Gebildete Steine: Zur Rezeption literarischer Techniken in den Versinschriften seit dem Hellenismus 9783666253225, 9783647253220, 9783525253229

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Gebildete Steine: Zur Rezeption literarischer Techniken in den Versinschriften seit dem Hellenismus
 9783666253225, 9783647253220, 9783525253229

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Ewen Bowie, Albrecht Dihle, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Günther Patzig, Karla Pollmann, Christiane Reitz, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 197

Vandenhoeck & Ruprecht

Timo Christian

Gebildete Steine Zur Rezeption literarischer Techniken in den Versinschriften seit dem Hellenismus

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortlicher Herausgeber: Christoph Riedweg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-25322-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Grabmal des Quintus Sulpicius Maximus in Rom. foto Musei Capitolini Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung: Vom Stein ins Buch – und zurück? . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Die Rede des Gegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Sprechende Objekte und sprechende Inschriften . . . . . . . . . . 28 1.1. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.2. Alter und Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.3. Theorien zur Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.3.1. Animistische Deutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.3.2. Kommunikationstheoretische Deutungen . . . . . . . . 37 2. Eigentümlichkeiten (in)schriftlicher Kommunikation in der vorhellenistischen Literatur und den Inschriften . . . . . . . 46 2.1. Γράμματα λέγοντα und Verwandtes . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.2. Differenzierung der Sprecherrollen . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.3. Die Ausgestaltung der Lektüre als »Dialog« zwischen Passant und Inschrift . . . . . . . . . . 53 2.4. Literarische Zeugnisse über die Möglichkeiten der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Literatur im Hellenismus: Dichtung wird zur »Inschrift« . . . . . . 61 3.1. Singende Steine: Epigramme als Gesang . . . . . . . . . . . . . 62 3.2. Das Problem des sprechenden Steins: Kallimachos’ Hahn . . . 67 3.3. Inschriftliche Reaktionen auf die Problematisierung der Objektrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.3.1. Verlässlichkeit des sprechenden Gegenstands . . . . . . 72 3.3.2. Das neue Problem der Ich-Rede des Objekts . . . . . . . 73 3.3.2.1. Verteidigung der Ich-Rede des Objekts . . . . . 73 3.3.2.2. Sprechende Steine als θαῦμα . . . . . . . . . . . 76

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Inhalt

3.3.3. Erweiterungen der γράμματα λέγοντα-Junktur: Übertreibung und Präzisierung . . . . . . . . . . . . . . 77 3.3.4. Sprechende Steine als Paradox . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.3.5. Auflösung des Paradoxes – Verzicht auf Mündlichkeit 85 3.3.6. Steigerung des Paradoxes: Sprechende Steine als Rätsel . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.3.6.1. Das »Schrifträtsel« im literarischen Epigramm 88 3.3.6.2. Das »Schrifträtsel« in den Versinschriften . . . 95 3.3.6.3. Elemente des Schrifträtsels in epigraphischen Figurengedichten . . . . . . . 101 II. Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand – Echo und Niobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Echo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1.1. Die Figur der Echo als illustrans literarischer Techniken . . . 109 1.2. Echo als »Echo« der Stimme des Lesers . . . . . . . . . . . . . 118 1.3. Rezeption in den Versinschriften? . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Weinende Steine: Das Niobe-Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2.1. Weinende Steine – eine Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . 131 2.2. Inschriftliche Vorläufer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2.3. Pathetic fallacy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.4. Niobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Exkurs: Die homerische Waffenpersonifikation und ihre hellenistische Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Die Rede des Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Die Rede des Toten in der vorhellenistischen Tradition . . . . . . . 162 1.1. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1.2. Zeitliche Einordnung und Genese . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1.3. Wechsel der Sprecherrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1.4. »Inschrift in der Inschrift« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Die Rede des Toten seit dem Hellenismus . . . . . . . . . . . . . . . 176 2.1. Problematisierung in literarischen Epigrammen . . . . . . . . 176 2.2. Inschriftliche Reaktionen auf die Problematisierung der Rede des Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Inhalt

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2.2.1. Verteidigung der Rede des Toten . . . . . . . . . . . . . 178 2.2.2. Leugnung der Rede des Toten . . . . . . . . . . . . . . . 179 2.2.3. Paradoxie der Rede des Toten . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.2.4. Der Tote spricht nicht mit der eigenen Stimme . . . . . 187 2.2.5. Stimme im Leben, Stimme im Tod: Ähnlichkeit und Kontrast von inschriftlicher und realer Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2.2.5.1. Sprechende Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2.2.5.2. Sprechende Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2.2.5.3. Stumme Schauspieler . . . . . . . . . . . . . . . 199 2.2.5.4. Stumme Philosophen und Redner . . . . . . . . 226 IV. Das belebte Objekt als Bild einer Person: der Topos der Lebensechtheit des Kunstwerks . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit . . . . . . . . . . . . . . . 231 1.1. Vermischungen von Bild und Person . . . . . . . . . . . . . . . 231 1.1.1. Ähnlichkeit: »So, wie du mich hier siehst« . . . . . . . . 231 1.1.2. Kunstwerksbeschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1.1.3. Der »Eigennamen-Typus« – Vorhellenistische Strategien der Ineinssetzung von Bildnis und Dargestelltem . . . . . . . . . . . . . . . 237 1.1.3.1. Eigennamen-Typus ohne weitere Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1.1.3.2. Vermischung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1.1.3.3. Problematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1.2. Trennung von Bild und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Entwicklung im Hellenismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2.1. Götterbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2.1.1. Literarische Bearbeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2.1.2. Götterbilder in den Versinschriften . . . . . . . . . . . . 265 2.2. Menschenbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2.2.1. Zuschreibung wirklicher Lebendigkeit . . . . . . . . . . 272 2.2.2. Altern und Verjüngung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2.2.3. Fesselung und Stehenbleiben . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2.2.4. Material und Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2.2.5. Objekt entspricht der Person . . . . . . . . . . . . . . . . 298

8

Inhalt

V. Loca amoena und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Locus amoenus und locus horribilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Rezeption in den Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2.1. Blumen und Dornen als Grabbewuchs . . . . . . . . . . . . . . 306 2.2. »Bukolische« Inschriften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2.3. Gefährliche Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2.4. Poetologische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2.5. Addendum: Das Gewebe als poetologische Metapher . . . . . 356 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung, begonnen als Magisterarbeit, wurde im Sommersemester 2012 vom Fachbereich Sprach-und Kulturwissenschaften der ­Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen; für den Druck wurde sie überarbeitet. Eine Reihe von Personen hat mich in vielfältiger Weise dabei unterstützt; ihnen hier dafür zu danken, ist mir eine Freude. Zu allererst nennen möchte ich meinen Doktorvater Hans Bernsdorff, der die Arbeit angeregt und mit charakteristischer Umsicht betreut hat. Viele seiner Hinweise habe ich stillschweigend übernommen. Thomas Paulsen und Lorenz Rumpf danke ich für die Übernahme der Gutachten und kritische Anmerkungen. Für hilfreiche Gespräche und Auskünfte gilt mein Dank Margherita Maria Di Nino, Iris Heckel, Hartmut Leppin, Ursula Mandel und Jula Wildberger. Janna Regenauer, Martin Reinfelder und Helena Schmedt haben Kapitel der Arbeit Korrektur gelesen; bei ihnen möchte ich mich ebenso bedanken wie bei allen Teilnehmern des Frankfurter Doktorandenkolloquiums für ihre weiterführenden Diskussionsbeiträge. Für verbliebene Fehler bin ich selbst verantwortlich. Teile der Arbeit sind an der University of Cambridge und der Brown University entstanden; für ihre Einladung und Gastfreundschaft möchte ich Richard Hunter und David Konstan herzlichen Dank aussprechen. Beide, und Marco Fantuzzi, haben außerdem Kapitel der Arbeit gelesen, mit Anmerkungen versehen und mit mir diskutiert. Für die Förderung der Promotion danke ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes, den Herausgebern von Hypomnemata für die Aufnahme in diese Reihe. Schließlich haben mich meine Eltern, nicht nur während der Promotion, in jeder Hinsicht unterstützt und gefördert. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungen von Zeitschriften entsprechen denen der Année philologique; die Abkürzungen antiker Autoren und Werke orientieren sich am Lexikon der Alten Welt. Seltener zitierte griechische Inschriftencorpora sind abgekürzt nach dem Verzeichnis der Inschriftendatenbank des Packard Humanities Institute (http://epigraphy. packhum.org/inscriptions/). A.-B.

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GCS Geffcken GG GGM GIBM Gibson GLK Gow Gow/Page (G.-P.) GPh GVI HE Hense Herrlinger

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14 Kühner/Gerth

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Einleitung: Vom Stein ins Buch – und zurück?

These are heady days for the Hellenistic epigram, sagte Richard Hunter 1998 über den Stand der Epigrammforschung;1 und auch wenn der damals noch nicht vollständig veröffentlichte »Neue Poseidipp« (auf den sich Hunters Bemerkung teilweise bezog) nun schon seit einiger Zeit vorliegt,2 belegt die Zahl der seitdem erschienenen Artikel,3 Aufsatzsammlungen,4 Companions,5 Monographien und Kommentare,6 dass ein Interesse am griechischen Epigramm ungebrochen und lebhaft weiterbesteht. Ein Epigramm ist der Wortbedeutung nach eine »Aufschrift«, also für den »Stein« verfasst (d. h. einen in der Regel ortsfesten, aus dauerhaftem Material gefertigten Träger, etwa eine Statuenbasis oder einen Grabstein), wird aber spätestens seit Beginn des Hellenismus auch fürs »Buch« gedichtet (also einen mobilen, aus weniger haltbarem Material gemachten Träger wie Papyrusrolle oder Wachstafel). Diese eigentümliche Stellung zwischen zwei Trägermedien ist nun nicht nur eine Frage der Überlieferung, sondern betrifft gerade die Gattungspoetik des Epigramms: Bereits die ältesten Inschriften verweisen regelmäßig auf den materiellen Träger, auf dem sie stehen, und es existieren zahlreiche literarische Epigramme, die primär fürs Buch gedichtet wurden, aber dennoch mit der Möglichkeit einer Inskription auf dem Stein spielen. Natürlich werden auch andere Gattungen aufgeschrieben, meist im Buch, manchmal auch auf dem Stein, doch ist dieser Vorgang, welcher in der Regel der Gedächtnisstützung und Texterhaltung dient, akzidentiell und somit für eine ästhetische Würdigung nebensächlich: dass z. B. ein Gedicht der Sappho, in welchem ein Aphrodite-Heiligtum beschrieben wird, auf einem Ostrakon überliefert ist (Fr. 2 Voigt), spielt für die Deutung des Textes selbst keine Rolle. Bei

1 Hunter 1998. 2 Bastianini/Gallazzi 2001; A.–B. 3 Einen Eindruck hiervon vermittelt die (ehemalige Leidener, jetzt Dubliner) OnlineBibliographie unter http://sites.google.com/site/hellenisticbibliography/epigram/ (abgerufen am 21.12.2013). 4 Harder/Regtuit/Wakker 2002; Acosta-Hughes/Kosmeatou/Baumbach 2004; Gutzwiller 2005; Baumbach/Petrovic/Petrovic 2010. 5 Fantuzzi/Hunter 2004, 283–349; Bing/Bruss 2007; Gutzwiller 2007, 107–120; Livingstone/Nisbet 2010. 6 Hervorzuheben sind etwa Rossi 2001; Bruss 2005; Meyer 2005; Höschele 2006; Floridi 2007; A. Petrovic 2007; Prioux 2008; Tueller 2008; Tsagalis 2008; Höschele 2010; Di Nino 2010; Sens 2011; Garulli 2012.

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Epigrammen führt die Frage, worauf oder wo sie stehen (oder vorgeben zu­ stehen), dagegen oft auf zentrale Aspekte der Interpretation. Demgemäß gilt das Interesse der Forschung besonders dem Prozess der­ Literarisierung des Epigramms, an dessen Anfang im 8. Jh. v. Chr. das inschriftliche Epigramm, an dessen Ende die literarische Gattung steht, wie sie uns seit dem 3.  Jh. v. Chr. entgegentritt; hier stellen sich u. a. Fragen nach möglichen Vorläufern der hellenistischen Buchepigramme und Epigrammsammlungen7 sowie nach den Formen des Rückgriffs auf die inschriftliche Tradition bei der Konstitution des Epigramms als literarischer Gattung.8 Weniger Aufmerksamkeit wurde dagegen einem anderen Prozess gewidmet, nämlich der Rückwirkung der literarischen Epigramme auf die Versinschriften  – eine Forschungslücke, auf die bereits hingewiesen wurde.9 Hier lassen sich zwei verschiedene Schwerpunkte setzen: Einerseits ein eher vom Einzeltext ausgehender, bei dem nach den konkreten literarischen Vorbildern, die der Verfasser einer Versinschrift benutzt haben, gefragt wird;10 andererseits ein 7 Vgl. hierzu S. 62 Anm. 129. 8 Klar umrissen wird der Forschungsgegenstand bei Rossi 2001, 3–6; die Frage nach dem Verhältnis der literarischen Epigramme zur inschriftlichen Tradition steht im Zentrum von Fantuzzi/Hunter 2004, 283–338; Bruss 2005; Meyer 2005; Tueller 2008; inschriftliche Parallelen werden von Rossi 2001, A. Petrovic 2007 und Sens 2011 systematisch zur Kommentierung einzelner Epigramme herangezogen. 9 Vgl. Agosti 2008, 191: »we still need an overall evaluation of epigraphic poetry as both literary and stylistic phenomenon. We need an extensive examination of epigraphic poems against the background of highbrow poetry.«; Cairon 2009, 24: »L’intertextualité entre les épigrammes gravées et non gravées est un sujet d’interêt incontestablement crucial.« (Eine Anmerkung zur Zitierweise: Hervorhebungen in Zitaten stehen, wenn nicht anders vermerkt, im Original; Ergänzungen in eckigen Klammern sind dagegen, wenn nicht anders vermerkt, Zusätze des Verfassers dieser Arbeit). In jüngerer Zeit sind einige Monographien zu hellenistischen und späteren Versinschriften erschienen: Cirio 2011 widmet sich den auf dem Memnon-Koloss erhaltenen Epigrammen von Dichterinnen, bietet aber nur wenig zum literarischen Gehalt dieser Texte und zu ihrem Verhältnis zur Gattung des Epigramms (vgl. Sens 2012); auch Martínez Fernández, eine philologisch kommentierte Sammlung hellenistischer Versinschriften aus Kreta, bietet wenig für die hier verfolgte Fragestellung. Santin 2009 behandelt inschriftliche Grabepigramme mit Autorsignaturen, betrachtet diese aber kaum als literarische Kunstwerke, sondern als Zeugnisse für die Verbreitung und den Stellenwert von παιδεία. Die Tatsache, dass autorsignierte Grabinschriften erst seit dem Späthellenismus und besonders in der Kaiserzeit auftreten (wenn auch nie weitverbreitet; Santins Katalog umfasst 32 Beispiele), bringt sie mit der seit dem Hellenismus gesteigerten »dignità letteraria« des Epigramms in Verbindung (295). 10 Vgl. hierfür Parsons 2002, 102 f., der mehrere Inschriften nennt, die möglicherweise bestimmte kallimacheische Epigramme imitieren; vgl. auch Stefani/Magnelli 2011, 545–9. Garulli 2012 untersucht vor allem wörtliche Übereinstimmungen zwischen literarischen und inschriftlichen Epigrammen, und versucht, hieraus Rückschlüsse auf die literarische Technik der Verfasser von Versinschriften (die sich in der Regel als die Nehmenden erweisen) zu ziehen: mechanische Übernahme oder epigrammatische »art of variation«?

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eher gattungsgeschichtlich orientierter, bei dem untersucht wird, ob in einem weiteren Sinn die Modifikationen der inschriftlichen Tradition, welche für das literarische Epigramm bereits herausgearbeitet wurden (etwa hinsichtlich der Sprecherrollen, des innovativen Einsatzes traditioneller inschriftlicher Motive), sowie – damit verbunden – allgemeinere Charakteristika, die gattungsübergreifend als typisch für die hellenistische Literatur gelten können (z. B. Auseinandersetzung mit Gattungsfragen, mit literarischen Vorbildern, implizite und explizite Poetik), wiederum Eingang in die Versinschriften gefunden haben. Auch hier muss man von einzelnen Inschriften ausgehen, diese interpretieren und ihre intertextuellen Bezüge erhellen; der Fokus der Betrachtung liegt allerdings nicht so sehr auf den Einzeltexten, sondern auf übergreifenden Entwicklungen, die sich in ihnen niederschlagen.11 Eine systematische Untersuchung dieses zweiten Schwerpunkts, zu dem vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten will, liegt nicht vor; es finden sich einzelne Interpretationen insbesondere hellenistischer Versinschriften,12 sowie ein Aufsatz von Anja Bettenworth über die Wechselbeziehungen von inschriftlichen und literarischen Epigrammen, der gleichwohl dem ersten Schwerpunkt zuzurechnen ist.13 Da dieser Aufsatz aber methodische Schwierigkeiten benennt, die für die vorliegende Untersuchung relevant sind, scheint eine nähere Diskussion an dieser Stelle angebracht; dabei wird auch, wie ich hoffe, durch einige konkrete Beispiele deutlicher werden, worin sich der hier verfolgte Ansatz von dem Bettenworths unterscheidet. Bettenworths Aufsatz mit dem Titel »The Mutual Influence of Inscribed and Literary Epigram« lässt sich in zwei Teile gliedern, von denen der erste die Rezeption inschriftlicher Formeln und Topoi im literarischen Epigramm (70–85), der zweite die Rückwirkung literarischer Epigramme auf Versinschriften untersucht (85–93). Als wesentlichen Unterschied zwischen literarischen und inschriftlichen Epigrammen sieht sie den »monumental context« an, der literarischen Epigrammen fehle. Das Denkmal sei in den Versinschriften »part of the message«; daher stelle sich dem Verfasser eines literarischen Epigramms eine doppelte Aufgabe: Er müsse einerseits typische Merkmale einer Versinschrift übernehmen, damit das Gedicht als solches überhaupt als Epigramm erkennbar bleibt (ansonsten bliebe als einziges Erkennungsmerkmal die Kürze), anderer 11 Vgl. Wilpert (2001), 471 f. (s. v. Literaturgeschichte) »Sie [d. h. die Literaturgeschichte] strebt über die Vielfalt der Einzelerscheinungen hinweg nach e(inem) Einblick in umgreifende, einheitl(iche) und sinnvolle Entwicklungszusammenhänge des lit(erarischen) Lebens und Schaffens. Dabei ordnet sich das einzelne Sprachkunstwerk, mit Hilfe der Interpretation künstlerisch erfaßt, dem induktiv errichteten Bild geschicht(licher) Bewegkräfte unter und empfängt wiederum Wert und Ausdeutung deduktiv vom Sinn des Ganzen.« 12 Auf diese wird, soweit sie in dieser Arbeit behandelt werden, an entsprechender Stelle eingegangen. 13 Bettenworth 2007.

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seits diese Merkmale so modifizieren, dass der fehlende Bezug auf ein Denkmal nicht als Verlust, sondern als besonderer Gewinn empfunden werde.14 Falls die Anlehnung an die inschriftliche Tradition besonders eng ist, sei es kaum festzustellen, ob ein uns literarisch überliefertes Epigramm nicht ursprünglich selbst eine Inschrift war. Das entscheidende Kriterium hierfür sei die »Überinformation«: Ein literarisches Epigramm könne daran erkannt werden, dass es Angaben mache, die in einem inschriftlichen Epigramm überflüssig wären, da sie schon dem Kontext des Denkmals zu entnehmen sind, etwa Angaben zum Aufstellungsort oder zum Aussehen des Monuments (73–4).15 Auch wenn es bisweilen schwierig sei, festzustellen, ob Überinformation vorliegt oder nicht, ob also ein uns literarisch überliefertes Epigramm ursprünglich inskribiert war oder nicht, eröffnen sich durch die Ablösung vom Denkmal – sei sie nun echt oder fingiert  – zusätzliche Deutungs- und Rekontextualisierungsmöglichkeiten (74–6); darüber hinaus könne man zeigen, dass die hellenistischen Dichter selbst das Problem der Überinformation thematisieren (77–80); diese sei letztlich das alleinige Kriterium, ein literarisches Epigramm als solches zu erweisen. Dieses Ergebnis hat Konsequenzen für die Ausrichtung des zweiten Teils von Bettenworths Aufsatz: Wenn nämlich nur die Überinformation als Kriterium für Literarizität gelten kann, dann lässt sich ein genereller Einfluss literarischer auf inschriftliche Epigramme nicht nachweisen. Man müsste denn zeigen, dass nun auch inschriftliche Epigramme »Überinformationen« bieten; dies scheint Bettenworth seit dem Hellenismus auch der Fall zu sein, aber dann ergibt sich, wie sie selbst feststellt, das methodische Problem, dass es sich nun auch bei den literarischen Epigrammen mit Überinformation um ursprüngliche Inschriften handeln könnte.16 Angesichts dieser Aporie müsse man sich darauf beschränken, den Einfluss literarischer Epigramme auf die Versinschriften anhand eindeutiger Beziehungen zwischen zwei Texten, also anhand von Zitaten oder von engen thematischen Parallelen zu ermitteln (85). Hier unterscheidet Bettenworth drei Fälle absteigender Abhängigkeit: erstens die direkte Imitation eines Modells, zweitens thematische Parallelen, drittens eine Form »subtileren« Einflusses,17 14 Bettenworth 2007, 70. 15 Zum Kriterium der »Überinformation« vgl. S. 321 Anm. 76. 16 Bettenworth 2007, 85 Anm. 66. Die methodischen Probleme, die sich bei der Unterscheidung von literarischen und inschriftlichen Epigrammen ergeben, wurden bereits von Bing (1998, 29–40) und Parsons (2002, 111–5) aufgeworfen. Bettenworth geht insofern über beide hinaus, als sie diese Probleme auf die Frage des Einflusses der literarischen auf die inschriftlichen Epigramme überträgt. 17 Unter »subtilerem« Einfluss versteht sie die indirekte Rezeption hellenistischer Epigrammatik in lateinischen Versinschriften, die z. B. über Ovids Amores vermittelt wird (91 f.); dieser Fall soll hier nicht näher erörtert werden.

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die sie dann beispielhaft untersucht. Für die erste Kategorie vergleicht sie SGO 08/08/10 (Hadrianoi pros Olympon, späthellenistisch/frühe Kaiserzeit) mit Leonidas AP 7, 163 = HE 2395–402. In diesen beiden Gedichten legen wörtliche und strukturelle Parallelen gegenseitige Abhängigkeit nahe (Bettenworth verweist auf AP 7, 163, 4 θνῄσκεις δ᾽ ἐκ τίνος; ἐκ τοκετοῦ und SGO 08/08/10, 2 θνῄσκω δ᾽ ἐκ τίνος; ἐκ πυρετοῦ; AP 7, 163, 5 ἦ ῥά γ᾽ ἄτεκνος und SGO 08/08/10, 3 ἆρά γ᾽ἄμουσος); indem sie zeigt, dass der Gedankengang bei Leonidas stringenter ist,18 erweist Bettenworth die Priorität des leonideischen Epigramms (die auch durch die Datierung bestätigt wird). Gleichwohl bemerkt sie einschränkend, dass bereits Leonidas’ Epigramm ursprünglich inschriftlich gewesen sein könnte (dann wäre freilich für die Frage nach dem Einfluss literarischer auf inschriftliche Epigramme nichts gewonnen); möglich sei darüber hinaus, dass der Verfasser von SGO 08/08/10 lediglich eine Imitation des leonideischen Epigramms imitierte.19 Hinsichtlich thematischer Parallelen vergleicht Bettenworth folgende beiden Gedichte, in denen jeweils ein Löwe als Wächter zu Ehren eines Menschen auftritt:

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SGO 19/10/01 (Kanytelis, 1.–3. Jh. n. Chr.) θηρῶν κράτιστε καὶ θεῶν μύστα, λέων, τίνος φυλάσσεις χῶρον εἰς γένος μακρόν; τίς σῆς ὑπάρχει θνητὸς ὢν τειμῆς, φράσον. ἀνδρῶν ἄριστος καὶ πάτρας προὔχων ἀνήρ ἀρετῆϛ δὲ πάσηϛ στέμμασιν κοσμούμενοϛ Σανδαῖοϛ, ὃϛ γῆϛ δεσπότηϛ ταύτηϛ κυρεῖ. (Der Wanderer fragt:) Mächtigstes der Tiere, von den Göttern Eingeweihter, Löwe, wessen Land bewachst du auf lange Generationen hin? Sag an, welcher Sterbliche diese Ehre von dir erhält? (Der Löwe antwortet:) Es ist der beste der Männer, der in der Heimatstadt hervorragt und mit den Kränzen jeder Tüchtigkeit geschmückt ist, Sandaios, welcher Herr dieses Landes ist. (Üb. Merkelbach/Stauber)

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Antipater von Sidon AP 7, 426 = HE 390–5 Εἰπέ, λέον, φθιμένοιο τίνος τάφον ἀμφιβέβηκας,   βουφάγε; τίς τᾶς σᾶς ἄξιος ἦν ἀρετᾶς; – Υἱὸς Θευδώροιο Τελευτίας, ὃς μέγα πάντων   φέρτερος ἦν, θηρῶν ὅσσον ἐγὼ κέκριμαι. οὐχὶ μάταν ἕστακα, φέρω δέ τι σύμβολον ἀλκᾶς   ἀνέρος. ἦν γὰρ δὴ δυσμενέεσσι λέων. 18 So ergibt sich bei Leonidas die Frage ἦ ῥά γ᾽ ἄτεκνος aus den Informationen, dass die Tote jung und im Kindbett verstorben sei, wogegen die Frage nach der ἀμουσία des Toten in der Inschrift sich eher additiv an die Erwähnung seines Alters anhängt. 19 Die zahlreichen handschriftlich und inschriftlich überlieferten Varianten des Leonidas­ epigramms (vgl. Gow/Page II, S. 50) werden jetzt in ihren Abhängigkeiten untersucht von Garulli 2012, 116–134.

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Sag, Löwe, das Grab welches Toten bewachst du, Stierfressender? Wer war deiner Tüchtigkeit würdig? – Der Sohn des Theodoros Teleutias, der bei Weitem mächtiger als alle war, wie ich mächtiger als die (anderen) Tiere bin. Nicht vergeblich stehe ich hier, ich zeige die Wehrhaftigkeit des Mannes an; denn er war den Feinden wahrhaftig ein Löwe.

Hier versucht sie zu zeigen, dass in der Inschrift, die sich auf einem Grenzstein befindet, der Gegensatz von Sterblichkeit und Unsterblichkeit betont wird, was darauf hinweise, dass hier Motive aus einem Grabepigramm eher ungeschickt an eine neue Verwendung angepasst wurden; da das Epigramm des Antipater auf einem Grabmal zu stehen vorgibt, erkennt sie in ihm das Vorbild.20 Nun gelten die eben gemachten Einschränkungen offenkundig auch hier: Zum einen wäre es wieder möglich, dass es sich bei Antipaters Epigramm um eine ursprüngliche Versinschrift handelt, zum anderen könnte die Abhängigkeit über eine oder mehrere Zwischenstufen vermittelt sein. Gerade der zweite Punkt verdient hier Beachtung, denn das »Löwenmotiv« ist in mehreren literarischen und inschriftlichen Grabepigrammen belegt, die untereinander recht enge wörtliche und motivische Übereinstimmungen zeigen.21 Selbst wenn wir sicher wüssten, dass Antipaters Epigramm literarisch ist, ließe sich angesichts dieser Beleglage nicht zweifelsfrei bestimmen, ob das Motiv zuerst in der literarischen oder der inschriftlichen Epigrammatik aufgekommen ist, zumal der Löwe als Symbol für den Namen und die Tapferkeit des Toten bereits vor dem Hellenismus geläufig war.22 Schließlich resümiert Bettenworth, dass die Erkenntnisse, die aus dem gegenseitigen Einfluss inschriftlicher und literarischer Epigramme zu gewinnen seien, sich je nach der Richtung der Abhängigkeit unterschieden: Die Verarbeitung der inschriftlichen Tradition im literarischen Epigramm könne Aufschluss geben über »Hellenistic narrative techniques and poetic skills and preferences«, 20 Zu diesem Ergebnis kommt auch Garulli 2012, 142–9. 21 GVI 34, Mytilene, 2./1. Jh. v. Chr.?, 5 f. ἦ ῥ᾽ ἐτύμως τόδε σᾶμα λεόντε[σσιν πεφύλακται] /  οἳ μὲν γὰρ θηρῶν φέρτατοι, οἳ δὲ βρο[τῶν]; das Motiv liegt vielleicht bereits in GVI 1075 (Lindos, 3. Jh. v. Chr.) vor (s. Peeks und Wilhelms Ergänzungen a.l.), allerdings ist die Inschrift zu stark zerstört, um eine sichere Rekonstruktion zuzulassen. Eine Variation des Motivs »der Löwe als Ehre für den Toten« findet sich in Bernand 68 (Sakkara, haute époque impériale), 1–6 στῆθι φίλον παρὰ τύμβον, ὁδοιπόρε. – τίς με κελεύει; / – φρουρὸς ἐγώ σε λέων. – αὐτὸς ὁ λαΐνεος; / – αὐτός. – φωνήεις πόθεν ἔπλεο; – δαίμονος αὐδῆι / ἀνδρὸς ὑποχθονίου. – τίς γὰρ ὅδ᾽ ἐστὶν ἀνὴρ / ἀθανάτοισι θεοῖσι τετιμένος, ὥστε δύνασθαι / καὶ φωνὴν τεύχειν ὧδε λίθωι βροτέην; für literarische Beispiele vgl. Simonides AP 7, 344a und b (= FGE 1022–25): (a) θηρῶν μὲν κάρτιστος ἐγώ, θνατῶν δ᾽ ὃν ἐγὼ νῦν / φρουρῶ τῷδε τάφῳ λάϊνος ἐμβεβαώς; (b) ἀλλ᾽ εἰ μὴ θυμόν γε Λέων ἐμὸν οὔνομα τ᾽ εἶχεν, / οὐκ ἂν ἐγὼ τύμβῳ τῷδ᾽ ἐπέθηκα πόδας. Insofern sprechen die Übereinstimmungen zwischen SGO 19/10/01 und AP 7, 426, auf die Garulli 2012, 146 Anm. 254 hinweist, nicht unbedingt für direkte Abhängigkeit. 22 Über dem Grab des Spartanerführers Leonidas soll ein Löwe gestanden haben (Page [FGE a.l.] erwägt, dass AP 7, 344a vorgibt, auf ebendiesem Grab gestanden zu haben). Zu (bereits archaischen) Grablöwen vgl. auch Himmelmann 1956, 38 f. Anm. 85.

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aber nicht über die Frage, welche spezifische Inschrift ein hellenistischer Dichter vor Augen hatte. Der Einfluss spezifischer literarischer Epigramme (wenn es sich denn um solche handelt) auf die Inschriften wiederum könne einen Einblick geben in die »circulation of Hellenistic poetry or the mobility of travellers in the Hellenistic world« (92 f.). Akzeptiert man diese Schlussfolgerungen, hieße das freilich, dass eine Untersuchung des hier vorgeschlagenen zweiten Schwerpunkts gar nicht möglich wäre. Dem möchte ich allerdings entgegenhalten, dass es dennoch sinnvoll ist, einmal die Frage nach einem »generelleren Einfluss« der literarischen auf die inschriftliche Epigrammatik zu stellen. Denn auch wenn wir über kein Kriterium verfügen,23 mit dem wir mit Sicherheit entscheiden können, ob ein einzelnes Epigramm »inschriftlich« oder »literarisch« ist,24 so scheint es doch übertrieben, die Hinweise auf die Primärüberlieferung gänzlich zu ignorieren; denn auch wenn der Überlieferung im Buch in manchen Fällen eine Inskription auf dem Stein vorausgehen mag25 und das eine oder andere Epigramm, das wir auf dem Stein lesen, ursprünglich im Buch stand,26 vermittelt die Überlieferung tausender Epigramme im Buch und auf Stein insgesamt ein Bild zweier epigrammatischer Traditionen, die miteinander verglichen werden können. An 23 Bettenworth weist wohl zu Recht darauf hin, dass ein Merkmal wie die »sophistication«, die etwa im Hahnenepigramm des Kallimachos (56 Pf., vgl. S. 67–9) zum Ausdruck komme, nicht als Indiz für Literarizität gelten könne (Bettenworth 2007, 85; Köhnken 1993, 121 hatte das Spiel mit der Gattungstypik in diesem Epigramm als Kennzeichen der Literarizität gewertet). 24 Auf diese Schwierigkeit weist jetzt auch ausführlich Garulli 2012, 28–34 hin. Das Problem, dass der uns überlieferte Träger nicht notwendig ursprünglich sein muss, ist seit Langem bekannt. Richard Reitzenstein suchte es durch die Terminologie »Steinepigramm« und »Buchepigramm« zu lösen, womit der Träger bezeichnet sein sollte, auf den hin das Epigramm von seinem Verfasser gedichtet wurde (Reitzenstein 1907, 81–3). Seitdem wurden weitere Vorschläge gemacht, die beiden epigrammatischen Traditionen zu trennen, die aber eher Tendenzen markieren als scharfe Trennlinien ziehen: »subliterar« bzw. »Gebrauchspoesie« (für die Versinschriften, Höschele 2010, 89), »functional« gegenüber »literary« (Thomas 1998, 205), »inscribed« gegenüber »quasi inscriptional« (Bing 1998b, 29 Anm. 31; dort auch Kritik an Thomas’ Kategorien; aber auch Bings Kategorien sind nicht eindeutig: wo sollten wir z. B. die in einem Brief (also auf Papyrus) überlieferten Grabepigramme auf den Hund Tauron (SH 977) einordnen, die offenbar zur Inskription auf einem Grabstein bestimmt waren?). 25 Für einige literarisch überlieferte fiktive Inschriften, etwa die Grabepigramme auf Timon (zu ihnen s. Fantuzzi/Hunter 2004, 302–6), ist inschriftliche Provenienz kaum wahrscheinlich; vgl. außerdem Gutzwiller 1998, 5 f. »Even if Hellenistic poets sometimes composed for the stone and sometimes recited their epigrams to friends at social gatherings, they were nevertheless self-consciously aware that their epigrams would ultimately reside with ­other poetry in a written context.« 26 Z. B. Leonidas AP 6, 13 = HE 2249–54, das (zusammen mit anderen literarisch über­ lieferten Epigrammen) nachträglich als Bildbeischrift inskribiert wurde (Bettenworth 2007, 85 Anm.  67; Prioux 2011); solche nachträglichen Inskriptionen sind allerdings nur selten nachweisbar.

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gestrebt wird also ausdrücklich nicht ein Vergleich von »Steinepigramm« und »Buchepigramm« im Sinne abstrakter, definitorisch klar voneinander getrennter Kategorien, sondern zunächst ein Vergleich, basierend auf dem Befund, wie er uns vorliegt.27 Mit Bettenworth teile ich die Prämisse, dass die wechselseitigen Beziehungen, in denen literarische und inschriftliche Epigrammatik seit dem Hellenismus stehen, sinnvoll als »Einfluss« des einen auf das andere ­Corpus beschrieben werden können (ebenso wird bisweilen vom Einfluss der hellenistischen Literatur auf die Versinschriften die Rede sein), auch wenn das Beziehungsgeflecht der Texte untereinander vielschichtiger sein dürfte, als es diese Bezeichnung nahelegt. Methodisch soll folgendermaßen vorgegangen werden: Zunächst ist es nötig, die in den vorhellenistischen Versinschriften vorkommenden Ausdrucks­ formen in Hinblick auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand möglichst umfassend, jedenfalls in repräsentativer Auswahl zu dokumentieren, was dadurch erleichtert wird, dass diese in den beiden CEG-Bänden gut erschlossen sind. Nur vor diesem Hintergrund ist es möglich, die Erweiterungen und Modifikationen der Buchepigramme überhaupt als solche zu erfassen (und nicht etwa als bloße Fortsetzungen inschriftlicher Traditionen) und ihre Eigentümlichkeiten präzise zu beschreiben. Dabei genügt es nicht immer, nur auf formale Vorläufer in der vorhellenistischen Epigrammatik hinzuweisen: Denn da literarische Epigramme nicht nur die formalen Auffälligkeiten aufnehmen, sondern gleichzeitig auch die hinter den Ausdrucksweisen stehenden Vorstellungen thematisieren und hinterfragen, muss versucht werden, ebendiese Vorstellungen – jedenfalls soweit es möglich ist und den Rahmen der Arbeit nicht sprengt – zu rekonstruieren: beispielsweise muss hinsichtlich der Ich-Rede des Objekts geklärt werden, welche Vorstellungen damit eigentlich vor dem Hellenismus verbunden waren, um so das Spiel mit dieser Redeweise im hellenistischen Epigramm angemessener beurteilen zu können; entsprechendes gilt für die Ineinssetzung von Bild und Person, die hier anhand des literarischen Sprachgebrauchs näher untersucht wird. Bisweilen wird auch auf Parallelen in vorhellenistischer Literatur hingewiesen, wenn sie zum Verständnis der Inschriften beizutragen scheinen. Hiervon ausgehend wird dann der Versuch unternommen, Parallelen für die Neuerungen in den Buchepigrammen (z. T. auch für Neuerungen in der hellenistischen Literatur überhaupt) in den Versinschriften nachzuweisen. Auch hier 27 Die Begriffe »inschriftliches Epigramm/Versinschrift« und »literarisches Epigramm« beziehen sich in dieser Arbeit daher i. d. R. auf den uns überlieferten Träger. Wenn wir Informationen haben, dass dieser Überlieferungsträger nicht ursprünglich ist (z. B. wenn im Lemma eines literarischen Epigramms die Notiz steht, es sei vom Stein abgeschrieben), wird darauf hingewiesen. Bei literarisch überlieferten Epigrammen gebe ich den überlieferten Autorennamen an, ohne damit die (nicht selten fragwürdigen) Zuschreibungen in jedem Fall akzeptieren zu wollen.

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muss wieder am vorhellenistischen inschriftlichen Bestand kontrolliert werden, ob wirklich eine Neuerung vorliegt. Lassen sich solche Parallelen nachweisen, schließt sich die Frage an, ob es sich jeweils um »Übernahmen« handelt, also um eine Rezeptionsform, bei der die literarische Neuerung in den Inschriften mehr oder weniger unverändert auftritt, oder um »Aneignungen«, in denen eine Anpassung an spezifische Bedürfnisse der Versinschriften stattfindet. Gerade dem Prozess der Aneignung kommt dabei besonderes Interesse zu, insofern dieser Licht auf die jeweils spezifischen Besonderheiten von literarischem und inschriftlichem Epigramm werfen kann. Außerdem kann er dabei helfen, die Richtung der Rezeption zu bestimmen: Man mag annehmen, dass dichterische Neuerungen eher von der »hohen« Dichtung aus in die Versinschriften geflossen sind als umgekehrt; dies lässt sich aber bisweilen auch textimmanent nachweisen, insofern sich einige der Techniken in literarischen Epigrammen als »destruktiv« deuten lassen, wogegen entsprechende Techniken in den Inschriften eher »affirmativen« Charakter zu haben scheinen; dies aber bedeutet, dass letztere als Reaktion auf erstere zu denken sind.

Aufbau der Arbeit Dieses Spannungsverhältnis von zunehmender »Annäherung« der Versinschriften an die Literatur (durch Übernahme literarischer Techniken) bei gleichzeitiger Abgrenzung (durch Aneignung) soll anhand der im Folgenden genannten formalen und inhaltlichen Gesichtspunkte näher beleuchtet werden. Ausgangspunkt war zunächst eine Untersuchung der Ich-Rede der Objekte, weil es sich hier um eine typische und gut belegte epigrammatische Redeweise handelt, die im literarischen Epigramm des Hellenismus gern aufgegriffen und weitergeführt wurde und die sich daher für die Frage der Rückwirkung auf die Versinschriften besonders zu eignen schien. Die weiteren Gesichtspunkte haben sich dann im Lauf der Arbeit ergeben und ließen sich sicher verschiedentlich ergänzen; ich hoffe aber, dass sie insgesamt geeignet sind, gewisse Entwicklungslinien aufzuzeigen.28 Der erste Teil der Arbeit widmet sich einer formalen Erscheinung: den verschiedenen Sprecherrollen und ihrer Entwicklung seit dem Hellenismus.29 Die Verschiedenartigkeit der Sprecherrollen in archaischen und klassischen Vers­

28 Nicht wenige der besprochenen Epigramme fallen unter zwei oder mehr der hier unter­suchten Gesichtspunkte und erhellen sich auch gegenseitig, was eine größere Zahl von Querverweisen nach sich zieht, als vielleicht wünschenswert wäre. 29 In der Arbeit wird bisweilen der Begriff »Präsentationsform« (der Inschrift) gebraucht, worunter die jeweils gewählte Sprecherrolle zu verstehen ist.

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inschriften ist oft hervorgehoben und dargestellt worden;30 auch ihre Manipulationen und Erweiterungen im literarischen Epigramm des Hellenismus sind bereits untersucht worden.31 Eine Untersuchung ihres Wandels in den hellenistischen Versinschriften steht aber noch aus. In den ersten beiden Kapiteln sollen die »Rede des Gegenstands«, im dritten Kapitel die »Rede des Toten« untersucht werden; dabei liegt der Schwerpunkt jeweils auf der Rezeption literarischer Modifikationen in der inschriftlichen Epigrammatik, es werden aber auch einige Beobachtungen zu einzelnen literarischen Epigrammen und Texten vorgetragen. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich eher inhaltlichen Aspekten. Im vierten Kapitel wird, ausgehend von der Beobachtung, dass die Betonung der Lebensechtheit einer der beliebtesten Topoi hellenistischer (und späterer) ekphrastischer Epigramme ist, sowohl die Frage nach inschriftlichen Vorläufern für diesen Topos (und für das ekphrastische Epigramm überhaupt) gestellt als auch seine Rezeption in den Versinschriften untersucht. Das fünfte Kapitel schließlich untersucht zwei literarische Motive, die im Hellenismus eine gewisse Neuorientierung erfahren: die Beschreibung des locus amoenus, der jetzt prominent in der neuen literarischen Gattung der Bukolik begegnet, sowie die Quelle als poetologische Metapher, die gerade im Hellenismus häufig gebraucht und deren Potential verschiedentlich erweitert wird. Hier soll untersucht werden, ob die Verwendung dieser Motive in den Versinschriften an den veränderten litera­ rischen Gebrauch anknüpft. Auch in diesem Teil  liegt der Fokus auf der inschriftlichen Rezeption, doch auch hier hoffe ich, zu literarischen Texten das eine oder andere beizutragen.

Untersuchtes Corpus Die Versinschriften, an denen ich eine Rezeption hellenistischer Dichtungstechniken nachzuweisen versuche, stammen aus dem Hellenismus, der Kaiserzeit und sogar der Spätantike; kaiserzeitliche und spätantike Texte sollen dabei weniger als Produkte ihrer eigenen Zeit,32 sondern hinsichtlich der Frage untersucht werden, inwieweit sie, direkt oder indirekt, der hellenistischen Dichtungstradition verpflichtet sind. Es geht darum, längsschnittartig eine Entwicklung darzustellen, die im literarischen Epigramm des Hellenismus beginnt, aber über den Hellenismus hinaus ausstrahlt (so werden auch einige kaiserzeitliche und 30 Einen nützlichen Überblick gibt Tueller 2008, 12–56 (sein Versuch, den Befund in feste »Regeln« zu gießen, ist jedoch problematisch, vgl. Fantuzzi 2009). 31 Meyer 1993; Meyer 2005. 32 Für eine solche Würdigung dieser Texte vgl. z. B. Agosti 2008 und 2010, der spätantike Inschriften hinsichtlich ihrer Metrik und Stilistik mit Nonnos vergleicht.

Einleitung: Vom Stein ins Buch – und zurück?

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spätantike literarische Epigramme besprochen, wenn sie einen »hellenistischen Zug« zu illustrieren scheinen). Ursprünglich war es beabsichtigt, nur hellenistische Versinschriften in die Untersuchung einzubeziehen. Dieser Plan erwies sich aber für den hier verfolgten gattungsgeschichtlichen Ansatz als unpraktisch. Bisweilen scheint es, dass gewisse Entwicklungen sich in den hellenistischen Versinschriften eher andeuten und erst vor dem Hintergrund der kaiserzeitlichen Beispiele deutlicher hervortreten. Dass es oft gerade kaiserzeitliche Inschriften sind, welche die Rezeption literarischer Techniken oder Motive besonders anschaulich demonstrieren, mag einen Hinweis darauf geben, dass die Aufnahme bestimmter Techniken und Motive sich in den Inschriften erst allmählich durchsetzen konnte. Im Gegensatz zu den vorhellenistischen Inschriften gibt es für die hellenistische und die spätere Zeit bisher keine Sammlungen, welche eine möglichst vollständige Erfassung aller Versinschriften einer Epoche anstreben. Systematisch ausgewertet wurden für diese Arbeit die Sammlungen von Kaibel (EG), Peek (GVI und GG) und Merkelbach/Stauber (SGO) sowie kleinere Sammlungen; als unerlässlich erwiesen sich die Online-Datenbank griechischer Inschriften des Packard Humanities Institute (http://epigraphy.packhum.org/inscriptions/) und das Supplementum Epigraphicum Graecum Online (http://referenceworks. brillonline.com/browse/supplementum-epigraphicum-graecum). Originalsprach­ liche Texte habe ich, soweit nicht anders angegeben, selbst übersetzt. Schließlich konzentriert sich diese Arbeit auf die Untersuchung des litera­ rischen Gehalts der Texte, betrachtet also nur einen Aspekt der Entwicklung der Versinschriften seit dem Hellenismus. Fragen nach dem realen Publikum der Inschriften, den realen Gegebenheiten der Lektüre,33 dem Bildungsstand der Verfasser und Leser,34 ihrer Mobilität,35 der Ausbildung eines touristischen Interesses an inskribierten Monumenten,36 nach lokalen Besonderheiten inschriftlicher Praxis und Weiteres werden nicht oder nur sporadisch behandelt. Textkritische Probleme werden nur behandelt, insofern sie für diese Arbeit relevant sind; dementsprechend selektiv ist (wenn vorhanden) der kritische­ Apparat. 33 Die realen Gegebenheiten wären in Beziehung zu setzen zu den Angaben, welche die Inschriften selbst über die Umstände ihrer Rezeption machen (vgl. S. 363 Anm. 3). 34 Bing 2009 hat die Komplexität literarischer Anspielungen in inschriftlichen und literarischen Epigrammen untersucht unter dem Gesichtspunkt, welchen Bildungsgrad der Leserschaft die Texte jeweils voraussetzen; dieser wird von Bing für die Leser der Inschriften eher gering veranschlagt. Agosti 2010 untersucht spätantike Versinschriften und stellt fest, dass diese bisweilen ein sprachliches und stilistisches Niveau aufweisen, das ein gebildetelitäres Publikum voraussetzt, und so den Stellenwert klassischer παιδεία in der Spätantike untermauern. 35 Handley 2011. 36 Rutherford 2001.

I. Die Rede des Gegenstands

1. Sprechende Objekte und sprechende Inschriften 1.1. Form und Inhalt Es ist eine Eigentümlichkeit der griechischen Inschriften, dass sich bereits in frühester Zeit Objekte jeglicher Art in der Ich-Form an den Leser wenden.1 Formal lässt sich diese Redeweise nach drei Kriterien unterscheiden. Am häufigsten und ältesten ist (a) die Ich-Rede des Objekts als direkte Rede, ohne Einleitung durch ein verbum dicendi. Oft ist die Rede des Denkmals nur an einem eingeschobenen με erkennbar, etwa in den üblichen Formeln ὁ δεῖνά μ᾽ ἀνέθηκε »X hat mich geweiht« (Weihinschriften) oder ὁ δεῖνά μ᾽ ἐπέθηκε τῷ δεῖνι »X hat mich über Y errichtet« (Grabinschriften);2 steht eine Verbform in der ersten Person, so findet man am häufigsten εἰμί, etwa in den Formeln τοῦ δεινός εἰμι »Ich bin Besitz des X / gehöre zu X« (häufig in Besitzinschriften, aber auch sonst verbreitet) oder σῆμά εἰμι τοῦ δεῖνος »Ich bin das Grabmal [das »Zeichen«] des X« (Grabinschriften)3, dann auch: ἕστηκα (CEG 58, 144, 173), ἧμαι (86), κεῖμαι (153, 162), ἀνάκειμαι (192) und ἀνακείμεθα (347, 390), φαίνω (463, von einer Lampe), κρύπτω (473=99a), τεκ[μαί]ρομαι (629), φρ ουρῶ  (687). Seltener wird (b) die Rede des Denkmals durch ein verbum dicendi bezeichnet, häufiger in der 3. Person: νι[κε˜]σαί φησι (CEG 270 [?])4, Χσάνθ[ιππον …] 1 Burzachechi 1962, 3 »Statue divine e umane, figure di animali, oggetti di uso comune, stele sepolcrali, blocchi informi di pietra che servirono  a qualche atleta dell’antichità per­ dimonstrare la sua forza, misure di capacità, monete, pesi, e perfino le lettere stesse di qualche iscrizione, parlano.«; Svenbro 1988, 37 f. 2 Der Begriff »Formel« soll hier (und überhaupt in dieser Arbeit) auf die Inschriften angewandt nur besagen, dass es sich um Ausdrucksweisen handelt, die in identischer oder leicht abgewandelter Form immer wieder auftreten; eine Deutung im Sinn der »homerischen Formel« ist fernzuhalten. Die »Formelhaftigkeit« gerade archaischer Inschriften lässt sich an den von Werner Peek gesammelten Beispielen in GVI ablesen, wo die entsprechenden Formeln als Gliederungsmerkmale verwendet sind (vgl. GVI S. XVI f.). Auf einem anderen Blatt steht die literarische Bewertung des Phänomens: mechanische Wiederholung oder intertextuelle Anspielung? (s. Baumbach/Petrovic/Petrovic 2010a, 14 f.). 3 Selten wird die Formel auch außerhalb des Grabkontextes gebraucht (z. B. für das Münzbild, s. u. S. 30 Anm. 15); zur Bedeutung von σῆμα besonders in der Archaik s. P ­ hilipp 2004, 79–86. 4 Als Subjekt zu φησί kommen sowohl das Weihgeschenk als auch der Weihende in Frage.

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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φεσὶν … τὄστρα[κον …] ἀδικε˜ν (439); (τάφος) φράζει (CEG 466); (στήλη) ἀγορεύ[ει] (532); (μνῆμα?) ἀγγέλλει (591);5 bisweilen in Verbindung mit direkter Rede: (στήλη) ἐρεῖ6 …· Τιμαρέτε μ᾽ ἔσστεσε (CEG 108); aber auch in der 1. Person, als Selbstaussage des Objekts: λέγω (CEG 173); ὑποκρίνομαι (286); [ἀγγέλ­λ]ω (CEG 823); φημί (844,11 und 883). Das verbum dicendi kann auch als Aufforderung des Passanten an das Denkmal erscheinen: λέγε (CEG 429).7 In vorhellenistischer Zeit nur einmal belegt ist (c) die Bezeichnung der Inschrift als »Stimme« des beschriebenen Objekts: αὐδὴ τεχνήεσσα (CEG 429). Dem Denkmal, das sich durch die Selbstbezeichnung »Ich« als Sprecher einführt, steht der Passant als Adressat gegenüber, der oft durch Vokative direkt angesprochen wird und durch Imperative zur Ausführung einer Handlung angeregt oder durch Drohungen abgehalten werden soll.8 Relevant für die Zuordnung der Ich-Rede an einen Sprecher ist die Unterscheidung von ikonischen und nichtikonischen Objekten.9 Falls es sich um mit einer Inschrift versehene Bildwerke (Statuen, Reliefbilder, Vasenbilder etc.) handelt, ist es denkbar, dass nicht das Objekt selbst als Sprecher zu denken ist, sondern die dargestellte Person (bzw. das dargestellte Objekt). In einigen Fällen ist es durchaus fraglich, ob das Denkmal oder der auf ihm Dargestellte spricht;10

5 κηρύσσει … τρόπαια in CEG 632, 6 begleitet zwar eine wörtliche Rede, bezieht sich aber nicht unbedingt auf eine Inschrift. 6 Die verba dicendi begegnen i. d. R. im Präsens; hier drückt ἐρεῖ die vom Zeitpunkt der Inskribierung her gesehene, d. h. zukünftige Lektüre aus (für den Gebrauch des Futurs in der Formel »jemand (i. e. ein Passant) wird sagen …«, s. S. 84 Anm. 198; S. 334 Anm. 128). 7 Das literarisch überlieferte Epigramm Simonides AP 16, 23 = FGE 808 f., das ebenfalls eine Aufforderung an das Denkmal enthält, zu sprechen (εἶπον, τίς τίνος ἐσσί 1), wird bis­ weilen für eine archaische Inschrift gehalten (Kassel 1983, 11; Schmitz 2010, 28). 8 Der Passant / Leser wird oft durch ὅς oder ὅστις bezeichnet: z. B. CEG 159 [ὅ]στις μὴ παρ[ετ]ύνχαν᾽ ὅτ᾽ ἐ[χσ]έφερόν με θανόντα, 454 hὸς δ᾽ ἂν το˜δε πίεσι ποτερί[ο]. Andere Bezeichnungen: CEG 13 [εἴτε ἀστός] τις ἀνὲρ εἴτε χσένος, 264 [ἐπι]γιγνο[μένοις], 286 πᾶσιν ἀνθρόποις, 399 βροτοῖς ἐσορᾶν. Anrede im Vokativ: CEG 28 ἄνθροπε hὸστείχε[ι]ς, 110 τὺ δ᾽ εὖ πρᾶσ᾽ [ο῏] παροδο˜τα, 131 ο῏ ξνε. Aufforderung im Imperativ: CEG 13 ταῦτ᾽ ἀποδυράμενοι νε˜σθ᾽ ἐπὶ πρᾶγμ᾽ ἀγαθόν, 13 und 117 παρίτο, 27 und 28 στε˜θι καὶ οἴκτιρον (vgl. 174), 34 [δάκρυ κ]άταρ[χ]σον, 68 und 148 οἴκτιρ(ε), 80, 108 und 162 χαίρετε, 150 ἐσιδέσ[θε], 159 νῦν μ᾽ ὀ[λο]φυράσθω; Prohibitiv: 451 μὲ … στάσες, IGDOlbia 38 μηδές με κλέψει. Drohungen: SEG 47:1475 Ταταίες ἐμὶ λέκυθος· hὸς δ᾽ ἄν με κλέφσει, θυφλὸς (sic)  ἔσται, CEG 459 σᾶμα τόζ᾽ Ἰδαμενεὺς ποίησα hίνα κλέος εἴη· Ζεὺδέ νιν ὅστις πημαίνοι λειόλη θείη; wohl scherzhafte Drohung 454 hὸς δ᾽ ἂν το˜δε πίεσι ποτερί[ο] αὐτίκα κε˜νον hίμερος hαιρέσει καλλιστε[φά]νο Ἀφροδίτες (vgl. aber Faraone 1996). 9 »Nichtikonisch« werden hier Objekte genannt, die nicht als bildliche Darstellung von etwas gemeint sind und eine solche auch nicht auf sich tragen; der Begriff »anikonisch« bezeichnet, wenn er hier gebraucht wird, im traditionellen Sinn eine bestimmte Gruppe von Götter-»Bildern«, welche den Gott repräsentieren, ohne ihn abzubilden (zur Begriffsgeschichte s. Gaifman 2012, 18–28). 10 S. Kap. IV.1.1.3.2.

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Die Rede des Gegenstands

dieses Problem der Zuordnung der Sprecherrolle wird im hellenistischen Epigramm bisweilen zugespitzt.11 Statt eines Gegenstands können auch die Inschrift oder die Buchstaben selbst in der Ich-Form reden; Beispiele hierfür finden sich auf einem Ramseskoloss bei Abu Simbel, der um 590 v. Chr. von griechischen Söldnern mit einem kurzen Tatenbericht beschriftet wurde (SEG 16:863); in zwei Fällen ist es die Inschrift, die spricht (Τήλεφός μ᾽ ἔγραφε; [ὁ δεῖνα] καὶ Κρῖθις ἔγραψαν ἐμέ); in einem Fall deutet der Plural an, dass die Buchstaben sprechen (ἔγραφε δὲ ἁμέ).12 Die Wendung ὁ δεῖνα μ᾽ ἔγραφε(ν) / ἔγραψε(ν) findet sich auch auf den subgeometrischen Hymettosscherben (Nr.  29a).13 Die Einführung der Inschrift bzw. der Buchstaben als Sprecher weist gegenüber der Rede des Objekts auf eine Akzentverschiebung hin. Nicht das Objekt selbst steht im Zentrum, das durch die Schrift in seiner Funktion genauer bestimmt wird, sondern auf die Inschrift selbst kommt es an, entweder um ihrer selbst willen,14 oder als Trägerin einer Botschaft, während der materielle Träger zurücktritt.

1.2. Alter und Verbreitung Seitdem inschriftliche Zeugnisse in griechischer Sprache überliefert sind, d. h. seit der zweiten Hälfte des 8. Jh. v. Chr., findet sich auch die Ich-Rede des Gegenstands. Die Form ist in Vers- und in Prosainschriften gleichermaßen vertreten; ein berühmtes (wenn auch nicht unumstrittenes) Beispiel ist der sog. Nestor­ becher aus Pithekussai (CEG 454, ca. 735–20 v. Chr.):15

11 s. S. 266–71. 12 Vgl. Müller 2006, 1 Anm. 4. 13 Die Nummer verweist auf Langdon 1976. Dieselbe Wendung begegnet später auf Vasen in der Bedeutung »X hat mich bemalt« (z. B. CEG 436, 437), doch auf unbemalten Gefäßen muss με wohl auf die Inschrift selbst bezogen werden (vgl. Langdon 1976, 46). 14 Unter den Hymettosscherben befindet sich eine Dedikation, die erst nach dem Bruch des Gefäßes eingeritzt wurde; Langdon (1976, 46) nimmt an, dass die Weihegabe daher die Inschrift selbst ist, als symbolon der neuen Kunst des Schreibens. 15 Zu den ältesten Belegen gehören weiterhin: SEG 26:863 (Rhodos, 8.  Jh. v. Chr.?) ϙοράϙο ἡμὶ ϙύλιξ τ[; unter den Hymettosscherben (spätes 8./7. Jh.): Langdon 1976 Nr.  4, 6, 29a, 29b, 41; unter den euböischen Neufunden (Kenzelmann Pfyffer/Theurillat/Verdan 2005): Nr. 1 und E (beide 750–700 v. Chr.); bemerkenswert ist auch die Ich-Rede einer Münze (sog. Phanes-Stater, BMC Greek (Ionia) 1, S. 47 Nr. 1, nach 630 v. Chr.) Φάνος ἐμὶ σῆμα (Hinweis v. J. Regenauer); weitere Beispiele bei Powell 1989; Pfohl 1969 (einige der bei Pfohl genannten Inschriften werden jetzt jünger datiert); Burzachechi 1962. Hinsichtlich des Nestor­ bechers sprechen die Beliebtheit der Form insgesamt sowie die syntaktisch ganz parallele Inschrift SEG 47:1475 (Kyme, 660–50 v. Chr., zitiert in Anm.  8) für die Ergänzung ε[ἰμ]ί (vgl. Hansen 1976, 29–32; Pavese 1996, 6–8; pace Wachter 2010, 253 Anm.  18; Steinhart 2012).

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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Νέστορός ε[ἰμ]ι εὔποτ[ον] ποτέριον. hὸς δ᾽ ἂν το˜δε πίεσι ποτερί[ο] αὐτίκα κε˜νον hίμερος hαιρέσει καλλιστε[φά]νο Ἀφροδίτες. Ich bin des Nestors Trinkgefäß, aus dem man gut trinken kann. Und wer aus diesem Gefäß trinkt, den wird sogleich Verlangen erfassen nach der schönbekränzten Aphrodite.

Eine ähnlich weite Verbreitung in dieser frühen Zeit haben nur solche Formeln, in denen keine Angaben über den Sprecher gemacht werden, wie ὁ δεῖνα ἀνέθηκε oder ὁ δεῖνα ἐπέθηκε τῷ δεῖνι. Nominalsätze der Form σῆμα τόδε τοῦ δεῖνος begegnen häufiger, wogegen das Hilfsverb ἐστί selten gesetzt wird.16 Man kann also, von einzelnen Ausnahmen abgesehen,17 von zwei Hauptformen inschriftlicher Rede ausgehen, einer »neutralen« ohne Sprecherbestimmung18 und einer »personalen« aus Sicht des Objekts (bzw. der Inschrift selbst oder einer abgebildeten Person).19

1.3. Theorien zur Genese Gerade die Tatsache, dass die Rede der Inschrift, wie oben dargestellt, in einer formalen Vielfalt auftritt, legt nahe, dass diese Vielfalt auf ein gedankliches Konzept »sprechender« Objekte zurückzuführen ist. Da dieses Konzept im Widerspruch zur sinnlichen Erfahrung steht, schließt unmittelbar die Frage an: Was muss man sich unter diesem »Sprechen« der Dinge vorstellen? Die Frage scheint umso wichtiger, insofern das Alter und die Verbreitung dieser Form erwarten lassen, dass in dieser Präsentationsform eine grundsätzliche Auffassung des archaischen Griechentums über die Art und Weise zum Ausdruck kommt, wie Kommunikation mit einem inskribierten Objekt »funktioniert«, da die Rede des Objekts sich nicht als Übernahme aus dem inschriftlichen Habitus anderer Völker erklären lässt.20 Eine Antwort hierauf kann außerdem da 16 Ἐστί erscheint in CEG 26, 29, 42, 87, 167; vgl. κεῖται (CEG 84), τέτυκται (106), κεκλέσεται (142). S. auch Svenbro 2005, 38. 17 Z. B. CEG 459 (Rhodos, 600–575 v. Chr.?), wo derjenige in der Ich-Form spricht, der das σῆμα gemacht hat (s. S. 39 Anm. 48). 18 Zum Begriff »neutral« in diesem Zusammenhang vgl. Baumbach/Petrovic/Petrovic 2010a, 11. 19 Agostiniani 1982 nennt diese beiden Gruppen »iscrizioni relative a oggetti« und »iscrizioni parlanti« (21 u. ö.). 20 Vestrheim 2010, 63; insbesondere gibt es offenbar keine Beispiele für die Ich-Rede des Objekts in orientalischen Inschriften (Lenzinger 1965, 60; Pfohl 1969, 10; Wachter 2010, 252; pace Burzachechi 1962, 48; Häusle 1979a, 127 f.; s. u. S. 40–2). In etruskischen und italischen Inschriften dagegen ist die Objektrede verbreitet (Burzachechi 1962, 45–7; Agostiniani 1982), was dafür spricht, dass diese Redeweise zusammen mit dem Alphabet letztlich aus Griechenland übernommen wurde (Norden 1939, 267; Agostiniani 1982, 270 f.).

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Die Rede des Gegenstands

bei helfen, das hellenistische Spiel mit der Ich-Rede angemessener zu erfassen. Im Folgenden sollen daher verschiedene bisher vorgebrachte Erklärungsansätze vorgestellt werden.21

1.3.1. Animistische Deutungen Unter dem Begriff »animistische Deutung« sollen all diejenigen Ansätze zusammengefasst werden, die in der Rede des Objekts den Ausdruck einer realen Belebung erkennen. Zugrunde liegt eine Auffassung des Animismus, die letztlich auf Edward B. Tylor zurückgeht, der den Begriff in seinem zuerst 1871 erschienenen Werk Primitive Culture zu einem anthropologischen Konzept gemacht hat.22 Dieses »traditionelle« Konzept besagt, dass der primitive Mensch nicht zwischen belebter und unbelebter Umwelt zu unterscheiden vermag und so auch von Tieren, Pflanzen, und toter Materie annimmt, sie besäßen eine Natur, die seiner eigenen entspricht.23 Der Animismus als Welterklärung war dabei eingebettet in ein kulturelles Evolutionsmodell, in dem er selbst auf einer unteren Stufe stehe (da man ihn etwa auch bei Kindern beobachte), wogegen er in fortschrittlicheren Gesellschaften weitgehend zugunsten einer wissenschaftlichen Weltanschauung überwunden sei und nur noch in Form von Resten (»survivals«) existiere. Dieses Konzept, in Verbindung mit dem Evolutionsmodell, fand schnell Eingang in die Analyse der griechischen und römischen Religion. Ein prominentes Beispiel dafür ist James G. Frazers The Golden Bough (die erste Auflage erschien 1890), in dem er die italische Institution des Rex­ Nemorensis durch ethnographische Parallelen zu erhellen suchte und in diesem Rahmen eine Evolution der Anschauungen des Menschen über die Naturkräfte nachzeichnete.24

21 Vgl. zum Folgenden insgesamt Meyer 2005, 71 f. 22 Tylor 1871, 377–453. In jüngerer Zeit wird der Begriffsinhalt wieder stärker diskutiert: Verschiedene moderne Definitionen des Begriffs sind bei Bird-David 1999, S67 zusammengestellt; sie resümiert, dass es sich um ein recht einheitliches Konzept handle, das im Wesentlichen mit Tylors Verständnis übereinstimme. Stewart Guthrie (2000, 106) unterscheidet dagegen drei Definitionen: »Tylor … said that animism (for him, belief in spirit beings) is what all religions share. In contrast, the conception of animism that is now most widespread (attribution of spirits to natural phenomena such as stones and trees) makes animism only one form of religion. A third conception of animism, adopted by Piaget and most subsequent developmental psychologists, is the attribution of life to the lifeless. This conception includes no spirit beings at all.« 23 Tylor 1920, 477 zitiert Hume, Natural History of Religion: »There is an universal ­tendency among mankind to conceive all beings like themselves and to transfer to every object those qualities with which they are familiarly acquainted and of which they are intimately conscious.« 24 Vgl. auch den wissenschaftsgeschichtlichen Überblick in Graf 2002 (hier: 686–90).

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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Eine zweite Wurzel der animistischen Deutung der Ich-Rede scheint in der Betonung des Kulturtransfers von Ost nach West zu liegen, etwa der Entdeckung der orientalisierenden Epoche in der archaischen Kunst.25 Bereits Eduard Norden hatte erwogen, ob dabei nicht auch inschriftliche Ausdrucksweisen aus dem Orient übernommen worden seien; die Ich-Rede des Denkmals solle dabei von der ἐγώ εἰμι-Prädikation orientalischer Gottheiten und Könige ab­ geleitet sein.26 Animistische Deutungen, die auf orientalische Vorstellungen zurückgehen sollten, führte man bereits für den inskribierten Namen im Nominativ ins Feld.27 So seien im griechischen Grabstein zunächst noch Vorstellungen des vorgeschichtlichen Menhir präsent, der einen Ersatz für den Toten oder eine Vergegenwärtigung des Toten darstelle;28 der Name, der wie im Orient eine magische Kraft besitze,29 deute im Nominativ eine Identifikation des Denkmals mit dem Dargestellten an;30 schließlich verglich man u. a. die Chares-Inschrift (GIBM 933, zitiert auf S. 244) mit orientalischen Parallelen in der Ich-Form redender Königsstatuen. Andererseits wurde aber auch der Fortschritt des Griechentums betont. Das Kuriosum der Rede des Gegenstands deutet Bernhard Schweitzer so (1940, 14): Das Selbstgefühl der archaischen Griechen ist nicht kollektiv, ist nicht die Spitze eines Gebäudes irdischer Macht und magisch-religiöser Vorherbestimmtheit. Es ist Natur und verbindet sich mit Natur. In tausend Dingen der Welt findet es sich widergespiegelt. Anstatt ein Erzeugnis einer uralten Weltordnung zu sein, schafft es sich selbst eine neue. Es löst sich ab von der subjektiven Sphäre, die in Macht und Reichtum ihre Erfüllung findet, und vergegenständlicht sich in dieser Ordnung. Alles, was eine φύσις hat, wird ein Selbst und kann angeschaut, ergründet, unter den Händen der Künstler belebt werden. Das archaische Ich ist nicht Macht und Selbstgenuss, sondern schöpferisch.

Schweizer, der die besonderen Umstände erklären möchte, unter denen das griechische (realistische) Porträt entstehen konnte, betont zunächst die Kontinuität orientalischer Vorstellungen, hebt dann aber den griechischen Sonderweg hervor: Die Griechen verlebendigen eine Vielzahl von Gegenständen und

25 Forschungsgeschichtlicher Überblick bei Burkert 1984, 7–14. 26 Norden 1939, 292. 27 Zum folgenden Abschnitt vgl. Schweitzer 1940, 8–14. 28 Zum Menhir-Begriff s. Häusle 1979a, 116–8; Röder 1949. Nach Niemeyer 1996 zeigen die archaischen Statuen der Griechen eine magische Präsenz der Dargestellten an und setzen so die neolithische Menhir-Vorstellung fort. 29 Zur »Macht des Namens« in orientalischen Texten s. Radner 2005, die den geschriebenen Namen, wie auch Körper und Geist, als Teil des Individuums betrachtet. 30 Vgl. hierzu die Diskussion S. 240 Anm. 32.

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Die Rede des Gegenstands

nicht etwa, wie die Orientalen, Herrscherbilder; die Identifikation von Bild und Person geben sie alsbald auf.31 Mario Burzachechi weist ebenfalls auf die orientalischen Parallelen hin, spricht sich aber gegen einen Einfluss orientalischer Vorbilder aus (1962, 48); aber auch er führt die Rede der Gegenstände auf animistische Vorstellungen zurück, nämlich auf den Glauben an die Belebung der sog. Göttersteine (49): Quanto poi all’origine di quest’uso caratteristico, esso fu determinato,  a mio ­avviso, da un motivo psicologico tipico delle civiltà primitive: si ritiene che nelle statue alberghi lo spirito dell’entità raffigurata, e perciò si dà ad esse la parola. … Alla base di questo concetto si intuisce una credenza religiosa che affonda le sue radici nell’epoca lontana della preistoria, quando gli uomini adoravano pietre di forma particolare, nella persuasione che in esse fosse racchiuso lo spirito di una divinità, che esse fossero, quindi, una specie di tramite fra il mondo invisibile e quello reale.32

Am ausführlichsten hat Helmut Häusle die These vom Animismus der sprechenden Objekte vertreten (1979a; zusammenfassend 1980, 48 Anm. 109); auch er geht davon aus, dass die »literarische Personifikation«, d. h. das Personifizieren eines Objekts des Alltags durch eine Inschrift in der Ich-Form, auf vorliterarische Vorstellungen zurückgehe (1979a, 45 f.): Auch Gegenstände des gewöhnlichen Gebrauchs werden vor- und außerliterarisch mit Leben erfüllt gedacht, wie es sich gelegentlich bei Vasen zeigt, denen Augen gegeben wurden, damit sie den Dieb sehen, und Ohren damit sie ihn hören. In der Mitte des 6. Jh. v. Chr. waren diese verkümmert zu rudimentären Dreiecken, ihre Bestimmung war vielleicht schon vergessen. Solche Gegenstände waren also vorliterarisch animalisch belebt gedacht, personifiziert im eigentlichen Sinn wurden sie erst literarisch, d. h. durch das Anbringen einer Inschrift, wodurch sie Sprache erhielten.

Kurz davor begreift er, ähnlich wie Schweitzer, die Belebung der Dinge als Kennzeichen der griechischen Weltanschauung (44):

31 Schweitzer 1940, 18: »Die auch bei den Griechen uralte Gleichung von Steinbild und Dargestelltem, die in der orientalischen Kunst festgehalten wurde und von dort auf die Ioner wirkte, ist zerrissen.« Ob es diese »uralte« Gleichsetzung tatsächlich so gab, sei hier dahingestellt; der ontologische Status eines Bildes ist jedenfalls kaum so pauschal zu bestimmen, sondern muss u. a. aus einer Analyse des Kontexts erschlossen werden (vgl. Eschweiler 1994 zu ägyptischem Bildzauber; Berlejung 1998 zu mesopotamischen Kultbildern). Zum (problematisch-schematischen) Antagonismus Orient-Okzident, der bei Schweitzer aufscheint, s. Hauser 2001. 32 Zu den Göttersteinen s. Gaifman 2012.

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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Die inschriftliche oder literarische Personifikation dürften die Griechen selbst als geglückten Ausdruck ihres Denkens empfunden haben … In der literarischen Personifikation fanden sie das Ausdrucksmittel dafür, wie sie die umgebenden Gegenstände auffaßten: Sie schienen ihnen eine Art Leben zu haben und irgendwie menschlich zu sein.

Ebenfalls versucht Häusle, den Nachweis orientalischen Einflusses auf die IchRede zu erhärten, indem er auf vermeintliche phönizische Vorbilder derselben hinweist, die dann gemeinsam mit dem Alphabet von den Griechen übernommen worden seien, eine These, die bereits von Gerhard Pfohl erwogen wurde.33 Was den animistischen Ansatz betrifft,34 so sprechen zum einen die literarischen Zeugnisse der Zeit eine andere Sprache:35 Bei Homer begegnen uns belebte Gegenstände nur im der menschlichen Erfahrung entrückten Bereich, etwa die sich von selbst bewegenden Dreifüße (Il. 18, 376 f.) und Blasebälge (Il. 18, 469–73) und die goldenen Mägde des Hephaistos, die auch Stimme (αὐδή) besitzen (Il. 18, 417–20).36 Ansonsten ist ihm der Stein das Symbol für Unbeweglichkeit (Il. 13, 437; 17, 434), aber auch für Schweigsamkeit: So verspricht in Od. 19, 494 Eurykleia dem heimgekehrten Odysseus, sie werde seine Identität geheim halten ὡς ὅτε τις στερεὴ λίθος ἠὲ σίδηρος. Die Stimmlosigkeit des Steins wird später ebenso vorausgesetzt bei Theogn. 568 f. κείσομαι 33 S. Pfohl in Raubitscheck 1968, 27; Pfohl 1969, 9. Zu diesem Problem s. S. 242 Anm. 35. Schließlich ist die Animismustheorie auch für mittelalterliche Objektinschriften heran­ gezogen worden; so sollen z. B. Glocken, die mit einer Inschrift N. N. me fecit versehen sind, belebt sein und so Dämonen abwehren (s. Ploss 1958, 39). 34 Tylors Ansatz, vor allem der damit verbundene Evolutionsgedanke, wurde häufig kritisiert (vgl. K. Müller 1971, 317 f.). In jüngerer Zeit gewinnt das Konzept des Animismus als »kritischer Spiegel der Moderne« (Franke/Albers 2012, 12; 14) wieder an Popularität, was einhergeht mit dem Versuch einer Neudefinition, da das traditionelle Verständnis auf einer (abendländisch-modernistischen) strikten Trennung von Mensch und Welt einerseits, von Geist und Körper andererseits beruhe und damit potentiell untauglich sei, auf anderen Prämissen beruhende Weltanschauungen zu beschreiben (Bird-David 1999, S68; der Vorwurf, Tylors Übertragung des Körper-Seele-Dualismus auf das Denken des primi­tiven Menschen sei unsachgemäß, findet sich bereits in Marett 1900). Auf dem Gebiet der Altertumswissenschaften wird verstärkt das magische Potential von Objekten in den Blick genommen. Vgl. Chambers 1994 (Rezension zu Svenbro 1993): »Interestingly, Svenbro rejects an older animistic interpretation of these »speaking objects«, just when some scholars, such as Christopher Faraone and Rosalind Thomas, have become more receptive to the nonrational functions of Greek art and writing.« Eine neuere animistische Deutung der Ich-Rede ist mir allerdings nicht bekannt; so interpretiert Faraone 1996 die Inschrift auf dem Nestorbecher als Liebeszauber, geht aber nicht soweit, im εἰμί des Bechers eine Belebung zu erkennen. – Zum »Irrationalismus« der Moderne vgl. Fehling 1974, 3; s. u. S. 166 Anm. 20. 35 Darauf weist bereits Meyer hin (2005, 72). 36 Zu Homers sprechenden Tieren s. Pelliccia 1995, 103–8.

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Die Rede des Gegenstands

ὥστε λίθος / ἄφθογγος; sie ist sogar sprichwörtlich.37 Auf der anderen Seite scheinen die sprechenden Objekte das Problem des stummen Steins nicht zu kennen, sondern weisen unbekümmert auf ihre steinerne Natur hin: CEG 401 (Naxos, 615–590 v. Chr.) [τ]ο˜ ἀϝυτο˜ λίθο ἐμὶ ἀνδριὰς καὶ τὸ σφέλας; CEG 153 (Amorgos, ca. 450 v. Chr.?) ἀντὶ γυναικὸς ἐγὼ Παρίο λίθο ἐνθάδε κεῖμαι; CEG 429 (Halikarnassos, ca. 475 v. Chr.?) αὐδὴ τεχνήεσσα λίθο. Hier läge also ein deutlicher Bruch zwischen der Vorstellungswelt Homers und Theognis’ und derjenigen der Inschriften vor. Zum anderen scheint sich die These, die griechische »Weltanschauung« empfinde alle Dinge ihrer Umwelt als lebendig (Schweitzer, Häusle), neben geschichtsphilosophischen Erwägungen empirisch nur auf die Ich-Rede der Objekte zu stützen, die sie aber durch ebendiese Weltanschauung erklären will, und ist schon deshalb wenig plausibel. Eine animistische Deutung ließe sich m. E. nur dann stützen, wenn nur oder vor allem solche Objekte in der IchForm sprächen, für die sich eine Personifizierung evtl. auch unabhängig von der Inschrift nachweisen oder zumindest annehmen ließe (z. B. für Götter­bilder oder Grabsteine).38 Dagegen erweckt die bereits in früher Zeit gegebene Vielfalt der o­ ggetti parlanti den Eindruck, dass der Inschriftenträger selbst für den Gebrauch der Ich-Rede eine untergeordnete Rolle spielt (es sprechen ja bisweilen auch die Buchstaben selbst).39 Schließlich wäre bei einer vorliterarisch geglaubten Belebung wohl auch zu erwarten, dass die Belebung der Objekte im Wortlaut der Inschrift nicht allein durch die Ich-Rede, sondern auch hinsichtlich anderer Aspekte zum Ausdruck käme.40 Dies legt nahe, dass die Ich-Rede nicht Ausdruck einer bereits vorhandenen personalen Vorstellung des Inschriftenträgers ist, sondern dass die Personifikation in engem Zusammenhang mit dem Vorgang des Inskribierens selbst steht.

37 Beispiele bei Kassel 1983, 1. 38 Zur Personifikation von Götterbildern s. u. S. 237 Anm. 29; zu Grabbräuchen, die eine Personifikation des Grabsteins suggerieren könnten, s. Garland 1985, 119: »Oiled, perfumed, decorated, crowned and fed, it [i. e. die Stele] was a focus of devotion and an object of adoration. Whether it was conceived of as the actual embodiment of the dead or merely as a symbol of his physical presence is perhaps a question we should not seek to answer.« 39 Dieses Argument findet sich ähnlich bereits bei Agostiniani 1982, 269 Anm. 1 (gegen Burzachechi 1962). 40 Vgl. etwa die Runeninschrift auf dem Stein von Eggjum (zitiert nach Röder 1949, 38): »Nicht setze man ihn (den Stein) entblößt hin … und … diesen (Runenstein?) bewarf man mit Leichensee (=Blut) …« (»entblößt« personifizierend zu verstehen?).

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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1.3.2. Kommunikationstheoretische Deutungen Die nun vorzustellenden Ansätze gehen davon aus, dass das »Sprechen« der inskribierten Objekte nicht im Wortsinn zu verstehen ist, sondern die Denk­ mäler vielmehr eine dem Sprechen analoge Tätigkeit ausführen, die sich in einer kommunikativen Situation vollzieht, in der sich Denkmal und Leser gegenüberstehen. Bereits Edwin Flinck hat 1922 den Ursprung der »sprechenden« Inschriften aus der Funktion der Schrift, etwas mitzuteilen, abgeleitet (8): Et videtur cum ipsarum litterarum usu esse coniuncta origo huius formae. Nam cum inscriptio in re quadam incidebatur, visa est ipsa res loquendi artem adepta personae loquentis instar exstitisse. Itaque haud difficulter factum est, ut ipsa res prima persona loqueretur.

Die Inschrift »spricht«, weil sie wie ein personaler Sprecher in Sprache gefasste Informationen an den Leser übermittelt. Demgegenüber hält Flinck die Entwicklung, Bildwerke durch eine Inschrift sprechen zu lassen und so zu verlebendigen, für sekundär (9). Anton Raubitschek weist animistische Deutungen ausdrücklich zurück und fasst die Metapher des Sprechens noch präziser als Flinck (1968, 17): Trotzdem dürfen wir uns nicht vorstellen, dass die Säule mit dem schönen dorischen Kapitell [gemeint ist CEG 146] als lebendig gedacht wurde und dass deshalb das Epigramm in der ersten Person spricht. Die Säule spricht nicht, sie lässt sich lesen, sie vermittelt dem Beschauer etwas das ihm sonst nicht mitgeteilt werden kann, das Epigramm wird zum Teil des Denkmals und wird daher so ausgedrückt wie es dem Künstler natürlich scheint. Wenn ein Bildhauer oder ein Maler ein paar Jahre später ein Bild des Hermes schafft so spricht dieses Bild auch direkt zum Beschauer und wenn der Künstler nicht sicher ist dass seine Darstellung ganz klar ist und dass seine Mitteilung durch das Bild vermittelt wird, dann setzt er ein paar Worte hinzu wie Ἐρμῆς εἰμὶ [sic] Κυλλήνιος (Kirchner, Imagines2 6) die nicht mehr oder weniger sagen als das Bild selbst aber es noch verdeutlichen und daher den Beschauer ebenso direkt ansprechen wie das Bild selber.

»Sprechen« bedeutet »sich lesen lassen«, wobei dies gleichermaßen von einer Inschrift wie von einem Bild gesagt werden kann; beide vermitteln, jeweils in der ihnen eigenen Weise, dem Betrachter Informationen, sie »sprechen« ihn »an«.41 Der Fokus wird vom Gegenstand selbst auf den Rezipienten, den Leser oder Betrachter, verschoben. Dies tritt auch an einer anderen Stelle hervor (11), wenn Raubitschek über die Ich-Rede des Nestorbechers sagt, dass Nestor 41 Ähnlich Sourvinou-Inwood 1995, 280: »The fact that the speaking voice is that of the object is correlative with the nature of the inscription: it articulates in permanent form aspects of the object’s identity, it is an explication and articulation of its being.«

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Die Rede des Gegenstands

den Becher sagen lässt was er selber nicht sagen kann, da er nicht immer dabei ist wenn der Becher bewundert und verwendet wird.

Hier ist das Problem der Abwesenheit des Urhebers der Inschrift bereits greifbar,42 das von Jesper Svenbro ins Zentrum der Erklärung der Ich-Rede gestellt wurde (1988, 38; hier zitiert nach der deutschen Übersetzung 2005, 34 f.): Die egozentrischen [d. h. die in der Ich-Rede verfassten] Inschriften sind das Ergebnis einer Inszenierung, deren Urheber systematisch als abwesend gedacht wird. »Kleimachos hat mich geschaffen und ich gehöre ihm (eimì keínou)«, lesen wir auf einer athenischen Amphore des 6. Jahrhunderts. Hier wird die Abwesenheit des Urhebers der Inszenierung, nämlich Kleimachos, durch die 3. Person des Demonstrativpronomens (e)keînos angezeigt, das sich eindeutig auf den Abwesenden bezieht. Kleimachos ist nicht hier, er ist an einem anderen Ort, »dort« (ekeî). Dagegen bezieht sich seine Amphore in der 1. Person auf sich selbst. Die Präsenz der Amphore, die vor dem steht, der ihre Inschrift liest, wird ebenso betont wie die Abwesenheit des Verfassers, der in dem Augenblick, in dem seine Inschrift gelesen wird, nicht mehr da ist.43

Svenbro deutet die Präsenz des Sprechers anders als Raubitschek aber nicht aus der Perspektive des Lesers; dieser spiele vielmehr eine untergeordnete, »subsidiäre«44 Rolle. Vielmehr stelle der Leser seine Stimme der Inschrift zur Verfügung, damit diese ihre Nachricht verkünde und κλέος erzeuge.45 Die »autodeiktische« Ich-Rede signalisiere so ihre »Autonomie«. Doris Meyers Ansatz (1993; 2005) stellt in gewisser Weise eine Synthese aus Svenbros und Raubitscheks Modellen dar: Von Svenbro übernimmt sie als zentralen Gedanken die Abwesenheit des Verfassers; dabei greift sie in der Analyse der kommunikativen Situation auf die Sprechakttheorie zurück. In der Betonung des Primats des Lesers, auf den hin die Kommunikation berechnet sei, folgt sie Raubitschek. So deutet sie die Ich-Rede des Objekts als Mittel, dem­ Leser zu suggerieren, es handle sich um eine mündliche Kommunikationssituation (2005, 72): 42 Auch Agostiniani 1982, 26 f. weist explizit auf diese Besonderheit hin, bringt sie aber nicht in Zusammenhang mit der Objektrede. 43 Vgl. auch Svenbro 2005, 44 f. (gegen animistische Deutungsversuche). 44 Rösler 1992, 2. 45 Diese Deutung stützt Svenbro durch eine Neuinterpretation von CEG 429, die (m. E. zu Recht) wenig Akzeptanz gefunden hat (Svenbro 2005, 57–63; vgl. Männlein-Robert 2007a, 158 Anm. 184; Tueller 2008, 151 Anm. 30). Die Wichtigkeit der Praxis des lauten Lesens für die Genese der Metapher hebt er richtigerweise hervor. Vgl. dazu Schenkeveld 1992, 135 f. (zum Gebrauch der Wendung ἤκουσά τινος λέγοντος i. S. v. »bei einem Autor lesen«): »the reason why the Greeks adopted this manner of expression, will be  a consequence of their habit of reading aloud, whereby the subject literally heard the words, whether spoken by himself, by his slave or by anyone else. … The usage may have been encouraged by the fact that e. g. Ὅμηρος λέγει was common in all cases of references to what one has read.«

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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Demgegenüber soll hier die These vertreten werden, daß das epigraphische ›Ich‹ des sprechenden Gegenstandes sich der ganz selbstverständlichen Inszenierung der Epigramme als mündlicher Sprechakte verdankt. Ausschlaggebend ist, daß ein personifizierter Sprecher dem potentiellen Leser gegenübersteht, wenn dieser die Inschrift liest. So wird ein direkter Kommunikationsweg suggeriert. Das epi­graphische ›Ich‹ ist somit seiner ursprünglichen Funktion nach ein ›Zeigewort‹ (Deiktikon), das zu der Inszenierung der Sprechhandlung als »aktuelles Sprechdrama« (Bühler) am Denkmalsort gehört. Diese Inszenierung ist durch die Abwesenheit des Senders, die Dissoziierung des Sprechakts, bedingt, soll diese verschleiern.

Das »Ich« des Denkmals verweist auf etwas dem Betrachter Präsentes, ebenso wie ein τόδε/τήνδε etc. Die »Unmittelbarkeit« der Kommunikation (oft wird auch von einer face-to-face-Situation gesprochen), die durch Verweise auf das dem Denkmal und dem Leser gemeinsame hic et nunc erzeugt wird, »appelliert« an den Leser, bindet ihn in eine Interaktion ein, der er sich nicht leicht entziehen kann; die Inschrift erhöht so ihre Chance, gelesen zu werden.46 Bereits festgestellt wurde, dass die Rede des Gegenstands ein genuin griechisches Phänomen ist; eine weitere Besonderheit ist, dass die Rede des Stifters, die in vielen anderen epigraphischen Kulturen nachweisbar ist,47 in der griechischen selten ist.48 Dieser Unterschied lässt sich durch das kommunikationstheoretische Modell zwanglos erklären, insofern der Stifter als Sprecher eben nicht geeignet ist, eine face-to-face-Situation zu evozieren; beide Phänomene erscheinen so als Seiten derselben Medaille.49 46 Vgl. auch Meyer 2005, 8.  47 Für phönizische Inschriften dieser Form s. Häusle 1979b, 147–50, z. B. CIS 62 »[Diese Stele (ist die)], welche [err]ich[tet] habe i[ch, ’]BD’ŠMN, der So[hn …« sowie die Beispiele in den Anmm. 57 und 58. In den ältesten Runeninschriften spricht regelmäßig der Weihende, Künstler etc. in der Ich-Form, z. B. auf dem goldenen Horn von Gallehus (»Ich, Lebgast (?), Sohn des Holt, machte das Horn«); vgl. Marchese 1985. 48 Vestrheim 2010, 62 f.; 75 weist ebenfalls auf diese Eigentümlichkeit hin; die schein­ baren Ausnahmen in CEG 1 (74, 136, 330) beruhen auf entsprechenden Ergänzungen der­ lacunae; in CEG 459 spricht zweifellos der Stifter, aber diese Inschrift ist insgesamt exzeptionell [s. Hansen a.l.]. Die Rede des Stifters begegnet in einer archaischen Prosainschrift (IG I3 1508). In CEG 2 finden sich einige Beispiele: in 533 spricht der Stifter eines Grabmals, in 775; 833 = 398b; 888, 27 sprechen die Stifter von Weihgeschenken. 49 Keinen Fortschritt für diese Frage erzielt ein Aufsatz von Rudolf Wachter (2010), der den Ursprung der Ich-Rede in der Weiheformel ὁ δεῖνα μ᾽ ἀνέθηκε sieht, die wiederum einer oral poetry-Tradition entstamme. Das με sei eine glückliche Erfindung gewesen (trick 259), weil es dem Dichter das Einfügen einer Sachbezeichnung für den geweihten Gegenstand (der ja jeweils ein anderer war) erspare und präziser auf den Gegenstand hinweise als ein Deik­ tikum wie τόδε; überdies ließ sich vor μ᾽ ἀνέθηκε auch ein Name mit kurzer Endsilbe unterbringen. – Unabhängig davon, wie überzeugend ein solches πρῶτος εὑρετής-Argument sein mag, wird die eigentliche Frage, inwiefern ein Objekt überhaupt als sprechend gedacht werden konnte, dadurch nicht beantwortet.

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Die Rede des Gegenstands

Griechische Inschriften sind demnach nicht produzenten-, sondern rezipientenorientiert. Inschriften der Form »Ich habe dies geweiht, hergestellt etc.« versetzen den Leser zurück zum Zeitpunkt der Inskription dieser mündlichen Aussage. Dagegen sind Inschriften, in denen Gegenstände sprechen, auf den jeweiligen Moment der Lektüre hin berechnet, dem Leser wird ein präsentes Gegenüber geschaffen, die kommunikative Situation ist auf ihn ausgerichtet.50 Man mag hiermit die »pragmatische« Dimension der archaischen Lyrik ver­ gleichen: der lyrische Sänger, der sein Lied im Hinblick auf die zukünftige Aufführung verfasst, bezieht ebenfalls durch deiktische Verweise und namentliche Anrede die Teilnehmer in die Aufführung mit ein.51 Aus medienwissenschaftlicher Perspektive zeigt sich die griechische Epigrammatik damit bereits in den frühesten uns greifbaren Zeugnissen in entwickelter Gestalt: man geht sonst davon aus, dass bei einem Medienwechsel wie dem von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit zunächst die Form des traditionellen Mediums beibehalten wird, im konkreten Fall, dass die schriftliche Mitteilung eine mündliche Aussage unverändert schriftlich wiedergibt (z. B. »ich habe dieses Grabmal errichtet«) und erst später ihre eigenen formalen Besonderheiten entwickelt. Im ersten Fall spricht man von »Verschriftung«, im zweiten Fall von »Verschriftlichung« (Raible 1998, 69).52 Die Rede des Objekts stellt eine Anpassung an die Schriftlichkeit und damit eine Verschriftlichung dar.53 Umgekehrt lassen sich Aussagen, die einen mündlichen Sprechakt zu imitieren scheinen (etwa die Ich-Rede des Stifters oder eines Verwandten), erst später deutlich nachweisen;54 sie sind dann kaum mehr als Verschriftungen im Sinne eines Übergangsphänomens, vielmehr als literarische Stilisierungen einer fortgeschrittenen Schriftkultur zu betrachten. Dieses Modell bietet nun auch eine Handhabe, in der Frage nach dem Einfluss orientalischer Inschriften auf die Ich-Form weiterzukommen;55 hier er-

50 Vgl. Rösler 1992, 1: »Der Text entfaltet nicht das Zeigfeld des Schreibenden, sondern dasjenige, das in der Situation der Lektüre Geltung erlangt.« 51 Schmitz 2010, 27 betont dagegen die Unterschiede: Während der lyrische Sänger den Kontext der Aufführung antizipieren kann, bleibt dem Epigrammdichter die Identität seiner Leser und der künftige Zeitpunkt der Lektüre verborgen. 52 Diese Unterscheidung hatte bereits Svenbro vorgenommen, der dafür die Begriffe »Transkription« und »Inskription« benutzt (2005, 32). 53 Svenbro 2005, 32 f.: »Gerade diese Texte [können] für sich beanspruchen, Inskriptionen zu sein, da sie eigens für die Schriftzeichen verfaßt wurden, durch die sie auf uns gekommen sind. Natürlich sind sie des öfteren der Formelsprache der Sänger verpflichtet, aber es ist ganz und gar unmöglich, in ihnen mündliche und erst nachträglich verschriftete Aussagen zu sehen.« 54 Beispiele bei Svenbro 2005, 38 f. 55 Für die folgenden Beobachtungen zu orientalischen Inschriften wurde ausschließlich auf Übersetzungen dieser Texte zurückgegriffen.

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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weist es nämlich, bei oberflächlicher Ähnlichkeit der Ich-Rede, einen fundamentalen Unterschied zwischen den in diesem Zusammenhang genannten orientalischen und griechischen Inschriften. In den orientalischen »Königsinschriften«56, aber auch in anderen Inschriftentypen, tritt oft ein Herrscher bzw. Stifter hervor, der einen recht ausführlichen Tatenbericht in der IchForm gibt.57 Wenn ein solcher Bericht auf einer Statue ebendieses Herrschers steht, dann solle es sich um die Rede der Statue handeln (vgl. Burzachechi 1962, 48).58 Ob der zeitgenössische Betrachter dies so empfunden hat, überhaupt wie das Verhältnis von Dargestelltem und Statue gesehen wurde, vermag ich nicht zu beurteilen.59 Aus den Inschriften selbst lässt sich freilich eine Gleichsetzung nicht direkt ableiten: Der Sprecher identifiziert sich sprachlich nicht mit dem Denkmal: ein Bild kann zwar einen der Person ähnlichen Namen erhalten,60 wird aber regelmäßig als »Bild des N. N.« bezeichnet,61 der Bericht in der IchRede nennt stets Leistungen der Person des Königs, etwa kriegerische Leistungen oder die Errichtung von Bauten – nie spricht das Ich nachweislich aus der

56 Zum Begriff Stein 2000, 8 f.; Edzard/Berger 1980–1983, 59–77. 57 Einige wenige (stark gekürzte) Textproben: 1. Bauinschrift Waradsîns von Larsam, in der die Wiederherstellung des Tempels der Göttin Nininsina beschrieben wird (sumerisch, ca. 1834–1823 v. Chr. [TUAT II, S. 474–6]): »Für Nininsina … habe ich, Waradsîn … ihr Haus, das seit fernen Tagen … in Altersverfall geraten war, für mein Leben … fürwahr gebaut, (es) fürwahr an seinen Ort zurückgebracht …. Über meine Tat mögest du, Nininsina, meine Herrin, dich freuen! …« 2. Weihinschrift des Kilamuwa (phönizisch, Zenjirli, 9. Jh. v. Chr. [Gibson 13]): »I am Kilamuwa, the son of Hayya … Him who had never seen the face of a sheep I made owner of a flock; him who had never seen the face of an ox, I made owner of a herd …« 58 Vgl. folgenden Auszug aus der Inschrift auf einer Statue des Stadtfürsten Urbaba von Lagasch über den Bau verschiedener Heiligtümer (sumerisch, ca. 2155–2142 v. Chr. [TUAT II, S. 469–72]): »Für Ningirsu, den starken Helden Enlils, habe ich, Urbaba … [an ausgedehntem] Pla[tze …] Ellen (tief)  gegraben, die dabei (ausgehobene)  Erde aufgehäuft als (wäre sie) Edelsteine, sie mit Feuer geläutert als (wäre sie) Edelmetall …« 59 Für animistische (bzw. dem Animismus nahestehende) Deutungen mesopotamischer Königsstatuen vgl. Bahrani 2003; Radner 2005, 60. 60 Radner 2005, 42–59 weist auf die mesopotamische Praxis hin, Weihgeschenken aller Art einen Namen zu geben; dabei werden anthropomorphe Statuen oft mit einem Namen belegt, der den Namen des Stifters enthält, aber nicht mit ihm identisch ist (z. B. Radner Nr. 2: Stifter ist Enmetana von Lagaš, Name der Statue: »Enmetana, den Enlil liebt«; Nr. 39: Stifter ist Gudea von Lagaš, Name der Statue: »Das Leben Gudeas, des Erbauers des Tempels, sei lang!«). 61 Radner 2005, 114 f., 124 f. Götterbilder werden dagegen auch mit dem bloßen Eigennamen der Götter (oder als »Gott« / »Göttin«) bezeichnet (Berlejung 1998, 64 f.). Bisweilen wird die Herstellung von Götterbildern als »Geburt« bezeichnet (Bauinschrift Assarhaddons [gest. 669 v. Chr.], akkadisch [TUAT N. F. 6, S. 29–33, hier: S. 32 Z. 35]); vgl. Berlejung 1998, 83.

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Die Rede des Gegenstands

Perspektive der Statue.62 Zudem scheint sich der Bericht in der Ich-Rede auf den die sprechende Person repräsentierenden Statuen formal nicht von solchen auf sonstigen Trägern zu unterscheiden. Es handelt sich bei diesen Inschriften sämtlich um Verschriftungen, wogegen, wie gezeigt wurde, das Ich der griechischen Inschriften seit ältester Zeit explizit auf das Objekt bzw. Denkmal verweist. Die Hypothese des Einflusses der Ich-Rede der Königsinschriften auf die Ich-Rede der Objekte lässt sich somit nicht erhärten. Es gibt allerdings bereits in einigen orientalischen (akkadischen, hethi­ tischen) Inschriften wohl seit dem späten 8. Jh. v. Chr. Beispiele für Verschriftlichungen in der Form der »Rede des Toten«:63 während manche Inschriften die Ich-Form für den lebenden Sprecher reservieren und nach seinem Tod in die 3. Person wechseln,64 spricht in anderen Beispielen der/die Tote auch noch »im Grab«.65 Darf man hierin eine Ausweitung des traditionellen Tatenberichts in der Ich-Rede über den Tod hinaus sehen? Jedenfalls gehört die Rede des Toten in den griechischen Inschriften gerade nicht zu den ältesten Präsentationsformen der Inschrift, sondern begegnet erst ab ca. 550 v. Chr., was eher dagegen spricht, hierin ein direktes Vorbild für die griechische Objektrede zu sehen. Schließlich wäre angesichts des griechischen Befunds das medienwissenschaftliche Modell, demgemäß eine Phase der Verschriftung einer Phase der Verschriftlichung vorausgeht, zu modifizieren; man müsste sonst annehmen, dass sämtliche Inschriften der ersten Phase in Griechenland nicht erhalten wären (was, da die Übernahme der Schrift wohl nicht lange vor den ersten erhal 62 Deutlich wird das etwa aus der Inschrift auf der Statue der Königin Napir Asu (Elam, Mitte des 2. Jht. v. Chr., zitiert nach Schweitzer 1940, 12): »Ich bin die Herrin Napir Asu, Gemahlin des Untasch-Gal … wer sich meines Bildes [also nicht: meiner!] bemächtigt, wer es raubt, wer die Inschrift zerstört, wer meinen Namen [also nicht: mich!] auslöscht, … der sei verflucht.« Schweitzer (1940, 12) erkennt hier freilich die Identität: »Der König oder, was dasselbe ist, die Königsstatue spricht in eigener Person.« 63 Vgl. Häusle 1979b, 146 f. 64 So enthält der erste Teil der Inschrift der Königsmutter Adad-guppi (akkadisch, nach 548 v. Chr. [TUAT II, S. 479–85) einen Tatenbericht nach Art der Königsinschriften, im zweiten Teil wird von ihrer Beerdigung erzählt (nun in der 3. Person): »Ich bin die Adad-guppi, die Mutter des Nabonid, des Königs von Babylon, die Verehrerin von Sin, Ningal, Nusku und Sadarnunna, meinen Göttern, deren Gottheit von meiner Jugend an ich stetig suchte. … Im 9. Jahre des Nabonid, des Königs von Babylon, nahm das Schicksal sie hinweg. Nabonid, der König von Babylon, ihr leiblicher Sohn, der Liebling seiner Mutter, richtete ihren Leichnam zum Begräbnis her …« 65 Grabinschrift der Königin Jabā (Gemahlin von Tiglat-Pileser III., der 745–726 v. Chr. regierte), akkadisch (TUAT N. F. 6, S. 70; beginnt in der 3. Person, dann): »Welche(r) Künftige(n) … mich fortbringen will oder irgendeine andere mit mir bestattet …, deren Totengeist möge oben im Sonnenschein im Durst die Außenbezirke durchlaufen.« Inschrift für den Priester Agbar (aramäisch, 7. Jh. v. Chr. [TUAT II, S. 574]): »Wer immer du bist, der du ungerecht handelst und mich [i. e. meinen Leichnam] entfernst …« In phönizischen Inschriften begegnet die Formulierung »In this coffin lie I« (o.Ä.) im 5. und 4. Jh. v. Chr. (Gibson 26; 27; 28).

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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tenen Texten, vielleicht gegen Ende des 9.  Jhs. erfolgte,66 eher unwahrscheinlich ist). Wie bereits herausgestellt wurde, imitieren die frühen griechischen Inschriften mündliche Kommunikation; sie tun dies nun aber gerade nicht in einem formal-äußerlichen Sinn, indem sie den exakten Wortlaut mündlicher Rede bewahren, also verschriftet sind, sondern indem sie die face-to-faceKommunikation im Sinne eines Vor-Augen-Stellens, einer deixis ad oculos des »Sprechers« bewahren, wogegen verschriftete Inschriften etwa der Form »ich habe dieses Denkmal errichtet« auf einen abwesenden Sprecher verweisen, der auf Seiten des Rezipienten durch deixis am phantasma erst konstruiert werden muss.67 Die These, dass frühe Schriftzeugnisse zunächst mündliche Sprechakte imitieren, ließe sich so erhalten; zu modifizieren wäre sie dahingehend, dass Aspekte des mündlichen Sprechakts auf (mindestens) zwei Arten imitiert werden können, nämlich durch Verschriftung oder durch deixis ad oculos des Sprechers. Wie verhält es sich nun mit dem »neutralen« Bericht in der 3. Person, der ja neben der Ich-Rede zum alten Formbestand der Inschriften gehört? Handelt es sich dabei um eine Verschriftung oder eine Verschriftlichung (mit deixis ad oculos des Sprechers), etwa in folgendem einfachen Beispiel (CEG 53, Attika, 510–500 v. Chr.)? Λυσέαι ἐνθάδε σε˜μα πατὲρ Σέμον ἐπέθηκεν. Über Lyseas hat hier das Grabmal der Vater Semon errichtet.

Die Inschrift lässt sich als Verschriftung etwa der Rede jemandes deuten, der das Grab »erklärt«,68 der aber im Moment der Lektüre abwesend ist; es fehlt aber ein Indiz zur näheren Bestimmung des Sprechers. Diese Offenheit ermöglicht eine weitere Deutung. Ein Vergleich mit dem Anfang des ältesten erhal­ tenen Briefs ist instruktiv (SEG 26:845 = Trapp I, Olbia/Berezan, ca. 500 v. Chr.): Ὦ Πρωταγόρη, ὁ πατήρ τοι ἐπιστέλλε. ἀδικεῖται ὑπὸ Ματάσυος, δολο˜ται γάρ μιν καὶ το˜ φορτηγεσίο ἀπεστέρεσεν. ἐλθὼμ παρ᾽ Ἀναξαγόρην ἀπήγησαι, φησὶ γὰρ αὐτὸν Ἀναξαγόρεω δο˜λον ῏εναι κτλ. auf der Außenseite: Ἀχιλλοδώρο τὸ μολίβδιον παρὰ τὸν παῖδα κἀναξαγόρην. Protagoras, dein Vater erteilt dir einen Auftrag. Ihm wird von Matasys Unrecht getan; er versucht nämlich, ihn zu versklaven, und hat ihm das Schiff geraubt. Geh

66 Zur Datierung s. Woodward 2010, 44. 67 Die Begriffe nach K. Bühler 1982, 123. 68 Sourvinou-Inwood 1995, 282.

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Die Rede des Gegenstands

zu Anaxagoras und berichte ihm das, denn er sagt, er sei der Sklave des Anaxa­ goras etc. Bleitafel des Achillodor an seinen Sohn und Anaxagoras.

Der Vater, der den Brief wenn nicht selbst geschrieben, dann doch diktiert hat, spricht hier noch in der dritten Person, während in späteren Briefen die IchRede des Absenders die Regel wird;69 nur in der Grußformel hält sich die ursprüngliche Form als Floskel, ὁ δεῖνα τὸν δεῖνα χαίρειν. Es bietet sich an, auch hier den Grund für die anfängliche Scheu, einen Brief in der ersten Person zu verfassen,70 in der Konzeption des Briefes auf seine Rezeption hin zu sehen, bei welcher der Vater nicht präsent sein wird und somit nicht selbst sprechen kann.71 Wenn aber eine Präsenz des Sprechers suggeriert werden soll, dann kommt als »Sprecher« des Briefes nur die Bleitafel selbst in Frage, die in der 3. Person dem Sohn des Achillodor berichtet, wie ein mündlicher Bote.72 Vergleichen lassen sich vielleicht solche Beispiele aus den home­ rischen Epen, in denen ein Botenbericht zweimal berichtet wird, zum ersten Mal, wenn der Bote instruiert wird, zum zweiten Mal, wenn er die Nachricht überbringt; beide Male ist der Wortlaut so gut wie identisch, nur dass die Personalformen von der 1. Person in die 3. Person umgesetzt werden.73 Es ist daher denkbar, dass auch in den Inschriften der Bericht der 3. Person nicht einfach eine Verschriftung ist, sondern dass auch hier das Denkmal selbst als Sprecher auftritt, nur dass es diesmal nicht in der Ich-Form spricht, sondern lediglich eine Nachricht in der 3. Person weitergibt, also eine Rolle als Zwischenglied der Kommunikation, als Vermittler oder Bote einnimmt. Hier mag man sich an die These Jesper Svenbros erinnern, dass in allen vor 550 v. Chr. verfassten Inschriften das Denkmal selbst als Sprecher zu denken ist.74 Svenbro hat gezeigt, dass vorher die Sprecherrolle entweder als die des 69 In SIG3 III 1259 = Trapp II, 4. Jh. v. Chr., ist die Rede in der 3. Person noch am Anfang durchgehalten, danach wechselt der Absender in die 1.  Person. Vgl. auch die Eröffnungen mancher Briefe bei Herodot, z. B. 3, 40, 1 Ἄμασις Πολυκράτει ὧδε λέγει. 70 Hier wird vorausgesetzt, dass die erhaltenen Briefe repräsentativ sind für eine Entwicklung der Anredeform, was aufgrund der sehr wenigen Zeugnisse Spekulation bleiben muss, aufgrund der vergleichbaren Entwicklung in den Inschriften aber zumindest nicht unplausibel ist. 71 Eine spätere Parallele für die Rezeptionsgebundenheit von Briefen sind die Brief­ tempora (Kühner/Gerth I 168 Anm. 6). 72 Trapp 196 f. »the turn of phrase perhaps reflects a feeling that sending a message by letter is like sending one via a living messenger, who would naturally report the sender’s wishes thus.« Als parallele Erscheinungen werden die drei Phänomene der Inschrift in der 3. Person, des Briefs und des Botenberichts bereits von Pelliccia 1995, 52 f. Anm. 85 gedeutet. 73 Z. B. Il. 9, 128–32 und 270–4; für weitere Stellen s. Fingerle 1939, 252–7. 74 Svenbro 2005, 35–44; ihm folgt Tueller 2008, 16–27; vgl. Schmitz 2010, 31 Anm. 17.

Sprechende Objekte und sprechende Inschriften

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Denkmals markiert ist (durch εἰμί) bzw. »neutral« ist, also explizit keinen Hinweis auf den Sprecher gibt. Die Inschriften, die Nominalsätze mit einer Form von ὅδε bilden (z. B. σῆμα τόδε τοῦ δεῖνος) schlägt er ebenfalls der Ich-Rede zu, indem er zeigt, dass das Pronomen mit einem Verb in der 1. Person verbunden werden kann.75 Schließlich meint Svenbro, dass sogar eine Inschrift der schlichten Form τοῦ δεῖνος eigentlich als Rede des Denkmals zu lesen sei.76 Es liegt eine gewisse Gefahr der Zirkularität in dieser Schlussfolgerung: Die Inschriften, in denen die Sprecherrolle markiert ist, zeigen die Ich-Form, also muss diese Ich-Form auch den »neutralen« Inschriften zugrunde liegen, was wiederum die These der strukturellen Mündlichkeit durch die Identität von Sender und Sprecher bestätigt. Der Vergleich mit den Briefformen hat jedenfalls gezeigt, dass auch solche »neutralen« Inschriften so gelesen werden können, als werde eine face-to-face-Kommunikation imitiert. Was sich jedenfalls mit Sicherheit beobachten lässt, ist, dass in den Jahren nach 550 v. Chr. eine Reihe von neuen Sprecherrollen auftaucht, die offenbar nicht vom Denkmal selbst gesprochen werden. Es begegnen jetzt (genannt wird das jeweils früheste in CEG belegte Beispiel): die Rede des Toten (CEG 24, ca. 540 v. Chr.?); das anonym trauernde Ich (CEG 470, 550–540 v. Chr.); in einem Beispiel (CEG 19, 550–530 v. Chr.?) adressiert ein Sprecher den Toten und spricht davon, dass jemand (das Subjekt steht in der lacuna), »der dein Grabmal (σε˜μα τὸ σὸν) erblickt, deine Tapferkeit erkennen wird«; hier ist es eher unwahrscheinlich (wenn auch nicht unmöglich) dass das σῆμα als Sprecher fungiert. Spätestens mit diesen Epigrammen ist eine neue Phase in der Gestaltung der kommunikativen Situation der Versinschriften erreicht: nun liegt nicht mehr deixis ad oculos im Sinne eines Verweises auf das physisch präsente Denkmal vor, sondern der Sprecher ist nur noch in der Vorstellung des Lesers präsent, es handelt sich also um deixis am phantasma. Sprecher der Botschaft und Sender der Botschaft fallen nicht mehr in eins.77

75 Wie Svenbro und Tueller richtig betonen, ist das Demonstrativum ὅδε mit der 1. Pers. Sg. vereinbar (vgl. CEG 72, 174, 190, 195), pace Wachter 2010, 253 f. Ὅδε verweist auf das in der Nähe des Sprechers Befindliche; im Gegensatz dazu steht in einigen frühen italischen Inschriften este/estam/estuk/estas (entspricht lat. iste), d. h. es wird auf das in der Nähe des Angesprochenen (Lesers) Befindliche verwiesen (Agostiniani 1982, 26 f.). 76 Widerspruch zu dieser These bei Sourvinou-Inwood 1995, 281 Anm. 696. 77 Nagy 1992, 35 f. verbindet diesen Befund mit gleichzeitigen Entwicklungen in der­ Literatur.

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2. Eigentümlichkeiten (in)schriftlicher Kommunikation in der vorhellenistischen Literatur und den Inschriften Auch in den literarischen Zeugnissen finden sich Beispiele für das (inschriftlich) »sprechende« Objekt (bzw. die »sprechenden« Buchstaben); doch lassen sich hier bereits Ansätze einer Relativierung der Metapher erkennen, welche auf die hellenistische Problematisierung vorauszuweisen scheinen. Andererseits war man sich der Möglichkeiten wie auch der Beschränkungen, denen die Kommunikation mit einer Inschrift im Unterschied zur Kommunikation mit einem »realen« Sprecher unterlag, durchaus bewusst; diese werden bisweilen reflektiert, sowohl in den Inschriften selbst als auch in literarischen Texten der archaischen und klassischen Zeit, die sich mit dem Phänomen der Schrift auseinandersetzen. Relativierung und Hinweise auf die Eigentümlichkeit (in)schriftlicher Kommunikation gehen dabei bisweilen zusammen.

2.1. Γράμματα λέγοντα und Verwandtes Ein Aspekt dieses Problems ist die Stellung der Inschrift zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit, wie sie in der Junktur der γράμματα λέγοντα bereits zum Ausdruck kommt. Hier wird sich zeigen, dass die ihr inhärente Problematik, dass etwas eigentlich Lautloses »spricht«, schon vor dem Hellenismus thematisiert wurde und sich somit als ein Aspekt der Reflexion über die Schrift erweist. Daher scheint es sinnvoll, zunächst der Entwicklung dieser Junktur nachzugehen. Am schlichtesten scheint die Metapher bei Herodot verwendet, der im Zusammenhang mit Inschriften und Briefen von γράμματα λέγοντα spricht,78 aber auch die Denkmäler selbst als sprechend einführt.79 Wie in den Inschriften sprechen also das Denkmal oder die Schrift selbst. Eine Übereinstimmung mit den Inschriften besteht auch darin, dass sich keine Belege dafür finden lassen, dass der Stifter eines Denkmals oder der Absender eines Briefes als sprechend eingeführt wird, etwa in der Form ὁ δεῖνα διὰ γραμμάτων λέγει;80 die An­gleichung der Lektüre an eine mündliche face-to-face-Kommunikation

78 Γράμματα λέγοντα 1, 187, 1 u. 5; 2, 106, 4; 2, 136, 3; 3, 88, 3; 4, 91, 1; 7, 228, 1; γράμματα ἔλεγε 8, 22, 1; vgl. auch γραμμάτων ἐπικαλεομένων 1, 187, 3. 79 Στήλας διὰ γραμμάτων λεγούσας 2, 102, 4; ὁ βασιλεὺς λίθινος … λέγων διὰ γραμμάτων 2, 141, 6; τρίπους ἐν ἑξαμέτρῳ τόνῳ λέγει 5, 60, 1; τρίπους λέγει καὶ οὗτος ἐν ἑξαμέτρῳ 5, 61, 1; στήλη … καταμηνύει διὰ γραμμάτων τοὺς οὔρους 7, 30, 2. 80 Jedenfalls nicht bei der Beschreibung der Lektüre; im Brief finden sich Formulierungen wie ὁ δεῖνα τῷ δεῖνι ὧδε λέγει, die zur Brieftopik gehören (s. o. Anm. 69).

Eigentümlichkeiten (in)schriftlicher Kommunikation

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ist hier vielleicht noch lebendig;81 jedenfalls wird die traditionelle Metaphorik fortgesetzt. Bisweilen stellt Herodot den Lektürevorgang auch ohne verba­ dicendi dar.82 Hierin ist er ein Vorläufer des Thukydides, der das Motiv der γράμματα λέγοντα in auffälliger Weise meidet. Das Bild der sprechenden Inschrift begegnet nur einmal, an einer Stelle, wo diese wörtlich zitiert wird.83 Ansonsten verwendet Thukydides die Verben δηλόω oder σημαίνω.84 Der akustische Aspekt der Lektüre tritt hier also zugunsten des kognitiven Aspekts zurück, was vielleicht auch auf das Lesen zutrifft; so verwendet Herodot regelmäßig ἐπιλέγεσθαι,85 Thukydides wählt ἀναγιγνώσκειν.86 Man mag in dieser recht konsequenten Vermeidung von verba dicendi in Zusammenhang mit der Schrift eine bewusste Entscheidung gegen die Zuschreibung einer Stimme an die Schrift sehen. Hier lässt sich vielleicht eine Verbindung zu solchen Inschriften des 4. und 3. Jh. v. Chr. ziehen, welche statt eines verbum dicendi δηλόω oder σημαίνω benutzen.87 Dass die Verquickung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, die der Junktur γράμματα λέγοντα inhärent ist, bereits früh thematisiert werden konnte, zeigt ihre Behandlung in der Tragödie. In den Septem des Aischylos begegnet in einem ausgedehnten Botenbericht für Eteokles (375–652) eine Be­schreibung der Angreifer, die vor jedem der sieben Tore Thebens in Stellung gegangen sind. Bei dreien wird beschrieben, dass sie einen mit einer Inschrift versehenen Schild mit sich führen. Auf Kapaneus’ Schild ist ein Fackelträger abgebildet, der sagt »Ich werde die Stadt anzünden« (χρυσοῖς δὲ φωνεῖ γράμμασι· Πρήσω πόλιν 434). Auf einem anderen Schild sagt ein die Mauern der Stadt erklimmender

81 Vgl. Männlein-Robert 2007a, 155: »Diese γράμματα sprechen nicht etwa deshalb, weil sie »Stimme« verstanden als Klang hätten, sondern weil sie immer als mündlich gelten, d. h. an eine konkrete Kommunikationssituation gebunden gedacht sind«; das korrespondierende Bild des Lesers als »Hörers« der (wohl von ihm selbst vorgelesenen) mündlichen Nachricht ist einmal belegt (1, 124: εὑρὼν δὲ ἐν αὐτῷ τὸ βυβλίον ἐνεὸν λαβὼν ἐπελέγετο. Τὰ δὲ γράμματα ἔλεγε τάδε· Ὦ παῖ Καμβύσεω … Ἀκούσας ταῦτα ὁ Κῦρος…), ansonsten steht ὁ δὲ ἐπιλεξάμενος, μαθών o. Ä. Vgl. außerdem Schenkeveld 1992. Inschriftlich: CEG 590 δεῖ πάντας ἀκοῦσαι. 82 Βυβλίον … ἐν τῷ ἐνῆν ἔπεα τάδε 3, 128, 4; [βυβλίον], ἐν τῷ ἐγέγραπτο 3, 128, 5; ὁ Κροῖσος ἀναπτύσσων ἐπώρα τῶν συγγραμμάτων 1, 48, 1; σεσήμανται δὲ διὰ γραμμάτων 2, 125, 6; ὁ μὲν δὴ εἷς τῶν τριπόδων ἐπίγραμμα ἔχει 5, 59, 1. 83 6, 54, 7 [ἐπίγραμμα] δῆλόν ἐστιν ἀμυδροῖς γράμμασι λέγον τάδε. Die Konstruktion δῆλός εἰμι mit Partizip scheint aber bereits auf den Gebrauch von δηλόω zu verweisen. 84 Ἡ γραφὴ ἐδήλου 1, 129, 7; 1, 137, 4; [ἐπιστολήν] δηλοῦσαν τοιάδε 7, 10, 1; ἐπιστολὴ τοσαῦτα ἐδήλου 7, 16, 1; γραφῇ στῆλαι δηλοῦσαι 1, 134, 4; στήλη σημαίνει 6, 55, 1; σημαίνει ἐπιγραφή 2, 43, 4. 85 Z. B. 1, 124, 1; 1, 125, 2; 2, 125, 6; 3, 41, 1; 3, 43, 1; 5, 14, 2; 8, 128, 3; 8, 136, 1. 86 3, 49, 4; 4, 50, 2; 7, 10, 1. 87 S. Meyer 2005, 104–6.

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Kämpfer, dass ihn nicht einmal Ares von der Befestigungsmauer herabwerfen könne (βοᾷ δὲ χοὖτος γραμμάτων ἐν ξυλλαβαῖς / ὡς οὐδ᾽ ἂν  Ἄρης σφ᾽ ἐκβάλοι πυργωμάτων 468–9). Auf dem Schild des Polyneikes schließlich ist ein Kämpfer abgebildet, der von einer jungen Frau geführt wird, die von der Inschrift als Dike bezeichnet wird und die sagt, dass er die väterliche Stadt in Besitz nehmen werde (646–8): Δίκη γὰρ εἶναί φησιν, ὡς τὰ γράμματα λέγει· Κατάξω δ᾽ ἄνδρα τόνδε, καὶ πόλιν ἕξει πατρῴαν δωμάτων τ᾽ ἐπιστροφάς. Denn sie behauptet, sie sei Dike, wie die Buchstaben sagen: »Diesen Mann werde ich heimführen, und er wird die väterliche Stadt besitzen und Eintritt in die­ Häuser.«

Eteokles lässt sich dagegen von den Inschriften nicht beeindrucken (659–61): τάχ᾽ εἰσόμεσθα τοὐπίσημ᾽ ὅποι τελεῖ εἴ νιν κατάξει χρυσότευκτα γράμματα ἐπ᾽ ἀσπίδος φλύοντα σὺν φοίτῳ φρενῶν. Bald werden wir wissen, zu welchem Ausgang die Zeichen führen, ob ihn die goldenen Buchstaben nach Hause bringen werden, die auf dem Schild närrisch schwatzen mit rasendem Sinn.

Die Einleitungsformel der hier beschriebenen Inschriften entspricht bereits den später üblichen und verbreiteten Formulierungen. So begegnet in 646 f. die Wendung τὰ γράμματα λέγει; auch die herodoteische Wendung ὁ δεῖνα διὰ γραμμάτων λέγει klingt in den aischyleischen Formulierungen an, wobei hier nicht die Objekte, sondern die dargestellten Personen als Sprecher auftreten.88 In den Ausdrücken χρυσοῖς φωνεῖ γράμμασι, βοᾷ … γραμμάτων ἐν ξυλλαβαῖς wird aber der akustische Aspekt der Schrift besonders hervorgehoben, was ihren drohenden Charakter unterstreicht. Demgegenüber scheint Eteokles die Schwäche der Buchstaben zu thematisieren: Goldene Buchstaben allein, so darf man zwischen den Zeilen seiner Antwort lesen, haben noch keine Stadt erobert. Die zweifache Betonung der Unverständigkeit der Buchstaben (φλύοντα, das hier so viel bedeutet wie φλυαροῦντα; σὺν φοίτῳ φρενῶν) macht deutlich, dass es sich letztlich um leere Drohungen handelt. Die Strategie ist dabei auch im Hinblick auf den hellenistischen Umgang mit der Metapher interes-

88 Man kann hiermit die »Sprechblaseninschriften« auf Vasen vergleichen (so bereits Hutchinson 1985, 106), die ihren Zenit »von ca. 530 bis in die 480er Jahre hatten« (Krause 2007, 3 Anm. 13; die Septem werden auf 468/7 datiert).

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sant: Eteokles spricht den Buchstaben nicht explizit die Fähigkeit ab, zu reden oder irgendetwas auszurichten, sondern er übersteigert ihre Personifikation ins­ Lächerliche: So tönen die Buchstaben nicht nur, sie »schwatzen«, und sie sind nicht etwa ἄφρονα, sondern sie »rasen in ihren φρένες«. Als spielerisch erweist sich der Umgang mit der Metapher bei Euripides, bei dem Schriftstücke wie Briefe häufig eine entscheidende Rolle im Handlungsverlauf spielen.89 Euripides erweitert dabei die Metaphorik der sprechenden Schrift: Zwar benutzt er auch die geläufigen Metaphern (δέλτος … λέγουσ᾽ ἀπαγγέλλει Iph. Taur. 641; αὐδᾷ … γράμματα Iph. Aul. 117 f.) und spricht in einem Fall wie Aischylos vom »Schreien« der Buchstaben, wenn sie eine unerträgliche Botschaft enthalten (βοᾷ, βοᾷ δέλτος ἄλαστα Hipp. 877–81). Die Personifikation des Schriftträgers wird erweitert, indem gesagt wird, er »wolle« etwas mitteilen (δέλτος σημαίνειν θέλει Hipp. 857, λέξαι δέλτος θέλει 868). Doch kombiniert Euripides zugleich akustische und visuelle Aspekte zu paradoxen Bildern, wenn er etwa Theseus sagen lässt, er habe ein »Lied« in den Buchstaben »gesehen« (οἷον οἷον εἶδον γραφαῖς μέλος φθεγγόμενον τλάμων, Hipp. 880 f.), und kontrastiert besonders anschaulich den akustischen Aspekt der Schrift mit ihrer Materialität und Schriftlichkeit, wenn er davon spricht, die »Stimme der Schreibtafeln aufzufalten« (δέλτων τ᾽ ἀναπτύσσοιμι γῆρυν ᾇ σοφοὶ κλέονται Fr. 369 K., 6 f.), oder von »Schreibtafeln, welche die Stimme des Orpheus beschrieb« (τὰς [sc. σανίδας] Ὀρφεία κατέγραψεν γῆρυς Alk. 967). Sogar von den Pierischen Schreibtafeln ist die Rede (ἐν δέλτοις Πιερίσιν Iph. Aul. 798).90 Bei Euripides begegnet uns darüber hinaus zum ersten Mal die Gestaltung der Lektüre als »stummes Sprechen«. So sagt Iphigenie über einen Brief, er werde »schweigend das darin Geschriebene verkünden« (αὐτὴ (sc. γραφή) φράσει σιγῶσα τἀγγεγράμμενα Iph. Taur. 763).91 Man hat diese Stelle als Beleg für die Praxis des stillen Lesens herangezogen, doch vielleicht soll σιγῶσα hier nur besagen, dass der Brief nicht mit eigener Stimme spricht.92 In jedem Fall wird hier zum ersten Mal explizit gemacht, was vorher nur angedeutet wurde:

89 Rosenmeyer 2001, 71 weist darauf hin, dass in früheren Dramen dem mündlichen Bericht der Vorzug gegenüber dem schriftlichen gegeben wurde (Aischyl. Hik. 946–9, Kratin. Fr. 128 K.-A.), und führt die Präsenz der Briefe bei Euripides auf die weitere Verbreitung der Lesefähigkeit zurück. Überhaupt ist die sich verändernde Beschreibung der Rolle und Funktion der Schrift vor dem Hintergrund der Entwicklung eines Buchmarktes, also der gesteigerten Verfügbarkeit von Literatur zum Lesen, und der Zunahme der Lesefähigkeit zu sehen (s. hierzu Johne 1991). 90 Zu diesen Metaphern vgl. auch Bing 1988, 29. 91 Mit den λήθης φάρμακ(α) … ἄφωνα καὶ φωνοῦντα (Eur. Fr. 578 K., 1 f.) sind wohl nicht die stumm sprechenden Buchstaben, sondern Konsonanten und Vokale gemeint. 92 Diskussion beider Vorschläge bei B. Knox 1968, 433 Anm. 20; als Zeugnis für leises Lesen gedeutet von Meyer 2005, 115 Anm. 337.

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Die Rede des Gegenstands

Wenn vom Sprechen der Schrift die Rede ist, dann ist damit kein Sprechen im landläufigen Sinn gemeint, sondern ein »stummes Sprechen«.93 Eine Weiterführung der euripideischen Paradoxa bedeutet es, wenn die Eigentümlichkeiten der Schrift in einem Rätsel präsentiert werden, wie es in einem Fragment der mittleren Komödie geschieht (Antiph. Fr. 194 K.-A., 1–5; 17–21), in dem die Dichterin Sappho folgendes Rätsel aufgibt:

5

ἔστι φύσις θήλεια βρέφη σῴζουσ᾽ ὑπὸ κόλποις αὑτῆς, ὄντα δ᾽ ἄφωνα βοὴν ἵστησι γεγωνὸν καὶ διὰ πόντιον οἶδμα καὶ ἠπείρου διὰ πάσης οἷς ἐθέλει θνητῶν, τοῖς δ᾽ οὐδὲ παροῦσιν ἀκούειν ἔξεστιν· κωφὴν δ᾽ ἀκοῆς αἴσθησιν ἔχουσιν. Es ist ein weibliches Wesen, das Kinder unter seinem Busen bewahrt. Diese sind zwar stumm, erzeugen aber einen weithin vernehmlichen Ruf, über Meereswoge und das ganze Festland hinweg, für die Menschen, zu denen sie (sprechen) wollen; anderen aber ist es nicht möglich, sie zu hören, nicht einmal wenn sie anwesend sind.94 Denn sie95 haben eine Art der Wahrnehmung, die nicht über das Gehör aufgenommen wird.

Nachdem ihr Gesprächspartner eine falsche Lösung gegeben hat, löst Sappho auf:

20

θήλεια μέν νύν ἐστι φύσις ἐπιστολή, βρέφη δ᾽ ἐν αὑτῇ περιφέρει τὰ γράμματα· ἄφωνα δ᾽ ὄντα τοῖς πόρρω λαλεῖ οἷς βούλεθ᾽· ἕτερος δ᾽ ἂν τύχῃ τις πλησίον ἑστὼς ἀναγιγνώσκοντος οὐκ ἀκούσεται. Das weibliche Wesen nun ist der Brief, als Kinder trägt er in sich die Buchstaben herum. Diese sind zwar stumm, sprechen aber zu denjenigen, die weit weg sind, zu denen sie (sprechen) wollen: Ein anderer aber, wenn er gerade in der Nähe steht, wird den Lesenden nicht hören.

93 Einen anderen Weg schlägt (um einiges später) Horaz ein, wenn er in Carm. 4, 8 vom Schweigen der Buchseiten spricht (si chartae sileant quod bene feceris 21); hier geht es um den Nachruhm, den nur ein Dichter (durch Beschreiben der Papyrusrolle) verleihen kann. Da unmittelbar davor vom Ruhm die Rede ist, den Ennius dem Scipio durch seine Dichtung ver­ liehen hat, mag man in chartae sileant vielleicht eine Anspielung auf eine Enniusstelle erkennen, die sich auf Scipio bezieht und an der das traditionelle Motiv des sprechenden Denkmals verwendet wird (Fr. 30 Blänsdorf quantam statuam faciet populus Romanus / quantam columnam, quae res tuas loquatur). 94 Die Übersetzung folgt der Konjektur von Dobree; der Vorschlag von Morelius und Nauck τοῖς δ᾽ οὐ παρεοῦσιν »(sogar) diejenigen, die nicht da sind, (können sie hören)« ergibt nicht den in den Versen 20 f. der Lösung geforderten Sinn. 95 Gemeint sind wohl die Buchstaben.

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Als typische Rätselelemente96 begegnen die Personifikation des zu erratenden Gegenstands, die Umdeutung sachlicher Zusammenhänge zu Verwandtschaftsbeziehungen und die Häufung von Paradoxa. Die schriftliche Kommunikation wird hier in drei Teile zerlegt, die jeweils paradox erscheinen: Dem »Senden« der Botschaft als stummem Rufen (ἄφωνα – γεγωνόν), dem Paradox, das auch bei Euripides begegnet, wird ihre Rezeption als »taubes Hören« gegenübergestellt (κωφὴν ἀκοῆς); dazwischen steht die Vermittlung der Botschaft über den Raum, die (hier zugespitzt) weite Entfernungen überbrückt, aber in unmittelbarer Nähe unhörbar bleibt. Es lassen sich also in der prähellenistischen Literatur verschiedene Strategien nachweisen, mit dem Phänomen der γράμματα λέγοντα umzugehen. Neben nicht-problematisierendem Gebrauch (Herodot) haben sich Rationalisierungstendenzen gezeigt, indem die Junktur eliminiert (Thukydides) oder durch Übersteigerung ad absurdum geführt wird (Aischylos); Euripides hebt die Paradoxien hervor. Eine Art »Höhepunkt« der Entwicklung stellt es dar, wenn dem Problem ein ganzes Rätsel gewidmet wird (Antiphanes).

2.2. Differenzierung der Sprecherrollen Nicht nur im Umgang mit den γράμματα λέγοντα, auch bei der Differenzierung zwischen den verschiedenen Sprechern einer Inschrift zeigt sich spätestens im 4. Jh. zwar kein der modernen Terminologie vergleichbares Vokabular, aber ein klares Bewusstsein der Unterschiede zwischen dem Stifter einer Inschrift als deren Urheber (auctor), dem Denkmal bzw. der Schrift als Sender und der fiktiven Sprecherrolle im Text. Dies lässt sich durch folgende Platon-Passage illus­trieren, in der die Sprüche der Sieben Weisen am Tempel zu Delphi erörtert werden, insbesondere das Γνῶθι σαυτόν, dessen Bedeutung Kritias zu erklären sucht (Charm. 164d3–165a7): καὶ συμφέρομαι τῷ ἐν Δελφοῖς ἀναθέντι τὸ τοιοῦτον γράμμα. καὶ γὰρ τοῦτο οὕτω μοι δοκεῖ τὸ γράμμα ἀνακεῖσθαι, ὡς δὴ πρόσρησις οὖσα τοῦ θεοῦ τῶν εἰσιόντων ἀντὶ τοῦ Χαῖρε, ὡς τούτου μὲν οὐκ ὀρθοῦ ὄντος τοῦ προσρήματος, τοῦ χαίρειν, οὐδὲ δεῖν τοῦτο παρακελεύεσθαι ἀλλήλοις ἀλλὰ σωφρονεῖν. οὕτω μὲν δὴ ὁ θεὸς προσαγορεύει τοὺς εἰσιόντας εἰς τὸ ἱερὸν διαφέρον τι ἢ οἱ ἄνθρωποι, ὡς διανοούμενος ἀνέθηκεν ὁ ἀναθείς, ὥϛ μοι δοκεῖ. καὶ λέγει πρὸς τὸν ἀεὶ εἰσιόντα οὐκ ἄλλο τι ἢ Σωφρόνει, φησίν. αἰνιγματωδέστερον δὲ δή, ὡς μάντις, λέγει· τὸ γὰρ Γνῶθι σαυτόν καὶ τὸ Σωφρόνει ἔστιν μὲν ταὐτόν, ὡς τὰ γράμματά φησιν καὶ ἐγώ, τάχα δ᾽ ἄν τις οἰηθείη ἄλλο εἶναι, ὃ δή μοι δοκοῦσιν παθεῖν καὶ οἱ τὰ ὕστερον γράμματα ἀναθέντες, τό τε Μηδὲν ἄγαν καὶ τὸ Ἐγγύη πάρα δ᾽ ἄτη. καὶ γὰρ οὗτοι

96 Ausführlicher zur Rätseltopik s. u. S. 87 f.

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συμβουλὴν ᾠήθησαν εἶναι τὸ Γνῶθι σαυτόν, ἀλλ᾽ οὐ τῶν εἰσιόντων [ἕνεκεν] ὑπὸ τοῦ θεοῦ πρόσρησιν· εἶθ᾽ ἵνα δὴ καὶ σφεῖς μηδὲν ἧττον συμβουλὰς χρησίμους ἀναθεῖεν, ταῦτα γράψαντες ἀνέθεσαν. Und ich stimme dabei mit demjenigen überein, der diese Inschrift in Delphi aufgestellt hat: Denn auch diese Inschrift scheint mir so aufgestellt zu sein, dass sie doch eine Anrede des Gottes an die Eintretenden statt des »Sei gegrüßt!« sein soll, als ob dies keine richtige Anrede sei, das »Sei gegrüßt!«, und man nicht dies ein­ ander wünschen solle, sondern vielmehr, besonnen zu sein. So nun spricht der Gott – anders als die Menschen – die ins Heiligtum Eintretenden an, wie es sich derjenige dachte, der die Inschrift geweiht hat; so scheint es mir jedenfalls. Und nichts anderes sagt er zu dem, der jeweils eintritt, als »Besinne dich!«, sagt er ihm. Wahrlich sagt er es recht verrätselt, wie ein Seher. »Erkenne dich selbst!« und »Besinne dich!« ist zwar dasselbe, wie die Buchstaben sagen und ich, es könnte aber vielleicht einer glauben, dass es etwas anderes sei. Diesem Irrglauben scheinen mir diejenigen erlegen zu sein, die später Inschriften aufstellten, das »Nichts zu sehr!« und »Borge, und dein Ruin ist nah!«. Auch diese nämlich glaubten, das »Erkenne dich selbst!« sei ein Ratschlag, nicht aber eine Anrede des Gottes an die Eintretenden. Dann, damit auch sie nichtsdestoweniger nützliche Ratschläge aufstellten, schrieben sie diese nieder und stellten sie auf.

Kritias deutet das Γνῶθι σαυτόν als Anrede des Gottes an die jeweils Eintretenden, die das übliche Χαῖρε ersetze;97 als Sprecher der Inschrift ist also der Gott zu denken; genauso kann er aber von den Buchstaben sagen, dass sie sprechen (ὡς τὰ γράμματά φησιν), die er hier für seine eigene Interpretation des Spruchs als (fragliche) Zeugen aufruft. Auch der auctor der Inschrift (ὁ ἀναθείς) wird genannt, dem unterstellt wird, er habe die Inschrift eben als Anrede des Gottes an die Passanten konzipiert. Die Anlehnungen an die inschriftliche Ausdrucksweise sind deutlich: Es sprechen einerseits die Buchstaben, andererseits spricht der Gott zu dem, der jeweils eintritt (λέγει πρὸς τὸν ἀεὶ εἰσιόντα).98 Die Wendung τὰ γράμματά φησιν entspricht den γράμματα λέγοντα Herodots; bemerkenswert ist, dass hier zwischen der Rede der γράμματα und der Rede des Gottes unterschieden wird; der Gott übernimmt die Sprecherrolle.99 Dass diese Sprecherrolle aber eine literarische Konstruktion darstellt, und nicht etwa wirklich des Gottes Stimme spricht, zeigt der Verweis auf den Stifter, der sich selbst den Spruch ausdachte (ὡς διανοούμενος ἀνέθηκεν ὁ ἀναθείς) und dem Gott in den Mund legte. Der Gedanke, dass sich zwischen diesen drei an der Kommunikation beteiligten Rollen ein Konflikt ergeben könnte, scheint Kritias fernzuliegen.

97 Χαῖρε ist auch als Gruß in den Inschriften geläufig (Sourvinou-Inwood 1995, ­180–216). 98 Für ἀεί als »inschriftliche Vokabel« s. S. 334 Anm. 128. 99 Vgl. bereits Aischyl. Sept. 464 f. Δίκη γὰρ εἶναί φησιν, ὡς τὰ γράμματα / λέγει.

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2.3. Die Ausgestaltung der Lektüre als »Dialog« zwischen Passant und Inschrift Das Problem des sprechenden Objekts bzw. der sprechenden Inschrift kann noch in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden: Welche Vorteile oder Nachteile bot in den Augen der zeitgenössischen Betrachter die schriftliche gegenüber der mündlichen Kommunikation? Seit wann lässt sich ein Bewusstsein für die Eigenheiten schriftlicher Kommunikation – jenseits des Problems des »stummen Sprechens« – nachweisen? Indizien hierfür lassen sich in der inschriftlichen Tradition ab dem Beginn des 5.  Jahrhunderts finden (CEG 286, Attika, ca. 490–480 v. Chr.?): πᾶσιν ἴσ᾽ ἀνθρόποις hυποκρίνομαι hόστις ἐ[ρο]τᾶι   hός μ᾽ ἀνέθηκ᾽ ἀνδρο˜ν· Ἀντιφάνες δεκάτεν. Allen Menschen antworte ich das Gleiche, wer auch immer mich fragt, welcher der Männer mich geweiht hat. Antiphanes als Zehnten.

