Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage: Der erste und der dritte Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik 9783825252687, 382525268X

Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Systematischer TheologieDas Apostolische Glaubensbekenntnis fasst in seinem erst

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Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage: Der erste und der dritte Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik
 9783825252687, 382525268X

Table of contents :
Cover
Impressum
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Zur Einführung
Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?
Eine kurze Einführung in das Credo-Projekt
Vom Werden des Apostolikums
Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse im religionsgeschichtlichen Horizont
I. »Ich glaube an Gott Vater …«
Von urgründiger Liebe
Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes im frühen Christentum
»Godfather«?
Das religiöse Vaterbild aus systematisch-theologischer Sicht
Reflexionen und Impulse zur Diskussion
Jan Quenstedt
Weiterführende Fragen
II. »… Allmächtigen …«
Von der Bosheit des Menschen
Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen
Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das?
Reflexionen und Impulse zur Diskussion
Eike Christian Herzig
Weiterführende Fragen
III. »… Schöpfer Himmels und der Erden …«
Von Schöpfung und Naturprozessen
Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung im Kontext der Schriften Israels und antiker jüdischer Literatur
Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer
Reflexionen und Impulse zur Diskussion
IV. »Ich glaube an den Heiligen Geist …«
Von der Neuschöpfung des Menschen
Leben im Glauben – Leben im Geist
Biblisch-theologische Aspekte der Geistesgegenwart Gottes
Christliches Leben im Geist
Reflexionen und Impulse zur Diskussion
V. »… ein heilige christliche Kirche, die Gemeine der Heiligen …«
Von der Verkündigung der Wahrheit im Auftrag des Geistes
Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist
Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens
Reflexionen und Impulse zur Diskussion
VI. »… Vergebung der Sünden …«
Von der Befreiung zum Leben
»Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48)
Die Vergebung der Sünden im Neuen Testament unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Doppelwerks und des Matthäusevangeliums
Vergebung der Sünden – Befreiung zum Leben
Reflexionen und Impulse zur Diskussion
VII. »… Auferstehung des Fleisches, und ein ewiges Leben«
Vom Tod als Transitus
Physischer Tod, metaphorischer Tod und die lebenstransformierende Kraft Gottes
Der letzte Feind
Was die christliche Gemeinde vom Tode bekennt
Reflexionen und Impulse zur Diskussion
Zur Aktualität des Bekennens
Was wir glauben sollen
Reflexionen zum Gebrauch des Apostolikums
Biogramme der Autorinnen und Autoren
Stellenregister
Personenregister
Sachregister

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utb 0000 5268

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Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage Der erste und der dritte Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik herausgegeben von Anne Käfer, Jörg Frey und Jens Herzer unter Mitarbeit von Eike Christian Herzig

Mohr Siebeck

Anne Käfer ist Professorin für Systematische Theologie und Direktorin des Seminars für Reformierte Theologie an der Universität Münster. Jörg Frey ist Professor für Neutestamentliche Wissenschaft mit Schwerpunkt Antikes Judentum und Hermeneutik an der Universität Zürich. Jens Herzer ist Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig. Eike Christian Herzig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Reformierte Theologie und am Institut für ökumenische Theologie an der Westfälischen Universität Münster.

ISBN 978-3-8252-5268-7 (UTB Band 5268) Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www. utb-shop.de. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2020 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von pagina in Tübingen gesetzt und von Hubert & Co. in Göttingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Coverabbildung: Retabel aus der Göttinger Barfüßerkirche, Detail: Die Apostel Petrus, Johannes und Jakobus d. Ä. von der ersten Wandlung, um 1424. Landesmuseum Hannover, Ursula Bonhorst. Printed in Germany.

Vorwort Das interdisziplinäre Gespräch über die Aussagen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, das wir 2015 in Leipzig begannen, haben wir 2018 auf einer Tagung in Münster fortgesetzt. Thema waren diesmal der erste und der dritte Artikel des Apostolikums. Renommierte Kolleginnen und Kollegen aus den bibelwissenschaftlichen Fächern, aus den Bereichen der Kirchengeschichte und der Systematischen Theologie haben sich überaus ertragreich dem Austausch gestellt. Engagierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler haben auf die im Band abgedruckten Paarvorträge respondiert und sie ausdrücklich aufeinander bezogen. Ihnen allen sei sehr herzlich für ihre Beiträge gedankt. Ein herzlicher Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Seminar für Reformierte Theologie (Münster), die zum Gelingen der Tagung beitrugen und die die Satzvorlage dieses Bandes sowie die Register erstellten. Insbesondere Herrn Eike Herzig, Herrn Bastian König, Frau Jana Neuenhöfer, Frau Johanna Baumann, Frau Victoria Lakebrink, Herrn Lennart Luhmann sowie auf Leipziger Seite Frau Sylvia Kolbe, Frau Nicole Oesterreich und Herrn Carlo Simon Christiansen danken wir sehr. Die Finanzierung der Tagung haben maßgeblich die Westfälische Wilhelms-Universität Münster sowie die Universität Zürich übernommen. Die Drucklegung wurde möglich durch finanzielle Unterstützung der Universität Zürich, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Bei Frau Elena Müller, Rebekka Zech und Herrn Tobias Stäbler vom Verlag Mohr Siebeck bedanken wir uns für die professionelle und freundliche Zusammenarbeit. Münster, Leipzig, Zürich, Erntedank 2019 Anne Käfer Jens Herzer Jörg Frey

Inhaltsverzeichnis Vorwort  ����������������������������������������  V Zur Einführung Jens Herzer Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?  ��  3 Eine kurze Einführung in das Credo-Projekt Peter Gemeinhardt Vom Werden des Apostolikums  ����������������������  15 Reinhard Achenbach Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse im religionsgeschichtlichen Horizont  ��������������������  59 I.  »Ich glaube an Gott Vater …«. Von urgründiger Liebe Christiane Zimmermann Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes im frühen Christentum  ������������������������������  89 Malte Dominik Krüger »Godfather«?  ����������������������������������  115 Das religiöse Vaterbild aus systematisch-theologischer Sicht Reflexionen und Impulse zur Diskussion  ��������������  139 Jan Quenstedt Weiterführende Fragen  ���������������������������  151 II.  »… Allmächtigen …«. Von der Bosheit des Menschen Markus Witte Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen. Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments  �������������������������������  155

VIII  Inhaltsverzeichnis Michael Moxter Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das?  ���������������������������������  177 Reflexionen und Impulse zur Diskussion  ��������������  195 Eike Christian Herzig Weiterführende Fragen  ���������������������������  207 III.  »… Schöpfer Himmels und der Erden …«. Von Schöpfung und Naturprozessen Lutz Doering Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung im Kontext der Schriften Israels und antiker jüdischer Literatur  ���������������������  211 Christopher Zarnow Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer. Phänomenologische Annäherungen und theologische Deutungen  �����������  239 Christiane Nagel Reflexionen und Impulse zur Diskussion  ��������������  267 IV.  »Ich glaube an den Heiligen Geist …«. Von der Neuschöpfung des Menschen Jens Herzer Leben im Glauben – Leben im Geist  �����������������  283 Biblisch-theologische Aspekte der Geistesgegenwart Gottes Martin Laube Christliches Leben im Geist. Überlegungen zur Pneumatologie  ������������������������������  321 Nadine Ueberschaer Reflexionen und Impulse zur Diskussion  ��������������  345

Inhaltsverzeichnis  IX

V.  »… ein heilige christliche Kirche, die Gemeine der Heiligen …«. Von der Verkündigung der Wahrheit im Auftrag des Geistes Markus Öhler Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  ��������  357 Hans-Peter Grosshans Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  ������������  385 Carsten Baumgart Reflexionen und Impulse zur Diskussion  ��������������  411 VI.  »… Vergebung der Sünden …«. Von der Befreiung zum Leben Matthias Konradt »Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48)  ��������������  425 Die Vergebung der Sünden im Neuen Testament unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Doppelwerks und des Matthäusevangeliums Christine Schliesser Vergebung der Sünden – Befreiung zum Leben  ����������  455 Sabine Joy Ihben-Bahl Reflexionen und Impulse zur Diskussion  ��������������  479 VII.  »… Auferstehung des Fleisches, und ein ewiges Leben«. Vom Tod als Transitus Christina Hoegen-Rohls Physischer Tod, metaphorischer Tod und die lebenstransformierende Kraft Gottes. Befunde und Thesen zu Tod, Auferstehung und ewigem Leben im Neuen Testament  �����������������������������  495

X  Inhaltsverzeichnis Henning Theissen Der letzte Feind  ��������������������������������  523 Was die christliche Gemeinde vom Tode bekennt Michael R. Jost Reflexionen und Impulse zur Diskussion  ��������������  537 Zur Aktualität des Bekennens Michael Beintker Was wir glauben sollen. Von der Zeitgemäßheit alter Bekenntnisse  �����������������������������������  551 Jörg Frey / Anne Käfer Reflexionen zum Gebrauch des Apostolikums  ����������  567 Biogramme der Autorinnen und Autoren  ���������������  579 Register Stellenregister  ����������������������������������  584 Personenregister  ��������������������������������  613 Sachregister  �����������������������������������  627

Zur Einführung

Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen? Eine kurze Einführung in das Credo-Projekt Jens Herzer

Obwohl die ursprüngliche Idee eine andere war, machte der 2018 erschienene Band zum zweiten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses1 und vor allem die konkrete interdisziplinäre Arbeit auf der Tagung recht schnell deutlich, dass es dabei nicht bleiben kann. Nicht nur, dass die Interpretation des zweiten Artikels notwendig die Frage nach dem Zusammenhang mit dem ersten und dritten Artikel aufwirft und damit auch der Anspruch einer vollständigen Behandlung des Credos im Raum stand, wie sie nun mit den beiden Bänden in kompakter Weise vorliegt. Es war vielmehr auch der nachdrückliche Wunsch der Beteiligten nach einem fortgesetzten (und erweiterten) interdisziplinären Gespräch, der zur Konzeption einer Folgetagung führte, die in noch breiterem Umfang verschiedene theologische Disziplinen an dem Gespräch über eine der wichtigsten Bekenntnisgrundlagen der christlichen Tradition beteiligen sollte. Anfangs ging es eigentlich zunächst um die Frage nach der Bedeutung der Christologie und damit des spezifisch Christlichen des Gottesglaubens angesichts der Macht des faktischen religiösen Pluralismus in Europa und der Probleme einer Verhältnisbestimmung des christlichen Glaubens zu anderen religiösen Überzeugungen, die nicht nur selbst einen exklusiven Anspruch stellen, sondern dadurch auch in deutlicher Spannung, mitunter sogar in offener und gewalttätiger Feindschaft zum Christusglauben stehen. Umso wichtiger wird natürlich die trinitarische Form des Bekenntnisses, innerhalb derer der christologische Artikel eingebettet ist in das Bekenntnis zum allmächtigen Vater und Schöpfergott und das Bekenntnis zum Wirken des Heiligen Geistes. Dass diese beiden Artikel aufgrund ihrer über 1   Vgl. J. Herzer / A. Käfer / J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018.

4  Jens Herzer das spezifisch Christliche hinausweisenden Dimension für den interreligiösen Dialog eine besondere Bedeutung haben, liegt auf der Hand. Gleichzeitig ist aber auch deutlich, dass unter den Voraussetzungen unserer Lebensbedingungen kaum eine der traditionellen Bekenntnisaussagen aus sich selbst heraus evident ist, auch nicht im Kontext eines ernsthaften christlichen Glaubensvollzuges. Angesichts der medialen Herausforderungen unserer Zeit und den damit verbundenen Veränderungen von Sprach-, Denk- und Diskursstrukturen ist es keineswegs selbstverständlich und gehört deshalb immer wieder zu den strittigen Aspekten des kirchlichen Lebens, wenn alte Bekenntnisse als verbindlicher Teil einer gottesdienstlichen Agende gesprochen werden sollen, deren Inhalte nicht mehr verstanden oder nicht mehr geglaubt werden.2 Hier bestehen deutliche Diskrepanzen zwischen einem scheinbar selbstverständlichen Evidenzbewusstsein in der verfassten Kirche und auch in der akademischen Theologie einerseits, die beide von der Beschäftigung mit diesen Fragen gewissermaßen leben, und dem ebenso realen Evidenzverlust andererseits, der selbst in den Gemeinden in Bezug auf das Verständnis von traditionellen Bekenntnisinhalten und rituellen Vollzügen unverkennbar ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso mehr geboten, diese Fragestellungen sowohl grundsätzlich als auch im Detail in Bezug auf die konkreten Bekenntnisaussagen zu thematisieren und diese respektvoll und sachbezogen, aber eben auch ohne Umschweife und ohne falsch verstandene Loyalität zu alten Traditionen zu problematisieren. Das ist nur in einem interdisziplinären Diskurs überhaupt möglich und sinnvoll. Dieser Diskurs soll so viele Disziplinen wie möglich einbeziehen, auch wenn dieses Ideal in der konkreten Pragmatik einer Tagungsplanung nicht immer befriedigend umgesetzt werden kann. Es bleiben stets Wünsche und Fragen offen, manche Bereiche können nicht bedient werden. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass mit Konferenzen wie denen in Leipzig 2015 und Münster 2018 ein Weg beschritten wird, der Mut und Lust macht, darauf weiter unterwegs zu bleiben. In der Struktur entspricht der vorliegende Band seinem Vorgänger. Die einzelnen Bekenntnisaussagen des ersten und dritten Artikels werden jeweils aus bibelwissenschaftlicher und systematisch-theo2  Vgl. dazu auch R. Leonhardt, Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche zwischen Anspruch der Tradition und aktuellen Herausforderungen, in: Herzer / Käfer / Frey, Die Rede von Jesus Christus (s. Anm. 1), 55 – 82.

Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?  5

logischer Perspektive behandelt, wobei jeder Autor und jede Autorin natürlich frei war, innerhalb der thematischen Vorgaben ihre bzw. seine eigenen Akzente zu setzen. Doch gerade das macht die interdisziplinäre Lektüre so interessant, auch und vor allem dort, wo man scheinbar »nicht zusammenkommt«. Solche inhaltlichen Überhänge und Dissonanzen regen weiteres Gespräch und weitere Auseinandersetzung an. Zu diesem Zweck haben wir wieder Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen gebeten, jeweils ein Vortragspaar in einer substantiellen Response kritisch zu reflektieren und aufeinander zu beziehen. Diese Beiträge sind in ausgearbeiteter Form als »Reflexionen und Impulse zur Diskussion« in diesem Band beigefügt und bringen frischen theologischen Wind in die Debatte um die Inhalte des Bekenntnisses. Wir sind ausgesprochen dankbar für den akademischen Mut und die Bereitschaft unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich damit gleichsam »in die Höhle des Löwen« zu begeben und selbstbewusst, engagiert und scharfsinnig ihre kritische Sicht vorzutragen. Eingeführt wird der Band durch zwei themenübergreifende Beiträge. Ebenso informativ wie kurzweilig beschreibt zunächst Peter Gemeinhardt das »Werden des Apostolikums« von den Anfängen des Bekenntnisses in der apostolischen Verkündigung, über die frührömischen Bekenntnisfragen und die Bekenntnisformeln der frühen Kirche bis hin zur Endgestalt des Apostolikums als »entfaltete Summe des Christusgeschehens« (22). Mit dieser spannenden Wegbeschreibung wird schnell deutlich, wie komplex und verzweigt die Geschichte des Credos im Kontext der Geschichte des Taufsakraments ist und wie problembehaftet der Versuch, sich davon ein angemessenes Bild zu machen. Entsprechend offen ist der aktuelle Diskurs darüber in der Forschung. Das Apostolikum wird konsequent als Zeugnis »am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter« (20) interpretiert und nicht als Ergebnis einer Dekadenzgeschichte verstanden, sondern gleichsam als »Konjunkturen des Apostolischen« (56). Vorformen dieses Bekenntnisses, insbesondere die des sog. »Romanum«, machen die regionale Vielfalt von konkurrierenden Bekenntnistraditionen deutlich, wobei das Attribut »apostolisch« keineswegs exklusiv für eine Überlieferung reserviert war. Erklärtes Ziel des Beitrages ist es aufzuzeigen, »was Dichtung und was Wahrheit des Apostolischen am Apostolikum ist« (23). Als zweiten Akkord des Auftaktes schlägt Reinhard Achenbach un­ ter dem Titel »Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse im religions-

6  Jens Herzer geschichtlichen Horizont« einen weiten und beeindruckenden Bogen in die Religionsgeschichte des Alten Orients. Er führt damit bereits in jenen Kontext hinein, der für den ersten Artikel über den Vaterund Schöpfergott von Bedeutung ist. Insbesondere Schöpfungsmythen erweisen sich in altorientalischen Texten als Bestandteile weisheitlicher Lehre durch »Erzählungen, die die Wirklichkeit erschließen, und die in einer für den Menschen transzendenten Erschlossenheit des Wirklichkeitsbezugs ihren Ursprung erkennen« (60) lassen. Der Gottesbegriff wird in diesen Erzählungen in seiner Bedeutung für die Erschließung von Wirklichkeit konkret in der Verehrung Gottes zur Geltung gebracht, die zugleich das Gottesbekenntnis einschließt und damit gemeinschaftsstiftende Kraft entfaltet. Exemplarisch wird dies anhand der Debatten um die Ursprünge des Jahwismus gezeigt, wobei Achenbach hervorhebt, dass bereits im Pentateuch selbst eine bemerkenswerte und komplexe Theorie über die »Geschichte der Gotteserkenntnis Israels (als) Teil einer universalen Erkenntnisgeschichte« (72) entwickelt wird. Die Auslegung des ersten Artikels eröffnet Christiane Zimmermann mit einem Beitrag über die Vater-Metaphorik als Ausdruck des Wesens Gottes. Sie zeichnet darin die biblischen Linien bis zu den apostolischen Vätern nach und legt dabei großen Wert auf die Tatsache, dass die christliche Vateranrede tief in der alttestamentlich-jüdischen Tradition verankert ist. Für die christliche Adaption sei wesentlich »die Verbindung von ekklesiologischer und christologisch-hoheitlicher Referenz der Vaterschaft Gottes« (96). Die Sohnschaft Christi korreliert mit der Kindschaft der Glaubenden, bezogen auf denselben Vater. Zugleich geht dies einher mit einer »kreatorisch-kosmologischen Referenz der Vater-Metapher« (99). Dadurch werde nicht zuletzt deutlich, warum im Apostolikum die Vateranrede an den Anfang gestellt wird. Aus systematisch-theologischer Perspektive beschreibt und erörtert Malte Krüger in Anknüpfung an den englischen Begriff des »Godfather« aus dem gleichnamigen Film von Francis F. Coppola die multiperspektivische Krise des religiösen Vaterbildes als Beispiel für die Notwendigkeit eines programmatischen Neuansatzes evangelischer Theologie. Insofern Religion »im menschlichen Bildvermögen und seiner Einbildungskraft fundiert« (125) sei und also als eine Projektion des Menschen zu gelten habe, stehen die Begriffe Imagination und Phantasie für eine neue »bildhermeneutische Theologie«, die kulturanthropologisch zu begründen sei (133).

Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?  7

Das Attribut der Allmacht Gottes erschließt Markus Witte aus alttestamentlicher Sicht mit einem spezifischen Blick auf das Judentum der hellenistischen Zeit. Dessen theologische Perspektiven insbesondere auf das Wesen Gottes angesichts einschlägiger Krisenerfahrungen sind auch für das Neue Testament außerordentlich bedeutsam geworden. Dabei spielen Fragen nach der Herrschaft Gottes, seiner Gerechtigkeit und Güte eine besondere Rolle, insofern sich darin seine Allmacht in einer sehr konkreten Weise für den Glauben manifestiert. »Der Glaube an den Allmächtigen«, so die abschließende These, »ist Ausdruck eines monotheistischen, dynamischen und personalen und partizipatorischen Gottesverständnisses« (172). Die systematisch-theologische Herausforderung durch die Frage nach der Allmacht Gottes ist für Michael Moxter maßgeblich von politischer Natur: »Pointiert das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer die Einzigkeit seiner Herrschaft, so kann es zur Kritik bestimmter Herrschaftsformen ermuntern und eine Art Sperrklinkeneffekt für imperiale Selbstinszenierungen auslösen« (180). Zugleich müsse man sich aber auch der Gefahr eines solchen Gottesbildes, das von einer potentia absoluta bestimmt werde, bewusst sein. Es komme daher darauf an, wie bzw. wovon der Begriff von Macht verstanden wird. Mit dem schöpfungstheologischen Aspekt des ersten Artikels beschäftigen sich Lutz Doering und Christopher Zarnow. Lutz Doering kommt es in seiner detailreichen Studie insbesondere darauf an, das Bekenntnis zu Gott als Schöpfer anhand neutestamentlicher Schöpfungsaussagen im Kontext der alttestamentlich-jüdischen Tradition zu verstehen und »die kosmologischen, heilsgeschichtlichen, identitätspolitisch-sozialen, ethischen, christologischen und eschatologischen Implikationen des Bekenntnisses vor Augen« zu stellen (237). Christopher Zarnow geht von der Beobachtung aus, es genüge »nicht mehr, die Aufgabe der systematischen Theologie als kritische Reflexion positiv irgendwie gegebener Glaubensbestände zu bestimmen«. Vielmehr sei von der Dogmatik regelrecht »Aufbauarbeit am Symbol zu leisten«, um noch zeitgemäß sagen zu können, was es bedeutet (239). So schreitet Zarnow buchstäblich einen weiten und spannend beschriebenen Horizont ab, der von einer Bestandsaufnahme des »blauen Planeten« Erde in den Himmel und von dort mit neuen Perspektiven zurück zur Welt als Schöpfung und damit zur Erschließung des Symbolgehalts des Bekenntnisses zu Gott als Schöpfer Himmels und der Erden führt, der zugleich der das Geschöpf »persönlich angehende[.] Gott« ist (264).

8  Jens Herzer Auch der dritte Artikel des Apostolikums birgt seine eigenen Herausforderungen. Dass damit, wie der Untertitel des dritten Hauptteils aussagt, im Kern »Von der Neuschöpfung des Menschen« die Rede sein muss, gibt bereits einen wichtigen zu entfaltenden Grundgedanken dieses Artikels wieder. Ein Unterschied zum ersten und zweiten Credoartikel besteht darin, dass die erste Bekenntniszeile über den »Glauben an den Heiligen Geist« nicht ohne Weiteres durch die anderen Aussagen des Artikels entfaltet wird. Diese stehen zunächst syntaktisch in einem offeneren, komplementären Verhältnis zur Aussage über den Glauben an den Geist. Gleichzeitig sind natürlich Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben konkreter Ausdruck des schöpferischen Wirkens des Geistes Gottes. In einem ersten Diskursgang erörtert mein eigener Beitrag zunächst das Verhältnis von Glauben und Geist, und zwar unter der Maßgabe, dass die Rede vom Heiligen Geist stets unter den Bedingungen menschlicher Existenz und menschlicher Erfahrung geschieht und daher die anthropologische Frage nach dem Selbst und dem Bewusstsein des Menschen zentral ist. Die neutestamentliche Überlieferung wird auf diese Aspekte hin vorgestellt und interpretiert und ein personhaftes Verständnis des Geistes im Sinne der klassischen Trinitätslehre kritisch hinterfragt. Das Ziel ist eine Antwort auf die Frage, was konkret vom neutestamentlichen Befund her mit dem »Glauben an den Heiligen Geist« bekannt wird. In systematisch-theologischer Hinsicht stellt Martin Laube sehr grundsätzliche Überlegungen zur Pneumatologie zur Diskussion. Er geht dabei von der Feststellung aus, dass die Lehre vom Heiligen Geist ein »ungelöstes Dauerproblem der Dogmatik« darstelle (322). Eine forschungsgeschichtliche Orientierung erhellt diese Problematik und mündet in bemerkenswerte Anregungen unter den Aspekten der Sozialität, der Medialität und der Kreativität des Geistes. Gerade im Blick auf seine Wirkungen im religiösen Kommunikations- und Sinnbildungsprozess des Glaubens erweise sich der Geist als »das geschichtliche Traditionsprinzip des Christentums« (344). Für die ekklesiologische Aussage des dritten Artikels erläutert Markus Öhler facettenreich die neutestamentlichen Zeugnisse für das Verständnis der Gemeinde als ecclesia und zugleich als »Gemeinschaft der Heiligen«. Dies geschieht unter der Maßgabe, dass der Geist das bestimmende Moment des dritten Artikels sei. Der Fokus liegt auf der paulinischen Ekklesiologie, wobei dem Epheserbrief in mancher

Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?  9

Hinsicht eine Sonderstellung zukommt. Doch auch die Linien anderer Traditionsbereiche des Neuen Testaments werden anschaulich ausgezogen. Hans-Peter Großhans fragt – von reformatorischer Ekklesiologie speziell lutherischer Prägung ausgehend  – sehr grundsätzlich, was die Kirche sei. Wichtig ist ihm dabei vor allem die Frage nach der Katholizität und Heiligkeit der Kirche als Leib Christi, die er »im Geheimnis Jesu Christi, in Jesus Christus als dem Sakrament« begründet sieht (392). Besonders interessant erscheint die These, dass die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen »ihre Heiligkeit in einem dreifachen Diakonat« unter den Aspekten der Wahrheit, der Liebe und der Hoffnung realisiere (393). Freiheit sei die besondere Ambition und Herausforderung der sich evangelisch nennenden Kirche, die der Wahrheit des Evangeliums verpflichtet sei. Matthias Konradt behandelt das »weite Feld« der Vorstellung von der Vergebung der Sünden, zweifellos ein zentrales Thema neutestamentlicher Theologie insgesamt, wie es die kurze und eher unscheinbare Zeile im Bekenntnis kaum anzudeuten vermag. Konradt konzentriert sich auf das lukanische Doppelwerk und das Matthäusevangelium (allerdings nicht ohne einen informativen und erhellenden Blick auf die übrige neutestamentliche Überlieferung zu werfen), die jeweils unterschiedliche Konzeptionen bieten, wobei sich hier in je besonderer Weise ekklesiologische und ethische Dimensionen verbinden. Lukas habe die Vergebung der Sünden zum Leitmotiv seines Doppelwerkes in Bezug auf das Wirken Jesu, der Apostel und des Geistes gemacht. Auch bei Matthäus ist dieses Motiv programmatisches »Zentrum der Sendung Jesu« (450, mit U. Luz), aber er fasst es doch mit seiner spezifischen Verankerung der Sündenvergebung im Kontext der Gemeinde anders als Lukas. Einen besonderen Blick auf den dogmatischen Topos der Sündenvergebung wirft Christine Schliesser. Ausgehend von der ekklesiologischen Verankerung im Glaubensbekenntnis als Taufbekenntnis und unter Voraussetzung von CA VII geht es ihr neben begrifflicher Klärung (etwa in der Unterscheidung von Sünde und Schuld) und theologischer Durchdringung vor allem um die empirische Bewährung dessen, was Vergebung der Sünden bedeutet. Sündenvergebung sei in der Lebenswirklichkeit zu verorten; vorgeführt und »auf die Spitze getrieben« (455) wird dies an einem ebenso bemerkenswerten wie erschütternden Fallbeispiel der jüngeren Geschichte Ruandas nach dem Völkermord der Hutu an den Tutsi und der schwierigen Frage nach Möglichkeiten von Vergebung und Versöhnung.

10  Jens Herzer Die eschatologische Aussage des Credos »Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben« erörtern Christina Hoegen-Rohls und Henning Theißen. Nach einer informativen Problematisierung begrifflicher Aspekte, die sich aus den sprachlichen Veränderungen des Credos in seiner neueren Fassung ergeben, erschließt und interpretiert Christina Hoegen-Rohls auf profunde Weise die komplexen neutestamentlichen Befunde zum Thema »Tod« sowie zu den Topoi »Auferstehung des Fleisches« und »ewiges Leben«. Ihr geht es dabei insbesondere um eine Problematisierung und Differenzierung der Vorstellung vom Tod als Transitus aus biblischer Perspektive sowie um die Frage, wie sich die Aussage von der Auferstehung und ewigem Leben im Kontext des dritten Artikels verankern lassen. Besonderes Gewicht liegt dabei auf der johanneischen Vorstellung vom »ewigen Leben«. Aus dogmatischer Sicht legt Henning Theißen dar, »(w)as die christliche Gemeinde vom Tode bekennt«. Theißen nimmt einen Faden des exegetischen Beitrags auf und geht von der provozierenden These aus, dass der Tod kein Transitus sei. »Wäre er es, so wäre […] die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten vergeblich« (523 f.). Vielmehr sei in Bezug auf den Tod systematisch einzuholen, dass dieser nach 1 Kor 15,26 als »letzter Feind« und damit als »Siegel unserer Endlichkeit« (523) verstanden werde. Theißen versteht es, in einer geradezu spannend zu lesenden Darstellung biblische Befunde mit dem dogmatisch notwendig zu Denkenden so zu verbinden, dass nicht nur ein plausibles Verstehen der eschatologischen Aussagen des Credos möglich wird, sondern auch die existentielle Einsicht, dass es tatsächlich Hoffnung geben kann. Eine grundlegende systematisch-theologische Reflexion von Michael Beintker unter dem Thema »Was wir glauben sollen. Von der Zeitgemäßheit alter Bekenntnisse« schließt die thematischen Beiträge des Bandes ab. Angesichts der Erfahrung, dass Bekenntnistraditionen in der Praxis des Glaubens eine durchaus ambivalente Rolle spielen, bietet Beintker damit eine wichtige Richtungsweisung für den Umgang mit Bekenntnissen. Zugespitzt und mit einem Augenzwinkern formuliert er: »In den christlichen Kirchen glauben wenige viel und viele wenig« (553). Doch das »Was« des Glaubens stehe stets unter der Maßgabe, »Wem« geglaubt werden könne im Sinne eines Vertrauensaktes, der »das Zentrum und die tragende Achse des Glaubens« sei (555). Von hier aus erschließe sich konsequent die Bedeutung der expliziten Glaubenssätze des Bekenntnisses. Zugleich macht Beintker deutlich, wie sehr Glaube und Theologie in unserer Zeit herausge-

Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?  11

fordert sind, die alten und allzu dichten Formulierungen mit dem anzureichern, was als theologisch in einer konkret zeitbezogen Weise geboten ist und zugleich als Bekenntnisinhalt intersubjektiv – im Sinne der communio sanctorum – diskutabel bleiben muss. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf »bestimmte Unverträglichkeiten mit den Aussagen des Glaubensbekenntnisses, vor denen man nicht einfach die Augen verschließen darf« (563). Am Schluss des Bandes nehmen Anne Käfer und Jörg Frey diese von Beintker aufgeworfene Problematik in der Sache auf und blicken aus der Perspektive der Herausgeber noch einmal zurück auf das Gesamtprojekt. Mit einem exemplarischen und sehr anschaulichen Bezug auf eine recht komplexe Bekenntnissituation im Schweizer Kontext thematisiert Jörg Frey die Schwierigkeiten, mit denen sich Menschen heute im konkreten Umgang mit dem Bekenntnis konfrontiert sehen. Er stellt dabei die Verantwortung der Kirchen und ihrer ordinierten Theologinnen und Theologen heraus, mit »hermeneutischem Sachverstand« dazu beizutragen, dass das Bekenntnis in seiner für den Glauben integrativen Funktion vor dem Hintergrund gegenwärtiger Wirklichkeitserfahrung und -deutung verstehbar werde und darin die Freiheit des Evangeliums zur Geltung komme. Anne Käfer unterlegt diesen »Nutzen des Apostolikums« für das Glaubensleben mit systematischen Überlegungen unter der Perspektive des Taufgeschehens als einer Sünde und Tod überwindenden Wirklichkeit, die das Leben der Glaubenden nachhaltig bestimmen soll. Daher ist das Apostolikum gerade als Taufbekenntnis3 auf die Verkündigung des Evangeliums als interpretierendes Geschehen angewiesen und kann  – eingebunden in dieses Interpretationsgeschehen  – zu einer Lektüre biblischer Texte anleiten, »die das Evangelium nicht mit lebensbeschränkenden Forderungen verwechselt, sondern als befreiend erlebt« (578). Auch wenn in den beiden Konferenzen nicht alle denkbaren Aspekte behandelt werden konnten, so liegt nun mit den beiden »Credo-Bänden« eine durchaus ambitionierte, facettenreiche und vor allem konsequent interdisziplinäre Gesamtdeutung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses vor, das wohl schon aufgrund seines verbreiteten Gebrauchs das bekannteste und wichtigste Bekenntnis der Kirche sein dürfte. Die beiden Bände bringen sehr unterschiedliche Perspektiven auf die einzelnen Topoi miteinander in ein mitunter 3

  Vgl. dazu den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band.

12  Jens Herzer recht kontroverses Gespräch und ermöglichen hoffentlich in einer breiten Rezeption eine neue Weise der Annäherung an alte Inhalte. Das gilt auch und wohl vor allem für diejenigen, die als Studierende der Theologie auf ihrem Weg ins Pfarramt auf die Bekenntnisse der Kirche ordiniert oder als Religionslehrerinnen und Religionslehrer mit der Vocatio durch die Landeskirchen doch zumindest auf diese Bekenntnisse vor ihrem Gewissen verpflichtet werden. Wer, wenn nicht sie, müsste sprachfähig werden, um darüber in den jeweiligen Berufsfeldern zeitgemäß Auskunft geben zu können! Und zwar so, dass Menschen in den Bekenntnissen nicht (nur) verstaubte Inhalte sehen, die man eben irgendwie glauben müsse, um Christ oder Christin sein zu können. Vielmehr geht es darum zu entdecken, welchen weiten Raum des Glaubens und des theologischen Denkens Bekenntnisse eröffnen, welche Möglichkeiten und Ermutigungen, den je eigenen Glauben zu formulieren und bewusst mit dem »Glauben der Alten« in einen kritischen und innovativen Dialog zu bringen. Die von Anne Käfer und Jörg Frey formulierten und jedem thematischen Teil vorangestellten Leittexte sowie die sich an die Themenbeiträge anschließenden Fragen zu weiterführender theologischer Arbeit sollen insbesondere Studierenden der Theologie Anregungen geben, den Weg eigener Entdeckungen mit dem Bekenntnis zu beschreiten. Schließen möchte ich mit einer persönlichen Bemerkung. Als ich selbst mich vor mehr als dreißig Jahren auf das erste theologische Examen vorbereitete, ist mir ein Satz aus einer Vorlesung zu den lutherischen Bekenntnisschriften besonders in Erinnerung geblieben, dessen Bedeutung mir zwar zunächst verschlossen blieb, der aber für mein theologisches Arbeiten wie für meine Glaubensweise dann zunehmend wichtig geworden ist: Bekenntnisse seien dazu da, sich selbst überflüssig zu machen.4 In jemandem, der »Theologie durch-

4   Vgl. dazu E. Jüngel, Bekenntnis und Bekennen (1968), in: ders., Ganz werden. Theologische Erörterungen V, Tübingen 2003, 76 – 88, 88: »Bekenntnisse sind also kein Besitz für immer. Sie sind für die jeweilige Zeit und gehören zum täglichen Brot. Sie sind dem wahr machenden Worte Gottes folgsame menschliche Worte, die nichts anderes wollen können, als andere menschliche Worte zu derselben Folgsamkeit gegenüber dem Worte Gottes zu ermuntern und zu verpflichten. Sie sind also gerade im Gebrauch dazu da, sich selber überflüssig zu machen. Aber eben dazu sind sie da. Und je besser ein Bekenntnis sich selbst überflüssig und Gottes wahr machendes Wort allein notwendig macht, desto bleibender ist seine Bedeutung.«

Was sollen wir mit den Bekenntnissen der Kirche anfangen?  13

aus studiert, mit heißem Bemühn«5, regt sich natürlich sofort der Widerspruch: Bekenntnisse sind doch schließlich die Grundlage des Glaubens und der Kirche, auf die man ordiniert wird und damit eine bleibende Verbindlichkeit erlangen. Warum um alles in der Welt sollten sie sich selbst überflüssig machen? Vielleicht helfen ja die Beiträge der beiden »Credo-Bände«, gerade diese Dimension des Bekenntnisses zu entdecken und sie als Herausforderung anzunehmen. In seinem Beitrag zu diesem Band spricht Michael Beintker etwas ganz Ähnliches an, wenn er im Hinblick auf Theologinnen und Theologen von der lebenslangen Aufgabe des Glaubens spricht, nämlich zu lernen, was es mit dem Bekenntnis und den darin formulierten Verheißungen auf sich hat: »Die Beschäftigung mit dem Glaubensbekenntnis ist nicht das Privileg von Theologinnen und Theologen, aber gerade Theologinnen und Theologen sollten sich auf diesen lebenslangen Lernprozess einstellen. Weil sie durch ihr Studium und ihre Profession über gewisse Erkenntnisvorsprünge verfügen und ihnen beachtliche Theoriestrategien zur Verfügung stehen, können sie schneller übersehen, dass auch sie Lernende bleiben und mit dem Entdecken und Verstehenwollen nicht aufhören dürfen« (566). Ehe die Lektüre der Beiträge begonnen wird, sei noch auf vier Abkürzungen hingewiesen, die vielleicht nicht allen Lesenden so geläufig sind wie den Autorinnen und Autoren. Diese verweisen vielfach auf Artikel aus den beiden großen theologischen Lexika TRE (Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977 – 2004) und RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 1998 – 2007). Die Abkürzungen BSLK und BSELK weisen auf zwei unterschiedliche Ausgaben der lutherischen Bekenntnisschriften hin, die beide in Göttingen erschienen. Die ältere Edition trägt den Titel »Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche« (BSLK) und stammt aus dem Jahr 1930. 2014 wurde eine vollständige Neuedition unter dem Titel »Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche« (BSELK; hg. v. I. Dingel) publiziert.

5   J. W. von Goethe, Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil, hg. v. K.-M. Guth, Berlin 2015, 16. Aus hier nicht zu erörternden Gründen setzt Goethe in diesem berühmten Text des Gelehrten Faust bekanntlich ein »und leider auch« vor die Theologie, das hier bewusst nicht mit zitiert wird, weil das Theologiestudium natürlich alles andere als eine bedauerliche Veranstaltung ist, sondern eines der interessantesten und anregendsten studiorum, die man sich vorstellen kann.

Vom Werden des Apostolikums Peter Gemeinhardt

1.  Die apostolische Schöpfung des Credos – Dichtung und Wahrheit Das Faltblatt mit dem Programm der Tagung, auf der dieser Text vorgetragen wurde, zeigte einige der zwölf Apostel mit Büchern, auf deren Seiten einzelne Zeilen des Apostolikums zu lesen sind. Die Bilder stammen von einem 1424 geschaffenen Altar aus der Kirche des Barfüßerklosters in Göttingen.1 Zwar steht die Kirche seit fast zweihundert Jahren nicht mehr, der Altar befindet sich im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover. Er leitet aber die hier zu verfolgende Fragestellung auf kongeniale Weise ein: Setzt er doch eine, ja die Vorstellung des abendländischen Mittelalters vom Werden des Apostolikums ins Bild. Und dieses beginnt, wie mancher vielleicht überrascht zur Kenntnis nehmen wird, mit dem Pfingstwunder: »Danach ›kehrten‹ die Jünger des Herrn ›nach Jerusalem zurück‹ und ›hielten einmütig fest am Gebet‹ (Apg 1,12.14) bis zum zehnten Tag, welcher Pfingsten ist und der Fünfzigste genannt wird, einem Sonntag; und an diesem Tag zur dritten Stunde ›geschah plötzlich vom Himmel ein Geräusch wie das eines gewaltigen herbeikommenden Windes und erfüllte das ganze Haus, in dem‹ die Apostel ›saßen. Und es erschienen unter ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und dieses saß auf jedem einzelnen von ihnen, und alle wurden sie erfüllt vom Heiligen Geist und begannen in anderen Zungen zu sprechen, wie ihnen der Heilige Geist zu reden eingab‹ (Apg 2,2 – 4), und sie stellten ein Symbol zusammen, nämlich dieses: Petrus sagte: ›Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde.‹ – Johannes: ›Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn.‹ – Jakobus: ›Empfangen aus dem Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria.‹ – Andreas: ›Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.‹ – Philippus sagte: ›Er stieg hi1   Zur Entstehungsgeschichte und zum Bildprogramm des Altars vgl. C.P. Warncke, Der sogenannte Barfüßer-Altar, in: T. Noll / C.-P. Warncke (Hg.), Kunst und Frömmigkeit in Göttingen. Die Altarbilder des späten Mittelalters, München 2012, 109 – 119 mit Tafel 20 – 34 (114 – 116). Die Apostel sind auf der »zweiten Wandlung« dargestellt, d. h. der Festtagsseite, die nur zu besonderen Anlässen sichtbar gemacht wurde, vermutlich zum Weihefest der Franziskaner am Tag vor Trinitatis und dann in der ganzen Trinitatisoktav (a. a. O., 116). Farbabbildungen der vier Flügel finden sich im selben Band auf den Tafeln 26 – 29. S. auch die Abbildung auf der folgenden Seite.

16  Peter Gemeinhardt

Vom Werden des Apostolikums  17 nab in die Unterwelt.‹ – Thomas: ›Am dritten Tage erstand er von den Toten auf.‹ – Bartholomäus: ›Er stieg hinauf zum Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.‹ – Matthäus: ›Von dort wird er kommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.‹ – Wiederum Jakobus, (Sohn) des Alphäus: ›Ich glaube an den Heiligen Geist.‹ – Simon Zelotes: ›Die heilige katholische Kirche.‹ – Judas, (Sohn) des Jakobus: ›die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden.‹ – Ebenso Thomas: ›die Auferstehung des Fleisches, das ewige Leben. Amen.‹ «2

Wie unschwer zu erkennen ist, tritt in dieser Erzählung das Apostolikum an die Stelle, die in der Apostelgeschichte die Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14 – 36) einnimmt. Statt eines individuellen folgt ein kollektiver Sprechakt: Nicht einer spricht für alle, vielmehr sind alle Apostel namentlich und mit einem jeweils präzise benannten Beitrag an der Verkündigung des Evangeliums beteiligt. Genauer gesagt nehmen sie teil an der Verfertigung des »Symbols«, d. h. des »Leitfadens« oder der »Richtschnur« für diese Verkündigung, das zugleich auch als 2   Pirmin von Reichenau, Scarapsus 10 (MGH.QG 25, 30,4 – 33,3  Hauswald = Kinzig II, § 376): »Tunc ipsi discipuli domini ›reversi sunt Hierusolimam‹, et ›erant perseverantes unanimiter in oratione‹ usque ad decimum diem, quod est pentecosten et dicitur quinquagesimus, dies dominicus; et in ipsa die, hora tertia, ›factus est repente de caelo sonus tanquam advenientis spiritus vehementis et implevit totam domum, ubi erant sedentes‹ apostoli. ›Et apparuerant illis dispertitae linguae tamquam ignis, sedetque super singulos eorum, [et] repleti sunt omnes spiritum sanctum et coeperunt loqui aliis linguis, prout spiritus sanctus dabat eloqui illis‹ et composuerunt symbolum, hoc est: Petrus dixit: Credo in deum, patrem omnipotentem, creatorem caeli et terrae. Iohannes [ait]: Et in Iesum Christum, filium eius unicum, dominum nostrum. Iacobus [dixit]: Qui conceptus est de spiritu sancto, natus ex Maria virgine. Andreas [ait]: Passus sub Pontio Pilato, crucifixus, mortuus et sepultus. Filippus dixit: Descendit ad inferna. Thomas [ait]: Tertia die resurrexit a mortuis. Bartholomaeus [dixit]: Ascendit ad caelos; sedit ad dexteram dei, patris omnipotentis. Matheus [ait]: Inde venturus iudicare vivos et mortuos. Item Iacobus Alfei [dixit]: Credo in spiritum sanctum. Simon Zelothis [ait]: Sanctam ecclesiam catholicam. Iudas Iacobi [dixit]: Sanctorum communionem, remissionem peccatorum. Item Thomas [ait]: Carnis resurrectionem, vitam aeternam. Amen.« – Ich notiere hier und im Folgenden neben der jeweils verwendeten Edition auch (wo es um der Auffindbarkeit willen sinnvoll ist) die Nummer in der Clavis Patrum Latinorum (CPL) sowie in allen Fällen den Band und Paragraphen in der Ausgabe von W. Kinzig (ed./trans.), Faith in Formulae. A Collection of Early Christian Creeds and Creed-related Texts, 4 vols. (OECT), Oxford 2017, wo zu jedem Text ggf. weitere Editionen sowie relevante Untersuchungen verzeichnet sind – dies kann und muss hier nicht wiederholt werden. Die Abkürzungen der patristischen Quellenschriften folgen dem Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. v. S. Döpp / W. Geerlings, Freiburg i. Br. u. a. 32002.

18  Peter Gemeinhardt »Passwort« verstanden werden konnte, das den Taufbewerbern den Weg zum Empfang des Sakraments eröffnet – wir kommen auf diese Praxis weiter unten zu sprechen. Hier sei zunächst festgehalten: Das Apostolikum, wie wir es bis heute kennen und im Gottesdienst der evangelischen und katholischen Kirchen gebrauchen, ist ein Gemeinschaftswerk aller zwölf Apostel. Wirklich aller? Wer genau hinsieht, bemerkt, dass einer, nämlich Thomas, zwei Redebeiträge liefert. Es treten also nur elf Sprecher auf, obwohl doch dem Narrativ der Apostelgeschichte zufolge ein neuer zwölfter Apostel, Matthias, bereits vor dem Pfingstereignis ausgelost worden war (Apg 1,15 – 26) und sich an der geistbewegten Formulierung des Symbols hätte beteiligen können, ja sollen. Hat der Verfasser der Erzählung diesen Ergänzungsspieler übersehen oder bewusst übergangen? Oder gibt es einen inhaltlichen Grund dafür, dass ausgerechnet Thomas eine so prominente Rolle einnimmt? Schon Ferdinand Kattenbusch vermutete, Pirmin lege nicht zufällig beide Erwähnungen der resurrectio  – die bereits erfolgte Christi und die noch erwartete der Gläubigen – dem Auferstehungszweifler Thomas in den Mund.3 Das ist eine ansprechende Vermutung, die freilich in der Quelle keinen ausdrücklichen Anhalt findet. Auch wenn man andere mittelalterliche Texte einbezieht, in denen eine solche zwölfteilige Formulierung des Apostolikums zu finden ist, wird die Sache nicht eindeutiger: Manche gewähren ebenfalls Thomas einen doppelten Auftritt, andere nicht; dort kommt, wie zu erwarten wäre, Matthias zu Wort. Darüber hinaus lässt sich die jeweilige Reihenfolge der apostolischen Wortmeldungen nur in einigen Fällen auf die im Neuen Testament bezeugten (schon hier voneinander abweichenden) Apostellisten (Mt 10,1 – 4 parr Mk 3,13 – 19 und Lk 6,12 – 16; Apg 1,13 f.26) zurückführen; andere Texte, so auch der eingangs erwähnte Göttinger Barfüßeraltar, ordnen die Redebeiträge der Apostel ohne erkennbaren biblischen Bezug an.4 Halten wir also als ein weiteres 3   F. Kattenbusch, Das Apostolische Symbol. Seine Entstehung, sein geschichtlicher Sinn, seine ursprüngliche Stellung im Kultus und in der Theologie der Kirche. Ein Beitrag zur Symbolik und Dogmengeschichte, Bd. 2: Verbreitung und Bedeutung des Taufsymbols, Leipzig 1900 (ND Hildesheim 1962), 770. 4   Die Anordnung der Apostel ist in den ältesten Zeugen für die Legende durchaus unterschiedlich. Auf Apg 1,13 f. – aber noch ohne Matthias, stattdessen mit einer zweiten Wortmeldung des Thomas – geht neben Pirmins Text auch das Bekenntnis in der Collectio Gallica Vetus (Kinzig II, § 373) zurück. Der Liste in Mt 10,1 – 4 mit der aus Apg 1,26 entnommenen Ergänzung von

Vom Werden des Apostolikums  19

vorläufiges Ergebnis fest: »Die« Geschichte von »der« gemeinsamen Formulierung des Glaubensbekenntnisses für die individuell zu leistende, aber kollektiv zu verantwortende Mission gibt es nicht. Dieser Befund lässt sich generalisieren: »Das« Werden »des« Apostolikums, von dem dieser Beitrag handeln soll, ist nicht mit knappen und eindeutigen Strichen zu beschreiben. Denn das Apostolikum war über Jahrhunderte im Werden. Der oben zitierte Text stammt von Pirmin, der im späten Merowingerreich das Kloster Hornbach am Rande der Vogesen gründete und dort bis zu seinem Tod 753 wirkte. Pirmins Scarapsus gilt oft als erster Zeuge für das Apostolikum, genauer: für dessen textus receptus, also für denjenigen Text, der als »Normtext« für die abendländischen Kirchen gelten kann, insofern er im Ordo Romanus aus dem Jahr 1568 und in den 1580 kodifizierten lutherischen Bekenntnisschriften zu finden ist.5 Das trifft cum grano salis auch zu, wenn man über einige marginale Abweichungen hinwegsieht6 und wenn man die Frage der möglichen Priorität anderer Kandidaten mangels eindeutiger Indizien für eine Entscheidung auf sich beruhen lässt: Praktisch buchstabenidentische Textfassungen finden wir in einem ohne Kontext überlieferten Text des Credos, in einem Sakramentar aus der sogenannten Collectio Gallica Vetus (dazu sogleich) Matthias folgen z. B. ein anonymer Traktat über die Trinität (CPL 1762; Kinzig II, § 364; dazu s. u.) sowie zwei Bekenntnisse, die in Cod. Sangall. 40 und Cod. Paris, BNF 2796 überliefert sind (Kinzig II, § 379a und b). Apg 1,13 f. mit Matthias wird im Missale von Bobbio und in Ps.-Augustin, serm. 241 (Kinzig II, § 375 und 386) rezipiert, während Ps.-Augustin, serm. 240 (Kinzig II, § 383) zwar Matthias, ansonsten aber eine leicht veränderte Anordnung aufweist. Den Befund hat, wenn ich recht sehe, bisher nur Kattenbusch, Das Apostolische Symbol, Bd. 2 (s. Anm. 3), 769 – 772, diskutiert. 5  Melchior Hittorp, De divinis catholicae Ecclesiae officiis et ministeriis, Köln 1568, 73; BSELK 42 f. Das Kürzel »T« für den »Textus receptus« geht auf F. Kattenbusch, Das Apostolische Symbol. Seine Entstehung, sein geschichtlicher Sinn, seine ursprüngliche Stellung im Kultus und in der Theologie der Kirche. Ein Beitrag zur Symbolik und Dogmengeschichte, Bd. 1: Die Grundgestalt des Taufsymbols, Leipzig 1894 (ND Hildesheim 1962), 189 zurück, ebenso die Sigle »R« für das »altrömische Symbol« (»Romanum«; a. a. O., 60). In Ermangelung eines treffenderen Begriffs (und im Wissen darum, dass in der neutestamentlichen Textforschung ebenfalls lange von einem »Textus receptus« gesprochen wurde, der mit einem Glaubensbekenntnis natürlich überhaupt nichts zu tun hat) verwende ich die eingeführte Sigle »T« für den seit dem 9. Jahrhundert unifizierten Text des Apostolikums. 6   In den neuzeitlichen Ausgaben von T steht sedet statt sedit, est hinter venturus und et nach carnis resurrectionem, anders als bei Pirmin und den im Folgenden genannten ältesten Textzeugen.

20  Peter Gemeinhardt und in zwei pseudaugustinischen Predigten, von denen eine sogar auf das 6. Jahrhundert zurückgehen mag.7 Wie dem auch sei: »Der« Text »des« Apostolikums ist erst am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter bezeugt, und er war nur einer von zahlreichen Texten, die unter dem Label »apostolisch« kursierten. So hat der Textbestand des Bekenntnisses, das wir bis heute als »Apostolisches Glaubensbekenntnis« liturgisch verwenden, zwar ein stolzes Alter von immerhin über 1200 Jahren, aber er reicht in keinem Fall volle 2000 Jahre, also in die Zeit der Apostel, zurück – und, wie wir sehen werden, auch nicht in die Zeit der Apostelschüler oder -enkel. Die bisherigen Bemerkungen sollten deutlich gemacht haben, dass die Frage nach dem »Werden des Apostolikums« von der Existenz einzelner Textzeugen ausgehen muss, die teils unmittelbar durch die handschriftliche Überlieferung, teils in indirekter Bezeugung in späteren literarischen oder liturgischen Kontexten zugänglich sind. Wir müssen also beachten, was in welcher Zeit und in welchem geographischen Raum »wurde« und wo sich Ähnlichkeiten, ja Konvergenzen ergeben. Um bei den bisher genannten Texten zu bleiben: Diese werden in der Forschung übereinstimmend in Gallien verortet; daher kam Pirmin, und dort entstand auch das bereits erwähnte, in der Collectio Gallica Vetus erhaltene Sakramentar, in das vielleicht schon in der Mitte des 7. Jahrhunderts der Textus receptus des Apostolikums eingefügt wurde. Auch hier spricht nicht Matthias, sondern Thomas den letzten Satz.8 John N. D. Kelly hat vor fast einem halben Jahrhundert mit Blick auf das mehrfache frühe Auftreten dieses Textes die These vertreten, dass das Apostolikum in seiner später universal gültigen Form im Laufe des 7. Jahrhunderts in Südwestgallien entstanden sei; im Zuge der Reformmaßnahmen in der Zeit Karls des Großen sei es im Frankenreich als Taufbekenntnis quasi kanonisiert und im 10. Jahrhundert auf fränkischen Druck dann auch – »endlich!«, so

7   Anonymus, Symbolum Apostolorum (CPL 1758; s. VII – VIII; Kinzig II, § 280); Ps.-Augustin, serm. 242,2 (s. VI – VII; Kinzig II, § 276c); Ps.-Augustin, serm. 240,1 (s. VIII; Kinzig II, § 383). Im zuletzt genannten Text wird jeder Satz des Apostolikums sogleich vom selben apostolischen Redner kurz ausgelegt. 8   H. Mordek, Kirchenrecht und Reform im Frankenreich. Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien. Studien und Edition (BGQMA 1), Berlin u. a. 1975, 359,60 – 360,70 (= Kinzig II, § 373; ca. 650 – 700).

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mag man zwischen den Zeilen lesen – in Rom übernommen worden.9 Ob der Überlieferungsbefund eine so eindeutige Lokalisierung zulässt, ist allerdings fraglich. Es bieten sich auch andere Kandidaten an: Den ersten Text, der der später normativen Fassung erkennbar ähnelt und der in der Forschung klassischerweise als »Romanum« bezeichnet wird, findet man schon im 4. Jahrhundert, allerdings ausgerechnet in einem im Jahr 341 nach Rom gerichteten Brief und obendrein in griechischer Sprache. Ob mit dieser Schrift etwas Neues nach Rom kam oder im Gegenteil etwas Römisches durch einen in Rom um Hilfe nachsuchenden Kleinasiaten zitiert wurde, ist Thema einer angeregten Forschungskontroverse in jüngerer Zeit und wird unten eingehender diskutiert werden. In den Jahrhunderten zwischen diesem ersten Auftreten des Romanums und der textlichen Stabilisierung des Apostolikums bieten die Quellen eine regionale Vielfalt von mehr oder weniger voneinander abweichenden Texten des Glaubensbekenntnisses, das den Aposteln zugeschrieben wird. Liuwe Westra hat vorgeschlagen, diese Varianten als konkrete regionale »Typen« zu verstehen.10 Das erklärt manches, aber nicht alles. Mögen auch, wie schon Kelly betonte, die Zeugen für den späteren Textus receptus überwiegend aus Gallien stammen, so trifft dies für den ersten bekannten Zeugen der Zuweisung einzelner Sätze an die Zwölf nicht zu: Es handelt sich um eine anonyme Schrift aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, die weder in Rom noch in Gallien, sondern in Norditalien entstand. Unter dem Titel »Über den Glauben an die Trinität, auf welche Weise man ihn auslegt«11 beginnt dieser Text mit einer Einleitung, die wörtlich mit den ersten Sätzen des Athanasianums übereinstimmt,12 lässt dann das »apostolische« Credo folgen und schließt mit einer Reflexion der Tri9   J. N. D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie, Göttingen 31972 (ND 1993), 411.418.423. Kattenbusch, Symbol, Bd. 2 (s. Anm. 3), 790 – 794, plädiert vorsichtig für einen burgundischen Ursprung. 10  Zuerst formuliert in L. H. Westra, A Never Tested Hypothesis: Regional Variants of the Apostles’ Creed, in: Bijdr. 56 (1995), 369 – 386; Bijdr. 57 (1996), 62 – 82, ausgearbeitet dann in seiner grundlegenden Untersuchung (L. H. Westra, The Apostles’ Creed. Origin, History, and Some Early Commentaries [IPM 43], Turnhout 2002). 11  Anonymus, De fide trinitatis quomodo exponitur (CPL 1762); A. E. Burn, Neue Texte zur Geschichte des apostolischen Symbols, in: ZKG 21 (1901), 128 – 137; Westra, Apostles’ Creed (s. Anm. 10), 522 f. = Kinzig II, § 364); zur zeitlichen und räumlichen Verortung vgl. a. a. O., 387 – 392. 12  Zu diesem Bekenntnis (Kinzig III, § 434a) vgl. V. H. Drecoll, Das

22  Peter Gemeinhardt nität, die stark an das Nizäno-Konstantinopolitanum erinnert und in knapper Form das entfaltet, was man als lateinischen Neunizänismus bezeichnen kann.13 Diese Zusammenstellung erinnert an das Nebenund Miteinander der tria symbola Apostolikum, Athanasianum und Nizänum in den lutherischen Bekenntnisschriften, nur dass hier alle drei Zugänge zum Glauben in einen textlichen Zusammenhang gebracht werden. Für das frühe Mittelalter ergibt sich damit ein wichtiger Hinweis: Auf unterschiedliche Weise entstandene Texte werden zusammen gelesen und ergeben ein de facto nicht spannungsfreies, aber offenbar als kohärent wahrgenommenes Ensemble, und zwar insgesamt mit apostolischer Autorisierung. Wir müssen also nicht nur zwischen verschiedenen Textvarianten und -formen des werdenden Apostolikums unterscheiden, sondern auch die Einbettung dieser Texte in ihre Kontexte bedenken, denn ein apostolisches Pedigrée wurde offensichtlich auch weiteren Texten zugeschrieben. Damit dürften hinreichend Warnschilder aufgestellt sein, um endlich in medias res gehen zu können. Im Folgenden will ich dem Werden des Apostolikums in drei Schritten nachspüren: Ein erster Gang führt uns vom apostolischen Kerygma zur Entstehung als apostolisch deklarierter Glaubensbekenntnisse (Abschnitt 2.). Sodann kommen frühe Formen des späteren »Apostolikums«, insbesondere das jüngst wieder diskutierte »Romanum« in den Blick; es ist dabei zu fragen, ab wann wir mit welchen Gattungen rechnen können und wo »Römisches« und »Apostolisches« zusammenfinden (Abschnitt 3.). Schließlich muss untersucht werden, was dem Glaubensbekenntnis vom frühchristlichen Kerygma bis zum »fertigen« Apostolikum an Glaubensgehalten zugewachsen ist – das ist vor allem eine entfaltete Summe des Christusgeschehens, aber auch die communio sanctorum (Abschnitt 4.). Ich stütze mich bei alledem auf neuere Forschungen zu den Glaubensbekenntnissen aus dem zurückliegenden Vierteljahrhundert, insbesondere aber auf die 2017 erschienene, umfassende Quellensammlung »Faith in Formulae« von Wolfram Kinzig und auf dessen Symbolum Quicumque als Kompilation augustinischer Tradition, in: ZAC 11 (2007), 30 – 56. 13  C. Markschies, Was ist lateinischer »Neunizänismus«? Ein Vorschlag für eine Antwort, in: ZAC 1 (1997), 73 – 95; wieder in: ders., Alta Trinità Beata. Gesammelte Studien zur altkirchlichen Trinitätstheologie, Tübingen 2000, 238 – 264; P. Gemeinhardt, Lateinischer Neunizänismus bei Augustin, in: ZKG 110 (1999), 149 – 169.

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weitere Arbeiten, denen nicht nur die Erschließung und Einordnung bisher unbeachteten Materials, sondern auch neue Erkenntnisse und Hypothesen zum Thema zu verdanken sind.14 Doch stellt gerade die erwähnte Quellensammlung die Komplexität der Überlieferungs- und Interpretationsgeschichte vor Augen und macht en passant deutlich: Über das Apostolikum und seine zahlreichen Verwandten ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es kann naturgemäß auch im begrenzten Rahmen dieses Beitrags nicht gesprochen werden. Was Dichtung und was Wahrheit des Apostolischen am Apostolikum ist, hoffe ich freilich aufzeigen zu können; damit den Rahmen für die weiteren Beiträge im vorliegenden Band abzustecken, ist das Ziel meines Beitrags, weshalb dessen Einsichten in der Schlussbemerkung (5.) noch einmal pointiert zusammengefasst werden.15

2.  Vom apostolischen Kerygma zu apostolischen Glaubensbekenntnissen 2.1.  Das eine Symbolum und die vielen Apostel Die Vorstellung, die auf dem Göttinger Barfüßeraltar dokumentiert ist, dass die zwölf Apostel je einen Satz zum authentischen Bekenntnis des christlichen Glaubens beisteuerten, begegnet – wie gesagt – erst am Ausgang der Spätantike. Der Gedanke einer gemeinsamen Verantwortung der Apostel für den von ihnen zu verkündigenden Glauben und seine Formulierung ist jedoch erheblich älter. Das Missionsnarrativ der Apostelgeschichte wurde seit dem 2. Jahrhundert 14

  Kinzig, Faith (s. Anm. 2).   Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte seit der bahnbrechenden, freilich in vielerlei Hinsicht überholten Untersuchung von Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9) ist nicht intendiert. Eine solche bietet, allerdings auf die Verteidigung der eigenen Position zum »markellischen« Ursprung des Romanums (s. u.) ausgerichtet und insofern in teilweise apologetischem Duktus, M. Vinzent, Der Ursprung des Apostolikums im Urteil der kritischen Forschung (FKDG 89), Göttingen 2006. Ebenso bleiben moderne systematisch-theologische Auslegungen des Credos (etwa von Karl Barth oder Wolfhart Pannenberg) außer Betracht, da historische Fragestellungen in diesen Publikationen keine Rolle spielen. Der seltene Fall einer symbolgeschichtlich informierten theologischen Interpretation der einzelnen Artikel des Apostolikums für ein heutiges (US-amerikanisches) Publikum ist mit P. Ashwin-Siejkowski, The Apostles’ Creed. The Apostles’ Creed and Its Early Christian Context, London u. a. 2009 gegeben. 15

24  Peter Gemeinhardt einerseits im Blick auf das individuelle Geschick der ersten Jünger Jesu fortgeschrieben – das Ergebnis ist das Corpus der sogenannten apokryphen Apostelakten.16 Doch gilt schon dem 1. Clemensbrief (verfasst um das Jahr 100 n. Chr.) auch die kollektive Tätigkeit der Apostel als fundamental für die Ausbreitung des Evangeliums: »(Die Apostel) wurden durch die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus mit Gewißheit erfüllt und durch das Wort Gottes in Treue gefestigt, zogen dann mit der Fülle des Heiligen Geistes aus und verkündeten die frohe Botschaft vom Kommen des Gottesreichs.«17

Ein Dreivierteljahrhundert später stellt Irenaeus von Lyon († nach 190 n. Chr.) fest, die christliche Wahrheit sei nirgendwo anders als in der Kirche zu finden, »denn die Apostel haben in ihr wie in einem großen Vorratsraum alles in größter Vollständigkeit zusammengetragen, was zur Wahrheit gehört, so daß jeder, der will, aus ihr den Trunk des Lebens nehmen kann (vgl. Offb 22,17).«18 Tertullian († nach 215) beschreibt, wie Christus seine zwölf Jünger als »Lehrer für die Heiden bestimmte«,19 und postuliert (wie bereits Irenaeus), dass die rechte christliche Lehre in den von den Aposteln selbst gegründeten Gemeinden zu finden sei, da die Wahrheit das sei, »was die Gemeinden von den Aposteln, die Apostel von Christus, Christus von Gott empfingen.«20 Wir beobachten hier jenen Prozess der Formierung kirchlicher Identität, den Georg Kretschmar vor dreißig 16  Aus der reichen Literatur vgl. insbesondere die konzise Einführung von H.-J. Klauck, Apokryphe Apostelakten, Stuttgart 2005. Die Texte sind zugänglich in W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. 2: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 61997. 17  1 Clem 42,3 (FC 15, 166,11  –  19 Schneider  = Kinzig II, § 348): πληροφορηθέντες διὰ τῆς ἀναστάσεως τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ πιστωθέντες ἐν τῷ λόγῳ τοῦ θεοῦ μετὰ πλροφορίας πνεύματος ἁγίου ἐξῆλθον εὐαγγελιζόμενοι τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ μέλλειν ἔρχεσθαι. Übers. a. a. O., 167. 18  Irenaeus von Lyon, haer. 3,4,1 (FC 8 / 3, 38,7 – 9 Brox  = Kinzig II, § 349b): »cum apostoli quasi in depositorium dives plenissime in eam contulerint omnia quae sint veritatis, uti omnes quicumque velit sumat ex ea potum vitae.« Übers. a. a. O., 39. 19   Tertullian, praescr. 20,2 (FC 42, 266,10 f. Schleyer = Kinzig II, § 350b1): »destinatos nationibus magistros«. Vgl. auch Tertullian, adv. Marc. 2,2,1 (FC 63 / 3, 502,15 f. Lukas): Die unmittelbaren und späteren Schüler der Apostel würden sich vergebens bemühen, »si non adsistat illi auctoritas magistrorum, immo Christi, quae magistros apostolos fecit«. 20   Tertullian, praescr. 21,4 (FC 42, 268,19 f. Schleyer = Kinzig I, § 111b3): »quod ecclesiae ab apostolis, apostoli a Christo, Christus a Deo accepit«. Übers. a. a. O., 269.

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Jahren treffend als »Sammlung um das apostolische Evangelium« bezeichnet hat,21 den man in moderner Diktion aber auch als Institutionalisierung beschreiben könnte, als Entwicklung von Formen und Medien der Gewährleistung von Dauerhaftigkeit im Wandel.22 In einer Phase der Herausbildung trennscharfer Unterscheidungen von »Orthodoxie« und »Häresie« – was voraussetzt, dass solche Differenzbestimmungen material und kategorial eben noch nicht fixiert waren – diente die Berufung auf »das Apostolische« als Kriterium,23 und zwar gerade nicht aufgrund der individuellen, sondern der kollektiven Verkündigung der Apostel. Die rechten Jünger Jesu konnten in Bezug auf den ihnen von Christus anvertrauten Glauben auf keinen Fall uneins gewesen sein! Die Frage ist nun, in welcher Form der apostolische Glaube zugänglich war, den die Apostel den Gemeinden hinterlassen hatten. Für spätere Generationen galt diese Frage längst als geklärt. Ambrosius von Mailand († 397) leitete seine Explanatio Symboli ad initiandos, eine Darlegung des bei der Taufe zu bekennenden Glaubens, die um 390 geschrieben wurde, mit einer Bezugnahme auf die Gestalt dieses Glaubens ein: »Die heiligen Apostel kamen also zusammen und verfertigten eine kurze Zusammenfassung des Glaubens, damit wir in knapper Form die folgerichtige Anordnung des ganzen Glaubens erfassen sollen. Kürze tut nämlich not, damit dieser stets im Gedächtnis und in lebhafter Erinnerung gehalten werden möge.«24

21   G. Kretschmar, Die »Selbstdefinition« der Kirche im 2. Jahrhundert als Sammlung um das apostolische Evangelium, in: J. Schreiner / K. Wittstadt (Hg.), Communio Sanctorum. Einheit der Christen – Einheit der Kirche (Festschrift P.-W. Scheele), Würzburg 1988, 105 – 131. 22   Zur Rede von Institutionen und Institutionalisierungen im Blick auf das spätantike Christentum vgl. P. Gemeinhardt, Was ist Kirche in der Spätantike? Einheit und Vielfalt – Anspruch und Wirklichkeit, in: ders. (Hg.), Was ist Kirche in der Spätantike? (SPA 14), Leuven 2017, 1 – 34 (24 – 28), mit Bezug zu gegenwärtigen Entwürfen der Kirchentheorie sowie ders., »Das Paradies ist ein Hörsaal für die Seelen«. Institutionen religiöser Bildung in interdisziplinärer Perspektive, in: ders./I. Tanaseanu-Döbler (Hg.), »Das Paradies ist ein Hörsaal für die Seelen«. Institutionen religiöser Bildung in historischer Perspektive (SERAPHIM 1), Tübingen 2018, 1 – 24 (5 – 13), im Gespräch mit soziologischer und historiographischer Theoriebildung. 23  Vgl. zu diesem Phänomen auch Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 13. 24  Ambrosius, expl. symb. 2 (CSEL 73, 3,9 – 4,12 Faller  = Kinzig II, § 351a): »Sancti ergo apostoli in unum convenientes breviarium fidei fece-

26  Peter Gemeinhardt Wenige Zeilen später spricht Ambrosius ausdrücklich von einem symbolum – einem »Erkennungszeichen« für Christen, mit dem die Katechumenen, an die er seine Predigt richtete, vertraut gemacht werden sollten.25 Zutreffend leitet Ambrosius den Begriff symbolum aus dem Griechischen ab, bestimmt seine Bedeutung im Lateinischen aber irrigerweise als collatio, dessen Etymologie nicht zu σύμβολον, sondern zu συμβολή führt.26 Auch Rufin von Aquileia († 411 / 12) referiert die fälschliche Ableitung, bietet daneben als Alternative jedoch die zutreffenden Synonyme indicium und signum.27 Der Begriff symbolum, den später auch Pirmin verwendet, begegnet im Christentum seit Tertullian, jedoch erst seit dem späten 4. Jahrhundert mit Bezug auf einen fixierten Text.28 So definiert der jüngere Zeitgenosse des Ambrosius, Niketas von Remesiana († ca. 414), symbolum wie folgt: »Ein symbolum ist ein Medium der Erinnerung an den Glauben und ein heiliges Bekenntnis, welches gemeinschaftlich von allen gehalten und gelernt wird.«29

Hier und ebenso bei etwa zeitgleich wirkenden Theologen wie Rufin oder Augustin († 430), aber schon bei Ambrosius sind die symbola, die Katechumenen erklärt werden, Glaubensbekenntnisse im Sinne feststehender Texte, die dem uns bekannten Apostolikum mehr oder weniger ähneln. Auf die Textgestalt(en) kommen wir noch zu sprechen. Hier sei zunächst darauf hingewiesen, dass die Autorisierung durch alle Apostel, die schon im frühen Christentum zu beobachten ist, bei Ambrosius noch durch die Präzisierung als zwölf Apostel erweitert wird: »Da es nun also zwölf Apostel sind, gibt es auch zwölf einzelne Sätze«30 – die dann auch zitiert werden, aber ohne sie in dierunt, ut breviter fidei totius seriem conpraehendamus. Brevitas necessaria est, ut semper memoria et recordatione teneatur.« 25   Ambrosius, expl. symb. 2 (CSEL 73, 3,2 – 6 Faller = Kinzig I, § 15a1). 26  So Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 59. 27   Rufin, symb. 2 (CChr.SL 20, 134,15 – 19 Simonetti = Kinzig I, § 18). 28   Zur Begriffsgeschichte vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 57 – 65; zahlreiche Quellentexte bei Kinzig I, §§ 8 – 80. 29   Niketas von Remesiana, instr. 2 frg. 5 (A. E. Burn [ed.], Niceta of Remesiana: His Life and Works, Cambridge 1905, 8,15 – 17 = Kinzig I, § 14): »Symbolum est commonitorium fidei et sancta confessio, quae communiter ab omnibus tenetur et discitur.« 30   Ambrosius, expl. symb. 8 (CSEL 73, 10,1 f. Faller = Kinzig I, § 15a2 =): »Ergo quemadmodum duodecim apostoli, et duodecim sententiae.« Vgl. Leo I., ep. 4b(31) an Kaiserin Pulcheria (12,80 – 84 Silva-Tarouca = ACO II 4, 14,30 – 15,2  Schwartz = Kinzig  II, § 360a): »siquidem ipsa catholici symboli brevis et perfecta confessio, quae XII apostolorum totidem est signata sen-

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sem Text ausdrücklich mit Namen zu verbinden. Umgekehrt zählen die zwischen 375 und 400 n. Chr. in Antiochien aus teils viel älterem Material kompilierten Apostolischen Konstitutionen namentlich alle zwölf Apostel (nach Mt 10,1 – 4 und Apg 1,26) auf, referieren aber ohne eine konkrete Aufteilung in Bekenntnissätze »die katholische Lehre als Stütze für euch, denen die Aufsicht über die ganze (Kirche) anvertraut ist.«31 Eine ähnliche Transformation ist im 4. Jahrhundert in frühchristlichen Kirchenordnungen zu verzeichnen: So wurden Textteile aus der um 100 n. Chr. verfassten Didache in mindestens zwei Fällen auf elf (!) Apostel aufgeteilt.32 Es lag offensichtlich nahe, auch das dem Apostelkollektiv zugeschriebene symbolum des Glaubens zu (re-)individualisieren.

2.2.  Der eine Glaube und die Vielgestalt von Credotexten Daneben ist noch eine weitere Autorisierungsstrategie in der lateinischsprachigen Christenheit zu erkennen: der Bezug auf die Kirche von Rom. Ambrosius stellt diesen Bezug dort her, wo er über die Unveränderlichkeit des symbolum spricht: So wie die Johannesapokalypse verbietet, ihrem Text etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen (Offb 22,18 f.), »wie sollten wir das Bekenntnis, das wir als überliefert und erstellt von den Aposteln empfangen haben, besudeln?« Das sei ferne! Denn, so Ambrosius weiter, »das ist das Bekenntnis, das die römische Kirche bewahrt, wo der erste unter den Aposteln, Petrus, saß und die (allen) gemeinsame Äußerung übermittelte.«33 In einem Brief tentiis, tam instructa sit munitione caelesti, ut omnes haereticorum opiniones solo ipsius possint gladio detruncari.« 31  Const. App. 6,14,1 (SC 329, 338,8 – 10 Metzger  = Kinzig I, § 182b): ἐγράψαμεν ὑμῖν τὴν καθολικὴν ταύτην διδασκαλίαν εἱς ἐπιστηρισμὸν ὑμῶν τῶν τὴν καθόλου ἐπισκοπὴν πεπιστευμένων. 32  In der sog. Apostolischen Kirchenordnung (can. IV – XIV) ist der Zwei-Wege-Traktat aus Did 1,1 – 4,8.13 (ohne die sectio evangelica und am Ende ergänzt aus Barn 21,2.4.6 und 19,11; Text: Th. Schermann, Die allgemeine Kirchenordnung, frühchristliche Liturgien und kirchliche Überlieferung, Bd. 1: Die allgemeine Kirchenordnung des zweiten Jahrhunderts [SGKA.E 3,1], Paderborn 1914, 15 – 23) aufgenommen, ebenso in deren Epitome (Kap.  1 – 11; Text: Th. Schermann, Eine Elfapostelmoral oder die X-Rezension der »beiden Wege« [VKHSM II,2], München 1903, 16 – 18). Vgl. K. Niederwimmer, Die Didache (KAV 1), Göttingen 1989, 51 – 54. 33  Ambrosius, expl. symb. 7 (CSEL 73, 10,14 – 16 Faller  = Kinzig I, § 15a2): »Si unius apostoli scripturis nihil est detrahendum, nihil addendum, quemadmodum nos symbolum, quod accepimus ab apostolis traditum atque

28  Peter Gemeinhardt an Siricius von Rom erwähnt Ambrosius um 390 ausdrücklich »das apostolische Glaubensbekenntnis, welches die römische Kirche stets unbefleckt hütet und bewahrt.«34 Rom als »petrinischer« Bischofssitz ist demnach der Ort, wo die normative Formulierung des Glaubens zwar nicht produziert, aber zuverlässig tradiert wird. Woran man das sachlich festmachte, verdeutlicht Rufin in seinem um 404 verfassten Kommentar zum Symbolum, nämlich an dessen in Rom bewahrter Unversehrtheit: »In verschiedenen Kirchen finden sich einige Zusätze zum Wortlaut (des Bekenntnisses der Apostel). In der römischen Kirche jedoch nicht, ein Umstand, den ich daher ableite, dass keine einzige Irrlehre dort ihren Ursprung genommen hat; zudem, weil dort die alte Sitte besteht, dass diejenigen, welche das Sakrament der Taufe empfangen wollen, öffentlich, d. h. in Gegenwart des gläubigen Volkes das Symbolum laut hersagen; die Beifügung aber auch nur eines einzigen Wortes hören zu müssen, hätten die, welche schon früher den Glauben angenommen, nicht ertragen. An andern Orten aber  – soweit ich sehe – scheinen in Rücksicht auf gewisse Häretiker einige Zusätze gemacht worden zu sein und zwar solche, durch welche man den Sinn einer neuen Lehre gänzlich auszuschließen glaubte. Wir indes werden jenem Wortlaut folgen, den wir in der Kirche von Aquileia bei der Taufe empfangen haben.«35

Rom ist – so könnte man pointiert sagen – der Ort, an dem Orthodoxie durch Orthopraxie bewahrt wird, nämlich durch die richtige Praxis des Umgangs mit dem rechten Glauben. Die Berechtigung dieses Anspruchs mag hier auf sich beruhen; die Berufung auf das »von den Aposteln überlieferte Glaubensbekenntnis« wird jedenfalls im 5. Jahrhundert bei römischen Päpsten zur stehenden Redewencompositum, conmaculabimus? […] Hoc autem est symbolum, quod Romana ecclesia tenet, ubi primus apostolorum Petrus sedit et communem sententiam eo detulit.« 34   Ambrosius, ep. extr. coll. 15 (CSEL 82, 305,53 – 55 Zelzer = Kinzig II, § 351b): »credatur symbolo apostolorum, quod ecclesia Romana intemeratum semper custodit et servat.« 35   Rufin, symb. 3 (CChr.SL 20, 135,4 – 136,17 Simonetti): »Verum priusquam incipiam de ipsis sermonum uirtutibus disputare, illud non inportune commonendum puto, quod in diuersis ecclesiis aliqua in his uerbis inueniuntur adiecta. In ecclesia tamen urbis romae hoc non deprehenditur factum: pro eo arbitror quod neque haeresis ulla illic sumpsit exordium, et mos inibi seruatur antiquus, eos qui gratiam baptismi suscepturi sunt, publice, id est fidelium populo audiente symbolum reddere; et utique adiectionem unius saltim sermonis eorum, qui praecesserunt in fide, non admittit auditus. In ceteris autem locis, quantum intellegi datur, propter nonnullos haereticos addita quaedam uidentur, per quae nouellae doctrinae sensus crederetur excludi. Nos tamen illum ordinem sequemur, quem in aquileiensi ecclesia per lauacri gratiam suscepimus.« Übers. angelehnt an H. Brüll, BKV1 13, 23 f.

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dung. ­Wichtiger ist im vorliegenden Zusammenhang, dass Rufin ausdrücklich auf den Umstand hinweist, dass das eine Bekenntnis der Apostel je vor Ort in unterschiedlichen Textfassungen existiert, sodass zwar – knapp gesagt – der Glaube der Römer vorbildlich sein mochte, der Text es aber nicht ohne Weiteres war. Das macht ein Vergleich zwischen den aus Rufins Kommentar zu rekonstruierenden, in Aquileia bzw. Rom in Gebrauch befindlichen Texten des Credos deutlich:37 36

Credo von Aquileia (A)

Romanum (R)

Credo in deo, patre omnipotente, invisibile et impassibile, et in Iesu Christo, unico filio eius, domino nostro, qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine, crucifixus sub Pontio Pilato et sepultus, descendit in inferna; tertia die resurrexit; ascendit in caelos; sedet ad dexteram patris; inde venturus iudicare vivos et mortuos; et in spiritu sancto, sanctam ecclesiam, remissionem peccatorum, carnis resurrectionem.

Credo in deo, patre omnipotente, et in Iesu Christo, unico filio eius, domino nostro, qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine, crucifixus sub Pontio Pilato et sepultus, tertia die resurrexit; ascendit in caelos; sedet ad dexteram patris; inde venturus iudicare vivos et mortuos; et in spiritu sancto, sanctam ecclesiam, remissionem peccatorum, carnis resurrectionem.

Die Abweichungen sind nicht sehr zahlreich, aber inhaltlich signifikant, so insbesondere der Hinabstieg in die Unterwelt. Rufins eigener Erklärung zufolge müsste in Aquileia eine diesbezügliche Häresie vorgelegen haben, auf die mit der Einfügung des Halbsatzes descendit in inferna geantwortet worden wäre. Für die hier verfolgte Fragestellung ist weniger wichtig, inwiefern dies zutrifft  – Rufin selbst »konnte nicht viel Licht über die Interpolation der Klausel verbreiten«38  – , 36   Vgl. Coelestin I., ep. ad Nestorium 8; Sixtus III., ep. ad Cyrillum 3 (FC 58 / 3, 760,17 f.; 890,8 f. Sieben); dazu Westra, Apostles’ Creed (s. Anm. 10), 35 Anm. 59. 37   Beide Texte werden von Rufin nicht im Zusammenhang zitiert, können jedoch aus seiner Expositio symboli rekonstruiert werden (hier zitiert nach Kinzig II, § 254b); vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 105. 38   Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 372. Der descensus begegnet als Bestandteil eines Glaubensbekenntnisses interessanterweise nicht zuerst im Westen, wo er später als Bestandteil von lateinischen Credotexten Karriere machen sollte, sondern in einem griechischen homöischen Text aus dem Osten,

30  Peter Gemeinhardt sondern was daraus für die Herausbildung des Textes des Apostolikums zu lernen ist. Das führt uns zur Frage, wie sich apostolischer Glaube und apostolisches Glaubensbekenntnis zueinander verhalten, konkret: was es zu bedeuten hat, dass das Credo von Aquileia dem Apostolikum textlich tatsächlich nähersteht als das Romanum – und zu welchem Zeitpunkt wir letzteres überhaupt als Vergleichsgröße nachweisen können.

3.  Vom »markellischen« Romanum (zurück) zu den frührömischen Tauffragen 3.1.  Markell von Ankyra als Urheber des Romanums? Eine rezente Debatte Rufin ist einer der ältesten Zeugen für das Romanum, und er ist zudem der erste, der die Vielfalt der Bekenntnisse in der westlichen Kirche ausdrücklich reflektiert.39 In der zitierten Passage nimmt er dem sogenannten »datierten Bekenntnis« bzw. der »4. Sirmischen Formel« (359): σταυρωθέντα καὶ ἀποθανόντα καὶ εἰς τὰ καταχθόνια κατελθόντα καὶ τὰ ἐκεῖσε οἰκονομήσαντα, ὃν πυλωροὶ ᾅδου ἰδόντες ἔφριξαν (Hiob 38,17[LXX]); zit. in Athanasius, De synodis 8,5 (AW II, 235,33 – 236,2  Opitz = AW III / 4, Dok. 57.2,4; 422,25 – 28 Brennecke u. a. = Kinzig I, § 157). Vgl. R. Gounelle, La descente du Christ aux enfers: Institutionnalisation d’une croyance (CEAug.A 162), Paris 2000, 278 – 283. Fast identische Formulierungen, teilweise mit demselben Hiob-Zitat, finden sich zeitnah in zwei weiteren homöischen Bekenntnissen (bzw. »theologischen Erklärungen«, so die Herausgeber der neuesten Edition) aus dem Jahr 359: Das eine stammt von einer Synode in Nike – zitiert in Theodoret von Kyros, Historia ecclesiastica II 21,4 (GCS N. F. 5, 145,15 f. Parmentier / Hansen = AW III / 4, Dok. 59.9; 472,24 – 26 Brennecke u. a. = Kinzig II, § 159): ἀποθανόντα καὶ ταφέντα καὶ εἰς τὰ καταχθόνια κατελθόντα, ὃν αὐτὸς ὁ ᾅδης ἐτρόμασε – , das andere von einer Synode in Konstantinopel; zitiert in Athanasius, De synodis 30,5 (AW II, 259,5 f. Opitz = AW III / 4, Dok. 62.5; 551,14 – 17 Brennecke u. a. = Kinzig II, § 160): ἀποθανόντα καὶ ταφέντα καὶ εἰς τὰ καταχθόνια κατεληλυθέναι, ὅντινα καὶ αὐτὸς ὁ ᾅδης ἔπτηξεν. Das zuletzt genannte Bekenntnis trat für zwanzig Jahre als Reichsdogma an die Stelle des Nizänums. 39   Keine der beiden Formeln wird in der Expositio symboli im Zusammenhang zitiert; sie müssen daher aus im Text verstreuten Zitaten rekonstruiert werden (eine Synopse bietet Kinzig II, § 254b). Im 4. Jahrhundert gilt das aber auch für andere Formeln, so etwa für die viel beachteten Taufkatechesen des Kyrill von Jerusalem, aus denen das den Vorträgen zugrundeliegende Bekenntnis mit großer Sicherheit entnommen werden kann (Kinzig I, § 147), wobei aber einige Sätze ungenannt bleiben, die postuliert werden können, da sie in den Taufkatechesen der Sache nach vorausgesetzt sind.

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darüber hinaus Bezug auf die Riten der traditio und redditio symboli: Vor der Taufe, entweder noch im Zusammenhang des katechetischen Unterrichts oder bereits während des liturgischen Ritus, mussten die Täuflinge das Bekenntnis »zurückgeben«, d. h. auswendig rezitieren, das ihnen der Bischof oder Katechet zuvor »übergeben«, nämlich vorgesprochen und ausgelegt hatte.40 Um das Jahr 400 war das in Aquileia, Rom, Mailand und Hippo ein fest etablierter Usus. Diese Praxis verband sich mit der »Arkandisziplin«, mit der rein mündlichen Weitergabe des Glaubens, damit dieser nicht von unberufenen Ohren mitgehört und dadurch profaniert würde. Schon vor den ersten ausdrücklichen Zeugnissen aus dem Westen des Reiches ist dieser Brauch auch in Jerusalem nachzuweisen: Dort bezeugt die Pilgerin Egeria für die 380er Jahre die traditio und redditio symboli,41 ebenso Bischof Kyrill († 387) in seinen 351 gehaltenen Tauf- und den vermutlich späteren Mystagogischen Katechesen.42 Um die Mitte des 4. Jahrhunderts ist aber auch in Rom bereits der Ritus und damit die Verwendung eines Glaubensbekenntnisses nachweisbar, sofern man der allerdings erst um 400 verfassten Darstellung in Augustins Confessiones in dieser Hinsicht Glauben schenken darf: »(Das Glaubensbekenntnis) pflegt von denen, die (als Täuflinge) hintreten zu deiner Gnade, in Rom in festgesetztem Wortlaut, der dem Gedächtnis eingeprägt worden ist, von erhöhtem Ort im Angesicht des Volkes abgelegt zu werden.«43

Welcher Text wurde bei diesem öffentlichen Akt verwendet? Augustin selbst bietet keine eingehenderen Informationen und zitiert das Be40  Dazu Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 38; vgl. zum Folgenden das ganze Kapitel »Die Bekenntnisse und die Taufe« (a. a. O., 36 – 65). 41   Egeria, itin. 46 (FC 202, 270 – 275  Röwekamp). 42   Traditio: Kyrill von Jerusalem, catech. 5,12 (I 148 – 150 Reischl / Rupp); zum Memorieren vgl. bes. catech. 18,21 (II 324  Reischl / Rupp): ἡ δὲ τῆς πίστεως ἐπαγγελία πάλιν ὑμῖν ὑφ’ ἡμῶν ῥηθεῖσα μετὰ σπουδῆς πάσης ἐπὶ λέξεως αὐτῆς ὑφ’ ὑμῶν ἀπαγγελλέσθω τε καὶ μνημονευέσθω. Redditio: Kyrill von Jerusalem, catech. myst. 2,9 (FC 7, 106,14 – 18 Röwekamp). Davon zu unterscheiden sind die Tauffragen, die jeweils individuell zu beantworten waren und mit dem Ruf: »Bekennt das heilvolle Bekenntnis« (ὡμολογεῖτε τὴν σωτήριον ὁμολογίαν) unmittelbar vor dem Untertauchen im Wasser eingeleitet wurden (catech. myst. 20,4; a. a. O., 114,16 – 19). 43   Augustin, conf. 8,2,5 (CChr.SL 27, 116,55 – 58 Verheijen): »denique ut uentum est ad horam profitendae fidei, quae uerbis certis conceptis retentis que memoriter de loco eminentiore in conspectu populi fidelis romae reddi solet ab eis, qui accessuri sunt ad gratiam tuam.« Übers.: Augustinus, Confessiones – Bekenntnisse, übers. von Josef Bernhart, Frankfurt 1987, 371.

32  Peter Gemeinhardt kenntnis auch nicht. Nach Rufin wäre es das von ihm selbst bezeugte Romanum. Doch schreibt auch er ein halbes Jahrhundert nach der Zeit, in der Augustins Bericht von der Taufe des Marius Victorinus spielt, in dessen Zusammenhang Augustin den katechetischen Brauch erwähnt.44 Es gibt freilich noch eine frühere Textform des Romanums, die in der Forschung seit jeher eine große Rolle gespielt hat, und dies seit mehr als dreihundertfünfzig Jahren. Schon im Jahr 1647 identifizierte der Erzbischof von Armagh, James Ussher,45 als ältesten Zeugen für das Romanum einen 341 auf Griechisch verfassten Brief des Markell von Ankyra († 374) an Bischof Julius von Rom († 352).46 Markell, in den auf das Konzil von Nizäa folgenden Auseinandersetzungen kirchenpolitisch ins Abseits geraten und seines Bischofsamtes enthoben, suchte Rehabilitation mithilfe römischer Autorität.47 Eine Synode behandelte seine Causa im Frühjahr 341. Julius schrieb den in Antiochien versammelten Gegnern Markells, dieser habe, »als er von uns gebeten wurde, über seinen Glauben zu sprechen, mit einer solchen Freimütigkeit geantwortet, daß wir erkannten, daß er nichts außerhalb der Wahrheit bekannte.«48 Markell selbst verfasste im Anschluss an die Synode eine theologische Darlegung, die er dem Synodalbrief beizulegen bat.49 Vieles spricht dafür, dass er in diesem Schriftstück zusammenfasste, was er bereits auf der Synode vorgetragen hatte, um seine Ortho44   Zu den Unsicherheiten in Bezug auf den verwendeten Text vgl. Vinzent, Ursprung (s. Anm. 15), 363 – 365. 45  J. Ussher, De Romanae ecclesiae symbolo apostolico vetere, aliisque fidei formulis, tum ab occidentalibus, tum ab orientalibus, in prima catechesi et baptismo proponi solitis, diatriba, London 1647. Vgl. dazu Vinzent, Ursprung (s. Anm. 15), 54 – 56. 46  Dok. 41.7 (AW III / 3, 154,1 – 156,15 Brennecke u. a.) = Epiphanius, haer. 72,2,6 – 3,4 (GCS Epiph. III, 257,21 – 259,1  Holl / Dummer  = SVigChr 39, 126,8 – 128,23  Vinzent = Kinzig  II, § 253). 47   Zum kirchenpolitischen Umfeld vgl. M. Vinzent, Die Entstehung des Römischen Glaubensbekenntnisses, in: W. Kinzig / C. Markschies / M. Vinzent, Tauffragen und Bekenntnis. Studien zur sogenannten »Traditio apostolica«, zu den »Interrogationes de fide« und zum »Römischen Glaubensbekenntnis« (AKG 74), Berlin u. a. 1999, 185 – 409 (200 – 202). 48   Dok. 41.8 (AW III / 3, 170,23 – 27 Brennecke u. a.) = Athanasius, apol. sec. 32,1 (AW II, 110,21 – 23  Opitz): ὅμως δὲ ἀπαιτούμενος παρ’ ἡμῶν εἰπεῖν περὶ τῆς πίστεως οὕτως μετὰ παρρησίας ἀπεκρίνατο δι’ ἑαυτοῦ ὡς ἐπιγνῶναι μὲν ἡμᾶς ὅτι μηδὲν ἔξωθεν τῆς ἀληθείας ὁμολογεῖ (Übers. AW III / 3, 170). 49   Die Herausgeber von AW III / 3 halten es »für wenig wahrscheinlich, daß Markell diesen Brief noch vor der römischen Synode schrieb« und plädieren für eine Datierung auf das Frühjahr 341 (a. a. O., 152).

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doxie zu untermauern. Und hierin findet sich ein Abschnitt, der dem von Rufin bezeugten Romanum und dem späteren Apostolikum frappierend ähnelt:51 50

Romanum (R) Credo in deo, patre omnipotente, et in Iesu Christo, unico filio eius, domino nostro, qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine, crucifixus sub Pontio Pilato et sepultus, tertia die resurrexit; ascendit in caelos; sedet ad dexteram patris; inde venturus iudicare vivos et mortuos; et in spiritu sancto, sanctam ecclesiam, remissionem peccatorum, carnis resurrectionem.

Romanum nach Markell (griechisch) Πιστεύω οὖν εἰς θεὸν παντοκράτορα καὶ εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν, τὸν υἱὸν αὐτοῦ τὸν μονογενῆ, τὸν κύριον ἡμῶν, τὸν γεννηθέντα ἐκ πνεύματος ἁγίου καὶ Μαρίας τῆς παρθένου, τὸν ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου σταυρωθέντα καὶ ταφέντα καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστάντα ἐκ τῶν νεκρῶν, ἀναβάντα εἰς τοὺς οὐρανοὺς καὶ καθήμενον ἐν δεξιᾷ τοῦ πατρός, ὅθεν ἔρχεται κρίνειν ζῶντας καὶ νεκρούς· καὶ εἰς τὸ ἅγιον πνεῦμα, ἁγίαν ἐκκλησίαν, ἄφεσιν ἁμαρτιῶν, σαρκὸς ἀνάστασιν, ζωὴν αἰώνιον.

Dieser Text ist für die Frage nach dem Werden des Apostolikums von größtem Interesse, weil es sich um den ältesten erhaltenen Bekenntnistext aus dem Westen des Römischen Reiches handelt. Zwar war bereits von der Synode von Nizäa (325) ein Glaubensbekenntnis formuliert worden, dem in den 340er und besonders in den 350er Jahren eine ganze Reihe ähnlich gebauter Formeln folgen sollte. Solche deklaratorischen Texte, die der Sicherung des Glaubens in einer knappen Formel dienten, waren im Westen aber offenbar weder gebräuchlich noch überhaupt bekannt: Noch 359 informierte Hilarius von Poitiers († 367) gallische, germanische und britische Bischöfe über die Existenz und Notwendigkeit solcher Glaubensbekenntnisse,

50  So Vinzent, Entstehung (s. Anm. 47), 209 – 219 und U. Heil, Markell von Ancyra und das Romanum, in: A. von Stockhausen / H. C. Brennecke (Hg.), Von Arius zum Athanasianum. Studien zur Edition der »Athanasius Werke« (TU 164), Berlin u. a. 2010, 85 – 103 (99). 51  Das Romanum wird nach der Rekonstruktion bei Kinzig II, § 254b geboten, der bei Markell bezeugte Text nach Dok. 41.7 (AW III / 3, 154,31 – 155,9 Brennecke u. a. = Kinzig II, § 253).

34  Peter Gemeinhardt die diesen bislang noch gar nicht untergekommen seien.52 In Rom gab es zu diesem Zeitpunkt immerhin schon eins – aber was für einen Text haben wir da vor uns? Die Frage, die sich nun stellt, ist letztlich die nach der Henne und dem Ei: Zitierte Markell um der Anerkennung seines rechten Glaubens willen ein Bekenntnis, das die römischen Synodalen als ihr eigenes erkennen würden? Das ist die klassische These, die von Ussher bis Kelly vertreten und in der neueren Diskussion von Westra bekräftigt worden ist.53 Der Brief und das darin enthaltene Bekenntnis wurden auf Griechisch verfasst, damit beides den Adressaten im Osten zugänglich wäre. Der griechischsprachige Markell hätte dann ein lateinisches Bekenntnis selbst übersetzt (oder übersetzen lassen) oder auf einen Text zurückgegriffen, der aus der Zeit stammt, als die Liturgiesprache in Rom noch das Griechische war, also vermutlich aus dem 3. Jahrhundert oder gar noch früher. Oder übernahm die römische Gemeinde für den katechetischen Gebrauch ein Credo, das Markell ad hoc formuliert und der Synode vorgelegt hatte? Das ist die These, die Markus Vinzent 1999 vorstellte und die gut ein Jahrzehnt lang die Diskussion über die Entstehung des Romanums bzw. des Apostolikums befeuert hat.54 Dann wäre zu überlegen, wann und von wem ein von Markell selbst auf Griechisch formuliertes Bekenntnis ins Lateinische übersetzt worden wäre, um in die römische Taufunterweisung integriert zu werden. Was die Übersetzungen in die eine oder andere Richtung anbelangt, gibt es m. W. keine plausiblen Hypothesen. Gestritten wurde aber engagiert über die Vinzent’sche These eines markellischen Ursprungs des Apostolikums. Verhielte es sich so, wäre das nicht zuletzt durch den Umstand bemerkenswert, dass das meistgebrauchte Bekenntnis im Westen, das Apostolikum, von einem Theologen stammt, 52   Hilarius von Poitiers, syn. 63 (PL 10, 523BC = Kinzig I, § 151d1): »Sed inter haec, o beatos vos in domino et gloriosos, qui perfectam atque apostolicam fidem conscientiae professione retinentes, conscriptas fides hucusque nescitis! Non enim eguistis littera, qui spiritu abundabatis. Neque officium manus ad scribendum desiderastis, qui quod corde a vobis credebatur, ore ad salutem profitebamini. Nec necessarium habuistis episcopi legere quod regenerati neophyti tenebatis. Sed necessitas consuetudinem intulit exponi fides et expositis subscribere. Ubi enim sensus conscientiae periclitatur, illic littera postulatur. Nec sanc scribi impedit, quod salutare est confiteri.« 53   Summarisch dazu Westra, Apostles’ Creed (s. Anm. 10), 33 – 37. 54  Vgl. Vinzent, Entstehung (s. Anm. 47), sowie dessen Auseinandersetzung mit seinen Kritikern (ders., Ursprung [s. Anm. 15], 312 – 395).

Vom Werden des Apostolikums  35

dessen Vorstellung einer eschatologischen Wiederzusammenfassung der heilsgeschichtlich entfalteten Trias zur uranfänglichen Monas im 381 abgefassten Nizäno-Konstantinopolitanum mit scharfem Widerspruch bedacht wird.55 Das mag auf sich beruhen. Wichtiger für die hier verfolgte Fragestellung ist, dass Vinzent nicht als erster beobachtet, aber die weitestgehenden Schlüsse daraus gezogen hat, dass das Romanum unstrittig erstmals bei Markell zu finden ist und vor dem Jahr 341 als Text keine unmittelbare Vorgeschichte hat – jedenfalls keine, die in der heute zugänglichen Überlieferung Spuren hinterlassen hätte. Dann bestünde konsequenterweise das Apostolische am Apostolikum nicht in einer personalen Traditionskette, sondern in der kreativen und letztlich sehr erfolgreichen Zuschreibung neuerer Lehrbildungen an die Apostel. Es gäbe dreihundert Jahre nach dem Ausschwärmen der Apostel über den Erdkreis also durchaus ein Werden des Apostolikums, das aber nicht zuerst in Rom und nicht als Romanum, sondern gewissermaßen als »Markellum« das Licht der Welt erblickt und dann in Rom Karriere gemacht hätte.56 Diese These hat nur zum Teil Anklang gefunden; die Diskussion ist mittlerweile wieder abgeebbt.57 Uta Heil hat in Auseinandersetzung 55   Vinzent, Entstehung (s. Anm. 47), 409 = ders., Ursprung (s. Anm. 15), 317 beendet seine Argumentation mit der Bemerkung, dass »die westliche Kirche das Bekenntnisstück eines Bischofs des Ostens bewahrt [hat], das dieser in seinem westlichen römischen Exil niedergeschrieben hat. Für den Westen ergibt sich daraus die Ironie der Liturgie- und Dogmengeschichte, dass die Gläubigen in katholischen wie in der Regel auch in evangelischen Gottesdiensten am Sonntag und in der Tauffeier das Bekenntnis desjenigen Theologen bekennen, der für sie an den hohen Feiertagen im Gottesdienst durch das Bekenntnis des Nizäno-Konstantinopolitanum als Häretiker vor ihnen steht. Denn in diesem Bekenntnis wird gegen Markell mit dessen eigenen Worten bekannt, dass Christi Reich ›ohne Ende sei‹.« 56   In gewisser Spannung zu dieser Argumentation steht die von M. Vinzent, From Zephyrinus to Damasus  – What did Roman Bishops believe?, in: StPatr 63 (2013), 273 – 286, vorgetragene These, die römischen Bischöfe von Zephyrin und Calixt (frühes 3. Jahrhundert) bis zu Damasus (366 – 384) seien durch eine starke monarchianische (und gewissermaßen »altnizänische«) Traditionslinie verbunden gewesen, die für Markells Theologie empfänglich gewesen und von dieser beeinflusst worden sei. Das würde aber wahrscheinlich machen, dass das von Markell zitierte Credo ebenso traditionell wäre! 57  Eine knappe Bestandsaufnahme bietet L. H. Westra, Apostles’ Creed I. Christianity, in: EBR 2 (2009), 498 – 500 (500). Manche anfänglichen Befürworter, so z. B. Wolfram Kinzig, sind von der radikalen Gestalt der Vinzent’schen These wieder abgerückt; vgl. die Retractatio in W. Kinzig, Christus im Credo. Überlegungen zu Herkunft und Alter des Christussummariums im Apostolikum, in: ders., Neue Texte und Studien zu den antiken und

36  Peter Gemeinhardt mit Vinzent die Vermutung vorgetragen, dass möglicherweise die römische Synode, die sich mit Markells Orthodoxie befasste, selbst ein Bekenntnis formulierte und ihm vorlegte, das dann dieser übernahm (und nicht andersherum).58 Träfe dies zu, trüge »diese Passage aus Markells Brief doch zu Recht den Namen Romanum«.59 Wenn freilich auf dieser Synode »die Theologie Markells verhandelt wurde«, erklärt dies m. E. – gegen die These Uta Heils – gerade nicht, »warum in diesem Text die im Osten heftig umstrittenen Begriffe und Thesen kaum vorkommen«. Ihr zufolge sei »traditionelles Material«, teils aus frühchristlichen regulae fidei, und Informationen aus der Frühphase des trinitarischen Streites (von Alexander von Alexandrien übermittelt) verarbeitet worden. Dass der meinungsstarke und literarisch produktive Markell als Protagonist der jetzt laufenden Debatte, der eindeutig die Sympathien der römischen Synode genoss, keinen Einfluss auf die inhaltliche Präzisierung gehabt hätte, erscheint jedenfalls erklärungsbedürftig, zumal die verwendete Gattung des Bekenntnisses im Westen offensichtlich neu war. Man hätte daher auch, wenn man Uta Heil folgt, eher mit einem neuen Romanum als einem traditionellen Text zu rechnen.

frühmittelalterlichen Glaubensbekenntnissen (AKG 132), Berlin u. a. 2017, 269 – 291 (274), wobei der Verfasser darauf hinweist, dass die gemeinsame Formulierung des neuen Ansatzes (W. Kinzig / M. Vinzent, Recent Research on the Origin of the Creed, in: JThS N. S. 50 [1999], 535 – 559) in Hinsicht auf die mögliche Rezeption altrömischer Tauffragen durch Markell »bewusst unscharf« formuliert worden sei (so auch bei Vinzent, Entstehung [s. Anm. 47], 407 = ders., Ursprung [s. Anm. 15], 316). Ich selbst habe meine in der Besprechung des Bandes von 1999 mit einigen Kautelen formulierte Zustimmung zu Vinzents Grundthese (P. Gemeinhardt: W. Kinzig / C. Markschies / M. Vinzent [s. Anm. 47], in: ZKG 112 (2001), 104 – 107 [106 f.]) auch in der Rezension zu Vinzents Buch über das Apostolikum (P. Gemeinhardt: M. Vinzent, Der Ursprung des Apostolikums im Urteil der kritischen Forschung [FKDG 89], Göttingen 2006, in: ZKG 119 [2008], 101 – 104) aufrechterhalten. In jedem Fall ist ihm darin zuzustimmen, dass seine Theorie zwar durch die Auffindung eines einzigen vormarkellischen Zeugen des Romanum hinfällig wäre – »doch diesen gilt es noch zu finden. Und fände man ihn, würde man immer noch zu erklären haben, warum das Zeugnis für die Zeit vor Markell singulär ist, nach Markell jedoch die Quellen reichlich zu fließen beginnen« (Vinzent, Ursprung [s. Anm. 15], 375). 58   Heil, Markell (s. Anm. 50), 99 f. 59   Dieses und die folgenden Zitate: a. a. O., 100.

Vom Werden des Apostolikums  37

3.2.  (Fast) zurück zu den Aposteln: Die frührömischen Tauffragen Bei alledem ist unbestritten, dass ein in Rom genutzter Bekenntnistext vor dem 4. Jahrhundert nicht zu identifizieren ist – wenn man nicht aus dem Brauch der Taufkatechese automatisch auf ein dieser zugrundeliegendes Bekenntnis schließen will, was reine Spekulation wäre. Der vielleicht ernüchternde Befund passt freilich zu der weiter ausgreifenden These, dass überhaupt erst die Reichssynoden des 4. Jahrhunderts deklaratorische Bekenntnisse formuliert hätten. Das betonte nicht erst Markus Vinzent, sondern schon lange zuvor Hans von Campenhausen, und Adolf Martin Ritter ist ihm darin mit guten Gründen und weitgehender Zustimmung der Zunft gefolgt.60 Das Nizänum (oder das in seiner Authentizität freilich notorisch umstrittene und zudem nur in späterer syrischer Übersetzung erhaltene Credo der Synode von Antiochien 324 / 25) wäre dann das erste Bekenntnis seiner Art.61 Hingegen handelt es sich bei dem von Euseb von Caesarea († ca. 340) auf dem Konzil von Nizäa vorgelegten Bekenntnis entgegen einer lange vorherrschenden Ansicht62 nicht um das in seiner Heimatgemeinde übliche Taufbekenntnis, sondern um ein frühes Exemplar der sogenannten »Theologenbekenntnisse«, wie es im selben Zeitraum z. B. auch Arius und ihm folgende alexandrinische Kleriker verfassten.63 Wie aber konnte man in der älteren Forschung auf den  – teils auch noch in der gegenwärtigen Literatur nachwirkenden – Gedanken kommen, dass es schon länger das Romanum und damit eine Vorstufe 60  Vgl. H. Freiherr von Campenhausen, Das Bekenntnis im Urchristentum, in: ZNW 63 (1972), 210 – 253; wieder in: ders., Urchristliches und Altkirchliches. Vorträge und Aufsätze, Tübingen 1979, 217 – 272; so auch A. M. Ritter, Glaubensbekenntnis(se) V. Alte Kirche, TRE 13 (1984), 399 – 412; anders aber noch D. Z. Flanagin, Creeds V. Christianity, in: EBR 5 (2012), 1022 – 1024 (1023). 61   Zur jüngsten Debatte über die Synode von Antiochien vgl. H. C. Brennecke / U. Heil, Nach hundert Jahren: Zur Diskussion um die Synode von Antiochien 325. Eine Antwort auf Holger Strutwolf, in: ZKG 123 (2012), 95 – 113. 62   So noch Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 181 f.213. 63  Zu Euseb vgl. H. Freiherr von Campenhausen, Das Bekenntnis Eusebs von Caesarea (Nicaea 325), in: ZNW 67 (1976), 123 – 139; wieder in: ders., Urchristliches und Altkirchliches (s. Anm. 60), 278 – 299. Sein Bekenntnis findet sich in der einschlägigen Edition als Dok. 24 = Urk. 22 (AW III / 1, 42 – 47 Opitz), die theologische Erklärung des Arius als Dok. 1 = Urk 6 (a. a. O., 12 f.).

38  Peter Gemeinhardt des Apostolikums gegeben habe, wenn dies doch textlich nicht nachweisbar ist? Dafür lassen sich drei Gründe nennen, denen neuerdings einhellig widersprochen wird: a) Die Unterscheidung von Glaubensregeln und deklaratorischen Bekenntnissen wurde nicht hinreichend beachtet.64 Es gibt durchaus konfessorische Kontinuität seit dem frühen Christentum, nur liegt diese offensichtlich nicht in der Existenz und Nutzung von textlich fixierten Bekenntnissen zu antihäretischen, katechetischen oder liturgischen Zwecken, sondern in dem flexiblen Instrument der regula fidei, das etwa bei Irenaeus von Lyon oder Tertullian belegt ist. Deklaratorische Bekenntnistexte sind vor dem 4. Jahrhundert nicht belegt, weder in Rom noch anderswo. b) Freilich hat man seit der Entdeckung der Traditio apostolica und deren Zuschreibung an Hippolyt von Rom († ca. 235) gemeint, einen direkten Blick in die Praxis der römischen Kirche werfen und aus der Nähe des (postulierten) Taufbekenntnisses dieses Textes mit dem Romanum und einigen Texten bei Tertullian eine römische Bekenntnistradition rekonstruieren zu können.65 Die Möglichkeit, aus der nicht im Original erhaltenen und wohl fälschlich Hippolyt zugewiesenen Traditio apostolica Schlussfolgerungen über römische Riten im frühen 3. Jahrhundert ziehen zu können, ist mittlerweile allerdings nachhaltig erschüttert.66 Gerade die Tauffragen scheinen das Gepräge der trinitätstheologischen 64

 Vgl. Ritter, Glaubensbekenntnis(se) (s. Anm. 60), 402.  Vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 116 – 121, mit Bezug auf Tertullian, virg. vel. 1,4 f. (SC 424, 130,17 – 26  Schulz-Flügel / Mattei  = Kinzig I, § 111c) und Prax. 2,1 f. (FC 34, 102,6 – 104,10 Sieben  = Kinzig I, § 111e1); zu ergänzen wäre praescr. 13,1 – 6 (FC 42, 256,1 – 19  Schleyer  = Kinzig I, § 111b1). Eine Synopse der tertullianischen regulae fidei bietet Ritter, Glaubensbekenntnis(se) (s. Anm. 60), 404. – Kinzig, Christus im Credo (s. Anm. 57), erwägt neuerdings, von den tertullianischen Belegstellen auf die Existenz eines (in Nordafrika zu verortenden) Christussummariums zu schließen, das dem entsprechenden Passus in dem bei Markell bezeugten Romanum bereits sehr ähnlich gewesen sei; dieses Summarium sei zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt mit den trinitarischen Tauffragen zu einem interrogatorischen oder deklaratorischen Bekenntnis verbunden worden (vgl. bes. a. a. O., 287 – 289). Diese These hat einiges für sich. Für eine genauere Datierung des Romanums in den knapp anderthalb Jahrhunderten zwischen Tertullian und Markell ist damit freilich nichts Konkretes gewonnen. 66   Dazu ausführlich C. Markschies, Wer schrieb die sogenannte Traditio Apostolica? Neue Beobachtungen und Hypothesen zu einer kaum lösbaren Frage aus der altkirchlichen Literaturgeschichte, in: Kinzig / Markschies / Vin65

Vom Werden des Apostolikums  39

Debatten der Zeit nach Markell zu tragen. Würde man daher die lateinische Übersetzung der Traditio apostolica auswerten, die in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts entstand, hätte man es mit einem zeitlich nach Markells Brief zu verortenden Text zu tun,67 nicht mit einer älteren oder gar apostolischen Tradition. c) Schließlich ist die Forschung über weite Strecken davon ausgegangen, dass auch schon in vorkonstantinischer Zeit die Taufunterweisung anhand eines fixierten Bekenntnisses vorgenommen worden sei, obwohl dafür ein klarer Beleg aus der Zeit vor Kyrill von Jerusalem, Augustin und anderen fehlt.68 Weithin üblich waren hingegen Tauffragen, meist in trinitarischer Gestalt, und blieben es auch im 4. Jahrhundert und weit darüber hinaus.69 Nicht deklaratorische, wohl aber interrogatorische Bekenntnisse hat es also im Christentum lange vor den Konzilien der Reichskirche gegeben! Auf Tauffragen weist möglicherweise schon der »westliche« Einschub in der Perikope über die Taufe des Kämmerers aus Äthiopien hin (Apg 8,37), der ins 2. Jahrhundert gehört;70 sicher ist der Bezug auf Tauffragen bei Cyprian von Karthago, d. h. in der Mitte des

zent, Tauffragen (s. Anm. 47), 1 – 74. Näheres zu den Tauffragen findet sich unten bei Anm. 75. 67   So auch schon Markschies, Traditio Apostolica (s. Anm. 66), 73 und Kinzig, Tauffragen (s. Anm. 57), 94. 68  So Ritter, Glaubensbekenntnis(se) (s. Anm. 60), 407. Nüchtern stellt er a. a. O., 406 fest: »Wenn wir also (mit Ausnahme evtl. des Einschubs Act 8,37) aus den beiden ersten Jh. keinen einzigen unzweideutigen Beleg für den liturgischen Brauch eines Bekenntnisses im Zusammenhang der Taufe besitzen, dann wahrscheinlich deshalb, weil es einen solchen Brauch nicht gegeben hat.« Hingegen stand noch für Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 125 unzweifelhaft fest, »daß hinter R, irgendwo im Dunkel des 2. Jahrhunderts, ein einfaches trinitarisches Bekenntnis steht, das in die Form von Fragen an den Katechumenen gegossen war und seinerseits auf den Taufbefehl zurückgeht, wie er im Matthäus-Evangelium formuliert war.« Entsprechend postulierte er, die Einführung der Arkandisziplin (die zwei Generationen vor Kyrill von Jerusalem, d. h. in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts erfolgt sei) habe »das direkte Zitieren von Taufbekenntnissen unter eine regelrechte Zensur gestellt« – darum seien keine Quellen für R erhalten (a. a. O., 170). 69  Vgl. die umfangreiche Materialsammlung bei Kinzig, Tauffragen (s. Anm. 57), 116 – 183. Im Neudruck dieses Aufsatzes (Kinzig, Neue Texte [s. Anm. 57], 237 – 267) wurde der Anhang ausgelassen, da er mittlerweile in die Quellensammlung »Faith in Formulae« eingegangen war. 70  Der terminus ad quem ergibt sich aus dem Zitat dieser Variante in Irenaeus von Lyon, haer. 3,12,8 (FC 8 / 3, 140,22 – 141,1  Brox).

40  Peter Gemeinhardt 3. Jahrhunderts.71 Und dieser Brauch, der zunächst ein rein »westliches« Phänomen gewesen zu sein scheint, führt uns sehr wohl auf römische Spuren. Es ist eine bemerkenswerte Ironie der Forschungsgeschichte, dass von Harnack und Kattenbusch bis Lietzmann und Kelly die in der Traditio apostolica und anderen Texten überlieferten Tauffragen, die es offensichtlich gab, immer wieder zur Rekonstruktion von etwas anderem benutzt worden sind, was es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gab – ein deklaratorisches Bekenntnis, das in der Katechese oder Taufliturgie Verwendung gefunden hätte.72 Dagegen hat Wolfram Kinzig gezeigt, dass die Tauffragen für sich genommen Interesse verdienen, wenn es um eine römische Traditionslinie geht. Dieses Set von Fragen ist im Sacramentarium Gelasianum Vetus, der ältesten erhaltenen römischen Agende aus dem 7. Jahrhundert,73 überliefert und wird hier den Tauffragen aus der Traditio apostolica gegenübergestellt:

71  Cyprian von Karthago, ep. 69,7,1 – 8,1 (CChr.SL 3C, 480,148 – ­481,­ 164 Diercks = Kinzig I, § 92a): »Quod si aliquis illud opponit ut dicat eandem Nouatianum legem tenere quam catholica ecclesia teneat, eodem symbolo quo et nos baptizare, eundem nosse Deum patrem, eundem filium Christum, eundem spiritum sanctum, ac propter hoc usurpare eum potestatem baptizandi posse quod uideatur interrogatione baptismi a nobis non discrepare, sciat quisque hoc opponendum putat primum non esse unam nobis et schismaticis symboli legem neque eandem interrogationem. Nam cum dicunt ›credis in remissionem peccatorum et uitam aeternam per sanctam ecclesiam?‹ mentiuntur interrogatione, quando non habeant ecclesiam. Tunc deinde uoce sua ipsi confitentur remissionem peccatorum non dari nisi per sanctam ecclesiam posse, quam non habentes ostendunt remitti illic peccata non posse. Quod uero eundem quem et nos Deum patrem, eundem filium Christum, eundem spiritum sanctum nosse dicuntur, nec hoc adiuuare tales potest.« 72  Den Unterschied zwischen interrogatorischen und deklaratorischen Formeln zu negieren, weil die Tauffragen »zusammengesetzt« doch wieder »ein deklaratorisches Glaubensbekenntnis« und schon im Akt des Beantwortens eine »proklamatorische Glaubensformel« (= Glaubensregel) ergeben (G. Riedl, Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung [TBT 123], Berlin u. a. 2004, 187), würde bedeuten, Differenzierungen wieder aufzugeben, die erst mühsam erreicht worden waren. 73   Trad. ap. 21,14 – 18 (TU 75, 131,1 – 10 Tidner = Kinzig I, § 89b) nach Cod. Verona, Biblioteca Capitolare LV (53); Sacramentarium Gelasianum Vetus 449.608 (Liber Sacramentorum Romanae Ecclesiae ordinis anni circuli [Cod. Vat. reg. lat. 316 / Paris, Bibl. Nat. 7193, 41 / 56], hg. v. L. C. Mohlberg / L. Eizenhöfer / P. Siffrin [RED.F IV], Rom 1960, 74,3 – 13; 95,28 – 96,7 = Kinzig IV, § 675c.f).

Vom Werden des Apostolikums  41 Traditio apostolica (lat.)

Sacramentarium Gelasianum Vetus

[Credis in deum, patrem omnipotentem?]74 Credis in Christum Iesum, filium dei,

Credis in deum, patrem omnipotentem? Credis et in Iesum Christum, filium eius unicum, dominum nostrum, natum

qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine et crucifixus sub Pontio Pilato et mortuus est et sepultus et resurrexit die tertia et ascendit in caelis et sedit ad dexteram patris venturus iudicare vivos et mortuos? Credis in spiritu sancto et sanctam ecclesiam et carnis resurrectionem?

et passum?

Credis et in spiritum sanctum, sancta ecclesia, remissionem peccatorum, carnis resurrectionem?

Auf den ersten Blick erkennbar ist, dass der zweite – christologische – Artikel im Sacramentarium Gelasianum Vetus viel weniger entfaltet ist als in der Traditio apostolica und im oben zitierten Romanum (markellischer oder rufinischer Provenienz). Während die Fragen nach Gott, Geist, Kirche, Sündenvergebung und Auferstehung im »Altgelasianum« und im Romanum praktisch identisch sind und lediglich in Bezug auf die Sündenvergebung ein Unterschied zur Traditio apostolica festzustellen ist, beschränken sich die christologischen Prädikate hier auf Jesus Christus als eingeborenen Sohn Gottes und unseren Herrn sowie auf seine Geburt und Passion. Der Modus dieser Geburt – in der Traditio apostolica und im Romanum durch den doppelten Verweis auf Geist und Jungfrau markiert – und der Verlauf der 74   Das Palimpsest aus Verona (s. vorherige Anmerkung) ist ausgerechnet an dieser Stelle lückenhaft. Die Rekonstruktion stützt sich auf das syrisch, äthiopisch und arabisch überlieferte Testamentum Domini Nostri Iesu Christi (hg. v. I. E. Rahmani, Mainz 1899, 128 = Kinzig IV, § 615a). Da der erste Artikel in den frühchristlichen und spätantiken Tauffragen durchgehend in der oben zitierten Form bezeugt ist, besteht aller Grund zu der Annahme, dass er auch in der lateinischen Traditio apostolica so gelautet hat (und entsprechend im Griechischen πιστεύεις εἰς θεὸν παντοκράτορα;). Zur Textüberlieferung und zu den modernen Rekonstruktionsversuchen der Traditio apostolica vgl. summarisch W. Geerlings, Einleitung zur Traditio apostolica, in: Didache. Zwölf-Apostel-Lehre. Traditio apostolica. Apostolische Überlieferung, übers. und eingel. v. G. Schöllgen / W. Geerlings (FC 1), Freiburg i. Br. u. a. 1991, 143 – 208 (149 – 156), zum Testamentum Domini bes. 154.

42  Peter Gemeinhardt Passion sowie deren Folgeereignisse werden dagegen nicht erwähnt. Handelt es sich eingedenk der oben erwähnten Datierung des Sakramentars in das 7. Jahrhundert um eine spätere Modifikation, um eine parallele Fassung oder – gegen den ersten Anschein – gar um eine ältere, im Romanum erweiterte Form des christologischen Artikels? Die Dinge liegen in der Tat kompliziert. Wie Wolfram Kinzig gezeigt hat,75 existieren von der Spätantike bis zur Reformationszeit zahlreiche Formen der Tauffragen, sowohl mit einem kurzen zweiten Artikel (natum et passum) als auch mit erweiterten christologischen Prädikaten. Ein Zeitpunkt oder ein sachlicher Anlass, an bzw. aus dem dieser Artikel gekürzt worden wäre, lässt sich nicht dingfest machen. Um zu erklären, warum die Tauffragen im ersten und dritten Artikel des Sacramentarium Gelasianum Vetus mit dem Romanum identisch sind, der zweite Artikel aber sehr viel knapper ist, argumentiert Kinzig, dass die in dem frühmittelalterlichen Sakramentar tradierten Tauffragen älter sein müssen als das Romanum. Sie gehen mindestens auf das 3. Jahrhundert zurück, wo, wie erwähnt, Cyprian die Verwendung von Tauffragen in Rom bezeugt.76 Den sachlichen Anlass zu Textveränderungen im Sinne eines ausführlicheren Christussummariums wie im Romanum findet Kinzig nun in der Diskussion um »monarchianische« Theologen in Rom wie Noët, Calixt und vor allem Praxeas: Diese bestimmten um das Jahr 200 den theologischen Diskurs in Rom, indem sie in antignostischer Absicht die Einheit Gottes, d. h. seine μοναρχία, in den Vordergrund stellten.77 Dagegen argumentierte Tertullian, dass die Akzentuierung der Einheit nicht auf Kosten der Dreiheit, d. h. der Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist gehen dürfe, und untermauerte dies in verschiedenen Traktaten mit Summarien des Christusgeschehens, die dem im Romanum auffallend ähneln.78 Das Resultat dieser Diskussion war offensichtlich, dass die schlichte Beschreibung des irdischen Wirkens Christi mit natum et passum nicht mehr hinreichend präzise erschien, sondern 75

  Kinzig, Tauffragen (s. Anm. 57), 75 – 78.   Soweit a. a. O., 85 – 91; die im Folgenden als Argument herangezogene antimonarchianische Stoßrichtung und der Verweis auf Tertullian werden in diesem Beitrag nur knapp gestreift. 77   Ausführlich hierzu R. M. Hübner, Der paradox Eine. Antignostischer Monarchianismus im zweiten Jahrhundert (SVigChr 50). Mit einem Beitrag v. M. Vinzent (SVigChr 50), Leiden u. a. 1999. 78  Das Vorstehende fasst die Argumentation in Kinzig, Neue Texte (s. Anm. 57), 281 – 289, zusammen, ohne die für die These angeführten Belege einzeln zu diskutieren. 76

Vom Werden des Apostolikums  43

dass es ausführlicherer Bemerkungen sowohl zu seinem Kommen in die Welt als auch zu den Stationen seines Leidens und Sterbens einschließlich dessen Umkehrung durch Auferstehung und Himmelfahrt bedurfte, um einerseits das Heilshandeln Christi zureichend zu bestimmen und andererseits dem Eindruck zu wehren, das alles habe der eine, transzendente, leidenslose Gott getan, ja erlitten. Die christologische Taufunterweisung hatte, wenn man so sagen darf, ihre Unschuld verloren; und dass mit der Erweiterung des zweiten Artikels noch keineswegs eine definitive Antwort gegeben war, sondern man vielmehr die Büchse der Pandora überhaupt erst geöffnet hatte, zeigen die anhaltenden trinitätstheologischen und christologischen Debatten des 4. bis 7. Jahrhunderts. Für die hier behandelte Fragestellung ist Kinzigs m. E. sehr plausible These weiterführend, dass die Tauffragen des »Altgelasianums« sogar als Quellen für das 2. Jahrhundert gelten und damit das »missing link« zwischen frühen konfessorischen Formeln im Neuen Testament sowie bei den Apologeten und der späteren Produktion von Bekenntnissen darstellen könnten.79 Wann freilich die Tauffragen um einen erweiterten zweiten Artikel ergänzt wurden, ob dies vor der Entstehung des Romanums geschah oder ob hier eine Rückwirkung des werdenden Apostolikums auf die Tauffragen, die oft einen längeren christologischen Teil besitzen, zu veranschlagen ist, wie sich das über Jahrhunderte hinweg in Rom in Gebrauch befindliche Altgelasianum präzise zu den Tauffragen der Traditio apostolica und zur Verwendung des Nizäno-Konstantinopolitanums in der römischen Taufliturgie seit dem 6. Jahrhundert80 verhält, während sich ansonsten im Abendland überall Formen des Apostolikums durchsetzten – das sind Fragen, die noch einer befriedigenden Antwort harren. Festzuhalten ist, dass das 79  M. E. überzeugend widerlegt Kinzig, Tauffragen (s. Anm. 57), 86 Anm. 302, die ältere Ansicht, dass die kurze Form der Tauffragen nicht die ursprüngliche, sondern eine gekürzte Form des Romanums sei (so Kelly, Glaubensbekenntnisse [s. Anm. 9], 342 und 419; ebenso F. E. Vokes, Apostolisches Glaubensbekenntnis I. Alte Kirche und Mittelalter, TRE 3 [1978], 528 – 554 [539]). Vorerst eine (ansprechende) Vermutung muss bleiben, dass die trinitarische Taufformel nach Mt 28,19 f. schon bald »in Frageform gekleidet« worden sei (a. a. O., 95) und dass in einem weiteren Schritt »der Zusatz natum et passum eingefügt wurde, als in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts in Rom die Sitte aufkam, an Ostern zu taufen, um dadurch den Zusammenhang zwischen Taufe und Kreuzesgeschehen hervorzuheben« (a. a. O., 105). 80  Dazu P. Gemeinhardt, Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter (AKG 82), Berlin u. a. 2002, 49 – 51.

44  Peter Gemeinhardt Werden des Apostolikums als Bekenntnistext von seiner Vorgeschichte in Form von Tauffragen zu unterscheiden ist, bei starker Kontinuität im ersten, leichtem Wachstum im dritten und erheblichen Zuwächsen im zweiten Artikel.

4.  Vom Altgelasianum zum »Textus receptus« des Apostolikums 4.1.  Lehrbekenntnisse und katechetisch gebrauchte Bekenntnisse Nachdem wir das Werden des Apostolischen Glaubensbekenntnisses von neutestamentlichen Zeugnissen bis zu den ersten Textzeugen des Romanums (2.) und von diesem zurück zu den Tauffragen des Altgelasianums (3.) verfolgt haben, bleibt nun noch, diesen Weg ein weiteres Mal abzuschreiten, diesmal wieder in korrekter chronologischer Richtung. Es ist unstrittig, dass sich die Herausbildung bündiger Formeln des christlichen Glaubens biblischen Vorbildern verdankt. Dazu gehört insbesondere 1 Kor 8,6 (»So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm, und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn«), sozusagen ein Archetyp des zweigliedrigen Bekenntnisses zu Gott dem Vater und Christus dem Herrn, das im 2. Jahrhundert freilich schon regelmäßig mit triadisch strukturierten Formeln verbunden wird, in denen die Wirkung des Taufbefehls in Mt 28,19 f. zutage tritt.81 Offenbar erfuhr die trinitarische Grundstruktur schon bald eine christologische Erweiterung; die Tauffragen des Sacramentarium Gelasianum Vetus, die, wie gesehen, wohl bis ins 2. Jahrhundert zurückgehen, bieten mit natum et passum eine Kurzform der Christologie, die angesichts der nun aufbrechenden Fragen über das Verhältnis von Gott Vater und Sohn bzw. von Gott und Mensch in Christus als nicht mehr suffizient erschien. Das bedeutet einerseits, dass wir zwar nicht das Apostolikum als Bekenntnistext, wohl aber den in charakteristischer Weise ausgebauten christologischen Teil im Werden beobachten kön81   Das ist besonders deutlich in den vielen konzisen Formeln bei Irenaeus von Lyon, insb. epid. 6 (FC 8 / 1, 36; Brox [deutsche Übersetzung aus dem Armenischen]); haer. 1,10,1 (a. a. O., 198,1 – 200,4 Brox [griechisch]); 3,4,2; 16,6 (FC 8 / 3, 40,2 – 11; 200,9 – 18 Brox [jeweils lateinisch]); 4,33,7 (FC 8 / 4, 262,8 – 15 Brox [lateinisch mit griechischer Fassung im Apparat]); vgl. dazu Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 81 – 85.

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nen, wie er sowohl zur konzisen Bekräftigung des Christusglaubens bei der Taufe als auch in antihäretischer Absicht in Glaubensregeln formuliert wurde.82 Beides ist freilich zu unterscheiden: Von den Glaubensregeln führt kein direkter Weg zur Taufunterweisung anhand von Bekenntnissen, wie es seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts üblich wurde, sondern allenfalls zu »Privatsymbolen« oder, wie man zutreffender sagen könnte, zu »Theologenbekenntnissen« – diese finden wir zuerst im 3. Jahrhundert bei Heraclides in seiner Disputation mit Origenes,83 dann bei Arius († 336) und bei Markell von Ankyra. Ob dieser das Romanum selbst ad hoc formulierte, muss aus den oben genannten Gründen offenbleiben; doch selbst wenn er einen bereits vorliegenden Text zitiert, bleibt der Befund, dass weder Markell noch Julius von Rom ausdrücklich sagen, dass es sich um ein in der römischen Gemeinde seit jeher bekanntes und gebrauchtes Bekenntnis handelt. Der »Sitz im Leben« dieses Textes bleibt unklar, was für Uta Heils Hypothese einer anlassbezogenen Formulierung nicht durch Markell, sondern durch die römische Synode spricht. Hinzu kommt, dass, wie gesehen, die Tauffragen der Traditio apostolica keineswegs sicheren Aufschluss über die Frühgeschichte des Romanums geben und dass die Herausbildung dogmatisch-polemischer deklaratorischer Bekenntnisse sich generell der neuen Situation der werdenden Reichskirche verdankt. Man darf daher mit Kelly und Ritter das Konzil von Nizäa als Ort einer symbolgeschichtlichen »großen Revolution«84 ansehen. Dann wäre aber auch die Einführung von Bekenntnissen in die vorösterliche Taufunterweisung, die wir erstmals 351 in Jerusalem dokumentiert finden, nicht ein Ergebnis der antihäretischen Diskussionen der vorkonstantinischen Zeit, sondern stünde im Zusammenhang der Institutionalisierung des Katechumenats in

82   Vgl. W. Kinzig, From the Letter to the Spirit to the Letter. The Faith as Written Creed, in: ders., Neue Texte (s. Anm. 57), 293 – 310 (303): »It may help to imagine creeds as made up of homological ›building blocks‹ that were created during the first three centuries.« Er identifiziert dafür fünf »Sitze im Leben«: Kult, Mission, Konversion, Recht und Theologie. 83  Origenes, dial. 1 f. (SC 67, 52,6 – 54,15; 56,7 – 13  Scherer  = Kinzig  I, 120a.b). Das Bekenntnis des Gregor Thaumaturgus, das in der Vita Gregorii des Gregor von Nyssa überliefert ist (GNO X / 1, 17,24 – 19,5 Heil = Kinzig I, § 117) ist in seiner Authentizität umstritten. 84   Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 205; zustimmend zitiert bei Ritter, Glaubensbekenntnis(se) (s. Anm. 60), 411 (unter der Überschrift »Nizäa als Wende«).

46  Peter Gemeinhardt der Spätantike.85 Die Taufunterweisung erfuhr offenbar um die Jahrhundertmitte an mehreren Orten eine vergleichbare Strukturierung, die uns vor allem durch katechetische Predigten, später dann auch durch die diesen zugrundeliegenden Bekenntnissen zugänglich ist. Dieser Usus verdankte sich den veränderten katechetischen Bedürfnissen angesichts steigender Zahlen von Taufbewerbern, aber auch theologischer Debatten in den Gemeinden: Im Kontext der beschleunigten Debatte über trinitätstheologische Fragen war positiv wie negativ eine klarer fassbare Eindeutigkeit der Glaubensinhalte gefragt. Doch geht es nicht darum, diese Entwicklung als Indikator einer schweren Krise zu beschreiben, wie es schon manche Zeitgenossen taten. Das würde der Virtuosität nicht gerecht, mit der Bischöfe und Katecheten der veränderten Situation begegneten. Zweifellos stellte der wachsende Zustrom von Taufbewerbern und am Christentum Interessierten in die Gemeinden eine Herausforderung für das katechetische Handeln dar. Die erhaltenen Predigtreihen aus Jerusalem (Kyrill), Antiochien (Johannes Chrysostomus), Mopsuestia (Theodor), Hippo (Augustin) oder Ravenna (Petrus Chrysologus) machen allerdings nicht den Eindruck der Schnellabfertigung! Der Trend der Zeit, dogmatische Positionen in Form deklaratorischer Bekenntnisse zu formulieren, hatte also in der Katechese eine signifikante und nachhaltige Parallelentwicklung – die innerhalb der neuen Gattung »Bekenntnis« zu einem Typ sui generis führte. Denn man muss die Lehrbekenntnisse, die sich nach dem von Vinzent so genannten »antilogisch-traditionellen Baukastenmodell« aufeinander beziehen und voneinander abgrenzen,86 von katechetisch genutzten Bekenntnissen unterscheiden. Jene geraten teils überaus ausführlich und sind geprägt vom Streben nach möglichst präziser theologischer Terminologie (bisweilen auch von deren Vermeidung, wie die homöischen Bekenntnisse der späten 350er Jahre, die dann aber in anderer Weise ihren Punkt so genau wie möglich zu markieren trachten). Diese hingegen folgen sämtlich der Grundstruktur der Tauffragen und nehmen die immer differenzierteren christologischen Bestimmungen gerade nicht auf – schon das Nizänum, später dann das Nizäno-Konstantinopolitanum unterscheiden sich insofern signifikant von den 85   Dazu jetzt P. Gemeinhardt / T. Georges, Vom philosophischen Schulbetrieb zum kirchlichen Katechumenat: Institutionalisierungen religiöser Bildung im spätantiken Christentum, in: Gemeinhardt / Tanaseanu-Döbler, Paradies (s. Anm. 22), 153 – 175. 86   Vinzent, Entstehung (s. Anm. 47), 235 – 240.

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Bekenntnissen, aus denen sich das Apostolikum entwickelt. Das heißt nicht, dass es hier nicht um dogmatische Korrektheit ginge. Nicht nur das Einschärfen der Verbindlichkeit der Entscheidung für den Empfang der Taufe und das christliche Leben, sondern auch die Einweisung in den orthodoxen Glauben, ist bereits in den Katechesen Kyrills von Jerusalem zu beobachten, die, wie gesagt, erstmals die Verwendung eines lokalen Glaubensbekenntnisses dokumentieren. Zwar findet später im Osten, wie die Katechesen Theodors von Mopsuestia († 428) zeigen, auch das Nizänum als katechetisches Bekenntnis Verwendung; hingegen bleibt es im Westen für traditio und redditio symboli bei einer Vielfalt lokaler Bekenntnisse, die weitgehend dem Romanum entsprechen, im Detail allerdings Besonderheiten aufweisen, die sich einer einfachen Erklärung entziehen.87 Das 4. Jahrhundert erlebte insofern nicht nur dogmengeschichtlich, sondern auch bildungsgeschichtlich eine Revolution, und dies an vielen Orten gleichzeitig. Während die kirchengeschichtliche Forschung lange versucht hat, Bekenntnisse zu finden, wo es keine gibt, hat sie sich davon abhalten lassen, zu untersuchen, anhand welcher Gattungen und Texte zu welchem Zeitpunkt an konkreten Orten die Unterweisung von taufwilligen Christen tatsächlich vonstattenging. Bevor in karolingischer Zeit eine forcierte Durchsetzung des Apostolikums als Normbekenntnis erfolgte, herrschte – um es pointiert auszudrücken – eine gesteigerte Pluralität von apostolischen Glaubensbekenntnissen.

87   Während Kelly konstatierte, dass alle anderen Bekenntnisse des Westens im 4. bis 6. Jahrhundert Zusätze zum Romanum hätten, aber keine signifikanten Auslassungen und die Richtung der Tradition daher deutlich sei (Kelly, Glaubensbekenntnisse [s. Anm. 9], 179 f.), stellt Westra diese unilineare Sicht infrage: Einerseits seien bei Bekenntnissen, die zeitlich nach dem Romanum lägen, Varianten gegenüber diesem zu verzeichnen, die auf eine frühere Verzweigung der Genealogie hindeuteten (Westra, Apostles’ Creed [s. Anm. 10], 63 – 65) unter Rekurs auf eine wenig rezipierte Beobachtung von P. Smulders, Some Riddles in the Apostles’ Creed, in: Bijdr. 31 [1970] 234 – 260; andererseits wiesen die Überschneidungen zwischen dem Romanum und der Traditio apostolica auf einen gemeinsamen, in vorkonstantinischer Zeit zu suchenden »Urtext« hin, den Westra »Proto-R« nennt (Westra, Apostles’ Creed [s. Anm. 10], 65 – 68). Ich bin gegenüber diesem Postulat aus bereits oben genannten Gründen skeptisch.

48  Peter Gemeinhardt 4.2.  Pneumatologische und ekklesiologische Zugewinne Dem inhaltlichen Aspekt dieser Pluralität soll ein letzter Gedankengang gewidmet sein. Vorausgeschickt sei, dass die Abweichungen unter den Texten nicht immer theologisch sinntragend waren, weshalb es im Folgenden nicht darum gehen kann, sämtliche Unterschiede zwischen den bisher diskutierten und noch vielen anderen Textfassungen zu behandeln. Ich beschränke mich auf einen Vergleich zwischen dem Romanum und dem Apostolikum:88 Romanum (R)

Apostolikum (T)

Credo in deo, patre omnipotente,

Credo in deum, patrem omnipotentem, creatorem caeli et terrae. Et in Iesum Christum filium eius unicum, dominum nostrum. Qui conceptus est de spiritu sancto natus ex Maria virgine. Passus sub Pontio Pilato crucifixus, mortuus et sepultus. Descendit ad inferna. Tertia die resurrexit a mortuis. Ascendit ad caelos; sedit ad dexteram dei, patris omnipotentis. Inde venturus iudicare vivos et mortuos. Credo in spiritum sanctum. Sanctam ecclesiam catholicam. Sanctorum communionem, remissionem peccatorum. Carnis resurrectionem, vitam aeternam.

et in Iesu Christo unico filio eius, domino nostro, qui natus est de spiritu sancto ex Maria virgine, crucifixus sub Pontio Pilato et sepultus, tertia die resurrexit; ascendit in caelos; sedet ad dexteram patris; inde venturus iudicare vivos et mortuos; et in spiritu sancto, sanctam ecclesiam, remissionem peccatorum, carnis resurrectionem.

Da der vorliegende Band dem ersten und dritten Artikel des Apostolikums gewidmet ist und es schon einen weiteren Band zum zweiten Artikel gibt,89 konzentriere ich mich auf den ersten und den dritten Artikel. Entsprechend werden die Unterschiede im christologischen 88  Kinzig II, § 254b und 376 (Näheres s. o. Anm. 37 und 2). Die Zuweisung der einzelnen Sätze des Apostolikums an die Apostel wurde ausgelassen. 89   J. Herzer / A. Käfer / J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018.

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Abschnitt übergangen, einschließlich des – wie gesehen – erstmals bei Rufin als Glaubensartikel bezeugten descensus ad inferna.90 Blicken wir auf den ersten Artikel des Apostolikums, so bildet die Schöpfertätigkeit Gottes (creatorem caeli et terrae) einen Überschuss gegenüber dem Romanum, womit freilich nur aufgegriffen wurde, was in östlichen Bekenntnissen seit jeher präsent war, allen voran das Nizänum und das Nizäno-Konstantinopolitanum, und was auch in der westlichen Theologie in der Spätantike keinen Diskussionsgegenstand bildete.91 Präziser wäre zu sagen, dass im Nizänum vom »Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge« (πάντων ὁρατῶν τε καὶ ἀοράτων ποιητήν) die Rede ist, während »Himmel und Erde« erst das Bekenntnis von 381 benennt. Eine vergleichbare Varianzbreite von Aussagen ergeben die lateinischen Texte ausweislich des von Kinzig gesammelten Materials: So bietet Caesarius von Arles († 542) in einer als Expositio vel Traditio Symboli überlieferten Predigt einen dem Apostolikum schon weitgehend entsprechenden Bekenntnistext mit creatorem caeli et terrae,92 allerdings ohne in der Erklärung darauf einzugehen. Hingegen spricht eine noch ins 5. Jahrhundert zu datierende, also vergleichsweise frühe anonyme Expositio de fide catholica von Gott dem Vater als invisibilem visibilium et invisibilium conditorem.93 In Credotexten aus dem 4. und 5. Jahrhundert fehlt der Passus ansonsten überwiegend, wie die Bekenntnistexte, die aus der Explanatio symboli des Ambrosius von Mailand oder aus den Predigten der Bischöfe von Ravenna und Rom, Petrus Chrysologus († 458) 90  Zum descensus ad inferna (bzw. ad inferos) vgl. in dem soeben erwähnten Band M. Frenschkowski, Hinabgestiegen in das Reich der Toten. Jenseitsmythen, Christologie und der Weg der Seele, in: Herzer / Käfer / Frey, Rede (s. Anm. 89), 255 – 286 (mit reichem religionsgeschichtlichen Material). Eine ausführliche Untersuchung des descensus in Glaubensbekenntnissen im Blick auf deren Grundstruktur mythischen Erzählens einschließlich der vorausgehenden Traditionsgeschichte bietet demnächst P. Gemeinhardt, Sphärenwechsel im Christusmythos. Höllen- und Himmelfahrt Christi als mythische Strukturmomente in spätantiken christlichen Glaubensbekenntnissen und ihren Kontexten, in: A. Zgoll / C. Zgoll (Hg.), Mythische Sphärenwechsel (MythoS 2), Berlin u. a. 2020, 539 – 622. 91  Vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 366 f., der die Annahme zurückweist, der als dualistisch, ja manichäisch angesehene Priscillianismus habe mit dieser Klausel bekämpft werden sollen, die vielmehr »ganz zufällig und unbeabsichtigt in das Bekenntnis eingedrungen« sei (a. a. O., 368). 92   Caesarius von Arles, sermo 9,1 (CChr.SL 103, 47 Morin  = Kinzig II, § 271a). 93   Anonymus, Expositio de fide catholica (CPL 505; Westra, Apostles’ Creed [s. Anm. 10], 312 = Kinzig II, § 265).

50  Peter Gemeinhardt und Leo I. († 461), rekonstruiert werden können, belegen.94 Kellys Beobachtung: »Lange Zeit scheint die westliche Tradition zwischen conditorem und creatorem geschwankt zu haben«,95 ist so nicht aufrechtzuerhalten, da tatsächlich nur wenige Textzeugen für conditorem zu finden sind.96 Wo der Schöpfer überhaupt erwähnt wird, steht fast durchweg creatorem, wobei dieses Prädikat erst in karolingischer Zeit endgültig als Textbestandteil durchgesetzt worden zu sein scheint. Als Problem erschienen solche Zusätze offenbar nicht, selbst wenn es sich nicht um kleine Änderungen, sondern um dogmatisch relevante Varianten handelte97  – und darum handelt es sich bei den ekklesiologischen Präzisierungen catholicam und vor allem sanctorum communionem. Beide Wendungen erscheinen zuerst im Bekenntnis des Niketas von Remesiana (um 370 / 375),98 etwas später auch in einem pseudo-hieronymianischen Bekenntnis, der sogenannten Fides Hieronymi.99 Das Prädikat »katholisch« reflektiert, was die seit jeher als »allumfassend« betrachtete Kirche im 4. Jahrhundert tatsächlich auch quantitativ, geographisch und politisch wurde. Es ist kein Zufall, 94  Kinzig II, §§ 255, 256, 259. Die Belege, die eine Durchsicht der lateinischen, dem Apostolikum nahestehenden Texte (Kinzig II, §§  253 – 347) ergab, werden im Folgenden nicht vollständig aufgezählt. 95   Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 367. 96   Darunter eine weitere anonyme Auslegung des Credos, die mit der in Anm. 93 genannten eng verwandt ist (Kinzig II, § 273), sowie zwei pseudambrosianische Schriften (a. a. O., §§ 310 und 323). 97   Westra, Apostles’ Creed (s. Anm. 10), 92 – 95. 98   Niketas von Remesiana, symb. 1 – 10 (Burn [Hg.], Niceta [s. Anm. 29], 38 – 49 = Kinzig  II, § 324); vgl. P. Gemeinhardt, Die Kirche und ihre Heiligen. Studien zu Ekklesiologie und Hagiographie in der Spätantike (STAC 90), Tübingen 2014, 83 – 86. Nach Westra, Apostles’ Creed (s. Anm. 10), 215 gehörte sanctorum communionem nicht zum Text des von Niketas ausgelegten Bekenntnisses (anders Kinzig und Gamber; ebenso Kelly, Glaubensbekenntnisse [s. Anm. 9], 174). Vinzent, Ursprung (s. Anm. 15), 365 – 370, bestreitet wiederum gegen Westra die Möglichkeit, Niketas als Zeugen für das Apostolikum als Text heranzuziehen, und stellt darüber hinaus die Zuschreibung der Instructiones an Niketas überhaupt infrage (einschließlich ihrer herkömmlichen Datierung auf das letzte Drittel des 4. Jahrhunderts), allerdings ohne durchschlagende Begründung. 99   Fides Hieronymi (CChr.SL 69, 275,1 – 17 Bulhart = Kinzig III, § 484). Dieser Text ist gelegentlich für die sanctorum communio als erste Quelle namhaft gemacht worden (z. B. H. Kruse, »Gemeinschaft der Heiligen«. Herkunft und Bedeutung des Glaubensartikels, in: VigChr47 [1993], 246 – 259 [257], aber mit problematischer Begründung). Hieronymus als Verfasser ist auf jeden Fall wenig wahrscheinlich; ob es Gregor von Elvira war, wie alternativ vermutet worden ist, mag hier auf sich beruhen.

Vom Werden des Apostolikums  51

dass die »heilige katholische Kirche« erstmals in einem lateinischen Bekenntnistext bei Niketas begegnet, einem Bischof aus Dakien, der quasi auf der sich verfestigenden Grenze zwischen Ost und West lebte und diese literarisch überbrückte, auf jeden Fall aber die Taufkatechesen Kyrills von Jerusalem kannte und nutzte,100 beschrieb letzterer doch die Katholizität der Kirche knapp und pointiert: »Die Kirche heißt katholisch, weil sie auf dem ganzen Erdkreis, von dem einen Ende bis zum anderen, ausgebreitet ist, weil sie allgemein und ohne Unterlaß all das lehrt, was der Mensch von dem Sichtbaren und Unsichtbaren, von dem Himmlischen und Irdischen wissen muß […].«101

Die »katholische« Kirche ist also nicht nur der Raum, in dem Christen auf aller Welt miteinander leben, sie vermittelt auch die notwendige und d. h. orthodoxe Lehre – womit implizit Bischöfe, Katecheten und andere ekklesiale Lehrer die Katholizität sowohl vermitteln als auch verkörpern. Was daraus resultiert, ist – mit einem weiteren Begriff, der seit dem späten 4. Jahrhundert in die Bekenntnistradition hineingelangt – die »Gemeinschaft der Heiligen«. Der Begriff sanctorum communionem spricht dabei gleich mehrere Dimensionen an: die Gemeinschaft am Heiligen, d. h. an den eucharistischen Elementen; das Bewusstsein, dass die »katholische« Gemeinschaft Zeit und Raum übersteigt und auch die Verstorbenen einbezieht; schließlich die Vorstellung der Gemeinschaft von und mit »besonderen«, später »kanonisierten« Heiligen.102 Es ist deutlich, dass die Textgeschichte des Apostolikums Wandlungen der kirchlichen Praxis und des Kirchenund Frömmigkeitsverständnisses reflektiert. Zugleich implizierte die Polyvalenz eines Begriffs wie sanctorum communio Deutungsoffenheit: Mit der Präzisierung des Bekenntnistextes war die Frage, was an der Kirche und wer in der Kirche heilig sei, nicht beantwortet, sondern allererst gestellt. Die Ambiguität des Bekenntnistextes in Bezug auf lebende und tote, normale und besondere Heilige bringt Niketas von Remesiana in seiner Auslegung des Credos differenziert zu Ausdruck: 100  Zur Kyrill-Rezeption durch Niketas vgl. C. A. Cvetković, ›Sancta ecclesia catholica‹ and ›Communio sanctorum‹: Nicetas of Remesiana and the Unity of the Christian Church, in: Gemeinhardt (Hg.), Was ist Kirche (s. Anm.  22), 101 – 116. 101   Kyrill von Jerusalem, catech. 18,23 (II 324  Reischl / Rupp): Καθολικὴ μὲν οὖν καλεῖται διὰ τὸ κατὰ πάσης εἶναι τῆς οἰκουμένης ἀπὸ περάτων γῆς ἕως περάτων, καὶ διὰ τὸ διδάσκειν καθολικῶς καὶ ἀνελλιπῶς ἅπαντα τὰ εἰς γνῶσιν ἀνθρώπων ἐλθεῖν ὀφείλοντα δόγματα, περί τε ὁρατῶν καὶ ἀοράτων πραγμάτων, ἐπουρανίων τε καὶ ἐπιγείων […] (Übers. Ph. Haeuser, BKV 41, 351 f.). 102   Dazu vgl. Gemeinhardt, Kirche (s. Anm. 98), 81 – 90.

52  Peter Gemeinhardt »Nach dem Bekenntnis zur seligen Trinität sollst du nun bekennen, dass du eine heilige katholische Kirche glaubst. Was ist aber die Kirche anderes als die Versammlung aller Heiligen? Denn von Anbeginn der Welt an sind alle, die [Heilige] waren, sind oder sein werden – seien es die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, seien es die Propheten, Apostel und Märtyrer, seien es die übrigen Gerechten – , eine Kirche, weil sie durch einen Glauben und durch eine Lebensführung geheiligt, mit einem Geist bezeichnet, zu einem Leib gemacht sind. Als das Haupt dieses Leibes wird uns Christus gezeigt, wie geschrieben steht [Eph 1,22; 5,23; Kol 1,18]. Um es noch deutlicher zu sagen: Auch die Engel, auch die übernatürlichen Gewalten und Mächte sind in dieser einen Kirche zu einem Bund vereinigt, wie der Apostel uns lehrt [Kol 1,20], weil in Christus alles versöhnt ist, nicht nur was auf Erden, sondern auch was im Himmel ist. Also glaube, dass du in [sc. nur als Glied] dieser Kirche der Gemeinschaft der Heiligen folgen wirst. Wisse, dass es eine katholische Kirche ist, die auf dem ganzen Erdkreis gegründet ist – die Gemeinschaft mit ihr sollst du unerschütterlich bewahren. Es gibt auch gewisse Pseudo-Kirchen, aber mit diesen sollst du nichts gemein haben (ich meine diejenigen der Manichäer, Kataphryger [sc. Montanisten], Marcioniten und all der anderen Häretiker und Schismatiker), weil sie aufgehört haben, zu jener heiligen Kirche zu gehören, insofern sie – von dämonischen Lehren verführt – anders glauben und anders handeln, als es Christus, der Herr, befohlen hat und als es die Apostel überliefert haben.«103

Die Traditions- und Interpretationsgeschichte der communio sanctorum im Westen ist lang und verwickelt;104 sie kann hier nicht nachgezeichnet werden. Festgehalten sei aber, dass am Anfang dieser Geschichte nicht die exklusive Perspektive der besonderen – später dann 103  Niketas von Remesiana, symb. 10 (Burn [ed.], Niceta [s. Anm. 29], 48,1 – 49,3): »Post confessionem beatae Trinitatis iam profiteris te credere sanctam ecclesiam catholicam. Ecclesia quid est aliud, quam sanctorum omnium congregatio? Ab exordio enim saeculi siue patriarchae Abraham et Isaac et Jacob, siue prophetae, siue apostoli, siue martyres, siue ceteri iusti, qui fuerunt, qui sunt, qui erunt, una ecclesia sunt, quia una fide et conuersatione sanctificati, uno Spiritu signati, unum corpus effecti sunt; cujus corporis caput Christus esse perhibetur et scriptum est. Adhuc amplius dico. Etiam angeli, etiam uirtutes et potestates supernae in hac una confoederantur ecclesia, apostolo nos docente, quia ›in Christo reconciliata sint omnia, non solum quae in terra sunt, uerum etiam quae in caelo‹. Ergo in hac una ecclesia credis te communionem consecuturum esse sanctorum. Scito unam hanc esse ecclesiam catholicam in omni orbe terrae constitutam; cuius communionem debes firmiter retinere. Sunt quidem et aliae pseudoecclesiae, sed nihil tibi commune cum illis, ut puta Manichaeorum, Cataphrigarum, Marcionistarum, uel ceterorum haereticorum siue schismaticorum, quia iam desinunt esse ecclesiae istae sanctae, siquidem daemoniacis deceptae doctrinis aliter credunt, aliter agunt, quam Christus Dominus mandauit, quam apostoli tradiderunt.« 104  Hierzu mit zahlreichen Belegen Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm.  9), 381 – 390.

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kanonisierten – Heiligen stand, sondern eine Hoffnungsperspektive für alle Christen, die in der Zweideutigkeit der Jetztzeit lebten. Sogar ein Theologe wie Augustin, der zu Beginn seiner kirchlichen Karriere dem Heiligenkult und dem damit verbundenen Wunderglauben sehr skeptisch gegenüberstand, entfaltete am Ende von De civitate dei ein solches Panorama einer über Zeiten und Räume hinweg verbundenen Kirche: »In der Offenbarung [20,4] heißt es: ›Und die Seelen derer, die um des Zeugnisses von Jesus willen und um des Wortes Gottes willen getötet sind  […] herrschten mit Jesus tausend Jahre.‹ Gemeint sind die Seelen der Märtyrer, denen ihre Leiber noch nicht zurückgegeben wurden. Denn die Seelen der verstorbenen Frommen sind nicht etwa von der Kirche getrennt, die schon jetzt das Reich Christi bildet. Denn sonst würde ihrer nicht am Altar in der Gemeinschaft am Leib Christi gedacht werden […] Nur die Seelen der Märtyrer aber erwähnt Johannes hier, weil diese Toten, die bis zum Tode für die Wahrheit stritten, vornehmlich zum Herrschen berufen sind. Doch vom Teil aufs Ganze schließend müssen wir dies so verstehen, dass auch die übrigen Toten zur Kirche gehören, die das Reich Christi ist.«105

Dazu passt, dass ganz am Ende des dritten Artikels noch eine weitere Änderung gegenüber dem lateinischen Romanum erscheint: vitam aeternam (während Markells griechische Fassung des Romanums bereits ζωὴν αἰώνιον bietet). Nach Kelly sollte diese Ergänzung dem Eindruck entgegenwirken, »die Auferstehung der Gläubigen folge eher dem Beispiel des Lazarus als dem Christi«;106 es sollte demnach die Furcht ausgeräumt werden, nach der Auferstehung sei mit einem weiteren physischen Tod zu rechnen. In der Tat wandte sich Augustin gegen solche Vorstellungen und betonte, dass die Auferstehung des Fleisches derjenigen Christi gleiche und zu ewigem Leben führe (wenn auch durch das Endgericht hindurch).107 Daneben ist aber 105  Augustin, civ. 20,9 (CChr.SL 48, 717,67 – 74; 718,87 – 91  Dombart / Kalb): »et animae, inquit, occisorum propter testimonium iesu et propter uerbum dei; subauditur quod postea dicturus est: regnauerunt cum iesu mille annis; animae scilicet martyrum nondum sibi corporibus suis redditis. neque enim piorum animae mortuorum separantur ab ecclesia, quae nunc etiam est regnum christi. alioquin nec ad altare dei fieret eorum memoria in communicatione corporis christi […] sed ideo tantummodo martyrum animas commemorauit, quia ipsi praecipue regnant mortui, qui usque ad mortem pro ueritate certarunt. sed a parte totum etiam ceteros mortuos intellegimus pertinentes ad ecclesiam, quod est regnum Christi.« Augustinus, Vom Gottesstaat, übers. v. W. Thimme München 31991, Bd. 2, 611. 106   Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 380. 107   Vgl. Augustin, ench. 23,84 (CChr.SL 46, 95,1 – 8 Evans): »iam uero de resurrectione carnis, non sicut quidam reuixerunt iterumque sunt mortui, sed

54  Peter Gemeinhardt schon bei Kyrill von Jerusalem zu beobachten, dass die Klausel καὶ εἰς ζωὴν αἰώνιον nicht nur den andauernden Realitätsgehalt der Auferstehung begründete, sondern sich darüber hinaus auf das Reich Gottes richtet, in dem die Auferstandenen verweilen würden: »Der Vater ist wirklich und wahrhaftig das Leben  […] Das ewige Leben aber hat er in seiner Menschenfreundlichkeit uns Menschen untrüglich verheißen.«108 Auch Niketas von Remesiana verstand diesen letzten Satz des Bekenntnisses als exklusive Verheißung ewigen Lebens für Christen, die auf Erden keusch gelebt hatten.109 Die entscheidende Frage scheint demnach nicht zu sein, warum dieser Satz im Apostolikum steht, sondern warum er im Romanum fehlt – denn er begegnet in der großen Mehrheit der überlieferten Bekenntnistexte, und zwar in allen Epochen und Regionen. Das Romanum und die Traditio apostolica belegen also einen Sonderweg. Dass ausgerechnet der römischen Gemeinde das ewige Leben nicht so wichtig erschienen sei, wäre allerdings eine überzogene Schlussfolgerung. Hingewiesen sei zum Schluss noch auf eine Variante, die das ewige Leben ausdrücklich an die Kirche zurückbindet: Augustin und einige seiner nordafrikanischen Zeitgenossen verwendeten offenbar das Credo mit dem abschließenden Satz vitam aeternam per sanctam ecclesiam.110 Diese Wendung findet sich auch bereits bei Cyprian von in aeternam uitam sicut Christi ipsius caro resurrexit, quemadmodum possim breuiter disputare, et omnibus quaestionibus quae de hac re moueri assolent satisfacere, non inuenio. resurrecturam tamen carnem omnium quicumque nati sunt hominum atque nascentur, et mortui sunt atque morientur, nullo modo dubitare debet christianus.« Ähnlich stellt sermo 214,12 (P. Verbraken, Le Sermon CCXIV de saint Augustin pour la tradition du symbole, in: RBen 72 [1962], 7 – 21 [21,250 f.] = Kinzig II, § 316 f.) fest: »Sed nec de ista carne mortali, quod resurrectura sit in saeculi fine, dubitare debemus.« 108   Kyrill von Jerusalem, catech. 18,29 (II 332  Reischl / Rupp): Ἡ μὲν οὖν ὄντως ζωὴ καὶ ἀληθῶς ἐστιν ὁ πατήρ […] διὰ δὲ τὴν ἐκείνου φιλανθρωπίαν καὶ ἡμῖν τοῖς ἀνθρώποις τὰ τῆς αἰωνίου ζωῆς ἀψευδῶς ἐπήγγελται (Übers. Ph. Haeuser, BKV 41, 355). 109   Niketas von Remesiana, symb. 12 (Burn [Hg.], Niceta [s. Anm. 29], 51 = Kinzig II, § 324): »Vivent enim cum Christo in caelo, qui vixerunt secundum praecepta Christi et iustitias in hoc mundo.« Vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 381. 110   So das rekonstruierte Credo nach Augustin, sermo 215 (P. Verbraken, Les Sermons CCXV et LVI de saint Augustin: De symbolo et De oratione dominica, in: RBen 68 [1958], 5 – 40 [24 f.] = Kinzig II, § 316g); ebenso Quodvultdeus, sermo 112,1 (CChr.SL 60, 332,1 f. Braun = Kinzig II, § 317a) und das aus mehreren Texten des Fulgentius von Ruspe sowie aus einem pseudofulgentianischen Sermo de symbolo (CPL 846) zu rekonstruierende Credo

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Karthago († 258) in einer Auseinandersetzung mit der um Novatian gescharten Gruppe von Konfessoren in Rom, die offenbar die Tauffrage »Glaubst du an die Vergebung der Sünden und an das ewige Leben durch die heilige Kirche?« verwendeten – woraufhin Cyprian ergänzte: »Sie lügen bei der Befragung, denn sie haben die Kirche gar nicht!«111 Ewiges Leben konnte es nach Cyprians Ansicht nur durch die richtige Kirche geben, von der sich die Novatianer schuldhaft getrennt hatten. Diese Argumentation setzt freilich die Heiligkeit der Kirche voraus, die unter irdischen Bedingungen – wie nicht zuletzt Augustin selbst in seiner großen Schrift De civitate dei argumentiert hat – stets im Zweideutigen verbleibt und nur als geglaubte den Weg zum ewigen Leben bereiten kann. Dieses differenziertere Verständnis der »heiligen Kirche« dann auch liegt dem entstehenden Apostolikum sachlich zugrunde.

5.  Fazit: Das vielfältige Werden des einen Glaubensbekenntnisses Mit dem 4. und den folgenden Jahrhunderten sei, wie in der Forschung (nicht nur) zu Glaubensbekenntnissen verschiedentlich beklagt worden ist, eine »Zeit liturgischer Starrheit und Uniformität« angebrochen.112 Auch über den Katechumenat, in dessen Zentrum die Belehrung über den christlichen Glauben stand, wurde noch vor nicht allzu langer Zeit geschrieben, dieser sei »als Institution in der Kirche des Römischen Reiches schon lange vor der Amtszeit des Ambrosius als Bischof von Mailand verfallen« gewesen.113 Ambrosius und seine Zeitgenossen in der zweiten Hälfte des 4. und in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts wären demnach lediglich Sachwalter einer einst blühenden, jetzt aber vom Massenansturm der Taufwilligen (Kinzig II, § 319 und 320). In der Sache ist der Gedanke verbreitet, vgl. nur Kyrill von Jerusalem, catech. 18,28 (II 330  Reischl / Rupp): Ἐν ταύτῃ τῇ ἁγίᾳ καθολικῇ ἐκκλησίᾳ διδασκόμενοί τε καὶ ἀναστρεφόμενοι καλῶς τὴν τῶν οὐρανῶν βασιλείαν ἕξομεν καὶ ζωὴν αἰώνιον κληρονομήσομεν. 111   Cyprian, ep. 69,7,2 (CChr.SL 3C, 480,155 – 158 Diercks): »Nam cum dicunt ›credis in remissionem peccatorum et uitam aeternam per sanctam ecclesiam?‹ mentiuntur interrogatione, quando non habeant ecclesiam.« 112   Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 121, hier pars pro toto zitiert. 113   J. Schmitz, Einleitung, in: Ambrosius von Mailand, De sacramentis. De mysteriis. Über die Sakramente. Über die Mysterien, hg. v. J. Schmitz (FC 3), Freiburg i. Br. u. a. 1990, 7 – 73 (16).

56  Peter Gemeinhardt erdrückten Praxis der Glaubensunterweisung gewesen – und das Romanum und andere Texte wären entsprechend eine Notmaßnahme, um eine Basisration an Glaubenswissen unters Volk zu bringen, wie gut oder schlecht dies auch verstanden worden wäre. Das Bemühen der Apostel, gemäß dem Auftrag ihres auferstandenen Herrn »alle Welt zu Jüngern zu machen«, wäre dann gewissermaßen am eigenen Erfolg gescheitert – und das Apostolikum müsste als Symptom dieses Pyrrhussieges der apostolischen Mission gelten. Wie die letzten Abschnitte gezeigt haben, kann und muss das Werden des Apostolikums aber keineswegs als Inbegriff einer Dekadenzgeschichte beschrieben werden (und auch die Urteile über die Taufunterweisung in der Reichskirche fallen in neuerer Zeit differenzierterer aus, als das obige Zitat suggeriert). Vielmehr gab es gerade in dem Bereich, der für den vorliegenden Band von Interesse ist, weniger einen dramatischen Niedergang als signifikante Transformationen. Das bedeutet nicht, die eine »goldene Zeit«  – die Märtyrerkirche der vorkonstantinischen Jahrhunderte mit ihrem spontanen Bekenntnis »Ich bin Christ, ich bin Christin!«  – durch eine andere  – die triumphierende Reichskirche mit ihren elaborierten Glaubensformeln  – zu ersetzen. Vielmehr könnte man von Konjunkturen des Apostolischen sprechen, und hier ist das 2. Jahrhundert mit den apokryphen Apostelakten, der apostolischen Sukzession und den frühen Glaubensregeln ebenso eine Epoche sui generis wie die Reichskirche mit ihrem Bestreben, das apostolische Erbe theologisch eindeutig, katechetisch nutzbar und frömmigkeitspraktisch anwendbar zu formulieren. Dazu bedurfte es ganz offensichtlich mehrerer Anläufe: Bis das Werden »des« Apostolikums zur Einheitlichkeit eines Textus receptus gediehen war, sollte es Jahrhunderte dauern, und diesem Prozess eignet eine spezifische Unübersichtlichkeit, die ich zumindest andeuten wollte. Umgekehrt haben die Ausführungen zu den Unterschieden zwischen den einzelnen Bekenntnistexten aber auch gezeigt, dass im 4. Jahrhundert der Grundbestand unstrittig war und in der Folgezeit in allen Regionen stabil blieb – das Apostolikum führt unhinterfragt mit, was zu früheren Zeiten unter Inanspruchnahme des Apostolischen ausgehandelt und festgestellt worden war, z. B. dass von einem Gott und von Jesus Christus als dem einen Erlöser zu sprechen sei. All dies ist bei der Herausbildung von deklaratorischen und katechetisch genutzten Bekenntnissen schon vorausgesetzt. In dem Moment, als das Apostolische in Textform gefasst wurde, stand es inhaltlich schon weitgehend fest  – bemerkenswerterweise haben

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die trinitätstheologischen Diskussionen im Westen in der Tradition katechetischer (und später liturgischer) Bekenntnisse keine Spuren hinterlassen, und das Athanasianum, in dem das greifbar ist, hat für die kirchliche Praxis nur geringe Bedeutung gewonnen. Das Nizäno-Konstantinopolitanum stellt diesbezüglich einen Sonderfall dar, denn trotz (oder wegen?) des Teilartikels über Einziggeborenheit, Präexistenz und Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater wurde es in Byzanz, aber auch im Westen zu einem liturgisch verwendeten Bekenntnis (und in Rom für Jahrhunderte zum Taufbekenntnis). Aber das ist eine andere Geschichte.114 Die Entwicklung im Westen war, wie beschrieben, von einer Vielfalt von Bekenntnistexten geprägt. Auch hier war es aber nicht so, dass sich das Apostolikum (um Karl Barths Diktum über den biblischen Kanon abzuwandeln) der Kirche »imponiert« hätte, vielmehr wurde der uns vertraute Text erst durch reformfreudige karolingische Könige reichsweit bis nach Rom eingeführt. Dem apostolischen Charakter der zahlreichen in Gebrauch befindlichen Bekenntnistexte tat das grundsätzlich keinen Abbruch. Es war gerade die Vielfalt von Varianten und Traditionen, die mit der Berufung auf den apostolischen Ursprung, ja auf die von allen Aposteln stammende Formulierung des einen Glaubensbekenntnisses eingehegt werden sollte. Was herauskam, war – zumindest für einige Jahrhunderte – gesteigerte, verwirrende, aber im historischen Rückblick auch ermutigende Pluralität. »Das« Apostolikum war lange im Werden, und dieses Werden war von theologischer Folgerichtigkeit wie von Kontingenzen geprägt. Es ist erstaunlich, welche Karriere ein Bekenntnis machte, das mit den Aposteln selbst nur vermittelt zu tun hatte – es war eben nicht »ein Symbol, welches nur etwa zwei Menschenalter von der apostolischen Zeit entfernt liegt und direct oder indirect die Wurzel aller Symbole der Christenheit geworden ist«, wie Harnack meinte.115 Über die Inhalte des Apostolikums und ihre Deutung wird in dem vorliegenden Band vor allem das Gespräch zwischen exegetischer und systematisch-theologischer Wissenschaft geführt. Der Beitrag eines 114  Dazu Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 9), 39 – 352; R. Staats, Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Historische und theologische Grundlagen, Darmstadt 1996, 180 – 189. 115   A. Harnack, Das Apostolische Glaubensbekenntnis. Ein geschichtlicher Bericht nebst einem Nachwort, Berlin 21892, 18; ähnlich H. Lietzmann, Symbolstudien (1922 – 1927), in: ders., Kleine Schriften, Bd. 3: Studien zur Liturgie- und Symbolgeschichte. Zur Wissenschaftsgeschichte (TU 74), Berlin 1962, 189 – 281 (281).

58  Peter Gemeinhardt Kirchengeschichtlers konnte dabei nur darin bestehen, ein Stückchen historische Aufklärung beizusteuern. Insofern aber in Gottesdiensten und bei anderen Gelegenheiten der Glaube in Verbundenheit mit der communio sanctorum bekannt wird, die nicht nur gegenwärtige Räume, sondern auch vergangene und  – so hoffen wir  – künftige Zeiten umfasst, ist die Besinnung auf die geschichtliche Entstehung des Credos und die dabei obwaltenden Kontingenzen weit mehr als nur der Rahmen für das »Eigentliche«. Historische Tiefenschärfe in die Betrachtung einzubeziehen, dürfte vielmehr unmittelbar dazu beitragen, diesen grundlegenden Baustein unserer konfessionellen und ökumenischen Tradition in evangelischer Freiheit wahrzunehmen, zu schätzen und bewusst im Munde zu führen.

Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse im religionsgeschichtlichen Horizont Reinhard Achenbach

1.  Theologie im Horizont der Religionsgeschichte Die alttestamentlich jüdische und damit auch die christliche Jhwh-Gottes-Verehrung hat ihren historischen Ursprung in der Religionsgeschichte des Alten Orients. Daran haben auch die symbolischen und metaphorischen Zuschreibungen an Wesen und Wandel der Gottheit des Abend- und des Morgenlandes ihren Anteil. Der Gedanke einer die Religionsgeschichte umgreifenden Wirklichkeit, die den Aspekt des Metaphysischen mit einschließt,1 wird in der alttestamentlichen Gedankenwelt nicht abstrakt systematisch erfasst, wie auch ein Geschichtsgedanke nicht abstrakt gefasst wird. Anstelle dessen tritt im biblischen Hebräisch die Benennung von Vorgängen und Erzählungen als devarîm: Beide sind allein in der Gestalt eines Narrativs zu haben.2 Die systematische Erfassung solcher Narration erfolgt einerseits in den Sinnstrukturen der Natur, die von dem Göttlichen wortlos Rechenschaft geben (Ps 19,2 – 5).3 Diese wird als 1  Grundlegend zur Verhältnisbestimmung von Religionsgeschichte und Theologie sind die Überlegungen von W. Pannenberg, Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte (1962), in: ders., Grundfragen Systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze, Göttingen 31979, 252 – 295; ders., Systematische Theologie Bd. I, Göttingen 1988, Kap. 3: Die Wirklichkeit Gottes und der Götter in der Erfahrung der Religionen, 133 – 206. 2   E. Herms, Gottes Wirklichkeit (1987), in: ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen 1992, 318 – 342, zieht daraus den theologischen Schluss (341 f.): »Nun ist Gott aber der Grund der Wirklichkeit nur in diesem die Wirklichkeit begründenden Erschließungsgeschehen. Es gehört also zum Wesen des Grundes der Wirklichkeit als solchem hinzu. In der Sprache der klassischen biblischen Metapher heißt das: Gott ist als Grund aller Wirklichkeit seinem Wesen nach, also in sich selber, der schöpferisch Redende. Als dieser aber manifestiert und offenbart er sich nur im Vollzug seines schöpferischen Redens, dessen Inhalt jedoch niemals der Redende solcher selber ist, sondern immer nur die durch den Redeakt erschlossene Wirklichkeit, also das im Redeakt geäußerte Wort. Nur in seinen schöpferischen Äußerungen ist also der schöpferisch Redende für uns offenbar.« 3  Ps 19,2–5: »2 Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und das Firmament verkündet das Werk seiner Hände. 3 Ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht tut es der anderen kund, 4 ohne Sprache, ohne Worte, mit

60  Reinhard Achenbach Schöpfung aus einem göttlichen Reden verstanden. Der Gedanke der Erfassung von Wirklichkeit durch Narration stammt seinerseits aus der Tradition weisheitlicher Erziehung in Gestalt mündlicher und schriftlicher Lehren: Die väterlichen oder mütterlichen Reden nehmen Gestalt an durch Schriftgelehrte, sopherîm. Es sind also die Erzählungen, die die Wirklichkeit erschließen, und die in einer für den Menschen transzendenten Erschlossenheit des Wirklichkeitsbezugs ihren Ursprung erkennen.4 Diese Identifikation wirkt sich im religiösen Bewusstsein bis heute aus, wenn nämlich in der Narration selbst die referenzielle Unterscheidung von Textebene und Sachebene changiert. Unterscheidet man aber zwischen dem Vorgang und der Erzählung, so bleibt doch das, was vom Vorgang erfassbar wird, wiederum lediglich der Stoff des Erzählten, der gleichwohl nun der historisch kritischen Betrachtung genauso unterliegt wie die Narration selbst. Dennoch gibt es bekanntlich im Alten Testament eine Narration, die zwischen allgemeinmenschlichen religiösen Vorstellungsgehalten von der Welt des Göttlichen und der spezifischen Erfassung derselben in der Epoche der Ursprünge der Religion Israels unterscheidet. Somit wird innerhalb der religiösen Narration selbst eine Erzählung von den Ursprüngen der Religion in einem allgemeinen humanen Sinne möglich in Gestalt der Elohîm-Theologie des Pentateuch. Hinzu kommt, dass der – auch für das Bewusstsein der jüdischen Weisheit – infinite Charakter der vorfindlichen Wirklichkeit und der dahinterstehenden Gottheit (Prov 8; Hi 28)5 auch für den Prozess weisheitlich-gedankunhörbarer Stimme, 5 in alle Länder hinaus geht ihr Maß, bis zum Ende der Welt ihre Rede.« 4  Die Formulierung stammt von Herms, Offenbarung (s. Anm. 2), 168 – 220 (180). 5   Prov 8,22–31: »22 Jhwh hat mich geschaffen am Anfang seines Wegs, vor seinen anderen Werken, vor aller Zeit, 23 in fernster Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, in den Urzeiten der Erde […] 30 da stand ich als Werkmeisterin ihm zur Seite und war seine Freude Tag für Tag, spielte vor ihm allezeit. 31 Ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Freude an den Menschen.« – (Weisheit ist hier Metapher für ein prähistorisches Prinzip, aus welchem die Schöpfungsordnung auf spielerische Weise hervorgebracht wird, was die Vielfalt, Unendlichkeit und Kontingenz einschließt.) Hi 28,12–28 besingt die Unergründlichkeit der Weisheit: »12 Die Weisheit, wo ist sie zu finden, und wo ist der Ort der Erkenntnis? 13 Kein Mensch kennt ihren Wert, und im Lande der Lebenden ist sie nicht zu finden. […] 21 Den Augen aller Lebenden ist sie verborgen […] 22 Abgrund und Tod sprechen: Die Kunde von ihr kam uns zu Ohren. 23 Gott weiß den Weg zu ihr, und er kennt ihren Ort, 24 denn er schaut bis zu den Enden der Erde, er sieht alles, was unter dem Himmel ist. 25 Als er dem Wind sein Gewicht gab und das Maß des Wassers

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licher Erschließung bedeutet, dass dieser zwangsläufig infinit sein muss. Der Pluralität der im Universum zu erfassenden Phänomene, die das »Spiel der Weisheit vor Gott« hervorgebracht hat, entspricht darum selbst im Horizont der alttestamentlichen Schriftensammlung eine Pluralität der Narrationen, die nun ihrerseits das Universale nur dadurch abbilden kann, dass sie sich selbst im Horizont der Gegenwart, des Angesichts Gottes expliziert und so sich selbst und die Welt versteht und deutet, also in demütiger Ehrfurcht wie in lustvoller Abbildhaftigkeit, und dass dabei die Erfassung von normativen Aussagen allein auf der Grundlage nur einer Aussage in einer Perspektive überhaupt nicht möglich ist. Vielmehr erschließt sich die Wirklichkeit des Besprochenen stetig neu in einem Diskursverfahren komplementärer Denkungsarten, das Widersprüchliches nicht nur aushält, sondern geradezu als notwendig zur Erfassung der Wirklichkeit und »wahrer«, d. h. Bestand habender Aussagen (hebr. ’æmæt), empfindet. Es ist dies ein Denken, das seinerseits infinit ist und darum ja in der jüdischen Tradition auch in der haggadischen und halachischen Auslegungsliteratur mündet, die schon in den Spätschriften der Bibel ihren Anfang nimmt. Da diesem Denken der Gottesbegriff und der Gottesname selbst ja schon in letzthinniger Weise nicht fasslich erscheint, verbleibt es in Bezug auf seinen Gegenstand immer in einer spannungsvollen Korrelation von Interiorität und Exteriorität, Benennung und Umschreibung, Metapher und Symbol, und verweist somit stets auf den Umstand, dass der Mensch von der Wahrheit ergriffen sein kann, ohne doch dabei die Grenzen des Aussagbaren und des Unsäglichen je vollkommen zu erreichen. Die Illusion, hieraus eine systematische Theologie gewinnen zu wollen, die nicht im Moment ihrer Fixierung schon immer auch in sich überholt sein muss, lässt sich vor diesem Gegenstand nicht halten. Wie aber innerhalb eines solchermaßen gearteten Prozesses dennoch Orientierung, ja tiefste Überzeugung einer Orthopraxie entsteht, wie Identität, ist die Frage. Die Antwort besteht eigentümlicherweise darin, dass in dem aus ökonomischer Pragmatik und religiöser Überzeugung gewonnenen Kanon selbst die Spannung zwischen Heiligem und Profanem, zwischen Gottesnähe und Gottesferne, zwischen Gotbestimmte, 26 als er dem Regen eine Grenze schuf und Blitz und Donner einen Weg, 27 da hat er sie gesehen und ermessen, er hat sie gefestigt und ergründet. 28 Zum Menschen aber sprach er: Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit, und Böses meiden, das ist Erkenntnis.«

62  Reinhard Achenbach teswirklichkeit und Negation derselben, zwischen Inklusivität und Exklusivität integriert ist. Die von Friedhelm Hartenstein in seinem Aufsatz über »The Beginnings of Yhwh and ›Longing for the Origin‹ «6 beklagte Spannung zwischen religionsgeschichtlichen und theologischen Aussagen hat hier ihren Ort. Die Frage ist also, welche Faktoren bei der Generierung der biblischen Narration und der darin zutage tretenden Gottesbekenntnisse eine Rolle gespielt haben.

2.  Gottesverehrung und Gottesbekenntnis Der Begriff der Gottesverehrung umfasst auch im Blick auf die Geschichte des Alten Israel die Vielfalt und Vielgestaltigkeit von Gottesvorstellungen und religiösen Praktiken, mit der sich in unterschiedlichen sozialen Kontexten die Gottesbeziehung der Menschen Ausdruck und Form gibt. In ihr bleiben Elemente der Mythen wie der heilsgeschichtlichen Narrationen einer ständig neuen Aktualisierung und Transformierung unterworfen. Gottesbekenntnisse bilden indes Kern und Fokus einer identitätsbildenden Darstellung eines Vorstellungskomplexes, der von der sie initiierenden und explizierenden formbildenden Generation Schriftgelehrter in einer bestimmten historischen Auseinandersetzung formuliert und verschriftet wird, und, seine gemeinschaftsstiftende Deutungskraft vorausgesetzt, fortan als weithin durch die Religionsgemeinschaft anerkannte normative Gestalt erhält. Die Phasen der Ausbildung solcher Gestalten können annäherungsweise benannt und beschrieben werden. Gleichwohl nimmt bekanntlich die Religionspraxis, also die Gottesverehrung selbst, auf diese Gestalten keineswegs überall und zu allen Zeiten gleichermaßen Bezug, sodass immer ein Hiatus zwischen formulierter und erzählter Religion und gelebter und praktizierter Religion besteht. Da nun aber der diskursive Charakter der schriftgelehrten Fortschreibungsarbeit an dem Fluss der Auseinandersetzungen um beides immer Anteil hat, ergibt sich aus dem alttestamentlichen Schrifttum auch schon aus formalen Gründen keine gedanklich geschlossene religiöse und philosophische Systematik und Lehre, sondern vielmehr eine Sammlung von anerkannten Leit6   F. Hartenstein, The Beginnings of YHWH and ›Longing for the Origin‹: A historico-hermeneutical query, in: J. van Oorschot / M. Witte (Hg.), The Origins of Yahwism (BZAW 484), Berlin / New York 2017, 283 – 308 (= van Oorschot / Witte, Origins).

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texten,7 die ihrerseits nach stets neuer Deutung verlangen, welche wiederum auch nur auf diskursive Weise und strittig gewonnen werden kann. Die Einheit dieses Diskursfeldes ist durch den Gegenstand bestimmt und durch die Übereinkunft der gemeinsamen Orientierung auf diesen Gegenstand. Dass Jhwh der Gott Israels ist, muss darum immer wieder neu erkannt werden, so wie die andere Seite, dass und in welcher Hinsicht die Gemeinschaft der im Diskurs Stehenden das Volk des Gottes Israels sind. Es steht im Zeichen der Verschmelzung der alttestamentlichen Bundesformel und der Erkenntnisformel, wie sie die Priesterschrift in Ex 6,7 formuliert: »Und ich nehme euch an als mein Volk und ich werde euer Gott sein, und ihr sollt erkennen, dass ich Jhwh, euer Gott, bin, der euch herausführt aus der Fron Ägyptens.«8 Hinzu kommt die Heterogenität der Gottesaussagen selbst. Die Zuschreibungen bestimmter Wirkmächtigkeiten und Eigenschaften an eine Gottheit, die mit dem Epitheton des »Vaters« verbunden sind, hat es in unterschiedlichsten Gestalten in den Religionen des Alten Orients gegeben, also auch in der alttestamentlichen Religion. Religionsphänomenologisch gibt es keine differencia specifica der Jhwh-Religion gegenüber den nicht-jahwistischen Religionen. Gleich7   Der Prozess dieser Anerkennung war bekanntlich langwierig, er reichte von der Zeit des Zweiten Tempels bis in die Spätantike, wobei jedem Teil der Sammlung unterschiedliches Gewicht von jeweils wechselnden unterschiedlichen Tradentenkreisen zugemessen wurde. Hinzu kommen die vielfältigen Veränderungen im Laufe der Schriftgelehrtenkulturen selbst und schließlich die Textgeschichte. Vgl. hierzu K. van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, Cambridge Mass./London 2007; E. Otto, Die Geschichte der spätbiblischen und frühjüdischen Schriftgelehrsamkeit, in: ders., Altorientalische und biblische Rechtsgeschichte. Gesammelte Studien (BZAR 8), Wiesbaden 2008, 564 – 602; D. M. Carr, The Formation of the Hebrew Bible. A New Reconstruction, Oxford / New York 2011; ders., Schrift und Erinnerungskultur: Die Entstehung der Bibel und der antiken Literatur im Rahmen der Schreiberausbildung (AThANT 107), Zürich 2015; A. de Pury, Der Kanon des Alten Testaments, in: T. Römer / J.-D. Macchi / C. Nihan (Hg.), Einleitung in das Alte Testament. Die Bücher der Hebräischen Bibel und die alttestamentlichen Schriften der katholischen, protestantischen und orthodoxen Kirchen, Zürich 2013, 3 – 24; A. Schenker, Die Textgeschichte des Alten Testaments, in: T. Römer / J.-D. Macchi / C. Nihan, a. a. O., 25 – 33. 8   Die insbesondere in der Priesterschrift und im Kreis der Ezechieltradition beheimatete Erkenntnisformel gilt Israel (Ex 16,6.12; 29,46; 31,13 u. ö.; Jes 43,10; 49,23; Ez 5,13; 6,10), aber auch Ägypten und der Welt der Völker (Ex 7,5.17; 8,6.18; 9,14; 11,17; 14,4.18; Ex 18,16; Jes 55,5; Ez 29,6; 34,30; 36,23; 36,36).

64  Reinhard Achenbach wohl war es im Überlebenskampf der Stammesgesellschaften der Levante im Verlauf der Geschichte des 1. Jahrtausends v. Chr. notwendig für Israel, um die Identität des Volkes zu wahren, eine mosaische Unterscheidung zu formulieren, was zu der durchaus sehr spezifischen Ausprägung der israelitischen Religion geführt hat.9 Diese hat die Phasen ihrer Ausbildung in einem Narrativ ausgeprägt, der die eigene Religionsgeschichte als gestufte Offenbarungsgeschichte beschreibt, was dazu geführt hat, dass die Tradenda aus diesen Phasen jeweils in neuer differenzierter Rahmung und Neudeutung integriert werden konnten und keinesfalls alle abgestoßen werden mussten. Es ist auch nicht möglich, mythische Elemente der religiösen Metaphorik als eine frühe, unausgeprägte Entwicklungsstufe späterer systematisch-philosophischer Konzeptionen auszugrenzen. Auch unter den Bedingungen eines ausgeprägten monotheistischen Gottesbildes bleiben die Elemente des Mythischen als offensichtlich notwendige symbolische Formen religiöser Aussage erhalten und werden nur teilweise retuschiert oder umgedeutet. Die Theologie wird also dazu tendieren, die Leitgedanken der konzeptionellen Formen der Gottesbekenntnisse zur Orientierung aufzunehmen und dabei die wechselhaften Impulse integrativer und exklusiver Prozesse in unterschiedlichem Gewicht zu verarbeiten. Für eine Theologie, die konsequent aus der Perspektive kontextueller Herausforderungen arbeitet, sind dabei integrative Prozesse meist interessanter als für eine Theologie, die nach Leitsätzen gemeinschaftsstiftender Narrative sucht. Keine Form der Theologie ist dabei frei davon, selbst Teil einer Religionsgeschichte zu sein und an deren Dynamiken mitzuwirken. Theologie ist selbst Teil einer bestimmten Form der Religionskultur, insofern aber diese von ihr auch reflektiert werden muss, bildet Theologie selbst auch eine reflexive kritische Systematik gegenüber der Religionskultur aus, an der sie gestaltenden Anteil hat. Dies war schon eine Eigentümlichkeit der alttestamentlichen Schriftgelehrtheit und bestimmt insofern die normativen Texte, die 9   Der Aufweis der Verwandtschaft und Gleichartigkeit der israelitischen Jhwh-Religion mit den Religionen Kanaans erklärt zwar den Deutungsraum, in dem sich die spezifische Geschichte des Alten Israel ereignet und in dem es sich selbst verstanden hat, er dispensiert aber eben gerade nicht von der Erklärung der konkreten Ausprägung und Wirklichkeit der altisraelitischen Religion als solcher, vgl. Hartenstein, Beginnings (s. Anm. 6), 305 f., vs. H. Pfeiffer, Jahwes Kommen von Süden. Jdc 5; Hab 3; Dtn 33 und Ps 68 in ihrem literaturund theologiegeschichtlichen Umfeld (FRLANT 211), Göttingen 2005, 13.

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den Ausgangspunkt im Diskursgeschehen der jüdischen und christlichen Religionskulturen und Theologien bilden. Traditionsgeschichtlich sind an den Narrativen, die sie uns vermitteln, unterschiedlichste Ursprungselemente altorientalischer und israelitischer Gottesverehrung erkennbar, dennoch versuchen die Schriftgelehrten in immer neuen Anläufen, diese Elemente in eine einheitliche, sinnstiftende Erzählung zu gießen, die ihrerseits mit Mitteln der Mythenbildung operiert, um aus dieser hinwiederum Gottesbekenntnisse zu formen, die der Identitätsstiftung in ihrer jeweiligen Entstehungszeit dienen und in Verbindung von Ritus und Bekenntnis soziale und religiöse Integration ermöglichen. Dabei verarbeiten die Narrative historische und religiöse Erfahrungen in metaphorischen Gestalten und ermöglichen so die Generierung einer geschichtsbezogenen Verantwortung von theologischer Rede. Die Technik, die die Schriftgelehrten dabei anwenden, ist sowohl mit Hinsicht auf die einzelnen Elemente der heterogenen Gottesaussagen als auch mit Hinsicht auf die heterogenen Ausformungen ihrer Narrative die der komplementären Lesung, gleichsam der narrativen Gestalt eines Diskurses, in welchem harmonisierbare und widersprüchliche Elemente in ein narratologisches Verweissystem gebracht werden, aus welchem dann die Rezipienten ihrerseits anwendungsbezogene Auslegungen gewinnen können.10 Wie auf diese Weise Religionsgeschichte und Theologie in ein diskursives Dienstverhältnis zueinander treten, möchte ich anhand des Beispiels der Diskussionen um die Ursprünge des Jahwismus veranschaulichen. Dazu soll zunächst die Vielfalt der gegenwärtigen Theorien über den Ursprung des Jahwismus (1) dargestellt werden. Sodann ist zu zeigen, dass der Pentateuch selbst eine Theorie von den Ursprüngen und der Entfaltung des Jhwh-Glaubens bietet, dabei allerdings die Form einer Narration über die stufenweise Selbsterschließung Gottes (2) ausbildet. Schließlich ist zu zeigen, wie sich spätere Schriftgelehrte in ihrer 10  Als Beispiel sei auf das Buch Ruth verwiesen. Zwar lehnt das priesterliche Qahal-Gesetz in Dtn 23,4 die Aufnahme von Moabitern und ihren Nachkommen in die Gemeinde strikt ab, gleichwohl wird die Moabiterin infolge der Diskussion um die Frage der Fürsorge für Witwen als fremde Schwiegertochter mit Hilfe des Instituts der Leviratsehe (Dtn 25,5 – 10) integriert und zur Stammmutter Davids. Die Erzählung birgt ihrerseits zahllose Auslegungsprobleme, diskutiert man sie im Verhältnis zur Tora, woraus sich weitere rechtshermeneutische Debatten bis in die Gegenwart ergeben haben, vgl. I. Fischer, Rut (HThK.AT), Freiburg / Basel / Wien 22005, 223 – 266; E. Otto, Deuteronomium 12 – 34. Zweiter Teilbd.: 23,16 – 34,12 (HThK.AT), Freiburg / Basel / Wien 2017, 1849 – 1855.

66  Reinhard Achenbach Bearbeitung des Stoffes (3) zu dieser Theorie verhalten haben und wie sowohl hinsichtlich einer Protologie der Menschheitsgeschichte als auch hinsichtlich einer Eschatologie eine universale Offenheit der kanonischen Texte entsteht. In einem Ausblick sollen dann einige Folgen für das Verhältnis von historischer und theologischer Exegese bedacht werden.

3.  Theorien über die Ursprünge der Jhwh-Religion und der Rede von Gott als Vater: Mythos, Metaphorik und Narration Wie immer eine christliche Theologie die metazeitliche und metasubjektive Wahrheit ihres Gottesgedankens begründet, sie muss sich darüber Rechenschaft geben, dass die der historischen Forschung zugänglichen Hinweise auf die Ursprünge des Jhwh-Glaubens nur annäherungsweise Rückschlüsse auf die hierin beteiligten Prozesse der Generierung und Ausformung der Jhwh-Religion zulassen und dass zweitens diese Religion menschheitsgeschichtlich eine ausgesprochen junge Gestalt repräsentiert. Das gilt nicht nur angesichts der Ausprägung der altorientalischen ägyptischen, sumerischen und mesopotamischen Hochkulturen und ihrer Religionen, sondern schon angesichts der monumentalen Zeugnisse neolithischer Kultanlagen aus dem 10. Jahrtausend v. Chr., beispielsweise vom Göbekli Tepe, die machtvoll zur Geltung bringen, dass die israelitische Religion zunächst einmal ein Spätling in der antiken Religionsgeschichte war. Sie muss also einen Weg finden zu plausibilisieren, dass sich in einer relativ spezifischen Religionsgeschichte eine Erfahrung manifestiert, die mit Hinsicht auf Ewiges und Infinites zu gültigen Aussagen führt. Der von Jürgen van Oorschot und Markus Witte edierte Sammelband über »The Origins of Yahwism«11 bietet einen höchst instruktiven Einblick in die gegenwärtige Diskussion. Das bisher älteste Zeugnis einer Namensform YHW findet sich auf Inschriften in einem nubischen Amun-Tempel von Soleb aus der Zeit Amenhoteps III (ca. 1386 – 1349 v. Chr) und in einem Tempel in Amarah-West aus der Zeit Ramses II. (ca. 1279 – 1213) sowie in weiteren Namenlisten aus Medinet Habu aus der Zeit Ramses III (ca. 1221 – 1156). In diesen wird der Name in einer Reihe mit anderen lokalen Namen in Verbindung mit dem Beduinenstamm der Shasu aufgeführt, sodass er 11

  Van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm. 6).

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zunächst einmal in einem lokalen Konnex zu verstehen ist. Neben den »Yahu-Shasu« gibt es noch »Se’îr-Shasu«, »Laban-Shasu« etc.12 In welcher Beziehung diese lokalen Bezeichnungen zu einer Gottheit YHW stehen, lässt sich aus dem Material nicht erkennen. Gleichwohl wird es von einer Reihe von Exegeten als ein Indiz zur Unterstützung der Annahme angesehen, dass es eine solche Gottheit im Gebiet südlich des Negev und des Seïr im 13. und 12. Jahrhundert gegeben hat, dass somit das Narrativ von der Begegnung einiger aus Ägypten entwichener Hebräer im 12. Jahrhundert mit dieser Gottheit möglicherweise hier einen Anhalt hat.13 Das Etymon Jhwh wird meist von einem verbalen Ursprung hergeleitet und als Gottesname i. S. eines Wettergottes oder auch eines Berggottes deutbar ist (»Er weht«).14 Allerdings sind die ältesten Schichten der literarischen Überlieferungen, die von der wundersamen Errettung der Hebräer am Schilfmeer erzählen (Ex 14,21b)15 als auch der literarische Kern der Erzählung von einer Theophanie des Wettergottes am Gottesberg

12  Zum Material vgl. F. Adrom / M. Müller, The Tetragrammaton in Egyptian Sources  – Facts and Fiction, in: van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm.  6), 93 – 114. 13   Für einen Ursprung der Jhwh-Verehrung im Süden votiert M. Leuenberger, Yhwh’s Provenance from the South: A New Evaluation of the Arguments pro and contra, in: van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm. 6), 157 – 180. 14   Die Debatte um das Etymon ist infinit, vgl. W. G. Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, hg. v. H. Donner, 182013, 446 – 448; J. Tropper, The Divine Name ›Yahwa‹, in: van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm. 6), 1 – 22, vertritt neuerdings die Ansicht, dass vor dem Hintergrund analoger neubabylonischer Namensformen auch eine nominale Herkunft (I-a-o) denkbar ist. 15   Das Mirjamlied Ex 15,21 deutet das Geschehen schon vor dem Hintergrund einer Verschmelzung der Jhwh-Gestalt mit der eines Kriegsgottes. Dies wird sodann im Moselied auf dem Hintergrund einer gewachsenen Tradition der Jerusalemer Psalmdichtung dahingehend erweitert, dass der Wettergott (Ex 15,8.10) als Kriegsgott erscheint (Ex 15,3 – 7. 9. 12.14 – 16), der – unvergleichlich unter den Göttern – das Königtum in seinem Tempel auf dem Gottesberg anstrebt (15,11.17 – 18). Das hohe Alter des Miriamliedes wird vielfach angenommen, auch wenn dies aufgrund der zahlreichen Überlagerungen der Einbindung in die Exoduserzählung unsicher ist, vgl. E. A. Knauf, Midian. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. (ADPV), Wiesbaden 1988, 142 – 146; U. Rapp, Mirjam (WiBiLex), Stuttgart 2007 (https://www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/27817/, zuletzt abgerufen am 27. 09. 2019); R. Albertz, Exodus, Bd. I: Ex 1 – 18 (ZBK.AT 2.1), Zürich 2012, 253 – 255.

68  Reinhard Achenbach (Ex 19,16) nur noch annäherungsweise zu erahnen,16 ein traditionsgeschichtlicher Zusammenhang des Etymons mit dementsprechenden Urerfahrungen von Rettung und Gottesbegegnung ist denkbar, die literarische Gestalt, in welcher dieser Konnex hergestellt wird, kann nur annäherungsweise in der vorexilischen Königszeit datiert werden. Dass Jhwh der Gott der im ostjordanischen Gebiet ansässigen Israeliten war, bezeugt die moabitische Meschastele für die Mitte des 9. Jahrhunderts.17 Älteste Stufen der Psalmen lassen hingegen Jhwh in Analogie zu nordwestsemitischen Wettergottheiten des sog. Baal-Hadad-Typos als einen ebensolchen Wettergott erscheinen (vgl. Ps 29,3 – 5*.7 – 9; 18,8 – 16*; 77,17 – 20; 65,10 – 14), der analog dem Baal im siegreichen Kampf gegen die Chaosmächte den Thron über Götter und Menschen erringt (Ps 24,7 – 10) und sodann auch als Königs- und Kriegsgottheit verehrt wird (Ps 29,1 – 2.9 – 10; Ps 93,1 – 5*), dessen Züge und Eigenschaften dem von Kanaanäeren verehrten Göttervater El gleichen.18 Die Zuschreibung und Amalgamierung von Motiven des El-Mythos und des Baal-Mythos an die Jhwh-Gestalt sowie die ikonographische Assoziierung Jhwhs mit Cherubenthron, Stier, Götterberg (Zaphon, Sinai, Zion), Regentschaft im göttlichen Thronrat, die Rede von Jhwh als dem Gott der Zebaot, die analoge Prädizierung Jhwhs als ‘Elyôn, ausgestattet mit einem feurig leuchtenden Kavôd-Lichtglanz, ja, möglicherweise auch die Übernahme von ursprünglich an Baal oder El gerichteten Gebetstexten in den JhwhKult,19 all das zeigt allerdings, dass die Jhwh-Religion ihre charakteristische Ausprägung, wie sie in den ältesten literarischen Schichten des Alten Testaments zutage tritt, erst im Kulturraum der Königreiche 16   Die Motive der Erscheinung der Gottheit in einem feurigen Lichtglanz (Ex 19,17) haben nichts mit vulkanischen Assoziationen zu tun, sondern verbinden die Wetter- und Berggottmotivik mit der Kabôd-Tradition, die einerseits in kanaanäischen, andererseits in mesopotamischen Traditionen ebenfalls beheimatet ist. Sie hat auch an anderer Stelle ihren Niederschlag gefunden, etwa in der Verbindung aus Theophaniemotivik und Königsideologie, vgl. Ps 18,8 – 16.17 – 20.33 – 40. 17   Text s. bei H. Donner / W. Röllig, Kanaanäische und aramäische Inschriften (KAI 181), Wiesbaden 31971. 18   R. Müller, The Origins of YHWH in Light of the Earliest Psalms, in: van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm. 6), 207 – 238; ders., Jahwe als Wettergott. Studien zur althebräischen Kultlyrik anhand ausgewählter Psalmen (BZAW 387), Berlin 2008. 19   R. S. Salo, Die judäische Königsideologie im Kontext der Nachbarkulturen. Untersuchungen zu den Königspsalmen 2,18,20,21,45 und 72 (ORA 25), Tübingen 2017, 54 – 96.

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Israel und Juda und mit zunehmender Ausprägung einer israelitischen und judäischen Stadtkultur erhalten hat.20 Mit der Überformung lokaler Traditionen und ihrer ursprünglich kanaanäischen Kulte kommt es zur Adaptation weiterer mythologischer Motivgruppen. So hat etwa Othmar Keel die umfängliche Prägung der Jerusalemer Tempel- und Lokaltradition durch solare Motivik aufgezeigt, die Glyptik bezeugt etwa die Übernahme der Symbolik der geflügelten Uräusschlangen, der Serafim, als deren Herr die Gottheit Jhwh gilt. Die Ausprägung einer Präsenzsymbolik durch die sphingischen Mischwesen des Cherubenthrones ist Anzeichen für eine umfängliche Ausprägung der mit dem Jhwh-Kult verknüpften Bildwelt, in deren vor-deuteronomistischen Gestalt die rettende Göttin Aschera Jhwh zur Seite getreten ist.21 Kosmische Tempelideologie und göttliche Herrschaftslegitimation führen zu einer Anreicherung des mit Jhwh verknüpften mehrfach konnotierten Metaphern-Repertoires, auf das die hymnischen und narrativen Deutungstexte in immer neuen Varianten zugreifen. Das gilt natürlich auch für das Motiv der göttlichen Vaterschaft, das in der Königsideologie Ägyptens am stärksten ausgeprägt ist, aber auch im hethitischen, sumerischen, babylonischen, assyrischen, ugaritischen und ptolemäischen und seleukidischen Kulturraum unterschiedliche Ausformungen erfährt.22 Wie in Ugarit El so gilt auch 20   Dies hat bekanntlich zu der These geführt, dass auch die Jhwh-Religion selbst ihren Ursprung im kanaanäischen Norden der südlichen Levante gehabt habe, so Pfeiffer, Jahwes Kommen (s. Anm. 9); ders., The Origins of YHWH and its Attestation, in: van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm. 6), 115 – 144; M. Köckert, Wandlungen Gottes im antiken Israel, in: BThZ 22 (2005), 3 – 36; dagegen J. Jeremias, Three Theses on the Early History of Israel, in: van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm. 6), 145 – 156. 21   A. Berlejung, The Origins and Beginnings of the Worship of YHWH: The Iconographic Evidence, in: van Oorschot / Witte, Origins (s. Anm. 6), 67 – 92. 22   A. M. Böckler, Unser Vater, in: P. van Hecke (Hg.), Metaphor in the Hebrew Bible (BEThL CLXXXVII), Leuven 2005, 249 – 262; zur Vater- und Mutter-Metaphorik in altorientalischen Götterbeschreibungen vgl. auch H.W. Jüngling, »Was anders ist Gott für den Menschen, wenn nicht sein Vater und seine Mutter?« Zu einer Doppelmetapher der religiösen Sprache, in: W. Dietrich / M. A. Klopfenstein (Hg.), Ein Gott allein? Jhwh-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte (OBO 139), Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1994, 365 – 386. Jhwh werden auch Züge des Mütterlichen zugeschrieben: Gott bildet den Menschen im Mutterschoß und unterstützt Geburt und Säuglingsfürsorge (Hi 10,8 – 12; Ps 22,10; 71,5 f.; 139,13 – 16; Jes 49,1; Jer 1,5; 2 Makk 7,22 f.; vgl. H. Vorländer, Mein Gott [AOAT 23], 1975), er tritt Israel auch

70  Reinhard Achenbach im judäischen Jerusalem Jhwh, der ja die Position des El Israels einnimmt, als Vater von Göttersöhnen (Ps 82,6; Gen 6,1 – 4) und Vater des Königs.23 Im Kontext der Orakel zur Herrschaftslegitimation und Inthronisation spielt das Motiv eine wichtige Rolle (2 Sam 7,14 – 15; Ps 89,27 f.31 – 34; 1 Chr 17,13; 22,10; 28,6 f.). In Ps 2,7 haben sich über Jahrhunderte hinweg vermutlich aus frühester Zeit Anklänge an Einflüsse eines kanaanäisch-ägyptisch geprägten Königsprotokolls erhalten, die in dem aus makkabäischer Zeit stammenden Psalm 110,3 noch um solare Motive erweitert sind.24 Die Deutung und Legitimierung neuer Herrschaftssituationen und damit der Neukonstituierung gesellschaftlicher, politischer und kultureller Konstellationen bedarf jeweils auch einer Neuformierung des mythologischen Repertoires im Sinne einer Reaffirmation und Transformation der religiösen Erfahrung und der mit ihr verbundenen Einsichten. Das führt zu einer Reihe jeweils neuer, programmatischer Königspsalmen, die dann  – viel später – sogar zur Strukturierung der Psalmensammlung herangezogen werden können. Ein Motiv der Königsideologie ist die göttliche Auffindung und väterlich-mütterliche Adoption eines Herrschers. Schon Sargon I., der Begründer des altassyrischen Reiches, nennt die Gottheit Enlil seinen Vater,25 Gudea von Lagasch betet zur Göttin Gatumdu mit den Worten (Gudea Cyl. A IIII,6 – 7): »Für den, der keine Mutter hat, bist du die Mutter, für den, der keinen Vater hat, bist du der in Aspekten des Mütterlichen gegenüber (Jes 42,14; 46,3 f.; 49,15; 66,13; Hos 1,3 f.). B. Lang, Mutter des Königs (NBL II), Zürich / Düsseldorf 1995, 858 – 859. 23  Die Götter gelten als Kinder des Götterpaares El und Aschera (vgl. M. Dietrich / O. Loretz / J. Sanmartín, Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit, Ras Ibn Hani und anderen Orten, Dritte, erweiterte Auflage, Münster 2013 = KTU3, 1.4 Z. IV,51 f.; 1.10, Z.I,3; 1.23; 1.40 Z. 25‘.33’f.41’f.; 1.62, Z. 7; 1.65, Z. 1 – 3; König Kirtu im Kirtu-Epos gilt als bn il – Sohn Els, KTU3 1.16 Z. I,20), vgl. Salo, Königsideologie (s. Anm. 19), 320; zum weiteren religionsgeschichtlichen Hintergrund des Motivs a. a. O., 311 – 324; A. Böckler, Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, Gütersloh 2000, 49 – 52. 24   Ps 2,7: »Ich will von der Bestimmung Jhwhs berichten. Er hat zu mir gesprochen: ›Mein Sohn bist du, ich, ja ich habe dich heute gezeugt.‹ « Ps 110,3 (vgl. Salo, Königsideologie [s. Anm. 19], 307 – 313 [312]): »Mit dir sind Gaben am Tag deiner Macht. Auf heiligen Bergen, aus dem Schoß der Morgenröte, habe ich dich wie Tau gezeugt.« 25   MLVS (=  Mededeelingen uit de Leidsche verzameling van spijkerschrift-inscripties, Amsterdam 1933 – 1936) I,12 no. 16b,3 – 4).

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Vater.«26 In der sumerischen Gebetsliteratur wird der Himmelsgott Anu als abu shamê – himmlischer Vater – angeredet, in einem Shu-íl-lá Gebet an den Mondgott Sin heißt es: »Barmherziger, gnädiger Vater, in dessen Hand erfasst ist das Leben der Gesamtheit der Erde.«27 Götter, Menschen, Könige und sozial Schutzbedürftige verehren in den Hochgöttern väterliche und mütterliche Aspekte und suchen bei ihnen Lebenskraft und Hilfe. In einem Hymnus des Assurbanipal an Ishtar von Arbela bekennt dieser etwa: »Ich kannte weder einen Vater noch eine Mutter, im Schoß meiner Göttinnen wuchs ich auf und die großen Götter erzogen mich wie einen Säugling.« (SAA 3,3 Z. 4. 13 f.; V. 14 – 16).28 Die Analogien der Auffindungsmythe Sargons und Moses sind hinlänglich aufgezeigt worden.29 Bekannt ist das Motiv der Suche nach einem Herrscher durch Marduk im Kyroszylinder und durch Jhwh im Kyrosorakel (Jes 45,1 – 7).30 In den Spruchsammlungen, die die Grundlage des Hoseabuches gebildet haben, wird – nach dem Verlust des Königtums von Ephraim – das Motiv der Erwählung des Sohnes auf Ephraim selbst übertragen: »Als Israel ein Knabe war, da liebte ich ihn und rief meinen Sohn aus Ägypten […]« (Hos 11,1). Von hierher findet es Eingang in die weitere Deutung der Geschichte Israels als erwähltes Volk, so in Verbindung mit der Einführung des Glaubensmotivs in Dtn 1,31 – 32, als Gegenstand der Gotteserkenntnis (Dtn 8,2 – 6). Sodann findet es Eingang in die redaktionelle Ausformung der nachexilischen Exoduserzählung im Motiv der Rettung des »Erstgeborenen Jhwhs« (Ex 4,22) und als Teil der Geschichtsreflexion in der schriftgelehrten Ausgestaltung der Prophetie (Jer [2,27]; 3,4. 14. 19.27; 31,9; Jes 63,8 – 9.16; 64,7; Mal 1,6; 2,10; 3,17). Im Horizont der Gebetsfrömmigkeit tritt Jhwh in den Blick als Schutzmacht der personae miserae: »Vater der Waisen, Richter der Witwen ist Elohîm in seiner heiligen Wohnung!« (Ps 68,6a). 26   Textausgabe vgl. F. Thureau-Dangin, Les cylindres de Goudéa. Transcription, traduction, commentaire, grammaire et lexique, Paris 1905; vgl. Böckler, Gott als Vater (s. Anm. 23), 51 – 52. 27   A. a. O., 52. 28   SAA III (= A. Livingstone, State Archives of Assyria, Volume III: Court Poetry and Literary Miscellanea, Helsinki 1989), 3 Z.1.13 f.; v. 14 – 16; vgl. dazu Salo, Königsideologie (s. Anm. 19), 320. 29   M. Gerhards, Die Aussetzungsgeschichte des Mose. Literar- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu einem Schlüsseltext des nichtpriesterschriftlichen Tetrateuch (WMANT 109), Neukirchen-Vluyn 2006. 30   R. Achenbach, Das Kyros-Orakel in Jesaja 44,24 – 45,7 im Lichte altorientalischer Parallelen, in: ZAR 11 (2005), 155 – 194.

72  Reinhard Achenbach Der Gedanke der Vaterschaft Gottes wird zudem verschmolzen mit der Vorstellung einer Erschaffung des Einzelnen durch die providenziell wissende väterliche Gottheit im Dunkel der Erde, im Uterus der Frau (Ps 139,13 – 16): In dem Prophetengedicht des Mose Dtn 32,6 ist darum Jhwh Israels Vater und Schöpfer, der gleichwohl seine abtrünnigen Söhne und Töchter im Zorne verwirft (Dtn 32,19), doch sodann die Macht der fremden Götter bricht und sich als einziger, lebendig machender ewiger Gott erweist (Dtn 32,39 – 40), indem er Israel errettet. Mose blickt hier über das Ende des Exils hinaus in eine alles weitere Prophezeien umspannende eschatologische Zukunft, in der Israel als Mitte und Exemplum der Völkerwelt die Universalität des Wirkens des Gottes Israels veranschaulicht. So vermag an die Stelle des Königs den Ps 47,7 als Elohîm bezeichnet, von Gott selbst gesalbt und gesegnet, der Mensch in seiner Gottesebenbildlichkeit und Gottesnähe treten (Ps 8,6 f.). Nicht das metaphorische mythische Repertoire der genannten Texte steht in einer differencia specifica zu den Gottesvorstellungen der Umwelt, sondern die je und dann aktualisierte und kontextualisierte Anordnung desselben im kulturellen, sozialpsychologischen, religiösen, metaphysischen und theologischen Deutungsraum Israels.31

4.  Die Narration von einer Geschichte der Selbsterweise Jhwhs im Horizont des Monotheismus und der Universalität der Religionsgeschichte Dass die Geschichte der Gotteserkenntnis Israels Teil einer universalen Erkenntnisgeschichte war, wurde infolge der Auslöschung der israelitischen und judäischen Königreiche durch imperiale Großmächte und ihre Weltherrschaftsrhetorik den israelitischen Gelehrten bewusst. Die schlichte Behauptung, nicht Assur, nicht Marduk, nicht Ahura-Mazda, sondern Jhwh, der Gott Jakobs und Israels, sei der Lenker der Weltreiche und ihrer Geschichte, genügte nicht. Auch die Behauptung, diese Gottheit sei nicht nur der Befreier des Exodus, sondern auch Schöpfer der Welt, vermochte die Herausforderung des Alleinverehrungsanspruchs nicht zu bewältigen. Wollte man aber die 31   Vgl. hierzu U. Barth, Theoriedimensionen des Religionsbegriffs. Die Binnenrelevanz der sogenannten Außenperspektiven, in: ders., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 29 – 87.

