239, 343 Sündentheologie 170, 405, 430 Supralibros 292 f. Symbol, symbolisch 95, 289, 321, 352, 356, 372, 417, 490 Systematisierungsgrad 61, 81, 390 Tacitus 392, 409 Tanzstatut 19, 41, 440, 443 Testament 19, 64, 142, 199, 206, 211, 215 f., 239, 256, 303, 308 f., 335, 369 – 371, 373 f., 395, 399, 401, 412, 423 f., 436 – 439, 460 Teufel 147, 154, 201 – 203, 398 Textualität, Text 14, 17, 19 – 21, 23, 32, 34, 43 – 46, 48 – 50, 52, 55 f., 58, 60, 66, 68 f., 73, 78, 80, 83, 88 – 91, 94, 103, 107, 115, 128, 138, 140, 151, 165, 188, 190, 192, 194, 197, 200 f., 203, 205, 207 – 210, 212 f., 215 – 217, 221, 223, 229, 232, 234, 236, 248, 266, 268, 279, 282 – 286, 291, 295, 297 f., 302 – 304, 306, 308, 311 f., 314, 316, 319, 323 – 327, 330 f., 334, 336, 338, 343, 350 f., 360, 362, 366, 369, 373, 376, 380 f., 383, 385 f., 389, 391, 393 f., 400, 403, 405, 409, 412, 420, 426 f., 432,

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435, 439 – 441, 446 – 448, 452, 454, 456, 459, 469, 479, 485, 490, 493 Textfunktion 109, 310 Textgenese, textgenetisch 71, 205, 490 Textsorte 60, 205, 385, 401 Theologie, theologisch 15, 207, 212 – 214, 216 f., 222, 256, 392, 394, 396, 399 – 401, 409, 411, 414, 430, 447 Theorbe 163 Thesenroman 195 Theuerdank 282 f., 286, 418 Tischzucht 210, 313 Tochterstamm 83 Tod 23 f., 26, 44, 70, 76, 80, 88, 112, 134, 141, 150 f., 155, 183, 201, 246, 249, 252 f., 260, 264 f., 271, 274, 286, 294, 323, 325, 330, 334, 359 f., 371, 387, 395, 399, 438, 458, 484, 490 Topik 69, 96, 109, 132, 140, 181, 194, 225, 229, 232, 297, 307, 314, 369, 410, 426, 434 Topos 112, 201, 204, 211, 220 f., 294, 312, 376, 414, 462 Trachtenbuch 162 Tradition 19, 25 f., 35, 46, 51, 60, 67, 74, 90, 95, 99, 101, 104 f., 145, 149, 199, 207, 212, 225, 233, 238, 240, 262, 277, 279, 283, 287 f., 290, 299, 320, 328, 330, 338 f., 347, 352, 356, 389, 392, 399 f., 405 f., 411, 414 f., 419, 421 f., 425, 435, 476, 483 translatio imperii 408 Trieb 114, 235 Tucher, Familie – Adam 245 f., 281, 303, 413, 421, 424, 436, 438 – Anton I. Tucher 433 – Anton II. Tucher 28, 41, 44 f., 214, 371 – Berthold IV. 28 – Christoff 246 – Christoph 141 – Conradt 334, 448, 478 – Endres 43, 70, 352 – Gabriel 125 f., 140, 166 – 186 – Hans I. 371 – Hans IX. 239

551 – Hans V. 28 – Hans VI. 28, 43 – Herdegen IV. 26, 28, 83 – 86, 110, 112 f., 132 – 139, 144, 147 – 151, 153, 155, 186, 238, 244 f., 280, 299, 383, 385, 413, 487 – Hieronymus 324 – Jacob 245, 247, 252 – Lazarus 244, 257 – Leonhart 41, 72, 109 f., 112 f., 115, 119 – 122, 124 – 126, 131 – 133, 135 – 138, 140 – 144, 153 – 155, 162, 167 – 169, 176, 182, 185, 230 f., 235, 245, 247 f., 358 f., 416 – Levin 141 f., 144 – Lorenz 25, 29, 40, 90, 93, 95, 97, 119, 238 – 240, 252, 259, 263, 293 f., 363, 370, 373 – 376, 434 – Martin 239, 242, 244 – Marx 244 f., 247, 413 – Paulus 125, 144 – 148, 157 f., 161 – 163, 199 – 201, 214, 230, 245, 249 – 251, 257, 259 – Sebald 93, 244, 347 – Sebald III. 28 – Sigmundt 89, 311, 465 f., 475 – Sixtus 121, 124, 131, 363, 371, 374 – 376, 416 – Sylvester 244 – Tobias 245 f., 249, 251, 254, 261, 280, 361 – Wolff 58, 89, 150, 261, 263, 278, 305 f., 311, 441, 465 f., 475 – Wolffgang 37, 244 Tucher-Führer-Stammenbuch 297 Tucheraltar 40 Tucherbuch 1570 93, 326 f. Tucherbuch, »Großes« 12, 14 f., 21, 26, 29, 31, 36 – 38, 41, 43 f., 50, 54 – 56, 61, 69 – 71, 88 – 90, 92 – 97, 120, 139, 155, 213, 238, 244 – 247, 249 – 254, 258 – 263, 265 – 268, 270 – 281, 284, 286 – 290, 293 – 299, 301, 307 f., 310 f., 314, 316, 318 – 321, 324 – 326, 333 – 339, 341, 351 f., 356, 360 – 362, 364 – 377, 379, 382 f., 387, 390 – 393, 405, 409, 411 f., 414, 418 f.,