Das Epigramm liefert neben der notwendigen Angabe des Namens des Stifters eine im Vergleich zu seiner Gesamtlänge recht ausführliche Beschreibung der kommunikativen Situation. Die Lektüre der Inschrift wird dabei zunächst als mündliche Rede, als »Dialog« zwischen dem Passanten und dem inskribierten Objekt beschrieben, wobei der Passant das Objekt befragt, und dieses ihm daraufhin Antwort gibt. Bei der hier wohl zum ersten Mal begegnenden Dialogform scheint es sich um eine Ausweitung der Rede des Gegenstands zu handeln, die eine besondere Bedingung nicht-akustischer Mitteilungen berücksichtigt: Um sich mitteilen zu können, braucht ein Objekt überhaupt erst einmal einen Betrachter; ist es inskribiert, muss dieser dazu noch lesen können. Das neugierige Stehenbleiben vor einem Gegenstand und der Wunsch, mehr über ihn zu erfahren (was Lessing »Erwartung« genannt hat),100 wird nun, komplementär zur Rede des Objekts, als Frage des Passanten gedeutet, auf welche das Denkmal »antwortet« (hυποκρίνομαι). Auch in anderer Hinsicht wird auf den Unterschied gegenüber einer realen mündlichen Rede hingewiesen: Die inschriftliche Nachricht ist nicht selektiv, sie wendet sich an alle Menschen (πᾶσιν ἀνθρόποις), die sie hören wollen. Und das sprechende Objekt antwortet allen das Gleiche (ἴσα). Während im genannten Beispiel ein Dialog nur beschrieben wurde, ist er in der folgenden, etwas jüngeren Inschrift aus Halikarnassos in direkter Rede wiedergegeben (CEG 429 = SGO 01/12/05, ca. 475 v. Chr.?):

100 Lessing 1973 [1771], 427.

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Die Rede des Gegenstands

αὐδὴ τεχνήεσσα λίθο, λέγε τίς τόδ᾽ ἄ[γαλμα]   στῆσεν Ἀπόλλωνος βωμὸν ἐπαγλαΐ[σας]. Παναμύης υἱὸς Κασβώλλιος, εἴ μ᾽ ἐπ[οτρύνεις?]   ἐξειπε˜ν, δεκάτην τήνδ᾽ ἀνέθηκε θε[ῶι]. Kunstvolle Stimme des Steins, sag, wer hat dieses Weihgeschenk aufgestellt und dem Altar des Apollon Glanz verliehen? – Panamyes, der Sohn des Kasbollis, wenn du mich [antreibst?], es frei heraus zu sagen, hat dieses als Zehnten dem Gott geweiht.

Zunächst stellt der Passant in zwei Versen seine Frage an das Denkmal; dieses antwortet im folgenden Distichon. Auch hier werden die Besonderheiten der Kommunikation mit einer Inschrift thematisiert: Die Stimme des Denkmals, d. h. die Inschrift,101 ist keine gewöhnliche Stimme, sondern eine αὐδὴ τεχνήεσσα. Τεχνήεσσα verweist einerseits auf die Künstlichkeit dieser Stimme, als Produkt einer τέχνη, andererseits auf ihren Reichtum an τέχνη, auf das Kunstvolle dieser Stimme. Das Vermögen, einem an sich leblosen Objekt Stimme zu verleihen, wird hier in Beziehung gesetzt zur höchsten Kunst­ fertigkeit eines Hephaistos, in dessen Werkstatt goldene Mägde umherlaufen, die αὐδή besitzen (Il. 18, 417–20). Die Einschränkung, der die inschriftliche Rede unterliegt, wird hier über das Motiv der »Antwort« hinaus noch stärker gefasst: Die Inschrift antwortet zwar, aber nur »wenn du mich antreibst102, es frei heraus zu sagen«: Die Antwort muss dem Denkmal entlockt werden.103 Darauf deutet auch ἐξειπε˜ν hin, das »etwas frei heraus sagen«, »verraten« bedeutet. Der Widerstand des Steins kann nur durch »Drängen« des Lesers überwunden werden.104 Zum ersten Mal in den metrischen Inschriften explizit thematisiert wird die Lektüre in folgendem Epigramm (CEG 108, ca. 450 v. Chr.?, Eretria):

5

χαίρετε τοὶ παριόντες, ἐγὸ δὲ θανὸν κατάκειμαι. δεῦρο ἰὸν ἀνάνεμαι, ἀνὲρ τίς τε˜δε τέθαπται·   ξε˜νος ἀπ᾽ Αἰγίνες, Μνεσίθεος δ᾽ ὄνυμα· καί μοι μνε˜μ᾽ ἐπέθηκε φίλε μέτερ Τιμαρέτε   τύμοι ἐπ᾽ ἀκροτάτοι στέλεν ἀκάματον, hάτιϛ ἐρεῖ παριο˜σι διαμερὲϛ ἄματα πάντα· Τιμαρέτη μ᾽ ἔσστεσε φίλοι ἐπὶ παιδὶ θανόντι. Seid gegrüßt, Passanten, ich aber liege tot da. Komm her und lies, welcher Mann hier begraben ist. Ein Fremder aus Ägina, Mnesitheos mit Namen. Und das Denk 101 S. Tueller 2008, 150 f. Anm. 30. 102 Die Idee der Aufforderung durch den Passanten bleibt bestehen, gleich, ob man in der lacuna ἐποτρύνεις (Wilamowitz) oder κελεύεις (Maiuri) ergänzt. 103 S. Tueller 2008, 151. 104 Eine Zuspitzung des Motivs der Lektüre als »Bedrängung« des Steins findet sich in Bernand 108 (s. u. S. 104 f.).

Eigentümlichkeiten (in)schriftlicher Kommunikation

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mal stellte mir die liebe Mutter Timarete auf, auf dem höchsten Grabhügel eine unermüdliche Stele, die den Passanten unablässig alle Tage sagen wird: »Timarete hat mich über ihrem toten Sohn aufgestellt.«

Im Gedicht ergreift der Tote selbst das Wort und spricht den Passanten an; in der indirekten Frage in Vers 2 klingt wieder die Dialogsituation an, die hier aber explizit als Lektüre gestaltet ist (ἀνάνεμαι). Nach der Nennung seines Namens kommt der Tote auf das Denkmal und dessen Stifterin, seine Mutter Timarete, zu sprechen. Hier wird als Besonderheit inschriftlicher Kommunikation die Dauerhaftigkeit des Denkmals besonders hervorgehoben (στέλεν ἀκάματον, hάτις ἐρεῖ … διαμερὲς ἄματα πάντα), das nicht müde wird, seine Botschaft zu verkünden. Diese folgt nun, als Ich-Rede der Stele selbst, im letzten Vers. Diese drei Epigramme thematisieren mithin ausführlich ihre eigene Rezeption, und sind in diesem Zusammenhang schon oft besprochen worden.105 Vielleicht können sie aber auch in anderer Hinsicht als Vorläufer hellenistischer Praxis gelten. Dass der letzte Vers von CEG 108 eine an sich typische Grabinschrift darstellt, ist bereits bemerkt worden.106 Aber auch Vers 3, über den explizit gesagt wird, der Passant solle ihn lesen, kann als »Inschrift in der Inschrift«, als dichterische Ausschmückung einer Prosaüberschrift etwa der Form Μνεσίθεος Αἰγινέτες, wie sie in dieser Zeit üblich war, gedeutet werden.107 Dieses Epigramm lässt sich demnach als eine Dramatisierung der Lektüre zweier konventioneller Inschriften oder, wenn man beide zusammennimmt, einer108 Inschrift, 105 Vgl. die Deutung bei Meyer 2005, 76: »Wozu aber wird die pragmatische, kommunikative Dimension eines Denkmals so sehr in den Vordergrund gestellt? Offenbar handelt es sich um eine für das Epigramm charakteristische Form des Verweises auf die Realität außerhalb des Textes. Das Epigramm gibt sich als Appell zu erkennen, es ›zeigt‹ auf seine Funktion und schwört den Leser auf dessen wichtige Rolle als Augen- und Ohrenzeuge ein.« 106 Vgl. das oben (S. 43) zitierte CEG 53 sowie CEG 122 (Thessalien, 475–450 v. Chr.?) [Χ]άββοι μνᾶμα θανόντι πατὲρ ἔστασεν Ἀλεύϝας. Vielleicht soll auch die Tatsache, dass statt dem zu erwartenden Pentameter in Vers 7 ein Hexameter folgt, als Signal für den Leser dienen, dass eine »neue« Inschrift beginnt (allerdings begegnen unregelmäßige Wechsel von Hexa- und Pentameter auch sonst nicht selten, vgl. hier Vers 1 f.). 107 Speziell für die Kombination Name und Herkunft vgl. IG I3 1355 (475–440 v. Chr.) Σκο[]Γαϛ Μεσάνιοϛ, 1359 (450–430 v. Chr.) Χαρέαϛ Παλεύϛ, 1348 (445–430 v. Chr.) Καλλίτιμο[ς] Κορίνθιοϛ, 1342 (440–420 v. Chr.) Ἀριστοκράτεϛ Ἄνδριοϛ, 1345 (440–420 v. Chr.) Ἡφαίστηϛ Χῖοϛ. Zum Teil wird die Herkunft auch, wie in CEG 108, durch einen Präpositionalausdruck bezeichnet: IG I3 1325 (450–425 v. Chr.?) Μνησαρέτη Φιλινίδο ἐγ Μυρίνης; 1350 (425–400 v. Chr.?) Μικίνης ἐξ  Ἴμβρο; 1341 bis. 108 Die Praxis, den Namen im Nominativ über eine metrische Inschrift zu setzen, wird von Fantuzzi (Fantuzzi/Hunter 2004, 295) ins 4.  Jh. datiert, wobei er CEG 77 (500– 475 v. Chr.?) und 89 (ca. 410 v. Chr.) als Vorläufer der Praxis ansieht. Es gibt aber noch weitere Beispiele aus dem 5. Jh.: CEG 95 (Ende 5. Jh. v. Chr.), 96 (Ende 5. Jh. v. Chr.), evtl. auch das lacunose IG I3 1305bis (425–400 v. Chr.); verwandt ist die Praxis, das Bild des Toten mit dem Namen im Nominativ zu bezeichnen und den Namen dann in einem Epigramm zu wiederholen (bereits in CEG 109, ca. 600 v. Chr.).

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Die Rede des Gegenstands

auffassen, indem der Tote als Interpret einer »eigentlichen«, kürzeren Inschrift auftritt.109 Dies lässt sich ähnlich auch für CEG 286 und 429 vermuten. Wenn wir in CEG 286 die Partie streichen, welche die Kommunikation beschreibt, bleibt noch Ἀντιφάνες δεκάτεν (oder, wenn wir aus der Frage μ᾽ ἀνέθηκε ergänzen, Ἀντιφάνες μ᾽ ἀνέθηκε δεκάτεν). Dedikationen der Form ὁ δεῖνα δεκάτην sind belegt,110 häufiger wird allerdings ἀνέθηκε hinzugesetzt.111 In CEG 429 ist die Nähe zu einer Prosainschrift weniger eng, insofern der in ἐπαγλαΐσας enthaltene Hinweis auf die Schönheit des Denkmals in Prosainschriften kaum begegnet. Wenn wir diese Aussage ausklammern, und auch die Kommunikationsbeschreibung streichen, bleibt als eigentliche »Antwort« der Inschrift Παναμύης υἱὸς Κασβώλλιος δεκάτην τήνδ᾽ ἀνέθηκε θεῶι übrig.112 Nun nimmt diese Antwort aber auf bereits in der Frage genannte Details Bezug: τήνδε greift τόδ᾽ ἄγαλμα auf, θεῶι bezieht sich auf Ἀπόλλωνος zurück; ἀνέθηκε erscheint als Synonym für στῆσεν. Wenn wir diese beiden Teile kombinieren, ergibt sich: Παναμύης υἱὸς Κασβώλλιος τόδ᾽ ἄγαλμα δεκάτην ἀνέθηκε (bzw. στῆσεν) Ἀπόλλωνι. Setzen wir die Legitimität dieses Verfahrens einmal voraus, dann hat die so gewonnene Prosainschrift in der Tat inschriftliche Parallelen: die bloße Form ὁ δεῖνα τόδ᾽ ἄγαλμα ἀνέθηκε τῷ θεῷ ist verbreitet genug; doch für die Apposition τόδ᾽ ἄγαλμα δεκάτην nennt Lazzarini nur zwei Beispiele, die beide aus Milet stammen;113 CEG 429 könnte hier also einen regionalen Gebrauch reflektieren. Nach dieser Deutung handelte es sich bei CEG 108, CEG 286 und 429 nicht einfach um dichterische Alternativen zu entsprechenden Prosainschriften, sondern um Texte, welche die Lektüre einer Prosainschrift dramatisieren und als solche erkannt werden wollen; dabei spielten sie mit der Erwartung des Lesers, der sich vielleicht sogar fragt – in ähnlicher Weise, wie wir es oben rekons­truiert haben – welche Prosainschrift dem Epigramm denn zugrunde gelegen haben könnte. Hiermit allerdings sind wir wohl übers Ziel hinaus geschossen: Eine schlichtere, alternative Deutung wäre, dass diese metrischen Inschriften nicht Prosainschriften evozieren, sondern sich eben des gleichen Formelschatzes und der gleichen Phrasen bedienen, die zur jeweiligen Zeit und am jeweiligen Ort üblich waren. Dennoch  – und deshalb haben wir das Spiel hier durchgeführt  – 109 Zum Phänomen der »Inschrift in der Inschrift« s. Kap. III.1.4. 110 Lazzarini 668, 699; vgl. 633 (ὁ δεῖνα ἀπαρχήν). 111 Lazzarini 657, 660, 661, 664, 666, 685, 695. 112 So bereits Svenbro 2005, 58. Beispiele für das Setzen des generischen θεός statt eines Götternamens bei Lazzarini S. 76. 113 Lazzarini 690 (Milet, Anfang 5. Jh. v. Chr.) τὰ ἀγάλματα τάδε ἀνέθεσαν οἱ Πύθωνος παῖδες … δεκάτην τῶι Ἀπόλωνι; 693 (Milet, Mitte 6. Jh. v. Chr.) τάδε τἀγάλματα [ἀ]πὸ λείο Ἀριστόλοχ[ος] καὶ Θράσων ἀνέθεσαν [τὠ]πόλλωνι δεκάτην.

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konnten sie in späterer Zeit als ebensolche Dramatisierungen der Lektüre gelesen werden, und dann als strukturelle Vorbilder solcher Epigramme wie Kallim. Ep. 11 Pf. (= HE 1209 f.) erscheinen, in denen das Denkmal in der Ich-Rede eine Prosainschrift kommentiert: Σύντομος ἦν ὁ ξεῖνος, ὃ καὶ στίχος οὐ μακρὰ λέξων   ῾Θῆριϛ Ἀρισταίου Κρὴϛ’ ἐπ᾽ ἐμοὶ δολιχόϛ. Kurz angebunden war der Fremde, weshalb auch die Aufschrift, die nicht viele Worte macht, mit »Theris, Sohn des Aristaios, Kreter« auf mir schon lang ist. (Üb. Asper)

Fassen wir die Charakteristika der Inschriften, wie sie sich aus diesen Beispielen ergeben haben, zusammen, so können wir folgende Punkte festhalten: (1) Inschriften »sprechen«. (2) Die inschriftliche Stimme ist eine künstliche Stimme, von einer menschlichen Stimme unterschieden (CEG 429); (3) sie spricht nicht von allein, sondern bedarf des Passanten, der sie »befragt« (CEG 286; 108), oder sie sogar »bedrängt« (CEG 429); dies vorausgesetzt, (4) spricht sie dann aber bereitwillig114 und unterschiedslos zu allen Menschen (CEG 286); (5) sie verkündet immer dieselbe Botschaft (CEG 286); (6) sie wird nie müde, ihre Nachricht zu verkünden, sie spricht unablässig alle Tage (CEG 108).115

2.4. Literarische Zeugnisse über die Möglichkeiten der Schrift Die Besonderheiten inschriftlicher Kommunikation, ja schriftlicher Kommunikation überhaupt, werden auch in der literarischen Tradition zum Thema, und hier zeigen sich teils ähnliche Charakteristika wie in den Inschriften, teils auch neue Aspekte, welche diese modifizieren oder ihnen sogar widersprechen. Dies soll hier an zwei literarischen Zeugnissen gezeigt werden: den Schriftkritiken des Philosophen Platon und des Redners Alkidamas. Dabei sollen die Eigentümlichkeiten der Schrift, wie sie hier erscheinen, in Beziehung gesetzt werden zu den eben ermittelten Kriterien.116 Zunächst die Passage aus dem P ­ haidros (275d4–e6): 114 Vgl. θέλει in Eur. Hipp. 857, 868; Antiph. Fr. 194 K.-A., 4. 115 Vgl. zu diesem Punkt Steiner 2001, 257. 116 Gerade der platonische Phaidros wurde als Zeugnis für die Vorstellungen, die sich in der Antike mit der Schrift verbinden, schon öfter herangezogen, vgl. die programmatische Anfangsstellung der Passage in Assmann/Assmann/Hardmeier 1993.

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Die Rede des Gegenstands

Δεινὸν γάρ που, ὦ Φαῖδρε, τοῦτ᾽ ἔχει γραφή, καὶ ὡς ἀληθῶς ὅμοιον ζωγραφίᾳ. καὶ γὰρ τὰ ἐκείνης ἔκγονα ἕστηκε μὲν ὡς ζῶντα, ἐὰν δ᾽ ἀνέρῃ τι, σεμνῶς πάνυ σιγᾷ. ταὐτὸν δὲ καὶ οἱ λόγοι· δόξαις μὲν ἂν ὥς τι φρονοῦντας αὐτοὺς λέγειν, ἐὰν δέ τι ἔρῃ τῶν λεγομένων βουλόμενος μαθεῖν, ἕν τι σημαίνει μόνον ταὐτὸν ἀεί. ὅταν δὲ ἅπαξ γραφῇ, κυλινδεῖται μὲν πανταχοῦ πᾶς λόγος ὁμοίως παρὰ τοῖς ἐπαΐουσιν, ὡς δ᾽ αὔτως παρ᾽ οἷς οὐδὲν προσήκει, καὶ οὐκ ἐπίσταται λέγειν οἷς δεῖ καὶ μή. πλημμελούμενος δὲ καὶ οὐκ ἐν δίκῃ λοιδορηθεὶς τοῦ πατρὸς ἀεὶ δεῖται βοηθοῦ· αὐτὸς γὰρ οὔτ᾽ ἀμύνασθαι οὔτε βοηθῆσαι δυνατὸς αὑτῷ. Denn die Schrift hat doch, mein Phaidros, diese ungeheuerliche und schlechthin der Malerei ähnliche Eigenschaft: Denn auch deren Hervorbringungen stehen wie lebendig da, wenn du sie aber etwas fragst, herrscht frommes Schweigen.117 Genauso die (aufgeschriebenen) Reden: Du könntest wohl glauben, dass sie sprechen, als verstünden sie sich auf etwas, wenn du aber bei einem der gesagten Worte nachfragst, weil du es begreifen willst, zeigen sie dir immer ein und dasselbe an. Wenn sie aber erst einmal niedergeschrieben ist, dann wandert jede Rede überall herum, gleichermaßen bei den Verständigen wie auch bei denen, wo sie gar nicht hingehört, und sie weiß nicht, zu wem sie reden soll und zu wem nicht. Falsch verstanden und zu Unrecht geschmäht bedarf sie stets ihres Vaters als Beistand: Denn sie selbst kann sich weder verteidigen noch sich zu Hilfe eilen.

Auch hier wird die Lektüre eines λόγος wie selbstverständlich als mündliche Kommunikation beschrieben (1): die aufgeschriebene Rede spricht (ὥς τι φρονοῦντας αὐτοὺς λέγειν, οὐκ ἐπίσταται λέγειν) und hält sich bei den »Verständigen« (τοῖς ἐπαΐουσιν, »denen, die auf sie hören«) auf. Ihr künstlich-künstlerischer Aspekt (2) kommt durch den Vergleich mit der Malerei zum Ausdruck. Die Kommunikation zwischen Leser und Schrift wird als Dialog gedeutet (3), in dem der Leser fragt (ἐὰν δ᾽ ἀνέρῃ τι, ἐὰν δέ τι ἔρῃ). Hier zeigt sich aber ein deutlicher Unterschied, insofern dieser Dialog bei Platon scheitert: während die gemalten Bilder überhaupt auf alle Fragen schweigen, antwortet die Schrift (5) immer ein- und dasselbe (ἕν τι σημαίνει μόνον ταὐτὸν ἀεί); diese Eigenschaft der Schrift wurde bereits in einer Inschrift hervorgehoben; hier aber wird die fehlende Flexibilität der Schrift, auf weitergehende Fragen zu antworten, eindeutig als Nachteil qualifiziert, und im Folgenden in der Betonung der Unfähigkeit, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, wiederaufgenommen.118 Gleiches gilt für die Nicht-Selektivität (4); die Schrift sollte nach Platon nicht zu allen, sondern

117 Der Vergleich von Malerei und Schrift erinnert hier an das dem Simonides zugeschriebene Diktum, Malerei sei schweigende Dichtung, und Dichtung redende Malerei (ὁ μὲν Σιμωνίδης τὴν μὲν ζῳγραφίαν ποίησιν σιωπῶσαν προσαγορεύει, τὴν δὲ ποίησιν ζῳγραφίαν λαλοῦσαν [Plut. Mor. 346f]). In Aischyl. Ag. 242 f. wird die geknebelte Iphigenie mit einem Gemälde verglichen, προσεννέπειν θέλουσα. 118 Bereits Svenbro vergleicht unter diesem Aspekt die Phaidrospassage mit CEG  286 (2005, 33).

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nur zu den Verständigen sprechen, was sie aber nicht leisten kann. Dass sie sich überall herumtreibt (κυλινδεῖται μὲν πανταχοῦ), ist ein Spezifikum der (mobilen) Schriftrolle oder der Schreibtafel. Offenbar nicht unabhängig von Platon119 verfasst ist die Schriftkritik des Rhetors Alkidamas, der sich im Rahmen seiner Polemik gegen die Verfasser schriftlicher Reden ebenfalls mit den Eigenschaften der Schrift beschäftigt­ (Alkid. Soph. 27–8): ἡγοῦμαι δ᾽ οὐδὲ λόγους δίκαιον εἶναι καλεῖσθαι τοὺς γεγραμμένους, ἀλλ᾽ ὥσπερ εἴδωλα καὶ σχήματα καὶ μιμήματα λόγων, καὶ τὴν αὐτὴν κατ᾽ αὐτῶν εἰκότως ἂν δόξαν ἔχοιμεν, ἥνπερ καὶ κατὰ τῶν χαλκῶν ἀνδριάντων καὶ λιθίνων ἀγαλμάτων καὶ γεγραμμένων ζῴων. ὥσπερ γὰρ ταῦτα μιμήματα τῶν ἀληθινῶν σωμάτων ἐστί, καὶ τέρψιν μὲν ἐπὶ τῆς θεωρίας ἔχει, χρῆσιν δ᾽ οὐδεμίαν τῷ τῶν ἀνθρώπων βίῳ παραδίδωσι. (28) τὸν αὐτὸν τρόπον ὁ γεγραμμένος λόγος, ἑνὶ σχήματι καὶ τάξει κεχρημένος, ἐκ βιβλίου θεωρούμενος ἔχει τινὰς ἐκπλήξεις, ἐπὶ δὲ τῶν καιρῶν ἀκίνητος ὢν οὐδεμίαν ὠφέλειαν τοῖς κεκτημένοις παραδίδωσι, ἀλλ᾽ ὥσπερ ἀνδριάντων καλῶν ἀληθινὰ σώματα πολὺ χείρους τὰς εὐμορφίας ἔχοντα πολλαπλασίους ἐπὶ τῶν ἔργων τὰς ὠφελείας παραδίδωσι, οὕτω καὶ λόγος ὁ μὲν ἀπ᾽ αὐτῆς τῆς διάνοιας ἐν τῷ παραυτίκα λεγόμενος ἔμψυχός ἐστι καὶ ζῇ καὶ τοῖς πράγμασιν ἕπεται καὶ τοῖς ἀληθέσιν ἀφωμοίωται σώμασιν, ὁ δὲ γεγραμμένος εἰκόνι λόγου τὴν φύσιν ὁμοίαν ἔχων ἁπάσης ἐνεργείας ἄμοιρος καθέστηκεν. Ich bin der Meinung, dass man geschriebene Reden gerechterweise nicht einmal Reden nennen darf, sondern dass sie gleichsam Bilder, Figuren oder Nachahmungen von Reden sind, und wir sie wohl mit Recht ebenso beurteilen dürfen wie Bronzestandbilder, Marmorstatuen und gemalte Lebewesen. So, wie diese Nachahmungen echter Körper sind und uns beim Betrachten erfreuen, haben sie dennoch gar keinen Nutzen für das Leben der Menschen. (28) Ebenso hält die aufgeschriebene Rede, die stets in derselben Gestalt und Anordnung verharrt, wenn sie aus dem Buch heraus betrachtet wird, manch effektvolle Eindrücke bereit, passt sich aber nicht den jeweiligen Gegebenheiten an und bringt daher ihren Be­ sitzern keinen Nutzen. Im Gegenteil: So, wie echte Körper im Vergleich mit schönen Standbildern zwar viel weniger wohlgeformt sind, aber vielfältigen Nutzen beim Verrichten von Arbeiten haben, so ist auch die Rede, welche im Hier und Jetzt direkt aus der Überlegung heraus gesprochen wird, beseelt und lebt und passt sich den Dingen an und gleicht den lebendigen Körpern, die aufgeschriebene Rede aber ähnelt ihrer Natur nach einem Bild der Rede und steht jedweder Wirkung un­ teilhaftig da.

Wie Platon vergleicht Alkidamas die Schrift mit Malerei und zusätzlich mit der bildenden Kunst (2); er betont, dass es sich jeweils um Nachahmungen (μιμήματα) handelt, was sicherlich vor dem Hintergrund der Abwertung der

119 Die Frage der Priorität ist umstritten, s. den Überblick bei Mariß 2002, 56–63, die sich für die Priorität des Alkidamas ausspricht (vorsichtig zustimmend Hunter 2012, 26 f.).

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Die Rede des Gegenstands

μίμησις durch Platon zu sehen ist.120 Als solche sind sie zwar schön anzusehen und erfreuen den Betrachter (bzw. den Hörer), haben aber keinen praktischen Nutzen, da sie unbeweglich sind und sich der jeweiligen Situation nicht anpassen können (ἑνὶ σχήματι καὶ τάξει κεχρημένος) (5).121 Bemerkenswert im Vergleich zu Platon und den Inschriften ist, dass hier die Lektüre nicht als mündliche Kommunikation beschrieben wird; der Leser »betrachtet« den Logos »aus dem Buch heraus« (ἐκ βιβλίου θεωρούμενος), ebenso wie er die Kunstwerke anschaut.122 Die platonische Kritik, dass Geschriebenes sich überall hin verbreite, wird dagegen bei Alkidamas später (31) als Vorteil der Schrift bezeichnet, um ein größeres Publikum zu erreichen. Die Unterschiede sind, abgesehen von der veränderten Rolle des Rezipienten vom Hörer zum Betrachter, zu einem guten Teil aus der unterschiedlichen Art der Verwendung der Schrift, an die jeweils gedacht ist, zu erklären. Bei Platon scheint es vor allem um Texte philosophischen Gehalts zu gehen, die er­ klärungsbedürftig und nicht für jedermann bestimmt sind; Alkidamas wendet sich gegen die Redner, die rhetorisch ausgefeilte und ausgeschmückte, aber zur Sache wenig beitragende Prunkreden auswendig gelernt haben. Dennoch ergeben sich Übereinstimmungen, die zeigen, entlang welcher Linien über die Schrift nachgedacht wurde. Dieser Komplex von Vorstellungen und Ausdrucksweisen ist gewissermaßen das Erbe, das an den Hellenismus weitergegeben wurde: Die vor allem in der Metapher der γράμματα λέγοντα und der Ich-Rede der Objekte bzw. des Dialogs zwischen Inschrift und Leser zum Ausdruck kommende Verknüpfung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit – die gleichwohl bereits problematisiert (Tragödie, Platon) oder aufgelöst wurde (Thukydides, Alkidamas) – und eine Reihe von Vorstellungen über die Eigentümlichkeiten der Schrift, über ihre Vorteile und Nachteile gegenüber der mündlichen Rede.

120 Vgl. Phaidr. 276a8–9 Τὸν τοῦ εἰδότος λόγον λέγεις ζῶντα καὶ ἔμψυχον, οὗ ὁ γεγραμμένος εἴδωλον ἄν τι λέγοιτο δικαίως. Verfechter der Priorität des Alkidamas sehen hier ein schon vor Platon verbreitetes Konzept, s. Mariß 2002, 268. 121 Die Unbeweglichkeit, die bereits bei Platon impliziert wird (ἕστηκε μὲν ὡς ζῶντα), ist im Fall von Standbildern geradezu sprichwörtlich (s. Kassel 1983, 1). 122 Mariß 2002 a.l. verweist auf eine Deutung von θεωρούμενος i. S. v. »vorlesen«: der Vortragsredner lese seine Rede ab. Alternativ könnte man annehmen, dass hier nicht an ein ausgearbeitetes Manuskript eines Redners, sondern an eine veröffentlichte Rede gedacht ist, die von ihrem Lesepublikum im Buch »betrachtet« wird.

Literatur im Hellenismus

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3. Literatur im Hellenismus: Dichtung wird zur »Inschrift« Dass die Frage nach dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Hellenismus besonders virulent wird, ist in Zusammenhang mit der veränderten Rolle der Schrift sowohl bei der Rezeption von Dichtung als auch für das dichterische Selbstverständnis zu sehen. Während frühere Dichtung primär für den Vortrag gedichtet wurde und ihre Verschriftung pragmatische Gründe hatte, etwa als Gedächtnisstütze oder zur Fixierung für die Nachwelt,123 und der Dichter sich selbst als von den Musen inspirierten Sänger sah, werden nun die Schriftlichkeit von Dichtung sowohl in poetischen Selbstaussagen reflektiert124 als auch die besonderen Rezeptionsumstände, die sich durch die Lektüre ergeben, in den Blick genommen. Diesem Paradigmenwechsel steht ein gewisser Traditionalismus gegenüber, der in der eingehenden Beschäftigung mit der überlieferten Dichtung und der kritischen Auseinandersetzung mit ihr im eigenen Werk zum Ausdruck kommt.125 Die traditionellen Metaphern der Mündlichkeit bleiben weiterhin Bestandteil der neuen Dichtung, und so ergibt sich eine Vermischung von Traditionen der Mündlichkeit und Elementen der Schriftlichkeit.126 Das neue Verständnis lässt sich am Siegelgedicht Poseidipps nachvollziehen (118 A.-B., 5 f.), in dem er die Musen auffordert: νῦν δὲ Ποσε[ι]δίππωι στυγερὸν συναείσατε127 γῆρας / γραψάμεναι δέλτων ἐν χρυσέαις σέλισιν. Die Musen werden aufgefordert, mit dem Dichter zu singen, aber sie sollen zugleich auf seine Schreibtafeln schreiben: »The muses have learned to write!«128 Das Epigramm war dabei die einzige Gattung, die von Anbeginn eine Zwischenstellung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit einnahm und dies 123 Sicherlich hat es bereits vor dem Hellenismus Leser von Dichtung gegeben, etwa den die euripideische Andromache lesenden Dionysos (Aristoph. Ran. 52 f.); aber die Erwähnung dieses Details soll wohl die Exzentrizität einer solchen Dramenrezeption hervorheben (vgl. Sommerstein 1996 a.l.). Im 4. Jh. behandelt Aristoteles in der Poetik die Tragödie als Lesedrama (Rösler 1980, 314 f.); auf Vasenbildern werden seit der Mitte des 5. Jh. Musen gezeigt, die Schriftrollen in den Händen halten (Immerwahr 1964, 28–35). Nach Rösler 1993, 109 vollzieht sich der Übergang, Dichtung im Regelfall durch die Lektüre zu rezipieren, »spätestens im 4. Jh.« Bibliographische Angaben zum Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit bei Mariß 2002, 1 f. Anm. 1. 124 Der schreibende Dichter: Kallim. Fr. 1, 21 Pf.; Mel. AP 4, 1, 9 f. = HE 3934 f.; 7, 417, 7 = HE 3990 etc. 125 Zum »Traditionalismus« hellenistischer Dichtung vgl. Fantuzzi/Hunter 2004, vii–viii. 126 Bing 1988, 10–48; Gutzwiller 2007, 179 f. 127 Συναείσατε ist Diels’ Konjektur für das korrupte συναεισαδε der Tafel; συναείρατε Friedrichs (von A.-B. in den Text gesetzt). 128 Bing 1988, 15.

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Die Rede des Gegenstands

auch im Epigramm selbst reflektierte. Nicht zuletzt deshalb bot sie sich als dichterische Form an, in welcher das neue Dichtungsverständnis seinen Ausdruck finden konnte: »a poem is always now an inscription.«129

3.1. Singende Steine: Epigramme als Gesang Ein direkter Reflex der Vermischung von Schrift und Gesang findet sich in folgendem hellenistischen Epigramm (GVI 1729, Kos, 2./1. Jh. v. Chr., 1–4): [π]ρὶν μὲν Ὁμήρειο[ι γρα]φίδες φιλ[οδέσπο]τον ἦθος   Εὐμαίου χρυσέαις ἔκλαγον ἐν σελίσιν· σεῦ δὲ καὶ εἰν Ἀίδαο σαόφρονα μῆτιν ἀείσει,   Ἴναχ᾽, ἀείμνηστον γράμμα λαλεῦσα πέτρη. Einst sangen die Schreibgriffel Homers vom seinen Herrn liebenden Charakter des Eumaios in goldenen Kolumnen. Deinen  – bist du auch im Hades  – besonnenen Sinn wird, Inachos, dieser Stein besingen, indem er die unvergessliche Inschrift verkündet.

Der Sklave Inachos hat hier offenbar eine Grabinschrift von seinem Herrn erhalten, in welcher dieser ihn mit einem berühmten Sklaven aus der Literatur, Eumaios, vergleicht.130 Dabei scheint der Dichter des Epigramms nicht nur die beiden Personen, sondern auch seine eigene epigrammatische mit der homerischen Dichtung zu vergleichen. Wie Inachos ein zweiter Eumaios ist, so ist sein (im nicht zitierten Teil des Epigramms genannter) Herr Philiskos, falls dieser der Dichter ist, ein zweiter Homer:131 Regina Höschele hat in Vers 3 in μῆτιν ἀείσει eine Anspielung auf den Beginn der Ilias (μῆνιν ἄειδε) vermutet;132 auf 129 Bing 1988, 17. In der neueren Forschung werden die Stufen des Prozesses, den das Epigramm beim Wechsel vom Stein aufs Buch durchläuft und der bereits vor dem Hellenismus beginnt, verstärkt in den Blick genommen. Dabei geht es um die Frage, ob Inschriften auch mündlich zirkulierten und man darin bereits eine »Ablösung« vom Monument sehen kann, welche die spätere Literarisierung der Form erleichtert: Gutzwiller 2007, 107 (zum Midas-Epigramm); Gutzwiller 2010 (zum Aristotelischen Peplos), Petrovic/Petrovic/Baumbach 2010a, 15–9 (zum Thermopylenepigramm); diskutiert werden Existenz und Inhalt vorhellenistischer Inschriftensammlungen (die sog. sylloge Simonidea, Philochoros, Polemon etc.): Gutzwiller 1998, 49–53; Meyer 2005, 96–101; Livingstone/Nisbet 2010, 46 f.; Höschele 2010, 90–93. Schließlich wird Einfluss von copy-books (Phrasenbücher zur schnellen Abfassung von Epigrammen) auf hellenistische Epigrammsammlungen vermutet (Tsagalis 2008, ­53–55; Bing/Bruss 2007a, 6 f. Anm. 26; Sens 2011, XXXV); zum Auftreten autorsignierter Versinschriften um 400 v. Chr., ein Indiz für deren Wahrnehmung als literarische Kunstwerke, s. Gutzwiller 1998, 47 f.; Männlein-Robert 2007c, 364; Höschele 2010, 89 f. 130 Zu solchen Vergleichen mit Gestalten aus dem Epos (z. B. der verstorbenen Ehefrau mit Penelope) s. GVI Kap. V 6b. 131 Vgl. Reitzenstein 1893, 220. 132 Höschele 2010, 116.

Literatur im Hellenismus

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fällig ist weiterhin die Entfaltung des Topos der γράμματα λέγοντα (auf den γράμμα λαλεῦσα πέτρη anspielt) zu einem dichten Netz der Verknüpfungen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, wie sie typisch sind für das Selbstverständnis des hellenistischen Dichters. Diese werden gleichermaßen auf Homer wie auf den Verfasser der Inschrift projiziert: Nicht Homer selbst, seine Schreibgriffel lassen »in goldenen Kolumnen das ἦθος des Eumaios ertönen«. Homer ist hier nicht Sänger, sondern Schriftsteller. Ein ähnliches Verfahren, die Rolle eines archaischen Dichters nach hellenistischem Verständnis umzudeuten, vielleicht sogar ein direktes Vorbild für das Epigramm, liegt in Poseidipp 122 A.-B. vor, wo vom dichterischen Nachruhm der Sappho die Rede ist (5–7 = HE 3146–8):133 Σαπφῷαι δὲ μένουσιν φίλης ἔτι καὶ μενέουσιν   ᾠδῆς αἱ λευκαὶ φθεγγόμεναι σελίδες οὔνομα σὸν μακαριστόν κτλ. Von Sapphos lieblichem Gesang bleiben bis jetzt und werden bleiben die weißen Kolumnen, die deinen [angesprochen wird Doricha, die Geliebte von Sapphos Bruder Charaxos] seligen Namen verkünden…

Im Speziellen vergleichen lässt sich die adjektivische Nennung des Dichternamens (Σαπφῷαι, Ὁμήρειοι) als Attribut zu einem Begriff aus dem Bereich des Schreibens (γραφίδες, σελίδες), die Farbigkeit der Kolumnen (λευκαί, χρύσεαι), die Verbindung eines Verbs des Singens mit Akkusativ (φθεγγόμεναι οὔνομα, ἦθος ἔκλαγον).134 Der Hinweis auf das Überdauern der Dichtung Sapphos in den Papyruskolumnen lässt sich dabei als Verweis des Epigrammdichters auf seine eigene schriftliche Dichtung κατ᾽ ἐξοχήν deuten;135 auch die Metaphorik der »sprechenden Schrift« (hier als »sprechende Kolumnen« variiert) hat ja hier einen angestammten Platz. Es scheint darüber hinaus ein Bezug zu Sappho Fr. 55 Voigt zu bestehen, in dem die Dichterin selbst den Nachruhm einer Frau thematisiert, allerdings negativ: κατθάνοισα δὲ κείσηι οὐδέ ποτα μναμοσύνα σέθεν ἔσσετ᾽ οὐδὲ †ποκ᾽† ὔστερον· οὐ γὰρ πεδέχηις βρόδων τὼν ἐκ Πιερίας, ἀλλ᾽ ἀφάνης κἀν Ἀίδα δόμωι φοιτάσηις πεδ᾽ ἀμαύρων νεκύων ἐκπεποταμένα.

133 Die Parallele bereits bei Reitzenstein 1893, 220, der allerdings nur auf φθεγγόμεναι σελίδες hinweist. 134 Vgl. außerdem Ciris 40–1 aeterno ut sophiae coniunctum carmine nomen / nostra tuum senibus loqueretur pagina saeclis. 135 Vgl. Acosta-Hughes 2010, 3.

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Wenn du stirbst, wirst du daliegen und niemals wird es eine Erinnerung an dich geben, auch nicht später. Denn du hast keinen Anteil an den Rosen aus Pierien, sondern unsichtbar auch im Haus des Hades wirst du wandeln unter den schwachen Toten, fortgeflogen.

Dass die Genannte an den Rosen von Pierien keinen Anteil hat, mag bedeuten, dass sie in Sapphos Dichtung nicht erwähnt wird und dementsprechend namenlos bleibt – im Gegensatz dazu nennt Poseidipp den Namen »Doricha« als erstes Wort im Epigramm. Die Referenz auf die Musen impliziert bei Sappho wohl eine mündlich bewahrte Erinnerung; demgegenüber betont Poseidipp, dass Sapphos Nachruhm, und der Nachruhm der bei ihr erwähnten Personen, durch die Schriftrolle erhalten bleibt.136 Poseidipp und Philiskos historisieren beide das Schaffen eines berühmten Dichters,137 beschreiben es aber in einer Weise, die Parallelen zu ihrer eigenen Produktion erkennen lässt. In GVI 1729 ist diese Analogie besonders augen­f ällig, da den »klingenden Kolumnen« der »singende Stein«, der die Inschrift »verkündet«, gegenübergestellt wird, wobei γράμμα die γραφίδες wiederaufnimmt; dass γραφίς auch »Meißel« bedeuten kann,138 unterstützt diese Analogie weiter. Die Metapher des singenden Steins begegnet auch in einem Epigramm der Anyte (AP 7, 724 = HE 676–9):139 † Ἥβα μέν σε πρόαρχε ἐσαν παίδων ἅτε ματρὸϛ†   Φειδία ἐν δνοφερῷ πένθει ἔθου φθίμενοϛ· ἀλλὰ καλόν τοι ὕπερθεν ἔποϛ τόδε πέτροϛ ἀείδει,   ὡϛ ἔθανεϛ πρὸ φίλαϛ μαρνάμενοϛ πατρίδοϛ. … Mit deinem Tod versetzt du (das Haus?) des Phidias in düstere Trauer. Aber dieser Stein über deinem Grab singt das schöne Wort, dass du gestorben bist im Kampf für deine liebe Heimat.

Das schöne Wort ist die Kunde vom ruhmreichen Tod im Kampf für das Vaterland; ἀείδει lässt sich somit metaphorisch als »Lobgesang« verstehen. In­ sofern aber das Epigramm auf dem Stein selbst inskribiert zu denken ist, lässt sich ἀείδει auch konkret als Vortrag der kunstvollen Inschrift deuten, als eine 136 Wenn GVI 1729 tatsächlich auf Poseidipp 118 A.-B. Bezug nimmt, dann mag man in καὶ εἰν Ἀίδαο eine window-reference auf Sappho Fr. 55 Voigt κἀν Ἀίδα δόμωι sehen (vgl. auch ἀείμνηστον γράμμα mit οὐδέ ποτα μναμοσύνα σέθεν ἔσσετ᾽). Reitzenstein 1893, 220 f.; Bing 2009, 158 Anm.  22; Höschele 2010, 117 f. verweisen dagegen auf Theokr. Id. 16, 30 καὶ εἰν Ἀίδαο, wo ebenfalls vom den Tod überdauernden Ruhm durch Dichtung die Rede ist (in 54 f. wird darüber hinaus vom dauernden Ruhm des Eumaios gesprochen). Nach Gow ad Theokr. Id. 16, 30 f. denkt Theokrit bei καὶ εἰν Ἀίδαο an Sappho Fr. 55 Voigt. 137 Dem πρὶν μὲν in GVI 1729, 1 entspricht Δωρίχα, ὀστέα μὲν σὰ πάλαι κόνις in 122 A.-B., 1. 138 LSJ s. v. γραφίς »graving tool« mit Verweis auf LXX Ex. 32, 4. 139 Vgl. wiederum Reitzenstein 1893, 220.

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Erweiterung des sprechenden zum singenden Denkmal140 – ebenso, wie auch die Papyruskolumnen »singen«.141 Bei Meleager schließlich singt der Stein lediglich den Namen des Verstorbenen (τὸ δ᾽ οὔνομα πέτρος ἀείδει AP 7, 428, 19 = HE 4678; auf einen Dichter, vgl. Poseidipp. 122 A.-B., 7 οὔνομα σὸν),142 der allerdings im folgenden Vers im Metrum erscheint (Ἀντίπατρον, προγόνων φύντ᾽ ἀπ᾽ ἐρισθενέων).143 Singen bedeutet in diesen Beispielen demnach so viel wie »eine metrisch gebundene Inschrift zur Lektüre bereithalten«, wie es sich bereits in GVI 1729 gezeigt hat. In folgender Inschrift aus Kyrene scheint der Topos implizit vorzuliegen (GVI 758, 2./1. Jh. v. Chr.? = SEG 9:194, 1./2. Jh. n. Chr. = GG 132):

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Τὴν διτόκον μονόπαιδα θεῆις ἰκέλην ὅδε Πλαῦταν   νούσωι καὶ τοκετῶι τύμβος ἔχει φθιμένην· ἀκλέα δ᾽ ἐν σκοτίηι πηνίσματα καὶ λάλος αὔτως   κερκὶς ὁμοῦ πινυτῆι κεῖται ἐπ᾽ ἠλεκάτηι· καὶ τῆϛ μὲν βιότου κλέοϛ ᾄδεται ὅσσον ἐκείνηϛ,   τόσσον καὶ μελέου πένθοϛ ἀεὶ πόσιοϛ. Die zweimal eine Geburt, aber nur ein Kind hatte, die den Göttinnen gleiche Plauta, die durch eine Krankheit und das Kindbett starb, hält dieses Grab fest. Ruhmlos im Dunkel liegen nun da das Garn und zugleich das plappernde Schiffchen neben der verständigen Spindel.144 Und wie der Ruhm ihres Lebens be­sungen wird, so auch immer das Leid des armen Ehemanns.

Plauta, die hier als gottgleich gelobt wird, ist offenbar bei der Geburt ihres zweiten Kindes ums Leben gekommen, weshalb nun ihre Webwerkzeuge, die emblematisch ihr Leben als tugendhafte Ehefrau illustrieren, ruhmlos im Dunkel (ihrer Kammer oder eines Korbes) herumliegen.145 Der Ruhm, den sie im Leben erlangt hat, wird nun nach ihrem Tod besungen. 140 So bereits Luck 1954, 179 Anm. 48; Gow/Page a.l. Vgl. außerdem Phoinix, Fr. 1 (CA 321), 12 τὸ σῆμ᾽ ᾄδει; Bernand 98, Hermupolis Magna, Kaiserzeit (= GVI 1299), 1 μινυνθαδίης κλύε μολπῆς; SGO 05/01/35, Smyrna, 2./1. Jh. v. Chr., 7–8 ξεῖνε, σὺ δ᾽ ἀείσας »Δημοκλέος υἱέα χαίρειν / Δημοκλέα« στείχοις ἀβλαβὲς ἴχνος ἔχων. 141 Zum Singen von Gegenständen bei Homer s. Kokolakis 1980, 107. 142 Unklar ist der Zusammenhang der singenden Tafel in Kallim. Fr. 103 Pf. (ἐπεὶ τόδε κύρβις ἀείδει). 143 Auf Mel. AP 7, 428 und Kallim. Fr. 103 als Parallelen zu Anyte weist bereits Geoghegan 1979, 62 hin. 144 Die Spindel ist »verständig«, weil sie Plauta bei ihrer Arbeit assistierte (die Personifikation ist ausgeführt in Theokr. Id. 28). Die »Lebendigkeit« der Spindel verbindet diese mit dem »sprechenden« Schiffchen. 145 Vgl. eine Inschrift aus Aphrodisias (2./1. Jh. v. Chr., Chaniotis 2009), in der beschrieben wird, wie verschiedene Gebrauchsgegenstände eines verstorbenen Knaben jetzt von Spinnweben umgeben sind (ἠραχνωμένοι 6). Breuer 1995, 91 erkennt außerdem eine Anspielung auf das Dunkel des Schattenreichs.

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Die Rede des Gegenstands

Die Verbindung des zweiten und des dritten Distichons wird dabei aber nicht nur durch den Gegensatz von ἀκλέα und κλέος bewerkstelligt,146 sondern auch durch die Kontinuität von λάλος κερκίς und ᾄδεται: das »Singen« des Weberschiffchens, auf das hier mit λάλος angespielt wird, d. h. sensu proprio der von ihm beim Durchschießen durch den Aufzug des Gewebes erzeugte Klang, ist eine in der griechischen Literatur verbreitete Metapher.147 Im Epigramm wird eine Kompensation suggeriert: das Schiffchen kann nicht mehr »singen« und ist ἀκλέης, aber Paulas κλέος »wird gesungen«.148 Diese Gegenüberstellung scheint dabei auch in der Ikonographie des Grabmals zum Ausdruck zu kommen: Auf ihm sind über dem Gedicht, umgeben von einem Kranz, in tiefem Relief die drei genannten Webwerkzeuge dargestellt.149 Dem Betrachter wird so die Untätigkeit, in welcher diese Werkzeuge herum­ liegen, unmittelbar vor Augen geführt: niemand wird sie je wieder benutzen; insofern sie sind ἀκλέα. Andererseits zeigen sie als Abbildungen auf dem Grabstein den Fleiß und die Tugend, das κλέος der Verstorbenen an; diese Funktion wird durch den Kranz unterstrichen.150 In einem der Weihepigramme, in denen Personen Gegenstände ihres Berufs weihen, findet sich die Forderung, ein geweihter Speer solle von nun an die Tapferkeit seines Stifters verkünden (ἄγγελλ᾽ ἀνορέαν Anyte AP 6, 123, 4 = HE 667); analog hierzu künden die auf dem Grabstein abgebildeten Webwerkzeuge von Plautas Ruhm. Nun ist hier nicht ausdrücklich davon die Rede, dass das Epigramm selbst der Ruhmesgesang ist, der in Gedenken an Plauta erklingt; doch da, wie oben gezeigt, eine Grabinschrift als Gesang gedeutet werden konnte, käme, wenn wir diese Vorstellung auch hier zugrunde legen, der Bezug zwischen dem einst am Webstuhl singenden Schiffchen und dem »Ruhmesgesang« des Denkmals, repräsentiert durch Epigramm und Abbildung der Webwerkzeuge gleichermaßen, so besonders deutlich zum Ausdruck.

146 Vgl. Breuer 1995, 94. 147 Stellen bei Dover 1993 ad Aristoph. Ran. 1315 f.; für die Verbindung mit ἀείδω vgl. Aristoph. Ran. 1315 f. κερκίδοϛ ἀοιδοῦ; Antipater v. Sidon AP 6, 47, 1 = HE 458 κερκίδα τὴν φιλαοιδόν. 148 Zum »Kompensationsgedanken« in Grabepigrammen s. u. S. 194. 149 Abbildung in Robinson 1913, 162 (danach Breuer 1995, B49). Die Abbildung der Objekte auf dem Stein knüpft vielleicht an eine literarische Gruppe von Weihepigrammen an, in welchen Weberinnen ihre Utensilien am Ende ihrer Berufsausübung einem Gott weihen (AP 6, 39; 47–48; 160; 174; 247; 288; 289). Verwandt sind auch solche Epigramme, in denen im Gedicht die Bedeutung von Symbolen auf dem Grab erklärt wird (vgl. AP 7, 421–9); auf dem Grabmal der Menophila (SGO 04/02/11, Sardeis, Ende 2. Jh. v. Chr.) wird das Lob der Toten u. a. durch einen Kranz und einen Korb dargestellt. 150 Breuer 1995, 93: »Die πηνίσματα, κερκίς und ἠλακάτη [werden] sozusagen aus der σκοτίη des Frauengemachs an das Licht der Öffentlichkeit gebracht.«

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3.2. Das Problem des sprechenden Steins: Kallimachos’ Hahn Neben der Vermischung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zeichnet sich in einigen literarischen Epigrammen des Hellenismus eine andere Technik ab, nämlich das Spiel mit den Gattungskonventionen, die gerade dadurch, dass sie parodiert werden, transparent gemacht werden. Dass bei diesem Spiel die Konvention der »Rede des Gegenstands« eine zentrale Rolle spielt, überrascht kaum: einerseits handelt es sich hierbei um ein für das Epigramm charakteristisches Gattungsmerkmal, andererseits eignete sich das Adynaton des sprechenden Objekts offensichtlich besonders für parodistische Effekte. Das vermutlich deutlichste und in diesem Zusammenhang bekannteste Beispiel ist folgendes Epigramm des Kallimachos auf einen bronzenen Hahn (Ep. 56 Pf. = HE 1161–4):151 Φησὶν ὅ με στήσας Εὐαίνετος (οὐ γὰρ ἔγωγε   γιγνώσκω) νίκης ἀντί με τῆς ἰδίης ἀγκεῖσθαι χάλκειον ἀλέκτορα Τυνδαρίδῃσι·   πιστεύω Φαίδρου παιδὶ Φιλοξενίδεω. Euainetos, der mich hier aufgestellt hat, behauptet – ich selbst weiß es ja nicht –, daß ich, ein Hahn aus Bronze, für meinen eigenen Sieg den Tyndareossöhnen geweiht bin. Das glaub ich dem Sohn des Philoxeniden Phaidros! (Üb. Asper)

Die traditionellen Elemente des Weihepigramms sind alle da: Wir erfahren den Namen des Stifters und den seines Vaters, sogar den Namen seines Großvaters; den Anlass der Weihung; die empfangenden Gottheiten; sogar das Weihgeschenk wird beschrieben, eine im literarischen Epigramm notwendige, im inschriftlichen Epigramm fakultative Angabe.152 Auch die Präsentationsform des sprechenden Objekts ist typisch. Dem gegenüber stehen Züge, die in ein traditionelles Weihepigramm so gar nicht passen wollen, und die vor allem die Charakterisierung des sprechenden Objekts betreffen. Dieser sprechende Hahn gesteht ein, selbst keine Kenntnis von dem Vorgang zu haben, vom dem er berichtet; vielmehr sei es der Stifter, der es »sage«, d. h. derjenige, der die Inschrift hat in Auftrag geben lassen. »­Sagen« bedeutet hier nicht, wie sonst, durch eine Sprecherrolle zum Betrachter zu re 151 Das Gedicht gehört wohl zu den meistdiskutierten kallimacheischen Epigrammen: Hutchinson 1988, 71 f.; Köhnken 1993, 128–9; Gutzwiller 1998, 193; Meyer 2005, 1 f., 196 f.; Bettenworth 2007, 84–5; Livingstone/Nisbet 2010, 55. Weitere kallimacheische Beispiele, in denen ein ähnliches Spiel mit der Rede des Gegenstands zum Ausdruck kommt, sind Ep. 34 Pf. (Köhnken 1993, 121–3; Meyer 2005, 214–6); Ep. 54 Pf. (Meyer 2005, 216–7). 152 Zu solchen Überinformationen als Kennzeichen der Literarizität s. S. 321 Anm. 76.

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den,153 sondern vielmehr, die Information an sich bereitzustellen: Der »Sprecher« wird mit dem auctor der Inschrift identifiziert. Eine solche Unterscheidung zwischen dem »literarischen« Sprecher und dem auctor als eigentlichem Urheber der Nachricht ist letztlich nichts Neues, wie das Beispiel aus Platons Charmides gezeigt hat (s. o. S. 51 f.). Doch ist die Behandlung dieses Sachverhalts im Epigramm nicht nur vorher nicht belegt, sie scheint auch der Rhetorik der Inschriften zuwiderzulaufen, die durch ihre »Appellstruktur« ja den Leser gerade vergessen lassen möchten, dass es noch einen (abwesenden) Verfasser gibt.154 In Platons Charmides bestand darüber hinaus kein offenkundiger Konflikt zwischen dem Gott Apollon als Sprecher, den sprechenden Buchstaben und den Gedanken des Verfassers der Inschrift. Hier dagegen unterminiert der Hahn durch den Verweis auf den auctor seine Sprecherrolle und damit sich selbst: Denn einerseits konstituiert sich der Hahn durch seine Ich-Rede vor dem Betrachter (bzw. Leser) erst als denkendes und empfindendes Wesen, andererseits leugnet er ebendiese Existenz, indem er bekennt, nicht die Person zu sein, die »Ich« sagt. Durch diesen performativen Widerspruch entsteht die Irritation des Lesers.155 Kallimachos kostet diese Irritation besonders aus, in dem er sowohl das Nicht-Wissen als auch das Wissen des Weihgeschenks besonders betont: Das Nicht-Wissen in doppelter Hinsicht, da der Hahn weder bei seinem »eigenen« Sieg anwesend war (vielleicht war er noch nicht einmal gegossen), noch eine Bronzefigur zum »Wissen« befähigt ist; das Wissen, indem der Hahn durch sein relata refero eine Art reflektierter Zurückhaltung gegenüber Dingen zeigt, die er nicht miterlebt hat, die ihn ebenso wie sein Vertrauen in seinen Stifter (weshalb sollte der ihn auch anlügen?) als vernünftiges Wesen erscheinen lässt. Die so zum Tragen kommende »Kritik« an der Rede des Gegenstands sowie das Transparent-Machen der kommunikativen Situation macht dieses Epigramm zum wohl deutlichsten Exempel für diese Spielart des kallimacheischen Umgangs mit der Tradition. Zwei Punkte lassen sich hieran anknüpfen: Zum einen die Frage nach der Verlässlichkeit inschriftlicher Rede schlechthin, zum anderen das Problem der Ich-Rede des Objekts als solcher. 153 S. Meyer 2005, 197. 154 Gutzwiller 1998, 193 deutet diese Verschiebung des Fokus als Hervorhebung des fiktiven Charakters des Epigramms und damit als Hinweis auf die persona des Dichters: »As a bronze cock, an object devoid of life, it cannot possibly know the circumstances of its own dedication (οὐ γὰρ ἔγωγε γιγνώσκω) and so attributes the information it gives us entirely to the young man who dedicated it (φησὶν ὅ με στήσαϛ Εὐαίνετοϛ). But we as readers know that it is not Euaenetus, but Callimachus himself, who here reveals the great lie in the convention of the speaking object.« 155 Einen performativen Widerspruch stellt auch das Kreter-Paradox dar (der Kreter sagt: »Alle Kreter sind Lügner«, vgl. Kallim. Hymn. Iov. 8).

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Das kallimacheische Epigramm auf den Hahn bildet eine Zäsur, insofern es den Aspekt der Verlässlichkeit der Kommunikation mit einer Inschrift thematisiert und damit die implizite Annahme in Frage stellt, die Wolfgang Rösler (in anderem Zusammenhang) so formuliert hat (1993, 118 f.): Präsenz hat a priori einen persuasiven Effekt; sie suggeriert gewissermaßen eine elementare Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen. Ein physisch anwesendes In­ dividuum  – so nehmen es die Beteiligten an  – steht persönlich für seine Worte ein; der Betreffende verbürgt sich, insofern er  – die folgenden Wendungen sind bezeichnend  – »greifbar« ist und gegebenenfalls zur Rede »gestellt«, beim Wort »genommen« werden kann, für die zumindest subjektive Wahrheit dessen, was er sagt, – oder er lügt!156

Insofern die Versinschriften im Evozieren eines direkten Kommunikationswegs eine solche Präsenz suggerieren, scheinen sie auch selbst für die Verlässlichkeit ihrer Botschaft einzustehen. Indem nun der Hahn explizit auf den abwesenden Stifter als Sender der Botschaft verweist, hebt er den eigentümlichen Unterschied schriftlicher gegenüber mündlicher Kommunikation hervor. Das Gedicht reflektiert so überhaupt das besondere Verhältnis, das gerade im Epigramm zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit besteht; insofern der Hahn aber seine bloße Existenz als Sprecherrolle, d. h. seine Fiktionalität hervorhebt, was hier verbunden wird mit der Frage nach der Verlässlichkeit der Nachricht (πιστεύω), könnte überhaupt der Komplex von Wahrheit, Lüge und Fiktiona­lität aufgerufen werden, der, wie Wolfgang Rösler gezeigt hat, eben vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels von der Mündlichkeit hin zur Schriftlichkeit betrachtet werden muss.157 Wenn Kallimachos’ Hahn auf die Anfänge der Fiktionalität und ihre prekäre Stellung zwischen Wahrheit und Lüge zurückverweist, erscheint sie in folgendem Gedicht als etablierte Kategorie (Lukillios AP 11, 312):158

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Οὐδενὸς ἐνθάδε νῦν τεθνηκότος, ὦ παροδῖτα,   Μάρκος ὁ ποιητὴς ᾠκοδόμηκε τάφον καὶ γράψας ἐπίγραμμα μονόστιχον ὧδ᾽ ἐχάραξε·   Κλαύσατε δωδεκέτη Μάξιμον ἐξ  Ἐφέσου. οὐδὲ γὰρ εἶδον ἐγώ τινα Μάξιμον· εἰς δ᾽ ἐπίδειξιν   ποιητοῦ κλαίειν τοῖϛ παριοῦσι λέγω.

156 Ähnlich Rösler 1980, 315 f. Die Persuasionsforschung liefert entsprechende Ergebnisse: So erreichen Fernsehjournalisten beim Publikum durch ihre optische Präsenz höhere Glaubwürdigkeit als Zeitungsjournalisten (vgl. Chang/Lemert 1968, 443 f.). 157 Zur Entwicklung eines Bewusstseins, Lüge und Fiktionalität zu unterscheiden, als Resultat des Übergangs von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit s. Rösler 1980; Rösler 1993. 158 Der Vergleich dieses Epigramms mit Kallim. Ep. 56 Pf. bereits bei Floridi 2010, 13.

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Noch keines Toten Grabmal hat hier, Wanderer, der Dichter Markus errichtet; ein einzeiliges Epigramm hat er gedichtet und hier inskribiert: ›Beweint den zwölf­ jährigen Maximus aus Ephesos!‹ Denn ich habe nie einen Maximus gesehen; um die Kunst des Dichters darzustellen, sage ich den Passanten: Heult doch!

Das Epigramm wurde von Regina Höschele (2010, 86–8) als ironischer Kommentar auf die Tradition fiktiver Epitaphe gedeutet. Der Kenotaph ist hier nicht etwa deshalb leer, weil der Tote, wie sonst üblich, verschollen ist, sondern weil es sich lediglich um eine vom Dichter Markus fingierte Inschrift handelt, wobei gleichzeitig auf die Fiktionalität des »epideiktischen« Epigramms überhaupt und im Speziellen der Rede eines Grabmals hingewiesen ist; das hier sprechende Grabmal ist dabei weder dem Dichter noch dem Leser besonders wohlgesinnt.159 Zum Verständnis dieses Gedichts ist gleichwohl noch etwas anzufügen.­ Höschele erkennt bereits im ersten Wort οὐδενός einen Hinweis auf die Fiktionalität des Textes; doch scheint es wahrscheinlicher, dass Lukillios hier den Leser zunächst auf eine falsche Fährte setzt.160 Die Eröffnung erinnert nämlich an einen epigrammatischen Topos, der in Anon. AP 7, 228 (= HE 3846–9 = GVI 268) belegt ist: Αὑτῷ καὶ τεκέεσσι γυναικί τε τύμβον ἔδειμεν   Ἀνδροτίων· οὔπω δ᾽ οὐδενός εἰμι τάφος. οὕτω καὶ μείναιμι πολὺν χρόνον· εἰ δ᾽ ἄρα καὶ δεῖ,   δεξαίμην ἐν ἐμοὶ τοὺς προτέρους προτέρους. Für sich selbst, seine Kinder und seine Frau hat Androtion diesen Grabhügel errichtet; noch bin ich niemandes Grab. So möchte ich noch lange Zeit bleiben. Wenn es aber sein muss, will ich in mir die Älteren zuerst aufnehmen.

Es spricht ein Grab, das einmal seinen Erbauer und dessen Familie beherbergen soll, und deshalb für den Moment noch niemandes Grab ist; dies solle mög 159 Beleidigung des Dichters, insofern dieser gerade einen läppischen Vers (μονόστιχον) zustande gebracht hat – und zwar nur einen Pentameter (der Hinweis bei Schatzmann 2012, 89; isolierte Pentameter sind selten [s. die von Hansen gesammelten Belege ad CEG 678], dadurch soll wohl die Inkompetenz des Dichters betont werden). Beleidigung der Leser: die Aufforderung zur Klage greift V. 4 κλαύσατε auf, aber der Wortlaut hier erinnert an Aristoph. Pl. 62 κλάειν ἔγωγέ σοι λέγω i. S. v. »Scher dich zum Teufel!« (Rozema 1971, 229) κλαίειν vertritt das übliche χαίρειν, vgl. Perinthos-Herakleia 216, 6 χαίρειν λέγει τοῖς παροδείτας; IG XII,7 448, 9 ff. πᾶσι δὲ χαῖρε λέγω τοῖσι παρερχομένοις, Herakleia Salbake 54 Παπίας ὀκταέτης χαῖρε λέγι παρόδοις (ähnlich Herakleia Salbake 55, 57). Rozema 1971, 229 sieht darüber hinaus auch eine Anspielung auf κλάειν i. S. v. »leiden«: »to read the work of Marcus is indeed to suffer peril.« 160 Floridi 2010, 12 Anm. 1 erwägt, dass der Leser bei Οὐδενός an Odysseus (und damit an den Typus der Epitaphe auf mythische Heroen) denken solle (vgl. besonders den Beginn der Syrinx Οὐδενὸς εὐνάτειρα (s. u. S. 111), auf den Floridi nicht hinweist). Falls dies zutrifft, würde die Ambivalenz des Anfangs noch erhöht.

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lichst lange so bleiben. Dasselbe Motiv ist auch mehrfach inschriftlich belegt (SGO 22/23/01 = GVI 271, SGO 22/44/01, SGO 22/44/02, PPUAES IIIA, 7, 798 [alle aus der Gegend des heutigen Syrien, 2.–4. Jh. n. Chr.]),161 mit nur leichten Abweichungen in den Formulierungen.162 Allen Beispielen gemeinsam ist, dass zu Beginn des Gedichts der Erbauer des Grabmals genannt wird, wie in AP 11, 312 (in PPUAES IIIA 7, 798 außerdem mit demselben Verb [ᾠκοδόμησαν]). Der durch μείναιμι stark in den Vordergrund tretenden Personifizierung des Grabs entspricht in AP 11, 312 οὐδὲ γὰρ εἶδον ἐγώ. Dass auf das hier belegte οὐδενός-Motiv auch in AP 11, 312 angespielt wird, liegt auch deshalb nahe, weil die inschriftlichen Beispiele ebenfalls das in AP 11, 312 begegnende νῦν in der ungewöhnlichen Bedeutung »für den Moment (noch)«, »zur Zeit (noch)« haben, das in AP 7, 228 zu οὔπω normalisiert ist.163 Es liegt nahe, das νῦν in AP 11, 312, das sonst nicht recht verständlich wird,164

161 Die Zusammenstellung dieser Beispiele nach Robert 1960, 323–7; gegen die Annahme, dass es sich bei AP 7, 228 um ein ursprünglich ebenfalls epigraphisches Gedicht aus dieser Region und Zeit handelt (Robert 1960, 323 f. Anm. 7; Garulli 2012, 156), spricht der Name Androtion, der nach LGPN nur für drei Personen belegt ist (alle Attika, 5.–4. Jh. v. Chr.); eine Recherche auf packhum.org ergab sechs Treffer für den (nichtergänzten) Namen: fünfmal Attika (jeweils 4. Jh. v. Chr.), einmal Amorgos (IG XII,7 5, 3. Jh. v. Chr.). Auch wirkt AP 7, 228 gegenüber den inschriftlichen Beispielen in sich geschlossener. Dass Variationen dieses Epigramms gerade in syrischen Inschriften zu finden sind, ist auffällig. Teilweise hängt es wohl damit zusammen, dass die Formulierung »errichtete das Grab für sich, seine Frau und seine Kinder« im Osten insgesamt viel häufiger auftaucht als im griechischen Mutterland (vgl. außerdem die phönizische Inschrift des Abdosir [Kition, 3. Jh. v. Chr. (TUAT II, S. 600 f.; Häusle 1979b, 149)] »Ich, Abdosir, … habe eine Stele noch zu meinen Lebzeiten aufgerichtet … auch für meine Frau.« TUAT a. l. verweist auf 2. Sam. 18, 18 καὶ Αβεσσαλωμ ἔτι ζῶν καὶ ἔστησεν ἑαυτῷ τὴν στήλην). 162 SGO 22/23/01 = GVI 271 Κελεστεῖνος πινυτός με ἐδίματο τῷδ᾽ ἐνὶ χώρῳ / αὑτῷ καὶ τεκέεσσι φίλῃ τ᾽ ἀλόχῳ ἐποίησεν … νῦν δ᾽ οὐδενός εἰμι τάφος / οὕτω καὶ μείνεμι πολὺν χρόνον· ἰ δ᾽ ἄρα κὲ δῖ, / δεξαίμην γηράσκοντας, εὐδαίμονας, τεκνώσαντας; SGO 22/44/02, 6–8 [νῦν δ᾽ οὐ]δενός εἰ[μι τάφος·] / [--- εἰ δ᾽ ἄρα] κὲ δεῖ, / δεξέμ[ιν γηράσκοντας]; SGO 22/44/01, 4–6 νῦ δ᾽ οὐδενός εἰμι τάφος. · εἰ δ᾽ ἄρα κὲ δεῖ, δεξέμιν γηράσκοντας, εὐδέμονας, τεκνώσαντας; PPUAES IIIA, 7, 798, 6–8 οὕτ[ω κ]ὲ [μείναιμ]ι πολὺν χρόνον· ἰ δ᾽ ἄρα κὲ δῖ, / δε[ξαίμην ἐν ἐμο]ὶ τοὺς προτέρος προτέρους. Ähnliche Formulierungen finden sich in den Gedichten GVI 266–74 (darauf haben schon Gow/Page ad HE 3846–9 hingewiesen). 163 Merkelbach/Stauber übersetzen die entsprechende Stelle in SGO 22/23/01 »Jetzt ist noch niemand hier begraben«. Welcker hatte den Vers zu νῦν δ᾽ οὐδενός εἰμι τάφος (metri gratia?) ergänzt; das πω fehlt aber auch in SGO 22/44/01, mit demselben metrischen Fehler, die in beiden Gedichten übrigens zahlreich sind; in SGO 22/44/02 ist die entsprechende Stelle weggebrochen; PPUAES IIIA, 7, 798 hat die Formel erst ab οὕτω καὶ μείναιμι. 164 Beckbys (»Niemand ist heute vom Leben zum Tod gekommen«) und Höscheles (»Von niemandem, der gerade gestorben wäre«) Übersetzungen sind zwar denkbar, aber fragt man sich, warum das sprechende Denkmal auf den genauen Zeitpunkt Wert legen sollte. Meyer (2005, 199) lässt νῦν unübersetzt.

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dann so aufzufassen, also »das Grab von im Moment (noch) niemandes Leichnam«. Im Verlauf des Gedichts wird dann klar, dass dieses Grab niemals einen Toten bergen wird. Nach diesem Verständnis des ersten Verses enthüllt sich der fiktionale Charakter des Grabs, und damit die Pointe, erst im Schlussdistichon; Lukillios gelingt so die geschickte Weiterführung eines vor allem inschriftlich belegten Motivs mittels Fiktionalisierung und Ironisierung.

3.3. Inschriftliche Reaktionen auf die Problematisierung der Objektrede 3.3.1. Verlässlichkeit des sprechenden Gegenstands Fiktionalität ist nun keine Kategorie, die auf die Versinschriften unmittelbar anwendbar ist, denn diese setzen voraus, dass das Ereignis, das sie der Erinnerung überliefern, wirklich stattgefunden hat; es kann also nur darum ­gehen, ob sie »lügen« oder die Wahrheit sagen. Während die vorhellenistischen Inschriften hier keine Aussage zu treffen scheinen, finden wir seit dem Hellenismus eine Reihe von Epigrammen, welche die Wahrheit der inschriftlichen Nachricht beteuern oder einfordern, z. B. IG IX,1 880 (Kerkyra, 1.Jh. v./1. Jh. n. Chr.), 1 f. ὁδῖτα, βαιὸν σάματι σταθεὶς πάρα / μάθοις κεν ἀτρέκειαν; SGO 01/09/07 (Kaunos, wohl Ende des 3. Jh. v. Chr.), 4 ἀτρεκὲς ἔγ μ[ου ἔ]πος πεύθεο τᾶσδε λίθου; Höghammar, Sculp. and Soc. 181, 71 (Kos, ca. 220–200 v. Chr.), 1 f. φώνει μοι, μίκκος, τίς σ᾽ [ἔπλασε κ]αὶ τίνος εἶ παῖς, / ἀτρεκ[έως, εἴ] σοι γλῶσα νέα λέλυ[ται]. Nicht nur behauptet oder gefordert, sondern auch begründet wird der Wahrheitsgehalt in folgendem Epigramm (Bernand 114, Panopolis, 1.  Jh. n. Chr., I 9–12 [vgl. 115, 9–12]): [εἴ τις ἔρο]ιτο βρότων τίς ἐν[έγλαψ]εν τάδε πέτρῃ, ἠδ[ὲ τίς] ἱδρώσας ἔργον τόσ[ον] ἐξεπόνηεν, φράζ[ε] μάλ᾽ ἀτρεκέως μιν, ἵν᾽ ἄσβεστον κλέος ε[ἴ]η, εὐσεβέα Πτολεμαῖον ἴδ᾽ Ἄγριον οὔνομα μ᾽ ἄμφω. Wenn einer der Sterblichen fragen sollte, wer dies in den Stein gehauen hat, oder wer schwitzend ein so großes Werk mühevoll vollendet hat, nenne ihn ganz genau, damit er unauslöschlichen Ruhm besitze, den frommen Ptolemaios und Agrios, beides meine Namen.

Der Leser wird Zeuge des Auftrags, den der Verfasser dem Stein erteilt hat, nämlich seinen Namen zu verkünden. Hier tritt nun einmal der Auftraggeber selbst als Sprecher hervor, ohne freilich den Bezug auf die zukünftige Lektüre (εἴ τις ἔροιτο βρότων) aufzugeben. Wie im kallimacheischen Hahnen-Epigramm stammen die Informationen nicht vom Denkmal selbst, sondern wurden ihm vom Stifter eingegeben, der auf der wahrheitsgemäßen Verkündung

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(μάλ᾽ ἀτρεκέως) besteht  – was die Inschrift, insofern sie seine Worte gleich­ lautend wiedergibt, offenbar erfüllt. Dass das Denkmal hier, durchaus un­ gewöhnlich, explizit als Sprachrohr des Verfassers auftritt und so dessen Anspruch auf Wahrhaftigkeit unterstreicht, mag man als eine Reaktion auf das durch Kallimachos aufgeworfene Problem der Glaubwürdigkeit der Objektrede deuten.

3.3.2. Das neue Problem der Ich-Rede des Objekts 3.3.2.1. Verteidigung der Ich-Rede des Objekts Vielleicht noch grundlegender als die Frage der Verlässlichkeit scheint das Problem, inwiefern ein materielles Objekt überhaupt sprechen kann; was über Jahrhunderte durch die Tradition gewissermaßen »geheiligt« war, wird jetzt zum Problem, das auch inschriftlich direkt angesprochen wird. Eine Möglichkeit, damit umzugehen, läge darin, die Ich-Rede der Gegenstände schlicht aufzugeben; das geschieht nun gerade nicht, sondern es lassen sich ver­schiedene Rechtfertigungsstrategien nachweisen, die sich dann als Reaktion auf die hellenistische Problematisierung der Sprecherrolle deuten lassen. Ein recht frühes Beispiel hierfür stellt folgendes sprechende Denkmal dar (IG IV2,1 590 B, Epi­dauros, 218 v. Chr. = Geffcken 174 = Peek, WZHalle 11, 1962, 1004 f.):

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ὅσσον ἔπ᾽ ἀέλιός τε μέγ[αν πόλον ἄστρα τ᾽ ἀμ]είβει,  αἰνετὸν  Ἑλλάνων ἀγ[γελέω πρύτανιν], εἰ καὶ χάλκεός εἰμι κ[αὶ ἄπνοος, ὅς ποτε] νάσωι   Ἀπίδι τὰν ὀλοὰν ἄρκε[σε δουλοσύναν], πολλὰ μὲν Αἰτωλοῖσι κ[ακορρέκταιϛ κακὰ ῥ]έξαϛ,   μυρία δ᾽ εὐπώιλωι λυγρὰ [Λακωνίδι γᾶι]. τῶι καὶ νῦμ μ᾽ Ἐπίδαυρο[ς ἀνέστασ᾽. ἀλ]λὰ φύλασσε,   Ζεῦ, τὸν ἀπὸ Σπάρταϛ ἐ[σθλὸν ἔχοντα] κλέοϛ. 2 ἁγ[εμόν᾿ ἐξενέπω] Peek  3  κ [ράτει δορὸϛ οὕνεκα] Peek 5  κ[αθ᾽ὑσμίνην Peek Solange die Sonne [und die Sterne] am großen [Himmelsgewölbe] hin- und her­ gehen, werde ich hier vom lobenswerten [Anführer] der Griechen künden, wenn ich auch ehern bin [und ohne Atem, der einst] der Insel Apis die elende [Knechtschaft] abgewehrt hat, und den [Schlimmes vollbringenden] Aito­lern viel [Schlimmes] angetan hat, unermessliches Leid aber [dem lakonischen Land] mit den schönen Fohlen. Diesem zu Ehren hat mich Epidauros auch jetzt [aufgestellt]. Aber beschütze, Zeus, den Mann, der seinen [edlen] Ruhm an Sparta [erworben hat].

In diesem fragmentarisch erhaltenen Epigramm spricht die Bronzestatue selbst (es handelt sich um ein Reiterstandbild vermutlich Philipps des Fünften von

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Makedonien). In 4–6 berichtet es von den Taten Philipps, durch die er sich der Aufstellung einer Ehrenstatue würdig erwiesen hat (7). Das Gedicht schließt mit dem Wunsch an eine Gottheit, hier Zeus, den Geehrten zu beschützen.165 Bemerkenswert ist der Anfang des Gedichts, der über die Kommunikation mit dem Leser reflektiert. Das Gedicht beginnt mit einer poetischen Ausformulierung des »ἀεί«-Motivs, das seine vielleicht früheste Formulierung im Midas­ epitaph gefunden hat (GVI 1171a, 7./6. Jh. v. Chr., Phrygien? Aiolis?): χαλκῆ παρθένος εἰμί, Μίδου δ᾽ ἐπὶ σήματος ἧμαι. ἔστ᾽ ἂν ὕδωρ τε νάηι καὶ δένδρεα μακρὰ τεθήληι καὶ ποταμοὶ πλήθωσι, περικλύζηι δὲ θάλασσα, ἠέλιοϛ δ᾽ ἀνιὼν φαίνηι λαμπρά τε σελήνη, αὐτοῦ τῆιδε μένουσα πολυκλαύτωι ἐπὶ τύμβωι σημανέω παριοῦσι, Μίδαϛ ὅτι τῇδε τέθαπται. Eine bronzene Jungfrau bin ich, ich sitze auf dem Grab des Midas. Solange das Wasser fließt und die hohen Bäume grünen, und sich die Flüsse füllen, und das Meer um die Küste brandet, solange die Sonne aufgeht und leuchtet und der strahlende Mond, werde ich genau hier bleiben auf dem vielbeweinten Grab und den Passanten anzeigen, dass Midas hier begraben ist.

Ob dieses Epigramm nun tatsächlich im 7. oder 6. Jh. v. Chr. auf Stein gestanden hat oder nicht,166 seit Platon ist es in der griechischen Literatur verbreitet, so dass man von allgemeiner Bekanntheit dieser Verse ausgehen kann.167 In IG IV2,1 590 B erscheint das Unendlichkeitsmotiv variiert,168 die Anlehnung an das Midas-Epigramm ist dennoch deutlich und wird durch χάλκεός εἰμι ~ χαλκῆ παρθένος εἰμί noch unterstrichen. Gleichwohl liegt in der Verwendung von χάλκεος eine Akzentverschiebung vor: Während der Hinweis auf das Material im Midasepigramm wohl (auch) auf die Beständigkeit des Grabmals hinweisen sollte, die dann im ἀεί-Motiv entwickelt wurde,169 ist das Verhältnis in IG IV2,1 590 B konzessiv. Dies muss man wohl auf die Sprachfähigkeit des Denkmals beziehen: Obwohl es aus Erz ist, also

165 Vgl. Leonidas v. Tarent AP 16, 306, 9 f. = HE 2159 f.; ders. AP 16, 307, 7 = HE 2520. 166 Markwald 1986, 83 spricht sich für die Inskription aus. 167 Markwald 1986 zählt 15 Belege in der Literatur; zur abweichenden Verszahl und Anordnung der Verse Markwald 1986, 34–57. 168 Geffcken, der den Bezug zum Midasepitaph wohl als erster festgestellt hat, versuchte ὅσσον ἐπ᾽ ἀέλιός τε μέγ[ας μάνα δέ (?) τ᾽ ἀμ]είβει. Mit der hier gegebenen Ergänzung Wilhelms vgl. IK Kalchedon 21b, 2 αὐδήσει χρόνος αἰὲν, ἕως πόλος ἀστέρας ἕλκῃ; IG XII,3 1348, 1 ἕως πόλου ἄστρ᾽ ἐπιτέλλει. 169 Der Gedanke der Beständigkeit des Materials wird von Simonides angegriffen (PMG 581), allerdings dort in Bezug auf den inskribierten Stein. Zur Frage der Anspielung dieser Passage auf das Midasepitaph s. Markwald 1986, 57–65.

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eigentlich stumm, wird es für alle Zeit von Phillips Ruhm künden.170 Dieser Gegensatz findet sich nun gerade nicht im Midasepitaph, ist aber in der zeitgenössischen literarischen Epigrammatik beliebt, vgl. Poseidipp 63 A.-B., 7 f.: αὐδήσ] οντι δ᾽ ἔοικεν, ὅσωι ποικίλλεται ἤθει, / ἔμψυχ]ος, καίπερ χάλκεος ἐὼν ὁ γέρων (Philitas); Asklepiades AP 16, 120, 3 = HE 1012 αὐδάσοντι δ᾽ ἔοικεν ὁ χάλκεος (Alexander); später Anon. AP 9, 727, 1 καὶ χαλκῆ περ ἐοῦσα λάλησεν ἄν (die Kuh des Myron).171 Die Beispiele zeigen aber auch eine etwas andere Behandlung des Motivs. So liegt in den literarischen Epigrammen der Schwerpunkt auf der Lebensechtheit des Kunstwerks: Obwohl aus Erz, wirkt es so lebendig, dass es gleich zu reden anfangen könnte. Dieses Motiv ist als Topos der Lebensechtheit für die Epigrammatik besonders relevant, da Kunstwerke in einem Epigramm tatsächlich »sprechen« können – insofern die Rede des Gegenstands eine typische epigrammatische Präsentationsform darstellt –, womit in den literarischen Epigrammen gespielt wird.172 In der Inschrift nun scheint das Motiv der Lebensechtheit vernachlässigt, dafür aber der Gedanke der Sprachfähigkeit hervorgehoben, denn das Bildnis »spricht« tatsächlich (ἀγ[γελέω).173 Was in den literarischen Epigrammen als Reflexion über die Möglichkeiten künstlerischer Darstellung begegnet, erscheint in der Inschrift als Bestätigung, die Trägheit des Materials überwinden zu können. Eine solche Rechtfertigung lässt sich wohl nur als Reaktion auf eine vorausgehende Problematisierung inschriftlicher Sprecherrollen begreifen. Was wir hier noch nicht sehen, ist eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Problematik inschriftlichen Sprechens, etwa der Versuch einer Neumotivierung oder Neubegründung der epigrammatischen »Stimme«. Durch den motivischen Rückgriff auf ein weithin bekanntes Epigramm verteidigt das Gedicht die Rede des Gegenstands als legitime Präsentationsform.

170 Pace Dutoit 1936, 43, der hier stattdessen eine Gegenposition zu Simonides’ Kritik an Kleobulos vertreten sieht (also etwa: »Obwohl ich ehern bin (und damit vergänglich), verkünde ich für alle Zeiten…«). 171 Noch deutlicher wird der Verweis auf die literarische Epigrammatik, wenn man καὶ ἄπνοος, die Ergänzung von Geffcken, akzeptiert. Die Vokabel ἄπνοος ist ein Standardbegriff der Kunstwerksbeschreibungen, welche die Lebensechtheit hervorheben, vgl. AP 9, 734; 793; 798; 16, 30; 133; zum weiteren Zusammenhang (πνεῦμα etc.) vgl. Prinz 1926; Bernsdorff 2002. Wie aber die oben angeführten Stellen zeigen, ist χάλκεος zur Bezeichnung des Gegensatzes bereits ausreichend. 172 Z. B. Männlein-Robert 2007b, 256; vgl. auch die Diskussion über Scodels Ergänzung ἄγκειμαι in Poseid. 63 A.-B., 10 (referiert bei Männlein-Robert 2007b, 259 Anm. 42). 173 Das Phänomen, dass Strategien, die im literarischen Epigramm dazu dienen, die Lebensechtheit des Kunstwerks zu betonen, inschriftlich auf die »Lebendigkeit« des redenden Objekts bezogen werden, wird in Kap. IV.2.2. ausführlicher dargestellt.

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3.3.2.2. Sprechende Steine als θαῦμα Eine weitere Möglichkeit, die Ich-Rede gegen die in literarischen Epigrammen geäußerte »Kritik« zu rechtfertigen, liegt darin, die Rede des Denkmals nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit zu präsentieren, sondern darin ein θαῦμα, eine bemerkenswerte Besonderheit zu erkennen. Auf diese Weise vermeiden die Inschriften eine offene Problematisierung der Sprecherrollen nach Art des Kallimachos, erkennen diese aber doch an, indem sie ein bisher allgemein übliches Verfahren als etwas Besonderes, d. h. nicht mehr Selbstverständliches präsentieren. Auch wenn der Begriff des θαῦμα nicht explizit fällt, mag man das Staunen, das den Passanten beim Betrachten des Objekts überkommt, als Weiterführung des schon homerischen θαῦμα ἰδέσθαι-Motivs, das auch in den vorhellenis­ tischen Inschriften bisweilen belegt ist,174 deuten; nur ist es jetzt nicht mehr der optische Reiz, sondern das Sprechen, welches das Staunen verursacht.175 Ein solches Staunen mag man aus folgendem Epigramm heraushören (SGO 16/08/01, Temenuthyrai, undatiert, 1–3): εἰπέ μοι εἰρομένῳ, τίνος εἰκών; – Λουκίου εἰμί.   – στῆσε δὲ τίς σε, φράσεις; – Τημενιδῶν γενεή.   – ἀντὶ δὲ τεῦ, λέξεις; – πανσόφου ἀντ᾽ ἀρετῆς. Sag mir, ich frage dich, wessen Bildnis bist du? – Das des Lukios bin ich. – Wer hat dich aufgestellt, willst du mir das berichten? – Die Familie der Temeniden. – Als Lohn wofür, sagst du es mir? – Für seine überragend kluge Tüchtigkeit.

Das Gedicht setzt zunächst die übliche Dialogform der Inschrift fort, in der das Denkmal auf die Fragen des Passanten antwortet. Dabei setzt dieser bei jeder Frage erneut ein verbum dicendi: Er muss oder will sich offenbar immer wieder vergewissern, dass ihm das Bild auch wirklich antwortet. Hier mischen sich Zweifel und Staunen hinsichtlich der Sprechfähigkeit des Bildes. Dadurch, dass in den Versen 2 und 3 der Sprecherwechsel jeweils in die Mittelzäsur des Pentameters fällt, ergibt sich ein kurzer Moment der Spannung (antwortet es oder nicht?), der dann durch die Antwort des Denkmals aufgelöst wird. Auch im nächsten Beispiel steht das Staunen über die Rede des Denkmals im Vordergrund (Bernand 68, Sakkara, »haute époque impériale« = GVI 1843, 1–6): στῆθι φίλον παρὰ τύμβον, ὁδοιπόρε. – τίς με κελεύει; –   φρουρὸς ἐγώ σε λέων. – αὐτὸς ὁ λαΐνεος; – αὐτός. – φωνήεις πόθεν ἔπλεο; – δαίμονος αὐδῆι 174 CEG 124, Thessalien, 450–425 v. Chr. μνᾶμ[α]… θαυμαστὸν προσιδῆν; CEG 596, Attika, ca. 340–317 v. Chr. μηθεὶς ἀνθρώπων θαυμαζέτω εἰκόνα τήνδε. 175 Vorbereitet scheint das Motiv in Il. 18, 377, wo sich θαῦμα ἰδέσθαι wohl auf die Belebung der Dreifüße des Hephaistos bezieht, die sich von selbst (αὐτόματοι) bewegen.

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  ἀνδρὸς ὑποχθονίου. – τίς γὰρ ὅδ᾽ ἐστὶν ἀνὴρ ἀθανάτοισι θεοῖσι τετιμένος, ὥστε δύνασθαι   καὶ φωνὴν τεύχειν ὧδε λίθωι βροτέην; Bleib an meinem Grab stehen, Wanderer! – Wer befiehlt mir das? – Ich, der Wächter, der Löwe. – Etwa der aus Stein? – Genau der. – Wodurch bist du des Sprechens fähig geworden? – Durch die Stimme eines Daimon, eines Mannes aus der Unterwelt. – Wer ist denn dieser Mann, so von den Göttern geehrt, dass er sogar dem Stein hier eine menschliche Stimme verleihen kann?

Auch dieses Gedicht ist als Dialog gestaltet und beginnt mit der Aufforderung an den Wanderer, am Grab stehenzubleiben; diese an sich schon paradoxe,176 aber dennoch traditionelle177 Situation, dass ein stummes Denkmal den Passanten zum Stehenbleiben auffordert (bevor er überhaupt zu lesen beginnt), wird hier noch weiter ausgekostet: Den Passanten können wir uns wohl als einen arglosen Wanderer vorstellen, der seines Weges geht und zunächst verwundert ist, wer ihn da gerade angesprochen hat – τίς με κελεύει? Auf die Auskunft des Löwen hin fällt sein Blick schließlich auf das steinerne Bild. Ungläubig verweist er auf dessen Materialität: Ein steinerner Löwe, der spricht? Doch das Sprechen des Denkmals erregt nicht nur θαῦμα beim Betrachter; vielmehr wird dessen Sprechfähigkeit gewissermaßen »rationalisiert«:178 Der Tote selbst, der von den Göttern mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet wurde und daher auch als δαίμων bezeichnet wird, verleiht dem Löwen die Stimme. Unabhängig davon, wie einleuchtend dem Betrachter diese Erklärung gewesen sein mag bzw. wie ernst sie gemeint war, lässt sich festhalten, dass die Rede des Denkmals nun als ein grundsätzlich einer Erklärung bedürfendes Problem beschrieben w ­ erden kann.

3.3.3. Erweiterungen der γράμματα λέγοντα-Junktur: Übertreibung und Präzisierung Während im gerade besprochenen Epigramm das Problem des sprechenden Denkmals explizit zum Thema des Gedichts gemacht wurde, lässt sich ein weiteres Verfahren beobachten, welches auf das Sprechen des Objekts eher im­ plizit hinweist, indem es die sprachlichen Ausdrücke, die bisher dafür üblicherweise benutzt wurden, variiert. Diese Variation kann dabei zwei Ziele verfolgen: Zum einen durch Übersteigerung der Metapher das Paradox wieder fühlbar 176 S. Höschele 2010, 112. 177 Z. B. CEG 27; 28; 108. 178 Walsh 1991, 85. Eine ähnliche Rationalisierung in IG XII,8 600 (s. u. S. 178), in der­ allerdings der Tote selbst »über den Tod hinaus« in der Ich-Form auf seiner Inschrift spricht (die Parallele bereits bei Bernand ad 68, 5).

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zu machen (etwa wenn Steine jetzt nicht mehr nur »reden«, sondern »rufen« bzw. »schreien«), zum anderen, die besondere Kommunikationssituation noch exakter zu fassen und so die Eigentümlichkeiten der Lektüre gegenüber dem mündlichen Dialog stärker hervorzuheben. Ein dritter Weg besteht darin, den akustischen Aspekt gänzlich zu tilgen und das Problem der Rede des Steins aufzulösen. Dabei treten diese drei Strategien, wie zu zeigen sein wird, auch gemischt auf. Den Weg der Übersteigerung wählt der Verfasser von SGO 19/07/03, 2–4 (Olba, Kaiserzeit); hier wird der akustische Aspekt inschriftlichen Sprechens in τάφος … γλυπτοῖς γεγωνὼς γράμμασιν sowohl durch die Wahl von γέγωνα »sich durch Rufen hörbar machen« als auch durch die Klangfigur der Alliteration besonders hervorgehoben, gleichzeitig aber durch die Markierung der Materialität der Buchstaben als γλυπτά konterkariert.179 Eine innovative Umschreibung der Lektüre begegnet in folgender Inschrift (Bernand 102, bei Memphis (?), »sans doute basse époque hellénistique« = GVI 1313 = GG 473, 1–3): Στῆθι λάον κατενῶπα τελώριον ἐν τριόδοισι,   ξεῖνε, καὶ εὑρήσεις γράμματι ῥηγνύμενον· ἠὺ δ᾽ ὄπα προχέων στενάχιζέ με κτλ. Bleib vor diesem riesigen Stein am Dreiweg stehen, Fremder, und du wirst herausfinden, wie er durch die Schrift hervorbricht: Lass deutlich deine Stimme hervorfließen und beklage mich …

Es handelt sich um ein Grabepigramm auf eine Kobra, die über der Inschrift im Relief abgebildet ist und die ab Vers 3 selbst das Wort ergreift. In den ersten beiden Versen findet sich offenkundig eine Variation des Topos »Bleib stehen und lies«, doch ist die Bedeutung der Junktur γράμματι ῥηγνύμενον erklärungsbedürftig. Frühere Interpreten waren der Meinung, sie bedeute »von der Inschrift durchfurcht bzw. zerborsten«;180 Peek übersetzt »wie er aus der Inschrift zu reden anhebt«. Auch Bernand fasst ῥήγνυμι als verbum dicendi auf und führt als Parallele für diesen Gebrauch eine Septuagintastelle an (LXX Is. 54, 1 ῥῆξον καὶ βόησον). Die Wendung kann hier mehrere Konnotationen aufrufen; zum einen mag sie zunächst das sich dem Betrachter darbietende Bild des Steins beschreiben, dem Schriftzeichen eingeritzt sind. Doch da diese Bezeichnung für die Inskription sonst nicht belegt zu sein scheint, mag auch eine übertragene Bedeutung 179 Die Bezeichnung der sprechenden Schrift mit γέγωνα begegnete bereits im Rätsel der Sappho (s. o. S. 50 f.), was dort allerdings sachlich durch die großen Entfernungen, die ein Brief überbrücken kann, naheliegender war. 180 LSJ s. v. ῥήγνυμι B4 »scored with lettering«.

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von ῥήγνυμι anklingen. Das Verb bedeutet sonst oft »hervorbrechen« und wird häufig von Wasserströmen gebraucht,181 auch vom Schwall der Tränen.182 Wenn der Passant daher im nächsten Vers aufgefordert wird, seine Stimme hervorfließen zu lassen (προχέων) und die tote Schlange zu beklagen, mag man hier eine Parallele sehen, insofern der Passant ja die Inschrift vorliest: Der Stein »bricht« mit der Inschrift »hervor«, die sich (aus den Furchen?) in die Stimme und Klage des Lesers »ergießt«. Der Übergang zur Metapher vom Fließen der Stimme wird dadurch erleichtert, dass ῥήγνυμι auch als verbum dicendi gebraucht werden kann (wie die Septuagintapassage zeigt). Ausgehend von diesen Beobachtungen kann man vielleicht noch weiter gehen: Es scheint, dass der Ausdruck γράμματι ῥηγνύμενον nicht zuletzt Anschluss sucht an die Redewendung ῥῆξαι φωνήν »mit der Stimme hervorbrechen«, womit unerwartetes und plötzliches Reden nach längerer Stille beschrieben wird. So begegnet sie an zwei berühmten Herodotstellen, zunächst vom stummen Sohn des Kroisos: ὁ δὲ παῖς οὗτος ὁ ἄφωνος, ὡς εἶδε ἐπίοντα τὸν Πέρσην, ὑπὸ δέους τε καὶ κακοῦ ἔρρηξε φωνήν, εἶπε δέ· Ὤνθρωπε, μὴ κτεῖνε Κροῖσον (Hdt. 1, 85, 14–7). Und der Ägypterkönig Psammetich lässt zwei Kinder sprachlos aufwachsen, um zu sehen, ἥντινα φωνὴν ῥήξουσι πρώτην (Hdt. 2, 2, 15) und so zu ermitteln, welches die älteste Sprache sei. Auch bei temporärer Aphasie wird der Moment, an dem die Kranken wieder zu sprechen beginnen, mit ῥῆξαι φωνήν bezeichnet.183 Hier könnte die Junktur, durch den Ersatz von φωνή durch γράμμα, auf die Inschrift umgemünzt worden sein:184 sie bezeichnet jetzt das plötzliche Hervorbrechen der »Stimme« der Inschrift, die lange Zeit stumm bleibt, bis ein Passant vorbeikommt und sie »aktiviert«, sowie das »Sprechen gegen Widerstände«, das bereits in CEG 429 thematisiert wurde.185 181 Beispiele aus LSJ s.v. ῥήγνυμι: ῥήγνυσι πηγὰϛ ὁ χῶροϛ Plut. Mar. 19; εἰ ἐθελήσει ῥήξαϛ ὑπερβῆναι ὁ ποταμόϛ Hdt. 2, 99; κακῶν πέλαγοϛ ἔρρωγεν Aischyl. Pers. 433. 182 Ebd.: δακρύων ῥήξασα … νάματα Soph. Trach. 919; ἔρρωγε παγὰ δακρύων Soph. Trach. 852; allgemein Klage: κλαυθμὸν ῥήξαι Plut. Per. 36. 183 S. die Stellen bei Kühn/Fleischer 1989, s. v. ῥήγνυμι 1b. Der Gebrauch des Mediums (ῥήξασθαι φωνήν) ist literarisch erst später belegt (Paul. Sil. AP 5, 221, 3; Julianos v. Ägypten AP 7, 597, 2; Anon. AP 9, 61, 4). 184 Unter Zuhilfenahme der Vorstellung der Inschrift als »Stimme des Steins« (s. die Beispiele S. 94 Anm. 240). Die Junktur begegnet auch in Bezug auf ein (freilich nicht durch eine Inschrift) »sprechendes« Denkmal, nämlich den Memnon-Koloss (Philostr. Heroic. 26, 6 ἐπειδὰν ἀκτῖνα πρώτην ὁ ἥλιος ἐκβάλῃ, παρ᾽ ἧς τὸ ἄγαλμα φωνὴν ἐκρήγνυσιν ᾗ τοὺς θεραπεύοντας ἀσπάζεται). 185 Vgl. den Gebrauch von lat. prorumpere (OLD s.v. 4b »to burst or break out (into speech)«, auch von Dingen, z. B. Apul. Met. 6, 17 turris prorumpit in vocem subitam; vom Lesevorgang [August.], Princ. dial. [PL 32, Sp. 1410] Omne verbum sonat. Cum enim est in scripto, non verbum, sed verbi signum est. Quippe inspectis a legente litteris, occurrit animo, quod voce prorumpat. »… was sich im Laut äußern soll« (Ruef 1981); vielleicht soll aber durch prorumpat die plötzliche lautliche Realisierung des Geschriebenen bezeichnet werden, womit sich eine gewisse Parallele zu Bernand 102 ergäbe. Vgl. auch Verg. Aen. 2, 126–9 bis quinos silet ille dies …

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Indem der Stein nicht einfach nur »spricht«, sondern die Nachricht (nach längerem Schweigen) »hervorstößt«, hat der Dichter dem Moment der Lektüre eine ungewöhnliche Brisanz verliehen; gleichzeitig haftet dem Ausdruck γράμματι ῥηγνύμενον etwas Rätselhaftes an: Die Rede des Steins erscheint wieder als θαῦμα.186 Die kommunikative Situation ist auch exakter beschrieben als sonst üblich, insofern die spontane Lektüre einer Inschrift, die der Passant zufällig am Straßenrand entdeckt, etwas Plötzliches an sich hat; auch das lange Schweigen, das vorausgeht, ist ein realistischer Zug. Dass die Stimme des Steins implizit die Aktivierung durch den Leser voraussetzt (Στῆθι … ξεῖνε, καὶ εὑρήσεις), ließ sich inschriftlich schon vor dem Hellenismus nachweisen. An diesem Beispiel wird ersichtlich, wie komplex der Umgang mit dem Erbe der γράμματα λέγοντα sein kann. Was im Vergleich mit Kallimachos’ Hahn fehlt, ist die destruktive Tendenz: zwar wird der Leser auch hier herausgefordert, über die Besonderheit der kommunikativen Situation nachzudenken, aber dies geht dabei nicht zu Lasten der Verlässlichkeit der Nachricht des Steins oder der Kommunikation schlechthin. Im Vordergrund steht die Betonung der Besonderheit und des Außergewöhnlichen, das die Inschrift zu leisten vermag. Eine augenfällige Form der Übersteigerung des sprechenden Objekts ist das »rufende« oder »schreiende« Objekt, das sich als Motiv in mehreren Epi­ grammen findet. Dass die Schrift »schreien« kann, wenn sie eine besonders aufwühlende (oder selbst als schreiend vorgetragen zu denkende)  Botschaft verkündet, hat sich bereits bei Aischylos und Euripides gezeigt. In den literarischen Epigrammen ist die Rede von rufenden oder schreienden Gräbern, βοῶσι τάφοι (Simonides AP 7, 496, 6 = FGE 981; Arat 12, 129, 2 = HE 761). Im ersten Beispiel geht es um Kenotaphe von Schiffbrüchigen, womit das Schreien der Gräber der Schwere des Schicksals angemessen ist; im zweiten Beispiel rufen die Gräber eine auf sie geschriebene Lieblingsinschrift heraus, Ἀργεῖος Φιλοκλῆς Ἄργει καλός.187 Das Motiv begegnet in einigen hellenistischen und kaiserzeitlichen Inschriften: SGO 08/01/53 (Kyzikos (Smyrna? Peek), 110–90 v. Chr. (Schmidt), 1. Hälfte 2. Jh. v. Chr. (Pfuhl)), 5 f. πέτρος ὅδε ξείνοισι βοάσεται, ὡς ἀίδαλος / ἀσφαλὲς ἀνθρώποις οὐθὲν ἔνειμε Τύχα; GVI 845 (Pantikapaion, 2./1. Jh. v. Chr.), 7 f. στάλα δ᾽ οἵτινές εἰσι κέκραγέ σοι, ὥστε [π]άρερπε, / ξεῖνε, μαθὼν σάφα νῦν vix tandem … rumpit vocem et me destinat arae; hier bezeichnet vocem rumpere weniger das plötzliche Hervorbrechen der Stimme (LSJ. s.v. rumpo 5b) als das Sprechen nach längerem Schweigen und unter Bedrängung (Servius erklärt die Wendung mit silentium rumpere); die Parallele zum Gebrauch von ῥῆξαι φωνήν ist bereits hervorgehoben worden (Austin 1964 a.l.). 186 Das ganze erste Distichon soll beim Betrachter θαῦμα hervorrufen: daher der Verweis auf die Größe des Steins (τελώριον, nach Hesychios eine Variante zu πελώριον), seine Lage am (numinosen) Dreiweg (ἐν τριόδοισι), evtl. auch die Wahl des seltenen κατενῶπα. 187 Um eine Art von Inschrift handelt es sich auch beim Klageruf des Hyakinthos ­(Euphor. Fr. 44 Lightfoot) σὲ μὲν μία φῆμις ἀοιδῶν … εἴαρος ἀντέλλειν τεὰ γράμματα κωκύουσαν.

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γράμματος ἐκ ρονίου; SGO 09/05/90 (Nikaia, wohl Kaiserzeit), 2–4 γράματα καὶ θαλάμαι, ἀΰσατε τὸν πολύκλαυστον. In einem Beispiel wird das Rufen mit der Stummheit des Steins kontrastiert (GVI 1994a, Parion, 2.  Jh. n. Chr., 1 f.) κωφὴ μὲν λίθος εἰμί, βοῶ δ᾽ ὑπὸ γράμμασι τοῖσδε / σοί, παροδεῖτα, μαθεῖν ὅντιν᾽ ἔχω λαγόσι.188 Die Steigerung des »stummen Sprechens« zum »stummen Rufen« oder sogar zum »stummen Schreien« hebt das Pathos der Inschrift, zum einen, weil die Steine so nicht mehr nur als Vermittler der Nachricht, sondern selbst als Beteiligte erscheinen, die aus Betroffenheit über das Schicksal Klagerufe erheben, zum anderen, weil der Kontrast zur (Todes-)Stille des Steins besonders wirkungsvoll hervortritt.189 Geradezu ein Spiel mit inschriftlichen Konventionen treibt die rufende Stele der folgenden Inschrift (Bernand 60, Hermonthis, »pars antérieur au milieu du IVe siècle« = GVI 1635, 1–3): πρίν σε λέγειν· ὦ τύμβε, τίς ἢ τίνος ἐνθάδε κεῖται;   ἡ στήλη βοάᾳ πᾶσι παρερχομένοις· σῶμα μὲν ἐνθάδε κεῖται κτλ. Bevor du sagst »Grabmal, wer oder wessen Sohn liegt hier?«, ruft die Stele allen Vorübergehenden zu: »Hier liegt der Leichnam…«

Wie schon in Bernand 102 wird hier Brisanz suggeriert: Die Stele wartet nicht, bis der Passant stehen bleibt und die konventionellen Fragen nach Name und Vatersname gestellt hat,190 sondern sie ruft ihre Nachricht den vorbeigehenden Passanten laut zu – offenbar ist die Nachricht so dringend, dass auf einlei 188 Die Wendung ὑπὸ γράμμασι ist mehrdeutig: Bei räumlicher Auffassung der Präpo­ sition könnte das Paradox gemildert sein: der Stein ruft »unter der Oberfläche« der Inschrift, also gewissermaßen innerlich. Doch kann ὑπό mit dem Dativ auch die »mitwirkende Ur­ sache« (Kühner/Gerth I 524) bezeichnen bzw. als Umschreibung für den bloßen Dativ dienen (s. LSJ s. v. ὑπό B a. E.), so dass ebenso ausgesagt sein könnte, dass der Stein »unter Mitwirkung« bzw. »auf Veranlassung« der Buchstaben ruft. 189 Eine bemerkenswerte Variation des Motivs finden wir in einer byzantinischen Bauinschrift (IK Herakleia Pontike 39, 13. Jh. n. Chr.) ἂν οἱ λίθοι κράζωσιν ἐκ παροιμίας, πέμψον βοὴν ἄλαλος, ἄψυχος πέρα, τὸν πυργοποιὸν κρά[ζε τὸν κτίσα]ν[τά σ]ε κτλ. Das Sprichwort sind die biblischen Steine, die zum Himmel schreien (Lk. 19, 40; zur jüdischen Tradition der Metapher s. Strack/Billerbeck 1961 a.l.); gleichwohl rekurriert das Epigramm als Steinaufschrift auf den Topos des stummen Sprechens; vgl. Rose 1923, 163. 190 Zur Frage τίς τίνος vgl. IMTL Apollon/Milet 2160 καὶ γνώσῃ τίς ὁ κείμενος ἢ τίνος ἤμην; IMTL Apollon/Milet 2555 μὴ σειγῇ παρόδει, παροδῖτα, ἰδ᾽ ἀνάγνοθι τίς τίνος εἰμί; IvO 225, 8 τίς πόθεν εἶ τίνος εἰπέ; IG IX,2 650 = GVI 1314 τίς τίνος εμί, πυθοῦ; ISCM II 365 εἰ δὲ θέλις γνῶναι, παροδοίπορε, τίς τίνος εἰμί; IG XII,5 307 τίς τίνος εἰπὲ πάτραν; IG XII,7 301 ἢν δ᾽ ἐρέῃ, παροδεῖτα, τίς ἢ τίνος; IMT Olympene 2961 τίς τίνος ἢν εἴρῃ; Marek, Kat. Amastis 38 τίς τίνος ἀμφὶ π[έ]τρῃ κέκ[λ]ι[σα]ι; IK Klaudiupolis 74 εἰ πόθις ῶν, τίς καὶ τίνος κγονός εἰμι; Bernand 5 [πατρ]ίδ᾽ ἐμὴν συνγνοὺς καὶ τίς τίνος εἰμί; Bernand 63 ἁ δέ τοι πέτρος τὸν κατθανόντα σημανεῖ, τίς καὶ τίνος εἰς Ἀίδαν βέβακεν.

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tendes Geplänkel verzichtet werden soll.191 Allerdings fallen hier die reale und die inschriftlich beschriebene Kommunikationssituation auseinander. Denn der Leser stellt ja, wenn er die Inschrift vorliest, zuerst gerade die üblichen Fragen, denen die Stele zuvorkommen wollte, d. h. es ergibt sich letztlich doch eine traditionelle Frage-Antwort-Situation, obwohl diese inhaltlich bestritten wird. Die Eröffnungsverse kommentieren so spielerisch die Möglichkeiten bzw. Beschränkungen der Kommunikation von Leser und Inschrift.192 Eine auffällige Abwandlung des Motivs begegnet in einer hellenistischen Ehren­inschrift (IG VII 336, Oropos, 300–250 BC = SEG 13:341, 1–3; vgl. Ma 2007, 90): ἐπὶ ἱερέως Ὀλυμπίχου· τηλόθεν ἱσταμένωι Διομήδεα χαλκὸς ἀϋτεῖ Ἄνθα ἀ[π]᾽ εὐσήμου κεκριμένον γενεᾶς κτλ. Unter der Priesterschaft des Olympichos: Demjenigen, der fern steht, ruft das Erz den Diomedes zu, den ausgezeichneten aus dem ruhmvollen Geschlecht des­ Anthas …

Hier ist es nicht das Epigramm, sondern der χαλκός, d. h. die eherne Ehren­ statue, die bereits aus der Ferne dem Betrachter »Diomedes« zuruft. Auch hier findet die Kommunikation mit dem Passanten, wie im vorigen Beispiel, bereits vor der eigentlichen Lektüre der Inschrift selbst statt; doch was sich dort als Spiel mit epigraphischen Konventionen erwies, scheint hier insofern motiviert, als der Betrachter schon von Weitem erkennt, dass es sich bei der Statue um niemand anders als den berühmten Diomedes handeln kann, wogegen er die Inschrift erst dann lesen kann, wenn er vor dem Denkmal steht.193 Bemerkenswert ist die Übertragung eines Verbs wie ἀϋτέω auf das Betrachten des Denkmals. Im Zusammenhang gerade mit einem Ehrendenkmal scheint hier der Topos rezipiert, welches Medium (Bild oder Gedicht) besser geeignet ist, das κλέος des Geehrten zu verbreiten. So begegnen bei Pindar explizite und implizite Vergleiche seiner Dichtung mit den Ehrenstatuen, die für einen Sieger errichtet wurden.194 In Nem. 5, 1–5 hebt Pindar die Mobilität 191 Auf die besondere Rolle der Stimme des Grabs in diesem Gedicht hat bereits Agosti 2010, 165 f. hingewiesen, der aber eine andere Deutung dieser Verse (mit abweichender Sprecherverteilung) vorschlägt. 192 Ein noch weitergehendes Spiel mit der konventionellen Eingangsfrage treibt folgendes byzantinische Epigramm (Bess, Inschriftenaufzeichnungen 6–7(2), Ikonion, 13.  Jh. n. Chr.): τίνος τὸ ἔργον, τὸ γράμμα οὐ λέγω· θεὸς γὰρ οἶδεν ὁ ἐρευνῶν καρδίας ἀμήν. Hier weigert sich die Inschrift schlichtweg, den Namen des Stifters preiszugeben. 193 Ma 2007, 91: »… the statues themselves made clear the identity of the subjects, by chos­ing appropriate elements among the visual vocabularies available in the Hellenistic­ period.« 194 Steiner 1993.

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seiner Lieder hervor, die über das Meer reisen und so den Ruhm besser verbreiten können als ein Monument. Im vorliegenden Beispiel ist es nun gerade das Monument, das eine Fernwirkung erzielt. Auch die Verknüpfung von Begriffen des Hörens und Sehens ist pindarisch: mit τηλόθεν χαλκὸς ἀϋτεῖ vgl. Ol. 1, 93 f. τὸ δὲ κλέος τηλόθεν δέδορκε. Der Wettstreit zwischen Denkmal und Gedicht fällt hier einmal zugunsten des Denkmals aus, bei dem es sich um ein signiertes Werk des Xenokrates von Athen handelt.195

3.3.4. Sprechende Steine als Paradox Das Motiv des rufenden Steins impliziert bereits ein Paradoxon, indem es in der Übertreibung gerade dessen tatsächliche Stummheit betont. Von hier aus ist es kein großer Schritt, auf das Paradoxon auch explizit hinzuweisen, so wie es in den literarischen Beispielen bereits Euripides getan hatte (Iph. Taur. 763); seit dem Hellenismus finden wir dieses Motiv auch in den Inschriften selbst.196 Ein in diesem Zusammenhang häufig zitiertes Epigramm197 beschreibt das Reden des Steins folgendermaßen (SGO 05/01/42, Smyrna, 3. Jh. v. Chr. = GVI 1745 = GG 129, 3 f.): … ξεστὰ δὲ πέτρα καθύπερθε ἀγορεύει   [τ]ὸν νέκυν, ἀφθόγγῳ φθεγγόμενα στόματι. Der geglättete Stein darüber kündet vom Toten, redend mit sprachlosem Mund.

In ähnlicher Form begegnet das Paradox in einem kaiserzeitlichen Epigramm auf einen Pantomimen (SGO 09/11/02, Herakleia Pontike, 2./3. Jh. n. Chr., 8–10): [σ]τυγνὰ τροπαῖα βίου, λελυμένα π✴ ηγνυμένων σημεῖα, νεκύων στῆλαι, ῥήματα θανόντων, τοῖς ἀλάλοισι λαλήσατε γράμμασι κτλ. Hassenswerte Siegesdenkmäler über das Leben, gelöste Zeichen der Erstarrten, Stelen der Toten, Worte der Verstorbenen, sprecht mit sprachlosen Buchstaben … (Üb. Merkelbach/Stauber)

195 Zu ihm Schweitzer 1932. Da Xenokrates kunsttheoretische Schriften verfasst hat, mag es nicht unangemessen erscheinen, in einer Inschrift auf einem seiner Werke über die Wirkung von Kunst im Vergleich zu Literatur zu reflektieren. 196 Ein lateinisches Beispiel: CE 53, 1 (Rom, 2.  Hälfte 1.  Jh. v. Chr.) Rogat ut resistas,­ hospes, t[e] hic tacitus lapis, dum ostendit, quod mandavit quoius umbram te[git]: … Hier wird das Paradox der stumm sprechenden Schrift mit dem Hinweis auf den abwesenden Verfasser verknüpft. 197 Meyer 2005, 104–5; Männlein-Robert 2007a, 158.

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In folgendem Epigramm wird das Paradox noch vorausgesetzt, aber aufgelöst (Bernand 27, Sakkarah, »basse époque impériale« = GVI 1887, 7–10): »τίς δ᾽ ὅδ᾽ ἀνήρ;« φήσει τις ὁδειτάων παριόντων, »τίς μάκαρ οὕτως ἐστί, τίς ὄλβιος, ὅν τε σὺ κεύθεις;« τόνδε ἐγὼ σειγῇ τε καὶ οὐ λαλέουσα διδάξω· »Ὠριγένους ἔρνος γλυκερόν, Κάσιος μυροπώλης.« »Wer ist dieser Mann?« wird einer der vorbeigehenden Passanten sagen, »wer ist so selig, so glücklich, den du verbirgst?« – Den werde ich schweigend und ohne zu reden belehren: »Des Origenes lieblicher Spross, Kasios der Salbenverkäufer.«

Der Dialog zwischen Passant und Inschrift wird hier als in der Zukunft stattfindend präsentiert;198 gleichwohl handelt es sich um keinen eigentlichen Dialog, denn im Gegensatz zur Frage des Passanten wird die Antwort der Stele nicht mit einem verbum dicendi eingeleitet; eine Belehrung (διδάξω) kann auch ohne eigentliches Sprechen, nämlich durch die Lektüre, erfolgen. Dass die Lautlosigkeit der Antwort zweimal (σειγῇ, οὐ λαλέουσα) hervorgehoben wird, ist wohl als Polemik gegen das traditionelle Konzept der redenden Stele zu betrachten: Der Verfasser des Gedichts erkennt diese Tradition an, setzt sich aber von ihr ab und korrigiert sie. Entsprechend lesen wir in einem weiteren Epigramm (SEG 35:1427, Side, 3. Jh. n. Chr., Vers 4): στήλη δ᾽ εἴ τι λαλεῖ, σειγῶσα φέρει, τίς ὑπῆρχον Wenn die Stele (überhaupt) etwas sagt, dann vermittelt sie schweigend, wer ich war …

Auch hier wird eine Konzession an die traditionelle Vorstellung der sprechenden Stele gemacht, doch der akustische Aspekt wird durch σειγῶσα φέρει aufgehoben. In den unmittelbar vorausgehenden Versen der Inschrift (1–3) wird Kritik am Mythos vom Seelenflug geäußert; daran anknüpfend, lässt sich auch Vers 4 als rationalistische Kritik an einer überkommenen Redeweise deuten. Eine ironische Umkehrung des »stummen Sprechens« findet sich in einer kaiserzeitlichen Inschrift aus Gallien (SEG 26:1214, Lyon, spätes 2./3. Jh. n. Chr., 1 f.): εἰ γνῶναι ποθέεις ὅστις βροτὸς ἐνθάδε κεῖται, οὐδὲν σειγήσει τάδε γράμματα, πάντα δὲ λέξει· Wenn du erfahren willst, welcher Sterbliche hier liegt, wird dir diese Schrift nichts verschweigen, sondern alles sagen.

198 Weitere Beispiele: IG IX,1 256, 7; SEG 41:1407.

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Die beiden Verse leiten einen 26 Hexameter umfassenden Bericht über das Leben des Toten ein, womit offenbar das Versprechen, nichts zu verschweigen, eingelöst werden soll. C. P. Jones (1978, 338) zieht als Parallele für Vers 2 Bernand 22, 6 heran, γνώσει πάντα σαφῶς γράμμα διερχόμενος. Doch das explizite Bekenntnis, nichts zu verschweigen (oder – was das Griechische auch heißen kann – »überhaupt nicht zu schweigen«) und alles zu sagen, scheint mit dem Motiv der stumm-sprechenden Schrift zu spielen: Diese Inschrift ist überhaupt nicht stumm, sondern überaus redefreudig und redebegabt.

3.3.5. Auflösung des Paradoxes – Verzicht auf Mündlichkeit Den Problematisierungen und Erweiterungen der Rede des Gegenstands steht eine andere Tradition gegenüber, die zwar das Objekt noch als Sprecher auf­ treten lässt, den akustischen Aspekt der Ich-Rede aber dämpft oder ganz beseitigt. Das deutlichste Beispiel dafür ist wohl das eben besprochene Epigramm Bernand 27, das aber noch auf die traditionell sprechende Inschrift zurückverweist. Demgegenüber kann seit dem Hellenismus die Rolle des Passanten als­ Leser stärker betont werden. Ein Hinweis darauf, dass der Passant die Inschrift liest, fand sich bereits in CEG 108, 2 (δεῦρο ἰὸν ἀνάνεμαι), doch blieb dieses frühe Beispiel vereinzelt. Eine ausführliche Beschreibung des Lektürevorgangs bietet folgendes hellenistische Epigramm (Bernand 63, Alexandria, 3./2. Jh. v. Chr. = GVI 1620, 1–5):

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ὁ τύμβος οὐκ ἄσαμος, ἁ δέ τοι πέτρος τὸν κατθανόντα σημανεῖ, τίς καὶ τίνος ἐς Ἀίδαν βέβακεν· ἀλλά μοι σχάσας τὸ νεκραωγόν, ὦ φίλ᾽, ἐν πέδωι γόνυ κολαπτὸν ἄθρει γράμμα διπτύχοις κόραις. Das Grab ist nicht ohne Grabmal,199 der Stein wird dir den Toten bezeichnen, als wer und wessen Sohn er in den Hades ging. Aber beuge mir, Freund, das toten­ geleitende Knie [d. h. das dich zu den Toten / zur Inschrift führt?] auf den Boden und betrachte mit beiden Pupillen die gravierte Inschrift.

Der genauen Beschreibung der Lektüre im zweiten Teil des Gedichts entspricht das Setzen von σημανεῖ statt eines verbum dicendi in Vers 2.200 Zwar wird dem Passanten vom Denkmal201 etwas befohlen, also eine direkte Kommunika 199 Oder auch: »unbedeutend« (Meyer 2005, 106 vermutet ein Spiel mit beiden Bedeu­ tungen). 200 Für σημαίνω vgl. bereits CEG 861 (Knidos, 4. Jh. v. Chr.?), 3 γραφὴ παροῦσα σημανεῖ (mit Meyer 2005, 103 f.). 201 Μοι in Vers 3 könnte sich auf den Stein oder auf den Toten beziehen (für letzteren plädiert Meyer 2005, 106 unter Hinweis auf die Anrede ὦ φίλε, die üblicherweise der Tote spreche; vgl. aber z. B. Bernand, Philae 143, 1 [s. u. S. 101]).

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tion zwischen »sprechendem« Denkmal und Passant hergestellt, gleichzeitig aber der nicht-akustische Aspekt dieser Kommunikation betont, wenn der Passant die Schrift lediglich betrachten soll.202 Überhaupt findet sich jetzt häufig die Aufforderung an den Passanten, die Inschrift zu lesen (z. B. MAMA 10, 152 εἵστασο δὴ ξῖνε καὶ ἀνάγνοθι τοῦτο γράμμα);203 häufig findet sich auch die Aufforderung, etwas zu lernen oder zu erfahren (μάθε oder μάνθανε),204 was keinen mündlichen Dialog voraussetzt. Andererseits kann das Ausblenden des akustischen Aspekts der Schrift auch benutzt werden, um einen rhetorischen Effekt zu erzielen (IScM III 138, Kallatis, 2./3. Jh. n. Chr. = GVI 1279):

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[δ]έρκεο τὴν ἀγέγωνον ἐμέ, ξένε, δέρκεο π[έτραν],   ὡϛ ἐπικώκυτοϛ κεῖμαι ἐπὶ πιλάδι· [οὕνε]κεν ἐν ξείνῃ Διονύσιοϛ ἔφθιτο νούσῳ,   [λείψ]ανα δ᾽ ἐξ σποδιῆϛ ἤλυθεν [ε]ἰϛ το[κέαϛ]. [μήτ]ηρ δ᾽ εἰν οἴκοιϛ αεὶ νέα κωκύουσα   [… …] ποθέει παῖδα καταφθίμενον. Schau mich an, den stummen, Fremder, schau den Stein an, wie ich bejammert auf dem Felsblock liege: Weil Dionysios in der Fremde an einer Krankheit starb, gelangten seine Überreste aus der Asche zu seinen Eltern. Die Mutter schreit im Haus immer wieder von neuem auf, […] ersehnt den verstorbenen Sohn.

Der Stein betont gleich zu Beginn des Gedichts seine Stummheit; dementsprechend ist kein Dialog mit dem Wanderer möglich, dieser soll den Stein lediglich betrachten (δέρκεο). Gleichwohl liegt hier nicht nur eine Aufhebung des traditionellen Metapherngebrauchs vor, denn die äußerliche Stummheit des Steins wird mit der lauten Klage kontrastiert, die über ihm erklingt (ἀγέγωνος gegenüber ἐπικώκυτος) und die in Vers 5 nochmals beschrieben wird, beide Male mit einer Form von κωκύω, einem Wort, das einen schrillen Schrei bezeichnet. So ergibt sich ein pathetischer Kontrast zwischen der äußerlichen Stummheit des

202 Die Umschreibung der Lektüre einer Inschrift als Betrachten der Buchstaben lässt sich epigraphisch nicht vor den Hellenismus zurückverfolgen: Wenn vorher verba videndi gebraucht wurden, bezogen sie sich auf die Ikonographie des Denkmals. Literarisch vgl. etwa Hdt. 5, 59, 1 εἶδον … Καδμήια γράμματα (wo es bezeichnenderweise auf das archaische Aussehen der Buchstaben, nicht den Inhalt der Inschrift ankommt); Alkid. Soph. 28 ἐκ βιβλίου θεωρούμενος. Weitere inschriftliche Beispiele (hellenistisch und später): SGO 16/08/05, 2 γράμματα δ᾽ εἰσάθρησον; IK Prusa ad Olympum 58, 7 βλέπων τάδε γράμματα; Bernand 37, 2 λεύσσων εἰς ξέστης γράμ[ματα; TAM II 356, 4–7 μέχρις ἴδῃς στήλης τὰ προκείμενα γράμματα Μουσῶν; in Bernand 168, 34 bezieht sich καὶ σοφὰ γράμματα πᾶσιν ἀθωπεύτως ἐσορᾶσθαι wohl auf ein Akrostichon. 203 GVI 1994a, 15 f.; SEG 33:1110; GVI 1342, 2 etc.; vorhellenistisch nur in CEG 108. 204 Vorhellenistisch vgl. nur CEG 829, 4 τοῖς παριο]ῦ[σ]ι μαθεῖν, für spätere Beispiele s. u. S. 102 Anm. 274.

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Steins und dem laut beklagten Schicksal des Toten, der noch stärker zum Ausdruck käme, wenn man das Bestehen darauf, dass der Leser den Stein »betrachten« soll, als Aufforderung zum leisen Lesen begreift.205

3.3.6. Steigerung des Paradoxes: Sprechende Steine als Rätsel Eine Weiterentwicklung der Präsentation inschriftlicher Rede sowohl als Paradox als auch als θαῦμα, geradezu eine Verbindung beider Elemente (insofern Rätsel gerne Paradoxa enthalten und θαῦμα bei den Zuhörern hervorrufen), stellt ihre Präsentation in Form eines Rätsels dar; auch dafür gab es in der S­ appho des Antiphanes bereits ein vorhellenistisches Vorbild. Da die Eigenheiten der inschriftlichen Rätsel erst vor dem Hintergrund einer Typik der Rätselepigramme richtig erfasst werden können, soll zunächst ein Überblick über diese gegeben werden. Eine umfassende Sammlung von Rätselepigrammen ist im 14. Buch der Anthologia Palatina erhalten; allerdings sind diese Gedichte entweder anonym überliefert oder werden dem spätantiken Kompilator Metrodoros zugeschrieben.206 Beispiele finden sich aber wohl schon im 3. Jh. v. Chr.207 Dass Rätsel seit dieser Zeit gerade in Epigrammform gestellt wurden, war in verschiedener Hinsicht naheliegend. Ein Rätsel ist eine im Allgemeinen kurze und pointierte Beschreibung eines Gegenstands; sowohl Kürze als auch Pointierung sind typische Eigenschaften des Epigramms von Anbeginn.208 Seinen gesellschaftlichen Sitz hat das Rätsel vor allem im Symposium, wo es auch im elegischen Distichon auf 205 Explizite Zeugnisse zum leisen Lesen in den Inschriften sind selten: SEG 33:1110 (Kaisareia Hadrianopolis, 252/3 n. Chr.) σιγῇ πνεύσας ἀνάγνωθι; IGUR III 1336, C1.1,7 εὐφήμου καὶ λέξον ἀπὸ στόματος τόδε μοῦνον. Meyer 2005, 115 weist noch auf εὐφήμως ἀνάλεξαι hin (GVI 1342, 2). 206 Weitere Rätselepigramme sind in Anth. App. VII gesammelt. Die im Folgenden besprochenen Epigramme aus AP 14 sind alle anonym überliefert. 207 So könnte es sich bei Philitas Fr. 8 Lightfoot um ein Rätsel handeln (s. Bing 1986, ­222–226; Spanoudakis 2002, 320 f. plädiert dagegen für eine book-inscription); das auf einem Papyrus des 2.  Jh. v. Chr. überlieferte Rätsel auf eine Auster (SH 983) stammt noch aus dem 3. Jh. (s. Parsons 1977, 12, der die Nähe zum Epigramm betont). Zur Entwicklung des γριφῶδες in der griechischen Literatur vgl. auch Wilamowitz 1924 II, 150 ff. 208 Zur Kürze als gemeinsamem Kennzeichen von Rätsel und Epigramm s. Lausberg 1982, 359; vgl. auch die Bemerkungen von Ohlert 1912, 169 f.: »Das Epigramm ist mit dem Rätsel insofern verwandt, als es ursprünglich die wesentlichen Merkmale eines dem Auge sich darbietenden Gegenstandes zusammenstellt, freilich der Art, daß sich seine Merkmale möglichst schnell zu einem anschaulichen Bilde zusammenschließen, während das Rätsel mit Vorliebe solche Eigenschaften nennt, die einander zu widersprechen scheinen, damit in dem entworfenen Bilde sich immer wieder unerwartet eine Lücke zeigt. Zahlreiche Epigramme könnten als Rätsel gelten, wenn man ihnen die Überschrift nimmt, zahlreiche Rätsel als Epigramme, wenn man die Aufforderung zum Raten entfernt.« Kirstein 2008, 470–1 meint, dass sich mit der Spannung beim Stellen des Rätsels und der Entspannung beim Auflösen »Erwartung« und »Aufschluss« des Epigramms (im Sinne Lessings) vergleichen ließen.

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gegeben wurde;209 dort wurden auch Epigramme rezitiert.210 Als formale Entsprechung kann das Phänomen gelten, dass der zu erratende Gegenstand oft in der 1. Person spricht211 und so dem sprechenden Objekt der epigrammatischen Tradition entspricht. Entscheidend scheint dabei auch, dass die »Verlebendigung« des Objekts, die sich im Epigramm ja zunächst auf die bloße Fähigkeit zur Ich-Rede beschränkte und erst im Hellenismus zu einer »Beseelung« des Objekts im Sinne einer Zuschreibung von rationalem Denken und Emotionen erweitert wurde, im Rätsel schon von alters her in einer viel entwickelteren Form vorlag: der Vergleich des zu erratenden Gegenstands mit einem Lebewesen, sei es Tier oder Mensch, ist ein hervorstechendes Element vieler Rätsel.212 Hier sei nur ein Beispiel ge­ geben, das neben der »Beseelung« auch die Ich-Rede und den Einsatz von Paradoxa aufweist (AP 14, 41): Μητέρ᾽ ἐμὴν τίκτω καὶ τίκτομαι· εἰμὶ δὲ ταύτης   ἄλλοτε μὲν μείζων, ἄλλοτε μειοτέρη. Ich gebäre meine Mutter und werde von ihr geboren. Ich bin manchmal größer, manchmal kleiner als sie. (Lösung: Tag und Nacht)

Man kann also sagen, dass, während von vornherein eine Affinität zwischen Epigramm und Rätsel besteht, sich das hellenistische Epigramm in seiner Eigentümlichkeit dem Rätsel noch weiter annähert. 3.3.6.1. Das »Schrifträtsel« im literarischen Epigramm Unter den auf uns gekommenen Rätseln finden sich nicht wenige, die sich auf verschiedene Art dem Phänomen der Schrift widmen: Buchstabenrätsel,­ Akrosticha, auch die Technopaignien gehören hierher. Während diese Rätsel allerdings zunächst auf das Äußerliche der Schrift abzielen, beschäftigt sich eine andere Gruppe mit der Fähigkeit der Schrift, eine Nachricht zu verkünden. Diese Rätsel weisen dabei solche Ähnlichkeiten auf, dass sie kaum unabhängig 209 Z. B. das unten (S. 100 Anm. 263) zitierte Theognis-Rätsel; zum Sitz im Symposium vgl. West 1974, 17 Anm. 26; Lausberg 1982, 358 f.; Collins 2004, 127–134. 210 Reitzenstein 1893, 87–192; Wilamowitz 1924 I, 120; Cameron 1995, 71–103; Gutz­ willer 1998, 21 f.; vgl. Giangrande 1968. 211 M. L. West, Riddles, OCD3 1317; s. auch die Beispiele unten. 212 Die Personifikation als Rätselelement wird in Aristoteles’ Definition des Rätsels (Poet. 1458a26–30) nicht erwähnt, wohl weil sie nicht auf alle Rätsel zutrifft; er spricht lediglich von μεταφορά. Doch zweifellos handelt es sich hierbei um ein typisches Element vieler überlieferter Rätsel, auch im interkulturellen Vergleich (s. die zahlreichen Beispiele für diese Form, oft auch in der Ich-Form, in englischen Rätseln bei Taylor 1951, Kap. I – IV).

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voneinander entstanden sein können, sondern am besten als Varianten eines Rätseltypus aufgefasst werden; dieser soll hier »Schrifträtsel« genannt werden. Bereits das Rätsel aus der Sappho des Antiphanes (S. 50 f.) zählt hierzu. Ein weiterer Vertreter ist folgendes Epigramm aus der Anthologie (AP 14, 60): Ὕλη μέν με τέκεν, καινούργησεν δὲ σίδηρος·   εἰμὶ δὲ Μουσάων μυστικὸν ἐκδοχίον· κλειομένη σιγῶ· λαλέω δ᾽, ὅταν ἐκπετάσῃς με,   κοινωνὸν τὸν Ἄρη μοῦνον ἔχουσα λόγων. Holz hat mich geboren, das Eisen hat mich neu geschaffen: Ich bin der Musen mystisches Gefäß. Geschlossen schweige ich, ich rede, wenn du mich ausbreitest, und habe den Ares allein als Gefährten meiner Worte.

Es spricht die Schreibtafel, die aus Holz besteht und mit eisernen Werk­zeugen geformt wurde; ähnlich wie in Antiphanes’ Sappho der Brief als Kinder die Buchstaben in sich trug, nimmt die Schreibtafel die Musen in sich auf, womit einfach die Buchstaben, vielleicht auch Verse gemeint sein können. Wenn sie geschlossen ist, kann man sie nicht lesen, aber geöffnet »spricht« sie zum Leser. Mit Ares, der bereits bei Homer metonymisch für das Eisen bzw. die Waffe steht,213 ist der metallene Schreibgriffel gemeint.214 Die in Vers 3 benutzte Anspielung auf das Paradoxon des stummen Sprechens,215 das überhaupt in Rätseln beliebt war,216 lässt sich auf das epigrammatische Paradox der Rede des Gegenstands beziehen, ebenso wie im folgenden Rätsel (AP 14, 45):217 213 Σ ad Il. 5, 289; Mader, LfrgE s.v. Ἄρηϛ 2c. 214 Wie aus einer unten zu besprechenden Variante des Rätsels erhellt, liegt die Gemeinsamkeit zwischen Ares und dem Schreibgriffel nicht nur im Material, sondern auch in den »Verwundungen«, die der Griffel dem Tafelwachs zufügt. Eine zusätzliche Verständnisebene wird durch den Ausdruck μυστικὸν ἐκδοχίον eröffnet, womit sich die Tafel als eine Art cista mystica bezeichnet. Dazu passt die Geheimhaltung/das Schweigen, solange sie geschlossen ist (κλειομένη σιγῶ greift wohl die etymologische Rückführung von μυστήρια auf μύω auf [»(die Augen, den Mund) schließen«, »schweigen«]); alleiniger Mitwisser ihrer Nachricht ist Ares (der, da er sonst nicht mit Mysterien verbunden wird, als ἀπροσδόκητον erscheint). Was vorher verschwiegen wurde, »enthüllt« die cista, wenn man sie öffnet. Darf man auch im Gegensatz von τέκεν und καινούργησεν eine Art mystische Neugeburt erkennen? 215 Zu Paradoxa als Mittel des Rätsels vgl. die Definition bei Aristoteles (Poet. 1458a26 f.) αἰνίγματός τε γὰρ ἰδέα αὕτη ἐστί, τὸ λέγοντα ὑπάρχοντα ἀδύνατα συνάψαι. Pütz 2003, 253 ff. verweist außerdem auf Tryphonius’ Kategorie der προβλήματα κατ᾽ ἐναντίον (Tryphonius RHG 3, 193 f.). 216 Den Beispielen in Hunter 1983, 201 (ad Eubulos Fr. 107, 1) kann hinzugefügt werden Anth. App. 7, 45 (XL), 4 καλοῦμεν οὐκ ἀνοίγουσαι στόμα. 217 Die Kombination von zwei Hexametern und einem Pentameter ist für ein litera­ risches Rätsel unüblich; vielleicht ist nach Vers 1 ein Pentameter ausgefallen. Falls keine­ lacuna vorliegt, mag man eine Nähe zu »populärer« Dichtung vermuten, da wir solche unregelmäßigen Wechsel in Inschriften öfter finden.

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Εἰμὶ μέλας, λευκός, ξανθὸς ξηρός τε καὶ ὑγρός· εὖτε δὲ δουρατέων πεδίων ὕπερ ἐντανύσῃς με,   Ἄρεϊ καὶ παλάμῃ φθέγγομαι οὐ λαλέων. Ich bin schwarz, weiß, braun, trocken und feucht. Wenn du mich über hölzernen Ebenen einspannst, dann töne ich durch Ares und die Hand, ohne zu sprechen.

Hier wird das Wachs der Schreibtafel beschrieben, das aus schwarzem Harz und weißem Wachs zusammengemischt wird, also letztlich von bräunlicher Farbe ist; das scheinbare Gegensatzpaar »trocken – feucht« spielt mit der Bedeutung von ὑγρός, das auch »flüssig« oder »geschmeidig« heißen kann; beschrieben wird also die Konsistenz des Wachses bei unterschiedlichen Temperaturen. Die Polysemie von ἐντανύω trägt zur Irreführung des Lesers bei. Die Grundbedeutung von ἐντανύω ist »einspannen, fest anspannen«, meist von der Bogensehne gebraucht, an die man in Verbindung mit Holz, Ἄρει und φθέγγομαι οὐ λαλέων auch denken mag.218 Die hier wohl gemeinte Bedeutung ist aber »(das Wachs in den Holzrahmen) passend einfügen« (s. LSJ s. v. ἐντείνω V). Durch das Führen des Griffels mit der Hand schließlich entsteht die stumm-sprechende Schrift.219 Ein weiteres Gedicht der Anthologie ist kein Rätsel, bei dem ein Gegenstand zu erraten wäre, macht aber deutliche Anleihen beim Schrifträtsel (Anon. AP 9, 162 = FGE 1340–5):220

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ἤμην ἀχρεῖον κάλαμος φύτον· ἐκ γὰρ ἐμεῖο   οὐ σῦκ᾽, οὐ μῆλον φύεται, οὐ σταφυλή· ἀλλά μ᾽ ἀνὴρ ἐμύησ᾽  Ἑλικώνια λεπτὰ τορήσας   χείλεα καὶ στεινὸν ῥοῦν ὀχετευσάμενος. ἐκ δὲ τοῦ εὖτε πίοιμι μέλαν ποτόν, ἔνθεος οἷα   πᾶν ἔπος ἀφθέγκτῳ τῷδε λαλῶ στόματι. Ich, das Rohr, war eine nutzlose Pflanze: Denn an mir wachsen keine Feigen, kein Apfel, keine Traube. Aber ein Mann weihte mich in die Mysterien der Musen ein, indem er mir feine Lippen schnitzte und in mir einen engen Kanal anlegte. Seitdem, wenn ich den schwarzen Trunk trinke, verkünde ich, wie vom Gott besessen, jedes Wort mit diesem sprachlosen Mund.