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These der Ausschließlichkeit der Gotthaftigkeit und Gottheit Jhwhs, also einen strikten monotheistischen Gedanken, bewähren, musste man das deuteronomistische Konzept einer auf Israel ausgerichteten Theologie des Bundes, des Bundesbruches und der Bundeserneuerung gleichfalls erweitern und überbieten. Die Eintragung des monotheistischen Deutungsschemas in das Deuteronomium in Dtn 4,5 – 8.39 und 32,39 – 40.4332 war nur möglich auf der Basis einer Einbeziehung der Geschichte Israels, wie sie die Deuteronomisten entworfen hatten, in eine Universalgeschichte. Und diese bot die Priesterschrift, indem sie die Ursprungsgeschichten Israels in Gestalt der Erzväter- und der Exoduserzählung mit dem kosmischen Mythos der Urgeschichte verband und auf die Einrichtung eines Ortes der Einwohnung der Gottheit inmitten Israels ausrichtete.33 Dabei bot sie als Integrationsmodell die Konzeption einer gestuften Offenbarungsgeschichte an. In ihm sind mythische, sagen- und legendenhafte Elemente mit historischen Erinnerungskernen zu einer religiös bestimmten Narration einer Heilsgeschichte verschmolzen, die man als narrative Theologie beschreiben kann. Die Schöpfung galt als Werk Gottes Elohîm, dessen Ebenbild der Mensch ist. Gerecht und vollkommen kann der Mensch (Noah, Gen 6,9) sein, weil ihm das was als »gut« gilt mit der Erschaffung des Lichts den Maßstab des Lebensspendenden und -bewahrenden 32   Das Schema‘ Israel (Dtn 6,4 – 5) stellt im Ursprung ein monolatrisches Programm dar, das im Gefolge der dtr Theologie und des ersten Gebotes des Dekalogs henotheistisch verstanden wird. Erst durch die Vorschaltung von Dtn 4 wird es monotheistisch interpretierbar. Allerdings ist dieser Vorgang nicht synchron mit Dtn 6 erfolgt (so N. MacDonald, Deuteronomy and the Meaning of »Monotheism« [FAT II / 1], Tübingen 2003), sondern im Zusammenhang mit der Fortschreibung des Deuteronomiums im Rahmen des Pentateuchs (vgl. E. Otto, Deuteronomium 4. Die Pentateuchredaktion im Deuteronomiumsrahmen, in: T. Veijola [Hg.], Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen [SESJ 62], Göttingen / Helsinki 1996, 196 – 222; ders., Monotheismus im Deuteronomium oder wieviel Aufklärung es in der Alttestamentlichen Wissenschaft geben soll. Zu einem Buch von Nathan MacDonald, in: ZAR 9 [2003], 251 – 257). 33   Grundlegend hierzu K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999; zur Bestimmung des Umfangs der priesterschriftlichen Passagen in der Genesis vgl. E. Blum, Noch einmal. Das literargeschichtliche Profil der P-Überlieferung, in: F. Hartenstein / K. Schmid (Hg.), Abschied von der Priesterschrift? (VWGTh 40), Leipzig 2015, 32 – 64; in der Exoduserzählung vgl. T. Römer, Von Moses Berufung zur Spaltung des Meers. Überlegungen zur priesterschriftlichen Version der Exoduserzählung, in: Hartenstein / Schmid, Abschied, 134 – 160.

74  Reinhard Achenbach Elements vorgibt, an dem er sich orientiert. »Gut« ist in diesem Sinne die gesamte erschaffene Natur. Dem entspricht eine allgemeine Gotteserkenntnis, der Gedanke, dass die Menschheit insgesamt auf Elohîm ausgerichtet ist. Die Urkatastrophe der Sintflut führt zu einer neuerlichen Manifestation Elohîms, indem er vor Noah als dem Ahnvater des neuen Menschengeschlechts einen Bund mit Mensch, Tier und Erde eingeht, in welchem er den Bestand der Schöpfung zusagt und die Menschheit zur Achtung des Lebens verpflichtet. Aus dem Menschengeschlecht geht sodann Abraham hervor, dem die Gottheit sich neu als El Schaddaj erschließt. Im abrahamitischen Völkerkreis wird es die Nachkommenschaft Isaaks und Jakobs sein, in deren Mitte die Gottheit sich erst gegenüber Mose als Jhwh erschließt mit den Worten »Ich bin Jhwh« (Ex 6,2 – 8!), der Gott der Väter, der sein Volk als Jhwh-Volk aus der ägyptischen Sklaverei erlöst und so innerhalb der Menschheit einen Orientierungspunkt setzt: Ägypter wie Israeliten sollen Jhwhs Gottheit in ihrem Wesen (seinem Kavôd) durch die Erlösung erkennen (Ex 14,18). Ziel des Erlösungswerkes ist die Einwohnung Jhwhs als Gott Israels in dessen Mitte (Ex 29,46). Unter den Bedingungen des monotheistischen Glaubens kann die Religionsgeschichte nur als eine Geschichte sukzessiver Selbsterschließung der Gottheit verstanden werden, in deren Mittelpunkt die durch diese Gottheit Israel und den Völkern ermöglichte Gotteserkenntnis den Weg in eine versöhnte Zukunft ermöglicht. Wie das urzeitliche Gericht der Sintflut stehen auch die künftigen Völkergerichte unter dem Vorzeichen des noachitischen Bundes, wonach nicht die Vernichtung der Welt und der Menschheit, sondern vielmehr ein universaler Schöpfungsfriede die eschatologische Perspektive aller Geschichte ist. Dabei differenziert die Priesterschrift zwischen der Perspektive der Textrezipienten, für welche die Identität des El Schaddaj mit Jhwh nunmehr feststeht, und dem Narrativ von den Offenbarungsempfängern, denen diese Identität erst von Mose her zugänglich geworden sein soll. Die Schriftgelehrten des Zweiten Tempels nutzten dieses Narrativ, um es einerseits mit dem deuteronomistischen zu verbinden.34 Die deuteronomistische Bundestheologie orientierte sich am Gedanken der Verpflichtung Israels auf das Gesetz, das die Grundlage für seine Identität und seine Existenz als Volk Jhwhs bot und ihm zugleich den Maßstab für die Verheißungen Jhwhs als des Gottes Israels 34   E. Otto, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus. Redaction – Reception – Interpretation (BEThL CXXVI), Leuven 1996, 61 – 112 (108).

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gab. Der Gedanke des Scheiterns des Bundes und des Zornesgerichts des eifernden Gottes wurde hier durch den Gedanken der Neubegründung des Bundes aus der Selbstüberwindung Gottes begründet, der die Präponderanz seines gnädigen Wesens zur Grundlage jeglicher Bundeserneuerung machte. Anstelle des dekalogischen »ein eifernder Gott, der da heimsucht […]« steht in der Erzählung vom neuen Bund am Sinai die Gnadenformel an erster Stelle: »Jhwh ein gnädiger und barmherziger Gott, geduldig und voll großer Gnade und Wahrheit« (Ex 32,6). Als conditio humana einer Erneuerung Israels galt, dass Israel das Volk des neuen Bundes war. Durch die Verbindung mit dem priesterschriftlichen Bundesgedanken wird die Existenz Israels ins Zeichen des Erzvaters und seine vorläufige Stellung im »Land der Fremdlingschaft« (Gen 17,8; Ex 6,4), das fremder Herrschaft unterstand, gerückt: Auch im Status einer nichtsouveränen Kultus- und Rechtsgemeinde in der persischen Provinz Jehud hat Israel Anteil an der bleibenden Bundesverheißung Abrahams, die wiederum im Horizont des bleibenden Bundes Gottes mit der Welt steht. Die kombinatorische Narration wird zur Grundlage eines normativen religiösen Narrativs, Theologie vollzieht und bildet sich in komplementärer Lesung divergenter Narrationen. Die Aneignung solcher Theologie geschieht über die Identifikation im Ritual und im Narrativ: Auf die Frage des Kindes nach dem Sinn der Gesetze soll der Israelit antworten: »Wir waren Sklaven  […] uns hat Jhwh herausgeführt« (Dtn 6,21). Jede künftige Generation eignet sich auf diese Weise die Heilsgeschichte gleichsam persönlich an und schreibt die Geschichte des eigenen Scheiterns und Neubeginnens auf diese Weise im Lichte des religiösen Narrativs fort. Dies impliziert freilich, dass die Universalgeschichte nicht ohne die mosaische Unterscheidung des ersten Gebotes verstanden werden kann. Hier findet eine grundlegende Distinktion statt, die aller Integration eine Grenze setzt – die allerdings sowohl mit Hinsicht auf die Vorstellungen über den Ursprung der Menschheitsgeschichte als auch hinsichtlich der Eschatologie unter dem Vorbehalt des Gedankens einer Universalität des Ethos und eines Gottesgedankens steht. Das Phänomen der Religion ist den Schriftgelehrten nicht vorstellbar in einem abstrakten, vom Gottesgedanken selbst losgelösten Sinne, wohl aber hinsichtlich einer mehr oder weniger bestimmten Ausformung. Noah kann gerecht und vollkommen sein, indem er »mit Gott wandelt« (Gen 6,9), also in der schlichten Ausrichtung seiner Existenz auf Elohîm, ohne dass er die Mosaische Tora kennt. Henoch kann gar in die himm-

76  Reinhard Achenbach lische Gemeinschaft entrückt werden. Hiob kann in der Urzeit mit der Theodizee ringen und alle Formen einer Lehre vom Tun-Ergehen-Zusammenhang zurückweisen, seine Gerechtigkeit erlangt er allein auf einer vor-mosaischen Auseinandersetzung mit dem Schöpfergott. Eine weitere Besonderheit sahen die Schriftgelehrten im Wesen der Gottheit selbst. Geht man davon aus, dass die Verbindung der im Rahmen der klassischen Urkundenhypothese sogenannten »jahwistischen« und »elohistischen« Erzählungen mit der Priesterschrift nicht blind geschehen ist, sondern dass den nachexilischen Gelehrten die These eine Offenbarung des Jhwh-Namens an Mose vorgegeben war und von ihnen akzeptiert wurde, so stellt sich die Frage, in welchem Sinne dann die Erzählungen zu verstehen sind, die mehr oder weniger explizit vom Wirken Jhwhs bzw. Elohîms an den Erzeltern und den Nichtisraeliten erzählen bzw. in welchem Sinne sie die Rede vom Umgang der Erzeltern mit Jhwh bzw. Elohîm verstehen. Eine wichtige Beobachtung in diesem Zusammenhang ist, dass in den nicht-priesterschriftlichen Passagen zwar erzählt wird, dass Jhwh zu den Erzvätern redet, dass aber  – im Unterschied zur priesterschriftlichen Darstellung, nach der er sich mit den Worten »Ich bin El Schaddaj« zu erkennen gibt (Gen 17,1b; 35,11; vgl. Gen 28,3 f.; 48,3) – in den anderen Texten in der frühen redaktionellen Stufe der Zusammenführung der Stoffe eine Selbstvorstellungsformel mit Nennung des Jhwh-Namens fehlt (vgl. Gen 12,1 – 3.7; 13,14 – 17; 15,2*.7[LXX!].18 – 21; 18,13 f.; 22,16; 26,2.24; 31,3)!35 Am deutlichsten ist dies in der Moseerzählung der Fall. In der nicht-priesterschriftlichen Berufungserzählung Ex 3 gibt sich Jhwh zunächst als »Gott deines Vaters«36 und als »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs« zu erkennen. Auf die Frage, was sein Name sei, verweigert die Gottheit die Auskunft und verweist auf die Souveränität ihrer Existenz: »Ich bin, der ich bin!« Damit bleibt die Spannung der Erzählung bis Ex 6 erhalten: Erst sub contrario in Ägypten erfährt Mose den Gottesnamen. Das war einem späteren Schriftgelehrten so unerträglich, dass er in Ex 3,15 erklärend nach35   Zum Nachweis vgl. R. Achenbach, The Post-Priestly Elohîm-Theology in the Book of Genesis, in: S. Graetz / A. Graupner / J. Lanckau (Hg.), Ein Freund des Wortes (Festschrift U. Rüterswörden), Neukirchen-Vluyn / Göttingen 2019, 1 – 21. 15,7 MT entspricht sekundärer Korrektur, Gen 28,13 ist Teil einer jahwistischen Bearbeitung der Bethel-Erzählung. 36   Mose erfährt in der Erzählung den Namen seines Vaters übrigens nicht. Nur priesterliche Ergänzer geben dem Leser einen Hinweis auf die levitische Genealogie. Das knüpft an das Motiv der gottunmittelbaren Führergestalt an, die wir aus der Königsideologie kennen.

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getragen hat: »Und dann sprach Elohim nochmals zu Mose und sagte: ›So sollst du zu den Israeliten sagen: Jhwh, der Gott eurer Väter, […] hat mich gesandt.‹ « Damit nimmt er aber nur vorweg, dass der Name erst in Ägypten offenbar werden soll, und liefert gleichsam eine explizite göttliche Erklärung für das, was nach seiner Sicht in Ex 3,14 impliziert ist.37 Eine Korrektur des Bildes, das durch die Komposition aus Erzählungen der Priestergrundschrift mit den vor-exilischen Väter- und Exoduserzählungen entstanden ist, bildet der Eintrag in Gen 4,26b, der feststellt, dass man schon in der Urzeit begonnen habe, »den Namen Jhwh anzurufen«. Versteht man diese Wendung explizit, so steht sie im Widerspruch zu Ex 6,2 – 8, und man muss annehmen, dass der Eintrag eine Gegenposition gegen P in die Urgeschichte einfügt und eine synchrone Lesung des Pentateuch nicht beabsichtigt.38 Eine solche Gedankenlosigkeit ist den ansonsten durchaus reflektiert handelnden Schriftgelehrten nicht zu unterstellen. Die Alternative zu dieser Position besteht nun allerdings in der Annahme, dass die Wendung eine implizite Deutung der Formel repräsentiert. Das würde bedeuten, dass der Verfasser festhalten will, dass die Gottesverehrung in der Urzeit ihre Wurzeln hat, und dass sie sich auch unter dem Vorzeichen eines allgemeinen Gottesgedankens und des Monotheismus nur an den einen Gott Jhwh gerichtet hat, gerade auch dann, wenn man die Vorstellung einer urzeitlichen Gerechtigkeit des Menschen für möglich hält. Das fügt sich zu der Beobachtung, dass die Wendung in der weiteren Erzählung des Pentateuch nur noch für Abraham (Gen 12,8; 13,4; 21,33) und Isaak (Gen 26,25) ausgesagt wird.39 In Gen 28,11 – 12.17 – 19.20 – 21a.22a 37  Zu einer eingehenden Analyse der Redaktionsgeschichte und Theologie des Textes vgl. R. Achenbach, »Ich bin, der ich bin!« (Exodus 3,14). Zum Wandel der Gottesvorstellungen in der Geschichte Israels und zur theologischen Bedeutung seiner Kanonisierung im Pentateuch, in: I. Kottsieper / R. Schmitt / J. Wöhrle (Hg.), Berührungspunkte. Studien zur Sozial- und Religionsgeschichte Israels und seiner Umwelt (Festschrift für R. Albertz zu seinem 65. Geburtstag; AOAT 350), Münster 2008, 73 – 95. 38  Die alternative Perspektive, die davon ausgeht, dass P gleichsam ergänzen den nicht-P Text fortschreibt, führt in das gleiche Dilemma. Unwahrscheinlich ist hingegen die Annahme, die Schriftgelehrten hätten sich bei der Komposition beider Positionen einfach nichts gedacht. 39   C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, schreibt Gen 4,26; 12,8 einem jahwistischen Redaktor zu, welcher seine älteren Quellen in exilischer Zeit zusammenfasst. Gen 21,33; 22,14; 26,25 weist er den nach-exilischen Fortschreibungen zu. Infolge der Bestreitung der Rekonstruktion einer Jahwistischen Quellenschrift durch R. Rendtorff, E. Blum u. a.,

78  Reinhard Achenbach wird von der Entdeckung einer heiligen Städte Elohîms erzählt und von dem Gelübde, ein Haus für Elohîm zu errichten; analog zu der Ergänzung von Ex 3,14 in 3,15 wird auch in Gen 28,13 – 16 die Offenbarungserzählung durch eine Jhwh-Theologie korrigiert und vereindeutigt. Diese Deutung fließt auch in das Gebet Jakobs Gen 32,10 ein. Jakob nennt aber den Ort, an dem Elohîm zu ihm redet, Bet-El (Gen 35,15). Hagar hat zwar das Wort Jhwhs empfangen, nennt seinen Namen aber El-Roi – Gott, der mich sieht (Gen 16,13). Nur von Abraham heißt es Gen 22,14, er nenne den Ort seines Opfers für den Erstgeborenen »Jhwh sieht«, gleichsam in prophetischer Voraussicht auf den erwählten Ort auf dem Berg Jhwhs selbst, obschon dieser ihm seinen Namen nicht offenbart hat. Der Berg wird in 2 Chr 3,1 mit dem Tempelberg assoziiert. In der Melchisedek-Legende (Gen 14,18 – 20) wird diese prophetische Rolle des Abraham geradezu mystifiziert. Weitere Spolien dieser jahwistischen Bearbeitung des Pentateuchs finden sich in Gen 29 – 31. Auch den Erzmüttern ist in den Fortschreibungen der Geburtssagen über die Stammväter Israels solches prophetische Wissen um den Gottesnamen zugeschrieben worden (Gen 29,32. 33. 35; 30,24), und auch von ihrem Vater Laban wird erzählt, er habe den Namen Jhwhs ausgesprochen, wenn er bekennt, dass er um Jakobs willen Segen empfangen habe und Jakob selbst gesegnet sei (Gen 30,27.30; 31,49). Überhaupt wird erst an dem Segen auf den Erzvätern für Fremde das Wirken Gottes als ein Wirken Jhwhs sichtbar (Gen 39,3. 5. 21). Die in der neueren exegetischen Diskussion vertretene Ansicht, die ältesten Schichten der narrativen Überlieferung des Penateuch beruhten auf der Quelle eines »Elohisten«,40 ist also dadurch bedingt, dass die nachexilischen Schriftgelehrten bei dem Einbau der vor-exilischen Erzählungen in die Priesterschrift diese im Sinne einer universalen Elohîm-Theologie bearbeiteten. Die Texte, die daran anschließend die Gottheit des Uranfangs mit Jhwh explizit identifizieren, führen auf die Selbstvorstellung Jhwhs an Mose (Ex 6,2, P) und Israel (Ex 20,2, Dtr) hin, nehmen sie aber nicht vorweg! Besonders anschauhaben in Auseinandersetzung mit seiner Analyse zahlreiche Exegeten diese Hypothese aufgegeben (vgl. J. C. Gertz / K. Schmid / M. Witte [Hg.], Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuchs in der jüngsten Diskussion [BZAW 315], Berlin / New York 2002; T. B. Dozeman / K. Schmid [Hg.], A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation [SBL Symposium Series 34], Atlanta GA 2006). 40   J. S. Baden, J, E, and the Redaction of the Pentateuch [FAT 68], Tübingen 2009.

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lich wird die Vorstellung einer allgemeinen Gotteserkenntnis nach der Elohîm-Theologie41 in der Josefsnovelle. Das göttliche Wirken erschließt sich sogar dem Pharao, vermittelt durch den einsichtigen Josef, in welchem der Pharao die Ruach Elohîm erkennt, also das Wirken des göttlichen Geistes (Gen 41,38), während sich die Frau des Potiphar der Gottesfurcht gegenüber verschlossen zeigt, als Josef sie auf die große Sünde wider Gott hinweist (Gen 39,9).42 Im Gegensatz zu dem relativ exklusivistischen Israelglauben der Deuteronomisten und dem gestuften und konzentrischen Offenbarungsgedanken der Priesterschrift ergibt sich aus der Hinzufügung der alten Väter- und Exoduserzählungen eine Elohîm-Theologie, auf deren Basis eine Integration Fremder anschaulich wird. Da redet der Engel Gottes zu der ehemals in Ägypten versklavten arabischen Stammmutter Hagar und verheißt ihrem Sohn Ismael eine große Zukunft auch gegenüber seinen abrahamitischen Brüdern.43 Da empfängt der Philister Abimelech im Traum göttliche Botschaften, ja, da wird ihm durch Abrahams Fürbitte gar Jhwhs Segen zuteil.44 Da entdecken die Väter in den alten Orakelstätten von Bet-El, Sichem, Pnu-El und Mamre Ort, die in tiefer Verbundenheit zu Jhwh stehen, und an denen sich die Himmelswesen und fremdartigen dämonischen Gestalten in den Kreis der Jhwh dienenden Wesen einfinden, da werden aus diesen Orten gar heilige Stätten, an denen Jhwh sich erschließt und näher erfahren und erkennen lässt.45 Da gewährt der Priester Midians dem Mose Schutz, verschwägert sich mit ihm und erkennt am Ende das Befreiungswirken Elohîms als Wirken des Gottes Jhwh an, wonach 41   R. Achenbach, How to speak about GOD with Non-Israelites. Some Observations about the Use of Names for God by Israelites and Pagans in the Pentateuch, in: F. Giuntoli / K. Schmid (Hg.), The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on its Redactional Development and Theological Profiles (Festschrift J.-L. Ska, FAT 101), Tübingen 2015, 35 – 52. 42  Dazu J. Ebach, Genesis 37 – 50 (HThK.AT), Freiburg / Basel / Wien 2007, 180: »In dieser Hinsicht spricht Josef wie ein Ägypter (oder allgemeiner: wie ein antiker Mensch). In den unterschiedlichen Namen der Gottheiten kann sich jeweils dieselbe manifestieren und in all den einzelnen Manifestationen der Göttinnen und Götter manifestiert sich ›Gott‹  […]. Josef argumentiert mithin auf der Ebene allgemeiner religiöser […] Moral wie auf der Grundlage der Israel gegebenen Gebote. Er ist […] an dieser Stelle Israelsohn und Ägypter, wenn nicht ›Weltbürger‹, zugleich.« Ebach verweist für seine Interpretation auch auf J. Assmann, Altägyptische Monotheismen, in: Welt und Umwelt der Bibel 11 (1999), 20 – 24. 43   Gen 16,10 – 12; 21,17 – 18. 44   Gen 20,6 – 7.17 – 18. 45   Gen 12,6 – 8; 13,18; 18,1 f.; 28,10 – 22; 32,23 – 32; 35,1 – 15.

80  Reinhard Achenbach er gemeinsam mit den Israeliten am Gottesberg ein Opferfest feiert.46 Da folgen Fremde der Exodusschar und treten mit ihr in den Bund des Mose ein.47 Kurzum: Vermittelt über die Elohîm-Theologie wird eine Integration der nicht erwählten Völker in die israelitische Kultusgemeinde ermöglicht. Im Mosesegen heißt es schließlich: »2 Jhwh kommt vom Sinai und leuchtet ihnen auf vom Seir, er strahlt auf vom Gebirge Paran und kam von Meribat Kadesch, von seiner Rechten ein Feuer der Dat.48 3a Er liebt die Völker, […] 5 Er wurde König in Jeschurun,49 als die Häupter des Volkes sich versammelten […] 19 Völker laden sie ein auf den Berg, dort bringen sie rechte Opfer dar.« (Dtn 33,2–19)

Zugleich reflektiert der Pentateuch in seiner Endgestalt auch die Bedingungen der Existenz des Jhwh-Volkes in der Fremdlingschaft, d. h. im Raum von Völkerschaften, deren Religion sich von der eigenen unterscheiden. Der midianitische Schwiegervater des Mose gibt seine Religion nicht auf, Zippora wird mit Mose verheiratet und dieser lebt als fremder Schutzbürger unter dem arabischen Gastrecht, so wie einst die Brüder Josefs unter ägyptischem Gastrecht. Darum erlaubt das Qahalgesetz in Dtn 23,8 die Aufnahme von Ägyptern in den Qahal. Gegenüber den Edomitern, deren Vorfahr sich von der Isaaksippe entfernt hat, wiegt das Band der Bruderschaft stärker und ermöglicht darum ebenfalls eine problemlose Integration. Dass in der achämenidischen Epoche durch internationale Regeln des Gastrechts und des Respekts vor der Religion des anderen man sich den Gesetzen und Sitten des schutzgewährenden Aufenthaltsortes anpasste, war nicht nur für die Völker des Perserreiches Regel und geltende Rechtsordnung, es war auch unter den Bedingungen der israelitischen Religion selbstverständlich. Niemand wäre umgekehrt allerdings dann auf die Idee gekommen, dass der Fremde seine ursprüngliche religiöse Bindung verleugnen müsste oder dass er sich der Religion des Gastgebers in der Kultpraxis vollkommen fügen musste.50 46

  Ex 2,15 – 22; 4,24 – 26; 18,1 – 12.13 – 27.   Ex 12,38 (48 – 50); Num 11,29 – 33; 11,4; 12,1; Dtn 29,9 – 14. 48   Die Dichtung nimmt hier persische Symbolik auf. Dat bedeutet unumstößlich universal geltendes Gesetz. 49   Symbolname für die israelitische Kultusgemeinde, die sich als die »Aufrechten« am Gesetz Gottes orientiert. 50  Erst die durch priesterliche Überarbeitung eingefügte Forderung der Beschneidung führt zu einem Distinktionsmerkmal mit exklusivierender Wirkung, vgl. Ex 12,48 – 50; vgl. R. Albertz, From Aliens to Proselytes. Non-Priestly and Priestly Legislation Concerning Strangers, in: R. Achenbach / R. Albertz / J. Wöhrle (Hg.), The Foreigner and the Law. Perspectives 47

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Mit der Achämenidenzeit assoziieren die Narrationen des Nehemiabuches die Benennung des Gottes Israels als Jhwh Elohej ha-schamajim  – Himmelsgott51  – (Neh 1,4; 9,6), der im Angesicht des heidnischen Königs lediglich Elohej ha-schamajim angeredet wird (Neh 2,4.20). In der Chronik wird in radikaler Abrogation das Bekenntnis formuliert: »Alle Götter der Völker sind Elilim, Jhwh aber hat den Himmel gemacht!« (1 Chr 16,26). Dieses Bekenntnis soll auch die Völker erfassen: Jhwh ist König (1 Chr 16,31; 29,11), der Himmel kann ihn nicht fassen (2 Chr 2,5). Wenn anders die Verehrung anderer Gottheiten durch die Völker nicht zu verleugnen ist, gilt doch die alte Unvergleichlichkeitsformel: »Jhwh, Gott Israels, kein Gott ist dir gleich, nicht im Himmel und nicht auf der Erde« (2 Chr 6,14). So lobt denn auch der Phönizier Churam den Gott Israels (2 Chr 2,11). Kyros bekennt, dass Jhwh, der Himmelsgott, ihn erwählt hat (Esr 1,2; 2 Chr 36,23). Im Tempelweihgebet betet Salomo, »Du allein kennst das Herz aller Menschen« (2 Chr 6,30), und er bittet ihn, die Gebete auch der fremden Völker zu erhören, die sich an ihn wenden (2 Chr 6,33). Im 3. Jahrhundert ist man in Jerusalem der festen Überzeugung, dass Jhwh über alle Königtümer und Nationen herrscht (2 Chr 20,6). Die Elohîm-Theologie ist demnach ein Zeugnis der geistigen und religiösen Bewältigung des Umstands, dass die monotheistisch ausgerichteten Israeliten sowohl in der Diaspora als auch in den Provinzen Jehud und Samaria in einem multikulturellen und einem religiös vielfältigen Umfeld leben mussten. Gerade dies ermöglichte und erzwang die geschärfte Reflexion der eigenen religiösen Deutungskultur. Es ermöglichte aber auch das Aushalten großer Spannungen und Kontraste. Neben der Josua-Schriftrolle, die die vollständige Erfüllung der Landverheißung und Landnahme behauptete, konnte eine Richter-Schriftrolle liegen, die das schiere Gegenteil vertrat. Neben dem Deuteronomium mit seiner religiösen Theorie von einer Bannweihe des verheißenen Landes hält sich hartnäckig die Sage davon, dass die erste Kanaanäerin, welche den Israeliten Schutz gewährte, eine Prostituierte war, die sich und ihrer Familie das Überleben sicherte, from the Hebrew Bible and the Ancient Near East (BZAR 16), Wiesbaden 2011, 53 – 70. 51  Hierzu H. Niehr, Der höchste Gott. Alttestamentlicher JHWH-Glaube im Kontext syrisch-kanaanäischer Religion des 1. Jahrtausends v. Chr. (BZAW 190), Berlin 1990, 43 – 49; L. L. Grabbe, A History of the Jews and Judaism in the Second Temple Period, Volume 1: Yehud: A History of the Persian Province of Judah (LSTS 47), London 2004, 240 – 243.

82  Reinhard Achenbach indem sie sich zu Jhwh bekannte. Eines der markantesten Beispiele eines Nebeneinanders von exklusiver und inklusiver Religionstheologie bietet die Erzählung von Naeman, dem nach seiner Bekehrung zu Jhwh erlaubt wird in Damaskus Jhwh Opfer darzubringen und gleichwohl mit seinem aramäischen Dienstherrn den Tempel des Gottes Rimmon zu besuchen (2 Kön 5,17 – 19).52 Die »Endlosschleife« der schriftgelehrten Deutungskultur ergibt sich demnach dadurch, dass in der Schriftensammlung des Tanakh für widersprüchliche und kontingente Sachverhalte Beispiele existieren, die eine theologische Bearbeitung nach mehreren Aspekten erzwingen und auch die Erörterung kontroverser Positionen einschließen.53 Im schon zitierten prophetischen Lied des Mose kann es heißen: »37 Wo sind ihre Götter, der Fels, der ihre Zuflucht war, 38 die das Fett ihrer Opfer aßen, den Wein ihres Trankopfers tranken! Sie mögen sich aufmachen und euch helfen, sie mögen ein Schirm sein über euch. 39 Seht nun, dass ich, ich es bin, und dass es keinen Gott gibt neben mir. Ich töte und ich mache lebendig, ich habe zerschlagen, ich werde auch heilen.« (Dtn 32,37–39)

52  Hierzu V. Haarmann, JHWH-Verehrer der Völker. Die Hinwendung von Nichtisraeliten zum Gott Israels in alttestamentlichen Überlieferungen (AThANT 91), Zürich 2008, 132 – 167. 53   A. Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt a. M. 2012, hat in seinem Kapitel über »Koexistenz konfligierender Normenpaare. Religiöse Paradoxien« (a. a. O., 371 – 376) die Diskrepanz zwischen der Schöpfungserzählung der Priesterschrift (Gen 1,1 – 3,4a) und der in sie sekundär eingefügten weisheitlichen Lehrerzählung von Schöpfung und Sündenfall (Gen 2,4b – 3,24) vor dem Theodizee-Diskurs daher folgendermaßen interpretiert: »Es ist aber gerade die ›harte Fügung‹ von Schöpfungsgeschichte und Sündenfall, die dem Buch Genesis seine immense kulturelle Reichweite verliehen hat. Ein stimmig in sich geschlossener Monotheismus des guten Gottes hätte keinerlei Handhabe für menschliches Leid bieten können; dualistische oder polytheistische religiöse Konzepte dagegen hätten nicht die transformierende Kraft entwickelt, die besonders dem Christentum innewohnt. Die Kopräsenz beider Erzählungen bewirkt eine unendliche Oszillation, die das Böse zugleich in der Welt und doch von der Allmacht Gottes umschlossen, das heißt schon überwunden oder doch überwindbar sein lässt und die in der Mitte der beiden Pole den Nährgrund für eine Anthropologie menschlicher Freiheit bietet: die Freiheit, das göttliche Gebot zu übertreten.« Biblisch-theologisch müsste man hinzufügen: Vor dem im Mythos beschriebenen Dilemma der Überforderung und des Scheiterns des Menschen durch einen permanenten Zwang zur ethischen Entscheidung bewahrt ihn allerdings die zeitliche Begrenzung seiner irdischen Existenz.

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Und zugleich von der primordialen Ordnung der Welt: »Als das Erbland zuteilte der Höchste den Völkern, als er die Söhne Adams voneinander unterschied, setzte er fest die Gebiete der Völkerschaften nach der Zahl der Söhne Gottes.« (Dtn 32,8)54

Elemente der Assimilation und der Dissimilation, der Attraktion und der Abstoßung religiöser Deutungskonzepte aus dem Umfeld der Religionen, mit denen Israel in Kontakt stand, sind zu beobachten. Der Grad der Verwerfung konnte in höchstem Maße rigoristisch sein und die Theoreme von Bann und Bannweihe begründen, von Ikonoklasmus und Synkretismusverbot, die Abgrenzung gegenüber den Unreinen und Unbeschnittenen konnte gänzlich rigoristisch vollzogen werden und die Frommen in Isolation und Verarmung führen. Die außerbiblischen Dokumente der Lebenspraxis in neubabylonischer Zeit sowohl aus Mesopotamien wie aus Elephantine zeigen aber auch, wie es gelang, sich mit der Existenz heterogener Religionskulturen zu arrangieren. Gerade die späten Schichten des Jesajabuches offenbaren eine große Bereitschaft zur Öffnung der Kultusgemeinde für Menschen aus kulturell heterogenen Bindungen. Selbst den Eunuchen wird hier Yad wa-Schem im Bethaus für alle Völker gewährt (Jes 56,4 – 7). Aber auch hier gibt es dann wieder Gegentendenzen aus Kreisen frommer Charedîm, die das Gericht Gottes fürchten angesichts von Praktiken aus dem Einfluss des griechischen Kulturkreises wie etwa dem Hantieren mit Schweineblut und Hunden (Jes 66,2 – 5) in heiligen Hainen und Gräberfeldern (Jes 65,3 – 6) oder von anderen, in der Golah erworbenen Praktiken (Esr 9,4). Der Streit um die Frage des Synkretismus spaltet das nachexilische Israel. Die Aufnahme des Synkretismusverbotes in Dtn 12,2 – 7 führt zu einer Scheidung zwischen der Kultusgemeinde in Samaria und Jehud, die Errichtung eines zweiten Heiligtums neben dem Jerusalemer Tempel auf dem Garizim führte dazu, dass es fortan zwei Linien gab, die das Erbe der israelitischen Religion verwalteten und zwei grundsätzliche Fassungen des Pentateuch. Weitere Spaltungen sind nach dem Fall des zweiten Tempels erfolgt, deren gewichtigste wohl die Trennung von Kirche und Synagoge war. Die in Weisheit, Prophetie und Tora in unterschiedlichen Gattungen gesammelten und schließlich kodifizierten Narrative sind kanonisch nur in einem diskursiven Sinne. Sie stehen zugleich in einem 54  4QDeutj, G: liest aggelon theou, MT bildet ein tiqqûn sopherîm, vgl. Samaritanus u. a. hierzu I. Himbaza, Dt 32,8, une correction tardive des scribes. Essai d’interprétation et de datation, in: Biblica 83 (2002), 527 – 548.

84  Reinhard Achenbach Gegenüber zu der infiniten Möglichkeit weisheitlicher und religiöser Welterschließung in Gestalt der erforschenden Lehre und der religiösen Unterweisung, die im Spannungsfeld zwischen dem Zeugnis des Universums (Ps 19) und der Universalität der Tora möglich ist. Darum rechnet das Judentum mit dem Phänomen des Wiedererscheinens des Propheten (Mal 3,23 – 24), um die bis dahin entstandenen Widersprüche zwischen »Vätern und Söhnen« miteinander auszugleichen. Einheit und Maß religiöser Erkenntnis und Aussagemöglichkeit wird dabei aus der Mitte der Religion selbst gewonnen, aus der Selbsterschließung dessen, der da sagt »Ich bin, der ich bin«. An ihm ist Sagbares und Nichtsagbares zu messen. Er ist der archimedische, Orientierung verleihende Punkt aller weiteren Erzählung, und zwar in seiner Relation zu Israel und zur Welt. Die sich hieraus erschließenden Gesetze dienen der Wahrung der Freiheit, denn es ist der Gott des Exodus aus der Sklaverei. Daraus resultiert einerseits die Ausformung von Schriften als Explikation dieser Tora und zur geistigen Orientierung. Neben diese Schriften tritt gleichwohl der Gedanke einer Verinnerlichung »von ganzem Herzen«, also durch das religiöse Bewusstsein. Dieses wird von Dtn 18,18 und Jer 1,9 eingefasst in ein Bild der Prophetie, wonach die Gottheit dem Propheten ihr Wort in den Mund legt und somit neben die Verschriftung die Oralität der Toraerteilung tritt, auf welche wiederum deren neuerliche Verschriftung folgen kann usw. Ein zweiter Gedanke besteht im Prozess der Aneignung durch Lehre (Dtn 6,6 – 9.20 – 25) und also der Ausprägung eines an der Tora geschulten religiösen Bewusstseins (hebr. lebab), in welchem dann gleichsam eine spirituelle Neuverschriftung der Bundesgebote stattfindet, vgl. Jer 31,33: »Denn dies wird der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen werde nach jenen Tagen (Orakel Jhwhs): Ich werde meine Tora in ihr Inneres geben und auf ihre Herzen werde ich sie schreiben, so werde ich ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.« Dieser Gedanke wird in der nach-exilischen schriftgelehrten Prophetie des Ezechielbuches bekanntlich dahingehend fortgeschrieben, dass zu der Bewusstseinsorientierung des Herzens auch der Prozess der geistigen Erneuerung hinzutritt, also eine Erneuerung von Herz (lebab) und Geist (ruach),55 sowohl im Kreise besonders Erwählter (Num 11; Josua, Dtn 55   Ez 36,26 f.: »26 Und ich werde euch ein neues Herz geben und in euer Inneres lege ich einen neuen Geist. Und ich entferne das steinerne Herz aus eurem Leib und gebe euch ein Herz aus Fleisch. 27 Und meinen Geist werde ich in euer Inneres legen, und ich werde bewirken, dass ihr nach meinen Satzungen lebt und meine Rechtssätze haltet und nach ihnen handelt.«

Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse  85

34,9), als auch als einer Bewegung, die die gesamte Religionsgemeinde erfasst (Ez 36), ja, die sich über die Gesamtheit aller Glaubenden erstreckt (Joel 3). Gleichwohl findet dieser spirituelle Prozess in der verschrifteten Form der Mosetora immer wieder seinen Anhaltspunkt und muss mit ihr komplementär zusammengedacht werden. So wird die Transformation theologischer Konzeptionen ermöglicht und gleichzeitig deren Identitätskern gesichert. Das gilt natürlich auch für das Neue Testament, insofern nach dessen Überlieferung Jesus selbst in diesen Prozess eintritt, sei es durch seine prophetische, seine rabbinische oder seine messianische Orientierung auf das Königreich Gottes. Evangelien und Apostolische Schriften und Apokalypsen transformieren also die Religion der Hebräischen Bibel in eine neue Form der christlichen Religionskultur, ohne dabei den Urgrund ihrer Religion verlassen zu können, es sei denn um den Preis der Selbstaufgabe.56 So deutet  – um nur ein Beispiel zu nennen  – Mk 12,26 – 27 die theologische Grundlage des Auferstehungsglaubens unter Verweis auf Ex 3,15: »Was aber die Toten betrifft, wenn sie auferweckt werden, habt ihr nicht gelesen im Buch des Mose in der Geschichte vom Dornbusch, wie Gott zu ihm gesagt hat: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Er ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden.« Und es folgt der Verweis auf das Hauptgebot der Gottesliebe und der Nächstenliebe nach der Tora (Dtn 6,4 – 5 und Lev 19,18). Von Exodus 3,14 her erschließt sich somit die Mitte der Schrift sowohl in der Perspektive der Hebräischen Bibel selbst als auch in der kanonischen Einheit Alten und Neuen Testaments.

56   Wenn die Kirche mit dem Neuen Testament also auch die Hebräische Bibel als die Schriften des Alten Testaments kanonisch übernimmt, geht es gerade nicht um eine Enteignung der Jüdischen Religion, sondern um eine Aneignung ihres durch Jesus von Nazareth neu in seiner universalen Perspektive eröffneten Glaubens an den Gott Israels. Dieser, den Jesus »Vater« nennt, ist kein anderer als der, von dem die Hebräische Bibel selbst bekennt: »Du bist doch unser Vater! Abraham hat nichts von uns gewusst, und Israel kennt uns nicht. Du, Jhwh, bist unser Vater, Unser-Erlöser-seit-uralten-Zeiten ist dein Name.« (Jes 63,16) Zur Debatte hierüber vgl. N. Slenczka, Vom Alten Testament und vom Neuen. Beiträge zur Neuvermessung ihres Verhältnisses, Leipzig 2017; M. Witte / J. C. Gertz (Hg.), Hermeneutik des Alten Testaments (VWGTh 47), Leipzig 2017.

I.  »Ich glaube an Gott Vater …« Von urgründiger Liebe Das Bekenntnis des christlichen Glaubens beginnt mit dem Bekenntnis zu Gott dem »Vater«. Damit wird nicht nur irgendeine allgemeine Rede von Gott aufgenommen, sondern ein biblisches Bild davon, wie Gott sich in Jesus Christus und dessen Geschichte erwiesen und geoffenbart hat, nämlich als ein zugewandter Gott, dem seine Geschöpfe nicht gleichgültig sind und der über alle Brüche hinweg seine Treue erweist. Mit der Aussage »Ich glaube« bringt der Bekennende also zum Ausdruck: Ich weiß mich durch Christus von der Sünde befreit und durch den Heiligen Geist in die Gemeinschaft der Glaubenden gestellt. Was im zweiten und im dritten Glaubensartikel beschrieben ist, ist der Erkenntnis Gottes als des Vaters vorausgesetzt. Aus der biblischen Tradition steht hier die ganze Beziehungsgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel und der Menschheit im Hintergrund, in der Gott in vielfältigen anthropomorphen Metaphern als Vater (Ex 4,22; Jer 31,30; Jes 64,7 – 8) und Mutter (Jes 49,15; 66,13) erkannt und bekannt wurde. In der Verkündigung und Geschichte Jesu Christi wurde manifest, dass sich Gottes »Vatersein« in Unterscheidung von allen menschlichen Vorstellungen durch eine urgründige und uneingeschränkte Liebe auszeichnet und dass darin letztlich Gottes Wesen besteht (1 Joh 4,16), das alle Ambivalenzen im Gottesbild (die Annahme eines zornigen oder verborgenen Gottes im Gegensatz zu einem gnädigen Gott) überwindet.

Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes im frühen Christentum Christiane Zimmermann

Einführung »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.« Das Apostolische Glaubensbekenntnis beginnt mit dem Bekenntnis zu Gott. »Gott« ist zunächst nicht mehr als eine Gattungsbezeichnung, die noch nichts spezifisch Christliches an sich hat. Das Bekenntnis kennzeichnet diesen »Gott« dann sogleich mit einer dreigliedrigen Apposition, die Gott in seinen für die Bekenner wichtigsten Wesenszügen metaphorisch beschreibt: Er ist der Vater, er ist der Allmächtige und er ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Die metaphorischen Appositionen, die Gott mit Bildern darstellen, die den Betenden vertraut sind und besondere Konnotationen aufrufen,1 gipfeln im Schöpfertum Gottes, in dem zugleich seine anderen Wesenszüge, seine Vaterschaft und seine Allmacht begründet zu sein scheinen: Der Schöpfer hat die Macht über das von ihm Geschaffene und er tritt zum Geschaffenen in eine besondere Beziehung, für deren Beschreibung die Vater-Metapher offenbar zutreffend war. Mit der Vater-Bezeichnung Gottes rekurriert das Apostolikum auf die schon für das früheste Christentum zentrale Vorstellung Gottes als Vater. Bereits in einem der ersten christlichen Bekenntnistexte, den Paulus in 1 Kor 8,6 überliefert, ist die Trias des Apostolikums, nämlich die Verbindung von Vaterschaft, Herrschaft und Schöpfertum erkennbar. Der Vers betont, dass es für die Christen und Christinnen im Unterschied zur paganen Welt nur einen einzigen Gott und einen einzigen Herrn gibt: Gott, den Vater, aus dem alles ist, und Jesus Christus, den Herrn, durch den alles ist:

1  Zur Metapherntheorie vgl. R. Zimmermann, Metapher. II. Neutestamentlich, in: O. Wischmeyer (Hg.), Lexikon der Bibelhermeneutik. Begriffe, Methoden, Theorien, Konzepte, Berlin 2009, 377 f.

90  Christiane Zimmermann ἀλλ’ ἡμῖν εἷς θεὸς ὁ πατὴρ ἐξ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡμεῖς εἰς αὐτόν, καὶ εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς δι’ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡμεῖς δι’ αὐτοῦ.

Für uns aber gibt es einen einzigen Gott, den Vater, aus dem alles ist und wir auf ihn hin und einen einzigen Herrn, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn.

Zwar ist hier der Aspekt der Macht durch die κύριος-Bezeichnung mit Jesus Christus verbunden, jedoch hat dieser die κύριος-Würde nach frühchristlicher Vorstellung (Phil 2,9 – 11) von Gott übertragen bekommen und wird sie Gott nach 1 Kor 15,28 auch wieder zurückgeben bzw. sie mit Gott teilen. Das Schöpfertum Gottes wird in dem an die Vatermetapher angeschlossenen Relativsatz »aus dem alles ist« ebenfalls klar artikuliert und um den Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft Jesu (»durch den alles ist«) ergänzt. Klar erkennbar ist auch in diesem frühen Bekenntnistext die zentrale Vorstellung Gottes als Vater; die Apposition »der Vater« entspricht hier der Stellung des Eigennamens »Jesus Christus« im zweiten Teil des Verses. Durch diese Stellung deutet sich bereits ein Übergang von einer reinen Vatermetapher in einen eigennamen-ähnlichen Gebrauch der Vater-Bezeichnung an. In diesem Bekenntnis stellt sich nun ebenso wie im Apostolikum eine grundsätzliche Frage, und zwar die der Referenz der Vater-Bezeichnung. Wessen Vater ist Gott? Und was konnotiert die Vater-Bezeichnung für die frühen Christinnen und Christen? Im Folgenden sollen nun zunächst die verschiedenen Referenzen von »Vater« im antiken Judentum und frühen Christentum behandelt werden (1.). In einem weiteren Schritt soll die Frage beantwortet werden, welche spezifischen Konnotationen der Vaterschaft Gottes in den biblischen Schriften erkennbar sind (2.), bevor auf die weitere Institutionalisierung der Vater-Bezeichnung in den ersten christlichen Jahrhunderten kurz eingegangen werden soll (3.), um abschließend einen Blick auf die Funktion der Vater-Bezeichnung im Apostolikum zu werfen (4.).

1.  Die Referenz der Vater-Metapher oder: Wessen Vater ist Gott? »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.« Zunächst liegt es nahe, die Vater-Anrede in dieser Glaubens-Aussage des Apostolikums auf Gott als Vater

Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes  91

des bekennenden Subjekts zu beziehen, im Sinne von »ich glaube an Gott, meinen Vater«. Dabei ist die metaphorische Dimension dieser Vater-Bezeichnung vorausgesetzt. Die Vater-Bezeichnung kann sich jedoch auch auf Gott als Vater Christi beziehen, also christologisch referieren. Dies wird durch die spätere Einspielung des Bekenntnisses zum eingeborenen Sohn Gottes im zweiten Artikel des Textes des Apostolikums nahegelegt (»ich glaube an Gott, den Vater […] und an seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn«). Schließlich könnte jedoch auch eine schöpfungstheologische Verwendung der Vater-Metapher im Blick sein, wie sie im gerade bereits zitierten Text aus 1 Kor 8,6 erkennbar wurde (»Gott, der Vater, aus dem alles ist […]«). Gott ist hier der Vater der Schöpfung, aber auch Vater im Sinne der kontinuierlichen Fokussierung der Glaubenden auf ihn als Lebensspender und -erhalter (»und wir auf ihn hin«). Die kreatorische Referenz der Vater-Bezeichnung scheint allerdings aus Gründen der Synonymik für das Apostolikum nicht primär im Blick zu sein, da die einleitende Appositionskette mit dem expliziten Bekenntnis zu Gott als Schöpfer endet, auch wenn dieses Schöpfertum mit der Vater-Bezeichnung korrelierbar ist.

1.1  Gott als Vater der Glaubenden: Die ekklesiologische2 Referenz der Vater-Metapher Aller Wahrscheinlichkeit nach sprach bereits Jesus von Gott als Vater: Das Vater-Gebet in der Version von Lk 11,2 – 4, in dem Jesus seine Nachfolger und Nachfolgerinnen lehrt, Gott als Vater anzusprechen (ὅταν προσεύχησθε λέγετε· Πάτερ, ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου), spiegelt 2   Das Lexem »ekklesiologisch« dient im Folgenden der Beschreibung der Mitglieder einer antiken glaubenden Gemeinschaft, jüdisch, pagan oder christlich, auch wenn ἐκκλησία in den frühchristlichen Texten vor allem die christliche Gemeinschaft benennt. Ihren Ursprung hat die christliche Bezeichnung ἐκκλησία vermutlich in der Jerusalemer Urgemeinde und deren Selbstbezeichnung qehal el, die im apokalyptischen Judentum das endzeitliche Aufgebot Gottes bezeichnete und möglicherweise bereits in Jerusalem mit ἐκκλησία τοῦ θεοῦ übertragen wurde. Vgl. A. Du Toit, Paulus Oecumenicus. Interculturality in the Shaping of Paul’s Theology, in: NTS 55 (2009), 121 – 143 (133 f.); H.-U. Weidemann, Ekklesia, Polis und Synagoge. Überlegungen im Anschluss an Erik Peterson, in: E. Peterson, Ekklesia. Studien zum altchristlichen Kirchenbegriff, hg. v. B. Nichtweiß / H.-U. Weidemann, Würzburg 2010, 152 – 195 (181). Ἐκκλησία war jedoch auch der allgemeine griechische Terminus für die Versammlung der stimmberechtigten und freien Männer mit öffentlich-rechtlichem, aber auch kultischem Charakter. Vgl. dazu Peterson, Ekklesia, 18 f.

92  Christiane Zimmermann vermutlich authentische Jesus-Rede wider, ebenso wie die Anrufung Gottes als »Vater« im Gebet in Gethsemani (Mk 14,36 parr.), wo sich die Vateranrede im markinischen Text auch in ihrer aramäischen Form, aber in griechischer Umschrift findet (αββα). Auch Paulus zitiert diese aramäische Form in Gal 4,6 und Röm 8,15 und memoriert damit vermutlich die authentische Gebetsanrede Gottes durch Jesus. Mit dieser abba-Anrede wendet sich der glaubende Jude Jesus als Mitglied des Gottesvolkes an seinen Gott als »Vater« und lehrt auch seine Nachfolger und Nachfolgerinnen ebensolches zu tun. Die im vergangenen Jahrhundert von Joachim Jeremias vertretene, breit rezipierte These, dass die jesuanische Anrede Gottes als abba kindersprachlich und für das »Empfinden der Zeitgenossen Jesu unehrerbietig, ja undenkbar« erschienen sei3 und damit das ganz besondere Verhältnis Jesu zu Gott formuliere, hat inzwischen vor allem durch die Arbeiten von Angelika Strotmann und Georg Schelbert eine gründliche Revision erfahren.4 Jesus war nicht der erste Jude, der Gott als »Vater« ansprach. Gott wurde im Judentum zur Zeit Jesu durchaus auch sonst »Vater« genannt, wenngleich die Belege nicht besonders zahlreich sind. Auch in den Religionen des Alten Orients5 und im griechisch-römischen Glauben war die Vater-Bezeichnung für Götter verbreitet;6 in der Selbstdarstellung der römischen Kaiser war sie über deren Anspruch, pater patriae, Vater des Vaterlandes, respektive des römischen Weltreiches zu sein, ebenfalls präsent.7 Der Jude Jesus rekurrierte daher mit der abba-Vater-Anrede auf eine

3  J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. Erster Teil: Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 41988, 67 – 73. 4  G. Schelbert, Abba Vater. Der literarische Befund vom Altaramäischen bis zu den späten Midrasch- und Haggada-Werken in Auseinandersetzung mit den Thesen von Joachim Jeremias (NTOA 81), Göttingen 2011; A. Strotmann, »Mein Vater bist du!« (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Texten (FTS 39), Frankfurt 1991. 5   Vgl. dazu den Beitrag von R. Achenbach in diesem Band sowie A. von Lieven, Father of the Fathers, Mother of the Mothers. God as Father (and Mother) in Ancient Egypt, in: F. Albrecht / R. Feldmeier (Hg.), The Divine Father. Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity, Themes in Biblical Narrative 18, Leiden 2014, 17 – 36. 6  Vgl. dazu C. Zimmermann, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AGJU 69), Leiden 2007, 64 – 70. 7   A. a. O., 70 – 73.

Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes  93

im Judentum seiner Zeit stetig populärer werdende Metapher mit großem interreligiösen Potential.

1.1.1  Gott als Vater der Glaubenden im antiken Judentum Die atl. Schriften verwenden die Vater-Bezeichnung noch selten (ca. 17-mal): Der Gott-Vater ist hier vor allem der Vater seines Bundesvolkes, das er für sich erwählt hat.8 Wie das Bundesvolk vom göttlichen Vater Vergebung für seine Sünden erhoffen kann, so erwartet der göttliche Vater von seinen erwählten Kindern gleichermaßen Gehorsam. In hellenistischer Zeit gewinnt die Vater-Bezeichnung an Popularität.9 Zwar kann der göttliche Vater auch strafen,10 aber nun dominiert der Aspekt des väterlichen Erbarmens und von Seiten der Glaubenden das Vertrauen auf die Gebetserhörung durch den sich sorgenden, schützenden und seine Kinder rettenden Vater-Gott die Verwendung der Metaphorik.11 Gott ist seinem Volk nah geworden, die Glaubenden können mit großer Zuversicht auf die Rettung durch den Vater in schwieriger Lage vertrauen.12 Dies ist auch das Konnotationsspektrum, in dem die jesuanische Vater-Anrede Gottes zu verorten ist.13 Zugleich beinhaltet die Vater-Metapher bereits im antiken Judentum einen deutlich integrativen Aspekt: Für Proselyten, die durch ihren Glaubenswechsel möglicherweise in Konflikt mit ihren Familien kamen, konnte Gott als »neuer Vater« gelten. So versteht sich die 8   A. a. O., 48 – 52; R. Feldmeier / H. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 22017, 52 – 66; H. Spieckermann, The »Father« of the Old Testament and Its History, in: Albrecht / Feldmeier, The Divine Father (s. Anm. 5), 71 – 84. 9   Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 52 – 64; Strotmann, Mein Vater (s. Anm. 4); vgl. ebenso J. van Ruiten, Divine Sonship in the Book of Jubilees, in: Albrecht / Feldmeier, The Divine Father (s. Anm. 5), 85 – 105; L. Doering, God as Father in Texts from Qumran, in: a. a. O., 107 – 135; R. Hayward, God as Father in the Pentateuchal Targumim, in: a. a. O., 137 – 164; M. Popović, God the Father in Flavius Josephus, in: a. a. O., 181 – 197. 10   Vgl. etwa Tob 13,2 – 5 (BA). 11   Strotmann, Mein Vater (s. Anm. 4), 376. 12  Strotmann zählt als weitere Aspekte auf: Erziehung, Erbarmen, Vergebung, Treue, Verlässlichkeit, Fürsorge, Verantwortung, Liebe, Güte, Zuwendung, Nähe, Schutz, Hilfe, Rettung, machtvolles Eingreifen, absolute Schöpfermacht, Anteilgabe an Gottes Macht, Herrlichkeit und Erkenntnis (Strotmann, Mein Vater [s. Anm. 4], 360 – 362). 13  Vgl. dazu auch E. Lohse, Das Vaterunser. Im Licht seiner jüdischen Voraussetzungen, Tübingen 2008.

94  Christiane Zimmermann Ägypterin Aseneth durch ihre Hinwendung zum Judentum als »verwaist« und sieht Jhwh als »Vater der Verwaisten und Verfolgten«, auf dessen Rettung und Schutz sie vertrauen kann (JosAs 11,13; 12,8.13).

1.1.2  Gott als Vater der Glaubenden im frühen Christentum14 Im frühen Christentum erfährt die Vater-Bezeichnung im Vergleich mit ihrer Verwendung im vorausgehenden und im zeitgenössischen Judentum nun allerdings eine bemerkenswerte Entwicklung. Mehr als 260-mal sprechen die im Neuen Testament zusammengeschlossenen Texte von Gott als »Vater«. Während sich in den frühjüdischen Gottesbezeichnungen vor allem die Vorstellung von Gott als »Herr« spiegelt und die Vater-Bezeichnung im Vergleich selten erscheint, wird Gott für die ersten Jesus-Nachfolger, die frühen Christinnen und Christen, zunehmend der »Vater«, und zwar der »Vater«, an den sie sich im Gebet vertrauensvoll und in Hoffnung auf Erfüllung ihrer Bitten wenden können, da Gott ihnen wie ein Vater wohlwollend gegenübersteht. Der himmlische »Vater« sollte jedoch grundsätzlich von irdischen »Vätern« unterschieden werden: Die Apposition »der in den Himmeln« im Matthäus-Evangelium sowie die Ablehnung der abba-Anrede für irdische Lehrer in Mt 23,9 weisen darauf hin, dass etwa die matthäische Gemeinde den göttlichen »Vater« als alleinige, auch den irdischen Vätern übergeordnete Autorität benennen wollte. Diese zunehmende Bevorzugung der Vater-Bezeichnung für Gott erklärt sich vor dem Hintergrund der bereits im zeitgenössischen Judentum ebenso wie im paganen Bereich zu beobachtenden wachsenden Popularität der Vater-Metaphorik für Gott bzw. Götter oder auch den deifizierten römischen Kaiser. Diese Bevorzugung erklärt sich jedoch vor allem durch die historische Verwendung der Bezeichnung durch Jesus, sein eigenes Gebet und durch die in Lk 11,2 erhaltene explizite Gebetsanweisung: »Wenn ihr betet, so sprecht: ›Vater, Dein Name werde geheiligt.‹ « Und diese Entwicklung erklärt sich vor dem Hintergrund der Überzeugung von der hoheitlichen Gottessohnschaft Jesu, mit der über die Aussage seiner Partizipation an der Vater-Re14   Vgl. dazu Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 74 – 166; F. Wilk, »Vater  …«. Zur Bedeutung der Anrede Gottes als Vater in den Gebeten der Jesusüberlieferung, in: Albrecht / Feldmeier, The Divine Father (s. Anm. 5), 199 – 231; R. Wagner, Is God the Father of the Jews only, or also of Gentiles? The Peculiar Shape of Paul’s »Universalism«, in: Albrecht / Feldmeier, The Divine Father (s. Anm. 5), 233 – 254.

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lation als Mitglied des auserwählten Bundesvolkes hinaus der Vorstellung von einer göttlichen Herkunft und göttlichen Qualität Jesu Ausdruck verliehen wird.

1.2  Gott als Vater des Gottessohnes: Die christologisch-hoheitliche Referenz der Vater-Metapher Neben der abba-Anrede Gottes in Mk 14,36 findet sich die Bezeichnung Gottes als Vater durch Jesus auch in einigen vermutlich alten Spruchtraditionen der Evangelien. Abgesehen von der Einleitung des Vater-Gebets in Lk 11,2 apostrophiert Jesus Gott als Vater, als Herrn des Himmels und der Erde, der den Unmündigen Offenbarung zuteilwerden ließ, in Lk 10,21: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies Weisen und Klugen verborgen, Unmündigen (aber) offenbart hast. Ja, Vater, weil es dir so wohlgefallen hat.« Während die Vater-Anrede in diesem möglicherweise historischen Jesus-Logion noch absolut gehalten ist und ebenso wie Lk 11,2 als Vater-Anrede des glaubenden Juden Jesus verstanden werden kann, wird sie in Lk 10,22, also im sich anschließenden, vermutlich ursprünglich unabhängigen Spruch15 konkret auf die Beziehung zwischen Gott und Jesus hin ausgelegt: »Alles ist mir übergeben von meinem Vater. Und niemand weiß, wer der Sohn ist, als nur der Vater, noch, wer der Vater ist, als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.« Die von Jesus vermittelte Offenbarung erscheint hier als die des Wissens um die besondere, persönliche Beziehung zwischen Vater und Sohn. Die in Lk 10,21 absolut gehaltene Vater-Bezeichnung wird in diesem Vers durch die Verwendung des Possessivpronomens »mein« und das epistemologische Geheimnis zwischen Vater und Sohn auf eine exklusive Beziehung hin konkretisiert.16 Der Vers dokumentiert damit die allmähliche Etablierung der Gottessohnschaft Jesu im deklaratorischen und dann auch genealogischen Sinne im frühen Christentum, wie sie etwa die Tauf- und Geburtsgeschichten in den synoptischen Evangelien belegen und wie sie in der Anrede Gottes als »meinem Vater« zum Ausdruck kommt.17 Entsprechend findet sich bereits bei Paulus die 15   J. S. Kloppenborg, The Formation of Q. Trajectories in Ancient Wisdom Collections, Philadelphia 1987, 197 f. 16   Vgl. auch den Verweis auf den Menschensohn und »seinen« Vater in Mk 8,38. 17   Mk und die Logienquelle kennen die Bezeichnung »mein Vater« aus dem Munde Jesu noch nicht. Vgl. Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 111.

96  Christiane Zimmermann Eulogie Gottes als des »Vaters unseres Herrn Jesus Christus« (2 Kor 1,3; 11,31; als Doxologie in Röm 15,6; vgl. auch Eph 1,3). Der oder die Verfasser des Johannes-Evangeliums gestalten die Überzeugung vom besonderen Sohnschaftsverhältnis Jesu zum göttlichen Vater dann erzählerisch und theologisch weiter aus: Als μονογενής ist Jesus als inkarnierter Logos der einzige »leibliche« Sohn Gottes,18 der in Wesens- und Wirkeinheit mit dem Vater diesen irdisch offenbart und diese Einheit mit den Worten »Ich und der Vater sind eins« (ἐγὼ καὶ ὁ πατὴρ ἕν ἐσμεν, Joh 10,30) beschreibt. Der Sohn ist eins mit dem Vater, kommt von ihm und kehrt zu ihm zurück. Der Vater offenbart sich im inkarnierten Sohn, der den Vater als einziger »gesehen« hat und ihn der Welt exegisiert (Joh 1,18).

1.3  Die Verbindung von ekklesiologischer und christologisch-hoheitlicher Referenz der Vater-Metapher Wenngleich die Vorstellung von der Gottessohnschaft der Glaubenden durch ihre jüdische Tradition als prioritär zu denken ist, setzen die frühesten christlichen Schriften die hoheitliche Gottessohnschaft Jesu jedoch bereits ebenfalls voraus und bringen sie in einen Zusammenhang mit der Gottessohnschaft der Glaubenden. Es lässt sich also von frühester Zeit an bereits eine Verbindung von ekklesiologischer und christologisch-hoheitlicher Referenz der Vaterschaft Gottes erkennen. Bereits in den paulinischen Briefen basiert die Vaterschaft Gottes gegenüber den Glaubenden auf seiner Vaterschaft dem Gottessohn gegenüber. Paulus macht deutlich, dass die Anrede Gottes als abba nur durch die Sendung des Sohnes und die Aufnahme des Geistes geschehen kann. So heißt es in Gal 4,4 – 6: »(4) Als aber die Erfüllung der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter dem Gesetz, (5) damit er die unter dem Gesetz freikaufe, damit wir die Sohnschaft empfangen. (6) Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: ›abba, Vater‹.« Der Geist (Christi)19 ermöglicht die Partizipation am 18   Vgl. dazu C. Zimmermann, Gottes rekreatorisches Handeln bei Paulus und Johannes I. Das »Lebendigmachen« und das »aus Gott / von oben Gezeugtwerden«, in: V. Burz-Tropper (Hg.), Studien zum Gottesbild im Johannesevangelium, Tübingen 2019, 161 – 186. 19   Zur Textkritik dieser Stelle vgl. C. Zimmermann, Gott und seine Söhne. Das Gottesbild des Galaterbriefs (WMANT 135), Neukirchen-Vluyn 2013, 77 f.

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Göttlichen, die sich in der Konstitution der Vater-Kind-Beziehung konkretisiert, die hier wie ein Rechtsakt als Empfang der Sohn- bzw. Kindschaft (υἱοθεσία) beschrieben wird. Die Glaubenden werden vom göttlichen Vater auf der Basis der Sendung des Sohnes wie bei einer Adoption als Kinder angenommen. Der Geist gibt ihnen die Stimme, Gott ebenso wie Jesus als abba-Vater anzurufen. Möglicherweise rekurriert Paulus hier bereits auf eine frühe Tradition des Vatergebets, in dem Jesus Gott explizit als Vater anspricht (Lk 11,2: »Vater«) und die Jünger und Jüngerinnen lehrt, dies ebenso zu tun (Mt 6,9: »Vater unser«).20 Ähnlich, aber doch radikaler formuliert dies der Verfasser des Johannes-Evangeliums. Auch hier erscheint Christus als Vermittler der Gotteskindschaft der Glaubenden, nun aber nicht mehr im Rahmen eines rechtlichen Aktes. Die programmatischen Eingangsverse des Evangeliums beschreiben zunächst, dass der von Gott kommende Christus-Logos einem Teil der Schöpfung, nämlich denjenigen Menschen, die ihn »aufgenommen haben«, »denen, die an seinen Namen glaubten«, die Bevollmächtigung gab, »Kinder Gottes zu werden« (τέκνα θεοῦ γενέσθαι, Joh 1,12). Diese werden nun weiterhin gekennzeichnet als »die, die nicht aus menschlichem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott gezeugt sind« (ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν, Joh 1,13). In Joh 3 legt Jesus im Gespräch mit Nikodemus dar, wie dieses »aus Gott Gezeugtwerden« zu denken ist: als ein »von oben«/»von neuem« (Joh 3,3)21 bzw. »aus Wasser und Geist« (ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος, Joh 3,5) Gezeugtwerden. Auch hier wieder vermittelt der Geist die Kindschaft; das Wasser referiert vermutlich auf das Taufgeschehen als Aufnahme des neuen Kindes in die Familie Gottes.22 Das Johannes-Evangelium formuliert mit den Lexemen »aus Gott« bzw. »von oben / von neuem Gezeugtwerden« (Joh 3,3) den Neuanfang Gottes mit den Menschen in semantischer Radikalität, die das »grundlegende Anders-Sein«23 dieses Lebens unter dem Aspekt der Partizipation am Göttlichen und 20   Vgl. dazu M. Philonenko, Das Vaterunser. Vom Gebet Jesu zum Gebet der Jünger, Tübingen 2002, 112. 21   Zur Frage der zeitlichen oder lokalen Denotation von ἄνωθεν vgl. Zimmermann, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 18), 178. 22  M. Theobald, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1 – 12 (RNT IV / 1), Regensburg 2009, 251. 23   U. U. Kaiser, Die Rede von »Wiedergeburt« im Neuen Testament. Ein metapherntheoretisch orientierter Neuansatz nach 100 Jahren Forschungsgeschichte, Tübingen 2018, 290 f.

98  Christiane Zimmermann damit an der Hoheit in den Blick nimmt.24 Bei Johannes wird die zuvor auf Jesus konzentrierte Aussage der göttlichen Herkunft also nun auch auf die Glaubenden übertragen:25 Sie sind als Kinder Gottes durch das »Gezeugtwerden« in eine genealogische Relation zu Gott als Vater gestellt und damit partizipieren sie zugleich an der Erhöhung. Die Gefahr einer Gleichstellung der Glaubenden mit dem einzig »leiblichen« Gottessohn, dem inkarniertern Christus-Logos,26 ist dennoch nicht gegeben: Dieser unterscheidet sich durch seine Präund Postexistenz bei Gott, seine Inkarnation und die im Evangelium ausgeführte Wesens- und Wirkeinheit mit dem Vater von den anderen Gotteskindern, die aber dennoch »aus Gott gezeugt« sind. Der Verfasser des 1. Petrusbriefs parallelisiert die Vaterschaft Gottes gegenüber Jesus und gegenüber den Glaubenden ebenfalls (1 Petr 1,3: »Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns entsprechend seiner großen Barmherzigkeit neugezeugt hat«) und verwendet für die Vaterschaft Gottes den Glaubenden gegenüber das der johanneischen Semantik vom »von oben / von neuem Gezeugt­ werden« (ἄνωθεν γεννάομαι) sehr nahestehende Lexem ἀναγεννάομαι (»neu gezeugtwerden«) für die Glaubenden (1,23; vgl. auch 1,3). Die Metaphorik des »von oben« bzw. »von neuem Gezeugtwerdens« wird hier noch weiter ausgestaltet, insofern hier die Glaubenden mit neugeborenen Kindern auch bzgl. ihrer Glaubensreife verglichen werden, die mit dem Wort Gottes wie mit »unverfälschter, geistiger Milch« (2,2) gefüttert werden. Das Bewusstsein der Verbundenheit mit Gott (und Christus) in der familia dei spiegelt sich nicht nur in der Tatsache, dass die Vater-Bezeichnung das Vater-Gebet epikletisch einleitet, sondern auch darin, dass die Rede von Gott als Vater der Christinnen und Christen ihren festen Platz im Eingang frühchristlicher Briefe gewinnt.27 Die 24

 Vgl. Zimmermann, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 18), 180.   Deutlich wird diese Übertragung auch an der Verwendung von Lexemen des Stammes γεν-: μονογενής (Joh 1,18), γενέσθαι (Joh 1,12), γεννηθῆναι (Joh 1,13). 26   Zur Interpretation von μονογενής vgl. Zimmermann, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 18), 174 f. 27   Vgl. Röm 1,7; 1 Kor 1,3; 2 Kor 1,2; Gal 1,3; Phil 1,2; Phlm 3; 1 Thess 1,1; 2 Thess 1,1 – 2; Eph 1,2 – 3; Kol 1,2; 1 Tim 1,2; 2 Tim 1,2; Tit 1,4; 1 Petr 1,2; 2 Joh 3; Jud 1. Vgl. auch die Präskripta der Ignatius-Briefe, sowie G. Schneider, Gott, der Vater Jesu Christi, in der Verkündigung Jesu und im urchristlichen Bekenntnis, in: ders., Jesusüberlieferung und Christologie. Neutestamentliche Aufsätze 1970 – 1990, Leiden 1992, 3 – 38 (34). 25

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Benennung Gottes als Vater erfolgt praktisch in allen brieflichen salutationes, fließt aber auch in Eulogien und Danksagungen ein. So lobt der Verfasser des 1. Petrusbriefs Gott als Vater. Und so gilt auch der Dank für die Glaubensfestigkeit der Gemeinde, Gott-Vater in Kol 1,3 und 1,12 – 14: Der Verfasser dankt Gott-Vater, »der euch dazu bereitet hat, Anteil am Los der Heiligen im Licht zu haben. (13) Er hat uns aus der Macht der Finsternis gerettet und uns in das Reich des Sohnes seiner Liebe gestellt, (14) in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden.«

1.4  Gott als Vater der Schöpfung: Die kreatorisch-kosmologische Referenz der Vater-Metapher Blickt man auf die biblischen, also auf die jüdischen, jesuanischen und frühchristlichen Referenzen der Vater-Metapher, entdeckt man einige wenige Fälle, wie etwa 1 Kor 8,6, in denen die kreatorisch-kosmologische Referenz der Vater-Metapher im Fokus ist.28 So ist etwa für Philon Gott Vater im Sinne des Schöpfertums. Dabei rezipiert Philon die Vorstellung einer kosmologischen Vaterschaft Gottes aus der platonischen und stoischen Philosophie und verschmilzt sie mit der im zeitgenössischen Judentum dominierenden Vorstellung des sein Bundesvolk schützenden und umsorgenden Vaters. Während das Vater-Sein Gottes im herkömmlichen Sinn auf Israel als auserwähltes Volk konzentriert ist, gewinnt die Vater-Metapher durch die Integration der kosmologischen Perspektive einen universalen Aspekt hinzu: Als Schöpfer ist Gott zugleich Vater der gesamten Schöpfung, die ihn daher auch – unabhängig von ihrer religiösen Provenienz – als alleinigen Gott anerkennen kann. Diese Entwicklung gewinnt ihr Aussagepotential auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Deifizierung der römischen Kaiser, deren Anspruch es war, Vater des Vaterlandes respektive des römischen Weltreiches zu sein.29 Innerhalb der kanonischen frühchristlichen Schriften verwendet besonders der Epheserbrief die Vater-Metapher für Gott in kreatorisch-kosmologischer Perspektive.30 Wie Eph 4,6 deutlich macht, 28

 Vgl. Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 60.   A. a. O., 70 – 73.   Zur kosmologischen Bedeutung der Vaterschaft in Eph und ihrem griechisch-römischen Hintergrund vgl. G. H. van Kooten, The Divine Father of the Universe from the Presocratics to Celsus. The Graeco-Roman Background of the »Father of All« in Paul’s Letter to the Ephesians, in: Albrecht / Feldmeier, 29 30

100  Christiane Zimmermann ist Gott nicht mehr nur »unser Vater« (1,2), sondern πατὴρ πάντων, ὁ ἐπὶ πάντων καὶ διὰ πάντων καὶ ἐν πᾶσιν. Das Genetivattribut πάντων ist einerseits abstrakt zu fassen »von allem«, andererseits – gerade mit Kenntnis der ursprünglichen Formulierung des Textes in 1 Kor 8,6 – personal »von allen«. Aus der in Anlehnung an stoische Formulierungen31 gewonnenen Beschreibung des einen Gottes und Vaters, »der über allem und durch alles und in allem ist«, wird nun extrahiert, dass Gott der Vater »von allen / m« ist. Der Schöpfergott wird hier zum kosmischen All-Vater. Die im Epheserbrief als »ein Leib« gedachte Kirche, deren Haupt Christus ist, setzt sich zusammen aus »allen«, deren Vater der Schöpfergott ist, der zugleich »über allem, durch alles und in allem ist«. Der Epheserbrief greift hier auf der Grundlage der Harmonisierung von Schöpfertum und kosmologischer Vaterschaft Gottes Formulierungen auf, die pantheistische Gedanken implizieren. Nach dem Vater (πατήρ) benennt sich nun nach Eph 3,14 f. jede πατριά im Himmel und auf Erden. Die Paronomasie von πατήρ und πατριά ist sicherlich nicht zufällig: Der Verfasser des Briefes hebt damit auf die Verbindung des Vaters und des sich vom Vater ableitenden Volksstammes (»Vaterstammes«) ab. Gott ist der Namensgeber für die einzelnen Völkergruppen des Himmels und der Erde. Zugleich wird damit die in einzelnen πατριαί vorgestellte Welt unter der Familienperspektive gesehen, wobei ebenfalls der Gedanke der kosmologischen Vaterschaft eine Rolle spielt. Der Verfasser des Epheserbriefs führt hier implizit die etymologische Begründung der kosmologischen Vaterschaft vor: Weil sich jede πατριά nach dem πατήρ benennt, muss sie folgerichtig auch von diesem abstammen.32 Der Vater ist der alles durchwaltende Schöpfergott, die von ihm geschaffene Welt strukturiert sich in einzelne πατριαί. Alle Glaubenden, egal welcher Provenienz, haben nun Zugang zum Vater. Nirgendwo wird der Gedanke der universalen Vaterschaft so deutlich wie im Epheserbrief, der durch die Verbindung von jüdischem Schöpfergedanken und der ursprünglich griechischen Vorstellung der kosmologischen Vaterschaft Gottes formuliert wird.33 The Divine Father (s. Anm. 5), 293 – 324. Zur Bezeichnung Gottes als »Vater der Lichter« in Jak 1,17 vgl. Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 149 – 151. 31   Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 550 – 551. 32   Im Präskript von IgnRöm ist in ähnlicher Weise von der Kirche in Rom als πατρώνυμος die Rede. 33   Vgl. jedoch auch die Metapher von Gott als »Vater der Lichter« in Jak 1,17, die ebenfalls auf Gottes kreatorisches Handeln referiert; s. dazu Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 149 – 151.

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2.  Konnotationen der Vater-Bezeichnung in den kanonischen Schriften des frühen Christentums Vor dem Hintergrund der dreifachen Referenzialität der Bezeichnung Gottes als Vater im frühen Christentum ist die Frage nach den Konnotationen dieser Vater-Bezeichnung zu stellen. Mit Joh 3,16 (»Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab«) ist die Liebe (ἀγάπη) Gottes als grundlegendes Kennzeichen, das aufs Engste mit der Vater-Bezeichnung harmoniert, im Blick. Gott liebt die Welt (Joh 3,16), Gott liebt den Sohn (Joh 3,35; 10,17; 15,9), Gott liebt die, die Jesus lieben (Joh 14,21.23; 16,27). Nach 2 Thess 2,16 ist Gott der Vater, »der uns liebt und ewigen Trost gibt«. Jedoch lassen sich auch noch weitere Konnotationen der Vater-Bezeichnung erheben. Die Pragmatik der Rede von Gott als Vater im frühen Christentum kann nur dann wirklich erschlossen werden, wenn man den Blick darauf lenkt, »was von der antiken Vatervorstellung jeweils konkret auf Gott übertragen wird«.34 »Vater« ist zunächst ein Relationsbegriff. Die Vater-Bezeichnung qualifiziert das Verhältnis des Menschen, und auch das der Schöpfung, zu Gott als ein exklusives, da jeder Mensch nur einen Vater hat,  – auch wenn sich durch die metaphorische Verwendung nun ein breiteres Spektrum an möglichen »Vätern« ergibt; andererseits ist das Verhältnis Gottes zu den Menschen ein inklusives, insofern ein Vater mehrere Kinder haben kann: Der göttliche Vater kann göttliche und menschliche Kinder haben, ja er kann »Vater« auch anderer Lebewesen und der ganzen Schöpfung sein. Besonders relevant für das frühe Christentum ist jedoch die Vaterschaft Gottes Jesus und den Glaubenden gegenüber. Mit der Vater-Bezeichnung wird zugleich auf einen besonderen Status der dem Vater zuzuordnenden Kinder abgehoben, der in der Antike auch über Adoption erreicht werden konnte. Durch Texte wie Gal 4,6 (»Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: ›Abba, Vater‹.«) wird deutlich, wie wichtig im frühen Christentum der nun besonders betonte Status der Kindschaft für die Glaubenden wurde. Die Vater-Bezeichnung lässt dieses Bewusstsein der Glaubenden, Kinder Gottes zu sein, immer mitanklingen. Sie sollen versuchen, ihren Vater nachzuahmen (Mk 11,25; 34  C. Gerber, Das Gottesbild Jesu und die Bedeutung der Vatermetaphorik, in: J. Schröter / C. Jacobi (Hg.), Jesus Handbuch, Tübingen 2017, 361 – 368 (366). Vgl. zum Folgenden a. a. O., 366 f.

102  Christiane Zimmermann Lk 6,36) und sie schulden ihm Gehorsam. Zugleich ist aus Gal 4,6 deutlich, dass der Zugang zur Gotteskindschaft nur über Christus und den Glauben an dessen eigene Gottessohnschaft erfolgen kann, der im Johannes-Evangelium im Glauben an die »Einheit« von Vater und göttlichem Sohn gesteigert hervortritt.35 Doch was evoziert die Verwendung der Vater-Bezeichnung neben der Hervorhebung dieser Relation und des damit verbundenen Status der Glaubenden? Die Jesusüberlieferung steht, wie gesagt, zunächst in der Tradition der frühjüdischen Verwendung der Vater-Metapher für Gott, in den Gebeten Jesu geht es um die Erwartung der Erhörung des Gebets durch den Vater, speziell um Schutz bzw. Rettung aus der Not (Mk 14,36). Die Kommunikation mit dem Vater ist jedem möglich, der Gott als Vater betrachtet; der Vater ist erreichbar, auch wenn er – wie bei Matthäus explizit – im Himmel lokalisiert ist (ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς / οὐράνιος, vgl. etwa Mt 5,16; 6,9.14). Und der Vater hat ­Interesse an der Errettung seiner Kinder. Er kann sie präsentisch, aber auch zukünftig vor Bösem bewahren (Mt 6,13). Er ist barmherzig (Lk 6,36; vgl. auch 2 Kor 1,3) und wird ihnen mehr noch als ein irdischer Vater »Gutes« geben (Mt 7,11 / Lk 11,13), sie aber auch im Alltag mit dem Nötigsten  – wie dem täglichen Brot  – versorgen (Mt 6,11 / Lk 11,3). Der Vater ist den Kindern an Wissen voraus (Mk 13,32; Mt 6,32 / Lk 12,30; Mt 6,4. 6. 18); er ist jedoch bereit, ihnen sein Wissen zu offenbaren (Lk 10,21 f./Mt 11,25 – 27). Der Vater hat dementsprechend einen besonderen Willen (Mt 6,10; 26,42), der a­ utoritative Geltung hat; darin ähnelt er jedem Herrn. Ihm ist alles möglich (Mk 10,27; 14,36), er ist vollkommen (Mt 5,48). Daher kann er seinen Kindern ihre Schuld vergeben (Mk 11,25; Mt 6,13 / Lk 11,4) und er tröstet sie (2 Thess 2,16). Andererseits sieht der Verfasser des Hebräerbriefs auch die Züchtigung der Söhne in Zusammenhang mit der göttlichen Vaterschaft. In Hebr 12,5 f. erinnert der Verfasser mittels des Zitates von Spr 3,11 f. an die Stellung Gottes den Söhnen gegenüber, die auch leidvolle erzieherische Maßnahmen impliziert: »Mein Sohn, achte die Erziehung seitens des Herrn nicht gering und lass dich nicht entmutigen, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr liebt, den erzieht er, (und) er schlägt jeden Sohn, den er a­ nnimmt.« Die strafende erzieherische Maßnahme dient letztlich dazu, die Söhne auf dem rechten Weg zu halten: »Unsere fleischlichen Väter hatten wir als Erzieher und haben uns ihnen gefügt; werden wir uns da nicht 35

  Zimmermann, Namen (s. Anm. 6), 115 – 127.

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noch vielmehr dem Vater der Geister36 unterwerfen und (so) das Leben haben?«, (Hebr 12,9). Die Vater-Kind-Metaphorik ruft auch die Vorstellung der Nachahmung des väterlichen Verhaltens durch die Kinder auf. Entsprechend sieht Jak 1,27 die Christen in der Pflicht, die Liebe des göttlichen Vaters an den Schutzbedürftigen imitierend zu praktizieren: »Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren.« So wie Gott der Vater auch der Waisen ist,37 haben die Christen diese Funktion des Vaters nun konkret bei den »Waisen und Witwen« zu übernehmen und somit die wohltäterische, fürsorgende Seite des göttlichen Vaters zu imitieren. Die lukanische Erzählung vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 32) kann als metaphorisches Narrativ der Vaterschaft Gottes und ihrer Vorbildlichkeit gelesen werden. Der in der Parabel agierende Vater zeigt zahlreiche der eben ausgeführten Aspekte der göttlichen Vaterschaft. Dominiert wird die Erzählung allerdings von der Barmherzigkeit, Vergebungsbereitschaft und Liebe des Vaters, der Gott abbildet. Die Liebe dieses Vaters übertrifft alle menschlichen Maßstäbe und ist vorbildlich für die Glaubenden. Vor allem im Schrifttum der johanneischen Schule wird besonders der Aspekt der Liebe des göttlichen Vaters hervorgehoben. Die Gedankenstruktur liegt in einzelnen Elementen bereits bei Paulus vor, wird jedoch hier nun argumentativ in eine schlüssige Haltungs- und Handlungslinie gebracht, die den Vater, den Sohn und die glaubenden Kinder eint: Der Vater liebt die Welt und sendet daher seinen einzigen (inkarnierten) Sohn in die Welt und damit in den Tod (Joh 3,16).38 Insofern ist die Liebe in den johanneischen Schriften aufs Engste mit 36   Mit der Bezeichnung als »Vater der Geister« (τῷ πατρὶ τῶν πνευμάτων) wird Gott hier den irdischen »Vätern des Fleisches« (τοὺς μὲν τῆς σαρκὸς ἡμῶν πατέρας) gegenübergestellt. 37   Vgl. dazu bereits Dtn 10,18; Ps 67,6 (LXX); Sir 35,14. 38   Bereits in der paganen Antike wurde das Sterben von Menschen zugunsten anderer immer wieder damit verbunden, dass dieses Sterben aus Liebe motiviert sei (Alkestis). Dieses Liebesmotiv wird nun vom sterbenden Sohn auf den göttlichen Vater übertragen und die Liebe des Vaters damit als Ursache für das Sterben des Sohnes benannt. Vgl. C. Eschner, Gestorben und hingegeben »für« die Sünder. Die griechische Konzeption des Unheil abwendenden Sterbens und deren paulinische Aufnahme für die Deutung des Todes Jesu Christi, Bd. 1: Auslegungen der paulinischen Formulierungen, Bd. 2: Darstellung und Auswertung des griechischen Quellenbefundes (WMANT 122 / 1 – 2), Neukirchen-Vluyn 2010.

104  Christiane Zimmermann der Vater-Metapher verbunden. Doch ist im Sterben des Gottessohnes genauso auch dessen Liebe erkennbar (1 Joh 3,16). Und die Liebe des Vaters wird nun noch stärker als in der synoptischen Tradition zur ethischen Richtschnur für seine Kinder (1 Joh 3,11.16), ja die Liebe Gottes bleibt nur, wenn auch die Kinder Gottes (den Bruder / die Schwester) lieben (1 Joh 3,14.17). Die Vater-Metaphorik inkludiert daher über das Moment der puren imitatio hinaus zugleich auch einen ethischen und soteriologischen Aspekt für die Glaubenden, die als von »Gott gezeugt« verstanden werden (Joh 1,12 f.; 3,3). Auch in 1 Petr klingt die Vaterschaft Gottes den Glaubenden gegenüber mit der Semantik der »Zeugung« an (1 Petr 1,3), die jedoch noch weiter ausgestaltet wird: Die Aufnahme des verkündigten Wortes, vergleicht der Verfasser mit dem Trinken der ersten Milch durch »gerade Geborene« (1 Petr 2,2). Über diese Milch- oder Still-Metapher erhält das Gottesbild des 1 Petr mütterliche Züge, insofern das »lebendige und bleibende Wort« von Gott stammt (1 Petr 1,23) und zugleich in einer nur der Mutter gegebenen Weise auf die »neugeborenen« Glaubenden übertragen wird. Der Vater-Gott des 1 Petr nährt seine Kinder auf eine üblicherweise nur der Mutter mögliche Art. Ein besonderer Aspekt der frühchristlichen Verwendung der Vater-Metapher ist, dass sie das »Herr«-Sein Gottes abzulösen scheint. Zum einen zeigt sich das an der deutlichen Zunahme von Belegen für die Vater-Bezeichnung Gottes bereits innerhalb der kanonisierten Evangelien-Literatur. Zum anderen bittet das Vater-Gebet, das zahlreiche der eben genannten Aspekte der Vaterschaft Gottes enthält, in seinen Anfangsworten um das Kommen der Königsherrschaft Gottes, der βασιλεία θεοῦ, mit den Worten »Πάτερ, […] ἐλθέτω ἡ βασιλεία σου« (Lk 11,2 / Mt 6,9). Das Gebet bittet nicht Gott als König um das Kommen seiner Königsherrschaft, sondern es bittet Gott als Vater um das Kommen dieser Herrschaft. Die Macht des Vaters kennzeichnet die Herrschaft Gottes, die nicht durch die Machtstruktur von König und Untergebenen gekennzeichnet ist, sondern grundsätzlich der Existenz in einer Familie, nun der familia dei, ähnelt.39 Im frühen Christentum impliziert die Vater-Metaphorik also sehr viel mehr als nur die »Liebe« des Vaters, wenngleich diese sicherlich 39   Wenn Mt vom »Vater in den Himmeln« spricht, spitzt er die atl. Rede vom Gott / Herrn / König »in den Himmeln« ebenfalls auf den Aspekt der Regentschaft des Vaters hin zu (Zimmermann, Namen [s. Anm. 6], 103). Andererseits ist der Vater als einer »in den Himmeln« deutlich unterschieden vom irdischen Vater und für alle, unabhängig von ihrer Nationalität, ansprechbar.

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nicht ohne Grund als zentraler Aspekt des Verhältnisses von Gott und Glaubenden zu sehen ist. Mit der Vater-Metaphorik formulieren die frühen Christinnen und Christen die entscheidende, neue, mit dem Christus-Erlebnis eingetretene Erkenntnis, dass Gott ein neues Verhältnis zu den Glaubenden eingerichtet hat, das sich vom vorausgehenden dahingehend unterscheidet, die genannten mit der Vater-Metaphorik verbundenen Aspekte in den Vordergrund zu stellen, wobei die Liebe des Vaters einen zentralen Stellenwert genießt. Die Liebe des Vaters zeigt sich ganz konkret in der Hingabe des Sohnes und in der Annahme der Glaubenden als Kinder. Bereits im frühen Christentum lässt sich die Institutionalisierung der Vater-Bezeichnung durch das Vater-Gebet40 und vermutlich auch durch die Verwendung der Vater-Bezeichnung in der Taufliturgie beobachten. Die Entwicklung der Metaphorik der Glaubenden als »von Gott Gezeugte« und »Neugeborene« ist vermutlich im Zusammenhang des Taufgeschehens zu verorten, das nach dem sog. Missionsund Taufbefehl in Mt 28,18 – 20 die Nennung des Vater-Namens implizierte (vgl. auch Gal 4,6). In Mt 28,19 beauftragt Jesus die Jünger: »Geht also und macht alle Völker zu Jüngern und Jüngerinnen, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Dieser Auftrag erscheint in keinem anderen Evangelium und verweist daher darauf, dass die mt Gemeinde den von ihr praktizierten Ritus der Taufe auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes offenbar an die Jesus-Vita anbinden wollte.41 Die Verwendung der Vater-Bezeichnung in den Eingängen der paulinischen und nach-paulinischen Briefe (Röm 1,7; 1 Kor 1,3; 2 Kor 1,2; Gal 1,1.4; Phil 1,2; 1 Thess 1,1; 2 Thess 1,1 – 2; Eph 1,2; Kol 1,2; 1 Tim 1,2; 2 Tim 1,2; Tit 1,4), auch in Verbindung mit Eulogien (vgl. etwa 2 Kor 1,3; Eph 1,3; 1 Petr 1,3; vgl. auch Jak 3,9), deutet ebenfalls auf einen sich früh verfestigenden Gebrauch der Vater-Be-

40   Möglicherweise referiert auch 1 Petr 1,17 auf die Epiklese Gottes als Vater im Vater-Gebet. 41  Zur Diskussion um die Echtheit der Verse vgl. K. M. Hartvigsen, Matthew 28:9 – 20 and Mark 16:9 – 20. Different Ways of Relating Baptism to the Joint Mission of God, John the Baptist, Jesus, and their Adherents, in: D. Hellholm u. a. (Hg.), Ablution, Initiation, and Baptism. Late Antiquity, Early Judaism, and Early Christianity I (BZNW 176 / 1), Berlin 2011, 655 – 715 (657 – 659).

106  Christiane Zimmermann zeichnung Gottes in der Liturgie der Gemeinden hin, auf den in den Briefeingängen jeweils angespielt wird.42

3.  Die Vater-Bezeichnung Gottes im frühchristlichen Ritus und in weiteren Schriften des frühen Christentums Die Etablierung der Vater-Bezeichnung in den frühen christlichen Gemeinden über Verkündigung, Vater-Gebet und Taufe legen auch weitere Texte aus den ersten Jahrhunderten nahe. So zeigt etwa die früheste erhaltene Kirchenordnung aus dem 2. Jahrhundert, die Didache, dass die Taufe auf den »Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes« im frühchristlichen Ritus Aufnahme gefunden hat.43 Hier heißt es in 7,1 – 3: »Betreffs der Taufe: Tauft folgendermaßen: Nachdem ihr vorher dies alles mitgeteilt habt, tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes in lebendigem Wasser! Wenn dir aber lebendiges Wasser nicht zur Verfügung steht, taufe in anderem Wasser! Wenn du es aber nicht in kaltem kannst, dann in warmem! Wenn dir aber beides nicht zur Verfügung steht, gieße dreimal Wasser auf den Kopf im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes (εἰς ὄνομα πατρὸς καὶ υἱοῦ καὶ ἁγίου πνεύματος).«44 Da auch weitere frühe christliche Texte diese trinitarische Formel belegen, lässt sich annehmen, dass die Taufe auf den Namen des Vaters (und des Sohnes und des Heiligen Geistes) – zumindest in Syrien, woher vermutlich auch das Mt-Evangelium stammt – bereits vor 100 n. Chr. verbreitet gewesen sein dürfte.45 Im 2. Jahrhundert wurde dann auch anderenorts trinitarisch getauft.46 Während des Taufaktes wurden also die Namen des Vaters, des Sohnes und 42

  Vgl. auch den Dank an den Vater in Eph 5,20; Kol 1,3.   Die Tauferzählungen der Apg belegen hingegen nur eine Taufe auf den Namen Jesu. Vgl. dazu L. Hartmann, »Auf den Namen des Herrn Jesus«. Die Taufe in den neutestamentlichen Schriften (SBS 148), Stuttgart 1992, 39 – 46. 44   Zitiert nach A. Lindemann / H. Paulsen, Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe, Tübingen 1992. 45  So U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26 – 28) (EKK I / 4), Neukirchen-Vluyn 2002, 431. Vgl. IgnMagn 13,1: ἐν υἱῷ καὶ πατρὶ καὶ ἐν πνεύματι; Od Sal 23,22. 46   Vgl. A. Müller, Tauftheologie und Taufpraxis vom 2. bis zum 19. Jahrhundert, in: M. Öhler (Hg.), Taufe, Tübingen 2012, 83 – 135 (86); R. Staats, Das Taufbekenntnis in der frühen Kirche, in: D. Hellholm u. a. (Hg.), Ablution, Initiation, and Baptism II (BZNW 176 / 2), Berlin 2011, 1553 – 1584 (1557 – 1558). 43

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des Heiligen Geistes über dem Täufling ausgerufen, der Täufling dem Vater als göttlichem Herrn und metaphorischem »Vater« zugeordnet und damit die Vater-Bezeichnung als die grundlegende Bezeichnung Gottes für das christliche Gottesverhältnis institutionalisiert.47 Abgesehen vom Taufritus, mit dem vermutlich auch ein Bekenntnis des Täuflings zum »Vater« verbunden war, etabliert sich die Vater-Metapher für Gott aber am intensivsten über das Gebet im Gedächtnis der Christen und Christinnen: Die nach Mt und Lk von Jesus angemahnte Verwendung des Vater-(unser-)Gebets in einer der Mt-Fassung sehr nahen Version lässt sich ebenfalls anhand der Didache belegen. Nach Did 8,2 – 3 sollten Christinnen und Christen das Gebet »Vater unser, der du bist im Himmel  […]« dreimal am Tag beten. Aber auch andere Gebete der Didache verweisen auf Gott als Vater: Bei der Eucharistie, die am Herrentag gefeiert wurde (14,1), wird ebenfalls dem Vater gedankt: »Wir danken dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock Davids, deines Knechtes  […]. Wir danken dir, unser Vater, für das Leben, das du uns offenbart hast durch Jesus, deinen Knecht« (9,2 – 3). Und nach der Sättigung wird ein weiteres Mal gebetet: »Wir danken dir, heiliger Vater, für deinen heiligen Namen, den du in unseren Herzen hast Wohnung nehmen lassen« (10,2); auch im Dank für das Salböl erscheint die Vater-Anrede (10,8).48 Zur Institutionalisierung und zur Aufnahme der Vater-Metaphorik in das theologische Gedächtnis der Christen und Christinnen trug allerdings besonders das Vater-Gebet bei.49 Von den frühen Kirchenvätern wurde es auch aufgrund seines Inhalts sehr geschätzt, in dem etwa Tertullian eine »kurze Zusammenfassung des ganzen Evangeliums« sah,50 und für Cyprian war das Vater-Gebet ein »Kompendium der himmlischen Lehre«.51 Aber nicht nur im Rahmen von Bekenntnis- und Gebetstexten, auch in den apokryphen Evangelien und in weiteren apokryphen Schriften wird die Vater-Bezeichnung besonders innerhalb der Je47

  Vgl. dazu auch Jak 2,7; Herm sim 8,6,4.   Zu Kongruenzen und Divergenzen mit Mt vgl. K. Niederwimmer, Die Didache (KAV 1), Göttingen 21993, 170 – 172. 49   Vgl. dazu auch M. Brocke u. a. (Hg.), Das Vaterunser. Gemeinsames im Beten von Juden und Christen, Freiburg i. Br. 31990; M.-B. von Stritzky, Studien zur Überlieferung und Interpretation des Vaterunsers in der frühchristlichen Literatur (MBTh 57), 1989. 50   Tert., De oratione 1,6 (CSEL 20, 181, 18 f. Reifferscheid-Wissowa). 51   Cyp.dom.orat. 9 (CSEL 3 / 1, 94  Moreschini). 48

108  Christiane Zimmermann sus-Logien weitertradiert. In den apokryphen Evangelien, aber auch in der Epistula Apostolorum ist die Vater-Bezeichnung im Munde Jesu fest etabliert. Im Thomas-Evangelium ist »Vater« die häufigste Gottesbezeichnung. Die Glaubenden sind die »Erwählten des lebendigen Vaters« (EvThom 50).52 Jesus versteht sich als aus dem Vater hervorgekommen, »der (stets) mit sich eins ist« (61). Das Königreich wird nun explizit zum »Königreich des Vaters« (57; 76; 96 – 99; 113 – vgl. Mt 26,29). In anderen apokryphen Texten fehlt die Vater-Bezeichnung für Gott allerdings völlig, wie etwa im Protevangelium des Jakobus. Doch auch in weiteren Kindheitsevangelien wird sie kaum verwendet, was damit zusammenhängen dürfte, dass Joseph hier verstärkt als Vater erscheint, wenngleich er kaum als solcher bezeichnet wird. Des Weiteren finden sich hier nun Reflexionen über den Vater-Namen wie etwa im EvPhil 11a: »Die Namen, die den Weltmenschen mitgeteilt werden, verursachen eine große Irreführung. Denn sie wenden ihren Sinn weg vom Feststehenden (und) hin zu dem Nichtfeststehenden. So erfaßt, wer (den Namen) ›Gott‹ hört, nicht das Feststehende, sondern er erfaßt das Nichtfeststehende. Ebenso verhält es sich auch mit (den Namen) ›Vater‹, ›Sohn‹ ›Heiliger Geist‹.«53 Die Schriften der Apostolischen Väter belegen alle die Vater-Bezeichnung, jedoch auf sehr unterschiedliche Art und Weise:54 Der erste Clemens-Brief verwendet achtmal die Vater-Bezeichnung für Gott, wobei er den Vater jeweils durch Adjektive und Appositionen näher charakterisiert. Der Vater wird mit dem Schöpfer parallelisiert (1 Clem 19,2; 35,3; vgl. auch 61,2), er ist heilig (35,3), barmherzig (23,1; 29,1) und gut (56,16) und verteilt Wohltaten (19,2; 23,1). Auch als Erzieher ist er gut und voller Erbarmen (56,16). Durch die Nachahmung des Vaters wird der Glaubende vor dem Vater Gefallen finden (61,2). Der Vater ist der Vater vor allem in Bezug auf die Glaubenden, die sich zu ihm mit dem »Vater«-Ruf bekehren (8,3), die ihn als Vater anbeten (29,1). Nur in 7,4 wird er als Vater Christi benannt. Dennoch ist die herrscherliche Seite Gottes für 1 Clem sehr viel wichtiger; dies zeigt neben der Verwendung von δεσπότης auch 52   Zitiert nach H.-G. Bethge, Das Evangelium nach Thomas (Thomasevangelium [NHC II,2]), in: C. Markschies / J. Schröter (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung I / 1, Tübingen 2012. 53   Zitiert nach H.-M. Schenke, Das Philippusevangelium (NHC II,3), in: Markschies / Schröter, Apokryphen (s. Anm. 52). 54  Die im Folgenden genannten Schriften werden zitiert nach Lindemann / Paulsen, Die Apostolischen Väter (s. Anm. 44).

Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes  109

die Ersetzung der Vater-Bezeichnung in der Gnaden- und Friedensformel im Briefpräskript durch παντοκράτωρ θεός. Insofern bestimmt auch die eigentlich herrscherliche Qualität Gottes seine Vaterschaft: Diese Vaterschaft gründet nicht in der Tatsache, dass er der Vater Jesu Christi ist, sondern darin, dass er der δεσπότης ist (56,16). »Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, wird zum Vater der ganzen Schöpfung, weil er der δεσπότης ist.«55 1 Clem lässt die Vater-Bezeichnung also vor dem Hintergrund eines stark herrscherlich bestimmten Gottesbilds zurücktreten. Die Ignatianen weisen hingegen eine kontinuierliche Institutionalisierung der Vater-Bezeichnung auf. Neben der Gattungsbezeichnung θεός ist πατήρ die häufigste Gottesbezeichnung der Briefe. Dabei erscheint in den Briefpräskripten und in den Schlussgrüßen die asyndetische Form θεὸς πατήρ wie bereits in den kanonischen Briefen. Meist ist hier jedoch nicht Gott als »unser Vater« thematisiert,56 sondern als Vater Jesu Christi.57 Hier findet sich nun auch die Bezeichnung Christi als »Sohn des Vaters« (υἱὸς τοῦ πατρός, IgnRöm Präskript). Im Briefkorpus bevorzugen die Ignatianen die absolute Form ὁ πατήρ; auch hier ist zumeist die Vaterschaft Gottes gegenüber Christus angesprochen. Dieser Vater ist der »höchste« und er ist treu (IgnRöm Präskript; IgnTrall 13,2). Die Vater-Sohn-Metapher dient nun als Vorbild des als »Einheit« (ἑνότης) beschriebenen Verhältnisses der Gemeinde zu ihren Vorgesetzten (IgnEph 4 – 5; vgl. IgnMagn 1,2; 3,1). Die »Einheit« von Vater und Sohn (vgl. auch IgnRöm 3,3: Der Sohn ist »im« Vater) soll in der »Einheit« von Bischof und Gemeinde ihr Spiegelbild finden. Die Vater-Metapher wird so auf den Bischof übertragen (IgnMagn 3,1; 6,2; IgnTrall 3,1), die Intimität des Vater-Sohn-Verhältnisses damit auch auf das Verhältnis von Glaubenden und Bischof projiziert, wobei auch Christus als Sohn nun vorbildlichen Charakter für die Glaubenden annimmt: Wie Christus seinen Vater nachgeahmt hat, soll nun die Gemeinde Christus bzw. den Bischof nachahmen (IgnPhld 7,1; IgnSm 8,1). Die Gemeinde wird als Bauwerk (IgnEph 9,1) bzw. Pflanzung (IgnTrall 11,1; IgnPhld 3,1) des Vaters verbildlicht. Die Kirche in Rom kann nun sogar als πατρώνυμος bezeichnet 55  G. Brunner, Die theologische Mitte des ersten Klemensbriefs. Ein Beitrag zur Hermeneutik frühchristlicher Texte (FTS 11), Frankfurt 1972, 126. 56   IgnEph inscr.; 9,1; IgnMagn 3,1; IgnTrall 11,1; IgnRöm 7,2; IgnPhld 3,1; IgnSm 13,1. 57   IgnEph 2,1; IgnMagn 3,1; IgnTrall inscr.; 9,2; IgnRöm inscr.; IgnPhld 7,2.

110  Christiane Zimmermann werden, d. h., sie ist Trägerin des Namens des Vaters (IgnRöm Präskript) oder die Gemeinde »Gottes, des Vaters« (IgnPhld Präskript; IgnSm Präskript). Auch in den Ignatianen lassen sich liturgische Elemente erkennen: IgnRöm 2,2 fordert die Glaubenden auf, dem Vater zu singen, und in 7,2 mag ein Taufbezug vorliegen, wenn es heißt: »[Es] ist lebendiges und redendes Wasser in mir, das innerlich zu mir sagt: Auf zum Vater!«58 Theologisch wertet die Vater-Bezeichnung daher vor allem Ignatius aus, der durch den Vergleich des Bischofs mit dem Vater die Vater-Sohn-Metaphorik (in Aufnahme paulinischer Gedanken) auf das Verhältnis der Gemeinde zu ihrem Vorgesetzten überträgt und durch den Gedanken der »Einheit« füllt. Während das Vater-Sohn-Verhältnis in den Briefen des Barnabas und Diognet zwar vorausgesetzt, jedoch nicht weiter thematisiert wird, rekurriert der zweite Clemens-Brief stark auf die Logientradition unter Bevorzugung der Texte, die – wie besonders das Mt-Evangelium – vom »Willen des Vaters« sprechen (2 Clem 8,5; 9,11; 10,1; 14,1). Im Gegensatz zu den toten Göttern ist der Vater nun der »Vater der Wahrheit«. Diese Bezeichnung dürfte der Rede vom »wahren Gott« im Unterschied zu den Götterbildern wie sie etwa in 1 Thess 1,9 vorliegt, entsprechen.59 Die Vater-Bezeichnung Gottes etabliert sich also sowohl durch den rituellen Gebrauch als auch durch die Schrifttradition bereits in den ersten christlichen Jahrhunderten konsequent und wird schließlich auch durch die trinitarischen Diskussionen weiter festgeschrieben. In Auseinandersetzung mit paganen Kritikern wird auch die Rede vom Vater als »Schöpfer« wichtiger, der etwa bei Irenäus wiederholt als πατὴρ τῶν ὅλων erscheint.60

58   Vgl. dazu A. Schindler, Gott als Vater in Theologie und Liturgie der christlichen Antike, in: H. Tellenbach u. a. (Hg.), Das Vaterbild im Abendland, Bd. 1: Rom, Frühes Christentum, Mittelalter, Neuzeit, Gegenwart, Stuttgart 1978, 55 – 69 und 200 f. (57); Niederwimmer, Didache (s. Anm. 48), 161. 59   In der gnostischen Literatur findet sich diese Bezeichnung mehrfach. 60   Vgl. Iren., haer. 1,13,3; 1,15,3 (FC 8 / 1, 220,2; 244,21 Brox). Vgl. auch Theophilus, Ad Autolycum 1,4; 2,22 (PTS 44, 19,5 – 6; 70,3 Marcovich).

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4.  Die Funktion der Vater-Bezeichnung im Apostolikum »Ich glaube an Gott, den Vater […].« Das Apostolikum formuliert in strikter Konsequenz zur im frühen Christentum pointiert entwickelten Überzeugung, dass das entscheidende Verhältnis zwischen Gott und Glaubenden ein Vater-Kind-Verhältnis ist. Dabei ist auch für das Apostolikum nicht nur an die Liebe in diesem Vater-Kind-Verhältnis zu denken. Auch im Apostolikum dürften zahlreiche weitere Aspekte der Vater-Kind-Beziehung wie die Strenge und Autorität des Vaters, seine Fürsorge, seine Zuverlässigkeit, sein machtvolles Eintreten für seine Kinder und seine Vorbildlichkeit impliziert sein. Die Vater-Bezeichnung beinhaltet auch Konsequenzen für das Selbstbild der Gott als Vater bekennenden Glaubenden, die als Kinder ihren Vater imitieren, ja imitieren sollen. Die Vater-Bezeichnung impliziert allerdings auch immer die Vaterschaft Gottes Jesus gegenüber; denn die Rede vom Gottessohn lässt stets die Vater-Metapher mitanklingen. So klingt auch im Apostolikum spätestens mit seinem zweiten Artikel die christologische Referenz der Vaterschaft mit an. Die Verfasser des Apostolikums haben schlüssigerweise die bereits durch das frühe Christentum etablierte Vater-Metapher als diejenige an den Anfang des Credos gesetzt, die das Gottesbild entscheidend neu bestimmt hat. In ihr wird sowohl an die Sendung des Gottessohnes als grundlegende Neuzuwendung Gottes zu den Menschen erinnert als auch an das auf dieser Sendung basierende neue Gottesverhältnis der Glaubenden als Kinder des göttlichen Vaters. Als Vater ist Gott der Spender individuellen Lebens, insofern betont der Anfang des apostolischen Bekenntnisses den entscheidenden Aspekt der Gottesrelation für das glaubende Subjekt. Die Vater-Metapher korreliert mit ihrer kosmologischen Referenz jedoch auch mit dem Bekenntnis zu Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde, das die Trias zu Beginn des Apostolikums beendet. Als Vater ist Gott aber auch Vater des einziggeborenen Sohnes, wie es der zweite Artikel des Apostolikums impliziert. Doch die Vaterschaft Gottes harmoniert auch mit den weiteren Aussagen des Apostolikums: Der Heilige Geist ist der durch den Vater gesandte Geist, durch den die Glaubenden die Kindschaft empfangen. Als Vater ist Gott auch Vater der glaubenden Gemeinschaft, der ekklesia, der Kirche, die im Schlussteil des Apostolikums benannt wird. Als Vater ist Gott zudem Spender des präsentischen und eschatischen Lebens. Insofern bilden die Schlussworte

112  Christiane Zimmermann des Credos mit dem Bekenntnis zum Glauben an die Auferstehung und das ewige Leben eine stimmige Inklusion mit den ersten Worten des Apostolikums: Kein anderer wird Auferstehung und ewiges Leben geben als Gott Vater, der Lebensspender. Insofern bestimmt die Vater-Metapher nicht nur den Eingang des Apostolikums, sondern klingt als Leitmotiv konsequent bis zum Abschluss des Textes als die das christliche Gottesbild entscheidend prägende Metapher mit.

5.  Schlussgedanken: Möglichkeiten und Grenzen der Vater-Metapher Gott kann nur metaphorisch beschrieben werden. Das antike Christentum fand in der auch im zeitgenössischen Judentum und in den paganen Religionen verwendeten Vater-Metapher Konnotationen, die bestimmt waren durch die patriarchalische Gesellschaftsstruktur der Zeit, den frühen Christinnen und Christen für ihr Gottesbild jedoch als besonders zutreffend erschienen. Das oben genannte Zitat aus dem Philippusevangelium (EvPhil 11a; s. 108) zeigt allerdings, dass man sich der Verwendung metaphorischer Sprache für Gott bereits in der Antike bewusst war. Auch Justin stellt in seiner zweiten Apologie in anderer Weise fest, dass »Vater, Gott, Schöpfer, Herr und Herrscher keine Namen« sind, sondern Bezeichnungen, die Gott aufgrund seiner »guten Taten und Werke« zugesprochen werden,61 die also auf menschlicher Heuristik beruhen und damit letztlich auch austauschbar sind. Auch Tertullian relativiert die Namensgebung in seiner Exegese des Vater-Gebets, indem er die »Mutter«, d. h. die Kirche, hinzufügt und diese letztlich zur Grundlage der Benennung von Vater und Sohn erklärt: »Wenn wir aber sagen: ›Vater‹, so erkennen wir damit zugleich auch die Gottheit an. Diese Anrede ist Ausdruck des Kindesverhältnisses und der Macht. Im Vater wird auch der Sohn angerufen, denn es heißt: ›Ich und der Vater sind eins‹. Nicht einmal die Mutter, die Kirche, wird übergangen. Im Sohne und im Vater wird ja die Mutter erkannt; in ihr findet die Benennung Vater und Sohn ihre Grundlage.«62 Einige antike christliche Denker waren sich also 61   Iust. 2 apol. 6,2: Τὸ δὲ πατὴρ καὶ θεὸς καὶ κτίστης καὶ κύριος καὶ δεσπότης οὐκ ὀνόματά ἐστιν, ἀλλ’ ἐκ τῶν εὐποιϊῶν καὶ τῶν ἔργων προσρήσεις (SC 507, 332,3 – 5  Murnier; PTS 38, 145,3 – 5  Marcovich). 62   Tert., De oratione 2,4 – 6: »dicendo autem patrem deum quoque cognominamus. appellatio ista et pietatis et potestatis est. item in patre filius

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durchaus bereits der Metaphorizität der Vater-Anrede bewusst und interpretierten sie entsprechend. Heutige Glaubende assoziieren bei der Verwendung der Vater-Metapher andere, durch ihre eigenen individuellen und gesellschaftlichen Erfahrungen geprägte Konnotationen. Dazu gehört inzwischen auch die Infragestellung der mit der Vater-Metapher aufgerufenen »Geschlechtlichkeit«, die Gott einseitig als männlich fokussiert, bzw. der Wunsch, Gott auch als Mutter zu apostrophieren. Die nur auf der Ebene von Metaphern mögliche Rede über Gott lässt die Frage nach der Aktualität von Gottes-Metaphern berechtigt erscheinen. Die Diskussion um eine Bewahrung oder Nicht-Bewahrung der in traditionellen Gebets- und Bekenntnistexten wie dem Vaterunser und dem Apostolikum überlieferten Metaphern sollte sich jedoch jeweils der besonderen historischen Genese und der identitätsstiftenden Kraft dieser Texte von der Antike bis in die Moderne hinein bewusst sein.63

inuocatur. ego enim, inquit, et pater unum sumus. ne mater quidem ecclesia praeteritur. siquidem in filio et patre mater recognoscitur, de qua constat et patris et filii nomen« (CSEL 20, 182 2–7, Reifferscheid-Wissowa). 63   Für die sorgfältige formale Durchsicht des Textes sowie hilfreiche inhaltliche Kommentare und Anmerkungen danke ich herzlich meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Hi-Cheong Lee.

»Godfather«? Das religiöse Vaterbild aus systematisch-theologischer Sicht Malte Dominik Krüger

New York. Im Jahr 1945. Eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft. Nur der Vater der Braut hält sich abseits. Sein Ort ist ein dunkles Büro. Von dort aus beobachtet er das Treiben, das er in Wahrheit steuert. Die Welt ist seine. Es ist Don Vito Corleone, »Godfather«. Es ist der »Pate«, wie die deutsche Übersetzung und auch der bekannte Filmtitel von Francis Ford Coppola im Deutschen lauten. In der Eingangsszene, die manche für die beste Szene halten, wird Don Vito von einem Bittsteller, der vor ihm steht, um Vergeltung an einem Dritten gebeten. Don Vito weist das ab, während er selbst hinter seinem Schreibtisch sitzend eine Katze krault, von der man nicht weiß, ob er ihr im nächsten Moment das Genick bricht. Der Bittsteller hätte zuvor, so sagt Don Vito, nie seine Freundschaft gewollt. Und vor allem: Er würde ihn, Don Vito, nie »Godfather« nennen. Der Bittsteller bietet an, jeden Betrag zu bezahlen, wenn Don Vito ihm Gerechtigkeit verschaffen würde. Dieser antwortet: Dies sei eine Forderung ohne Respekt. Und man versteht: Aufgrund dieser Respektlosigkeit wäre es wohl besser gewesen, wenn der Mann nie aufgetaucht wäre. Don Vito tritt dem Bittsteller entgegen. In dem Augenblick bricht der Bittsteller zusammen: »Be my friend, Godfather?« und senkt den Kopf. Don Vito hält ihm Hand und Ring entgegen. Der Mann darf sie küssen. Danach richtet ihn Don Vito auf. Der Bund ist besiegelt. Don Vito wird aus reiner Gnade die erbetene Vergeltung üben. Dafür wird der Bittsteller im Machtbereich Don Vitos zu agieren haben. Da der Bittsteller ein Bestatter ist, wird Don Vito für ihn Verwendung finden.1 1  Vgl. zur Bedeutung des dreiteiligen Epos in der Filmgeschichte und seiner Wirkung auf das kulturgeschichtliche Gedächtnis: N. Grob / B. Kiefer / I. Ritzer (Hg.), Mythos »Der Pate«. Francis Ford Coppolas Godfather-Trilogie und der Gangsterfilm, Berlin 2011. Grundsätzlich gilt für diesen Beitrag: Ist eine Aussage oder ein Beleg nicht unmittelbar am Ende durch eine Fußnote nachgewiesen, ist die Angabe der im Text nachfolgenden Fußnote darauf zu beziehen. Referenztexte werden mit dem Erscheinungsjahr der Erstauflage genannt; in den Anmerkungen findet sich der Hinweis auf die zitierte Ausgabe.

116  Malte Dominik Krüger Die Szene zeigt die Ambivalenz der religiösen Vatersymbolik wie unter dem Brennglas, auch wenn allen etymologischen (Dis-)Kontinuitäten zum Trotz semantisch ein Unterschied zwischen Gott-Vater und einem Mafia-Anführer hervorsticht. Da ist die Sehnsucht des Menschen nach einem bestimmenden Über-Ich, das auf persönliche Bitte die Welt zum persönlich Gerechten regelt. Da ist »Godfather«, der in seiner Souveränität nicht mit sich handeln lässt, insbesondere nicht auf der respektlosen Ebene der Augenhöhe. Da ist der Zusammenbruch des Bittenden, der sich demütig in sein Schicksal fügt, und genau dadurch – man denke an den lutherisch-paradoxen Übergang von dem Gesetz in das Evangelium  – den heilvollen Umschwung realisiert. Und da ist der nunmehr anerkannte »Godfather«, der sich als gnädiger Vater erweist und mit dem Bittsteller asymmetrisch einen Bund schließt, der den Bittsteller nicht aus dem Machtraum des Bundes entlässt. Oder um es mit Formeln barthianisch inspirierter Bundeshermeneutik zu sagen: Der Zuspruch schließt den Anspruch ein. Zusammenfassend und provokativ kann man fragen: Ist das religiöse Vatersymbol wirklich kategorial von der Figur des paternalistischen Patriarchen einer Untergrundkultur zu unterscheiden? Der folgende Beitrag möchte dem nachgehen, indem erstens die Krise des religiösen Vaterbildes thematisiert wird, zweitens für einen programmatischen Neuansatz plädiert wird und drittens daraus die Folgen für das religiöse Vaterbild gezogen werden.2 2  Vgl. zum religiösen Vatersymbol systematisch-theologisch auch: H. Jaschke, Gott Vater? Wiederentdeckung eines zerstörten Symbols, Mainz 1997; R. Mugerauer, Symboltheorie und Religionskritik. Paul Tillich und die symbolische Rede von Gott aus theologischer, religionsphilosophischer und psychoanalytischer Perspektive, konkretisiert am Symbol »Vater« für Gott, Marburg 2003; H. Prader (Hg.), Gott-Vater. Referate der »Internationalen Theologischen Sommerakademie 2015« des Linzer Priesterkreises, Kisslegg-Immenried 2016. Vgl. zum religiösen Vatersymbol exegetisch: J. Jeremias, Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966; R. Hammerton-Kelly, God the Father. Theology and Patriarchy in the Teaching of Jesus, Philadelphia 1979; A. Böckler, Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, Gütersloh 2002; F. Albrecht / R. Feldmeier (Hg.), The Divine Father. Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity, Leiden 2014; F. Back, Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium (WUNT 2 / 336), Tübingen 2012; C. Zimmermann, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden 2007; E. Zingg, Das Reden von Gott als »Vater« im Johannesevangelium, Freiburg / Basel / Wien / Barcelona / Rom / New York 2006;

»Godfather«?  117

1.  Die Krise des religiösen Vaterbildes Meines Erachtens sind vier Argumente einschlägig, was die Krise des religiösen Vaterbildes angeht. Das erste Argument ist religionskritisch und verweist auf den Projektionsverdacht. Gemeint ist in diesem Fall nicht so sehr Ludwig Feuerbach mit seiner Studie »Das Wesen des Christentums« (1841),3 die man gern mit dem Projektionsverdacht neuzeitlicher Religionskritik verbindet,4 oder Karl Marx mit seiner wiederum daran anknüpfenden Untersuchung »Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie« (1844),5 sondern Sigmund Freud. Letzterer hat in seinen Untersuchungen »Totem und Tabu« (1913),6 »Die Zukunft einer Illusion« (1927)7 und »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« (1939)8 die Vatersehnsucht mit der Religionsentstehung

H. Spieckermann, Gottvater. Religionsgeschichte und Altes Testament, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2007, Berlin 2008, 401 – 406; R.  Feldmeier, Gottvater. Religionsgeschichte und Neues Testament, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2007, Berlin 2008, 407 – 412; C. Gerber, Das Gottesbild Jesu und die Bedeutung der Vatermetaphorik, in: J. Schröter / C. Jacobi (Hg.), Jesus Handbuch, Tübingen 2017, 361 – 368. 3  Vgl. L. Feuerbach, Das Wesen des Christentums, Stuttgart 1994. 4   Vgl. zur Sache, Diskussion und Problematisierung: K. Barth, Ludwig Feuerbach, in: ZZ 5 (1927), 11 – 40; H.-M. Barth, Glaube als Projektion. Zur Auseinandersetzung mit Ludwig Feuerbach, in: NZSTh 12 (1970), 363 – 382; T. Holzmüller, Projektion  – ein fragwürdiger Begriff in der Feuerbachrezeption? Die Projektionstheorie Hans-Martin Barths als Erklärungsmodell für Ludwig Feuerbachs Religionskritik, in: NZSTh 28 (1986), 77 – 100; U. Kern, Der andere Feuerbach. Sinnlichkeit, Konkretheit und Praxis als Qualität der »neuen Religion« Ludwig Feuerbachs, Münster 1998, 1 – 168 (63 – 91.156 – 168); F. Wagner, Metamorphosen des modernen Protestantismus, Tübingen 1999, 120 – 166; M. Weinrich, Religion und Religionskritik. Ein Arbeitsbuch, Göttingen 22012, 114 – 120; K. Huizing, Scham und Ehre. Eine theologische Ethik, Gütersloh 2016, 248 – 254. 5  Vgl. K. Marx, Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie, in: ders./F. Engels – Gesamtausgabe (MEGA) I 2, Berlin 1982, 170 – 183. Vgl. zur Diskussion: H. Gollwitzer, Die marxistische Religionskritik und der christliche Glaube, Hamburg 51974. 6  Vgl. S. Freud, Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und Neurotiker, Frankfurt a. M. 1995. 7  Vgl. ders., Die Zukunft einer Illusion, in: ders., Studienausgabe IX. Fragen der Gesellschaft, Ürsprünge der Religion, Frankfurt a. M. 1974, 135 – 189. 8  Vgl. ders., Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Schriften über die Religion, Frankfurt a. M. 1999.

118  Malte Dominik Krüger zusammengebracht.9 Demnach gibt es die dem Menschen von Kindheit innewohnende Sehnsucht nach dem gütigen Vater, der mit dem real erlebten und immer auch ambivalenten Vater nur bedingt zu tun hat. Dieser gütige Vater soll aufgrund seiner ihm eigenen Potenz das Menschenkind vor Ohnmacht schützen und Gerechtigkeit herstellen. Diese Vatersehnsucht führt nach Freud zur Religion, wie sie im jüdisch-christlichen Gottesbild zur Gestalt wird. Diese Projektion, so Freud, ist schädlich. Sie verhindert ein reifes Erwachsenwerden. Entsprechend ist die Kritik der religiösen Projektion der göttlichen Vatergestalt die Voraussetzung dafür, als erwachsener Mensch psychisch gesund leben zu können.10 Doch nicht erst Freud, sondern schon Jean Pauls »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei« in dessen Roman »Siebenkäs« (1796 / 97) kennt den Verdacht: Bei Gottvater handelt es sich um eine bloße Einbildung.11 So berichtet Christus in dieser Rede, den Vater in den unendlichen Weiten des Weltalls gesucht und nicht gefunden zu haben. Auf die Frage nach seinem himmlischen Vater antwortete ihm nur der endlose Sturm.12 In der Vision des Schriftstellers fragen daraufhin die Toten die Jesus-Gestalt: »Jesus! Haben wir keinen Vater? – Und er antwortete mit strömenden Tränen: Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater«.13 Im Roman stellt sich dann diese Vorstellung als nächtlicher Alptraum heraus.14 Allerdings hilft diese träumerische 9   Vgl. dazu und zum Folgenden: J. Scharfenberg, Sigmund Freud und seine Religionskritik als Herausforderung für den christlichen Glauben, Göttingen 21970, bes. 135 – 154. Vgl. zur Diskussion: E. Wiesenhütter (Hg.), Freud und seine Kritiker, Darmstadt 1974; H. Will, Freuds Atheismus im Widerspruch. Freud, Weber und Wittgenstein im Konflikt zwischen säkularem Denken und Religion, Stuttgart 2014; E. Frick / A. Hamburger (Hg.), Freuds Religionskritik und der »Spiritual Turn«. Ein Dialog zwischen Philosophie und Psychoanalyse, Stuttgart 2014. 10   Vgl. ebd. 11   Vgl. J. Paul, Siebenkäs, Stuttgart 1986. 12   Vgl. a. a. O., 298 – 301. 13   A. a. O., 299. 14  Vgl. a. a. O., 301 f. Vgl. zur Sache und Diskussion: A. Ring, Jenseits von Kuhschnappel. Individualität und Religion in Jean Pauls Siebenkäs. Eine systemtheoretische Analyse, Würzburg 2005. Johann Wolfgang von Goethe spricht angesichts des Erdbebens in Lissabon im Jahr 1755 davon, dass im Himmel nicht ein »väterlicher« Gott (J. W. von Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, in: Goethes Werke, hg. v. G. v. Loeper, Weimar 1899, Bd. I / 26, 43), sondern ein »Dämon des Schreckens« (ebd.) sein müsse. Und schon von Immanuel Kants »Kritik der reinen Vernunft« (1781) sagt Heinrich Heine, dass sie Gottvater gleichsam geköpft habe. So habe Kant »den Him-

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Auflösung nur bedingt angesichts des modernen Lebensgefühls vom Tod Gottes. Man braucht nicht nur an die im Gegenzug buchstäblich taghelle Diagnose in Friedrich Nietzsches Schrift »Die fröhliche Wissenschaft« (1882)15 zu denken, sondern kann ebenso auf die Gott-ist-tot-Theologie des 20. Jahrhunderts verweisen.16 Auch wenn man nicht ihrer Ansicht ist, bedarf es an diesem Punkt mehr als eines Hinweises, dass ihre Thematik ein unwirklicher Alptraum sein mag: Der religionskritische Projektionsverdacht muss m. E. theologisch eingeholt werden. Das zweite Argument ist feministisch-theologisch und verweist auf die Patriarchatskritik. Die feministische Theologie macht deutlich, dass viele Bibeltexte im Sinn eines unterdrückenden Patriarchats verfasst wurden.17 Entsprechend konnten Gottesbilder bestehende Gesellschaftsstrukturen befestigen, in denen männliche Führung weiblicher Dienstbarkeit entsprach, wie umgekehrt diese Gesellschaftsstrukturen wiederum den patriarchalen Gottesbildern eine hohe Plausibilität verliehen.18 Hierbei kann das religiöse Vatersymbol in den Mittelpunkt rücken, insofern es mit historischen Erfahrungen von infantilisierender Unfreiheit, psychischem Leid und physischer Ausbeutung einherging bzw. einhergeht.19 Dies würde sich erst ändern, wenn man Gott – und gemeint ist nicht Jesus, dessen integrative und befreiende Männlichkeit man feministisch würdigen kann – nicht mehr als Mann verstehen müsste, so die US-amerikanische Theologin Mary Daly in ihrem für die feministische Theologie wegweisenden Buch »Beyond God the Father« (1973).20 Auch die deutsche Theologin Do-

mel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es gibt jetzt keine Allbarmherzigkeit mehr, keine Vatergüte« (H. Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, in: ders., Schriften über Deutschland, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1968, 132; vgl. auch: a. a. O., 122). 15  Vgl. F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in: Nietzsche Werke (KGA V / 2), Berlin 1973, 13 – 335 (158 – 160). 16   Vgl. P. David, Der Tod Gottes als Lebensgefühl der Moderne, Tübingen 2019 (im Erscheinen). 17   Vgl. E. Schüssler Fiorenza, Grenzen überschreiten. Der theoretische Anspruch feministischer Theologie, Münster 2004, 41 – 166. 18  Vgl. K. Lüthi, Gottes neue Eva. Wandlungen des Weiblichen, Stuttgart 1978, 199. 19   Vgl. M. Daly, Beyond God the Father. Toward a Philosophy of Women’s Liberation, Boston 1973, bes. 1 – 97. 20   Vgl. ebd.

120  Malte Dominik Krüger rothee Sölle distanzierte sich in ihrer Studie »Stellvertretung« (1965)21 von der traditionellen Allmachtvorstellung Gottes, sodass Bischöfin Margot Käßmann von der Theologie Sölles als Verabschiedung einer »Papa-wird’s-schon-richten-Theologie«22 sprach.23 Noch deutlicher haben dann die feministische Theologin Christa Mulack in ihrer Studie »Die Weiblichkeit Gottes« (1983)24 und die deutsche Psychologin Gerda Weiler »Ich brauche die Göttin« (1990)25 votiert. Zwar ist deren starken Thesen, dass sich hinter den Bibeltexten wesentlich Spuren weiblicher Kultgottheiten finden, teilweise auch deutlich widersprochen worden.26 Doch in moderater Form ist inzwischen auch auf der Ebene sonntäglicher Gemeindetheologie die Weiblichkeit des Heiligen Geistes und die Mütterlichkeit Gottes etabliert. Angesichts der m. W. beiden Standardargumente, von Gott als Vater sprechen zu müssen, ist das nicht ganz abwegig. Das erste Argument findet sich in Wolfhart Pannenbergs »Systematischer Theologie I« (1988) und besagt: Zwar sind die sozialgeschichtlich-patriarchalen Parameter des alten Israel zeitbedingt und Gott darf darauf nicht begrenzt werden. Doch das Vatersymbol ist kein austauschbares Gottesbild, weil es unaufhebbar mit der Jesus-Tradition zusammenhängt, und zwar für Pannenberg mit der Erwählung Israels.27 Anders würde es aussehen, 21   Vgl. D. Sölle, Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem »Tode Gottes«, Stuttgart 1965, bes. 135 – 204. 22   M. Kässmann, Dorothee Sölle hat mit ihren Provokationen die Kirche vorangebracht, NDR am 28.04. 2003 (zitiert nach gaebler.info / oekumene / soelle.htm#ndr-1, zuletzt abgerufen am 02. 03. 2018). 23   Vgl. auch R. R. Ruether, The Feminist Liberation Theology of Dorothee Soelle, in: S. K. Pinnock (Hg.), The Theology of Dorothee Soelle, Harrisburg 2003, 205 – 220. 24   Vgl. C. Mulack, Die Weiblichkeit Gottes. Matriarchale Voraussetzungen des Gottesbildes, Stuttgart 1983. 25  Vgl. G. Weiler, Ich brauche die Göttin. Zur Kulturgeschichte eines Symbols, Königstein 1997. Auf Diskussionen angesichts der Äußerungen der damaligen deutschen Familienministerin Kristina Schröder um Weihnachten 2012, wonach Gott kein Mann ist, und der lutherischen Kirche in Schweden im Jahr 2017, wonach für Gott am besten geschlechtsneutrale Ausdrücke zu gebrauchen sind, sei nur verwiesen (vgl. T. Hummel, Welches Geschlecht hat Gott? Süddeutsche Zeitung am 25. 11. 2017, zitiert nach www.sueddeutsche. de/leben/kirche-welches-geschlecht-hat-gott-1.3765728, zuletzt abgerufen am 08. 03. 2018). 26   Vgl. S. Heine, Wiederbelebung der Göttinnen. Zur systematischen Kritik einer feministischen Theologie, Göttingen 1987. 27  Vgl. W. Pannenberg, Systematische Theologie I, Göttingen 1988, 283 – 286.

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so Pannenberg, wenn das Vaterbild Gottes sich unserer Projektion verdanken würde. Pannenberg lehnt dies ab. Was wahrhaft Vater genannt zu werden verdient, zeigt sich in und an Gott – gerade angesichts des Verfalls patriarchaler Muster.28 Das klingt gut. Doch erstens darf sich das Vatersein Gottes nicht nur kontrastiv zum menschlichen Vatersein verhalten, wenn Anschlussplausibilitäten für dieses Bild greifen sollen. Und zweitens ist das Abtun der Projektionstheorie selbst problematisch, wie wir sahen.29 Das zweite Argument findet sich in Wilfried Härles »Dogmatik« (1995) und besagt: Zwar wird in der Bibel das Vaterbild über patriarchale Züge hinaus auf Züge weiblich konnotierten Zuwendung geöffnet. Doch das Vaterbild steht für eine Differenz zwischen Gott und Mensch ein, wie es das Mutterbild so nicht kann.30 In letzterem Fall wird Gott, so offenbar Härles Ansicht, zu stark im Modus der Vertrautheit und Immanenz gedacht. Dieses Argument ist zeitgebunden. Denn Härles Argument wird dann problematisch, wenn das normative Vaterbild einer Gesellschaft auch den fürsorglichen und gleichrangigen Partner im Blick hat. Das dritte Argument ist subjektivitätstheoretisch und verweist auf das Erfahrungsdefizit. Ausschlaggebend für diese Kritik ist die Beobachtung, dass trinitarischer Glaube und menschliche Erfahrung nur mittelbar miteinander zu tun haben. Damit ist nicht nur an Immanuel Kants Votum aus dem »Streit der Fakultäten« (1798) gedacht, wonach sich aus der Trinitätslehre nichts Praktisches ergibt.31 Es ist auch nicht nur Friedrich Schleiermachers »Glaubenslehre« (1830 / 31) und ihre distanzierende Verortung der Trinitätslehre gemeint, weil letztere nach Schleiermacher lediglich sekundär verknüpft, was als Erfahrung

28  Vgl. ebd. Das ist auch der Weg des »Katechismus der Katholischen Kirche« (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, München / Wien / Leipzig / Freiburg / Linz 1993, [§ 239] 94 f.). Man könnte das sogar noch zuspitzen: Erst der kontrastive Verlust der gesellschaftlich codierten Genderrolle des normativen Vaters  – es sei nur auf das Buch »Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft« (1963) des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich (vgl. A. Mitscherlich, Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft. Ideen zur Sozialpsychologie, München 1963) verwiesen – öffnet die Augen für die wahre Väterlichkeit Gottes. 29   Vgl. die Erörterung des ersten, religionskritischen Arguments in diesem Abschnitt. 30   Vgl. W. Härle, Dogmatik, Berlin / New York 22000, 399 f. 31   Vgl. I. Kant, Der Streit der Facultäten, A 50, in: Werke in 10 Bänden, hg. v. W. Weischedel, Bd. 9, Darmstadt 1975, 303.

122  Malte Dominik Krüger anderweitig schon feststeht.32 Vielmehr ist damit auch eine positionelle Zuspitzung angezeigt. Denn wird in der liberalen Theologie die Trinitätslehre im Anschluss an Kant und Schleiermacher zunehmend als triftige Einsicht verabschiedet, so entdeckt sie Karl Barth gegen diese liberale Theologie wieder.33 Das belebt die Rede von Gottvater. Sicher: Auch der liberale Theologe Adolf von Harnack konnte in seinen Vorlesungen »Das Wesen des Christentums« (1899 / 1900) das religiöse Vatersymbol für Gott gebrauchen.34 Doch dass die Rede von Gottvater insgesamt zum Zeichen des theologischen Liberalismus avanciert, wird man wohl kaum behaupten wollen. Anders steht es mit Barths Kerygmatheologie, die in der »Kirchlichen Dogmatik« I / 1 (1932) die Rede von Vater, Sohn und Geist so akzentuiert, dass sie als Ausdruck von Gottes souveräner Offenbarung »Gott offenbart sich als der Herr«35 dem Erfahrungsbewusstsein des neuzeitlichen Subjekts entgegentritt.36 Die auf Barth reagierende liberale Theologie hat die kantische Einsicht in die Unumgänglichkeit der menschlichen Subjektivität gegen die barthianisch inspirierte Renaissance der Trinitätslehre ins Feld geführt. Exemplarisch kann man die Kritik des Hallenser Systematikers Ulrich Barth in seinem Beitrag »Zur Barth-Deutung Eberhard Jüngels« (1984)37 nennen. Nach dieser Lesart führt Jüngels hermeneutisch-barthianische Trinitätskonzeption zu einem verheerenden »Metaphernrausch«38. Allenfalls haben Stimmen der liberalen Theologie – besonders der schon im Titel provokative Beitrag »Theologische Gleichschaltung« (1975) des Wiener Systematikers Falk Wagner39  – die barthianische Gottes- und Vaterrede 32   Vgl. F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830 / 31), hg. v. R. Schäfer, Berlin / New York 2008, §§ 170 – 172, 514 – 532. 33   Vgl. R. Kany, Augustins Trinitätsdenken. Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernen Forschung zu »De trinitate«, Tübingen 2007, 371 – 373; R. Dvorak, Gott ist Liebe. Eine Studie zur Grundlegung der Trinitätslehre bei Eberhard Jüngel, Würzburg 1999, 11 – 15. 34  Vgl. A. v. Harnack, Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorlesungen vor Studierenden aller Fakultäten im Wintersemester 1899 / 1900 an der Universität Berlin gehalten von Adolf v. Harnack, hg. v. C. D. Osthövener, Tübingen 32012, bes. 37 – 47.72 – 83. 35  K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik I / 1, Zürich 81964, 323. 36   Vgl. a. a. O., 311 – 514. 37  Vgl. U. Barth, Zur Barth-Deutung Eberhard Jüngels, in: ThZ 40 (1984), 296 – 320.394 – 415. 38   A. a. O., 414. 39  Vgl. F. Wagner, Theologische Gleichschaltung. Zur Christologie bei

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als eine Projektion der menschlichen Subjektivität diagnostiziert, die sich selbst nicht durchschaut.40 Das vierte Argument ist trinitätstheologisch und verweist auf einen Beziehungsmangel. Der Sache nach ist damit die Reaktion der Trinitätstheologie auf soeben genannte Probleme gemeint. Den Kern der Gedankenfigur findet man beispielhaft in Eberhard Jüngels »Gott als Geheimnis der Welt« (1977).41 Danach ist zwar von Gott-Vater zu reden, der  – ganz traditionell  – den grundlosen Grund in Gott bezeichnet: »Gott kommt von Gott«.42 Doch dieser Gott-Vater kann seinen dadurch zum Ausdruck kommenden Vorrang als erste Person in der Trinität nicht halten. Denn durch die Abhängigkeit der wechselseitigen Anerkennung von Sohn und Geist im Sinn des reziproken Gemeinschaftsmodells der Trinität hat der Vater keinen Vorrang mehr.43 Gern wird diese Wechselseitigkeit der innertrinitarischen Beziehungen als Liebe und Wesenseinheit Gottes gedeutet, deren Vorzug in einer relationalen, pneumatologischen Ontologie liegen soll.44 Letztere setzt man gern gegenüber einer statischeren Substanzontologie ab. Und: In der Regel wird dies als Lösung des Problems von Einheit und Dreiheit in Gott wahrgenommen – und gegen die ostkirchliche Lesart von der Wesenseinheit Gottes im Vater gewendet.45 Hinter diesem Modell, das den konfessionsübergreifenden Mainstream der westkirchlichen Trinitätslehre in der Spätmoderne darstellt, steht sachlich die Einsicht des Herr-Knecht-Kapitels aus Hegels »Phänomenologie des Geistes« (1807).46 Danach tendieren wesentliche Beziehungen aufgrund ihrer Wechselseitigkeit zur Symmetrie. Diese liebestheologische Entkernung von Gott-Vater hat freilich schon Kritik in Schellings später »Ur-

Karl Barth, in: ders., Christentum in der Moderne. Ausgewählte Aufsätze, hg. v. J. Dierken / C. Polke, Tübingen 2014, 193 – 227. 40   Auch wenn Wagner hauptsächlich die Christologie im Blick hat, so trifft seine Kritik der Sache nach auch die Konstruktion der ersten Person Gottes in Barths »Kirchlicher Dogmatik« (vgl. dazu Wagner, a. a. O., 200 – 206). 41  Vgl. E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 4 1982. 42   A. a. O., 522. 43   Vgl. a. a. O., 505 – 543, z. B. bes. deutlich 508 f., Anm. 9. 44   Vgl. ebd. 45   Vgl. G. Greshake, Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie, Freiburg / Basel / Wien 42001, 60 – 70.179 – 216. 46   Vgl. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, hg. v. H.-F. Wessels / H. Clairmont, Hamburg 1988, 127 – 136.

124  Malte Dominik Krüger fassung der Philosophie der Offenbarung« (1831 / 1832) gefunden.47 Nicht nur ist – verankert in der Heilsgeschichte und in der Verbindung von Wesens- und Offenbarungstrinität – mit Asymmetrien in Gott zu rechnen, wie auch dogmengeschichtlich die Trinitätslehre nicht immer die Keimzelle der Demokratie war.48 Vielmehr ist, so der späte Schelling, die Vorstellung eines in der völligen Transparenz wechselseitiger Beziehungen aufgehenden Gottes selbstwidersprüchlich. Denn hier ist kein Potential Gottes mehr denkbar, welches für die Kreativität und Zukunft steht. Das heißt bei Schelling nicht, dass die Alternative zur reinen Symmetrie balancierten Stillstands die reine Asymmetrie ungebremster Dynamiken ist. Vielmehr ist mit einem Spiel unterschiedlicher, tendenziell stärker asymmetrischer und tendenziell stärker symmetrischer Wechselseitigkeit zu rechnen. Sicher: Der Vater ist nur dadurch Vater, dass er einen Sohn hat; doch der Vater wird dadurch nicht unter der Hand zum Sohn seines daher vermeintlich völlig gleichgestellten Sohnes. Schelling nimmt daher in Gott selbst eine nie aufgehende Kreativität an, die er in der Freiheit des Vaters verortet und der sich auch Sohn und Geist verdanken sollen.49

2.  Plädoyer für einen programmatischen Neuansatz Wie andernorts dargelegt50 plädiere ich für einen programmatischen Neuansatz evangelischer Theologie, für den ich – jenseits von konventioneller Praxisgläubigkeit und triumphalem Theorieanspruch – eine 47  Vgl. M. D. Krüger, Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie, Tübingen 2008, 140 – 146.200 – 218.287 – 312. 48   Vgl. a. a. O., 101 – 312 (287 – 312). 49   Vgl. ebd. 50  Vgl. ders., Das andere Bild Christi. Spätmoderner Protestantismus als kritische Bildreligion, Tübingen 2017; M. Gabriel / M. D. Krüger, Was ist Wirklichkeit? Neuer Realismus und Hermeneutische Theologie, Tübingen 2018; M. D. Krüger, Theologische Bildhermeneutik als konsequenter Protestantismus. Ein aktueller Deutungsvorschlag, in: M. Moxter (Hg.), Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie, Leipzig 2018. Der hier oben im Text folgende, zweite Abschnitt (»Plädoyer für Neuansatz«) ist eine Überarbeitung, Kürzung und Erweiterung des Abschnitts »Entdeckungszusammenhang« meines Beitrags »Ist der Protestantismus eine denkende Religion?« in dem von Ernst-Joachim Waschke herausgegebenen Leucorea-Kongressband: E.-J. Waschke / K. Fitschen / M. Schröter / C. Spehr (Hg.), Kulturelle Wirkungen der Reformation / Cultural Impact of the Reformation. Kongressdokumentation Lutherstadt Wittenberg August 2017, Leipzig 2019.

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diagnostische Rationalität beanspruche. Ihr geltungstheoretischer Ort ist das Exemplarische im Sinn dessen, was aufgrund seiner relativen Anschlussfähigkeit und Binnenstimmigkeit plausibel ist. Inhaltlich lautet meine These, die im Sinn der soeben genannten diagnostischen Rationalität nicht als exklusive Definition, sondern als anschlussfähige Beschreibung zu verstehen ist:51 Die Religion, auch die evangelische Religion, ist im menschlichen Bildvermögen und seiner Einbildungskraft fundiert. Letztere ist immer auch verkörpert, sozial vermittelt und zeigt sich in der menschheitsspezifischen Fähigkeit, mit äußeren und inneren Bildern umgehen zu können. Imagination und Phantasie, nachschaffende und poetische Einbildungskraft werden so als Mittel wahrgenommen, ein anschauliches Gottes-Bild  – und nicht bloß einen abstrakten Gottesgedanken  – zu realisieren. Insofern spreche ich von einer bildhermeneutischen Theologie. Dieser Ansatz versucht, neueste Entdeckungen der Anthropologie und Kulturwissenschaften aufzunehmen und konstruktiv-kritisch auf den Projektionsverdacht der neuzeitlichen Religionskritik zu reagieren. Religion ist dann letztlich Ambivalenzmanagement, ein Umgang mit den Mehrdeutigkeiten unseres Lebens. Vor allem wird es aber meines Erachtens so möglich, den zeitgenössischen Gegensatz zwischen liberaler Subjektivitätstheologie, die gern mit Paul Tillich sinntheoretisch auf den Symbolbegriff abzielt, und kerygmatischer Offenbarungstheologie, die gern mit Eberhard Jüngel sprachtheoretisch auf den Metaphernbegriff abzielt, in einem Bildbegriff zu vermitteln.52 51   Daher ist die Meinung der »Response«, mein Beitrag würde von einer »sehr grundsätzlichen Definition von Religion aus[gehen]« (J. Quenstedt, in diesem Band, 145), zumindest problematisch. Um basale Missverständnisse auszuschließen, seien nur zwei kurze Anmerkungen angebracht. Erstens geht es in meinem Beitrag um eine Beschreibung von Religion. Eine Beschreibung ist – schon logisch – gerade keine Definition im eigentlichen Sinn (vgl. z. B. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft [PhB 37a], Hamburg 1956, B 755 – 766). Zweitens wird diese Beschreibung formal nicht als Ausgangspunkt vorausgesetzt. Vielmehr wird sie hier eingangs vorgestellt, um sie dann im folgenden Abschnitt oben (»Plädoyer für einen programmatischen Neuansatz«) in ihrer anschlussfähigen Plausibilität zu erläutern. Folglich geht es, und das ist eine Pointe, um keine Voraussetzung einer gleichsam essentialistischen und dogmatisch gesetzten Religionsbeschreibung. Es liegt übrigens auch dann eine – freilich: im performativen Selbstwiderspruch befindliche – Beschreibung von Religion vor, wenn man meint, Religion überhaupt nicht beschreiben zu dürfen, zu können oder zu müssen: Auch die Beschreibung, dass Religion nicht beschrieben werden kann, ist eine Beschreibung. 52  Dieser vermittlungstheologische Versuch möchte eine ursprüngliche, gemeinsame Einsicht des Gegenwartsprotestantismus herausstellen,

126  Malte Dominik Krüger Danach ist das (äußere) Bild ein wahrnehmungsnahes Zeichen, das wesentlich auf die Einbildungskraft angewiesen ist, die sich dabei selbst durchstreicht und die religionsstiftenden Kategorien der Ganzheit und Kontrafaktizität aufweist. Freilich handelt es sich bei diesem vermittlungstheologischen Vorschlag formal um eine deutlich näher an der liberalen Theologie gelagerte Theorieoption. Material wird hingegen insbesondere die Tradition der von Rudolf Bultmann ausgehenden Hermeneutischen Theologie von Ernst Fuchs und Eberhard Jüngel aufgenommen, die eine christologische Gleichnishermeneutik im Blick hat. Im Folgenden sollen sieben Springpunkte hervorgehoben werden, die mir wesentlich erscheinen.53 Der erste Springpunkt betrifft die Anthropologie und kann sich konstruktiv-kritisch insbesondere auf die Studie »Origins of Human Communications« (2008) des US-amerikanischen Anthropologen Michael Tomasello beziehen:54 Der Mensch als Sprachwesen ist auf ein grundlegendes Bildverstehen angewiesen, das äußere Bilder, Symbole und Zeichen einschließt und eine öffentliche Kommunikation wie innere Einbildungskraft erfordert. Freilich darf letztere nicht gegen die Fähigkeit, mit äußeren Bildern umzugehen, ausgespielt werden, sondern ist vielmehr darin verankert. Diese Einsichten sind nicht als harter Speziesismus zu verstehen. Vielmehr lassen gerade die die in der mitunter notwendigen rabies theologorum verdeckt zu werden droht. Vgl. zu Symbol- und Metaphernbegriff: Krüger, Bild (s. Anm. 50), 23 – 25.94 – 141.538 – 541 (zur Situierung), 329 – 361 (zum Symbol- bzw. Zeichenbegriff), 455 – 468 (zum Bildbegriff inklusive seiner Verbindung zum Sprachvermögen bzw. zur Metaphorizität), 542 – 562 (Zusammenfassung). Vgl. grundsätzlich zur Orientierung über den Symbol- und Metaphernbegriff auch: M. Buntfuss, Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache, Berlin / New York 1997; M. Tomberg, Studien zur Bedeutung des Symbolbegriffs. Platon, Aristoteles, Kant, Schelling, Cassirer, Mead, Ricœur (Epistemata 300), Würzburg 2001; G. Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 52004; E. Rolf, Metapherntheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie, Berlin / New York 2005; F. Berndt / H. J. Drügh (Hg.), Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft, Frankfurt a. M. 2009; D. Mende, Metapher  – Zwischen Metaphysik und Archäologie. Schelling, Heidegger, Derrida, Blumenberg, München 2013. 53   Aus sprachpragmatischen Gründen werden im Folgenden die Begriffe »Bildvermögen« und »Symbolvermögen« bzw. »Bild« und »Symbol« nicht streng voneinander abgesetzt (vgl. zur Unterscheidung zwischen Bild und Symbol bzw. Zeichen sowie zur Zugehörigkeit des Symbolischen bzw. Zeichenhaften zum Bildlichen Krüger, Bild [s. Anm. 50], 313 – 468). 54  Vgl. M. Tomasello, Origins of Human Communication, Cambridge Mass./London 2008.

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Gesten von Affen erkennen, woraus sich das menschliche Bild- und Symbolvermögen und schließlich die menschliche Sprache entwickelt haben. Wichtig ist dabei: Öffentlichkeit und Wort- wie Symbol- bzw. Bildvermögen sind hier verbunden und können nicht gegeneinander ausgespielt werden.55 Nicht ohne Grund trägt die zustimmende Rezension von Jürgen Habermas zu Tomasellos Studie den schönen Titel »Es beginnt mit dem Zeigefinger«56. Der zweite Springpunkt betrifft die Zeitdiagnostik und kann sich konstruktiv-kritisch insbesondere auf den Beitrag »Die Wiederkehr der Bilder« (1994) des Baseler Kunsthistorikers Gottfried Boehm beziehen:57 Zwar gab es in den frühesten Zeiten der Menschheit schon Bilder. Doch heute sind fast alle Bereiche des Lebens von Bildern geprägt. Dies sind Bilder im Kopf und außerhalb des Kopfes. Virtualität und Einbildungskraft drängen in einem bisher unbekannten Maß nach vorn; und der sich wie eine zweite Membran um den Erdball legende Datenstrom der digitalen Medien hält ständig Bilder bereit. Inszenierung, Spektakel und Überwachung werden in diesem Zusammenhang häufig beklagt. Argumente werden durch Bilder ersetzt, Informationen visualisiert und vielfach dirigieren Bildschirme, die nicht zufällig so heißen, den öffentlichen und privaten Raum. Die auch so genannte »Bilderflut« lässt Sein und Schein ineinander übergehen. So gibt es insgesamt eine Wende zum Bild, einen »iconic turn« (Gottfried Boehm).58 Der dritte Springpunkt betrifft die Bildfrage und kann sich insbesondere konstruktiv-kritisch auf die einschlägige Studie »Symbolischer Pragmatismus« (1991) des Münsteraner Philosophen Ferdinand Fellmann beziehen:59 Äußere Bilder sind wahrnehmungsaffine Zeichen, die nicht nur auf die innere Einbildungskraft angewiesen sind, sondern auch auf deren Negationsvermögen. Damit ist eine Unterbrechung des animalischen Reiz-Reaktionsschemas verbunden, also der Kern von Freiheit. Wenn Menschen innere Wahrnehmungs55  Vgl. zur Sache, teilweise auch wörtlich Krüger, Bild (s. Anm. 50), 151 – 194. 56  Vgl. J. Habermas, Es beginnt mit dem Zeigefinger, in: Die Zeit 51 (2009), 45. 57  Vgl. G. Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: ders. (Hg.), Was ist ein Bild?, München 42006, 11 – 38. 58   Vgl. zur Sache und teilweise auch wörtlich Krüger, Bild (s. Anm. 50), 195 – 298. 59  Vgl. F. Fellmann, Symbolischer Pragmatismus. Hermeneutik nach Dilthey, Reinbek bei Hamburg 1991.

128  Malte Dominik Krüger bilder in sich erzeugen, dann unterbrechen und vergegenständlichen sie den Strom ihres Wahrnehmungsgefühls. So bringen sie die Welt und ihre Faktizität auf Abstand, mit der sie dann ganz anders umgehen können. Mit inneren Bildern wird die Wirklichkeit gleichsam im Negativ festgehalten, nämlich im Inneren als etwas realisiert, was als Abwesendes da ist. Insofern ist auch das Bildvermögen nicht einfach das  – wiederum komplex mit anderen Sinnen und Vermögen verknüpfte  – Sehvermögen, sondern dessen negationstheoretische Realisierung im Gefühl. Entscheidend ist dabei: Die menschliche Einbildungskraft kann über diese inneren Bilder auch verfügen.60 Dabei darf man mit Edmund Husserls Göttinger Vorlesungen »Phantasie und Bildbewusstsein« (1904 / 05) grundsätzlich einen dreistelligen Bildbegriff in Rechnung stellen.61 Das ist dann m. E. folgendermaßen zu verstehen: Auf dem Bildträger – z. B. einer Leinwand – ist ein repräsentierendes Bildobjekt  – z. B. das »Bild« bzw. der Eindruck des Prinzipalmarktes in Münster  – gegeben, der auf das Bildsujet verweist, nämlich den realen Prinzipalmarkt. Wichtig ist es hierbei, dass Verhältnis von Bildträger und Bildobjekt als eine unbestimmte Negation zu verstehen, während das Verhältnis von Bildobjekt und Bildsujet im Sinn einer bestimmten Negation zu fassen ist. Der Prinzipalmarkt kann also auf einer Leinwand, aber auch auf anderem Material abgebildet werden. Doch seine Formen und Farben müssen erkennbar am realen Prinzipalmarkt teilhaben.62 Der vierte Springpunkt betrifft die Vermögenspsychologie und kann sich insbesondere konstruktiv-kritisch auf die anthropologische Studie »Können Tiere denken?« (2009) des Marburger Philosophen Reinhard Brandt beziehen:63 Anders als die unterscheidbaren, diskursiven Zeichen – wie die Buchstaben oder Ziffern – sind bildliche Elemente nicht relativ klar unterschieden, sondern verschwimmen ineinander. Sinn und Sinnlichkeit gehen hier fließend ineinander über. Das gilt von inneren Bildern und von äußeren Bildern, in denen sich unser Bildvermögen selbst anschaulich wird. Und das ist für den Aufbau der weiteren Vermögen wesentlich. Denn so sehr das kreative 60  Vgl. zur Sache, teilweise auch wörtlich Krüger, Bild (s. Anm. 50), 151 – 194.455 – 468. 61  Vgl. E. Husserl, Phantasie und Bildbewußtsein, Hamburg 2006, 21 f. 62  Vgl. zur Sache, teilweise auch wörtlich Krüger, Bild (s. Anm. 50), 455 – 468. 63  Vgl. R. Brandt, Können Tiere denken? Ein Beitrag zur Tierphilosophie, Frankfurt a. M. 2009.

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Bildvermögen den Menschen von anderen Primaten unterscheiden mag, so wenig ruht es in sich. Vielmehr führt die bildtheoretische Einsicht der negationstheoretischen Einklammerung – im Sinn einer Präsenz des Abwesenden  – über weitere Sublimierungen zur Ausbildung der menschlichen Sprache, wie sie sich im negationsfähigen Urteil »X ist Y« ausspricht. Diese sprachliche Diskursivität kann sich selbst in der Vernunft reflexiv werden. Dabei bleiben Sprach- und Vernunftvermögen immer auf das Bildvermögen angewiesen, das in ihnen durchscheint, wie umgekehrt das Bildvermögen auf dieselben angewiesen ist, wenn es über sich hinausdrängt. Insofern können diese drei Vermögen nicht gegeneinander ausgespielt werden.64 Der fünfte Springpunkt betrifft die Religionstheorie und kann sich insbesondere konstruktiv-kritisch auf die Studie »Ganzheit und Kontrafaktizität« (2014) des Hallenser Systematikers Jörg Dierken beziehen:65 Der Mensch kann nicht anders, als Grund und Grenze seines Lebens auch zu symbolisieren. Religion ist schon der Möglichkeit nach in demjenigen Sehvermögen angelegt, das sich in Bildern, Symbolen und Zeichen selbst sichtbar wird. Dies geschieht m. E. bei der Wahrnehmung des alltäglichen Horizontes.66 Er repräsentiert 64  Vgl. Krüger, Bild (s. Anm. 50), 151 – 194. Anders gesagt: Die Faktizität der Welt wird im Wahrnehmungsgefühl erschlossen, das im Bildvermögen kontrafaktisch und negationstheoretisch sublimiert wird, sodass daraus letztlich das Sprach- und das Vernunftvermögen (als Selbstreflexion des Sprachvermögens) entstehen können. Insofern sind menschliche Deutungs- und Handlungsmuster immer auch kontrafaktisch geprägt, d. h. sie weichen vom animalischen Reiz-Reaktionsschema ab. Dies bedeutet nun wiederum nicht, dass alles gleichermaßen plausibel ist, Fakenews zu tolerieren sind und es keine Unterschiede zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Texten gibt. Denn hier kommen die aus dem Bildvermögen und ihrem Umgang mit der Geschichte folgenden Kriterien der Referenz (relativer Einspruch der Quellen), Kommunikation (mögliche Weitergabe der Sachverhalte) und Normativität (Anerkennung der Gesprächspartner bzw. -quellen) ins Spiel. Dies führt nicht zur Beliebigkeit, sondern macht über den Bezug der Einbildungskraft auf die Person und das Geschick Jesu von Nazareth den spätmodernen Protestantismus als kritische Bildreligion plausibel, vgl. Krüger, Bild (s. Anm. 50), 471 – 537; ders., Pannenberg als Gedächtnistheoretiker. Ein Interpretationsvorschlag (auch) zu seiner Ekklesiologie, in: G. Wenz (Hg.), Kirche und Reich Gottes. Zur Ekklesiologie Wolfhart Pannenbergs, Göttingen 2017, 181 – 202 (189 f.). 65  Vgl. H. Jonas, Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, Frankfurt a. M./Leipzig 1992. 66   Vgl. auch Friedrich Schleiermachers Rede vom »Universum«, das sich nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Anschauung der Natur erfahren lässt und hier für eine sich erschließende Ganzheit steht. So kann religiös das Bild einer allwirksamen und allgegenwärtigen Natur entstehen,

130  Malte Dominik Krüger in der normalen Wahrnehmung eine aktuelle Ganzheit, die zugleich sich selbst einklammert und übersteigt, wenn sie zur Frage führt: Und was kommt dann? So ist es nicht erst – wie bei Immanuel Kant – die Vernunft, die den Gottesgedanken benötigt, weil sie ihr theoretisches Bedürfnis weiter zu fragen, nicht abbrechen kann (Ganzheit), und dies praktisch mit einer Freiheitserfahrung zusammenbringt (Kontrafaktizität). Es ist vielmehr schon die im Bildvermögen sich zeigende Wahrnehmung des Horizontes, der eine Dimension des Und-so-weiter einschließlich ihres kontrafaktischen Selbstüberstieges eingeschrieben ist. Wenn man hierbei die Kategorien der Ganzheit und Kontrafaktizität bildtheoretisch näher betrachtet, sind sie m. E. im Sinn einer stufenden Sequenzierung über die Kategorien der Unterbrechung und der Distanzierung vermittelt.67 Der sechste Springpunkt betrifft die christliche Theologie und kann sich insbesondere auf Friedrich Schleiermachers »Reden« (1799)68 und auf Einsichten der Hermeneutischen Theologie beziehen: Wenn die Religion das menschliche Bildvermögen im Horizont des Unbedingten ist, dann wird dies im Christentum an und in sich selbst religiös realisiert, wenn die Stiftergestalt – definitiv mit Ostern, und zwar den Ostererscheinungen  – zum sich selbst durchstreichenden Bild Gottes wird.69 Damit wird nicht nur das Bilderverbot aufgevgl. F. D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), in: Kritische Gesamtausgabe (KGA) I / 2, Schriften aus der Berliner Zeit 1796 – 1799, hg. v. G. Meckenstock, Berlin / New York 1984, 185 – 326 (223 – 227). 67  Vgl. zur Sache, teilweise auch wörtlich, Krüger, Bild (s. Anm. 50), 455 – 488. 68   Vgl. Schleiermacher, Über die Religion (s. Anm. 66), bes. 293 – 326 (5. Rede). 69   Daher ist die Meinung der »Response«, in meinem Beitrag würde das neutestamentliche Zeugnis am entscheidenden Punkt übergangen (vgl. die erste Frage: Quenstedt, Reflexionen [s. Anm. 51], 145 – 147), zumindest problematisch. Gerade die schon genannte Hermeneutische Theologie von Ernst Fuchs und Eberhard Jüngel sieht sich mit der Einsicht, dass mit der Auferstehung aus demjenigen, der in Gleichnissen bzw. Bildern über Gott redet, selbst das Bild Gottes wird, dem Neuen Testament verpflichtet (vgl. zur basalen Orientierung über das Selbstverständnis der Hermeneutischen Theologie und ihr Schriftverständnis U. H. J. Körtner, Hermeneutische Theologie. Zugänge zur Interpretation des christlichen Glaubens und seiner Lebenspraxis, Neukirchen-Vluyn 2008, bes. 97 – 185; I. U. Dalferth / P. Bühler / A. Hunziker [Hg.], Hermeneutische Theologie – heute?, Tübingen 2013). Dass dieses Verständnis – wie fast jedes andere (auch: exegetische) Verständnis – in der Forschung in Frage gestellt werden kann, spricht im Sinn einer diagnostischen

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nommen. Vielmehr verweisen auch die Sprachbilder (»Gleichnisse«) des vorösterlichen Jesus (im Einklang mit seinem entsprechenden Verhalten) und die (schriftlich-kanonischen wie sakramentalen) Erinnerungen des nachösterlichen Jesus darauf. Letztere sind aufgrund ihres szenischen Charakters als bildhaft anzusprechen. Die Schriftlehre wird so zu einem Umgang mit äußerer Bildlichkeit, wie die Rechtfertigungslehre zu einem Umgang mit innerer Bildlichkeit wird. Diese Deutung steht im Einklang mit einer bildtheoretischen Zuspitzung der protestantischen Grundsignaturen in der Moderne: So kann in der nachaufklärerischen Schriftlehre der Bildbegriff im Sinn des von Jesus hinterlassenen Eindrucks, dessen Wirksamkeit sich in der Rezeption der christlichen Bibel entfaltet, begriffen werden, wie in der nachaufklärerischen Rechtfertigungslehre die Einsicht in dessen kontrafaktisches Wirklichkeitsvertrauen einen hintergründigen Umgang mit dem Projektionsverdacht erlaubt.70 Dass es inzwischen arrivierte bildhermeneutische Deutungen der beiden Leitgestalten des

Rationalität dafür, dass es diskutabel ist. Solange, und sei es nur retrospektiv, theologisch legitim die Gleichnis- und Reich-Gottes-Verkündigung Jesu zusammengebracht werden können (vgl. R. Zimmermann, Gleichnisse und Parabeln, in: Jesus Handbuch, hg. v. J. Schröter / C. Jacobi, Tübingen 2017, 378 – 387), lässt sich diese Deutung der Hermeneutischen Theologie m. E. nicht en passant abtun. Ohnehin gilt: Dass Jesus mit Ostern aus christlicher Sicht definitiv zum menschlichen Gesicht Gottes wird, kann nicht nur die Hermeneutische Theologie herausstellen, wenn man die Ostererscheinungen im Sinn des genannten kulturwissenschaftlichen Bildbegriffes, der keineswegs einfach mit dem neutestamentlichen Bildbegriff gleichgesetzt werden darf und muss (!), negationstheoretisch entschlüsselt. Wie dargelegt unterläuft der oben dargestellte Bildbegriff den Dualismus von sichtbarer Wirklichkeit und bloßer Einbildung. Ebenso gilt: Als negationstheoretisches Bild Gottes ist der Gekreuzigte und Auferstandene nicht der himmlische Vater selbst, der nur indirekt (nämlich als Vater im Sohn) erscheint. Gerade dafür steht der Bildbegriff ein, wie auch die damit verbundene Gedankenfigur der Selbstunterscheidung Jesu vom Vater eine trinitätstheologisch geläufige Gedankenfigur ist (vgl. z. B. Pannenberg, Theologie I [s. Anm. 27], 326 – 355). Diesen Reflexionen kann und muss man nicht exegetisch mit einer (vorkritischen) Dicta probantia-Methode gerecht werden. So konkurriert auch nicht der Bildbegriff mit der Gottessohnschaft, sondern der Bildbegriff artikuliert letztere, und zwar reflexiv im Horizont der Gegenwart, vgl. zu dem komplexen Kontext und zur exegetischen Literatur auch: Krüger, Bild (s. Anm. 50), 489 – 514 (499 f., Anm. 25); vgl. auch die exegetische Einsicht: »Gott ist nicht in Bildern abbildbar, aber offenbar« (Gerber, Gottesbild [s. Anm. 2], 363). 70  Vgl. Krüger, Bild (s. Anm.  50), 3 – 55.489 – 541.

132  Malte Dominik Krüger Protestantismus, nämlich von Martin Luther und Friedrich Schleiermacher gibt, sei zumindest am Rand notiert.71 Der siebte Springpunkt betrifft die Selbstverortung dieses (in den vorangegangenen sechs Thesen skizzierten) Programms: Das Konzept einer Theologie der verkörperten Einbildungskraft im Anschluss an die Rede vom iconic turn hat keineswegs nur das Bild an der Wand – und dann womöglich auch nur das der europäischen »Hochkunst«  – im Blick. Vielmehr zielt sein zeitdiagnostisch motivierter Bildbegriff auf das ab, was sich aufgrund seiner Verschränkung von Sinn und Sinnlichkeit dem bloß Begrifflichen entzieht. Es geht um einen sich paradigmatisch selbst einklammernden Begriff, eine fassbare Unfassbarkeit. Nicht zufällig rückte der Bildbegriff schon in das Zentrum von Fichtes Spätphilosophie.72 Traditionell geredet: Es geht in Sachen der Bildtheorie um eine docta ignorantia, allerdings in der unumgänglichen Medialität unseres Weltumgangs. Gott ist dann der ungegenständliche Fluchtpunkt unseres Lebens, der in dessen Wahrnehmung und Führung immer nur indirekt, gebrochen und aposteriorisch erscheint, wie der spätmoderne Protestantismus als kritische (!) Bildreligion verstanden werden kann, die eine Anwältin des Sprachvermögens im religiösen Horizont ist.73 Dass man hierbei das Bildvermögen auch – unter dem Stichwort »Bildung« – auf die 71   Vgl. zu Luther: U. Barth, Hermeneutik der Evangelien als Prolegomena zur Christologie, in: C. Danz / M. Murrmann-Kahl (Hg.), Zwischen historischem Jesus und dogmatischem Christus. Zum Stand der Christologie im 21. Jahrhundert, Tübingen 22011, 275 – 305; J. A. Steiger, Die communicatio idiomatum als Achse und Motor der Theologie Luthers, in: NZSTh 38 (1996), 1 – 28; F. Hartenstein / M. Moxter (Hg.), Hermeneutik des Bilderverbots. Exegetische und systematisch-theologische Annäherungen, Leipzig 2016, 251 – 260.287 – 292.309 – 315; vgl. zu Schleiermacher: U. Frost, Einigung des geistigen Lebens. Zur Theorie religiöser und allgemeiner Bildung bei Friedrich Schleiermacher, Paderborn / München / Wien / Zürich 1991 (161 – 251); J. Kunstmann, Religion und Bildung. Zur ästhetischen Signatur religiöser Bildungsprozesse, Gütersloh 2002 (178 – 198.229 – 344). 72   Vgl. klassisch J. Drechsler, Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955. 73  Vgl. Krüger, Bild (s. Anm. 50), 429 – 541. Das widerspricht nicht der Beobachtung, dass der Protestantismus eine sich stark über das Singen identifizierende Religion ist: Bildtheoretisch kann das Singen als eine affektive Vertiefung (Gefühlsdimension des Gesangs) und zugleich kognitive Überbietung (Sprachlichkeit des Gesangs) des Bildvermögens bzw. der Einbildungskraft erscheinen. Darum bewegt nachvollziehbar der Gesang in der Regel ungleich stärker als die äußere Bildlichkeit den Protestantismus, vgl. ders., Musikalisch religiös. Der Hymnus als komplexe Verkörperung des Bildvermögens, in: T. Wabel / F. Höhne / T. Stamer (Hg.), Öffentliche Theologie zwischen Klang

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Individualität und – unter dem Stichwort »Augen-Blick« – auf das Zeitbewusstsein beziehen kann, sei nur erwähnt.74

3.  Folgen des Neuansatzes für das religiöse Vaterbild Das erste Argument gegen das religiöse Vatersymbol war religionskritisch und verwies auf den Projektionsverdacht. Aus der Sicht einer bildhermeneutischen Theologie kann man sagen: Dieses Argument ist im Recht – und widerlegt sich dadurch selbst. Religion ist eine Projektion des Menschen.75 Jedes auch so genannte Gottesbild – auch das und Sprache. Hymnen als eine Verkörperungsform von Religion, Leipzig 2017, 69 – 87. 74  Vgl. Krüger, Bild (s. Anm. 50), 465.476.482 f.557 – 559. Aufgrund des siebten Springpunktes ist die Meinung der »Response«, die bildhermeneutische Theologie sei als negative Theologie kaum lebensweltlich vermittelbar (vgl. die fünfte Frage von Quenstedt, Reflexionen [s. Anm. 51], 149 f.), m. E. schwer nachvollziehbar. In jeder Kommunikation muss man zwischen der thematisierten Wirklichkeit und der Thematisierung von Wirklichkeit unterscheiden, ohne diese Differenz je sprachlich ganz fixieren zu können. Genau um diese Unbestimmtheit geht es einer bildhermeneutischen Theologie, die diesen blinden Fleck unseres Lebens in der Einbildungskraft verankert. Insofern ist unser (auch: religiöses) Leben immer auch von Ambivalenzen bestimmt, die aber nicht lebensfeindlich sind, sondern zum Leben unaufhebbar dazugehören. Dies ist m. E. gerade nicht lebensfremd. Dass die vertretene Position dem vorkritischen Bedürfnis widerstreitet, welches die religiöse Sicherheit (als Werkgerechtigkeit, ob nun praktisch oder intellektuell) mit der Gewissheit (als Ambivalenz- bzw. Ambiguitätsmanagement, nämlich als Erfahrung bzw. Deutung von Erfahrungen) verwechselt, ist aus meiner Sicht kein Tadel. Und die Frage der »Response«, ob sich am lutherischen Verständnis von Bibel und Bekenntnis etwas ändern würde in einer bildhermeneutischen Theologie (vgl. die vierte Frage: Quenstedt, Reflexionen [s. Anm. 51], 148 f.), kann die Antwort finden: Nein, warum auch? Dass man bildhermeneutisch im Anschluss an den Titel eines theologischen Klassikers die Bibel als sprachliches Bilderbuch Gottes bezeichnen könnte (gemeint ist H. Thielicke, Das Bilderbuch Gottes. Reden über die Gleichnisse Jesu, Stuttgart 1957), ist so durchaus nachvollziehbar – und keine reductio ad absurdum (vgl. zur Problematisierung der Rede von der Bibel als einer »Bilderfibel«: Quenstedt, Reflexionen [s. Anm. 51], 149). 75  Vgl. Krüger, Bild (s. Anm.  50), 41 – 55.471 – 488.523 – 537. Vgl. dazu auch schon die Positionen Paul Tillichs, Hans-Martin Barths und Falk Wagners: P. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel (1924), in: ders., Gesammelte Werke VIII, Stuttgart 1970, 85 – 100; H.-M. Barth, Glaube als Projektion. Zur Auseinandersetzung mit Ludwig Feuerbach, in: NZSTh 12 (1970), 363 – 382; R. Dahnelt, Funktion und Gottesbegriff. Der Einfluss der Religionssoziologie

134  Malte Dominik Krüger des Vaters – ist ein Erzeugnis des Menschen. Doch dieses beruht auf dem Bildvermögen des Menschen. Der Mensch kann nicht anders, als Grund und Grenze seines Lebens immer wieder zu vergegenständlichen und sich zumindest in der Einbildungskraft vor Augen zu bringen. Diese Verbildlichung muss nicht ausdrücklich religiös werden. So sehr nur der Mensch die Möglichkeit zur Religion zu haben scheint, so wenig ist er offenkundig auf deren religiöse Verwirklichung verpflichtet. Doch diese Verwirklichung ist naheliegend76: Das Bildvermögen verrät aufgrund seiner Tendenz zur Ganzheit und Kontrafaktizität das Bedürfnis nach weiterer Orientierung. Genau dies erfolgt in der Symbolisierung von Religionen so, dass Sinn und Sinnlichkeit ursprünglich beieinander sind. Anders gesagt: Der Mensch produziert zwar sein Gottesbild selbst, aber darin zeigt sich eine unbedingte Dimension (»Gott«), die dem Menschen entzogen ist. Die Frage, die sich allerdings stellt, lautet: Muss der Mensch als Zwitterwesen von Natur und Kultur die Gottheit als Vater projizieren? auf die Theologie am Beispiel von Niklas Luhmann und Falk Wagner, Leipzig 2009, 161 – 236. 76   Der Mensch muss die seinem Bildvermögen eingeschriebene Anlage zur Religion nicht explizit religiös realisieren. So kann der Mensch die Unbedingtheitsdimension auch, mitunter unerkannt, in den Vermögen der Sprache oder Vernunft, die komplexer als das Bildvermögen sind, verorten  – oder sogar in den Kulturgestalten wie Gesellschaft, Politik, Ökonomie etc. finden, die wiederum auf dem menschlichen Miteinander aufbauen. Dann ist »Gott« nicht ungegenständlicher Fluchtpunkt des menschlichen Bildvermögens, das sich in den Horizont des Unbedingten eingestellt sieht, sondern erscheint eher als Wort, als Vernunft (oder diese beide verbindend: als Logos), als Sozialität bzw. Liebe, als Macht von partizipatorischen Möglichkeiten oder zur Umgestaltung inhumaner Lebensverhältnisse; damit können sich u. U. auch instrumentalisierende Auffassungen verbinden. Diese sublimeren Gestalten sind vor dem Hintergrund einer bildtheoretischen Deutung, die das Bild-, Sprach- und Vernunftvermögen nicht prinzipiell scheidet, verständlich – und insofern gut nachvollziehbar, allerdings gerade darin immer auch an das Bildvermögen im Horizont des Unbedingten zurückgebunden. Das Besondere des bildtheoretischen Religionsverständnisses besteht offenbar darin, religiöse Selbstdeutungen immer wieder relativ direkt in den Horizont des Unbedingten kritisch einweisen zu können. Letzteres ist, wenn die Religion in sublimeren Vermögen oder Kulturgestalten erscheint, aufgrund der damit einhergehenden feineren und verschlungeneren Manifestationsverhältnisse offenbar schwierigerer möglich. Entscheidend ist aus der Sicht eines bildtheoretischen Religionsverständnisses: Das Unbedingte erscheint immer indirekt und integral für das Bewusstsein als Grund und Grenze desselben, sodass sich unmittelbare Gleichsetzungen von Endlichem und Unbedingtem verbieten (vgl. dazu, teilweise auch wörtlich: Krüger, Bild [s. Anm. 50], 483 – 488).

»Godfather«?  135

Das zweite Argument gegen das religiöse Vatersymbol war feministisch-theologisch und verwies auf die Patriarchatskritik. Aus der Sicht einer bildhermeneutischen Theologie kann man sagen: Dieses Argument ist nachvollziehbar; es kann zu einer theologischen Weiterarbeit am religiösen Vaterbild führen. Man mag das religiöse Vaterbild in seiner traditionalen Gestalt retten wollen, indem man sagt, dass keiner so sehr Vater ist wie Gott, weil sich in ihm zeigt, was wahrhaft Vaterschaft genannt zu werden verdient. Doch letztlich lässt sich das Bild vom himmlischen Vater nicht bloß kontrastiv von der gesellschaftlichen Wirklichkeit trennen. Zumindest eine innere Grenzdialektik der Umformung muss existieren, wenn die Rede vom Vater nachvollziehbar sein soll.77 Gerade in der Jesus-Tradition scheint ein Vaterbild Gottes gängig, das zwar die patriarchale Eigenheit Gottes unterläuft, aber darin nicht ganz den Anschluss an die Metapher des »normalen«, menschlichen Vaters verliert.78 Aufgrund dieser Überlegungen kann man meines Erachtens sagen: Gott ist als ungegenständlicher Fluchtpunkt unseres Lebens weder männlich noch weiblich im geschlechtlichen Sinn, sondern vereint Ganzheit und Kontrafaktizität. Entscheidend ist die Einsicht in den negationstheoretischen Charakter von Bildern. Auch wenn der Gott des Menschen nicht jenseits personaler Projektionen von Männern und Frauen ausgesagt werden kann, so geht er als ungegenständlicher Fluchtpunkt gerade darin nicht auf. So kommt nicht nur das Bilderverbot, Gott nicht zum Teil der Welt zu machen, zu seinem Recht. Vielmehr spricht unsere Problemgeschichte meines Erachtens auch dafür, das kulturgeschichtlich vorhandene Vaterbild der christlichen Religion nicht vorschnell  – aus Gründen der political correctness oder dogmatical correctness – abzuschaffen, sondern weiter an ihm bildtheologisch zu arbeiten. Denn weder sollte man die Tatsache kulturgeschichtlich wirksamer Normativität unterschätzen noch die Faktizität abstrakt widersprechender Normativität überschätzen. Vielmehr ist es m. E. sinnvoll, an interne Dynamiken des vorhandenen Gottesbildes anzuknüpfen, um alternative Spielräume zu eröffnen. Material heißt dies: Im Fokus sollte die Betonung der Kontrafaktizität und Ganzheit stehen, also die Verbindung des persönlichen und überpersönlichen Charakters Gottes.79 Konkret bie77  Vgl. dazu im ersten Teil des Beitrags auch die Position Pannenbergs und deren Kritik. 78  Vgl. Feldmeier, Gottvater (s. Anm. 50), 407 – 410. 79   Vgl. dazu am Ende dieses Beitrags den Hinweis auf den »Himmel« als Ort dessen, der im Bild des »Vaters« formuliert wird. Der »Vater«, also das

136  Malte Dominik Krüger tet sich dafür die Vorstellung von dem »Vater im Himmel« an, insofern hier die persönliche (»Vater«) und überpersönliche (»Himmel«) Eigenart Gottes zusammenkommen.80

personale bzw. kontrafaktische Bild (Gottes), und der »Himmel«, also das ganzheitliche und überpersönliche Bild (Gottes), gehören dabei zusammen. So wird die Alternative zwischen einem gegenständlichen, vorkritischen Theismus und einem missverständlichen, diffusen Pantheismus unterlaufen. 80   Vgl. dazu auch alttestamentlich die relativ spät errungene Einsicht von der monotheistischen, bildlosen Transzendenz Jhwhs in der Verborgenheit des Himmels, die direkte Identifikation des jüdischen Gottes mit dem Himmel und das dadurch aufgenommene Präsenzkonzept des vorexilischen Jerusalemer Tempels mit seiner Verbindung von mentaler Hintergründigkeit und visuell-lichthaften Aspekten: Hartenstein / Moxter, Hermeneutik des Bilderverbots (s. Anm. 71), 73 – 182 (73 – 81.105.117 – 128). Vgl. dazu neutestamentlich die Vorstellung von dem »Vater in den Himmeln«, welche die monotheistisch inspirierte Identifikation von Jhwh und Himmel aufnimmt und die Distanz Gottvaters gegenüber der Welt hervorhebt. Insofern würde es m. E. dem reflexiven Niveau des biblischen Zeugnisses nicht gerecht, wenn man Gott-Vater einseitig als »notorische[n] Gesetzesbrecher« hervorhebt – und dieses »autoritär-paternalistische[s]« Gottesbild auch noch positiv würdigt (vgl. so Quenstedt, Reflexionen [s. Anm. 51], 148). Dass umgekehrt solche Vorstellungen biblisch teilweise angelegt sind, ist damit nicht bestritten und keineswegs verwunderlich: Eine Religion ist selten schon in ihren Anfängen einfach vollendet da, sondern in ihrer Problemgeschichte kann sich ihr Eigenprofil immer feiner herauskristallisieren. Außerdem wird man an dieses – nochmals: m. E. auch nicht zwingend aus der Bibel herauszulesende – Gottesbild vom patriarchalen »Gesetzesbrecher« zumindest drei fundamentale Fragen richten müssen. Was schützt erstens einen solchen, despotisch anmutenden »Gott« vor der Verwechselung mit seiner diabolischen Karikatur? Wie will man zweitens die theologische Basiseinsicht aufnehmen, dass man die Gottheit aufgrund einseitiger Vergegenständlichung in ihrer uneinholbaren Dynamik immer schon verfehlt hat? (vgl. zu dieser bekannten Überlegung und intrikateren Einsichten z. B. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt [s. Anm. 41], 55 – 137). Und was bedeutet drittens dieses Gottesbild, wenn man es gendertheoretisch reflektiert? Dass Quenstedt das autoritär-paternalistische »Gottes«-Bild vom Willkürherrscher als »sofakissentaugliche Definition von Liebe« (vgl. Quenstedt, Reflexionen [s. Anm. 51], 150) bestimmt, ist bemerkenswert. Um hier basale Missverständnisse auszuschließen, die den Ernst und die Kontrafaktizität von (gelebter!) Religion berühren, bedürfte es der (weiteren) Reflexion. Auch die faktische Tabuisierung des Projektionsverdachtes und der Ausfall der Auseinandersetzung mit diesem sind für die gelebte Religion m. E. nicht hilfreich. Vielleicht ist die beste, auf jeden Fall tatsächlich »sofakissentaugliche« Entgegnung auf die von Quenstedt empfohlene Frömmigkeit anthropomorphen und willkürhaften Zuschnitts die hinreißend ironische Erzählung von Robert Gernhardt »Das Buch Ewald« (vgl. R. Gernhardt, Kippfigur. Erzählungen, Frankfurt a. M. 22008, 9 – 25).

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Das dritte Argument gegen das religiöse Vatersymbol war subjektivitätstheoretisch und verwies auf das Erfahrungsdefizit. Aus der Sicht einer bildhermeneutischen Theologie kann man sagen: Dieses Argument ist nachvollziehbar; es kann zu einer Reformulierung des religiösen Vaterbildes führen. Wenn die Rede von Gott-Vater nicht abstrakt im Sinn einer autoritären Offenbarungstheologie gegen das neuzeitliche Subjekt in Stellung gebracht werden soll, so legt sich eine vermögenspsychologische – und aufgrund der Verkörperung der Einbildungskraft immer auch sozial vermittelte – Lesart der Trinität nahe, wie es eine bildhermeneutische Theologie vorschlägt: Gott ist deswegen dreieinig, weil unser menschheitsspezifisches Bildbewusstsein in seiner negationstheoretischen Verfassung dreistellig ist. Bildträger des Gottesbildes, also der Heilige Geist, ist dann die Kirche bzw. deren Einbildungskraft. Und Bildobjekt ist Jesus Christus, der für das Bildsujet des Vaters steht, der nur durch Jesus Christus erkennbar ist, ohne in ihm aufzugehen.81 Wichtig ist hierbei die schon erwähnte Stufung im Negationsverhältnis82: Während das Negations- und Teilhabeverhältnis von Vater und Sohn so präzis ist, dass Unbestimmtheit ausgeschlossen ist, trifft dies auf das Negations- und Teilhabeverhältnis von Sohn und Geist so nicht zu. Hier greift eine Unbestimmtheit, die zur Selbstrelativierung der Kirche als Trägermedium des Gottesbildes führt. Das vierte Argument gegen das religiöse Vatersymbol war trinitätstheologisch und verwies auf den Beziehungsmangel. Aus der Sicht einer bildhermeneutischen Theologie kann man sagen: Dieses Argument ist teilweise berechtigt, aber gerade darin annehmbar. Wenn der dreieinige Gott die Projektion des menschlichen Bildbewusstseins im skizzierten Sinn von Bildträger (Geist), Bildobjekt (Sohn) und Bildsujet (Vater) ist, dann handelt es sich nicht um eine – wie oben skizziert – Trinitätslehre im Gefolge Hegels, die in der wechselseitigen Anerkennung gleich-gültiger und insofern »entkernter« Personen das Wesen Gottes als Liebe bestimmt. Vielmehr ist das negationsbestimmte Verhältnis von Bildträger bzw. Kirche und Bildobjekt bzw. Christus unbestimmter als das präzis negationsbestimmte Teilhabeverhältnis zwischen Bildobjekt bzw. Christus und Bildsujet bzw. Vater. Damit wird nicht nur im Anschluss an Schelling eine eher orthodoxe Lesart der Trinität »Der Vater durch den Sohn im Geist« bevorzugt, sondern es werden 81

 Vgl. Krüger, Bild (s. Anm. 50), 526 f.   Vgl. dazu den dritten Springpunkt im zweiten Teil.

82

138  Malte Dominik Krüger auch menschliches Bewusstsein, philosophischer Bildbegriff und theologische Trinität verklammert. Dass man dies grundsätzlich auch im lateinischen Bereich verstehen kann, darauf verweist schon Augustins »De trinitate« (400 – 417 / 28).83 Der Vater steht dann nach dem hier Dargelegten für die Perspektive von Ganzheit und Kontrafaktizität, die durch das Bild Jesu gebrochen in der Kraft des Geistes bzw. im Leben der Kirche erscheint. Der Vater selbst ist dann das bildlose Bild für eine geheimnisvolle Gegenständlichkeit, die für das schlechthin Ungegenständliche steht, für eine unfassbare Positivität, die schöpferisch ihre Negativität einschließt, für eine ins unaufhebbare Dunkel bzw. Licht gehüllte Dimension, die sich indirekt in der Perspektivität der Einbildungskraft als der blinde Fleck unseres Lebens zeigt. Das ist auch die Differenz zum anfangs genannten Film »Godfather«. Unsere Frage lautete: Ist das religiöse Vaterbild wirklich kategorial von der Figur des paternalistischen Patriarchen einer Untergrundkultur zu unterscheiden? Ich meine: Ja. Und theologisch scheint mir das ein Gewinn zu sein. Auch wenn das Christentum selbst einst eine Untergrundkultur war und teilweise immer noch counter-religion ist, so steht doch das Bild von Gott-Vater nicht für eine reale, gegenständliche Person, die in autoritär-paternalistischer Weise die Welt beherrscht und nach Gutdünken ihre Gesetze durchbrechen und Gnade schenken kann. Vielmehr bringt das religiöse Vaterbild des Christentums eine ungegenständliche Hintergründigkeit zur Sprache, aus der und von der wir stets leben, ohne ihrer habhaft werden zu können.84 Nicht ohne Grund, nämlich aus dem im Bilderverbot zum Ausdruck kommenden Motiv, ist die Horizontwahrnehmung des Himmels zum Ort dessen geworden, den wir im Bild des Vaters symbolisieren.

83   Vgl. Aurelius Augustinus, De trinitate. Lateinisch / Deutsch. Neu übers. und hg. v. J. Kreuzer (PhB 523), Hamburg 2001. 84  Darin zeigt sich das bleibende Wahrheitsmoment der lutherischen Rechtfertigungslehre.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion Jan Quenstedt

Am 14. Februar 1970 veröffentlichte die Los Angeles Times erstmals einen Comic-Strip der Zeichnerin Kim Casali.1 Unter dem Slogan »Liebe ist …« haben seither tausende Comics ihren Weg in Tageszeitungen, auf Kaffeebecher und andere Devotionalien gefunden. Als ein – um mit Krüger zu sprechen – »äußeres Bild« verstanden, versucht jeweils ein prägnanter Satz in Verbindung mit einem Comic zu definieren, was Liebe sei. »Liebe ist …« – Die tausendfache Fortsetzung dieses Satzes weist darauf hin, dass das Motiv der Liebe als »inneres Bild« vielfältige Konnotationen aufweist und auf keinen konkreten Begriff zu bringen ist. Auch vor dem Hintergrund der voranstehenden Vorträge wird deutlich, dass der theologische Gebrauch des Begriffes Unschärfen aufweist. Besonders deutlich wird dieser Umstand, wenn der Begriff »Liebe« in Verbindung mit dem Bekenntnis zu Gott dem Vater gebracht wird.

1.  Zur Perspektive der Bibelwissenschaften Den Ausführungen von Zimmermann liegt die Einsicht zugrunde, dass in der Vater-Bezeichnung die zentrale christliche Gottesvorstellung begegne (vgl. 1 Kor 8,6). Dabei besitze die Rede von Gott-Vater mehrere Dimensionen, die sich anhand der Frage visualisieren ließ, wessen Vater Gott sei.2 Aus der besonderen Zuordnung der Gläubigen auf Gott hin resultiere eine grundlegende Andersartigkeit der Gläubigen, wie besonders anhand der johanneischen Metaphorik zum Ausdruck komme. Die Besonderheit dieser Relation werde dadurch verstärkt, dass das Verhältnis Mensch – Gott exklusiv zu denken sei, weil ein Mensch nur einen Vater besitzen kann. Die Verwendung der 1   Vgl. https://www.artfulaspreycartoons.co.uk/love-is/, zuletzt abgerufen am 25. 02. 2019. 2   Diese Mehrdimensionalität ist auch abgebildet in Frage 26 des Heidelberger Katechismus, die als Antwort auf die Frage, was zu glauben sei, wenn der erste Artikel des Apostolikums gesprochen werde antwortet: »Daß der ewige Vater unseres Herrn Jesus Christus […], um seines Sohnes Jesu Christi willen mein Gott und mein Vater ist.« Vgl. Der Heidelberger Katechismus, Gütersloh 31986, 24.

140  Jan Quenstedt Vater-Metapher sei insofern als Ausdruck dessen zu verstehen, dass vom Vater Gerechtigkeit und Zuwendung ebenso zu erwarten seien, wie zuverlässige Gebetserhörung und Hilfe. Jedoch darf in diesem Kontext nicht vergessen werden, dass Gott dennoch unverfügbar bleibt und »als solcher auch schmerzhaft verborgen sein«3 kann, er letztlich auch gegen seine vermeintliche Abwesenheit geglaubt werden muss. Insofern verweist die Vater-Metapher auch auf den Bereich der Vorsehungslehre, die jeweils explizit im Gespräch mit den biblischen Schriften entwickelt werden muss.4 Dieser Gedanke deutet schon auf die später zu noch zu explizierende Anfrage nach der Verbindung zwischen der Sünde und dem Vater-sein Gottes hin, insoweit die Vater-Metapher eine umfassende Fürsorge impliziert, die gerade vor dem Hintergrund von Kontingenzerfahrungen ihre Relevanz erweisen muss. Zimmermann verweist auf Joh 3,16, wo die Hilfe und Zuwendung Gott-Vaters besonders virulent in der Hingabe des eingeborenen Sohnes in den Tod deutlich werde – als Ausdruck von Souveränität und als Ausdruck einer Liebestat des Vaters für die Welt. Dass der Aspekt der Liebe nicht nur mit dem himmlischen Vater verbunden ist, sondern darüber hinaus auch einen ethischen Anspruch impliziere, werde besonders anhand der Erzählung vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 31) deutlich. Im Sinne einer imitatio impliziere die Vater-Metapher einen ethischen Aspekt für die Glaubenden. Für die Formulierung des Apostolikums bedeuten diese Einsichten nach Zimmermann, dass das entscheidende Verhältnis zwischen Gott und Glaubenden als ein Vater-Kind-Verhältnis zu denken sei. Mit diesem Verhältnis werde auch eine Konsequenz für das Selbstbild der Glaubenden impliziert, die als Kinder ihren Vater zu imitieren hätten. Somit wäre der erste Artikel des Credos letztlich als Dual zu denken: Er erinnert gleichermaßen an die »Sendung des Gottessohnes als grundlegende Neuzuwendung Gottes zu den Menschen  […] als auch an das auf dieser Sendung basierende neue Gottesverhältnis der Glaubenden als Kinder des göttlichen Vaters.«5 Mit dem Begriff des Vaters werde deutlich gemacht, dass Gott als Spender individuellen Lebens fungiere 3   R. Feldmeier / H. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, 90. 4   Vgl. exemplarisch K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik (KD III / 3). Die Lehre von der Schöpfung, Zürich 1950, 51. 5  C. Zimmermann, Referenzen und Konnotationen der Vaterschaft Gottes im frühen Christentum, 111.

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und insofern mit der Metapher der »entscheidende […] Aspekt der Gottesrelation«6 benannt sei, welcher letztlich auch auf den Spender eschatologischen Lebens verweise. Insgesamt wird deutlich, dass die Rede von Gott-Vater als metaphorische Rede eine theologisch-integrative Funktion besitzt, insofern sie unter anderem sowohl ekklesiologische als auch christologische Kategorien auf einen Begriff bringt. Damit wird durch das Apostolikum bereits im ersten Artikel in nuce eine theologische Konzeption vermittelt, die zentrale Bereiche christlicher Glaubensvorstellungen tangiert. Zimmermann bringt es in dem bereits angesprochenen Satz auf den Punkt: In der Vater-Metapher »wird sowohl an die Sendung des Gottessohnes als grundlegende Neuzuwendung Gottes zu den Menschen erinnert als auch an das auf dieser Sendung basierende neue Gottesverhältnis der Glaubenden als Kinder des göttlichen Vaters.«7 Meine damit verbundene Frage geht noch einmal einen Schritt zurück und bezieht sich auf das »alte« Gottesverhältnis der Glaubenden. Für dieses alte Gottesverhältnis ist zu fragen, ob und in welcher Weise sich die hamartiologische Dimension auf die Vater-Metapher auswirkt. Sie ist zwar in der christologischen Dimension de facto impliziert; dennoch ist es unumgänglich, sie auch explizit in Bezug auf die Vater-Relation zu thematisieren und noch weiter zu entfalten: Insbesondere eine Lektüre von Röm 5,8 f. lässt fragen, inwieweit die menschliche Sündenverstrickung die Rede von Gott-Vater beeinflusst. Diese Frage ergibt sich bereits bei genauerer Reflexion des Umstands, dass die neutestamentlichen Schriften jeweils nachösterlich verfasst sind und ihre Rede von Gott-Vater Kreuz und Auferweckung Jesu und somit eine Reaktion auf die menschliche Sünde zur Voraussetzung haben. Zugespitzt formuliert stellt sich die Frage, ob sich die Liebe Gottes gerade erst durch die Hingabe des Gottessohnes in den Tod für die Sünder erweist und demnach erst die Sünde die vollumfängliche Ausprägung der göttlichen Liebe gegenüber den Menschen evoziert.8 Diese Frage ergibt sich vor dem Hintergrund einer Deutung, die die Gabe des Sohnes in den Tod durch Gott als »Ausdruck 6

 Ebd.  Ebd. 8   Vgl. vor diesem Hintergrund – mutatis mutandis – die Behauptung von Jüngel, »daß es ohne Jesu Tod zu einer christlichen Verkündigung, zu christlichem Vertrauen und Hoffen auf Gott und folglich zu einem genuin christlichen Verständnis des Wortes ›Gott‹ überhaupt nicht gekommen wäre.« (E. Jüngel, Tod [TdT 8], Stuttgart 31973, 121). 7

142  Jan Quenstedt seiner Eigenschaften der Gnade und Barmherzigkeit«9 versteht und damit Aspekte verbindet, die dem Vater-Sein Gottes eingeschrieben sind (vgl. Lk 6,36). Außerdem legt sich die Frage auch nahe, wenn die Sünde im Anschluss an Röm 5,12 – 21 als eine Macht mit Verhängnischarakter verstanden wird, die jeder menschlichen Existenz vorgängig ist.10 Wenn dem so ist, dann hat sich die Liebe Gottes als Vaterliebe, die sich nicht zuletzt in seiner schöpferischen Tätigkeit konkretisiert (vgl. 1 Kor 8,6),11 eo ipso auf die Sünde zu beziehen und gewinnt von ihr her eine besondere Gestalt.12 Kumulativ wird der vorgetragene Zusammenhang im Rahmen von 1 Kor 15,3b deutlich, in dessen Zusammenhang das Sterben Christi als ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν κατὰ τὰς γραφάς charakterisiert und der Bogen zwischen der Sendung des Gottessohnes und dem Sterben »für unsere Sünden« geschlagen wird.13 In den Bekenntnissen findet diese Kumulation ihren Ausdruck in dem Umstand, dass das jesuanische Wirken auf sein Sterben und Auferstehen enggeführt wird: »Die Bedeutung von Jesus ist in den Schriften des Neuen Testaments und den apostolischen Vätern nahezu ausschließlich auf seinen Tod am Kreuz zur Vergebung der Sünden und auf seine Auferstehung bezogen, die wiederum die Auferstehung und das ewige Leben der Gläubigen begründen. Diese monumentale Einseitigkeit der neutestamentlichen Überlieferung, die nicht nur für die Briefe, sondern auch für die Evangelien gilt, ist auch in den frühen christlichen Bekenntnisformulierungen bis hin zum Apostolikum

9   L. Bormann, Theologie des Neuen Testaments (UTB 4838), Göttingen 2017, 135. 10  Vgl. U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Göttingen 22014, 263. 11   Vgl. den Aufsatz von Zimmermann, Referenzen (s. Anm. 5), 99 – 100. 12   Vgl. A. Käfer, Erlebte Auferstehung. Systematisch-theologische Reflexionen zum Bekenntnis der Auferstehung Christi, in: J. Herzer / A. Käfer / J. Frey (Hg.), Die Rede von Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018, 351 – 367 (367): »Die ewige Gegenwart der Liebe Gottes, die mit dem Erscheinen des auferstandenen Gekreuzigten offenbar wird, setzt dessen Kreuzestod und die Menschwerdung Gottes voraus.« Dementsprechend ist ihr eine hamartiologische Dimension eingeschrieben. 13   Dabei ist zugleich die Bedeutung von 1 Kor 15,3b – 5 festzuhalten, dass als urchristliches Traditionsstück bzw. Bekenntnis zu verstehen ist. Vgl. dazu C. Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 7), Leipzig 1996, 355 – 370.

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eindrücklich festgehalten worden.«14 In dieser Wahrnehmung und durch den Verweis auf »die Schriften« in 1 Kor 15,3b wird bereits innerbiblisch die Anfrage nach der Dignität der neutestamentlichen Belege gestellt, die späterhin eine Verhältnisbestimmung zu den davon abgeleiteten Bekenntnissen herausfordert. Demnach findet sich hier bereits in nuce die Problematik angelegt, die sich mit den Begriffen der norma normans und norma normata verbindet. Freilich ist bei den Überlegungen zur Liebe Gottes, seinem Vater-Sein und dem Sterben seines Sohnes »für unsere Sünden« immer auch die Aporie mitzudenken, dass die Sündenverfallenheit der Welt durch das Geschick Jesu nicht nur eine heilvolle Wendung erhält, sondern vielmehr in seiner Person eine Begrenzung erfährt, insoweit derjenige, der die Sünden der Welt auf sich nimmt, nach neutestamentlicher Überlieferung keine eigene Sünde zu tragen hat (vgl. 2 Kor 5,21; Gal 3,13; Hebr 4,15). Damit ist ein Differenzpunkt zwischen den Menschen im allgemeinen und Christus im speziellen gezogen, der es ermöglicht, die Frage nach der Verbindung zwischen der Liebe Gottes und der Sünde zu stellen, ohne sich auf Fragen des Seins Jesu kaprizieren zu müssen. Vor dem Hintergrund des neutestamentlichen Zeugnisses ist deswegen nun zugespitzt und konkret zu fragen: Was wäre die Liebe Gottes ohne die Sünde, die ihrerseits »ihrem Wesen nach stets Verfehlung der Liebe«15 ist, insofern der Mensch als Ebenbild Gottes »eine gelebte Veranschaulichung, eine Darstellung, ja eine Verwirklichungsform des Wesens Gottes«16 sei, dass die Liebe ist.17 Wird also nicht erst vor dem Hintergrund der Rede von der Sünde die »lebensbejahende Hoffnungsperspektive«18 der Vater-Metapher vollumfänglich deutlich?19

14  R. Deines, Der Tod des Gottessohnes und das ewige Leben der Menschen, in: Herzer / Käfer / Frey, Die Rede (s. Anm. 12), 183 – 210 (203 f.). 15   W. Härle, Dogmatik, Berlin 32007, 466. 16   A. a. O., 436. 17   Zum Begriff der Liebe vgl. a. a. O., 242 – 244. 18   A. Strotmann, Gott als Vater. Eine Metapher, in: KatBl 140 (2015) 1, 14 – 17 (16). 19  Vgl. Feldmeier / Spieckermann, Gott (s. Anm. 3), 129: »Als überströmende Güte, die den Menschen, mehr noch, die ganze Schöpfung ergreift (Röm 8,18 – 22), sie vom Verhängnis der Vergänglichkeit befreit und ›ewiges Leben‹ gewährt (Röm 5,21; 6,22 f.; Gal 6,8; vgl. 1 Tim 1,16; 6,12; Tit 3,7), ist die göttliche Liebe daher nicht Ausdruck eines Mangels, sondern im Gegenteil Inbegriff der Vollkommenheit Gottes als des himmlischen Vaters (Mt 5,48).«

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2.  Zur Perspektive der Systematischen Theologie Krüger beginnt seine Ausführungen mit der Wahrnehmung, dass eine »Krise des religiösen Vaterbildes«20 zu verzeichnen sei. Gestützt werde die Annahme21 einer Krise der Vater-Metapher durch vier Argumente: das religionskritische, das feministisch-theologische, das subjektivitätstheoretische und das trinitätstheologische Argument. In der Summe der genannten Anfragen sei insgesamt für einen Neuansatz in der evangelischen Theologie zu plädieren.22 Die These dieses Neuansatzes lautet: »Die Religion, auch die evangelische Religion, ist im menschlichen Bildvermögen und seiner Einbildungskraft fundiert.«23 Krüger spricht von einer bildhermeneutischen Theologie, die es vermag, ein anschauliches Gottes-Bild zu realisieren und vermittlungstheologisch verstanden werden könne. Vorauszusetzen sei dabei, dass »das (äußere) Bild [als] ein wahrnehmungsnahes Zeichen [verstanden werde], das wesentlich auf die Einbildungskraft angewiesen ist, die sich dabei selbst durchstreicht und die religionsstiftenden Kategorien der Ganzheit und Kontrafaktizität aufweis[e].«24 Grundlegend sei die Einsicht, dass ein Mensch als Sprachwesen auf ein grundlegendes Bilderverstehen angewiesen sei, das äußere Bilder und Zeichen einschließe und eine innere Einbildungskraft erfordere. Eingedenk der Offenheit von Bildern können diese auch den Grund und die Grenze menschlichen Lebens bildtheoretisch auffassen, was in Bezug auf die Wahrnehmung des alltäglichen Horizontes die Frage evoziere: »Und was kommt dann?«25 Wenn nun die »Religion das menschliche Bildvermögen im Horizont des Unbedingten«26 sei, dann geschehe im Christentum eine religiöse Realisation, insofern die Stiftergestalt – spätestens mit den Ostererscheinungen – zum Bild Gottes werde. Die biblische Überlieferung kann in 20   Vgl. den Beitrag von M. D. Krüger, »Godfather«? Das religiöse Vaterbild aus systematisch-theologischer Sicht, in diesem Band 117. 21  Die nachfolgend, auch andernorts vorgetragenen Anfragen bzw. Annahmen bringen Schneider-Flume gar zu der Frage: »Müssen wir Väter nicht abschaffen, anstatt sie zu legitimieren und zu sanktionieren?« G. Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik. Nachdenken über Gottes Geschichte (UTB 2564), Göttingen 22008, 149. 22   Vgl. dazu ausführlich M. D. Krüger, Das andere Bild Christi. Spätmoderner Protestantismus als kritische Bildreligion (DoMo 18), Tübingen 2017. 23   Krüger, »Godfather«? (s. Anm. 20), 125. 24   A. a. O., 126. 25   A. a. O., 130. 26  Ebd.

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diesem Sinn als ein äußeres Bild verstanden werden, das zur Fibel des inneren Bildes wird. Letztlich mache diese Bildhermeneutik deutlich, dass Gott als ungegenständlicher Fluchtpunkt menschlichen Lebens zu denken sei, »der in dessen Wahrnehmung und Führung immer nur indirekt, gebrochen und aposteriorisch erscheint.«27 Somit zeige sich, dass Religion durchaus eine Projektion des Menschen sei, insofern sie auf dem Bildvermögen des Menschen beruhe, der gezwungenermaßen dies immer wieder gegenständlich symbolisiere. Das geschaffene Gottesbild beziehe sich somit auf eine Dimension des Unbedingten, die den Menschen in seinem religiösen Selbstverständnis übertreffe. Für die Frage nach der Vater-Metapher sei dementsprechend festzuhalten, dass die Gottesprädikate zu unterschiedlichen Akzentuierungen führen können, ohne eine davon zu verabsolutieren. In allen diesen Projektionen gehe Gott nicht auf, sondern verbleibt als ein ungegenständlicher Fluchtpunkt, in dem als Bild auch die subjektivitäts- und trinitätstheologischen Anfragen aufgehoben seien. Letztlich stünde der Vater dann für Ganzheit und Kontrafaktizität, für das schlechthin Ungegenständliche und eine unfassbare Positivität, dessen Rede und Symbolik eine »ungegenständliche Hintergründigkeit zur Sprache [bringe, JQ], aus der und von der wir stets leben, ohne ihrer habhaft werden zu können.«28 Im Sinne der Exemplarizität beschränken sich die Anfragen auf fünf Punkte, zu deren Vorbereitung erneut die Religionsdefinition von Krüger in Erinnerung zu rufen ist: »Die Religion, auch die evangelische Religion, ist im menschlichen Bildvermögen und seiner Einbildungskraft fundiert.«29 Um das hermeneutische Potential der Vater-Metaphorik zu erschließen, geht Krüger somit von einer sehr grundsätzlichen Definition von Religion aus. Die dezidiert theologische Fundierung seiner These und seiner Definition wird besonders am sechsten sog. Springpunkt deutlich und führt zur ersten Frage: (1) Krüger hält fest: »Wenn die Religion das menschliche Bildvermögen im Horizont des Unbedingten ist, dann wird dies im Christentum an und in sich selbst religiös realisiert, wenn die Stiftergestalt – definitiv mit Ostern, und zwar den Ostererscheinungen – zum sich selbst durchstreichenden Bild Gottes wird.«30 Inwiefern aber wird der Auferstandene zum sich selbst durchstreichenden Bild Gottes im Rah27

    29   30   28

A. a. O., 132. A. a. O., 138. A. a. O., 125. A. a. O., 130.

146  Jan Quenstedt men der überlieferten Ostererscheinungen? Damit verbunden ist die Verständnisfrage, worauf der Begriff »Bild Gottes« abhebt? Auf eine Vorstellung im Sinne eines imaginären Bildes oder auf ein visuelles Bild? Gegen eine visuelle Identifikation spricht z. B. Lk 24 ebenso wie 1 Kor 15. Der Auferstandene wird nicht als Bild Gottes visualisiert, sondern als der, der er vor der Auferweckung war: Als Gekreuzigter, der nach der lukanischen Überlieferung sogar mit Haut und Haaren greifbar ist und dessen leibliche Auferstehung auch Paulus festhält.31 Selbst diejenigen Jünger, nämlich Petrus, Johannes und Jakobus, die aufgrund ihrer Anwesenheit bei der Verklärung auf dem Berg (Lk 9,28 f. parr.) auf der Erzählebene über ein – gegenüber den anderen Jüngern – erweitertes äußeres Bildrepertoire verfügen, dass sogar phonetische Erinnerungen über die Himmelsstimme birgt, die Jesus als ὁ υἱός μου ὁ ἐκλελεγμένος identifiziert, erkennen nachösterlich in Jesus kein Bild Gottes, sondern den Auferstandenen im Status seiner Gottessohnschaft.32 Auch die Selbstidentifikation des Auferstanden (Lk 24,39) wahrt die Kontinuität zwischen seiner vorösterlichen Person und seiner österlichen Gestalt, geht aber nicht über die Vorstellung der Gottessohnschaft hinaus. Selbst die Deutung der Himmelfahrt des Auferstandenen führt zu keiner Identifikation von Jesus als Bild Gottes, sondern sieht ihn sitzend zur Rechten Gottes seines Vaters (Apg 2,33 f.), der ihn mit dem Heiligen Geist ausstattete (Apg 2,33) und zum Herrn und Christus gemacht hat (Apg 2,36). Somit wird in diesem Geschehen die »unverbrüchliche Liebesgemeinschaft«33 zwischen Gott und Mensch visualisiert. Eine Charakterisierung Christi als Bild Gottes kann somit allenfalls als subjektive Deutungsleistung plausibilisiert werden, insofern die »(schriftlich-kanonischen wie sakramentalen) Erinnerungen«34 durch den Rezipienten entsprechend gedeutet und zu seinem »inneren« Bild werden, das in Tod und Auferstehung Jesu das Wirken Gottes an seinem Sohn und somit in ihm sein Bild erkennt. Der Beginn dieser Deutung Christi zum Bild Gottes ist bereits bei Paulus zu sehen, der anders als in den benannten 31   Zur Bedeutung der leiblichen Dimension der Auferstehung vgl. J. Frey, Biblisch-theologische Reflexionen zum Bekenntnis zur Auferstehung Jesu, in: Herzer / Käfer / Frey, Die Rede (s. Anm. 12), 325 – 349 (330 – 333). 32  Zur Begründung der Gottessohnschaft durch die Auferstehung vgl. Härle, Dogmatik (s. Anm. 15), 347 – 348. 33   Frey, Reflexionen (s. Anm. 12), 349. Vgl. zum systematisch-theologischen Gehalt des Begriffes fernerhin A. Käfer, Erlebte Auferstehung, in: Herzer / Käfer / Frey, Die Rede (s. Anm. 12), 351 – 367 (367). 34   Krüger, »Godfather«? (s. Anm. 20), 131.

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Ausführungen in 1 Kor 15 in 2 Kor 4,4 tatsächlich von Christus als Bild Gottes spricht, wie auch der Verfasser des Kolosserhymnus (Kol 1,15 – 20) von Christus als Bild Gottes spricht.35 Demgegenüber spricht der Philipperhymnus (Phil 2,5 – 11) aber wiederum von Christus als μορφῂ θεοῦ und nicht von Christus als εἰκὼν τοῦ θεοῦ (2 Kor 4,4).36 Daran anschließend ist zu fragen, welche neutestamentlichen Begründungszusammenhänge die »bildhermeneutische Theologie«37 für sich in Anspruch nehmen könnte und wie sie das vielfältige biblische Zeugnis in ihre Theoriebildung integriert. Damit ist bereits die zweite Frage vorbereitet: (2) Das Bild von Gott-Vater, das Krüger als »das bildlose Bild für eine geheimnisvolle Gegenständlichkeit, […] [als] eine ins unaufhebbare Dunkel bzw. Licht gehüllte Dimension«38 bezeichnet, steht einer Vielzahl von biblischen Perikopen gegenüber, die ein sehr konkretes, anthropomorphes Vater-Bild vermitteln, wie Zimmermann gezeigt hat.39 Wie lassen sich diese beiden Dimensionen zusammenbringen: Die »ungegenständliche Hintergründigkeit […] aus der und von der wir stets leben«40, wie Krüger formuliert, gegenüber biblisch überlieferten Vatergeschichten und konkreten menschlichen Erfahrungen? (3) Krüger formuliert: Das »Bild von Gott-Vater [steht] nicht für eine reale, gegenständliche Person, die in autoritär-paternalistischer Weise die Welt beherrscht und nach Gutdünken ihre Gesetze durchbrechen und Gnade schenken kann.«41 Demgegenüber bekennt sich das Apostolikum zur Allmacht des Vaters, von der im vorliegenden Band Markus Witte und Michael Moxter sprechen.42 Streng genommen wirkt Gott, selbst als eine personale Projektion menschlicher

35   Zugleich sind weiterhin die Selbstaussagen des johanneischen Jesus zu bedenken, vgl. u. a. Joh 10,10. 36   Dieser Umstand könnte als ein Indiz für die Beurteilung des Hymnus als von Paulus aufgenommenes Traditionsstück angeführt werden. Zur Frage nach der traditionsgeschichtlichen Verortung des Hymnus vgl. U. B. Müller, Der Brief des Paulus an die Philipper (ThHK 11 / I), Leipzig 1993, 90 – 113. 37   Krüger, »Godfather«? (s. Anm. 20), 137. 38   A. a. O., 138. 39  Vgl. Zimmermann, Referenzen (s. Anm. 5), 101 – 106. 40   Krüger, »Godfather«? (s. Anm. 20), 138. 41  Ebd. 42  Vgl. M. Witte, Vom Glauben an den Allmächtigen und der Bosheit des Menschen. Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments, und M. Moxter »Ich glaube an Gott den Allmächtigen  – Was heißt das?«, in diesem Band, 155 – 175 und 177 – 193.