552 421 f., 424, 430 f., 435 – 440, 442, 445, 449, 455, 457, 459 f., 465, 467, 470 f., 474 f., 477 f., 481, 484 – 486, 488 f., 491 Tucherbuch London 69, 90, 92, 95, 259, 263, 271, 278, 297 f., 311 f., 314 f., 323, 327, 350, 370, 372, 380, 413 Tucherbuch Rom 43, 88 f., 247, 307, 311, 325, 380, 465, 478 Tuchersches Familienarchiv 109, 125 Tucherwappen 26, 28 f., 93, 249, 271, 275, 278, 286, 318, 335, 348 Tugend 11, 33, 35 f., 128 f., 166, 174, 195 – 197, 199, 207, 287 – 290, 314, 338, 382, 409, 422, 472 f., 486 Türken 410 Turnierepisode, Turnierlegende 37, 87, 89, 305, 343, 440 f., 443, 445, 448, 477 f, 488 Typologie, biblische 399, 423

Überbietungsabsicht 48, 165, 250 f., 283, 294, 364, 370 Übergang, Übergänglichkeit 45, 103, 114, 128 f., 209, 361, 372, 389 überkonfessionell 12, 24, 309, 400, 404, 408, 418 Überlieferung 36, 47 f., 58 f., 71, 77, 97, 99, 105, 110, 139, 157, 185, 232, 235, 305, 345, 365, 375, 420, 428, 433, 439, 448, 458, 465 f., 481 Überlieferungssteuerung 77, 230 Überrest 13, 222 Übertragung 24, 29, 46, 52, 64, 101, 164, 308, 310, 312, 320, 378, 381 f., 391, 393, 412, 486 Ulrich von Hutten 409 Umgang 24, 51, 54, 64, 76, 102 f., 127, 133 f., 137 f., 147, 157, 178, 182, 189, 195 f., 203, 205, 209, 211, 217 f., 229, 256, 302, 307, 313, 315, 328, 377, 420 f., 424 umkreyß 258 Ungarn 38, 246 Universität 18, 104, 106, 116, 118, 143, 230, 471 Ursprung 15, 25, 45, 55, 59, 91, 95, 102,

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291, 322, 335 – 337, 360 f., 385, 428, 444, 478 f. Urteilsfähigkeit 131, 424 variatio 75, 461 Veltheim, Ludwig von 307, 465 f. Venedig 11, 38, 44, 121, 164, 187, 189, 274 Verdienst 33 f., 298, 300 f., 315, 383 f., 401, 458, 470, 486, 488 Verdienstadel 470 Verdienstdiskurs 36, 422, 469 Verflechtung 17 – 19, 106, 117, 324, 330, 369, 432 Vergangenheit 11 f., 21, 32, 36, 57, 60 f., 68, 99, 103, 109, 113, 115, 186, 210, 212, 220, 238, 281, 287, 292 f., 295 f., 314, 329, 362, 364, 374, 378, 384 f., 387 f., 391, 393, 414, 418, 425, 444, 457, 459, 467 – 469, 478, 485, 490 Vergangenheitsbild 60, 64, 66, 485 Vergangenheitsgeschichte, vergangenheitsgeschichtlich 48, 71, 87, 103, 105, 304, 337, 366, 371 Vergegenwärtigung 155, 356, 402 Vergesellschaftung 54, 67 f., 72, 115, 127, 146, 161, 163, 186, 217, 220, 226, 235 f., 253, 267, 418, 420, 433, 491 Verhalten 35, 63, 73, 100 f., 110, 126, 131 f., 134, 136 f., 139, 141 f., 144, 149, 154, 156, 175, 188, 195, 197, 209 f., 213, 216, 233, 308, 313, 315 f., 319 f., 323, 334, 381 f., 410, 431, 446 f., 473 Verhängnis 399 Verheiratung 17, 41, 246, 314, 324, 335, 341 Verkündigungsgemeinschaft 437 Vertrauen 91, 110, 117, 133 – 136, 172, 176 f., 249, 388, 474, 483 Vertrauenskommunikation 167 Vienne 246 Volkssprache, volkssprachlich 205, 309, 459 Vorbild 11, 32, 95, 142, 208, 280, 283, 320, 358, 363, 404, 487 Vorfahren 11, 31 – 35, 40, 84, 87, 92, 120, 210 – 212, 249, 311, 320, 328, 338, 346,