Der Sprecher kontrastiert in einem Vorher-Nachher-Bild seine ehemals nutzlose Existenz als keine Frucht bringende Pflanze mit seiner neuen Verwendung

218 Zum Klingen des Bogens vgl. Il. 1, 49 δεινὴ δὲ κλαγγὴ γένετ᾽ ἀργυρέοιο βιοῖο. 219 Die Hand begegnet in diesem Zusammenhang auch in folgendem Epigramm auf eine Koronis (hellenistisch), 1 f.: ἐγὼ κορωνίς εἰμι γραμμάτων φύλαξ / κάλαμός μ᾽ ἔγραψε, δεξιὰ χεὶρ καὶ γόνυ. »Der Schreiber hält das Blatt auf seinem Knie während er schreibt, also haben sowohl das Knie als auch das Rohr und die Hand mitgeholfen« (Wifstrand 1933, 468). 220 »Unmistakably Alexandrian, it might be of any date from Antipater of Sidon to Philip« (Page).

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als Schreibwerkzeug.221 Schilf ist zur Ernährung des Menschen nicht zu gebrauchen;222 gleichwohl leistet es, bearbeitet, einen Beitrag zur menschlichen Kultur und Bildung. Die Bearbeitung wird dabei als Initiation in die Mysterien der Musen beschrieben, ähnlich wie in AP 14, 60 die Schreibtafel als Μουσάων μυστικὸν ἐκδόχιον bezeichnet wird.223 Als Myste trinkt der κάλαμος eine schwarze Flüssigkeit, was entsprechend der Analogie des Mysterienkultes dem Enthusiasmos, der Besitznahme des Gottes vom Körper des Mysten, vorausgeht. Man wird so vor allem an Wein denken;224 sensu proprio ist natürlich die Schreibtinte (τὸ μέλαν) gemeint. Bei der Verbindung von Enthusiasmos und anschließendem Sprechen mag man aber auch an eine prophetische Gabe denken; hier mag man sich daran erinnern, dass die Pythia vor der Orakelverkündung heiliges Wasser trank.225 Bemerkenswert an diesem Gedicht ist, dass sich hier Rätselelemente mit poetologischen Aussagen verbinden, insofern das Schreibrohr nicht allgemein als Person, sondern im Speziellen als hellenistischer Dichter erscheint. So erhält es λεπτὰ χείλεα, wobei λεπτά ebenso eine angemessene Bezeichnung für den schmalen Spalt an der Spitze des Rohres darstellt wie es die Feinheit der Dichtung beschreibt, die aus den »Lippen«226 dieser Feder hervorfließt; τορέω mag auf das kallimacheische γράμμα οὐ τορόν anspielen.227 Der »enge Fluss« im Inneren des Rohres228 erinnert an den engen Weg, den Apollon dem Dichter emp-

221 Das Motiv, die Arbeit eines Künstlers oder Handwerkers durch ein Vorher-NachherBild zu verdeutlichen, findet sich öfter: AP 14, 45, 1 καινούργησεν δὲ σίδηρος; Kallim. Fr. 100 Pf., 2 (Götterbild der Hera) ἄξοος ἦσθα σάνις; Prop. 4, 2, 59–63. Vorher-Nachher verbunden mit Nutzlosigkeit: Hor. Sat. 1, 8, 1 (Priapstatue) Olim truncus eram finulcus, inutile lignum. 222 Vgl. hiermit den Topos der nutzlosen Platane (Aesop. Nr.  185; weitere Stellen bei Hehn 1963, 299 f.). 223 Auf die Parallele wurde von Hardie hingewiesen (2004, 12 Anm. 6); vgl. außerdem Julianos v. Ägypten AP 6, 67, 5 f. (ein Schreiber weiht am Ende seines Lebens seine Schreibwerkzeuge dem Hermes) σὺν δ᾽ αὐτοῖς καλάμοισι μέλαν, μυστήρια φωνῆς / ἀνδρομέης. 224 Zur Rolle von Wein als Hilfsmittel zum Enthusiasmos s. Fr. Pfister, Ekstase, RAC 4, 967; Dodds 1960, xiii; dagegen bestreitet etwa A. Henrichs (Dionysus, OCD3 450) eine Verbindung von bakchischer Verzückung und Alkoholgenuss. Zum möglichen Gebrauch von Entheogenen (psychoaktiven Substanzen) in Mysterienkulten s. Luck 2001. 225 Paus. 10, 24, 7. Kornemann (1907, 286 Anm. 1) weist auf Stellen hin, an denen Wasser eine Rauschwirkung zugeschrieben wird. 226 Eine Behandlung der Lippen des Dichters wird in Initiationsszenen beschrieben; vgl. die Initiation Pindars (die Bienen formen Wachs ἁπαλοῖς περὶ χείλεσι Antipater Thess. AP 16, 305, 3 = GPh 489; vgl. Paus. 9, 23, 3). 227 Kallim. Fr. 398 Pf. (das Fragment stammt aus der Vita des Geographen Dionysius Periegetes, dessen Stil wiederum dort (GGM II p. 427 b2 [in Pfeiffers Apparat a.l.]) als τῷ γλαφυρῷ διατορεύων beschrieben wird; vgl. auch Antipater Thess. AP 7, 409, 3 f. = HE 640 f. εἰ τορὸν οὖαϛ ἔλλαχεϛ; Krinagoras AP 9, 545, 1 = GPh 1823 Καλλιμάχου τὸ τορευτὸν ἔποϛ τόδε. 228 Die Abbildungen in Daremberg-Saglio s.v. calamus sind hilfreich.

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fiehlt (εἰ καὶ στεινοτέρην ἐλάσεις Kallim. Fr. 1, 28 Pf.)229 und an das Fließen der Dichtung.230 Die Charakterisierung als Myste schließlich verweist auf den Dichter als Initiand in die Mysterien der Musen;231 insbesondere kann der inspirierende Trunk aus dem Tintenfass als Äquivalent zum Trunk des Dichters aus der Musenquelle erscheinen. In diesem Zusammenhang ist relevant, dass die Initiationsszene in 3 f. auf ein homerisches Gleichnis anzuspielen scheint, in dem die Verfolgung Achills durch den Flussgott Skamander beschrieben wird (Il. 21, 257–62): ὡς δ᾽ ὅτ᾽ ἀνὴρ ὀχετηγὸς ἀπὸ κρήνης μελανύδρου ἂμ φυτὰ καὶ κήπους ὕδατι ῥόον ἡγεμονεύῃ χερσὶ μάκελλαν ἔχων, ἀμάρης ἐξ ἔχματα βάλλων· τοῦ μέν τε προρέοντος ὑπὸ ψηφῖδες ἅπασαι ὀχλεῦνται· τὸ δέ τ᾽ ὦκα κατειβόμενον κελαρύζει χώρῳ ἔνι προαλεῖ, φθάνει δέ τε καὶ τὸν ἄγοντα. Wie wenn ein Kanäle grabender Mann von einer Quelle, die mit schwarzem Wasser fließt, zu den Pflanzen und Gärten für das Wasser einen Lauf anlegt, in den Händen eine Hacke haltend, und aus dem Kanal die Sperren entfernt; und vom vorwärtsfließenden Wasser werden alle Kieselsteine weggetragen; es selbst aber, rasch überflutend, murmelt auf dem abschüssigen Land, und überholt sogar den, der es lenkt.

Zu vergleichen ist: ἀνήρ (jeweils in der gleichen sedes), ὀχετευσάμενος /  ὀχετηγός, μέλαν ποτόν / μελανύδρου, ῥοῦν / ῥόον; dass der Ackerbauer den Kanal ἂμ φύτα leitet, der Handwerker den Kanal im ἀχρεῖον κάλαμος φύτον anlegt, mag eine weitere Parallele sein. Diese Anspielung auf das homerische Gleichnis weist einerseits darauf hin, dass dieses selbst bereits eine »Miniaturisierung« der epischen Szene darstellt, insofern der Skamander mit einem Bewässerungsbach verglichen wird; so weist das Epigramm auf seine eigene formale Miniaturisierung gegenüber dem Epos hin. Andererseits erinnert das mächtige Dahinströmen des Skamander an die poetologische Metapher vom Epos als reißendem Strom,232 von dem sich der Fluss des dem hellenistischen Dichtungsideal verpflichteten κάλαμος pointiert absetzt. Der Bezug auf das homerische Wasserbau-Gleichnis legt es zudem nahe, in dem μέλας ποτός, den der κάλαμος trinkt, auf poetologischer Ebene das­ 229 Da der κάλαμος vermenschlicht gedacht ist, mag man mit der in seinem Innern angelegten Enge auch Prop. 2, 1, 40 intonat angusto pectore Callimachus vergleichen (zur Re­ferenz auf den Aitienprolog dort s. Hollis 2006, 110 f.). 230 Belege bei Nünlist 1998, 178–205. 231 Zu diesem Topos vgl. S. 305 Anm. 20. 232 Vgl. S. 325 Anm. 92.

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Wasser, also den Inspirationstrunk hellenistischer Dichter, zu erkennen.233 Dies liegt schon sachlich nahe, da Tinte mit Wasser angemischt wird. Dass nicht nur Wein,234 sondern auch Wasser einen Enthusiasmos bewirken kann, legt neben dem Beispiel der Pythia auch ein Epigramm nahe, in dem ein auf einem Mischkrug sitzender Frosch die Wassertrinker als μανίην σώφρονα μαινόμενοι bezeichnet (Antigonos AP 9, 406, 6 = GPh 72).235 Diese Aussage lässt sich dabei auf zwei Arten verstehen: Sie kann ein Adynaton bezeichnen und den Wassertrinkern so jede μανία absprechen, aber ebenso darauf anspielen, dass auch die Wassertrinker eine Art göttlicher Erfülltheit für sich in Anspruch nehmen. Letz­ teres scheint Asklepiades oder Archias AP 9, 64, 5 = HE 1022 zu bestätigen, in dem Hesiods Trunk aus der Musenquelle als ἔνθεον ὕδωρ bezeichnet wird.236 Auffällig ist im letzten Vers das Deiktikon τῷδε, das suggeriert, das Schreibrohr stehe dem Betrachter vor Augen. Vielleicht ist das Epigramm daher, nach Art eines Xenions, als Begleittext zum Geschenk eines Schreibrohrs zu denken.237 Das Deiktikon scheint darüber hinaus zu suggerieren, dass das Epigramm selbst vom »Mund« des Rohres geschrieben wurde. So weist das Gedicht schließlich, neben der Charakterisierung des κάλαμος als hellenistischer Dichter, auch auf seine eigene Kunstfertigkeit als Produkt dieses κάλαμος hin. In der Präsentation schriftlicher Rede als Rätsel liegt eine besondere Form der Problematisierung dieser Metapher: Ein Rätsel lädt den Leser wie vielleicht keine andere literarische Darstellungsform dazu ein, gerade durch die Ver­ fremdung des Gegenstands über dessen Eigentümlichkeiten, d. h. im Fall des Schrifträtsels über die Möglichkeiten und Grenzen schriftlicher Kommunikation im Vergleich zur mündlichen nachzudenken und ihre Besonderheiten abzuwägen; das Schrifträtsel setzt so die Reihe von Zeugnissen wie Platons ­Phaidros oder Alkidamas’ Rede über die Sophisten fort, welche diesen Unterschied reflektieren. Dabei liegt das Neue nicht darin, dass diese Fragen über 233 Die Wendung μέλας ποτός für sich kann sich sowohl auf Wein als auch auf Wasser beziehen; μέλας ist als homerisches Epithet für Wein und für (Quell-)Wasser gebräuchlich; ποτός wird laut LSJ s.v. »especially of wine« gebraucht, kann aber auch für Wasser benutzt werden. 234 Zur vorhellenistischen Tradition des dichterischen Enthusiasmos, z. T. durch Weinkonsum bewirkt, vgl. Fr. Pfister, Ekstase, RAC 4, 977 (mit Stellen); Fantuzzi/Hunter 2004, 1 f. Im Frühhellenismus begegnet Weingenuss als Inspiration zu dichterischer λεπτότης bei­ Hedylus HE 1853–6 (vgl. HE 1857–62). Ob dort bereits eine antikallimacheische Position zum Ausdruck kommt (so Kambylis 1965, 121), ist zweifelhaft (Crowther 1979, 5; Knox 1985, 115; Asper 1997, 133 Anm. 118). 235 Vgl. dagegen (im erotischen Kontext) Anon. AP 12, 115, 1 = HE 3668 ἄκρητον μανίην ἔπιον. 236 Vgl. Dodds Hinweis (1960, xiii), dass Bakchantinnen statt Wein auch Wasser trinken. 237 Für ein solches Xenion s. Krinagoras AP 6, 227 = GPh 1781–6; für solche Ähnlichkeiten zwischen einem Gedicht und dem in ihm beschriebenen Gegenstand vgl. auch Hopkinson 1988, 176 (zu Theokr. Id. 28): »the distaff, like The Distaff, is in fact precious, highly wrought and exotic in appearance.«

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haupt in Rätselform gestellt werden – diese Tradition ließ sich ja bis in die Mittlere Komödie zurückverfolgen –, sondern dass sie im Epigramm gestellt werden, also in der Gattung, die von Anbeginn an zwischen (fingierter) Mündlichkeit und Schriftlichkeit steht. In einem Epigramm gestellt, erhält das Schrifträtsel so eine besondere Pointe. Dazu kommt, dass das Schrifträtsel, soll es wirklich ein Rätsel sein, zwangsläufig vom Gegenstand, den es beschreibt, getrennt sein muss, ebenso wie alle anderen Rätselepigramme, die sich als Aufschrift geben. Die Ablösung des Epigramms vom Primärträger ermöglicht es in diesen Fällen überhaupt erst, diesen zum Gegenstand eines Rätsels zu machen.238 Umso bemerkenswerter ist es, dass ein epigrammatisches Schrifträtsel auf einer Wachstafel inskribiert gefunden wurde (Pack2 1765): ἄψυχος γεγαυῖα βροτείαν ἔνδοθεν αὐδὰν   βωστ[ρέω] σὺν Μουσέων φθεγγομένα στόματι. τὰν δ᾽ εἰ δὴ τρωθεῖσα [σι]δηρίωι ἐντετύπωμαι   [ἀγ]γέλλω θνατοῖς κοὔποτε ἔχουσι πάρος. Leblos geboren, rufe ich eine in mir enthaltene menschliche Stimme aus, tönend mit dem Mund der Musen. Wenn mir diese als eine Verwundung durch das Eisen eingeprägt ist, verkünde ich sie den Sterblichen, auch wenn diese sie bisher nicht hatten.

Im ersten Distichon kontrastiert der Sprecher seine »seelenlose« Entstehung mit seinem jetzigen Zustand, in dem er eine menschliche Stimme besitzt,239 wobei »Stimme« als Metapher für die Inschrift auf der Tafel auch sonst bisweilen belegt ist;240 der Hinweis auf die Musen bezieht sich wohl auf die metrische Form der Rede. Im dritten Vers wird die Gravur des Wachses als »Verletzung« durch eine eiserne Waffe beschrieben;241 sowohl die Musen als auch (implizit) die Verletzung des Eisens sind uns bereits in den obenstehenden Varianten begegnet. Die Pointe des Schlussverses ist vielleicht durch Textverderbnis entstellt.242 238 Vgl. das Verfahren, das der spätantike Autor Symphosius anwendet: Er verfasst Epigramme nach Art von Martials Xenia und Apophoreta, ohne jedoch den Gegenstand zu nennen, wodurch sie zum Rätsel werden (s. Lausberg 1982, 358). 239 Das Paradox begegnet auch außerhalb des Rätsels, vgl. Ephraem Syrus, Sermo asceticus S. 157 Phrantzoles ὁ ἄψυχος χάρτης διὰ γραμμάτων κράζων. 240 Vgl. CEG 429, 1 αὐδὴ τεχνήεσσα λίθο; AP 6, 269, 2 = FGE 673 φωνὴν ἀκαμάταν; Bernand 68, 6 καὶ φωνὴν τεύχειν ὧδε λίθωι βροτέην. 241 Da die zu erratenden Dinge oft als Personen erscheinen, werden mechanische Einwirkungen bisweilen als »Verwundungen« beschrieben, z. B. Anth. App. 7, 53 (XLVIII) σίδηρος ἐκτέμνει λίαν (Fingernagel). 242 »Die Schlußpointe ist matt ›auch denen, welche die Kunde vorher nicht hatten‹« (Diels 1898, 858). Man erwartet ein weiteres Paradox, etwa »den Menschen, auch wenn sie weit weg sind« o. Ä. Hans Bernsdorff (mündl. Mitteilung) erwägt ἔχουσα✴ »die Kunde, die ich früher [i. e. vor der Inskribierung] nicht hatte« (wobei der εἰ-Satz iterativ gedeutet werden

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Das Rätsel, das die δέλτος zur Lösung hat, ist ebendieser δέλτος eingeschrieben; es ist so auf elegante Weise »gelöst«, indem auf die Lösung hingewiesen wird, ohne sie explizit auszubuchstabieren. Eine gewisse Parallele bieten die Technopaignien, in denen die Form des Gedichts schon einen Hinweis auf den (oft schwer verständlichen) Inhalt gibt. Wie diese, nimmt dieses Beispiel eine kuriose Zwischenstellung zwischen Stein- und Buchepigramm ein: Inhaltlich knüpft das Gedicht an literarische Rätselepigramme an, welche die Ablösung des Epigramms von ihrem materiellen Träger voraussetzen; doch gleich­zeitig steht es wie ein Steinepigramm auf ebendiesem Träger. Durch die so ent­stehende Spannung wird letztlich die Frage »Aufschrift oder nicht?« aufgeworfen; mag man dann hierin einen selbstreferentiellen Kommentar auf das proprium der Gattung Epigramm erkennen. 3.3.6.2. Das »Schrifträtsel« in den Versinschriften Eine Variante des Schrifträtsels ist nun auch auf dem Stein belegt, in der folgenden kaiserzeitlichen, auf einer Stele angebrachten Inschrift (SGO 11/13/01, Sebastupolis im Pontos, etwa 3. Jh. n. Chr. = GVI 1184 = Kaibel 402):

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Γαῖά με τίκτεν ἄφωνον ἐν οὔρεσι{ν} παρθέν[ο]ν ἁγνήν, ἡσύχιον τὸ πάροιθε{ν}, νῦν αὖ λαλέο[υ]σαν ἅπασιν· σμιλιγλύφοις τέχνεσι κῆρ᾽ εἰποῦσα θανόντος· ἐνθάδε Μάξιμον γραμματικῆς ἐπιίστορα τέχνης, ἀνέρα σεμνὸν Γῆ [μ]ήτηρ ἐκάλυψε θανόντ[α·] γνῶντοϛ δὴ τέρμα β[ίοιο. 6 Hemistichum om. lapicida Die Erde gebar mich, eine stumme, keusche Jungfrau, in den Bergen; still war ich früher, nun aber spreche ich zu allen; durch die Steinmetzkunst verkünde ich das Los des Toten. Den Maximus, den Lehrer der Grammatik, einen frommen Mann, verbarg die Mutter Erde hier im Tod. […] der das Ende des Lebens erkannte (?)

Das Epigramm besteht aus sechs Hexametern; in den ersten dreien stellt sich eine Sprecherin als »keusche Jungfrau« vor, die in den folgenden zwei Versen Namen und Beruf des Toten nennt; das Gedicht schließt mit einer Maxime über die Begrenztheit der menschlichen Existenz.243

könnte); Di Marco 2009 schlägt die Lesung [ἀν]τέλλω vor: »io quella (voce) la faccio spuntare ai mortali anche se prima non l’avevano = faccio parlare anche i muti« (zur Idee der Schreibtafel als Stimme für die Stummen vgl. Antonius Diogenes PSI 177, auf den Di Marco nicht hinweist. Diese Lösung scheint aber dennoch zu voraussetzungsreich.) 243 Peek ergänzte γνντς δὴ τέρμα βίο[ιο. Vgl. IK Klaudiupolis 15, 10 f. Παῦλος τοῦ Παύλου γνοὺς τὸ τέλος καμάτου; IMT Olympene 2726, 3 γνῶθι τέλος βιότου· διὸ παῖζε τρυφῶν ἐπὶ κόσμῳ.

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Die Bezeichnung »keusche Jungfrau« in Vers 1 hat Verständnisprobleme bereitet: sie ist nicht, wie früher geschehen, wörtlich zu nehmen,244 sondern ist eine Umschreibung für den Stein selbst.245 Gleichwohl ist noch nicht darauf hingewiesen worden, dass die Inschrift in Form eines Rätsels verfasst ist. So ist die Beschreibung von Gegenständen oder Konzepten mittels Personifikationen und Genealogien ein beliebtes Mittel des Rätsels. Im Rätsel der Sappho waren mit ἔστι φύσις θήλεια βρέφη σῴζουσ᾽ ὑπὸ κόλποις der Brief und die Buchstaben gemeint. Viele der Rätsel in AP 14 haben diese Form, z. B. das bereits genannte AP 14, 41 Μητέρ᾽ ἐμὴν τίκτω καὶ τίκτομαι. Speziell mit der Junktur γαῖά με τίκτεν…ἐν οὔρεσι vergleicht sich AP 14, 61 οὔρεσι μὲν γενόμην, δένδρον δέ μοι ἔπλετο μήτηρ, und in AP 14, 60 ὕλη μέν με τέκεν findet sich dieser Topos bereits auf die Schreibtafel angewendet.246 Zur Rätseltopik gehört weiterhin gerade die Bezeichnung als παρθένος, die durch die Parallele des Midasepigramms nur teilweise erklärt wird (dort verweist χαλκῆ παρθένος doch wohl auf eine über dem Grab aufgestellte weibliche Figur, ist also sensu proprio gebraucht),247 denn der zu erratende Gegenstand wird häufiger als Jungfrau beschrieben, z. B. AP 14, 42 παρθένος εἰμὶ γυνή, καὶ παρθένου εἰμὶ γυναικός, / καὶ κατ᾽ ἔτος τίκτω παρθένος οὖσα γυνή. In AP 14, 109 bezeichnet παρθένος das Auge des Kyklopen, indem es für κόρη (in der Bedeutung »Pupille«) eintritt. Die Junktur ἁγνὴ παρθένος begegnet auch in einem Rätsel der Neuen Komödie (Antiph. Fr. 55 K.-A., 9) ἁγνῆς παρθένου Δηοῦς κόρης. Hier ist mit der »keuschen, jungfräulichen Tochter der Demeter« nicht etwa Persephone, sondern das Mehl gemeint. Vielleicht soll die Junktur in SGO 11/13/01 nicht mehr bedeuten, als dass der Stein, der ja leblos ist, sich nicht vermehren kann, oder bezeichnet einfach nur ein (grammatisch) weibliches Wesen, wie κόρα λευκή für die Schneeflocke in einem bei Diodor überlieferten pythischen Orakel (22, 9, 5).248 Auch die Beschreibung eines Vorher-NachherKontrasts wie in Vers 2 (ἄφωνον – λαλέουσαν) ist im Rätsel beliebt.249 244 Broughton (zitiert nach Mitford 1991, 223) »the mountain maiden who boasts of gaining a Greek education«; Guen-Pollet 1989, 72 »On pourrait envisager l’hypothèses que Ἡσύχιον était le nom propre de la jeune fille.« 245 So bereits Kirchhoff apud Kaibel; Rose 1923, 163 vergleicht das Midas-Epigramm (χαλκῆ παρθένος εἰμί). 246 Zur (bereits homerischen) Elternschaft von Naturgewalten im Rahmen der Allegorese vgl. Most 1993. 247 Vgl. aber Bing 1995, 118 f. 248 S. Ohlert 1912, 142 f. Eine Verbindung von Stein und Mensch ist über den Mythos von Deukalion und Pyrrha zwar belegt (auch im Rätsel, s. u. S. 112), scheint hier aber wohl weniger naheliegend. 249 Als Parallele für das Motiv »früher stumm, jetzt sprechend« vgl. das lettische Rätsel bei Ohlert 1912, 131 »Als ich dem Leben noch angehörte, / vermochte ich keine Stimme von mir zu geben; / als (mein) Leben zu Ende war, / begann meine Stimme zu tönen.« (Lösung: Das Bockshorn). Der Gegensatz von »der Natur nach stumm – durch die Kunst sprechend«

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Die Bezüge zum Schrifträtsel sind deutlich: Unmittelbar vergleicht sich der Gegensatz von Sprechen und Schweigen sowie der Kontrast zwischen einem unbearbeiteten Vorher und einem bearbeiteten Nachher. Das Rätsel, dessen Lösung die Stele ist, ist auf ebendieser inskribiert. Das epigrammatische Schrifträtsel, eine literarische Form, die gleichwohl mit der Möglichkeit ihrer eigenen Inskription spielt, ist zur echten Aufschrift geworden. Gleichwohl geht der Verfasser der Inschrift (Maximus selbst?) über die bloße Übernahme des Schrifträtsels hinaus, indem er es mit dem gerade inschriftlich zu beobachtenden Topos der Entsprechung zwischen Totem und Denkmal verbindet,250 was dem Gedicht eine formale und inhaltliche Geschlossenheit verleiht: Während in Vers 1 die Erde wie eine Mutter den Grabstein »zur Welt bringt«, ist es im letzten Vers die »Mutter Erde«,251 die Maximus vor der Welt »verbirgt«, ihn wieder in sich aufnimmt; hier wird ein Epitaphstopos252 mit dem Rätselmotiv der Verwandtschaftsbeziehung verknüpft.253 Die Verse 1 und 5 ergeben dabei einen Chiasmus (Γαῖά με τίκτεν … παρθέν[ο]ν ἁγνήν / ἀνέρα σεμνὸν Γῆ [μ]ήτηρ ἐκάλυψε). Während die Stele stumm zur Welt kam und das Sprechen erst »lernen« musste, ist – wie man implizit wohl ergänzen darf – der Lehrer, von Berufs wegen im Leben ein Vielredner, im Tod nun verstummt. Auch stehen sich σμιλιγλύφοις τέχνεσι und γραμματικῆς ἐπιίστορα τέχνης gegenüber: Die Stele lernt dadurch, dass ein durchkomponiertes Epigramm auf ihr eingraviert ist, nicht nur die Buchstaben, sondern das gewählte Sprechen und erweist sich so als ein gelehriger Schüler des Grammatikos Maximus. Vielleicht ist die Entscheidung, ein Rätsel, dessen Lösung traditionell die Schreibtafel war, auf den Stein zu schreiben, ebenso im Hinblick auf den Beruf des Toten gefallen.254 Es ergibt sich so eine (in kuriosem, aber nicht ungewöhnlichem Gegensatz zur mangelhaften metrisch-syntaktischen Komposition des (vgl. σμιλιγλύφοις τέχνεσι) wird von Kallistratos in Bezug auf den Memnon-Koloss hervorgehoben (Ekphr. 9, 2): καὶ ἡ μὲν φύσις τὴν λίθων γένεσιν ἄφθογγον παρήγαγε καὶ κωφὴν καὶ μήτε ὑπὸ λύπης ἐθέλουσαν διοικεῖσθαι μήτε εἰδυῖαν ἡσθῆναι, ἀλλὰ καὶ πάσαις τύχαις ἄτρωτον, ἐκείνῳ δὲ τῷ Μέμνονος λίθῳ καὶ ἡδονὴν παρέδωκεν ἡ τέχνη καὶ πέτραν ἀνέμιξεν ἀλγεινῷ, καὶ μόνην ταύτην ἐπιστάμεθα τὴν τέχνην νοήματα τῷ λίθῳ καὶ φωνὴν ἐνθεῖσαν. 250 Zu diesem Topos s. u. S. 299 mit Anm. 216. 251 Zum Motiv der »Mutter Erde« vgl. Merkelbach/Stauber a.l., die darauf hinweisen, dass das Motiv nicht sehr verbreitet ist (vgl. aber Anm. 253) – die Erde als Stiefmutter begegnet bei Julianos v. Ägypten AP 9, 398, 3. 252 Die Wendung γαῖα κεύθει / καλύπτει ist häufig belegt (einige Beispiele in Peres 2003, Index s.v. καλύπτω). 253 Es ergibt sich dann eine Variation des Motivs ἐκ γαίης βλάστων γαῖα πάλιν γέγονα (s. Peres 2003, 72–75). Auch Plinius (NH 2, 154) spricht von der Mutter Erde als Schöpferin und Ruhestätte menschlichen Lebens und weist dabei auch darauf hin, dass sie die Grabmäler und Inschriften trägt. 254 Wenn Diels (1898, 857) zu Recht vermutet, das Epigramm auf der δέλτος (Pack2 1765) sei eine Schulübung, reflektiert die Inschrift möglicherweise auch eine Aufgabe, die Maximus seinen Schülern bisweilen gestellt hat.

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Gedichts stehende255) kunstvolle zyklische Struktur: Die Geburt des »stummen« Steines aus der Erde, seine »Ausbildung« zum Redner, der einen (schriftlich konzipierten) Text »vorträgt«; dann der Wechsel der Perspektive hin zum Toten, der einst selbst diesen Prozess durchlaufen hatte und nun andere darin unterwies, schließlich sein Verstummen im Tod und sein Verschwinden in der Erde. Zu diesem Überblick über einen ganzen Lebenslauf fügt sich die Schlussmaxime, wohl eine Ermahnung an den Passanten, das Ende (oder das Ziel) des Lebens zu erkennen. Anleihen bei der Rätselform scheint folgende Einleitung eines hellenistischen Epigramms zu machen (SGO 05/01/50, Smyrna, 2.  Jh. v. Chr. = GVI 1179 = GG 216, 1 f.): ἁ λάλος ἐν ζωοῖσι τὰ μὴ ζώοντα παρ᾽ ἀστοῖς   Φάμα καρύσσω μουσοεπεῖ στόματι· Ich, die unter den Lebenden sprechende Fama, verkünde das Nicht-Lebende unter den Bürgern mit Musen-sprechendem Mund: …

In der Inschrift tritt die personifizierte Fama auf, welche die nachstehende Botschaft unter den Bürgern verkündet;256 sie selbst hält sich in der Öffentlichkeit, bei den lebenden Menschen auf, verkündet aber eine »tote« Nachricht, i. e. eine Nachricht über die Toten. In dieser Abgrenzung tritt zum einen ihre Unvergänglichkeit hervor: Zwar mögen die beiden Kinder, auf die sich die Inschrift bezieht, tot sein, ihre Fama aber ist unsterblich.257 Zum anderen (und damit verbunden) ist das Grabepigramm »in aller Munde«, es erklingt und hat so die »natürliche« Beschränkung einer Inschrift, die auf dem Stein fixiert ist und nur zu dem spricht, »der sie befragt«, überwunden.258 Vor diesem Hintergrund ist die Bemerkung in Merkelbach/Stauber zu prüfen, dass mit τὰ μὴ ζώοντα die »toten Buchstaben« gemeint seien. Diese Metapher geht in der Tat auf antike Vorstellungen zurück: Bereits Platon hatte die Schrift mit Bildern verglichen und als »nur scheinbar lebend« charakterisiert (ἕστηκε μὲν ὡς ζῶντα 275d6); Alkidamas vergleicht die schriftlichen Reden mit Statuen und hebt die »Lebendigkeit« der mündlichen Rede hervor (λόγος ὁ μὲν ἀπ᾽ αὐτῆς τῆς διάνοιας ἐν τῷ παραυτίκα λεγόμενος ἔμψυχός ἐστι καὶ ζῇ Soph. 255 Syntaktisch ist εἰποῦσα schwierig: Merkelbach/Stauber a.l. erwägen »Partizip statt Prädikat«, doch kann man auch einen »Nominativus absolutus« annehmen (s. Havers 1928, 126 f.). 256 Appel (1988, 133) vergleicht mit der λάλος Φάμα die fama loquax (Ov. Pont. 2, 9, 9). 257 Vgl. Hes. Erg. 763 f. φήμη δ᾽ οὔ τις πάμπαν ἀπόλλυται, ἥντινα πολλοὶ / λαοὶ φημίξουσι· θεός νύ τίς ἐστι καὶ αὐτή. 258 Dass die Fama den Wortlaut der folgenden Inschrift verkündet, scheint auch wegen μουσοεπεῖ στόματι, das auf die metrische Form verweist, nahezuliegen (so bereits Le Bris 2001, 154)

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28). An letztere Vorstellung knüpft auch der Topos vom Dichter oder Toten an, der in den Mündern der Leser zum Leben erwacht (s. u. Kap. III.2.2.4.). Die Vorstellung der toten Schrift wiederum findet sich bei den (wie Platon schriftkritischen) Pythagoreern. In einem stobäischen Exzerpt des Pseudo-Archytas περὶ νόμου καὶ δικαιοσύνης (Stob. 4, 1, 135 S. 82 Hense) findet sich die Bemerkung νόμων δὲ ὁ μὲν ἔμψυχος βασιλεύς, ὁ δὲ ἄψυχος γράμμα, und Plutarch (Num. 22, 3) erzählt, wie Numa Pompilius – ganz im Stil eines Pythagoreers – seine Schriften mit sich begraben ließ, ὡς οὐ καλῶς ἐν ἀψύχοις γράμμασι φρουρουμένων τῶν ἀπορρήτων. Der neuplatonische Platon-Kommentator Hermias benutzt die Wendung mehrfach zur Erläuterung von Platons Schriftkritik (ad Phaidr. 275c; 275d; 276a), und auch bei Basilius von Cäsarea ist sie belegt (Epist. 9, 3; 94, 1; 212, 2).259 Vielleicht ist es daher nicht ganz fernliegend, mit Merkelbach/Stauber unter τὰ μὴ ζώοντα die ἄψυχα γράμματα zu verstehen, welche die Fama verkündet. Das Paradox würde so nicht nur den »lebendigen« Ruhm der Toten, sondern auch die »lebendige«, mündliche Verbreitung der »toten« Inschrift zum Ausdruck bringen und dann vor allem an das auf der Wachstafel erhaltene Schrift­ rätsel anknüpfen, in dem sich die Schreibtafel selbst als ἄψυχος bezeichnet, was wiederum mit ihrer menschlichen, also lebendigen Stimme kontrastiert wird. Die zweite Pentameterhälfte, μουσοεπεῖ στόματι, ähnelt dabei dem Pentameter in Pack2 1765, 2 σὺν Μουσέων φθεγγομένα στόματι.260 Sollte diese Interpretation zutreffen, können wir konstatieren: im Hellenismus haben nicht nur die Musen das Schreiben, sondern hat auch die Göttin Fama das Lesen gelernt: Zwar bewohnt sie weiterhin ihr angestammtes Habitat bei den »lebenden Menschen«, wirkt also in der mündlichen Kommunikation, aber sie stützt sich bei der Verbreitung von Nachrichten auf schriftliche Dokumente. Gleichzeitig wäre aber auch eine Umwertung der pythagoreischen bzw. platonischen Schriftkritik erkennbar: Die schriftliche Rede mag zwar an sich tot sein, aber sie kann durch den Leser gleichsam wieder in eine lebendige Rede verwandelt werden.261 Angesichts der Vorliebe der Rätselform für Paradoxa ist zu fragen, ob nicht auch die Junktur ἀφθόγγῳ φθεγγόμενα στόματι des bereits genannten Epigramms SGO 05/01/42 Anleihen beim Rätsel macht.262 Darauf könnte die Er 259 Zum Nachleben der Junktur vor allem seit ca. 1800 s. Göttert 2002 (besonders eindringlich Herders Formulierung »die toten Buchstaben, die sie [die Juden] hinmaleten, waren nur der Leichnam, der lesend mit Lebensgeist beseelt werden mußte« [zitiert nach Göttert 2002, 95]). 260 Die Parallele bereits bei Diels 1898, 858 Anm. 1. 261 Zur Rezeption des Motivs der »Verlebendigung« durch Lektüre in der Moderne s. A. Assmann 1998. 262 So bereits Hunter 1983, 201. Bereits Geffcken 217 vergleicht SGO 05/01/50 mit SGO 05/01/42.

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wähnung des στόμα hindeuten, das der Stein sensu proprio ja nicht besitzt. Insbesondere wird die Beschreibung eines »sprachlosen Mundes« gerne im Rätsel eingesetzt263 und ist, wie wir gesehen haben, auch im Schrifträtsel beliebt; für letzteren Zusammenhang sprechen auch die lexikalischen Ähnlichkeiten der jeweiligen Pentameterschlüsse:264 mit ἀφθόγγῳ φθεγγόμενα στόματι vgl. καρύσσω μουσοεπεῖ στόματι, σὺν Μουσέων φθεγγομένα στόματι, ἀφθέγκτῳ τῷδε λαλῶ στόματι. Der mit der Tradition des Schrifträtsels vertraute Leser mag hier einen Bezug erkannt haben. Nur noch ein Reflex des Schrifträtsels findet sich in einer kaiserzeitlichen Inschrift (IG IX,12, 5 1886 = GVI 1298, Halai, Lokris, 2. Jh. n. Chr. oder später, 1 f.): κωφῆς ἐκ πέτρης λόγον ἔμπνουν δέξαι, ὁδῖτα,   βαιὸν ἐπιστήσας ἴχνος ὁδοιπορίης· ἐνθάδ᾽ ἐγὼ κεῖμαι κτλ. Vernimm, Wanderer, vom stummen Stein die lebendige Rede, unterbrich kurz den Weg deiner Reise: Hier liege ich …

Die Formulierung des ersten Verses erscheint als eine Zuspitzung traditioneller Vorstellungen: zum einen steht der λόγος auf dem stummen Stein, d. h. es wird das Motiv der Schrift als stummes Sprechen aufgegriffen; zum anderen wird aber der Kontrast zwischen dem »toten« Stein265 und der »lebendigen« Rede betont, was wohl den Gegensatz zwischen Schrift und mündlicher Rede aufgreift.266 Ähnlich wie in SGO 05/01/50 wird der Tote durch den viva voce sprechenden Leser wieder zum Leben erweckt, mit der besonderen Pointe, dass der Tote im Folgenden in der Ich-Form das Wort ergreift; es handelt es sich also tatsächlich um einen »(ver)lebendigen(den)« Logos. Hiermit vergleichen sich Formulierungen wie CIL XI 627, 3 f. audi / Lingua tua vivum mitique tua voce loquentem und AL2 721 Vivere post obitum vatem vis nosse, viator? / Quod legis, ecce loquor: vox tua nempe mea est.267 263 Ath. 10, 457b = Theogn. 1230 f.: ἤδη γάρ με κέκληκε θαλάσσιος οἴκαδε νεκρός, /  τεθνηκὼς ζῳῷ φθεγγόμενος στόματι (Muscheltrompete); an ein Rätsel erinnern die Beschreibungen in Simias AP 7, 193, 4 = HE 3275 τερπνὰ δι᾽ ἀγλώσσου φθεγγομένα στόματος (Heuschrecke); Antiphilos AP 7, 641, 1 f. = GPh 883 f.) σῆμα δυωδεκάμοιρον ἀφεγγέος ἠελίοιο, / τοσσάκις ἀγλώσσῳ φθεγγόμενον στόματι (Wasseruhr); Anon. AP 5, 135, 1 f. = HE 3092 f. Στρογγύλη, εὐτόρνευτε, μονούατε, μακροτράχηλε, / ὑψαύχην στεινῷ φθεγγομένη στόματι (Weinkrug). 264 Auf die Ähnlichkeit der Formulierungen hat z. T. bereits Diels 1898, 858 Anm. 1 hingewiesen. 265 Zur Bedeutung von κωφός (stumm, aber auch unempfindlich, stumpf) vgl. S. 135. 266 Ἔμπνουν ist wohl proleptisch gebraucht, »die Rede, die lebendig wird, wenn du sie hörst (i. e. laut liest)«. 267 Vgl. Agosti 2010, 166 (zu IG IX,12 5 1886 = GVI 1298) »la performance della lettura perpetua la vita del defunto«. Agosti vergleicht auch bereits AL2 721.

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3.3.6.3. Elemente des Schrifträtsels in epigraphischen Figurengedichten Einige Inschriften enthalten Figurenrätsel in Form von Akrosticha.268 Die äußere Rätselform bleibt dabei i. d. R. ohne inhaltliche Entsprechung im Epigramm selbst; zwar wird der Leser in den meisten Fällen explizit auf das Vorhandensein einer Akrostichis hingewiesen,269 doch die Epigramme haben ansonsten nichts Rätselhaftes an sich. Hierin unterscheiden sie sich von einigen der ihnen nahestehenden Figurengedichte, die schon durch ihre Form vorgeben, auf dem so abgebildeten Gegenstand inskribiert zu sein, und sich z. T. durch eine schwer verständliche, von Rätselelementen durchsetzte Sprache auszeichnen (so die Syrinx, der Altar des Dosiadas und der des Besantinos).270 In zwei akrostichischen Inschriften finden wir allerdings auch inhaltliche Rätselelemente (Bernand, Philae 143, 7 v. Chr., 1–4): κἀμ[ὲ] τὸν εὐτέχνου φωτὸϛ στίχον, ὦ φίλε, βῆμα   τίμιον ἀμπαύσαϛ ἔγμαθε καὶ χάρισαι λιταῖϛ ἱστορίαιϛ λιτὸν πόνον, οἷα πέπαιγμαι   οὐ κένα, μηνύων οὗπερ ἔφυν γενέτου· Auch mich, den Vers eines kunstbewanderten Mannes, mein Freund, erfahre genau, dich von deiner werten Reise erholend, und vergilt den bescheidenen Berichten eine kleine Mühe, da ich kein leeres Spiel treibe, sondern mitteile, von welchem Vater ich abstamme.

Der λιτὸς πόνος, der hier dem Wanderer abverlangt wird, ist die Erkenntnis der Akrostichis,271 die den Namen des Verfassers, Katilios, nennt. Freilich wird er bereits durch πέπαιγμαι auf den spielerischen Charakter des Gedichts als παίγνιον hingewiesen272 und am Ende des Gedichts durch den Schlussvers ρος 268 Zu Akrosticha s. Ohlert 1912, 235–8; Luz 2010, 1–77 (in Inschriften 33–47); Garulli 2013. 269 GVI 261, 12 ἐκ [δ]ὲ ἀκροστιχίδος γνῶθι τὸ σῆμα τίνος; GVI 1185, 12 [ἐξ ἀκροστιχί]-­ δος λαϊνέας; Bernand 168, 36 [εἴκοσι] καὶ δυσὶ τοῖς γράμμασι πειθόμενος; GVI 1610, 8 ἴσθι καὶ εὑρήσεις ἐντὸς ἀκροστιχίδ[ος. Vgl. Garulli 2013, 269. 270 Zu den Technopaignien Luz 2010; Kwapisz 2013; zur Syrinx s. S. 111–7. 271 Neben dem Akrostichon findet sich hier eine ungewöhnliche Kombination von Akround Telostichon: »a syllabic acrostich spells out Κα-τι-λί-ου τοῦ καὶ Νι-κά-νο-ροϛ; the same result is achieved by reading the first and last letters of each of the 16 lines Κ-α-τ-ι-λ-ί-ο-υ τ-οῦ κ-αὶ Ν-ι-κ-ά-ν-ο-ρ-οϛ« (Courtney 1990, 6). 272 Luz 2010, 45 sieht in der Verbindung von εὐτέχνου und πέπαιγμαι einen Vorläufer des in der Antike nur bei Ausonius belegten Begriffs τεχνοπαίγνιον. Gerade die Beziehung zu Ausonius könnte m. E. noch enger gefasst werden: Bei den Technopaignien des Ausonius (MGH 5,2 S. 132–9) handelt es sich um hexametrische Verse, die auf einsilbige Worte enden. Im ersten Gedicht der Sammlung wird das letzte Wort eines Verses zu Beginn des folgenden wiederholt (z. B. 1 f. Res hominum fragiles alit et regit et perimit fors, / fors dubia etc.). Diese Verbindung von Versbeginn und Versschluss ähnelt der Verknüpfung von Akro- und Telo-

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κατάλοιπον ἔχω· τοῦτο γάρ ἐστι τέλος (10) auf das Akrostichon gestoßen.273 Die übliche Aufforderung an den Wanderer »bleib stehen, lies (und geh weiter)« ist hier abgewandelt zu einem »mach eine (längere) Pause und erforsche dieses Gedicht genau«, reflektiert also den größeren Zeit- und intellektuellen Aufwand, der für die Beschäftigung mit dieser Inschrift notwendig ist. Indem der στίχος selbst in der 1. Person spricht, charakterisiert er sich auch als zu erratenden Gegenstand, was insofern zutrifft, als er ja selbst die Akrostichis enthält. Eine Verbindung der Rede der Inschrift und der Rede des zu erratenden Gegenstands stellt die Junktur με … ἔγμαθε dar, die zunächst den inschriftlich verbreiteten Imperativ μάνθανε/μάθε aufgreift, »erfahre (den Inhalt dieser Inschrift)«.274 Gleichzeitig knüpft die Junktur an die Aufforderung des Rätsels an, es zu lösen.275 Die Bezeichnung des Autors der Inschrift als Vater (γενέτης) entspricht wieder der Strategie des Rätsels, sachliche Beziehungen durch Verwandtschaftsbeziehungen auszudrücken.276 In diesem Gedicht reflektiert also die inhaltliche Beschreibung den Rätselcharakter der Akrostichis, gibt aber selbst kein neues Rätsel auf. Im nächsten Beispiel dagegen weist ein Begleittext zu einem Figurenrätsel auch inhaltlich deutliche Züge des Rätselhaften auf und greift insbesondere auch Elemente des Schrifträtsels auf. Es handelt sich um die »Stele des Moschion«, ein kaiserzeitliches Monument aus Ägypten, das ein gewisser Moschion dem Osiris aus Dank für die Heilung seines kranken Fußes gestiftet hat. Eben diese Information wird allerdings nicht direkt gegeben, sondern ist in einem »Kreuzwort­labyrinth«277, einem Gitterquadrat mit eingelegtem Buchstabenrätsel, verschlüsselt. Moschion kommentiert das Gebilde wiederum in mehreren (griechischen und demotischen) Epigrammen, von denen eines wiederum eine Parastichis (d. h. eine Akrostichis, bei der die Anfangsbuchstaben jedes Verses der Deutlichkeit halber nochmals vor die Zeile gesetzt sind) enthält. Das zweite Epigramm, das sich als einleitende Erklärung lesen lässt, sei hier ausgeschrieben (Bernand 108 Nr. II, Sakha, 2. Jh. n. Chr.):

stichon in der Inschrift. Ausonius (MGH 5,2 S. 132) erläutert den Begriff in einer Vorrede so: libello technopaegnii nomen dedi, ne aut ludum laboranti aut artem crederes defuisse ludenti, stellt also neben ars/τέχνη und ludus/παίγνιον noch den labor (vgl. im Gedicht πόνος). 273 Das kein sinnvolles Wort ergebende ρος gibt den Hinweis; zu τέλος als letztem Wort eines Epigramms vgl. S. 333; hier ist der Gebrauch besonders pointiert, da er wohl auch auf das Telostichon hinweist. 274 Z. B. IG V,2 327, 8 ταῦτα μαθν, ξένε; TAM III 847, 4–6 χαίροις, [ὦ] παροδεῖτα, μαθὼν δέ, τίς εἰμι, πορεύου; SEG 35:1406, 17 ταῦτα μαθών; IGUR III 1239, 6 μαθὼν ἄπιθι; vgl. auch SEG 14:847; 17; GVI 1151, 19. 275 Vgl. νόει με Or. Sib. 1, 141; Anth. App. 7, 54 (XLIX), 5; Solve me Petron. 58. 276 Die Vorstellung des Autors als Vater eines Schriftstücks fand sich allerdings schon bei Platon: τοῦ πατρὸς ἀεὶ δεῖται βοηθοῦ (s. o. S. 58). 277 Der Begriff nach Ernst 1991, z. B. 393.

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Τί με τὴν ἀΰπνοιϛ φροντίσιν εὕδουσαν ἐγείρων σκύλλειϛ, ἀνερευνᾶν ἐθέλων, ὡϛ περίεργον κοὐχ ἁπλῆν ἔχουσαν κανόνων εὔθετον ὄψιν; ὁ γὰρ εὐσεβίην καὶ τὸ καλῶϛ ἔχον προτιμῶν χαριτήσιον ὧν προέπαθεν ἀναθεὶϛ θεῶι με Μοσχίων μερίμνηϛ ἀγαθῆϛ ἔδωκε πεῖραν, οὐ παχεῖ λόγωι πλάσαϛ τι, γυμνάσαϛ δ᾽ ἑαυτὸν κἀμὲ καταπόνησαϛ συνέπεισεν ἡσυχάζειν. κοὐ μόνον παραστιχίδι με τοῖϛ μαθεῖν θέλουσιν ἐνεφάνισε, πανούργωϛ ὑποθεὶϛ δ᾽ ἔποϛ τι καινὸν χειραγωγίηι διάφορον, εἰδὼϛ ὅτι τοὺϛ μὲν ἀγκύλην ἔχονταϛ διάνοιαν ἐπιμελῶϛ δεῖ μισθὸν ἀμαθίηϛ λαβόνταϛ ὀψέ ποτε φρονῆσαι τοὺϛ δ᾽ ἐπὶ σοφίηι κριθένταϛ ἀνεπίτακτον ἕξειν παράκλησιν, ἵν᾽ ἐκ κλύδωνοϛ ἠρεμεῖν μ᾽ ἀφῶσιν. συνιέντι θέλω λέγειν τι, συνιέντι δὲ μηδὲν μὴ μάτην με κόπτειν, ἑτέροιϛ τόπον δὲ δοῦναι. Ἀνάθημα γὰρ εὐχῆϛ θεὸϛ ἡδέωϛ δέδορκεν. Warum weckst und belästigst du mich, die ich mit schlaflosen Gedanken schlafe, mich erforschen wollend, weil ich keinen schlichten, sondern einen über die Maßen wohlgesetzten Anblick gerader Linien biete? Denn derjenige, der Frömmigkeit und Ordnung vorzieht und mich als Dankesgabe für die Dinge, die ihm zuvor zuteil geworden sind, dem Gott geweiht hat, Moschion, hat eine Kostprobe seiner schönen Sorgfalt gegeben. Nicht in dicker Rede verfasste er etwas, sondern er übte sich und arbeitete mich aus und überredete mich, Ruhe zu halten. Und für die­ jenigen, die etwas lernen wollen, hat er mich nicht nur mit einer Parastichis ausgezeichnet, sondern auch, indem er tückisch ein neuartiges Wort auf mir verbarg, das je nachdem, wie man die Hand führt, unterschiedlich ist, im Wissen, dass diejenigen, deren Geist recht verbogen ist, es zwangsläufig, als Lohn für ihren Un­ verstand, erst spät begreifen werden, dass aber die in der Weisheit Ausgezeichneten unaufgefordert meine Bitte erfüllen werden, mich aus hohem Seegang (bald) in die Ruhe zu entlassen. Dem Verständigen will ich etwas mitteilen, dem, der nichts versteht – der soll mich nicht vergeblich belästigen, sondern anderen den Vortritt lassen. Denn der Gott hat dieses Weihgeschenk für die Erfüllung eines Gebets mit freundlichem Blick angeschaut.

Das Gedicht imaginiert zu Beginn (1–3) eine Dialogsituation zwischen Wanderer und Denkmal, auch wenn dieses Denkmal über die Neugier des Passanten zunächst alles andere als erfreut ist. Dann erklärt die Stele, dass sie ein Weihgeschenk sei und sich auf ihr ausgefeilte Proben von Moschions Intellekt finden (4–8), nämlich eine Parastichis und ein »Kreuzwortlabyrinth«, das als Neuigkeit präsentiert wird (9–11). Es folgt eine Unterscheidung der Passanten in Ver­ständige und Unverständige; letztere sollen ihres Weges ziehen (11–17); der Gott jedenfalls hat das anspruchsvolle Geschenk gern angenommen (18). Das Epigramm eröffnet mit dem paradoxen (und rätselhaften) Ausdruck

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ἀΰπνοις φροντίσιν εὕδουσαν »mit schlaflosen Gedanken schlafend«. Bereits Guéraud hat die Junktur auf die condicio der Stele bezogen, welche einerseits die Gedanken des Moschion (das Rätsel und die Inschrift) bewahrt und »schlaflos«, d. h. immer auf Abruf, bereithält,278 die aber so lange »schläft«, bis ein Passant bei ihr stehen bleibt. Andererseits kann die Junktur mit leichter Bedeutungsverschiebung auch das Rätsel an sich bezeichnen: »schlaflos machende Gedanken« ist eine passende Umschreibung für die Qualen, die einem ein ungelöstes Rätsel bereiten kann.279 Schließlich ist das schlaflose Nachdenken, auf den Verfasser des Rätsels bezogen, auch ein Zeichen alexandrinischer Gelehrsamkeit, womit eine Stilmetaphorik aufgegriffen wird, die sich in der Folge fortsetzt.280 Die Formulierung bereitet so nicht nur auf den Inhalt des Folgenden vor, sondern variiert auch das Paradox vom sprechenden Schweigen. Dement­sprechend ist die Lektüre des Passanten nicht als Frage, sondern als (störendes) »Wecken« gedeutet. Dabei wird die traditionelle kommunikative Situation auf den Kopf gestellt: Das Denkmal, das sonst seine Nachricht gerne verbreiten will, möchte hier am liebsten ungestört bleiben und nicht belästigt werden; entsprechend ungehalten verhält es sich gegenüber dem Leser und beschwert sich über die­ Störung. Gleichwohl spricht das Denkmal weiter; es vermutet, das Kreuzwort­labyrinth habe den Leser aufmerksam gemacht, und er erhoffe sich nun einen Hinweis auf dessen Lösung. Einen solchen werde es ihm aber nicht geben, da Moschion es überredet habe, »Ruhe zu halten« (ἡσυχάζειν). Hier wird das Motiv des stummen Sprechens ironisiert: Das Denkmal schweigt nicht etwa, weil es keine Stimme hat (vgl. Bernand 27 σειγῇ τε καὶ οὐ λαλέουσα διδάξω), sondern weil es die Lösung nicht verraten möchte.281 Hier ist somit der Aspekt der Bereitwilligkeit zur Kommunikation (s. o.), eigentlich ein Kennzeichen der Inschriften, ins Gegenteil verkehrt.282 Da aber gerade ein Rätsel nicht sofort verstanden werden »will«, sich gegen eine lineare Lektüre sträubt und ein »Ringen« mit dem Text einfordert, entspricht die Charakterisierung des Steins seinen besonderen Rezeptionsumständen. Darüber hinaus scheint sich in 7 f. eine poetologische Anspielung zu verbergen: καταπόνησας knüpft an das πόνος-Konzept an, das bereits in den »schlaf 278 Zitiert bei Bernand a.l. Vgl. hiermit den schlaflos-steinernen Wächter auf einem Thesauros auf Delos (IG XI,4 1247 ἄυπνος ἐών). 279 Vgl. etwa Dionysos’ nächtliches Brüten über der Frage, was der ἱππαλεκτρύων für ein Tier sei (Aristoph. Ran. 930–2). 280 Zu Arats ἀγρυπνίη und weiteren Beispielen s. Asper 1997, 132 mit Anm. 112; Fögen 2000, 130 Anm. 12. 281 Das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Stifter und Denkmal scheint ein hellenistischer Zug zu sein; man vergleiche z. B. das Verhältnis zwischen Kallimachos’ Hahn und dessen Stifter Euainetos (Ep. 56 Pf.): der Hahn »vertraut« seinem Stifter, dieses Denkmal lässt sich von seinem Stifter »überzeugen« (συνέπεισεν). 282 Ähnlich wie in den Epigramme auf den Menschenfeind Timon (vgl. S. 310 Anm. 43).

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losen Gedanken« angeklungen ist;283 auch οὐ παχεῖ λόγωι πλάσας τι knüpft an eine bekannte poetologische Vokabel an: παχύς versteht man hier wohl am besten (mit Asper 1997, 175–7) »intellektualmetaphorisch«, da der Gegensatz von dumm und klug das ganze Gedicht durchzieht.284 Der abschließende Teil des Epigramms, in dem zwischen den verständigen und unverständigen Passanten unterschieden wird,285 wobei die Dummen als »die mit dem krummen Gedanken« bezeichnet werden,286 setzt die Rätsel­topik fort: Die einen sollen – das Motiv der Belästigung wird fortgesetzt – es nicht vergeblich »schlagen«,287 während die anderen die Lösung schnell herausbringen werden und dann weitergehen, d. h. den Stein wieder ruhen lassen.288 Dieser letzte Punkt variiert das Motiv, dass eine Inschrift den Wanderer am Ende durch πάριθι/πάραγε etc. zum Weitergehen auffordert, indem es hier eine Wendung ins Unfreundliche erhält. Die Forderung der Stele, sich so kurz wie nur möglich mit ihr zu beschäftigen, steht dabei in kuriosem Gegensatz zur Fülle der auf ihr versammelten Inschriften und zu deren anspruchsvoller Diktion, die sich nur in einer eingehenden Beschäftigung mit ihr erschließt. Insofern steckt ein gutes Stück Ironie darin, wenn nicht sogar angewandte reverse psychology: Indem die Stele den Leser vor den Kopf stößt, reizt sie ihn gerade dazu, sich eingehender mit ihr zu beschäftigen. Entsprechend appelliert die Unterscheidung in Ver­ständige und Unverständige an den Ehrgeiz des Lesers, zur ersten Gruppe ge­hören zu wollen, und erweist sich somit als Mittel der Leserbindung.289 Im vierten Gedicht schließlich ergreift der Stifter Moschion selbst das Wort und erklärt dem Leser, wie das Kreuzwortlabyrinth zu lösen ist: 283 Zum πόνος-Konzept s. S. 328 Anm. 101. 284 Weitere Assoziationen (aufgebläht [Länge], geschwollen [Stil], grob [Metrik]) lassen sich aber nicht ausschließen (Krevans 1993, 156–60; Asper 1997, 177–98); ob das Gedicht einen solch hohen Anspruch erfüllt, ist dabei weniger wichtig, da die Polemik eher der captatio benevolentiae als einer stilistischen Positionierung dient (zur »poetologischen captatio benevolentiae« s. Asper 1997, 247). Für die seit dem 1 Jh. n. Chr. zu beobachtende Entwicklung, dass kallimacheische Metaphern nicht mehr auf eine entsprechende Dichtungsweise hindeuten, s. De Stefani/Magnelli 2011, 549. 285 Vgl. für diesen Topos des Rätsels Theogn. 681 f.; Alkaios v. Messene AP 7, 429, 10 = HE 105; Kastorion v. Soloi SH 310, 4. 286 Ἀγκύλος weckt eher die Konnotationen »verschlagen, listig« (ἀγκυλομήτης ist Beiwort des Prometheus in Hes. Theog. 546 und Erg. 48), was zu diesem listigen Rätsel (πανούργως 10) eigentlich passen würde. In einer weiteren Inschrift auf der Moschion-Stele (Bernand Nr.  V), welche die erwähnte Parastichis enthält, wird sich diese dem Leser ent­ hüllen, κἢν ὀρθὸν ἔχηις νοῦν (9); hier ist der »gerade« Verstand dem »geraden« Verlauf der Parastichis angemessen. 287 Zu κόπτω i. S. v. »ermüden« (z. B. durch Fragen) s. LSJ s.v. I 13. Vielleicht klingt auch die Bedeutung »wecken« an (Theokr. Id. 21, 28 τὸν ὕπνον ἁ φροντὶς κόπτοισα, vgl. Vers 1). 288 Der metaphorische Gebrauch von κλύδων i. S. v. »Aufruhr« ist geläufig (LSJ s. v. II), kann hier aber den Rätselcharakter des Gedichts weiter unterstreichen. 289 Zu solchen Strategien der Leserbindung vgl. Schmitz 1999.

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Μέσην μέσηϛ τῆϛ πλινθίδοϛ τὴν χειραγωγὸν ἀρχὴν λαβών, ἴχνευε προβλέπων, ἵν᾽ εὐσύνοπτοϛ ἦι σοι ἡ παῦλλα τῶν ἐμῶν πόνων καὶ πλινθίδοϛ μέριμνα· χὠσεί τιϛ ἴδριϛ πολυπόνου φυτουργίηϛ ὑπάρχων ἐντεῦθεν ἐκ πηγῆϛ ἄγων μελιρύτου τιν᾽ ὁρμὴν ἄρδευ᾽ ἐϛ ὄρχουϛ πολυμερεῖϛ στοιχηδὸν ἐξελίσσων. Εἰϛ τέσσαραϛ μὲν οὖν τιθεὶϛ πανουργίηϛ ἀριθμοὺϛ τὸ σῶμ᾽ ὅλον μή που λάθηιϛ καὶ συνχέαϛ προσάψηιϛ σὸν ἀγνόημ᾽ ἁμαρτάνων τῷ μηθὲν ἀγνοοῦντι. Τάξιν γὰρ εὑρὼν ποικίλωϛ διατρέχουσαν ἑξῆϛ πηγῆϛ τε πρὸϛ τέρμ᾽ ἐξ ἴσου σύμφωνον ἀποτελεσμόν, συνεὶϛ ἀνάθεμά τ᾽ εὐμενῶϛ ὡϛ κοίρανοϛ δέδορκεν καὶ καρπὸν οἷον ἐκ φρενὸϛ θείαϛ λαβὼν κομίζω, σαφῶϛ ἐρεῖϛ πεισθεὶϛ ἐμοὶ Θ [ Mitten in der Mitte der Tafel beginne mit der Führung deiner Hand und verfolge die Spur vorausschauend, damit du das Ende meiner Leiden und den Gedanken der Tafel durchschaust. Und wie ein Mann, der sich auf die mühevolle Pflanzenpflege versteht, beginne damit, von dort, aus der honigsüßen Quelle, einen Strom abzuleiten und bewässere damit die zahlreichen Pflanzreihen, indem du ihn im Stoichedon-Schema windest. Nachdem du das gesamte Feld der Tücke in vier Bereiche abgeteilt hast, mach dann nicht unmerklich irgendwo einen Fehler und – bist du einmal durcheinandergekommen – kreide dann nicht deine Unwissenheit dem an, der in nichts unwissend ist. Denn wenn du die Ordnung gefunden hast, die vielfältig (das Gitter) der Reihe nach durchzieht, und das von der Quelle zum Ende hin sich ergebende gleichmäßige und harmonische Ergebnis, und wenn du begriffen, wie wohlwollend der Gott das Weihgeschenk angesehen hat und was für eine Frucht ich aus göttlichem Sinn erhielt und hier vorstelle, dann wirst du deutlich sagen, von mir überzeugt: […]

Der Leser soll in der Mitte des Kreuzwortlabyrinths beginnen und sich dann schachbrettartig jeweils um ein Feld horizontal oder vertikal bewegen, wobei er die einmal eingeschlagene Richtung (nach oben rechts bzw. oben links, unten rechts, unten links) beibehalten muss; doch die Einzelheiten der Leseanweisung zu klären, ist an dieser Stelle weniger von Belang.290 Der Vergleich mit einem Bild aus dem Ackerbau gibt der Passage ein homerisches Gepräge, da die homerischen Gleichnisse oft der Welt der alltäglichen Arbeit entstammen.291 Man mag sich auch an den Garten des Alkinoos erinnern (Od. 7, 112–31), der ebenfalls aus Pflanzreihen (ὄρχοι) besteht und in dem sich zwei Quellen befinden,

290 Ein Bild des Kreuzwortlabyrinths bei Bernand Abb. 108; Ernst 1991, 396; Luz 2010, 379. 291 Fränkel 1993, 44; lexikalisch zu vergleichen ist Od. 6, 232 f. = 23, 159 f. ὡς δ᾽ ὅτε τις … ἀνὴρ / ἴδρις κτλ.; inhaltlich Il. 21, 257–62 (zitiert auf S. 92).

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von denen eine sich über den gesamten Garten verteilt.292 In στοιχηδόν verbindet der Verfasser ein Bild aus der Landwirtschaft (στοιχηδόν in Bezug auf Pflanzreihen Theophr. Hist. Plant. 3, 12, 7) mit den στοιχηδόν geschriebenen Buchstaben. Die Beschreibung dieses Lesevorgangs mit einem Bild aus der Landwirtschaft ist nicht nur sachlich angemessen (zur Bewässerungstechnik von Parzellen s. Bernand a.l.), sondern könnte auch an ein in carmina figurata bekanntes Verfahren anknüpfen, wie es im »Satorquadrat« beschrieben ist (Rotas opera tenet Arepo sator), in dem von einem pflügenden Sämann die Rede zu sein scheint.293 Im Unterschied zum Quadrat des Moschion muss der Leser hier jedoch am Rand beginnen und darf sich nicht »querfeldein« bewegen, sondern er muss die Buchstabenreihen so »abgehen« wie der Säer Arepo mit dem Pflug die Ackerfurchen.294 Während das Quadrat des Moschion die Anweisungen in einem Beitext enthält, spiegelt das Satorquadrat so seine Form in sich selbst. Die Moschion-Stele gibt in mehrfacher Hinsicht Rätsel auf: Im Zentrum stehen die Figurenrätsel, nämlich das Kreuzwortlabyrinth und die Parastichis. Doch auch die Beitexte enthalten inhaltlich Rätselhaftes, in Text 2 eine metaphorisch-anspielungsreiche Sprache, die auch Anleihen beim Schrifträtsel macht, sich aber von dessen traditionellen Formen bereits entfernt hat. In Text 4 findet sich kein eigentliches Rätsel,295 doch im Vergleich des Lektürevorgangs mit einer landwirtschaftlichen Tätigkeit ergibt sich eine Parallele zum Satorquadrat, wo das Pflügen wohl Teil des verrätselten Textes ist. Die äußere Form des Figurenrätsels wird so in verschiedener Weise auch inhaltlich gespiegelt.

292 Dass der Garten vier Morgen groß ist (τετράγυος 113), mag in der Vierteilung des Quadrats wiederaufgenommen sein. 293 Zu den zahlreichen Deutungen s. H.  Hofmann, Satorquadrat, RE Suppl. 15, 1978, 477–565; Ernst 1991, 429–59. 294 Die Ähnlichkeit ist besonders deutlich, wenn man das Quadrat βουστροφηδὸν liest [dafür plädiert Hofmann, s. aber Ernst]. 295 Die teils recht komplizierte Syntax ließe sich immerhin als Rätselelement deuten.

II. Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand – Echo und Niobe

Während in den Beispielen des vorangegangenen Kapitels der Bezug auf das sprechende Denkmal deutlich gegeben war, sollen hier solche Beispiele behandelt werden, die sich weiter von der Rede des Gegenstands entfernen, aber dennoch aus ihr hervorgegangen zu sein scheinen. So kann das Phänomen des sprechenden Steins in einer mythischen Figur gespiegelt werden, die in der Inschrift genannt wird. Dies soll anhand zweier Personen des Mythos, Echo und Niobe, gezeigt werden: deren Schicksal und anschließende Verwandlung eröffnen Anknüpfungspunkte, einen Zug des inskribierten Steins näher zu erläutern. Im Fall Echos wird die kommunikative Situation zwischen Leser und Inschrift thema­tisiert, denn wie Echo kann die Inschrift kein Gespräch eröffnen, sondern nur antworten (vgl. πᾶσιν ὑποκρίνομαι CEG 286); und wie Echo nur die Worte des Sprechers wiederholen kann, so ist die (vorgelesene) Inschrift ge­ wissermaßen das »Echo« der Stimme des Lesers, der sich die Inschrift (laut) vorliest.1 Zwar liegt hier kein reales Echo im Sinne einer Klangverdopplung vor; doch die kommunikative Situation (es findet eine Art Dialog statt, obwohl nur die Stimme des Lesers zu hören ist) lässt sich als Gespräch mit Echo deuten, ebenso wie die Inschrift als körperlose »Stimme des Steins« einem Echo ähnelt.2 Niobe wie­derum könnte als Vorbild für den (inschriftlich nicht selten belegten) Topos des »weinenden Steins« gedient haben, dessen Verbreitung in den Epigrammen dargestellt und auf dessen mögliche Vorbilder, neben Niobe, eingegangen werden soll. Da der Topos des »weinenden Steins« einem leb­losen Objekt innerliche ­Regungen zuschreibt, soll im Anschluss an dieses Kapitel in einem Exkurs ein analoger Vorgang, nämlich die Zuschreibung von Mordlust an Waffen in Dedikationsepigrammen, ebenfalls im Hinblick auf ein mögliches Vorbild, nämlich die homerische Waffenpersonifikation, untersucht wer 1 Das laute Lesen ist für die Echo-Metapher konstitutiv, s. White 1998, 90; MännleinRobert 2007a, 318. 2 Vgl. Walsh 1991, 85 (unter Verweis auf AP 7, 548): »[Later writers] might rationalize the gravestone’s voice as an echo of the reader’s«; White 1998 (zu AP 6, 269) »here, the statue of Echo is imagined to repeat the words uttered by the passer-by who reads the inscription placed at the foot (πρὸ ποδῶν) of the statue«; Diese zu einzelnen Gedichten gemachten Beobachtungen (Männlein-Robert 2007a, 310–20 bespricht die Echo-Epigramme der Anthologie im Zusammenhang, erörtert aber das Motiv der Inschrift als Echo der Stimme des Lesers nur für AP 7, 548) sollen hier auf ihre Anwendbarkeit auf weitere literarische und inschriftliche Epigramme geprüft werden.

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den; zwar wird dort nicht auf eine mythische Figur rekurriert, es findet aber ebenfalls eine Erweiterung der traditionellen Personifikation des Objekts durch Ich-Rede statt.

1. Echo 1.1. Die Figur der Echo als illustrans literarischer Techniken Bevor wir die Rolle Echos als mythische Analogie zur epigrammatischen Kommunikationssituation untersuchen, scheint es sinnvoll, zunächst einmal die Bandbreite ihres Potentials darzustellen, verschiedene literarische Techniken, »Echo-Effekte«, überhaupt zu illustrieren; denn es wird sich zeigen, dass diese auch bei ihrem Auftreten im Epigramm eine Rolle spielen können. Diese lassen sich nach folgenden Kriterien unterscheiden: Ein (a) phonetisches Echo liegt vor, wenn der eigentliche Echoeffekt, also die hörbar verzögerte Reflexion der Stimme, dichterisch nachgeahmt wird. Das, was als Echo wiederholt wird, folgt dem Ausruf unmittelbar oder kurz darauf, z. B. litus Hyla Hyla omne sonaret (Verg. Ecl. 6, 44). Dass es sich bei einer solchen Wiederholung gerade um einen Echoeffekt handelt, und nicht lediglich um eine Wiederholungsfigur wie Geminatio oder Anapher, muss aus dem jeweiligen Kontext erschlossen werden (etwa wenn Echo als Person auftritt bzw. ein Verb wie resonare auftaucht). Im Echo kann der gesamte Ausdruck wiederholt werden, oder (insbesondere bei längeren Phrasen) nur ein Teil des zuletzt geäußerten Rufs, z. B. Ἀχὼ φίλα, μοὶ συγκαταίνεσόν τι. – Τί; (Gauradas AP 16, 152 = FGE 458–63). Eine spielerische Erweiterung des Echo-Motivs liegt vor, wenn die Antwort der Echo einen neuen Sinn erhält und sich so ein Dialog zwischen Rufendem und Echo ergibt.3 Nicht selten wird, um das Verhallen des Echos zu malen, der Schlussvokal eines Echowortes gekürzt: Hylā Hylă omne sonaret.4 Im weniger strengen Sinn unter den Begriff des phonetischen Echos zu fassen sind Wiederholungen einzelner Silben5 (Verg. Ecl. 1, 5 Amaryllida silvam; 2, 13 ardenti resonant arbusta; Georg. 1, 486 resonare lupis ululantibus urbes; 3, 338 litoraque alcyonen resonant, acalanthida dumi; Catull. 11, 3–4 litus ut longe resonante Eoa / tunditur unda; Prop. 1, 20, 48 tum sonitum … fecit Hylas) oder »ähnlich« klingender Wörter.6 Beliebt ist der Effekt, eine Beschreibung der my 3 Vgl. neben dem gerade genannten Beispiel noch Ov. Met. 3, 380–92. 4 Außerdem Verg. Ecl. 3, 79; Ov. Met. 3, 501 (vgl. u. S. 199). 5 Die folgenden Beispiele sind z. T. aus Clausen 1994 ad Verg. Ecl. 1, 5 entnommen. 6 Beispiele hierfür finden sich in Germany 2005, der in seiner Interpretation des homerischen Pan-Hymnos die Figur der Echo (in Vers 21 genannt) auch in Echoeffekten im Gedicht wiederfindet, z. B. φίλον γόνον (1) / φιλόκροτον (2). Gleichwohl wird es mit ab­ nehmender Exaktheit und räumlicher Entfernung des Anklangs schwieriger, einen Echo-

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thischen Figur Echo mit Echoeffekten anzureichern, vgl. etwa Apul. Met. 5, 25 Pan … sedebat complexus Echo montanam deam eamque voculas omnimodas edocens reccinere; hier wird die Unterweisung des voculas reccinere im Text selbst gespiegelt.7 Aus dem phonetischen Echobegriff lassen sich weitere Definitionen ableiten, welche den Echobegriff auf andere Arten von Wiederholungen übertragen. Ein (b)  strukturelles Echo liegt vor, wenn sich im Aufbau eines Gedichts Wiederholungen nachweisen lassen, die gerade dann den Eindruck eines Echos hervorrufen können, wenn der Kontext eine entsprechende Erwartung unterstützt.8 Oft wird das strukturelle Echo durch ein phonetisches Echo unterstützt; so begegnet in Bions Epitaph für Adonis der refrainartig wiederholte Rufs ἀπώλετο καλὸς Ἄδωνις (1, 2, 5, 63, 67, 92). Dieser wird in 37 f. als Echo gedeutet (αἰαῖ τὰν Κυθέρειαν· ἀπώλετο καλὸς Ἄδωνις· / Ἀχὼ δ᾽ ἀντεβόασεν, ἀπώλετο καλὸς Ἄδωνις). Vor diesem Hintergrund mag man zunächst die Klagerufe der Berge und Eichen, die in 31–4 geschildert werden, als Echo der Natur auf die Klagerufe der Kypris und der Eroten deuten. Doch scheint es, dass die zahlreichen Wiederholungen des Klagerufs überhaupt, die das Gedicht (nicht nur im Refrain) durchziehen, vor dem Hintergrund der ländlichen Szenerie, in der sich die Handlung abspielt, als eine Art Echo chrakterisiert werden sollen. Pentadius (PLM 4, S. 344) verwendet ein strukturelles Echo in einem aus elegischen Distichen bestehenden Gedicht, in dem jeweils das erste Hemistich des Hexameters und das zweite Hemistich des Pentameters identisch sind; die Deutung als Echo wird dabei durch Vers 13 f. nahegelegt: per cava saxa sonat pecudum mugitibus Echo / voxque repulsa iugis per cava saxa sonat. Im sog. Echovers (echoicum) steht jeweils am Versende ein phonetisches Echo: exercet mentes fraternas grata malis lis (Servius GLK IV 467, 4–6). Es bleibt schließlich die Kategorie des (c) intertextuellen Echos: Insofern eine intertextuelle Beziehung als »Resonanz« oder »Widerhall« des Hypotextes im Hypertext begriffen werden kann, dient Echo als Metapher für Intertextua­ lität; ihre Nennung im Text kann geradezu ein Hinweis darauf sein, dass eine solche Beziehung vorliegt.9 So findet sich unter den Epigrammen der Antho­ logia Palatina ein Homer-Cento (Anon. AP 9, 382), der in 10 Versen, die jeweils aus homerischen Versen oder Halbversen (teilweise mit leichten Änderungen der Vorlage) bestehen, die Gestalt der Echo beschreibt: Sie ist eine Göttin, die effekt von ähnlich klingenden Silben oder Wortwiederholungen, wie sie überall begegnen können, plausibel als solchen zu erklären. 7 So Tordoff 2008. 8 Germany 2005, 191–2 vermutet, die zweite Hälfte des homerischen Pan-Hymnos sei ein strukturelles Echo der ersten Hälfte. Für ein weiteres Beispiel eines strukturellen Echos vgl. u. S. 116 zur Syrinx. 9 S. Hinds 1998, der in Echo einen »annotator« einer intertextuellen Beziehung sieht (6). Für das Nachleben Echos in dieser Funktion s. Hollander 1981.

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an entlegenen Orten lebt und die Worte der Rufenden wiederholt: ὁπποῖόν κ᾽ εἴπῃσθα ἔπος, τοῖόν κ᾽ ἐπακούσαις (10 = Il. 20, 250). Es scheint plausibel, dass in diesem Gedicht der Inhalt, d. h. das Echo-Phänomen, in der literarischen Technik gespiegelt wird: Wir haben ein Gedicht über Echo, das aus homerischen »Echos« besteht, wobei die Cento-Technik diejenige Form der Intertextualität ist, die sich besonders eng an die Vorlage anlehnt und deshalb durch Echo augenfällig verkörpert wird: Wie Echo selbst keine eigenen Worte äußern kann, sondern nur das von anderen Gesagte wiederholt, so verhält es sich auch für den Cento-Dichter; gleichwohl gelingt es ihm, wie bisweilen auch Echo, den Worten einen neuen Sinn zu geben. Oft werden verschiedene Echophänomene miteinander kombiniert. Der Echo-Effekt am Ende der »Narziss und Echo«-Episode bei Ovid (Met. 3, 501 dictoque vale, »vale« inquit et Echo) ist nicht nur ein phonetisches Echo, sondern auch auch intertextuelles Echo von Verg. Ecl. 3, 79 (et longum ›formose, vale, vale,‹ inquit, Iolla).10 Die beiden Verse Ov. Met. 3, 353 und 355 (multi illum iuvenes, multae cupiere puellae; nulli illum iuvenes, nullae tetigere puellae) führen, indem sie ein intertextuelles Echo der Catullverse c. 62, 42 und 44 bzw. 53 und 55 (multi illum pueri, multae optavere puellae; nulli illum pueri, nullae optavere puellae bzw. hanc nulli agricolae, nulli coluere iuuenci; multi illam agricolae, multi coluere iuuenci) darstellen, die dem Catullgedicht zugrundeliegende amoibäische Struktur weiter und in den eigenen Text hinein.11 Einen für die genannten Echoeffekte ergiebigen Referenztext bietet in der Epigrammatik die theokriteische (?)12 Syrinx, ein Gedicht, das wie die anderen Technopaignien selten auf seinen literarischen Gehalt hin untersucht worden ist:13

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Οὐδενὸς εὐνάτειρα Μακροπτολέμοιο δὲ μάτηρ μαίας ἀντιπέτροιο θοὸν τέκεν ἰθυντῆρα, οὐχὶ Κεράσταν ὅν ποτε θρέψατο ταυροπάτωρ ἀλλ᾽ οὗ πειλιπὲς αἶθε πάρος φρένα τέρμα σάκους, οὔνομ᾽ Ὅλον, δίζων, ὃς τᾶς μέροπος πόθον κούρας γηρυγόνας ἔχε τᾶς ἀνεμώδεος, ὃς Μοίσᾳ λιγὺ πᾶξεν ἰοστεφάνῳ ἕλκοϛ, ἄγαλμα πόθοιο πυρισμαράγου, 10 Wills 1996, 347 weist darauf hin, dass sich eine solche Verknüpfung bereits bei Aristophanes findet, der in den Thesmophoriazusen einen Echoeffekt schildert (1056–97), der wörtlich einen entsprechenden Effekt aus der euripideischen Andromeda zitiert. 11 Vgl. Hinds 1998, 8 »a kind of intertextual modulation of amoebean song«. 12 Die Frage der Echtheit ist nach wie vor umstritten (s. die Diskussion bei Kwapisz 2013, 23–9). Männlein-Robert 2007a, 150 weist zu Recht darauf hin, dass die Frage nach dem Verfasser »für die Untersuchung der poetologischen Relevanz dieses Bild-Text-Konstrukts nicht grundlegend« ist. 13 In jüngerer Zeit hat das Interesse an den Technopaignien stark zugenommen (Palum­ bo Stracca 2007; Kwapisz 2013 mit Lit.).

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ὃϛ σβέσεν ἀνορέαν ἰσαυδέα παπποφόνου Τυρίαϛ τ᾽ ἐ. ᾧ τόδε τυφλοφόρων ἐρατόν πῆμα Πάριϛ θέτο Σιμιχίδαϛ· ψυχὰν ᾇ, βροτοβάμων, στήταϛ οἶστρε Σαέτταϛ, κλωποπάτωρ, ἀπάτωρ, λαρνακόγυιε, χαρείϛ ἁδὺ μελίσδοιϛ ἔλλοπι κούρᾳ Καλλιόπᾳ νηλεύστῳ. Die Frau des Niemand (Odysseus) und Mutter des Makroptolemos (Telemachos) gebar den schnellen Herrscher über die Amme dessen, der durch einen Stein ersetzt wurde (Ziegenhirten [da eine Ziege den Zeus säugte]), nicht Kerastas (Komatas), den einst die Stiergeborene (Biene) aufzog, sondern den, dessen Sinn einst der das Pi auslassende Schildrand (P-itys) in Flammen setzte, Ganz (Pan) genannt, der zweigestaltige, der sich nach dem sterblichen (stimmzerteilenden), lautgeborenen, windhaften Mädchen verzehrte, der für die veilchenbekränzte Muse eine helltönende Wunde (Syrinx) formte, ein Andenken seiner flammenden Sehnsucht, der den gleichnamigen Kriegsmut des Vatermörders (der Perser [Perseus]) löschte und sie aus der Frau von Tyros (Europa) vertrieb. Ihm stiftete dieses liebliche Leid (den Besitz) der Blindträger (Hirten) Paris Simichidas (Theo-krit). Deinen Sinn durch ihn erfreuend, Sterbliche (Steine [Anspielung auf Deukalion und Pyrrha]) Besteigender, Verwunder der saettischen Frau (Omphale?), Sohn des Diebesvaters (Hermes) oder Vaterloser, Koffergliedriger (Hufsfüßiger), mögest du süß spielen dem stummen (stimmauslassenden) Mädchen, Kalliope (der schönstimmigen), der unsichtbaren.14

Das Gedicht beschreibt die Weihung einer Syrinx durch den Dichter Theokrit für Pan, deren Erfinder. Trotz der zahlreichen Verrätselungen ist im Kern noch die traditionelle Dedikationssprache zu erkennen: in den Versen 11 f. verbirgt sich die Wendung ὁ δεῖνα (ἀν)έθηκε τόδε ἄγαλμα τῷ θεῷ, wobei ἄγαλμα allerdings zu πῆμα verfremdet ist; ἄγαλμα hingegen taucht, in Bezug auf die Syrinx, in Zeile 8 auf. Ein geläufiges dedikatorisches Element ist auch die in 13–20 folgende Apostrophe an den Gott mit der Bitte, das Geschenk gnädig anzunehmen (mit χαρείς / ἁδὺ μελίσδοις vgl. CEG 227 χαίροισα διδοίες ἄλο ἀναθε˜ναι; AP 6, 269, 5 f. = FGE 676 f. χαρεῖσα … εὐκλέισον γενεάν). Die Apostrophe an 14 Das Gedicht ist aufgrund seiner verrätselten Ausdrucksweise kaum übersetzbar. Die hier gegebene Wiedergabe löst die kursiv gesetzten γρῖφοι auf, ohne auf Einzelheiten einzu­ gehen. Für Erklärungen zu dem Gedicht s. neben den in Gows OCT angeführten Scholien auch Ohlert 1912, 202–6; Wojaczek 1969, 94–101; Dupont-Roc/Lallot 1974, 178–185; Beckby 1975, 581–2; Palumbo Stracca 2007, 115 f.; Kwapisz 2013, 142–62.

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den Gott ist dabei auch ein Element des Hymnos, der als zweites Formelement des Gedichts erkennbar wird.15 In 13–16 findet sich eine Reihe von Vokativen, die an die typische »Namenshäufung« erinnert, und die abschließende Bitte (ἁδὺ μελίσδοις). Im ersten Teil des Gedichts fanden sich bereits die Genealogie und Aretalogie des Gottes in Verbindung mit einer Häufung hymnischer Relativsätze (οὗ 4, ὅς 5, 7, 9; ὧ in 11 leitet die Dedikation ein). Als ἀρεταί des Gottes werden die Erfindung der Syrinx sowie seine Rolle im Zurückschlagen der Perser genannt (7–11).16 Eine eigentliche Epiklese und eine Aufzählung der Kultorte fehlen; eine Anspielung auf Pans göttliche Macht mag in μαίας ἀντιπέτροιο ἰθυντῆρα liegen, wobei ἰθυντήρ hier lediglich den Lenker/Herrscher einer Ziege bezeichnet (die aber als Amme des Zeus gleichsam nobilitiert wird).17 Weiterhin werden seine drei Geliebten Pitys, Echo und Syrinx genannt. Unmittelbar auffällig sind die zahlreichen Verrätselungen in kühnen Metaphern und Wortspielen, die zusätzliche Bedeutungsebenen eröffnen können oder auch spielerischen Charakter haben. So führt in Vers 3 die Bezeichnung οὐχὶ Κεράσταν den Leser bewusst auf die falsche Fährte, denn die Hörner sind ja ein für Pan typisches Kennzeichen.18 In Vers 8 erscheint ἕλκος als Enjambement παρὰ προσδοκίαν.19 Paradoxien wie die Folge von »flammend« und­ »löschen« (8 f.) oder »liebliches Leid« (11 f.) sind ebenfalls typisch für das Rätsel. Wir finden »Sachrätsel«, d. h. Verrätselungen, bei denen die Lösung auf Vorwissen über den zu erratenden Gegenstand beruht: dabei ist vor allem mythologisches Wissen gefragt, aber auch »naturwissenschaftliches« (ταυροπάτωρ),20 literarisches (Οὐδενός = Odysseus, Κεράστας/Komatas wird von Bienen ernährt21), und »philologisches« Wissen (Simichidas = Theokrit22; das »Phantomwort« στήτη [Il. 1, 6]23); außerdem »Worträtsel«, in denen die Sprachkompetenz des Lesers gefragt ist: Ersetzung des verbum proprium durch ein sinnverwand 15 So bereits Männlein-Robert 2007a, 152; Palumbo Stracca 2007, 116. 16 Zu den Formelementen des Hymnos s. Norden 1956, 142–176. Zu Pan als Helfer bei der Schlacht bei Marathon vgl. Kwapisz 2013, 151 f. 17 LSJ s.v. ἰθυντήρ gibt als Übersetzung dieser Stelle »shepherd« und folgt hierin den Scholien (ἰθυντῆρα oὖν τῆς τροφοῦ τῆς Διός, τουτέστι τῆς αἰγός, εἶπε τὸν αἰπόλον); doch die Bedeutung »Anführer«, »Herrscher« schwingt noch mit. 18 In Orph. Hymn. 11, 12 heißt Pan κεράστης. 19 Kwapisz 2013, 150. 20 Zur Entstehung von Bienen aus Rinderkadavern (Bugonie) s. Varro Rust. 2, 5, 5; 3, 16, 4; Verg. Georg. 4, 281–314; zur bereits in der Antike bezweifelten Faktizität des Phänomens s. Thomas 1988, 196. 21 Theokr. Id. 7, 84 f. 22 Zur bereits antiken Debatte, ob der Simichidas des 7. Idylls mit Theokrit zu identifizieren ist, s. Gow 127–9. 23 Vgl. Eustath. 3, 435 v. d. V. τὸ ῾διαστήτην ἐρίσαντε᾽, ὅ τινες μεταγράψαντες καὶ ἄλλως ἑρμηνεύσαντες ἠχρείωσαν. εὕρηται γὰρ ἐκεῖνο ἐν οὐκ ἀγαθοῖς ἀντιγράφοις γραφὲν ῾διὰ στήτην ἐρίσαντο᾽ τουτέστι διὰ γυναῖκα ἤρισαν, ὡς καὶ προδεδήλωται.

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tes Wort (Πάν wird als πᾶν gedeutet24 und durch ὅλον ersetzt25); oder eine »etymologische Analyse« (μέροψ wird als aus μέρος und ὄψ bestehend analysiert); schließlich in Πίτυς / ἴτυς ein »Buchstabenrätsel«, bei dem ein Wort um einen Buchstaben verkürzt wird und so eine neue Bedeutung erhält (s. u. Anm. 36). Mit diesem schwierig zu erfassenden Inhalt kontrastiert, wie Kathryn Gutz­ willer herausgestellt hat (2007, 180), die leicht zu erkennende Form des Gedichts,26 die darüber hinaus einen ersten Hinweis auf die Lösung gibt, indem sie das Thema des Gedichts anzeigt.27 Wilamowitz meinte, dass die Techno­ paignien, jedenfalls die ältesten unter ihnen, auf dem Objekt, das sie abbilden, inskribiert gewesen sein müssen.28 Aber auch wenn es gewisse inschriftliche Vorbilder für die Technik gibt, die Form einer Inschrift dem inskribierten Gegenstand anzupassen,29 betont die Syrinx selbst jedenfalls dadurch, dass einerseits der Weihende ein berühmter Dichter ist, der »Vater« der Gattung Bukolik,30 andererseits das Weihgeschenk selbst als emblematisch für bukolische Dichtung stehen kann (bzw. die Konstruktion einer Syrinx für bukolisches Dichten),31 ihren Status als vornehmlich literarisches Kunstwerk und ihre Nähe 24 Diese Etymologie war verbreitet und liegt bereits im homerischen Hymnus auf Pan vor (ὅτι φρένας πᾶσιν ἔτερψεν 47); weitere Stellen bei Roscher 1893, 57 Anm. 1; Bing 1985, 506 Anm. 11. Ein bei Sextus Empiricus überliefertes Rätsel rezipiert offenkundig die Syrinx (Adv. Math. 1, 314; vgl. Kwapisz 2013, 148): ἐβαρβάριζε θοὖλον ἕλκος ἔχον χερί. Pan ist als τὸ ὅλον, die Syrinx als ἕλκος umschrieben (ἐβαρβάριζε für ἐσύριζε, weil die Syrer Barbaren sind, s. Ohlert 1912, 196). 25 Solche Ersetzungen sind in Rätseln auch sonst beliebt: so wird die Insel Delos als Φανερά verrätselt (Ohlert 1912, 192), der Kentaur Χείρων als  Ἥσσων (ebd. 194). 26 Der Dichter hat über den Umriss hinaus in den Versen 1, 3, 5, 7, 9, die alle mit einem O beginnen (ähnlich 11 Ω), auch die runde Form der Pfeifenöffnungen graphisch dargestellt (Dupont-Roc/Lallot 1974, 177); diese Beobachtung zeigt, dass der Dichter je einen Doppelvers als Rohr verstanden wissen wollte, dass also die Syrinx 10 Rohre umfasste, was im Einklang steht mit archäologisch nachweisbaren Instrumenten (s. Gow 554); dies bedeutet aber nicht, dass die Syrinx inskribiert gewesen sein müsse (pace Wojaczek 1993, 139). 27 Falls die Syrinx ursprünglich keinen Titel trug, wäre die Form der einzige Hinweis auf die Lösung (für einen die Lösung eines Rätsels angebenden Titel vgl. aber SH 983 [die ­Auster]). 28 Wilamowitz 1900, 51; Wilamowitz 1906, 243–50; Wilamowitz 1924 I, 112. 29 Beispiele bei Beckby 1975, 572. 30 Verfechter der These, dass Theokrit erst in den nachfolgenden Generationen zum Begründer der Gattung Bukolik erhoben wurde, könnten hierin ein Argument gegen theokriteische Autorschaft der Syrinx erkennen; zum Problem, ob die Bukolik bereits bei Theokrit als distinkte Gattung vorliegt, und sich Theokrit als ihr »Gründer« betrachtet, s. jetzt Karakasis 2011, 2–4. 31 S. Bernsdorff 1999, 60–61 zur Konstruktion der Syrinx im Fragmentum bucolicum Vindobonense und zur Syrinx in Theokr. Id. 1. Das Herstellen einer Syrinx ist auch Thema in Bion Fr. 5; für mögliche poetologische Konnotationen dort s. Reed 2006, 217. Zur programmatischen Bedeutung der Syrinx s. auch Männlein-Robert 2007a, 153 f. (mit Verweis auf Mnasalkes AP 9, 324 = HE 2663–6). Zur poetologischen Bedeutung des »Konstruierens« in den Technopaignien s. Pappas 2013, 209–11. Ein poetologischer Bezug scheint mir auch im Panhymnos des Kastorion vorzuliegen (SH 310), ein Gedicht, das aus verschiedenen metrisch

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zur Bukolik als auto­referentieller Dichtung. Darüber hinaus lässt sich aus der bloßen Evozierung eines materiellen Kontexts ein Verweis des Gedichts auf die eigene literaturgeschichtliche Stellung gewinnen: Zur literarischen Form geworden, weist das Gedicht durch seine visuelle Form auf die eigene Inskription hin, d. h. auf die inschriftliche »Vorgeschichte« der Gattung: Die Form ersetzt hier den materiellen Kontext. Diese eigentümliche Stellung zwischen Stein- und Buchepigramm träte weniger deutlich hervor, wenn es sich um ein primär inschriftliches Gedicht handelte.32 Lassen sich darüber hinaus noch weitere Verbindungen zwischen der visuellen Form des Gedichts und seinem Inhalt ziehen? Hier soll vor allem die Figur der Echo betrachtet werden, die im Gedicht an zwei Stellen vorkommt und schon allein dadurch eine herausgehobene Rolle einnimmt. Roselyne DupontRoc und Jean Lallot haben auf die zahlreichen Klangfiguren des Gedichts hingewiesen.33 Irmgard Männlein-Robert hat hinter der Form des Gedichts ein äquivalenten Kola aus jeweils 11 Buchstaben zusammensetzt ist (vgl. συνθείς 4; Bing 1985). Durch diese Entsprechung der »Bauteile« wird gewissermaßen das Gerüst des Gedichts durchsichtig, sein Konstruktionscharakter hervorgehoben. Dieses Verfahren wird implizit mit dem Syrinxspiel Pans verglichen, dessen Lied als »wachsgegossen« beschrieben wird (κηρόχυτον ὃς μείλιγμ᾽ ἱεῖς 5), das also wie der Hymnos selbst Resultat eines »Zusammen­ setzens« (hier der Syrinx) ist (vgl. die Beschreibung der Syrinx in Theokr. Id. 1, 128 f.: »the interwoven word-order is clearly imitative of the sense [Hunter 1999, 102]). Im Figurengedicht Syrinx ist das Verse-Fügen dem Rohre-Fügen äquivalent. 32 Zur Syrinx als literarisches Produkt s. Reitzenstein 1907, 83 f. Auch Männlein-Robert (2007a, 150) scheint die Syrinx als Buchepigramm zu betrachten (»ahmt den Usus […] nach, sich […] der Form des Gegenstandes an[zu]passen«). Vorsichtiger Gutzwiller 2007, 180, die darauf hinweist, dass unabhängig davon, ob die Texte ursprünglich inskribiert waren, die Lektüre auf dem Papyrus der Regelfall der Rezeption gewesen sein müsse. Bedenkenswert im Hinblick auf die eigentümliche Doppelnatur der Syrinx als visuelles und auditives Phänomen scheint mir Palumbo Straccas Hinweis, dass die Verkürzung der Pfeifen nicht durch Abnahme der Silben- oder Buchstabenzahl bewirkt wird, sondern allein durch die Verkürzung des Metrums, d. h. bei einer stoichedon-Schreibweise ergäbe sich gerade kein exaktes Bild einer Syrinx; dagegen ist die Verkürzung der Verse beim Vortrag deutlich hörbar (2007, 117 f. mit Anm. 5). 33 Besonders hervorstechend sind, wie sie gezeigt haben (1974, 186–90), Wiederholungen von Lautfolgen, die über das gesamte Gedicht hin auftauchen, und die sie als écho phonique bezeichnen (186), z. B. »antipetroio thoon teken ithuntera« 2; zusätzlich erkennen sie ein écho mélodique (192) im Rhythmus der Verse (190–2). Mag man dies als eine Art Echoeffekt deuten; mir scheint es sich allgemeiner um den Einsatz auffälliger Klangwirkungen zu handeln, welche die äußere Form der Syrinx als »Klangkörper« im Gedicht spiegeln sollen (vgl. auch Kwapisz 2013, 143). Ein bemerkenswerter Effekt ergibt sich auch in Vers 14 στήτας οἶστρε Σαέττας, wo Dupont-Roc/Lallot auf die Wiederholung von s- und t-Lauten hinweisen (187); die Häufung von Zischlauten malt aber auch das Summen des οἶστρος (derselbe Effekt, von Bienen, in Verg. Ecl. 1, 53–55 [s. Glücklich 2007, 14]); das Summen von Insekten ist wiederum ein Element der locus-amoenus-Topik (Schönbeck 1962, 15; 37; 60) und entspricht somit dem bukolischen setting des Gedichts (gleichwohl, insofern die Wendung στήτας οἶστρε auch an den Io-Mythos erinnert, in einer deutlichen Brechung der Idylle).

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strukturelles Echo vermutet: Da immer zwei Verse die gleiche Zahl an Metra haben, lässt sich der zweite als Echo des ersten betrachten.34 Dabei scheint sich in der Struktur des Gedichts noch ein weiteres strukturelles Echo zu verbergen: Zweimal wird die Eigenschaft der Echo hervorgehoben, jeweils nur das Ende einer Äußerung wiederzugeben (μέροψ, ἔλλοψ35); diese Eigenschaft könnte sich in der sich jeweils verkürzenden Länge der Pfeifen spiegeln: Echo »verschluckt« jedes Mal einen Teil der Äußerung, bis am Ende nichts mehr übrig bleibt.36 Eine weitere Analogie zwischen der visuellen Form des Gedichts und Echo stellt die Tatsache dar, dass das Gedicht mit Echo endet. Die letzten drei Verse, die ultima verba des Gedichts, handeln von Echo, die selbst immer die letzten Worte wiederholt. So wird das »Verhallen« des Gedichts auch inhaltlich markiert. In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass das Gedicht mit νηλεύστῳ endet, also die Unsichtbarkeit Echos hervorhebt, die bloß Stimme ist und keine Gestalt hat. Gerade das unterscheidet sie von der Syrinx, die dem Leser ja deutlich vor Augen steht.37 Gleichwohl erscheinen, wenn man stärker den linearen 34 Männlein-Robert 2007a, 153 Anm. 154. 35 Das sich hinter ἔλλοψ verbergende Rätsel scheint dabei noch nicht gänzlich erschlossen worden zu sein. Das Adjektiv erscheint als Attribut von Fischen (substantiviert kann es für sich »Fisch« bedeuten). Bereits in der Antike wurde über die Bedeutung des Wortes gerätselt: Hesychios und Plutarch erklären es als »stumm« (ἔλλοπες· ἐλλείποντες τῆς ὀπός, τουτέστιν ἄφθογγοι, ἄφωνοι Hesych. ε 2168 (der in der Folge noch weitere Vorschläge gibt); τοὺς ἰχθῦς καλεῖν οἷον ἰλλομένην τὴν ὄπα Plut. Mor. 728e); Athenaios (308bc) präsentiert ebenfalls »stumm« (mit ähnlicher Etymologie) sowie »schuppig« (letztere Etymologie wird heute als plausibel angesehen, vgl. Chantraine 1999; Beekes 2010). Insofern ἔλλοψ hier auf Echo bezogen wird, wird zum einen auf das Problem der umstrittenen Wortbedeutung angespielt (vgl. Palumbo Stracca 2007, 122 Anm. 17), zum anderen ergibt sich bei Annahme der Bedeutung »stumm« ein paradoxer Gegensatz zum folgenden καλλιόπᾳ (vgl. Dupont-Roc/Lallot 1974, 179); dementsprechend übersetzen es die bisherigen Interpreten des Gedichts als »stumm«. Dennoch könnte das Rätsel, wie auch in einigen der anderen hier vorliegenden Fälle, noch komplexer sein: die Scholien erklären ἔλλοψ als ἀπὸ τοῦ ἐλλείπειν τῇ φωνῇ, was zwar »die Stimme auslassen«, »keine Stimme haben«, »stumm sein« bedeuten kann; doch da ἐλλείπειν neben »(vollständig) auslassen« auch »(zum Teil) auslassen«, »das geforderte Maß nicht ganz erreichen« bedeuten kann, wird wohl auch darauf angespielt, dass Echo bei ihrer Antwort einen Teil der Rede weglässt, was ja bereits in μέροψ angedeutet war. Ähnlich bereits Ohlert »der die Stimme versagt oder verhallt, i. e. Echo« (1912, 205). 36 Eine solch verkürzende Auslassung begegnet auch inhaltlich in der Verrätselung von Πίτυς zu ἴτυς; solche Rätsel sind auch sonst belegt (AP 14, 35 ὄνυξ, νύξ). Es finden sich auch Ketten solcher Verkürzungen (z. B. AP 14, 105: ποῦς, οὖς, ὗς, σ᾽; vgl. insgesamt Ohlert 1912, 209–13); hier wäre die Analogie zwischen dem allmählichen Abnehmen der Wortlänge und der Pfeifenlänge besonders deutlich. Für spätere symbolische Deutungen der Pfeifenlänge vgl. Longos 2, 34, 3 (die ungleiche Länge entspricht der ungleichen (i. e. unerwiderten) Liebe von Pan und Syrinx); Macr. Sat. 1, 21, 9 (vgl. 1, 22, 4) die ungleichen Längen symbolisieren die ungleichen kosmischen Winde. 37 Vgl. Pappas 2013, 212: »in the Syrinx’s paradoxical concluding line, the single word νηλεύστῳ, »invisible«, is necessary for making visible the complete image of Pan’s instrument.«

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Verlauf des Gedichts in den Blick nimmt, in νηλεύστῳ Syrinx und Echo auch parallel: Die Pfeifen können nicht weiter verkürzt werden und werden von nun an ebenso »unsichtbar« wie Echo: das Gedichtende, sonst das Ende des Hörens (oder Lesens), bedeutet hier auch ein Ende des Sehens. Wie dem auch sei: Mit νηλεύστῳ am Ende hebt die Syrinx explizit ihren Charakter als visuelle Dichtung hervor und steht dabei in einem Verhältnis der oppositio in imitando zu einer Zahl von ekphrastischen Epigrammen, die mit einem verbum videndi (oft im Imperativ) beginnen;38 im Speziellen scheint die Anspielung auf die Flügel des Simias zurückzublicken, ebenfalls ein Figurengedicht, das mit den Worten λεῦσσέ με beginnt, die sich dort auf die Umrissgestalt des Gedichts selbst beziehen.39 Die Syrinx präsentiert uns somit eine Illustration verschiedener Echotypen: So wie die Syrinx selbst als Person des Mythos (angedeutet in πόθοιο πυρισμαράγου 8), als visuelles und (unterstrichen durch die Häufung der Klangfiguren) als akustisches Phänomen erscheint, so zeigt sich Echo nicht nur als mythologische Figur und akustisches Phänomen, sondern weist in den sich vor den Augen des Lesers verkürzenden Pfeifenlängen und dem abschließenden νηλεύστῳ auf ihre Unsichtbarkeit hin.40 In der Figur der Echo spiegeln sich so wesentliche Merkmale des Gedichtganzen, Syrinx und Echo erweisen sich als komplementär. Während ein ekphrastisches Epigramm den Wettstreit der Künste thematisiert, im Speziellen die Defizienz des Visuellen gegenüber dem Akustischen, strebt der Verfasser eines Technopaignions eine Vereinigung beider Künste an, eine Übereinstimmung von Inhalt und (äußerer) Form; der Dichter der Syrinx ist nach dieser Interpretation damit besonders weit gegangen. Hieran anschließend lässt sich die Figur des Pan, ein zweigestaltiges Wesen (δίζων), dennoch ein Ganzes ( Ὅλον),41 vielleicht auch als Verkörperung des ­Ideals dieser Verbindung zweier komplementärer Künste und somit als geeigneter Empfänger dieser Weihegabe lesen.

38 Für einige Beispiele vgl. Rossi 2001, 17 Anm. 13. 39 Vgl. Pappas 2013, 212. Erwägenswert ist Kwapisz’ Vorschlag (2013, 162), in οὐδενός, dem ersten Wort der Syrinx, einen Hinweis auf Polyphems Blendung zu sehen, womit das Problem Sehen/Nicht-Sehen bereits zu Beginn der Syrinx aufgegriffen wäre. 40 Für sich allein weniger überzeugend, aber in Zusammenhang mit den anderen Echoeffekten erwähnenswert scheint der phonetische Echoeffekt κλωποπάτωρ, ἀπάτωρ (15), wobei vielleicht auch das wie ἀπάτωρ am Zeilenende stehende ταυροπάτωρ (3) nachklingt. 41 Hier scheint auch die bei Stoikern und Orphikern belegte Vorstellung Pans als Weltengott (τὸ πᾶν) eine Rolle zu spielen, dessen zweigestaltiger Körper (τὸ σῶμα διφυές, Alex.­ Aphrod. Probl. 3, 17) Erde und Äther repräsentiert (s. Roscher 1893, 56 ff.). Für mögliche Bezüge der Technopaignien des Simias auf orphische Kosmologie s. Wojaczek 1979; ablehnend Kwapisz 2013, 11.

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1.2. Echo als »Echo« der Stimme des Lesers Während die Syrinx den Facettenreichtum illustriert, den Echo als illustrans literarischer Techniken auch im Epigramm besitzen kann, lässt sich ihre Funktion als Echo der Stimme des Lesers dort wohl nicht nachweisen. Im Folgenden sollen nun solche literarischen Epigramme vorgestellt werden, in denen ebendieses Motiv vorzuliegen scheint. Einen Verweis darauf könnte folgendes Epigramm bieten (Gauradas AP 16, 152 = FGE 458–63): Ἀχὼ φίλα, μοὶ συγκαταίνεσόν τι. – Τί; Ἐρῶ κορίσκας· ἁ δέ μ᾽ οὐ φιλεῖ. – Φιλεῖ. Πρᾶξαι δ᾽ ὁ καιρὸς καιρὸν οὐ φέρει. – Φέρει. Τὺ τοίνυν αὐτᾷ λέξον, ὡς ἐρῶ. – Ἐρῶ. Καὶ πίστιν αὐτᾶι κερμάτων τὺ δός. – Τὺ δός. Ἀχώ, τί λοιπὸν ἢ πόθου τυχεῖν; – Τυχεῖν. Liebe Echo, gewähre mir etwas. – Was? – Ich liebe ein Mädchen, sie aber liebt mich nicht. – Sie liebt dich. – Um mit ihr zu schlafen,42 fehlt mir die passende Gelegenheit. – Die Gelegenheit kommt. – Sag du ihr nun, dass ich sie liebe. – Ich werde es ihr sagen. – Und gib ihr Münzen zum Beweis. – Gib du sie ihr. – Echo, was bleibt noch, außer dass ich meine Sehnsucht erfülle? – Dass du sie erfüllst (oder: dass du das Mädchen bekommst).

Es handelt sich um einen Dialog zwischen einem Liebenden und Echo; wie in der ovidischen Erzählung von Narziss und Echo wiederholt Echo zwar nur das jeweils letzte Wort, doch nimmt es in ihrem Mund eine neue Bedeutung an, wodurch sich ein Gespräch ergibt (es wurde nicht versucht, den Effekt in der Übersetzung nachzuahmen). Auf das setting dieses Gesprächs finden sich keine weiteren Hinweise; es scheint zwar naheliegend, dass es in ländlicher Umgebung stattfindet, in relativer Einsamkeit, wo sich Echo bevorzugt aufhält,43 doch ein Schauplatz in der Stadt ist ebenso möglich (und vielleicht eher wahrscheinlich, wenn das Mädchen eine Prostituierte ist). Die iambische Form des Gedichts ist durch den Echoeffekt bedingt, da hierfür am Ende des Verses zwei metrisch äquivalente Teile benötigt werden. Bemerkenswert ist der Effekt in Vers 4, wo ἐρῶ im ersten Fall von ἐράω, in der Antwort von ἐρέω abgeleitet wird. Das Gedicht zeichnet die Entwicklung des Liebhabers von anfänglicher Verzagtheit zu abschließender Entschlossenheit hin nach, die durch Echos Antworten bewirkt zu werden scheint. Echo vergewissert den Sprecher zunächst der 42 Zu dieser Bedeutung von πράττειν / δρᾶν / facere vgl. Adams 204 mit Add. (hinzu­ zufügen ist Petron. 87, 10). 43 So hat es der Lemmatist verstanden, der das Gedicht mit παρὰ τοῦ Πανός überschrieb. Dagegen Page: »a human speaker seems more likely«.

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Liebe des Mädchens, verspricht ihm das Eintreten einer passenden Gelegenheit (2–3) und fordert ihn schließlich zum eigenen Handeln auf (5–6). Dabei bleibt ihr Status in gewisser Weise offen: Ist sie als vollwertige Gesprächspartnerin zu betrachten, oder präsentiert das Gedicht nur das Selbstgespräch eines Liebenden? Die Ambiguität scheint dabei bereits im Imperativ συγκαταίνεσον angedeutet, der hier wohl mit »gewähre mir etwas« übersetzt werden muss; doch συγκαταινέω bedeutet auch »mit jemandem übereinstimmen«, so dass der Leser auch »Echo, stimme mit mir überein« (i. S. v. »sprich mir nach«) verstehen mag, womit der Dialogcharakter des Gedichts bereits zu Beginn in Frage gestellt wäre. Auch der Verlauf der Unterhaltung, von anfänglicher Verzagtheit und Verzweiflung hin zur Ermutigung, erinnert an manche Monologe homerischer Helden, in denen diese zunächst ihre Verzweiflung über eine schwierige oder aussichtslose Situation kundtun, um sich am Ende selbst zum Handeln zu ermuntern.44 Die homerischen Monologe werden i.d.R mit dem θυμός geführt, der oft das Beiwort φίλος erhält (vgl. Ἀχὼ φίλα).45 Auch wenn sich in diesem Epigramm kein konkreter Bezug auf die Lektüre einer Inschrift findet, so tritt doch das Problem, dass ein scheinbarer Dialog vielleicht nur ein Monolog ist, bereits hervor.46 Diese Ambivalenz findet sich nun, auf die Lektüre der Inschrift bezogen, in den folgenden Beispielen wieder (Anon. AP 9, 177): Αἴαντος παρὰ τύμβον ἀταρβήτοιο παραστὰς   Φρύξ ὑπεόντι κακῆς ἦρχεν ἐπεσβολίης· »Αἴας δ᾽ οὐκέτ᾽ ἔμιμνεν.« ὁ δ᾽ ἀντεγέγωνεν ἔνερθε·   »Μίμνεν.« ὁ δ᾽ οὐκέτ᾽ ἔτλη ζωὸς ἀποφθίμενον. Ein Phryger, der an den Grabhügel des furchtlosen Aias herantrat, begann mit einer üblen Schmährede gegen den Toten: »Aias blieb nicht mehr stehen.« Der aber rief von unten zur Antwort: »Er blieb stehen.« Nicht mehr ertrug da der Lebende den Toten. 44 Il. 22, 296–306 (Hektor sieht sein Ende kommen, ermuntert sich aber zum Kampf gegen Achill); Od. 6, 118–126 (Odysseus allein in unbekanntem Land, ermuntert sich zur Erkundung desselben); Od. 13, 198–218 (Odysseus in scheinbar unbekanntem Land, ermuntert sich, die Vollständigkeit seiner Geschenke zu überprüfen; die Stellen nach Pelliccia 1995, 124–5). 45 Die Wendung ἀλλὰ τίη μοι ταῦτα φίλος διελέξατο θυμός begegnet fünfmal in der Ilias (11, 407; 17, 97; 21, 562; 22, 122; 22, 385). 46 Walsh 1990, 11 stellt fest, dass im Hellenismus der innere Monolog nicht mehr durch Anrede an den θυμός oder die καρδία stattfindet, und zitiert als Beleg Kallimachos’ Echogedicht (28 Pf.): »Echo is, but sounds as if she were not, his [i. e. Kallimachos’] own speaking voice, or his audible thoughts. By mishearing himself, the speaker learns something he must have known but would not consciously articulate. The poem records the moment of selfenlightenment and surprise when knowledge and thought, half-suppressed, slip free.« Die hier konstatierte Entwicklung lässt sich m. E. durch AP 16, 152 untermauern, da hier der Zusammenhang von θυμός-Rede und Echorede noch deutlicher ist.

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Dieses Epigramm erzählt eine auch bei Philostrat (Heroic. 18) überlieferte Geschichte, in der phrygische Hirten das Grabmal des Aias schmähen, wobei einer ihm unter Zitierung des auch im Epigramm genannten homerischen Halbverses Αἴας δ᾽ οὐκέτ᾽ ἔμιμνεν (Il. 15, 727 = 16, 102) Feigheit vor dem Feind vorwirft. Nach der Erzählung Philostrats ruft Aias aus der Tiefe ἀλλὰ ἔμιμνον und lässt seine Waffen klirren. Die Hirten rennen panisch davon, aber der Geist des Aias verschont ihr Leben. Im Gegensatz zur Geistergeschichte Philostrats wählt das Epigramm einen nüchterneren Rahmen. Das Gespräch am Grab zwischen Hirte und Aias knüpft an solche Epigramme an, die einen Dialog zwischen dem Wanderer und dem Toten schildern. Doch erscheint hier die Antwort des Heroen nicht als eigenständige Aussage, sondern nur mehr als Echo der letzten beiden Silben der Rede des Hirten (der Echoeffekt macht es sich dabei zunutze, dass in epischer Sprache das Augment entfallen kann).47 Dem Epigramm ist an einer Zuspitzung des Gegensatzes von »stehen bleiben« und »weichen« gelegen. Der Hirte, der seiner Wege gehend am Grab vorbeikommt und stehen bleibt (παραστάς), wirft dem Aias vor, nicht stehen geblieben zu sein. Dieser entgegnet, er sei stehen geblieben, und so ist es der Hirte, der schließlich weicht. Dabei spielt der letzte Vers mit den Bedeutungen von μένειν und τλῆναι: Den Hirten packt in οὐκέτ᾽ ἔτλη zunächst die Angst, aber die Bedeutung »einen Angriff aushalten« (τλῆναι konnte geradezu als Synonym von μένειν gebraucht werden, s. Il. 11, 317 μενέω καὶ τλήσομαι) schwingt mit: Wie einst die Troianer im Krieg, muss der Hirte vor dem toten Heros weichen. Dieser Bewegungsablauf von Ankunft, Schmähung, Entgegnung und Flucht ist dabei auch im eigentlichen Dialog gespiegelt. Aias wirft lediglich das Wort des Hirten auf ihn zurück, er »reflektiert« gewissermaßen dessen Worte – die ja selbst nur ein (homerisches) Echo waren. Das »reverse« Echo Αἴας δ᾽ οὐκέτ᾽ ἔμιμνεν / Μίμνεν. ὁ δ᾽ οὐκέτ᾽ macht die Umkehrung der Bewegungsrichtung dabei besonders deutlich.48 Das Gedicht trifft dabei auch eine Aussage über die kommunikative Situation: Ein Dialog am Grabmal findet nicht eigentlich statt, die Worte des Toten (i. e. die Inschrift) sind das Echo der Stimme des Passanten. Explizit macht diesen Zusammenhang folgendes Epigramm des Leonidas von Alexandria (AP 7, 548 = FGE 1898–1901):

47 Dass ein Echo vorliegt, wird auch durch ἀντεγέγωνεν angedeutet; ἀντί kann als Vorsilbe ein Echo andeuten (z. B. LSJ s. v. ἀντιφθέγγομαι I return  a sound, echo, repeat). Die lakonische Kürze der Antwort mag dabei der Charakterzeichnung dienen, galt Aias doch als in der Rede kurz angebunden (s. v.d.Valk, LfrgE s. v. Αἴας Τελαμώνιος Σχ c, γ). 48 Vorbild für ein solches »reverses« Echo konnte Kallim. Ep. 28 Pf., 3 f. ναίχι καλός /  ἄλλος ἔχει sein; vgl. auch oben (S. 110) das Distichon des Pentadius (mit repulsa als Kenn­ zeichen des »reversen« Echos?); zu »reversen« Echos vgl. Palumbo Stracca 1988.

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Τίς Δάμων Ἀργεῖος ἐπ᾽ ἠρίῳ; ἆρα σύναιμος   ἐστὶ Δικαιοτέλους; – ἐστὶ Δικαιοτέλους. Ἠχὼ τοῦτ᾽ ἐλάλησε πανύστατον, ἢ τόδ᾽ ἀληθές,   κεῖνος ὅδ᾽ ἐστὶν ἀνήρ; – κεῖνος ὅδ᾽ ἐστὶν ἀνήρ. Wer ist Damon, der Argiver, (dessen Name) hier auf dem Grabmal (steht)? Ist er der Bruder des Dikaioteles? – Der Bruder des Dikaioteles. – Hat Echo diesen letzten Teil gesprochen; oder ist es wahr, ist es wirklich dieser Mann? – Wirklich dieser Mann.

Der Passant tritt an den Stein heran und liest darauf (ἐπί) die Worte Δάμων Ἀργεῖος; auf seine Frage, ob dies der Bruder des Dikaioteles sei, wird ihm dies mit denselben Worten bestätigt. Nun fragt der Passant nach, ob er einem Echoeffekt »aufgesessen« sei, oder ob ihm der Stein49 geantwortet habe und es sich »wirklich« um den Genannten handle. Noch einmal wird ihm das bestätigt, doch wieder lässt sich die Antwort als Echo deuten. Der Echo-Effekt nimmt dabei in beiden Distichen jeweils die zweite Pentameterhälfte ein, so dass zwei gleiche, durch die Mittelzäsur getrennte Hälften entstehen. Die Stimme des Steins erweist sich so als Echo der Stimme des Lesers. Es scheint, dass hier grundsätzlich die Kommunikation zwischen Passant und Denkmal thematisiert wird, also die Frage, auf welche Weise inschriftliche Information rezipiert wird. Dabei scheint der Echo-Effekt dem Dichter dazu zu dienen, auf die Eigenheiten dieser Kommunikation hinzuweisen: Zwar ist das Gespräch zwischen Passant und Denkmal der Form nach ein Dialog, in Wirklichkeit aber gibt es nur einen Sprecher, nämlich den Passanten, der alles vorliest.50 Es ist aber auch kein reiner Monolog des Passanten vor dem Stein, da der Stein ja die notwendigen Informationen, namentlich die Identität des Verstorbenen liefert, die hier Echo auch bestätigt.51 So lässt sich die Lektüre einer Inschrift als Dialog mit Echo deuten.52 49 Zwar wird nicht explizit gesagt, dass das Denkmal spricht, doch üblicherweise spricht entweder der Tote selbst oder das Denkmal; dass der Tote von sich in der dritten Person spricht, wäre ungewöhnlich. Vgl. auch die Ähnlichkeit mit Kallim. Ep. 13 Pf. 1 f. = HE 1187 f.  Ἦ ῥ᾽ ὑπὸ σοὶ Χαρίδας ἀναπαύεται; – εἰ τὸν Ἀρίμμα / τοῦ Κυρηναίου παῖδα λέγεις, ὑπ᾽ ἐμοί. 50 Für dieses Motiv »die Stimme der Inschrift ist in Wahrheit die Stimme des Lesers« s. u. S. 189 f. 51 Vielleicht darf man in dem Phänomen, dass sich der Leser mit seiner eigenen Stimme unterhält, auch einen Verweis auf den kognitiven Ablauf des Lesevorgangs sehen. Der Passant realisiert zunächst die Inschrift phonetisch, als Lautfolge, und begreift dann erst den Sinn der Äußerung (vgl. z. B. Nagy 2009, 421 »For the process of reading out loud to be successful, what really matters is that the sequence of letters being read out loud must be ›recognized‹ ex post facto. The sequence of sounds being read out loud by the reader is what drives the reader’s process of ›recognition‹.«) Svenbro 2005, 12 nimmt an, dass das griechische Verb für lesen (ἀναγιγνώσκειν [wörtl.] »wiedererkennen«) signalisiere, dass der Leser nicht die Buchstaben, sondern die Bedeutung der von ihm zunächst nur phonetisch realisierten Lautfolge erkenne. 52 Männlein-Robert 2007a, 318 sieht in der Unfähigkeit des Denkmals, eigene Worte zu finden, dessen Unfähigkeit, sich selbst zu erklären. Der Lesser müsse immer zusätzliches Wissen beisteuern, und das Epigramm verkörpere so das Problem der Hermeneutik eines Textes.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

Die Vorstellung der Stimme der Inschrift als Echo der Stimme des Lesers scheint auch in folgendem Epigramm des Archias auf einen Eichelhäher vorzuliegen (AP 7, 191 = GPh 3710–5):

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Ἁ πάρος ἀντίφθογγον ἀποκλάγξασα νομεῦσι   πολλάκι καὶ δρυτόμοις κίσσα καὶ ἰχθυβόλοις, πολλάκι δὲ κρέξασα πολύθροον οἷά τις ἀχώ   κέρτομον ἀντῳδοῖς χείλεσιν ἁρμονίαν, νῦν εἰϛ γᾶν ἄγλωσσοϛ ἀναυδήτοϛ τε πεσοῦσα   κεῖμαι, μιμητὰν ζᾶλον ἀνηνάμενα. Ich, der Eichelhäher, der ich früher oft Hirten, Holzfällern und Fischern eine Stimme zur Antwort entgegenrief, der ich oft – wie ein Echo – eine Spottweise mit meinen antwortenden Lippen laut krächzte, fiel nun auf die Erde herab und liege sprachlos und stimmlos da; meinen Eifer im Nachahmen habe ich abgelegt.

Das Gedicht greift das Thema einer Reihe von Epikedien auf Tiere auf, in denen der Verlust ihres Gesangs durch den Tod beklagt wird.53 In diesen Gedichten wird, wie Irmgard Männlein-Robert gezeigt hat, häufig der Gesang der Tiere in Beziehung gesetzt zum Gesang des Dichters, d. h. zum Gedicht selbst.54 In unserem Gedicht wird die eingetretene Totenstille zudem durch die Ich-Rede des Vogels im Grabgedicht konterkariert: auch im Tode schwatzt der Vogel noch.55 Der Eichelhäher hat menschliche Stimmen nachgeahmt oder »nachgeäfft« (κέρτομον ἁρμονίαν), »wie ein Echo« (3). Diese Eigenschaft des Vogels, im Speziellen menschliche Stimme nachzuahmen, steht im Zentrum des Epigramms.56 Vor diesem Hintergrund ist das abschließende Bekenntnis, von diesem Bestreben abgelassen zu haben, wohl ironisch zu deuten: denn da die Grabinschrift als Echo der Stimme des Lesers gedeutet werden kann, fungiert der Vogel über seinen Tod hinaus als menschliches Echo.57 Hierin erschöpft sich der den Tod überdauernde Echoeffekt aber noch nicht. Das Gedicht knüpft, wie Helen Law gezeigt hat, in Wortwahl und Struktur an frühere Epigramme an.58 Solche Entsprechungen sind im Sinne der art of 53 Vgl. Herrlinger Nr. 6–8, 11–17, 20. 54 Männlein-Robert 2007a, 226–43. 55 So bereits Männlein-Robert 2007a, 317. 56 Zu dieser Eigenschaft des Eichelhähers s. Keller 1963 II, 113 »menschliche Worte und überhaupt alles nachzuahmen«. Insofern der Eichelhäher (wie Papageien und Krähen) sprachbegabt ist (Chrysipp apud Sext. Emp. Adv. Math. 8, 275), wird so auch seine Ich-Rede »plausibel« gemacht. 57 Der hier durch πάρος … νῦν auffällig betonte Vorher-Nachher-Kontrast dient im Epigramm nicht selten dazu, auf Kontinuität hinzuweisen: vgl. unten das Epigramm auf Ampharete (S. 233) sowie die »Berufswechselepigramme« (S. 297). 58 Law 1936, 231. Aus unserem Gedicht vergleicht sie ἁ πάρος … νῦν mit πρὶν μὲν … νῦν δέ (Archias AP 7, 213 = GPh 3716–3723), ὁ πρὶν … νῦν (Archias AP 9, 19 = GPh 3700–9),

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variation zwar charakteristisch für die Gattung, können aber auch die Vorstellung eines Echos aufrufen. Insbesondere der Beginn des Gedichts (ἁ πάρος κτλ.) ist auch sonst häufig, wenn z. T. auch später, belegt;59 der Eichelhäher ahmt wohl eine typische Eröffnungsfloskel nach. Mit den verstorbenen Lieblingsnachtigallen und -zikaden hat der Eichelhäher die Gesprächigkeit gemeinsam;60 freilich ist der Gesang des Eichelhähers misstönend (κρέξασα, κέρτομον ἁρμονίαν).61 Dass damit eine Aussage über eine Art zu dichten getroffen werden soll, legt auch die Wendung μιμητὰν ζᾶλον nahe, da μίμησις und ζῆλος auch die rhetorisch-literarische Nachahmung von Vorbildern bezeichnen.62 Männlein-Robert denkt an eine »implizite Kritik an zeitgenössischen Vertretern unreflektierter ›imitatio‹«;63 im Speziellen könnte aber auch gerade an die Gruppe der Tier­epikedien gedacht sein, die in der Figur des Eichelhähers parodiert werden.64 Auch ein weiteres Epigramm eines Archias65 beschäftigt sich mit einem Echo, diesmal mit der mythischen Figur (Archias AP 16, 154 = GPh 3788–91): Ἠχὼ πετρήεσσαν ὁρᾷϛ, φίλε, Πανὸϛ ἑταίρην,   ἀντίτυπον φθογγὴν ἔμπαλιν ᾀδομένην, παντοίων στομάτων λάλον εἰκόνα, ποιμέσιν ἡδὺ   παίγνιον· ὅσσα λέγειϛ, ταῦτα κλύων ἄπιθι.

πρόσθε μὲν … νῦν δέ (Simias AP 6, 113 = HE 3276–9); κρέξασα mit ἔκρεκες (AP 7, 213); ἄγλωσσος mit ἀγλώσσου (Simias AP 7, 193, 4 = HE 3275). 59 Ἁ πάρος: AP 6, 159; 7, 723. Ἡ πάρος: AP 5, 273; 9, 4; 9, 41; 9, 258; 9, 261. 60 Die »Gesprächigkeit« von Nachtigallen und Zikaden wird dagegen oft mit λαλεῖν bezeichnet, was in der späthellenistischen Dichtung positiv konnotiert ist, s. Männlein-Robert 2007a, 243–50. 61 Vgl. zur (auch sprichwörtlichen) Hässlichkeit seines Gesangs die Belege von Männlein-Robert 2007a, 317 Anm. 45 f. Dies wird vielleicht auch durch den Klangeffekt des letzten Verses unterstrichen, der eine Häufung von μ- und ν-Lauten (vor allem να) aufweist: κεῖμαι μιμητὰν ζᾶλον ἀνηνάμενα. Mart. Cap. spricht von »Mytacismus« (5, 514; vgl. Lausberg § 975,1) und führt als Beispiel an mammam ipsam amo quasi meam animam. 62 Reiff 1959, 116–7. 63 Männlein-Robert 2007, 317. Vgl. auch den lat. Gebrauch von pica (ThLL s.v. 1a, vor allem Pers. Prol. 13 corvos poetas et poetridas picas). Zur »negativen« Imitatio überhaupt vgl. Pollianos AP 11, 130, wo »kyklische« Dichter als »Kleiderdiebe Homers« beschimpft werden (im Lateinischen ist allg. furtum gebräuchlich, vgl. Don. Vita Verg. 45; weitere Stellen bei Reiff 1959, 119 Anm. 30); vgl. außerdem zum »Defizienz-Modell« der Imitatio Reiff 1959, 58– 62; Vogt-Spira 1999, 25–9. 64 Eine mögliche Parallele bietet das pseudovergilische Gedicht Culex, in dem innerhalb einer bukolischen Szenerie eine Mücke die Hauptrolle spielt, die letztlich den Tod findet und eine Grabinschrift erhält; ein parodistisches Element mag darin liegen, dass hier gerade einer Mücke (und nicht einer schönstimmigen Zikade) eine Grabinschrift gewidmet wird. 65 Law 1936, 240 f. spricht sich vorsichtig dafür aus, AP 7, 191 und 16, 154 demselben Dichter, Archias von Mytilene, zuzuschreiben. Skepsis äußern Gow/Page, GPh S.  434 Anm. 4.

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Die felsige Echo siehst du, Freund, die Gefährtin Pans, eine zurückschlagende, zurückgesungene Stimme,66 ein sprechendes Abbild vielfältiger Reden, den Hirten ein süßes Spielzeug. All das, was du sagst, höre und geh fort.

Auf den ersten Blick handelt es sich um ein ekphrastisches Epigramm auf eine Statue der Echo.67 Sprecher könnte ein Beistehender sein, der dem Betrachter das Kunstwerk in der 3. Person erklärt, oder die Statue selbst.68 Echos Eigenschaft, Worte aller Art wiederzugeben, wird im Gedicht breiter Raum gegeben, wogegen ihr pastoraler Bezug eher zurücktritt. Hörbare Echoeffekte sind, vielleicht weil kein Dialog zwischen Passant und Echo stattfindet, nicht aus­ zumachen. Gleichwohl scheint das Epigramm als Ekphrasis eines akustischen Phänomens eine metapoetische Deutung schlechthin herauszufordern: So sieht­ Kathryn Gutzwiller69 die Pointe des Gedichts im Zusammenspiel von Bildwerk und Inschrift: Die Statue sei die bildliche Darstellung des Schalls, die Inschrift wiederum die lautliche Beschreibung des Bildwerks; indem das Epigramm das Paradox hervorhebt, dass eine Klangfigur im Bild dargestellt wird (d. h. Sprache durch ein Bild »ersetzt« wird), verweise es auf sein eigenes Paradox – das Paradox aller ekphrastischen Epigramme überhaupt –, das Ersetzen eines Bildes durch Sprache. Sehen und Hören erschienen hier als äquivalent, und das Epigramm fungiere als »Echo der Statue der Echo«; das Gedicht lasse sich so als Kommentar auf das Phänomen der Kunstwerksbetrachtung überhaupt lesen, die ohne eine Verbalisierung dessen, was man sieht, nicht auskommen kann.70 66 ᾈδομένην wird üblicherweise aktivisch übersetzt, mit φθογγὴν als Objekt, also z. B. »ruft hallend dein Wort dir zurück« (Beckby; ähnlich Paton, Gutzwiller, Männlein-Robert); für einen solchen transitiven Gebrauch von ᾄδεσθαι könnte man auf  Ἥφαιστον κλυτόμητιν ἀείδεο Hymn. Hom. 20, 1 und Κάστορα καὶ Πολυδεύκε᾽ ἀείσεο (Aor.) Hymn. Hom. 17, 1 verweisen. Allerdings sind diese Belege vereinzelt und entsprechen unserer Stelle nicht genau, an der ᾄδεσθαι ein inneres Objekt bei sich hat (möglicherweise haben aber Junkturen wie φωνὴν φθέγγεσθαι eingewirkt). Mir scheint daher die Lösung plausibler, φθογγὴν ᾀδομένην als Apposition zu  Ἠχώ zu verstehen (für die Identifikation von Echo und Stimme s. Ov. Met. 3, 359; 398), i. S. v. »eine Stimme, die gesungen wird« bzw. »erklingt« (vgl. Test. Abrah. B 3, 4 ἤκουον φωνὴν ἐκ τῶν κλάδων αὐτοῦ ᾀδομένην; Theophil. Autolyc. 3, 15 ὦτα γινόμενα συμμέτοχα τῶν ἐκεῖ φωνῶν ᾀδομένων: Vitae St. Dav. Sym. Georg. 16, 17 φωνὴν ἐγχώριον καὶ παρὰ πάντων ᾀδομένην; mit aktivem ᾄδειν Lib. 18, 90 πάσης φωνῆς ταὐτὸν ᾀδούσης; Theodoret. Provid. 4, 1 ἤκουσα τῆς προφητικῆς φωνῆς ᾄδούσης). 67 Die Existenz solcher Statuen ist literarisch bezeugt (J. Bažant/E. Simon, Echo, LIMC 3,1, 1986, 680–3, hier: 681). 68 Männlein-Robert (2007a, 319) plädiert für einen Beistehenden, Gutzwiller (2002, 106) erwägt, dass die Statue als Sprecher auftritt. Dabei mag die Ambiguität der Sprecherrolle gerade bei Echo intendiert sein, bei der nicht klar ist, ob sie überhaupt selbst spricht. 69 Gutzwiller 2002, 106 f. 70 »The articulation of the viewing experience in language is an essential part of art itself« (Gutzwiller 2002, 107).

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Auch Irmgard Männlein-Robert71 verweist auf das »Paradox einer sichtbaren Klangfigur«. Indem der Exeget das Epigramm laut vorliest, das man sich unter der Statue angebracht denken müsse, werde er selbst zum »Echo«, zum Resonanzkörper der eingemeißelten Worte, das lautliche Pendant zur visuellen Echo-Statue. Das Epigramm »reflektiert« so »zentrale Aussagen der hellenistischen Medienpoetik«: Die Umwandlung der Stimme ins Bild und die Verwandlung des Bildes in Stimme. Ausgehend von der beiden Interpretationen gemeinsamen Beobachtung, dass die Echostatue als bildliche Repräsentation der Stimme eine Art »Gegenentwurf« zum ekphrastischen Epigramm darstellt, das ein Bild in Stimme verwandelt, scheint mir eine weitere Nuancierung möglich. Den Ausgangspunkt hierfür bildet ὁρᾷς in Vers 1. Dieser im ekphrastischen Epigramm häufige Hinweis auf das Sehen72 bezieht sich zunächst auf den Betrachter des Kunstwerks, richtet sich aber eigentlich an den Leser des Epigramms und suggeriert dann das »Sehen« eines Kunstwerks, das ihm nicht unmittelbar vor Augen steht. Im Unterschied zu einem Betrachter ist der Leser darauf angewiesen, das Kunstwerk mental zu rekonstruieren, mittels der Beschreibung, die ihm das Epigramm gibt. Ein Kunstwerk anhand einer epigrammatischen Ekphrasis zu rekonstruieren, erweist sich nun in den meisten Fällen als problematisch;73 doch das vor­ liegende Gedicht liefert nicht nur keine zureichende Beschreibung des Bildes, sondern es widersetzt sich geradezu durch mehrere ambivalente Ausdrücke einer solchen Rekonstruktion. Diese Tatsache wiederum legt nahe, dass der Vorgang der Visualisierung durch Lektüre selbst problematisiert werden soll. Zunächst mag der Leser meinen, aufgrund seiner Kenntnis anderer ekphrastischer Epigramme und dem Wortlaut des vorliegenden Gedichts, eine menschengestaltige Statue der Echo zu sehen; die Statue wird namentlich als Pans Gefährtin Echo bezeichnet; das Beiwort πετρήεσσαν steht dann für die Materialität des marmornen Kunstwerks, und in Vers 3 wird mit εἰκόνα das für »Statue« übliche Wort gebraucht. Die »Statuenhaftigkeit« des beschriebenen Kunstwerks wird dabei aber konterkariert, insofern sich die Attribute (wie bereits von Gutzwiller gesehen) auch auf die leibhaftige Echo beziehen lassen. So lässt sich bereits πετρήεσσα polysem deuten: Da das Echo besonders gut von Felswänden widerhallt, kann es auch Echos bevorzugten Aufenthaltsort bezeichnen (»die in den Felsen wohnende«).74 Doppeldeutig ist auch εἰκόνα, »Abbild«, das hier nicht nur die Statue als Abbild der Person, sondern auch »das Abbilden«, d. h. die Reflexion des 71 Männlein-Robert 2007a, 319 f. 72 Einige Beispiele bei Rossi 2001, 17 Anm. 13. 73 Zanker 2003. 74 Gutzwiller 2002, 106.

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Schalls, παντοίων στομάτων, bezeichnet:75 Insofern ist ja auch die leibhaftige Echo eine εἰκών.76 Das (geradezu konventionelle) Spiel mit der Verwechslung von Person und Statue lässt im Falle Echos allerdings eine ungewöhnliche dritte Möglichkeit zu: Da von Echo nur ihre Stimme geblieben ist, die Inschrift aber als Stimme des Kunstwerks gedeutet werden kann,77 ist die Inschrift selbst die eigentliche Echo, und es gibt überhaupt keine bildliche Darstellung, oder anders gesagt: die bildliche Darstellung ist das Schriftbild der Inschrift.78 Der Gedanke, dass die Schrift eine Art (Ab-)Bild der Sprache ist, findet sich bereit bei Platon und­ Alkidamas (s. o. S. 59 f. mit Anm. 120); letzterer spricht explizit von der Schrift als εἰκὼν λόγου (Soph. 28). Die Identifikation Echos mit der Inschrift scheint vor allem der Schlussvers nahe zu legen, in dem der Sprecher dem Leser offenbart, dass er das, was er sagt, hören wird: ὅσσα λέγεις, ταῦτα κλύων ἄπιθι. Im kon­k reten Fall »sagt« der Betrachter den Inhalt der Inschrift, die er (laut) vorliest. Somit wird wieder die inschriftliche Kommunikation thematisiert: Die Inschrift, wie Echo, kann nicht von sich aus reden, es ist der Betrachter selbst, welcher ihr durch das laute Lesen seine Stimme leiht. Die Inschrift ist eben das »Echo« der Stimme des Lesers. Für die Deutung, dass die Inschrift selbst Gegenstand der ekphrastischen Beschreibung ist, gibt es im Gedicht mehrere Hinweise. So lässt sich πετρήεσσαν auch auf den inskribierten Stein selbst beziehen, der häufig als πέτρη / πέτρος bezeichnet wird.79 Die Beschreibung des Echos selbst als ἀντίτυπος φθογγή beschreibt prima facie die »widerhallende Stimme«, also das Echo (LSJ s.v. I 1); eine weitere geläufige Bedeutung von ἀντίτυπος ist »widerständig« in Bezug auf hartes Material wie Stein (LSJ s.v. II 1); ἀντίτυπος φθογγή kann daher auch »harte, (den Händen) Widerstand bietende Stimme« (i. e. Inschrift) bedeuten.80 Das Singen (ᾀδομένην) stünde dann für die metrische Form des Epigramms.81 75 Aubetron/Buffière 1980, 272; Gutzwiller 2002, 106; Männlein-Robert 2007a, 320 Anm. 57. In Ovids Echo-Erzählung wird entsprechend mit der Doppelbedeutung von imago gespielt, allerdings nicht in Bezug auf Echo und ihre Statue, sondern Echo und Narziss’ Spiegelbild (s. Männlein-Robert 2007a, 321–7); vgl. hierzu auch die bildlichen Darstellungen des Mythos (J. Bažant/E. Simon, Echo, LIMC 3,1, 1986, 680–3, hier: 683). 76 Mit der Bedeutung von εἰκών spielen im ekphrastischen Epigramm auch Damocharis Grammatikos AP 9, 633; Johannes Barbukallos AP 16, 219 (s. außerdem u. S. 205). 77 Zur Inschrift als Stimme des Bildes s. Männlein-Robert 2007b, 252–271. 78 Diese Identifikation von Echo und Inschrift würde durch die hier vertretene Deutung von φθογγὴν … ᾀδομένην als Apposition zu Ἠχώ bestärkt, da dann φθογγὴν als direktes Objekt zu ὁρᾷς träte; sie wäre aber auch mit dem traditionellen Verständnis von Vers 2 zu vereinbaren. 79 Einige Belege bei Geffcken ad 147, 6. 80 Das Eingravieren der Buchstaben der Inschrift wird mit τυπόω bezeichnet in IG XI, 4, 1229; SERD 124, 6; TAM II 273, IGUR III, 1167. 81 Für das »Singen« eines Epigramms s. Kap. I.3.1.