148  Jan Quenstedt Einbildungskraft,43 im Licht der biblischen Überlieferungen als ein notorischer Gesetzesbrecher, insofern er sich auf die Menschen einlassend seine eigenen Gesetze missachtet und die Welt eben nicht an ihnen scheitern lässt (vgl. Röm 1,18 – 3,20), sondern dagegen seinen Sohn zur Erlösung sendet und Rechtfertigung wirkt (vgl. Röm 3,21 – 31).44 Gegen die menschliche Verfehlung der Gesetzeserfüllung, die sich aus der Sündenverfallenheit der Schöpfung ergibt, stellt Gott seine Gnade und erweist sich darin, überspitzt formuliert, als Autokrat, der in autoritär-paternalistischer Weise seine eigenen Gesetze zum Heil für die diesen Gesetzen Unterworfenen bricht. Zum Erweis dieses Gesetzesbruchs ist auf das Kreuz Christi zu verweisen, welches »für den christlichen Glauben das Zeichen dafür [ist], dass Gott bewusst darauf verzichtet, die Menschen mit Gewalt zur Ordnung zu rufen, dass er ihre Freiheit respektiert (auch die Freiheit zum Bösen), dass er vielmehr den Sieg seiner ›Allmacht‹ in der Ohnmacht seines Unterliegens erringt.«45 Kann die Theologie demnach – trotz aller berechtigten Anfragen – von der Rede von einem Gott-Vater mit autoritär-paternalistischen Zügen unter dem Vorzeichen der Liebe absehen? (4) Die vierte Frage ergibt sich aus den vorangegangenen Anfragen und bezieht sich auf die Bedeutung des Apostolikums vor dem Hintergrund der vorgetragenen Thesen zu einer bildhermeneutischen Theologie. Das Apostolikum kann, wie alle anderen Glaubensbekenntnisse auch, als eine systematische Reflexion biblisch-theologischer Sachverhalte verstanden werden, die als grundlegender Verstehensrahmen zugleich die Lektüre der Schrift normiert. Üblicherweise wird dabei zwischen norma normans (Schrift) und norma normata (Bekenntnis) differenziert.46 Die mit dieser Unterscheidung verbundenen Probleme hat Rochus Leonhardt auf der ersten Credo-Tagung zur Sprache gebracht.47 Insbesondere zu erwähnen ist der damit verbundene Gedanke einer Lehr- und Traditionskontinuität, die eine »sachliche Kontinuität der christlichen Lehre beansprucht, die von der Bibel über die altkirchlichen Bekenntnisse bis zu den Bekenntnistexten des 43

 Vgl. Krüger, »Godfather«? (s. Anm. 20), 133 – 134.  Vgl. Jüngel, Tod (s. Anm. 8), 144. 45  U. Kühn, Was Christen glauben. Das Glaubensbekenntnis erklärt, Leipzig 22004, 72. 46  Vgl. R. Leonhardt, Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche zwischen Anspruch der Tradition und aktuellen Herausforderungen, in: Herzer / Käfer / Frey, Die Rede (s. Anm. 12), 55 – 82 (58 – 59). 47   Vgl. ebd. 44

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Reformationsjahrhunderts reicht.«48 Dass diese sachliche Kontinuität nicht in jedem Fall gegeben ist, wird bereits durch die kritischen-konstruktiven Anfragen der Vorträge von Zimmermann und Krüger an das Apostolikum deutlich. Somit steht in besonderer Weise die aktuelle Relevanz von Bekenntnisaussagen auf dem Prüfstand, wie auch eine Auseinandersetzung mit der Theorie von Krüger zeigen kann. Dafür ist zu fragen, welche Relevanz speziell dem Credo für die Entwicklung eines Gottesbildes zukommt, wenn das Gottesbild als »inneres Bild« verstanden wird, das sich aus der Rezeption und der möglichen Negation verschiedener äußerer Bilder ergibt. Wie sind die Schrift und das Apostolische Glaubensbekenntnis, das streng genommen ein abgeleitetes Bild darstellt, vor dem Hintergrund der Bildhermeneutik einander zugeordnet? Wenn die Lektüre der Schrift als äußeres Bild ein inneres Bild evoziert, kann dieses innere Bild dann durch ein abgeleitetes Bild in Form des Apostolikums eine Normierung erfahren? Oder ist dem Apostolikum insofern keine Relevanz mehr zuzumessen, als die Entwicklung religiöser Bilder und Einstellungen ohnehin auf dem je individuellen Repertoire äußerer Bilder basiert? Gleiches ist dann auch für die Schrift zu fragen: Braucht der christliche Glaube Bibel und Glaubensbekenntnisse als Bilderfibeln für ein Gottesbild, oder ist ein konkretes Gott-Vater-Bild gar nicht im Sinne der von Krüger entwickelten Bildhermeneutik? (5) Es ist eine Spannung zwischen den Aussagen von Krüger wahrnehmbar, dass der Vater »nach dem hier Dargelegten für die Perspektive von Ganzheit und Kontrafaktizität [steht], die durch das Bild Jesu gebrochen in der Kraft des Geistes bzw. im Leben der Kirche erscheint«49 und der Beschreibung von Gott-Vater als »ins unaufhebbare Dunkel bzw. Licht gehüllte Dimension«50 in unserer Einbildungskraft, die für das »schlechthin Ungegenständliche steht«51. Welche Möglichkeiten religiöser Kommunikation bestehen vor dem Hintergrund dieser Spannung? Wie lässt sich der »blinde Fleck unseres Lebens«52, der wohl nichts anderes als das »innere« Bild von Gott-Vater meinen kann, kommunizieren, ja plausibilisieren hin zu einem persönlichen Gottesbild? Oder lässt sich über Gott schlichtweg

48

  A. a. O., 57.  Vgl. Krüger, »Godfather«? (s. Anm. 20), 138. 50  Ebd. 51  Ebd. 52  Ebd. 49

150  Jan Quenstedt gar nichts mehr sagen, im stillen Wissen über den Auftrag zur Verkündigung und der Unmöglichkeit seiner Durchführung?53

3. Fazit Welche »sofakissentaugliche« Definition von Liebe würde Kim Casali im Anschluss an die vorliegenden Vorträge wohl formulieren? »Liebe ist …« – Letztlich würde auch dieser und jeder andere Definitionsversuch fehlschlagen: Trotz aller biblischen Bilder und Erzählungen, aller anthropomorphen Zuschreibungen und Vergleiche, bleibt Gott als Gott-Vater immer transzendent und einem konkreten menschlichen Zugriff entzogen. Für das Apostolikum ist dieses Defizit jedoch als Gewinn zu betrachten: Als Glaubensaussage verstanden besitzt das Gott-Vater-Bild eine universale und integrative Funktion, die die Rezipientinnen und Rezipienten an eine persönliche Lebenserfahrung verweist, jedoch nicht bei dieser individuellen Konnotation stehen bleibt, sondern den Vater-Begriff mit Gott verbindet. Durch diese Verbindung kann eine kritische Auseinandersetzung der bzw. des Gläubigen mit der Begrifflichkeit und mit diesem Bild evoziert werden, für die die weiteren Aussagen des ersten als auch die nachfolgenden Artikel des Apostolikums als Lese- und Verstehenshilfen verstanden werden können. Sie explizieren das Bild von Gott als Vater und verbinden es mit weiteren zentralen Topoi christlicher Theologie. In dieser Verbindung erweist sich der erste Artikel des Apostolikums mit der Rede von Gott-Vater als ein Schlüssel, der weitere Glaubensinhalte aufschließt und zugleich von diesen her Gestalt gewinnt. Insofern zeigt sich das Potenzial des ersten Artikels insbesondere im Dreiklang der Artikel des Apostolikums und fügt den anderen Artikeln die entscheidend theo-zentrische Fundierung hinzu, ohne die das Credo in seiner Gesamtheit dem biblischen Zeugnis nicht gerecht werden würde. Kurzum: Mit der Glaubensaussage des ersten Artikels, dass Gott der Vater sei, verbindet sich eine existenzielle Dimension, die die Rezipientinnen und Rezipienten zur Reflexion dieser Aussage anhält und dadurch die bleibende Aktualität der Metapher verbürgt, in dem Wissen um die Dialektik aller Reden über und aller Bilder von Gott. 53   Vgl. K. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, in: W. Härle (Hg.), Grundtexte der neueren evangelischen Theologie, Leipzig 2007, 102 – 119 (103).

Weiterführende Fragen  151

Weiterführende Fragen 1. Wie können wir der Schwierigkeit begegnen, dass die Erfahrungen einzelner Menschen mit Vaterfiguren einem vertrauensvollen Verhältnis zu Gott als Vater oft im Weg stehen? Welche Erzählungen und Texte aus der biblischen Tradition könnten aufschlussreich sein (vgl. etwa Lk 15,11 – 32)? Kann die Ergänzung durch mütterliche Metaphorik weiterhelfen? 2. Inwieweit kann oder muss von Gott in personaler Weise gesprochen werden? Und sind die biblischen Gottesbilder zu konkret, zu festlegend, unterliegen sie gar dem Bilderverbot? Oder sind sie sinnvolle Ausdrucksformen der in Christus ermöglichten Beziehung zu Gott als dem Erlöser und Schöpfer? 3. Was bedeutet es für den interreligiösen Austausch, dass ein christliches Bild Gottes (als des »Vaters«) erst und wesentlich in der Sendung Jesu Christi und in der durch ihn gewirkten Sündenvergebung wurzelt?

II.  »… Allmächtigen …« Von der Bosheit des Menschen Die Rede von Gott als dem Allmächtigen knüpft an die Rede von Gott als liebendem Vater an. Dabei ergibt sich die Herausforderung, Gottes Macht im Verhältnis zu menschlichen Herrschaftsansprüchen und menschlichen Leiderfahrungen (Theodizeefrage) zu denken. Die Rede von Gott als dem Allmächtigen (griech.: παντοκράτωρ) begegnet erst in der Spätzeit des Alten Testaments (häufig in der Septuaginta, z. B. Jdt 16,17; 2 Makk 8,18), und zwar unter der Herrschaft scheinbar allmächtiger Weltreiche. Dabei dient diese Rede gerade nicht dazu, irdische Herrschaft zu legitimieren, sondern umgekehrt, menschliche Herrschaftsansprüche in ihre Grenzen zu weisen. In der Leiderfahrung (Hi 42,2 – 6) hält diese Rede die Unverfügbarkeit Gottes fest und ist zugleich Ausdruck des Vertrauens, dass Gott als der Vater und Schöpfer der Welt in Treue seinen Geschöpfen zugewandt ist. Im Neuen Testament wird Gott nur in der Apokalypse als Pantokrator bezeichnet; hier wird er beschrieben als der, der den Weltmächten entgegentritt, und seine weltweite Herrschaft wird erhofft. Von hier aus ist auch das ikonographisch wirksame Bild von Christus dem Pantokrator (in Apsiden spätantiker Kirchen) abgeleitet. Bei der Rede von Gottes Allmacht ist grundsätzlich ausschlaggebend, wie das Verhältnis von Gottes Wollen, Wissen, Können und Wirken vorgestellt wird. Wird beispielsweise Gottes Wirken nicht in Übereinstimmung mit Gottes Willen gedacht, scheint angenommen zu werden, Gott könne durch andere Mächte daran gehindert sein, seinen Willen zu verwirklichen; dies aber würde seiner All-Macht widersprechen. Zudem ist für die Allmacht des Vaters entscheidend, dass sie nicht Beliebiges oder Liebeswidriges will und wirkt. Vielmehr ist sie die Allmacht seiner Liebe. Dass Gottes Allmacht am Ende des zweiten Glaubensartikels zur Charakterisierung des Vaters Jesu Christi wiederholt wird, stellt die Bedeutung dieser Eigenschaft Gottes heraus.

Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments Markus Witte

1.  Zeit- und theologiegeschichtliche Hintergründe Die Frage nach der Allmacht Gottes und der Bosheit des Menschen führt theologiegeschichtlich zurück in theologische und anthropologische Diskurse des Judentums der hellenistischen Zeit.

In der hellenistischen Zeit entwickeln sich im Judentum erstmals umfassende Reflexionen über das Wesen Gottes, die sich – einer mittelalterlichen Definition von Theologie entsprechend1 – als systematisch strukturierte Rede über Gott (de deo), durch bzw. von Gott her (a deo) und zu Gott hin (ad deum) ansprechen lassen. Ihnen stehen entsprechende Reflexionen über das Wesen des Menschen zur Seite. Diese Reflexionen haben sich sowohl in kanonisch gewordenen Schriften der Hebräischen Bibel und der Septuaginta niedergeschlagen als auch in zahlreichen nicht kanonisch gewordenen Schriften, die trotz ihres jüdischen Ursprungs in der Spätantike aus dem Hauptstrom der jüdischen Überlieferung ausgeschieden sind und mehrheitlich dank ihrer Rezeption im Christentum überlebt haben. Zwar enthalten auch die älteren israelitisch-jüdischen Schriften aus babylonischer und persischer Zeit vielfältige theologische Aussagen, die sich systematisch klassifizieren und rückblickend zu einer Theologie kombinieren lassen, sodass beispielsweise von einer Theologie der Priesterschrift, der Theologie eines einzelnen Psalms oder der Theologie eines (älteren) Hiobbuches gesprochen werden kann.2 Doch im Schatten des Vordringens Alexanders des Großen (356 – 323 v. Chr.) von der Ägäis 1   Vgl. Albertus Magnus, Commentarii in sententiarum, dist. I, art. II, in: Opera omnia, Bd. 25, hg. v. A. Borgnet, Paris 1893, 15 – 17; ders., Summa theologiae, tract. I, quaest. II, in: Opera omnia, Bd. 31, hg. v. A. Borgnet, Paris 1895, 11 – 12. 2   S. dazu exemplarisch P. Weimar, Studien zur Priesterschrift (FAT 56), Tübingen 2008; H. Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen (FRLANT 148), Göttingen 1989; R. M. Wanke, Praesentia Dei. Die

156  Markus Witte bis an den Indus und der Etablierung hellenistischer Monarchien in Ägypten, Kleinasien und in Syrien kommt es zu einem gewaltigen Theologisierungsschub  – nicht nur im Judentum, sondern auch in anderen Religionen des Vorderen Orients. Bezogen auf das Judentum sind wesentliche Faktoren dieses Theologisierungsschubes: 1) die Begegnung mit griechischer Philosophie, vor allem in Gestalt der Vorsokratik, der Stoa und des Epikureismus,3 2) die Auseinandersetzung mit der Ideologie der hellenistischen Herrscher, die den Anspruch erheben, als Götter zu verehrende Stifter von universalem Frieden, Gerechtigkeit, Heil und Wohlstand zu sein,4 3) radikale Veränderungen in der Sozial- und Wirtschaftsstruktur und das rasante Anwachsen einer über den gesamten Mittelmeerraum verbreiteten, vor allem in den großen Städten lebenden Diaspora. Ebenfalls in die hellenistische Zeit fällt die Etablierung der grundsätzlichen religiösen Identitätsmerkmale des Judentums: 1) die Torah in Gestalt des Pentateuchs mit dem inhaltlichen Zentrum im Schema Israel (Dtn 6,4 f.) und im Dekalog (Ex 20,2 – 17; Dtn 5,6 – 21), 2) die Vorstellung, dass Jhwh der einzige Gott ist, der die Welt erschaffen hat, sie erhält und die Geschichte lenkt und der bildlos zu verehren ist, 3) die Überzeugung, dass Israel das erwählte Volk Gottes ist, 4) die Konzentration des Kultes auf den Tempel in Jerusalem, was nicht die (vorübergehende) Existenz weiterer Jhwh-Heiligtümer Vorstellungen von der Gegenwart Gottes im Hiobbuch (BZAW 421), Berlin / Boston 2013. 3   S. dazu M. Hengel, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (WUNT 10), Tübingen 31988, 120 – 195; O. Kaiser, Athen und Jerusalem. Die Begegnung des spätbiblischen Judentums mit dem griechischen Geist, ihre Voraussetzungen und ihre Folgen, in: M. Witte / S. Alkier (Hg.), Die Griechen und der Vordere Orient. Beiträge zum Kultur- und Religionskontakt zwischen Griechenland und dem Vorderen Orient im 1. Jahrtausend v. Chr. (OBO 191), Freiburg / Göttingen 2003, 87 – 120. 4  Vgl. H.-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis (KStTh 9,2), Stuttgart / Berlin / Köln 1996, 18 – 44.

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auf dem samarischen Berg Garizim und im ägyptischen Leontopolis ausschließt,5 5) die ortsunabhängig vollziehbaren Riten der Beschneidung, des Sabbats, des Gebets, des Fastens und des Almosengebens sowie die Einhaltung besonderer Reinheits- und Speisegebote. Gleichzeitig bilden sich in hellenistischer Zeit jüdische Konfessionen, die sich hinsichtlich ihrer Stellung zu diesen fünf Identitätsgrößen, hinsichtlich ihrer Haltung zur paganen griechischen Kultur sowie hinsichtlich der Stellung zum Jerusalemer Hohenpriester und zum in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. entstehenden hasmonäischen Königtum unterscheiden.6 So kennzeichnet das Judentum der hellenistischen Zeit, neben den gemeinsamen religiösen Merkmalen und theologischen Grundüberzeugungen, eine lokale, konfessionelle und sprachliche Pluralität. In diesem vielfältigen Milieu wird das gesamte überkommene Schrifttum aus theologischer Perspektive redigiert. Die Redaktion ist so umfassend, dass jede in der Hebräischen Bibel überlieferte Schrift noch in hellenistischer Zeit Fortschreibungen erfährt. Und es werden in großem Umfang ganz neue Schriften konzipiert, von denen nur ein kleiner Teil in der Griechischen Bibel, der Septuaginta, überliefert wurde, während der ganz überwiegende Teil nicht kanonisch wurde.7 5   S. dazu J. Frey, Temple and Rival Temple. The Cases of Elephantine, Mt. Gerizim, and Leontopolis, in: B. Ego / A. Lange / P. Pilhofer (Hg.), Gemeinde ohne Temple / Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum (WUNT 118), Tübingen 1999, 171 – 203; J. K. Zangenberg, The Sanctuary on Mount Gerizim. Observations on the Results of 20 Years of Excavation, in: J. Kamlah (Hg.), Temple Building and Temple Cult. Architecture and Cultic Paraphernalia of Temples in the Levant (2. – 1. Mill. B. C. E.) (ADPV 41), Wiesbaden 2012, 399 – 418. 6   Zu den innerjüdischen Konflikten, die mit der Übernahme des Hohenpriestertums in Jerusalem und der Etablierung einer judäischen Königsherrschaft im Gefolge des sogenannten Makkabäeraufstandes (167 – 165 v. Chr.) verbunden waren, s. M. Sasse, Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels. Historische Ereignisse – Archäologie – Sozialgeschichte – Religions- und Geistesgeschichte, Neukirchen-Vluyn 2004, 166 – 230; C. Frevel, Geschichte Israels (KStTh 2), Stuttgart 2016, 348 – 366. 7   Zu diesen, in literaturgeschichtlicher Hinsicht problematisch, als »Pseud­ epigraphen« bezeichneten Schriften s. einführend G. W. E. Nickelsburg, ­Jüdische Literatur zwischen Bibel und Mischna. Eine historische und lite­ rarische Einführung (ANTZ 13), Berlin 2018, sowie die Textsammlungen: Outside the Bible. Ancient Jewish Writings Related to Scripture, I – III, hg.

158  Markus Witte Die Frage nach dem Wesen Gottes und des Menschen spielt bei der Redaktion der älteren Schriften und bei der Konzeption der jüngeren eine zentrale Rolle. Sie wird literarisch – und nur auf diese Manifestation der religiösen Artikulation soll hier eingegangen werden – vor allem in drei Bereichen greifbar: affirmativ im Gebet, diskursiv in der Weisheit, dramatisch-narrativ in der Apokalyptik. Diese Bereiche können sich überschneiden. Dies zeigen einerseits die Vielzahl der Gebete im Lehrbuch des Weisen Ben Sira aus der Zeit um 180 v. Chr., auf den die erste große theologische Synthese weisheitlicher, kultischer, prophetisch-eschatologischer und historiographischer Traditionen im antiken Judentum zurückgeht, oder die Hochschätzung des Betens und eschatologischer Vorstellungen in der aus der frühen römischen Kaiserzeit stammenden Sapientia Salomonis,8 andererseits die weisheitliche Sprache, didaktische Tendenz und eschatologischen Aspekte zahlreicher Psalmen aus hellenistischer Zeit im Psalter der Hebräischen Bibel (vgl. z. B. Ps 37; 49; 73), in nicht kanonisch gewordenen Psalmenanthologien aus Qumran (vgl. z. B. 1QHa, ShirShabb)9 und in den Psalmen Salomos (1. Jahrhundert v. Chr.), sowie vieler apokalyptischer Texte (vgl. z. B. Dan; 1 Hen).10 Ich konzentriere mich im Folgenden auf weisheitliche Reflexionen und Gebete im Alten Testament und in frühjüdischen Schriften außerhalb des Kanons, verweise aber zumindest punktuell auch auf prophetische und apokalyptische Texte. v. L. H. Feldman / J. L. Kugel / L. H. Schiffman, Lincoln NE 2013, und: Early Jewish Literature. An Anthology, I – II, hg. v. B. Embry / R. Herms / A. T. Wright, Grand Rapids MI 2018. 8   S. dazu R. Egger-Wenzel / J. Corley (Hg.), Prayer from Tobit to Qumran, Deuterocanonical and Cognate Literature Yearbook 2004, Berlin / New York 2004; S. C. Reif / R. Egger-Wenzel (Hg.), Ancient Jewish Prayers and Emotions. Emotions Associated with Jewish Prayer in and Around the Second Temple period (Deuterocanonical and Cognate Literature Studies 26), Berlin / Boston 2015; M. S. Pajunen / J. Penner (Hg.), Function of Psalms and Prayers in the Late Second Temple Period (BZAW 486), Berlin / Boston, 2017. 9   Textgrundlage für alle in diesem Beitrag zitierten Qumrantexte ist F. García Martínez / E. J. C. Tigchelaar (Hg.), The Dead Sea Scrolls. Study Edition, I – II, Leiden u. a. 1997.1998 (21999). 10   S. dazu einerseits M. Witte, Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Weisheit und Geschichte in den Psalmen (BThSt 146), Neukirchen-Vluyn 2014, und C. Petrany, Pedagogy, Prayer and Praise. The Wisdom of the Psalms and Psalter (FAT II / 83), Tübingen 2015, andererseits B. G. Wright III / L. M. Wills (Hg.), Conflicted Boundaries in Wisdom and Apocalypticism (SBL Symposion Series 35), Atlanta GA 2005.

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2.  Allmacht und Herrschaft Gottes Die Frage nach der Allmacht Gottes ist begriffs- und traditionsgeschichtlich zunächst einmal eine Frage nach der Herrschaft Gottes.

Begriffsgeschichtlich gründet das im Apostolikum und im Nizänum versprachlichte Bekenntnis zu Gott dem Allmächtigen in dem griechischen Epitheton παντοκράτωρ und in seiner lateinischen Übersetzung mit omnipotens. Gemäß seiner sprachlichen Bestandteile πᾶν (»alles«) und κρατέω (»herrschen«) steht das Wort παντοκράτωρ für den »Allherrscher«. Als solches dürfte es ein Neologismus des hellenistischen Judentums sein. Zu seiner Bildung haben drei Faktoren beigetragen: 1) Vorstellungen von der Herrschermacht der Götter, wie sie in der altorientalischen Welt vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis in die römische Zeit nachweisbar sind, 2) die modifizierende Aufnahme griechischer Begriffe wie παγκρατής11 oder ὁ πάντων κύριος bzw. ὁ ἁπάντων κύριος12, die seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. als Epitheton für Zeus, aber auch für andere Götter, belegt sind,

11   Vgl. Aischylos, Sept. 255; Suppl. 816; Eum. 918; Sophokles, Phil. 679; Frgm. 684,4; Euripides, Frgm. 431,4; Hymnus auf Zeus vom Berg Dikta (W. D. Furley / J. M. Bremer, Greek Hymns, I – II [Studien zu Antike und Christentum 9 – 10], Tübingen 2001, I, 68 – 75; II, 1 – 20); Kleanthes, Frgm. 1,1 bzw. Bacchylides, Epinicia 11,44. Zur hymnischen Anrede eines Gottes als παγκρατής im paganen Bereich s. W. H. Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, III / 1, Leipzig 1902, 1535; O. Montevecchi, Pantokrator, in: Studi in onore di A. Calderini e R. Paribeni, II, Mailand 1957, 401 – 432 (402); H. Hommel, Pantokrator, in: Sebasmata. Studien zur antiken Religionsgeschichte und zum frühen Christentum, Bd. I (WUNT 31), Tübingen 1983, 131 – 177 (140 – 151: mit der These, die Stoa habe παγκρατής nicht mehr im Sinn von »allmächtig«, sondern »alles erhaltend« verstanden, was sich punktuell so auch in der jüdischen und christlichen Verwendung von παντοκράτωρ, z. B. im Aristeasbrief 185,2, vor allem aber im Apostolikum niedergeschlagen habe); Furley / Bremer, Hymns, II, 6, und C. Zimmermann, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Hintergrund (AJEC / AGJU 69), Leiden 2007, 234 – 236. 12  Pindar, I. 5,53; vgl. Demosthenes, Epitaph. 21,6 und Plutarch, Mor. 426a sowie Diodor Siculus 3,61,4 (Zeus als κύριος τῶν ὅλων); bezogen auf Osiris bei Plutarch, Mor. 355e; zu weiteren Belegen s. D. Zeller, Kyrios, κύριος, in: DDD2 (1999), 492 – 497 (493); zu Umschreibungen s. auch Montevecchi, Pantokrator (s. Anm. 11), 402.

160  Markus Witte 3) eine Auseinandersetzung mit dem in hellenistischer Zeit, besonders in Ägypten auftretenden Phänomen der Zuschreibung umfassender Kompetenzen an einzelne Allgottheiten, vor allem an die schon im Alten Reich (ca. 2700 – 2220 v. Chr.) verehrte, in hellenistisch-römischer Zeit aber zu einer universalen Göttin aufgestiegenen Isis,13 aber auch an die Götter Sarapis, Suchos und Zeus. Sämtliche bisher bekannten Belege für παντοκράτωρ / παγκράτωρ oder παντοκράτειρα für unterschiedliche griechische und ägyptische Götter und Göttinnen sind jünger als die ältesten Belege für die Anrede Jhwhs als παντοκράτωρ. Es ist gut möglich, dass sich in der paganen Verwendung von παντοκράτωρ ein Reflex auf die vielleicht aus dem ägyptischen Judentum stammende Neubildung zeigt. Im Blick auf die spezifische inhaltliche Dimension und Funktion der frühjüdischen Rede vom παντοκράτωρ sind drei Aspekte zu unterscheiden: 1) die Verwendung von παντοκράτωρ als Übersetzung der hebräischen Gottesbezeichnung (Jhwh) Zebaoth (ṣeba’ôt), so überwiegend in den prophetischen Büchern der Septuaginta, 2) die Verwendung von παντοκράτωρ als Übersetzung der hebräischen Gottesbezeichnung Schaddaj (šaddaj), so ausschließlich im griechischen Buch Hiob,14 3) die Verwendung von παντοκράτωρ als Gottesbezeichnung in genuin auf Griechisch abgefassten jüdischen Schriften aus der hellenistisch-römischen Zeit. Die eigentlichen Motive, die jüdische Schriftgelehrte des 2. Jahrhunderts v. Chr. dazu veranlasst haben, παντοκράτωρ als Übersetzungsäquivalent für (Jhwh) Zebaoth und für Schaddaj zu nehmen, sind nicht ganz klar, da die Grundbedeutung von ṣeba’ôt und šaddaj nicht gesichert ist. Zwar ist unbestritten, dass ṣeba’ôt grammatisch ein Plural des Wortes ṣābā’ »Heer« darstellt. Es ist aber fraglich, ob sich Zebaoth, möglicherweise in der Langform jhwh ’ælohê ṣeba’ôt »Jhwh der Gott Zebaoth« (2 Sam 5,10; 1 Kön 19,10; Am 4,13), auf Jhwhs 13   S. dazu R. Merkelbach, Isis Regina – Zeus Sarapis. Die griechisch-ägyptische Religion nach den Quellen dargestellt, Stuttgart / Leipzig 1995 (22001). 14  Vgl. M. Witte, The Greek Book of Job, in: T.  Krüger  /  M. Oeming / K. Schmid / C. Uehlinger (Hg.), Das Buch Hiob und seine Interpretationen (AThANT 88), Zürich 2007, 33 – 54.

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himmlische Heerscharen bezieht, und diese dann astral als Sterne oder personifiziert als Engel zu deuten sind, oder auf die irdischen Heerscharen Israels, denen Jhwh in der Schlacht voranzieht. Schließlich könnte ṣeba’ôt auch als Intensivplural für den gesamten von Gott erschaffenen Kosmos gebraucht sein (vgl. Gen 2,1; Neh 9,6). Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass zu unterschiedlichen Zeiten der Religionsgeschichte der Jhwh-Verehrung jeweils eine der genannten Bedeutungen vorherrschte.15 Folgt man der Grundbedeutung von ṣābā’ »Heer«, so ist der Gottestitel Zebaoth stark militärisch konnotiert. Er signalisiert militärische Macht, die auf die Durchsetzung göttlicher Herrschaft zielt. In diese Richtung weist auch die Verbindung des Titels Zebaoth mit der Bezeichnung Jhwhs als dem, der auf bzw. über den Keruben thront, d. h. dem, der auf einem von löwen- und greifenähnlichen Mischwesen flankierten Thron sitzt (vgl. 1 Sam 4,4; 2 Sam 6,2),16 und der als einziger Gott und Schöpfer über Himmel und Erde herrscht (vgl. 2 Kön 19,15 par. Jes 37,16): »Und Hiskias betete vor Jhwh und sagte: Jhwh, du Gott Israels, der du über den Keruben thronst, du bist Gott alleine für alle Königsherrschaften der Erde. Du hast den Himmel und die Erde gemacht.«

Hinsichtlich der sprachlichen Herleitung des Wortes šaddaj gibt es in der Forschung keinen Konsens. Die diskussionswürdigsten Vorschläge reichen von der Rückführung auf das akkadische Wort šadu »Berg« über das ägyptische Wort šed (šd.w) »Retter« bis zu den hebräischen Wörtern šed »Dämon« und šod »Mutterbrust«.17 Die Hebräische Bibel selbst legt eine Zusammenstellung mit der Verbalwurzel šādad »gewalttätig sein« (Jes 13,6; Joel 1,15) nahe. Literaturgeschichtlich begegnet die Bezeichnung Schaddaj in der Form ’el šaddaj mutmaßlich das erste Mal in der Priesterschrift im 6./5. Jahrhundert v. Chr. 15   T. N. D. Mettinger, Yahweh Zebaoth ‫יהוה צבאות‬, in: DDD2 (1999), 920 – 924; M. Albani, Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen. Zur Begründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Gottesverständnisses im Alten Orient (ABG 1), Leipzig 2000. 16   Zu entsprechenden Darstellungen s. M. Metzger, Jahwe, der Kerubenthroner, die von Keruben flankierte Palmette und Sphingenthrone aus dem Libanon, in: ders., Vorderorientalische Ikonographie und Altes Testament. Gesammelte Aufsätze, hg. v. M. Pietsch / W. Zwickel, Münster 2004, 112 – 123 (Abb. 210, Nr.  157 – 169). 17  S. dazu ausführlich M. Witte, From El Shaddai to Pantokrator, in: ders., The Development of God in the Old Testament. Three Case Studies in Biblical Theology (CrStHB 9), Winona Lake IN 2017, 7 – 27 (13 – 16).

162  Markus Witte im Rahmen der Offenbarung Gottes vor Abraham (Gen 17,1). Dabei entwirft die Priesterschrift das dreistufige Konzept einer Geschichte der Offenbarungen Gottes: 1) in der Schöpfung als Elohim »Gott« (Gen 1), 2) als El Schaddaj vor den Vätern Israels (Gen 17,1) und 3) als Jhwh vor Mose (Ex 6,2 f.). Im Zusammenhang der Rede vom Allmächtigen bekommt Gen 17,1 in der lateinischen Bibel, der Vulgata, eine besondere Bedeutung, insofern hier erstmalig in der Bibel von Gott als deus omnipotens (als Übersetzung von ’el šaddaj)18 gesprochen wird: Die Offenbarung vor Abraham lässt sich dann geradezu als ein biblisches Paradigma für die unterschiedlichen Relationen der Vorstellungen vom Allmächtigen lesen. So fordert die unmittelbare Begegnung mit dem allmächtigen Gott auf der Seite des Menschen absolute Anerkennung dieses Gottes (ambula coram me) sowie vollständige religiöse und moralische Integrität (esto perfectus) (Gen 17,1), während sich das Wesen dieses Gottes mittels seines »Bundes« (foedus, pactum) in der Bindung an den Menschen und in der Zusage einer umfassenden Sicherung der Lebensgrundlage zeigt (Gen 17,2 – 9). Der Allmächtige ist in diesem Sinn der Gott, der sich dem Menschen zuwendet, der ihn verwandelt  – dies ist der tiefere Sinn der Umbenennung Abrahams (Gen 17,5)  – und der ihn auch zur Herrschaft (coram Deo) ermächtigt (Gen 17,6). Alle weiteren, insgesamt nicht sehr zahlreichen Belege von šaddaj – 48 Belegen stehen 6828 Belege19 für Jhwh gegenüber – hängen von der Verwendung der Priesterschrift ab, die das Wort šaddaj vielleicht als bewussten Archaismus (in Anlehnung an die aus der aramäischen Bileam-Inschrift bekannten šaddin-Gottheiten?) geprägt hat.20 Der häufige Gebrauch des Wortes Schaddaj in der Hiobdichtung (Hi 18   Die Septuaginta übersetzt hier nicht mit παντοκράτωρ, sondern mit ὁ θεὸς σου (»dein Gott«), zu den möglichen Gründen für diese Wiedergabe s. Witte, From El Shaddai to Pantokrator (s. Anm. 17), 19. 19  Zahlenangabe nach E. Jenni, ‫ יהוה‬Jhwh Jahwe, THAT 1 (62004), 701 – 707 (704), vgl. auch Accordance 12.3.6 OakTree Software, Inc. 20  Zu Text und Übersetzung der Bileam-Inschrift s. K. Jaroš, Inschriften des Heiligen Landes aus vier Jahrtausenden (CD-Rom), Mainz 2001; M. Weippert, Die »Bileam«-Inschrift von Tell Dēr ‘Allā, in: ders., Jahwe und die anderen Götter. Studien zur Religionsgeschichte des antiken Israel in ihrem syrisch-palästinischen Kontext (FAT 18), Tübingen 1997, 131 – 161; ders., Der »Bileam«-Text von Tell Dēr ‘Allā und das Alte Testament, in: ders., Jahwe und die anderen Götter, 163 – 188; E. Blum, Die aramäischen Wandinschriften von Tell Deir ʼAlla, in: TUAT.NF 8 (22015), 459 – 474.

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3,1 – 42,6) basiert auf dem priesterschriftlichen Offenbarungskonzept, wenn sie Hiob und seine Freunde Gott stets – und ohne erkennbaren inhaltlichen Unterschied – als El, Eloah, Elohim oder Schaddaj bezeichnen lässt und von Jhwh nur in der Überschrift der die Lösung des Hiobproblems vorbereitenden Gotteserscheinung und Gottesrede spricht (Hi 38,1).21 Durch die sogenannte Hiobnovelle, die der Dichtung sekundär und in erweiterter Form als Rahmen beigegeben wurde (Hi 1,1 – 2,13; 42,7 – 17), ist dieses Konzept aufgeweicht, insofern sich Hiob jetzt bereits im Prolog zu Jhwh bekennt (Hi 1,21).22 Für die älteste griechische Hiob-Übersetzung (2./1. Jahrhundert v. Chr.), die Schaddaj mit παντοκράτωρ wiedergibt und häufig im Parallelelismus mit κύριος verwendet, steht gleichfalls nicht mehr das Konzept der gestuften Offenbarung oder der prozessualen Gotteserkenntnis im Vordergrund, sondern die Frage nach der alle Lebensbereiche umfassenden Herrschaft Gottes (vgl. Hi 37,22[LXX]). Sie basiert auf dem Schöpfersein und der Wahrung des Rechts (vgl. Hi 8,3 – 5; 33,4; 34,10 [jeweils in der LXX]). Diese auf die Herrschaft Gottes bezogene Dimension und Funktion der Bezeichnung παντοκράτωρ spricht schließlich auch aus einzelnen originär auf Griechisch abgefassten oder nur auf Griechisch erhaltenen jüdischen Schriften der hellenistischen Zeit. So dient der Begriff παντοκράτωρ im Buch Judith (entstanden zwischen 160 / 100 v. Chr.) sowie im zweiten und dritten Makkabäerbuch (beide aus dem 2./1. Jahrhundert v. Chr.) als Kontrapunkt zu den Herrschaftsansprüchen der hellenistischen Herrscher.23 Deren Herrschaft wird durch das Bekenntnis zu Jhwh als dem Allmächtigen relativiert. Die Jhwh Verehrenden werden, auch wenn sie politisch den hellenistischen 21   Vgl. Hi 40,1.3.6; 42,1. Der einzige Beleg für das Tetragramm innerhalb der Dichtung in Hi 12,9 ist textgeschichtlich sekundär. 22  Zur Redaktionsgeschichte des Hiobbuches s. knapp M. Witte, Das Hiobbuch, in: J. C. Gertz (Hg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments (UTB 2745), Göttingen 62019, 432 – 445, sowie mit einer etwas anderen redaktionsgeschichtlichen Zuweisung Wanke, Praesentia Dei (s. Anm. 2), 430. 23  Vgl. dazu R. Feldmeier, Almighty παντοκράτωρ, in: DDD2 (1999), 20 – 23; ders., Nicht Übermacht noch Impotenz. Zum biblischen Ursprung des Allmachtbekenntnisses, in: W. H. Ritter / R. Feldmeier / W. Schobert / G. Altner (Hg.), Der Allmächtige. Annäherungen an ein umstrittenes Gottesprädikat (BTSP 13), Göttingen 21997, 13 – 42 (24 – 28). Feldmeier leitet den Begriff παντοκράτωρ geradezu aus der Kritik an den Herrschaftsansprüchen Alexanders des Großen und der Diadochen ab und versteht ihn dementsprechend als Ausdruck der politischen Theologie des hellenistischen Judentums.

164  Markus Witte Herrschern, zumal in der Diaspora, unterstehen, als Volk Gottes in den Herrschaftsbereich Jhwhs eingeordnet: »Denn in allen Dingen, Herr, hast du dein Volk groß gemacht und verherrlicht, und hast es nicht übersehen, wobei du ihm zu jeder Zeit und an jedem Ort beistehst.« (SapSal 19,22)

Für die systematisch-theologische Reflexion ist angesichts des mit dem Pantokrator-Titel verbundenen Herrschaftsaspekts zu bedenken, dass sich im Judentum der hellenistischen Zeit neben der Vorstellung der bereits etablierten (ewigen) Königsherrschaft Gottes (malkût jhwh, βασιλεία τοῦ θεοῦ)24 vor allem im Bereich der apokalyptischen Literatur die Idee der sich erst in der Endzeit vollständig durchsetzenden Herrschaft Gottes findet.25 So hat das Bekenntnis zum Pantokrator aus exegetischer Perspektive neben seiner theokratischen Konnotation auch eine stark eschatologische Färbung, es ist gewissermaßen das konfessorische Pendant zur zweiten Bitte des Vater-Unsers: »Dein Reich komme« (Mt 6,10 par.).

3.  Allmacht und Gerechtigkeit Gottes Die Frage nach der Allmacht Gottes impliziert die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes und des Menschen.

Herrschaft hängt im Alten Orient sowohl im Blick auf die Welt der Götter als auch im Blick auf die Menschen eng mit der Verpflichtung zusammen, Recht und Gerechtigkeit einzusetzen und für ihren Bestand zu sorgen. Gute Herrschaft ist eine gerechte Herrschaft. Dabei 24   Vgl. Ps 103,19; 145,13; Dan 3,33; 4,31; 1 Hen 84,2; PsSal 17,3. Auch die sogenannten Jhwh-König-Psalmen (Ps 93; 95 – 99) dürften von der bereits realisierten Königsherrschaft Gottes ausgehen, auch wenn sie teilweise eschatologische Aspekte haben; zur Diskussion s. J. Jeremias, Theologie des Alten Testaments (GAT 6), Göttingen 2015, 417; F. Neumann, Schriftgelehrte Hymnen. Gestalt, Theologie und Intention der Psalmen 145 und 146 – 150 (BZAW 491), Berlin / New York 2016, 71 – 74; 149 – 156, u. ö. 25  Vgl. Jes 24,23; 52,7(LXX); Obad 21; Mi 4,7; Sach 14,9.16; PsSal 17,3 f.; SibOr 3,767; Dan 7,13 f. (Übergabe der Herrschaft an den »Menschensohn«); zur eschatologischen Verwendung der Wendung malkût jhwh im frühen Judentum s. auch K. Koch, Offenbaren wird sich das Reich Gottes. Die Malkuta Jahwäs im Profeten-Targum, in: ders., Die aramäische Rezeption der hebräischen Bibel. Studien zur Targumik und Apokalyptik. Gesammelte Aufsätze Bd. 4, hg. v. M. Rösel / M. Krause / U. Gleßmer, Neukirchen-Vluyn 2003, 122 – 131.

Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen   165

ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Gerechtigkeit im Alten Orient wesentlich eine relationale Größe ist, mittels derer eine heilvolle, Leben sichernde Beziehung innerhalb einer Gemeinschaft beschrieben wird.26 Die Aussage, dass Gott wesenhaft gerecht und alleiniger Wahrer von Recht und Gerechtigkeit ist, gehört zu den wichtigsten jüdischen Bekenntnissätzen der hellenistischen Zeit.27 Dies ist einerseits ein Erbe älterer israelitisch-jüdischer Vorstellungen von Jhwh, andererseits eine Folge des Ausbaus der göttlichen Gerechtigkeitskonzeption nach dem Untergang des davidischen Königtums 587 v. Chr. Denn auch in Juda galt, wie in den Nachbarkulturen, der König als göttlich legitimierter irdischer Garant von Recht und Gerechtigkeit (vgl. Ps 2; 72). Gleichwohl erfolgt in hellenistischer Zeit eine kritische Infragestellung der vor allem in der älteren israelitisch-jüdischen Weisheit – und insgesamt im Alten Orient und im alten Ägypten – vorausgesetzten Vorstellung, dass der Schöpfergott in diese Welt eine gerechte Ordnung eingesenkt hat, die dem Menschen, der sich an ihr ausrichtet, ein gelingendes Leben schenkt. Damit verbunden gerät auch die Vorstellung von der göttlichen Gerechtigkeit in die Krise. Wesentliche Faktoren für diese Krise sind: 1) die oben genannten politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwälzungen im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr.,28 2) die seit der persischen Zeit zunehmende theologische Durchdringung der Vorstellung, dass Jhwh der einzige Gott und dementsprechend die alles bestimmende göttliche Macht ist, 3) die Erfahrung, dass gerade diejenigen, die sich an die Gebote der im Laufe der späten Perserzeit und der frühen hellenistischen Zeit zur allgemeinen jüdischen Norm gewordenen Torah halten, in Konflikte mit anderen sich absolut setzenden Normen, wie dem hellenistischen Herrscherkult, geraten und wegen ihrer Torahtreue verfolgt werden. 26   S. dazu M. Witte, Von der Gerechtigkeit Gottes und des Menschen im Alten Testament, in: ders. (Hg.), Gerechtigkeit, Themen der Theologie 6 (UTB 3662), Tübingen 2012, 37 – 67. 27   Vgl. Dtn 32,4; Ps 11,7; 116,5; 119,137; 145,17; Jer 12,1; Klgl 1,18; Dan 9,14; Esr 9,15; Est 4,17n (LXX / Stücke zu Est C 18); Tob 3,2; 2 Makk 1,24; PsSal 10,5; 1QHa VI,26; 4Q408 Frgm. 3+3a,6; TestHi 4,11; 43,13. 28   S. dazu auch A. E. Portier-Young, Apocalypse Against Empire. Theologies of Resistance in Early Judaism, Grand Rapids MI/Cambridge UK 2011.

166  Markus Witte Das Ringen um die Gerechtigkeit Gottes – und damit verbunden um die Gerechtigkeit des Menschen  – wird geradezu zu einem Kennzeichen der jüdischen Literatur und Theologie der hellenistischen Zeit. Die Bücher Hiob, Kohelet (3. Jahrhundert v. Chr.) und Jesus Sirach sowie zahlreiche Psalmen, aber auch einzelne Passagen in der apokalyptischen Literatur sind ebenso eindrückliche wie komplexe Zeugen für diese sogenannte Theodizee-Literatur.29 In ihr lassen sich grundsätzlich vier unterschiedliche Typen des Umgangs mit der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes unterscheiden.30 1) Die Problematik wird einfach geleugnet. Nach diesem Typ gilt die Gerechtigkeit Gottes unbedingt. Was einzelne Menschen oder Gruppen als Ungerechtigkeit Gottes erfahren, ist die Folge eines stets gerecht richtenden Gottes (vgl. Hi 8,3 f. bzw. Dan 9,7 – 16; Klgl 1,18). Wo sich der einzelne oder eine Gemeinschaft als ungerecht gerichtet erlebt, hat er oder sie sich selbst noch nicht genau geprüft, ob nicht doch, bewusst oder unbewusst, göttliche Normen verletzt wurden (vgl. Hi 13,23; 33,9 – 12 bzw. Klgl 3,39 f.). Als eine Variante dazu erscheint die Vorstellung, dass das als (ungerechtfertigte) Strafe erlebte Leiden eine Prüfung (»Versuchung«) oder eine Erziehungsmaßnahme Gottes ist, die letztlich der Bewährung oder der Reifung dient.31 Gott erscheint dabei wesentlich als Lehrer.32 In beiden Fällen dieses Typs ist es aber grundsätzlich seitens des Menschen möglich, sich Gott und der Gemeinschaft mit ihm entsprechend zu verhalten, demgemäß ein Gerechter und als solcher gesegnet zu sein.33 29   A. Laato / J. C. de Moor (Hg.), Theodicy in the World of the Bible. The Goodness of God and the Problem of Evil, Leiden 2003; O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments, Teil 1: Grundlegung (UTB 1747), Göttingen 1993, 139 – 156. 30   Vgl. dazu auch mit einer etwas anderen Schwerpunktsetzung und im Blick auf die alttestamentliche Prophetie J. L. Crenshaw, Theodicy in the Book of the Twelve, in: P. L. Redditt / A. Schart (Hg.), Thematic Threads in the Book of the Twelve (BZAW 325), Berlin / New York 2003, 175 – 191. 31   Vgl. Hi 33,16 f.; 40,8(LXX); Ps 94,12; Sir 2,1 – 18; SapSal 3,1 – 12; Jdt 8,24 – 27. 32   K. Finsterbusch, JHWH als Lehrer der Menschen. Ein Beitrag zur Gottesvorstellung der Hebräischen Bibel (BThSt 90), Neukirchen-Vluyn 2007; P. Pouchelle, Dieu éducateur. Une nouvelle approche d’un concept de la théologie biblique entre Bible Hébraïque, Septante et littérature grecque classique (FAT II / 77), Tübingen 2015. 33   Vgl. Ps 1; 5,12; Spr 3,33; Sir 14,1 f.20; 4Q525 Frgm. 2 II; 3,1 – 3.

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2) Gerechtigkeit wird zu einem ausschließlichen Merkmal Gottes, von dem der Mensch in kreatürlicher Ungerechtigkeit grundsätzlich geschieden ist.34 Leidenserfahrungen gründen dementsprechend in der Kreatürlichkeit des endlich und fragmentarisch geschaffenen Menschen. Das Phänomen, dass es angesichts der gleichen geschöpflichen Konstitution unterschiedliche Schicksale gibt, dass der eine leidet, während der andere ein glückliches Leben führt, entzieht sich nach diesem Modell menschlichem Verstehen. Gerechtigkeit, die im Blick auf die Gerechtigkeit Gottes die vom Menschen als heilvoll erlebte Gemeinschaft mit Gott ist, kann nach diesem Typ nur von Gott selbst geschenkt werden, beispielsweise durch die Gabe seines Heiligen Geistes (Ps 51; 1QHa IV,26; VIII,1 – 15) oder durch eine grundlegende Wesensänderung des Menschen (Jer 31,33; Ez 36,26). 3) Die Spannung zwischen dem Glauben an die Gerechtigkeit Gottes und der Erfahrung diesseitiger Ungerechtigkeit wird eschatologisch aufgelöst, insofern der gerechte Gott den Gerechten jenseitig mit dem ewigen Leben belohnt.35 Diese Lösung kann in prophetischen und apokalyptischen Erwartungen eines Völkeroder Weltgerichts universale oder kosmische Dimensionen annehmen.36 Strukturell entspricht diese eschatologische Lösung der oben erwähnten Vorstellung von der endzeitlichen Durchsetzung der Herrschaft Gottes.

34   Vgl. die sogenannte »Niedrigkeitsredaktion« im Hiobbuch (Hi 4,17 – 19; 15,14 – 16; 25,4 – 6); Ps 143,2; 1QHa V,19 – 22 und dazu M. Witte, Vom Leiden zur Lehre. Der dritte Redegang (Hi 21 – 27) und die Redaktionsgeschichte des Hiobbuches (BZAW 230), Berlin / New York 1994, 194 – 205. 35  Vgl. in unterschiedlicher Ausprägung Ps 49; 73; Ez 37,9 f.; Dan 12; 1 Hen 22; 2 Makk 7,14; SapSal 3,1; Hi 42,17a(LXX); 4Q385 Frgm. 2,7 f. und dazu M. Witte, Auf dem Weg in ein Leben nach dem Tod – Beobachtungen zur Traditions- und Redaktionsgeschichte von Psalm 73, in: ders., Von Ewigkeit (s. Anm. 10), 95 – 115. 36   Vgl. Jes 24; 34,2 – 4; Joel 4; Hab 3; Sach 12; 14; Dan 12; 1 Hen 1 – 5; 25,4; 93 + 91,12 – 17; SibOr 3,669 – 701. Zu der in hellenistischer Zeit erfolgten traditionsgeschichtlichen Wandlung der Vorstellung des Gerichts an einzelnen Völkern hin zum Gericht an den Völkern s. O. H. Steck, Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament. Ein Versuch zur Frage der Vorgeschichte des Kanons (BThSt 17), Neukirchen-Vluyn 1991, 23. Zu den verschiedenen frühjüdischen Gerichtsvorstellungen s. knapp K. L. Yinger, Judgment, in: J. J. Collins / D. C. Harlow (Hg.), The Eerdmans Dictionary of Early Judaism (2010), 853 – 855.

168  Markus Witte Die Eschatologie ist ein Wesenszug der jüdischen Theologien der hellenistischen Zeit. So befasst sich jede jüdische Schrift der hellenistischen Zeit, mit Ausnahme der von paganer Mythographie, Geographie und Ethnographie geprägten Geschichtsschreibung, in irgendeiner Weise mit Eschatologie, sei es, dass einzelne eschatologische Vorstellungen zustimmend aufgenommen werden, sei es, dass diese kritisch abgelehnt werden. 4) Das Wesen Gottes wird neu bestimmt. Hier zeigen sich zwei Spielarten. Nach der einen wird unter Wahrung des monotheistischen Grundbekenntnisses, demzufolge Gott das Helle und das Dunkle geschaffen hat (Jes 45,7), das Leben und den Tod bewirkt, Gutes und Böses schickt (Hi 2,9 f.; 5,18; Klgl 3,38; Tob 13,2), auch Ungerechtigkeit in das Wesen und Handeln Gottes integriert – oder das Böse wird, in Aufnahme stoischer Konzeptionen, als das notwendige Gegenüber des Guten im Kontext einer grundsätzlich gut geschaffenen Welt angesehen (vgl. Sir 33,7 – 15 [H]).37 Nach der anderen Spielart wird der Monotheismus aufgeweicht, insofern negative Erfahrungen auf das Wirken menschen- und gottfeindlicher Wesen zurückgeführt werden, die Gott  – zumindest vorübergehend – gewähren lässt. Beide Spielarten finden sich paradigmatisch innerhalb des Buches Hiob: – die erste, insofern es am Ende heißt, Hiob habe im Gegensatz zu den Freunden »recht« (nekônāh[LXX]: ἀληθές »Wahres«), über Gott geredet (Hi 42,7 f.). Dieses Urteil schließt auch Hiobs klagende Beschreibungen Gottes als Dämon und als Frevler (vgl. Hi 9,20 – 22; 16,9 – 16), seine Berufung auf die eigene Gerechtigkeit (Hi 13,16 f.; 27,5 f; 31,1 – 40*) und seine Bestreitung der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes (Hi 21; 24,1 – 12) ein;38 37   U. Wicke-Reuter, Göttliche Providenz und menschliche Verantwortung bei Ben Sira und in der Frühen Stoa (BZAW 298), Berlin / New York 2000, 224 – 273; O. Kaiser, Göttliche Weisheit und menschliche Freiheit bei Ben Sira, in: ders., Vom offenbaren und verborgenen Gott. Studien zur spätbiblischen Weisheit und Hermeneutik (BZAW 392), Berlin / New York 2008, 43 – 59 (55 – 58). 38   So dürfte nekônāh modal im Sinn von aufrichtig (authentisch) und sachlich im Sinn von zutreffend zu verstehen sein (vgl. zu letzterem vor allem D. J. A. Clines, Job 38 – 42 [WBC 18b], Nashville TN 2011, 1231; zu alternativen Deutungen s. M. Oeming, Das Ziel, in: ders./K. Schmid (Hg.), Hiobs Weg. Stationen von Menschen im Leid (BThSt 45), Neukirchen-Vluyn 2001, 121 – 142 (135 – 139) und I. Kottsieper, »Thema verfehlt!« Zur Kritik Gottes an den drei Freunden in Hi 42,7 – 9, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im

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– die zweite, insofern die Leiden Hiobs auf die Versuchung bzw. Verführung Gottes durch den Satan zurückgeführt werden (Hi 1,6 – 12; 2,1 – 7, vgl. Jub 17,15 – 18; 1  Hen 6 – 11).39

4.  Allmacht und Güte Gottes Die Frage nach der Allmacht Gottes impliziert die Frage nach der Güte Gottes und dem Ursprung des Bösen.

Wenn das Theologumenon von einer alles umfassenden Herrschaft des gerechten Schöpfergottes unbedingt gilt und gleichzeitig nicht geleugnet wird, dass es in der von Gott geschaffenen Welt Ungerechtigkeit und Leid gibt, erhebt sich die Frage nach der Güte Gottes und nach dem Ursprung des Bösen. Beide Aspekte spielen in den theologischen Diskursen des frühen Judentums eine zentrale Rolle, wobei sich eine gewisse Asymmetrie zeigt. Auf der einen Seite steht das grundsätzliche kurze Bekenntnis zur Güte Gottes, zumeist mit den dynamisch zu verstehenden Begriffen ḥæsæd »Huld«, raḥamîm »Barmherzigkeit« und ḥen »Gnade« ausgedrückt, seltener mit dem Begriff ṭôbāh »Güte«.40 Gott gilt als »gnädig und barmherzig« (ḥānûn we-rāḥûm, οἰκτίρμων καὶ ἐλεήμων) und »lebensfördernd / sinnstiftend« (ṭôb, ἀγαθός). Exemplarisch dafür sind zum einen die sogenannte Gnadenformel, die sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche des Alten Testaments und der außerkanonischen frühjüdischen Schriften zieht und die stehender Ausdruck für die Überzeugung ist, dass Gottes Erbarmen stets größer ist als sein

Dialog (Festschrift O. Kaiser), Bd. 2 (BZAW 345 / II), Berlin / New York 2004, 775 – 785. 39   S. dazu H.-J. Fabry, »Satan« – Begriff und Wirklichkeit. Untersuchungen zur Dämonologie der alttestamentlichen Weisheitsliteratur, in: A. Lange / H. Lichtenberger / K. F. D. Römheld (Hg.), Die Dämonen / Demons. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003, 269 – 291. 40   Im griechischsprachigen jüdischen Schrifttum der hellenistischen Zeit begegnen dafür zumeist die Begriffe ἔλεος, χάρις und οἰκτιρμός sowie χρηστότης.

170  Markus Witte Zorn,41 und zum anderen die (seltenere) Bezeichnung Gottes als »der Gute« (hā- ṭôb, ὁ ἀγαθός / ὁ χρηστός).42 Auf der anderen Seite stehen breite literarische Reflexionen über den Ursprung des Bösen und über die Herkunft menschlicher Bosheit.43 Dabei zeigen sich im Wesentlichen zwei Strömungen. Zum einen wird das Böse anthropologisch auf eine im Menschen selbst vorhandenen Anlage zum Bösen zurückgeführt. Diese Herleitung findet sich mit unterschiedlichen Modifikationen z. B. bei Ben Sira, in diversen Qumrantexten,44 in der Sapientia Salomonis, bei Philon von Alexandria (ca. 25 v. Chr.–50 n. Chr), im Vierten Esrabuch (1. Jahrhundert n. Chr) oder in der syrischen Baruchapokalypse (2. Jahrhundert n. Chr.).45 So kann im Gefolge von Gen 6,5 und 8,21 beispielsweise Ben Sira von einer grundsätzlichen »Neigung« (jeṣær, διαβούλιον) des Menschen zum Bösen sprechen (Sir 15,14).46 Dabei ist vorausgesetzt, dass der Mensch grundsätzlich die Freiheit hat, sich zwischen Gut und Böse, zwischen dem, was dem Leben dient, und dem, was dem Leben schadet, zu entscheiden (vgl. Gen 3; Dtn 30; Sir 15,11 – 20). Als göttliches Hilfsmittel, dem Bösen zu widerstehen, hat 41   Vgl. Ex 34,6 f.; Joel 2,13; Jon 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Neh 9,17; Sir 2,11; CD-A II,4; 1QHa VIII,24; 4Q511 Frgm. 52, 54 – 55, 57 – 59,1 [Kol. III,1]); s. dazu R. Scoralick, Gottes Güte und Gottes Zorn. Die Gottesprädikationen aus Ex 34,6 f. und ihre intertextuellen Beziehungen zum Zwölfprophetenbuch (HBS 33), Freiburg i. Br. u. a. 2002; M. Franz, Der barmherzige und gnädige Gott. Die Gnadenrede vom Sinai (Exodus 34,6 – 7) und ihre Parallelen im Alten Testament und seiner Umwelt (BWANT 160), Stuttgart 2003. 42   Vgl. Jer 33(40),11; Nah 1,7; Ps 34(33),9; 100(99),5; 118(117),1.29; 119(118),68; 135(134),3; 136(135),1; 145(144),9; Klgl 3,25; 2 Chr 30,18; Sir 45,25 (HB); 4Q403 Frgm. 1 I,5; Mk 10,18 par. Mt 19,17; Lk 18,19. 43  S. dazu B. Ego / U. Mittmann (Hg.), Evil and Death. Conceptions of the Human in Biblical, Early Jewish, Greco-Roman and Egyptian Literature (Deuterocanonical and Cognate Literature Studies 18), Berlin / Boston 2015. 44  1QHa; 1QS V; X,9 – XI,22; 4QBarNaf; 4Q393; 4Q504 – 506; 11QPsa XXIV. 45   M. T. Brand, Evil Within and Without. The Source of Sin and Its Nature as Portrayed in Second Temple Literature (Journal of Ancient Judaism. Supplements 9), Göttingen 2013, 35 – 146; K. Schmid, Genealogien der Moral. Prozesse fortschreitender ethischer Qualifizierung von Mensch und Welt im Alten Testament, in: H.-G. Nesselrath / F. Wilk (Hg.), Gut und Böse. Philosophische und religiöse Konzeptionen vom Alten Orient bis zum frühen Islam (ORA 10), Tübingen 2013, 83 – 102 (84 – 86). 46  Vgl. TestRub 4,9; TestJud 11,1; 13,8; 18,3; TestDan 4,2.7; TestGad 5,3.7; 7,3; TestAss 1,8 – 9; TestJos 2,6; TestBen 6,1.4. Zu Sir 15 vgl. O. Kaiser, Die stoische Oikeiosis-Lehre und die Anthropologie des Jesus Sirach, in: ders., Vom offenbaren und verborgenen Gott (s. Anm. 37), 60 – 77 (73 f.).

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Gott dem Menschen die Torah, das »Gesetz des Lebens« (Sir 17,11 [G]; 45,5),47 die Weisheit (σοφία, SapSal 8,21 – 9,18)48 oder die Einsicht in das »Geheimnis des Gewordenen« (rz nhyh, 4Q416 Frgm. 2 I,5)49 gegeben. Wo die Freiheit des Menschen bestritten und eine geschöpflich bedingte, wesenhafte Bosheit aller Menschen behauptet wird (vgl. 1QS XI,19 – 22), bleiben nur die Aporie und die Hoffnung auf eine gnädige Zuwendung Gottes (vgl. Klgl 3,22 f.; Ps 143,1 f.; 1QHa V,20 – 24; XII,29 – 33). Diese kann in der Zeit, aber auch erst am Ende der Zeit erwartet werden. Theologisch verbindet sich diese Erwartung weniger mit der Vorstellung von Gott dem Herrscher als mit der von Gott dem Schöpfer und mit der Vorstellung einer Neuschöpfung des Menschen. Zum anderen kann das Böse mythologisch auf eine von außen über den Menschen und die Welt hereinbrechende gegengöttliche Macht zurückgeführt werden. Eine solche externe, angelologisch-kosmologische Herleitung begegnet in unterschiedlichen frühjüdischen Dämonologien,50 wie z. B. im ersten Abschnitt des sogenannten Buches der Wächter, einer ursprünglich selbständigen apokalyptischen Schrift aus dem 3./2. Jahrhundert v. Chr., die heute ein Teil des äthiopischen Henochbuches ist (1 Hen 6 – 11), im Jubiläenbuch (2. Jahrhundert v. Chr.) sowie in apotropäischen Gebeten und in Thematisierungen Belials in verschiedenen Schriften aus Qumran.51 Auch die Rückführung des Todes auf den »Neid des Teufels« in SapSal 2,24 spiegelt diese Vorstellung.52 Die Überwindung des Bösen durch Gott vollzieht 47  Vgl. M. Witte, »Das Gesetz des Lebens«. Eine Auslegung von Sir 17,11, in: ders., Texte und Kontexte des Sirachbuchs. Gesammelte Studien zu Ben Sira und zur frühjüdischen Weisheit (FAT 98), Tübingen 2015, 109 – 121. 48   S. dazu M. Gilbert, La structure littéraire de Sg 9, in: ders., La Sagesse de Salomon – The Wisdom of Solomon. Recueil d’études, Rom 2011, 167 – 201; ders., Volonté de Dieu et don de la Sagesse (Sg 9,17 – 18), in: ders., La Sagesse, 203 – 229. 49  S. dazu J.-S. Rey, 4QInstruction: sagesse et eschatologie (Studies on the Texts of the Desert of Judah 81), Leiden / Boston 2009, 56 f.; M. J. Goff, Discerning Wisdom. The Sapiential Literature of Dead Sea Scrolls (VT.S 116), Leiden / Boston 2007, 13 – 29. 50  S. dazu Lange / Lichtenberger / Römheld, Die Dämonen (s. Anm. 39); A. T. Wright, The Origin of Evil Spirits. The Reception of Genesis 6.1 – 4 in Early Jewish Literature (WUNT II / 198), Tübingen 2005. 51   So z. B. in 4Q444; 4Q510 – 511; 11QPsa XIX; ALD bzw. in CD; 4QApocrJer; 1QM; 4Q174; 4Q280; 4Q286 – 290; 1QS III – IV; Brand, Evil (s. Anm.  45), 147 – 274. 52   S. dazu M. Witte, God and Evil in the Wisdom of Solomon, in: S. C. Jones / C. Roy Yoder (Hg.), »When the Morning Stars Sang« (Essays in Honor

172  Markus Witte sich dann als ein Kampf oder ein Strafakt Gottes, der dem Bösen einen zeitlich befristeten Raum gelassen hat, ohne dass dadurch seine Macht grundsätzlich in Frage gestellt wäre. Hier spielt die Figur Gottes als Herrscher bzw. als Allherrscher eine besondere Rolle. So beinhaltet die Rede von Gott dem Allmächtigen auch die Überzeugung von Gottes Macht über das Böse und, soweit dieses in einzelnen Texten personifiziert gedacht wird, wie z. B. in 1 Hen, Jub oder SapSal, über den Bösen. Das Bekenntnis zu Gott dem Allmächtigen erweist sich damit auch als ein affirmatives Korrelat zur siebten Vater-Unser-Bitte: »Erlöse uns von dem Bösen« (Mt 6,13 par., vgl. SapSal 16,8; Est 10,9 [Vg]; Sir 33,1 [Vg]).

5.  Ausblick: Der Glaube an den Allmächtigen im Kontext des alttestamentlichen Gottesverständnisses Der Glaube an den Allmächtigen ist Ausdruck eines monotheistischen, dynamischen, personalen und partizipatorischen Gottesverständnisses.

Die vorangehenden Ausführungen haben zu verdeutlichen versucht, dass der im christlichen Credo ausgedrückte Glaube an Gott den Allmächtigen aus der Perspektive des Alten Testaments grundsätzliche Fragen nach dem Wesen und Handeln Gottes und des Menschen impliziert, näherhin nach der göttlichen Herrschaft und Gerechtigkeit, nach dem Schöpfersein und der Güte Gottes sowie nach dem Ursprung und der Überwindung des Bösen. Weitere Implikationen, wie die Frage nach der Freiheit Gottes und des Menschen, konnten in diesem Rahmen nur gestreift werden. Texte wie Gen 3 – 4, Jer 18,1 – 10; 20,8 – 12, Ez 18 oder Pred 3 und 9 müssten hier weiter bedacht werden.53 Insgesamt sollte aber klar geworden sein, dass aus alttestamentlicher Perspektive die Frage nach der Allmacht Gottes eine protologische, auf die Schöpfung und das fortwährende schöpferische Handeln Gottes bezogene, und eine eschatologische, auf eine of Choon Leong Seow on the Occasion of His Sixty-Fifth Birthday, BZAW 500), Berlin / Boston 2018, 255 – 271. 53   Vgl. auch Sir 15,11 – 16,23; 33,7 – 15; 1 Hen 98,4 – 8 und dazu Hengel, Judentum (s. Anm. 3), 254 – 257; Kaiser, Göttliche Weisheit und menschliche Freiheit bei Ben Sira, in: ders., Vom offenbaren und verborgenen Gott (s. Anm.  37), 43 – 59.

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unumkehrbare, endgültige Wende zum Heil bezogene, herrschaftliche Dimension hat. Die affirmative, diskursive und dramatisch-narrative Rede vom Allmächtigen lässt sich dabei in ein Verhältnis zu fünf Grundstrukturen bzw. Grundüberzeugungen des alttestamentlichen und frühjüdischen Gottesverständnisses setzen. 1) Aus der monotheistischen Anlage der Jhwh-Verehrung, wie sie sich in hellenistischer Zeit fest etabliert hat, ergibt sich die Zuschreibung umfassender und universaler Herrschaft an den einen Gott Jhwh. Dieser kann im Gebet affirmativ als der Allherrscher angesprochen, im weisheitlichen Dialog zum Streit herausgefordert oder im apokalyptischen Drama dargestellt werden. Gleichzeitig fordert die monotheistische Ausrichtung zu einer Klärung des Ursprungs, Wesens und Herrschaftsbereichs anderer, gottfeindlicher Mächte heraus. 2) Jhwh wird von den Anfängen seiner Verehrung an als ein dynamischer Gott bekannt.54 Dieser aus dem Polytheismus stammende Aspekt, der Jhwh in Konkurrenz zu anderen Göttern sieht, bleibt auch nach der Etablierung des Jhwh-Monotheismus erhalten. In der aus der Perserzeit, wenn nicht erst aus der hellenistischen Zeit stammenden Bezeichnung Jhwhs als ’æhejæh ’ašær ’æhejæh (»ich bin, der ich bin«/»ich bin jeweils der, als der ich mich aktuell erweise«, Ex 3,14 f.)55 wird diese Dynamik auf den Punkt gebracht und in der in hellenistischer Zeit entstehenden Apokalyptik im Rückgriff auf alte Mythologeme narrativ besonders entfaltet. Bezogen auf die Anrede Gottes als des Allmächtigen, ergibt sich aus diesem dynamischen Aspekt, dass Gottes Herrschaft sowohl da ist als auch sich jeweils im Werden und im Wachsen befindet. Wo die Herrschaft Gottes aufgrund von Ungerechtigkeit und Leid als eingeschränkt erfahren wird, kann dementsprechend auf die Durchsetzung der Herrschaft Gottes, verbunden mit der endgültigen Überwindung von Ungerechtigkeit und Leid, vertraut und gehofft werden. Diese Hoffnung hat individuelle, kollektive und universale Dimensionen.

54  Zu den Anfängen der Jhwh-Verehrung s. J. van Oorschot / M. Witte (Hg.), The Origins of Yahwism (BZAW 484), Berlin / Boston 2017. 55   Vgl. Dtn 32,39; Jes 41,4; 48,12; 3 Hen 42,2. S. dazu G. Lepesqueux, L’exposition du nom divin dans le livre de l’Exode: Étude exégétique d’Ex 3,1 – 4,18; 6,2 – 7; 33 – 34 (FAT II / 102), Tübingen 2019.

174  Markus Witte 3) Wesentlich für das alttestamentliche und frühjüdische Gottesverständnis ist seine personale und dialogische Struktur. Im Blick auf die Frage nach der Allmacht ergibt sich daraus die Möglichkeit, zum Allmächtigen zu beten, sei es lobpreisend angesichts einer als umfassend wahrgenommenen heilvollen Zuwendung Gottes (2 Makk 1,25; Jdt 16,5), sei es klagend angesichts der Erfahrung des Fehlens einer solchen (Hi 23,16[LXX]; 27,2), sei es um ein rettendes Eingreifen bittend (3 Makk 2,2; 6,2). Das Gebet und die konkrete Gottesbegegnung sind dann der entscheidende Raum, in dem die Herrschaft Gottes jeweils zum Ereignis wird und in dem der je Einzelne für sich zur Erkenntnis kommen kann, dass Gott alles vermag und ihm nichts unmöglich ist (Hi 42,2[LXX], vgl. Gen 18,14; Jer 32,17): »(2) Gepriesen seist du, o Herr, König, groß und mächtig in deiner Größe, Herr der ganzen Schöpfung des Himmels, König der Könige und Gott der ganzen Welt! Deine Gottheit, deine Königsherrschaft und deine Majestät währt für immer und in alle Ewigkeit, und deine Macht für alle Generationen. Und alle Himmel (sind) dein Thron in Ewigkeit und die ganze Erde der Schemel deiner Füße für immer und in alle Ewigkeit. (3) Denn du hast geschaffen und herrschst über alles, und kein Tun – überhaupt nichts – ist dir zu schwer, und wendet sich nicht von dem (Ort) deines Thrones und nicht von deinem Angesicht; und du weißt und siehst und hörst alles, und es gibt nichts, was vor dir verborgen wäre, denn du siehst alles.« (1 Hen 84,2 f., vgl. 1 Hen 49,4)56

4) Der Glaube an den Allmächtigen, wie er sich aus den hier skizzierten biblischen und nicht kanonisch gewordenen Schriften des frühen Judentums entwickelt, schließt die Vorstellung von der Partizipation an der Herrschaft dieses Gottes ein. Die Idee der menschlichen Teilhabe an der göttlichen Herrschaft verläuft traditionsgeschichtlich über die Stufen der Vorstellung vom König als dem göttlich eingesetzten Wahrer von Recht und Gerechtigkeit (vgl. Ps 72) und, daraus abgeleitet, vom Menschen als dem in der Schöpfung zum Repräsentanten Gottes bestimmten Wesen, das mit göttlicher Herrlichkeit (kābôd, δόξα) ausgestattet ist (vgl. Gen 1,26 f.; Ps 8,5 f.). Diese Vorstellung wird flankiert vom Motiv der göttlichen Erwählung und Bevollmächtigung des Schwachen.57 Sie mündet in der Hoffnung, dass diejenigen, die die Torah gehalten, 56   Übersetzung aus S. Uhlig, Das äthiopische Henochbuch (JSHRZ V / 6), Gütersloh 1984, 677 f. 57  Vgl. Ex 4,10 – 12; Dtn 7,7 f.; Ri 6,24 f.; 1 Sam 2,8; Jer 1,5 – 10; Jes 52,13 – 53,12; Ps 113,8.

Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen   175

Gerechtigkeit geübt und sich an der göttlichen Weisheit ausgerichtet haben, »die Völker richten und über Nationen herrschen werden, während ihr Herr auf ewig König sein wird« (SapSal 3,8).58 5) Schließlich ist beim Glauben an den Allmächtigen aus der Perspektive des Alten Testaments zu bedenken, dass Jhwh auch ein Gott ist, der an und mit dem Menschen und seiner Schöpfung leidet (Gen 6,6; Dtn 32,6; Jes 54,6). So impliziert das Bekenntnis zum Allmächtigen die Vorstellung, dass der Gott, der Gerechtigkeit herstellt und der aus dem Bösen rettet, auch aus dem Tod, selbst an Ungerechtigkeit und am Bösen leidet. Das Korrelat zum leidenden Gerechten ist der leidende Gott, das Gegenüber zum Allherrscher der Allerbarmer (Ps 145,9; Sir 18,3 [G]; SapSal 11,23).59

58   Vgl. SapSal 4,16; Dan 7,22.27; 1 QpHab V,3 f.; 1 Hen 96,1; Mt 19,28; 1 Kor 6,2 f.; Apk 20,4. 59   Vgl. Röm 11,32 und 1 Tim 2,4. In der Fluchtlinie dieses Motivs liegen dann, je auf ihre Weise, einerseits die altkirchliche Verwendung des Begriffs des »Allbarmherzigen« (πανελεήμων), z. B. bei Johannes Chrysostomus (In epistulam II ad Corinthos [homiliae 1 – 30], hom. 2,5; PG 61, 399, 37 – 46), und andererseits die muslimische Doxologie des Erbarmers (ar-raḥmān) und Barmherzigen (ar-raḥim), mit der jede Sure des Korans (mit Ausnahme der neunten Sure) beginnt.

Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das? Michael Moxter

1. Voraussetzungen Die dogmatische Arbeit besteht immer auch darin, mögliche Missverständnisse zu identifizieren und Wege ihrer Vermeidbarkeit zu bahnen. So gehört es zu den Risiken des mir gestellten Themas, dass jemand auf den Gedanken verfallen könnte, das Credo sei so etwas wie ein Sammelsurium von Inhalten bzw. von propositionalen Sachverhalten, die »geglaubt werden« bzw. »geglaubt werden sollten«. Einen solchen Eindruck zähle ich zu den Missverständnissen, die abgehalten werden müssen – und auch abgehalten werden können, wenn man phänomenologischen Sinn für die intentionale Verschränkung von Glaubensakt und Glaubensgegenstand aufbringt und also bei der Bearbeitung der im Credo vorkommenden Begriffe mitthematisiert, was der Glaube über sich selbst sagt, als was und wie er sich zeigt und versteht und warum er, solches sagend und bekennend, ganz er selbst und zugleich ganz bei seinem Gegenstand, bei Gott, ist. Das Problem der Verwechslung des Apostolikums oder anderer Bekenntnisse mit einer Liste von Behauptungen stellt sich verschärft, wenn man darauf aufmerksam macht, dass »Allmacht« die einzige Eigenschaft sei, die das Apostolikum Gott zuschreibt – und wenn man im Interesse der gegenständlichen Näherbestimmung fragt, was daraus für die Interpretation anderer Eigenschaften Gottes folgt. So schreibt Karl Barth: »Die ältesten Glaubensbekenntnisse haben sich bekanntlich damit begnügt, Gott diese eine Eigenschaft beizulegen: credo in Deum patrem omnipotentem, παντοκράτορα. Sie haben offenbar gerade in dieser Eigenschaft den Inbegriff aller anderen, gewissermaßen ihr Kompendium gesehen.«1 Es scheint mir jedoch voreilig, den Befund der faktischen Solitärstellung des Allmachtsprädikats so zu interpretieren als handele es sich bei ihm um die wichtigste und fundamentale Eigenschaft Gottes bzw. um ein Prädikat, das stellvertretend für alle anderen Eigenschaften stehe, gleichsam als Abbreviatur der dogmatischen Abhandlung de Deo. Statt abstrakt bei isolierten Ge1

  K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik (KD) II / 1, Zürich 21946, 587.

178  Michael Moxter halten anzusetzen, bedürfen Glaubenssätze im Allgemeinen und das Apostolikum im Besonderen einer Analyse ihrer Funktion bzw. ihres pragmatischen Sinns: Was geschieht, indem in dieser Form gesprochen wird? Welche Leistung erbringt das Credo für die Gläubigen? Was tun wir, wenn wir unseren Glauben bekennen? Vergleicht man im Augsburger Bekenntnis (CA XIX) den lateinischen und den deutschen Text, so sieht man, dass die Einfügung des Wortes »allmächtig« die Art und Weise näherbestimmt, in der Gott die Welt erschafft und erhält. Die Einfügung stellt klar, dass der Schöpfer das auch kann, was ihm als Tat zugeschrieben wird. Vor allem aber wird mit ihr ausgeschlossen, dass dem Schöpfer ein anderer in die Quere kommen könnte, am Ende gar ein anderer Gott, dessen Nebentätigkeit das Werk der Schöpfung ins Zwielicht setzen könnte. Der Allmachtbegriff dient als eine Bekräftigungs- und Ausschlussformel, die den Glauben an Gott den Schöpfer präzisiert. Es wird mit ihm eine monotheistische Zuspitzung vollzogen und zugleich im Sinne der in dieser Sektion unserer Tagung gestellten Frage nach dem Ursprung des Bösen bzw. der Sünde die Ausschließlichkeit dieses Gottes und die uneingeschränkte Kompetenz seines Handelns markiert. Gott ist nicht nur Einer, sondern der Einzige (um mit Hermann Cohen zu sprechen2) und als solcher wird er als »Schöpfer des Himmels und der Erde« geglaubt und bekannt. (An die religions- und kulturhistorischen Kontexte der Entstehung dieses Glaubens erinnert der Beitrag von Markus Witte.) Es ist weder selbstverständlich noch unproblematisch, wenn diese Markierungsformel zu einem selbständigen und sogar inhaltlich zu priorisierenden Gottesnamen gemacht wird, also promiscue von Gott und vom »Allmächtigen« geredet wird. Ob unter diesem Titel vom Gott der Juden (der auch der Christen Gott ist) angemessen gesprochen wird, war schon vor Hitlers Verwendung dieses Prädikats eine naheliegende Frage. Der Talmud berichtet jedenfalls Folgendes (und Cohen zitiert es, um »Attribute der Handlung« zu präzisieren): » ›In Gegenwart Rabbi Channinas betete einst jemand die Worte: o Gott, großer, mächtiger, furchtbarer, erhabener usw. Da sprach R. Channina zu ihm: hast du nun erschöpft den Preis deines Herrn?‹ « Cohen kommentiert diese Frage, die sprachlich nahe am heute umgangssprachlichen Format: »Sag mal, hast Du’s nun?« liegt, mit der

2

2   H. Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Köln 1959, 41 – 57.

Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das?   179

Bemerkung, R. Channina ziele darauf, »das Recht, die Eigenschaften Gottes im Gebete anzurufen, auf die ausdrückliche Anrufung derselben in der Schrift« zu beschränken, nämlich auf die » ›dreizehn Eigenschaften‹ […]: ›barmherzig und gnädig, langmütig und groß an Liebe und Treue. Er bewahrt die Liebe bis ins tausendste Geschlecht, er vergibt das Vergehen, die Missetat und die Sünde. Und lässt nicht ungestraft‹.« (Ex 34,6 – 7)3 Die Rede von der Macht Gottes wird auch hier zurückgestuft, fungiert auch in dieser jüdischen Perspektive als Platzhalter für die Überzeugung, dass niemand Gottes Liebe und Gerechtigkeit (in diesen beiden Eigenschaften sieht Cohen die dreizehn Weisen, Gott bei seinem Namen zu nennen, zusammengefasst4) Widerstand leisten, sich dem Handeln Gottes in den Weg stellen kann. Nimmt man diese Beobachtung zur Funktion des Begriffs ernst, dann legt sich eine Zuspitzung des ersten Artikels des Apostolikums auf das Verhältnis von Allmachtsbegriff und Bosheit des Menschen im Sinne des gestellten Themas (und mithin auf Probleme der Herkunft der Sünde bzw. der Willensfreiheit einerseits, der Theodizee andererseits) nicht unmittelbar nahe. Von beiden Problembereichen ist im Apostolikum keine Rede. Es beschränkt sich mit dürren Worten auf die Konkurrenzlosigkeit und Alleinzuständigkeit des Gottes, zu dem es sich bekennt. Solch theologischer Minimalismus mag helfen, das Credo im Gottesdienst mitsprechen zu können, weil es nicht darauf verpflichtet, irgendeine der denkbaren Lehrmeinungen im Streit um diese Fragen für verbindlich zu halten. Auch das macht die Bedeutung und Wirkmächtigkeit des Apostolikums aus, die nicht in seinem Alter und seiner unterstellten Apostolizität allein gründen, sondern in der Prägnanz, die zugleich Großzügigkeit ermöglicht.5 Allerdings folgt aus dieser Einschätzung nicht, dass wir uns entsprechende Reflexionen ersparen könnten. Diese werden ja ausgelöst durch Erfahrungen mit dem Credo, etwa wenn Situationen des eigenen Lebens die Frage aufwerfen, ob und in welchem Sinne wir dieses Bekenntnis heute erneuern und folglich als unser eigenes verstehen können. Nur folgt daraus noch nicht, dass Antworten auf solche Fragen allein dadurch zustande kommen, dass man das Glaubens3

  Talmud Berach 33b; vgl. Cohen, Religion der Vernunft (s. Anm. 2), 109.   Vgl. a. a. O., 114.  In Anlehnung an Blumenberg formuliert, aber auch in Abweichung: Blumenberg zufolge ist die Großzügigkeit des Symbols der ästhetischen Form der bachschen Musik gedankt (H. Blumenberg, Matthäuspassion, Frankfurt a. M. 1988, 45). 4

5

180  Michael Moxter bekenntnis in eine rational-stringente theistische Weltanschauung ausbaut und umformt, auf die Gefahr hin, das Credo schließlich im krisenhaften Verfall der vermeintlichen Rationalität seinerseits zum Verstummen verurteilt zu sehen. Für die dogmatische Arbeit scheint es mir vor diesem Hintergrund unverzichtbar, die historisch-exegetischen Zusammenhänge zwischen Königtum und basileia tou theou (letzteres in der Dopplung von Herrschaft und Reich Gottes) wahrzunehmen und also vom abstrakten Prädikat einer potentia Dei absoluta auf das der potestas des handelnden Gottes abzusteigen. Indem der Glaube sich zu Gott dem Schöpfer bekennt, bestreitet er anderen »Herren, Mächten und Gestalten«6, dass in ihren Händen sämtliche Handlungsfäden zusammenlaufen, ihre Entscheidungen und Dekrete das letzte Wort behalten. Pointiert das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer die Einzigkeit seiner Herrschaft, so kann es zur Kritik bestimmter Herrschaftsformen ermuntern und eine Art Sperrklinkeneffekt für imperiale Selbstinszenierungen auslösen. Es kann das tun, aber bekanntlich leistet das Bekenntnis dies nicht automatisch oder notwendigerweise, scheint es doch allzu oft im Gegenteil den Willen zur Macht zu bestätigen und dessen innerer Logik anhaltender Machtsteigerung zu erliegen. An dieser Rückkopplung mit dem Politischen bzw. an der Präsenz Politischer Theologie mitten im Credo zeigt sich, dass Bekennen stets auch eine eminent praktische Angelegenheit ist. Die Beobachtungen Markus Wittes zur Herkunft des Allmachtsprädikats aus der Selbstbeschreibung des Königtums wird der systematische Theologe jedenfalls auf das Problem der Souveränität beziehen. Dass der Souverän nicht mehr die höchste Macht innehätte, wäre er seinerseits an eine Verfassung gebunden, war das Argument, das Debatten um die Grundlagen des Staatsrechts, um den sogenannten Ausnahmezustand oder die Begnadigungspraxis des Grundgesetzes bestimmte, und zur Gegenthese animierte, erst das verdiene in Wahrheit »Macht« genannt zu werden, was in geregelten Verfahren legitimiert werden kann. Wirkliche Stärke realisiere sich gerade in »gebundener« Machtausübung.7 Das Problemfeld bedarf eines genaueren Blicks. 6   In Anlehnung an die erste These der Barmer Theologischen Erklärung formuliert. 7   Zu denken ist an den Streit zwischen Carl Schmitt und Hans Kelsen. Nach J. Kaftan bedeutet Allmacht, dass Gott »als der durch nichts beschränkte Herr der Welt über alle Mittel verfügt«, die zur Verwirklichung seines Zwecks gehören. Gott benutze diese Mittel freilich so, dass die Macht seinem Zweck

Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das?   181

2.  Absolute Macht Die Perspektiven verändern sich, wenn man im Gefälle einer spezifischen Definition des Gottesbegriffs die Überzeugung festzulegen versucht, unter »Gott« sei »die absolute Macht in allem Wirklichen«8 zu verstehen bzw. – um mit Bultmann zu sprechen – Gott sei »die Alles bestimmende Wirklichkeit«.9 Härle nennt diese Formulierung den »relativ angemessenste[n] Definitionsvorschlag, den es zur Zeit für den Begriff ›Gott‹ gibt«.10 Diesen Eindruck muss man nicht teilen. Zumindest müsste geklärt werden, was es eigentlich heißt, anderes – und im Fluchtpunkt der Definition alles andere – zu bestimmen. Denkbar wäre, dass Gott alles insofern bestimmt, als er Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen ins Dasein ruft und ihnen dabei Bedingungen für ihre Fortexistenz, für Ereignisse, Lebensformen und Handlungen vorgibt, sodass das Geschaffene nur relativ auf diese Vorgaben und, je nach seiner eigenen Konstitution abgestuft, selbständig und »frei« sein könnte. Nach dieser Maßgabe wäre die Formel »Alles bestimmen« ein Synonym für Erschaffen und Erhalten als Näherbestimmungen des Glaubens an Gott. Anders nimmt sie sich aus, sobald man einen determinierten Zusammenhang unterstellt, in dem nicht nur Bedingungen der Möglichkeit und Strukturen der Wirklichkeit, sondern sämtliche Ereignisse a priori festgelegt wären. Suggeriert werden könnte dann, dass derjenige Schöpfer noch nicht der allmächtige wäre, der gleichsam nur die Bühne für Ereignisse bereitstellte, aber nicht die Regie über das aufgeführte Stück innehätte, sodass der Schöpfer erst als Lenker und Weltregierer »allmächtig« wäre, ein Puppenspieler, der die Fäden zieht, von denen im strengen Sinne des Wortes »abhängig« zu sein, die Freiheit der Marionetten Gottes ausmacht – so konnte es immerhin Platon11 vorstellen. Schließlich könnte man die Rede von der »Alles bestimmen»untergeordnet« wird, nämlich einer liebenden Selbstmitteilung, die »den Menschen an seinem eigenen Leben Theil gewinnen läßt«. Insofern trete die Allmacht »in die zweite Linie« (J. Kaftan, Dogmatik, Freiburg i. Br. u. a. 1897, 187). 8   Vgl. a. a. O., 180 f. 9   R. Bultmann, Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?, in: ders., Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Tübingen 1933, 26 – 37 (26). 10   W. Härle, Dogmatik, Berlin / New York ³2007, 211. 11   Platon, Nomoi I, 644 d–f sowie der Platonausleger Bruno Liebrucks, vgl. S. Liedtke, Freiheit als Marionette Gottes. Der Gottesbegriff im Werk des Sprachphilosophen Bruno Liebrucks, Berlin / Boston 2013.

182  Michael Moxter den Wirklichkeit« aber auch dadurch spezifizieren, dass man sagte: Der Sinn, den das Welt-Ganze hat, bestimmt alles, was in der Welt vorkommt – oder: Das letzte Ziel des Universums, etwa die Erfüllung der Weltgeschichte im Reich der Freiheit, bestimmt alles, was über die Natur und die Geschichte gesagt werden kann. Man hielte dann an der Formel »Alles bestimmen« und also am Allmachtsprädikat fest, dessen Deutung aber zugleich insoweit offen, als man die Art, wie Gott alles bestimmt, an dem zu erkennen hätte, was sein Wesen ausmacht: sich seinem Geschöpf freundlich zuzuwenden und dessen Freiheit zu begründen. Gott erschiene dann nicht als Gewaltherrscher, der alle Strippen zieht, sondern als einer, der seine Geschöpfe geschickt auf sein Ziel hinlenkt, als Weiser, gleichsam als nudging operator. Unverfänglich ist freilich keine dieser Operationen. Denn das Phänomen der Macht unterliegt einer Steigerungs- und Überbietungslogik, die sie nur so zu bewahren erlaubt, dass sie zur immer noch mächtigeren Macht, zur Supermacht wird. Die Rede von der Allmacht Gottes bzw. der »Alles bestimmenden Wirklichkeit« ist von einem Übergang vom Einzigen zum einzig Mächtigen und schließlich zur absoluten Macht souveräner Willkür nicht wirklich gefeit. Vor diesem Hintergrund hat Falk Wagner die Logik des Allmachtbegriffs mitverantwortlich für die Grundlagenkrise des Christentums in der Moderne gemacht. Denn die Konzeption des sich unmittelbar selbst – und so alles andere bestimmenden – Wesens Gottes sei »nicht haltbar«, sondern »zum Scheitern verurteilt«,12 sie münde in eine petitio principii. Denn um sich selbst zu bestimmen, müsse die absolute Macht sich schon voraussetzen, weshalb die Selbstbestimmung keine absolute, sondern ihrerseits eine abhängige sei. Wagner kopiert die aporetische Figur eines Bewusstseins, das sich durch Reflexion als Selbstbewusstsein konstituieren soll, in den Gottesgedanken hinein. Auch sei die Allmacht Gottes nichts anderes als die ins absolut Große gesteigerte Selbstdurchsetzung eines Subjekts, womit man Gott eine Typik zuschreibe, die »beim menschlichen Subjekt als Sünde kritisiert« werde. Das Bild eines souveränen Herrn, der sich konkurrenzlos durchsetze, befeure die Vorstellung eines Chefs der Weltfirma, wie ihn Trump und Putin zu spielen versuchen, aber führe gerade nicht auf ein angemessenes Gottesverständnis. Die als Selbstdurchsetzung konzipierte Allmacht beruht auf der Vorstellung, letztlich 12   F. Wagner, Christentum und Moderne, in: ders., Christentum in der Moderne, hg. v. J. Dierken / C. Polke, Tübingen 2014, 72 – 91 (90).

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könne nur einer frei sein, der höchste Machtinhaber, der alle anderen zu Unfreien degradiert. Solche Freiheit ist aber bloßer Schein, und der auf diese Weise projizierte »Alleskönner«, der die Chance zur Durchsetzung des eigenen Willens unbeschränkt wahrnimmt, bleibt ein Machthaber, von dem man nicht sagen kann, warum ein solcher Gott kein Teufel sein sollte, kein genius malignus. Für diesen Effekt des Allmachtsdenkens hatte auch Karl Barth ein feines Gespür: »Gott ist nicht die ›Macht an sich‹. […] [N]icht ›der Allmächtige‹ ist Gott, nicht von einem höchsten Inbegriff von Macht aus ist zu verstehen, wer Gott ist. Und wer den ›Allmächtigen‹ Gott nennt, der redet in der furchtbarsten Weise an Gott vorbei. Denn der ›Allmächtige‹ ist böse, wie ›Macht an sich‹ böse ist. Der ›Allmächtige‹, das ist das Chaos, das Übel, das ist der Teufel. Man könnte gerade den Teufel nicht besser bezeichnen und definieren, als indem man diese Vorstellung eines in sich begründeten, freien, souveränen Könnens zu denken versucht.«13 Offenbar gehört zur Machtsteigerung eine Veruneindeutigung, ein dialektischer Umschlag von Sein ins Nichts, von Ordnung in Anomie, des Höchsten ins Widergöttliche.14 Falk Wagner und Karl Barth haben recht: Der Begriff der Allmacht kann nicht in selbstverständlicher Geltung stehen, vielmehr kommt es entscheidend darauf an, wie Macht jeweils gedacht wird. Vernachlässigt man eine Klärung, redet man Auf Teufel komm raus von Allmacht. Es ist wohl kein Zufall, dass in unserem Sprachgebrauch die Worte »Alleskönner«, »Supermacht« oder »einer, der zu allem fähig ist«,15 eben nicht als unverfälschtes Lob durchgehen, sondern despektierlichen Nebenton haben. Im Blick auf diese Ambivalenz gilt: Ein Gott, der »zu allem fähig« ist, wird zu einem Monstrum. In diesem Sinne besteht daher in der Tat ein enger Zusammenhang zwischen der Allmacht Gottes und der Bosheit des Menschen. Auch Eberhard Jüngel und Wilfried Härle arbeiten jeder auf seine Weise die Aporie heraus, dass der am Leitfaden der Allmacht gedachte 13   K. Barth, Dogmatik im Grundriss, Stuttgart 1947, 59 f. Ich verdanke den Hinweis auf dieses Zitat H.-C. Askani (s. Anm. 15). 14   In Gounods Oper »Faust« fragt Faust, was Mephistopheles für ihn tun könne. Dessen Antwort lautet: »Alles« – im Kontrast zu dem Rechenschaftsbericht, der Faust im Rückblick auf das in Forschung und Leben von ihm Erreichte sagen lässt: »Rien« (erstes Wort im ersten Akt). 15  H.-C. Askani hat dies letztere soeben herausgestellt: H.-C. Askani, Ist die »Ohnmacht Gottes« eine theologische Lösung?, in: H.-P. Großhans / M. Moxter / P. Stoellger (Hg.), Das Letzte, der Erste. Gott denken (Festschrift I. U. Dalferth), Tübingen 2018, 1 – 18.

184  Michael Moxter Gott nicht derjenige ist, zu dem sich der christliche Glaube bekennt. – Alle genannten Autoren schlagen Gegenmaßnahmen zur Sicherung des Credos vor: Sei es, dass sie Macht als nachgeordnete Implikation des Wesens Gottes und näherhin Gottes Macht als »Macht der Liebe« denken oder Liebe als den allen humanen Machtsteigerungen zuvorkommenden Dienst Gottes an der Welt beschreiben oder dass sie die Freiheit Gottes in der Zuwendung zu seinen Geschöpfen als eine solche Selbstbestimmung begreifen, die im anderen ihrer selbst frei ist, indem sie dieses frei lässt. Man darf in diesen Vorschlägen eine zentrale Problembearbeitungsstrategie evangelischer Theologie erkennen: Wie die Fürstenmacht in der Moderne ans Verfassungsrecht gebunden wurde, so die Macht Gottes an sein Wesen.

3.  Die Blumenberg-Provokation Zum Thema »Allmacht« auf einer Tagung in Münster zu sprechen, scheint mir eine Einladung zu sein, sich von Hans Blumenberg provozieren zu lassen. (Sinn und Umfang dieser Provokation kann im Folgenden freilich nur an Blumenbergs »Matthäuspassion« verdeutlicht werden – die Verortung des Themas in seinen Neuzeitstudien lasse ich auf sich beruhen.16) Das Prädikat »Allmacht« signalisiert nicht nur Vermögen und Könnerschaft (die potestas das souverän erschaffen zu haben und erhalten zu können, was uns als Welt gegeben ist), sondern auch eine Artikulation eines Willens: Was ist, existiert, weil es Gott der Allmächtige so gemacht hat – der Schöpfer ruft die Kreatur ins Sein, weil er das Seiende (das auf diese Weise gewordene) gewollt und also bejaht hat: »Siehe es war sehr gut« ist ein Ausdruck des göttlichen Gefallens am Geschaffenen, weil dieses gelungen ist. Bekanntlich gilt dieses Urteil auch unter der Bedingung, dass es unter den Geschöpfen eines gibt, das – wie Blumenberg es ausdrückt – sich misslingen kann. In ontologischer Perspektive impliziert diese Annahme die Differenz zwischen den möglichen Welten, die Gott hätte erschaffen können, aber zu erschaffen unterlassen hat, und der einen wirklichen Welt, die er geschaffen hat. Dass er diese und keine andere mögliche Welt geschaffen hat, setzt das Verhältnis von Allmacht und Wille nun allerdings dem Problemdruck eines Voluntarismus aus. 16   Vgl. aber meinen Blumenberg gewidmeten Beitrag »Eigenständigkeit der Moderne« in: Religion und Säkularisierung. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. v. T. M. Schmidt / A. Pitschmann, Stuttgart 2014, 49 – 63 (61 f.).

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Letzterer besteht darin, auf die Frage, warum Gott gerade diese und nicht eine andere Wahl getroffen habe, nur antworten zu können: Quia voluit. »Gottes Wille ist die höchste Richtschnur der Gerechtigkeit: Wenn er also etwas will, so ist es eben darum, weil er es will, für gerecht zu halten! Wenn man also fragt, warum der Herr so ge­ handelt habe, so ist zu antworten: Weil er es gewollt hat.«17 Gemeint ist damit, dass es hinter dem Willen Gottes und über diesen hinaus keine weitere Instanz gibt und geben kann, auf die eine solche Warum-Frage verschoben werden könnte. Allmacht und absoluter Wille verbinden sich darin, dass sie durch keine externe Regel, durch kein unabhängiges Gesetz, eingeschränkt werden können. Denn die Macht wäre nicht höchste Macht, der Wille bliebe nicht oberster Wille, wenn er eingeschränkt werden könnte. Das Allmachtsprädikat identifiziert unter dieser Bedingung nicht länger die Konkurrenzlosigkeit des Handelnden, sondern vermittelt die Idee einer Steigerung über alle Bindungen hinaus. Es ist diese Steigerungs- bzw. Entgrenzungsfigur, gegen die sich Blumenbergs Dekonstruktion des Allmachtsbegriffs richtet. Allmacht sei gleichsam das charakteristische Gottesprädikat, weil der Satz: »Bei Gott ist kein Ding unmöglich« (Lk 1,37) sozusagen die regula fidei sei, unter der die Bibel erzählt und unter der sie gelesen werde: »Nichts ist unmöglich«: weder die Schwangerschaft der alt gewordenen Sara noch die der Jungfrau Maria, weder die Bindung Isaaks noch der Tod des Gottessohnes am Kreuz. Lauter Unmöglichkeiten, Paradoxien und Torheiten, die im Sinne eines »Auch das noch!« den Menschen einiges zumuten, was auf Unterwerfung des Verstandes unter die Macht eines Gottes erscheint, der Unglaube mit Verwerfung bestraft. Allmacht ist für Blumenberg eine grammatische Metaregel der biblischen Narrative, die benötigt wird, wo die Fabulierungslust des Mythos verachtet wird, aber von Gott dennoch erzählt werden soll. Behielte die Ratio die Hoheit über die Gottesdiskurse, so kollabierte die biblische Heilsgeschichte. Insofern sei Allmacht eine Wesenseigenschaft, die es Gott erlaube, paradox zu handeln, sich unter dem Gegenteil zu offenbaren, in den Schwachen mächtig, in den Armen reich zu sein – allesamt für die Eigenart jüdisch-christlicher Religion unverzichtbar. Aber gerade aufgrund ihrer Bedeutung unter17   J. Calvin, Institutio Christianae Religionis / Unterricht in der christlichen Religion, nach der letzten Ausgabe von 1559 übers. u. bearb. v. O. Weber. Im Auftrag des Reformierten Bundes bearb. und neu hg. v. M. Freudenberg, Neukirchen-Vluyn 22009, III, 23,2.

186  Michael Moxter minierten sie den Glauben bzw. die Vertrauenswürdigkeit. Denn dass sich Gott über alles, was wir von ihm erwarten, erhoffen, glauben in absoluter Souveränität hinwegsetzen könnte, ist eine Annahme, die jede Glaubensgewissheit zerstört. Ein Gott, der immer noch anders kann, als es das Evangelium verheißt, der frei ist, das Heil, zu dem er einlädt, in das Unheil der Verwerfung zu konvertieren, könne kein Gegenstand ernsthaften Glaubens sein. Soll das Herz sich vertrauensvoll an Gottes Wort hängen, dürfen Gottes Macht und Freiheit nicht über alle seine Zusagen, Versprechungen und Bundesschlüsse hinausführen. Allmacht konfiguriert als potentia Dei absoluta ist demnach notwendig und unmöglich zugleich, so unverzichtbar wie desaströs. In anderer Blickrichtung ergibt sich eine gegenläufige, aber darum nicht weniger problematische Dynamik: Mit der faktischen Erschaffung der Welt qualifiziert der Schöpfer den Bereich des Möglichen auf neue Weise, denn einiges ist nun nicht mehr bloß möglich, sondern auch wirklich: » ›Welt‹ heißt  […], daß nicht Alles-Mögliche möglich bleibt.«18 Setzt Gott eine (wirkliche) Welt, so ist das Spiel bloß möglicher Welten (alles könnte sein; Alternativen sind denkbar, es geht alles auch anders) aufgehoben und zwar zu Lasten solcher Welten, die bloß virtuell bleiben, während eine Welt wirklich wird. Die Erschaffung der Welt bedeutet daher stets eine Beschränkung von Möglichkeiten, sodass absolute Unbeschränktheit nicht länger als Paradigma von Allmacht taugt. In diesem Sinne gilt: »Mit der Welt spielt die Allmacht gegen sich selbst.«19 Gemeint ist nicht, dass die Welt ein Spielball Gottes wäre, sondern gerade im Gegenteil, dass erst die Erschaffung einer wirklichen Welt Gott die Chance biete, aus der Langeweile bloßer Möglichkeiten herauszutreten, also nicht nur alles Mögliche zu wissen, sondern endlich einmal etwas (etwas Wirkliches) – nicht nur alles Mögliche tun zu können, sondern etwas getan zu haben. Die Erschaffung der Welt habe also auch für den Schöpfer Konsequenzen. An der Inkarnation des Logos, der Menschwerdung des Sohnes, werden sie deutlich: Gott zieht mit ihr die Konsequenz, sich auf diese eine und wirkliche Welt selbst einzulassen, nicht nur Vater als welttranszendenter Schöpfer, sondern Vater dieses Sohnes zu 18   Blumenberg, Matthäuspassion (s. Anm. 5), 11. Wittgenstein konnte von Wirklichkeitsinseln im Meer des Möglichen sprechen (vgl. L. Wittgenstein, Werkausgabe 3, 261). 19   Blumenberg, Matthäuspassion (s. Anm. 5), 11. Man wird das auch als Reflex des von Hans Jonas erzählten Mythos lesen können (H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme, Frankfurt a. M. 1984).

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sein. Nur in der Sendung des Sohnes eignet sich Gott die Erfahrung an, was es heißt, »in einer Welt zu leben«. Erst mit der Welt wird Gott zum Schöpfer, erst auf dem Weg des Sohnes in die Welt nimmt Gott die Beschränkung und Endlichkeit, die zu dieser gehört, ernst und eignet sich diese an. Im Fluchtpunkt dieser Blickrichtung und dieses Weges stehen die Übernahme des menschlichen Leidens in und an dieser Welt, der Gewalt und Bosheit und schließlich des Todes. In der Passion Jesu unterstelle sich Gott der Endlichkeit und Selbstverfehlung der Schöpfung – was Konsequenzen für die Allmacht zeitigt. Sie steigere ihr Weltengagement durch Selbsteinsatz. Erst im Scheitern des Sohnes an und in dieser Welt, vollende sich folglich das Werk der Schöpfung. Erst an ihm zeige sich, dass Gott kein bloßer Zuschauer der Welt ist (wie der Deismus meint), sondern der Schöpfer, der in seinem Wort zu seiner Welt kommt – und aushalten muss, dass ihn die Seinen nicht aufnehmen (Joh 1,11). Blumenbergs Matthäuspassion ist als »Arbeit am Mythos« zu lesen, als Versuch, durch Variation des Erzählten die Diktatur der Eindeutigkeit zu durchbrechen. Entscheidend ist dabei nicht, ob eine Geschichte entsteht, die auf dogmatische Korrektheit überprüft wäre oder werden könnte, sondern sie so zu refigurieren, dass sie nicht langweilig wird. Nirgendwo steht, dass solche Arbeit dem Theologen gefallen muss, aber sie kann ihn provozieren, etwa zu der Vermutung, der Allmachtgedanken lasse sich angesichts seiner inneren Aporetik20 nur bearbeiten kann, wenn man Allmacht nicht im Gegenüber zum leeren Raum logischer Möglichkeiten, sondern im Bezug auf die wirkliche Welt (Schöpfung) denkt, mithin vom ersten auf den zweiten Artikel umschaltet, also zu einer trinitätstheologischen Reflexion dieses Prädikats übergeht. Gelingt das nicht, dann bleibt man auf dem traditionellen Pfad eines Gottesgedankens höchstmöglicher Macht, bei dem der in der jeweiligen historischen Situation ausschlaggebende Machtpegel eine noch größere Macht indiziert, über die hinaus keine größere gedacht werden kann – mit dem Preis, dass zugleich der offenbarte Heilswille Gottes (potentia ordinata) durch die immer noch größere potentia absoluta übertroffen wird. Gewissheit, woran wir vor Gott sind, fällt dann genauso aus wie Resistenz gegenüber menschlichem Machtgehabe. Es ist die Eigenart des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, 20   Sie wurde oben identifiziert. Vgl. jedoch auch das Urteil Härles, Dogmatik (s. Anm. 10), 256.258.

188  Michael Moxter dass es uns weiterzusprechen anhält und also am Bekenntnis zu Jesus Christus expliziert, was es mit Gott dem Allmächtigen auf sich hat. Wozu Gott Macht gebraucht und was er mit ihr ins Werk setzt, wird im zweiten und dritten Artikel des Apostolikums bekannt. In dieser Schlichtheit lädt es zum Mitsprechen ein, weil es das Geglaubte im Credo präzisiert.

4.  Schleiermachers Mut Man muss Calvin immerhin zugutehalten, dass er seine als Verweigerung einer Antwort gedachte Auskunft »quia voluit« mit dem »Hirngespinst von der bindungslosen Gewalt [potentia absoluta] Gottes« nicht verwechselt sehen wollte – »denn das ist unfromm und soll bei uns billigerweise Abscheu erregen! Wir erdichten uns keinen Gott, der außerhalb der Gesetze stünde; denn Gott ist sich doch selbst ein Gesetz.«21 Calvin argumentiert im Horizont des Allmachtgedankens gegen dessen inneres Gefälle an, und er versucht, mit dem Hinweis auf die Grenzen unseres Wissens bzw. die Verborgenheit des göttlichen Willens die Aporie des Allmachtbegriffs einzuhegen. In der reformierten Tradition ist es zunächst Schleiermacher, der einen Schritt weiter geht und das von Calvin aufgerichtete Denkverbot aufkündigt. Um die Aporie der potentia Dei absoluta zu vermeiden, entscheidet sich Schleiermacher für eine Denkoperation, die er durchhält, obwohl sie seine Glaubenslehre einem pantheistischen Schein aussetzt. Schleiermacher zufolge gründet der gesamte einheitliche Naturzusammenhang in der göttlichen Ursächlichkeit und zwar so, dass diese sich in der Gesamtheit des endlichen Seins auch vollkommen darstellt. Daraus folgt, dass alles, wozu es Ursächlichkeit in Gott gibt, auch wirklich wird bzw. schon wirklich geworden ist. Was möglich war, kann man dann immer nur an dem erkennen, was wirklich geworden ist. Wäre das Schöpfungs- und Erhaltungshandeln Gottes anders als in einer solchen Totalitätsperspektive zu denken, dann könnte man von Einzeldingen, Lebewesen und singulären Er­ eignissen sprechen, die für sich gegeben wären, schon Dasein hätten und erst sekundär zum Gegenstand göttlichen Handelns würden. Gerade solches Gegebensein aber wäre eine Begrenzung des göttlichen Schöpfungshandelns, das alles setzt, ohne dass ihm anderes 21

  Calvin, Institutio (s. Anm. 17), III, 23,2.

Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das?   189

als es selbst vorausginge. Glaube an den allmächtigen Schöpfer und Erhalter ist der christliche Sinn dafür, »daß alles ungeteilt durch Eines besteht«, dass nichts für sich selbst, sondern alles im Zusammenhang gegeben ist. Es gibt demnach einen einzigen und einheitlichen Natur-Zusammenhang, der sich Gott verdankt. Folglich begeht man einen Kategorienfehler, wenn man Gottes umfassende Ursächlichkeit als Konkurrenz oder Alternative zu einzelnen Naturursachen denkt. Für Schleiermacher ist Allmacht die Bestimmung eines Verhältnisses Gottes zur Welt, demzufolge Mögliches bzw. Möglichkeit nicht in Differenz zum Wirklichen bzw. zur Wirklichkeit treten können: Es kann nicht mehr als Alles geben (um ein Wort D. Sölles22 umzukehren). Was über das Wirkliche hinausgeht, ist nur Gott selbst und Gott allein. Darum aber fällt die Differenz zwischen Möglichem und Wirklichem nicht in Gott – und sie kann auch nicht auf die Welt angewandt werden. Was nicht wirklich wurde, war innerhalb des Naturzusammenhangs auch nicht möglich.23 »Die Vorstellung eines Möglichen außerhalb der Gesamtheit des Wirklichen hat nicht einmal für uns Wahrheit.«24 Die Konsequenz ist deutlich: Die potentia ordinata ist die potentia absoluta und umgekehrt. Letztere erschöpft sich in der ersteren. Es gibt demnach kein Bewirkenkönnen hinter oder neben Gottes Bewirken,25 keine Differenz zwischen Können und Wollen in Gott. Darum ist es definitiv ausgeschlossen, Allmacht die Eigenschaft zu nennen, vermöge derer Gott alles könne, was er wolle.26 22   D. Sölle, Es muss doch mehr als alles geben. Nachdenken über Gott, Freiburg i. Br. ³2006. 23   Vgl. F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830 / 31), hg. v. R. Schäfer, in: ders., Kritische Gesamtausgabe (KGA) I / 13,1, Berlin / New York 2003, § 47.2, 280 f. 24  F. Schleiermacher, Der christliche Glaube 1821 / 22. Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. H. Peiter, Berlin 1984, 206 25   Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube (s. Anm. 23), § 47.2, 282. »[D]ie ganze Allmacht ist ungetheilt und unverkürzt die alles thuende und bewirkende«, a. a. O., § 54.3, 329. 26   Auch K. Barth legt den Allmachtbegriff übrigens dahingehend aus, dass Gott »alles dessen mächtig« sei, »was er tatsächlich will oder wollen könnte« (Barth, KD II / 1 [s. Anm. 1], 588). Aber er kritisiert, dass Gott bei Schleiermacher sich nicht mehr als der freie von seinem Tun und Können abhebe (597). Vgl. aber wiederum 603: »Wir haben keinen Anlass […] und […] keine Freiheit, Gott hinsichtlich der […] geschaffenen Welt auch noch andere Möglichkeiten zuzuschreiben als die, die er tatsächlich gewählt und verwirklicht hat«. Auf Seite 605 sieht Barth, dass sonst Unruhe und Ungewissheit einbricht.

190  Michael Moxter Das ist auch darum eine mutige Behauptung, weil Schleiermacher auf diese Weise die Unterscheidung zwischen potentia absoluta und potentia ordinata nach dem Vorbild der Differenz von natura naturans und natura naturata denkt. Der energische Verzicht auf die Vorstellung einer absoluten Freiheit Gottes, in der dieser nicht als göttliche Liebe erkennbar wäre und darum jederzeit zum Abgott und Teufel würde, wird durchgehalten – auch um den Preis der Verwechselbarkeit mit Pantheismus und Spinozismus. Aber dieses Risiko scheint geringer zu sein als die Verwechslung der Macht Gottes mit dem Schrecken der potentia absoluta.

5. Schlussreflexion Natürlich müssen sich die an dieser Stelle vorgetragenen Überlegungen auf den Status von Etüden beschränken. Diese erscheinen mir aber gewichtig genug, um vor dem Versuch zu warnen, die Geschichte des Allmachtsprädikats als eine kontinuierliche Linie zu zeichnen, in der seit der archaischen Benennung Gottes als El schaddaj über die Achsenzeit des Monotheismus bis hin zur spätmittelalterlichen potentia Dei absoluta ein theologischer Grundbegriff allmählich entfaltet werde, dem dann neuzeitlich Säkularisierung, Atheismus und Dekonstruktion eine Abfolge von Krisen bereiteten. Statt auf kontinuierliche Entwicklung und permanente Steigerung zu setzen, wären Prozesse in den Blick zu nehmen, durch die das hier diskutierte Gottesprädikat interpretiert, eingehegt und konkretisiert wird. Der theologische Allmachtsdiskurs wäre als eine kontextabhängige Konfliktgeschichte zu beschreiben, die auf die dem Allmachtbegriff eigentümliche Logik der Machtsteigerung produktiv zu reagieren weiß, dieser also nicht immer und überall verfällt. Nichts zwingt beispielsweise dazu, Luthers Rede vom deus absconditus ausschließlich als Fortsetzung der spätnominalistischen Figur der potentia Dei absoluta auszulegen. Sie kann mit ihrem eigenwilligen Gefälle der Unterscheidung und Hinwendung (nicht dieser, sondern jener! Nicht der deus nudus, sondern der deus revelatus!) auch als eine theologisch reflektierte Strategie beschrieben werden, »Allmacht« gerade nur als einen Grenzbegriff zu konzipieren, der mitgesetzt ist, aber die Glaubenden nichts angeht, die sich an den

Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das?   191

Gott halten, der ihnen in Christo vertrauenswürdig geworden ist.27 So betrachtet gehört es zum Allmachtbegriff, dass er auf das wirkliche Handeln Gottes zu beziehen ist (als dessen souveräne Ermöglichung), nicht aber auf einen abstrakten und insofern isolierten Willen, der alles Mögliche realisieren könnte  – abgesehen von dem, was sich logisch widerspricht. Obwohl Karl Barth im Blick auf Luthers De servo arbitrio in dieser Frage zu einem anderen historischen Urteil als Eberhard Jüngel kommt,28 kritisiert doch auch er jeden Versuch, über und hinter dem gnädigen Gott noch einen »ganz Andere[n]« zu unterstellen bzw. sich betätigen zu sehen.29 Barth akzeptiert zwar die Unterscheidung zwischen potentia ordinata und potentia absoluta insoweit, als letztere die Freiheit Gottes bezeichne, sein Auch-anders-Können. Von dieser Möglichkeit aber mache Gott gerade keinen Gebrauch. Die Vorstellung einer potentia absoluta, die als eine Art Rückübertragung der potentia extraordinaria in das Wesen Gottes wirken könnte und müsste, lehnt Barth, wie wir oben schon sahen, entschieden ab.30 Sie mache aus der Freiheit Gottes eine »Willkürmacht« und also »die ganze Unterscheidung völlig unerträglich«.31 Allmacht besteht darum nicht im Ausnahmevorbehalt, mit dem sich Gott über das von ihm selbst Gewählte und Entschiedene auch wieder hinwegsetzen könnte, vielmehr wird Gottes »potestas absoluta als potestas ordinata endgültig und verbindlich sichtbar«.32 Mag sich die Freiheit Gottes in dem, wozu er sich entschieden hat, als immer noch größere Freiheit bestätigen, so ist sie doch nie die Freiheit zu einem beliebigen Gebrauch von Macht.33 27   So interpretiert bekanntlich E. Jüngel, Quae supra nos, nihil ad nos. Eine Kurzformel der Lehre vom verborgenen Gott – im Anschluß an Luther interpretiert (1972), in: ders., Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen II, München 1980, 202 – 251 (228 – 230). 28   »Es läßt sich nicht leugnen, dass Luther von seinem Deus absconditus gelegentlich so geredet hat, als ob er darunter die […] potentia absoluta oder vielmehr: inordinata verstanden hätte.« (Barth, KD II / 1 [s. Anm. 1], 608). 29   Ebd. Vgl. den ganzen Abschnitt (606 – 610). 30   Auch W. Pannenberg sieht, wohin es führt, wenn man Gottes Freiheit ausschließlich als potentia absoluta denkt: Man tut dann so »als ob der abstrakt gedachte göttliche Wille für sich das konkrete Wesen Gottes wäre« (W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 452). 31   Barth, KD II / 1 (s. Anm. 1), 609. 32   A. a. O., 610. 33  Vgl. A. Käfer, Gottes Allmacht und die Frage nach dem Wunder. Ein Beitrag zum Vergleich der Positionen Schleiermachers und Karl Barths, in: Karl

192  Michael Moxter In diesem Sinne ist die Beobachtung der alttestamentlichen Wissenschaft, dass die Herrschaft Gottes darin bestehe, Recht und Gerechtigkeit zu setzen,34 systematisch-theologisch ernst- und also aufzunehmen. Die Selbstbindung der souveränen Macht an das Recht, das sie hervorbringt und dem sie sich eodem actu unterwirft, dass sie also positiviert und zugleich (als auch für sie selbst unhintergehbar) »naturalisiert« einerseits, und die hier angedeutete kritische Behandlung des theologischen Allmachtsprädikats andererseits, folgen, wenn nicht derselben, so jedenfalls einer verwandten Logik. Es gilt eben beides: Gott kann alles – nur nicht sich selbst letztinstanzlich widersprechen; und: »Die Demokratie kann alles tun – nur nicht endgültig auf sich selbst verzichten.«35 Man muss sich auf keine der hier beschriebenen Reaktionen kritiklos verpflichten, um einen anderen Weg als unzureichend und unzulänglich auszuschließen. Ich meine Bemühungen, den genannten Aporien dadurch entkommen zu wollen, dass man Allmacht durch Ohnmacht oder Macht durch Machtlosigkeit Gottes einfach ersetzt. Solche (in formaler Hinsicht revolutionär anmutende) Schubumkehr ist nämlich nicht subversiv genug. Sie bleibt eine äußerliche Gegenbesetzung, politisch oft ein bloßer Seitenwechsel der Parteilichkeiten. Das mag in manchen Konstellationen immerhin etwas sein, insgesamt und auf Dauer betrachtet, ist das aber zu wenig. Wenn ich recht sehe, kann eine solche Abschaffung des Allmachtsprädikats sich jedenfalls nicht auf Hans Jonas berufen. Dessen vielschichtige Dekonstruktion des Prädikats der Allmacht ist nämlich, nur so viel sei hier noch für die anschließende Diskussion vermerkt, anders gelagert: Sie verschränkt Argumentation, Erzählung, Metaphorik und Mythos und

Barth und Friedrich Schleiermacher. Zur Neubestimmung ihres Verhältnisses, hg. v. M. Gockel / M. Leiner, Göttingen 2015, 89 – 112. 34   Vgl. den Beitrag von M. Witte in diesem Band, insbesondere Seite 174 f. 35   R. Radbruch, Der Relativismus in der Rechtsphilosophie (1934), in: ders., Gesamtausgabe, hg. v. A. Kaufmann, Bd. 3: Rechtsphilosophie, bearb. v. W. Hassemer, Heidelberg 1990, 17 – 22 (21). Auch W. Pannenberg begreift die Menschwerdung des Logos als konkreten und höchsten Ausdruck göttlicher Allmacht Gottes. Sie raube freilich nicht Gottes Macht, sondern realisiere eine »Unterordnung unter die Monarchie des Vaters«, die zum »Grundgesetz auch für das Verhältnis der Geschöpfe zum Schöpfer« werde (Pannenberg, Systematische Theologie [s. Anm. 29], 455). Pannenbergs Metaphorik wäre im Spannungsfeld von Rechtswissenschaft und Theologie begrifflich auszuloten, gerade weil sie sich ihm offenbar unbewusst nahelegt.

Ich glaube an Gott den Allmächtigen – Was heißt das?   193

stellt mit dieser komplexen Konstellation vor allem eines unter Beweis: dass mit bloßer Negation allein noch nichts gewonnen ist. Soll die Beziehung des Glaubens an Gott den Schöpfer auf die Bosheit des Menschen bedacht werden, wird man m. E. vom Allmachtsprädikat auf das Prädikat der Allwirksamkeit Gottes umgelenkt – nicht auf Alleinwirksamkeit, von der im Zusammenhang der Rechtfertigungstheologie zu reden wäre, sondern im Sinne der Behauptung, Gott bleibe auch dort der Gott, der alles in Allen wirkt, wo wir mit dem Übel und dem Bösen konfrontiert werden. Etwa im Sinne von Amos 3,6b: »Geschieht Böses in einer Stadt, und Jhwh hätte es nicht gewirkt?« Es handelt sich wohlgemerkt nicht um eine Behauptung, sondern um eine Frage, die in Erinnerung ruft, dass Erklärungsmuster ausscheiden, die bloße Entlastung Gottes anstreben und darin zugleich Selbstentschuldigung der Gläubigen bedeuten. Auf Gott können wir nicht nur das zurückführen, was uns als Gutes gefällt, sondern müssen auch das vorhalten, was uns als malum entsetzt. Zu glauben schließt ein, dass man auf Ausreden verzichten muss, sowohl auf die, es sei eigentlich gut gemeint oder auf das Gerede von den dunklen Seiten Gottes oder von einem vermeintlichen Widerspruch in Gott selbst. Stattdessen bedarf es der Einsicht, dass Gott auch über die Bande geglaubt werden kann, dass Klage, Verstummen oder Fluch auf Gott Ausdruck eines redlichen Gottesverhältnisses sein können. Ob die Auskunft, dass Gott alles treibt, auch in solchen Situationen als Glaubensaussage möglich ist, muss sich im individuellen Leben zeigen. Aber die Theologie sollte es an dieser Stelle besser nicht übertreiben. Sonst endet sie bei dem, was Barth »öden Pfaffenspuk«36 nannte.

36

  Barth, KD II / 1 (s. Anm. 1), 556.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion Eike Christian Herzig

In der klassischen Dogmatik wird unter dem Begriff der Allmacht – neben Allwissenheit, Allgüte und Allgegenwart  – eine Eigenschaft Gottes verstanden. Von dieser zu handeln bzw. überhaupt sprechen zu können, ist ein Versuch, den Schöpfer von seinem Geschöpf zu unterscheiden. Die Schöpfung ist Ausdruck der Handlung ihres Schöpfers. Darin liegt eine prinzipielle Erkennbarkeit und Sprachlichkeit. Über diese wird in der Kirchen- und Dogmengeschichte vortrefflich gestritten, vor allem, wenn angenommen wird, die Allmacht provoziere innergöttliche Konkurrenzen und führe menschliches Denken an seine Grenzen. Und doch wird dem Denken die Aufgabe zuteil, ein Verstehen desjenigen Geschehens zu formulieren, in dem sich das göttliche Handeln äußert. Die Beiträge von Markus Witte und Michael Moxter nehmen sowohl die exegetischen Spuren der Begriffsgeschichte auf als auch ihre theologischen Begründungen unter die Lupe. Dabei stellen sie die Spannungen dar, die sich durch begriffliche Fixierungen ergeben. Deutlich tritt die Notwendigkeit einer kritischen Reformulierung zu Tage, die sich aus den jeweiligen Problemanzeigen, aber auch aus ihrer Beziehung aufeinander, ergeben. Die Response referiert zunächst die beiden Beiträge. In einem dritten Schritt werden die Beiträge mit einer theologischen Einsicht konfrontiert, die sie beide nicht – ausdrücklich – benennen.

1.  Alttestamentliche Problemanzeige Markus Witte legt in seinem Beitrag dar, dass die Vorstellung eines allmächtigen Gottes bereits im Ersten Testament zu finden sei und wie diese sich entwickelt habe. Angezeigt ist die Vorstellung durch das griechische Wort παντοκράτωρ. Es handle sich dabei um einen Neologismus, der in die Zeit des hellenistischen Judentums zurückzuführen sei. Er eröffne einen Zugang zu unterschiedlichen Entwicklungen, die sich durch die geschichtlichen Veränderungen der Zeit beeinflusst wüssten. Die Umwälzungen im Zuge Alexanders des Großen bedingten einen »gewaltigen Theologisierungsschub«, durch den die

196  Eike Christian Herzig religiöse Identität des Judentums bestimmt bzw. »etabliert« worden sei. Nach Witte gilt es in einem ersten Schritt festzuhalten, dass die geschichtlichen Umwälzungen den Rahmen für eine Veränderung des religiösen Selbstverstehens bilden. Unter dem Begriff παντοκράτωρ erhalten nicht nur die Gottesvorstellung, sondern auch die Bedeutung des Gesetzes, der Gemeinschaft, sowie die Riten und das Verständnis Jerusalems als kultischem Zentrum eine neue Auslegung. Der Gedanke der Gottesherrschaft schlage sich als neue Perspektive in der Überarbeitung des ganzen Kanons literarisch nieder. Bei seinen Ausblicken beschränkt sich Witte allerdings auf die »weisheitlichen Reflexionen«. Dabei legt er in drei Thesen die thematischen Zusammenhänge dar, in denen der Begriff des παντοκράτωρ zu finden ist und entwickelt wird. Zunächst bündle der Begriff verschiedene Eigenschaften. Mit ihm werde eine Systematisierung und Vergegenwärtigung vormaliger älterer Jhwh-Vorstellungen sowie die Akkumulation verschiedener Eigenschaften anderer Götter vorgenommen. »Allmacht« im Sinne von »Allherrscher« verbinde über das Motiv der »militärischen Macht« nicht nur das »Heer« und seine Kräfte, sondern auch die Bereiche von Himmel und Erde, in denen diese Kräfte zu verorten seien. Gleichsam werden auch die Bereiche von Himmel und Erde der Herrschaft Gottes im Sinne der Schöpfungstheologie unterstellt. Und mehr noch: Ebenfalls haben sich in der Allherrschaft auch die Motive der Gottesoffenbarung und ihrer Erkenntnis vergegenwärtigt. Unter dem Titel des »Allherrschers« lasse sich demnach eine Profilierung der monotheistischen Gottesvorstellung verstehen. Die Frage nach einer universalen Herrschaft eröffne die Frage nach der Gerechtigkeit, so Wittes Anschlussthese. Bereits in den Schriften des Ersten Testamentes würden die Erfahrungen von Leid, Elend und Ungerechtigkeit in ihrer ganzen Härte thematisiert. Sie stellten eine Allherrschaft in Frage, insofern angenommen werde, dass sich Herrschaft durch die Garantie der Gerechtigkeit mittels Ordnungen und Gesetzen ausweisen müsse. Die Zusicherung, das Leben und die Gemeinschaft sowie den Bestand zu bewahren, würden durch die Unfähigkeit, Ordnungen zu halten oder gar die Fähigkeit, bewusst gegen diese zu verstoßen, ebenso wie durch das Zerbrechen der Lebensgemeinschaften klar thematisiert. Die Konsequenzen für die Vorstellung der Allherrschaft und der Gerechtigkeit unterschieden sich: Das Problem werde geleugnet oder die Gerechtigkeit werde allein

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  197

Gott zugesprochen oder aber die Erfahrung der Gerechtigkeit würde auf eine kommende Zeit verschoben. Dabei erhalte der Gottesgedanke zwei bedeutende Facetten: Entweder werde in diesem der Grund der erfahrenen Ungerechtigkeit verortet oder aber weitere Mächte würden eingeführt, die die Gerechtigkeit gefährdeten. Aus diesem Zusammenhang ergebe sich die Frage nach der Güte Gottes und dem Ursprung des Bösen. Aus dem alttestamentlichen Befund gingen sowohl die klaren Überlegungen zu einem gütigen Wesen Gottes hervor wie auch die Verortung des Bösen im Wesen des Menschen. Zugleich können aber auch gegengöttliche Wesen die Güte Gottes infrage stellen. Die Güte Gottes bleibe aber als solche bestehen. Der Umgang mit dem Bösen sei literarisch als ein Zulassen oder ein Kampf Gottes gegen diese Mächte beschrieben. In seiner abschließenden These bündelt Witte seine Ausführungen: »Der Glaube an den Allmächtigen ist Ausdruck eines monotheistischen, dynamischen, personalen und partizipatorischen Gottesverständnisses.«1 In alttestamentlicher Hinsicht führe der Begriff der Allmacht mitten in die spannungsreichen geschichtlichen Erfahrungen des hellenistischen Judentums. Die erlebte Ungerechtigkeit, das Leid und die geschichtlichen Katastrophen spiegelte sich in den Momenten der Herrschaft und ihrer Dynamik wider. Sie würden zu Korrelaten, durch die die Herrschaftsvorstellung die Geschichtlichkeit Gottes erschließt und eschatologisch sogar vorwegnimmt. Diese Universalisierung des Gottesgedankens gilt es weiterhin, mit Witte, im Horizont der persönlichen Erfahrung und Zugehörigkeit bzw. menschlichen Teilhabe an der Herrschaft zu betonen. Schließlich wird der Gottesgedanken neben der Allmacht um das Prädikat des Allerbarmers erweitert, der mit seinen Geschöpfen mitleidet.2 Formal weist also der Begriff der Allmacht zurück auf eine Systematisierung des Gottesgedankens, der sich in der Spannung zwischen Universalisierung und Individualisierung, zwischen Geschichte und Vollendung sowie in der Betroffenheit des Menschen ausdifferenziert.

1   M. Witte, Vom Glauben an den Allmächtigen und der Bosheit des Menschen – Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments, in diesem Band, 155 – 175 (172). 2   Vgl. a. a. O., 175.

198  Eike Christian Herzig

2.  Systematisch-theologische Problemanzeige Im zweiten Beitrag geht Michael Moxter systematisch-theologisch in vier Schritten der Frage »Ich glaube an Gott, den Allmächtigen – Was heißt das?« nach. Moxter schließt damit an die alttestamentlichen Ausführungen an, indem er die Auslegungsgeschichte des Credos an ausgewählten Spannungen problematisiert. Eingangs gilt es unter den »Voraussetzungen« vor allem deutlich zu machen, dass das Credo kein »Sammelsurium« »propositionale[r] Sachverhalte« sei, die »geglaubt werden sollten«. Vielmehr müsse die Funktion des Begriffs untersucht werden, die zunächst in der Präzisierung des Schöpfungshandelns Gottes liegt. Allerdings ist die Präzisierungskraft mit dem Begriff der Allmacht offengehalten. Wie nun »Allmacht« genauer zu verstehen sei, muss sowohl der Kontext aufzeigen als auch in der betonten Offenheit selbst liegen. Mit dem Begriff der »Allmacht« sei eine »Markierungsformel« ausgemacht, die Gott als Schöpfer herausstellt, und zwar im Gegenüber zu allen anderen Göttern: in »Konkurrenzlosigkeit und Alleinzuständigkeit«.3 Damit sei der Allmacht ein herrschaftskritisches Potenzial zu eigen, welches sich nicht nur in der Unterscheidung Gottes zu anderen Göttern entfaltet, sondern jedwede andere Form von Herrschaft kritisch anfragt. – Allerdings problematisiert Moxter auch einen solchen kritischen Effekt: Zum einen ist dieser nicht notwendig oder forcierbar. Zum anderen läuft eine derartige Kritik an Machtstrukturen und Machtausübung Gefahr, wiederum selbst Macht anzuwenden, auszuüben und erneut eine Machtposition zu beziehen. Mit dieser Eigendynamik ist eine Struktur der Macht entdeckt, die nicht nur den Sinn des Credos und der Allmacht verzerrt, sondern grundsätzlich das Verständnis von Macht infrage stellt.4 Demnach bedürfe es einer eigenen Überlegung zur Macht: Auszugehen sei von der Beschreibung Gottes als Schöpfer. Von der bultmannschen Reformulierung – »Gott ist die Alles bestimmende Wirklichkeit«  – her diskutiert Moxter Aspekte philosophischer  – d. h. 3   Gerade von dieser Beobachtung aus, kann eine Verknüpfung des Allmachtsgedankens mit der Bosheit des Menschen, wie es das Thema vorgibt, nicht weiter nachgegangen werden. 4  »Indem der Glaube sich zu Gott dem Schöpfer bekennt, bestreitet er anderen ›Herren, Mächten und Gestalten‹, dass in ihren Händen sämtliche Handlungsfäden zusammenlaufen, ihre Entscheidungen und Dekrete das letzte Wort behalten« (M. Moxter, Ich glaube an Gott den Allmächtigen  – Was heißt das?, in diesem Band, 180).

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  199

»deterministischer« bzw. »kompatibilistischer«5  – Verständniszugänge zur Allmacht. So ruft Moxter unterschiedliche Modelle auf: Ob Gott alles bestimmt oder nur die Bedingungen der Wirklichkeit verantwortet oder aber die Geschichte auf ein konkretes Ziel hin führt, das sind Vorstellungen, die Einwände zu einer Einschränkung der Handlungsfreiheit des Menschen zur Sprache bringen, aber auch zum Widerspruch durch die neutestamentlichen Heilszusagen herausfordern. Entscheidend ist das Verständnis der Macht, welches Moxter auf eine Struktur des Denkens zurückführt: Es handele sich dabei um eine Logik der Überbietung und »Steigerung«.6 So würden insbesondere an der theologischen Kritik Falk Wagners und Karl Barths die fatalen Konsequenzen für den Gottes-Begriff deutlich: Ein Denken, das das Göttliche von der Allmacht aus denke, konstruiere einen Komparativ und führe zwangsläufig in die Annahme der Willkür. Frei sei ausschließlich der alles bestimmende, weil schaffende Gott. Mit Karl Barth spricht Moxter vom »Umschlag« des »Höchsten ins Widergöttliche«. Allmacht ohne eine Beziehung auf das Machtverständnis zu begreifen, läuft demnach gerade dem Anliegen, in Gott einen Garanten des Heils durch eigenes Denken abzusichern, entgegen. Das Ergebnis sei ein »Monstrum«.7 In einem dritten Abschnitt lässt sich Moxter durch den Philosophen Hans Blumenberg und seine Ausführungen in der »Matthäuspassion« provozieren. Blumenberg erkenne in der Verwendung der »Allmacht« – in biblischen und traditionellen Textbeständen – eine »grammatische Metaregel«. Mit ihr sei eine universale Begründungsformel – für noch so absurde Zusammenhänge – ausgemacht. Alles, was ist, sei auf den Willen des Schöpfers und seine ausführende Kraft zurückzuführen. Blumenberg treibt in diesem Zusammenhang die Steigerungslogik auf die Spitze. Er entwickele diese zu einer Letztbegründung einschließlich aller fatalen Konsequenzen: Die neutestamentlichen Heilszusagen würden durch die Allmacht nicht nur relativiert, sondern sie würden vielmehr immer wieder aufs Neue in

5  Vgl. dazu A. Kreiner, Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente (QD 168), Freiburg i. Br., 271 – 300; vgl. auch C. Weidemann, Die Unverzichtbarkeit natürlicher Theologie (Symposion 129), Freiburg i. Br. 2007, 363 f. 6  Vgl. dazu auch M. Heidegger, Nietzsches Wort: »Gott ist tot«, in: ders., Holzwege (HGA 5), Frankfurt a. M. 2013, 209 – 267 (227 – 230). 7  Vgl. Moxter, Ich glaube an Gott den Allmächtigen (s. Anm. 4), 183.

200  Eike Christian Herzig Frage gestellt, wenn fortwährend mit einem »Mehr« an göttlicher Handlung gerechnet werden müsse. Ein solcher Allmachtsgedanke bezeichne nach Moxter bei Weitem nicht mehr bloß die »Konkurrenzlosigkeit« Gottes gegenüber anderen Göttern. Vielmehr lege Blumenberg die Dynamik frei, eine solche Allmacht immer wieder aufs Neue nach den geschichtlichen Herausforderungen im Gegenüber zu diesen übersteigernd entwerfen zu müssen. So müsse sich die Theologie die Frage gefallen lassen, ob die Verwendung des Allmachtbegriffs im Credo nicht in die Absurdität führe, einen in sich widersprechenden Willkürgott zu bekennen, der den Glauben an ihn mit jedem gesprochenen Bekenntnis der Willkür preisgäbe. Als »re-mythisierenden«8 Impuls greift Moxter die Beziehung des Schöpfers zu seiner Schöpfung auf. Diesen Impuls kann Moxter in der Offenbarung Gottes in der Welt erkennen. Ausgehend von der Art und Weise, wie sich Gott in der Welt kundtue, habe auch »Allmacht« von hier aus neu ausgelegt zu werden. Im folgenden Schritt beschreibt Moxter »Schleiermachers Mut«. Schleiermacher kommt nach Moxter das Verdienst zu, aus der Unterscheidung der Macht Gottes nicht auf ein in sich gespaltenes göttliches Wesen zu schließen. Vielmehr denke er gerade gegen die Möglichkeit an, Gott habe sich mit der Schöpfung festgelegt und sei darüber hinaus aufgrund seiner Allmacht zu unberechenbarem Eingreifen fähig. Gegen den Einwand, Gott ergreife als allmächtiges Wesen eigene Möglichkeiten, die sich nicht aus der Wirklichkeit ergeben, argumentiere Schleiermacher mit der »Ursächlichkeit«9 Gottes. Alles, was ist und sein kann, wurzele in der anfänglichen Tat des Schöpfers.10 Dieser lege sich mit der Schöpfung fest; und bedinge als Schöpfer jedwede Möglichkeit. Damit binde Schleiermacher den Gedanken einer Allmacht und das Wesen Gottes an dessen Schöpfung. »Allmacht« stehe nun nicht mehr in Konkurrenz zur Welt und ihren Gesetzen, sondern bringe – im Zusammenspiel mit den Eigenschaften »Allwirksamkeit« und »Allwissenheit« und dem göttlichen Willen – das »Verhältnis« »Gottes zur Welt« zum Ausdruck: eine Schöpfung 8

 Vgl. H. Blumenberg, Matthäuspassion, Frankfurt a. M. 82015, 248.   Vgl. dazu A. Käfer, Gottes Allmacht und die Frage nach dem Wunder. Ein Beitrag zum Vergleich der Positionen Friedrich Schleiermachers und Karl Barths, in: M. Gockel / M. Leiner (Hg.), Karl Barth und Friedrich Schleiermacher. Zur Neubestimmung ihres Verhältnisses, Göttingen 2015, 89 – 112 (95 f.). 10   Gottes freies Anfangen ist »wesentlich Liebe«, vgl. dazu a. a. O., 92 f. 9

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  201

aus freiem Entschluss, eine Schöpfung in Selbstbegrenzung seiner Freiheit. Eine solche Überlegung beweise Mut. Denn Schleiermachers Überlegungen überführen die Unterscheidung des göttlichen Wesens durch die Allmacht in eine Einheit. Zugleich setze Schleiermacher aber den Gottesgedanken dem Vorwurf aus, dass Gott seine »absolute Freiheit« aufgebe und doch den Menschen derart vorherbestimme, dass dieser in seiner Freiheit und Schuldfähigkeit eingeschränkt bzw. wiederum begrenzt sei.11 Abschließend warnt Moxter davor, in der Geschichte der Auslegung des Allmachtsprädikates eine Kontinuität zu erkennen, die sich auf die Entwicklung und Zuspitzung einer subkutanen Steigerungslogik kapriziere. Eine solche Warnung ist mehr als berechtigt, ebnet eine solche Annahme doch sämtliche Entstehungszusammenhänge allmachtsbezogener Überlegungen ein. Vielmehr müsse die Theologie auch als Einspruch gegenüber dieser Denkweise verstanden werden; so u. a. Luthers deus absconditus, der durch den offenbaren Heilswillen eingeschränkt zu denken sei.12 Gegenüber Luther führt Moxter noch einmal Karl Barth an. Dieser lege – im Gegensatz zu Schleiermacher – Wert darauf, dass Gottes Freiheit sehr wohl über die Schöpfung hinausgehe. Allerdings begrenze Gott sich in der Anwendung der Freiheit. Diese Freiheit führe gerade nicht zu einer Beliebigkeit des Machtgebrauchs. Moxter betont eingehend die Gefahr, durch eine isolierte Allmacht, die nicht auf das Handeln Gottes achte, eine Spaltung in Gott vorzunehmen. Mehr noch: Das Denken setze ein derart angenommenes Wesen der Wirklichkeit und ihrer Schrecken aus. Allein bei der Allmacht Gottes denkerisch zu verweilen, forciere diese Spaltung. Im Anschluss an Barth und die Ergebnisse der exegetischen Darlegung sei abschließend der Gedanke der »Selbstbindung« Gottes an das, was er hervorbringt, zu betonen. Darin erkennt Moxter eine eigene Logik: »Gott kann alles – nur nicht sich selbst letztinstanzlich widersprechen.«13 Auszugehen ist dann von der Logik, die sich durch die Selbstvermittlung Gottes herleite. Einen trinitarischen Ansatz ernst zu nehmen, bedeute die Selbstbegrenzung Gottes anhand der Verheißungen mit der Schöpfung nicht im Widerspruch zu sehen. Vielmehr sei es Ausdruck der Gnade oder vielmehr der Liebe, sich selbst um des Anderen willen zu begrenzen. Eine derartige Logik der Selbstbegrenzung stelle noch 11

  Vgl. a. a. O., 101.   Vgl. M. Luther, De servo abitrio, WA 18,600 – 787 (685.689 f.). 13   Moxter, Ich glaube an den Allmächtigen (s. Anm. 4), 192. 12

202  Eike Christian Herzig einmal eine Akzentverlagerung gegenüber solchen Ansätzen dar, die die Allmacht dadurch einschränkt, dass sie sie als ohnmächtig oder schwach bezeichne. Gegenüber diesen Ansätzen betont Moxter, dass eine solche Negation der Allmacht nicht entspreche.

3.  Anstöße: Herrschaft – Freiheit – Liebe Aus den starken Darstellungen Wittes und Moxters ergeben sich ganz unterschiedliche Fragekomplexe, die eine Auseinandersetzung mit der »Allmacht« anstoßen. Zunächst stellt m. E. – im Anschluss an Witte – das Phänomen des Leides und des Bösen einen wesentlichen Anstoß dar, »Allmacht« zu thematisieren. Das Böse und das Leid in der Welt zu reduzieren oder zu erklären, liefe unweigerlich Gefahr, diese zu verharmlosen. Beides widergöttlichen Mächten oder gar dem Göttlichen selbst zuzuschreiben, gipfelt in einer prinzipiellen Infragestellung des Wesens und der Allmacht Gottes. Es gipfelte in einer prinzipiellen Infragestellung der Gottesvorstellungen. So führt die thematische Einheit »von der Bosheit des Menschen« zurück auf Erfahrungen der Macht und Einflussnahme Gottes in die bestehenden Lebensverhältnisse. Dass mit diesen Erfahrungen grundsätzliche Fragen nach dem Umgang und dem Ursprung des Bösen entstehen, fließt in den Begriff des παντοκράτωρ ein. Von besonderer Bedeutung ist meiner Ansicht nach die Zusammenführung auch unterschiedlicher und divergierender Vorstellungen. Dass eine Gottesvorstellung, die widergöttliche Kräfte annimmt, mit einer Gottesvorstellung in Beziehung gebracht wird, die selbst das Böse in Gott verortet, erzeugt ein Spannungsfeld, in dem sich jedwede weitere Gottesvorstellung zu orientieren hat. Die Spannung wird zu einem begrifflichen Erbe.14 Während der alttestamentliche Befund demnach vor allem die Basis dazu bietet, nach dem Ursprung des Bösen zu fragen, sieht Moxter diese Frage weniger in der Allmacht als vielmehr in der Allwirksamkeit verortet. Mit der »Allmacht« hingegen sei die wesentliche Frage die der Freiheit des Menschen verbunden. Eine Welt, die in Gänze nach ihrer Wirklichkeit und Möglichkeit durch Allmacht bestimmt zu sein scheint, führt unweigerlich zu der Anschlussfrage nach den eigenen, menschlichen Möglichkeiten. Sie nötigt zu einer Bestimmung, wie der Mensch sich in diesem Zusammenhang zu ver14

  Witte, Vom Glauben (s. Anm. 1), 165.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  203

stehen hat. Handelt es sich nicht bereits im Vorgang des Verstehens um eine Art und Weise der Freiheit bzw. um eine Möglichkeit, die ergriffen werden kann? Oder muss ein solches Ergreifen wiederum als bereits »vorvorhergesehener« Gebrauch von Freiheit in einem Allmachts-Konzept eingeholt sein. Moxters Rekurs auf Schleiermachers Vorstellung der Ursächlichkeit  – jedwedes Geschehen ist auf eine göttliche Ursache zurückzuführen15 – spricht die Freiheit Gottes an, seine Schöpfung derart einzurichten, dass alle Möglichkeiten, zu denen sich ein Mensch entscheiden kann, auf ihn zurückzuführen sind. Daran anknüpfend ließe sich weiter fragen, ob eine solche Überlegung überhaupt noch eine freie Entscheidung des Menschen zuließe. Genauer gefragt: Muss eine Vorgabe der Möglichkeiten von der Festlegung der Möglichkeiten und Wirklichkeiten noch einmal unterschieden werden? Wie ist eine Freiheit des Menschen überhaupt noch zu denken, sofern alle Möglichkeiten vorgegeben sind? Dürfte solch ein menschliches Wesen überhaupt noch frei genannt werden? Stellt eine solche Überlegung nicht einen grundlegenden Einspruch gegenüber dem befreienden Eingreifen Gottes in der Christus-Offenbarung dar?16 Festzuhalten ist an dieser Stelle: »Allmacht« fordert unweigerlich dazu heraus, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch hinsichtlich der »Freiheit« zu bestimmen.17 Eindrücklich stellt Moxter die Gefahren heraus, die sich aus einer Prinzipiierung des Allmachtsgedankens ergeben. Dieser unterliegt eigens der Möglichkeit, einer fortwährenden Steigerungslogik, die nicht nur zu einer willkürlichen Herrschaft führte. Vielmehr ließe sich auch eine deistische Konsequenz formulieren, die in der Immunisierung des göttlichen Machtanspruchs gegenüber der Welt läge: Die Welt und ihr Werden wären durch die Entscheidung eines sich vollkommen unterscheidenden Schöpfers festgelegt. So lässt sich weiterhin festhalten, dass der Begriff der Allmacht in der Universalisierung Gefahr läuft, einen willkürlich handelnden Gott zu entwerfen, der den Bezug zu dieser Lebenswirklichkeit und ihrem geschichtlichen Setting aufgibt. Die Konsequenzen sind fatal: Der Begriff liefert den Menschen einem unberechenbaren Gott aus, der die Freiheit des Menschen unweiger15  Vgl. A. Käfer, Von der Vorherversehung Gottes und der Evolution der Seele, in: dies. (Hg.), Der reformierte Schleiermacher. Gespräche über das reformierte Erbe in seiner Theologie, Berlin / Boston 2019, 51 – 68. 16  Vgl. Moxter, Ich glaube an den Allmächtigen (s. Anm. 4), 188. 17   Vgl. dazu M. D. Krüger, Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie (RPT 31), Tübingen 2008.

204  Eike Christian Herzig lich einschränkt, auflöst, oder aber eine Konkurrenz zur Heilshandlung in Jesus Christus und damit in das Wesen Gottes einträgt.18 Demgegenüber gilt es die Stellung des Allmachtsprädikates im Zusammenhang des gesamten Credos hervorzuheben und es in Bezug zum zweiten Artikel zu stellen. Erst der Bezug auf Christus erlaubt es, diesen Gott als einen allmächtigen verstehen zu lernen. Nur von diesem aus hat sich Gott in seiner Allmacht zu erkennen gegeben. Sein schöpferisches Handeln und seine Herrschaft lassen sich erst ausmachen, wenn sie sich als solches im Rahmen des Erkennens zu erkennen gegeben haben. »Allmacht« von der Christus-Offenbarung her zu lesen, schließt immer schon einen Ausweis universaler Macht ein. Damit setzt das Denken nicht mehr primär bei der Welt und ihrer Überbietung oder der Fähigkeit des Denkens an, sondern orientiert sich an dem Anlass, den Gott »selbst« ermöglicht. Diese Zuspitzungen führen zu einem Gedanken der freiwilligen »Selbstbegrenzung« Gottes, wie er in den Verweisen auf Eberhard Jüngel angesprochen ist.19 Ein christliches Denken hat mit der Offenbarung Gottes in Christus und dem Gebrauch einer ihm eigenen Freiheit zu beginnen:20 Das Kreuz markiert den Ort, an dem sich Gott zu erkennen und zu denken gibt. Hier identifiziert sich Gott soweit mit dem Menschen, mit seinem Leiden und seinem Sterben, dass er selbst den Tod erleidet. Das Kreuz ist fundamentaler Ausdruck der Entscheidung, sich selbst zugunsten des Menschen radikal zu begrenzen bzw. zurückzunehmen. Zugleich hebt diese Selbstbestimmung nicht die Göttlichkeit auf. Gott bleibt Gott als der, der unbedingt am Menschen festhält und neues Leben schafft. Gott bestimmt sich hier. Mit der Offenbarung zu beginnen, bedeutet, die Handlung Gottes, sich dem Menschen zuzuwenden, als freie zu verstehen. Sie ist Aus18   Deutlich wird, dass die Spannungen nicht nur allein den Schöpfer, sondern auch die neutestamentliche Bindung an den Menschen Jesus und die durch ihn ergehenden Verheißungen in Frage stellen. Davon ist weiterhin auch die Beziehung zum Geist betroffen, der durch Christus verkündet ist (Joh 14,16; 16,7). 19  Vgl. Moxter, Ich glaube an den Allmächtigen (s. Anm. 4), 191; vgl. E. Jüngel, Gottes ursprüngliches Anfangen als schöpferische Selbstbegrenzung. Ein Beitrag zum Gespräch mit Hans Jonas über den »Gottesbegriff nach Auschwitz«, in: ders., Wertlose Wahrheit, München 1990, 151 – 162. 20  Vgl. R. Bultmann, Die Frage der natürlichen Offenbarung, in: ders., Neues Testament und christliche Existenz. Theologische Aufsätze (UTB 2316), Tübingen 2002, 181 – 206 (201).

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  205

druck der Selbstlosigkeit, die wesentlich »Liebe«21 ist. Insofern das Verständnis von Allmacht ebenfalls hier seine Charakteristik erhält, nimmt es den Anfang im Gegenteil. Das Kreuz zeugt von der »Ohnmacht«22 Gottes, den Tod zu erfahren und die Gottheit gänzlich zurückzunehmen. Jedoch verdeutlicht die Überwindung des Todes die Macht, das Leben zu schaffen und den Menschen zu retten.23 So ist die Allmacht rückwirkend durch die Auferstehung angezeigt. Die Ohnmacht am Kreuz ist das entscheidende Moment der Selbstbestimmung Gottes, Leben mit Voll-Macht zu geben. Die Allmacht von der Offenbarung her zu bedenken, setzt demnach mit der Selbstbeschränkung in der Unverfügbarkeit des Kreuzesgeschehens ein. Diese Bestimmung gilt es gerade gegenüber der Annahme einer herrschaftlichen »Steigerungslogik«24, eines sich selbst fortwährend zu übertreffenden Subjekts, stark zu machen. Insofern nun die »Allmacht« an die Selbstlosigkeit zurückgebunden wird, ist auch die Notwendigkeit zur Überbietung – im Sinne des »Willens zur Macht«25 – kontrastiert. Damit ist ein Machtverständnis entwickelt, das nicht konträr zum Heilswillen steht, sondern vielmehr aus eben diesem – der Zurücknahme, Selbstbegrenzung und unbedingten Hinwendung – gewonnen ist. Allein auf die Offenbarung bezogen und aus dieser abgeleitet wird die Allmacht zu einer »Allmacht der Liebe«. Allerdings lässt sich auch an dieser Stelle die Frage aufwerfen, in welchem Verhältnis die »Allmacht der Liebe« zu der Frage nach dem Ursprung des Bösen steht. Orientiert sich das Denken zuallererst an der Heilsabsicht Gottes, bleiben auch die Fragen nach der Gerechtigkeit Gottes sowie nach seinem ausbleibenden und verborgenen Handeln virulent. »Allmacht« als Eigenschaft zu denken, muss als Hinweis auf die Gefahr gelesen werden, die freie Entscheidung der 21   In der Erlösungshandlung wird dieses innere, trinitarische Wesen Gottes am Menschen offenbar. »Der Liebe ist dies wesentlich: daß der Liebende sich selbst zurücknimmt zugunsten des geliebten Anderen« (Jüngel, Gottes ursprüngliches Anfangen [s. Anm. 19], 154). 22   Vgl. a. a. O., 159; vgl. dazu: M. H. Thiele, Gott – Allmacht – Zeit. Ein theologisches Gespräch mit Johann Baptist Metz und Eberhard Jüngel (MBTh 66), Münster 2009, 275 f. 23   »Deshalb ist die Liebe, die Gott ist […], als die Einheit von Leben und Tod zugunsten des Lebens zu bestimmen« (Jüngel, Gottes ursprüngliches Anfangen [s. Anm. 19], 160). 24   Vgl. a. a. O., 151. 25  Vgl. Moxter, Ich glaube an den Allmächtigen (s. Anm. 4), 180; vgl. ebenso Heidegger, Nietzsches Wort (s. Anm. 6), ebd.

206  Eike Christian Herzig Offenbarung wieder in Frage zu stellen. Sie macht darauf aufmerksam, dass dieser Gott seine Macht zugunsten des Menschen zum Guten bestimmt und festgelegt hat.26 Was aber lässt sich abschließend festhalten? Allmacht als ein Prädikat Gottes zu denken, geht aus von der Offenbarung in Christo. Hier entsteht die Spannung zwischen Ohnmacht und Allmacht, zwischen Kreuz und Auferstehung, zwischen Tod und Leben, zwischen »wahrer Mensch und wahrer Gott«. Das Credo bezieht die Betenden in dieses Geschehen ein. Es erklärt nicht den Ursprung des Bösen, eröffnet und vergegenwärtigt aber ein Leben in christlicher Freiheit zum Guten.

26  Ist aber diese Zuwendung nicht erkennbar und verborgen, schreibt Jüngel dies dem Wirken Gottes – genauer: seinem verborgenen Werk – zu. Er wahrt dadurch zum einen die Allmacht der Liebe und zum anderen das Rätsel des Bösen sowie eine Freiheit Gottes unter den Vorzeichen der Welt einschließlich einer Freiheit des Menschen. Diese bleibt aber in Bezug auf die Offenbarung Gottes in der Spannung, durch die Offenbarung befreit zu werden. Vgl. dazu Jüngel, Gottes ursprüngliches Anfangen (s. Anm. 19), 161; vgl. dazu Thiele, Gott (s. Anm. 22), 290 f.

Weiterführende Fragen  207

Weiterführende Fragen 1. Wie kann in Verkündigung, Seelsorge und Lebenspraxis mit der bleibenden Spannung zwischen dem Glauben an Gottes allmächtige Liebe und dem Erleiden menschlicher Bosheit umgegangen werden? Welche Hilfe kann in Sprachformen wie Klage und Bittgebet gefunden werden? 2. Was bedeutet es für das Bekenntnis zu Gott dem Allmächtigen, dass sich dieser in der Ohnmacht des Gekreuzigten geoffenbart hat?

III.  »… Schöpfer Himmels und der Erden …« Von Schöpfung und Naturprozessen Mit dem Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde nimmt das Apostolikum die zunächst im Alten Testament in einer großen Vielfalt zur Sprache gebrachte Aussage auf, dass die ganze Welt oder vielmehr das Universum insgesamt in Gottes Schöpfertätigkeit gründet und von seiner Erhaltung getragen ist (vgl. Gen 1,1 – 2,3 und 2,4b – 25, aber auch Jes 45,6 – 7.18; Ps 8,4 – 7; 33,6 – 9; 93,1 – 5; 104; Prov 8,22 – 31; Hi 38,4 – 7 etc.). Der christliche Glaube bekennt sich zum allmächtigen Schöpfer, weil ihm die Macht Gottes bewusstgeworden ist, die das Nichtseiende ins Sein ruft und Leben aus dem Tod schafft (Röm 4,17; vgl. 2 Makk 7,28). Der christliche Glaube steht damit nicht in einer Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Theorien der Weltentstehung und Entwicklung des irdischen Lebens, sondern gewährt eine eigene Perspektive auf die Natur, die auch mit der Verantwortung zur Bewahrung des geschaffenen Lebens einhergeht.

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung im Kontext der Schriften Israels und antiker jüdischer Literatur Lutz Doering

1. Hinführung Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte das Neue Testament recht wenig über die Schöpfung zu sagen. Das frühe Christentum, so hören wir etwa in Überblicksdarstellungen zum Thema, hat »die alttestamentlich-jüdische Schöpfungstradition  […] als Glaubensgrundsatz« übernommen.1 Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass Schöpfung an zentralen Stellen, auch und besonders in Verknüpfung mit anderen Themen, durchaus eine gewichtige Rolle im Neuen Testament spielt. Das soll im Folgenden dargestellt werden. Zugleich sollen dabei eben auch jene Voraussetzungen und Kontexte der neutestamentlichen Rede von der Schöpfung im Rückgriff auf ausgewählte relevante Texte aus den Schriften Israels und der antiken jüdischen Literatur, in der der Schöpfungsgedanke verstärkt auftritt,2 dargestellt werden.

2.  Gott als Schöpfer Himmels und der Erde Die Jesustradition setzt Gott als uranfänglichen Schöpfer des Himmels und der Erde voraus, ohne ihn als solchen eigens zu thematisieren. Wohl wird Gott als der je gegenwärtige Schöpfer und Erhalter angesprochen; darauf komme ich im weiteren Verlauf dieses Beitrags noch einmal zurück (§ 5). »Zum Gegenstand theologischer Reflexion wird der Schöpfungsgedanke erst in der Missionspredigt an die Heiden, wo er gegen den Polytheismus zum Argument für den biblischen

1  C. Breytenbach, Schöpfer / Schöpfung  III: Neues Testament, TRE 30 (1999), 283 – 292 (283). 2   Für J. Jervell, Imago Dei. Gen 1,26 f. im Spätjudentum, in der Gnosis und in den paulinischen Briefen (FRLANT 58), Göttingen 1960, 15, ist der Schöpfungsgedanke gar »der theologische Hauptgedanke« im antiken Judentum (»Spätjudentum«).

212  Lutz Doering Gottesglauben wird.«3 Beispiele dafür bietet die Apostelgeschichte, v. a. in der Verbindung von Apg 14 und 17.4 Als Paulus in Lystra in Lykaonien einen Gelähmten heilte, rief das Volk auf Lykaonisch: »Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herabgekommen« (Apg 14,11), nannte Barnabas Zeus und Paulus Hermes und wollte ihnen opfern. Da rannten Paulus und Barnabas heraus in die Menge und riefen: »Auch wir sind sterbliche Menschen wie ihr und predigen euch das Evangelium, dass ihr euch bekehren sollt von diesen nichtigen Dingen (ἀπὸ τούτων τῶν ματαίων) zu dem lebendigen Gott (ἐπὶ θεὸν ζῶντα), der Himmel und Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht hat (ὃς ἐποίησεν τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν καὶ τὴν θάλασσαν καὶ πάντα τὰ ἐν αὐτοῖς)« (V. 15). Die letztere Wendung entspricht bis in den Wortlaut hinein dem Schöpfungs-Summarium in Ex 20,11 (im dekalogischen Sabbatgebot) nach den Hauptzeugen der Septuaginta5 und steht auch Ps 145,5 f.(LXX) nahe, wo ein Makarismus dem gilt, dessen Helfer der Gott Jakobs ist und der auf den Herrn, seinen Gott, eben den Schöpfer des Himmels, der Erde, des Meers und was in ihnen ist, seine Hoffnung setzt.6 Paulus und Barnabas stellen den Schöpfergott den »Nichtsen«, d. h. den Götzen, gegenüber (μάταια auch z. B. in der Götzenpolemik Jer 10,3.15; 28[51],18). Der mit den Worten der Schrift beschriebene Schöpfer wird aber auch als Erhalter vorgestellt, als der er auch von den Lykaoniern erfahren wird: als Wohltäter, der »euch vom Himmel her Regenfälle und fruchtbare Zeiten gab und eure Herzen mit Speise und Freude füllte« (V. 17). In ähnlich kontrastiver Weise nimmt der lukanische Paulus auf dem Areopag die Rede vom Schöpfer angesichts der Heiligtümer und Altäre Athens wieder auf: »Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde (ὁ ποιήσας τὸν κόσμον καὶ πάντα τὰ ἐν αὐτῷ, οὗτος οὐρανοῦ καὶ γῆς ὑπάρχων κύριος), wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.« (Apg 17,24) 3  R. Feldmeier / H. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, 266. 4  Freilich wird Gott als Schöpfer mit den Worten von Ex 20,11; Ps 145,6(LXX) (s. im Folgenden) schon in Apg 4,24 im Gebet der Jerusalemer Gemeinde um freimütige Verkündigung des Wortes angeredet. 5   Allerdings fehlt im Haupttext des Codex Vaticanus καὶ τὴν θάλασσαν, im Codex Alexandrinus und in anderen Zeugen steht τε nach τόν. Im Codex Sinaiticus ist das ganze Buch Exodus nicht erhalten. 6   Demgegenüber ergänzt die Wendung in Apk 14,7 zu Himmel, Erde und Meer noch die »Wasserquellen« (πηγὰς ὑδάτων).

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  213

Unter Aufnahme prophetischer Tradition (Jes 66,1 f.; zitiert in Apg 7,48 – 50) schließt der lukanische Paulus aus Gottes Wesen als Schöpfer auf die Unmöglichkeit seiner Begrenzung auf menschengemachte Tempel. Zu beachten ist hier eine leichte Veränderung in der Explikation: Der konkreten Wendung »Himmel und Erde« wird der griechischem Denken entstammende Allgemeinbegriff κόσμος zur Seite gestellt. »Vermittler ist das hellenistische Judentum.«7 Auch creatio continua (V. 25: Gott gibt allen »Leben und Odem und alles«) und Menschenschöpfung (V. 26: »aus einem [Menschen] hat er das ganze Menschengeschlecht gemacht«) werden in diesem Zusammenhang erwähnt; die Schöpfung dient hier dem Aufweis der Nähe Gottes, aus der zugleich die rechte Art der Gottesverehrung geschlossen wird (V. 29). Die Nähe Gottes wird durch eine dreigliedrige pantheistische Formel ausgedrückt sowie durch ein Aratos-Zitat (aus phaen. 5: »Wir sind ja seines Geschlechts«) belegt (V. 28). »Gottes- und Menschenverständnis dieser Stelle sind im NT singulär.«8 Doch mindestens hinsichtlich der Aratos-Stelle spielte wohl wiederum das hellenistische Judentum den Vermittler, insofern sie auch in einem längeren Aratos-Zitat bei Aristobulos belegt ist, in dem der jüdische Philosoph und Tora-Ausleger die Namen »Dis« und »Zeus« durch »Gott« (θεός) im Sinn der jüdischen Gottesvorstellung deutend und korrigierend ersetzt hat.9 Somit bleibt festzuhalten: Der auctor ad Theophilum legt Paulus hier ein Verständnis des Schöpfers in den Mund, das biblisch-jüdisch geprägt ist und sich unter Aufnahme von hellenistisch-jüdischen Modifikationen griechischer Vorstellungen an die griechische Welt wendet. Paulus selbst benutzt im Römerbrief die fehlende Erkenntnis Gottes aus seinen Schöpfungswerken zum Aufweis der Unentschuldbar7  H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7), Tübingen 21972, 107. Vgl. 2 Makk 7,23 (ὁ τοῦ κόσμου κτίστης); SapSal 9,9 (ὅτε ἐποίεις τὸν κόσμον); Aristobulos Frgm. 5 (Eus.praep. 13,12,9: τὸν ὅλον κόσμον κατεσκεύακε). Zu κόσμος als »System von Himmel und Erde und den in ihnen enthaltenen Einheiten« vgl. Ps.-Aristoteles, De mundo 2 (391b9) und die weiteren Stellen bei J. C. Thom (Hg.), Cosmic Order and Divine Power: Pseudo-Aristotle, On the Cosmos (SAPERE 23), Tübingen 2014, 58 f. Anm. 16; zum möglichen Einfluss von De mundo auf hellenistisch-jüdische Autoren s. ebd., 9 f., 135 – 140 und v. a. R. Radice, La filosofia di Aristobulo e i suoi nessi con il »De mundo« attribuito ad Aristotele, Mailand 21995. 8   Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 7), 110. 9   Frgm. 4 (Eus.praep. 13,12,6). Vgl. dazu ausführlich M. Mülke, Aristobulos in Alexandria. Jüdische Bibelexegese zwischen Griechen und Ägyptern unter Ptolemaios VI. Philometor, Berlin 2018, 7 – 45.

214  Lutz Doering keit der Menschen: »Denn seine unsichtbaren Eigenschaften werden seit der Schöpfung der Welt (ἀπὸ κτίσεως κόσμου) durch seine Taten als νοούμενα (Denkgrößen [so M. Wolter]10 oder: Gedachtes) wahrgenommen, (nämlich) seine ewige Macht und Göttlichkeit, sodass sie unentschuldbar sind; denn obwohl sie Gott kannten, haben sie ihn nicht als Gott verherrlicht (οὐχ ὡς θεὸν ἐδόξασαν) und ihm gedankt« (Röm 1,20 f.). Hier wird also die Doxologie als das dem Schöpfersein Gottes Entsprechende herausgestellt, wie dies bereits die Schöpfungspsalmen Ps 33[32] und 104[103] tun (vgl. auch Ps 19[18],2 – 5, vom Lob der Schöpfungswerke). Freilich ist dies bei Paulus hier eine jeweils nicht realisierte Möglichkeit. Im ersten Teil der Thronsaalvision der Johannesoffenbarung wird dagegen solcher Lobpreis von den 24 Ältesten Gott dargebracht, »denn du hast alle Dinge (τὰ πάντα) geschaffen, und nach deinem Willen waren sie und wurden sie geschaffen« (Apk 4,11); und am Ende der Vision wird der Lobpreis von »jedem Geschöpf (πᾶν κτίσμα), das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist«, dem, der auf dem Thron sitzt, »und dem jungen Widder« (Apk 5,13) dargebracht. In der Architektur dieser Vision sind über die Doxologien Schöpfer und Erlöser als Machtvolle zusammengesprochen, und der geschlachtete Widder, der gekreuzigte und auferstandene Messias aus dem Stamm Juda, wird zusammen mit Gott dem Schöpfer Empfänger des Lobpreises.11 Auch der Himmel als Gottes Schöpfungswerk spielt schon eine große Rolle in der Hebräischen Bibel und dann im antiken Judentum,12 und das frühe Christentum knüpft daran an. Einzelne neutestamentliche Texte sprechen ausdrücklich davon, dass Gott »den Himmel und was in ihm ist« geschaffen hat (Apk 10,6). Der Himmel ist somit als bevölkert vorgestellt, nicht nur von den »Vögeln des Himmels (τοῦ οὐρανοῦ)«,13 sondern auch von den »Engeln im

10  M. Wolter, Der Brief an die Römer, Teilbd. 1 (EKK VI / 1), Neukirchen-Vluyn / Ostfildern 2014, 134. 11   Vgl. M. Karrer, Johannesoffenbarung, Teilbd. 1 (EKK XXIV / 1), Ostfildern / Göttingen 2017, 396 – 401.430 – 432.470 – 476. 12   Vgl. nur Gen 1,1, die Schöpfungssummarien und Schöpfungspsalmen (Beispiele oben); für das antike Judentum vgl. Jub 2,2.25 und die im Folgenden genannten Texte. 13   Mk 4,32 parr.; Mt 6,26; Lk 8,5; 9,58 par.; Apg 10,12; 11,6; vgl. Gen 1,26 usw.

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  215

Himmel / des Himmels«.14 Nach Lk 10,18 sah Jesus »den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel (ἐκ τοῦ οὐρανοῦ) fallen«, womit dieser zur satansfreien Zone wird. Eine strenge Unterscheidung zwischen dem Himmel als Teil des Weltalls (»sky«) und als göttlicher Bereich (»heaven«) lässt sich für unsere Schriften nicht treffen, auch wenn der Singular eher bei Ersterem, der Plural eher bei Letzterem steht.15 Immerhin ist zwischen dem Himmel als Teil der Schöpfung Gottes und als metaphorischer Bezeichnung für Gott selbst zu unterscheiden, die im Neuen Testament in Kontinuität zu jüdischem Sprachgebrauch an einigen Stellen begegnet.16 In den apokalyptischen Schriften und in den von ihnen beeinflussten Texten wird der Himmel häufig gestuft bzw. in einer Folge von »Himmeln« (Plural) vorgestellt – drei, sieben, ja zehn Himmel kann es demnach geben, mit jeweils eigenem Gepräge.17 Bereits im frühesten apokalyptischen Bericht einer Reise in den Himmel (1 Hen 14), in der dieser noch nicht gestuft ist, wird er als Tempel (hier bestehend aus drei Gebäudeteilen) vorgestellt; in den späteren (TestLev 2 f.; 2 Hen 1 – 22) befindet sich das himmlische Heiligtum mit Gottes Thron in den höchsten Himmeln. Entsprechende Vorstellungen klingen auch im Neuen Testament an, wenn auch in unterschiedlichen literarischen Kontexten. Paulus reist nach der knappen Darstellung im Zusammenhang seiner »Narrenrede« in 2 Kor 12,2 – 4 in den dritten Himmel und in das (offenbar dort lokalisierte) Paradies.18 Nach Eph 4,10 ist Christus »aufgefahren über alle Himmel«, was ebenfalls eine gestufte Mehrzahl von Himmeln andeutet, zugleich aber für Christus 14   Mk 12,25 (ἐν τοῖς οὐρανοῖς) par. Mt 22,30 (ἐν τῷ οὐρανῷ); Mk 13,32 (ἐν οὐρανῷ) par. Mt 24,36 (τῶν οὐρανῶν); Mt 18,10 (ἐν οὐρανοῖς); vgl. Lk 2,15; 22,43; Joh 1,51; Gal 1,8; Apk 10,1 (jeweils Sg.) usw. 15  W. Bauer, Griechisch-Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg. v. K. u. B. Aland, Berlin 61988, s. v. und BDR § 141.1 mit Anm. 4 suggerieren eine Aufteilung der Belege, die aber durch diese selbst immer wieder unterlaufen wird (s. o. und Anm. 14). Auch der Sitz Gottes wird im Universum verortet. 16   Vgl. v. a. Mk 11,30 parr. (Taufe des Johannes ἐξ οὐρανοῦ); Lk 15,18.21 (sündigen εἰς τὸν οὐρανόν); Mt 5,34; 23,22 (Schwören ἐν τῷ οὐρανῷ); und die Wendung βασιλεία τῶν οὐρανῶν Mt 3,2 und passim. Vgl. u. a. 1 Hen 22,5 f.; Dan 4,23 MT (vgl. ϑ´); Jub 22,18; 1 Makk 3,18 f. u. ö.; 2 Makk 3,15 u. ö. 17   Vgl. M. Himmelfarb, Ascent to Heaven in Jewish and Christian Apocalypses, New York 1993. 18   Vgl. z. B. J. B. Wallace, Snatched into Paradise (2 Cor. 12:1 – 10). Paul’s Heavenly Journey in the Context of Early Christian Experience (BZNW 179), Berlin 2011, v. a. 231 – 288.

216  Lutz Doering die höchstmögliche Position behauptet; der Aufstieg geschieht, »auf dass er das All erfülle«, womit einerseits Attribute Gottes, den die Himmel nicht fassen können, auf Christus übertragen werden und andererseits eine Verbindung zu Eph 1,23 f. geschlagen wird, wonach Christus das Haupt der Kirche ist, die als Leib die Fülle dessen ist, der alles erfüllt.19 Nach der Vision in Apk 4,1 f. ist im Himmel eine Tür aufgetan, der Seher wird eingeladen aufzusteigen und sieht, vom Geist ergriffen, den Thron Gottes im Himmel; die Vision ist, gemessen an den jüdischen Beispielen, bildlich sparsam ausgeführt und kommt offenbar in der Annahme eines bloßen Himmelsgewölbes den Vorstellungen griechischer Leserinnen und Leser entgegen.20 Auch in der paganen Literatur findet sich das Motiv der Himmelsreise.21 Wenn Gott im Neuen Testament (oder in frühjüdischen Schriften) als Schöpfer »des Himmels« bekannt wird, steht dem antiken Menschen üblicherweise mehr als nur der gestirnte Himmel vor Augen. Als letztes neutestamentliches Schlaglicht auf Gott als Schöpfer22 des Himmels und der Erde sei Jak 1,17 genannt, wo der Briefschreiber bekennt, dass »alle gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben herab kommt, vom Vater der Lichter (ἀπὸ τοῦ πατρὸς τῶν φώτων), bei dem keine Veränderung oder Wechsel des Schattens ist«. Die »Lichter« sind hier kaum die Engel oder erleuchtende Gaben, sondern wahrscheinlich die Sonne (das »große Licht«) und der Mond (das »kleine Licht«; Gen 1,16).23 »Vater« heißt Gott hier »als ihr Schöpfer und Regierer«.24 Wir sehen hier schön die Verbindung von creatio primordialis und creatio continua (s. zu Letzterer § 5). Der Briefschreiber bildet an dieser Stelle eine Gottesbezeichnung in Anlehnung an ähnliche Wendungen im hellenistischen Judentum und in der platonischen Schöpfungslehre.25 Die Pointe der Wahl dieser 19

  Vgl. A. T. Lincoln, Ephesians (WBC 42), Dallas 1990, 247 f.  Vgl. Karrer, Johannesoffenbarung (s. Anm. 11), 402 – 406.  Vgl. Wallace, Snatched (s. Anm. 18), 39 – 94; A. Y. Collins, Ascents to Heaven in Antiquity. Toward a Typology, in: E. F. Mason u. a. (Hg.), A Teacher for All Generations. Essays in Honor of J. C. VanderKam (JSJ.S 153), Bd. 2, Leiden 2012, 553 – 572. 22   Das Substantiv κτίστης »Schöpfer« kommt im Neuen Testament nur einmal vor (1 Petr 4,19) und begegnet in den jüdischen Schriften (mit Ausnahme von 2 Kön 22,23) erstmals in den original-griechischen Texten; vgl. z. B. Jdt 9,12; 2 Makk 1,24; 7,23; 4 Makk 5,25; 11,5; vgl. Arist 16. 23  C. Burchard, Der Jakobusbrief (HNT 15 / I), Tübingen 2000, 75 f. 24   A. a. O., 76. 25   Vgl. Platon Tim. 28c, »Urheber (ποιητήν) und Vater dieses Weltalls (τοῦδε τοῦ παντός)«; Philo decal. 134; Mos. 2,134 »Vater der Welt (τοῦ κόσμου)«; opif. 20 21

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»generativen« Gottesbezeichnung scheint in der Vorbereitung der soteriologischen, sprachlich an Geburt bzw. Zeugung anklingenden Aussage von Jak 1,18 zu liegen (»willentlich hat er uns erzeugt [ἀπεκύησεν ἡμᾶς] durch das Wort der Wahrheit«), sodass man hier von einer Verschränkung von Schöpfungstheologie und Soteriologie sprechen kann. Vorausgesetzt ist grundsätzlich der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1 – 2,4a, der als kulturell prägendes Narrativ im Judentum und Christentum damals wie heute als bekannt vorausgesetzt werden kann (s. ferner § 6). Von Bedeutung ist allerdings auch, dass dieser Text im antiken Judentum nicht nur (in verschiedenen Rezensionen und Versionen!) gelesen, sondern teilweise auch »neu geschrieben« wurde. Schrift und Tradition lassen sich hier nicht einfach trennen, sondern sind miteinander verwoben. Ein klassischer Text, der solch eine Aneignung und Neuschreibung von Gen 1 f. vollzieht, ist das Jubiläenbuch (Mitte 2. Jahrhundert v. Chr.). Hier wird zum einen das Schöpfungswerk neu erzählt, das streng auf sechs Tage beschränkt wird (Jub 2,1 – 16), zum andern der Schöpfungs-Sabbat nicht nur als Ruhetag Gottes, sondern auch der beiden höheren Engelklassen dargestellt, an dem sich Gott bereits das Volk Israel zu künftigem gemeinsamen Sabbat-Halten erwählt (Jub 2,17 – 24a).26 Nach Jub 12,26 ist Hebräisch die »Sprache der Schöpfung«, und das in die Schöpfung eingravierte Wort entspricht dem Gesetz, das aus ihr geradezu abgelesen werden kann. Schöpfung, Erwählung, Gesetz und Identität sind hier aufs engste miteinander verbunden. Wieweit das Jubiläenbuch, das in den Qumranhöhlen mit etwa 14 Handschriften vorzüglich bezeugt ist, den neutestamentlichen Autoren bekannt war, ist unklar. Doch das Werk zeigt, dass das Verhältnis von Schöpfung, Erwählung und Gesetz von starkem Interesse in der hellenistisch-römischen Zeit war. Die Argumentation des Paulus in Röm 1,18 – 2,29 schlägt zwar einen erheblich anderen Weg als das Jubiläenbuch ein, ist aber von dieser Frage ebenfalls geprägt.

72 u. ö. »Vater des Weltalls (τῶν ὅλων)«; Flavius Josephus, Ant. 7,380 »Vater und Quelle (γένεσιν) des Weltalls (τῶν ὅλων)«; vgl. 1 Kor 8,6; Eph 4,6. 26   Vgl. L. Doering, The Concept of the Sabbath in the Book of Jubilees, in: M. Albani / J. Frey / A. Lange (Hg.), Studies in the Book of Jubilees (TSAJ 65), Tübingen 1997, 179 – 205.

218  Lutz Doering

3.  Philosophische Impulse für antikes jüdisches und christliches Denken über Weltschöpfung Bereits die antiken jüdischen Texte verstehen das Schöpfungsnarrativ jeweils im Horizont ihrer eigenen Zeit und bringen die Vorstellung der Weltschöpfung unter Einfluss zeitgenössischer Weltanschauungen zum Ausdruck. Hier sind es v. a. drei philosophische Impulse, die in unterschiedlicher Weise aufgenommen sind. Texte, die an den »Tagen« der Weltschöpfung und am siebten Tag als Ruhetag interessiert sind, nehmen Elemente pythagoreischer Zahlenlehre auf. Das gilt bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. für den Tora-Ausleger Aristobulos (Frgm. 5 [Eus.praep. 12,13,9]: der siebte Tag könne »im eigentlichen Sinn« [φυσικῶς] auch erster genannt werden) und das Jubiläenbuch (Jub 2,3: »sieben große Werke« wurden am ersten Tag geschaffen), die jeweils die pythagoreische Entsprechung von Eins und Sieben sowie die besonderen Qualitäten der Sieben betonen.27 Im 1. Jahrhundert n. Chr. wird die pythagoreische Zahlenlehre sodann von Philon von Alexandrien in seiner Schrift De opificio mundi breit aufgenommen (vgl. opif. 89 – 128, ein arithmologisches Kompendium, verdichtet in LA 1,8 – 16).28 Dieser Aspekt ist nicht im Neuen Testament aufgenommen – nicht zuletzt wohl deshalb, weil die Unterscheidung von »Tagen« (und darunter ist auch der Sabbat zu fassen) von der Debatte um die Tora-Observanz von Nichtjuden dominiert wird (Gal 4,8 – 11; Röm 14,5; Kol 2,16 – 23). Der zweite Aspekt ist der Einfluss der Schöpfungslehre von Platons Timaios. Diese Lehre mit ihrer Unterscheidung zwischen der intelligiblen und der körperlichen Welt ist im hellenistischen Juden-

27   Vgl. L. Doering, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum (TSAJ 78), Tübingen 1999, 309 – 315; J. Ben-Dov, Time and Natural Law in Jewish-Hellenistic Writings, in: ders./L. Doering (Hg.), The Construction of Time in Antiquity. Ritual, Art, and Identity, Cambridge 2017, 9 – 30 (15 – 17). 28  Vgl. Doering, Schabbat (s. Anm. 27), 366 – 369; D. T. Runia, Philo’s Longest Arithmological Passage. De opificio mundi 89 – 128, in: L.J. Bord / D. Hamidovic (Hg.), De Jérusalem à Rome. Mélanges offerts à Jean Riaud, Paris 2000, 155 – 174; E. Filler, Description of the Creation by Philo in the Light of Neopythagorean Theory of Numbers, in: Da‘at 62 (2008), 5 – 25 (in Hebrew); ders., From Inception to Perfection. The Nature of Number Seven in Propensity towards Number One in Philo, in: Da‘at 63 (2008), 5 – 18 (in Hebrew).

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  219

tum stark rezipiert, vor allem wiederum bei Philon,29 und dort mit der jüdischen Schöpfungstradition in Verbindung gebracht: Derselbe Gott schafft erst die intelligible Welt und dann nach ihrem Modell die wahrnehmbare (opif 16 – 21). Das erlaubt Philon u. a. einen Ausgleich der beiden Schöpfungsberichte mit der Doppelung der Menschenschöpfung in Gen 1,26 f.; 2,7, die auf den intelligiblen und den körperlichen Menschen bezogen werden (opif. 69 – 86.134 – 139; auch LA 1,31 f.). In der sich aus Platons Timaios ergebenden Debatte über die Natur der Zeit bestreitet Philon die Ewigkeit der Zeit, die erst mit dem Kosmos entstanden sei (opif. 26). Die Vorstellung der creatio ex nihilo findet sich der Sache nach nicht wirklich bei Philon, wenngleich er sagen kann, Gott habe in der Schöpfung »das, was nicht ist, ins Sein gerufen« (τὰ γὰρ μὴ ὄντα ἐκάλεσεν εἰς τὸ εἶναι; spec. 4,187), was er aber als Ordnung des Ungeordneten sowie Herstellung von Ähnlichkeiten und Verbindungen expliziert. Begrifflich explizit findet sich die creatio ex nihilo erstmals im etwas älteren 2. Makkabäerbuch (2 Makk 7,28: »so wirst du erkennen, dass Gott dies nicht aus Bestehendem [οὐκ ἐξ ὄντων] gemacht hat«);30 der Kontext ist hier die Auferstehungshoffnung für die makkabäischen Märtyrer. Im Neuen Testament findet sich eine näher bei der philonischen Wendung stehende Ausdrucksweise bei Paulus, wiederum jedoch dem Thema der Totenauferweckung zugeordnet (Röm 4,17: »der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei [καὶ καλοῦντος τὰ μὴ ὄντα ὡς ὄντα]«). Ob die Vorstellung der creatio ex nihilo im Hebräerbrief (Hebr 11,3) vorliegt, ist umstritten: »Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welten durch Gottes Wort hergestellt sind [κατηρτίσθαι τοὺς αἰῶνας ῥήματι θεοῦ], sodass aus dem nicht in Erscheinung Tretenden das Sichtbare geworden ist [εἰς τὸ μὴ ἐκ φαινομένων τὸ βλεπόμενον γεγονέναι].« Wahrscheinlicher geht es hier um eine platonisierende – zugleich aber heilsgeschichtlich rückgebundene  – Weltanschauung, nach der die urbildliche Welt Typos der irdischen ist.31 Der dritte bereits im antiken Judentum festzustellende philosophische Impuls ist die stoische Lehre vom Universum, die etwa bei Philon 29   Grundlegend: D. T. Runia, Philo of Alexandria and the Timaeus of Plato (Philosophia Antiqua 44), Leiden 1986. 30   Anzumerken ist auch, dass das Jubiläenbuch das Tohu wa-Bohu aus Gen 1,2 übergeht (Jub 2,2) und damit ein Verständnis auszuschließen scheint, nach dem Gott die Welt aus Formlosem bzw. Chaos geschaffen hat. 31   Vgl. E. Grässer, An die Hebräer, 3. Teilbd.: Hebr 10,19 – 13,25 (EKK XVII / 3), Zürich / Neukirchen-Vluyn 1997, 107 – 109 (109, Anm. 59 zur Auseinandersetzung mit Stimmen, die die creatio ex nihilo in Hebr 11,3 annehmen).

220  Lutz Doering aufgenommen und zugleich mit seinen Schöpfungsvorstellungen verbunden ist (conf. 170: »es gibt nur einen Herrscher und Anführer und König, dem allein es gestattet ist, das Weltall [τὰ σύμπαντα] zu beherrschen und zu ordnen«), der des Weiteren argumentiert, dass das Universum (τὸν σύμπαντα […] κόσμον) der höchste Tempel Gottes ist (spec. 1,66). Bei Paulus ist dies begrifflich, jedoch ebenfalls vom biblischen Schöpfungsglauben her gedeutet, in 1 Kor 8,6 reflektiert, wenn er sagt, wir haben nur einen Gott, den Vater, »aus dem das All ist (ἐξ οὗ τὰ πάντα) und wir zu ihm« und einen Herrn Jesus Christus, »durch den das All ist (δι᾿ οὗ τὰ πάντα) und wir durch ihn«. Zu vergleichen ist auch Röm 11,36, wenn Paulus von Gott sagt, dass »von ihm und durch ihn und zu ihm« τὰ πάντα sind. Ganz ähnlich kann Mark Aurel von der (freilich nicht schöpfungstheologisch verstandenen) physis sprechen (ἐκ σοῦ πάντα, ἐν σοὶ πάντα, εἰς σὲ πάντα; 4,23).32 Auch nach Eph 3,9 ist Gott Schöpfer »des Alls« (τὰ πάντα κτίσαντι). Bei der Aufnahme stoischer Vorstellungen dürfte wiederum das hellenistische Judentum als Vermittler eine große Rolle gespielt haben.33 Hier findet sich auch schon die Zuordnung des über dem All stehenden einen Gottes zum einen Volk (Flav. Jos., Ant. 4,200 f.; vgl. Apion. 2,193), wie sie in Eph 4,5 f. christlich adaptiert ist (»ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller / des Alls [πάντων], der da ist über allen und durch alle und in allen«). Im weiteren Verlauf werden wir sehen, dass antike jüdische und christliche Texte auch bei den Themen der Weltschöpfung durch einen Mittler und der creatio continua zeitgenössische philosophische Impulse aufgenommen haben.

4.  Die Weltschöpfung durch einen Mittler In verschiedener Weise bezeugen einige Schriften des Neuen Testaments, dass Gott die Welt durch einen Mittler geschaffen hat. In Hebr 11,3 wird die Welt »durch das Wort Gottes (ῥήματι θεοῦ)« geschaffen, ähnlich in 2 Petr 3,5 (τῷ τοῦ θεοῦ λόγῳ). Hier steht antikes jüdisches Weisheitsdenken Pate. Bereits das Buch der Sprüche weiß, dass Jhwh 32  Vgl. A. Lindemann, Der Erste Korintherbrief (HNT 9 / I), Tübingen 2000, 192 f. 33   So schon M. Dibelius, Die Christianisierung einer hellenistischen Formel, in: ders., Botschaft und Geschichte, Bd. II, hg. v. G. Bornkamm, Tübingen 1956, 14 – 29.

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  221

die Erde »durch Weisheit (‫ «)בְּ חָ כְ מָ ה‬gegründet hat und »mit Einsicht (‫ «)בִּ ְתבוּנָה‬den Himmel bereitet (Prov 3,9); in Prov 8,27 spricht dann die Weisheit: »als er die Himmel bereitete, (war) ich da« (hebr. steht hier nur ‫)שָׁ ם אָנִ י‬. Das wird dann bekanntlich in späteren Weisheitstexten aufgenommen und ausgebaut: Nach Sir 1,4 ist die Weisheit »vor allem« (προτέρα πάντων) geschaffen, nach 24,9 »vor der Welt(-Zeit), von Anbeginn« (πρὸ τοῦ αἰῶνος ἀπ᾿ ἀρχῆς); nach SapSal 8,4 ist sie in Gottes Wissen »eingeweiht« (μύστις) und »Teilhaberin« (αἱρετίς) an seinen Werken, nach dem Gott anredenden Vers 9,9 »kennt« (εἰδυῖα) die Weisheit »deine Werke« und »war dabei (παροῦσα), als du die Welt schufst«. Bei Philon subsistiert die intelligible Welt im Logos Gottes (opif. 20.24), den er einmal auch »zweiter Gott« nennt (QG 2,62: πρὸς τὸν δεύτερον θεόν).34 Nicht alle antiken jüdischen Schöpfungsvorstellungen teilen die Annahme eines Schöpfungsmittlers; so wird etwa in Jub 2,1 – 3 Gottes alleiniges Schöpferwirken besonders betont. In denjenigen Schriften des Neuen Testaments, die die Präexistenz Christi annehmen, füllt Christus die Rolle des Schöpfungsmittlers aus. Das konnten wir bereits in 1 Kor 8,6 sehen, wonach das All »durch« den einen Herrn Jesus Christus ist und wir »durch« ihn sind. In Hebr 1,3 wird der Sohn besungen als »Abglanz seiner (sc. Gottes) Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens« (ἀπαύγασμα τῆς δόξης καὶ χαρακτὴρ τῆς ὑποστάσεως αὐτοῦ), der »das All« (wiederum: τὰ πάντα) mit seinem kräftigen Wort trägt. Ähnlich findet sich das in Kol 1,15 f., wonach Christus das »Abbild« (εἰκών) des unsichtbaren Gottes ist, »Erstgeborener der ganzen Schöpfung« (πρωτότοκος πάσης κτίσεως), in dem (vgl. ἐν αὐτῷ) das All geschaffen wurde; V. 17 betont noch einmal, dass er »vor allem / dem All« (πρὸ πάντων) ist. Schließlich ist in diesem Zusammenhang Joh 1,1 – 4 zu nennen, die Schöpfung des Alls (πάντα) durch den Logos, der mit Christus identifiziert wird und dessen Inkarnation ausgesagt wird (V. 14). Gern wird hier die differentia specifica christlicher Schöpfungsaussagen gesehen; so etwa (mit Blick auf Paulus) bei Udo Schnelle: »Während der Gottesgedanke die Kontinuität zum Judentum verbürgt, sprengt die Christologie jede Einheit und begründet die theologische und damit auch historische Diskontinuität zwischen dem sich herausbildenden frühen Christentum und dem Judentum.«35 Das wird 34   Vgl. Zu diesen Traditionen H. von Lips, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament (WMANT 64), Neukirchen-Vluyn 1990. 35  U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Göttingen ²2014, 189.

222  Lutz Doering man sicher nuancieren müssen: Die Schöpfungsmittlerschaft etwa wird eben in enger Anlehnung an jüdische Weisheits- und Logos-Vorstellungen entwickelt. Sicher: Die Christologie umfasst weitere Aspekte, die in jüdischen Texten nicht ebenso derselben »Hypostase« zugeschrieben werden, und sie ist natürlich auch darin verschieden, dass sie die Inkarnation des Logos in der Person Jesu von Nazareth behauptet. Doch mindestens für einzelne Texte ist die Rolle erhöhter Gestalten, wie Weisheit, Logos, Engel oder auch Patriarchen im antiken Judentum und damit das Anknüpfen auch »hoher« Christologie an jüdische »binitarische« Vorstellungen in der jüngeren Forschung mit Recht hervorgehoben worden;36 dies legt eine weniger kategorische Unterscheidung als häufig üblich nahe.

5.  Creatio continua Wie bereits mehrfach erwähnt, begegnet im Neuen Testament an mehreren Stellen die Vorstellung einer creatio continua. Jesus spricht etwa von Gott als dem Erhalter im Sinne dessen, was dogmatisch unter dem Namen providentia generalis bekannt geworden ist. So begründet der matthäische Jesus das Feindesliebe-Gebot mit der Zielsetzung, »auf dass ihr Kinder eures himmlischen Vaters werdet, der seine Sonne über Böse wie Gute aufgehen und es über Gerechten wie Ungerechten regnen lässt« (Mt 5,45). Hier wird in weisheitlichem Sinn Gottes Unparteilichkeit in der Erhaltung der Welt herausgestellt, die von der Scheidung im künftigen Gericht nach den Werken (vgl. z. B. Mt 25) zu unterscheiden ist. In seinen Worten vom Sorgen 36   Vgl. in unterschiedlicher Weise W. Horbury, Jewish Messianism and the Cult of Christ, London 1998; D. Boyarin, Enoch, Ezra, and the Jewishness of »High Christology«, in: M. Henze / G. Boccaccini (Hg.), Fourth Ezra and Second Baruch. Reconstruction after the Fall (JSJ.S 164), Leiden 2013, 337 – 361; P.  Schäfer, Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, München 2017. Vgl. auch die schöne Formulierung bei Karrer, Johannesoffenbarung (s. Anm. 11), 399: »In den letzten Jahrzehnten wuchs […] die Aufmerksamkeit dafür, dass das Judentum mehrere Tendenzen kennt, eine zweite Gestalt in intensivste Nähe zum einen Gott zu rücken.« Hingegen unterscheidet L. H. Hurtado, One God, One Lord. Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism, Edinburgh 21998, zwischen erhöhten Figuren, die er für das antike Judentum zugesteht, und kultischer Verehrung (»devotion«) zweier Wesen, die er dort noch nicht, sondern erst im frühen Christentum erkennt. Es ist aber fraglich, ob sich diese Unterscheidung für das antike Judentum so durchhalten lässt.

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  223

(Mt 6,25 – 34 par. Lk 12,22 – 32) weist Jesus ferner auf die Erhaltung von Vögeln und Lilien durch Gott hin und schließt a fortiori auf die Versorgung der Menschen mit dem zum Leben Notwendigen. Verständlich wird dieser Rückgang auf die schöpfungsgemäße Ursprünglichkeit – durchaus eine Art von »Kulturkritik« – im Horizont der von Jesus verkündeten Gottesherrschaft, die etwa an den zuletzt angeführten Stellen explizit Erwähnung findet: »Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.« (Mt 6,33; vgl. Lk 12,31) Auch die beiden einzigen Reich-Gottes-Gleichnisse im Markusevangelium »nehmen bezeichnenderweise auf Vorgänge in der Natur Bezug«:37 die Gleichnisse von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26 – 29) und vom Senfkorn (4,30 f.), wobei jeweils unbedeutender Anfang und großes Ergebnis miteinander kontrastiert werden.38 Wir werden auf die Entsprechung von Endzeit und Urzeit noch einmal zurückkommen (§§ 6 und 7). Auch in der Berücksichtigung und Darstellung der Schöpfungsthematik bei Paulus wird die Schöpfung »von der gegenwärtig erfahrenen Welt interpretiert. Gott ist dauerhafter ›Vater‹ der Welt, nicht nur einmaliger Ursprung oder Erzeuger.«39 Insofern spricht auch Paulus von der creatio continua. Hier ist noch einmal an Röm 11,36 zu erinnern: »von ihm und durch ihn und zu ihm (ist) alles / das All« – das gilt je und je; das Ersehen des Wesens Gottes wäre »seit« der Schöpfung aus seinen (je gegenwärtigen) Werken möglich (Röm 1,20), auch wenn dies, so Paulus, nicht realisiert wird. Und schließlich: Gott ordnet die Welt politisch und sozial (Röm 13,1 – 7; 1 Kor 7,17), und er lenkt die Geschichte (vgl. Gal 4,4).40 Was die traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen angeht, so ist die Erhaltung der Schöpfung zunächst ein sehr altes Thema, das Er37

  Feldmeier / Spieckermann, Gott der Lebendigen (s. Anm. 3), 266.   Zum Verhältnis von weisheitlicher und eschatologischer Motivation in der Ethik Jesu vgl. auch G. Theissen / A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 42011, 332 – 339. 39   So J. Becker, Paulus. Apostel der Völker (UTB 2014), 31998, 404. 40  In Anlehnung an Becker, Paulus (s. Anm. 39), 405 f. Vgl. auch M. Wolter, Der Brief an die Römer, Teilbd. 2: Röm 9 – 16 (EKK VI / 2), Ostfildern / Göttingen 2019, 312: »Im Hintergrund [von Röm 13,1 – 7] steht ein jüdisches Geschichtsbild: Jede Herrschaft von Menschen über Menschen […] gilt als von Gott etabliert, denn er ist als der Schöpfer der Welt auch derjenige, der den Verlauf der Geschichte nach seinem Plan souverän lenkt und bestimmt. Diese Konstellation verhindert, dass die Herrscher zu Repräsentanten Gottes werden.« 38

224  Lutz Doering fahrungen der bedrohten Schöpfung verarbeitet und »weit in die Religionsgeschichte des Alten Orient«41 zurückreicht, vor allem in die kanaanäische Religion, wie sie etwa aus den Texten von Ugarit belegt ist. In einigen Psalmen hat dieses Thema Spuren hinterlassen. Wie die kanaanäischen Texte keine ausgeführte Kosmogonie, sondern vielmehr eine Theomachie bieten,42 so kommt die Erde in diesen Psalmen nicht so sehr als Gottes anfängliches Schöpfungswerk in den Blick denn vielmehr als »sein Eigentum und Herrschaftsbereich, dessen Bewahrung in seiner Macht liegt«.43 So heißt es z. B. in Ps 24,1 f. (MT):44 »Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Denn er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet.«45 In Ps 104 wird die bestehende und sich stets erneuernde Schöpfung (V. 30 ‫ יִ בָּ ֵראוּן‬im Sinne der creatio continua) in Anklang an den Sonnenhymnus des Echnaton gepriesen, wobei auch die Geschöpfe in ihrem geordneten Lebensraum in den Blick kommen – unter Einschluss des Menschen, der ein Teil dieser Ordnung ist (V. 14 f.23). Im nachexilischen Ps 33,4 – 9 verbinden sich Motive der Bewahrung mit der uranfänglichen Schöpfung, wie wir sie aus Gen 1 kennen.46 Bei Deuterojesaja werden Schöpfung und Erhaltung eng mit der Erlösung verbunden, wie die »klassischen« Stellen Jes 43,1 und 44,24 zeigen.47 Im antiken Judentum werden diese Texte weitertradiert; darüber hinaus finden sich neue Aussagen zu Gottes Providenz, vor allem durch die Aufnahme griechischer πρόνοιαLehren. So stellt Philon etwa heraus, dass sich der Schöpfer stets um seine Schöpfung kümmern muss (opif. 171 f.; das Thema Providenz durchzieht mehrere Traktate und Themen bei Philon);48 die Sapientia Salomonis spricht etwa unter Aufnahme stoischer Vorstellungen davon, dass die Pronoia Gottes des Vaters ein Schiff durch das Meer

41

  Feldmeier / Spieckermann, Gott der Lebendigen (s. Anm. 3), 261.   R. G. Kratz / H. Spieckermann, Schöpfer / Schöpfung  II: Altes Testament, TRE 30 (1999), 258 – 283 (264). 43   Feldmeier / Spieckermann, Gott der Lebendigen (s. Anm. 3), 261. 44   Ps 24[23],1 wird in 1 Kor 10,26 zitiert im Zusammenhang der Götzenopferfleisch-Thematik. 45   Ähnliches findet sich in Ps 29 und Ps 93. 46   Feldmeier / Spieckermann, Gott der Lebendigen (s. Anm. 3), 261. 47   A. a. O., 262. 48  Vgl. P. Frick, Divine Providence in Philo of Alexandria (TSAJ 77), Tübingen 1999. 42

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  225

»steuert« (SapSal 14,3),49 und Josephus verteidigt Gottes Providenz (vgl. Flav. Jos., Ant. 1,14.20) gegen den philosophischen Skeptizismus (Apion. 2,180) und legt sie universal aus (Apion. 2,166).50 Kommen wir noch einmal zum Neuen Testament zurück. Hier scheint besonders der Verfasser der Apostelgeschichte ein Interesse am Thema zu haben: Apg 14,17; 17,26 sprechen jeweils auch von Gottes Providenz (s. § 2), und möglicherweise hat der Autor das Motiv der Vorsehung auch narrativ eingesetzt.51

6.  Der Mensch als Geschöpf; Mann und Frau Der priesterliche Schöpfungsbericht spricht von der Erschaffung des Menschen (Singular) »als Bild Gottes« (‫ )בְּ צֶ לֶם אֱֹלהִ ים בָּ ָרא אֹ תֹו‬und wechselt sofort in den Plural, wenn es heißt: »männlich und weiblich schuf er sie« (‫ ָזכָר וּנְ קֵ בָ ה בָּ ָרא אֹ תָ ם‬, Gen 1,27; vgl. 5,2). Dadurch wird sowohl die grundständige Unterscheidung des Menschen als Mann und Frau als auch ihre prinzipielle Gleichordnung hervorgehoben.52 Wichtig an diesem Schöpfungsbericht ist auch, dass der Mensch nur in einem sehr begrenzten Sinn aus der sonstigen geschöpflichen Welt herausgehoben ist. Zwar ist er »als Bild Gottes«53 geschaffen, doch ist für ihn kein eigener Schöpfungstag reserviert: Wie das lebendige Getier aus der Erde – Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes – wird er am sechsten Tag geschaffen (V. 24). Zwar bekommt er einen Herrschaftsauftrag über Fische, Vögel und Landtiere (V. 28), aber zur Speise erhält er nicht sie, 49   Vgl. D. Lanzinger, Wer baute das Schiff? Göttliches und menschliches Wirken in Weish 14,1 – 10, in: Biblica 99 (2018), 50 – 59 (51 – 53). 50   Vgl. J. M. G. Barclay, Against Apion, Flavius Josephus Translation and Commentary 10, Leiden 2006, ad loc. Vgl. auch den weisheitlich gestimmten Text 4Q413 = 4QComposition about Divine Providence. 51   Vgl. dazu D. Lanzinger, Ein Ratschluss Gottes oder von Menschen? Beobachtungen zur narrativen Entfaltung der lukanischen Vorsehungstheologie in Apg 5,17 – 42, in: NT 60 (2018), 361 – 385. 52   Eine frühere Generation drückte das so aus: »Der volle Begriff des Menschen ist nach P nicht im Mann allein, sondern in Mann und Weib enthalten.« G. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2 / 4), Göttingen 51958, 47, der dafür wiederum auf O. Procksch verweist. 53  Das be- ist »be- essentiae«; vgl. Feldmeier / Spieckermann, Gott der Lebendigen (s. Anm. 3), 257: es »hält fest, dass der Mensch kein Abbild Gottes und erst recht kein Gott, sondern Geschöpf ist, dem Gott durch besondere Nähe und Beziehung Anteil an sich selbst gewährt, ohne dass diese Gabe in ontologischen Kategorien zu fassen wäre.«

226  Lutz Doering sondern nur Pflanzen und Früchte (V. 29). Was den Menschen nach V. 28 auszeichnet und damit sein »Bild Gottes«-Sein kommentiert, ist seine Ansprechbarkeit und die daraus resultierende Verantwortung.54 In der antiken jüdischen Rezeption ist dieses Kapitel mit Gen 2 zusammengelesen worden, das bekanntlich noch einmal von der Erschaffung des Menschen spricht. Hier wird der Mensch aus der Erde des Ackers geformt, Gott bläst ihm den Odem des Lebens (‫נִ ְשׁמַ ת‬ ‫ )חַ יִּ ים‬in seine Nase (Gen 2,7), und so wird der Mensch / Adam zum lebendigen Wesen. Diesen setzt Gott in den Garten Eden, dass er ihn »bebaue und bewahre« (‫לְ עָבְ דָ הּ וּלְ שָׁ ְמ ָרה‬, V. 15). Erst nachdem der Mensch / Adam in den Tieren keine Hilfe findet, baut Gott aus der Rippe Adams die Frau (V. 21 f.). Weil die Frau »Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch« ist, wird ein Mann »seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden sein ein Fleisch« (V. 24). Bereits die Septuaginta nimmt hier leichte Veränderungen vor; am wichtigsten ist die Ergänzung »und die zwei (οἱ δύο) werden sein ein Fleisch«.55 Ähnlich lesen der Samaritanische Pentateuch (‫)משניהם‬, die Peschitto, die Vulgata, sowie die Targume Ps.-Jonathan und Neofiti. Diese Lesung wird auch im Neuen Testament in 1 Kor 6,16 und Eph 5,31 bezeugt. Sie ist wohl im Kontext einer zunehmenden Tendenz zur Monogamie zu verstehen, die in bestimmten Kreisen des antiken Judentums, unter anderem im Jachad von Qumran und in der Verkündigung Jesu, gegenüber der älteren Polygynie reflektiert ist.56 Gen 1 f. ist im antiken Judentum und frühen Christentum breit für das Verhältnis der Geschlechter und das Verständnis von Ehe herangezogen worden. Für das Verhältnis der Geschlechter stehen zwei Hauptprobleme im Vordergrund. Erstens, wie ist der Wechsel von »schuf er ihn« zu »schuf er sie (Pl.)« in Gen 1,27 (oder Gen 5,2) zu erklären; und zweitens, in welchem Verhältnis steht die Erschaffung des Menschen als »männlich und weiblich« zur Erschaffung der Frau aus der Rippe des Menschen / Adams nach Gen 2,21 f.? Philon von Alexandrien löst diese Fragen durch seine Annahme einer doppelten 54   Vgl. ebd.: »Der Mensch ist Gottes herausgehobenes Geschöpf, weil Gott ihn anreden wird und von ihm die Bewahrung des Gutseins seiner Schöpfung erwartet.« 55   Vielleicht wurde die Ergänzung von Gen 2,25 her vorgenommen. 56  Vgl. L. Doering, Marriage and Creation in Mark 10 and CD 4 – 5, in: F. García Martínez (Hg.), Echoes from the Caves. Qumran and the New Testament (StTDJ 85), Leiden 2009, 133 – 163 (140 f.).

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  227

Menschenschöpfung (s. auch oben § 3), zum einen als ideales Urbild (entsprechend Gen 1,26 f.), zum andern als sinnlich wahrnehmbarer Mensch (entsprechend Gen 2,7). Erst im Letzteren kommen die Geschlechter, die im Urbild lediglich in nuce angelegt sind (opif. 76), zur Verwirklichung, während das Urbild als unkörperliches Ideal selbst »weder männlich noch weiblich« ist (opif. 134: οὔτ᾿ ἄρρεν οὔτε θῆλυ). Es scheint, dass Philon in dieser angelegten Zweigeschlechtlichkeit im Urbild (die dort freilich zugleich aufgehoben ist), von dem in Platons Symposion (189d – 192c) entwickelten Mythos vom Androgynen beeinflusst ist, den er gleichwohl in seiner mythologischen Drastik anderswo ablehnt (conf. 63). Philon vermag auf seine Weise jedenfalls zu erklären, dass die Zweigeschlechtlichkeit zum »Menschen« gehört, sich aber nur im sinnlich wahrnehmbaren Menschen ausprägt. In der rabbinischen Literatur konkurrieren hauptsächlich zwei Ansätze einer Lösung. Entweder nimmt man an, der erste Mensch sei männlich geschaffen. Nach einigen Texten57 soll in den »für König Talmai« geänderten Worten der Tora (der angeblichen [!] Vorlage der Septuaginta)58 gestanden haben: »Als ein Männliches und seine (Körper-)Öffnungen (‫ )ונקוביו‬schuf er sie.« Der Plural »sie« bezieht sich auf den Mann mit seinen Öffnungen – vom Weiblichen ist hier nicht mehr die Rede; die Frau wird erst später geschaffen. Andere Texte sprechen ausdrücklich von der Erschaffung des Menschen als androgynos59 oder bieten die Lesart »Männlich und weiblich schuf er ihn (‫«)בראו‬.60 Hier begründet die Androgynität des ersten Menschen die Differenzierung der Geschlechter. Wenn die Zweigeschlechtlichkeit aber keine uranfängliche Differenz darstellt, sondern gleichsam nur »abgeleitet« ist, kann sie (etwa 57  MekhJ pisḥa 14 zu Ex 1,40 (50,11 f. Horovitz / Rabin); BerR 8,11 zu Gen 1,27 (64,5 Theodor / Albeck); yMeg 1,11 [8], 71d. 58  Zu diesen, meist exegetisch, philosophisch oder theologisch strittige Fragen betreffenden Stellen vgl. G. Veltri, Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur (TSAJ 41), Tübingen 1994, zur Erschaffung des Menschen: 31 – 47. 59   So BerR 8,1 zu Gen 1,26 (55,2 – 4 Theodor / Albeck), wo auch die alternative Sicht angegeben ist, der Mensch sei als diprosopon »Zweigesichtiger« geschaffen; vgl. bBer 61a. – Nach J. B. Schaller, Gen 1.2 im antiken Judentum. Untersuchungen über Verwendung und Deutung der Schöpfungsaussagen von Gen 1.2 im antiken Judentum, Diss. masch. Göttingen 1961, 154 f., greifen die Rabbinen auf Plato zurück. 60   bMeg 9a (hier zu Gen 5,2). Vgl. auch WaR 14,1 zu Lev 12,2 (296,2 f. Margulies).