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352, 356, 362, 378, 388, 390, 393, 411, 423 – 431, 434, 438 f., 477 f., 481, 486, 488 Vorwortkultur 310, 321, 490 Wahrheit, Wahrheitsbegriff 11, 152, 211, 287, 300 – 302, 329, 402, 411, 429, 443, 448 f. Wappen 16, 19 f., 28, 31, 59, 87 f., 93, 98, 119 f., 190, 247, 252 f., 260 – 262, 265, 269, 272, 278, 281, 283, 287, 289, 291 – 293, 295 f., 317, 327, 331, 334, 348, 352, 358 – 362, 370, 372 f., 415, 432 f., 444 f., 455, 467 – 475 Wappentraktat 278, 470, 488 Wein 84, 137 f., 154 – 156, 180, 185, 203, 209 f., 427 Weisheit 112, 207, 209 – 212, 214 f., 217 f., 287, 300, 315, 404, 419, 438, 445 Weisheitsliteratur 206, 214, 216 f., 220, 424 welsch 143, 165 Weltende 201, 213, 255 f., 394, 405 – 407, 409, 485 f. Wende, pragmatische 25, 46, 79, 102, 104, 223, 229, 251, 291, 321, 453 Werkgerechtigkeit 293, 381, 397, 402 Werte 14, 16, 27, 72 – 74, 76, 85, 97 f., 109, 112, 125, 127 – 129, 131, 143, 145 f., 149, 165 f., 168, 192, 195 f., 199, 201, 218, 222 f., 233 f., 257, 267, 293, 297, 305, 361, 365, 377, 395, 408, 416, 426, 448, 467, 471 f., 483 f., 488 f. Wertsystem 22, 30, 56, 109, 127, 132, 220, 414 Wickram, Jörg 78, 114 f., 129 f., 148, 178, 195 – 200, 203 – 206, 215, 231, 483 Wimpfeling 204 Wirkungsabsicht 15, 25, 37, 41, 48, 59, 61, 66, 190, 225, 229, 274, 280, 296, 321, 330, 420, 440, 446, 481, 491 Wirtschaft 19, 38, 116 f., 135, 173, 292, 347, 417

553 Wirtschaftsmentalität 51, 119 f., 206, 257 Wissenschaftstheorie 13, 102 Wittenberg 18, 23, 143 f., 158, 161, 163, 214, 216, 230, 298, 390, 392, 396, 409 Wurzel Jesse 356 Zeichensystem 15, 45, 58, 144 Zeit 13, 19 f., 23, 25, 30, 32 f., 37, 41, 46 – 49, 51, 54 – 56, 58 – 62, 71 f., 88, 97 – 99, 103, 113, 117, 136, 139, 150, 155, 164, 170 f., 175, 181, 187 f., 190, 192, 200, 207, 209, 211, 213, 222, 224, 227 f., 230, 234, 237, 239, 241, 243, 247, 251, 255, 258 f., 264, 268 f., 272, 277, 286, 290, 296, 302, 313, 333, 336 f., 351, 356, 358, 373, 377, 379 f., 391 f., 394 f., 403, 406 f., 414, 417, 421, 426 f., 429, 431, 433, 445, 447 f., 459 f., 465, 468 f., 479, 482, 490 Zeitalter, Goldenes 57, 77, 104, 155, 185, 208, 211, 286, 401, 471 Zeitgeschichte, zeitgeschichtlich 12, 57, 101, 304, 431, 444, 457 Zeithorizont 11, 57, 63, 65, 90, 105, 237, 253, 261, 481, 484 Zeitkörper 59, 243, 425, 490 Zeitmodell 392, 490 Zeitstruktur 435 Zeitungen 174 Zeitvorstellung 356, 484 Zeugung 325, 388 f., 391, 411, 425, 488 Zielsprache 309 Zingel, Beschreibung des erbern geschlechts der 70, 88, 293, 385, 390, 392 f. Zivilreligion 347, 365, 368, 373, 376, 378 Zukunft 11 f., 23, 54, 99, 102, 109, 212, 243, 257, 293 f., 314, 370, 377, 381, 385, 413 f., 428, 430, 438, 462 f., 485 f., 488 f. Zukunftserwartung 32, 377, 385 Zunft, Zunftregierung 156, 306, 328, 418, 456 – 461 Zweckrationalität 134, 255, 441, 475

Gedächtnis und Geschichte

Harald Schmid (Hg.)

Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis Formen der Erinnerung, Band 41. 2009. 275 Seiten, gebunden, € 43,90 D ISBN 978-3-89971-575-0 In Politik, Medien und Humanities gibt es ein gesteigertes Interesse an den Themen Erinnerung und Gedächtnis. Dieser Band fragt ebenso nach den Entstehungsbedingungen und wissenschaftlichen Erträgen der Leitkonzepte »kollektives Gedächtnis« und »Geschichtspolitik« wie nach den Transformationen zwischen wissenschaftlicher und politischer Öffentlichkeit. Theorieorientierte Beiträge werden ergänzt von Fallstudien zur Gedächtnisgeschichte des 20. Jahrhunderts. Darin werden Aspekte des öffentlichen Umgangs mit Geschichte in Deutschland, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden, in den USA und im World Wide Web untersucht.

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