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Mittels der Figur der Echo werden hier also nicht nur, wie in den vorangegangenen Beispielen, die Besonderheiten und Grenzen inschriftlicher Kommunikation thematisiert, sondern es wird auch das Problem des »Sehens«, ein Kernthema der ekphrastischen Epigramme, auf die Spitze getrieben, insofern es hier (außer dem inskribierten Stein selbst) vielleicht gar nichts zu sehen gibt.82 Dieses »Problem« der ἐνάργεια gerade an Echo darzustellen, bietet sich an, ist sie doch von Haus aus »unsichtbar«, anwesend, aber auch nicht anwesend.83

1.3. Rezeption in den Versinschriften? Das Motiv der Inschrift als Echo der Stimme des Lesers lässt sich vielleicht auch in den Versinschriften wiederfinden, obschon Echo dort nie eine prominente Figur ist.84 In folgenden zwei Epitaphen wird sie erwähnt, von denen das erste mit einer Anrede eines »Pan« an seine »Echo« schließt (GVI 794, Gerasa, 3. Jh. n. Chr.):

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Ἰουλιανὴν οὗτος κεύθει τάφος, ἣν κτερέιξεν   ἔσχατα σωφροσύνηϛ ἆθλα τίνων γαμέτηϛ, οὗ μέτα δεῦρο μολοῦσ᾽ ἀπὸ πατρίδοϛ Ἀντιοχείηϛ   οὐκέτι πρὸϛ πάτρην τῷδ᾽ ἀπελεύσεθ᾽ ἅμα· ἀλλ᾽ ἔλαχεν ταύτηϛ ἑτέραϛ μέροϛ Ἀντιοχείηϛ   τοῦτο, τὸ μὴν ψυχῆϛ σῶμα κενὸν κατέχει. – †Μὴ στατὴ† μίμνοιϛ, Ἠχοῖ δ᾽ εἴση λαλέοιϛ μοι   τῷ γαμέτῃ, Πανὸϛ τοὔνομα γὰρ κατέχω. 7 στατή priores (nec sensui nec metro aptum): σῇ vel ή Peek Juliane verbirgt dieses Grab, die ihr Gatte bestattet hat, den höchsten Preis ihrer Besonnenheit ehrend; mit ihm kam sie hierher aus ihrer Heimat Antiochien, und mit ihm wird sie nicht mehr in ihr Vaterland zurückkehren. Stattdessen erhielt sie diesen Teil dieses anderen Antiochiens, der ihren seelenlosen Leichnam besitzt. – Bleib […], sprich, der Echo gleich, zu mir, deinem Gatten, denn ich trage Pans Namen.

Das Gedicht berichtet davon, wie die Tote ihre Heimat zwar nicht wiedergesehen hat, aber gewissermaßen als Ausgleich an einem homonymen Ort bestattet 82 In einem Epigramm des Ausonius (Ep. 11 Kay) wirft Echo dem Maler vor, dass er sie, die doch keine Gestalt besitzt, gemalt habe. Kay 2001, 95 erwägt, dass vielleicht gar kein Bild vorhanden war. 83 Vielleicht wird das Spiel mit der Polyvalenz der Echofigur im Gedicht auch durch ihre Bezeichnung als ἡδὺ παίγνιον thematisiert. Als παίγνια bezeichnete Philitas einige seiner kurzen Gedichte; Echo könnte so mit dem Text des Epigramms identifiziert werden. Insofern das Echo-Epigramm auf sein Schriftbild verweist, besteht wieder eine Nähe zur Syrinx. 84 Echo begegnet außerdem in IG IV2,2 786, das unten (S. 314–9) behandelt wird.

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worden ist. Während im ersten Teil eine 3. Person berichtet, apostrophiert im letzten Distichon der Gatte selbst seine Frau. Die namentliche Verwandtschaft des Mannes mit dem Hirtengott85 liegt hier dem Vergleich des Paares mit dem mythischen Paar Pan und Echo zugrunde. Der Gatte bittet seine verstorbene Frau, ihn anzusprechen: wenn Echo über den Verlust ihres Körpers hinaus die Stimme bewahrte, dann müsste dies auch Juliane möglich sein, denn ihr Grab birgt ja nur die leere Hülle. Ob dagegen die Gleichsetzung der Stimme der Toten mit der Stimme Echos die Idee reflektiert, dass die Stimme der Grabinschrift als Echo gedeutet werden kann, lässt sich an diesem Text nicht erhärten: Die Tote bleibt stumm, der Wunsch nach Kommunikation über den Tod hinaus in der Inschrift unerfüllt. Das zweite, hellenistische Gedicht beschreibt verschiedene Facetten eines Echos (Martínez Fernández 45, Itanos, 1. Jh. v. Chr. = GVI 1918 = GG 445):

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[ἄξι]ον οὐνόματος φοβεσάνορα θυμὸν ἐν ἀ[στοῖς]   [ε]ἶχε Λέων Θέννα κοῦρος ἀριφραδέος, ὃν τέκεν ἁ περίφρων Δαματρία εὐπατέρεια   ἀγλαΐαν πάτραι, χάρμα δὲ συνγενέσιν, οἳ καὶ τρὶϛ τόσον ἄχθοϛ ὑπὸ σπλάνχνοισιν ἄ[λαστον]   εἵλκυσαν εἰϛ Λάθαϛ ἐρχομένου θάλαμον. Νύμφαι δ᾽ Ὑδριάδεϛ καὶ ὁμέστιοϛ οὔρεσιν Ἀχώ,   τοξότα, δίζηνται σὰν σκυλάκων τε βοάν. οὐ δορί με δμα[θέ]ντα [κατὰ κλόνον] ἔ κτανε[ν] Ἄ [ρης]   φοίνιος ἀντιπάλοις εἰς ἔριν ἐρχόμενον, ἀλλὰ Τύχη μ᾽ ἔσφηλε νόσωι παραδοῦσα κραται [ά].   καὶ λείπω θαλάμους ὀρφανικοὺς γονέων, κοὐκέτι τοξοσύναισι χαρεὶς διὰ λισσάδα πέτραν  θωΰξω σκυλάκων τερπνὸν ἀγαλλόμενος, λυπρὰ δὲ πένθεα ματρὶ κασιγνήταισί τε δισσαῖς   καὶ Θένναι γενέται πένθοϛ ἄλαστον ἀεί, νήπιον ἐν θαλάμοισιν ἔχων βρέφοϛ ὀρφανὸν ὥς τιϛ   Σειρὴν τειραμένα πολλάκιϛ ἐξ στόματοϛ. – ἀλλ᾽ Ἀΐδα λυπηρέ, καὶ εἰ μάλα καρτερόϛ ἐσσι,   παῖδα Λέωνα οἴκων τάξον ἐπ᾽ εὐσεβέων. 11 κραται [ά] Peek: κραται [ᾶι] possis  18 τειραμένα Peek: τειραμένα priores Einen seines Namens würdigen, Männer abschreckenden unter den Bürgern besaß Leon, der Sohn des ausgezeichneten Thennas, den die umsichtige Damatria gebar, die Tochter eines berühmten Vaters, zur Zierde für die Heimat und zur Freude für seine Verwandten, die in ihren Herzen eine dreimal so große, unerträgliche Last trugen, als er ins Gemach der Lethe ging. Die Wassernymphen und die in den Bergen beheimatete Echo suchen, Bogenschütze, dein und der Hunde Rufen. 85 Da Πάν als Personenname nicht belegt ist, wird sein Name Panodoros, Paneas, Panaitios o. Ä. gewesen sein (vermutet von Allen 1882, 207).

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Nicht mit dem Speer bezwang und tötete mich der blutrünstige Ares im Schlachtgetümmel, als ich zum Kampf gegen die Feinde antrat, sondern die schreckliche Tyche86 brachte mich zu Fall, indem sie mich einer Krankheit überließ. Ich lasse das Haus der Eltern verwaist zurück, und nicht mehr, am Bogenschießen mich freuend, rufe ich zwischen glattem Fels, mich an meinen Hunden erfreuend. Schlimmes Leid wird der Mutter und den beiden Schwestern zuteil, und dem Vater Thennas wird immer unerträgliches Leid zuteil. Ein unmündiges Kind habe ich in den Gemächern, ein verwaistes, das, wie eine Sirene, sich oft verzehrt (durch Rufen) aus dem Mund. – Aber schrecklicher Hades, magst du auch unbezwingbar sein, gib meinem Sohn Leon einen Platz unter den Frommen.

Die Inschrift besteht aus zwei Parallelgedichten; im ersten Gedicht wird ein Bericht über das Leben des Toten in der 3. Person gegeben, der im Schluss­distichon in eine Anrede an den Verstorbenen mündet. Diese bildet einen Übergang zum zweiten Gedicht, in dem der Tote dann selbst über sein Schicksal berichtet, also gewissermaßen antwortet, bevor am Ende ein Elternteil zu Wort kommt. Der Verstorbene war ein leidenschaftlicher Jäger; der Gedanke, dass ihn nicht nur die Familie, sondern auch die Nymphen vermissen, bei denen er sich die meiste Zeit aufhielt, liegt daher nahe. Die Beschreibung der Naturgötter, die den Tod eines ihnen lieb gewordenen Sterblichen betrauern, ist ein bukolisches Motiv.87 So vermisst die Natur im Epitaphios Bionos vor allem den Gesang des verstorbenen Bion ([Mosch.] 3, 11 f., 20 f. u.ö.). In der Inschrift ist es die βοή des Jägers und seiner Hunde, welche die Nymphen vermissen, also ebenfalls ein akustisches Phänomen. Im Epitaphios Bionos tritt zudem Echo unter den Trauernden auf (30 f.):88 Ἀχὼ δ᾽ ἐν πέτραισι ὀδύρεται ὅττι σιωπῇ κοὐκέτι μιμεῖται τὰ σὰ χείλεα Echo in den Bergen trauert, weil sie nun schweigt und nicht mehr deine Lippen nachahmt.

Im Gegensatz zum mythologischen ersten Gedicht, wo die personifizierte Echo neben den Nymphen erscheint, könnte im zweiten Gedicht mit διὰ λισσάδα πέτραν / θωΰξω ein physikalisches Echo angedeutet sein. Zwar ist λισσάς ein stehendes Epitheton des Felsen, aber die Ähnlichkeit der Verspaare 7–8 und 13–4 (vgl. τοξότα / τοξοσύναισι, σκυλάκων in 8 und 14, βοάν / θωΰξω, οὔρεσιν ~ πέτραν) lädt zu einem Vergleich ein, und der Leser mag sich daran er 86 So Peek nach der geläufigen Junktur Μοῖρα κραταιή (zahlreiche Belege der Junktur bei Martínez Fernández a.l.); möglich wäre aber auch κραταιᾶι, vgl. IG II2 11257 κραταιή … νοῦσος; Ep. Ant. 27:16,8 κραταιὸν πῆμα … λοιμός. 87 Möglicherweise kann auch die dorische Färbung des Gedichts auf diese Gattung hinweisen. 88 Eine Unterhaltung zwischen dem Echo der Felsen und den Hunden des toten Aktaion wird geschildert in Nonn. Dion. 5, 458–67.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

innern, dass nach Pseudo-Aristoteles glatte Flächen ein besonders gutes Echo erzeugen.89 Die Wiederaufnahme des Echo-Motivs im Parallelgedicht ließe sich so als spiele­risches »Echo des Echos« deuten.90 In diesem Zusammenhang mag auch der Wechsel der Präsentationsform eine besondere Bedeutung haben: Das erste Gedicht ist im neutralen Bericht der dritten Person verfasst, endet aber mit einer Apostrophe des Toten (τοξότα, σάν), dem mitgeteilt wird, dass die Nymphen und Echo seine Stimme vermissen. Dass nun unmittelbar darauf im Parallelgedicht der Tote das Wort ergreift, mag man als »Antwort« auf diese implizite Bitte verstehen: Der Tote lässt seine Stimme noch einmal erklingen. Wenn man darüber hinaus hier den Topos der Inschrift als Echo der Stimme des Lesers zugrunde legt, dann ergibt sich eine Kontinuität vom Leben bis in den Tod: Die Stimme des Toten erklingt zwar nicht mehr als Echo in den Bergen, aber weiterhin als »Echo«, nämlich als Echo der Stimme des Lesers, vom Grabstein.

2. Weinende Steine: Das Niobe-Schema Materielle Objekte, allen voran der Stein, dienen nach verbreiteter Vorstellung als Metaphern für Empfindungslosigkeit.91 Dennoch wird bisweilen beschrieben, wie ein Stein oder ein anderes »totes« Objekt von inneren Regungen betroffen zu werden scheint.92 Dieses Phänomen soll hier »Beseelung« genannt werden.93 Solche Beseelungen finden wir in mythischen Erzählungen, die eine 89 [Arist.] Probl. 899b18–36; vgl. bereits Plat. Phaidr. 255c. 90 Dabei scheint es nicht unbedeutend, dass das Echomotiv in einer Grabinschrift begegnet, die aus zwei Parallelgedichten besteht; wie man aus der Zusammenstellung bei Peek (GVI, Kap. VII 2) leicht erkennen kann, ist die thematische, teilweise sogar wörtliche Wiederholung von Motiven dort nicht selten, auch wenn in der Regel allzu enge Entsprechungen gemieden werden. Insofern überrascht es nicht, dass auch hier, neben den bereits genannten, noch folgende Entsprechungen bestehen: zu Beginn der beiden Gedichte die kriegerische Tüchtigkeit (φοβεσάνορα θυμόν 1, 9–10); die Trauer der Verwandten (5–6, 15–16); ἄλαστον (5, 16); θάλαμος (6, 12, 17, in verschiedener Bedeutung). Gleichwohl mag die Tatsache, dass Echo in beiden Parallelgedichten thematisiert wird, den Leser dazu ermuntern, auch diese Wiederaufnahmen als »intratextuelles Echo« zu deuten. 91 Od. 23, 103 κραδίη στερεωτέρη ἐστὶ λίθοιο; Eur. Fr. 176 K.; Moschion F 7 Sn. Sprichwörtlich: ἀπαθὴς ὡς ἀνδρίας Arr. Epict. 3, 2, 4; vgl. Append. Prov. 1, 27; 3, 68 (s. Kassel 1983, 1–2). 92 Der Begriff »innere Regungen« ist hier möglichst umfassend gemeint und steht im Folgenden u. a. für »Selbstbewusstsein, Denken, Gefühle, Gewissen, Willenskräfte« (vgl. die Definition der »Ego-Seele« [Steinert 2012, 74]). 93 Die Bezeichnung ist nicht ganz treffend, da die Dinge nicht eigentlich eine Seele erhalten; vgl. aber Eustath. ad Il. 4, 126 (1, 715 v. d. V.): ἔθος γὰρ Ὁμήρῳ κατὰ λόγον γλυκύτητος προαιρετικὴν ὁρμὴν καὶ τοῖς ἀψύχοις προσπλάττειν καὶ ψυχοῦν οἷον αὐτά; Arist. Rhet. 1411b31–32 τὸ τὰ ἄψυχα ἔμψυχα ποιεῖν διὰ τῆϛ μεταφορᾶϛ.

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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Welt abseits der Alltagserfahrung beschreiben: Orpheus, der mit seinem Gesang Steine bezauberte; Amphion, der mit seinem Gesang die Mauer Thebens formte; Niobe, die noch nach ihrer Versteinerung unaufhörlich weint. Weiterhin begegnet das Phänomen als literarisch-rhetorisches Motiv, im Hellenismus vielleicht am prominentesten im ekphrastischen Epigramm: So kann ein Kunstwerk so lebensecht sein, dass es dem Betrachter scheint, es besäße Empfindungen (wie z. B. das Fühlen von Schmerz);94 einen Spezialfall stellt die pathetic fallacy dar, in der die umgebende Natur an menschlichen Empfindungen, vor allem Trauer, Anteil nimmt und diese »mitempfindet«. Gerade in der Epigrammatik findet sich seit dem Hellenismus das Phänomen, dass Gegenstände als gleichsam beseelt erscheinen; dieser Aspekt ist für die literarischen Epigramme schon mehrfach herausgestellt und als Weiter­ führung der traditionellen Rede des Gegenstands gedeutet worden: Warum soll ein Objekt, das sprechen kann, nicht auch fühlen können?95 Demgegenüber ist die Frage, ob sich seit dem Hellenismus solche Strategien der Beseelung auch für die inschriftlichen Denkmäler nachweisen lassen, nicht systematisch untersucht worden.96 Dies soll im Folgenden exemplarisch für das Motiv des »weinenden Grabsteins« durchgeführt werden.

2.1. Weinende Steine – eine Bestandsaufnahme Das früheste erhaltene Beispiel für einen sprechenden Gegenstand, welcher den Toten beweint, scheint in einem der neugefundenen Epigramme des Poseidipp vorzuliegen (89 A.-B.): Λυσικλέους κεφαλὴν ὁ κενὸς τάφος οὗτος ἀπαιτεῖ   δάκρυ χέων, καὶ θεοῖς μέμφεται, οἷ᾽ ἔπαθεν τοὒξ Ἀκαδημείαϛ πρῶτ[ον σ]τόμα, τὸν δέ που ἤδη   ἀκταὶ καὶ πολιὸν κῦμα [θανόντ᾽ ἔλαχον]. Das Haupt des Lysikles fordert dieser Kenotaph, eine Träne vergießend, und tadelt die Götter dafür, was das erste Sprachrohr der Akademie erlitten hat; ihn aber, [den Toten, erlangten] bereits irgendwo Klippen und eine graue Welle.

94 Z. B. Leontios Scholastikos AP 16, 245 und die Beispiele auf S. 148 Anm. 140. 95 Hutchinson 1988, 72; Fantuzzi/Hunter 2004, 316; Meyer 2005 spricht von »Psycholo­ gisierung« (182; 200 u. ö.). 96 Ein bereits besprochenes Beispiel, das sich auch hier anführe ließe, ist der mehrfach in Versinschriften geäußerte Wunsch eines zu Lebzeiten errichteten Grabes, noch möglichst lange Zeit keinen Toten aufnehmen zu müssen (s. S. 70 f.). Eine solche Sorge um die An­ gelegenheiten des Erbauers (bzw. im Weihepigramm des Stifters) findet eine Parallele etwa im kallimacheischen Epigramm des Akeson (Ep. 54 Pf.), in dem ein πίναξ sich andient, dem Gott Rechenschaft über die Erfüllung eines Gelübdes abzulegen.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

Die starke Anteilnahme, die das Grab hier am Schicksal des Toten nimmt, lässt sich in Beziehung setzen zur eben dargestellten hellenistischen Beseelung des Objekts: das Grab des Lysikles fordert, weint und tadelt, doch der Leichnam des (offenbar bei einem Schiffbruch ums Leben gekommenen) Lysikles ist nicht mehr auffindbar. Insofern ein Tod auf dem Meer besonders schlimm ist, da der Tote nicht angemessen bestattet werden kann, ist der vehemente Einsatz des Grabmals für ihn vielleicht verständlich;97 gleichzeitig entsteht so ein Kontrast zwischen dem sich deutlich artikulierenden Denkmal und dem jetzt verstummten, aber einst beredten Sprachrohr der Akademie. Darüber hinaus scheint sich das Schicksal des Toten in der Reaktion seines Grabmals zu spiegeln: Die Vorstellung des von (salzigen) Tränen benetzen Grabsteins (das Gedicht spricht nicht explizit von einem Grabstein, doch darf man dessen Vorhandensein wohl voraussetzen) erinnert an die vom Meerwasser umspülten Felsen aus dem letzten Vers; diese Verbindung lässt den Kontrast zwischen Meer und Felsen (wo sich der Leichnam jetzt vermutlich befindet) und dem Grabstein (unter dem der Leichnam liegen sollte) noch deutlicher hervortreten. In einem Gedicht Meleagers scheint es das überbordende Leid eines frühen Todes zu sein, das sogar Steine zur Trauer anzuregen vermag (AP 7, 468, 1–4 = HE 4690–3): Οἰκτρότατον μάτηρ σε, Χαρίξενε, δῶρον ἐς Ἅιδαν   ὀκτωκαιδεκέταν ἐστόλισεν χλαμύδι. ἦ γὰρ δὴ καὶ πέτρος ἀνέστενεν, ἁνίκ᾽ ἀπ᾽ οἴκων   ἅλικες οἰμωγᾷ σὸν νέκυν ἠχθοφόρευν. Als eine Gabe größten Jammers, Charixenos, bekleidete dich, den 18-jährigen, die Mutter mit der Chlamys. Wahrlich, sogar ein Stein stöhnte, als die Altersgenossen unter Wehklagen deinen Leichnam aus den Häusern trugen.

Da der Stein bereits während der Ekphora stöhnt, kann mit dem πέτρος nicht primär der Grabstein gemeint sein; vielmehr handelt es sich wohl um die Überwindung eines sprichwörtlichen Adynatons.98 Ein literarisch überliefertes, aber wohl ursprünglich inschriftliches Epigramm99 aus spätantiker Zeit lässt überhaupt alle Steine trauern (Anon. AP 7, 328): 97 Zum »Tod auf dem Meer« vgl. Di Nino 2010, 77–99. 98 Otto s. v. lapis 1 nennt Cic. De Orat. 1, 57, 245 lapides mehercule omnes flere ac lamentari coegisses; Häussler 1968 ergänzt Steph. Pap. II Ep. 7 ipsi lapides, si dici potest, tribula­ tionem nostram flerent; Paul. Pap. I. Ep. I et ipsi lapides, si dici potest, nobis conflentes lacrymaverunt. 99 Das Epigramm behandelt einen Toten namens Kasandros, wie das vorausgehende AP 7, 327, in dessen Lemma notiert ist: εἰϛ Κάσανδρον τὸν ὡραῖον ἐν Λαρίσσῃ κείμενον. μετεγράφη παρὰ Γρηγορίου τοῦ μακαρίτου διδασκάλου ἐξ αὐτῆϛ τῆϛ λάρνακοϛ. Vermutlich handelt es sich daher um ein ebenfalls vom Sarkophag transkribiertes Parallelgedicht. Zur Rolle des Gregorios s. Cameron 1993, 109–11.

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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Τίς λίθος οὐκ ἐδάκρυσε σέθεν φθιμένοιο, Κάσανδρε;   τίς πέτρος, ὃς τῆς σῆς λήσεται ἀγλαΐης; ἀλλά σε νηλείης καὶ βάσκανος ὤλεσε δαίμων   ἡλικίην ὀλίγην εἴκοσιν ἓξ ἐτέων, ὃϛ χήρην ἄλοχον θῆκεν μογερούϛ τε τοκῆαϛ   γηραλέους στυγερῷ πένθεϊ τειρομένους. Welcher Stein brach nicht in Tränen aus, als du starbst, Kasandros? Welchen Felsen gibt es, der deine strahlende Schönheit vergessen wird? Aber eine erbarmungslose und neidische Gottheit vernichtete dich, im jungen Alter von 26 Jahren, die deine Gattin zur Witwe machte und deine Eltern ins Elend stürzte, die als Greise von grässlicher Trauer aufgerieben werden.

Wieder ist die vorherrschende Idee, dass die Exzeptionalität eines zu frühen Todes sogar fühllose Steine dazu bewegt, Leid zu empfinden. In dem durch die Frage negierten λήσεται ist gleichwohl auch ein Bezug auf den steinernen Sarkophag hergestellt, der ja, in Form der Inschrift, die Erinnerung bewahrt. Ein ebenfalls spätes Epigramm knüpft in der Formulierung eng an AP 7, 328 an (Julianos v. Ägypten AP 7, 599):

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Οὔνομα μὲν Καλή, φρεσὶ δὲ πλέον ἠὲ προσώπῳ   κάτθανε· φεῦ, Χαρίτων ἐξαπόλωλεν ἔαρ. καὶ γὰρ ἔην Παφίῃ πανομοίιος, ἀλλὰ συνεύνῳ   μούνῳ, τοῖς δ᾽ ἑτέροις Παλλὰς ἐρυμνοτάτη. Τίς λίθος οὐκ ἐγόησεν, ὅτ᾽ ἐξήρπαξεν ἐκείνην   εὐρυβίης Ἀίδης ἀνδρὸς ἀπ᾽ ἀγκαλίδων; Ihr Name war Kale (die Schöne); sie starb als eine Frau, deren Sinn noch schöner war als ihr Gesicht. Weh, der Frühling der Chariten ist dahin! Denn sie war der Paphierin ganz gleich – aber nur für ihren Mann, den anderen zeigte sie sich als eine ganz und gar uneinnehmbare Pallas. Welcher Stein stöhnte nicht auf, als der mächtige Hades jene aus den Armen ihres Mannes entriss?

Neben der engen wörtlichen Parallele Τίς λίθος οὐκ ἐγόησεν / Τίς λίθος οὐκ ἐδάκρυσε spricht auch die Ähnlichkeit der Motive (Vernichtung durch einen Gott, außergewöhnliche Schönheit der Verstorbenen) für eine Abhängigkeit (voneinander oder von einem gemeinsamen Vorbild). Der trauernde Grabstein begegnet häufig in den Versinschriften; ein frühes Beispiel ist folgendes hellenistische Epigramm (GVI 1248, Rhodos, 3/2. Jh. v. Chr.):

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ἠρία καὶ στῆ[λ]αι, δακρύσατε καί με θανόντα   ἀγγέλλε[ιν] πᾶσιν τεσσαρακαιδεχέτη πέτρῳ κρᾶ[τα] τυπέντα· κελαινοφαεῖ δ᾽ ὑπὸ νυκ[τί]   κεῖμαι, τὴν ὀλοὴν γαῖαν ἐφεσσάμενος, Δαφναῖος· λέξαι δὲ καί, ὡς θρεπτῆρες ἔθεντο   σᾶμά μοι· ἐν δ᾽ Ἀίδηι τραῦμα κακὸν φορέω.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

Grabmäler und Stelen, beweint mich und verkündet allen, dass ich im Alter von 14 Jahren gestorben bin, als ich am Kopf von einem Stein getroffen wurde. In dunkler Nacht liege ich, Daphnaios, als Gewand trage ich die elende Erde. Sagt auch, dass meine Eltern mir das Grabmal aufstellten. Noch im Hades trage ich die schlimme Wunde.

Wie schon bemerkt wurde, lehnt sich dieses Grabgedicht strukturell an ein Epigramm der Erinna an.100 Der imperativische Infinitiv ἀγγέλλειν mag den feierlichen Ton des Thermopylenepigramms evozieren, in dem die Verstorbenen ebenfalls darum bitten, die Kunde ihres Todes zu verbreiten (AP 7, 249 = FGE 776 f. ὦ ξεῖν᾽, ἀγγέλλειν).101 Das Motiv begegnet auch in folgendem Epigramm (GVI 1263, Pantikapaion, 2./1. Jh. v. Chr. = CIRB 127):

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Νικίεω δέρκου στάλαν, ξένε, τὸν βαρὺς Ἅιδας   ἔκλασεν ἀγρεύσας δύσμορον ἡλικίην. πρὶν δὲ θανόντος ἐμεῦ στοργᾶι συνόμαιμος ἐνεχθείς   Ἀγχίαλος τὸ θανεῖν ζῆν καλὸν ᾑρέτισεν· εἷς δὲ τάφος δισσῶν, κάλπις μία, τοὺς ἐλεαίρει   καὶ πέτρη κωφὸν πένθος ἀνειεμένη, δύστηνοι δὲ γονεῖς μελέαι παρὰ χερμάδι τέκνων   οὐ λήγουσι γόοις θρῆνον ἐγειρόμενοι.

100 Vogliano 1925, 228 vergleicht das erste Distichon mit den Versen Erinnas (AP 7, 710, 1–3 = HE 1781–4) στᾶλαι καὶ Σειρῆνες ἐμαὶ … τοῖς ἐμὸν ἐρχομένοισι παρ᾽ ἠρίον εἴπατε χαίρειν, sowie λέξαι δὲ καί mit εἴπατε καὶ τό (5). Vgl. außerdem Garulli 2012, 336–40. Der Plural στῆλαι findet sich in beiden Gedichten, was bei Erinna gegen eine Änderung zu στάλα spricht, wie sie Gow/Page a.l. vorschlagen. Die Apostrophe ἠρία καὶ στῆλαι im Plural ist dabei erklärungsbedürftig. Möglich ist einerseits die Deutung als poetischer Plural, insbesondere, wenn man ἀγγέλλειν auf die Inschrift bezieht, denn die eigentliche Kunde kann nur vom eigenen Denkmal verbreitet werden. Alternativ könnte man an eine Anrede der umstehenden Grabmäler denken, die als Trauerchor fungieren (vgl. Bing 2002, 55); der Auftrag an die Grabmäler, die Kunde zu verbreiten, lässt sich dann als Adaptation des inschriftlichen Topos deuten, in dem der Passant aufgefordert wird, die Kunde des Todes zu verbreiten (neben dem Thermopylenepigramm vgl. GVI 1353–1358; Tarán 1979, ­132–49; Bing 2002, 52–5). In SGO 09/11/02, 9 f. (S.  206) νεκύων στῆλαι, ῥήματα θανόντων / τοῖς ἀλάλοισι λαλήσατε γράμμασι scheint dagegen wegen des deutlichen Bezugs auf die Inschrift der Plural στῆλαι poetisch zu sein. In SGO 16/51/05, 7 f. (S. 137) οἰκτείρω σε, γέρον πάτερ Αἰσχύλε· καὶ γὰρ ἄναυδοι / στῆλαι τοιούτοις πέν[θεσι τηκόμεθα] spricht eine Stele, die eine allgemeine Aussage über Stelen überhaupt trifft, womit konkret auch die sie umgebenden Grabstelen gemeint sein können. Die Apostrophe der umstehenden Stelen findet sich wieder in SGO 05/01/55, 3 κωφ δ᾽ ἀνταχοῦσι πέτρ κ τύνβος ἀπεχθής (wenn nicht stattdessen Singular zu lesen ist, s. u. S. 152); bei τύμβος wird manchmal der poetische Plural gebraucht, vgl. IGUR III 1216, 5 f. κεῖμαι ἐν τύμβοισι; Teos 205, 6 κεῖμαι δ᾽ ἐν τύβοις; GVI 1957, 4 πατρῴοις κείμενος τύμβοις; IG X,2,1 464, 5 τί στέφος ἐν τύμβοις; 101 So bereits Garulli 2012, 339 f. Ein späthellenistisches Epigramm (Bernand 45, Leon­ topolis, 20 v. Chr., 10 f.) scheint sich ebenfalls an dieses Gedicht anzulehnen: ἀλλ᾽ ἀπέχεις, ὦ ξεῖνε, σαφῶς τὰ ἅπαντα παρ᾽ ἡμῶν / ἀγγέλλειν πᾶσιν τοῦ θανάτου τὸ τάχος.

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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ἀντὶ δὲ νυμφῶνος γαμίου, ξένε, τοῖς δυσὶν ἡμεῖν   [ἐκ γαίης χ]ωσθεὶς εἷς γέγονεν θάλαμος. Betrachte die Stele des Nikias, Fremder, den der schwere Hades zerbrach und dessen unglückselige Jugend er erbeutete. Bevor ich starb, wählte mein Bruder Anchialos aus Liebe zu mir den Freitod.102 Ein einziges Grab, eine einzige Urne fasst uns beide; selbst der Grabstein bemitleidet uns, indem er stumme Klage von sich gibt. Die unglücklichen Eltern aber hören nicht auf, am jammervollen Grabmal der Kinder durch ihre Klagen einen Trauergesang anzustimmen. Anstelle des hochzeitlichen Brautgemachs, Fremder, bekamen wir zwei ein einziges aus Erde aufgehäuftes Schlafgemach.

Hier wird das κωφὸν πένθος des Steins (6) mit der vernehmlichen Klage der Eltern kontrastiert, die im nächsten Distichon beschrieben wird; κωφός bedeutet hier wohl zunächst »stumm«, aber der Verfasser spielt auch mit dem Paradox einer »unempfindlichen (κωφὸν) Empfindung«, die dem Stein hier zukommt. Bisher haben wir nicht danach gefragt, was man sich unter der Trauer oder dem Weinen des Steins konkret vorstellen kann. Unter dem Eindruck einiger der oben behandelten literarischen Beispiele (AP 7, 468; 328; 599) mag man darin lediglich die Überwindung eines sprichwörtlichen Adynatons sehen: Der Verlust des genannten Menschen ist so tragisch, dass sogar ein Stein in Klage ausbricht103  – ohne dass eine genaue Vorstellung zugrunde läge, wie diese Klage sich äußert. Andererseits lässt sich die Klage des Steins auch als Weiter­ entwicklung des sprechenden Grabmals betrachten: der Stein spricht nicht lediglich durch die Inschrift, er trauert, und das Epitaph ist das »Produkt« dieser Klage. So könnte in GVI 1263 gerade κωφός in der Bedeutung »stumm« auf die »stumme Rede« der Inschrift hinweisen;104 gleichwohl ist ein Stein von Natur aus zunächst stumm, und die stumme Trauer daher für ihn das »Natürliche«. Es müssen daher Indizien hinzukommen, welche die Deutung der Klage des Steins als Epitaph zusätzlich unterstützen. Einen solchen Selbstbezug scheint folgendes Gedicht nahezulegen (GVI 1989, Pantikapaion, 2./1. Jh. v. Chr., Verse 5–8): καὶ γράμμα πέτρης ἐκγλυφὲν στηλίτιδος κόρην δακρύει Θεοφίλην Σινωπίδα, τὰς μελλονύμφους ἧς πατὴρ δαιδουχίας Ἑκαταῖος Ἅιδηι καὶ οὐ γάμωι συνάρμοσεν.

102 Dies muss der Sinn der Stelle sein (nach CIRB a.l. ist die Formulierung im Griechischen missraten, es wäre etwa ἀντὶ τοῦ ζῆν zu erwarten gewesen). 103 Auch in GVI 1263, 6 καὶ πέτρη changiert καί zwischen den Bedeutungen »auch« und »sogar« (vgl. AP 7, 468 καὶ πέτρος; s. u. GVI 1989, 5 καὶ γράμμα πέτρης; Couilloud 482, 3 καὶ πέτρος; Kallim. Hymn. Ap. 22 καὶ … πέτρος). 104 Vgl. auch die Deutung der Wendung κωφὴ χάρις (Kaibel 298) in LSJ s. v. κωφός II 2 »a mute gift (sc. an epitaph)«.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

Sogar die Inschrift, die aus der steinernen Stele herausgehauen ist, beweint das Mädchen Theophile aus Sinope, deren Vater Hekataios die Fackelzüge einer bevorstehenden Hochzeit für den Hades, nicht für die Hochzeit abhalten ließ.

Das Epigramm ist das zweite von insgesamt vier Parallelgedichten. Hier ist es die Inschrift selbst, die das Mädchen »beweint«; die Qualifikation πέτρης ἐκγλυφὲν στηλίτιδος betont ihre Materialität und verweist auf das Paradox des weinenden Steins. Das Weinen gerade der Schrift lässt sich wohl am einfachsten erklären, wenn man es auf das Epitaph selbst bezieht, in der Bedeutung »einen Klagegesang vortragen«.105 Durch καί wird eine Verbindung zum voranstehenden Parallelgedicht hergestellt, aber auch die Exzeptionalität der weinenden Schrift hervorgehoben, die an das Adynaton des weinenden Steins anknüpft. Das Weinen der Schrift wiederum steht in der oben betrachteten hellenistischen Tradition, die Rede des Steins selbst als θαῦμα zu präsentieren. Möglicherweise liegt die Vorstellung der weinenden Inschrift auch in folgendem Gedicht vor, dessen Schlussdistichon so lautet (Meletemata 11, K18 = SEG 28:541, Kalindoia, 2./1. Jh. v. Chr., 19 f.): [δ]ακρύει δὲ τάφοϛ τὸν ἐμὸν μόρον, ὡϛ ταχὺϛ Ἅ ι δαν   ἦλθον ἀπὸ προγόνων δώματα Φερσεφόνη[ς]. Es beweint das Grab mein Schicksal, dass ich so bald in den Hades kam, weg von meinen Vorvätern (?),106 in die Häuser der Persephone.

Wie im Lysikles-Epigramm ist es der τάφος, der den Toten beweint. Das erste Distichon des Gedichts hat den Inhalt (1 f.): [εἰ γνῶναι ποθέε]ις τὸ ἐμὸν γένος, ἅδε [πέτρα σοι]   [λέξει, ὅτις] κεῖμαι τᾷδε λιπὼν βίοτον. 105 Δάκρυ in der Bedeutung »Trauergedicht« lässt sich im Griechischen, soweit ich sehe, sonst nicht belegen (vgl. aber γόον δακρύειν Soph. Ai. 580); im Lateinischen kann lacrima »Klagegesang« heißen (OLD s. v. 2b); für flere in der Bedeutung versibus aliquid deplorare s. ThLL 6, 1, Sp. 901, 62–70. 106 Der Ausdruck ἀπὸ προγόνων ist erklärungsbedürftig: wenn man ἀπό räumlich versteht, könnte mit den πρόγονοι speziell der im Gedicht genannte Großvater gemeint sein, der sich um die Polis verdient gemacht hatte und der, da der Tote nur 12 Jahre alt wurde, vielleicht noch lebte (dem folgt die gegebene Übersetzung). Gleichwohl wäre auch eine weitere, komplexere Deutung zu erwägen: der Ausdruck ἀπὸ προγόνων begegnet regelmäßig in Ehreninschriften und bedeutet soviel wie »von der Zeit seiner Vorväter an«, d. h. »ebenso wie seine Vorväter«, »in einer Familientradition stehend«, z. B. McCabe, Aphrodisias 226 ἄνδρα ἀπὸ προγόνων φιλότειμον περὶ τὴν πατρίδα. Wenn der Leser bei der Lektüre der Junktur ἀπὸ προγόνων an diesen Komplex denkt, dann mag der Schlusssatz eine prägnante Deutung erhalten: »Das Grab beweint mein Schicksal, weil ich, obwohl von mir als Sproß einer Familie von Wohltätern viel zu erwarten gewesen wäre, zu früh in den Hades kam« (vgl. auch Vers 3 βαίνω δ᾽ ὑπὸ τύμβον ἄφη[μος]).

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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Wenn du meine Abstammung erfahren willst, wird dir dieser Stein sagen, wer hier liegt und das Leben zurückließ.

Falls Peeks Ergänzungen den geforderten Sinn treffen, ergibt sich eine Ringkomposition, in der am Anfang und am Ende die Aktivität des Grabmals in den Mittelpunkt gerückt wird (vgl. den Parallelismus von τὸ ἐμὸν γένος und τὸν ἐμὸν μόρον),107 und die besonders geschlossen erschiene, wenn sowohl am Anfang durch πέτρα σοι λέξει als auch durch δακρύει δὲ τάφος auf die Inschrift hingewiesen wäre. Ausführlich thematisiert wird die Trauer des Steins im folgenden Epigramm (SGO 16/51/05, Synnada, 2./3. Jh. n. Chr. = GVI 1476):

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δαίμονος ἀντιάσασα κακοῦ, νεόνυμφε Μόδεστα,   ὤλεο, καλλίστη{ι} πατρίδος ἀγλ[αΐ]η{ι} νήπιον υἷα λιποῦσα κασιγνήτους τε καὶ ἄνδρα   χῆρον καὶ τοκέας γήραϊ τειρομένους καὶ θάλαμον καὶ λέκτρον· ἐρημαίη δ᾽ ἐπὶ τύμβωι   στήσομαι ἀντὶ κόρης δακρυόεσσα λίθος. οἰκτείρω σε, γέρον πάτερ Αἰσχύλε· καὶ γὰρ ἄναυδοι   στῆλαι τοιούτοις πέν[θεσι τηκόμεθα]. [αἰνοπάτηρ γέγ]ονα[ς· ?Μά]ριος δ᾽ ἐδέδεκτο γεγηθώς,   ὁ πρῶτος λύσας ζώματα παρθενίας. 8 τηκόμεθα Wilhelm, τειρόμεθα Peek, τεγγόμεθα Buckler/Calder/Guthrie Einem schlimmen Dämon, jungverheiratete Modesta, bist du begegnet und gestorben, schönste Zier deiner Heimat; einen unmündigen Sohn, Brüder und deinen Gemahl als Witwer ließt du zurück, und Eltern, die vom Alter aufgerieben werden, und das Schlafzimmer und das Ehebett: Ich aber werde einsam auf dem Grab­ hügel stehen, statt des Mädchens ein tränenreicher Stein. Ich habe Mitleid mit dir, greiser Vater Aischylos. Denn auch wir stummen Stelen [zerschmelzen] durch solches Leid. Zum Unglücksvater bist du geworden. Aber Marios (?) nahm dich (oder: sie) froh bei sich auf, der als erster die Gürtel deiner (oder: ihrer) Jungfernschaft löste. (Üb. nach Merkelbach/Stauber).

Zunächst ergibt sich ein pathetischer Kontrast zwischen der Vielzahl von Menschen, die Modesta zurückgelassen hat, und der Einsamkeit des Grabsteins (3–5). Der Grabstein wird weiterhin als »tränenreich« qualifiziert, was man wohl zunächst passivisch, als »von den Tränen der Verwandten überströmt« deuten wird. Doch da im folgenden Distichon der Stein beschreibt, wie auch er Mitleid empfindet, mag δακρυόεσσα ebensogut aktivisch gebraucht sein.108 Die 107 Vgl. auch Vers 11 f. (Gedichtmitte) [κα]ρύσσει δ᾽ ἀρετὰν … ἁ (?) … πολύγραπτος /  στάλα{ι}. 108 Dies gilt besonders, wenn man τηκόμεθα oder τεγγόμεθα ergänzt.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

Anteilnahme von Stelen mag zwar stumm (ἄναυδος) sein, sie ist aber dennoch vorhanden. Deutlich thematisiert wird wieder das Paradox, dass ein Stein seine natürlichen Grenzen überwindet. Ob das Mitleid des Steins mit dem Vater durch die inschriftliche Rede zum Ausdruck kommt, muss hier wohl offen bleiben. Dies gilt auch für folgendes Beispiel (CIRB 1057, Hermonassa, 50–150 n. Chr. = GVI 1477 = Kaibel 539): Τειμόθεος Δάσειος, χαῖρε. Τειμόθεος ὁ πάτρας ὅσιος φώς, παῖς δὲ Δάσειος,   τρῖς δεκάας ἐτέων τερματίσας ἔθανες. ἆ τάλαν, οἰκτείρω σε πολυκλαύστωι ἐπὶ τύμβωι·   ῦν δὲ σὺν ἡρώων χῶρον ἔχοις φθίμενος. Timotheos, Sohn des Daseis, sei gegrüßt! Timotheos, frommer Mann des Vaterlands, Sohn des Daseis, nachdem du drei Jahrzehnte vollendet hast, bist du gestorben. Oh Unglücklicher, ich beklage dich auf dem vielbeweinten Grab: nun, im Tod, mögest du zusammen mit den Heroen an einem Ort weilen!

Hier wendet sich ein Sprecher direkt an den Toten; die Angabe »auf dem Grab« identifiziert wohl den Grabstein als Sprecher. Es bestehen auch Parallelen zu SGO 16/51/05: in beiden Gedichten begegnet die Aussage der Stele οἰκτείρω σε sowie ἐπὶ τύμβωι am Versende. Die Formulierung in Vers 3 erinnert aber vor allem an »Simonides« AP 7, 511, 2 = FGE 1007 οἰκτείρω σε, τάλαν Καλλία, οἷ᾽ ἔπαθες.109 Nur bruchstückhaft überliefert ist SGO 16/34/97 (Dorylaion (oder Nakoleia?), Kaiserzeit):       γ]ὰρ ὅμωϛ λιθί[ν]η περ ἐοῦσα μυρομένουϛ ἐλεῶσα γονεῖϛ τοιῷδ᾽ ἐπὶ παιδί. 1 [τεγγ]ομένη [δ]α[κρύοιϛ initio supplevit Calder Das Grabmal, obwohl aus Stein, hat Mitleid mit den über den Tod eines so schönen Kindes klagenden Eltern. (Üb. Merkelbach/Stauber)

Im erhaltenen Teil zeigt sich das Motiv des trauernden Steins (ἐλεῶσα), das mit seiner Materialität kontrastiert wird.110 Ob der Beginn des ersten Hexameters gemäß Calders Ergänzung noch einen Hinweis auf die Tränen des Steins enthielt, ist unsicher; Merkelbach/Stauber geben an der Stelle keinen Text.

109 Die Parallele bereits bei Kaibel a.l. 110 Vgl. Anon. AP 16, 58, 1 λαϊνέη περ ἐοῦσα (von der Belebung einer Statue).

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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Ein spätes, aber in der Motivation des klagenden Grabsteins außergewöhnliches Gedicht lautet (IGUR III 1221, Rom, 2./3. Jh. n. Chr. = GVI 121 = Kaibel 603): κῆρυξ καὶ τάφος εἰμὶ βροτοῦ πάρος ἀρχεχόροιο,   Εὐτύχους αἰάζων κῆρα μινυνθάδιον, ὃς θνητοῖς ψυχὴν πείσας ἐπὶ σώμασιν ἐλθεῖν   τὴν αὑτοῦ μέλεος οὐκ ἀνέπεισε μένειν. Ich bin Herold und Grab eines Mannes, der früher den Chor anführte, des Eutyches, und beklage sein Schicksal eines kurzen Lebens; er vermochte es zwar, eine Seele dazu zu bringen, in sterbliche Körper zu kommen, seine eigene Seele konnte der Arme aber nicht dazu bringen, zu verweilen.

Das Grabmal des Eutyches präsentiert sich als (offizieller) Bote seines Todes, an dem es Anteil nimmt.111 Die Personifizierung des Grabmals wird dann durch αἰάζων noch verstärkt; auch hier wird wieder ein früher Tod beschrieben, der besonders beklagenswert ist und so selbst das Grab zur Klage anregt. Die Deutung des zweiten Distichons bereitet gewisse Schwierigkeiten; ich folge dem Vorschlag von Wilamowitz (apud Kaibel): Eutyches »überzeugte eine (fremde) Seele, in sterbliche Körper zu kommen«, d. h. er brachte als Chor­f ührer seine Sänger dazu, andere Personen zu verkörpern,112 womit dann sein eigenes Schicksal kontrastiert wird. In den nun folgenden vier Beispielen ist das Motiv des klagenden Steins vielleicht belegt, aber auch eine alternative Deutung möglich:

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1. CIRB 125, Pantikapaion, 1. Jh. v. Chr. = GVI 710 = GG 285 = IosPE II 86: ὧθ᾽ ὑπ᾽ ἐμοί, παροδεῖτα, λόγων φίλος  Ἡλιόδωρος   ὀκτωκαιδεχέτης, πατρὸς ἔχων ὄνομα· σὺν τῶι Μηνεόδωρος, ὁ μελλυμέναιος ἀδελφός,   κέκλιται εἰν Ἀείδῃ, πάντα λαχὼν ἐλέου· ἀντὶ μὲν ἱμερτοῦ θαλάμου τάφον, ἀντὶ δὲ νύμφης   στήλην, ἀντὶ γάμου δ᾽ αἰνὸν ἄχος γενέταις. – ματέρα τὰν δύστανον ὀδύρομαι, ἃ δυσὶ τέκνοις   θῆκεν ἀνυμφεύτοις χῖρας ἐπὶ βλέφαρα. Hier unter mir, Wanderer, (liegt) ein Freund der Bildung, der 18-jährige Heliodoros, der den Namen seines Vaters trägt: Mit ihm liegt Meneodoros, sein Bruder, der kurz vor der Hochzeit stand, im Hades, dem großer Jammer zuteilwurde: 111 Die Selbstbezeichnung als κῆρυξ begegnet offenbar nur hier, ist aber vergleichbar mit Wendungen wie [κα]ρύσσει δ᾽ ἀρετὰν … ἁ … πολύγραπτος στάλα (Meletemata 11 K18, 11; der Text ist hier allerdings unsicher, s. o. Anm.  107). Zu κηρύττω / κῆρυξ in vorhellenistischen Inschriften s. Meyer 2005, 103 mit Anm. 288. 112 »Is qui mortalibus corporibus animam (alienam) indidit, suam tenere non potuit.« Man erwartet in dieser Bedeutung statt ψυχή eher ἦθος (s. LSJ s.v. 2d), doch der Dichter benötigte ein Wort, das auch »(physisches) Leben« bedeutet.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

Statt des ersehnten Hochzeitsgemachs ein Grab, statt der Braut eine Stele, statt der Hochzeit schlimmes Leid für die Eltern. – Ich bedauere die unselige Mutter, die zwei unverheirateten Söhnen die Hände auf die Lider legte.

Da in den ersten sechs Versen der Grabstein spricht (ὑπ᾽ ἐμοί), liegt es nahe, ihm auch das Schlussdistichon zu geben, in dem ein Ich die Mutter bedauert; so scheinen es Peek und Knipowitsch/Gaidukewitsch anzunehmen, die keinen Sprecherwechsel anzeigen. Die Verse lassen sich aber ebenso gut als Rede des Passanten deuten, der auf die Mitteilung reagiert.113

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2. GVI 873, Attika, 1. Jh. n. Chr. τ[ὴν] λιτὴν ὑπὸ βῶλον ἣ ἐνθάδε κεῖται ἄτεκνος   ὠδεῖνας πικρὰς λυσαμένη θανάτωι, Ζωσίμη ἔπλησεν δῶσ᾽ οὐ βρέφος ἡ νεόνυμφος   οὐ τὴν ἐξ ἐτέων τρίζυγον ἑβδομάδα· [αἰε]ὶ τῆιδ᾽ ἐπ᾽ ἴσον σπείσω δάκρυ μήτε θανούσηι   μήτερι μήτ᾽ αὐτῆι μητέρα ὀδυραμένηι. Die kinderlos hier unter dem kleinen Erdhügel liegt, seit sie durch den Tod sich von ihren schmerzhaften Wehen befreite, Zosime, gelangte, ohne ein Kind zu gebären, die Jungverheiratete, nicht ins 22. Lebensjahr. Immer werde ich für sie eine Träne vergießen, gleichermaßen dafür, dass sie nicht als Mutter gestorben ist, und dass sie selbst ihre Mutter nicht beweint hat (i. e. sie beerdigt hat).

Auch hier weint im Schlussdistichon ein Ich, das nicht zweifelsfrei zuzuordnen ist; die Ergänzung αἰεί könnte für den Grabstein sprechen, der immer anwesend sein wird.114 3. GVI 104, Argos, 1. Jh. v. Chr., Vers 1 f. ὀκτωκαιδεχέτει γοερὸν τόδε σᾶμα ἔπειμι   Αὔλῳ· ἀνέστασαν γινάμενοι τόδε γάρ. Ich, dieses klagereiche Grabmal, stehe über dem 18-jährigen Aulos. Denn seine Eltern stellten mich auf.

Hier lässt es sich schlechterdings nicht entscheiden, ob das Grabmal selbst trauert oder betrauert wird, da γοερός sowohl aktivisch als auch passivisch verwendet werden kann.

113 Für einen Sprecherwechsel könnte auch sprechen, dass mit dem Schlussdistichon ein anderer Dialekt, das Dorische, einsetzt. Latyschew (IosPE II 86) nimmt an, das Schlussdistichon sei aus einem anderen, ganz in Dorisch abgefassten Gedicht übernommen worden. 114 Das ist aber nicht zwingend, denn z. B. in CEG 97 bezieht sich ἀεί auf die Trauer einer hinterbliebenen Freundin.

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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2.2. Inschriftliche Vorläufer? Handelt es sich bei der Trauer des Steins um eine hellenistische »Erfindung«, oder lassen sich inschriftliche Vorläufer ausmachen? Tatsächlich gibt es bereits vor der hellenistischen Zeit einige Inschriften, in denen ein trauerndes Grabmal zu begegnen scheint. Zunächst ist die Grabinschrift der Myrrhine zu nennen (IG I3 1248 = CEG 49, Attika, ca. 520–500 v. Chr.?): [οἴ]μοι θανόσες εἰμὶ [σε˜]μα Μυρίνες. Weh mir, ich bin das Grabmal der toten Myrrhine!

Auf den ersten Blick möchte man οἴμοι als Ausruf des sprechenden Grabmals deuten; und so nimmt Doris Meyer an, dass in diesem Epigramm das Grabmal selbst den Tod der Myrrhine betrauert.115 Zu vergleichen ist außerdem IGASMG I2 29 (Selinunt, 550–500 v. Chr.): Ἀγασία ἐμὶ τὸ σᾶμα το˜ Καρία οἴμοι. Ich bin das Grabmal des Agasias, des Sohnes des Karias; weh mir!

Das Epitaph weist dieselbe Struktur auf wie das der Myrrhine, setzt den Ausruf οἴμοι aber ans Ende; auch hier ist es möglich, als Sprecher des οἴμοι das Denkmal zu sehen.116 Für ein angemessenes Verständnis dieser beiden Texte scheint es förderlich, sie mit den anderen erhaltenen archaischen οἴμοι-Inschriften zu vergleichen.117 Ein Blick auf diese (insgesamt gibt es 12 bzw. 13 davon)118 lehrt dabei, dass οἴμοι sonst mit dem Namen des Toten im Vokativ oder Genitiv verbunden wird (Vokativ: z. B. GVI 1670, Delphi, um 550–20 v. Chr. οἴμοι ὀρχέδαμε hο Πυθέα Σελινόντιος; Genitiv: z. B. GVI 1671, Attika, 6.  Jh. v. Chr. οἴμοι Πεδιάρχο το˜ Ἐνπεδίονος). In diesen Fällen wird der Sprecher nicht identifiziert; Christiane Sourvinou-Inwood vermutet, der Wehruf werde von einem »anonym Trauernden« geäußert.119 Lilian Jeffery sieht im Myrrhine-Epitaph eine »conflation« der οἴμοι-Formel mit Genitiv und der Formel σῆμά εἰμι τοῦ δεῖνος.120 Der Genitiv

115 Meyer 2005, 79. 116 So Guarducci 1974, 176. 117 In späterer Zeit begegnet οἴμοι in Inschriften kaum noch (sicher erhalten ist es, soweit ich sehe, nur noch in Bernand 6, Hassaia, basse époque hellénistique, 17). 118 Sourvinou-Inwood 1995, 152. 119 Sourvinou-Inwood 1995, 282 f. Zum »anonym Trauernden« s. Meyer 2005, 77–83; Tsagalis 2008, 255–7; Tueller 2008, 40–1. 120 Jeffery 1962, 142 Nr. 54.

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hätte in diesem Fall dann eine Doppelfunktion als Genitiv des Affekts121 und als possessiver Genitiv, und man könnte übersetzen »Oh weh um Myrrhine – ich bin das Grabmal (der Myrrhine)«, wobei οἴμοι (Μυρίνες) dann nicht mehr nur vom Denkmal, sondern auch von einem anonymen Trauerndern geäußert werden könnte;122 entsprechend ließe sich auch für das Epitaph des Agasias argumentieren. Andererseits finden wir auch Beispiele für einen »losen« Gebrauch von οἴμοι. In IGASMG I2 27 (Selinunt, ca. 550 v. Chr.) findet sich unter dem Namen des Toten Σάτυρος ein, wie es scheint, erst von zweiter Hand ergänztes [οἴ]μοι. Da οἴμοι sonst in Verbindung mit dem Nominativ nicht belegt ist, ist hier wohl an keine syntaktische Verbindung gedacht.123 Bemerkenswert ist weiterhin der Gebrauch von οἴμοι auf einem attischen Pinax, der eine Prothesisszene zeigt – solche Pinakes wurden als Grabdekoration verwendet (SEG 16:35c, 500 v. Chr.):124 Um die Bahre sind die Verwandten mit Beischrift dargestellt (ἀδελφός. πατέρ. μέτερ. ἀδελφέ. θέθε. θεθίς. θεθίς. θεθὶς πρὸς πατρ[ός]), zweimal findet sich auch die allein stehende Interjektion (οἴμοι. οἴμ{ι}οι). Man hat unter Hinweis auf diesen Pinax vermutet, dass das οἴμοι der Grabinschriften auf die Prothesis verweist,125 doch ergeben sich hieraus kaum Aufschlüsse über den Sprecher: spricht der Pinax, einer der im Bild dargestellten Verwandten oder ein »anonym Trauernder«? Angesichts dieser Beispiele für »loses« οἴμοι wäre auch in den genannten Inschriften eine entsprechende Interpunktion zu erwägen, also: [οἴ]μοι. θανόσες εἰμὶ [σε˜]μα Μυρίνες und Ἀγασία ἐμὶ τὸ σᾶμα το˜ Καρία. οἴμοι;126 dann wären Wehruf und Rede des Grabmals nicht mehr direkt zu verbinden. Wie dem auch sei: Im Vergleich mit den späteren Beispielen, in denen sich ein finites Verb des Trauerns eindeutig auf den Grabstein als Subjekt bezieht, ist hier der Bezug zwischen Interjektion und Ich-Rede des Grabmals in jedem Fall weniger deutlich. Ähnlich zweifelhaft ist folgendes Beispiel (SGO 01/12/23, Halikarnassos, 4. Jh. v. Chr. = CEG 709 = GVI 748):

121 S. Kühner/Gerth I, 388 a. 122 Eine solche Doppelfunktion des Genitivs wird von Sourvinou-Inwood 1995, 153–5 für alle Inschriften des Typs »οἴμοι + Gen.« angenommen, um ihre These zu stützen, dass in archaischen Inschriften immer eine Referenz auf das σῆμα erfolgte (auf das dann implizit durch den Possessivus hingewiesen wäre). 123 Denkbar wäre allerdings ein nominativus pro vocativo. 124 Boardman 1955. 125 Guarducci 1974, 150. 126 Diese Interpunktion findet sich bereits in IGASMG. Eine solche Phrasierung wird von Sourvinou-Inwood auch für das Epitaph des Pediarchos (GVI 1671) vorgeschlagen (1995, 154 Anm. 1; entsprechend 155).

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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[            ]…[ ]..[  ]   Θουριέας ξείνηι τῆιδε κέκευθα κόνει Εὔκλειτον, τὸμ πρῶτ[ο]ν δὴ κατετύψατο μήτηρ,   ὀκτωκαιδεχέτη παῖδα καταφθίμενον, δωδεχέτη δὲ μετ᾽ αὐτὸν ἀνέκλαυσεν Θεόδρον·   αἰαῖ τοὺς ἀδίκως οἰχομένους ὑπὸ γῆν. Ich (das Grab, die Urne) berge (zwei Knaben) aus Thuria (oder Thurioi) in diesem fremden Staub, den Eukleitos, um den als ersten seine Mutter sich die Brust schlug, den 18-jährig verstorbenen Sohn; nach ihm beweinte sie den 12-jährigen Theodoros: Oh weh, dass diese unverdienterweise unter die Erde gingen! (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

Hier spricht zwar in den Versen 2–5 das Denkmal, doch eine eindeutige Zuordnung des Ausrufs αἰαῖ im Schlussvers ist nicht möglich; es könnte sich ebenso gut um eine Reaktion eines anonym Trauernden auf den Bericht des Denkmals handeln. Instruktiv scheint hier der Vergleich mit folgender Inschrift (SEG 37:904 = SGO 03/02/66, Ephesos, Kaiserzeit, 8): [δηλ]ῶ ταῦτα δὲ, ἰώ, τύμβοϛ παριοῦσι Ich, der Grabstein – oh weh! – verkünde dies den Passanten.

Hier liegt es durch die Stellung des Ausrufs zwischen Prädikat und Subjekt nahe, ἰώ als Äußerung des Steins zu verstehen.127 Gleichwohl stammt dieses Beispiel aus der Kaiserzeit, für die das Motiv des klagenden Grabsteins sicher belegt ist. Der folgende Text ist in der Deutung ambivalent (CEG 58, Attika, ca. 510– 500 v. Chr.?):

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δακρυόεν πολυπενθὲς Ἀναχσίλα ἐδ᾽ ὀλοφυδνὸν   λάινον ἕστεκα μνε˜μα καταφθιμέ{με}νο Ναχσίο ὃν τίεσκον Ἀθεναῖοι μετέοικον   ἔχσοχα σοφροσύνες ἕνεκεν ἐδ᾽ ἀρετε˜ς. το˜ι μ᾽ ἐπὶ Τιμόμαχος γεραρὸν κτέρας οἷα θανόντι   θε˜κεν Ἀρίστονος παιδὶ χαριζόμενος. Als ein tränenreiches, trauerreiches und jammervolles steinernes Denkmal des verstorbenen Anaxilas stehe ich da, des Naxiers, den die Athener als einen Metöken wegen seiner Besonnenheit und Tüchtigkeit besonders ehrten. Auf diesen, da er nun tot ist, setzte mich als Ehrengabe Timomachos, und erwies dem Sohn des Ariston einen Gefallen.

Die drei Adjektive δακρυόεν, πολυπενθές und ὀλοφυδνόν können ebenso gut aktivisch wie passivisch verstanden werden. 127 So auch Le Bris 2001, 153.

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Die Rede des Gegenstands im mythischen Gewand 

Die Durchmusterung potentieller Vorläufer zeigt also, dass es sich zwar nicht mit Sicherheit ausschließen lässt, dass der trauernde Stein bereits ein Motiv der vorhellenistischen inschriftlichen Epigrammatik war, dass aber eine solche Annahme nicht zwingend erforderlich ist. In keinem Fall fungiert, so wie wir es später finden, der Stein als Subjekt eines verbum maerendi. Möglicherweise haben die doppeldeutigen vorhellenistischen Inschriften die Entstehung des aktiv über das Schicksal des Toten klagenden Grabsteins begünstigt. Die explizite Beschreibung des Grabsteins als Trauernder bzw. der Inschrift als Klagegesang des Steins findet sich in der Epigrammatik erst seit dem Hellenismus; das stützt die bereits geäußerte Vermutung, dass es sich um einen Aspekt der auch sonst zu beobachtenden Strategie handelt, das θαῦμα des sprechenden Steins stärker als vorher zu betonen. Dabei finden wir in den Inschriften zum Teil  eine Tendenz, das Motiv der Trauer des Steins zu »rationalisieren«: so wird sie in GVI 1263 als »stumme Trauer« beschrieben, in GVI 1248 werden die Stelen zum Weinen aufgefordert (ob sie tatsächlich weinen, bleibt offen); auch Rechtfertigungsstrategien tauchen auf, wenn in SGO 16/51/05 die Stele darauf hinweist, dass sogar Stelen Trauer empfinden können, und in SGO 16/34/97 die Mitleidsbekundung des Steins durch einen Konzessivsatz relativiert wird. Auch die Schilderung des weinenden γράμμα in GVI 1989 lässt sich als Rationalisierung oder Rechtfertigung lesen, da die Inschrift als Klagegesang fungiert. Die Inschriften scheinen somit bemüht, die Härte der Klage des Steins aufzufangen. In den literarischen Beispielen dagegen wird das Phänomen des klagenden Steins nicht in dieser Weise gemildert. Es scheint, dass die Inschriften die Anregung, das inskribierte Objekt gleichsam als beseelt auftreten zu lassen, aus den literarischen Epigrammen übernommen haben; gerade die Variante des »klagenden Steins« eignet sich, das Pathos um den Verlust des Toten stärker hervortreten zu lassen. Gleichwohl widerstrebt diesem Pathos der ironische Beiklang, der in vielen literarischen Beispielen der Objektbeseelung zum Ausdruck kommt, und so lässt es sich erklären, dass gleichzeitig Strategien auftauchen, einen potentiell ironischen Ton durch Rationalisierung und Rechtfertigung abzuschwächen. Schließlich fällt auf, dass das Motiv des weinenden Steins sich auch in der­ Literatur außerhalb der Epigrammatik findet; es ist daher im Folgenden noch zu prüfen, ob der Topos auch von verwandten Phänomenen in der Literatur beeinflusst ist.

Weinende Steine: Das Niobe-Schema

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2.3. Pathetic fallacy Das Bild des weinenden Steins begegnet nicht selten in Schilderungen der­ pathetic fallacy.128 Häufiger belegt ist das Bild der trauernden Berge (Theokr. Id. 7, 74 ὄρος ἀμφεπονεῖτο; Bion Epit. Adon. 31 f. τὰν Κύπριν αἰαῖ / ὤρεα πάντα λέγοντι; [Mosch.] 3, 23 ὤρεα δ᾽ ἐστὶν ἄφωνα; Verg. Georg. 3, 555 sonant ripae collesque supini; Georg. 4, 461 flerunt Rhodopeiae arces; Aen. 12, 928 f. totusque remugit / mons circum). Gleichwohl erscheint nur an einer Stelle der Berg explizit als »steinerner« Trauernder: Nonn. Dion. 5, 356 f. (Aktaion zu Kithairon) Ἀρισταίῳ δὲ τοκῆι / δάκρυσι πετραίοισι ἐμὴν ἀγορεύε τελευτήν.129 In AP 7, 10 trauern Steine und Eichen um den Sänger Orpheus, die er einst mit seiner Lyra bezauberte (7 f. = FGE 1172 f. ἐπωδύραντο δὲ πέτραι / καὶ δρύες, ἃς ἐρατῇ τὸ πρὶν ἔθελγε λύρῃ); Ov. Met. 11, 45 f. te [Orpheus] rigidi silices … fleverunt. Etwas anders liegt der Fall in der 10. Ekloge Vergils, wo die Felsen im Lykaios weinen (15 gelidi fleverunt saxa Lycaei). Hier ist das Bild der weinenden Steine dadurch erleichtert, dass man sich das über sie hinwegfließende Wasser als Tränenfluss vorstellen kann. Das Bild des Stroms als Tränenfluss ist ebenfalls belegt (Bion. Epit. Adon. 33 f. καὶ ποταμοὶ κλαίοντι … καὶ παγαὶ δακρύοντι; [Mosch.] 3, 3, 2 καὶ π ­ οταμοὶ κλαίοιτε; 29 Κρανίδες ὠδύραντο, καὶ ὕδατα δάκρυα γέντο; 74–5 νῦν πάλιν ἄλλον / υἱέα δακρύεις [der Fluss Meles] καινῷ δ᾽ ἐπὶ πένθεϊ τάκῃ; Greg. Naz. AP 8, 129, 1 κρῆναι καὶ ποταμοὶ … κλαύσατε; Ov. Met. 11, 47 f. lacrimis quoque flumina dicunt / increvisse suis; Musaios, Hero und Leander 26 f. δίζεο δ᾽ ἀρχαίης ἁλιηχέα πορθμὸν Ἀβύδου / εἰσέτι που κλαίοντα μόρον καὶ ἔρωτα Λεάνδρου). Die Metapher des weinenden Flusses ist dabei im gängigen Ausdruck πηγαὶ δακρύων, der vor allem in der Tragödie belegt ist und auch inschriftlich begegnet,130 vorbereitet. Als literarische Vorbilder für das Motiv könnten zwei homerische Passagen in Frage kommen. Im 16. Gesang der Ilias wird der weinende Patroklos mit einer Quelle verglichen (2–4):131 Πάτροκλοϛ δ᾽ Ἀχιλῆϊ παρίστατο, ποιμένι λαῶν, δάκρυα θερμὰ χέων ὥς τε κρήνη μελάνυδροϛ, ἥ τε κατ᾽ αἰγίλιποϛ πέτρηϛ δνοφερὸν χέει ὕδωρ.

128 Vgl. die Definition auf S. 155 mit Anm. 166. 129 Dass Nonnos gerade dem Kithairon die Fähigkeit, δάκρυσι πετραίοισι zu trauern zuschreibt, erinnert an die These, dass es eine Mythenversion gegeben habe, gemäß welcher der Kithairon in einen Berg verwandelt wurde (vgl. Gerber 1997, 218–9); in SGO 05/01/55 (s. u.) wird Niobe als πέτρινον δάκρυ bezeichnet. 130 Tragödie: Aischyl. Prom. 402; Soph. Ant. 803, Trach. 851; Eur. Herakl. 449 f., 1355. Inschriftlich: GVI 1430, 3; IGUR III 1366 (ergänzt); Perinthos-Herakleia 210, 8 (ergänzt). 131 Vgl. auch Il. 9, 14 f.

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Patroklos trat zu Achill, dem Hirten der Völker, heiße Tränen vergießend wie eine Quelle mit schwarzem Wasser, die über einen abschüssigen Felsen dunkles Wasser gießt.

Und im 19.  Buch der Odyssee werden die Tränen der Penelope mit Schmelz­ wasser verglichen (204–9): τῆϛ δ᾽ ἄρ᾽ ἀκουούσηϛ ῥέε δάκρυα, τήκετο δὲ χρώϛ. ὡϛ δὲ χιὼν κατατήκετ᾽ ἐν ἀκροπόλοισιν ὄρεσσιν, ἥν τ᾽ Εὖρος κατέτηξεν, ἐπὴν Ζέφυρος καταχεύῃ, τηκομένης δ᾽ ἄρα τῆς ποταμοὶ πλήθουσι ῥέοντες· ὣϛ τῆϛ τήκετο καλὰ παρήϊα δάκρυ χεούσηϛ, κλαιούσηϛ ἑὸν ἄνδρα παρήμενον. Als sie dies hörte, flossen ihre Tränen und schmolz ihre Haut. Wie der Schnee schmolz auf hohen Bergen, den der Ostwind zum Schmelzen brachte, nachdem der Westwind ihn herabgeschüttet hatte, und sich die strömenden Flüsse mit dem geschmolzenen Schnee füllen – so schmolzen deren schöne Wangen, als sie Tränen vergoss und weinte um ihren Mann, der bei ihr saß.

Was bei Homer auf den Ebenen von illustrans und illustrandum noch getrennt erscheint, ist in der Wendung πηγαὶ δακρύων und in den weinenden Flüssen in eins gefallen. Ein solcher Umgang mit Gleichnissen ist für die hellenistische Rezeption homerischer Gleichnisse nachgewiesen worden,132 ist aber bereits bei Homer selbst angelegt; so hat Oliver Lyne herausgestellt, dass im Gleichnis auf die weinende Penelope τήκομαι, verbum proprium der Gleichnisebene, in die narrative Ebene eingedrungen sei und auch in Bezug auf die Haut und die Wangen der Penelope gebraucht wird;133 in den Beispielen der weinenden Quellen bzw. der weinenden Flüsse fallen dann Gleichnis- und Erzählebene in eins (vgl. etwa den Doppelsinn von τάκῃ in [Mosch.] 3, 75). Grundsätzlich bestehen jedoch Unterschiede zwischen dem weinenden Grabstein und der pathetic fallacy: Der Grabstein ist nicht eigentlich ein Bestandteil der Natur, sondern ein vom Menschen bearbeitetes und gesetztes Objekt; strukturell fehlt die in pathetic-fallacy-Beschreibungen häufige katalogartige Aufzählung verschiedener Naturelemente, die z. T. als von Nymphen bewohnt gedacht sind, was ihre Personifikation erleichtert.134 Bisweilen kann jedoch eine Nähe zwischen weinendem Stein und pathetic fallacy festgestellt werden, wie in folgendem Distichon einer hellenistischen Inschrift (Couilloud 482, Rheneia, 1. Jh. v. Chr. = GVI 2002 = GG 461, 3 f.): 132 Hunter 1993, 130 Anm. 113. 133 Lyne 1989, 93 f., der für dieses Phänomen den Begriff trespassing geprägt hat. 134 Vgl. Reed 1997, 215: »the Greeks traditionally imagined every mountain, river, and tree to embody some anthropomorphic spirit or deity.«

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κεῖνος, ἐφ᾽ ὧι καὶ πέτρος ἁλιξάντῳ παρὰ τύμβωι   δακρύει, γοεροῦ θρῆνον ἱεὶς στόματος. Jener, um den sogar der Stein am vom Meer zerfurchten Grabmal weint, und aus klagendem Mund einen Trauergesang hervorbringt.

Auch diese Inschrift hebt das Außergewöhnliche eines weinenden Steins hervor (καὶ πέτρος), doch durch den Zusatz ἁλιξάντωι παρὰ τύμβωι wird der Stein als Teil der ihn umgebenden Natur präsentiert; dazu stimmt seine Bezeichnung als πέτρος, die (im Gegensatz etwa zu στήλη etc.) sich auch auf einen unbearbeiteten Stein beziehen kann.135 Die Tränen des Steins finden eine Entsprechung im das Grab umspülenden Meerwasser;136 vielleicht darf man sogar annehmen, dass die Tränen des Steins gerade in der Gischt bestehen, mit der er besprüht wird.137 Die subjektive Deutung eines Naturphänomens verweist hier auf die pathetic fallacy. Der Stein weint aber nicht nur, er lässt im folgenden Vers auch einen θρῆνος erklingen; dies lässt sich weniger leicht als natürliches Phänomen deuten. Eher wird man hier an das Motiv denken, dass die Grabinschrift selbst als Klagegesang gedeutet werden kann. Der πέτρος weint also einerseits, weil er mit Meerwasser bespritzt wird, und er klagt durch das auf ihm inskribierte Grabepigramm: der Verfasser des Gedichts hat zwei Motivtraditionen des weinenden Steins miteinander verknüpft.

2.4. Niobe Eine mythologische Parallele für den weinenden (Grab)-Stein bietet natürlich Niobe, die nach der Ermordung ihrer Kinder in einen Stein verwandelt und daraufhin an den Sipylos entrückt wurde – offenbar befand sich dort eine Gesteinsformation, die an die Gestalt einer Trauernden erinnerte und der eine Quelle entströmte.138 In den literarischen Bearbeitungen wird die versteinerte Niobe unterschiedlich gedeutet: Niobe kann wahlweise als Statue (i. e. als Kunstwerk), als Grabfigur bzw. Grabstein oder als natürliches Phänomen (Felsformation am 135 Für πέτρος in der Bedeutung »Grabstein« s. o. Anm. 79; für die Stellung des Grabsteins παρὰ τύμβωι vgl. IG XII,7 305. 136 Das Meer wird üblicherweise nicht als klagend beschrieben, sondern gilt als Symbol der Unerbittlichkeit (siehe S. 155 Anm. 165), doch in einem Beispiel (Anon. AP 7, 142) wird die Klage der Thetis um Achill auf das Meer übertragen (3 f.) αἰγιαλῷ δὲ νένευκεν [sc. ὁ τύμβος], ἵνα στοναχῇσι θαλάσσης / κυδαίνοιτο πάις τῆς ἁλίας Θέτιδος. Zur Identifikation von Thetis und Meer s. u. S. 151. 137 Vgl. das oben behandelte Epigramm auf Lysikles (Poseidipp 89 A.-B.), wo vielleicht die Tränen des Grabmals implizit mit dem Meer und den Klippen verglichen werden. 138 Paus. 1, 21, 3.

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Siyplos) gedeutet werden, wobei diese Erscheinungsformen auch miteinander vermischt werden können. Erkennt man in der versteinerten Niobe vor allem eine Statue,139 ergeben sich Anknüpfungsmöglichkeiten an den Topos der Lebensechtheit des Kunstwerks: zum einen ist die Beschreibung des Weinens der Statue eine Möglichkeit, ihre Lebensechtheit herauszukehren, und wird dementsprechend bisweilen in ekphrastischen Epigrammen erwähnt.140 Da aber andererseits Niobe und ihre »Statue« identisch sind, lässt sich das Verhältnis von Original und Repräsentation besonders raffiniert ausdeuten: so kann ein Dichter behaupten, die Götter hätten aus Niobe einen Stein gemacht, aber Praxiteles habe sie aus dem Stein wieder zum Leben erweckt (Anon. AP 16, 129);141 oder der Künstler habe der Niobe zwar keine ψυχή gegeben, doch dies sei nicht zu tadeln, da er ja einen Stein zum Vorbild hatte (Julianos v. Ägypten AP 16, 130). Die unterschiedlichen Deutungen des Niobesteins lassen sich vielleicht schon in einem Tragödienfragment erkennen, auch wenn dessen Bezug auf Niobe umstritten ist (TrGF Adesp. fr. 700 Kannicht/Snell, 3–8):

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[   λι]θουργὲς εἰκόνισμ᾽ †ειδητερα, [    ]αι κωφαῖσιν εἴκελον πέτραις [   ἐκ]είνης οἶδα καὶ μάγους πάγας [   ] ὑγρῶι κάλυβι κοιμηθήσεται. [   ἔ]σχον θάμβος· ἦ γὰρ †πνευμεθα [  ].[.]οις πέτροισιν; 3 ἰδεῖν πάρα ed. pr. ἰδεῖ τέρα Blumenthal, ἤδη τέρα Page 4 τῇ μὲν χρό]αι ed. pr. 7 πνεῦμ᾽ ἔνι ed. pr. πνεῦμ᾽ ἔτι Reinhardt, πνεύματα Petersen Ein aus Stein gearbeitetes Bild [kann man hier sehen?], [der Oberfläche (oder Farbe)  nach?] den unempfindlichen Steinen gleich, […] ich kenne ihre […] und ihre magischen Fallen. In einer feuchten Behausung wird sie (?) ruhen. […] Staunen erfasst mich: Liegt wirklich Lebensatem (?) in den […] Steinen?

Das Fragment ist durch zahlreiche Korruptelen entstellt; in den Versen 3 f. ist von einem »aus Stein gearbeiteten Kunstwerk« die Rede, das »den unempfindlichen Steinen ähnlich« ist, wobei εἴκελον zu implizieren scheint, dass es sich nicht eigentlich um einen Stein handelt (weil es lebt oder zu leben scheint?). Zum Motiv der Lebensechtheit des Kunstwerks gehört zudem das θάμβος und der in der Verderbnis von Vers 7 wohl verborgene Hinweis auf das πνεῦμα.142 139 Eine solche Umdeutung einer Versteinerung als Kunstwerk lässt sich auch sonst nachweisen, s. Bernsdorff 2000b, 40–4. 140 Glaukos AP 16, 111 = GPh 3875–80; Julianos v. Ägypten AP 16, 113 (beide auf eine Statue des Philoktet); AP 2, 176–188 (Hekabe). 141 Vgl. Squire 2010, 85. 142 Falls am Ende von Vers 3 ἰδεῖν zu lesen ist, deutet auch die Betonung des Sehens auf die Kunstwerksbeschreibung hin.

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Dass es sich im Speziellen um Niobe handelt, mag man Vers 6 entnehmen, wo von einer feuchten Behausung die Rede zu sein scheint, was man auf die weinende Niobe beziehen kann.143 Problematisch ist dagegen der Hinweis auf die magischen »Fallstricke«; die Verfechter der Niobedeutung sind hier demgemäß zur Konjektur gezwungen.144 Falls man das Fragment auf Niobe bezieht, klänge in Vers 6 die Deutung des Niobesteins als Grab an.145 Explizit als Grab wird der Niobestein beschrieben in der Elektra des Sophokles (150–2): ἰὼ παντλάμων Νιόβα, σὲ δ᾽ ἔγωγε νέμω θεόν, / ἅτ᾽ ἐν τάφῳ πετραίῳ, / αἰαῖ, δακρύεις. Auch ein Rätselepigramm aus der Anthologie identifiziert Niobestein und Grab (Anon. AP 7, 311):146 Ὁ τύμβος οὗτος ἔνδον οὐκ ἔχει νεκρόν· ὁ νεκρὸς οὗτος ἐκτὸς οὐκ ἔχει τάφον, ἀλλ᾽ αὐτὸς αὑτοῦ νεκρός ἐστι καὶ τάφος. Dieses Grab hat innen keinen Toten; dieser Tote hat außen kein Grab, sondern er selbst ist Leichnam und Grab seiner selbst.

Wenn aber der Niobestein als Grab gedeutet werden kann, ist es zur Deutung als Grabstein nicht mehr weit. Ein Beispiel dafür bietet die bei Palaiphatos überlieferte pragmatische Deutung des Niobemythos (Περὶ ἀπίστων 8 [9]): Φασὶν ὡς Νιόβη γυνὴ ζῶσα λίθος ἐγένετο ἐπὶ τῷ τύμβῳ τῶν παίδων· ὅστις δὲ πείθεται ἐξ ἀνθρώπου λίθον γενέσθαι ἢ ἐκ λίθου ἄνθρωπον, εὐήθης ἐστί. τὸ δὲ ἀληθὲς ἔχει ὧδε· Νιόβης ἀποθανόντων τῶν παίδων, ποίησας τις εἰκόνα λιθίνην ἔστησεν ἐπὶ τῷ τύμβῳ [τῶν παίδων]. ἔλεγον οὖν οἱ παριόντες· Νιόβη λιθίνη ἕστηκεν ἐπὶ τῷ τύμβῳ· ἐθεασάμεθα ἡμεῖς αὐτήν, ὥσπερ καὶ νῦν λέγεται· παρὰ τὸν χαλκοῦν Ἡρακλέα ἐκαθήμην, καὶ· παρὰ τὸν Πάριον Ἑρμῆν ὤν. τοιοῦτον ἦν κἀκεῖνο, ἀλλ᾽ οὐχὶ Νιόβη αὐτὴ λιθίνη ἐγένετο. Man sagt, dass Niobe, eine lebendige Frau, zu Stein wurde auf dem Grab ihrer Kinder. Wer aber glaubt, dass aus einem Menschen ein Stein oder aus einem Stein ein Mensch werden kann, der ist ein Dummkopf. In Wahrheit verhält es sich so: Nach dem Tod von Niobes Kindern machte einer eine steinerne Statue und stellte sie auf dem Grab auf. Da sagten nun die Passanten: »Die steinerne Niobe steht auf dem

143 Möglich wäre aber auch »enge (στενύγρῳ) Behausung« (West). 144 Die Ed. pr. (P.Oxy. 213) schreibt [μορφὴν δ᾽ ἐκ]είνης οἶδα κὠμματοσταγεῖς / πάγας, alii alia. Im Zusammenhang mit einer Versteinerung scheint aber ἡ πάγη (von πήγνυμι) gut zu passen. 145 Die Umschreibung der Todesruhe mit κοιμηθήσεται wäre hier nicht, wie sonst, euphe­mistisch gebraucht, sondern beschriebe Niobes ambivalenten Status als einer »lebenden« Toten. 146 Das Lemma gibt Niobe oder Lots Frau als Lösung an; für die Assoziation dieser beiden Geschichten s. Hollis 1997, 578 f. mit Anm. 6.

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Grab: Wir haben sie gesehen«, wie man auch heutzutage sagt »Ich saß beim bronzenen Herakles« und »Als ich beim parischen Hermes war«. So verhielt sich nun auch jenes, aber Niobe selbst ist nicht zu Stein geworden.

Dieser Text, der (nebenbei bemerkt) auch das Problem der sprachlichen Identifikation von Kunstwerk und Dargestelltem im »Eigennamen-Typus« illustriert (s. dazu Kap. IV.1.1.3.), macht aus Niobe eine Grabfigur auf dem Grab ihrer Kinder (von einer Entrückung an den Sipylos oder dem mirakulösen Weinen ist überhaupt nicht die Rede).147 Eine solche Deutung ist einerseits durch die Niobe des Aischylos vorbereitet, in der Niobe lange schweigsam auf dem Grab ihrer Kinder gesessen hat148 – auf diese Version könnte hier durch λίθος ἐγένετο ἐπὶ τῷ τύμβῳ τῶν παίδων angespielt werden. Diese Deutung scheint auch durch archäologische Zeugnisse bestätigt zu werden: Auf mehreren süditalischen Vasen aus der 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. ist Niobe dargestellt, wie sie in einem Naiskos steht;149 der Prozess der Versteinerung hat bereits eingesetzt und erfasst von unten ihren Körper. Graphisch umgesetzt ist das durch eine weiße Bemalung, die auch sonst für Statuen verwendet wird. Insofern scheint die Darstellung der Versteinerung innerhalb eines Naiskos auf die Verwandlung in eine Grabfigur hinzudeuten,150 auch wenn sich an die weiße Farbe noch weitere Assoziationen knüpfen.151 Da der Niobestein schließlich auch als Naturphänomen gedeutet werden kann,152 mag dessen Klage in die Nähe der pathetic fallacy gerückt werden. Angedeutet ist dies bereits in der Beschreibung der Niobe in Euphorion Fr. 68 Lightfoot: ὡς καὶ μέχρι νῦν ἐν Σιπύλωι τῆς Φρυγίας ὁρᾶται παρὰ πάντων πηγὰς δακρύων προιεμένη; die Junktur πηγαὶ δακρύων ist, wie wir gesehen haben, geläufig genug, doch hebt sie im Falle Niobes deren Charakter als Naturphänomen hervor: Dem Fels entströmt ein Quellfluss, der als Tränenfluss gedeutet wird. 147 Tendenzen einer Entmythologisierung der Niobe-Erzählung finden sich auch in Phile­mon Fr. 102 K.-A. 148 Vit. Aeschyl. 5 ἐν μὲν γὰρ τῇ Νιόβῃ ἕως τρίτου μέρους ἐπικαθημένη τῷ τάφῳ τῶν παίδων οὐδὲν φθέγγεται ἐγκεκαλυμμένη. Vgl. auch Aristoph. Ran. 911–20. 149 LIMC Niobe Nr. 11–14, 16, 18–19. 150 Keuls 1978, 59: »In all but a few of the naiskos vases, the templet itself and its contents are painted in added white, which is interpreted by most scholars as representing the stone of the structure and the funerary statuary which it contains.« 151 Keuls 1978, 60; nach ihrer Interpretation der Darstellung des Niobemythos auf den apulischen Vasen als Konsolationsmotiv wird durch die weiße Farbe und die Stellung Niobes im Naiskos nicht nur ihre Versteinerung angezeigt, sondern auch ihre »transition to immortality. […] the vase painter […] engaged in what may be termed a pictorial wordplay.« Nach Söldner 2009, 49 können die Naiskosarchitekturen im Niobemythos »sowohl das Heroon der Niobe als auch den Grabbau der getöteten Niobiden bezeichnen.« 152 Vgl. hiermit die Darstellung LIMC Niobe 17, wo Niobe in einen amorphen Stein verwandelt wird.

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Auch die kallimacheische Beschreibung des Niobesteins im Apollon­hymnos macht Anleihen bei der pathetic fallacy, verknüpft diese aber auch mit Elementen Niobes als Statue und als Grabmal (22–4): καὶ μὲν ὁ δακρυόειϛ ἀναβάλλεται ἄλγεα πέτροϛ, ὅστιϛ ἐνὶ Φρυγίῃ διερὸϛ λίθοϛ ἐστήρικται, μάρμαρον ἀντὶ γυναικὸϛ ὀϊζυρόν τι χανούσηϛ. Und sogar der tränenreiche Fels vertagt den Schmerz, der in Phrygien versteinert steht, ein lebendiger Stein, Marmor anstelle einer Frau, die offenen Mundes jammert. (Üb. Asper)

Die Anknüpfung an die pathetic fallacy ergibt sich aus dem dieser Passage vorausgehenden Teil: Wenn der Kultruf Apolls erklingt, schweigt sogar der πόντος (18), Thetis hört auf, Achill zu beweinen (20), und der Niobefels ­»vertagt den Schmerz«. Die Reihe πόντος-Thetis-Niobe erinnert daran, dass sowohl Thetis als auch Niobe nicht nur eine mythische Figur, sondern auch Naturphänomene, nämlich das Meer und den Stein, repräsentieren.153 Niobe wird dabei namentlich gar nicht genannt, sondern als »tränenreicher Fels« bzw. »feuchter Stein« eingeführt, also ganz auf ihre Materialität reduziert. Gleichwohl spielt Kallimachos in der Doppelbedeutung von διερός, das sowohl »feucht« als auch »lebendig« bedeuten kann, auf ihre Lebendigkeit an,154 und die Nennung des Marmors verweist als ein bevorzugtes Material für Statuen auf Niobe als Kunstwerk.155 Die Umschreibung der Metamorphose mit μάρμαρον ἀντὶ γυναικός lässt darüber hinaus an den inschriftlichen Topos denken, gemäß dem das Grabmal anstelle (ἀντί) des Toten tritt, etwa in CEG 153 ἀντὶ γυναικὸς ἐγὼ Παρίο λίθο ἐνθάδε κεῖμαι; GVI 1368 πιέν, φαγὲν καὶ πάντα τᾷ ψυχᾷ δόμεν· / κἠγὼ γὰρ ἕστακ᾽ ἀντὶ Βακχίδα λίθος.156 Der Topos ist auch literarisch beliebt (Kallimachos AP 7, 271, 3 f. = HE 1247 f. ἀντὶ δ᾽ ἐκείνου / οὔνομα καὶ κενεὸν σῆμα παρερχόμεθα (nachgeahmt Agathias AP 7, 589, 7 f.); Antipater v. Sidon AP 7, 467, 7 f. = HE 538 f. ἀντὶ δὲ σεῖο / στάλα καὶ κωφὰ λείπεται ἄμμι κόνις; im Weihepigramm vgl. Theokrit AP 9, 600, 3 = HE 3456 χάλκεόν νιν ἀντ᾽ ἀλαθινοῦ). Der kallimacheische Niobestein ist also Statue, Grabmal und Naturphänomen zugleich. Lassen sich in den Inschriften nun Indizien dafür finden, dass umgekehrt der weinende Grabstein als Niobe gedeutet werden konnte? 153 Williams 1978, 31. 154 Zum Spiel mit der Doppelbedeutung vgl. Williams 1978, 34. 155 In der Imitation dieser Stelle bei Nonn. Dion. 12, 79–81 erscheint μάρμαρον als ἄγαλμα (vgl. Williams 1978, 34 f.). 156 In CIRB 125, 5 f. erhält der Jungverstorbene anstelle einer Braut eine Stele (ἀντὶ δὲ νύμφης / στήλην).

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Eine Imitation der Kallimachosstelle findet sich vielleicht im oben (S. 137) besprochenen SGO 16/51/05, 5 f. ἐρημαίη δ᾽ ἐπὶ τύμβωι / στήσομαι ἀντὶ κόρης δακρυόεσσα λίθος, wo die kallimacheischen Junkturen δακρυόεις πέτρος und μάρμαρον ἀντὶ γυναικός verbunden scheinen.157 Die im Anschluss beschriebene Trauer der Stele würde sie dann als eine Art Niobe erscheinen lassen. Vielleicht darf man die Wendung ἐρημαίη δ᾽ ἐπὶ τύμβωι / στήσομαι als weiteren Hinweis in dieser Richtung lesen; die Einsamkeit, die Schweigsamkeit (ἄναυδοι στῆλαι 7) und die Stellung auf dem Grab sind auch Charakteristika der Niobe. Für den Bezug auf Kallimachos nicht uninteressant ist weiterhin, dass diese Stele aus Marmor besteht (vgl. μάρμαρον ἀντὶ γυναικός) und sich in Phrygien befindet (ἐνὶ Φρυγίῃ διερὸς λίθος). Vielleicht ist auch in folgendem Epigramm an eine Assoziation von Grabstein und Niobe gedacht (SGO 05/01/55 = GVI 1545 = GG 335, Smyrna, 1./2. Jh. n. Chr.):

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τέκνον ἐμὸν Παῦλα, φθινθ δακρύοι σε βοῶσα,   τοῖά τις ἁλκυὼν παῖδας ὀδυρομένη. κωφ δ᾽ ἀνταχοῦσι πέτρ κ τύνβος ἀπεχθής,   ὃς τὸν ἐμῶν τοκετῶν ἔσβεσεν ἠέλιον. ἀεὶ δ᾽ ὡς Νιόβη πέτρινον δάκρυ πᾶσιν ὁρῶμαι   ἀνθρώποις ἀχων πένθος ἔχουσα μόνη. ὦ τάφε καὶ δαίμων, μικρὸν μέθες ἰς φάος ἐλθεῖν   παῖδαν ἐμὴν Παῦλαν, δοῖς δέ μοι εἰσιδειν. οὔ σοι Φερσεφόνη τόδε μέμψεται οὐδέ τις Ἅδῃ,   ἢν τόσον †ΑΝΤΗΙΣΕΣ† παῖδα ἐμὴν κατ᾽ ὄναρ. Παῦλα χρηστὴ χαῖρε. 3 κωφ … πέτρ κ Kaibel, κωφ … πέτρ κ Peek: ΚΩΦΕ … ΠΕΤΡΕΚΕ lapis  9 τις Ἅδῃ Keil: τι σ᾽ Ἅδη Peek, τι σ᾽ Ἅδη Merkelbach  10 ἀντήσς Keil, ἀντήσς dub. Merkelbach/Stauber Mein Kind, Paula, ich vergehe dabei, unter Tränen nach dir zu rufen, wie ein Eisvogel, der seine Kinder beweint. Taube Grabsteine und der verhasste Grabhügel hallen davon wider, der die Sonne meiner Nachkommenschaft ausgelöscht hat. Immer wie Niobe, eine steinerne Träne, erscheine ich allen Menschen; ich allein trage das Leid meiner Schmerzen. Grab und Daimon, lass meine Tochter Paula nur kurz ans Licht kommen, lass sie mich anblicken. Das wird dir weder Persephone verübeln noch irgendjemand dem Hades, wenn du mir mein Kind nur für einen kurzen Moment im Traum erscheinen (?)158 lässt. Gute Paula, sei gegrüßt! (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

157 Vgl. auch Nonn. Dion. 14, 272 f. (Niobe) λίθος … δακρυόεις. 158 Wenn man Merkelbach/Stauber darin folgt, dass sich zwischen den cruces eine Form von ἀντάω verbirgt, muss man eine sonst nicht belegte kausative Bedeutung unterstellen (»begegnen lassen«).

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Die Mutter wendet sich im ersten Teil des Gedichts (1–6) an ihre verstorbene Tochter und beschreibt dabei ihre Trauer um sie. Sie klagt, doch nur die Grabsteine hallen wieder; die Passanten halten sie für eine Niobe. Im zweiten Teil (7–10) bittet sie einen Daimon darum, ihr das Kind noch einmal kurz vor Augen treten zu lassen, wenn auch nur im Traum. Im ersten Teil kehren einige der bereits behandelten Motive wieder: Der Vergleich der trauernden Mutter mit dem Eisvogel ist topisch.159 Dass die Klage von den Steinen und dem Grab widerhallt, verstärkt den Eindruck der Einsamkeit und Isolation. Andererseits greift ἀνταχοῦσι πέτραι, das entweder die umstehenden Grabsteine oder als poetischer Plural den hier inskribierten Stein selbst bezeichnet,160 den Topos der Grabschrift als Echo auf: Der Grabstein besitzt ein Echo der Klage der Mutter, d. h. eben die Grabinschrift, die der Leser vor sich hat, in der die Mutter in der Ich-Form klagt. Damit ist bereits eine Parallele zwischen der Klage der Mutter und der Klage des Steins, der Inschrift, angedeutet. Diese Perspektive mag den Leser nun auch bei dem nächsten Bild, dem Vergleich der Mutter mit Niobe, leiten. Die explizite Bezugnahme auf die Tantalostochter findet sich in den Inschriften offenbar nur hier; dass sie sich in einer smyrnäischen Inschrift findet, also nicht allzuweit vom Niobestein auf dem Sipylos entfernt, ist wohl kein Zufall. Inhaltlich beruht der Vergleich zunächst auf der heftigen Trauer der Mutter um ihre Tochter (wobei die Diskrepanz zwischen dem Tod eines Kindes und dem Tod der Niobiden durch den poetischen Plural ἐμῶν τοκετῶν gemildert wird);161 ἀεὶ … πᾶσιν ὁρῶμαι suggeriert vielleicht, dass sie, wie die Niobe des Aischylos, ständig am Grab ihrer Tochter kauert; die lexikalische Parallele zu Euphorion Fr. 68 Lightfoot ὁρᾶται παρὰ πάντων ist auffällig. Auch die Einsamkeit (πένθος ἔχουσα μόνη) teilt Paulas Mutter mit Niobe. Bemerkenswert ist die Selbstbeschreibung als πέτρινον δάκρυ. Die Junktur passt gut auf Niobe, die ja nur noch eine steinerne Träne ist,162 und die Mutter 159 Merkelbach/Stauber verweisen auf SGO 05/01/44 und 01/12/20; vgl. Rossi 1999, 38–9. 160 Möglich wäre es auch, mit Peek einen Singular zu lesen; zum Problem des Plurals s. o. S. 134 Anm. 100. 161 Zum Gebrauch des Plurals, wenn nur ein Elternteil (oder Kind) gemeint ist, s. Kühner/ Gerth I 18 Anm. 2. Alternativ wären vor Paula bereits andere, nicht genannte Kinder gestorben; diese Deutung wäre im Hinblick auf den Niobevergleich besonders ansprechend, da in der ovidischen Nacherzählung des Mythos Niobe nach dem Tod aller anderen Kinder um das Leben ihrer jüngsten Tochter bittet, die aber ebenso wenig verschont wird (Met. 6, 298–300). Gleichwohl gibt es außer der Pluralform keinen Anhaltspunkt für eine solche Anspielung. 162 Die Wendung wird man zunächst als »Träne, die aus dem Stein hervorfließt« verstehen, doch es mag zusätzlich die Bedeutung »versteinerte (d. h. nie versiegende, unaufhörliche) Träne« mitschwingen; vgl. AP 2, 186–8 (Hekabe) ἄλγεϊ γὰρ πυμάτῳ δέδεσαι φρένα, κὰδ δὲ παρειῆς / δάκρυα μὲν σταλάεις· τὸ δὲ δάκρυον ἔσβεσε τέχνη / ἄπλετον ἀγγέλουσα δυσάλθεος αὐχμὸν ἀνίης; Julianos v. Ägypten AP 16, 113, 7–8 (Philoktet) δάκρυα δὲ ξηροῖσιν ὑπὸ βλεφάροισι παγέντα / ἵσταται, ἀγρύπνου σῆμα δυηπαθίης.

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mag, wenn man sie sich als unaufhörlich-unbeweglich vor dem Grab kauernd und weinend vorstellt, ebenso bezeichnet werden.163 Gleichwohl ist die Mutter, wenn der Passant die Inschrift liest, nicht anwesend; anwesend ist aber der Stein, und πέτρινον δάκρυ, das πέτραι wiederaufnimmt, könnte auch eine passende Bezeichnung für die Grabinschrift selbst sein.164 Und insofern das Grabmal die Stimme der Mutter als Echo bewahrt, kann es dem Passanten gleichsam als eine Art Verkörperung der trauernden Mutter erscheinen. Dann lässt sich ἀεί … πᾶσιν ὁρῶμαι als deiktischer Verweis auf das dem Leser unmittelbar vor Augen Stehende, den Grabstein, lesen. In der Deutung des Grabsteins als Niobestein wäre dann eine Szene des Mythos veranschaulicht, die sich auch auf den apulischen Vasen fand: Niobe ist auf dem Grab der Kinder bereits zum Stein geworden, ihre Entrückung auf den Sipylos hat noch nicht stattgefunden. Gleichwohl wird die Identifikation von Grabstein und Mutter höchstens angedeutet, denn im zweiten Teil des Gedichts erscheint die Mutter wieder als Mensch, der sich wünscht, seinem Kind im Traum zu begegnen.

3. Exkurs: Die homerische Waffenpersonifikation und ihre hellenistische Nachfolge Eine besondere Form der Beseelung von Objekten findet sich bereits in den homerischen Epen. Dort werden an mehreren Stellen Waffen als gleichsam personifiziert dargestellt, indem ihnen innere Regungen wie Mordlust oder Wut zugeschrieben werden. Einschlägig sind folgende Stellen: Antrieb/Begierde/Mordlust: Il. 4, 125 f. ἆλτο δ᾽ ὀϊστὸς / ὀξυβελὴς καθ᾽ ὅμιλον ἐπιπτέσθαι μενεαίνων Il. 5, 661 f. αἰχμὴ δὲ διέσσυτο μαιμώωσα / ὀστέω ἐγχριμφθεῖσα Il. 15, 542 f. αἰχμὴ δὲ στέρνοιο διέσσυτο μαιμώωσα / πρόσσω ἱεμένη Il. 11, 574 (= Il. 15, 317; 21, 168) [sc. δοῦρα] λιλαιόμενα χροὸϛ ἆσαι Il. 21, 69 f. ἐγχείη … ἱεμένη χροὸϛ ἄμεναι ἀνδρομέοιο Wüten/Raserei: Il. 8, 111 δόρυ μαίνεται ἐν παλάμῃσιν Il. 16, 74 f. ἐν παλάμῃσι / μαίνεται ἐγχείη 163 Die Metamorphose der Mutter zu Niobe mag in φθινθ vorbereitet sein, vgl. in diesem Zusammenhang Ovids Gebrauch von tenuare (z. B. Met. 2, 373; 3, 396) sowie Hor. Carm. 2, 16, 30 longa Tithonum minuit senectus. 164 Die nächste Parallele für die Junktur ist die bereits zitierte Nonnospassage Dion. 5, 356 f. Ἀρισταίῳ δὲ τοκῆϊ / δάκρυσι πετραίοισι ἐμὴν ἀγορεύε τελευτήν.

Exkurs: Die homerische Waffenpersonifikation

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Schamlosigkeit/Mitleidlosigkeit: νηλέϊ χαλκῷ (11-mal Il., 8-mal Od.) Il. 4, 521 ἀμφοτέρω δὲ τένοντε καὶ ὀστέα λᾶας ἀναιδὴς / ἄχρις ἀπηλοίησεν Man hat dieses Phänomen als Animismus beschrieben (Kokolakis 1980) oder es unter die pathetic fallacy subsumiert (Copley 1937). Hier soll dagegen der Begriff Animismus vermieden werden, da damit suggeriert werden könnte, es handle sich um einen »primitiven« Glauben an die Beseeltheit der Umwelt und der Dinge, was dem homerischen Befund nicht gerecht zu werden scheint.165 Copley wiederum definiert die pathetic fallacy als »an illusion, more or less real, that the inanimate world is possessed of human feeling«. Unter diese Definition ließe sich die Waffenpersonifikation in der Tat subsumieren; doch wurde oben bereits ein ein engerer Begriff von pathetic fallacy zugrunde gelegt, nämlich eine (oft katalogartige) Nennung von Elementen der belebten bzw. als belebt gedachten Natur (Pflanzen, Tiere, sowie Berge und Flüsse als Wohnorte von Nymphen und Göttern), die in einer sentimentalen Ausweitung des Gefühls menschliche Stimmung widerspiegeln, meist Freude oder Trauer, oder an menschlichem Glück oder Unglück Anteil nehmen.166 Demgegenüber betrifft die Waffenpersonifikation ein einzelnes, menschengemachtes Objekt, das von Menschen gehandhabt wird und so als »Erweiterung« des Menschen, gewissermaßen als »verlängerter Arm« erscheinen mag, und seine Regungen dann als ihm vom

165 Vgl. Kokolakis 1980, 97 »The unconscious projection of primitive man’s feelings or qualities onto the surrounding world«. Kokolakis selbst nimmt bereits eine Differenzierung vor, indem er einige Fälle des homerischen Animismus der »poetical fancy« des Dichters, andere »primeval animistic superstitions« zuschreibt (113). Homer selbst scheint bereits ein differenziertes Verhältnis zur »Beseelung« der Dinge zu haben, wenn Erde und Meer, die an einer Stelle belebt erscheinen (Il. 2, 95 und 784 [die Erde stöhnt unter der Last der Menschen]; Il. 14, 374 f. [die Erde lässt auf Zeus’ und Heras Lager Blumen sprießen]; Il. 19, 362 [die Erde lacht]; Od. 11, 243 f. [eine Welle verbirgt Poseidon und Tyro]; Il. 13, 29 f. [das Meer teilt sich aus Freude über Poseidons Fahrt]; weiteres bei Kokolakis 1980, 92–100), an anderer Stelle zur Illustration von Empfindungslosigkeit herangezogen werden (Il. 24, 54 [der Leichnam ist empfindungslos wie die Erde]; Il. 16, 33–5 [Patroklos zu Achill: Meer oder Felsen müssen deine Eltern sein, so mitleidlos bist du]). Andererseits mag, was uns als bloße Redefigur erscheint, auf einer religiösen Vorstellung beruhen (s. Hurwit 1982, 193 f.). Für unsere Zwecke scheint angeraten, die Beseelung der Objekte als rein literarisches Phänomen zu beschreiben (vgl. Arist. Rhet. 1411b31–2, der die Beseelung von Dingen der dichterischen ἐνέργεια zuschreibt: κέχρηται Ὅμηρος πολλαχοῦ τῷ τὰ ἄψυχα ἔμψυχα ποιεῖν διὰ τῆς μεταφορᾶς. ἐν πᾶσι δὲ τῷ ἐνέργειαν ποιεῖν εὐδοκιμεῖ). 166 Vgl. die Definition bei Fantuzzi/Hunter 2004, 149 »pathetic fallacy […] attributes to it [d. h. der Natur] a sentimental participation and interaction with human affairs.« Auch für die pathetic fallacy wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich um einen Überrest »primi­ tiver Homöopathie« oder um den Versuch einer urbanen Kultur handelt, eine als schmerzlich empfundene Trennung von der Natur zu überbrücken.

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Menschen »mitgegeben« oder auf es »übertragen« erscheinen können.167 Dazu kommt der Unterschied in der Stimmung: den Waffen werden Affekte zugeschrieben, welche ihre Rohheit, geradezu ihre Unmenschlichkeit hervorheben: Empfindungen wie Mitleid oder Scham werden ihnen explizit abgesprochen, sie sind νηλεής168 und ἀναιδής.169 Demgegenüber scheint in der pathetic fallacy die Natur von milderen, »zivilisierteren« Empfindungen betroffen.170 Eine Weiterführung der homerischen Waffenpersonifikation findet sich im pseudohesiodeischen Scutum, in der Rüstungsszene des Herakles (129–34):    κοίλην δὲ περὶ στήθεσσι φαρέτρην κάββαλεν ἐξόπιθεν· πολλοὶ δ᾽ ἔντοσθεν ὀιστοὶ ῥιγηλοί, θανάτοιο λαθιφθόγγοιο δοτῆρες. πρόσθεν μὲν θάνατόν τ᾽ εἶχον καὶ δάκρυσι μῦρον, μέσσοι δὲ ξεστοί, περιμήκεες, αὐτὰρ ὄπισθε μόρφνοιο φλεγύαο καλυπτόμενοι πτερύγεσσιν. Den hohlen Köcher warf er sich von hinten um die Brust. Darin waren viele Pfeile, schauerliche, Bringer des Todes, der die Stimme auslöscht. An ihrer Spitze trugen sie den Tod und troffen von Tränen, in der Mitte waren sie glatt und langgestreckt, aber am Ende waren sie von Federn des feuerroten Adlers bedeckt.

Die elaborierte Beschreibung der Pfeile lässt sie geradezu als Bestien erscheinen,171 was sich als Steigerung der homerischen Waffenpersonifikation begreifen lässt.172 Die Festellung δάκρυσι μῦρον scheint sie dagegen stärker zu vermenschlichen, insofern Tränen auf Empfindungen von Mitleid oder Trauer verweisen.173 167 Vgl. Σ ad Il. 4, 126 ἐμφαντικῶϛ δὲ τὴν τοῦ βαλόντοϛ προθυμίαν εἰϛ τὸ βληθὲν μετήγαγεν. Kokolakis 1980, 109 macht den ansprechenden Vorschlag, die Personifikation sei aus der Perspektive des Opfers zu denken, das der Waffe die Schuld an seiner Verletzung gebe. Zum »magische[n] Band, welches das Schicksal einer Wunde mit dem der Waffe verknüpft, durch welche sie hervorgerufen wurde«, s. Freud 1913, 16. 168 Ich folge der Etymologie, die νηλεής zu ἔλεος und ἐλεείνω stellt (Frisk 1973, Chaintraine 1999, B. Mader, LfrgE s. v. νηλεής). 169 Vgl. Janko 1992 (ad Il. 13, 139) »There is wit in the simultaneous personification of the rock and denial that is has human feelings of shame at its own destructiveness.« 170 Bereits Copley 1937, 196 weist auf den Unterschied zwischen der Waffenpersonifikation und den »sentimental pathetic fallacies of later ages« hin. 171 Vgl. die strukturell ähnliche Beschreibung der Chimäre bei Homer (Il. 6, 181) πρόσθε λέων, ὄπιθεν δὲ δράκων, μέσση δὲ χίμαιρα (die Parallele bereits bei Russo 1950, 14). 172 Vgl. allerdings Fränkel 1993, 122 (»völlig unhomerisch«); dagegen Russo 1950, 14: »i dardi dell’epica eran comunemente στονοέντες  e πτεροέντες: qui essi sono dei piccoli mostri animati. Il modulo descrittivo dei mostri omerici fu coraggiosamente vòlto ad un uso singolare«; auch Merkelbach 1952, 129 betont die Kontinuität. 173 LSJ (s.v. μύρω I) und DGE (s.v. δάκρυ) denken an Gift, in das die Pfeile getaucht wurden; δάκρυ kann später auch nur »Tropfen« heißen, aber das personifizierende Weinen soll doch wohl mitevoziert werden (vor allem, da μύρομαι i. d. R. »weinen« bedeutet). Für

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Es liegt also in der epischen Dichtung (und in Weiterführung bei Pseudo-­ Hesiod) ein Motivkomplex vor, der eine Gruppe von Gegenständen als von inneren Regungen betroffen vorstellt und der gerade in dieser Hinsicht ein Vorbild für die epigrammatische poetry of objects des Hellenismus sein konnte. Ein direkter Einfluss dieser Passagen scheint sich in einer Reihe von Epigrammen zu zeigen, die Weihungen von Waffen beschreiben und die untereinander durch sprachliche und motivische Entsprechungen verbunden sind.174 Von diesen Gedichten sollen hier zwei hinsichtlich ihrer Bezugnahme auf Homer näher betrachtet werden (Nikias AP 6, 122 = HE 2755–8): Μαινὰς  Ἐνυαλίου, πολεμαδόκε, θοῦρι κράνεια,   τίς νύ σε θῆκε θεᾷ δῶρον ἐγερσιμάχᾳ; – Μήνιος· ἦ γὰρ τοῦ παλάμας ἄπο ῥίμφα θοροῦσα   ἐν προμάχοιϛ Ὀδρύσαϛ δήιον ἂμ πεδίον. Mänade des Enyalos, kriegsbereite, schnelle Kornelkirsche, wer hat dich der Kampf weckenden Göttin als Geschenk aufgestellt? – Menios: Denn ich sprang ja leicht von seiner Hand und richtete in der Ebene von Odrysa Verwüstung unter den Vorkämpfern an.

Das Gedicht präsentiert einen Dialog zwischen dem Passanten und einer Lanze, die ein gewisser Menios im Tempel der Athene geweiht hat. Dedikationen von Waffen sind ein geläufiges Phänomen, das z. B. in Olympia gut bezeugt ist; dort sind sie von der Archaik bis in die Frühklassik belegt. Häufig sind Beuteweihungen siegreicher Poleis, wogegen Waffenweihungen von Privatpersonen eher selten sind.175 Nicht selten finden sich auf den Waffen Inschriften, die in der Regel (schon aus Platzmangel) knapp ausfallen; bei Lanzen stehen diese nicht auf der Spitze, sondern auf dem Lanzenschuh (der hölzerne Lanzenschaft hat sich nicht erhalten).176 Schließlich sind Waffenweihungen gerade für Athene häufig und an verschiedenen Orten belegt.177 eine solche Übertragung der Trauer vom Opfer auf den Todbringer vgl. die Beschreibung der Ἀχλύς (Dunkelheit des Todes) als δάκρυσι μυδαλέη ([Hes.] Scut. 270; die Parallele bei Russo 1950, 105) – wenn nicht mit West 1987, 18 f. Ἀχνύς zu lesen ist. 174 AP 6, 52; 97; 122–8. Diese Gedichte wurden bereits mit der homerischen Waffen­ personifikation verglichen (z. B. Luck 1954, 174 »wohl homerische Anklänge«; Gow/Page führen homerische Belegstellen zu HE 2755 ff. an), der Zusammenhang wurde aber noch nicht gedeutet: Der Rückgriff auf Homer erfolgt hier mit dem Ziel, auf die homerischen Wurzeln der eigenen dichterischen Vorgehensweise, nämlich der Beseelung der epigrammatischen Objekte, hinzuweisen. 175 Baitinger 2001. 176 Die metrische Inschrift SEG 11:956 (zwei Hexameter) steht nicht auf einer der geweihten Waffen, sondern auf einer bronzenen Tafel. Ein Katalog der in Olympia gefundenen Waffenbeischriften in Frielinghaus 2011, Anhang II. 177 Baitinger 2001, 82 nennt: Athen, Sunion, Delphi, Philia, Lindos, Vouni (Zypern),­ Aigina (?).

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Wenn also die Situation an sich (ein Passant liest eine Inschrift auf einer der Athene geweihten Lanze) durchaus so stattgefunden haben könnte, geht doch die Länge von Nikias’ Epigramm über das aus den Inschriften Bekannte und Denkbare hinaus. Entsprechend lässt die sprachliche Gestalt einen deutlichen Rückbezug auf inschriftliche Vorbilder bei gleichzeitiger Erweiterung durch literarische Anklänge erkennen: Neben der Präsentationsform als Dialog178 findet sich übliche inschriftliche Diktion, τίθημι als verbum dedicandi und δῶρον als Beschreibung des Weihobjekts.179 Doch auch einige der auf den ersten Blick gewählt erscheinenden Formulierungen sind in Versinschriften gut belegt: So scheint die Antonomasie der Athene als θεὰ ἐγερσιμάχα, obwohl auch literarisch bezeugt (Παλλὰς ἐγρεμάχη Hom. Hymn. Dem. 424), vor allem auf inschriftliche Diktion zu verweisen (vgl. CEG 194 [Παλ]άδι μ᾽ ἐγρεμάχαι  … στε˜σε und 277 [Παλάδι μ᾽ ἐγρ]εμάχ[ει … ἀνέθ[εκεν). Die Wendung ἐν / ἐνὶ προμάχοισ(ι) findet sich zahlreich in Ilias und Odyssee,180 ist aber auch in Epitaphen auf gefallene Krieger belegt (CEG 10, 11; 27; 112); neben zahlreichen Belegen in der Ilias findet sich auch δηιόω inschriftlich (CEG 83). Nikias scheint also auf der lexikalischen Ebene eine Verbindung zwischen homerisch-epischer Sprache und inschriftlicher Diktion anzustreben. Demgegenüber zeigen sich in der Personifikation der Lanze, die über die bloße Ich-Rede hinausgeht, ebenfalls homerische Anklänge: so greift die Beschreibung Μαινὰς Ἐνυαλίου »Mänade des Kriegsgottes«, worauf schon Gow/ Page hingewiesen haben, den homerischen Ausdruck Il. 8, 111 δόρυ μαίνεται ἐν παλάμῃσιν auf (womit wiederum παλάμας ἄπο in Vers 3 zu vergleichen ist); die homerische Personifikation der Lanze als »rasend« wird durch die Apostrophe als Μαινάς noch überboten.181 Das Adjektiv πολεμαδόκε kann auf Waffen bezogen werden (Pind. Paian. 10, 13), ist sonst aber als Epitheton der Athene gebräuchlich.182 Man hat darauf hingewiesen, dass erst bei der Lektüre des zweiten Verses dem Leser klar wird, dass ein Speer beschrieben wird.183 Die Beschreibung des Speeres als θοῦρις erinnert dabei zunächst an die homerische

178 Wie in CEG 429 enthält das erste Distichon die Frage des Passanten nach dem Stifter, das zweite Distichon die Antwort des Denkmals. 179 Τίθημι: Lazzarini 71; δῶρον: Lazzarini 102–3. 180 Zehnmal in der Ilias, zweimal in der Odysee; außerdem viermal in Tyrtaios, einmal in Theognis. 181 So bereits Bernsdorff 2001, 114 Anm. 106. Dabei verbirgt sich hier auch eine Doppeldeutigkeit, insofern Enyalios auch als Name des Dionysos belegt ist, weshalb der Leser zunächst denken könnte, es sei die Statue einer Mänade angesprochen (s. Fantuzzi/Hunter 2004, 313). 182 S. Gow/Page a.l. 183 Bernsdorff 2001, 114 Anm.  106; Fantuzzi/Hunter 2004, 314 (Fantuzzi weist darauf hin, dass der Leser bei Kenntnis des Anytegedichts (s. u.) bereits bei der Lektüre von κράνεια wisse, dass es um einen Speer gehe).

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ἀσπὶς θοῦρις (Il. 11, 32; 20, 162),184 doch angesichts der bisher verfolgten Strategie der Personifizierung mag sich der Leser auch an die geläufige homerische Junktur θοῦρος Ἄρης erinnern, die auch inschriftlich belegt ist,185 denn in den homerischen Epen wird Ares bisweilen als Metonymie für das ἔγχος verwendet.186 Bei θοροῦσα denkt man an das »Springen« der Pfeile bzw. der Waffen bei Homer (Il. 15, 313 f. ὀιστοὶ θρῷσκον, vgl. Il. 4, 125 ἆλτο ὀιστός; 14, 455 πηδῆσαι ἄκοντα); darüber hinaus erinnert der Ausdruck παλάμας ἄπο ῥίμφα θοροῦσα an den Diskos, den Odysseus bei den Spielen der Phäaken weiter als alle anderen warf: ῥίμφα θέων ἀπὸ χειρός (Od. 8, 193; »belebt vorgestellt« R. Führer, LfrgE s. v. θέω Sp. 1031, 61). Durch den deutlichen Rückgriff auf die homerische Waffenpersonifikation motiviert Nikias den Dialog mit dem Weihgegenstand in besonderer Weise, da er so im Epigramm nicht nur an den traditionellen Usus des sprechenden Objekts, sondern auch an eine andere Tradition der Belebung anknüpft: insofern die Lanze bereits bei Homer als eine Art Person erscheint, ist es nur folgerichtig, dass sie zu ihrem »Leben« befragt werden kann. Dieser Gedanke scheint auch dem folgenden Epigramm der Anyte, ebenfalls auf eine Lanze, zugrunde zu liegen (AP 6, 123 = HE 664–7): ἕσταθι τᾷδε, κράνεια βροτοκτόνε, μηδ᾽ ἔτι λυγρόν   χάλκεον ἀμφ᾽ ὄνυχα στάζε φόνον δαΐων· ἀλλ᾽ ἀνὰ μαρμάρεον δόμον ἡμένα αἰπὺν Ἀθάνας   ἄγγελλ᾽ ἀνορέαν Κρητὸϛ  Ἐχεκρατίδα. Bleib hier stehen, menschentötende Kornelkirsche, und tropfe nicht mehr das grausame Mordblut der Feinde um deine eherne Klaue, sondern sitzend im marmornen, hohen Haus der Athene verkünde die Tapferkeit des Kreters E ­ chekratidas.

Eine gegenseitige Abhängigkeit der beiden Epigramme ist durch die Verwendung des seltenen Wortes κράνεια für »Lanze« sehr wahrscheinlich.187 Anyte verwendet nicht die Wechselrede, sondern lässt einen ungenannten Sprecher die Lanze ansprechen; sie solle ihr Kriegshandwerk hinter sich lassen und in Zukunft nur noch als Weihgeschenk vom Ruhm ihres Besitzers künden. Auch Anyte greift auf Elemente der inschriftlichen Epigrammatik zurück, wenn auch weniger stark als Nikias: ἧσθαι begegnet bisweilen anstelle des üblicheren κεῖσθαι in Bezug auf ein inskribiertes Objekt;188 ebenso ἀγγέλλω als ver 184 Gow/Page HE ad 2755 verweisen außerdem noch auf θοῦρον δόρυ in Eur. Rhes. 492. 185 CEG 27; 421; 488; 101 (ergänzt). 186 B. Mader, LfrgE s. v. Ἄρης 2 c. 187 Die Richtung der Abhängigkeit ist umstritten. Für Bernsdorff (2001, 113–4) ist die Frage der Priorität nicht entscheidbar. Für Anytes Priorität sprachen sich zuletzt Fantuzzi (in Fantuzzi/Hunter 2004, 313 Anm. 96) und Sens (2006, 155) aus. 188 CEG 86; 120; 20 (ergänzt).

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bum dicendi für das Denkmal;189 für ἀνορέα (ἠνορέη) vgl. CEG 19 (von einem αἰχμητής) und CEG 31. Sprachlich ergeben sich Anknüpfungen vor allem an Tragödie und Lyrik.190 Das Motiv der Mordlust der Lanze dürfte dagegen auf die homerischen Waffenpersonifikationen zurückgehen. Der Vergleich der Lanze mit einem Raubtier, explizit in der Beschreibung der Lanzenspitze als ὄνυξ, unterstützt durch ἡμένα,191 greift außerdem die Beschreibung der Pfeile im Scutum auf. Darüber hinaus scheint der Grundgedanke des Gedichts, die Beschwörung der Lanze, vom Krieg abzulassen, eine intertextuelle Anspielung auf Homer zu enthalten. In einigen Passagen der Waffenpersonifikation wird dort beschrieben, dass die Lanzen ihr Ziel nicht erreichten, sondern in der Erde stecken blieben, aber gleichwohl immer noch danach verlangen, ihr Ziel zu verwunden: Il. 11, 573–4 (= 15, 316–7): [τὰ δὲ δοῦρα] … πάροϛ χρόα λευκὸν ἐπαυρεῖν, ἐν γαίῃ ἵσταντο λιλαιόμενα χροὸϛ ἆσαι. [Die Speere] … bevor sie die weiße Haut berührten, blieben sie in der Erde stecken, begierig, sich am Fleisch zu sättigen. Il. 21, 69 f.: ἐγχείη δ᾽ ἄρ᾽ ὑπὲρ νώτου ἐνὶ γαίῃ ἔστη ἱεμένη χροὸϛ ἄμεναι ἀνδρομέοιο. Die Lanze aber (flog) über den Rücken hinweg (und) blieb in der Erde stecken, begierig, sich an menschlichem Fleisch zu sättigen.

Durch den Imperativ ἕσταθι weist Anyte auf diese homerischen Vorbilder hin. Die homerischen Speere »stehen« (unfreiwillig) »da« (ἵσταντο, ἔστη), dürsten aber immer noch nach Blut; dies scheint auch für die Lanze des Echekratidas zu gelten, die vom Sprecher aufgefordert werden muss stehen zu bleiben, von ihrer Mordlust abzulassen und nur noch vom Ruhm ihres Stifters zu künden.

189 CEG 591, 4; 823 (ergänzt); Ebert 72, 2; literarisch: GVI 1171 (= AP 7, 153 etc.); Eur. Suppl. 638 f. 190 Βροτοκτόνος (Eur. Iph. Taur. 384); mit στάζε φόνον vgl. φόνου … στάγονες (Soph. OT 1278), στάζει γὰρ αὖ μοι φοίνιον τόδ᾽ ἐκ βυθοῦ / κηκῖον αἷμα (Soph. Phil. 784 f.), καταστάζει φόνος (Eur. Iph. Taur. 72); mit ἀνὰ μαρμάρεον δόμον vgl. Alk. Fr. 140, 2 Voigt μαρμαίρει δὲ μέγας δόμος (Bonanno 1990, 141; Fantuzzi/Hunter 2004, 313), wo die Waffen z. T. ebenfalls personifiziert erscheinen. 191 Gow/Page a.l.; Geoghegan 1979, 23 f. meint, mit ὄνυξ sei der Lanzenschuh bezeichnet: dann wäre daran gedacht, wie die Lanze im Boden steckt und das Blut von der Spitze auf den Schuh herabtropft. So wäre aber der Gegensatz von »friedlichem« Herumstehen und kriegerischem Einsatz weniger deutlich, da dann schon im μηδέ-Teil an ein Stehen der Lanze gedacht wäre. Dazu kommt, dass man beim Tiervergleich mit »Klaue« den Teil  der Waffe assoziiert, der verwundet, nicht den Teil, der zum Stehen dient.

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Man hat bereits darauf hingewiesen, dass, ebenso wie im Nikiasepigramm, der Beginn von Anytes Gedicht ἕσταθι τᾷδε eine Irreführung des Lesers bewirkt, da dieser aufgrund seiner Vertrautheit mit epigrammatischen Konventionen den Imperativ »bleib stehen« zunächst als Aufforderung an den Passanten begreift.192 Wenn Anyte darüber hinaus die homerischen Parallelen evoziert, beginnt sie ihr Gedicht wie Nikias mit einer Referenz auf die typisch homerische Behandlung der Waffenpersonifikation, die sich allerdings erst im Lauf der Lektüre recht erschließt. Beide Gedichte nutzen also in spielerischer Weise die Abwesenheit eines »monumental context«, der den Leser über den zu erwartenden Inhalt des Epigramms informiert, für ihre Zwecke.193 Aber auch die Art und Weise, wie die »Beseelung« des Weihgeschenks hier durch eine Verknüpfung inschriftlicher Topoi mit Motiven aus der Literatur (vor allem Homer) erreicht wird, erweist diese Epigramme als Produkte ihrer Zeit.

192 Bernsdorff 2001, 114 Anm.  106; zu den dort genannten Beispielen ist zu ergänzen CEG 790 (unbekannter Fundort, 4./3. Jh. v. Chr.), 1 [ἵστα]σο κυδαίνων; CEG 849 (Olympia, 350–300 v. Chr.), 2 ἕσταθι κυ[δαίνων]. 193 Vgl. Fantuzzi/Hunter 2004, 314.

III. Die Rede des Toten

1. Die Rede des Toten in der vorhellenistischen Tradition 1.1. Form und Inhalt Die Rede des Toten begegnet in den vorhellenistischen Inschriften nur als unmittelbare direkte Rede. Im Gegensatz zur Rede des Gegenstands wird nicht gesagt, dass der Tote »spricht« oder dass seine »Stimme« auf dem Stein bewahrt ist.1 Nicht selten werden der Passant (oder die Passanten) angesprochen; beliebt ist die Formel χαίρετε παριόντες (CEG 80, 108, 487, 492, 677). Bisweilen wird ein bloßer Vokativ (CEG 131 ο῏ ξνε) oder ein Imperativ gebraucht (CEG 159 ὀλοφυράσθω, 544 ὅρα, 596 μηθεὶς θαυμαζέτω); in einem Fall genügt der Indikativ (CEG 545 εἰ δ᾽ ὄνομα ζητεῖς). Es liegt daher nahe, den Passanten auch dann als primären Adressaten zu betrachten, wenn dieser nicht ausdrücklich benannt wird.2 Dass wieder die Vorstellung mündlicher Kommunikation zugrunde liegt, zeigt z. B. CEG 590 ἡλικίαμ μὲν ἐμὴν ταύτην δεῖ πάντας ἀκοῦσαι. Der Tote spricht entweder von seiner condicio mortis (CEG 166, ein Tod auf dem Meer) und den Begleitumständen des Todes (Trauer der Angehörigen etc.), oder er blickt auf sein Leben zurück (CEG 87b, es gab keinen besseren Holzfäller als ihn); manchmal wird auch beides einander gegenübergestellt (CEG 89, das Enkelkind sitzt der Toten auf dem Schoß wie im Leben, so auch im Tod). Der Tote spricht nicht nur selbst, sondern wird auch häufig angesprochen; dies geschieht ebenfalls nur in direkter Rede.3 Die Inhalte scheinen sich nicht wesentlich von den Inschriften in anderen Präsentationsformen zu unter­ scheiden: Trauer der Hinterbliebenen, Preis der Tugend des Toten oder die schlichte Feststellung, ein Verwandter habe das Grab errichtet (z. B. CEG 50), werden genannt.

1 Dieser Unterschied mag darin begründet liegen, dass beim inskribierten Denkmal dessen Redegabe als besondere Fähigkeit herausgestellt werden soll, wogegen das Paradox des sprechenden Toten eher heruntergespielt und nicht durch Formulierungen wie »der Tote spricht dies« o. Ä. betont werden soll. 2 Vgl. Tueller 2008, 32. Ab dem 4. Jh. v. Chr. ist auch ein Verwandter als primärer Adressat denkbar, da sich der Tote dann gelegentlich (im Rahmen eines Dialogs) an einen Verwandten wendet (CEG 512, 530). In einem Beispiel wenden sich die Gefallenen in CEG 467 (Attika, 338 v. Chr.) an den Gott Χρόνος, der Bote ihres Ruhms werden soll. 3 Für Beispiele aus CEG 1 s. u. S. 163 Anm. 7; sehr häufig in CEG 2 (ca. 60 Beispiele).

Die Rede des Toten in der vorhellenistischen Tradition

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In den meisten Fällen wird nicht spezifiziert, wer den Toten anredet. In einem Fall (CEG 115) spricht das Grabmal den Toten an; in wenigen Fällen, die alle erst dem 4. Jh. v. Chr. entstammen, ist der Sprecher als Verwandter des Toten erkennbar (CEG 571, 631, 689=169a). In dieser Zeit gibt es sporadisch auch Dialoge zwischen dem Toten und einem Verwandten (CEG 512, 530), der Passant wird so Zeuge eines »intimen« Gesprächs zwischen Vertrauten. Die davor anzutreffende Unbestimmtheit des Sprechers könnte den Zweck verfolgen, dass sich der Passant beim Vorlesen mit der Sprecherrolle identifizieren soll und so stärker in Trauer und Mitleid um den Toten eingebunden wird.4

1.2. Zeitliche Einordnung und Genese Die Rede des Toten gehört nicht zu den ältesten inschriftlichen Präsentationsformen; sie begegnet bisher einmal sicher im 6. Jh. v. Chr.,5 etwas häufiger im 5. Jh.,6 und im 4. Jh. ist sie im Grabepigramm beliebter als die Rede des Gegenstands. Die Entwicklung der Anrede an den Toten läuft weitgehend parallel, nur gibt es mehrere Beispiele bereits im 6. Jh. v. Chr.7 Zwischen der Rede des Toten und der Rede des Denkmals mögen sich gewisse Überschneidungen ergeben. So begegnet die Rede des Toten oft auf nicht­ ikonischen Grabmälern und erklingt dann gewissermaßen aus dem »Off«; tragen die Denkmäler aber ein Bild des Toten, so wäre es denkbar, dass der Passant in seiner Vorstellung diesem Bild die Worte in den Mund legt. Gleichwohl muss das nicht bedeuten, dass der Betrachter das Bild auch mit dem Toten identifiziert hätte, wie man in Hinblick auf das älteste Beispiel für den Typus der Rede 4 Tsagalis 2008, 257: »Through the very performance of the grave epigram, the fictive passer-by becomes a mourner and the most solemn part of the funeral, the lamentation of the dead, is endlessly reiterated each time a stranger reads the epitaph aloud.« Zu Trauer und Mitleid des Passanten als erwünschten Reaktionen vgl. auch CEG 27 und 28. 5 CEG 24 (Phrasikleia); mit Bowra 1960, 177 Rede des Toten in CEG 13 anzunehmen, ist möglich, aber nicht zwingend. Außerhalb der Grabinschriften vgl. IGASMG IV 22 (Poseidonia-Paestum, ca. 550–500 v. Chr.) τᾶς θεο˜ τς παιδός ἐμι »Ich gehöre der Persephone«. Diese Worte, die auf einer in einem Grab gefundenen Goldlamelle stehen, sind wohl als Worte des/der Toten, nicht der Lamelle zu denken. 6 10 Beispiele: CEG 159 (Thasos, ca. 500 v. Chr.); 131 (Korinth, 480 v. Chr.); 114 (Böotien, 479 v. Chr.?); 80 (Attika, ca. 475–450 v. Chr.?); 171 (Ägypten, ca. 475–400 v. Chr.?); 108­ (Euböa, ca. 450 v. Chr.?); 119 (Thessalien, 450 v. Chr.?); 89 (Athen, ca. 410 v. Chr.), 176 (Pantikapaion, Ende 5. Jh. v. Chr.); 99 (Attika, ca. 400 v. Chr.). 7 6. Jh.: CEG 19 (Attika, 550–530 v. Chr.?); 47 ([unsicher] Attika, 525–500 v. Chr.); 48 (Attika, 520–510 v. Chr.?); 50 (Attika, 510 v. Chr.?); 152 (Amorgos, 700–650 v. Chr.?); 6./5.Jh.: CEG 69 (Attika, ca. 500 v. Chr.?); 127 (Phokis, ca. 500 v. Chr.?; vgl. aber Sourvinou-Inwood 1995, 388–412); 163 (Thera, ca. 500 v. Chr.); 5. Jh.: CEG 4 (Attika, 458/7 v. Chr.); 5 (Attika, 447/6 v. Chr.); 82 (Attika 450–425 v. Chr.?); 95 (Attika, Ende 5. Jh. v. Chr.?); 97 (Attika, ca. 400 v. Chr.), 141 (Aetolien, 5. Jh. v. Chr.?).

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Die Rede des Toten

des Toten, das Epigramm auf Phrasikleia, vermutet hat (CEG 24, Attika, ca. 540 v. Chr.? = IG I3 1261): σε˜μα Φρασικλείας. κόρε κεκλέσομαι αἰεί,   ἀντὶ γάμο παρὰ θεο˜ν τοῦτο λαχο˜σ᾽ ὄνομα. Grabmal der Phrasikleia. Mädchen werde ich immer genannt werden, die ich statt einer Hochzeit von den Göttern diesen Namen erhalten habe.

Das Epigramm befindet sich auf einer Statuenbasis, die Statue der Phrasikleia ist erhalten.8 Spricht hier das Denkmal bzw. die Statue, oder die tote Phrasikleia selbst? Es scheint unzweifelhaft, dass nur die Tote selbst als Sprecherin der Worte κόρε … ὄνομα in Frage kommt, denn weder das Grabmal noch die Statue können von sich behaupten, den Namen »Kore« ἀντὶ γάμο erhalten zu­ haben.9 Ebenso geht es wohl zu weit, zu behaupten, dass »Sprechen des Denkmals und Sprechen der Toten […] hier identisch« seien,10 denn dies würde unterstellen, dass der Betrachter nicht klar zwischen Phrasikleia als Person und ihrer Statue unterschieden hätte, eine Anschauung, für die es im Gedicht keine zwingenden Indizien gibt.11 Dennoch besteht ein Bezug zwischen Denkmal und Inschrift, und zwar in dem Sinn, dass die Grabstatue den Sachverhalt­ illustriert, den Phrasikleia selbst als Sprecherin ihres Epigramms beschreibt: Die Statue zeigt ein unverheiratetes Mädchen (κόρε), und die Beständigkeit des materiellen Denkmals zeigt die Dauerhaftigkeit des »Mädchen-Seins« an (αἰεί). Gerade diese beiden Aspekte benennt Phrasikleia im ersten Teil  ihrer Inschrift; dass ihr früher Tod ein Schicksal darstellt (λαχο˜σα), das sie anstelle der Hochzeit ereilte (ἀντὶ γάμο), kommt schließlich metaphorisch in der gepflückten, noch nicht erblühten Lotusblüte zum Ausdruck, die sie in der Hand hält.12 Das Denkmal veranschaulicht also Phrasikleias Botschaft, es illustriert ihr Schicksal im Bild; ob der zeitgenössische Betrachter auch der Meinung war, es

8 Abbildung z. B. in Stieber 2004 Nr. 46. 9 Sourvinou-Inwood 1995, 281. U. a. aus diesem Grund folge ich Sorvinou-Inwood 1995, 281 und IG I3 1261 darin, nach Φρασικλείας Satzende und Sprecherwechsel anzunehmen, pace Svenbro 1988, 23–32; Tueller 2008, 160 f. 10 Lausberg 1982, 114, die voraussetzt, dass »in der Statue, die das Sema bildet, […] die Tote selbst gegenwärtig« sei; Ecker 1990, 202 »…sind die Grenzen zwischen Ich der Statue und Ich der Verstorbenen durchaus fließend.« 11 Zum Problem s. u. S. 238 Anm. 30. 12 Zur Lotusblüte (und den anderen Attributen) ausführlich Stieber 2004, 151–77, die auf die Tautologie von Bild und Text hinweist (177 f.). Besonders deutlich wäre diese Tautologie, wenn κόρη bereits als t. t. für eine Mädchenstatue gebräuchlich war (vgl. Ecker 1990, 198, die auf CEG 266 [Akropolis, 480–75 v. Chr.?] und IG I3 474, 86 [409/8–407/6 v. Chr.] hinweist).

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sei Phrasikleia im Sinne einer »Realpräsenz« der Toten, darf bezweifelt werden und lässt sich aus der Inschrift selbst heraus nicht erhärten.13 Um das Aufkommen der Rede des Toten als neuer inschriftlicher Präsentationsform zu erklären, sind verschiedene Ansätze verfolgt worden: Maurice Bowra erkennt in dieser Redeweise (ebenso wie in der Anrede an den Toten) ein sich in der Inschrift spiegelndes, aus der Psychologie des Menschen heraus zu er­k lärendes Bedürfnis nach Zwiesprache mit dem Toten, insofern jeder Besuch der Hinterbliebenen am Grab eine Form der Kommunikation mit dem Toten darstellt.14 Diese fingierte Kommunikation kann die Hinterbliebenen über den Verlust des Toten trösten und den Schrecken des Todes lindern.15 Beide Argumente leuchten zwar ein, scheinen aber ungeeignet, die Genese und Verbreitung der Form im betrachteten Zeitraum zu erklären. Denn wenn es sich nur um ein allgemeines menschliches Bedürfnis handelt, wäre zu erwarten, dass die Form sich von Anbeginn in den Inschriften findet, was nicht der Fall ist. Es bliebe die Frage offen, welches die besonderen Umstände sind, die seit dem 6. Jh. dazu führen, dass das Bedürfnis nach Zwiesprache mit dem Toten und der dadurch bewirkte Trost sich gerade auf diese Weise artikulieren. Zwei weitere Modelle betrachten die Ich-Rede des Toten als Resultat einer Präsenz des Toten am bzw. im Grab, und zwar entweder der Präsenz seiner Seele oder seines Leichnams. Für die erste Lösung plädiert George B. Walsh (1991, 86): The dead person, of course, enjoys a privileged relation to his gravestone, since he is supposed to remain consciously present in the vicinity of his grave, and so the stone can also speak for him.