228  Lutz Doering im Eschaton) auch wieder aufgehoben werden. In diesem Sinn lässt sich das Votum des Paulus in Gal 3,28 im Kontext antiker jüdischer Verständnisse der Menschenschöpfung verstehen: »Hier ist nicht Jude und Grieche, nicht Sklave und Freier, nicht Männliches und Weibliches (οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ), denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.« Mit ἄρσεν καὶ θῆλυ wird deutlich Gen 1,27(LXX) aufgenommen und ihre Unterscheidung zugleich negiert.61 Wie genau dieses Aufhören zu denken ist, ob als Aufhebung der Unterschiede auf spiritueller Ebene oder als gleichsam christologische Einklammerung der Unterschiede, ist jedoch in der Forschung umstritten.62 Eine weitere Rationalisierung des Umgangs mit der Geschlechter-Differenzierung, die sich unter anderem im Neuen Testament findet, ist die Enthaltung von sexueller Aktivität »wie die Engel« (Mk 12,25 ὡς ἄγγελοι; Lk 20,36 ἰσάγγελοι; s. u.). Die Engel sind hier nach jüdischer Vorstellung male gendered, wobei sich die guten Engel jedoch sexueller Betätigung enthalten, die als dem Raum des himmlischen Heiligtums unangemessenen gilt (vgl. 2 Bar 56,14). Der Gegentypus dazu sind die in ihrer sexuellen Begierde zu weiblichen Menschen »gefallenen« Wächterengel nach Gen 6,1 – 4 bzw. 1 Hen 6,2 – 7,1. Des Weiteren spielt Gen 1 f. für das Verständnis der Ehe eine besondere Rolle. So wird Gen 2,24 als Begründungstext für die (monogame) Ehe eines Mannes mit einer Frau etwa in Tob 8,6 herangezogen: »Du hast Adam erschaffen und seine Frau Eva zur Hilfe und Stütze, und aus beiden (ἐξ ἀμφοτέρων) erstand das Geschlecht der Menschen« (so GII = Sinaiticus).63 In der Damaskusschrift heißt es in einer berühmten Passage über die »Erbauer der Mauer« (vermutlich 61   Vergleichbares findet sich in 2 Clem 12,2 (par. EvThom 22; EvÄg [apud Clemens strom. 3,92]), wo es von der Ankunft des Königreichs heißt: »Wenn die beiden eins sind, und das Äußere wie das Innere, und das Männliche mit dem Weiblichen, weder männlich noch weiblich (οὔτε ἀρσεν οὔτε θῆλυ).« 62   Zu unterschiedlichen Interpretationen dieser Texte vgl. nur D. Boyarin, A Radical Jew. Paul and the Politics of Identity, Berkeley 1994, 23 f.180 – 196, nach dem durch die Taufe die Unterschiede im unkörperlichen Leib Christi ausradiert werden, und J. M. Gundry-Volf, Christ and Gender. A Study of Difference and Equality in Gal 3,28, in: C. Landmesser / H.-J. Eckstein / H. Lichtenberger (Hg.), Jesus Christus als die Mitte der Schrift. Studien zur Hermeneutik des Evangeliums (BZNW 86), Berlin 1997, 439 – 479, die von einer differenzierten Gleichheit in Christus ausgeht. 63  GI weist nur geringfügige Abweichungen auf, doch bemerkenswerterweise fehlt ἐξ ἀμφοτέρων: »Du hast Adam erschaffen und ihm seine Frau Eva zur Hilfe und Stütze gegeben, und aus diesen (ἐκ τούτων) erstand das

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  229

die Pharisäer): »Sie sind in zwei (Netzen Belials) gefangen. In Unzucht, (indem sie) zwei Frauen zu ihren Lebzeiten (‫ )בחייהם‬nehmen, während die Grundlage der Schöpfung (‫ )ויסוד הבריאה‬ist: ›männlich und weiblich schuf er sie‹ (Gen 1,27 = 5,2). Und die in die Arche gingen, ›gingen je zwei und zwei in die Arche‹ (Gen 7,9). Und über den Fürsten ist geschrieben: ›Er soll sich nicht mehrere Frauen nehmen‹ (Dtn 17,17).« (CD-A 4,20 – 5,2) Umstritten ist vor allem die Wendung »zu ihren Lebzeiten«; am wahrscheinlichsten ist mir, dass es sich (trotz der maskulinen Suffixform, die jedoch in Handschriften auch für das Femininum verwendet wird) auf das Leben der Frauen bezieht, sodass hier die Polygynie der Gegner angeprangert wird (nach alternativer Deutung richtet sich die Aussage auch gegen Wiederverheiratung nach Scheidung, solange beide Partner leben).64 Das Zweier-Prinzip der monogamen Ehe wird als »Grundlage der Schöpfung« hier nicht nur dem Schöpfungsbericht, sondern auch weiteren Texten (zu den Tieren auf der Arche, zum König) entnommen. In der Jesustradition wird auf Gen 1 f. für einen etwas anderen Aspekt der Ehe zurückgegriffen: Jesus führt in Mk 10,2 – 9 eine Verbindung von Gen 1,27 (=  5,2) und 2,24 zugunsten eines Verbots der Ehescheidung an.65 Jesus argumentiert hierbei mit der Differenz zwischen schöpfungsmäßiger Zuordnung und mosaischer Konzession »um eurer Herzenshärtigkeit willen« (V. 4 f.); doch »vom Anfang der Schöpfung ›schuf er sie männlich und weiblich‹. ›Deshalb wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen [und seiner Frau anhangen], und die zwei werden ein Fleisch sein‹. Daher sind sie nicht Geschlecht der Menschen.« Vgl. ferner Schaller, Gen 1.2 (s. Anm. 59), 59, der für Tob 8,6 von »einer Mischung von Paraphrase und Zitat« spricht. 64   Hingegen ist die früher beliebte Deutung auf die »Einzigehe«, d. h. die nur einmalige Möglichkeit der Heirat im Leben (vertreten etwa von H. Stegemann und F. García Martínez), jetzt wohl ausgeschlossen aufgrund des Belegs 4Q271 (4QDf) 3 10 f. (mit weiteren Parr. aus Höhle 4), wonach eine Witwe nur dann als Heiratskandidatin ausscheidet, wenn sie seit ihrer Verwitwung »beschlafen« wurde; dies suggeriert, dass sie, sofern dies nicht der Fall ist, durchaus wieder heiraten darf, was auch für Männer gelten dürfte. Vgl. die Diskussion in Doering, Marriage and Creation (s. Anm. 56), 148 – 154. 65   Hingegen kennt die Damaskusschrift die Ehescheidung (4Q266 [4QDa] 9 iii 4 – 7; vgl. CD-A 13,17). Vgl. C. Wassen, Women in the Damascus Document (Academia Biblica 21), Leiden 2005, 116 f.159 – 164. In Sir 25,26 (ohne hebräischen Text) wird offenbar Gen 2,24 zugunsten der Scheidung von der »bösen Frau« herangezogen: »Wenn sie nicht nach deinen Händen geht, so schneide sie von deinem Fleisch (ἀπὸ τῶν σαρκῶν σου).« Vgl. Schaller, Gen 1.2 (s. Anm. 59), 56 f.

230  Lutz Doering mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengebunden hat, soll der Mensch nicht scheiden« (V. 6 – 9). Es ist m. E. gut begründbar, dass Jesus hier im Horizont der anbrechenden Königsherrschaft Gottes eine Restitution primordialer Verhältnisse im Blick hat.66 Insofern kann man hier von einer Korrespondenz von Endzeit und Urzeit sprechen, doch ist für die Ehefrage die Zweistufigkeit endzeitlicher Erwartung zu beachten: In der Königsherrschaft Gottes wird die lebenslange Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau in Entsprechung zur Schöpfung ermöglicht, doch in der Auferstehung von den Toten »werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie die Engel im Himmel« (Mk 12,25; s. zu diesem Motiv oben). Die der Schöpfung entsprechende Ehe ist somit nicht letztes Ziel eschatologischer Erwartung, und es kann Menschen (wie Jesus selbst) geben, die das engelsgleiche (zölibatäre) Leben bereits vorwegnehmen (Lk 20,35).67 Während Paulus in 1 Kor 7,10 f. eine Variante des Scheidungs-Verbots als »Gebot des Herrn«, verbunden mit einem Wiederverheiratungs-Verbot, ohne unmittelbaren Bezug zur Schöpfungsgeschichte mitteilt, spiegelt er in 1 Kor 11,7 – 12 eine Lektüre der beiden Schöpfungsberichte wider, nach der Gen 1,27 von der Erschaffung (allein) des Mannes und erst Gen 2,18 – 22 von derjenigen der Frau spricht. Nach Paulus sei somit »der Mann nicht von der Frau, sondern die Frau von dem Mann« und »der Mann nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen«. Daraus ergebe sich, dass (allein) der Mann (unmittelbar) »Bild und Abglanz Gottes« 66   Für Einzelheiten vgl. Doering, Marriage and Creation (s. Anm. 56), 134 – 146.158 – 163. – Eine ähnliche Entsprechung ist auch in Jesu Wort über den Sabbat zu finden: »Der Sabbat ist um des Menschen willen geworden (ἐγένετο) und nicht der Mensch um des Sabbats willen« (Mk 2,28); hier schließt Jesus aus der Vorordnung des Menschen vor den Sabbat (vgl. Gen 1,27; 2,2 f.) auf dessen Zuordnung zum Menschen, und zwar ebenfalls im Kontext seiner Basileia-Botschaft, innerhalb derer er sich den Nöten von Hungernden und Kranken am Sabbat zuwendet. Vgl. zuletzt L. Doering, Much Ado about Nothing? Jesus’ Sabbath Healings and their Halakhic Implications Revisited, in: ders./H.-G. Waubke / F. Wilk (Hg.), Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft. Standorte – Grenzen – Beziehungen (FRLANT 226), Göttingen 2008, 217 – 241 (236 – 241). 67   Interessanterweise fehlt das Scheidungsverbot bei Lukas (keine Par. zu Mk 10,2 – 9; Lk 16,8 vielleicht nur Verbot der Wiederheirat), der auch sonst das ehe- und familienfeindliche Ethos verstärkt hat; die »Frau« gehört nach Lk 14,26 zu denen, die als Bedingung der Jüngerschaft zu »hassen« sind, nach Lk 18,29 zu denen, die um des Reiches Gottes willen zu »verlassen« sind.

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  231

(εἰκὼν καὶ δόξα θεοῦ) sei, während die Frau der »Abglanz« (δόξα) des Mannes sei. Daraus wiederum ergebe sich ein Unterschied bei der Bedeckung des Hauptes beim Gebet.68 In der Lektüre der Schöpfungsberichte ähnlich, schließt 1 Tim 2,11 – 14 aus der Erschaffung Adams vor Eva auf die Unterordnung der Frau und schreibt das Verführtwerden nur der Frau zu. Eine derartige Lektüre der Schöpfungsberichte entspricht einigen antiken jüdischen Parallelen und damit gewiss einer historischen Möglichkeit, mit der Sequenz der beiden Berichte umzugehen,69 wird aber weder der Dialektik von Gattung und Zweigeschlechtlichkeit nach Gen 1,27 noch der paulinischen Maßgabe für das Geschlechterverhältnis nach Gal 3,28 gerecht und steht auch in Spannung zum christologischen εἰκών-Verständnis von 2 Kor 4,4. Die Menschenschöpfung ist im Neuen Testament noch an weiteren Stellen aufgenommen. Hier ist zunächst Röm 9,19 – 21 zu nennen, wo im Bild des Töpfers, der »Verfügungsgewalt über den Menschen« hat, eine Anspielung auf Gen 2,7.19 (ἔπλασεν) – vermittelt über Jes 29,16(LXX) – vorliegt.70 Sodann spricht Jak 3,9 im Rahmen seiner Mahnung zur Zügelung der Zunge davon, dass wir mit der Zunge zugleich Gott loben und den Menschen, die nach der Ähnlichkeit Gottes gemacht sind (τοὺς καθ᾿ ὁμοίωσιν θεοῦ γεγονότας), fluchen. Aufgenommen ist hier nicht Gen 1,27, sondern Gen 1,26(LXX) (κατ᾿ εἰκόνα ἡμετέραν καὶ καθ᾿ ὁμοίωσιν), wobei kaum die Rede vom »Ebenbild« vermieden, sondern eher auf den argumentativ hier relevanten Aspekt der Ähnlichkeit abgehoben wird; Ähnliches findet sich bei 68   Was genau mit der »Macht« der Frau über ihr Haupt (1 Kor 11,10) gemeint ist, muss hier nicht diskutiert werden. 69  Vgl. Jervell, Imago Dei (s. Anm. 2), 296 – 301; vgl. die oben, Anm. 57, genannten rabbinischen Texte. Nach dieser Sicht ist im Grunde nur der Mann / Adam Gottes Ebenbild; eben weil sie es nicht ist, kann die Frau verführt werden. Vgl. die bei Jervell, Imago Dei (s. Anm. 2), 40 f. genannten Belege. Daneben gab es aber eine andere Strömung, die die Gottebenbildlichkeit dem Menschen als Mann und Frau zuspricht; vgl. a. a. O., 111 f. Vgl. u. a. Gen 1,27aα´: »in seinem Bilde schuf er sie (αὐτούς)«; ähnlich TFrag (Paris) (‫)יתהון‬. 70  Vgl. Breytenbach, TRE 30 (s. Anm. 1), 288; Wolter, Römer (s. Anm. 40), Bd. 2, 71. F. Wilk, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus (FRLANT 179), Göttingen 1998, 304 – 307, spricht von einer zitatähnlichen Anspielung an Jes 29,16 (und 45,9) [LXX], diskutiert aber die darüber vermittelte Anspielung an Gen 2 nicht. Zu dieser vgl. nur O. Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kapitel 13 – 39 (ATD 18), Göttingen 1973, 219: »Daß Gott den Menschen wie ein Töpfer aus Ton gebildet hat, ist ein in der Weisheitsdichtung begegnendes Motiv, vgl. Hi. 10,9 und 33,6, das sich an 1. Mose 2,7.19 mindestens anlehnt.«

232  Lutz Doering Philon (opif. 71), der allerdings den Doppelausdruck aus Genesis erklärt.71 Paulus bezieht sich ferner bei seinen Aussagen über die Auferstehung in 1 Kor 15,44 – 49 auf die Schöpfungsaussage Gen 2,7, was im folgenden Abschnitt angesprochen werden soll.

7.  Zukunft der Schöpfung, neue Schöpfung Paulus spricht in Röm 8,18 – 22 die Vergänglichkeit der Schöpfung an, hier wohl bezogen auf die außermenschlichen Geschöpfe.72 Ihr Harren und Seufzen deutet er dabei nicht als Ausdruck ihrer Verlorenheit, sondern als Sehnsucht nach ihrer Erlösung. Sie sei zwar der Vergänglichkeit durch den Willen des Schöpfers unterworfen, »weil auch sie die Unheilsfolgen von Adams Schuld mittragen muss«73  – »doch auf Hoffnung« (V. 20). Der Schöpfer wird die Schöpfung freimachen »von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes« (V. 21). Hier findet sich wiederum ein Bezug von Schöpfung und Eschatologie, wenngleich von anderer Art als im vorigen Abschnitt. Paulus rekurriert auch in seinen Ausführungen zur Auferstehung von den Toten in 1 Kor 15 auf die Welt- und Menschenschöpfung sowie die »Sündenfall«-Erzählung. Zunächst stellt er dem Adam, durch den der Tod gekommen ist (Gen 3,17 – 19),74 den auferweckten Christus gegenüber: »Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden« (1 Kor 15,22); der »letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod« (V. 26). Sodann verwendet Paulus Hinweise auf Schöpfung und Naturprozesse als sprachliche Versuche, über den Auferstehungsleib zu reden. In 1 Kor 15,36 – 38 weist er darauf hin, dass das Samenkorn sterben muss, damit die Pflanze wächst, da es ja nicht die Pflanze selbst ist, die gesät wird; ganz ähnlich kann Plutarch75 vom Wachsen der Pflanze aus dem verfaulenden Samenkorn sprechen. Auch das »Fleisch« von Menschen, Vieh, Vögeln und Fischen unterscheidet sich jeweils, ebenso 71

 Vgl. Burchard, Jakobusbrief (s. Anm. 23), 149.   Wolter, Römer (s. Anm. 10), Bd. 1, 509. 73   A. a. O., 510. 74   Die knappe Erwähnung legt nahe, dass »die Adressaten mit der biblischen Schöpfungs- und Sündenfallüberlieferung vertraut sind« (Lindemann, Der Erste Korintherbrief [s. Anm. 32], 344). 75   Plutarch, In Hesiodi Opera Frgm. 104 (LCL 429, 213 f.); vgl. Feldmeier / Spieckermann, Der Gott der Lebendigen (s. Anm. 3), 268 mit Anm. 32. 72

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  233

das Wesen himmlischer und irdischer »Körper« (V. 39 – 41); aus dieser Erfahrung diverser Schöpfungswirklichkeit kann auf die antithetische Andersartigkeit des Auferstehungsleibes geschlossen werden: »Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich« etc. (V. 42 – 44). Als letztes Doppelglied spricht Paulus hier vom »natürlichen Leib«, der gesät wird, und dem »geistlichen Leib«, der aufersteht. Dafür kontrastiert er in V. 44b – 49 den ersten Menschen, Adam, der »zu einem lebendigen Wesen« wurde, als natürlichen bzw. irdischen Menschen und den letzten Adam, Christus, der »zum lebendig machenden Geist« wurde,76 als himmlischen Menschen. Erst dadurch wird »die Schöpfung vollendet«.77 Für seine Rede vom »ersten Menschen« bzw. »ersten Adam« folgt Paulus breiter bezeugten Vorstellungen im antiken Judentum.78 In durchaus für das Verständnis von 1 Kor 15,45 – 49 relevanter Weise spricht ferner eine rabbinische Tradition79 von himmlischen und irdischen Körpern, der zufolge der Mensch diese Aufteilung insofern durchbricht, als seine Seele himmlisch und sein Körper irdisch ist; wenn er den Willen seines Vaters im Himmel tut, gleicht er den »oberen Kreaturen«, wenn nicht, den »unteren Kreaturen«. M. Kister rechnet hier mit einem eschatologischen Verständnis – der Zustand gleich den oberen Kreaturen beziehe sich auf die Zeit nach der Auferstehung – und weist auf einen ähnlichen Beleg bei Theophilus von

76  Nach Lindemann, Der Erste Korintherbrief (s. Anm. 32), 361, setzt Paulus hier den Gedanken der Präexistenz Christi nicht voraus. 77   Feldmeier / Spieckermann, Der Gott der Lebendigen (s. Anm. 3), 269. 78   Die These, Paulus hänge hier spezifisch von philonischen Vorstellungen von »erstem« und »zweitem Menschen« ab und stelle sie auf den Kopf (G. Sellin), lässt sich nicht erhärten; vgl. B. Schaller, Adam und Christus bei Paulus. Oder: Über Brauch und Fehlbrauch von Philo in der neutestamentlichen Forschung, in: R. Deines / K.-W. Niebuhr (Hg.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen (WUNT 172), Tübingen 2004, 143 – 153. Philo gebraucht die Bezeichnung »erster Mensch« durchweg für den irdischen Adam (QG 1,14; opif. 136.139 f.142.145.148.151; Abr. 55; spec. 4,124; virt. 203), und die Bezeichnung »zweiter Mensch« in LA 2,5 für den aus Erde gebildeten Menschen bezieht sich offenbar nur auf die Sequenz der beiden Menschenschöpfungen; s. o. Weitere Belege für »erster Mensch / Adam« finden sich bei Josephus (Flavius Josephus, Ant. 8,62: ἀπὸ δὲ τοῦ πρώτου γεννηθέντος Ἀδάμου) und in der tannaitischen Literatur (mSan 4,5; tBer 6,2; MekhJ pisḥa 1 zu Ex 12,2 [7,12.14 Horovitz / Rabin] u. ö.). 79  Sifre Dtn § 306 (im Namen des späten Tannaiten R. Sima’i [frühes 3. Jahrhundert]).

234  Lutz Doering Antiochien (ca. 180) hin, was auf eine breitere Streuung solcher Vorstellungen deutet.80 Darüber hinausgehend kann bei Paulus die Aufnahme eines Menschen in den Lebensbereich Christi als »neue Schöpfung« bezeichnet werden, die bereits dort gegenwärtig ist, wo sich jemand durch diesen Lebensbereich bestimmen lässt: »Wenn jemand in Christus ist, (so ist da) neue Schöpfung (καινὴ κτίσις).« (2 Kor 5,17) Oder auf die Situation des Galaterbriefs angewandt: »Denn es gilt weder Beschnittensein noch Unbeschnittensein, sondern neue Schöpfung.« (Gal 6,15) Schöpfung und die so bestimmte neue Schöpfung werden vom selben Gott gewirkt: »Der Gott, der sprach: ›Aus der Finsternis soll Licht hervorleuchten‹, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.« (2 Kor 4,6)81 Für ein solches präsentisches Verständnis von neuer Schöpfung gibt es wenige jüdische Belege; vielleicht kann man auf das Verständnis der Konversion Aseneths in Joseph und Aseneth verweisen, wenngleich hier der Begriff selbst fehlt.82 Allerdings zeigen einige Qumrantexte – mit eigener Akzentsetzung – eine durchaus vergleichbare »Paradise Now«-Perspektive: So wird in mehreren Texten des Jachad davon gesprochen, dass »Adams Herrlichkeit« (‫)כבוד אדם‬ gegenwärtig (oder bald) wieder hergestellt wird83 und dass die Mit80  M. Kister, »First Adam« and »Second Adam« in 1 Cor 15:45 – 49 in the Light of Midrashic Exegesis and Hebrew Usage, in: R. Bieringer u. a. (Hg.), The New Testament and Rabbinic Literature (JSJ.S 136), Leiden 2010, 351 – 365. 81   Vgl. M. V. Hubbard, New Creation in Paul’s Letters and Thought (MSSNTS 119), Cambridge 2002. Hubbard kritisiert recht scharf (6 f.) die traditionsgeschichtliche Arbeit von U. Mell, Neue Schöpfung. Eine traditionsgeschichtliche und exegetische Studie zu einem soteriologischen Grundsatz paulinischer Theologie (BZNW 56), Berlin 1989, als weitgehend irrelevant für Paulus, doch sie zeigt eben durchaus den weiteren bedeutsamen Kontext, in dem Paulus seine eigenen Akzentuierungen anbringt. Hingegen verkürzt Hubbard den Hintergrund für die paulinische Rede von »Neuheit« zu stark biographisch auf das Damaskuserlebnis (240 f.). 82   Hubbard, New Creation (s. Anm. 81), 73 – 75. 83   Vgl. nur 1QS 4,20 – 23 (aus der Zwei-Geister-Lehre, vielleicht futurisch zu nehmen); CD-A 3,19 f. (das »sichere Haus« ist bereits gebaut, ob die »Herrlichkeit Adams« gegenwärtig, künftig oder inauguriert ist, bleibt unklar); 4Q171 (4QpPsa) 1 – 10 iii 1 f.; 1QHa 4,26 f. (Sukenik: 17,14 f.) (hier wohl schon gegenwärtig). Hierzu umfassend (und mit maximalistischer Interpretation) C. H. T. Fletcher-Louis, All the Glory of Adam. Liturgical Anthropology in the Dead Sea Scrolls (StTDJ 42), Leiden 2002. Auch die Erwähnung des ‫» מקדש אדם‬Tempel von Menschen / Adams« in 1Q174 1 i 6 kann auf eine Rekapitulation von Urzeit in der gegenwärtig erfahrenen Endzeit deuten; vgl.

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  235

glieder des Jachad bereits in der Gegenwart mit den Engeln Gemeinschaft haben, ja, teilweise sogar »angelomorph« werden.84 Schließlich ist auch die kosmische Vollendung der Schöpfung ein bedeutendes Thema in frühjüdischen85 wie neutestamentlichen Texten. Schon Jes 65,17 f. hatte von einem »neuen Himmel« und einer »neuen Erde« als Ausdruck der Hinwegnahme des Früheren gesprochen. In 2 Petr 3,13 erwartet der Autor zusammen mit den Adressaten »einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt«. Nach Apk 21 sieht der Seher »einen neuen Himmel und eine neue Erde« und das »neue Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabkommen« (V. 1 f.), in dem kein Tempel sein wird, weil Gott ihr Tempel ist, »er und der junge Widder« (V. 22). Weniger klar in Bezug auf ihre Endzeitvorstellungen sind die Evangelisten. Nach Mk 13,24 – 26.31 parr. werden Himmel und Erde nach einer kosmischen Katastrophe und dem Kommen des Menschensohns »vergehen« (παρελεύσονται). Was danach kommt, bleibt hier jedoch undeutlich. In Mt 19,28 dürfte aber mit παλιγγενεσία »Wiederentstehung« die Neuschöpfung der Welt gemeint sein; und Apg 3,21 spricht von den χρόνων ἀποκαταστάσεως »Zeiten der Wiederherstellung« all dessen, wovon Gott durch die Propheten von Anfang an geredet hat, was offenbar auf eine Restitution der anfänglichen Weltordnung rekurriert.86 Unter den antiken jüdischen Texten kennen das Jubiläenbuch und die Tempelrolle die Vorstellung der neuen Schöpfung (Jub 1,27; 4,26; 11QTa 29,9: »bis zum Tag der [sc. neuen] Schöpfung« [‫)]עד יום הבריה‬, dort allerdings in Erwartung eines von Gott gebauten Tempels, der an die Stelle des unzureichenden Jerusalemer Tempels treten soll. Nach dem Jubiläenbuch wird dieses eschatologische Heiligtum in L. Doering, Urzeit-Endzeit Correlation in the Dead Sea Scrolls and Pseudepigrapha, in: H.-J. Eckstein / C. Landmesser / H. Lichtenberger (Hg.), Eschatologie – Eschatology. The Sixth Durham-Tübingen Research Symposium: Eschatology in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September, 2009; WUNT 272), Tübingen 2011, 19 – 58 (44 – 46). 84   Vgl. 1QHa 11,20 – 24 (Sukenik: 3,19 – 23); 1QM 12,1 – 8; sowie den »Self Glorification Hymn« (4Q471b; 4Q491c; 4Q427; 1QHa 26); D. Stökl Ben Ezra, Qumran. Die Texte vom Toten Meer und das antike Judentum (UTB Jüdische Studien 3), Tübingen 2016, 304 – 306. 85  Vgl. Mell, Neue Schöpfung (s. Anm. 81), passim. 86  Vgl. z. B. E. Adams, The Stars Will Fall from Heaven. »Cosmic Catastrophe« in the New Testament and its World (LSNT 347), London 2007, 161 – 181.

236  Lutz Doering Jerusalem in Entsprechung zum Garten Eden präsentiert.87 Anders gelagert ist die Vorstellung in 4 Esr 7,30 – 32, wonach die Welt in das primordiale Schweigen für sieben Tage zurückkehren wird (geradezu eine »Ent-Schöpfung«!), woraufhin dann »die Welt, die noch nicht wach ist, erweckt werden und das Vergängliche sterben wird«. Dies geht einher mit der Auferweckung der Toten. Gemäß 2 Bar 4,1 – 6 hat Gott das Modell des verheißenen Jerusalems schon bereit gehalten seit dem Augenblick, als er das Paradies schaffen wollte; er hat es Adam, Abraham und Mose gezeigt.88 Nach 2 Bar 32,1 – 6 wird Gott die ganze Schöpfung erschüttern; Zion wird in Herrlichkeit erneuert und vollendet werden, wenn Gott seine Schöpfung erneuert. Auch hier findet sich eine Form der Urzeit-Endzeit-Entsprechung und zugleich Vollendung der Schöpfung.89 Und auch in der Neuschöpfung bleibt nach diesen Texten, die enge Beziehungen zum Neuen Testament haben, die Materie der ersten Schöpfung erhalten.90

8.  Ergebnis und Anregungen Die nicht allzu zahlreichen expliziten neutestamentlichen Hinweise auf Welt- und Menschenschöpfung rufen ein Netz von Texten und Traditionen aus den Schriften Israels und der Literatur des antiken Judentums auf, die teils vorauszusetzen, teils für eine Kontextualisierung  – gelegentlich auch kontrastiv – hilfreich sind. Damit haben die neutestamentlichen Texte teil an zeitgenössischen Diskursen über Welt- und Menschenschöpfung, aus denen sie situativ und argumentativ einzelne Aspekte herausgreifen, verarbeiten und zur Geltung bringen. Das (Apostolische) Credo verdichtet den Schöpfungsbezug in seiner Formulierung des Ersten Artikels auf äußerste Weise zur Formel »Schöpfer Himmels und der Erden«.91 Die hier genannten Texte und 87

 Vgl. Doering, Urzeit-Endzeit Correlation (s. Anm. 83), 31 – 36.   Damit wird die ‫ תבנית‬des Tempels (Ex 25,9.40) gleichsam in die Urzeit vordatiert. 89   Doering, Urzeit-Endzeit Correlation (s. Anm. 83), 52 f. (2 Bar 4). 54 – 56 (4  Esr 7,30 – 32); M.  Henze, Jewish Apocalypticism in Late First Century Israel. Reading Second Baruch in Context (TSAJ 142), Tübingen 2011, 193 (2 Bar 32). 90  Vgl. Adams, The Stars (s. Anm. 86), 78 – 84. 91  Das Nizäno-Konstantinopolitanum erwähnt diesbezüglich immerhin noch Gottes Schaffen »aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge« (ὁρατῶν τε πάντων καὶ ἀοράτων). 88

Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung  237

Traditionen regen an, durchzubuchstabieren, was das eigentlich heißt. Innerhalb der protestantischen dogmatischen Tradition ist bekanntlich die Auslegung des Ersten Artikels im Kleinen Katechismus ein Beispiel solchen Durchbuchstabierens. Doch wie die spöttischen Bemerkungen des Konsuls Buddenbrook zu Beginn von Thomas Manns berühmtem Roman zeigen,92 ist auch dieses stark kontextgebunden und bedarf jeweiliger Aktualisierung; hinzu kommt das Überwiegen des individuellen Blickwinkels und des Schwerpunkts bei der Providenz in Luthers Auslegung. Die hier gesichteten Texte stellen hingegen in Bezug auf das Bekenntnis zum »Schöpfer Himmels und der Erden« in breiterer Weise die kosmologischen, heilsgeschichtlichen, identitätspolitisch-sozialen, ethischen, christologischen und eschatologischen Implikationen des Bekenntnisses vor Augen. Sie regen an, das Neue Testament im Kontext der Schriften Israels zu lesen und dabei auch – in Anknüpfung wie in Widerspruch – das literarische Umfeld zu beachten, in dem diese Schriften tradiert wurden und innerhalb dessen das Neue Testament selbst entstand. Auch das erfordert hermeneutische Reflexion. Doch diese ist dann an eine größere Breite und Vielfalt des Nachdenkens über den Schöpfer und seine Schöpfung gewiesen.

92  »Er erkundigte sich nach Tonys Acker und Vieh, fragte, wieviel sie für den Sack Weizen nähme, und erbot sich, Geschäfte mit ihr zu machen« (Th. Mann, Buddenbrooks. Verfall einer Familie, Frankfurt 1960, 5 [1. Teil, 1. Kap.]).

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer Phänomenologische Annäherungen und theologische Deutungen Christopher Zarnow

Übersieht man systematisch-theologische Abhandlungen der letzten Jahre zum Begriff »Schöpfung«, so fällt ins Auge, dass zwei Themen den Zugang dominieren. Das ist zum einen die Frage nach einem angemessenen »Umgang mit der Schöpfung« vor dem Hintergrund menschlicher Umweltzerstörung (der ethische Zugang), zum anderen das Verhältnis von Schöpfungsglaube und naturwissenschaftlicher Weltsicht (der apologetische Zugang). Die folgenden Überlegungen gehen einen anderen Weg – nicht um das Recht der beiden genannten Zugänge zu bestreiten, sondern um sie zu ergänzen. Dahinter steht die u. a. bereits von Paul Tillich geäußerte Überzeugung, dass die überlieferten Symbole des Christentums über weite Strecken ihre sinngebende Kraft verloren haben, verschlissen sind.1 Dann genügt es aber auch nicht mehr, die Aufgabe der systematischen Theologie als kritische Reflexion positiv irgendwie gegebener Glaubensbestände zu bestimmen. Denn es ist alles andere als klar, von welchen Gegebenheiten hier überhaupt ausgegangen werden kann. Die Dogmatik hat vielmehr selbst Aufbauarbeit am Symbol zu leisten, d. h. konstruktive Vorschläge zu machen, wie die Symbole des Christentums neu zur Sprache gebracht werden können. Das gilt auch für das Symbol einer »Geschöpflichkeit« des Daseins. Dazu unterbreiten die folgenden Überlegungen einige Vorschläge, besser gesagt: Sie tragen Materialien und Beobachtungen zusammen, die als gedankliche Horizonte der Auslegung jenes Symbols dienen können. Damit ist auch gesagt, was die folgenden Ausführungen nicht leisten: Sie bieten weder einen Kurzabriss der dogmatischen Schöpfungslehre mit ihren kanonischen Themen (Schöpfung und Erhaltung, creatio ex nihilo, Vorsehungslehre, Kreatürlichkeit und Gottebenbildlichkeit des Menschen, usw.), noch eine begriffliche Wesensbestimmung des Schöpfungsglaubens – wohl aber Variationen über einige seiner Motive. Als Darstellungs1   Vgl. exemplarisch P. Tillich, Offenbarung und Glaube. Schriften zur Theologie (GW VIII), Stuttgart 1970, 111.

240  Christopher Zarnow weise wähle ich die Form einer gedanklichen Homilie zu den einzelnen Begriffen des Credo-Abschnittes: »Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde.« Ich beginne mit der Erde (1, 2) und schreite fort über den Himmel (3) und den Zwischengedanken der Welt als Schöpfung (4) zum Schöpfer (5).

1.  Der blaue Planet Nach fast 800 Seiten Darstellung der Genesis der kopernikanischen Welt kommt der Philosoph Hans Blumenberg in seinem gleichna­ migen Werk auf die Raumfahrt zu sprechen.2 Diese habe, nachdem sich der neuzeitliche Mensch im Schatten des Kopernikus eben ­gerade erst an seine periphere Stellung im Weltall gewöhnt hatte, eine ­»vorkopernikanische Überraschung«3 bereitgehalten. Denn das eigentliche Wunder, das sich den Astronauten bot, als sie die Oberfläche des Mondes betraten, sei nicht dessen »wesenlose[.] Wüste«4 gewesen. Ja, so unspektakulär erschienen die Fernsehübertragungen der grauen Mondlandschaft, dass bald ein regelrechter Bilderstreit darüber entbrannte, ob es sich bei der Mondlandung – in heutiger Sprache  – um fake news handelte und die ausgestrahlten Bilder in Wahrheit in »amerikanischen Wüsten des Staates Arizona bei Mondlicht«5 aufgenommen worden seien. Das Wunderbare war nicht der Mond, sondern das Bild der Erde, das sich aus dem kosmischen Rückblick bot: »Unerfindbar, schlechthin jede imaginative Vorwegnahme übersteigend, war während dieser astronautischen Dekade nur ein einziges Bild, das der Erde aus dem Raum. Versucht man die jahrhundertelange vorbereitende Imagination, die kosmische Neugierde ins Verhältnis zum Ereignis zu setzen, so war die ebenso unerwartete wie herzbewegende Peripetie der gigantischen Absetzung von der Erde dieses Eine, daß am Himmel des Mondes die Erde steht.«6

Anders gesagt: »Die Erde hat sich als kosmische Ausnahme erwiesen.«7 Nachgerade hymnisch mutet der Ton an, mit dem der Philo2  H. Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt: Typologie der frühen Wirkungen. Der Stillstand des Himmels und der Fortgang der Zeit, Frankfurt a. M. 1981. 3   A. a. O., 787. 4   A. a. O., 786. 5   A. a. O., 785. 6   A. a. O., 785 f. 7   A. a. O., 787.

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  241

soph seine Überlegungen zur Raumfahrt ausklingen lässt: »Die kosmische Oase, auf der der Mensch lebt, dieses Wunder von Ausnahme, der blaue Eigenplanet inmitten der enttäuschenden Himmelswüste, ist nicht mehr ›auch ein Stern‹, sondern der einzige, der diesen Namen zu verdienen scheint.«8 Satellitenbilder des blauen Planeten sind heute zur dauerverfügbaren Massenware geworden. Mithilfe von Software wie Google Earth kann jeder am Computer oder Smartphone über detaillierte Abbildungen der Erdoberfläche navigieren und den eigenen Standpunkt aus einer planetarischen Außenperspektive reflektieren. Es wäre reizvoll zu hören, in welche geistesgeschichtliche Großerzählung Hans Blumenberg die ubiquitäre Verfügung satellitengesteuerter Navigationsprogramme eingebunden hätte. Auf jeden Fall gehört das Bild vom »blauen Planeten« Erde zum kanonischen Bilderreservoir zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In dem bild- und auch tongewaltigen Science-Fiction-Drama »Gravity«9 aus dem Jahre 2013, mit den Schauspielern Sandra Bullock und George Clooney in den Hauptrollen, wird die Rückkehr der Hauptfigur Dr. Ryan Stone, gespielt von Bullock, aus dem durch und durch lebensfeindlichen Kosmos10 zur Erde mit Bildanleihen sowohl an die biblische Schöpfungsgeschichte als auch an die Evolution des Lebens erzählt. In der Schlusssequenz11 schält sich die Astronautin, die mit ihrer Kapsel in dem Gewässer einer paradiesisch anmutenden, urtümlichen Landschaft gelandet ist, aus ihrem Raumanzug und rettet sich an die Wasseroberfläche, wo sie ein kurzes Stoßgebet ausspricht. Während ihrer Befreiungsaktion schwimmt ein Frosch großformatig über die Leinwand, wie ein Zitat aus schematischen Darstellungen der Evolutionslehre, in denen Kaulquappen an Land kriechen und sich zu den ersten Reptilien entwickeln. Die Astronautin selbst schwimmt, am Ende ihrer Kräfte, zum Ufer und bleibt dort erst einmal liegen. Es ist ihr erster Moment der Schwerkraft seit langem, und sie lacht erheitert und überrascht auf, als sie sich erheben will und die enorme Macht spürt, die sie hinab zur Erde zieht. Schließlich richtet sie sich auf, die Kamera folgt ihrem in den Schlamm gesetzten Fuß nach oben, und da steht sie bzw. er: der 8

  A. a. O., 793 f.   Gravity, Alfonso Cuarón, US / UK 2013.   »Das ist das Weltall. Es kooperiert nicht.« Mark Watney, gespielt von Matt Damon, in: Der Marsianer. Rettet Mark Watney, Ridley Scott, UK 2015, TC: 02:12:55. 11   Gravity (s. Anm. 9), TC: 01:20:13 – 01:23.50. 9

10

242  Christopher Zarnow Mensch, trotz der Kraft, die ihn nach unten zieht, aufrecht, die Füße auf der Erde, den Kopf erhoben, den Blick in den Himmel gerichtet. Ein Urbild Adams bzw. Evas: jenes Wesens, das, wie schon der Titel des Blockbusters andeutet, auf die Erde und nicht in die unendlichen Weiten des Raumes gehört. Ein Wesen, dessen Gravität in der Bewältigung, aber nicht im Entfliehen der Schwerkraft besteht. Bilder der Erde, des blauen Planeten, werden filmisch oft in einer Weise in Szene gesetzt und musikalisch untermalt, die ästhetisch ergreifend sind und darauf abzielen, Erhabenheitsgefühle zu stimulieren. Bestes Beispiel dafür ist das Intro des kalifornischen Medienkonzerns »Universal Studios«, das mit der Darstellung eines Lichtkranzes hinter einer schwarzen Planetenkugel beginnt, dessen Strahlen – vom »Universal«-Schriftzug ausgehend – in der weiteren Sequenz die Kontinentalplatten der Erde von innen zu durchleuchten scheinen.12 Es dürfte kaum zufällig sein, dass sich der mit allen Wassern der Metapherntheorie gewaschene Philosoph Hans Blumenburg ausgerechnet einer religiösen Sprache bedient, wenn er die Erde als »Wunder ohne Ausnahme […] inmitten der […] Himmelswüste«13 bezeichnet. Die Ansicht des blauen Planeten löst Staunen, Faszination, ja Ehrfurcht aus. In seinen Blogs und Tweets dokumentiert der deutsche Astronaut Alexander Gerst in Echtzeit seine Impressionen aus dem Weltall. » ›Die Erde von außen zu sehen, hat einen neuen Horizont für mich eröffnet‹, sagte er bei der Pressekonferenz. Die Erkenntnis, wie verletzlich der blaue Planet tatsächlich ist, wolle er jetzt auf die Erde zurückbringen.«14 In das Staunen über die Erhabenheit und Schönheit von Wolkenformationen und Wetterlagen, von Lichterteppichen der Metropolen, die den nächtlichen Globus überziehen, von Gebirgsformationen oder blau-grünen Wellen des Polarlichtes mischt sich in den Kommentaren des Astronauten das Bewusstsein um eine kosmische Fragilität des Planeten. Zugleich, so lauten wiederkehrende Beschreibungen, wirke dieser aus der Distanz betrachtet so unberührt, als hätte die Menschheit noch keine Spuren auf ihm hinterlassen.

12   URL: https://www.youtube.com/watch?v=CBUZeRGofsY, zuletzt abgerufen am 24. 08. 2018. 13   Blumenberg, Genesis (s. Anm. 2), 793. 14   Stuttgarter Zeitung vom 08. 11. 2014. URL: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.astronaut-alexander-gerst-der-blick-auf-blue-dot-hat-ihn-veraendert.e7dd2615-e284-4ab7-9a99-9b91b6cf0375.html, zuletzt abgerufen am 24. 08. 2018.

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  243

Die durch Raumfahrt und Satellitenbilder vermittelte Außenperspektive auf die Erde eröffnet nicht nur in ästhetischer, sondern auch in ethischer Hinsicht neue Horizonte. In seinem »terrestrischen Manifest« forderte jüngst der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour eine radikale Rückbesinnung auf die Knappheit ökologischer Ressourcen und die Begrenztheit bewohnbarer Territorien des Planeten.15 Kritisch hält er einem Verständnis von Globalisierung, in dem sich das »moderne« Projekt einer unbegrenzten Ausdehnung bzw. Durchlässigkeit von Ländergrenzen, Wirtschaftszonen und Lebensräumen verdichtet, die These entgegen: »Die Erde, die groß genug wäre, seine [d. h. die von den Vertretern der Modernisierungstheorie propagierten, C. Z.] Ideale an Fortschritt, Emanzipation und Entwicklung in sich aufzunehmen, gibt es nicht.«16 Der pathetische Aufbruch in die »große, weite Welt«17 verkenne die faktische Begrenztheit der Lage: Der Planet Erde in seiner physischen Materialität tauge nicht als »Globus der Globalisierung«.18 Eine zynische Art und Weise, diesen Sachverhalt zu realisieren, offenbarte sich nach Latour im Ausstieg des amerikanischen Präsidenten Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen: » ›Wir Amerikaner gehören nicht zu derselben Erde wie ihr. Eure mag bedroht sein, unsere nicht!‹ […] Das Ideal einer gemeinsamen, auch vom bisher so bezeichneten ›Westen‹ geteilten Welt gibt es nicht mehr.«19 Zwischen den Themen des Klimawandels, der weltweiten Migration sowie des Anstiegs sozialer Ungleichheiten bestehe ein innerer Zusammenhang, der gerade von denen begriffen worden wäre, die ihn leugnen, um die Solidarität mit den anderen Erdbewohnern aufzukündigen und sich innerhalb neu errichteter nationaler Grenzmauern abzuschotten. Die »obskurantistischen Eliten« hätten begriffen, »dass sie nur überleben können, wenn sie erst gar nicht mehr den Anschein erwecken, als würden sie die Erde mit dem Rest der Welt teilen wollen.«20 Diesem zynischen Ausstieg aus dem »Globalisierungsspiel«21 hält Latour eine neue Form von Solidarität bzw. Universalität der Planetenbewohnerinnen und -bewohner entgegen, »die völlig pervers (a wicked universality) und zugleich die 15

  B. Latour, Das terrestrische Manifest, Berlin 2018.   A. a. O., 25. 17   A. a. O., 36. 18   A. a. O., 25. 19   A. a. O., 11. 20   A. a. O., 28. 21   A. a. O., 12. 16

244  Christopher Zarnow einzige ist, über die wir noch verfügen […]. Die neue Universität ist das Empfinden, dass einem der Boden unter den Füßen wegsackt«22 bzw. anders formuliert, »dass alle mit einem allgemeinen Mangel an teilbarem Platz und bewohnbarer Erde konfrontiert sind.«23 In den Worten der Latour-Rezensentin Elisabeth von Thadden: »Heimatlos sind wir alle.«24 Latour setzt der von Blumenberg pathetisch beschriebenen »Absatzbewegung« von der Erde aus dem Weltraum gleichsam eine ideologiekritische Gegenlektüre entgegen. Der in der neuzeitlichen Wissenschaft mit der Absetzung von der Erde gewonnene Distanzgewinn (»the view from nowhere«, vom »Großen Draußen« aus25) führte zu einem epistemischen Ideal der Objektivität und Teilnahmslosigkeit, stehe damit aber in der Gefahr, gerade das Naheliegende und Wesentliche aus dem Blick zu verlieren: das von Latour sogenannte »Terrestrische« im Sinne der »von der Erde aus erschaute[n] Natur«26 (im Unterschied zu der vom Universum heraus erschauten »planetarischen« Sicht auf die Erde). Das terrestrische Manifest versteht sich in diesem Sinne als Kampfschrift für eine politische und epistemologische Rückkehr zur Erde, zu einem im wörtlichen Sinne »bodennahen« Realismus: »Tatsächlich beschränkt sich das, was es von  […] dem Terrestrischen vom Weltraum aus zu erkennen gilt, überraschenderweise auf die kleine, einige Kilometer umfassende Zone zwischen Atmosphäre und Muttergestein: auf einen dünnen Film, Firnis, eine zarte Hülle, vielfach gefaltete Schichten. Reden wir nur weiter von der Natur im Allgemeinen, geraten wir vor der Größe des Universums in Entzücken, tauchen gedanklich ein ins Zentrum des Planeten, lassen uns angesichts der unendlichen Räume erschrecken: Letzten Endes beruht alles, was uns betrifft, auf dieser winzigen Kritischen Zone.«27

Das terrestrische Manifest versucht die Erde nicht aus der einer extraterrestrischen Außenperspektive, sondern vom Boden her zu denken – letztlich vom Staub und Humus.28 Das mutet archaisch an und 22

  A. a. O., 18.   A. a. O., 17. 24   URL: https://www.zeit.de/2018/27/das-terrestrische-manifest-bruno-latour-rezension, zuletzt abgerufen am 25. 08. 2018. 25   Latour, Das terrestrische Manifest (s. Anm. 15), 81. 26   A. a. O., 83. 27   A. a. O., 92. 28   Vgl. a. a. O., 101, 107. Zur konkreten Materialität der Erde im Gegensatz zur »Ungegenständlichkeit« der Welt vgl. M. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks (1936), in: ders., Holzwege (HGA 5), Frankfurt a. M. 1957, 7 – 68. Vgl. auch H. Timm, Zwischenfälle. Die religiöse Grundierung des All23

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  245

weckt unwillkürlich Assoziationen an den biblischen Mythos von der Erschaffung Adams: »Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden« (Gen 3,19b). Ganz ähnlich klingt das Bekenntnis des materialistischen Philosophen: »Wir sind Erdverbundene inmitten von Erdverbundenen.«29 Und nachgerade weihevoll wird der Ton, wenn er schreibt: Der »Boden lässt sich nicht aneignen. Man gehört ihm, er gehört niemanden.«30 Gleichwohl betreibt Latour keine romantizistische oder gar völkische Bodentümelei. Die »Landung« bzw. »Erdung«, die er beschwört, hat ihre Pointe vielmehr darin, eine geo- und klimapolitische Perspektive zu eröffnen, die eine Haltung der Teilnahmslosigkeit von vornherein unmöglich macht. Der Begriff des »Bodens« fungiert dabei als epistemologische31 und existenzielle Ur-Metapher: »Erdgeschöpfe«32 sind an den Boden gebundene Wesen. Allerdings scheint es notwendig zu sein, den modernen, gleichsam vom Boden abgehobenen Menschen33 daran zu erinnern, sich zu »erden« bzw. auf dem Erdboden zu landen. Diese Erinnerung nimmt bei Latour die Gestalt eines Katalogs von Fragen an, die er in direkter Anrede seinen Leserinnen und Lesern stellt: »Woran hängen Sie am meisten? Mit wem können Sie leben? Wessen Überleben hängt von Ihnen ab? Gegen wen werden Sie kämpfen müssen? Wie lassen sich alle diese Agentien und Akteure ihrer Wichtigkeit nach in eine Rangfolge bringen?«34 Die Pointe von Latours sprachgewaltigen und metaphernreichen Ausführungen – die an dieser Stelle bloß wiedergeben, aber nicht im Einzelnen kritisch kommentiert werden sollen – liegt in der Neuvermessung des Feldes der Klimapolitik, in der er das Zentrum gegenwärtiger geopolitischer Herausforderungen erblickt. Der Blick auf den blauen Planeten, der durch die Raumfahrt ermöglicht und von Blumenberg so hymnisch beschrieben wurde, mag ästhetisch faszinieTags, Gütersloh 1983, 23: »Nur in der Phantasie hat die von Kopernikus vollzogene Verwandlung des geozentrischen ins heliozentrische Weltbild stattgefunden. Sie entrückt uns gedanklich auf die Sonne, um von dort aus den Erdball rotieren zu sehen, auf dem wir bodenständige Wesen doch nach wie vor unser Leben führen.« 29   Latour, Das terrestrische Manifest (s. Anm. 15), 101. 30   A. a. O., 107. 31  »In Schwerelosigkeit nach Emanzipation zu streben verlangt andere Qualitäten, als tief grabend sich emanzipieren zu wollen« (a. a. O., 95). 32   A. a. O., 97. 33  »In der Modernität vorwärtskommen hieß, sich vom ursprünglichen Boden losreißen und den Weg zum großen Außen einschlagen« (a. a. O., 85). 34   A. a. O., 111.

246  Christopher Zarnow rend sein. In ethischer Hinsicht habe er aber nicht dazu geführt, dass die solcherart kosmologisch selbst-reflektierte Menschheit sorgsamer mit der Erde umgehen und klimapolitisch das Ruder herumreißen würde. Viel eher habe die Faszination für eine Perspektive der Ferne und Distanz zu einer Vernachlässigung der Pflege des eigenen Bodens geführt. In dieser Hinsicht stehe die »Landung auf der Erde«35 noch aus.

2.  Die Erde, Schiff der Menschheit »Gott ist im Himmel und du auf Erden« (Koh 5,1) – so lautet die kürzeste Formel der biblischen Topographie. Offensichtlich mussten schon die Menschen des Alten Testaments an ihren Platz im Universum erinnert werden. Adam  – hebräisch für Mensch  – kommt von Adamah – hebräisch für die Erde. Der Mensch ist ein Erdling. Nach der zweiten biblischen Schöpfungserzählung wurde er aus Erde geformt und durch Einhauchung mit göttlichem Odem belebt und beseelt. Die Bindung an die Erde steht nach dem biblischen Mythos in Verbindung mit dem Last- und Plagecharakter des Daseins: »Mit Mühsal sollst du dich [vom Acker] nähren ein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist.« (Gen 3,17b – 19a) Die Erde ist der Acker, der Boden, den es zu bestellen gilt, um zu überleben. Und sie ist zugleich die Substanz, aus der der Mensch gemacht ist. Adam – das ist ein Stück belebte Erde, vorübergehend in Form gebracht, um final von der Oberfläche im Erdboden zu verschwinden. Die Erde gilt in der Mythologie vieler Religionen als fruchtbarer Mutterschoß, der Leben empfängt und gebiert.36 Die Erde wird als eigenständige Schöpfungs- und Erhaltungsmacht verehrt oder als (oft weiblich personalisierte) Gottheit angebetet. Dagegen betonen die biblischen Autoren, dass die Erde an sich selbst keine göttlichen Qualitäten hat: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1). Wie der Himmel (s. unten) gilt auch die Erde aus biblischer Sicht nicht als eigenständige göttliche Schaffenskraft, sondern als Geschöpf. Gleichwohl findet sich auch in der Auslegungsgeschichte 35

  Vgl. a. a. O., 15, 104 u. ö.  Vgl. C. Olson, Erde, religionswissenschaftlich, RGG4 (1999), Bd. 2, 1397 – 1399. 36

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der biblischen Religion eine reiche Tradition, in der die Erde zwar nicht selbst vergöttlicht, wohl aber zum Gegenstand frommer Naturbetrachtung gemacht wird. Der junge Schleiermacher führt seine Leserinnen und Leser an die Thematik der Religion über das Staunen angesichts erhabener Naturerscheinungen heran. Was ist es, fragt er, »mit jenen Schönheiten des Erdballs, welche der kindliche Mensch mit so inniger Liebe umfaßt. Was ist jenes zarte Spiel der Farben, das Euer Auge in allen Erscheinungen des Firmaments ergötzt und Euren Blick mit so vielem Wohlgefallen festhält auf den lieblichsten Produkten der vegetabilischen Natur?«37

Die Antwort des Frühromantikers lautet: Es ist der »Sinn und Geschmack fürs Unendliche«,38 der durch die Darstellungen vergänglicher Naturschönheit affiziert wird. In den Einzelerscheinungen der Natur geht dem religiös gestimmten Geist die Idee eines größeren Ganzen auf. Er sieht sich in einen »allgemeinen Naturzusammenhang«39 gestellt. Im Bewusstsein dieses Naturzusammenhangs erblickt Schleiermacher die rudimentäre Grundlage aller religiösen Weltdeutung, oder mit seinen eigenen Worten, des »fromme[n] Naturgefühl[s] im allgemeinen«.40 Allerdings bildet die äußere Natur nur eine propädeutische Vorstufe, einen »Vorhof«41 der eigentlichen Religion. In seiner frommen Naturbetrachtung bleibt der menschliche Geist gleichsam noch auf der ästhetischen Oberfläche. Noch tiefer vermag er aber in den Zusammenhang aller Dinge einzudringen  – und damit auch noch eine tiefere Selbst- und Weltanschauung zu finden. Eine solche vertiefte Anschauung gewinnt er, indem er sich von dem Bereich der nicht-menschlichen Natur der Betrachtung der Menschwelt zuwendet. Schleiermacher gibt im frühromantischen Duktus dem biblischen Mythos von Adam und Eva wieder: »Solange der Mensch allein war mit sich und der Natur, waltete freilich die Gottheit über ihm, sie sprach ihn an […], aber er verstand sie nicht, […] der Sinn für die Welt ging ihm nicht auf […]. Da erkannte die Gottheit, daß ihre Welt nichts sei, solange der Mensch allein wäre, sie schuf ihm die Gehilfin, […] und nun erst ging seinen Augen die Welt auf. In dem Fleische von seinem Fleische und Bein von seinem Beine entdeckte er die Menschheit, und in der 37   F. D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), hg. v. R. Otto, Göttingen 1991, 68 (80). 38   A. a. O., 51 (53). 39  F. D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube (1830), 1. Bd., hg. v. M. Redeker, Berlin 1960, 180. 40   A. a. O., 183. 41   Schleiermacher, Über die Religion (s. Anm. 37), 71 (86).

248  Christopher Zarnow Menschheit die Welt […]. [D]enn um die Welt anzuschauen und Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe.«42

Das fromme Naturgefühl ist nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur wahren Religion. Diese findet ihr eigentliches Anschauungsfeld im Gebiet der Menschheit. Denn nicht nur ist jedes einzelne menschliche Individuum bei näherer Betrachtung bereits ein »Kosmos« bzw. »Universum« für sich, sondern darüber hinaus erweist es sich darin auch als einmalige Manifestation der allgemeinen Idee der Menschheit. Der gereifte religiöse »Sinn für die Welt« besteht folglich in der Empfänglichkeit für eben diese Idee. Nach ihr, der »ewige[n] Menschheit«43 ist zu suchen »in jedem einzelnen […] als eine Offenbarung von ihr an Euch«.44 In den Darstellungs- und Entfaltungsformen des menschlichen Lebens findet die Religion ihr eigentliches Anschauungsmaterial, ihren »Stoff«.45 Vor diesem Hintergrund erfährt dann auch das fromme Naturgefühl noch einmal eine neue Interpretation. Nicht die Erde an sich, sondern die Erde als Lebensraum der menschlichen Gattung ist es, die den eigentlichen Gegenstand des religiösen Weltbewusstseins bildet. In den einleitenden Passagen der Schöpfungslehre vollzieht Schleiermacher die einzelnen Momente nach, in denen sich dieses Bewusstsein aufbaut. Das erste und grundlegende Aufbaumoment besteht demzufolge im Bewusstsein der Leiblichkeit der eigenen Existenz. Der Mensch als geistiges Wesen erfährt sich gebunden an eine äußere und innere Natur, von der er sich im Geist freilich auch immer schon zu unterscheiden vermag. Er findet sich selbst vor unter der Doppelbestimmung, als Geist- zugleich ein Naturwesen zu sein – und umgekehrt. Mit der Leiblichkeit der eigenen Existenz ist aber zugleich – so das zweite Aufbaumoment  – eine Sphäre der Wechselwirkungen gesetzt, die auf den Leib ein- und auf die dieser zurückwirkt. Diese Sphäre ist darin aber »nicht mit einer Grenze gesetzt und also […] alles endliche Sein in de[r]selben mitgesetzt«.46 Schließlich, drittens, kommt nun noch einmal ein neuer und entscheidender Gedanke ins

42

  A. a. O., 72 f. (88 f.).   A. a. O., 76 (92).   A. a. O., 74 (90 f.). 45   A. a. O., 73 (89). 46   Schleiermacher, Der christliche Glaube (s. Anm. 39), 181. S. dazu auch unten, Abschnitt 4. 43 44

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Spiel. Der »Ich-Sager«47 Mensch vermag nicht nur ein Bewusstsein seiner eigenen Ich-Identität auszubilden. Er kann sich mit der kollektiven Identität einer Gruppe von Individuen identifizieren, ja letztlich sogar die Idee einer universellen Menschheit fassen, als deren exemplarischer Repräsentant er sich selbst begreift. Mit dieser Idee ist dann aber zugleich – sozusagen auf der Naturseite der menschlichen Gattung – »die ganze Erde [hvg. CZ] teils als Habe, teils als Entgegengesetztes mitgesetzt«.48 Die geläufige Metapher von der Erde als »(Raum) Schiff«49 – teilweise apokalyptisch umgedeutet als Titanic50 – variiert dasselbe Thema. Denn auch hier liegt der springende Punkt auf der Menschheit, welche die »Besatzung« bzw. »Mannschaft« dieses Schiffes stellt. Der blaue Planet ist eben nicht einer neben anderen – er ist »unser« Planet. Mit seinen bildlichen Darstellungen verbindet sich unwillkürlich eine Art Wir-Gefühl. Hierin liegt womöglich auch der Grund für die Faszination und die fast schon religiöse Aura dieser Bilder: Sie zeigen eben nicht nur Ozeane und Kontinente, sondern verweisen darin und darüber hinaus auch auf etwas, was sich der unmittelbaren Darstellung entzieht: Sie veranschaulichen auf symbolisch vermittelte Art und Weise die Idee der (einen) Menschheit. Aus dem Weitwinkel des Weltraums betrachtet zoomt die Erdbevölkerung zu einer planetarischen Wohngemeinschaft zusammen.

3.  Taghimmel, Nachthimmel Während der – durch technische Bildübertragung vermittelte – Blick auf den Planeten Erde aus dem Abstand des Weltalls erst durch die Raumfahrt möglich wurde, gehört der Blick in den Himmel und die Beobachtung der Himmelskörper zu den bildlichen Urszenen der Menschheit. Von der Erde aus schweift dieser Blick zur Linie des Horizontes, an dem sich Himmel und Erde berühren. So gesehen gehört der Himmel immer schon zur Erde bzw. genauer: Er bildet mit seinen Wolkenformationen und Himmelskörpern eine zweite Topo47   Vgl. E. Tugendhat, Egozentrizität und Mystik. Eine anthropologische Studie, München 2003. 48   Schleiermacher, Der christliche Glaube (s. Anm. 39), 181. 49   Vgl. S. Höhler, Spaceship Earth in the Environmental Age, 1960 – 1990, London / New York 2016. 50  Vgl. Latour, Das terrestrische Manifest (s. Anm. 15), 28.

250  Christopher Zarnow graphie, die, wie die Topographien der Erde, beobachtet, vermessen und kartiert werden kann. Zugleich gilt der Himmel als Symbol der Unermesslichkeit schlechthin. Denn sein Horizont verschiebt sich mit jedem Schritt, mit dem man auf ihn zugeht. Und auch der Blick nach oben – hinein in die Höhe bzw. Tiefe des Himmels – gibt den Augen keinerlei Anhaltspunkt für eine vertikale Grenze. Die unermessliche Weite und Höhe des Himmels affizieren von jeher zu religiösen Symbolbildungen.51 »Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken«, heißt es bei Deuterojesaja (Jes 55,8 f.). Die Höhe des Himmels gegenüber der Erde gilt dem Propheten als Analogie für die Hoheit des göttlichen Ratschlusses, den zu ergründen das menschliche Vermögen gänzlich übersteigt. Neben der »Höhe« kann auch die »Weite« des Himmels als Symbol der Welttranszendenz Gottes genommen werden: »Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit so weit die Wolken gehen«, heißt es in Psalm 36,6. Die Weite des Himmels und des Wolkenzugs dient als Vergleich für die Unermesslichkeit der Güte und Wahrheit Gottes. Von da aus kann der Himmel auch selbst als Wohnsitz Gottes bezeichnet werden: »Der Herr hat seinen Thron im Himmel errichtet« (Ps 103,19). Der Mensch ist auf der Erde, Gott im Himmel – so lautet, wie erwähnt, die Kurzformel der biblischen Topographie: »Warum sollen die Heiden sagen: Wo ist denn ihr Gott? Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will« (Ps 115,2 f.). Aber das Symbol des Himmels bleibt  – um eine Formulierung Hans Blumenbergs aufzugreifen  – inhaltlich zutiefst zweideutig.52 Neben der aufgezeigten Linie, nach der der Himmel als ein religiöses Symbol der Transzendenz gilt, gibt es eine zweite, welche die Zugehörigkeit von Himmel und Erde und damit zugleich die Geschöpflichkeit des Himmels betont. »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« – so heißt es gleich in den ersten Worten der Genesis. Der Himmel und vor allen Dingen auch alle Himmelskörper gehören der Sphäre des Geschaffenen an, der Gott insgesamt als ihr Schöpfer gegenübersteht. »Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen«, heißt es im Tempelweihgebet Salomos (1 Kön 8,27). Gott 51   Vgl. zum Folgenden U. Barth, Mitschrift zur Dogmatik (unveröffentlichtes Manuskript), Halle / Berlin 2015, 61 – 63. 52  Vgl. Blumenberg, Genesis (s. Anm. 2), 9 – 11.

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transzendiert den Himmel, ist »höher als der Himmel« (Hiob 11,8), ist durch keine Grenze des Himmels eingeschränkt. So lassen sich zwei gegenläufige Linien in der Bibel identifizieren: Nach der einen wird die Geschöpflichkeit des Himmels und die Himmelstranszendenz des Schöpfers betont, der in ewiger Erhabenheit über Raum und Zeit steht. Nach der anderen dient der Himmel selbst als ein religiöses Symbol für die Weltüberlegenheit Gottes – bis hin zur Identifizierung des Himmels mit seinem Wohnsitz. Die biblischen Aussagen stehen in der Spannung zwischen Metaphorisierung und schöpfungstheologisch motivierter Depotenzierung des Himmels. Diese angezeigte Zweideutigkeit wird von einer zweiten überlagert. Phänomenologisch ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem Blick in den Tag- und in den Nachthimmel.53 Beide zeigen sich dem Betrachter auf gänzlich andere Art und Weise und sind auch in den biblischen Texten mit unterschiedlichen Assoziationen belegt. So ruft der Psalmist am Tage zum Lob des Herren »vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang« (Ps 113,3) auf. Der Tag ist die Periode des Schaffens, der Tätigkeit und Wachheit. Er ist ein Geschöpf des Lichtes, der Sonne, die in ihrem Lauf »ewig bestehen soll« (Ps 89,37).54 In den Aussagen über die Sonne wiederholt sich dabei die eben beobachtete Doppeldeutigkeit: Einerseits gilt sie – wie Mond und Sterne – als Geschöpf: »Der große Lichter gemacht hat, denn seine Güte währet ewiglich: die Sonne, den Tag zu regieren, denn seine Güte währet ewiglich« (Ps 136,7 f.). Auf der anderen Seite kann die Sonne vereinzelt auch selbst zum Bildnis Gottes werden: »Denn der Herr ist Sonne und Schild« (Ps 84,12). Eine gänzlich andere Himmelsanmutung bietet sich dem nächtlichen Betrachter. Der Blick fällt auf den Mond und die Sterne, die sich als Leuchtpunkte von der Schwärze ihres Hintergrunds abheben. Es ist der Nacht-, nicht der Taghimmel, den betrachtend der Beter des achten Psalms in tiefe Reflexionen über das Wesen der menschlichen Existenz versinkt: »Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, 53   Ich danke Michael Moxter für seine diesbezüglichen mündlichen Anmerkungen. 54   Allein 27 Belege der Wendung »unter der Sonne« finden sich beim Prediger (Kohelet). Mit der All-Täglichkeit des Sonnenlaufs verbindet sich hier eine melancholische Note, eine Einsicht in die Vergeblichkeit aller Mühen angesichts der ewigen Wiederkehr des Gleichen: »Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne« (Koh 1,9).

252  Christopher Zarnow dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?« (Ps 8,4 f.) Die Reflexionsbewegung nimmt ihren Ausgang bei den Gestirnen, die sich dem nächtlichen Himmelsbeobachter zeigen, schreitet von ihnen fort zum Gedanken desjenigen, dessen »Werk« sie sind, um schließlich beim Betrachter selbst zu landen. Das Bewusstsein von dessen eigener Geschöpflichkeit baut sich also durch mehrere Vermittlungsstufen auf: zunächst durch die Deutung der beobachteten Himmelskörper nicht selbst als Gottheiten, sondern als Ausdruck des Wirkens einer unsichtbar bleibenden Schöpfermacht, die gleichsam »hinter« ihnen steht. In den sich so aufspannenden Horizont eines universalen Kreatürlichkeitsbewusstseins stellt sich der fromme Betrachter des Nachthimmels dann selbst hinein; allerdings nicht als singuläre Größe, sondern als ein Exemplar derjenigen, nämlich der menschlichen Gattung, die zu solcher Reflexionsbewegung überhaupt fähig ist. Im Jahre 2001 veröffentlichte die Hamburger Band Blumfeld ihr viertes Studio-Album mit dem Titel Testament der Angst. Auf ihr findet sich das Lied »Eintragung ins Nichts«, das der Sänger, Jochen Distelmeyer, auf Konzerten gern lapidar mit den Worten kommentiert: »Das sind die Fakten.« Im Liedtext heißt es: »Eintragung ins Nichts: wir kommen ungefragt und gehen ungefragt […] Eintragung ins Nichts – das sind wir unbemerkt und schon vergessen Eintragung ins Nichts – verrat mir wer sollte uns vermissen? die Welt in der wir leben wird zugrunde gehen wir haben nichts mehr zu verlier’n nur das Glück und das sagt wir.«55

Das hier besungene »Nichts« wird nicht auf das Bild des Nachthimmels zurückbezogen. Wohl nicht von ungefähr: Es handelt sich, im Bild gesprochen, um eine Nacht ohne Sterne. »Der Himmel ist kaputt, die Träume stehen leer«, heißt es an anderer Stelle bei Blumfeld.56 Das menschliche Dasein erscheint als ein kontextloser Ausschnitt, in existenzialistischem Duktus ließe sich sagen: als ein aus dem Nichts ins Nichts Geworfensein. Die Haltung des Ichs, das sich innewird, im letzten ein Nichts zu sein, erscheint dabei weniger trotzig als vielmehr zutiefst nüchtern. Eben: Es bilanziert die Fakten. Aus nichts kommen

55

  Blumfeld, Eintragung ins Nichts, Album: Testament der Angst (2001).   Blumfeld, Tics, Album: Verbotene Früchte (2006).

56

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  253

wir, in nichts gehen wir, und dazwischen spielt sich die kurze Episode der Existenz ab.57 Das Bewusstsein der eigenen Nichtigkeit kann als eine extreme Steigerungsform von Endlichkeitsreflexion verstanden werden. Auch in den Texten des Alten Testaments – auf die entsprechenden Stellen beim Prediger wurde bereits hingewiesen – spricht es sich aus: »Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben« (Ps 39,6b). Auch angesichts des nächtlichen Sternenhimmels mit seinem Eindruck von unendlicher Tiefe und Weite kann sich die Erfahrung einer kosmischen Bedeutungslosigkeit, ja Nichtigkeit der eigenen Existenz einstellen. Aber solch ein Bewusstsein gibt es doch nur für einen Geist, der, wie das Beispiel von Psalm 8 zeigt, seine Stellung im Kosmos reflektieren kann – und sich darin selbst transzendiert, sich sogar zu der Idee eines Gottes, der noch hinter den unendlichen Weiten des Weltalls steht, aufschwingen kann. Darin liegt eine tiefe Spannung, ja Paradoxie: »Im Akte des Naturerkennens erscheint der Mensch als Gott verwandter Geist, nach dem Inhalt des Naturerkennens droht er einem Stücke Lava im Monde gleichartig zu werden. Die Gotteserkenntnis, die in der Naturerkenntnis aufgeht, löst diesen Widerspruch nicht auf, sondern läßt uns in ihm schweben.«58

Was ist der Mensch, auf den der Blick des Betrachters des nächtlichen Sternenhimmels zurückfällt? Er ist ein Wesen, das sich seiner Endlichkeit innewird, indem es sich über seine Endlichkeit erhebt. Im nächtlichen Sternenhimmel reflektiert sich beides: kosmische Bedeutungslosigkeit und gottgleiche Geistigkeit des menschlichen Erdendaseins.

57  Als Sinndeutungen der Existenz, die einen letzten Sinn der Existenz gerade verneinen, bleiben dem Ich nur Sinnversprechen mittlerer Reichweite. Als zentrales Motiv in den Songtexten von Blumfeld begegnet dabei immer wieder das Motiv der Liebe, im Zitat angezeigt durch das »wir«, das erste und letzte Wort des Glücks. 58  E. Hirsch, Christliche Rechenschaft, Bd. 1, Tübingen 1989, 176.

254  Christopher Zarnow

4.  Die Welt als Schöpfung und das religiöse Weltbewusstsein Wenden wir uns, nachdem wir zunächst die Ausdrücke »Erde« und »Himmel« in ihren symbolischen und biblischen Bezügen je für sich interpretiert haben, dem Schöpfungsgedanken im engeren Sinne zu und binden damit unsere Darstellung zugleich an die dogmatische und religionsphilosophische Auslegungstradition zurück. »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1), lauten die ersten Worte der Bibel. Gott wird hier als ein Schaffender bezeichnet, und »Himmel und Erde« als Werk seines Schaffens. Gemeinsam konstituieren sie die Sphäre des Geschaffenen, und zwar so, dass damit die Gesamtheit eben dieser Sphäre bezeichnet ist. Wenn im ersten Satz der Genesis von »Himmel und Erde« die Rede ist, dann ist damit folglich schlechthin »Alles« gemeint, was existiert, und den Grund seiner Existenz dem göttlichen Schaffen verdankt. Anders formuliert: Die Wortverbindung Himmel und Erde ist ein religiöses Symbol für dasjenige, »was in der Metaphysik Welt heißt«59. Der Gedanke der Schöpfung setzt also den Gedanken einer »Welt« aus sich heraus, wie umgekehrt die so gedachte Welt ursprünglich als eine geschaffene qualifiziert ist. Das ist, wenn man so will, der axiomatische Grundsatz aller monotheistischen Kosmologie. Von daher verschiebt sich auch der symbolische Gehalt von »Himmel« und »Erde« noch einmal in eine neue Dimension. Ihr begrifflicher Zusammenschluss meint mehr als die Addition zweier Seinsbereiche, Topographien oder Elemente. Gesagt werden soll vielmehr: Es gibt keinen Winkel in der Weite des Seins, dem gegenüber dem Einen, nämlich Gott, dem Schöpfer, eine selbständige oder gar gleichrangige Existenz zukäme. Alles ist vielmehr von der Aussage eingeschlossen, integraler Teil der von ihm geschaffenen Welt zu sein. Darin ist zunächst ein unendlicher qualitativer Unterschied festgehalten: Die Welt ist selbst nicht Gott. Ihr kommt an sich keinerlei göttliche Würde zu. Sie hat einen Anfang und ein Ende, ist selbst nicht ewig. Sodann: Sie hat ihren Grund (wohlgemerkt: Grund meint etwas anderes als Ursache, s. unten Abschnitt 5) nicht in sich selbst, sondern in Gott, ihrem Schöpfer. Welthaftes Dasein ist abhängiges, immer nur relativ selbständiges Dasein. Wir kommen auf diesen Punkt gleich noch näher zu sprechen. Schließlich rechnet »die christliche Kosmologie […] 59

  Barth, Mitschrift zur Dogmatik (s. Anm. 51), 60.

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  255

mit einer bestimmten Doppelgesichtigkeit der Welt«.60 Dem Urteil ihres Schöpfers: »Und siehe, es war sehr gut« (Gen 1,31), stehen dualistische Aussagen vor allem aus dem Umkreis der johanneischen Schule gegenüber: »Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist« (1 Joh 2,15). Der Kosmos gilt hier geradezu als Sphäre der Widergöttlichkeit: »Die Welt kann den Geist der Wahrheit nicht empfangen« (Joh 14,17). Der qualitativ unendliche Unterschied von Gott und Welt wird zum Gedanken einer Gegnerschaft der Welt gegenüber der göttlichen Wahrheit zugespitzt. Im Gedanken der Welt wird eine umfassende Totalität, eben die Ganzheit von »Himmel und Erde«, gedacht, die alles, was der Fall ist, in sich einschließt. Der so bestimmte Weltbegriff ist grundsätzlich zu unterscheiden von seinen semantischen Derivaten wie Umwelt, Lebenswelt, menschliche Mitwelt. Letztere verweisen auf Seinsbereiche innerhalb der Welt. Die Welt als solche fällt aber nicht unter ihren eigenen Begriff. Sie ist empirisch vielmehr gar nicht vorfindlich. Menschliches Bewusstsein des In-der-Welt-Seins baut sich zwar über konkrete Vorfindlichkeiten und empirische Tatsachen auf, aber die Vorstellung von der Welt als solcher ist eine ideelle Konstruktion. Strenggenommen müsste man sogar präzisieren, dass wir die Ganzheit aller Dinge, die wir als Welt bezeichnen, nicht nur nicht wahrnehmen, sondern nicht einmal denken können  – zumindest nicht mit Mitteln des empirischen Verstandesgebrauchs. Denn alles bestimmendes Denken verfährt begrifflich differenzierend, kann damit aber niemals den Gedanken einer Ganzheit ihrem materialen Gehalt nach fassen. Daher bestimmt Kant den Status der Welt präzise als Status einer Idee.61 Wir bilden darin die Vorstellung eines Inbegriffs aller Dinge bzw. aller empirischen Sachverhalte. Dabei handelt es sich aber nicht um einen analytisch zerlegbaren Gegenstand unseres Verstandes, sondern um eine ideelle Sinnkonstruktion der Vernunft. Die angemessene bildliche Metapher für diese an sich selbst nicht begrifflich bestimmbare Idee der Welt ist der Horizont. Er beschreibt zugleich die Linie, in der sich Himmel und Erde berühren, und die Grenze des optischen Wahrnehmungsfeldes. Über den Horizont hinaus können wir nicht sehen. Seine Grenze verschiebt sich vielmehr mit jedem Schritt, den wir auf ihn zugehen. 60

 W. Trillhaas, Dogmatik, Berlin / New York 1980, 139.   »Ich nenne alle transzendentalen Ideen, sofern sie die absolute Totalität in der Synthesis der Erscheinungen betreffen, Weltbegriffe«, I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998, 514 (A 407 / B 434). 61

256  Christopher Zarnow Menschliches Dasein heißt: In-der-Welt-sein.62 Auch das religiöse Bewusstsein des Menschen – von Schleiermacher gefasst als »Gottesbewusstsein« bzw. Bewusstsein einer »schlechthinnigen Abhängigkeit«63  – schließt von daher ein Moment der Weltbezogenheit in sich ein, ja gewinnt von letzterem her überhaupt erst seine spezifische Signatur. Wie ist das Verhältnis von Gott-, Selbst- und Weltbewusstsein aber näher zu bestimmen? Schleiermachers diesbezügliche These lautet, dass das religiöse Gottesbewusstsein dann »am vollständigsten [ist], wenn wir uns in unserm Selbstbewußtsein mit der ganzen Welt identifizieren und auch so noch, gleichsam als diese, nicht minder abhängig fühlen«.64 Diese These wirft zwei Fragen auf: (1.) Was bedeutet es, sich im Selbstbewusstsein mit der Welt zu identifizieren bzw. das Selbstbewusstsein, wie es an anderer Stelle heißt, zum Weltbewusstsein zu »erweitern«65? (2.) Worin genau besteht der angezeigte Zusammenhang zwischen Weltbewusstsein und religiösem Abhängigkeitsgefühl, und wie ist er begründet? Ad 1.) Der Weltgedanke ist, wie oben bereits bemerkt, der Gedanke einer Totalität alles Seienden. Er baut sich nach Schleiermacher synthetisch auf, insofern »wir in Gedanken alles in der Erscheinung Getrennte und Vereinzelte verbinden und mittelst dieser Verknüpfung alles als Eines setzen«.66 Das Bewusstsein verbindet durch die Vorstellung von Verbindung bzw. eines Verbundenseins alles »Getrennten und Vereinzelten« zu einem »allgemeinen Naturzusammenhang«.67 Dieser »gesamte Naturzusammenhang oder die Welt« ist aber – und damit gibt Schleiermacher seiner Argumentation nun gleichsam eine phänomenologische Wendung  – in jedem Akt des Selbstbewusstseins als dessen umfassender Bestimmungshorizont »mitgesetzt«.68 Der dahinterstehende Gedanke lässt sich identitätstheoretisch rekonstruieren: Konkrete Subjektivität ist ein Kontextphänomen. Das Ich gewinnt seine Identität durch Bezugnahme auf ein ihm anderes, von dem es sich bezugnehmend zugleich unterscheidet. Der jeweilige Vermittlungskontext des Selbstbewusstseins kann dabei durch Identifikationsleistungen sukzessive erweitert werden: Das Indivi62   Zur phänomenologischen Auslegung dieser Struktur vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1993, 52 – 54. 63   Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube (s. Anm. 39), 23 – 25. 64   A. a. O., 228. 65   A. a. O., 181. 66   A. a. O., 228. 67   A. a. O., 180. 68   A. a. O., 181.

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  257

duum kann seine Identität aus der Identifikation mit einer bestimmten Gruppe, einer Entität oder Idee (wie der Idee einer allgemeinen Menschheit) oder eben, als äußerte Möglichkeit der Selbstreflexion, mit dem »All-Einen«69 der Welt beziehen. Schleiermachers Pointe ist nun aber, dass ein solcher Bezug auf das Weltganze auch implizit in jeder bloßen Teil-Identifikation des Selbst – die ja immer eine Identifikation mit ihrerseits »welthaften« Größen ist – enthalten ist. Die einzelnen kontextuellen Vermittlungsstufen des Selbstbewusstseins weisen nämlich über jeweils noch umfassendere Zusammenhänge hinaus und enthalten diese folglich als implizite Anlage bereits in sich. So gesehen ist jeder Fall von Selbstbewusstsein zugleich ein Fall von Weltbewusstsein, wenn auch, je nach Explikationsgrad der angezeigten Teil-Ganzes-Struktur, »mehr oder weniger deutlich«.70 Ad 2.) Vor diesem Hintergrund lassen sich nun zwei Begründungstypen für die Ausgangsthese denken, dass das religiöse Bewusstsein dann »am vollständigsten [ist], wenn wir uns in unserem Selbstbewußtsein mit der ganzen Welt identifizieren und auch so noch, gleichsam als diese, nicht minder abhängig fühlen«.71 Beide Typen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Die erste, gleichsam religionsphänomenologische72 Begründung lautet: Je expliziter sich das Subjekt in religiöser Einstellung seines umfassenden In-der-Welt-Seins bewusst ist, desto deutlicher stellt sich ihm auch der göttliche Schöpfer als transzendenter Ursprung nicht nur des eigenen Lebens, sondern der Welt als solcher dar. Dieses Argument hat Schleiermacher wohl im Sinn, wenn er auf das – oben bereits in anderem Kontext erwähnte – »fromme Naturgefühl«73 Bezug nimmt: »so fällt beides, die vollkommenste Überzeugung, daß alles in der Gesamtheit des Naturzusammenhanges vollständig bedingt und begründet ist, und die innere Gewißheit der schlechthinnigen Abhängigkeit alles Endlichen von Gott vollkommen zusammen«.74 Die Vorstellung von Gott als Schöpfer korrespondiert inhaltlich mit dem Bewusstsein eines umfassenden, vollständigen und durchgängigen Zusammenhangs des innerweltlichen Geschehens. Anders gesagt: Es ist die Vorstel69

  A. a. O., 228.  Ebd. 71  Ebd. 72   Schleiermacher referiert hier dem eigenen Anspruch nach auf einen allgemein zugänglichen »Erfahrungssatz«, ebd. 73   A. a. O., 182 74   A. a. O., 228. 70

258  Christopher Zarnow lung einer unter dem Totalitätsbegriff der Welt zusammengefassten »All-Einheit« des endlichen Seins, die aus religiöser Sicht als in einem transzendentem »Ursprung aller Dinge« gegründet erscheint. Darin ist aber bereits ein zweites Argument für die Begründung der obigen These impliziert, das man nun im engeren Sinn als konstitutionstheoretisch bezeichnen kann:75 Erst der Bezug auf die Totalität alles Bestimmbaren, die im Weltbegriff gedacht wird, qualifiziert die Abhängigkeit des religiösen Bewusstseins im strengen Sinn als eine schlechthinnige. Dieses Argument steht ebenfalls in direktem Zusammenhang mit der skizzierten explikationslogischen Steigerungsfigur des Weltbewusstseins: Je expliziter der Naturzusammenhang auf den Totalitätsgedanken der Welt bezogen wird, desto eindeutiger tritt auch der Schlechthinnigkeitscharakter der Abhängigkeit ins Bewusstsein. Denn schlechthinnige, d. h. absolute Abhängigkeit kann es strenggenommen nur geben für ein als Totalität bestimmtes endliches Selbstbewusstsein. Anders gesagt: Vereinzeltes endliches Selbstbewusstsein kann im strengen Sinn nie absolut abhängig von etwas sein, weil es sich theoretisch zu einem Selbstbewusstsein »erweitern« könnte, das sich aufgrund seiner so erweiterten materialen Bestimmtheit dem vermeintlichen Abhängigkeitsgrund gegenüber als relativ selbständig erweist. Das endliche Relat schlechthinniger Abhängigkeit kann daher im strengen Sinne nur eine Totalität sein. Der Absolutheitscharakter der Religion verweist auf den Totalitätscharakter des Weltbewusstseins, auch wenn dieses meist nur implizit – als Horizont aller Bestimmtheit – mitgesetzt ist. Anders formuliert: Die Absolutheit des Abhängigkeitsgrundes wäre nur eine scheinbare, wenn nicht alles auf sie bezogen werden könnte. Das religiöse Bewusstsein impliziert Weltbewusstsein, insofern darin alles (zumindest seiner Möglichkeit nach oder horizonthaft) auf ein Woher seiner Abhängigkeit zurückbezogen wird. Das Weltbewusstsein ist folglich nichts, was gleichsam sekundär zur subjektivitätstheoretischen Bestimmung religiöser Sinndeutung im Sinne Schleiermachers hinzukäme, sondern stellt eines ihrer konstitutiven Aufbaumomente dar.

75  Vgl. dazu U. Barth, Abschied von der Kosmologie  – Befreiung der Religion zu sich selbst, in: Urknall oder Schöpfung? Zum Dialog von Naturwissenschaft und Theologie, hg. v. W. Gräb, Gütersloh 1995, 14 – 37 (31 – 36).

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  259

5.  Der Schöpfer Schöpfungsglaube ist Glaube an Gott als Schöpfer, der »Himmel und Erde« gemacht hat, wie dies jeden Sonntag in der gottesdienstlichen Liturgie bekannt wird. In vielfältigen Bildern, in denen dieser Glaube seinen symbolischen Ausdruck findet, in der Bibel oder im geistlichen Liedgut, artikulieren sich unterschiedliche Grunderfahrungen bzw. Grundfragen des menschlichen Lebens. Ich möchte im Folgenden zwei solcher Ausdrucksformen des Schöpfungsglaubens sowie ihres jeweils mitgeführten Bildes von Gott als Schöpfer näher entfalten. Der erste Gedankengang setzt bei der metaphysischen Grundfrage des Menschen an: »Woher kommen wir?« Sie wird aufgegriffen und einer symbolischen Antwort zugeführt in der Vorstellung Gottes als transzendentem Ursprung aller Dinge. Die zweite hier in den Blick genommene Gestalt des Schöpfungsglaubens spricht sich aus im Bewusstsein einer elementaren Verdanktheit des Lebens und der Lebensgüter. Ihr entspricht das Bild Gottes als Geber aller Gaben.76

5.1  Der Ursprung aller Dinge Die Vorstellung Gottes als Ursprung aller Dinge schließt direkt an die eben skizzierten Ausführungen zum Weltgedanken an. Die entsprechende Auslegungstradition des Schöpfungsglaubens kann man als die kosmologische bezeichnen, wie sich exemplarisch an der Tradition des gleichnamigen Gottesbeweises ablesen lässt. Eine seiner bekanntesten Fassungen findet sich in der zweiten Quaestio des ersten Buches der Summe der Theologie von Thomas von Aquin: »Am ersten und deutlichsten ist der von der Bewegung her genommene Weg. Es ist nämlich gewiß und steht durch das Gesinn (sensu) fest, daß manches in der Welt sich wegt. Alles aber, was in Wegung ist, wird von einem anderen gewegt […]. Dabei kann man aber nicht ins Unendliche fortgehen, weil es dann kein Erstwegendes gäbe und insofern davon nicht irgend eins, das ein anderes

76  Eine dritte in denselben Zusammenhang gehörige Grunderfahrung drückt sich am unmittelbarsten in den Worten des Hiobbuches aus: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!« (Hi 1,20) In ihr erscheint der Schöpfer nicht nur als Grund, sondern auch als Abgrund des Lebens. Der Schöpfungsglaube vertieft sich zu dem Bewusstsein, dass der ewige Gott nicht nur das Leben schafft, sondern auch unerforschlich hinter der Abgründigkeit des Todes steht, kurz: der Herr über Leben und Tod ist. – Indessen verweist dieser Topos bereits hinüber in die Eschatologie und kann im vorliegenden Rahmen nicht näher ausgeführt werden.

260  Christopher Zarnow wegte  […]. Man muß also notwendigerweise zu einem Erstwegenden hinkommen, das von keinem gewegt wird, und darunter verstehen alle Gott.«77

Der Rückschluss von der Bewegung auf einen unbewegten Erstbeweger war durch Aristoteles vorgebildet. Bereits in der Erläuterung des Arguments greift Thomas allerdings über ein mechanistisches Bewegungsparadigma hinaus auf modaltheoretische Überlegungen,78 die auf dem dritten der fünf Wege dann beweisführend entfaltet werden. In dieser modaltheoretischen Fassung ist der kosmologische Gottesbeweis dann vorrangig in der neuzeitlichen Philosophie rezipiert worden.79 Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere seine Reformulierung durch Gottfried Wilhelm Leibniz von Interesse.80 Alle Vernunfterkenntnis beruht nach Leibniz auf zwei logischen Prinzipien: dem Satz vom Widerspruch und dem Satz des zureichenden Grundes. Außerdem unterscheidet Leibniz zwei Arten von Wahrheit: Vernunft- und Tatsachenwahrheiten. Vernunftwahrheiten haben den Status strenger Notwendigkeit, ihr Gegenteil ist unmöglich. Es handelt sich demnach um Urteile, bei denen »der Begriff des Prädikats […] im Subjekt enthalten«81 ist. Insofern Kants Deutung des analytischen Urteils an dieser Bestimmung orientiert ist, hat sich hierfür die Bezeichnung einer »analytischen Wahrheitstheorie« eingebürgert. Tatsachenwahrheiten haben demgegenüber nicht den Status strenger Notwendigkeit  – ihr Gegenteil ist prinzipiell möglich.82 Geben wir ein Beispiel: Dass sie rund ist, kann logisch aus dem Allgemeinbegriff der Kugel geschlossen werden. Dass diese bestimmte Kugel rot 77   Th. v. Aquin, Summe der Theologie, hg. v. J. Bernhart, Bd. 1, Stuttgart 1985, 23 f. (= STh I, q. 2, a. 3). 78   »Wegen ist nämlich nichts anderes, als etwas aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit herausholen« (ebd.). 79   Nicht nur in Bezug auf das kosmologische, sondern auch und insbesondere in Bezug auf das ontologische Argument stehen die Modalbegriffe der Notwendigkeit, Möglichkeit und Kontingenz im Zentrum der neueren (religions-)philosophischen Debatte, vgl. I. U. Dalferth, Gott. Philosophisch-theologische Denkversuche, Tübingen 1992, 213 – 243; D. Evers, Gott und mögliche Welten. Studien zur Logik theologischer Aussagen über das Mögliche, Tübingen 2006. 80   Vgl. zum Folgenden G. W. Leibniz, Monadologie, hg. v. H. Hecht, Stuttgart 1998. 81   G. W. Leibniz, Der Briefwechsel mit Antoine Arnauld, hg. v. R. Finster, Hamburg 1997, 141. 82  Zu Leibniz’ Wahrheits- und Begriffstheorie vgl. C. Zarnow, Identität und Religion. Philosophische, soziologische, religionspsychologische und theologische Dimensionen des Identitätsbegriffs, Tübingen 2010, 92 – 97.

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  261

ist, liegt nicht in ihrem Allgemeinbegriff und stellt mithin eine bloße Existenz- oder Tatsachenwahrheit dar. Im Gegensatz zu den Vernunftwahrheiten vermögen wir uns der Existenzwahrheiten also nur durch Erfahrung (a posteriori) zu vergewissern. Der Satz vom zureichenden Grund angewandt auf Vernunftwahrheiten führt zu ursprünglichen, einfachen, logischen Prinzipien bzw. Axiomen, die ihrerseits keines Beweises mehr fähig sind. Im vorliegenden Zusammenhang ist nun aber entscheidend, dass sich der Satz vom zureichenden Grund auch auf den Bereich der Tatsachenwahrheiten, d. h. auf die Sphäre der Kontingenz anwenden lassen muss: »Der zureichende Grund aber muß sich auch in den kontingenten oder Tatsachenwahrheiten finden, d. h. in der Folge der im Universum der Geschöpfe ausgebreiteten Dinge, wo die Rückführung auf besondere Gründe wegen der unermeßlichen Vielfalt der Naturdinge und der Teilung der Körper ins Unendliche auf eine endlose Vereinzelung hinauslaufen könnte  […]. Und da diese ganze Vereinzelung nur anderes Kontingente  […] einschließt,  […] ist man dadurch nicht weitergekommen: Und es muß der zureichende oder letzte Grund außerhalb der Folge oder der Reihen dieser Vereinzelung des Kontingenten liegen […]. So muß der letzte Grund der Dinge in einer notwendigen Substanz liegen, in der das Besondere der Veränderung nur eminenter, wie in einer Quelle enthalten ist, und dies nennen wir Gott.«83

Die Anwendung des Satzes vom zureichenden Grund auf den Bereich der Tatsachenwahrheiten führt zum Gottesbeweis e contingentia mundi: Innerhalb der Sphäre der Kontingenz kann gerade kein letzter Grund für die Existenz des Kontingenten angeführt werden. Also muss er außerhalb dieser Sphäre gesucht werden – in einem göttlichen ens necessarium. Der zugrundeliegende Gedanke einer in Einheit gründenden Vielheit, in der »das Besondere […] wie in einer Quelle enthalten ist«, verweist dabei auf ein Grundmotiv der Leibniz’schen Substanzmetaphysik. Alle Vielheit gründet demnach in substantieller Einheit, wobei jenes Gründen von Leibniz als »Resultieren«, als »Eingehen« der Vielfalt in Einheit oder eben auch als »Fließen« der Vielfalt aus der Einheit wie aus einer Quelle – wie im obigen Zitat – beschrieben werden kann. Im vorliegenden Zusammenhang heißt das: Der die Vielfalt der Erscheinungswelt gründende Letztgrund, Gott, liegt auf einer gänzlich anderen kategorialen Ebene als das durch ihn Begründete. Nicht die Rückführung welthafter Ereignisse auf eine prima causa, sondern das Modell einer in Einheit fundierten

83

  Leibniz, Monadologie (s. Anm. 80), §§ 36 – 38, 29 – 31.

262  Christopher Zarnow Mannigfaltigkeit der Erscheinungen steht im Zentrum von Leibniz Elementarmetaphysik.84 Die Geschichte der Gottesbeweise ist so alt wie ihre Kritik. Das entscheidende Argument gegen die Beweisführung e contigentia mundi ist von Immanuel Kant formuliert worden: Das vom Beweis angestrebte Beweisziel wird durch den vermeintlichen »Beweisschluss« gar nicht erreicht. Denn die Notwendigkeit eines außerhalb der Welt liegenden Existenzgrundes der Welt ist qua Beweis doch eben nur in Bezug auf das von ihm Begründete überhaupt als notwendig bestimmt. Anders als der Beweis anstrebt, wird folglich nicht der Gedanke einer absoluten, sondern lediglich der einer relativen bzw. hypothetischen Notwendigkeit durch die Beweisführung erschlossen.85 Bis hierhin ist Kant gegen Leibniz sicherlich recht zu geben. Die Unangemessenheit der Beweisform darf aber nicht den Blick dafür verstellen, dass dieser in seiner Grundintention ein echtes Motiv religiöser Weltbetrachtung aufgreift: »Woher kommen wir?« – das ist eine der metaphysischen und auch anthropologischen Grundfragen menschlicher Existenz.86 Die Einsicht in die Unmöglichkeit, sie in Gestalt eines förmlichen Gottesbeweises beantworten zu können, setzt nicht ihr Recht als Frage außer Kraft. Im Gegenteil: Sie enthält ein Moment der Unabweisbarkeit. Die religiöse Weltbetrachtung führt mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zum Gedanken eines transzendenten »Ursprung[s] aller Ding«, wie es in dem berühmten Lied Paul Gerhardts heißt (EG 324,13). Dieser Ursprung muss aber nicht zwingend im Sinne eines ursächlichen Anfangs vorgestellt werden. Hier wird man in der Tat nicht an Kants Kritik vorbeigehen können: Kausalität ist eine begriffliche Kategorie des empirischen Verstandesgebrauchs. Der Begriff der Ursache ist seinem Gehalt nach bestimmt durch die Wirkungen, in Bezug auf die sich eine Ursache überhaupt erst als Ursache qualifiziert. Auch der Gedanke einer letzten Ursache schließt folglich in sich ein, dass sich diese Ursache nur in Bezug auf die von ihr freigesetzten Wirkungen als Ursache bestimmen lässt. Zu dem Gedanken eines von der Welt unabhängigen, in sich 84   Vgl. dazu auch K. Cramer, Einfachheit, Perzeption und Apperzeption, in: Leibniz und die Frage nach der Subjektivität (Studia Leibnitiana, Sonderheft 22), Stuttgart 1994, 19 – 45 (23 – 28). 85  Vgl. U. Barth, Gott als Grenzbegriff der Vernunft, in: ders., Gott als Projekt der Vernunft, Tübingen 2005, 235 – 262 (246 f.). 86   Es gehört, nebenbei bemerkt, zu den konzeptionellen Schwächen von Schleiermachers Ansatz, dass er diese reflexiven Anteile im Aufbau des Schöpfungsglaubens aufgrund seines religiösen Unmittelbarkeitspathos nicht eigenständig gewürdigt hat.

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  263

freien Schöpfers und Gegenübers der Welt führt der Gedanke einer letzten Weltursache folglich gerade nicht.87 Der Begriff des Ursprungs lässt sich aber auch anders interpretieren – worauf Leibniz’ Argumentation e contingentia mundi bereits einen impliziten Hinweis gegeben hatte. Freilich blieb Leibniz’ Argumentation ihrerseits einem substanzmetaphysischen Denken verpflichtet. Stellt die Kontingenzthematik indessen mit Leibniz die empirische Explikationsbasis des Schöpfungsbegriffs dar, dann lässt sich der Begriff des »Grundes« auch noch einmal anders fassen: nämlich sinntheoretisch. Legt man die funktionale Bestimmung von Religion als Bewältigung von Kontingenzerfahrungen zugrunde, dann lässt sich sagen: Der christliche Glaube symbolisiert mit der Vorstellung Gottes als Schöpfer die Vorstellung eines letzten Sinngrundes der Welt. Als Ort für die nähere Entfaltung dieses Gedankens innerhalb der materialen Dogmatik lässt sich die Vorsehungslehre rekonstruieren.88 Das ihr korrespondierende Gottesbild eines fürsorglichen Vaters im Himmel weist indessen bereits hinüber auf den folgenden Punkt.

5.2  Der Geber aller Gaben Neben der kosmologischen Auslegungstradition des biblischen Schöpfungsglaubens gibt es eine zweite, wenn man so will: fiduzialistische oder personalistische.89 In dem erwähnten Lied von Paul Gerhardt wird sie greifbar, sobald man nur den weiteren Kontext des erwähnten Zitats in den Blick nimmt: »Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut! Dein Gott, der Ursprung aller Ding, 87  Vgl. P. Tillich: »Aber Ursache und Substanz sind Kategorien der Endlichkeit. ›Erste Ursache‹ ist eine hypostasierte Frage, keine Aussage über ein Seiendes, das die Kausalkette beginnt« (Systematische Theologie, Bd. 1, Berlin / New York 1987, 243). 88   Vgl. dazu A. v. Scheliha, Der Glaube an die göttliche Vorsehung. Eine religionssoziologische, geschichtsphilosophische und theologiegeschichtliche Untersuchung, Stuttgart 1999; Zarnow, Identität (s. Anm. 82), 313 – 317. 89   Prägnant formuliert Hirsch: »Die Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Welt ist umzuwandeln in die Frage nach dem Verhältnis Gottes zu meinem Leben als Person mit den andern. Alle Fragmale, welche bei dieser Verwandlung hinfallen, sind unfruchtbare Spintisierereien: so z. B., ob Gott auch ohne Welt hätte bleiben können, oder ob etwas in Gott sei, das nicht weltbedingend sei. Die Antworten auf dergleichen können einen gewissen Gleichniswert haben […]. Doch wird dieser Gleichniswert gemindert durch das Lächeln, das Menschen, die sich der Grenze des Wißbaren so bewußt sind wie die des 19. und 20. Jahrhunderts, für eine Beschäftigung mit dergleichen Fragmalen haben müssen« (Hirsch, Christliche Rechenschaft [s. Anm. 58], 227).

264  Christopher Zarnow ist selbst und bleibt dein Gut« (EG 324,13). Der Lobpreis des Schöpfers bleibt nicht stehen bei einer spekulativ-abstrakten Besinnung über den Ursprung aller Dinge – das religiöse Subjekt identifiziert diesen Ursprung vielmehr als seinen, es persönlich angehenden Gott. Die eigene Seele, das eigene Herz wird zum Lob dieses seines Schöpfers aufgerufen. Diesem seinem »Brunn der Gnad« (a. a. O., 2) verdankt es alles, was es braucht – zuletzt sogar sein eigenes Dasein. Auf dieser persönlichen, wenn man so will: existenziellen Ebene liegt auch ganz der Ton in Martin Luthers Auslegung des ersten Artikels des Glaubensbekenntnisses aus dem kleinen Katechismus: »Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn, mir Leib und Seel, Augen, Ohren und alle Gelieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuch, Essen und Trinken, Haus und Hofe, Weib und Kind, Acker, Viehe und alle Güter, mit aller Notdurft und Nahrung dies Leibs und Lebens reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und für allem Ubel behüt und bewahret, und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit ohn alle mein Verdienst und Wirdigkeit, des alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schüldig bin; das ist gewißlich wahr.«90

An erster Stelle von Luthers Auslegung steht die Selbstbesinnung: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat. Dass Gott der Schöpfer ist, das ist zunächst und zuerst eine Aussage, die das solchen Glauben bekennende Subjekt in seiner eigenen Existenz betrifft. Indem es sich als von Gott geschaffen versteht, vergegenwärtigt es sein Leben als ›von anderwärts her‹ verdanktes Leben. Das Bewusstsein solcher Verdanktheit bedeutet freilich mehr als das gleichsam bloße formale Bewusstsein eines (Sich-)Gegebenseins.91 Denn es schließt nicht nur die Vorstellung eines Gegenübers ein, demgegenüber sich der / die

90  Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1998 (BSLK), 510 f. 91   An diesem Punkt wird nicht hinreichend differenziert von T. Rendtorff, wenn er in Anlehnung an Luthers Auslegung des Schöpfungsglaubens ein elementares »Gegebensein des Lebens« als Grundelement der Ethik bestimmt (vgl. T. Rendtorff, Ethik, Bd. 1, Stuttgart / Berlin / Köln 1980, 63 f.). Außerdem ist deutlicher, als dies bei Rendtorff geschieht, von einem reflexiven Sich-Gegebensein zu sprechen, um deutlich zu machen, dass es für menschliches Dasein bestimmend ist, in seinem Gegebensein für sich zu sein. Zur transzendentalhermeneutischen Auslegung dieser Struktur und ihrer Rückführung auf eine basale Duplizität des Selbstbewusstseins vgl. Zarnow, Identität (s. Anm.  82), 309 – 311.

Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer  265

Dankende in seiner / ihrer Dankbarkeit »verbunden« weiß.92 Sondern es enthält darin auch das Bewusstsein einer besonderen Würde und Kostbarkeit, wie Luther dies andernorts zum Ausdruck gebracht hat: »Ich bin wirdig gewest, das mich Gott mein schöpffer aus nichts geschaffen hat, in mutter leib gebildet etc.«93 Kurz: Das eigene Leben erscheint aus Sicht des Schöpfungsglaubens als von Gott empfangene bzw. verliehene Gabe. Ihr Empfänger wird damit aber in eine eigentümliche Spannung versetzt: Er ist ja in gewisser Weise selbst diese Gabe, und er ist doch zugleich als das Subjekt, das sie empfängt, von ihr unterschieden. Auch wenn das eigene Dasein im Glauben als Gott verdanktes Dasein begriffen wird, ist solches Begreifen doch nur für ein Subjekt, dessen Subjektivität sich in der Aussprache dieses Glaubens als unhintergehbare Größe zur Geltung bringt.94 Die Gabe des Lebens schließt Leib und Seele, Vernunft und Sinne, aber auch Güter des täglichen Lebensbedarfs wie Kleider und Schuhe in sich ein.95 So rückt der personalisierte Schöpfungsglauben  – im vorliegenden Zusammenhang nur denkbar weit entfernt von einer allgemeinen Naturfrömmigkeit  – vermeintliche Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Lebens in den Horizont einer elementaren Dankbarkeit, die dem Geber aller Gaben gebührt.96 Gemeinsam ist allen diesen Gütern, dass sie zum Leben gebraucht werden bzw. das Leben reich machen und erfüllen, dass sie alltäglich präsent sind und dadurch leicht den Charakter des Selbstverständlichen annehmen können, dass sie aber genauso gut wieder weggenommen werden können und insofern prinzipiell den Charakter der Kontingenz besitzen. Indem der Schöpfungsglaube einen Horizont der Dankbarkeit für die alltäglichen Gaben des Lebens aufspannt, thematisiert er das Dasein so zugleich in einer elementaren Angewiesenheit und »Notdurft«. 92  Vgl. G. Simmel, Dankbarkeit. Ein soziologischer Versuch, in: ders., Aufsätze und Abhandlungen 1901 – 1908, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1993, 308 – 316. 93   M. Luther, Ein kurzer Trostzettel für die Christen, daß sie im Gebet sich nicht irren lassen, WA 51,454 f.,8 f. 94  In Luthers Formulierungen ist diese Spannung angezeigt durch den doppelten Bezug auf das Glaubenssubjekt als Gegenstand (»Ich gläube, daß mich«) und epistemischer Operator (»Ich gläube, daß mich«) des Schöpfungsglaubens. 95   Dass auch »Weib und Kind« in diese Reihung von Luther aufgenommen werden, mag an dieser Stelle auf sich beruhen gelassen werden. 96  Vgl. R. Barth, Dankbarkeit als religionsaffines Gefühl. Überlegungen zu dogmatischen Anknüpfungspunkten, in: Erleben und Deuten. Dogmatische Reflexionen im Anschluss an Ulrich Barth. Festschrift zum 70. Geburtstag, hg. v. R. Barth / A. Kubik / A. v. Scheliha, Tübingen 2015, 169 – 191.

266  Christopher Zarnow Der personalisierte Schöpfungsglaube errichtet einen Deutungs- und Affektraum für die Thematisierung der Angewiesenheit auf das, was der Mensch zum Leben braucht, sich aber zugleich seiner letztlichen Verfügungsgewalt entzieht.97 Die Bestimmung der Grenze dieser Verfügungsgewalt ist selbst Gegenstand eines religiösen Aushandlungsprozesses. Sie wird exemplarisch greifbar im (Für-)Bittgebet, das damit zurecht zu den klassischen Beständen der Schöpfungs-, genauer: der Vorsehungslehre zählt. Das Wesen des Bittgebets erschöpft sich vor dem Hintergrund des Dargelegten dann auch weder im Erwarten eines wunderbaren Eingriffs Gottes in den Naturzusammenhang, noch in einer appellativen Selbstermahnung. Der ersten Variante droht die Gefahr, das Wunderwirken Gottes auf eine quasi-gesetzliche Weise nachweisen zu wollen und damit das Wesen des Wunders als einer nicht-verobjektivierbaren und der Zweideutigkeit aller religiösen Erfahrung unterworfenen Glaubenserfahrung zu verkennen.98 Die zweite Variante hingegen geht am eigentlichen religiösen Affekt des Bittgebets vorbei. Hier will sich das Individuum nicht überlassen und in den Grenzen des ihm selbst Möglichen vor Gott bringen, sondern es appelliert letztlich an seine eigene Moralität und Tatkraft. Solche (Selbst-)Ermahnung ist aber – liturgisch gesprochen – Teil der Predigt, nicht der Fürbitte. Die Fürbitte steht demgegenüber grade für die Aushandlung und Grenzziehung coram Deo zwischen dem, über das ich verfüge und auf das ich Einfluss nehmen kann und dem Bereich dessen, was ich als gegeben zu akzeptieren habe, weil es sich letztlich der eigenen Verfügungsgewalt entzieht. Der affektive Kern des Bittgebets besteht mit den Worten Paul Gerhardts in der vertrauensvollen Selbstüberantwortung in die »allertreuste Pflege« (EG 361,1) eines anderen. So spiegeln sich in den beiden skizzierten Auslegungstraditionen des Schöpfungsglaubens zugleich zwei Grundformen christlicher Glaubenspraxis: Während die kosmologische Auslegung des Schöpfungsglaubens in religiöser Andacht bzw. Betrachtung der Schöpfung mündet, findet seine personalistische Interpretation ihre Entsprechung im Gebet, das sich mit Dank und vertrauensvoller Bitte an den Geber aller Gaben wendet. 97   Eine Eintragung der Rechtfertigungslehre in den Artikel von der Schöpfung stellt die Formulierung Luthers dar, dass dies alles, nämlich die Versorgung des Lebens mit dem Lebensnotwendigen, »ohn alle mein Verdienst und Wirdigkeit« geschieht. Gottes Schöpfung und Erhaltung wird hier ganz von der reformatorischen Gnadenlehre her verstanden. 98  Vgl. Trillhaas, Dogmatik (s. Anm. 60), 162 – 166.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion Christiane Nagel

In der Auseinandersetzung mit dem letzten Passus des ersten Credo-Artikels bewegen sich die Beiträge von Lutz Doering und Christopher Zarnow im explizit kosmologischen Kontext, wenn die Vorstellung von der ersten Hypostase des Gott-Vaters in ihrem schöpferischen Verhältnis zum Ganzen der Wirklichkeit befragt wird, in dem sich menschliches Leben vollzieht; also zur Erde, zur Welt, zum tatsächlichen Lebens-Raum der Schöpfung. Augenfällig ist, dass schöpfungstheologische Kosmologie bei beiden Beiträgen nicht als Konkurrenz oder Alternative zu naturwissenschaftlichen Welterklärungstheorien verstanden wird1  – und das, obwohl der ihnen zugewiesene Titel Von Schöpfung und Naturprozessen wohl gerade darauf abheben will. Damit scheinen beide Autoren in einem bestimmten (liberal-)theologischen Erbe zu stehen, laut dem der »Streit zwischen Theologie und Naturwissenschaft um Fragen der Kosmologie im Grunde kein Thema mehr [ist]«.2 Dass damit keinesfalls ein Nicht-Verhalten zur Frage nach dem Verhältnis zwischen Theologie und naturwissenschaftlicher Welterklärung einhergeht, sondern dadurch vielmehr differenziertere Konstellationen möglich werden, wird besonders deutlich, wenn man sich – an dieser Stelle als kurzes Prolegomenon der eigentlichen Response vorangestellt – die unterschiedlichen Ebenen (natur-)wissenschaftlicher und religiöser Aussagesysteme vergegenwärtigt. »[Christlicher] Glaube beruht auf personaler Erschließungserfahrung, die über vorfindliche Wirklichkeit hinausgeht. Naturwissenschaft beruht auf rationaler und experimenteller Erkenntnis der

1   Zarnow nennt zwar die Frage nach dem Verhältnis von »Schöpfungsglaube[n] und naturwissenschaftlicher Weltsicht« den »apologetische[n] Zugang« (als eine der beiden den aktuellen Diskurs dominierenden Fragestellung), begibt sich aber in seiner argumentativen Selbstverortung auf »einen anderen Weg« (C. Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer. Phänomenologische Annäherungen und theologische Deutungen, in diesem Band, 239). Näheres dazu weiter unten. 2   U. Barth, Abschied von der Kosmologie – Befreiung der Religion zu sich selbst, in: W. Gräb (Hg.), Urknall oder Schöpfung? Zum Dialog von Naturwissenschaft und Theologie, Gütersloh 1995, 14 – 42 (35).

268  Christiane Nagel vorfindlichen Wirklichkeit.«3 Für das Verhältnis von (Schöpfungs-) Theologie und Naturwissenschaft bedeutet das in Konsequenz, dass beide zwar durchaus im weitesten Sinne Welt erklären wollen, dabei aber unterschiedliche Fragestellungen verfolgen. Christliche Theologie (verstanden als im wissenschaftlichen Diskurs nach dessen Spielregeln agierende Disziplin) reflektiert auf christlichen Glauben, der in seinem Grund einerseits ein christologisch fundierbares, vom religiösen Subjekt empfundenes präreflexives Beziehungsgeschehen4 ist und andererseits gleichzeitig – seiner lebensbestimmenden Fundamentalität entsprechend – Reflexionen im Sinne christlich-religiöser Selbstund Weltdeutungen freisetzt. So verstanden erklärt natürlich auch (Schöpfungs-)Theologie Welt5 – aber eben unter anderen Vorzeichen und mit anderen Erkenntnisinteressen als empirisch-experimentelle, technisierende und dementsprechend unter eigenen epistemischen und methodologischen Vorzeichen und Erkenntnisinteressen stehende Naturwissenschaft.6 Dennoch besteht eine fundamentale Verbindung zwischen beiden Zugriffen auf Welt: Denn dadurch, dass Glaube und die von ihm freigesetzten Welt- und Selbstdeutungen des religiösen Subjekts immer in bestimmten weltanschaulich-soziokulturellen Kontexten stehen, sind Glaubensaussagen (im solchermaßen weitesten Sinne) formal und material konstitutiv bedingt durch ebendiese Kontextualität des religiösen Subjekts – und damit dann auch durch

3   M. Petzoldt, Vom Schöpfer und von der Schöpfung reden. Anmerkungen zum wissenschaftstheoretischen Status christlicher Schöpfungslehre, in: ders., Christsein angefragt. Fundamentaltheologische Beiträge, Leipzig 1998, 41 – 55 (51). 4   Christologisch insofern, als dass sich das religiöse Subjekt in der Person Jesu von Nazareth zum trinitarischen Gott in Beziehung gesetzt fühlt. 5   In gewissem Sinne ist eine solche Differenzierung geradezu redundant, da der Weltbegriff – im Sinne der Ganzheit alles Seienden – selbst schon sich einer vereinheitlichenden Außenperspektive verwehrt: Die Welt gibt es nicht. Welterklärung kann dann immer nur perspektivisch und partikular vollzogen werden, also unter bestimmten Fragestellungen und daraus folgenden bzw. dadurch implizierten methodologischen und epistemischen Verengungen, Abstraktionen etc. Vgl. z. B. U. Dirks, Welt / Welten, in: Enzyklopädie Philosophie 3 (2010), 2953 – 2962 (2953). 6  Dabei ist gerade an dieser Stelle deutlich zu betonen, dass Naturwissenschaft als sozusagen disziplinäres Gegenüber von Theologie eine stark konstruierte Sparringspartnerin ist. Zum hier vorausgesetzten Verständnis des Naturwissenschaftsbegriffs und seiner gleichzeitigen Uneindeutigkeit vgl. z. B. K. Mainzer, Naturwissenschaft, in: EPhW 2 (1984), 977 – 979 (978 f.).

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  269

die jeweiligen dominanten (natur-)wissenschaftlichen Weltbilder.7 Die Aufgabe von Theologie besteht dann also darin, diesen Zusammenhang transparent und fruchtbar zu machen, indem sie »reflexive Verbindungen«8, also Kommunikabilität schafft zwischen christlichem Glauben als präreflexivem Beziehungsgeschehen, den durch ihn freigesetzten reflexiven Glaubensaussagen und den diese bedingenden »Lebenserfahrungen und […] Erkenntnissen«9 der Um-Welt. Schöpfungstheologie fragt dann nach den grundlegenden christlichen Glaubenserfahrungen und ihrer kontextualisierten Kommunikation in daraus hervorgehenden Glaubensaussagen, in denen das religiöse Subjekt sich und seine Welt als Schöpfung erfährt und reflektiert, also als genuin begrenzt und abhängig von einem der vorfindlichen Welt transzendenten Ermöglichungsgrund alles Seienden,10 wie es auch im letzten Passus des ersten Credo-Artikels in aktiv religiöser Sprache zum Ausdruck gebracht ist. Unter diesem hier nur kurz vorangestellten Vorzeichen solchermaßen verstandener neuzeitlicher, kontextualisierter Schöpfungstheologie soll nunmehr als eigentliche Response auf die Beiträge Doerings und Zarnows in Kombination mit der grundlegend formalenzyklopädischen Orientierung dieser Sammelpublikation die fundamentaltheologische11 Fragestellung nach der innerdisziplinären Diskursfähigkeit der evangelischen Theologie als Wissenschaft am Beispiel der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Exegese und Systematik gestellt 7   Dieses Verhältnis ist natürlich ein wechselseitiges, da auch und gerade (Natur-)Wissenschaft als spezifischer, partikularer Diskurs im Kontext von konkreter Lebenswelt steht und von dieser epistemisch bedingt ist. Vgl. dazu E. Herms, Das Selbstverständnis der Wissenschaften heute und die Theologie (1993), in: ders., Kirche für die Welt. Lage und Aufgabe der evangelischen Kirchen im vereinigten Deutschland, Tübingen 1995, 349 – 387 (359). 8   Petzoldt, Vom Schöpfer (s. Anm. 3), 48. 9  Ebd. 10   Vgl. dazu die Ausführungen Barths zum Schleiermacherschen Schöpfungsbegriff: Barth, Abschied (s. Anm. 2), 31 – 34. Ein auf dieser Grundlage entwickeltes Grundverständnis von Kosmologie als genuin »religiöser Weltdeutung« [Hervorhebung CN / ebd., 35] kann sowohl dem Beitrag Doerings als Background zugesprochen werden – als auch dem Zarnows, der auf oben genannten (für diesen Diskurs insgesamt klassischen) Beitrag Barths auch explizit rekurriert. Vgl. Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer (s. Anm. 1), Anm. 75. 11   Zum Verständnis der Fundamentaltheologie in evangelisch-theologischer Perspektive vgl. v. a. den Aufsatz von M. Petzoldt, Notwendigkeit und Gefahren einer verselbständigten Fundamentaltheologie, in: ders. (Hg.), Evangelische Fundamentaltheologie in der Diskussion, Leipzig 2004, 21 – 40 (33 – 40).

270  Christiane Nagel werden. Im Folgenden werden also nicht so sehr einzelne sicherlich sehr diskussionswürdige Details dieser beiden Impuls gebenden Ansätze im Fokus stehen, sondern eher ein sie bedingender Fragenkomplex der v. a. wissenschaftstheoretischen Meta-Ebene. Doering verdeutlicht in seinem Beitrag die wechselseitigen kreativ-traditionsgeschichtlichen Abhängigkeiten sowohl von den jeweils wieder selbst in situativer Kontextualität stehenden Schriften des antiken Judentums als auch des entsprechenden religionsgeschichtlichen und philosophischen literarischen Umfelds, in denen schöpfungstheologische Aussagen des Neuen Testaments stehen.12 Wichtig ist an dieser Stelle grundlegend immer wieder die Zeichnung solcher literarischer und traditionsgeschichtlicher Abhängigkeiten nicht als notwendige Kausalketten, sondern als zu großen Teilen unverfügbar dynamische Prozesse: Traditionsgut wird per definitionem13 als Feuer weitergetragen und nicht als Asche angebetet; also eben tradiert, situativ adaptiert und v. a. strategisch-argumentativ eingesetzt. Es mutet so stimmig an, ist aber gleichfalls eben nicht zwingend notwendig, dass im NT genau da schöpfungstheologische Aussagen aufzutreten scheinen, wo bestimmte argumentative Absichten verfolgt werden, seien sie monotheistischer, ontologisch-systemischer oder eben auch konkret identitätspolitisch-sozialtheoretischer Art, wie Doering exemplarisch ausführt. Dementsprechend verschieben sich im Tradierungsprozess auch die Stoßrichtungen, wenn die Interessenlage sich

12   »Schrift und Tradition lassen sich hier [in Analyse der verschiedenen Rezeptionen von Gen 1,1 – 2,4a im antiken Judentum] nicht einfach trennen, sondern sind miteinander verwoben« (L. Doering, Neutestamentliche Aspekte von Welt- und Menschenschöpfung im Kontext der Schriften Israels und antiker jüdischer Literatur, in diesem Band, 217). 13   Tradition ist Absicht, ist »die bewusst zur Information und Beeinflussung der Nachwelt geschaffene Überlieferung eines Geschehnisses« (T. Sandkühler, Tradition, in: Enzyklopädie Philosophie 3 [2010], 2763 – 2767, [2763]). Genau auf diese Weise »haben die neutestamentlichen Texte teil an zeitgenössischen Diskursen über Welt- und Menschenschöpfung, aus denen sie situativ und argumentativ einzelne Aspekte herausgreifen, verarbeiten und zur Geltung bringen« (Doering, Neutestamentliche Aspekte [s. Anm. 12], 236).

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  271

ändert.14 Theologische Aussagen aller Ebenen15  – auch und gerade in biblischen Texten – scheinen, wie alle menschlichen Erklärungsund Erkenntnisprozesse, eben kein Freilegen von irgendwie für sich existenter Wahrheit darzustellen, sondern sind aktiv konstruiertes Ergebnis erkenntnisleitender Interessen. Diese grundlegende Einsicht bewahrt im innertheologisch-interdisziplinären Diskurs vor dem, was eigentlich in allen Subdisziplinen common sense ist, nämlich vor einer hermeneutischen Überstrapazierung biblischer Texte im Allgemeinen und neutestamentlich-schöpfungstheologischer Aussagen im Besonderen: Wenn Texte aus soziokulturell situativen Absichten heraus entstehen und mit ebensolchen Absichten tradiert werden, können sie nicht losgelöst von diesen jeweiligen Entstehungs- und Rezeptionskontexten gelesen und verstanden werden.16 14   Exemplarisch anschaulich wird die hermeneutische Tragweite der Dynamizität von Tradierungsprozessen bei Doerings Argumentation für eine differenziertere »Nuancierung« der Verhältnissetzung zwischen »jüdischen Weisheits- und Logosvorstellungen« und der Hypostase des Sohnes Christus im Kontext der Idee einer Schöpfungsmittlerschaft: »Gern wird hier die differentia specifica christlicher Schöpfungsaussagen gesehen […]. […] Doch zumindest für einzelne Texte ist […] das Anknüpfen auch ›hoher‹ Christologie an jüdische ›binitarische‹ Vorstellungen in der jüngeren Forschung mit Recht hervorgehoben worden […]« (Doering, Neutestamentliche Aspekte [s. Anm. 12], 221). 15   Als Beispiel für eine kurze Aufschlüsselung der Ebenen christlich-theologischer Aussagen als Reflexion christlicher Glaubensaussagen vgl. u. a. M. Petzoldt, Christliche Theologie im pluralistischen Kontext. Konzeptionsfragen im Horizont von Religionsdialogen, in: ders. (Hg.), Europas religiöse Kultur(en). Zur Rolle christlicher Theologie im weltanschaulichen Pluralismus. Ein interdisziplinärer Diskurs an der Theologischen Fakultät anlässlich der Sechshundertjahrfeier der Universität Leipzig, Leipzig 2012, 207 – 242 (238 – 240). 16   Gerade Systematische Theologie ist sich ihrer Verantwortung an dieser Stelle bewusst, was dennoch nicht automatisch davor schützt, in der Rezeption biblischer Texte die Erkenntnisse der Exegese zu vernachlässigen. Christoph Schwöbel formulierte in seiner »Skizze zum Handwerk der Systematischen Theologie« [3] exemplarisch treffend sein Unbehagen, da er »weiß, daß biblische Exegeten gelegentlich – und gelegentlich nicht ganz ohne Grund – versucht sind, die Ausflüge von systematischen Theologen in ihr Fachgebiet als Gastspiele der ›Amateurliga‹ zu klassifizieren« (C. Schwöbel, Doing Systematic Theology. Das Handwerk der Systematischen Theologie, in: ders., Gott in Beziehung. Studien zur Dogmatik, Tübingen 2002, 1 – 24, [1]). Ähnliche Umsicht gälte dann  – den systematisch-theologischen Faden weitergesponnen  – genauso für andere, sozusagen nicht historisch-kritisch zielgerichtete hermeneutische Ansätze: Wenn z. B. in rezeptionsästhetischer Absicht biblische Texte unter dem Fokus der Situativität und Aktivität der Rezipierenden untersucht werden, dann gilt auch hier die Maßgabe der expliziten soziokulturellen

272  Christiane Nagel Sehr deutlich wird das in seiner bleibend aktuellen Virulenz im Beitrag Doerings bei der Analyse des Menschen als Geschöpf: Die neutestamentlichen Reflexionen auf schöpfungstheologische Argumentationen zum geschlechtlichen »Zweier-Prinzip«17 zeigen deutlich an, wozu eben Schöpfungstheologie argumentativ genutzt wurde und mit welcher akuten Dynamik dabei Argumentationslinien sich hier verschieben können.18 Und sie weisen darin über sich hinaus, indem sie warnend zur Reflexion animieren, wie Schöpfungstheologie auch heute teilweise eben unreflektiert überstrapazierend noch argumentativ genutzt werden kann, naheliegender Weise z. B. in Genderdebatten.19 Althergebracht-klassisches Beispiel für eine solche Benutzung biblischer Texte sind ethisch-theologische Ausführungen zur Ehe als normatives Beziehungskonzept zwischen Mann und Frau, in denen geschlechtliche Binarität nicht nur als vermeintlich schöpfungs-

Kontextualisierung – und zwar natürlich nicht nur der Rezipierenden, sondern auch des Rezipierten: Zu den Rezeptionsbedingungen gehört dann eben u. a. auch bspw. der den Rezipierenden (mehr oder weniger) gegenwärtige (Entstehungs-)Kontext des Textes. Vgl. z. B. H. Lindenmayr, Rezeptionstheorie, in: EPhW 3 (1995), 611 – 613 (611). 17   Doering, Neutestamentliche Aspekte (s. Anm. 12), 229. 18   Doering zeigt hier in seinem Beitrag das mehrdimensionale Spektrum schöpfungstheologisch fundierter Argumentationsrichtungen vom anthropologisch-geschlechtlichen Zweier-Prinzip des priesterlichen Schöpfungsberichts über das Gebot zur Monogamie (hier als ein Bsp. Tob 8,6) und das Ehescheidungsverbot in Mk 10,2 – 9 bis hin zur potentiellen eschatologischen Auflösung der Zweigeschlechtlichkeit bei Paulus (Gal 3,28). Vgl. Doering, Neutestamentliche Aspekte (s. Anm. 12), 225 – 231. 19   »Die evangelische Sozialethik geht bei allen Nuancierungen und Differenzierungen im Einzelnen durchweg von einer natürlich gegebenen Zweigeschlechtlichkeit aus. Zwar betonen die meisten Theologen der Gegenwart, dass daraus noch keine sozialen Rollenverpflichtungen resultierten, doch faktisch ist die damit einhergehende Normierung und Naturalisierung kulturell etablierter Genderidentitäten unübersehbar. Die meisten Sozialethiker berufen sich im Hinblick auf die Natürlichkeit und Normativität der Zweiergeschlechtlichkeit auf die biblischen Schöpfungserzählungen [Hervorhebungen C. N.]« (I. Karle, »Da ist nicht mehr Mann noch Frau …«. Theologie jenseits der Geschlechterdifferenz, Gütersloh 2006, 189).

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  273

theologisches Sein,20 sondern auch als bestimmte Eigenschaften und Aufgaben implizierendes Sollen21 konstatiert werden.22 Zumal bei diesem thematischen Beispielkomplex auch deutlich wird, wie sehr schöpfungstheologisch die ontologische Makroebene und die sozialtheoretische Mikroebene miteinander verzahnt sind – wodurch eben gerade hier die Notwendigkeit eines starken hermeneutischen Problembewusstseins evident ist: Die Perspektive des Ganzen beinhaltet eben auch den Blick ins Kleinteilige und damit den konkreten lebensweltlichen Vollzug – und das bei jedem Text an sich, bei seinen verschiedenen Traditionsgütern in multidimensionalen Abhängigkeiten und im Prozess des Tradierens selbst. Dadurch dreht sich die fundamentaltheologische Relevanzfrage des exegetischen Beitrages, mit der er implizit auch abschließt,23 mal wieder darum, welche Funktion der Schriftexegese im innertheologischen Gesamtvollzug theologisch-wissenschaftlichen Arbeitens zukommt; zugespitzt durch den in dieser Publikation zugewiesenen Untertitel »Von Schöpfung und Naturprozessen«: Wie ist vor dem Hintergrund der multidimensionalen Relativitäten neutestamentlicher Texte der produktive Zusammenhang von ebensolchen Schöpfungsaussagen 20   Zumal die Analysen Doerings deutlich daran erinnern, dass gerade die beiden Schöpfungsberichte gewisse – in der Geschichte ihrer Rezeption verschiedentlich reflektierte – Schwierigkeiten für die Annahme einer ontologisch begründeten fixen Geschlechterbinarität bieten. Vgl. Doering, Neutestamentliche Aspekte (s. Anm. 12), 226 f. Vgl. dazu auch M. Carden, Genesis, in: The Queer Bible Commentary, hg. v. D. Guest u. a., London 2007, 21 – 60 (26 f.). 21   Ein Beispiel par excellence in Doerings Beitrag ist 1 Kor 11,7 – 12, eine schöpfungstheologisch »fundierte« ontologische Unterordnung der Frau, mit der dann direkt konkrete soziokulturelle Ungleichbehandlungen begründet werden. Vgl. Doering, Neutestamentliche Aspekte (s. Anm. 12), 230. 22  Exemplarisch-schulbildend war hier Pannenberg. »Die eheliche Gemeinschaft ist nie die einzige Form sexueller Betätigung gewesen. Aber in einer christlich ethischen Beurteilung muß sie die Norm zur Beurteilung aller anderen Formen sexuellen Verhaltens sein. Das gilt für die außerehelichen Beziehungen ebenso wie für die vorehelichen und für den Bereich abweichender sexueller Verhaltensweisen wie die Homosexualität [Hervorhebung C. N.]« (W. Pannenberg, Grundlagen der Ethik. Philosophisch-theologische Perspektiven, Göttingen2 2003, 128). Zu dieser steilen bzw. ab-wertenden These kam Pannenberg in Auseinandersetzung mit der schöpfungstheologisch basierten Argumentation in Mk 10, 6 – 9. Vgl. a. a. O., 126. 23   »Das (Apostolische) Credo verdichtet den Schöpfungsbezug in seiner Formulierung des Ersten Artikels auf äußerste Weise zur Formel ›Schöpfer Himmels und der Erden‹. Die hier genannten Texte und Traditionen regen an, durchzubuchstabieren, was das eigentlich heißt [Hervorhebung C. N.]« (Doering, Neutestamentliche Aspekte [s. Anm. 12], 236 f.).

274  Christiane Nagel und heutigen pluralen Welt- und Menschenbildern der (Post-, Postpost-, …) Moderne und den sie prägenden Erkenntnisbedingungen denkbar? Sprich: Wie kommen die Ergebnisse exegetisch-historischen Arbeitens mit denen des systematisch- (und praktisch-)theologischen zusammen?24 Diese grundlegend fundamentaltheologisch-methodologische Frage kann im nun Folgenden auch konstruktiv an den Beitrag Zarnows gestellt werden. Ausgehend von der Tillichschen25 These, dass die »überlieferten Symbole des Christentums […] ihre sinngebende Kraft verloren«26 haben, unternimmt Zarnow den Versuch, »Materialien und Beobachtungen«27 zu dem Verständniskontext zu sammeln, in dem besagte Symbole wieder sprachfähig sein sollen, und zwar in »Form einer gedanklichen Homilie zu den einzelnen Begriffen des 24  Mit dieser methodologisch-enzyklopädischen Fragestellung würde in der Konsequenz auf die Frage nach der Disziplinarität der Theologie insgesamt abgehoben werden. Vorausgeschickt sei deswegen nur kurz ein diskursives Disziplinenverständnis: Das Proprium der Theologie wird innerhalb ihrer Subdisziplinen nicht im Sinne eines spezifischen materialen Kernbestandes oder einer konkret gefüllten Aufgabe gesehen, sondern in einer aller theologischen Arbeit inhärenten Fragestellung – verstanden als eine formale Struktur des innertheologisch-interdisziplinären Diskurses, der letztlich Theologie als Disziplin selbst darstellt. Wie eine solche Fragestellung zu füllen sei, wurde und wird immer wieder ausführlich und verschiedentlich diskutiert. Vgl. natürlich F. D. E. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums (1811), in: ders., Kritische Gesamtausgabe (KGA) I / 6 (1998), hg. v. D. Schmid, Berlin / New York 1998, 243 – 315 (249 f.). Vgl. auch z. B. M. Roth, Die Ausdifferenzierung der theologischen Wissenschaft als Problemstellung der evangelischen Theologie, in: M. Petzoldt (Hg.), Evangelische Fundamentaltheologie in der Diskussion, Leipzig 2004, 73 – 94 (85 f.). Der Unterschied zu diesen Verständnissen der Theologizität der einzelnen Subdisziplinen liegt in den vorliegenden Anfragen allerdings darin, dass hier von einer inhaltlichen Füllung eines enzyklopädischen Formalprinzips eben (zumindest vorerst) gänzlich abgesehen werden soll: Diskurs um des Diskurses willen. 25   Womit ein spezifisches Theologieverständnis impliziert zu sein scheint. Vgl. dazu z. B. P. Tillich, Die neue Wirklichkeit, München 1963, 56 f. C. Zarnow selbst sieht die Aufgabe der Dogmatik entsprechend darin, »Aufbauarbeit am Symbol zu leisten, d. h. konstruktive Vorschläge zu machen, wie die Symbole des Christentums neu zur Sprache gebracht werden können« (Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer [s. Anm. 1], 239). Es wäre an dieser Stelle interessant, die Frage zu stellen, ob es sich dann, wie oben genannt, um deskriptive »Materialien und Beobachtungen« oder um präskriptiv interessengeleitete Induktionen handelt. Vor dem Hintergrund des aufgezeigten Dogmatikverständnisses scheint Letzteres näherzuliegen. 26   Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer (s. Anm. 1), 239. 27  Ebd.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  275

Credo-Abschnittes«.28 Die Wahl dieses Begriffs ist im Folgenden ­insofern interessant, als dass er als homiletischer Begriff sofort bestimmte Erwartungen evoziert: namentlich die der Schriftbasiertheit der Gedanken.29 Zwar ist Zarnows Formulierung an dieser Stelle sicherlich so pointiert, dass die Begriffe bzw. Sprachbilder des Glaubensbekenntnisses die Wortbasis sein sollen. Doch sowohl ebendies als auch der konzeptuelle exegetische Kontext des vorliegenden Bands als auch die Vorgehensweise Zarnows selbst zeigen deutlich, dass es sich hierbei wohl eben auch um eine Auslegung im Horizont biblischer Traditionen handeln dürfte. Sprich: Die Dogmatik versuche konstruktiv, die biblisch fundierten Glaubensaussagen in (post-, postpost-) moderne Denkzusammenhänge zu übersetzen. Zarnow unternimmt dies, indem er in Hinblick auf »die Erde, de[n] Himmel und ihr[en] Schöpfer«30 ebendiese Denkzusammenhänge exemplarisch in Phänomenen31 betrachtet. In seinen Reflexionen über Welt, Schöpfung und Schöpfer bedient er sich dabei relativ frei-assoziativ wirkend verschiedener Anleihen aus Philosophie, Theologie und Popkultur,32 um die verschiedenen Tiefendimensionen 28

  Ebd. Hervorhebung  C. N.   Vgl. z. B. R. Berger, Homilie, Neues Pastoralliturgisches Handlexikon 1999, 207 f. 30   So der Titel seines Beitrags. Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer (s. Anm. 1), 239. 31   So zumindest könnte die Ankündigung »phänomenologische[r] Annäherungen« des Beitragtitels interpretiert werden. Ansonsten wäre hier vielleicht die methodische Rückfrage nach dem phänomenologischen Ansatz zu stellen. 32   U. a. von Hans Blumenberg, Alexander Gerst und Bruno Latour über Gravity und Friedrich Schleiermacher bis hin zu Blumfeld. Bei dem letztgenannten Beispiel aus dem Bereich der Popkultur stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien man hier die Verbindungslinien konstruiert, die konstatiert werden zwischen den Reflexionen, die der Anblick des Schöpfungswerks des Nachthimmels im religiösen Bewusstsein z. B. in Ps 8 auslöst, und dem von Blumfeld besungenen Nichts menschlicher Existenz. Scheint ersteres ja eher die eigene kategoriale Niedrigkeit und Abhängigkeit gegenüber dem transzendenten Schöpfergott auszudrücken, reflektiert letzteres wohl vielmehr auf das weltimmanente Alleingestelltsein des nichtigen Menschen im Universum, was nur in zwischenmenschlicher Liebe seine Auflösung findet. Auch der argumentativ zugefügte Ps 39 scheint eher auf eine Nichtigkeit coram Deo abzuheben. Wie sich hier also tatsächlich schöpfungstheologische Denkhorizonte in heutigen Verstehenskontexten erschließen, wäre interessant weiterzuverfolgen. (Interessant ist hier auch, dass das von Blumfeld gegebene »Sinnversprechen« der Liebe als von »mittlerer Reichweite« gekennzeichnet wird. Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer [s. Anm. 1], FN 57. Könnten z. B. vor dem Hintergrund a-theistischer Theologien [wie grundlegend bei Dorothee Sölle 29

276  Christiane Nagel der Denkbarkeit schöpfungstheologischer Symbolik darzustellen. Dadurch zeigt sich gerade auch am Beitrag Zarnows die von D ­ oering verdeutlichte lebendige Dynamizität von Rezeptionsprozessen in theologischen Diskursen.33 Zarnows Vorgehensweise ist in dieser Hinsicht also stringent, geht es ihm ja um die Kommunikabilität christlich-religiöser Symbole im denkerischen Kontext des Jetzt, also maßgeblich im Zusammenspiel infinit verschiedenster Erkenntnisprozesse aus Wissenschaft und Kultur, was dann nur in Beispielen vollzogen werden kann.34 Allerdings bleibt grundsätzlich zu fragen, anhand welcher Parameter bzw. Kategorien die »Materialien und Beobachtungen« zusammengetragen und hermeneutisch gedeutet werden, also in und aus welchen Kontexten man die dargestellten Beispiele wie auf schöpfungstheologische Konnotationen hin befragt. Denn, wie Doerings Ausführungen deutlich machen, Auslegung braucht Kontextualisierung. Damit soll nicht behauptet werden, dass hier der Kontext fehle – gerade z. B. die Großwetterlage wird ja durch die eingangs genannte Einordnung in die Tillichsche Diagnose deutlich. Doch könnten zusätzliche Einzelkontextualisierungen helfen, die innere Logik der Vorgehensweise transparenter zu machen und so ein Nachvollziehen und Weiterdenken der Ansätze noch stärker fördern, wozu der Beitrag durch seine wohl phänomenologische Vielschichtigkeit ja anregen will. Außerdem würden etwaige Vermutungen über zu große

u. v. a.] hier nicht vielleicht vielmehr Anschlusspunkte zwischen nicht-religiösen Deutungen menschlicher Existenz und christlichen Gottesvorstellungen gefunden werden?) 33  Stärkstes materiales Argument dafür ist m. E. Zarnows Analyse des wechselseitigen Verhältnisses zwischen Selbst- und Weltbewusstsein bei Schleiermacher. Gerade die hier beispielhafte denkerische Wechselwirksamkeit kosmologischer Reflexion und »subjektivitätstheoretische[r] Bestimmung religiöser Sinndeutung« verdeutlicht die inhärente Dynamizität religiöser Weltdeutungen – und dann auch logisch weitergedacht die der Theologie insgesamt. Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer (s. Anm. 1), 256 – 258. 34  Es bleibt allerdings an dieser Stelle dennoch die Grundsatzfrage zu stellen, ob es dann nicht hilfreich wäre, die eigene spezifische Positionalität, die sowohl die Auswahl der Beispiele als auch ihre Deutung offensichtlich bestimmt, explizit mitzureflektieren und dadurch transparenter zu machen. Das würde eine gestärkte wissenschaftliche Reichweite außerhalb ähnlich vollzogener Dogmatik-Diskurse, die sich durch prinzipielle Vereinbarungen wie ja v. a. die der intersubjektiven Überprüfbarkeit konstituiert, fördern.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  277

hermeneutische Freiheitlichkeit oder auch zu starke Konsequentialismen35 direkt im Keim erstickt. Klassisch exemplarisch und der hier zu Beginn genannten fundamentaltheologischen Grundsatzfrage entsprechend wird dies deutlich, wenn man sich die konkrete Rezeption biblischer Traditionsgüter anschaut. Denn gerade hier kann an die Ausführungen Zarnows zurückgefragt werden, wie historisch-kritische Exegese in seine Betrachtungen mit eingeflossen ist. So könnte z. B. bei der von ihm konstatierten Gegenläufigkeit bzw. »Spannung« der »biblischen Aussagen«36 über den Himmel (oder auch die Sonne) als einerseits gottesbildlicher »Metaphorisierung« und andererseits schöpfungstheologischer »Depotenzierung«37 gegengehalten werden, dass es sich hier eben vielmehr auch um traditions- und religionsgeschichtliche Abhängigkeiten bzw. Entwicklungslinien zu handeln scheint.38 Ähnlich könnten auch seine Überlegungen zur »Doppelgesichtigkeit«39 des christlich-theologi35   So wäre vielleicht doch noch einmal zu fragen, ob »[d]ie religiöse Weltbetrachtung  […] mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zum Gedanken des transzendenten ›Ursprung[s] aller Dinge‹ [Hervorhebung C. N.]« führen muss. Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer, (s. Anm. 1), 262. Zarnow sieht hierin die berechtigte religiöse Frage hinter kosmologischen Gottesbeweisen – und steht damit im liberaltheologischen Erbe der steten Betonung der Eigenständigkeit des religiösen Gefühls, dass also religiöse Weltdeutungen nicht aufgrund ihrer Inkommensurabilität mit den Prinzipien der reinen Vernunft ihre eigene existentielle Berechtigung verlieren Wenn dem aber so ist, dann kann man weitergedacht m. E. im Kontext religiöser Weltdeutungen schlecht von denkerischen Zwangsläufigkeiten sprechen. 36  Allein an dieser Formulierung, die sich in Grundansätzen durch den gesamten Beitrag zieht, wird das Problem der unexpliziten Kontextualisierung  – vielleicht nur als ein Formulierungsproblem  – evident. »[D]ie biblischen Autoren« kann es vor dem Hintergrund eines historisch-exegetischen Bewusstseins in dieser Form argumentativ eigentlich nicht geben. A. a. O., 246. Natürlich sei nicht ignoriert, dass die Möglichkeit biblischer Theologie auch in den exegetischen Disziplinen durchaus persistentes Thema ist. Exemplarisch-programmatisch dafür vgl. z. B. F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments. Bd. I. Die Vielfalt des Neuen Testaments, Stuttgart 32011, 15 f. Allerdings muss dann gleichzeitig betont werden, dass hier erstens vermutlich unterschiedliche Theologiebegriffe im Allgemeinen zu Grunde liegen. Und zweitens geht es hier eben gerade um die Frage nach der Möglichkeit eines die immense innere Pluralität des christlich-biblischen Kanons verbindenden, aber eben nicht ignorierenden hermeneutischen Kriteriums (bei Hahn als die interpretatio christiana). 37   Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer (s. Anm. 1), 251. 38   Vgl. z. B. A. Berlejung, Himmel, in: HGANT 22009, 252 – 254 (252 f.). 39   Zarnow, Die Erde, der Himmel und ihr Schöpfer (s. Anm. 1), 254 f.. Allerdings ein Trillhaas-Zitat  – was verdeutlicht, dass die Frage nach dem

278  Christiane Nagel schen Weltverständnisses befragt werden, die sich zwischen Gen 1,31 und 1 Joh 2,15 darstelle: Zeigen sich hier Dichotomien der Weltsicht – oder eher ihr Wandel im Kontext der Geschichte?40 In welcher Weise kann dann des Weiteren Koh 5,2 wirklich als »die Kurzformel der biblischen Topographie«41 gelten? Unabhängig davon, dass Kohelet zur Weisheitsliteratur gehört und also in spezifischem Kontext mit sehr spezifischen Absichten steht.42 Allein je nach historischer soziokultureller Situation existierte biblisch ja beispielsweise auch die Vorstellung von Jhwhs Residenz auf einem Berg.43 So wenig diese vereinzelten Rückfragen auch nur annähernd eine grundsätzliche Infragestellung des vielschichtigen und weitsichtigen Beitrags Zarnows darstellen sollen und können, so sehr ist – gerade in der im Glashaus sitzenden Perspektive der Fundamentaltheologin – über diesen Beitrag hinausgehend um der inner- (und außer-)theologischen interdisziplinären Kommunikabilität der Theologie als Disziplin auch hier die immer wieder neu zu beschwörende Grundsatzfrage zu stellen: Wie kommen Exegese und Systematik zusammen? Dabei soll keinerlei Neuauflage eines Schriftprinzips44 heraufbeschwört werden. Sondern es geht vielmehr darum, die sich immer weiter ausdifferenzierenden Kompetenzen der einzelnen Teildisziplinen im DisWie der Nutzung exegetisch-historischer Einsichten im Zusammenhang der Systematischen Theologie ein Grundsatzproblem sein dürfte. 40   Dies ist insofern auffällig, als dass Zarnow die Dynamizität des menschlichen Blickes »auf« die Welt selbst eindrücklich verdeutlicht – so z. B. in kosmologischer Referenz zu Blumenbergs Ausführungen zum durch die Raumfahrt erst möglich gemachten Blick auf den blauen Planeten Erde. Vgl. a. a. O., 240 f. Allerdings kann an die später folgende Behauptung, dass dadurch erst eine Reflexion auf die fragile Entität des menschlichen Lebensraums möglich wäre, die Rückfrage gestellt werden, ob solches nicht doch schon immer Gegenstand religiöser, philosophischer und theologischer etc. Denkprozesse war. So lebte bekanntlich der Häuptling eines berühmten gallischen Dorfes in permanenter Angst, ihm könnte der Himmel auf den Kopf fallen. Oder als materiales Beispiel für den theologischen Blick auf die Welt als Ganze mögen Darstellungen wie die Ebstorfer Weltkarte dienen. 41   Ebd., Hervorhebung C. N. Vgl. a. a. O., 246. 42   Vgl. dazu z. B. M. Saur, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Darmstadt 2012, 9 – 13. 43   Vgl. dazu z. B. A. Berlejung, Weltbild / Kosmologie (HGANT2 2009), 65 – 72 (67). 44   Das wäre zwar eine hierzu in Bezug stehende, formal aber anders gelagerte Fragerichtung nach möglichen allgemeinen Prinzipien von Theologie. In den hier vorliegenden Gedankengängen geht es vielmehr um die Funktionstüchtigkeit des innertheologischen Diskurses.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  279

kursprozess der Theologie gegenseitig einsichtig und fruchtbar zu machen bzw. zu halten.45

45   Eine Frage, die sich sicherlich akut dem theologischen Nachwuchs in seinen verschiedenen Ausbildungsfragen stellt, die aber – aufgrund ihrer oben angedeuteten methodologisch-enzyklopädischen Stoßrichtung nach der Identität der Theologie als Disziplin insgesamt  – für das Selbstverständnis des Faches eine grundlegend-permanente Reflexionsanforderung ist. Vgl. Roth, Die Ausdifferenzierung (s. Anm. 25), 74 f.79.

280  Weiterführende Fragen

Weiterführende Fragen 1. Wie lässt sich gegenüber jenen argumentieren, die der Meinung sind, der christliche Glaube hänge daran, dass die Welt nach Gen 1 in sieben Tagen erschaffen worden sei, und die aus einzelnen biblischen Schöpfungsaussagen eindeutige anthropologische Vorgaben entnehmen und ethische Folgerungen (Zweigeschlechtlichkeit, Geschlechterverhältnis, Herrschaft über die Natur) ziehen? 2. Inwiefern kann eine klare Unterscheidung zwischen Schöpfung und Natur dazu beitragen, der Leugnung der vom Menschen gemachten Klimaveränderung einen Riegel vorzuschieben? Wie lassen sich unter Voraussetzung dieser Unterscheidung menschliche Eingriffe in die Natur (Reproduktions- und Transplantationsmedizin, Geschlechtsumwandlung, genetische Veränderungen) einschätzen?

IV.  »Ich glaube an den Heiligen Geist …« Von der Neuschöpfung des Menschen Der dritte Glaubensartikel ist eng an den zweiten und auch den ersten angebunden, insofern der Heilige Geist als der bestimmt wird, der die Gemeinschaft der zu Christus Zugehörigen herstellt, Vergebung der Sünden zueignet und das ewige Leben eröffnet, das Gott der Schöpfer durch Christus gewährt. Bereits im zweiten Artikel wird auf das Tätigsein des Heiligen Geistes bei der Inkarnation des Gottessohnes hingewiesen. Der Ausdruck »Geist« vereint in den biblischen Sprachen wie im heutigen Sprachgebrauch vielfältige Bedeutungen; er steht sowohl für das Physisch-Leibliche (Atem), für mentale Verfasstheit und seelisch-geistige Bestimmtheit als auch für den Geist Gottes. Die Rede vom »Heiligen Geist« ist im Alten Testament noch sehr selten (Ps 51,13; Jes 63,10 f.); Gottes Geist ist Gottes schöpferische (Gen 2,7) und ermächtigende (Jes 61,1) Kraft. Im Neuen Testament wird Jesus Christus in engster Weise mit dem Geist verbunden (Mk 1,9 – 11; Lk 1,35); nach Ostern wird der Geist zur Gabe an die Gemeinde Christi (Apg 2; Joh 20,22 f.). Sein Wirken wird in vielfältiger Weise beschrieben, er wirkt den Glauben der Einzelnen, stiftet Erkenntnis Christi, führt in alle Wahrheit und befähigt zum Zeugnis (Joh 15,26.27). Der Geist Gottes wird bei Paulus, Lukas und Johannes zunehmend als eine eigenständig wirksame, von Gott und Christus personal unterschiedene Größe erkannt, wenngleich eine ausgebildete Trinitätslehre im Neuen Testament noch nicht zu finden ist. Erst im Laufe der weiteren Theologiegeschichte wird der Heilige Geist als wesensgleiche Person neben Vater und Sohn bekannt (s. Nizäno-Konstantinopolitanum; Athanasianum).

Leben im Glauben – Leben im Geist Biblisch-theologische Aspekte der Geistesgegenwart Gottes Jens Herzer

Quasimodo geniti – »wie die neugeborenen Kinder« – im Kirchenjahr trägt der Sonntag nach Ostern diese Bezeichnung. Damit wird dem Ostergeschehen eine Dimension zugewiesen, die das Leben unter der Perspektive des Glaubens an Gottes auferweckendes Handeln am gekreuzigten Jesus von Nazareth auf nachhaltige – um nicht zu sagen: geheimnisvolle – Weise erneuert. »Ich fühle mich wie neugeboren«, so tönt euphorisch, wer von Krankheit genesen ist oder aus einer Kur kommt. »Anwendungen« werden die Maßnahmen genannt, die ausdrücklich Körper und Geist erbauen, wobei eine wechselseitige Beeinflussung vorausgesetzt wird und dabei insbesondere die Entspannung und Kräftigung des Leibes dem Geist aufhilft. Das ist zugegebenermaßen nur die schwache Alltagsvariante jener geistlichen Gewissheit des Neugeborenseins, aber sie macht anschaulich, dass auch der von Ostern herkommende Vergleich der Glaubenden mit »neu geborenen Kindern« zunächst ein Lebensgefühl anspricht, insofern man aufgrund besonderer Umstände den Eindruck und die Gewissheit erlangt, gleichsam noch einmal neu mit dem Leben anfangen zu können, auf neue Weise ins Leben getreten zu sein – eben wie neugeborene Kinder. Dass selbst in alltäglichen Kontexten die Leiblichkeit als eine conditio sine qua non für die Entfaltung der Geisteskraft wahrgenommen wird, ist ein Aspekt, der auch die theologische Reflexion in besonderer Weise herausfordert. Dies gilt umso mehr, als die leiblich-symbolische Vorstellung von einem Neu- bzw. Wiedergeboren-Werden traditionell mit der Taufe und der Wirkung des Heiligen Geistes verbunden wird. Dadurch ergibt sich ein komplexer theologischer Zusammenhang, der die Gabe des Geistes mit dem Ostergeschehen verbindet, insofern sich der Glaube im Taufvollzug auf die Verbindung mit Tod und Auferweckung Christi bezieht. Unter dieser Voraussetzung gewinnt der Geist dann auch seine gemeindekonstituierende Funktion, wie sie etwa das Pfingstgeschehen abbildet, und erhält darin erneut eine Gestalt, die maßgeblich in leiblich-personalen Kategorien entfaltet wird.

284  Jens Herzer Damit sind bereits wesentliche Aspekte des Geist-Artikels angesprochen, die es im Folgenden zu entfalten gilt. Doch der Reihe nach: Was also haben diese beiden Perspektiven  – die österliche und die alltägliche  – auf die Vorstellung eines Neu-Geboren-Werdens mit dem Auftaktthema des dritten Artikels zu tun: »Ich glaube an den Heiligen Geist«? Der Untertitel in dieser Rubrik des Bandes thematisiert das für eine Antwort theologisch Entscheidende: »Von der Neuschöpfung des Menschen«. Der Geist als creator spiritus (vgl. EG 126) gilt sowohl religionsgeschichtlich als auch dogmatisch in besonderer Weise als die Schöpferkraft Gottes, die sich in Schöpfung und Neuschöpfung als Leben schaffende Kraft erweist.1 Bereits der Beginn des ersten biblischen Buches stellt die schöpfungstheologische Funktion und Bedeutung des göttlichen Geistes heraus (Gen 1,1 f.). 1   Dies so zu formulieren, ist zugegebenermaßen bereits eine Verkürzung der Problematik, die hier nicht weiter erörtert werden kann. Zur strittigen Frage der systematischen Einordnung des »Werkes des Heiligen Geistes« in der Dogmatik vgl. z. B. U. H. J. Körtner, Dogmatik (LETh 5), Leipzig 2018, 444 – 453, der die Pneumatologie zwischen Christologie und Soteriologie verortet. Vgl. auch G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. III, Tübingen 31982, 10 f., der seinerseits die Pneumatologie mit der Eschatologie zusammenordnet, gleichzeitig aber zu Recht vor einer »Schubladisierung zu Pneumatologie und Eschatologie« warnt, die als eine »Domestizierung dessen zu verstehen (sei), worum es im Geistgeschehen und im Endgeschehen eigentlich geht« (a. a. O., 15). Es liegt wohl an der Vielfältigkeit der Funktionen des Geistes, dass eine feste systematische Verortung immer wieder infrage gestellt wird. In einem knappen, aber instruktiven Artikel zur aktuellen Problematik der Pneumatologie stellt auch Christian Danz die »Unschärfe des Geistbegriffs« heraus und spricht von der »unklaren Stellung der Pneumatologie im Aufbau der theologischen Dogmatik«: »Erörtert wird der Gottesgeist in der Trinitätslehre, der Lehre von der Heilszueignung (Soteriologie) und der von der Ekklesiologie, aber auch in der Schriftlehre sowie der Eschatologie und der Lehre von der Schöpfung. Als eine eigenständige dogmatische Lehre ist die Pneumatologie nicht ausgearbeitet worden, sie wurde ausschließlich in Verbindung mit anderen dogmatischen Lehrstücken abgehandelt.« (C. Danz, Der Heilige Geist und die Realisierung des Glaubens in der Geschichte. Überlegungen zur systematischen Funktion der Pneumatologie [HTS 72], [2016], 1 – 7 [1] [https://hts.org.za/index.php/hts/article/view/3293/7392, zuletzt abgerufen am 28. 10. 2018].) Für Danz ist essentiell, dass die systematische Funktion des Geistes nur in Relation zum Religionsbegriff entfaltet werden könne (a. a. O., 2); vgl. ders., Der Geist der Religion. Anmerkungen zur religionstheoretischen Funktion der Pneumatologie, in: R. Barth / A. Kubik / A. v. Scheliha (Hg.), Erleben und Deuten. Dogmatische Reflexionen im Anschluss an Ulrich Barth. Festschrift zum 70. Geburtstag, Tübingen 2015, 257 – 272. Zur kritischen Auseinandersetzung mit Danz vgl. M. Laube, Christliches Leben im Geist. Überlegungen zur Pneumatologie, in diesem Band.

Leben im Glauben – Leben im Geist  285

Darin ist zugleich auch der Aspekt der Erhaltung der Schöpfung impliziert, und dieser gehört zu den maßgeblichen Charakteristika bzw. Funktionen des Geistes, der damit freilich in seinen vielfältigen Dimensionen und seiner buchstäblichen Allgegenwart bei Weitem nicht erschöpfend erfasst ist.2 Man könnte kühn behaupten: Was unter dem Eindruck der Alltagserfahrung »Lebensgefühl« genannt wird, entspricht theologisch der Rede vom Wirken des Heiligen Geistes. Für Letzteres erscheint der Begriff »Lebensgefühl« zunächst einmal ganz unangemessen und viel zu schwach, um die Bedeutung und die Wirkungen des Geistes zu erfassen. Die »Unübersichtlichkeit«, die Martin Laube als Bestandsaufnahme der aktuellen Diskussion in der evangelischen Theologie konstatiert,3 trägt ebenfalls nicht ohne Weiteres zu Klärungen bei. Dennoch ist mit dem Begriff »Lebensgefühl« auf anschauliche und möglicherweise zugleich provokante Weise die anthropologische bzw. leiblich erfahrbare Dimension der Rede vom Geist aufgerufen, die für die Interpretation der Credo-Aussage als einer expliziten Aussage des glaubenden Ich aus meiner Sicht eine Schlüsselrolle einnimmt.4 Damit ist eine hochkomplexe und aktuelle Fragestellung aufgerufen, die hier nicht andeutungsweise erörtert werden kann. Die Bedeutung von Gefühlen als Teil der conditio humana verdient in theologischen Kontexten mehr Aufmerksamkeit, als ihr traditionellerweise zukommt. Sie darf auch nicht allein in der Engführung auf Schleiermacher und seine geradezu sprichwörtlich gewordene Vorstellung von Religion als »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit« wahrgenommen und expliziert werden.5 Das hängt vor allem mit der leiblichen Dimension des Geistes zusammen, die nicht nur in 2   Vgl. für einen Überblick unter exegetisch-neutestamentlichem Blickwinkel z. B. J. Frey, Vom Windbrausen zum Geist Christi und zur trinitarischen Person. Stationen einer Geschichte des Heiligen Geistes im Neuen Testament, in: Heiliger Geist, in: JBTh 24 (2009, 22015), 121 – 154; J. Herzer, Evangelische Spiritualität und das Neue Testament, in: P. Zimmerling (Hg.), Handbuch Evangelische Spiritualität, Bd. 2: Theologie, Göttingen 2018, 335 – 357. Speziell zur paulinischen Pneumatologie vgl. grundlegend F. W. Horn, Das Angeld des Geistes. Studien zur paulinischen Pneumatologie (FRLANT 154), Göttingen 1992; s. a. M. Wolter, Der heilige Geist bei Paulus, in: JBTh 24 (2009, 22015), 93 – 119. 3  Vgl. Laube, Christliches Leben (s. Anm. 1), 326. 4   Angesprochen ist damit konkret jene für das Wirken des Geistes charakteristische Funktion, die Laube, a. a. O., 335 – 337, als »Sozialität des Geistes« beschreibt. 5   In der »Ökumenischen Dogmatik« von U. Kühn und W. Beinert, Leip-

286  Jens Herzer der Alltagserfahrung eine Rolle spielt,6 sondern beispielsweise auch bei Paulus als eine die menschliche Existenz bestimmende und transformierende Kraft von zentraler Bedeutung ist. Darauf wird im Folgenden zurückzukommen sein. Der Aspekt des Gefühls hängt mit der Erfahrung bzw. hier speziell der Geisterfahrung eng zusammen, der aus phänomenologischen und religionswissenschaftlichen Gründen zumeist deutlich mehr Aufmerksamkeit zukommt.7 Natürlich birgt die Rede von Gefühlen auch Probleme, da theologische Einsichten nicht von Emotionen abhängig gemacht werden können, zumal wenn diese anthropologischen Dimensionen in den aktuell auflebenden Diskursen über »Spiritualität« in Bezug auf das Verständnis des Geistwirkens – wie es Martin Laube andeutet – unterbelichtet bleiben.8 Dennoch darf insbesondere hinsichtlich der zig / Regensburg 2013, 323, verweist der einzige Registereintrag unter dem Stichwort »Gefühl« auf Schleiermacher. 6   Vgl. dazu z. B. exemplarisch die von C. Henning, Die evangelische Lehre vom Heiligen Geist und seiner Person. Studien zur Architektur protestantischer Pneumatologie im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2000, geführte Debatte; darin insbesondere die Auseinandersetzung mit dem phänomenologisch-­ anthropologischen Ansatz der Pneumatologie von Hermann Timm (a. a. O., 20 – 42; vgl. bes. H. Timm, Phänomenologie des Heiligen Geistes, Bd. 1: Elementarlehre: Das Weltquadrat. Eine religiöse Kosmologie, Gütersloh 21986), wobei die Kritik Hennings vor allem darauf abhebt, dass klassische Positionen der Pneumatologie (z. B. der materiale Gehalt der Geistvorstellung; die Personalität des heiligen Geistes) nicht hinreichend zur Geltung kämen (vgl. Henning, a. a. O., 39 – 41). 7   Vgl. z. B. G. Theissen, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007; speziell für den materialreichen Bereich der paulinischen Briefliteratur V. Rabens, The Holy Spirit and Ethics in Paul. Transformation and Empowering for Religious-Ethical Life, Minneapolis 22014; ders., Begeisternde Spiritualität. Geisterfahrungen im Leben der paulinischen Gemeinden, in: GlLern 26 (2011), 133 – 147. Für eine kritische Perspektive vgl. etwa Horn, Angeld des Geistes (s. Anm. 2), passim, bes. 13 – 24, in Auseinandersetzung mit der einst grundlegenden Studie von H. Gunkel, Die Wirkungen des heiligen Geistes, nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und nach der Lehre des Apostels Paulus. Eine biblisch-theologische Studie, Göttingen 1888 (31909); dezidiert kritisch gegenüber der Kategorie der Erfahrung und vor allem des Gefühls vgl. K. Berger, Historische Psychologie des Neuen Testaments (SBS 146 / 147), Stuttgart 1991. 8  Vgl. Laube, Christliches Leben (s. Anm. 1), 326. Vgl. demgegenüber aber jetzt die umfassende Aufarbeitung des Spiritualitätsbegriffes in seinen vielfältigen Dimensionen bei P. Zimmerling (Hg.), Handbuch Evangelische Spiritualität, Bd. 1: Geschichte, Göttingen 2017; Bd. 2: Theologie, Göttingen 2018. Zum Neuansatz einer Emotionsforschung in der systematischen

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kommunikativen Struktur der Verkündigung des Evangeliums und angesichts der nahezu selbstverständlichen Einsicht in die rhetorische Bedeutung des Pathos (im Sinne aristotelischer Rhetorik) dieser Aspekt des Gefühls nicht vernachlässigt werden, sondern ist hermeneutisch und unter den Voraussetzungen moderner kulturanthropologischer sowie auch medizinischer bzw. neurowissenschaftlicher Forschung in die theologische Rede vom Geist einzubeziehen.9 Die erste Zeile des dritten Artikels gibt weiterhin die Frage auf, ob sie und damit auch alle folgenden Aussagen für sich stehen und je einzelne Aspekte benennen, auf die sich der Glaube richtet, oder ob nicht vielmehr die erste Zeile als eine Art Überschrift fungiert und die folgenden Zeilen explizieren, was »Glauben an den Heiligen Geist« in der Sache bedeutet bzw. welche wesentlichen Aspekte dieser Glaube beinhaltet. In letzterem Sinn hat es etwa Luther in der Erklärung des dritten Artikels im Großen Katechismus verstanden.10 Andernfalls Theologie vgl. z. B. R. Barth / C. Zarnow (Hg.), Theologie der Gefühle, Berlin / Boston 2015. 9   Zur dogmatischen Reflexion im Kontext einer Phänomenologie des heiligen Geistes vgl. M. Petzoldt, Gehirn  – Geist  – Heiliger Geist. Muss der Glaube die Willensfreiheit verteidigen?, Hamburg 2008; Körtner, Dogmatik (s. Anm. 1), 457 – 462. Kulturanthropologische und neurowissenschaftliche Aspekte für das Verstehen der Bedingungen und der Ausdrucksformen der Rede vom Geist werden erörtert z. B. bei G. Theißen / P. v. Gemünden (Hg.), Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, Gütersloh 2007; darin bes. P. Craffert, Neutestamentliche Forschung nach der Revolution in den Neurowissenschaften. Ungewöhnliche menschliche Erfahrungen ins Bewusstsein rufen, a. a. O., 91 – 117. 10   BSLK 653: »Denn wie der Vater ein Schepfer, der Sohn ein Erlöser heißet, so soll auch der heilige Geist von seinem Werk ein Heiliger oder Heiligmacher heißen. Wie gehet aber solch Heiligen zu? Antwort: Gleichwie der Sohn die Herrschaft überkömmt, dadurch er uns gewinnet durch seine Gepurt, Sterben und Auferstehen etc., also richtet der heilige Geist die Heiligung aus durch die folgenden Stücke, das ist durch die Gemeinde der Heiligen oder christliche Kirche, Vergebung der Sunden, Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben […].« Zur Problematik vgl. auch J. N. D. Kelly Altkirchliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie (UTB 1746), Göttingen 2 1993, 152 f., der den dritten Artikel aufgrund der Auflistung verschiedener Glaubensinhalte als singulär bezeichnet. Erstaunlicher Weise ist in der Confessio Augustana dem Heiligen Geist kein eigener Artikel gewidmet, obwohl die beiden anderen Personen der Trinität je einen Artikel bekommen. Auch in den Loci Communes des Melanchthon fehlt ein entsprechender Paragraph. Deutlich ist aber auch, dass der Bezug auf den Geist und sein Wirken diese Dokumente gleichsam wie ein roter Faden durchzieht. Vgl. in der Sache auch A. Käfer, Glauben bekennen, Glauben verstehen. Eine systematisch-theo-

288  Jens Herzer muss man das bereits in der alten Kirche diskutierte Problem lösen, dass im Nebeneinander der Aussagen das einleitende »Ich glaube an« sich neben dem Geist auch auf die Kirche und die anderen Aussagen als Glaubensgegenstände in derselben Weise beziehen müsste, wie dies von den trinitarischen Personen ausgesagt ist.11 Im Nizäno-Konstantinopolitanum ist diese Interpretation dann ausdrücklich vollzogen, indem es die Zeile zur Kirche die Präposition εἰς mit vorangestelltem καί wiederholt (»und an«) und damit die Kirche explizit als Glaubensgegenstand qualifiziert.12 Im Apostolikum ist ein solches Verständnis dadurch erschwert, dass im lateinischen textus receptus nur die erste Zeile des dritten Artikels als Aussage eines »Glaubens an« formuliert ist, die Folgezeilen jedoch einfache Akkusative aneinanderreihen.13 Die Tendenz geht damit jedoch bereits in die Richtung der späteren nizäno-konstantinopolitanischen Tradition, insofern der von der lateinischen Präposition »in« verlangte Kasus vom Ablativ des älteren Romanums (credo in spiritu sancto), auf den dann in deutlicher Unterscheidung von dieser Glaubensaussage Akkusativ-Verbindungen folgen, im Apostolikum in den Akkusativ geändert (credo in spiritum sanctum) und damit eine Kasusangleichung an die folgenden Akkusative vorgenommen wurde, wie dies übrigens auch bereits in der markellinischen (griechischen) Version des Romanums der Fall war.14 Auch aus neutestamentlicher Sicht können die im Apostolikum der Geistaussage nachfolgenden Topoi der Ekklesiologie, Ethik und Eschatologie nicht ohne den grundlegenden Bezug zum Wirken des Geistes entfaltet werden.15 Sie liegen insofern nicht mit dem Geist logische Studie zum Apostolikum (Theologische Studien 9), Zürich 2014, 67 – 86 (69 f.). 11  Vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 10), 153. Vgl. dazu auch die Darstellung der unterschiedlichen Versionen und ihrer Entwicklung des Apostolikums im Beitrag von P. Gemeinhardt, Vom Werden des Apostolikums, in diesem Band. 12  Vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 10), 295 f.; vgl. auch die Beiträge von M. Öhler und H.-P. Grosshans in diesem Band. 13  Vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 10), 363: Credo in Spiritum sanctum, sanctam ecclesiam catholicam, sanctorum communionem, remissionem peccatorum, carnis ressurectionem, vitam aeternam. 14   Vgl. die Gegenüberstellung bei Gemeinhardt, Vom Werden des Apostolikums (unter Abschnitt 3.1 bzw. 4.2), in diesem Band. 15   Vgl. dazu auch oben Anm. 1 sowie insbesondere die einleitenden Bemerkungen im Beitrag von Laube, Christliches Leben (s. Anm. 1), der nicht zuletzt darüber klagt, dass »notorisch unklar [ist], welche Themenbestände

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auf einer Ebene, sondern repräsentieren bzw. thematisieren seine Wirkungen. Vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Apostolikums könnte die Auffassung, die Zeilen seines dritten Artikels seien je separate Glaubensaussagen, durch den Vergleich mit anderen Bekenntnissen wie etwa dem Nizänum naheliegen. Im Nizänum steht die Aussage über den Glauben an den Geist ohne weitere Ergänzungen und wird erst in der konstantinopolitanischen Fassung deutlich erweitert, indem dem Geist personale Aspekte zugeschrieben werden, durch die er von den anderen ekklesiologischen und eschatologischen Aussagen eigentümlich isoliert erscheint.16 Demgegenüber wäre aber gerade aus neutestamentlicher Sicht der innere Zusammenhang der im dritten Artikel des Apostolikums zusammengestellten Aussagen mit dessen Einleitung: »Ich glaube an den Heiligen Geist« zu beschreiben und darzustellen. Die Allgegenwart und Vielfalt des Geistes und die noch größere Vielfalt der Rede vom Geist17 macht es unmöglich, dem in einem knappen exegetischen Gesprächsimpuls gerecht zu werden. Unter dem Vorzeichen des interdisziplinären Gesprächs kann es auch nicht darum gehen, noch einmal – und womöglich vollständig – gleichsam die »Geschichte« des Geistes in den biblischen Traditionen nachzuzeichnen.18 Da in diesem Band jede Zeile des ersten und dritten Artikels des Apostolikums eine eigene Erörterung erfährt, konzentriere ich mich im Auftakt zum dritten Artikel auf das Verhältnis von Glauben und Geist. Auch Martin Luther hat im Unterschied zu seiner Erklärung im großen Katechismus in der knappen und dadurch natürlich verkürzten Behandlung des dritten Artikels im Kleinen Katechismus die wesentliche Funktion des Geistes in einen engen Bezug zum

eine ausgeführte Pneumatologie umfassen müsste und wo ein solches Lehrstück im Gefüge der Dogmatik angemessen zu verorten wäre« (a. a. O., 322). 16   Das Nizäno-Konstantinopolitanum geht hier wieder einen eigenen Weg: Während im Nizänum der dritte Artikel allein aus der ersten Zeile besteht, fügt das Konstantinopolitanum einen vierten Artikel über die Kirche hinzu und schließt die Aussage über die Taufe, Sündenvergebung, Auferstehung und ewiges Leben nur mehr wie einen Anhang nach, zudem nicht mit credo eingeleitet, sondern mit confiteor (BSLK 27). 17   Zum Spektrum gegenwärtiger Problemstellung vgl. z. B. den Sammelband von C. Danz / M. Murrmann-Kahl (Hg.), Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit. Perspektiven der Pneumatologie im 21. Jahrhundert, Tübingen 2014. 18   Vgl. dazu die in Anm. 2 genannten Überblicke.

290  Jens Herzer persönlichen Glauben gestellt.19 Meine Ausführungen dazu bestehen aus zwei Teilen: Zum einen erörtere ich zunächst einige grundsätzliche Fragestellungen, die aus neutestamentlicher Sicht für das interdisziplinäre Gespräch zwischen Exegese und Dogmatik interessant sein könnten. Zum anderen möchte ich diese ergänzen bzw. unterstreichen anhand von Ausführungen zu einigen zentralen pneumatologischen Texten, wobei ich mich um der spezifisch bekenntnistheologischen Fragestellung willen auf Paulus beschränken werde.

1. Annäherungen 1.1  Von der Möglichkeit, über den Geist zu reden Rudolf Bultmann hat bekanntlich die unbestreitbare theologische Einsicht (zwar nicht erfunden, aber doch eindrücklich) geprägt: »[W]ill man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden.«20 Für Bultmann lag die Logik dieser Aussage in der Logik des Glaubens als Gehorsam begründet, dessen Berechtigung, wie er sagt, von keiner Instanz gerechtfertigt würde.21 Glaube könne »nie ein Standpunkt sein, woraufhin wir uns einrichten, sondern [ist] stets

19   BSLK 511 f.: »Was ist das? Antwort. Ich gläube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christ, meinen Herrn, gläuben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelion berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiliget und erhalten, gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden berüft, sammlet, erleucht, heiliget und bei Jesu Christo erhält im rechten einigen Glauben […].« Dem ist die zweite Erklärung in der 53. Frage des Heidelberger Katechismus ganz ähnlich: »Was glaubst du vom Heiligen Geist? Erstens: Der Heilige Geist ist gleich ewiger Gott mit dem Vater und dem Sohn. Zweitens: Er ist auch mir gegeben und gibt mir durch wahren Glauben Anteil an Christus und allen seinen Wohltaten. Er tröstet mich und wird bei mir bleiben in Ewigkeit« (zit. nach: Heidelberger Katechismus. Revidierte Ausgabe 1997, hg. v. der Evangelisch-reformierten Kirche [Synode ev.-ref. Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland], von der Lippischen Landeskirche und vom Reformierten Bund, Wuppertal u. a. 1997, 35); vgl. dazu M. Beintker, Ich glaube an den Heiligen Geist … Zur Wirklichkeit und Wirksamkeit des Heiligen Geistes, in: ders., »Was glaubst du vom Heiligen Geist?« Zur Wirklichkeit und Wirksamkeit von Gottes Geist. Kleine Schriften aus dem Reformierten Bund 9, Wuppertal 1998, 9 – 22. 20  R. Bultmann, Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?, in: ders., Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Tübingen 1933, 26 – 37 (28). 21   A. a. O., 37.

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neue Tat, neuer Gehorsam«.22 Maßstab dessen, was Glaube ist, kann danach nie nur das Bekenntnis zu bestimmten Inhalten sein, sondern der Vollzug des Lebens unter den im Bekenntnis formulierten Voraussetzungen. Damit ist aber sogleich die wechselseitige Einflussnahme zwischen Leben und Bekenntnis impliziert, welche die Geltung des Bekenntnisses relativiert, insofern sie es auf das je konkrete Leben bezieht. In Abwandlung eines Jesuswortes (vgl. Mk 2,27) könnte man formulieren: Das Bekenntnis ist um des Menschen willen gemacht, nicht der Mensch um des Bekenntnisses willen. Wenn unter der Perspektive des Glaubens »von Gott« im Sinne von »über Gott« geredet werde, dann sei – so Bultmann – solches Reden, »wenn es Gott gibt, Sünde, und wenn es keinen Gott gibt, sinnlos«.23 Was hier über die Rede von bzw. über Gott gesagt ist, gilt umso mehr vom Geist Gottes, den die Dogmatik um der inneren und äußeren Dynamik der Gottesvorstellung24 willen traditionell als dritte Person der Trinität begreift. Von einer solchen personalen Auffassung des Geistes ist jedoch aus meiner Sicht die erste Zeile des dritten Credo-Artikels noch ein gutes Stück entfernt, und der dogmatische Weg dorthin liegt noch im Dunst aufkommender Spekulation.25 Er mag gewiesen sein dadurch, dass sich auch die ersten beiden Artikel auf Personen ausrichten und daher die Parallelität der drei Credo-Artikel ein personales Verständnis des Geistes nahelegt.26 Der Unterschied der beiden ersten zum dritten Artikel besteht jedoch darin, dass von Gott verschiedene Seins- und Handlungsaussagen gemacht werden, 22

 Ebd.  Ebd.  Dies bezieht sich vor allem auf die notwendige Unterscheidung der opera trinitatis ad intra et extra; zu diesem Topos vgl. Ebeling, Dogmatik (s. Anm. 1), 538 f.; R. Leonhardt, Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Studium der Theologie (UTB 2214), Göttingen 42009, 223 – 228; Körtner, Dogmatik (s. Anm. 1), 212 f. 25   Zur Perspektive der Personalität des Heiligen Geistes s. u. Abschnitt 3; vgl. J. Frey, How did the Spirit become a Person?, in: ders./J. R. Levison (Hg.), The Holy Spirit, Inspiration, and the Cultures of Antiquity. Multidisciplinary Perspectives (Ekstasis 5), Berlin 2017, 343 – 371. 26   Man könnte in diesem Zusammenhang allerdings auch fragen, ob es sich bei Gott  – im Unterschied zu Jesus Christus  – um eine »Person« im eigentlichen Sinn handelt oder nicht vielmehr um die personale Konkretion einer bestimmten Vorstellung von einer universalen Schöpferkraft, die »Gott« genannt wird und mit der die Glaubenden entsprechend auf personale bzw. personalisierte Weise interagieren; vgl. dazu die entsprechenden Beiträge zum ersten Artikel in diesem Band. 23

24

292  Jens Herzer von Jesus Christus ebenfalls, einschließlich geschichtlicher Reminiszenzen. Die erste Zeile des dritten Artikels den Geist betreffend bleibt demgegenüber erstaunlich knapp in ihrem Aussagegehalt und enthält zunächst keine personalen Aspekte. Der Streit etwa um das Filioque in der lateinischen Version des Nizäno-Konstantinopolitanums sowie die bis heute andauernden bekenntnisdogmatischen Differenzen legen über diese Problematik ein beredtes Zeugnis ab.27 Das Bekenntnis des Glaubens an den Geist bleibt eine Aussage, in welcher der Geist weder als »Gegenstand« des Glaubens noch als trinitarische Person expliziert wird. Es wird noch nicht einmal deutlich, ob »Glauben an den Geist« (credo in spiritum sanctum) lediglich die Anerkennung seiner Existenz meint (»ich glaube, dass ein Heiliger Geist ist«) oder nicht vielmehr den Glauben an seine Wirksamkeit zum Ausdruck bringt (was die erste Option freilich notwendig einschließt) – die dann in den folgenden Topoi exemplarisch konkretisiert wird. Auch hier versucht »das ander Bekenntnüs« konkreter zu werden, wenn im Nizäno-Konstantinopolitanum der Geist als τὸ κύριον καὶ ζῳοποιόν / Dominus et vivificans (»Herr und Lebenschaffender«) qualifiziert und damit das personale Element explizit eingetragen wird.28 Zudem wird gegenüber Vater und Sohn eine ihnen gleichartige Personalität in der Aussage über die gemeinsame Anbetung vorausgesetzt und der Geist als Subjekt des Redens durch die Propheten markiert. 27  Vgl. dazu z. B. R. Simon, Das Filioque bei Thomas von Aquin. Eine Untersuchung zur dogmengeschichtlichen Stellung, theologischen Struktur und ökumenischen Perspektive der thomanischen Gotteslehre (Kontexte 14), Frankfurt a. M. u. a. 1994; B. Oberdorfer, Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems, Göttingen 2001; P. Gemeinhardt, Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter, Berlin / New York 2002; sowie den Sammelband von M. Böhnke / A. E. Kattan / B. Oberdorfer (Hg.), Die Filioque-Kontroverse. Historische, ökumenische und dogmatische Perspektiven 1200 Jahre nach der Aachener Synode (QD 245), Freiburg i. Br. 2011. 28   In der Übersetzung der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche wird dies  – parallel zum zweiten Artikel  – deutlich trinitätstheologisch akzentuiert: »Und an den HERRN, den heiligen Geist, der da lebendig macht« (BSLK 27); vgl. demgegenüber etwa die ökumenische Fassung unter EG 805: »[…] der Herr ist und lebendig macht […]« Die griechische Form weicht von der lateinischen insofern ab, als dem Partizip Präsens Aktiv vivificans im Griechischen das Verbaladjektiv (im Akkusativ) ζῳοποιόν entspricht, nicht das äquivalente Partizip ζῳοποιoῦν. Zur Entwicklung vgl. auch Kelly, Glaubensbekenntnisse (s. Anm. 10), 294 – 327.328 – 361, zum Heiligen Geist bes. 333 – 339.

Leben im Glauben – Leben im Geist  293

Sowenig der Streit um das Filioque hier thematisiert werden kann, so macht er doch aus neutestamentlicher Perspektive interessante Zusammenhänge bewusst. Beide Positionen, die westliche und die östliche, können sich jeweils auf einschlägige neutestamentliche Texte berufen. Im Grunde, so könnte man argumentieren, läuft es auf die Frage der Gewichtung und Priorisierung der Tradition hinaus. Aber das führt bekanntermaßen in jene Aporie, die im Blick auf die trinitarischen Fragen bis heute die westlichen von den östlichen Kirchen trennen; ganz abgesehen von der Tatsache, dass auch die westlichen Kirchen sich in einer unübersichtlichen Weise theologisch und dogmatisch ausdifferenziert haben. Der Streit um das Filioque weist vielmehr auf eine Unschärfe in der Grundbestimmung der Rede vom Heiligen Geist in neutestamentlicher Tradition hin. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass, wenn vom Heiligen Geist die Rede ist, von Gottes Geist die Rede ist. Insofern Gott im ersten Artikel des Credos als Schöpfergott angesprochen wird, ist der Geist als dessen Schöpferkraft näher zu bestimmen. Wenn aber dieser Schöpfergott zugleich der Vater Jesu Christi und durch Christus auch von den Glaubenden als Vater angerufen wird (vgl. Röm 8,14 – 17), dann stellt sich notwendig die Frage, wie sich der Geist als Gottes Schöpferkraft zu Leben, Sterben und Auferstehung Christi verhält. Nicht ohne Grund steht daher der christologische Artikel als zweiter zwischen den Artikeln über Gott und den Heiligen Geist, auch wenn der dritte Artikel des Credos nicht explizit auf die beiden voranstehenden bezogen ist wie der zweite auf den ersten. Die Ergänzungen im Nizänum und dann auch im Nizäno-Konstantinopolitanum erscheinen von daher gleichsam als notwendige Explikationen eines selbstverständlichen Zusammenhanges. Insbesondere die umstrittene Aussage, dass der Heilige Geist innertrinitarisch vom Vater und dem Sohn ausgehe, schärft ein, dass der Geist des Vaters durch dessen heilsökonomisches Handeln an Christus eben auch auf diesen zu beziehen ist. Die Frage ist, in welcher Weise? Man hat im Filioque nicht ohne Grund die Gefahr der Subordination des Geistes unter den Sohn gesehen, was eine immanent-trinitätstheologische Problematik hinsichtlich der Gleich-Göttlichkeit der drei göttlichen Personen impliziert.29 Diese 29   Vgl. etwa auch den Artikel 1 der CA (De Deo, BSLK 51): Damnant et Samosatenos, veteres et Neotericos, qui, cum tantum unam personam esse contendant, de verbo et de spiritu sancto astute et impie rhetoricantur, quod non sint personae distinctae, sed quod verbum significet verbum vocale et spiritus motum in rebus creatum. (»Es werden verworfen auch die Samosatener,

294  Jens Herzer Bedenken mögen unter bestimmten Denkvoraussetzungen berechtigt sein. Sie können jedoch nicht darüber hinwegsehen lassen, dass die neutestamentlichen Texte solche Probleme weder aufwerfen noch reflektieren. Eine Stelle etwa wie Joh 20,22 f.30 lässt sich nicht einfach als Beleg dafür anführen, dass der Geist eben doch (auch) vom Sohn ausgeht; das griffe viel zu kurz und würde dem komplexen Verhältnis zwischen Vater, Sohn und Geist im Johannesevangelium nicht gerecht. In der Relation zwischen Vater, Sohn und Geist wird zunächst nur deutlich, dass das Wirken des Heiligen Geistes als Gottes Geist aufgrund des speziellen Handelns Gottes an Christus auf eine neue Weise qualifiziert wird. Diese neue Qualifikation ordnet nicht den Geist dem Sohn unter, sondern macht den Sohn bzw. Christus oder genauer das Christusereignis31 zu einer funktionalen Voraussetzung der Rede vom Geist, und zwar funktional im Sinne der Bedeutung Christi für die im Glauben vermittelte Rettung (εἰς σωτηρίαν παντὶ τῷ πιστεύοντι, Röm 1,16). Anders gesagt: Das Christusereignis bestimmt die Rede vom Heiligen Geist als Gottes Geist neu. Oder noch abstrakter formuliert: Die Christologie wird zu einer Funktion der Pneumatologie. Dieser Zusammenhang wird durch die weiteren Vorträge auf dieser Tagung noch mehrfach und aus unterschiedlicher Perspektive thematisiert werden. Grundsätzlich ist aber hier bereits gleichsam als Arbeitshypothese festzuhalten, dass der Heilige Geist einen Aspekt der Wirklichkeit bezeichnet, der aller Theologie und Christologie bereits inhärent ist. Der Geist ist nicht etwas, das zu Vater und Sohn als etwas Drittes – oder als ein Dritter – »noch« hinzukommt. Er ist im Wirken des Vaters als Schöpfer und im Wirken des Sohnes als Erlöser immer schon gegenwärtig, indem er die Weise ihrer Präsenz anschaulich macht. Da die Behauptung dieser »Anschaulichkeit« stets alte und neue, die nur eine Person annehmen, vom Wort und vom heiligem Geist listig und gottlos tönen, dass sie nicht unterschiedene Personen seien, sondern dass ›Wort‹ ein gesprochenes Wort bezeichne und ›Geist‹ eine Bewegung in den geschaffenen Dingen.«) 30   Joh 20,22 f.: καὶ τοῦτο εἰπὼν ἐνεφύσησεν καὶ λέγει αὐτοῖς· λάβετε πνεῦμα ἅγιον· ἄν τινων ἀφῆτε τὰς ἁμαρτίας ἀφέωνται αὐτοῖς, ἄν τινων κρατῆτε κεκράτηνται. (»Und als er dies gesagt hatte, blies er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt heiligen Geist. Wem immer ihr die Sünden erlasst, sind sie erlassen, wem immer ihr [sie] behaltet, sind sie erhalten.«) Vgl. dazu A. Weissenrieder, The Infusion of the Spirit. The Meaning of ἐμφυσάω in John 20:22 – 23, in: Frey / Levison, Holy Spirit (s. Anm. 25), 119 – 151. 31   Der Begriff »Christusereignis« umgreift und beinhaltet Leben, Sterben und Auferweckung Jesu von Nazareth in ihrer ereignishaften Bedeutung als Evangelium (im Sinne von Röm 1,16 f.) für den Christusglauben.

Leben im Glauben – Leben im Geist  295

nur in Bezug auf die Wahrnehmung menschlicher Subjekte sinnvoll ist und diese die Rede vom Geist zu verantworten haben, muss präziser formuliert werden: Vom Geist ist stets so die Rede, dass darin das Sein und Wirken des Vaters und des Sohnes zum Heil der Welt beschrieben und in einen universalen Zusammenhang gebracht wird. Damit aber ist ein weiteres Problem aufgeworfen: Wenn die Rede vom Geist eine Rede menschlicher Subjekte ist und sich hinsichtlich des sprachlichen Ausdruckes deren Wahrnehmung und Sprachvermögen verdankt, dann ist  – ich hatte das bereits angedeutet  – die oben zitierte Aussage Bultmanns zugespitzt zu formulieren: Wer vom Heiligen Geist reden will, muss über seine eigene Wahrnehmung und seinen eigenen Geist reden.

1.2  Der Geist und das Menschsein des Menschen Die Rede vom Geist Gottes geschieht stets sub conditione humana. An dieser Binsenweisheit ändert auch die Überzeugung nichts, die Paulus der korinthischen Gemeinde gegenüber angesichts der Hochschätzung von Weisheit und geistlicher Erkenntnis formuliert, dass der »natürliche Mensch« nichts vom Geist Gottes vernehme, weil allein der Geist selbst Gott zu erkennen in der Lage sei (1 Kor 2,10 – 16): »Der natürliche Mensch (ψυχικὸς ἄνθρωπος) erfasst nicht, was den Geist Gottes betrifft, denn es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen, weil es auf geistliche Weise (πνευματικῶς) beurteilt werden muss« (2,14). Vor diesem Hintergrund stehen nach Paulus der Geist Gottes und der Geist der Welt bzw. des Menschen einander gegenüber (1 Kor 2,12). Die strukturelle Analogie dieser unterschiedlichen »Geister« macht deutlich, dass auch abgesehen von Gottes Geist die Welt von einem bestimmten Geist, d. h. von einer geistigen Verfasstheit und Ausrichtung her geprägt ist bzw. dass umgekehrt Paulus auch die Rede vom Geist Gottes in Relation zu einer bestimmten geistigen Verfasstheit des Menschen in der Lebensausrichtung und -führung versteht. Diese neue »Konditionierung« der geistigen Verfasstheit der Glaubenden ist die Voraussetzung für die Erkenntnis geistlicher Zusammenhänge (πνευματικά), die nur von »Geistlichen« (πνευματικοί) erkannt werden können.32 Die Gegensatzpaare Geist – Fleisch bzw. 32   Gemäß dem Grundsatz antiker Erkenntnistheorie: Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden / ἡ δὲ γνῶσις τοῦ ὁμοίου τῷ ὁμοίῳ, vgl. z. B. Aristoteles, Metaphysik III 4,1000b.

296  Jens Herzer Geist – Psyche (vgl. auch πνευματικὸς [ἄνθρωπος] – ψύχικος [ἄνθρωπος], 1 Kor 2,14)33 zeigen an, dass es jeweils um die Prägung des Bewusstseins in seiner Bedeutung für die Ausrichtung des konkreten Lebensvollzuges geht, welche durch verschiedene Kräfte bestimmt ist, die jeweils ein unterschiedlich motiviertes Denken und Handeln bewirken: Im Unterschied zu denen, die an den Maßstäben der Welt (κατὰ σάρκα) ausgerichtet sind, »haben« die vom Geist Gottes Geleiteten (κατὰ πνεῦμα) »den Sinn Christi« (ἡμεῖς δὲ νοῦν Χριστοῦ ἔχομεν, 1 Kor 2,16), d. h. eine an Christus orientierte Gesinnung, die ihrerseits aber wieder eine leibliche Dimension notwendig einschließt.34 Paulus führt diese Veränderung der Gesinnung als Wirkung des Geistes auf die Verkündigung des Evangeliums vom gekreuzigten und auferweckten Christus zurück (vgl. 1 Kor 15,11 [»So haben wir verkündigt und so seid ihr zum Glauben gekommen«]; Röm 10,17). Inhaltlich geht es nach Röm 1,16 f. um den Geltungsbereich der Verheißung Gottes, die durch das Evangelium vom gekreuzigten und auferweckten Christus für alle wirksam wird, die daran glauben bzw. der darin an sie ergehenden Verheißung vertrauen. Wenn man so will, bewirkt der Zuspruch der Verheißung im Evangelium gleichsam eine »Bewusstseinserweiterung«, die über die κατὰ-σάρκα-Perspektive der psychischen Verhaftung des Menschen hinausführt und die Erkenntnis Gottes in der Gestalt Jesu ermöglicht (2 Kor 4,6), letztlich aber unverfügbar bleibt. Die an Christus orientierte Gesinnung findet ihre sachliche Bestimmung wie auch ihre ethische Konsequenz als Wirkung des Geistes in der Liebe: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist« (Röm 5,5). Der Geist, der die Glaubenden erfüllt, ist hier gleichsam synonym mit der die »Herzen« erfüllenden Liebe Gottes. Vor dem Hintergrund des vom Geist  – metaphorisch gespro­ chen – geradezu infusorisch35 bestimmten Lebens spricht Paulus die Glaubenden als »Pneumatiker« (πνευματικοί, Gal 6,1; 1 Kor 2,15; 33   Vgl. dazu J. Frey, Die paulinische Antithese von »Fleisch« und »Geist« und die palästinisch-jüdische Weisheitstradition, in: ZNW 90 (1999), 45 – 77. 34   Vgl. C. Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 7), Leipzig 32011, 62; ferner C. Strüder, Paulus und die Gesinnung Christi. Identität und Entscheidungsfindung aus der Mitte von 1 Kor 1 – 4 (BEThL 190), Leuven 2005, der vor allem die Bedeutung des Rekurses auf den νοῦς Χριστοῦ für die im ersten Korintherbrief folgenden ethischen und ekklesiologischen Diskurse herausarbeitet. 35   Vgl. dazu Rabens, Holy Spirit (s. Anm. 7), 25 – 120.

Leben im Glauben – Leben im Geist  297

3,1) an,36 womit »die vom Geist Bestimmten« von den »Psychikern« (ψυχικοί) unterschieden werden.37 Diese sind in ihrer an die Welt angepassten Verfassung (vgl. Röm 12,1 f.) nicht in der Lage, die geistliche Tiefe der Existenz vor Gott zu erkennen. Jene hingegen sind in der Lage, auf geistliche Weise gottgefällig zu leben und die geistlichen Zusammenhänge dieses Lebens recht zu beurteilen (1 Kor 2,13 – 16).38 Als »Pneumatiker« müssen sie sich daher auffordern lassen, nach den geistlichen Gaben (πνευματικά) zu streben (1 Kor 14,1), deren erste die Liebe ist (vgl. 1 Kor 13,13; Röm 5,5).39 Wenn Paulus in den korinthischen Konflikten die Liebe als die größte Gabe des Geistes immer wieder in den Mittelpunkt rückt (vgl. besonders 1 Kor 13), so wird sie gleichsam zum Epizentrum des geistlichen Lebens in seiner ekklesiologisch-ethischen Perspektive – ein Motiv, dass Paulus sehr 36  Vgl. Horn, Angeld des Geistes (s. Anm. 2), 187 f.; J. M. G. Barclay, Πνευματικός in the Social Dialect of Pauline Christianity, in: G. N. Stanton / B. W. Longenecker / S. C. Barton (Hg.), The Holy Spirit and Christian Origins (Festschrift J. D. G. Dunn), Grand Rapids / Cambridge 2004, 157 – 167. 37  Vgl. Horn, Angeld des Geistes (s. Anm. 2), 188 – 201. 38   Die Unterscheidung zwischen ψυχικός (»seelisch« bzw. »natürlich«) und πνευματικός (»geistlich«) hat für Paulus auch eschatologische Bedeutung in der Differenzierung zwischen »seelischem / natürlichem Leib« und »geistlichem Leib« (1 Kor 15,42 – 49): Während letzterer die leibliche Dimension der Auferstehungswirklichkeit (ὁ ἐπουράνιος / »der himmlische [Leib]«) repräsentiert als eine durch das Wirken des Geistes vollständig verwandelte Leiblichkeit des Menschen, in der »Fleisch und Blut« keine Bedeutung mehr haben (1 Kor 15,50), repräsentiert ersterer die Leiblichkeit in ihrer irdischen Verhaftung (ὁ χοϊκός / »der aus Staub bestehende [Leib]«). Zur religionsgeschichtlichen Einordnung des Gegensatzpaares ψυχικός  – πνευματικός vgl. Horn, Angeld des Geistes (s. Anm. 2), 192 – 198, der im Zusammenhang mit Jud 19 und Jak 3,15 den jüdisch-hellenistischen Hintergrund hervorhebt. 39   Die imperativische Anrede der Pneumatiker in Korinth sowie die Tatsache, dass Paulus den Begriff als personale Bezeichnung fast ausschließlich im 1 Kor verwendet, könnte darauf hindeuten, dass er damit eine von der Gemeinde gern beanspruchte Selbstcharakterisierung aufgreift. Zwar spricht Paulus auch in Gal 6,1 die Gemeinde als »Geistliche« (οἱ πνευματικοί) an, woran deutlich wird, dass diese Kategorie für ihn die geistliche Existenz der Gemeinde angemessen zum Ausdruck bringt. Aber in Korinth scheint die Vereinnahmung dieses geistlichen Selbstbewusstseins problematische Züge angenommen zu haben. Deshalb steht in den entsprechenden Ausführungen des Paulus zwar die grundsätzliche Geltung und Richtigkeit dieser Bezeichnung außer Frage; allerdings ist angesichts der zahlreichen Probleme in Korinth auch eine gewisse Skepsis gegenüber einem falschen, überzogenen Verständnis im Sinne eines pneumatischen Vollendungsbewusstseins zu spüren (1 Kor 4,8; vgl. Phil 3,12; vgl. dazu Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther [s. Anm. 34], 60 – 62 zu 1 Kor 2,13 – 16).

298  Jens Herzer konsequent bereits im Galaterbrief formuliert hat. Gegenüber dem Bestehen auf der Erfüllung bestimmter gesetzlicher Regelungen macht er hier deutlich, dass die Konsequenz des Christusglaubens ein Leben in der Freiheit vom Gesetz ist (Gal 5,1). Als ein von Liebe und Freiheit geprägtes ist es aber durch den Christusbezug des Glaubens zugleich ein Leben, das in einer geistlichen Weise dem Gesetz überhaupt erst gerecht wird (vgl. Röm 3,31) bzw. durch die Liebe das Gesetz erfüllt (Röm 13,10). Paulus greift dabei auf jene Vorstellung vom »höchsten Gebot« der Nächstenliebe zurück, die auch ein fester Bestandteil der Jesusüberlieferung war: »Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, nämlich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« (Gal 5,14; vgl. Mt 22,36 – 40 sowie Mt 7,12). Die Berufung zur Freiheit in Christus setzt in der Liebe die Kraft in den Glaubenden frei, einander zu dienen, sich einander verpflichtet zu wissen (Gal 5,13). »Denn in Christus Jesus bedeutet weder die Beschneidung noch die Unbeschnittenheit etwas, sondern der Glaube, der durch Liebe tätig wird« (Gal 5,6). Daher steht die Liebe auch an der ersten Stelle jener Früchte, die der Geist hervorbringt und die als Ausweis des Glaubens gelten (Gal 5,22 – 26; vgl. Jak 2,8.14 – 18).40 Die Bedeutung der Metapher des »Herzens« in Röm 5,5 (vgl. 2 Kor 1,21 f.) kommt sehr nahe an das, was die spezifische Verwendung des Begriffes νοῦς Χριστοῦ (1 Kor 2,16) im Sinne einer an Christus orientierten Gesinnung impliziert. Für die inhaltliche Bestimmung des Begriffes »Geist« wird an dieser Stelle auch deutlich, dass damit nicht eine gegenständliche, verobjektivierende Größe gemeint ist, ein »Fluidum«, das substanzontologisch dem Menschen implementiert würde. Die gelegentlich verwendete »Flüssigkeits-Metaphorik« (vgl. 1 Kor 12,13: »getränkt«; Röm 5,5: »ausgegossen durch den Geist«; Tit 3,6; Apg 2,33; 10,45; vgl. auch Joel 3,1 f. u. ö.)41 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff »Geist« eine Bezeichnung ist für die Kraft bzw. die Kräfte, welche die Menschen von außen 40   In Gal 6,2 kann es Paulus zugespitzt als das »Gesetz Christi« bezeichnen und steht damit insgesamt mit dem Zusammenhang von Gesetz, Freiheit und Liebesgebot in einer erstaunlichen Nähe zum Jakobusbrief, der das Gebot der Nächstenliebe als »vollkommenes Gesetz der Freiheit« (1,25), das Maßstab des Gerichtes sein wird (2,12), oder auch als »königliches Gesetz« (2,8) bezeichnet, in welchem – erneut in jesuanischer Tradition – alle anderen Gebote des Gesetzes aufgehen. Vgl. dazu R. Metzner, Der Brief des Jakobus (ThHK 14), Leipzig 2017, 101 f. 41  Vgl. Rabens, Holy Spirit (s. Anm. 7), 96 – 120; Wolter, Geist bei Paulus (s. Anm. 2), 100 f.

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und innen bestimmen und in eine Korrelation mit den leiblichen und »seelischen« Dimensionen ihres Lebens treten. Die Metaphorik dient vielmehr der Veranschaulichung dieser Wechselwirkung zwischen leib-seelischer Existenz der Menschen und den auf sie einwirkenden Kräften, die ihre Gesinnung und ihre Lebensperspektive prägen. Der Glaube gehört also auch unter einer spezifisch christlichen Ausrichtung zur conditio humana der Rede vom Geist und stellt selbst jene geistliche Voraussetzung dar, von der Paulus sagt, dass sie notwendig sei, um zu verstehen, was es mit dem Geist Gottes auf sich hat. Die Herausforderung, eine neutestamentliche Perspektive zur Interpretation des Bekenntnisses des Glaubens an den Heiligen Geist zu präsentieren, besteht nicht nur in der Zirkularität der wechselseitigen Verbindung zwischen menschlichem Glauben und Wirken des Geistes, sondern auch in der Vielfalt neutestamentlicher bzw. biblischer Geistaussagen. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen und im Hinblick auf das interdisziplinäre Gespräch konzentriere ich mich im Folgenden auf die Aspekte des Glaubens in seiner Relation zum Geist sowie der Personalität des Geistes. Es kann freilich nicht einfach darum gehen, die verschiedenen Weisen, über den Geist zu reden, bzw. die verschiedenen Vorstellungen vom Geist einfach additiv zu präsentieren. Es geht vielmehr der Themenstellung entsprechend um das Verhältnis von Glauben und Geist, und zwar fokussiert auf den konkreten Aspekt der Neuschöpfung. Drei Aspekte sind mir da­ bei wichtig: Der Geist als schöpferisch wirksame Kraft des Glaubens, der Geist und die Freiheit des Glaubens, und schließlich der Geist als Personifikation der Beziehungen zwischen Gott, Christus und den Glaubenden. Am Ende soll noch einmal dezidiert die Frage stehen, was wir eigentlich glauben, wenn wir bekennen: »Ich glaube an den Heiligen Geist.«

2.  Der Geist Gottes und der Glaube der Menschen Methodisch und hermeneutisch ist zunächst im Hinblick auf die interdisziplinäre Ausrichtung unserer Bemühungen zu bedenken, dass eine Darstellung biblischer Vorstellungen und Zusammenhänge lediglich nachzeichnet und verstehen will, was biblische Texte zu bestimmten Aspekten »sagen« bzw. welche Überzeugungen in den verschiedenen Texten zum Ausdruck kommen. Was damit nicht festgestellt wird bzw. was daraus nicht unmittelbar abgeleitet werden kann, ist die

300  Jens Herzer Legitimität bzw. die »Richtigkeit« biblischer Aussagen in Bezug auf unsere Glaubensweisen heute. Aussagen über Gott, Aussagen darüber, wie Gott sei und was Gott tue – oder auch der Geist – , stehen immer unter dem Vorbehalt der Rückfrage: Woher wissen wir das eigentlich? Woher wissen wir, dass unsere Rede von Gott tatsächlich Wirklichkeit bzw. bestimmte Dimensionen der Wirklichkeit beschreibt? Woraus leitet sich der Realitätsanspruch und die Legitimität eines solchen Anspruches ab? Wie können wir sicherstellen, dass die Rede vom Geist nicht nur Projektion bzw. Imagination jener Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen ist, die menschlichen Unzulänglichkeiten entspringen und erst lediglich als Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen Wirklichkeit konstituieren – zu welchem Zweck auch immer? Diese Vorbehalte gelten selbstverständlich auch für die Aussagen biblischer Texte. Hermeneutisch ist damit die Aufgabe gestellt, theologische Aussagen in den uns innerweltlich vorgegebenen Verstehenskontexten zu plausibilisieren, und zwar so, dass sich Menschen mit ihrem Leben darin wiederfinden und den Glauben an die gestaltende Kraft der beschriebenen Wirklichkeit für sich entdecken. Dazu gehört auch – besonders wenn es um den Geist geht – die leibliche Konditionierung des Menschseins, eine Dimension, die – wie wir sehen werden – für Paulus unter seinen Bedingungen eine ganz besondere Bedeutung gewonnen hat.

2.1  Der Glaube an den Geist Auffällig im Hinblick auf die Credo-Formulierung ist aus der Perspektive des Neuen Testaments zunächst Folgendes: Im Unterschied zu den vielfältigen Formen, mit denen ein Glauben an bzw. Vertrauen auf Gott bzw. Jesus Christus die Rede ist, spricht das Neue Testament nicht vom Glauben an den Heiligen Geist. Die parallele Formulierung der jeweils ersten Zeile der drei Artikel ist somit biblisch nicht begründet. Anders als das Credo suggeriert, ist der Geist nie Objekt des Glaubens. Biblisch gesehen steht allerdings auch nie infrage, dass es den (oder einen) Heiligen Geist »gibt« im Sinne von »existieren«. Die einzige Ausnahme hinsichtlich des Zweifels an bzw. Nicht-Wissens von der Existenz des bzw. »eines« Heiligen Geistes in Apg 19,2 spricht davon, dass die Johannesjünger auf die Frage des Paulus, ob sie denn den Heiligen Geist empfangen hätten, als sie zum Glauben kamen, verwundert antworteten, sie wüssten bisher gar nicht, dass es so etwas wie einen besonderen »Heiligen« Geist gibt. Insgesamt

Leben im Glauben – Leben im Geist  301

handelt es sich um eine eher dunkle Stelle, weil hier vorausgesetzt ist, dass man zum Glauben kommen könne ohne die Taufe auf Christus und ohne den Geist bzw. präziser: ohne ein Wissen um den Heiligen Geist (was sein Wirken nicht grundsätzlich ausschließt).42 Doch ist die Formulierung des Credos nicht in erster Linie ein Bekenntnis zum »Dass« des Heiligen Geistes, sondern Ausdruck dessen, dass der Glaube mit der Wirksamkeit und Bedeutung des Geistes so selbstverständlich rechnet, wie er mit der Existenz Gottes und der Identität Christi als Gottessohn rechnet. Die Stelle in der Apostelgeschichte macht aber zugleich auch deutlich, dass die Geistvermittlung nicht unmittelbar an die Taufe gebunden ist, sondern mit dem »Zum-Glauben-Kommen« zu tun hat. Die Wahrnehmung des Geistes Gottes steht zudem in Konkurrenz zu anderen Geistwahrnehmungen und Geistwirkungen, weshalb die »Unterscheidung der Geister« zu einer notwendigen Gabe avanciert (vgl. 1 Kor 12,10). Sub conditione mundi versteht es sich nicht von selbst, was heiliger bzw. »der« Heilige Geist ist, woraus die Aufforderung zum Prüfen der Geister erwächst (1 Joh 4,1; vgl. 1 Thess 5,19 – 22). Das Tun von Menschen ist stets von einer Geistwirkung bestimmt; es ist aber nicht immer von vornherein klar, wie der jeweils wirkende Geist als treibende Kraft des Handelns zu identifizieren ist. Der sog. Beelzebul-Streit thematisiert das im Blick auf das exorzistische Wirken Jesu, wenn unterstellt wird, er treibe die Dämonen aus, weil er mit dem obersten der Dämonen im Bunde sei (Mk 3,22 parr). Andererseits lässt sich offenbar aufgrund bestimmter Inhalte erkennen, welcher Geist am Werke ist, wenn etwa Paulus sicher ist, »dass niemand, der im Geist Gottes redet, sagen kann: ›Verflucht sei Jesus‹, und niemand kann sagen: ›Herr ist Jesus‹, außer im Heiligen Geist« (οὐδεὶς ἐν πνεύματι θεοῦ λαλῶν λέγει· Ἀνάθεμα Ἰησοῦς, καὶ οὐδεὶς δύναται εἰπεῖν· Κύριος Ἰησοῦς, εἰ μὴ ἐν πνεύματι ἁγίῳ, 1 Kor 12,3). Damit ist eine grundlegende Wirkung des Geistes formuliert: das Bekenntnis, dass Jesus Herr sei. Dabei ist der Konnex erst in der Retrospektive möglich: Nur diejenigen können Jesus als Herrn bekennen, die den Geist haben bzw. im Geist reden.43 Das Bekenntnis ist also 42   Vgl. F. Avemarie, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte. Theologie und Geschichte (WUNT 139), Tübingen 2002, 129 – 174, bes. 142 f., sowie zur exegetischen Problematik 413 – 440. 43   Vgl. T. Holtz, Christus bekennen – biblische Grundlagen. »Keiner kann sagen: ›Herr ist Jesus‹ außer im Heiligen Geist« (1 Kor 12,3), in: ders., Exegetische und theologische Studien. Gesammelte Aufsätze II, hg. v. K.-W. Niebuhr

302  Jens Herzer als Folge des Wirkens des Geistes erkennbar und wird damit zum praktischen Erweis des oben bereits zitierten erkenntnistheoretischen Grundsatzes,44 den Paulus zu Beginn des 1 Kor formulierte: Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden, bzw. konkret: Geistliches – wie das Bekenntnis: »Herr ist Jesus« – muss geistlich, d. h. durch das Wirken des Geistes – erkannt werden und kann erst dann eine für den Glauben verbindliche Bedeutung erlangen. Das schließt nicht aus, sondern vielmehr ein, dass man ein solches Bekenntnis auch instrumentalisieren kann, um geistliche Erkenntnis zu reklamieren. Dies kommt etwa in 2 Tim 3,5 zum Ausdruck, wenn von Leuten, die auf eigenen Gewinn aus sind, gesagt wird, sie gäben sich den äußeren »Anschein von Frömmigkeit, verleugnen aber deren Kraft«, d. h. die eigentliche Wirkung des Geistes, die in ihrem Verhalten gerade nicht erkennbar ist. Auch die Rede von »der Frucht des Geistes« (ὁ καρπὸς τοῦ πνεύματoς) bzw. seinen Auswirkungen im ethischen Verhalten im Gegensatz zu den »Werken des Fleisches« (τὰ ἔργα τῆς σαρκός) in Gal 5,16 – 26 gehört in diesen Zusammenhang. Sie mündet in der Aufforderung: »Wenn wir (tatsächlich) durch den Geist leben, dann lasst uns auch dem Geist entsprechend (oder: ›im Einklang mit dem Geist‹45) leben« (εἰ ζῶμεν πνεύματι, πνεύματι καὶ στοιχῶμεν, 5,25; vgl. die Inklusion zu 5,16: πνεύματι περιπατεῖτε καὶ ἐπιθυμίαν σαρκὸς οὐ μὴ τελέσητε [»lebt im Geist, und ihr werdet dem Begehren des Fleisches nicht erliegen«]).46 Damit ist einerseits das Wirken des Geistes dem menschlichen Zugriff entzogen, andererseits aber ermächtigt der Geist die Glaubenden zu einem bewussten und entschiedenen Handeln in seinem Sinn. Sie sind darin dem Geist nicht einfach ausgeliefert und können seinem Wirken offenbar auch entgegen handeln bzw. den Geist »zum Er(ABG 34), Leipzig 2010 (2004), 149 – 158; Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (s. Anm. 34), 284; sowie den Exkurs a. a. O., 285 – 287. 44   S. o. mit Anm. 32. 45   Vgl. J. Rohde, Der Brief des Paulus an die Galater (ThHK 9), Berlin 1989, 252. 46   Auffällig ist der absolute Gebrauch des Dativs πνεύματι an allen diesen Stellen. Das macht eine Deutung des Gemeinten schwieriger, als wenn entsprechende Präpositionen gebraucht würden. Es legt sich damit allerdings auch keine rein konkordante Übersetzung der absoluten Dativform nahe, sondern sie lässt als Dativus sociativus vielmehr Spielraum für unterschiedliche Akzentsetzungen, die den jeweiligen Modus bzw. die Art und Weise der Handlung näher bestimmen, vgl. F. Blass / A. Debrunner / F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 171990, § 198 (6).

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löschen bringen« (vgl. 1 Thess 5,19). Soll man hier – in ethicis – von einer Synergie des Menschen mit dem Geist reden? Dass es einen solchen synergetischen Zusammenhang gibt, ist aufgrund der imperativischen Form der Aussagen kaum zu bezweifeln. Aber wie ist dieser zu beschreiben bzw. zu begründen? Als Voraussetzung für die Beantwortung dieser Frage soll die These formuliert werden: Der Glaube an den Heiligen Geist ist Ausdruck der Überzeugung, dass das Leben der Menschen im Vertrauen auf die an Christus gebundene Verheißung Gottes in grundlegender und eschatologisch relevanter Weise erneuert wird.

2.2  Das Sein in Christus und das erneuerte Leben im Geist Für Paulus ist klar, dass jede und jeder an Christus Glaubende nicht nur getauft ist, sondern diese gemeinsame Taufe auch sicherstellt, dass sie alle mit ein und demselben Geist »getränkt« sind (1 Kor 12,13). Der Geist ist als eine die Einzelnen wie die Gemeinde insgesamt durchdringende Größe verstanden, deren Wirkung sich in einer gemeinsamen Ausrichtung der Gesinnung der Glaubenden an Christus (1 Kor 2,16), der Relativierung von Statusunterschieden und der Konstituierung der Christusgemeinschaft (1 Kor 12,13; Gal 3,25 – 29) sowie einem entsprechenden Lebenswandel (vgl. Gal 5,16 – 26; Phil 2,1 – 11; 3,15 – 21) manifestiert. Mit der Taufe als dem grundlegenden und initiatorischen Vollzug dessen, worauf der Glaube sich gründet und sich ausrichtet,47 verbindet sich bei Paulus wesentlich die Vorstellung einer Neubestimmung des Lebens als ein Sein »in Christus«: »Wenn jemand in Christus (ist), (ereignet sich) neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen, siehe: Neues ist geworden« (2 Kor 5,17). Abgesehen von der schwierigen Grammatik des Satzes48 ist hier nicht unmittelbar klar, inwiefern das »In-Christus-Sein« als eine Neuschöpfung verstanden werden kann. 47   Vgl. dazu C. K. Matthes, Die Taufe auf den Tod Christi. Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte (NET 25), Tübingen 2017, bes. 498 – 531. 48   Es handelt sich um einen Nominalsatz (ohne Prädikat, daher die Ergänzungen in Klammern in der Übersetzung), dessen Zusammenhang sich eher in einem deklaratorischen als einem erklärenden Sinn erschließt; vgl. zum Problem U. Mell, Neue Schöpfung. Eine traditionsgeschichtliche und exegetische Studie zu einem soteriologischen Grundsatz paulinischer Theologie (BZNW 56), Berlin / New York 1989, 327 – 388, bes. 352 f.; ders., »Neue Schöpfung«

304  Jens Herzer Oft hat man aus dieser Formel so etwas wie eine Christusmystik bzw. eine mystisch zu verstehende Teilhabe an oder Vereinigung mit Christus ableiten wollen, wie es vor allem für die Paulusinterpretationen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts charakteristisch war.49 Danach wird Christus auf eine geistlich zu bestimmende Weise gleichsam als ein Raum oder besser: als eine Sphäre verstanden, in welche die Menschen durch den Glauben bzw. die Taufe eintreten, in der sie nun leben und damit an Christus teilhaben.50 Dabei spielt die Vorstellung von einer besonderen, gleichsam somatisch-leiblichen Innigkeit der Verbindung mit Christus eine große Rolle, bis hin zu einer erfahrungsbetonten unio mystica, die durch den in den Glaubenden einwohnenden Geist geradezu physisch konstituiert wird.51 Von 1 Kor 12 her könnte man diese Vorstellung dadurch begründen, dass dort – unter Voraussetzung einer bestimmten Übersetzungsmöglichkeit – zum einen von der Taufe »durch einen Geist in einen Leib hinein« (ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν, 12,13) die Rede ist und zum anderen dieser Leib dann in 12,27 als Leib Christi in Gestalt der Gemeinde näher definiert wird.52 Der Begriff der »neuen Schöpfung« weist jedoch darauf hin, dass Paulus die neue Existenz der Glaubenden »in Christus« vor allem auf als theologische Grundfigur paulinischer Anthropologie, in: ders., Biblische Anschläge. Ausgewählte Aufsätze (ABG 30), Leipzig 2009 (2001), 209 – 231, bes. 215; C. Hoegen-Rohls, Wie klingt es, wenn Paulus von Neuer Schöpfung spricht? Stilanalytische Beobachtungen zu 2 Kor 5,17 und Gal 6,15, in: P. Müller / C. Gerber / T. Knöppler (Hg.), »…  was ihr auf dem Weg verhandelt habt«. Beiträge zur Exegese und Theologie des Neuen Testaments (Festschrift F. Hahn), Neukirchen-Vluyn 2001, 143 – 153; T. Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther, Teilbd. 1: 2 Kor 1,2 – 7,4 (EKK VIII / 1), Neukirchen-Vluyn / Ostfildern 2010, 326. 49  Vgl. z. B. M. Wolter, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 226 – 259 (227 – 235). 50   Vgl. auch U. Schnelle, Taufe als Teilhabe an Christus, in: F. W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 332 – 337; ders., Paulus. Leben und Denken, Berlin / New York 2003, 545 – 548. 51   Vgl. U. Luz, Paulus als Charismatiker und Mystiker, in: Holtz, Studien (s. Anm. 43), 75 – 93: »Paulinische Christusmystik bedeutet also, dass Christus nicht nur in den Spitzen der geistlichen Erkenntnis, sondern noch viel mehr in den Tiefen der körperlichen Existenz epiphan und erfahrbar wird« (a. a. O., 92); vgl. auch S. Vollenweider, Paulinische Spiritualität, in: Horn, Paulus Handbuch (s. Anm. 50), 422 – 425 (423). 52   Schnelle, Taufe als Teilhabe (s. Anm. 50), 335; vgl. dazu die folgenden Ausführungen und bes. Anm. 54.