Nun mag es Zeugnisse für gewisse religiöse Praktiken geben, aus denen man auf die Gegenwart des Toten an seinem Grab schließen kann,16 ebenso wie es Zeugnisse gibt, die für die Abgeschiedenheit der Toten im Hades sprechen.17 Eine Präsenz der ψυχαί bzw. εἴδωλα am Grab wird einmal in der Literatur erwähnt; 13 Vgl. zu dieser Frage auch Sourvinou-Inwood 1995, 164–7. 14 Bowra 1960, 178: »as all memories of the dead demand some renewal of intercourse with them, so by a very human fancy the dead are actually made to speak.« 15 Vgl. auch Le Bris 2001, 151: »Bien entendu, les paroles qu’elle présente comme celles du défunt sont l’œuvre des vivants; mais ce simulacre de communication est un réconfort pour ceux qui ont perdu un être cher et qui savent qu’eux aussi devront mourir un jour; il leur permet d’atténuer l’horreur de la mort et, en ce sens, on peut dire qu’il atteint son but.« 16 Literatur: Day 1989, 23 Anm. 53. 17 Vermutlich handelt es sich bei ersterer um die ursprüngliche Vorstellung, die von letzterer allmählich verdrängt, aber nie vollständig ersetzt wurde; beide Vorstellungen waren vorherrschend (Garland 1985, 119). Burkert (2011, 291) stellt heraus, dass die mangelnde Konvergenz der Vorstellungen über den Tod durch die Scheu bedingt sei, sich mit ihm ausein­ anderzusetzen; daher sei es auch schwierig, vom Totenbrauch Rückschlüsse auf den Totenglauben zu ziehen.

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außerdem werden die Verstorbenen auf weißgrundigen Lekythen manchmal als am Grab anwesend dargestellt.18 Daneben sind auch Vorstellungen verbreitet, die Seele fliege nach dem Tod in den Äther oder den Himmel.19 Während sich für den Aufenthalt der Seele im Hades und im Äther auch Beispiele aus den Inschriften anführen lassen, lässt sich eine »lebendige« Präsenz des Toten am Grab inschriftlich nicht nachweisen.20 Einige Tote sprechen darüber hinaus in der Ich-Form davon, wie sie in den Hades hinabgestiegen sind;21 das »Ich« ist also als explizit abwesend beschrieben, was den Zusammenhang zwischen »Präsenz« der Totenseele und Ich-Rede weiter erschwert.22 Kaum zutreffend ist die von Jon S. Bruss vorgetragene Deutung, dass durch die Rede des Toten dessen physische Präsenz im Grab angezeigt werde (2005, 103): For the stone rightly to speak in the dead man’s voice, it must function as a mode of his presence; to function as a presence, it must be proximate to his body; to have this proximity, the body must be available for burial.

Als Argument für eine solche Deutung könnte man auf die übliche Formulierung ἐνθάδε κεῖμαι verweisen, mit der der Sprecher sich mit dem Leichnam identifiziert und seine Präsenz betont.23 Hiermit ließen sich Formulierungen wie τόδε σῆμα (εἰμί) vergleichen, so dass, ähnlich wie bei der Ich-Rede des 18 Plat. Phaid. 81c-d; Le Bris 17 mit Anm. 8. Lekythen: Oakley 2004. Die Darstellungen auf den Lekythen suggerieren im Gegensatz zu Platon, dass eine Wahrnehmung der Psyche des Toten durch die am Grab Versammelten nicht möglich ist, da der Blickkontakt zwischen Grabbesucher und Totenseele bewusst vermieden wird. Aus diesen Darstellungen lässt sich somit die Rede des Toten als Resultat einer magisch-religiösen Präsenz kaum ableiten. 19 Belege bei Bremmer 2012, 179 f. mit Anm. 35; vgl. Wypustek 2013, 39–48. 20 Neuere Arbeiten stellen Zeugnisse für griechischen Aberglauben bzw. Glauben an­ Magie (z. B. Faraone 1992), auf dem Gebiet der Jenseitsvorstellungen den Glauben an die Rückkehr der Toten auf die Erde und ihr geisterhaftes Wirken etc. zusammen (Johnston 1999). Es bleibt jedoch auffällig, dass solche Vorstellungen in den vorhellenistischen Epitaphen gänzlich fehlen (Himmelmann 1956, 37 f.; pace Casey 2004, 86–8) und nur in der IchRede zum Ausdruck kämen. Die in den Epitaphen häufig begegnende Wendung ἐνθάδε κεῖμαι kann eine Präsenz der Totenseele nicht anzeigen, da κεῖμαι den leblos daliegenden Leichnam bezeichnet. 21 CEG 119 (Thessalien, ca. 450 v. Chr.?) ἱκόμαν … πολυδάκρυον εἰϛ Ἀχέροντα; 171 (Ägypten, 475–400 v. Chr.?) ἐς ἔρεβος κατέβην; 592 (Attika, 350–17 v. Chr.) στείχω … Φερσεφόνης θάλαμον; Anrede an den abwesenden Toten in CEG 163 (Thera, ca. 500 v. Chr.?) δόματ᾽ ἔ[βα]ς Ἀίδα; 511 (Attika, ca. 390–365 v. Chr.) Περσεφόνης δὲ δ[ῶμ]α … κατέβας; 575 (Attika, nach ca. 350 v. Chr.?) ὤιχου … Φερσεφόνης θαλάμου; 593 (Attika, 346/5–338 v. Chr.) Φερσεφόνης … ἔχεις θάλαμον; vgl. auch 603 (Attika, 4. Jh. v. Chr.?), 661 (Akarnanien, 300 v. Chr.?). 22 Vgl. außerdem Meyer 2005, 19 f., die einen Zusammenhang mit religiösen Vorstellungen ebenfalls verwirft. 23 Nach Himmelmann 1999, 81 Anm.  103 gibt es »über dreißig Beispiele des 4.  Jahr­ hunderts in IG II2.«

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Denkmals, durch die Betonung der Anwesenheit des Leichnams an Ort und Stelle ein »direkter Kommunikationsweg« suggeriert werden könnte.24 Es zeigt sich aber aus zwei Gründen, dass die Formulierung ἐνθάδε κεῖμαι nicht geeignet ist, die Sprechfähigkeit des Toten zu rechtfertigen: Zum einen kann, wie eben gezeigt, sich das sprechende Ich auch explizit als abwesend beschreiben, was dann gerade nicht möglich sein sollte; zum anderen begegnet die Ich-Rede auch auf Kenotaphen. So sprechen in CEG 166, 544 und 722 Tote in der IchForm, die bei einem Schiffbruch ums Leben kamen, d. h. es handelt sich mit ziemlicher Sicherheit um Kenotaphe.25 Auch im Fall der tituli publici in Korinth (CEG 131) und Attika (CEG 467) liegen die sprechenden Gefallenen sicher nicht unter dem Denkmal begraben (in CEG 131 wird ausdrücklich die I­nsel Salamis als Begräbnisstätte genannt), und vielleicht ist auch CEG 632, in dem drei bei Leuktra Gefallene sprechen, als Kenotaph zu verstehen (von Hansen a. l. erwogen). Folgendes ist daher festzuhalten: Zwar vermittelt die Ich-Rede des Toten dem Leser sicherlich den Eindruck einer »Präsenz des Sprechers«, aber diese Präsenz besteht nur im Sprechakt; es gibt keinen Anlass für die Annahme, dass die physische Präsenz oder Absenz des Leichnams einen Einfluss auf die Wahl der inschriftlichen Ich-Rede des Toten gehabt hätte26 oder dass die Rede des Toten auf einem Kenotaph eine hellenistische Neuerung sei27. Ein Zusammenhang der

24 Meyer 2005 wendet zu Recht ein, dass die Vorstellung einer »direkten« Kommuni­ kation mit dem bestatteten Toten Schwierigkeiten bereitet, da der Tote »mit dem Zeigewort ›ich‹ auf etwas im gemeinsamen Wahrnehmungsraum nicht Vorhandenes« verweise (14; Zitat auf S. 18). Rein formal war jedenfalls dem Leser ein sprechendes »Ich« aus der Rede des Objekts vertraut, was das Aufkommen der Ich-Rede des Toten begünstigt haben mag (Meyer 2005, 71). 25 D. h. drei von insgesamt acht (CEG 132, 143, 166, 466, 526, 544, 664, 722 [Liste nach Bruss 2005, 88–96]) sicheren Beispielen für einen Tod auf dem Meer weisen die Ich-Form auf, womit diese kaum zur Ausnahme erklärt werden können (pace Bruss 2005, 94–5). 26 In der Diskussion der Ich-Rede des Toten auf Kenotaphen ist Bruss daher gezwungen, logische Brüche zu attestieren (zu CEG 544: »The logic of the epitaph is not followed here« [94], zu CEG 722: »this logic is completely broken [… ] in the fiction of the stone, Diphilus is present and sentient: he speaks.« [95]). Das Problem dieser Deutung scheint m. E. auch darin zu liegen, dass nicht zwischen vorhellenistischer inschriftlicher und hellenistischer literarischer Praxis unterschieden wird. In der literarischen Tradition seit dem Hellenismus kann durchaus ein Zusammenhang oder Gegensatz zwischen physisch abwesendem Sprecher und Ich-Rede bestehen, doch das sind, wie bei der Problematisierung der Rede des Gegenstands, literarische »Spitzfindigkeiten« ohne inschriftliche Präzedenz. Wenn etwa Leonidas in AP 7, 273 = HE 2345–50 den im Meer Versunkenen sagen lässt, er schwimme dort als Fischfutter umher (πόντῳ δινεύμενος ἴχθυσι κύρμα / οἴχημαι), soll wohl der Kontrast zwischen der vom Stein berichtenden Stimme des Toten und dem depersonalisierten, abwesenden Leichnam empfunden werden. Das berechtigt aber nicht dazu, entsprechende Vorstellungen auf die archaischen und klassischen Inschriften zurückzuprojizieren. 27 So Tueller 2008, 112, der nur auf CEG 166 hinweist.

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Ich-Rede mit bestimmten eschatologischen Vorstellungen ließ sich nicht feststellen; es scheint, dass ein solcher gar nicht empfunden wurde.28 In der Literatur begegnen sprechende Tote in dieser Zeit im homerischen Epos und in der Tragödie. Im Epos nimmt die Episode des Odysseus in der Unterwelt in den Apologoi die Mittelstellung ein und liegt somit in größtmöglicher Distanz zur menschlich erfahrbaren Welt. Die Toten, die in den Epen mit den Lebenden im Diesseits Kontakt aufnehmen, bitten um eine Bestattung (Elpenor, Patroklos); nach griechischem Jenseitsglauben können die Unbestatteten nicht in den Hades einkehren.29 Dagegen setzt jede Grabinschrift den Vollzug eines Bestattungsrituals voraus. Einfluss magischer Praktiken wie der Nekromantie, wie sie etwa in Aischylos’ Persern geschildert wird (623–851), wurde zwar vermutet,30 aber auch hier ergeben sich neben dem bloßen Vorkommen der IchRede des Toten offenbar keine weiteren inhaltlichen Bezüge. Margaret Alexiou setzt die Ich-Rede des Toten in Beziehung zu den Aufwandsgesetzen für Gräber und Bestattungen, die zuerst von Solon in Athen, später auch von anderen andernorts erlassen wurden.31 Davor sei das Pathos über den Verlust eines Menschen in der Bestattungszeremonie und im ritual lament, der am Grab vorgetragenen rituellen Klage, ausgedrückt worden. Als aber die Zahl der dort erlaubten Teilnehmer eingeschränkt wurde und so die Außenwirkung des ritual lament sich verringerte, habe das Epigramm dessen Funktion übernommen, einem intimeren Umgang mit dem Toten Ausdruck zu verleihen.32 Einen formalen Einfluss des ritual lament auf die Epitaphe vermutet Alexiou hinsichtlich der dialogischen Struktur.33 Sie fasst sowohl die Rede des Toten als auch die Anrede an den Toten als »komplementäre Aspekte eines imaginierten Dialogs« zwischen Lebenden und Toten auf, der zu den ältesten und primitivsten Elementen des ritual lament gehöre und der sich noch in Moirologiai der jüngeren Vergangenheit als Wechselgesang zwischen zwei Halbchören nachweisen lasse. Mit dieser These geht sie über Bowra hinaus, der zwar ebenfalls einen Einfluss des ritual lament, aber lediglich für die Form der Anrede an den Toten angenommen hatte (am Beispiel von CEG 5).34

28 So bereits Pfohl 1970, 86: »die Personifizierungen späterer Zeit wollen nur mehr als Stilisierungen verstanden sein« (freilich betrachtet Pfohl kurz zuvor die Rede des Denkmals als Beispiel »echter archaischer Personifizierung«); Pellicia 1995, 52 Anm. 85 »self-conscious conceit«; Page 1936, 211 »more sophisticated«. Damit ist freilich die Frage nach den Hintergründen, die eine solche Stilisierung als glücklichen Ausdruck für ein Epitaph erscheinen ließen, noch nicht beantwortet. 29 Johnston 1999, 9. 30 Ogden 2001, 242–3. 31 Alexiou 1974, 14–23. 32 Alexiou 1974, 106 (vgl. Nagy 1990, 18 f. Anm. 7). 33 Alexiou 1974, 138 f. 34 Bowra 1938, 86.

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Alexiou rechnet also damit, dass die Rede des Toten nicht neu entstanden sei, sondern sich vielmehr aus der mündlichen, am Grab vorgetragenen Klage ins Epigramm verlagert habe; dieses habe so Funktionen übernommen, die jene aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nicht mehr erfüllen konnte. Ihr Modell bietet den Vorteil, dass es das Aufkommen dieser Präsentationsform zu einem bestimmten Zeitpunkt erklären kann; man würde aber, wenn ein bestimmtes historisches Ereignis (so in Athen das solonische Gesetz gegen den Grabluxus) Ursache für den Wandel ist, vielleicht annehmen, dass sich dieser Wandel dann schneller vollzogen haben müsste. Schwierig bleibt die Rückführung eines die Stimme des Toten intonierenden Halbchores auf die Archaik, die sich nicht durch zeitgenössische Zeugnisse stützen lässt; ob die modernen Beispiele als Relikt einer »primitiven Urform« gelten können, bleibt fraglich.35 Richtig scheint dagegen ihre Beobachtung, dass die Grabepigramme insgesamt intimer (man könnte ergänzen: persönlicher, pathetischer) werden.36 Diese Entwicklung läuft mit der Etablierung der Rede des Toten in etwa parallel;37 dazu kommt, dass, wie in Kapitel 1 dargestellt (S. 45), die Rede des Toten kurz nach 550 v. Chr. einsetzt als eine unter mehreren neuen Präsentationsformen, die einen personalen Sprecher einführen. Im Gegensatz zu früheren Inschriften, in denen die inschriftliche Botschaft neutral oder aus der Perspektive des Denkmals präsentiert wurde, scheint jetzt ein Interesse daran zu bestehen, die Aussagen der Inschrift aus der Sicht des Toten selbst oder aus Sicht einer vom Schicksal des Toten unmittelbar betroffenen Person darzustellen; die Entwicklung der Rede des Toten ist demnach Teil einer allgemeinen Tendenz der Grabepigrammatik und muss vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Bemerkenswerterweise lässt sich eine ähnliche Entwicklung für die Grabreliefs beobachten: Himmelmann (1999, 90) stellt »familiäre Verbundenheit« und »innere Entrücktheit« als Kennzeichen der klassischen attischen Grabkunst heraus und weist auf die Neuerung hin, den Toten im Kreis seiner Verwandten darzustellen.38 So werde eine »dialogische Darstellung von Trennung 35 Bei den von ihr 1974, 146 f. genannten Parallelen kann ebenso gut Rezeption epigrammatischer Motive vorliegen. Für den ebenfalls in modernen »folk laments« begegnenden Dialog zwischen Passanten und Grabmal ist eine prä-epigraphische Genese überhaupt nur dann zu vertreten, wenn man einer primitiv-animistischen Deutung der Ich-Rede des Denkmals anhängt; naheliegender ist hier Rezeption einer beliebten epigraphischen Ausdrucksweise. 36 Ähnlich Beckby I, 16 f. Dagegen konstatiert Tsagalis (2008, 58–61) einen Rückgang exzessiver Trauerbekundungen im attischen Grabepigramm, den er mit den Gesetzen gegen den Gräberluxus korreliert; er vertritt also eine Gegenposition zu Alexiou. 37 S. auch Rasche 1910, 10: »Praetereuntium autem animos, si mortuus ipse fortunam suam narrare videtur, multo vehementius commotos esse manifestum est.« 38 Diese Darstellungsweise begegnet »in Aegina um 500, in Ionien seit ca. 480« (Himmelmann 1999, 22; vgl. Himmelmann 1956, 40). Himmelmann erwägt einen Zusammenhang mit dem Entstehen der Tragödie (1999, 19–22). Vgl. Vernant 2012, 161: »die Grabstelen stellen von nun an eine Verbindung zwischen dem Toten und den lebenden Angehörigen der Haus-

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und Verbundenheit« erreicht (22). Man mag vermuten, dass, wie diese Darstellungen des Toten, die ihn eingebunden in seine familiären Verhältnisse, also in sozialer Interaktion zeigen, auch die Ich-Rede des Toten (ebenso wie die Rede eines Verwandten und Dialogszenen zwischen dem Toten und einem Angehörigen) diesen Aspekt der »lebendigen« Beziehung zwischen Toten und Hinterbliebenen, gerade auch (wenn Himmelmanns Deutung der »inneren Entrücktheit« zutrifft39) die Spannung zwischen Trennung und Verbundenheit (insofern die Rede nicht »wirklich« erklingt), pointierter ausdrückt als ein Bericht in der 3. Person oder aus dem Mund des Denkmals. Eine Untersuchung der Entwicklungen, die wiederum diesen mentalitätsgeschichtlichen Wandel ausgelöst oder begünstigt haben könnten, geht wohl über den hier gesteckten Rahmen hinaus.40

1.3. Wechsel der Sprecherrollen Auffällig im Gebrauch der Rede des Toten ist, dass sie bisweilen unvermittelt auf einen unpersönlichen Bericht in der 3. Person folgt, etwa in CEG 166 (Sicinus, Anfang 5. Jh. v. Chr.):41 μνᾶμα νέωι {νε} φθιμ[έ]νωι Σω σικρα[τ]ί[δαι] τόδ᾽ ἔθηκε ματροκασί[γνητος]· πόντος δ᾽[αὐ]τ[όν] μ᾽ ἐκάλυφσεν. Dem jung gestorbenen Sosikratidas stellte dieses Grabmal der Bruder seiner Mutter auf. – Aber das Meer verbarg mich selbst42. gemeinschaft her; die Epitaphe rühmen die persönlichen Gefühle der Zuneigung, Sehnsucht, Wertschätzung zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern.« 39 S. hierzu S. 233 Anm. 18. 40 Vgl. wiederum Beckby I, 16 f. (der sich aber nicht zur Ich-Rede des Toten äußert); zur Ich-Rede des Dargestellten s. Ebert 1972, 22: »die eigentlichen Wurzeln für jenen Prozeß, in dem sich offenbar die Ausbreitung eines neuen »Ich«-Bewußtseins widerspiegelt, dürften wohl in sozialökonomischen, politischen und geistigen Wandlungen zu suchen sein (im wirtschaftlichen Emporkommen gewisser Teile der Bürgerschaft, in demokratischen Tendenzen, in der Philosophie und Sophistik), die sich zu einem großen Teil im 5. Jh. vollzogen.« Auch wenn diese Argumentation (erschienen 1972 in Ostberlin) sicherlich bestimmte ideologische Vorbehalte befriedigen sollte (Dummer 1999, 686 nennt als »letztes Ziel »theoretische Verallgemeinerungen«, genaugenommen die Einfügung der Fakten in ein ideologisches Prokrustesbett«), ist festzuhalten, dass ein kürzlich erschienener Aufsatz von Jan Bremmer (2012), der sich mit der Entwicklung der Seelenvorstellung in dieser Zeit befasst, diese Entwicklung ebenfalls u. a. mit politischen und geistigen Veränderungen (Entstehung der Polis, Sophisten) in Verbindung bringt. 41 Weitere Beispiele bei Hansen ad CEG 493; Rossi 2001, 203–4 (auch mit späteren Beispielen). 42 D. h. meinen Leichnam (zu dieser Bedeutung von αὐτός in Grabepigrammen vgl. Brown 2005).

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Auf den unpersönlichen Bericht bis zur Penthemimeres in Vers 2 folgt eine Selbstaussage des Toten. Der Perspektivenwechsel wird hier allein durch das Pronomen μέ bewirkt und wirkt so eher unscheinbar. Dazu kommt, dass der Leser wohl zunächst annahm, dass mit πόντος δ᾽ αὐτόν sich der Bericht in der 3. Person fortsetzt; er muss also sein erstes Verständnis des Satzes revidieren. Solche eigentümlichen Wechsel der Sprecherrolle finden wir häufiger in vorhellenistischen Inschriften; ein besonders augenfälliges Beispiel bietet die archaische Prosainschrift des Phanodikos (IG I3 1508, Sigeum, ca. 550 v. Chr.): I. Φανοδίκο ἐμι τὀρμοκράτεος το˜ Προκοννησίο· κρητῆρα δὲ καὶ ὑποκρητήριον καὶ ἠθμὸν ἐς πρυτανήιον ἔδωκεν Συκενεῦσιν. II. Φανοδίκο εἰμὶ το˜ hερμοκράτος το˜ Προκονεσίο κἀγὸ κρατε˜ρα κἀπίστατον καὶ hεθμὸν ἐς πρυτανεῖον ἔδοκα μνε˜μα Σιγειεῦσιν ἐὰν δέ τι πάσχο, μελεδαίνεν με, ο῏ Σιγειε˜ς, καί μ᾽ ἐποσεν hαίσοπος καὶ hἀδελφοί. I. Ich bin (das Denkmal) des Phanodikos aus Prokonnesos; er hat einen Krater und einen Krater-Untersetzer und einen Siebaufsatz für das Prytaneion gestiftet den Sigeiern. II. Ich bin (das Denkmal) des Phanodikos aus Prokonnesos – und ich habe einen Krater und einen Krater-Ständer und einen Siebaufsatz für das Prytaneion gestiftet als Erinnerungszeichen den Sigeiern – wenn mir etwas Schlimmes widerfährt, nehmt euch, ihr Sigeier, meiner an. Und mich machten Aisopos und seine Brüder.

Die Inschrift besteht aus zwei Teilen, von denen die eine im ionischen, die andere im attischen Dialekt geschrieben ist. Von den Problemen dieser Inschrift – etwa ob es sich um eine Dedikation oder ein Epitaph handelt und ob beide Teile zur gleichen Zeit inskribiert wurden, oder II erst, nachdem I unleserlich wurde – einmal abgesehen,43 ist bemerkenswert, dass sich I und IIa (bis Σιγειεῦσιν) abgesehen von den Dialektunterschieden fast wörtlich entsprechen. Umso deutlicher sticht der in II durchgeführte Sprecherwechsel hervor: Während in I durchgehend das Denkmal selbst erzählt, ergreift in II Phanodikos im Mittelteil selbst das Wort (ἔδοκα).44 Auch hier wird dem Passanten erst beim Lesen des Verbs klar, dass dieser Satz vom Stifter gesprochen wird, wenn auch bereits κἀγό als Indiz für einen Sprecherwechsel dienen mag. Im Schlussteil (ab ἐὰν δέ) spricht dann wieder das Monument, ohne dass der nochmalige Wechsel markiert wäre. 43 S. hierzu IG a.l. Der im Folgenden herausgestellte Kontrast von I und II setzt voraus, dass beide Inschriften gleichzeitig lesbar waren; doch auch, wenn dies nicht der Fall war, sind die abrupten Sprecherwechsel in II für sich allein auffällig. 44 Möglicherweise liegt dieser Inschrift damit dasselbe ästhetische Prinzip zugrunde, das wir in inschriftlichen Parallelepigrammen häufiger finden, nämlich eine Variation der Sprecherrolle bei im Wesentlichen gleicher inhaltlicher Aussage (s. Fantuzzi 2010). Auch das würde voraussetzen, dass beide Inschriften gleichzeitig lesbar waren.

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Deutlicher markiert ist der Übergang im folgenden Epigramm (CEG 487, Attika, Anfang 4. Jh. v. Chr?): πάντων ἀνθρώπων νόμος ἐστὶ κοινὸς τὸ ἀποθανεῖν. ἐνθάδε κεῖται Θεοίτης παῖς Τελέσωνος Τεγεάτας Τεγεάτο καὶ μητρὸς Νικαρέτης χρηστῆς γε γυναικός. χαίρετε οἱ παριντες, ἐγὼ δέ γε τἀμὰ φυττω. Aller Menschen gemeinsames Gesetz ist das Sterben. Hier liegt Theoites, der Sohn des Teleson, der Mann aus Tegea, (Sohn) des Mannes aus Tegea, und der Mutter Nikarete, einer tüchtigen Frau. – Seid gegrüßt, Passanten; ich für meinen Teil kümmere mich um das Meine.

Hier ist beim Wechsel der Sprecherrollen mit χαίρετε οἱ παριντες eine Formulierung gewählt, die häufiger am Beginn eines Gedichts begegnet und dort immer vom Toten verwendet wird (s. o. S. 162). Dass der Tote den letzten Vers spricht, wird dem Leser daher vom Beginn von Vers 4 an klar gewesen sein. Anders liegt der Fall in CEG 87 (Attika, ca. 431–421 v. Chr.): Φρυγῶν ὃς ἄριστος ἐγένατ᾽ ἐν εὐυχόροισιν Ἀθήνας,   Μάννης Ὀρύμαιος, ο῟ μνῆμα τόδ᾽ ἐστὶ καλόν. καὶ μὰ Δί᾽ οὐκ εἶδον ἐμαυτο˜ ἀμείνω ὑλοτόμον. ἐν τῶι πολέμι ἀπέθανεν. Der als Bester der Phryger in Athen mit den weiten Tanzplätzen geboren wurde, Mannes Orymaios, dem gehört dieses schöne Grabmal. – Und beim Zeus, ich habe keinen besseren Holzfäller als mich gesehen. – Er ist im Krieg gefallen.

In Vers 3 ergreift plötzlich der Tote selbst das Wort und behauptet selbstgewiss, der beste Holzfäller gewesen zu sein; im Anschluss wechselt der Bericht wieder in die 3. Person. Einen ähnlich unvermittelten Wechsel, diesmal von der IchRede des Toten zur Ich-Rede des Denkmals, finden wir in CEG 119 (Thessalien, ca. 450 v. Chr.?): νεπία ἐο˜σ᾽ ἔθανον καὶ οὐ λάβον ἄνθος ἔτ᾽ ἕβας ἀλλ᾽ ἱκόμαν πρόστεν πολυδάκρυον εἰς Ἀχέροντα. Μνᾶμα δὲ τεῖδε πατὲρ Ὑπεράνοροϛ παῖϛ Κλεόδαμοϛ στᾶσέ με Θεσαλίαι καὶ μάτερ θυγατρὶ Κορόνα. Als unmündiges Kind starb ich und erreichte nicht mehr die Jugendblüte, sondern ich kam vorher an den vielbeweinten Acheron. – Als Denkmal hier stellte der Vater, der Sohn des Hyperanor, Kleodamos mich auf und die Mutter Korona für die Tochter Thessalia.

Erst durch μέ in Vers 4 wird dem Leser endgültig klar, dass das zweite Distichon nicht mehr von der Toten, sondern vom Denkmal gesprochen wird. Die bisherigen Beispiele zeigen, dass z. T. mehrfache Sprecherwechsel in einem Epigramm nicht ungewöhnlich waren und dass diese Wechsel sich eher

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unauffällig vollziehen konnten; vom Leser wurde offenbar erwartet, im Nachhinein seine Annahme über den Sprecher eines Satzes zu revidieren, oder anders gesagt: sich nicht zu eilfertig darauf festzulegen, dass ein und dieselbe Sprecherrolle durchgehalten wird. Vor diesem Hintergrund führen Lesarten, die hier von einer Konstanz der Sprecherrolle ausgehen, zu eher fragwürdigen Ergebnissen.45 Sprecherwechsel begegnen natürlich auch in Dialogen bzw. Quasi-Dialogen. Rudimentär sind solche Formen, in welchen die Rede des Toten auf eine Anrede an den Toten folgt, ohne dass beide aufeinander Bezug nähmen; der Gesprächspartner bleibt hier anonym (CEG 543, 606). Demgegenüber ist die Konstruktion des folgenden Dialogs entwickelter (CEG 530, Attika, ca. 365–340 v. Chr.): χαῖρε τάφος Μελίτης· χρηστὴ γυνὴ ἐνθάδε κεῖται· φιλοῦντα46 ἀντιφιλοῦσα τὸν ἄνδρα Ὀνήσιμον ἦσθα κρατίστη· τοιγαροῦν ποθεῖ θανοῦσάν σε, ἦσθα γὰρ χρηστὴ γυνή. καὶ σὺ χαῖρε φίλτατ᾽ ἀνδρῶν, ἀλλὰ τοὺϛ ἐμοὺϛ φίλει. Sei gegrüßt, Grab der Melite; eine tüchtige Frau liegt hier. Du warst die beste darin, deinen dich liebenden Mann Onesimos wiederzulieben. Deshalb sehnt er sich nach dir, der Toten, denn du warst eine tüchtige Frau. – Auch du, Liebster der Männer, sei gegrüßt, und liebe die Meinen.

In Vers 1 adressiert ein zunächst nicht identifizierter Sprecher das Grab der Melite; man wird wohl zunächst annehmen, der Passant sei der Sprecher, und es handle sich um einen Frage-Antwort-Dialog zwischen Passant und Denkmal (vgl. CEG 120, 429). In den nächsten beiden Versen aber wendet sich der Sprecher an die Tote. Schließlich wird durch die Antwort der Frau im letzten Vers deutlich, dass es sich um ein Gespräch zwischen Eheleuten handelt.47 Der Leser muss also seine anfängliche Annahme im Nachhinein korrigieren,48 wie auch im folgenden Epigramm (CEG 512, Attika, 390–365 v. Chr.): ὢ τὸν ἀειμνήστου σ᾽ ἀρετᾶϛ παρὰ πᾶσι πολίταιϛ   κλεινὸν ἔπαινον ἔχοντ᾽ ἄνδρα ποθεινότατον 45 So etwa Casey 2004, 65 f., der in dem unvermittelten Sprecherwechsel in CEG 177 ein Indiz für die Identifikation von Grabmal und totem Mädchen sieht. Zum Wechsel von der dritten in die erste Person in der Phrasikleia-Inschrift s. o. S. 164 Anm. 9. 46 Φιλοῦντα wurde extra metrum (auf Veranlassung des Ehemanns?) hinzugefügt (Fantuzzi/Hunter 2004, 310 Anm. 87). 47 Man mag das Epigramm dann als »Dramatisierung« der im Relief dargestellten Szene betrachten (stehender Mann unterhält sich mit sitzender Frau, die ihm die rechte Hand gibt). 48 Marco Fantuzzi (in Fantuzzi/Hunter 2004, 310) meint, der vertraute Ton der Anrede in 1–3 hätte dem antiken Leser bereits suggeriert, dass hier der Ehemann seine Frau anspricht. Die hier vertretene Deutung der nachträglichen Korrektur orientiert sich an Walsh 1991, ­86–7.

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Die Rede des Toten

παισὶ φίλει τε γυναικί. – τάφο δ᾽ ἐπὶ δεξιά, μῆτερ,   κεῖμαι σῆϛ φιλίαϛ οὐκ ἀπολειπόμενοϛ. Der du bei allen Bürgern ruhmvolles Lob für deine unvergessliche Tüchtigkeit besitzt, du von deinen Kindern und der lieben Frau ersehnter Mann! – Zur Rechten deines Grabes, Mutter, liege ich, und entbehre nicht deiner Liebe.

Auch hier wird man bei der Lektüre der Apostrophe des Toten wohl zunächst an den Passanten oder vielleicht an einen Verwandten oder die Ehefrau als Sprecher denken; wie sich aber durch die Antwort des Toten herausstellt, meldet sich die verstorbene Mutter aus dem Nachbargrab zu Wort. Das Gedicht ist nicht nur wegen dieser sehr seltenen Unterhaltung zweier Toter bemerkenswert,49 sondern auch deshalb, weil dieser Grabstein Informationen über die Mutter bereithält, welche auf deren eigenem Grabstein nicht zu finden sind (dieser enthält bloß den Namen).50 Vor allem bei den zuletzt angeführten Beispielen meint man, geradezu eine Lust an der variatio, eine Freude am Experimentieren mit verschiedenen Sprecherrollen und an der Überraschung des Lesers zu verspüren. Der sprunghafte Wechsel zwischen den Sprecherrollen, das Auftauchen ungewöhnlicher Kommunikationssituationen und die Bandbreite in Frage kommender epigramma­ tischer Sprecher, die nicht immer gleich zu identifizieren sind und welche so die »Kombinationsgabe« des Lesers ansprechen, bilden insgesamt wohl einen Ausgangspunkt für die »Experimente«, denen die epigrammatischen Sprecher­ rollen im Hellenismus unterzogen werden. Das dort thematisierte Hinterfragen und Problematisieren der sprechenden persona allerdings spielt hier noch keine Rolle; noch herrscht eine ungetrübte Freude am Gebrauch und an der Verknüpfung verschiedener Sprecherrollen.

1.4. »Inschrift in der Inschrift« Das Phänomen der »Inschrift in der Inschrift«, d. h. dass innerhalb einer Inschrift auf eine weitere, kürzere Inschrift verwiesen wird, die ebenfalls auf dem Stein steht,51 begegnet in Verbindung mit der Rede des Toten in folgendem Epigramm (CEG 532, Attika, vor ca. 350 v. Chr.?):

49 Eine ähnliche Situation (es spricht der Tote aus dem Nachbargrab) findet sich in Anon. AP 7, 322 Κνωσίου Ἰδομενῆος ὅρα τάφον· αὐτὰρ ἐγώ τοι / πλησίον ἵδρυμαι Μηριόνης ὁ Μόλου. 50 Vgl. Bing 1995, 126–8, der das »Ergänzungsspiel« der beiden kallimacheischen Epi­ taphe 35 Pf. = HE 1185 f. (Kallimachos) und 21 Pf. = HE 1179–84 (Kallimachos’ Vater) auf inschriftliche Beispiele wie dieses zurückführt. 51 S. o. S. 55–7.

Die Rede des Toten in der vorhellenistischen Tradition

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[τὄνο]μα μὲν τὀμὸν καὶ ἐμο˜ πατρὸϛ ἥδε ἀγορεύ[ει] [στή]λη καὶ πάτραν· πιστῶν δὲ ἔργων ἕνεκα ἔσχο[ν]   [Πίσ]τοϛ ἐπωνυμίαν, οὗ σπάνιϛ ἀνδρὶ τυχε˜ν. Πραξῖνος Τερεία Αἰγινήτης Meinen und meines Vaters Namen verkündet diese Stele und meine Heimat. Wegen meiner treuen Taten erhielt ich den Beinamen Pistos (»der Treue«), was selten einem Mann zuteilwird. Praxinos, Sohn des Tereias, aus Ägina.

In dieser Inschrift liegen sowohl Rede der Stele als auch Rede des Toten vor, wobei die Stele nicht in der Ich-Form spricht, sondern durch ein verbum ­dicendi als redend eingeführt wird. Als Inhalt der Rede der Stele werden Name, Vaters­name und Heimat genannt, also gerade die Informationen, die im darunter stehenden Prosateil gegeben werden.52 Es scheint, als ob hier von zwei Inschriften die Rede ist, deren eine (das Epigramm) der Tote, die ­andere die Stele spricht; die beiden epigrammatischen Stimmen scheinen sich dabei nicht zu überschneiden.53 Vergleichen lässt sich folgendes Epigramm, in dem nicht der Tote, sondern eine Statue als Sprecher auftritt (CEG 861, Knidos, 4. Jh. v. Chr.?): Ἐπὶ νεοπολιτᾶν προστατᾶν ἀφικόμαν Ἑρμᾶς Ἀφροδίται πάρεδρος· ἀλλὰ χαίρετε. οἵτινες δ᾽ οἱ προστάται, γραφὴ παροῦσα σημανεῖ· (Es folgen 15 Namen). Im Jahr der Vorsteher der neuen Stadt kam ich an, Hermes, der Helfer der Aphrodite: Ihr aber, seid gegrüßt! Wer aber die Vorsteher sind, wird die beistehende Inschrift anzeigen.

Auch hier wird unterschieden zwischen der wörtlichen Rede zu Beginn des Gedichts und der Namensliste, die hier nicht als Rede des Steins, sondern als Schrift präsentiert wird; hier ist es denkbar, dass Hermes selbst die Inschrift »vorliest«.54 Wie dem auch sei: der metrische Teil in CEG 532 und 861 lässt sich als Einleitung bzw. Kommentar einer weiteren (hier: Prosa-)Inschrift auffassen, in denen ein anderer Sprecher auf diese verweist, ohne (und das ist im Hinblick auf die späteren Versinschriften wichtig) dass ein Konflikt zwischen den verschiedenen Sprechern entsteht. 52 Zu solchen aus einem metrischen und einem Prosateil bestehenden Inschriften s.­ Tsagalis 2008, 243–252. 53 Entsprechendes gilt für die Rede des Toten im oben (S. 54) behandelten CEG 108, an dessen Ende der Tote auf die Rede der Stele hinweist, die dann im letzten Vers in der IchForm spricht. 54 Erwogen von Meyer 2005, 104.

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Die Rede des Toten

Als Ergebnis dieser Durchmusterung der vorhellenistischen Beispiele für die Rede des Toten sind vor allem folgende zwei Punkte festzuhalten: 1. Beim Gebrauch der Rede des Toten in den vorhellenistischen Inschriften wird ein Bezug zur condicio mortis weder explizit hergestellt noch ließ sich ein solcher implizit erkennen. Ihr Aufkommen schien sich eher aus der Perspektive der Hinterbliebenen zu erklären, die den Toten in seiner sozialen Bezogenheit und in seiner Spannung zwischen Trennung von und Verbundenheit mit den Lebenden dargestellt sehen wollten. 2. Die Rede des Toten begegnet nicht selten im Wechsel mit anderen Sprecherrollen, die gleichberechtigt neben ihr stehen (1.3.) oder ihr als »Inschrift in der Inschrift« untergeordnet sind (1.4.). Es ergeben sich bisweilen überraschende Dialoge, die beim Leser eine Revision ursprünglicher Annahmen über die Identität des Sprechers erfordern, doch entsteht kein Konflikt in der Sprecherverteilung. Insbesondere wird die Rede des Toten selbst keiner anderen Stimme untergeordnet, der Tote wendet sich stets unvermittelt, in direkter Rede an sein Gegenüber.

2. Die Rede des Toten seit dem Hellenismus 2.1. Problematisierung in literarischen Epigrammen Mit Beginn des Hellenismus wird die Präsentationsform der Rede des Toten in verschiedener Weise problematisiert. Eine Stilisierung, die eigentlich keine Aussage über eine tatsächliche Sprechfähigkeit des Toten machen wollte, kann jetzt wörtlich genommen werden: die Sprecherrolle wird im eigentlichen Sinn als »Stimme« des Toten begriffen, und die (absurden) Konsequenzen, die sich hieraus ergeben, werden durchgespielt. Man beschäftigt sich nun etwa mit den Umständen, unter denen ein Toter vielleicht doch sprechen kann, oder wo­ rüber gerade ein Toter besonders kenntnisreich sprechen kann, d. h. man verknüpft die Sprecherrolle mit der condicio mortis. So begründet in einem Dialog­ epigramm des Kallimachos ein Passant, der den mittlerweile verstorbenen Misanthropen Timon befragt, ob ihm die Erde oder der Hades verhasster sei, seine Frage mit οὐ γὰρ ἔτ᾽ ἐσσί (Ep. 4 Pf. = HE 1269 f.). Timon antwortet, der Hades, denn dort gebe es mehr Menschen.55 Auch der tote Charidas wird nach den Umständen im Hades gefragt, und gibt zunächst eine ernüchternde Antwort (Ep. 13 Pf. = HE 1187–92): Nur Dunkelheit gebe es dort, Wiedergeburt und

55 Τίμων, οὐ γὰρ ἔτ᾽ ἐσσί, τί τοι, σκότος ἢ φάος, ἐχθρόν; / – Τὸ σκότος· ὑμέων γὰρ πλείονες εἰν Ἀίδῃ. Vgl. Hutchinson 1988, 72; Gutzwiller 1998, 198; Fantuzzi/Hunter 2004, 327; Tueller 2008, 115.

Die Rede des Toten seit dem Hellenismus

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Pluto seien Mythen. Den bestürzten Dialogpartner versucht er dann mit einem zweiten Bericht zu trösten: Ochsen gebe es dort immerhin zum Sonderpreis.56 Der sprechende Tote tritt hier als »Experte« über die Verhältnisse in der Unterwelt auf; wer, wenn nicht er, kann verlässlich darüber berichten? Durch dieses »Ernstnehmen« der Rede des Toten, d. h. durch das Anlegen letztlich unangemessener Maßstäbe, wird sie »überfordert« und ihre Natur als fiktive Sprecherrolle in den Vordergrund gerückt.57 Ein ähnliches Wörtlich-Nehmen der Sprecherrolle findet sich im Epigramm auf den Seefahrer Tharsys (Leonidas AP 7, 506 = HE 2359–70). Dieser berichtet in seinem Epitaph darüber, wie er von einem Seeungeheuer in zwei Teile ge­bissen wurde: χἤμισυ μὲν ναῦται, ψυχρὸν βάρος, ἐξ ἁλὸς ἡμῶν / ἤρανθ᾽, ἥμισυ δὲ πρίστις ἀπεκλάσατο (9 f.);58 zunächst erzählt der Sprecher sein eigenes Schicksal in der Ich-Form (z. B. 6 f. ναύταις χεῖρας ὀρεγνύμενος / ἐβρώθην), nach der Zerteilung spricht er aber im Plural (z. B. 12 πάτρην οὐ πάλιν ἱκόμεθα). Bruss (2005, 144–8) hat vorgeschlagen, dass der Plural hier nicht als pluralis maiestatis zu verstehen sei, sondern ganz wörtlich Rumpf und Unterleib bezeichne. Die Rede des Toten wird somit ad absurdum geführt und mündet in der grotesken Frage, wie ein Toter angemessen von sich selbst sprechen müsste, dessen Leichnam zerstückelt wurde.

2.2. Inschriftliche Reaktionen auf die Problematisierung der Rede des Toten Die inschriftliche Epigrammatik reagiert auf diese Problematisierungen der Rede des Toten auf verschiedene Weise, wobei sich Strategien beobachten lassen, denen wir bereits bei der Rede des Gegenstands begegnet sind, teilweise aber auch andere Akzente gesetzt werden. So kann die Rede des Toten affirmiert werden, indem gesagt wird, dass dieser tatsächlich über den Tod hinaus über eine Redegabe verfüge (2.2.1.); umgekehrt kann die Rede des Toten aber auch abgeschwächt oder ganz getilgt werden (2.2.2.), was sich vielleicht als Zu 56 Ἦ ῥ᾽ ὑπὸ σοὶ Χαρίδας ἀναπαύεται;  – Εἰ τὸν Ἀρίμμα / τοῦ Κυρηναίου παῖδα λέγεις, ὑπ᾽ ἐμοί. / – Ὦ Χαρίδα, τί τὰ νέρθε;  – Πολὺ σκότος.  – Αἱ δ᾽ ἄνοδοι τί; / – Ψεῦδος.  – Ὁ δὲ Πλούτων;  – Μῦθος.  – Ἀπωλόμεθα. / – Οὗτος ἐμὸς λόγος ὔμμιν ἀληθινός· εἰ δὲ τὸν ἡδύν / βούλει, Πελλαίου βοῦς μέγας εἰν Ἀίδῃ. 57 Zu diesem Verfahren hellenistischer Dichter vgl. das unten (S.  370 Anm.  13) an­ geführte Zitat aus Fantuzzi/Hunter 2004; vgl. auch Gutzwiller 1998, 210: »The Charidas poem illustrates, yet again, how Callimachus exposes the conventionality of grave epigram by pushing epitaphic rhetoric beyond its sustainable limits.« 58 Vielleicht verbirgt sich hier eine Anspielung auf das kallimacheische Epigramm 41 Pf., 1 f. ἥμισυ μευ ψυχῆϛ ἔτι τὸ πνέον, ἥμισυ δ᾽ οὐκ οἶδ᾽ / εἴτ᾽  Ἔροϛ εἴτ᾽ Ἀίδηϛ ἥρπασε, πλὴν ἀφανέϛ.

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geständnis an die im literarischen Epigramm geäußerte »Kritik« auffassen lässt. Wenn eine Weiterexistenz nach dem Tod explizit geleugnet wird, mag ein Kontrast zum sprechenden Toten fühlbar werden (2.2.3.). Der größte Teil der hier zu behandelnden Inschriften stellt schließlich heraus, dass es sich bei der Rede des Toten um ein literarisches Konstrukt, eine »fiktive« Sprecherrolle handelt. Dies galt zwar, wie oben versucht wurde zu zeigen, bereits für das vorhellenistische Epigramm, nun wird der Sachverhalt aber explizit gemacht: so wird der materielle Charakter der Buchstaben hervorgehoben oder die Rede des Toten erweist sich »in Wahrheit« als die Rede der Stele (2.2.4.). Eine Reihe von Epigrammen schließlich führt den Kunstgriff der literarischen Epigramme, die Stimme des Toten mit seiner condicio mortis zu verbinden, weiter und arbeitet eigentümliche Gemeinsamkeiten zwischen der »Stimme im Tod« und der »Stimme im Leben« heraus (2.2.5.).59

2.2.1. Verteidigung der Rede des Toten Wie schon der sprechende Gegenstand, kann auch der sprechende Tote seine Redefähigkeit affirmieren. Deutlich kommt dies in folgendem Beispiel zum Ausdruck (IG XII,8 600, Thasos, undatiert, 5–8): εἰ καὶ χηλὸς ἔχει δέμας ἀγλαόν, αὐτὰρ ἐς αἴθρην   ψυχὴ ἔβη ἐμέθεν· φθέγξομ᾽ ἀριφραδέως· ἠϊθέοις γὰρ ἔδωκε θεὸς μετὰ μοῖραν ὀλέθρου   ὡς ζωούσι λαλῖν πᾶσιν ἐπιχθονίοις. Wenn auch ein Sarg meinen glanzvollen Körper besitzt, meine Seele ging in den Äther. Ich werde mit deutlicher Stimme sprechen: Denn ein Gott verlieh es den Unverheirateten, nach dem Tod wie lebendig zu allen Erdenbewohnern zu s­ prechen.

Hier wird die Rede des Toten an eschatologische Vorstellungen geknüpft. Der Sprecher ist zwar tot (mit εἰ καὶ χηλὸς ἔχει δέμας ἀγλαόν vgl. IG IV2,1 590 B, 6 (s. o. S.  73) εἰ καὶ χάλκεός εἰμι κ[αὶ ἄπνοος), aber die Seele existiert im Äther­ weiter;60 während diese Vorstellung des Weiterlebens der Seele auch schon in vorhellenistischen Inschriften zum Ausdruck kam, wird sie hier explizit als Bedingung der Redefähigkeit genannt, wobei göttliche Hilfe noch hinzukommt.61 In einer anderen Inschrift wird die Rede des Toten dadurch motiviert, dass

59 Dieses Motiv begegnet auch in der Variante, dass die »Stimme« einer im Bild dargestellten Person (also die Inschrift) wiederum mit deren »Stimme im Leben« verglichen wird; auch wenn es sich hierbei meist nicht um Grabepigramme handelt, sollen wegen dieser motivischen Ähnlichkeit einige Beispiele in diesem Unterkapitel besprochen werden. 60 Zur »Ewigkeit im Äther« s. jetzt Obryk 2012, 14–17. 61 Zur Rede als Resultat göttlicher Hilfe vgl. Bernand 68 (s. o. S. 77).

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dieser weiterhin über νοῦς verfüge (SGO 07/06/05, Ilion, 1./2. Jh. n. Chr., 5): λέξο· καὶ θνήσκων γὰρ ἔχο νώον οὔ τινα βαιόν.62 Ob die hier gegebenen Begründungen tatsächlich geglaubt wurden, sei dahingestellt;63 doch in der Idee, dass die Rede des Toten als solche überhaupt der Rechtfertigung bedarf, mag man gerade eine Reaktion auf ihr In-Frage-Stellen im literarischen Epigramm erkennen. Eine eher implizite Affirmation der Rede des Toten bietet SGO 01/01/07 (Knidos, 1.  Jh. v. Chr.); diese Inschrift besteht aus mehreren Parallelepigrammen, die nacheinander gelesen einen Dialog zwischen der Verstorbenen und ihrem hinterbliebenen Ehemann ergeben. Im dritten Epigramm spricht die Tote selbst und teilt mit, sie habe nicht vom Wasser der Lethe getrunken, um auch im Tod noch Trost von ihrem Mann zu empfangen (11 f. οὐκ ἔπιον Λήθης … ὕδωρ, / ὥς σε παρηγορίην κἀν φθιμένοισιν ἔχω). Auch hier wird also die über den Tod hinaus bestehende Fähigkeit zur Kommunikation mit den Lebenden eschatologisch motiviert.64 Schwieriger zu beurteilen sind solche Fälle wie GVI 1845 (Ägypten, 2./3. Jh. n. Chr., 1–2): ἄφθιτος, οὐ θνήτη. – θαυμά[ζω], τίς δ᾽; – Ἰσιδώρα. – τίς πόλις; – αἱ μεγάλαι Θῆβαι – τίς ἀνήρ; – Θεόδωρος. Unvergänglich (bin ich), nicht sterblich. – [Ich] staune; wer aber (bist du)? – ­Isidora. – Welche ist deine Stadt? – Das große Theben. – Wer dein Mann? – Theodoros.

Hier mag die lebhafte Form der Wechselrede die »Lebendigkeit« der Isidora zum Ausdruck bringen, die sie sich auch selbst zuschreibt; das Staunen, das der Passant äußert, scheint den θαῦμα-Topos aufzugreifen. Gleichwohl sind solche lebhaften Dialoge zwischen Passant und dem Toten öfter belegt (vgl. GVI 1858– 1872), so dass die Frage nach dem Zusammenhang dieser Form mit der Unsterblichkeit der Toten offen bleiben muss.

2.2.2. Leugnung der Rede des Toten Darauf, dass der Tote über keine Stimme verfügt, kann nun auch im Epigramm explizit hingewiesen werden, wie aus folgender Inschrift hervorgeht, welche die Rede eines jungen Sohns wiedergibt, der sich an seine verstorbene Mutter wendet (GVI 1920, Athen, 1. Jh. n. Chr.? = IG II2 13134): 62 Zum Weiterbesitz des νοῦς noch im Tode vgl. GVI 1429 (Rom, 2.  Jh. n. Chr.); SGO 13/05/04 (Komana Cappadociae, wohl 4. Jh. n. Chr.). 63 Zur Schwierigkeit, aus den Grabinschriften auf eschatologische Überzeugungen der Verfasser zu schließen s. Wypustek 2013, passim. 64 Zur Verweigerung des Lethetrunks s. Σ ad Od. 11, 385; Peres 2003, 58 f.; Chaniotis 2000, 181 Nr. 43.

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[μῆτερ ἐ]μή, καλέω σε. – τί τὸ ξένον; οὐκ ἐσαΐεις [παιδὸ]ϛ ὀδυρομένοιο καὶ ἄλλιτον ἄλγοϛ ἔχοντοϛ; [ν]αὶ λίτομαι, γλυκερὴν ἀπὸ χείλεοϛ ἔκβαλε φωνήν ὡϛ πάροϛ. οὐ λαλέειϛ καὶ ὀρείνομαι, ἡ δὲ σιωπή μηδὲν ἀπαγγέλλουσα πολὺ πλέον ἄλγοϛ ἀέξει. εἰ θάνεϛ, ὡϛ ἐνέπουσι, τί μοι βιότοιο τὸ κέρδοϛ; νόσφι σέθεν γὰρ ἐμοὶ ζωὴ θανάτοιο65 χερείων. Meine Mutter, ich rufe dich. Wie ist das seltsam! Hörst du nicht, wie dein Kind klagt und unerbittlichen Schmerz empfindet? Ja ich bitte dich, lass von der Lippe die süße Stimme erklingen, wie früher. Du sprichst nicht und ich bin außer mir, das nichtssagende Schweigen aber vermehrt meinen Schmerz um vieles. Wenn du tot bist, wie sie sagen, was soll ich da noch leben? Ohne dich ist mir das Leben schlechter als der Tod.

In den ersten fünf Versen äußert der kleine Sohn Erstaunen über das Schweigen der Mutter und versucht, sie zum Reden zu bringen;66 nach der Penthemimeres des ersten Verses lässt sich vielleicht eine (gedankliche) Pause annehmen, während welcher der Sohn auf eine Antwort der Mutter wartet; die Bitte wird im Folgenden mehrfach wiederholt. Am Ende des Gedichts drückt er schließlich seine Verzweiflung über ihren Tod aus im Wunsch, selbst zu sterben. In diesem Gedicht besteht keine Kontinuität über den Tod hinaus, keine tröstende Stimme erklingt mehr vom Stein. Eine solche sentimentale Beschreibung des Todes durch die Augen eines kleinen Kinds finden wir bereits in der Tragödie (vgl. Eur. Alk. 394–415); sie dient hier sicherlich der Pathossteigerung. Andererseits scheint auch eine Auseinandersetzung mit epigraphischen Konventionen intendiert, insofern Rede des Toten und Dialog mit dem Toten auf dem Grabstein ja traditionelle Ausdrucksformen darstellen. Dass die Tote hier nun gerade auch auf Nachfrage nicht antwortet, mag daher auch als bewusste Negierung der traditionellen Form erscheinen, ebenso wie einige Inschriften seit dem Hellenismus die Rede des Gegenstands tilgen. In einer anderen Inschrift lässt sich ein Bemühen erkennen, die Rede des Toten abzumildern (GVI 2023, Mytilene, 1./2. Jh. n. Chr., Verse 15–18): [      ]α βέβριθε· τίς ἆρά γε ματέρος [εὐχ]ῶ[ν]     [ἦν ὄπις; ᾇς φ]ωνὰν εἰν Ἀίδῃ στυγερῶι [εἴθε δέχοιτο], βοῷτο δ᾽ ὅσον νέκυς· οὐκ ἄρα, μ[ᾶτερ],     [σὸν τέκος ἐ]ς γῆρας Μοῖρ᾽ ἐφέηκε μολεῖν κτλ.

65 Peeks ζωὴ βιότοιο (1932, 47) ist ein lapsus calami (wie aus der dort gegebenen Ab­ bildung [Beilage VIII] zu erkennen; korrigiert in GVI), der sich auch in IG II2 13134 findet. 66 Das Staunen über das Schweigen ist auch in einer weiteren Grabinschrift belegt (IG II2 13166, Athen, 3./4. Jh. n. Chr. πῶς κρυερὴ σιγή;).

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[…] schwer beladen. Wo war die göttliche Entlohnung für die Gebete der Mutter? Wenn der Tote doch deren Stimme im verhassten Hades hören könnte, und Folgendes riefe: Die Moira hat es nicht gestattet, Mutter, dass dein Kind ins hohe Alter gelangt…

Die Rede des Toten, überhaupt die Kommunikation von Hinterbliebenen und Verstorbenen, wird nicht als Tatsache, sondern als Wunsch beschrieben. Auf diese Weise kann der Trost des Kindes für seine Mutter beschrieben werden, gleichzeitig bleibt aber eine Skepsis gegenüber der Redefähigkeit des Toten gewahrt.

2.2.3. Paradoxie der Rede des Toten Die Rede des Toten kann jetzt aber auch genutzt werden, um auf das Paradox der durch die Redefähigkeit suggerierten »Lebendigkeit« des Toten hinzuweisen, indem der Tote von seiner eigenen Vernichtung spricht. So richtet der Tote in SEG 50:578 (Beroia, ca. 150–200 n. Chr.) folgende Worte an den Passanten: οὐκ ἤμην κὲ ἐγενόμην, οὐκ ἰμὶ κὲ οὐ μέλι μοι· χε˜ρε, παροδῖτα.67 Hier wird jede Existenz nach dem Tod geleugnet, indem dieser mit dem Zustand der NichtExistenz vor der Geburt verglichen wird; so ergibt sich ein wirkungsvoller Kontrast zwischen Inhalt und Form der Totenrede: denn der Tote muss, wie Timon und Charidas in ihren Berichten aus der Unterwelt, »es ja wissen«. Angesichts der knapp gehaltenen Aussagen, die in ein nihil ad me münden, enthält der abschließende konventionelle Gruß an den Passanten vielleicht einen ironischen Unterton. Ein Bezug auf die Sprechfähigkeit selbst wird in einem kaiserzeitlichen Epigramm hergestellt (GVI 1906, Rom, 3./4. Jh., Verse 1–8):

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μή μου παρέλθῃς τὸ ἐπίγραμμα, ὁδοιπόρε, ἀλλὰ σταθεὶς ἄκουε καὶ μαθὼν ἄπι. οὐκ ἔστι ἐν Ἅ ι δου πλοῖον, οὐ πορθμεὺς Χάρων, οὐκ Αἰακὸς κλειδοῦχος, οὐχὶ Κέρβελος {κύων}· ἡμεῖς δὲ πάντες οἱ κάτω τεθνηκότες ὀστέα τέφρα εγόναμεν, ἄλλο δὲ οὐδὲ ἕν. εἴρηκά σοι ὀρθῶϛ· ὕπαγε, ὁδοιπόρε, μὴ καὶ τεθνακὼϛ ἀδέλεσχόϛ σοι φανῶ. Geh nicht an meinem Epigramm vorbei, Wanderer, sondern bleib stehen, hör zu, begreife und geh fort. Im Hades gibt es kein Schiff, keinen Fährmann Charon, keinen Schlüsselhalter Aiakos, keinen Kerberos. Wir alle, die Toten hier unten, sind zu Knochen und Asche geworden, zu nichts anderem. Dies habe ich dir aufrichtig gesagt. Geh, Wanderer, damit ich dir nicht noch im Tod als Schwätzer erscheine. 67 Für weitere Beispiele für diesen Topos s. Studia Pontica III ad 135; Wypustek 2013, 18 f.

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Nach der üblichen Aufforderung an den Wanderer, stehenzubleiben und zu »hören«, erläutert der Tote, dass sämtliche Unterweltsmythen Erfindung seien; von den Toten selbst bleibt nur die Asche. Diesem nüchternen Bericht, der populäre philosophische Vorstellungen aufnimmt,68 entspricht das Ende des Gedichts, an dem der Sprecher den Wanderer fortschickt, um nicht »noch im Tod als Schwätzer« zu erscheinen. Matylda Obryk (2012, 149) weist darauf hin, dass der Verfasser »dem Vorwurf der Geschwätzigkeit« durch »die knappe Formulierung des Lehrinhalts« begegnet sei; gerade in den Ausführungen der Verse 3–6 zeigt sich der Sprecher (ähnlich wie in SEG 50:578) kurz angebunden. Doch scheint die Junktur τεθνακὼς ἀδέλεσχος auch das Paradox des toten Sprechers ironisierend aufzugreifen: Denn wie könnte ein Toter, der nur Knochen und Asche ist, als ἀδέλεσχος auftreten? Man hat vermutet, dass für dieses Gedicht das Charidas-Epigramm als Vorlage diente (G.-P. ad HE 1187–92; neben der Mythenkritik entsprechen sich auch Vers 5 λόγος ὔμμιν ἀληθινός und εἴρηκά σοι ὀρθῶς).69 Wenn das zutrifft, dann hat der Verfasser dieses Epigramms gegenüber Kallimachos das Problem des sprechenden Toten noch deutlicher markiert. Obryk 2012, 149 vermutet aufgrund der Parallelen zu den von ihr genannten Epiktetstellen, der Tote habe »noch zu Lebzeiten diese Verse, die in der lite­rarischen Form offenbar kursierten, für sein Grab ausgesucht.« Für diese Frage mag man noch folgende Inschrift aus Athen heranziehen, die sich inhaltlich eng mit der römischen berührt (GVI 1307, 2./3. Jh. n. Chr. = IG II2 5426 = Kaibel 128):70

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ἄνθρωπε πολλῶν μόχθω [7–9]μένε μή μου παρέλθῃϛ σμα τὸ νενεκρω μένον, ἀλλὰ εἰ μαθεῖν σὺ πάντα βουλεύῃ σαφῶϛ, σταθεὶϛ ἄκουε καὶ λόγοιϛ πεῖραν μαθών ζῆθι τὸν ἐπίλοιπον ἐν βίῳ χρόνον καλῶϛ, εἰδὼϛ ὅτι κάτω Πλουτέωϛ τὰ δώματα 68 Obryk 2012, 149 verweist auf Epikt. Ench. III 13, 14; für entsprechende Gedanken bei den Epikureern vgl. Lukr. 3, 978–1023. Zum »Populär-Epikureismus« in den Epitaphen vgl. Ferguson 1990, 2297 f. 69 Für die Frage der Imitation relevant ist, dass das zweite Epigramm auf dem Stein (GVI 1906, 9–14) in beinahe wörtlicher Übereinstimmung auch literarisch überliefert ist (Anon. AP 11, 8), vielleicht also ein literarisches Epigramm inskribiert wurde; dann könnte es sich auch beim ersten Epigramm um ein Gedicht handeln, das auf einer literarischen Vorlage basiert. 70 Ich gebe hier nach den beiden Fotographien in Ritti 1981, 153 f. einen leicht modifizierten Text und Apparat der Verse 1–2. Nach diesen scheint mir in Vers 1 nach ΘΩ ein Χ zu stehen (μόχθωˉ ist außerdem unmetrisch); danach sind zwar viele Spuren erhalten, aber bisher noch kein überzeugendes Supplement gefunden. In Vers 2 scheinen die zwischen Σ und ΜΑ erhaltenen Reste weder mit einem Η (σῆμα) noch mit einem Ω recht vereinbar (ein als ω geschriebenes Omega wäre denkbar, aber sonst erscheint es in der Inschrift als Ω).

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πλούτου γέμουσι, μηδενὸϛ χρῄζοντα ὅλωϛ. [οὐ]θεὶϛ ἔρωϛ γὰρ ἐν φθιτοῖϛ ἐστίν τινοϛ     -]τε δόξηϛ, οὐ μετεώρου σ[χ]ήματοϛ·     -]ε πάντεϛ τῶν πάλαι [μεμ]νημένο[ι]. 1 ΜΟΧΘΩΧ lapis  {σ}ἐσμ{ο}υρισμένε Peek  10 [γεγε]νημέν[ων] Dütschke Mensch, der du vieler Mühen (?) […], geh nicht an meinem toten Körper vorbei, sondern, wenn du dich entschließt, alles klar zu erfahren, bleib stehen und höre gut zu, erfahre aus den Worten den Nachweis71 und lebe die restliche Zeit deines Lebens gut, wissend, dass die Häuser des Pluton in der Unterwelt mit Reichtum gefüllt sind und gar keiner Sache ermangeln. Denn unter den Toten gibt es kein Verlangen nach irgendetwas, (weder) nach Ruhm noch nach einer erhobenen Stellung … alle längst vergangener Dinge eingedenk (?).

Die Gemeinsamkeiten liegen neben der Wahl des Metrums sprachlich in der Wiederholung von μή μου παρέλθῃς und ἀλλὰ … σταθεὶς ἄκουε καὶ … μαθών. Formulierungen dieser und ähnlicher Art sind nun nicht selten in den Inschriften belegt,72 begegnen aber in dieser wörtlichen Entsprechung nur hier. Dazu kommen die mit einer anaphorisch gebrauchten Negation versehenen Listen.73 Inhaltlich setzt das zweite Epigramm etwas andere Akzente, insofern nicht die Unterweltsmythen kritisiert werden, vielmehr dem Passanten empfohlen wird, sich keine Sorgen über das Jenseits zu machen, da dort Reichtum in Fülle vorhanden sei; dabei stellt das Gedicht eine auch sonst belegte etymologische Verknüpfung zwischen Πλούτων und πλοῦτος her,74 die hier freilich eine besondere Pointe erhält: Im Hades herrscht Reichtum, da es an nichts mangelt; es mangelt an nichts, da es kein Begehren unter den Toten gibt. Das Gedicht variiert so in origineller Weise das übliche Motiv, das man seinen ganzen Reichtum nicht mit ins Grab nehmen könne.75

71 Ich folge Kaibel, der die Junktur mit auditis quae ego expertus sum übersetzt und anmerkt: pessime hoc dictum, at recte habet. 72 Vgl. z. B. Bernand 97 (Hermoupolis Magna, 2.  Jh. n. Chr.) με … μὴ παραδράμῃς, ὁδεῖτα, … μεῖνον … σταθεὶς ἐπάκουσον. 73 In GVI 1307 wird am Anfang von Vers 9 noch eine Negation gestanden haben. Evtl. lässt sich auch ἡμεῖς δὲ πάντες οἱ κάτω τεθνηκότες mit dem fragmentarisch erhaltenen letzten Vers -ε πάντες τῶν πάλαι [μεμ]νημένο[ι]vergleichen. 74 Stellen bei Roscher s.v. Hades (I, 1786 f.); s.v. Pluton (III, 2569). 75 Z. B. Aischyl. Pers. 841 f. Es wäre allerdings zu überlegen, ob das Motiv des Reichtums im Hades an die Schlusspointe des kallimacheischen Charidas-Epigramms anknüpft. Denn die Aussage dort, dass man im Hades einen Ochsen günstig erstehen kann (S. 177), impliziert ja auch einen Reichtum der Toten. Spielt Kallimachos auf das in GVI 1307 belegte Motiv an, etwa: im Hades gebe es alles zum Sonderpreis (aber niemand kauft dort ein)? Mit anderer Akzentuierung SGO 21/11/01 (Gophna, Kaiserzeit = GVI 1185 = GG 274), 7 f. (es spricht das Grab) κοινὸς ὁ πλοῦτος / καὶ πενία παρ᾽ ἐμοί, πᾶσι πέφυκα δ᾽ ἴσος.

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Lässt sich aus den beiden Inschriften gemeinsamen Versatzstücken und ihrer gedanklichen Nähe schließen, dass sie auf eine gemeinsame literarische Vorlage zurückgehen? Es gab jedenfalls iambische Dichtung, in der entsprechende populärphilosophische Inhalte vorkamen; in einem Fall, in den Choliamben des Phoinix (CA 321–6), wird auch eine Grabinschrift zitiert, die hier dem assyrischen König Ninos zugeschrieben wird, sich aber als Bearbeitung der auch sonst bekannten »Inschrift« des Sardanapal76 erweist (Phoinix Fr. 1, 13–24):

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Ἄκουσον, εἴτ᾽ Ἀσσύριος εἴτε καὶ Μῆδος εἶς ἢ Κοραξός, ἢ ᾽πο τῶν ἄνω λιμνῶν ινδὸϛ κομήτηϛ. Οὐ γὰρ ἀλλὰ κηρύσσω· ἐγὼ Νίνοϛ πάλαι ποτ᾽ ἐγενόμην πνεῦμα, νῦν δ᾽ οὐκέτ᾽ οὐδέν, ἀλλὰ γῆ πεποίημαι· ἔχω δ᾽ ὁκόσον ἔπαισα χὠκόσ᾽ ἤεισα χὠκόσσ᾽ ἐράσθην [ τὰ δ᾽ ὄλβι᾽ ἡμέων δήιοι συνελθόντες φέρουσιν, ὥσπερ ὠμὸν ἔριφον αἱ Βάκχαι· ἐγὼ δ᾽ ἐς Ἅιδην οὔτε χρυσὸν οὔθ᾽ ἵππον οὔτ᾽ ἀργυρῆν ἅμαξαν ὠχόμην ἕλκων· σποδὸς δὲ πελλὴ χὠ μιτρήφορος κεῖμαι. Höre, ob du Assyrer bist oder Meder oder Koraxer, oder ein langhaariger Sindier von den oben gelegenen Seen – wahrlich, ich verkünde: Ich, Ninos, wurde vor Langem einmal als Hauch geboren, nun bin ich gar nichts mehr, sondern bin aus Erde gemacht. Ich besitze all das, was ich scherzte, was ich sang und was ich liebte … meine Reichtümer tragen meine Feinde gemeinschaftlich fort, wie den rohen Bock die Bacchantinnen. Ich ging in den Hades, ohne Gold, ein Pferd oder einen silbernen Wagen mitzuschleppen. Als Schale voller Asche liege ich da, der ich (einst) die Mitra trug.

Es ist anzunehmen, dass das gemeinsame Vorbild beider Inschriften aus dem Umfeld solcher Texte stammt;77 angesichts des populären Inhalts ist auch damit zu rechnen, dass verschiedene Versionen kursierten, die mehr oder weniger stark voneinander abwichen und ihrerseits verändert werden konnten.78 So gewinnt man in unseren Beispielen den Eindruck, dass die ersten fünf Verse von GVI 1307 eine wortreichere Entfaltung der ersten beiden Verse von GVI 1906 sind, deren syntaktische Konstruktion dabei weitgehend erhalten bleibt: der Pas 76 AP 16, 27 u.ö. (Testimonien bei Preger 232; vgl. Lattimore 260–4); das Epigramm ist in zahlreichen Varianten überliefert. Sardanapals »Ethik« wird von Aristoteles diskutiert, für das Epigramm selbst ergibt sich ein terminus ante quem durch die Parodie des Chrysipp (SVF III App. II 28 fr. 11, p. 200 v. Arnim); zu Sardanapal vgl. Wankel 1983, 149–53. 77 Vgl. zur Verknüpfung von Iambos und Grabepigramm außerdem Kallim. Iamb. 1 (Anodos und Rede des Hipponax); 11 (Anrede des Toten an den Wanderer); vgl. Meyer 2005, ­244–50. 78 Vgl. auch die bei Preger 232 notierten Varianten der Inschrift des Sardanapal.

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sant erhält eine zeilenfüllende Apposition, zwischen ἀλλὰ und σταθεὶς ἄκουε wird ein Konditionalsatz eingeschoben, der Imperativ ἄπι wird durch ζῆθι ersetzt. Zudem ist die Entfaltung des Gedankens in GVI 1307 nicht recht gelungen (Dopplung von μαθεῖν, Syntax von λόγοις πεῖραν μαθών schwierig). Vielleicht darf man daher annehmen, dass die ersten beiden Verse von GVI 1906, obwohl jünger, einen älteren »Zustand« wiedergeben, der in GVI 1307 bereits stärker verändert wurde. Dieser könnte zudem einen Katalog von Dingen enthalten haben, die es in der Unterwelt nicht gibt (vgl. GVI 1906, 3–4 mit GVI 1307, 8–9); dass GVI 1906 wiederum in Vers 4 einen hypermetrischen Vers bietet, mag ein Indiz dafür sein, dass ein Versatzstück nicht exakt eingepasst wurde. Das Problem des sprechenden Toten wiederum mag einen Vorläufer in folgender Inschrift finden (GVI 350, Eutresis, Böotien [3. Jh. v. Chr.] = IThesp 1244 [ca. 350 v. Chr.]): ἐνθάδ᾽ ἐγὼ κεῖμαι Ῥόδιος· τὰ γελοῖα σιωπῶ καὶ σπαλάκων ὄλεθρον λείπω κατὰ γαῖαν ἅπασαν. αἰ δέ τις ἀντιλέγει, καταβὰς δεῦρ᾽ ἀντιλογείτω. Hier liege ich, Rhodios: Das Lächerliche verschweige ich, und das Verderben der Maulwürfe lasse ich auf der ganzen Erde zurück. Wenn einer widerspricht, soll er hierher herabkommen und widersprechen.

Nach dem konventionellen Eröffnungssatz sagt der Tote, er »verschweige« das Lächerliche, womit offenbar die sonst in den Grabepigrammen verbreitete Eulo­ gie wie Tugendhaftigkeit des Toten, Trauer der Hinterbliebenen usw. gemeint ist.79 Dieser Gedanke scheint im folgenden Vers fortgeführt zu werden; ich stimme daher Peek zu, dass die Erwähnung der Maulwürfe nicht darauf hindeutet, dass der Tote ein Maulwurfsfänger gewesen sei,80 sondern eine eher abschätzige Beschreibung der irdischen Existenz darstellt. Peek schlug vor, dass mit den Maulwürfen die blinden und hilflosen Menschen gemeint seien.81 Alternativ könnte man bei σπαλάκων ὄλεθρον an »Beute der Maulwürfe« denken, also eine Hervorhebung der Vergänglichkeit alles Irdischen, vielleicht im Besonderen auf die Menschen selbst zu beziehen, die alle einmal bestattet werden. Das Gedicht endet mit der beißenden Bemerkung, Vertreter einer Gegenmeinung sollten mit dem Toten im Hades diskutieren;82 hier scheint somit die 79 So Peek 1931, 120 Anm. 1. 80 So Goldman 1928, 181; Robert 1959, 12; Roesch, IThesp 1244 a.l. 81 Peek 1931, 120 Anm. 1; er übersetzt σπαλάκων ὄλεθρον mit »Schund der Maulwürfe«. 82 Ein ähnlicher Gedanke scheint auf einem Silberbecher aus der Villa von Boscoreale ausgedrückt zu werden, auf dem mehrere Philosophen abgebildet sind, die noch als Skelette ihre Weisheiten verkünden (Abb. bei P. Zanker 2007, 26 Nr. 9). Das Motiv der Diskussion in der Unterwelt findet sich (in etwas anderem Zusammenhang) auch in einem lateinischen Epitaph (Cugusi/Sblendorio Cugusi 2010, 81 Nr. IV, 4–6): ego vixsi qua et potui quad modum volui, bene. / dedi qui volui, non dedi qui nolui. / si quis me accusat, veniat mecum disputet.

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»ἀδέλεσχος-Pointe« in GVI 1906 bereits vorweggenommen, und man mag sich fragen, ob σιωπῶ in Vers 1 neben »verschweigen« nicht auch das Todesschweigen schlechthin bezeichnet. Auf die Stummheit des Toten wird in mehreren kaiserzeitlichen Epitaphen hingewiesen. Eine Inschrift auf einer Marmortafel in Rom (GVI 731, 2./3. Jh. n. Chr, Verse 1 f.) beginnt mit folgenden Worten: ἐνθάδε κεῖμε ἄναυδον, ἄπνουν, ξένον ἐνθάδε κε[ῖ]μ[αι] / παιδίον, auf einer Herme (GVI 1056, Rom, 3. Jh. n. Chr., Vers 8) stehen die Worte ἐνθάδε νῦν κείμεσθα ἄλαλοι. Eine Inschrift aus Gerasa lässt einen gewissen Ailianos sagen (SGO 21/23/09 = Vérilhac 109A, 1./2. Jh. n. Chr.) ἤλυθα γαῖαν ἄναυδος, und in einem Epigramm aus Azanoi (GVI 1318, 193 n. Chr., Vers 2) stellt sich der Tote vor als Ἀντωνεῖνος ἐγώ, κεῖμαι δ᾽ ὑπὸ τύμβον ἄναυδος; ebenso in Teos 205 κεῖμαι δ᾽ ἐν τύβοις … ἄλαλος, und IMT Olympene 2693 ἄλαλον δέμας ἐνθάδε κεῖμαι. Auf einem Sarko­phag aus Prusias am Hypios (GVI 1112, 2. Jh. n. Chr., Vers 10) fordert der Tote den Leser auf, zu spielen und zu scherzen, so lange er lebt, denn im Hades gäbe es nur νύκτα μακρὰν μετὰ σειγῆς. Die Tote auf einem Grabmal von Teos berichtet, dass sie das an sie gerichtete χαῖρε gar nicht hören könne (McCabe, Teos 142b, 3–4): οὔτε γὰρ εἰσορόω λαμπρὸν φάος οὔτ᾽ ἐσακούω, / ὀστέα καὶ σποδίη κειμένη ἐν χθονίοις. Hier darf man wohl implizit auf die Stummheit aus dem Fehlen jeglicher Sinneswahrnehmung zurückschließen. Die Betonung der Stummheit der Toten steht in diesen Beispielen in gesuchtem Kontrast zu ihrer Ich-Rede auf dem Grabstein, d. h. das Paradox des stummsprechenden Toten wird hervorgehoben.83 Vergleichen lässt sich der Topos der stumm-sprechenden Inschrift, der vor allem für die Rede des Gegenstands belegt ist (s. o. S. 83–5), aber auch einmal in Hinblick auf den Toten begegnet.84 Offenbar unter dem Eindruck literarischer Beispiele wird jetzt auch in den Versinschriften der Gegensatz zwischen der Präsentationsform des Epigramms als Ich-Rede des Toten und der tatsächlichen Verstummung bzw. Vernichtung des Toten gesucht. In einigen Beispielen tritt der tote Sprecher zudem als Experte auf und belehrt den Leser über die Verhältnisse in der Unterwelt oder darüber, dass von ihm nur Asche geblieben ist. Die Inschriften reflektieren hier populärphilosophisches Gedankengut, das in die Epigrammatik eingedrungen ist;85 aber die Idee, den Toten in einer Grabinschrift diese Erkenntnisse selbst verkünden zu lassen, mag direkt auf literarische Vorbilder wie das Grab­epigramm auf Sardanapal oder das kallimacheische Charidas-Epigramm zurückgehen. 83 In zwei Fällen (GVI 731; Vérilhac 109, 1) spricht darüber hinaus jeweils ein zweijähriges Kind, so dass ἄναυδος außerdem auch die im Leben noch nicht erlangte Sprachfähigkeit bezeichnen kann. Vgl. u. 2.2.5.1. 84 CIL XIV 480 (Ostia) hic ego, qui sine voce loquor de marmore caeso. 85 Peres 2003, 27–31.

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2.2.4. Der Tote spricht nicht mit der eigenen Stimme In den bisher behandelten inschriftlichen Beispielen ging es um das Verhältnis von Form (Ich-Rede)  und Inhalt (condicio mortis), das bisweilen als entsprechend (»der Tote redet durch göttliche Gunst«), häufiger aber als Paradox erschien (»der Tote redet, obwohl er stumm / Asche etc. ist«). In den in diesem Abschnitt zu behandelnden Beispielen geht es zunächst um das Verhältnis zweier Formen zueinander, nämlich der Rede des Toten und der Rede des Denkmals (GVI 1158, Kos, 1. Jh. v. Chr., 1 f.): [γράμμ]ασι μὲν φωνεῖ Παρία ίθος, ὅττι Λυκουργίς   [ἐνθά]δε Δειογένευς κεῖμαι ἀποφθιμένα. Durch die Buchstaben tönt der parische Stein, dass ich, Lykurgis, die Tochter des Diogenes, hier tot begraben liege.

Im Gegensatz zu den vorhellenistischen Inschriften, welche Rede des Denkmals und Rede des Toten kombinieren (1.3. und 1.4.), erscheint hier die Rede des Toten eindeutig als der Rede des Steins untergeordnet; sie erklingt nicht mehr unvermittelt, sondern »in Wahrheit« verkündet der Stein dessen Worte. Die Rede des Toten erweist sich so deutlicher als in den vorhellenistischen Beispielen als fiktionale Sprecherrolle, eingebettet in die Kommunikation zwischen Denkmal und Wanderer. Darüber hinaus werden durch den Verweis auf die Buchstaben und den Marmor die Schriftlichkeit und die Materialität der Stimme des Denkmals hervorgehoben.86 Diese Unterordnung lässt sich in vielen weiteren Epigrammen belegen, häufig auch mit Hinweisen auf die Materialität des Steins und die Buchstaben:87 GVI 126, Cures, frühe Kaiserzeit, 1–3 [στή]λλην τήνδ᾽ ἐσορᾷς μνή[μης] χάριν, ἥ σε διδάξει / τίς πό[θεν], ἐκ ποίας δὲ ἦλθον ἐγὼ γενεῆς / [Μύ]λασα μ᾽ ἔθρεψεν κτλ. GVI 665, Westl. Makedonien, 1./2. Jh. n. Chr., 2–4 λίθος δ᾽ ἐνέπει ταῦτα παρε[ρχομένοις·] / μοῦνος ἐγὼ πατρὸς καὶ μητέρος ἐν μ[εγάροισι] / θρέφθην κτλ. GVI 861, Albanum, Anf. 3.  Jh. n. Chr., 4 f. ἰδού, στήλλη ταῦτα γραφεῖσα λέγει· / (Es spricht der Tote:) [μηκέ]τι κλαῖε, πάτερ γλυκερώτατε κτλ. GVI 1621, Aigiale, 2. Jh. v. Chr., 3 f. [ἀγγε]λεῖ γραφή / [πατρόθ]εν δέ με κτλ. (der Tote berichtet) 86 Die vorhellenistische Praxis, Stimme des Toten und Stimme des Steins (bzw. der Inschrift) zu trennen, wird aber auch weitergeführt, z. B. in GVI 1634 (Athen, nach 226/7 n. Chr.), 1 ὅστις καὶ τίνος εἰμὶ τὰ πρόσθεν γράμματα φράζε[ι] (i. e. die voranstehende Prosainschrift); SEG 20:299 (Keryneia, 2./3. Jh. n. Chr. = Vérilhac 119), 7–9 οὔνομα δὲ ψιλὸς ἐρεῖ τίς ἔφυν· αἰαῖ, Χάρμε χρηστέ, χαῖρε. 87 Bereits Rossi 2001, 336 nennt Beispiele für den Topos »the tomb/stele/inscription says/ shows who I am«.

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GVI 1625, Rhodos, 1.  Jh. v. Chr., 1 f. στήλη σοὶ λέξει τὸν ἐμὸ[ν] μόρον ἠδὲ χαρακτά / γράμματα, πῶς τ᾽ ἔθανον καὶ οὔνομα τῶν γονέων κτλ. GVI 1626, Karpathos, 1. Jh.?, 1 f. [τίς μ]ὲν ἐγὼ παίδων, τοῦ δὲ, ἡ λίθ[ος ἔγγραφος α]ὔτη / δηλοῖ κτλ. GVI 1629, Phrygien, 2./3. Jh. n. Chr.?, 1–3 τύνβος καὶ στάλα μηνύσει τοῖς μετέπειτα, / Ἀσκληπιάδη κεῖσθαι ἐνθάδε τὸν μέλεον, / ὅν με {κα}κακὸς δαίμων ἀπενόσφισε κτλ. GVI 1630, Athen, 2./3. Jh. n. Chr., 1–3 τίς πόθεν ὢν ἐνταῦθα τάφῳ, φίλε, τῷδε κέκρυμμαι, / στήλη μηνύσει, οὔνομα καὶ πατρίδα· Βειθυνὶς μὲν γαῖα μ᾽ ἐθρέψατο κτλ. GVI 1632, Istropolis, 2./3. Jh. n. Chr., 3 f. μανύσει λίθος ἅδε καὶ ἐσσομένοισι ἀκουήν· / πάτρα μοι πέλεται ματρόπτολις Εὐξείνοιο κτλ. SEG 32:1025, Ostia, 3. Jh. n. Chr., 9 f. Τοὔνομά μου γνῶναι θέλειϛ; λίθοϛ ἄλκιμοϛ αὐδᾷ· / Ὦλοϛ καὶ Τρόφιμοϛ κεῖμαι Φάβιϛ ἐνθάδε σεμνόϛ. SEG 30:1421, Bithynion-Klaudiopolis, 1. Jh. v. Chr., 1 f. εἰ ποθέειϛ γ[ν]ῶν[αι], τίϛ καὶ [τ]ίνοϛ [ἔ]κγονόϛ εἰ μι, / πάντα ἄτρεκ[ὲϛ στήλ]η σοὶ φράσει [ἀμφὶϛ ἐμοῦ]. In den folgenden Beispielen spricht der Tote zwar in unvermittelter direkter Rede, betont aber den Schriftcharakter dieser Rede, wenn er den Passanten auffordert, die Buchstaben auf der Stele zu betrachten: SGO 16/08/05, Temenuthyrai?, wohl 2. Jh. n. Chr., 2 f. γράμματα δ᾽ εἰσάθρησον ἐλεϊνὰ κὲ γονίλυπα· / κεῖμε ἐνὶ τ[ύν]βῳ ὁ καλούμενος Εὐτυχιανός κτλ. Bernand 37, Schedia, »basse époque hellénistique«, 1 f. Παῖδά με Δωσιθέαν τὴν οἰκ[τροτάτην, ξένε, κλαῦσον?] / λεύσσων εἰϛ ξεστῆϛ γράμμ[ατα ταῦτα πέτρηϛ?] SGO 17/10/06, Xanthos, 2./3. Jh. n. Chr. = GVI 1320, 1–3 τὸν θεὸν αὐτὸν οί· μεῖνον, ξένε, μή με παρέλθῃϛ, / μέχριϛ ἴδῃϛ στήληϛ τὰ προκείμενα γράμματα Μουσῶν. / οὐ γὰρ καυχήσεται Εὐπρέπηϛ κατ᾽ ἐμοῦ.88 GVI 1994a, Parion, 2. Jh. n. Chr., 11–13 ξεῖνε, μαθὼν παρόδευε τίνοϛ τόδε σῆμα τέτυκται, / γράμμ᾽ ἀναλεξάμενοϛ ἐν πλακὶ λαινέῃ· / ἓξ μὲν ἄγων λυκάβανταϛ ἀπέστιχον κτλ. In einigen Beispielen schließlich spricht sich der Tote selbst ausdrücklich die Fähigkeit ab, selbst zu sprechen, etwa in GVI 1905 (Eumeneia, 3. Jh. n. Chr.); hier endet die Rede des Toten nach einer Aufforderung zum Lebensgenuss mit den 88 In SGO 04/14/01 (Silandos, 2.  Jh. n. Chr.) ergänzt Peek am Ende eines längeren, in der Rede des Toten verfassten Gedichts [βλέψας δὴ] φιλότεκνον ἐνὶ σ{σ}τήλλῃ τόδε γράμμα / [πᾶς τις πα]ισὶν ἄπαις τὰν χάριν ἀντιδίδοι (21 f.). Vgl. auch das dem Lemma nach in Prusa ad Olympum inskribierte Gedicht AP 7, 558 (6. Jh. n. Chr.? = GVI 968 = IK Prusa ad Olympum 58): Auf die Rede des Toten folgt in V. 7 κώκυε καὶ σὺ βλέπων τάδε γράμματα μακρόν, ὁδῖτα.

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resignierenden Worten (20 f.) ταῦτα, φίλοι· μετὰ ταῦτα τί γὰρ πλέον; οὐκέτι ταῦτα. / στήλλη ταῦτα λαλεῖ καὶ λίθος· οὐ γὰρ ἐγώ. Der Tod als Ende von allem wird dadurch unterstrichen, dass sich die gesamte Rede des Toten im Nachhinein als Rede der Stele erweist. In SEG 20:747 (Kyrene, 1./2. Jh. n. Chr.), 14–8 με … σειγῆς τόπος ἔσχεν, / γράμμασιν ἐν στήλῃ λαλέουσαν, οὐκέτι φωνῇ und SEG 20:748 (Kyrene, eiusdem fere aet.), 25–9 κεῖμαι σιωπήσασα, διὰ στήλης δὲ λέγουσα, / τίς, πόθεν, ἡ στήλη δὲ λαλεῖ, τὸ δ᾽ ἐμὸν στόμα σιγᾷ begegnet das Paradox des stummen Sprechens (σειγῆς  – λαλέουσαν, σιωπήσασα  – λέγουσα) in Bezug auf die Rede des Toten, mit direktem Verweis auf die Stele als eigentlichen Sprecher. Diese Inschriften greifen das Motiv des vorangegangenen Kapitels auf, die Rede des Toten mit seiner faktischen Stummheit zu kontrastieren, und erweitern dieses, indem sie zusätzlich diese Rede »in Wahrheit« dem Stein zuschreiben. Sie sind aufschlussreich, insofern sie eine typische Strategie der inschriftlichen Epigrammatik zu illustrieren scheinen: Das in den literarischen Epigrammen aufgeworfene Problem, wie die Rede des Toten als Form mit »realen« Gegebenheiten zu vereinbaren ist, wird hier gelöst, indem explizit gemacht wird, dass der Tote nicht mit seiner Stimme (φωνῇ) spricht, sondern dass es sich lediglich um ein literarisches Konstrukt handelt. Die Stimme des Toten kann aber nicht nur als Stimme des Steins »enttarnt« werden, sondern auch »in Wahrheit« als Stimme des Lesers erscheinen. Für dieses Motiv finden sich, soweit ich sehe, nur Beispiele in der lateinischen Epi­ graphik (CIL XI 627, Ravenna, 1–5): C. Clodi Paulini. vix. ann. XXIIII m. VIII d. X h. VIIII Carpis si qui [via]s, paulum huc depone la[borem.] Cur tantum proper(as)? non est mora dum leg(is), audi Lingua tua vivum mitique tua voce loquentem: Oro libens libe[n]s releg(as), ne taedio duc(as), amice. (…) (Denkmal des) Gaius Clodius Paulinus. Er lebte 24 Jahre, 8 Monate, 10 Tage, 9 Stunden. Wer auch immer du bist, wenn du auf Reisen bist, lass hier ein wenig von deiner Mühe ab. Warum eilst du so? Es geht keine Zeit verloren, während du liest; höre ihn, der durch deine Zunge lebt und mit deiner sanften Stimme spricht: Ich bitte dich, lies gern, lies nochmals gern, lass es dich nicht verdrießen, mein Freund! … (Üb. nach Häusle 1980, 46)

Der ab Vers 4 in der Ich-Form sprechende Tote wird durch die Zunge des Lesers zum Leben erweckt und spricht daher mit dessen Stimme. Ähnlich wird der Gedanke in CLE 1278 (Lyon) ausgedrückt (5 f.): Quodque meam retinet vocem data littera saxo,   vo[ce] tua vivet, quisque leg[es titu]los

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Und weil der auf den Stein geschriebene Buchstabe meine Stimme bewahrt, wird durch deine Stimme leben, wer auch immer diese Inschrift lesen wird.

Umgekehrt lässt sich auch sagen, dass der Leser in Wahrheit mit der Stimme des Toten spreche: das nur fragmentarisch erhaltene CIL XIV 356 (Ostia)          ]scire, viator          ]tua nempe mea est.

scheint eine Variante (oder sogar die Vorlage)89 eines literarisch überlieferten Distichons zu sein (AL2 721): Vivere post obitum vatem vis nosse, viator?   Quod legis, ecce loquor: vox tua nempe mea est. Willst du wissen, dass ein Dichter auch nach dem Tod noch lebt, Wanderer? Was du liest, siehe, das spreche ich: Deine Stimme ist in Wahrheit die meine.

Dass ein Dichter Unsterblichkeit erreicht, indem er gelesen wird und so seine Worte in den Mündern seiner Leser widerhallen, ist ein bekanntes Motiv, das bereits im Autoepitaph des Ennius belegt ist.90 Diese Motiv wird nun vom Verfasser der Inschrift variiert: Der Dichter lebt in den Mündern der Nachwelt nicht nur durch seine Dichtung weiter, sondern er lebt auch dann wieder auf, wenn ein Passant die in der Ich-Rede verfasste Grabinschrift vorliest (wobei ein Autoepitaph ja zum dichterischen Œuvre gehört). Hier wird nun die Stimme des Lesers der Stimme des Toten untergeordnet. Diese Umkehrung ist möglich, insofern im ersten Fall der phonetische Aspekt in den Vordergrund trat: In CIL XI 627 »lebt« der Tote in der Stimme des Lesers, insofern diese erklingt; hier dagegen liegt die Betonung auf dem Inhalt der Nachricht, den der inschriftliche Sprecher dem Leser »aufzwingt«. Gleichwohl bedarf auch hier der tote Dichter des Lesers, der ihm die Stimme leiht. Ein spielerischer Umgang mit der Rede des Toten als literarischer Form findet sich schließlich in folgendem Epigramm (Martínez Fernández 8, Kreta, 2./1. Jh. v. Chr. = GVI 1882):

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Φι]λοῦϛ Φίλωνοϛ χαῖρε. τοῦτο τὸ σᾶμα τίνος; συ[νο]δοιπόρε, πέτρον ἀθρ[ή]σας   λέξον, ἐπὶ ταύταν εἰϛ [ὁδὸν] ἠλασάμεν. – σᾶμα Φιλοῦϛ, γ[ενέ]ταϛ δὲ Φίλων. – μάτηρ δὲ τίϛ, [εἰπέ],   εἰ᾽ ἄρα τᾶι γλυπτᾶι τοῦτο [πρό]σεστι λίθωι. – σαμαίνι στά[λα. – λ]έγε μὴ βραδύς. – οὔνομα μ[ατρὸ]ϛ 89 Cugusi 2007, 128 vermutet, das Possidius, bei dem das Distichon überliefert ist, das inschriftliche Gedicht aus dem Gedächtnis zitiert habe. 90 Fr. 46 Blänsdorf = FLP 46 Courtney Nemo me lacrimis decoret nec funera fletu /  faxit. Cur? Volito vivos per ora virum.

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 ἐσθ᾽ Ἑλένα. – ποσέτης ἤλ[υθεν] εἰς  Ἔρεβος; – ἰκοσέτης. – τλ[ά]μων γενέτας. – μάτηρ δ[ὲ τάλαι]να,   ἣν ἀδίκως ᾍδας ἄ[νθος] ἐκαρπίσατο. – ἆρ᾽ ἄγαμος καὶ [ἄτ]εκνος ὑπὸ χθονὶ δύσμορ[ό]ς [ἐσσ]ι;   αὐτὰ δ᾽ ἐξκοτίων εἰπὲ μυ[χῶν] τόδ᾽ ἔπος. – – οὔτ᾽ ἄγαμος γεν[όμαν], ὁ δὲ σύνβιός ἐστι Κόϊντος,   [ὅσπερ] παρθενίης ζώματ᾽ ἔυσεν ἐ[μῆς]. ὀστέα δὲ ξίνα κατ[έχι κό]νις, ἁ δὲ Λίβυσα   πατρὶς [Τ]α[υ]χίρων οὐκ ἐκάλυψε κόνει. Philus, Tochter des Philon, sei gegrüßt. Wessen Grabmal ist das? Mitreisender, betrachte den Stein und sag es (oder: lies es vor), da wir diesen Weg entlang gekommen sind. – Grabmal der Philus91, der Vater ist Philon. – Sag, wer die Mutter ist, wenn auch dies auf dem gravierten Stein steht. – Die Stele zeigt es an. – Sag es sogleich! – Der Name der Mutter ist Helena. – In welchem Alter kam sie in den Hades? – Als 20-jährige. – Der arme Vater! – Die arme Mutter, der Hades zu Unrecht die Blüte pflückte! – Liegst du Unglückliche unverheiratet und kinderlos unter der Erde? Sag du selbst dieses Wort aus den dunklen Winkeln heraus! – Keineswegs war ich unverheiratet, mein Gefährte hieß Quintus, der die Gürtel meiner Jungfrauenschaft löste. Fremder Staub bedeckt meine Knochen, die Heimat Libysa verbarg mich nicht in der Erde der Tauchirer.

Das Epigramm ist im ersten Teil als schnelle Wechselrede zweier Sprecher an­ gelegt, wie sie in den Inschriften sonst öfter zwischen dem Passanten und dem Toten stattfindet.92 Hier unterhalten sich jedoch zwei am Grab vorbeikommende Wanderer.93 Der erste Wanderer erblickt das Denkmal und fordert seinen Mitreisenden auf, ihm die Inschrift vorzulesen, wobei er ihn durch häufiges Nachfragen unterbricht. Die mehrfach verwendeten Imperative vermitteln ein Gefühl der Eile, die wiederum in Vers 5 retardiert wird: Auf die Frage nach dem Namen der Mutter gibt der Gesprächspartner zunächst zur Antwort, dass dieser auf dem Stein stehe. Auf die Aufforderung, ihn sogleich zu nennen, verschleppt er ihn noch durch ein Enjambement bis in den nächsten Vers. Diese Tempowechsel lassen den Dialog besonders lebhaft erscheinen.94 In dieser Inschrift wird mithin der Lektürevorgang selbst dramatisiert.95 Vorbilder für diese Technik scheinen sich gerade in literarischen Epigram 91 Zum Nominativ Φιλοῦϛ s. Peek 1933, 148. 92 GVI 1858–1872. 93 Weitere Beispiele: GVI 1832; Herakleitos AP 7, 465 = HE 1935–42. Vgl. auch Herod. 4, 20–5; Calp. Sic. 1 (vgl. vor allem 20–32; dort handelt es sich um eine Bauminschrift). 94 Vgl. Calp. Sic. 1, 31 f. Mira refers; sed rumpe moras oculosque sequaci / quam primum nobis diuinum perlege carmen. 95 Ein verwandtes Phänomen, das hier nicht untersucht wird, ist die Dramatisierung der Entzifferung von Symbolen auf dem Stein, die ebenfalls vor allem literarisch, aber auch in einem inschriftlichen Beispiel (GVI 1881) belegt ist; vgl. Goldhill 1994.

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men zu finden, etwa im Timonoe-Epigramm des Kallimachos (Ep. 15 Pf. = HE 1227–30):96 Τιμονόη. τίϛ δ᾽ ἐσσί; μὰ δαίμοναϛ, οὐ σ᾽ ἂν ἐπέγνων,   εἰ μὴ Τιμοθέου πατρὸϛ ἐπῆν ὄνομα στήλῃ καὶ Μήθυμνα, τεὴ πόλιϛ. ἦ μέγα φημί   χῆρον ἀνιᾶσθαι σὸν πόσιν Εὐθυμένη. ›Timonoe.‹ Wer bist du? Bei den Göttern, nicht hätte ich dich erkannt, wenn nicht der Name deines Vaters Timotheos noch auf dem Grabstein stünde und Methymna, deine Heimatstadt. Wirklich, sehr traurig ist gewiß dein verwitweter Ehemann Euthymenes! (Üb. Asper)

Hier ist es nur ein Passant, der die Inschrift liest, der sich aber während der Lektüre selbst unterbricht; so scheint das Epigramm nicht eine tatsächliche Inschrift, vielmehr den Kommentar eines Lesers beim Lesen wiederzugeben. Die Pointe bei solchen Epigrammen liegt nicht zuletzt darin, dass man sich fragt, was nun eigentlich auf dem Stein gestanden habe. So hat man für das Epigramm der Timonoe die Rekonstruktion Τιμονόα Τιμοθέου Μηθυμναίου γυνὰ δὲ Εὐθυμένεος vorgeschlagen.97 Die Spannung, die hier zwischen der »tatsächlichen« Inschrift und ihrer literarischen Kommentierung besteht, scheint die Trennung des Epigramms vom Stein gerade vorauszusetzen. Insofern mag die Rezeption dieser Technik in einer Inschrift überraschen. Doch wenn man annimmt, dass die Rekonstruktion der »eigentlichen« Inschrift in den literarischen Epigrammen dem Leser als eine Art Rätsel aufgegeben wurde (man könnte im Anschluss an den von Peter Bing geprägten Begriff des Ergänzungsspiels von »Rekonstruktionsspiel« sprechen), dann ließe sich dieser spielerische Charakter auch in einer Inschrift reproduzieren; der Passant wäre dann dazu eingeladen, darüber zu sinnieren, ob sich aus dem Dialog der beiden Wanderer eine »ursprüngliche« Inschrift rekonstruieren lasse.98 Falls wir voraussetzen, dass dieses »Rekonstruktionsspiel« in der Inschrift angelegt war, dann ergibt sich in diesem Fall ein reizvoller Effekt: über dem Ge 96 S. Gutzwiller 1998, 208, »the Timonoe epitaph dramatizes the act of reading an in­ scription«. Ähnlich bereits Kaibel 1896, 264 »die ersten Worte […] zeigen uns den Dichter, wie er den Stein liest und wie ihm beim Lesen die eigene theilnehmende Deutung der wortkargen Aufschrift erwächst.« Mögliche inschriftliche Vorläufer dieser Technik haben wir oben (S. 55–7) behandelt. 97 Kaibel 1896, 264 (Kaibel geht allerdings davon aus, dass Kallimachos eine reale Inschrift dramatisiert habe). 98 Dass der Bezug auf eine (nicht vorhandene) Prosainschrift in literarischen Epigrammen durchaus evoziert werden konnte, dafür können solche Gedichte eine Parallele bieten, in denen der Name des Toten nicht genannt wird; Marco Fantuzzi erkennt hierin eine Rezeption inschriftlicher Praxis, den Namen des Toten extra metrum unterzubringen (Fantuzzi/Hunter 2004, 292–306).

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dicht findet sich tatsächlich eine kurze Prosainschrift, die den Namen der Toten und den ihres Vaters nennt. Wenn man den folgenden Dialog als Dramatisierung der Lektüre dieser Prosainschrift versteht, dann lässt sich der erste Abschnitt des Epigramms bis zur Hephthemimeres des dritten Verses gerade so deuten, da er nur den Namen der Toten und den ihres Vaters nennt. Die dann folgende Frage nach dem Namen der Mutter wird relativiert (εἰ᾽ ἄρα τᾶι γλυπτᾶι τοῦτο [πρό]σεστι λίθωι); dies ist einerseits eine berechtigte Einschränkung, da der Name der Mutter in den Inschriften insgesamt seltener als der des Vaters genannt wird, mag aber andererseits auch einen Wink an den Leser enthalten, der ja weiß, dass der Name der Mutter gerade nicht Teil der Prosainschrift war. Der retardierende Effekt in Vers 5 zögert den Übergang von der Dramatisierung der Prosainschrift hin zu einer Erwähnung eines Details, das dort nicht steht, hinaus; erst in Vers 6 fällt schließlich der Name der Mutter. Das Epigramm spielt nach diesem Verständnis nicht nur ein »Rekonstruktionsspiel«, sondern es scheint geradezu die Regeln dieses Spiels zu reflektieren und zu ironisieren. Doch selbst, wenn man dieser Deutung nicht folgen will, bleibt die Tatsache bestehen, dass dieses Gedicht in der Inszenierung der Lektüre seine eigene Rezeption reflektiert; vor diesem Hintergrund überrascht der zweite Teil des Gedichts, in dem die Tote schließlich aufgefordert wird, selbst zu sprechen. Die Unvermitteltheit, mit der nun plötzlich die Rede der Toten eingeführt wird,99 in Verbindung mit dem »realistischen« Detail, sie solle ἐξκοτίων μυχῶν sprechen, kann, nachdem das Epigramm bisher deutlich gemacht hat, dass es vorgelesen wird, kaum anders denn als ironische Regieanweisung verstanden werden. Die Stimme der Toten wird hier nicht als Stimme des Steins oder Stimme des Lesers rationalisiert, sondern als eine von verschiedenen literarischen Konventionen charakterisiert, derer sich ein Epigrammatiker nach freiem Verfügen bedienen kann.

2.2.5. Stimme im Leben, Stimme im Tod: Ähnlichkeit und Kontrast von inschriftlicher und realer Stimme In den nun zu besprechenden Inschriften wird nicht so sehr versucht, die Rede des Toten als literarische Konvention zu »dekonstruieren«, sondern es werden Ähnlichkeiten und Unterschiede von inschriftlicher und realer Stimme ausgelotet, was aber letztlich bedeutet, dass auch hier der Status der Rede des Toten – »echte« Rede oder fingierte Rede? – thematisiert wird.

99 Hier gleichwohl auch als Fortsetzung der plötzlichen Sprecherwechsel in den vorhellenistischen Inschriften zu sehen, s. o. Kap. III.1.3.

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2.2.5.1. Sprechende Kinder Eine Möglichkeit, diesen Zusammenhang dem Leser bewusst zu machen, liegt darin, auf die »Stummheit« der schriftlichen Ich-Rede in Epitaphen auf kleine Kinder hinzuweisen, die bereits im Leben stumm waren, insofern sie das Sprechen noch nicht erlernt hatten.100 Von den oben bereits behandelten Beispielen lassen sich zwei hierherstellen, nämlich GVI 731 ἐνθάδε κεῖμε ἄναυδον, ἄπνουν, ξένον ἐνθάδε κε[ῖ]μ[αι] / παιδίον und Vérilhac 109A ἤλυθα γαῖαν ἄναυδος, in denen wir erfahren, dass es sich bei den Verstorbenen um kleine Kinder handelt: das Kind in GVI 731 war zwei Jahre und zwei Monate alt, in Vérilhac 109A zwei Jahre und neun Monate. Ob hier allerdings speziell die frühkindliche »Stummheit« oder allgemein das Verstummen im Tode bezeichnet ist, lässt sich kaum entscheiden. Dass aber ein Interesse daran bestand, kindliche Rede bzw. Redeunfähigkeit im Grab­ epigramm zu thematisieren, zeigt folgendes Epitaph (IGUR III 1322, Rom, 1./2. Jh. n. Chr. = IG XIV 1977 = GVI 1024 = GG 416):

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Ῥουφῖνα Κέλερος ἐξ Ἀριστείνης τε ἔφυν, ζωὴ δὲ πλείων μητρὸς ἐν σπλάγχνοις ἐμή, ὠδεῖνα λύπης δ᾽ ἡ τεκοῦσ᾽ ἠλλάξατο· πρώτην ὁδὸν δὲ στέλλομαι πρὸς Ἀίδαν, κλῆρον δὲ μητρὸς τῶιδε κληρουχῶ τάφωι, στήληι δὲ φωνῶ ἀντ᾽ ἀωνίας βίου. Ich, Rufina, bin die Tochter des Celer und der Aristine; den längeren Teil meines Lebens verbrachte ich im Leib meiner Mutter; sie, die mich zur Welt brachte, vertauschte Geburtsschmerz mit Todestrauer. Meine erste Reise trete ich in den Hades an. Das Erbland erhielt ich von meiner Mutter in Form dieses Grabes; durch die Stele rede ich, die ich im Leben stumm war.

Das Gedicht auf ein nicht lange nach der Geburt verstorbenes Mädchen zählt die Dinge auf, die der Toten entgangen sind, und nennt dafür ein Äquivalent im Hades; dieser »Kompensationsgedanke« ist in der Epigrammatik verbreitet.101 Statt im Leben eine Reise zu unternehmen, statt überhaupt den Lebensweg anzutreten, begibt sich das Kind auf die Reise in den Hades; statt des mütterlichen Landes als Erbteil erhält es das Stück, auf dem sein Grab liegt. Auch die Mutter

100 Pseudo-Aristoteles charakterisiert dieses Frühstadium als μετὰ τὸ γένεσθαι πολὺν χρόνον ἐνεοί ἐσμεν· τὸ μὲν γὰρ πρῶτον ὅλως οὐδὲ λαλοῦμεν οὐδέν (Probl. 898b; vgl. O. Thomas 2010, 196 f.). Da αὐδή die artikulierte Rede bezeichnet (s. Nordheider, LfrgE s. v. αὐδή; Ax 1986, 207–10), kann ἄναυδος wohl auch das kindliche Unvermögen bezeichnen, sich zu artikulieren. 101 Häufig in Form des Motivs »der Hades (nicht der Gemahl) nimmt das unverheiratete Mädchen zur Braut«: Lattimore 172 ff.; Griessmair 1966, 17 f.

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empfindet nach den Geburtswehen nun schmerzliche Trauer. Allein im letzten Vers mag ein tröstlicher Gedanke liegen: das Kind, das im Leben nicht alt genug wurde, um zu sprechen, hat zumindest durch die Inschrift eine Stimme erhalten.102 Diese Stimme steht aber nicht nur in Kontrast zur früheren Stummheit, sondern sie weist, wie die zuvor genannten Paarbegriffe, auch auf eine Paralle­ lität hin, da auch die inschriftliche Stimme »stumm« ist. In einem anderen Epigramm wird der Beginn der Redefähigkeit des verstorbenen Kindes hervorgehoben (SEG 54:790, Kos, 2. Jh. n. Chr.):103 τετραέτης Νικαία, ὁδοίπορε, τῷδ᾽ ὑπὸ τύμβωι   κέκλιμαι, ἄρτι σαφεῖ φθεγγομένη στόματι· οὐδὲ μὲ θρεψάσῃ Κλεοῖ, ὡϛ θέμιϛ, οὐ Μακαρίνῃ,   ματρὶ φίλαι, χάριταϛ δοῦναι ἑὰϛ ἔτυχα. Wanderer, als Vierjährige liege ich, Nikaia, unter diesem Grabhügel, als ich gerade mit verständlichem Mund zu sprechen begann. Weder meiner Amme Kleo noch meiner lieben Mutter Makarine konnte ich, wie es Brauch ist, ihre Gunst vergelten.

Hier werden die Stimme der Inschrift und die Stimme des Kindes nicht explizit miteinander verglichen, so dass wir nicht sicher sein können, dass der Leser eine Verbindung zwischen den ersten, noch ungelenken Worten der Toten und den metrisch gebundenen ultima verba erkennen sollte. Insgesamt betrachtet, ist die Ich-Rede von kleinen Kindern auf Grabsteinen jedenfalls nicht ungewöhnlich.104 Man mag Kindern dieses Alters bereits Sprechvermögen zugestehen, doch sicher waren sie nicht in der Lage, solch elaborierte Berichte wieder­zugeben, wie sie bisweilen auf den Steinen stehen: in SGO 03/05/04 =  GVI 1159 (Notion, 1. Jh. n. Chr.) etwa berichtet ein dreijähriger Junge in 17 Versen ausführlich von seinem tödlichen Sturz in den Brunnen, und in IGUR IV 1702 erzählt ein vierjähriges Kind in 26 Versen von seiner Krankheitsgeschichte, in deren Verlauf es verschiedene Symptome beschreibt. Die Zuschreibung solch 102 So Kaibel, IG a.l. cum in vivis essem infans eram, nunc mortua fari didici (der aber τὰς ἀφωνίας liest); dagegen denken Peek (»denn im Leben wurde mein Mund stumm«) und IGUR a.l. (»per stelam loquor quod mei ipsius vita conticuit«) an das Verstummen durch den Tod überhaupt; es scheint keine direkten Belege für ἀφωνία/ἄφωνος in der Bedeutung »(noch) nicht sprachbegabt« zu geben, doch kann φωνή auch die Fähigkeit, sich sprachlich zu artikulieren, bezeichnen (LSJ s.v. φωνή II). 103 Die davorliegende Stufe des »Plapperns« wird beschrieben in GVI 840 (Demetrias, 3./2. Jh. v. Chr.); GVI 977 (Cäsarea, Mauretanien, 2./3. Jh. n. Chr.); SGO 05/01/52 (Smyrna, 1. Viertel 2. Jh. v. Chr.); vgl. Garulli 2012, 225–30. 104 Z. B. SEG 12:340 (dreijähriges Kind); in SEG 31:846 (= GVI  861) spricht sogar ein zweijähriges Kind, aber die Rede ist durch ein einleitendes ἰδοῦ, στήλλη γραφεῖσα λέγει abgeschwächt; Casey 2004, 76 verweist auf Vérilhac 117, wo ein sechs Monate altes Kind in der Ich-Form spricht. Überhaupt finden sich in Vérilhac zahlreiche Beispiele für die Ich-Rede von ἄωροι.

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eloquenter Rede mag darauf hindeuten, dass das Kind so indirekt als seinem Alter voraus charakterisiert werden sollte.105 Schließlich ist noch zu fragen, ob ein Zusammenhang zwischen unartikulierter, kindlicher Stimme und Ich-Rede in solchen Epitaphen vorliegt, in denen das verstorbene Kind als νήπιος bzw. νηπίαχος bezeichnet wird. In der Tat begegnet diese Vokabel inschriftlich häufig, aber ihre Verwendung dort (i. d. R. für Kinder ab dem Säuglingsalter bis zum Alter von etwa 8 Jahren gebraucht, ausnahmsweise auch für ältere Kinder)106 zeigt, dass das Wort regelmäßig nicht als »sprachlos« (im Sinne einer etymologischen Rückführung auf νη + ἔπος)107 verstanden wurde, da der Altersrahmen sonst hätte enger gesteckt sein müssen. Dass bereits in CEG 119 eine sprechende νηπία begegnet (s. o. S. 172), ist daher kaum als ironisch im Sinne eines »sprachlos sprechenden Kindes« zu verstehen.108 2.2.5.2. Sprechende Tiere Eine Steigerung gegenüber der Stummheit des Kindes stellt es dar, wenn in einem Grabepigramm Tiere das Wort ergreifen; auch hier ist damit zu rechnen, dass nicht in jedem Fall ein Zusammenhang zwischen Stummheit im Leben und Rede im Tod intendiert ist, sondern dass eine übliche Präsentationsform eben auch auf Tiere angewandt wird.109 Bisweilen wird aber das Kuriosum eines sprechenden Tieres thematisiert, wie in folgender kaiserzeitlicher Versinschrift (Herrlinger 41 = GVI 1365, Rom, 2./3. Jh. n. Chr.): τὴν τρίβον παράγειϛ, ἄν πωϛ τόδε σῆμα νοήσῃϛ,   μή, δέομαι, γελάσῃϛ, εἰ κυνόϛ ἐστι τάφοϛ· ἐκλαύσθην, χεῖρεϛ δὲ κόνιν συνέθηκαν ακτοϛ,   ὅς μου καὶ στήλῃ τόνδε ἐχάραξε λόγον. Der du den Pfad entlanggehst, wenn du dieses Grab erblickst, lach bitte nicht darüber, dass es das Grab eines Hundes ist. Ich wurde beweint, und die Hände meines 105 Zum Ideal des παῖς τέλειος / puer senex s. Curtius 1993, 108–12. In den Grabinschriften vgl. z. B. Vérilhac 29; 30. 106 Säuglingsalter: Thess. Mnemeia 97,1; Paton-Hicks 718 = GVI 1729; Smyrna 255 = GVI 1884 = GG 435; 6 Monate alt: IG II2 12629; 15 Monate alt: IG II2 10699a; 2-jährig: JIWE 2, 254; SEG 31:846; 3-jährig: SEG 12:340; IGUR III 1235; 4-jährig: IScM II 326; IGUR IV 1702; IK Kios 80; IGUR III 1376; 5-jährig: IG XII,7 455; IGUR III 1201; 6-jährig: SEG 35:1165; JIWE 2, 274; 7-jährig: SEG 39:973; JIWE 2, 256; 8-jährig: MAMA 10, 219. Wenige Beispiele für ältere Kinder: 16-jährig: Bernand 73; GVI 1071. 107 So Etym. Magn. s.v. νήπιος; vgl. Hesych. νηπύτιον· νήπιον, ἄφωνον. Eine Übersicht bei Heath 2001, 131 f. Anm. 6. Ablehnend gegenüber dieser Etymologie Chantraine 1999 s.v. νήπιος (Beekes 2010 erwähnt sie nicht einmal). 108 Pace Casey 2004, 67. 109 Literarische und inschriftliche Tierepitaphe sind gesammelt und interpretiert in Herrlinger.

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Herrn häuften den Staub über mich, der auch diese Rede auf meine Stele eingemeißelt hat.

Der verstorbene Hund enthüllt im letzten Vers, dass nicht er selbst die Worte spricht, sondern sein Herr sie ihm auf den Stein gesetzt hat, wodurch das Adynaton des sprechenden Hundes abgemildert wird: sie erweist sich so wieder als »bloße« literarische Form. Insbesondere scheint die Stummheit des Tieres durch den Begriff λόγος (4) aufgegriffen, der daran erinnert, dass Tiere zu den nicht-sprachbegabten Lebewesen, den ἄλογα, gehören.110 Einen näheren Zusammenhang zwischen inschriftlicher und realer Stimme stellt das lateinische Epikedion auf den Schoßhund Margarita her (CLE 1175, Rom). In 12 Versen berichtet der Hund in der Ich-Form u. a. von seiner Herkunft und seinen Jagdkünsten. In Vers 9 f. erzählt er, wie er sich seinen Herren mitteilen konnte: et plus quam licuit muto canis ore loquebar   nulli latratus pertimuere meos. Und obwohl ich ein Hund war, sprach ich mit stummem Mund mehr, als mir von Natur aus zukam; niemand fürchtete mein Bellen.

Die Zuschreibung von menschlichen Eigenschaften an ein geliebtes Tier, die in Tierepikedien häufiger begegnet, geht hier soweit, dem Hund eine gewisse Sprachfähigkeit zu geben, die über das bei Hunden von Natur aus Mögliche hinausging (plus quam licuit);111 gleichwohl konnte er sich nicht artikulieren (muto ore); mutus ist t.t. für das nicht-sprachbegabte Tier.112 Diese Charakteristik des lebenden Hündchens spiegelt sich nun in seinem Epitaph: Insofern der Hund vom Stein aus in der Ich-Form spricht, erfüllt sich die Aussage des loqui plus quam licet; in Verbindung mit muto ore lässt sich die Aussage zusätzlich als Metapher für die inschriftliche Rede deuten, die als »stummes Sprechen« bezeichnet werden kann.113 Hierin könnte sich der Verfasser, der auch sonst Anleihen bei der Elegie macht,114 im Speziellen an der Grabinschrift für den Papagei der Corinna orientiert haben (Ov. Am. 2, 6, 60–2):   lapis exiguus par sibi carmen habet. colligor ex ipso dominae placuisse sepulcro   ora fuere mihi plus ave docta loqui. 110 Vgl. Herrlinger 42, 3 f. ᾗ (i. e. der Hündin) καὶ παράσχοις / ἀνθρώποις ἀλόγοις ταὐτὰ χαριζομένη. 111 Weiteres zur Anthropomorphisierung des Hündchens bei Frings 1998, 94–6, die gleichwohl an dieser Stelle keine Vermenschlichung annimmt und et zu nec ändert; vgl. aber Mart. 1, 109, 6 (auf den Hund Issa) Hanc tu, si queritur, loqui putabis. 112 OLD s. v. mutus 1a. 113 Vgl. CIL XIV 480, 1 hic ego, qui sine voce loquor de marmore caeso; dem muto ore loqui entspricht recht genau ἀφθόγγῳ φθεγγόμενα στόματι in SGO 05/01/42 (s. o. S. 83). 114 Frings 1998, 94–6.

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Der kleine Stein hat ein ihm entsprechendes Gedicht:115 Aus dem Grabmal selbst schließe ich, meiner Herrin gefallen zu haben; mein Schnabel verstand sich darauf, mehr zu sprechen, als einem Vogel zukommt.

McKeown hat bereits darauf hingewiesen, dass der Vogel wie im Leben so auch auf seinem Grabstein weiterplappert;116 die Idee, das »Sprechen« des Hundes im Leben und im Tod durch plus quam licuit zu bezeichnen, könnte der Verfasser der Inschrift direkt aus Ovid entlehnt haben, der mit plus ave docta loqui wohl ebenfalls sowohl das Reden des Vogels im Leben als auch das Reden auf dem Grabstein bezeichnet hat.117 Bisher wohl noch nicht beobachtet wurde, dass Ovid, indem er die Ich-Rede des Grabsteins einem Papagei gibt, einer imitatrix ales (Am. 2, 6, 1), zusätzlich auf den Topos der Grabinschrift als Echo der Stimme des Lesers anspielt: wie bereits im Leben, wiederholt der Vogel im Tod die Worte, die ihm der Passant »vorsagt«;118 hierin entspricht der Papagei der Corinna dem Eichelhäher des Archias (s. o. S. 122 f.). Die Ähnlichkeit des Schicksals des Papageis und der Echo in den Meta­ morphosen (beide können nur die Worte anderer wiederholen, beide »werden zu Stein« und nur ihre Stimme bleibt übrig), ist vielleicht auch durch einen intertextuellen Bezug herausgearbeitet. Die letzten Worte, die der lebende Papagei sagte (und gleichzeitig die einzigen im Gedicht von ihm neben dem Epitaph direkt gesprochenen) sind Corinna, vale! (48). Die Abschiedsformel vale ist für den Abschied von einem Toten gebräuchlich;119 Ovid spielt überdies mit der Lesererwartung, denn das übliche Wort, das ein Papagei sagen konnte, war Ave!, also eine Gruß-, keine Abschiedsformel (vgl. McKeown ad Am. 2, 6, 48). Nach der Beobachtung von Lee120 wird auf diesen Standardgruß auch durch plus ave loqui angespielt, das zusätzlich die Bedeutung »mehr als ›Ave!‹ sagen« haben könne. Der Vogel erfüllt dies, nicht nur indem er Corinna, vale! sagt,121 sondern auch durch das von ihm selbst vorgetragene Epitaph.122 115 Zur Kleinheit des Grabs vgl. Leonidas AP 7, 198, 1 f. = HE 2084 f. = Herrlinger 15. 116 McKeown ad Am. 2, 6, 61–62. 117 Auf die Parallele hat McKeown a.l. bereits hingewiesen. 118 In Am. 2, 6, 37 wird der Vogel als loquax humanae vocis imago bezeichnet; vgl. damit Met. 3, 385 (Narcissus) deceptus imagine vocis (i. e. Echo), die auch als garrula bezeichnet wird. Weitere Belege für die Junktur bei McKeown a.l. 119 OLD s.v. valeo 3c. 120 Lee 1968, 189. 121 Boyd 1987, 203: »One of the anonymous readers for CJ has suggested to me ›the possibility of another (bad) Ovidian joke‹ here: ›The bird says plus ave; that is, it also says vale (48).‹« McKeown a.l. erwägt, ob der Vogel das griechische χαῖρε gebraucht hat, das gleichermaßen für Begrüßung und Abschied gebraucht wird. 122 Gleichzeitig setzt sich der Vogel durch sein Distichon auch von solchen schlichten Inschriften ab, die nur aus dem Gruß Ave! bestehen (z. B. CIL IV 6771; AE 1995, 999; AE 1965, 260h; AE 2007, 869).

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Bekanntermaßen ist auch das letzte Wort der ovidischen Echo ein valě, das in einem berühmten Echoeffekt das valē des Narcissus wiederholt, das letzte vor seiner Metamorphose in eine Blume gesprochene Wort (Met. 3, 501): dictoque valē valě inquit et Echo. Die Iambenkürzung, auf der das Wortspiel plus avě »mehr als ›Avē!‹« beruht,123 könnte dabei die Kürzung des vale der Echo nachahmen.124 Diese Anspielung setzt freilich die Priorität der Metamorphosen­ episode voraus, die nicht gesichert werden kann.125 Die Worte des Papageis der Corinna, des »Echo-Vogels«, erwiesen sich so nicht nur als akustisches Echo der Stimme des Lesers, sondern auch als intertextuelles Echo des letzten gesprochenen Wortes der Echo-Episode in den Meta­morphosen, der (im doppelten Sinne) ultima vox der Echo. Ein solch spielerischer Umgang mit dem Echo-Motiv hat, wie wir gesehen haben, in den Epigrammen gewisse Vorbilder, scheint aber in dieser Prägnanz vorher unerreicht und Ovid, nimium amator ingenii sui, durchaus angemessen; der Vogel erscheint so in der Tat als doctus, ein passendes Haustier einer puella docta ebenso wie Gegenstand eines Gedichts des poeta doctus Ovid.126 2.2.5.3. Stumme Schauspieler Ein besonderes Verhältnis zwischen inskribierter Stimme und »Stimme im Leben« besteht in Epigrammen auf Schauspieler: diese tragen auf der Bühne nicht nur Dichtung, also »fiktive« Rede, vor, sie schlüpfen dabei auch in eine Rolle, d. h. sie treten als »Sprachrohr« auf, ihre Stimme ist nicht ihre eigene und ähnelt insofern der Stimme des redenden Toten. Diese – auf den ersten Blick vielleicht bemüht erscheinende – Parallelisierung scheint mir in einigen Inschriften voraus­gesetzt zu sein, etwa in folgendem Epigramm auf den Biologos Eucharistos (SGO 17/09/01, Patara, Kaiserzeit): τὸ στόμα τῶν Μουσῶν, τῆϛ Ἑλλάδοϛ ἄνθοϛ ἐπαίνων, τῆϛ Ἀσίηϛ ἀκρόαμα, κλυτῆϛ Λυκίηϛ προβίβασμα, εὐχάριτον, χαρίεν, σοφὸν οὔνομα, ἔξοχε μείμων. 123 Auch mit der Quantität der ersten Silbe von ăvis wird manchmal gespielt (āvium /  ăvium): Rhet. Her. 4, 21, 29 ff. hinc ăvium dulcedo ducit ad avium; Verg. Georg. 2, 328 āvia tum resonant ăvibus virgulta canoris. 124 Möglicherweise verbirgt sich hier auch ein Spiel mit dem Motiv, dass Echo immer nur die letzten Worte (novissima verba Met. 3, 361) wiederholen kann. Die Junktur kann auch »die letzten Worte eines Sterbenden« bezeichnen (Epiced. Drusi 307; Verg. Aen. 4, 648). Auch der Papagei verwendet im Gedicht nur verba novissima. 125 So datiert McKeown die zweite Auflage der Amores vor den Beginn der Arbeit an den Metamorphosen (»very tentatively« McKeown 1987, 78). 126 Durch die Beschreibung der Grabinschrift als dem lapis exiguus entsprechend soll sie vielleicht als kleines, ausgefeiltes Gedicht eines poeta doctus charakterisiert werden (zu exiguus i.d.S s. Hor. ars 77; Prop. 3, 9, 36; zum Papagei als poeta doctus vgl. Boyd 1987).

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ὅς μόνοϛ ἐν θυμέλαισι λέγων βιότου τὰ γραφέντα σκηνῇ καὶ φωνῇ θεάτροιϛ ὑπερήρεσ᾽ ἅπανταϛ. Εὐχάριστοϛ Εὐχαρίστῳ τῷ τέκνῳ μνείαϛ χάριν. Φιλιστίωνοϛ πυκνὰ λέγων τὰ παίγνια πολλάκιϛ ἔλεξα · »τέ[λοϛ] ἔχει τὸ παίγνιον«. σειγῶ τὸ λοιπ[ὸν· τέλοϛ ἔχω γὰρ] τοῦ βίου. O du Mund der Musen, Blüte der Lobsprüche von Hellas127, der (beste) Schauspieler in Asia, vorzüglichster (Mime)  der berühmten Lykia, du voller Gunst, Lieb­ haber, kluge Person, vorzüglichster der Mimen, der allein, wenn er auf der Bühne die biologischen (das Alltagsleben darstellenden) Stücke vortrug, auf den Brettern und durch seine (schöne) Stimme im Theater mehr Gefallen gefunden hat als alle anderen. Eucharistos für seinen Sohn Eucharistos zur Erinnerung. Als ich die markigen Scherze des Philistion vortrug, habe ich oft gesagt: »Das Spiel ist zu Ende«. Von jetzt an schweige ich; ich bin am Ende des Lebens. (Üb. Merkelbach/Stauber)

Der hier gepriesene Schauspieler Eucharistos war ein Biologos, eine – wie Merkelbach/Stauber erklären – besondere Art von Mimus-Schauspieler, der auf der Bühne Szenen aus dem täglichen Leben nachahmte. In diesem Gedicht wird das Sprechen im Leben mit dem Schweigen im Tod kontrastiert: Eucharistos, der einst auf der Bühne die »Schriften des Lebens« vortrug und mit seiner Stimme die Zuschauer begeisterte (4–5), der oft das Ende des Stücks verkündete, schweigt jetzt, da er ans Ende seines eigenen Lebens gekommen ist (8–9). Der letzte Abschnitt der Inschrift wird dabei vom Toten selbst vorgetragen. Die Parallelität von Kunst und Leben, die in den Schlussversen angedeutet wird, ist einerseits ein bekanntes Motiv (vgl. etwa das Aristophanes von Byzanz zugeschriebene Diktum Ὦ Μένανδρε καὶ βίε, πότερος ἄρ᾽ ὑμῶν πότερον ἀπεμιμήσατο;)128 und ist gerade im Falle eines Biologos, der auf der Bühne das alltägliche Leben nachahmt, besonders berechtigt; das Gedicht scheint darauf durch das pointiert an den Schluss gestellte βίου hinzuweisen, das sowohl den echten βίος als auch den βίος der Bühne bezeichnen kann (vgl. βιότου 4); das »echte« Leben erweist sich so auch nur als Theaterrolle.129 Diese Beobach 127 Voutiras 1995 hält diese Junktur für »unklar« (65), doch fasst man ἄνθος in der Bedeutung »Gipfel-, Höhepunkt« (LSJ s. v. II 2), ergibt sich eine verständliche Bedeutung (»der von Hellas mit höchstem Lob bedacht wird«). 128 T 7 Slater = Syrian II, S. 23, 10 f. Rabe. 129 Hierauf hat bereits Voutiras 1995, 68 f. hingewiesen, der als Parallele zur Idee der »Welt als Bühne« Palladas AP 10, 72, 1 nennt, Σκήνη πᾶς ὁ βίος καὶ παίγνιον. Weitere Stellen (nach Jucker 1950, 35 Anm. 1): Suet. Aug. 99; Cic. Cato 64; 70; 85; Rep. 4, 13; Epikt. Ench. 17; Sen. Epist. 80, 7; 120, 22; Plut. Luc. 39; Plat. Phil. 50b; vgl. außerdem Curtius 1993, 1­ 48–54. Weiterhin zeigt Voutiras (1995, 69 f.), dass in dem literarischen Grabepigramm auf den genannten Dichter Philistion (Anon. AP 7, 155), das ebenfalls in iambischen Trimetern ver-

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tung wird dadurch gestützt, dass Eucharistos das Ende seiner Grabrede in iambischen Trimetern vorträgt, also in dem Versmaß, in dem er auch im Theater gesprochen hat.130 Dazu kommt, dass er jetzt, wie im Leben seinen Text (λέγων βιότου τὰ γραφέντα 4), seine Grabinschrift als Schriftstück vorträgt.131 Einerseits setzt sich Eucharistos von seiner Bühnenpersona ab (πολλάκις ἔλεξα  – σειγῶ τὸ λοιπόν), und das Verstummen der Stimme (und das Lebensende) fällt mit dem Ende des Gedichts zusammen;132 andererseits spricht er noch vom Grabstein in seiner Rolle als Theaterschauspieler, und spätere Leser werden seine inskribierte Stimme wieder erklingen lassen. Man kann sagen, Eucharistos verlagert seine Aktivität lediglich von der Theaterbühne hin zum Grabmal. Ein solcher Zusammenhang zwischen der persona des Bühnenschauspielers und der persona des vom Grabstein sprechenden Toten liegt vielleicht auch in folgender Inschrift auf den Schauspieler Gemellos vor (SGO 11/08/02, Amaseia, 3. Jh. n. Chr.): κεῖμε Γεμέλλος ἐγώ ὁ πολλοῖς θεάτροις πολλὰ λαλήσας καὶ πολλὰς ὁδούς αὐτὸς ὁδεύσας, καὶ οὐκέτι μου στόμα φωνὰ[ς] ἀπολύει, οὐδε χειρῶν κρότος ἔρχετε, ἀλλ᾽ ἀποδούς τὸ δάνιον πεπόρευμε ταῦτα πάντα κόνιϛ. fasst ist, dasselbe Spiel mit der doppelten Bedeutung von βίος begegnet: ὁ τὸν πολυστένακτον ἀνθρώπων βίον / γέλωτι κεράσας Νικαεὺς Φιλιστίων / ἐνταῦθα κεῖμαι λείψανον παντὸς βίου, / πολλάκις ἀποθανών, ὧδε δ᾽ οὐδεπώποτε. Zum Vergleich von realem Tod und Tod auf der Bühne im letzten Vers s. S. 212 Anm. 177. 130 Eine übliche Technik, vgl. z. B. Theokrit AP 13, 3 = HE 3430–3 (hinkiambisches Gedicht auf Hipponax); Theokrit AP 9, 600 = HE 3454–63 (ein aus Trochäen, Iamben und Reizianum bestehendes Gedicht auf Epicharmos); inschriftlich vgl. außerdem das 2002 publizierte Epigramm auf den Schauspieler Aristion, der von sich zunächst in Hexametern und Pentametern spricht und im letzten Vers in den Hinkiambus wechselt (Cairon 4, Athen, 3. Jh. v. Chr., 5 f.): οὔνομα δ᾽ ἦμ μοι / Ἀριστίων· τέχνην δὲ κωμικὴν ἤσκουν. 131 Voutiras 1995, 71 meint, dass Eucharistos sich hier durch τὰ γραφέντα als Interpret qualitätvoller, schriftlich verfasster Stücke (im Gegensatz zu grobem, improvisiertem Stegreiftheater) vorstellt. Dazu würde es aber auch stimmen, dass er nun eine schriftlich verfasste Grabinschrift »vorträgt« (antike Parallelen für den Ausdruck »Geschichten, die das Leben schreibt« o.Ä. konnte ich nicht finden; doch die Vorstellung des Lebens als Autor scheint im Diktum des Aristophanes bereits anzuklingen). 132 Die Deutung des Gedichtendes als »Verstummen« z. B. auch in Akeratos Gramma­ tikos AP 7, 138, 3 f. = FGE 3 f. σοῦ δὲ θανόντος /  Ἕκτορ, ἐσιγήθη καὶ σέλις Ἰλιάδος. Für τέλος am Gedichtende s. S. 333.

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Hier liege ich, Gemellos, der ich in vielen Theatern viel gesprochen habe und selbst viele Wege gegangen bin, und nun kommt aus meinem Mund keine Stimme mehr, und es kommt kein Händeklatschen mehr, sondern ich habe die Schuld zurückgezahlt und bin gegangen. Dies alles ist nur Staub. (Üb. Merkelbach/Stauber)

In diesem metrisierten Epigramm kontrastiert Gemellos, wie schon Eucharistos, sein Leben und seinen Tod. Während er im Leben viel herumgekommen ist, hat er nun seine letzte Reise angetreten (πεπόρευμε); seiner Vielrednerei auf den Theaterbühnen entspricht das Schweigen im Tod. Man mag sich allerdings fragen, ob die Wendung οὐκέτι μου στόμα φωνὰ[ς] ἀπολύει nur das Todesschweigen an sich bezeichnet, wie die Übersetzung von Merkelbach/Stauber zu suggerieren scheint, oder nicht vielmehr sein Verstummen auf der Theaterbühne. Denn unmittelbar darauf wird der Applaus erwähnt, der auf die Bühnenrede folgte.133 Und auch der Plural φωνὰ[ς] scheint eher auf die verschiedenen Stimmen der von ihm dargestellten Charaktere hinzuweisen.134 So ergibt sich ein geschlossener biographischer Bericht: Gemellos ist viel herumgekommen und hat auf vielen Bühnen viel gesprochen, nun ahmt er keine Stimmen mehr nach und erhält keinen Applaus mehr. Wenn aber mit φωνὰ[ς] ἀπολύει der Auftritt gemeint ist, dann ergibt sich nicht nur ein Kontrast zwischen Stimmbegabung im Leben und Verstummen im Tod, sondern auch eine Kontinuität, insofern Gemellos, wie schon Eucharistos, in seiner Grabinschrift noch einen letzten Auftritt hat.135 133 Der Applaus markiert das Ende des Auftritts, das hier wieder mit dem Ende des Lebens zu verglichen werden scheint. 134 Auch im Epitaph auf Eucharistos bezog sich φωνή auf die »Bühnenstimme« (5); von Mimologen weiß man, dass sie die Stimmen verschiedener Personen nachahmten (cf. ILCV 805 fingebam vultus habitus ac verba loquentum / ut plures uno crederis ore loqui). 135 Vielleicht liegt auch in der abschließenden Gnome noch ein Hinweis auf die Bühnenkunst; zwar ist das Motiv vom Leben als »fälliges Darlehen« auch sonst in Epitaphen belegt (Lattimore 170 f.), aber es scheint auch eine Maxime der Bühne gewesen zu sein (IK Kibyra 362, 4–6 ἀληθῶς εἶπε Φιλιστίων· ὁ βίος τόκου[; vgl. Yılmaz/Şahin 1993, 89 f.). Ein ähnliches Motiv findet sich in ausführlicher Form auch in einem lateinischen Epigramm (CIL V 1, von Mommsen unter inscriptiones falsae vel alienae eingeordnet): Viatores optimi vel advenae, sive bini sive singuli inceditis sive turmatim, quod magis erit gratiae, offirmate gressum nec miremini, si moramini aliquantisper. diaculus equidem fui succintus, sermo dari vobis non potest. ut iuvat vobiscum esse ac ab ore meo pendulos detinere, ut iuvit semper! saxum hoc vos vocat – quid inquam! ut vivus assuevi prudens inprudens, mortuus item vos fallo: nam non vos vocat, quod vacat ore, verum is, quoius cinis hic latet. olim quomodo potuit, nunc huc vos vocari voluit valuitque haec olim sua voluntas volentis vos legere hoc scriptum – uah(?), quid loquor, immo sculptum! quam aegre veritas adhuc se mecum conciliat! nam neque hic atramentum vel papirus aut membrana ulla adhuc, sed malleolo et celte litteratus silex silens, quid hic latet, quod ego efferri et effari gestio: Sercius Polensis parasitus histrio vester festivissimus hic cubo. Hoc unum quidem tandem sponte dictum verum est. (…) Ohne eine Aussage über die Echtheit der Inschrift machen zu wollen, finden sich hier einige Motive, die uns bereits begegnet sind; neben Variationen des Motivs »nicht ich, der Grabstein spricht« wird in auffälliger Weise das Problem von Lüge, Fiktionalität und Wahrheit thematisiert, das Sercius sowohl im Leben (auf der Bühne) hatte als auch als Sprecher seiner Inschrift jetzt noch hat.

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Eine Sonderrolle nehmen die Epigramme auf Pantomimen ein, da diese sich, im Unterschied zu den Schauspielern, gerade durch das »Fehlen« ihrer Stimme bereits im Leben auszeichnen. So hat Ruth Webb beobachtet, dass Schauspieler auf ihren Gräbern oft in der Ich-Form sprechen, Pantomimen nie.136 Die Stummheit von Pantomimen in ihren Grabinschriften scheint ex negativo die These zu stützen, dass die Grabrede als eine Art Fortsetzung der Stimme aus dem Leben betrachtet werden konnte. Auch wenn die Pantomimenepigramme daher nicht eigentlich die »Stimme des Toten« als Präsentationsform aufweisen, so spielt in ihnen doch das Verhältnis von realer und inschriftlicher Stimme eine zentrale Rolle, wie sich etwa anhand des folgenden Epigramms zeigen lässt, in dem das Schweigen des Pantomimen prononciert am Anfang des Gedichts steht (Paulus Silentiarius AP 7, 563): Σιγᾷϛ, Χρυσεόμαλλε, τὸ χάλκεον, οὐκέτι δ᾽ ἡμῖν   εἰκόναϛ ἀρχεγόνων ἐκτελέειϛ μερόπων νεύμασιν ἀφθόγγοισι· τεὴ δ᾽, ὄλβιστε, σιωπὴ   νῦν στυγερὴ τελέθει, τῇ πρὶν ἐθελγόμεθα. Chrysomallos, du schweigt ehern, und nicht mehr vollendest du für uns die Abbilder früherer Sterblicher mit lautlosen Bewegungen: Dein Schweigen, Bester, das uns früher bezauberte, ist uns nun verhasst.