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den schöpfungstheologischen Horizont des Heilshandelns Gottes an Christus bezieht. Der Zusammenhang wird in 2 Kor 5,17 – 21 dargestellt: Die Neuschöpfung der Glaubenden »in Christus« wird expliziert als eine Zueignung bzw. ein Zusprechen der Heilswirkung des Todes Jesu. »In-Christus-Sein« bedeutet bei Paulus daher zunächst, dass die Glaubenden durch Christus eine neue Grundlage ihres Lebens finden (vgl. 1 Kor 3,11). Gott schafft durch sein auferweckendes Handeln am Gekreuzigten die Voraussetzung dafür, dass die Menschen im Vertrauen auf dieses Handeln Gottes an Christus selbst verwandelt werden und in der Hoffnung auf die eigene Auferweckung auf neue Weise leben.53 Dies ist als ein Bewusstwerden des neuen Status der Gerechtigkeit zu verstehen: »Gott hat den, der Sünde nicht kannte, um unseretwillen zur Sünde gemacht, damit wir durch ihn54 zur Gerechtigkeit Gottes würden« (2 Kor 5,21; vgl. auch Röm 4,24 – 25). Im Ritus der Taufe erhält der Zuspruch der Gottesgerechtigkeit (Rechtfertigung) für die Glaubenden einen individuellen lebensgeschichtlichen Bezug. Der Zuspruch der Wirkung des Todes Jesu durch Gott wird gleichsam spirituell angeeignet, indem jenes Bewusstwerden der Rechtfertigung und damit die Gewissheit ihrer Geltung als Wirkung des lebendig machenden Geistes verstanden wird: »Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt« (Röm 8,11). Das daraus neu erwachsende »ewige« Leben 53  Anders etwa Schnelle, a. a. O. (s. Anm. 50), 548 f., der von einem primär »lokal-seinshafte[n] Grundverständnis« (549) der In-Christus-Formulierung ausgeht: »Durch die Taufe gelangt der Glaubende in den Raum des pneumatischen Christus und konstituiert sich die neue Existenz in der Verleihung des Geistes als Angeld auf die in der Gegenwart real beginnende und in der Zukunft sich vollendende Erlösung« (548 f.). Kritisch Horn, Angeld des Geistes (s. Anm. 2), 138 f. 54   ἐν αὐτῷ – wörtl. auch hier als Möglichkeit der Übersetzung: »in ihm« im lokalen Sinn. Dass die Formulierung »in Christus« (und dergleichen) im Sinne von »durch Christus« zu verstehen ist, liegt nicht nur daran, dass die griechische Partikel ἐν neben der lokalen auch instrumentale Bedeutung haben kann, sondern vor allem daran, dass Paulus selbst in 2 Kor 5,18 – 19 das Versöhnungshandeln Gottes synonym mit den Wendungen »durch Christus« (διὰ Χριστοῦ, V. 18) und »in Christus« (ἐν Χριστῷ, V. 19) beschreibt, vgl. C. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 8), Leipzig 2 2011, 130. Allerdings ist auch in dieser Perspektive nicht von einer einheitlichen Semantik der »In-Formulierungen« auszugehen, was der Vielfalt der Kontexte nicht gerecht würde, in denen Paulus solche Wendungen gebraucht.

306  Jens Herzer gilt zugleich als Gabe Gottes (Röm 6,23) und regelrecht als »neue Schöpfung« (2 Kor 5,17; Gal 6,15). In der Taufe wird der Tod Jesu auf eine geistliche Weise zu dem je eigenen Tod der Getauften. Sie können sich nunmehr als solche verstehen (λογίζεσθαι, Röm 6,11), auf die die Sünde keinen vernichtenden Zugriff mehr haben kann, weil sie gleichsam mit Christus gestorben sind und daher ebenfalls mit dem auferweckten Christus auf eine neue, veränderte bzw. verwandelte Weise »in der Neuheit des Lebens« leben (Röm 6,4). In Gal 2,20 kann es Paulus auf folgende Weise ausdrücken: »So lebe nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir«, und zugleich betonen, dass dieses von Christus bestimmte neue Leben ein »Leben im Glauben an den Sohn Gottes« ist, »der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat«. An dieser Stelle soll kurz der Befund notiert werden, der eingangs angedeutet wurde und dabei insbesondere bei Paulus auffällt, dass die Metaphorik von Neu- oder Wiedergeburt bzw. -zeugung im Hinblick auf das Wirken des Geistes bzw. auch den Zusammenhang von Taufe und Geist bei ihm keine (entscheidende) Rolle spielt. Zwar kann auch Paulus das zum Glauben Kommen eines Menschen metaphorisch als Zeugungsakt unter seiner Verkündigung beschreiben (vgl. 1 Kor 4,15; Phlm 10) und kennt auch die Vorstellung einer »Zeugung aus dem Geist« (Gal 4,29), sodass man nicht sagen könnte, er kenne diese Metaphorik nicht, aber er reflektiert dies nicht in derselben theologischen Tiefe wie die Vorstellung der Neuschöpfung. Neutestamentlich sind es vor allem drei Kontexte, in denen der Aspekt der Neu-/Wiedergeburt/-zeugung mit je unterschiedlicher Begrifflichkeit zur Sprache gebracht wird. Am deutlichsten ist die Metaphorik in Joh 3,3 – 8 hinsichtlich der Wirkung des Geistes in der Taufe entfaltet: Der Mensch müsse »durch Wasser und Geist« gleichsam »von oben her« (ἄνωθεν) oder auch »aus dem Geist heraus« (ἐκ τοῦ πνεύματος) geboren bzw. gezeugt werden, um Anteil am Reich Gottes zu haben (vgl. auch 1 Joh 3,9: γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ). In 1 Petr 1,3 findet sich die Vorstellung einer Neugeburt bzw. -zeugung mit ausdrücklichem Bezug zum Ostergeschehen, wenn Gott als der gepriesen wird, »der uns seinem großen Erbarmen gemäß aufs Neue gezeugt hat (ἀναγεννήσας) zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten« (vgl. auch 1,23). Aufgrund des eigentümlichen Taufverständnisses, das in 1 Petr 3,19 – 23 entfaltet wird, und der besonderen Funktion, die der Taufe darin zugewiesen wird, sind jedoch die Aussagen von der Neugeburt in 1 Petr 1 zumindest nicht direkt mit dem

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Taufgeschehen verbunden.55 Auch Tit 3,5 spricht mit Bezug auf die Rechtfertigung von einem »Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist« (λούτρον παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου), durch das die Glaubenden gerettet würden. Bemerkenswert ist, dass in Tit 3,5 die Nominalform von γίνομαι (»werden, entstehen«) verwendet wird (durchaus in Entsprechung zu 2 Kor 5,17: γέγονεν καινά), nicht eine Form von γεννάω (»zeugen«) wie in Joh 3, 1 Joh 3 und 1 Petr 1.56 Entscheidend für die neue Lebensweise ist nach Paulus, dass sie auf ein schöpferisches Handeln Gottes zurückgeführt wird, der mit diesem Handeln die Rechtfertigung des Menschen ermöglicht. »Gott, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft« (Röm 4,17), macht auch die »in Christus« Lebenden zu einer neuen Schöpfung (2 Kor 5,17). In der Verbindung mit Christus als dem »Bild Gottes« gewinnen sie jene Würde (δόξα / »Herrlichkeit«) der Gottebenbildlichkeit der ursprünglichen Schöpfung (vgl. Gen 1,27; Ps 8,6) wieder, die durch die Sünde verloren wurde (Röm 3,23). Anhand einer sog. Adam-Christus-Typologie versucht Paulus, die Wiedergewinnung der verlorenen prälapsarischen Schöpfungs-Doxa anhand der Wirkung des lebendig machenden Schöpfergeistes plausibel zu machen. Ohne dass hier explizit noch einmal vom Geist die Rede sein muss, ist durch Christus nach Röm 5 »Gottes Gnade und Gabe den Vielen überreich zuteilgeworden« (Röm 5,15), die durch Adam verloren war. Nach 1 Kor 15,45 ist Christus explizit – ebenfalls in einer antithetischen Parallelisierung mit dem »ersten Adam« der Schöpfungsgeschichte  – geradezu der Inbegriff des lebendig machenden Schöpfergeistes: »Wie geschrieben steht: ›Es wurde der erste Mensch, Adam, zur lebendigen Seele‹, [so wurde] der letzte Adam zum lebendig machenden Geist.«57 An Christus wird sichtbar, dass es das Wesen 55   Vgl. dazu J. Herzer, Petrus oder Paulus? Studien über das Verhältnis des Ersten Petrusbriefes zur paulinischen Tradition (WUNT 103), Tübingen 1998, 196 – 226. 56  Vgl. dazu C. Zimmermann, Wiederentstehung und Erneuerung (Tit 3:5). Zu einem erhaltenswerten Aspekt der Soteriologie des Titusbriefs, in: NovT 51 (2009), 272 – 295; anders akzentuiert J. Herzer, Titus 3,1 – 15. Gottes Menschenfreundlichkeit und die ethische Relevanz christlicher Hoffnung, in: R. Bieringer (Hg.), 2 Timothy and Titus Reconsidered – Der 2. Timotheusund der Titusbrief in neuem Licht (Colloquium Oecumenicum Paulinum 20), Leuven 2018, 133 – 179, bes. 145 f. 57  Vgl. Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (s. Anm. 34), 409.

308  Jens Herzer des Geistes ist, lebendig zu machen, und indem die Glaubenden dies an Christus sehen, können sie es auch auf sich beziehen. Die Aussage, Christus werde als »letzter Adam« zum lebendig machenden Geist, ist daher keine Verwechslung Christi mit dem Geist, sondern bringt zum Ausdruck, dass für die Glaubenden Christus in seinem Leben, Sterben und Auferweckt-Werden das Handeln des Geistes repräsentiert, das auch ihnen zuteil wird. Auch vor diesem Hintergrund wird die Taufe gewissermaßen zu einer Vorabdarstellung dieser eschatologischen Geistperspektive, wenn Paulus die Getauften im Hinblick auf ihr erneuertes Leben in der Verbindung »mit Christus« (Röm 6,4) als »gleichsam aus den Toten lebendig Gewordene« (Röm 6,13) anspricht. Die Neuschöpfung des irdischen Lebens durch den Geist ist die Prolepse der endzeitlichen Totenauferstehung. Als deren Kraft war der Geist Gottes bereits an Christus wirksam (vgl. Röm 1,4: Jesus Christus, »der eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit aufgrund der Totenauferstehung«58) und er ist für die bzw. an den Glaubenden ebenfalls wirksam.

2.3  Der Geist als Angeld der Vollendung der Leiblichkeit Der Glaube an den Geist als eine zur Erneuerung und Vollendung wirksamen Kraft Gottes ist letztlich auch der Kerngedanke dessen, was Paulus in 2 Kor 1,22 und 5,5 mit der Formulierung vom »Angeld des Geistes« (ἀρραβών τοῦ πνεύματος) auf einen Begriff bringt (vgl. auch Eph 1,13 f.). Der Genitiv ist als Apposition zu verstehen: Das Angeld ist der Geist.59 Auch hier ist das »Herz« wieder (2 Kor 1,22 wie in Röm 5,5, s. o.) der Ort, an dem sich das Wirken des Geistes ereignet. Wenn der Geist die Kraft der Neuschöpfung der leiblichen Existenz der Glaubenden ist, dann ist die Wirksamkeit dieser Kraft gleichsam das »Pfand«, mit dem auch die endgültige Erlösung und Vollendung des Leibes in der Auferstehung der Toten verbürgt wird.60 58  Zur Problematik dieses Verses, den Paulus wohl zumindest teilweise einer geprägten Tradition entnimmt, vgl. M. Wolter, Der Brief an die Römer, Teilbd. 1: Röm 1 – 8 (EKK VI / 1), Neukirchen-Vluyn / Ostfildern 2014, 88 – 90. 59  Vgl. Horn, Angeld des Geistes (s. Anm. 2), bes. 389 – 431; Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (s. Anm. 54), 112. Wolff, a. a. O., 389 – 394, versteht die Wendung ἀπαρχὴ τοῦ πνεύματος (»Erstlingsgabe des Geistes«) aus Röm 8,23 ebenfalls im Sinne der Angeld-Metapher von 2 Kor 1,22 und 5,5; vgl. auch Wolter, Römer (s. Anm. 58), 517 mit Anm. 55. 60   Vgl. zum Ganzen Horn, Angeld des Geistes (s. Anm. 2), passim.

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In allen bisher betrachteten Aspekten ist deutlich geworden, dass vom Geist Gottes stets im Hinblick auf seine Wirkungen in der gegenwärtigen leiblichen Existenz des Menschen die Rede ist, insofern er das Bewusstsein der Neuschöpfung und die Gesinnung der Liebe als Handlungsgrund des »Herzens« bestimmt. Daran wird einmal mehr deutlich, dass die Rede vom Geist Gottes nicht ohne die anthropologische Verfasstheit des Menschseins zu verstehen ist. Diese Wechselwirkung lässt sich als ein komplexer kommunikativer Prozess verstehen, der den Menschen in seinem Personsein, seinem »Ich«-Bewusstsein ausmacht, d. h. in seinem auf sich selbst, auf die Gemeinschaft und auf Gott hin ausgerichteten »Sein im Werden«.61 Dazu gehört auch die Geschichtlichkeit des Menschen, nicht nur hinsichtlich seiner eigenen (begrenzten) Lebensgeschichte und der darin verwirklichten (oder auch verwirkten) Beziehungen, sondern auch hinsichtlich seines Platzes und seiner Einbindung in die universale Geschichte (Gottes). Insofern Menschsein grundsätzlich (und also unabhängig von einem spezifischen Gottesglauben) ein »Sein im Werden« unter der Voraussetzung der je individuellen Geschichte ist, lässt sich die Vorstellung von der Wirksamkeit des Geistes Gottes als eine Kraftwirkung verstehen, die das Werden des Menschen und damit die leiblich-kommunikative, d. h. geschichtliche Struktur seines Wesens verändert. Bereits der nüchterne Blick auf die Realität von Vergänglichkeit und Hinfälligkeit menschlicher Existenz stellt die Frage nach ihrer Zukunft: Der »äußere Mensch geht zugrunde« (2 Kor 4,16) – das ist die alltägliche Erfahrung, die für Paulus zur conditio humana notwendig hinzugehört und unterschiedliche Konsequenzen haben kann. Der Glaube hingegen ist sich gewiss, dass in dieser vergänglichen Existenz der Geist »den inneren Menschen« täglich erneuert (ebd.) und letztlich den Menschen in seiner Leiblichkeit, d. h. in seinem durch eine individuelle leiblich-kommunikative Geschichte geprägten Personsein, gleichsam »verwandelt« (2 Kor 5,1 – 5; vgl. 1 Kor 15,51 f. [ἀλλαγησόμεθα]). Damit gewinnt das Wirken des Geistes Gestalt im Bewusstsein und in der Gewissheit des Aufgehobenseins des eigenen Lebens und seiner Geschichte in Gottes Leben und Geschichte, wel61   Diese Formulierung ist bewusst gewählt in Anlehnung an den Titel von E. Jüngel, Gottes Sein ist im Werden. Verantwortliche Rede vom Sein Gottes bei Karl Barth. Eine Paraphrase, Tübingen 21965. Zum kommunikativen Aspekt der Rede vom und des Verständnisses des Geistes vgl. auch Petzoldt, Gehirn  – Geist  – Heiliger Geist (s. Anm. 9), 112; Körtner, Dogmatik (s. Anm. 1), 460 f.

310  Jens Herzer ches die leibliche Dimension der menschlichen Existenz nicht aus-, sondern vielmehr einschließt.

2.4  Der Geist und die »Freiheit der Doxa der Kinder Gottes« (Röm 8,21)62 Bereits im Galaterbrief hatte Paulus emphatisch angemahnt, dass die Konsequenz der Rechtfertigungsbotschaft die in Christus geschenkte Freiheit sei: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Daher steht fest [darin] und legt euch nicht selbst wieder das Joch der Sklaverei auf« (Gal 5,1). Gemeint ist konkret die in der Rechtfertigung aus Glauben begründete Freiheit von der Notwendigkeit, qua Beschneidung auf die Toragebote verpflichtet werden zu müssen (Gal 5,3). Die an Christus orientierte und von der Liebe Gottes bestimmte Gesinnung (s. o. zu 1 Kor 2,16 und Röm 5,5) gewinnt in dieser Freiheit erneut eine konkrete Gestalt und entfaltet ihre Wirkung im Bewusstsein der Rechtfertigung des Menschen vor Gott, wobei dem Geist eine spezifische Funktion zukommt: »Ihr habt euch von Christus entfernt, die ihr im Gesetz gerecht werdet, ihr seid aus der Gnade gefallen. Wir aber erwarten [d. h. wir gehen mit Gewissheit davon aus], dass die Zuversicht der Gerechtigkeit [ἐλπὶς δικαιοσύνης] durch den Geist aus Glauben erwächst. Denn in Christus Jesus bedeutet weder die Beschneidung noch die Unbeschnittenheit etwas, sondern der Glaube, der durch Liebe tätig wird« (Gal 5,4 – 6). Obwohl V. 4 aufgrund der spezifischen Anordnung der Satzteile syntaktisch schwierig aufzulösen ist, so wird doch hier erneut der Geist als diejenige Kraft verstanden, durch die sich der Glaubende der zugesprochenen Gerechtigkeit gewiss wird. Diese vom Geist bewirkte Gewissheit wird schließlich zum Grund für das Bewusstsein der Freiheit, die sich für den Glauben gegenüber menschlichen Gefangenschaften (hier konkret das Gesetz als »Joch der Sklaverei«) auftut. Ich verwende wieder absichtsvoll den Begriff »Bewusstsein«, weil sich genau darin das Wirken des Geistes manifestiert. »Bewusstsein« als conditio humana ist also die anthropologische Voraussetzung dafür, die befreiende Veränderung des Lebens als ein Wirken göttlicher Geistkraft wahrzunehmen und zu verstehen, dass im Vertrauen auf Gottes Zusage die Gewissheit der Rechtfertigung tatsächlich berechtigt ist und sich nicht als Illusion erweisen wird. 62   Vgl. dazu grundlegend S. Vollenweider, Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147), Göttingen 1989.

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Letzteres, dass die Gewissheit der Rechtfertigung eine Illusion sein könnte, ist auch für den Glauben eine bleibende Infragestellung sub conditione mundi, die Paulus dann auch konsequent noch einmal im achten Kapitel des Römerbriefs ausführlich thematisiert, erneut unter dem Vorzeichen der »Freiheit« (Röm 8,19 – 23): »19 Denn das drängende Sehnen der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. 20 Die Schöpfung ist nämlich der Vergänglichkeit unterworfen, nicht willentlich, sondern durch den, der [sie] unterworfen hat – doch auf die Hoffnung hin, 21 dass auch sie, die Schöpfung, befreit werden wird von der Sklaverei des Verderbens zur Freiheit der ›Herrlichkeit‹ der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung zusammen stöhnt und Schmerzen leidet bis jetzt. 23 Nicht allein aber das, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes [bereits] haben, wir klagen in uns selbst, weil wir die Sohnschaft erwarten, [nämlich] die Erlösung unseres Leibes.«

Zuvor hatte Paulus gleichsam als Resümee der rechtfertigungstheologischen Argumentation im Römerbrief sehr deutlich darum geworben, dass die Glaubenden sich der Gabe des Geistes bewusst werden und in diesem Bewusstsein entsprechend leben.63 Die Glaubenden sind »im Geist«, insofern der Geist Gottes in ihnen wohnt (Röm 8,9), wobei nicht nur die Begriffe »Geist Gottes« und »Geist Christi« synonym gebraucht werden können, sondern auch die Wendungen »im Geist sein«, »den Geist Christi haben«, »Christus in euch« (Röm 8,9 f.). Demgegenüber steht aber nach wie vor die Kategorie des »Fleisches«, bezüglich derer den Glaubenden ins Bewusstsein gehoben werden muss, dass sie dieser die irdischen Verhältnisse nach wie vor dominierenden und todbringenden Macht nicht mehr ausgeliefert sind (8,12 f.). Diejenigen, die demgegenüber vom Geist Gottes bestimmt werden, sind auch wirklich bereits Kinder Gottes, sie haben auch bereits den Geist der Sohnschaft empfangen und sind damit zu Erben der Kindschaftsverheißung geworden (8,14 – 16).64 Diese Bestimmtheit des Lebens vom Geist Gottes, der im Christusgeschehen zur Geltung kommt und für die Glaubenden befreiend wirksam wird – trotz und in aller Anfechtung durch »das Fleisch« – , ist der eigentliche Grund für die Hoffnung, dass es eine endgültige, gleichsam apokalyptische Befreiung von den Leiden und Anfechtungen 63   Vgl. dazu J. Herzer, Röm 8,1 – 17: Gottes Geist als Kraft des neuen Lebens, in: J. M. Barclay (Hg.), Romans 5 – 8 (Colloquium Oecumenicum Paulinum 25), Leuven 2019 (in Vorbereitung). 64  Vgl. oben Anm. 59 sowie auch Rabens, Holy Spirit (s. Anm. 7), 216 – 236.

312  Jens Herzer der Zeit geben wird. Ähnlich wie in 2 Kor 1,22 und 5,5 vom Geist als »Pfand« die Rede war, verwendet Paulus hier die Metapher der »Erstlingsgabe« (ἀπαρχή, Röm 8,23) für den Geist, der die endgültige Offenbarung der bereits jetzt gültigen »Sohn- bzw. Kindschaft« sicherstellt.65 Interessanterweise koinzidiert auch diese Metapher mit ihrer christologischen Füllung in 1 Kor 15, wo Paulus noch Christus selbst als ἀπαρχή benannt hat; in Röm 8,29 verwendet er das Bild des »Erstgeborenen (πρωτότοκος) unter vielen Geschwistern«.66 Der Konnex liegt aber hier wie dort in der Teilhabe an der Auferstehung, deren Kraft der Geist Gottes ist: »Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, [so wird der,] der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt« (Röm 8,11).67 Offenbar hängen für Paulus die lebensschaffende Schöpferkraft des Geistes, die Freiheit des Glaubens und die Erwartung der endzeitlichen bzw. postmortalen Vollendung eng zusammen und bedingen einander. Was in Röm 8 erneut zur Sprache kommt, ist die Funktion, die der Geist in Bezug auf die Leiblichkeit des Menschen hat. Leiblichkeit bzw. die somatische Existenz des Menschen ist diejenige Dimension der Lebenswirklichkeit, in der und an der der Geist sich als verändernde und verwandelnde Kraft wirksam erweist. Vom Bewusstsein der neuen Existenz mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Lebensvollzug als eine dieser Wirkungen des Geistes war bereits mehrfach die Rede. Aber dieses Bewusstsein – und spätestens hier beginnt es m. E. auch systematisch-theologisch interessant zu werden – ist für Paulus an die Bedingungen und Konditionierungen der Leiblichkeit, des σῶμα, gebunden. Daher ist es auch konsequent die »Erlösung des Leibes« (Röm 8,23), die vom Wirken des Geistes erwartet wird.68 Der Geist ist daher nicht nur die neuschöpferische Kraft eines erneuerten Lebens, das den Maßstäben der Liebe und der Freiheit folgt. Er ist dies auf eine proleptische, vorausdarstellende Weise, denn das eigentliche Ziel des Glaubens und der Hoffnung ist die Transformation der Leiblichkeit in das ewige Leben Gottes. 65

  Vgl. oben Anm. 59.  Vgl. Wolter, Römer (s. Anm. 58), 532 f. 67   Die Auswirkung der Geistwirkung auf den Lebenswandel gibt der Geistvorstellung auch hier eine leibliche Dimension. Diese kommt insbesondere in der Vorstellung des Leibes als »Tempel des Heiligen Geistes« zum Ausdruck, wobei dies sowohl auf die Einzelnen wie auch für die Gemeinde als Ganze gilt (1 Kor 3,16 f.; 6,19; vgl. 2 Kor 6,16; sowie ferner Eph 2,21). 68  Vgl. Wolter, Römer (s. Anm. 58), 519. 66

Leben im Glauben – Leben im Geist  313

Von daher wird auch einmal mehr plausibel, dass für Paulus die christliche Hoffnung auf eine Auferstehung von den Toten nicht einfach als eine Trennung zwischen Körper und Geist bzw. Leib und Seele verstanden werden kann. Während »Fleisch und Blut die Königsherrschaft Gottes nicht erben können« (1 Kor 15,50), wird der Mensch in seiner Leiblichkeit als wesentliches Konstituens seiner personalen Identität »verwandelt« (1 Kor 15,51). Das Menschsein als »Sein im Werden« findet sein eschatologisch »vollendetes Sein« in einer vom Geist vollständig verwandelten Leiblichkeit (1 Kor 15,35 – 57), als deren Ziel die von der Macht des Todes befreite Gottesgemeinschaft verstanden wird (1 Kor 15,20 – 28). Darin gelangt das »Sein des Menschen im Werden« zu seiner endgültigen Bestimmung. Paulus bringt diese Vorstellung in der ungewöhnlichen Unterscheidung zwischen »psychischem Leib« (σῶμα ψυχικόν) und »pneumatischem Leib« (σῶμα πνευματικόν) zum Ausdruck (1 Kor 15,44 – 49). Der »beseelte Leib« (σῶμα ψυχικόν) ist zunächst jener, der von der Schöpfung her den Menschen in seiner innerweltlichen Existenz als Beziehungswesen (= Person) ausmacht; die »Seele« gehört somit – in Anlehnung an Gen 2,7 – in den Bereich der irdischen Leiblichkeit der Schöpfung: Indem Gott den Menschen anhaucht, wird er als Geschöpf zu einer »lebendigen Seele« (‫)וַיְ הִ י הָ אָדָ ם לְ ֶנפֶשׁ חַ יָּה‬.69 Die Seele ist daher nicht das Göttliche im Menschen, sondern Teil der irdischen conditio humana. Demgegenüber bringt der Begriff »geistbestimmter Leib« (σῶμα πνευματικόν) die eschatologisch bleibende Dimension des Menschseins in seiner Gottesbeziehung zum Ausdruck, in die hinein die irdische Leiblichkeit verwandelt wird. Implizit ist damit der Geist Gottes regelrecht als »Energie« (vgl. ἐνέργεια in Phil 3,21) verstanden, die diesen »Gestaltwandel des Leibes« (μετασχηματίσει τὸ σῶμα τῆς ταπεινώσεως ἡμῶν) bewirkt, insofern an den Glaubenden dieselbe »Energie« wirksam wird, mit der Gott Jesus von den Toten auferweckt hat (vgl. auch Röm 6,4 – 11 im Kontext der Taufe).70 Erfahrbarer Ausdruck dieser Verwandlung ist auch hier die Neuausrichtung der Gesinnung des Menschen, die über die irdische Realität (τὰ ἐπίγεια) hinausreicht und sich nicht nur an Christus orientiert (Phil 2,5), sondern – wie bereits deutlich wurde – in seinem Schicksal die eigene Zukunft erkennt, ja 69   Die irdisch-leibliche Dimension kommt im Hebräischen nicht zuletzt dadurch zur Geltung, dass ‫ ֶנפֶשׁ‬das Organ der »Kehle« bezeichnet; erst in der griechischen Übersetzung mit ψυχή wird daraus die »Seele« als etwas vom Körper zu Unterscheidendes. 70   Vgl. 1 Kor 12,11; sowie 12,6.10: ἐνεργήματα als Wirkungen des Geistes.

314  Jens Herzer regelrecht prototypisch vorgezeichnet sieht. Vor diesem Hintergrund wird zudem ersichtlich, dass der Geist als eine dem Menschen unverfügbar zukommende Größe vorgestellt ist und nicht einfach die bereits anthropologisch gegebene geistige Verfasstheit meint, die aller Schöpfung qua Schöpfung bereits inhärent wäre. Damit ist  – in Umrissen wohlgemerkt  – ein wesentlicher, wenn nicht der wesentliche Aspekt der Geistvorstellung bei Paulus benannt: die Überzeugung, dass der Geist eine das Leben durch und durch verändernde und erneuernde Kraft ist. Wesentlich für Paulus ist vor allem die Verbindung der Vorstellung vom Geist und seiner Wirkung mit dem Christusgeschehen. Ohne das Christusgeschehen kann das Wirken des Geistes Gottes nicht adäquat zum Ausdruck gebracht werden, durch die Verbindung mit dem Christusgeschehen kommt die Kraft des Geistes zur Entfaltung, und zwar in der Verkündigung des Evangeliums.71 Glaube an den Geist ist unter diesen Vorzeichen ein zweifaches Vertrauen: das Vertrauen auf die Gültigkeit der im Evangelium zugesprochenen Verheißung Gottes, die er in Tod und Auferstehung Christi universal erneuert hat, sowie das Vertrauen auf die Hoffnung, die daraus erwächst, mit all seinen Konsequenzen für ein christliches Ethos und eine christliche Ethik.

71   Vgl. 1 Thess 1,5 (ὅτι τὸ εὐαγγέλιον ἡμῶν οὐκ ἐγενήθη εἰς ὑμᾶς ἐν λόγῳ μόνον ἀλλὰ καὶ ἐν δυνάμει καὶ ἐν πνεύματι ἁγίῳ καὶ ἐν πληροφορίᾳ πολλῇ – »denn unser Evangelium ereignete sich unter euch nicht im Wort allein, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geist und in großem Übermaß«); 1 Kor 2,4 (καὶ ὁ λόγος μου καὶ τὸ κήρυγμά μου οὐκ ἐν πειθοῖς σοφίας λόγοις ἀλλ᾿ ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως  – »und mein Wort und meine Verkündigung [geschah] nicht in überzeugenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft«); Röm 15,19 (ἐν δυνάμει σημείων καὶ τεράτων, ἐν δυνάμει πνεύματος θεοῦ· ὥστε με ἀπὸ Ἰερουσαλὴμ καὶ κύκλῳ μέχρι τοῦ Ἰλλυρικοῦ πεπληρωκέναι τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ – »[…] in der Kraft von Zeichen und Wundern, in der Kraft des Geistes Gottes, sodass ich von Jerusalem und ringsum bis nach Illyrikos das Evangelium Christi vollständig ausgerichtet habe«), aber unter diesen Voraussetzungen zentral auch Röm 1,16: Die Kraft, die das Evangelium zur Rettung aller Glaubenden entfaltet, ist Gottes Kraft und als solche im Verständnis des Paulus die Kraftwirkung des Geistes Gottes. Zum Verständnis des Geistes als performative Kraft des Evangeliums vgl. auch C. Gestrich, Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt. Die christliche Lehre von der Sünde und ihrer Vergebung in gegenwärtiger Verantwortung, Tübingen 21996, 249, in der Auslegung von Hebr 6,4 – 6; 10,26 – 29: Der Geist ist »eine Frucht des Lebens und Sterbens Christi«.

Leben im Glauben – Leben im Geist  315

3.  »Der Herr ist der Geist« (2 Kor 3,17) – Personifikationen des Geistes Die Vorstellung vom Geist als einer Person bzw. einer personal bestimmten Größe ist vor dem Hintergrund des bisher Erörterten zweifellos eine besondere Herausforderung. Neutestamentlich ist sie vor allem aus dem Johannesevangelium geläufig,72 und von hier aus nicht ohne Weiteres mit den paulinischen Vorstellungen vom Geist kompatibel. Christus selbst als Offenbarer des Vaters spricht im Johannesevangelium vom Geist als einem von ihm unterschiedenen Akteur, der ihn als »Parakleten« (παράκλητος) regelrecht ersetzt: »Und ich, ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand (παράκλητος) geben, damit er bei euch sei in Ewigkeit, der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht anzunehmen vermag, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, denn er bleibt bei auch und wird in euch sein. Ich lasse euch nicht als Waisen zurück, ich komme zu euch« (Joh 14,16 – 18). Auch wenn der Geist hier in der Gestalt des Parakleten personifiziert wird, so kommt im Zusammenhang doch eine gewisse Ambivalenz zum Ausdruck, welche die Personifizierung sogleich wieder relativiert. Die Szenerie scheint eindeutig: Christus geht zum Vater, und er lässt als »Ersatz« den Geist kommen. Aber dieser ist eben keine Person im eigentlichen Sinn, sondern eine Kraft, die die Glaubenden erfüllt und in der Christus selbst gegenwärtig bleibt (»ich komme zu euch«, 14,18).73 Die Ambivalenz wird dadurch unterstrichen und regelrecht zu einer Spannung innerhalb der johanneischen Tradition aufgebaut, dass in 1 Joh 2,1 Christus selbst als der Paraklet identifiziert wird.74 Diese Identifikation entspricht allerdings durchaus der Dynamik von Joh 14. Die Gegenwart Christi in der Gemeinde ist also eine Gegenwart im Geist, und in dieser Gewissheit wird die Gemeinde in der Welt getröstet und kann ihre Angst überwinden (Joh 16,33).75 Zu dieser Ambivalenz trägt auch bei, dass 72  Vgl. zur Bedeutung des Geistes im Kontext johanneischer Theologie bzw. Eschatologie J. Frey, Die johanneische Eschatologie, Bd. III: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, Tübingen 2000; D. Pastorelli, Le Paraclet dans le corpus johannique (BZNW 142), Berlin / New York 2006. 73  Vgl. Frey, Eschatologie (s. Anm. 72), 164 – 168. 74   Vgl. dazu a. a. O., 160 – 164; U. Schnelle, Die Johannesbriefe (ThHK 17), Leipzig 2010, 16. 75  Vgl. dazu M. Becker, Spirit in Relationship  – Pneumatology in the Gospel of John, in: Frey / Levison, Holy Spirit (s. Anm. 25), 331 – 341.

316  Jens Herzer der johanneische Christus Gott selbst als Geist identifiziert und das Leben der Glaubenden in seiner spirituellen Dimension als ein Leben »in Geist und Wahrheit« bezeichnen kann (Joh 4,24). In durchaus ähnlicher Weise kann auch Paulus den von Gott auferweckten und zum Kyrios eingesetzten Christus mit dem Geist identifizieren: »Der Herr ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn [wirkt], [da ist] Freiheit. Wir aber schauen alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden verwandelt in sein Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, gleichsam von dem Herrn her, der durch den Geist [an uns] wirkt« (2 Kor 3,17 f.).76 Die Frage ist freilich, wie in der Aussage »der Herr ist der Geist« [ὁ κύριος τὸ πνεῦμά ἐστιν] – zumal durch den Gebrauch der bestimmten Artikel – die Weise der Identifizierung verstanden werden soll. Vor dem Hintergrund dessen, was wir bereits über den Geist bei Paulus gesehen haben, kann es jedenfalls nicht meinen, dass Christus und der Geist ein und derselbe sind; auch nicht eine Person im Sinne der klassischen Trinitätslehre, in der die göttlichen Personen lediglich bezüglich ihrer opera ad intra differenziert werden. Im Kontext von 2 Kor 3 ist vielmehr deutlich, dass es um das Wirken des Herrn durch den Geist geht, das Freiheit schafft. Was der Geist bewirkt, ist das, was die Person des Kyrios repräsentiert, oder anders formuliert: Im Wirken des Geistes kommt die Bedeutung des Kyrios – gemeint ist: Christus – für die Glaubenden zur Geltung.77 Im Christusbezug des Glaubens verändert der Geist Gottes als Geist des Kyrios Christos wirksam das Leben, indem er – der Geist – bewusst macht, was den Glaubenden von Gott geschenkt ist: »Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist« (1 Kor 2,12; vgl. 2 Tim 1,7) – nämlich das Wissen um die Befreiung von der Macht der Sünde durch den Glauben an die Wirkung des Todes Jesu und zu einem vom Geist Gottes bestimmten und verwandelten neuen Leben. »Geist« ist also auch hier nicht als eine personale Größe im eigentlichen Sinn von »Person« verstanden, sondern gleichsam als eine Chiffre für das Ergriffensein von der das Leben verändernden Schöpferkraft.78 Eine »Metamorphose« nennt Paulus sogar, was der Geist bewirkt, eine 76   Vgl. dazu den Exkurs »Christus und der Geist« bei Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (s. Anm. 54), 79 – 82. 77   Vgl. a. a. O., 76. 78   Das schließt keinesfalls aus, dass der Geist in seinem Wirken auch personalisiert bzw. personifiziert zur Sprache gebracht und ihm gleichsam ein

Leben im Glauben – Leben im Geist  317

Verwandlung »von Herrlichkeit zu Herrlichkeit« (μεταμορφούμεθα ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν, 2 Kor 3,18; vgl. Röm 12,2), womit jene in 1 Kor 15 bereits entfaltete Verwandlung der »psychischen« in eine »pneumatische« Leiblichkeit gemeint ist.79 Freiheit wird damit nicht nur zur entscheidenden Charakteristik des gegenwärtigen Glaubens, sondern bekommt – nicht zuletzt von Röm 8 her – eine eschatologische Konnotation, insofern die Metamorphose des Geistes auch die (endgültige) Befreiung von den Mächten der Sünde, des Todes und der Vergänglichkeit impliziert, die gegenwärtig das leibliche Leben beeinträchtigen (vgl. Röm 8,18 – 30). Freiheit ist daher nach Röm 8,21 – davon war bereits die Rede – näher bestimmt als eine »Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes«, was nicht einfach nur eine »herrliche« Freiheit meint im Sinne von »großartig«, sondern es ist die durch Christus im Glauben wiedergewonnene Doxa Gottes, die das Sein und Werden der Glaubenden bestimmt.80

4.  Schlussbetrachtung und Ausblick: Geist – Bewusstsein – Selbst Das Resümee soll thesenartig einige wesentliche Aspekte zusammenfassen, die sich aus der Darstellung für das Verständnis der ersten Zeile des dritten Credo-Artikels ergeben: 1. Die Offenheit und Vielfalt der neutestamentlichen Rede vom Geist ist ein Signal dafür, dass ein personenhaftes Verständnis des Geistes im Sinne der klassischen Trinitätslehre nicht nur eine unzulässige Engführung, sondern auch keine notwendige Deutung ist. Zu fragen wäre, ob letztere unter heutigen hermeneutischen Voraussetzungen immer noch hinreichend geeignet ist, um vom Wirken des Geistes zu sprechen oder zu bekennen: »Ich glaube an den Heiligen Geist.« 2. Angesichts des Befundes, dass das paulinische Verständnis des Geistes im Wesentlichen erkenntnistheoretisch fundiert und auf eine spezifische Prägung des Bewusstseins hin ausgerichtet ist, bedarf die Hermeneutik der Rede vom Geist zumal aus heutiger Perspektive eigenes Handeln zugeschrieben werden kann, wenn von ihm die Rede ist (vgl. etwa Röm 8,14 – 16.26; 1  Kor 2,10 – 14). 79  Vgl. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (s. Anm. 54), 78 f. 80  Vgl. Wolter, Römer (s. Anm. 58), 514.

318  Jens Herzer weiterer Impulse aus anthropologischer Forschung außerhalb des binnentheologischen Diskurses. 2.1 Wenn der Geist verstanden wird als Kraft (δύναμις) bzw. »Energie« (ἐνέργεια), die die Leiblichkeit des Menschen sub conditione mundi tangiert und verändert, dann sind unter heutigen Voraussetzungen etwa sozio-psychologische und neuro-physiologische Aspekte einzubeziehen, wenn gefragt werden soll, was der »Geist« eigentlich ist, wie die besondere Rede vom »Heiligen Geist« und der Vorstellung seines Wirkens im Leben der an Gott bzw. Christus Glaubenden vor diesem Hintergrund verstanden werden kann. 2.2. Personifizierende Redeweisen vom Geist in der biblischen Tradition machen aus ihm keine Person im hypostatischen Sinn, sondern sind konsequent als metaphorische Veranschaulichungen seiner Wirkungen in und am individuellen Selbst des Menschen zu interpretieren. 3. Ein »Glaube an den Heiligen Geist« setzt eine konkrete Vorstellung von Gottes Handeln voraus und lässt sich nicht unabhängig davon konkretisieren. Unter christlichem Vorzeichen ist zu präzisieren, dass die Rede vom Heiligen Geist eine Vorstellung von Gottes Handeln an und in Christus und damit von der Relation zwischen Gott und Christus voraussetzt. 3.1 Der Geist kann auch von daher keine »Person« in demselben Sinn sein, wie von Gott und Christus als Person die Rede ist, sondern das Wort »Geist« beschreibt das Bewusstsein der Bedeutung, welche die Vorstellung von Gottes Handeln an und in Christus im Leben der Menschen gewinnt und dadurch dem Leben eine neue Perspektive eröffnet (»Neuschöpfung« – καινὴ κτίσις). 3.2 Unter diesem Vorzeichen ist etwa auch die Einfügung des Filioque in das Nizäno-Konstantinopolitanum als angemessene und geradezu notwendige Konsequenz verstehbar. Doch darf auch dies nicht in einem gegenständlichen Sinn missverstanden werden, sondern sie bringt vielmehr zum Ausdruck, dass die Kraft des Geistes dem Handeln Gottes an und in Christus nicht nur zugrunde liegt, sondern von diesem Handeln aus auch an und in denen wirkt, die den daraus erwachsenen Zuspruch im Glauben für sich gelten lassen. 3.3 Diese christologische Fokussierung des Glaubens an den Heiligen Geist bleibt jedoch eine Herausforderung und ist keineswegs selbstverständlich. Sie ist bereits bei Paulus in höchstem Maße strittig, wenn er dezidiert um »sein Evangelium« (Röm 2,16) ringen muss,

Leben im Glauben – Leben im Geist  319

und sie ist es heute in weit höherem Maße, wie uns nicht zuletzt die jüdische Tradition ins Stammbuch schreibt. Zum Schluss noch einmal die Frage: Was bekennen wir mit den Worten »Ich glaube an den Heiligen Geist«? Auch wenn sich ihm diese Frage so nie gestellt hat, würde Paulus wahrscheinlich folgende Antwort geben: Glauben an den Heiligen Geist ist das Vertrauen auf die das Leben und das Bewusstsein erneuernde Schöpferkraft Gottes, durch die er im auferweckenden Handeln an Christus die lebensabträgliche und die Schöpfung zerstörende (Gegen-)Kraft der »Sünde« überwunden hat und die verloren gegangene Doxa für seine Schöpfung zurückgewinnt. Glauben an den Heiligen Geist kann daher gleichsam als Bewusstsein der Geistesgegenwart Gottes expliziert, ja »durchbuchstabiert« werden. Dieses Bewusstsein findet – quasi modo geniti, um den Gedanken vom Anfang noch einmal aufzunehmen – im Lebensgefühl der Freiheit81 seinen genuinen Ausdruck und holt unter dieser Voraussetzung die weiteren Topoi des dritten Artikels ein: Im Modus des Glaubens ereignet sich dieses Lebensgefühl in der Vergebung der Sünden und damit in der Rechtfertigung, es entfaltet sich im Modus der Hoffnung auf die Auferstehung und das ewige Leben, und im Modus der Liebe gestaltet es sich in der Gemeinschaft der Heiligen. Ob und inwiefern dies für Menschen unter den Bedingungen heutiger Lebensverhältnisse, die in der globalisierten Welt so extrem divergent geworden sind, immer noch relevant sein kann, muss sich durch eine sensible hermeneutische Einholung und eine zeitgemäße Plausibilisierung der traditionellen Aspekte des Geistes als Gegenstand eines christlichen Bekenntnisses erweisen, wo immer auch heute das Evangelium von Jesus Christus verkündet wird.

81

 Vgl. Laube, Christliches Leben (s. Anm. 1), 343 f.

Christliches Leben im Geist Überlegungen zur Pneumatologie Martin Laube

1.  Zur Geschichte der dogmatischen Pneumatologie »Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab« (Apg 2,1 – 4).

Diese pfingstliche Urszene aus der Apostelgeschichte führt sinnenfällig vor Augen, dass die erfahrene Wirksamkeit des von Christus verheißenen Geistes zu den prägenden Kennzeichen des frühen Christentums gehört.1 Die Macht des Geistes erweckt Jesus Christus von den Toten; in seiner dynamischen Wirkkraft ist der Auferstandene gegenwärtig. Durch die – in der Taufe empfangene – Gabe des Geistes werden die Glaubenden in die Gemeinschaft mit Christus aufgenommen und so schöpferisch erneuert; zugleich erweist sich der Geist als die bestimmende Kraft christlicher Existenz und Lebensführung: »Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit« (2 Kor 3,17). Vor diesem Hintergrund erscheint es folgerichtig, dass sich das Bekenntnis zum Heiligen Geist bereits in frühchristlichen Tauffragen und Glaubensregeln findet. Von dort aus wird es im Laufe des 4. Jahrhunderts  – forciert durch den trinitarischen Streit  – in die großen

1   Einen einführenden Überblick über die vielfältigen neutestamentlichen Aussagen zum Geist bietet U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 32016. Vgl. darüber hinaus insbesondere S. Vollenweider, Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden. Überlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie, in: ZThK 93 (1996), 163 – 192; sowie J. Herzer, Leben im Glauben – Leben im Geist. Biblisch-theologische Aspekte der Geistesgegenwart Gottes, in diesem Band. Eine komprimierte, auf den systematisch-theologischen Ertrag zugespitzte Skizze der neutestamentlichen Pneumatologie(n) findet sich schließlich bei C. Danz, Gottes Geist. Eine Pneumatologie, Tübingen 2019, 208 – 215.

322  Martin Laube altkirchlichen Symbole und Bekenntnisse aufgenommen,2 gerät hier freilich in den Sog der Debatte um die hypostatische Personalität des Geistes.3 Die ausgeführte Lehre vom Heiligen Geist hingegen stellt ein ungelöstes Dauerproblem der Dogmatik dar. »Bei keinem anderen Lehrstück […]«, konstatiert etwa Christian Danz, »ist das Thema so umstritten wie bei der Pneumatologie«.4 So wird der Geist in einer Vielzahl unterschiedlicher Lehrzusammenhänge aufgerufen: Der Bogen spannt sich von der Trinitäts- und Schöpfungslehre über die Schriftlehre und Christologie bis hin zur Soteriologie, Ekklesiologie und Eschatologie. Kaum ein Topos, so scheint es, kommt ohne eine Berücksichtigung des Geistes aus. Im Gegenzug jedoch ist die Pneumatologie nur selten als eigenes Lehrstück ausgeführt worden. Insbesondere die altprotestantische Dogmatik kennt keine selbständige Lehre vom Geist; stattdessen wird  – exemplarisch bei David Hollaz – unter dem Titel »De gratia spiritus sancti applicatrice« der soteriologische ordo salutis entfaltet.5 Darin spiegelt sich die reformatorische Ausrichtung des Geistwirkens auf die individuelle Aneignung des Werkes Christi im Glauben; entsprechend wird die Pneumatologie hier als »Funktion der Soteriologie«6 behandelt. Zudem erscheint notorisch unklar, welche Themenbestände eine ausgeführte Pneumatologie umfassen müsste und wo ein solches Lehrstück im Gefüge der Dogmatik angemessen zu verorten wäre. 2   Zur Vorgeschichte und Entstehung der altkirchlichen Bekenntnisse vgl. den Beitrag von P. Gemeinhardt, Vom Werden des Apostolikums, in diesem Band; sowie grundlegend W. Kinzig/C. Markschies/M. Vinzent, Tauffragen und Bekenntnis. Studien zur sogenannten »Traditio Apostolica«, zu den »Interrogationes de fide« und zum »Römischen Glaubensbekenntnis«, Berlin 1998. 3   Zum trinitarischen Streit und der Debatte um die Personalität des Geistes vgl. die Darstellung von V. H. Drecoll, Entwicklungen und Positionen in der Geschichte des Christentums, in: ders. (Hg.), Trinität, Tübingen 2011, 81 – 162, 92 – 117; sowie die knappe Skizze von Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 215 – 222. 4   C. Danz, Der Geist der Religion. Anmerkungen zur religionstheoretischen Funktion der Pneumatologie, in: R. Barth u. a. (Hg.), Erleben und Deuten. Dogmatische Reflexionen im Anschluss an Ulrich Barth, Tübingen 2015, 257 – 272, 257. 5   Vgl. dazu N. Slenczka, Die klassische Pneumatologie im Gespräch, in: C. Danz / M. Murrmann-Kahl (Hg.), Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit. Perspektiven der Pneumatologie im 21. Jahrhundert, Tübingen 2014, 109 – 129. 6   A. a. O., 110.

Christliches Leben im Geist  323

Davon legt schon das Apostolische Glaubensbekenntnis Zeugnis ab: Es reiht im dritten Artikel mit der Aufzählung von Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und ewigem Leben Themenbestände aneinander, die – im Vergleich zu den beiden anderen Artikeln – inhaltlich nur locker zusammengefügt erscheinen. Doch auch im weiteren Gang der Theologiegeschichte bleibt schwankend und unsicher, wie die christliche Rede vom Geist inhaltlich zu fassen ist und welche spezifische Aufgabe einer dogmatischen Lehre vom Geist zukommt.7 Die Reformation hatte den Geist vornehmlich auf die Aufgabe bezogen, durch Wort und Sakrament das von Christus erworbene Heil zu übermitteln und dessen innerliche Aneignung im Glauben zu bewirken. Diese soteriologische Funktionsbestimmung des Geistes gehört seither zu den charakteristischen Kennzeichen protestantischer Pneumatologie. Der Geist steht hier für die Einsicht des Glaubens, sich nicht eigenem Entschluss und Wollen zu verdanken: »Ich gleube, das ich nicht aus eigener vernunfft noch krafft an Jhesum Christum, meinen Herrn, gleuben oder zu im kommen kan. Sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelium beruffen, mit seinen gaben erleuchtet, im rechten glauben geheiliget und erhalten, gleich wie er die gantze Christenheit auff Erden berufft, samlet, erleuchtet, heiliget und bey Jhesu Christo erhelt im rechten einigen Glauben.«8

Mit dem Übergang in die Neuzeit jedoch wird die Bestimmung des Geistes als individueller »Aneignungsbewirker« zunehmend problematisch – insbesondere deshalb, weil das von Christus erwirkte Heil so wie ein objektives Heilsgut erscheint, das dem Menschen gleichsam dinglich übermittelt und mitgeteilt werden kann.9 In der Folge münden die aufgeklärte Wende zum Subjekt einerseits, die Entdeckung der Geschichte andererseits in eine programmatische Ausweitung der Pneumatologie. Zum einen tritt an die Stelle der bloßen Erinnerung an die heilsgeschichtliche Vergangenheit von Schöpfung und Versöhnung die Ausrichtung auf die – klassisch mit dem Wirken des Geistes verbundene – Gegenwart religiöser Er-

7  Zur folgenden theologiegeschichtlichen Skizze vgl. zum einen F. Wittekind, Theologiegeschichtliche Überlegungen zur Pneumatologie, in: Danz / Murrmann-Kahl, Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit (s. Anm. 5), 13 – 67; sowie zum anderen Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 7 – 100. 8   M. Luther, Der kleine Katechismus, in: BSELK 852 – 910, 872. 9  Vgl. Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 52.

324  Martin Laube fahrung, Lebensführung und Sozialgestaltung.10 Zum anderen wird der Geist – auf je unterschiedliche Weise – zu einem geschichtlichen Entwicklungsprinzip transformiert. In der Folge verlagert sich das Augenmerk von der Differenz auf die Vermittlung von göttlichem und menschlichem Geist. Zudem rückt die Pneumatologie nun in den Bann der Frage, ob der geschichtliche Realisierungsprozess des Geistes an die Person Jesu gebunden bleibt oder diesen vielmehr überschreitet. Ursprungs- und Entwicklungsorientierung treten so auseinander. Während etwa Friedrich Schleiermacher das Wirken des Gemeingeistes als zunehmende Durchdringung der Welt mit dem von Christus ausgehenden Erlösungsimpuls bestimmt, betont gegenläufig Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Aufhebung des Geistes der Gemeinde in die gesellschaftliche Realisierungsdynamik intersubjektiver Anerkennungsverhältnisse. Kurz gefasst: Im einen Fall wird die Welt in die Kirche »verschlungen«11, im anderen Fall geht die Kirche in die Welt auf. Beide verknüpfen die Pneumatologie so mit der Aufgabe, den Impuls des Geistes für die Praxis der individuellen Lebensführung und die Gestaltung einer »sittlichen« Sozialordnung fruchtbar zu machen. In kritischer Abgrenzung gegen diese christentums- und kulturgeschichtliche Ausrichtung der Pneumatologie lenkt die dialektische Theologie auf die reformatorische Linie zurück. Karl Barth stellt erneut die strikte Differenz von göttlichem und menschlichem Geist heraus. Der Heilige Geist bezeichne das unableitbare Geschehen der göttlichen Offenbarung, »sofern sie an uns und in uns Ereignis wird«.12 Seine Tat sei »das durch Gott selbst […] in uns gesprochene Ja zu Gottes Wort«.13 Im Hintergrund steht das Interesse, den Glauben als göttlichen Gnadenakt zu bestimmen und so in seiner Selbständigkeit gegenüber religiös-humanen Deutungsvollzügen zur Geltung zu bringen. Mit der zunehmend gegenständlich-realistischen Ausführung dieser Selbständigkeit setzt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts 10  Vgl. dazu J. Dierken, Immanente Transzendenzen. Gott als Geist in den Wechselverhältnissen des sozialen Lebens, in: Danz / Murrmann-Kahl, Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit (s. Anm. 5), 235 – 250 (235 – 238). 11  F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830 / 31), hg. v. R. Schäfer, in: ders., Kritische Gesamtausgabe (KGA) I / 13,2, Berlin / New York 2003, § 157,1, 457. 12   K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. I / 1, Zürich 1932, § 12.1, 475. 13  Ebd.

Christliches Leben im Geist  325

freilich eine erneute Ausweitung der Pneumatologie ein. Der Heilige Geist wird nun zum Schlüsselprinzip theologischer Wirklichkeitsdeutung überhaupt und steigt zur Integralfigur umfassender »trinitarische[r] Weltwirklichkeitserzählungen«14 auf. Charakteristisch für sie ist das Unterfangen, im Zuge einer Reformulierung der Trinitätslehre als theologischer »Wirklichkeitsstrukturtheorie« das Wirken des Geistes kosmologisch zu entgrenzen. So wendet sich etwa Wolfhart Pannenberg gegen die reformatorisch-soteriologische Engführung der Pneumatologie und setzt ihr ein schöpfungstheologisch dynamisiertes Verständnis des Geistes als »Ursprung aller Bewegung und allen Lebens«15 entgegen. Seine besondere Aufgabe bestehe darin, durch antizipative Eröffnung des Wissens um die eschatologische Vollendung den Glaubenden in die alles umfassende, trinitarisch strukturierte und am Ende der Geschichte sich als solche erweisende Wirklichkeit des Lebens Gottes aufzunehmen. Ihre Zuspitzung erhält diese Entwicklung schließlich dadurch, dass der Geist in zunehmend modernitätskritischer und zugleich »überdogmatischer« Wendung als heilschaffendes Passepartout zur Rettung aus den verschiedenen Öko-, Psycho- und Globalkrisen einer dämonisch pervertierten Weltgesellschaft in Dienst genommen wird.16 Das Spektrum dabei ist weit: Kosmo-ökologische Modelle stehen hier neben spirituell-ganzheitlichen, politisch-befreiungstheologischen 14   Wittekind, Theologiegeschichtliche Überlegungen zur Pneumatologie (s. Anm. 7), 54. Wittekind hat hier vor allem die pneumatologischen Entwürfe von Wolfhart Pannenberg, Eberhard Jüngel und Jürgen Moltmann im Blick. Vgl. dazu auch die entsprechenden Ausführungen von Danz, Gottes Geist (s. Anm.  1), 9 – 23. 15   W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, Göttingen 1993, 13. 16  Exemplarisch für diese Tendenz steht insbesondere die Pneumatologie von M. Welker, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn 1992. Welker sucht eine »realistische« Lehre vom Geist zu entwickeln, welche die »babylonische Gefangenschaft« (a. a. O., 57) der alteuropäischen Metaphysik überwindet und so eine neue Sensibilität für die vielfältigen Erfahrungen der rettenden Gegenwart von Gottes Geist gewinnt. Diese Gegenwart erweise sich vor allem in der Befreiung von den »dämonischen Mächten« (a. a. O., 191), in die sich das menschliche Leben verstrickt habe: »Sucht und Drogenprobleme, epidemische Gier, Verdrängung des Leidens und Selbstbetäubung konsumeristischer Gesellschaften auf vielen Ebenen der Lebensvollzüge und ökologischer Raubbau sowie exzessive Schuldenpolitik etwa verweisen auf solche ›dämonischen‹ Selbstgefährdungen und Selbstzerstörungen von Menschen und menschlichen Gesellschaften hin« (a. a. O., 190). Dieser Krisenkatalog wird sodann an anderen Stellen vielfältig ergänzt und erweitert (vgl. etwa nur a. a. O., 279 – 283).

326  Martin Laube und feministisch-leiborientierten Ansätzen.17 Ihr gemeinsamer Nenner besteht in einer inflationären Ausweitung des Geistwirkens, welche im Gegenzug die Konturen einer verantwortlichen Rede vom Geist zunehmend undeutlich werden lässt.

2.  Gegenwärtige Ansätze Nachdem in den 1950er Jahren noch von einer allgemeinen »Geistvergessenheit«18 der evangelischen Theologie die Rede sein konnte, mündet die skizzierte Entwicklung zum Ausgang des 20. Jahrhunderts in eine regelrechte »Wiederkehr des Heiligen Geistes«19. Die Pneumatologie erfährt einen raschen Aufschwung; es entstehen zahlreiche Neuentwürfe.20 Allerdings ist diese Blüte zunächst nur von kurzer Dauer, ohne nachhaltige Klärungen oder Ergebnisse hervorzubringen – im Gegenteil: Die Problem- und Debattenlage auf dem Gebiet der Pneumatologie ist seither nochmals unübersichtlicher geworden. Seit einigen Jahren nun lässt sich ein erneutes Interesse an der Pneumatologie beobachten. Neben einem anhaltenden Unbehagen am diffusen Zustand des Lehrstücks dürfte dabei vor allem das ungebrochene Wachstum pfingstlich-charismatischer Bewegungen im Hintergrund stehen. Das Spektrum der Rede vom Geist ist hier überaus weit. Während konservative Gruppierungen das Wirken des Geistes darauf beschränken, dem Glaubenden die (buchstäblich verstandene) 17   Vgl. dazu neben der Skizze von Wittekind, Theologiegeschichtliche Überlegungen zur Pneumatologie (s. Anm. 7), 58 – 66; auch die Darstellung von C. Henning, Die evangelische Lehre vom Heiligen Geist und seiner Person. Studien zur Architektur protestantischer Pneumatologie im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2000, 262 – 288. 18   Vgl. programmatisch O. A. Dilschneider, Die Geistvergessenheit der Theologie. Epilog zur Diskussion über den historischen Jesus und den kerygmatischen Christus, in: ThLZ 86 (1961), 255 – 266. 19  Vgl. H. Zahrnt, Geistes Gegenwart. Die Wiederkehr des Heiligen Geistes, München 1991. 20   Neben der bereits erwähnten Studie von Michael Welker vgl. W. Dantine, Der heilige und der unheilige Geist. Über die Erneuerung der Urteilsfähigkeit, Stuttgart 1973; H.-J. Kraus, Heiliger Geist. Gottes befreiende Gegenwart, München 1986; J. Moltmann, Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, München 1991; sowie H. Timm, Phänomenologie des Heiligen Geistes, 2 Bde., Gütersloh 1985 / 1992.  – Vgl. dazu auch die Literaturüberblicke bei R. Koerrenz, Pneumatologie, in: VuF 41 (1996), 45 – 70; und D. Korsch, Gottes Geist – der Geist des Lebens. Aussichten und Schwierigkeiten gegenwärtiger Pneumatologie, in: ThR 58 (1993), 203 – 218.

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biblische Wahrheit zu übermitteln, stellen andere Gemeinschaften die in der unmittelbaren persönlichen Erfahrung erlebbare machtvolle Präsenz und Dynamik des Geistes heraus. Neben dem grundlegenden Empfang der Geistestaufe spielen dabei vor allem die charismatischen Geistesgaben – vor allem Glossolalie, Heilung und Prophetie – eine besondere Rolle.21 Das kraftvolle, sich körperlich auswirkende Handeln des Geistes werde hier geradezu sinnlich wahrnehmbar und gelte »als Ausweis wirklicher, vom Menschen unverfälschter und somit authentischer Gottesgegenwart«.22 Vor allem in den USA hat sich mittlerweile eine überaus produktive pfingstlich-charismatische Theologie entwickelt. In ihrer Arbeit bleibt sie keineswegs nur auf das Lehrstück der Pneumatologie beschränkt; vielmehr hat sie eine insgesamt von der Erfahrung des Geistes ausgehende und an ihr orientierte »third article theology« im Sinn.23 Zu nennen sind hier insbesondere die Ansätze von Veli-Matti Kärkkäinen24 und Amos Yong.25 Freilich setzt deren Rezeption im deutschsprachigen Raum erst allmählich und zögerlich ein.26 Von einer intensiven und differenzierten Auseinandersetzung mit den Anstößen und Impulsen pfingstlich-charismatischer Frömmigkeit und Theologie kann bisher noch keine Rede sein. Stattdessen bleibt es zumeist bei summarischen Verweisen. Zudem überwiegt auch dort eine Haltung kritischer Distanz, wo – wie etwa bei Michael Welker – die charismatische Betonung der machtvoll-universalen Präsenz des Geistes programmatisch übernommen wird. Besonderen Argwohn erweckt zum einen die einseitige Fixierung auf spektakulär-erratische

21   Vgl. dazu vor allem P. Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Göttingen 22018, 44 – 122. 22   Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 24. 23   Vgl. exemplarisch M. Habets (Hg.), Third article Theology. A Pneumatological Dogmatics, Minneapolis 2016. 24  Vgl. V.-M. Kärkkäinen, Pneumatology. The Holy Spirit in Ecumenical, International, and Contextual Perspective, Grand Rapids 2002; sowie ders., Spirit and Salvation, Grand Rapids 2016 (A Constructive Christian Theology for the Pluralistic World, Bd. 4). 25  Vgl. A. Yong, Spirit of Love. A Trinitarian Theology of Grace, Waco Texas 2012; ders., Renewing Christian Theology. Systematics for a Global Christianity, Waco Texas 2014; sowie ders., Discerning the Spirit(s), Eugene Oregon 2019. 26  Vgl. etwa J. Haustein / G. Maltese (Hg.), Handbuch pfingstliche und charismatische Theologie, Göttingen 2014.

328  Martin Laube Geistphänomene, zum anderen die kriterienlose Berufung auf subjektiv-unmittelbare Geisterfahrungen.27 Mit dem Mut zur vereinfachenden Zuspitzung lassen sich in der deutschsprachigen Theologie gegenwärtig drei Diskursstränge unterscheiden, die  – scheinbar gänzlich berührungslos  – nebeneinander herlaufen und auf geradezu konträre Weise Aufgabe und Wirken des Geistes bestimmen. Ein erster, recht schmaler Strang hält – in der Nachfolge Falk Wagners28 – das Erbe der idealistischen Geistphilosophie wach. Der Geist dient hier nicht mehr zur Selbstvergegenwärtigung des Göttlichen am Ort des Menschlichen; vielmehr wird er als Struktur- und Realisierungsprinzip menschlicher Freiheit und Selbständigkeit begriffen. Im Hintergrund steht die spekulative Aufhebung des klassischen Gottesgedankens in die pneumatologische Figur symmetrisch-vermittelter Selbstbestimmung: Der Geist verwirklicht sich in der Etablierung wechselseitiger Anerkennungsverhältnisse in den sozialen Ordnungsformen von Kultur und Gesellschaft. Entsprechend kommt der Pneumatologie die Aufgabe zu, die Realisierung des christlichen Geistes in die geschichtliche Entwicklungsdynamik der modern-liberalen Gesellschaft zu übersetzen. In konsequenter Umsetzung gestaltet sie sich damit als kritische Freiheits- und Sozialethik.29 Der zweite, sehr viel breitere Strang knüpft – in Aufnahme von Jürgen Moltmann und Michael Welker – an die schöpfungstheologische Ausweitung der Pneumatologie an. In kritischer Wendung gegen die christologisch-soteriologische Engführung des Geistes wird er als umfassende, die gesamte Schöpfung durchwaltende göttliche Lebens-, Erneuerungs- und Vollendungskraft zur Geltung gebracht.30 Damit 27

 Vgl. Welker, Gottes Geist (s. Anm. 16), 25 – 27.   Vgl. insbesondere F. Wagner, Sozialethik als Theorie des Geistes, in: ders., Was ist Theologie? Studien zu ihrem Begriff und Thema in der Neuzeit, Gütersloh 1989, 373 – 393. – Zur Theologie Falk Wagners insgesamt vgl. U. Barth, Die Umformungskrise des modernen Protestantismus. Beobachtungen zur Christentumstheorie Falk Wagners, in: ders., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 167 – 199; C. Danz / M. Murrmann-Kahl, Spekulative Theologie und gelebte Religion. Falk Wagner und die Diskurse der Moderne, Tübingen 2015 sowie jüngst M. Schnurrenberger, Der Umweg der Freiheit. Falk Wagners Theorie des christlichen Geistes, Diss. Göttingen 2019. 29   Vgl. zu diesem Programm näherhin Dierken, Immanente Transzendenzen (s. Anm. 10), in: Danz / Murrmann-Kahl, Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit (s. Anm. 5), 235 – 250. 30   Vgl. etwa W. Beinert / U. Kühn, Ökumenische Dogmatik, Leipzig / Regensburg 2013, 362: »Der Geist Gottes ist nicht erst am Werk, wo es um die 28

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soll die protestantische Sprödigkeit im Umgang mit dem Geist korrigiert werden. Angesichts der doppelten Herausforderung durch die charismatischen Pfingstkirchen einerseits, das zunehmende Interesse an »spirituellen« Formen und Erlebnissen andererseits, gelte es, sich »auf den Weg zu neuer Vertrautheit mit der Wirklichkeit des Geistes [zu] begeben«.31 Dazu sei es freilich notwendig, die »kontrollsüchtigen«32 Zugriffsraster der herkömmlichen Dogmatik zu überwinden und an ihre Stelle ein neues, sensibles Gespür für die reichhaltige Fülle und Wirksamkeit des Geistes zu setzen. Ihren »Sitz im Leben« hat diese Fassung der Pneumatologie vor allem in der Ökumene.33 Zum einen kommt hier den Erfahrungen Erlösung und die Rettung des von Gott abgefallenen Menschen der Sünde geht. Gottes Geist ist am Werk, wo Geschaffenes entsteht und es das Prädikat ›gut‹ erhält. Gottes Geist ist insbesondere am Werk, wo er zu Menschen kommt […]. Gottes Geist ist am Werk, wo in der Welt Erneuerung geschieht.« – Kennzeichnend ist dabei eine auffällige Zurückhaltung gegenüber der klassischen personalen Bestimmung des Geistes. Zwar ist durchgängig von einem heilschaffenden Wirken des Geistes die Rede, welches die Schöpfung erfüllt und die Menschen ergreift; entsprechend wird er in vielfältigen Variationen als (neu)schöpferische Lebensmacht, als verwandelnde Wirkkraft oder gar als dynamisches Kraftfeld beschrieben. Die Personalität des Geistes wird jedoch meist umgangen. Offenkundig schlägt sich darin das Bemühen nieder, eine unsachgemäße Vergegenständlichung des Geistes zu vermeiden: Der Geist ist kein Gespenst. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass weder die biblischen Texte noch die frühchristlichen Bekenntnisse eine personale Auffassung des Geistes voraussetzten (vgl. dazu insbesondere die entsprechenden Ausführungen von J. Herzer, Leben im Glauben – Leben im Geist, in diesem Band). Diese verdanke sich vielmehr erst den trinitätstheologischen Debatten der Alten Kirche, und das westliche Christentum habe sich – der Orientierung am augustinischen vinculum caritatis wegen  – damit ohnehin stets schwergetan (vgl. M. Murrmann-Kahl, Der ungeliebte Dritte im Bunde? Geist und Trinität, in: ders./Danz, Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit [s. Anm. 5], 85 – 108). – Die Ausnahme von der Regel bildet Henning, Die evangelische Lehre (s. Anm. 17). Er zielt gerade darauf ab, ein unter modernen Bedingungen plausibles Verständnis der Personalität des Geistes zu entwickeln. Im Ergebnis gelangt er dabei zu einer Reformulierung der klassischen Inspirationslehre am Leitmotiv des testimonium Spiritus Sancti internum (vgl. a. a. O., 427 – 431). 31   Welker, Gottes Geist (s. Anm. 16), 15. 32   A. a. O., 57. – Welker benennt näherhin drei »alteuropäische« Denkformen, die sich lähmend auf die Lehre vom Geist ausgewirkt hätten: die metaphysische Uniformisierung, die personalistische Engführung und die sozialmoralische Funktionalisierung des Geistes (vgl. a. a. O., 49 – 57). 33  Vgl. dazu die knappe Skizze von R. Bernhardt, Evangelische Spiritualität im ökumenischen Horizont, in: P. Zimmerling (Hg.), Handbuch

330  Martin Laube gemeinschaftlicher Verbundenheit im Geist von jeher eine zentrale Bedeutung zu.34 Zum anderen hat sich die Besinnung auf den neuschöpferischen »Geist des Lebens« als fruchtbarer Impuls für das ökumenische Gespräch mit den orthodoxen Kirchen erwiesen. Auch im Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche scheint die Hinwendung zur Pneumatologie neue Perspektiven zu eröffnen, um die erstarrten Fronten im Kirchen- und Amtsverständnis zu überwinden.35 Einen weiteren Ankerpunkt bildet darüber hinaus die Religionstheologie. Die Rede von der universalen Wirksamkeit des Geistes dient hier als »hermeneutischer Schlüssel« zur Interpretation und Integration religiöser Diversität – mit der Pointe, durch die Verschränkung von universaler Pneumatologie und partikularer Christologie eine pluralismusoffene Religionstheologie zu konzipieren, welche den Aporien pluralistischer Ansätze entgehen zu können meint.36 Seit einigen Jahren bildet sich freilich noch ein dritter Strang heraus. Er verwahrt sich gegen die kosmologisch-ganzheitliche Entgrenzung des Geistes und lenkt stattdessen zur klassischen christologisch-soteriologischen Bestimmung des Geistes zurück  – freilich unter Korrektur ihrer altprotestantisch-substantialen Prämissen. Im Hintergrund steht ein massives Unbehagen an der skizzierten Ausweitung der Rede vom Geist. Sie lasse nicht nur den genuinen Sinn der christlichen Rede vom Geist unkenntlich werden; in der Folge kehre Evangelische Spiritualität, Bd. 2: Theologie, Göttingen 2018, 591 – 607. Eine ausführlichere Darstellung bietet Kärkkäinen, Pneumatology (s. Anm. 24), 67 – 104. – Allerdings darf auch nicht verschwiegen werden, dass die gegenwärtig zu beobachtende Karriere des Paradigmas »trinitarischer Ekklesiologie« eine Wende im ökumenischen Dialog markiert und die bisherige Leitfunktion der Pneumatologie zunehmend in den Hintergrund treten lässt. 34   Von Anbeginn hat sich die ökumenische Bewegung als Ausdruck eines besonderen Geistwirkens verstanden. So erklärt die Erste Weltkonferenz für Glaube und Kirchenverfassung 1927 in Lausanne: »Gottes Geist ist in unserer Mitte gewesen. Er war es, der uns hier zusammengerufen hat« (Lausanne. Erste Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, 3. – 21. August 1927, in: L. Vischer [Hg.], Die Einheit der Kirche. Material der ökumenischen Bewegung, München 1965, 29 – 42 [30]). 35   Vgl. auf römisch-katholischer Seite exemplarisch D. Sattler, Pneuma. Geisttheologische Reflexionen in der Ökumenischen Theologie, in: M. Dürnberger u. a. (Hg.), Stile der Theologie. Einheit und Vielfalt katholischer Systematik in der Gegenwart, Regensburg 2017, 293 – 304. 36  Vgl. R. Bernhardt, Trinitätstheologie als Matrix einer Theologie der Religionen, in: ÖR 49 (2000), 287 – 301; sowie ders., Ende des Dialogs? Die Begegnung der Religionen und ihre theologische Reflexion, Zürich 2005. – Zur Kritik vgl. die Bemerkungen von Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 36 – 39.

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zudem das alte Problem der Scheidung der Geister wieder zurück. Letzten Endes löse die pneumatologische Ausweitung zum kosmologischen Universalprinzip den Geist selbst auf, »da er, wenn er alles ist, eben auch nichts mehr ist«.37 Im Gegenzug wird der Geist wieder pointiert auf den Akt der individuellen Heilsaneignung bezogen. Allerdings lasse sich diese Aneignung nicht mehr als bloße Übermittlung und Aufnahme eines vorgängigen »Heilsgutes« verstehen. Vielmehr gelte es, der modernen Wende zu einem kommunikativen Religionsbegriff Rechnung zu tragen und die Aneignung als aktive Teilnahme am christlich-religiösen Kommunikationsprozess auszubuchstabieren. Der Geist steht dann für den produktiven Gebrauch religiöser Rede. Sein Kommen vollzieht sich, indem die durch ihn repräsentierte Erinnerung an Jesus Christus von den Glaubenden individuell aufgenommen, produktiv umgebildet und kommunikativ weitergeführt wird. In der Folge verwandelt sich der einstige »Aneignungsbewirker« in eine symbolische Deutungsfigur, deren Aufgabe darin besteht, die innere Struktur des religiösen Kommunikationsprozesses zu beschreiben: »Der Heilige Geist appliziert […] nicht die Heilsgüter auf die einzelnen Glaubenden, er ist nicht das Element nachgeordneter gnädiger Zuteilung des Heils, sondern er löst gerade die Idee einer solchen Verteilung von Heilsgütern auf, indem er […] die Struktur des Geschehens des Heils selbst ist und klärt.«38 Diese funktionale Ausrichtung des Geistes auf das Geschehen christlich-religiöser Kommunikation markiert den gemeinsamen Nenner einer Reihe neuerer pneumatologischer Ansätze, die gleichwohl in der Durchführung höchst unterschiedliche Richtungen einschlagen. Ein erster Hinweis findet sich bei Johannes Fischer, der – bereits 1994  – seine Ethik vom Gedanken des »geistbestimmten Lebens« her entwickelt. Im Anschluss an Paulus formatiert er die ethische Leitfrage nach dem Guten als »die Frage nach dem Geist, aus dem die christliche Gemeinde lebt, und nach dem Leben, zu dem sie durch diesen Geist bestimmt ist«.39 Der Geist kommt so nicht als gegenständliches Gegenüber in den Blick. Vielmehr haben wir ihn »als

37

  Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 94.   F. Wittekind, Theologie religiöser Rede. Ein systematischer Grundriss, Tübingen 2018, 211. 39   J. Fischer, Leben aus dem Geist. Zur Grundlegung christlicher Ethik, Zürich 1994, 11. 38

332  Martin Laube das uns zu unserer und in unserer Kommunikation Bestimmende«40 gleichsam immer schon »im Rücken«.41 Er fungiert als das atmosphärische Medium, welches »der konkreten Kommunikation ihre Bestimmtheit und Prägung gibt«.42 Demgegenüber setzt Michael Moxter bei der Einsicht an, dass in der christlichen Verkündigung und Überlieferung das biblische Heilsgeschehen nicht nur wiedererzählt, sondern vielmehr weitererzählt wird.43 Das bedeutet: Die erinnernde Vergegenwärtigung Christi vollzieht sich im Modus deutender Aneignung und Fortschreibung eines geschichtlichen Interpretationsprozesses. Für eben diese Struktur zeichenvermittelter Repräsentation – statt unmittelbarer Präsenz – stehe die Figur des Geistes. Der Pneumatologie komme die Aufgabe zu, die darin beschlossenen Implikationen und Konsequenzen zur Darstellung zu bringen: Der christliche Kommunikations- und Überlieferungszusammenhang sei durch eine ebenso unhintergehbare wie unerschöpfliche Offenheit variierender Um- und Neubildungen gekennzeichnet  – mit der entscheidenden Pointe, dass sich allein im Vollzug solcher Um- und Neubildungen die geschichtliche Kontinuität des Christentums realisiere.44 In vergleichbarer Weise bestimmt Christian Danz die Funktion des Geistes. Allerdings orientiert er sich dabei nicht an der Semiotik; seinen theoretischen Rahmen bildet vielmehr das Verständnis der Religion als eines – sich in seinen Gehalten selbst deutenden – Vollzugs von Selbsterschlossenheit. Dieser Vollzug sei nun durch die innere Spannung gekennzeichnet, an geprägte Traditionsbestände anknüpfen zu müssen, die im Akt ihrer Aneignung zugleich transformiert und umgebildet würden. Die Figur des Geistes bringe eben diese Spannung 40

  A. a. O., 51.   Ebd. – Für Fischer liegt darin auch die eigentümliche Ungegenständlichkeit des Geistes begründet, die es ihrerseits prinzipiell so schwierig mache, ihn theologisch befriedigend zu fassen. 42   Ebd. – In seiner späteren Theologischen Ethik nimmt Fischer diesen Ansatz in der Weise auf, dass er den Geist als »umfassendsten Horizont sittlicher Orientierung und ethischer Reflexion« bestimmt (vgl. ders., Theologische Ethik. Grundwissen und Orientierung, Stuttgart 2002, 132). 43  Vgl. M. Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie (HUTh 38), Tübingen 2000, 403. Moxter greift damit auf eine Unterscheidungsfigur von I. U. Dalferth zurück (vgl. ders., Jenseits von Mythos und Logos. Die christologische Transformation der Theologie, Freiburg i. Br. 1993, 215). 44   Vgl. dazu insbesondere Moxter, Kultur als Lebenswelt (s. Anm. 43), 382 – 409. 41

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zur Darstellung. Sie stehe so für die wechselseitige Verschränkung von notwendiger Traditionsbindung und kreativer Umbildung im christlichen Überlieferungsprozess. Entsprechend komme der Pneumatologie die Aufgabe zu, mit der geschichtlichen Wandelbarkeit die darin sich realisierende Identität des Christentums zu reflektieren.45 Folkart Wittekind lässt hier schließlich eine leicht veränderte Akzentsetzung erkennen. Er greift ebenfalls auf das religiöse »Selbstdurchsichtigkeitsparadigma« zurück, bezieht es aber konsequent auf die Selbstaufklärung des gelingenden Vollzugs religiöser Rede.46 Dieser sei an die dreifache Bedingung gebunden, dass es erstens eine identifizierbare religiöse Sprache und Semantik gibt, in deren Gebrauch sich zweitens der Einzelne existentiell so angeredet erfährt, dass er drittens seinerseits dazu übergeht, diese Sprache in eigener Produktivität und Lebendigkeit zu verwenden. Die religiösen Deutungssymbole Gott, Sohn und Geist dienen dazu, je eines dieser Momente zu reflektieren. Entsprechend steht der Gottesgedanke für die Autonomie religiöser Rede und das Christusbekenntnis für die lebendige Anrede an den Einzelnen, während dem Geist die Aufgabe zukommt, die symbolschaffende Kreativität des Einzelnen im Gebrauch religiöser Rede zur Darstellung zu bringen. Nicht anders als Moxter und Danz optiert dabei auch Wittekind für eine deutliche Bindung der Pneumatologie an die Christologie: »Denn die Möglichkeit des freien, eigenständigen Gebrauchs und der eigenen Formulierung und Verwendung religiöser Symbole ergibt sich christlich erst durch die christologische Zuwendung und Anrede in der religiösen Kommunikation.«47 Im Unterschied zu Moxter und Danz jedoch bezieht er den Geist nicht auf die Verschränkung von Tradition und Innovation, sondern betont einseitig das Moment der produktiven Um- und Fortbildung religiöser Sprache.48 Zugespitzt formuliert: Der Geist gilt

45  Vgl. Danz, Der Geist der Religion (s. Anm. 4), 269 f. – Vgl. auch ders., Der Heilige Geist und die Realisierung des Glaubens in der Geschichte. Überlegungen zur systematischen Funktion der Pneumatologie, in: HTS Teologiese Studies / Theological Studies 72 (2016), Nr. 4, 1 – 7. Eine ausführliche Darstellung findet sich schließlich in: ders., Gottes Geist (s. Anm. 1). 46   Vgl. zum folgenden insbesondere Wittekind, Theologie religiöser Rede (s. Anm.  38), 209 – 224. 47   A. a. O., 212. 48   Für die Kontinuität der Tradition steht bei Wittekind hingegen die geschichtliche Verstehensgemeinschaft der Kirche; vgl. Wittekind, Theologiegeschichtliche Überlegungen (s. Anm. 7), 225 – 244.

334  Martin Laube ihm weniger als geschichtliches Identitätsprinzip denn vielmehr als kommunikatives Kreativitätsprinzip des Christentums.

3.  Der Geist als Kommunikationsmedium des christlichen Lebens Die folgenden Überlegungen nehmen die Grundrichtung der zuletzt skizzierten Ansätze auf, nach der inflationären Entschränkung des Geistes im 20. Jahrhundert wieder in die Bahnen der christologisch-soteriologischen Lehrtradition zurückzulenken und die Rede vom Geist auf die innere Struktur des christlichen Kommunikationsund Überlieferungsprozesses zu beziehen. Die Aufgabe des Geistes besteht – klassisch gesprochen – in der erinnernden Vergegenwärtigung von Person und Werk Jesu Christi; ihm obliegt die Aneignung des extra nos konstituierten Heils in nobis. Das geschieht, indem die Erinnerung an Christus in der christlich-religiösen Kommunikation tradiert, angeeignet und weitergegeben wird. Im Hintergrund steht ein strikt kommunikativ gefasster Religionsbegriff, der unter »Glaube« das aneignende Verstehen religiöser Rede begreift. Unbeschadet der Behauptung innerer religiöser »Erfahrungen« gewinnt der Glaube – auch für sich selbst – allein im Modus und Vollzug religiöser Kommunikation fassbare Gestalt, also in der selbständigen Aufnahme, Umbildung und Verwendung der überkommenen religiösen Symbolsprache.49 Mithin wirkt der Geist dort, wo es zu einem solchen selbständigen Gebrauch religiöser Rede kommt und im Akt des aneignenden Verstehens der geschichtliche Traditionszusammenhang christlich-religiöser Kommunikation produktiv weitergeführt wird. Auf diese Weise gelingt es, die ausufernde Willkür der Rede vom Geist in die Schranken zu weisen und seinem Wirken eine inhaltlich bestimmte Funktion zuzuweisen. Die christologisch-soteriologische Pointe der reformatorischen Pneumatologie wird dabei zugleich aufgenommen und umgebildet: An die Stelle des einstigen »Aneignungsbewirkers« tritt nun ein Verständnis des Geistes als reflexiver Deutungsfigur mit der Aufgabe, die geschichtliche Kontinuität des christlich-religiösen Kommunikationsprozesses zu repräsentieren. Das vorneuzeitliche Inspirationsmodell kann so als überwunden gel49  Vgl. dazu insbesondere Wittekind, Theologie religiöser Rede (s. Anm.  38), 56 – 74; sowie Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 118 – 130.

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ten: Weder ist der Geist ein übernatürliches Gespenst, noch vollzieht sich die religiöse Aneignung als passiver Empfang einer dinglichen »Heilsgabe«. Stattdessen eröffnet gerade die Bindung des Geistes an die religiöse Kommunikation einen theoretischen Rahmen, der es erlaubt, drei zentrale Motive zu schärfen, die für eine in reformatorischer Tradition stehende Lehre vom Geist in besonderer Weise charakteristisch sind: die Betonung (1) der Sozialität, (2) der Medialität und (3) der Kreativität des Geistes. 1. Ein charakteristischer Grundzug der neutestamentlichen – insbesondere paulinischen – Rede vom Heiligen Geist besteht darin, mit ihm das durch und in Christus erneuerte Leben des Christen und der christlichen Gemeinde zu beschreiben. Christliche Existenz ist als solche geistbestimmte Existenz: »Die Christen haben einen Geist empfangen, dessen Ursprung bei Gott […] und Christus liegt […], so dass der Geist […] nun die bestimmende Kraft christlicher Existenz ist.«50 So sehr also der Geist nach außen die entscheidende Differenz zwischen Christen und Nichtchristen markiert, so sehr eignet ihm nach innen ein egalitär-integrativer Richtungssinn. Das Wirken des Geistes begründet keine charismatischen Klassen- oder Rangunterschiede, sondern benennt vielmehr die allen Glaubenden gemeinsame und sie zur Gemeinschaft verbindende Signatur christlicher Existenz.51 Er verbürgt den Zusammenhang der christlichen Gemeinde, indem er den abwesenden Christus anwesend sein lässt und die Glaubenden mit ihm verbindet. In eben diesem Sinne bestimmt Friedrich Schleiermacher den christlichen Geist als »Gemeingeist«: Er sei das belebende Einheitsprinzip52 des christlichen Gesamtlebens und wirke als dessen »innere[r] Antrieb[.][,] im gemeinsamen Mit- und gegenseitigen Aufeinanderwirken immer mehr Eines zu werden«.53 Folglich werde der Geist »nicht Einigen gleichsam zerstreut und unzusammenhängend beigelegt als eine bald vorhandene und bald wieder verschwindende Erscheinung, sondern das Vorhandensein desselben in jedem ist die Bedingung seines Antheils an jenem Gesammtleben; denn nur wenn in einer Person dieser Gemeingeist des 50

  Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (s. Anm. 1), 255.  Vgl. a. a. O., 254: »Für Paulus sind die Einsicht und die Erfahrung grundlegend, dass mit und seit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten der Geist Gottes wieder wirkt. Die Gegenwart des Heils zeigt sich im gegenwärtigen Wirken des Geistes. Das Pneuma fungiert bei Paulus als Inbegriff für den neuen Status des Glaubenden als geistbestimmte Existenz.« 52   Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube (s. Anm. 5); § 121,1, 280. 53   A. a. O., § 121  Leitsatz, 278. 51

336  Martin Laube Ganzen anfängt sich wirksam zu beweisen, weiß man, daß sie ein Bestandtheil des Ganzen ist, so wie auch wenn sich einer diesem Ganzen anschließt, man für ihn der Mittheilung des heiligen Geistes sicher ist.«54

Die kommunikative Fassung des Religionsbegriffs erlaubt es, dieses pneumatologische Grundmotiv pointiert zur Geltung zu bringen, ohne im Gegenzug überzogenen romantischen Gemeinschaftsidealen das Wort zu reden oder unter der Hand normative »charismatische Standards« für das rechte Christsein zu installieren. Das christliche Gesamtleben erscheint nun als ein geschichtlich bedingter, sozial vermittelter und semiotisch strukturierter Zeichen- und Kommunikationsprozess, in den der Glaubende mit seinem Denken, Reden und Handeln immer schon hineinverwoben ist und den er selbst wieder fortbildet und weiterführt. Der christliche Glaube »lebt« gleichsam nur im Kontext und Horizont einer geschichtlichen Kommunikationsgemeinschaft. Er ist auf überlieferte Symboltraditionen und gemeinsam geteilte Praxisformen angewiesen, die er im Zuge ihrer je individuellen Aneignung zugleich produktiv fortschreibt und erneuert. Für eben diese kommunikative Struktur des christlichen Gesamtlebens steht der Begriff des Geistes. Seine Aufgabe bezieht sich auf die kommunikative Trias von Tradition, Aneignung und Fortsetzung christlich-religiöser Rede: Er ist dort am Werke, wo eine vorgängige Überlieferung individuell angeeignet und im Zuge dieser Aneignung zugleich umgebildet und weitergeführt wird. Der Geist repräsentiert so die innere Dynamik und »Triebkraft« des christlichen Gesamtlebens. Dieses gewinnt gerade im Modus der je individuellen Anknüpfung und Fortschreibung seine geschichtlich erkennbare Kontinuität und Gestalt. Darin liegen zwei markante Konsequenzen beschlossen. Zum einen zielt das Wirken des Geistes durchaus auf den Einzelnen – aber nicht, um ihn durch besondere religiöse Erfahrungen von der christlichen Gemeinschaft zu separieren, sondern um diese Erfahrungen sprachlich artikulieren und mitteilen zu können. Entsprechend besteht bereits das Wunder der lukanischen Pfingsterzählung nicht darin, dass den Jüngern durch die Ausgießung des Geistes eine ekstatische Sonderbegabung zuteil würde. Vielmehr lässt der Geist sie in den verschiedenen Muttersprachen der Anwesenden reden und ermöglicht so die gemeinschaftsgründende Verständlichkeit ihrer Verkündigung. Mithin stellt es ein gravierendes Missverständnis dar, das Wirken des 54

  A. a. O., § 121,2, 281.

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Geistes gegen die sozial-kommunikative Einbettung und Vermittlung des Glaubens ausspielen zu wollen. Der Geist eröffnet keine den Horizont religiöser Kommunikation überspringende oder übersteigende Form unmittelbarer Gottesbegegnung, sondern garantiert vielmehr – gerade umgekehrt – »die Vermittelbarkeit, die Kommunizierbarkeit, die freie Selbstanwendbarkeit und die geschichtliche Anbindung jedes menschlichen religiösen Empfindens«.55 Die kommunikative Bestimmung des Geistes schließt zum anderen eine egalitäre Pointe ein. Im Umfeld des pfingstlich-charismatischen Christentums wird das Wirken des Geistes vornehmlich an besonders spektakuläre Phänomene und Erlebnisse geknüpft. Hinzu kommt eine charakteristische Betonung der pneumatisch-spirituellen, auf persönlichen Geistempfang ausgerichtete Erfahrungsdimension des Glaubens. In der Folge nimmt die Berufung auf den Geist die Gestalt eines Distinktionsmerkmals an, um die  – kraft solcher Geistpräsenz – besonders vitale charismatische Frömmigkeitspraxis vom traditionalistisch erstarrten und spirituell verdorrten »Gewohnheitschristentum« volkskirchlicher Provenienz unterscheiden zu können. Die dogmatische Ausrichtung des Geistes auf die Struktur des christlich-religiösen Kommunikationsprozesses setzt demgegenüber einen strikt gegenläufigen Akzent. Hier geht es nicht um besonders exzeptionelle Geisterfahrungen, sondern um die alltägliche »Normalität« christlicher Kommunikation und Frömmigkeit. Zugespitzt formuliert: Das Wirken des Geistes zielt nicht auf außeralltägliche Zustände, sondern prägt vielmehr die alltägliche Praxis des christlichen Gesamtlebens. Nicht der charismatische Ausnahmefall, sondern der routinierte Regelfall christlicher Frömmigkeit und Gemeinschaft ist sein Werk. Damit verbietet es sich, im Umgang mit dem Geist nüchtern-zurückhaltend gestimmte Frömmigkeitstraditionen als erstarrte Schwundformen eines vermeintlich »wahren« Christseins zu diskreditieren oder gar zu desavouieren.56 2. Zu den markanten Kennzeichen der reformatorischen Pneumatologie gehört die Einsicht in die unhintergehbare Medialität des Geistes. Die Aufgabe des Geistes besteht in der heilschaffenden Vergegenwärtigung Jesu Christi; diese Vergegenwärtigung wiederum vollzieht sich allein im Gebrauch kulturell geprägter, sinnlich wahrnehmbarer Medien. In diesem Sinne heißt es in Artikel V der Confessio August55

  A. a. O., 215 f.   Vgl. dazu auch Moxter, Kultur als Lebenswelt (s. Anm. 43), 389 f.

56

338  Martin Laube ana, Gott habe »das predig ampt eingesatzt, Evangelium und Sacramenta geben, dadurch als durch mittel der heilig geist wirckt und die hertzen tröst und glauben gibt, wo und wenn er wil«.57 Der Geist wird hier so mit dem Vollzug der Verkündigung verschränkt, dass sich sein glaubensstiftendes Wirken nicht anders als vermittels des Gebrauchs von Wort und Sakrament vollzieht. Das bedeutet: Nach reformatorischer Auffassung kann von einer innerlich-unmittelbaren, die »äußeren« Vermittlungsgestalten überspringenden Wirksamkeit des Geistes keine Rede sein.58 Wort und Sakrament sind nicht lediglich ablösbare »Hüllen« eines davon unterscheidbaren Geistwirkens; vielmehr fällt dieses Wirken mit dem Gebrauch von Wort und Sakrament selbst zusammen. Die Pneumatologie erweist sich mithin darin als Lehre vom Geist, »daß sie zugleich Theorie der Vermittlung wie auch Theorie der Medien ist«.59 Indem sich das Wirken des Geistes medial vermittelt 57

  CA V, BSELK 100.   Bei näherem Hinsehen zeigen sich hier durchaus innerreformatorische Unterschiede. So betont zwar auch Johannes Calvin den konstitutiven Zusammenhang von Geist und Wort (vgl. ders., Institutio Christianae Religionis / Unterricht in der christlichen Religion, nach der letzten Ausgabe von 1559 übers. und bearb. v. O. Weber. Im Auftrag des Reformierten Bundes bearbeitet und neu hg. v. M. Freudenberg, Neukirchen-Vluyn 22009, I,9, 49 – 51). Dann jedoch fügt er hinzu, dass Gott wohl uns an diese »geordnete Art der Unterweisung« (a. a. O., IV,1,5, 568) gebunden habe, er selbst aber keineswegs »an solche äußeren Mittel gefesselt« (ebd.) sei. Entsprechend erklärt auch die Confessio Helvetica posterior, nachdem sie das Wirken des Geistes zunächst an die Verkündigung des Evangeliums geknüpft hatte: »Wir geben allerdings zu, Gott könne Menschen auch ohne die äußere Verkündigung erleuchten, wann und welche er wolle: das liegt in seiner Allmacht« (Das Zweite Helvetische Bekenntnis, hg. v. R. Zimmermann / W. Hildebrandt, Zürich 1936, 15). Allerdings muss dieses pneumatologische »Extra Calvinisticum« nicht notwendig zu einem unvereinbaren Gegensatz zwischen lutherischem und reformiertem Geistverständnis verfestigt werden. So schlägt U. H. J. Körtner vor, die lutherische These, »wonach sich der Geist an das Wort gebunden habe« (ders., Dogmatik, Leipzig 2018, 472), und die reformierte Gegenthese, »wonach das Wort ohne den Geist nichts vermöge« (ebd.), als zwei einander ergänzende Anliegen zu begreifen, die nicht vereinseitigt werden dürften. Während die lutherische Seite die Medialität des Geistes in den Vordergrund rücke, betone die reformierte Seite die notwendige Unterscheidung von Text und Interpretation. 59   M. Moxter, Medien  – Medienreligion  – Theologie, in: ZThK 101 (2004), 465 – 488 (487).  – Vgl. auch P. Stoellger, Die Medialität des Geistes oder: Pneumatologie als Medientheorie des Christentums, in: H. Springhart / G. Thomas (Hg.), Risiko und Vertrauen / Risk and Trust (Festschrift M. Welker), Leipzig 2017, 139 – 174. 58

Christliches Leben im Geist  339

vollzieht, gehört zur Pneumatologie die doppelte Aufgabe, zum einen die Funktion eines Mediums zu klären, zum anderen die unterschiedlichen Arten von Medien zu bedenken, die im religiösen Kommunikationsprozess gebraucht werden und Verwendung finden. Medien sind »Vermittlungsformen«.60 Sie haben die Aufgabe, etwas anderes zugänglich zu machen und darzustellen. Ein anspruchsvoller Medienbegriff fußt dabei auf der Einsicht, dass diese Darstellung eine unhintergehbare Verschränkung von Darstellungsform und Dargestelltem  – von Sicht und Gesehenem, Noesis und Noema61  – impliziert. Medien sind nicht lediglich transparente »Fenster«,62 sondern symbolische Zeichen, die etwas als etwas gegeben sein lassen. Mithin erweist sich die Vorstellung einer reinen Präsenz als Illusion. Die Wirklichkeit ist nicht unmittelbar als solche »da«, sondern wird erst in der je spezifischen Brechung durch bestimmte Medien zugänglich. Das bedeutet: Präsenz ist nur als Repräsentation möglich, so also, dass im Modus der vergegenwärtigenden Darstellung – und mithin unter Voraussetzung einer Distanznahme  – etwas als Gegebenes vor Augen tritt. Im Gegenzug verweist eben diese Distanz auf ein Moment konstitutiver Uneinholbarkeit des Dargestellten in der Darstellung: »Stets geht es um Überwindung von Abwesenheit, nie aber lässt sich etwas repräsentieren, ohne Formen der Appräsentation und der Apräsenz mitzusetzen.«63 Anders formuliert: Jede Darstellung muss, um etwas sichtbar werden zu lassen, anderes abblenden. Sie ist gleichsam nur möglich, indem sich das von ihr Dargestellte grundsätzlich entzieht. Für das Verständnis des Geistes folgt daraus, dass sein Kommen – johanneisch gesprochen – nicht als notdürftiger Ersatz für den Fortgang des Sohnes verstanden werden darf, sondern vielmehr die Art und Weise präzisiert, in welcher der abwesende Sohn im Leben der Gemeinde anwesend ist.64 Das Kommen des Geistes vollzieht sich als 60   Vgl. zum folgenden die phänomenologisch-semiotische Rekonstruktion von Ernst Cassirers Kulturphilosophie durch Moxter, Kultur als Lebenswelt (s. Anm. 43), 102 – 173. Deren Grundbegriff der »symbolischen Repräsentation« hebe darauf ab, die naive Vorstellung einer unmittelbaren Präsenz des Gegebenen zu überwinden. 61   Zur Unterscheidung von Noesis und Noema vgl. E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, hg. v. E. Ströker, Hamburg 2009. 62   Vgl. zu dieser Formulierung Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 259. 63   Moxter, Medien – Medienreligion – Theologie (s. Anm. 59), 484 f. 64  Vgl. Moxter, Kultur als Lebenswelt (s. Anm. 43), 391.

340  Martin Laube erinnernde Vergegenwärtigung Jesu Christi, welche zugleich das Bewusstsein einer uneinholbaren Differenz zum darin vergegenwärtigten Christus mit sich führt. Das bedeutet: Das von Gott verheißene Heil liegt nicht hinter der religiösen Kommunikation, sondern wird allein in deren Vollzug gegenwärtig – ohne doch mit diesem Vollzug selbst zusammenzufallen. Der Geist wirkt, indem er im Gebrauch kulturell geprägter, bedingter und variabler Medien Person und Werk Jesu Christi so vergegenwärtigt, dass die unaufhebbare – den Gebrauch ermöglichende und vorantreibende – Differenz der Medien zu dem von ihnen Dargestellten zugleich mit zur Darstellung gebracht wird. Die klassischen Leitmedien des Protestantismus sind Bibel, Predigt und Sakramente. Darin schlägt sich die reformatorische Grundorientierung an der Figur des den Menschen anredenden Gotteswortes nieder. Ihr folgt auf dem Fuße die gängige Kritik an der monomedial-rationalitätsfixierten Wortfixierung des Protestantismus. Freilich gehören seit jeher auch andere Medien zur »Kulturgeschichte« christlich-religiöser Kommunikation; insbesondere ist hier auf die Medien des Bildes und der bildenden Kunst, des Ritus und der Liturgie, der Musik und der Architektur zu verweisen.65 In diesem Sinne gilt: »[D]ie religiöse Kommunikation der Erinnerung an Jesus Christus ist multimedial.«66 Dennoch bringen die Medienrevolutionen des beginnenden 21. Jahrhunderts auch für die religiöse Kommunikation tiefgreifende Umbrüche mit sich.67 Zum einen lassen die elektronisch-digitalen Massenmedien die bisher nahezu selbstverständliche Orientierung am 65  Vgl. die knappe Skizze bei J. Lauster, Religion als Lebensdeutung. Theologische Hermeneutik heute, Darmstadt 2005, 109 – 141. 66   Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 259. 67   Vgl. neben der Skizze a. a. O., 299 – 314; insbesondere J. Hörisch, Eine Geschichte der Medien. Vom Urknall zum Internet, Frankfurt a. M. 2004; sowie ders., Brot und Wein. Die Poesie des Abendmahls, Frankfurt a. M. 5 2015. – Zur Aufnahme der Mediendebatte in der Theologie vgl. aus systematisch-theologischer Sicht Moxter, Medien – Medienreligion – Theologie (s. Anm. 59); L. Ohly, Anwesenheit und Anerkennung. Eine Theologie des Heiligen Geistes, Göttingen 2015; Stoellger, Die Medialität des Geistes (s. Anm. 59); und G. Thomas, Die Multimedialität religiöser Kommunikation. Theoretische Unterscheidungen, historische Präferenzen und theologische Fragen, in: I. U. Dalferth / P. Stoellger (Hg.), Hermeneutik der Religion, Tübingen 2007, 189 – 213. Aus praktisch-theologischer Perspektive vgl. W. Gräb, Sinn fürs Unendliche. Religion in der Mediengesellschaft, Gütersloh 2002; C. Grethlein, Kommunikation des Evangeliums in der Mediengesellschaft, Leipzig 2003; sowie I. Nord, Realitäten des Glaubens. Zur virtuellen Dimension christlicher Religiosität, Berlin 2008.

Christliches Leben im Geist  341

traditionellen – dem Gottesdienst verpflichteten – Modell leiblicher Kopräsenz der Kommunikanten zunehmend fragwürdig erscheinen; zum anderen geht mit dem iconic turn ein grundsätzlicher Wandel vom Wort zum Bild einher, der auch in der religiösen Kommunikation eine folgenreiche Verschiebung »vom Sinn zu den Sinnen«68 in Gang setzt. Die mit diesen Umbrüchen verbundenen Herausforderungen rücken erst allmählich ins theologische Bewusstsein. Immerhin führen sie zu einer neuen Aufmerksamkeit auf die mediale Verfasstheit der religiösen Kommunikation und die medientheoretische Valenz der Lehre vom Geist: »Die aktuelle Mediendebatte ist ein Lehrstück in Sachen Pneumatologie.«69 3. Die funktionale Ausrichtung des Geistes auf die religiöse Kommunikation lässt schließlich noch ein drittes Charakteristikum reformatorischer Pneumatologie hervortreten. Bei den Medien religiöser Kommunikation handelt es sich um Zeichen; der religiöse Kommunikationsprozess selbst ist daher ein Zeichenprozess.70 Allerdings sind Zeichen nicht schon von sich aus als Zeichen bestimmt; vielmehr wird etwas erst dadurch zu einem Zeichen, dass es von jemandem gebraucht wird, um etwas als etwas zu bezeichnen. Mithin lassen sich Zeichen durch die klassische augustinische Unterscheidung von signum und res nicht angemessen erfassen.71 Sie weisen keine zweistellige, sondern eine dreistellige Struktur auf: Ein wie immer geartetes materielles Substrat wird dadurch zu einem Zeichen (Interpretamen), dass es durch ein weiteres Zeichen (Interpretant) als Zeichen für etwas (Interpretat) interpretiert wird  – dass also jemand mit Hilfe eines weiteren Zeichens sagt, wofür das erste Zeichen steht.72 Die 68

 Vgl. Hörisch, Eine Geschichte der Medien (s. Anm. 67), 14.   Moxter, Medien – Medienreligion – Theologie (s. Anm. 59), 488. 70   Vgl. zum folgenden neben I. U. Dalferth, Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, Leipzig 2004, 60 – 64; erneut insbesondere Michael Moxter, der in seiner Habilitationsschrift eine phänomenologisch-semiotische Rekonstruktion der Symboltheorien Paul Tillichs und Ernst Cassirers vorlegt; vgl. ders., Kultur als Lebenswelt (s. Anm. 43), 82 – 101, 121 – 173. Eine knappe Darstellung findet sich neuerdings auch in Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 259 – 268. 71   Vgl. Augustin, De doctrina christiana, in: CChr.SL 32, 1 – 167, 6 – 8. 72  Vgl. I. U. Dalferth, Die Kunst des Verstehens. Grundzüge einer Hermeneutik der Kommunikation durch Texte, Tübingen 2018, 27: »Zeichen sind dabei nichts, was ›für etwas steht‹. Sie sind keine signa, die ihre jeweilige res (richtig oder falsch) bezeichnen oder eine Sache (mehr oder weniger angemessen) ›zur Sprache bringen‹, d. h. mit den Mitteln eines Zeichensystems darstellen. Zeichen sind vielmehr das, was in Prozessen gebraucht wird, um 69

342  Martin Laube Zeichenfunktion eines Zeichens ergibt sich mithin erst im Gebrauch des Zeichens, indem jemand interpretiert, wofür das Zeichen steht, und dafür seinerseits ein weiteres Zeichen verwendet. Die pragmatische Gebrauchssignatur des Zeichens macht deutlich, dass jeder Kommunikationsakt immer schon in einen übergreifenden Zusammenhang eingebettet ist und diesen fortsetzt. Auf der einen Seite schließen Zeichen immer schon an vorangehende Zeichen an, auf der anderen Seite kann an jedes Zeichen immer wieder mit weiteren Zeichen angeschlossen werden. Daraus ergibt sich eine elementare Unerschöpflichkeit und Unabschließbarkeit der Kommunikation. Der einzelne Kommunikationsakt bewegt sich in einem Horizont, der zwar immer wieder verschoben, aber niemals endgültig erschöpft, eingeholt oder umfasst werden kann. Für das Verständnis des Geistes bestätigt sich damit zunächst, was zuvor bereits festgestellt worden war: Sein Wirken vollzieht sich im Prozess der kommunikativen Memoria Christi; er steht für die innere ›Zeichendynamik‹ des christlichen Gesamtlebens, das gerade in der unablässigen Fortsetzung der religiösen Kommunikation Bestand und Gestalt gewinnt. Gleichwohl macht die skizzierte dreistellige Zeichenstruktur der Kommunikation noch auf eine besondere Pointe aufmerksam. Die Vergegenwärtigung Christi schließt die je individuelle Aneignung und Fortsetzung der religiösen Kommunikation ein – ja mehr noch: Sie realisiert sich gleichsam nur im Modus der kreativen Umbildung und Weiterführung des christlichen Überlieferungsprozesses. Bereits Ernst Troeltsch hatte dieses produktiv-schöpferische Moment der Aneignung betont und damit der Pneumatologie die Aufgabe ins Stammbuch geschrieben, die religiöse Aneignung als »schöpferische Neu- und Fortbildung der christlichen Religion«73 zur Darstellung zu bringen: »Der Geist Christi ist […] die beseelende und treibende Kraft der Gemeinde, ein Prinzip der fortwährenden Ausbreitung und jemandem etwas zu kommunizieren, also etwas für jemanden (oder etwas) als etwas zu interpretieren. […] Zeichen werden nicht interpretiert, indem ihnen Objekte zugeordnet werden, für die sie stehen, sondern indem mit anderen Zeichen ›gesagt‹ (d. h. interpretiert) wird, was mit den fraglichen Zeichen ›gezeigt‹ bzw. ›gesagt‹ (d. h. kommuniziert und interpretiert) werden sollte.« – Der dreistellige Zeichenbegriff geht zurück auf Charles Sanders Peirce; vgl. ders., Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt a. M. 1983. Einen Überblick über die bei näherem Hinsehen sehr viel komplexere Debattenlage der Semiotik gibt W. Nöth, Handbuch der Semiotik, Stuttgart 22000. 73   Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 76.

Christliches Leben im Geist  343

Vertiefung der christlichen Gotteserkenntnis. Das ist die tiefsinnige Bedeutung der paulinisch-johanneischen Lehre vom Geist. Sie überwindet die Schranken der Historie, macht Christus gegenwärtig und zeigt ihn als eine Kraft des Werdens und der Fortbildung, wo die einfachen religiösen Grundgedanken des Evangeliums einer immer neuen, freilebendigen Anwendung fähig werden.«74 Die semiotische Aufschlüsselung des religiösen Kommunikationsprozesses nimmt Troeltschs Einsicht auf und spitzt sie nochmals zu. Zeichentheoretisch betrachtet handelt es sich um einen fortwährenden Übersetzungsprozess, in dem Zeichen durch andere Zeichen interpretiert, variiert und fortgeschrieben werden. Das bedeutet: Kontinuität und Veränderung schließen einander nicht aus; vielmehr konstituiert sich die geschichtliche Kontinuität des christlich-religiösen Überlieferungsprozesses allein im Modus seiner fortwährenden Variation und Umbildung.75 Zugespitzt formuliert: Nur indem jeweils anderes gesagt wird, lässt sich dasselbe sagen. Die christliche Tradition stellt mithin keinen fixen, durch die Jahrhunderte hinweg sorgsam gehüteten Symbol- und Lehrbestand dar, den es nur jeweils zu übernehmen und anzueignen gälte.76 Vielmehr gewinnt sie nicht anders als im Prozess fortwährender Variation, Umbildung und Kritik geschichtliche Gestalt. Für die Lehre vom Geist folgt daraus, dass sich die individuelle Aneignung des Heils nicht als Empfang einer vorgängigen Geistgabe denken lässt: »Weil die Rezeption immer schon variierenden Charakter hat, muß die Pneumatologie den Geist auch als subjektiven begreifen. […] Die Aneignung des extra nos konstituierten Heils geschieht unter der Voraussetzung, daß der Geist in nobis wirkt, weshalb die Rezeption nicht als bloßer Empfang veräußerlicht vorgestellt werden kann.«77 Die Pointe der Rede vom Geist besteht insofern darin, dass sie die beiden Pole der traditionsbestimmten Memoria Christi einerseits und deren kreativ-umbildender Aneignung anderer74   E. Troeltsch, Glaubenslehre. Nach Heidelberger Vorlesungen aus den Jahren 1911 und 1912, hg. v. G. von le Fort, München 1925, 347 (kursiv ML).  – Vgl. dazu Wittekind, Theologiegeschichtliche Überlegungen zur Pneumatologie (s. Anm. 7), 44 f.; sowie Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 76 – 81. 75   Vgl. zu dieser Einsicht insbesondere Moxter, Kultur als Lebenswelt (s. Anm.  43), 401 – 406. 76  Vgl. Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 197: Die christliche Tradition »kann […] nicht als ein substantieller, identisch bleibender Kern verstanden werden, der in wechselnden Hüllen durch die Geschichte transportiert wird«. 77   Moxter, Kultur als Lebenswelt (s. Anm. 43), 403.

344  Martin Laube seits miteinander vermittelt und verschränkt. Das Wirken des Geistes, die erinnernde Vergegenwärtigung von Person und Werk Jesu Christi, vollzieht sich nicht anders als vermittels ihrer je individuellen, produktiv-schöpferischen Interpretation und Weitergabe. Der Geist erweist sich damit als das geschichtliche Traditionsprinzip des Christentums78 – so freilich, dass er gerade für die unabschließbare Offenheit, Kreativität und Produktivität christlich-religiöser Kommunikation und Sinnbildung einsteht. Auf diese Weise holt die dogmatische Pneumatologie schließlich – in moderner Umbildung – den Grundsatz der paulinischen Rede vom Geist ein: »Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit« (2 Kor 3,17).

78

  Vgl. dazu Danz, Gottes Geist (s. Anm. 1), 194 – 203.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion Nadine Ueberschaer

Mit ihren Beiträgen zur Rede vom Heiligen Geist bieten der Neutestamentler Jens Herzer und der Systematiker Martin Laube je unterschiedliche Perspektiven: der eine mit besonderem Fokus auf der Ethik, der andere durch seine Konzentration auf die Soteriologie. Beide bewegen sich damit im Rahmen der Akzentsetzungen bereits vorangegangener Forschungsgeschichte zur Pneumatologie in der neutestamentlichen Wissenschaft.1 Dabei hebt Laube explizit hervor, dass sich seine Konzentration auf die christologisch-soteriologische Dimension der Pneumatologie vor allem der kritischen Auseinandersetzung mit systematisch-theologischen Forschungen des 20. Jahrhunderts zum Geistverständnis verdankt.2 Dies fordert geradezu heraus, die beiden unterschiedlichen Zugänge miteinander ins Gespräch zu bringen, und belegt einmal mehr, dass erst eine Zusammenschau verschiedener Pneuma-Aspekte die Möglichkeit eröffnet, pneumatologische Aussagen adäquat zu reflektieren. Dabei nimmt die Response das Anliegen beider Beiträge auf, ein interdisziplinäres Gespräch anzuregen und nach der gegenwärtigen Relevanz pneumatologischer Aussagen sowie deren Bedeutung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung und daraus folgender kirchlicher Praxis zu bedenken.3 Laubes Ansatz, die Pneumatologie auf der Grundlage eines kommunikativen Religionsbegriffes zu entfalten und in der Nachfolge reformatorischer Theologie an Wort und Sakrament zu binden,4 bietet dazu einen geeigneten Ausgangspunkt für ein interdisziplinäres 1   Vgl. dazu den informativen Forschungsüberblick von C. Strecker, Zugänge zum Unzugänglichen. »Geist« als Thema neutestamentlicher Forschung, in: ZNT 13 (2010), 3 – 20. 2   M. Laube, Christliches Leben im Geist. Überlegungen zur Pneumatologie, grenzt sich damit m. E. völlig zu Recht gegen eine »inflationäre[n] Entschränkung des Geistes im 20. Jahrhundert« (a. a. O., 334) ab. 3   Verwiesen sei hier exemplarisch auf Herzers (ders., Leben im Glauben – Leben im Geist. Biblisch-theologische Aspekte der Geistesgegenwart Gottes, 284 – 290) umfassende systematisch-theologische Reflexion zu Beginn seines Artikels sowie Laubes (ders., Christliches Leben [s. Anm. 2], 321; 344) Argumentation mit neutestamentlichen Texten. Zum Gegenwartsbezug wird in der Response zurück zu kommen sein. 4  Vgl. Laube, Christliches Leben (s. Anm. 2), 3 37– 340.

346  Nadine Ueberschaer Gespräch. Denn in kritischer Abgrenzung zu einem pfingstlich ausgerichteten Christentum und seiner Betonung erfahrungsbezogener Aspekte des Geistverständnisses sowie der Orientierung an besonderen Charismen,5 gelingt es ihm damit, das Fundament zu legen, auf das Herzers Betonung ethischer Aspekte des Geistverständnisses aufbauen kann. Aus neutestamentlicher Perspektive legt sich dieses Vorgehen von den paulinischen Texten her ebenso wie von der johanneischen und lukanischen Tradition her nahe und hat damit all jene Entwürfe innerhalb des neutestamentlichen Kanons auf seiner Seite, die in besonderer Weise pneumatische Aussagen theologisch reflektieren und deuten. Wird dabei der Aspekt der Kommunikation bzw. der Verkündigung in der pneumatologischen Reflexion bedacht, dann erscheint auch eine Zuordnung von Glaube und Geist – um die Herzer ringt6 – plausibel, auch ohne dass sich im Neuen Testament eine Formulierung wie im Apostolikum »Ich glaube an den Heiligen Geist« findet. Konstitutiver Bestandteil neutestamentlichen Glaubensverständnisses ist der Geist jedoch vor allem aufgrund seiner Bindung an die Auferstehung Jesu, wie auch Herzer bemerkt und in seiner Argumentation aufgrund der »bekenntnistheologischen Fragestellung«7 dazu auf die paulinischen Texte zurückgreift. Diese Überlegung soll hier aufgenommen und am Beispiel des Römerbriefes profiliert werden, bevor weitere paulinische Schriften für ein umfassenderes Verständnis herangezogen werden. Im Römerbrief lässt sich ein argumentativer Spannungsbogen von Röm 1 – 8 nachzeichnen, den Paulus bereits im Präskript eröffnet, wenn er dort den Inhalt des »Evangeliums Gottes« (Röm 1,1) als Evangelium vom Sohn Gottes definiert, der nach dem Fleisch aus dem Samen Davids, »in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit aus der Auferstehung von den Toten« aber zum Sohn Gottes bestimmt ist (Röm 1,3 f.), und als Ziel seines Apostolats die ὑπακοὴ πίστεως (Röm 1,5) benennt. Ebendieses »Sich-Stellen ›unter das Gehörte‹ (ὑπακοή = ὑπὸ τὴν ἀκοήν)«8 wird in Röm 1,16 f. mit der Verheißung der Gerechtigkeit und des Lebens aus dem Glauben verbunden. Dabei klingt 5

  A. a. O., 326 f.   Herzer, Leben im Glauben (s. Anm. 3), 287 – 293; 298 – 303; 312; 317 f.   A. a. O., 290. 8   So zutreffend F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments, Bd. 1: Die Vielfalt des Neuen Testaments. Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 2002, 268. 6 7

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  347

mit dem Verb ζῆν aus Hab 2,4 in Röm 1,17 erneut die Funktion an, die dem Geist implizit bereits in Röm 1,5 zukommt, wenn er mit der Auferstehung verbunden wird. Diese Leben schaffende Kraft des Geistes entfaltet der Apostel im Folgenden und hält dabei durchgehend an der Verbindung mit dem Glauben fest. Dabei übernimmt der Geist eine Funktion, die Paulus letztlich auf das Leben schaffende Sein und Wirken Gottes zurückführt. So illustriert er in Röm 4 am Beispiel Abrahams und Sarahs Gottes Schöpferkraft und setzt den gerecht machenden Glauben Abrahams an den Leben schaffenden Gott (Röm 4,17) in Analogie zum Glauben an denjenigen, der Christus von den Toten auferweckt hat (Röm 4,24).9 Im Folgenden legt Paulus seine soteriologische Deutung des Todes und der Auferweckung Jesu dar, wie er sie in Röm 4,25 formuliert und argumentiert dabei mit dessen Auferstehungsleben (Röm 5,10).10 In einer nachgetragenen Begründung für die rettende Liebe Gottes im Christusgeschehen (Röm 5,1 – 11) mittels einer Adam-Christus-Typologie, setzt Paulus Sünde und Tod Gnade und ewigem Leben gegenüber (Röm 5,12 – 21), um dann in Röm 6 die »Neuheit des Lebens« (Röm 6,4) der Glaubenden zu begründen. Ebendiese Neuheit des Lebens verdankt sich einer glaubenden Partizipation an Jesu Tod, in dessen Tod sich der Tod des Menschen gegenüber der Sünde ereignet, und einer Teilhabe an seinem Auferstehungsleben (Röm 6,4).11 Die Bedeutung des Glaubens 9   Vgl. zum Lebensbegriff in Röm 4 C. Zimmermann, Leben aus dem Tod. Ein Spezifikum in der Gottesrede des Römerbriefs, in: U. Schnelle (Hg.), The Letter to the Romans (BEThL 226), Leuven 2009, 503 – 520. Vgl. weiter zur hierfür relevanten Bedeutung der διὰ bzw. ἐκ πίστεως-Wendungen bei Paulus sowie zu Röm 1 und 4 N. Ueberschaer, Theologie des Lebens bei Paulus und Johannes. Ein theologisch-konzeptioneller Vergleich des Zusammenhangs von Glaube und Leben auf dem Hintergrund ihrer Glaubenssummarien (WUNT 389), Tübingen 2017, 51 – 91, sowie die ausführliche Studie von K. F. Ulrichs, Christusglaube. Studien zum Syntagma πίστις Χριστοῦ und zum paulinischen Verständnis von Glaube und Rechtfertigung (WUNT II / 227), Tübingen 2007. 10   Überlegungen zum Lebensbegriff in Röm 5 – 6 legt C. Landmesser, Der Vorrang des Lebens. Zur Unterscheidung der anthropologischen und soteriologischen Kategorien Tod und Leben in der Theologie des Paulus im Anschluss an Röm 5 f., in: P. Bahr / S. Schaede (Hg.), Das Leben I, Historisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs (Protestantismus und Kultur 2), Tübingen 2009, vor. 11  Vgl. dazu die Satzstruktur von Röm 6,4, bei der in dem durch die finale Konjunktion ἵνα eingeleiteten Satz durch die Wendung ὥσπερ – οὕτως die Auferweckung Jesu in Relation gesetzt wird zur Neuheit des Lebens der Glaubenden.

348  Nadine Ueberschaer hierbei betont Paulus in V. 812 und verhindert mit der Verwendung des Verbes ζῆν auch für den Auferstandenen entgegen Herzer, hier von einer »Prolepse der endzeitlichen Totenauferstehung«13 zu sprechen. Für Paulus legt sich stattdessen ein Verständnis der καινότης ζωῆς als Inauguration des Auferstehungslebens nahe, das das gegenwärtige Sein der Glaubenden bestimmt.14 Eine ganz analoge Struktur bietet Paulus in 2 Kor 5 mit der Rede von der καινὴ κτίσις. Wie im Röm ist auch hier ein Bezug zum Pneuma gegeben durch die Rede von der διακονία τῆς καταλλαγῆς, die nach 2 Kor 3 vom Apostel als διακονία τοῦ πνεύματος in ihrer Leben vermittelnden Wirkung beschrieben wird. Somit können die Aussagen zum lebendig machenden Geist in 2 Kor 3, der die Identität der Glaubenden als Brief Christi bestimmt (2 Kor 3,3), als Erklärung für die Rede von der Neuschöpfung verstanden werden. Der Akzent liegt dabei auf der Funktion des Geistes, lebendig zu machen und die Glaubenden ihrer Identität als mit dem Geist des lebendigen Gottes geschriebener Brief Christi bzw. als Neuschöpfung zu vergewissern. Sie sind im soteriologisch und eschatologisch qualifizierten Sinn οἱ ζῶντες (2 Kor 5,15). Deutlich wird vor dem Hintergrund dieser Textbeobachtungen, welche Bedeutung dem ζῆν-Wortstamm bzw. der dem Geist zugeordneten Fähigkeit des ζῳοποιεῖν bei Paulus zukommt. Dies gilt auch für Röm 8; so ist der Geist nach Röm 8,10 die ζωή der Glaubenden unter den Bedingungen ihrer von Sterblichkeit geprägten physischen Existenz und verbürgt zugleich die futurisch erwartete Heilshoffnung (Röm 8,11).15 Wird diese auf den Geist bezogene Lebensbegrifflichkeit bei Paulus berücksichtigt, dann bestätigt sich der nachgezeichnete argumentative Bogen von Röm 1 – 8, der ergänzt werden muss um die genannten Aussagen in 2 Kor 3 und 5: das verkündigte Evangelium vom gekreuzigten Auferstanden vermittelt im Modus des Glaubens das Leben.16 Diese soteriologische Gabe des Lebens begründet Paulus mit dem schöpferischen Handeln Gottes in der Auferweckung Jesu, die den Er  Vgl. die Formulierung »πιστεύομεν ὅτι […]«.   Herzer, Leben im Glauben (s. Anm. 3), 308. 14   Vgl. zur ausführlichen Darlegung Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm.  9), 157 – 170. 15   A. a. O., 108 – 144.174 – 179. 16   Vgl. zur Begründung der Analogie von 2 Kor 5,21 zur paulinischen Vor­ stellung der Gerechtmachung anhand von Hab 2,4 in Röm 1,17 und Gal 3,11 a. a. O., 135 f. 12 13

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  349

möglichungsgrund für die Neuheit des Lebens bzw. die Neuschöpfung der Glaubenden bildet. Ebendieses neuen soteriologisch qualifizierten Status werden die Glaubenden in der Gabe des Pneumas als Signum ihres neuen Seins vergewissert. Sinnlich erfahrbar wird diese Neuheit des Lebens in der Taufe, auf die Paulus in Röm 6 rekurriert. Damit wird an Röm 6 deutlich, dass sich Laubes kommunikativer Religionsbegriff sowie die Betonung der Zeichenhaftigkeit durch exegetische Beobachtungen untermauern lässt. Der innere Zusammenhang von Glaube bzw. Verkündigung des Evangeliums, Heiligem Geist und Neuschöpfung ist dabei evident.17 Darüber hinaus können Röm 4 wie auch die paulinischen Argumentationen in Gal 3 und 4 mit alttestamentlichen Gestalten wie Abraham, Sarah und Hagar als Ausdruck des an Medien gebundenen Geistwirkens verstanden werden.18 Denn Paulus nimmt seinen Adressaten vertraute Traditionen auf und schreibt sie in seiner Verkündigung aktualisierend fort, um sie so für seine Theologie fruchtbar zu machen – eine Aufgabe, der sich gegenwärtige kirchliche Verkündigung zu stellen hat. Darüber hinaus wird anhand der paulinischen Texte deutlich, dass die Vorstellung einer »Neuheit des Lebens« bzw. der »Neuschöpfung« neben der persönlichen eine ekklesiale Dimension inhärent ist, da Paulus beides als »in Christus« charakterisiert.19 Das heißt, dass auch hier Paulus als Gewährsmann herangezogen werden kann sowohl für das von Laube hervorgehobene Motiv der Sozialität20 als auch für Herzers Anliegen, die Bedeutung des Geistwirkens für die Ekklesiologie zu bedenken.21 Vor dem Hintergrund dieser Textbeobachtungen sollen einige interessiert-kritische Anfragen an die Beiträge von Jens Herzer und Martin Laube gestellt werden. 1. Wird es den Texten gerecht, lediglich von einer Erneuerung bzw. »Neuschöpfung des irdischen Lebens«22 zu sprechen? Insbesondere die Rede von der Neuheit des Lebens in Röm 6 als auch die Vorstellung einer Neuschöpfung, deren völlige Diskontinuität zur vorherigen Existenz in 2 Kor 5,14 – 17 entfaltet wird, scheinen mir hiermit be17   Damit sollen die von Herzer, Leben im Glauben (s. Anm. 3), 303 – 308, vorgebrachten Argumente durch den Gedankengang des Röm gestärkt werden. 18  Vgl. Laube, Christliches Leben (s. Anm. 2), 340. 19   Vgl. 2 Kor 5,17; Röm 6,11. 20   Laube, Christliches Leben (s. Anm. 2), 335 – 337, der für seine Argumentation ebenfalls auf Paulus verweist. 21   Herzer, Leben im Glauben (s. Anm. 3), 283; 297 f. 22   A. a. O., 308.

350  Nadine Ueberschaer grifflich nicht erfasst zu sein.23 M. E. legt die oben vorgeschlagene Berücksichtigung des paulinischen Lebensbegriffes eine andere Akzentsetzung nahe. Denn der paulinische Lebensbegriff kann nicht allein auf das irdische Leben bezogen werden. Vielmehr beschreibt Paulus mit ihm eine gegenwärtige soteriologische Gabe, die die Kontinuität zwischen diesseitigem und jenseitigem Heil verbürgt und damit die Voraussetzung für die erwartete Auferstehung darstellt. Hiermit wäre dann eine deutlichere Profilierung dessen möglich, inwiefern der Geist als Vermittler von Leben und Neuschöpfung bzw. als Unterpfand für die erwartete Auferstehung fungiert.24 Interessant wäre hierbei eine Diskussion mit Jens Herzer darüber, was er unter »Vollendung der Leiblichkeit« versteht, wenn er auf die Bedeutung der Leiblichkeit bei Paulus insistiert, aber gleichzeitig von einer »Transformation der Leiblichkeit in das ewige Leben Gottes«25 sprechen kann. Wäre auch diese leiblich vorzustellen? Hier wäre m. E. insbesondere für eine gegenwartsrelevante Deutung nach den traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen einer solchen Vorstellung bei Paulus zu fragen und zu überlegen, ob heutigen Glaubenden hierfür nicht die Vorstellungsvoraussetzungen fehlen. In einem zweiten Schritt wäre daher zu diskutieren, wie paulinische Ansichten so mit gegenwärtigen postmortalen Erwartungen ins Gespräch gebracht werden können, dass am Schluss dieses Reflexionsprozesses für die Gegenwart tragfähige und plausible Übersetzungen jener Vorstellungen stehen. 2. Die eben beschriebenen Eindrücke zu Herzers Umgang mit den Neuschöpfungsaussagen und dem Lebensbegriff führen zur Frage nach dem Verhältnis von Soteriologie und Ethik. Herzer spricht im Zusammenhang mit der Rede von einem »erneuerte(n) Leben im Geist«26 von einem »neuen Status der Gerechtigkeit«27 und von einem »Lebenswandel« sowie von einer »Lebensausrichtung und 23  Vgl. zum Begriff der Neuheit auch C. Hoegen-Rohls, Neuheit bei Paulus. Kommunikative Funktion und theologische Relevanz der paulinischen Aussagen über den Neuen Bund, die Neue Schöpfung und die Neuheit des Lebens und des Geistes (Habil. Masch.; München 2003); Dies., Wie klingt es, wenn Paulus von Neuer Schöpfung spricht? Stilanalytische Beobachtungen zu 2 Kor 5,17 und Gal 6,15, in: P. Müller / C. Gerber / T. Knöppler (Hg.), »… was ihr auf dem Weg verhandelt habt.« Beiträge zur Exegese und Theologie des Neuen Testaments (Festschrift F. Hahn), Neukirchen-Vluyn 2001, 143 – 153. 24  Vgl. Herzer, Leben im Glauben (s. Anm. 3), 303 – 314. 25   A. a. O., 312. 26   A. a. O., 303. 27   A. a. O., 305.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  351

-führung«28, »Gesinnung«29 sowie von »Bewusstsein«30. Die Formulierungen verraten, dass Herzer die geistgewirkte Neuschöpfung des Menschen vor allem ethisch versteht. Demgegenüber ist kritisch zu fragen, ob es ausgehend von Röm 5 – 6 und 2 Kor 5, 17 – 21 nicht näherliegt, dass die Soteriologie den Primat vor der Ethik hat. Denn schließlich ermöglicht erst die Befreiung aus dem Sünde-Tod-Zusammenhang (vgl. Röm 5 – 6) in der Teilhabe an Jesu Tod und Auferweckung (2 Kor 5,15) die Neuschöpfung der Glaubenden. Als solche bildet die »Neuheit des Lebens« (Röm 6,4) doch die Bedingung der Möglichkeit einer ethischen Neuausrichtung glaubender Existenz. Beide Dimensionen – die ethische und die soteriologische – klingen in Herzers Ausführungen an, wünschenswert wäre hier jedoch von Paulus aus betrachtet eine stärkere Relationierung. Als Beispiel sei hier auf die »Liebe« verwiesen, die Herzer vollkommen zutreffend als Konstituens paulinischer Ethik hervorhebt. Ob dafür allerdings Röm 5,5 ein geeigneter Beleg ist, kann zumindest gefragt werden. Denn hier erscheint »Liebe« als Movens des Todes Jesu, d. h. Paulus argumentiert hier gerade soteriologisch. Erst vor diesem Hintergrund ergibt sich m. E. das relationale Verständnis des Liebesbegriffs bei Paulus, wie er dann auch das menschliche Miteinander prägen soll.31 3. Das Stichwort »Relation« möchte ich in einer letzten Frage an Jens Herzers Beitrag aufnehmen. Herzer schreibt, dass »die Rede vom Heiligen Geist eine Vorstellung von Gottes Handeln an und in Christus und damit von der Relation Gottes und Christi voraussetzt«. Er problematisiert dann im Folgenden, dass die von ihm so genannte »christologische Fokussierung des Glaubens an den ­Heiligen Geist […] eine Herausforderung«32 darstelle und verweist dazu – worin ihm vollkommen zuzustimmen ist – auf die jüdische Tradition. Ich möchte daher fragen, ob nicht gerade die thematisierte Relation Gottes zu Christus eine theo-logische Fokussierung der Pneumatologie ermöglicht bzw. nötig macht – verwiesen sei z. B. auf Röm 8,11 – und damit die Rede vom Geist nicht rückgebunden werden müsste an die jüdische Überlieferung vom lebendigen und Leben schenkenden Schöpfergott – einen Weg, den Paulus beschreitet, wenn er in Röm 4

28

  A. a. O., 295.   Vgl. exemplarisch a. a. O., 303. 30   A. a. O., 309; 312 u. ö. 31   Vgl. exemplarisch Röm 14,15; Gal 5,14. 32   Herzer, Leben im Glauben (s. Anm. 3), 318. 29

352  Nadine Ueberschaer eine Analogie zwischen Abraham-Glauben und Christus-Glauben herausarbeitet.33 4. Enden möchte ich mit einer Anfrage, die beide Beiträge betrifft. Denn Herzers Rede von »Bewusstsein« und »Gesinnung«34 sowie Laubes Fokussierung auf das »aneignende Verstehen religiöser Rede«35 betonen m. E. vollkommen zutreffend wesentliche Aspekte der Pneumatologie, lassen dabei aber zugleich eine mangelnde Reflexion über das Wirken des Geistes bei Menschen mit geistiger Behinderung oder neurologischen Erkrankungen wie Demenz erkennen. Vielleicht bietet Laubes Rede von Medien und Symbolen hierbei einen Ansatz, den es weiter zu denken lohnt, um tatsächlich die »egalitär-integrative[r]«36 Dimension des Geistwirkens (vgl. auch Gal 3,27 f.) herauszuarbeiten und zu überlegen, wie eine theologische Reflexion über die Pneumatologie das Geistwirken in der gelebten Alltagsfrömmigkeit und kirchlicher Praxis wie der Altenheimseelsorge berücksichtigt. Dies betrifft m. E. notwendigerweise ebenso eine interkulturelle Verortung pneumatologischer Reflexionen, um der Vielfalt und Komplexität von Erfahrungswelten und religiösen Kommunikationsprozessen gerecht zu werden.

33   Ein Aspekt, der bei Herzer selbst anklingt, wenn er mehrfach Gottes schöpferisches Handeln betont. 34   Herzer, Leben im Glauben (s. Anm. 3), 309 – 311; 318. 35   Laube, Christliches Leben (s. Anm. 2), 334. 36   A. a. O., 335.

Weiterführende Fragen  353

Weiterführende Fragen 1. Dem Heiligen Geist ist zugeschrieben, dass er den christlichen Glauben wirke. Doch wie kann unterschieden werden, ob tatsächlich der Heilige Geist Einsicht in die Wahrheit gewährt oder ob hierüber ein Irrtum besteht? Wie kann sich im Leben eines Menschen Gewissheit über das von Gott gewirkte Heil einstellen? 2. Inwiefern sind menschliches Handeln und die Gegenwart der Gemeinde erforderlich, damit das Evangelium Christi vermittelt werden und womöglich als Wahrheit eingesehen werden kann (vgl. Confessio Augustana [CA], Artikel V)? 3. Wie kann im Gottesdienst zum Ausdruck kommen, dass der Heilige Geist eine der drei »Personen« Gottes ist und nicht nur als göttliche Geistkraft benannt wird?

V.  »… ein heilige christliche Kirche, die Gemeine der Heiligen …« Von der Verkündigung der Wahrheit im Auftrag des Geistes Im dritten Artikel des Apostolikums wird nicht näher ausgeführt, wer oder was der Geist ist, sondern was er bewirkt. Dadurch, dass er Menschen Gottes Heilswirken offenbart und ihren Glauben an Gott wirkt, heiligt er diese und führt sie in der heiligen und allgemeinen Kirche zusammen. Die Kirche (griech.: ἐκκλησία) ist durch die Attribute Heiligkeit und Katholizität gekennzeichnet. Heiligkeit meint Zugehörigkeit zu Gott, welche gewirkt wird durch den Heiligen Geist, den sanctificator (Heiligmacher), und nicht durch Werke zu verdienen ist. Mit Universalität ist ausgesagt, dass die Zugehörigkeit zur Kirche keinesfalls etwa durch ethnische oder geographische Grenzen eingeschränkt ist. Das deutsche Wort »Kirche« leitet sich ab von griech. κυριακὴ (οἰκία) = das zum Herrn Gehörige (Haus). Im Neuen Testament sind vielfältige Bilder für »Kirche« zu finden. So wird sie beispielsweise als Herde des einen Hirten, als Volk Gottes oder auch als Leib Christi beschrieben. Der Heilige Geist wird als der genannt, der in die Gemeinschaft des Leibes Christi einfügt und diese derart stärkt, dass kein einzelnes Glied beschädigt wird oder verlorengeht (1 Kor 12,13.24). Die Kirche als die Gemeinschaft der Heiligen zeichnet sich nach evangelischem Verständnis durch die rechte und reine Verkündigung des Wortes Gottes und die angemessene Feier der Sakramente aus. Dies sind die Instrumente, durch die der Heilige Geist Glauben weckt und stärkt, »wo und wann er will« (CA V). Mit dieser Wendung ist herausgestellt, dass das Wirken des Geistes letztlich unverfügbar ist und weder durch die ethische oder geistliche Qualität kirchlicher Funktionsträgerinnen und -träger noch durch rhetorische oder emotionale Beeinflussung noch durch ökonomische Strategien der Kirchenorganisation herbeigeführt werden kann.

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist Markus Öhler

Innerhalb des dritten Artikels des Apostolikums, der mit dem Glauben an den Heiligen Geist einsetzt, findet sich gleich anschließend die doppelte Angabe, dass sich der Glaube auch auf sanctam ecclesiam catholicam und sanctorum communionem richte.1 Die folgenden Ausführungen gehen zunächst der Frage nach, ob bzw. inwiefern man aus der Perspektive der frühchristlichen Texte von einer »heiligen umfassenden Kirche« sprechen kann, die einen Glaubensgegenstand darstellen würde. Sodann wird der Aspekt der »Gemeinschaft am / der Heiligen« näher betrachtet, wobei die unterschiedlichen Auslegungsperspektiven von sanctorum communio in den Blick genommen werden. Schließlich sollen beide Aussagen noch unter die Perspektive des Geistes gerückt werden, der das bestimmende Moment des dritten Artikels des Apostolikums ist.

1.  Die Ekklesia Unter den zahlreichen Ausdrücken, die sich im Neuen Testament und darüber hinaus für die Gruppen von Christusgläubigen finden, sticht die Bezeichnung ἐκκλησία hervor. Sie begegnet in allen echten Paulusbriefen sowie in den meisten anderen Texten des Neuen Testaments.2 Ihre Bedeutung »Versammlung« ist ausgesprochen neutral und wurde erst in christlichen Texten im Sinne von »Gemeinde« bzw. 1   So nach dem sogenannten textus receptus, dessen Textzeugen bei W. Kinzig, Faith in Formulae. A Collection of Early Christian Creeds and Creed-related Texts I, Oxford 2017, 352 f., aufgelistet sind. Sowohl in der griechischen Form des Markell von Ankyra (a. a. O., § 253), bei Rufin (a. a. O., § 254) als auch in weiteren Parallel- oder Vorläuferversionen findet sich kein Hinweis auf die sanctorum communio, sodass es sich dabei wahrscheinlich um eine spätere Hinzufügung handelt. Sie ist zuerst bei Nicetas von Remesiana belegt (De symbolo 10; gest. 414). Für die Spezifizierung der Kirche als catholica gilt ähnliches. 2   Signifikante Ausnahmen sind v. a. die Evangelien nach Markus, Lukas und Johannes, woraus zu schließen ist, dass Jesus nicht von einer Gemeinde bzw. vom ‫( קהל‬qahal) sprach. Die Belege in Mt 16,16; Mt 18,17 sind deutlich durch den Evangelisten gestaltet. Auch im 2. Timotheusbrief, im Titusbrief, in den Petrusbriefen, im Judasbrief und dem 1. und 2. Johannesbrief fehlt der

358  Markus Öhler »Kirche« verwendet.3 Es geht dabei eigentlich stets darum, dass sich eine bestimmte Gruppe von Menschen versammelt. In der Septuaginta wird u. a. das zu einem bestimmten Anlass versammelte Volk Israel als ἐκκλησία bezeichnet, z. B. am Berg Sinai bei der Übergabe der Tora (Dtn 4,10 u. ö.). Wenn es darum geht, die Gesamtheit Israels zu bezeichnen, kann von der »ganzen Versammlung Israels« gesprochen werden (Dtn 31,30; Jos 9,2 f. u. ö.) oder von der »Versammlung des Volkes Gottes« (Ri 20,2). Mit »Versammlung des Herrn« (Dtn 23,2) ist eine gottesdienstliche Versammlung gemeint, nicht Israel als Ganzes, ähnliches gilt für »Versammlung Gottes« (Neh 13,1) und »Versammlung Israels« (1 Kön 8,14). Die gottesdienstliche Versammlung wird vor allem in den Psalmen ἐκκλησία genannt (Ps 21,23.26[LXX]; vgl. Klgl 1,10), auch im Plural (Ps 25,12; Ps 67,27[LXX]). Der Ausdruck wird in der Regel als Übersetzung für ‫קהל‬ (qahal) verwendet, das ebenfalls die Bedeutung »Versammlung« hat.4 Die Wahl dieses Terminus durch griechischsprachige christliche Gruppierungen ist vor diesem Hintergrund gut zu erklären. Wahrscheinlich hatte dies schon bei den sogenannten Hellenisten in Jerusalem eingesetzt, innerhalb des syrischen Christentums ist es bereits selbstverständlich. Die weite Verbreitung dieser Bezeichnung sowie der Umstand, dass Paulus auch die Versammlung von Christusgläubigen in Jerusalem ἐκκλησία nennt (1 Kor 15,9; Gal 1,13; Phil 3,6), weisen auf jeden Fall auf eine frühe Entstehung hin.5 Im Blick auf die Stellung innerhalb des Judentums ist zudem wesentlich, dass sich die Begriff. Vgl. für eine Übersicht P. R. Trebilco, Self-Designations and Group Identity in the New Testament, Cambridge u. a. 2012, 164 – 207. 3  In deutschen Übersetzungen des Neuen Testaments finden sich unterschiedliche Wiedergaben von ἐκκλησία. Während die Lutherbibel ausschließlich mit »Gemeinde« übersetzt, wechselt etwa die Einheitsübersetzung zwischen »Gemeinde« und »Kirche«. Damit soll angezeigt werden, ob es sich jeweils um eine lokale Gemeinschaft handelt oder um die umfassende Kirche. Dazu auch M. Wolter, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 291. »Gemeinde« bzw. »Kirche« geben allerdings nicht den antiken Wortsinn wieder: Das deutsche Wort »Gemeinde« (seit dem 8. Jahrhundert) betont das Gemeinsame derer, die zusammenkommen. »Kirche« hingegen ist eine Bildung, die sich aus dem christlichen Begriff κυριακόν (»dem Herrn gehörig«; ab dem 4. Jahrhundert) entwickelt hat. 4   Trebilco, Self-Designations (s. Anm. 2), 169: »[…]  in the LXX and in other Jewish authors ἐκκλησία generally refers to an actual ›assembly‹ of people when they gather.« Nach meiner Meinung gilt dies auch für Dtn 23 und Neh 13. 5   Vgl. etwa H.-U. Weidemann, Ekklesia, Polis und Synagoge. Überlegungen im Anschluss an Erik Peterson, in: B. Nichtweiß / H.-U. Weidemann / E. Pe-

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  359

Gruppen von Christusgläubigen nicht »Synagogen« nannten, sondern eine Selbstbezeichnung wählten, die sie als Versammlung jener in Israel bestimmte, die an der Königsherrschaft Gottes teilhaben würden. In der griechischsprachigen Welt, zu der auch das Diasporajudentum gehörte, wurde der Terminus ἐκκλησία im gesellschaftlich-politischem Sinn verwendet. Er bezeichnet dort in erster Linie die Bürgerversammlung einer Stadt, in der Beschlüsse und Ehrungen vorgenommen wurden, aber auch spontane Versammlungen oder Treffen von Vereinsmitgliedern.6 In einem nicht-jüdischen christlichen Kontext, in dem die spezifische Verwendung in der LXX nicht bekannt war, liegt daher mit ἐκκλησία eine Analogiebildung zum allgemein-griechischen Gebrauch vor. Ein dezidiert politischer Charakter ist allerdings eher zweifelhaft und in den ntl. Texten nicht offengelegt.7 Diese »neutrale« Verwendung wird u. a. auch daran deutlich, dass Paulus von »Versammlungen im Haus« von bestimmten Personen sprechen kann: In Röm 16,3 – 5 und 1 Kor 16,19 jenes von Aquila und Priska, in Phlm 2 das des Philemon (vgl. Kol 4,15). Wichtig ist: Den Aspekt der »Versammlung« von Einzelpersonen mit gemeinsamer Herkunft oder gemeinsamen Interessen verlor der Begriff weder in der LXX noch in der griechisch-römischen Verwendung, sodass er auch für die christlichen Aussagen jeweils mitzudenken ist.

1.1  Paulus und die Ekklesiai In den echten Paulusbriefen begegnet der Ausdruck ἐκκλησία 43-mal und bezeichnet damit die lokale Gemeinde bzw. eine Mehrzahl von terson, Ekklesia. Studien zum altchristlichen Kirchenbegriff, Würzburg 2010, 152 – 195 (173 – 185). 6   Für Versammlungen in Vereinigungen vgl. IDelos 1519 (153 / 152  v. Chr.). 7   Eine politisch kontrastierende Konnotation der Verwendung sieht hingegen G. H. van Kooten, Ἐκκλησία τοῦ θεοῦ: The ›Church of God‹ and the Civic Assemblies (ἐκκλησίαι) of the Greek Cities in the Roman Empire. A Response to Paul Trebilco and Richard A. Horsley, in: NTS 58 (2012), 522 – 548. Dagegen wendet sich auch R. J. Korner, The Origin and Meaning of Ekklēsia in the Early Jesus Movement (AJEC 98), Leiden u. a. 2017, 182 – 188. Korners eigene Erklärung ist m. E. noch weniger plausibel: So lässt sich die Bedeutung des Begriffes als Ausdruck für »Jewish sacred space« nicht nachweisen (gegen Korner, Origin, 259 f.). Weder die LXX kann dies belegen, noch haben jüdische Gruppierungen ἐκκλησία jemals als Selbstbezeichnung verwendet. Philo, virt. 108, kann diese Last nicht tragen, bedeutet es doch auch dort nichts anderes als »Versammlung« (gegen Korner, Origin, 129 – 136).

360  Markus Öhler Gemeinden.8 Gerade der Plural macht deutlich, dass sich bei Paulus kein Gesamtkonzept von »Kirche« im Sinne des Apostolikums finden lässt. Exemplarisch seien einige Stellen dazu angeführt: In 1 Kor 11 verhandelt Paulus die Frage der Haartracht von Frauen beim Gebet und begründet seine Anweisungen u. a. damit, dass »wir und auch die ἐκκλησίαι Gottes« den Brauch nicht kennen würden, nach dem Frauen ihr Haar kurz tragen (vgl. auch 1 Kor 7,17). Paulus schreibt von ἐκκλησίαι in den Provinzen Asien (1 Kor 16,19), Galatien (1 Kor 16,1; vgl. Gal 1,2), Makedonien (2 Kor 8,1) und Judäa (Gal 1,22; 1 Thess 2,14). Die Geldsammlung für Jerusalem betreibt Paulus in den ἐκκλησίαι (2 Kor 8,18 f.23 f.), um deren Wohlergehen er sich sorgt (2 Kor 11,28). Von einigen ἐκκλησίαι nimmt er Geld für seinen Unterhalt, von anderen nicht (2 Kor 11,8; 2 Kor 12,13). Sein Wirken ist »in jeder Ekklesia« gleich (1 Kor 4,17). Nach Röm 16,4 stehen alle ἐκκλησίαι, in denen sich Christusgläubige aus den Völkern versammeln, in der Schuld von Priska und Aquila. Er bestellt Grüße aller ἐκκλησίαι τοῦ Χριστοῦ (Röm 16,16). Ist also deutlich, dass Paulus jeweils von lokalen Versammlungen schreibt, so zeigt sich das auch in den Briefpräskripten: Die Versammlung in Korinth (1 Kor 1,2; 2 Kor 1,1) oder jene der Thessalonicher (1 Thess 1,1) bzw. die Versammlungen in Galatien (Gal 1,2) sind Adressaten seiner Briefe. Zugleich ist allerdings zu beachten, dass Paulus diese ἐκκλησίαι nicht als bloße Versammlungen versteht, sondern ihnen eine besondere Qualität zuspricht. Das wird v. a. dort erkenntlich, wo er sie als Versammlung Gottes (1 Kor 1,2; 1 Kor 10,32; 1 Kor 11,16.22; 1 Kor 15,9; 2 Kor 1,1; Gal 1,13; 1 Thess 2,14) bzw. Christi (Röm 16,16) bezeichnet. Der Genitiv soll vor allem anzeigen, dass die Ekklesia

8   Manche Belege werden so interpretiert, dass bereits Paulus von »Kirche« geschrieben hätte (1 Kor 10,32; 1 Kor 15,9; Phil 3,6; Gal 1,13); vgl. u. a. U. Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30 – 130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion (UTB 4411), Göttingen 2015, 258; noch weitgehender F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments I, Tübingen, 32011, 274 f., der ἐκκλησία mit »Volk« übersetzt, denn Paulus meine damit die »Gesamtheit der an Christus Glaubenden«. Allerdings ist an keiner der angeführten Stellen eine übergreifende Wiedergabe im Sinne von »Kirche« zwingend oder wahrscheinlich. Der lokale Charakter von ἐκκλησία ist jeweils ebenso plausibel und aufgrund der sonstigen paulinischen Verwendung auch wahrscheinlicher. Vgl. hingegen Trebilco, Self-Designations (s. Anm. 2), 170 – 172.

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  361

nicht durch sich selbst zustande gekommen ist, sondern Gott bzw. Christus ihr Urheber und Herr ist.9 Um zu beschreiben, welche Qualität die Versammelten teilen, greift Paulus in 1 Kor 1,2 zu einer appositionellen Formulierung: »Geheiligte in Christus, berufene Heilige«. In 1 Thess 1,1 bezeichnet er die christusgläubigen Thessalonicher als solche, die »in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus« sind. Ohne den Begriff ἐκκλησία zu verwenden, nennt er die Philipper Heilige (Phil 1,1). Die Differenzierung zwischen der lokalen ἐκκλησία und den Glaubenden an allen Orten wird u. a. in 2 Kor 1,1 deutlich: Die Adressaten werden zunächst als »Versammlung Gottes, die in Korinth ist« bezeichnet, doch Paulus erweitert dann den Kreis auf »alle Heiligen, die in der Provinz Achaia sind«. Hätte er bei ἐκκλησία an eine größere Institution gedacht, hätte er an die »Ekklesia von Achaia« geschrieben und die Ekklesia von Korinth nicht von den Heiligen in Achaia unterschieden. Wäre die Ekklesia von Korinth als Institution »heilig« oder »in Christus«, hätte er dies geschrieben, doch es sind nicht die Versammlungen, die heilig oder in Christus sind, sondern die Glaubenden, die sich versammeln.10 Nur wer sich dem Initiationsritual der Taufe unterzogen und den Geist empfangen hat, ist Mitglied der jeweiligen lokalen Ekklesia, doch weder ist die Ekklesia »getauft« noch ist sie der Raum des Geistes. In ihr verwirklicht sich gemeinschaftlich, was die neue Existenz der Glaubenden bestimmt, das Sein in Christus, das Leben im Heiligen Geist. So zeigt sich, dass Paulus nicht von einer »umfassenden Kirche« ausging, sondern von lokalen Versammlungen von Christusgläubi9   Hingegen gibt Paulus nur in 1 Thess 1,1 durch eine Genitivkonstruktion an, wer sich versammelt, nämlich die Christusgläubigen in Thessalonich. Lediglich 1 Kor 14,33b (»Versammlung der Heiligen«) weicht davon ab, was zu dem auch sonst deuteropaulinischen Charakter von 1 Kor 14,33b – 35 passt. 10   Anders etwa J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (GNT 10), Göttingen 1993, 98 Anm. 31: »Die gleichen Bezüge liegen vor, wo Paulus die ekklesia […] bzw. einzelne ihrer Glieder als ›Heilige‹ bezeichnet.« Trotz aller Betonung des Versammlungscharakters versteht Roloff die Ekklesia daher als Bereich, »der durch den Anbruch der endzeitlichen Neuschöpfung in Christus bestimmt ist«, und führt dies auf den Einfluss judenchristlich-palästinischer Tradition zurück (a. a. O., 99). Ein erster Beleg aus dem 2. Jahrhundert für die Qualifizierung der Ekklesia als heilig findet sich in der Epistula Apostolorum 5(16), wo vom Glauben an den Heiligen Geist, die heilige Kirche und die Vergebung der Sünden die Rede ist. Das gehört bereits zu den Vorstufen der Formulierungen im Apostolikum.

362  Markus Öhler gen.11 Über die Gestaltung dieser lokalen Gemeinden gewähren seine Briefe in zahlreichen Ausführungen Einblicke, denen hier nicht im Detail nachgegangen werden kann. Von allen Briefen beschäftigt sich der 1. Korintherbrief am ausführlichsten mit der Frage, wie die ἐκκλησία zu verstehen ist. Verursacht durch die innergemeindlichen Problemstellungen greift Paulus auf Metaphern zurück, unter denen jene des Körpers am breitesten ausgeführt wird und auch wirkungsgeschichtlich von größter Bedeutung wurde.12

1.2  Paulus und die Körpermetaphorik In 1 Kor 12 und Röm 12 nimmt Paulus Körpermetaphorik in seine Aussagen über die Ekklesia auf.13 Sie hat im Laufe des Christentums eine hohe Bedeutung für ekklesiologische Entwürfe gewonnen.14 Grundsätzlich ist für das Verständnis der paulinischen Ausführun11   Der erste frühchristliche Autor, bei dem der umfassende Charakter der Ekklesia auch als »katholisch« bezeichnet wird, ist Ignatius von Antiochien: »Wo Jesus Christus ist, da ist die umfassende Kirche« (ὥσπερ ὅπου ἂν ᾖ Ἰησοῦς Χριστός ἐκεῖ ἡ καθολικὴ ἐκκλησία ISmyrn 8,2). Das Nizäno-Konstantinopolitanum nennt die »eine, heilige, katholische und apostolische Kirche« als Teil des Bekenntnisses. 12  Andere Metaphern sind jene der Pflanzung (1 Kor 3,6 – 9), des Baus (1 Kor 3,9 – 12) und des Tempels (1 Kor 3,16 f.), wobei nicht immer deutlich ist, wie weit sie sich auf die Gemeinschaft als Ganze oder ihre Mitglieder beziehen. Vgl. dazu die Übersicht bei C. Gerber, Ekklesiologische Metaphern in den paulinischen Briefen, in: F. W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 412 – 415. 13   Allerdings findet sich der Begriff ἐκκλησία selbst nur in 1 Kor 12,28, wo recht wahrscheinlich von aktuellen Versammlungen die Rede ist, in denen Gott verschiedene Funktionen eingesetzt hat. Zu Gal 3,28b, das häufig dafür in Anspruch genommen wird, dass Paulus die Leibmetaphorik als Tradition vorgefunden hätte, vgl. jetzt die Überlegungen von J. Herzer, »Alle Einer in Christus« – Gal 3,28b und kein Ende? Ein Vorschlag, in: M. Labahn, Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament (Festschrift U. Schnelle), Göttingen 2017, 127 – 142. Herzer zeigt überzeugend, dass die Lesart ὑμεῖς Χριστοῦ Ἰησοῦ (»ihr seid des Christus Jesus«) gegenüber jener in NA28 (ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ – »ihr seid einer in Christus Jesus«) vorzuziehen ist. 14  Man denke nur an Formulierungen wie corpus permixtum, corpus verum, corpus mysticum oder vgl. den Beitrag von H.-P. Grosshans, Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens, in diesem Band. M. Laube, Systematische Theologie, in: C. Albrecht (Hg.), Kirche (UTB 3445), Tübingen 2011, 131 – 170, hält für die gegenwärtigen Debatten einer Ekklesiologie hingegen fest, dass »die verfügbaren Wesensbegriffe der Kirche – wie etwa sanctorum communio oder Leib Christi – vorneuzeitlichen Sozialverhältnissen verpflichtet sind und an der Aufgabe scheitern, die mit dem Übergang zur modernen Ge-

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  363

gen zu beachten, dass die Körpermetaphorik nicht hierarchisch ausgerichtet ist, sondern dem Anliegen dienen soll, die Egalität aller Glaubenden einer Ekklesia zu verankern. Der Kopf wird daher in 1 Kor 12,21 nicht anders in den fiktiven Dialog der Glieder eingebracht als die Füße oder andere Körperteile. Er steht also bei Paulus, anders als im Kolosser- und Epheserbrief, nicht an der Spitze des Körpers. Obwohl der Apostel sehr wahrscheinlich die Verwendung der Körpermetaphorik in Überlegungen zum Königtum bzw. Staat kannte, in denen das Haupt öfter als leitendes Organ hervorgehoben wurde,15 übergeht er diesen Aspekt. So ist daher auch klar: Christus ist nicht Teil des Körpers und der Satz »Ihr aber seid Leib Christi« (ὑμεῖς δέ ἐστε σῶμα Χριστοῦ 1 Kor 12,27) soll vielmehr zum Ausdruck bringen, inwiefern die Ekklesia von Korinth Leib ist, nämlich nur in ihrer Bindung an Christus.16 Umstritten und für das Verständnis der paulinischen Ekklesiologie von großer Bedeutung ist die Frage, was Paulus in 1 Kor 12,12 meint, wenn er schreibt: πάντα δὲ τὰ μέλη τοῦ σώματος πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα, οὕτως καὶ ὁ Χριστός (»Alle Glieder des Körpers, die viele sind, sind ein Körper, so auch der Christus«). Schon immer – seit Johannes Chrysostomos (hom. Cor. 30,1) – ist aufgefallen, dass Paulus eigentlich hätte schreiben müssen: »so auch die Gemeinde« (οὕτως καὶ ἡ ἐκκλησία). Das tut er aber gerade nicht. Was ist also mit οὕτως καὶ ὁ Χριστός gemeint? Wolfgang Schrages Perspektive, die im Wesentlichen Ernst Käsemanns Position aufnimmt, wird in seiner Paraphrase des Verses deutlich: »So ist auch der Christus einer und hat viele Glieder, alle Glieder Christi aber, obschon es viele sind, bilden den Christus.«17 Nach Schrage sei daher »vom Leib als lebendiger Wirklichkeit des Christusleibes der Gemeinde nicht zu abstrahieren«. Paulus spreche also nicht im metaphorischen Sinn vom Leib Christi: Die Gemeinde ist der

sellschaft verbundenen Umbrüche im Verhältnis von Kirche und Frömmigkeit theologisch zu begreifen« (152). 15   Vgl. etwa von Platon in Politeia 4,440e.441a; Leges 12,961d-962c.964e und Timaios 30b – 34b, oder bei Cicero, De officiis 1,85; 3,22 und Livius, Ab urbe condita 2,32,5 – 12; vgl. den Überblick bei M. Walter, Gemeinde als Leib Christi. Untersuchungen zum Corpus Paulinum und zu den »Apostolischen Vätern« (NTOA 49), Freiburg i. Br. u. a. 2001, 70 – 98. 16  Vgl. Wolter, Paulus (s. Anm. 3), 295. 17  W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther. 1 Kor 11,17 – 14,40 (EKK VII / 3), Zürich u. a. 1999, 211.

364  Markus Öhler Leib, »sie repräsentiert als Leib Christi den Christus in der Welt«.18 Der aus der Umwelt übernommene Organismusgedanke habe daher nur sekundäre Bedeutung. Das meine zwar nicht »Wo die Kirche ist, da ist auch Christus«, aber immerhin: »Wo Christus ist, da ist auch sein Leib.«19 Helmut Merklein und Marlies Gielen formulieren ähnlich: Paulus spreche vom Leib Christi »nicht nur bildlich (etwa: ihr seid wie der Leib Christi), sondern eigentlich«.20 Er habe diesen Gedanken erst bei der Abfassung des 1. Korintherbriefes entwickelt, sein Ziel sei die Etablierung christlicher Identität gewesen. Als solche, in denen Christus lebt (vgl. Gal 2,20), seien sie alter Christus, und dies nur gemeinschaftlich.21 Dieter Zeller betont hingegen, dass mit dem σῶμα nicht Christus an sich gemeint sei, sondern Christus, der einen ekklesialen Leib hat.22 Wenn vom »Leib Christi« die Rede sei, dann von Christus als dem Besitzer des Leibes. Doch das sei, so Zeller, nicht eigentliche Rede, als ob die Ekklesia der Leib wäre, Paulus bleibe vielmehr im Metaphorischen. In der Tat lässt sich das gut in Röm 12,5 erkennen: »Wir, die Vielen, sind ein Leib in Christus« (οἱ πολλοὶ ἓν σῶμά ἐσμεν ἐν Χριστῷ).23 Die Spezifizierung »in Christus« in Röm 12,5 macht m. E. tatsächlich erkennbar, dass Paulus zwischen dem Leib und Christus unterscheidet, sodass der Leib weder Christus ist bzw. Christus auch nicht aus den Gliedern des Leibes besteht. Paulus verstand die Rede vom Leib Christi als Metapher, nicht im Sinne einer räumlich-realen Körperlichkeit des himmlischen Kyrios in der Form einer umfassenden Kirche. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht schließlich auch die Schlussformulierung in 1 Kor 12,27: »Ihr seid aber Leib Christi und Glieder als Teil« (ὑμεῖς δέ ἐστε σῶμα Χριστοῦ καὶ μέλη ἐκ μέρους). Auch wenn die meisten Übersetzungen – z. B. die Luther- oder auch die Einheitsübersetzung  – σῶμα Χριστοῦ mit »der Leib Christi« wiedergeben, also den Artikel ergänzen, ist doch zu bedenken, dass das Fehlen des 18

  A. a. O., 212.  Ebd.  H. Merklein/M. Gielen, Der erste Brief an die Korinther Kapitel  11,2 – 16,24 (ÖTK 7,3), Gütersloh 2005, 134. 21   A. a. O., 141. 22  D. Zeller, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen 2010, 397. 23   Ebd.: »Die Kirche ist nicht einfach der physische Leib Christi, aber die Leibmetapher gilt in einem vertieften Sinn für sie auf Grund des mit ›Christus‹ signalisierten Heilsgeschehens.« 19

20

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  365

Artikels etwas Abstraktes anzeigt, das eben nicht konkret ist.24 Ob Paulus an einen umfassenden Leib Christi denkt, an dem Christusgläubige aus allen Gemeinden teilhaben, oder ob er von der konkreten Versammlung ausgeht, wird durch das Fehlen des Artikels freilich nicht angezeigt.25 So nimmt Paulus in 1 Kor 12 beide Perspektiven ein: Zum einen geht es ihm um das Verhältnis der Korinther untereinander, welches er durch die Körpermetaphorik bestimmt. In dieser Hinsicht bezieht sich die Rede vom Leib auf die jeweilige konkrete Versammlung. Sie sind einander Glieder, weil sie Christi Leib sind. Zum anderen gilt das aber auch für alle Christusgläubigen, nicht nur für jene in Korinth. In dem einen Geist sind alle in einen Leib hineingetauft (εἰς ἕν σῶμα; 1 Kor 12,13). Paulus schreibt hier – wie in Röm 12,4 f. – in der ersten Person Plural: Die Glaubenden an allen Orten, er selbst und jene, die nicht in der korinthischen Gemeindeversammlung sind, sind einander Glieder am σῶμα Χριστοῦ. So sind auch alle Christusgläubigen Heilige, Kinder Gottes, Nachkommen Abrahams – es geht um eine qualitative Bestimmung, hier freilich in relationaler Perspektive. Das Verbindende zwischen den Versammlungen ist  – neben der Person des Paulus – das Hineingenommensein in die Heilsgeschichte Gottes durch das Christusereignis.26 Die Glieder des metaphorischen Leibes Christi treffen sich so jeweils in Versammlungen, deren Ordnungen durch die Leibmetapher bestimmt sein sollen (1 Kor 16,19 u. v. m.). Eine katholische »Kirche« ist damit nicht gemeint, geschweige denn

24  Vgl. zum entsprechenden Gebrauch des Artikels R. D. Peters, The Greek Article. A Functional Grammar of ὁ-Items in the Greek New Testament with Special Emphasis on the Greek Article (Linguistic Bible Studies 9), Leiden 2014, 227. 25   Zeller, 1 Kor (s. Anm. 22), 401, verweist hingegen dafür, dass der Artikel mitzudenken sei, auf 1 Kor 3,16: ναὸς θεοῦ ἐστε; ähnlich Schrage, 1 Kor (s. Anm. 17), 230 f. Allerdings ist auch dort nicht angezeigt, dass es ein bestimmter Tempel, etwa jener in Jerusalem wäre, mit dem Paulus die Gemeinschaft der Glaubenden vergleicht. Viel eher denkt Paulus allgemein an ein Tempelgebäude. 26   Vgl. zu dieser Frage auch den Beitrag von H.-P. Großhans in diesem Band, der allerdings Evangeliumsverkündigung und Sakramentsausteilung als Basisbestimmung der Einheit der Kirche ansieht. Die hohe Wertung des Dienstes am Wort (in Verkündigung und Sakrament) für die Einheit der Kirche hat eine ntl. Wurzel in der Bedeutung, die Paulus seiner eigenen Verkündigungstätigkeit gegeben hat.

366  Markus Öhler eine Institution.27 Das eigentliche Ziel der Körpermetaphorik ist nämlich nicht die Etablierung einer Ekklesiologie, sondern die Verhältnisbestimmung der Mitglieder der jeweiligen Ekklesia bzw. aller Christusgläubigen zu einander.

1.3  Paulus und das Volk Gottes Von den zahlreichen Verwendungen des Begriffes λαός (»Volk«) bei Paulus beziehen sich die allermeisten auf das Volk Israel. Mit λαός nimmt der Apostel ein Wort aus der LXX auf, mit dem das eine Volk Israel von den anderen Völkern (ἔθνη) unterschieden wird.28 An lediglich zwei Stellen aus den Paulusbriefen ließe sich ein Gebrauch festmachen, wonach Paulus die Christusgläubigen als Volk bezeichnen würde, nämlich 2 Kor 6,16 und Röm 9,25 f. In 2 Kor 6,14 – 7,1 findet sich eine heftige Polemik gegen jedwede Verbindung mit den Ungläubigen. Im Gegensatz zu diesen wären die Glaubenden Tempel Gottes (vgl. 1 Kor 3,17), was u. a. mit einem Zitat aus Ez 37,27 belegt wird: »Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.« Der Gedanke des Volkes wird also von Israel auf die Christusgläubigen aus den Völkern und aus Israel übertragen. Freilich wird  – und das wird auch durch die Verwendung von λαός wahrscheinlich gemacht – der ganze Abschnitt 2 Kor 6,14 – 7,1 zu Recht für einen nachpaulinischen Einschub gehalten, der in einem frühen Stadium in den Text eingedrungen ist.29 Für eine Gottesvolk-Ekklesiologie ist der Text also kein Anhaltspunkt. In Röm 9,25 f. greift Paulus auf Hosea zurück (Hos 2,1.25; vgl. 1 Petr 2,10): »Ich werde mein Nicht-Volk mein Volk nennen und die Nicht-Geliebte Geliebte; und es wird sein an dem Ort, wo ihnen ge27  So hat dann die patristische Auslegung den Leib gedeutet; vgl. etwa Johannes Chrysostomus, hom. Cor. 32,1 (264). Fasst man »katholisch« im Sinne einer von allen Versammlungen geteilten Gemeinsamkeit (vgl. den Beitrag von H.-P. Großhans), wird man aus der Perspektive des Neuen Testaments den Christusbezug in den Vordergrund stellen, wie auch immer die jeweiligen christologischen Verständnisse des frühen Christentums (nicht nur im Neuen Testament) ausgeprägt waren. 28   Vgl. etwa auch Roloff, Kirche (s. Anm. 10), 119. 29   Anders etwa W. Kraus, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus (WUNT 85), Tübingen 1996, 261 – 268, der von Paulus als Verfasser ausgeht; zur gegenwärtigen Diskussionslage s. T. Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther. 2 Kor 1,1 – 7,4 (EKK VIII / 1), Neukirchen-Vluyn u. a. 2010, 22 f.369 – 382.

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  367

sagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk; dort werden sie gerufen werden Söhne des lebendigen Gottes.« Wie wenig damit aber tatsächlich ausgesagt sein soll, dass die Versammlung der Christusgläubigen »Volk Gottes« ist, wird daran erkennbar, dass Paulus diese Metaphorik nicht weiterführt, sondern in Röm 9,30 die Gegenüberstellung von Nicht-Volk und Volk auslegt: »Was wollen wir nun sagen? Dass die Völker, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, Gerechtigkeit erlangt haben.« Das im Zitat Gesagte illustriert also die Aussage über die Gerechtmachung und ist keine Wesensaussage über die Versammlung der Glaubenden. Hoch umstritten ist weiters die Frage, wie weit Paulus von den Christusgläubigen aus Juden und Nicht-Juden als neuem Israel schreibt (Gal 6,16; Röm 9,6). Auch wenn sie hier nicht ausführlich diskutiert werden kann, ist doch wichtig festzuhalten, dass falls der Gedanke des Gottesvolkes hier angedeutet wäre, Paulus ihn an keiner Stelle ausformuliert oder im Sinne einer Israel-Ekklesiologie ausgearbeitet hat. Letzteres lässt sich auch über die Rede von Nachkommenschaft – »Same Abrahams« – sagen (Gal 3,16.29; Röm 4,16; Röm 9,7): Paulus geht es hier um heilsgeschichtliche Zusammenhänge, die nicht ausgewertet werden, um eine Vorstellung von der daraus entstehenden Gruppe als Gottesvolk zum Ausdruck zu bringen. Die heilsgeschichtliche Dimension des Handelns Gottes wird auch dort deutlich, wo Paulus Israel und die Versammlung der Christusgläubigen in einer Art Typologie gegenüberstellt (1 Kor 10,1 – 13). Die Ereignisse der Wüstenzeit, in der die Generation der aus Ägypten Ausgezogenen die Versorgung Gottes mit Wasser und Manna verspielte, werden als warnendes Exempel für die korinthische Gemeinde herangezogen, allerdings wird die (völkerchristlich geprägte) Ekklesia von Korinth dadurch ja nicht zum Volk Gottes erklärt.30 Die Rede vom »Volk Gottes« als eine der Basismetaphern paulinischer Ekklesiologie zu bezeichnen,31 geht daher nach meinem Urteil fehl, so sehr Paulus daran gelegen war, dass auch die Christusgläubi30  Selbst Roloff, Kirche (s. Anm. 10), 120, vermag diesen Abschnitt nur unter größten Schwierigkeiten für seine These des »Gottesvolkes« heranzuziehen. 31   So zuletzt wieder U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Göttingen 32016, 318. Vgl. auch K. Niederwimmer, Theologie des Neuen Testaments. Ein Grundriss, Wien, 32004, 151, wonach mit Ekklesia »das endzeitliche Gottesvolk, die heilige Gemeinschaft derer, die Gott selbst in dieser Stunde zu sich gerufen hat, das eigentliche Israel, dem die Verheißungen gelten, das Volk der Endzeit« gemeint sei.

368  Markus Öhler gen aus den Völkern jenes Heil empfangen, das Gott Israel zusagte. Die Deduktion der Gottesvolkmetaphorik aus Begriffen wie »Gottessohnschaft«, »Erwählung«, »Berufung« usw.32 kann m. E. nicht ersetzen, dass Paulus an keiner Stelle die Christusgläubigen Volk (λαός) nennt. Bei der Leibmetaphorik oder der Verwendung von Ekklesia gebraucht er die Begriffe völlig selbstverständlich. Wenn etwa die Christusgläubigen als »Kinder Gottes« bezeichnet werden, als »Geliebte Gottes« (Röm 1,7), als »Tempel« (1 Kor 3,16 f.) oder »Neue Schöpfung« (2 Kor 5,17; Gal 6,15) und diese Begrifflichkeit »über weite Strecken aus dem Bereich der Gottesvolkthematik bzw. dem Selbstverständnis Israels übernommen« wäre,33 wieso verweigerte sich Paulus dann der Rede vom Gottesvolk so deutlich? Doch wohl deshalb, weil er sie als ungeeignet dafür hielt, die Eigenart seiner völkerchristlichen Ekklesiai zu beschreiben, die zwar Anteil an den Verheißungen Israels haben, aber nicht Israel sind.34

1.4  Ekklesia im Epheserbrief Ausgehend von paulinischen Formulierungen zu Ekklesia und Leibmetaphorik sowie von den kosmologischen Aussagen des Kolosserbriefs, in denen die Herrschaft des Kyrios über das All im Vordergrund steht (Kol 1), entwickelt der Verfasser des Epheserbriefs seine ekklesiologischen Überlegungen. Dabei ist vor allem zu konstatieren, dass mit Ekklesia hier nicht mehr – wie bei Paulus – die Einzelgemeinde im Blick ist, sondern versucht wird, über die einzelne Versammlung hinaus eine größere Perspektive zu finden. Eine solche war bei Paulus lediglich dort angedeutet, wo er den Christusgläubigen in ihrem Gottesverhältnis eine gemeinschaftliche Identität als Heilige, Geheiligte, Erwählte usw. zusprach bzw. die Verhältnisbestimmung der Einzelnen zueinander als Glieder des Leibes Christi für alle voraussetzte. Doch ist eine Warnung am Platz: Von einem universalkirchlichen Konzept, wie es sich im Apostolikum findet, ist auch der Epheserbrief noch ein Stück weit entfernt. Die Formulierung, dass Christus Angehörige aus dem Volk der Judäer und solche aus den Völkern eins (ἕν) bzw. »zu einem neuen Menschen« (εἰς ἕνα καινὸν ἄνθρωπον) gemacht habe (Eph 2,14 f.), 32

  So etwa Kraus, Volk (s. Anm. 29), 111 – 119.   A. a. O., 118. 34   Das entspricht m. E. auch dem Umstand, dass Paulus die von ihm gegründeten Gemeinden nicht als Synagogen bezeichnete. 33

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  369

gipfelt darin, dass sie »in einem Leib« (ἐν ἑνὶ σώματι) durch den Kreuzestod mit Gott versöhnt wurden (Eph 2,16).35 Die kollektivistischen Aussagen über die Völker und Israel bzw. Unbeschnittenheit und Beschneidung (Eph 2,11 f.) würden den Schluss zulassen, dass der Verfasser von einer einzigen umfassenden Kirche im Sinne des Apostolikums spreche.36 So ist auch in 1 Kor 12 angelegt, von den Christusgläubigen als Glieder am Leib Christi zu sprechen, sodass der Weg zur Rede von der Ekklesia als »einem Leib« nicht mehr weit ist. Nur verwendet der Verfasser hier eben nicht den Ausdruck ἐκκλησία, sondern spricht vom neuen Menschen.37 Ist so die Leibmetaphorik ausgeweitet, gilt dies allerdings nicht für die Rede von der Ekklesia, da der Bezug zur Bedeutung »Versammlung« stets gewahrt bleibt. Das wird u. a. daran erkennbar, dass der Verfasser zwischen Aussagen schwankt, die kollektiv die Ekklesia meinen, und jenen, die die individuellen Glaubenden in den Blick nehmen.38 Das macht aber wiederum deutlich, dass die Ekklesiologie des Epheserbriefes eine auf dem Weg von der Einzelgemeinde zur Gemeinschaft der Gemeinden ist.39 Der Brief ist also eher das Verbindungsglied zwischen der paulinischen und der patristisch geprägten Perspektive des Apostolikums als das Zeugnis des Wandels von der

35  Denkbar wäre auch, mit einem Teil der patristischen Auslegung die beiden Aussagen »in einem Leib« und »in ihm« instrumental zu verstehen. Dann handelt es sich gar nicht um den Leib Christi im Sinne von 1 Kor 12, sondern um den gekreuzigten Körper Christi, der als Mittel der Versöhnung mit Gott angesprochen wäre; so etwa H. Schlier, Der Brief an die Epheser. Ein Kommentar, Düsseldorf 1957, 135. 36   Für die gegenwärtige Diskussion vgl. die Ausführungen von H.-P. Großhans zu Eph 2. 37   Übrigens wird selbst hier, wo es aufgrund des verwendeten Sprachfeldes besonders naheliegend gewesen wäre, die Volk-Metaphorik nicht auf die Christusgläubigen bezogen. Unter den Schreiben aus der nachpaulinischen Tradition tut dies einzig 1 Petr 2,9 f.: »Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, königliches Priestertum, heiliges Volk (ἔθνος), Volk (λαός) zum Besitztum.« 38   Vgl. dazu C. Gerber, Die alte Braut und Christi Leib. Zum ekklesiologischen Entwurf des Epheserbriefs, in: NTS 59 (2013), 192 – 221: Sie verweist auf die parallelen Formulierungen in Eph 1,22 / 3,19; Eph 3,10 / 2,7; Eph 3,21 / 1,5 f.; Eph 5,23 / 2,5.8; Eph 5,25 / 5,2; Eph 5,27 / 1,4. Jeweils werden ähnliche Aussagen über Ekklesia und die Glaubenden als Einzelne gemacht. 39   Gerber, Braut (s. Anm. 38), 210: »Er referiert vielmehr auf die Versammlung der Glaubenden an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten.«

370  Markus Öhler Gemeinde zur Kirche.40 Insofern ist der Lutherübersetzung durchaus Recht zu geben, die ἐκκλησία durchweg mit »Gemeinde« wiedergibt (Eph 1,22; Eph 3,10.21; Eph 5,23 – 32). In Eph 1,20 – 23 verbindet der Verfasser die Aussagen über die Ekklesia mit herrschaftlichen Formulierungen: Christus, der von Gott eingesetzt ist »über alle Hoheit und Macht und Kraft und Herrschaft und jeden Namen«, herrscht jetzt und im kommenden Äon (Eph 1,21). Mithilfe von Ps 8,7, auf den auch Paulus Bezug nimmt (1 Kor 15,27), bringt der Vf. in Eph 1,22 Körpermetaphorik ein: Alles hat er, Gott, unter seine, Christi, Füße getan (πάντα ὑπέταξεν ὑπὸ τοὺς πόδας αὐτοῦ). Die weitere Formulierung in Eph 1,22 καὶ αὐτὸν ἔδωκεν κεφαλὴν ὑπὲρ πάντα τῇ ἐκκλησία wird nun allerdings unterschiedlich wiedergegeben: Luther übersetzte 1534 »und hat ihn gesetzt zum heubt der Gemeinen über alles« und fügt als Kommentar hinzu: »Christus ist ein solch heubt der Gemeine, das er gleich wol ueber alles ein Herr ist, ueber teufel, welt etc.« Nach dieser Deutung wäre Christus sowohl Haupt der Kirche als auch Haupt der Welt, sodass die Herrschaft Christi über den Kosmos auch die Herrschaft über die Kirche einschließt. Daraus lässt sich auch weiterdenken: Die Kirche ist der schon sichtbare Herrschaftsbereich des Christus.41 Gerhard Sellin versteht ὑπὲρ πάντα völlig anders, nämlich komparativisch: Christus sei der Ekklesia gegeben »mehr als allem« oder

40   Die universalistische Deutung (u. a. bei Roloff, Kirche [s. Anm. 10], 231 – 249) betont hingegen: Die Ekklesiologie des Eph soll die Einzelgemeinden als soziale Identität verbinden. Das bedeutet eine Entindividualisierung sowohl von Gemeinden als auch Glaubenden zugunsten einer übergreifenden Identitätsbestimmung, die in der nachpaulinischen Zeit durch den Apostel als Gründungsgestalt und gemeinsamen Bezugspunkt neu entwickelt wird. Das spielte auch eine wichtige Rolle im Gespräch der Ökumene: So wird man nach Roloff »unschwer in der Ekklesiologie des Epheserbriefes katholische Züge aufzeigen können. […] Protestantische Theologie tut sich mit ihm ausgesprochen schwer« (a. a. O., 249). 41   A. a. O., 235: »Die Kirche ist hier ein Stück himmlische Wirklichkeit.« J. Schröter, Neues Testament, in: Albrecht, Kirche (s. Anm. 14), 37 – 77: Es »ergibt sich eine Sicht auf die Kirche als Raum, in dem die Herrschaft Christi bereits gegenwärtig realisiert wird« (58). H. Roose, Die Hierarchisierung der Leib-Metapher im Kolosser- und Epheserbrief als »Paulinisierung«: Ein Beitrag zur Rezeption paulinischer Tradition in pseudo-paulinischen Briefen, in: NT 47 (2005), 117 – 14 (138 f.), entwickelt dies weiter zur Aussage der Herrschaft der Kirche über die Welt.

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  371

»alles überragend«.42 Angesichts dessen, dass die Formel ὑπὲρ πάντα auch in Eph 3,20 begegnet, und dort tatsächlich im Sinne eines »über alles hinaus« zu verstehen ist, halte ich das für überzeugend. Christus, dem alles unterworfen ist, ist also der Ekklesia darüber hinaus als ihr Haupt gegeben. Sie, die Ekklesia, ist der Leib Christi, nicht das All.43 Sie, die Ekklesia, ist daher auch Gefäß für die Fülle (πλήρωμα) dessen, der alles in allem erfüllt. Erfüllt wird aber laut Eph 3,19 nicht die Ekklesia als Gesamtheit, sondern die Einzelnen.44 Erneut ist daher zu betonen: Die versammelten Christusgläubigen sind Objekt des Handelns Gottes bzw. Christi, nicht die Institution Kirche. Der Verfasser denkt zwar global, aber nicht im Sinne des Apostolikums, wonach »die umfassende Kirche« Gegenstand des Glaubens ist. Der / die Einzelne ist Glied am Leib, dessen Haupt Christus ist und der diesen zusammenhält. Der / die Einzelne ist jeweils aufgefordert, diesem Anspruch der Teilhabe zu genügen und in der Liebe zu wachsen (Eph 4,15 f.). Das wird gerade in jenem Abschnitt besonders deutlich, in dem Ekklesia und Christus als Braut und Bräutigam verbunden sind (Eph 5,21 – 33). Denn die Reinigung der Braut »im Wasserbad durch das Wort« (Eph 5,26) kann ja nicht die »Kirche« betreffen, sondern nur die einzelnen Glaubenden, die als Getaufte Glieder des Leibes sind (Eph 5,30).45 Gerade in diesem Abschnitt wird also besonders deutlich, dass der Verfasser die Leibmetaphorik aufnimmt, ohne darauf zu vergessen, dass die Ekklesia aus den Glaubenden besteht. Sie sind es auch, die im Gegenüber zur Welt stehen (Eph 6,11): Gegen die Machenschaften des Teufels sollen von ihnen  – nicht der Kirche  – Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden, Glaube, Heil und Geist zum Einsatz gebracht werden. Dass sie daraus als Sieger hervorgehen würden, ist klar, da der Sieg des Christus ja schon errungen ist und er seine 42  G. Sellin, Der Brief an die Epheser (KEK 8), Göttingen 2008, 145 f.; vgl. Gerber, Braut (s. Anm. 38), 206. Auch in Luthers Septembertestament von 1522 hatte es noch geheißen: »Vnd hat alle ding vnter ſeyne fuſſe gethan / vnnd hat yhn geſetzt fur allen dingen zum hewbt der gemeynen.« »Fur allen dingeen« meint zumindest an anderen Orten bei Luther »vor allem« (z. B. WA 6,461). 43   Gerber, a. a. O., 208. Das ist im Wesentlichen eine Präzisierung von Kol 1,18: »Er ist das Haupt des Leibes der Ekklesia.« 44  Anders Roose, Hierarchisierung (s. Anm. 41), 138, wonach klar sei: »Die Kirche ist der Raum, wo sich diese Fülle Christi niedergelassen hat und anwesend ist.« 45   Gerber, Braut (s. Anm. 38), 213 f.

372  Markus Öhler Herrschaftsstellung bereits angetreten hat. Die Ekklesia ist hingegen nicht jener Raum, in dem sich die Christusherrschaft schon vollzieht, sondern der soziale Raum, in dem unter der Bedingung des Heilsereignisses gelebt und dieses gefeiert wird (Eph 5,15 – 20).46

2.  Sanctorum communio Die zweite Formulierung des Apostolikums mit Bezug zur Kirche lautet sanctorum communio. Die Bedeutung dieser Aussage ist allerdings schwer zu bestimmen.47 Im Folgenden werden alle drei Möglichkeiten durchgespielt und auf einen möglichen neutestamentlichen Hintergrund befragt.

2.1  Die sakramentale Deutung Nach der sakramentalen Interpretation würde die »Gemeinschaft der Heiligen« die Teilhabe »am Glauben, an den Sakramenten, besonders an der Eucharistie, an den Charismen und an den anderen geistlichen Gaben« meinen.48 Dafür spricht unter anderem, dass Taufe und Abendmahl bzw. allfällige weitere Handlungen ohne diese Formulierung im Credo fehlen würden. Im Neuen Testament gibt es für eine Deutung der sancta als Sakramente allerdings kaum Anhaltspunkte. Am ehesten ist dies noch in 1 Kor 10 zu finden: In 1 Kor 10,16 schreibt Paulus im Blick auf das Mahl von der Gemeinschaft (κοινωνία) des Blutes bzw. Leibes Christi. Über Israel hält er dementsprechend fest, dass ihre Gemeinschaft jene am Altar (des Jerusalemer Tempels) ist (1 Kor 10,18). Auch die paganen Kulthandlungen setzen voraus, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Gemeinschaft mit den bösen Geistern und Götzen haben (1 Kor 10,20). Das auch bei Paulus als Opfermahl gedachte gemeinschaftliche Bankett ist also dadurch gekennzeichnet, dass mit der Gottheit Gemeinschaft eingegangen wird, welche für Christusgläubige nur Christus selbst sein 46   H.-P. Großhans formuliert das in seinem Beitrag ähnlich: »Die Kirche ist vielmehr der soziale Raum, in dem auf Erden der Glaube und das mit ihm gegebene Heil vollzogen und gelebt wird.« (406) 47   Nähere Details zu dieser Frage sind zu finden im Beitrag von P. Gemeinhardt, Vom Werden des Apostolikums, in diesem Band. 48  Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina, München u. a. 2007 (Nachdruck v. 2003), § 194; vgl. A. Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, Göttingen 1991, 215.

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  373

kann. Von einem »Heiligen« oder einer heiligen Handlung ist hier allerdings nicht die Rede, denn die Bezeichnung als »heilig« wird im Neuen Testament weder der Taufe noch dem Gemeinschaftsmahl zugesprochen. Zwar dienen sie, wie etwa die Taufe, zur Heiligung (1 Kor 6,11), doch geht dies in eine andere Richtung.49 Das Adjektiv ἅγιος wird im Neuen Testament durchwegs mit Personen verbunden, mit Gott, Christus, dem Geist, den Engeln, den Propheten und vor allem den Glaubenden (s. u.). Selbst die Aussage in Did 9,2  – »Wir danken Dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock« – meint nicht direkt den Wein, sondern König David. Lediglich in Did 9,5 lässt sich indirekt erkennen, dass die eucharistischen Gaben selbst als heilig qualifiziert werden.50 Der Verfasser wendet dort nämlich einen Satz aus dem Matthäusevangelium – »Gebt das Heilige nicht den Hunden!« (Mt 7,6) – auf die Zulassung zum Mahl an: Es ist nur Getauften zugänglich.51 Das bedeutet nun freilich nicht, dass Taufe und Eucharistie nicht integrative und bestimmende Merkmale der Ekklesiai bzw. der Kirche waren, im Gegenteil: Die Taufe als der Initiationsritus, das Mahl als der Gemeinschaftsritus waren durchgehend Teil der Praxis und der darauf bezugnehmenden Theologie, und zwar in allen Ausformungen des frühen Christentums. Ist es daher sprachlich aus neutestamentlicher Perspektive nicht naheliegend, in den sancta die Sakramente zu sehen, so liegt es sachlich auch vom Neuen Testament her nahe, sie als Glaubensgegenstand im Bekenntnis zu verankern. Ohne identitätsbestimmende und -gestaltende Riten gab und gibt es keine Kirche.52

2.2  Die martyrologische Deutung Eine weitere Möglichkeit ist, dass die »Gemeinschaft der Heiligen« die communio der lebenden Glaubenden mit den im Himmel versam-

49   Die einzige Handlung in der Gemeinde, die bei Paulus explizit als »heilig« bezeichnet wird, ist der Kuss (1 Thess 5,26; 1 Kor 16,20; 2 Kor 13,12). 50   In Did 10,3 dankt der Verfasser Gott für geistliche Speise und Getränk. 51  Im AT ist hingegen die Bezeichnung »heilig« für eine Reihe von Gegenständen überliefert: z. B. Ex 29,33 über das Fleisch, das für Priester bestimmt ist, oder Ex 30,25 – 29 über das heilige Salböl, das alle Dinge im Heiligtum heiligen soll. 52   Vgl. dazu auch den Beitrag von H.-P. Großhans und seine Ausführungen zu CA VII.

374  Markus Öhler melten Märtyrern und Märtyrerinnen meint.53 Damit würde zugleich eine passable Verbindung zwischen der Kirche und der im Apostolikum ebenfalls genannten »Auferstehung des Fleisches« hergestellt. Die Vorstellung, dass die Gerechten als »Heilige im Himmel« weilen, war im antiken Judentum verbreitet.54 In Eph 3,5 werden die Apostel und Propheten (vgl. Apg 3,21; 1 Petr 3,2), in Eph 3,8 Paulus selbst als heilig bezeichnet. Die Zusage, das Erbe der Heiligen zu empfangen (Kol 1,12), könnte auch darauf hindeuten, dass die Gemeinschaft mit ihnen Teil der eschatologischen Hoffnung ist. Vor allem aber ist es die Johannesapokalypse, die wenigstens ansatzweise die Möglichkeit bietet, Christusgläubige vor allem wegen ihrer Bewährung in der Verfolgung als Heilige zu verstehen. Als der Prophet Johannes in einer vorweggenommenen Erstvision der endzeitlichen Versammlung vor dem Thron Gottes Menschen in weißen Gewändern sieht, wird ihm erklärt, diese seien jene, »die aus der großen Bedrängnis kommen« (Apk 7,14). Auch in anderen Zusammenhängen werden diese Treuen (Apk 13,12; Apk 14,12) als »Heilige« bezeichnet: Sie werden vom Tier aus dem Meer im Krieg getötet (Apk 13,7), ihre Gebete werden als Räucheropfer vor Gott gebracht (Apk 5,8; Apk 8,3 f.). Laut Apk 17,6 sind sie zugleich Heilige und Zeugen Jesu (μαρτύροι Ἰησοῦ). Auch wenn der Vf. selbst den Gedanken von im Himmel bereits wartenden Heiligen nicht teilt, weil er ja von einer endzeitlichen Auferstehung der getöteten Gerechten ausgeht (Apk 20,4; vgl. Mt 27,52), ist eine Interpretation der sanctorum communio auf die »Gemeinschaft der 53   Diese Deutung findet sich – ergänzt um die Personen im Purgatorium – im Katechismus der Katholischen Kirche: »Dieser Ausdruck bezeichnet auch die Gemeinschaft zwischen den heiligen Personen (sancti), also zwischen denen, die durch die Gnade mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus vereint sind. Die einen pilgern auf Erden; andere sind aus diesem Leben geschieden und werden, auch durch die Hilfe unserer Gebete, geläutert; wieder andere schließlich genießen bereits die Herrlichkeit Gottes und treten für uns ein. Alle zusammen bilden in Christus eine einzige Familie, die Kirche, zum Lob und zur Ehre der Dreifaltigkeit.« Katechismus der Katholischen Kirche (s. Anm. 48), § 195; vgl. Peters, Kommentar II (s. Anm. 48), 216. 54   Vgl. dazu M. Bohlen, Sanctorum Communio. Die Christen als »Heilige« bei Paulus (BZNW 183), Berlin 2011, 51 – 54. Dass darüber hinaus die Engel und andere Wesen des himmlischen Thronstaates als heilig gelten, ist breit belegt, doch scheint dies in der Interpretation des Apostolikums keine Rolle gespielt zu haben. Die Unterscheidung zwischen heiligen Engeln und heiligen Menschen ist allerdings nicht immer leicht: So ist 1 Thess 3,13 – »mit allen Heiligen«  – sehr wahrscheinlich so zu interpretieren, dass die mit Christus kommenden Heiligen Engel sind (vgl. Jud 14), da verstorbene Christusgläubige ja »schlafen« und erst auferstehen, wenn der Kyrios kommt (1 Thess 4,16).

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Heiligen« im Himmel mit den Glaubenden auf der Erde so nicht ohne jede Basis im Neuen Testament.

2.3  Die ekklesiologische Deutung Als dritte Deutungsvariante steht schließlich jene im Raum, die auch Martin Luther vertrat, wonach »die Gemeinde der Heiligen« zum Ausdruck bringe, dass die Kirche »ein Gemeinde, darin eitel Heiligen sind oder noch klerlicher: eine heilige Gemeine« sei.55 Diese Deutung hat eine feste neutestamentliche Basis, gehört doch »Heilige« zu der am weitesten verbreiteten Bezeichnung im Neuen Testament.56 Sie findet sich in paulinischen Briefpräskripten (1 Kor 1,2; 2 Kor 1,1; Phil 1,1; Röm 1,7), in unterschiedlichen Kontexten der Paulusbriefe, aber auch in deuteropaulinischen Schriften (Kol 1,4.26; Eph 1,1; Eph 2,19; Hebr 13,24 u. v. m.), der Apostelgeschichte (Apg 9,13. 32. 41) und in der Johannesapokalypse (s. o.). Die Bezeichnung ist insofern auffällig, als sie eindeutig aus dem atl.-jüd. Zusammenhang stammt und dem griechischen Sprachgebrauch die Übertragung von »heilig« auf Menschen an sich fremd ist. Während also dort von ἅγιος v. a. in Bezug auf Tempel und Gottheiten die Rede ist, wird in der LXX, in 55   M. Luther, Der kleine Katechismus und ders., Der Große Katechismus, in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, vollständige Neuedition, hg. v. I. Dingel, Göttingen 2014, 841 – 1162 (1062). Luther argumentiert historisch: »Die heilige Christliche Kirche heisset der Glaube Communionem Sanctorum, eine gemeinschafft der Heiligen, denn es ist beides einerley zusamen gefasst, aber vorzeiten das eine stücke nicht dabey gewesen, ist auch ubel und unverstendlich verdeutscht. Eine gemeinschafft der heiligen. Wenn mans deutlich geben solt, müste mans auff deutsche art gar anders reden, denn das wort Ecclesia heist eigentlich auff deutsch eine Versamlunge. Wir sind aber gewonet des wörtlins Kirche, welches die einfeltigen nicht von einem versamleten hauffen, sondern von dem geweiheten haus oder gebeu verstehen, wiewol das haus nicht solt eine Kirche heissen, on allein darumb, das der hauffe darin zusamen kömpt, denn wir, die zusamen komen, machen und nemen uns ein sonderlichen raum und geben dem haus nach dem hauffen ein namen. Also heisset das wörtlin Kirche eigentlich nichts anders, denn eine gemeine samlung und ist von art nicht deutsch, sondern griechisch (wie auch das wort Ecclesia), denn sie heissens auff ire sprach Kyria, wie mans auch lateinisch Curiam nennet. Darumb solts auff recht deutsch und unser mutter sprach heissen eine Christliche gemeine oder samlung oder auffs aller beste und klerste eine heilige Christenheit« (Luther, Der Große Katechismus, 1061 f.); vgl. Peters, Kommentar II (s. Anm. 48), 217 f. 56  Vgl. Trebilco, Self-Designations (s. Anm. 2), 122 – 163; Bohlen, Sanctorum Communio (s. Anm. 54).

376  Markus Öhler Qumran und in weiterer jüd.-hell. Literatur der Ausdruck für Israel, für Gruppen oder einzelne Personen verwendet. Die Selbstverständlichkeit, mit der Paulus diesen Ausdruck zur Bezeichnung seiner Adressaten und Adressatinnen nützt, ist ein Hinweis darauf, dass er dies bereits übernahm. Darauf verweisen zum einen Aussagen über »die Heiligen in Jerusalem« (2 Kor 8,4; 2 Kor 9,1; Röm 12,13; Apg 9,13), zum anderen aber auch die breite Verwendung in frühchristlicher Literatur, die nicht dem paulinischen Traditionsstrom angehört (Mt 27,52; Hebr 3,1; 6,10; Apk 5,8 u. ö.).57 Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass in der frühchristlichen Literatur als »Heilige«, so es nicht für Personen der Vergangenheit verwendet wird, immer Kollektive bezeichnet werden.58 Die Qualität von Heiligkeit der Christusgläubigen wird durch Paulus unterschiedlich bestimmt: Sie sind es »in Christus« (Phil 1,1 u. ö.), durch Berufung (1 Kor 1,2), durch die Taufe (1 Kor 6,11) oder werden es durch Heiligung (1 Thess 4,3.7). Heiligkeit ist eine von Gott geschenkte Qualität, die die Glaubenden von allen anderen Menschen unterscheidet und ihnen ermöglicht, dem heiligen Gott jetzt und im Eschaton zu begegnen. Von einer »Gemeinschaft der Heiligen« im eigentlichen Sinn ist aber auch im NT nicht die Rede, wenngleich die Sammelbezeichnung »die Heiligen« dieses Moment selbstverständlich enthält. Denn κοινωνία ist kein Wechselbegriff zu ἐκκλησία, sondern bezeichnet das gemeinschaftliche Moment der Versammlung, nicht die Gruppe an sich, wie das im Deutschen möglich ist. Auch das »Festhalten an der Gemeinschaft« (Apg 2,42) meint die Pflege des gemeinschaftlichen Umgangs, nicht das Festhalten an »der Gemeinde«. Paulinisch gesprochen ist gerade der Geistbezug hier zu berücksichtigen, ist doch die Gemeinschaft am Heiligen Geist ein Kennzeichen der Ekklesia (Phil 2,1 f.; 2 Kor 13,13). Die hohe Bedeutung von Gemeinschaft findet sich aber auch in den Johanneischen Schriften, die die κοινωνία als wesentliche Grundhaltung hervorheben, die in der Gemeinschaft mit Gott und Christus wurzelt und ihr entspricht (1 Joh 1,3.6 f.). In 57   Trebilco, Self-Designations (s. Anm. 2), 141 – 146, macht plausibel, dass die Bezeichnung auf die Anfänge der Jerusalemer Jesusbewegung zurückgeht. Wie weit sich die Terminologie kultischen Vorstellungen verdankt, ist nicht eindeutig zu bestimmen; vgl. die Diskussion bei Bohlen, Sanctorum (s. Anm.  54), 186 – 191. 58   Trebilco, a. a. O., 162: »It is inherent in the term when used of Christians that it is a corporate term and that people are together a ›holy community‹.«

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die Nähe einer »Gemeinschaft der Heiligen« kommt auch 1 Petr 2,9, wo von den Christusgläubigen als einem »heiligen Volk« (ἔθνος) gesprochen wird. Aus ntl. Perspektive wäre also sanctorum communio dann so zu interpretieren, dass die »heilige umfassende Kirche« ein gemeinschaftliches Miteinander der Glaubenden, der Heiligen, darstellt. Auch darin findet sich ein Grundsatz widergespiegelt, der das frühe Christentum durchgängig durchzieht, wenn auch nie ausdrücklich artikuliert wird: Ohne Ekklesia bzw. ohne Kirche gibt es keine Glaubenden.59 An keiner Stelle wird der Christ explizit als losgelöst von Gemeinschaft mit anderen verstanden, sei sie aktuell und spirituell.60 Im Gegenteil: Der Christusglaube wird gemeinsam gelebt und dort, wo einzelne ihn bekennen, tun sie dies implizit oder explizit als Teil der Gemeinschaft (Apg 24,14), als Christianos (1 Petr 4,16).

3.  Kirche und Geist Dass die Aussagen über die Kirche und die Gemeinschaft im direkten Anschluss an das Bekenntnis zum Glauben an den Heiligen Geist folgen, ist sowohl theologisch als auch mit Blick auf das Neue Testament folgerichtig, kommt doch die Versammlung der Christusgläubigen nicht ohne den Geistbezug zu Stande.61 Die Geisterfahrung gehört damit zu den Grundelementen des frühen Christentums, sehr wahrscheinlich von den Anfängen in Jerusalem an.62 Gemeinsam mit den 59

  Auch dazu vgl. den Beitrag von H.-P. Großhans in diesem Band.  Der Ausschluss aus der Ekklesia führt vielmehr zum Untergang (Mt 18,17) oder wenigstens nahe daran (1 Kor 5,1 – 5). In der Polemik gegen abweichende Lehren wird deren Vertretern der Verlust des Heils regelmäßig angedroht (1 Joh 2,18 f.; Jud 4 u. v. m.). 61  Noch einmal Luthers Großer Katechismus (Luther, Katechismus [s. Anm. 55], 1058): »Gleich wie der Son die Herrschafft uberkömpt, dadurch er uns gewinnet durch seine Geburt, sterben und aufferstehen etc. Also richtet der heilige Geist die heiligung aus durch die folgende stück, das ist durch die gemeine der Heiligen oder Christliche Kirche, Vergebung der Sünde, Aufferstehung des Fleisches und das ewige Leben, das ist das er uns erstlich füret in seine heilige Gemeine und in der Kirchen schos legt, dadurch er uns predigt und zu Christo bringet.« 62   Darauf deutet u. a. die Omnipräsenz der Rede vom Heiligen Geist im Neuen Testament. Er fehlt lediglich in 2 und 3 Joh. Vgl. u. a. J. Frey, Vom Windbrausen zum Geist Christi und zur trinitarischen Person. Stationen einer Geschichte des Heiligen Geistes im Neuen Testament, in: ders., Von Jesus zur 60

378  Markus Öhler Osterscheinungen waren die außergewöhnlichen ekstatischen Erfahrungen, die als Wirkungen des Heiligen Geistes gedeutet wurden, für die Identität der jüdischen Splittergruppe um jene, die sich auf Jesus als den auferstandenen Repräsentanten der Gottesherrschaft bezogen, zentral. Ihre Bedeutung in der Anfangszeit bestand sicherlich darin, Erwartungen der Endzeit, die durch die Visionen des Auferstandenen bereits induziert worden waren, als erfüllt zu sehen (vgl. Joel 3). Aus religionswissenschaftlicher Perspektive ist zu konstatieren, dass ek­ statische Erfahrungen wie diese typisch für religiöse Aufbrüche sind. Bedenkenswert ist weiter, dass die »Geisterfahrung von Anfang an ein kommunikatives Phänomen« war.63 Zwar empfangen Einzelpersonen den Geist, sie sind aber dabei stets eingebunden in eine Gruppe, sodass man zu Recht formulieren kann: Aus der Geisterfahrung entsteht die Ekklesia, nicht allein aus Glauben oder Bekenntnis. Sie ist Teil sowohl der individuellen wie der kollektiven Identität der Christusgläubigen.

3.1  Geist und Ekklesia bei Paulus Die Paulusbriefe sind durchzogen von Aussagen über den Geist. Im Blick auf den gemeinschaftlichen Aspekt, der die Ekklesia ausmacht, sind zunächst Formulierungen auffällig, in denen davon die Rede ist, dass Gott einem Kollektiv den Geist gegeben hat (1 Thess 4,8; Gal 3,5; 2 Kor 1,22; 5,5; Röm 5,5), dieser von vielen empfangen wurde (Gal 3,2.14; 2 Kor 11,4) und man ihn hat (2 Kor 4,13). Die Glaubenden sind πνευματικοί (Gal 6,1), der Heilige Geist wohnt in ihnen (Röm 8,9). Bei Paulus ist dabei die Verknüpfung der Geistbegabung mit der Taufe noch nicht klar, der Geist ist Mittler der Taufe, nicht Gabe.64 Das zeigt sich auch in 1 Kor 12, wo Paulus ausführlich auf die durch den Geist bewirkten Gnadengaben (χαρίσματα) eingeht, die er auch πνευματικά oder »Offenbarung des Geistes« nennt (1 Kor 12,1.7). Sie sind Erweise der Gnade Gottes (Röm 12,6).65 Anlass ist neutestamentlichen Theologie: Kleine Schriften II, hg. v. B. Schliesser, Tübingen 2016, 645 – 676 (658 – 660). 63   Niederwimmer, Theologie (s. Anm. 31), 144. 64  Vgl. M. Öhler, Neues Testament, in: ders., Taufe, Tübingen 2012, 39 – 81 (54 f.). 65   Vgl. J. D. G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids 1998, 556: »The grace was in the giving, we might say, not in the form of its

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der Streit über die besondere Qualität einzelner ekstatischer Phänomene, v. a. der sogenannten »Zungenrede«, die besonders hoch eingeschätzt wurde. Die Näherbestimmung, dass alle Christusgläubigen in Korinth »mit einem Geist« getränkt wurden (1 Kor 12,13) ist keine Näherbestimmung der Taufe, die ja ein Untertauchen, kein Trinken ist, sondern soll vielmehr an den Leitsatz anknüpfen: »Es gibt aber Verschiedenheiten von Gnadengaben, aber es (ist) derselbe Geist« (1 Kor 12,4). Was immer in der Ekklesia – also in der konkreten Versammlung – geschieht, es ist durch den Geist bewirkt: Weisheitslehre, Vermittlung von Erkenntnis, Glaube, Kraft zur Heilung, Wundertätigkeit, prophetische Rede, Unterscheidung der Geister, Zungenrede und ihre Auslegung (1 Kor 12,8 – 10).66 Dabei ist freilich zu beachten, dass die Ausübung dieser Gnadengaben an die Liebe, die Agape, gebunden ist und daher nach Paulus stets gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsfördernd sein muss (1 Kor 14,13). Auf keinen Geistträger und seine Gabe kann dabei verzichtet werden. So sind einige der in 1 Kor 12 genannten Gaben auch aufeinander bezogen: Die Zungenrede muss übersetzt werden, die Prophetie durch die Unterscheidung der Geister als wahr erwiesen, Heilungen und Wundertaten auf den Glauben ausgerichtet sein.67 Gnadengaben sind keineswegs privater Besitz oder persönlicher Vorzug. Im Blick auf die Rede von Gemeinschaft ist hinsichtlich des Geistes zudem auf zwei paulinische Aussagen zu verweisen: In 2 Kor 13,13 endet der Brief an die Korinther mit dem Wunsch, dass die Gnade Christi, die Liebe Gottes und die »Gemeinschaft des Heiligen Geistes« (ἡ κοινωνία τοῦ ἁγίου πνεύματος) mit allen sein möge. Dasselbe begegnet in einer Aufzählung in Phil 2,1, die wesentliche Züge des Gemeindelebens der Philipper benennt: Ermahnung, Trost, Mitleid und Mitgefühl sowie »Gemeinschaft des Geistes«. Die Formulierung »Gemeinschaft des Geistes« kann in zweierlei Richtung verstanden werden: Es ist möglich, dass Paulus die Gemeinschaft als durch den Geist erzeugt zu beschreiben versucht. Es kann aber auch meinen, dass der Apostel hier darauf verweisen will, dass die Geisterfahrung, die Christusgläubige in ihren Versammlungen erleben mögen, eine manifestation – the gracious gift received and enacted, however unspectacular the ministry.« 66   Die Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig, wie der allgemein zu fassende Glaube, die parallelen Elemente Weisheit und Erkenntnis und die Unterschiede zu Röm 12,6 f. zeigen (vgl. auch 1 Petr 4,10 f.). 67   Dunn, Theology (s. Anm. 65), 557.

380  Markus Öhler gemeinschaftliche sein soll.68 Die gemeinschaftskonstituierende und gemeinschaftsprägende Kraft des Geistes wird so an dieser Formulierung exemplarisch deutlich.

3.2  Geist und Ekklesia in der Apostelgeschichte Mit dem lukanischen Doppelwerk und vor allem mit der Apostelgeschichte ist eine nachpaulinische Tradition erhalten, in der Geist und Ekklesia eng miteinander verbunden sind. Auch wenn der Vf. in Apg 1 – 4 den Begriff ἐκκλησία nicht verwendet, ist doch deutlich, dass nach seiner Ansicht das Wirken des Geistes, die darauffolgende Verkündigung des Evangeliums in Jerusalem und die zahlreichen Taufen zur Ausbildung der Ekklesia von Jerusalem führten (Apg 5,11; 8,1.3). So ist es in weiterer Folge auch der Geist, der einzelne Personen auswählt und sie mit der Verkündigung beauftragt (Apg 13,2.4) bzw. sind diese »voll des Geistes« (Apg 6,3.5; 11,24). Das die Geschichte Israels und das Wirken Jesu fortsetzende heilsgeschichtliche Handeln Gottes in der Zeit der Kirche geschieht in dieser Abfolge: Sendung des Geistes, Zeugenschaft und Ausbreitung »bis an die Enden der Erde« (Apg 1,8). Die generalisierende Bemerkung in Apg 9,31 bringt den Erfolg auf den Punkt: Die Ekklesia (Singular!) in Judäa, Galiläa und Samarien – hier bereits im Sinn von »Kirche« – vermehrte sich »durch die Ermutigung des Heiligen Geistes«. In Übereinstimmung mit Paulus und in Aufnahme von Joel 3 betont der Vf., dass der Geist auf alle Glaubenden ohne Unterschied von Alter und Geschlecht ausgegossen wurde (Apg 2,17 f.; vgl. Gal 3,28; 1 Kor 12,13). Die Geistbegabung des Kornelius und seines Haushaltes – noch vor der Taufe (!) – ergänzt dies noch um die Irrelevanz ethnischer Herkunft (Apg 10,44 – 48; vgl. Apg 15,8). Wie auch bei Paulus ist deutlich: Geisterfahrung ist ein kollektives Geschehen, wie vor allem beim Pfingstereignis deutlich wird (Apg 2,4; vgl. Apg 4,31). Prophetie (Apg 2,17; 11,28), Visionen (Apg 7,55 u. ö.), Wunderhandlungen (Apg 13,9 – 11) und Sprachen- bzw. Zungenrede (Apg 2,4.11; 10,46; 19,6) werden als Wirken des Geistes beschrieben. Vor allem aber ist es die Verkündigung, die der Geist betreibt. Sogar kirchenleitendes Handeln wird durch den Geist legitimiert: »Der Heilige Geist und wir haben beschlossen  […]«, lautet die Einleitung des Briefes 68   A. a. O., 561; B. Witherington III., Paul’s Letter to the Philippians. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids, MI 2011, 120.

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an die Gemeinde von Antiochien, der u. a. das Aposteldekret enthält (Apg 15,28). Auch Aufseher über die Gemeinden werden vom Heiligen Geist eingesetzt (Apg 20,28). Ohne den Geist kann nichts von dem geschehen, was Gott will (Apg 8,19 – 24), gegen den Geist zu handeln, führt in den Tod (Apg 5,1 – 11). So steht der Geist nicht nur am Anfang der Kirche, sondern er ist auch ihre leitende Instanz, bis in aktuelle Entscheidungen hinein. Das verbindet die in der Apostelgeschichte erzählte Vergangenheit in besonderer Weise mit der Gegenwart ihres Erzählers.69

3.3  Geist und Gemeinschaft im Corpus Johanneum Mit der Apostelgeschichte teilt das Corpus Johanneum die Ansicht, dass die Gegenwart der Christusgläubigen vom Geist, der auch als Paraklet bezeichnet wird (Joh 14,16.26; 15,26; 16,7), geprägt ist. Die Unterscheidung der beiden Zeitebenen, der Zeit der Jünger mit Jesus und der Zeit der Leser und Leserinnen mit dem Geist-Parakleten, ist für das Verständnis des Johannesevangeliums von größter Bedeutung. Nur so wird verständlich, dass der scheidende Jesus sagen kann: »Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Paraklet nicht zu euch« (Joh 16,7).70 Erst wenn Jesus durch Kreuz und Auferstehung verherrlicht ist, kann der Geist kommen (Joh 7,39), was dann auch in den Ostererscheinungen eingelöst wird. In Entsprechung zum lk. Pfingstbericht, aber doch in völlig unterschiedlicher Gestaltung, erzählt der Verfasser des Evangeliums von der Gabe des Geistes als ein Hauchen Jesu, das mit der Sendung verbunden ist (Joh 20,21 – 22): »Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch. Und als er dies gesagt hatte, hauchte er sie an und spricht zu ihnen: Empfangt Heiligen Geist!« Die damit verbundene Vollmacht zur Sündenvergebung bzw. auch zur Nicht-Vergebung (Joh 20,23) rückt wenigstens andeutungsweise in den Blick, dass so auch Gemeinschaft entsteht. Die Parallelität der Anhauchung mit der Schöpfungsgeschichte (Gen 2,7[LXX]) lässt überdies die Interpretation zu, dass mit der Geistbegabung etwas 69   Vgl. L. Bormann, Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 2017, 316: »Die Apostelgeschichte ist unter diesem Gesichtspunkt die Geschichte des heiligen Geistes, die unmittelbar in der Gegenwart der intendierten Leser des lukanischen Doppelwerks weitergeführt wird.« 70   In Joh 14,16 f. versichert Jesus, dass der Paraklet bei den Glaubenden bleibt und – anders als Jesus selbst – nicht mehr weggeht.

382  Markus Öhler Neues geschaffen wurde, eine Menschheit jenseits des vorfindlichen Kosmos.71 Durch die Taufe als »Geburt aus Wasser und Geist« (Joh 3,5) gehören die Glaubenden zu der Gemeinschaft jener, die Gott »im Geist und in der Wahrheit« anbeten (Joh 4,23).72 Die entscheidende Wirkung des Parakleten ist allerdings die Erinnerung an Jesu Worte (Joh 14,26; 15,26), deren authentische Interpretation sowie die vollständige Erschließung der Wahrheit (Joh 16,13).73 »Die Lehre Jesu und die Lehre des Parakleten sind in der Vermittlung verschieden, aber substantiell ident.«74 Die Johanneische Schule, die sich innerhalb etablierter Versammlungen von Christusgläubigen bewegte und sich als »Freunde« (3 Joh 15), »die in der Wahrheit wandeln« (2 Joh 4; 3 Joh 3 f.) bezeichnete75, konnte sich dabei an dem Evangelium, das ihnen schriftlich vorlag, orientieren. Es war nicht nur dadurch autorisiert, dass es auf den sogenannten Lieblingsjünger zurückging (Joh 21,24), sondern es wird als Zeugnis des Parakleten verständlich, aus dem alles erkenntlich wird, was die Gemeinschaft als Wissen und Bekenntnis benötigt. Dennoch zeigen die Streitigkeiten innerhalb der johanneischen Bewegung über die Frage der Christologie, wie sie aus den Johannesbriefen deutlich werden, dass auch das schriftliche Evangelium nicht ausreichte, um für Klarheit zu sorgen.76 Daher rückt der Geist 71   So auch Schnelle, Theologie (s. Anm. 31), 687: »Pneuma benennt somit nicht einfach nur eine Gabe, es muss in einem umfassenderen Sinn als göttliches Wirkprinzip bzw. Schöpfermacht verstanden werden.« G. Buch-Hansen, »It is the Spirit that gives life«. A Stoic Understanding of Pneuma in John’s Gospel (BZNW 173), Berlin u. a. 2010, 450, deutet es als Regeneration: »Through this regeneration, their minds are physically healed (John 5), completed (John 9), restored (John 11) and cleansed (15:1 – 3) – and made perfect in love (17:23).« 72   Die Prägung der Gemeinschaft durch die untereinander gewährte Agape (Joh 13,34 f.) wird allerdings nicht mit dem Geist-Parakleten verbunden; vgl. aber 1 Joh 3,24, wo das Halten der Gebote eng mit der Gemeinschaft mit Gott und dem Geist gekoppelt ist. 73   Frey, Windbrausen (s. Anm. 62), 670: »Das Wirken des Geistes [ist] ganz und gar auf die worthaften Funktionen konzentriert.« Vgl. auch Joh 2,22; 12,16, wo jeweils das nachösterliche Verstehen der Jünger hervorgehoben wird. 74   Niederwimmer, Theologie (s. Anm. 31), 325, Anm. 45. 75   Vgl. H.-U. Weidemann, »Was von Anfang an war …«. Der Streit um Christus und die Taufe in den Gemeinden der Johannesbriefe, in: ThQ 191 (2011), 223 – 241. 76   In diesem Zusammenhang ist auch Joh 17,11.20 – 23 zu nennen: Die Bitte Jesu um Einheit der Glaubenden, die die Einheit des Sohnes mit dem Vater widerspiegelt und eine zeugnishafte Funktion hat.

Von »Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist  383

mit seinem Wirken auch im 1. Johannesbrief in den Fokus, denn er ist »der eigentliche Urheber der johanneischen Christologie«.77 Nur wer den Geist hat, in dem ist Gott anwesend (1 Joh 3,24). Der Geist wird in Bezug zu den Sakramenten gesetzt (1 Joh 5,6 – 8), die durch ihn als wahr bezeugt werden und damit nur durch ihn wirksam sind.78 Ritus und Verkündigung sind so unverbrüchlich mit dem Geist verbunden. Die Erfahrung des Geistes ist daher in der späteren johanneischen Tradition ein wesentliches identitätsbestimmendes Moment, das die Glaubenden der dauernden Beziehung zu Gott versichert (1 Joh 4,13). Nur wer in dieser Beziehung steht, kann Teil der Gemeinschaft sein, weil nur im Geist die Wahrheit erkennbar ist (Joh 14,16; 15,26; 16,13; 1 Joh 4,6), denn: »Der Geist ist die Wahrheit« (1 Joh 5,6).

Epilog Das Apostolikum als Aufruf und Bekenntnis zur sancta ecclesia catholica und zur sanctorum communio gehört, so viel sollte deutlich geworden sein, einerseits zur Wirkungsgeschichte des Neuen Testaments. Auch wenn in diesem Beitrag nur einige Aspekte ekklesiologischer Konzepte im frühen Christentum angesprochen werden konnten, ist doch hoffentlich deutlich geworden, in welcher Weise die Aussagen des Apostolikums vor dem Hintergrund des neutestamentlichen Zeugnisses verständlicher gemacht werden können. Dabei hat sich zugleich gezeigt, dass eine klare Bestimmung dessen, was Ekklesia bzw. Kirche ist, aufgrund des Neuen Testaments allein nicht zu machen ist. Zudem hat sich herausgestellt, dass auch die Aussagen des Apostolikums nicht immer eindeutig sind, gerade in der Frage der »Heiligen« oder »heiligen Dinge«. Verbindet so jeder und jede Glaubende heute mit diesem Bekenntnis durchaus unterschiedliche Bedeutungen, so sollten die vorgelegten Ausführungen dazu beitragen, eine neutestamentlich begründete Rezeption des Apostolikums im Blick auf Kirche und Geist zu ermöglichen und auf diese Weise Theologie dezidiert neutestamentlich zu treiben.

77

  Frey, Windbrausen (s. Anm. 62), 672.  Vgl. Schnelle, Theologie (s. Anm. 31), 687.

78

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens Hans-Peter Großhans

Mit der Kirche macht das Apostolische Glaubensbekenntnis die Gemeinschaft derjenigen zum Thema, vor der das Bekenntnis ausgesprochen wird und zu der derjenige bzw. diejenige, die das Bekenntnis spricht, hinzu kommt oder dazu gehört. In strengem Sinne handelt es sich beim Apostolischen Glaubensbekenntnis nicht um ein Bekenntnis der Gemeinschaft der Christen, sondern um das Bekenntnis einer einzelnen Person: »Ich glaube […].« Anders ist es im Nizäno-Konstantinopolitanum, in dem das bekennende Subjekt die erste Person Plural – ein »Wir« – ist. Dort macht sich die bekennende Gemeinschaft von Christen mit der »Kirche« selbst zum Thema. Im Nizäno-Konstantinopolitanum ist es deshalb auch konsequent, dass die Kirche auf eine andere Weise thematisiert und geglaubt wird als die dann darauffolgenden Glaubensinhalte (die Taufe zur Vergebung der Sünden, die Auferstehung der Toten, das Leben der kommenden Welt). Das Nizäno-Konstantinopolitanum bringt dies darin zum Ausdruck, dass es ein viergliedriges Bekenntnis ist und auch im Blick auf die Kirche ein »glauben an […]« formuliert wird. Das ist im Apostolikum anders. Dieses ist ein dreigliedriges Bekenntnis. Insofern reiht sich im Apostolikum das »credo […] sanctam ecclesiam catholicam« ein in eine Reihe von Glaubensinhalten, die dem Heilswirken des Heiligen Geistes zugeordnet sind: die Gemeinschaft der Heiligen bzw. an den heiligen Dingen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung der Toten, das ewige Leben. Der Heilige Geist wird als der Erneuerer und Vollender des Lebens geglaubt. In den fünf bzw. vier Aussagen des dritten Glaubensartikels wird konkretisiert, wie dies durch den dreieinigen Gott geschieht. Unterstellt ist dabei, dass das vom dreieinigen Gott ursprünglich geschaffene Leben erneuerungs- und vollendungsbedürftig ist. Eine analoge Unterstellung ist freilich auch schon im zweiten Glaubensartikel präsent. So wird im dritten Glaubensartikel zum Ausdruck gebracht, dass das Leben von Menschen in mehrfacher Hinsicht der Erneuerung und Vollendung durch Gott bedarf bzw. dass der dreieinige Gott das von ihm geschaffene Leben der Menschen auch zu einem guten Ende führen wird, das der Neuheit des Anfangs entspricht. Die

386  Hans-Peter Großhans vier bzw. fünf Glaubensaussagen des dritten Glaubensartikels bringen zum Ausdruck, in welchen Hinsichten und auf welche Weise das Leben von Menschen zur Vollendung gelangt. Damit ist vieles andere, was von einem vollendeten, perfekten Leben von Menschen – dem Leben als menschlichem Menschen – zu sagen wäre, nicht zur Sprache gebracht. Es geht hier um den spezifischen Beitrag des dreieinigen Gottes durch den Heiligen Geist zur Erneuerung und Vollendung menschlichen Lebens. In meinem Beitrag zur Interpretation des Apostolikums soll es nur um die Kirche bzw. die »Gemeine der Heiligen« gehen, wie es im 16. Jahrhundert – für uns heute etwas altertümlich – auf Deutsch formuliert wurde.1

1.  Was ist die Kirche? Für eine evangelische Interpretation der Kirche ist von entscheidender Bedeutung, dass das Bekenntnis der »sanctorum communio« von Luther und den anderen Reformatoren als Apposition zum Bekenntnis der »sanctam ecclesiam catholicam« verstanden wurde. Damit wurde ausgeschlossen, die »sanctorum communio« als eine Gemeinschaft an den »heiligen Dingen«, also den Sakramenten, zu verstehen. Was die Kirche definitorisch ist, wurde so ganz von der Versammlung von Glaubenden und also von der zum Gottesdienst versammelten Gemeinschaft von Menschen her verstanden. Dies bringt auf allerkürzeste Weise CA VII zum Ausdruck, wo die Kirche durch den Zusatz im Apostolikum »sanctorum communionem« bestimmt wird und der lateinische Ausdruck im Deutschen mit »Versammlung aller Gläubigen« wiedergegeben wird. Die Heiligen sind die Glaubenden; die Glaubenden sind die Heiligen, die als versammelte Gemeinschaft die Kirche sind. Melanchthon hatte in CA VII versucht, Kirche möglichst integrativ zu definieren. Für alle Versuche in der evangelischen Theologie, einen Begriff der Kirche – im Singular – zu bilden, ist dies ein zentraler Bezugspunkt. CA VII ist von dem expliziten Bemühen geprägt, Kirche so zu definieren, dass einerseits in den vielen sozialen und geistlichen Erscheinungen, die sich als Kirche verstehen und behaupten, identifiziert 1   Die folgenden Ausführungen nehmen meine früher schon durchgeführten Untersuchungen zur evangelischen Ekklesiologie auf, insbesondere in: H.P. Grosshans, Die Kirche – irdischer Raum der Wahrheit des Evangeliums, Leipzig 2003.

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  387

werden kann, ob es sich tatsächlich um eine Kirche handelt, und dass andererseits die dann als Kirche identifizierten Gemeinschaften auch unter diesem gemeinsamen Oberbegriff begriffen werden können. CA VII präzisiert bekanntlich diese Gemeinschaften, die es verdienen, »Kirche« genannt zu werden, durch den Zusatz »in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta«. Kirche ist definitorisch die »Gemeinschaft aller Heiligen«, in der genau dies geschieht: die Verkündigung des Evangeliums und die evangeliumsgemäße Feier der Sakramente. Die Sakramente verschwinden damit nicht aus dem evangelischen Verständnis des dritten Glaubensartikels. Sie werden jedoch der als Gemeinschaft aller Glaubenden definierten Kirche als wesentlicher Vollzug des Kirche-Seins zugeordnet. Der sakramentale Modus der Kommunikation des Evangeliums wird jedoch zugleich dessen verbalem Modus zugeordnet und gleichgestellt. Eine Konsequenz aus dieser definitorischen Bestimmung der Kirche ist, dass nach reformatorischer Auffassung die Kirche von ihrem Sein her nicht als Rechtsinstitution zu verstehen ist. Sie ist ganz und gar und zuallererst als Werk des Heiligen Geistes zu verstehen, durch das Menschen, die an den dreieinigen Gott glauben und dies empirisch sicht- und hörbar im Sprechen oder in der verbalen Bejahung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zum Ausdruck bringen, als so von Gott geheiligte Menschen zur Kirche versammelt werden.2 Mit der Hervorhebung des Versammlungs- bzw. Gemeinschaftsgedankens3 sieht sich die »Confessio Augustana« im Übrigen ganz in der Tradition der alten Kirche.4 Als Versammlung von Menschen 2  »Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.« CA VII ist gewissermaßen »die Magna Charta der Lutherischen Kirche« und im Zusammenhang der ganzen Theologiegeschichte auch »die erste dogmatische Feststellung über das Wesen und die Einheit der Kirche, die jemals in der Christenheit gemacht worden ist« (H. Sasse, Der Siebente Artikel der Augustana in der gegenwärtigen Krisis des Luthertums, in: F. W. Hopf (Hg.), In Statu Confessionis. Gesammelte Aufsätze von H. Sasse, Berlin 1966, 50 – 69 [51]). 3   CA VIII nimmt die Definition von CA VII auf und definiert: »Ecclesia proprie sit congregatio sanctorum et vere credentium« (BSLK 62). 4   Luther hat die communio sanctorum im Sinne der »Gemeinschaft der Heiligen« als ergänzende Präzisierung der Kirche verstanden – so explizit in der Erklärung des dritten Glaubensartikels im Großen Katechismus: »Das Wort ›Communio‹ […] ist nicht anders denn die Glosse oder Auslegung, da imand hat wöllen deuten, was die christliche Kirche heiße« (BSLK 657, 1 – 6). Dass diese Bestimmung der Kirche nicht im Sinne eines Verständnisses der Kirche als einer Rechtsinstitution zu verstehen ist, hat Luther schon früh

388  Hans-Peter Großhans ist das durch und durch geistliche Werk des Heiligen Geistes ganz und gar sichtbar. Dem Interesse an einer sichtbaren Identifizierbarkeit der Kirche in der Vielfalt menschlicher Versammlungen dient dann der ökumenisch sehr integrative Zusatz in CA VII: »in welcher das Evangelium rein gelehrt und die Sakramente ordnungsgemäß gereicht werden«. Insofern können sich aus evangelischer Sicht in der Vielfalt der sich Kirche nennenden Gemeinschaften von Menschen nur solche Versammlungen berechtigt Kirche nennen, in denen dies getan wird. Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden kann es nur im Zusammenhang mit der Verkündigung des Evangeliums und dem Austeilen der Sakramente geben, da es Glaube nur im Zusammenhang mit dem Evangelium und den Sakramenten gibt. Glaube ist insofern das vertrauende Hören und Nehmen des im Evangelium und in den Sakramenten dargebotenen Wortes Gottes. Glaube ohne einen konkreten Bezug auf das als Zuspruch zu hörende Evangelium und die zum Nehmen angebotenen Sakramente ist nicht denkbar, da Glaube keine für sich bestehende und in sich ruhende Qualität von Menschen ist. Glaube gibt es insofern auch nur im Kontext der Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden. In der evangelischen Interpretation des Apostolischen Glaubensbekenntnisses – wie überhaupt der Theologie der Reformatoren – ist ein Christsein unabhängig und losgelöst von der Kirche als sichtbarer Gemeinschaft von Menschen nicht möglich. Genau dies kommt im dritten Glaubensartikel im Bekenntnis der Kirche zum Ausdruck. Die Kirche ist ein wesentliches Werk des Heiligen Geistes. Wer den Glauben an den dreieinigen Gott bekennt, bekennt auch seine Zugehörigkeit zu der sichtbaren Gemeinschaft von Menschen, welche die Kirche in dieser Welt ist. Und er oder sie bekennt damit auch die globale Einheit all der Menschen, die sich zum dreieinigen Gott bekennen, und all der vielfältigen Gemeinschaften und Versammlungen, in denen sich Kirche vor Ort unter den Bedingungen des jeweiligen geschichtlichen und kulturellen Kontextes konkret realisiert. Für diese Einheit von Individuen, organisierten Versammlungen und Gemeinschaften (Organisationen und Institutionen) ist es wiederum nach CA VII ausreichend, in der Lehre des Evangeliums und der Verwaltung der Sakramente übereinzustimmen (»ad veram unitatem dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er die Kirche nicht als eine leibliche, sondern als eine – durchaus sichtbare – geistliche Versammlung verstanden hat – vgl. M. Luther, Von dem Papstthum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig, 1520, WA 6,296.

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  389

ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum«). Immer wieder hat es in der reformatorischen Theologie Diskussionen über die Interpretation der »doctrina evangelii« gegeben. Dabei geht es um die Frage, ob für die wahre Einheit der Kirche nicht auch noch die Anerkennung einer wahren dogmatischen Lehre – z. B. in Form einer Sammlung von Bekenntnissen  – erforderlich sei.5 Die deutsche Fassung von CA VII schließt jedoch ein Missverständnis aus, das sich bei der Interpretation des lateinischen Textes ergeben könnte: Die »doctrina evangelii« ist nicht eine vom Evangelium nochmals zu unterscheidende Lehre – sozusagen die richtige Dogmatik, auch keine Sammlung der die richtige Lehre definierenden Bekenntnisse (und insofern auch nicht die CA selbst) – , sondern ist das Evangelium selbst (»daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden«). Die Einheit der Kirche inmitten der Vielfalt der Kirchen ist im Gottesdienst (in jedem Gottesdienst) durch die Evangeliumsverkündigung und Sakramentsausteilung gegeben – als sichtbare Darstellung der Gemeinschaft der Glaubenden. Auf dieser Basis ist dann eine Pluralität an Traditionen, Riten, Gebräuchen und Zeremonien möglich und wechselseitig akzeptabel  – also eine unterschiedliche Ausprägung und Realisierung kirchlicher Identität in verschiedenen Kirchen: »nec necesse est ubique similes esse traditiones humanas seu ritus aut cerimonias ab hominibus institutas.« Die eine Kirche verträgt sich mit einer Pluralität von Kirchen mit unterschiedlichen kirchlichen Identitäten, sofern eben die Verkündigung des Evangeliums und die Austeilung der Sakramente nicht in Frage gestellt oder verfälscht werden – und insofern gewahrt ist, was eben die Identität als Kirche ausmacht. Dann verhindert selbst ein falscher Kirchenbegriff, und damit eine falsche Lehre, nicht die Existenz der Kirche in der falsch konzipierten »Kirche«. Mit einem solchen Verständnis der Kirche kann ich in vielen Konfessionen weltweit leicht feststellen, ob ich es mit dem zu tun habe, was nach evangelischem Verständnis Kirche ist, auch wenn mir dabei vieles begegnet, was ich aus den mir vertrauten evangelischen Gottesdiensten nicht kenne: Das kann ich in einem orthodoxen Got5   Vgl. z. B. E. Martikainen, Doctrina. Studien zu Luthers Begriff der Lehre, Helsinki 1992; dies., Lehre des Evangeliums. Das Verhältnis von der Einheit der Kirche und der Einheit der Lehre im ökumenischen Modell der VELKD, Helsinki 1999.

390  Hans-Peter Großhans tesdienst in Moskau, in einem koptischen Gottesdienst in Kairo, in einem baptistischen Gottesdienst in Atlanta oder in Rangun, in einem pfingstlerischen Gottesdienst in Rio de Janeiro oder in Hong Kong, in einem anglikanischen Gottesdienst in London, in einem lutherischen Gottesdienst in Johannesburg oder in Singapur – und auch in einem katholischen Gottesdienst in Frankfurt, Rom oder Mexiko City feststellen. Dann weiß ich, wenn in diesen Gottesdiensten das Evangelium gepredigt und die Sakramente gefeiert werden: Hier ist die Kirche Jesu Christi, sein Leib in dieser Welt, das Volk Gottes, die Gemeinschaft der Heiligen, zu der auch ich gehöre. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass alles Bemühen um Einheit auf institutioneller Ebene vergebliche Liebesmüh sei, da diese Ebene irrelevant sei und vielleicht sogar von der Kirche als geistlicher Gemeinschaft ablenke. Ob damit das Verhältnis von Kirche als geistlicher Gemeinschaft und als Institution bzw. Organisation zutreffend beschrieben ist, darf jedoch bezweifelt werden. Denn die Kirche als geistliche Gemeinschaft bildet sich innerhalb eines institutionellen und organisatorischen Umfelds, das der geistlichen Gemeinschaft schon deshalb nicht beliebig sein kann, da es die Verkündigung des Evangeliums und die Austeilung der Sakramente, und damit die Mitteilung des Wortes Gottes sicherstellen soll, in der dann aber auch das Zusammenkommen der Glaubenden, die Erbauung der Kirche und ihre Sendung konkret werden soll. An diesen Funktionen hat sich die Gestaltung der Kirche als Institution bzw. Organisation messen zu lassen. Allerdings mögen diese Funktionen vielfältig realisiert werden und zu ganz unterschiedlichen institutionellen Formen führen. Von diesem Ansatz her und insofern für die Einheit der Kirche notwendig ist dann nur ein Amt6: der Dienst am göttlichen Wort (durch die Verkündigung des Evangeliums und das Austeilen der Sakramente), der nach Luthers Auffassung prinzipiell von jedem und jeder Glaubenden ausgeübt werden kann.7 Freilich ist es auch nicht 6   Je nach Organisationsform, Mitgliederzahl, finanziellen Möglichkeiten und Konkretisierung ihres Auftrags kann eine Kirche dazuhin eine Vielzahl weiterer Ämter einrichten. 7   Geschichtlich ist bei diesem Thema für die evangelische Ekklesiologie von Bedeutung, dass sich Melanchthon in späteren Jahren, in der letzten Ausgabe seiner Loci von 1559, faktisch mehr oder weniger von dem allgemeinen Priestertum aller Glaubenden verabschiedete, indem er in seiner Auffassung von der Kirche als Lehrversammlung (»coetus scholasticus«) eine Differenz setzte zwischen den Lehrern (»docentes«) und den Zuhörern (»auditores«) (vgl. Ph. Melanchthon, Werke II / 2, Gütersloh 1953, 480). Melanchthon de-

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  391

dieses allen Glaubenden (und damit Priestern und Priesterinnen) zugeteilte Amt als solches, das die Einheit der Kirche zum Ausdruck bringt und realisiert, sondern allein das von diesem Amt verbal und sakramental mitgeteilte Wort Gottes, das mit der Person Jesu Christi identisch ist. Die »Apologie der Confessio Augustana« nennt das Predigtamt bzw. das Evangelium und die Sakramente auch die äußerlichen Zeichen der Kirche als der Versammlung von Menschen, die Christus und das Evangelium recht erkannt haben. Doch die Ämter und die Wahrhaftigkeit der Personen garantieren nicht die Wahrheit ihrer Mitteilung und das rechte Sein der Kirche. Dies kann allein der durch den Heiligen Geist in der Kirche präsente Jesus Christus. Deshalb kommt es auch ganz darauf an, dass diejenigen, die predigen und die Sakramente reichen, »dieselbigen an Christus statt« reichen.8 Der in den Vollzügen der Kirche Handelnde ist letztlich allein Jesus Christus.

finierte in den Loci von 1559 die Kirche folgendermaßen: »Ecclesia visibilis est coetus amplectentium Evangelium Christi et recte utentium Sacramentis, in quo Deus per ministerium Evangelii est efficax et multos ad vitam aeternam regenerat, in quo coetu tamen multi sunt non renati, sed de vera doctrina consentientes: Die sichtbare Kirche ist eine Versammlung derer, die sich zum Evangelium Christi bekennen und die Sakramente recht gebrauchen, in welcher Gott wirksam ist durch das Amt des Evangeliums und viele zum ewigen Leben erweckt, aber in welcher es viele gibt, die nicht wiedergeboren sind, die aber mit der wahren Lehre übereinstimmen« (a. a. O., 476). Hier ist das »Evangelium Christi« (zu dem sich die Versammlung der sichtbaren Kirche bekennt) gleichgesetzt mit der »wahren Lehre«, mit welcher übereinzustimmen auch den nicht durch das Evangelium Wiedergeborenen möglich ist. Wahre Lehre und damit auch das Evangelium Christi sind identisch mit dem von der rechten Theologie dargestellten Evangelium, das von den Lehrern, also den Pastoren, verwaltet wird. Diese haben dann nicht nur das Amt der Verkündigung des Evangeliums und der Austeilung der Sakramente, sondern auch das Amt der über der Gemeinde stehenden Hüter der richtigen Lehre. Damit aber erhält die kirchliche Lehre normative Geltung. Nicht mehr nur das den Menschen ihre Sünde vergebende und ihre Gewissen befreiende Evangelium ist die Norm aller Rede von Gott, sondern die von der Kirche festgestellte wahre Lehre wird zur Norm – die dann konsequenterweise jemand auch als wahr anerkennen kann, ohne selbst im vom Heiligen Geist bewirkten Glauben ein erneuerter Mensch geworden zu sein. 8   Die Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, 111992 (= BSELK), 241, 4.

392  Hans-Peter Großhans

2.  Katholizität und Heiligkeit Damit können wir nun – nach dem kurzen Weg durch die reformatorische Ekklesiologie  – die Definition der Kirche in der reformatorischen Theologie zurückbinden an das Bekenntnis zur heiligen katholischen Kirche im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Mit dem Kennzeichen der Katholizität wird die Identität der Kirche, der Gemeinschaft aller Glaubenden auf den Begriff gebracht. Der griechische Begriff »katholisch« bezeichnet das Identische inmitten des universal Mannigfaltigen.9 Das Identische in allen Erscheinungen der Kirche ist »der Katholikos« Jesus Christus, den die Heilige Schrift bezeugt und der als das Haupt der Kirche in jeder zu Recht so zu nennenden Kirche präsent ist und dort als der Herr der Welt geglaubt und bezeugt wird. Die Identität der Kirche – die Identität jeder Kirche als Kirche – liegt im »Geheimnis des Glaubens« und insofern im Geheimnis Jesu Christi, in Jesus Christus als dem Sakrament. Jesus Christus ist die bleibende Nähe Gottes und seines Reiches, das einmalige und endgültige Opfer zur Vergebung aller Sünden und zur Versöhnung von Gott und Mensch, der neue Adam, in dem das neue Leben aus dem göttlichen Geist Realität ist und in der Kirche, der versöhnten Gemeinschaft der Glaubenden, die der Leib Christi ist, zur Darstellung kommt. Dies geschieht im Gottesdienst, der deshalb im Zentrum evangelischer Kirchen steht. Die Gottesdienst-Gemeinde ist das in der Gegenwart des dreieinigen Gottes versammelte Volk Gottes; sie ist der Leib Christi. Die Gegenwart Gottes ist in allen Gottesdienst feiernden christlichen Gemeinden dieselbe. Anders formuliert: die Gegenwart des dreieinigen Gottes ist die universale Identität aller christlichen Gottesdienste überall in der Welt; sie ist das Identische inmitten der Vielfalt christlicher Gottesdienste. Die Identität einer Pluralität von einzelnen Erscheinungen desselben ist deren Katholizität.10 Die Katholizität der Kirche ist also ihre Identität in einer Varianz und Pluralität. Wenn die 9   Vgl. Aristoteles, Metaphysik 987 b 1 – 4; 1078 b 17 – 32; Zweite Analytik A 87 b 30 – 33. Aristoteles bezeichnet damit das Allgemeine, das auf der Basis mehrerer von der sinnlichen Wahrnehmung erfassten Einzelfälle vom Verstand (wissenschaftlich) erkannt wird. Die ekklesiologische Verwendung des Begriffs betont dagegen – in strengem Sinn – , dass die Kirche, wo immer sie auch sei – und sei sie überall und zu allen Zeiten – , dieselbe Einzelne ist. Diese Selbigkeit ist also nicht im Sinne eines viele sinnlich wahrnehmbare Einzelerscheinungen vereinenden Allgemeinbegriffs zu verstehen. 10   Vgl. ebd.

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  393

Kirche als katholisch in diesem Sinn bezeichnet wird, ist damit nicht ihre globale Ausbreitung gemeint, sondern dann wird gesagt, dass den weltweit vielfältigen Kirchen etwas gemeinsam und identisch ist: nämlich die Gegenwart des dreieinigen Gottes in ihren Gottesdiensten und insofern die Gegenwart Jesu Christi als des Erlösers aller Menschen. Besonders in den Gottesdiensten ist eine Kirche auf Jesus Christus konzentriert und lebt sie in der Gegenwart des dreieinigen Gottes, weil dort durch den Heiligen Geist das erlösende, rettende, befreiende und versöhnende Werk Jesu Christi zur Sprache kommt, Menschen zusammenführt und zu einer Gemeinschaft verbindet. In evangelischem Verständnis wird deshalb die Katholizität der Kirche in den Gottesdiensten realisiert. Die Gottesdienst feiernde Gemeinschaft von Menschen ist dadurch zugleich etwas Besonderes in der Welt im Allgemeinen und in ihrem jeweiligen religiösen und säkularen Kontext im Besonderen. Diese Besonderheit wird noch einmal zugespitzt dadurch, dass die im Gottesdienst vereinte Gemeinschaft von Menschen von der Vergebung ihrer Sünde und Gottlosigkeit lebt – also nicht auf besonderer Frömmigkeit, Religiosität, Spiritualität oder Moralität basiert. Die Zugehörigkeitsbedingungen zur Kirche sind ganz besondere: die aktive Bejahung, willkommen zu sein, ohne Vorbedingungen zu erfüllen, ja, willkommen zu sein, ohne eigene Würdigkeit, vielmehr trotz eigener Unwürdigkeit (trotz fehlender Dankbarkeit, trotz Lieblosigkeit und trotz Geistlosigkeit). Diese auf der bedingungslosen Zuwendung Gottes basierende Akzeptanz eines jeden Menschen macht die Kirche zu etwas Besonderem in der Welt; dies gibt ihr die Eigenschaft der Heiligkeit. Die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, realisiert ihre Heiligkeit, indem sie sich allen Menschen zuwendet, die der Versöhnung und Vergebung und der Liebe bedürftig sind. Im Glauben an die Vergebung auch ihrer eigenen Sünden realisiert die Kirche ihre Heiligkeit in einem dreifachen Diakonat:11 im Diakonat der Wahrheit, in dem sie die eigene Sünde und Schuld, aber auch das Unrecht von einzelnen Menschen, von Gruppen und der Menschheit insgesamt beim Namen nennt; im Diakonat der Liebe, in dem sie der Ungerechtigkeit in all ihren Formen widersteht und durch Taten der Liebe sie zu verhindern und zu beseitigen sucht; im Diakonat der Hoffnung, in 11   Vgl. dazu: E. Jüngel, Belief in the One Holy, Catholic and Apostolic Church, in: H.-P. Großhans, One Holy, Catholic and Apostolic Church. Some Lutheran and Ecumenical Perspectives, Minneapolis 2009, 21 – 32 (28 f.).

394  Hans-Peter Großhans dem sie die Macht von Gottes Gnade über die Sünde bezeugt und so Menschen dazu ermutigt für das kommende Reich Gottes zu arbeiten. Im Grunde ist mit den vom Apostolikum verwendeten Attributen der Heiligkeit und Katholizität die als Gemeinschaft der Glaubenden definierte Kirche noch nicht hinreichend bestimmt. Im Nizäno-Konstantinopolitanum sind zwei weitere Attribute der Kirche hinzugefügt worden: Apostolizität und Einheit. Dies ist sachgemäß. Denn die Gottesdienst feiernde katholische und heilige Kirche hat eine spezifische Aufgabe in der Welt – wie Paulus in 2 Kor 5,20 formuliert: »Wir sind Botschafter Christi  […]. Wir bitten euch an Christi statt, laßt euch versöhnen mit Gott.« In dieser Mission und in dieser Sendung in die Welt ist die Kirche in der Nachfolge – in der Sukzession – der Apostel. Deshalb hat die Kirche die Eigenschaft der Apostolizität. Ihre Apostolizität bezieht die Kirche zurück auf die Apostel und deren Aufgabe. Sie ist selbst in diese Aufgabe berufen: in die Welt gesandt, um das Evangelium jedermann in der Welt zu bringen. Der Rückbezug auf die Apostel weist evangelische Kirchen nach vorne, weist sie hin auf ihre Aufgabe, ihre Mission: durch das Evangelium von Jesus Christus Hoffnung in eine hoffnungslose, graue und alt gewordene Welt – zu allen Menschen – zu bringen. Alle wo auch immer in der weiten Welt Gottesdienst feiernden christlichen Gemeinden sind eins, sind die eine Kirche, der eine Leib Christ, das eine Volk Gottes. Das wurde bereits ausführlich dargelegt. Doch wie kann und soll diese Einigkeit zum Ausdruck kommen, wie soll sie Gestalt gewinnen? Es gibt dazu viele Möglichkeiten: in einer gemeinsamen Liturgie, in gemeinsamen Bekenntnissen des Glaubens, in gemeinsamen Gebeten (wie dem Vaterunser), in gemeinsamen Sakramenten und Ritualen, in Fürbitten füreinander, in einer gemeinsamen Organisationsstruktur (ob mit Hierarchien oder ohne Hierarchien, ob mit Bischöfinnen und Kirchenpräsidenten, mit Synoden, Konzilien oder Vollversammlungen), in einer gemeinsamen Finanzierung und gemeinsamer Verantwortung – oder auch in einer kommunikativen Theologie, der es um den Austausch über das jeweilige Verständnis biblischer Texte und des Glaubens geht. Gerade Letzteres ist für das evangelische Verständnis von der Einigkeit der Kirchen immer wichtig und zentral gewesen: das theologische Gespräch über den Glauben und die Heilige Schrift, in der sich im Diskurs dann auch ein Einverständnis bilden kann. Theologie verstanden als die Kommunikation des christlichen Glaubens bildet nach evangelischem Verständnis das Zentrum

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aller Bemühungen um die Einigkeit von Kirchen und auch um einen sichtbaren Ausdruck ihrer Einheit. Gerade der theologische Diskurs selbst ist ein sichtbarer Ausdruck der in Jesus Christus vorgegebenen Einheit der Kirche. Die eine heilige, katholische und apostolische Kirche wird also nach evangelischem Verständnis in einer den theologischen Diskurs praktizierenden, Gottesdienst feiernden, diakonischen und missionarischen Kirche realisiert.

3.  Evangelische Ambition: Die Kirche – ein Stück Himmel auf Erden In der so skizzierten Kirche wird schon vorweggenommen realisiert, was zukünftig erhofft wird: eine versöhnte Gemeinschaft von Menschen in der Gegenwart Gottes, die untereinander im Geist der Liebe verbunden sind. Natürlich ist diese vorweggenommene Realisierung der erhofften eschatologischen Heilsgemeinschaft unter den jeweiligen Bedingungen von Geschichte und Gesellschaft nie vollkommen, sondern gebrochen, fragmentarisch, unvollständig  – aber dennoch ist es eine Realisierung der erhofften heilvollen Gemeinschaft von Menschen (wie auch menschliche Liebesgeschichten nicht nur in idealisierenden Hollywood Liebesgeschichten realisiert werden), die versöhnt mit Gott auch untereinander versöhnt zusammen kommen, zusammen sind und zusammen bleiben. Das reformatorische Verständnis der Kirche war also deutlich ambitionierter als es seinerseits in der durch Rom repräsentierten Kirche erfahrbar war. Dies zeigt sich vor allem im Verständnis des zentralen Ereignisses der Kirche, im Gottesdienst; dann aber auch in der Selbstorganisation der Kirche als Institution. Wie in der katholischen Kirche und in den orthodoxen Kirchen orientiert auch die evangelische Theologie den hier auf Erden gefeierten Gottesdienst an dem himmlischen Gottesdienst. Auch ein evangelischer Gottesdienst beansprucht den himmlischen Gottesdienst, den einst alle im himmlischen Jerusalem in der Gegenwart des dreieinigen Gottes feiern werden, vorwegnehmend darzustellen. Ein evangelischer Gottesdienst ist ein eschatologisches Ereignis. Die Reformatoren haben gerne die Kirche im Anschluss an Gal 4,26 (»Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie; das ist unsre Mutter«) sowohl als Mutter aller Glaubenden verstanden als

396  Hans-Peter Großhans auch mit dem himmlischen Jerusalem identifiziert.12 Das himmlische Jerusalem ist der Ort bzw. der Raum, in dem Gott wohnt und gegenwärtig ist. Wenn der Himmel der Raum ist, in dem Gott gegenwärtig ist, dann ist der Ort und das Geschehen, in dem Gott gegenwärtig ist, himmlisch zu nennen. Der Himmel wird entsprechend irdisch präsent, wo Gott gegenwärtig ist, also auch in der Kirche, in der sich die Glaubenden im Namen Gottes versammeln, um seine Gegenwart bitten, auf ihn hören und als mit ihm Versöhnte seine Gegenwart feiern. Dabei bleibt die Präsenz des Himmels auf Erden in der Kirche allerdings eine indirekte, weshalb die Glaubenden die kommende unmittelbare und unaufhebbare Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott »von Angesicht zu Angesicht« (1 Kor 13,12) und die damit einhergehende himmlische Freude erhoffen. Das zentrale Ereignis dieser indirekten Präsenz des Himmels auf Erden ist der Gottesdienst. Auch die heutige römisch-katholische Kirche nimmt Bezug auf das Bild vom himmlischen Jerusalem, beispielsweise in der ekklesiologischen Konstitution »Lumen gentium« des 2. Vatikanischen Konzils. Ebenfalls mit Gal 4,26 verweist »Lumen gentium« insbesondere auf die Liturgie.13 Wie in der reformatorischen Theologie wird die Kirche  – insbesondere der liturgisch gefeierte Gottesdienst – in gebrochener und unvollkommener Weise als das himmlische Jerusalem verstanden. Das himmlische Jerusalem ist die erhoffte Zukunft der Kirche, wenn die Kirche nicht mehr hier auf Erden in der Fremde – fern dem Herrn  – lebt. Die Kirche ist unterwegs, das himmlische 12  Vgl. z.  B. M.  Luther, Kommentar zum Galaterbrief, WA 40 / 1, 664,18 – 26; 665,13 – 19. 13  Im Sacramentarium Gregorianum heißt es: »Gott, der du dir aus der ganzen Versammlung der Heiligen eine ewige Wohnstatt gründest […]: Deus, qui ex omni coaptatione sanctorum aeternum tibi condis habitaculum […]« (PL 78, 160B; L. C. Mohlberg, Liber Sacramentorum Romanae Ecclesiae ordinis anni circuli, Rom 1960, 111, XC). Vgl. H. Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse der kirchlichen Lehrentscheidungen, übers. u. hg. v. P. Hünermann, Freiburg i. Br. 371991 (= DH), Rn. 4110 f.: Die Kirche als das Haus Gottes, der heilige Tempel, wird verglichen mit der heiligen Stadt, dem neuen Jerusalem. Wie Luther verweist das 2. Vatikanum in »Lumen gentium« dazu auf Gal 4,26: »Die Kirche wird auch ›das Jerusalem droben‹ und ›unsere Mutter‹ genannt [Gal 4,26; vgl. Offb 12,17].« Diese Kirche, dieser Tempel, diese heilige Stadt ist noch in Bau. Wir werden in sie »hier auf Erden als lebendige Steine eingebaut [1 Petr 2,5]«. Zugleich weiß sich aber die Kirche, solange sie »hier auf Erden in Pilgerschaft fern dem Herrn lebt, […] in der Fremde, so daß sie nach dem sucht und sinnt, was oben ist, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzt, wo das Leben der Kirche mit Christus in Gott verborgen ist, bis sie mit ihrem Bräutigam in Herrlichkeit erscheint.«

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Jerusalem zu werden; sie ist das Gemeinwesen, in dem Gott wohnt, aber noch nicht vollkommen. In diesem eschatologischen Grundverständnis der Kirche liegt eigentlich keine Differenz zwischen evangelischer und katholischer Theologie. Es ist heute eher etwas, was in der evangelischen Theologie und in den evangelischen Kirchen in Deutschland inmitten all des pragmatischen und empiristischen Geistes leider oft wenig beachtet wird: nämlich in der Kirche – und d. h. in der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde – den Himmel auf Erden zu sehen. Allerdings ist nach evangelischem Verständnis die Kirche, und also die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde, Himmel auf Erden nur dann, wenn in ihr das Evangelium in Wort und Sakrament so zur Geltung gebracht wird, dass es befreit und Glauben wirkt. Dies geschieht, wenn sich bei den versammelten Menschen Vertrauen in die Zusagen und Verheißungen des dreieinigen Gottes einstellt und wenn sich die gottesdienstlich versammelten Menschen als mit Gott und untereinander Versöhnte erfahren. Wenn dies geschieht, dann besteht kein Zweifel, dass die Kirche das himmlische Jerusalem ist; es also nicht nur erhofft und anstrebt. Wenn das Evangelium Glauben und damit Freiheit und Versöhnung wirkt, dann ist das Ziel erreicht, dann ist das Heil realisiert; dann besteht versöhnte Gemeinschaft von Gott und Mensch und, darin impliziert, auch der Menschen miteinander.14 Die Frage, wie genau dieses Heilsgeschehen im Gottesdienst Gestalt gewinnt, wird nun allerdings in den christlichen Denominationen unterschiedlich beantwortet. Die evangelischen Kirchen haben dazu eine eigene Antwort entwickelt, mit der sie von den anderen Kirchen abweichen. Nach evangelischer Auffassung ist der Gottesdienst nicht deshalb ein himmlisches 14   Ein solches Kirchen- und Gottesdienstverständnis ist sicherlich idealisierend. Unter empirischen Bedingungen werden sich Kirche und Gottesdienst davon vermutlich immer unterscheiden. Mit empirischen Methoden lässt sich ein solches Kirchen- und Gottesdienstverständnis vermutlich nirgends in der kirchlichen Wirklichkeit genau so feststellen. Und doch ist ein solches ideales Kirchen- und Gottesdienstverständnis unentbehrlich. Es bietet eine differenzierte Vorstellung davon, was die Kirche und der Gottesdienst sind. Es orientiert und diszipliniert das faktische kirchliche Leben und Handeln, und bewahrt es dadurch davor, zu einer reinen Religions- und Kultverwaltung zu degenerieren. Es konfrontiert das faktische kirchliche und gottesdienstliche Leben mit einem utopischen Ideal. Gerade durch diese Kritik bleibt das faktische kirchliche und gottesdienstliche Leben lebendig.

398  Hans-Peter Großhans Ereignis, weil er den im Himmel gefeierten Gottesdienst hier auf Erden gewissermaßen kopiert. Die Kirche als Gesamte repräsentiert nicht deshalb den Himmel auf Erden, weil sie die im Himmel vorhandene Ordnung hier auf Erden abbildet. Nach evangelischem Verständnis ist die Kirche dann das himmlische Jerusalem – und also die Gemeinschaft von Menschen, in deren Mitte der dreieinige Gott ist  – , wenn sie das Evangelium in Wort und Sakrament lehrt und verkündet. Die Kirche ist nicht himmlisch aufgrund ihrer Kraft oder ihrer inneren Verfassung und Ordnung; sie ist auch nicht himmlisch aufgrund ihrer Liturgie, in der sie den himmlischen ewigen Gottesdienst auf Erden abzubilden versucht. Sie ist vielmehr nur deshalb identisch mit dem himmlischen Jerusalem, weil in ihr Gott selbst zu Wort kommt und also mit den als Kirche im Gottesdienst versammelten Menschen kommuniziert. Und dann kommt im Gottesdienst etwas anderes zur Darstellung als die Ordnung im Himmel und das ewige göttliche Heilsgeschehen. Zur Darstellung kommt dann die auf Gott hörende Gemeinschaft von Menschen: also die Heilsgemeinde, das Volk Gottes  – die zugleich der Leib Christi auf Erden ist. Durch Gottes Wort in Predigt und Sakrament werden Menschen zusammengerufen und zusammengeführt. Die Kirche ist insofern ein durch den Heiligen Geist ermöglichtes und vollzogenes Werk des dreieinigen Gottes.15 Darin sind sich die alte westliche Theologie, also die katholische und die evangelische Theologie einig; darin unterscheiden sie sich von der orthodoxen Theologie. Die Kirche ist kein Abbild des Himmels, auch nicht der göttlichen Trinität. Gott wird nicht in der Kirche abgebildet, sondern vermag ihr auch gegenüber zu treten, um so die Kirche durch Wort und Sakrament immer wieder neu zu schaffen und weiter zu erbauen. Allerdings muss nun auch dieses Gegenübertreten Gottes irgendwie in der Kirche zum Ausdruck kommen und realisiert werden. Wie sich dieses Gegenübertreten Gottes in der Kirche selbst darstellt, das ist von ökumenischer Signifikanz. Nach römisch-katholischer Auffassung repräsentierte das Priesteramt bzw. Bischofsamt den der 15   Vgl. Lumen gentium, Kap. 1 (DH 4104). Allerdings heißt es in diesem Abschnitt von »Lumen gentium« auch: »So erscheint die gesamte Kirche als ›das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk‹ « (DH 4104 – Zitat aus: Cyprian, De dominica oratione 23, PL 4, 553). Diese Auskunft könnte man auch im Sinne der orthodoxen Auffassung verstehen, wonach die Kirche die Trinität abbildet.

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Gemeinde gegenübertretenden Gott; nach evangelischer Auffassung repräsentiert die Heilige Schrift das Gegenüber zur Gesamtheit der Kirche, bzw. genauer: Der in der Heiligen Schrift bezeugte Christus selbst ist das Gegenüber zur Kirche. Wird das Gegenüber Gottes zur Kirche betont, dann repräsentiert »die Kirche« insgesamt zuerst und vor allem die Versammlung der Glaubenden, der Geheiligten, der Gesandten Gottes. Die Kirche in Form der zum Gottesdienst versammelten Glaubenden stellt dann die eschatologische Heilsgemeinde Gottes dar – und das ist nichts anderes als die mit Gott und untereinander versöhnte Menschheit. Der Begriff der Darstellung bzw. der Repräsentation (lat.: repraesentatio) wurde in der evangelischen Theologie lange Zeit und immer wieder mit Misstrauen betrachtet. Dieses Misstrauen ist eine polemische Reaktion gegenüber dem Anspruch der römisch-katholischen Kirche, wie er vor allem im Tridentinischen Konzil im 16. Jahrhundert vertreten wurde, als Amtskirche und in ihren Vollzügen das Heilsgeschehen zu repräsentieren (darzustellen), insbesondere das Opfer Christi in der Eucharistiefeier der Kirche. In Zeiten der möglicherweise schon wieder im Verschwinden begriffenen Postmoderne ist man dem Begriff der Darstellung gegenüber wieder aufgeschlossener als zu früheren Zeiten. Heute gilt: Die Performance ist alles! Insbesondere sind die evangelischen Kirchen immer drängender mit dem Problem konfrontiert, was sie denn darstellen sollen. Was ist ihre Performance? Mit dem Verzicht auf die Darstellung des dreieinigen Gottes oder der Darstellung des vom dreieinigen Gottes gewirkten Heilsgeschehens oder der Darstellung Jesu Christi und seines Opfers, scheint eine inhaltliche Entleerung der evangelischen Kirchen einherzugehen. Dargestellt wird dann häufig ganz allgemein das Humane. Das ist zwar auch würdig und recht, doch ist damit der eigentliche Inhalt, das Ziel und der Zweck der Kirche in der evangelischen Kirche abhandengekommen. Soll die Kirche Kirche sein, so muss es den evangelischen Kirchen gelingen, in ihren Darstellungen einen Raum für Gottes Gegenwart zu bieten. In der Kirche geht es um Gottes konkrete Gegenwart inmitten unserer Welt. Es geht dann in der Kirche um den Vollzug des Heils; denn dieses ist das Leben in Gottes Gegenwart, das Leben mit Gott. Was stellt die Kirche dabei dar, wenn sie der irdische Raum der Gegenwart Gottes ist? Wenn das Heil, das Gott will und das Gott entspricht, das versöhnte Zusammensein Gottes mit den Menschen ist,

400  Hans-Peter Großhans und wenn sich dieses Heil als Kirche auf Erden vollzieht, dann stellt die Kirche diejenigen dar und repräsentiert diejenigen, mit denen der dreieinige Gott zusammen sein will und zusammen ist: die von Gott zum Zusammensein mit ihm erwählten Menschen. Dann stellt die Kirche als die Versammlung der Glaubenden das Gegenüber zu Gott in der Begegnung mit Gott dar. Die Kirche repräsentiert insofern die Menschenwelt, freilich allein die eschatologisch ganz und gar durch das Heilshandeln des dreieinigen Gottes bestimmte Menschenwelt. Die Kirche nimmt die eschatologische Stellung der Menschen vor Gott vorweg, stellt diese dar, repräsentiert sie. Gerade darin ist sie jedoch nicht nur Darstellung der eschatologisch bestimmten zukünftigen Menschenwelt, sondern rückt in ein unmittelbares Verhältnis zu Jesus Christus, ist sie der Leib dessen, in dem Gott alle Menschen zum Zusammensein mit ihm erwählt hat. Wenn eine Kirche sich vor allem als Darstellung und Abbild der heiligen Trinität oder als Repräsentanz Gottes auf Erden versteht, dann will sie nach evangelischer Auffassung zu wenig. Wenn die Kirche der Vollzug des Heils sein soll, dann kann sie nicht nur den dreieinigen Gott und das Heilsgeschehen darstellen, sondern muss auch die andere Seite der Heilsbegegnung, den eschatologisch bestimmten Menschen und seine Welt darstellen. Dies hat dann Konsequenzen nicht nur für die evangelischen Gottesdienste als die zentralen Ereignisse der Kirche, sondern für die gesamte Organisation einer evangelischen Kirche. Dies muss dann auch in allen anderen Handlungen und Einrichtungen evangelischer Kirchen zum Ausdruck kommen.

4.  Ein Missverständnis: Die Instrumentalisierung der Kirche Vielfach haben sich in der Gegenwart die evangelischen Kirchen und Kirchengemeinden, insbesondere in Deutschland, auf die Faszination des Themas »Religion« und das Interesse an verschiedenen religiösen Lebensformen und Praktiken eingestellt und bieten ein reiches Programm an religiösen und spirituellen Veranstaltungen an. Die Kirchen wollen dazu beitragen, das religiöse Bedürfnis der einzelnen Menschen zu befriedigen. Sie verstehen sich dabei ganz gemäß ihrer alten Rolle als Mittel und Instrument zum Heil der Menschen – als medium et instrumentum salutis.

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Diese Rolle der Kirche als Hilfsmittel für das Heil von Menschen tritt besonders deutlich an der gegenwärtig prominenten theologischen Auffassung zu Tage, welche die Aufgabe der christlichen Kirchen in der modernen Gesellschaft darin sieht, die Freiheit der Individuen sichern zu helfen. »Christentum ist Freiheit: libertas est christianismus« hatte Philipp Melanchthon ja bekanntlich als reformatorisches Programm bereits 1521 in seinen »Loci communes« formuliert.16 Und nicht nur Luther, sondern auch Calvin hat die Wichtigkeit der Freiheit für ein christliches Leben hervorgehoben.17 Dieser reformatorische Zusammenhang von christlichem Glauben und Freiheit wird nun heutzutage immer wieder so interpretiert, dass es im christlichen Glauben um die religiöse Entfaltung der Freiheit und Subjektivität des einzelnen Menschen gehe. Falk Wagner sah gar den Grund für die gegenwärtige Krise des Protestantismus darin, dass die evangelische Theologie im 20. Jahrhundert mit der Wort-Gottes-Theologie aus dieser Entwicklung der Moderne ausgestiegen sei.18 Denn der Wort-Gottes-Theologie gehe es leider nicht um die religiöse Entfaltung der Freiheit und Subjektivität von Menschen, sondern sie ziele auf »Menschen als Christen« – und nicht auf »Christen als Menschen«. Damit aber werde der neuzeitliche Autonomiegedanke ignoriert. Wenn – so Wagner – »der Autoritätsanspruch des Wortes Gottes […] den Gehorsam des sich fügenden Glaubens nach sich« zieht, dann können sich »unter dieser Bedingung […] eigenständige und individuelle […] religiös-fromme Subjekte nicht bilden«. Nach Wagner ist aber »das Subjekt der gelebten protestantischen Religion […] nicht der welt- und selbstlose Wortund Textglaube, sondern der Mensch als selbständiges Individuum«.19 Für die Kirchen kann es dann nur darum gehen, den Menschen zum wahren Menschsein zu verhelfen, das darin liegt, dass sie sich je ihrer eigenen Freiheit bewusstwerden und dieser Freiheit entsprechend leben. Die Kirchen sollen Menschen zur Autonomie verhelfen, 16   Ph. Melanchthon, Loci communes 1521. Lateinisch-Deutsch, übers. v. H. G. Pöhlmann, hg. vom Lutherischen Kirchenamt der VELKD, Gütersloh 1993, Kap. 7,21, 294. 17   J. Calvin, Institutio christianae religionis / Unterricht in der christlichen Religion, nach der letzten Ausgabe von 1559 übers. und bearb. v. O. Weber. Im Auftrag des Reformierten Bundes bearbeitet und neu hg. v. M. Freudenberg, Göttingen 2008, III, 19. 18  Vgl. F. Wagner, Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus, Gütersloh 1995, 52 u. a. 19   A. a. O., 55.

402  Hans-Peter Großhans indem sie sich selbst im christlichen Glauben auf ihre (vorhandene, da mit ihrem Menschsein gegebene) Freiheit durchsichtig werden. Das Ziel der Kirche und des durch sie vermittelten Glaubens ist, dass sich eigenständige und individuelle religiös-fromme Subjekte bilden. Wird die Rolle der Kirche für den Zusammenhang von Glaube und Freiheit so gesehen, dann kann die Aufgabe der Kirche in der heutigen Gesellschaft nur sein, den einzelnen Menschen auf seinem Entwicklungs- und Bildungsgang – kritisch und konstruktiv – zu begleiten, um ihm zu religiöser Sprachfähigkeit zu verhelfen und so seine Selbständigkeit in Religionsfragen zu ermöglichen und zu erhöhen. Die Kirche selbst ist nur Mittel auf dem immer individuellen Weg zur religiösen Freiheit. Die Kirche selbst hat keinen Selbstzweck. Sie ist ein institutionelles Mittel zur Ermöglichung und Sicherung individueller Freiheit auf dem Gebiet der Religion und von daher auch des ganzen individuellen Lebens. Es kann nun zugestanden werden, dass nach dieser theologischen Auffassung die Kirche durchaus ein notwendiges Mittel für den in die Freiheit führenden individuellen Bildungsgang ist, weil die Religiosität, die bewusst oder unbewusst zu jedem Menschenleben gehört, unbestimmt vorhanden ist und deshalb Formen braucht, in denen sie bewusst erkannt und zum Ausdruck kommen kann. Die religiöse Bildung, für welche die Kirche zu sorgen hat, ist im Grunde nichts anderes als jegliche Bildung des Menschen. Denn alle »Anlagen« des Menschen  – sein gesamtes Bewusstsein, all seine körperlichen und seelischen Potentiale – können erst aufgrund von Bildung erschlossen und in Gebrauch genommen werden; so auch seine religiösen »Anlagen«. Die Kirche führt mit ihrem Schatz an Traditionen und religiösen Ausdrucksformen in die jedem Menschen eigene Religiosität ein, lehrt mit der eigenen Religiosität umzugehen, sie zu praktizieren, sie zum Ausdruck und zur Darstellung zu bringen. Dies alles macht die Kirche nicht mit dem Ziel, eine wahre Lehre zu vermitteln und Menschen dazu zu führen, sich in die kirchliche Gemeinschaft einzureihen, sondern allein mit dem Ziel, Menschen eine selbständige, individuell verantwortete und kreative religiöse Betätigung und somit Freiheit zu ermöglichen. Die Kirche soll Menschen in die religiöse Selbständigkeit führen und sie dann in die Freiheit ihres je individuellen Lebens entlassen. Die Kirche selbst wird dann für diese Menschen religiös überflüssig. Höchst markant hat diese Auffassung von der Kirche bereits Schleiermacher in seinen »Reden über die Religion« zum Ausdruck

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  403

gebracht. Dort ist die wahre Kirche »eine Gesellschaft religiöser Menschen«, die der institutionalisierten Kirche »fast in allen Stücken entgegengesetzt ist«, insbesondere deshalb, weil diese »nur eine Vereinigung solcher« ist, »welche die Religion erst suchen«.20 Die institutionalisierten Kirchen haben allein darin eine positive Bedeutung, den Menschen Religion zu ermöglichen und sie zu der von ihr unterschiedenen wahren Kirche zu führen, d. h. die wahrhaft religiös gewordenen Menschen aus ihrer Gemeinschaft zu entlassen in die religiöse Selbständigkeit und in die freie Kommunikationsgemeinschaft der wahrhaft Religiösen, die die wahre Kirche bilden. Nach dieser Auffassung Schleiermachers wird »die Kirche den Menschen um so gleichgültiger je mehr sie zunehmen in der Religion«. Gerade »die Frömmsten sondern sich stolz und kalt« von der Kirche ab.21 Dieses theologische Konzept ist gegenwärtig in der evangelischen Theologie und Kirche sehr verbreitet. Es artikuliert sich vor allem in der Diskussion um den Bildungsauftrag der Kirchen. Es artikuliert sich jedoch auch in vielerlei religiösen und spirituellen Aktivitäten, welche Kirchen und Kirchengemeinden anbieten. Kirche ist in diesem Konzept ein Dienstleister für die Selbstwerdung von Menschen und für die Erlangung individueller Autonomie. Die Kirche wird in diesem Verständnis jedoch zu einem geistlichen Hilfsmittel degradiert (abgesehen davon, dass heutzutage in einer modernen Gesellschaft wie Deutschland die Autonomie der Individuen vorauszusetzen und nicht erst praktisch zu erzeugen ist). Gerade so werden nun aber die Rolle und die Aufgabe der Kirche für das Heil der Menschen verfehlt, zu der sie von Gott selbst erwählt und bestimmt ist. Denn im christlichen Glauben geht es nicht nur um die Begründung einer individuellen Freiheitsgeschichte, sondern auch um die Versöhnung Gottes mit den Menschen und darin eingeschlossen um die Versöhnung von Menschen untereinander und jeweils mit sich selbst. Deshalb kann sich die christliche Religion nur als Gemeinschaft von Menschen realisieren. Und deshalb gehört zum christlichen Glauben ein starkes Verständnis von Kirche. Die Kirche selbst ist ein wesentlicher Teil des Heilsvollzugs auf Erden. Die Kirche ist der Heilsraum Gottes auf Erden; die Kirche ist der irdische Raum

20   F. D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1. Aufl. 1799, hg. v. G. Meckenstock, in: ders., Kritische Gesamtausgabe (KGA) I / 2, Berlin / New York 1984, 185 – 326 (274). 21   A. a. O., 275 f.

404  Hans-Peter Großhans gelebter Versöhnung. Die Kirche ist der gemeinschaftliche Vollzug des Heils auf Erden.

5.  Die Kirche und die Wahrheit des Evangeliums Die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, bringt ihr eigenes Selbstverständnis und ihre Rolle für den Glauben in den Glaubensbekenntnissen selbst zur Sprache. »Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche […]« – so im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Die Kirche wird von den Glaubenden also als ein inhaltliches, wesentliches Moment des Glaubens bekannt und begriffen. Die Kirche ist dem Glauben nicht äußerlich. Sie ist aus der Sicht des Glaubens eben nicht nur Mittel und Instrument, sondern Vollzug des Heils. Allerdings hat es in der westlichen Theologie und Kirche eine in die Alte Kirche zurückreichende lange Tradition, dass die Kirche reduziert wird auf eine instrumentelle Bedeutung und sie nicht selbst als Heilsvollzug begriffen wird. Festmachen lässt sich diese Entwicklung bereits an der eingangs schon angesprochenen Differenz zwischen der ursprünglich griechischen und der lateinischen Fassung des altkirchlichen Bekenntnisses von Konstantinopel. Es geht dabei um die Frage, in welchem Sinne die Kirche Gegenstand des christlichen Glaubens ist. Im Bekenntnis von Konstantinopel wurde 381 formuliert: »Wir glauben  […] an die eine heilige katholische und apostolische Kirche.«22 In der lateinischen Übersetzung wurde der Wortlaut jedoch dem Apostolischen Glaubensbekenntnis angepasst: »Credo […] unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam: Ich glaube […] die eine heilige katholische und apostolische Kirche.« Aus dem pluralischen »wir« wurde ein singularisches »ich« als Subjekt des Bekennens. Und das »glauben an die Kirche« (lat.: credere in ecclesiam) wurde verändert zu einem »die Kirche glauben« (lat.: credere ecclesiam). Die lateinische Fassung will gewissermaßen eine Gleichstellung der Kirche mit dem dreieinigen Gott im Glauben vermeiden und bekennt die Kirche als einen sachlichen Inhalt des Glaubens unter anderen. Was aber ist die richtige Stellung der Kirche im christlichen Glauben? Was ist die Kirche für den Glauben? Ein schönes Beispiel für 22   H. Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse der kirchlichen Lehrentscheidungen, übers. u. hg. v. P. Hünermann, Freiburg i. Br. 371991, 150.

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solche Überlegungen über die unterschiedlichen Weisen des Verständnisses des Glaubens in Bezug auf die Kirche findet sich in Calvins Institutio, wo er zwischen credo in ecclesiam und credo ecclesiam unterscheidet. Im Unterschied zur evangelischen Theologie in unserer Zeit war sich Calvin sehr wohl dessen bewusst, dass im altkirchlichen Bekenntnis ursprünglich von einem Glauben »an« die Kirche die Rede war: »Wenn wir in den Glaubensartikeln bekennen, daß wir ›die Kirche glauben‹, so bezieht sich das nicht allein auf die sichtbare Kirche, von der wir jetzt reden, sondern auch auf alle Auserwählten Gottes, unter deren Zahl auch die einbegriffen werden, die bereits verstorben sind. Deshalb wird hier auch das Wörtlein ›glauben‹ gebraucht; denn oft lässt sich kein Unterschied zwischen den Kindern Gottes und den Unheiligen, zwischen seiner eigenen Herde und den wilden Tieren herausmerken. Manche fügen nun in das Glaubenbekenntnis das Wörtlein ›an‹ ein (›ich glaube an eine […] Kirche‹!); aber dafür besteht keine ersichtliche Ursache. Ich gebe allerdings zu, dass dies Verfahren recht gebräuchlich ist und auch des Beistandes der Alten Kirche nicht ermangelt. Denn auch das Nizänische Glaubenbekenntnis fügt in der Fassung, wie es uns die Kirchengeschichte überliefert, diese Präposition hinzu. Doch lässt sich zugleich aus den Schriften der Alten ersehen, dass es in alter Zeit ohne Widerrede üblich war, dass man sagte: ›Ich glaube eine […] Kirche‹, nicht aber: ›Ich glaube an eine […] Kirche‹. […] Wenn wir sagen: ›Ich glaube an Gott‹, so geben wir solch Zeugnis darum, weil unser Herz sich auf ihn als den Wahrhaftigen stützt und weil sich unsere Zuversicht auf ihn verlässt. Das würde aber auf die Kirche nicht in gleicher Weise zutreffen.«23 Bei allem Respekt vor der ursprünglichen Formulierung des altkirchlichen Bekenntnisses folgt Calvin doch der lateinischen Formulierung und mag einen Glauben »an« die Kirche nicht bekennen aus dem sachlichen Grund, dass die »Kirche« im Glauben nicht dieselbe Stellung einnimmt wie der dreieinige Gott. Ein Glaube »an Gott« wird bekannt, weil er der Wahrhaftige ist, auf den sich unser Herz stützt und weil unsere Zuversicht und Hoffnung sich auf ihn verlässt. Diese Glaubensweise scheint in Bezug auf die Kirche nicht geboten, angebracht und möglich zu sein. Die Kirche ist im Glauben anders präsent als der dreieinige Gott. Dies bringt Calvin mit der lateinischen Tradition zum Ausdruck, indem er von einem »die Kirche glauben« spricht. 23

  Calvin, Institutio (s. Anm. 17), IV, 1,2.

406  Hans-Peter Großhans Was meint er damit: »Denn wenn wir ›die Kirche glauben‹, so geschieht das dergestalt, dass wir fest überzeugt sind, ihre Glieder zu sein. Auf diese Weise nämlich stützt sich unser Heil auf sichere und feste Grundlagen, so dass es, selbst wenn das ganze Gebäu der Welt ins Wanken geriete, doch selber nicht zusammenstürzen und ineinanderfallen kann. Zunächst: es hat ja seinen Bestand zusammen mit Gottes Erwählung, und es kann deshalb auch allein mit Gottes ewiger Vorsehung zusammen eine Änderung erfahren oder zusammenbrechen! Zum zweiten ist unser Heil gewissermaßen mit der Festigkeit Christi verbunden, und er wird ebensowenig dulden, dass seine Gläubigen von ihm losgerissen werden, wie er es zugeben wird, dass seine Glieder zerstückelt oder auseinandergezerrt werden. Dazu kommt dies: wir sind sicher, dass die Wahrheit für uns allezeit Bestand haben wird, solange wir im Schoß der Kirche gehalten werden. Und endlich: wir empfinden es, dass uns nun solche Verheißungen gelten wie diese: ›Auf dem Berge Zion wird eine Errettung sein‹ (Joel 3,5; Obd 17) oder auch: ›In Ewigkeit wird Gott inmitten Jerusalems verweilen, so daß es nie und nimmer wanken wird!‹ (Ps 46,6). Das Teilhaben an der Kirche vermag soviel, daß es uns in der Gemeinschaft mit Gott erhält.«24 Es ließen sich nun viele weitere Stimmen – evangelische und römisch-katholische – präsentieren, die für ein Verständnis von Kirche als Glaubensgegenstand im Sinne von Glaubensinhalt argumentieren im Unterschied zum dreieinigen Gott als Glaubensgegenstand im Sinne von Glaubensgrund. Dabei wird aus der berechtigten Sorge, die Kirche nicht dem dreieinigen Gott gleichzustellen, jeglicher Anschein, sie als Glaubensgrund zu verstehen, strikt zurückgewiesen. Sie ist eben ein Glaubensinhalt, zu dem sich der bekennende Christ bejahend verhält. Mit dieser Differenz von Glaubensgrund und Glaubensinhalt wird jedoch die Pointe der Kirche gerade nicht erfasst. Denn die Kirche ist Gegenstand des Glaubens nicht nur als Inhalt des Glaubens, sondern im Sinne von Glaubens- bzw. Heilsvollzug. Die Kirche ist zwar nicht Gegenüber der Glaubenden wie der dreieinige Gott, dem sich der Glaube verdankt, von dem er lebt und auf den er sich verlässt. Die Kirche ist aber auch nicht nur ein zu bejahender Inhalt des Glaubens, wie z. B. die Auferstehung der Toten. Die Kirche ist vielmehr der soziale Raum, in dem auf Erden der Glaube und das mit ihm gegebene Heil vollzogen und gelebt wird. 24

  A. a. O., IV, 1,3.

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  407

Mit Bezug auf die Unterscheidung zwischen dem unsichtbaren Sein der Kirche und ihrer empirischen Sichtbarkeit wird gerne darauf verwiesen, dass es ja dem allgemeinen Erkennen nicht zugänglich ist, was die immer sichtbar existierende Kirche wirklich ist; d. h. was sie von Gott her gesehen und was sie als von Gott gewirkte ist. Für das natürliche Erkennen ist die Kirche immer nur eine Religionsgesellschaft oder Kult- und Ritusgemeinschaft. Was die Kirche wirklich (d. h. im Horizont der Wirklichkeit Gottes) ist, muss offenbart werden, wenn es mit dem natürlichen Erkenntnisvermögen des Menschen nicht erkannt werden kann. Ist es offenbart, was die Kirche wirklich ist, dann kann dies im Glauben erkannt werden und die Kirche wird zum Inhalt des Glaubens. Doch was wird erkannt, wenn im Glauben erkannt wird, was die Kirche wirklich ist? »Die Kirche glauben« kann dann nicht nur die Bejahung einer offenbaren, übernatürlichen Einsicht und Erkenntnis sein, sondern nötigt dann doch auch dazu – wenn es eine Erkenntnis des Glaubens ist – sich in Beziehung zu dem erkannten Sein der Kirche zu setzen. Dann aber stellt sich die Frage, wie denn das Glaubensverhältnis zur Kirche über die Bejahung der Kirche als Werk Gottes hinaus genauer zu bestimmen ist. Was also wird im Glauben erkannt, wenn erkannt wird, was die Kirche wirklich ist? Calvin macht dies in dem vorhin zitierten Text sehr schön deutlich. Die Glaubenden erkennen: dass sie Glieder der Kirche sind; dass dies eine sichere und feste Grundlage ihres Heils ist (und zwar selbst dann, wenn die ganze Welt ins Wanken geriete); dass ihr Heil wie die Kirche Bestand hat in der Erwählung Gottes; dass Christus nicht dulden wird, dass seine Glieder zerstückelt werden; dass die Kirche Bestand hat durch Christi Treue; dass die Wahrheit für sie Bestand hat, solange sie im Schoß der Kirche gehalten werden; dass das Teilhaben an der Kirche sie in der Gemeinschaft mit Gott hält. Klar ist: Die Kirche kann nicht an die Stelle des dreieinigen Gottes treten. Sie ist von Gott gewirkt. Darin hat sie ihre Wirklichkeit. Doch als solche ist sie nicht nur heilsrelevant, sondern auch Gegenstand des Vertrauens und der Zuversicht. Der Glaube, das Vertrauen und die Zuversicht der Glaubenden können sich auf die Kirche stützen. Es gibt keinen Glauben und es gibt kein Heil für Menschen ohne die Kirche. Die Kirche ist deshalb nicht nur Mittel zum Heil, sondern selbst Heilsvollzug; sie ist der irdische Raum, in dem Gott und Mensch zusammenkommen und zusammen sind – und in dem sich

408  Hans-Peter Großhans auf Erden und unter irdischen Bedingungen das Heil als versöhntes Leben zwischen Gott und Mensch und darin impliziert der Menschen untereinander vollzieht. Calvin hat deshalb an anderer Stelle in der Institutio die Kirche als Mutter aller Frommen bzw. Glaubenden bezeichnet. Mit der Vorstellung der Kirche als der »Mutter aller Glaubenden« kann das Verhältnis der Kirche zu den einzelnen Glaubenden umfassender bestimmt werden als durch eine instrumentelle Vorordnung der Kirche vor den einzelnen Glaubenden. Denn als rechtverstandene Mutter, die nicht nur auf eine instrumentelle Bedeutung reduziert wird, ist die Kirche ebenso – wenn auch anders – Grund des Glaubens der Gläubigen wie der dreieinige Gott. Eine Mutter ist nie nur Instrument, nie nur Mittel zum Leben. Insofern ist auch die als Mutter aller Glaubenden verstandene Kirche nicht nur eines – wenn auch das vornehmste – der »externa media vel adminicula: der externen Medien und Hilfmittel«,25 mit denen Gott zu der Gemeinschaft mit Christus einlädt und in ihr erhält. Calvin hat die Kirche – und zwar die sogenannte sichtbare Kirche – in einem umfassenden Sinn als »Mutter« aller Glaubenden bezeichnet. »Wir wollen schon daraus, daß sie [die sichtbare Kirche] mit dem Ehrennamen ›Mutter‹ bezeichnet wird, lernen, wie nützlich, ja, wie notwendig es für uns ist, sie zu kennen. Denn es gibt für uns keinen anderen Weg ins Leben hinein, als daß sie uns in ihrem Schoß empfängt, uns gebiert, an ihrer Brust nährt und schließlich unter ihrer Hut und Leitung in Schutz nimmt, bis wir das sterbliche Fleisch von uns gelegt haben und den Engeln gleich sein werden.«26 In diesem Sinne kann die Kirche nicht nur als dem Heil der einzelnen Christen dienendes äußeres Mittel verstanden werden. Vielmehr ist das Bild von der Kirche als Mutter27 so zu interpretieren, dass die Kirche der für die Existenz des einzelnen Glaubenden notwendige Lebensraum bzw. Lebenszusammenhang ist. Damit wird ein Verständnis der Kirche nur als Heilsmittel unterlaufen. Wenn die Kirche die Glaubenden lebenslang unter ihre Leitung und ihren Schutz nimmt, dann wird sie eine das ganze Leben 25

  A. a. O., IV, Überschrift.   A. a. O., IV, 1,4.   Vgl. zum Bild von der Kirche als Mutter: H.-P. Grosshans, Die Kirche – »unsere freie Mutter«, in: mutterkonzepte / motherhood, hg. v. G. Palmer, figurationen. gender – literatur – kultur, 7. Jg., Heft 1, Köln / Weimar / Wien 2006, 19 – 30. 26 27

Die Kirche – Sozialform versöhnten Lebens  409

der Glaubenden umfassende Größe. Sie ist dann als ein elementarer Lebenszusammenhang der Glaubenden zu verstehen. Es gehört zu dieser Eigenart der mütterlichen Kirche als dem elementaren Lebenszusammenhang der Glaubenden, dass nicht nur die Glaubenden der Kirche als ihrer Mutter bedürfen, sondern auch umgekehrt die Kirche ihrer Kinder bedarf, um Mutter zu sein. Die christliche Kirche und die einzelnen Glaubenden stehen in einem unauflöslichen engen Zusammenhang. Sie sind sich beide gegenseitig Mittel und Zweck. Es gibt keine Kirche ohne die einzelnen Glaubenden und keine Glaubenden ohne die Kirche. Ein einzelner Glaubender kann sich nicht von der Kirche separieren, wie sich auch die Kirche nicht von den einzelnen Glaubenden distanzieren kann.28 Das Bild von der Kirche als Mutter aller Glaubenden hat darin seinen positiven Sinn, dass die christliche Existenz der einzelnen Glaubenden in dem Heilshandeln Gottes an der Kirche mit eingeschlossen ist und dass die Kirche den Lebenszusammenhang darstellt, in dem sich das Heil vollzieht; genauer: in dem sich die Versöhnung Gottes mit den Menschen und daraus resultierend auch die Versöhnung der Menschen untereinander vollzieht. Die Kirche existiert eben, wie es Karl Barth formulierte, im »gemeinsamen Sein, Leben und Tun, im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung ihrer Glieder«.29 Genau so aber ist sie »Jesu Christi eigene irdisch-geschichtliche Existenzform« – so Karl Barths Definition der Kirche.30 Ist die Kirche die Form, in welcher der erhöhte zur Rechten Gottes sitzende Jesus Christus irdisch geschichtlich existiert und präsent ist, dann schließt der Glaube an Jesus Christus auch den Glauben an die Kirche ein. Wenn das so ist, dann ist die gegenwärtig verbreitete Auffassung, dass der christliche Glaube vor allem auf den einzelnen Menschen bezogen sei, auf seine Rechtfertigung und Heiligung, auf seine Selbstund Ganzwerdung – eben auf das Heil des einzelnen Menschen – , nur die halbe Wahrheit. Zu dem lebenserneuernden Wirken des Evangeliums gehört eben nicht nur, dass einzelne Menschen zu sich selbst finden, dass sie ganz und heil werden. Genauso gehört zum lebenserneuernden Wirken des Evangeliums, dass die in der Gegenwart Gottes lebenden Menschen 28   Die Kirche distanziert sich von den einzelnen Glaubenden zum Beispiel dann, wenn sie die Sünden der einzelnen Glaubenden nicht auch als eigene Sünden bekennt. 29   K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik (KD) IV / 2, Zürich 1955, 696. 30   A. a. O., 738.

410  Hans-Peter Großhans zur Kirche vereint werden. Die Kirche gehört zu dem schöpferischen, versöhnenden und erlösenden Heilshandeln Gottes, das die Versöhnung der Menschen untereinander einschließt. Die Kirche ist irdischer Vollzug des von Gott bewirkten Heils. Sie ist der von der Wahrheit des Evangeliums geschaffene irdische Raum, in dem Menschen als Glaubende mit Gott und untereinander versöhnt leben. Und dieser irdische Heilsraum versöhnten Lebens soll alle Menschen umfassen – und also nicht nur diejenigen, die zu einer bestimmten Tradition gehören oder sich einem bestimmten Überzeugungssystem anschließen.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion Carsten Baumgart

Die erste Ausführung, die erste Präzisierung in der Glaubensaussage des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zum Heiligen Geist lautet im Wortlaut der Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche »sanctam ecclesiam catholicam, sanctorum communionem«.1 Darin stimmt er – genau wie in den anderen Zeilen des Credos – mit der Fassung überein, die auch im Gebrauch der Römisch-Katholischen Kirche üblich ist.2 Der christliche Glaube und die nach dem Apostolischen Glaubensbekenntnis damit eingeschlossene »heilige christliche Kirche, die Gemeine der Heiligen« wird also von beiden der zwei großen westlichen Kirchenfamilien in identischer Form bekannt.3 Wenn Markus Öhler aus Sichtweise der Neutestamentlichen Wissenschaft und Hans-Peter Großhans aus der der Systematischen Theologie in ihren Beiträgen die Kirche thematisieren, wie sie von evangelischen und katholischen Christ*innen gleichermaßen 1

  BSELK 43.   H. Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse der kirchlichen Lehrentscheidungen (DH), übers. u. hg. v. P. Hünermann, Freiburg i. Br. 371991, 30, bietet die für die Römisch-Katholische Liturgie und Theologie gebräuchlich gewordene Fassung, die in dieser Form auch der Catechismus Romanus und das Rituale Romanum bieten. Vgl. z. B. A. M. Ritter, Die altkirchlichen Symbole. Texte und Kontexte, in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, vollständige Neuedition, hg. v. I. Dingel, Göttingen 2014, 37 – 60 (41). Lediglich in der Zeichensetzung und in der Groß- und Kleinschreibung gibt es Differenzen zwischen BSELK und DH. So wird bezeichnender Weise Ecclesiam in großer Schreibweise von DH geboten. 3   Luther übernahm für seine Katechismen BSELK 872.1058 die bereits seit dem 15. Jahrundert im dt. Sprachraum übliche Übersetzung »christliche Kirche« für ecclesiam catholicam. Vgl. z. B. M. Luther, Der kleine Katechismus und ders., Der Große Katechismus, in: BSELK 841 – 1162 (872). Die catholica ecclesia meint im Geiste des Credos nicht die Römisch-Katholische Kirche, die sich historisch seit dem 16. Jahrhundert entwickelt hat, sondern die allumfassende Gesamtheit der Christ*innen weltweit. Das ursprünglich griech. Wort catholicam kann man daher dem Sinn nach in der dt. Sprache nicht besser wiedergeben als durch »christlich«. Eine auf den scheinbaren Unterschied der Terminologie fixierte Analyse dieser Begrifflichkeiten würde zu einer unsachgemäßen Haarspalterei führen bzw. überhaupt erst eine Differenz postulieren, die es sachlich nicht gibt. Die katholische Christin darf beim Credo im evangelischen Gottesdient genauso das »christlich« mitbekennen wie der evangelische Christ in der katholischen Messe »katholisch«. 2

412  Carsten Baumgart geglaubt wird, dann verdient es gerade dieser Passus, der die Kirche explizit – als Glaubensgegenstand – thematisiert, näher aus konfessionskundlicher Perspektive betrachtet zu werden.4 Ist es dieselbe Kirche, die feierlich an dieser Stelle bekannt wird?5 Gibt es Unterschiede zwischen dem Bekenntnis zur sanctam ecclesiam catholicam in einer katholischen Messe und einem evangelischen Gottesdienst? Diese Fragen können hier nicht geklärt werden, aber sie sollen bei der Betrachtung der zwei Beiträge der Ausgangspunkt meiner Überlegungen sein.6 Markus Öhler vollzieht zunächst Motivanalysen, die sich seines Erachtens auf die Termini ekklesia und sanctorum communio beziehen lassen. Die Konzentration auf paulinische bzw. deuteropaulinische Texte steht dabei in typisch protestantischer Tradition.7 Gerade die Betonung der Pluralität und der Körpermetaphorik war in der Auslegetradition der evangelischen Christenheit seit jeher äußerst beliebt.8 Bemerkenswert ist dann seine Untersuchung der »Volk Gottes«-Motivik, die quantitativ im Verhältnis zu den anderen Themengebieten recht überschaubar bleibt. Die Texte bieten letztendlich nur Röm 9,25 f. als Hinweis auf diese Motivik innerhalb der Protopaulinen.9 Aus evangelischer Sichtweise wirkt das Fazit recht nüchtern, aus katholischer ist sie folgenschwer. Die ekklesiologische Metapher des »Volkes Gottes« spielt in katholischer Tradition eine herausragende Rolle. »Lumen Gentium« thematisiert in 9 ausführlichen Kapiteln die Kirche als »Volk Gottes«.10 Der Gebrauch der 4   Der Verf. dieser Response führt damit Überlegungen weiter, die bereits im Beitrag von H.-P. Grosshans, Die Kirche  – Sozialform versöhnten Lebens, in diesem Band angesprochen worden sind. 5   Der Verfasser wagt es trotz seiner eigenen evangelisch-lutherischen Herkunft zunächst einen katholischen Blick auf die Beiträge zu werfen, bevor er am Ende dieser Response wieder auf den evangelischen Standpunkt zurückkehrt. 6   Der Verf. untersucht deshalb einzelne Aspekte der beiden Beiträge und liefert keine vollständige Zusammenfassung dieser. 7   Vgl. z. B. L. Koch, Paulus VI. Ikonographie, LThK3 7 (1998), 1508 – 1510 (1509). 8   Vgl. z. B. C. Gerber, Ekklesiologische Metaphern in den paulinischen Briefen, in: F. W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 412 – 415 (413 f.), und J. Schröter, Die Anfänge christlicher Kirche nach dem Neuen Testament, in: C. Albrecht (Hg.), Kirche, Themen der Theologie 1, Tübingen 2011, 37 – 80 (52 f.). 9   Auch bei Grosshans, Kirche (s. Anm. 4), 390 – 398, kommt dieser Begriff nur partiell vor (vier Mal) und wird nie näher erläutert. 10  Vgl. DH 4122 – 4141.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  413

Motivik für dogmatische Ausführungen zum Kirchenbegriff hat Folgen, die Problematiken aufbrechen, die in der Dramatik ihrer Eigendynamiken kaum zu überbieten sind: Wie verhält sich die Kirche als Volk Gottes zu Israel als Gottes auserwähltes Volk? Selbstverständlich findet man Überlegungen zu einer Israeltheologie auch in der Evangelischen Theologie,11 doch gewinnt diese eine ganz andere Qualität, wenn ein Grundbegriff der eigenen ekklesiologischen Definition scheinbar in Konkurrenz zu einer anderen Religion tritt.12 Was für die evangelische Exegese durch die schmale textliche Bezeugung recht leicht abzuwenden scheint, stellt für katholische Kolleg*innen erst den Anfangspunkt schwieriger hermeneutischer Fragen, die doch nach einer Antwort verlangen. Wenn die Römisch-Katholische Kirche für sich in Anspruch nimmt, das Volk Gottes zu sein, wie steht sie dann in Beziehung zum Judentum, die jene Bestimmung für sich ebenso in Anspruch nimmt. Aus evangelischer Perspektive ergibt sich diese Frage nicht in dieser Dringlichkeit: Erstens – wie bereits dargestellt  – spielt der Begriff des Gottesvolkes in der evangelischen Ekklesiologie kaum eine Rolle, zweitens gibt es große Differenzen in der Thematisierung einer Theologie der Religionen zwischen dem Protestantismus und dem Katholizismus. Die Evangelische Theologie in liberaler Tradition denkt vom glaubenden Subjekt her und entfaltet Strukturen pluraler Wahrheiten und Wirklichkeiten.13 Das schließt logischerweise eine Vielfalt von Religionen ein. Christ*innen haben ein anderes Wirklichkeitsverständnis als Juden und Jüdinnen, sie nehmen eine andere Wahrheit für sich in Anspruch.14 Selbstverständlich sind innerhalb der Katholischen Theologie ebenso subjektivistische Strö11   Wie J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, Göttingen 1993, v. a. 86 – 143, zeigt, gibt es auch innerhalb der Evangelischen Theologie Tendenzen zu einer Ekklesiologie des Gottesvolkes. Bemerkenswert ist dabei sein sachlich-unaufgeregter Umgang mit der Israelthematik! M. Öhler, »Von Kirche«, Gemeinschaft und Heiligem Geist, in diesem Band, 367, bemerkt in einer Anmerkung, dass Roloff Schwierigkeiten hat, seine These zum »Gottesvolk« zu untermauern. 12   Dass die gemeinsame Herkunft und ein gemeinsamer Kanon an »Heiligen Texten« den historischen Boden für diese Konkurrenzsituation darstellt, muss hier nicht näher ausgeführt werden. 13   Vgl. z. B. W. Engemann, Subjektivität / Subjektivitätstheorien  III. Theologisch, RGG4 7 (2004), 1819 – 1821, und H.-P. Grosshans, Wahrheit VII. Philosophisch, RGG4 8 (2005), 1256 – 1259. 14   Ein Beispiel dafür wird in dieser Response noch von Bedeutung sein (s. Anm. 38).

414  Carsten Baumgart mungen erkennbar,15 doch dominieren weiterhin erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Figuren, die noch vom Zweiten Vatikanischen Konzil herstammen. In der Thematik zur Kirche als Volk Gottes im Verhältnis zum Judentum wird dies deutlich sichtbar. »Nostra Aetate« läutete innerkatholisch durchaus eine neue Zeit im jüdisch-christlichen Dialog ein. War die katholische Theologie vom Lehramt seit den Sechzigern offiziell befähigt, inklusive Modelle einer Theologie der Religionen zu entwerfen, haben sich mittlerweile schon längst – auch wegen Nostra Aetate – pluralistische eingeschlichen.16 Doch die Änderungen der thematischen Ausrichtungen führten nicht dazu, dass darüber hinaus auch das grundlegende Denkschema von Nostra Aetate verlassen wurde. Die anthropologischen Axiome blieben dieselben. »Alle Völker sind ja eine einzige Gemeinschaft, sie haben denselben Ursprung,  […] auch haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel.  […] Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen um tiefsten bewegen: […] Was ist das Gute, was die Sünde?«17

Da jeder Mensch die gleichen Voraussetzungen in seinen religiösen Veranlagungen mitbringt, muss auch jede Religion im Prinzip gleich funktionieren – und dies mit allen Konsequenzen. Eine davon ist, dass es letztlich auch nur ein Wirklichkeits- und Wahrheitsverständnis gibt. Wenn in inklusiver oder pluralistischer Sicht einer Viel- oder zumindest Mehrzahl an Religionen Existenzberechtigung zugesprochen wird, dann nur im Rahmen der einen Wirklichkeit.18 Auch wenn 15   Vgl. z. B. H. Verweyen, Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamental­ theologie, Regensburg 32000, v. a. 188 – 191. 16   Vgl. z. B. P. Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005. 17   Nostra Aetate 1 in der Übersetzung von K. Rahner/H. Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Freiburg i. Br. 352008, 355. Gerade der Begriff der Sünde entstammt v. a. aus der christlichen Tradition. Inwieweit dieser auch in anderen Religionen bedeutsam ist, hätte von den Konzilsvätern näher untersucht werden müssen. 18   Als Beispiel kann hier der Beitrag von A. Menne/L. Rinne, Realität als Anspruch und der Antirealismus des Gefühls. Zur Zukunft von Nostra Aetate im Anschluss an Alexander Kluge, in: R. Boschki / J. Wohlmuth (Hg.), Nostra Aetate 4. Wendepunkt im Verhältnis von Kirche und Judentum – bleibende Herausforderung für die Theologie, Paderborn 2015, 215 – 225, dienen, der direkt von einer »gemeinsamen jüdisch-christlichen Realität« (a. a. O., 217) spricht.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  415

das Konzil aus katholischer Sicht ohne Zweifel in seiner Zeit als revolutionär gelten muss, erkennt man doch (z. B. an diesem Fall), dass es Denkmuster vorgegeben hat, die nur in Teilen der Katholischen Theologie durchbrochen worden sind. Somit fällt es offensichtlich der evangelischen Exegese aufgrund ihrer Wissenschaftstradition nicht so schwer, besagtes Bild der Kirche zu durchdenken und wie Öhler zu dem Fazit zu kommen, dass diesem in den Schriften des Neuen Testaments keine größere Bedeutung zukommt. In seiner Auseinandersetzung mit dem Passus der sanctorum communio schlägt Öhler in seinem Beitrag einen Weg ein, der in seiner Konsequenz deutlich Affinitäten zur katholischen Frömmigkeit aufweist. Zunächst untersucht er den Begriff sanctus in sakramentaler Hinsicht.19 Nicht ohne weitere Folgen bildet ein Bezug zum Katechismus der Katholischen Kirche einen seiner gedanklichen Ausgangspunkte.20 Obwohl seine Untersuchungen ergeben, dass sancta im Neuen Testament sprachlich nicht auf die Sakramente zu beziehen sei, wäre doch auf sachlicher Hinsicht eine solche Bezugnahme möglich. Nun vertritt Öhler bewusst ein evangelisches Verständnis von den Sakramenten, indem er einzig die Taufe und das Abendmahl durchdenkt. Wenn er aber zu dem Ergebnis kommt, dass sanctus »sachlich auch vom Neuen Testament her«21 auf den sakramentalen Charakter der Kirche verweist, dann in einer explizit evangelischen Sicht auf die Ekklesiologie. Im Sinne des Katechismus der Katholischen Kirche liegt nun gerade keine Verbindung zwischen sanctus und ihrer Lehre von den Sakramenten vor.22 Auch in seinen Untersuchungen zur Martyrologie nimmt er bewusst Bezug auf katholische Frömmigkeit.23 Unter Verweis, dass er persönlich »den Gedanken von im Himmel bereits wartenden Heiligen nicht teilt«,24 weil seine eigenen eschatologischen Ansichten in 19  Vgl. Öhler, Kirche (s. Anm. 11), 372 f., und z. B. Katechismus der Katholischen Kirche (Lateinische Erstausgabe, 1997 = KKK), 1113 – 1131. 20   Öhlers Bezugnahme auf den Katechismus der Katholischen Kirche in seinen Überlegungen untermauert die Notwendigkeit konfessioneller Überlegungen. 21   Öhler, Kirche (s. Anm. 11), 373. 22   Bemerkenswerterweise argumentiert die Römisch-Katholische Kirche in den letzten Jahrzehnten in ihren offiziellen Verlautbarungen ekklesiologisch selbst häufig nur noch mittels der Taufe und der Eucharistie. Vgl. z. B. DH 5088. 23  Vgl. Öhler, Kirche (s. Anm. 11), 373 – 375, und z. B. KKK 954 – 962. 24   Öhler, a. a. O., 374.

416  Carsten Baumgart eine andere Richtung gehen, räumt er dennoch ein, dass das Neue Testament – v. a. in der Offenbarung des Johannes – Spielraum für jene (römisch-katholische) Vorstellung bereithält.25 Dabei bleibt Öhler stehen. Nun müsste die notwendige hermeneutische Reflexion einsetzen, wie mit dieser Pluralität an Todesvorstellungen umzugehen sei. Man findet im Reichtum des biblischen Schrifttums ganz unterschiedliche Tendenzen von Jenseitsglauben, von der Gottesferne im Tode des Psalmbeters (Ps 6,6; 88,6) über Hoffnungen zur Auferstehung der Toten (1 Kor 15,44) bis hin zum Gedanken an eine unsterbliche Seele (Apk 6,9 – 11). Liegt es nun ferne zu vermuten, dass Öhler in seinem eigenen Fazit letztlich nur der evangelischen Glaubenslehre Rechnung trägt, wenn er aus der Vielzahl biblischer Motivik eine ganzheitliche Auferstehung vertritt?26 Warum fühlt er sich überhaupt an dieser Stelle verpflichtet, seine persönlichen Glaubensüberzeugungen preiszugeben? Würde es den Exeget*innen nicht genügen, einfach den biblischen Befund zu präsentieren und interpretieren? Trotz seiner Einsicht, dass es durchaus neutestamentliche Anknüpfungspunkte für den katholischen Heiligenkult gibt – zwar in bescheidener zahlenmäßiger Begrenzung – spürt man deutlich ein gewisses Unbehagen dabei. Diese Beispiele sollen genügen um aufzuzeigen, dass eine Exegese immer in konfessionell vorgegebenen Denkschemata vollzogen wird. Das müssen sich die Exeget*innen bewusst machen. Gerade eine exegetische Untersuchung zur im Credo bezeugten Kirche kann sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Hans-Peter Großhans durchdenkt den Kirchenbegriff von CA VII herkommend und entwirft ein evangelisches Verständnis von Kirche. Grundlegend bestimmt er ihr Wesen durch den in ihr gewirkten Heilsvollzug.27 Diese Kirche als Gemeinschaft von Glaubenden kann 25

  Vgl. a. a. O., 374 f.   Vgl. z. B. W. Joest/J. von Lüpke, Dogmatik II: Der Weg Gottes mit dem Menschen, Göttingen 52012, 280 – 284. 27  Vgl. Grosshans, Kirche (s. Anm. 4), 399 f. Diese heilswirkende Funktion ist es schließlich auch, die in den Überlegungen von Großhans die ekklesiologischen Bestimmungen der Kirche »Katholizität« und »Heiligkeit«, erweitert um »Einheit« und »Apostolizität« des Nizäno-Konstantinopolitanums, inhaltlich füllt. Die Kirche ist einig, heilig, katholisch und apostolisch, da in ihr durch, »die Gegenwart Jesu Christi als des Erlösers aller Menschen« (a. a. O., 393) Heil gewirkt wird. Auch der von ihm m. E. auch ethisch-normativ zu verstehender Gedanke, dass die Kirche »ein Stück Himmel auf Erden« präsentiert, hat seinen Ausgangspunkt im kirchlichen Grundvollzug des Heilswirkens (a. a. O., 395). 26

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  417

es, so Großhans, nur im Zusammenhang mit der Verkündigung des Evangeliums und der Austeilung der Sakramente geben.28 Damit grenzt er ein Intervall ein, in dem die Kirche im (seiner Ansicht nach) evangelischen Verständnis eine Vielzahl von Erscheinungsformen annehmen kann. Dieser Ansatz ermöglicht ein sehr vielfältiges Bild von Kirche; viele unterschiedliche – möglicherweise alle – Konfessionen und christliche Determinationen gelten dann als Kirche, solange diese das Evangelium verkündigen und die Sakramente verteilen. Bemerkenswerter Weise sind diese ekklesiologischen Bestimmungen sehr nahe bei den Ausführungen, durch welche »kirchliche Gemeinschaften« von der Erklärung der Römisch-Katholischen Glaubenskongregation Dominus Iesus im Jahre 2000 bestimmt worden sind.29 In ihnen gibt es »mehrere Elemente der Heiligung,«30 doch sind sie nicht im Vollsinn Kirche, da sie »das ursprüngliche und vollständige Wesen des eucharistischen Mysteriums nicht bewahren«.31 Auch hier wird die Kirchlichkeit der sogenannten »kirchlichen Gemeinschaften«, zu denen auch die Evangelischen Kirchen gehören, durch ihre »Elemente der Heiligung« bestimmt. Dass diese aus katholischer Perspektive nicht direkt auch als »Kirche« bezeichnet werden können, wird durch das in deren Perspektive falsche Eucharistieverständnis bewirkt.32 Während also neben dem Gedanken zur Heiligung auch der zur Eucharistie substanziellen Charakter für den Kirchenbegriff besitzt, und damit auch bestimmt, welche Determinationen als Kirche gelten können und welche nicht, kommt dem Aspekt der Evangeliumsverkündigung keine ekklesiologische Funktion zu.33 Wie geht man nun mit diesem Ungleichgewicht um? Kann man nach dem evangelischen Kirchenverständnis von Großhans eine katholische Messe als kirchliche Handlung betrachten, obwohl Schriftlesungen und die Predigt nur eine begrenzte Rolle darin einnehmen?34 Es müsste ge28

  Vgl. a. a. O., 387.   DH 5088. 30   Lumen Gentium 8 in der Übersetzung von Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium (s. Anm. 17), 131. 31   DH 5088. 32   Dies liegt auch am katholischen Amtsverständnis, für welches die apostolische Sukzession unerlässlich ist. Vgl. z. B. DH 5088. 33   Diese findet sich stattdessen eingebettet in die katholische Ämterlehre und wird maßgeblich als Aufgabe der Bischöfe gesehen. Vgl. z. B. DH 4149. 34   Vgl. z. B. E. Ballhorn, Die Bibel in der Liturgie der Gemeinden. Erfahrungen mit dem Hunger nach dem Wort und der Sehnsucht nach dem Sattwerden, in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Hildesheim, 29

418  Carsten Baumgart nauer erklärt werden, was Verkündigung des Evangeliums und das Austeilen der Sakramente konkret bedeuten. In CA VII wurde durch Melanchthon nicht umsonst zweimal adverbial das Wörtchen recte in die Bestimmungen eingefügt.35 Kirche ist demnach nur dann wahrhaft Kirche, wenn das Evangelium recht verkündigt und die Sakramente recht verwaltet werden, im Sinne von Großhans also nur dann, wenn diese auch Heil wirken. Dadurch wird m. E. die im Ansatz recht weite ekklesiologische Bestimmung in der Konsequenz doch ziemlich eng. Weil in einem zweiten Schritt geklärt werden müsste, wie Heil gewirkt wird. Und spätestens da fangen die Geister an zu streiten! Wenn Großhans anmerkt, dass in den verschiedenen Gottesdiensten der unterschiedlichsten Konfessionen und Determinationen das Heilsgeschehen je unterschiedliche Gestaltung erhält,36 so liegt m. E. auch die Schlussfolgerung nahe, dass dadurch das Verständnis des Heils je unterschiedlich bestimmt wird. Die von ihm zu recht bemerkten Unterschiede betreffen nicht nur die Form der Darstellung, sondern auch deren Inhalte. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob Heil allein aus Gottes Gnade geschieht, oder ob den Menschen Möglichkeiten zur Mitwirkung zugesprochen werden. Nach evangelischer Sicht kann Kirche nur wahrhaft Kirche sein, falls das Evangelium im zuerst genannten Sinne verkündet wird. Besteht der wesentliche Charakter der Kirche in ihrer heilswirkenden Funktion, dann wäre sie nicht mehr Kirche, wenn kein Heil mehr bewirkt würde. Und nach der Überzeugung der Reformatoren geschieht dies sola gratia, wie es durch CA IV formuliert wird.37 Weil in der Frage nach dem Wirken zum Heil die kirchlichen Konfessionen und Determinationen alle unterschiedliche Antworten geben – selbst wenn diese sich lediglich in Nuancen unterscheiden – die auch in den Gottesdiensten zu merken sind, ist die pluralistische Bestimmung der Ekklesiologie von Großhans mittels dieses kirchlichen Vollzugs schwierig.

Köln und Osnabrück 71 (2019), 131 – 136. Wäre es aber nicht ein verkürztes Verständnis von Evangeliumsverkündigung, dieses einzig am Schriftgebrauch zu messen? Ist es nicht möglich, dass gerade die katholische Verkündigung andere Wege aufzeigt als durch die Bibel allein? Steckt in der katholischen Hochschätzung der Eucharistie nicht genau die Einsicht, dass das Evangelium durch Zeichen, Taten und Schmecken viel deutlicher in unsere Wirklichkeit eintritt als durch den toten Buchstaben (2 Kor 3,6)? 35  Vgl. BSELK 103. 36  Vgl. Grosshans, Kirche (s. Anm. 4), 389 f. 37  Vgl. BSELK 98 f.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  419

Dennoch wurde ein wesentlicher Wahrheitsgehalt damit zum Ausdruck gebracht: Die christliche Frage nach dem Heil als solchem! Wie auch immer dieser Sachverhalt unter den verschiedenen Konfessionen geklärt wird, so steht doch eins fest, es handelt sich dabei um eine explizit christliche Frage!38 Ich möchte noch einen weiteren Gedanken ins Spiel bringen – und zwar den der »Wahrheit«.39 Zwar ist diese Response für eine umfassende Erörterung des Wahrheitsbegriffes aus exegetischer, historischer, philosophischer oder systematisch-theologischer Perspektive nicht der passende Ort; dennoch ist es bemerkenswert, wie dieser mit der christlichen Verkündigung in Bezug gesetzt wird.40 Dadurch wird deutlich, dass eine wie auch immer geartete christliche Wahrheit, wenn man diesen Terminus überhaupt so bilden mag, nicht ausschließlich und hinreichend durch Geschriebenes – wie z. B. ein altkirchliches Glaubensbekenntnis oder einen Kanon heiliger Schriften – legitimiert wird, sondern stets auch an der aktiven Verkündigung seinen Anspruch zu überprüfen hat. Dabei kann die Verkündigung dieser Wahrheit nie losgelöst von den Texten des Alten und Neuen Testaments sowie den kirchlichen Bekenntnissen sein, doch darf sie im Vollzug nicht bei ihnen stehen bleiben, um als Wahrheit gelten zu können. Dies wahrzunehmen, ernst zu nehmen und entsprechende Lösungen zu diskutieren, die sowohl den vielfältigen christlichen Traditionen als auch den je ganz konkreten zeitlichen, geographischen 38   Vgl. z. B. C. H. Grundmann, Heil II. Religionswissenschaftlich, RGG4 3 (2000), 1523 f. Die Kategorie des (zu erwartenden) Heils ist letztlich nur für christliche Religiosität maßgeblich. Inwieweit nach Grundmann z. B. der Exodus im jüdischen Sinne tatsächlich als Heilsgeschehen gewertet werden kann, wäre weiter zu diskutieren. Es handelt es sich dabei um bereits Geschehenes, während in christlicher Religiosität Vergangenes und künftige Heilshoffnung dialektisch aufeinander bezogen sind und nebeneinanderstehen. Auch Schmidt-Leukel, Gott (s. Anm. 16), 252, stellt fest, dass »[i]n der Beurteilung der Heilsansprüche anderer Religionen  […] eine christliche Religionsphilosophie von den Eckpfeilern eines christlichen Heilsverständnisses ausgehen« muss. 39   Dabei folge ich dem Vorschlag der Organisator*innen der Tagung, die diesem Band vorausging. Sie gaben den Vorträgen von Öhler und Großhans den Titel »Von der Verkündigung der Wahrheit im Auftrag des Geistes«. 40  Vgl. dazu die Überlegungen von Grosshans, Kirche (s. Anm. 4), 404 – 410, der folgerichtig aus seinem Ansatz der heilswirkenden Funktion der Kirche diese selbst – im Sinne des Credos – zum Glaubensgegenstand erhebt. Wobei ihm wichtig ist anzumerken, dass diese anders geglaubt wird als der dreieinige Gott.

420  Carsten Baumgart und soziokulturellen Anforderungen gerecht werden, ist m. E. eine maßgebliche, wenn nicht die maßgebliche Aufgabe akademischer Theologie, die gerade in interdisziplinären Thematiken, immer wieder offen zutage tritt.41 Gerade eine Durchsicht des Glaubenssatzes »…  eine heilige, christliche Kirche, die Gemeine der Heiligen  …« aus exegetischer und systematisch-theologischer Perspektive und die daraus von Markus Öhler und Hans-Peter Großhans gewonnenen Erkenntnisse für eine (evangelische) Ekklesiologie mögen dazu einzelne Aspekte aufgeworfen haben.

41   Vgl. z. B. A. Käfer, Glauben bekennen, Glauben verstehen. Eine systematisch-theologische Studie zum Apostolikum (Theologische Studien 9), Zürich 2014, 75: »Die Vermittlungsaufgabe, die der Kirche aufgetragen ist, kann geradezu als Vermittlungsbarriere erscheinen. Denn sowohl Nachlässigkeit in der Vermittlungstätigkeit von Seiten der Kirche wie auch eine raum-zeitlich bedingte Unmöglichkeit mit ihrer Verkündigung in Kontakt zu kommen, können einem Heiligwerden des Menschen im Wege stehen.« Da die Wahrheit der Verkündigung ohne die Heiligung der Menschen keine (geglaubte) Wahrheit wäre, kommt der kirchlichen Tätigkeit des Predigtamtes (CA V) eine maßgeblich entscheidende Rolle zu.

Weiterführende Fragen  421

Weiterführende Fragen 1. Wie verhält sich das Bekenntnis der »allgemeinen« (katholischen) Kirche zur Partikularität der unterschiedlichen Denominationen oder auch zur Fokussierung vieler konkreter Gemeinden auf spezifische Kulturen, Milieus, Altersgruppen oder Musikstile? 2. Wie kann die Angemessenheit der jeweiligen Formen der Verkündigung, der gottesdienstlichen Feier und der gemeindlichen Organisationsgestalt bestimmt werden? Wie sind Institutionalisierung und feste kirchliche Organisationsstrukturen mit der Freiheit des Geistes vereinbar? 3. Wie kann die kirchliche Gemeinschaft dafür Sorge tragen, dass die Wahrheit des Christuszeugnisses weitergegeben wird? Welche Rolle spielt hierbei der Umgang mit der Heiligen Schrift und mit Bekenntnissen? 4. Wie lassen sich liturgische Performanz und die theologische Ausbildung zum kirchlichen Dienst am besten mit dem unverfügbaren Wirken des Geistes verbinden?

VI.  »… Vergebung der Sünden …« Von der Befreiung zum Leben Indem der Heilige Geist Glauben wirkt, gewährt er auch die Vergebung der Sünden, und zwar derart, dass er die in Christus geschehene Erlösung dem einzelnen Menschen als für ihn geschehen zu erkennen gibt. Dadurch, dass der dritte Artikel den Plural Sünden verwendet, hat er die manifesten Tatsünden im Blick, die der Sündhaftigkeit des Menschen entstammen. Diese Sündhaftigkeit besteht nach paulinischer (Röm 6,23; 7,7 – 20; 1 Kor 15,56) und johanneischer (Joh 16,8 – 9; 8,21.34) Einsicht in der Nichtbezogenheit des Menschen auf Gott. Diese aber lässt sich keineswegs an einzelnen Taten ablesen. Vielmehr vermag allein der Einzelne selbst im Glauben vor Gott wahrzunehmen, dass und wie sein eigenes Leben, sein Denken und Tun bedingt ist durch ein verhängnisvolles Verstricktsein in sündhafte Selbstbezogenheit und getrieben von der vergeblichen Anstrengung, sich selbst Lebenssinn schaffen zu wollen. Die Befreiung aus dieser Ausweglosigkeit kann der Mensch nicht aus sich selbst wirken, sie kann allein zugesprochen, von Gott gewirkt und als Vergebung im Glauben angenommen werden. Auf diese Weise geschieht Befreiung zu neuen Lebensmöglichkeiten in und mit Christus.

»Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48) Die Vergebung der Sünden im Neuen Testament unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Doppelwerks und des Matthäusevangeliums Matthias Konradt

1.  Ein weites Feld: Die Vergebung der Sünden im Lichte neutestamentlicher Schriften Mag die Verortung des Glaubens an die Vergebung der Sünden im dritten Artikel insofern schlüssig sein, als in trinitätstheologischer Perspektive erst durch das Wirken des Geistes aus einer theologischen Überzeugung über die Bereitschaft Gottes, Sünden zu vergeben, und über deren Manifestation im Christusgeschehen eine dem Glaubenden geltende Heilserfahrung wird,1 so ist zugleich evident, dass biblisch-theologisch betrachtet von der Vergebung der Sünden im Grunde in allen drei Artikeln des Credos die Rede sein könnte. Ihre Grundvoraussetzung ist theo-logisch, wie angedeutet, eben die Vorstellung, dass Gott, mit den berühmten Prädikaten aus Ex 34,6 gesprochen, »barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Gnade« ist, daher, wie Ezechiel notiert, nicht den Tod des Gottlosen, sondern dessen Umkehr will (Ez 18,23) und entsprechend darauf aus ist, Menschen ihre Verfehlungen zu vergeben, wie der Prophet Micha in kräftigen Metaphern verkündet: »Wer ist ein Gott wie du, der Schuld vergibt und hinwegschreitet über Vergehen für den Rest seines Erbbesitzes? Nicht für immer hält er fest an seinem Zorn, denn er hat Gefallen an Gnade! Er wird sich wieder über uns erbarmen, unsere Schuld wird er niedertreten. Und in die Tiefen des Meeres wirst du all ihre Sünden werfen« (Mi 7,18 f.).2 Jesus hat diesen Aspekt, wie im Folgenden 1   Vgl. K. Scheiber, Vergebung. Eine systematisch-theologische Untersuchung (RPT 21), Tübingen 2006, 75 – 78. 2  Für einen Überblick zu Sühne und Vergebung im Alten Testament s. R. Feldmeier/H. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 22017, 309 – 320; H. D.  Preuss, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2: Israels Weg mit JHWH, Stuttgart u. a. 1992, 190 – 198.

426  Matthias Konradt noch näher zu entfalten sein wird, ins Zentrum seines Gottesbildes gestellt. Christologisch ist nicht nur die soteriologische Deutung des Todes Jesu in den ersten Gemeinden anzusprechen, sondern auch, dass schon dem irdischen Jesus das Selbstverständnis zugeschrieben wird, Vollmacht zu besitzen, den Menschen die Vergebung Gottes wirkmächtig zuzusprechen bzw. in der konkreten Zuwendung zu Sündern lebensweltlich erfahrbar werden zu lassen. Die pneumatologische Dimension findet einen substantiellen konkreten Anknüpfungspunkt unter anderem in der nachösterlichen Aussendung der Jünger durch den Auferstandenen im Lukas- wie im Johannesevangelium, da beide Evangelisten die Beauftragung, Sünden zu vergeben (Joh 20,22 f.) bzw. Vergebung der Sünden zu verkündigen (Lk 24,47 – 49), mit dem Empfang des Geistes verknüpfen. Im Credo geht der Erwähnung der Vergebung der Sünden die Rede von der heiligen christlichen Kirche und der Gemeinschaft der Heiligen voran. Sofern Letzteres im Sinne der Gemeinschaft der sancti (und nicht der Teilhabe an den sancta) zu verstehen ist und im Duktus des Bekenntnisses ein Konnex zwischen Gemeinde und Sündenvergebung insinuiert werden soll, wäre dieser durchaus dem neutestamentlichen Befund gemäß. Denn die Vergebung der Sünden besitzt im Neuen Testament auch eine ekklesiologische Dimension wie dann auch eine ethische. Es ist ein Kennzeichen der Gemeinde, dass in ihr Vergebung der Sünden durch Gott zugesprochen3 und zugleich auch zwischenmenschlich geübt wird. Das schließt ein, dass der Glaube an die Vergebung der Sünden nicht allein in der festen Zuversicht aufgeht, dass mir meine Sünden vergeben sind, sondern auch umfasst, dass Gott meinen Mitmenschen gnädig ist und ihre Sünden vergibt. In den neutestamentlichen Texten tritt daher geradezu als eine Art cantus firmus immer wieder der Konnex zwischen selbst von Gott erfahrener Vergebung auf der einen Seite und dem Auftrag, sich den Verlorenen oder Verirrten zuzuwenden und sie im Lichte des Heilswillens Gottes zu sehen, auf der anderen hervor. 3   Karin Scheiber profiliert dieses Moment auf der Basis der von Paulus ausgehenden Konzeption der Kirche als Leib Christi mit Christus als »Aktzentrum«: »[W]enn die Kirche als Leib Christi und Christus als das ›Aktzentrum‹ seiner Kirche gedacht werden, dann ist es geradezu unausweichlich, von der Vollmacht der Kirche zur Sündenvergebung zu sprechen, wenn denn Sündenvergebung nicht eine bloß historische Größe ist, sondern aktuelle, gegenwärtig sich vollziehende und gültige Wirklichkeit« (Scheiber, Vergebung [s. Anm. 1], 98).

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Überblickt man die neutestamentlichen Schriften bzw. Corpora im Einzelnen, zeigt sich schnell das die verschiedenen frühchristlichen Strömungen übergreifende große Gewicht, das dem Thema der Vergebung der Sünden theologisch und christologisch wie dann eben auch ekklesiologisch und ethisch zukommt. Zu beobachten ist zugleich, dass die Vergebung nicht nur im Detail durchaus facettenreich behandelt wird. Im Blick auf die Paulusbriefe gibt zwar der Konkordanzbefund zu erkennen, dass ἄφεσις und ἀφίημι »nicht zur theologischen Sprache des Paulus gehören«,4 doch bedeutet dies keineswegs, dass die Überwindung der Sünde nicht ein bedeutsames Thema paulinischer Theologie ist, wie insbesondere der Römerbrief5 deutlich macht. Kennzeichnend für Paulus ist in diesem Zusammenhang die christologische Konzentration auf den Heilstod Christi, dessen Sterben »für uns«6 bzw. »für unsere Sünden«7 nicht nur in vielfältiger Metaphorik8 – vom Loskauf9 über Versöhnung10 bis hin zur (stellvertretenden) Sühne11  – ausgedeutet und in das Zentrum

4  H. Frankemölle, Vergebung der Sünden III, TRE 34 (2002), 668 – 677 (669). 5   In keinem anderen Paulusbrief ist so häufig und so dicht von Sünde die Rede wie im Röm mit seinen nicht weniger als 48 Belegen. In allen übrigen echten Paulinen zusammen kommen nur noch elf Belege hinzu, und zwar im 1 Kor nur in Kap. 15 (V.3. 17. 56[2x]), ferner 2 Kor 5,21(2x); 11,7; Gal 1,4; 2,17; 3,22, im 1 Thess nur in 2,16; im Phil und Phlm fehlt ἁμαρτία (ἁμάρτημα nur in Röm 3,25; 1 Kor 6,18). Auch ἁμαρτωλός kommt bei Paulus am häufigsten im Röm vor (Röm 3,7; 5,8.19; 7,13), ansonsten nur noch Gal 2,15.17. ἁμαρτάνω begegnet jeweils siebenmal im Röm (Röm 2,12[2x]; Röm 3,23; 5,12. 14. 16; 6,15) und im 1 Kor (1 Kor 6,18; 7,28[2x].36; 8,12[2x]; 15,34). Summiert man, entfallen von den insgesamt 81 Belegen von ἁμαρτ- 60 auf den Röm, 12 auf den 1 Kor, 5 auf den Gal, 3 auf den 2 Kor und einer auf den 1 Thess. 6   Röm 5,6 – 8; 2 Kor 5,14; Gal 2,20; 1 Thess 5,10, s. ferner Röm 14,15; 1 Kor 8,11. 7   Röm 4,25; 1 Kor 15,3; Gal 1,4. 8   Für einen konzisen Überblick über die vielfältigen metaphorischen Paradigmen in der Rede von Sünde und Vergebung im Neuen Testament im Ganzen s. H.-J. Klauck, Heil ohne Heilung? Zu Metaphorik und Hermeneutik der Rede von Sünde und Vergebung im Neuen Testament, in: H. Frankemölle (Hg.), Sünde und Erlösung im Neuen Testament (QD 161), Freiburg i. Br. u. a. 1996, 18 – 52. 9   1 Kor 6,19 f.; 7,23; Gal 3,13; 4,5, s. ferner 1 Kor 1,30. 10   Röm 5,10 f.; 2 Kor 5,18 – 21. 11   Röm 3,24 – 26; 1 Kor 5,7; 2 Kor 5,21.

428  Matthias Konradt seiner Rechtfertigungsbotschaft gerückt wird,12 sondern zugleich auch im Horizont des Sarx-Pneuma-Dualismus (s. bes. Röm 7 f.; Gal 3,1 – 5; 4,29; 5,16 – 6,10) und infolge der Aufladung der Sünde zu einer Macht, die den sarkischen Menschen in dem heillosen Zustand dauernden Scheiterns an seinem an sich guten Willen gefangen hält (s. v. a. Röm 7,7 – 25), als eine epochale Zäsur zu verstehen gegeben wird: Vergebung der Sünden erscheint als im Heilstod Christi begründete Befreiung aus dem Machtbereich der Sünde und Befreiung zu einem Leben in der Kraft des Geistes. Im Blick auf die Rede von der Rechtfertigung lässt sich die Schnittmenge mit der Vergebung der Sünden gut durch die exegetische Argumentation zur Rechtfertigung Abrahams in Röm 4,1 – 8 illustrieren, in der sich die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit (Gen 15,6) und die Nicht-Anrechnung der Sünde (Ps 31,1 f.[LXX]) wechselseitig interpretieren (Röm 4,3.7 f.). Ist das Zitat von Ps 31,1 f.(LXX) in Röm 4,7 f. der einzige Beleg für den Gebrauch des Verbs »vergeben (ἀφίημι)« im Kontext der Rede von der Vergebung der Sünden in den echten Paulinen, so begegnet das Syntagma »Vergebung der Sünden« indes schon im Kolosserbrief zur Erläuterung der »Erlösung (ἀπολύτρωσις)«13 in Christus (Kol 1,14, vgl. Eph 1,7). Zugleich vertieft der Kolosserbrief die soteriologische Deutung des Todes Jesu, indem er ihre Breitenwirkung kosmisch dimensioniert (Kol 1,19 f.), ohne damit die persönliche Applikation auf die Lebenswende der Glaubenden zu übergehen (Kol 2,13 – 15). Mit der Deutung, dass die Adressaten vor ihrer Bekehrung »tot« waren in ihren Übertretungen (Kol 2,13, vgl. Eph 2,1.5), nimmt der Autor einen Topos frühjüdischer Konversionsdeutung auf;14 den Glaubenden jedoch wurden ihre Übertretungen vergeben, der Schuldbrief wurde getilgt und ans Kreuz geheftet (Kol 2,13b – 14), was ethisch gewendet zur Verpflichtung wird, einander zu vergeben: »Wie der Herr euch vergeben hat, so auch ihr (καθὼς καὶ ὁ κύριος ἐχαρίσατο ὑμῖν, οὕτως καὶ ὑμεῖς)!« (Kol 3,13). Die Formulierung in Kol 3,13 fällt insofern auf, als sie – sieht man von der dem irdischen Jesus in den 12   S. besonders Röm 5,9 (δικαιωθέντες νῦν ἐν τῷ αἵματι αὐτοῦ) sowie Röm 3,24 – 26. 13   Zur Rede von der »Erlösung (ἀπολύτρωσις)« bei Paulus s. Röm 3,24; (8,23;) 1 Kor 1,30. 14  Vgl. JosAs 8,5.9; 12,1 f.; 15,5; 20,7; 27,10; Philo, Migr 122 sowie das Motiv, dass tugendlose Menschen schon Tote sind (z. B. Philo, LegAll 1,105 – 108; 2,77 f.; Fug 55 – 58). S. dazu M. Konradt, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption (StUNT 22), Göttingen 1998, 52 – 56.

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Evangelien zugeschriebenen Vollmacht, Sünden vergeben zu können (Mk 2,5.10 parr; Lk 7,48 f.), ab – eine Ausnahme bildet zu der Regel, dass die soteriologische Deutung des Todes Jesu in den neutestamentlichen Schriften nicht damit einhergeht, dass Jesus in Aussagen zur Vergebung der Sünden zum Subjekt wird. Erst bei den Apostolischen Vätern finden sich etwas häufiger Aussagen zur Sündenvergebung mit Christus als Subjekt, namentlich bei Ignatius (Phld 8,1), im Hirten des Hermas (Mand 5,1,7; Sim 5,6,2 f.) und im Polykarpbrief (Phil 6,2).15 Hingegen wird Kol 3,13 in der Rezeption durch den Epheserbrief im Sinne der Standardvorstellung abgewandelt: »Vergebt einander, so wie auch Gott in Christus euch vergeben hat!« (Eph 4,32). Der Hebräerbrief erweitert die Rede vom durch den Tod Jesu gewirkten Heil, das schon im Exordium (Hebr 1,1 – 4) in kultmetaphorischer Nomenklatur als »Reinigung von den Sünden« (Hebr 1,3, vgl. 9,14) zur Sprache gebracht wird, um die spekulative Ausdeutung der Rolle Christi als himmlischer Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks (Hebr 2,17; 4,14 – 10,18), der »die Sünden des Volkes sühnt« (Hebr 2,17), »das heißt: den durch Sünde unterbrochenen Lebensstrom zwischen Gott und seinem Volk wiederherstellt, die Trennung des Menschen von Gott aufhebt.«16 Dass es zur Begründung des Heils des Lebenseinsatzes Jesu bedurfte, sucht der Verfasser des Briefes in Hebr 9,22 dadurch zu belegen, dass er als – aus den alttestamentlichen Kultbestimmungen gewonnenen – Grundsatz vorbringt, Vergebung geschehe nicht ohne Blutvergießen.17 Zugleich ist nun, da die Vergebung der Sünden durch Jesu Tod ein für alle Mal gewirkt wurde, kein weiteres Opfer für die Sünde mehr nötig (Hebr 10,18). Verbindet sich im Hebräerbrief mit der hohepriesterlichen Christologie das Bestreben, die Größe des in Christus zugänglichen Heils im Gegenüber zum Alten Bund zu profilieren (Hebr 7,4 – 10,18, vgl. auch Hebr 2,2 f.; 3,3 – 6), so endet der Autor dabei allerdings in dem Problem, dass die Zurückweisung eines so großen Heils umso tiefer ins Verderben stürzt (Hebr 2,3; 10,26 – 31; 12,18 – 29) und eine zweite Buße ausgeschlossen wird (Hebr 6,4 – 6). 15   S. dazu T. Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins. An Aspect of His Prophetic Mission (MSSNTS 150), Cambridge 2011, 110 f.130 f. 16  K. Backhaus, Der Hebräerbrief (RNT), Regensburg 2009, 131. 17   Zur Verhältnis von alttestamentlichen Kultbestimmungen und der Deutung des Todes Jesu im Blick auf die »Blutregel« von Hebr 9,22 s. exemplarisch E. Grässer, An die Hebräer, 2. Teilbd.: Hebr 7,1 – 10,18 (EKK XVII / 2), Zürich u. a. 1993, 185 f.

430  Matthias Konradt Das große Gewicht der Vergebungsthematik zeigt sich nun ferner nicht nur im Corpus Paulinum und im Hebräerbrief, sondern tritt auch in anderen frühchristlichen Strömungen zutage. Das Johannesevangelium präsentiert Jesus mit Worten des Täufers gleich zu Beginn als Gottes Lamm, das – stellvertretend – die Sünde der gottfeindlichen Welt (hinweg)trägt (Joh 1,29, vgl. 1 Joh 3,5), und spannt damit programmatisch den soteriologischen Horizont der Menschwerdung des Logos (Joh 1,14) auf. Schwingt in Joh 1,29 ein Bezug auf das Passalamm mit,18 lässt sich dies damit verbinden, dass Johannes Jesu Tod am Rüsttag vor dem Passafest geschehen lässt (Joh 19,14, vgl. Joh 18,28), an dem die Passalämmer geschlachtet werden. Mit dem Singular in Joh 1,29 wird die Sünde der Welt als eine Einheit begriffen, die Metapher des Wegtragens lässt die Vorstellung der Sünde als Last assoziieren. »Der Welt wird die sie erdrückende Last der Sünde genommen. Es geht nicht um eine immer wieder notwendige Vergebung einzelner Vergehen, sondern um die Totalität der Sünde, deren Macht einmalig und für immer am Kreuz gebrochen wird.«19 Zur Präsentation Jesu als Gottes Lamm, das die Sünde der Welt trägt, tritt in Joh 1,29 – 34 hinzu, dass er als der mit dem Geist Erfüllte charakterisiert wird, der den Geist weitergibt, der »mit dem Heiligen Geist tauft« (Joh 1,33): »Wenn Jesus die Sünde hinwegnimmt, so geschieht dies in Verbindung damit, daß er den Menschen hineinnimmt in den Bereich (den ›Lebensraum‹, die ›Atmosphäre‹) des Geistes und damit in eine neue Beziehung zu Gott.«20 Der in Joh 1,29 – 34 angelegte Zusammenhang von Geist und Sündenvergebung bestimmt dann auch, wie eingangs erwähnt, das Sendungswort in Joh 20,21 – 23: Die vom Auferweckten vermittelte Gabe des Geistes wird mit der Bevollmächtigung der Jünger zur Vergebung der Sünden verknüpft. Als den Ge18   Zur Deutung des Bildwortes in Joh 1,29.36 auf das Passalamm s. z. B. T. Knöppler, Die theologia crucis des Johannesevangeliums. Das Verständnis des Todes Jesu im Rahmen der johanneischen Inkarnations- und Erhöhungschristologie (WMANT 69), Neukirchen-Vluyn 1994, 84 – 88; R. Metzner, Das Verständnis der Sünde im Johannesevangelium (WUNT 122), Tübingen 2000, 129 – 132.143 – 156. Ablehnend z. B. M.  Hasitschka, Befreiung von Sünde nach dem Johannesevangelium. Eine bibeltheologische Untersuchung (IThS 27), Innsbruck u. a. 1989, 61 – 74. Für eine Übersicht über die mannigfaltigen Deutungsoptionen s. a. a. O., 54 – 109. Es besteht dabei keinerlei Notwendigkeit, das Bild vom Lamm Gottes auf einen Sinnaspekt festzulegen. So schließt die Deutung auf das Passalamm nicht aus, dass z. B. auch eine Anspielung auf Jes 53,7 mitzuhören ist. 19   Metzner, Verständnis (s. Anm. 18), 129. 20   Hasitschka, Befreiung (s. Anm. 18), 42.

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sandten des Gesandten (Joh 20,21) ist den Jüngern aufgetragen, das Heilswirken Jesu zu vermitteln, indem sie den Menschen vollmächtig Vergebung der Sünden zusprechen. Johannes stellt also nicht nur das Hinwegnehmen der Sünde als Vorzeichen vor das Wirken Jesu (Joh 1,29), sondern sieht auf der Basis des Heilswirkens Jesu zugleich die Aufgabe der Jünger zentral in der Vermittlung der Vergebung der Sünden. Analog zu den Worten Jesu, dass der, der nicht an ihn glaubt, in seinen Sünden stirbt (Joh 8,21.24, vgl. auch Joh 9,41; 16,8 f.), gehört zu dieser Vollmacht der Jünger als Kehrseite indes auch, die Sünden »festzuhalten«, wenn Menschen (der Botschaft von) Jesus keinen Glauben schenken. Der Verfasser des 1. Johannesbriefes deutet Jesu Lebenshingabe als Reinigung von aller Sünde (1 Joh 1,7); Jesus ist die »Sühne für unsere Sünden, nicht nur für die unsrigen allein, sondern auch für die [der] ganze[n] Welt« (1 Joh 2,2). Nach 1 Joh 4,10 dokumentiert sich Gottes Liebe in der Sendung seines Sohnes »als Sühne für unsere Sünden«. 1 Joh 1,8.10 unterstreicht dabei die Notwendigkeit des Christusgeschehens: Menschen sind Sünder und als solche darauf angewiesen, dass Gott ihnen vergibt (1 Joh 1,9, vgl. 1Joh 2,12).21 Das gilt, wie 1 Joh 2,1b zu erkennen gibt, bleibend auch für die Glaubenden. Denn auch unter ihnen kommt es noch zu Sünden (s. aber andererseits die These der Sündlosigkeit in 1 Joh 3,6.9; 5,1822), aber sie haben »einen Fürsprecher (παράκλητον) bei dem Vater, Jesus Christus«. In den synoptischen Evangelien kommen mit den Erzählungen von der Zuwendung Jesu zu Sündern (z. B. Mk 2,13 – 17; Lk 7,36 – 50; 19,1 – 10), der Jesus, wie erwähnt, schon während seines irdischen Wirkens zugeschriebenen Vollmacht, Sündern vergeben zu können (Mk 2,5.10 parr; Lk 7,48 f.), sowie mit anschaulich über die Vergebung reflektierenden Gleichnissen (z. B. Mt 18,21 – 35; Lk 7,41 – 43; 15,11 – 32) bedeutende weitere Facetten hinzu. In historischer Hinsicht zeigen die Texte, dass die zentrale Bedeutung der Vergebungsthematik im Neuen Testament ihre Wurzeln im Wirken Jesu selber hat; die nachösterliche Überlieferung hat zwar ausgestaltet, aber die

21   Zu Gott als Subjekt in der Apodosis in 1 Joh 1,9 s. exemplarisch H.J. Klauck, Der erste Johannesbrief (EKK XXIII / 1), Zürich u. a. 1991, 96 f. 22  Für einen Überblick über Optionen der Deutung der Spannung s. a. a. O., 195 – 198 – mit dem treffenden Schlusspunkt: »Auch christliches Leben ist nicht widerspruchsfrei und spannungsfrei. In diesem Widerspruch spiegelt sich nichts anderes als die Widersprüchlichkeit christlichen Seins« (198).

432  Matthias Konradt Vergebungsthematik nicht erst sekundär eingeführt.23 Unter den Evangelisten sticht Lukas mit seiner breiten Rezeption und Ausgestaltung der Thematik in seiner Jesuserzählung – und ihrer Weiterführung in der Apostelgeschichte – noch einmal hervor. Insbesondere kommt das Syntagma »Vergebung der Sünden (ἄφεσις ἁμαρτιῶν)« im lukanischen Doppelwerk so häufig vor wie in keinem anderen Textbereich. Zur exemplarischen Vertiefung soll daher im Folgenden das Lukasevangelium  – unter Einbezug der Apostelgeschichte  – näher analysiert werden. Am Ende ziehe ich noch knapp das Matthäusevangelium hinzu. Matthäus bietet nicht nur zum angesprochenen Konnex zwischen Gemeinde und Sündenvergebung besonders kräftige Anknüpfungspunkte, da bei ihm ekklesiologische und ethische Aspekte in den Vordergrund drängen, sondern akzentuiert zugleich christologisch anders als Lukas, sodass das erste Evangelium auch in dieser Hinsicht als eine sinnvolle Ergänzung zum Befund im lukanischen Doppelwerk erscheint.

2.  Die Barmherzigkeit Gottes und die Vergebung der Sünden im lukanischen Doppelwerk Lukas hat die Vergebung der Sünden zu einem Leitmotiv seines Doppelwerks gemacht. Der Sinn des Wirkens Jesu wird darin erkannt, das Verlorene zu suchen, Sünder auf den Weg der Umkehr zu führen und durch die Vergebung der Sünden ein neues Leben coram 23   Zur – im Detail schwierigen – Frage der Rückführung der Vergebungsthematik auf das irdische Wirken Jesu unter Konzentration auf die Frage, ob Jesus den Anspruch erhoben hat, Vergebung der Sünden zusprechen zu können (Mk 2,5), s. ausführlich Hägerland, Jesus (s. Anm. 15), der zu einer positiven Antwort gelangt. S. ferner z. B. M. Kreplin, Das Selbstverständnis Jesu. Hermeneutische und christologische Reflexion. Historisch-kritische Analyse (WUNT II.141), Tübingen 2001, 216 – 218, gegen die Historizität dagegen P. Fiedler, Sünde und Sündenvergebung in der Jesustradition, in: H. Frankemölle, Sünde (s. Anm. 8), 76 – 91 (86 – 88). M. E. ist das Vergebungswort in Mk 2,5 als eine historisch im Kern zuverlässige Reminiszenz zu beurteilen (s. M. Konradt, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen Jesus eine Gestalt »vorösterlicher Christologie« dar?, in: ZThK 107 [2010], 139 – 166 [152 – 154]). Sehr – und m. E. zu – weitgehend in der positiven Beurteilung der Auswertbarkeit der synoptischen Überlieferung für den historischen Jesus ist C.-H. Sung, Vergebung der Sünden. Jesu Praxis der Sündenvergebung nach den Synoptikern und ihre Voraussetzungen im Alten Testament und frühen Judentum (WUNT II.57), Tübingen 1993, 184 – 284.

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Deo zu begründen, das zugleich neue zwischenmenschliche Gemeinschaft erschließt. Im Gottesbild korrespondiert dem das Hervortreten der Barmherzigkeit Gottes als zentraler theologischer Aussage (Lk 6,36),24 der die Freude Gottes über die, die sich haben finden lassen, zur Seite tritt (Lk 15). Ihre grundlegende Deutungsperspektive erhalten die im lukanischen Doppelwerk erzählten Ereignisse (πράγματα, Lk 1,1) bereits durch die in die Kindheitsgeschichte eingeflochtenen Hymnen, wird hier doch zum einen das anhebende Geschehen im Erbarmen des seinem Bund treuen Gottes verankert (Lk 1,54 f.72 f.78) und zum anderen die Aufgabe Johannes des Täufers, der nach Lk 3,3 die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden verkündigte, schon im Benedictus in die Worte gefasst, dem Gottesvolk Erkenntnis des Heils in der Vergebung ihrer Sünden zu geben (Lk 1,77). Diesen Signalen im Prolog des Evangeliums korrespondiert, dass Lukas die Thematik der Vergebung der Sünden sogleich in der von ihm in Lk 4,14 – 30 eigenständig ausgestalteten Eröffnung des Wirkens Jesu zur Geltung bringt. An die Stelle der markinischen Zusammenfassung der Verkündigung Jesu mit den Worten: »Erfüllt ist die Zeit, und nahe gekommen ist das Reich Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!« (Mk 1,15), tritt bei Lukas die summarische Notiz über die vielbeachtete Lehre Jesu in den Synagogen, die dann durch das Auftreten Jesu in der Synagoge in seiner Heimatstadt Nazareth programmatisch exemplifiziert wird. Über die Jesus aufgetragene Prophetenlesung aus Jes 61, deren Botschaft Jesus als »heute vor euren Ohren erfüllt« ausweist (Lk 4,21), führt Lukas dabei für ihn zentrale Aspekte des Wirkens Jesu ein. Jesus erscheint als der Geistgesalbte, als der ganz und gar vom Geist Ergriffene und in der Kraft des Geistes Handelnde,25 dessen Sendung unter anderem darauf zielt, Gefangenen Freilassung zu verkünden: κηρύξαι αἰχμαλώτοις ἄφεσιν (Lk 4,18). Angesichts des Befundes, dass das Wort ἄφεσις im lukanischen Doppelwerk mit zehn Belegen 24   Zur Barmherzigkeit als Grundlage der Sündenvergebung bei Lukas vgl. T. Jantsch, Jesus, der Retter. Die Soteriologie des lukanischen Doppelwerks (WUNT 381), Tübingen 2017, 135 – 137. 25  Treffend und prägnant R. Feldmeier, Die synoptischen Evangelien. Christusbild und Gemeindeverständnis, in: K.-W. Niebuhr (Hg.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung, Göttingen 2000, 75 – 142 (121): Jesus interpretiert durch das Zitat »sein ganzes messianisches Auftreten als Erfüllung der geweissagten, endzeitlichen Geistesgegenwart«.

434  Matthias Konradt häufiger vorkommt als im gesamten restlichen Neuen Testament26 und Lukas ἄφεσις außerhalb des Zitats in Lk 4,18 f. immer mit dem Genitiv ἁμαρτιῶν verbindet,27 also durchgehend von der Vergebung der Sünden spricht, wird man kaum in der Annahme fehlgehen, dass Lukas die Wendung »Gefangenen Freilassung zu verkünden« eben auf die Verkündigung der Vergebung der Sünden bezogen wissen möchte oder diese zumindest mitgemeint ist.28 Zu den Grundbestimmungen der Sendung Jesu gehört demnach, dass die, die in Sünden gefangen sind, Vergebung der Sünden empfangen sollen. Wer weiterliest, wird nicht enttäuscht. Während bei Markus auf die summarische Eröffnung des Wirkens Jesu sogleich die Berufung der ersten Jünger folgt, lässt Lukas Jesus zunächst einmal in Galiläa lehren und heilen, beides, wie ausdrücklich herausgestellt wird, mit Vollmacht (ἐξουσία). Genau zu achten ist hier auf die von Lukas gewählte Formulierung: Als Begründung für das Erstaunen der Volksmengen über Jesu Lehre führt Lukas in Lk 4,32 nicht an, dass Jesus sie lehrte wie einer, der Vollmacht hat – so Mk 1,22 – , sondern dass sein Logos in Vollmacht war (ἐν ἐξουσίᾳ ἦν ὁ λόγος αὐτοῦ). Dem korrespondiert in Lk 4,36 nach der Heilung eines Besessenen, dass die Zeugen des Geschehens fragen: »Was ist das für ein Logos, dass er mit Vollmacht und Kraft den unreinen Geistern gebietet und sie 26   Von den zehn lukanischen Belegen entfallen fünf auf das Evangelium und fünf auf die Apostelgeschichte. Im sonstigen Neuen Testament kommt das Wort nur siebenmal vor. Zu den Belegen s. die folgende Anmerkung. 27   S. neben Lk 4,18(2x) noch Lk 1,77; 3,3; 24,47 sowie Apg 2,38; 5,31; 10,43; 13,38; 26,18. – Notabene geht es auch in den übrigen sieben neutestamentlichen Belegen immer um die Vergebung von Sünden, Übertretungen etc. (Mt 26,28; Mk 1,4; 3,29; Eph 1,7; Kol 1,14; Hebr 9,22; 10,18). 28  Vgl. R. Bultmann, ἀφίημι κτλ, ThWNT 1 (1933), 506 – 509 (508); R. C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation, Vol. 1: The Gospel according to Luke, Philadelphia 1986, 65 f.103.108; D. Rusam, Das Alte Testament bei Lukas (BZNW 112), Berlin u. a. 2003, 185 f.; S. Szkredka, Sinners and Sinfulness in Luke. A Study of Direct and Indirect References in the Initial Episodes of Jesus’ Activity (WUNT II.434), Tübingen 2017, 37 f. Signifikant unterbestimmt bleiben die Aussagen des Jesajazitats zur Kennzeichnung des Wirkens Jesu bei M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 192, der die Suche nach konkreten Bezugspunkten im Wirken Jesu als »weit am Aussagewillen des Zitats« vorbeigehen sieht und postuliert, dass Lukas »es vielmehr in seiner Gesamtheit [benutzt], um mit seiner Hilfe zum Ausdruck zu bringen, dass der Inhalt von Jesu Sendungsauftrag in nichts anderem besteht, als die eschatische Verwandlung von Unheil in Heil, die Gott seinem Volk verheißen hat, zu vollziehen« (Hervorhebung im Original).

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hinausfahren?« Wurde durch das Jesajazitat in Lk 4,18 f. das Wirken des Geistgesalbten mit den Sprachhandlungen charakterisiert, dass er den Armen frohbotschaftet (εὐαγγελίσασθαι) sowie Gefangenen Freilassung und Blinden Wiedererlangung des Sehens verkündet (κηρύξαι), so korrespondiert dem hier, dass die Vollmacht des Logos Jesu herausgestellt wird. Erst in Lk 5 schließt sich die durch den wundersamen Fischfang ausgestaltete Berufung von Petrus an, der zu diesem Zeitpunkt Jesu Vollmacht sogar bereits in seinem eigenen familiären Umfeld e­ rfahren konnte, denn auch die Heilung seiner Schwiegermutter geht bei Lukas voran (Lk 4,38 f.). Petrus verfügt also bereits über Vorkenntnisse, und diese sind im lukanischen Erzählduktus die Voraussetzung dafür, dass Petrus sich auf Jesu Vorschlag einlässt, trotz der vergeblichen ­Nachtarbeit wieder hinauszufahren, und er Jesus antwortet: »Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen« (Lk 5,5). Der riesige Fang vertieft offenbar die Jesuserkenntnis von Petrus noch, wie seine Reaktion auf das Geschehen deutlich macht (Lk 5,8 – 10): Schrecken überfällt ihn und seine Gefährten, er fällt vor Jesus nieder, was darauf verweist, dass er begreift, dass hier göttliche Macht am Werk ist,29 und er bittet den als Repräsentanten Gottes erkannten Jesus, von ihm zu gehen. Der Grund seiner Bitte geht aus Petrus’ nachfolgendem Bekenntnis hervor. Petrus wird in der Begegnung mit dem Göttlichen seiner Sündhaftigkeit gewahr: »Ich bin ein sündiger Mensch.« Der Sünder aber muss die Begegnung mit dem Göttlichen fürchten, wie klassisch die Berufung Jesajas in Jes 6 beleuchtet (s. Jes 6,5).30 Jesus geht aber nicht, sondern beruft den Sünder in seine Nachfolge: »Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen« (Lk 5,10). Lukas hat sicher nicht im Sinn, Simon Petrus als einen besonders sündigen Menschen zu zeichnen; Petrus’ Reaktion benennt vielmehr die conditio humana,31 die dazu führt, dass Menschen in der Konfrontation mit der Heiligkeit Gottes richtigerweise erschrecken. Lukas deutet durch nichts darauf hin, dass diese conditio humana in29  Vgl. Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 28), 214, nach dem Petrus’ Reaktion deutlich macht, dass dieser »erkannt hat […], dass ihm mit Jesus nicht weniger als Gottes Macht und Heiligkeit gegenübergetreten sind.« 30   Vgl. a. a. O., 172. 31  Vgl. Jantsch, Jesus (s. Anm. 24), 49: »Einsicht in seine grundlegende menschliche Konstitution als Sünder«. – An anderer Stelle scheint Lukas die Möglichkeit vorauszusetzen, dass es Gerechte gibt, die keiner Umkehr bedürfen (Lk 5,31 f.; 15,7), doch wird man hier den rhetorischen Charakter dieser Aussagen bedenken müssen.

436  Matthias Konradt folge der Berufung durch Jesus abgelegt wird. Auch die Jünger bleiben Sünder. Nicht zuletzt spiegelt sich dieses Faktum in dem Gebet, das Jesus die Jünger später auf deren Bitte hin lehrt und in der es in der lukanischen Fassung in der vierten Bitte heißt: »Vergib uns unsere Sünden!« (Lk 11,4). Aber ihr Sünderstatus hindert nicht die Gemeinschaft mit Jesus als dem irdischen Repräsentanten Gottes und damit letztlich mit Gott selbst. Bleibt das Thema der Vergebung der Sünden in Lk 5,1 – 11 implizit, so tritt es bereits wenige Verse später in seiner Bedeutung explizit hervor, zum einen in der Erzählung von der Heilung eines Gelähmten (Lk 5,17 – 26), zum anderen in der Berufung des Levi und dem nachfolgenden Zöllnermahl (Lk 5,27 – 32). Lukas folgt hier einer markinischen Sequenz, hat aber die Eröffnung der Heilungserzählung in Lk 5,17 neugestaltet. Lukas lässt Jesus erstens lehren; zweitens werden schon hier Jesu spätere Gesprächspartner eingeführt: Pharisäer und Gesetzesgelehrte aus allen Dörfern Galiläas und Judäas sowie aus Jerusalem sind bei ihm zusammengekommen, sodass der Eindruck entsteht, dass Jesu Wirken bereits eine herausragende Wirkung erzielt hat; und drittens erwähnt Lukas, dass die Kraft des Herrn bei ihm war, sodass er heilen konnte. Letzteres leitet nicht nur zur nachfolgenden Heilungsgeschichte über, sondern unterstreicht, dass Jesus Vollmacht als von Gott Bevollmächtigter hat, was für das Verständnis des Nachfolgenden nicht ohne Bedeutung ist. Einige Männer bringen einen Gelähmten zu Jesus – auf recht ungewöhnlichem Weg, denn wegen der um Jesus versammelten Menge steigen sie aufs Dach, dessen Ziegeln sie abdecken, um den Gelähmten zu Jesus hinunterzulassen. Die nachfolgende Zuwendung Jesu zu dem Gelähmten kommentiert der Erzähler vorangehend mit der Notiz, dass Jesus ihren Glauben sah. Glaube ist hier das Vertrauen auf Jesu rettende Macht. Bezieht sich dies hier allein auf Jesu Vollmacht zu heilen oder muss man umfassender dimensionieren, da im Fortgang ja nicht allein die körperliche Gesundung Thema ist, sondern Jesus zuallererst mit dem Zuspruch reagiert: »Mensch, vergeben sind dir deine Sünden!« (Lk 5,20)?32 Im lukanischen Kontext, genauer: im Lichte von Lk 7,50, wo der lukanische Jesus die Sünderin, der er zuvor wie dem Gelähmten die Vergebung der Sünden zugesprochen hat, mit den Worten entlässt: 32  R. v. Bendemann, Liebe und Sündenvergebung. Eine narrativ-traditionsgeschichtliche Analyse von Lk 7,36 – 50, in: BZ NF 44 (2000), 161 – 182 (162), notiert mit Blick auf Lk 7,50 und 5,20, dass »[a]n beiden Stellen […] die Sündenvergebung […] mit πίστις korreliert« sei.

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»Dein Glaube hat dich gerettet. Geh hin in Frieden!«, ist es durchaus plausibel, das Vertrauen auf die Vergebung der Sünden in Lk 5,20 in die πίστις einzubeziehen. Ist dies richtig, ist zugleich zu fragen, wie Lukas – angesichts dessen, dass Jesus nicht erst heilt oder wenigstens zunächst mit dem Gelähmten ins Gespräch kommt bzw. diesen sein Anliegen vortragen lässt, sondern auf die Aktion der Träger direkt mit dem Zuspruch der Sündenvergebung reagiert – die narrative Logik des Textes verstanden hat. Schlüssig auflösen lässt sich die Erzählsequenz mit der Annahme, dass Jesus hier »in göttlicher Vollmacht als ›Herzenskenner‹ agiert«, der »mit seiner Vergebungszusage allen Eingeständnissen zuvor[kommt]«.33 Als Analogie dazu lässt sich auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn verweisen, in dem der Vater jeglicher Äußerung des Sohnes zuvorkommt: Er erblickt ihn von ferne, erbarmt sich, läuft ihm entgegen und fällt ihm um den Hals (Lk 15,20). Das in Lk 5,20 in der Passivform implizierte Subjekt ist für Lukas sicher Gott; es handelt sich also um ein passivum divinum. Die von Lukas verwendete Perfektform ἀφέωνται34 ist resultativ zu verstehen: Gott hat dem Gelähmten seine Sünden vergeben. Dies aber ist geschehen, indem Jesus als von Gott Bevollmächtigter dem Gelähmten die Vergebung zugesprochen hat, sodass man von einem »performativen Sprechakt« reden kann.35 Wenn dann im Fortgang von der ἐξουσία des Menschensohns die Rede ist, Sünden zu vergeben, dann ist mit dieser aktivischen Aussage nichts anderes gemeint. Jesus vergibt Sünden aus der ihm von Gott verliehenen Vollmacht heraus, und das heißt: Gott vergibt durch Jesu Handeln bzw. aufgrund seines Wortes.36 Dies findet seine Bestätigung nicht zuletzt darin, dass der Gelähmte sowie die Zeugen des Geschehens auf dieses nicht mit Jesusrufen reagieren, sondern mit Lobpreis Gottes (Lk 5,25 f.). Zieht 33  C. Böttrich, Vergebung als Lebensbedingung. Aspekte lukanischer Anthropologie, in: S. Alkier / C. Böttrich (Hg.), Neutestamentliche Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Studien im Anschluss an Eckart Reinmuth, Leipzig 2017, 315 – 333 (327). 34   Ebenso in Lk 5,23 und 7,47.48. Vgl. ferner Joh 20,23; 1 Joh 2,12. In Mk 2,5 ist textkritisch nicht auszuschließen, dass statt des von Nestle-Aland in den Text gesetzten »aoristischen Präsens« ἀφίενται (vgl. F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearb. v. F. Rehkopf, Göttingen 161984, § 3202) das ebenfalls gut bezeugte Perfekt ἀφέωνται zu lesen ist (für die Perfektform votiert Kreplin, Selbstverständnis [s. Anm. 23], 121, Anm. 162). 35  Ebenso Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 28), 222. 36   Scheiber, Vergebung (s. Anm. 1), 58 trifft den Sachverhalt gut, wenn sie bündig formuliert: »Gott ist Subjekt von Jesu sündenvergebendem Handeln.«

438  Matthias Konradt man noch einmal heran, dass Lukas in Lk 4,32.36 die Vollmacht (ἐξουσία) des Logos Jesu betonte, ist eigens festzuhalten, dass es auch in Lk 5,20 um eine Sprachhandlung Jesu geht, und der Text damit als ein weiterer Beleg eben für die Vollmacht des Logos Jesu zu lesen ist. Oder anders: Der Text exemplifiziert, dass der Geistgesalbte von Gott gesandt wurde, um Vergebung, ἄφεσις, zu verkünden (Lk 4,18). Das Thema der Sündenvergebung bleibt in der nachfolgenden Perikope Lk 5,27 – 32 als Leitthema präsent, wenn Jesus – nach dem Sünder Petrus – nun gar den Zöllner Levi in seine Nachfolge ruft. Dem Verweis auf die Vollmacht Jesu zur Sündenvergebung tritt nun das Motiv der Zuwendung Jesu auch zu den groben Sündern zur Seite. Die nachfolgende Szene des Gastmahls im Haus des Levi illustriert die Anstößigkeit dieses Verhaltens, denn es kommt zum Protest der Pharisäer, den Jesus mit einem Wort über den Sinn seines Gekommenseins beantwortet, das die über das Jesajazitat in Lk 4,18 f. getroffene Aussage über den Sinn seiner Sendung aufnimmt und weiterführt: Wurde er nach Lk 4,18 gesandt, um Gefangenen Freilassung zu verkünden, so dient sein Kommen nach Lk 5,32 der Aufgabe, Sünder zur Umkehr zu rufen. Das von Lukas selbst gebildete Menschensohnwort in Lk 19,10 nimmt dieses Motiv noch einmal auf und zeigt durch die Wiederholung dessen Bedeutung an: »Denn der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist.« Mit der Sendung des Messias verbindet sich für Lukas also als zentrales Moment, dass alle Menschen, auch notorische Sünder, zum Heil gerufen werden: Keiner wird durch seine sündhafte Vergangenheit von der messianischen Heilszuwendung ausgeschlossen, niemand wird damit auf sein früheres Leben festgelegt. Und da Jesus der Gesandte Gottes ist, wird im Wirken Jesu Gott selber als der Barmherzige offenbar, der seine Verheißung, das Verlorene zu suchen (vgl. Ez 34,16), einlöst. Eng verbunden ist die Thematik der Sündenvergebung mit dem bei Lukas prononciert hervortretenden Umkehrgedanken. Infolge der Ersetzung der programmatischen Eröffnung des Wirkens Jesu bei Markus (Mk 1,15) durch die Antrittspredigt in Nazareth (Lk 4,16 – 30) ist bei Lukas an dieser Stelle zwar auch die Umkehrforderung des markinischen Jesus entfallen. Lukas trägt das Umkehrmotiv aber durch seine redaktionelle Einfügung gleich in Lk 5,32 (par Mk 2,17) nach und bezieht es damit konkret auf die Zuwendung zu den Sündern: Indem Jesus sich von Sündern nicht fernhält, sondern sich in ihre Gemeinschaft begibt, ruft er sie zur Umkehr. In einigen Texten des lukanischen Doppelwerks erscheint die Umkehr als eine Gabe

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Gottes (Apg 5,31; 11,18). Daraus ist soteriologisch allerdings nicht abzuleiten, dass die Umkehr von Menschen allein von Gott bewirkt sei.37 Vielmehr machen andere Texte deutlich, dass Umkehr eine von den Menschen zu vollziehende Verhaltensänderung impliziert (z. B. Lk 11,32; 16,30; Apg 8,22; 17,30). Die Gnade der Sündervergebung ist für Lukas nicht »billig«; sie verlangt nach einer umfassenden Neuausrichtung des Lebenswandels am Willen Gottes. Mit den im Vorangehenden erörterten Szenen aus Lk 5 ist der Boden bereitet für das Verständnis der Erzählung von der Begegnung Jesu mit einer Sünderin in Lk 7,36 – 50.38 Kompositorisch hat Lukas die Episode so platziert, dass sie direkt an die nach Lk 7,34 über Jesus kursierende, wenig schmeichelhaft gemeinte Meinung anknüpft, er sei »ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder«. ­Jesus hat sich also inzwischen einen »Namen« gemacht; Lk 5,27 – 32 ist in diesem Licht betrachtet offenbar exemplarisch zu nehmen. Die Verbindung zwischen Lk 7,34 und Lk 5,27 – 32 wird dadurch untermauert, dass Mahlzeiten in der Antike elementar mit Freundschaftspflege zu tun haben:39 Darin, dass Jesus »mit den Zöllnern und Sündern« (Lk 5,30) speist, erweist er sich als ihr Freund (Lk 7,34).40 In Lk 7,36 – 50 ist es indes nicht so, dass Jesus sich in eine Mahlgemeinschaft mit Sündern begibt; die Frau sucht ihn auf, als er sich bei einem Mahl im Hause eines Pharisäers namens Simon befindet. Letzteres dient dazu, mit der Erzählung zugleich die Konfliktkonstel37   Anders M. Kim-Rauchholz, Umkehr bei Lukas. Zu Wesen und Bedeutung der Metanoia in der Theologie des dritten Evangelisten, Neukirchen-Vluyn 2008, 121.137.185 f. u. ö. 38  Die Frage des traditionsgeschichtlichen Verhältnisses zu Mk 14,3 – 9 par Mt 26,6 – 13 (vgl. ferner Joh 12,1 – 8) ist hier nicht zu behandeln. S. dazu z. B. L. Oberlinner, Begegnungen mit Jesus. Der Pharisäer und die Sünderin nach Lk 7,36 – 50, in: M. Gielen / J. Kügler (Hg.), Liebe, Macht und Religion. Interdisziplinäre Studien zu Grunddimensionen menschlicher Existenz, Stuttgart 2003, 253 – 278 (254 – 259). 39   S. dazu D. E. Smith, From Symposium to Eucharist. The Banquet in the Early Christian World, Minneapolis MN 2003, 55; K. Crabbe, A Sinner and a Pharisee. Challenge at Simon’s Table in Luke 7:36 – 50, Pacifica 24 (2011), 247 – 266 (248 f.260). 40  Zu beachten ist ferner, dass der lukanische Jesus im vorangehenden Kontext nicht nur die Rolle des Täufers reflektiert (Lk 7,24 – 28) und damit implizit an dessen Verkündigung der »Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden« (Lk 3,3) erinnert, sondern auch auf die positive Reaktion des einfachen Volkes und der Zöllner sowie auf die Ablehnung der Pharisäer und Schriftgelehrten verweist (7,29 f.). Damit ist die Figurenkonstellation in Lk 7,36 – 50 vorbereitet.

440  Matthias Konradt lation um das Thema des Umgangs mit Sündern weiter zu profilieren, in der stets die Pharisäer als Opponenten hervortreten. Nach ihrem Blasphemievorwurf in Lk 5,2141 und ihrem »Murren« gegen Jesu Mahlgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern in Lk 5,30 ist es nun eben ein Pharisäer namens Simon, für den der Umstand, dass Jesus eine das Mahl störende Sünderin42 gewähren lässt, ein Indiz ist, dass an der Meinung, Jesus sei ein Prophet, nichts dran sein kann (Lk 7,39). Denn Jesu Verhalten lässt für ihn nur den Schluss zu, dass er nicht weiß, wer sich ihm genaht hat. Jesus aber deutet die Situation durch ein Gleichnis, das von zwei zahlungsunfähigen Schuldnern erzählt, von denen der, dem der Gläubiger die höhere Schuldsumme vergeben hat, diesen fortan noch mehr lieben wird als der andere (Lk 7,40 – 43). Das Treiben der Frau wird damit als Ausdruck ihrer Liebe interpretiert, mit der sie auf die Vergebung ihrer großen Schuld reagiert. Genauer: Der lukanische Jesus bietet eine dreigliedrige Synkrisis zwischen dem Verhalten der Frau und dem Verhalten, besser: Unterlassen, seines pharisäischen Gastgebers, wobei es beim Letzteren nicht darum geht, Simon eine Verletzung von Gastgeberpflichten anzulasten.43 Das Augenmerk ist vielmehr darauf zu richten, dass Lukas in dem synkritischen Duett – mit dem Verweis auf das Waschen der Füße, dem Kuss und der Salbung des 41  Aus τινες τῶν γραμματέων in Mk 2,6 wird in Lk 5,21 οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι. 42   Viele Ausleger gehen davon aus, dass die Sünde der Frau im Bereich des Sexualverhaltens zu verorten sei, und sehen in ihr eine Prostituierte (so z. B. H. Schürmann, Das Lukasevangelium. Erster Teil: Kommentar zu Kap.  1,1 – 9,50 [HThKNT 3.1], Freiburg i. Br. u. a. 41990, 431; H. Leroy, Vergebung und Gemeinde nach Lk 7,36 – 50, in: H. Feld / J. Nolte [Hg.], Wort Gottes in der Zeit [Festschrift K. H. Schelkle], Düsseldorf 1973, 85 – 94 [91 f.]; I. H. Marshall, The Gospel of Luke. A Commentary on the Greek Text [NIGTC], Grand Rapids MI 1978, 308; v. Bendemann, Liebe [s. Anm. 32], 167 – 171; Hägerland, Jesus [s. Anm. 15], 52) oder eine Ehebrecherin (erwogen z. B. von T. Zahn, Das Evangelium des Lucas ausgelegt, Leipzig 41920, 320 f. und H. Drexler, Die große Sünderin Lucas 7,36 – 50, in: ZNW 59 [1968], 159 – 173 [170]). Zurückhaltend gegenüber solchen Spezifizierungen z. B. R. F. Collins, Sexual Ethics and the New Testament. Behavior and Belief, Companions to the New Testament, New York 2000, 11 f., sowie, spezifisch zu ihrer Identifizierung als Prostituierte, Oberlinner, Begegnungen (s. Anm. 38), 261 – 275. 43  Ebenso Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 28), 295. Anders z. B. U. Wilckens, Vergebung für die Sünderin (Lk 7,36 – 50), in: P. Hoffmann (Hg.), Orientierung an Jesus. Zur Theologie der Synoptiker (Festschrift J. Schmid), Freiburg i. Br. u. a. 1973, 394 – 424 (396 f.).

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Hauptes – Obertöne mitschwingen lässt, die das für sich genommen ambivalente, da mit erotischen Konnotationen behaftete Handeln der Frau44 einer »interpretatio christiana« unterziehen und den Kontext des dargestellten sympotischen Geschehens in Richtung einer im gemeindlichen Horizont geübten christlichen Agape transzendieren.45 Die Differenz zwischen dem »Viel-wenig-Kontrast« des Gleichnisses von den Schuldnern und der Gegenüberstellung des Tuns der Frau zum Unterlassen des Pharisäers Simon wirft dabei Licht auf dessen Selbstverortung, die sich als eine Melange aus mangelnder Selbsterkenntnis und Blindheit Jesus gegenüber zeigt: Ihm ist verborgen, dass Jesus als Geistgesalbter Medium der Barmherzigkeit Gottes ist, und er verhält sich wie jemand, der meint, bei Gott nicht in der Schuld zu stehen und die durch Jesus zugängliche Vergebung der Sünden nicht zu brauchen. Er findet in dem Pharisäer im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner in Lk 18,9 – 14 sein Pendant. Die hier begegnende Bestimmung des Verhältnisses von Vergebung und Liebe wird allerdings durch V. 47 scheinbar gestört, denn nun heißt es: »Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt.« Hier scheint die Relation von Liebe und Vergebung prima vista umgekehrt zu sein, während gleich im nachfolgenden Halbvers 47b wieder die im Gleichnis vorliegende Relation begegnet: »Wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.« Als Ausweg, diese Spannung aufzulösen, kann man erwägen, dass die Liebe in V. 47a nicht den Realgrund, sondern den Erkenntnisgrund der Vergebung benennt:46 An 44   Zu den erotischen Konnotationen s. v. Bendemann, Liebe (s. Anm. 32), 167 – 171; A.  Leinhäupl-Wilke, Zu Gast bei Lukas. Einblicke in die lukanische Mahlkonzeption am Beispiel von Lk 7,36 – 50, in: M. Ebner (Hg.), Herrenmahl und Gruppenidentität (QD 221), Freiburg i. Br. u. a. 2007, 91 – 120. Anders  C. H. Cosgrove, A Woman’s Unbound Hair in the Greco-Roman World, with Special Reference to the Story of the »Sinful Woman« in Luke 7:36 – 50, in: JBL 124 (2005), 675 – 692 (688). 45   So mit v. Bendemann, Liebe (s. Anm. 32), 176 – 178, der zu Recht auf die Fußwaschung (Joh 13,1 – 20) und den »heiligen Kuss« als Praxis christlicher Gemeinden (vgl. Röm 16,16; 1 Kor 16,20; 2 Kor 13,12; 1 Thess 5,26; 1 Petr 5,14 [ἐν φιλήματι ἀγάπης!]) als Assoziationspunkte verweist sowie im Blick auf die Salbung des Kopfes christologische und möglicherweise auch tauftheologische Bezüge (177, Anm. 61) ins Spiel bringt. Zur Deutung von ὕδωρ μοι ἐπὶ πόδας οὐκ ἔδωκας in Lk 7,44 im dargelegten Sinne vgl. ferner O. Hofius, Fußwaschung als Erweis der Liebe. Sprachliche und sachliche Anmerkungen zu Lk 7,44b, in: ZNW 81 (1990), 170 – 177 (171 – 173). 46   In diesem Sinn z. B. Drexler, Sünderin (s. Anm. 42), 168 f.; Wilckens, Vergebung (s. Anm. 43), 404 – 407; J. A. Fitzmyer, The Gospel According to

442  Matthias Konradt den Handlungen der Frau an Jesus kann man erkennen, dass ihr eine Menge von Sünden vergeben wurden. Die Sündenvergebung wäre dann also noch vor dem in V. 37 f. geschilderten Geschehen anzusetzen.47 Dieser Lösungsweg scheint aber durch V. 48 f. gleich wieder versperrt. Denn in V. 48 erfolgt eben der Zuspruch der Vergebung,48 wie in Lk 5,20 im Passiv formuliert, das auch hier ein passivum divinum ist:49 »Vergeben sind deine Sünden.« Man kann hier zwar das Perfekt ἀφέωνται für sich genommen durchaus als Zusicherung, als Bestätigung der bereits geschehenen Sündenvergebung lesen,50 doch folgt in V. 49 noch die hier wohl nicht vorwurfsvoll, sondern bewundernd gemeinte51 Frage der Mahlteilnehmer: »Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt?« Nun sagt das Präsens nicht zwingend etwas über den genauen Moment der Sündenvergebung, es charakterisiert Jesus allgemein als jemanden, der Sünden vergibt.52 Aber es ist eben Jesus, der hier als Subjekt erscheint, und daher kommt im Blick auf die Sünderin als Zeitpunkt, an dem sie die Vergebung empfangen hat, kaum ein anderer als der Zuspruch Jesu in V. 48 infrage. Der jüngste Luke (I – IX) (AncB 28), New York u. a. 1981, 686 f.692; Tannehill, Unity (s. Anm. 28), 117 f.; Sung, Vergebung (s. Anm. 23), 230. 47  Vgl. Hägerland, Jesus (s. Anm. 15), 53: »This far in the episode, it is most natural to understand Jesus as speaking of a forgiveness that has occurred prior to the point at which the woman entered Simon’s house in order to demonstrate her gratitude.« In dem Sinne, dass der Frau ihre Sünden schon vergeben sind, als sie Jesus begegnet, auch E. R. Thibeaux, »Known to be a Sinner«. The Narrative Rhetoric of Luke 7:36 – 50, in: BTB 23 (1993), 151 – 160 (152); Leinhäupl-Wilke, Gast (s. Anm. 44), 106 f.; Crabbe, Sinner (s. Anm. 39), 261 f. sowie J. J. Kilgallen, Faith and Forgiveness: Luke 7:36 – 50, in: RB 112 (2005), 372 – 384 (377), der des Näheren davon ausgeht, »that the woman was forgiven at the time of her faith in Jesus«. – Gegen die Option, die Vergebung der Sünden vor dem in V. 37 f. geschilderten Geschehen anzusetzen, z. B. J. J. Kilgallen, A Proposal for Interpreting Luke 7,36 – 50, in: Bib. 72 (1991), 305 – 330 (314.318). 48   Vgl. exemplarisch J. Delobel, Lk 7,47 in its Context. An Old Crux Revisited, in: F. van Segbroeck u. a. (Hg.), The Four Gospels 1992 (Festschrift F. Neirynck), Vol. II (BETL 100), Leuven 1992, 1581 – 1590 (1587). 49  Anders Sung, Vergebung (s. Anm. 23), 320, der hier wie auch in Mk 2,5 parr (s. a. a. O., 217) ein »passivum messianicum« sieht. 50   Wenn Jesu Worte in V. 48 »bloß« als Zusicherung der bereits geschehenen Vergebung Gottes zu lesen sind, werden sie dadurch nicht zu einem prinzipiell verzichtbaren Extra. Vielmehr wäre in diesem Fall zu betonen, dass die Frau erst durch sie Gewissheit in ihrem Glauben erlangt. 51   Anders akzentuiert F. Méndez-Moratalla, The Paradigm of Conversion in Luke (JSNTS 252), London u. a. 2004, 125. 52  Ebenso Kilgallen, Proposal (s. Anm. 47), 322.

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große deutschsprachige Lukaskommentar von Michael Wolter konstatiert hier einen offenkundigen Widerspruch. Wie für viele andere vor ihm bietet sich für Wolter kaum anderes als eine überlieferungsgeschichtliche Erklärung an, d. h. in dieser Spannung dokumentieren sich unterschiedliche Überlieferungsschichten.53 Die vermerkte Spannung lässt sich aber lösen, wenn man den Rekurs auf den Glauben der Frau am Ende des Textes einbezieht: Ihr Glaube hat sie gerettet (Lk 7,50). Der Glaube der Frau bezieht sich hier darauf, dass – mit Jesu Antrittspredigt in Nazareth gesprochen – jetzt die Zeit gekommen ist, dass den Gefangenen Freilassung verkündigt wird. Genährt ist dieser Glaube durch Jesu vorangehendes Wirken. Durch dieses ist die Frau zu dem Glauben gelangt, dass Jesus sich den Sündern zuwendet und sie zur Umkehr ruft, weil Gott zur Vergebung der Sünden bereit ist, und sie vertraut darauf, dass auch ihr, der stadtbekannten Sünderin, wenn sie umkehrt, Vergebung zuteil und ein Neuanfang gewährt wird. In dieser Gewissheit betritt sie das Haus des Pharisäers Simon, um Jesus als dem Repräsentanten Gottes, der ihr diesen Glauben erst ermöglicht hat, ihre Dankbarkeit und Liebe zu erweisen. Kurz gesagt: Sie glaubt an die Vergebung der Sünden. Die Frau empfängt die Vergebung in V. 48, aber die von ihr erwiesene Agape ist insofern analog zum Gleichnis Konsequenz der empfangenen Vergebung, als sie diese in ihrem Glauben antizipiert hat. Wichtig ist, die christologische Dimension dieses Glaubens zu beachten, denn es geht zentral darum, dass Jesu Zuwendung zu Sündern nicht bloß als eine freundliche humane Geste wahrgenommen, sondern eben als Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes verstanden wird. Die Voraussetzung dafür ist natürlich ein Gottesbild, das mit der Barmherzigkeit Gottes seinen Heilswillen ins Zentrum rückt: Aller menschlichen Unzulänglichkeit, ja Schuldverstrickung zum Trotz hält Gott an seinem Heilswillen fest; er will, um noch einmal Ez 18 anklingen zu lassen, nicht den Tod des Sünders, sondern dessen Umkehr zum Leben und nagelt Menschen daher nicht auf das Vergangene fest, sondern eröffnet ihnen eine neue Zukunft in der geheilten Gemeinschaft mit ihm. Nur auf der Grundlage dieses Gottesbildes ist Jesu vorbehaltlose Zuwendung zu Sündern als Ausdruck des Gotteswillens lesbar; nur auf dieser Basis lässt sich der Nazarener als von 53  S. Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 28), 296. Vgl. ferner exemplarisch Delobel, Lk 7,47 (s. Anm. 48), 1589: »The imperfect parallelism within v. 47, and between v. 47 and v. 50, is a real lack of balance, as a consequence of the collection of materials of different origin into a new frame.«

444  Matthias Konradt Gott gesandt begreifen. Umgekehrt offenbart Jesu Wirken für den, der darin Gott am Werk sieht, den Heilswillen Gottes. Die Erzählung in Lk 7,36 – 50 bietet in dieser Hinsicht zugleich eine exemplarische Illustration der lukanischen Auffassung der Umkehr als einer Gabe: Die Umkehr von Menschen erwächst daraus, dass in Jesu Wirken Gottes Barmherzigkeit offenbar und auf Erden manifest wird.54 Anzufügen ist, dass sich mit dem Nebeneinander des passivum divinum in dem Wort Jesu in Lk 7,48 und der Reaktion der Mahlteilnehmer, in der Jesus als Subjekt der Vergebung erscheint, die Konstellation in Lk 5,20.24 wiederholt. Für Lukas gibt es hier offenkundig keinerlei Spannung. Denn Jesus tritt als Repräsentant Gottes auf, er ist von Gott zu seinem Handeln bevollmächtigt, sodass von einer Handlungseinheit Jesu mit Gott gesprochen werden kann: Jesus vergibt Sünden, indem er die bei Gott beschlossene Vergebung wirkmächtig zuspricht. In Lk 15 kommt es zu einer erneuten Konfrontation Jesu mit Pharisäern, die wiederum seine Annahme der Sünder kritisieren. Jesu Replik in Form einer Gleichnistrias, mit der er sein Handeln gegenüber dem Blickwinkel der Pharisäer ganz anders perspektiviert, impliziert dabei nicht von ungefähr bedeutende Aspekte, die wiederum das Gottesbild betreffen. Der gemeinsame Nenner der drei Gleichnisse in Lk 15 ist, dass in ihnen die Situation der Sünder, die von Jesus angenommenen werden, unter dem Aspekt des (zu suchenden) Verlorenen erscheint, das bzw. der wiedergefunden wurde. In den ersten beiden Gleichnissen vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Groschen korrespondiert den Sündern der verlorene Besitz, der für seinen Eigentümer einen so hohen Wert hat, dass – ganz fraglos – alles daran zu setzen ist, diesen wiederzufinden. Die jeweils angefügten Gleichnisanwendungen machen den Bezug des bildlich Dargelegten auf die himmlische Welt explizit. Das heißt: Im Gottesbild wird nicht Gottes Groll über die Abkehr der Sünder von ihm herausgestellt, sondern die Abwendung von ihm ist für ihn ein schmerzhafter Verlust, entsprechend das Wiederfinden Anlass zu großer Freude. Im nachfolgenden Gleichnis vom verlorenen Sohn wird dieses Moment erzählerisch durch die Festfeier weitergeführt (Lk 15,23.32a). Zugleich wird das Moment der Zugehörigkeit der Verlorenen zu Gott durch die Metaphorik der Kindschaft interpretiert und intensiviert und die menschliche Schuld souverän überwindende Barmherzigkeit Gottes anschaulich ausgemalt. Denn der Vater im Gleichnis, der sich 54

  Vgl. in diesem Sinn auch Lk 19,1 – 10.

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beim Anblick des zurückkehrenden Sohnes erbarmt und ihm – reichlich rollendissonant  – entgegenläuft, ja ihn sein Schuldbekenntnis nicht einmal zu Ende stammeln lässt, sondern es durch sein Erbarmen »buchstäblich […] überrollt«,55 ist offenkundig transparent für den himmlischen Vater. Auffällig und bemerkenswert ist, wie knapp der Erzähler das Fehlverhalten des jüngeren Sohnes in der Fremde schildert, obwohl der antike Topos des liederlichen Sohnes, des υἱὸς ἄσωτος bzw. filius luxuriosus, reichlich Material zum Ausmalen geboten hätte.56 Der Erzähler legt sich hier große Zurückhaltung auf, die umso mehr aufmerken lässt, als in der kunstvollen Gestaltung der Erzählung am Ende dann doch ein Detail mitgeteilt wird, und zwar bezeichnenderweise in der Protestnote des älteren Bruders in Lk 15,30, der seinem Vater vorhält: »Dieser dein Sohn, der dein Vermögen mit Huren durchgebracht hat […].« Impliziert ist hier, dass die Kunde vom Verhalten des Sohnes in die Heimat gedrungen ist.57 Auch der Vater wird also darum wissen, was im Übrigen auch durch die Worte, mit denen er das Geschehen deutet, nahegelegt wird, denn diesen zufolge war sein Sohn vor der Rückkehr »tot« und – mit dem die Gleichnistrias verbindenden Leitwort formuliert – »verloren«.58 Wichtig ist wiederum, dass dem Sünder bei Gott trotz seiner Schuldgeschichte vorbehaltlos ein Neuanfang gewährt und er nicht auf seine Vergangenheit festgelegt wird. Die gegenteilige Position verkörpert im Gleichnis der ältere Bruder, dessen Worte über den zurückgekehrten Bruder sich eben auf dessen unrühmliche Vergangenheit beziehen. Für den Vater hingegen ist diese Vergangenheit durchgestrichen: Sein Sohn war tot und verloren, jetzt aber ist er wieder lebendig, und das ist ein Grund zu großer Freude. 55  K. Backhaus in G. Fischer / K. Backhaus, Sühne und Versöhnung. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments (NEB.T 7), Würzburg 2000, 86. 56   S. etwa die Zusammenstellung und Diskussion einschlägiger Texte bei W. Pöhlmann, Der Verlorene Sohn und das Haus. Studien zu Lukas 15,11 – 32 im Horizont der antiken Lehre von Haus, Erziehung und Ackerbau (WUNT 68), Tübingen 1993, 93 – 116. 57   Ebenso z. B. Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 28), 539. 58   »Tot« ist ein Terminus der Konversionssprache. Die gottfernen Heiden und Sünder sind tot aufgrund ihrer Übertretungen (s. oben Anm. 14). Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass der Gang zu Prostituierten, mit den Augen des antiken Judentums und Christentums betrachtet, nicht bloß Ausdruck eines verschwenderischen Lebensstils ist, sondern eine kardinale Sünde darstellt, die für die »heidnische« Welt charakteristisch ist (s. exemplarisch Sib 3,594 – 600; EpArist 151 f.; Philo, Jos 40 – 44).

446  Matthias Konradt Mit der szenischen Einbettung der Gleichnistrias in Lk 15,1 f. wird zugleich die christologische Dimension der gleichnishaft zur Sprache kommenden Theologie deutlich: Wenn Jesus, mit Lk 19,10 gesprochen, seine Mission darin sieht, »das Verlorene zu suchen und zu retten«, und er die Sünder annimmt, dann agiert er im Auftrag und ganz im Sinne des barmherzigen Gottes. Glaube an Gott ist für Lukas Glaube daran, dass Gott das Heil der Menschen will und Jesus von ihm gesandt wurde, um die von ihm gnadenhaft gewährte Vergebung der Sünden zu verkünden. Mit anderen Worten: Jesus, wie Lukas ihn zeichnet, verkörpert die Dominanz des Heilswillens Gottes, der menschliche Schuld von sich aus überwindet, der die Verhältnisse umkehrt und damit Umkehr ermöglicht und sich freut, wenn die Suche nach dem Verlorenen Erfolge zeitigt. Die Pharisäer in Lk 15,2 und der Pharisäer Simon in Lk 7,36 – 50 dienen Lukas hingegen als narrative Figuren dazu, um ein dazu im Kontrast stehendes Gottesbild zu repräsentieren. Nach diesem hat Gott Freude an den Gerechten, während er die Sünder ablehnt. Dieses theologische Denken ist von einer gewissen Statik in der Unterteilung der Menschen in Gerechte und Sünder geprägt und an dem Ordnungsgefüge orientiert, dass den Gerechten Heil, den Sündern hingegen Unheil zuteilwird. Auf dieser Grundlage können die Pharisäer in Lk 15,2 (vgl. Lk 5,30) gegen Jesu Verhalten nur protestieren und kann der Pharisäer Simon Jesu Umgang mit der Sünderin, da er jene von ihrer allseits bekannten Vergangenheit her betrachtet, eben nur als evidentes Indiz dafür werten, dass Jesus kein Prophet Gottes ist (Lk 7,39). Was Jesus in Lk 7,40 – 47 bzw. in der Gleichnistrias in Lk 15,3 – 32 ausführt, bietet Simon bzw. den Pharisäern in Lk 15,2 – und vor allem den Lesern / Hörern des Evangeliums – die Chance, eine andere, von der Dynamik der Barmherzigkeit Gottes bestimmte Sicht der Wirklichkeit zu entwickeln.59 Zur Illustration der dargelegten theo-logischen Dimension lässt sich gut die Darstellung der Umkehr Aseneths in JosAs 10 – 13 heranziehen. Denn bevor Aseneth den Mut fasst, zu Gott zu beten, ihre Sünden zu bekennen und um Erbarmen zu bitten, muss sie erst ihre Furcht überwinden, dass sie durch ihren 59   Nach M. Zugmann, Changing the Perspective. Jesus and a »Sinful«/»Loving« Woman (Lk 7,36 – 50), in: SNTU.A 38 (2013), 189 – 209 (192.200 – 208), besteht das zentrale Anliegen von Lk 7,36 – 50 darin, zu zeigen, »how Jesus is changing the Pharisee’s perspective on the ›sinful‹ woman«. Der Text führt allerdings nicht aus, ob der Pharisäer Simon sich am Ende tatsächlich dafür hat gewinnen lassen, eine andere Sichtweise zu entwickeln. Die Leser / Hörer des Evangeliums hingegen sind aufgefordert, sich im Sinne der Wirklichkeitsdeutung Jesu zu positionieren.

»Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48)  447 bisherigen Götzendienst den Zorn Gottes unabwendbar auf sich gezogen und sich die Möglichkeit, Gott anzurufen, ein für alle Mal verbaut hat (vgl. Joh 9,31!). Als Grund für die Überwindung ihrer Furcht wird namhaft gemacht, dass Aseneth viele vom Gott der Hebräer als barmherzigem Gott hat reden hören: »Aber viele habe ich sagen hören, dass der Gott der Hebräer ein wahrhaftiger und lebendiger Gott ist, ein barmherziger, mitleidiger, großherziger, vielerbarmender und milder Gott, der die Sünde eines niedrigen Menschen nicht anrechnet und die Ungesetzlichkeit eines betrübten Menschen in der Stunde seiner Trübsal nicht tadelt. Daher will ich es auch wagen, mich zu ihm hinzuwenden, mich zu ihm zu flüchten, ihm alle meine Sünden eingestehen und mein Gebet vor ihm ausgießen« (JosAs 11,10 f.).60

Das im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 32), wie ähnlich zuvor schon in der Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Sünderin (Lk 7,36 – 50), zutage getretene Moment, dass die Tür zur Umkehr jedem offensteht,61 wird im Fortgang durch das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9 – 14), nach dem der reuige Zöllner gerechtfertigt davongeht, wie ferner durch die Erzählung vom Zöllner Zachäus (Lk 19,1 – 10), dem in der Begegnung mit Jesus Heil widerfährt, »weil auch er ein Sohn Abrahams ist« (Lk 19,9, vgl. Lk 13,16), weiter konturiert. Nachösterlich greift die Heilsbotschaft mit der Vergebung der Sünden in ihrem Zentrum zudem über Israel hinaus. Der Auferstandene trägt in Lk 24,47 seinen Jüngern auf, unter allen Völkern im Namen Jesu Umkehr zur Vergebung der Sünden zu verkündigen (Lk 24,47).62 Dabei fällt auf, dass Lukas die Vergebung der Sünden eng mit dem auferweckten Herrn verbindet. Schon Apg 2 macht dies deutlich: Im Pfingstwunder manifestiert sich, wie Lukas Petrus erläutern lässt, dass der durch die rechte Hand Gottes erhöhte Herr vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen und er diesen nun ausgegossen hat (Apg 2,33). Konzeptionell daran angebunden ist die in Apg 2,38 nachfolgende Aufforderung von Petrus 60   Vgl. zu diesem Passus die Erörterung in S. v. Stemm, Der betende Sünder vor Gott. Studien zu Vergebungsvorstellungen in urchristlichen und frühjüdischen Texten (AGJU 45), Leiden u. a. 1999, 60 – 72. – Zum Konnex von Barmherzigkeit Gottes und Sündenvergebung vgl. ferner z. B. OrMan 6 f.14; PsSal 9,6 – 8. 61  Vgl. Hägerland, Jesus (s. Anm. 15), 72 zu Lk 15,11 – 32: »The theology of forgiveness expressed in this parable agrees well with an uncontroversial tenet of early Judaism: there is forgiveness for all who repent (e. g. Ecclus 17.24; PsSol 9.6 – 7).« 62   Das Sendungswort des Auferstandenen in Lk 24,46 – 49 macht zugleich deutlich, dass die Vergebung der Sünden auch nach Ostern das soteriologische Leitmotiv bleibt (vgl. F. J. Matera, New Testament Theology. Exploring Diversity and Unity, Louisville u. a. 2007, 71).

448  Matthias Konradt an das versammelte Volk: »Kehrt um, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.« Die Bindung der Sündenvergebung an den auferweckten und erhöhten Herrn wird durch Petrus’ Rede vor dem Hohen Rat in Apg 5,30 f. unterstrichen: »Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ermordet habt, indem ihr ihn ans Holz hängtet. Diesen hat Gott durch seine Rechte zum Anführer und Retter erhöht, um Israel Umkehr und Vergebung der Sünden zu geben.« Auch Paulus’ Predigt im pisidischen Antiochien reflektiert diesen Zusammenhang, denn auch hier schließt die Aussage in Apg 13,38, dass »durch diesen euch Vergebung der Sünden verkündigt wird«, an den Verweis auf die Auferweckung Jesu an. In Petrus’ Rede im Haus des Kornelius wird zudem markiert, dass der Empfang der Vergebung der Sünden die Grenzen Israels transzendiert (Apg 10,43), was schließlich in Paulus’ Rückblick auf das Damaskusgeschehen vor Agrippa und Festus in Apg 26,17 f. ein Echo findet. Petrus’ Rede im Haus des Kornelius knüpft überdies die Vergebung der Sünden an den Glauben, wie dies mutatis mutandis in Lk 5 und Lk 7 zutage trat: Von dem erhöhten Herrn, den Gott zum Richter der Lebenden und der Toten bestimmt hat, bezeugen, so Petrus, »alle Propheten, dass jeder, der an ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfängt durch seinen Namen« (Apg 10,43). Der betonten Verbindung der Sündenvergebung mit dem auferweckten und erhöhten Herrn steht zur Seite, dass die soteriologische Deutung des Todes Jesu, zurückhaltend formuliert, weniger prominent hervortritt. Sie begegnet neben den Deuteworten zu Brot und Wein in Lk 22,19 f. in der Apostelgeschichte nur in Paulus’ Abschiedsrede vor den Ältesten von Ephesus in Milet in der Rede von der »Gemeinde Gottes, die er sich durch das Blut des eigenen (Sohnes) erworben hat« (Apg 20,28). Man kann zwar darauf verweisen, dass es sich hierbei um die einzige gemeindeinterne Rede der Apostelgeschichte handele, und mutmaßen, dass Lukas die soteriologische Deutung des Todes Jesu als gemeindliche Binnensprache betrachtete,63 doch ist dies kaum eine suffiziente Deutung des Gesamtbefundes, zumal Lukas das Wort von der Lebenshingabe des Menschensohns als Lösegeld für die Vielen aus Mk 10,45 übergangen bzw. durch das Wort: »Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende« (Lk 22,27b) 63   Zu diesem Ansatz M. Wolter, Jesu Tod und Sündenvergebung bei Lukas und Paulus, in: D. Marguerat (Hg.), Reception of Paulinism in Acts (BETL 229), Leuven u. a. 2009, 15 – 35 (31 f.34).

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ersetzt hat. Lukas kennt also die Vorstellung vom Heilstod Jesu zwar, aber er betont sie nicht; sie prägt nicht sein theologisches Denken, und er braucht »den Tod Jesu nicht […], um die Sündenvergebung und das mit ihr verbundene Heil zu begründen«.64 Sein Augenmerk ist auf Jesu Zuwendung zu den Sündern während seines irdischen Wirkens gerichtet und auf den auferweckten Herrn, der sein Werk durch die Ausgießung des Geistes fortsetzt. Dabei ist von Vergebung im Kontext der Kreuzigung durchaus die Rede, sofern Jesu Wort in Lk 23,34 zum ursprünglichen Textbestand gehört. Denn dann bittet Jesus – ganz so, wie es dem Feindesliebegebot (Lk 6,27 – 35) entspricht – am Kreuz für die, die ihn gekreuzigt haben: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Zugespitzt: »Jesu stirbt vergebend, nicht zur Vergebung«65 und ist darin Vorbild für die Seinen, wie das Gebet des Stephanus bei seiner Hinrichtung zeigt (Apg 7,60): »Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!«66

3.  Jesu Heilswirken und die Vollmacht der Gemeinde im Matthäusevangelium Kommt man von Lukas zu Matthäus, so ist analog zu konstatieren, dass die Vergebungsthematik eine kaum hoch genug anzusetzende Bedeutung in der theologischen Konzeption des Evangelisten innehat, doch zeigen sich neben einigen Korrespondenzen deutlich unterschiedliche Akzentsetzungen. So hat Matthäus anders als Lukas das Moment der Zuwendung Jesu zu Sündern während seines irdischen Wirkens nicht über die in Mk 2,1 – 17 (par Mt 9,2 – 13) vorgegebene Sequenz hinaus narrativ durch weitere Erzählungen wie Lk 7,36 – 50 oder eine szenische Notiz wie Lk 15,1 f. verstärkt. Er stärkt aber mit der soteriologischen Deutung des Todes Jesu einen christologischen Aspekt, der bei Lukas, wie gesehen, nur beiläufig erscheint. Ferner arbeitet er den Zusammenhang zwischen der Vergebung Gottes und der zwischenmenschlichen Vergebung aus und entfaltet dies, wie oben angedeutet, in einem ekklesiologischen Horizont, sodass man im Blick auf die Abfolge der Sätze im dritten Artikel des Credos vom 64

  Jantsch, Jesus (s. Anm. 24), 125.   Backhaus in: Fischer / Backhaus, Sühne (s. Anm. 55), 87. 66   Zur Rolle Jesu an dieser Stelle s. die Diskussion bei Hägerland, Jesus (s. Anm. 15), 98 f. 65

450  Matthias Konradt Matthäusevangelium erhoffen darf, dass es Grundlagen für die Reflexion über den Konnex zwischen Gemeinschaft der Heiligen und Vergebung der Sünden bietet. Zunächst zur christologischen Akzentsetzung: Ulrich Luz hat in seinem Matthäuskommentar treffend notiert, dass »[d]ie Vergebung der Sünden […] für Matthäus das Zentrum der Sendung Jesu [ist]«.67 Matthäus führt diesen Aspekt gleich zu Beginn, in Mt 1,21, ein,68 also im Kontext der von Joseph angesichts der Schwangerschaft Marias empfangenen Traumvision, in der ihm ein Engel aufträgt, dem Kind den Namen »Jesus« zu geben, der daraufhin vom Engel, um die ­Namensgebung zu begründen, gedeutet wird: »Denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.« Die Namensdeutung dürfte auf Ps 130,8 anspielen, wo es um Gottes Handeln an Israel geht. Implizit begegnet damit schon hier der Aspekt der Übertragung der göttlichen Vollmacht zur Rettung von den Sünden auf Jesus. Fragt man, wie Mt 1,21 im Verlauf des Matthäusevangeliums realisiert wird, so ist neben der Vollmacht des Menschensohnes, auf Erden Sünden zu vergeben (Mt 9,6), auf den Tod Jesu zu verweisen.69 Letzteres wird daran sichtbar, dass Matthäus die Wendung »zur Vergebung der Sünden (εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν)«, die er bei Markus im Kontext der Charakterisierung der Johannestaufe vorgefunden hat (Mk 1,4), aus diesem Zusammenhang gelöst70 und in das Kelchwort 67  U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 4. Teilbd.: Mt 26 – 28 (EKK I / 4), Düsseldorf u. a. 2002, 116. 68  Vgl. C. Landmesser, Jüngerberufung und Zuwendung zu Gott. Ein exegetischer Beitrag zum Konzept der matthäischen Soteriologie im Anschluß an Mt 9,9 – 13 (WUNT 133), Tübingen 2001, 12: »Die Errettung von den Sünden ist das zuerst genannte und damit herausragende Motiv des Wirkens Jesu nach dem Matthäusevangelium.« 69   Zur Korrelation dieser beiden Horizonte mit der zweigliedrigen Entfaltung der messianischen Identität Jesu als Sohn Davids und Sohn Gottes s. M. Konradt, Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium (WUNT 215), Tübingen 2007, 321 f. – Im weiteren Sinn ließe sich hier ferner auch die Erschließung des Gotteswillens durch Jesu Unterweisung einstellen, da diese dazu verhilft, fortan Verfehlungen zu vermeiden (vgl. T. R. Blanton, Saved by Obedience: Matthew 1:21 in Light of Jesus’ Teaching on the Torah, in: JBL 132 [2013], 393 – 413). 70   Zwar bekennen auch bei Matthäus die Taufanwärter ihre Sünden (Mt 3,6), aber von ihrer tatsächlichen Vergebung ist hier nicht die Rede (vgl. exemplarisch J. Gnilka, Das Matthäusevangelium, I. Teil: Kommentar zu Kap.  1,1 – 13,58 [HThK I / 1], Freiburg i. Br. u. a. 21988, 68; D. M. Gurtner, The Torn Veil. Matthew’s Exposition of the Death of Jesus, [MSSNTS 139], Cambridge 2007, 134).

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in Mt 26,28 eingefügt hat, womit die Vergebung der Sünden – wie in Joh 1,29 – 3471 – streng an Christus gebunden wird: »Dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.« Zu verweisen ist darüber hinaus auf das textliche Detail, dass Matthäus im titulus crucis den Namen »Jesus« ergänzt hat (Mt 27,37), denn dies dürfte im Lichte der in Mt 1,21 gegebenen Namensdeutung zu lesen sein: Jesus ist als Gekreuzigter der, der sein Volk von den Sünden erlöst.72 Anders gesagt: Der titulus crucis in Mt 27,37 weist – ganz auf der Linie des matthäischen Kelchwortes (Mt 26,28) – den Tod Jesu als Ort der Sündenvergebung aus.73 Beide christologische Horizonte, die im Matthäusevangelium koexistieren, ohne dass sich Matthäus bemüßigt fühlte, ihr Miteinander zu klären, haben für die Gegenwart der Gemeinde direkte Relevanz. Bei der Abendmahlsparadosis ist dies unmittelbar evident. Im Herrenmahl vergegenwärtigt die Gemeinde das ihr mit der Vergebung der Sünden geschenkte Heil. Im Blick auf die Vollmacht Jesu während seines irdischen Wirkens, Menschen in der unmittelbaren Begegnung die Vergebung der Sünden durch Gott zuzusprechen, leuchtet die Gegenwartsrelevanz vielleicht nicht unmittelbar ein. Man muss aber beachten, dass Matthäus den Schluss der Perikope in Mt 9,2 – 8 neugestaltet hat: Die Volksmengen »verherrlichten Gott, der den Menschen solche Vollmacht gegeben hat« (V. 8). Es besteht ein breiter Konsens in der Matthäusexegese, dass die überraschende Rede von der Vollmacht nicht allein Jesu, sondern der Menschen den Blick auf

71

  S. dazu Hasitschka, Befreiung (s. Anm. 18), 35 u. ö.   Zum Rückverweis in 27,37 auf die Namensdeutung in 1,21 vgl. D. Senior, The Passion of Jesus in the Gospel of Matthew, Wilmington (DE) 1985, 131; J. P. Heil, The Death and Resurrection of Jesus. A Narrative-Critical Reading of Matthew 26 – 28, Minneapolis MN 1991, 80; B. Repschinski, »For He Will Save His People From Their Sins« (Matthew 1:21). A Christology for Christian Jews, in: CBQ 68 (2006), 248 – 267 (264); J. Herzer, Auferstehung und Weltende als Rätsel? Zur Funktion und Bedeutung von Mt 27,51b – 53 im Kontext der matthäischen Jesuserzählung, in: C. Böttrich u. a. (Hg.), Evangelium ecclesiasticum. Matthäus und die Gestalt der Kirche (Festschrift C. Kähler), Frankfurt a. M. 2009, 115 – 144 (139). 73   Das Zerreißen des Vorhangs im Tempel in Mt 27,51 (par Mk 15,38) steht im matthäischen Erzählduktus (auch) unter diesem Vorzeichen: Mit dem Heilstod Jesu hat der Tempel als Ort der kultisch vermittelten Sündenvergebung ausgedient (vgl. D. A. Hagner, Matthew 14 – 28 [WBC 33B], Dallas TX 1995, 849 u. a.). 72

452  Matthias Konradt die Gemeinde hin öffnet.74 In der Nachfolge Jesu ist der Gemeinde die Vollmacht zur Sündenvergebung gegeben. Anders als beim Abendmahl sind die Gemeindeglieder hier nicht in der Rolle derer, die selbst die Vergebung der Sünden empfangen, sondern derer, die die Vergebung der Sünden wirkmächtig zusprechen. Die Rede über das Gemeinschaftsleben in Mt 18, in der die Zuwendung zu den Verirrten und die unbegrenzte Bereitschaft zur Vergebung als ethische Hauptpunkte erscheinen,75 nimmt dieses Moment in Mt 18,18 auf und entfaltet zugleich die ethische Dimension der Vergebung. Durch das Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23 – 35) wird die geforderte zwischenmenschliche Vergebung (Mt 18,21 f.) dabei als notwendige Konsequenz der ungleich größeren Vergebung vorgebracht, die der Glaubende durch Gott erfahren hat. Wer selbst aus der Vergebung des sich erbarmenden Gottes heraus lebt und von seiner Schuld befreit ist, kann seinen Mitmenschen nicht wie der Schalksknecht Vergebung verweigern, jedenfalls nicht, ohne damit den ihm gewährten Schuldenerlass aufs Spiel zu setzen (Mt 18,31 – 35). Dass Matthäus zuvor Petrus die Frage nach den Grenzen der Vergebung hat aufwerfen lassen, ist kaum ohne Hintersinn geschehen, denn später wird Petrus mit seiner Verleugnung Jesu in der Tat jemand, der Schuld auf sich lädt.76 Darin aber, dass der Auferstandene den Frauen am Grab bedeutet, seinen Brüdern zu verkünden, dass sie nach Galiläa gehen sollen (Mt 28,10), und Petrus darin ganz selbstverständlich eingeschlossen ist, ist impliziert, dass Petrus vergeben worden ist und die Ankündigung Jesu in Mt 16,18 durch sein Versagen nicht in Frage gestellt wurde: Petrus ist der Fels, auf dem der 74   Vgl. für viele J. P. Meier, The Vision of Matthew. Christ, Church, and Morality in the First Gospel, New York u. a. 1978, 71 f.; J. Nolland, The Gospel of Matthew. A Commentary on the Greek Text (NIGTC), Grand Rapids MI u. a. 2005, 383; J. Park, Sündenvergebung im Matthäusevangelium. Ihre theologische und soziale Dimension, in: EvTh 66 (2006), 210 – 227 (221). Anders aber M. Gielen, Der Konflikt Jesu mit den religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes im Spiegel der matthäischen Jesusgeschichte (BBB 115), Bodenheim 1998, 92, nach der die Volksmenge »Jesu ἐξουσία als gottgegeben preist, sie jedoch noch nicht als Jesu spezifische Vollmacht erkennt, sondern sie als prinzipielle Möglichkeit für die Menschen […] betrachtet«. 75   S. dazu M. Konradt, »Whoever humbles himself like this child …«. The Ethical Instruction in Matthew’s Community Discourse (Matt 18) and its Narrative Setting, in: ders., Studien zum Matthäusevangelium, hg. v. A. Euler (WUNT 358), Tübingen 2016, 381 – 412 (387 – 411). 76   Vgl. D. W. Ulrich, True Greatness. Matthew 18 in Its Literary Context, Diss. masch., Union Theological Seminary Richmond VA 1996, 249 f.254 f.

»Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48)  453

Auferstandene seine ecclesia erbaut,77 und als dieser Fels der ecclesia fungiert Petrus als eine Art Sinnbild für die Vergebung als Grundprinzip der Kirche. Dieser Aspekt wird durch Mt 18,20 bekräftigt. Inmitten der Rede in Mt 18 verweist Matthäus hier auf die Gegenwart Christi und bringt damit die christologische Basis, die die ganze Rede trägt, zum Ausdruck.78 Denn der Immanuel, der dort, wo zwei oder drei versammelt sind, gegenwärtig ist, ist dem Kontext nach – Mt 18 ist Jesu Rede an die Jünger auf dem Weg nach Jerusalem79 – der Christus, der den Weg ans Kreuz auf sich nimmt, um für »die Vielen« (Mt 26,28, vgl. Mt 20,28) Vergebung der Sünden zu erwirken. Wenn der Gemeinde in Mt 18,18 Binde- und Lösegewalt zugesprochen wird, dann hat die Gemeinde diese Vollmacht nicht aus sich selbst heraus, sondern dank der Gegenwart Jesu Christi in ihrer Mitte (Mt 18,20), der wiederum als Immanuel das Mitsein Gottes vermittelt. Und umgekehrt verpflichtet die Gegenwart Christi die Gemeindeglieder dazu, einander zu vergeben. Kurz gesagt: Jesu Vergebung der Sünden bringendes Wirken in Galiläa und auf Golgatha ist für Matthäus der Lebensgrund der Kirche, zwischenmenschliche Vergebung ihre wesentliche Lebensform.80 Wo Vergebung verweigert wird, wo die erfahrene Befreiung nicht das Leben der Gemeinde und ihrer Glieder bestimmt, hört Kirche auf, Kirche zu sein.

77   Zum Bezug des Futurs οἰκοδομήσω in Mt 16,18 auf die mit der nachösterlichen Aussendung der Jünger in 28,16 – 20 anhebende Mission s. Konradt, Israel (s. Anm. 69), 371 f. 78  Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 3. Teilbd.: Mt 18 – 25 (EKK I / 3), Zürich u. a. 1997, 52, der 18,20 treffend als »das christologische Zentrum des ganzen Kapitels« bezeichnet. 79   Zu dieser kontextuellen Einbindung von Mt 18 s. M. Konradt, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen 2015, 281 f. 80  So in Abwandlung einer prägnanten Formulierung von Knut Backhaus zur matthäischen Konzeption, in der Jesu Heilstod ins Zentrum gerückt wird: »Jene Versöhnung mit Gott, die er mit seinem Heilstod vollendet hat, muß im Prozeß kirchlicher Versöhnung leibhaft Gestalt finden. Sühne wird kirchlicher Lebensgrund, Versöhnung kirchliche Lebensform« (Backhaus in: Fischer / Backhaus, Sühne [s. Anm. 55], 84).

Vergebung der Sünden – Befreiung zum Leben Christine Schliesser

1. Einleitung »Das Christentum hat die Idee der Vergebung – dass Menschen einander ihre Übeltaten vergeben können [und sollen] und dass Gott den Menschen ihre Sünde[n] vergibt  – auf die Spitze getrieben.«1 Im Folgenden werden einige »Spitzen« des christlichen Vergebungsdiskurses aus systematisch-theologischer Perspektive identifiziert und beleuchtet. Es sind dies einerseits Spitzensätze und -inhalte im Sinne zentraler Aussagen christlicher Theologie, andererseits »Spitzen« bzw. »Stachel im Fleisch«, die bleibende Herausforderungen markieren. Die folgenden Ausführungen sind dabei geleitet von dem Bemühen um begriffliche Klärung, theologische Durchdringung und empirische Bewährung. Zunächst werden einige Beobachtungen an Text und Kontext des vierten Glaubenssatzes im dritten Artikel festgehalten. Es folgen grundsätzliche dogmatische Klärungen, an die sich einige ethische Überlegungen anschließen. Abschließend wird mit Hilfe eines aktuellen Fallbeispiels der Versuch unternommen, das Erarbeitete in der konkreten Lebenswirklichkeit zu verorten. Als Fallbeispiel dient die Suche nach Vergebung und Versöhnung im gegenwärtigen post-genozidalen Ruanda.

2.  Erste Beobachtungen am Text und Kontext Aufgrund der theologischen Verortung der Sündenvergebung im Ereignis des Lebens und Sterbens Jesu Christi ließe sich sachlogisch auch eine Einbindung in den zweiten Artikel plausibilisieren. Stattdessen wurde die Vergebung der Sünden jedoch dem dritten Artikel zugeordnet. Dabei lassen sich ekklesiologische, ethische und eschatologische Dimensionen erkennen, die im Topos der Vergebung der Sünden miteinander verknüpft sind. 1   H.-C. Askani, Vergebung der Sünden IV. Systematisch-theologisch, TRE 34 (2002), 678 – 686 (678).

456  Christine Schliesser Auf die ekklesiologische Dimension weist die Urform des Glaubensbekenntnisses als Taufbekenntnis.2 Sie wird im Nizäno-Konstantinopolitanum besonders gut sichtbar,3 wenn dort das Bekenntnis zur Sündenvergebung durch den expliziten Hinweis auf die Taufe erweitert wird: »Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.«4 Auch wenn ein Verweis auf das zum Wesen der Kirche gehörende (vgl. CA VII)5 Taufsakrament im Apostolikum fehlt, wird der ekklesiologische Zusammenhang darin deutlich, dass »die Vergebung der Sünden« unmittelbar an die »heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen« angeschlossen wird. »Die Verbindung von Gemeinschaft der Heiligen und Vergebung der Sünden hat hier einen ganz konkreten institutionellen Bezug.«6 An dieser Stelle ist besonders auf die Ausführungen von Matthias Konradt in diesem Band zum Gemeindebezug der Sündenvergebung bei Matthäus zu verweisen.7 In der Locierung der Sündenvergebung im dritten Artikel und damit im Bekenntnis zum Glauben an den Heiligen Geist tritt zugleich eine ethische Dimension zu Tage. Anne Käfer macht deutlich, dass die Tätigkeiten, die dem Heiligen Geist »zugeschrieben werden, […] das Heiligen der menschlichen Geschöpfe und Vollenden der Schöpfung«8 sind. Dabei gilt, dass »das Wirken des Heiligen Geistes […]

2   W. Pannenberg, Das Glaubensbekenntnis ausgelegt und verantwortet vor den Fragen der Gegenwart, Gütersloh 61995, 9. 3   Der Text ist erstmals überliefert vom Konzil von Chalcedon (451), wo er öffentlich verlesen und als Glaubensbekenntnis von Konstantinopel (»Bekenntnis der 150 heiligen Väter«) bezeichnet wird. Dabei werden sowohl das Bekenntnis von Nicäa als auch das Nizäno-Konstantinopolitanum bestätigt. 4   Der griechische Originaltext hat durchgängig die Mehrzahl. In der Fassung der lateinischen und auch der griechischen Liturgie steht durchgängig die Einzahl (»Ich glaube […]«). Dies deswegen, weil das Bekenntnis als Taufbekenntnis des Einzelnen gebräuchlich war, während es im griechischen Original als verbindendes Bekenntnis des Konzils konzipiert ist. 5   »Est autem Ecclesia congregatio sanctorum, in qua Evangelium recte docetur et recte administrantur Sacramenta.« Zitiert nach: Confessio Augustana, in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien, hg. v. I. Dingel, Göttingen 2014, 84 – 225 (103). 6   Pannenberg, Glaubensbekenntnis (s. Anm. 2), 169. 7   M. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48). Die Vergebung der Sünden im Neuen Testament unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Doppelwerks und des Matthäusevangeliums, 425 – 453. 8   A. Käfer, Glauben bekennen, Glauben verstehen. Eine systematisch-theologische Studie zum Apostolikum (Theologische Studien 9), Zürich 2014, 67.

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nicht ohne menschliche Mitwirkung«9 geschieht. Im Blick auf die Sündenvergebung wird die Korrespondenz zwischen göttlichem und menschlichem Handeln beispielhaft in der fünften Vaterunserbitte deutlich. Die Verknüpfung der ethischen mit der ekklesiologischen Dimension zeigt sich, wenn Kirche nicht nur als »Erkenntnis-, Bekenntnis- und Kommunikationsraum von Vergebung«, sondern auch als »Erprobungs- und Bewährungsraum von Vergebung« verstanden wird.10 Die eschatologische Dimension schließlich wird in der Verknüpfung der Sündenvergebung mit dem Bekenntnis des Glaubens an die »Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben« sichtbar. Mit Wolfhart Pannenberg lässt sich Sündenvergebung als »gegenwärtige Wirkung des in Jesus Christus erschienenen Heils Gottes auf das Leben der ihm verbundenen Menschen« fassen, die zugleich vorausweist auf »die künftige, vollendete Heilsteilhabe«,11 wie sie in den abschließenden Worten des apostolischen Bekenntnisses zum Ausdruck gebracht wird.12 Die genannten drei Dimensionen schwingen im Folgenden stets – mal mehr, mal weniger explizit – mit, wenn nun unter Verweis auf drei dogmatische und drei ethische Spitzen der Versuch unternommen wird, sich dem Wesen der Sündenvergebung anzunähern.

9

 Ebd.   M. L. Frettlöh, Vergebung oder »Vernarbung der Schuld«? Theologische und philosophische Notizen zu einer frag-würdigen Alternative im gesellschaftlichen Umgang mit Schuld, in: EvTh 70 (2010), 116 – 129. 11   Pannenberg, Glaubensbekenntnis (s. Anm. 2), 168. 12   Auch Luther weist auf die Verbindung von Sündenvergebung und dem zukünftigen Leben, wenn er das dauerhafte Angewiesen-Sein auf die Vergebung als simul iustus et peccator mit der Hoffnungsgewissheit auf das kommende Leben, in dem Vergebung nicht mehr notwendig sein wird, verknüpft. »Denn itzt bleiben wir halb und halb rein und heilig, auff das der heilige Geist immer an uns arbeite durch das wort und teglich vergebung austeile biss in jenes leben, da nicht mehr vergebung wird sein, sondern gantz und gar rein und heilige Menschen, voller frömkeit und gerechtigkeit, entnomen und ledig von Sünd, Tod und allem unglück in einem neuen unsterblichen und verklertem leibe.« Zitiert nach: M. Luther, Der Großer Katechismus, in: Bekenntnisschriften (s. Anm. 5), 912 – 1162 (1066). 10

458  Christine Schliesser

3.  Vergebung der Sünden: Dogmatische Spitzen Spitze 1: Sünde ist von der Sündenvergebung her wahrzunehmen. Für das Folgende ist die Grundentscheidung leitend, Sünde von der Sündenvergebung her zu bestimmen und wahrzunehmen.13 »So gewiß […] die Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes geschah, um unsere Sünde zu tilgen, so gewiß also Christus für uns gestorben ist, so gewiß läßt sich […] erst aufgrund der Rechtfertigung des Sünders bestimmen, was Sünde ist.«14 Indem Sünde also von der Vergebung her wahrgenommen wird, treten folgende Aspekte der Rechtfertigung und Heiligung in das Blickfeld. Mit Christof Gestrich ist dabei die Forderung nach »einer wirklich evangelischen Pönitenz«15 aufzugreifen. Auch die reformatorische Tradition kennt das »Bußsakrament« bzw. das »Sakrament der Versöhnung«, das von Luther hochgeschätzt wurde. Nicht die guten Werke an sich, sondern lediglich ihre angeblich heilsbringende Wirkung wurde von den Reformatoren verworfen. Die anhaltende Bedeutung guter Werke für die Reformatoren tritt in CA XII im Kontext des Bußsakraments klar hervor. Auf die contritio cordis, die Zerknirschung des Herzens, und den Glauben, der sich in der empfangenen Absolution aus dem Evangelium speist, folgen ganz natürlich die guten Werke: Deinde sequi debent bona opera, quae sunt fructus poenitentiae (Darauf müssen gute Werke folgen, die die Früchte der Buße sind).16 Doch standen – insbesondere in der lutherischen Tradition – gute Werke oftmals unter dem Generalverdacht einer Werkgerechtigkeit. So beklagte etwa Adolf Schlatter (1852 – 1938), dass in der nachreformatorischen Orthodoxie ein abstraktes Rechtfertigungsverständnis

13  Vgl. C. Gestrich, Was bedeutet es, von der Sündenvergebung her die Sünde wahrzunehmen?, in: S. Brandt / M. H. Suchocki / M. Welker (Hg.), Sünde. Ein unverständlich gewordenes Thema, Neukirchen-Vluyn 1997, 57 – 68. 14   E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 1977, 303, Anm. 73. Vgl. G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens I, Tübingen 1979, 373: Es gelte, »daß im Verständnis des Glaubens gar nicht von der Sünde zu reden ist und um Sünde gewußt wird, ohne daß um ihre Vergebung gewußt wird, um die ihr unendlich überlegene Macht der Liebe Gottes.« 15   Gestrich, Sündenvergebung (s. Anm. 13), 67. Vgl. hierzu G. Prüller-­ Jagenteufel / C. Schliesser / R. K. Wüstenberg (Hg.), Beichte neu entdecken. Ein ökumenisches Kompendium für die Praxis, Göttingen 2016. 16   Confessio Augustana (s. Anm. 5), Art. XII, 107.

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vorherrsche, das eine »träge Frömmigkeit« hervorgebracht habe.17 Passive Gläubige und eine passive Kirche waren, so Schlatter, die Folge. Diesem Missverständnis ist der Gedanke entgegen zu setzen, dass das freudige Tun Dankbarkeit über die erfahrene Vergebung und Rechtfertigung zum Ausdruck bringt. »Ohne solche Wahrnehmung einer unverdächtigen, einer guten eigenen Kraft, bleibt die Sündenvergebung gleichsam unterwegs stecken; sie entfaltet sich nicht.«18 Hatte Schlatter ein problematisches Rechtfertigungsverständnis und den »pietistischen Quietismus« seiner Zeit kritisiert, so beschrieb Søren Kierkegaard (1813 – 1855) ein verzerrtes Heiligungsverständnis seiner lutherischen Mitmenschen unter dem ironischen Motto: »[H]och Luther! Wer nicht liebt Weiber, Wein, Gesang, Er wird ein Narr sein Leben lang.«19 Denn wenn allein die Gnade alles bewirkt und die Sündenvergebung alles bedeckt, dann kann alles so bleiben wie es ist. Gute Werke wurden damit nicht nur für Gnade und Rechtfertigung überflüssig, sondern auch für das gesamte christliche Leben und Handeln. Dieses Missverständnis von Gnade und Sündenvergebung wurde im 20. Jahrhundert von Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) unter dem Stichwort der »billigen Gnade« scharf kritisiert. »Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament […]. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. […] Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.«20

Bonhoeffer sah in der billigen Gnade den Todfeind der Kirche. Er stimmte mit Kierkegaard überein, dass Luther heute wohl das Gegenteil von dem sagen würde, was er damals gesagt hat.21 »Jedoch denke dir Luther in unsrer Zeit, aufmerkend auf unsern Zustand, meinest du nicht, er würde sagen, […] der Apostel Jakobus muß ein wenig 17

  A. Schlatter, Das christliche Dogma, Stuttgart 1911, 468.   Gestrich, Sündenvergebung (s. Anm. 13), 67. 19   S. Kierkegaard, Erbauliche Reden 1850 / 51. Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen – Urteilt selbst, in: ders., Gesammelte Werke 19, Düsseldorf 1953, 51. 20   D. Bonhoeffer, Ethik, hg. v. I. Tödt / M. Kuske, München 1989, 29 f. 21   D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, hg. v. C. Gremmels / E. Bethge / R. Bethge, Gütersloh 1998, 179. 18

460  Christine Schliesser hervorgeholt werden, nicht für die Werke gegen den Glauben, […] sondern um des Glaubens willen […].«22 Dabei geht es nicht darum, Werke gegen den Glauben auszuspielen, sondern um des Glaubens willen die Werke nicht zu vernachlässigen. Sola fide numquam sola (»Das ›allein aus Glauben‹ bleibt niemals allein«).23 »[W]eil Gott für unser Heil genug getan hat, können wir für das Wohl der Welt nicht genug tun.  […] Es gibt keine befreiendere Grundlegung der Ethik als die Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein durch Glauben.«24 Indem also Sünde von der Sündenvergebung her wahrgenommen wird, ist eine »wirklich evangelische Pönitenz«25 im Blick, die zugleich das mögliche Missverständnis einer »billigen Gnade« (Bonhoeffer) abwehrt. Im Folgenden ist nun zu fragen, was diese Einsicht für die Erkenntnis dessen bedeutet, was als Sünde zu bestimmen ist. Geschieht diese Erkenntnis mit Hilfe des Gesetzes oder des Evangeliums? Paulus hält in Röm 3,20 fest, dass Sünde durch das Gesetz erkannt wird. Im Rückgriff auf Paulus beschreibt auch Luther in seinem Großen Galaterkommentar (1531) die Funktion des secundus usus legis dahingehend, dass dieser Brauch des Gesetzes die Sünden mehrt und vergrößert, während er dabei zugleich dem Menschen seine Sünden offenbar macht.26 Und doch zeigt sich, dass die bloße Kenntnis des Gesetzes Gottes noch nicht ausreicht, um dem Menschen sein vollständiges Gefangensein in der Sünde vor Augen zu führen. Um den Menschen aus seiner Blindheit zu befreien, ist mehr vonnöten, nämlich das Evangelium, das durch den Heiligen Geist zum Glauben befähigt. Es zeigt sich hier, dass die Lehre von der Sünde in einen sachlichen »Zusammenhang mit der Pneumatologie« bzw. der Theologie des 3. Glaubensartikels gehört. »[D]em entspricht, daß die Sünde nur als vergebene und so als geglaubte« angemessen »ausgesagt werden 22   Kierkegaard fährt fort: »[U]m, womöglich, zu verhindern, daß […] der Glaube und die Gnade als das allein Erlösende […] ganz und gar eitel genommen werde, ein Schalksdeckel werde für eine sogar raffinierte Weltlichkeit« (Kierkegaard, Selbstprüfung [s. Anm. 19], 59). 23   Eberhard Jüngel greift diese von Paul Althaus stammende Wendung auf. E. Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, Tübingen 52006, 220. 24  Ebd. 25   Gestrich, Sündenvergebung (s. Anm. 13), 67. 26   M. Luther, Großer Galaterkommentar (1531) zu Gal 3,19, WA 39 / I, 480 f.