Das Gedicht setzt zum einen offenbar den Tod des Chrysomallos voraus; andererseits scheint es sich wegen τὸ χάλκεον auf eine Bronzestatue zu beziehen, die dann wohl als über dem Grab stehend zu denken ist.137 Das Gedicht beschreibt einen Gegensatz zwischen der Statue des Chrysomallos und dem lebendigen Chrysomallos (οὐκέτι), und lässt sich so als ekphrastisches Epigramm lesen.138 Wie viele andere ekphrastische Epigramme spielt dieses Gedicht mit der Ähnlichkeit, die zwischen dem Dargestellten und seinem Kunstwerk abgesehen von der täuschenden Ähnlichkeit der künstlerischen Nachbildung besteht. Hier ist es einerseits das »eherne« Schweigen, das im Fall einer Bronzestatue ja besonders angebracht ist;139 das Schweigen war dabei schon das Charakteristikum des 136 Webb 2008, 146. 137 So Beckby a.l.; Viansino betont, dass die Aufstellung einer Ehrenstatue für einen Panto­mimen unter Justinian nicht zu erwarten ist (1963, 12 Anm. 1). 138 Der im ekphrastischen Epigramm häufig durch οὐκέτι markierte Vorher-Nachher Kontrast bezieht sich hier nicht nur auf das Verhältnis Person/Statue, sondern auch auf das Verhältnis »früher im Leben/jetzt im Tod« (s. u. S. 317 f.). 139 So bereits Weinreich 1948, 78. Der gleiche Zusammenhang in AP 2, 31 χαλκείης … σιωπῆς. Vermutlich stammt die Wendung aus dem Bereich der ehernen Statuen, vgl. bes. σεσιώπηται αὐτῷ μᾶλλον ἢ τοῖς χαλκοῖς ἀνδριᾶσι (Aischin. Sokr. Fr. 37 Dittmar), weiteres bei Otto s.v. statua; gleichzeitig ist hier auch auf die Metapher des »ehernen Schlafs« (i. e. des Todes) angespielt (Anon. AP 16, 375; Il. 11, 241; Kallim. Fr. 75, 2 Pf.; Theokr. Id. 3, 49; GVI 455, 1). In unserem Epigramm ergibt sich zusätzlich ein spielerischer Kontrast zum Namen des Pantomimen (Χρυσεό-μαλλος).

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lebenden Chrysomallos (νεύμασιν ἀφθόγγοισι), weshalb sich Statue und Person besonders ähneln.140 Demgegenüber kontrastiert die tänzerische Beweglichkeit, ein am Pantomimentanz häufig hervorgehobener Zug, der hier mit νεύμασιν angedeutet ist, mit der impliziten Steifheit der Statue.141 Doch auch hier ist das Verhältnis nicht nur gegensätzlich, denn die Kunst des Pantomimentanzes bestand auch darin, mitten im Tanz (und synchron zur Musik) in bestimmten Posen zu »erstarren«, die wiederum an bekannte Werke der bildenden Kunst erinnern sollten.142 Das Verhältnis eines Pantomimen zu seiner Statue erweist sich so als besonders komplex. Diese Komplexität kommt auch in der Polysemie von εἰκών zum Ausdruck. Bereits Otto Weinreich hat darauf hingewiesen, dass der Betrachter vor der εἰκών des Pantomimen steht, der selbst εἰκόνας anderer abbildet.143 Man könnte noch pointierter sagen, dass hier die εἰκών einer Person beschrieben wird, die im Leben bereits eine εἰκών war, und zwar sowohl in der gestischen Nachahmung als auch im statuenhaften Erstarren. Freilich ist hier mit νεύμασιν primär die gestische Nachahmung gemeint; dennoch mag sich der Leser auch an die weitere, übliche Bedeutung von εἰκών und ihre Relevanz für den Bühnentanz des Pantomimen erinnern.144 Man hat darauf hingewiesen, dass, während in den hellenistischen Ekphraseis, insofern sie sich auf Kunstwerke beziehen, bildende Kunst und Dichtung in ein Konkurrenzverhältnis zueinander treten, in der Kaiserzeit der Kreis der mimetischen Künste um solche wie Tanz, Musik, Gartenbau, Architektur erweitert und ihr Verhältnis zueinander thematisiert wird.145 In den Epigram 140 Lausberg 1982, 409 weist darauf hin, dass diese Ähnlichkeit den Topos, dem Kunstwerk fehle zur absoluten Ähnlichkeit mit dem Modell nur die Stimme, auf den Kopf stellt. Dieser Topos bildet dabei gewissermaßen eine Brücke zwischen ekphrastischen Epigrammen und solchen Epitaphen, welche die Stimme des Toten thematisieren. Denn implizit wird durch die Behauptung, dem Kunstwerk fehle »nur die Stimme«, auf das Epigramm selbst als »Ersatz« dieser Stimme hingewiesen (vgl. Männlein-Robert 2007b, z. B. 271: »Of course, the voice of the dumb painting of Salmoneus becomes audible – or rather visible – only through the (written) epigram«); entsprechend wird die Stummheit des Todes, die in den Epitaphen thematisiert wird, durch die »Stimme« der Ich-Rede in gewisser Weise aufgehoben. 141 Zum Topos der Unbeweglichkeit der Statue s. Kassel 1983, 1; vgl. Lukillios AP 11, 85 und 259. 142 S. u. S. 212. 143 Weinreich 1948, 78. 144 Vgl. Lib. Or. 64, 118 (unten auf S. 212 im Zusammenhang zitiert) τελευτῶσι δὲ εἰς ἀκίνητον στάσιν ὥσπερ κεκολλημένοι, μετὰ δὲ τῆς στάσεως ἡ εἰκὼν ἀπαντᾷ. 145 Vgl. Plut. Mor. 748a, der das Diktum des Simonides abwandelt und Dichtung als φθεγγομένη ὄρχησις bezeichnet. Nonnos und Aristainetos vergleichen den Tänzer mit dem Maler und dem Dichter (Stellen bei Lada-Richards 2004, 19 f.). Gleichwohl nimmt, aus der Sicht des Schriftstellers Achilles Tatios, trotz dieser neuen »Konkurrenz« die Literatur weiterhin die erste Stelle ein, da sie alle anderen mimetischen Künste umfasst (Zimmermann 1999, 75 f.).

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men auf Pantomimen erscheinen drei mimetische Künste: Tanz, bildende Kunst und Dichtung, und man kann vermuten, dass hier nicht zuletzt der »Wettstreit« dieser Künste um die angemessene Wiedergabe eines Gegenstands thematisiert wird. Dass gerade die Pantomimenkunst in Konkurrenz zur Dichtung gesehen werden konnte, zeigt eine Passage aus Cassiodor (Variae ed. Mommsen 4, 51, 9):146 tunc illa sensuum manus oculis canorum carmen exponit et per signa composita quasi quibusdam litteris edocet intuentis aspectum, in illaque leguntur apices rerum et non scribendo facit quod scriptura declaravit. Dann stellt jene Hand, voll von Bedeutungen, den Augen ein klingendes Gedicht dar und unterrichtet durch wohlgeordnete Zeichen, gleichsam wie durch Buchstaben den Blick des Betrachtenden, und in jener liest man die Schriftzüge der Dinge und durch das Nicht-Schreiben bewirkt sie, was die Schrift erläutert.

Das Problem der Nachahmung stellt sich aber nicht nur »horizontal«, als Wettstreit der mimetischen Künste untereinander, sondern auch »vertikal«, in­sofern das ekphrastische Pantomimenepigramm ein Kunstwerk nachahmt, das eine Person nachahmt, die selbst im Leben einerseits die »früheren Sterblichen« nachahmte, andererseits im Erstarren auf der Bühne selbst als Statue erschien. Ein solches Spiel mit den »mimetischen Ebenen«, für das sich gerade Beschreibungen von Pantomimen besonders zu eignen scheinen, konnte durchaus noch pointierter betrieben werden: Am weitesten geht hier Lukillios (AP 11, 253), der ein Epigramm auf die Statue eines Pantomimen dichtet, der selbst so steif ist, dass er Niobe perfekt nachahmt;147 es ist also ein Epigramm auf eine εἰκών eines Pantomimen, der eine εἰκών der Niobe ist, die wiederum eine εἰκών ihrer selbst ist. Bezeichnenderweise nennt Lukillios den Pantomimen nicht das Abbild (εἰκών) der Niobe, sondern vielmehr ihr lebendiges Vorbild (ἔμπνοον ἀρχέτυπον). Durch diese Zuspitzung scheint Lukillios den Wettstreit der mimetischen Künste geradezu ad absurdum zu führen. Ein Spiel mit der Gleichsetzung der Mimesis des bildenden Künstlers und des Pantomimen scheint auch weiteren Epigrammen auf Pantomimen zugrunde zu liegen.148 So beginnt ein Epigramm des Antipater von Thessalonike (AP 16, 290, 1 = GPh 503) auf den Pantomimen Pylades mit den Worten Αὐτὸν βακχευτὴν

146 Vgl. auch (allg. zum Tanz) 4, 51, 8: His sunt additae orchestarum loquacissimae­ manus, linguosi digiti, silentium clamosum, expositio tacita, quam Musa Polymnia repperisse narratur, ostendens hominem posse et sine oris affatu suum velle declarare. 147 Der Niobemythos gehörte zum Standardrepertoire des Pantomimentanzes, s. Molloy 1996, 280; Weinreich 1948, 84–97. 148 Diese Gleichsetzung ist überhaupt ein Element des spätantiken Kunstdiskurses, vgl. Lib. Or. 64, 116 (vgl. Lada-Richards 2004, 20 f.).

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ἐνέδυ θεόν. Weinreich (1948, 55) macht darauf aufmerksam, dass hier der Pantomime in die Haut des Gottes schlüpft, was eine Umkehrung des bakchischen Enthusiasmos darstellt. Doch die Beschreibung passt nicht nur auf die schauspielerische Imitation, sondern erinnert auch an den Topos der Lebensechtheit des Kunstwerks: mit ἐνέδυ vgl. Anon. AP 16, 246 ἢ Σάτυρος τὸν χαλκὸν ὑπέδραμεν, ἢ διὰ τέχνης / χαλκὸς ἀναγκασθεὶς ἀμφεχύθη Σατύρῳ.149 Auffällig ist die Anfangsstellung des αὐτόν, die auch in der anonymen150 Imitation des Antipater-Epigramms beibehalten wird (AP 16, 289 Αὐτὸν ὁρᾶν Ἰόβακχον ἐδόξαμεν). Es ist ein Topos der ekphrastischen Epigramme, die Statue zu Beginn des Gedichts als αὐτὸν τὸν δεῖνα »gerade die Person selbst« zu bezeichnen; zum ersten Mal vielleicht bei Nossis (AP 6, 353, 1 = HE 2819 Αὐτομέλιννα τέτυκται).151 Dabei wird auch mit der Lesererwartung gespielt, denn die Er­ öffnung der Gedichte auf Pylades lässt den Leser zunächst erwarten, er lese ein Epigramm auf ein Bildnis des Dionysos. Ein längeres Epigramm auf einen Pantomimen, in dem verschiedene Aspekte der Pantomimentopik aufgenommen zu sein scheinen, ist inschriftlich erhalten (SGO 09/11/02, Herakleia Pontike, 2./3. Jh. n. Chr.):152

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ἔσχατα μερόπων δώματα καὶ τείχεα τύμβοι πιστότερα δόμων σώμασιν δακρύων παραθῆκαι, ἄφθορα νεκύων κτήματα τὰ μόνα παραμένοντα, σειγῆϛ πόλιϛ, οἶκοϛ ἴδιοϛ ἡ μένουσα κοίτη, ᾗ παρατίθεται τὸ κάλλοϛ ἰσφέρουσα μορφή καὶ οὐκέτι μεθ᾽ ὕπνουϛ ἀπέλαβε, ἀλλὰ γέγονε γυμνή. τίϛ πέλαϛ ὁ τάφοϛ, καὶ τίνα κατέχει νέκυν ἔνοικον; [σ]τυγνὰ τροπαῖα βίου, λελυμένα π✴ ηγνυμένων σημεῖα, νεκύων στῆλαι, ῥήματα θανόντων, τοῖϛ ἀλάλοισι λαλήσατε γράμμασι· τίϛ βροτόϛ ὧδε κατέλιπεν ὄνομα τὸ σῶμα προδαπανήσαϛ; Κρίσποϛ Φαρίηϛ γῆϛ σταχυητρόφου τε Νείλου ὑπὸ σήματι τῷδε κρύπτεται θανὼν πολείτηϛ, τῆϛ ἐνρύθμου τραγῳδίαϛ στέφοϛ λαβὼν τὸ πρῶτον. τὸν χειρονομοῦντα θαυμάσαϛ καὶ δοξάσαϛ ὁ κόσμοϛ ἄνθοϛ χρύσεον τῶν ἰδίων εἶδε θεάτρων· οὗ λαμπομένην [τ]ὴν χάριν ἔσβεσεν ἀδοκήτως ὁ τρισὶν δεκάσιν πληρουμέναις λιπὼν ἐνιαυτός. 149 Das Verb ὑποδύειν beschreibt eine Metamorphose in Stesich. PMG 236; vgl. auch Kallistr. Ekphr. 11, 2 ἄμοιροϛ δὲ ὢν πνεύματοϛ καὶ τὸ ἔμπνουν ὑπεδύετο. 150 Nach Weinreich 1948, 67 gehört sie noch in den Philipposkranz. 151 Weitere Beispiele: AP 7, 565; 9, 586; 9, 711; 16, 121; 16, 179; 16, 326 usw. Im Latei­ nischen vgl. Mart. 1, 109, 18 f. auf ein Bild (tabella) des Hundes Issa (~ipsa): in qua tam similen videbis Issam, / ut sit tam similis sibi nec ipsa. 152 Şahin 1975; Robert 1981, 40–1; SEG 31:1072; Palumbo Stracca 1994; Garelli 2007, 433–9; Jonnes, IK 47, 9.

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Das letzte Haus und die letzten Schutzmauern der Menschen sind die Gräber; sie sind ein treuerer Platz als die Häuser, um die Tränen über die Leichen dort niederzulegen, sind unvergänglicher Besitz der Toten, das was allein bei ihnen bleibt. Eine Stadt des Schweigens, ein eigenes Haus ist die feststehende Ruhestätte, in welcher die Gestalt bestattet wird, nachdem sie die (vergängliche) Schönheit hineingetragen hat; und nach dem Todesschlaf erhält sie sie nicht zurück, sondern ist nackt geworden. Was ist das für ein Grab und wer ist der Tote, der es be­­wohnt? Ihr hassenswerten Denkmäler des Sieges über das Leben, ihr aufgelösten Zeichen der Erstarrenden, ihr Grabstelen der Toten, Worte der Toten, sprecht mit sprachlosen Buchstaben: Welcher Mensch hat hier seinen Namen hinterlassen, nachdem er vorher seinen Leib verbraucht hat? Der Tote Krispos, Bürger des pharischen Landes und ährentragenden Nils, ist unter dem Grabmal verborgen, er, der den ersten Siegeskranz der rhythmi­­schen Tragödie [i. e. der Pantomimenkunst] gewonnen hat. Die Welt hat den Pantomimen bewundert und gerühmt und als goldene Blüte ihrer Theater gesehen; seine glänzende Anmut hat das Jahr, das die Erfüllung dreier Jahrzehnte nicht erreichte, unvermutet ausgelöscht. (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

Das Gedicht lässt sich in drei Teile gliedern: der erste Teil (1–6) ergeht sich in einer allgemeinen, aus einer Reihe von Nominalsätzen bestehenden153 Beschreibung des Gräberfeldes als letzter Wohnstätte der Toten. Daraufhin (7–11) verengt sich der Blick auf das Denkmal des Krispos: das Grab wird aufgefordert, Auskunft über dessen Identität zu geben.154 Im dritten Teil (12–18) wird Krispos’ Herkunft, sein Beruf und Erfolg darin, schließlich sein Alter genannt. Das Gedicht ist im Großen und Ganzen155 in Sotadeen verfasst, einem Metrum, das zwar bisweilen in Inschriften begegnet,156 das aber, wie der Erstherausgeber Şahin bemerkte, offenbar wegen seiner Vielgestaltigkeit und Be 153 Zu erwägen wäre im Hinblick auf V. 8 f. auch eine Aufzählung (so Jonnes IK 47, 9), dann entweder als Anruf im Vokativ (οἶκος Nom. pro Vok., s. hierzu Schmidt 1968, 89–95) oder im Nominativ des Ausrufs (s. Kühner/Gerth I 46, 3). 154 Die Anrede des Grabmals im »poetischen Plural« (τροπαῖα, στῆλαι) führt die allgemeinen Betrachtungen des ersten Teils weiter: der Wanderer wendet sich an das gesamte Gräberfeld, erwartet aber nur von einem Stein Auskunft. Zum Verfahren, einen bestimmten Grabstein im Plural zu apostrophieren, vgl. S. 134 Anm. 100. 155 D. h. wenigstens einige der Verse sind regelmäßige Sotadeen (1–5, 11–3, 16–8). Auf die Probleme soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Bemerkungen zur metrischen Struktur bei Garelli 2007, 434 f.; Seng 1993, 107 Anm. 33; eine metrische Analyse bei Palumbo Stracca 1994, 231–3. 156 So auch in Bernand 108 (Xoïs, Ende 2.  Jh. n. Chr.); 168 (Talmis, 1.  Jh. n. Chr. [zur Datierung Mairs 2013, 291 f. Anm. 22]); wahrscheinlich auch in SGO 01/12/24 (Halikarnassos, undatiert); die Vermutung von Merkelbach/Stauber, das fragmentarische SGO 09/14/98 (Bithynien, frühe Kaiserzeit) enthalte »wohl Sotadeen«, wird durch eine metrische Analyse der Reste kaum bestätigt.

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weglichkeit als einem Pantomimen besonders angemessen empfunden wurde.157 Vielleicht kann man aber darüber noch hinausgesehen: Üblicherweise wird das Metrum mit der Figur des Kinäden, eines orientalischen, effeminierten, moralisch fragwürdigen Tänzers assoziiert,158 und die Überreste sotadeischer Dichtung, die uns erhalten sind,159 zeigen, dass dieser Zusammenhang zwar nicht zwingend gegeben war  – in Sotadeen wurde z. B. auch Moralphilosophisches verkündet  – aber doch öfters aufrechterhalten wurde, etwa in der Parodie in Lukians Podagra, in der ein Chor von Galli auftritt, die allerdings nicht in Diensten der Kybele, sondern der Göttin Podagra stehen (s. u. S. 221 f.). Pantomimen, Kinäden und Galli sind nun in verschiedener Hinsicht miteinander »verwandt« und nicht streng voneinander zu trennen, so dass Williams von einem »conceptual continuum« spricht:160 Alle stammen ursprünglich aus dem orientalischen Bereich, alle galten gemeinhin als effeminiert.161 Pantomimen sind Tänzer, Galli tanzen sich in Ekstase; auch Kinäden sind dem Ursprung nach Tänzer, auch wenn dieser Begriff bereits früh überhaupt einen gender deviant, einen von der männlichen Verhaltensnorm Abweichenden bezeichnen konnte und insofern auch für Pantomimen und Galli benutzt wurde.162 Als Instrument benutzen die Galli ein Tympanon oder Tamburin, wie auch die Kinäden. Der Pantomime Aristagoras erhält für einen »Gallos«Tanz den Beifall des Publikums.163 Ein augenfälliges Beispiel für den fließenden Übergang der drei Konzepte bietet der Auftritt des Kinäden in der Quartilla-Episode Petrons (23, 3): Intrat cinaedus, homo omnium insulsissimus et plane illa domo dignus, qui ut infractis manibus concrepuit, eiusmodi carmina effudit: »huc huc convenite nunc, spatalocinaedi, pede tendite, cursum addite, convolate planta, femore facili, clune agili, [et] manu procaces, molles, veteres, Deliaci manu recisi.«

157 Şahin 1975, 294. Sotadeen wurden entweder von Tanz begleitet (P.Oxy. 413, 88–91) oder gestisch untermalt vorgeführt (Hunter, OCD s. v. cinaedic poetry). Es wäre eine an­ sprechende Vermutung, dass Sotadeen bisweilen in Libretti für Pantomimenaufführungen verwendet wurden, auch wenn wir über solche Libretti so gut wie nichts wissen (Hall 2008a, 25–33); für die Hypothese, bei Catulls (im metrisch verwandten Galliambus verfassten) Attis­gedicht handle es sich um eine Art Pantomimenlibretto s. u. S. 224 Anm. 212. 158 Strab. 14, 1, 41; Ath. 14, 620e-f. 159 Einen Überblick bieten Hendriks/Parsons/Worp 1981, 76–8. 160 C. Williams 2010, 196; das Folgende nach C. Williams 2010, 193–7. 161 Zur Effeminierung des Tänzers vgl. auch Theocharidis 1940, 34–7; Jory 1996, 11. 162 Zur Beschreibung des Kinäden als gender deviant s. C. Williams 2010, 230–9. 163 S. Weinreich 1948, 12–6, der an den »Attismythos in weiter Ausdehnung oder eine alexandrinische Dichtung aus dem Kybelekreis« denkt (15). Zur Beliebtheit des Gallusthemas als Pantomimenstoff s. Suet. Aug. 68.

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Da tritt ein Kinäde ein, ein Kerl ohne jeglichen Witz und Geschmack und dem Niveau jenes Hauses gerade entsprechend, der, wie er mit schlaffen Händen klatschte, solcherlei Lieder ausgoss: »Hierher, hierher, kommt nun schnell, schamlose Kinäden, eilt mit dem Fuß, beschleunigt den Lauf, fliegt auf der Sohle herbei, mit leichtem Schenkel, beweglichem Hintern, flink mit der Hand, Weichlinge, Routinierte, von des Delischen Hand Entmannte.

Williams hat gezeigt, wie hier und im Fortgang der Erzählung nicht nur die Sexualität der Kinäden, sondern auch ihr Auftreten als Tänzer sowie ihre Nähe zu den kastrierten Galli (Deliaci manu recisi) hervorgehoben wird.164 Man kann hinzufügen, dass durch den zweimaligen Verweis auf die Hände (manibus infractis, manu procaces) vielleicht auch eine Nähe zum Pantomimen suggeriert wird, der ja mit seinen Händen die größte Wirkung erzielt (t. t. χειρονομεῖν).165 Diese Entsprechungen legen es nahe, dass das Versmaß in der Grabinschrift nicht nur um seiner Tanz nachahmenden Beweglichkeit gewählt wurde, sondern auch, um den Bestatteten als einen vir mollis zu charakterisieren. Vielleicht darf man den »asianischen Stil« der Inschrift (Palumbo Stracca 1994, 227), der im Folgenden noch näher erläutert werden soll, ebenfalls in dieser Weise deuten. Wenn dies in einem Grabepigramm thematisiert wird, folgt daraus, dass eine solche Beschreibung nicht zwangsläufig ehrenrührig war – die mollitia des Tänzers machte offenbar gerade seine Attraktivität aus.166 Die Grabinschrift führt uns also im tänzelnden Schwung des Metrums und seiner Assoziation mit einem bestimmten Personentypus das Leben des Kris­ pos nochmals vor Augen. Überhaupt scheint wieder der Aspekt der Kontinuität in diesem Epigramm eine wichtige Rolle zu spielen. Vielleicht darf man in der Hervorhebung des Schweigens (σειγῆς πόλις 4) schon einen Verweis auf die Pantomimenkunst sehen. Ein deutlicher Fingerzeig jedenfalls liegt in der Auffor­   

164 C. Williams 2010, 195; auch er hebt, wie Şahin für die Inschrift, die tänzerische Qualität der Sotadeen hervor. 165 Zur Bedeutung der Hände im Pantomimos s. Weinreich 1948, 140–5, der allerdings auch hervorhebt, dass die Hände im Tanz allgemein eine wichtige Rolle spielen. Vgl. auch SEG 28:522, Larisa, 2. Jh. n. Chr. (auf einen Pantomimen), 3 χειρσὶν ἐμαῖς πλάσσων δὲ θεῶν τ[ύ]πον. 166 Zu ihrer Anziehung vgl. die Polemik von Cyprian (Ad Donat. 8 plusque illic placet, quisque virum in feminam magis fregerit; Spect. 6 propter unum nescioquem nec virum nec feminam commovetur civitas tota); das allgemeine Phänomen kommt zum Ausdruck im Ausspruch des Kritias κάλλιστον ἐν τοῖς ἄρρεσι τὸ θῆλυ (Dion Chr. 21, 3); vgl. auch den Lobpreis weiblicher Schönheit für Adonis, Nireus etc. bei Jax 1933, 129 ff.; zur erotisierenden Wirkung weibliche Rollen darstellender Pantomimen auf Frauen vgl. Iuv. 6, 63–6. Auch umgekehrtes gender-bending faszinierte den Zuschauer, wie im Fall der als Hektor auftretenden Pantomimin Helladia (Leontios Scholastikos AP 16, 287), die beim Zuschauer πόθος καὶ δεῖμα erregt. Zu möglichen positiven Konnotationen von mollitia s. Edwards 1993, 95–7. Die Diskrepanz der Quellen hinsichtlich der Beurteilung von Pantomimen mag jeweils unterschiedliche Sichtweisen der Eliten und des Volkes widerspiegeln.

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derung an die Stelen, über den Toten mit »sprachlosen Buchstaben zu sprechen« (τοῖς ἀλάλοισι λαλήσατε γράμμασι 10). Dem Topos des stummen Sprechens sind wir bereits nachgegangen; dass er aber hier im Epitaph eines Pantomimen begegnet, scheint darauf anzuspielen, dass die Kunst eines Pantomimen gerade darin bestand, durch seine Gestik und seinen Tanz eine Geschichte darzustellen, sie stumm zu »erzählen«. In der Tat wird das Paradox des stummen Sprechens auch auf die Pantomimenkunst angewandt,167 wodurch auf eine Parallele zwischen epigrammatischer Dichtung und Pantomimos hingewiesen wird.168 In den Versen, in denen das Grabmal apostrophiert wird, findet sich die noch nicht recht verstandene Junktur λελυμένα τηγνυμένων σημεῖα. Merkelbach/ Stauber, die einen konservativen Editionsstil vertreten,169 halten als Einzige am überlieferten τηγνυμένων als Form eines bisher unbelegten Verbes τήγνυμι fest, das sie als Variante von τήκω deuten, und übersetzen »ihr aufgelösten Zeichen der Zerschmelzenden«, ohne die Bedeutung dieser Wendung weiter zu­ erklären. Falls hier konkret an das Verrotten des Leichnams zu denken wäre, ergäbe sich ein paralleler Gedanke: wie die Inschrift »in Buchstaben aufgelöst ist«, so ­lösen sich die Toten unter der Erde auf. Şahin, Palumbo Stracca, Garelli und Jonnes ändern zu π✴ ηγνυμένων. Şahin übersetzt »ihr aufgelösten Wahrzeichen der zu Stein Gewordenen« (erklärt aber wiederum nicht, was er unter den aufgelösten Wahrzeichen versteht); Palumbo Stracca (1994, 228–30) führt eine Reihe von Parallelen an, die das Motiv der Erstarrung sowie die Gleichsetzung des ­Toten mit einem Stein erläutern und so auch als Ergänzung zu Şahin dienen können;170 letztlich entscheidet sie sich aber, aufgrund der sich so ergebenden Antithese, für die Bedeutung »conficcare (sc. nella terra)« und übersetzt »segni liberi di coloro che vengono sotterrati«. Gleichwohl wird auch hier nicht recht verständlich, was mit den »segni liberi« gemeint ist.

167 Vgl. folgendes Distichon auf Polyhymnia, die Muse des Tanzes und des Pantomimus (Anon. AP 9, 505, 17 f.) σιγῶ φθεγγομένη παλάμης θελξίφρονα παλμόν / νεύματι φωνήεσσαν ἀπαγγέλουσα σιωπήν; Cassiodor, Var. 4, 51, 8 silentium clamosum, expositio tacita; AL2 111, 10 (auf einen Pantomimen) ore silenti loqui. Weiteres bei Weinreich 1948, 116 Anm. 1a; ähnlich Lukian. Salt. 62 δεῖ τὸν θεώμενον ὄρχησιν καὶ κωφοῦ συνιέναι καὶ μὴ λαλέοντος τοῦ ὀρχηστοῦ ἀκούειν. Ein verwandter Topos ist das Sprechen mit der Hand: IG XIV 2124 (Rom?, undatiert = Kaibel 608), 2 f. χειρσὶν ἅπαντα λαλήσας; Nonn. Dion. 5, 106 φθεγγομένη παλάμῃσι; Quint. Inst. 11, 3, 85–7; weiteres bei Weinreich 1948, 144–5. 168 Dieser Gedanke wurde bereits von Webb 2008, 148 vorbereitet, doch geht sie nicht weit genug und sieht die Entsprechung lediglich zwischen der Schweigsamkeit der Buchstaben und dem stummen Spiel des Pantomimen. Ein impliziter Vergleich des stumm-sprechenden Bildes des Pantomimen Bathyllos mit dessen Kunst ist vielleicht angestrebt in Anacreontea 17, 25 f. ὁ κηρὸς αὐτὸς ἐχέτω λαλῶν σιωπῇ (Weinreich 1948, 82 Anm. 1). 169 S. SGO I S. VI. 170 Dieser wies nur auf Antiph. Fr. 166, 7 Kock (= Fr. 164, 7 K.-A.) hin, wo eher von einer Schreckstarre die Rede ist.

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Zunächst einmal ist festzuhalten, dass für die Änderung zu π✴ ηγνυμένων neben der Herstellung eines bekannten Verbs durch bloßes Hinzusetzen einer Haste auch die Tatsache spricht, dass die sich so ergebende Antithese zu λελυμένα gut zum Gesamtcharakter des Gedichts passt (vgl. die antithetischen Wendungen ἄφθορα νεκύων κτήματα 3, σειγῆς πόλις 4, ῥήματα θανόντων 9, τοῖς ἀλάλοισι λαλήσατε γράμμασι 10). Der hier benötigte Sinn scheint in einem der von Palumbo Stracca angeführten Beispiele vorzuliegen (GVI 1942, Tomis, 2./3. Jh. n. Chr., 3 f.): ἀλλ᾽ ὁ θανὼν κεῖται πεδίῳ λίθος οἷα πεπηγὼς εἰχώρων ἁπαλῶν σάρκας ἀποσκεδάσας. Sondern der Tote liegt in der Ebene, erstarrt wie ein Stein, und hat das aus zartem Ichor bestehende Fleisch abgeworfen.

Das Erstarren wäre demnach als Auflösung der weichen Teile des Körpers zu verstehen. Vergleichen lässt sich ebenfalls der kurze poetische Text einer Inschrift aus Perinthos-Herakleia (Perinthos-Herakleia 146, 1./2. Jh. n. Chr., 8–18): καὶ τί τὸ χαῖρειν, ὦ παροδεῖται; ταῦτ᾽, ὁς ὁρᾶται [i. e. ὡς ὁρᾶτε], ὁ βίος· τέττειξ κελάδων παύσατον [i. e. ἐπαύσατο] εὐθύς, ἤνθησε ῥόδον εὐθὺς μεμάρανται, ἀσκὸς δέδετο, λύθη, πνεῦμα ἀπέδωκε· βροτὸς ὢν λαλέει νέκυς ὢν ἐπάγη, ψυχὴ φέρετε κἀγὼ λέλυμε. Wozu dass »Lebe wohl!«, ihr Wanderer? Dies ist, wie ihr seht, das Leben: Die Zikade, die einst zirpte, hörte sogleich auf, es erblühte die Rose, sofort ist sie verwelkt, der Schlauch war gebunden, er wurde gelöst, gab seine Luft ab: Als Mensch spricht er, als Leichnam ist er erstarrt, die Seele enteilt, und ich bin aufgelöst.

Diese auf den ersten Blick recht disparate Liste verschiedener Lebensläufe scheint das menschliche Leben als Parallele zu den zuerst genannten Dingen zu verstehen: das kuriose Bild vom Schlauch, dem beim Aufbinden die Luft entweicht, ist offenbar als Parallele zum Verlust des πνεῦμα, des Lebensatems gesetzt, wobei λύειν sowohl auf den Schlauch (λύθη) wie auf den Toten (λέλυμε) bezogen werden kann.171 Die verwelkende Rose oder Blume als Todesmetapher ist aus anderen Grabepigrammen bekannt.172 Und insofern er im Leben spricht und im Tod erstarrt, ähnelt der Mensch der Zikade, die im Leben singt, die allerdings dem Mythos nach nicht aufhört zu singen, sondern singend immer weiter altert und schließlich erstarrt.173 Auch in diesem Grabgedicht ist dem-

171 Vgl. außerdem Petron. 42 utres inflati ambulamus. 172 Lattimore 195–8. 173 King 1986.

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nach der Tod als Erstarrung beschrieben, und die Änderung zu π✴ ηγνυμένων wird so verständlich.174 Gleichwohl wird in diesen Beispielen der Prozess der Erstarrung des Toten als bereits abgeschlossen betrachtet, wogegen in π✴ ηγνυμένων nach Maßgabe des Tempus ein andauernder Vorgang ausgedrückt ist. Diese Akzentverschiebung erscheint dann sinnvoll, wenn sich so wieder ein Bezug auf die Pantomimenkunst selbst ergibt, wie wir ihn ja bereits für die Antithese τοῖς ἀλάλοισι λαλήσατε γράμμασι festgestellt haben. Hier ist eine Stelle aus Libanios aufschlussreich (Or. 64, 118): πότερον δὲ ἄν τις ἀγασθείη μειζόνως τὴν τῆς περιφορᾶς ἐν πλήθει συνέχειαν ἢ τὴν ἐξαίφνης ἐπὶ τούτῳ πάγιον στάσιν ἢ τὸν ἐν τῇ στάσει τηρουμένον τύπον; ὡς μὲν γὰρ ὑπόπτεροι περιάγονται, τελευτῶσι δὲ εἰς ἀκίνητον στάσιν ὥσπερ κεκολλημένοι, μετὰ δὲ τῆς στάσεως ἡ εἰκὼν ἀπαντᾷ. πόνος δὲ μείζων ἕτερος συγκαταλῦσαι τῷ ᾄσματι. τοσοῦτος τοῦ μέτρου λόγος ἐν ὀρχησταῖς. Soll man eher die dichte Folge ihrer Wirbel oder die plötzlich darauf folgende erstarrte Pose oder das in der Pose ausgedrückte Kunstwerk bewundern? Denn wie beflügelt eilen sie umher, enden aber in einer unbeweglichen Pose wie festgeklebt, und nach dem Stehenbleiben zeigt sich das Bildnis. Eine weitere, noch größere Mühe ist es, gleichzeitig mit dem Gesang zu enden. So wichtig ist die Berechnung des Maßes für die Tänzer.

Die πάγιος στάσις, das Erstarren auf der Bühne in bestimmten Posen, welche berühmte Sujets der bildenden Kunst nachahmten, gehörte, wie auch aus anderen Quellen bekannt ist,175 zu den charakteristischen Merkmalen der Pantomimenkunst. Das Wort πήγνυμι, das demnach sowohl das berufsmäßige Erstarren wie auch die Erstarrung des Leichnams bezeichnen kann,176 ist daher geeignet, die condicio mortis mit dem Leben des Toten zu verbinden: Die Erstarrung des Leichnams ist hier gedeutet als letzte Pose des Pantomimen. Im Speziellen vergleichbar ist hier ein Topos in Epigrammen auf Schauspieler, der besagt, dass der Tote bereits oft den Bühnentod gestorben war, »nie aber so«.177 174 Vgl. außerdem Acta Joannis 3, 17 τὸν γὰρ παγέντα καὶ ταφέντα τοῦτον ὡς ἐκ νεκρῶν ἀναστάντα δοξολογοῦσιν. 175 S. AL2 111, 7 pugnat, ludit, amat, bacchatur, vertitur, adstat: Das Erstarren steht, unmittelbar nach dem durch die Asyndese vermittelten Herumwirbeln, pointiert am Ende des Verses; vgl. auch Lada-Richards 2004, 20–5. 176 Die von Palumbo Stracca beigebrachten Belege für das Erstarren der Niobe (Bassus AP 7, 386, 2 = GPh 1604; Mel. AP 16, 134, 12 = HE 4721) sind hilfreich, weil der Niobemythos zum Repertoire der Pantomimen gehörte (s. o. Anm. 147) und in ihm das Erstarren zur Statue bereits im Sujet gegeben ist. 177 Anon. AP 7, 155, 3 f. (= GVI 433) ἐνταῦθα κεῖμαι, λείψανον παντὸς βίου, πολλάκις ἀποθανών, ὧδε δ᾽ οὐδεπώποτε; GVI 675, 4 (Aquileia, 3. Jh. n. Chr.) πολλάκιϛ ἐν θυμέλαιϛ ἀλλ᾿ οὐχ οὕτω δὲ θανούσῃ; CIL III 3980, 5 f. aliquotiens mortuus sum set sic numquam. Die genannten Beispiele sind gesammelt bei Prauscello 2004, 57 f.

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Es bleibt die Erklärung von λελυμένα; hier folge ich Merkelbach/Stauber und Garelli, die σημεῖα nicht, wie in einem Epitaph wohl zunächst zu erwarten, auf das Grabmal, sondern auf die Buchstaben der Inschrift beziehen; so ergibt sich in den Versen 8 f. ein Parallelismus, indem das erste und das dritte Glied der Aufzählung, τροπαῖα und στῆλαι, sowie das zweite und das vierte, σημεῖα und ῥήματα, einander entsprechen. Die bereits genannten Übersetzungsvorschläge von Şahin und Palumbo Stracca für λελυμένα σημεῖα wurden von ihnen nicht weiter erläutert; Merkelbach/Stauber erklären im Apparat, der Name des Toten sei »in Buchstaben aufgelöst«, ohne allerdings Parallelen für einen solchen Gebrauch des Wortes oder die Vorstellung, etwas sei in Buchstaben »aufgelöst«, zu bieten. Garelli schlug vor, die Buchstaben seien »libres et capables de parler« – im Gegensatz zum schweigenden Toten;178 dagegen scheint zu sprechen, dass der Leser durch die Antithese von λελυμένα und πηγνυμένων weniger auf den Gegensatz von Redefreiheit und Schweigen, sondern eher auf den Gegensatz von Beweglichkeit und Unbeweglichkeit hin gelenkt wird. Hier soll dagegen versucht werden, λελυμένα mit dem Metrum und, wie bereits πηγνυμένων, mit dem Beruf des Toten in Beziehung zu setzen. Wie sich zeigen wird, deckt das Verb λύω in diesem Zusammenhang einen Komplex verschiedener, aber zusammengehörender Bedeutungen und Vorstellungen ab, der im Folgenden entwickelt werden soll. Der versus Sotadeus galt als »verweichlichter« Vers zum einen, weil er von Personen vorgetragen wurde, die gemeinhin als effeminiert galten, aber auch, weil man im Metrum selbst, in seinem Rhythmus etwas Weichliches zu erkennen meinte. Syrianus (I, S.  47 Rabe), der diesen Charakter in allen ionischen Metren wahrnahm, führt ihn auf die traditionell postulierte Effeminierung der Ionier als Erfinder der Metren zurück. Dass das Sotadeum diese besonders anschaulich verkörperte, zeigt ein Testimonium zu Longin, der die Ionici a maiore zunächst allgemein als μαλακὸν καὶ τρυφερώτατον beschreibt, und dann hinzufügt, dass gerade auch Sotades dieses Metrum benutzte.179 Demetrios und Dionysios von Halikarnassos verweisen in diesem Zusammenhang auf Sotades’ Umdichtung der Ilias: Während Dionysios allgemein beschreibt, wie sich trotz Beibehaltung von Inhalt und Vokabeln allein durch das Metrum eine Änderung von χρώματα und ἤθη ergibt, vergleicht Demetrios diese metrische Umstellung mit mythischen Geschlechtsumwandlungen von Männern in Frauen.180 178 Garelli 2007, 437. 179 Long. Fr. 46 P.-B. 180 Dion. Hal. Comp. 4, 5; Demetr. Eloc. 189. Interessanterweise zitiert Demetrios als Beispielvers die Umdichtung von Il. 22, 133 σείων Πηλιάδα μελίην κατὰ δεξιὸν ὦμον; der Eschenspeer des Achill war die Waffe, mit der Patroklos nicht umgehen konnte (Il. 16, 143) und die Asteropaios nicht zerbrechen konnte (Il. 21, 178), also ein Sinnbild heroischer Stärke, das nun durch die Umdichtung doch noch »zerbrochen« wird. Achill erscheint auch bei Varro als Vertreter des heroischen Verses und Gegenbild des Kinäden (Men. 357 maerentis ut

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An zwei Stellen in den Grammatici Latini wird die mollitia des versus Sotadeus näher erläutert. Marius Victorinus (GLK VI 131, 6–10) sieht in der Vielzahl der Metren, die der Sotadeus zulässt, die Ursache dafür, dass er mollis und lubricus ist. Bei Caesius Bassus (GLK VI 255, 3–9) ist es das Einfügen von Tribracheis, die den Vers als noch mollior erscheinen lassen. Hiermit vergleichen lässt sich eine Ausführung bei Diomedes (GLK I 514, 16–8), der hinsichtlich des dem Sotadeus verwandten Galliambus mitteilt, er sei noch weichlicher (enervatius et mollius), wenn die zweit- oder drittletzte Silbe in eine Doppelkürze aufgelöst wird. Neben der Charakterisierung des Versmaßes als »weichlich« finden sich auch Begriffe wie »zerbrochen« oder »aufgelöst«: Im bereits angeführten Kapitel (Eloc. 189) spricht Demetrios von »zerbrochenen und unwürdigen« Metren wie gerade den Sotadeen (τοῖς κεκλασμένοις καὶ ἀσέμνοις μέτροις, οἷα μάλιστα τὰ Σωτάδεια). Die spätantiken Kirchenschriftsteller, die das häretische, wohl in Sotadeen verfasste Gedicht »Thaleia« des Areios beschreiben, sprechen allgemein von der Aufgelöstheit des Metrums. So sagt Athanasios (Synod. Armin. 15), dass Areios das ἦθος und die ἔκλυσις τοῦ μέλους des Ägypters Sotades nachahme. An anderer Stelle (Or. Arian. 1, 4, 3) spricht er von der Form des Gedichts ἐν ἐκλύτοις καὶ παρειμένοις μέλεσιν. Gregor von Nyssa (Contr. Eun. 1, 17) nennt die Verse »trippelnd und gebrochen«, τὰ βλακώδη ταῦτα καὶ παρατεθρυμμένα σωτάδεια, und Sokrates (Hist. Eccl. I 9) beschreibt das Gedicht so: ἔστι δὲ ὁ χαρακτὴρ τοῦ βιβλίου χαῦνος καὶ διαλελυμένος τοῖς σωταδείοις ᾄσμασιν ἤτοι μέτροις παραπλήσιος, und ihm folgt Sozonius (Hist. Eccl. I 21): διαλελυμένος τίς ἐστιν ὁ χαρακτήρ, ὡς ἐμφερής εἶναι τῇ χαυνότητι τοῖς Σωτάδου ᾄσμασιν. Diese Begriffe sind hier prägnant zu verstehen: Sie bezeichnen einerseits eine Eigenschaft des Versmaßes an sich, nämlich den scheinbar irregulären, erra­ tischen Wechsel von Längen und Kürzen;181 andererseits ist es auffällig zu beobachten, dass diese Adjektive auch weithin in Verbindung mit den Personen gebraucht werden, die mit dem Versmaß assoziiert werden. Einschlägig ist hier zunächst die Beschreibung des κίναιδος in den pseudoaristotelischen Physiognomonica, einem Werk des 4. Jh. v. Chr. (808a13–17): quietus ac demissior probandus, Ἀχιλλέως ἡρωικός, ἰωνικὸς κιναίδου). Der Hinweis auf die mythischen Verwandlungen erinnert an die Tatsache, dass die Tänzer auf der Bühne Frauen­ rollen darstellten, und an die bisweilen thematisierte Gefahr ihrer Darbietungen, die in einer »Ansteckung« (i. e. Effeminierung) des Publikums bestehe (Lib. Or. 64, 61–66, Lukian. Salt. 3) und das im Mythos reflektiert wird: Attis, selbst Repräsentant einer solchen Metamorphose vom Männlichen zum Weiblichen, macht durch den Klang seiner Zimbel den Löwen, das Sinnbild der Männlichkeit, handzahm (z. B. Varro Men. 364 galli tympanis adeo fecerunt mansuem, ut tractarent manibus; Alkaios AP 6, 218 = HE 134–43; zur Assoziation von mansuetudo und mollitia s. Sen. Epist. 114, 7). 181 Die Bezeichnung »freier« Metren als ἀπολελυμένα (Hephaist. Poem. S.  64 f. Consbruch) bzw. numeri soluti (Hor. Carm. 4, 2, 11 f.) ist gebräuchlich.

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Κιναίδου σημεῖα ὄμμα κατακεκλασμένον, γονύκροτος· ἐγκλίσεις τῆς κεφαλῆς ἐπὶ τὰ δεξιά. αἱ φοραὶ τῶν χειρῶν ὕπτιαι καὶ ἔκλυτοι, καὶ βαδίσεις διτταί, ἡ μὲν περινεύοντος, ἡ δὲ κρατοῦντος τὴν ὀσφύν· καὶ τῶν ὀμμάτων περιβλέψεις, οἷος ἂν εἴη Διονύσιος σοφιστής. Kennzeichen des Kinäden: gesenkte Augen; zusammenstoßende Knie; Neigung des Kopfes nach rechts; nach oben zeigende, schlaffe Handbewegungen; Schritte von zweierlei Art: einerseits sich in den Hüften wiegend, andererseits mit gerade gehaltenen Hüften; Schweifenlassen der Augen; so wie der Sophist Dionysios wohl sein dürfte. (Üb. Vogt)

Sowohl κεκλασμένος als auch ἔκλυτος begegneten oben als Attribute des versus Sotadeus; mit γονύκροτος, das nach Vogt (1999, 372 f.) Resultat eines trippelnden Gangs ist, ist βλακώδη zu vergleichen. Κεκλασμένος in Bezug auf Blick, Gang, Haltung oder Stimme erscheint bisweilen als Attribut des Kinäden,182 eines Effeminierten183 oder einer πόρνη,184 aber auch vom Pantomimen;185 ἔκλυτος ist nach Auskunft der Suda ein Synonym für κίναιδος (vgl. außerdem Posid. Phil. Fragm. 290a Theiler 401 f.). In einer Passage des Johannes Chryso­ stomos (Salt. Herod. [PG 59, 524, 24]) werden λελυμένοι und ἐκλελυμένοι von ausgelassenen Tänzern (μειράκια) gebraucht, die Lüsternheit bei ihren Zuschauern hervorrufen. Bei dem Apologeten der Tanzkunst Lukian muss der Tänzer nicht nur »gelöst« sein, sondern auch das Gegenteil beherrschen (Salt. 77):  Ἔστω καὶ τὸ σῶμα λελυμένος τε ἅμα καὶ συμπεπηγώς, ὡς λυγίζεσθαί τε ὅπη καιρὸς καὶ συνεστάναι καρτερῶς, εἰ τούτου δέοι. Die Stelle wird als Gegenüberstellung einer weiblichen und männlichen Tanzweise verstanden, die der Pantomime als Interpret von Männer- und Frauenrollen gleichermaßen beherrschen müsse; andererseits reflektiert sie das Abwechseln zwischen Umherwirbeln und Stillstehen, das, wie oben herausgestellt, ebenfalls zur Pantomimenkunst gehörte.186 Die Lukianstelle stellt in der Verwendung der Antithese von λύω und πήγνυμι in Bezug auf einen Pantomimen eine Parallele für die Junktur im Krispos-Epigramm dar. Dass die Adjektive, welche den Rhythmus des Sotadeus beschreiben, auch von dessen Interpreten gebraucht werden können, zeigt einerseits, wie eng die Verbindung zwischen dem Charakter eines Menschen und seiner Rede ge­sehen wurde, weist aber auch auf weitere Parallelen zwischen Versrhythmus und menschlicher Anatomie hin: Der Vergleich des »Fortlaufens« des Metrums mit 182 [Arist.] 813a34–5; Lukian. Ind. 23; De Merc. 33; vgl. auch Petron. 23, 3 manibus­ infractis. 183 Phil. Iud. Cher. 82, 3; Lukian. Rhet. Praec. 11. 184 Phil. Iud. Sacr. 21, 2. 185 Lukian. Salt. 5; Tatian Or. Ad Graec. 22, 7; Greg. Naz. Carm. 2, 2, 8, 92 (PG 37, 1583); Lib. Or. 64, 60; Prokop Gaz. Panegyricus in Imp. Anastasium (PG 87 [3], 2815, 16). 186 Lada-Richards 2007, 51.

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menschlichem Schreiten ist naheliegend genug,187 und wenn man bedenkt, dass Sotadeen von Tanz oder Gesten begleitet wurden, dann stimmt der allzu flexible, Spannung vermissen lassende188 und damit unmännliche Rhythmus des Verses mit der Körperhaltung und der Tanzweise, sogar der Stimme189 seiner Interpreten überein.190 Vielleicht lässt sich so auch die effeminierende Wirkung der Häufung von Kürzen erklären: als männlich galt ein langsamer Gang, während ein hektischer, schneller Gang (vgl. oben βλακώδη) Kennzeichen unbeherrschter Männer, Frauen und Sklaven war.191 Damit ist jedoch die Bandbreite der Konnotationen von λελυμένα noch nicht erschöpft. Die »Schlaffheit« der Glieder ist als Topos nicht nur vom effeminierten Tänzer bekannt, sondern in der Wendung γυῖα λῦσαι auch eine häufige homerische Umschreibung des Tötens (Il. 7, 12 u.ö.).192 Damit scheint in λελυμένα, ebenso wie in πηγνυμένων, auf den Tod des Pantomimen angespielt zu sein, der gleichermaßen als Vorgang der Auflösung und der Erstarrung ins Auge gefasst wird. Sowohl Lösung als auch Erstarrung des Toten stehen emblematisch für sein Leben und seinen Tod. Λύω, und damit die Junktur λελυμένα σημεῖα, bezeichnet in diesem Zusammenhang also zum einen (mit einer leichten Verschiebung von »Buchstaben« zu »Diktion«) den losen Charakter des sotadeischen Metrums mit seiner erratisch empfundenen Abfolge von Längen und Kürzen, insbesondere der Häufung auf 187 Marius Victorinus GLK VI 44, 5 f. ut nos pedibus nostris ingredimur atque progredimur, ita et versus per hos pedes metricos procedit et scandit; explizit gemacht ist das z. B. in den sotadeischen Versen des Charition-Mimos (P.Oxy. 413, 89) πρὸϛ ῥυθμὸν ἀνέτῳ βήματι βαρβάρῳ προβαίνων, wobei ἄνετοϛ »gelöst« sicher auch im Hinblick auf das Metrum gesetzt ist. 188 Man mag hier an Petron. 132 denken, wo in Sotadeen beschrieben wird, wie Encolpius vergeblich versucht, sein erschlafftes Glied aufzurichten. 189 Hierzu vgl. Iuv. 2, 11 f.; Apul. Met. 8, 26 Sed illae puellae chorus erat cinaedorum, quae statim exultantes in gaudium fracta e rauca et effeminata voce clamores absonos intollunt. Hijmans u. a. 1985 a.l. (zu vox fracta): »It is not clear how this voice is supposed to sound.« 190 Natürlich ist zum einen die »Weichheit« der Bewegungen des Tänzers im Gegenteil gerade Resultat großer Körperbeherrschung und -spannung, worauf Lukian (Salt. 72) und andere auch hinweisen (vor allem Galen 6, 155 Kühn, welcher die εὐτονία des Tänzers sogar mit den Begriffen ἐκλύτους, βραδείας, μαλακάς kontrastiert; vgl. Robert 1981, 39), zum anderen war das Repertoire der Pantomimen nicht auf weibliche Rollen beschränkt (Lib. Or. 64, 67 f.). Doch scheinen diese Einwände sich nicht auf die verbreitete Assoziation von Sotadeus, Interpret und Effeminierung ausgewirkt zu haben. 191 S. Hunter 2008, 645–8; Gleason 1990, 392 f.; zur Unmännlichkeit von Sklaven C. Williams 2010, 148. Vgl. außerdem Fantuzzi/Hunter 2004, 484 (zu den Galliamben in Catull. 63): »… in their soft and female rapidity and collocation of short syllables, both metres [d. h. Galliamben und Sotadeen] offer a provoking challenge to the stately and manly gait of the hexameter (note esp. citato … pede, 63.2).« 192 Vgl. auch GVI 1942, 10 ἐλύθη σῶμα μαραινόμενον. In SGO 09/09/17 (Klaudiupolis, 2./3. Jh. n. Chr.), 23 f. ist die Rede von der Erde, welche die »sterblichen Leiber aufnimmt« χθών … λυομένων δέκτειρα; Bernand 97 (Hermoupolis Magna, 2. Jh. n. Chr.?), 30 λυσιμελὴς θάνατος.

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einander folgender Kürzen. Dieses Versmaß versinnbildlicht in seiner Flexibilität die jetzt so schmerzlich vermisste Kunst des Tänzers, aber auch seine mollitia, die im Gedicht nicht nur durch das dafür typische Metrum, sondern auch durch die Erwähnung von κάλλος, μορφή, χάρις, ἄνθος thematisiert wird, welche die Jugendschönheit des Jungverstorbenen beschreiben;193 in seiner Kraftlosigkeit und fehlenden Gliederspannung schwingt aber auch schon die Andeutung des Todes mit. Schließlich mag man sich fragen, ob die Kraftlosigkeit, die mit dem sota­ deischen Metrum assoziiert wurde, sich auch in stilistischen Besonderheiten zeigen konnte. Die Wirkungen, die mit einem bestimmten Stil assoziiert werden, werden verschiedentlich in den auf uns gekommenen rhetorischen Schriften erörtert. So wird die Entartung des genus medium oft κακόζηλον genannt, in der Rhetorica ad Herennium als genus dissolutum bezeichnet (4, 11 [bzw. 16]):194 genus … dissolutum, quod est sine nervis et articulis, ut hoc modo appellem ›fluctuans‹ eo, quod fluctuat huc et illuc nec potest confirmare neque viriliter sese expedire. Das aufgelöste Genus, das ohne Sehnen und Gelenke ist, das ich in dieser Weise »wogend« nennen möchte aus dem Grund, weil es hierher und dorthin fließt und weder beständig sein noch sich in männlicher Weise entfalten kann.

Aus der Beschreibung wird ersichtlich, dass dissolutum195 hier ganz ähnliche Assoziationen weckt wie λελυμένον im Zusammenhang mit dem versus Sotadeus. Nun umfassen die vitia des κακόζηλον mehr als nur eine solche kraftlose Periodenstruktur, aber sie dient auch bei anderen Autoren als dessen Kenn­ zeichen.196 Der Begriff des »Gelösten« in der Rhetorik scheint nun kein klar umrissener Begriff zu sein, der ausschließlich ein bestimmtes Phänomen erläutert, sondern er begegnet vielmehr in verschiedenen Zusammenhängen und ist durchaus nicht nur negativ konnotiert. So ist die oratio soluta (λέξις διαλελυμένη) »die lockere und willkürliche syntaktische Aneinanderreihung, wie sie in der gesprochenen Umgangssprache […] vorkommt«, und deshalb nach Quintilian z. B. dem Briefstil durchaus angemessen.197 Ihr verwandt ist der reihende Stil 193 Vgl. das Amulett eines Pantomimentänzers, der um μορφὴν χάριν νίκην bittet (zitiert bei Robert 1981). 194 Ebenfalls Fortun. Rhet. 3, 9. 195 Wilamowitz 1900, 27 sieht hier eine Lehnübersetzung des griechischen διαλελυμένον. 196 Quint. Inst. 8, 3, 57: compositio fracta. Dass ein Zusammenhang zwischen sota­ deischen Rhythmen und genus dissolutum besteht, scheint die Behandlung des κακόζηλον bei Demetrios nahezulegen: er bespricht es nur kurz und sagt, dass es im Gedanken (Eloc. 187), den Wörtern (188) oder der σύνθεσις (189) bestehen kann. Zu letztgenanntem Punkt, welcher der eben zitierten Äußerung der Rhetorica ad Herennium entspricht, die ja auch auf die σύνθεσις zielt, empfiehlt er einzig die Vermeidung von κεκλασμένοι μέτροι wie Sotadeen. 197 Quint. Inst. 9, 4, 21; das Zitat aus Lausberg § 916.

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der oratio perpetua (λέξις εἰρομένη), eine Parataxen vorziehende Komposition, von der Demetrios sagt, sie sei in Kola aufgelöst (εἰς κῶλα λελυμένη Eloc. 12) und finde sich besonders bei archaischen Schriftstellern. Diesen beiden gegenüber steht die aus durchkomponierten Perioden bestehende Rede, oratio vincta atque contexta (λέξις κατεστραμμένη). Den Vorzug letzterer gegenüber den beiden vorangehenden erläutert Quintilian im 4. Kapitel des 9. Buches der Institutio. Er wendet sich dort gegen die Auffassung einiger (quidam), die sagen, es sei natürlicher und männlicher (virilem), eine Rede nicht durchzukomponieren, sondern sie so zu halten, ut forte fluxerit.198 Quintilian entgegnet, dass die Entwicklung der Rhetorik mit anderen Kulturtechniken zu vergleichen sei, und sie zu vernachlässigen einen kulturellen Rückschritt bedeute. Dann kommt Quintilian auch auf die Sotadeen zu sprechen: Fortius vero qui incompositum potest esse quam vinctum et bene conlocatum? ­Neque, si pravi pedes vim detrahunt rebus, ut sotadeorum et galliamborum et quorundam in oratione simili paene licentia lascivientium, compositionis est iudicandum. Ceterum quanto vehementior fluminum cursus est prono alveo ac nullas moras obiciente quam inter obstantia saxa fractis aquis ac reluctantibus, tanto quae conexa est et totis viribus fluit fragosa atque interrupta melior oratio. Wie aber kann etwas Ungeordnetes kraftvoller sein als etwas Gebundenes und Wohlgeordnetes? Dabei gilt allerdings auch, dass man es nicht der Kunst des Redenbaus anrechnen darf, wenn übelbeleumdete Rhythmen dem Inhalt Kraft entziehen, wie die der Sotadeen und der Galliamben und mancher, die in der Rede wegen ähnlicher Freizügigkeit den Eindruck von Sittenlosigkeit erwecken. Im Übrigen: Je heftiger der Lauf eines Flusses in einem abschüssigen Bett ohne Hindernisse ist als zwischen im Weg liegenden Felsen, welche die Wassermassen brechen und aufhalten, desto besser ist eine Rede, die verbunden ist und mit ihren ganzen Kräften fließt, als eine gebrochene und unterbrochene.

Dass bisweilen auch in einer durchkomponierten Rede sotadeische oder ihnen ähnliche Rhythmen auftauchen, dürfe man nicht der ars compositionis vorwerfen, wohl deshalb, weil sich solche Rhythmen nicht völlig vermeiden lassen.199 Das folgende Bild vom ungehindert fließenden bzw. stockenden Strom greift wieder die beiden Arten von λέξεις auf: Der immer wieder durch Hindernisse gebrochene Redestrom verdeutlicht in einem ähnlichen Bild wie in der Rhetorica ad Herennium die compositio fracta. Bemerkenswert ist nach dem Hinweis auf die Sotadeen und Galliamben die Qualifizierung des Redestroms als fractus 198 Vgl. hiermit Sen. Epist. 114, 15 Quidam praefractam at asperam [erg. compositionem] probant … virilem putant et fortem quae aurem inaequalitate percutiat. Gleichwohl verwirft auch Seneca diese Position. 199 Das jedenfalls entgegnet der Grammatiker Diomedes solchen Kritikern, die Sotadeen in Ciceros Reden ausfindig gemacht haben (GLK I 468, 7–16).

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und fragosus, Vokabeln, die aus der Beschreibung von Kinäden und ihren sota­ deischen Gesängen geläufig sind.200 Der Zusammenhang zwischen dem Auftauchen sotadeischer Rhythmen und der oratio soluta bzw. perpetua liegt hier ausdrücklich darin, dass beide die Rede schwächen; die oratio contexta atque vincta erweist sich somit letztendlich auch, entgegen dem Einwand der quidam, als die männlichere Redeweise. Wie sich hier zeigt, kann, wenn in der Rhetorik vom »Gelöstsein« die Rede ist, bei Bedarf der Assoziationskomplex des Schwachen, Kraftlosen, Unmännlichen »aktiviert« werden.201 Als Auflösung wird nun auch die rhetorische Figur des Asyndeton (auch disiunctio, dissolutio, διάλυτον) bezeichnet, das ja die Isolierung der einzelnen Kola durch fehlende Verknüpfung mit Konjunktionen besonders hervorhebt. Demetrios schreibt diesem Stilmittel eine pathetisch-histrionische Wirkung zu (Eloc. 194):202 Ὅτι δὲ ὑποκριτικὸν ἡ λύσις, παράδειγμα ἐγκείσθω τόδε, ἐδεξάμην, ἔτικτον, ἐκτρέφω, φίλε. οὕτως γὰρ λελυμένον ἀναγκάσει καὶ τὸν μὴ θέλοντα ὑποκρίνεσθαι διὰ τὴν λύσιν. εἰ δὲ συνδήσας εἴποις ἐδεξάμην καὶ ἔτικτον καὶ ἐκτρέφω, πολλὴν ἀπάθειαν τοῖς συνδέσμοις συνεμβαλεῖς. πάνυ δὲ τὸ ἀπαθὲς ἀνυπόκριτον. Dass die Auflösung etwas Histrionisches ist, dafür soll dieses Beispiel dienen: »ich empfing es, ich gebar es, ich ziehe es auf, mein Freund«. So aufgelöst, wird es auch den, der nicht will, zur dramatischen Wiedergabe zwingen aufgrund der Auflösung. Wenn du es aber verbindest und sagst »ich empfing es und ich gebar es und ich zog es auf, fügst du Konjunktionen ein und beseitigst jegliches Pathos. Das Unpathetische aber ist für die Bühne nicht geeignet.

Eine asyndetische Ausdrucksweise eignet sich somit besonders für die Bühne; es wäre darüber hinaus zu erwägen, ob nicht die dadurch entstehende Auflösung der Periodenstruktur (vgl. λελυμένον gegenüber συνδήσας) auch die Konnotationen der kraftlosen Rede wecken kann. Nun suggeriert das Asyndeton sicherlich nicht per se eine Kraftlosigkeit der Rede, sondern kann im Gegenteil dazu dienen, einem Ausspruch Pointierung und Nachdruck zu verleihen (z. B. Rhet. 200 Vgl. auch Gleason 1995, 112. 201 Besonders beliebt beim Topos qualis oratio talis vita, wenn nachgewiesen werden soll, wie sich der weichliche Lebenswandel eines Redners auch in dessen Rede zeigt; s. z. B. die Beschreibung des Maecenas bei Seneca (Epist. 114, 4): Quomodo Maecenas vixerit notius est quam ut narrari nunc debeat, quomodo ambulaverit, quam delicatus fuerit, quam cupierit videri, quam vitia sua latere noluerit. Quid ergo? non oratio eius aeque soluta est quam ipse discinctus? Wie aus dem Fortgang des Briefs erhellt, meint oratio soluta hier geradezu die »effeminierte Rede«. Die Stelle illustriert außerdem die oben postulierte Parallele von affektiertem Gang (ambulaverit) und Redefluss. Man mag sich auch daran erinnern, dass Maecenas ein Gedicht über den Kybelekult verfasst hat (FLP 5–6 Courtney) und den Pantomimen Bathyllos liebte. 202 Derselbe Gedanke findet sich auch in Demetr. Eloc. 271; Aristot. Rhet. 1413b17–31; vgl. auch Seneca Epist. 114, 1 explicatio … infracta et in morem cantici ducta.

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Her. 4, 30); doch es ist denkbar, dass in Verbindung mit anderen »Signalen« wie der Verwendung des versus Sotadeus oder dem Auftreten eines effeminierten Sprechers auch das Asyndeton den Eindruck der Aufgelöstheit, des Fra­gilen der Rede unterstreichen und so zur Charakterisierung des Sprechers beitragen kann. Es ist nun auffällig, dass gerade die Asyndese im Grabepigramm des Krispos gehäuft begegnet: der Anfang (Vers 1–5) enthält eine parataktische (mit Ausnahme des Relativsatzes in 5) Aneinanderreihung von Ausdrücken. Handelt es sich um eine Reihe von Aussagesätzen (wie durch die Interpunktion oben nahegelegt), so sind diese ohne verbindende Partikel nebeneinandergestellt; liegt eine Liste von Ausrufen vor, sind die Elemente der Liste (mit Ausnahme der ersten beiden) asyndetisch aufgereiht: ἔσχατα μερόπων δώματα καὶ τείχεα, τύμβοι, πιστότερα δόμων σώμασιν, δακρύων παραθῆκαι, ἄφθορα νεκύων κτήματα τὰ μόνα παραμένοντα, σειγῆς πόλις, οἶκος ἴδιος, ἡ μένουσα κοίτη. In den Versen 8 f. begegnen die vier unverbundenen Vokative στυγνὰ τροπαῖα βίου, λελυμένα π✴ ηγνυμένων σημεῖα, νεκύων στῆλαι, ῥήματα θανόντων. Zunächst soll durch diese syntaktische Struktur wohl vor allem Pathos erzeugt werden, was in einem Grabepigramm durchaus angemessen ist, ebenso wie der »histrionische« Effekt zum Verstorbenen passt. Gleichwohl könnte die »aufgelöste« Syntax auch dem Metrum selbst entsprechen und dessen διαλελυμένος χαρακτήρ auf der Ebene des Satzbaus spiegeln. Dass hier ein Zusammenhang bestehen mag, legt die Beobachtung nahe, dass sich solche Häufungen von Asyndesen auch in anderen sotadeischen Partien finden, etwa in der bereits zitierten Petronstelle (Sat. 23, 3): huc, huc convenite nunc, spatalocinaedi, pede tendite, cursum addite, convolate planta, femore facili, clune agili, [et] manu procaces, molles, veteres, Deliaci manu recisi.

Man hat hier, soweit ich sehe, bisher nur auf die Trikolon-Struktur der Verse hingewiesen.203 Aber die asyndetische Reihung erzeugt den Effekt des διαλελυμένον, das wiederum schon im Auftreten des Kinäden in Erscheinung tritt (infractis manibus). Es mag relevant sein, dass eine der in den Satyrica auftretenden Personen, Encolpius, den Einfluss des asianischen Stils auf die zeit­ genössische Rhetorik besonders bedauert, der auch in Dichtung und Malerei zum Ausdruck komme (2, 2): Levibus enim atque inanibus sonis ludibria quaedam excitando, effecistis ut corpus orationis enervaretur et caderet.204 Insofern böte das Lied des Kinäden eine unrühmliche Parallele für diese Entwicklung.

203 Schmeling 2011 ad 23, 2–3. 204 Zur Metapher corpus orationis s. Lada-Richards 2008, 290 ff.

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Eine Parodie im Sotadeus ist uns in Lukians Podagra erhalten. Dort tritt ein Chor von »Galloi«, in diesem Fall nicht Priester der Göttin Kybele, sondern der Göttin Podagra auf, der eine längere Passage in Sotadeen spricht (113–24):205

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οὐχ αἷμα λάβρον προχέομεν ἀποτομαῖϛ σιδάρου, οὐ τριχὸϛ ἄφετον λυγίζεται στροφαῖσιν αὐχήν, οὐδὲ πολυκρότοιϛ ἀστραγάλοιϛ πέπληγε νῶτα, οὐδ᾽ ὠμὰ λακιστῶν κρέα σιτούμεθα ταύρων· ὅτε δὲ πτελέαϛ ἔαρι βρύει τὸ λεπτὸν ἄνθοϛ καὶ πολυκέλαδοϛ κόσσυφοϛ ἐπὶ κλάδοισιν ᾄδει, τότε διὰ μελέων ὀξὺ βέλοϛ πέπηγε μύσταιϛ, ἀφανὲϛ, κρύφιον, δεδυκὸϛ ὑπὸ μυχοῖσι γυίων, πόδα, γόνυ, κοτύλην, ἀστραγάλουϛ, ἰσχία, μηρούϛ, χέραϛ, ὠμοπλάταϛ, βραχίοναϛ, κόρωνα, καρπούϛ ἔσθει, νέμεται, φλέγει, κρατεῖ, πυροῖ, μαλάσσει, μέχριϛ ἂν ἡ θεὸϛ τὸν πόνον ἀποφυγεῖν κελεύσῃ. Weder vergießen wir rasend Blut durch die Schnitte des Eisens, noch biegt sich unser Nacken gelöst unter dem gelockten Haar, und auch unser Rücken ist nicht gezeichnet von zahlreichen Schlägen der Peitschenknöchel, noch nähren wir uns vom rohen Fleisch zerrissener Stiere: Wenn aber im Frühling die zarte Blüte der Ulme treibt und die vielstimmige Drossel auf den Zweigen singt, dann fährt uns Mysten ein spitzer Pfeil durch die Glieder, unsichtbar, verborgen, versunken im Innersten der Glieder; Fuß, Knie, Fessel, Knöchel, Hüfte, Schenkel, Hände, Schulterblätter, Oberarme, Unterarme, Handflächen, isst, weidet, brennt, beherrscht, entzündet, knetet er, bis die Gottheit der Pein befiehlt, sich zurückzuziehen.

Der explizite Vergleich der Chormänner mit den Galli wird durch die Wahl des entsprechenden Metrums hervorgehoben. Die »Gebrochenheit« des Körpers, durch welche diese Priester den Galli ähneln, ist hier nicht durch die Entmannung, sondern den plötzlichen Gichtanfall verursacht; dass dieser im Frühjahr eintritt, ist einerseits medizinisch gerechtfertigt, greift aber auch die Identifikation mit den Galli auf, die ihr Attisfest im März abhalten.206 Weiterhin assoziiert die Passage den Tanz der Galli mit den Bewegungen von Gichtkranken.207 205 Zur Podagra vgl. Luchner 2004, hier: 386–98. 206 Darauf hat bereits Luchner 2004, 395 hingewiesen. 207 Vgl. Hedylos AP 11, 414, 2 = HE 1892 λυσιμελὴς ποδάγρα mit der oben untersuchten Semantik von λύω. Die Deutung des sotadeischen Rhythmus als Gang eines Gichtkranken lag auch insofern nahe, als an der Gicht vor allem ihre Wirkung auf die πόδες hervorgehoben wird (dann auf den Versfuß übertragen?). Luchners Deutung (2004, 395–7), die Stilisierung der Gichtkranken als Galli weise – da Gicht Resultat eines ausschweifenden Lebenswandels sei – auf deren zügelloses Vorleben hin, scheint mir demgegenüber sekundär. Dass der Gang der Gichtkranken (wie auf spitzigen Stacheln, ὀξέσι κέντροις 227) mit dem tänzelnden Gang der Galli verglichen wird, dafür spricht auch die suggestive, an den Tanz erinnernde Wortwahl in 114–5 (ἄφετον λυγίζεται στροφαῖσιν, πολυκρότοις; steckt in ἄφετον ein Hinweise auf

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Wie bei Petron besteht also eine Parallele zwischen Körperhaltung bzw. Gang und Metrum. Das übermäßige Auftreten des Asyndetons in der Beschreibung dieses Anfalls in den Versen 120–4, das den plötzlich in allen Gliedern eintretenden Schmerz wirkungsvoll nachzeichnet, gewinnt einen besonderen Effekt, wenn hier ein typisches Stilmittel sotadeischen Verses überzeichnet wäre.208 Eine Parallele für die Verwendung des διαλελυμένον bei körperlicher Versehrtheit finden wir auch in der Rhetorik (Demosth. 18, 67): ἑώρων δ᾽ αὐτὸν τὸν Φίλιππον, πρὸς ὃν ἦν ὁ ἀγών, ὑπὲρ ἀρχῆς καὶ δυναστείας τὸν ὀφθαλμὸν ἐκκεκομμένον, τὴν κλεῖν κατεαγότα, τὴν χεῖρα, τὸ σκέλος πεπηρωμένον, πᾶν ὅ τι βουληθείη μέρος ἡ τύχη τοῦ σώματος παρελέσθαι, τοῦτο προϊέμενον, ὥστε τῷ λοιπῷ μετὰ τιμῆς καὶ δόξης ζῆν; Andererseits konnte ich beobachten, wie sich dieser Philipp, der unser Gegner war im Kampf, persönlich für sein Reich und seine Krone ein Auge hatte ausschlagen, das Schlüsselbein zerschmettern, die Hand, den Schenkel verstümmeln lassen, und wie er jedes Glied, welches das Schicksal seinem Leib entreißen wollte, dahingab, nur um mit dem übrigen in Ruhm und Ehre zu leben. (Üb. Zürcher)

Hier wird die »Auflösung« der Periode nicht nur durch die asyndetische Reihung der Partizipien erreicht, sondern auch durch die Durchbrechung der Symmetrie (τὴν χεῖρα hat kein eigenes Partizip) sowie durch die Wiederaufnahme des πᾶν durch τοῦτο.209 Ein Lukians Vers 124 entsprechendes Asyndeton, eine Reihe von Verben, findet sich in AL2 111, 7 auf den Tanz eines Pantomimen bezogen: pugnat, ludit, amat, bacchatur, vertitur, adstat. Hier malt das Asyndeton zunächst die Geschwindigkeit und Geschicklichkeit, mit welcher der Tänzer zwischen den verschiedenen Rollen wechselt.210 Doch im letzten Paar vertitur adstat vollzieht sich der bereits besprochene Wechsel von wildem Herumwirbeln und statueskem Verharren in einer Pose, der bereits Libanios beeindruckt hatte. Die Asyndese, die ja den Versfluss immer wieder unterbricht, untermalt damit auch diesen eigentümlichen Tanzstil sowie das effeminierte »Herumwerfen« der Glieder (vgl. AL2 111, 1 mascula femineo devolvens pectora flexu). das »gelöste« Metrum der Verse [vgl. P.Oxy. 413, 89 ἀνέτῳ βήματι]?). Ebenfalls sei erwähnt, dass das ennianische Fragment 20 Blänsdorf = 20 FLP Courtney numquam poetor nisi­ podager als Sotadeus gedeutet wurde (s. Courtney a. l.). 208 In der Podagra finden sich noch zwei weitere längere asyndetische Reihen, die beide bereits als Parodien gedeutet wurden: 150–62 Lehrgedichtsparodie (cf. Luchner 2004, 357 f.), 198–203 Gebetsstilparodie (cf. Luchner 2004, 355). 209 S. die Diskussion der Passage bei Wooten 1991, 503 f.; der inhaltliche Bezug auf Philipps zerbrochenen Körper nach dem Hinweis des anonymous referree (503 Anm. 27); die Passage wird auch bei Gellius (NA 2, 27, 2) diskutiert, der aber auf die Auflösung der Periode nicht eigens eingeht. 210 Zu diesem Rollenwechsel s. Lada-Richards 2007, 51 f.

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Wir können schließlich die Verse eines »echten« Gallus anführen, das Attisgedicht Catulls (c. 63), das nicht im Sotadeus, jedoch im verwandten Metrum des Galliambus verfasst ist. Über das ganze Gedicht verteilt finden sich zahlreiche Asyndesen; folgende Passage illustriert das Phänomen besonders deutlich (58–73):

60

65

70

egone a mea remota haec ferar in nemora domo? patria, bonis, amicis, genitoribus abero? abero foro, palaestra, stadio et gyminasiis? miser a miser, querendum est etiam atque etiam, anime. quod enim genus figurast, ego non quod obierim? ego mulier, ego adulescens, ego ephebus, ego puer, ego gymnasi fui flos, ego eram decus olei: mihi ianuae frequentes, mihi limina tepida, mihi floridis corollis redimita domus erat, linquendum ubi esset orto mihi Sole cubiculum. ego nunc deum ministra et Cybeles famula ferar? ego Maenas, ego mei pars, ego uir sterilis ero? ego uiridis algida Idae niue amicta loca colam? ego uitam agam sub altis Phrygiae columinibus, ubi cerua siluicultrix, ubi aper nemoriuagus? iam iam dolet quod egi, iam iamque paenitet.’ Soll ich schwärmen in diesen Wäldern von zuhause so weit entfernt, / Getrennt von den Eltern und Gütern, von den Freunden, dem Heimatland, / Fern dem Forum, der Palästra, dem Gymnasium, Stadion? / Ach du armes, armes Herze, ach klage nun ohne End! / Welche Art von Gestalt noch gibt es, die ich noch nicht gewesen bin? / Ich bin Weib – ich war früher Jüngling, war Ephebe, war kleines Kind / War die Blüte des Gymnasiums, war die Zierde beim Ringwettstreit. /  Meine Tür war in steter Bewegung, es wurde die Schwelle warm / Und mir war mit Blütenkränzen beständig das Haus geschmückt, / wenn früh nach Sonnenaufgang ich mein Schlafgemach dann verließ. / Und jetzt Götterdienerin soll ich, jetzt Sklavin Kybeles sein? / Jetzt soll ich sein Mänade, nur ein Teil meiner selbst, entmannt? / Und bewohnen grüne Höhen des Ida, den Schnee bedeckt? / Ich soll ein Leben führen unter Phrygiens großen Höhen, / In den Wäldern, wo die Hirschkuh und der unstete Eber wohnt? / Schon schmerzt mich, was ich machte, schon reut mich, was ich getan! (Üb. Eisenhut)

Die Wirkung der zahlreichen Wortwiederholungen auf den Charakter dieser Passage ist verschiedentlich gedeutet worden;211 der Effekt der Abruptheit, der 211 Newman 1990, 364 f. »The rhetorical devices of repetition, geminatio, questions, selfaddress, antithesis are well in evidence; the speech is histrionic through and through«; Godwin 1995, 123 »the effete self-indulgent tone of the speech«; Syndikus 2001 II, 92: »Diese Stimmung der Reue und Verzweiflung sucht ihren Ausdruck in der Sprache […] Vor allem steigert sich der Ausdruck wie in seiner ersten Rede durch ungewöhnlich zahlreiche und lange Aufzählungsketten […] Zutiefst verzweifelt wirken in diesen Aufzählungen die zwölfmal anaphorisch wiederholten ego.«

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hier durch die asyndetischen Aufzählungen und Anaphern entsteht, erzeugt Pathos und lässt die Passage geradezu als Bühnenstück erscheinen,212 kann aber wohl auch im Zusammenhang gesehen werden mit dem Metrum und der Person des Protagonisten.213 Eine weitere Gemeinsamkeit dieses Gedichts mit unserem Pantomimenepigramm liegt in der Verwendung auffälliger Klangfiguren; in der vorliegenden Passage scheinen am auffälligsten etiam atque etiam, anime (61); ego ­Maenas, ego mei pars (69)214; amicta loca colam (70). Ähnliche Effekte finden sich auch im Pantomimenepigramm, und zwar wie bei Catull bevorzugt am Zeilenende: καὶ τείχεα τύμβοι, κτήματα τὰ μόνα παραμένοντα, γέγονε γυμνή, καὶ τίνα κατέχει νέκυν ἔνοικον, λελυμένα πηγνυμένων, ἀλάλοισι λαλήσατε. Diese Häufung von Klangfiguren soll wohl den Bühnencharakter der Dichtung unterstreichen, sie scheint ein allgemeines Kennzeichen einer von Tanz begleitenden Dichtung zu sein.215 Wie bereits gesehen, konnte ein solcher Stil auch in der Rhetorik Verwendung finden; es finden sich in den Quellen immer wieder Beispiele dafür, dass Redner aufgrund effeminierten Auftretens getadelt werden, auch wenn dort weniger der Stil, als vielmehr feine Gewänder, eine hohe Stimme, ausufernde Gestik und dergleichen kritisiert werden.216 Gellius berichtet folgende Anekdote über den Redner Quintus Hortensius, einen Vertreter des sog. »asianischen« Stils,217 der solcherlei Vorhaltungen ausgesetzt war (Gell. NA 1, 5, 3): 212 »Quasi-script for [… ] a virtuoso« Newman 1990, 346; vgl. Fantuzzi/Hunter 2004, 485. 213 Unter den bruchstückhaft überlieferten Sotadeen finden sich einige, die διάλυσις als Stilmerkmal aufweisen (z. B. Servius GLK IV 464, 10 f. salpinx cane, tempus fugit, intende laborem), aber aufgrund des fehlenden Zusammenhangs lässt es sich nicht beurteilen, wie prominent das Stilmittel eingesetzt war. 214 Der Anklang von Maenas und mei pars scheint so auffällig, dass man sich fragen mag, ob das »Aufspalten« von Mae-nas in mei pars die Selbstverstümmelung noch unter­ malen soll. 215 Greg. Nyss. C. Eun. 1, 17; Hall 2008b, 279 f. zu den Klangfiguren in der »BarcelonaAlkestis« (ed. Roca-Puig 1982), für die sie eine Deutung als Pantomimenlibretto erwägt; vgl. auch P.Oxy. 413, 89 πρὸς ῥυθμὸν ἀνέτῳ βήματι βαρβάρῳ προβαίνων, 216 Vgl. den bei Quintilian geäußerten Grundsatz (Inst. 11, 3, 89) abesse enim plurimum a saltatore debet orator. Zu diesem Problem (der Redner muss Gestik einsetzen, aber peinlich darauf achten, es nicht zu übertreiben) vgl. Richlin 1997, 99–105; Lada-Richards 2008, 287 ff.; Fögen 2009; Gunderson 2000. 217 Zum asianischen Stil s. Adamietz, Hist. Wörterbuch der Rhetorik s. v. Asianismus (1, 1114–20), der darauf hinweist, dass es sich hierbei nicht um einen positiven Stilbegriff handelt, sondern um eine Polemik gegen einen (aus Sicht der Kritiker) manierierten Stil, der sich römische Ressentiments gegenüber den (als effeminiert geltenden) Bewohnern Kleinasiens beimischen. Quintilian (Inst. 12, 10, 12) beschreibt, wie auch Cicero als Asianer kritisiert wurde: [Ciceronem] incessere audebant ut tumidiorem et Asianum et redundantem et in repetitionibus nimium et in salibus aliquando frigidum et in compositione fractum, exultantem ac paene, quod procul abest, viro molliorem. Vgl. auch Dion. Hal. Dem. 43 ῥυθμοὶ ὑπορχηματικοὶ καὶ Ἰωνικοὶ καὶ διακλώμενοι (nach Norden 1958, 135 auf die Asiatici zu beziehen).

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Sed cum L. Torquatus, subagresti homo ingenio et infestivo, gravius acerbiusque apud consilium iudicum, cum de causa Sullae quaereretur, non iam histrionem eum esse diceret, sed gesticulariam Dionysiamque eum notissimae saltatriculae nomine appellaret, tum voce molli atque demissa Hortensius »Dionysia,« inquit »Dionysia malo equidem esse quam quod tu, Torquate, amousos, anaphroditos, aprosdionysos«. Als aber Lucius Torquatus, ein Mann von bäurischer und unkultivierter Geisteshaltung, über ihn vor der Versammlung der Richter, als er in der Untersuchung gegen Sulla befragt wurde, noch schwerer und bitterer sagte, er sei nun nicht mehr nur ein Schauspieler, sondern ihn als Pantomimin und Dionysia, mit dem Namen einer stadtbekannten Tänzerin bezeichnete, da sagte Hortensius mit weicher und gesenkter Stimme: »Dionysia, Dionysia will ich lieber sein als das, was du bist,­ Torquatus, ein Mensch ohne Bekanntschaft mit den Musen, der Aphrodite, dem Dionysos.«

Die spöttische Antwort trägt Hortensius voce molli atque demissa vor, was wohl bedeutet, dass er in der ihm von Torquatus zugeschriebenen Rolle spricht.218 Sowohl Gellius als Erzähler wie auch Hortensius als Angegriffener stilisieren den Gegensatz zwischen den beiden Akteuren gemäß dem auch sonst geläufigen Kontrastpaar römisch/bäurisch/unkultiviert und griechisch/kultiviert/effeminiert; letzteres wird von Hortensius durch die Wahl griechischer Vokabeln unterstrichen. Aber auch der Stil der Antwort erinnert an die Bühne: Die Geminatio von Dionysia, die rhetorisch ausgefeilte, als Trikolon aufgebaute Reihe amousos anaphroditos aprosdionysos mit Alliteration, Homoioteleuton, Beachtung des »Gesetzes der wachsenden Glieder« und (etymologisierender) Schluss­ pointe, und die für den histrionischen Stil typischen Assonanzen (bereits in quam quod tu Torquate). Hortensius’ Antwort enthielte schließlich in diesem Zusammenhang eine zusätzliche Spitze, wenn die Asyndese, wie oben vermutet, ebenfalls mollitia suggerieren kann. Fassen wir zusammen: Die Gelöstheit bzw. Gebrochenheit der Redeweise – sowohl auf der Ebene des Metrums (bzw. der Prosarhythmen) als auch auf der Ebene der Syntax – kann im Zusammenhang mit dem »conceptual continuum« Kinäde/Gallus/Pantomime deren körperliche Verfassung, ihren Gang, ihre Bewegungen und ihren Tanzstil, ihre Unmännlichkeit überhaupt zum Ausdruck bringen, wobei letztere, wie gezeigt, durchaus ambivalenten Charakter hat und aus der Sicht des Publikums anders zu bewerten ist als aus dem Blickwinkel der sittenstrengen Vertreter der kulturellen Elite. Das Epigramm auf Krispos erhellt diesen Zusammenhang, indem es sich einer asyndetischen Syntax im sotadeischen Metrum bedient, um den Pantomimen zu charakterisieren, und 218 Vgl. [Arist.] 813a 34–5 ὅσοι δὲ ταῖς φωναῖς ὀξείαις μαλακαῖς κεκλασμέναις διαλέγονται, κίναιδοι (μαλακαῖς ~ molli, κεκλασμέναις ~ demissa). Dion. Hal. Comp. 18 erlaubt eine solche Redeweise ἐπὶ χλευασμῷ καὶ καταγέλωτι.

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verweist auf diesen assoziativen Komplex durch die (nach der hier vorgeschlagenen Interpretation) polyseme Wendung λελυμένα π✴ ηγνυμένων σημεῖα; dass das Epitaph so dem Grundsatz qualis oratio talis vita folgt, erscheint hier als ein Element neben anderen, um den Toten mittels seines Grabepigramms nochmals vor den Augen des Lesers auf der Bühne auftreten zu lassen, aber gleichzeitig seine condicio mortis zu schildern und so den Verlust, der der Welt durch den Tod des Krispos entstanden ist (δοξάσας ὁ κόσμος ἄνθος χρύσεον), fühlbar zu machen. 2.2.5.4. Stumme Philosophen und Redner Die im Epigramm auf den Pantomimen Chrysomallos dargestellte Idee, dass das Kunstwerk dem Dargestellten gerade in seiner Schweigsamkeit ähnelt, finden wir auch in ekphrastischen Epigrammen auf andere Personen wieder. Zwei solche Epigramme behandeln den für seine Schweigsamkeit bekannten Philosophen Pythagoras: im ersten wird gesagt, dass der Künstler dem Kunstwerk eine Stimme hätte geben können, es aber mit Rücksicht auf sein Sujet unterlassen habe (Julianos v. Ägypten AP 16, 325, 3 f. καὶ τάχα φωνὴν / ἔνδον ἀποκρύπτει, καὶ τόδ᾽ ἔχων ὀπάσαι); im anderen, dass das Kunstwerk sehr wohl sprechen könnte, wenn Pythagoras nur wollte (Anon. AP 16, 326 Αὐτὸν Πυθαγόραν ὁ ζώγραφος, ὃν μετὰ φωνῆς / εἶδες ἄν, εἴ γε λαλεῖν ἤθελε Πυθαγόρας).219 Weitere Beispiele finden sich unter den Spottepigrammen auf unbegabte Redner, denen nichts einfällt und die daher so stumm sind wie ihre Statuen:220 So ähnelt das Bild des Redners Gessios dem Original so sehr in seiner Unfähigkeit, sich zu artikulieren, dass der Sprecher den delischen Apoll anrufen muss, damit der sie unterscheide (Palladas AP 16, 317):221 Κωφὸν ἄναυδον ὁρῶν τὸν Γέσσιον, εἰ λίθοϛ ἐστί,   Δήλιε, μαντεύου, τίϛ τίνοϛ ἐστι λίθοϛ. Du siehst den stummen und sprachlosen Gessios; wenn es aber ein steinernes Abbild ist, Delios, dann weissage uns, wer wessen Abbild ist.

219 Zum Zusammenhang der Schweigsamkeit eines Pantomimen und der des Pythagoras vgl. Ath. I 20d; Lukian. Salt. 70; die Anfangsstellung des αὐτόν spielt (neben dem oben S. 206 Gesagten) zudem mit der Bedeutung »Herr, Meister«, die in der Maxime der Pythagorasschüler αὐτὸς ἔφα (Diog. Laert. 8, 46) zum Ausdruck kommt. 220 Zu diesem Topos s. Brecht 30. Ausonios hat eine Reihe von Epigrammen dieser Art auf einen Redner namens Rufus verfasst, von denen einige direkte Imitation der griechischen Beispiele sind, die im Folgenden behandelt werden (45–7, 51–2 Kay). 221 Für das Motiv vgl. Apul. Met. 2, 25, 5: Nec mora, cum me somnus profundus in imum barathrum repente demergit, ut ne deus quidem Delphicus ipse facile discerneret duobus nobis iacentibus quis esset magis mortuus.

Die Rede des Toten seit dem Hellenismus

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Die epigrammatisch verbreitete Wendung τίς τίνος (wie heißt du und wer ist dein Vater?)222 ist hier in neuer Bedeutung verwendet. Da man Bild und Person nicht unterscheiden kann, kann man ebenso gut den Redner als Abbild seines Abbilds bezeichnen (Anon. AP 11, 151): Ῥήτορος ἅδ᾽ εἰκών, ὁ δὲ ῥήτωρ εἰκόνος εἰκών.   καὶ πῶς; οὐ λαλέει· οὐδὲν ὁμοιότερον. Dies ist das Abbild eines Redners, der Redner aber ein Abbild seines Abbilds. Wie das? Er spricht nicht. Nichts ist ähnlicher.

In der Junktur εἰκόνος εἰκών zeigt sich dasselbe Interesse an dem »vertikalen« Aspekt der Mimesis, das bereits in den Epigrammen auf Pantomimen zum Ausdruck kam:223 Dem echten Rhetor fehlt zur vollkommenen Ähnlichkeit mit seinem Bild nur die Sprechfähigkeit, d. h. er verhält sich zu diesem wie sonst das Kunstwerk zum Original. Derselbe Gedanke der »Umkehrung der Hierarchie« begegnet in Anon. AP 11, 145: Εἰκὼν ἡ Σέξστου μελετᾷ, Σέξστος δὲ σιωπᾷ· εἰκὼν ἦν ῥήτωρ, ὁ δὲ ῥήτωρ εἰκόνος εἰκών. Das Abbild des Sextus übt eine Rede ein, Sextus aber schweigt. Das Abbild ist der Redner, der Redner das Abbild seines Abbilds.

Das Abbild des Sextus ist so lebensecht, dass man meint, der Dargestellte übe gerade eine Rede ein. Sextus selbst aber steht nur stumm da, wieder fehlt ihm, wie einem Bild, die Stimme. Das folgende Epigramm ist als versuchter Dialog zwischen Betrachter und Bildnis gestaltet (Anon. AP 16, 318): Τίς σὲ τὸν οὐ λαλέοντα τύπῳ ῥητῆρος ἔγραψεν;   σιγᾷς; οὐ λαλέεις; οὐδὲν ὁμοιότερον. Wer hat dich, der sonst kein Wort herausbringt, im Stil eines Redners dargestellt? Du schweigst? Du sagst nichts? Nichts ist dir ähnlicher.

Der Betrachter wundert sich, dass auf einem Bild eine ihm offenbar bekannte Person, deren Name allerdings nicht genannt wird, als Redner dargestellt ist, 222 Beispiele auf S. 81 Anm. 190. 223 Vermutlich ist das Ganze auch im Zusammenhang mit der ontologischen Abwertung der Kunst bei Platon als Abbildung der Abbildung der Idee zu sehen; vgl. Clem. Alex. Prot. 10, 98, 3 ὁ δὲ Ὀλύμπιος ὑμῶν, εἰκόνος εἰκών, πολύ τι τῆς ἀληθείας ἀπᾴδων, ἔργον ἐστὶ κωφὸν χειρῶν Ἀττικῶν.

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Die Rede des Toten

obwohl diese Person sonst für ihre Aphasie bekannt ist, und befragt das Bild hierzu. Nach den Konventionen des Dialogepigramms wäre im Pentameter die Antwort des Denkmals zu erwarten. Diese aber unterbleibt hier. Gleichwohl erweist sich dies in den Augen des Betrachters nicht als Nachteil des Kunstwerks, vielmehr kommt es dem Dargestellten so besonders nahe. Eine Variation hiervon steht in Anon. AP 11, 149: Αὐτὸν ὁρῶ σέ, Μέδον, τὸν ῥήτορα. φεῦ, τί τὸ θαῦμα;   στειλάμενοϛ σιγᾷϛ· οὐδὲν ὁμοιότερον. Dich selbst sehe ich, Medon, den Redner. Oh, was ist das für ein Wunder? Du hast dich in Positur gestellt und – schweigst: Nichts ist dir ähnlicher.

Aufgrund der Eröffnung des Gedichts mit der Junktur αὐτὸν τὸν δεῖνα erwartet der Leser, dass eine Kunstwerksbeschreibung folgt, in der die Lebensechtheit des Bildes betont wird; insofern scheint die Bekundung des Staunens einen Zug des Bildes anzukündigen, der dieses als besonders lebendig erscheinen lassen wird. Dieser folgt nun auch, doch liegt er paradoxerweise gerade in einer Eigenschaft, welche traditionellerweise als Nachteil der Kunst gilt. Überhaupt sind die motivischen Ähnlichkeiten in der Behandlung von unfähigen Rhetoren und Pantomimen auffällig, was schon allein sachlich naheliegt: ein Redner, der zwar Gesten einsetzt, aber keine Worte findet, mag als Pantomime erscheinen. Insofern aber auch Redner im Prinzip »Darsteller« eines Sachverhalts sind, also Vertreter einer mimetischen Kunst,224 wird auch an ihnen der Wettstreit der Künste exemplifiziert. Gerade das zuletzt behandelte Epigramm AP 11, 149 scheint wieder einen Bogen zurück zu den Grabinschriften zu schlagen, im Speziellen zu der Grabinschrift, in der sich der Sohn über das Schweigen der toten Mutter wunderte:225 [μῆτερ ἐμ]ή, καλέω σε – τί τὸ ξένον; οὐκ ἐσαίεις / [παιδὸ]ς ὀδυρομένοιο καὶ ἄλλιτον ἄλγος ἔχοντος; / [ν]αὶ λίτομαι, γλυκερὴν ἀπὸ χείλεος ἔκβαλε φωνήν / ὡς πάρος. οὐ λαλέεις καὶ ὀρείνομαι κτλ. Zu vergleichen ist φεῦ, τί τὸ θαῦμα und τί τὸ ξένον sowie σιγᾷς und οὐ λαλέεις.226 Ob hier ein intertextueller Bezug vorliegt, ist fraglich; allerdings scheint die Ähnlichkeit auch nicht zufällig zu sein: Die Reflexion über die Natur der Stimme des Denkmals stellt offenbar ein allgemeines Interesse der Epigrammatik seit dem Hellenismus dar, das in deren verschiedenen Subgenera in jeweils eigentümlicher Weise behandelt wird und das, wie sich hier gezeigt hat, nicht auf die literarische Epigrammatik beschränkt blieb, sondern auch Eingang in die Versinschriften gefunden hat.

224 Zur Rhetorik als Modellkunst des Pantomimus s. Schlapbach 2008, 331–6. 225 GVI 1920, s. S. 179 f. 226 Vgl. auch σιγᾷς; οὐ λαλέεις in AP 16, 318.

IV. Das belebte Objekt als Bild einer Person: der Topos der Lebensechtheit des Kunstwerks

Ein Traditionsstrang der Verlebendigung eines Objekts, der zunächst nicht in direkter Verbindung mit der Ich-Rede der Objekte steht, führt darauf zurück, dass diese, wenn sie Abbildungen von etwas Lebendigem (d. h. Abbildungen eines Gottes, Menschen oder Tieres) sind, selbst als »lebendig« erscheinen können. Der Betrachter einer solchen Darstellung kann sich, mag er auch wissen, dass es sich letztlich um ein materielles Objekt handelt, der Vorstellung nicht ganz erwehren, dass das Bild »echt« sei.1 Zarah Newby beschreibt diesen Konflikt mit den Begriffen ›erudition‹ (i. e. das erlernte Wissen, dass Bilder nicht lebendig sind) und ›absorption‹.2 Die Betonung dieser »Lebendigkeit« oder Lebensechtheit eines Kunstwerks ist eines der Themen, die in der hellenistischen Literatur überhaupt und insbesondere in der Untergattung des ekphrastischen Epigramms3 immer wieder auftauchen.4 Dies stellt wohl eine Reaktion auf den Naturalismus der Darstellung dar, den die bildende Kunst im 4. Jh. v. Chr. erreicht hatte – zwar wurde bereits seit der Archaik von Kunstwerken gesagt, dass sie »wie lebendig« erscheinen,5 doch die nun zu beobachtende detailgetreue Nachahmung der Wirklichkeit muss auf den zeitgenössischen Betrachter eindringlich gewirkt haben und wirft so die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Realität mit besonderem Nachdruck auf. Dazu kommt, dass sich im Frühhellenismus das Verständnis der Rolle des bildenden Künstlers wandelt und zunehmend neben der handwerklichen seine schöpferische Leistung anerkannt wird, was ihn der Rolle

1 Vgl. Platt 2011, 2 »The viewer’s simultaneous desire for the image to be ›real‹ and re­ cognition of its status as man-made object.« 2 Zitiert bei Platt 2011, 2. 3 Es ist oft angemerkt worden (z. B. Gutzwiller 2002, 85 Anm.  1), dass der Begriff »ekphrastisches Epigramm« in dieser Verwendung nicht der antiken Terminologie entspricht, dass aber gleichwohl die Vielzahl der Epigramme auf Kunstwerke und deren Ähnlichkeiten untereinander es nahelegen, dass Epigramme, die Kunstwerke beschreiben, bereits in der Antike als eine zusammenhängende Untergruppe der Epigrammatik betrachtet wurden. 4 Zum Motiv der Lebensechtheit im ekphrastischen Epigramm s. den Katalog bei Mana­ kidou 1993, 257–9; Rossi 2001, 19 Anm. 21; 18 Anm. 20 mit Lit. Auch Petrons Trimalchio kannte den Topos, wendet ihn aber in falschem Zusammenhang an (52, 1): »Kassandra« ermordet ihre Söhne et pueri mortui iacent sic ut vivere putes (s. Jucker 1950, 172 Anm. 1). 5 Z. B. Hom. Il. 18, 548 f.; weitere Stellen bei Jucker 1950, 172 Anm. 1.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

des Dichters annähert.6 So dient jetzt die Herausstellung des Naturalismus der bildenden Kunst den hellenistischen Dichtern implizit dazu, im Vergleich von bildender Kunst und Literatur auf die »lebensechten«, d. h. auf die naturalis­ tischen und realistischen Züge ihrer eigenen Kunst hinzuweisen.7 Eine beliebte Art und Weise, die Lebensechtheit des Kunstwerks herauszustellen, liegt darin, durch eine »Verwischung« der Grenzen zwischen Bild und Person die Frage nach dem Verhältnis von Kunstwerk und Dargestelltem aufzuwerfen: Inwieweit »ist« das Bild die Person; lassen sie sich überhaupt voneinander unterscheiden, und wenn ja, wodurch? In diesem Kapitel versuche ich zu zeigen, wie die zunächst literarisch nachweisbare Problematisierung dieses Verhältnisses sich dann auch in den Inschriften niederschlägt, zuvor aber, welche Vorläufer dieses Verfahren in der Archaik und Klassik bereits hatte. Das Verhältnis von Kunst und Realität wird bereits in den homerischen Kunstbeschreibungen thematisiert, und auch im vorhellenistischen Epigramm finden sich gewisse Motive, an die von den hellenistischen Dichtern angeknüpft wurde – hierin zeigt sich somit wieder der auch sonst beobachtete Rückbezug des hellenistischen Epigramms auf seine archaischen und klassischen Wurzeln. Was die Vorläufer des Topos der Lebensechtheit angeht, scheint es sinnvoll, drei Aspekte hervorzuheben: Zunächst solche Inschriften, in denen die Ähnlichkeit von Bild und dargestellter Person konstatiert wird (1.1.1.), dann Inschriften, die eine Bildbeschreibung enthalten, die also bereits »ekphrastisch« genannt werden können (1.1.2.),8 und schließlich die (besonders inschriftlich nachweisbare) Gewohnheit, eine Statue einfach mit dem Namen der Person zu bezeichnen, d. h. Bild und Person sprachlich zu identifizieren; denn gerade in dieser Redeweise ist das Problem des Verhältnisses von Kunstwerk und Dar 6 Schweitzer 1925, 102 f.; Schweitzer 1932, 7. 7 S. hierzu Zanker 1987, 43–50 mit Beispielen für das Lob der Kunst des 4. Jh. in der hellenistischen Dichtung. Zum »Realismus« der hellenistischen Literatur vgl. auch Zanker 1983. Die Begriffe »Naturalismus« und »Realismus« werden bisweilen so voneinander abgegrenzt, dass Naturalismus die exakte Nachahmung eines beliebigen realen Vorbilds, Realismus die Integration des Alltäglichen, des Hässlichen, des Niederen in die künstlerische Darstellung bezeichnet; Naturalismus bezieht sich dann eher auf das »Wie«, Realismus zusätzlich auf das »Was« der Darstellung. So verstanden, besitzen sowohl die hellenistische Literatur wie auch die von ihr beschriebene Kunst naturalistische und realistische Züge. Gleichwohl wird innerhalb des hier zu behandelnden Topos der Lebensechtheit vor allem der Naturalismus der Darstellung gelobt, so dass im Folgenden die Begriffe »Naturalismus« / »naturalistisch« benutzt werden. 8 Die inschriftlichen Vorläufer der hellenistischen ekphrastischen Epigramme sind von Bruss 2010 (vgl. Bruss 2005, 15 Anm. 81) untersucht worden, der darlegt, wie sich verschiedene Elemente der Ekphrasis, z. B. die Identifizierung eines Gegenstandes, die Nennung des Künstlernamens und eine Beschreibung der Emotionen, die das Kunstwerk beim Betrachter auslöst, bereits in den vorhellenistischen Versinschriften finden; demgegenüber sollen hier nur solche Inschriften besprochen werden, die als Bildbeschreibung aufgefasst werden können oder sich selbst so ausweisen; vgl. auch Peeks Kategorie »Bilderläuterungen« (GVI V 1).

Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit

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gestelltem bereits in nuce vorhanden (1.1.3.). Dabei sollen auch literarische Zeugnisse herangezogen werden, die diesen »Eigennamen-Typus«9 illustrieren; im Mittelpunkt soll dabei die für unsere Zwecke besonders relevante Frage stehen, inwieweit sich über die bloße Verwendung des Eigennamen-Typus hinaus Strategien der Ineinssetzung von Bild und Person schon vor dem Hellenismus zeigen. Da aber das Motiv der Lebensechtheit zwangsläufig auch die Frage nach den Differenzen von Kunst und Wirklichkeit aufwirft, müssen auch solche Vor­ läufer zur Sprache kommen, welche zwischen Bild und Person unterscheiden. Vor diesem Hintergrund der vorhellenistischen Ausdrucksformen für das Verhältnis von Bildnis und Dargestelltem sollen dann die hellenistischen Neuerungen untersucht werden.

1. Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit 1.1. Vermischungen von Bild und Person 1.1.1. Ähnlichkeit: »So, wie du mich hier siehst« Es ist auffällig, dass unter den etwa 900 von Hansen gesammelten Versinschriften bis zum 4.  Jh. v. Chr. Beschreibungen des Denkmals, die über allgemeine Angaben wie »schön«10 oder über die Angabe des Materials hinausgehen, insgesamt selten sind; dies lässt sich zum Teil sicher dadurch erklären, dass eine Beschreibung des Kunstwerks nicht nötig war, da es dem Betrachter ja vor Augen stand. Dennoch finden sich neben wenigen Beispielen, in denen ein Kunstwerk beschrieben wird (1.1.2.), auch wenige solche, in denen eine Ähnlichkeit von Bildnis und Dargestelltem festgestellt wird. Bereits in CEG 394 (Sybaris, 600–550 v. Chr.), weiht der Olympiasieger Kleombrotos der Athene ein Bild ϝισομᾶκός τε πάχος τε (4), also in Lebensgröße.11 In zwei anderen Sieger­ epigrammen, die bereits in den frühen Hellenismus fallen, scheint im ersten (IG VII 2470, Theben, 320–284 v. Chr.) das Denkmal die Angriffshaltung des Pankratiasten Euankritos wiedergegeben zu haben (τοίας ἐκ προβολᾶς 3), im zweiten (CEG 827, Olympia, ca. 300 v. Chr.?) die Kampfhaltung des Faustkämpfers Philippos (ὧδε στάς 1). Das bronzene Standbild des lykischen Herrschers Arbinas zeigt allgemein dessen Kampfkraft (CEG 888, bei Xanthum, Anfang 4. Jh. v. Chr., i 10 τὸ σχῆμα ἐπιδείκνυται ἀλκήν). Schließlich lässt sich der Ausdruck τοῖος, ὁποῖον ὁρᾷς, der eine umfassende Übereinstimmung von Bild und 9 Der Begriff nach Daut 1975, 14 Anm. 1 (u. ö.). 10 Beispiele bei Rossi 2001, 19 Anm. 22. 11 Ebert (S. 252 mit Anm. 7) erwägt, ob der Ausdruck neben der Lebensgröße eine besonders kräftige Statur bezeichne, und weist darauf hin, dass eine Porträtähnlichkeit in dieser Zeit noch nicht angestrebt wurde.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Person zu bezeichnen scheint,12 zum ersten Mal in einem Siegerepigramm des 4. Jh. nachweisen (CEG 862, Kos, 350–300 v. Chr. = Ebert 49): [ca. 8–9 ]μένοις ἐτύμα φάτις ἱππ[άδ]α [νίκαν]   [εἶναι ?καλλίστα]ν κείναι Ὀλυμπιάδι, [ᾇι] Κ ώιων ὁ [Ξ]ε[ιν]ο[δ]ίκου Πισαῖον ἄεθλον   πρῶτος ἑλὼν Μ  έροπος νᾶσον ἐσαγάγ[ε]τ[ο] τοῖο[ς], ὁποῖον ὁ[ρ]ᾶις, Ξεινόμβροτο[ς· οὗ κλέος] Ἑλλὰς   ἄφθιτον ἀείδε[ι] μνωμένα ἱπποσύνας. Dies ist die wahre Kunde für alle, die [Auskunft begehren?]: Glanzvoll (?) war der Sieg mit dem Pferd in jener Olympiade, in der des Xenodikos Sohn als erster der Koer Pisas Kampfpreis errang und ihn brachte zur Insel des Merops, so, wie du ihn (hier) siehst, Xenombrotos. Seinen unsterblichen Ruhm besingt Hellas, seiner hippischen Kunst gedenkend. (Üb. Ebert)

Weitere Beispiele finden sich dann in der hellenistischen und in der lateinischen Literatur.13

1.1.2. Kunstwerksbeschreibungen Im Folgenden sollen einige Inschriften angeführt werden, welche als sprachliche Erläuterung eines zum Denkmal gehörenden Bildes (einer Statue, eines Reliefbildes) aufgefasst werden können; solche Erläuterungen sind in den vorhellenistischen Inschriften oft noch so rudimentär, dass man sie nicht eigentlich als Kunstwerksbeschreibungen bezeichnen möchte: Recht häufig ermöglicht 12 Zum Problem, ob damit Porträtähnlichkeit ausgedrückt wird, s. Ebert S. 157. 13 Im Hellenismus vgl. Alkaios von Messene AP 9, 588, auf einen Sieger in mehreren Wettkämpfen (1 f. = HE 106 f.): οἷον ὁρῇς, ὦ ξεῖνε, τὸ χάλκεον εἰκόνι λῆμα / Κλειτομάχου, τοίαν Ἑλλὰς ἐσεῖδε βίαν. Die Entsprechung von Kunstwerk und Person wird hier durch das doppeldeutige χάλκεον unterstrichen, das sowohl das Material der Statue wie den Charakter des Dargestellten bezeichnet (so bereits Gow/Page a.l.; zu dieser literarischen Technik in den Inschriften überhaupt s. u. Kap. IV.2.2.4.). Der Topos begegnet auch in der Darstellung des Faustkämpfers Amykos in Theokrits 22.  Idyll, der »eisernes Fleisch« besitzt (47 σαρκὶ σιδηρείῃ), und der auch sonst als Statue beschrieben wird; der Zusammenhang dieser Stelle mit AP 9, 558 wurde bereits von Sens 1997 ad Id. 22, 47 herausgestellt. Auffällig ist aber, dass auch hier die Wendung in der Form τοιόσδ᾽, οἷον ὁρᾷς begegnet (59); sie begegnet sonst in dieser Zeit nur noch bei Leonidas AP 9, 316, 3 f. = HE 2129 f. ὁ μὲν Ἑρμᾶϛ / οἷον ὁρῇϛ μ(ε). Da mit der Wendung τοῖος, οἷον ὁρᾷς an drei Stellen Statuen von Athleten (bzw. ein statuenhafter Athlet) beschrieben werden, wobei der älteste Beleg inschriftlich ist, mag man vermuten, dass CEG 862 hier als einzig erhaltenes Beispiel einen Topos der Siegerinschriften illustriert, auf den Alkaios und Theokrit Bezug nehmen. (Vermutlich) später begegnet der Ausdruck auch in einem Priapeum (Anon. AP 16, 86, 2–3) τοῖος, ὁκοῖον ὁρᾷς, ὦ παρ᾽ ἔμ᾽ ἐρχόμενε, / σύκινος, mit dem wiederum Carm. Priap. 6, 1 Quod sum ligneus, ut vides, Priapus zu vergleichen ist. Vgl. außerdem das Grabepigramm CIL VI 17985a, 2 Flavius, idem ego sum discumbens, ut me videtis (die Inschrift begleitet ein Kline-Monument).

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es ein Grabepigramm, im Relief dargestellte Personen als den Toten bzw. dessen Verwandten zu identifizieren (allerdings tauchen bisweilen im Relief auch Personen auf, die im Epigramm nicht erwähnt werden, oder die Zuschreibung bleibt überhaupt unklar). In einigen Fällen ist es denkbar, dass der Verfasser des Epigramms das Bild auf dem Grabmal nicht kannte oder es nicht eigens berücksichtigte. Bisweilen gibt es aber auch exaktere Entsprechungen, etwa wenn im Grabepigramm CEG 566 (Attika, nach ca. 350 v. Chr.?) die Tote Chairestrate als Kybelepriesterin bezeichnet wird, und im Relief ein Schlüssel und ein Tympanon, Gegenstände der Kybelemysterien, dargestellt sind.14 Als Vorstufe einer Kunstwerksbeschreibung lässt sich die Inschrift auf dem Denkmal der Ampharete deuten. Auf ihrer Grabstele befindet sich ein Reliefbild, das eine sitzende Frau zeigt, die mit der Linken ein Kind auf ihren Knien hält; in der erhobenen Rechten hält sie einen Vogel.15 Die über dem Relief stehende Inschrift lautet (CEG 89, Attika, ca. 410 v. Chr.): Ἀμφαρέτη. τέκνον ἐμῆς θυγατρὸς τόδ᾽ ἔχω φίλον, ὅμπερ ὅτε αὐγὰς   ὄμμασιν ἠελίο ζῶντες ἐδερκόμεθα ε῏χον ἐμοῖς γόνασιν καὶ νῦν φθίμενον φθιμένη᾽χω. Ampharete. Dieses liebe Kind meiner Tochter hier halte ich, das ich, als wir die Strahlen der Sonne mit den Augen lebend erblickten, auf meinen Knien hielt und das nun als Totes ich, die Tote, halte.

Die Inschrift identifiziert die Personen und beschreibt die dargestellte Szene knapp, aber recht genau; insbesondere stellt es eine Kontinuität der Beziehung zwischen Großmutter und Enkelkind über den Tod hinweg fest. Ob das Epigramm damit einen Aspekt ausformuliert, der bereits im Bild enthalten ist, wurde durchaus unterschiedlich beurteilt: So sieht Christoph Clairmont im Relief eine Szene aus dem Leben dargestellt,16 Robert Garland denkt an eine Jenseitsdarstellung.17 Diese Frage führt auf ein grundsätzliches Problem attischer Grabreliefs, nämlich ob der Tote im Bild nicht nur »im Leben«, sondern bereits »entrückt« gezeigt wird.18 Es ist auffällig, dass das Epigramm gerade 14 Darauf weisen bereits Clairmont 1970, 98 und Bruss 2010, 398 hin. 15 Abbildung bei Clairmont 1970, Tafel 11 Nr. 23. 16 Clairmont 1970, 70: »A domestic scene stands before us which glows with life.« 17 Garland 1985, 68: »there can be no doubt at all that the action is conceived of as taking place in Hades.« 18 Forschungsüberblick bei Clairmont 1993, 130–6; Hölscher 2007, 86 argumentiert gegen eine Entrückung und spricht stattdessen von »einer emotionalen Zuwendung […], die die Szene mit den Bewußtsein des Todes durchdring[t]«. Speziell zum Relief der Ampharete vgl. Johansen (zitiert nach Clairmont 1970, 70): »a union of life and death in a common sphere beyond time and place«.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

diesen Aspekt thematisiert, indem es deutlich beide Zustände im Sinne eines »früher«  – »jetzt« (ε῏χον  – καὶ νῦν (ἔ)χω) unterscheidet.19 Eine narrative Ausgestaltung der Szene liegt hier noch nicht vor, aber bereits eine sprachliche Erweiterung des Bildinhalts in der Zeit.20 Ein weiterer Schritt in Richtung auf das ekphrastische Epigramm liegt dann vor, wenn nicht nur stillschweigend Entsprechungen zwischen Bild und Text bestehen, sondern eine Darstellung explizit beschrieben wird. Hierfür finden sich zwei inschriftliche Beispiele, die in die zweite Hälfte des 4. Jh., evtl. schon in den frühen Hellenismus fallen. Das eine steht auf einer griechisch-phönizischen Bilingue (CEG 596, Attika, ca. 340–317 v. Chr.): μηθεὶς ἀνθρώπων θαυμαζέτω εἰκόνα τήνδε, ὡς περὶ μέν με λέων, περὶ δὲγ πρῶιρ᾽ ἰγκτετάνυσται·   ἦλθε γὰρ εἰχθρολέων τἀμὰ θέλων σποράσαι· ἀλλὰ φίλοι τ᾽ ἤμυναν καί μου κτέρισαν τάφον οὕτηι, οὓς ἔθελον φιλέων, ἱερᾶς ἀπὸ νηὸς ἰόντες· Φοινίκην δ᾽ ἔλιπον, τεῖδε χθονὶ σῶμα κέκρυνμαι. Niemand unter den Menschen wundere sich über dieses Bild, darüber, daß auf meiner einen Seite ein Löwe, auf der anderen ein Bug ausgespannt ist: Es kam nämlich ein Feindlöwe, der das Meine zerreißen wollte; aber die Freunde wehrten ihn ab und bestatteten mich ehrenvoll in diesem Grab, die ich gerne wollte / gewollt hätte, kommend von einem heiligen Schiff. Phönizien verließen sie (verließ ich), in dieser Erde liege ich als Leichnam begraben. (Üb. Hölscher/Möllendorff)

Über der Inschrift befindet sich ein Relief, das in der Mitte den Toten auf einer Bahre oder Liege zeigt, auf dessen beiden Seiten zwei Figuren stehen, die sich über ihn beugen, zur Linken ein Löwe, zur Rechten ein Mann, dessen Kopf anscheinend durch ein Schiffsheck ersetzt wurde.21 Diese seltsame Darstellung wird dann explizit im Gedicht beschrieben und erklärt: So wird der Löwe als feindlicher Angreifer, die Figur zur Rechten (wenn sie den Löwen tatsächlich abwehrt, wie Stager beschreibt) als einer der helfenden φίλοι gedeutet; die Erklä 19 Vierneisel 1968, 120: »Eine entscheidende Hilfe aber für die Interpretation des Reliefs ist die symptomatische Aussage des Epigramms, daß der Bildvorwurf vom Leben genommen und im Tode gesehen ist, ein deutlicher Hinweis auf jenen eigentümlichen Doppelsinn, den wir nicht nur in diesem Falle auch im Reliefbild wiederzuerkennen gewohnt sind.« 20 Dies gilt, wenn das Reliefbild nur das Leben (Clairmont) oder nur den Tod (Garland) darstellt: dann würde das Gedicht über das Bild hinausgehen; wenn im Bild bereits Leben und Tod gemeinsam dargestellt sind, würde das Gedicht diesen bereits angelegten, aber bildlich nicht leicht darstellbaren Doppelsinn verdeutlichen. 21 Nach Stager 2005, 434 ist der Kopf der rechten Figur abgebrochen, und das Schiffsheck von der Figur getrennt dargestellt; demgegenüber betonen Hölscher/Möllendorff 2008, ­295–7, dass das Heck den Kopf bildete, und verbinden diese (schon für den zeitgenössischen Betrachter) befremdliche Darstellung mit dem ebenso befremdlichen, mehrere hapax legomena enthaltenden Text .

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rung des Bildes ist dabei nicht lediglich beschreibend, sondern narrativ, sie verwandelt die Darstellung in eine Geschichte.22 Das hier angewandte Verfahren, ein unverständliches bzw. schwer verständliches Bild erst in seiner Komposition zu beschreiben (vgl. die Angaben περὶ μέν  … περὶ δέ sowie die Vokabel ἰγκτετάνυσται (ἐκτετάνυσται), welche hier wohl so viel wie »im Bild hingebreitet« bedeuten muss)23 und dann eine Erläuterung zu geben, lässt sich auch sonst nachweisen; insbesondere begegnet es als Einstieg für eine längere Erzählung, die ihren Ausgang von einem Bild nimmt (vgl. die Bildbeschreibungen in der Tabula Kebetis und im Longos-Proömium). Doch auch in den ekphrastischen Epigrammen tritt häufig ein Exeget eines Kunstwerks auf, wobei oft das Kunstwerk selbst die Erklärungen beisteuert (etwa der Kairos des Lysipp in Poseidipp AP 16, 275 = HE 3154–65). Das zweite Beispiel ist ein Weihepigramm, das in Delphi eine Statuengruppe der beiden Künstler Lysipp und Leocharis begleitete, welche eine Löwenjagd Alexanders des Großen zeigte (CEG 878, Makedonien, wenige Zeit nach 321 v. Chr.):

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υἱὸϛ Ἀλεξάνδρου Κρατερὸϛ τάδε τὠπόλλων[ι]   ηὔξατο, τιμάεις καὶ πολύδοξος ἀνήρ. στᾶσε δ᾽ ὃν ἐμ μεγάροις ἐτεκνώσατο καὶ λίπε παῖδα,   πᾶσαν ὑποσχεσίαν πατρὶ τελῶν Κρατερός, ὄφρα οἱ ἀίδιόν τε καὶ ἁρπαλέον κλέος ἄγρα,   ὦ ξένε, ταυροφόνου τοῦδε λέοντος ἔχοι· ὅμ ποτε Ἀλ[εξά]νδρωι τότε ὅθ᾽ εἵπετο καὶ συνεπόρθει   τῶι πολυαιν[ήτωι] τῶιδε Ἀσίας βασιλεῖ, ὧδε συνεξαλάπαξε καὶ εἰς χέρας ἀντιάσαντα   ἔκτανεν οἰονόμων ἐν περάτεσσι Σύρων. Krateros, der Sohn des Alexandros, gelobte diese (Weihgeschenke) dem Apollon, ein geehrter und vielgerühmter Mann. Aufgestellt hat sie sein Sohn, den er in den Hallen zeugte und dort zurückließ, Krateros, der seinem Vater jede Hoffnung erfüllte, damit zu seinen Ehren die Jagd, Fremder, dieses stiertötenden Löwen ewigen und anziehenden Ruhm besitze; diesen Löwen, als er einst Alexander folgte und mit ihm ins Feld zog, dem vielgepriesenen König Asiens, überwältigte er so mit ihm zusammen und, als er sich ihnen im Nahkampf stellte, tötete ihn, im Gebiet der Schafe weidenden Syrer.

22 Hölscher/Möllendorff 2008, 332–3 stellen dagegen fest, dass der Text eine Erklärung des Bildes nur ankündigt, aber nicht einlöst, da die im Text gegebenen Erklärungen letztlich auch bei eingehender Betrachtung des Bildes erschlossen werden könnten; Bild und Text seien »tautologisch«. 23 Hölscher/Möllendorff 2008, 306 denken an eine Bedeutung »ist ausgespannt«, was zum Rätselcharakter der Inschrift beitrage. Für die Bedeutung »sich erstrecken« (ohne Implikation einer Anspannung) vgl. LSJ s. v. ἐκτείνω 1.

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In Krateros’ Namen stellte dessen gleichnamiger Sohn eine Nachbildung der Löwenjagd Alexanders des Großen auf, in der sich Krateros als Retter des Königs hervorgetan hatte. Während die Statuen selbst verloren sind, hat sich eine Beschreibung der Gruppe bei Plutarch erhalten (Alex. 40, 5), in der bronzene Standbilder des Löwen, der Hunde, Alexanders und Krateros’ erwähnt werden. Mit Ausnahme der Hunde lässt sich dieser Figurenschmuck auch aus dem Epigramm selbst erschließen; genauere Angaben aber etwa über die Anordnung der Figuren oder ihre Haltung erfahren wir hier nicht; wie in CEG 827 wird der Betrachter durch ὧδε auf das Kunstwerk selbst verwiesen. Dagegen liefert das Gedicht Angaben zu Ort und Zeit des Geschehens (Alexanders Kriegszug in Syrien). Das Epigramm beschreibt den entscheidenden Moment der Jagd, nämlich die Tötung des Löwen im Handgemenge, und es ist denkbar, dass dieser auch künstlerisch dargestellt war; vermutlich gibt ein messenisches Relief die delphische Gruppe wieder.24 Auf dem Relief ist in der Mitte der von Hunden gestellte Löwe zu sehen, dem rechts ein Mann mit zum Schlag erhobener Axt gegenübersteht; der Kopf des Löwen ist zur linken Seite zurückgewandt, von der sich ein Reiter nähert, der seinen Speer auf den Löwen gerichtet hat.25 Setzen wir diesen Bezug einmal voraus und untersuchen, wie sich Epigramm und Statuengruppe zueinander verhalten: Das Gedicht weckt nach der Er­ wähnung der Jagd in 5 f. und dem deiktischen Verweis (τοῦδε) auf den (wohl zentralen) Löwen durch das Relativum am Anfang von Vers 7 die Erwartung, dass nun der Jagdhergang erzählt werde; durch den retardierenden Einschub des Temporalsatzes der Verse 7–8 wird dann Spannung erzeugt; Vers 9 beginnt mit einem erneuten deiktischen Hinweis (ὧδε) und zeigt, dass jetzt der bildlich dargestellte Moment beschrieben wird: Überwältigung des Löwen26 und das Handgemenge – der rein daktylische Vers unterstreicht die Intensität des Kampfes –, wobei der Ausgang des Kampfes über die Versgrenze in den nächsten Vers verschoben wird; die Spannung löst sich dann in ἔκτανεν und beruhigt sich in der abschließenden Ortsangabe, die durch das Attribut οἰονόμων (als Kennzeichen für Zivilisation im Gegensatz zum ›unzivilisierten‹ Löwen) eine gewisse Ruhe einkehren lässt. Der Epigrammdichter hat demnach versucht, der Beschreibung der im Kunstwerk dargestellten Szene eine Bewegtheit zu geben. Nun ist gerade der kampfentscheidende Moment, das Herbeireiten des Krateros, auf das hin sich der Löwe umwendet, der sich so dem Axthieb Alexanders ausliefert, auch im

24 Hölscher 1973, 181–5. 25 Vgl. die Beschreibung und Abbildung bei Hölscher (1973, 183 f. mit Tafel 15, 3). 26 Hölschers Übersetzung für συνεξαλάπαξε »mit ihm gemeinsam zur Erschöpfung gebracht« lässt den Ausgang des Kampfes offen, was die Spannung noch steigern würde.

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Relief dargestellt.27 Hier wäre somit eine Entwicklung der ekphrastischen Technik bereits angedeutet, für die sich wiederum Poseidipps Gedicht auf den Kairos (ebenfalls ein Werk Lysipps) heranziehen ließe, in dem die durch den schnellen Wechsel von Rede und Gegenrede erreichte Bewegtheit das schnelle Vorbei­ ziehen des Gottes verdeutlicht, das auch bildlich hervorgehoben war.

1.1.3. Der »Eigennamen-Typus« – Vorhellenistische Strategien der Ineinssetzung von Bildnis und Dargestelltem Bereits in der frühen griechischen Literatur und den Inschriften wird das Bild einer Person mit dem Namen der Person bezeichnet. Diese Redeweise, die besonders in Bezug auf Götterbilder verbreitet zu sein scheint, aber auch für Menschenbilder gebraucht wird,28 scheint die Frage nach der Identität von Bild und Dargestelltem geradezu herauszufordern: Wenn wir auf einer Statuenbasis die Worte Ἀθηναίη ἐμι lesen, welche Aussage wird damit getroffen? Man kann die Formulierung einerseits als verkürzte Ausdrucksweise, als eine Katachrese auffassen: Die Statue sagt zwar von sich, sie »sei Athene«, meint aber, sie sei ein »Bild« der Athene, d. h. sie ist jedenfalls nicht völlig mit der in ihr repräsentierten Göttin identisch; ist dies der Fall, wäre weiterhin nach dem Bildbegriff zu fragen, d. h. danach, wie das Verhältnis von Statue und Göttin eigentlich verstanden wurde: Repräsentation? Imitation? (zeitweiliger) Wohnsitz? etc. Die Formulierung lässt es andererseits auch zu, hier eine völlige Identifikation von Statue und Gottheit zu erkennen: Das Bild »ist« (identisch mit) Athene, Gottheit und Bild sind nicht zu unterscheiden. Es geht also um nichts weniger als die Frage nach dem ontologischen Status des Götterbildes im Speziellen sowie des Bildes im Allgemeinen: Ist die hier behauptete Identität von Statue und Gottheit Ausdruck einer religiösen Vor­ stellung, etwa der Präsenz der Gottheit in ihrem Kultbild? Oder zeigt sich hier, noch grundsätzlicher, dass im archaischen Denken zwischen Bild und Dargestelltem überhaupt nicht differenziert wurde? Die erste dieser beiden Fragen kann im Rahmen dieser Arbeit, die den Eigennamen-Typus als literarisches Phänomen betrachtet, nicht beantwortet werden;29 gleichwohl wird es sich zeigen, dass gerade bei Götterbildern 27 Hölschers Beschreibung stellt dies deutlich heraus, ohne allerdings auf den entsprechenden Spannungsbogen im Epigramm einzugehen. 28 Einen Überblick über den literarischen Sprachgebrauch gibt Scheer 2000, 46–54. 29 Was diese Frage der »religiösen Identifikation« angeht, so sind in der Forschung gegensätzliche Ansätze vertreten worden, die von einer weitgehenden Gleichsetzung oder Einheit auf der einen Seite bis hin zu einer völligen Trennung auf der anderen Seite reichen. Ein Überblick über diese Positionen findet sich bei Scheer 2000, 44–6 (sie selbst schlägt einen Mittelweg ein, 301–13). Scheer (2000, 44–143) hat auch die antiken Zeugnisse, die für und die gegen eine solche Identifikation sprechen, zusammengestellt. Die Zeugnisse, die eine Präsenz

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die Spannung zwischen Identität und Alterität in den Texten immer wieder thema­tisiert und für literarische Effekte nutzbar gemacht wird; was dies aber über den »wirklichen« Glauben der Verfasser aussagt, steht auf einem anderen Blatt. Die zweite Frage ist mit guten Gründen verneint worden; insofern sie sich auf Inschriften der Form Ἀθηναίη ἐμι stützt, liegt m. E. auch eine zu einseitige Festlegung dieser Texte hin auf eine Identitätsaussage vor, die ihnen nicht gerecht wird.30 Wie dargelegt, ist die Identität von Bild und Dargestelltem eine mögliche, aber nicht die einzige Deutung. Die prinzipielle Offenheit der Deutung spricht auch keineswegs notwendigerweise für ein naives Verständnis oder ein Desinteresse an der genaueren Bestimmung des Verhältnisses von Bild und Dargestelltem; vielmehr könnte gerade dadurch der ambivalente Status des Bildes zwischen »Realität« und »Wirklichkeit« prägnant zum Ausdruck gebracht

der Gottheit im Bildnis zu belegen scheinen, sind reichhaltig: »Häufig werden Lebensäußerungen von Standbildern berichtet: sie lachen, reden, schließen die Augen, um keine Freveltat erblicken zu müssen, oder wenden sich ab, blicken dem Beschauer nach; schwitzen, bewegen sich, und anderes mehr, kurz, ihnen ist, wie Iustinus Märtyr sagt, alles möglich.« (Weinreich 1909/10, 146 mit Belegstellen; vgl. außerdem die Sammlungen von Poulsen 1945; Faraone 1992; Morris 1992; Steiner 2001; ThesCRA II, 5 »Kultbilder betreffende Riten und Handlungen«); Jeremy Tanner erweitert die schriftlichen Zeugnisse um eine Reihe von Argumenten, die sich aus der archäologischen Betrachtung von Kultstätten ergeben (z. B. sollen lichtreflektierende Becken Lichtspiele im Tempel und auf der Kultstatue erzeugen und so deren Lebendigkeit suggerieren, s. Tanner 2001, 262 f.). Allerdings gibt es auch Stimmen, die Idolatrie als Aberglaube ablehnen. Kritik an der Bilderverehrung beginnt bei den Vorsokratikern und durchzieht die gesamte Antike bis in christliche Zeit. So kann Heraklit seine Zeitgenossen dafür rügen, sich mit Götterbildern zu unterhalten; das sei, so sagt er, nichts anderes, als mit Häusern zu sprechen (Fr. 5 B DK; vgl. Xenophanes Fr. 15 B DK zum Anthropomorphismus der Götterbilder). Das Heraklit-Zitat ist (u. a.) bei Clemens Alexandrinus überliefert, der im 4. Buch des Protreptikos ausführlich gegen die Verehrung von Götterbildern argumentiert. Diese Zeugnisse ließen sich durch zahlreiche weitere vermehren, welche allerdings jeweils die Haltung einer intellektuellen Minderheit zu repräsentieren scheinen, namentlich der Philosophen oder philosophisch Gebildeten (s. hierzu Geffcken 1916–19, 286–315; die Philosophen als Vertreter einer Minderheitenmeinung: Scheer 2000, 36; Tanner 2007). Für weitere Stellen zur christlichen Polemik gegen Götterbilder s. G. Kittel (Hrsg.), Theol. Wörterbuch zum NT, Bd. 4, 273 Anm. 9 (s. v. λίθος). Auffahrt (2007) sieht in der christlichen Polemik eine (ideologisch motivierte) schiefe Wiedergabe tatsächlichen heidnischen Glaubens, der sich bis in die Moderne und ihre Konzeption vom »Fetischismus« und der Opposition von »Götterbild« und »Gottesbild« fortsetze. 30 Philipp 1968 bespricht die archaischen Inschriften der Form »Name (im Nom.) + εἰμί« insgesamt und zieht daraus folgenden Schluss: »Bei diesen Inschriften ist eine bewußte Trennung zwischen Darzustellendem und Dargestelltem nicht spürbar, und es ist deshalb un­ genau zu sagen, »die abgebildete Person ist mit ihrem Bild eins geworden« oder »der Unterschied zwischen Abbild und dargestellter Person ist aufgehoben« – denn es gab noch keine derartige Trennung, die hätte überwunden oder aufgehoben werden müssen. Dennoch wußten die Griechen natürlich, dass diese Darstellungen aus einem toten Material gefertigt wa-

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sein, also der springende Punkt, der auch in modernen bildtheoretischen Ansätzen hervorgehoben wird;31 vor diesem Hintergrund erschienen dann hellenistische Problematisierungen dieses Aspekts nicht mehr als völlige Neuerungen, sondern als Konkretisierungen und Entfaltungen eines von Anbeginn inhärenten Problems. Im Folgenden soll das Phänomen des Eigennamen-Typus sprachlich und kontextbezogen erfasst werden. Welche Indizien, die für eine Vermischung oder Trennung sprechen, lassen sich über dessen bloße Verwendung hinaus aus dem unmittelbaren Kontext erschließen? Es bietet sich an, drei Fälle zu unterscheiden: Zum einen (1.1.3.1.) wird die Identität von Bild und Person durch die Verwendung des Eigennamen-Typus lediglich konstatiert, aber nicht weiter entfaltet – es werden im Text keine Aussagen getroffen, welche die Art der Idenren. Aber dieses Wissen war für ihr Verhältnis zur bildlichen Darstellung ohne Bedeutung« (21). Eine Parallele sieht sie in der Schildbeschreibung der Ilias: dort unterscheide der Dichter nicht deutlich zwischen tatsächlicher und künstlerisch (d. h. auf dem Schild) dargestellter Handlung (vgl. aber Primavesi 2002). Im pseudohesiodeischen Scutum und in einigen anderen Inschriften werde dagegen eine Unterscheidung beider deutlich, so dass sie von einer allmählichen Entwicklung eines Gespürs für den Unterschied von Abbild und Wirklichkeit ausgeht. Freilich gibt sie zu, dass sich diese Entwicklung in den Inschriften zeitlich nicht nachweisen lasse, sondern dass das »archaische« Modell der Ineinssetzung eine Zeit lang neben fortschrittlicheren Modellen stehe. Dieses »Entwicklungsmodell« geht wohl auf Bruno Snell zurück, der seinerseits bereits die Chares-Inschrift (s. u. S. 244) in diesem Zusammenhang zitiert hat (unter Berufung auf Schweitzer 1940 in Snell 2000, 101), und der ebenso dem evolutionären Ansatz der allmählichen Entdeckung des Unterschieds von Abbildung und Wirklichkeit folgt, der auf einer »primitiven« Frühstufe noch nicht erfolgt sei (vgl. außerdem Geffcken 1916–19, 286 »Für das ursprüngliche Gefühl, den naiven Glauben, fallen Bild und Original, Darstellendes und Dargestelltes, jederzeit zu einer gewissen Einheit zusammen«; Häusle 1979a, 54 »die vorliterarisch geglaubte Einheit von Darzustellendem und Dargestelltem […] der massiv vorhandene Glaube an die Einheit der beiden«). – Phillips Deutung der Schildbeschreibung wurde von Himmelmann widersprochen: »[…] die ständig eingeschobenen »technischen« Bemerkungen in der Schildbeschreibung zeigen, dass Lebendig­keit und Natürlichkeit des Geschaffenen gerade nicht auf einer unreflektierten Gleichsetzung mit der Wirklichkeit beruhen, sondern den Gipfel höchster Kunstfertigkeit darstellen. Das θαῦμα des sich dunkel färbenden Feldes (ἄρουρα) χρυσείη περ ἐοῦσα (Σ 549) beruht auf dieser bewußten Spannung von »Kunst« und Wirklichkeit.« (Himmelmann 1970, 292). Primavesi (2002, 203) weist darauf hin, dass das Lob der »Ähnlichkeit zwischen Bild und Dargestelltem […] die Differenz zwischen dem Bild einerseits und dem darauf dargestellten Geschehen andererseits [thematisiert]« (ähnlich O’Sullivan 2005, 101 zu Pind. Ol. 7, 52). 31 Vgl. Böhme 1999, der unter »Realität« den Artefaktcharakter des Bildes, unter »Wirklichkeit« das Dargestellte versteht (9): »Die Wirklichkeit des Bildes steht in einer Spannung zu dem, was es als Realität ist. […] Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage, wie man ein Bild ansieht und damit die Frage nach Variationen visueller Wahrnehmung überhaupt. Da ein Bild weder schlicht wie ein Stück Realität betrachtet werden kann, noch sich der Blick schlicht im Dargestellten verlieren darf, soll es als Bild wahrgenommen werden, so enthält ein Bild als solches schon eine innere Reflexion und den Ansatz zur Thematisierung von Wahrnehmungsweisen.«

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tität näher erläutern. In einem zweiten Schritt (1.1.3.2.) finden über die bloße Verwendung des Eigennamen-Typus hinaus weitere sprachliche Mittel Anwendung, die Kunstwerk und Dargestellten »verschmelzen« lassen (etwa doppeldeutige Adjektive, die sich sowohl auf das Kunstwerk als auch auf die Person beziehen lassen). Allerdings wird hier die Identität von Bild und Person weder explizit behauptet noch in den Vordergrund gestellt, sondern eher an­ gedeutet. Schließlich (1.1.3.3.) – und dies erst seit dem Hellenismus – erscheint der Eigennamen-Typus als ein Element innerhalb einer Reihe von Motiven, die nicht nur die Identität von Bild und Person in verschiedener Weise zum Ausdruck bringen, sondern die den Leser auf das Problem der Ineinssetzung als solches hinweisen: die Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen der Identifikation von Bild und Person erscheint so als ein zentraler Aspekt dieser Stellen. 1.1.3.1. Eigennamen-Typus ohne weitere Qualifikation In diese Gruppe gehören zunächst alle Verwendungen des EigennamenTypus, in denen der bloße Name an sich im Nominativ als Beischrift eines Bildes steht, auf Vasen, auf einigen frühen Gräbern und Weihgeschenken.32 In

32 Über die Bedeutung des inskribierten Namens im Nominativ (mit und ohne be­ gleitendes Bild des Genannten) gibt es verschiedenen Theorien. Die »Identifikationstheorie« geht davon aus, dass allein durch das Setzen des Namens im Nominativ eine Ineinssetzung von beschriebenem Objekt und Person intendiert sei. So deutet Bernhard Schweitzer den bloßen Nominativ auf den Statuen des Weihgeschenks des Geneleos auf Samos (McCabe, Samos 653) als Gleichsetzung von Bild und Dargestelltem (1940, 14). Er sieht hierin eine Übernahme orientalischer Vorstellungen »[…] in den alten Kulturen Ägyptens und Vorderasiens trat den Griechen die Identität von Bildwerk und Person, sei es Gott, König oder Mensch, in eindrucksvoller Form entgegen«, und verweist außerdem auf »die magische Kraft des dem Standbild aufgeschriebenen Namens« (10 f.). Die Namen im Nominativ auf den Grabstelen sind seiner Deutung nach Indizien für eine Gleichsetzung von Grabstein und dem Toten. Dies sei Ausdruck einer bis in vorhistorische Zeit zurückreichenden Vorstellung, die allerdings im aufgeklärteren Attika bereits aufgegeben worden sei; dort finde sich der Name nicht im bloßen Nominativ, sondern im Genitiv, zu dem σῆμα oder μνῆμα zu ergänzen sei. Kritisch hierzu Himmelmann 1994, 64: »Ob dies [i. e. die überwiegende Verwendung des Genitivs in den attischen Inschriften in diesen Fällen] eine »aufgeklärtere« Sicht des »magischen« Zusammenhangs von Figur und Name zeigt, scheint sehr zweifelhaft.« Die These einer attischen Sonderstellung wurde bereits von Karusos 1961, 35–9 relativiert. Vorsichtig zustimmend (»hat manches für sich«) zur »Identifikationstheorie« Häusle 1979b, 118. In jüngerer Zeit hat Sourvinou-Inwood die These der Identifikation von Grabmal und Totem zurückgewiesen (Sourvinou-Inwood 1995, 164 Anm.  232 mit Hinweisen auf ältere Literatur). Die »Ellipsentheorie« erkennt im Namen im Nominativ eine verkürzte Ausdruckweise, die der Leser zu einem grammatikalisch vollständigen Satz supplementieren solle. Für diese Sätze wiederum gibt es verschiedene Vorschläge: Janell 1906, 128 plädiert für »N. N. liegt

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einigen Fällen findet sich auch die Form »Name (im Nom.) + εἰμί«, so etwa (auf Vasen) Σειρέν εἰμι, Ἑρμῆς εἰμι Κυλλήνιος, und (falls die Ergänzung zutrifft) Σόστρατο[ς] καλό[ς] εἰμι.33 Die genannte Statuenbasis einer archaischen Athenestatue (McCabe, Miletos 267) trägt die Inschrift Ἀθηναίη ἐμι, und ein anikonischer Götterstein aus Selinunt (6./5. Jh. v. Chr.) stellt sich vor als Λυκίσϙο ἐμι Μιλίχιος.34 Die Ausdrucksweise findet sich außerdem mehrfach auf zyprischen

hier« bzw. »N. N. grüßt den Passanten«; Karusos (1961, 36) schlägt die Ergänzung zu ὁ δεῖνα ἐνθάδε κεῖται vor; ihm folgen Guarducci (1974, 147) und Sourvinou-Inwood (1995, 162–8); Häusle 1979b, 121 diskutiert diese und weitere Vollformen. Die Wendung ὁ δεῖνα ἐνθάδε κεῖται lässt sich allerdings in Attika erst ab dem 6. Jh. (frühester Beleg IG I3 1365), außerhalb Attikas erst ab dem 5.  Jh. belegen, während der bloße Nominativ bereits seit dem 8./7. Jh. v. Chr. auftaucht (die ältesten Beispiele stammen aus Thera, s. Dragendorff 1903, 111; Inglese 2008, 32; in Attika selbst begegnet er erst seit dem 5. Jh., also später als die Formel ὁ δεῖνα ἐνθάδε κεῖται [pace Karusos 1961, 36 mit Anm. 76; von den beiden Beispielen, die er nennt, wird das eine (IG I3 1252) jetzt auf 500 v. Chr. herabdatiert, im anderen (IG I3 1266) kein Nominativ mehr gelesen]). Mir scheint es daher plausibler, im Falle des bloßen Nominativs jedenfalls für die Inschriften bis zum 6. Jh., also bevor die Formel ὁ δεῖνα ἐνθάδε κεῖται belegt ist, keine Ellipse, sondern eine asyntaktische Verwendung anzunehmen (zum Nominativ in »asyntaktischer« oder »thematischer« Verwendung s. HSz 27–30), d. h. es wird schlicht der Name als solcher genannt (wie in einer Namensliste, Kapitelüberschrift etc.; eine solch thematische Funktion des Nominativs ist für die Inschriften durch das Vorkommen von Namenslisten auf den ältesten Denkmälern gesichert [s. Jeffery 1961, 59 f.]). Der Nominativ vertritt hier eigentlich die »Wurzel«, die in der lebendigen Sprache nicht existiert; er benennt lediglich einen Begriff, ohne diesen in eine Beziehung zu etwas anderem zu setzen (dagegen bezeichnet der Name im Genitiv Besitz oder Zugehörigkeit des inskribierten Objekts, der Name im Dativ dessen Empfänger etc.). In entsprechender Weise ist der Nominativ hέρα (Jeffery 1961, 278 Nr. 47) zu deuten (sicherlich keine Ellipse, da eine Dedikationsformel mit dem Namen der Gottheit im Nominativ nicht existiert). Diese Deutung findet sich im Übrigen bereits bei Loch 1890, 8 f. (zitiert nach Häusle 1979b, 127) »Fortasse hoc interest inter has duas formas [i. e. Name im Nominativ und Name im Genitiv], ut nominativus positus sit, ubi illud solum spectabatur, ut nomen memoriae traderetur […], at contra, ubi illud premebatur, cuius sepulcrum vel stela alicubi exstaret, genitivus adhibitus sit.« Ebenso Agostiniani 1982, 35 »il nominativo […] è da questo punto di vista perfettamente neutrale (le iscrizioni costituite da un nominativo sono neutre dal punto di vista della grammatica, e perciò stesso disponibili a soddisfare esigenze pragmatiche molteplici)«. Vgl. auch Bakkum 2009, 305 (zu italischen Inschriften): »The semantic difference between the two is that in the case of the nominative the owner is named as such, the inscription serving as a very explicit identification mark, while the use of the genitive points to the existence of a possessive relationship between the person and the object.« Ich sehe nichts, was dagegen spricht, solch eine thematische Verwendung auch für die archaischen Bildbeischriften im Nominativ anzunehmen. Zu den Namen im Nominativ und Genitiv auf Thera vgl. jetzt auch Gaifman 2012, 143–5, die ebenfalls gegen eine Identifikation von Person/Gottheit und inskribiertem Stein argumentiert. 33 Zitiert nach Philipp 1968, 126. 34 Manni Piraino (92 Nr. 61); Manni Pirano 1970, 276 deutet den Nominativ hier als Ausdruck der Identifikation von Götterstein und Gottheit; vorsichtig ablehnend dagegen Gaifman 2012, 201–3.