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kann«. Nur so wird Sünde – im doppelten Sinne – »bekannt«. Unter diesem Vorzeichen, Sünde von der Sündenvergebung her zu verstehen, kann es nun darum gehen, das Wesen der Sünde näher zu bestimmen. 27

Spitze 2: Sünde als verweigerte Liebesbeziehung und verfehltes Leben Dazu ist zunächst einmal zu klären, wie Sünde im Unterschied zu Schuld zu bestimmen ist. Karin Scheiber unterscheidet zwischen Sünde und Schuld wie folgt: »[M]it ›Schuld‹ wird die Ursache der Störung der moralischen Beziehung zwischen Menschen benannt, mit ›Sünde‹ die Ursache der Störung der Beziehung zwischen Gott und Mensch.«28 Es ist Scheiber zuzustimmen, wenn sie Sünde ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch bezieht. Die strikte Reduktion von Schuld auf die zwischenmenschliche Ebene erweist sich hingegen nicht zuletzt vor dem Hintergrund des neutestamentlichen Sprachgebrauchs als problematisch. So findet sich etwa in der matthäischen Version des Vaterunsers in der fünften Bitte der Begriff ὀφείλημα (»Schuld«) um den Störfaktor der Beziehung zwischen Gott und Mensch zu beschreiben. Plausibler erscheint es daher, auch den Schuldbegriff für das Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch offen zu halten. Schuld tritt dabei als eine Konsequenz von Sünde in den Blick, die sowohl das zwischenmenschliche Verhältnis als auch das Verhältnis zwischen Gott und Mensch belastet. Der Vielschichtigkeit des Schuldbegriffs ist es wohl nicht zuletzt auch zu verdanken, dass »der blinde Fleck der Ethik […] die Schuld in ihrer umfassenden Form« ist.29 In seinem Versuch, sich dem Phänomen der Schuld anzunähern, unterscheidet Karl Jaspers vier Dimensionen.30 Die kriminelle Schuld zeigt sich in konkreten Verstößen gegen geltende Gesetze. Die moralische Schuld erweist sich in der je individuellen Verantwortung auch dann, wenn keine Gesetzesverstöße vorliegen oder nachzuweisen sind. Mit der politischen Schuld erfasst Jaspers die Schuld von Politikerinnen und Politikern, an der die Bürgerinnen und Bürger eine 27   H.-S. Haas, »Bekannte Sünde«. Eine systematische Untersuchung zum theologischen Reden von der Sünde in der Gegenwart, Neukirchen-Vluyn 1992. 28   K. Scheiber, Vergebung. Eine systematisch-theologische Untersuchung, Tübingen 2006, 315 f. 29   S. Grätzel, Schuld  – der blinde Fleck der Ethik. Dimensionen des Schuldbegriffs, in: S. Beyerle / M. Roth / J. Schmidt (Hg.), Schuld. Interdisziplinäre Versuche ein Phänomen zu verstehen, Leipzig 2009, 29 – 41 (29). 30   K. Jaspers, Philosophie (Existenzerhellung, Bd. 2), Berlin 41973.

462  Christine Schliesser (abgestufte) Mitverantwortung tragen. Schließlich zeigt sich in der metaphysischen Schuld die Mitverantwortung eines und einer jeden an den Ungerechtigkeiten dieser Welt. Wurde die Ethik in der Antike bis ins Hochmittelalter als Tugendlehre konzipiert, richtete sich der Blick danach vor allem auf die Pflicht und auf Gebote. In der Neuzeit liegt der Fokus auf der kriminellen Schuld, während andere Dimensionen von Schuld in den Hintergrund treten (»Das ist nicht meine Schuld! Dafür trage ich keine Verantwortung!«). Aus theologischer Perspektive ist Jaspers vierfache Differenzierung des Schuldphänomens daher insofern hilfreich, als sie den Blick weitet und auch Schuldverstrickungen jenseits der individuellen schuldhaften Tat zu erfassen vermag. In vergleichbarer Weise geht auch der Sündenbegriff über eine Verengung auf einzelne Tatsünden hinaus und umfasst Akt und Sein.31 Der neutestamentliche Sprachgebrauch vermittelt »die Vorstellung eines menschlichen Verhaltens, durch das ein angestrebtes Ziel, ein Weg, eine Beziehung verfehlt wird«.32 Dieses Verständnis wird von den Reformatoren aufgegriffen, wenn Sünde als »der Bruch des Gottesverhältnisses durch den Menschen«33 gefasst wird. Sünde geht damit auch über ein quantitativ-graduelles Verständnis, etwa als »Trübung« des Gottesbewusstseins (Schleiermacher) hinaus.34 Stattdessen eignet ihr eine qualitative Dimension. Der Grundakt der Sünde ist, so Luther, der Unglaube. Im Unglauben verschließt sich der Mensch gegenüber Gottes Liebe und weist sie zurück. Die verweigerte Liebes-

31  Zu den »Zuständen und Akten der Sünde« vgl. J. M. Lochman, Ich glaube die Vergebung der Sünden. Generalnenner des christlichen Lebens, in: Reformatio 30 (1981), 526 – 537 (531). 32   W. Härle, Dogmatik, Berlin 22000, 461. Besonders für den neutestamentlich-paulinischen Sprachgebrauch ist es des Weiteren charakteristisch, Sünde als »Macht« zu kennzeichnen, der der Mensch hoffnungslos verfallen ist. Luther fasst daher die Summe des Römerbriefes als »magnificare peccatum«, die Sünde großmachen (M. Luther, Römerbriefvorlesung, 1515 / 16; WA 56, 1,9). Denn zum Wesen der Sünde gehöre es, sich selbst »klein« und damit harmlos zu machen, um auf diese Weise vorzutäuschen, der Mensch sei nicht grundlegend auf die Gnade Gottes und auf seine Vergebung angewiesen. 33   W. Krötke, Sünde / Schuld und Vergebung, I. Begrifflichkeit, RGG4 7 (2004), 1867 – 1868 (1867). 34   Zum Sündenverständnis bei Schleiermacher vgl. C. Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit. Studien zum Verhältnis von Subjektivität und Sünde bei August Tholuck, Julius Müller, Sören Kierkegaard und Friedrich Schleiermacher, Tübingen 1996.

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beziehung manifestiert sich als Lieblosigkeit gegenüber Gott, dem Nächsten, mir selbst und meiner Umwelt.35 Sünde kommt damit eine passive und eine aktive Komponente zu; sie ist Trägheit und Auflehnung zugleich. In der Geschichte der christlichen Sündenlehre wurden beide Aspekte je unterschiedlich betont. Trat wie in der reformatorischen Theologie der passive Charakter des Glaubens in den Vordergrund, wurde die aktive Komponente der Sünde hervorgehoben. Der Trägheitscharakter der Sünde und das Verharren im »Fleisch« wurden hingegen dort betont, wo die aktive Seite des Glaubens in den Vordergrund trat, wie in der orthodoxen und römisch-katholischen Tradition.36 Die Ausweglosigkeit und Universalität der Sünde ist in der theologischen Vorstellung, besonders in augustinischer Tradition, mit der Erbsünde verbunden. Dieser Begriff erwies sich in der Theologiegeschichte jedoch immer wieder als problematisch, u. a. weil dadurch die jedem Menschen zukommende Menschenwürde verdunkelt wurde. Das damit verbundene Anliegen hingegen, das Sünder-Sein aller zum Ausdruck zu bringen und mit dem Angewiesen-Sein aller auf die rettende Gnade zu verbinden, ist weiterhin aufrechtzuerhalten. Zugleich weist das Konzept der Erbsünde auf einen weiteren wesentlichen Aspekt hin: Sünde umfasst neben individuellen auch überindividuelle Aspekte. Um dies zu verdeutlichen, sei nochmals auf Jaspers vierfach gefasstes Schuldverständnis verwiesen, vor allem auf die politischen und metaphysischen Dimensionen. Es zeigt sich, dass Sünde und Schuld nicht nur im Individuum zu verorten sind, sondern ebenso in Strukturen, Institutionen und Ordnungen, auf die das einzelne Individuum zwar oftmals nur bedingt Einfluss hat, aber dennoch Teil von ihnen ist. Nur vor diesem Hintergrund erschließt es sich, wenn ganze Gesellschaftsstrukturen wie beispielsweise das südafrikanische Apartheidsystem aus theologischer Perspektive als »sündhaft« beschrieben werden.37 35   Zum Zusammenhang von erstem Gebot und »Dreifachgebot«, s. Käfer, Glauben bekennen (s. Anm. 8), 34, Anm. 35. Käfers Verständnis des Dreifachgebots der Liebe als Liebe zu Gott, Nächstem und selbst ist noch die Liebe zur (nichtmenschlichen) Umwelt an die Seite zu stellen. 36  Vgl. Krötke, Sünde / Schuld und Vergebung (s. Anm. 33), 1890, sowie Gestrich, Sündenvergebung (s. Anm. 13), 59. 37   1982 verurteilte der Reformierte Weltbund unter der Führung des Südafrikaners Allan Boesak das Apartheidssystem auch aus theologischer Warte als Sünde: »We declare with black Reformed Christians of South Africa that apartheid (›separate development‹) is a sin, and that the moral and theo-

464  Christine Schliesser In der Kunstgeschichte wird die umfassende Ausweglosigkeit der Sünde u. a. im Apostelcredo verdeutlicht, das jedem der zwölf Apostel einen der zwölf Glaubenssätze zuordnet. Für die Sündenvergebung ist dabei Judas Thaddäus zuständig. Dieser Apostel entwickelte sich in der Tradition zu einem Fürsprecher in ausweglosen Situationen und zu einem Patron des Unmöglichen. Welch passende Beschreibung der Sündenvergebung! Warum hingegen der brasilianische Fußballclub »Flamengo Rio de Janeiro« Judas Thaddäus zu seinem Schutzpatron ernannt hat, und ob dafür dessen Verbindung zur Vergebung von Sünden oder die mit ihm verbundene Hoffnung auf das Eintreten des Unmöglichen ausschlaggebend war, darüber kann hier nur spekuliert werden. Doch zurück zur Theologie. Das theologische Verständnis von Sünde als verweigerte Beziehung und verfehltes Leben, individuell und überindividuell, unterscheidet sich nach dem bisher Ausgeführten grundlegend von der gegenwärtigen Alltagssprache, wo man der Sünde primär in der Gestalt von Sahnetorten oder sexuellen Verfehlungen begegnet. Doch wo Sünde nicht mehr als umfassende und den Menschen als in seiner konkreten Existenz betreffende Daseinsverfehlung verstanden wird – oder verstanden werden kann – , verdunkelt sich zugleich die lebensspendende Kraft der Vergebung. Die simple Forderung »Schluss mit Sünde!«, wie sie jüngst Klaas Huizing formulierte, zielt am Problem vorbei.38 Vielmehr muss es zu den Aufgaben gegenwärtiger Theologie gehören, die zentrale theologische Bedeutung von Sünde und von Vergebung in die Gegenwart zu übersetzen und ihre bleibende Relevanz deutlich zu machen. Spitze 3: Vergebung der Sünden als Befreiung zum Leben Wenn Sünde als verfehlte Beziehung, ja verfehltes Leben gefasst wird, dann ist die Vergebung der Sünden Befreiung, Befreiung zum Leben. »Sündenvergebung bedeutet Befreiung von allem, was uns von Gott und damit von einem erfüllten und freien Leben trennt.«39 Für Luther und die Reformatoren gewinnt die Befreiung zum Leben besondere Prägnanz in der Lehre von der Rechtfertigung. Zu ihren logical justification of it is a travesty of the Gospel and, in its persistent disobedience to the Word of God, a theological heresy.« Zitiert in: J. W. De Gruchy / C. Villa-Vicencio, Apartheid is a heresy, Kapstadt 1983, 170. 38   K. Huizing, Schluss mit Sünde! Warum wir eine neue Reformation brauchen, Hamburg 2017. 39   Pannenberg, Glaubensbekenntnis (s. Anm. 2), 168.

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zentralen Einsichten gehört, dass der Mensch nicht aus sich selbst frei ist, sondern dass ihm wahre Freiheit erst von Gott her zukommt. Gefangen in der incurvatio in se ipsum bedarf es der Befreiung von außen, extra nos.40 Das rettende Entgegenkommen von außen lässt sich anschaulich am »Gleichnis vom verlorenen Sohn« (Lk 15,11 – 32) zeigen, das aus der Perspektive der Sündenvergebung zu Recht als evangelium in evangelio bezeichnet wird. Nicht Selbstgerechtigkeit, sondern die rechtfertigende Liebe des vergebenden Vaters steht für Lukas im Zentrum. »Das ist die magna charta des Menschseins im Sinne des Evangeliums: die Sündenvergebung.«41 Die Freude an der Befreiung zum Leben durch die Vergebung der Sünden verdunkelte sich jedoch im Verlauf der Kirchengeschichte als die Sündenvergebung zunehmend das Zerrbild einer gesetzlichen Bußpraxis annahm. Bis heute ist etwa die Beichte, der doch das ungeheure Potential eines Neuanfangs innewohnt, überwiegend negativ konnotiert. Dagegen gilt es, die menschenfreundliche und schöpferische Kraft von Beichte und Vergebung neu ins Licht zu setzen. Im evangelischen Kontext war es insbesondere Dietrich Bonhoeffer, der die lebensspendende Kraft der Beichte erkannte und um ihre Wiedergewinnung bemüht war.42 »Wir dürfen nicht Sünder sein. Unausdenkbar das Entsetzen vieler Christen, wenn auf einmal ein wirklicher Sünder unter die Frommen geraten wäre. Darum bleiben wir mit unserer Sünde allein, in der Lüge und der Heuchelei; denn wir sind nun einmal Sünder.«43 In der geschwisterlichen Beichte sieht er daher den notwendigen »Durchbruch zur Gemeinschaft«.44 Indem Bonhoeffer klassisch die superbia als die Wurzel der Sünde 40  In seinem Galaterbrief-Kommentar weist Luther auf die zentrale Bedeutung des extra nos. »Und das ist die Weise, durch die unsere Theologie ihre Gewissheit hat: weil sie uns von uns selbst wegreisst und ausserhalb von uns selbst stellt, damit wir uns nicht stützen auf unsere Kräfte, Gewissen, Erfahrung, Person, Werke, sondern damit wir uns stützen auf das, was ausserhalb von uns ist, das ist die Verheissung und Wahrheit Gottes, die uns nicht täuschen kann.« M. Luther, Galaterbrief-Kommentar, WA 40, I, 585 (Übersetzung J. M. Lochman). 41   Lochman, Vergebung (s. Anm. 31), 533. 42  Vgl. C. Schliesser, Beichte als »Angebot göttlicher Hilfe«. Ökumenische Ermutigungen auf den Spuren Dietrich Bonhoeffers, in: Prüller-Jagenteufel / Schliesser / Wüstenberg, Beichte (s. Anm. 15), 205 – 215. 43   D. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben. Das Gebetbuch der Bibel, hg. v. G. L. Müller / A. Schönherr, München 1987, 93. 44   A. a. O., 94.

466  Christine Schliesser ausmacht,45 geschieht in der Beichte der »Durchbruch zum Kreuz«, dem der »Durchbruch zum neuen Leben« folgt.46 Die Befreiung zum neuen Leben zeichnet sich durch den in der Beichte erfolgten »Durchbruch zur Gewißheit« aus, die jeden Selbstzweifel an der zugesprochenen Vergebung zerreißt.47 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Beichte nicht als Gesetz, sondern als »ein Angebot göttlicher Hilfe« dar.48 Dieses bleibende Angebot der Befreiung zum Leben neu und attraktiv zur Sprache zu bringen, gehört damit ebenfalls zu den Herausforderungen gegenwärtiger Theologie. Schließlich ist die in der Vergebung erfolgende Befreiung nicht nur Befreiung von – von den Sünden, von der Selbstverkrümmung – , sondern sie ist zugleich Befreiung für. Durch die Sündenvergebung erfolgt die Befreiung für Gott und den Nächsten. Freiheit versteht sich daher als Beziehungsbegriff. Ohne ihre Ausrichtung auf den anderen bleibt sie unterbestimmt.49 Auch hier schwingen die drei oben genannten Dimensionen mit. Ekklesiologisch zugespitzt zeigt sich Freiheit-für, indem sich Kirche als Kirche-für-andere versteht.50 Ihre ethischen Implikationen erhält die Freiheit-für in der konkreten Entfaltung des sola fide numquam sola als das freudige Tätigsein für Gott und den Nächsten. Die eschatologische Dimension schließlich bettet jedes christliche Handeln in eine Hoffnungsperspektive ein, die über sichtbare Erfolge und Misserfolge hinausreicht. Als Zwischenergebnis ist bisher festzuhalten: Zum Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen wurde die Wahrnehmung der Sünde von der Vergebung her bestimmt. Darin zeigten sich zugleich Ansätze »einer wirklich evangelischen Pönitenz« (Gestrich), die das reformatorische sola gratia mit einem fröhlichen Tätigsein der Christen verbindet. Ausgehend von der Vergebung wurde Sünde sodann über 45

  Vgl. Th. von Aquin, Summa Theologiae II - II q. 162 a.7.   Bonhoeffer, Gemeinsames Leben (s. Anm. 43), 95 f. 47   A. a. O., 97 f. 48   A. a. O., 98. 49   Diese Doppelausrichtung des christlichen Freiheitsverständnisses und die ihr inhärente paradoxe Verbindung von Freiheit und Dienst zeigt sich bereits in der bekannten Doppelthese aus Luthers Freiheitsschrift. »Eyn Christen mensch ist eyn freyer herr über alle ding und niemandt unterthan. Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und yderman unterthan.« M. Luther, Von der Freyheyt eynisz Christen menschen (1520), WA 7, 20 – 38 (20). 50  Vgl. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (s. Anm. 21), 560: »Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.« 46

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die einzelne Tatsünde hinaus als verweigerte Liebesbeziehung und verfehltes Leben definiert. Vor diesem Hintergrund trat die Vergebung der Sünden als Befreiung und Durchbruch zum Leben klar hervor, was mit Anstößen zur Wiedergewinnung einer evangelischen Beichtpraxis verbunden wurde. Einige der ethischen Dimensionen aus den bisherigen Überlegungen deutlich zu machen, dient das Folgende.

4.  Vergebung der Sünden: Ethische Spitzen Spitze 4: Zuspruch und Anspruch der Vergebung Wenn es theologisch sachgemäß ist, Sünde als Totalbestimmung menschlicher Existenz zu fassen, dann stellt sich Sünde als ein Grundproblem christlicher Ethik dar.51 Im Wissen um die zerstörerischen Auswirkungen der Sünde auf das menschliche Handeln und Verhalten in der Welt, fragt christliche Ethik nach einem Ethos, das von der Vergebung der Sünden her kommt und vom Glauben an den rechtfertigenden Gott lebt. Das christliche Ethos »hat sein Zentrum in der Liebe, mit welcher Menschen der in der Vergebung der Sünden erwiesenen Liebe Gottes menschlich entsprechen.«52 Es sind vor allem die Beziehungen des Menschen in ihrer vierfachen Ausdifferenzierung – zu Gott, zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur Umwelt – die dabei in den Fokus rücken.53 Im Folgenden wird es vor allem um die dritte Ebene gehen, den Beziehungen der Menschen untereinander sowie um die spezifischen Fragen und Herausforderungen, die sich im Kontext zwischenmenschlicher Vergebung stellen. Zwischenmenschliche Vergebung ist als beziehungsheilende und beziehungsermöglichende Dynamik zu verstehen, schöpft sie sich doch aus der Vergebung, die der Mensch von Gott erfährt. Paradigmatisch wird der Zuspruch und Anspruch der Vergebung in der fünften Bitte des Vaterunsers in kaum zu übertreffender Zuspitzung verdeutlicht: »Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben 51   Ethik wird hier als ein Theorieunternehmen verstanden, nämlich als die »Reflexion auf das gute Leben und richtige Handeln« (H.-R. Reuter, Grundlagen und Methoden der Ethik, in: W. Huber / T. Meireis / H.-R. Reuter [Hg.], Handbuch der Evangelischen Ethik, München 2015, 9 – 123 [14]). 52   Krötke, Sünde / Schuld und Vergebung (s. Anm. 33), 1891. 53   Im verantwortlichen Handeln und im Bemühen um das allgemein Gute für diese Welt ist die christliche Ethik dabei auch auf die Einsichten von und auf die Zusammenarbeit mit nicht-christlichen und nicht-religiösen Ethiken angewiesen.

468  Christine Schliesser unsern Schuldigern.«54 Für Karl Barth ist die Vergebung der Sünden daher der »Generalnenner […] auf den alles, was im Ernst christliches Leben heißen will, zu stehen kommen muß.«55 Dieser Generalnenner bleibt jedoch nicht unangefochten. »Wie? Auch wir vergeben unsern Schuldigern?« So lautet der Titel eines einschlägigen Sammelbandes.56 Die in dieser Frage anklingende Skepsis erscheint angesichts des allgegenwärtigen schuldhaften Versagens von Menschen und der desaströsen Konsequenzen nur allzu berechtigt. Für manche ist Verzeihung im Nachgang von Gräueltaten ausgeschlossen, ja käme geradezu einem weiteren Verbrechen gleich. So hält Vladimir Jankélévitch fest: »Die Verzeihung [ist] in den Todeslagern gestorben.«57 Im Blick auf die Nazi-Schergen und in Umkehrung der Kreuzesworte Jesu schreibt er: »Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun.«58 Vergebung wäre, so Jankélévitch, ein Verrat an den Opfern. Es kann keinen Frieden mit der Vergangenheit geben, sondern es gelte wütend und entsetzt zu bleiben – und unversöhnlich. Bei Jankélévitch wird zum einen deutlich, dass sich Vergebung niemals einfordern lässt, schon gar nicht von Seiten der Täter. Aus psychologischer Perspektive stellt Thomas Auchter daher zu Recht fest: »Wer traumatisierte Opfer von derartigen Gewalttaten gar mit Forderungen nach Vergebung und Versöhnung unter moralischen Druck setzt, retraumatisiert die Opfer und begeht meiner Auffassung nach eine schuldhafte Gewalttat. Wir stoßen an dieser Stelle an die Grenze des Versöhnungsprinzips.«59 Zugleich wird deutlich, dass Vergebung auch kein Automatismus ist, der sich im Laufe der Zeit von selbst einstellt. Sondern Vergebung ist, so lässt sich mit Hannah 54   Im Unterschied zur göttlichen Vergebung kommt zwischenmenschlicher Vergebung jedoch keine soteriologische Dimension im Sinne des »der du trägst die Sünd’ der Welt« zu. 55   K. Barth, Credo. Die Hauptprobleme der Dogmatik, dargestellt im Anschluß an das Apostolische Glaubensbekenntnis. 16 Vorlesungen, gehalten an der Universität Utrecht im Februar und März 1935, Zollikon-Zürich 1948, 132. 56  J. Ebach et al., »Wie? Auch wir vergeben unseren Schuldigern?« Mit Schuld leben, Gütersloh 2004. 57   V. Jankélévitch, Verzeihen?, in: ders., Das Verzeihen. Essays zur Moral und Kulturphilosophie, Frankfurt a. M. 2003, 243 – 283 (271). 58   A. a. O., 265. 59   T. Auchter, Über Grenzen des Erinnerns. Psychoanalytische Überlegungen jenseits des Versöhnungsprinzips, in: Wege zum Menschen 49 (1997), 474 – 484 (483).

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Arendt festhalten, ein Wunder, ein Wunder des Neuanfangs, das einer Geburt vergleichbar ist.60 Durch die Vergebung findet gleichsam eine Entbindung von der belasteten und belastenden Vergangenheit statt. Opfer wie Täter werden frei von dem, was sie an die Vergangenheit – und aneinander – fesselt und der Mensch wird nicht länger allein auf seine Taten hin festgelegt.61 Und doch bleibt der Charakter des Wundersamen von Vergebung bestehen. »Die Vergebung ist, sie sollte weder normal noch normativ oder normalisierend sein. Sie sollte Ausnahme und außergewöhnlich bleiben, als Erprobung des Unmöglichen: als ob der gewöhnliche Lauf der historischen Zeitlichkeit unterbrochen würde.«62 Wie aber steht das Arendt’sche »Wunder« der Vergebung zum Barth’schen Verständnis von Vergebung als »Generalnenner« christlichen Lebens? Diese Spannung lässt sich nicht vollständig auflösen. Sondern es zeigt sich hier der Einbruch des Letzten in das Vorletzte. Spitze 5: Vergebung in Politik und Gesellschaft – »No future without forgiveness!« In der zwischenmenschlichen Vergebung erkennt Luther »warzeichen« der göttlichen Vergebung in der Welt.63 Doch beschränkt er diese auf das geistliche Regiment Gottes und den Raum der Kirche, während es dem weltlichen Regiment obliege, Schuld zu strafen.64 60   H. Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 71992, 231 – 238. Vgl. dazu M. L. Frettlöh, »Der Mensch heißt Mensch, weil er […] vergibt«? Philosophisch-politische und anthropologische Vergebungsdiskurse im Licht der fünften Vaterunserbitte, in: Ebach u. a., »Wie? Auch wir vergeben unseren Schuldigern?« (s. Anm. 56), 175 – 215 (191 – 199). 61  Vgl. Härle, Dogmatik (s. Anm. 32), 330 f.: »Der Mensch, der vergibt, nimmt die Verfehlung nicht weniger ernst als der, der vergilt oder nachträgt, aber er unterscheidet zwischen der Verfehlung und dem, von dem sie ausging.« 62   J. Derrida, Das Jahrhundert der Vergebung. Verzeihen ohne Macht – unbedingt und jenseits der Souveränität, in: Lettre International 48 (2000), 10 – 18 (12). 63   Luther, Großer Katechismus (s. Anm. 12), 1102. 64   Vgl. hierzu Luthers Auslegungen des Gleichnisses vom Schalksknecht in Matthäus 18. In einer Predigt von 1544 führt er dazu aus: »Also Herr und Fraw mit dem gsind, Weltlich Oberkeyt mit jren unterthanen, sollen nit vergeben, was man unrecht thut, sonder straffen  […]. Darumb gehoert diser befelh nit in das Welt Reych, […] Sonder in das hymelreich. […] Nun heist aber das hymelreich nit allein das leben, da wir nach disem leben hin kommen sollen, sonder die Christliche Kirch hie auff erden […]. In der selben Kirch  […] soll es also gehen, das ymmer einer dem andern vergeben, und keiner sich rechen, sonder alle barmhertzigkeyt und freundtligkeyt seinem

470  Christine Schliesser Damit ist die Frage nach der Stellung von Vergebung im Recht berührt. Unsere Rechtsordnung sieht vor, dass auf Verletzungen von Rechtsnormen mit Sanktionen bzw. Strafen reagiert wird. Auch die christliche Ethik bejaht dies, dient eine solche Rechtsordnung doch dem Zusammenleben und dem Schutz von Schwächeren in einer von der Sünde bedrohten Welt. Obwohl sich das hier zugrundeliegende Verständnis von Gerechtigkeit als iustitia retributiva, welches das westliche Justizsystem vornehmlich prägt, im Ganzen bewährt hat, lassen sich einige Kritikpunkte vorbringen. Wie Howard Zehr deutlich macht, geht ein retributives Gerechtigkeitsverständnis oftmals mit einer Abstraktion des Opfers, des Täters sowie der Tat selbst einher. Die konkreten Verletzungen, die durch die Tat entstanden sind, sowie die Gemeinschaft, die durch die Tat ebenfalls Schaden genommen hat, geraten dabei schnell aus dem Blickfeld. Zehr schlägt daher vor, das retributive durch ein transformatives Gerechtigkeitsverständnis zu ergänzen.65 Einem transformativen Gerechtigkeitsverständnis liegt die Einsicht in die Relationalität von Verbrechen und Vergehen zugrunde. »Ein Verbrechen ist eine Verletzung von Menschen und Beziehungen. Es zieht Verpflichtungen nach sich, Dinge zurechtzubringen. Gerechtigkeit bezieht Opfer, Täter und die Gemeinschaft in die Suche nach Lösungen mit ein, die Zurechtbringung, Versöhnung und Vergewisserung befördern.«66 An dieser Stelle ist es sinnvoll, die Begriffe Versöhnung und Vergebung näher zu bestimmen. Der Begriff Versöhnung bezeichnet einen Prozess, der unterschiedliche Elemente beinhalten kann, darunter Reue, das Bekenntnis von Schuld, die Bitte und Gewährung von Vergebung, und zugleich bezeichnet er das Ziel bzw. das Ergebnis eines Prozesses. Ziel ist eine Beziehung in gegenseitiger Akzeptanz. Die Parallelen zwischen dem Versöhnungsbegriff und dem traditionellen

nechsten erzeygen soll, so ers bedarff, ob er gleich umb uns wol anders verdienet, und wir, der welt nach zu reden, gute ursach hetten jm alles ubels zu zufuegen« (Am Zwey unnd zweintzigsten Sontag nach der Trifeltigkeyt, WA 52, 521,20 – 529,6 [522,3 – 522,19]). 65   Der Begriff transformative Gerechtigkeit ist dabei dem Begriff restaurative Gerechtigkeit vorzuziehen, da er das Streben nach einem genuinen Neuanfang – im Gegensatz zur Wiederherstellung des status quo ante, der ebenfalls von Ungerechtigkeiten geprägt sein kann – besser zum Ausdruck bringt. 66   Zitiert in: F. Enns, Transformative Gerechtigkeit als Möglichkeitsraum zur Versöhnung, in: Kirchliche Zeitgeschichte 26 (2013), 23 – 35 (31).

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Bußsakrament bzw. Sakrament der Versöhnung sind augenfällig.67 Vergebung stellt sich somit als ein Element im Versöhnungsprozess dar. Unter relationalen Gesichtspunkten lässt sich festhalten, dass Versöhnung eine Beziehungskategorie ist, die beide Seiten einbezieht. »Vergebung ist dagegen auch einseitig möglich: sie ist der Schritt des Opfers aus der Opferrolle hinaus und das Zurückgewinnen eigener Selbstmächtigkeit.«68 Versöhnung als Element transformativer Gerechtigkeit zielt demnach darauf, zerstörte Beziehungen zwischen Individuen und / oder Gemeinschaften zu heilen. Alternative Ansätze beispielsweise im Strafvollzug, die ein transformatives Gerechtigkeitsverständnis zugrunde legen, wie der so genannte Täter-Opfer-Ausgleich, der v. a. im Jugendstrafrecht zum Einsatz kommen kann, halten die Tür für Versöhnung und Vergebung offen.69 Das Beispiel des Strafvollzugs macht deutlich, dass die genuin theologischen Themen wie Umgang mit Schuld, Versöhnung und Vergebung auch in öffentlichen und politischen Diskursen ihren Ort haben. Bisweilen hat man den Eindruck, dass sie dort fast leidenschaftlicher diskutiert werden als im binnentheologischen Diskurs. Eines der bekanntesten Beispiele ist die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission, deren Vorsitzender Erzbischof Desmond Tutu seinen jahrzehntelang brutal unterdrückten Landsleuten zurief: »No future without forgiveness!«70 Zugleich gilt es, die Topographie der Vergebung zu beachten. Vergebung ist stets an einen konkreten soziostrukturellen Kontext mit spezifischen ökonomischen, machtpolitischen und historischen Rahmenbedingungen gebunden. Mxolisi Mpanbani illustriert dies für den post-apartheid Kontext seines Landes mit Hilfe folgender Allegorie: »Es gab einmal zwei Jungen, Tom und Bernard. Tom wohnte direkt gegenüber von Bernard. Eines Tages stahl Tom Bernards Fahrrad und von nun an sah Bernard Tom jeden Tag mit seinem Fahrrad zur Schule fahren. Nach einem Jahr kam Tom auf Bernard zu, streckte ihm die 67   In der kirchlichen Tradition beinhaltet das Bußsakrament die contritio cordis, confessio oris, satisfactio operum sowie die absolutio. Auch die Reformatoren kannten, wie oben ausgeführt, die guten Werke, die wie selbstverständlich der Rechtfertigung allein aus Glauben folgen. 68   G. Prüller-Jagenteufel, Schuld und Versöhnung. Zur Bedeutung interpersonaler Prozesse, in: Prüller-Jagenteufel / Schliesser / Wüstenberg, Beichte (s. Anm. 15), 131 – 148 (142). 69   J. Zehner, Versöhnung im Strafrecht, in: Prüller-Jagenteufel / Schliesser / Wüstenberg, Beichte (s. Anm. 15), 61 – 68. 70   D. Tutu, No future without forgiveness, New York 1999.

472  Christine Schliesser Hand entgegen und sagt: ›Lass uns miteinander versöhnen und die Vergangenheit hinter uns lassen.‹ Bernard schaute auf Toms Hand. ›Und was ist mit dem Fahrrad?‹ ›Nein,‹ antwortete Tom, ›ich rede nicht über das Fahrrad. Ich rede über Versöhnung.‹ «71 Versöhnungsprozesse müssen die Transformation bestehender Unrechtsverhältnisse auf individueller wie überindividueller Ebene miteinschließen. Denn ohne Gerechtigkeit verkommt Versöhnung zur Farce. Spitze 6: Vergebung und vergessen? Zur moralischen Signifikanz von Erinnerung Nicht nur der Charakter des »Wunderbaren« von Vergebung muss in Erinnerung gerufen werden, sondern auch die »Langsamkeit von Vergebung«.72 Vergebung braucht Zeit. Dabei ist Vergebung nicht etwa mit Vergessen gleichzusetzen, auch wenn dies die Wendung »vergeben und vergessen« zu insinuieren scheint. Doch steckt in dieser Wendung selbst schon das Moment einer Erinnerungskultur. »Wer ›vergeben und vergessen‹ sagt, erinnert sich und den Angeredeten an beides, gedenkt ausdrücklich des Vergebens der Schuld und des Vergessens des Vergebenen wie der Vergebung.«73 Dabei ist Erinnerung moralisch nicht einfach neutral. Erinnerung kann gerecht oder ungerecht sein, wie Paul Ricœurs Forderung einer »juste mémoire«74 deutlich macht. Die Notwendigkeit eines gerechten Gedächtnisses lässt sich an kollektiven Erinnerungskulturen veranschaulichen.75 Wie das individuelle stellt sich auch das kollektive Gedächtnis als 71  Zitiert in: A. Krog, Country of my scull, London 1999, 164. Übersetzung CS. 72   Frettlöh, Vergebung oder »Vernarbung der Schuld« (s. Anm. 10), 126. 73   M. Frettlöh, Vergeben und vergessen. Eine theologisch und philosophisch bedachte Zwillingswendung zum Umgang mit Schuld eschatologisch perspektiviert, in: J. Enxing (Hg.), Schuld. Theologische Erkundungen eines unbequemen Phänomens, Ostfildern 2015, 40 – 57 (43). 74   P. Ricœur, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, übers. v. H. Godenk / H. Jatho / M. Sedlaczek, München 2004, 15. 75   Dabei bildet das kulturelle Gedächtnis, verstanden als jahrhundertealte Tradition in uns, die unser Selbst- und Weltbild prägt zusammen mit dem kommunikativen Gedächtnis, das auf die mündlichen Überlieferungen der vergangenen drei Generationen bezogen ist, das kollektive Gedächtnis. Jan Assmann definiert das kulturelle Gedächtnis als »die Tradition in uns, […] die über Generationen, in jahrhunderte-, ja teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten Texte, Bilder und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unser Selbst- und Weltbild prägen.« J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, in: ders., Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen, München 2006, 67 – 75 (70).

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ein ­dynamisches Konstrukt dar, das durch zahlreiche Prozesse des Erinnerns und des Vergessens geformt wird. Aleida Assmann macht dabei auf die zentrale Rolle von Machtstrukturen bei der Entstehung des kollektiven Gedächtnisses aufmerksam. »The items that have entered the canon have undergone complex operations of contestation, selection and ascription of value in the context of power struggles.«76 Jede Erinnerungskultur sieht sich damit den Gefahren des Missbrauchs und der Instrumentalisierung ausgesetzt. Dagegen setzt Ricœur die Forderung »eines gerechten [nicht selbst-gerechten] Gedächtnisses […], das sich nicht selbstherrlich von […] Schuld absolviert hat, sondern geduldig des Verzeihens harrt, auf das niemand Anspruch hat.«77 Indem Erinnerung gerecht oder ungerecht sein kann, zeigt sich ihr »normativer« Einfluss auf die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft, und damit auch auf Versöhnungsprozesse. Erinnerung richtet sich nicht ausschließlich auf die Vergangenheit, sondern verknüpft Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: »The central aim of cultural memory, then, is […] the extension of the temporal horizon.«78 Wie aber ist nun der »normative« Charakter von Erinnerung im Blick auf Gegenwart und Zukunft zu verstehen? Dazu ist zunächst das Verständnis von »normativ« zu klären. Eine »Norm« wird hier als »ein Zeichen« verstanden, »das in einem ethischen Satz bzw. Diskurs einen Sollensanspruch an das Verhalten eines Einzelnen bzw. einer Gruppe begründet oder das mit einer Wertzuschreibung belegt wird.«79 Solche Zeichen können sein: eine traditionelle Moralinstanz wie das Gesetz oder die Sitten; ein Gefühl wie Hass oder Mitleid; grammatikalische Formen wie Imperative; moralische Begrifflichkeiten wie Gerechtigkeit; aber auch Personen, die als Vorbild fungieren oder denen man sich verpflichtet fühlt sowie konkrete Situationen.80 Von allen 76   A. Assmann, The Religious Roots of Cultural Memory, in: Norsk Teologisk Tidsskrift 109 (2008), 270 – 292 (281 f). 77   P. Ricœur, Rätsel der Vergangenheit. Erinnern – Vergessen – Verzeihen, übers. v. A. Breitling / H. R. Lesaar, Göttingen 32002, 16. 78   Assmann, Cultural Memory (s. Anm. 76), 273. 79   R. Zimmermann, Pluralistische Ethikbegründung und Normenanalyse im Horizont einer »impliziten Ethik« frühchristlicher Schriften, in: F. W. Horn u. a. (Hg.), Ethische Normen des frühen Christentums. Gut – Leben – Leib – Tugend, Tübingen 2013, 3 – 27 (17). 80   Des Weiteren sind Normen nichts Statisches, sondern sie sind dynamisch und in ihre jeweilige Sprach- und Kulturgemeinschaft eingebunden. Ihre Verortung in einer Sprach- und Kulturgemeinschaft macht drittens deutlich, dass

474  Christine Schliesser diesen Zeichen geht ein Geltungsanspruch aus, der »moralische Signifikanz« erzeugt, die dem Handeln vorausgeht und es beeinflusst.81 Vor diesem Hintergrund lässt sich die normative Funktion von Erinnerung besser fassen. Ihre moralische Signifikanz kann durch unterschiedliche Zeichen erzeugt werden, wie etwa durch konkrete Situationen, die entweder selbst erlebt wurden oder narrativ vergegenwärtigt werden, z. B. Situationen erfahrener Gewalt. Aufgrund ihres normativen Charakters kann die Macht der Erinnerung für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft kaum überschätzt werden. Allzu oft ist diese Macht eine zerstörerische. Individuelle und kollektive Identitäten als »Identitäten-in-Gegnerschaft« werden »durch Erinnerungen genährt […] besonders durch Erinnerungen an Gräueltaten, die eine Gemeinschaft oder Gruppe der anderen angetan hat«.82 Die Erinnerung als schlichte Vergegenwärtigung des Vergangenen vermag dabei keine Befreiung von der Vergangenheit zu schaffen. Für einen genuinen Neuanfang bedarf es der Vergebung. Emmanuel Lévinas nennt Vergebung daher »das eigentliche Werk der Zeit«.83 Während das Vergessen die Vergangenheit verloren gibt, bildet Vergebung, wie die Erinnerung, eine Brücke zwischen den Zeiten. In der Vergebung wird die Unumkehrbarkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterbrochen. Der normative Einfluss der erinnerten Vergangenheit auf Gegenwart und Zukunft wird durch die Vergebung neu codiert. Lévinas macht dies wie folgt deutlich: »Die Vergebung bezieht sich auf den verflossenen Augenblick, sie gestattet dem Subjekt, das in einem verflossenen Augenblick gefehlt hatte, so

ein Medium nötig ist, durch das Zeichen erst zur Norm werden. Zimmermann verweist dabei auf die Sprache als das übliche Medium, doch können Zeichen auch mit Hilfe anderer Medien als Normen fungieren, etwa durch Rituale, Symbole oder auch durch Orte wie etwa Gedenkstätten. Zimmermann, Pluralistische Ethikbegründung (s. Anm. 79). 81   Für Johannes Fischer ist es primär »die moralische Signifikanz der erlebten [bzw. narrativ vergegenwärtigten] Situation, die uns zum Handeln veranlasst« (J. Fischer, Ethik als rationale Begründung der Moral?, in: ZEE 55 [2011], 192 – 204 [195]). Fischer kann hier auch von einer »Nötigung, die von einer gegebenen Situation ausgeht und der wir uns aufgrund von deren Anschauung nicht entziehen können« sprechen (a. a. O., 193). 82   A. D. Falconer, Erinnerungen zur Versöhnung führen, in: Ökumenische Rundschau 45 (1996), 468 – 478 (472). 83   E. Lévinas, Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, München 21993, 413.

Vergebung der Sünden – Befreiung zum Leben  475

zu sein, als ob der Augenblick nicht verflossen wäre, so zu sein, als ob das Subjekt nicht gefehlt hätte.«84 Das Gemeinte soll anhand eines johanneischen Narrativs verdeutlicht werden. Der auferstandene Jesus, so wird es in Johannes 21 berichtet, trifft am See Tiberias mit einigen seiner Jünger zusammen, darunter Simon Petrus. Dessen dreimalige Verleugnung Jesu im Kontext von dessen Gefangennahme liegt noch nicht lang zurück. Und nun wird Petrus von Jesus angesprochen. »Petrus, hast du mich lieb?« Und noch einmal. »Petrus, hast du mich lieb?« Und noch ein drittes Mal. Jesus führt Petrus damit zurück in den »verflossenen Augenblick« seines dreifachen Verrats. Er setzt ihn diesen belastenden Erinnerungen aus und gibt ihm zugleich die Möglichkeit, diese nun in einem neuen Licht zu sehen – normativ neu zu codieren – , nämlich in dem lebensspendenden Licht der Vergebung. Mit einem neuen Auftrag ausgestattet, kann sich Petrus befreit der Gegenwart und Zukunft stellen. In den Worten Lévinas’: »[D]ie Vergebung wirkt auf die Vergangenheit, sie wiederholt in gewisser Weise das Ereignis, indem sie es reinigt« und »die vergebene Vergangenheit in der gereinigten Gegenwart bewahrt.«85 Welche konkreten Formen dies annehmen kann, soll abschließend anhand eines aktuellen Beispiels aufgezeigt werden. Dazu wird insbesondere die ekklesiologische Dimension von Vergebung aufgegriffen und untersucht, welche Rolle(n) die christlichen Kirchen in gegenwärtigen Vergebungs- und Erinnerungsprozessen wie denen im post-genozidalen Ruanda spielen können.

5.  Vergebung auf die Spitze getrieben: Das post-genozidale Ruanda als Fallbeispiel Das kleine ostafrikanische Land trat 1994 auf die geopolitische Landkarte, als sich dort – vor den Augen einer tatenlos zuschauenden Weltgemeinschaft – der schnellste Völkermord der jüngeren Geschichte zutrug.86 Innerhalb von 100 Tagen wurden bis zu einer Million Kinder, Frauen und Männer getötet. Die meisten Opfer waren Angehörige der Volksgruppe der Tutsi (ca. 15 % der Bevölkerung), während die 84

 Ebd.  Ebd. 86   R. Dallaire, Handschlag mit dem Teufel. Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda, Frankfurt a. M. 2005. 85

476  Christine Schliesser meisten Täter den Hutu (ca. 84 % der Bevölkerung) angehörten.87 Fragen nach Vergebung und Versöhnung sind in diesem kleinen Land, in dem Täter und Überlebende Seite an Seite leben (müssen), von anhaltender Aktualität und Brisanz. Die offizielle, »top-down« gesteuerte »Politik der Versöhnung« durch die gegenwärtige Regierung Paul Kagames, wird von den christlichen Kirchen mit »bottom-up« Ansätzen ergänzt.88 Die christlichen Kirchen stellen dabei in einem Land, in dem sich über 90 % zum christlichen Glauben zugehörig zählen, bedeutende Akteure in der Zivilgesellschaft dar. Sie haben daher einen erheblichen Einfluss auf gesellschaftliche und politische Prozesse, wie auch den nationalen Versöhnungsprozess. In Remera, einem kleinen Bergdorf im Westen Ruandas, arbeiten die »Lights«, die sich nach Mt 5,14 benannt haben. Angeleitet von Jerome Bizimana, Pfarrer der presbyterianischen Kirche in Ruanda und ausgebildeter Mediator, hat es sich diese Gruppe zum Ziel gesetzt, zunächst Beziehungen zu Tätern und zu Überlebenden des Genozids aufzubauen. Gelingt dies, werden Täter und Opfer direkt in Kontakt miteinander gebracht und eingeladen, an den wöchentlichen Treffen der Lights teilzunehmen. Bei diesen Treffen werden auf biblischer Grundlage Themen wie Vergebung, Heilung und Neuanfang diskutiert. Neben biblischen Impulsen und der gemeinsamen Feier des Abendmahls geht es auch um die Vermittlung von Einsichten aus der Konfliktforschung, Mediation und Traumatherapie. Ziel ist es nicht, das Geschehene zu vergessen; die kirchliche Gedenkstätte mit den Gräbern der Ermordeten liegt direkt gegenüber dem Treffpunkt der Lights. Sondern Ziel ist es, durch Beziehungen eine Grundlage für langfristige Versöhnungsprozesse zu schaffen. Nicht selten wird die kirchliche Versöhnungsarbeit, in Remera und an anderen Orten, mit 87   Die Bezeichnungen »Hutu«, »Tutsi« und »Twa« (eine Minderheit von ca. 1 %) sind keine ethnischen Begriffe im herkömmlichen Sinn, sondern beziehen sich auf Volksgruppen, die derselben Kultur, Sprache und Religion angehören. Vgl. P. Bataringaya, Versöhnung nach dem Genozid. Impulse der Friedensethik Dietrich Bonhoeffers für Kirche und Gesellschaft in Ruanda, Kamen 2012. 88  Vgl. C. Schliesser, Die Pflicht zur Erinnerung als Pflicht zur Gerechtigkeit (Paul Ricœur) – Erinnerung und Versöhnung im Blick auf das post-genozidale Ruanda, in: ZEE 60 (2016), 117 – 130; dies., From »A Theology of Genocide« To A »Theology of Reconciliation«? On the Role of Christian Churches in the Nexus of Religion and Genocide in Rwanda, in: »Religions. Special Issue »Religion and Genocide«, 9.34 (2018), 1 – 14; http://doi:10.3390/ rel9020034, zuletzt abgerufen am 01. 10. 2019.

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Entwicklungsprojekten kombiniert. Dabei erhält ein Täter-Opfer-Paar beispielsweise eine Kuh oder ein Bienenvolk. Die Pflege der Tiere obliegt beiden gemeinsam, der Erlös aus dem Verkauf der Milch bzw. des Honigs wird geteilt und kann so dazu beitragen, auch praktische Lebensperspektiven zu schaffen. Ist Vergebung nach einem Völkermord tatsächlich möglich? Findet sich an Orten wie Remera das »Wunder« (Arendt) bzw. die »Erprobung des Unmöglichen« (Derrida) oder handelt es sich »nur« um eine »Vernarbung«89 der Schuld? Wer vermag dies zu beurteilen? Neben allen berechtigten und auch kritischen Anfragen, die sich an das Projekt in Remera stellen lassen, ist doch zugleich staunend der »Erprobungs- und Bewährungsraum von Vergebung«90 zur Kenntnis zu nehmen, den die Kirchen dort und anderswo schaffen.

6. Fazit Im vorliegenden Beitrag wurden aus dogmatischer wie aus ethischer Perspektive einige Spitzen beleuchtet, die sich mit dem Bekenntnis zum Glauben der Vergebung der Sünden verbinden. Aus dogmatischer Perspektive wurde der erste Spitzensatz formuliert: Sünde ist von der Sündenvergebung her wahrzunehmen. Damit verknüpft wurden Überlegungen zu »einer wirklich evangelischen Pönitenz« (Gestrich), in der die enge inhaltliche Verbindung zwischen dem reformatorischen sola gratia und einem dankbaren, frohen Tätigsein der Christen deutlich wird. Während die zweite Spitze Sünde über die einzelne Tatsünde hinaus als verweigerte Liebesbeziehung und als verfehltes Leben fasste, wurde die lebensbefreiende Kraft der Vergebung mit Hilfe der dritten Spitze deutlich gemacht. Mit der Konturierung von Vergebung als Durchbruch und Befreiung zum Leben verbanden sich Anstöße für eine Wiederentdeckung der Beichte auch im evangelischen Kontext. 89   Bonhoeffer unterscheidet zwischen der Vergebung der Sünde und einem Vernarben der Schuld. »Die Kirche erfährt im Glauben die Vergebung aller ihrer Sünden und einen neuen Anfang durch Gnade, für die Völker gibt es nur ein Vernarben der Schuld in der Rückkehr zu Ordnung, zum Recht, zum Frieden, zum freien Ergehenlassen der kirchlichen Verkündigung von Jesus Christus.« Bonhoeffer, Ethik (s. Anm. 20), 134. 90   Frettlöh, Vergebung oder »Vernarbung der Schuld«? (s. Anm. 10), 129.

478  Christine Schliesser Aus ethischer Perspektive wurde anschließend der menschliche Lebensvollzug bedacht, welcher der in der Vergebung der Sünden erwiesenen Liebe Gottes entspricht. Dabei kam die Vergebung nicht nur als Zuspruch, sondern auch als Anspruch – so die vierte Spitze – in den Blick. Die Spannung zwischen Vergebung als »Wunder« (Arendt) und als »Generalnenner« christlichen Lebens (Barth) trat dabei klar hervor. In einer fünften Spitze wurde Vergebung als Element von Versöhnungsprozessen in den Kontext gesellschaftlicher und politischer Prozesse eingeordnet und ein transformatives Gerechtigkeitsverständnis einer iustitia retributiva ergänzend an die Seite gestellt. Schließlich wurde die Wendung »vergeben und vergessen« bedacht und – eine sechste Spitze – der notwendige Zusammenhang von Vergebung und Erinnerung herausgearbeitet. Dabei erwies sich eine »juste mémoire« (Ricœur) als konstitutiv für Versöhnungsprozesse. Die Ausführungen gipfelten in dem Versuch, die Möglichkeiten von Vergebung im Kontext eines Völkermordes auszuloten. Vergebung wurde damit auf die Spitze getrieben. Das letzte Wort soll daher auch Christophe Mbonyingabo haben, Überlebender des Genozids und Leiter einer christlichen Versöhnungsinitiative: »Wenn Versöhnung und Vergebung in Ruanda möglich sind, dann sind sie überall möglich.«91

91  Zitiert in der Dokumentation von Lukas Augustin, Unforgiven, 2014; https://www.lukasaugustin.com/unforgiven, zuletzt abgerufen am 01. 10. 2019.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion Sabine Joy Ihben-Bahl

Einleitung Die Beiträge von Christine Schliesser und Matthias Konradt weisen vier zentrale Gemeinsamkeiten auf. 1. Sowohl Schliesser in den systematisch-theologischen »Spitzen« als auch Konradt anhand seiner exegetischen Überlegungen zum lukanischen Doppelwerk und Matthäus versuchen, aufgrund der Stellung der Glaubensaussage im Glaubensbekenntnis besonders die ekklesiologische Dimension und ethische Konsequenzen herauszuarbeiten – wobei beide zugleich betonen, dass die Vergebung der Sünden eigentlich zentral für jeden Artikel des Glaubensbekenntnisses sei: Sie sei in ihrer »Grundvoraussetzung […] theo-logisch«,1 sie zu betonen, hält – so kann man Konradts Überblick zu Beginn seines Beitrags deuten – bei aller Akzentverschiebung das ganze neutestamentliche Glaubenszeugnis zusammen.2 Da die Sündenvergebung aber im dritten Artikel des Credos zu stehen komme, müsse es in besonderer Weise um die Kirche gehen. Es besteht damit keine Möglichkeit, diesen Zusammenhang nicht zu bedenken. Die Kirche müsse nicht nur die Vergebung der Sünden verkündigen – das ist schon keine leichte Aufgabe, wie Schliesser betont, wenn sie meint, dass Sünde vom Neuen interpretiert, übersetzt werden muss, um die Bedeutung vom Glauben an die »Vergebung der Sünden« zu erfassen – ,3 sondern sie solle zudem einen »Raum« bieten, einen »Erprobungs- und Bewährungsraum«,4 sodass Vergebung der Sünden auch institutionell sichtbar und gelebt werden, und Nachfolge – so kann im Anschluss an Plädoyers von Kierkegaard oder Bonhoeffer betont werden – nicht zu einer »reinen Lehre« verkomme.5 Ohne ekklesio1  M. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (Lk 7,48). Die Vergebung der Sünden im Neuen Testament unter besonderer Berücksichtigung des lukanischen Doppelwerks und des Matthäusevangeliums, in diesem Band, 425. 2  Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 425 – 432. 3  C. Schliesser, Vergebung der Sünden – Befreiung zum Leben, in diesem Band, 458. 4   In Bezug auf M. L. Frettlöh, vgl. Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 457. 5   Vgl. a. a. O., 459 f. Vgl. auch die Kritik von Metz: J. B. Metz (Hg.), Jenseits bürgerlicher Religion. Rede über die Zukunft des Christseins, München 1980, 41.

480  Sabine Joy Ihben-Bahl logisch-ethische Konsequenzen entspreche dies auch nicht dem biblischen Zeugnis – und dabei nicht nur nicht dem oft als »gesetzlich« verschrienen Matthäusevangelium: Auch Lukas, der nach Konradts Ausführungen die Sündenvergebung durch Gott narrativ und parabolisch auf die Spitze treibe, kann von dieser schließlich nicht ohne den Aufruf zur Umkehr sprechen, und auch seine Protagonisten, wie die Sünderin aus Lk 7, lassen die Vergebung nicht passiv über sich ergehen, sondern handeln.6 2. Die Aufsätze zeichnen sich durch ihre hamartiologische Strukturähnlichkeit aus, womit sie zugleich eine hamartiologische Wahrheit beschreiben. Die Strukturähnlichkeit besteht darin, dass Sünde nur von der Vergebung der Sünden her verstanden werden kann, d. h. sozusagen im Rückblick, aus der Perspektive des Glaubens an dieses gnadenhafte Geschenk.7 Dies wird in der Perikope der Sünderin narrativ ausgedeutet. Auf diese Weise sind auch die exegetischen Spannungen zu erklären, wie Konradt plausibilisieren kann.8 3. Um die Frage zu klären, wie Sünde und Vergebung verstanden werden können, bedenken beide ausführlich die im Neuen Testament häufige und in der Reformationszeit reformulierte Metaphorik von »Gefangensein« und »Freisein«.9 4. Um nun zu erfassen, wie »Freisein« sich anfühlen könnte, findet sich das Schlüsselwort »Freude«.10 Sie geht den Beiträgen zufolge mit erfahrener und zugesprochener Vergebung notwendig einher und mündet in ein »frohe[s]« oder »freudige[s] Tätigsein«.11 – Freude ist dabei nicht das einzige Gefühl, das in den Beiträgen erwähnt wird – , vielmehr ist auch vom »Erschrecken« die Rede und über die von der Sünderin geübte »Agape« kommt ferner ein komplexer Liebesbegriff in den Blick.12 Diese letzte Gemeinsamkeit  – die Aufmerksamkeitslenkung auf das Gefühlte – soll hier nicht nur vertieft, sondern vielmehr ins Zentrum gestellt werden: Im Folgenden soll die emotionale Seite der Credo-Wahrheit, die aufgrund ihres gefühlten Erlebens überhaupt erst wahr wird – so lautet die hier zu entwickelnde These – , näher be6

 Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 439 – 444.  Vgl. Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 458 – 461. 8  Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 441 – 443. 9   Vgl. a. a. O., 428; 433 – 435. 10   Vgl. a. a. O., 444 f. Vgl. u. a. Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 465. 11  Vgl. Schliesser, a. a. O., 466. 12   Vgl. zur agape: Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 443. 7

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  481

leuchtet werden. Die drei zuvor genannten Gemeinsamkeiten beider Autoren können m. E. auf diese Weise noch einmal anders bedacht und kritisch beleuchtet werden. Diese Response könnte somit auch unter dem Titel stehen: »Gefangensein, Freiwerden und Freisein – und wie es sich anfühlt. Die emotionale Seite der Credo-Wahrheit und ihre kritische Funktion«.

1. Gefangensein Wenn gefragt wird, wie denn »Sünde« (wieder) verstanden, (neu) interpretiert werden kann, könnte das Bild vom »Gefangensein« hilfreich sein, welches Situationen beschreiben kann, die der Mensch immer wieder erlebt. Das Gefühl, eingeengt, unfrei zu sein, das Gefühl, verschlossen oder ausgeschlossen in Bezug auf den Anderen oder von »etwas« zu sein, kann über die allegorische Beschreibung oder narrative Ausführung des Begriffsfelds »gefangen« fühlbar und gedanklich nachvollziehbar gemacht werden. Die Gefühle, die mit diesem einhergehen werden, sind Trauer oder auch Angst. Dabei wird bekanntlich schon das Wort Angst etymologisch von »angustus«, vom körperlichen Engegefühl, und damit dem Gefühl innerer Gefangenheit abgeleitet sein.13 Die alttestamentlichen Psalmen, insbesondere die »Klagepsalmen des Einzelnen« nehmen uns mit in eine Bildwelt, die das Gefangensein auf unterschiedlichste Weise beschreiben und dabei stets das Ganze des gefangenen Menschen, psychisch und physisch, ausmalen. Dass dieser Zustand seinen Grund aber in der »Sünde« hat, kann erst – das ist die zentrale hamartiologische Prämisse der Beiträge – im Rückblick erkannt – und auch dann wiederum erlebt werden: Erst wenn geglaubt wird, was die christliche Botschaft als »Vergebung« verkündigt, nämlich die Zuwendung und Annahme, die Befreiung des Menschen aus seiner – auch gefühlten – Gefangenschaft, wird das vorherige Leben als »verfehltes«14 und die Beziehung zu Gott als »verweigerte Liebesbeziehung«15 erkannt. Dieses Erleben ist ein zutiefst emotionales: Der Mensch reagiert vielleicht mit Freude, aber auch Erschrecken kann die erste emotionale Regung sein, vielleicht sogar Scham als Äußerung der Selbsterkenntnis als Sünder, 13   Vgl. S. Ohmann, »Angst«, in: St. Jordan / G. Wendt (Hg.), Lexikon Psychologie. Hundert Grundbegriffe, Ditzingen 2010, 34. 14   Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 461. 15  Ebd.

482  Sabine Joy Ihben-Bahl wie die Perikope von Petrus’ Berufung gezeigt hat und von der auch Paulus in Röm 6 spricht.16 Das Gefühl der Freude und das des Erschreckens ergreifen dabei den Menschen ganzheitlich, d. h. total. Die Bibel weiß von dieser Ganzheitlichkeit, wenn etwa beschrieben wird, wie das Erbarmen den Vater aus dem »Gleichnis des verlorenen Sohns« diesen ganz einnimmt und ihn zum Losrennen bewegt,17 oder wenn Petrus seinem Erschrecken durch den leidenschaftlichen Aufschrei »Ich bin ein sündiger Mensch!« Ausdruck verleiht.18 Nun kann dieser gefühlte Rückblick, der den Menschen in seinem ganzen Sein in Anspruch nimmt, zeigen, dass auch die dadurch erkannte Sünde uns im »Ganzen«, in unserer »Totalität«19 bestimmt. Über diesen Umkehrschluss wird also deutlich, dass Sünde nicht nur »Akt« – inklusive seiner alltagssprachlichen Verzerrungen – ist, sondern Sein.20 Die Gefühle, die den Menschen vollständig ergreifen, machen die Realität der Sünde also auch erlebbar.

2. Freiwerden Wenn Freude oder Erschrecken einen Menschen ganz einnehmen, sodass sie Körper und Geist bestimmen, wird Sünde erkannt, es kommt also zu einer Reflexion, einem Verstehen: »Ich bin ein sündiger Mensch!« Petrus weiß aufgrund des Erschreckens nun um sein wahres Sein. Doch kann dies als »Erkenntnisprozess« durchgehen? Ist Petrus’ Reaktion nicht möglicherweise als eine emotionale Überreaktion zu deuten, die kritisch behandelt werden sollte? Natürlich ist »Erschrecken« ein ambivalentes Gefühl: Erschrecken i. S. der Furcht vor einer realen Bedrohung, beispielsweise durch eine Schlange, ist ein evolutionsbiologisch sinnvolles Geschehen, doch zugleich gibt es ein Erschrecken, das keinen realen Hintergrund hat und das das Ergebnis einer Fehlinformation  – denn die scheinbar todbringende Schlange ist nur ein Ast – oder einer generell furchtsamen Konstitution ist, die auch pathologisch sein kann. Auch wenn die Möglichkeit einer verzerrten Wahrnehmung natürlich nicht geleugnet werden darf, spricht 16

  Vgl. insbesondere Röm 6,21.  Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 444 f. Vgl. Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 465. 18  Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 435. 19   A. a. O., 430. 20  Vgl. Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 462. 17

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das nicht gegen die generelle Bedeutung unserer Gefühlswelt für die realistische Wahrnehmung der Wirklichkeit. Dies verdeutlichen auch vermehrt die gegenwärtigen Emotionsdebatten, in denen Gefühle aufgewertet und komplexeren Gefühlen, die dann oft als »Emotionen« bezeichnet werden, auch eine kognitive Komponente zugestanden werden.21 Anders als in unserer alltagssprachlichen Verwendung, wenn etwa eine Reaktion als »emotional« bezeichnet wird,22 wird im wissenschaftlichen Diskurs von Emotionen als von komplexen Gefühlen gesprochen, die zur Erkenntnis des Wahren und der Wirklichkeit des Menschen, seine (soziale) Umwelt, die Beziehungen, in denen er steht, führt. Emotionen sagen im Horizont des Glaubens etwas über die Wirklichkeit der Beziehung von Gott und Mensch aus. – Die christliche Glaubenswahrheit, dass Sünde Realität für den Menschen ist und in ihrer Radikalität nicht relativiert werden darf, indem man sie beispielsweise auf einzelne Taten reduziert, hat Petrus in seinem Erschrecken wahrgenommen, erfasst, verstanden, versprachlicht – sie ist Teil seiner Wirklichkeit. Dass diese Wirklichkeit in der Begegnung mit dem Göttlichen erfasst wird,23 zeigt, dass sein Gefühl auch etwas Wahres über den wahrgenommenen Christus aussagt. In einem nächsten Schritt vollzieht sich mit der Nachfolge Jesu Petrus’ radikaler Lebenswandel. Dass dieser Wandel mit einem so starken Gefühl interdependent verbunden wird, beschreibt eine weitere Einsicht, die durch den neueren interdisziplinären Emotionsdiskurs bestätigt wird: Emotionale Erkenntnis hat auch eine ethische Relevanz. In der Emotionsforschung wird vermehrt der ethische Wert des gefühlten Lebens und Erlebens betont, z. B., indem die Bedeutung des Gefühls der Reue darin erkannt wird, dass erst, wenn sich dieses Gefühl eingestellt hat, die eigene Tat als Tat bewusst wird und so erst zu einem richtigen Verstehen führt. Dies kann eben nicht dadurch eingeholt werden, dass »von außen« – ohne emotionales Erleben – erklärt wird, dass eine Handlung »falsch« gewesen ist.24 21   Vertreter sind u. a. M. C. Nussbaum, Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, Cambridge 2001, oder die Vertreter, die S. A. Döring in ihrem Aufsatzband versammelt hat (S. A. Döring, Philosophie der Gefühle, Frankfurt a. M. 32013). 22  Vgl. M. Hartmann, Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären, Frankfurt / New York 22010, 28 f. 23  Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 435. 24  C. Ammann, Emotionen – Seismographen der Bedeutung. Ihre Relevanz für die christliche Ethik, Stuttgart 2007, 22 – 45, in Auseinandersetzung mit R. Bittner, der diesen Sinn von Emotionen leugnet und vielmehr behauptet, sie

484  Sabine Joy Ihben-Bahl Im Ausruf »Ich bin ein sündiger Mensch!« beschreibt Petrus also hamartiologische und soteriologische Glaubenswahrheiten, die im Erschrecken gefühlt werden. Der Ausruf beschreibt erstens die Erkenntnis des von Sünde bestimmten Lebens und zweitens die Erkenntnis, dass ein Freiwerden dennoch möglich ist. Petrus folgt Christus nicht nur nach, er darf nachfolgen,25 und er tut dies, weil für ihn die Vergebung der Sünden durch Gott in Christus transparent geworden ist. Die Befreiung zum Leben durch die Vergebung, das Freiwerden, ist trotzdem ein langsamer Prozess.26 Das betrifft zwei Seiten. Einerseits ist die Freude der erfahrenen oder zugesprochenen Vergebung kein Dauerzustand, als ob sich durch die Totalität der Sünde nicht immer wieder Angst, Zweifel oder Hoffnungslosigkeit einstellen würden – der verlorene Sohn wird wie sein Vater nicht ein Leben lang glückselig feiern. Die andere Seite betrifft die Vergebung, die uns aufgrund der Erfahrenen aufgetragen ist. Hier muss noch einmal an Schliessers Erwägungen zum Massaker in Ruanda erinnert werden: Wir können Vergebung nicht einfordern, denn dies traumatisiere die Traumatisierten erneut.27 Auch das muss der »Erprobungsraum Kirche« aushalten. In diesem Zusammenhang kann auch auf Jürgen Moltmann verwiesen werden, der eine der offenen Wunden im Horizont reformatorischer Grundwahrheiten bzw. einen Aspekt der ihm zufolge »unvollendeten Reformation« darin erkennt, dass die evangelische Kirche so gerne über die »Vergebung der Sünden« spreche, darüber jedoch die Opfer von Sünden ganz vergesse.28 Erneut sei in diesem Zusammenhang an Lukas erinnert, der die Vergebung der Sünde, die Befreiung zum Leben nicht ins Zentrum seiner Version der frohen Botschaft stellen kann, ohne von der Umkehr der Sünder zu sprechen. Es bleibt demzufolge zu überlegen, inwieweit man Vergebung einfordern darf, auch wenn Matthias Konradt meint, dass Kirche im Falle ihrer Verweigerung »[auf]hört  […], Kirche zu sein«.29 Auch hier spielt das Gefühl eine bedeutende und zugleich sinnvolle Rolle: seien unnötige Begleiterscheinungen. Die Bedeutung von Emotionen für die theologische Ethik herauszustellen, ist Ziel der Monographie von Ammann. 25   Vgl. dazu Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 435. 26   Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 472, mit Frettlöh. 27   Vgl. a. a. O., 468, mit Auchter. 28  J. Moltmann, Die unvollendete Reformation. Ungelöste Probleme – ökumenische Antworten, in: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, Ausgabe 2 / 2017: Reformation aus globaler Perspektive, hg. v. M. T. Wacker / F. Wilfred / A. Torres de Queiruga, 217 – 223 (220 f.). 29   Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 453.

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Wut und Trauer über erfahrenes Leid können eine vorschnelle, weil nicht gefühlte Vergebung verzögern, was aus therapeutischer Sicht ebenso gesund ist, wie umgekehrt natürlich daran therapeutisch zu arbeiten, wenn Wut und Trauer als Dauerzustand bestehen bleiben und pathologisch werden. Die Emotionen machen sich bemerkbar, um auf Konflikte aufmerksam zu machen, sodass ihre Verdrängung i. S. einer retraumatisierenden Aufforderung zur Vergebung auch aus der Perspektive des christlichen Glaubens und der Hoffnung auf bedingungslose und ganzheitliche Versöhnung falsch ist und die Credo-Wahrheit Lügen straft. In welcher Form kann Kirche als »Erprobungsraum« der Vergebung der Sünden gedacht werden, wenn diese emotionale Realität ins Zentrum gelangt? Es kann in diesem Zusammenhang z. B. an die Idee der poimenischen Relevanz der sogenannten »Rachepsalmen« erinnert werden: Der Mensch darf Wut und Zorn – also starke Emotionen – artikulieren, bevor er vergibt.30 Vielleicht ist Derridas Aussage von der »Ausnahme«31 auch über diese emotionale Perspektive neu einzuholen: Wenn Kirche als »Erprobungsraum« verstanden wird, müsste sie doch auch offen sein für liturgische Experimente mit diesen ungeliebten Psalmen, die im Prozess des Freiwerdens von erlittenem Unrecht Rachebilder in grellen Farben ausmalen und versprachlichen. Es ergänzt den Vorschlag von Schliesser, in Anschluss an Gestrich, der Buße liturgisch eine neue Chance zu geben32 um die Perspektive auf die Opfer.

3. Freisein Fragmentarisch ist auch Freisein möglich. Für Paul Tillich ist dies im Mut zum Sein begründet, der seine Quelle in Gott hat und der zum Leben befähigt trotz der schwelenden Möglichkeit des Nichtseins in seinen unterschiedlichen Facetten. Mut selbst ist zwar kein Gefühl – aber es ist die Freude, die Tillich zufolge das der ontologischen und 30  P. Bukowski, Die Bibel ins Gespräch bringen: Erwägungen zu einer Grundfrage der Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 31996, 71 – 78. Und das Beten von Rachepsalmen kann dann zum Racheverzicht führen, hat somit also eine ethische Funktion. Vgl. hierzu B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott: Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 32009, 129 – 133. 31  Vgl. Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 469. 32   Vgl. a. a. O., 458 – 460.

486  Sabine Joy Ihben-Bahl ethischen Größe Mut zugehörige Gefühl bildet.33 Freude ist auch das Gefühl, das den Jüngern im Johannesevangelium und so letztlich der nachösterlichen Gemeinde verheißen wird und ihre Angst und Trauer überwiegen soll. Das Johannesevangelium kann vielleicht sogar als das emotionale Evangelium gelten, da der Autor auf die Gefühlslage seiner Gemeinde eingeht, wenn er sie auf die Jünger und sogar Jesus selbst projiziert, wie Petra von Gemünden herausgearbeitet hat.34 Es ist die realistische Angst einer Gemeinschaft – die historische Johannes-Gemeinde wurde wohl von Juden verfolgt – , die ihr Handeln untereinander und an der Welt erfüllen will, doch dabei auf Christus verzichten muss.35 Ausführlich wird dies als Verlassenheitsangst der Jünger in den Abschiedsreden thematisiert,36 es wird ernst genommen, zugleich aber auch auf die Freude verwiesen, die sich Bahn bricht, wenn die Gemeinschaft erkennt, dass sie – durch den Parakleten geführt – trotzdem »freudig tätig« sein kann.37 Christus ist dabei in zweifacher Hinsicht die zentrale Figur: Er selbst fürchtet sich, da er »zuerst gehasst« wurde und ist damit »Exemplum« der Jüngerfurcht, doch zugleich ist er Quelle des Muts, da er das Nichtsein überwunden hat und damit zum »Sacramentum« wird:38 In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.39 In Momenten der Freude ist Freisein fragmentarisch möglich, trotz der Angst-machenden Welt. Ein anderes Gefühl, das Freisein erlebbar macht, hat Matthias Konradt beschrieben: Es kann sich in der ganzheitlichen Agape spiegeln, die den Menschen vollumfänglich ergreift und ihn zum Handeln motiviert. Emotionen in irgendeiner Weise zu relativieren macht die Wirklichkeit unwahr, was Schliesser auch mit Ricœurs Erwägungen zum »gerechten Erinnern« zeigt.40 Erinnerung, die durch Emotionen 33  Vgl. P. Tillich, Der Mut zum Sein (1952). Mit einem Vorwort v. C. Danz, Berlin / München / Boston 22015, 23. 34   P. v. Gemünden, Affekt und Glaube. Studien zur Historischen Psychologie des Frühjudentums und Urchristentums (Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments 73), Göttingen 2009, 279 – 306 (= Der Umgang mit Angst und Aggression im Johannesevangelium. Ein Beitrag zur Psychologie des Urchristentums). 35   Vgl. v. Gemünden, Affekt und Glaube (s. Anm. 34), 282 – 285. 36   Vgl. a. a. O., 297 – 302. 37   Vgl. a. a. O., 303 – 306. Zum freudigen Tätigsein vgl. erneut Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 466. 38   Vgl. v. Gemünden, Affekt und Glaube (s. Anm. 34), 292 – 297. 39   Joh 16,33. 40  Vgl. Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 472 – 475.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  487

konstituiert wird; Erinnerung auch an Schmerz, ist ein notwendiges Moment der gerechten Erinnerung, die echte Versöhnung nicht ausschließt, sondern vielmehr erst ermöglicht. Das von Schliesser bedachte Paradox von »Vergeben und Vergessen« ist dabei  – und zugleich mit einer endgültigen Durchsetzung von Gerechtigkeit einhergehend – eine noch ausstehende eschatologische Wahrheit. Auch hier kann auf das Johannesevangelium verwiesen werden, das das endgültige Freisein wiederum emotional – nämlich als einen Dauerzustand von Freude – erklärt.41 Die Gemeinde, die Kirche, die die matthäische Vergebung der Sünden zu einer unhintergehbaren ekklesiologischen Wahrheit erklärt, muss mit dieser emotionalen Credo-Wahrheit umgehen, doch weil die dazugehörigen Gefühle nicht eingefordert werden können, und man bei provozierter Emotionalität im kirchlichen Kontext, die das für die Glaubenserkenntnis notwendig Kognitive auszuschalten versucht, zumindest skeptisch bleiben sollte, stellt sich die Frage, was Kirche tun kann.42 Zum einen kann sie Raum sein, in dem Emotionen sein dürfen. Die Neubewertung und damit Aufwertung von Emotionen kann auch den größeren Horizont des sinnlichen Erlebens neu erfassen. Damit geht zugleich die Kritik an einer evangelischen Theologie einher, die das Wort primär als sprachliches versteht und damit nicht dem Logos gerecht wird, der durch seinen Geist ganzheitlich und multidimensional erfassen will, weil er selbst mit seiner Fleischwerdung an der vollen Menschlichkeit und dem komplexen Gefühlsleben des Menschen – man denke erneut an den johanneischen Christus – teilhat.43 Auch die Frage nach der Inklusion von Menschen, die das versprachlichte Wort nur begrenzt erfassen können, sollte in dem ganzheitlichen Leib Christi eine Antwort finden. Aber Kirche als Raum zur Vergebung der Sünden und zur Befreiung des Lebens kann noch mehr tun. Hierzu kann noch einmal auf das von Konradt vorgestellte lukanische Gottesbild verwiesen 41

  Vgl. Joh 16.   Z. T. berechtigte Kritik üben in anderer Hinsicht Vertreter der Pfingstbewegung, die die Emotionalität in Theologie und Kirche in den großen Volkskirchen vermissen, sodass ihnen zufolge auch wesentliche Aspekte des komplexen Geistwirkens nicht verstanden werden könnten. Vgl. u. a. W. Vondey, Die Theologie der Pfingstbewegung: Beiträge und Herausforderungen an die christliche Dogmatik, in: NZSTh 59 / 3 (2017), 427 – 446, bes. 433. 43   Vgl. zur Kritik an die evangelische Sprachfixierung auch P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. III (1966), Berlin / New York 1987, 152 f. 42

488  Sabine Joy Ihben-Bahl werden.44 Kirche kann nämlich durch ihre Verkündigung versuchen, ein Gottesbild zu prägen, und zwar das Bild vom barmherzigen, vergebenden Gott, das in der Inkarnation seines Sohnes und erzählerisch in Gleichnissen ausgeführt wird, auf das wir dann im emotionalen Erleben zurückgreifen können. Das ist eine Einsicht, die mit den Erwägungen des Religionspsychologen Bernhard Grom gestützt werden kann. Grom macht in seinem Beitrag im Sammelband »Theologie der Gefühle« zunächst deutlich, dass es ihm zufolge keine »spezifisch religiösen Gefühle« gebe – wie jedes profane Erleben werden Gefühle ihm zufolge zuvor immer geprägt; Glaubensüberzeugungen, Symbole, Einschätzungen, Bewertungen, Erwartungen würden durch eine bestimmte (religiöse) Sozialisation dann bewusst oder unbewusst aktiviert.45 Dass der Leser oder Hörer einer biblischen Erzählung »spontan« angesprochen wird, ist vielleicht ein Trugschluss, da Grom zufolge der Mensch immer unbewusst auf Glaubensüberzeugungen zurückgreift oder aber vielleicht auch solche aus dem profanen Bereich neu kombiniert: »Es gibt keine interpretationsfreie Erfahrung.«46 Das zeigt übrigens auch Konradt, indem er daran erinnert, dass Petrus’ Reaktion und seine Nachfolge mit der Erfahrung zusammenhängt, die er mit Christus zuvor gemacht hat, der ja seine Schwiegermutter geheilt hatte.47 Die Erkenntnisse, die Grom formuliert, sind deshalb von zentraler Bedeutung, weil sie zeigen, dass die Aufgabe der Kirche, Vergebung der Sünden neu zu interpretieren, den barmherzigen, vergebenden Gott zu verkündigen und die Bedeutung der zwischenmenschlichen Vergebung als ethische Konsequenz zu betonen, fruchtbar sein wird. Jesus versucht dies, wie in beiden Vorträgen deutlich wurde, mit Gleichnissen zu zeigen. Im Verstehen eines Gleichnisses wie dem vom verloren Sohn wird der Zusammenhang von Emotion und Vernunft offenkundig: Wir erkennen, weil wir narrativ nachempfinden. Dass sich manche Emotionen zudem erst im Laufe der Zeit entwickeln oder erlernt werden können, macht ferner auch spätere Ge44   Vgl. u. a. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 443 – 445. 45   Vgl. B. Grom, Was ist religiöses Erleben und wie entsteht es? Überlegungen aus emotionspsychologischer Sicht, in: R. Barth / C. Zarnow (Hg.), Theologie der Gefühle, Berlin 2015, 23 – 45 (31 – 34). 46  R. Schaeffler, Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Logik der Erfahrung, Freiburg i. Br. 1995, 424, zitiert bei Grom, Was ist religiöses Erleben und wie entsteht es? (s. Anm. 45), 34. 47  Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 435.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion  489

fühlsbildung möglich  – und notwendig! Hier könnte als aktuelles politisch-gesellschaftliches Beispiel der Umgang mit Flüchtlingen in Europa genannt werden: Der Versuch mancher Schulen, Kinder vor möglicher, durch von ihren Eltern oder gesellschaftlichen Debatten geprägter Fremdenfeindlichkeit im Zuge der Einwanderung von Flüchtlingen vorzubeugen, indem z. B. in Filmen die Gründe der Flucht gezeigt werden, die auch das Leiden der Flüchtlinge vorstellbar, nachempfindbar machen oder wenn die Möglichkeit gegeben wird, mit Flüchtlingen selbst zu sprechen, die so ihre Geschichte erzählen können, sodass der Andere zugleich mit dem Verstehen sein emotionales Spektrum erweitern kann, stellt eine durchaus sinnvolle Methode der Gefühlsbildung dar. Diese Gefühlsbildung kann dann sogar pathologischen Verzerrungen unserer wertvollen Gefühle – in diesem Fall in Form von populistischer Angstmacherei – entgegenwirken. Bei so viel Rede von der »Eigeninitiative« von Mensch oder Kirche darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass von ihnen die Initiative ausgehen würde. Christine Schliesser und Matthias Konradt betonen die pneumatologische Einbettung der Bekenntnisaussage und damit den Heiligen Geist als Initiator.48 Aus der Perspektive des Glaubens ist also die Wirklichkeit, Vergebung der Sünden empfangen zu haben, und die Möglichkeit, Sünden zu vergeben – die gelebte und gefühlte Rechtfertigung – , ein gnadenhaftes Geschenk.

4.  Fazit und Ausblick Folgende Impulse haben sich aus den Beiträgen ergeben: 1. Über die Bedeutung der »Vergebung der Sünden« und der »Befreiung zum Leben« im Horizont ihrer gefühlten Dimension muss noch einmal anders nachgedacht werden. 2. Auch darüber, wie dies in der Verkündigung gestaltet werden kann, ist in dieser Hinsicht zu reflektieren. 3. Es ist kritisch zu fragen, inwieweit Vergebung im »Erprobungs- und Möglichkeitsraum Kirche« gefordert werden darf. Bei den in den Beiträgen vorgebrachten Plädoyers, Gottes Vergebung der Sünden gehe mit der Vergebung im zwischenmenschlichen Bereich einher, ja müsse mit ihr einhergehen, darf nicht übersehen werden, dass die Sünde(n) damit nicht relativiert werden dürfen. Wie in beiden Beiträgen 48  Vgl. Konradt, »Deine Sünden sind vergeben« (s. Anm. 1), 426 und Schliesser, Vergebung (s. Anm. 3), 460. Ebenso Grom: vgl. Grom, Was ist religiöses Erleben und wie entsteht es? (s. Anm. 45), 44 f.

490  Sabine Joy Ihben-Bahl festgestellt wurde, werden Sünden zwar erst von der Vergebung aus verständlich, müssen dann aber auch als solche verstanden werden. Petrus hat das verstanden und auch die Sünderin. Und Jesus – auch das sollte nicht vergessen werden  – spricht offen von den Sünden der Sünderin. Zum Glück können wir bei all diesen Prozessen auf ein anderes Gnadengeschenk zurückgreifen  – auf unser komplexes Gefühlsleben.

Weiterführende Fragen  491

Weiterführende Fragen 1. Wie unterscheiden sich die Versöhnung von Gott und Mensch und die Versöhnung zwischen Menschen voneinander? Kann zur Annahme des göttlichen Versöhnungsgeschehens aufgefordert werden, obwohl Gott allein Subjekt dieses Heilsgeschehens ist (2 Kor 5,18 – 21; Joh 3,16)? 2. Wie ist das Verhältnis zwischen der einem Menschen widerfahrenen Sündenvergebung Gottes und der Aufforderung, einem Mitmenschen Schuld zu vergeben, zu beschreiben? Ist die eigene Vergebungsbereitschaft Frucht der göttlichen Vergebung oder etwa die Bedingung für die Wirksamkeit derselben (Mt 18,22 – 35; vgl. Mt 6,12)? 3. Wie kann Versöhnung unter Menschen geschehen, wenn Menschen durch unterschiedliche Erfahrungen so traumatisiert sind, dass es ihnen unmöglich ist, ihren Peinigern Schuld zu vergeben?

VII.  »… Auferstehung des Fleisches, und ein ewiges Leben« Vom Tod als Transitus Den Abschluss des dritten Glaubensartikels bildet, wie beim zweiten auch, die Rede von Geschehnissen, von denen angenommen wird, dass sie auf das irdische Dasein folgen (eschatologische Themen). Dabei kommt nun zur Sprache, was Menschen nach ihrem leiblichen Tod erwartet: die Auferstehung von den Toten und die Teilhabe an dem im Glauben schon jetzt geschenkten ewigen Leben. Offen bleibt hier, ob die eschatologische Auferweckung alle Menschen einschließt oder ob, wie in vielen neutestamentlichen Texten (s. 1 Thess 4,16; Joh 6,39. 40. 44 etc.), nur die Christus Zugehörigen im Blick sind. Im Unterschied zu der revidierten deutschen Fassung des Apostolikums von 1970 / 71, die weniger anstößig von der »Auferstehung der Toten« redet, formuliert das Credo ursprünglich »Auferstehung des Fleisches«. Damit kommt die in der Alten Kirche im Disput mit griechischen Denkformen dezidiert festgehaltene leibliche Dimension der Auferstehung der Toten zur Sprache. Mit der Zielperspektive eines ewigen Lebens in Gemeinschaft mit Gott wird die Kontinuität zwischen Jetzt und Dann über die Todesgrenze hinweg betont und der Tod als Übergang verstanden. In der biblischen Tradition bildete sich die Rede von der Auferstehung der Toten erst relativ spät heraus (Ez 37; Ps 73,23 f.; Jes 26,19 f.; Dan 12,1 – 2), aber sie gehört zur Hoffnung eines wesentlichen Teils des Judentums um die Zeitenwende (2 Makk 7; vgl. u. a. die Auferstehungsvorstellung der Pharisäer). Im Neuen Testament sind die vielfältigen endzeitlichen Hoffnungen nicht in ein Schema zu pressen, doch ist die christliche Hoffnung auf die Auferweckung von den Toten sehr eng auf die Auferstehung Jesu Christi zurückbezogen, da mit ihr das heilvolle Leben der an ihn Glaubenden verbürgt ist (Röm 5,17 – 20; 1 Kor 15,21). Wesentlich ist die Hoffnung, dass die Gottesbeziehung, die im Glauben jetzt vermittelt ist, auch im leiblichen Tod nicht endet, sondern von Gott dem Schöpfer durch den Heiligen Geist zur Unvergänglichkeit erneuert werden und in unverbrüchlicher Gemeinschaft mit Christus bestehen wird (1 Thess 4,17: »beim Herrn sein allezeit«). Durch die auf dem Hintergrund jüdischer Tradition formulierte Betonung der Auferweckung des Leibes wird über die

494  VII. Auferstehung und ewiges Leben Vorstellung einer bloßen Kontinuität der Seele hinaus festgehalten, dass unser gesamtes leiblich gelebtes Leben und Leiden vor Gott nicht gleichgültig ist.

Physischer Tod, metaphorischer Tod und die lebenstransformierende Kraft Gottes Befunde und Thesen zu Tod, Auferstehung und ewigem Leben im Neuen Testament Christina Hoegen-Rohls

Aus bibelwissenschaftlicher Sicht stellt das Bekenntnis des Apostolikums in der bis zum Jahre 1970 / 711 geltenden Formulierung »Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches, und das ewige Leben«2 1   Die deutsche Fassung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses wurde für den gottesdienstlichen Gebrauch im Jahre 1971 von der Arbeitsgemeinschaft Liturgische Texte überarbeitet. So wie die im zweiten Artikel enthaltene Wendung »hinabgestiegen in die Hölle« ersetzt wurde durch »hinabgestiegen in das Reich des Todes«, so wurde die Wendung »Auferstehung des Fleisches« im dritten Artikel ersetzt durch »Auferstehung der Toten«. Vgl. dazu: Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Ausgabe für die Gemeinde. Im Auftrag der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) herausgegeben vom Lutherischen Kirchenamt. Bearb. v. H. G. Pöhlmann, Gütersloh 31991, 31 f. In der aktualisierten Ausgabe (= Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Ausgabe für die Gemeinde. Im Auftrag der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands [VELKD] hg. vom Amt der VELKD. Redaktionell betreut von J. Hund und H.-O. Schneider, 6., völlig neu bearbeitete Auflage, Gütersloh 2013, 25) fehlt dieser wichtige Hinweis auf die Veränderung der sprachlichen Gestalt. 2  Die in den Bekenntnisschriften (=  Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche [BSLK], hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 121998, 21) gebotene deutsche Übersetzung des dritten Artikels des Symbolum Apostolikum lautet in ihrer altertümlichen Sprache wörtlich: »Ich gläube [sic] an den heiligen Geist, ein [sic] heilige christliche Kirche, die Gemeine [sic] der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches, und ein ewiges Leben.« Das Komma zwischen »des Fleisches« und »und ein ewiges Leben« orientiert sich an der Interpunktion des lateinischen Textes. Dieser lautet (ebd.): »Credo in spiritum sanctum, sanctam ecclesiam catholicam, sanctorum communionem, remissionem peccatorum, carnis resurrectionem, et vitam aeternam.« Das »et« vor »vitam aeternam«, aber auch das Akkusativobjekt selbst (vitam aeternam / ζωὴν αἰώνιον) fehlt in einem Teil der lateinischen bzw. griechischen Überlieferung des Bekenntnisses. Vgl. dazu BSLK 21; F. E. Vokes, Apostolisches Glaubensbekenntnis I, TRE 3 (1978), 528 – 554 (549). In der aktualisierten Neuausgabe der Bekenntnisschriften (=  Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen

496  Christina Hoegen-Rohls vor terminologische und sachliche Probleme. Denn die Rede von der »Auferstehung des Fleisches«, die im Griechischen der Wendung ἀνάστασις σαρκός entspräche,3 kennt das Neue Testament so nicht.4 Auch die Rede vom »ewigen Leben« (neutestamentlich: ζωὴ αἰώνιος), die im Bekenntnis des Apostolikums direkt an die Rede von der Auferstehung des Fleisches anschließt und somit ein Leben nach dieser Auferstehung meint, wird im Neuen Testament keineswegs eindeutig als ein an die Auferstehung sich anschließendes, postmortales Leben verstanden.5 Was den Untertitel des gestellten Themas betrifft (»Vom Tod als Transitus«), der an Senecas Frage und Antwort »mors quid est? aut finis aut transitus« erinnert (Ep 65,24),6 so ist ebenfalls zu konstatieren, dass der Tod im Neuen Testament keinesfalls eindeutig, einhellig und überhaupt vorrangig als »Übergang« aufgefasst wird. Der vorliegende Beitrag erhebt eingedenk dieser knappen Problemskizze in Grundzügen den neutestamentlichen Befund zum Themenkomplex Tod (als Transitus)/Auferstehung des Fleisches / ewiges Leben und formuliert auf der Basis dieses Befundes jeweils Thesen, die beim Blick auf die paulinische Rede von einem metaphorisch gedachten »Tod«, vor allem aber beim abschließenden Kirche. Vollständige Neuedition, hg. v. I. Dingel, Göttingen 2014, 43) fehlt das Komma entsprechend aktueller Interpunktionsregeln auch in der deutschen Übersetzung. 3   Der lateinischen Wortstellung des Ausdrucks carnis resurrectionis entspräche wörtlich die Wendung σαρκὸς ἀνάστασις. Diese begegnet im frühchristlichen Schrifttum außerhalb des Neuen Testaments in 1 Clem 26,3; 2 Clem 9,1; Hermas Sim V 7,2; Justin dial. 80,5. 4   Insofern ist die generelle Aussage, dass die Sprache des Apostolikums »biblisch gespeist« sei (so E. Busch, Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis, Göttingen 2003, 5) zu relativieren. 5   Vgl. dazu C. Hoegen-Rohls, Ewigkeit und Leben. Der biblische Vorstellungskreis III: Johannes, in: P. Bahr / S. Schaede (Hg.), Das Leben I. His­ torisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs (Protestantismus und Kultur 2), Tübingen 2009, 129 – 152; Dies., Gottes rekreatorisches Handeln bei Paulus und Johannes II: »Neue Schöpfung« und »Ewiges Leben«, in: V. Burz-Tropper (Hg.), Studien zum Gottesbild im Johannesevangelium (WUNT II / 483), Tübingen 2019, 187 – 225; N. Ueberschaer, Theologie des Lebens bei Paulus und Johannes. Ein theologisch-konzeptioneller Vergleich des Zusammenhangs von Glaube und Leben auf dem Hintergrund ihrer Glaubenssummarien (WUNT 389), Tübingen 2017. 6   Seneca, Ad Lucilium epistolae morales 65,24. Vgl. dazu die Übersetzung in der Ausgabe L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften I – V, übers., eingel. und mit Anmerkungen versehen von M. Rosenbach, Darmstadt 1999 (= 51995), III, 553: »Der Tod – was ist er? Entweder das Ende oder ein Übergang.«

Physischer Tod, metaphorischer Tod  497

Blick auf die johanneische Rede vom »ewigen Leben« erkennen lassen, inwiefern sich aus neutestamentlicher Sicht die Einbettung des Bekenntnissatzes »Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben« in den Artikel über den Heiligen Geist plausibilisieren lässt.7

1.  Befunde und Thesen zum Tod als Transitus (1) Die neutestamentlichen Texte setzen den physischen Tod (θάνατος) als das Ende physischen Lebens im Sinne des allgemein menschlichen Schicksals, zu sterben (ἀποθνῄσκειν, τελευτᾶν), voraus.8 Tod und Sterben sind in den narrativen Texten der Evangelien und der Apostelgeschichte häufig reale Folge von Krankheit oder Gewalteinwirkung. So stirbt Jesus in Folge der in der Antike weit verbreiteten, als besonders entehrend und grausam geltenden Kreuzigung9 (Mk 15,24.37; Mt 27,35.50; Lk 23,33.46; Joh 19,18. 20. 23.30). Es stirbt der von Geschwüren geplagte Lazarus, von dem das lukanische Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus erzählt (Lk 16,19 – 31). Ebenso sterben der kranke Lazarus aus Bethanien, von dessen Auferweckung durch Jesus das Johannesevangelium erzählt (Joh 11,1 – 45), und die erkrankte Tabita, von deren Auferweckung durch Petrus die Apostelgeschichte berichtet (Apg 9,37). Als neutraler Naturvorgang werden Tod und Sterben nirgendwo zum Thema gemacht.10 Vielmehr werden Tod und Sterben verhandelt auf dem Hintergrund der grundsätzlichen Überzeugung, dass Gott Schöpfer und somit Herr über Leben und Tod ist und sich in der Überwindung des menschlichen Todes 7  Zu den theologischen und terminologischen Problemen, die sich mit der Einbindung des Gedankens der Auferstehung des Fleisches / der Toten und des ewigen Lebens in den Artikel über den Heiligen Geist schon bei der Entstehung und Entwicklung sowohl des altrömischen wie des Apostolischen Glaubensbekenntnisses in altkirchlicher Zeit verbanden, vgl. J. N. D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie (UTB 1746), Göttingen 21993, 152 – 165.380 – 381. 8   Vgl. dazu R. Bultmann, θάνατος, B. Der Todesbegriff des NT, ThWNT 3 (2019), 13 – 21 (13 f.); W. Bieder, θάνατος, EWNT 2 (21992), 319 – 328. 9   Vgl. dazu H.-W. Kuhn, Die Kreuzesstrafe während der frühen Kaiserzeit. Ihre Wirklichkeit und Wertung in der Umwelt des Urchristentums, ANRW II, 25.1 (1982), 648 – 793; ders., Kreuz II, TRE 19 (1990), 713 – 725; J.-W. Taeger, Kreuz / Kreuz Christi  II, RGG4 4 (2001), 1745 – 1746. 10   Anders als in der Stoa wird auch der Freitod (Selbstmord) im Neuen Testament nicht thematisiert. Vgl. Bultmann, θάνατος (s. Anm. 8), 14.

498  Christina Hoegen-Rohls durch das Auferweckungshandeln Jesu Gottes Schöpfermacht und rekreatorischer Wille durchsetzt. In der neutestamentlichen Briefliteratur ist es Paulus, der das menschliche Sterben auf dem Hintergrund des Verhältnisses des Menschen zu Gott deutet: Sowohl im Römerbrief als auch im Ersten Korintherbrief versteht er den Tod als Folge der durch Adam in die Welt gekommenen Sünde (Röm 5,12.21; 1 Kor 15,21; vgl. Röm 7,1 – 25).11 (2) Paulus ist es auch, der den Tod als Person erscheinen lässt, und zwar insbesondere aufgrund seiner Aktivität, zu herrschen.12 Wieder sind es Belege aus dem Römerbrief und aus dem Ersten Korintherbrief, die dieses Verständnis spiegeln: Röm 5,14.17 spricht davon, dass der Tod über die Menschen herrscht (βασιλεύειν). In Röm 6,9 wird deutlich, dass der Tod als Herrscher Macht auch über Christus besaß (κυριεύειν), diese Macht jedoch durch die Auferweckung Christi gebrochen ist. In 1 Kor 15,26 – 28 wird das Verständnis vom Tod als Person deutlich an der personifizierten Rede vom Tod als letztem Feind Christi,13 der als solcher – wie alle anderen Feinde – unter die Füße Christi gelegt bzw. unterworfen wird, bevor schließlich auch Christus selbst als »der Sohn« dem unterworfen sein wird, der ihm alles unterworfen hat, Gott.14 Wenn in 1 Kor 15,55 der Tod mit den Worten »Tod, wo ist dein Sieg?/Tod, wo ist dein Stachel?« direkt angesprochen wird, so ist die Personifizierung des Todes besonders

11   Vgl. ebd.; Bieder, θάνατος (s. Anm. 8), 320 – 324; G. Röhser, Sterblich wegen der Sünde? Zum Verständnis des Todes bei Paulus, in: P. Becker / C. Heinrich (Hg.), Theonome Anthropologie? Christliche Bilder von Menschen und Menschlichkeit, Freiburg i. Br. 2006, 79 – 94; M. Vogel, Der Tod im Neuen Testament vor dem Hintergrund antiker ars moriendi, in: U. Volp (Hg.), Tod (Themen der Theologie 12; UTB 4487), Tübingen 2018, 57 – 115 (94 – 100.103 – 104); M. Wolter, Der Brief an die Römer. Teilbd. 1: Röm 1 – 8 (EKK VI / 1), Neukirchen-Vluyn 2014, 340 – 363.408 – 467; P. Bahl, Die Macht der Sünde im Römerbrief. Eine Untersuchung vor dem Hintergrund antiker Argumentationstheorie und -praxis (BHTh 189), Tübingen 2019, 224 – 239.278 – 307; A. Lindemann, Der Erste Korintherbrief (HNT 9 / 1), Tübingen 2000, 342 – 349. 12   Die Personifizierung des Todes als Herrscher lässt sich bis in das Alte Testament zurückverfolgen. Vgl. dazu etwa F. Gietenbruch, Höllenfahrt Christi und Auferstehung der Toten. Ein verdrängter Zusammenhang (Studien zur systematischen Theologie und Ethik 57), Zürich 2010, 46 – 47. 13  Vgl. Lindemann, Der Erste Korintherbrief (s. Anm. 11), 347 – 348. 14   Zur kontrovers diskutierten Frage, wer Subjekt der Unterwerfung ist, vgl. a. a. O., 348 – 349.

Physischer Tod, metaphorischer Tod  499

greifbar.15 Die Redeweise von 1 Kor 15,54, dass der Tod in den Sieg verschlungen wird (κατεπόθη ὁ θάνατος εἰς νῖκος), lässt sich m. E. entweder dergestalt deuten, dass auch der Sieg personhafte Züge trägt, von dem der personhaft gedachte Tod verschlungen bzw. verschluckt wird.16 Oder das Bild ist so zu verstehen, dass personhafte und räumliche Vorstellungen ineinanderfließen: Der personhaft gedachte Tod wird von dem »Raum« jenes Sieges verschluckt, den Gott Paulus und den Glaubenden durch Jesus Christus gibt (vgl. die Eulogie in 1 Kor 15,57). Das Bild vom Verschlungenwerden des Todes demonstriert jedenfalls die Vorstellung vom absoluten Ende des Todes, nicht vom Tod als Transitus. (3) Auch in der Johannesapokalypse drückt sich ein Verständnis aus, das an den Tod als Person denken lässt.17 Dabei werden Tod und Hades nahe aneinander gerückt.18 Beide treten als personifizierte Akteure auf.19 Auch der Hades gewinnt von daher personalen Cha15  Vgl. dazu W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther. 1 Kor 15,1 – 16,24 (EKK VII / 4), Düsseldorf 2001, 380 – 381, der anmerkt, dass es sich bei dem »Stachel« (τὸ κέντρον) entweder um den Stachel eines Tieres handle, der verwundet oder tötet, oder um den »Stachelstock« bzw. die »Stachelpeitsche, mit der man ein bockendes Tier beherrscht. Der Tod ist dann entweder als gefährliches Tier oder als eine Person vorgestellt, die mit dem Treibstock herrscht oder quält«. 16   Das Verb καταπίνειν/καταπίνεσθαι hat in seinen aktivischen und passivischen Bedeutungen (trinken, verschlucken, hinunterschlucken, verschlingen, aufzehren / getrunken, verschluckt, hinuntergeschluckt, verschlungen, aufgezehrt werden) grundsätzlich eine stark metaphorische Konnotation; vgl. dazu W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg. v. K. u. B. Aland, Berlin 61988, 846. Schrage, Der erste Brief an die Korinther (s. Anm. 15), 379, weist darauf hin, dass bei der Auslegung der Vorstellung des Verschlungenwerdens des Todes an das »Verschlungenwerden von Raubtieren« oder »an das Hineingezogenwerden in einen Meeresstrudel« gedacht wurde. Er selbst plädiert für das »Bild eines Strudels, in dem der Tod untergeht«. 17  Zugleich gewinnt der Tod aufgrund seiner Parallelisierung mit dem Hades (als Ort der Unterwelt) eine räumliche Seite. M. Karrer, Johannesoffenbarung. Teilbd. 1: Offb 1,1 – 5,14 (EKK XXIV / 1), Göttingen 2017, 268, weist darauf hin, dass Personifizierung und räumliche Vorstellung von Tod und Unterwelt bereits der Septuaginta vertraut waren (Jes 28,15; 38,10; Hi 26,6; 38,17; Hos 13,14). 18   Karrer, Johannesoffenbarung (s. Anm. 17), 268, Anm. 84, merkt an: »Hades und Thanatos sind Abstrakta und maskuline Gestalten«. 19  Vgl. dazu Karrer, Johannesoffenbarung (s. Anm. 17), 268: »Kühn personifiziert die Apk  […] den Tod zur Gestalt des Töters (Thanatos) und die Unterwelt zur Gestalt des Schließers, der jeden Weg aus der Unterwelt versperrt (Hades).«

500  Christina Hoegen-Rohls rakter. So hört der Seher im Rahmen der Eingangsvision Christus sagen, er habe die Schlüssel des Todes und des Hades (Apk 1,18).20 In der vierten Siegelvision (Apk 6,7 – 8) sieht er den personifizierte Tod als Reiter auf einem fahlen Pferd reiten, dem der p ­ ersonifizierten Hades nachfolgt.21 Beiden wird Gewalt über den vierten Teil der Erde gegeben. Zu dieser Gewalt des personhaft gedachten Todes und des personhaft gedachten Hades gehört die Macht über den nicht personhaft gedachten Tod, der als Tötungsform (Tod durch wilde Tiere, Tod durch Schwert und Hunger) in Apk 6,8 genannt wird. Im Rahmen der Vision der »ersten Auferstehung« und des Endgerichts (Apk 20,4 – 6.11 – 15) werden neben dem Meer, das die Toten, die in ihm sind, herausgibt, auch Tod und Hades genannt. Auch der Tod und der Hades geben – wie handelnde Personen oder handlungsaktive Räume – die Toten, die in ihnen sind, heraus, damit sie gerichtet werden (Apk 20,13).22 Tod und Hades werden dann in unmittelbarem Anschluss an die Herausgabe der Toten selbst vernichtet, indem sie in den Feuersee geworfen werden, wobei dieser, räumlich konnotiert, als »zweiter Tod« bezeichnet wird (Apk 20,14). In der Schlussvision vom himmlischen Jerusalem (Apk 21,1 – 22,5) erscheint der Tod schließlich als natürlicher Tod: In der Reihe jener Größen, die in der Wirklichkeit von neuem Himmel, neuer Erde und himmlischem Jerusalem nicht mehr sein werden, steht der physische Tod vor Trauer, Geschrei und Schmerz an erster Stelle (Apk 21,4). Sowohl der erste wie der zweite Tod sind für die Offenbarung des Johannes Objekte der Vernichtung durch Gott. Der Gedanke an den Tod als Transitus kommt dabei nicht in den Blick. 20   U. B. Müller, Die Offenbarung des Johannes (ÖTK NT 19), Gütersloh 21995, 85 – 86, versteht die Genitivverbindungen jeweils als Genitivus objectivus (»Schlüssel zu Tod und Hades«) und sieht daher in Tod und Hades »räumliche Größen«, nicht »personifizierte Mächte«. 21   Zur personalen Auffassung von Tod und Hades in Apk 6,1 – 8 vgl. T. Witulski, Die vier »apokalyptischen Reiter« Apk 6,1 – 8. Ein Versuch ihrer zeitgeschichtlichen (Neu-)interpretation (BThSt 154), Neukirchen-Vluyn 2015, 63 – 106. 22   A. Satake / T. Witulski, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 2010, 396, weisen darauf hin, dass die Herausgabe der Toten durch das Meer oder die Unterwelt »eine übliche Vorstellung« war (vgl. 1 Hen 51,1 – 3; 4 Esr 7,32 f.; syr Bar 50,2 – 4). Der Tod hingegen werde üblicherweise nicht als »Aufbewahrungsort von Toten« verstanden. Dass auch er nach Offb 20,13 die Toten herausgebe, spiegle, dass Tod und Hades hier »synonym« verstanden werden.

Physischer Tod, metaphorischer Tod  501

(4) Meines Erachtens kann die Vorstellung vom Tod als Transitus auch nicht mit der paulinischen Rede von der Verwandlung verknüpft werden, wie sie in 1 Kor 15,51 – 53 begegnet.23 Indem Paulus sagt, dass alle verwandelt werden – sowohl die »Entschlafenen«, also Gestorbenen, als auch die noch Lebenden – , unterscheidet er nicht zwischen denen, die bereits tot und jenen, die noch nicht gestorben sind.24 Alle, Tote wie Lebende, werden »in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune« (V. 52: ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ, ἐν τῇ ἐσχάτῃ σάλπιγγι) eines plötzlichen, akustisch verstärkten Geschehens teilhaftig werden, das einen jähen Umbruch von Tod und Leben zu einer grundlegend neuen Realität schafft. Paulus verwendet zur Darstellung dieses Umbruchs Gewandmetaphorik: Das Vergängliche zieht Unvergänglichkeit an, das Sterbliche Unsterblichkeit (V. 53: Δεῖ γὰρ τὸ φθαρτὸν τοῦτο ἐνδύσασθαι ἀφθαρσίαν καὶ τὸ θνητὸν τοῦτο ἐνδύσασθαι ἀθανασίαν).25 Dieser Umbruch gilt ausdrücklich nicht nur für die bereits Gestorbenen, sondern auch für die noch Lebenden.26 Die Lebenden müssen den Tod also nicht erst sterben, um an der neuen Realität, die für die Toten Auferweckung heißt, teilzuhaben. Beide Weisen der Verwandlung zeigen, dass der Tod verschlungen ist in den Sieg des Lebens: Für die einen, die Toten, die den Tod erfahren haben, wird er außer Kraft gesetzt, indem das Totsein durch die Auferweckung überwunden und aufgehoben wird; für die anderen, die Lebenden, wird er außer Kraft gesetzt, indem diese gar nicht sterben werden. Entscheidend ist hier nicht der Gedanke vom Tod als Transitus, sondern der vom Tod auch unabhängig zu denkende Gedanke der Verwandlung bzw. der »Neu-Einkleidung«. 23   Das von Paulus für die Vorstellung eschatologischer Verwandlung in V. 51 verwendete passivische Verb ἀλλάσσεσθαι ist als Passivum divinum aufzufassen, durch das Gott als Agens der Verwandlung kenntlich gemacht wird. Die Aussage impliziert den Sinn »verwandelt werden durch Gott«. 24   Vgl. dazu D. Zeller, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen 2010, 522 mit Anm. 403. 25   Das Verb ἐνδύσασθαι kann medial verstanden werden (sich bekleiden mit / anziehen) oder passivisch. Bei passivischem Verständnis (bekleidet / angezogen werden mit) tritt Gott – wie im Falle des Verbums ἀλλάσσεσθαι – als Agens der Verwandlung in den Blick, sodass die Aussage impliziert: »angezogen werden durch Gott«. Für ein Verständnis des Verbums als passivum divinum spricht das die Aussage einleitende δεῖ, das sowohl in der Sprache der Evangelien, als auch in der Sprache der Paulusbriefe ein »göttliches Muss« artikuliert. 26   Vgl. dazu Schrage, Der erste Korintherbrief (s. Anm. 15), 371 – 378.

502  Christina Hoegen-Rohls (5) Wie steht es mit der paulinischen Rede vom »Raub« (Raptus) bzw. von der Entrückung der Glaubenden, die im Kontext von 1 Thess 4,13 – 18 auftritt? Auch diese Vorstellung spricht nicht vom Tod als Transitus. Die von Paulus geäußerte Gewissheit gegenüber der Gemeinde in Thessaloniki zielt darauf, im Blick auf die Parusie die Hoffnung zu stärken, dass nicht etwa die zu diesem Zeitpunkt noch Lebenden einen Vorrang vor den längst Verstorbenen haben, diesen also hinsichtlich der erhofften Nähe zum Herrn zuvorkommen (V. 15: φθάνειν). Vielmehr werden bei dem lautstarken Herabkommen des Herrn vom Himmel zuerst die »Entschlafenen«, also die Toten auferstehen. Dann – und zugleich mit ihnen (V. 17: ἅμα σὺν αὐτοῖς) – werden die Lebenden in Wolken geraubt bzw. entrückt werden (V. 17: ἁρπάζεσθαι) zur Begegnung mit dem Kyrios in der Luft (V. 17: εἰς ἀέρα).27 Wie in 1 Kor 15 hinsichtlich der Verwandlung, so geht es Paulus in 1 Thess 4 hinsichtlich der Wiederkunft des Herrn um den egalitären Gedanken, dass alle – Tote wie Lebende – am Parusiegeschehen teilhaben. Sowohl 1 Kor 15 wie 1 Thess 4 zeigen, dass im Vorstellungskontext paulinischer Naherwartung der physische Tod nicht zwingend Voraussetzung für die Teilhabe am eschatologischen Heil ist. (6) Vom Tod als Transitus ist bei Paulus möglicherweise jedoch in Zusammenhängen die Rede, die von einem anderen als dem physischen Tod sprechen. Ich denke dabei zunächst an Röm 8,1 – 17. Vom Tod ist hier in einer Weise die Rede, die zwar an die eschatische Auferweckung der Toten denken lässt, auf die die bisher betrachteten Stellen aus 1 Kor 15 und 1 Thess 4 – neben dem Gedanken der Einbindung der Lebenden in das Parusiegeschehen – Bezug nehmen. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass in Röm 8 vom Tod keineswegs eindeutig im Sinne des physischen Lebensendes gesprochen wird. Paulus spricht in Röm 8,2 von dem »Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus« (ὁ νόμος τοῦ πνεύματος τῆς ζωῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) und setzt dieses Gesetz (im Sinne einer ordnenden, das Leben 27   Zur Frage, ob die Entrückung der Glaubenden in die Luft dazu dient, den vom Himmel her wiederkommenden Kyrios »abzuholen« (in der Fachsprache: »einzuholen«) und zur Erde zu geleiten, oder dazu, dass die Glaubenden mit ihm im Himmel vereinigt werden, vgl. H. Merklein, ἀήρ, EWNT 1 (21992), 81 – 82; T. Holtz, Der erste Brief an die Thessalonicher (EKK XIII), Zürich 1986, 203. S. Schreiber, Der erste Brief an die Thessalonicher (ÖTK NT 13 / 1), Gütersloh 2014, 236 – 261, plädiert auf dem Hintergrund von Entrückungsvorstellungen der griechisch-römischen Welt zur Zeit des Paulus für das Modell der Einholung.

Physischer Tod, metaphorischer Tod  503

bestimmenden Richtschnur) ab von dem »Gesetz der Sünde und des Todes« (ὁ νόμος τῆς ἁμαρτίας καὶ τοῦ θανάτου). Obwohl die paulinischen Überlegungen zur Verbindung von Sünde und Tod durchaus den physischen Tod thematisieren können (vgl. Röm 5,12 – 21), scheint mir in Röm 8,1 – 17 nicht vom physischen Tod, sondern von Sterben, Töten und Tod in übertragenem Sinne die Rede zu sein.28 Paulus entwickelt hier den Gedanken einer komplexen Identität der Glaubenden.29 Diese nämlich sind Menschen, die a) in Christus sind (V. 1) und in denen Christus ist (V. 10); die b) im Geist sind (V. 9) und in denen der Geist ist (V. 9.11). In diesem Zustand sind sie c) beides: tot und lebend. Sie sind tot, insofern sie trotz des Christus in ihnen der Gesinnung des Fleisches und damit der Sünde unterliegen (V. 6a.10b). Sie sind zugleich lebend, da in ihnen »das Gesetz des Geistes des Lebens in Jesus Christus« (V. 2) bzw. die »Gesinnung des Geistes« herrscht (V. 6b.10c). Eben mittels dieser Gesinnung des Geistes vermögen sie offenkundig trotz der grundsätzlichen Gesinnung des Fleisches d) die Handlungen des Fleisches bzw. des Leibes zu töten (V. 13). Dabei ist deutlich, dass eigentliches Subjekt solchen Tötens Gott selbst ist, von dem es heißt, dass er die sterblichen Leiber der Glaubenden lebendig machen werde durch seinen in ihnen wohnenden Geist (V. 11). Das durch Gott ermöglichte Töten (bzw. Abtöten) der Handlungen des Leibes führt zu einem Leben, in dem sich die Glaubenden als »Söhne Gottes« verstehen können (V. 14). 28   Vgl. dazu C. Zimmermann, Leben aus dem Tod. Ein Spezifikum in der Gottesrede des Römerbriefs, in: U. Schnelle (Hg.), The Letter to the Romans (BEThL 226), Leuven 2009, 503 – 520; dies., Gottes rekreatorisches Handeln bei Paulus und Johannes I: Das »Lebendigmachen« und das »aus Gott / von oben Gezeugtwerden«, in: V. Burz-Tropper, Studien zum Gottesbild im Johannesevangelium (s. Anm. 5), Tübingen 2019, 161 – 186. 29  Zur Frage der Signatur christlicher Identität bei Paulus vgl. F. Portenhauser, Identität als Nichtidentität. Zum Verständnis des Christen bei Paulus, Luther und Bultmann, in: U. H. J. Körtner / C. Landmesser / M. Lasogga / U. Hahn (Hg.), Bultmann und Luther. Lutherrezeption in Exegese und Hermeneutik Rudolf Bultmanns, Hannover 2010, 209 – 231; dies., Eschatologische Existenz. Zum Verständnis der Glaubenden in der paulinischen Theologie anhand von 2 Kor 5,17, in: H.-J. Eckstein / C. Landmesser / H. Lichtenberger (Hg.), Eschatologie  – Eschatology. The Sixth Durham-Tübingen Research Symposium: Eschatology in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September 2009; WUNT 272), Tübingen 2011, 209 – 228; dies., Inklusion und Exklusion als Strukturmerkmale christlicher Identität in der Theologie des Paulus, in: D. Dettinger / C. Landmesser (Hg.), Ehe – Familie – Gemeinde. Theologische und soziologische Perspektiven auf frühchristliche Lebenswelten (ABG 46), Leipzig 2014, 157 – 178.

504  Christina Hoegen-Rohls Sie sterben den nicht-physischen, den ideellen Tod der Gesinnung des Fleisches, und dieser ideelle, metaphorisch gedachte Tod führt sie zu einem Leben nach der Gesinnung des Geistes, den Gott in ihnen wirken lässt. Instrument von Gottes den metaphorisch gedachten Tod überwindenden Handelns ist letztlich der Geist, der die sterblichen Leiber ideell neu belebt und lebendig macht.30 So ist es der Geist, der den Transitus in ein neues Leben ermöglicht. (7) An einen weiteren paulinischen Text ist zu denken, in dem die Vorstellung vom metaphorisch gedachten Tod als Transitus erkennbar wird. So wie Paulus in Röm 8,1 – 17 vom Abtöten der Handlungen des (sündigen, fleischlichen) Leibes sprechen kann, so spricht er in Röm 6,1 – 11 vom Absterben der Glaubenden gegenüber der Sünde.31 Als der Sünde gegenüber Tote (V. 11: νεκροί τῇ ἁμαρτίᾳ) sind die Glaubenden Lebende in Christus Jesus, und zwar für Gott (V. 11: ζῶντες δὲ τῷ θεῷ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ). Der Tod der Glaubenden, von dem in V. 11 auf metaphorische Weise die Rede ist, ist ein Tod mitten im physischen Leben, und er resultiert aus einem anderen als dem eigenen Tod, nämlich aus jenem Tod, in den hinein die Glaubenden getaucht bzw. getauft sind: aus dem realen Tod Jesu Christi (V. 3: ὅσοι ἐβαπτίσθημεν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν, εἰς τὸν θάνατον αὐτοῦ ἐβαπτίσθημεν). Die Taufe ist hier als ein Todesgeschehen verstanden, das von Paulus bildlich ausformuliert wird bis zur Vorstellung des Mit-Christus-Begrabenseins (V. 4: συνετάφημεν οὖν αὐτῷ διὰ τοῦ βαπτίσματος εἰς τὸν θάνατον). Leitend ist für ihn dabei der Partizipationsgedanke, der sprachlich durch σύμφυτος ausgedrückt wird: Die Glaubenden sind in ideeller Hinsicht »zusammengewachsen mit der Gleichgestalt des Todes«, den Christus physisch und real gestorben ist (V. 5: σύμφυτοι γεγόναμεν τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ). Der Gedanke der Verbundenheit mit dem Tod Christi geht soweit, dass Paulus im vorliegenden Kontext des Römerbriefs und ebenso im Galaterbrief auch die Todesart für den ideellen Tod der Glaubenden reklamieren kann: Sie – und er – sind mit Christus gekreuzigt (Röm 6,6; Gal 2,19). Wie in Röm 8 führt dieses Geschehen zu einer komplexen, spannungsvollen Identität: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,20). Das Denkmodell vom Tod als Transitus kann hier – in übertragener Redeweise – an der Vorstellung des Übergangs von der einen zu der 30

 Vgl. Zimmermann, Leben aus dem Tod (s. Anm. 27), 520.  Zur Interpretation von Röm 6,1 – 11 vgl. Wolter, Der Brief an die Römer (s. Anm. 10), 364 – 384; Bahl, Sünde im Römerbrief (s. Anm. 10), 239 – 254; Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm. 5), 157 – 167. 31

Physischer Tod, metaphorischer Tod  505

anderen Identität entdeckt werden. Solcher Übergang vollzieht sich jedoch nicht im physischen Tod, sondern im metaphorisch gedachten Tod mitten im physischen Leben. Der metaphorische Tod tritt somit als »lebenstransformierende Kraft« in den Blick.32 (8) Das Nachdenken über das, was der Glaube an Christus mit dem Menschen macht, führt bei Paulus also zu einem grundsätzlichen Nachdenken über Leben und Sterben, und zwar in mehrschichtigem Verständnis. Paulus entwickelt ein komplexes Konzept menschlicher Glaubensexistenz, das einerseits durch den ständigen Wechsel von metaphorischer und nicht-metaphorischer Sprache erzeugt wird, andererseits von einem Denken herrührt, in dem es zu einem ständigen Wechsel der Subjekte und Identitäten kommt. Sowohl vom Tod als auch vom Leben kann bei Paulus nicht-metaphorisch und metaphorisch gesprochen werden.33 Nicht-metaphorisch meint Leben das physische Leben und Tod den physischen Tod. Metaphorisch meint Tod ein Sterben bzw. Totsein im physischen Leben: Obwohl ein Mensch lebt, ist er in bestimmter Hinsicht leblos, inaktiv, tot.34 Leben meint, wenn es nicht das physische Leben meint, in übertragenem oder qualitativem Sinne »eine Art von Leben«, und zwar eine solche, die entweder auf den physischen oder den metaphorischen Tod folgt. Das postmortale Auferstehungsleben ist eine solche Art von Leben, die auf den physischen Tod folgt. Das Leben, das die Glaubenden für den leben, der für sie gestorben ist und für sie auferweckt wurde (2 Kor 5,14 f.), ist eine Art von Leben, das auf den metaphorischen Tod folgt. Es meint eine bestimmte, eine neue Lebenshaltung, die auf Gott, auf Christus und auf den Geist ausgerichtet ist. (9) Wenn ich recht sehe, ist es innerhalb des Neuen Testaments allein das Johannesevangelium, das im Umkreis seiner Thanatos-Terminologie das Motiv vom Tod als Transitus explizit zur Sprache bringt. Das entsprechende Verb ist hier μεταβαίνειν, hinübergehen. In Joh 5,24 heißt es von dem, der Jesu Wort bewahrt und dem glaubt, der Jesus gesandt hat, dass er das ewige Leben habe und nicht ins Gericht komme, sondern vom Tod ins Leben hinübergegangen sei (μεταβέβηκεν ἐκ τοῦ θανάτου εἰς τὴν ζωήν). Gerade das resultative Perfekt μεταβέβηκεν 32   Vgl. dazu C. Strecker, Auf den Tod getauft – ein Leben im Übergang. Erläuterungen zur lebenstransformierenden Kraft des Todes bei Paulus im Kontext antiker Thanatologien und Thanatopolitiken, in: JBTh 19 (2004): Leben trotz Tod, 259 – 295 (276 – 277.287 – 288). 33   Vgl. dazu Zimmermann, Leben aus dem Tod (s. Anm. 27), 503. 34   Vgl. ebd.

506  Christina Hoegen-Rohls im Zusammenspiel mit den Präsensformen ἔχει und ἔρχεται zeigt an, dass hier von einem Tod die Rede ist, der nicht physisch am Ende des Lebens, sondern metaphorisch mitten im Leben gestorben wird. Es ist also von einem Tod die Rede, der das gelebte physische Leben, in dem es zu einem solchen nicht-physischen Tod kommt, zu einem ganz anderen Leben macht. Die johanneische Aussage beinhaltet somit, ähnlich wie es sich bei Paulus andeutet, ein neues Sprechen von Tod und Leben, indem zwischen eigentlicher und uneigentlicher Rede bzw. zwischen metaphorischer und nicht-metaphorischer Rede differenziert wird. Solches neue Sprechen spiegelt neues Denken. Der Tod wird in Joh 5,24 nicht als jenes Ereignis verstanden, das das physische menschliche Leben beendet, sondern als eine Haltung bzw. eine Existenzform, die durch den Glauben überwunden werden muss und kann. Die Aussage von Joh 5,24 hat eine Entsprechung im Ersten Johannesbrief (1 Joh 3,14), in der besonders deutlich zum Ausdruck kommt, dass »Tod« eine Haltung meint, und zwar die Haltung des Nichtliebens. Es heißt hier: »Wir wissen, dass wir aus dem Tod ins Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer nicht liebt, bleibt im Tod« (ἡμεῖς οἴδαμεν ὅτι μεταβεβήκαμεν ἐκ τοῦ θανάτου εἰς τὴν ζωήν, ὅτι ἀγαπῶμεν τοὺς ἀδελφούς· ὁ μὴ ἀγαπῶν μένει ἐν τῷ θανάτῳ). Wer liebt, wer glaubt, erlebt ein Hinübergehen (μεταβαίνειν) aus »Tod« in ein neues Leben. Hier ist der Tod in der Tat Transitus, und zwar positiv konnotiert. Denkt man Paulus und Johannes zusammen, so lässt sich nun sagen: Transitus ist der Tod, sofern vom metaphorischen Tod die Rede ist. Oder noch pointierter: Nur der metaphorische Tod ist Transitus.

2.  Befunde und Thesen zur Auferstehung des Fleisches (1) Das Neue Testament, in dem das Nomen ἀνάστασις 42-mal belegt und dabei mehrfach absolut gebraucht ist, kennt den Ausdruck »Auferstehung des Fleisches« (ἀνάστασις σαρκός) nicht.35 Es spricht hin35  Zur terminologischen Bestandsaufnahme vgl. J. Kremer, ἀνάστασις, EWNT 1 (21992), 210 – 221; W. Klaiber, Auferstehung (ThBNT 1), 89 – 102. Zu ausgewählten Problemen des neutestamentlichen Verständnisses von Auferstehung vgl. an neuerer Literatur F. Avemarie / H. Lichtenberger (Hg.), Auferstehung  – Resurrection. The Fourth Durham-Tübingen Research Symposium: Resurrection, Transfiguration and Exaltation in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September 1999; WUNT 135), Tübingen 2001; J. G. van der Watt, Eschatology of the New Testament

Physischer Tod, metaphorischer Tod  507

gegen von der »Auferstehung der Toten« ([ἡ] ἀνάστασις τῶν νεκρῶν: Mt 22,31; 1 Kor 15,42), der »Auferstehung Toter« (ἀνάστασις νεκρῶν: Apg 17,32; 23,6; Röm 1,4; 1 Kor 15,12 f.21) und der »Auferstehung aus Toten« (ἡ ἀνάστασις ἡ ἐκ νεκρῶν: Lk 20,35; Apg 4,2). Dabei knüpft die neutestamentliche Redeweise traditionsgeschichtlich an israelitisch-frühjüdische Vorstellungen an, die sich erst ganz allmählich, frühestens wohl seit nachexilischer Zeit ausgeprägt und dabei ansatzweise den Gedanken entwickelt haben, dass es eine Gottesbeziehung auch jenseits des Todes geben kann.36 (2) Zu finden ist im Neuen Testament ferner die Rede von der »Auferstehung der Gerechten« (ἡ ἀνάστασις τῶν δικαίων: Lk 14,14)37 bzw. von der »Auferstehung Gerechter und Ungerechter« (ἀνάστασις δικαίων τε καὶ ἀδίκων: Apg 24,15),38 in der apokalyptische Vorstellungen nachwirken, wie sie etwa in Dan 12,1 – 3 belegt sind.39 In ihnen spiegelt sich das Verständnis von »Auferstehung« als einer Art ausgleichender Gerechtigkeit für im irdischen Leben erlittenes Unrecht und ausgebliebene Strafe.40 (3) Neben diesem grundlegenden quellensprachlichen Befund lassen sich im Überblick über die neutestamentlichen Belege von »Auferstehung« einige terminologische Besonderheiten hervorheben,

and Some Related Documents (WUNT II / 315), Tübingen 2011; H.-J. Eckstein / C. Landmesser / H. Lichtenberger (Hg.), Eschatologie – Eschatology. The Sixth Durham-Tübingen Research Symposium: Eschatology in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September 2009; WUNT 272), Tübingen 2011. Zum alttestamentlichen Hintergrund vgl. J. Schnocks, Rettung und Neuschöpfung. Studien zur alttestamentlichen Grundlegung einer gesamtbiblischen Theologie der Auferstehung (BBB 158), Göttingen 2009. 36  Vgl. dazu A. A. Fischer, Der Tod im Alten Testament und sein altorientalischer Kontext, in: U. Volp (Hg.), Tod (Themen der Theologie 12; UTB 4487), Tübingen 2018, 11 – 56. 37  Vgl. dazu F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (Lk 9,51 – 14,35), Zürich 1996, 495; M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 506 – 507. 38  Vgl. dazu C. S. Keener, Acts. An Exegetical Commentary, Vol. 4: 24:1 – 28:31, Grand Rapids  MI 2015, 3401 – 3405. 39  Vgl. dazu J. Frey, Biblisch-theologische Reflexionen zum Bekenntnis zur Auferstehung Jesu Christi, in: J. Herzer / A. Käfer / J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaften und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018, 325 – 349 (329). 40   Vgl. ebd.

508  Christina Hoegen-Rohls denen inhaltliche Besonderheiten entsprechen:41 Nur das Johannesevangelium differenziert zwischen einer »Auferstehung zum Leben« und einer »Auferstehung zum Gericht« (ἀνάστασις ζωῆς / ἀνάστασις κρίσεως: Joh 5,29)42 und spricht von einer »Auferstehung am letzten Tage« (ἡ ἀνάστασις ἐν τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ: Joh 11,24).43 Nur die Johannesoffenbarung spricht von einer »ersten Auferstehung« (ἡ ἀνάστασις ἡ πρώτη: Apk 20,5 f.), die impliziert, dass es zumindest eine weitere Auferstehung gibt.44 Nur der Hebräerbrief unterscheidet zwischen der »Auferstehung« und einer »gewaltigeren Auferstehung« (κρείττων ἀναστάσις: Hebr 11,35).45 Nur das Lukasevangelium verwendet den Ausdruck »Söhne der Auferstehung« (Lk 20,36)46 und gebraucht das Nomen ἀνάστασις an einer Stelle in der Bedeutung von »das Auf-

41   Die inhaltlichen Besonderheiten können in den folgenden Anmerkungen nur angedeutet werden. 42   Vgl. dazu M. Theobald, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1 – 12, Regensburg 2009, 401 – 402. 43   Vgl. dazu J. Frey, Die johanneische Eschatologie, Bd. III: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten (WUNT 117), Tübingen 2000, 432 – 437; Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm. 5), 222 – 223. Mit der Rede von der »Auferstehung am jüngsten Tage« demonstriert das Johannesevanglium, dass es trotz seiner präsentisch akzentuierten Heilsvorstellung auch futurisch eschatologisch denkt. 44   Weder eine »zweite Auferstehung« noch weitere Auferstehungen werden explizit genannt. Doch spricht Apk 20,5 von den »übrigen Toten«, die  – anders als jene, die um ihres Glaubens willen enthauptet wurden  – nicht an der ersten Auferstehung teilhaben. Nur die Märtyrer erleben eine »erste Auferstehung«. Die »übrigen Toten« werden erst wieder lebendig, wenn die tausend Jahre, in denen die auferstandenen Märtyrer mit Christus herrschen, vergangen sind (vgl. Apk 20,4 – 6). Müller, Die Offenbarung des Johannes (s. Anm. 20), 339, geht daher zu Recht davon aus, dass neben der ersten Auferstehung, die alleine den Märtyrern zuteilwird, als zweite Auferstehung die »der allgemeinen Totenauferstehung« impliziert sei. Die »Kombination zweier Auferstehungsvorgänge« habe die Johannesoffenbarung der jüdischen Tradition entnommen. Vgl. auch H. Lichtenberger, Die Apokalypse (ThKNT 23), Stuttgart 2014, 256. 45  Auch die Rede von der »gewaltigeren Auferstehung« in Hebr 11,35 bezieht sich auf zu Tode gefolterte Märtyrer. Diese schlagen eine »Auferstehung« – im Sinne eines Wiederlebendigwerdens, das erneut in ein physisches Leben führt (vgl. Lazarus aus Bethanien in Joh 11) – aus. Sie erhoffen vielmehr eine »gewaltigere Auferstehung« im Sinne eines Lebens bei Gott. Vgl. dazu M. Karrer, Der Brief an die Hebräer. Kapitel 5,11 – 13,25 (ÖTK NT 20 / 2), Gütersloh 2008, 295 – 296. 46   Vgl. dazu Kremer, ἀνάστασις (s. Anm. 35), 215.

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stehen«, das metaphorisch mit dem Sinn »das Heil« aufgeladen wird (Lk 2,34).47 (4) Sowohl die absolute Rede von der »Auferstehung« als auch die Näherbestimmung »Auferstehung der Toten«/»Auferstehung Toter«/»Auferstehung aus Toten« kann sich jeweils auf die Auferstehung Jesu und auf die Auferstehung der Menschen beziehen. Dominante Quellen für beide Vorstellungen sind die Paulusbriefe, die synoptischen Evangelien, die Apostelgeschichte und das Johannesevangelium. (5) In den synoptischen Evangelien erscheint das Thema der Auferstehung von Menschen jeweils im Kontext der Auseinandersetzung mit den Sadduzäern über die Frage, ob es eine Auferstehung der Toten gebe oder nicht (Mk 12,18.23; Mt 22,23.28.30 f.; Lk 20,27. 33. 35).48 Das gilt auch für die Apostelgeschichte (Apg 17,32; 23,8).49 In anderen inhaltlichen Kontexten wird die Frage nach der endzeitlichen Auferstehung der Menschen von Mk, Mt und dem lukanischen Doppelwerk nicht behandelt. (6) Entscheidendes Gewicht für das neutestamentliche Verständnis der Auferstehung von Menschen haben Paulus und Johannes. Tragende Textgrundlage sind hierbei 1 Thess 4,13 – 18 und 1 Kor 15 sowie Joh 5, Joh 6 und Joh 11. Zu prüfen ist, wie sich die hier begegnenden Aussagen zur Redeweise von der »Auferstehung des Fleisches« verhalten. (6a) Für 1 Thess 4,13 – 18 ist festzuhalten, dass mit keinem Wort von der Art und Weise die Rede ist, in der sich die Auferstehung Toter vollzieht. Von den Toten wird hier grundsätzlich bildhaft und 47   Das »Aufstehen« im Sinne von Heil steht dabei im Gegensatz zum »Fallen« im Sinne von Unheil. Vgl. dazu Wolter, Lukasevangelium (s. Anm. 37), 141 – 142. 48  Vgl. dazu O. Schwankl, Die Sadduzäerfrage (Mk 12, 18 – 27 parr). Eine exegetisch-theologische Studie zur Auferstehungserwartung (BBB 66), Frankfurt a. M. 1987; A. Fuchs, Die Sadduzäerfrage Mk 12,18 – 27 par Mt 22,23 – 33 par Lk 20,27 – 40, in: SNTU.A 26 (2001), 83 – 110. Vgl. zur differenzierten Vorstellung einer Auferstehung bzw. postmortalen Existenz im antiken Judentum C. D. Elledge, Life after Death in Early Judaism. The Evidence of Josephus (WUNT II / 208), Tübingen 2006; R. H. Bell, Individual Eschatology, in: C. Heilig / J. T. Hewitt / M. F. Bird (Hg.), God and the Faithfulness of Paul. A Critical Examination of the Pauline Theology of N. T. Wright (WUNT II / 413), Tübingen 2016, 533 – 554; Wolter, Lukasevangelium (s. Anm.  37), 654 – 660. 49  Vgl. dazu C. S. Keener, Acts. An Exegetical Commentary, Vol. 3: 15:1 – 23:35, Grand Rapids  MI 2014, 2675.3285 – 3288.3290.

510  Christina Hoegen-Rohls euphemistisch als von den »Schlafenden / Entschlafenen« gesprochen (V. 13: οἱ κοιμωμένοι; V. 14 – 15: οἱ κοιμηθέντες),50 wobei die korrespondierende bildliche Rede vom »Aufwachen / Aufstehen« fehlt. Szenisch wird zunächst in V. 14 nur sehr vage angedeutet, dass Gott als entscheidender Akteur, vermittelt durch Jesus, die Entschlafenen »führen« werde (ἄγειν), und zwar »mit ihm«, Jesus (διὰ τοῦ Ἰησοῦ ἄξει σὺν αὐτῷ). Aus der Aussage »mit Jesus« lässt sich dabei keine konkrete Vorstellung für die materiale Verfassung der Toten gewinnen, denn auch auf die besondere materiale Erscheinungsform des Auferstandenen wird in 1 Thess 4,13 – 18 mit keinem Wort verwiesen. Es heißt lediglich in formelhafter Credo-Sprache, dass Jesus gestorben und auferstanden ist (V. 14: ὅτι Ἰησοῦς ἀπέθανεν καὶ ἀνέστη). Der anschließend geschilderten, apokalyptisch gefärbten Szene der Parusie Christi kann ebenfalls keine konkrete materielle Vorstellung über den Zustand der Toten bzw. über die äußere Form ihrer Auferweckung entnommen werden. Von einer Auferstehung des Fleisches jedenfalls ist nicht die Rede. Allerdings: Auch von den Lebenden ist ja im unmittelbaren Kontext die Rede. Diese sind zweifellos an die Materie des Fleisches gebunden. Doch das visionäre Bild, dass die Lebenden auf Wolken in die Luft entrückt werden, legt wiederum Assoziationen immaterieller Art nahe. Aber kommt es Paulus auf solche Details überhaupt an? (6b) Etwas mehr an solchen Details scheint er jedenfalls in der Korrespondenz mit den Korinthern interessiert zu sein. In 1 Kor 15 nämlich stellt Paulus die Frage nach der Art und Weise der Auferstehung ausdrücklich und die Antwort, die er darauf gibt, ist so ausführlich (um nicht zu sagen langatmig) und auf den ersten Blick so verwirrend, dass es fast scheint, unser Thema müsse lauten: »Ich glaube an die Auferstehung des anderen Fleisches […]«. Aber der Reihe nach: Die Frage, die Paulus stellt bzw. vor die er sich gestellt sieht, lautet: »Wie werden die Toten auferweckt (übersetzt als passivum divinum) bzw. auferstehen (übersetzt als intransitives Passiv) und mit einem wie beschaffenen Leib werden sie kommen?« (V. 35: πῶς ἐγείρονται οἱ νεκροί; ποίῳ δὲ σώματι ἔρχονται;). Zur Beantwortung dieser Frage nutzt er das Alltagsbild des Säens, das einerseits auf die zeitgenössische Auffassung referiert, dass das Samenkorn stirbt, bevor daraus die Pflanze wird, und zum anderen zu veranschaulichen vermag, dass 50

243.

  Vgl. dazu Schreiber, Der erste Brief an die Thessalonicher (s. Anm. 27),

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aus einer Materie eine anders geartete Materie entsteht, wie beispielsweise aus dem Weizenkorn der Weizen (vgl. 1 Kor 15,37). Paulus setzt voraus: »Was du säst, ist ja nicht der Leib, der werden soll« (τὸ σῶμα τὸ γενησόμενον), wobei in eben dem Aspekt »der werden soll« der Auferstehungsgedanke angesprochen ist. Rasch lenkt er dann den Blick auf Gott als Agens der Auferstehung: Gott gibt dem Samenkorn einen Leib (V. 38a: ὁ δὲ θεὸς δίδωσιν αὐτῷ σῶμα καθὼς ἠθέλησεν), und zwar jedem Samenkorn einen jeweils eigenen Leib (V. 38b: καὶ ἑκάστῳ τῶν σπερμάτων ἴδιον σῶμα). Bevor Paulus diesen Gedanken näher ausführt, formuliert er einen grundsätzlichen Zwischengedanken, der, modern gesprochen, so etwas wie »diversity« von Realitäten einsichtig machen soll. So hebt er den Aspekt der Unterschiedlichkeit erstens am Beispiel des Fleisches (σάρξ), zweitens am Beispiel des Leibes (σῶμα) und drittens am Beispiel von Sonne, Mond und Sternen hervor (V. 39 – 41). So haben Sonne, Mond und Sterne einen je unterschiedlichen Glanz (δόξα ἡλίου / δόξα σελήνης / δόξα ἀστέρων). Unterschiedliche Doxa haben aber auch irdische und himmlische Leiber (σώματα). Und »nicht alles Fleisch ist das gleiche Fleisch« (V. 39), denn Mensch, Vieh, Vögel und Fische haben je ihre eigene Sarx. Paulus geht es mit diesem Zwischengedanken darum, das Prinzip der Unterscheidung als hermeneutisches Prinzip zu plausibilisieren, das angewendet werden muss, wenn verstanden werden soll, was Auferstehung der Toten bedeutet (V. 42: Οὕτως καὶ ἡ ἀνάστασις τῶν νεκρῶν). Dabei erscheint ihm eine vierfache Unterscheidung für das Auferstehungsphänomen relevant zu sein: der Unterschied zwischen verweslich und unverweslich, der Unterschied zwischen Niedrigkeit und Herrlichkeit, der Unterschied zwischen armselig und kraftvoll und schließlich der Unterschied zwischen einem von der »Seele« (im Sinne der alttestamentlichen ‫ ) ֶנפֶשׁ‬bestimmten Leib (σῶμα ψυχικόν)51 und einem vom Geist bestimmten Leib (σῶμα πνευματικόν). Das hermeneutische Prinzip der Unterscheidung führt dazu, dass sich Auferstehung der Toten im Sinne des Paulus als Vier-Faktoren-Modell erschließt. Diese vier Faktoren sind ἀφθαρσία (Unvergänglichkeit), δόξα (Herrlichkeit, Glanz), δύναμις (Kraft) und ein pneumatischer Leib (σῶμα πνευματικόν). Dass es Paulus bei keinem dieser vier Faktoren um die Auferstehung des Fleisches geht, macht er im Anschluss an seine hier vorgestellten Überlegungen unmissverständlich deutlich, 51   Paulus zitiert dafür ausdrücklich Gen 2,7 (‫  ֶנפֶשׁ חַ ָיּֽה‬/ LXX ψυχὴν ζῶσα) in V. 45b: ἐγένετο ὁ πρῶτος ἄνθρωπος Ἀδὰμ εἰς ψυχὴν ζῶσαν.

512  Christina Hoegen-Rohls wenn er der Gemeinde einschärft, dass »Fleisch und Blut die Herrschaft Gottes nicht erben können« (V. 50a.b: Τοῦτο δέ φημι, ἀδελφοί, ὅτι σὰρξ καὶ αἷμα βασιλείαν θεοῦ κληρονομῆσαι οὐ δύναται).52 (6c) Von Joh 5,24 war im Kontext der Überlegungen zur paulinischen wie johanneischen Unterscheidung zwischen realem physischem Tod am Lebensende und ideellem, in metaphorischer Sprache ausgesagtem »Tod« mitten im Leben bereits die Rede. Joh 5 muss nun aber auch unter der Frage, wie sich die hier begegnenden Aussagen einer ἀνάστασις ζωῆς und einer ἀνάστασιν κρίσεως zur Redeweise von der »Auferstehung des Fleisches« verhalten, thematisiert werden. Dazu ist der Blick auf den Gesamtzusammenhang von Joh 5,19 – 30 zu richten. Dieser Abschnitt schließt an die Erzählung von der Heilung eines Gelähmten am Sabbat in Joh 5,1 – 18 an, die darin gipfelt, dass die sog. »Juden« danach trachten, Jesus zu töten – und zwar nicht allein, weil Jesus den Sabbat bricht, sondern weil er Gott seinen Vater nennt. Eben das Verhältnis von Vater und Sohn ist dann Gegenstand der Rede des johanneischen Jesus in Joh 5,19 – 30. Fokussiert wird es auf die Handlungseinheit beider Akteure im Blick auf die Totenauferweckung, das Lebendigmachen und das Handeln im Gericht. Zwar scheint die Einheit von Vater und Sohn hinsichtlich dieser Handlungen einer gewissen Asymmetrie zu unterliegen, insofern vom Vater gesagt wird, er wecke Tote auf und mache sie lebendig (V. 21a), während dem Sohn nur die zweite Handlung, das Lebendigmachen, zugeordnet wird (vgl. V. 21b). Und eine gewisse Asymmetrie scheint auch vorzuliegen, wenn es vom Vater heißt, er richte niemanden, sondern habe das ganze Gericht dem Sohn übergeben (V. 22).53 Doch legen es weitere asymmetrische Aussagen zum Vater-Sohn-Verhältnis im Johannesevangelium durchaus nahe, darin den spezifisch johanneischen Ausdruck für das Zusammenwirken von Vater und Sohn zu sehen, das als Sendungsgeschehen gedacht wird: Der Gesandte tut den Willen dessen, der ihn gesandt hat, und der Sendende überträgt 52   Allerdings bleibt ein Rest an logischem Unbehagen, wenn V. 50c betrachtet wird, wo es heißt, dass auch Vergänglichkeit nicht Unvergänglichkeit erben werde (οὐδὲ ἡ φθορὰ τὴν ἀφθαρσίαν κληρονομεῖ). Steht diese Aussage nicht im Widerspruch zu dem nachfolgenden Bild vom Bekleidetwerden der Vergänglichkeit durch Unvergänglichkeit (1 Kor 15,53)? Die einschlägigen Kommentare gehen, wenn ich recht sehe, auf diese Dissonanz nicht ein. 53   Vgl. dazu C. Hoegen-Rohls, Das theologische Gewicht der Rede von σωτηρία und σῴζειν im Johannesevangelium, in: C. Gerber / D. du Toit / C. Zimmermann (Hg.), Soteria. Salvation in Early Christianity and Antiquity (Festschrift  C.  Breytenbach), Leiden 2019, 246 – 272 (255 – 257).

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seine gesamte Vollmacht auf den Gesandten. Wenn in Joh 5,19 – 30 von Auferweckung, Lebendigmachen und Gerichthalten die Rede ist, sind somit nach johanneischem Verständnis beide Akteure des Sendungsgeschehens am Werk (vgl. V. 19.30). Was nun die Rede von der Auferweckung und von der »Lebensauferstehung« bzw. der »Gerichtsauferstehung« betrifft, so lassen die Aussagen in Joh 5,19 – 30, anders als die Überlegungen von Paulus in 1 Kor 15, keinerlei Modus der Auferweckten oder Auferstandenen erkennen. Weder von Fleisch (σάρξ), noch Leib (σῶμα) wird hier gesprochen. Die Rede ist vielmehr von den »Toten« (V. 25: οἱ νεκροί) und von »allen, die in den Gräbern sind« (V. 28: πάντες οἱ ἐν τοῖς μνημείοις). Beide Gruppen – ob sie nun miteinander identisch oder zu unterscheiden sind54  – sind der Vorstellung nach ausgestattet mit lebendigen Sinnen, denn sie werden hören können (V. 25.28: ἀκούσουσιν). Sind sie also wirklich oder metaphorisch tot? Oder spiegelt die Rede vom Hörenkönnen Toter und Begrabener das Problem, dass nicht anders als bildlich und anthropomorph von der eschatischen Auferstehung der Menschen gesprochen werden kann? Denn das gilt ja wohl auch für die Folgeerscheinung des Hörens, die als aktives Hervorgehen der Begrabenen beschrieben wird (V. 29: καὶ ἐκπορεύσονται οἱ τὰ ἀγαθὰ ποιήσαντες εἰς ἀνάστασιν ζωῆς, οἱ δὲ τὰ φαῦλα πράξαντες εἰς ἀνάστασιν κρίσεως). Einen Anhaltspunkt für die Beantwortung der in der Johannesforschung heiß umstrittenen Frage, ob V. 25 und V. 28 – 29 überhaupt auf die endzeitliche Auferstehung der Toten referieren und somit einer futurischen Eschatologie zuzurechnen sind,55 liefert die jeweils unterschiedliche zeitliche Angabe, die mit den Aussagen verbunden ist. So heißt es in V. 28 in Form einer eindimensionalen Aussage, die mit dem Hören verbundene »Stunde« komme (ἔρχεται), während V. 25 die spezifisch johanneische Doppelformulierung ἔρχεται ὥρα καὶ νῦν ἐστιν verwendet, die auch in Joh 4,23 und, leicht abgewandelt, in Joh 16,32 begegnet. Mit dieser zweidimensionalen Aussage (»die Stunde kommt – und ist jetzt«), die in Spannung steht zur Eindimensionalität eines (künftigen) Kommens der Auferstehungsstunde, bringt das 54   Vgl. dazu Frey, Eschatologie (s. Anm. 43), 379 – 381, der dafür plädiert, in den »Toten« (V. 25) geistlich (also metaphorisch) Tote zu sehen, die von den leiblich (also physisch) Toten, die in den Gräbern sind (V. 28), zu unterscheiden seien. 55   Vgl. exemplarisch die Positionen von Frey, a. a. O., 369 – 391, und H.C. Kammler, Christologie und Eschatologie. Joh 5,17 – 30 als Schlüsseltext johanneischer Theologie (WUNT 126), Tübingen 2000.

514  Christina Hoegen-Rohls Johannesevangelium möglicherweise die Vielschichtigkeit und Ambivalenz seines Auferstehungsdenkens ganz bewusst zum Ausdruck. Zu entscheiden wäre dann hermeneutisch nicht zwischen den Alternativen einer präsentischen und einer futurischen Eschatologie. Sondern zu schließen wäre, dass nach Ansicht der johanneischen Theologie eindeutige Aussagen der Komplexität und Tiefendimension des Auferstehungsthemas nicht gerecht werden können.56 (6d) Das gälte dann auch für jene sperrige Aussage in Joh 6,40, in der sich direkt neben der präsentischen Aussage, dass der Glaubende ewiges Leben habe, die futurische Aussage findet: »und ich werde ihn auferwecken am letzten Tage« (καὶ ἀναστήσω αὐτὸν ἐγὼ [ἐν] τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ). Nicht nur zeigt sich hier deutlich, dass ewiges Leben im johanneischen Denken der Auferstehung vorangehen kann, sondern auch, dass offenbar Gegenwart und Zukunft im Blick auf die Heilsvollendung nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. (6e) Überragende Bedeutung für das Auferstehungsverständnis der johanneischen Theologie hat das Ich-bin-Wort Jesu in Joh 11,25 f. Alles, was über ἀνάστασις in Joh 5 und Joh 6 ausgesagt wird und auch alles, was in Joh 11 von Martha hinsichtlich der Hoffnung auf die Auferstehung ihres Bruders Lazarus gesagt wird, wird überboten durch die christologische Aussage, dass Jesus selbst die Auferstehung ist. Dabei wird, folgt man der narrativen Entfaltung des Dialogs zwischen Jesus und Martha, eine künftige Auferstehung keineswegs in Abrede gestellt, sodass auch das plakativ-summarische Diktum des johanneischen Jesus aus Joh 6,39, er werde alles, was ihm vom Vater gegeben sei, am letzten Tage auferwecken, als eine für das johanneische Auferstehungsdenken offenbar relevante Auffassung gültig bleibt. Doch wird die Vorstellung künftiger Auferweckung entschieden relativiert durch die Selbstprädikation »Ich bin die Auferstehung« (Joh 11,25: ἐγώ εἰμι ἡ ἀνάστασις). Dadurch wird neu bestimmt, was Auferstehung heißt: Sie ist nicht zutreffend erfasst, wenn sie allein als ein Ereignis in ferner Zukunft gedacht wird. Sondern: Auferstehung ist konkrete Möglichkeit in jeder an Jesus als den göttlichen Logos gebundenen Gegenwart. Die johanneische Theologie versteht den Logos als die ζωή schlechthin, in der alles Geschaffene seit je gründet und in der der Glaubende auf ewig geborgen bleibt. Kommt die Frage nach der »Auferstehung des Fleisches« in einem so umfassend 56   Vgl. so auch U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes (ThKNT 4), Leipzig 52016, 149.

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vom Leben aus gedachten Konzept anthropologisch überhaupt in den Blick? Die Beantwortung dieser Frage hängt von der Klärung des vieldiskutierten Problems ab, wie die in Joh 11 erzählte Auferweckung des Lazarus zu beurteilen sei. Wird hier die eschatische Auferstehung der Toten ­»vorabgebildet«,57 sodass man annehmen könnte, die künftig auferweckten Toten werden von Fleisch und Blut sein wie Lazarus es nach seiner Auferweckung ist? Oder ist die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus als eine Wiederbelebungsgeschichte zu lesen?58 Dann ließe sich annehmen, dass zwar der revitalisierte Lazarus Fleisch und Blut braucht, um sein wiederhergestelltes physisches Leben zu leben, die Erscheinungsform der künftig Auferweckten sich jedoch davon unterscheidet. Für Paulus und sein hermeneutisches Prinzip der Unterscheidung jedenfalls kann die johanneische Lazarus-Erzählung wohl weder als »Auferstehung« noch endzeitliche Verwandlung gelten, da das σῶμα ψυχικόν des Lazarus nicht in ein σῶμα πνευματικόν verwandelt wird, sondern in ein σῶμα ψυχικόν zurückkehrt. Aber was denkt Johannes? Nadine Ueberschaer hat erwogen, »mit mehreren Sinnebenen« zu rechnen.59 Die Lazarus-Erzählung könne in johanneischem Sinne »als proleptisches Paradigma einer (sc. künftig erwarteten) leiblichen Auferstehung« fungieren. Sie könne aber auch exemplarisch verdeutlichen, was es heiße, im metaphorischen Sinne aus dem Tod ins Leben hinüberzugehen, wie es Joh 5,24 durch μεταβαίνειν ausdrücke.60 So verstanden veranschauliche die Lazarus-Erzählung genau das, was der zweite soteriologische Nachsatz des Ich-bin-Wortes von der Auferstehung und dem Leben (Joh 11,25 f.) beinhalte, nämlich dass der an Christus Glaubende in Ewigkeit nicht sterben werde (V. 26b).61 Das gegenwärtige Leben im Glauben unterscheide sich »soteriologisch gesehen nicht von dem postmortalen Auferstehungsleben«.62 Unterscheidet sich dieses Auferstehungsleben vom irdischen Glaubensleben dann in anderer Hinsicht? Das Johannesevangelium macht dazu keine Angaben. Eine wie auch immer geartete äußere Form der Auferstandenen – etwa die des prämortal-realen physischen Fleisches / Körpers  – können wir den johanneischen Aussagen nicht entnehmen. 57

 So H. Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 22015, 535.  So Frey, Eschatologie (s. Anm. 43), 455. 59   Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm. 5), 231. 60   A. a. O., 278.332. 61   A. a. O., 231; vgl. 221. 62   A. a. O., 239. 58

516  Christina Hoegen-Rohls

3.  Befunde und Thesen zum ewigen Leben (1) Die Verbindung »ewiges Leben« begegnet in zahlreichen Schriften des Neuen Testaments,63 darunter achtmal in den synoptischen Evangelien, zweimal in der Apostelgeschichte, fünfmal bei Paulus. Mit 21 Belegen ist sie am häufigsten im Johannesevangelium und im Ersten Johannesbrief vertreten. Beim Vergleich der johanneischen Sprache mit der Sprache der Synoptiker, der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe lässt sich als Besonderheit beschreiben, dass Johannesevangelium und Erster Johannesbrief das Epitheton »ewig« (αἰώνιος) keinem anderen Nomen zuordnen als der ζωή. Leben und Ewigkeit scheinen für die johanneische Theologie also in einem besonders engen inhaltlichen Zusammenhang zu stehen. In den synoptischen Evangelien begegnet das Adjektiv »ewig« hingegen auch in folgenden Verbindungen: Ewiges Feuer (Mt 18,8; 25,41), ewige Strafe (Mt 25,46), ewige Verfehlung (Mk 3,29), ewiges Heil (Mk 16,8 v. l.), ewige himmlische Wohnungen des Jenseits (Lk 16,9). Paulus verwendet es in den Wendungen »ewige Fülle der Herrlichkeit« (2 Kor 4,17) und »ein ewiges Haus, nicht von Händen gemacht, im Himmel« (2 Kor 5,1). (2) Begriffsgeschichtlich durchaus bemerkenswert ist, dass der griechische Ausdruck für Ewigkeit (αἰών) etymologisch ursprünglich einerseits qualitativ die Lebenskraft, den Lebensquell oder auch Ursprung und Prinzip des Lebens meinen kann, andererseits den Lebenszusammenhang im Sinne der sich zeitlich erstreckenden Lebensspanne.64 (3) Was heißt »ewiges Leben« bei Paulus? Schließt es, wie es die Abfolge des Apostolischen Glaubensbekenntnisses nahelegt, postmortal an Tod und Auferstehung an? Ist es eine künftige oder gegenwärtige Größe – oder anders gefragt: »Wie künftig« ist es? Fünf bei Paulus begegnende Belege sind auf ihren Sinngehalt hin zu prüfen: Röm 2,7; 5,21; 6,22.23; Gal 6,8.65 (3a) Im Kontext von Röm 2,1 – 16 ist vom »Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes« (V. 5) bzw. vom »Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen richten wird durch Jesus 63   Vgl. dazu Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5), 202 – 203. 64  Vgl. Hoegen-Rohls, Ewigkeit und Leben (s. Anm. 5). 65   Vgl. dazu Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5), 203 – 214.

Physischer Tod, metaphorischer Tod  517

Christus« (V. 16) die Rede. Der genaue Zeitpunkt dieses künftigen Geschehens wird ebenso wenig bestimmt wie etwa der Zeitpunkt der Parusie des Herrn in 1 Thess 4,13 – 18 oder der Zeitpunkt der Verwandlung in 1 Kor 15. Es kann im Anschluss an diese Texte aber vermutet werden, dass der Tag des Gerichts – genauso wie Parusie und Verwandlung – alle treffen wird: bereits Verstorbene und noch Lebende. Der Vorstellungskontext des als künftig gedachten endzeitlichen Gerichts Gottes legt es ohne Zweifel nahe, auch in der ζωὴ αἰώνιος (V. 7fin) eine künftige Größe zu sehen, selbst wenn nicht genauer bestimmt werden kann, »wie künftig« diese ist. Für ein futurisches Verständnis von »ewigem Leben« spricht jedenfalls eindeutig das finite Verb ἀποδώσει im Futur (V. 6): »Ewiges Leben« ist Objekt künftigen göttlichen Gebens. Diese künftige Gabe ewigen Lebens ist weder an den physischen noch an den metaphorisch gedachten Tod gebunden. Sie kann den Toten bei ihrer Auferstehung, den Lebenden bei ihrer Verwandlung bzw. Begegnung mit dem Kyrios zukommen. Entscheidend ist, dass Gestorbene und Lebendige in ihrem irdischen Leben »mit guten Werken in aller Geduld« (καθ’ ὑπομονὴν ἔργου ἀγαθοῦ) nach den eschatischen Gütern Herrlichkeit (δόξα), Ehre (τιμή) und Unvergänglichkeit (ἀφθαρσία) strebten (V. 7). Dann wird ihnen auch »ewiges Leben« als umfassendes eschatisches Heilsgut gegeben werden. (3b) In Röm 5,21 werden zum Abschluss der in 5,12 – 21 formulierten antithetischen Adam-Christus-Typologie die Herrschaft der Sünde und die Herrschaft der Gnade in Form eines in einen Finalsatz integrierten Vergleichs einander gegenübergestellt: »[…] damit, wie die Sünde herrschte durch den Tod, so auch die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch unseren Herrn Jesus Christus« (ἵνα ὥσπερ ἐβασίλευσεν ἡ ἁμαρτία ἐν τῷ θανάτῳ, οὕτως καὶ ἡ χάρις βασιλεύσῃ διὰ δικαιοσύνης εἰς ζωὴν αἰώνιον διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν). Auch diese Aussage steht im Kontext der Vorstellung von Gottes richterlichem Handeln (vgl. Röm 5,1 – 11).66 Gottes Gerichtshandeln kommt in der Rede vom »Gerettetwerden vor dem Zorn« (Röm 5,9) und in der Rede vom »Herrschen der Gnade« (Röm 5,21) zur Sprache. »Zorn« (ὀργή) steht dabei, wie auch Röm 2,5 zeigt, metonymisch für »Gericht«.67 Den Glaubenden wird Gottes Gericht zum Erweis seiner Gerechtigkeit, die sie zum ewigen Leben führt: So 66

  Vgl. a. a. O., 205 – 207.   Vgl. a. a. O., 207.

67

518  Christina Hoegen-Rohls wie Gott sie durch Jesus Christus schon gerechtfertigt und mit sich versöhnt hat (Röm 5,1. 11. 19), so wird er diese »Rechtfertigung des Lebens« (Röm 5,18: δικαίωσις ζωῆς) in seinem Gericht gültig überführen in ein auf ewig gerechtfertigtes Leben.68 Wann genau dies geschieht, thematisiert Paulus nicht. (3c) In Röm 6,22 spricht Paulus die römischen Christen als von der Sünde Befreite an (V. 22a: ἐλευθερωθέντες ἀπὸ τῆς ἁμαρτίας), die, bildlich gesprochen, in einen neuen »Sklavenstatus« eingetreten sind, nämlich gegenüber Gott (V. 22a: δουλωθέντες δὲ τῷ θεῷ). Als »Gottessklaven« haben sie ihre Frucht in der Heiligkeit (ἔχετε τὸν καρπὸν ὑμῶν εἰς ἁγιασμόν), deren »Ziel« ewiges Leben ist (V. 22b: τὸ δὲ τέλος ζωὴν αἰώνιον). »Ewiges Leben« als künftig zu erzielendes Heilsgut zu verstehen, ist für Röm 6,22 daher überaus plausibel, auch wenn dieser Gedanke nicht näher ausgeführt wird. Wieder (wie in Röm 2,7; 5,21) ist zu beobachten, dass Paulus nicht eindeutig klärt, wie sich Tod, Auferstehung und ewiges Leben zueinander verhalten. Gilt das auch für das Vorkommen von ζωὴ αἰώνιος in Röm 6,23? (3d) Liest man Röm 6,23 in kohärentem Rückbezug auf Röm 5,12 – 21, dann lässt sich erkennen: Unter dem als »Sold der Sünde« bezeichneten Tod (V. 23a: τὰ γὰρ ὀψώνια τῆς ἁμαρτίας θάνατος)69 ist der auf Adam zurückgehende physische Tod zu verstehen, dem als »Gabe Gottes« (V. 23b: χάρισμα τοῦ θεοῦ) die ζωὴ αἰώνιος gegenübergestellt wird. »Ewiges Leben« kann aufgrund dieser pointierten Gegenüberstellung als an den physischen Tod sich anschließendes, künftiges postmortales Leben verstanden werden.70 68   Die textliche Nähe beider Ausdrücke (»Leben« in V. 18 und »ewiges Leben« in V. 21) sollte m. E. nicht dahingehend ausgelegt werden, dass beide Ausdrücke das bereits gegenwärtig erfahrbare Gerechtfertigtsein artikulieren. Ich verstehe die paulinische Rede vom »ewigen Leben« vielmehr als eine bewusste inhaltliche Weiterführung und Steigerung von »Leben«, die auf das eschatische Heil zielt. Anders Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm.  5), 167 – 169. 69  Vgl. dazu C. Gerber, Vom Waffendienst des Christenmenschen und vom Sold der Sünde. Metaphorische Argumentation am Beispiel von Röm 6,12 – 14.23, in: P. Müller / C. Gerber / T. Knöppler (Hg.), »…  was ihr auf dem Weg verhandelt habt.« Beiträge zur Exegese und Theologie des Neuen Testaments (Festschrift F. Hahn), Neukirchen-Vluyn 2001, 129 – 142; Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5), 209 – 210. 70  Anders wiederum Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm. 5), 169, die  – ausgehend von dem Präpositionalausdruck ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ τῷ κυρίῳ ἡμῶν (V. 23; vgl. ähnlich Röm 5,21) – »ewiges Leben« als den »gegenwärtige[n] soteriologische[n] Gewinn des Glaubens« versteht. Sie liest somit

Physischer Tod, metaphorischer Tod  519

(3e) Vom ewigen Leben ist schließlich in Gal 6,7 – 10 die Rede, und zwar im Zusammenhang des endzeitlich geprägten Bildes von Säen und Ernten.71 Paulus hebt hervor, dass der, der auf sein Fleisch als Nährboden sät, aus diesem Boden Vergänglichkeit ernten werde (V. 8a: ὅτι ὁ σπείρων εἰς τὴν σάρκα ἑαυτοῦ ἐκ τῆς σαρκὸς θερίσει φθοράν). Eine Ernte der Unvergänglichkeit (bzw. der Auferstehung des Fleisches) kann es beim Säen auf den Boden des Fleisches nicht geben. Wer hingegen auf den Geist als Nährboden sät, wird ewiges Leben ernten (V. 8b ὁ δὲ σπείρων εἰς τὸ πνεῦμα ἐκ τοῦ πνεύματος θερίσει ζωὴν αἰώνιον). Der offensichtliche Kontext der Aussage über das »ewige Leben« ist der der tugendhaften Ausrichtung des christlichen Lebens, für die das Leben im Geist eine entscheidende Rolle spielt (Gal 5,13 – 6,10). Der mitangedeutete Kontext ist wiederum der des Gerichts, auf den mit der Warnung »Täuscht euch nicht! Gott lässt sich nicht verspotten« angespielt wird (V. 7: Μὴ πλανᾶσθε, θεὸς οὐ μυκτηρίζεται).72 Paulus stellt die Vorstellung vom »ewigen Leben« also auch in Gal 6,8 in einen Zusammenhang zur richterlichen Funktion Gottes, ohne allerdings diese wiederum temporal zu vereindeutigen oder die Vorstellung ewigen Lebens zu Tod und Auferstehung in Beziehung zu setzen. Es ergibt sich für Gal 6,8 das Verständnis, dass Gott es ist, der künftig das »ewige Leben« als Erntegut für ein dem göttlichen Geist gemäßes Leben zuteilen wird. Liest man das futurische Verb θερίσει (V. 8a.b) im Sinne eines logischen Futur – wer auf den Boden des Geistes sät, erntet ewiges Leben – , dann mag für »ewiges Leben« in Gal 6,8 auch die Bedeutung »Leben im Geist« mitschwingen.73 »Ewiges Leben« bezeichnete dann im Sinne von »geistgemäßem Leben« eine bestimmte Art oder Qualität von Leben, ohne überhaupt an Künftigkeit gebunden zu sein. Eindeutig ist das jedoch nicht – ganz anders als bei Johannes.

die Wendung »ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn« als Gesamtsyntagma, wobei die Wendung »in Christus Jesus« »auf die Partizipation der Glaubenden am Tod und Auferstehungsleben Christi [zurückweise], deren sichtbares Zeichen die Taufe ist«. Das »ewige Leben« werde den Glaubenden bereits (prämortal) in ihrer »Lebensgemeinschaft mit Christus« zuteil. 71   Vgl. dazu Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5), 210 – 214. 72   Vgl. dazu C. Zimmermann, Gott und seine Söhne. Das Gottesbild des Galaterbriefes (WMANT) 135, Neukirchen-Vluyn 2013, 125 – 126; Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5), 213 – 214. 73   Vgl. dazu Hoegen-Rohls, a. a. O., 214 mit Anm. 81.

520  Christina Hoegen-Rohls (4) Herausragendes theologisches Gewicht hat die Rede vom »ewigen Leben« bei Johannes.74 Dabei lässt sich u. a. anhand von Textbelegen, in denen »Leben« und »ewiges Leben« direkt nebeneinanderstehen,75 zeigen, dass auch mit »Leben«, ζωή, in der johanneischen Sprache das gemeint ist, was mit ἡ αἰώνιος ζωή ausgesagt wird, nämlich nicht etwa die Dauer, sondern die Qualität jenes menschlichen Lebens, das sich als im Logos begründet und an den Logos gebunden, also grundsätzlich als Glaubensleben versteht.76 Wer dieses Glaubensleben lebt, wird Auferstehung nicht als ἀνάστασις κρίσεως (Auferstehung zum Gericht) erfahren, sondern als ἀνάστασις ζωῆς (Auferstehung zum Leben).77 »Ewiges Leben« wird in der johanneischen Theologie auf neutestamentlich einzigartige Weise als eine Größe gedacht, die durch den göttlichen Logos (als den Gesandten des Vaters) aufgrund seiner ihm von Gott verliehenen Vollmacht über »alles Fleisch« eben diesem, nämlich allem Fleisch (das heißt: allen Menschen) gegeben wird – und zwar als ein Gut, das universalistisch »das Ganze« bzw. »alles« genannt werden kann (Joh 17,2b: πᾶν).78 Alles, was der Vater dem Sohn gegeben hat, hat dieser der Menschheit 74  Vgl. dazu Hoegen-Rohls, Ewigkeit und Leben (s. Anm. 5); Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5), 214 – 224. 75   So etwa in Joh 3,36; 5,24. Zur Synonymität von »Leben« und »ewigem Leben« vgl. genauer Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5), 218 f. mit Anm. 86 und 87. 76   Vgl. dazu Hoegen-Rohls, Ewigkeit und Leben (s. Anm. 5), 137 – 139; Hoegen-Rohls, σωτηρία (s. Anm. 53), 252. Zum Zusammenhang von Glauben und Leben im Johannesevangelium vgl. grundlegend Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm. 5), 191 – 327. 77   Der Genitiv in beiden griechischen Wortverbindungen, die sich in Joh 5,29 finden, ist als Genitiv des Zwecks oder der Wirkung zu bestimmen; vgl. dazu BDR § 166.1. 78  Joh 17,2 lautet im Ganzen: (2a) καθὼς ἔδωκας αὐτῷ ἐξουσίαν πάσης σαρκός, (2b) ἵνα πᾶν (2c) ὃ δέδωκας αὐτῷ (2b‘) δώσῃ αὐτοῖς (2d) ζωὴν αἰώνιον. Der in V. 2a für die Menschheit stehende Ausdruck »alles Fleisch« (πᾶσα σάρξ) wird in Form einer constructio ad sensum durch das Personalpronomen αὐτοῖς in V. 2b‘ aufgenommen. Das Akkusativobjekt πᾶν (V. 2b) steht hingegen nicht in inhaltlicher Relation zu πᾶσα σάρξ (bzw. αὐτοῖς). Es ist kein Kollektivbegriff für die Menschheit, sondern wird durch die Apposition ζωὴν αἰώνιον, ebenfalls ein Akkusativobjekt, inhaltlich erläutert (V. 2d). Das finite Verb zu beiden Akkusativobjekten bringt V. 2b‘, sodass zu übersetzen ist: »damit alles, was du ihm gegeben hast, er ihnen gebe, (nämlich) ewiges Leben«. Es handelt sich also bei V. 2b m. E. nicht um einen Anakoluth (gegen R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium III. Teil. Kommentar zu Kap. 13 – 21 [HThKNT IV / 3], Sonderausgabe, Freiburg i. Br. 2001, 193). Zur syntaktischen Analyse von Joh 17,2 vgl. auch Hoegen-Rohls, Gottes rekreatorisches Handeln (s. Anm. 5),

Physischer Tod, metaphorischer Tod  521

gegeben, nämlich: ζωὴ αἰώνιος. Geht es hier, wo das Stichwort Fleisch (σάρξ) immerhin explizit fällt, um ein »ewiges Leben des Fleisches« im Sinne der Vorstellung einer »Auferstehung des Fleisches«? Die Johannesforschung hat eine solche Lesart von Joh 17,2, soweit ich sehe, nie erwogen – und das zu Recht. Denn von der Auferstehung der Toten ist in Joh 17 nicht auch nur ansatzweise die Rede. Vielmehr definiert das Johannesevangelium im Abschiedsgebet des johanneische Jesus exakt, was unter ζωὴ αἰώνιος zu verstehen ist: »Das nämlich ist das ewige Leben, dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus« (Joh 17,3: αὕτη δέ ἐστιν ἡ αἰώνιος ζωὴ ἵνα γινώσκωσιν σὲ τὸν μόνον ἀληθινὸν θεὸν καὶ ὃν ἀπέστειλας Ἰησοῦν Χριστόν).79 »Ewiges Leben« wird an dieser Stelle zu Beginn des Abschiedsgebetes Jesu völlig losgelöst von einer temporalen Vorstellung und somit auch von jedweder Künftigkeit. »Ewiges Leben« erscheint vielmehr als epistemologischer Begriff: »Ewiges Leben« ist Gotteserkenntnis. Im Sinne der johanneischen Sprache – und der Sprache des Abschiedsgebetes insbesondere – lässt sich dieser epistemologische, an Erkennen geknüpfte Begriff zugleich als »pisteologischer«, an das Glauben geknüpfte Begriff verstehen, wie der syntaktisch und semantisch parallele Gebrauch von πιστεύειν und γινώσκειν in den Finalsätzen 17,21 und 17,23 zeigt.80 »Ewiges Leben« ist demnach für Johannes ein Leben, das geprägt ist vom Erkennen Gott-Vaters und seines Sohnes und vom Glauben an diese. Dass ein solches Leben nicht erst jenseits des physischen Todes beginnt und also postmortal statthat, sondern im irdisch-physischen Leben Wirklichkeit wird, belegt die gesamte johanneische Theologie und insbesondere ihre Pneumatologie. Denn der Geist ist es nach johanneischer Auffassung, der Glauben und Erkennen vermittelt und somit Menschen mitten im Leben, also »präsentisch« und prämortal lebendig macht. Dies zeigen insbesondere die Parakletaussagen der johanneischen Abschiedsreden 220 f. mit Anm. 96; Ueberschaer, Theologie des Lebens (s. Anm. 5), 317 mit Anm. 422. 79  Vgl. zur Diskussion um den definitorischen Charakter von Joh 17,3 Ueberschaer, a. a. O., 318 mit Hinweisen auf Schnackenburg, Johannesevangelium (s. Anm. 78), 196; J. T. Nielsen, Die kognitive Dimension des Kreuzes. Zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium (WUNT II / 263), Tübingen 2009, 66; J. R. Michaels, The Gospel of John (NICNT), Grand Rapids MI 2010, 859. 80   Hier heißt es in der an den Vater gerichteten Gebetsrede des Sohnes: »damit der Kosmos glaube, dass du mich gesandt hast« (17,21) und »damit der Kosmos erkenne, dass du mich gesandt hast« (17,23).

522  Christina Hoegen-Rohls (Joh 13,31 – 16,33).81 Der Geist als Paraklet ist es, der die Jünger bzw. Glaubenden an alles erinnert, was Jesus gesagt hat, und ihnen lehrend erschließt, was Jesu Worte bedeuten (Joh 14,26). Der Geist als Paraklet ist es auch, der von Jesus Zeugnis ablegt (Joh 15,26) und die Jünger bzw. Glaubenden in die ganze Wahrheit einführt (Joh 16,13). Der Geist ist es schließlich, der das Kommende kündet (Joh 16,13), der also den Jüngern bzw. Glaubenden die weitergehende Offenbarung Gottes zur Kenntnis bringt. Somit ist es der Geist, der grundlegend und auf ewig gewährt, dass der einzige wahre Gott und der, den er gesandt hat, Jesus Christus, erkannt und geglaubt werden können, was nach Joh 17,3 Voraussetzung und Inhalt ewigen Lebens ist.82 Mit dem Motiv des Geistes ist in das johanneische Lebensdenken ein Faktor eingeführt, der »ewiges Leben« auch unabhängig von einem metaphorischen Tod denken lässt. Der metaphorische Tod als Transitus, wie er in Joh 5,24 als johanneische Denkfigur erkennbar wurde, ist für das Johannesevangelium nur eine gedankliche Möglichkeit, »ewiges Leben« zu begründen. Eine andere, in der johanneischen Theologie noch stärker gewichtete Möglichkeit ist diejenige, die das Erkennen Gott-Vaters und seines Sohnes, das »ewiges Leben« bedeutet, im Wirken des Geistes verankert. Erkennt der Mensch durch den Geist Gott, den Vater, und seinen Sohn, Jesus Christus, und glaubt der Mensch, vom Geist geleitet, an Gott, den Vater, und seinen Sohn, Jesus Christus, so ist er aus Gott gezeugt (Joh 1,13), neu geboren (Joh 3,3.5 f.), des ewigen Lebens teilhaftig (Joh 17,3) – ohne dass er dafür vorher gestorben oder auferstanden sein müsste.

81   Vgl. hierzu ausführlich C. Hoegen-Rohls, Der nachösterliche Johannes. Die Abschiedsreden als hermeneutischer Schlüssel zum vierten Evangelium (WUNT II / 89), Tübingen 1996. 82   Vgl. dazu auch Schnelle, Johannes (s. Anm. 56), 335.

Der letzte Feind Was die christliche Gemeinde vom Tode bekennt Henning Theißen1

Vom Tode sollen wir reden; auch der Tod ist Teil des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Doch er kommt nicht besser in dieses Bekenntnis hinein und er kommt sogar noch schlechter weg als Pilatus, der Jesus ans Kreuz schlagen ließ und dessen Namen die christliche Gemeinde dennoch jeden Sonntag im Munde führt. Der Tod, so sagt es Paulus unmissverständlich, ist der letzte zu vernichtende Feind (1 Kor 15,26). Dieses Letzte muss als allererstes gesagt werden, denn der Tod ist für uns das Siegel unserer Endlichkeit, das uns jederzeit vor Augen führt, dass wir sterbliche Wesen sind und unser Leben kurz ist, »zu kurz, um schlechten Wein zu trinken«, wie zu meinen Studienzeiten über der Tür einer traditionsreichen Tübinger Weinstube zu lesen stand. Auch theologisch sollten wir uns reinen Wein einschenken. Deshalb erlaube ich mir gleich zu Beginn die Feststellung, dass ich die Überschrift »Vom Tod als Transitus«, die über den beiden Beiträgen zum Credosatz »Auferstehung der Toten und das ewige Leben« steht, für unzutreffend halte. Der Tod ist kein Transitus.2 Wäre er es, so

1   Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 317 628 988. 2   Das Luther-Zitat (M. Luther, WA 6, 534,38 f.), mit dem A. Käfer, Glauben bekennen, Glauben verstehen. Eine systematisch-theologische Studie zum Apostolikum (Theologische Studien 9), Zürich 2014, 79 f., Anm. 152, ihre Interpretation stützt, dass der »Tod eines jeden Menschen nur Übergang ist in das Leben mit Gott, das im Glauben auf Erden bereits beginnt«, nennt nicht den Tod, sondern das als ars moriendi begriffene Leben der Getauften einen »transitus ex hoc mundo ad patrem«. Das ist m. E. ein gewichtiger Unterschied.  – Auch die neutestamentlichen Ausführungen, die Christina Hoegen-Rohls in diesem Band zum Thema macht, bestärken mich in meiner Auffassung. Ihnen zufolge kennen die neutestamentlichen Schriften allenfalls eine metaphorische Rede vom Tod als Transitus in Gestalt des johanneischen μεταβαίνειν. Damit wäre dann so etwas gemeint wie »für die Sünde tot sein«. Die Grundthese meiner Überlegungen, dass der Tod (und nicht die Sünde) der »letzte Feind« ist, macht aber die Annahme so eines metaphorischen Todesverständnisses unnötig.

524  Henning Theißen wäre, wie ich in diesem Vortrag darlegen möchte, die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten vergeblich. Die Christenheit setzt dem Tod das ewige Leben entgegen: kein ­Leben nach dem irdischen (also kein »afterlife«), sondern, wie die evangelische Theologie des 20. Jahrhunderts von Althaus bis Jüngel sagen konnte, das Bleiben und die Beständigkeit des eigenen Lebens, sofern es an Gottes Ewigkeit Anteil bekommt.3 Auch wenn es bedeutet, dem Stichwort »ewiges Leben« weniger Aufmerksamkeit zu schenken als dem Thema Auferstehung, möchte ich mich hier nicht mit systematisch-theologischen Denkmodellen aufhalten, wie man sich das Bleiben dieses ewigen Lebens im Verhältnis zum irdischen denken soll. Dazu haben die beiden katholischen Theologen G. Greshake und G. Lohfink nach meiner Überzeugung schon in den 1970er Jahren alles Wesentliche gesagt4 und gezeigt, dass die Hoffnung auf ein ewiges Leben jedenfalls nicht irrational ist, sondern vernünftigen Menschen offensteht. Der Philosoph H. Tetens hat es von ganz anderen Voraussetzungen aus in seinem Buch über rationale Theologie vor wenigen Jahren eindrucksvoll bestätigt.5 Aber die bloße Denkmöglichkeit einer Hoffnung gibt niemandem auch nur einen Funken dieser Hoffnung. Wenn das geschehen soll, müssen wir uns vergegenwärtigen, was die Christenheit tatsächlich vom Tode bekennt.

3  Vgl. z. B. P. Althaus, Die letzten Dinge. Entwurf einer christlichen Eschato­logie, Gütersloh 41933, 18 u. ö. zur Axiomatik von Bleiben und Kommen, wonach die Eschatologie lehrt, was bleibt, wenn Gott kommt, bzw. E. Jüngel, Die Ewigkeit des ewigen Lebens. Thesen [2000], in: ders., Ganz werden. Theologische Erörterungen V, Tübingen 2003, 345 – 353, zusammenfassend These 5.1 (353), daneben These 4.5 (351) zur Vorstellung der Beständigkeit. 4   Vgl. G. Greshake / G. Lohfink, Naherwartung, Auferstehung, Unsterblichkeit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie (QD 71), Freiburg i. Br. 2 1975, besonders 82 – 120 sowie 133 – 148 zum Leib-Seele-Problem, daneben 59 – 81 zum Zeit-Ewigkeits-Problem. 5  Vgl. H. Tetens, Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie, Stuttgart 42015, hier 70 f. zur Jenseitshoffnung.

Der letzte Feind  525

1.  Die Überwindung des Todes und ihr Niederschlag im Leben Ich beginne mit einem Beispiel, das jedenfalls auf mich einigen Eindruck gemacht hat; es stammt aus der Göttinger Fakultätsgeschichte. Am 16. Januar 1973 wurde in der Friedhofskapelle Bovenden die Trauerfeier für Ingrid Kraus gefeiert, die nach langem und schwerem Krebsleiden gestorbene Frau des Göttinger Alttestamentlers und Systematikers Hans-Joachim Kraus. Die Traueransprache hielt dessen dogmatischer Fakultätskollege Hans-Georg Geyer.6 Was Geyer damals sagte, scheint sich ins kollektive Gedächtnis der Fakultät und gewiss auch der Familie Kraus eingebrannt zu haben. Geyer, der viel im Sterbezimmer von Ingrid Kraus gewesen war,7 glaubte in den Spuren des Todes, der die Sterbende gezeichnet hatte, etwas von einem »wunderbaren Glück«8 sich abzeichnen zu sehen, das in dem unerschütterlichen Vertrauen bestand, nur von dem auferstandenen Jesus Erlösung zu erhoffen. Dass in einem solchen Leid der Tod selbst eine Erlösung sein könne, wies Geyer nachdrücklich zurück. Die Christenheit kenne keinen anderen Erlöser als den, der durch seine Auferstehung der Herr auch des Todes sei. »[W]er kein Herr des Todes ist, muß dennoch kein Knecht des Todes sein; sondern er kann und soll um Gottes willen ein tapferer Feind des Todes sein und bleiben.«9 Geyers Fakultätskollege Hans-Walter Schütte, so hat es Hartmut Ruddies berichtet, fand diese Predigt »unmenschlich«. Ruddies selbst nannte sie eine »gründlich verstörende Ansprache«.10 Aus theologischer Sicht dürfte sie zum Kompromisslosesten gehören, was je an einem Sarg gepredigt wurde.

6   Die drei Seiten lange Ansprache ist im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (ZA EKHN) erhalten: ZA EKHN 528 / 8. Ich danke der Archivleitung herzlich für die Möglichkeit zur Nutzung der Akten und der DFG für die Förderung meines Projekts zur Aufarbeitung des Nachlasses von H.-G. Geyer. 7   Mitteilung von Geyers früherem Mitarbeiter Hans-Theodor Goebel im Forschungsinterview am 11. 11. 2017. 8   Traueransprache H.-G. Geyer für I. Kraus, Bovenden, 16. 01. 1973 (ZA EKHN 528 / 8), 2. 9   A. a. O., 3. 10   Beides ist belegt bei H. Ruddies, Hans-Georg Geyer: Leben und Werk. Ein Porträt in Perspektive, in: K. von Bremen (Hg.), Gott und Freiheit. Theologische Denkanstöße Hans-Georg Geyers, Tagungsprotokolle – Institut für Kirche und Gesellschaft, Schwerte 2008, 9 – 24 (21 bzw. 20).

526  Henning Theißen Wenn die christliche Hoffnung auf das ewige Leben immer Hoffnung gegen den Tod ist, dürfte kaum etwas christlicher sein als diese Traueransprache. So eindrucksvoll sie aber christlich vom oder vielmehr gegen den Tod zu predigen weiß, so fragwürdig redet sie vom Leben der Toten, das in dieser Ansprache eben auch nur unter dieser einen Perspektive in den Blick kommt. Das Leben der Toten schrumpft zusammen auf ihren Tod, nicht einmal das Sterben und dessen Qualen können einen eigenen Platz daneben behaupten. Wie löst man dieses Dilemma? Es ist nicht nur das Dilemma dieses einen Beispiels aus der Bovender Friedhofskapelle vom Januar 1973, sondern ist repräsentativ für größere Teile der evangelischen Theologie im 20. Jahrhundert, der die Dialektische Theologie die These vermacht hatte, dass die Eschatologie oder die Lehre von den letzten Dingen eine eigene Existenzform, ja eigentlich die Existenzform denkender Wesen sei, die sich in ein Verhältnis zu ihrem eigenen Tod setzen können. Ich gehe daher so vor, dass ich den Stellenwert dieser letzten Dinge für die zwei Seiten des Problems erörtere, die an Geyers Traueransprache zu beobachten sind, nämlich einerseits die Überwindung des Todes durch die Auferstehung zum ewigen Leben und andererseits den Niederschlag dessen im irdischen Leben, das dem Todeslos unterworfen ist.

2.  Der Sieg über den letzten Feind Will man in der vorgeschlagenen Weise über Auferstehung und ihre Bedeutung für das irdische Leben sprechen, so bildet die eschatologische Reflexion über den gleichsam dazwischenstehenden Tod den Ausgangspunkt. Bei diesem Zugang gewinnt die Aussage des Paulus, der Tod sei der »letzte« Feind, einen anderen Klang. Als »letzter« Feind ist der Tod nicht der Abschluss einer langen Reihe apokalyptischer Ereignisse, sondern seine Bezeichnung als Letzter, die Paulus ihm gibt, korrespondiert damit, dass derselbe Paulus sich nach der Fiktion des 1. Timotheusbriefes selbst den »ersten« Sünder nennt (1 Tim 1,15). Auch das ist nicht chronologisch gemeint, hat also mit dem Ursprung der Sünde nichts zu tun, sondern Paulus erscheint einfach in 1 Tim 1,15 als der erste = schlimmste Sünder, wie der Tod in 1 Kor 15,26 der letzte = ärgste Feind ist. Die Tatsache, dass beide Aussagen im Kontext der jeweiligen Stellen auf die gleiche Weise mit der Alleinherrschaft Gottes begründet sind (1 Kor 15,28

Der letzte Feind  527

bzw. 1 Tim 1,17), schafft zwischen dem schlimmsten Sünder und dem Tod als letztem Feind eine Entsprechung, die vertraute paulinische Aussagen zum Verhältnis von Sünde und Tod auf den Kopf stellt. Mit der Rede von einer »Alleinherrschaft Gottes« nehme ich einen betont dogmatischen Sprachgestus an, um jedoch so einen biblischen Zusammenhang ins Licht zu rücken, der hinter dem, was Paulus im Römerbrief über die Analogie von Tod und Sünde ausführt, verborgen ist. Wenn ich das Prädikat des Interdisziplinären einmal gegen den gewöhnlichen Sprachgebrauch innertheologisch auslegen darf, dann dürfte diese Koppelung von dogmatischer und biblischer Theologie hilfreich sein, um zu verstehen, in welchem Sinne die Credoaussagen zu Auferstehung und ewigem Leben, über die ich heute zu sprechen habe, letzte Dinge betreffen. Paulus nennt in Röm 6,23 den Tod »der Sünde Sold«, den sie ihren Knechten auszahle, und in 1 Kor 15,56 liest man in vergleichbarer Weise, die Sünde sei »der Stachel des Todes«, der diesem erst seine Bitterkeit verleihe. Würde dieser Stachel gezogen, also die Sünde vergeben, so eine naheliegende Schlussfolgerung, die man als Theologin oder Theologe allzu leicht ziehen könnte, dann wäre der Tod wieder auf genießbares Schöpfungsmaß gebracht und ein Sterben »alt und lebenssatt«, wie es anscheinend für manch alttestamentlichen Patriarchen kennzeichnend war,11 möglich gemacht. Das ist die an der Oberfläche der Texte offen zutage liegende Analogie von Tod und Sünde. Vom Ziehen jenes Stachels ist aber im Neuen Testament nicht die Rede, stattdessen liest man in 2 Tim 1,10, dass Christus mit seiner Auferstehung gleich den ganzen Tod entmachtet habe, was durch das große Auferstehungskapitel 1 Kor 15 bestätigt wird. Paulus nennt sich selbst hier – entsprechend der Rede vom schlimmsten Sünder – die »Missgeburt«12 (1 Kor 15,8) unter den Aposteln, weil er die christliche Gemeinde verfolgt, also nach der Schilderung der Apostelgeschichte den Christen und damit, wie das Damaskuserlebnis rückblickend offen legt, Christus selbst nach dem Leben getrachtet habe. Wenn nun aber nach der Zentralaussage von 1 Kor 15 Christus 11  So nach biblischer Überlieferung ausdrücklich der Fall bei Abraham (Gen 25,8) und Isaak (Gen 35,29), daneben bei Hiob (Hi 42,17) und ähnlich bei David (1 Chr 29,28). 12  Die zugespitzte Übersetzung (statt »Fehlgeburt«) folgt einem alten (1939) Vorschlag von G. Björck, vgl. W. Bauer, Wörterbuch zum Neuen ­Testament. Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, bearb. v. K. und B. Aland, Berlin 6 1988, 497 (s. v. ἔκτρωμα).

528  Henning Theißen auferstanden ist, dann ist er damit Sieger, wie Paulus in 1 Kor 15,57 sagt, und zwar nicht nur über den Tod, sondern auch über die Sünde, durch die Paulus Christus und den Christen eben jenen Tod an den Hals wünschte. Ich hebe den Zusammenhang von 1 Tim 1,15 mit 1 Kor 15,26 deshalb hervor, weil hier die Analogie von Sünde und Tod, Tod und Sünde gewissermaßen umgepolt wird: Statt dass die Sünde den Tod nach sich zieht, bringt die Auferstehung mit der Überwindung des Todes auch die der Sünde mit sich. Das ist die Botschaft des Paulus im großen Auferstehungskapitel 1 Kor 15, und man versteht nun auch, warum ein Großteil dieses Kapitels der Begründung der Möglichkeit von Auferstehung gewidmet ist. Denn es ist die Auferstehung, die die Analogie von Tod und Sünde umstrukturiert: Ist der letzte Feind, der Tod, besiegt, dann ist auch die Sünde entmachtet. Das Christsein ist nun kein Weg mehr vom Leben in den Tod entsprechend der biologischen Lebensrichtung, sondern ein Weg »vom Tode ins Leben«, wie es Franz Rosenzweig in den ersten beiden und den letzten beiden Worten seines jüdisch-christlichen Philosophiesystems im Stern der Erlösung ausdrückte. Allerdings kann jene Botschaft auch missverstanden werden, und eine Textstelle wie 2 Tim 2,18 belegt, dass sie schon im apostolischen Zeitalter missverstanden wurde, wenn Christen überzeugt waren, nicht nur den Tod hinter sich, sondern auch schon die Auferstehung im Rücken zu haben. Dabei ist diese Überzeugung keineswegs so absurd oder gar vermessen, wie sie scheinen mag, sondern nimmt einfach nur das Gewicht, das Paulus der Auferstehung Christi in 1 Kor 15 gibt, voll und ganz ernst. Zwar ist selbstverständlich ein Unterschied zwischen der Auferstehung Christi, die schon geschehen ist, und der Auferstehung der Christen, die sich noch nicht ereignet hat, aber dieses Gegenüber von »Schon jetzt« und »Noch nicht«, das im 20. Jahrhundert in der Eschatologie gängig geworden ist, verschleiert eher die particula veri der Überzeugung derer, die sich nach 2 Tim 2,18 schon auferstanden wähnten. Worin diese Christen nämlich recht hatten, ist, dass die Auferstehung Christi (und nicht die der Christen) das Letzte im christlichen Glauben ist, denn diese hängt von jener ab; Ostern ist der Grund für die Hoffnung auf die Auferstehung am Jüngsten Tage und in diesem Sinn das Letzte im Christentum. Das bloße zeitliche Noch nicht hingegen macht aus der erhofften Auferstehung der Christen kein Letztes.

Der letzte Feind  529

3.  Letztes und Vorletztes Bilanzieren wir kurz das Gesagte: Das paulinische Auferstehungskapitel etabliert ein neues Verhältnis von Sünde und Tod, welches die Oberflächenanalogie beider in eine andersartige Analogie umwandelt, die wir durch die Verheißung charakterisieren können, dass mit dem Tod auch die Sünde überwunden ist. Diese verheißungsvolle Analogie von Tod und Sünde ist nicht nur begrifflich, sondern existentiell verankert und wurzelt für Paulus in der persönlichen Begegnung mit dem Auferstandenen vor Damaskus, die neben dem Auferstehungskapitel 1 Kor 15 in der Apostelgeschichte gleich dreimal geschildert wird (Apg 9; 22; 26).13 In jedem Fall verdient die Tatsache Beachtung, dass der auferstandene Christus dem Paulus vor Damaskus anders entgegentritt als den übrigen Aposteln am Ostermorgen. Lichterscheinung und Audition spielen zwar in beiden Fällen eine wichtige Rolle, doch unzweifelhaft unterscheiden sich beide darin, dass der Zwölferkreis dem auferstandenen Gekreuzigten, nach der Thomasperikope (Joh 20,24 – 29) noch mit den Wundmalen ausgestattet, begegnet, wohingegen Paulus und seine Begleiter auf einen Auferstandenen treffen, der Züge der Wiederkehr aus dem Himmel (Parusie) an sich trägt. Wie man sich diese beiden eschatologischen Gestalten des Auferstandenen vorzustellen hat, kann hier auf sich beruhen; entscheidend ist allein ihr Nebeneinander, das im Begriff des Letzten zur Differenzierung zwingt. Letztes ist nicht gleich Letztes. Das dogmatische Instrumentarium für die hier nötige Unterscheidung steht mit Bonhoeffers Unterscheidung von Letztem und Vorletztem bereit. Bonhoeffer hat die Unterscheidung von Letztem und Vorletztem nicht in der Dogmatik, sondern in der Ethik bei der Beschäftigung mit Fragen des »natürlichen« oder »leiblichen Lebens« entwickelt.14 13   P. Stuhlmacher hat sogar nahegelegt, dass das Evangelium, das Paulus im Römerbrief zusammenfassend darlegt, nichts anderes als eine Entfaltung seines Damaskuserlebnisses sei, vgl. P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer (NTD 6), Göttingen 151998, 24 f. 14  Die Struktur des Verhältnisses von Letztem und Vorletztem entfaltet D. Bonhoeffer, Die letzten und die vorletzten Dinge (1940 / 41), in: ders., Ethik, hg. v. I. und H. E. Tödt / E. Feil / C. Green, Gütersloh 1992 = DBW (Dietrich Bonhoeffer Werke) 6, 137 – 162, besonders 151 f., wo »das Menschsein und das Gutsein« als Inhalte des Vorletzten benannt werden (151, Original kursiv) und die Folgerung gezogen wird (152): »Das Vorletzte muß um des Letzten willen gewahrt bleiben.« Unter der Überschrift »The Manna of Hope« habe ich das folgende Argument ausführlicher entfaltet in meinem Beitrag:

530  Henning Theißen In diesen Fragen vertritt Bonhoeffer eine deutlich strengere Ethik als die meisten Zeitgenossen. Mit der im NS-Staat praktizierten Euthanasie vor Augen hält er dem verbreiteten Probabilismus die Intuition entgegen, dass die vermeintlichen Rechtfertigungsgründe einer laxen Haltung beim Schutz menschlichen Lebens derart hohen (also gar nicht laxen) Eigenwert beanspruchen, dass jene Haltung unweigerlich zum ethischen Selbstbetrug wird, obwohl es sich nicht um letzte Dinge im beschriebenen eschatologischen Sinne, sondern eben um Vorletztes, um das natürliche Leben, handelt.15 Der tutioristische Zuschnitt des Bonhoeffer’schen Arguments wertet diese vorletzten Dinge aber so auf, dass sie wie Letztes zu gewichten sind, als ob es den eigentlich eschatologischen Horizont des Letzten, demgegenüber sie nur vorletzte sind, gar nicht gäbe (»etsi Deus non daretur«).16 Die Tatsache, dass Bonhoeffer seine späten Andeutungen zur »nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe«, die als Zuspitzung seiner Verantwortungsethik in der Zeit der Haft gelesen werden können, mit dem Hinweis auf den Gott begründet, der sich »aus der Welt« »ans Kreuz« »herausdrängen« lässt,17 entspricht dieser Verhältnisbestimmung von Letztem und Vorletztem. Die Bedeutung des Letzten liegt für Bonhoeffer in einer theologischen Aufwertung des Vorletzten, die, weil sie mit dem Letzten begründet wird, eben nur theologisch möglich ist. Man kann Bonhoeffers Begriff des Vorletzten von der Ethik auf die dogmatische Eschatologie, durch die er begründet ist, rückübertragen. Auch das eschatologisch Letzte, nämlich der Sieg über den letzten Feind – den Tod – hat seine Bedeutung in der theologischen H. Theissen, What Dare we Hope? An Attempt to Conceive Newness after the End of the 20th Century, in: Ch. Chalamet / A. Dettwiler / M. Mazzocco / G. Waterlot (Hg.), Game Over? Reconsidering Eschatology (TBT 180), Berlin 2017, 369 – 381 (374 – 381). 15  Vgl. D. Bonhoeffer, Das natürliche Leben [1940 / 41], in: DBW 6, 163 – 217, hier 191 zur »These von der Zulässigkeit der Tötung unschuldigen kranken Lebens zugunsten der Gesunden«: »Es soll hier der übermenschliche Versuch gemacht werden, die menschliche Gemeinschaft von sinnlos erscheinender Krankheit zu befreien. […] Zugleich hält man die Gesundheit für den höchsten Wert, dem alle anderen Werte geopfert werden müßten.« 16   Zu dieser Grotius’schen Formel bei Bonhoeffer vgl. seinen Brief Nr. 177 an E. Bethge vom 16./18. 07. 1944: D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. C. Gremmels und E. und R. Bethge in Zusammenarbeit mit I. Tödt, Gütersloh 1998  = DBW 8, 526 – 538 (530). 17   A. a. O., 529 bzw. 534.

Der letzte Feind  531

Aufwertung des Vorletzten. M. a. W. die Auferstehung Christi muss sich als Hoffnung im Leben der Gläubigen spiegeln, in dem sie der Sünde ausgesetzt sind. Bonhoeffer selbst hat in seinen »Glaubenssätzen über das Walten Gottes in der Geschichte« erläutert, wie das geschehen kann: »Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.«18

Von Hoffnung ist hier zwar nur via negationis, als Überwindung der Angst vor der Zukunft, die Rede. Ich meine aber hinter Bonhoeffers Erläuterung eine der prominenten Hoffnungsgeschichten der Bibel zu erkennen, nämlich die Speisung des Volkes Israel in der Wüste mit Manna (Ex 16). Die Zusage der täglichen Versorgung stiftet als solche dem murrenden Volk allerdings noch keine Hoffnung. Diese keimt nur in der wiederkehrenden Erfahrung, das Manna jeden Morgen neu suchen zu müssen, aber auch finden zu können, sodass die Speisung trotz der zugesagten täglichen Wiederkehr jedes Mal buchstäblich die Rettung vor dem Tod durch Verhungern darstellt. Die gewisse Hoffnung auf das Manna macht die Suche danach nicht überflüssig und das Wunder der Rettung nicht kleiner. Nur in dieser Spannung lebt die Hoffnung. Das setzt freilich voraus, dass das Manna, wie die biblische Schilderung ausdrücklich festhält (Ex 16,20), nicht über Nacht konserviert werden kann. Es wäre der Tod der Hoffnung. Ich kehre vom Beispiel zum Thema zurück. Auch die Hoffnung meiner Auferstehung lebt nur in der Spannung, dass ich sie täglich neu suchen muss und nicht festhalten kann. Wäre der Tod ein Übergang vom Diesseits ins ewige Leben, würde die Auferstehungshoffnung wurmstichig und stinkend wie gehamstertes Manna. Ein letztes Mal Bonhoeffer: »[N]ur wenn man das Leben und die Erde so liebt, daß mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben.«19

Der Brief an Eberhard Bethge vom 5. Dezember 1943, aus dem dieses Zitat stammt, ist einer der frühen Belege für Bonhoeffers Vorstellung von der Diesseitigkeit des Christentums, die ihn besonders in der Haft 18  D. Bonhoeffer, Nach zehn Jahren. Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943 (1942), in: DBW 8, 17 – 39 (30). 19  Brief Nr. 84 von Bonhoeffer an E. Bethge, 2. Advent [05.12.]1943  = DBW 8, 225 – 229 (226).

532  Henning Theißen beschäftigt hat.20 Der Beleg zeigt deutlicher als manch spätere Äußerung, dass mit der Diesseitigkeit nicht im Traum der Auferstehungshoffnung und dem ewigen Leben der Abschied gegeben ist. Letztes und Vorletztes konstituieren vielmehr nur gemeinsam die Denkform der Eschatologie. Ist dem aber so, dann muss die Frage, was die christliche Gemeinde vom Tode bekennt, in einem weiteren Gedankengang noch aus einer anderen Perspektive bedacht werden.

4.  Friede mit dem letzten Feind Blicken wir auf die bisherigen Ergebnisse zurück: Die Auferstehung Christi, die als Anker aller Eschatologie das Letzte im Christentum ist, hat eine dem Vorletzten zugewandte Seite im Leben der Christen, die auf ihre eigene Auferstehung hoffen, doch so, dass die Hoffnung selbst täglich neu errungen und empfangen sein will. Sollte die Zuordnung von Letztem und Vorletztem dann nicht aber auch eine Brücke von diesem Leben in das ewige Leben schlagen, die den Tod für jeden, der sie begeht, doch in einen Übergang verwandelt? Zweifellos schließt die Auferstehungshoffnung auch die Erwartung eines getrosten Sterbens ein, das mit dem Tod versöhnt ist und seinen Frieden mit dem »letzten Feind« gemacht hat. Doch vergessen wir nicht: Das wird ein Friede sein, wie er eben mit besiegten Feinden geschlossen wird: nicht in diplomatischen Verhandlungen auf Augenhöhe, sondern durch souveräne Verfügung der obsiegenden Seite. Den hier bestehenden Gegensatz hat die im 20. Jahrhundert von skandinavischen Theologen ausgegangene motivgeschichtliche Exegese besonders für die biblischen Vorstellungen von der Versöhnung (und später vom Bund) herausgearbeitet.21 Allerdings ist die Souveräni20   Vgl. z. B. die schon zitierten Briefe Nr. 84 und 177. Die Tatsache, dass der Begriff »Diesseitigkeit« erst nach der gescheiterten Operation Walküre auftaucht (DBW 8, 541 vom 21. 07. 1944), heißt nicht, dass mit dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler eine theologische Zäsur für Bonhoeffer verbunden wäre, wie die Einteilung von DBW 8 suggeriert. 21  Für die motivischen Kontexte des Versöhnungsbegriffs ist die durch C. Breytenbachs Münchner Dissertation bei F. Hahn ausgelöste Kontroverse mit der sog. Tübinger Sühnetheologie (H. Gese, O. Hofius, P. Stuhlmacher) einschlägig; vgl. die exegetischen Literaturangaben zu den genannten Autoren bei G. Sauter (Hg.), »Versöhnung« als Thema der Theologie (TB 92), Gütersloh 1997, 268 – 270. Zum Bundesbegriff vgl. E. Kutsch, Bund I, TRE 7 (1981), 397 – 403.

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tät des göttlichen Versöhnungshandelns – anders, als es die Lunder Schule um Gustaf Aulén auffasste22 – nicht Gottes apokalyptisches Heldenstück im Kampf mit den Mächten des Bösen um die Seelen der Sünder. Souverän ist Gott vielmehr in der Radikalität seiner Versöhnungsbereitschaft, die die Sünde an der Wurzel (lat. radix) packt, sie also mit Stumpf und Stiel ausrottet, sodass sie, abgeschnitten von ihrem Grund und Boden, haltlos welkt und zunichte wird wie die grauen Herren in Michael Endes Momo, denen man ihre Zigarren abgenommen hat. Alle Vernichtungsfeldzüge gegen die Sünde erübrigen sich, Gottes Souveränität hat nichts dergleichen nötig. Nach der Analogie von Tod und Sünde, die den Ausgangspunkt unserer Überlegung bildete, können wir analog zur radikalen Souveränität von Gottes Versöhnungshandeln auch zu Aussagen über den Tod in eschatologischer Hinsicht gelangen. Dass die Auferstehung schon rein begrifflich den Sieg über den Tod bezeichnet, steht dabei außer Zweifel. Der Sieg der Auferstehung ist nicht als ein Niederringen höllischer Mächte zu deuten, wie es im Glaubensartikel von der Höllenfahrt Christi (vorrangig lutherischer Lesart) ausgesagt zu sein scheint. Die ökumenische Revision des Credotextes hat m. E. im Jahre 1973 gut daran getan, an dieser Stelle vielmehr vom Abstieg Christi in das »Reich des Todes« zu sprechen, der dann die »Auferstehung der Toten« (mit dem nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis), nicht »des Fleisches« entspricht.23 Der Begriff »Reich des Todes«, in dem man Ritschls (an Schleiermacher anknüpfende) Lehre vom »Reich der Sünde«24 anklingen hören kann, stellt zwar eindeutig einen Machtbereich (»Reich«) vor Augen, der aber bloß das Fortwirken der Sünde auch nach der Versöhnung und in den Versöhnten beschreibt, das diese beiden traditionell als neuprotestantisch

22   Vgl. G. Aulén, Christus Victor. An Historical Study of the Three Main Types of the Idea of Atonement, London 1931. 23   Vgl. A. Völker (Hg.), Gemeinsames Glaubensbekenntnis. Gemeinsamer Wortlaut des Apostolischen und des Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses für die Kirchen des deutschen Sprachgebietes, Gütersloh 1974. 24   Einschlägig ist § 41 im Hauptwerk von A. Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. III, Bonn 31888, der zur Frage der in der christlichen Welt fortbestehenden Übel dem christologischen § 101,1 bei F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830 / 31), hg. v. R. Schäfer, Berlin / New York 2008, 112 f., folgt.

534  Henning Theißen etikettierten Theologen (tatsächlich waren sie Unierte) zum Gegenstand ihrer versöhnungstheologischen Reflexion gemacht haben. Da die Versöhnung aus den beschriebenen Gründen, die in Gottes radikaler Souveränität liegen, die Sünde nicht mit einem Schlage beseitigt, ist ihr Fortwirken und damit der Fortbestand der alten, nicht verheißungsvollen Oberflächenanalogie von Sünde und Tod anzunehmen, und in diesem Sinne kann man von einem Reich des Todes sprechen. Sein Machtbereich ist aber, wie es dem Tode entspricht, unausweichlich zum Untergang bestimmt, also der neuen, verheißungsvollen Analogie von Tod und Sünde untergeordnet, derzufolge mit dem Tod auch die Sünde untergeht. Sie führt eine rein parasitäre Existenz und ist in den Worten Barths, der damit, womöglich gegen seine eigene Absicht, die Intentionen von Schleiermacher und Ritschl fortführt, als das »Nichtige« charakterisiert worden, das nur wirklich ist, indem es sich mit seinem Nein an das Ja der Gnade Gottes anklammert.25 Analog dazu hat auch der Tod keinen Bestand aus sich heraus, sondern nur in dem Rahmen, den Gott in seiner Souveränität ihm noch einräumt. Dieser Rahmen gibt der Hoffnung auf ein getrostes Sterben und der gerade in der christlich inspirierten Poesie anzutreffenden Vorstellung vom Tod als sanfte Wiege (Matthias Claudius)26 oder als »großer Gott der Seele« (Hugo von Hofmannsthal)27 ihr Recht; würde nämlich Gott die Sünde schlagartig vernichten, gäbe es für diese Hoffnungen und Vorstellungen keine Grundlage. Was immer man damit aber auch Positives über den Tod sagen mag, es basiert auf der Vorstellung, dass Gottes Souveränität es nicht nötig hat, den Tod zu töten. Das besorgt dieser ganz allein; es ist nicht Gott, sondern der Tod selbst, der den Tod umbringt. Zum Erlöser wird er damit aber nicht, denn indem seine zerstörerische Macht letztlich ihn selbst auflöst, unterliegt er Gottes Macht. Rufen wir uns abschließend noch einmal Geyers Traueransprache in Erinnerung, so ist diese Erkenntnis wichtig gerade für den Umgang mit einem Tod, der nicht sanft, und einem Sterben, das nicht getrost ist. 25   So besonders K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik (KD) III / 3, Zürich 1950, § 50. 26   So im Gedicht »Der Tod und das Mädchen« (1774) mit der Ansprache des vermeintlich »wilden Knochenmanns« an die Gestalt des Mädchens: »sollst sanft in meinen Armen schlafen«. 27   Hugo von Hofmannsthal lässt den personifizierten Tod im 1. Akt des Schauspiels »Der Tor und der Tod« (1893) sagen: »Steh auf! Wirf dies ererbte Graun von dir / Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe! / Aus des Dionysos, der Venus Sippe / Ein großer Gott der Seele steht vor Dir.«

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Der getrosten Hoffnung steht eine theologische Haltung im Sterben gegenüber, die angesichts eines unfriedlichen oder unsanften Todes klagt. Wenn Geyer in seiner Traueransprache diesen menschlich ebenso nötigen wie theologisch legitimen Weg der Klage nicht einschlägt, sondern auf dem  – womöglich schmerzverzerrten oder entstellten  – Angesicht einer sterbenden Krebskranken Spuren von »wunderbare[m] Glück« erkennt, dann offensichtlich gegen den Augenschein. Dieser sieht angesichts solchen Sterbens im Tod vielmehr eine Erlösung. Geyers strikte Verweigerung gegenüber dieser soteriologischen Aufwertung des Todes erscheint dogmatisch engstirnig oder gegenüber dem sterbenden Menschen lebensfern, macht aber doch auf einen verborgenen Selbstwiderspruch in der Vorstellung vom erlösenden Tod aufmerksam. Wie Wilhelm Kamlah in seiner konzentrierten Meditatio mortis gezeigt hat, beruht die Vorstellung vom erlösenden Tod auf einem Interesse an der Befreiung von Unerträglichem, die der tote Mensch zwar nicht mehr erleben, aber in seinem Sterben durch die bewusste Antizipation des Todeswiderfahrnisses doch realisieren kann.28 Abgesehen davon, dass die bewusste Antizipation des eigenen Interesses bei vielen tödlichen Erkrankungen wie den meisten Krebsformen aufgrund einer terminalen Verwirrtheit des Bewusstseins nicht möglich ist und zudem nicht mehr dem Werteschema vieler Sterbender zu entsprechen scheint,29 ist zu beachten, dass die Idee einer Antizipation der Interessenrealisierung zumindest als Gedankending eine postmortale Existenz als Zeitraum der erlebten Befreiung vom Unerträglichen präsupponiert, ohne die die Antizipation gegenstandslos bliebe. Damit aber beruht die Vorstellung vom Tod als Erlösung auf der genau entgegengesetzten Vorstellung, dass der Tod letztlich, 28   Vgl. W. Kamlah, Meditatio mortis. Kann man den Tod »verstehen«, und gibt es ein »Recht auf den eigenen Tod«?, Stuttgart 1976, 25: »Im Normalfall ist Befreiung von etwas eine sinnvolle Handlung, indem sie einen neuen Zustand, eine ›Freiheit‹ herbeiführt, die der Befreite nun genießen kann«, sowie die Näherbestimmung für den Sonderfall von Tod als Befreiung, bei dem dann »im Vorblick, noch lebend, die Beendigung als Befreiung erlebt« wird (ebd.). Der von langer Hand vorbereitete Schlusssatz des Werkes (a. a. O., 26) lautet: »Bewußte Hinnahme des Todes geht aber, so gesehen, im Falle der mors voluntaria nur zu gesteigerter Bewußtheit über.« 29   Vgl. G. D. Borasio, Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen, München 62017, hier 74 – 78 zur häufigen Verwirrtheit Sterbender bzw. a. a. O., 91, zur »Verschiebung ihrer persönlichen Wertvorstellungen hin zum Altruismus« »unabhängig von ihrer Religion oder der Art ihrer Krankheit« (mit Verweis auf die zugrundeliegenden empirischen Studien: a. a. O., 203 Anm. 11).

536  Henning Theißen d. h. für die christliche Eschatologie, die gewaltsame Ablösung des Menschen oder seiner Seele von einer sterblichen Hülle ist, die im Tode zerfällt, wie es unser Satz aussagt, dass der entmachtete Tod sich selbst umbringt. Hier zur Vermeidung des Widerspruchs einen Gott einzutragen, der den Tod aktiv tötet, wäre ebenso problematisch wie die entgegengesetzte, den Tod nivellierende Annahme eines Transitus, denn jene Eintragung wäre ein Schlag ins Gesicht derer, denen kein sanfter Tod vergönnt ist; sie könnten dann nämlich weder auf einen gnädigen Gott noch darauf hoffen, dass er den Tod entmachtet. Die Vorstellung vom erlösenden Tod ist also selbstwidersprüchlich. Sie ist es weniger aus dogmatischen Gründen als vielmehr im Blick auf die Situation der betroffenen Menschen.30 Der aufgewiesene Widerspruch lässt sich hingegen lösen, wenn seine kontradiktorischen Elemente in der Situation der Betroffenen auf palliative Versorgung im engeren Sinne und Seelsorge, also auf palliative care und spiritual care verteilt werden. Beide lassen sich interessenbasierten Care-Ethiken zuordnen, nähern sich den Sterbenden aber von den zwei Seiten einer dazwischen verlaufenden Grenze. Folgt man dem Standardwerk von Gian Domenico Borasio, so steht in der Palliativbetreuung die Befriedigung basaler Interessen an der Abwesenheit von Schmerzen, Atemnot, Verwirrtheit und sozialer Isolation im Sterben im Vordergrund.31 Diese Ethik der palliative care kommt im Unterschied zu Kamlahs Ethik ohne die Annahme einer postmortalen Existenz oder deren Antizipation aus und respektiert so den Tod als Grenze, von deren anderer Seite her sich die Auferstehungshoffnung begründet, in deren Interesse sich die Seelsorge Sterbenden zuwendet. In demselben Maße jedoch, wie palliative care Seelsorge als selbstverständlichen Bestandteil ihres gemeinschaftlichen Auftrags integriert,32 sollte es auch für die Seelsorge selbstverständlich sein, den Tod als die Grenze menschlichen Lebens ernstzunehmen, deren Überwindung nicht die Sache des Menschen, sondern Gottes ist.

30   Aus vergleichbaren ethischen Gründen argumentiert derzeit K. Berner, Der halbierte Tod. Thanatologische Reflexionen zur Suizidproblematik, in: ZEE 54 (2010), 206 – 211, gegen die Vorstellung von einem erlösenden Tod. 31   Vgl. die vier Arbeitsbereiche »Schmerztherapie«, »Internistische Symptome«, »Neuropsychiatrische Symptome« und »Psychosoziale und spirituelle Begleitung« bei Borasio, Über das Sterben (s. Anm. 29), 186 (Abb. 10.2). 32   Vgl. a. a. O., 88 – 98, zur Bedeutung der Seelsorge für palliativmedizinisches Tun.

Reflexionen und Impulse zur Diskussion Michael R. Jost

»… Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben«, welch grandiose und Grenzen sprengende Hoffnung, die am Schluss des Credos zur Sprache kommt. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Im Gegenteil: Der Tod wird nicht mehr sein (Offb 21,4). Als Bekenntnis gesprochen sind diese Worte daher mehr als nur ein dogmatisches Lehrstück. Sie bringen eine Glaubensgewissheit zur Sprache, die tröstet. In acht thematischen Abschnitten werde ich die Beiträge von Christina Hoegen-Rohls und Henning Theißen miteinander ins Gespräch bringen und weiterführende Impulse zur Deutung des Bekenntnisses der Auferstehung des Fleisches und eines ewigen Lebens bieten, indem ich neutestamentliche Texte und dogmatische Aspekte ergänzend zur Diskussion stelle, die unerwähnt geblieben sind.

1.  Vor der Auferstehung steht der Tod Die Artikel von Hoegen-Rohls und Theißen haben unterschiedliche Akzente gesetzt, und dennoch liegt interessanterweise in beiden Beiträgen ein besonderer Fokus auf dem Verständnis des Todes. Das mag überraschen. Denn zur Diskussion steht eigentlich das Bekenntnis der Auferstehung des Fleisches und eines ewigen Lebens. Sicherlich ist diese Fokussierung auf den Tod beeinflusst durch den von der Herausgeberin und den Herausgebern gewählten Untertitel: »Vom Tod als Transitus«. Diese Formulierung hat sowohl aus neutestamentlicher als auch aus dogmatischer Perspektive Widerspruch hervorgerufen und dadurch besondere Aufmerksamkeit erheischt. Der Titel des Beitrages von Theißen ist dafür exemplarisch: »Der letzte Feind. Was die christliche Gemeinde vom Tode bekennt.« Diese Fokussierung auf den Tod begründet er auch damit, dass seines Erachtens die katholischen Theologen Gisbert Greshake und Gerhard Lohfink schon in den 1970er Jahren alles Wesentliche zum ewigen Leben gesagt hätten. Doch was bekennt die christliche Gemeinde im Credo vom Tode? Sie bekennt im zweiten Artikel den Tod Christi am Kreuz und dass er auferstanden ist von den Toten und die Toten richten wird. Aber damit sind bereits alle expliziten Bezugnahmen auf das Thema Tod

538  Michael R. Jost benannt. Im dritten Artikel ist vom Tode nur indirekt die Rede, in Bezug zur Sünde und in Bezug zur Auferstehung, die den Tod voraussetzt. Somit wird die im Bekenntnis unausgesprochene Voraussetzung der Auferstehung des Fleisches und eines ewigen Lebens überraschenderweise zum expliziten Hauptthema in den Beiträgen. Die neutestamentlichen Autoren widmen sich aber ausführlicher der Begründung der Auferstehung Christi und der Gläubigen als der Begründung des Todes. Denn während der Tod unzweifelhaft der Erfahrungswelt des Menschen entspricht, rief die Rede von der Auferstehung auch in der Antike Unverständnis oder gar Spott hervor (Apg 17,32)1 und verlangte daher eine besondere Erörterung (vgl. 1 Kor 15; 2 Kor 5; 1 Thess 4,13 – 18)  – und das nicht nur im römisch-hellenistischen Kontext, sondern auch in jüdischen Kreisen (vgl. Mk 12,18 – 27 und Apg 23,8). Daran hat sich auch mehr als 2000 Jahre später kaum etwas geän­ dert. Aktuell äußerte der Theologe Othmar Keel in einem Interview in einer Schweizer Tageszeitung grundlegende Kritik am neutestamentlichen Auferstehungsglauben: »[B]ei Paulus hängt der ganze christliche Glaube am Auferstehungsglauben, ohne den alles leer und hohl ist. Ich halte das für eine Anmaßung, wenn man meint, man müsse ewig leben. Das ist, wie wenn man meint, Gott kümmere sich um einen. Wenn man das Universum in seiner unermesslichen Größe sieht  – wie soll sich da Gott um den Einzelnen kümmern? Das scheint mir eine eitle Haltung zu sein: Man nimmt sich zu wichtig.«2 Auch die hitzig geführten Diskussionen zur Auferstehung Jesu im vergangenen Jahrhundert zeigen, wie höchst kontrovers dieses neutestamentliche Zeugnis gedeutet wird, meist mit dem Fokus, »das Ärgernis der Auferstehung Jesu von den Toten im Horizont eines je zeitgenössischen Wirklichkeitsverständnisses wegzuerklären, um so die Akzeptanz einer bestimmten Form des christlichen Glaubens ohne die anstößige Auferstehung zu retten«.3 Jörg Frey mahnt aber zu Recht, dass bei all diesen Versuchen, der Eindruck bleibt, »dass die – natürlich schon 1  Oft wird exemplarisch auf das Zitat aus der Tragödie des Aischylos verwiesen, worin Apollon sagt: »Doch wenn des Mannes Blut erst aufgeschlürft der Staub, Er einmal tot ist, gibt’s für ihn kein Auferstehn« (Eumeniden 647 – 648, nach der Übersetzung von Oskar Werner, vgl. O. Werner [Hg.], Aischylos. Orestie, Griechisch und deutsch, München 1948, 259). 2   Tagesanzeiger, 29. März 2018. 3   J. Frey, Biblisch-theologische Reflexionen zum Bekenntnis zur Auferstehung Jesu Christi, in: J. Herzer / A. Käfer / J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubens-

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im Urchristentum wahrgenommene – Herausforderung des Auferstehungsbekenntnisses und seine Anstößigkeit in einer problematischen Weise reduziert und die Wirklichkeit der Auferstehung nach Maßgabe eines modernen Wirklichkeitsverständnisses eingeebnet wird«.4 Obwohl also der Tod vor der Auferstehung steht, bleibt dennoch die Erörterung des Bekenntnisses der Auferstehung eine besonders dringliche Aufgabe, weil die Auferstehung zum Kern des christlichen Glaubens zählt, diese jedoch die Dimension der immanenten Erfahrung sprengt.

2.  Die Auferstehung Jesu und die Auferstehung der Toten Das Bekenntnis der Auferstehung des Fleisches bzw. in neutestamentlicher Terminologie Auferstehung der Toten hat dabei seinen Ursprung in der Auferstehung Jesu Christi, weshalb hier die Rückbindung an den zweiten Artikel des Credos essentiell ist. Denn wie die Auferstehung Jesu gedeutet wird, so wird auch die allgemeine Totenauferweckung gedeutet (oder vice versa). Auf diese Verbindung nimmt auch Paulus in seiner Argumentation in 1 Kor 15,12 – 23 Bezug und begründet darin die Relevanz der Auferstehung Christi. Dies formuliert Paulus so, dass der Glaube ohne die Auferstehung Christi leer (1 Kor 15,14) und Jesus Christus der »Erstling der Entschlafenen« sei, wonach ihm entsprechend die Gläubigen bei seiner Wiederkunft lebendig gemacht würden (1 Kor 15,20 – 23). Darum ist Ostern »der Grund für die Hoffnung auf die Auferstehung am Jüngsten Tage und in diesem Sinn das Letzte im Christentum«, wie Theißen festhält.5 Diese Verbindung ist in der Erörterung des Bekenntnisses der Auferstehung der Toten zu beachten. Wie bei Christus die leibliche Auferweckung nach dem irdischen Tod am Kreuz verkündigt wurde (1 Kor 15,4 – 9), so ist im Apostolischen Glaubensbekenntnis die postmortale Auferstehung nach dem irdischen Leben im Blick. Dies wird auch durch die altkirchliche Formulierung »Auferstehung des bekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018, 325 – 349 (326). 4   A. a. O., 327. 5   In diesem Band H. Theissen, Der letzte Feind. Was die christliche Gemeinde vom Tod bekennt, 528; vgl. auch A. Käfer, Erlebte Auferstehung. Systematisch-theologische Reflexionen zum Bekenntnis der Auferstehung Christi, in: Herzer / Käfer / Frey, Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage (s. Anm.  3), 351 – 367 (358 – 359).

540  Michael R. Jost Fleisches« (carnis resurrectionem) unterstrichen, die dann aber im Anschluss an die Diskussion um die leibliche Auferstehung Jesu in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in den liturgischen Texten durch die neutestamentliche Terminologie »Auferstehung der Toten« ersetzt wurde, worauf sowohl Hoegen-Rohls als auch Theißen zu sprechen kommen.6 Darum beschreibt das Credo am Ende nicht eine »Auferweckung mitten im Leben«, sondern die Erwartung eines ewigen Lebens nach dem irdischen Tod.7 Es geht daher nicht um das gegenwärtige christliche Selbstverständnis, sondern um die Erwartung einer zukünftigen Neuschöpfung, die nicht aus dem menschlichen Selbstbewusstsein abgeleitet werden kann, sondern als Verheißung aufgrund der Auferstehung Christi dem Menschen geschenkt ist.

3.  Der Tod: Das Nichtige, das sich selbst tötet, oder der Feind, den Gott sich selbst unterwirft? Obwohl der Tod unbestritten einen Teil der erfahrenen Wirklichkeit des Menschen bildet, ist dennoch näher zu fragen, wie der Tod in den beiden Beiträgen definiert wird. Hier scheinen mir unterschiedliche Konzepte vorgetragen worden zu sein. Während Theißen aus systematischer Perspektive mit Karl Barth vom »Nichtigen« spricht und davon, dass der Tod selbst den Tod umbringt, wählt Hoegen-Rohls im Anschluss an Paulus die Sprache von der Personifizierung des Todes, der gemäß 1 Kor 15,26 – 28 von Gott selbst unterworfen werde, was auch in der Offenbarung des Johannes zu finden sei. Damit treffen widersprüchliche Konzepte aufeinander, deren Implikationen an die6  Die Heilige Kongregation für die Glaubenslehre der römisch-katholischen Kirche hat jedoch 1983 in einem Beschluss bezüglich der Übersetzung des Artikels »Carnis resurrectionem« des Apostolischen Glaubensbekenntnisses festgehalten, dass »in den zukünftigen, zur kirchlichen Approbation vorgelegten Übersetzungen […] die exakte traditionelle Übersetzung beibehalten werden [muss]«. Zur theologischen Begründung wird u. a. angefügt: »So stimmt es ja, dass letztere Formel [Auferstehung der Toten] implizit die Bekräftigung der leiblichen Auferstehung enthält, während die Formel ›Auferstehung des Fleisches‹ als Begriff expliziter diesen besonderen Aspekt der Auferstehung bekräftigt, wie auch schon sein Ursprung zeigt« (http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_19831214_ carnis-resurrectionem_ge.html, zuletzt abgerufen am 10. 10. 2019). 7  Vgl. A. Käfer, Glauben bekennen, Glauben verstehen. Eine systematisch-theologische Studie zum Apostolikum (Theologische Studien 9), Zürich 2014, 79.

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ser Stelle nicht weiter erörtert werden können, wenn nicht wiederum der Tod anstelle des Bekenntnisses zur Auferstehung des Fleisches in den Mittelpunkt gestellt werden soll. Beide Beiträge finden sich aber in der Beobachtung wieder, dass der Tod gemäß 1 Kor 15,54 verschlungen sei vom Sieg, womit der Tod nicht als Transitus, sondern als absolutes Ende zu verstehen sei. Hoegen-Rohls präzisiert die paulinische Sicht dahingehend, dass die Rede vom Tod als Transitus möglicherweise dort zu finden sei, wo metaphorisch von ihm die Rede sei (vgl. Kap. 1.6). Explizit findet sie den Gedanken des Todes als Transitus bei Johannes (Joh 5,24; vgl. Kap. 1.9).

4.  Der Tod als Transitus bei Paulus: Philipper 1,19 – 24 und die existenzielle Bedeutung des Bekenntnisses der Auferstehung Erstaunlicherweise bleibt in beiden Artikeln die bedeutsame Stelle aus Phil 1,19 – 24 unbeachtet, die meines Erachtens durchaus als Beleg für ein paulinisches Verständnis des Todes als Transitus angeführt werden kann. Diese Zeilen des Apostels, die er während einer Gefangenschaft schrieb, legen dar, wie er mit dem Gedanken einer möglichen Hinrichtung in persönlich-existenzieller Weise umgegangen ist. Die Spitzenaussagen darin sind, dass das Sterben ein Gewinn sei (1,21), ja, dass Paulus Lust habe, aufzubrechen und bei Christus zu sein (1,23). Drei Punkte möchte ich aus diesen Aussagen hervorheben: Erstens: Paulus wählt das substantivierte Verbum »Sterben« (ἀποθανεῖν) und nicht das Abstraktum »Tod« (θάνατος). Indem er vom Sterben spricht, ist nicht der Tod als der Sünde Sold (Röm 6,29) und letzte Feind (1 Kor 15,26) im Blick, sondern der Vorgang des irdischen Wegtretens. Das Sterben, dessen Folge der Tod ist, ist somit, wie auch das »Leben im Fleisch«,8 lediglich ein Vorgang, der Christus groß machen soll (Phil 1,20.22). Zweitens: Das Sterben stellt kein absolutes Ende dar, sondern vielmehr einen unausweichlichen Akt zur Gemeinschaft mit dem Aufer8   Während die Terminologie »Auferstehung des Fleisches« in dieser Form nicht im Neuen Testament zu finden ist, wie Hoegen-Rohls erläutert hat, lässt sich aber bei Paulus die Formulierung vom »Leben im Fleisch« (τὸ ζῆν ἐν σαρκί, Phil 1,22) finden, womit das irdische Leben gemeint ist.

542  Michael R. Jost standenen, der mit »aufbrechen« (ἀναλῦσαι)9 von Paulus umschrieben wird und damit durchaus als Transitus gedeutet werden kann.10 Das Sterben ist ein einmaliges Aufbrechen aus der irdischen Welt in das Sein in der Gegenwart Christi (σὺν Χριστῷ εἶναι). Auch eine mögliche Hinrichtung bedeutet für Paulus demnach nicht das Ende. Eine ähnliche Vorstellung findet sich auch in 2 Kor 5,1 – 10, die in den beiden Aufsätzen von Hoegen-Rohls und Theißen ebenso kaum beachtet wurden. Paulus äußert wie im Philipperbrief den Wunsch – jetzt aber in Wir-Form – , den Leib zu verlassen, um beim auferstandenen Herrn zu wohnen (2 Kor 5,2.8). Es geht um ein Leben in der Fremde, womit der irdische Leib gemeint ist, und ein Aufbrechen in die himmlische Heimat beim Herrn (ἐνδημῆσαι πρὸς τὸν κύριον). Der Akt des Sterbens ist dabei mit »überkleiden« (ἐπενδύομαι) ausgedrückt, »damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben« (2 Kor 5,4).11 Auch in dieser Metaphorik ist zwischen dem irdisch-vergänglichen und himmlisch-ewigen Leben kein Bruch, sondern vielmehr ein Transitus zu erkennen, der im Sterben vom Leben überwunden 9   Die Grundbedeutung in der Profangräzität lässt sich mit auflösen von etwas Verknüpftem, Verbundenem bzw. Bestehendem (wie z. B. das Losbinden der Taue) oder auch lösen einer Aufgabe umschreiben (F. Passow, Handwörterbuch der Griechischen Sprache, neu bearbeitet und zeitgemäss gestaltet von V. C. F. Rost und F. Palm, Bd. 1, Leipzig 1841, 183). Der Begriff wird in Phil 1,23 offensichtlich als Euphemismus für das Sterben verwendet, weshalb er manchmal mit »abscheiden« übersetzt wird (Elberfelder Übersetzung). Jedoch ist nicht eine Auflösung einer Bindung oder eines Problems im Blick, auch nicht primär das Abscheiden bzw. Verlassen des irdischen Leibes, sondern in übertragenem Sinne ein »Sich-auf-und-davon-Machen« bzw. Aufbrechen in die direkte Gegenwart Christi, wozu aber selbstverständlich das Wissen gehört, dass dazu das irdische »Zelthaus« (der Leib) zerstört werden muss (2 Kor 5,1). Mit »aufbrechen« übersetzt auch die Zürcher Übersetzung. Vgl. auch U. B. Müller, Der Brief des Paulus an die Philipper (ThHK 11 / 1), Leipzig 2 2002, 63. In der LXX lässt sich oft die Bedeutung »aufbrechen« (von einem Ort) nachweisen: Jdt 13,1; 1 Esr 3,3; 2 Makk 9,1; 12,7; 15,28; 3 Makk 2,24; 5,21.44; 7,13.20, s. auch Lk 12,36. Derselbe Begriff als Substantiv wird auch in 2 Tim 4,6 oder 1 Clem 44,5 für Sterben verwendet. 10  Calvin spricht daher von »passage pour entrer dans le royaume des cieux« (J. Calvin, Commentaires de Jean Calvin sur le Nouveau Testament. Tome sixième: Epîtres aux Galates, Ephésiens, Philippiens et Colossiens, Genève 1965, 262). 11   H. Paulsen, ἐπενδύομαι, EWNT 1 (21992), 1104 – 1105 (1105), erläutert treffend: Paulus »sieht deshalb den Tod nicht als einen (wünschenswerten; so in den religionsgeschichtlichen Parallelen) Zustand der Nacktheit an (vgl. ἐκδύσασθαι, 5,4). Er ist wie das Eingehen in die himmlische οἰκοδομή ein ἐπενδύσασθαι, das den Beginn in der Taufe nicht aufhebt (5,5).«

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wird. Bei dieser Stelle wird aber im Unterschied zu Phil 1,23 dieser Moment mit dem Zeitpunkt der Auferstehung verbunden und nicht mit dem Moment des Sterbens.12 Drittens: Die Gewissheit des zukünftigen Heils (Phil 1,19)13 führt ihn sogar dazu, das Sterben als Gewinn zu bezeichnen, ja sogar Lust zu haben (τὴν ἐπιθυμίαν ἔχων), im Akt des Sterbens aufzubrechen. Der Tod ist somit zwar der letzte Feind (1 Kor 15,26). Aber im Wissen um die Auferstehung Jesu in Herrlichkeit stellt der natürliche Tod für den Christen kein Problem mehr dar,14 sondern eine Möglichkeit Gott zu verherrlichen (Phil 1,20).

5.  Steht die Metaphorik des Aufbrechens im Widerspruch zum Auferstehungsglauben? Indem ich andere paulinische Texte als die von Hoegen-Rohls und Theißen zur Argumentation herbeiziehe, ergibt sich hier jedoch die Frage, ob diese unterschiedlichen Aussagen des Paulus miteinander im Widerspruch stehen. Wie verhalten sich die Aussagen von der Lust aufzubrechen und dem Sterben als Gewinn zu den Aussagen aus 1 Kor 15, dass der Tod der letzte Feind sei? Spricht hier Paulus, der sich im selben Brief an die Philipper von seiner Herkunft als Hebräer und Pharisäer bezeichnet (Phil 3,5), doch in hellenistischer Weise vom Tod als Befreiung? Oder lässt sich daran eine über die Jahre veränderte eschatologische Sicht des Paulus nachweisen?15 Das wäre zu kurz gegriffen. Auch im Brief an die Philipper spricht Paulus mehrfach vom Tag Christi (1,10; 2,16; 4,5) und von der Er12

 Vgl. Müller, Philipper (s. Anm. 9), 66 – 71.  Das Heil (σωτηρία) kann an dieser Stelle in umfassendem Sinne verstanden werden, sodass auch der gegenwärtige Aspekt der »Errettung aus den bedrängenden Umständen« gemeint sein kann (vgl. K. H. Schelkle, σωτηρία, EWNT 3 (21992), 784 – 788 [785 – 786]). Jedoch ist der zukünftige Aspekt hervorzuheben, was einerseits die Futurform des Verbs anzeigt (ἀποβήσεται) und andererseits die Perikope insgesamt deutlich macht, in der Paulus über seine Zukunft mit Bezug auf Hi 13,16(LXX) nachdenkt. 14  Vgl. H. Klein, θάνατος, TBLNT 2 (2000), 1236 – 1246 (1245). 15  Diese Fragen werden in der Forschung intensiv diskutiert. Das zeigt sich allein daran, dass sich viele Kommentatoren zum Philipperbrief an dieser Stelle genötigt sehen, in einem Exkurs diese Fragen zu klären, vgl. G. Barth, Der Brief an die Philipper (ZBK 9), Zürich 1979, 33 – 35; Müller, Philipper (s. Anm. 9), 66 – 71, oder N. Walter, Der Brief an die Philipper (NTD 8 / 2), Göttingen 1998, 43 – 44. 13

544  Michael R. Jost wartung der zukünftigen Auferstehung von den Toten (Phil 3,10 – 11) sowie der Umgestaltung der Leiber bei der Wiederkunft Jesu Christi (Phil 3,20 – 21). Es ist daher nicht angebracht, hier eine grundsätzlich veränderte Eschatologie des Paulus anzunehmen. Ebenso zeigen diese Aussagen, dass Paulus in keiner Weise in hellenistischer Manier vom Tod als Befreiung denkt.16 Offensichtlich folgert Paulus nicht aus der persönlichen Erwartung des Sterbens als Aufbruch in das Sein in der Gegenwart Christi, dass dadurch die Hoffnung der Auferstehung vergeblich sei, wie es Theißen lapidar behauptet. Jedoch ist zu beachten, dass Paulus unterschiedliche Fragen beantwortet. Während er in 1 Kor 15 die Fragen umkreist, welche Konsequenzen die Annahme oder Ablehnung des Auferstehungsglaubens mit Blick auf Jesus Christus haben (1 Kor 15,12 – 34) und wie die Auferstehung erklärt werden kann (1 Kor 15,35 – 53), schreibt Paulus in Phil 1,18 – 23 persönlich über das »Wohin« der Auferstehung oder in Phil 3,17 – 21 über das »Woher« der Retter erwartet wird. 1 Kor 15 ist ein historisch-theologischer Nachweis der Auferstehungshoffnung mit Blick auf die Neuschöpfung. Phil 1 ist das persönliche Zeugnis der Auferstehungshoffnung des Apostels in Zeiten der Bedrängnis. In 1 Kor 15 spricht Paulus in objektiver Weise über Tod und Auferstehung Jesu und deren Bedeutung für die Gläubigen, in Phil 1 spricht er subjektiv von der eigenen Todeserfahrung und Auferstehungshoffnung. In Phil 1 wird existentiell sichtbar, was er in 1 Kor 15,19 – 20 folgendermaßen formuliert hat: »Wenn wir allein für dieses Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben, dann sind wir erbärmlicher dran als alle anderen Menschen. Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden, als Erstling derer, die entschlafen sind.«17 Aus der Gewissheit der Auferstehung Christi, die er in 1 Kor 15 argumentativ behauptet, folgt für Paulus existentiell die Lust abzuscheiden, und bei Christus zu sein, ohne aber dieses »bei Christus zu sein« in Phil 1 näher in Verbindung mit der zukünftigen Auferstehung der Toten und Verwandlung der Leiber bei der Wiederkunft Christi zu erläutern (so auch in 1 Thess 5,10).

16   Vgl. dazu F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments, Bd. 2: Die Einheit des Neuen Testaments (UTB 3500), Tübingen 32011, 776; so auch schon M. R. Vincent, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistles to the Philippians and to Philemon, ICC, Edinburgh 1897, 29. 17   Übersetzung nach Zürcher Bibel 2007.

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6.  Die seelsorgerliche Relevanz des Auferstehungsglaubens Verbunden mit dem Bekenntnis der Auferstehung des Fleisches ist die Erwartung eines ewigen Lebens, wozu Hoegen-Rohls einen begrifflich orientierten Überblick über die neutestamentliche Verwendung bietet. Nebst Sinn- und Sachgehalt muss aber entsprechend des letzten Abschnittes zusätzlich nach der erwarteten Erfahrung gefragt werden. Die existenzielle Differenz zwischen dem irdischen Leben und dem Leben nach dem irdischen Sterben besteht für den Gläubigen in der unterschiedlichen Erfahrbarkeit der Gegenwart Christi: entweder jetzt im irdischen Sein noch im Glauben und Hoffen oder dann im himmlischen Sein im Sehen (2 Kor 5,7) von Angesicht zu Angesicht (1 Kor 13,12). Das ewige Leben zeichnet sich daher durch die Erwartung der direkten, persönlichen Gemeinschaft mit Jesus Christus aus (vgl. auch Lk 23,43; Apk 22,3 – 4). In dieser existenziellen Dimension wird über die exegetische und systematische Betrachtung hinaus auch die seelsorgerliche Bedeutung des Glaubensbekenntnisses deutlich. »In any case, Paul understood death as a means into the Lord’s immediate presence, which for him and countless thousands after him has been a comforting and encouraging prospect.«18 Gerade dieses Zeugnis der Auferstehungshoffnung im Leiden, wie es Paulus im Philipperbrief formuliert, zeigt die tröstende Hoffnung, die in diesem Glaubensartikel steckt. Das Bekenntnis der Auferstehung Christi und des ewigen Lebens ist darum nicht nur ein Lehrsatz, sondern eine Verheißung, an der die Glaubenden festhalten und dadurch Trost selbst im Sterben erfahren.19 Oder wie es als Antwort auf die 58. Frage im Heidelberger Katechismus formuliert wird: »Was tröstet dich der Artikel vom ewigen Leben? Dass, nachdem ich jetzt den Anfang der ewigen Freude in meinem Herzen empfinde, ich nach diesem Leben vollkommene Seligkeit besitzen werde, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz nie gekommen ist, Gott ewiglich darin zu preisen.«

18  G. D. Fee, Paul’s Letter to the Philippians (NICNT), Grand Rapids MI 1995, 149. 19   Theißen spricht vom »getrosten Sterben«, »das mit dem Tod versöhnt ist und seinen Frieden mit dem ›letzten Feind‹ gemacht hat«, womit der Trost aber etwas anders gelagert ist (Theissen, Der letzte Feind [s. Anm. 5], 532).

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7.  Die individuelle Auferweckung und allgemeine Totenauferstehung Diese seelsorgerliche, individuelle Perspektive bedarf aber der Ergänzung der kosmischen Perspektive, obwohl diese im dritten Artikel zum Heiligen Geist im Apostolischen Glaubensbekenntnis nicht explizit zur Sprache kommt und auch in den Beiträgen von Hoegen-Rohls und Theißen wenig Beachtung erhielt. Denn letztlich ist nicht die individuelle Auferweckung das Ziel, sondern die »Durchsetzung der universalen Gottesherrschaft«,20 was Paulus eindrücklich in 1 Kor 15,24 – 28 beschreibt. Angedeutet ist diese Perspektive bereits im zweiten Artikel, wenn bekannt wird, dass Jesus vom Himmel kommen wird, um zu richten die Lebenden und die Toten. Joseph Ratzinger schreibt darum in seiner Auslegung des Credos: »Das Ziel des Christen ist nicht eine private Seligkeit, sondern das Ganze. Er glaubt an Christus, und er glaubt darum an die Zukunft der Welt, nicht bloß an seine Zukunft.«21 In diesem Kontext hält Jörg Frey fest: »Wenn etwa die Auferweckung Jesu nur als die individuelle Aufhebung seines Todesgeschicks oder als die Bekräftigung der heilvollen Bedeutung dieses Todes verstanden würde, bliebe ihre Tragweite unterbestimmt: Dieses Ereignis will nicht weniger als die Wende der Welt sein, das vorweggenommene Ende der Geschichte, der Durchbruch der Herrschaft Gottes.«22 Darum muss letztlich die Perspektive eingenommen werden, die die Offenbarung des Johannes am Schluss bietet: Gott macht alles neu (Offb 21,5).

20

  Frey, Biblisch-theologische Reflexionen (s. Anm. 3), 332.   J. Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 2000, 340. 22   Frey, Biblisch-theologische Reflexionen (s. Anm. 3), 332 (kursiv im Original). 21

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8.  Auferstehungshoffnung als Merkmal der Einheit des Neuen Testaments und wesentliches Element des christlichen Glaubens Schließlich ist festzuhalten, dass die Auferstehungshoffnung ein gemeinsames Merkmal der neutestamentlichen Schriften ist.23 Dies wird an den vielen Belegstellen im Artikel von Hoegen-Rohls ersichtlich. Ferdinand Hahn schreibt darum in seiner Theologie des Neuen Testaments zu Recht: »Für das Neue Testament ist die Erwartung einer Totenauferweckung konstitutiv.«24 Und nur wenig später: »Die Erwartung ewigen Lebens durchzieht das ganze Neue Testament.«25 Auch in den Schriften der apostolischen Väter und Apologeten wird die Auferstehung Jesu als Gewissheit bekannt und als Verheißung für die Gläubigen gelehrt (1 Clem 24,1 – 5; 42,3; 2 Clem 9,1; IgnMagn 11,1; IgnSm 1 – 3), oft mit Betonung auf der Auferstehung des Fleisches. Tertullian eröffnet dementsprechend die Schrift De resurrectione carnis mit der Aussage: »Was den Christen ihr Vertrauen einflösst, ist die Auferstehung der Toten. Durch sie sind wir Gläubige geworden. Zu diesem Glauben nötigt uns die wahre Lehre; die wahre Lehre offenbart uns Gott, aber der Pöbel verlacht sie in dem Wahne, es gebe nach dem Tode nichts mehr« (Tert.res. 1).26 Die Verteidigungsschrift belegt damit zugleich, dass dieser Auferstehungsglaube auch zu Beginn des 3. Jahrhunderts in der Kritik stand (vgl. auch Origenes, Contra Celsum 5.14). Noch nie war dieses Bekenntnis selbstverständlich. Überblickt man jedoch die Zentralität der Auferstehung Jesu und der daraus abgeleiteten Auferstehungshoffnung der frühen Christenheit, so ist nachvollziehbar, dass der Artikel »Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben« Eingang ins Apostolische Glaubensbekenntnis gefunden hat und bis heute als zentrales Element des christlichen Glaubens bekannt wird.

23  Kennzeichnenderweise zählt der Hebräerbrief darum die Lehre von der Auferstehung der Toten zu den verbindlichen Glaubensgrundlagen (Hebr 6,1 – 2). 24   Hahn, Theologie (s. Anm. 16), 777. 25   A. a. O., 778. 26   Nach der Übersetzung von K. A. Heinrich Kellner, Tertullians sämtliche Schriften, Bd. 2: Die dogmatischen und polemischen Schriften, Köln 1882, 417 – 507 (421). Diese und weitere Zitate bei A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Wiesbaden 4 1924, 121.

548  Weiterführende Fragen

Weiterführende Fragen 1. Wie können eschatologische Aussagen formuliert werden, obwohl doch von den Geschehnissen, die im Anschluss an das individuelle und das allgemeine Dasein vorgestellt und in biblischen Texten beschrieben werden, keine Zeugnisse gegeben sind? Welcher Art sind solche Aussagen und welche Bedeutung haben sie? 2. Welche Bedeutung hat die Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches für den christlichen Glauben? Welche signifikanten Differenzen bestehen zu verbreiteten Vorstellungen einer Unsterblichkeit der »Seele« oder gar einer »Seelenwanderung«? 3. In der Frömmigkeitsgeschichte wurde aus der Hoffnung auf ein »jenseitiges« ewiges Leben oft die Konsequenz einer Weltflüchtigkeit gezogen. Wie kann umgekehrt diese Hoffnung dazu führen, dass gegenüber der Welt Verantwortung wahrgenommen wird?

Zur Aktualität des Bekennens

Was wir glauben sollen Von der Zeitgemäßheit alter Bekenntnisse Michael Beintker

1.  Um welche Bekenntnisse geht es? Wenn zum Abschluss eines dem Credo gewidmeten Bandes nach der Zeitgemäßheit alter Bekenntnisse gefragt wird, so ist zu vermuten, dass hier primär jene Bekenntnisse gemeint sind, denen in der Bekenntnisüberlieferung der Kirche ein besonderer Rang zukommt. Es soll jedenfalls um alte Bekenntnisse gehen. Alt oder noch älter als die dafür in Frage kommenden Kandidaten sind bekenntnishafte Wendungen und Formulierungen in den Texten der Bibel. Man denke nur an das Bekenntnis des Petrus bei Cäsarea Philippi (vgl. Mk 8,27 – 30), an den berühmten Bekenntnisruf kyrios Iesous (vgl. Röm 10,9, 1 Kor 12,3, Phil 2,11) oder an das Urkerygma von Christi Tod und Auferweckung in 1 Kor 15,3b – 5 – also an hervorgehobene Beispiele bekennenden Redens im Neuen Testament, die den innigen Zusammenhang von Glauben und Bekennen, Bekennen und Glauben verdeutlichen. Nicht ganz so alt, aber doch auch nicht mehr so richtig jung sind jene Bekenntnisse, in denen das bekennende Reden zielgerichtet in die theologische Explikation theologischer Lehre übergeht und sich regelrecht zu einer ausdrücklich so genannten »Bekenntnisschrift« auswächst. Auch hier (und vielleicht hier erst recht) steht die Frage nach der Zeitgemäßheit alter bzw. nicht ganz junger Bekenntnisse vor erheblichen Herausforderungen. Ich erinnere mich an eine Rüstzeit (so hieß das damals bei uns) zur Vorbereitung auf die Ordination, in der wir mitteldeutschen Ordinanden mit der Frage rangen, was es bedeute, auf bestimmte Bekenntnisschriften ordiniert zu werden. In der Mitte zwischen den bekenntnishaften Wendungen in der Bibel und den Bekenntnisschriften im Gefolge der Reformation sind jene Klassiker angesiedelt, die zum ökumenischen Bekenntnisgut der Christenheit gehören und deren Karrieren im gottesdienstlichen Gebrauch gipfeln. In den Kirchen des Westens ist das zweifellos das Apostolische Glaubensbekenntnis. Es ist in unseren Breiten so prominent, dass Credo und Apostolikum für viele zu einem Synonym

552  Michael Beintker geworden sind. Luther lobte das Apostolikum als eine Zusammenfassung der Heiligen Schrift, in ihm sei das Wichtigste aus der Bibel zusammengetragen, wie eine Biene den Honig »aus mancherlei schönen, lustigen Blümlein zusammensucht«.1 Die Kirchen des Ostens favorisieren hingegen das Nizäno-Konstantinopolitanum, das explizit auf die trinitätstheologischen und christologischen Debatten des 4. und 5. Jahrhunderts reagiert und in seinen theologischen Ambitionen das aus der Taufkatechese und damit der Elementarisierung des Glaubens erwachsene Apostolikum überragt. Es ist gut und wichtig, auch dieses Bekenntnis in unseren Gottesdiensten zu verwenden. Kann man schon hier eine Tendenz vom bekennenden zum lehrenden Reden ausmachen, so kommt diese im sogenannten Symbolum Athanasianum so deutlich zum Vorschein, dass man dieses Bekenntnis als eine Vorform der späteren Bekenntnisschriften charakterisieren kann – eine kurzgefasste Bekenntnisschrift, die vor allem die Grundsätze der von Augustinus und in seinem Umfeld entwickelte Trinitätslehre gegen arianische Fehldeutungen darlegt. Im Konkordienbuch sind diese drei Bekenntnisse als »Haupt-Symbola oder Bekenntnis des Glaubens Christi in der Kirchen« bzw. als »Tria Symbola catholica sive oecumenica« den Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts vorangestellt worden2 und gehören damit auch zum Basisbestand evangelischer Lehre. Ihre mindestens bis in die Mitte des ersten Jahrtausends reichende Vorgeschichte darf im Rahmen dieser Überlegungen vernachlässigt werden. Sie sind zweifellos alt und dürfen als Klassiker gelten, die die Geschichte der christlichen Lehre und der christlichen Kirchen tiefgehend beeinflusst haben und bis heute hohes Ansehen genießen. Wer nach kurzen Zusammenfassungen der Inhalte des christlichen Glaubens sucht, kommt an ihnen nicht vorbei, wer sich über den christlichen Glauben wundern oder gar ärgern will, freilich auch nicht. Denn natürlich geben diese Bekenntnisse zu denken, geben sie Anlass zu Verstehensproblemen, zu kritischen Rückfragen oder auch entschlossener Ablehnung. Wer Gottesdienstbesucher fragt, was sie denn mit den einzelnen Sequenzen des vor oder nach der Predigt feierlich gesprochenen (oder auch gesungenen) Glaubensbekenntnisses verbinden, wird auf jeden Fall einen gemischten Eindruck gewinnen. Wenn man Lust am Spotten 1   M. Luther, Ein Sermon auf das fest der heiligen Dreifaltigkeit (1535), WA 41, 270 – 279 (275, 29 – 31) (Wortlaut modernisiert). 2  Vgl. BSELK 37 – 60 (42).

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hat, wird man ihn vielleicht so zusammenfassen: In den christlichen Kirchen glauben wenige viel und viele wenig.

2.  Was bedeutet »ich glaube an …«? Wenige glauben viel und viele glauben wenig. Das provoziert die Frage, ob und in welcher Hinsicht man an Bekenntnissätze glaubt und wie stichhaltig das »Was« im »Was wir glauben sollen« des Themas ist. Wenn wir dazu das Symbolum Athanasianum konsultieren, scheint die Antwort leicht zu sein: »Wer da will selig werden, der muss für allen Dingen den rechten christlichen Glauben haben [opus est, ut teneat catholicam fidem].«3 Der rechte christliche Glaube aber besteht darin, »dass wir den einigen Gott in drei Personen in einiger Gottheit ehren, und nicht die Personen in einander mengen, noch das göttliche Wesen trennen«.4 Das Athanasianum geht dann so vor, dass es in geschliffener, fast lehrbuchmäßiger Diktion die Leitgedanken der Trinitätslehre vorträgt, um im letzten Drittel den Themenkreis von der Christologie zur Eschatologie abzuschreiten. Alles das gehört hier zur fides catholica, ja das ist – so der beschwörende Schlusssatz – in seiner Gesamtheit »der rechte christliche Glaube; wer denselben nicht fest und treulich gleubt, der kann nicht selig werden«.5 Das Athanasianum wäre also ein Beleg für die Auffassung, nach der die Sätze eines Bekenntnisses unmittelbar Gegenstand des Glaubens sein sollen und in diesem Sinne heilsnotwendig geglaubt werden müssen. Das »Credo« als Substantiv regiert das »credo« als Verb in der 1. Person Singularis, oder, um es in der dogmatischen Schulterminologie auszudrücken: Die fides quae creditur als Einverständnis zum verbal ausgesagten Gegenstand des Glaubens rangiert vor der fides qua creditur als existentiellem Lebensvollzug des Glaubens. Von dem berühmten »Dein Glaube hat dir geholfen« (vgl. Mt 9,22; Mk 10,52; Lk 7,50; Lk 17,19) Jesu sind wir hier weit entfernt. Jesus sagt das zu Menschen, die sich in ihrer Not an ihn gewandt und unbeirrbar darauf vertraut haben, dass er noch in einer extrem ausweglosen Situation helfen kann. Gerade bei ihnen, die – wie wir heute sagen würden – nicht einmal ihren Katechismus beherrschten, aber sich ganz einfach auf Jesu helfende und heilende Nähe verließen 3

  A. a. O., 57, 6 – 8.   A. a. O., 57, 13 – 17. 5   A. a. O., 60, 25 – 28. 4

554  Michael Beintker (z. B. Mt 8,10; 15,28; Mk 5,34.36), findet er den Glauben. Umgekehrt kann er den stets auf wahre Lehre und theologische Korrektheit erpichten Schriftgelehrten den Vorwurf nicht ersparen, dass sie über ihrer Rechtgläubigkeit das Wichtigste übersehen. Auch das Glaubensverständnis des Paulus ist dadurch ausgezeichnet, dass ihm die vertrauensvolle Bindung des Menschen an die Person des Gekreuzigten und Auferstandenen wichtiger war als die Stimmigkeit und Konsistenz eines Systems von Glaubensformeln: »Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wer mit dem Herzen glaubt, wird gerecht; und wer mit dem Munde bekennt wird selig« (Röm 10,9 f.). Man muss also auf jeden Fall den glaubenden Umgang mit den Bekenntnissen vor einem vom Glaubensvollzug abstrahierenden doktrinalen Missverständnis bewahren. Es darf nicht übersehen werden, dass den Aussagen, die mit »credo – ich glaube« einsetzen, eine sehr persönliche Komponente eignet: Sie geben etwas Bedeutsames von der Person preis, die so zu reden beginnt. Das bekennende Reden ist ein spezifischer Sprechakt des Glaubens, und zwar derjenige Sprechakt, in dem der oder die Sprechende die Entscheidung für Gott klar und unmissverständlich artikuliert – für den Gott, der sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist bereits für ihn oder sie entschieden und heilsam in ihr Leben eingegriffen hat. Aus der hinter dem bekennenden Reden stehenden Entscheidung des Glaubenden folgt, dass hier in exzeptioneller Weise Gewissheit ausgesagt wird: Gewissheit dessen, wofür man sich entschieden hat. Problematisierende Sätze haben in der Theologie ihr gutes Recht, aber ein Bekenntnis, in dem das Gesagte fortlaufend problematisiert, d. h. immer wieder neu in Frage gestellt würde, wäre ein Widerspruch in sich selbst. Bekenntnis ist verbindliche Rede oder – wie Luther wiederholt darlegte – assertorische Rede. Darin unterscheidet es sich von anderen Sprechakten des christlichen Glaubens. Die bekennende Person steht für das ein, wozu sie sich bekennt. Anderenfalls hätten wir es mit einem Lippenbekenntnis zu tun, also einem Bekenntnis, das eigentlich keines ist. Apostolikum und Nizäno-Konstantinopolitanum kommen dieser Sichtweise entgegen, in dem sie ihren jeweils drei Artikeln ein dem dreifachen Du des einen Gottes geltendes credo voranstellen: »Credo in unum Deum, patrem omnipotentem«, »Et in unum dominum ­Iesum Christum«, »Et in spiritum sanctum, dominum et vivifican-

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tem«,6 so im Nizäno-Konstantinopolitanum in seiner lateinischen Fassung. Dieses credo richtet sich nicht zuerst auf die mit dem dreifachen Du Gottes verbundenen Glaubensinhalte, sondern zuerst auf das göttliche Gegenüber des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes selbst, das in und mit den Formulierungen des Bekenntnisses ausgesagt und weiter präzisiert wird. In dieser Hinsicht müsste das Thema meines Vortrags eigentlich lauten: »Wem wir glauben sollen«, nicht aber »Was wir glauben sollen«. Die »Wem-Frage« steht, wenn der Glaube von seinem Charakter als Vertrauensakt her begriffen wird, auf jeden Fall vor der »Was-Frage«, die keineswegs unwichtig ist, mit der sich aber nur ein bedeutsamer Detailaspekt des Glaubensverständnisses abbilden lässt – nämlich der Aspekt der Zustimmung (assensus) zu den Inhalten des Bekenntnisses. Würde man diesen Aspekt für das Ganze des Glaubens setzen, so hätte man den Vertrauensakt als das Zentrum und die tragende Achse des Glaubens doktrinal überblendet und den gelebten Glauben um seine Mitte gebracht. Es gibt kein schlimmeres Missverständnis des Glaubens als seine Verwechslung mit der pflichtmäßigen Absolvierung eines Solls von Glaubensaussagen. Luther wusste sehr genau, dass mir die gelehrtesten und schönsten Aussagen über das Geheimnis Gottes und seine Zuwendung zur Welt und den Menschen nichts nützen, wenn sie nicht vom Lebensakt des Vertrauens zu Gott getragen und umgriffen werden. Vor der Intellektualität des Theologischen steht die Existentialität des Vertrauens in Gottes Gnade und Barmherzigkeit. »Ein solcher Glaube, der es wagt, auf Gott, wie von ihm gesagt wird, es sei im Leben oder im Sterben, fest zu vertrauen, nur der macht einen Christenmenschen und erlangt von Gott alles, was er will.«7 Mit dem einleitenden »ich glaube« halten Apostolikum und Nizäno-Konstantinopolitanum den sachlich begründeten Primat der fides qua creditur vor der fides quae creditur fest und bieten ein oft unterschätztes Potential gegen das Abgleiten des Glaubens in ein Fürwahr-halten und bloßes Akklamieren von Glaubenssätzen, mögen diese theologisch auch noch so stichhaltig sein.

6

  A. a. O., 49, Zeile 3 f.7 f.29 f.   M. Luther, Eine kurze Form der zehn Gebote, eine kurze Form des Glaubens, eine kurze Form des Vaterunsers (1520), WA 7, 194 – 229 (215,11 – 13), Übertragung nach: ders., Evangelium und Leben. Martin Luther Taschenausgabe IV, bearb. v. H. Beintker, Berlin 1983, 148 f. 7

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3.  Die Bedeutung der explizierten Glaubensaussagen Das bisher Gesagte kann nicht bedeuten, dass die im Bekenntnis getroffenen Glaubensaussagen vernachlässigt werden können. Sie sind darauf angelegt, das göttliche Gegenüber des Glaubens im Blick auf Grundzüge seines Wesens und Wirkens zu explizieren. Die einzelnen Sätze des Credos wollen grundlegende und unentbehrliche Näherbestimmungen des dreifachen göttlichen Du vermitteln. Wer Gott sein Vertrauen schenkt, ist nicht der Vieldeutigkeit ausgesetzt, sondern soll wissen, auf welche Wirklichkeit er sich einlässt. Die jeweiligen Ausführungen des Ersten, Zweiten und Dritten Artikels sind als Konkretionen des göttlichen Gegenübers zu lesen, für das sich der Glaubende gerade aufgrund dieser Konkretionen entschieden hat. Sie gelten einem Gegenüber, das liebend die Welt ins Dasein rief, dem von ihm abgefallenen Sünder um Christi willen Vergebung zuspricht, die Macht des Todes überwältigt und im Zeichen des kommenden Reiches Gottes alles neu macht. Das muss immer mitgedacht werden, wenn wir vom Vertrauensakt des Glaubens sprechen. Deshalb können solche Konkretionen keinesfalls abgewertet oder gar gegen den Vollzug des Glaubens ausgespielt werden. Der Glaube ist nicht sprachlos; er wird durch die worthafte Anrede des Evangeliums geweckt und drängt seinerseits auf worthafte Mitteilung und Weitergabe. Zwar ist nicht das alte Glaubensbekenntnis als solches Gegenstand des Glaubens. Aber man muss doch sagen: Gegenstand des Glaubens ist das in und mit den Formulierungen des Credos bekannte Gegenüber. Es kann kein von seiner sprachlichen Mitteilung und Auslegung losgelöstes dreifaches Du Gottes bekannt werden. So kann man das Bekenntnis als die konzentrierteste sprachliche Äußerung des Glaubens bezeichnen. Das gilt schon für die kurzen Bekenntnisformeln im Neuen Testament. Wer in den Ruf »kyrios Iesous«  – »Jesus ist der Herr« einstimmt, artikuliert nicht nur die fraglos kürzeste und zugleich gefüllteste Bekenntnisaussage, die es gibt, sondern tut zugleich kund, wem er gehört (und wem nicht!) und was ihn im Leben und im Sterben bestimmt. Und wenn dann in der Alten Kirche (besser: der Kirche des Anfangs) die Bekenntnistexte wachsen, indem sie sich gewissermaßen Satz für Satz aus diesem Urbekenntnis der Christenheit herauskristallisieren und sich um es herumgruppieren, dann geht es auch hier um die Konzentration auf das Wesentliche. Die Regel scheint gelautet zu haben: kein Wort zu viel und kein Wort zu wenig. Gemessen an den großen evangelischen

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Bekenntnistexten des 16. und 17. Jahrhunderts beschränken sich die altkirchlichen Bekenntnisse auf die entscheidenden Linienführungen. Sie entfalten nicht und verfahren erst recht nicht argumentativ, sondern sie wollen das Große und Ganze des christlichen Glaubens in wenigen einprägsamen Sätzen aussagen. Wer Christ wird, soll wissen, worum es geht und worauf er sich einlässt. Das hat ihnen jene herausragende Stellung verliehen, kraft derer sie sich der Christenheit über alle Generationen hinweg tief eingeprägt haben. Ihr Ansehen ist selbst dann noch fühlbar, wenn man sich anschickt, neue Bekenntnisse zu formulieren. Schon ihrem Gliederungsschema kann man nur schwer entkommen. Im Unterschied zum Lehrbekenntnis, welches bestimmte strittige Aspekte auf theologischer Reflexionsebene durchdenkt, will das klassische Glaubensbekenntnis die entscheidenden Grundgedanken des christlichen Glaubens als »Summa fidei« zur Aussage bringen. Seine Aussagen erfolgen thetisch – ohne ausdrückliche theologische Begründung – , und sie bedienten sich einer jedem Gemeindeglied verständlichen Aussageform. Die bei Augustinus und in der augustinischen Tradition aufkommende Rede vom Bekenntnis als einem »verbum abbreviatum« zeigt an, dass das Bekenntnis als Zusammenfassung der grundlegenden Aussagen der Schrift über Gottes Handeln an der Wirklichkeit von Mensch und Welt verstanden worden ist. Als eine solche Zusammenfassung ist das Bekenntnis nicht nur ein Instrument der Katechese, sondern zugleich eine hermeneutische Instanz für das Verstehen der Schrift. Denn das Glaubensbekenntnis sucht die Mitte christlichen Glaubens zu repräsentieren, und indem es das tut, artikuliert es ein »Vorverständnis«, von dem her Christen die Schrift lesen können. Es leitet dazu an, zentrale und periphere Schriftaussagen voneinander zu unterscheiden und nicht miteinander zu verwechseln. So ist das Glaubensbekenntnis Korrektiv gegen einen unkritischen Biblizismus, welcher mit Hilfe nichtakzentuierter Berufung auf Schriftstellen alles Denkbare begründen zu können meint. Es braucht hier nur angemerkt und nicht weiter ausgeführt zu werden, dass der hermeneutische Zirkel zwischen Schrift und Bekenntnis umgekehrt auch die kritische Prüfung des Bekenntnisses an der Schrift erfordert – vor allem die immer neu zu stellende Frage aufgibt, ob das Bekenntnis der in der Schrift bezeugten Mitte des christlichen Glaubens wirklich entspricht.

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4.  Das Glaubensbekenntnis als Kern christlicher Dogmatik Die konzentrierteste sprachliche Äußerung des christlichen Glaubens, als die ich das Bekenntnis charakterisierte, ist für drei Bereiche des kirchlichen Lebens bedeutsam: für die Katechese bzw. den Unterricht im Glauben, für den Gottesdienst und für die Theologie. Für alle drei Bereiche stellt es diejenigen Themen bereit, die auf jeden Fall behandelt werden müssen, wenn man den christlichen Glauben kennenlernen, mit ihm vertraut werden und verstehen möchte, an wen man glaubt. »Auf jeden Fall« heißt nicht, dass die mit den einzelnen Sequenzen des Bekenntnistextes verbundenen Vorstellungen und Deutungen kritiklos reproduziert werden müssten und keiner weiterführenden Interpretation fähig wären. Dazu später. Und »auf jeden Fall« schließt ein, dass die Sequenzen des Glaubensbekenntnisses um weitere Aussagen ergänzt und erweitert werden können. So müsste man heute den Ersten Artikel erweitern, um angesichts der westeuropäischen Krise des Gottesglaubens und des Transzendenzverlustes genauer auszusagen, auf welche Wirklichkeit sich der Glaube an Gott bezieht. Beim Zweiten Artikel würde man explizit den Weg des irdischen Jesus in seiner christologischen Bedeutung zur Sprache zu bringen, wohingegen dieser Weg in den alten Bekenntnissen auf die Stationen von Geburt und Kreuzestod im »passus – gelitten« zusammengedrängt ist. Beim Dritten Artikel legen sich soteriologische Näherbestimmungen nahe; die Rede von der »Vergebung der Sünden« kann nach der Reformation des 16. Jahrhunderts schwerlich am Rechtfertigungsartikel vorbeigehen. Es mag am trinitarischen Aufbau der alten Bekenntnisse liegen und damit an einer Vorgabe, von der schon sie selbst profitiert haben: Es fällt auf, dass dieser Aufbau als Gliederungsprinzip des Stoffs der christlichen Dogmatik Schule gemacht hat. Es gibt natürlich bedeutende Ausnahmen. Aber noch sie verraten die Schule, handelt es sich bei den Ausnahmen doch um Verschränkungen und aufschlussreiche Querverbindungen der drei Artikel des Glaubensbekenntnisses, die ihre Pointe eben darin haben, dass auch sie noch das trinitarische Prinzip voraussetzen. Sonst wären sie als Ausnahmen von der Regel gar nicht erkennbar. Auch in der Aufgliederung des dogmatischen Stoffes klingt noch der Rhythmus der einzelnen Artikel des Glaubensbekenntnisses durch. Man denke an die Abfolge von Pneumatologie, Ekklesiologie und Eschatologie, die durch den Aufbau des Dritten

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Artikels im Apostolikum und im Nizäno-Konstantinopolitanum regelrecht vorgebildet ist. Hier sind die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse vitaler, als man denkt. Letztlich haben sie sich ohne viel Aufhebens allen neuzeitlichen Versuchen zu ihrer Emeritierung oder gar Liquidierung widersetzt. Noch immer haben sie jede Generation neu zur Beschäftigung mit ihren Aussagen herausgefordert, wofür ja auch diese Tagung ein beredtes Beispiel gibt. Credo-Bücher, in denen Vertreter der dogmatischen Theologie die Essenz des Fachs in Anknüpfung an die einzelnen Sequenzen des Apostolikums zur Sprache bringen, sind nach wie vor gefragt. Die Idee, die Hauptprobleme der Dogmatik im Anschluss an das Apostolische Glaubensbekenntnis darzustellen  – so der Untertitel von Karl Barths im Jahr 1935 gehaltenen Utrechter Vorlesungen8 – hat manche Nachfolge gefunden. Ähnliches gilt für Wolfhart Pannenbergs Auslegung des Glaubensbekenntnisses vor den Fragen der Gegenwart9 und für die »Einführung in das Christentum«10 von Joseph Ratzinger. Später haben Hans Küng,11 Eberhard Busch12 und die Päpste Benedikt XVI.13 und Franziskus14 dogmatisch orientierte Auslegungen zum Apostolikum verfasst. Die mir bekannte jüngste theologische Rezeption des Apostolischen Glaubensbekenntnisses findet sich in der 2017 veröffentlichten Systematischen Theologie von Eilert Herms.15 Das umfangreiche Werk umfasst – traditionell gesprochen – Prinzipienlehre, Dogmatik und Ethik. Die dogmatische Abteilung steht unter der Überschrift »Das Wortbekenntnis des Glaubens«,16 ihr korrespondiert die Ethik 8  Vgl. K. Barth, Credo. Die Hauptprobleme der Dogmatik dargestellt im Anschluß an das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 1935. 9  Vgl. W. Pannenberg, Das Glaubensbekenntnis ausgelegt und verantwortet vor den Fragen der Gegenwart, Hamburg 1972. 10  Vgl. J. Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 1968 (122013). 11  Vgl. H. Küng, Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis  – Zeitgenossen erklärt, München / Zürich 1995. 12   E. Busch, Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis, Göttingen 2003. 13   Benedikt XVI., Credo. Meditationen zum Glaubensbekenntnis, Leipzig 2012. 14   Papst Franziskus, Credo. Was uns das Glaubensbekenntnis verspricht, hg. v. S. v. Kempis, Stuttgart 2015. 15  Vgl. E. Herms, Systematische Theologie. Das Wesen des Christentums: In Wahrheit und aus Gnade leben, Tübingen 2017. 16   A. a. O., 556.

560  Michael Beintker mit der Überschrift »Das Tatbekenntnis des Glaubens«.17 Der Sprecher des Glaubensbekenntnisses bekenne, was für ihn »in der Erschlossenheitslage seiner Lebensgegenwart […] als das Geschehensganze manifest ist, das die Bestimmtheit seiner Lebensgegenwart konstituiert«.18 Die vom Credo her vorgegebene Sprechersituation in der 1. Person bietet Herms die Möglichkeit, die Lebensgegenwart der bekennenden Person und seine durch das Credo ausgesagte Konstitution als Person in unlöslicher Wechselbeziehung – und das heißt: als Bildungsgeschehen – zur Sprache zu bringen. Das hatte Herms im grundlegenden Prinzipienteil bei der Betrachtung der Christusoffenbarung19 schon dargelegt. Das gegenwartskonstituierende und -bestimmende unverwechselbare Bildungsgeschehen sei das Geschehen der Christusoffenbarung, nämlich »die Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Schöpfers Himmels und der Erden, alles Sichtbaren und Unsichtbaren, also des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, für sein geschaffenes Ebenbild innerhalb des Geschaffenen im inkarnierten Sohn durch den Heiligen Geist (im Medium des Heiligen Geistes)«.20 Von da aus entwickelt Herms den dogmatischen Teil seiner Systematischen Theologie als eine am Leben der Person orientierte hochambitionierte Reflexionsparaphrase der einzelnen Sequenzen des Glaubensbekenntnisses, wobei er im oben beschriebenen Sinne über manche Aussagen des Bekenntnisses ergänzend und erweiternd hinausgeht, aber an keiner Stelle hinter ihnen zurückbleibt. Im Wortbekenntnis des Glaubens werde »die versöhnende und befreiende Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Schöpfers für sein geschaffenes Ebenbild innerhalb der geschaffenen Welt-des-Menschen in seinem inkarnierten Sohn / Logos durch den Heiligen Geist«21 zur Sprache gebracht. Der erste Artikel spreche von der Schaffung der Welt-desMenschen »als des Mediums für das Werden der vollendeten Gemeinschaft des Schöpfers mit seinem geschaffenen Ebenbild unter der Bedingung des lumen naturae«.22 Zweiter und Dritter Artikel sprechen gemeinsam von der Versöhnung und Befreiung des Menschen »durch die Versetzung der Welt-des-Menschen in das lumen gratiae«.23 Wie17

    19   20   21   22   23   18

A. a. O., 1169. A. a. O., 563. Vgl. a. a. O., 344 – 491. A. a. O., 563. A. a. O., 567. A. a. O., 574. A. a. O., 576.

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derum spricht das Credo in seiner Einheit vom dreieinigen Gott als dem einheitlichen Urheber des auf das Heilsziel strebenden Wirkens.24 So bringe es in seiner Gesamtstruktur und Gliederung »das in seiner Verwirklichung an uns und für uns manifeste Wesen und Wollen der Ursprungsmacht [d. h. des dreieinigen Gottes]« zur Sprache.25 Die Leistung dieser Systematischen Theologie besteht darin, dass ihr Autor den maßgeblichen Themenbestand der evangelischen Theologie über das Lebensphänomen des christlichen Glaubens und seiner Vollzüge erschließt. Das gilt auch für die Credo-Interpretation. Darin unterscheidet sich sein Verfahren von einer kerygmatisch-lehrgeschichtlichen Exposition der Themen einerseits und von ihrer subjekttheoretisch-anthropologischen Situierung andererseits. Der Reiz dieses – wie man sagen kann – phänomenologischen Vorgehens besteht darin, dass die zeitgenössischen Probleme und Fragen in den Kontexten der Moderne ohne jede Einschränkung aufgenommen und durchdacht werden und zugleich die Topoi des christlichen Bekenntnisses ohne Verkürzung zur Geltung gebracht werden, was der Argumentation eine hohe Begründungs- und Erschließungskraft verleiht. Auch wenn sich das noch nicht bei jedem Rezensenten herumgesprochen hat: Herms geht es um eine erklärungskräftige Beschreibung der Konstitution des Glaubens durch seinen Grund und Gegenstand und damit der Konstitution des christlichen Lebens. Die Glaubenserkenntnis des christlichen Lebens zielt auf die Bezeugung der gebildeten Lebensgewissheit eines Menschen und des Grundes und Gegenstandes solcher Gewissheit in der Christusoffenbarung. Das Bekenntnis der christlichen Gemeinde fungiert faktisch als Matrix, in der die Glaubensaussagen in der Erschlossenheit und Bestimmtheit von Lebensgegenwart verankert sind.

5.  Die Verbindlichkeit des Glaubensbekenntnisses und das Verstehensproblem Credo – ich glaube: Wir betrachten nochmals den Redemodus in der 1. Person Singularis, der als signifikantes Merkmal des bekennenden Redens gelten kann. Die Tatsache, dass hier »ich« gesagt wird, muss nämlich im Zusammenhang mit dem »wir« der Bekenntnisgemein24

  Vgl. a. a. O., 581.   A. a. O., 584.

25

562  Michael Beintker schaft gewürdigt werden, die gemeinsam »ich glaube« sagt. Demgemäß bietet der griechische Text des Nizäno-Konstantinopolitanums den synodalen Plural des »pisteuomen – wir glauben«,26 während die lateinische Übersetzung wie auch die deutsche Übersetzung in den lutherischen Bekenntnisschriften an dieser Stelle die 1. Person Singularis verwendet,27 was wohl auf den Gebrauch als Taufbekenntnis zurückzuführen ist. Im »Wir« der das Credo sprechenden Gemeinschaft kommt die Intersubjektivität des Glaubensbekenntnisses zum Vorschein. Hinter dem »Wir« steht die Gemeinschaft der Glaubenden, und zwar nicht nur die Gemeinschaft derer, die gerade das Credo sprechen, sondern auch die Gemeinschaft derer, die vor uns das Credo gesprochen haben und die es nach uns sprechen werden. Es geht hier nicht um eine besondere theologische Position neben anderen, einen theologischen Standpunkt innerhalb einer breiten Palette anderer theologischer Standpunkte. Vielmehr meldet sich ein gewachsener Konsens zu Worte, das Ergebnis eines intensiven gemeinsamen Nachdenkens der Kirche, das aus dem gemeinsamen Hören auf die Anrede der Schrift erwachsen ist. »Ecclesiae magno consensu apud nos docent […]«28 heißt es im ersten Artikel der Confessio Augustana. Das Bekenntnis ist Ausdruck eines mehr oder weniger großen Konsensus der Kirche. Dass es sich so verhält, zeigt bereits das neutestamentliche Wort für Bekenntnis: homologia bedeutet ursprünglich übereinstimmende Rede. Die Intersubjektivität von Bekenntnissätzen verbürgt die Identität und Kontinuität christlichen Glaubens und Verkündigens. Das uns mit der ganzen Christenheit verbindende Credo sorgt dafür, dass wir einander als Christen erkennen und uns über Epochen, Generationen und Kontinente hinweg mit den Gliedern der Kirche Jesu Christi in den grundlegenden Aussagen des christlichen Glaubens verstehen und verständigen können. Der Glaube ist – ekklesiologisch gesehen – nicht einfach dem individuellen Ermessen anheimgestellt, das sich in das unverbindliche Nebeneinander mehr oder weniger einleuchtender Pluralismen hinein auflösen lässt, sondern auf Gemeinschaft – communio  – hin angelegt. Es gehört zum Wesen der communio, dass sie in der Kommunikation über die Wirklichkeit des sie berufenden Gegenübers nicht zu einander ausschließenden Positionen gelangt, 26

 Vgl. BSELK 50, 7.   Vgl. a. a. O., 49, 3. 28   A. a. O., 93, 26. 27

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sondern im Hören auf die Anrede des Evangeliums ein gemeinsam verantwortetes Einverständnis erzielt. Die alten Bekenntnisse sind solenne Ergebnisse eines solchen gemeinsamen Einverständnisses. Und sie sind, weil sie vor den großen Spaltungen der Christenheit entstanden, ein nicht hoch genug zu schätzendes ökumenisches Gut. Sie erinnern Theologie und Kirche an die Verantwortung für die Bekenntnismäßigkeit ihrer Lehre. Es gibt bestimmte Unverträglichkeiten mit den Aussagen des Glaubensbekenntnisses, vor denen man nicht einfach die Augen verschließen darf. Früher hätte man hier von Häresien gesprochen, aber das Wort ist aus der Mode gekommen. Um einige Beispiele zu nennen: Die Infragestellung der Trinität Gottes, die Bestreitung der Auferstehung Jesu Christi oder die Verneinung des ewigen Lebens ist mit dem Bekenntnis nicht zu vereinbaren. Gleiches gilt im Blick auf Versuche, die Personalität Gottes als überholt darzustellen oder die Rede von der Sünde abzuschaffen. Das Glaubensbekenntnis ist in solchen Fällen ein oft stummer Zeuge für den Wahrheitsgehalt der christlichen Botschaft, den wir im starren Blick auf unsere Verstehensblockaden nicht leichtfertig verspielen sollten. Solche Verstehensblockaden begleiten die Rezeptionsgeschichte der alten Bekenntnisse verstärkt seit Beginn der Neuzeit. Einen ihrer markanten Höhepunkte haben sie im sogenannten Apostolikumstreit29 am Ende des 19. Jahrhunderts erfahren. Auf Phasen der Kritik folgten wiederum Phasen, in denen man die alten Bekenntnisse als maßgebliche Glaubenszeugnisse zu würdigen verstand. In meiner Studienzeit, die von den Debatten um die Entmythologisierung und um die Gott-ist-tot-Theologie bestimmt war, hätte man lieber die Unzeitgemäßheit der alten Bekenntnisse hervorgehoben und sie durch mehr oder weniger glückliche Neuformulierungen ersetzt. Der Umstand, dass man heute durchaus ihre Zeitgemäßheit postulieren kann, deutet auf eine Entkrampfung im Verhältnis zu den Lehrüberlieferungen der Kirche hin. Dabei ist durchaus damit zu rechnen, dass auch wieder Zeiten kommen werden, in denen man den Hauptton auf die Unzeitgemäßheit der alten Bekenntnisse setzen wird. Nach dem Gesetz der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen haben wir in unserer Kirche ohnehin immer mit Beidem zu rechnen. Verstehensblockaden braucht man aber nicht stehen zu lassen, eigentlich sind sie dazu da, dass man sie verkleinert und abbaut. Das 29   S. dazu H.-M. Barth, Apostolisches Glaubensbekenntnis, II. Reformations- und Neuzeit, TRE 3 (1978), 554 – 566 (560 – 562).

564  Michael Beintker theologische Nachdenken kann und soll hier weiterhelfen; das ist eine seiner vornehmsten Aufgaben. Das Nachdenken ist schon gefordert, wenn man das Weltbild vergegenwärtigt, das die alten Bekenntnisse voraussetzten: ein dreidimensionales Oben und Unten mit den Sphären von Himmel, Erde und Totenreich. Wir haben es gelernt, mit der Zeitgebundenheit solcher Verräumlichungen so umzugehen, dass ein Konflikt mit den astrophysikalischen Modellen von Einstein bis Hawking vermeidbar ist. Das ändert aber nur wenig an Reibungen mit bestimmten Aussagen: »descendit ad inferna, tertia die resurrexit a mortuis, ascendit ad coelos – niedergefahren zur Höllen, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel«.30 Der 1970 für den deutschen Sprachraum vorgenommenen Revision des Textes des Apostolikums war die Hölle so unheimlich, dass man daraus das »Reich des Todes« machte. Die im Urtext genannten »inferna« werden damit ganz gewiss nicht angemessen abgebildet. Aber was ist mit dem descensus ad inferna eigentlich gemeint? Die eine Deutung lässt unter Berufung auf 1 Petr 3,19 f.; 4,6 Jesus Christus im Reich des Todes zu den Menschen gehen, die ihn nicht kennenlernen konnten; ihnen verkündigt er zwischen Karfreitag und Ostern das Evangelium. Die andere Deutung sieht im descensus ad inferna den Weg in die Tiefen des Todes und damit eine Steigerung und anfechtungsvolle Intensivierung dessen, was man als Tod erfahren kann.31 Beide Deutungen sind tröstlich. Die Verkündigung des Evangeliums im Totenreich antizipiert den Gedanken, dass Gott sich mit Menschen versöhnen kann, die zu ihren Lebzeiten keine Berührung mit ihm hatten oder haben wollten. Die Vorstellung von der Intensivierung der Todesnacht, durch die Jesus geht, bringt zum Ausdruck, dass er die Macht des Todes gerade dadurch bricht, dass er unseren Todesweg konsequent durchschreitet, nicht nur unser Sein zum Tode, sondern auch unser Sein im Tode teilt und dass wir uns deshalb auch im Tod auf seine Nähe verlassen können. Ein beliebter Einwand gegen die Vertrauenswürdigkeit der alten Bekenntnisse besteht in der Feststellung, dass das »natus ex Maria virgine« (Apostolikum) oder »incarnatus est de spirito sancto et Maria virgine« (Nizäno-Konstantinopolitanum) an den uns bekannten biologischen Gesetzmäßigkeiten scheitere. Gegen die Auferstehung kann ein solcher Einwand auch vorgebracht werden, aber hier stellt sich die 30

  BSELK 42, 20 – 22.  Zu beiden Deutungen und ihren jeweiligen Vertretern vgl. E. Koch, Höllenfahrt Christi, TRE 15 (1986), 455 – 461. 31

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Beweislage komplizierter dar, weil sich die Möglichkeit des ewigen Lebens nicht mit letzter wissenschaftlicher Gewissheit ausschließen lässt. Im Blick auf die vom Credo behauptete Virginität Marias hätte die um Verstehen ringende Betrachtung nach der theologischen Funktion einer solchen Aussage zu fragen. Es muss ja bei aller Vergleichbarkeit mit einer menschlichen Zeugung auch die Unvergleichbarkeit ausgesagt werden, geht es hier doch um die Inkarnation des ewigen Gottessohnes. Das Athanasianum bringt diesen Aspekt zur Geltung, ohne auf die Virginität Marias Bezug zu nehmen, indem es von Christus sagt: »deus ex substantia patris ante saecula genitus, et homo ex substantia matris in saeculo natus – Gott ist er aus des Vaters Natur vor der Welt geborn, Mensch ist er aus der Mutter Natur in der Welt geborn«.32 Hier treffen die ewige Dimension des Lebens Gottes und die zeitliche Dimension des irdischen Menschenlebens aufeinander. Wenn man sich dazu entschließt, diesen Gedanken nicht auf der Linie der Geburt aus der Jungfrau zu artikulieren, wofür auch exegetische Gründe sprechen, dann kann und soll man das anders sagen, aber man sollte es in Entsprechung zum »geboren von der Jungfrau Maria« anders sagen und nicht gleich den in dieser Aussage verborgenen Wahrheitsgehalt stornieren. Aber auch da, wo man meint, schon verstanden zu haben, entstehen bei weiterem Nachdenken aufregende, weiterführende, das Verständnis ebenso korrigierende wie vertiefende Aufgaben der Interpretation. Ob wir fragen, was es heißt, Gott Vater zu nennen, von seiner Allmacht zu sprechen oder von seinem Wirken als Schöpfer, ob wir die Sinnimplikationen des »gelitten« und »gekreuzigt« untersuchen oder uns darüber wundern, dass die protestantische Übersetzung den Ausdruck »catholica ecclesia« nicht wörtlich nimmt und damit ihre evangelische Katholizität unsichtbar macht, ob wir besser verstehen wollen, was wir am Heiligen Geist haben und weshalb unsere Zukunft und damit das uns versprochene ewige Leben von der Vergebung der Sünden abhängt usw. usw.: Wenn wir nur damit anfangen und besser verstehen wollen, was unseren Glauben trägt, dann werden wir nie zu einem Ende gelangen  – jedenfalls nicht in diesem irdischen Leben. Das Verstehen dessen, was man glaubt, ist so beziehungsreich, dass wir, wenn wir unsere Erkenntnismöglichkeiten betrachten, einen lebenslangen Lernprozess einkalkulieren müssen. Das gilt für jeden Christenmenschen. Die Beschäftigung mit 32

  BSELK 59, 24 – 27.

566  Michael Beintker dem Glaubensbekenntnis ist nicht das Privileg von Theologinnen und Theologen, aber gerade Theologinnen und Theologen sollten sich auf diesen lebenslangen Lernprozess einstellen. Weil sie durch ihr Studium und ihre Profession über gewisse Erkenntnisvorsprünge verfügen und ihnen beachtliche Theoriestrategien zur Verfügung stehen, können sie schneller übersehen, dass auch sie Lernende bleiben und mit dem Entdecken und Verstehenwollen nicht aufhören dürfen. Übrigens: Auch das, was wir als bekannte Größe gerne voraussetzen, wenn wir das Apostolikum sprechen, wird bei solchem Nachdenken zur Unbekannten. Das Apostolikum beginnt im Deutschen mit dem Personalpronomen »ich«. Das ist so selbstverständlich, dass sich hier niemand wundert. Aber Sich-Wundern ist der erste Schritt zur Erkenntnis. Woher wissen wir so genau, wer dieses »Ich« ist? Wird uns nicht auch – je länger desto mehr – dieses »Ich« zu einem Rätsel? In dem »Ich« derjenigen, die »credo« sagen, steckt ein Geheimnis, dessen Aufhellung nicht weniger anspruchsvoll ist als die Aufhellung des Geheimnisses des dreieinigen Gottes. Man muss freilich Geheimnisse mögen, um sich das einzugestehen. Dann aber wird man auch entdecken, dass die Aufhellung des einen Geheimnisses und die Aufhellung des anderen Geheimnisses etwas miteinander zu tun haben, indem sie sich im Erkennen dessen, wer Gott ist und wer ich bin (und sein darf!) gegenseitig inspirieren und fördern.

Reflexionen zum Gebrauch des Apostolikums Jörg Frey / Anne Käfer

Zum Abschluss dieses Bandes und damit des gesamten exegetisch-systematisch-theologischen Gesprächs über das Apostolische Glaubensbekenntnis wollen wir einen Blick auf die praktischen Fragen des gegenwärtigen Gebrauchs des Apostolikums wagen: auf die Probleme und Hindernisse, die seinen Gebrauch begleiten und auf den möglichen Nutzen, den auch heutige Christinnen und Christen aus diesem alten und ökumenisch weltweit verbindenden Bekenntnis ziehen können – wenn es denn angemessen verstanden wird.1

1   Diese Fragen werden auch in der praktisch-theologischen Fachliteratur eher selten reflektiert. Vgl. die kurzen Hinweise bei M. Meyer-Blanck, Gottesdienstlehre, Neue Theologische Grundrisse, Tübingen 2011, 422 f.; etwas ausführlicher G. Ruhbach, Bekenntnisbildung und Bekenntnisbindung als theologisches Problem, dargestellt am Apostolischen Glaubensbekenntnis, in: Credo heute. Predigthilfen zum Glaubensbekenntnis, hg. v. T. Sorg, Stuttgart 1975, 15 – 31; A. Völker, Credo, in: Der Gottesdienst. Grundlagen und Predigthilfen zu den liturgischen Stücken, hg. v. H.-C. Schmid-Lauber / M. Seitz, Stuttgart 1992, 117 – 127; J. Neijenhuis, Liturgik. Gottesdienstelemente im Kontext, Göttingen 2012, 75 – 81. Die theologischen Lexika enthalten i. d. R. nur historische Artikel zum Apostolikum und z. T. eigene Artikel zum Apostolikumstreit, so schon die 1. Auflage der RGG von 1909: G. Krüger, Apostolikum, RGG 1 (1909), 599 – 601, und viel ausführlicher F. M. Schiele, Apostolikumstreit, RGG 1 (1909), 601 – 608; vgl. deutlich knapper in der aktuellen 4. Auflage von 1998: C. Markschies, Apostolicum, RGG4 1 (1998), 648 f.; D. Dunkel, Apostolikumstreit, RGG4 1 (1998), 650 f. Das EKL in der 3. Aufl. von 1986 bietet einen knappen systematischen Artikel: J. M. Lochman, Apostolikum, EKL3 1 (1986), 229 f.; daneben E. P. Meijering, Apostolikumstreit, EKL3 1 (1986), 230 f. Nur die TRE enthält in ihrem umfangreichen Artikel nach den historischen Teilen I (zu Antike und Mittelalter) und II (zu Reformations- und Neuzeit) einen dritten Teil aus der Feder des Praktischen Theologen Henning Schröer, der aber auch stark von historischen Informationen bestimmt ist: H. Schröer, Apostolisches Glaubensbekenntnis III. Praktisch-theologisch, TRE 3 (1978), 566 – 571.

568  Jörg Frey / Anne Käfer

1.  Der heutige Gebrauch des Apostolikums Ohne auf eine empirische Datenbasis zurückgreifen zu können, sollen zunächst einige Beobachtungen zur praktischen Bedeutung, d. h. zum Gebrauch des Apostolikums unter evangelischen Christinnen und Christen im deutschsprachigen Kontext zusammengetragen werden. Wo begegnen Menschen dem Apostolikum? Zunächst und vor allem in Gottesdiensten, im Rahmen von Tauffeiern, Konfirmationen, Abendmahlsgottesdiensten, an Festtagen oder auch gewöhnlichen Sonntagen – wenngleich bei weitem nicht immer und überall. Das heißt aber zugleich, dass die große Mehrzahl evangelischer Kirchenmitglieder, die Gottesdienste nicht oder nur sehr unregelmäßig besucht, dem Glaubensbekenntnis nicht oder nur sehr sporadisch begegnet. Die ältere Generation, zu der sich der Unterzeichnete auch schon zählen muss, hat das Credo noch im Konfirmandenunterricht auswendig gelernt und evtl. auch noch Luthers Erklärungen aus dem Kleinen Katechismus  – wenngleich viele dieser Formulierungen damals schon als unverstandene Formeln an den Konfirmanden vorbeigingen und die Erklärungen oft nur zusammengestottert oder heruntergeleiert wurden. Im reformierten Kontext der Schweiz ist derart Auswendiggelerntes noch viel weniger abrufbar, und gelegentlich begegnet selbst als unterscheidendes Merkmal der selbstbewusste Satz: »Die Lutheraner mögen es auswendig sprechen, wir Reformierten lesen es ab«,2 als ob sich damit schon eo ipso ein höherer Grad an Reflektiertheit und eigenem Denken verbände. Zugänglich für Gemeindeglieder ist das Apostolikum (neben anderen Glaubensbekenntnissen wie dem Nizäno-Konstantinopolitanum) i. d. R. im Gesangbuch, so in den verschiedenen Ausgaben des Evangelischen Gesangbuchs (EG) wie auch im Reformierten Gesangbuch (RG) der deutschsprachigen Schweiz, unter den Stücken zum Gottesdienst bzw. der Gottesdienstordnung. Doch obwohl moderne Gesangbücher oft auch als Andachts- und Gebetbücher für vielfältige Anlässe gestaltet sind, ist zu vermuten, dass dieser Text eher selten außerhalb gottesdienstlicher Vollzüge zur Sprache kommt. Auch dieser liturgische Vollzug des gemeinsamen Sprechens des Bekenntnisses – auswendig oder abgelesen – hat seine Tücken. Der Gebrauch, sich dazu zu erheben, verleiht dem Akt eine besondere Feierlichkeit. Das »Amen« am Ende lässt viele fälschlich vermuten, 2   So gehört in einem Gottesdienst von Lutheranern und Reformierten im Großmünster zu Zürich im Juni 2019.

Reflexionen zum Gebrauch des Apostolikums  569

es handle sich um ein Gebet. Die Körperhaltung der gottesdienstlich Rezitierenden – wenn der Blick nicht auf das Buch oder das Liturgieblatt fixiert ist – variiert zwischen freiem Geradeausschauen, gesenktem Blick oder auch der Gebetshaltung mit gefalteten Händen, ebenso variiert auch die Stimme zwischen unsicherem Mitmurmeln, gedämpftem Gebetston und entschlossener Bekennersprache. Unklar ist im Übrigen vielen, wer hier angeredet wird: die Pfarrerin oder der Pfarrer, die anderen Gottesdienstbesucher oder gar Gott selbst? Die Menschen außerhalb des Gottesdienstes vernehmen das Bekenntnis ja nicht, und im Büro oder auch im häuslichen Umfeld wird kaum jemand das Apostolikum rezitieren. Meist wird die liturgische Ansage des Apostolikums mit der Wendung verbunden, dass wir dieses Bekenntnis zu unserem christlichen Glauben »mit der ganzen Christenheit auf Erden«, d. h. in ökumenischer Verbundenheit mit allen oder zumindest sehr vielen Kirchen sprechen. Eine solche Einführung hat motivierende und begründende Kraft. Die Gemeinde wird aufgefordert mitzusprechen, weil eben diese Worte die »ökumenische« und darin weltweite Gemeinschaft von Kirchen und Denominationen manifestieren. Allerdings gibt es auch hier Stolpersteine. Dass das Credo die evangelischen Kirchen der Reformation vor allem mit der römisch-katholischen Kirche verbindet, ist offenkundig, doch was den Freunden der geistlichen Musik aus zahllosen Mess-Kompositionen in lateinischen Formulierungen im Ohr klingt, ist nicht das Apostolikum, sondern das Nizäno-Konstantinopolitanum in seiner durch das Filioque charakterisierten westlichen Form. Dass die Ostkirchen diese Ergänzung nach wie vor dezidiert ablehnen, mag für unsere eigene kirchliche Perspektive marginal sein; wichtiger ist freilich, dass das Apostolikum selbst als ein in der lateinischen Tradition geformtes Bekenntnis in den östlich-orthodoxen Kirchen gar nicht im Gebrauch ist, wenngleich es nichts enthält, das dem mit diesen gemeinsamen »orthodoxen« Glauben widerspräche. Doch ist die ökumenische Weite des Apostolikums somit begrenzt. Um diese zu dokumentieren, müsste man eher das Nizäno-Konstantinopolitanum (ggf. in der Form ohne das Filioque) sprechen. Doch auch im gemeinsamen deutschen Sprechen des Apostolikums liegen Fußangeln, die die Rezitierenden im sonst harmonischen Sprechchor irritieren müssen: Die in ökumenischer Gemeinsamkeit 1970 / 71 erstellte revidierte deutsche Übersetzung differiert auffällig im dritten Artikel: Während Katholiken selbstverständlich »die heilige katholische Kirche« bekennen, konnten sich Lutheraner und

570  Jörg Frey / Anne Käfer Reformierte, um die naheliegende Verwechslung mit der römisch-katholischen Kirche zu vermeiden, nur auf ein Bekenntnis zum Heiligen Geist als »die heilige christliche Kirche« (Lutheraner) oder »die heilige allgemeine Kirche« bzw. durch Kombination um ein Element verlängert »die heilige allgemeine christliche Kirche« (Unierte und Reformierte) verständigen. Das gemeinsame Rezitieren bringt somit vor allem Lutheraner und Reformierte »aus dem Takt« und erinnert in jedem Gottesdienst schmerzlich daran, wie das gemeinsame Bekennen des christlichen Glaubens selbst unter Evangelischen von Abgrenzungsbedürfnis und Theologengezänk vergällt ist. Blickt man über den Kreis der evangelischen Landeskirchen im deutschsprachigen Raum hinaus auf den vielfältigen Kreis von evangelischen Freikirchen und Bewegungen, so ist dort die Bedeutung des Apostolikums noch deutlich geringer. Dahinter steht nicht nur die schon vom Pietismus gegenüber der lutherischen Orthodoxie betonte Aspekt der Subjektivität und Individualität3 und die verbreitete Betonung der alleinigen Autorität der (leider oft flächig und wenig tiefenscharf verstandenen) Bibel gegenüber späteren Glaubensformulierungen. Wie in der Reformationszeit wurden auch in den vielfältigen kirchlichen Aufbrüchen und Neugründungen immer wieder Glaubenssätze formuliert, teils in Bemühung um eigene Identitätsbildung, teils in betonter Abwehr »moderner« Auffassungen. Doch haben diese in Gottesdienst, Lehre und Gemeindeleben dieser Gemeinden meist keine Bedeutung, wenngleich die Sätze des Apostolikums in diesen eher konservativen Gemeindekreisen durchaus Zustimmung finden können.

2.  Hindernisse im Gebrauch des Apostolikums Deutlicher sind die Hindernisse im Gebrauch des Apostolikums dort, wo im Rahmen eines dezidiert modernen Paradigmas und im Gefolge der historisch-kritischen Erforschung der biblischen Texte die traditionellen Glaubensaussagen problematisiert werden  – ggf. in der Meinung, hier wäre den Gottesdienstbesuchern eine einfach 3   S. dazu R. Leonhardt, Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche, in: J. Herzer / A. Käfer / J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018, 55 – 82 (65).

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zu glaubende »Wahrheit« von der Kirche zu glauben vorgegeben, ja als etwas Fremdes (»heteronom«) übergestülpt. So geraten besonders im gottesdienstlichen Rahmen die festen Formulierungen des Bekenntnisses und das subjektive Freiheitsbewusstsein oder auch die momentane individuelle Befindlichkeit in Konflikt, denn während die Gottesdienstbesucher einer Predigt noch in selbst gewählter Distanziertheit zuhören können, werden sie im Credo (wie im Singen von Kirchenliedern und beim Gebet, zumindest dem Vaterunser) selbst aktiv, sodass mit einzelnen Formulierungen kritische Fragen oder gar ein Distanzempfinden besonders leicht aufkommen können. Der vom Liturgen oder der Liturgin initiierte Akt des gemeinsamen Bekennens wird dann als unbotmäßige Zumutung empfunden, und die Irritation ist in der gottesdienstlichen Situation nicht unmittelbar zu beseitigen, sondern allenfalls durch spätere Gespräche zu bearbeiten. Bei einer Fortbildung für Pfarrpersonen in der Schweiz formulierte einer der Teilnehmer: »Wenn ich meine Gottesdienstbesucher einladen würde, aufzustehen und das Apostolische Glaubensbekenntnis zu sprechen, würden einige hoch erhobenen Hauptes die Kirche verlassen und sagen: Ich lass mir doch nicht vom Pfarrer vorschreiben, was ich zu glauben habe.« Mag dies ein spezieller Ausdruck der Verbindung einer dezidiert »liberalen« reformierten Prägung mit schweizerischem Freiheitspathos sein, so äußert sich die Distanznahme doch bei vielen anderen still und stumm, wenn sie bestimmte Zeilen, wie etwa die Aussagen der Jungfrauengeburt oder der Auferstehung Jesu, nicht mitsprechen, weil diese Aussagen ihnen momentan oder generell nicht nachvollziehbar oder zustimmungsfähig sind. Das Problem stellt sich analog natürlich auch im Blick auf andere traditionelle Texte, etwa von Kirchenliedern, und die immer neuen Versuche der entschärfenden Adaption (oder Streichung) bestimmter Strophen in neueren Gesangbüchern dokumentieren dieses Problem. Im Hintergrund steht natürlich die fortschreitende Individualisierung und Differenzierung der Glaubensverständnisse und der Glaubenspraxis in unserer zunehmend religiös pluralen Gesellschaft, auch unter Mitgliedern der evangelischen Kirchen. Ein enger definiertes Glaubensverständnis, das aber dann leicht »gesetzliche« oder »fundamentalistische« Züge annehmen kann, findet sich eher bei konservativ-evangelikalen Kirchen und Organisationen, mit der problematischen Kehrseite, dass diejenigen, die dogmatisch oder auch ethisch den jeweiligen Standards nicht entsprechen (können), allzu oft verurteilt oder verstoßen werden und dann bestenfalls in »libe-

572  Jörg Frey / Anne Käfer raleren« evangelischen Kirchen eine Heimat finden können, oft aber so nachhaltig enttäuscht oder verletzt sind, dass sie keinen weiteren Zugang zum christlichen Glauben mehr finden. Im Hintergrund steht die schwierige Frage, wie sich die im Evangelium zugesprochene und zu einem heilvollen Leben notwendige Freiheit mit der bekenntnishaften Bestimmtheit des christlichen Glaubens verbinden kann. Für die Praxis des Apostolischen Glaubensbekenntnisses (oder anderer Bekenntnisse) stellt sich mithin die zweifache Herausforderung, das Missverständnis dieser Bekenntnisse als einer Liste vorgelegter und von den Glaubenden abzuhakender oder »abzunickender« Glaubensaussagen (credenda) zu vermeiden und zu verhindern, dass Glaube generell als ein heteronomer Akt der Akzeptanz historischer Fakten oder dogmatischer Satzwahrheiten wahrgenommen wird. Vielleicht ist es hier hilfreich, sich auf den ursprünglichen Sitz im Leben solcher Bekenntnisse zu besinnen, den Akt der Taufe oder eben auch die Situation, in der wir von anderen nach unserem Glauben und unserer Hoffnung gefragt werden und dann hoffentlich nicht verstummen, sondern antworten können. Die Verlegenheit und verbreitete Sprachlosigkeit zeigt sich, wenn inzwischen aufgrund der jüngeren Migrationsbewegungen z. B. in Schulklassen Muslime ihre christlichen Nachbarn fragen, was sie denn eigentlich glauben und wie dieser Glaube zu verstehen sei. Die Spannung zwischen dem subjektiv-individuellen Glaubensverständnis und der bekenntnismäßigen Bestimmtheit des christlichen Glaubens stellt sich insbesondere für Theologinnen und Theologen, die sich für das geistliche Amt vorbereiten und schließlich ordinieren lassen und dabei – gemäß der Ordnung der jeweiligen Kirchen – ggf. auf bestimmte Bekenntnisse der Reformationszeit (so im Luthertum das Konkordienbuch oder Teile davon; in der reformierten Tradition den Heidelberger Katechismus, teilweise ergänzt durch die Barmer Theologische Erklärung)4 verpflichtet werden. Dieser kirchenrecht4   S. etwa die im Blick auf die reformatorischen Bekenntnisse verschiedene Optionen offen lassende, aber im Blick auf die altkirchlichen Bekenntnisse und die Barmer Theologische Erklärung eindeutige Formulierung im Ordinationsgesetz der Evangelischen Kirche im Rheinland § 3: »Bei der Ordination erfolgt die Verpflichtung auf das Zeugnis der Heiligen Schrift, wie es ausgelegt ist in den drei altkirchlichen Glaubensbekenntnissen sowie in den lutherischen Bekenntnisschriften unserer Kirche: dem Augsburgischen Bekenntnis, der Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln, dem Großen und dem Kleinen Katechismus Martin Luthers oder in der reformierten ­Bekenntnisschrift unserer Kirche: dem Heidelberger Katechismus oder in den reformatorischen

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liche Gebrauch der Bekenntnisse (und darunter in der Regel auch des Apostolikums) als einer fixierten Lehrnorm,5 durch die bei der Taufe der jeweilige »Bekenntnisstand« konstituiert und bei der Ordination von Geistlichen im sogenannten »Ordinationsvorhalt« die Norm der von den Ordinanden einzuhaltenden Lehre definiert wird, bildet den sachlichen Rahmen, der schon Ende des 19. Jahrhunderts im sogenannten Apostolikumstreit6 zum Konflikt führte und der einzelne Landeskirchen v. a. in der Schweiz dazu brachte, die Bekenntnisbindung insgesamt aufzugeben.7 Ob eine solche Bekenntnisfreiheit oder die sporadische Formulierung neuer, zeitgemäßer Bekenntnisse die evangelische, in diesem Fall reformierte, Identität der Kirche und ihrer Verkündigung zu wahren und zu sichern vermag, sei dahingestellt. Doch ist schon die in den jeweiligen Kirchenordnungen und Ordinationsversprechen in unterschiedlicher Weise formulierte Abstufung der Verpflichtung auf das Evangelium, die Heilige Schrift und die Bekenntnisse der Kirche ein Hinweis darauf, dass die Bekenntnisse auch für kirchliche Verkündigerinnen und Verkündiger niemals »Glaubensforderung« oder »Gesetz« sein können, sondern stets dynamisch und kritisch auf die Schrift und das Evangelium zu beziehen sind. Die hermeneutische Aufgabe, das Bekenntnis und seine Inhalte im Rückgriff auf die Schrift und in kritischer Reflexion zu verstehen, ist damit unabdingbar gestellt. Gerade die Aufgabe, das Evangelium zu verkündigen und den christlichen Glauben dem Evangelium gemäß zu vermitteln, setzt eine Reflexion über die Aussagen des Bekenntnisses und ihr angemessenes Verständnis voraus. Dies impliziert z. B. die Aufgabe, das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer im Horizont heutiger Naturerkenntnis zu verstehen oder den Sinn der Aussagen von der Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist im Rahmen der Einsicht in den Ursprungssinn der betreffenden Schriftaussagen nicht biologis­ ekenntnisschriften unserer Kirche und wie es aufs Neue bekannt worden B ist, in der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen« (https://www.kirchenrecht-ekir.de/document/3056, zuletzt abgerufen am 23. 06. 2019). 5   S. dazu Schröer, Glaubensbekenntnis (s. Anm. 1), 569 f. 6   S. dazu die o. Anm. 1 genannte Literatur. 7   Die Zürcher Landeskirche veröffentlichte 1866 eine revidierte Liturgie mit optionalen Formularen für Taufe und Abendmahl ohne das Apostolikum, im Thurgau wurde 1874 das Apostolikum abgeschafft, andere Landeskirchen folgten, s. ausführlich R. Gebhard, Umstrittene Bekenntnisfreiheit. Der Apostolikumstreit in den Reformierten Landeskirchen der Deutschschweiz im 19. Jahrhundert, Zürich 2003.

574  Jörg Frey / Anne Käfer tisch-fundamentalistisch, sondern als eine einzigartige christologische Qualifikation zu begreifen. Dies aber ist kein bloß zu glaubender oder gar zwingend historisch zu verstehender Satz, sondern eine für vielerlei Deutungen offene Aussage. Gerade die Fähigkeit, solche Aussagen sachgemäß zu interpretieren, ist für ordinierte Theologinnen und Theologen bzw. ordentlich zur öffentlichen Verkündigung berufene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche unabdingbar; sie stehen mit ihrem hermeneutischen Sachverstand dafür ein, dass die Kirche dem Evangelium verpflichtet bleibt und nicht in falsche Gesetzlichkeiten und unevangelische Praktiken abgleitet. Deshalb braucht die evangelische Kirche gut (und eben auch kritisch) ausgebildete Theologinnen und Theologen. In reflektierter Weise für die Reinheit und Identität des Evangeliums einzutreten, ist deren ureigene Aufgabe, die auch im Pfarramt nicht von anderen Aufgaben überwuchert werden sollte und letztlich auch nicht durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Qualifikationen gleichermaßen übernommen werden kann. Theologische Unterscheidungs-Kompetenz ist durch Spiritualität, Didaktik oder Management-Kompetenz nicht zu ersetzen, sondern nur zu ergänzen. Die Aufgabe, den Glauben immer wieder neu und in eigenen, zeitgemäßen Formulierungen zur Sprache zu bringen, wird durch die Bindung an die übernommenen Bekenntnisse und deren kriteriale Funktion keineswegs eingeschränkt oder gar obsolet. Doch bietet die weitere Verwendung alter, überkommener Bekenntnisformulierungen eine größere und temporal wie lokal entschränkte Kontextualisierung aller gegenwärtigen Glaubensformulierungen, sie zeigt, dass die Reduktion des Bekenntnisses auf das im Augenblick von einzelnen Subjekten wie auch von einer kirchlichen Gemeinschaft Formulierte der historischen und ökumenischen Weite des christlichen Glaubens nicht gerecht werden kann. Anstelle der oft bald als reduktiv zu erkennenden8 Neuformulierungen ist ein Verstehen der überkommenen Formulierungen notwendig, das diese dynamisch in den Horizont der zeitgenössischen Natur- und Welterkenntnis stellt und gerade darin der Freiheit des Evangeliums entspricht.

8

 Vgl. Leonhardt, Bedeutung (s. Anm. 3), 73.

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3.  Vom Nutzen des Apostolikums Viele Befürchtungen und auch Widerwille sind mit dem Credo und insbesondere mit dem gemeinschaftlichen Sprechen dieses Bekenntnisses im Rahmen eines Gottesdienstes verbunden. Dabei hat das Bekenntnis geradezu unterstützende Funktion für das Glaubensleben eines Christenmenschen. Anfänglich, zur Zeit seines Werdens wurde das Apostolikum vornehmlich als Taufbekenntnis verwendet.9 Wer beabsichtigte, das Sakrament der Taufe zu empfangen, der bekannte zuvor sein Vertrauen auf den dreieinigen Gott mit den Worten des Credos. Er bekannte sich zu dem, von dem er erkannt hatte, dass ihm allein das eigene Leben vollumfänglich verdankt ist. Von dieser Einsicht in die Schöpfermacht Gottes ist das Bekenntnis gerahmt. Es beginnt mit dem Glauben an Gott den Schöpfer und endet mit der Aussicht auf das durch das Wirken des Heiligen Geistes eröffnete ewige Leben. Mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis äußern die Glaubenden also uneingeschränkte Lebenszuversicht. Sie sprechen das Vertrauen aus, dass Gott, der Leben schafft, den je eigenen Tod überwindet, und zwar den Tod mitten im Leben wie den Tod, der das irdische Dasein endet. Die Einsicht in diese Todesüberwindung ist durch das mitten im Apostolikum genannte Christusgeschehen gewährt. So wie der Inkarnierte starb und auferstand, stirbt und aufersteht mit Christus auch der glaubende Mensch. Dies vergegenwärtigt und veranschaulicht die Taufe, bei der der Täufling in den Sündentod untergetaucht und zum seligen Glaubensleben herausgehoben wird. Todesüberwindung mitten im Leben, dies gewährt das Sakrament der Taufe. Denn bei seinem Vollzug wird das menschliche Geschöpf in den Lebensvollzug Christi hineingenommen, und es folgt dem Inkarnierten nach aus dem Sündentod heraus ins ewige Leben.10 Wird die Taufe als Auferstehung aus dem Sündentod verstanden, den Christus bereits überwand, dann sollte um dieser unermesslichen und lebenslangen Heilsrelevanz willen die einmalige Taufe auch als fortwährende Angelegenheit im Leben eines Christenmenschen zur Geltung kommen. Überhaupt ist es nötig, dass der Getaufte während seines Lebensvollzugs immer wieder im Glauben die Sünde überwindet und seinen Gang zum ewigen Leben bedenkt.

9

  S. hierzu den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band.   S. hierzu Röm 6 und die Interpretation von Jens Herzer in diesem Band.

10

576  Jörg Frey / Anne Käfer »Mag auch ihre Durchführung schnell beendet sein, so währt doch die Sache, die sie bedeutet, bis zum Tod, ja bis zur Auferstehung am Jüngsten Tag. Solange nämlich, wie wir leben, tun wir immerfort das, was die Taufe bedeutet: Wir sterben und erstehen wieder auf. Wir sterben, sage ich, nicht nur gefühlsmäßig und geistlich, indem wir den Sünden und den Eitelkeiten der Welt den Abschied geben, sondern ganz wirklich fangen wir damit an, das leibliche Leben hinter uns zu lassen, um nach dem zukünftigen zu greifen, so dass sich, wie man sagt, ein ganz realer und leiblicher Übergang aus dieser Welt hin zum Vater ereignet.«11

Dieser transitus ad patrem,12 den Luther als lebenslängliches Rechtfertigungsgeschehen beschreibt, wird immer wieder dann bewusst beschritten, wenn einem Christenmenschen das eigene Getauftsein gegenwärtig ist und er geradezu in seine Taufe »zurückkriecht« (reditus ad baptismum13). Mit der Taufe ist dem glaubenden Menschen das eigene geschaffene Leben zu einem Leben in der Nachfolge des Gekreuzigten und Auferstandenen geworden; vollendet wird es mit der Auferstehung aus dem biologischen Tod hin zur ewigen Gemeinschaft mit dem allmächtigen Vater. Indem der Glaubende und bereits Getaufte sich mit den Worten des Apostolikums zum dreieinigen Gott bekennt, lässt er sich zugleich durch diese Worte daran erinnern, dass das eigene Leben und Glaubensleben vollumfänglich in Gottes Schöpferwirken gründet; vom Schöpfer des Himmels und der Erde ist ihm Leben gegeben,

11   M. Luther, De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium; die deutsche Übersetzung stammt von R. und R. Preul und ist entnommen aus: Martin Luther, Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, Bd. 3, hg. v. G. Wartenberg / M. Beyer, eingel. v. W. Härle, Leipzig 2009, 173 – 375 (275). Der lateinische Originaltext steht in WA 6,484 – 573 (534), Z. 32 – 39: »Licet enim usus eius subito transeat, tamen res ipsa significata durat usque ad mortem, immo resurrectionem in novissimo die. Quam diu enim vivimus, semper id agimus, quod baptismus significat, id est, morimur et resurgimus, Morimur, inquam, non tantum affectu et spiritualiter, quo peccatis et vanitatibus mundi renunciamus, sed revera vitam hanc corporalem incipimus relinquere et futuram vitam apprehendere, ut sit realis, quod dicunt, et corporalis quoque transitus ex hoc mundo ad patrem.« 12  S. zum Verständnis vom lebenslänglichen Sterben als transitus auch die Beiträge von Christina Hoegen-Rohls und Henning Theißen in diesem Band. Vgl. zum Tod als transitus auch S. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, in: ders., Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, hg. v. H. Diem / W. Rest, aus dem Dänischen übers. v. W. Rest / G. Jungbluth / R. Lögstrup (dtv 13 384) München 22007, 36 f.: »[C]hrist­lich verstanden ist der Tod selbst ein Durchgang zum Leben.« 13   M. Luther, Der Große Katechismus, Von der Tauffe, BSELK 1131, 22 f.

Reflexionen zum Gebrauch des Apostolikums  577

durch den gekreuzigten und auferstandenen Inkarnierten ist er aus dem Sündentod erlöst und der Heilige Geist führt ihn ins ewige Leben. Das ganz und gar nicht leicht zu erfassende Schöpferhandeln Gottes, dessen Ausdruck schon deshalb eine sprachliche Herausforderung ist, weil es sich hierbei um ein nahezu unanschauliches Wirken handelt, ist in die einfachen, kurzen Sätze des Apostolikums gefasst. In seiner poetischen Knappheit skizziert das Bekenntnis Bilder, mit deren Hilfe der Glaubende seines Glaubens vergewissert werden kann. Denn das jeweilige Gottvertrauen kann in den eingängigen Zeilen nicht nur Ausdruck finden, vielmehr wird dem Glaubenden das ausgedrückte Vertrauen in den ausgesprochenen Wortbildern auch als zutreffend widergespiegelt.14 Vor allem aber das gemeinschaftliche Aussprechen des Textes kann dazu führen, dass das eigene Gottvertrauen gestärkt wird. Denn beim gemeinschaftlichen lauten Sprechen ist aus dem eigenen Mund wie aus den Mündern anderer Christinnen und Christen zu hören, welches Heilswirken der Dreieinige an seinen Geschöpfen vollzieht. Der hörende Empfang kann dazu beitragen, des eigenen Glaubens und Getauftseins erinnert und vergewissert zu werden. So hat das Bekenntnis einerseits auch den Charakter eines Verkündigungstextes, der mit den Ohren vernommen und mit dem schließenden »Amen« bestätigt wird. Andererseits kann es wie ein Gebet fungieren, das mit einem bekräftigenden »Amen« endet, weil es dem Sprechenden das vertrauende Einlassen auf das allmächtige Wirken Gottes eröffnet – solches gewährt in besonderer Weise das Vaterunser mit seiner Bitte »dein Wille geschehe«. Damit das bekannte und bestärkte Vertrauen auf Gott und sein schöpferisches Wirken nicht blind und blöde ist, bedarf es in Verbindung mit dem Bekenntnis der Verkündigung des Evangeliums, bei der die kurzen Zeilen des Bekenntnisses in Predigtlänge beleuchtet und interpretiert werden. Die knappen Bekenntnissätze, die sich biblischer Überlieferung bedienen, bedürfen einer Auslegung, die vor allem auch auf systematisch-theologischen Reflexionen basiert, damit die Bekenntniszeilen ebenso wenig wie die Bibel selbst als buchstäbliche Glaubensvorgaben missverstanden werden. Wesen und Wirken Gottes, wie sie im Apostolikum zusammengefasst sind, sollten gleich wie die Relevanz des Taufgeschehens immer wieder verständlich dargelegt werden. Erkennend und verstehend kann dann der Hörende die Aus14

  S. hierzu die Ausführungen von Michael Beintker in diesem Band.

578  Jörg Frey / Anne Käfer sagen des alten Taufbekenntnisses als glaubensbestärkend erleben. Denn es zeichnet ihn nun aus, sehenden Auges dem Geoffenbarten zu vertrauen. Und nur dann ist aus evangelischer Sicht wahrhaft von Glaube die Rede, wenn dieser als vertrauensvolles Einlassen auf das erlebte (und damit offenbar gewordene) Schöpferwirken Gottes verstanden wird. Wird dieses Glaubensverständnis beachtet, muss gerade nicht gefürchtet werden, das im evangelischen Gottesdienst gesprochene Apostolikum verlange ein gehorsames Fürwahrhalten von Buchstabenfolgen. Schließlich kann der Bekenntnistext sogar als Lesehilfe bei der Lektüre der biblischen Zeugnisse dienen. Er kann diese Lektüre insofern orientieren, als er das schöpferische Wirken des Dreieinigen in drei Artikeln auf den Punkt bringt und deutlich werden lässt: Gottes Wirken, das Leben gibt, Leben in Fülle und Seligkeit, ist die Sache des Evangeliums. Im Bewusstsein dieses Schöpferwirkens ist eine Bibellektüre möglich, die das Evangelium nicht mit lebensbeschränkenden Forderungen verwechselt, sondern als befreiend wahrnimmt. Indem das Apostolikum als geradezu handlicher Umgang mit der Unfassbarkeit des göttlichen Wesens und Wirkens gebraucht wird, nutzt es der Bibellektüre und insbesondere ist es von Nutzen für das Glaubensleben der Getauften. Lassen sich diese sprechend auf den Bekenntnisverlauf ein, der von der Ewigkeit Gottes des Vaters über den Tod des Inkarnierten hinaus in die Ewigkeit des geistgewirkten Lebens in Gottesgemeinschaft führt, kann ihnen die eigene Taufe, bei der dieser Weg für jeden Täufling vollzogen wird, immer wieder vertrauensstärkend zu Bewusstsein kommen. Mit der Taufe, die durch den Sündentod zum ewigen Leben führt, ist der Anfang eines Lebens mit Gott gemacht, das Christenmenschen bejahen, indem sie ihr Vertrauen auf Gott den Dreieinigen laut und damit auch verbindlich werden lassen. Die Treue, die der ewige und allmächtige Schöpfer in der Taufe zugesagt hat, die erwidern die Bekennenden.

Biogramme der Autorinnen und Autoren Reinhard Achenbach, Professor für Altes Testament an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Alttestamentliche Literatur- und Religionsgeschichte, Pentateuchforschung, altorientalische und biblische Rechtsgeschichte. Carsten Baumgart, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie (Neues Testament) der Technischen Universität Dortmund. Forschungsschwerpunkt: Evangelisch-Katholische Exegese – ein Vergleich (Dissertationsprojekt). Michael Beintker, Professor em. für Systematische Theologie und ehemaliger Direktor des Seminars für Reformierte Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Zentrale Themen der Systematischen Theologie im Kontext der reformierten Bekenntnisbindung, insbesondere Gotteslehre, Soteriologie und Ekklesiologie, Theologie der Neuzeit, insbesondere Karl Barth und sein Umfeld. Lutz Doering, Professor für Neues Testament und antikes Judentum und Direktor des Institutum Judaicum Delitzschianum an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Qumrantexte, Jüdische Religion in hellenistisch-römischer Zeit, tannaitische Literatur, Tora, Halacha und Feste im antiken Judentum und ihre Rezeption im frühen Christentum, Epistolographie und Kommunikation im antiken Judentum und frühen Christentum, synoptische Evangelien. Jörg Frey, Professor für Neutestamentliche Wissenschaft mit Schwerpunkt Antikes Judentum und Hermeneutik an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Forschungsschwerpunkte: Johanneische Literatur, Katholische Briefe, antikes Judentum (Qumran, Apokalyptik), Judenchristentum und die frühchristliche apokryphe Literatur sowie Themen der Exegese und Theologie des Neuen Testaments. Peter Gemeinhardt, Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. For-

580  Biogramme der Autorinnen und Autoren schungsschwerpunkte: Christentum und Bildung im Vergleich der spätantiken Religionskulturen, Hagiographie, Dogmengeschichte (bes. Trinitätslehre). Hans-Peter Grosshans, Professor für Systematische Theologie und Direktor des Instituts für Ökumenische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Systematische Theologie, Religionsphilosophie, Ökumenische Theologie, Religion in der Moderne, der weltweite Protestantismus in der Gegenwart. Jens Herzer, Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Forschungsschwerpunkte: Paulus und paulinische Briefliteratur, insbes. Pastoralbriefe, Geschichte und Literatur des Frühjudentums. Eike Christian Herzig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Reformierte Theologie und am Institut für Ökumenische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Theologische Rezeption der Philosophie Martin Heideggers, Hermeneutische Theologie, Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Christina Hoegen-Rohls, Professorin für Bibelwissenschaften und ihre Didiaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: Johanneische Theologie und nachösterliche Hermeneutik, Paulusbriefe / Neuheit bei Paulus / Briefliche Hermeneutik, literarische Bibelrezeptionen (Altes und Neues Testament), Biblische Didaktik: Wundergeschichten und Psalmen. Sabine Joy Ihben-Bahl, Dr. theol., Vikarin der evangelisch-reformierten Kirche in Göttingen. Forschungsschwerpunkte: Der Angstbegriff bei Paul Tillich (Dissertation), Angst und Gottesfurcht, Möglichkeiten natürlicher Gotteserkenntnis, die Theologie Johannes Calvins. Michael R. Jost, Dr. theol., Assistent am Institut für Neues Testament der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Forschungsschwerpunkte: Frühjüdische Literatur (Qumran), frühjüdische und frühchristliche Angelologie, Johannesevangelium (Pneumatologie), Oscar Cullmann (Hermeneutik, Briefwechsel).

Biogramme der Autorinnen und Autoren  581

Anne Käfer, Professorin für Systematische Theologie und Direktorin des Seminars für Reformierte Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Forschungsschwerpunkte: reformierte und lutherische Theologie, die Theologie Friedrich Schleiermachers, Gerechtigkeitsethik, Tier- und Mitweltethik sowie ethische Fragen auf dem Gebiet der KI. Matthias Konradt, Professor für Neutestamentliche Theologie an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Forschungsschwerpunkte: Paulus und nachpaulinische Literatur, Ethik des Neuen Testaments, Matthäusevangelium. Malte Dominik Krüger, Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie und Direktor des Rudolf-Bultmann-Institutes für Hermeneutik am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg. Forschungsschwerpunkte: Bild- und Symboltheorien, (protestantische) Religionshermeneutik, spätmoderne Trinitätslehre. Martin Laube, Professor für Systematische Theologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Forschungsschwerpunkte: Reformierte Theologie, Theorie des Christentums, Dogmatik unter den Bedingungen der Moderne, Religionsphilosophie, Religionssoziologie und Gesellschaftstheorie. Michael Moxter, Professor für Systematische Theologie an der Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte: Theologie und Rechtswissenschaften, Studien zur Theologie und Philosophie Friedrich Schleiermachers, Kulturtheologie im Anschluss an Paul Tillich und Ernst Cassirer, Religionsphilosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Christiane Nagel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie / Schwerpunkt Ethik an der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Markus Öhler, Professor für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Religionsgeschichte des frühen Christentums, Geschichte des Christentums in Kleinasien, Römerbrief.

582  Biogramme der Autorinnen und Autoren Jan Quenstedt, Dr. des., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Leipzig. Forschungsschwerpunkte: »Diakonie« im Neuen Testament und seiner Umwelt, Antikes Vereinswesen, Briefliteratur, Paulinische Ekklesiologie, Sozialgeschichte des Urchristentums, Neutestamentliche Zeitgeschichte, Neutestamentliche Didaktik. Christine Schliesser, Privatdozentin für Systematische Theologie an der Universität Zürich, Research Fellow in Studies of Historical Trauma and Transformation der Universität Stellenbosch (Südafrika). Forschungsschwerpunkte: Friedens- und Versöhnungsforschung, Öffentliche Theologie, Dietrich Bonhoeffer, Religion und nachhaltige Entwicklung. Henning Theissen, außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Greifswald und Heisenbergstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, derzeit Verwaltungsprofessor für Systematische Theologie an der Leuphana Universität Lüneburg. Forschungsschwerpunkte: Unierte Theologie, Nachlass Hans-Georg Geyer, Ethik der Adoption, ökumenische Kirchentheorie, Eschatologie. Nadine Ueberschaer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neues Testament der Theologischen Fakultät an der Universität Greifswald. Forschungsschwerpunkte: Theologie des Lebens bei Paulus und Johannes (Dissertation), Soteriologie, Pneumatologie, Geschichte des frühen Christentums, Johannesevangelium, Paulusbriefe, Lukasevangelium. Markus Witte, Professor für Exegese und Literaturgeschichte des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte: Weisheitsbücher der Hebräischen Bibel und der Septuaginta, Theologie und Hermeneutik des Alten Testaments sowie Hebraistik. Christopher Zarnow, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Berlin. Forschungsschwerpunkte: Identitätstheorie und Anthropologie, neuzeitliche Umbildungen materialer Dogmatik, Theologie der Stadt.

Biogramme der Autorinnen und Autoren  583

Christiane Zimmermann, Professorin für Theologie- und Literaturgeschichte des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Forschungsschwerpunkte: Gottesbilder im frühen Christentum und seiner Umwelt, Geschichte des frühen Christentums in Kleinasien und Griechenland.

Stellenregister Altes Testament Genesis 1 162, 280 1 f. 217, 226, 228, 229 1,1 246, 254 1,1 f. 284 1,1 – 2,3 209 1,1 – 2,4 217 1,1 – 3,4 82 1,16 216 1,24 225 1,26 214 1,26 LXX 231 1,26 f. 174, 219, 227 1,27 226, 229 – 231, 307 1,27 LXX 228 1,27 – 29 225 f. 1,31 255, 278 2,1 161 2,2 f. 230 2,4 – 25 209 2,4 – 3,24 82 2,7 219, 226  f., 231 f., 281, 313, 511 2,7 LXX 381 2,15 226 2,18 – 22 230 2,19 231 2,21 f. 226 2,24 226, 228 f. 3 170 3,17 – 19 232, 246 3,19 245 3 – 4 172 4,26 77 5,2 225 f., 229 6,1 – 4 70, 228 6,5 170

6,6 175 6,9 73, 75 7,9 229 8,21 170 12,1 – 3 76 12,6 – 8 79 12,7 76 12,8 77 13,4 77 13,14 – 17 76 13,18 79 14,18 – 20 78 15,2 76 15,6 428 15,7 LXX 76 15,18 – 21 76 16,10 – 12 79 16,13 78 17,1 76, 162 17,2 – 9 162 17,5 162 17,6 162 17,8 75 18,1 f. 79 18,13 f. 76 18,14 174 20,6 f. 79 20,17 f. 79 21,17 f. 79 21,33 77 22,14 78 22,16 76 25,8 527 26,2 76 26,24 76 26,25 77 28,3 f. 76 28,10 – 22 79 28,11 f. 77 28,13 76 28,13 – 16 78 28,17 – 21 77

Stellenregister  585 28,22 77 29 – 31 78 29,32 f. 78 29,35 78 30,24 78 30,27 78 30,30 78 31,49 78 31,3 76 32,10 78 32,23 – 32 79 35,1 – 15 79 35,11 76 35,15 78 35,29 527 39,3 78 39,5 78 39,9 79 39,21 78 41,38 79 48,3 76 Exodus 2,15 – 22 80 3,14 77, 85 3,14 f. 173 3,15 76, 78, 85 4,10 – 12 174 4,22 71, 87 4,24 – 26 80 6,2 78 6,2 f. 162 6,2 – 8 74, 77 6,4 75 6,7 63 7,5 63 7,17 63 8,6 63 8,18 63 9,14 63 11,17 63 12,38 80 12,48 – 50 80 14,4 63

14,18 63, 74 14,21 67 15,3 – 12 67 15,14 – 18 67 16 531 16,6 63 16,12 63 16,20 531 18,1 – 12 80 18,13 – 27 80 18,16 63 19,16 f. 68 20,2 78 20,2 – 17 156 20,11 212 25,9 236 25,40 236 29,46 63, 74 29,33 373 30,25 – 29 373 31,13 63 32,6 75 34,6 425 34,6 f. 170, 179 Leviticus 19,18 85 Numeri 11 84 11,4 80 11,29 – 33 80 12,1 80 Deuteronomium 1,31 f. 71 4,5 – 8 73 4,10 358 4,39 73 5,6 – 21 156 6,4 f. 73, 85, 156 6,6 – 9 84 6,20 – 25 84

586  Stellenregister 6,21 75 7,7 f. 174 8,2 – 6 71 10,18 103 12,2 – 7 83 17,17 229 18,18 84 23,2 358 23,4 65 23,8 80 25,5 – 10 65 29,9 – 14 80 30 170 31,30 358 32,4 165 32,6 72, 175 32,8 83 32,19 72 32,37 82 32,39 173 32,39 f. 72, 73 32,43 73 33,2 80 34,9 85 Josua 9,2 f.

358

Richter 6,24 f. 174 20,2 358 1. Samuel 2,8 174 4,4 161 2. Samuel 5,10 160 6,2 161 7,14 f. 70

1. Könige 8,14 358 8,27 250 19,10 160 2. Könige 5,17 – 19 82 19,15 161 22,23 216 Jesaja 6 435 6,5 435 13,6 161 24 167 24,23 164 26,19 f. 493 28,15 499 29,16 LXX 231 34,2 – 4 167 37,16 161 38,10 499 41,4 173 42,14 70 43,1 224 43,10 63 44,24 224 45,1 – 7 71 45,6 f. 209 45,7 168 45,18 209 46,3 f. 70 48,12 173 49,1 69 49,15 70, 87 49,23 63 52,7 LXX 164 52,13 – 53,12 174 54,6 175 55,5 63 55,8 f. 250 56,4 – 7 83 61 433 61,1 281

Stellenregister  587 63,8 – 9 71 63,10 f. 281 63,16 71, 85 64,7 71 64,7 f. 87 65,3 – 6 83 65,17 f. 235 66,1 f. 213 66,2 – 5 83 66,13 70, 87 Jeremia 1,5 69 1,5 – 10 174 1,9 84 2,27 71 3,4 71 3,14 71 3,19 71 3,27 71 10,3 212 10,15 212 12,1 165 18,1 – 10 172 20,8 – 12 172 28,18 212 31,9 71 31,30 87 31,33 84, 167 32,17 174 33,11 170 Ezechiel 5,13 63 6,10 63 18 172, 443 18,23 425 29,6 63 34,16 438 34,30 63 36 85 36,23 63 36,26 167 36,26 f. 84

36,36 63 37 493 37,9 f. 167 37,27 366 Hosea 1,3 f. 70 2,1 366 2,25 366 11,1 71 13,14 499 Joel 1,15 161 2,13 170 3 85, 378, 380 3,1 f. 298 3,5 406 4 167 Amos 3,6 193 4,13 160 Obadja 17 406 21 164 Jona 4,2

170

Micha 4,7 7,18 f.

164 425

Nahum 1,7

170

Habakuk 2,4 3

347 f. 167

588  Stellenregister Sacharja 12 14 14,9 14,16

167 167 164 164

Maleachi 1,6 71 2,10 71 3,17 71 3,23 f. 84 Psalmen 1 166 2 165 2,7 70 5,12 166 6,6 416 8 253, 272 8,4 f. 252 8,4 – 7 209 8,5 f. 174 8,6 307 8,6 f. 72 8,7 370 11,7 165 18,8 – 16 68 18,17 – 20 68 18,33 – 40 68 19 84 19,2 – 5 59, 214 21,23 LXX 358 21,26 LXX 358 22,10 69 24,1 f. 224 24,7 – 10 68 25,12 358 29 224 29,1 – 5 68 29,7 – 10 68 31,1 f. LXX 428 33 214 33,4 – 9 224 33,6 – 9 209

34,9 170 36,6 250 37 158 39 272 39,6 253 46,6 406 47,7 72 49 158, 167 51 167 51,13 281 65,10 – 14 68 67,6 LXX 103 67,27 LXX 358 68,6 71 71,5 f. 69 72 165, 174 73 158, 167 73,23 493 77,17 – 20 68 82,6 70 84,12 251 86,15 170 88,6 416 89,27 f. 70 89,31 – 34 70 89,37 251 93 164, 224 93,1 – 5 68, 209 94,12 166 95 – 99 164 100,5 170 103,8 170 103,19 164, 250 104 209, 214, 224 104,14 f. 224 104,23 224 104,30 224 110,3 70 113,3 251 113,8 174 115,2 f. 250 116,5 165 118,1 170 118,29 170

Stellenregister  589 119,68 170 119,137 165 130,8 450 135,3 170 136,1 170 136,7 f. 251 139,13 – 16 69, 72 143,1 f. 171 143,2 167 145,5 f. LXX 212 145,6 LXX 212 145,8 170 145,9 170, 175 145,13 164 145,17 165 Sprüche 3,9 221 3,11 f. 102 3,33 166 8,22 f. 60 8,22 – 31 209 8,27 221 8,30 f. 60 Hiob 1,1 – 2,13 163 1,6 – 12 169 1,20 259 1,21 163 2,1 – 7 169 2,9 f. 168 3,1 – 42,6 163 4,17 – 19 167 5,18 168 8,3 f. 166 8,3 – 5 LXX 163 9,20 – 22 168 10,8 – 12 69 10,9 231 11,8 251 12,9 163 13,16 LXX 543 13,16 f. 168

13,23 166 15,14 – 16 167 16,9 – 16 168 21 168 23,16 LXX 174 24,1 – 12 168 25,4 – 6 167 26,6 499 27,2 174 27,5 f. 168 28,12 f. 60 28,21 – 28 60 f. 31,1 – 40 168 33,4 LXX 163 33,6 231 33,9 – 12 166 33,16 f. 166 34,10 163 37,22 LXX 163 38,1 163 38,4 – 7 209 38,17 499 38,17 LXX 30 40,1 163 40,3 163 40,6 163 40,8 LXX 166 42,1 163 42,2 LXX 174 42,2 – 6 153 42,7 f. 168 42,7 – 17 163 42,17 527 42,17 LXX 167 Klagelieder 1,10 358 1,18 165, 166 3,22 f. 171 3,25 170 3,38 168 3,39 f. 166

590  Stellenregister Prediger 1,9 251 3 172 5,1 246, 278 9 172 Esther 4,17n (C18) LXX 165 10,9 172 Daniel 3,33 4,23 4,31 7,13 f. 7,22 7,27 9,7 – 16 9,14 12 12,1 – 2 12,1 – 3

164 215 164 164 175 175 166 165 167 493 507

Esra 1,2 81 3,3 542 9,4 83 9,15 165 Nehemia 1,4 81 2,4 81 2,20 81 9,6 81, 161 9,17 170 13,1 358 1. Chronik 16,26 81 16,31 81 17,13 70 22,10 70 28,6 f. 70 29,11 81

29,28

527

2. Chronik 2,5 81 2,11 81 3,1 78 6,14 81 6,30 81 6,33 81 20,6 81 30,18 170 36,23 81 Neues Testament Matthäusevangelium 1,21 450 f. 3,2 215 5,14 476 5,16 102 5,34 215 5,45 222 5,48 102, 143 6,4 102 6,6 102 6,9 97, 102, 104 6,10 102, 164 6,11 102 6,12 491 6,13 102, 172 6,14 102 6,18 102 6,25 – 34 223 6,26 214 6,32 102 6,33 223 7,6 373 7,11 102 7,12 298 8,10 554 9,2 – 8 451 9,2 – 13 449 9,6 450

Stellenregister  591 9,8 451 9,22 553 10,1 – 4 18, 27 11,25 – 27 102 15,28 554 16,16 357 16,18 452, 453 18 452 f. 18,8 516 18,17 357, 377 18,18 452 f. 18,20 453 18,21 f. 452 18,21 – 35 431 18,22 – 35 491 18,23 – 35 452 18,31 – 35 452 19,17 170 19,28 175, 235 20,28 453 22,23 509 22,28 509 22,30 215 22,30 f. 509 22,31 507 22,36 – 40 298 23,9 94 23,22 215 24,36 215 25 222 25,41 516 25,46 516 26,6 – 13 439 26,28 434, 451, 453 26,29 108 26,42 102 27,35 497 27,37 451 27,50 497 27,51 451 27,51 – 53 451 27,52 374, 376 28,10 452 28,16 – 20 453

28,18 – 20 105 28,19 105 28,19 f. 43, 44 Markusevangelium 1,4 434, 450 1,9 – 11 281 1,15 433, 438 1,22 434 2,1 – 17 449 2,5 429, 431, 432, 437 2,6 440 2,10 431 2,13 – 17 431 2,17 438 2,27 291 2,28 230 3,13 – 19 18 3,22 301 3,29 434, 516 4,26 – 29 223 4,30 f. 223 4,32 214 5,34 554 5,36 554 8,27 – 30 551 10,2 – 9 229, 230, 272 10,4 f. 229 10,6 – 9 230, 272 10,18 170 10,27 102 10,45 448 10,52 553 11,25 101, 102 11,30 215 12,18 509 12,18 – 27 538 12,23 509 12,25 215, 228, 230 13,24 – 26 235 13,31 235 13,32 102, 215 14,3 – 9 439

592  Stellenregister 14,36 92, 95, 102 15,24 497 15,37 497 15,38 451 16,8 516 Lukasevangelium 1,1 433 1,35 281 1,37 185 1,54 f. 433 1,72 f. 433 1,77 433, 434 1,78 433 2,15 215 2,34 509 3,3 433, 434, 439 4,14 – 30 433 4,16 – 30 438 4,18 433, 434, 438 4,18 f. 434 f., 438 4,21 433 4,32 434, 438 4,36 434, 438 4,38 f. 435 5 435, 439, 448 5,1 – 11 436 5,5 435 5,8 – 10 435 5,10 435 5,17 436 5,17 – 26 436 5,20 436 – 438, 442, 444 5,21 440 5,23 437 5,24 444 5,25 f. 437 5,27 – 32 436, 438, 439 5,30 439 f., 446 5,31 f. 435 5,32 438 6,12 – 16 18 6,27 – 35 449

6,36 102, 142, 433 7 448, 480 7,24 – 28 439 7,29 f. 439 7,34 439 7,36 – 50 431, 439, 444, 446 f., 449 7,39 440 7,40 – 43 440 7,40 – 47 446 7,41 – 43 431 7,44 441 7,47 f. 437 7,48 425, 444 7,48 f. 429, 431 7,50 436, 443, 553 8,5 214 9,28 f. 146 9,58 214 10,18 215 10,21 95 10,21 f. 102 10,22 95 11,2 94 f., 97, 104 11,2 – 4 91 11,3 102 11,4 102, 436 11,13 102 11,32 439 12,22 – 32 223 12,30 102 12,31 223 12,36 542 13,16 447 14,14 507 14,26 230 15 433, 444 15,1 f. 446, 449 15,2 446 15,3 – 32 446 15,7 435 15,11 – 31 140 15,11 – 32 103, 151, 431, 447, 465

Stellenregister  593 15,18 215 15,20 437 15,21 215 15,23 444 15,30 445 15,32 444 16,8 230 16,9 516 16,19 – 31 497 16,30 439 17,19 553 18,9 – 14 441, 447 18,19 170 18,29 230 18,37 f. 442 18,47 441 18,48 442 f. 18,48 f. 442 18,49 442 19,1 – 10 431, 444, 447 19,9 447 19,10 438, 446 20,27 509 20,33 509 20,35 230, 507, 509 20,36 228, 508 22,19 f. 448 22,27 448 22,43 215 23,33 497 23,34 449 23,43 545 23,46 497 24 146 24,39 146 24,46 – 49 447 24,47 434, 447 24,47 – 49 426 Johannesevangelium 1,1 – 4 221 1,11 187 1,12 97, 98 1,12 f. 104

1,13 97, 98, 522 1,14 221, 430 1,18 96, 98 1,29 430 f. 1,29 – 34 430, 451 1,33 430 1,36 430 1,51 215 2,22 382 3 97, 307 3,3 97, 104, 522 3,3 – 8 306 3,5 97, 382 3,5 f. 522 3,16 101, 103, 140, 491 3,35 101 3,36 520 4,23 382, 513 4,24 316 5 509, 512, 514 5,1 – 18 512 5,19 513 5,19 – 30 512 f. 5,21 512 5,22 512 5,24 505 f., 512, 515, 520, 522, 541 5,29 508, 520 5,30 513 6 509, 514 6,39 493, 514 6,40 493, 514 6,44 493 7,39 381 8,21 423, 431 8,24 431 8,34 423 9,31 447 9,41 431 10,10 147 10,17 101 10,30 96 11 509, 514 f.

594  Stellenregister 11,1 – 45 497 11,24 508 11,25 514 11,25 f. 514 f. 11,26 515 12,1 – 8 439 12,16 382 13,1 – 20 441 13,31 – 16,33 522 13,34 f. 382 14,16 204, 381, 383 14,16 f. 381 14,16 – 18 315 14,17 255 14,18 315 14,21 101 14,23 101 14,26 381 f., 522 15,9 101 15,26 381 – 383, 522 15,26 f. 281 16 487 16,7 204, 381 16,8f, 423, 431 16,13 382 f., 522 16,27 101 16,32 513 16,33 315 17,2 520 f. 17,3 521 f. 17,11 382 17,20 – 23 382 17,21 521 17,23 521 18,28 430 19,14 430 19,18 497 19,20 497 19,23 497 19,30 497 20,21 431 20,21 f. 381 20,21 – 23 430 20,22 f. 281, 294, 426

20,23 381, 437 20,24 – 29 529 21 475 21,24 382 Apostelgeschichte 1 – 4 380 1,8 380 1,12 15 1,13 f. 18 1,14 15 1,15 – 26 18 1,26 18, 27 2 281, 447 2,1 – 4 321 2,2 – 4 15 2,4 380 2,11 380 2,14 – 36 17 2,17 380 2,17 f. 380 2,33 146, 298, 447 2,33 f. 146 2,36 146 2,38 434, 447 2,42 376 3,21 235, 374 4,2 507 4,24 212 4,31 380 5,1 – 11 381 5,11 380 5,30 f. 448 5,31 434, 439 6,3 380 6,5 380 7,48 – 50 213 7,55 380 7,60 449 8,1 380 8,3 380 8,19 – 24 381 8,22 439 8,37 39

Stellenregister  595 9 529 9,13 375 f. 9,31 380 9,32 375 9,37 497 9,41 375 10,12 214 10,43 434, 448 10,44 – 48 380 10,45 298 10,46 380 11,6 214 11,18 439 11,28 380 13,2 380 13,4 380 13,9 – 11 380 13,38 434, 448 14 212 14,11 212 14,17 225 15,8 380 15,28 381 17 212 17,24 212 17,26 225 17,30 439 17,32 507, 509, 538 19,2 300 19,6 380 20,28 381, 448 22 529 23,6 507 23,8 509, 538 24,14 377 24,15 507 26 529 26,17 f. 448 26,18 434 Römerbrief 1 – 8 346 1,1 346 1,3 f. 346

1,4 307, 507 1,5 346 f. 1,7  98, 105, 368, 375 1,16 294, 314 1,16 f. 294, 296, 346 1,17 347, 348 1,18 – 2,29 217 1,18 – 3,20 148 1,20 223 1,20 f. 214 2,1 – 16 516 2,5 516 f. 2,7 516, 518 2,12 427 2,16 318, 517 3,7 427 3,20 460 3,21 – 31 148 3,23 307, 427 3,24 428 3,24 – 26 427, 428 3,25 427 3,31 298 4 347, 349, 351 4,1 – 8 428 4,3 428 4,7 f. 428 4,16 367 4,17 209, 219, 307, 347 4,24 347 4,24 f. 305 4,25 347, 427 5 f. 351 5,1 518 5,1 – 11 347, 517 5,5 296 – 298, 308, 310, 351, 378 5,6 – 8 427 5,8 427 5,8 f. 141 5,9 428, 517 5,10 347

596  Stellenregister 5,10 f. 427 5,11 518 5,12 427, 498 5,12 – 21 142, 347, 503, 517 f. 5,14 427, 498 5,15 307 5,16 427 5,17 498 5,17 – 20 493 5,18 518 5,19 427, 518 5,21  143, 498, 516 – 518 6 347, 349, 482, 575 6,1 – 11 504 6,4 306, 308, 347, 351 6,4 – 11 313 6,6 504 6,8 348 6,9 498 6,11 306, 349 6,13 308 6,15 427 6,21 482 6,22 516, 518 6,22 f. 143 6,23 306, 423, 516, 518, 527 6,29 541 7 f. 428 7,1 – 25 498 7,7 – 20 423 7,7 – 25 428 7,13 427 8,1 – 17 502 – 504 8,2 502 8,9 311, 378 8,9 f. 311 8,10 348 8,11 305, 312, 348, 351

8,12 f. 311 8,14 – 16 311, 317 8,14 – 17 293 8,15 92 8,18 – 22 143, 232 8,18 – 30 317 8,19 – 23 311 8,21 310, 317 8,23 312, 428 8,26 317 8,29 312 9,6 367 9,7 367 9,19 – 21 231 9,25 f. 366, 412 9,30 367 10,9 551 10,9 f. 554 10,17 296 11,32 175 11,36 220, 223 12 362 12,1 f. 297 12,2 317 12,4 f. 365 12,5 364 12,6 378 12,6 f. 379 12,13 376 13,1 – 7 223 13,10 298 14,5 218 14,15 351, 427 15,6 96 15,19 314 16,3 – 5 359 16,4 360 16,16 360, 441 1. Korintherbrief 1,2 360 f., 375 f. 1,3 98, 105 1,30 427, 428 2,4 314

Stellenregister  597 2,10 – 14 317 2,10 – 16 295 f. 2,12 316 2,13 – 16 297 2,15 296 2,16 298, 303, 310 3,1 297 3,6 – 9 362 3,9 – 12 362 3,11 305 3,16 365 3,16 f. 312, 362, 368 3,17 366 4,6 99, 100 4,8 297 4,10 306 4,17 360 5,1 – 5 377 5,7 427 6,2 f. 175 6,11 373, 376 6,16 226 6,18 427 6,19 312 6,19 f. 427 7,10 f. 230 7,17 223, 360 7,23 427 7,28 427 7,36 427 8,6 44, 89, 91, 139, 142, 217, 220 f. 8,11 427 8,12 427 10,1 – 13 367 10,16 372 10,18 372 10,20 372 10,26 224 10,32 360 11 360 11,7 – 12 230, 272 11,10 231 11,16 360

11,22 360 12 304, 362, 365, 369, 378 f. 12,1 378 12,3 301, 551 12,4 379 12,6 313 12,7 378 12,8 – 10 379 12,10 301, 313 12,11 313 12,12 363 12,13 298, 303 f., 355, 365, 379 f. 12,21 363 12,24 355 12,27 304, 363 f. 12,28 362 13 297 13,12 396, 545 13,13 297 14,1 297 14,13 379 14,33 361 14,33 – 35 361 15 146  f., 232, 312, 317, 502, 509 f., 513, 517, 527 – 529, 538, 543 f. 15,3 142 f., 427 15,3 – 5 142, 551 15,4 – 9 539 15,6 517 15,7 517 15,8 527 15,9 358, 360 15,11 296 15,12 f. 507 15,12 – 23 539 15,12 – 34 544 15,14 539 15,17 427 15,19 f. 544

598  Stellenregister 15,20 – 23 539 15,20 – 28 313 15,21 493, 498, 507 15,22 232 15,24 – 28 546 15,26 10, 232, 523, 526 – 528, 541, 543 15,26 – 28 498, 540 15,27 370 15,28 90, 526 15,34 427 15,35 510 15,35 – 37 313 15,35 – 53 544 15,36 – 38 232 15,37 511 15,38 511 15,39 511 15,39 – 41 233, 511 15,42 507, 511 15,42 – 44 233 15,42 – 49 297 15,44 416 15,44 – 49 232 f., 313 15,45 307 15,45 – 49 233 15,50 297, 313, 512 15,51 313 15,51 f. 309 15,51 – 53 501 15,52 500 15,53 500, 512 15,54 499, 541 15,55 498 15,56 423, 427, 527 15,57 499, 528 16,1 360 16,19 359 f., 365 16,20 373, 441 2. Korintherbrief 1,1 360 f., 375 1,2 98, 105

1,3 96, 102, 105 1,21 f. 298 1,22 308, 312, 378 3 316, 348 3,3 348 3,17 315, 321, 344 3,17 f. 316 3,18 317 4,4 147, 231 4,6 234, 296 4,13 378 4,16 309 4,17 516 5 348, 538 5,1 516, 542 5,1 – 5 309 5,1 – 10 542 5,2 542 5,4 542 5,5 308, 312, 378, 542 5,7 545 5,8 542 5,14 427, 505 5,14 – 17 349 5,15 348, 351 5,17 234, 303, 306 f., 349, 368 5,17 – 21 305, 351 5,18 f. 305 5,18 – 21 427, 491 5,20 394 5,21 143, 305, 327, 348, 427 6,14 – 7,1 366 6,16 312, 366 8,1 360 8,4 376 8,18 f. 360 8,23 f. 360 9,1 376 11,4 378 11,7 427 11,8 360

Stellenregister  599 11,28 360 11,31 96 12,2 – 4 215 12,13 360 13,12 373, 441 13,13 376, 379 Galaterbrief 1,1 105 1,2 360 1,3 98 1,4 105, 427 1,8 215 1,13 358, 360 1,22 360 2,15 427 2,17 427 2,19 504 2,20 306, 364, 427, 504 3 349 3,1 – 5 428 3,2 378 3,5 378 3,11 348 3,13 143, 427 3,14 378 3,16 367 3,22 427 3,25 – 29 303 3,27 f. 352 3,28 228, 231, 272, 380 3,28 362 3,29 367 4 349 4,4 223 4,4 – 6 96 4,5 427 4,6 92, 101 f., 105 4,8 – 11 218 4,26 395 f. 4,29 306, 428 5,1 298, 310

5,3 310 5,4 – 6 310 5,6 298 5,13 298 5,13 – 6,10 519 5,14 298, 351 5,16 302 5,16 – 26 302 f. 5,16 – 6,10 428 5,22 – 26 298 5,25 302 6,1 296, 297, 378 6,2 298 6,7 519 6,7 – 10 519 6,8 143, 516, 519 6,15 234, 306, 368 6,16 367 Epheserbrief 1,1 375 1,2 100, 105 1,2 f. 98 1,3 96, 105 1,4 369 1,5 f. 369 1,7 428, 434 1,13 f. 308 1,20 – 23 370 1,21 370 1,22 52, 369, 370 1,23 f. 216 2,1 428 2,5 369, 428 2,7 369 2,8 369 2,11 f. 369 2,14 f. 368 2,16 369 2,19 375 2,21 312 3,5 374 3,8 374 3,9 220

600  Stellenregister 3,10 369, 370 3,14 f. 100 3,19 369, 371 3,20 371 3,21 369, 370 4,5 f. 220 4,6 99, 217 4,10 215 4,15 f. 371 4,32 429 5,2 369 5,15 – 20 372 5,20 106 5,21 – 33 371 5,23 52, 369 5,23 – 32 370 5,25 369 5,26 371 5,27 369 5,30 371 5,31 226 6,11 371 Philipperbrief 1 544 1,1 361, 375 f. 1,2 98, 105 1,10 543 1,18 – 23 544 1,19 543 1,19 – 24 541 1,20 541, 543 1,21 541 1,22 541 1,23 541, 542, 543 2,1 379 2,1 f. 376 2,1 – 11 303 2,5 313 2,5 – 11 147 2,9 – 11 90 2,11 551 2,16 543 3,5 543

3,6 358, 360 3,10 f. 544 3,12 297 3,15 – 21 303 3,17 – 21 544 3,20 f. 544 3,21 313 4,5 543 6,2 429 Kolosserbrief 1 368 1,2 98, 105 1,3 99, 106 1,4 375 1,12 374 1,12 – 14 99 1,14 428, 434 1,15 – 17 221 1,15 – 20 147 1,18 52 1,19 f. 428 1,20 52 1,26 375 2,13 428 2,13 – 15 428 2,13 f. 428 2,16 – 23 218 3,13 428 4,15 359 1. Thessalonicherbrief 1,1 98, 105, 361 1,5 314 1,9 110 2,14 360 2,16 427 3,13 374 4 502 4,3 376 4,7 376 4,8 378 4,13 – 18 502, 509 f., 517, 538

Stellenregister  601 4,15 502 4,16 374, 493 4,17 493, 502 5,10 427, 544 5,19 303 5,19 – 22 301 5,26 373, 441 2. Thessalonicherbrief 1,1 f. 98, 105 2,16 101 f. 1. Timotheusbrief 1,2 98, 105 1,15 526, 528 1,16 143 1,17 527 2,4 175 2,11 – 14 231 6,12 143 2. Timotheusbrief 1,2 98, 105 1,7 316 1,10 527 2,18 528 3,5 302 4,6 542 Titusbrief 1,4 98, 105 3,5 307 3,6 298 3,7 143 Philemonbrief 2 359 3 98 10 306

Hebräerbrief 1,1 – 4 429 1,3 221, 429 2,2 f. 429 2,3 429 2,17 429 3,1 376 3,3 – 6 429 4,14 – 10,18 429 4,15 143 6,1 – 2 547 6,4 – 6 314, 429 6,10 376 7,4 – 10,18 429 9,14 429 9,22 429, 434 10,18 429, 434 10,26 – 29 314 10,26 – 31 429 11,3 219, 220 11,35 508 12,5 f. 102 12,9 103 12,18 – 29 429 13,24 375 Jakobusbrief 1,17 100, 216 1,18 217 1,25 298 1,27 103 2,7 107 2,8 298 2,12 298 2,14 – 18 298 3,9 105, 231 3,15 297 1. Petrusbrief 1 306 f. 1,2 98 1,3 98, 104 f., 306 1,17 105 1,23 98, 104, 306

602  Stellenregister 2,2 98, 104 2,5 396 2,9 377 2,9 f. 369 2,10 366 3,2 374 3,19 f. 564 3,19 – 23 306 4,6 564 4,10 f. 379 4,16 377 4,19 216 5,14 441

5,6 383 5,6 – 8 383 5,18 431 2. Johannesbrief 3 98 4 382 3. Johannesbrief 3 f. 382 15 382

2. Petrusbrief 3,5 220 3,13 235

Judasbrief 1 4 14 19

1. Johannesbrief 1,3 376 1,6 f. 376 1,7 431 1,8 431 1,9 431 1,10 431 2,1 315, 431 2,2 431 2,12 431, 437 2,15 255, 278 2,18 f. 377 3 307 3,5 430 3,6 431 3,9 306, 431 3,11 104 3,14 104, 506 3,16 104 3,17 104 3,24 382, 383 4,1 301 4,6 383 4,10 431 4,13 383 4,16 87

Johannesapokalypse 1,18 500 4,1 f. 216 4,11 214 5,8 374, 376 5,13 214 6,7 f. 500 6,8 500 6,9 – 11 416 7,14 374 8,3 f. 374 10,1 215 10,6 214 12,17 396 13,7 374 13,12 374 14,7 212 14,12 374 17,6 374 20,4 53, 175, 374 20,5 508 20,4 – 6 500, 508 20,5 f. 508 20,11 – 15 500 20,13 500 20,14 500

98 377 374 297

Stellenregister  603 21,1 f. 235 21,1 – 22,5 500 21,4 500, 537 21,5 546 21,22 235 22,3 f. 545 22,17 24 22,18 f. 27

2. (slawischer) Henoch 1 – 22 215

Außerkanonische Schriften neben dem Alten Testament

Joseph und Aseneth 8,5 428 8,9 428 10 – 13 446 11,10 f. 447 11,13 94 12,1 f. 428 12,8 94 12,13 94 15,5 428 20,7 428 27,10 428

Aristeasbrief 16 151 f. 185,2

216 445 159

Aristobulos Frgm. 4 Frgm. 5

213 218

2. (syrischer) Baruch 4,1 – 6 236 32,1 – 6 236 50,2 – 4 500 56,14 228 1. (äthiopischer) Henoch 1 – 5 167 6,2 – 7,1 228 6 – 11 169, 171 14 215 22 167 22,5 f. 215 25,4 167 49,4 174 51,1 – 3 500 84,2 164 84,2 f. 174 91,12 – 17 167 93 167 96,1 175 98,4 – 8 172

3. (hebräischer) Henoch 42,2 173 4. Esra 7,30 – 32 7,32

236 500

Jubiläen 1,27 235 2,1 – 3 221 2,1 – 16 217 2,2 219 2,3 218 2,17 – 24 217 4,26 235 12,26 217 17,15 – 18 169 22,18 215 Judith 8,24 – 27 166 9,12 216 13,1 542 16,5 174 16,17 153

604  Stellenregister Liber Antiquitatum Biblicarum 1,8 – 16 218 1,31 f. 219 2,5 233 1. Makkabäer 3,18 f.

215

2. Makkabäer 1,24 216 1,25 174 1,24 165 3,15 215 7 493 7,14 167 7,23 216 7,28 209, 219 8,18 153 9,1 542 12,7 542 15,28 542 3. Makkabäer 2,2 174 2,24 542 5,21 542 5,44 542 6,2 174 7,13 542 7,20 542 4. Makkabäer 5,25 11,5

216 216

Oratio Manassis 6 f. 447 14 447 Psalmen Salomos 9,6 – 8 447 10,5 165 17,3 164 17,3 f. 164

Sapientia Salomonis 2,24 171 3,1 167 3,1 – 12 166 3,8 175 4,16 175 8,4 221 8,21 – 9,18 171 9,9 221 11,23 175 14,3 225 16,8 172 19,22 164 Sibyllinen 3,594 – 600 3,669 – 701 3,767

445 167 164

Sirach 1,4 221 2,1 – 18 166 2,11 170 14,1 f. 166 14,20 166 15 170 15,11 – 20 170 15,11 – 16,23 172 15,14 170 17,11 171 18,3 175 24,9 221 25,26 229 33,1 172 33,7 – 15 168, 172 35,14 103 45,5 171 45,25 170 Testament Hiob 4,11 165 43,13 165

Stellenregister  605 Testament Ruben 4,9 170 Testament Levi 2 f. 215 Testament Juda 11,1 170 13,8 170 18,3 170 Testament Dan 4,2 170 4,7 170 Testament Gad 5,3 170 5,7 170 7,3 170 Testament Asser 1,8 – 9 170 Testament Joseph 2,6 170 Testament Benjamin 6,1 170 6,4 170 Tob 3,2 165 8,6 228 13,2 168 13,2 – 5 93 Altorientalische Texte Gudea Cylinder A IIII,6 – 7 70 State Archives of Assyria 3,3 Z. 4.13 f.; V. 14 – 16 71

Qumran Aramaisches Levi Dokument (ALD) pass. 171 Damaskusschrift (CD) pass. 171 2,4 170 3,19 f. 234 4,20 – 5,2 229 13,17 229 1QHa pass. 170 4,26 167 4,26 f. 234 5,19 – 22 167 5,20 – 24 171 6,26 165 8,1 – 15 167 8,24 170 11,20 – 24 235 12,29 – 33 171 26 235 1QM pass. 12,1 – 8

171 235

1QpHab 5,3 f.

175

1QS 3 f. 4,20 – 23 5 10,9 – 11,22 11,19 – 22

171 234 170 170 171

1Q174 1,1,6

234

606  Stellenregister 4Q171 (4QpPsa) 1 – 10,3,1 f. 234 4Q174

171

4Q266 (4Qda) 9,3,4 – 7

229

4Q271 (4QDf) 3,10 f. 229 4Q280

171

4Q286 – 290

171

4Q385 Frgm. 2,7 f.

167

4Q393

170

4Q403 Frgm. 1,1,5

170

4Q408 Frgm. 3 Frgm. 3a,6

165 165

4Q413

225

4Q416 Frgm. 2,1,5

171

4Q427

235

4Q444

171

4Q471b

235

4Q491c

235

4Q504 – 506

170

4Q510 – 511

171

4Q511 Frgm. 52 170 Frgm. 54 – 55 170 Frgm. 57 – 59,1 170 4Q525 Frgm. 2 II; 3,1 – 3

166

4QapocrJer

171

4QBarNaf pass.

170

11QPsa 19 24

171 170

11QTa 29,9

235

Außerkanonische Schriften neben dem Neuen Testament und Apostolische Väter Ägypterevangelium  228 Apostolische Konstitutionen 6,14,1 27 Barnabasbrief 19,11 21,2 21,4 21,6

27 27 27 27

1. Clemensbrief 7,4 108 8,3 108 19,2 108 23,1 108 24,1 – 5 547 26,3 496

Stellenregister  607 29,1 108 35,3 108 42,3 24, 547 44,5 542 56,16 108, 109 61,2 108 2. Clemensbrief 8,5 110 9,1 496, 547 9,11 110 10,1 110 12,2 228 14,1 110 Didache 1,1 – 4,8 27 4,13 27 8,2 f. 107 9,2 373 9,2 f. 107 9,5 373 10,2 107 10,3 373 10,8 107 14,1 107 Hermas mandata 5,1,7 429 similitudines 5,6,2 f. 429 5,7,2 496 8,6,4 107 Brief des Ignatius an die Epheser Inscr. 109 2,1 109 4 – 5 109 9,1 109 Brief des Ignatius an die ­Magnesier 1,2 109

3,1 109 6,2 109 11,1 547 13,1 106 Brief des Ignatius an die ­Philadelphier 3,1 109 8,1 429 7,1 109 7,2 109 Brief des Ignatius an die Römer Inscr. 109 2,2 110 3,3 109 7,2 109, 110 Brief des Ignatius an die Smyrnäer 1 – 3 547 8,1 109 8,2 362 13,1 109 Brief des Ignatius an die Trallianer Inscr. 109 3,1 109 9,2 109 11,1 109 13,2 109 Polykarp 6,2 429 Oden Salomos 23,22

106

Philippusevangelium 11 108, 112 Thomasevangelium 22 228 50 108

608  Stellenregister 61 108 57 108 76 108 96 – 99 108 113 108

Antike Schriftsteller (christliche und pagane) Aischylos Eumenidae 918 159 Supplices 816 159 Septem 255 159

Rabbinisches Schrifttum Berakhot des Talmud Bavli (bBer) 33b 179 61a 127 Berakhot der Tosefta (tBer) 6,2 233 Bereshit Rabba (BeR) 8,1 227 8,11 227 Megilla des Talmud Bavli (bMeg) 9a 127 Megilla des Talmud Jerushalmi (yMeg) 1,11 [8], 71d 227 Mischna Sanhedrin (mSan) 4,5 233 Mekhilta deRabbi Jishma‘el (MekhJ) 1 233 14 227 Sifre Devarim Dtn § 306

233

Wajjiqra Rabba (WaR) 14,1 227

Ambrosius von Mailand Explanatio Symboli ad initiandos 2 25 7 27 8 26 Epistulae extra collationem 15 28 Aratos Phaenomena 5 213 Aristoteles Analytica posteriora A 87 b 30 – 33 392 Metaphysica 987 b 1 – 4 392 1000 b 295 1078 b 17 – 32 392 Athanasius Apologia secunda contra Arianos 32,1 32 Epistola de synodis Armini et Seleuciae 8,5 30 30,5 30 Augustin De civitate Dei 20,9 53 Confessiones 8,2,5 31 Enchiridion de fide, spe et caritate 23,84 53 Sermones 214,12 54

Stellenregister  609 215 240 240,1 241 242,2

54 19 20 19 20

Bacchylides Epinicia 11,44 159 Caesarius von Arles Sermones 9,1 49 Cicero De officiis 1,85 3,22

363 363

29

Cyprian von Karthago De Dominica oratione pass. 107 23 398 Epistulae 69,7,1 – 8,1 40 69,7,2 55 Demosthenes Ephitaphios 21,6

Eusebius Praeparatio evangelica 12,13,9 218 13,12,6 213 Euripides Frgm. 431,4

159

Expositio de fide catholica 49

Clemens von Alexandria Stromateis 3,92 228 Coelestin I. Epistula ad Nestorium 8

Liber de haeresibus 72,2,6 – 3,4 32

Fides Hieronymi 50 Flavius Josephus Antiquitates Judaicae 1,14 225 1,20 225 4,200 f. 220 7,380 217 8,62 233 Contra Apionem 2,166 225 2,180 225 2,193 220 Hilarius von Poitiers De synodiis 63 34 Hymnus auf Zeus vom Berg Dikta 159

159

Diodor Siculus 3,61,4 159 Egeria Itinerarium 46 31 Epiphanius von Salamis

Irenaeus Epideixis 6 44 Adversus haereses 1,10,1 44 1,13,3 110 1,15,3 110 3,4,1 24 3,4,2 44 3,12,8 39

610  Stellenregister 3,16,6 4,33,7

44 44

Iustinus Martyr Apologia secunda 6,2 112 Dialogus cum Tryphone Judaeo 80,5 496 Ioannes Chrysostomus In epistulam I ad Corinthos hom. 30,1 363 hom. 32,1 363 In epistulam II ad Corinthos hom. 2,5 175 Kleanthes Frgm. 1,1

159

Kyrill von Jerusalem Catechesis 5,12 31 18,21 31 18,23 51 18,28 55 18,29 54 Catechesis mystagogica 2,9 31 20,4 31 Livius Ab urbe condita 2,32,5 – 12 363 Niketas von Remesiana Competentibus ad baptismum instructionis libelli VI 2 frg. 5 26 symb. 1 – 10 50 symb. 10 52 symb. 12 54 Origenes Contra Celsum 5,14 547

Dialogus cum Heraclide 1 f. 45 Pindar Isthmia 5,53

159

Philo De Abrahamo 55 233 De confusione linguarum 63 227 170 220 De decalogo 134 216 De fuga et inventione 55 – 58 428 De Iosepho 40 – 44 445 Legum allegoriae 1,105 – 108 428 2,77 f. 428 De migratione Abrahami 122 428 De vita Mosis 2,134 216 De opificio mundi 16 – 21 219 20 221 24 221 26 219 69 – 86 219 71 232 72 217 76 227 89 – 128 218 134 227 134 – 139 219 136 233 139 f. 233 142 233 145 233 148 233 151 233 171 f. 224

Stellenregister  611 Quaestiones in Genesim 1,14 233 2,62 221 De specialibus legibus 1,66 220 4,124 233 4,187 219 De virtutibus 203 233 Plato Leges 1,644d – f 12,961d – 962c 12,964e De republica 4,440e.441a Symposion 189d – 192c Timaios 28c 30b – 34b

181 363 363 363 227 216 363

Plutarchus Moralia 355e 159 426a 159 In Hesiodi Opera Fragmenta 104 232 Quodvultdeus Sermo 112,1

54

Rufin von Aquileia, Symbolum 2 26 3 28

Sophokles Philoctetes 679 Fragmentes 684,4

159 159

Tertullian Adversus Marcionem 2,2,1 24 Adversus Praxean 2,1 f. 38 De oratione 1,6 107 2,4 – 6 112 f. De praescriptione haereticorum 13,1 – 6 38 20,2 24 21,4 24 De resurrectione mortuorum 1 547 De virginibus velandis 1,4 f. 38 Theodoret von Cyros Historia ecclesiastica II 21,4 30 Theophilus Ad Autolycum 1,4 2,22

110 110

Traditio apostolica 21,14 – 18 40 Übrige Schriften

Seneca Epistolae morales ad Lucilium 65,24 496 Sixtus III. Epistula ad Cyrillum 3 29

Albertus Magnus Commentarii in sententiarum, dist. I, art. II 155 Summa theologiae, tract. I, quaest. II 155

612  Stellenregister Collectio Gallica Vetus 18, 19 f.

Pirmin von Reichenau Scarapsus 10 17, 19

Missale von Bobbio

Sacramentarium Gelasianum Vetus 449.608 40

19

Personenregister Die kursivierten Seitenangaben verweisen auf Nennungen, die ausschließlich in den Fußnoten zu finden sind. Achenbach, R. 5 f., 71, 76 f., 79–81, 92, 579 Adams, E. 235 f. Adrom, F. 67 Aland, B. 215, 499, 527 Aland, K. 215, 499, 527 Albani, M. 161, 217 Albertz, R. 67, 80 Albrecht, C. 362, 370, 412 Albrecht, F. 92 – 94, 99 f., 116 Alexander der Große 155, 163, 195 Alexander von Alexandrien 36 Alkier, S. 156, 437 Althaus, P. 460, 524 Altner, G. 163 Ambrosius von Mailand 25 – 28, 49, 55 Ammann, C. 483 f. Arendt, H. 469, 477 f. Aristoteles 260, 392 Arius 37, 45 Ashwin-Siejkowski, P. 23 Askani, H.-C. 183, 455 Assmann, A. 473 Assmann, J. 79, 472 f. Auchter, T. 468, 484 Augustin 26, 31 f., 39, 46, 53 – 55, 138, 329, 341, 463, 552, 557 Aulén, G. 533 Aurel, M. 220 Avemarie, F. 301, 506 Axt-Piscalar, C. 462 Back, F. 116 Backhaus, K. 429, 445, 449, 453 Baden, J. S. 78 Bahl, P. 498, 504

Bahr, P. 347, 496 Ballhorn, E. 417 f. Barclay, J. M. G. 225, 297, 311 Barth, G. 543 Barth, H.-M. 117, 133, 563 Barth, K. 23, 57, 116, 117, 122 f., 140, 150, 177, 183, 189, 191 – 193, 199, 201, 324, 409, 468, 469, 478, 534, 540, 559 Barth, R. 265, 284, 287, 322, 488 Barth, U. 72, 122, 132, 250, 254, 258, 262, 267, 269, 328 Barton, S. C. 297 Bataringaya, P. 476 Bauer, W. 215, 499, 527 Baumgart, C. 579 Becker, J. 223 Becker, M. 315 Becker, P. 498 Beinert, W. 285 f., 328 f. Beintker, H. 555 Beintker, M. 10 f., 13, 290, 577, 579 Bell, R. H. 509 Bendemann, R. von 436, 440 f. Ben-Dov, J. 218 Benedikt XVI. s. Ratzinger, J. Berger, K. 286 Berger, R. 275 Berlejung, A. 69, 277 f. Berndt, F. 126 Berner, K. 536 Bernhardt, R. 329 f. Bernhart, J. 31, 260 Bethge, E. 459, 530 f. Bethge, H.-G. 108 Bethge, R. 459, 530 Beyer, M. 576

614  Personenregister Beyerle, S. 461 Bieder, W. 497 f. Bieringer, R. 234, 307 Bird, M. F. 509 Bittner, R. 483 f. Bizimana, J. 476 Blanton, T. R. 450 Blass, F. 302, 437 Blum, E. 73, 77 f., 162 Blumenberg, H. 179, 184 – 187, 199 f., 240 – 245, 250, 275, 278 Blumfeld 252 f., 275 Boccaccini, G. 222 Böckler, A. M. 69 – 71, 116 Boehm, G. 127 Boesak, A. 463 f. Bohlen, M. 374 – 376 Böhnke, M. 292 Bonhoeffer, D. 459 f., 465 f., 477, 479, 529 – 532 Borasio, G. D. 535 f. Bord, L.-J. 218 Borgnet, A. 155 Bormann, L. 142, 381 Bornkamm, G. 220 Boschki, R. 414 Böttrich, C. 437, 451 Bovon, F. 507 Boyarin, D. 222, 228 Brand, M. T. 170 f. Brandt, R. 128 Brandt, S. 458 Braun, R. 54 Breitling, A. 473 Bremen, K. von 525 Bremer, J. M. 159 Brennecke, H. C. 30, 32 f., 37 Breytenbach, C. 211, 231, 532 Brocke, M. 107 Brox, N. 24, 39, 44, 110 Brüll, H. 28 Brunner, G. 109 Buch-Hansen, G. 382 Bühler, P. 130

Bukowski, P. 485 Bulhart, V. 50 Bultmann, R. 126, 181, 198, 204, 290 f., 295, 434, 497 Buntfuß, M. 126 Burchard, C. 216, 232 Burn, A. E. 21, 26, 50, 52, 54 Burz-Tropper, V. 96, 496, 503 Busch, E. 496, 559 Caesarius von Arles 49 Calvin, J. 185, 188, 338, 401, 405, 406 – 408, 542 Campenhausen, H. von 37 Carden, M. 273 Carr, D. M. 63 Casali, K. 139, 150 Chalamet, C. 530 Clairmont, H. 123 Claudius, M. 534 Clines, D. J. A. 168 Cohen, H. 178 f. Collins, A. Y. 216 Collins, J. J. 167 Collins, R. F. 440 Conzelmann, H. 213 Corley, J. 158 Cosgrove, C. H. 441 Crabbe, K. 439, 442 Craffert, P. 287 Cramer, K. 262 Crenshaw, J. L. 166 Cuarón, A. 241 Cvetković, C. A. 51 Cyprian von Karthago 39 f., 42, 54 f., 107 Dahnelt, R. 133 f. Dalferth, I. U. 130, 260, 332, 340 – 342 Dallaire, R. 475 Daly, M. 119 Dantine, W. 326

Personenregister  615 Danz, C. 132, 284, 289, 321, 322, 323 – 325, 327 – 331, 332 f., 334, 339 – 344, 486 David, P. 119 Debrunner, A. 302, 437 Deines, R. 143, 233 Delobel, J. 442 f. Denzinger, H. 396, 404, 411 Derrida, J. 469, 477, 485 Dettinger, D. 503 Dettwiler, A. 530 Dibelius, M. 220 Diem, H. 576 Diercks, G. F. 40, 55 Dierken, J. 123, 129, 182, 324, 328 Dietrich, M. 70 Dietrich, W. 69 Dilschneider, O. A. 326 Dingel, I. 13, 375, 411, 456, 496 Dirks, U. 268 Doering, L. 7, 93, 217 f., 226, 229 f., 235 f., 267, 269 – 273, 276, 579 Donner, R. 67 f. Döpp, S. 17 Döring, S. A. 483 Dozeman, T. B. 78 Drechsler, J. 132 Drecoll, V. H. 21 f., 322 Drexler, H. 440 f. Drügh, H. J. 126 Du Toit, A. 91, 512 Dummer, J. 32 Dunkel, D. 567 Dunn, J. D. G. 378 f. Dürnberger, M. 330 Dvorak, R. 122 Ebach, J. 79, 468 f. Ebeling, G. 284, 291, 458 Ebner, M. 441 Eckstein, H.-J. 228, 235, 503, 507

Egeria 31 Egger-Wenzel, R. 158 Ego, B. 157, 170 Eizenhöfer, L. 40 Elledge, C. D. 509 Embry, B. 158 Engemann, W. 413 Enns, F. 470 Enxing, J. 472 Eschner, C. 103 Euler, A. 452 Euseb von Caesarea 37 Evers, D. 260 Fabry, H.-J. 169 Falconer, A. D. 474 Faller, O. 25 – 27 Fee, G. D. 545 Feil, E. 529 Feld, H. 440 Feldman, L. H. 158 Feldmeier, R. 92 – 94, 99 f., 116 f., 135, 140, 143, 163, 212, 223 – 225, 232 f., 425, 433 Fellmann, F. 127 Feuerbach, L. 117 Fichte, J. G. 132 Fiedler, P. 432 Filler, E. 218 Finster, R. 260 Finsterbusch, K. 166 Fischer, A. A. 507 Fischer, G. 445, 449, 453 Fischer, I. 65 Fischer, J. 331 f., 474 Fitschen, K. 124 Fitzmyer, J. A. 441 f. Flanagin, D. Z. 37 Fort, G. von le 343 Frankemölle, H. 427, 432 Franz, M. 170 Frenschkowski, M. 49 Frettlöh, M. L. 457, 469, 472, 477, 479, 484

616  Personenregister Freud, S. 117 Freudenberg, M. 185, 338, 401 Frevel, C. 157 Frey, J. 3 f., 11 f., 48 f., 142 f., 146, 148, 157, 217, 285, 291, 294, 296, 315, 377, 382 f., 507 f., 513, 515, 538 f., 546, 570, 579 Frick, E. 118 Frick, P. 224 Frost, U. 132 Fuchs, A. 509 Fuchs, E. 126, 130 Furley, W. D. 159 Gabriel, M. 124 Gamber, K. 50 García Martínez, F. 158, 226, 229 Gebhard, R. 573 Geerlings, W. 17, 41 Gemeinhardt, P. 5, 11, 22, 25, 36, 43, 46, 49 – 51, 288, 292, 322, 372, 575, 579 f. Gemünden, P. von 287, 486 Gerber, C. 101, 117, 131, 304, 350, 362, 369, 371, 412, 512, 518 Gerhards, M. 71 Gerhardt, P. 262 – 264, 266 Gernhardt, R. 136 Gerst, A. 242, 275 Gertz, J. C. 78, 85, 163 Gese, H. 532 Gestrich, C. 314, 458, 459 f., 463, 466, 477, 485 Geyer, H.-G. 525 f., 534 f. Gielen, M. 364, 439, 452 Gietenbruch, F. 498 Gilbert, M. 171 Giuntoli, F. 79 Gleßmer, U. 164 Gnilka, J. 450 Gockel, M. 192, 200 Godenk, H. 472

Goethe, J. W. von 13, 118 Goff, M. J. 171 Gollwitzer, H. 117 Gounelle, R. 30 Gräb, W. 258, 267, 340 Grabbe, L. L. 81 Graetz, S. 76 Grässer, E. 219, 429 Grätzel, S. 461 Graupner, A. 76 Green, C. 529 Gremmels, C. 459, 530 Greshake, G. 123, 524, 537 Grethlein, C. 340 Grob, N. 115 Grom, B. 488, 489 Großhans, H.-P. 9, 183, 288, 362, 365 f., 369, 372 f., 377, 386, 393, 408, 411 – 413, 416 – 420, 580 Gruchy, J. W. de 464 Gudea von Lagasch 70 Guest, D. 273 Gundry-Volf, J. M. 228 Gurtner, D. M. 450 Guth, K.-M. 13 Haarmann, V. 82 Haas, H.-S. 461 Habermas, J. 127 Habets, M. 327 Haeuser, P. 51, 54 Hägerland, T. 429, 432, 440, 442, 447, 449 Hagner, D. A. 451 Hahn, F. 277, 346, 360, 532, 544, 547 Hahn, U. 503 Hamburger, A. 118 Hamidovic, D. 218 Hammerton-Kelly, R. 116 Hansen, G. 30 Härle, W. 121, 143, 146, 150, 181, 183 f., 187, 462, 469, 576

Personenregister  617 Harlow, D. C. 167 Harnack, A. von 40, 57, 122, 547 Hartenstein, F. 62, 64, 73, 132, 136 Hartmann, L. 106 Hartmann, M. 483 Hartvigsen, K. M. 105 Hasitschka, M. 430, 451 Hassemer, W. 192 Haustein, J. 327 Hauswald, E. 17 Hayward, R. 93 Hecht, H. 260 Hecke, P. von 69 Hegel, G. W. F. 117, 123, 137, 324 Heidegger, M. 199, 205, 244, 256 Heil, G. 45 Heil, J. P. 451 Heil, U. 33, 35 f., 37, 45 Heilig, C. 509 Heine, H. 118 f. Heine, S. 120 Heinrich Kellner, K. A. 548 Heinrich, C. 498 Hellholm, D. 105 f. Hengel, M. 156, 172 Henning, C. 286, 326, 329 Henze, M. 222, 236 Heraclides 45 Herms, E. 59 f., 269, 559 – 561 Herms, R. 158 Herzer, J. 3 f., 48 f., 142 f., 146, 148, 285, 307, 311, 321, 329, 345 f., 348 – 352, 362, 451, 507, 538 f., 570, 575, 580 Herzig, E. C. 580 Hewitt, J. T. 509 Hilarius von Poitiers 33 f. Himbaza, I. 83 Himmelfarb, M. 215 Hippolyt von Rom 38 f. Hirsch, E. 253, 263 Hittorp, M. 19

Hoegen-Rohls, C. 10, 304, 350, 496, 512, 516, 518 – 520, 522 f., 537, 540 – 543, 545 – 547, 576, 580 Hoffmann, P. 440 Hofius, O. 441, 532 Hofmannsthal, H. von 534 Höhler, S. 249 Höhne, F. 132 f. Holl, K. 32 Hollertz, D. 322 Holtz, T. 301, 304, 502 Holzmüller, T. 117 Hommel, H. 159 Hopf, F. W. 387 Horbury, W. 222 Hörisch, J. 340 f. Horn, F. W. 285 f., 297, 304 f., 308, 362, 412, 473 Horsley, A. 359 Hubbard, M. V. 234 Huber, W. 467 Hübner, R. M. 42 Huizing, K. 117, 464 Hummel, T. 120 Hund, J. 495 Hünermann, P. 396, 404, 411 Hunziker, A. 130 Hurtado, L. H. 222 Husserl, E. 128, 339 Ignatius von Antiochien 110, 362, 429 Ihben-Bahl, S. J. 580 Irenaeus von Lyon 24, 38, 110 Jacobi, C. 101, 117, 131 Jankélévitch, V. 468 Janowski, B. 485 Jantsch, T. 433, 435, 449 Jaroš, K. 162 Jaschke, H. 116 Jaspers, K. 461 – 463 Jatho, H. 472

618  Personenregister Jenni, E. 162 Jeremias, J. 69, 92, 116, 164 Jervell, J. 211, 231 Joest, W. 416 Johannes Chrysostomus 46, 175, 366 Jonas, H. 129, 186, 192 Jones, S. C. 171 f. Jordan, S. 481 Jost, N. R. 580 Julius von Rom 32, 45 Jungbluth, G. 576 Jüngel, E. 12, 123, 125 f., 130, 136, 141, 148, 183 f., 191, 204, 205 f., 309, 325, 393, 458, 460, 524 Jüngling, H.-W. 69 Justin 112 Käfer, A. 3 f., 11 f., 48 f., 142 f., 146, 148, 191 f., 200, 203, 287 f., 420, 456, 463, 507, 523, 538 – 540, 570, 581 Kaftan, J. 180 f. Kaiser, O. 156, 166, 168, 170, 172, 231 Kaiser, U. U. 97 Kamlah, J. 157 Kamlah, W. 535 f. Kammler, H. C. 513 Kant, I. 118 f., 121 f., 125, 130, 255, 260, 262 Kany, R. 122 Kärkkäinen, V.-M. 327, 330 Karle, I. 272 Karrer, M. 214, 216, 222, 499, 508 Käßmann, M. 120 Kattan, A. E. 292 Kattenbusch, F. 18, 19, 21, 40 Kaufmann, A. 192 Keel, O. 69, 538 Keener, C. S. 507, 509

Kelly, J. N. D. 20 f., 23, 25 f., 29 – 31, 34, 37 – 39, 40, 43 f., 45, 47, 49 f., 52, 53, 54 f., 57, 287 f., 292, 497 Kelsen, H. 180 Kempis, S. von 559 Kern, U. 117 Kiefer, B. 115 Kierkegaard, S. 459 f., 479, 576 Kilgallen, J. J. 442 Kim-Rauchholz, M. 439 Kinzig, W. 17 – 21, 22, 23 – 30, 32 – 36, 38 – 41, 42 f., 45, 48 – 50, 54 f., 322, 357 Kister, M. 233 f. Klaiber, W. 506 Klauck, H.-J. 24, 156, 427, 431 Klein, H. 543 Klopfenstein, M. A. 69 Kloppenborg, J. S. 95 Kluge, A. 414 Knauf, E. A. 67 Knöppler, T. 304, 350, 430, 518 Koch, E. 564 Koch, L. 412 Koch, K. 164 Köckert, M. 69 Koerrenz, R. 326 Konradt, M. 9, 428, 432, 450, 452 f., 456, 479 f., 482 f., 484, 486 – 489, 581 Kooten, G. H. van 99, 359 Korner, R. J. 359 Korsch, D. 326 Körtner, U. H. J. 130, 284, 287, 291, 309, 338, 503 Koschorke, A. 82 Kottsieper, I. 77, 168 Kratz, R. G. 224 Kraus, H.-J. 326, 525 Kraus, I. 525 Kraus, W. 366, 368 Krause, M. 164 Kreiner, A. 199

Personenregister  619 Kremer, J. 506, 508 Kreplin, M. 432, 437 Kretschmar, G. 24 f. Kreuzer, J. 138 Krog, A. 472 Krötke, W. 462 f., 467 Krüger, G. 567 Krüger, M. D. 6, 124, 126 – 134, 137, 139, 144 – 149, 203, 581 Krüger, T. 160 Kubik, A. 265, 284 Kugel, J. L. 158 Kügler, J. 439 Kuhn, H.-W. 497 Kühn, U. 148, 285, 328 f. Küng, H. 559 Kunstmann, J. 132 Kurz, G. 126 Kuske, M. 459 Kutsch, E. 532 Kyrill von Jerusalem 30, 31, 39, 46 f., 51, 54 Laato, A. 166 Labahn, M. 362 Lanckau, J. 76 Landmesser, C. 228, 235, 347, 450, 503, 507 Lang, B. 70 Lange, A. 157, 169, 171, 217 Lanzinger, D. 225 Lasogga, M. 503 Latour, B. 243 – 245, 249, 275 Laube, M. 8, 284, 285 f., 288 f., 319, 345, 349, 352, 362, 581 Lauster, J. 340 Lee, H.-C. 113 Leibniz, G. W. 260 – 263 Leiner, M. 192, 200 Leinhäupl-Wilke, A. 441 f. Leo I. 50 Leonhardt, R. 4, 148, 291, 570, 574 Lepesqueux, G. 173

Leroy, H. 440 Lesaar, H. R. 473 Leuenberger, M. 67 Levin, C. 77 Lévinas, E. 474 f. Levison, J. R. 291, 294, 315 Lichtenberger, H. 169, 171, 228, 235, 503, 506 – 508 Liedtke, S. 181 Lietzmann, H. 40, 57 Lieven, A. von 92 Lincoln, A. T. 216 Lindemann, A. 106, 108, 220, 232 f., 498 Lindenmayr, H. 272 Lips, H. von 221 Lochman, J. M. 462, 465, 567 Loeper, G. von 118 Lögstrup, R. 576 Lohfink, G. 524, 537 Lohse, E. 93 Longenecker, B. W. 297 Loretz, O. 70 Lüpke, J. von 416 Luther, M. 132, 190 f., 201, 237, 264 f., 266, 287, 289, 323, 370, 371, 375, 377, 386, 387 f., 390, 396, 401, 411, 457, 458–460, 462, 464, 465 f., 469, 523, 552, 554 f., 568, 572, 576 Lüthi, K. 119 Luz, U. 9, 106, 304, 450, 453 Macchi, J.-D. 63 MacDonald, N. 73 Mainzer, K. 268 Maltese, G. 327 Mann, T. 237 Marguerat, D. 448 Markell von Ankyra 30, 32 – 36, 38, 39, 45, 53, 357 Markschies, C. 22, 32, 36, 38 f., 108, 322, 567

620  Personenregister Marshall, I. H. 440 Martikainen, E. 389 Marx, K. 117 Mason, E. F. 216 Matera, F. J. 447 Mattei, P. 38 Matthes, C. K. 303 Mazzocco, M. 530 Meckenstock, G. 130, 403 Meier, J. P. 452 Meijering, E. P. 567 Meireis, T. 467 Melanchthon, P. 287, 386, 390 f., 401, 418 Mell, U. 234 f., 303 Mende, D. 126 Méndez-Moratalla, F. 442 Menne, A. 414 Merkelbach, R. 160 Merklein, H. 364, 502 Merz, A. 223 Mettinger, T. N. D. 161 Metz, J. B. 479 Metzger, M. 27, 161 Metzner, R. 298, 430 Meyer-Blanck, M. 567 Michaels, J. R. 521 Mitscherlich, A. 121 Mittmann, U. 170 Mohlberg, L. C. 40, 396 Moltmann, J. 325 f., 328, 484 Montevecchi, O. 159 Moor, J. C. de 166 Mordek, H. 20 Morin, G. 49 Moxter, M. 7, 124, 132, 136, 147, 183, 195, 198 – 203, 204 f., 251, 332 f., 337 – 341, 343, 581 Mpanbani, M. 471 Mugerauer, R. 116 Mulack, C. 120 Mülke, M. 213 Müller, A. 106

Müller, G. L. 465 Müller, M. 67 Müller, P. 304, 350, 518 Müller, R. 68 Müller, U. B. 147, 500, 508, 542 f. Murrmann-Kahl, M. 132, 289, 322 – 324, 328 f. Nagel, C. 581 Neijenhuis, J. 567 Nesselrath, H.-G. 170 Neumann, F. 164 Nichtweiß, B. 91, 358 f. Nickelsburg, G. W. E. 157 Niebuhr, K.-W. 233, 301 f., 433 Niederwimmer, K. 27, 107, 110, 367, 378, 382 Niehr, H. 81 Nielsen, J. T. 521 Nietzsche, F. 119 Nihan, C. 63 Niketas von Remesiana 26, 50 – 52, 54 Noll, T. 15 Nolland, J. 452 Nolte, J. 440 Nord, I. 340 Nöth, W. 342 Nussbaum, M. 483 Oberdorfer, B. 292 Oberlinner, L. 439 f. Oeming, M. 160, 168 Öhler, M. 8, 106, 288, 378, 411 f., 413, 415 f., 419, 420, 581 Ohly, L. 340 Ohmann, S. 481 Olson, C. 246 Oorschot, J. van 62, 66, 67 – 69, 173 Opitz, H.-G. 30, 32, 37 Origenes 45, 547 Otto, E. 63, 65, 73 f.

Personenregister  621 Otto, R. 247 Pajunen, M. S. 158 Palm, F. 542 Palmer, G. 408 Pannenberg, W. 23, 59, 120 f., 131, 135, 191 f., 273, 325, 456, 457, 464, 559 Papst Franziskus 559 Park, J. 452 Parmentier, L. 30 Passow, F. 542 Pastorelli, D. 315 Paul, J. 118 Paulsen, H. 106, 108, 542 Peiter, H. 189 Penner, J. 158 Peters, A. 372, 374 f. Peters, R. D. 365 Peterson, E. 91 Petrany, C. 158 Petrus Chrysologus 46, 49 Petzoldt, M. 268 f., 271, 274, 287, 309 Pfeiffer, H. 64, 69 Philon von Alexandrien 99, 170, 218 – 221, 224, 226 f., 232 Philonenko, M. 97 Pietsch, M. 161 Pilhofer, P. 157 Pinnock, S. K. 120 Pirmin von Reichenau 17 – 20, 26 Pitschmann, A. 184 Platon 99, 181, 216, 218 f., 227 Plutarch 232 Pöhlmann, H. G. 401, 495 Pöhlmann, W. 445 Polke, C. 123, 182 Popović, M. 93 Portenhauser, F. 503 Portier-Young, A. E. 165 Pouchelle, P. 166 Prader, H. 116 Preul, R. und R. 576

Preuss, H. D. 425 Prüller-Jagenteufel, G. 458, 465, 471 Pury, A. de 63 Quenstedt, J. 125, 130, 133, 136, 582 Rabens, V. 286, 296, 298, 311 Rad, G. von 225 Radbruch, R. 192 Radice, R. 213 Rahmani, I. E. 41 Rahner, K. 414, 417 Rapp, U. 67 Ratzinger, J. 546, 559 Redditt, P. L. 166 Rehkopf, F. 302, 437 Reischl, K. 31, 51, 54 f. Reif, S. C. 158 Rendtorff, R. 77 Rendtorff, T. 264 Repschinski, B. 451 Rest, W. 576 Reuter, H.-R. 467 Rey, J.-S. 171 Ricœur, P. 472, 473, 476, 478 Riedl, G. 40 Ring, A. 118 Rinne, L. 414 Ritschl, A. 533, 534 Ritter, A. M. 37, 38 f., 45, 411 Ritter, W. H. 163 Ritzer, I. 115 Rohde, J. 302 Rolf, E. 126 Röllig, W. 68 Roloff, J. 361, 366 f., 370, 413 Römer, T. 63, 73 Römheld, K. F. D. 169, 171 Roose, H. 370 f. Roscher, W. H. 159 Rösel, M. 164 Rosenbach, M. 496

622  Personenregister Rost, V. C. F. 542 Roth, M. 274, 279, 461 Röwekamp, G. 31 Yoder, C. R. 171 f. Ruddies, H. 525 Ruether, R. R. 120 Rufin von Aquileia 26, 28 – 33, 49, 357 Ruhbach, R. 567 Ruiten, J. van 93 Runia, D. T. 218 f. Rupp, J. 31, 51, 54 Rusam, D. 434 Salo, R. S. 68, 70 f. Sandkühler, T. 270 Sanmartín, J. 70 Sargon I. 70 Sasse, H. 387 Sasse, M. 157 Satake, A. 500 Sattler, D. 330 Saur, M. 278 Sauter, G. 532 Schaede, S. 347, 496 Schaeffler, R. 488 Schäfer, P. 222 Schäfer, R. 122, 189, 324, 533 Schaller, J. B. 227, 229, 233 Scharfenberg, J. 118 Schart, A. 166 Scheele, P.-W. 25 Scheiber, K. 425 f., 437, 461 Schelbert, G. 92 Scheliha, A. von 263, 265, 284 Schelkle, K. H. 543 Schelling, F. W. J. 123 f., 137 Schenke, H.-M. 108 Schenker, A. 63 Scherer, J. 45 Schermann, T. 27 Schiffman, L. H. 158 Schiele, F. M. 567 Schindler, A. 110

Schlatter, A. 458 f. Schleiermacher, F. D. E. 121 f., 129 f., 132, 188 – 190, 200 f., 203, 247 f., 249, 256 – 258, 262, 274 – 276, 285 f., 324, 335, 402 f., 462, 533 f. Schleyer, D. 24, 38 Schlier, H. 369 Schliesser, B. 378 Schliesser, C. 9, 458, 465, 471, 476, 479, 480 – 482, 484 – 487, 489, 582 Schmeller, T. 304, 366 Schmid, D. 274 Schmid, K. 73, 78 f., 160, 168, 170 Schmid-Lauber, H.-C. 567 Schmidt, J. 461 Schmidt, T. M. 184 Schmidt-Leukel, P. 414, 419 Schmitt, C. 180 Schmitt, R. 77 Schmitz, J. 55 Schnackenburg, R. 520 f. Schneemelcher, W. 24 Schneider, G. 24, 98, 144 Schneider, H. O. 495 Schneider-Flume, G. 144 Schnelle, U. 142, 221, 304 f., 315, 321, 335, 347, 360, 367, 382 f., 503, 514, 522 Schnocks, J. 507 Schnurrenberger, M. 328 Schobert, W. 163 Schöllgen, G. 41 Schönherr, A. 465 Schrage, W. 363, 365, 499, 501 Schreiber, S. 502, 510 Schreiner, J. 25 Schröder, K. 120 Schröer, H. 567, 573 Schröter, J. 101, 108, 117, 131, 370, 412 Schröter, M. 124

Personenregister  623 Schulz-Flügel, E. 38 Schürmann, H. 440 Schüssler Fiorenza, E. 119 Schütte, H.-W. 525 Schwankl, O. 509 Schwöbel, C. 271 Scoralick, R. 170 Scott, R. 241 Sedlaczek, M. 472 Segbroeck, F. van 442 Seitz, M. 567 Sellin, G. 233, 370 f. Seneca 496 Senior, D. 451 Sieben, H. J. 29, 38 Siffrin, P. 40 Silva-Tarouca, A. 26 Simmel, G. 265 Simon, R. 292 Simonetti, M. 26, 28 Siricius von Rom 28 Sixtus III. 29 Slenczka, N. 85, 322 Smith, D. E. 439 Smulders, P. 47 Sölle, D. 119 f., 189, 275 f. Sorg, T. 567 Spehr, C. 124 Spieckermann, H. 93, 117, 140, 143, 155, 212, 223 – 225, 232 f., 425 Springhart, H. 338 Staats, R. 57, 106 Stamer, T. 132 f. Stanton, G. N. 297 Steck, O. H. 167 Stegemann, H. 229 Steiger, J. A. 132 Stemm, S. von 447 Stockhausen, A. von 33 Stoellger, P. 183, 338, 340 Stökl Ben Ezra, D. 235 Strecker, C. 345, 505 Stritzky, M.-B. von 107

Ströker, E. 339 Strotmann, A. 92, 93, 143 Strüder, C. 296 Strutwolf, H. 37 Stuhlmacher, P. 529, 532 Suchocki, M. H. 458 Sung, C.-H. 432, 442 Szkredka, S. 434 Taeger, J.-W. 497 Tanaseanu-Döbler, I. 25, 46 Tannehill, R. C. 434, 442 Tellenbach, H. 110 Tertullian 24, 26, 38, 42, 107, 112, 547 Tetens, H. 524 Thadden, E. von 244 Theißen, G. 286 f. Theißen, H. 10, 530, 537, 539 f., 542 – 546, 576, 582 Theobald, M. 97, 508 Theodor von Mopsuestia 46 f. Theodoret von Kyros 30 Theophilus von Antiochien 233 f. Thibeaux, E. R. 442 Thiele, M. H. 205 f. Thielicke, H. 133 Thomas von Aquin 259 f., 466 Thomas, G. 338, 340 Thureau-Dangin, F. 71 Thyen, H. 515 Tidner, E. 40 Tigchelaar, E. J. C. 158 Tillich, P. 116, 125, 133, 239, 263, 274, 276, 485, 486 f. Timm, H. 244 f., 286, 326 Tödt, H. E 529 f. Tödt, I. 459, 529 f. Tomasello, M. 126 f. Tomberg, M. 126 Toorn, K. van der 63 Torres de Queiruga, A. 484 Trebilco, P. R. 358, 360, 375 f. Trillhaas, W. 255, 266, 277 f.

624  Personenregister Troeltsch, E. 342 f. Tropper, J. 67 Tugendhat, E. 249 Tutu, D. 471 Ueberschaer, N. 347 f., 496, 504, 508, 515, 518, 520 f., 582 Uehlinger, C. 160 Uhlig, S. 174 Ulrich, D. W. 452 Ulrichs, K. F. 347 Ussher, J. 32, 34 Veijola, T. 73 Veltri, G. 227 Vervenne, M. 74 Verweyen, H. 414 Villa-Vicencio, C. 464 Vincent, M. R. 544 Vinzent, M. 23, 32 f., 34 – 37, 42, 46, 50, 322 Vischer, L. 330 Vogel, M. 498 Vokes, F. E. 43, 495 Völker, A. 533, 567 Vollenweider, S. 304, 310, 321 Volp, U. 498, 507 Vondey, W. 487 Vorgrimler, H. 414, 417 Vorländer, H. 70 Wabel, T. 132 f. Wacker, M. T. 484 Wagner, F. 117, 122 f., 133, 182 f., 199, 328, 401 Wagner, R. 94 Wallace, J. B. 215 f. Walter, M. 363 Walter, N. 543 Wanke, R. M. 155 f., 163 Warncke, C.-P. 15 Wartenberg, G. 576 Waschke, E.-J. 124 Wassen, C. 229

Waterlot, G. 530 Watt, J. G. van der 506 f. Waubke, H.-G. 230 Weber, O. 185, 338, 401 Weidemann, C. 199 Weidemann, H.-U. 91, 358 f., 382 Weiler, G. 120 Weimar, P. 155 Weinrich, M. 117 Weippert, M. 162 Weischedel, W. 121 Weissenrieder, A. 294 Welker, M. 325 f., 327 f., 329, 338, 458 Wendt, G. 481 Wenz, G. 129 Werner, O. 538 Wessels, H.-F. 123 Westra, L. H. 21, 29, 34, 35, 47, 49 f. Wicke-Reuter, U. 168 Wiesenhütter, E. 118 Wilckens, U. 440 f. Wilfred, F. 484 Wilk, F. 94, 170, 230 f. Will, H. 118 Wills, L. M. 158 Wischmeyer, O. 89 Witherington III., B. 380 Witte, M. 7, 62, 66, 67 – 69, 78, 85, 147, 156, 158, 160 – 163, 165, 167 – 169, 171 – 173, 178, 180, 192, 195 – 197, 202, 582 Wittekind, F. 323, 325 f., 331, 333, 334, 343 Wittgenstein, L. 186 Wittstadt, K. 25 Witulski, T. 500 Wohlmuth, J. 414 Wöhrle, J. 77, 80 f. Wolff, C. 142, 296 f., 302, 305, 307 f., 316 f. Wolter, M. 214, 223, 231 f., 285, 298, 304, 308, 312, 317, 358,

Personenregister  625 363, 434 f., 437, 440, 443, 445, 448, 498, 504, 507, 509 Wright III, B. G. 158 Wright, A. T. 158, 171 Wüstenberg, R. K. 458, 465, 471 Yinger, K. L. 167 Yong, A. 327 Zahn, T. 440 Zahrnt, H. 326 Zarnow, C. 7, 260, 263 f., 267, 269, 274 – 278, 287, 488, 582 Zehner, J. 471

Zehr, H. 470 Zeller, D. 159, 364, 365, 501 Zelzer, M. 28 Zgoll, A. 49 Zimmerling, P. 285 f., 327, 329 f. Zimmermann, C. 6, 92 – 100, 102, 104, 116, 139 – 141, 142, 147, 149, 159, 307, 347, 503 – 505, 512, 519, 583 Zimmermann, R. 89, 131, 338, 473 f. Zingg, E. 116 Zugmann, M. 446 Zwickel, W. 161

Sachregister Allmacht / Allmächtiger  7, 82, 89 f., 147 f., 153, 155, 159, 162 – 164, 169, 172 – 175, 177 f., 180 – 192, 195 – 207, 338, 565 Ambivalenz  87, 116, 133, 183, 315, 514 – Ambivalenzmanagement 125 Apostolikum  V, 5 f., 8, 11, 15, 17 – 23, 26, 30, 33 – 36, 38, 43 f., 47 – 51, 54 – 57, 89 – 91, 111 – 113, 139 – 142, 147 – 150, 159, 177 – 179, 188, 209, 288 f., 346, 355, 357, 360 f., 368 f., 371 f., 374, 383, 385 f., 394, 456, 493, 495 f., 551 f., 554 f., 559, 563 f., 566 – 570, 573, 575 – 578 – Apostolikumstreit  563, 567, 573 Athanasianum  21 f., 57, 552 f., 565 Auferstehung / Totenauferstehung  8, 10, 17, 24, 41, 43, 53 f., 112, 130, 142, 146, 205 f., 230, 232 f., 287, 289, 293, 306, 308, 312 – 314, 319, 323, 335, 346 – 348, 350, 374, 381, 385, 406, 416, 457, 493, 495 – 497, 500, 506 – 521, 523 – 528, 531 – 533, 537 – 541, 543 – 548, 563 f., 571, 575 f. – Auferstehungsglaube  85, 538, 543 – 545, 547 – Auferstehungshoffnung  219, 531 f., 536, 544 f., 547 – Auferstehungsleben  347 f., 505, 515, 519 – Auferstehungsleib  232 f. Auferweckung / Totenauferweckung  141, 146, 219, 236,

283, 294, 305, 347 f., 351, 448, 493, 497 f., 501 f., 510, 512 – 515, 539 f., 546 f., 551 Bekenntnisschriften  12 f., 19, 22, 292, 411, 495, 551 f., 562, 572 f. Bild Gottes  130 f., 144 – 147, 151, 225 f., 259, 307 – Ebenbild Gottes / Gottebenbildlichkeit  72 f., 143, 221, 231, 239, 307, 560 – Vaterbild Gottes  121, 135 Christusmystik 304 conditio humana  75, 285, 295, 299, 309 f., 313, 435 Darstellung  10, 31, 62, 76, 143, 161, 202, 215, 223, 240 f., 242, 247, 249, 254, 278, 288, 299, 317, 322, 326, 330, 332 f., 339 – 342, 389, 392, 398 – 400, 402, 418, 446, 501 descensus ad inferna  29, 49, 564 Dogmatik  7 f., 195, 239, 263, 274 – 276, 284, 289 – 291, 322, 329, 389, 529, 558 f. Doxa / δόξα  174, 231, 307, 310, 317, 319, 511, 517 Erfahrung  8, 10, 65 f., 70, 113, 119, 121, 133, 147, 151, 165, 167 f., 174, 179, 187, 196 f., 202, 233, 253, 261, 266, 286, 309, 325, 327, 329, 334 – 336, 378, 383, 465, 488, 491, 531, 539, 545 – Glaubenserfahrung  266, 269 – Heilserfahrung  425 – Kontingenzerfahrung  140, 263

Sachregister  627 – Leidenserfahrung  153, 167 Erinnerung  12, 25 f., 131, 145 f., 193, 245, 323, 331, 334, 340, 382, 472 – 475, 478, 486 f., 534 Eschatologie  66, 75, 168, 232, 259, 284, 288, 315, 322, 513 f., 524, 526, 528, 530, 532, 536, 544, 553, 558 fides (s. auch Glaube)  34, 50, 553, 555 – fides qua creditur  553, 555 – fides quae creditur  553, 555 Filioque  292 f., 318, 569 Frau  72, 79, 96, 135, 225 – 231, 272 f., 360, 439 – 443, 452, 475, 525 Freiheit  9, 11, 58, 82, 84, 124, 127, 148, 170 – 172, 181 – 184, 186, 189 – 191, 201 – 204, 206, 232, 277, 298 f., 310 – 312, 316 f., 319, 321, 328, 344, 397, 401 f., 421, 465 f., 535, 572, 574 Gefühl  128, 277, 285 – 287, 473, 480 – 489 – Abhängigkeitsgefühl  256 – Lebensgefühl  119, 283, 285, 319 – Mitgefühl  379 – Naturgefühl  247 f., 257 Geist (s. auch Heiliger Geist)  3, 8 f., 15, 17, 24, 41 f., 52, 79, 84, 87, 96 f., 101, 103, 105 – 108, 111, 120, 122 – 124, 137 f., 146, 149, 167, 204, 216, 233, 247 f., 253, 255, 281, 283 – 319, 321 – 353, 355, 357, 361, 365, 371 – 373, 376 – 383, 385 – 388, 391 – 393, 395, 397 f., 404, 411, 413, 418 f., 421, 423, 425 f., 428, 430, 433 f., 447 – 449, 456 f., 460, 482, 487, 489, 493, 495,

497, 502 – 505, 511, 519, 521 f., 546, 554 f., 560, 565, 570, 573, 575, 577 – Geist Christi  96, 311, 342 – Geist Gottes  8, 281, 291, 293 – 296, 299, 301, 308 f., 311 – 314, 316, 328, 335 – Gemeingeist  324, 335 Gerechtigkeit  7, 76 f., 115, 118, 140, 156, 164 – 169, 172, 174 f., 179, 185, 192, 196 f., 205, 223, 235, 305, 310, 346, 350, 367, 371, 428, 457, 470 – 473, 487, 507, 517 Gesinnung  296, 298 f., 303, 309 f., 313, 351 f., 503 f. Glaube (s. auch fides)  3, 7 f., 10 – 13, 21 – 23, 25 – 34, 44, 47, 52, 55, 58, 74, 85, 87, 92, 102, 112, 121, 148 f., 155, 167, 172, 174 f., 177 f., 180 f., 184, 186, 189, 193, 197 f., 200, 207, 209, 219 f., 259, 263 – 265, 267 – 269, 280 f., 283, 287 – 292, 294, 296, 298 – 304, 306, 308 – 312, 314, 316 – 319, 322 – 324, 334, 336 f., 346 – 349, 351, 353, 355, 357, 361, 371 f., 375, 377 – 379, 388, 391 – 394, 397, 401 – 409, 411, 423, 425 f., 428, 431, 436 f., 442 f., 446, 448, 456 – 458, 460, 463, 467, 471, 476 f., 479 f., 483, 485, 489, 493, 505 f., 508, 515, 518, 520 f., 523, 528, 531, 538 f., 545, 547 f., 551 – 562, 565, 569 f., 572 – 575, 577 f. – Glaubensregel  38, 40, 45, 56, 321 – Glaubenssätze  10, 178, 420, 455, 464, 531, 555, 570 – πίστις  436 f.

628  Sachregister Gnade  31, 75, 115, 138, 142, 147 f., 169, 201, 307, 310, 347, 374, 378 f., 394, 418, 425, 439, 459 f., 462 f., 477, 517, 534, 555 Gottesbild  7, 64, 87, 104, 109, 111 f., 118 – 120, 125, 133 – 137, 145, 149, 151, 263, 426, 433, 443 f., 446, 487 f. Gott-Vater (s. auch Vater)  93, 99, 116, 123, 136 – 141, 147 – 150, 267, 521 f. Gottesverhältnis  107, 111, 140 f., 193, 368, 462 Götzen  212, 372 – Götzenpolemik  212 Heiliger Geist (s. auch Geist)  3, 8, 15, 17, 24, 87, 105 – 108, 111, 120, 137, 146, 167, 281, 283 – 287, 289 – 296, 299 – 301, 303, 307, 312, 314, 317 – 319, 321 – 326, 331, 335 f., 345 f., 349, 351, 353, 355, 357, 361, 376 – 381, 385 – 388, 391, 393, 398, 404, 411, 423, 430, 447 f., 456 f., 460, 489, 493, 495, 497, 546, 554 f., 560, 565, 570, 573, 575, 577 – Angeld des Geistes  305, 308 – Geist als Person  8, 281, 283, 286 – 289, 291 – 294, 299, 315 – 318, 322, 324, 329, 353, 373 – Paraklet / παράκλητος 315, 381 f., 386, 486, 521 f. – Schöpfergeist  307 Heiligkeit  9, 55, 308, 346, 355, 376, 392 – 394, 416, 435, 518 Heilsmittel 408 Hermeneutik 317 – Bildhermeneutik  145, 149 Herrlichkeit  59, 93, 174, 221, 232, 234, 236, 307, 311,

316 f., 374, 396, 511, 516 f., 543 Himmel  7, 15, 17, 52, 59 f., 81, 94 f., 102, 104, 107, 118, 135 f., 138, 174, 211 – 216, 221, 230, 233, 235 – 237, 239 f., 242, 246, 249 – 252, 254 f., 263, 275, 277 f., 321, 373 – 375, 395 – 398, 415 f., 500, 502, 516, 529, 546, 564, 576 – Himmel und Erde  49, 89 f., 95, 100, 111, 161, 178, 196, 209, 211 – 213, 216, 235 – 237, 240, 246, 249 f., 254 f., 259, 273, 275, 375, 397 f., 416, 500, 560, 564, 576 Jesus – Geburt Jesu  41, 377, 558 – Jesusüberlieferung  102, 298 – Nachfolge Jesu  91 f., 94, 435, 438, 452, 479, 483, 488, 576 – Passion Jesu  41 f., 187 – Predigt Jesu  438, 443 – Sohn Gottes  41, 91, 96, 306, 308, 346, 450 Jhwh  59 f., 63 – 72, 74 – 82, 84 f., 94, 136, 156, 160 – 165, 173, 175, 193, 196, 220, 278 – Jhwh-Religion (s. auch Religion)  63 f., 66, 68 f. Judentum  7, 84, 90 – 94, 99, 112, 155 – 159, 160, 163 f., 169, 174, 195 – 197, 211, 213 f., 216 – 222, 224, 226 f., 233, 236, 270, 297, 358, 374, 413 f., 445, 493, 528 Jungfrau / Jungfrauengeburt  15, 17, 41, 185, 565, 571 Katechese  31, 40, 46 f., 557 f.

Sachregister  629 Katholizität  9, 51, 355, 392 – 394, 411, 416, 565 Kirche / Ekklesia / ἐκκλησία  3 – 5, 8 – 13, 15, 17 – 19, 24, 27 f., 30, 35, 38, 41, 50 – 55, 57, 83, 85, 100, 109, 111 f., 137 f., 149, 153, 216, 287 – 289, 292 f., 323 f., 329 f., 333, 355, 357 – 381, 383, 385 – 421, 426, 453, 456 f., 459, 466, 469, 475 – 477, 479, 484 f., 487 – 489, 493, 495, 540, 551 – 553, 556, 562 f., 569 – 574 – communio sanctorum  11, 17, 22, 48, 50 – 52, 58, 288, 357, 362, 372, 374 f., 377, 383, 386 f., 411 f., 415, 495 – Gemeinschaft der Heiligen  8 f., 17, 51 f., 319, 323, 355, 372 f., 376 f., 385, 387, 390, 426, 450, 456 – Kennzeichen der Kirche  376, 392, 426 Konzil von Nizäa  32, 37, 45 Leben – Christliches Leben  47, 321, 334, 401, 431, 459, 468 f., 478, 519, 561 – Ewiges Leben  8, 10, 17, 53 – 55, 112, 142 f., 167, 281, 287, 289, 312, 319, 323, 347, 350, 377, 385, 391, 457, 493, 495 – 497, 505, 514, 516 – 524, 526 f., 531 f., 537 f., 540, 542, 545, 547 f., 563, 565, 575, 577 f. – Lebensform  181, 400, 453 – Leben und Tod  205, 259, 497, 505 – Sitz im Leben  45, 329, 572 Leib  9, 52 f., 84, 100, 216, 228, 233, 248, 264 f., 283, 297, 304 f., 308, 311 – 313, 355, 362 – 366, 368 f., 371 f., 390,

392, 394, 398, 400, 426, 457, 487, 493, 503 f., 510 f., 513, 524, 542, 544 – Leiblichkeit  248, 283, 297, 308 f., 312 f., 317 f., 350 Liebe Gottes  104, 141 – 143, 179, 296, 310, 347, 379, 431, 458, 462, 467, 478 Logos  96 – 98, 134, 186, 192, 221 f., 430, 434 f., 438, 487, 514, 520, 560 Mann  92, 97, 115, 117, 119 f., 135, 225 – 231, 272, 436, 475, 497, 538 Märtyrer  52 f., 219, 374, 508 Monotheismus  72, 77, 82, 168, 173, 190 Mythologie 246 Mythos  66, 68, 73, 82, 185 – 187, 192, 227, 245 – 247 Narration  59 – 62, 65 f., 72 f., 75, 81 Naturwissenschaft  267 f. Neuschöpfung (s. auch Schöpfung)  8, 171, 235 f., 281, 284, 299, 303, 305 f., 308 f., 318, 348 – 351, 361, 540, 544 Nizäno-Konstantinopolitanum  22, 35, 43, 46, 49, 57, 236, 281, 288 f., 292 f., 318, 362, 385, 394, 416, 456, 552, 554 f., 559, 562, 564 Ostern  43, 130 f., 145, 281, 283, 447, 528, 539, 564 – Ostergeschehen  283, 306 Person  123, 129, 137 f., 143, 146 f., 222, 263, 268, 281, 287 f., 291 f., 293 f., 313, 315 f., 318, 324, 334 f., 340, 344, 353, 359, 365, 373 f.,

630  Sachregister 376, 380, 385, 391, 465, 473, 498 – 500, 553 f., 560 – 562 Predigt (s. auch Jesus)  20, 26, 46, 49, 266, 340, 398, 417, 448, 459, 469, 525, 552, 571 Projektionsverdacht  117, 119, 125, 131, 133, 136 Providenz (s. auch Vorsehung)  222, 224 f., 237 Religion  6, 60, 62 – 64, 66, 68 f., 75, 80, 83 – 85, 92, 112, 118, 125, 129 f., 132 – 136, 144 f., 156, 185, 224, 246 – 248, 258, 263, 285, 332, 342, 400 – 403, 413 f., 419, 476, 535 – Religionsgeschichte  6, 59, 64 – 66, 72, 74, 161, 224 – Religionskritik  117, 125 Repräsentation  332, 339, 399 Romanum  5, 19, 21 – 23, 29 f., 32 – 38, 41 – 45, 47 – 49, 53 f., 56, 288, 411 Sakramente  9, 18, 28, 323, 338, 340, 345, 355, 365, 372 f., 383, 386 – 392, 394, 397 f., 415, 417 f., 458 f., 471, 575 Schöpfer / Schöpfergott  3, 6 f., 15, 49 f., 72, 76, 89 – 91, 99 f., 108, 110 – 112, 151, 153, 161, 165, 169, 171, 178, 180 f., 184, 186 f., 189, 192 f., 195, 198 – 200, 203 f., 209, 211 – 214, 216, 220, 223 f., 232, 236 f., 239 f., 250 f., 254 f., 257, 259, 263 f., 273, 275, 281, 293 f., 351, 493, 497, 560, 565, 573, 575 f., 578 Schöpfung (s. auch Neuschöpfung)  7 f., 15, 60, 73 f., 82, 91, 97, 99, 101, 109, 143, 148, 162, 171 f., 174 f., 178, 187, 195, 200 f., 203, 209, 211, 213 – 215, 217, 219, 221,

223 f., 226, 229 f., 232 – 237, 239 f., 254, 266 f., 269, 273, 275, 280 f., 284 f., 299, 303 – 309, 311, 313 f., 318 f., 323, 328 f., 348 – 351, 361, 368, 456, 540, 544 – creatio continua  213, 216, 220, 222 – 224 – creatio ex nihilo  219, 239 Schöpfungsmittler  90, 221 f., 271 Schöpfungstheologie  196, 217, 220, 269, 272 Schöpfungswerke  213 f., 217, 224, 275 Schriftgelehrter  60, 62, 65, 74 – 78, 160, 439, 554 Schuld  9, 102, 232, 360, 393, 425, 440 f., 444, 446, 452, 461 – 463, 468 – 473, 477, 491 Seele  53, 233, 264 f., 307, 313, 416, 494, 511, 524, 533 f., 536, 548 Sohn Gottes (s. auch Jesus)  41, 91, 96, 306, 308, 346, 450 Stoa  156, 159, 497 Subjektivität  122 f., 256, 265, 401, 570 – Intersubjektivität  562 Sühne  425, 427, 431, 453 Sünde  8 f., 11, 17, 55, 79, 87, 93, 99, 140 – 143, 178 f., 182, 281, 287, 291, 294, 305 – 307, 316 f., 319, 323, 329, 347, 351, 361, 377, 385, 391 – 394, 409, 414, 423, 425 – 434, 436 f., 439 – 453, 455 f., 458 – 468, 470, 477 – 485, 487 – 490, 495, 498, 503 f., 517 f., 523, 526 – 529, 531, 533 f., 538, 541, 558, 563, 565, 575 f. Taufe  25, 28, 31 f., 39, 43, 45, 47, 105 f., 215, 220, 228, 283,

Sachregister  631 289, 301, 303 – 306, 308, 313, 321, 349, 361, 372 f., 376, 378 – 380, 382, 385, 415, 433, 439, 456, 459, 504, 519, 542, 572 f., 575 f., 578 – Tauffragen  30 f., 36 – 46, 321 Theologie – Bildhermeneutische Theologie  6, 133, 137, 147 – Elohîm-Theologie  60, 78 – 81 – Evangelische Theologie  6, 124, 144, 184, 269, 285, 326, 386, 395, 397 – 399, 401, 403, 405, 413, 487, 524, 526, 561 – Fundamentaltheologie  269 – Johanneische Theologie  315, 514, 516, 520 – 522 – Liberale Theologie  122, 126 – Paulinische Theologie  427 – Subjektivitätstheologie  125 Tod  10 f., 19, 53, 60, 103, 119, 140 – 142, 146, 168, 171, 175, 185, 187, 204 – 206, 209, 232, 259, 283, 305 f., 313 f., 316 f., 347, 351, 381, 416, 425 f., 428 – 430, 443, 448 – 451, 457, 493, 495 – 508, 512, 515 – 519, 521 – 547, 551, 556, 565, 564, 575 f., 578 Transitus  10, 493, 496 f., 499 – 502, 504 – 506, 522 f., 536 f., 541 f., 576 Trinität / Trinitätstheologie  19, 21 f., 52, 123, 137 f., 287, 291, 398, 400, 563 Vater (s. auch Gott-Vater)  3, 6, 15, 17, 42, 44, 49, 54, 57, 63, 66, 70 – 72, 74, 76 – 79,

84 f., 87, 89 – 113, 115 f., 118, 120 – 124, 131, 134 – 151, 153, 162, 186, 192, 216 f., 220, 222 – 224, 226, 229, 233, 263, 267, 281, 287, 290, 292 – 295, 315, 361, 373, 381 f., 396, 398, 429, 431, 437, 444 f., 447 – 449, 456, 465, 482, 484, 512, 514, 520 – 522, 547, 554 f., 560, 565, 576, 578 – Vater-Bezeichnung  89 – 95, 98, 101 f., 104 – 111, 139 – Vaterbild (s. auch Bild Gottes)  115 f., 121, 133, 135, 138, 144, 147, 149 f. – Vaterliebe  103 – 105, 142 – Vater-Metapher  6, 89 – 91, 93, 95 f., 99, 102, 104, 107, 109, 111 – 113, 140 f., 143 – 145 Vaterunser  113, 164, 172, 394, 461, 467, 571, 577 Vergebung  8 f., 17, 55, 93, 99, 142, 281, 287, 319, 323, 361, 377, 385, 392 f., 423, 425 – 434, 436 – 444, 446 – 453, 455 – 459, 462, 464 – 481, 484 f., 487 – 491, 495, 556, 558, 565 Verkündigung  5, 11, 17, 25, 87, 106, 131, 141, 150, 207, 212, 226, 287, 296, 306, 314, 332, 336, 338, 346, 349, 355, 365, 380, 383, 387 – 391, 417 – 421, 433 f., 439, 477, 488 f., 564, 573 f., 577 Versöhnung  9, 323, 369, 392 f., 397, 403 f., 409 f., 427, 453, 455, 458, 468, 470 – 472, 476, 478, 485, 487, 491, 532 – 534, 560 Verstehen  10, 167, 195, 203, 287, 334, 352, 382, 482 f., 488 f., 557, 565, 574

632  Sachregister Volk Gottes  156, 164, 355, 358, 366 f., 390, 392, 394, 398, 412 – 414 Vorsehung (s. auch Providenz)  225, 406

Weisheit / σοφία  60 f., 83, 158, 165, 171, 175, 221 f., 295, 314, 379 Wiedergeburt  306 f. Zorn Gottes  447