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Gräbern.35 Weitere bisweilen genannte Beispiele sind problematisch.36 Die Figuren der Geneleos-Inschrift auf Samos (McCabe Samos 653) sind mit ihrem Namen im Nominativ bezeichnet und stellen sich in der Künstlersignatur selbst vor, ἡμᾶς ἐποίησε Γενέλεως. In einigen Beispielen wird der Name für das Bild im Satz ohne Ich-Form verwendet, so in IG I3 750 (= CEG 247, Athen, ca. 500–480 v. Chr.?) [?Φίλο]ν τὸν hερμε˜ν θεο˜ ραδ[αῖσιν / hείσ]ατο; CEG 307 (Hermenfragment, Attika, ca. 500–480 v. Chr.?) hερμε˜ν Εὐφρονίδεσι τόνδε Καλίας ἐπόεσεν; CEG 785 (= 332a, akephale Herme, Euböa, ca. 460–450 v. Chr., Verse 1 f.) [hερμε˜ν Λε]-­ τοΐδαι Κεφάλον hεγέμονος hυιὸς / ἔσ[τε]σεν τεμένεος ποσσικρότου φύλακα; CEG 415 (Thasos, Ende 6.  Jh. v. Chr.) Ζηνὸς καὶ Σεμέλης καὶ Ἀλκμήνης τανυπέπλο / ἑστᾶσιν παῖδες τῆσδε πόλεως φυλαϙοί; CEG 816 (Argos, Kalksteinstele, 303 v. Chr., 1–3): Λατῶι / ἁδυλύραι Διὸς υἱὸν Ἀπόλλων᾽ Ἄρταμιν 35 Das in zypriotischer Silbenschrift geschriebene CEG 712 (Zypern, nach ca. 325 v. Chr.), 1 ἐγώ ἠμι Ἀριστοκρέτης, κά μεν (καί με?) ἔστασαν [κα]σίγνητοι muss im Zusammenhang mit einigen weiteren (ebenfalls im epichorischen Alphabet verfassten, nicht immer datierbaren) Inschriften aus Zypern gesehen werden, welche die Form »Name des Toten im Nom. + εἰμί« aufweisen, z. B. Masson 104 Ὀνάιός εἰμι, Masson 260 (6. Jh. v. Chr.) Κάρυξ εἰμί (weitere Beispiele: Masson 133, 152, 154b (spätes 5.  Jh. v. Chr. [Mitford]); insgesamt aber ist die Form »Name des Toten im Gen. + εἰμί« häufiger vertreten). Ob hier a­ llerdings an eine Identifikation des Toten mit seinem Grabmal gedacht ist, wie Häusle 1979a, 52 vermutet, ist zweifelhaft. Da diese Form nur auf Zypern, Akkulturationsgebiet von Griechen und Phöniziern, sicher belegt ist, dort aber mehrfach, mag man den Einfluss phönizischer Inschriften des Typus »Ich bin N. N.« (ohne Abbildung des Sprechers, vgl. die altsemitische Inschrift des Meša (8. Jh. v. Chr.) »Ich bin Meša, der Sohn des KMŠ[JT], ­König von Moab« [Häusle 1979b, 144], sowie den phönizischen Teil  der Grab-Bilingue CEG 596 »Ich bin PN1, Sohn des PN2 , der Mann aus Askalon« [vgl. Häusle 1979b, 147]) in diesem Fall für plausibel halten (zum Einfluss phönizischer Inschriften auf die griechischen überhaupt: Norden 1939, 292; Friedländer/Hoffleit 7; Peek, GG 6; Lenzinger 1965, 56–61; Häusle 1979a, 125–127; 1979b, 131–54; ablehnend Hansen 1982, 35; für die besondere Rolle Zyperns vgl. Häusle 1979b, 148). Die Form »Name im Nom.« + »ich« bzw. »Name im Nom.« + »(ich) bin« findet sich außerdem in etruskischen und italischen Besitzerinschriften (Bakkum 2009, 308). 36 Die von Häusle (teilweise im Rückgriff auf Philipp 1968) angeführten weiteren Beispiele für die Formel »Name (im Nom.) + εἰμί« sind nicht überzeugend oder zumindest zweifelhaft. Häusle (1979a, 52–4) liest Πόμπιος als Nominativ in IG XII,6,2 625 [Π]όμπιός ἐμι το˜ Δῃμοκρίνεος; der Name wird sonst wegen des folgenden το˜ als Genitiv aufgefasst. Entsprechendes gilt für die kretische Inschrift (6. Jh. v. Chr.) Τῖμός ἠμι. Εὔαγρος μ᾽ ἔστασε. Hier ist mit Jeffery (1961, 316 Nr. 20) und Guarducci (1967, 191) Τιμο˜ς zu lesen, als Genitiv zu Τιμώ (s. a. BCH 103, 1979, 64 f.; SEG 29:821, 1; Karusos 1961, 35: »es ist kein Zweifel darüber möglich, dass diese beschriftete Basis eine Grabsphinx getragen hat, keine Grab- oder Weihstatue«). Die Abschrift des verlorenen Epitaphs auf Prokleidas (CEG 142, Akarnanien, 475–450 v. Chr.?) bietet Προκλείδας τόδε σᾶμα κεκλέσεται ἐνγὺς ὁδοῖο / hὸς περὶ τᾶς αὐτο˜ γᾶς θάνε μανάμενος, doch auch hier ist wohl nicht an einen Nominativ des Namens zu denken (s. Hansen a. l. »nominativus […] falsissime«; er liest Προκλείδα{ς}, »error est aut lapidis aut apographi«).

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ἁγνὰν / ἔνθεοι ἔστησαν θίαοι θείαν δι᾽ ἀνωγάν; CEG 866 (Astypalaia, 4./frühes 3. Jh. v. Chr.): κόσμον Ἄρης πατρίδι στῆσε ἐνθάδε παῖδα Πίδωνος / Τιμαγόραν νίκης ναυμάχου ἡγεμόνα. Die Verwendung dieses Eigennamen-Typus lässt sich auch literarisch nachweisen; besonders beliebt ist sie in späterer Zeit bei Pausanias.37 Da auch hier der Eigenname nicht näher qualifiziert wird, lässt sich textimmanent keine Aussage darüber treffen, ob Bild und Person tatsächlich identifiziert werden. 1.1.3.2. Vermischung Eine Art Doppelfunktion erfüllt der Eigennamen-Typus, wenn im Hauptsatz der Name auf die Gottheit bezogen wird, der Relativsatz sich aber auf deren Bildnis bezieht. So beginnt ein theognideischer Hymnos an Artemis mit den Worten (11 f.): Ἄρτεμι θηροφόνη, θύγατερ Διός, ἣν Ἀγαμέμνων   εἵσαθ᾽, ὅτ᾽ ἐς Τροίην ἔπλεε νηυσὶ θοῇς Tiertötende Artemis, Tochter des Zeus, die Agamemnon einst (als Kultbild) aufstellte, als er nach Troja segelte mit den schnellen Schiffen …

In diesem Gebet wird offenbar die Göttin selbst angerufen, aber im Relativsatz ist von ihrem Kultbild die Rede. Umgekehrt hängt sich in CEG 824 (Arkadien, 13 Kalksteinfragmente von 9 Basen eherner Statuen, 369 v. Chr., 1–4) an den Eigennamen Kallisto, der hier die Statue bezeichnet (der Name stand nochmals im Nominativ unter der Statue), ein Relativsatz, der ihre Rolle als Stamm­mutter der Arkader beschreibt: Πύθι᾽ Ἄπολλον [ἄ]ναξ, τάδ᾽[ἀγάλματ]α δῶ[ρ᾽ ἀνέθηκεν]   αὐτόχθων ἱερᾶς λαὸς ἀ[π᾽ Ἀρκαδ]ίας· Νίκηγ Καλλιστώ τε Λυκαν[ίδ]α, τῆι πο[τ᾽ ἐμίχθη]   Ζεύς, ἱεροῦ δὲ γένους Ἀρκάδ᾽ ἔφυσε κόρ[α]· Pythischer Apollon, Herrscher, diese Weihegaben weihte dir als Geschenke das autochthone, aus dem heiligen Arkadien stammende Volk, [nämlich] Nike und Kallisto, die Tochter des Lykaon, mit der einst Zeus schlief, das Mädchen aber gebar den Arkas aus heiligem Geschlecht.

Das sprechende Ich in den Inschriften kann sich bisweilen gleichermaßen als Person und als Bild bezeichnen. Ein Beispiel dafür bietet die Inschrift CEG 400 (Antipolis, ca. 450–425 v. Chr.?):

37 Gordon 1979, 7–8; Scheer 2000, 52.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Τέρπων εἰμὶ θεᾶς θεράπων σεμνῆς Ἀφροδίτης, τοῖς δὲ καταστήσασι Κύπρις χάριν ἀνταποδοίη. Ich bin Terpon, der Diener der heiligen Göttin Aphrodite. Denen, die mich aufgestellt haben, möge Kypris ihrerseits die Gunst erweisen.

Hier beschreibt sich der sprechende Stein38 zunächst in der üblichen Ich-Form als Diener der Aphrodite namens Terpon, d. h. das Verhältnis von Bild und Person wird offengelassen; im zweiten Vers spricht er dann von sich eindeutig als Weihgeschenk; das Verhältnis beider Sprecherrollen zueinander wird aber nicht weiter expliziert. Auf einer inskribierten Sitzstatue stellt sich der Sprecher zunächst als Chares, Herrscher von Teichioussa, dann als Weihgeschenk vor (GIBM 933, Didyma, vor 550 v. Chr.): Χαρῆς εἰμι ὁ Κλέσιος Τειχιόσης ἀρχός· ἄγαλμα το˜ Ἀπόλλωνος. Ich bin Chares, Sohn des Klesis, Herrscher von Teichioussa; Weihgeschenk des Apollon.

Es ist allerdings nicht klar, ob beide Teile als fortlaufende Aussage eines Sprechers zu deuten sind.39 Doch auch, wenn wir dies voraussetzen, lässt die bloße Juxtaposition der Sprecherrollen offen, ob eine Aussage über die Identität von dargestellter Person und Statue getroffen werden soll.40 Ein späteres Beispiel, das bereits in frühhellenistische Zeit fällt, geht in der Vermischung einen Schritt weiter, insofern sich der Sprecher des Gedichts als König Nikokreon vorstellt und einen kurzen biographischen Bericht gibt,41 in 38 Die Inschrift befindet sich auf einem unbehauenen, durch seine Form an einen Phallos erinnernden Stein, der wohl aufgrund seiner natürlichen Form als Weihgeschenk für Aphrodite ausgewählt wurde. Aufgrund paralleler Namen auf Vasenbildern nimmt man an, Terpon sei der Name eines Dämons. (Der Name taucht für Silene und Satyrn auf [Clerc 1927, 256]; ein geflügelter Phallos trägt den Namen Εὐφραίνουσα [IG XIII,3 1658]. Hermann Röhl [IGA S. 159] weist darauf hin, dass Terpon ein Beiname des Eros sei, der in Thespiae in anikonischer Form verehrt wurde). Friedländer und Hoffleit (Nr. 40) nehmen an, dass diejenigen, welche den Stein weihten, den Diener der Göttin mit dem passenden Namen Terpon durch die Inschrift erst geschaffen haben. 39 Die Inschrift ist zu beiden Seiten der linken Sitzkante inskribiert: Χαρῆς εἰμι ὁ Κλέσιος Τειχιόσης ἀρχός steht auf der dem Betrachter zugewandten, ἄγαλμα το˜ Ἀπόλλωνος auf der angrenzenden Seite (s. GIBM a.l.). Eine solche räumliche Trennung könnte es nahelegen, dass zwei voneinander unabhängige Aussagen getroffen werden sollen. 40 Vgl. zur Chares-Inschrift Himmelmann 1994, 65: »Wie naiv oder wie rational die Identität empfunden wurde, läßt sich ohne ausdrückliche Zeugnisse schlechterdings nicht beurteilen« (gegen etwa Häusle 1979a, 49: »Die Inschrift macht aus der Statue Chares selbst«). 41 Für einen ähnlichen biographischen Bericht (ohne explizite Identifikation des Sprechers mit der Statue) vgl. CEG 795v (Delphi, 337/6–333/2 v. Chr.).

Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit

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den in Vers 5 eine Identifikation mit der über der Inschrift stehenden Statue eingeschoben ist (CEG 812, Argos, 332/1–311/10 v. Chr.):

5

ματρ[όπο]λίς μοι χθὼν Πέλοπος τὸ Πελαζγικὸν Ἄργος,   Πνυταγόρας δὲ πατὴρ Αἰακοῦ ἐκ γενεᾶς· εἰμὶ δὲ Νικοκρέων, θρέψεν δέ με γᾶ περίκλυστος   Κύπρος θειοτάτων ἐκ προγόνων βασιλῆ. στᾶσαν δ᾽ Ἀργεῖοί με χάριν χαλκοῖο τίοντες   Ἥραι ὃν εἰς ἔροτιν πέμπον ἄ[ε]θλα νέοις. Meine Mutterstadt ist das Land des Pelops, das pelasgische Argos, Pnytagoras mein Vater aus dem Geschlecht des Aiakos. Ich bin Nikokreon, es nährte mich das rings umspülte Land, Zypern, einen König, der von göttlichen Vorfahren abstammt. Es stellten mich die Argiver auf und erwiesen mir Ehre wegen des Erzes, das ich der Hera zum Fest schickte, als Siegespreise für die jungen Männer.

Als Sprecher der Verse 1–4 und 6 kommt nur der König selbst in Frage, als Sprecher von Vers 5 nur das Denkmal; Person und Objekt verschmelzen deutlicher als in den beiden früheren Beispielen. Im Hinblick darauf, dass im hellenis­ tischen Epigramm mit der Identität von Person und Statue gern gespielt wird, scheint sich hier eine spielerische Verwendung bereits anzudeuten. Bisweilen wird die Ineinssetzung von Bild und Person durch Doppeldeutig­ keiten beschrieben, die über die bloße Form »ich bin (+ Name im Nom.)« hinausgehen. Das erste Beispiel ist die homerische Darstellung der Bittprozession der Troianerinnen zum Athenetempel im 6. Buch der Ilias, die einzige Szene in den homerischen Epen überhaupt, in der eine Statue beschrieben wird (Il. 6, 297–311). Dort legt die Oberpriesterin Theano der Göttin einen neuen ­Peplos auf die Knie (θῆκεν Ἀθηναίης ἐπὶ γούνασιν ἠϋκόμοιο 303), was sich kaum anders als auf eine plastische Darstellung beziehen lässt.42 Auf das Bittgebet ­(305–10) an Athene erfolgt als Antwort ein Kopfschütteln der Göttin (ὣς ἔφατ᾽ εὐχομένη, ἀνένευε δὲ Παλλὰς Ἀθήνη 311). Dieses Kopfschütteln, genauer Zurückwerfen des Kopfes hat bereits den antiken Homerinterpreten Schwierigkeiten bereitet. Aristarch ließ den Vers nach Auskunft der A-Scholien athetieren, auch deshalb, weil eine den Kopf schüttelnde Athene etwas Lächerliches wäre – d. h. Aristarch hat vielleicht ἀνένευε auf die Statue bezogen. Das ist nun nicht nötig, denn obwohl Vers 303 auf das Bildnis zu beziehen ist, könnte in 311 auch Athene als Person auf dem Olymp beschrieben sein.43 Gleichwohl ist dem Kultbild ein Kopfschütteln nach Art eines Statuenwunders durchaus zuzutrauen. Es wäre also möglich, dass der homerische Autor in ἀνένευε Gottheit und Bild »vermischt«, vielleicht gerade

42 S. dazu zuletzt Eich 2011, 98. 43 Hierauf wies Eich 2011, 99 hin.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

durch die prinzipielle Offenheit der Deutung das Problem des Verhältnisses von Gottheit und Bildnis anklingen lassen möchte.44 Eine mögliche Vermischung findet sich in einer Inschrift auf einem der erhaltenen Hermenschäfte des Hipparchos (CEG 304, Attika, 528–514 v. Chr.): [ἐ]ν μhέσοι Κεφαλε˜ς τε καὶ ἄστεος ἀγλαὸς hερμε˜ς,   ⌊μνε˜μα τόδε hιπ(π)άρχο·⌋ In der Mitte zwischen Kephale und der Stadt (stehe ich), der strahlende Hermes: Dies ist ein Denkmal des Hipparchos: …

Das Adjektiv ἀγλαός deutet auf die Person des Gottes hin und bezeichnet seine glänzende, göttliche Abstammung;45 die Junktur ἀγλαὸς hερμε˜ς ist zudem aus dem homerischen Hermeshymnos bekannt.46 Gleichzeitig könnte aber auch auf das Strahlen des (pentelischen) Marmors, also die Materialität des Kunstwerks, angespielt sein;47 die Inschrift suggerierte so gleichzeitig eine Epiphanie des Göttlichen.48 Gleichwohl muss eine solche Deutung Spekulation bleiben. Eine deutlichere Ineinssetzung zeigt sich dagegen im nächsten Epigramm (CEG 861, Knidos, 4. Jh. v. Chr.): Ἐπὶ νεοπολιτᾶν προστατᾶν ἀφικόμαν Ἑρμᾶς Ἀφροδίται πάρεδρος· ἀλλὰ χαίρετε. οἵτινες δ᾽ οἱ προστάται, γραφὴ παροῦσα σημανεῖ· (Es folgen 15 Namen) Im Jahr der Vorsteher der neuen Stadt kam ich an, Hermes, der Helfer der Aphrodite: Ihr aber, seid gegrüßt! Wer aber die Vorsteher sind, wird die beistehende Inschrift anzeigen.

Sachlich ist mit ἀφικόμαν vermutlich gemeint, dass in Knidos ein neuer Kult für Hermes gegründet wurde;49 die Wortwahl suggeriert jedoch eine »Ankunft« auf dem Statuensockel, ganz als ob der Gott einen Auftrag als Götterbote ausführte; das Moment der Bewegung, das in ἀφικόμαν steckt, geht über die früheren Inschriften des εἰμί- oder ἕστηκα-Typus hinaus und suggeriert, der Gott habe sich 44 Triphiodor scheint in einer entsprechenden Szene (Vergewaltigung der Kassandra am Palladion) auf das Problem zu rekurrieren (647–50). 45 Mette, LfrgE s. v. ἀγλαός II, 1a. 46 Hom. Hym. Herm. 395; vgl. inschriftlich auch ἀγλαὸν Ἑρμῆ in IG XII,2 476 (Mytilene, 2. Jh. n. Chr.). 47 In dieser Bedeutung wird ἀγλαός, soweit ich sehe, nicht mit dem Marmor verbunden; es begegnet vom Glanz der Waffen und des Goldes, vom Schimmern des Wassers und des Gewebes und dem Flimmern des Laubs (s. Mette, LfrgE s. v. ἀγλαός I). 48 Zum Strahlen als Zeichen göttlicher Epiphanie s. Pfister 1924, 314–5; Richardson 1974, 252–6; Platt 2011, 64–5. 49 Roscher s. v. Hermes I, 2, Sp. 2354: »Ein, wie scheint, von Kaufleuten gestifteter Kult«.

Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit

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auf dem Sockel niedergelassen.50 In seiner Hervorhebung der (möglichen) Beweglichkeit der Statue weist das Epigramm auf einen beliebten Topos hellenis­ tischer Epigramme voraus. Mit der hier angedeuteten Ineinssetzung von Bild und Gottheit mag man einige Stellen aus der alten Komödie vergleichen, wo Hermen recht häufig als belebt beschrieben werden.51 Mit CEG 861, 1 f. lässt sich Plat. Com. Fr. 204 K.-A., 2 f. vergleichen, Ἑρμῆς ἔγωγε Δαιδάλου φωνὴν ἔχων / ξυλινὸς βαδίζων αὐτόματος ἐλήλυθα.52 Die Stelle ist sicher satirisch übersteigert, da ein »echter« Gott keines Dädalus bedarf; ob hier »volkstümliche«, evtl. inschriftlich thematisierte Vorstellungen über die Belebtheit von Hermen reflektiert werden, lässt sich kaum sagen.53 Dieser Überblick über die vorhellenistische Ineinssetzung von Bild und Person hat ergeben, dass zwar der Eigennamen-Typus häufig verwendet wird, dass aber darüber hinaus von einer Vermischung beider Konzepte nur im Ansatz die Rede sein kann, auch wenn das eine oder andere Beispiel hellenistische Eigenheiten bereits vorzubereiten scheint. Dass eine naive gedankliche Ineinssetzung von Bild und Person stattfand, ließ sich nicht erhärten. Die zuletzt angeführte Stelle des Komödiendichters Platon zeigt, dass mit der Identität von Bild und Person bereits vor dem Hellenismus gespielt werden konnte; doch eine eingehendere Reflexion über die Präsenz der Gottheit im Bild stellt sie noch nicht dar. 1.1.3.3. Problematisierung Eine deutliche Problematisierung der Verwendung des Eigennamen-Typus lässt sich seit dem Hellenismus nachweisen und erscheint dann als Teilaspekt der Problematisierung des Verhältnisses von Bild und Person überhaupt. Als Beispiel ließe sich folgendes Distichon anführen (Anon. AP 16, 162 = FGE 1436 f.): Ἁ Κύπρις τὰν Κύπριν ἐνὶ Κνίδῳ εἶπεν ἰδοῦσα   φεῦ φεῦ, ποῦ γύμνην εἶδέ με Πραξιτέλης; Als die Kypris die Kypris in Knidos sah, sagte sie: Weh weh, wo sah mich Praxi­ teles nackt?

50 Vgl. die Inschrift SGO 02/06/03 auf dem Sockel einer Herme (Stratonikeia, unbestimmten Datums) χαίρετ᾽ ἐγὼ δ᾽ ὑμῖν Διὸς ἄγγελος εἰλήλουθα. 51 S. Eich 2011, 243 ff. 52 Kassel 1983, 6 erwägt, ob hier wirklich eine Herme spricht, was schwer auf die Bühne zu bringen wäre, oder sich nicht vielmehr jemand anders als eine solche ausgibt. 53 Zu dem Problem bereits Eich 2011, 243 ff. Es ist immerhin auffällig, dass Hermen ohne Beine abgebildet werden, so dass eine laufende Herme schon aus diesem Grund komisch wirken musste.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Das hier beschriebene berühmte Bildnis der knidischen Aphrodite, die erste völlig nackte großplastische Darstellung einer Göttin überhaupt, ist von Praxiteles so treffend gestaltet worden, dass Aphrodite selbst bei näherer Betrachtung annimmt, der Künstler müsse sie irgendwo nackt gesehen haben. Eine Göttin gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen nackt zu sehen, führt sonst zur Bestrafung des Betrachters, wie dem Leser aus den mythischen Exempla des Aktaion und des Teiresias bekannt ist. Hier erkennt die Göttin dem Künstler gleichzeitig höchstes Lob für seine Leistung zu, denn ein Kunstwerk, von dem man sich nicht vorstellen kann, dass es ohne Autopsie entstanden sei, kommt dem Modell besonders nahe.54 Das Problem der Verwendung des Eigennamen-Typus tritt hier deutlich hervor: Sowohl die Statue als auch die »leibhaftige« Göttin heißen ἁ Κύπρις, und diese Parallelisierung wird durch das Polyptoton noch hervorgehoben. Eine solche Dopplung des Namens, die sich vorhellenistisch gerade nicht nachweisen lässt, ist nicht nur als (ironischer) Kommentar auf den traditionellen inschriftlichen Gebrauch des Typus, sondern auch als Kommentar auf die naturalistische Darstellung zu werten:55 so, wie Gottheit und Statue optisch nicht zu unterscheiden sind, ist auch eine sprachliche Unterscheidung nicht möglich. Das dem Eigennamen-Typus von Anbeginn inhärente Problem, ob er die Person oder ihr Bild bezeichnet, wird hier somit ins Zentrum gerückt. Auf die drei genannten inschriftlichen Traditionen: die Behauptung der Ähnlichkeit, die Kunstwerksbeschreibung und den Eigennamen-Typus konnten die hellenistischen Epigrammatiker für die Behandlung des Problems der Identität von Bild und Person zurückgreifen, wobei sich eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien beobachten lassen. In Abschnitt 2. dieses Kapitels sollen einige dieser Strategien präsentiert werden, die sich in den Versinschriften wiederfinden, wobei jeweils der Bezug zu literarischen Vorbildern deutlich gemacht werden soll; dabei hoffe ich, auch zu den literarischen Beispielen selbst noch das eine oder andere beitragen zu können

1.2. Trennung von Bild und Person Um die hellenistischen Zeugnisse jedoch besser einordnen zu können, bedarf es zunächst noch einer Darstellung der sprachlichen Mittel, welche eine Trennung von Bild und Person ausdrücken. Denn seit dem 5. Jh. v. Chr. lässt sich in 54 Für Götterbilder, durch Autopsie entstanden, vgl. auch Parmenion AP 16, 216 = GPh 2620–3; Philipp AP 16, 81 = GPh 3082 f. Für die Bewunderung des Bildes durch das Ori­ginal vgl. Mart. 7, 38, 1 f. Tantus es et talis nostri, Polypheme, Severi, / ut te mirari possit et ipse Cyclops. 55 Gleichwohl wird so auch das Problem aufgerufen, wie es überhaupt eine naturalis­ tische Darstellung von Göttern geben kann; s. dazu unten S. 251 Anm. 70; S. 253 f.

Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit

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der Beschreibung von Kunstwerken eine Tendenz nachweisen, den Unterschied von Bildnis und Dargestelltem sprachlich zu markieren. Instruktiv ist hier zunächst die Verwendung des Begriffs εἰκών. Während für ein Bildnis in den Inschriften εἰκών vor dem 5. Jh. nur einmal auftaucht,56 gibt es für das 4. Jh. bereits 32 Belege (im Verzeichnis zu CEG 2). Dafür, dass εἰκών – im Gegensatz zu dem davor geläufigen ἄγαλμα57  – den Aspekt der Nachahmung bezeichnet, sprechen neben lexikalischen Gründen (etymologische Verwandtschaft mit ἔοικα)58 und dem archäologischen Befund (die Entwicklung des realistischen Porträts)59 auch die syntaktische Einbindung in den Epigrammen: Während ἄγαλμα in den Inschriften bis zum 4. Jh. v. Chr. nie mit dem Genitiv der dargestellten Person verbunden wird, sondern der Genitiv hier den Empfänger der Weihung nennt,60 taucht dieser in Verbindung mit εἰκών regelmäßig auf, z. B. CEG 767 (Salamis, ca. 350 v. Chr.) εἰκόνα … πατρὸς ἑαυτοῦ, CEG 780 (Athen, 4. Jh. v. Chr.?) εἰκόνα … αὑτοῦ ἀδελφο.61 In der Inschrift des Arbinas (CEG 888i, Xanthos, Anfang 4. Jh. v. Chr.?) weiht dieser ein Bild seiner selbst (ἀνέθηκεν ἑαυτοῦ εἰκόνα, 9 f.). Der Unterschied zwischen Bildnis und Dargestelltem wird noch deutlicher herausgestellt, wenn gesagt wird, dass das Bildnis nur einen Teil der Person widerspiegelt. So wird in zwei Epigrammen (CEG 858, Erythrai, 4. Jh. v. Chr.?; 872, Amathus, vor 306 v. Chr.) die Junktur εἰκόνα μορφῆς verwendet, womit ausgesagt ist, dass das Bildnis nur die Gestalt, die äußere Erscheinung der Person abbildet. Der Eigennamen-Typus wird auch weiterhin verwendet, aber sein Verständnis kann jetzt sprachlich verdeutlicht werden, wie sich in CEG 859 zeigt (Rhodos, ca. 350–300 v. Chr.): υἱὸν Δαμοκράτεος στᾶσεμ μάτηρ Πολυαίνα /  Στασα{σα}γόραν· εἰκὼν δ᾽ εἰμὶ σαφὴς ἐσορᾶν. Nach der traditionellen Verwendung des Eigennamen-Typus wird die Natur des Reliefbildes im zweiten Vers genauer als εἰκών bestimmt, womit verdeutlicht wird, dass Στασαγόραν als Kata­chrese für εἰκόνα Στασαγόρα zu verstehen ist.

56 CEG 399 (Locri Epizephyrii, 472 v. Chr.) Εὔθυμος Λοκρὸς Ἀστυκλέος τρὶς Ὀλύμπι᾽ ἐνίκων / εἰκόνα δ᾽ ἔστησεν τήνδε βροτοῖς ἐσορᾶν. Dass dieser Begriff zuerst in einer Athleten­ inschrift begegnet, ist nach Dillon 2010, 12 f. nicht verwunderlich, da die porträtähnliche Darstellung für die Statuen von Athleten besondere Bedeutung gehabt habe. 57 54 Belegen für ἄγαλμα bis zum 5. Jh. stehen nur 5 Belege im 4. Jh. gegenüber. 58 Beekes 2010 s.v. εἰκών. 59 In diesem Zusammenhang ist der Wechsel von σῆμα zu εἰκών in den Inschriften bereits hervorgehoben worden (Smith 2007, 88–91). 60 Z. B. CEG 302 (Attika, ca. 540 v. Chr.?), 1 Φοίβο μέν εἰμ᾽ ἄγαλμα Λατοίδα καλόν mit Hansens Erläuterungen a.l. (vgl. IG I3 1469 a.l. mit Lit.), die frühere Auffassung z. B. in FGE S.  285–6. Vgl. auch CEG 407 und die oben (S.  244) zitierte Chares-Inschrift (ἄγαλμα το˜ Ἀπόλλωνος). 61 Weitere Beispiele: CEG 481, 636, 693, 803, 830iii, 885. Der Genetiv wird durch ein Possessivum vertreten in CEG 775 (εἰκόσιν ἡμετέραις) und 819iii (εἰκόνα ἑάν).

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Diese Art, das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit auszudrücken, lässt sich als Aspekt einer Kunsttheorie betrachten, die von T. B. L. Webster als »mimesis theory« oder »likeness theory« bezeichnet wird;62 im Begriff εἰκών artikuliert sich der Anspruch, dass das Kunstwerk dem Dargestellten nun »ähnlich« sein soll, wobei diese Ähnlichkeit vor allem durch eine naturalistische Darstellung, also eine möglichst genaue Wiedergabe der sinnlich wahrgenommenen Realität erreicht werden soll; diese wird so zu einem Maßstab der Be­ urteilung von Kunst. Die Hauptphase der mimesis theory, die sich nicht nur bei Platon, sondern auch sonst nachweisen lasse, setzt Webster an das Ende des 5.  Jahrhunderts, eine Zeit, in der mit Zeuxis in der Malerei und Euripides im Drama zwei um den Realismus der Darstellung bemühte Künstler wirkten; vereinzelt zeigen sich auch schon frühere Belege (1939, 166–169). Die Dominanz des Begriffs εἰκών in den Inschriften seit dem 4. Jh. lässt sich daher wohl mit diesem Paradigmenwechsel der Kunstbetrachtung – auch wenn, wie Webster zeigt, das Mimesis-Konzept neben anderen Auffassungen von Kunst steht – in Verbindung bringen. Zu diesem Befund stellen sich zwei weitere Beobachtungen, die ihn unterstützen und das zeitgenössische Verständnis des Mimesis-Konzepts noch verdeutlichen können. Wir haben festgestellt, dass der Begriff ἄγαλμα in den Inschriften zunächst nicht mit dem Genitiv der Darstellung verbunden wird. Dies gilt ebenso für die literarischen Zeugnisse. Homer und Hesiod benutzen keinen Gattungsbegriff für Statue oder Götterbild, und die Tragiker ­Aischylos und Sophokles sprechen allgemein von θεῶν ἀγάλματα (Aischyl. Eum. 55) oder δαιμόνων ἀγάλμαθ᾽ ἱερά (Soph. OT 1378); hier wird nicht deutlich, ob der Genitiv possessiv oder als Genitiv der Darstellung zu verstehen ist.63 Die Konstruktion »εἰκών + Gen.« begegnet weder bei Aischylos noch bei Sophokles.64 Offenbar erst bei Euripides lassen sich Beispiele für beide Konstruktionen finden. So sagt in der Andromache die Heldin über die Statue der Thetis, zu deren Heiligtum sie sich geflüchtet hatte, dass diese die Taten von Hermione beobachte (246): ὁρᾷς ἄγαλμα Θέτιδος ἐς σ᾽ ἀποβλέπον; Andromaches Äußerung ist als Warnung an Hermione zu verstehen: Die Göttin selbst blicke durch ihr ἄγαλμα auf deren gottlose Taten. Die Eindringlichkeit der Warnung legt es

62 Auch Webster geht zunächst von der Bedeutung des Begriffs εἰκών aus (1939, 166: »[it] implies the dependance of the statue on its subject«). 63 Bei Simonides FGE 940–3 = 105 Preger = Diog. Laert. 4, 45 Ἀρτέμιδος τόδ᾽ ἄγαλμα handelt es sich wohl um einen Genitiv der Darstellung (es werden später im Gedicht noch die Kosten und der ausführende Künstler angegeben), doch dieses Weihepigramm ist nach Page nicht vor 200 v. Chr. zu datieren. 64 Das eine aischyleische Beispiel für die Konstruktion (Sept. 559) wird i. d. R. athetiert; Sophokles benutzt εἰκών überhaupt nicht.

Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit

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nahe, Θέτιδος hier als Genitiv der Darstellung aufzufassen. Euripides benutzt auch die Konstruktion »εἰκών + Gen.«.65 In der Prosa wiederum konstruiert Thukydides ἄγαλμα nicht mit dem Genitiv,66 bei Herodot dagegen findet sich die Wendung regelmäßig,67 ebenso »εἰκών + Gen.«. Es besteht also in Tragödie und Geschichtsschreibung eine gewisse Kor­ relation zwischen dem Gebrauch der Konstruktion »εἰκών + Gen.« und der Verwendung von ἄγαλμα mit dem Genitiv der Darstellung. Außerdem ist es bemerkenswert, dass εἰκών in Bezug auf Götterbilder i. d. R. gemieden wird,68 denn die Entwicklung hin zu einer naturalistischeren Darstellung lässt sich auch bei Götterbildern beobachten. Ein Aspekt der Vermeidung mag darin liegen, dass so letztlich die Undarstellbarkeit der göttlichen Gestalt (und damit schließlich des Göttlichen selbst) betont werden soll: Zwar gibt es eine etablierte Ikonographie der verschiedenen Götter, und in Epiphanien zeigen sich die Götter in der Gestalt ihrer Bilder,69 doch durch die Vermeidung des Begriffs εἰκών könnte ausgedrückt werden, dass diese Ikonographie keinen Anspruch erheben kann, dem Göttlichen im Sinne von Vorlage und Nachbildung »ähnlich« zu sein.70 65 Fr. 125 K. παρθένου τ᾽ εἰκώ τινα (übertragen gebraucht; gemeint ist Andromeda); Hel. 73, 77; von einem gewebten Bild Iph. Taur. 223 Παλλάδος Ἀτθίδος εἰκώ. 66 Allerdings begegnet bei ihm nur zweimal der Begriff ἄγαλμα (2, 13, 5; 6, 28, 1); εἰκών verwendet er überhaupt nicht. 67 Z. B. 1, 183, 1; 2, 41, 2; 2, 42, 4 und 6; 2, 51, 1 und 4; 3, 37, 2 etc. 68 Schubart 1866, 565; M. Fränkel 1873, 35; Blümner 1969 II 182; die Verwendung von ἀνδριάς für das Götterbild verbietet sich schon durch die Etymologie (Ausnahmen bei Scheer 2000, 15; Deutung bei F. Hölscher 2004, 434 mit Anm. 1); vgl. damit Dauts Feststellung, dass im Lateinischen das Götterbild nie statua oder imago heiße (1975, 141). Berlejung 1998, 72 f. weist darauf hin, dass die akkadische Vokabel Tamšīlu (»Abbild«, abgeleitet von einem Verb mašalu »gleichen«) nicht von Kultbildern gebraucht wird, und kommt zu entsprechenden Schlüssen hinsichtlich des Verhältnisses von Kultbild und Gottheit. 69 Darauf weist Platt 2011, 12 hin, allerdings mit Belegen erst aus der Kaiserzeit. Andererseits können die Götter jede beliebige Gestalt annehmen (vgl. Od. 13, 312 f.). 70 Feeney 1998, 98: »Divinity is ultimately incommensurate with any form of human­ representation«; vgl. die »problematische« Autopsie des Praxiteles in AP 16, 162. Demgegenüber zeigen die (seit dem Hellenismus häufiger auftauchenden) Stellen, an denen εἰκών von Götterbildern verwendet wird, oft einen prägnanten Gebrauch und thema­ tisieren das Problem der »naturalistischen« Repräsentation des Göttlichen. So begegnet das Wort in der Anekdote über das Vorbild, nach dem Phidias seine Zeusstatue (τὴν εἰκόνα τοῦ Διός Strab. 8, 3, 30) erschaffen habe; Vorbild waren ihm Verse aus Homer (vgl. das StrabonZitat bei Eustathius (1, 223 v. d. V., 16)  Ὅμηρος ὁ τὰς τῶν θεῶν εἰκόνας ἢ μόνος ἰδὼν ἢ μόνος δείξας und Philipp AP 16, 81 = GPh 3082 f.). Die Stelle besagt, dass keines der gebräuchlichen Götterbilder den Anspruch erheben kann, eine εἰκών zu sein; allein die Beschreibungen H ­ omers (und vielleicht noch die Statue des Phidias) können für sich in Anspruch nehmen, Zeus oder den Göttern »ähnlich« zu sein. Das Problem wird auch in Lukians Schrift Pro ima­ginibus reflektiert (23), wo der Sprecher Lykinos darauf hinweist, dass die »wahren Abbilder« der Götter (ἀληθεῖς εἰκόνας) für menschliche Mimesis unerreichbar seien (ἀνεφίκτους εἶναι ἀνθρωπίνῃ μιμήσει). Entsprechend ist der Gebrauch von εἰκών in einem weiteren Epi-

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Ein zweiter Aspekt liegt im ontologischen Status des Götterbildes selbst: Denn nicht nur stellt das durch εἰκών verkörperte Konzept der Ähnlichkeit eine klare Trennung zwischen Original (ἀρχέτυπον, παράδειγμα) und Kunstwerk her;71 spätestens seit Platon wird der Zusammenhang auch hierarchisch ge­deutet: Eine εἰκών steht ontologisch unter ihrer Vorlage.72 Dieser Aspekt wird auch in einer Passage aus Platons Nomoi (931a) illustriert, wo εἰκών einmal auf Götterbilder bezogen wird:73 Νόμοι περὶ θεοὺς ἀρχαῖοι κεῖνται πᾶσιν διχῇ. Τοὺς μὲν γὰρ τῶν θεῶν ὁρῶντες σαφῶς τιμῶμεν, τῶν δ᾽ εἰκόνας ἀγάλματα ἱδρυσάμενοι, οὓς ἡμῖν ἀγάλλουσι καίπερ ἀψύχους ὄντας, ἐκείνους ἡγούμεθα τοὺς ἐμψύχους θεοὺς πολλὴν διὰ ταῦτ᾽ εὔνοιαν καὶ χάριν ἔχειν. Bezüglich der Götter bestehen seit alters bei allen Menschen zweierlei Bräuche. Manche Götter verehren wir nämlich, indem wir sie mit eigenen Augen deutlich sehen [d. h. die Sterne]; von anderen verehren wir Abbilder, indem wir Kultstatuen errichten, und wir glauben, wenn wir diese, obwohl sie unbeseelt sind, verehren, würden uns jene beseelten Götter deshalb reichlich Wohlwollen und Huld schenken. (Üb. Schöpsdau)

Diese Beschreibung religiöser Praktiken unterscheidet klar zwischen den »lebendigen« Göttern und den »leblosen« Götterbildern, welche die Menschen in den Tempeln aufstellen, wobei Platon skeptisch ist, ob die Verehrung von Kultbildern überhaupt einen Nutzen für die Menschen hat (ἡγούμεθα); dabei scheint gerade die Verwendung von εἰκών die Inferiorität der Bilder zu unterstreichen.74 Umgekehrt mag man aus der sich sonst zeigenden Vermeidung von εἰκών für Götterbilder den Schluss ziehen, dass das Verhältnis von Gottheit und Statue i. d. R. eben gerade nicht auf ein solch hierarchisches Verhältnis von Original und (bloßer) Abbildung gebracht werden sollte oder konnte.75 gramm auf die knidische Aphrodite zu sehen (Platon AP 16, 160, 1 f. = FGE 666 f. Ἡ Παφίη Κυθέρεια δι᾽ οἴδματος ἐς Κνίδον ἦλθε / βουλομένη κατιδεῖν εἰκόνα τὴν ἰδίην). Auch hier wird durch εἰκών in nuce das (epigrammatisch gern an der knidischen Aphrodite entwickelte) Problem der Ähnlichkeit des Götterbilds thematisiert. Weitere Beispiele bei Zanker 2004, 141 f. Dass in der Septuaginta εἰκών regelmäßig für Götterbilder gebraucht wird, steht in Zu­sammenhang mit der alttestamentlichen Bilderpolemik (H. Funke, »Götterbild«, RAC 11, 1981, 664 f.). 71 Vgl. Metzler 1971, 154: »durch den Begriff der Ähnlichkeit [wird] eine eindeutige Trennung zwischen Kunstwerk und Wirklichkeit hergestellt«; Platt 2011, 120: »a notion that introduces a crucial gap between image and prototype.« 72 Vgl. vor allem Plat. Rep. 596b-598d. 73 Die Stelle wird diskutiert in Eich 2011, 127. 74 Im Deutschen von Schöpsdau daher mit »Abbild« wiedergegeben, das diesen Aspekt wohl am ehesten trifft. 75 Für diese Konnotation von εἰκών vgl. auch Webster 1939, 168: »If the work of art is merely a reflection of the momentary appearance of its subject, it is a lifeless copy.«

Vorläufer des Motivs der Lebensechtheit

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Aus diesem Befund ergibt es sich, dass das Verhältnis eines Gottes zu seinem Bild offenbar anders empfunden werden konnte als das Verhältnis eines Menschen zu seinem Bild, was sich dann auch in der unterschiedlichen Behandlung des Motivs der »Lebensechtheit« für beide Gruppen niedergeschlagen hat.76 Im Folgenden soll daher eine getrennte Behandlung zunächst der Götterbilder, dann der Menschenbilder erfolgen. Die Prämisse, von der dabei ausgegangen wird, lässt sich wie folgt formulieren: Im Falle von Bildern von Menschen bildet eine klare konzeptuelle Trennung von Bild und Original den Ausgangspunkt der Bildbetrachtung und Bildbeschreibung; diese Trennung kann dann durch die besondere Kunstfertigkeit des Künstlers scheinbar aufgehoben werden, so dass das Bild »geradezu lebendig« scheint bzw. hyperbolisch als »wirklich lebendig« beschrieben wird. Dennoch wird letztlich die Grenze zwischen Bildnis und Dargestelltem nicht durchbrochen. Gradmesser der Darstellungskunst ist der Naturalismus, die möglichst vollkommene Annäherung des Abbilds an sein Vorbild (wobei dieser perfekte Naturalismus nicht nur die Körperlichkeit, sondern auch das »Innenleben« einer Person auszudrücken vermag, sie also in allen ihren Facetten zeigen kann). Im Falle von Götterbildern besteht zwar auch ein Unterschied zwischen »realer« Gottheit und »bloßem« Bild; dieser ist aber weniger stabil und kann unter bestimmten Umständen gelockert oder sogar aufgehoben werden, etwa wenn im Ritual die Gottheit in ihrem Bildnis präsent ist (diese Aufhebung der Grenzen wird von Xenophanes, Heraklit und Platon als Irrglaube kritisiert); dabei zeigt es sich, dass gerade in der hellenistischen Literatur diese »Instabilitäten« im Verhältnis von Gott und Bild besonders thematisiert werden,77 allen v­ oran bei Kallimachos, der im Athene-Hymnos gerade auf die rituelle Präsenz der Göttin im Bild das Augenmerk richtet (s. u.); aus dieser »Instabilität« ergeben sich Eigentümlichkeiten für die Beschreibung der Götterbilder:78 So kann zum einen die Rolle des Künstlers geringer veranschlagt werden, da die »Lebendigkeit« des Bildes nicht allein ihm, sondern der Heiligkeit des Bildnisses zukommt; der »Naturalismus« der Darstellung kann die Vorstellung göttlicher Präsenz zwar unterstützen (man denke wieder an den Zeus des Phidias),79 aber bekanntlich galten einige Bildnisse als besonders wirkmächtig, die gerade nicht 76 Freilich werden nicht wenige Motive sowohl für Götter- als auch für Menschenbilder angewandt. Die folgenden Überlegungen versuchen nicht, völlige Trennschärfe herzu­ stellen, sondern vielmehr einen Erwartungshorizont zu skizzieren, vor dem dann die jeweils gebrauchten Motive besser verständlich werden können. 77 Zur Frage, ob diese Instabilitäten so kritisiert werden sollen, s. u. Anm. 94. 78 Dass Menschenbildern eine Art magische Kraft zukommt, wie der Statue des Theogenes von Thasos, der als Sportler quasi-heroische Taten vollbrachte (Paus. 6, 11), bleibt dagegen die Ausnahme (pace Hölscher 2007, 10). 79 Stellen bei Jucker 1950, 72 f.; den »Naturalismus« erreicht Phidias allerdings nicht durch mimesis, sondern durch phantasia (zu ihr s. u. S. 264).

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naturalistisch, zum Teil sogar anikonisch waren oder der Überlieferung nach gar nicht von Menschenhand gemacht waren; insofern kann der Hinweis auf die Kunstfertigkeit der Darstellung eines Götterbildes dessen »Lebendigkeit« sogar unterminieren, da er auch dessen Künstlichkeit hervorhebt.80 Zum anderen geht es in der Beschreibung von Götterbildern nicht so sehr um eine Aufhebung der Grenzen von Bild und Statue, sondern eher um eine jeweilige »Neuverhandlung« des Status des Bildes zwischen »wahrer« Gottheit und »bloßem« Objekt,81 wobei gerade auch einseitig die Materialität des Bildnisses betont werden kann, das Gottesbild also auf seinen Artefaktcharakter »reduziert« wird82 – ein Verfahren, das bei Menschenbildern bezeichnenderweise nicht vorkommt. Hinter dem »Naturalismus« des Götterbildes, wenn er denn beschrieben wird, lauert die Frage, wie »naturalistisch« ein Götterbild überhaupt sein kann, hinter der »Lebensechtheit« die Frage nach dem Verhältnis von Gottheit und Bildnis, und da diese Fragen nicht abschließend beantwortet werden konnten, wurden sie immer wieder neu aufgeworfen.

2. Entwicklung im Hellenismus 2.1. Götterbilder 2.1.1. Literarische Bearbeitungen Die Ineinssetzung von Gottheit und Bild begegnet in der hellenistischen Literatur mit einer vorher nicht gekannten Prägnanz: Man vergleiche etwa die Aussage des Hermes in CEG 861, er sei »angekommen« (ἀφικόμαν), mit dem Dialog zwischen einem menschlichen Sprecher und einer Herme im 9. Iambus des Kallimachos, in dem sich, soweit es uns ersichtlich ist, durchgehend die Frage »Gott oder (bloße) Statue?« stellt.83 Besonders ergiebig ist auch, wie schon festgestellt wurde, die Behandlung von Götterbildern in den kallimacheischen Hymnen.84 So findet sich im Hymnos auf Delos folgende Beschreibung eines Aphrodite-Kultbildes (307 f.): 80 Vgl. hierzu die Diskussion des ersten Verses von Kallimachos’ 6.  Iambos (Ἀλεῖος ὁ Ζεύς, ἁ τέχνα δὲ Φειδία) bei Hunter 2011, 252–256. 81 Platt 2011, 122 spricht von einer »continual renegotiation of the relationship between the two [i. e. Gott und Bild].« 82 Kallim. Fr. 100 Pf. (über ein Bild der Hera:) ἄξοος ἦσθα σάνις; Kallim. Iamb. 7, 1–3 Ἑρμᾶς … ἔμμι … πάρεργον; vgl. weiterhin Prop. 4, 2, 59 (der Gott Vertumnus spricht) stipes acernus eram, properanti falce dolatus; Hor. Sat. 1, 8, 1 Olim truncus eram finulcus, inutile lignum. Ein weiterer Punkt, der bei Kallimachos und Properz zum Ausdruck kommt, ist der Vergleich mehrerer Bilder eines Gottes, womit sich die Frage verbindet, welches der Bilder den »eigentlichen« Gott repräsentiert (vgl. Kallim. Iamb. 10 mit Kerkhecker 1999, 210–1). 83 Kerkhecker 1999, 207 »play on the god’s physicality«. 84 Z. B. Petrovic 2010, 205.

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δὴ τότε καὶ στεφάνοισι βαρύνεται ἱρὸν ἄγαλμα Κύπριδος ἀρχαίης ἀριήκοον, ἥν ποτε Θησεὺς εἵσατο, σὺν παίδεσσιν ὅτε Κρήτηθεν ἀνέπλει. Zu dieser Zeit ist auch schwer von Blumenkränzen das weltberühmte Kultbild der alten Göttin Kypris, die Theseus einst in Delos aufstellte, als er mit der Jugend aus Kreta heimsegelte. (Üb. Asper)

Der Erzähler schildert ein religiöses Fest, das auf Delos stattfindet und zu dessen Anlass eine Statue der Aphrodite mit Kränzen geschmückt wird, die einst von Theseus geweiht worden sei. Bemerkenswert an dieser Passage ist die konstante Vermischung von Gottheit und Statue: Für die Konstruktion, das Re­ lativum im Geschlecht an die Gottheit anzupassen, lässt sich als Vorbild das oben genannte Beispiel aus Theognis anführen (ἣν Ἀγαμέμνων εἵσατο).85 Das Attribut ἀριήκοον kann sowohl passivisch »von dem viel gehört wird, weithin berühmt« als auch aktivisch »weithin hörend, bereitwillig hörend« gedeutet werden. Die Ablehnung der aktivischen Bedeutung beruht auf der Annahme, einem ἄγαλμα könne eine solche Fähigkeit nicht zugeschrieben werden; doch könnte so gerade die Identifikation von Bildnis und Gottheit unterstrichen werden.86 Zu dieser Deutung passt der Gebrauch von βαρύνεται, das häufig in Bezug auf Personen, Körperteile oder psychische Instanzen gebraucht wird und so zusätzlich die Belebung des Artefakts hervorhebt.87 Schließlich ist die Junktur Κύπριδος ἀρχαίης erklärungsbedürftig; hier wurden verschiedene Ansätze verfolgt.88 Man hat (1) eine Enallage zu ἄγαλμα postuliert, (2) auf den hesiodischen Mythos der »vorolympischen« Geburt der Aphrodite aus dem Samen des Uranos hingewiesen, (3) das Adjektiv durch Konjektur beseitigt oder (4) darin ein indirektes Lob des Kallimachos an Arsinoe, die Gattin und Schwester des Phil­ adelphos, erkannt, da diese bereits zu Lebzeiten mit Aphrodite identifiziert wurde – sie sei daher die »neue« Aphrodite. Im Zusammenhang mit der bereits beobachteten Strategie der Ineinssetzung von Gott und Bild lässt sich ἀρχαίης recht zwanglos auf das Alter des Kultbildes 85 S. o. S. 243; diese Konstruktion findet sich auch häufig bei Pausanias, s. Schubart 1866, 578 f. 86 Weinreich 1912, 56 schlägt vor, auch an dieser Stelle die aktivische Bedeutung anzunehmen; ihm schließt sich Manakidou 1993, 221 an. Vgl. auch [Theokr.] Ep. 4 Gow, in dem der Sprecher den Gott Priap um Erhörung bittet (ἀίοι δ᾽ εὐμενέως ὁ θεός 18), aber das grob gefertigte Bild des Gottes, vor dem der Ziegenhirte beten soll, keine Ohren besitzt (ἀνούατον 3). 87 So bereits del Grande 1967, 311, zitiert nach Mineur 1984, 239 (›animism‹); Mineur a. l. lehnt diese Deutung ab und fasst βαρύνεται als Synonym für βρίθεται oder πυκάζεται auf. E ­ twas später gesteht Mineur allerdings zu, dass die Attraktion des Relativpronomens »is more consistent with the idea of the identity of image and deity, especially in evidence during the coronation ceremony«. 88 Das Folgende nach Mineur 1984 a.l.

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beziehen, denn unmittelbar darauf wird berichtet, dass Theseus es einst (ποτέ) bei einem Aufenthalt auf Delos geweiht habe. Diese Auffassung steht (1) nahe, wobei freilich keine Enallage im strengen Sinn vorliegt, da die Göttin und das Bild ja als identisch gedacht sind, ähnlich wie Kallimachos Hera in Fr. 100 Pf. mit »einst warst du ein ungehobeltes Brett« apostrophiert.89 Der Verweis auf das hohe Alter der Göttin mag dabei auf die Vorstellung verweisen, dass alte Götterbilder als besonders wirkmächtig galten und daher die Ineinssetzung in diesem Fall besonders angemessen ist.90 Kallimachos hat, wie schon bemerkt wurde, eine Vorliebe für die Beschreibung archaischer Götterbilder.91 Die konsequente Dichte, mit der in dieser kurzen Passage Gottheit und Bild vermengt werden, macht es wahrscheinlich, dass hier der Leser angeregt werden soll, über das Phänomen der Ineinssetzung an sich zu reflektieren. Dass hier aber auch ein Hinweis auf die literarische Tradition des Motivs vorliegt, lässt sich durch einen intertextuellen Bezug auf die genannte Theognis-Stelle, ebenfalls aus einem Hymnos, wahrscheinlich machen. Man vergleiche nochmals beide Stellen:92 Ἄρτεμι θηροφόνη, θύγατερ Διός, ἣν Ἀγαμέμνων   εἵσαθ᾽, ὅτ᾽ ἐς Τροίην ἔπλεε νηυσὶ θοῇς, εὐχομένῳ μοι κλῦθι … Κύπριδος ἀρχαίης ἀριήκοον, ἥν ποτε Θησεὺς εἵσατο, σὺν παίδεσσιν ὅτε Κρήτηθεν ἀνέπλει

Es folgen jeweils auf den Namen der Gottheit zwei Attribute, dann ein syntaktisch gleich gebauter Relativsatz mit ἣν und εἵσατο in derselben sedes, sowie ein 89 Manakidou 1993, 221 weist auf die Hypallage von Κύπριδος ἀρχαίης ~ ἄγαλμα ἀριήκοον hin, doch sollte die Härte der Junktur »alte Göttin« als Pendant zum »hörenden Bild« nicht beseitigt werden. 90 Vgl. in diesem Zusammenhang die Anekdote über Aischylos (Porphyr. Abst. 2, 18, 1–3): »Und die ältesten Bilder der Götter, aus Ton oder Holz gefertigt, waren – so ging die Meinung  – stärker vom Göttlichen erfüllt wegen des Materials und der Einfachheit der Kunst. Von Aischylos jedenfalls wird berichtet, er habe den Bewohnern von Delphi auf ihre Forderung hin, einen Paian für den Gott zu schreiben, gesagt, dass dies bereits von Tyn­ nichos unübertrefflich getan wurde. Wenn man seinen eigenen neben den des Tynnichos stellen werde, so werde dem dasselbe widerfahren, wie den neuen Götterbildern gegenüber den alten: Denn diese, obschon nur einfach gefertigt, werden für wahrhaft göttlich gehalten; die neuen aber, die sorgsam gearbeitet sind, würden zwar bestaunt, stünden aber weniger im Ruf, den Gott zu vermitteln (θεοῦ δὲ δόξαν ἧττον ἔχειν).« 91 Manakidou 1993, 212. 92 Die beiden Stellen werden bereits von Pfeiffer ad Fr. 200b, 1 τὴν ὡγαμέμνων, ὡς ὁ μῦθος, εἵσατο zusammengestellt; der Artemishymnos folgt bei Theognis unmittelbar auf einen Apollonhymnos, der dessen Geburt auf Delos behandelt; im 10.  Jambus, aus dem Fr. 200b stammt, wurde wohl das Problem der verschiedenen Erscheinungsformen einer Gottheit problematisiert (Kerkhecker 1999, 210–1).

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folgender ὅτε-Satz mit einer Form von πλέω.93 Kallimachos scheint so darauf zu verweisen, dass seine Technik der Vermischung von Bild und Gottheit eine bereits bei Theognis vorliegende Vorstellung noch überbietet – »seine« Aphrodite ist älter (ἀρχαίης) als das bei Theognis beschriebene Artemisbild, und während der Sprecher des Hymnos um Erhörung erst bitten muss (εὐχομένῳ μοι κλῦθι), ist das Wohlwollen der Aphrodite bereits gesichert (ἀριήκοον).94 Ein weiteres markantes Beispiel für die Verschmelzung von Gottheit und Kultbild bietet der kallimacheische Athenehymnos, in dem die rituelle Waschung des Athenekultbildes in Argos beschrieben wird.95 Bereits im ersten Vers des Gedichts ist von den λωτροχόοι τῆς Παλλάδος die Rede, den Mädchen, die der Pallas das Bad eingießen. Ἡ Παλλάς kann sowohl die Göttin als auch ihr Kultbild, das Palladium, bezeichnen,96 greift also die Tradition der Verwendung des Eigennamen-Typus auf und setzt so das Problem des Verhältnisses von Gottheit und Bildnis an den Anfang des Gedichts. In Vers 33 fordert der Sprecher die Göttin auf, herauszukommen: ἔξιθ᾽ Ἀθαναία. Gemeint ist hier das Heraustragen des Kultbildes aus dem Tempel, das so beschrieben wird, als käme dieses aus eigener Kraft (im Gegensatz dazu wird vom zweiten Kultgegenstand, dem Schild des Diomedes gesagt, er werde getragen (35): φέρεται δὲ καὶ ἁ Διομήδεος ἀσπίς97). In den dann folgenden Versen wird beschrieben, wie der Athenepriester Eumedes das Kultbild mitnahm, als er fliehen musste, und es später auf einem abschüssigen Felsen niedersetzte, eine Episode, die den Namen der Felsen »Pallatides« erklären soll. Dabei wird in Vers 39 der Begriff ἄγαλμα verwendet (übrigens die einzige Stelle im Hymnos, an dem das Kultbild explizit als solches 93 Weiteres Vorbild der Passage scheint Od. 11, 321–4 zu sein. 94 Insgesamt mag man sich fragen, ob hier Vorstellungen einer Einheit von Gott und Bild bestärkt oder destruiert werden; doch solche Rückschlüsse auf eine »kallimacheische Theologie« sind problematisch. Vermeiden sollte man eine modernistische Deutung des Dichters als »aufgeklärter« Intellektueller, dessen »spielerischer« Umgang mit der Tradition echte Gläubigkeit ausschließt (so bereits Bing 1985, 508 f.; Bing 1988, 26 Anm. 38 mit Lit.; Petrovic 2007, 118–120; pace Livrea 1995, 51). Mehr Erfolg verspricht der von Hunter 2011 verfolgte Ansatz, die kallimacheische Eigenart der Darstellung gegenüber Götterbeschreibungen anderer Autoren herauszustellen. Hunter hebt hervor, dass Kallimachos gegenüber Homer die Materialität und die Regionalität der Götter (in der Vielzahl ihrer Bilder) hervorhebt: »those grand epic figures [d. h. die Götter Homers und Hesiods] have been replaced by real divinities made of tangible substances such as marble and wood« (259). Die Konzentration auf die sichtbaren Bilder lässt sich als Facette des hellenistischen literarischen Realismus betrachten (vgl. die Definition von ›realism‹ von J. P. Stern [zitiert nach Zanker 1983, 126]: »Realism designates a creative attention to the visible rather than the invisible, an unabating interest in the shapes and relations of the real world, the system that works. It is the view from below.«) Gleichwohl weist Hunter auch darauf hin, dass die Darstellung des Göttlichen bei Kallimachos sich den unterschiedlichen literarischen Gattungen anpasst (266). 95 Für die Frage der Identität von Gottheit und Kultbild, die diesen Hymnos durchzieht, vgl. Hunter 1992; Hunter/Fuhrer 2002; Platt 2011, 175–80. 96 Belege bei Bulloch 1985 a.l. 97 Dieser Gegensatz wurde bereits von Bulloch 1985 a. l. herausgestellt.

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bezeichnet wird): τεὸν ἱρὸν ἄγαλμα / ὤχετ᾽ ἔχων, dann aber das Bild als die Göttin angesprochen (41 f.): σὲ δέ, δαῖμον, ἀπορρώγεσσιν ἔθηκεν / ἐν πέτραις. Schließlich erfolgt die Warnung des Erzählers, kein Argiver solle die Göttin anschauen, wenn sie nackt ist, da er sonst geblendet würde (51–4):         ἀλλά, Πελασγέ,   φράζεο μὴ οὐκ ἐθέλων τὰν βασίλειαν ἴδῃς. ὅς κεν ἴδῃ γυμνὰν τὰν Παλλάδα τὰν πολιοῦχον,   τὦργος ἐσοψεῖται τοῦτο πανυστάτιον. Paß aber auf, Pelasger, daß du nicht unabsichtlich die Königin erblickst: Wer Pallas, die Stadthalterin, nackt sieht, erblickt unser Argos zum allerletzten Mal! (Üb. Asper)

Hieran schließt sich die Erzählung des Mythos von Teiresias an, der einst Athene beim Baden überraschte und von ihr geblendet wurde. Doch während Teiresias die »leibhaftige« Göttin erblickte, kann ein Argiver »lediglich« das Kultbild betrachten, das freilich wieder als τὰν Παλλάδα bezeichnet wird. Im Besonderen scheint aber eine bereits erwähnte Passage aus dem 6. Buch der Ilias als Vorbild gedient zu haben, die einzige Stelle, an der das Verhältnis von Gottheit und Statue bei Homer thematisiert wird (303–11).98 Diese Stelle wurde bisher kaum als kallimacheischer Prätext herangezogen.99 Der Bezug auf Homer ist schon aufgrund der Gattung naheliegend; Hymnen werden üblicherweise im Hexameter verfasst,100 und der Bezug der kallimacheischen Hymnen auf die homerischen ist öfter herausgestellt worden.101 Wie bereits beschrieben, begibt sich in der Ilias eine Bittgesandtschaft der Troianerinnen zum Bild der Athene und fleht die Stadtgöttin in einem Gebet um Hilfe für Troia an. Auch der 5. Hymnos wendet sich an die Göttin und bittet sie am Ende um Hilfe für Argos (142). Als Sprecher tritt bei Homer die Priesterin Theano auf, und auch bei Kallimachos ist der Sprecher wahrscheinlich eine Priesterin der Athene.102 Bedeutsam für einen Bezug der beiden Passagen aufeinander scheint außerdem, dass sich der Sprecher des kallimacheischen Hymnos an das Palladion wendet, ein Kultbild der Athene, das der Überlieferung nach von Dio­medes aus Troja geraubt und nach Argos gebracht wurde.103 Einige Ilias-Scholien identifizieren 98 Vgl. S. 245 f. Die Szene wird in Il. 6, 86–101 und 269–80 mit ähnlichen Worten (und derselben Verwechslung von Gottheit und Statue) vorbereitet. 99 Hunter 2011 hat einen Zusammenhang zwischen den beiden Stellen unter einem Aspekt hergestellt (s. u. S. 260 f.). 100 Auch wenn gerade der Athenehymnos aus elegischen Distichen besteht. 101 Z. B. Hunter 1992, 9 f. 102 Die Stimme des Erzählers fungiert bisweilen auch als Sprachrohr der Dichterpersona »Kallimachos«, s. Morrison 2005. 103 S. Bulloch 1985, 14.  Auch andere Städte (vor allem Athen) behaupteten, das Palladium aus Troia zu besitzen.

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das bei Homer genannte Bild der Athene mit dem Palladion.104 An beiden Stellen wäre dann dasselbe Bild literarisch beschrieben, was einen Vergleich beider Stellen besonders nahelegte; doch auch wenn die beiden Bilder nicht identisch sein sollten,105 legt die troianische »Vorgeschichte« des Bildes bei Kallimachos einen Vergleich mit einer troianischen Kultbeschreibung bei Homer nahe: Es zeigt sich dabei, dass Kallimachos in der Beschreibung des argivischen Kultes Details hervorzuheben scheint, die sich von der homerischen Passage abheben. Während die Frauen um Hekate, die zum Tempel ziehen, alt sind (296), handelt es sich bei den an der Prozession in Argos beteiligten Frauen um junge Mädchen (34, 57). Während den Hymnos die mehrfache Aufforderung durchzieht, die Göttin möge aus dem Tempel herauskommen, verläuft die Bewegung bei Homer in den Tempel hinein: Die trojanischen Frauen gelangen dorthin (297), die Priesterin Theano schließt ihn auf (298), das Gebet findet vor dem Götterbild im Tempel statt, und auch das versprochene Opfer soll ἐνὶ νηῷ vollzogen werden (308). In der argivischen Prozession wird das Bild der Göttin gewaschen, d. h. aber auch entkleidet, ein Detail, dass in Kallimachos’ Version durch den Mythos von Teiresias, der die Göttin einst nackt sah, hervorgehoben wird. Bei Homer bringt Hekabe der Göttin ein neues Gewand zum Geschenk mit, das die Priesterin Theano der Statue auf die Knie legt (302 f.).106 Die Anrede an die Göttin in der Ilias lautet πότνι᾽ Ἀθηναίη, ἐρυσίπτολι (305); bei Kallimachos heißt es an einer Stelle ἔξιθ᾽ Ἀθαναία, περσέπτολι, χρυσεοπήληξ, / ἵππων καὶ σακέων ἁδομένα πατάγῳ (43 f.).107 Die oppositio in imitando ist hier durch den neuen Kontext des Bildes bestimmt: Für die Trojaner war Athene die ihre Stadt beschützende Göttin, aus Sicht der Griechen erscheint sie als deren Zer­störerin.108 Ein weiteres Indiz für die Opposition von Schutz und Zerstörung ist die Behandlung des Diomedes bei Homer und im Hymnos. Die Priesterin bei Homer bittet die Göttin, die Lanze des Diomedes zu zerbrechen und ihn im Kampf fallen zu lassen, ἆξον δὴ ἔγχος Διομήδεος (306). Im Hymnos wird, gemeinsam mit dem Palladium, der Schild des Diomedes herausgetragen: ὠθάνα, φέρεται δὲ καὶ ἁ Διομήδεος ἀσπίς (35). Die Opposition von Angriffs- und Verteidigungs 104 Σ ad Il. 6, 88b; 6, 92c; Σ ad Il. 6, 92a merkt an, ἐπί müsse in der Phrase Ἀθηναίης ἐπὶ γούνασιν so viel wie παρά bedeuten, da die Palladien aufrecht standen (ὀρθὰ γὰρ τὰ Παλλάδια κατεσκεύασται). 105 Ablehnend gegenüber der Identifikation Simon 1985, 194; Arch. Hom. V 123; der Wortlaut der Homerstelle lässt an eine Sitzstatue denken (vgl. Arch. Hom. N 35; V 121). 106 Auch die argivische Athene wird nach der Prozession sicher ein neues Kleid erhalten haben. Vgl. auch Kallim. Hymn. Pall. 70 (Athene und Chariklo) πέπλων λυσαμένα περόνας. Nach Bulloch 1985 a.l. spielte der πέπλος der Athene eine wichtige Rolle im argivischen Kult. 107 Die Parallele bereits bei Bulloch 1985 a.l. Vgl. auch Kallim. Hymn.  Pall. 55 πότνι᾽ Ἀθηναία. Das Epithet ἐρυσίπτολις ist, wenn auch nicht im Vokativ, in einem der beiden homerischen Athenehymnen belegt (Hom. Hymn. 28, 3; s. Hunter 1992, 11, der für diese Stelle als Vorbild für Kallimachos plädiert). 108 Allerdings wird Athene etwas später (53) als πολιοῦχος bezeichnet.

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waffe erklärt sich wieder aus der unterschiedlichen Perspektive: während für die Troianerinnen der Argiver Diomedes eine Bedrohung darstellt, die es abzuwehren gilt, wird er von den argivischen Frauen als Beschützer angesehen; er selbst hatte ja der Sage nach das Palladion nach Argos gebracht.109 Falls diese Ausführungen zutreffen und die Homerstelle als Prätext für den Athenehymnos anzusehen ist, lässt sich ein weiterer Bezug zwischen beiden Texten herstellen.110 Zum Ende der homerischen Szene wird gesagt, dass Athene der troianischen Priesterin ihre Bitte durch ein Zurückwerfen des Kopfes versagt: ὣς ἔφατ᾽ εὐχομένη, ἀνένευε δὲ Πάλλας Ἀθήνη (311). Dieser Vers wird nach Ausweis der Homerscholien von Aristarch mit folgender Begründung athetiert (Σ ad Il. 6, 311a): ἀθετεῖται, ὅτι πρὸς οὐδὲν τὸ ἐπιφώνημα καὶ οὐκ ἠθισμένον· κατὰ μὲν γὰρ τὸ ἐναντίον ὁ Ζεὺς ἐπιβεβαιοῖ κατανεύων. […] γελοία δὲ καὶ ἡ ἀνανεύουσα Ἀθηνᾶ. Dieser Vers wird athetiert, da der Ausdruck sinnlos und unüblich ist. Denn, ganz im Gegenteil, sichert Zeus etwas durch Kopfnicken zu. […] Zudem ist eine den Kopf zurückwerfende Athene lächerlich.

Im kallimacheischen Athenehymnos wird dagegen das Kopfnicken der Athene thematisiert; die Stelle steht am Übergang von der Erzählung des eingelegten Teiresias-Mythos zurück zur Rahmenhandlung. Die Göttin nahm diesem zwar das Augenlicht als Strafe dafür, dass er sie nackt gesehen hatte, doch zum Ausgleich gab sie ihm die Fähigkeiten des Sehers und ein Bewusstsein unter den Toten im Hades. Dies bestätigt sie mit ihrem Nicken. Mit dem Nicken aber eine Sache unverbrüchlich festzulegen, so erklärt nun der Sprecher den anwesenden Frauen, komme außer Zeus alleine Athene zu, da sie seinem Haupt entsprungen sei (131–6):

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ὣς φαμένα κατένευσε· τὸ δ᾽ ἐντελές, ᾧ κ᾽ ἐπινεύσῃ   Παλλάς, ἐπεὶ μώνᾳ Ζεὺς τόγε θυγατέρων δῶκεν Ἀθαναίᾳ πατρώια πάντα φέρεσθαι,   λωτρόχοοι, μάτηρ δ᾽ οὔτις ἔτικτε θεάν, ἀλλα Διὸς κορυφά. κορυφὰ Διὸς οὐκ ἐπινεύει  ψευδέα        ἁ θυγάτηρ. So sprach sie und nickte Zustimmung. Das aber tritt ein, dem Pallas zunickt, denn allein von seinen Töchtern gestand Zeus es Athene zu, alle Rechte ihres Vaters zu beanspruchen. Ihr, die ihr Athene das Bad eingießt, keine Mutter hat die Göttin ja geboren, sondern der Scheitel des Zeus. Der Scheitel des Zeus nickt nun nichts Falsches zu, [etwa: ebenso Sicheres bestätigt mit ihrem Nicken] die Tochter. (Üb. Asper) 109 S. Bullochs Kommentar a.l. zur schützenden Bedeutung des Diomedesschildes. 110 Zum Folgenden vgl. Hunter 2011, 257–8.

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Der Sprecher des Hymnos scheint hier deutlich in der Position des poeta doctus aufzutreten, und das κατένευσε der Athene lässt sich wiederum als Umkehrung des ἀνένευε bei Homer deuten.111 Die Versicherung, was Athene durch Nicken bestätige, trete ein, lässt sich dabei ebenso als Kommentar auf die Bemerkung in den Scholien lesen, dass es sonst (nur?) Zeus sei, der dies tue. Die Frage, inwiefern ein kopfschüttelndes Kultbild etwas Lächerliches sei, wird in Kallimachos’ Erzählung ausgeklammert, da das Kopfnicken der Athene in der mythischen Erzählung stattfindet. Welchem Zweck dient die den Hymnos durchziehende bewusste Verwischung der Grenzen zwischen Gottheit und Statue? Nach Morrisson (2005, 44–6; 2007, 169 f.) geht es um die Frage der Repräsentation des Göttlichen: Die Göttin erscheint als Bild, als mythische Figur, als beim Fest anwesende Göttin, und der Hymnus beschäftigt sich vornehmlich mit der Frage des Sehens der Göttin, was auch auf das »Sehen« in der Vorstellung des Lesers zu beziehen ist, zumal es sich um einen mimetischen Hymnos handelt, der in besonderem Maße der ἐνάργεια verpflichtet ist.112 Das Problem des »Sehens« der Göttin, das die Festteilnehmer im Gedicht haben, spiegelt somit die Erfahrung des Lesers des Hymnos.113 Dieser Aspekt, die ἐνάργεια einer literarischen Beschreibung in Beziehung zu setzen zu einer im Text problematisierten Epiphanie, lässt sich vielleicht auch in einem spätantiken Epigramm nachweisen (Makedonios Consul AP 9, 625): πιστότατος μερόπων τις ἔοι πυλαωρὸς ἐμεῖο   κρίνων λουομένων καιρὸν ἐσηλυσίης, μή τινα Νηιάδων τις ἐμοῖς ἐνὶ χεύμασι γυμνὴν   ἢ μετὰ καλλικόμων Κύπριν ἴδοι Χαρίτων οὐκ ἐθέλων· Χαλεποὶ δὲ θεοὶ φαίνεσθαι ἐναργεῖς.   τίς γὰρ Ὁμηρείοις ἀντιφέροιτο λόγοις; Mein Torhüter sei der zuverlässigste der Menschen, der über die rechte Zeit des Eintritts der Badenden entscheide. Keiner soll bei meinen Fluten eine der Naiaden aus Versehen nackt sehen oder Kypris mit den schönhaarigen Chariten: »Schlimm sind die Götter, wenn sie einem unmittelbar vor Augen treten.« Wer könnte sich mit Homers Worten messen?

Das Gedicht trägt das Lemma εἰς ἕτερον λουτρὸν ἐν Λυκίοις und wird von Madden (1995, 199) und Merkelbach/Stauber für inschriftlich gehalten (= SGO 111 Hunter 2011, 257 weist darauf hin, dass das Nicken des Zeus bei Homer (Il. 1, 526 f.) Phidias als Inspiration für seine Zeusstatue diente. 112 Vor allem in der Teiresias-Episode, s. Morrison 2007. 113 Vgl. Hunter/Fuhrer 2002, 160: »The poem evokes the similarity and difference between the mental image excited by literary enargeia and the experience of ›epiphany‹«; eine solche Spannung liegt nach Platt 2011, 292 auch kaiserzeitlichen literarischen Beschreibungen von Götterepiphanien zugrunde.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

17/01/05). Sprecher ist das Bad selbst, das sich einen zuverlässigen Bademeister wünscht. Dieser solle die Besucher davon abhalten, das Bad zur Unzeit zu betreten, damit diese nicht ungewollt eine nackte Gottheit erblicken, was für sie schlimme Konsequenzen haben kann. Als Beleg dafür führt das (offenbar literarisch ge­bildete) Bad in Vers 5 einen Halbvers aus der Ilias (20, 131) an.114 Das Gedicht wirft eine Frage auf, die unsere Phantasie anzuregen vermag: Was geschieht in einem Bad, wenn der letzte Besucher es verlassen hat? Das Bad selbst weiß es natürlich: Göttinnen baden darin!115 Daher muss der Zutritt zum Bad außerhalb der Öffnungszeiten streng bewacht werden. Dies wird auch durch einen intertextuellen Bezug auf den kallimacheischen Athenehymnos markiert: wie bereits von Madden (1995, 200) vermerkt, begegnet die Formu­ lierung οὐκ ἐθέλων in Vers 5 dort mehrfach (52, 78, 113), jeweils auf das unfreiwillige Erblicken der nackten Göttin bezogen. Die Erinnerung an das kallimacheische Vorbild unterstreicht nochmals die Aussage des Homerzitats. Das Problem des Erblickens der Göttin im Bad wird aber dadurch noch vielschichtiger, dass die im Epigramm genannten Göttinnen zum üblichen Statuenrepertoire von Bädern gehören.116 Dazu kommt, dass Nymphen, Aphrodite und Chariten oft nackt dargestellt werden. Es scheint naheliegend, dass der Epigrammatiker auf solche Darstellungen anspielt, auch wenn er nicht explizit von Statuen spricht. Das bedeutet aber, dass jeder Besucher des Bades die Göttinnen offenbar unbeschadet nackt betrachten kann – was wiederum die Frage aufwirft, wie sich das Schauen einer »leibhaftigen« (ἐναργής) Gottheit vom Betrachten ihrer Statue unterscheidet: werden die Bilder »lebendig«?117 Indem so das Problem der Epiphanie der Gottheit im Bild thematisiert wird, nähert sich das Gedicht dem Athenehymnos weiter an. Auch ähnelt sich die Situation der Festteilnehmer bei Kallimachos und der μέροπες im Badepigramm: beide stehen vor dem Gebäude, in dessen Innern sich die Göttin / die Götter befinden; während man bei Kallimachos auf ihr Herauskommen wartet, wird den μέροπες der Eintritt verboten. Beide sind also, wie der Leser, von der direkten

114 Vgl. auch Hom. Hymn. Dem. 111; Od. 13, 312–313. 115 Worin natürlich ein Lob für das Bad steckt. Für weitere badende Göttinnen in Bäderepigrammen s. AP 9, 606–7, 609, 616, 619, 623, 637. 116 Marvin 1983, 379. 117 Mit unserem Epigramm zu vergleichen ist eine lateinische Inschrift, in welcher ein Stifter berichtet, die Nymphen nackt gesehen zu haben (RA 1928, 2, 361 Nr. 37, Zeile 5: optavi nudas videre Nymphas, vidi); Balland 1976, 5 f. meint, die Aussage beziehe sich auf das Er­ blicken eines Kunstwerks. Das Thema des (erotischen) Blicks auf die nackte Statue der Aphrodite innerhalb der Diskussion um die Ontologie des Götterbildes in der Kaiserzeit behandelt Kindt 2012, 155–89. Das Problem des Betrachtens nackter Gottheiten erhält be­sondere Brisanz vor dem Hintergrund der spätantiken Praxis, weiblichen und männlichen nackten Statuen in Bädern das Geschlecht zu entfernen; s. hierzu Hannestad 2001.

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Schau der Götter ausgeschlossen und können diese nur imaginieren.118 Vor diesem Hintergrund muss der homerische Halbvers betrachtet werden: Während bei Homer ἐναργής »leibhaftig« bedeutet, ein Sinn, der auch hier zunächst vorliegt, mag der Leser durch den intertextuellen Bezug auf den Athenehymnos gerade auch auf das Problem der literarischen ἐνάργεια verwiesen werden;119 da die Vokabel ἐναργής bei Kallimachos nicht fällt, würde Makedonius diesen Aspekt des Hymnos explizit machen (und damit zugleich zeigen, dass Kallimachos in homerischer Tradition steht),120 aber auch auf die ἐνάργεια seines eigenen Gedichts hinweisen.121 Dass es hier um dichterische ἐνάργεια geht, legt zudem der abschließende Hinweis auf Homer nahe. Gerade Homers Beschreibungen der Götter haben die Vorstellung von ihnen maßgeblich geprägt, eine Tatsache, die von den Griechen selbst immer wieder herausgestellt wurde;122 und auch im Bereich der litera­ rischen ἐνάργεια ist Homer Vorbild für die nachfolgenden Dichter gewesen.123 So gewinnt Makedonios Homers Worten – mit denen er sich eigentlich nicht messen wollte – einen neuen Sinn ab. 118 Diese Parallele bleibt auch dann bestehen, wenn es sich bei AP 9, 625 wirklich um eine Inschrift handelt: Dann ist der lesende Passant von der Autopsie der badenden Göttinnen ausgeschlossen sowohl, weil er vor der verschlossenen Tür steht, als auch, weil er »nur« Leser ist. 119 Dass diese Auffassung von ἐναργής nicht fernliegt, illustriert der Kommentar des Eustathios zur Homerstelle, da er es für nötig hält, darauf hinzuweisen, dass es hier gerade nicht im kunsttheoretischen Sinn zu verstehen ist (4, 382 v. d. V., 4 f.): χαλεπὸς δὲ θεὸς φαίνεσθαι ἐναργής, ὅ ἐστι χαλεπὸν τὸ θεὸν ὀφθαλμοφανῶς ἰδεῖν. ἀντίκειται δὲ τὸ ἐναργὲς πρὸς τὸ νοητὸν καὶ φανταστὸν καὶ τὰ τοιαῦτα. Für einen Bezug von φαίνεσθαι auf die φαντασία vgl. LSJ s. v. φαίνω B II 2 »appear to the imagination«. 120 Mit χαλεποὶ δὲ θεοὶ φαίνεσθαι ist vielleicht zu vergleichen Hymn. Pall. 80 f. τίς σε … χαλεπὰν ὁδὸν ἄγαγε δαίμων; 121 Zanker hat hervorgehoben, dass der Begriff der ἐνάργεια, wie er in den rheto­ rischen Traktaten verwendet wird, eine detailreiche Beschreibung eines Gegenstandes voraussetzt, wie sie in Epigrammen gerade nicht zu finden ist; daher sei der Begriff ekphras­ tisches Epigramm überhaupt irreführend (2003, 59–62; Kritik an Zanker übt Squire 2010, 77; 98 Anm. 54; Squire 2011, 275 f. Anm.  78); dagegen verweisen Livingstone/Nisbet 2010, 66 f. auf Poseidipp 7 A.-B., das sie »concerned to create visual effects« nennen; vgl. auch Elsner 2002, 13, der zunächst darauf hinweist, dass ekphrastische Epigramme oft das Aussehen des Kunstwerks nicht eigentlich beschreiben: »But one might argue that the very thematics of presence and absence – a poem’s distantiation from its object of description and the description’s ability to bring that object back to the mind’s eye through enargeia – was central to the aesthetic of the genre.« 122 Vgl. die Geschichte über Phidias, der sich bei der Schaffung seines Zeus von einer Homer­ stelle inspirieren ließ (Polyb. 30, 10, 6; Strab. 8, 3, 30; Plut. Aem. 28, 2); s. o. S. 261 Anm. 111. 123 Hier ist auch die Erzählung von Homers Blindheit einschlägig; vgl. Cic. Tusc. 5, 114: Traditum est etiam Homerum caecum fuisse; at eius picturam, non poesin videmus: quae regio, quae ora, qui locus Graeciae, quae species formaque pugnae, quae acies, quod remigium, qui motus hominum, qui ferarum non ita expictus est, ut, quae ipse non viderit, nos ut videremus, effecerit?

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Schließlich scheint es möglich, in der hier beschriebenen Trennung von Kunstwerk und Betrachter einen selbstreflexiven Kommentar auf die Gattung des ekphrastischen Epigramms insgesamt zu sehen, denn in diesen Gedichten steht typischerweise der Betrachter direkt vor dem Kunstwerk, was nicht nur durch die Fiktion der Inskribierung, sondern auch durch verba videndi (häufig im Imperativ) deutlich gemacht wird. Wenn nun das Bad den Betrachter vor dem Schauen warnt (μή τις ἴδοι), und dieser »außen vor« bleibt, dann wird einerseits diese Unmittelbarkeit des Schauens negiert: Wie der Leser des Athenehymnos, sieht der Leser eines ekphrastischen Epigramms eben nicht »wirklich«, was beschrieben wird.124 Andererseits wird im ekphrastischen Epigramm oft der »Sieg« der Literatur über die bildende Kunst thematisiert, insofern die literarische Beschreibung mehr leistet als das Kunstwerk.125 Dies scheint auch hier der Fall zu sein: kaiserzeitliche Autoren heben hervor, dass die Schau des wahren Göttlichen nicht durch die Augen (also etwa durch das Betrachten von Kunstwerken), sondern durch den Verstand bzw. die Phantasia erfolgt.126 Clemens von Alexandria spricht von einem νοητὸν ἄγαλμα: das wahre Bild Gottes existiert nur in der menschlichen Vorstellung.127 Ein solches Schauen in der Phantasie bewirkt aber gerade auch die Ekphrasis;128 Philon von Byzanz sagt geradezu, dass eine gelungene Ekphrasis dem Leser mehr zu bieten hat als die Autopsie des beschriebenen Kunstwerks.129 Makedonius scheint in seinem Epigramm so einerseits die Spannung göttlicher Epiphanie zwischen Unmittelbarkeit und Distanz auszuloten, andererseits auf spielerische Weise die literarische ἐνάργεια mit einer philosophischen Auffassung über die wahre Anschauung des Göttlichen zu verknüpfen: sein Epigramm bewirkt beim Leser eben ein νοητὸν ἄγαλμα und übertrifft so die realen ἀγάλματα der bildenden Kunst.

124 Vgl. Platt 2011, 182: »The tension between the ekphrastic epigram’s original visual function and the absence of its partner object thus lies at the heart of its poetics.« 125 Z. B. Männlein-Robert 2007b, 256. 126 Philostr. VA 6, 19, 2 (cf. Platt 2011, 293–332; Kindt 2012, 173); Clem. Alex. Prot. 4, 51 (Kindt 2012, 184). 127 Clem. Alex. Prot. 4, 51, 6. 128 Quint. Inst. 6, 2, 29 quas φαντασίαϛ Graeci vocant (nos sane visiones appellemus), per quas imagines rerum absentium ita repraesentantur animo, ut eas cernere oculis ac praesentes habere videamur (vgl. hierzu Squire 2010, 79 f.). Vgl. auch oben stehendes Eustathius-Zitat (Anm. 119), in dem τὸ ἐναργές mit τὸ νοητόν umschrieben wird. 129 Proöm. 2 f. (s. Hunter 2011, 255 f.). Ein ähnlicher Gedanke scheint auch in Herod. 4, 37 f. vorzuliegen: dort sagt eine Sprecherin namens Phile, dass, wer das Bild (εἰκόνισμα) der Batale gesehen habe, die echte nicht brauche (μὴ ἐτύμης δείσθω) – so wie Herodas’ Leser sich mit der Lektüre der Mimiamben begnügen kann und keine Feldstudien im Milieu der Protagonisten zu betreiben braucht.

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2.1.2. Götterbilder in den Versinschriften Das Problem des Verhältnisses der Gottheit zu ihrem Bild spiegelt sich auch in hellenistischen und späteren Inschriften wider (SGO 01/19/33, Didyma, 2. Jh. v. Chr.; Rehm, I.Didyma 118; Peek 1971, 194–6):

5

10

[ἁγναῖς] Ν αιάδων σεμνὸν παλάμαισι μ[ολοῦσαι]   [δῶμα π]ρὸ παρθενίου τοῦδε δόμοιο [θεῆ]ς [νᾶμα] ἀρύσασθε τόδε ἁγνόν, ἐπεὶ Διόδωρος Ὀλύμπου   σ[τ]ῆσέ με, Πυθείης Ἀρτεμίδος πρόπολος, αὔξων εὐσεβίης καλὸν οὔνομα τήν τε ἀπὸ πατρὸς   αἵρεσιν εἰς θείην τάξιν ἀμειβόμενος· ὧν ὅδε σεμνοτάτην μνήμην θέτο, παρθένε, μορφὴν   σὴν ὅτε τοῖς χρυσέοις τεύγμασιν ἠγλάισεν· τούνεκεν ἐχ θείης χάριτος λάχε τὸμ παρὰ θνητοῖς   αἶνον ἐν εὐλογίηι πλεῖστον ἔχοντα γέρας. Kommt mit reinen Händen zu dem ehrwürdigen Haus der Naiaden, welches sich vor diesem Haus der jungfräulichen Göttin befindet, und schöpft dieses reine Nass, nachdem Diodoros, der Sohn des Olympos, mich aufgestellt hat, er, der Diener der Artemis Pytheia, indem er den guten Ruf seiner Frömmigkeit mehrte und im Wechsel die Wahl (und Gesinnung) seines Vaters gegenüber der Ordnung der Götter getroffen hat. Die ehrwürdigste Erinnerung daran hat er, Jungfrau, geschaffen, als er deiner Gestalt mit goldenem Schmuck Glanz verliehen hatte.130 Dadurch hat er durch die Gnade der Götter den Ruhm bei den Menschen erlangt, welcher die größte Ehrengabe im guten Ruf hat. (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

Eine Brunnenfigur lädt die Passanten ein, vom heiligen Wasser eines vor dem Tempel der Artemis Pytheia gelegenen Brunnens zu schöpfen. Daran anschließend berichtet sie von ihrem Stifter, dem Artemispriester Diodoros, der eine vergoldete Statue der Artemis geweiht habe.131 Hier finden wir eine Weiterführung des Verhältnisses von Götterbild und Gottheit im Hinblick auf die vorangegangene inschriftliche Tradition. Einerseits spricht die Brunnenfigur die Göttin selbst an (παρθένε), die von ihrer Statue (μορφὴν σὴν) unterschieden wird: die Figur »erinnert« die Göttin an eine frühere Weihegabe des Diodoros, ähnlich wie der Pinax in Kallim. Ep. 54 Pf. Asklepios an die Weihegabe des Akeson erinnert. Andererseits erinnert die Be 130 Merkelbach/Stauber konstruieren θέτο mit doppeltem Akk. »als ehrwürdigste Erinnerung daran hat er, Jungfrau, deine Gestalt aufgestellt«; ich habe μορφὴν σὴν in den Temporalsatz hineingezogen. 131 So Peeks Deutung der Verse 7–8. LSJ Suppl. s.v. τεῦγμα gibt unter Hinweis auf unsere Stelle als Bedeutung an »structure or artifact«; man könnte außerdem an eine Gold­ verkleidung (einer bereits bestehenden Statue) denken (vgl. Cic. Verr. 1, 54; 5, 185 über die Goldverkleidung der Artemis von Perge  – »altertümliches Xoanon mit Goldblechverkleidung« Neudecker 1988, 23) oder an eine Stiftung von Goldschmuck für das Kultbild.

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zeichnung der Statue als μορφή an die für menschliche Bilder belegte Wendung εἰκόνα μορφῆς und hebt die äußere Ähnlichkeit von Statue und Göttin hervor; die Statue ist »nur« die Gestalt. Eine solche Spannung zwischen Gott und Bild kann in den Dedikationsepigrammen gerade dann zum Ausdruck kommen, wenn einem Gott ein Bild seiner selbst geweiht wird, was für das nächste Beispiel gesichert ist; instruktiv ist der Vergleich folgender beider Parallelgedichte (Iscrizioni di Cos EV 234, 1. Jh. v. Chr., 1–4): Φοίβωι καὶ Βάκχωι μ᾽ ἐπινίκιον ἵλαον αὐλοῖς   οὔνομα καὶ τέχνην πατρὸς ἐνενκαμένου, δῆμος ἐπέγραψεν Κώιων Διόνυσον, Ἀρίστων,   μάρτυρά σοι στεφάνων Ἑλλάδος εὐρυχόρου. Mit einer Werkinschrift für Phoibos und Bakchos hat mich als Siegespreis, der ich gnädig war dem Flötenspiel des Mannes, der den Namen und die Kunst des Vaters übernommen hatte, das Volk der Koer ausgestattet, mich, den Dionysos, Ariston, als Zeugen für deine Siegeskränze im Hellas mit den breiten Tanzplätzen.

Der Demos hat für seinen siegreichen Aulosspieler Ariston eine Statue des Dionysos den Göttern Bakchos und Apoll geweiht. Sprecher ist die Statue, die sich selbst als Dionysos vorstellt. Das mögliche Problem, dass hier ein Dionysos dem Dionysos geweiht wird, scheint der Verfasser herunterspielen zu wollen, indem er Statue und Gott unterschiedliche Namen gibt und darüber hinaus beide Namen weit voneinander trennt. Auf derselben Basis befindet sich jedoch noch ein zweites Epigramm, in dessen Verlauf der Gegensatz nochmals thematisiert wird (11–13): χάλκεον ἁβροχίτωνα Θυώνης παῖδα με Βάκχον,   Δωρίδος ἐκ πάτρης ἄνθεμα δημοσίηι Φοίβωι κἀμαυτῶι κεχαρισμένον εἵσατο τέχνης. Den bronzenen, mit einem weichen Chiton bekleideten Sohn der Thyone, mich, den Bakchos, stellte er [i. e. Ariston], ein Mann aus der dorischen Heimat, als Weihgeschenk auf öffentlichen Beschluss hin auf, für Phoibos und für mich selbst, als Zeichen der Dankbarkeit für seine Kunst.

Auch hier fungiert die Statue als Sprecher. In Vers 11 stellt sie sich namentlich als bronzener Bakchos vor, wobei die beiden Adjektive χάλκεος und ἁβροχίτων eine gewisse Spannung erzeugen (das harte Erz gegenüber dem weichen Chiton). Das Problem einer solchen Juxtaposition, für das sich auch literarische Parallelen anführen lassen,132 wird im Folgenden fortgeführt, wenn die 132 Leonidas v. Tarent AP 6, 334, 3 = HE 1968 καὶ σὺ τετραγλώχιν, μηλοσσόε, Μαιάδος Ἑρμᾶ (dazu Kassel 1983, 11 Anm. 51 »… wo mit Bedacht zwei Epitheta nebeneinander gesetzt sind, von denen eines der Herme, eines dem in lebendiger Wirksamkeit gedachten Gott gilt.«)

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Statue sagt, Ariston habe sie »für Phoibos und mich selbst« geweiht. Die Reflexivität betont hier die Identität von Gottheit und Statue in einer Weise, die an die kallimacheische Beschreibung der Statue des Delischen Apollon erinnert (Fr. 114 Pf.): Dort schwört das Bild bei sich selbst, ναὶ μὰ τὸν αὐτὸν ἐμέ (5),133 und im Folgevers wird das Material der Statue besprochen: χρύσεος ἐπλάσθης;] – ναί, χρύσεος. Besonders instruktiv scheint diese Art der »Verwechslung« eines Gottes mit seinem Bild in folgendem Epigramm der frühen Kaiserzeit thematisiert zu werden (SGO 08/01/03, Kyzikos, um 40 n. Chr.):

5

ειλη[    ] ο[ ] εἴασεν ἅλ[μην (?)  λᾶαν [   ]εν Κύζικος εἰναλίη· πολλὰ κα[μὼν ἤλγ]ησα πατασσόμενος Ποσιδάων   εἰσότε δ[ή ῥα γυν]ὴ νῆσσον ἐκαινοτόμε[ι], καὶ βυθὸς εὐρεί[πω]ν ἐχαράσσετο, καί με Τρύφαινα   εὑρομένη πόν[το]υ θῆκεν ἄγαλμα θεῶι, σοὶ τὸ σὸν ἕρμα, Πόσειδον· ἐγὼ δ᾽ ἁλὸς ἀκλύστοιο   στήσομαι εὐρείπων ἔνγυος ἀμφοτέρων. Vers 3 Ποσιδάων Merkelbach ποσι[  ]μων Hasluck ποσι[  ]ημων Peek. … den Stein…. das im Meer gelegene Kyzikos; vieles erleidend habe ich, Poseidon, Kummer empfunden, wenn man auf mir mit Füßen herumtrampelte  – bis eine Frau (die Stadt) wieder zu einer Insel machte und die Kanäle wieder tief ausgegraben wurden, und Tryphaina mich auffand und als Schmuckstück für den Gott des Meeres aufgestellt hat, mich, das Steinbild deiner selbst, Poseidon; ich aber werde nun als Bürge der beiden Kanäle gegen das nicht mehr tobende Meer standhalten. (Üb. Merkelbach/Stauber)

Hier handelt es sich um die Inschrift unter einer Statue des Poseidon, die von ihrer Wiederauffindung berichtet, als der versandete Hafen von Kyzikos wieder ausgegraben wurde, und die von Tryphaina (der Auftraggeberin der Ausgrabungsarbeiten) dem Gott Poseidon geweiht wurde.134 Erhalten ist die Basis, auf der verschiedene Fischarten und zwei Dreizacke abgebildet sind; die Inschrift selbst ist weitgehend zerstört, so dass man auf Abschriften angewiesen ist. Der Sprecher identifiziert sich in Vers 3 als Poseidon und erwähnt, wie er einst im Boden lag und es ertragen musste, dass man über ihn hinweglief135 – die hier be 133 Asper 2004, 183 Anm. 7 verweist auf Apoll. Rhod. 3, 151. 134 So die Deutung von Merkelbach/Stauber a.l., fußend auf Merkelbachs Lesung von Vers 3; Peek dachte, es sei die Basis selbst, die spreche (1978, 698). 135 Merkelbachs Lesung Ποσιδάων (ποσὶ δήμων priores, wobei die Semantik von δῆμοι i. S. v. »Menschen« problematisch ist) wäre, setzt man Haslucks Lesung voraus, relativ leicht, als Verlesung eines A zu M zu erklären, und scheint auf Grund von τὸ σὸν ἕρμα in Vers 7 nicht unplausibel (»deinen Felsblock«, d. h. »den Felsblock, der dich darstellt«; vgl. hiermit den Ausdruck σὸν ἄγαλμα »das Bild, das dich darstellt« (IG V,2 287; MAMA 5, 113) sowie τεὸν ἱρὸν ἄγαλμα Kallim. Hymn. Pall. 39; ebenso εἰκόνα σήν / ἐμήν etc. (s. o. Anm. 61; s. u.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

schriebene Empfindsamkeit sowie die Selbstbezeichnung mit dem Namen des Gottes deuten an, dass der Gott zum Teil mit seiner Statue identifiziert wird, wobei die Vorstellung, das Bildnis empfinde Schmerzen, wenn man über es hinwegläuft, über traditionelle inschriftliche Motive der Ineinssetzung von Bildnis und Gottheit hinausgeht. Eine Pointe liegt darin, dass Poseidon in Vers 3 nicht nur die verschüttete Statue, sondern zugleich das Meer bezeichnet, das einst in den Kanälen floss und auf dem nach der Versandung »herumgelaufen« wurde. Dagegen setzt sich die Statue in den Versen 6 f. vom Gott ab, indem sie sich selbst als ἄγαλμα und Poseidon als Empfänger des Weihgeschenks anspricht. Die Materialität der Statue wird durch die in diesem Sinne seltene Vokabel ἕρμα besonders hervorgehoben.136 Darüber hinaus scheint das Epigramm auch durch sein Spiel mit Etymologien an hellenistische Traditionen anzuknüpfen.137 Die Ähnlichkeit der Konsonanten der beiden letzten Wörter des dritten Verses, πατασσόμενος Ποσιδάων, lässt die lautliche Gestalt des Namens deutlicher hervortreten und lädt so zu einer etymologischen Betrachtung der Namensbestandteile ein. Zunächst lässt sich der erste Teil des Namens als Dativus instrumenti ποσί auffassen, was gut zu πατασσόμενος passt und das Schicksal des von Füßen getretenen Poseidon gewissermaßen als bereits in seinem Namen festgelegt erscheinen lässt.138 Tatsächlich wird der Name nach einer Deutung im Etymologicum Magnum von πόδες abgeleitet (s. v. Ποσειδῶν): παρὰ τὸ τοὺς πόδας δεῖν, ὅ ἐστι δεσμεύειν. σημαίνει γὰρ τὴν θαλάσσαν. ἐκεῖσε γὰρ ἀφικόμενοι βαδίζειν οὐ δυνάμεθα. Abgeleitet von »die Füße binden«, d. h. fesseln. Es bezeichnet nämlich das Meer. Denn sobald wir dort ankommen, können wir nicht (weiter) zu Fuß gehen. Anm. 179 τεὴν εἰκόνα; weitere Beispiele: εἰκόνα σήν Suppl. Epig. Rodio 39; SEG 31:246; IGUR IV 1526 (ergänzt); ἐμήν εἰκόνα Spomenik 71, 1931, 25,50). Schwieriger ist die Kurzmessung der zweiten Silbe, vgl. aber immerhin Ποτῐδᾶς (LSJ s. v. Ποσειδῶν mit Belegen); in Ableitungen des Namens (z. B. Ποσιδήιος, Ποσιδεῖα, Ποσιδηιών) ist das Iota regelmäßig kurz. Die folgende Deutung setzt Merkelbachs Lesung voraus. 136 Vgl. nur Philoxenus AP 9, 319, 1 f. = HE 3036 f. Τληπόλεμος ὁ Μυρεὺς Ἑρμᾶν ἀφετήριον ἕρμα / ἱροδρόμοις θῆκεν κτλ. (hier wohl wegen des Wortspiels gewählt); könnte auch in unserem Epigramm ein Wortspiel durch Anklang an ἕρμαιον i. S. v. »Glücksfund« vorliegen? 137 Für solche etymologischen Spiele mit Götternamen s. z. B. den »Elitarismus« Apolls im kallimacheischen Apollonhymnos (96 f.), der die Etymologie des Namens als a-pollon reflektiert (vgl. Plut. Mor. 393c). 138 Zum Ausdruck ποσὶ πατεῖν vgl. z. B. Mel. AP 12, 101, 4 = HE 4543 ποσσὶ πατῶ. Es ist bemerkenswert, dass Properz, wenn er das meleagrische Epigramm zu Beginn seines Monobiblos variiert, ποσὶ als Bestandteil eines lateinischen Wortes unterbringt (1,4): et caput imposi-tis pressit Amor pedibus (mit gleichfalls auffälliger p-Alliteration; s. Höschele 2011, 20 f.), d. h. das etymologische Spiel mit ποσὶ (πατεῖν) als Wortbestandteil lässt sich auch andernorts belegen.

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Diese Deutung wurde schon von Sokrates in Platons Dialog Kratylos vorgetragen (402d11-e6): Τὸ μὲν τοίνυν τοῦ Ποσειδῶνός μοι φαίνεται ὠνομάσθαι ὑπὸ τοῦ πρώτου ὀνομάσαντος, ὅτι αὐτὸν βαδίζοντα ἐπέσχεν ἡ τῆς θαλάττης φύσις καὶ οὐκέτι εἴασεν προσελθεῖν, ἀλλ᾽ ὥσπερ δεσμὸς τῶν ποδῶν αὐτῷ ἐγένετο. τὸν οὖν ἄρχοντα τῆς δυνάμεως ταύτης θεὸν ὠνόμασεν Ποσειδῶνα, ὡς ποσίδεσμον ὄντα· τὸ δὲ ε- ἔγκειται ἴσως εὐπρεπείας ἕνεκα. Der Name »Poseidon« nun scheint mir benannt worden zu sein von demjenigen, der ihn als erster so benannt hat, weil ihn, wie er dahinging, die natürliche Beschaffenheit des Meeres aufhielt und nicht mehr weitergehen ließ, sondern ihm gleichsam zu einer Fessel der Füße wurde. Den Gott, der über diese Macht verfügt, nannte er Poseidon, da er ein »Fußfessler« (posidesmos) sei.139 Das Epsilon sitzt vielleicht des Wohlklangs wegen im Wort.

Der im Kanal verschüttete Poseidon, sowohl als Statue wie auch als Personifikation des Meeres, vermag es gerade nicht mehr, die »Füße zu fesseln«, sondern muss es ertragen, von ihnen getreten zu werden. Das etymologische Spiel stellt das Epigramm so in eine Reihe mit anderen literarischen Passagen, die von der Dislozierung einer Gottheit aus ihrem angestammten in einen neuen Bereich sprechen, in dem sie hilflos erscheinen.140 Man mag in der Hervorhebung gerade dieses Details auch eine Anspielung auf eine Iliaspassage sehen, in der Poseidon selbst schreitet und das Land unter sich erzittern lässt (Il. 13, 17–9, zu beachten wieder die unterstrichenen p-Laute): Αὐτίκα δ᾽ ἐξ ὄρεος κατεβήσετο παιπαλόεντος κραιπνὰ ποσὶ προβίβας· τρέμε δ᾽ οὔρεα μακρὰ καὶ ὕλη ποσσὶν ὑπ᾽ ἀθανάτοισι Ποσειδάωνος ἰόντος. Sogleich stieg er vom felsigen Berg herab, rasch mit den Füßen ausschreitend; es erzitterten die hohen Berge und das Gehölz unter den unsterblichen Füßen Poseidons, wie er dahinging.

Falls diese Stelle dem Leser bekannt war, liegt eine besondere Pointe darin, dass gerade die Statue des Poseidon  – in Umkehrung der Rollen  – unter dem Getrampel der Menge zu leiden hatte. Überdies scheint das etymologische Spiel mit ποσί und Ποσιδάων in der Iliasstelle vorbereitet (s. das Fettgedruckte). 139 Sokrates denkt hier vermutlich eher an δεῖν als an δεσμεύειν, da von δεῖν ein kontrahiertes Partizip δῶν vielleicht gebildet werden konnte (Bei Hesychios findet sich der Eintrag δῶν· δεσμεύων; die kontrahierte Form wurde von Cobet in Demosth. Adv. Andr. 68 für δέων konjiziert). Komposita, die mit ποσι- beginnen, sind sonst nicht belegt, aber die Bildung mit -σι- erinnert an Formen wie ἑλκεσίπεπλος; wahrscheinlich haben auch Poseidons Beinamen ἐννοσίγαιος und ἐνοσίχθων eingewirkt. 140 Vgl. Ov. Am. 1, 1, 7–12.

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Dass diese Passage Vorbild war, wird dadurch wahrscheinlicher, dass sie von Pseudo-Longin diskutiert wird mit dem Hinweis, es handle sich um eine vielbehandelte Stelle; da die Behandlung dort vielleicht auch zum Verständnis des Epigramms beitragen kann, sei sie hier im Zusammenhang zitiert (Sublim. 9, 7–8): Ὅμηρος γάρ μοι δοκεῖ παραδιδοὺς τραύματα θεῶν στάσεις τιμωρίας δάκρυα δεσμὰ πάθη πάμφυρτα τοὺς μὲν ἐπὶ τῶν Ἰλιακῶν ἀνθρώπους ὅσον ἐπὶ τῇ δυνάμει θεοὺς πεποιηκέναι, τοὺς θεοὺς δὲ ἀνθρώπους. […] πολὺ δὲ τῶν περὶ τὴν θεομαχίαν ἀμείνω τὰ ὅσα ἄχραντόν τι καὶ μέγα τὸ δαιμόνιον ὡς ἀληθῶς καὶ ἄκρατον παρίστησιν, οἷα (πολλοῖς δὲ πρὸ ἡμῶν ὁ τόπος ἐξείργασται) τὰ ἐπὶ τοῦ Ποσειδῶνος,      τρέμε δ᾽ οὔρεα μακρὰ καὶ ὕλη καὶ κορυφαὶ Τρώων τε πόλις καὶ νῆες Ἀχαιῶν ποσσὶν ὑπ᾽ ἀθανάτοισι Ποσειδάωνος ἰόντος. βῆ δ᾽ ἐλάαν ἐπὶ κύματ᾽, ἄταλλε δὲ κήτε᾽ ὑπ᾽ αὐτοῦ πάντοθεν ἐκ κευθμῶν, οὐδ᾽ ἠγνοίησεν ἄνακτα· γηθοσύνῃ δὲ θάλασσα διίστατο, τοὶ δὲ πέτοντο. Homer scheint mir durch den Bericht über der Götter Wunden, Zwistigkeiten, Rache­taten, Tränen, Fesseln und vielfältige Leidenschaften die Menschen in der Ilias, soweit er vermochte, zu Göttern gemacht zu haben, die Götter aber zu Menschen. […] Weit edler als jene Verse über den Götterkampf sind jene, die das Göttliche in seiner Wahrheit als makellos und groß und unvermischt darstellen, wie z. B. die schon von vielen vor uns erörterten Verse über Poseidon: Hohe Berge und Wälder erbebten / und auch die Gipfel, die Stadt der Troer, die Schiffe Achaias / unter unsterblichen Füßen Poseidons, wie er einherschritt / über die Wellen nahm er die Bahn, rings unter ihm spielten / Ungetüme aus Tiefen der See, nicht blieb der Beherrscher / unerkannt, das Gewoge zerteilte sich froh und sie flogen. (Üb. nach v. Scheliha)

Pseudo-Longin stellt hier zwei homerische Darstellungsweisen der Götter ein­ander gegenüber, zum einen eine vermenschlichende, in der Götter von τραύματα, στάσεις, τιμωρίαι etc. betroffen werden und die besonders in der Theomachie zum Ausdruck komme, zum anderen eine wahrhaft göttliche, großartige, für welche er eine Beschreibung des Poseidon zitiert, die allerdings aus verschiedenen Stellen des Epos zusammengesetzt ist; es ist möglich, dass er diese Zusammenstellung der Verse aus einer Vorlage (vgl. πολλοῖς δὲ πρὸ ἡμῶν ὁ τόπος ἐξείργασται) entnommen hat.141 Falls der Epigrammdichter mit der hier bezeugten Diskussion und der hier zitierten Zusammenstellung der Verse vertraut war, könnte ihm zum einen die Umkehrung des Motivs »die Menschen zittern unter dem Schreiten des Gottes« suggeriert worden sein (an der Homerstelle zittern nur Berge und Wald, bei Pseudo-Longin durch Einschub von Il. 20, 60 auch die Stadt und die Schiffe), 141 S. Russell 1964 ad 9.6.

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zum anderen läge in der Umkehrung einer Stelle, die als vorbildliche Beschreibung göttlicher Größe gilt, ein satirischer Ton, der sich in dieser Schärfe, soweit ich sehe, sonst nur im literarischen Epigramm belegen ließe.142 Wie dem auch sei: Das Epigramm scheint mehrere »Poseidones« zu kennen: den homerischen, unter dessen Füßen die Welt erzittert; die Personifikation des Meeres, welche sonst die Füße der Menschen fesselte, durch die Kanalversandung aber selbst »getreten« wurde, und schließlich das verschüttete Bild, welches das gleiche Schicksal erlitt, wobei das Verhältnis dieser Instanzen zueinander durch die gleichzeitige Ineinssetzung und Trennung von Bild und Gottheit im Gedicht zum Thema wird. In den drei hier behandelten inschriftlichen Beispielen wird das Verhältnis von Bildnis und Gottheit stärker in den Mittelpunkt gerückt, als das in den vor­ hellenistischen Inschriften der Fall war: in SGO 01/19/33 wird ein Bild der Artemis als μορφή bezeichnet, also auf seine äußerliche Ähnlichkeit mit der Göttin reduziert; in Iscrizioni di Cos EV 234 und in SGO 08/01/03 wird die Materialität des Götterbildes hervorgehoben, es aber gleichzeitig mit dem Gott selbst iden­ tifiziert.143 Wie oben herausgestellt, geht es hier weniger darum, die Grenzen zwischen der Gottheit und ihrem Bild aufzuheben, sondern eher um eine Reflexion über die »Doppelnatur« des Götterbildes, das gleichermaßen Artefakt und Vergegenwärtigung des Göttlichen ist. Hierin unterscheiden sie sich von den nun zu betrachtenden Beschreibungen »nicht-göttlicher« Bilder, also vor allem Bildern von Menschen (aber auch Tieren), in denen oft die Überwindung der vom Material gesetzten Grenzen thematisiert wird: Diesem Motiv liegt wohl ursprünglich der Gedanke von der vollendeten künstlerischen Qualität dieser Bilder zugrunde, welche sie gleichsam zum Leben erweckt. Man wird aber nicht annehmen, dass alle der in den folgenden Beispielen beschriebenen Bildnisse 142 Beispiele etwa bei Kassel 1983, 11–12. 143 Man mag einwenden, dass in den Fällen, in denen einer Gottheit ein Bild ihrer selbst geweiht wird, zwangsläufig Probleme in der Unterscheidung beider entstünden. Daher seien hier einige vorhellenistische Inschriften aus CEG 1 genannt, in denen ebenfalls einer Gottheit ihr eigenes Bild geweiht wird (oder bei denen dies vermutet wird). Solche der Form τῷ θεῷ ἀνέθηκε ἄγαλμα (CEG 234; δεκάτην 325) lassen das Verhältnis zwischen θεός und ἄγαλμα offen. Probleme könnte die Anrede der Gottheit im Vokativ (z. T. mit Imperativ verbunden) und der Ich-Rede des Objekts bereiten, z. B. CEG 268 (Reliefbild der Aphrodite Pandemos?) […]οδορός μ᾽ ἀνέθεκ᾽ Ἀφροδίτει δο˜ρον ἀπαρχέν, / πότνια, το˜ν ἀγαθο˜ν, το˜ι σὺ δὸς ἀφθονίαν (vgl. CEG 260, 326). Doch ist hier nicht ersichtlich, ob sich μ(ε) auf die im Bild dargestellte Gottheit oder das geweihte Objekt insgesamt bezieht (vgl. CEG 357: hier wird eine Tontafel geweiht, die Poseidon und Zeus abbildet; Poseidon wird namentlich durch Beischrift im Nominativ identifiziert (i, [Π]οτειδά[ν]), der Name Zeus ist verloren; zwischen den beiden Göttern steht die Widmung Σιμίον μ᾽ ἀνέθκε Ποτειδάϝον[ι ϝά]νακτι, d. h. als Sprecher kommt eher die Tafel als die Darstellung eines Gottes in Frage). In den hellenistischen und späteren Inschriften wird das Verhältnis von Bild und Gottheit pointierter zum Ausdruck gebracht: vgl. auch IG IV 666 (Argos, 3. Jh. n. Chr. oder später), 1–3: Βάκχῳ μ[ε] Βάκχον … στάσαντο.

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diesem Anspruch gerecht wurden, vielmehr wird es sich i. d. R. um Popularisierungen des Topos handeln, der nun, nach seinen verschiedenen Ausprägungen gegliedert, vorgestellt werden soll.

2.2. Menschenbilder 2.2.1. Zuschreibung wirklicher Lebendigkeit Der Anblick eines naturalistischen Kunstwerks mag einen solchen Eindruck auf den Betrachter machen, dass er annimmt, das Kunstwerk sei lebendig. Ἔμπνοος, die vox propria der hellenistischen Kunstbeschreibung für dieses Phänomen, findet sich auch inschriftlich:144 NSER 19 (Rhodos, 200 v. Chr.) ἀτθρήσας, ὦ ξεῖνε, τὸν ἔμπνοον ἔγγυθι χαλκόν, / μνᾶσαι τᾶς ὁσίας τοῦδε δικαιοσύνας κτλ.; Chios 268 (undatiert) ὤπασεν ἁ κλεινὰ πρεσβυτέρων σύνοδος / εἰκόν᾽ ἀναστήσασα σέθεν, μορφᾶς τύπον ἔμπνουν; SGO 18/08/02 (Sagalassos, 447/51 n. Chr.) Ζήνωνα στῆσεν ἔνπνοον ἥδε πόλις; GVI 1832 (Astypalaia, 2. Jh. v. Chr) στάλα μὲ οὐκ ἄσαμος, ἔμπνοος δ᾽ ἔτι / ῥώμα φιλόπλου φωτός. In GVI 2035 (Theben, 3./4. Jh. n. Chr.) wird ἔμπνοος dann auf das sprechende Grabmal übertragen (16 f.): Ζώσιμος υἱὸς ἔγραψε, τὸ γὰρ γέ[ρας ἐστὶ θανοῦσ]ιν, / ἔμπνουν φθεγγομένην ἀδεῶς [γλύψα]ς με σιδήρῳ. Hier wird die Belebung des Sprechers, eines Sarkophags, als Resultat der Gravur der Buchstaben gedeutet, wobei die Juxtaposition von ἔμπνουν und φθεγγομένην zeigt, dass gerade die Redefähigkeit des Denkmals als Verlebendigung betrachtet wird. Eine solche Übertragung eines Motivs, das eigentlich die Lebensechtheit eines Kunstwerks bezeichnet, auf das sprechende (nichtikonische) Objekt, dessen Persona­ lisierung so gesteigert erscheint, wird sich im Folgenden noch öfter zeigen. Ebenso kann ausgedrückt werden, das Kunstwerk werde bald zu wirklichem Leben erwachen (IG IV 655, Argos, undatiert): φθέγγεται, ἠρεμέει, γελάει. μένε καὶ τάχα δώσει   τᾶ[ι]δε λίθωι ψυχὰν Μο[ῖ]ρα· τόσον δύναται. Er tönt, er schweigt, er lacht. Warte nur, und bald wird die Moira diesem Stein auch eine Seele geben: So viel vermag sie.

Dem steinernen Bild wird die Fähigkeit zugeschrieben, zu sprechen, zu schweigen und zu lachen. Die Zuschreibung von Sprechfähigkeit an das Bild ist t­ opisch, wobei dem Motiv hier durch die Asyndese der drei Verben ein neuer Aspekt abgewonnen wird: Das Bild scheint gerade zu sprechen (φθέγγεται), aber dann 144 Für literarische Beispiele vgl. die Stellensammlung bei Prinz 1926, 90–1; Variationen finden sich im neuen Poseidipp (72 A.-B., 1 ὡς πνόον ἕλκει; 95 A.-B., 1 f. λεπτὸν ἀνέλκων /  πνεῦμα).

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schweigt es doch (ἠρεμέει) und lächelt (γελάει).145 Wenn auch sonst die Fähigkeit, dem Kunstwerk Leben einzuhauchen, nicht der Moira zugesprochen wird, lässt sich ihre Rolle hier wohl aus ihrer Macht über Leben und Tod herleiten. Die Struktur des Gedankens ähnelt dabei dem Ausruf der Kokkale im 4. Mimiambus des Herodas (32–4): τοὔργον, ἐρεῖς, λαλήσει· μᾶ, χρόνω / κοτ᾽ ὥνθρωποι κἠς τοὺς λίθους ἕξουσι τὴν ζοὴν / θεῖναι »du möchtest behaupten, dass das Kunstwerk sprechen wird. Bei Demeter, bald werden die Menschen im Stande sein, auch in die Steine Leben zu setzen.« Auch hier wird aus einer vorhandenen Lebensechtheit, der Fähigkeit zu sprechen (die hier allerdings durch das Futur abgeschwächt wird), geschlossen, dass zukünftig dem Stein voll­ ständiges Leben eignen wird. Das Epigramm erweist sich so als Variation eines beliebten hellenistischen Topos. Hier stellt sich die Frage, ob durch die Betonung der Lebensechtheit der Darstellung auch, wie häufig in literarischen Epigrammen, der »Sieg« der Literatur über die bildende Kunst thematisiert wird.146 Nun haben wir gesehen, dass in einer hellenistischen Versinschrift der Darstellungskraft der Statue offenbar der Vorzug vor der des Epigramms gegeben wurde;147 ein deutliches (und deshalb hier zu behandelndes) Beispiel bietet auch folgendes Epigramm (Courtney 1995, Nr. 49):

5

10

Mantua si posset diuinum redder[e] uate[m], immensum miratus opus hic ceder[et] antro adq(ue) dolos Ithaci, flmmas et lumen ademtu[m semiferi somno pariter uinoque grauati, speluncas uiuosq(ue) lacu[s, Cy]clopea saxa, saeuitiam Scyllae fract[amq(ue) in g]u[rgi]te pupp[im ipse fateretur nullo sic ca[rmine uiuas ut artificis express[ quam sola exsuperat natur[a Faustinus felix dominis ho[c Wenn Mantua den göttlichen Seher zurückbringen könnte, würde er dieses unermessliche Werk bewundern und vor der Grotte weichen, und würde selbst gestehen, dass die Listen des Ithakers, die Flammen und das geraubte Augenlicht des Halbwilden, von Schlaf und Wein gleichermaßen beschwert, und die Höhlen und die lebendig fließenden Seen, die Kyklopenfelsen, die grausame Scylla und das im Strudel geborstene Schiff durch kein Gedicht so [beschrieben werden könnten], wie die lebenden [Formen die Hand] des Künstlers ausgedrückt [hat], die allein die Natur übertrifft. Der glückliche Faustinus hat seinen Herren dies [Werk vollendet].148 145 Vgl. IG a.l. »laudatum erat sub statua, varium videri longius intuenti eius habitum«. 146 S. o. S. 264. 147 IG VII 336 (S. 82). 148 Courtney setzt in seiner Übersetzung von Vers 10 eine andere Syntax voraus (»this (grotto) which is fortunate in its owners«).

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Die Inschrift stammt aus der Grotte von Sperlonga und beschreibt die dort aufgestellten Statuengruppen, die Blendung Polyphems und die Skylla-Gruppe.149 Explizit wird auf die Lebensechtheit der Kunstwerke hingewiesen (vivas 8), welche die Möglichkeiten der Dichtung übertrifft; dies müsste sogar ein Vergil zugeben (an dessen Dichtung sich das Gedicht stark anlehnt150). Allein die Natur selbst kann diese Kunst noch übertreffen. Der Grund dafür, dass der Paragone in diesem Epigramm nicht zugunsten der Literatur, sondern der bildenden Kunst ausfällt,151 mag darin liegen, dass hier dem Betrachter die beschriebenen Kunstwerke eindrücklich vor Augen stehen, wogegen das Epigramm selbst eher als Kommentar dient – in einem literarischen ekphrastischen Epigramm wird die ἐνάργεια dagegen durch die Lektüre vermittelt. Eine bemerkenswerte Übertragung des Motivs der tatsächlichen Lebendigkeit des Kunstwerks auf ein bloßes Objekt bietet folgende Grabinschrift (SGO 21/24/02, Philadelphia, 139/140 n. Chr., Verse 1–9):

5

τίς σε βροτῶν ποίησε, πελώριε; – δῖος Ἀρίστων. – καὶ τίνος ἦν; – Κλήμεντος. – ἔχεις δέ τοι ὄρνεα πολλά καί σε τοσοῦτον ἔθηκε· τίνος χάριν; – ἢν ἐσακούσῃς, λέξω. – φράζε τάχιστα. – τρέφει τροφὸν ὄρνεα ταῦτα ἠΰκομον Δήμητρα καὶ ἀνδράσιν ἔστιν ἐδωδή· τίμησεν δ᾽ ἄρα Ζῆνα τὸν ἐνγύθι ναιετάοντα, νηὸν γὰρ ποίησε διοτρεφέων πετεηνῶν. λάϊνον ἔμψυχον σκᾶνος τόδε δῖος Ἀρίστων   τεῦξε, πελειάων ὠγύγιον τέμενος κτλ. Welcher Mensch hat dich gemacht, Riese? – Der göttliche Ariston. – Und wessen Sohn war er? – Der des Klemens. – Du hast viele Vögel. War auch er es, der dich solcherart gemacht hat? Und warum? – Wenn du zuhörst, werde ich es dir sagen. – Sag es schnell. – Diese Vögel nähren die schönhaarige Demeter, die Nährerin, und dienen den Menschen als Speise. Er hat auch Zeus geehrt, der nebenan wohnt, denn er hat einen Tempel für die Gefiederten erbaut, die Zeus ernähren. Dieses steinerne beseelte Gebäude hat der göttliche Ariston geschaffen, wie es von altersher der Sitz der Tauben ist … (Üb. Merkelbach/Stauber)

Es handelt sich hier um zwei Parallelgedichte, die auf einem Grabturm mit Taubenschlag angebracht sind. Das erste Epigramm ist als Dialoggedicht zwischen 149 Zu den Statuengruppen Neudecker 1988, 41–3, 220–3; das Gedicht selbst ist wohl aufgrund des Quantitätenfehlers vivăs um einiges später als die Skulpturen (die wohl um 30/20 v. Chr. aufgestellt wurden) zu datieren (Courtney 1995, 272: »not earlier than the end of the third century«). 150 S. Courtney a.l. 151 Darauf weist bereits Neudecker (1988, 42) hin.

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Passant und Grabturm abgefasst. Der Passant wundert sich über die Größe und Anlage des Denkmals, und befragt es zu seinem Erbauer und seinem Zweck. Diese Art der Befragung erinnert an einen Dialog zwischen Betrachter und Kunstwerk. Dass es sich bei dem Turm um ein Grabmal handelt, wird aus der Inschrift selbst dagegen zunächst nicht ersichtlich. Ein Hinweis darauf wird zu Beginn des zweiten Epigramms durch die Junktur λάϊνον ἔμψυχον σκᾶνος gegeben. Gatier/Vérilhac (1989, 345–6) haben darauf hingewiesen, dass σκῆνος / σκᾶνος neben »Hütte, Zelt« (was wohl für den Taubenschlag i. S. v. »Behausung« die zunächst angebrachte Bedeutung ist) auch »Leichnam«, »Seelenbehälter« bedeuten kann. Der Tote werde außerdem mitunter als ἄψυχος oder ἄπνους bezeichnet, so dass ἔμψυχον σκᾶνος als bewusster Gegensatz zum Leichnam als ἄψυχον σκᾶνος aufzufassen sei. Der Dichter verweise so darauf, dass Ariston das Leben (durch die Tauben) in die Nekropole gebracht habe. Doch ebenso auffällig scheint die Juxtaposition λάϊνον ἔμψυχον, die deutlich auf die Gattung des ekphrastischen Epigramms und ihren Topos der Lebensechtheit verweist; dort wird oft gesagt, dass ein Kunstwerk zwar materiell, aber dennoch lebendig sei (z. B. Posidipp. 63 A.-B., 8 [ἔμψυχ]ος, καίπερ χάλκεος ἐὼν ὁ γέρων). Es liegt nun nahe, die so konstatierte »Leben­ digkeit« des Taubenschlags mit seiner Fähigkeit im ersten Gedicht zu verbinden, dem Betrachter wie ein (lebensechtes) Kunstwerk Rede und Antwort zu stehen. Der ekphrastische Topos »das Bildnis ist so lebensecht, dass es zu sprechen scheint«, wäre hier also variiert zu »das inskribierte Objekt ist tatsächlich lebendig (weil es Lebendes in sich trägt), und spricht daher (durch die Inschrift)«.

2.2.2. Altern und Verjüngung Eine andere Strategie der Verlebendigung liegt darin, den fortschreitenden Verfall eines Kunstwerks durch den »Zahn der Zeit« als Alterungsprozess zu beschreiben, und dessen Wiederherstellung dementsprechend als »Verjüngung«. Die Metapher des »Alterns« von Gegenständen begegnet bisweilen innerhalb des Motivs der Vergänglichkeit von Denkmälern, die oft mit der Unvergänglichkeit des Ruhms kontrastiert wird, z. B. Antiphilos v. Byzanz AP 16, 334, 1 f. = GPh 1069 f. γηράσκει καὶ χαλκὸς ὑπὸ χρόνου· ἀλλὰ σὸν οὔτι / κῦδος ὁ πᾶς αἰών, Διόγενες, καθελεῖ; ähnlich SGO 02/09/05 (Aphrodisias, ca. 480 n. Chr.), 5 f. τήκει καὶ πέτρην ὁ πολὺς χρόνος· ἀλλ᾽ ἀρετάων / Ἀσκληπιοδότου τὸ κλέος ἀθάνατον. In Samos 479 (Mitte 2. Jh. v. Chr. = IG XII, 6,1 285) werden mehrere Materialien aufgeführt (1–4): Γηράσκει καὶ λᾶας ὑπὸ χρόνου ἠδὲ μὲν ἁγνός   χαλκὸς ἀπ᾽ ἠερίας δρυπτόμενος νιφάδος, καὶ τὸ σιδάρειον κάμνει σθένος· ἁ δ᾽ ἀπὸ δόξας   ἄθραυστος φάμα πάντα μένει βίοτον.

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Auch der Stein altert im Lauf der Zeit und das heilige Erz, das vom zugigen Schneesturm zerkratzt wird; auch die Kraft des Eisens ermüdet. Aber die durch den Ruhm unzerstörbare Kunde dauert das ganze Leben lang.

Das beliebte Motiv der Unvergänglichkeit der Dichtung gegenüber dem Verfall von Denkmälern152 begegnet in Anon. AP 7, 225: ψήχει καὶ πέτρην ὁ πολὺς χρόνος οὐδὲ σιδήρου   φείδεται, ἀλλὰ μιῇ πάντ᾽ ὀλέκει δρεπάνῃ. ὣς καὶ Λαέρταο τόδ᾽ ἠρίον, ὃ σχεδὸν ἀκτᾶς   βαιὸν ἄπο, ψυχρῶν λείβεται ἐξ ὑετῶν. οὔνομα μὴν ἥρωος ἀεὶ νέον· οὐ γὰρ ἀοιδάς   ἀμβλύνειν αἰών, κἢν ἐθέλῃ, δύναται. Es schleift auch den Stein die lange Zeit, und nicht einmal das Eisen verschont sie, sondern vernichtet alles mit einem Schwung der Sichel. So wird auch dieses Grab des Laertes, das nahe der Klippe (nur ein wenig entfernt) liegt, von kalten Regengüssen benetzt. Der Name des Helden allerdings ist immer jung: Denn die Gesänge kann die lange Dauer, mag sie es auch wollen, nicht verschwinden lassen.

Das Epigramm ist klar gegliedert: Das erste Distichon greift die Maxime von der Vergänglichkeit des Materials auf; im zweiten Distichon wird sie auf einen konkreten Gegenstand, das Grab von Odysseus’ Vater Laertes, das auf einer Klippe am Meer steht153 und dort Wind und Wetter ausgesetzt ist, bezogen. Das Schussdistichon stellt chiastisch das Überleben in der Dichtung dagegen: Laertes’ Name ist immer jung, wie überhaupt die Gesänge dem Verfall der Zeiten (αἰών nimmt ὁ πολὺς χρόνος auf) nicht anheimfallen. Die Pointe liegt hier darin, dass das Epigramm auf ebendem Grabmal (τόδε) zu stehen vorgibt, dessen baldigen Verfall es prophezeit. Der Leser, der es auf dem Papyrus liest, kann so den Schluss ziehen, dass die Prognose in der Tat eingetreten ist: Stein und Inschrift sind verloren, und nur literarische Über­ lieferung des Textes hat sein Überleben gesichert. Diese Pointe aber steht in Zusammenhang zur Aussage des Gedichts: Indem dort der Gegensatz zwischen materiellen Denkmälern und den mündlichen homerischen »Gesängen« besteht, reflektiert das Gedicht über seine eigene Überlieferung, die ebenfalls nicht an ein konkretes Objekt gebunden ist; das Verhältnis von Laertes’ Grab und den homerischen Gesängen wird als analog betrachtet zum Verhältnis von genuin inschriftlichem und literarischem Epigramm. 152 Peek 1940, der die genannten Epigramme bespricht, verweist 166 Anm. 1 auf Simo­ nides PMG 581; zum Motiv in der römischen Literatur siehe Gruhl 1999. 153 Die Lage des Grabes am Meeresufer hat wohl den Zweck, dass es dort von Seeleuten gesehen wird und so der Ruhm des Toten über die Meere verbreitet wird (vgl. Il. 7, 87–91; s. Sens 2011, 201); das Grabmal tritt also im Hinblick auf die Verbreitung des Ruhms in alle Welt in Konkurrenz zu den Sängern.

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In Anlehnung an das Motiv des Alterns der Denkmäler wird in einigen späten Inschriften deren Wiederherstellung als Verjüngung bezeichnet, wie in SGO 03/02/13 (Ephesos, 410 n. Chr.):

5

λοιπὸν ἐγὼ Πείσω(ν) τελέθω νέος· Ἀνθεμίδης γὰρ τεῦξ᾽ Ἰσίδωρος ὅλον χαρίεντά με, ὡς πάρος ἦα ἢ καὶ ἀρ(ε)ιότερον· γῆρας δ᾽ ἐμὸν ὦκα δίωξεν· ἄψ μ᾽ Ἰσίδωρος ἔχειν χαρίεν γέρας ὤπασεν ἥβης, καὶ μ᾽ ἀνάειρε πεσόντα, ὁρῶ δ᾽ ἐμὰ ἔνπεδα γυῖα· νειόθε δ᾽ ἐκ κρυφίων μελέων βαρὺν ὄνκον ἔλασσεν. Nun bin ich, Piso, wieder jung, denn Isidorus, der Sohn des Anthemius, hat mich ganz in meiner Schönheit geschaffen, wie ich früher war, oder sogar noch besser; mein Alter hat er rasch vertrieben. Wieder hat mir Isidorus das liebliche Geschenk der Jugendblüte verliehen, und hat mich, der ich gestürzt war, vom Boden aufgehoben; ich sehe, dass meine Glieder aufrecht stehen. Vom Boden her hat er aus den verschütteten Gliedern die schwere Last vertrieben. (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

Die Verjüngung der Statue besteht hier in ihrer erneuten Platzierung auf dem Sockel (vermutlich verbunden mit weiteren Wiederherstellungsmaßnahmen). Dies lässt sich einerseits als Inversion des oben behandelten Motivs des Alterns von Erz etc. auffassen, das hier rückgängig gemacht wird, verweist aber andererseits auf literarische Vorbilder, in denen Götter die Verjüngung und Verschönerung eines Menschen bewirken; eine lexikalische Übereinstimmung der Verse 3 und 6 besteht mit Theokr. Id. 17, 24 ὅττι σφεων Κρονίδης μελέων ἐξείλετο γῆρας.154 Dass überhaupt die Wiederherstellung einer Statue als Verjüngung beschrieben wird, scheint so eine Verschmelzung von Bild und Person zu suggerieren. Dabei ist die Verjüngung aber auch so beschrieben, dass die »statueske Natur« des Sprechers durchscheint: So passt die Schwere der Glieder in Vers 6 besonders gut, da diese aus Bronze sind. Auch ἔνπεδα γυῖα ist in diesem Sinne doppeldeutig: ἔμπεδος bezeichnet einerseits die Kraft und Widerstandsfähigkeit der wiedererstarkten, aufrecht stehenden Glieder, insbesondere des jungen Mannes,155 andererseits steht es aber auch für die Unbeweglichkeit und Standfestigkeit des Steines.156 154 Die χάρις (vgl. Vers 2 τεῦξ᾽ Ἰσίδωρος ὅλον χαρίεντά με) wird auch in der Verschönerung des Odysseus durch Athene betont (Od. 6, 235–7 ὣς ἄρα τῷ κατέχευε χάριν κεφαλῇ τε καὶ ὤμοις. / ἕζετ᾽ ἐπειτ᾽ ἀπάνευθε κιὼν ἐπὶ θῖνα θαλάσσης, / κάλλεϊ καὶ χάρισι στίλβων). 155 Es mag relevant sein, dass in einer Szene der Ilias, in der sich der greise Nestor wünscht, wieder jung zu sein (23, 626–650), das Wort ἔμπεδος mehrfach auftaucht (629, 642), einmal auch in der Junktur ἔμπεδα γυῖα (627). Vgl. M. Harder, LfrgE s. v. ἔμπεδος 1a α »here ἔ. tends to go with youth and health«. 156 Vgl. Il. 17, 434 f. (die Pferde Achills bewegen sich nicht) ἀλλ᾽ ὥς τε στήλη μένει ἔμπεδον, ἥ τ᾽ ἐπὶ τύμβῳ / ἀνέρος ἑστήκῃ τεθνηότος ἠὲ γυναικός; Od. 17, 463 f. ὁ (sc. Odysseus) δ᾽ ἐστάθη ἠΰτε πέτρη / ἔμπεδον.

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Schließlich mag man überlegen, ob die Art und Weise, wie die Erneuerung der Statue beschrieben ist, sich auch auf die Herstellung des Gedichts selbst beziehen lässt.157 So figuriert die »Schwere des Alters« als poetologische Metapher im Aitienprolog; diese lastet auf dem Dichter wie der Ätna auf Enkelados (Kallim. Fr. 1, 35 f. Pf.), und er wünscht sich, sie abzulegen. Die Beseitigung der Schwere findet sich auch in der Beschreibung der Schlankheitskur, der Euripides in den Fröschen die Tragödie unterzieht (ἀλλ᾽ ὡς παρέλαβον τὴν τέχνην … / οἰδοῦσαν ὑπὸ κομπασμάτων καὶ ῥημάτων ἐπαχθῶν, / ἴσχανα μὲν πρώτιστον αὐτὴν καὶ τὸ βάρος ἀφεῖλον 939–41). Verjüngung und Verschlankung fungieren so als Metaphern für einen Dichtungsstil, der sich polemisch von einem aufgebläht-bombastischen Stil absetzt. Möglicherweise bedient sich der Epigrammatiker hier dieser Polemik: mit οἰδοῦσαν vgl. ὄνκος (6), das ebenfalls als Stilmetapher gebräuchlich ist.158 Dahinter scheint hier aber weniger ein konkretes dichterisches Programm zu stehen, vielmehr soll die Abgrenzung wohl allgemein die Qualität der Dichtung unterstreichen.159 Die Verjüngung nicht einer Statue, sondern eines Gebäudes wird thematisiert in SGO 01/20/16 (Milet, um 364 n. Chr., Verse 15–18): Φαυστίνης τὸ παλαιὸν ἐπ[ώνυμον] ἦσθα, λοετρόν,   ἀλλά σε Μακαρίου νῦν κα[λέσει πατρ]ιά, οὕνεκ᾽ ἀφειδήσας κτεάν[ων] μεγαλαυχ[έϊ θ]υμῷ   γῆρας ἀποξύσας αὖθί [σ᾽ ἔ]θηκε νέον. Ja, du Bad, einst hießt du nach Faustina, aber nun wird deine Vaterstadt dich nach Makarios nennen, weil er, in seiner ruhmvollen Gesinnung, seinen Besitz nicht schonte und dein Alter von dir abgeschabt hat und dich sogleich jung gemacht hat. (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

Dass ein Badehaus »verjüngt« werden kann, mag zunächst überraschen, ebenso wie der Gebrauch der homerischen Junktur γῆρας ἀποξύσας, die sonst von der Verjüngung von Personen gebraucht wird.160 Aber auch wenn hier keine Vorstellung einer »Lebensechtheit« vorliegen kann, ist die Personifikation des Bades schon durch dessen direkte Anrede vorausgesetzt.161 Auch hier findet sich 157 Eine sachliche Parallele liegt darin, dass mit dieser Inschrift eine frühere auf der Basis stehende Inschrift übermeißelt wurde (s. Knibbe/Langmann 1995, 100–2). 158 Vit. Dionys. Perieget. 54 f. ἀποτιθέναι γὰρ δεῖ τὸν ὄγκον mit Kassel 1985, 75; Hunter 2009, 130 f.; Riedweg 1994, 493. 159 Zum Verblassen poetologischer Programmmetaphern schon in der Kaiserzeit s. De Stefani/Magnelli 2011, 549. 160 Vgl. vor allem Il. 9, 446 γῆρας ἀποξύσας θήσειν νέον, sowie Hom. Hymn. Aphr. 224; Nosti Fr. 6 Allen; Busch 1999, 167 Anm. 185 verweist außerdem auf Anon. AP 1, 14. Die »magische« Verwandlung des Bades würde auch durch αὖθι in der homerischen Bedeutung »sogleich« betont (vgl. Faraone 1996, 81 Anm. 13; die spätere Bedeutung »wieder« ist aber ebenso möglich). 161 Die bloße Anrede an das Denkmal (ohne dass ein Dialog stattfindet) ist inschriftlich eher selten; weitere Beispiele: CEG 530, CEG 763, CEG 898.

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vielleicht wieder die Übertragung eines Motivs der Lebensechtheit des Bildes auf das sprechende (in diesem Fall angesprochene)  Objekt, wobei die Über­ tragung umso leichter erscheint, als der allmähliche Verfall eines Gebäudes auch als »Altern« bezeichnet werden konnte.162 Insofern ξύειν »abschaben, abkratzen« eine Tätigkeit beschreibt, die sensu proprio häufig mit Werkzeugen ausgeführt wird, lässt sich γῆρας ἀποξύσας nicht nur metaphorisch, sondern auch konkret auf die Wiederherstellung des Bauwerks beziehen. Selbst die Erneuerung eines Fußbodens kann als Verjüngung beschrieben werden (SGO 19/05/02, Seleukia am Kalykadnos, etwa 451 n. Chr.):

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τειρόμενον δάπεδόν με χρόνων ὕπο πότνα γυναικῶν πατρικία Ζήνωνος ἀρηιφίλου παράκοιτις Παυλῖνα πραπίδεσσι κεκασμένη ἠδὲ καὶ ἔργοις προφρονέως κόσμησε καὶ οὐκ ἀμέλησεν ἐμεῖο· καὶ γὰρ ἐμὴν μεγάλην ὑπὸ γήραος ὤλεσα μορφήν· νῦν δὲ χάριν πινυτῆς καὶ ἀμωμήτοιο γυναικός κόσμοις μαρμαρέοισιν ἐπαστράπτω πολὺ μᾶλλον, ἥβης καὶ προτέρης ἐπέβην χαλεπὸν μετὰ γῆρας. Mich, den Fußboden, der durch die Zeiten abgenützt war, hat die patrizische Herrin der Frauen, die Ehegattin des dem Ares teuren Zenon, Paulina, die ausgezeichnet ist durch ihren Verstand und ihre Werke, wohlwollend ausgeschmückt und mich nicht vernachlässigt; denn wegen des Alters verlor ich meine eindrucksvolle Gestalt; aber jetzt erglänze ich dank der klugen und tadellosen Frau in marmornen Ornamenten viel mehr, und bin nach dem lästigen Alter wieder in die frühere Jugend eingetreten. (Üb. Şahin)

Hier ist es der Fußboden selbst, der von seiner Wiederherstellung durch Paulina erzählt, diese als Verjüngung beschreibt und so seine Personifikation über die bloße Redefähigkeit hinaus hervorhebt. So empfindet er das Alter, das ihn bedrückt, in gut homerischer Diktion als lästig (χαλεπὸν).163 Auch das Verhalten der Paulina, die sich wohlwollend um ihn kümmert (προφρονέως  … οὐκ ἀμέλησεν), suggeriert, dass der Fußboden eher als eine Person betrachtet wird denn als ein Objekt. Der Fußboden wiederum zeigt in seiner Freude über die wiedererlangte Jugend und in seiner Dankbarkeit gegenüber Paulina geradezu menschliche Züge. Vielleicht lässt sich auch im letzten Vers des Epigramms eine Pointe entdecken: Zwar ist die Bedeutung von ἐπιβαίνω »in ein Alter eintreten« geläufig genug,164 doch schwingt vielleicht auch die Grundbedeu 162 Die Metapher vom Alter eines Gebäudes ist in der lateinischen Epigraphik geläufig; zu den entsprechenden Wendungen, z. B. vetustate corruptum / conlapsum etc. für die nordafrikanischen Inschriften s. Saastamoinen 2010, 196–8. 163 Il. 8, 103; 23, 623; Od. 11, 196. 164 Vgl. LSJ s. v. ἐπιβαίνω A 3.

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tung »auf etwas treten« mit, was in Bezug auf einen Fußboden – der ja sonst von anderen getreten wird (vgl. Vers 1 τειρόμενον) – eine Umkehrung des Üblichen bedeutet. In ähnlicher Weise wird die Personalität des Sprechers in folgendem Epigramm hervorgehoben (SGO 20/25/01, Osrhoene, 5. Jh. n. Chr. = SEG 14:818): [νυμ]φῶν καὶ Παφίης Χ[αρί]των θ᾽ ἅμα λουτρὸν ἐτύχθην [λυσί]πονον καμάτων, ἀκεσώδυνον, ἄλκαρ ἀνίης [αἰὲ]ν ἐϋφροσύνῃ μεμελήμενον, ἔνθα καὶ αὐτή [οἶ]κον ἔχει Πανάκια, τὸν ὤμοσε μήποτε λείψειν [ Ἰ]σαίου δ᾽ ἀρετῇ παλινάγρετον ἦλθον ἐϛ ἥβην. Ich wurde geschaffen als Badeplatz der Nymphen, der paphischen Göttin und der Grazien; ich löse von der Anstrengung, heile Schmerzen, bin ein Mittel gegen Überdruss; immer liegt mir Frohsinn am Herzen, und hier hat Panakeia (die Alles-Heilerin) selbst ihr Haus und hat geschworen, es nie zu verlassen. Durch die Tüchtigkeit des Isaios habe ich den Jugendglanz wiedergewonnen. (Üb. Merkelbach/Stauber).

Das Verjüngungsmotiv ist hier auf Vers 5 beschränkt und kaum mit dem ersten Teil des Gedichts verbunden, in dem sich das Bad als Sitz einiger Gottheiten vorstellt und auf seine lindernden Eigenschaften hinweist.165 Das verbindende Element ist gleichwohl wieder die deutlich ausgedrückte Personalisierung des Bades, das erquickende und heilende Eigenschaften hat und von ständiger Freude erfüllt ist.166 Das Verjüngungsmotiv wird in den hier betrachteten Inschriften auf zwei­ fache Weise angewendet: von Bildern gebraucht, unterstützt es die Identifikation von Bild und Person und lässt das Bild so als besonders lebendig, d. h. künstlerisch gelungen, erscheinen; im Hinblick auf Objekte unterstreicht es deren traditionelle Personifikation durch die Redegabe, wobei neben dem Motiv der Verjüngung noch weitere Strategien der Verlebendigung hinzukommen können. In beiden Fällen tritt noch hinzu, dass durch die metaphorische Umschreibung von wiederherstellenden Baumaßnahmen als »Verjüngung« der Stifter implizit, als Urheber einer solchen Verjüngung, zu einem Gott erhoben wird; sie trägt also auch zum Lob des Stifters bei. Bemerkenswert ist, dass es sich beim Topos der Verjüngung von Kunstwerken um einen genuin inschriftlichen Topos zu handeln scheint, der sich unter 165 Zu der insgesamt topischen Beschreibung s. Busch 1999, 123–5. 166 Die Junktur ἐϋφροσύνῃ μεμελήμενον »den Frohsinn im Herzen haben« lässt sich auch als Ἐϋφροσύνῃ μεμελήμενον »der Euphrosyne am Herzen liegen« deuten. Euphrosyne würde dann als eine der in Vers 1 genannten Chariten besonders hervorgehoben. Für die Personifikation der Euphrosyne in einem Bäderepigramm s. Anon. AP 9, 815 (vgl. Busch 1999, 126 f.).

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dem Einfluss der allgemeinen Tendenz, Kunstwerke als belebt zu beschreiben, als Metapher für die Beschreibung der Reparatur bzw. Wiederherstellung entwickelt haben könnte. Die Übertragung des Topos auf Gegenstände überhaupt, die diese wiederum als »besonders belebt« erscheinen lassen, spiegelt dabei die alexandrinische Praxis wieder, die Belebung der Objekte über die bloße Sprecherrolle hinaus zu schildern.167

2.2.3. Fesselung und Stehenbleiben Eine Variation des Motivs der Lebensechtheit, die vor allem literarisch belegt ist, liegt darin, die Erschaffung des Kunstwerks als Fesselung zu beschreiben: der Künstler hat sein Werk nicht etwa aus dem Stein herausgehauen oder aus Bronze gegossen, sondern ein lebendiges Wesen an Ort und Stelle »fest­ gebunden«.168 Schon von den Statuen des Daidalos wurde gesagt, dass man sie anbinden musste, damit sie nicht wegliefen,169 und auch in der Anthologia Palatina finden sich einige Beispiele für das Motiv. Am häufigsten begegnet es in den Epigrammen auf Myrons Kuh (Leonidas v. Tarent AP 9, 719, 2 = HE 2509 δῆσε βάσει λιθίνῳ; Antipater v. Sidon AP 9, 720, 1 = HE 428 πόδας ἥρμοσε πέτρᾳ; Antipater v. Sidon AP 9, 723, 1 = HE 434 ἁ μόλιβος κατέχει με καὶ ἁ λίθος; Marcus Argentarius AP 9, 732, 2 = GPh 1502 ὧδε μ᾽ ἔδησε; Tullius Geminus AP 9, 740, 1 = GPh 2362 ἡ βάσις ἡ κατέχουσα τὸ βοίδιον, ᾗ πεπέδηται; Philipp AP 9, 742, 6 = GPh 3157 προσδήσας βάσει). Wie aus diesen Beispielen hervorgeht, kann die Fesselung dabei auch auf den konkreten Akt des Verankerns der Statue auf dem Steinsockel mit Blei bezogen werden; schließlich kann das Material selbst, Bronze oder Marmor, als »Fessel« gedeutet werden.170 Umgekehrt kann eine Statue ihre »Lösung« fordern (Philipp AP 16, 25, 7 = GPh 3072 (Faustkämpfer) λέγει δ᾽ ὁ χαλκός· ›ἁ βάσις με λυσάτω‹; Aemilianus

167 S. 131 Anm. 95. 168 Eine Versteinerung an sich wird bereits als »Verwurzelung« beschrieben bei den Schiffen der Phäaken (Od. 13, 163) und bei Ant. Lib. 39, 6. 169 Overbeck 125 [=Schol. Plat. Men. p.  367]): Δαίδαλος ἄριστος ἀγαλματοποιὸς ἐπιγεγονὼς πρῶτος ἀναπετάννυσί τε τὰ τούτων βλέφαρα, ὡς δόξαι βλέπειν αὐτὰ, καὶ τοὺς πόδας, ὡς νομίσαι βαδίζειν, διίστησι. καὶ διὰ τοῦτο δεδέσθαι, ἵνα μὴ φύγοιεν, ὡς δῆθεν ἐμψύχων ἤδη γεγονότων αὐτῶν. »Der danach als bester Bildhauer geborene Dädalus öffnete als erster deren Augenlider, so dass sie zu blicken schienen, und stellte die Füße auseinander, so dass man meinte, sie schreiten. Und deshalb habe man sie angebunden, damit sie nicht entliefen, da sie ja offenkundig bereits lebendig geworden waren.« Vgl. auch Overbeck 128, 129, 135. 170 Zum Material als Fessel vgl. Claud. Carm. Min. 53, 96, 99–100 ille procul subitis fixus sine vulnere nodis […] quis torpor inertem / marmorea me peste ligat? Perseus’ Verwechslung der angeketteten Andromeda mit einem Marmorbild (Ov. Met. 4, 672–5, s. Bernsdorff 2000b, 52) könnte auf diesen Topos zurückgehen.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

AP 9, 756 = GPh 64 (Silen) λῦσον, καὶ πάλι κωμάσομαι171); vom Standbild des Läufers Ladas wird gesagt, dass es bald vom Sockel springt (Anon. AP 16, 54 οὐδὲ καθέξει ἁ βάσις).172 In einer abgeschwächten Form kann auch lediglich beschrieben werden, dass sich der Dargestellte an Ort und Stelle »niedergelassen« hat. So wird in Simonides AP 7, 344a und b (=FGE 1022–25) jeweils beschrieben, wie sich ein Löwe auf einem Grabmal niederlässt: (a) θηρῶν μὲν κάρτιστος ἐγώ, θνατῶν δ᾽ ὃν ἐγὼ νῦν / φρουρῶ τῷδε τάφῳ λάινος ἐμβεβαώς (b) ἀλλ᾽ εἰ μὴ θυμόν γε Λέων ἐμὸν οὔνομα τ᾽ εἶχεν, / οὐκ ἂν ἐγὼ τύμβῳ τῷδ᾽ ἐπέθηκα πόδας. In beiden Beispielen wird dabei mit der Identität des Löwen und seinem Bild gespielt, in (a) durch die Juxtaposition von λάινος und ἐμβεβαώς, in (b)  durch die Wahl des Verbums ἐπέθηκα, das zunächst das Steigen des Löwen auf den τύμβος beschreibt, aber das ebenso die vox propria für das Setzen eines Grabmals ist:173 der Löwe stellt sich also selbst als Grabmal auf. Auch hier wird die einstige Beweglichkeit der Löwen mit ihrer jetzigen Erstarrung kontrastiert. Ganz im Sinne der Lebendigkeit wird in einem der Epigramme auf die knidische Aphrodite gesagt, sie sei nicht ein Werk von Künstlerhand, sondern habe sich nackt auf dem Sockel niedergelassen (Plato Junior AP 16, 161 = FGE 307 f.): οὔτε σε Πραξιτέλης τεχνάσατο οὔθ᾽ ὁ σίδαρος· / ἀλλ᾽ οὕτως ἔστης ὥς ποτε κρινομένη. Schließlich scheint ein Kontrast zwischen Bewegung und Erstarrung in folgendem spätantiken Epigramm auf die Pantomimin Helladia angestrebt (Leontios Scholastikos, AP 16, 284, 1 f.): Εἰμὶ μὲν Ἑλλαδίη Βυζαντίας· ἐνθάδε δ᾽ ἔστην,   ᾗχι χοροστασίην εἴαρι δῆμος ἄγει… Ich bin Helladia aus Konstantinopel. Ich habe mich hierhin gestellt, wo das Volk im Frühling festlich tanzt… (Üb. Schulte)

Die einst so bewegliche Tänzerin bleibt nun auf dem Statuensockel stehen, was freilich gemäß der Pantomimentopik auch eine Anspielung auf das Erstarren auf der Bühne darstellen mag.174 Ähnliche Motive finden sich auch in den Inschriften. So berichtet ein hellenistisches Grabepigramm aus Rhodos (GVI 1001, um 100 v. Chr.) von einer Fesselung: Der Tote erzählt hier in 12 Versen von seinem Leben, und im zwei-

171 Zur Lösung bzw. Fesselung von Silenen vgl. auch Merkelbach 1988, 103–4. 172 In Lukillios AP 11, 85 dagegen ist der Waffenläufer Markus so langsam, dass die Stadionwärter ihn für eine Statue halten. 173 Ἐπιτίθημι σῆμα (σᾶμα) GVI 75, 2; 76, 1; 140, 1; 141, 1; 147, 1; [149, 2]; 151, 1; 1350, 18; 1862, 8; μνῆμα 148, 1; 152, 1; 173, 1; 1210, 4; στήλην [1290a, 3]; 1415, 2; 1934, 3.  ἐπιτίθημι (σῆμα/στήλην) τάφῳ/τύμβῳ 1350, 18; 1415, 2; 1862, 8. 174 Zu diesem Motiv s. oben S. 212.

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ten Distichon beschreibt er eine Ehrenstatue, die er erhalten hat, mit folgenden Worten: [χάλκ]ειός τ᾽ ἔστην χεύας περὶ ποσσὶ μόλυβδον,   [εὐ]δοκίμους ἀρετῆς ἀντιλαβὼν χάριτας· Bronzen trat ich hin und goss mir Blei um die Füße, und erhielt solch ehrenvollen Dank als Gegengabe für meine Tugend.

Der Sprecher »trat« auf den Sockel und goss sich Blei um die Füße, d. h. er beschreibt das Aufstellen seiner Statue als Resultat einer Selbstfesselung. Die Spannung zwischen Bewegungsdrang und Unbeweglichkeit, die durch die Fesselung in einigen der literarischen Beispiele zum Ausdruck kommt und dort deren Lebendigkeit unterstreicht (die Kuh möchte zurückkehren auf die Weide zu ihren Artgenossen, der Satyr im Komos mitziehen, der Läufer laufen), ist hier freilich aufgehoben. Das Motiv der Selbstfesselung entspricht eher den genannten Löwenepigrammen, in denen sich die Figuren freiwillig an Ort und Stelle niederlassen. Dieses Motiv der »freiwilligen Fesselung« lässt sich inschriftlich noch häufiger belegen (IK Byzantion 10, frühes 1. Jh. n. Chr. oder kurz davor): [τόν με κυ]βιστητῆρα τὸν ἐξ ἁλὸς οὐκέτι Νηρεὺς   [ποιμαίνει]· χέρσονδ᾽ ὧδε μετῳκισάμην· [ἤλλαγμ]αι Νύμφας Νηρηΐσι καὶ πεπέδημαι   [νάματοϛ ἀ]λλοτρίου τερπνοτέραιϛ σταγόσιν· [χαίροιτ᾽ εἰ]ϛ κόλποιο μυχοὺϛ εὐίχθυεϛ ἄγραι·   [   ]ς χέρσωι πόντον ἀναινόμεθα. Mich, den Springer aus dem Meer, [weidet] Nereus nicht mehr: ich bin hierher aufs Land umgezogen. Mit den Nereiden habe ich die Nymphen [vertauscht] und bin gefesselt an erquicklicheren Strömen eines fremden [Wassers]. [Gehabt euch wohl], fischreiche Jagdzüge in den Tiefen der Meeresbucht: […] auf dem Land, habe ich das Meer aufgegeben.

Hier berichtet ein Delphin, offenbar eine Brunnenfigur, davon, wie er sein Leben im Meer hinter sich gelassen hat und sich nun am Süßwasser der Quelle erfreut. Das Motiv der Fesselung in den Versen 3 f. ergibt zwar einen wirkungsvollen Kontrast zu seinem früheren umherschweifenden Leben als Jäger und als Herdentier des Nereus, doch empfindet der Delphin dies nicht als Zwang, sondern bevorzugt vielmehr seinen neuen Aufenthaltsort; auch hier ist das Motiv der Fesselung zwar rezipiert, aber die damit eigentlich verbundene Spannung in Wohlgefallen aufgelöst. Solche autobiographischen Erzählungen, in denen meist eine Tierstatue ihr früheres Leben als Tier mit ihrem jetzigen Dasein als Denkmal kontrastiert, sind vermutlich durch literarische Epigramme wie das des Kallimachos auf den

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Nautilus (Ep. 5 Pf.) inspiriert.175 So erzählt in einer Versinschrift aus Milet ein Löwe vermutlich davon, wie er seine Lebensweise in den Bergen aufgegeben hat, um nun als Hafenwächter zu dienen (SGO 01/20/06, letztes Viertel des 1.  Jh. v. Chr., Verse 7 f.): ὠμ[ηστὰν      ] ἐν ὄρει τε δίαιταν   δαμο[σ]ί[ωι κεῖμαι] τῶιδε [ἔ]φεδρος λιμένι. Denn nach dem fleischfressenden (?) …. Leben auf dem Berg liege ich nun hier als Wächter für den Hafen des Damos. (Üb. Merkelbach/Stauber)

Eine Variation des Motivs finden wir in folgendem Gedicht, in dem Statuen aufgefordert werden, »stehenzubleiben« (SGO 01/06/01, Syrna, 3. Jh. v. Chr., 1–4): ἔ[μπε]δ[ον], ἀργιόδοντες, ἐπ᾽ εὐξέστοιο μένοντες   τοῦ[δ]ε τόπ[ο]υ [δι]έπε[σ]θε· αὐτὰρ ἐγὼ κορυφᾶι ἀκροτάται β[εβαὼς] ἐπιόσσομαι, ὄφρα ἑ μή τις   πημήνηι δειλὸς φὼς ἐπινισόμενος· Ihr Tiere mit den weißen Zähnen, haltet euch stets auf diesem wohlgefügten Platz auf; aber ich werde auf der obersten Spitze stehend (alles) überwachen, damit kein feiger Mann komme und Schaden zufüge. (Üb. Merkelbach/Stauber)

Hier wendet sich eine auf einem pyramidenförmigen Grabbau stehende Figur an zwei Löwen; alle drei treten als Wächter des Grabes auf. Die Aufforderung, an Ort und Stelle zu verharren, betont einerseits ihre Statuenhaftigkeit (vgl. die Semantik von ἔμπεδον in Anm. 156), andererseits suggeriert sie aber auch, dass die Löwen, wenn sie nur wollten, jederzeit ihren Platz verlassen könnten. Gleiches gilt für den Sprecher, der nicht etwa unverrückbar auf der Pyramidenspitze steht, sondern dort hinaufgestiegen ist (βεβαὼς; vgl. hiermit AP 7, 344a φρουρῶ τῷδε τάφῳ λάινος ἐμβεβαώς); auch er könnte seine Rolle als Wächter jederzeit wahrnehmen. Eine Fesselung im übertragenen Sinn begegnet in folgender Ehreninschrift (Corinth 8,1 89 = IG IV 1603, undatiert): 175 S. Peek 1978, 699; vgl. Peek 1932, 60: »Das οὐκέτι-Motiv im Anfang, das die Iden­ tität des steinernen mit dem lebenden Tiere fingiert, stammt aus den Gedichten auf tote Delphine, von denen die Anthologie VII 214–216 Beispiele erhalten hat.« Vgl. auch Poseidipp 87, 1 A.-B. (es sprechen die bronzenen Pferde): ἵπποι ἔθ᾽ ἁμὲς ἐοῦσαι… Vor diesem Hintergrund stellen Archias v. Mytilene AP 9, 19 = GPh 3700–9 und Anon. AP 9, 20 = FGE 1320–5 ein ἀπροσδόκητον dar, wo jeweils ein Pferd von seinen Siegen erzählt (πρίν) und man erwartet, dass es ein Denkmal ist, das spricht; dann aber entpuppt sich der Sprecher als das gealterte Pferd, das jetzt niedere Dienste verrichten muss. Der Habitatswechsel gerade eines Delphins von der See aufs Land (vgl. 6 χέρσωι πόντον) mag auch an Archil. Fr. 122 W, 7–9 anknüpfen: μηδ᾽ ἐὰν δελφῖσι θῆρες ἀνταμείψωνται νομὸν / ἐνάλιον, καί σφιν θαλάσσης ἠχέεντα κύματα / φίλτερ᾽ ἠπείρου γένηται, τοῖσι δ᾽ ὑλέειν ὄρος.

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[τ]ίς τύπον εἱμερόεντα Ἰούνορος ἀνθυπάτοιο   ἥρπασε, τίς μορφὴν τῇδ᾽ ἐνέγλυψε λίθῳ; μορφὴν λαοτόμος μὲν ἑῇ μειμήσατο τέχνῃ   Ἑλλάδι κόσμον ὅλον μητρὶ χαριζόμενος, [σ]τῆσε δ᾽ ἀγασσάμενοϛ μιν ἀμύμων Εὐτυχιανὸϛ   [ἀ]ντὶ κασιγνήτου εὖ διέπων Ἐφύρην. Wer hat die liebliche Form des Prokonsuls Iunior geraubt, wer hat seine Gestalt in diesen Stein hineingemeißelt? Die Gestalt hat der Bildhauer mit der ihm eigenen Kunst nachgeahmt, indem er den ganzen Schmuck dem Mutterland Hellas schenkte. Aufgestellt hat ihn, voll Bewunderung, der tüchtige Eutychianos, der nun statt seines Bruders Ephyra gut verwaltet.

Ungewöhnlich ist hier die (als Frage des Betrachters formulierte) Feststellung im ersten Distichon, der Künstler habe Iuniors Gestalt »geraubt«, was suggeriert, er habe ihn nicht lediglich abgebildet, sondern den »echten« Iunior in ein Kunstwerk verwandelt,176 ihn gleichsam darin eingeschlossen (ἐνέγλυψε); da im folgenden Distichon von der τέχνη des Bildhauers die Rede ist, liegt darin zunächst ein Lob seiner Darstellungskunst. Gerade in Verbindung mit ἱμερόεντα weckt ἁρπάζω aber auch erotische Konnotationen und erinnert dann an die Entführung von Knaben durch Götter, etwa an den Raub des Hylas durch die Nymphen, vor allem aber an den epigrammatisch oft behandelten Raub des Ganymed durch Zeus;177 diese Assoziation wird durch die Doppeldeutigkeit des Begriffs μορφή noch unterstützt, der einerseits die »bloße« Gestalt bezeichnen kann, die das Kunstwerk abbildet (vgl. εἰκόνα μορφῆς CEG 858, 872), aber auch die erotisch attraktive Schöngestalt, die den Anlass für die Entführung bietet. So mag auch ein Vergleich zwischen der Apotheose eines von den Göttern entführten Geliebten und dem Herstellen einer Ehrenstatue intendiert sein: So, wie Ganymed auf dem Olymp unsterblich geworden ist und immer jung bleibt,178 so erscheint Iunior als Statue immer in seiner jugendlichen Schönheit.179 176 Τύπος changiert hier zwischen den Bedeutungen »äußere Form« (LSJ s. v. τύπος VI 1 [mit Beispielen, in denen τύπος + Gen. als Periphrase für die Sache (oder Person) selbst stehen kann]) und »Statue« (LSJ s. v. V 1). 177 Zu Ganymed s. Tarán 1979, 7–51; vgl. auch den Raub des Pelops durch Poseidon in Pind. Ol. 1, 37–41: σὲ … Ἀγλαοτρίαιναν ἁρπάσαι, δαμέντα φρένας ἱμέρῳ. Für das Motiv in den Inschriften vgl. GVI 1595 (Rom, 2. Jh. n. Chr.), wo der Tod eines jungen Mädchens in Wahrheit als Raub der Naiaden gedeutet wird (9 f.): τοῖς πάρος οὖν μύθοις πιστεύσατε· παῖδα γὰρ ἐσθλήν / ἥρπασαν ὡς τέρπνην Ναΐδες, οὐ θάνατος. 178 Theogn. 1347 f. (Zeus) ἁρπάξας δ᾽ ἐς Ὄλυμπον ἀνήγαγε καί μιν ἔθηκεν / δαίμονα, παιδείης ἄνθος ἔχοντ᾽ ἐρατόν; Hymn. Hom. Aphr. 214. 179 Zum Gedanken vgl. McCabe, Aphrodisias 727 (6. Jh. n. Chr.), 6–14: ἡ δὲ πόλις σε, πάτερ, μεγάλαις δωρήσατο τιμαῖς, / ἱδρύσασα τεὴν εἰκόνα μαρμαρέην, / ὅππως μήτ᾽ ὁ χρόνος τὴν σήν, πολυφίλτατε, μορφὴν / μηδὲν ἀμαυρώσῃ λήθῃ ἐπισκιάσας. Schließlich mag man auch einen Verweis auf ein in zwei Epigrammen bezeugtes Motiv erkennen, dass die »Kunst die Natur geraubt«, d. h. über sie triumphiert habe (Anon. AP 16, 83, 1 f. ἥρπασε τέχνα τὴν φύσιν; Julianos v. Ägypten AP 9, 738, 3 Φύσιος κράτος ἥρπασε Τέχνα).

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Ein besonderer Fall einer Fesselung, nämlich der Fesselung der Zunge, wird in folgendem Epigramm beschrieben (Höghammar, Sculp. and Soc. 181, 71, Kos, ca. 220–200 v. Chr.): φώνει μοι, μικός, τίς σ᾽ [ἔπλασε κ]αὶ τίνος εἶ παῖς,   ἀτρεκ[έως, εἴ] σοι γλῶσα νέα λέλυ[ται]. – ἔπλασε Λύσιππός με ὁ γέ[ρων], Τιμοξένου εἰμί   υἱός, πατρ[ὶ φ]ίλωι τοὔνομα ταὐτὸν ἔχω. 3 νέ[ος] Herzog, γέ[ρων Höghammar Sag mir, Kleiner, wer dich geformt hat und wessen Kind du bist; sag es wahrheitsgemäß, wenn deine junge Zunge gelöst ist. – Der alte Lysipp hat mich geformt, ich bin der Sohn des Timoxenos und habe denselben Namen wie mein lieber Vater.

Das Epigramm wurde im Asklepieion von Kos gefunden und dort vermutlich vom Vater zusammen mit dem Bild seines Sohnes für den göttlichen Schutz des Kindes aufgestellt. Es ist als Dialog zwischen Betrachter und Statue formuliert, wobei die Frage des Passanten das erste Distichon, die Antwort des Timoxenos das zweite Distichon einnimmt. Timoxenos greift in seiner Antwort die Formulierungen und die Reihenfolge der Frage auf, der Aufbau des Epigramms wirkt ausgewogen und sorgfältig komponiert. Die Frage nach dem Hersteller der Statue und nach ihrer Identität richtet sich genau genommen einerseits an das Kunstwerk, andererseits an die in ihm dargestellte Person. Diese beiden Fragen an ein Kunstwerk sind zwar topisch (vgl. Poseidipp AP 16, 275, 1–2 = HE 3154 f. = 142 A.-B.), doch der Fortgang des Epigramms scheint nahezulegen, dass bereits hier das Verhältnis von Person und Bildnis thematisiert wird. Die Wendung γλῶσα νέα λέλυται zielt wohl, wie Beazley/Gow (1929) meinten, zunächst auf die Frage, ob das Kind schon alt genug sei, um zu sprechen. Die von ihnen angeführten Parallelen beziehen sich aber nicht auf das Alter, in dem Kinder zu sprechen beginnen, sondern auf allgemeine Sprechfähigkeit: So ist dem armen Mann bei Theognis die Zunge gebunden (γλῶσσα δέ οἱ δέδεται 177), vermutlich aus Scham, und im NT wird die Heilung eines Stummen als Lösung der Fessel der Zunge bezeichnet (ἐλύθη ὁ δεσμὸς τῆς γλώσσης αὐτοῦ Mk. 7, 35). Hinzufügen könnte man, dass in zwei Gedichten der Anthologie dem Sprecher der Mund gefesselt wird (τὸ στόμα μου δέδεται), wenn er an einen unfähigen Grammatiker denkt (Lukillios AP 11, 138) bzw. einen schlechten Redner sieht (Lukillios AP 11, 148); hier ist mit Fesselung weniger die Stummheit als die Unfähigkeit, sich auszudrücken, gemeint.180 Herzog (1930, 207–9) meint unter Verweis auf Hippokr. Epid. II, 6, 4 (5, 132, 22L und 5, 134, 4(pr.), 5L), es handle sich um einen medizinischen Fachausdruck, 180 In Julianos v. Ägypten AP 7, 562, 4 verstummen die Redner wohl aus Trauer (ἔδησαν ὄπα).

Entwicklung im Hellenismus

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was gut passe, da Mikkos aus einer Ärztefamilie stamme. In der von ihm angeführten Parallele scheint die Wendung φωνὴ λύεται auf ein Kleinkind bezogen zu sein (der genaue Sinn dieser Stelle ist aber, wie Herzog selbst sagt, noch nicht erklärt worden). Sonst bezeichnen die Wendungen γλῶσσα / φωνὴ λύεται im Corpus Hippocraticum die Auflösung eines krankheitsbedingten Verstummens (φωνῆς λυθείσης: Coac. 5, 618, 14L; Morb. III 7, 134, 2L; φωνὴ οὐκ ἐλύετο Epid. VII 5, 408, 16L; γλῶσσα ἐλύθη Epid. I 2, 714, 5L). Auch wenn sich keine exakten Vorbilder für die geforderte Bedeutung ergeben, legen diese Parallelen nahe, dass es hier um die Frage der Sprechfähigkeit geht, wobei durch νέα auf das Alter des Kindes Bezug genommen wäre. Die Frage, ob das Kind schon alt genug sei, zu sprechen, ist ungewöhnlich vor dem Hintergrund, dass in den Inschriften üblicherweise Kinder jeden Alters in der Ich-Form berichten können (s. Kap. III 2.2.5.1.); andererseits hat es sich dort auch gezeigt, dass die inschriftliche Stimme in Beziehung zur Sprechfähigkeit des Kindes gesetzt werden konnte. Das Interesse an der Frage, ab welchem Alter ein Kind sprechen kann, würde dann wieder zum »medizinischen Hintergrund« der Familie passen: indem Mikkos in der Antwort das Wort ergreift, erweist er sich als alt genug. Vielleicht darf man aber auch eine Doppelbedeutung von λέλυται annehmen, das zusätzlich auf die »Fessel« des Erzes als Hindernis der Sprechfähigkeit zu beziehen wäre; in dieser Weise wird das Motiv in AP 2 gebraucht (29–31): ἄπνοον αὐδήεντα τιθεὶϛ τύπον· ἀλλά ἑ τέχνη χαλκείηϛ ἐπέδησεν ὑπὸ σφρηγῖδα σιωπῆϛ Er hätte sein lebloses Abbild sicher zum Sprechen gebracht, aber die Kunst fesselte ihn unter dem Siegel des ehernen Schweigens.

Wenige Verse später heißt es (42–4):         ἀπὸ στομάτων δὲ τινάξαι ἤθελε μὲν κελάδημα θεοπρόπον, ἀλλά ἑ τέχνη δεσμῷ ἀφωνήτῳ κατερήτυεν. Aus seinem Mund wollte er ein weissagendes Wort ertönen lassen, aber die Kunst hielt in durch eine stumme Fessel davon ab.

So verstanden, richtet sich die Frage des Passanten an Mikkos als Person und als Bildnis zugleich, und indem Mikkos antwortet, erweist er sich nicht nur als alt genug, sondern auch den Künstler als dazu fähig, seinen Statuen Stimme zu verleihen. Es mag relevant sein, dass die Statuen des berühmten Lysipp im Epigramm häufig gefeiert wurden,181 u. a. durch den Topos der Stimmbegabung 181 Belege bei Sens 2011, 296.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

(Asklepiades AP 16, 120 = HE 1010–3). Herzog hat bereits herausgestellt, dass in der Selbstbezeichnung Λύσιππος ὁ νέος Bescheidenheit und Selbstbewusstsein gleichermaßen liegen;182 wenn wir der Lesung νέος gegenüber γέρων den Vorzug geben,183 mag eine Pointe darin liegen, dass der Künstler einem kleinen Kind (γλῶσα νέα, μικός), das gerade erst zu sprechen gelernt hat, eine Stimme verleiht; dies mag für einen »jungen« bzw. »neuen« Lysipp ein angemessenes Sujet sein und kann ebenso als bescheiden wie auch (im Hinblick auf die hellenistische Wertschätzung des »Kleinen«) selbstbewusst erscheinen.

2.2.4. Material und Charakter Eine weitere Strategie der Ineinssetzung von Bild und Dargestelltem liegt darin, bei der Beschreibung beider solche Begriffe zu verwenden, die sich sowohl auf das materielle Kunstwerk als auch auf die in ihm dargestellte Person beziehen lassen. Häufiger illustrieren Begriffe, welche sensu proprio das Material der Statue beschreiben, in übertragener Bedeutung auch den Charakter des Dargestellten. Hier ist zunächst der Gebrauch von χάλκεος instruktiv, das bereits bei­ Homer in übertragener Bedeutung, auch von menschlichen Organen, verwendet wird;184 es bezeichnet dann Festigkeit, Dauer, Unwandelbarkeit, Belastbarkeit, Widerstandskraft, Unerbittlichkeit.185 In der hesiodeischen Weltzeitalter-Erzählung besitzt das eherne Geschlecht nicht nur eherne Waffen und eherne Häuser, sondern einen »Mut aus Stahl« (ἀδάμαντος ἔχον κρατερόφρονα θυμόν Hes. Erg. 147). Hier wird der θυμός (bei Homer in dieser Bedeutung mit dem Attribut σιδήρεος versehen) nicht als χάλκεος bezeichnet, sondern mit ἀδάμας, einem anderen harten Material, verglichen, doch die Stelle konnte dennoch als Vorbild dafür dienen, die metaphorische Bedeutung von χάλκεος auch auf den Charakter zu beziehen. Das vielleicht früheste Beispiel für das Spiel mit den bei 182 Herzog schließt gleichzeitig die Identifikation des Künstlers mit dem berühmten­ Lysipp aus. 183 Auf dem von Herzog veröffentlichten Foto des Abklatsches ist vor dem klar lesbaren Epsilon eine senkrechte Haste erkennbar, die mit Γ und Ν vereinbar ist. Die Reste der Schräghaste und des unteren Hakens des Ν, die Herzog gesehen hat, sind auf dem Foto nicht recht zu erkennen. Gegen die Ergänzung γέ[ρων] spricht aber – wie von Herzog gesehen – dass am rechten Rand kaum Platz für drei Buchstaben ist, wenn – wie es den Anschein hat – die Zeilen rechts bündig schlossen. 184 In Verbindung mit ἦτορ, ὄψ, ὕπνος. 185 Vgl. Nordheider, LfrgE s. v. χάλκε(ι)ος 6.  Das homerische χάλκεος Ἄρης ist nach Nordheider (ebd. 2) metonymisch zu verstehen (der mit den Erzwaffen gerüstete), aber zumindest nachhomerisch scheint die Wendung auch metaphorisch verstanden worden zu sein, wenn Sophokles (OC 1046) Ares χαλκοβόας nennt (s. LSJ s.v.; dagegen deutet Jebb 1928 a.l. die Wendung als »der mit der Erzrüstung lärmt«). Zur metaphorischen Bedeutung von χάλκεος vgl. West 1966 ad Th. 764; Marg 1938, 49 Anm. 14; Gray 1954, 12; D. Müller 1974, ­118–20.

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den Bedeutungen im ekphrastischen Epigramm bietet ein Epigramm des Asklepiades (AP 16, 120 = HE 1010–3): τόλμαν Ἀλεξάνδρου καὶ ὅλαν ἀπεμάξατο μορφὰν   Λύσιππος· τίν᾽ ὁδὶ χαλκὸς ἔχει δύναμιν. αὐδάσοντι δ᾽ ἔοικεν ὁ χάλκεος ἐς Δία λεύσσων·   »γᾶν ὑπ᾽ ἐμοὶ τίθεμαι, Ζεῦ, σὺ δ᾽ Ὄλυμπον ἔχε.« Den Wagemut Alexanders und seine ganze Gestalt hat Lysipp nachgeahmt. Was für eine Kraft besitzt dieses Erz! Er ähnelt einem, der im Begriff ist zu sprechen, der eherne, der zu Zeus aufblickt: »Die Erde unterwerfe ich mir, Zeus, du behalte den Olymp!«

Wie Alexander Sens zur Stelle bemerkt (2011, 292; 298), bezeichnet χάλκεος hier gleichermaßen die bronzene Statue und den »ehernen« Charakter des Dargestellten.186 Eine solche Doppelmotivierung in der Ekphrasis lässt sich literarisch auch sonst nachweisen; neben den von Sens angeführten Parallelen187 kann man folgendes spätantike Epigramm auf den Wagenlenker Porphyrius vergleichen (Anon. AP 16, 343): εἰκόνι χαλκείῃ τὸν χάλκεον ἡνιοχῆα   ἄνθετο νικητὴν κοίρανος Αὐσονίων. Als ein ehernes Standbild weihte den ehernen Wagenlenker, den Sieger, der Herrscher der Ausonier.

Hier ist durch die doppelte Setzung des Attributs die metaphorische Deutung unzweifelhaft. In den Inschriften erfreut sich der Topos besonderer Beliebtheit,188 vielleicht wegen seiner panegyrischen Konnotationen (SGO 18/08/02, Sagalassos, Pisidien, 447/451 n. Chr.): Ἥλιον ἀντολίης, ἡγήτορα καρτερόθυμον,   Ζήνωνα στῆσεν ἔνπνοον ἥδε πόλις. τεύχεσι ἀστράπτει Ζήνων θρασυκάρδιος ἀνήρ,   χάλκεος ἐν πολέμῳ, χρύσεος ἐν γραφίσιν. Ihn, die Sonne des Orients, den starkmütigen Feldherrn, den Zenon hat als einen Beseelten diese Stadt hier aufgestellt. Im Panzer blitzt Zenon, der kühne, mutige Mann, bronzen im Krieg, golden in der Darstellung hier. (Üb. nach Merkelbach/ Stauber) 186 Für die (rein) metaphorische Bedeutung verweist er auf Agathias AP 5, 299, 7. 187 Sens 2011 a. l. verweist auf Alkaios AP 9, 588, 1 f. = HE 106–7; Theokr. Id. 22, 47 (mit Sens 1997 a.l.; [beide s. o. S. 232 Anm. 13]); Metrodoros AP 14, 132, 1. Plinius (NH 34, 141) stellt einen Zusammenhang zwischen der besonderen Materialwahl eines ferreus Hercules und der laborum dei patientia her. 188 Einige spätantike Beispiele für den Topos sind bereits von Robert 1953, 227 ge­ sammelt worden (zitiert bei Bernand S. 490 f.). Hier sollen die von ihm genannten Inschriften näher interpretiert und um einige andere ergänzt werden.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

Auf der Basis befand sich eine vergoldete Ehrenstatue. In Vers 2 wird der Betrachter durch ἔνπνοον in Verbindung mit der Verwendung des EigennamenTypus auf die Lebensechtheit der Darstellung Zenons hingewiesen: Den leibhaftigen Zenon hat die Stadt aufgestellt. Im folgenden Distichon wird diese Behauptung begründet: Insofern Zenon im Krieg χάλκεος war, ähnelte er bereits als leibhaftige Person einem Artefakt, und so ist die Ähnlichkeit mit seiner Statue besonders eng. Dass χάλκεος hier sowohl metaphorisch als auch metonymisch zu verstehen ist, legt Vers 3 nahe, in dem sowohl auf die (ehernen) Waffen als auch auf Zenons Beherztheit (θρασυκάρδιος, auch Vers 1 καρτερόθυμον) hingewiesen wird; χάλκεος fasst diese beiden Aspekte zusammen. Nun wurde Zenon aber nicht mit einer bronzenen, sondern mit einer ver­ goldeten Statue geehrt. Auch diese besondere Ehre lässt sich aus seiner Person heraus begründen. Zenon ist die »Sonne«189 und damit golden, insofern beide hell glänzen (der Glanz wird auch in Vers 3 ἀστράπτει betont)190 – der Vergleich des Glanzes von Gold und Ruhm, seit der Archaik ein stock element panegyrischer Dichtung,191 wird im Folgenden noch öfter begegnen. An Zenon werden mithin Züge hervorgehoben, die ihn bereits im Leben als »ehern« und als »golden« erscheinen lassen; insofern lässt sich sagen, die vergoldete Bronzestatue repräsentiere ihn »leibhaftig«; die Entsprechung wird dabei durch die chiastische Konstruktion der Verse 1 und 4 unterstrichen ( Ἥλιον ~ χρύσεος; καρτερόθυμον ~ χάλκεος).192 Ein Spiel mit den Bedeutungen von »ehern« und »golden« findet sich auch im folgenden Beispiel (SGO 18/02/01, Ariassos, 1. Hälfte des 3. Jh. n. Chr.):

5

τὴν φρεσὶ πευκαλίμῃσι κεκασμένην ἐν μερόπεσσιν κεδνὴν ἠδ᾽ ἀγαθήν, πινυτόφρονα, διογενῆ σέ Αρμασταν, θυγάτρα Μενάνδρου κυδαλίμοιο,   θήκατο τὴν χρυσῆν εἰκόνι χαλκελάτῳ, ματέρα κλεινοτάταν κρατερὸς φρεσίν, ἄλκιμος υἱός. μναμοσύνας ἕνεκεν Διότειμος ἐθήκατο τειμήν. Dich, die unter den Menschen durch klugen Sinn Ausgezeichnete, die ehrwürdige und gute, von klugem Sinn und göttlicher Abstammung, Harmasta, die Tochter des ruhmvollen Menandros, die berühmte Mutter, die goldene, hat in bronzenem Abbild aufgestellt dein starker Sohn, der starkgesinnte. Zur Erinnerung hat Dio­ timos diese Ehrenstatue errichtet. (Üb. Merkelbach/Stauber) 189 Zum Vergleich eines Präfekten mit der Sonne s. Leontios Scholastikos AP 16, 32. 190 Die Sonne ist golden in Pind. Pyth. 4, 144; die Haare (i. e. die Strahlen) des Helios werden oft als golden beschrieben (Belege bei Roscher I, 2, Sp. 2003 f. s. v. Helios). 191 Vgl. z. B. Bakchyl. 13, 61 χρυσ]έαν δόξαν, oder die Priamel zu Beginn von Pind. Ol. 1 (Gedankengang: Gold strahlt wie das Feuer in der Nacht; die Sonne ist der wärmste und hellste Stern am Himmel; Olympia der bedeutendste Wettkampfort [d. h. sein Ruhm strahlt wie die Sonne und das Gold]). 192 Mit Vers 4 vgl. auch den Schlussvers von Anon. AP 15, 46 (Statue des Rennfahrers Porphyrios): χρύσεος ἀντ᾽ ἀρετῆς, χάλκεος ἀντὶ πόνων.

Entwicklung im Hellenismus

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Nach einer Reihe von lobenden Adjektiven für Harmasta wird sie in Vers 4 als »goldene« (τὴν χρυσῆν) bezeichnet. Der Leser wird hierin zunächst eine Fortsetzung der Reihe sehen und darin den Gipfelpunkt ihres Charakterlobes erkennen;193 im Fortgang allerdings wird durch εἰκόνι χαλκελάτῳ mit der Doppelbedeutung gespielt: Die »goldene« Frau erhält ein bronzenes Standbild (mit der Syntax von Vers 4 vgl. AP 16, 343, 1 εἰκόνι χαλκείῃ τὸν χάλκεον ἡνιοχῆα). Die Statue selbst ist also der Dargestellten nicht nur aufgrund der äußeren Ähnlichkeit angemessen, sondern das Material selbst wird in Beziehung zu ihrem Wesen gesetzt. Der Gedanke, dass jemand für seine Leistungen eigentlich eine goldene Statue verdient hätte, wird häufig ausgedrückt,194 weshalb das Motiv hier selbst in seiner argumentativ verkürzten Form dem Leser hinlänglich klar war: Die in Hinsicht auf ihren Charakter goldene Harmasta wäre mit einer ihr entsprechenden goldenen Statue geehrt worden; da dies aber nicht möglich war, hat sie eine bronzene erhalten. Es ist auffällig, dass der Sohn als Stifter als κρατερὸς φρεσίν und ἄλκιμος bezeichnet wird, also mit Begriffen, die der metaphorischen Bedeutung von χάλκεος entsprechen. Das Spiel der Entsprechungen könnte hier weitergehen: Der »eherne« Sohn stiftete seiner »goldenen« Mutter eine eherne Statue. In ähnlicher Weise wird das Motiv des Goldes in weiteren Inschriften eingesetzt (SGO 18/01/04, Termessos, 3. Jh. n. Chr.): [Τερ]μησσοῦ ναέται τάδ᾽ ἀγάλματα χρυσ[εότε]υκτα  θῆκαν Ἑκηβολίοις, παιδί τε καὶ γενέτῃ· οὗτοι γὰρ βασιλῆος ἀγακλέος ἐσθλὰ δίκαια   μείζονα τῶν ἄλλων τῇδ᾽ ἔλαβον πατρίδι· καὶ τῷ μὲν φθιμένῳ λάμπει κλέος ἐσθλὸν ἐπ᾽ ἔργοις·   παιδὶ δ᾽ ἐνὶ ζώοις ταὐτὰ σαωσαμένῳ. Die Bewohner von Termessos haben diese aus Gold gefertigten Bilder den Hekebolioi gesetzt, Vater und Sohn, denn diese haben vom Kaiser für diese ihre Vaterstadt größere vortrefflichere Rechte als die anderen (Gesandten) erhalten. Und für den einen, den Toten, glänzt der edle Ruhm wegen seiner Taten; und für den Sohn, der noch unter den Lebenden und gerettet ist, dasselbe. (Üb. Merkelbach/Stauber)

Es liegt nahe, hier den Glanz des Ruhmes der beiden Geehrten (λάμπει κλέος ἐσθλόν) mit dem Glanz der goldenen Statuen zu vergleichen, auch wenn dies im Epigramm nicht explizit ausgedrückt wird.195 Gleiches gilt für Bernand 123 (Antinoopolis, Ende 4. Jh. n. Chr., 1 f.): 193 Für den Bezug auf den Charakter vgl. Antiphan. Fr. 210 K.-A., 5 ἦθός τι χρυσοῦν πρὸς ἀρετὴν κεκτημένης. Der Gipfelpunkt ist auch metrisch hervorgehoben, insofern sich der Vers an dieser Stelle durch die Mittelzäsur als der erste (und einzige) Pentameter des G ­ edichts enthüllt. 194 S. die weiteren Beispiele unten; vgl. auch Cameron 1973, 214–22. 195 Λάμπω wird auch von Metallen gebraucht (z. B. Il. 10, 154; 12, 463).

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

ὁ κλυτὸς ὁ χρύσειος  Ἐρύθρ[ιος] ὁ πρόμος οὗτος   ἐν χρυσέῃ στ[ήλῃ] πουλύ τι παμφανόων. Dies ist der berühmte goldene Erythrios, der Anführer, der hell auf der goldenen Stele glänzt.

Χρύσειος in Vers 1 ist zum einen materiell auf die (vermutlich vergoldete)196 Bronzestatue zu beziehen, zum anderen ist damit auch metaphorisch der Ruhm des Erythrios gemeint (ὁ κλυτός).197 Der Topos des »goldenen« Honoranden scheint vielleicht auch deshalb gewählt, um mit dem leichten Paradox von χρύσειος und  Ἐρύθριος zu spielen.198 Der Vergleich von Material und Charakter konnte dabei auch die Form einer gelehrten Anspielung annehmen; im folgenden Epigramm begegnet wieder der Gedanke, dass eigentlich eine goldene Statue des Geehrten hätte aufgestellt werden müssen (SGO 02/09/09, Aphrodisias, um 450 n. Chr.):

5

ἤθελεν, εἰ θέμις ἦν, καὶ χρυσίην τάχα μορφήν   σῆς ἀρετῆς τεύχειν ναί, μά σε, Δουλκίτιε, ὃς πρῶτος στρατίης τῆς σῆς πέλε, Βαλεριανός,   οὕνεκεν εὐνομίης πύργος ἄρηκτος ἔφυς. νῦν δέ σε μαρμάρεον στῆσεν προπάροιθε λοετροῦ   μάρτυς σῶν καμάτων ἡ λίθος ὄφρα μένοι. Valerianos, der Erste in deiner militia, hätte  – wenn dies gesetzlich erlaubt ge­ wesen wäre  – gewiss auch ein goldenes Bild deiner Trefflichkeit anfertigen lassen, (das schwöre ich), Dulkitios, bei dir selbst, weil du ein unzerbrechlicher Turm der gerechten Gesetzlichkeit gewesen bist. Nun hat er dich in Marmor aufgestellt vor dem Badeteich, damit der Stein ein bleibender Zeuge deiner Mühen sei. (Üb. Merkelbach/Stauber)

In der Junktur χρυσ(ε)ίην μορφὴν σῆς ἀρετῆς »die goldene Gestalt deiner Tugend« verbinden sich eigentliche und metaphorische Bedeutung von χρύσεος.199 Eine solche Statue hätte Dulkitios verdient, da er ein εὐνομίης πύργος ἄρηκτος war; der Vergleich des Charakters mit einem Bollwerk hebt wiederum die »Ma 196 So Bernand S. 490. 197 Ἐν χρυσέῃ στ[ήλῃ] wird ebenfalls übertragen zu verstehen sein (›die vom Glanz des Erythrios golden leuchtende Stele‹; s. Bernand a.l.) 198 Ἐρυθρός ist die Farbe des Erzes in der homerischen Junktur χρυσὸν καὶ χαλκὸν ἐρυθρόν (Il. 9, 365); es mag aber vielleicht auch eine Anspielung darauf vorliegen, dass Gold mit einem bestimmten Stein auf Echtheit geprüft wurde (dem lapis Lydius); es war dann echt, wenn dieser eine rote Spur hinterließ (s. Theogn. 449 f. εὑρήσεις δέ με πᾶσιν ἔπ᾽ ἔργμασιν ὥσπερ ἄπεφθον / χρυσόν, ἐρυθρὸν ἰδεῖν τριβόμενον βασάνῳ.) Die Gegenüberstellung der Prüfung von Gold und Menschen begegnet auch bei Bakchyl. Fr. 14 (22) Maehler; Plat. Gorg. 486d; Diog. Laert. 1, 71. Erythrios wäre also wahrhaft »golden«, im Hinblick auf seinen ­Charakter. 199 Zur Verbindung von Gold und ἀρετή s. Anm. 192 und 193.

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terialität« des Dulkitios schon im Leben heraus. Der metaphorische Gebrauch von πύργος ist dabei vor allem aus Homer bekannt;200 ἄρρηκτος begegnet dort nicht als Beiwort des πύργος, aber als Attribut zu τεῖχος, in welches die πύργοι als Bastionen eingelassen sind.201 Ferner leitet πύργος ἄρηκτος auch zum Folgenden über, denn die Marmorstatue greift das Material des πύργος wieder auf (ἡ λίθος 6). Zusätzlich steht die Dauerhaftigkeit des Denkmals, die durch die Endstellung von μένοι hervorgehoben wird, parallel zur Charakterfestigkeit des Dulkitios. Die Verknüpfung von Gold und Tüchtigkeit wird im nächsten Epigramm weitergesponnen (SGO 18/01/05, Termessos, Kaiserzeit):

5

βωμοὶ μὲν πατέρων, ἔργων μνημήια δόξης   χρύσεον οἳ μορφῆς εἶχον ὕπερθε τύπον, γράμματι σημαίνουσιν, Ὀλύμπιε, σὸν γένος εἶναι   χρυσείηϛ γενεῆς λίψανον ἀτρεκέωϛ· ἴκελαν δ᾽ αὖ προγόνων ἀρετῆς εἰς ἴχνη βαίνων   πρόσθεν κερδαλέον οὔποτε χρυσὸν ἔθου· οὕνεκά σοι πόλις ἥδ᾽ ἀρετῆς ἀντάξιον εἰκώ   κρέσσονα χρυσίης θήκατο μαρμαρέην. Die Altäre (=Statuenbasen) der Väter, welche zur Erinnerung an den Ruhm ihrer Taten einen goldenen Abdruck der Gestalt über sich hatten, bezeugen durch die Inschrift, dass dein Geschlecht, Olympios, wahrlich ein Überrest des goldenen Geschlechts ist. Ganz wie die Vorfahren bist du den Fußspuren der Tugend gefolgt und hast das vorteilhafte Gold niemals ihr vorgezogen; deshalb hat dir diese Stadt ein marmornes Standbild aufgestellt, das mehr wert ist als ein goldenes. (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

In der Inschrift wird das Material zweier Arten von Statuen verglichen. Den Vorfahren des Olympios wurden goldene Ehrenstatuen aufgestellt, während Olympios selbst mit einem marmornen Bild geehrt wird. Die Verbindung von Gold und Charakter wird hier variiert: Insofern seine Vorfahren »golden« sind, ist Olympios selbst ein Nachfahre des von Hesiod beschriebenen goldenen (d. h. des ersten und hervorragendsten) Geschlechts der Menschen.202 Bei Hesiod heißt es über das goldene Geschlecht (Erg. 109–12):

200 Für spätere Belege s. Sens 1997 ad Theokr. Id. 22, 220. 201 Il. 14, 56; Od. 10, 4; vgl. Il. 21, 446 f. Der metaphorische Gebrauch von ἄρρηκτος für den Charakter findet sich in Theokr. Id. 25, 112; Cairon 46 (Böotien, 293 v. Chr. = GVI 1603). 202 Die Behauptung, der Tote gehöre zum goldenen Geschlecht, begegnet auch IG V,2 156 (Tegea, 3./4. Jh. n. Chr.) und IosPE I2 519 (Chersonnesos, 2. Jh. n. Chr.), dort allerdings ohne Hinweis auf das Material der Ehrenstatue. In Platons Staat (486e) zählen gefallene Jünglinge zum goldenen Geschlecht.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

χρύσεον μὲν πρώτιστα γένος μερόπων ἀνθρώπων ἀθάνατοι ποίησαν ᾽Ολύμπια δώματ᾽ ἔχοντες. οἳ μὲν ἐπὶ Κρόνου ἦσαν, ὅτ᾽ οὐρανῷ ἐμβασίλευεν· ὥστε θεοὶ δ᾽ ἔζωον … Zuerst das goldene Geschlecht der sterblichen Menschen schufen die Unsterblichen, die den Olymp bewohnen. Die standen unter des Kronos Herrschaft, als er den Himmel beherrschte. Sie lebten wie Götter…

Die Menschen des goldenen Zeitalters lebten wie die olympischen Götter, und einen Mann mit Namen Olympios kann man sich gut als einen der Ihren vorstellen. Olympios selbst wird jedenfalls nicht mit einem goldenen Bild geehrt, sondern mit einem Marmorstandbild, eben weil er im Leben dem Gold nicht zugeneigt war. Wie Merkelbach/Stauber zur Stelle bemerken, wird hier der­ Topos »ein steinernes Bild ist oft besser als ein goldenes« aufgegriffen:203 Das »schlichte« Marmorbild ist besser geeignet, die Unbestechlichkeit des Olympios auszudrücken, eine ἀρετῆς ἀντάξιος εἰκών. Auch hier besteht somit ein­ Zusammenhang zwischen dem Charakter des Dargestellten und dem Material der Statue. Derselbe Vorzug von Marmor gegenüber Gold begegnet auch in SGO 10/06/05 (Sinope, 1./2. Jh. n. Chr., 1–4): οὐδὲν ἀφαυρότερος χσοῦ λίθος, εἰ πλέον ἀνθεῖ παρθενίης αἰδοῖ πεπυκασμένος· εὶ δὲ γείτων Ῥειπανη καθαροῖο Σαράπιδος, ἔνθα με βουλ θῆκε χαρισσαμένη ἀρετῆι πατρός, … Um nichts ist weniger wert eine Statue aus Stein als eine aus Gold, wenn sie umso mehr blüht, gedeckt durch die Scham der Jungfrauenschaft. Ich, Ripane, bin Nachbarin des reinen Sarapis, wo mich der Rat aufgestellt hat zum Dank für die Tugend meines Vaters … (Üb. nach Merkelbach/Stauber)

Die Inschrift (heute verloren) befand sich auf dem Sarkophag der Ripane.204 Sie spricht davon, dass ihre Ehrenstatue im Bereich des Sarapisheiligtums aufgestellt wurde, wobei sie sich mit ihrer Statue identifiziert. Zuerst weist sie darauf hin, dass ihre Statue zwar nur aus Marmor bestehe, aber deshalb nicht geringer als eine goldene sei. Originell ist dabei die Art und Weise, wie hier der Vorzug des Marmors begründet wird. Die Wendung εἰ πλέον ἀνθεῖ παρθενίης αἰδοῖ πεπυκασμένος hat eine offenkundige Parallele in einer anderen Inschrift (SGO 18/07/01, Kremna, Mitte 2. Jh. n. Chr., 1) χαλκῖος μὲν ἐγὼ χρυσοῦ πεπυκασμένος ἄνθ(ε)ι. Die »Blume« des Goldes bezeichnet dort die Ver-

203 Vgl. Anon. AP 16, 45; Anon. AP 16, 313; Arabios Scholastikos AP 16, 314. 204 Robinson 1905, 315.

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goldung, mit welcher die Bronzestatue überzogen ist.205 Im Gegensatz dazu ist die Marmorstatue der Ripane mit αἰδώς überzogen, was dem Bild noch größere »Blüte« verleiht (πλέον ἀνθεῖ).206 Dabei spiegelt gerade der schlichtere Marmor die Keuschheit des Mädchens besser wieder, als Gold es könnte, das eher auf Luxus und τρυφή verweist. Eine solch tendenziell negative Deutung des Goldes, wie sie in den letzten beiden Beispielen zum Ausdruck kam, lässt sich vielleicht auch in folgendem literarischen Epigramm nachweisen (Leontios Scholastikos AP 16, 37): Πέτρον ὁρᾷς χρυσέοισι ἐν εἵμασιν· αἱ δὲ παρ᾽ αὐτὸν   ἀρχαὶ ἀμοιβαίων μάρτυρές εἰσι πόνων· ἀντολίης πρώτη καὶ διχθαδίη μετὰ τήνδε   κόχλου πορφυρέης καὶ πάλιν ἀντολίης. Den Petros siehst du in goldenen Gewändern: Die Ämter bei ihm sind Zeugen seiner wechselnden Anstrengungen: Das Amt des Ostens zum ersten Mal [i. e. Prätoriumspräfekt des Oriens], und nach diesem das verdoppelte Amt der Purpurschnecke [i. e. die zweite Amtszeit als comes sacrarum largitionum], und wieder das des Ostens.

Beschrieben wird hier ein Bild des Petros Barsymes, eines hohen Beamten unter Justinian; die verschiedenen Ämter, welche er innehatte, könnte man sich allegorisch dargestellt denken.207 Von den genannten Ämtern hatte er inne die Prätoriumspräfektur des Oriens 543–546 und 555–562, sowie das Amt des comes sacrarum largitionum 542/3 und 547/8-ca. 550;208 es ergibt sich damit für das Epigramm als terminus post quem 555 n. Chr. Das Gedicht liest sich auf den ersten Blick als Lob eines verdienten Staatsmanns, aber verschiedene Elemente deuten darauf hin, dass in Wirklichkeit indirekte Kritik formuliert wird. In Vers 2 verbirgt sich hinter ἀμοιβαίων πόνων eine Doppeldeutigkeit, die sich dem Leser allerdings nur erschließt, wenn er mit dem Vorleben des Petros vertraut ist; hier ist folgender Bericht aus Prokops Geheimgeschichte einschlägig (HA 22, 3–4): εὗρον δὲ παρὰ δόξαν ἀργυραμοιβόν τινα Πέτρον ὀνόματι, Σύρον γένος, ὅνπερ ἐπίκλησιν Βαρσύμην ἐκάλουν· ὃς πάλαι μὲν ἐπὶ τῆς χαλκοῦ τραπέζης καθήμενος κέρδη αἰσχρότατα ἐκ ταύτης δὴ ἐμπορίζετο τῆς ἐργασίας, τὴν περὶ τοὺς ὀβολοὺς 205 Vgl. LSJ s. v. ἄνθος III. Für πυκάζω in diesem Sinne vgl. Il. 23, 503 ἅρματα χρυσῷ πεπυκασμένα. 206 Gleichzeitig wird mit ἀνθεῖν auch auf die »Jugendblüte« des Mädchens hin­gewiesen. Für deren Glanz (durch den Vergleich mit Gold impliziert) vgl. z. B. Kallistr. Ekphr. 11, 2 παιδικῆς ἦν ἡλικίας ἄνθος ἐκλάμπον. 207 PLRE III B 1001 denken an eine unter einer Goldstatue angebrachte Inschrift, was allerdings nach der hier vorzuschlagenden Interpretation höchstens als fiktiver Kontext denkbar ist. 208 Delmaire 1989, 269–272; PLRE III B s. v. Petrus 9.

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Das belebte Objekt als Bild einer Person

κλοπὴν εὖ μάλα τεχνάζων καὶ τοὺς αὐτῷ ξυμβάλλοντας ἀεὶ τῷ τῶν δακτύλων τάχει ἐκκρούων. δεξιὸς γὰρ ἦν κλέψαι μὲν τὰ τῶν αὐτῷ περιπεπτωκότων ἀνέδην, ἁλοὺς δὲ ὀμόσαι καὶ τῶν χειρῶν τὸ ἁμάρτημα τῷ τῆς γλώττης περικαλύψαι θράσει. Unerwartet fanden sie [i. e. Justinian und Theodora] einen Geldwechsler namens Petros, einen Syrer, der den Beinamen Barsymes trug. Der saß schon lange am Bronzegeldtisch und erwarb sich schändlichsten Gewinn aus dieser Tätigkeit; auf den Betrug mit Obolen verstand er sich ausgezeichnet, und diejenigen, die mit ihm zu tun hatten, täuschte er stets mit der Schnelligkeit seiner Finger. Er war geschickt darin, das, was ihm zufiel, hemmungslos zu stehlen; wenn man ihn aber ertappte, Meineide zu schwören und das Vergehen seiner Hände mit der Dreistigkeit seiner Zunge zu verbergen.

Nach Prokop war es eben dieser Charakter, der Petros dem Kaiserpaar als für höhere Ehren geeignet erscheinen ließ (22, 1–3); vor diesem Hintergrund lassen sich die ἀμοιβαῖοι πόνοι als die »Wechselmühen«, d. h. die Mühen eines Geldwechslers (ἀργυραμοιβός), verstehen; seine Ämterlaufbahn »zeugt« davon zum einen deshalb, weil sie seinen Ehrgeiz und Eifer im Geldeintreiben voraussetzt; und da Justinian und Theodora mehrere hohe Beamte aus der Unterschicht rekrutierten, sehr zum Ärger der etablierten Eliten, wäre hier andererseits auch ausgesagt, dass eine solche Ämterlaufbahn überhaupt nur einem Emporkömmling möglich gewesen und insofern Beweis genug für niedere Abkunft sei.209 Dass das Kaiserpaar seine aus der Unterschicht eingesetzten Beamten dazu benutzte, die Senatoren und die Oberschicht finanziell auszuplündern, ist ein in den Anekdota immer wiederkehrendes Thema. Vor diesem Hintergrund ist die Umschreibung des Amtes des comes sacrarum largitionum in Vers 4 als (ἀρχὴ) κόχλου πορφυρέης aufschlussreich, die, soweit ich sehe, sonst nicht belegt ist. Man hat bereits gesehen, dass hier wohl darauf angespielt wird, dass der comes sacrarum largitionum die Aufsicht über die kaiserlichen Purpurfärbereien besaß.210 Prokop weiß in diesem Zusammenhang über Petros Folgendes zu berichten (HA 25, 20–22): Πέτρον οὖν τὸν Βαρσύμην ἐπίκλησιν ἐπὶ ταύτης καταστησάμενοι τῆς τιμῆς οὐ πολλῷ ὕστερον ἐπεχώρουν αὐτῷ πράσσειν ἀνόσια ἔργα. τοὺς μὲν ἄλλους ἅπαντας τὸν νόμον ἐς τὸ ἀκριβὲς ἐδικαίου τηρεῖν, τοὺς δὲ τοῦ ἔργου τούτου τεχνίτας αὑτῷ μόνῳ ἀναγκάζων ἐργάζεσθαι ἀπεδίδοτο, οὐκέτι ἐπικρυπτόμενος, ἀλλ᾽ ἐν τῷ δημοσίῳ τῆς ἀγορᾶς βαφῆς μὲν τῆς προστυχούσης τὴν οὐγκίαν οὐχ ἧσσον ἢ κατὰ ἓξ χρυσῶν, βάμματος δὲ τοῦ βασιλικοῦ, ὅπερ καλεῖν ὁλόβηρον νενομίκασι, πλέον ἢ τεσσάρων καὶ εἴκοσι χρυσῶν. καὶ βασιλεῖ μὲν ἐνθένδε μεγάλα χρήματα ἔφερεν, αὐτὸς δὲ περιβαλλόμενος πλείω ἐλάνθανεν. Als sie den Petros mit dem Beinamen Barsymes in diesem Amt (i. e. als Aufseher über die Seidenherstellung) installiert hatten, erlaubten sie ihm nicht viel später, 209 Zum Hass der alten Eliten auf Emporkömmlinge unter Justinian s. Leppin 2011, 122–4. 210 PLRE III B S. 1001 f.; Schulte 2005, 35–6.

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gottlose Werke zu tun. Denn von allen anderen forderte er, das Gesetz aufs Genaueste zu achten, die Seidenhersteller aber zwang er, nur für ihn zu arbeiten, und er verkaufte – nicht mehr heimlich, sondern in aller Öffentlichkeit auf dem Markt – die Unze beliebiger Farbe für nicht weniger als sechs Solidi, die Kaiserfarbe aber, die man Holoberos nennt, für mehr als 24 Solidi. Und dem Kaiser verschaffte er so große Einnahmen, sich selbst aber heimlich noch mehr.

Indem Leontios unter den verschiedenen Aufgaben eines comes sacrarum largitionum gerade Petros’ Aufsicht über die Pupurfärbereien hervorhebt, mag er den Leser an die von Prokop beschriebene Episode erinnern. Vor diesem Hintergrund schließlich mögen auch die goldenen Gewänder in Vers 1 eine Rolle spielen, denn die Erwähnung der kostbaren Gewänder ist ein Topos in der Verspottung von Emporkömmlingen.211 Und da Petros in den Augen der alten Elite sich in seinen Ämtern schamlos bereicherte, kann die Erwähnung des Goldes hier, in Umkehrung des Motivs in SGO 18/01/05, 6 πρόσθεν κερδαλέον οὔποτε χρυσὸν ἔθου, zusätzlich dessen Streben nach Reichtum verdeutlichen. Ein weiteres Argument für die »Doppelbödigkeit« des Gedichts ergibt sich aus der Einordnung in die epigrammatische Tradition. Hinsichtlich der Schilderung des Ämterwechsels lässt es sich in die Tradition der »Berufswechsel-Epigramme« einordnen, bei denen die Pointe darin liegt, dass der Betreffende zwar den Beruf, nicht aber seine eigentliche Tätigkeit wechselt, z. B. in Martial 1, 47: Nuper erat medicus, nunc est vispillo Diaulus:   quod vispillo facit, fecerat et medicus. Neulich war er ein Arzt, jetzt ist Diaulus Leichenbestatter: Was er als Leichenbestatter macht, hatte er auch als Arzt gemacht.

Oder Martial 8, 74: Oplomachus nunc es, fueras ophthalmicus ante:   fecisti medicus quod facis oplomachus. Gladiator bist du jetzt, Augenarzt warst du vorher: Du machtest bereits als Arzt, was du jetzt als Gladiator machst.

Eine solche Kontinuität ist im Falle des Petros allein schon durch die zyklische Ämterfolge Orientpräfekt – comes sacrarum largitionum – Orientpräfekt sichergestellt, wobei die Konstanz auch durch die Wortstellung von ἀντολίης zu Beginn von Vers 3 und am Ende von Vers 4 hervorgehoben wird (vgl. entsprechend Oplomachus in Martial 8, 74). Petros gelangt am Ende wieder dort an, von wo er

211 Anakreons Artemon (PMG 43); Herod. 2, 21 f.; Mart. 2, 16; 3, 82; Hor. Epod. 4, 8.

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ausging.212 Die Pointe mag nun darin liegen, dass der eigentliche Zyklus bereits früher beginnt, dass er letztendlich in allen seinen Ämtern nur das ausübte, was er bereits in seinem früheren Leben als Geldwechsler tat, nämlich finanziellen Betrug und schamlose Selbstbereicherung.

2.2.5. Objekt entspricht der Person Auf die unter »Material und Charakter« beschriebene Weise können aber nicht nur Bildnis und Dargestellter verknüpft werden, sondern es kann auf eine Ähnlichkeit zwischen überhaupt jeder Art von inskribiertem Objekt und einer mit ihm in Verbindung stehenden Person (z. B. dem Stifter, der empfangenden Gottheit eines Weihgeschenks, dem Toten) hingewiesen werden, wobei diese Ähnlichkeit nur sprachlich vermittelt oder auch durch die Darstellung sichtbar gemacht werden kann. Die Thematisierung dieser Entsprechungen, vor allem, wenn sie gesuchter zu sein scheinen, verrät ein Bemühen, Denkmal und Person einander »anzugleichen«, was sich im weiteren Sinn als Variation des Motivs der »Lebensechtheit« auffassen lässt. Solche Entsprechungen können bereits in vorhelle­nistischen Inschriften betont werden, etwa wenn gesagt wird, dass die Schönheit des beschriebenen Objekts der Schönheit der Person entspricht (CEG 447, Böotien, ca. 450–425 v. Chr.?) Γοργίνιός ἐμι ὁ κότυλος καλὸς κα[λ]ο˜.213 Doch bleibt diese Übereinstimmung recht allgemein, und es findet sich auch noch kein Spiel mit einer Doppelbedeutung. Im Gegensatz dazu vergleicht eine späte Inschrift (SGO 19/09/01, Elaiussa Sebaste, 5./6. Jh. n. Chr.) die heilsame Wirkung eines Bades mit seinem Stifter: Ἰλλο[ῦ ἀ]λεξικ[άκου π]ανομοί[ιό]ν ἐ[στι λο]ετρόν / καλὸν ἀλεξίκακον κὢς καθαροῦ καθαρόν. Hier wird explizit auf die Ähnlichkeit beider verwiesen (πανομοίιον), die sich aber nicht auf Schönheit beschränkt. Das Bad spiegelt vielmehr die politischen Verdienste seines Stifters (Abwehr von Übeln von der Heimat) durch seine medizinische Wirkung (Abwehr von Krankheit), und dessen »reinen« Charakter durch »Reinheit« im Wortsinn wider. Aus etwa derselben Zeit stammt folgende Inschrift auf einem Mosaik (SGO 20/05/04, Apameia am Orontes, 536 n. Chr.) τὴν ποικίλην ψηφῖδα Παῦλος εἰσάγει / ὁ ποικιλόφρων τῶν ἄνωθεν δογμάτων. Hier wird die Buntheit des Mosaiks mit der »Buntheit« der Gedanken des Stifters, des Bischofs Paulos, verglichen.214 Folgende Inschrift weist auf Entsprechungen zwischen dem Grabstein und dem Toten hin (SGO 08/05/08, Miletupolitis, um 100 n. Chr.): 212 Ein ähnlicher ringkompositorischer Aufbau zeigt sich auch in einem Epigramm des Nikarch auf einen Aufsteiger (AP 11, 17, 1 und 6): ἦν Στέφανος πτωχός … μένει Στέφανος; vgl. Schatzmann 2012, 305. 213 Weitere Beispiele: CEG 450, 460; 4./3. Jh. v. Chr.: Halikarnassos 121 (= SEG 28:838). 214 Vgl. Agosti 1997; für ein ähnliches Wortspiel vgl. Theokritos v. Chios FGE 354 σῆμα κενὸν κενόφρων τεῦξεν Ἀριστοτέλης.

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τὸν μέγαν ἐν Μούσαισι, τὸν ἐν σοφίῃ κλυτὸν ἄνδρα   ἔξοχα ὁμηρείων ἁψάμενον σελίδων μηνύω παριοῦσι σοφὴ λίθοϛ, εὐκλέα Μάγνον,   θαῦμα μέγα ξείνων, θαῦμα μέγα πτόλιοϛ, εὐσεβίηϛ μέγα τέκμαρ Ἰωνίδοϛ, ἥ μ᾽ ἐφ᾽ ὁμεύνου   σήματι σὺν κούρῳ θήκατο Μητροβίῳ· ἀλλά, φίλοι, μνήσασθε καὶ ἐν φθιμένοισι γεραιοῦ,   πρῶτοϛ ὃϛ ὑμετέρουϛ υἷαϛ γεῦσε λόγων. Ich, der kluge Stein, sage den Vorübergehenden an den in Weisheit und Poesie berühmten Magnus, der in den Musen groß war und sich so hervorragend mit den Gedichten Homers beschäftigt hat, der berühmt war in der Weisheit, ein großes Wunder für die Fremden, ein großes Wunder auch für die Stadt – ein großer Beweis für die Frömmigkeit der Ionis (bin ich), die mich auf das Grabmal ihres Gatten gesetzt hat mit dem jungen Metrobios. Wohlan, Freunde, gedenkt des Alten, auch wenn er unter den Toten ist, der eure Söhne als Erster mit Bildung beköstigt hat. (Üb. nach Merkelbach/Stauber).

Zunächst wird die σοφία des Homeristen Magnos (τὸν ἐν σοφίῃ κλυτὸν ἄνδρα) mit der des »gebildeten Steins« parallelisiert (σοφὴ λίθος); des Weiteren entsprechen sich die Beschreibungen des Magnos als »groß« (τὸν μέγαν ἐν Μούσαισι, θαῦμα μέγα) – offenbar ein Spiel mit der Namensetymologie – und die Bezeichnung des Steins als μέγα τέκμαρ in Vers 5. Der Stein entspricht aber dem Toten nicht nur allgemein in Klugheit und Größe, seine an Homer anklingende Ausdrucksweise imitiert auch die Bildung bzw. Lehrtätigkeit des Magnus selbst. Zu verweisen ist zunächst auf θαῦμα μέγα, das als μέγα θαῦμα viermal in der Ilias und einmal in der Odyssee belegt ist;215 die Junktur μέγα τέκμαρ scheint sonst nicht belegt, klingt aber an die Iliasstelle an, an der Zeus gegenüber Thetis sein Kopfnicken als μέγιστον / τέκμωρ bezeichnet (1, 525 f.). Auch die Form πτόλιος begegnet vor allem bei Homer. Schließlich wird man vielleicht durch μνήσασθε καὶ ἐν φθιμένοισι γεραιοῦ an den Ausruf des Achill χαῖρέ μοι, ὦ Πάτροκλε, καὶ εἰν Ἀΐδαο δόμοισι erinnert (Il. 23, 19).216

215 Il. 13, 99; 15, 286; 20, 344; 21, 54; Od. 19, 36. 216 Vergleichbare Entsprechungen zwischen inskribiertem Stein und Totem haben wir bereits in früheren Kapiteln hinsichtlich der »Stimme« festgestellt: SGO 11/13/01 (S. 95); SGO 05/01/55 (S. 152); SGO 09/11/02 (S. 206).

V. Loca amoena und Quellen

In diesem Kapitel sollen zwei Motive untersucht werden, die in der hellenistischen Dichtung prominent vertreten sind: die Beschreibung eines locus amoenus und die Beschreibung von Quellen. Prominent sind diese Motive im Hellenismus nicht nur, weil sie häufig auftreten, sondern auch, weil sie oft eine zentrale Funktion erfüllen, insofern beide für die Reflexion über die Besonderheiten der eigenen Dichtung gebraucht werden können.1 Die Quellbeschreibung überschneidet sich teilweise mit dem locus amoenus, insofern die Quelle eines der Standardelemente der locus-amoenus-Beschreibung ist, doch begegnet sie als eine wichtige poetologische Metapher auch selbständig.

1. Locus amoenus und locus horribilis Während vorhellenistische literarische Beschreibungen von schönen Plätzen und Quellen recht häufig begegnen,2 sind in den Inschriften Hinweise auf die Schönheit der Natur, welche das Denkmal umgibt, selten. Erwähnung findet eine Quelle in der Inschrift auf zwei Grenzsteinen eines Asklepiosheiligtums (hόρος κρένες IG I3 1098 bzw. 1099, beide ca. 420 v. Chr.), und in CEG 822 wird das Anlegen einer nie versiegenden Quelle als Weihgabe für Herakles genannt (Geracium, 4. Jh. v. Chr.?, 1 f.), αἰέναος πηγὴ παρ᾽ Ἐπανδρίδα ἥδ᾽ ἀνάκειται / Ἡρακλεῖ.3 Einen Hinweis auf die Schönheit des Ortes finden wir in einer Grabinschrift wohl des 5. Jh. v. Chr., in welcher der Platz um das Grab als »blumenreicher Ort« beschrieben wird (CEG 98, Attika, Ende 5. Jh. v. Chr.?, 2) ὀστέα δ᾽ ἀνθεμόες χῶρος ὅδ᾽ ἀνφει; in einer wohl schon frühhellenistischen Weihinschrift wird erwähnt, wie Damatrios, Sohn des Hippias, ein Gymnasium, eine nie versiegende Quelle und hoch belaubte Bäume hat anlegen lassen (CEG 865, 1 f., Astypalaia, Ende 4. / Anfang 3. Jh. v. Chr.): τῶι ξένωι εἰπέ, πολῖτα, τίς ἔκτισε γυμνάδα τάνδε / κράναν τε ἀέναον δένδρεά τε ὑψίκομα.4 1 Vgl. etwa für den locus amoenus die Diskussion bei Hunter 1999, 192–3 (ad Theokr. Id. 7, 135–47). Zur Quelle bzw. zum Quelltrunk vgl. etwa Sens 2006, 153 »the manifest importance of stream water as a metaphor for poetic inspiration in Hellenistic poetry«. 2 Elliger 1975. 3 Eine undatierte Inschrift aus Magnesia (IMagnesia 252) nennt eine Καλλιπαρθένιος πηγὴ ἀέναος, νᾶμα Νυμφῶν ἀνέκλειπτον. 4 Dagegen scheint mir im Epitaph des Midas (AP 7, 153 = GVI 1171) noch keine Beschreibung eines locus amoenus vorzuliegen (pace Galán Vioque 2003, 60).

Locus amoenus und locus horribilis

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Von diesem Hintergrund heben sich die locus-amoenus-Beschreibungen der literarischen Epigramme des Hellenismus deutlich ab, wie sich etwa an folgendem Beispiel zeigen lässt (Anyte AP 16, 228 = HE 734–7): Ξεῖν᾽, ὑπὸ τὰν πέτραν τετρυμένα γυῖ᾽ ἀνάπαυσον –   ἁδύ τοι ἐν χλωροῖς πνεῦμα θροεῖ πετάλοις – πίδακά τ᾽ ἐκ παγᾶς ψυχρὸν πίε, δὴ γὰρ ὁδίταις   ἄμπαυμ᾽ ἐν θερμῷ καύματι τοῦτο φίλον. Fremder, erhole deine aufgeriebenen Glieder unter diesem Stein  – der Wind rauscht angenehm in den grünen Blättern – und trink einen kalten Schluck aus der Quelle, denn gewiss angenehm ist diese Ruhestätte für die Wanderer in der sengenden Hitze.

Wenn wir die Sammlung der locus-amoenus-Topoi von Schönbeck zugrunde legen,5 finden wir in den inschriftlichen Beispielen einzelne Elemente des locus amoenus (CEG 98: Blumen, CEG 865: nie versiegende Quelle, [schattenspendendes] Laub), bei Anyte eine deutliche Häufung (Erholung, kühle Quelle, angenehmer Wind, [schattige] Blätter). Und während in den Inschriften die Natur eher nebenbei erwähnt wird, steht sie bei Anyte im Zentrum. Man hat die Nähe dieses Epigramms zur Bukolik betont;6 gleichwohl wird in der Gesprächssituation, nämlich der Aufforderung an den ὁδίτης, an Ort und Stelle zu verweilen, ebenso die Weiterführung des inschriftlichen Erbes deutlich. Bereits in archaischen Epigrammen ist das Motiv geläufig, den Passanten zum Verweilen aufzufordern, z. B. in CEG 27 (Attika, 540–530 v. Chr.?) στε˜θι καὶ οἴκτιρον und, noch deutlicher, in CEG 28 (Attika, 540–530 v. Chr.?): ἄνθροπε hὸστείχε[ι]ς καθ᾽οδὸν φρασὶν ἄλα μενοινο˜ν,   στε˜θι καὶ οἴκτιρον σε˜μα Θράσονος ἰδόν. Mensch, der du den Weg entlangschreitest, anderes im Sinn bedenkend, bleib stehen und fühle Mitleid, wenn du das Grab des Thrason betrachtest.

In diesem Beispiel wird der Vorbeikommende als jemand charakterisiert, der mit anderem beschäftigt ist und den man bitten muss, seine Reise kurz zu unterbrechen; dies ist ebenso, wenn auch weniger deutlich, in der oft belegten Anrede des Lesers als Passant impliziert (ὁδίτης, παροδίτης, παριών etc.).7 Die Einladung der bukolischen Epigramme, sich niederzulassen und zu entspannen, wird der Wanderer dagegen freiwillig und dankbar annehmen, weshalb 5 Schönbeck 1962, 15–60. 6 Bernsdorff 2001, 129–30 unter Verweis auf das Lagerungsmotiv; Sens 2006, 149 unter Verweis auf Theokr. Id. 1, 21–3; 5, 45–59. 7 Die Vorstellung der Lektüre als »Erholung« des Passanten begegnet inschriftlich erst in einer späthellenistischen Rätselinschrift (Bernand, Philae 143, 7 v. Chr.), die diesen auffordert, sich von seinem Gang zu »erholen« (βῆμα ἀμπαύσαϛ; zu dieser Inschrift s. S. 101).

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Loca amoena und Quellen

diese nicht nur als bukolisches Motiv, sondern auch als Weiterführung eines inschriftlichen Motivs betrachtet werden kann.8 Ein komplexeres Spiel mit den Konventionen einer locus-amoenus-Beschreibung liegt vielleicht in Leonidas AP 16, 230 = HE 2498–503 vor:

5

Μὴ σύ γ᾽ ἐπ᾽ οἰονόμοιο περίπλεον ἰλύος ὧδε   τοῦτο χαραδραίης θερμὸν, ὁδῖτα, πίῃς· ἀλλὰ μολὼν μάλα τυτθὸν ὑπὲρ δαμαλήβοτον ἄκρην   κεῖσέ γε πὰρ κείνᾳ ποιμενίᾳ πίτυι εὑρήσεις κελαρύζον ἐυκρήνου διὰ πέτρης   νᾶμα βορειαίης ψυχρότερον νιφάδος. Wanderer, trink nicht dieses warme Wasser, voll vom Schlamm eines Sturz­baches, hier bei der Schafsweide, sondern geh ein wenig weiter zur Anhöhe hinauf, wo die Färsen grasen; dort wirst du bei jener Pinie der Hirten ein durch einen Fels plätscherndes, schönes Quellwasser finden, kühler als ein vom Nordwind herbeigeführter Schneesturm.

Im Epigramm fordert ein ungenannter Sprecher den Wanderer auf, nicht vom schmutzigen, warmen Wasser zu trinken, das sich in unmittelbarer Nähe des Sprechers (ὧδε) befindet, sondern ein wenig weiter bergauf zu gehen zu einer Quelle unter einer Pinie, deren Wasser eiskalt ist. Es werden mithin zwei Orte zueinander in Kontrast gesetzt, von denen der zweite deutlich als locus amoenus beschrieben ist;9 den ersten mag man dann als locus horribilis bezeichnen. Die relative Entfernung des locus amoenus und die Aufforderung an den Wanderer, dorthin zu gehen, erinnert an solche inschriftlichen Wegweiser­epigramme, die dem Passanten das Erreichen eines angenehmen Ortes in Aussicht stellen.10 Das Epigramm ist verschieden gedeutet worden. Hans Bernsdorff erkennt in der Beschreibung eines locus horribilis Leonidas’ »Vorliebe für Furchtbares und Häßliches«; durch die Kontrastierung trete einerseits die Kostbarkeit des locus amoenus stärker hervor, andererseits bringe Leonidas dem Leser so »die Begrenztheit der pastoralen Idylle zu Bewußtsein«.11 Mit dieser Deutung gut vereinbar ist die (relative) Entfernung des locus amoenus vom Standpunkt des­ 8 Man hat darüber hinaus hinter dieser Neuorientierung der Rolle des Lesers bei Anyte einen selbstreferentiellen Kommentar vermutet: Der Passant, der es nicht eilig hat, sondern gerne verweilt, um das Gedicht zu lesen, entspricht eher dem Leser eines Epigrammbuchs als der hektische Wanderer, den die Inschriften voraussetzen (vgl. hiermit die metapoetische Deutung des Gedichts bei Gutzwiller 1993; Gutzwiller 1998, 70–4); Anytes Epigramme illustrierten so die »Verwandlung« des ὁδίτης in den Leser einer Buchrolle (Höschele 2007; Höschele 2010, 100–146). 9 Topische Elemente sind die Kühle des Wassers, das Rauschen der Quelle, implizit der von der Pinie gewährte Schatten und die Reinheit des Wassers, das aus dem Fels hervorspringt. 10 SGO 01/01/03 (Knidos, nach 282 v. Chr.); 01/12/08 (Halikarnassos, hellenistisch). 11 Bernsdorff 2001, 146; 147.

Locus amoenus und locus horribilis

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Sprechers (κεῖσε), wodurch die Entrücktheit des idealisierten Ortes ausgedrückt sein mag. Demgegenüber geht eine von Kathryn Gutzwiller vertretene poetologische Deutung von der paränetischen Form des Gedichts und insbesondere dem Vergleich zweier unterschiedlicher Gewässer aus: Sie sieht hierin eine Anspielung auf den Gegensatz des schlammigen Euphrat und der reinen Quelle im kallima­ cheischen Apollonhymnos (108–12) und liest das Gedicht »as an invitation to the reader to abandon the polluted production of more traditional poets in favor of his own refreshingly original epigrams on less common topics.«12 Schließlich hat Alexander Sens Gutzwillers metapoetische Deutung erweitert. Auch er sieht in dem Gedicht eine Aufforderung an den Leser, eine bestimmte Art von Dichtung der anderen vorzuziehen, wobei durch die Charakterisierung des locus amoenus als bukolischer Ort im Speziellen bukolische Dichtung gemeint sei; er verweist dabei auf ποιμενίᾳ, in dem er einen »generic marker« erkennt. Sens weist aber auch darauf hin, dass der Sprecher des Gedichts sich nicht am locus amoenus befindet, sondern den Leser von sich wegschickt, d. h. seine Distanz von diesem »typisch« bukolischen Ort zum Ausdruck bringt. Hier rekurriert er dann auch auf die von Bernsdorff heraus­ gestellte Begrenztheit der pastoralen Idylle:13 The epigram thus engages in a clever generic game, in which Leonidas endorses the values of pastoral poetry – which he treats as an established form with fixed conventions – even while purporting, ironically, to stand at some distance from them and implicitly acknowledging the selectivity with which pastoral poetry represents the rural landscape.

Sens hat außerdem darauf hingewiesen, dass die Aufforderung, ein wenig weiter auf die Anhöhe hinaufzugehen, die kallimacheische Forderung evoziert, den engen Pfad zu wählen (Fr. 1, 25–8 Pf.). Diese Deutung lässt sich auch durch den Gebrauch von ἄκρην (3) stützen, da im (der kallimacheischen Wegmetapher verwandten) Bild der zwei (Lebens-)Wege häufig darauf hingewiesen wird, dass man auf dem schwereren Weg schließlich zum ἄκρον gelangt.14 Hieran anknüpfend möchte ich ein mögliches Vorbild für das LeonidasEpigramm heranziehen, das Implikationen für dessen Deutung haben könnte. Die hier geschilderte Situation findet nämlich eine Parallele in den orphischen Goldblättchen der sog. B-Gruppe,15 deren ältestes bisher gefundenes Beispiel 12 Gutzwiller 1998, 113. 13 Sens 2006, 149–154, das Zitat auf 154. 14 Hes. Erg. 288–92; Simonides PMG 579; auf den Trunk aus der Musenquelle bezogen bei Honestus AP 9, 230 = GPh 2418–21; vgl. außerdem die ἀκρόπολις als Ziel des Weges und Sitz der Eudaimonia in der Tabula Kebetis (21, 2). Zum Einfluss der »Zwei-Wege-Lehre« auf die poetologische Wegmetapher bei Kallimachos s. Asper 1997, 94–99. 15 Nach der Einteilung von Zuntz 1971.

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Loca amoena und Quellen

(B10, Hipponion) in die Wende vom 5. zum 4. Jh. v. Chr. gehört. Der Text dieser Blättchen, der, von kleineren Abweichungen und Zusätzen abgesehen, identisch ist und daher auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen muss, enthält Anweisungen an einen Mysten, wie er sich bei seiner Ankunft in der Unterwelt verhalten solle. Hier sei e. g. der Text von B1 wiedergegeben (1–11 = PEG 476 F):16

5

10

εὑρήσ{σ}εις δ᾽ Ἀΐδαο δόμων ἐπ᾽ ἀριστερὰ κρήνην, πὰρ᾽ δ᾽ αὐτῆι λευκὴν ἑστηκυῖαν κυπάρισσον· ταύτης τῆς κρήνης μηδὲ σχεδὸν ἐμπελάσειας· εὑρήσεις δ᾽ ἑτέραν, τῆς Μνημοσύνης ἀπὸ λίμνης ψυχρὸν ὕδωρ προρέον· φύλακες δ᾽ ἐπίπροσθεν ἔασιν. εἰπεῖν· Γῆς παῖς εἰμι καὶ Οὐρανοῦ ἀστερόεντος· αὐτὰρ ἐμοὶ γένος οὐράνιον· τόδε δ᾽ ἴστε καὶ αὐτοί. δίψηι δ᾽ εἰμὶ αὔη καὶ ἀπόλλυμαι. ἀλλὰ δότε αἶψα ψυχρὸν ὕδωρ προρέον τῆς Μνημοσύνης ἀπὸ λίμνης καὐτ[οί] σ[οι] δώσουσιν πιεῖν θείης ἀπ[ὸ κρή]νης, καὶ τότ᾽ ἔπειτ᾽ ἄ[λλοισι μεθ᾽] ἡρώεσσι ἀνάξει[ς. Auf der linken Seite der Häuser des Hades wirst du eine Quelle finden, und bei der Quelle eine weiße Zypresse: Nähere dich dieser Quelle überhaupt nicht. Du wirst eine andere finden, von kühlem Wasser, das aus dem See der Mnemosyne hervorfließt. Davor sind Wächter. Sag ihnen: »Ich bin ein Kind der Erde und des gestirnten Himmels. Mein Geschlecht ist himmlisch, das wisst ihr ja selbst. Ich bin vor Durst ausgetrocknet und vergehe. Gebt mir sogleich das kühle, aus dem See der Mnemosyne hervorfließende Wasser. Und sie selbst werden dir aus der göttlichen Quelle zu trinken geben, und dann wirst du mit den anderen Heroen zusammen herrschen.

Wie im Epigramm erteilt ein anonym bleibendes Ich einem Passanten Anweisungen, von der ersten Quelle nicht zu trinken, sondern weiterzugehen zu einer anderen, deren Wasser ψυχρόν ist. Als lexikalische Parallele ist die Anfangsstellung von εὑρήσεις (1, 4, bei Leonidas 5), dem jeweils als Objekt die Quelle zugeordnet ist, bemerkenswert. Der weißen Zypresse an der ersten Quelle entspricht vielleicht die Hirtenpinie an Leonidas’ zweiter Quelle. Auf diese Ähnlichkeiten der beiden Texte haben bereits Alberto Bernabé und Ana Isabel Cristóbal hingewiesen,17 ohne sie jedoch zu interpretieren. Man mag außerdem daran denken, dass der bei Leonidas durch ἄκρην gegebene Hinweis auf die Zwei-Wege-Lehre gut zum orphischen Plättchen passt, das seinem Besitzer ein besonderes Los nach dem Tod verspricht. Diese Entsprechungen eröffnen die Möglichkeit, dass Leonidas auf den Text der Goldblättchen an 16 Zitiert nach Riedweg 1998, 395–6. 17 Bernabé/Cristóbal 2008, 35. Kayachev 2012 stellt eine Reihe von Parallelen zwischen dem B-Text und literarischen Passagen zusammen und weist auch auf das Leonidas-Epigramm hin (20 Anm. 28), bespricht es aber nicht näher.

Locus amoenus und locus horribilis

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spielt.18 Eine solche Anspielung wäre auch insofern attraktiv, als Leonidas so in einem literarischen Epigramm auf eine »inschriftliche« Tradition rekurrieren würde, insofern die Goldblättchen als inschriftliche Texte aufgefasst werden können.19 Lässt sich diese Parallele für das Verständnis des Gedichts fruchtbar machen? Markus Asper hat für Kallimachos auf die »poetologische Instrumentalisierung religiöser Vorstellungen« gerade des Orphismus hingewiesen, insbesondere auf die Metapher des »unbetretenen Weges«, aber auch auf die Heiligkeit des Inspirationsquells sowie die Rolle des Dichters als Myste, die im Hellenismus öfter belegt ist.20 Leonidas würde also auf eine Textgattung anspielen, deren Inhalt – auf direktem oder indirektem Weg – in die poetologische Metaphorik eines anderen hellenistischen Dichters eingegangen ist. Ob Leonidas’ Epigramm selbst aber die poetologische Wassermetaphorik aufgreift, scheint fraglich: denn es wird nicht recht verständlich, welche Dichtungsarten die Quellen jeweils repräsentieren sollen, die beide als Tränke für (Schafs- bzw. Kuh-)Herden dienen und so in den pastoralen Bereich gehören.21 Außerdem spräche der Standpunkt des Sprechers an der »schlechten« Quelle prima facie dafür, ihn als Vertreter der abgelehnten Dichtung zu betrachten. Vielleicht darf man aber doch eine Selbstaussage des Dichters gerade darin erblicken, dass sich der Sprecher auch im pastoralen Bereich befindet, aber gerade nicht an einem idealisierten, sondern einem hässlichen Ort. Als Gegenpart wäre dann nicht an die Bukolik als solche zu denken, die ja (bei Theokrit) sowohl idealisierende als auch realistisch-hässliche Züge hat,22 sondern an solche

18 Dies würde bedeuten, dass ihm der Text bekannt war und er auch bei seinen Lesern Bekanntheit mit dem Inhalt der Goldblättchen voraussetzen konnte. Wie bekannt der Inhalt dieser Blättchen über den Kreis der »Orphiker« hinaus war, wissen wir nicht. Jedenfalls stünde ein solcher Bezug in der hellenistischen Dichtung nicht allein: im Siegel­ gedicht des Poseidipp (SH 705 = 118 A.-B.) beschreibt sich der Dichter als Myste; der Verweis auf die χρυσεαὶ σελίδες (6) wurde bereits als Bezugnahme auf die orphischen Goldblättchen gedeutet (Hardie 2005, 32; freilich wird hier nicht auf den Inhalt selbst angespielt). 19 Im nur fragmentarisch erhaltenen Vers 13 der lamella stand wohl eine Anweisung, dass dieser Text aufgeschrieben werden sollte (] τόδε γραψ[), womit der Text seine Inskription selbst thematisierte. 20 Asper 1997, 72–94; Dickie 1998 (der allerdings an reale Initiation denkt); vgl. Hardie 2005, der in der Initiation in die Mysterien eine Metapher für die Berufung zum Dichter sieht. In der Vision des Maximus (Bernand 168, Talmis, 1. Jh. n. Chr.), in welcher der Verfasser seine Dichterweihe unter Anklängen an den Aitienprolog und das Somnium beschreibt (s. Brandis 2002), fordert ihn seine Natur auf, »die Mühe eines Eingeweihten auf sich zu nehmen« (5 μύστην τότε κίκλησκε φύσις πόνον γεωργεῖν). 21 Die Zuordnung bestimmter Quellen zu einzelnen literarischen Gattungen kommt wohl erst im Späthellenismus auf (s. u. S. 325 Anm. 92). 22 Vgl. z. B. Effe/Binder 2001, 30. 

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Quellepigramme wie Anyte AP 16, 228 = HE 734–7 und AP 9, 313 = HE 726–9 etc., in denen einseitig die Schönheit des locus amoenus herausgestellt wird. Bei der Diskussion der hier vorgestellten Epigramme von Anyte und Leonidas haben sich charakteristische interpretatorische Probleme offenbart: erstens ihre Verarbeitung der inschriftlichen Tradition, zweitens ihr Verhältnis zu und ihre Auseinandersetzung mit der Bukolik, drittens ihr metapoetisches­ Potential. Im Folgenden sollen die Versinschriften, die einen locus amoenus beschreiben, im Hinblick auf diese Fragen untersucht werden.23 Der Kontrast von locus amoenus und ­locus horribilis soll vor allem in den Abschnitten 2.1. (Grabbewuchs) und 2.3. (gefährliche Quellen) behandelt werden, der Vergleich mit der Bukolik in 2.2. (bukolische Inschriften?) und 2.4. (poetologische Quellen), wobei in 2.4. die Quelle als poetologische Metapher auch gattungsübergreifend untersucht werden soll.  

2. Rezeption in den Inschriften 2.1. Blumen und Dornen als Grabbewuchs Als Reflex literarischer locus-amoenus-Beschreibungen lässt sich vielleicht die Tatsache betrachten, dass in den inschriftlichen Epitaphen, gerade in der Kaiserzeit, zunehmend der das Grab umgebende Pflanzen- und Blumenschmuck thematisiert wird.24 Doch auch wenn in den vorhellenistischen Inschriften vom Pflanzenbewuchs der Umgebung wenig die Rede war, ist die Beschreibung schöner Blumen und Pflanzen in einem Epitaph sachlich naheliegend, da Blumen als Grabschmuck dienten; außerdem können sie metaphorisch das Elysium oder die Schönheit und den Rest der Vitalität des Toten bezeichnen.25 Insbesondere werden Jungverstorbene mit frischerblühten Blumen verglichen.26 Eine engere Anlehnung an literarische Vorbilder scheint vorzuliegen, wenn durch den Kontrast zweier Arten des Grabbewuchses ein locus horribilis und ein locus amoenus kontrastiert werden; dieser Kontrast könnte zwar auch selbständig aus dem Motiv »schöne Blumen« entwickelt worden sein, weil man die Schön 23 Statt nach der Verarbeitung der inschriftlichen Tradition soll nun wieder vor allem nach dem Bezug auf die Literatur sowie die literarische Epigrammatik gefragt werden. 24 GVI 469 (Ankyra?, 2./3. Jh. n. Chr.); GVI 840 (Demetrias, 3./2. Jh. v. Chr.); GVI 1970 (Rom, 1./2. Jh. n. Chr. = IGUR III 1148), 6 ff.; die von Avram/Jones 2011, 126–34 veröffentlichte Inschrift; CLE 466 (Antipolis); 467 (Rom; vgl. Courtney 1995, 375); vgl. Luck 1956, 282. 25 Luck 1956; Lattimore 129–131. 26 Eine Entfaltung des ἥβης ἄνθος-Motivs, vgl. z. B. Bernand 84 (Leontopolis, Début de l’époque impériale); GVI 575 (Antiocheia, Pisidien, 2./3. Jh. n. Chr.); GVI 1970 (Rom, 1./2. Jh. n. Chr. = IGUR III 1148; GVI 2005 (Sardinien, 1./2. Jh. n. Chr.), 34–9 (die Tote soll zur Blume werden wie Narziss und Hyakinthos).

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heit des Grabschmucks besonders hervorheben wollte;27 doch angesichts entsprechender literarischer Parallelen ist ein Einfluss der literarischen auf die inschriftliche Epigrammatik hier eher nachzuweisen. So findet sich eine elaborierte Beschreibung eines locus amoenus in folgendem kaiserzeitlichen Epigramm (IGUR III 1303f, Rom, 2. Jh. n. Chr. = GVI 2027):

5

10

Οὐ βάτοι, οὐ τρίβολοι τὸν ἐμὸν τάφον ἀμφὶς ἔχουσιν   οὐδ᾽ ὀλολυγαία νυκτερὶς ἀμπέταται· ἀλλά με πᾶν δένδροϛ χαρίεν περὶ ῥίσκον ἀνέρπει   κυκλόθεν, εὐκάρποιϛ κλωσὶν ἀγαλλόμενον, πωτᾶται δὲ πέριξ λιγυρὴ μινυρίστρια ἀηδών   καὶ τέττιξ γλυκεροῖϛ χείλεσι λειρὰ χέων καὶ σοφὰ τραυλίζουσα χειλεδονὶϛ ἥ τε λιγύπνουϛ   ἀκρὶϛ ἀπὸ στήθουϛ ἡδὺ χέουσα μέλοϛ. Πάτρων ὅσσα βροτοῖσιν ἐράσμια, πάντ᾽ ἐτέλεσσα,   ὄφρα καὶ ἰν Ἀίδῃ τερπνὸν ἔχοιμι τόπον· τἆλλα δὲ πάντα λέλοιπα, καὶ ἐν νεότητι †κατεκτη†   οἴχηται πλὴν ἃ πρὶν ζῶν ἀπεκαρπισάμην. 11 ἅ add. Peek; κατεκτη: κατέκτητ᾽ Peek κατέκτην priores  12 aut πρὶν aut ζῶν metri gratia delendum (Peek) Nicht Brombeersträucher, nicht Disteln umgeben mein Grab, nicht umfliegt es die kreischende Fledermaus, sondern jeder reizvolle Baum wächst rings um meinen Sarg empor, sich an mit reicher Frucht beladenen Zweigen erfreuend. Ringsum fliegt die helltönende, summende Nachtigall und die Zikade, die von süßen Lippen Zartes ergießt und die Kunstvolles lispelnde Schwalbe und die hellstimmige Grille, die aus ihrer Brust ein süßes Lied ergießt. Was den Menschen angenehm ist, habe ich, Patron, alles vollendet, damit ich auch im Hades einen angenehmen Platz habe. Das andere habe ich alles zurückgelassen, und was ich in meiner Jugend erworben habe (?), ist alles fort, außer dem, was ich vorher im Leben geerntet habe.

Diese Grabinschrift befindet sich auf der Wand der Grabkammer des Arztes Patron, die überdies mit Bildern einer Grabprozession und einer Baumlandschaft mit Vögeln geschmückt ist. Die Beschreibung des locus amoenus im ersten Teil des Gedichts bezieht sich demnach auf dessen bildliche Darstellung. Solche Gartenlandschaften mit verschiedenen Vögeln finden sich zum einen häufig als Wandmalerei in Wohnhäusern und sollen dort die Vorstellung dionysisch-erotischen Wohllebens evozieren.28 Diese angenehme Atmosphäre wünscht Patron 27 Zudem war die Furcht vor Dornenbewuchs nicht gänzlich unbegründet, wie die Geschichte von Ciceros Wiederentdeckung des dornenüberwucherten Grabes des Archimedes in Syrakus lehrt (Tusc. 5, 64–6). 28 P. Zanker 1979.

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nun auch im Tod zu genießen, wie er in den Versen 9–10 ausdrücklich sagt.29 Zum anderen wird aber auch der Eindruck eines Grab­gartens erweckt.30 Schließlich mag auch die Vorstellung des Elysiums mitschwingen:31 Dessen Fruchtbarkeit (εὐκάρποις κλωσὶν ἀγαλλόμενον) wird auch in Hes. Erg. 172 f. hervorgehoben: ὄλβιοι ἥρωες, τοῖσιν μελιήδεα καρπὸν / τρὶς ἔτεος θάλλοντα φέρει ζείδωρος ἄρουρα. Das Motiv der Früchte wird im letzten Vers mit ἀπεκαρπισάμην wiederaufgenommen, wobei nicht klar ist, ob es sich um »geistige Früchte« (so Peek 1979, 259) oder um ein epikureisches Motiv handelt (im Sinne »die Freuden, die ich bereits im Leben genossen habe«, vgl. IGUR a.l.).32 Überraschend ist dagegen der ausgedehnte Singvogelkatalog, der sonst in Elysiumsbeschreibungen nicht vorzukommen scheint.33 Die Betonung des lieblichen Vogelgesangs ist als Element des locus amoenus zwar topisch,34 scheint aber in Katalogform vor allem aus Theokr. Id. 7, 135–46 bekannt; möglicherweise war diese Beschreibung direktes Vorbild, da die Verse 1–2 an Theokrit anklingen: ἁ δ᾽ ὀλολυγών / τηλόθεν ἐν πυκιναῖσι βάτων τρύζεσκεν ἀκάνθαις 139 f.).35 Der Garten erhält so Züge einer bukolischen Ideallandschaft, wobei der Wohlklang der Vogelstimmen mit dem Krächzen der unmusikalischen Fleder­ maus kontrastiert wird;36 während das Krächzen der Fledermaus bei Theokrit aus der Ferne noch hörbar ist, wird sie aus Patrons Idealgarten gänzlich verbannt. Da der Gesang der genannten Vögel bisweilen mit dem Gesang des Dichters identifiziert werden konnte,37 mag man sich schließlich fragen, ob das Epigramm, das ja Teil des Grabschmucks war, diesen nicht nur beschreibt, sondern selbst als Verkörperung des schönen Gesangs betrachtet werden sollte, den das Bild allein nicht ausdrücken kann. 29 Vgl. Petron. 71, 7: omne genus enim poma [vgl. πᾶν δένδρος] volo sint circa [κυκλόθεν] cineres meos, et vinearum largiter. valde enim falsum est vivo quidem domos cultas esse, non curari eas, ubi diutius nobis habitandum est [~ 9 f.]; die Parallele bereits bei Andreae 1963, 63. 30 Beispiele für solche Grabanlagen bei Rohde 1910, 24 Anm. 2; 230; vgl. Plat. Nom. 947e mit Carroll-Spillecke 1992, 164; Jashemski 1992, 201. 31 Cumont 1942, 162; Andreae 1963, 62–64. Zur Vorstellung des Elysiums als schöner Garten s. Peres 2003, 80 Anm. 365 (mit Lit.); Lattimore 42. 32 In den Versen 11 f. liegt eine Anspielung auf das Epigramm des Sardanapal vor (s. Preger S. 185 a. E.), was für eine »epikureische« Lesart spricht (dazu passt auch der »Villencharakter« des Gartenbildes). 33 Die Beispiele bei McKeown ad Ov. Am. 2, 6, 49–58 beschreiben jeweils den Tod eines geliebten Tieres, das dann in ein Tierparadies gelangt. In der bildenden Kunst scheint es dagegen Beispiele für Paradiesvögel zu geben (Andreae 1963, 63). 34 Schönbeck 1962, 36–7. 35 Eine weitere Beschreibung eines Vogelkonzerts (Agathias AP 5, 292, 1–6) lehnt sich jedenfalls an Theokrit an (so bereits Elliger 1975, 426 mit Anm. 4): ἡ δ᾽ ὀλολυγών / τρύζει, τρηχαλέαις ἐνδιάουσα βάτοις (5 f.). 36 Die Fledermausstimme galt als unangenehm: Juvencus 39; Ov. Met. 4, 413. 37 Dichter als Vögel: Nisbet/Hubbard ad Hor. Carm. 2, 20; Dichter als τέττιξ: Poseidipp 137 A.-B.

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Neben der Fokussierung auf den Aspekt des Wohlklangs sticht die Kontrastierung von locus horribilis und locus amoenus hervor, die sich nicht nur in der Antithese guter / schlechter Gesang, sondern auch im Gegensatz unwirtlicher / lieblicher Bewuchs zeigt. Hier wird die Aufnahme einer epigrammatischen Tradition sichtbar, nämlich der Beschreibung der das Grab umgebenden Pflanzen als »Visitenkarte« des Verstorbenen. Das Motiv taucht wohl zuerst in einer Reihe fiktiver Grabepigramme auf archaische und klassische Dichter auf (Ibykos, Anakreon, Machon, Sophokles).38 Auf Anakreons Grab etwa sollen Reben (Simonides AP 7, 24 = FGE 956–65) oder Efeu wachsen (Antipater v. Sidon AP 7, 23 = HE 246–51; Antipater v. Sidon AP 7, 30 = HE 276–81), was dessen enge Verbindung zum Symposion hervorhebt. Einige literarische Epigramme beschreiben die Gräber der Dichter Archilochos und Hipponax als von Dornensträuchern umgeben. Hier spiegelt sich der Charakter ihrer Dichtung in den Pflanzen wider. Das Motiv »Dornen ums Grab« bleibt dabei aber nicht auf Dichter beschränkt, sondern begegnet auch in einem Grabepigramm des Philodem (AP 7, 222 = GPh 3320–7), das in der Parallelisierung von Grabbewuchs und Charakter besonders weit geht. Es ist ein Epitaph auf den Galluspriester Try­ gonion, der hier – wie bei Galluspriestern nicht unüblich – als Frau beschrieben wird. Der Sprecher charakterisiert sie zunächst (1–6), um dann die Erde selbst zu apostrophieren (7 f.):

5

Ἐνθάδε τῆς τρυφερῆς μαλακὸν ῥέθος, ἐνθάδε κεῖται   Τρυγόνιον, σαβακῶν ἄνθεμα Σαλμακίδων, ᾗ καλύβη καὶ δοῦμοϛ ἐνέπρεπεν, ᾗ φιλοπαίγμων   στωμυλίη, Μήτηρ ἣν ἐφίλησε θεῶν, ἡ μούνη στέρξασα τὰ Κύπριδοϛ ἡμιγυναίκων   ὄργια καὶ φίλτρων Λαΐδοϛ ἁψαμένη. Φῦε κατὰ στήλης, ἱερὴ κόνι, τῇ φιλοβάκχῳ   μὴ βάτον, ἀλλ᾽ ἁπαλὰς λευκοΐων κάλυκας. 5 ἡμιγυναίκων Paton: ἀμφὶ γυναικῶν cod. Hier liegt der weiche Körper einer Ausschweifenden, hier liegt Trygonion, die Zierde der Verweichlichten, die aus der Salmakisquelle trinken. Ihr gebührten Tempel und Versammlungshalle, ihr gebührte spielerische Plauderei, die Göttermutter liebte sie. Von den Halbfrauen schätzte vor allem sie die Mysterien der Kypris und hatte Anteil an Lais’ Charme. Lass über die Stele, heiliger Sand, für die Weinliebende nicht den Brombeerstrauch, sondern zarte Kelche der Schneeglöckchen wachsen.

Zunächst wünscht der Sprecher, wie schon in Patrons Epigramm, dass keine βάτος um das Grab wachsen solle. Hier ist der Wunsch aber insofern stärker motiviert, als Dornen eigentlich die Unnahbarkeit bezeichnen, während Try 38 S. die Übersicht bei Luck 1956, 280–2.

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gonion sich im Leben durch φιλοπαίγμων στωμυλίη auszeichnete: für sie ist die βάτος also besonders unangemessen.39 Der erwünschte Bewuchs dagegen ist ἁπαλός, wodurch in Vers 1 τῆς τρυφερῆς μαλακὸν ῥέθος wieder aufgenommen wird; die Zartheit und Weichheit ist ein typisches Merkmal der galli.40 Das Gleiche gilt für die weiße Farbe der Pflanzen, die wohl auf die weiße Hautfarbe der Verstorbenen hinweisen soll; diese ist Kennzeichen von Weiblichkeit.41 Die ἴα wiederum entsprangen dem Blut des Attis und deuten damit auf Trygonions Amt als Galluspriesterin hin.42 Außerdem mag man ein Wortspiel in κάλυκας sehen, das im Plural von Homer für Frauenschmuck verwendet wird (LSJ s. v. II), aber metonymisch auch für den Weinkelch stehen mag und so an Trygonions Trinkfreude erinnert. Eine Weiterentwicklung stellt die Verwendung des Motivs in den Grabepigrammen auf den Menschenfeind Timon dar,43 von denen eines in der Wahl der Motive dem Epigramm des Patron besonders nahe steht (Zenodotos AP 7, 315 = HE 3640–5):

5

Τρηχείην κατ᾽ ἐμεῦ, ψαφαρὴ κόνι, ῥάμνον ἑλίσσοις   πάντοθεν ἢ σκολιῆϛ ἄγρια κῶλα βάτου, ὡϛ ἐπ᾽ ἐμοὶ μηδ᾽ ὄρνιϛ ἐν εἴαρι κοῦφον ἐρείδοι   ἴχνοϛ, ἐρημάζω δ᾽ ἥσυχα κεκλιμένοϛ. ἦ γὰρ ὁ μισάνθρωποϛ, ὁ μηδ᾽ ἀστοῖσι φιληθεὶϛ   Τίμων οὐδ᾽ Ἀίδῃ γνήσιόϛ εἰμι νέκυϛ. Lass stachligen Wegedorn um mich wachsen, krümeliger Staub, von allen Seiten, oder die wilden Schösslinge des spröden Brombeerstrauchs, damit auf mich nicht einmal ein Vogel im Frühling seinen leichten Fuß setze und ich in Ruhe daliegen und allein sein kann. Denn wahrlich, ich, der Misanthrop, der nicht einmal bei seinen Mitbürgern beliebte Timon, bin auch im Hades kein vollwertiger Toter.

Hier wendet sich der Verstorbene an die ihn umgebende Erde (vgl. die Anrede an die ἱερὴ κόνι im Epitaph Trygonions)44 und wünscht sich, dass sie sta­chelige, unwirtliche Pflanzen hervorbringe, welche sogar die Vögel fernhalten sollen, 39 Luck 1956, 279 sieht außerdem in βάτος unter Verweis auf Rufinus AP 5, 28 ein »Symbol für Männlichkeit«, die Trygonion nicht zukomme. Höschele 2006, 93 interpretiert die βάτος im Rufingedicht als Metapher für den Phallos, was zweifellos gut ins Philodem­ epigramm passt; doch scheint der Begriff sonst eher für den Haarwuchs als Merkmal erotischer Unattraktivität zu stehen (Anon. AP 11, 53; Straton AP 12, 204; vgl. Floridi 2007, ­231–2). 40 C. Williams 2010, 139–44; Luck 1956, 273. 41 Frauen halten sich idealerweise nicht in der Sonne auf, s. Dover 1978, 76–8. 42 Luck 1956, 278 mit Anm. 6. 43 AP 7, 313–20; 577. Zu den Epigrammen auf Timon vgl. Fantuzzi/Hunter 2004, 302–6. 44 In dieser Abweichung von der üblichen Anrede an den Passanten kommt vielleicht die Einsamkeit des Grabes zum Ausdruck; ein Wanderer, an den Timon sich richten könnte, ist gar nicht da – und das soll so bleiben.

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die mit ihrem Gesang die Totenruhe stören könnten (ἥσυχα).45 Demgegenüber ist das Grab des Patron vom Vogelgesang erfüllt. Und während Patron in der Unterwelt einen angenehmen Aufenthaltsort verdient zu haben glaubt, was eine tugendhafte Lebensweise impliziert, ist der Misanthrop Timon dort nicht einmal ein vollberechtigter Bewohner. Bei Patron und bei Timon verkörpert der Grabbewuchs also weniger einen bestimmten Charakterzug oder eine bestimmte Lebensweise, sondern allgemein ein menschenfreundliches bzw. menschenfeindliches Dasein. Man möchte annehmen, dass das Timongedicht als ironische Verkehrung eines solchen Gedichttypus zu begreifen ist, wie er durch die Grabepigramme des Patron und der Trygonion repräsentiert wird (wobei, worauf Luck zurecht hinweist, bereits im Epigramm auf Trygonion skoptische Elemente eine Rolle spielen). Auch in folgendem Grabepigramm wird der Gegensatz von erwünschtem und unerwünschtem Bewuchs behandelt (GVI 1409, Nemausus, 2. Jh. n. Chr?): D(is) m(anibus) C. Vibi Liciniani. ann. XVI m. VI. C. Vibius Agathopus et Licinia Nomas fil(io) optimo piissim(o). ἄνθεα πολλὰ γένοιτο νεοδμήτῳ ἐπὶ τύμβῳ,   μὴ βάτοϛ αὐχμηρή, μὴ κακὸν αἰγίπυρον, ἀλλ᾽ ἴα καὶ σάμψουχα καὶ ὑδατίνη νάρκισσοϛ,   Οὐείβιε, καὶ περὶ σοῦ πάντα γένοιτο ῥόδα. Den Totengöttern des Gaius Vibius Licinianus, der im 16. Jahr und 6. Monat gestorben ist. Gaius Vibius Agathopus und Licinia Nomas für ihren besten und ihnen ergebensten Sohn. Viele Blumen sollen auf dem frisch aufgeschütteten Grab wachsen, nicht der dürreliebende Brombeerstrauch, nicht die schlimme Golddistel, sondern Veilchen und Majoran und die wasserliebende Narzisse, Vilbius, und um dich herum möge alles zu Rosen werden.

Die Schilderung des locus amoenus, der das Grab umgeben soll, ist hier ganz auf die Nennung von Pflanzen reduziert.46 Als Vertreter des locus horribilis tauchen βάτος und das seltene αἰγίπυρον auf,47 die für Trockenheit und Dornen stehen. 45 Die Dornen um das Grab stehen nicht nur symbolisch für Timons Unnahbarkeit: auch im Leben bevorzugte der Misanthrop der Legende nach entlegene, von Stacheln umgebene Aufenthaltsorte; darüber hinaus stehen Dornen für ein zorniges Gemüt (Henderson 1987, 173). 46 Zu Veilchen als Element des locus amoenus vgl. Hom. Hymn. Dem. 6–8; Longos 4, 2, 6. 47 Die Pflanze ist aus Theophrast bekannt (Hist. Plant. 2, 8, 3) und wird mit der spanischen Golddistel (Scolymus hispanicus) identifiziert (Amigues 2006, 264; alternative Vorschläge bei Lembach 1970, 55 f.). Theokrit erwähnt sie innerhalb einer kurzen locus-amoenusBeschreibung (Id. 4, 25). Bei Theokrit mag durch die Nennung seltener Pflanzen ein »enzyklopädisches« Interesse zum Ausdruck kommen (s. Gutzwiller 2007, 176), der Verfasser der Inschrift wollte vielleicht seine Bildung durch die Wahl einer seltenen Vokabel demonstrieren. Hier steht die Pflanze jedenfalls für den locus horribilis, wegen ihrer Dornen (ἀκανθῶδες φυτόν Theokrit-Scholien a. l.).

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Daraus, dass am Grab keine dürre-, sondern wasserliebende Pflanzen wachsen sollen, mag man indirekt auf das Vorhandensein von Wasser und eine damit verbundene üppige Vegetation schließen. Hier ist die Schilderung der Idylle jedoch nicht als Beschreibung des umgebenden Ortes gefasst, sondern als Hoffnung für die Zukunft: Der Ort muss erst noch zu einem locus amoenus werden. Dafür, dass mit der Auswahl der Pflanzen der Charakter des filius optimus piissimus näher beschrieben werden sollte, gibt es keinen rechten Anhaltspunkt; eher wird man die Charakterisierung des Grabes als locus amoenus allgemein als Lob des Toten begreifen. Vielleicht mag aber der von Luck herausgestellte Zusammenhang von Grabblumen und Jugendblüte eine Rolle spielen.48 Das erste Wort des Gedichts, ἄνθεα, kann bereits die ἥβης ἄνθος des Jungverstorbenen evozieren; bei der Erwähnung von ἴα und νάρκισσος mag sich der Leser erinnern, dass im Mythos beide durch den Tod schöner junger Männer entstanden sind. Auch der Gegensatz von βάτος und ῥόδον kann erotische Konnotationen wecken (Rufin AP 5, 28; Anon. AP 11, 53).49 Das inschriftliche Motiv »keine Dornen, sondern Blumen sollen um das Grab wachsen« lässt sich vielleicht als Verknüpfung zweier literarischer Motive deuten: zum einen scheinen Epigramme als Vorbild gewirkt zu haben, die bereits einen locus amoenus und einen locus horribilis kontrastieren (wie Leonidas AP 16, 230), zum anderen solche, in denen der Grabbewuchs den Charakter des Verstorbenen widerspiegelt. Anders als in den literarischen Beispielen, werden in den Inschriften weniger spezifische Parallelen zwischen Bewuchs und Charakter angestrebt; vielmehr spiegelt dort ein schönes Grab einen allgemein guten, menschenfreundlichen Charakter oder die Jugendblüte wider.

2.2. »Bukolische« Inschriften? Wie wir gesehen haben, ließ sich für das Grabepigramm des Patron eine Nähe zur Bukolik wahrscheinlich machen. Im Folgenden sollen zwei Inschriften behandelt werden, die noch deutlicher pastorale Themen aufgreifen und deren Verhältnis zur Bukolik daher untersucht werden soll. Die Frage nach der Existenz bukolischer Inschriften ist von Laura Rossi bereits erörtert worden (2001, 57–62). Ihre Analyse fällt weitgehend negativ aus, was durch ihre eher enge Definition des Begriffs »bukolisch« bedingt scheint.50 48 Luck 1956, 286. 49 Vgl. Höschele 2006, 90–4. 50 Rossi 2001, 29–57. Wie strikt ein Epigramm gewisse Gattungskonventionen erfüllen muss, um »bukolisch« genannt zu werden, bzw. ob Epigramme überhaupt »bukolisch« genannt werden dürfen, wird in der Forschung kontrovers diskutiert; bisweilen wird statt »buko­lisch« der Begriff »pastorales Epigramm« gebraucht: ein pastorales Epigramm enthalte Themen und Motive der Hirtenwelt, während unter »bukolisch« im engen Sinne nur die Ge-

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So erkennt sie auch in folgendem Epigramm keinen Bezug auf die Bukolik (Bernand 34, Alexandria?, »basse époque hellénistique« = GVI 1312 = GG 176):51 εἰ καὶ βουκόλοι ἄνδρες ὁδὸν διαμείβετε τήνδε,   καὶ ποίμνας οἴων φέρβετε μηλονόμοι – ἀλλὰ σὺ Μουσείοις καμ[άτο]ις τεθραμμέν᾽ ὁδῖτα,   ἴσχε καὶ αὐδήσας »σῆμ᾽ Ἀλίνης« ἄπιθι· »χαῖρ᾽« εἰπὼν δὶς δ᾽ αὐτὸς ἔχοις τόδε. τέκνα δὲ λείπω   τρίζυγα καὶ ποθέοντα ἄνδρα λέλοιπα δόμοις. Wenn auch ihr, Rinderhirten, diesen Weg beschreitet und ihr, Schäfer, eure Schafsherden weidet, halt du, Wanderer, an, der du erzogen bist in den Anstrengungen der Musen, sag »Grabmal der Aline« und geh dann weiter. Mögest du selbst für dein »Sei gegrüßt!« zweimal so viel zurückerhalten. Ich lasse drei Kinder zurück und habe einen Mann, der mich ersehnt, in den Häusern zurückgelassen.

Rossi betont, dass Aline, die Sprecherin des Epigramms, sich zwar zunächst an die Hirten wende,52 der eigentliche Adressat ihrer Botschaft aber der ὁδίτης in Vers 3 sei, in dem Rossi einen Dichter erkennt;53 die Welt der Hirten (und damit die der Bukolik) werde letztlich also ausgeblendet. Demgegenüber stellt dichte Theokrits und seiner Nachfolger verstanden werden (z. B. Bernsdorff 2001); wird allgemein eine ländliche Szene beschrieben, ohne dass Hirten (explizit oder implizit) auftauchen, spricht man bisweilen von »ländlichen« Epigrammen (»rustic epigrams« Rossi 2001, 34, die wiederum diese von »bucolic epigrams« differenziert). Gegen eine strikte Trennung von ländlichen und bukolischen Epigrammen sprechen sich Alexander Sens und Karl-Heinz Stanzel aus; Sens (2006) versucht dabei zu zeigen, dass sich bereits in »ländlichen« Epigrammen des Frühhellenismus eine Auseinandersetzung mit der Bukolik als Gattung mit festgelegten Konventionen nachweisen lässt, Stanzel (2007, 335) warnt vor einer Rückprojektion an Theokrit gewonnener Charakteristika auf evtl. frühere Epigramme. Meleager jedenfalls scheint ländliche und bukolische Epigramme nebeneinander gestellt zu haben (s. etwa die Sequenz AP 9, 313–38). Zum Verhältnis von pastoralem Epigramm und Bukolik vgl. Bernsdorff 2001, 98–104; 127–80. 51 Neben Rossi 2001, 59–60 vgl. zu diesem Gedicht Bing 1998a; Sens 2006, 147–8; Höschele 2007, 346–8; Höschele 2010, 119–122. 52 Die ersten drei Verse bilden, wenn man den Modus der Prädikate als Indikativ deutet, einen leichten Anakoluth: »Wenn auch ihr Hirten hier (öfter) vorbeikommt, (geht ihr weiter), du aber, Wanderer, halt an…«; alternativ wäre eine Deutung als (konzessiver) Imperativ möglich, wobei εἰ καί entweder redundant ist oder das üblichere εἰ δ᾽ ἄγε vertritt, also einen Hauptsatz einleitet (»Wohlan, ihr Hirten, zieht eurer Wege etc.«). Ähnlich Il. 9, 45–8: ἀλλ᾽ ἄλλοι μενέουσι κάρη κομόωντες Ἀχαιοὶ / εἰς ὅ κέ περ Τροίην διαπέρσομεν. εἰ δὲ καὶ αὐτοὶ / φευγόντων σὺν νηυσὶ φίλην ἐς πατρίδα γαῖαν / νῶϊ δ᾽ ἐγὼ Σθένελός τε μαχησόμεθ(α) … 53 Die gewählte Formulierung Μουσείοις καμάτοις τεθραμμένε könnte dies nahe­legen, denn die Beschreibung der Studien als κάματοι erinnert an den πόνος-Topos (s. S.  328 Anm. 101; so bereits Bing 1998a), der mit der Arbeitsweise alexandrinischer Dichter assoziiert wird. Doch der Kontrast mit dem Analphabetismus der Hirten legt nahe, dass hier schlicht an einen Passanten gedacht ist, der des Lesens kundig ist und evtl. darüber hinaus gewisse literarische Kenntnisse besitzt.

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Alexander Sens fest, dass zwar zwischen den Hirten und dem ὁδίτης ein Gegensatz konstruiert werde, dass aber die Anrede an die Hirten dennoch voraussetze, dass zumindest einige von ihnen die Inschrift lesen konnten;54 der Unterschied zwischen den Hirten und dem gebildeten Leser verschwimme dadurch. Das Epigramm setze so eine Kenntnis der bukolischen Welt, in der literarisch gebildete Hirten auftreten, voraus. Regina Höschele schließlich sieht im Kontrast von Hirten und gebildetem Adressaten eine intendierte »Richtigstellung« der idea­lisierten Darstellung gebildeter Hirten in der Bukolik.55 Demgegenüber scheint mir die Anrede an die Hirten nicht zu implizieren, dass diese als Leser der Inschrift tatsächlich in Frage kommen, sondern sich eher als eine captatio benevolentiae an den ὁδίτης zu richten, dessen heraus­ ragende Bildung (Μουσείοις καμάτοις τεθραμμένε) durch den Kontrast mit den illiterati umso stärker hervortritt; die Einleitung dient so als Mittel der Leserbindung: »nur Banausen gehen an diesem Stein vorbei, aber du doch sicher nicht …«.56 Der Gegensatz »ungebildete Hirten«  – »gebildeter Leser« ist auch ohne Kenntnis der Bukolik unmittelbar einsichtig; ob die Hirten hier außerdem als Inversion der dort beschriebenen gebildeten Hirten zu verstehen sind, muss daher offen bleiben. Als einzige bukolische Inschrift lässt Rossi folgendes kaiserzeitliche Gedicht gelten (IG IV2,2 786, Aegina, 359 n. Chr.):57 Οὐκέτι κηροχύτοισι κατ᾽ οὔρεα τέρπομε αὐλοῖς πηκτίδος, οὔτ᾽ ἄντροις, οὐ δένδρεσι ὑψιπετήλοις, Ἠχὼ δ᾽ οὐ φιλέω, οὐ τέρπομε ἀγρονόμοισιν· ἀνδρὸς δ᾽ εἰθυδίκου ποθέων περικάλλεα ἔργα Ἀμπελίου σκιρτῶ καὶ τέρπομαι· ἔνθα κὲ Μοῦσαι ἕσστασι τερπόμεναι πλατάνοις καὶ ὕδατι λευκῷ. Nicht mehr erfreue ich mich in den Bergen an den mit Wachs verbundenen Rohren der Syrinx,58 nicht an Grotten, nicht an hoch belaubten Bäumen; Echo liebe ich nicht mehr, ich freue mich nicht an Landbewohnern: Mich sehnend nach den wunderschönen Werken des Ampelios, eines gerechten Mannes, springe ich und freue ich mich. Dort stehen auch die Musen und erfreuen sich an den Platanen und dem klaren Wasser.

54 Zur Lesefähigkeit von Hirten vgl. jetzt Höschele 2007, 347 Anm. 42, die darauf hinweist, dass bereits aus dem 6. Jh. v. Chr. Inschriften vorliegen, die vielleicht von Hirten verfasst wurden. 55 Höschele 2007, 348; Höschele 2010, 120–1. 56 Für die Unterscheidung zweier Adressatengruppen, einer gebildeten und einer un­ gebildeten (der Leser soll sich natürlich stets mit der ersten Gruppe identifizieren), vgl. S. 105 mit Anm. 285. 57 Rossi 2001, 58–9. 58 Zur πηκτίς als Syrinx s. die Diskussion bei Rossi 2001, 170–3.

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Die Inschrift befand sich unter einer Statue des Pan, der erklärt, er habe sein bisheriges Leben auf dem Land hinter sich gelassen und sei aus Sehnsucht, die schönen Werke des Ampelios zu sehen, an diesen Ort gekommen. Das Gedicht fügt sich somit in eine Reihe von literarischen und inschriftlichen Epigrammen ein, welche die Umsiedlung des Dargestellten aus dessen angestammtem Bereich an den Ort des Denkmals beschreiben.59 Der frühere Aufenthaltsort des Gottes wird dabei als ländlicher Lebensraum beschrieben; dabei stellt die Nennung des Syrinxspiels einen näheren Bezug zur Bukolik her. Mit dieser Szenerie der ersten drei Verse wird der neue Aufenthaltsort des Gottes in der Stadt kontrastiert. Bereits die Anordnung der Verse lädt zu einem Vergleich beider Schilderungen ein, denn die Verse 4–6 befinden sich nicht fortlaufend unter den Versen 1–3, sondern rechts daneben, stehen dem ersten Teil also auch räumlich gegenüber. Über den neuen Standort des Pan erfahren wir, dass sich dort die περικάλλεα ἔργα des Ampelios befinden, sowie Statuen der Musen, Platanen und ein Brunnen. Die sehr allgemein gehaltene Formulierung περικάλλεα ἔργα ist typisch für solche Versinschriften, da dem Betrachter das Gemeinte unmittelbar vor Augen stehen musste. Auch wenn wir im Einzelnen nicht nachvollziehen können, wie viel an diesem Ort der gestaltenden Hand des Ampelios zu verdanken ist (hat er sein(e) Gebäude [IG a.l. denkt an einen Musentempel] in einem bereits vorhandenen Hain errichtet, oder hat er diesen anpflanzen und das Wasser hierher leiten lassen?), wird doch deutlich, dass der Ort seinen Reiz zumindest durch die Errichtung von Gebäuden und Statuen, d. h. durch menschliches Einwirken, erhält. Für Pan jedenfalls, der den Grund seines Ortswechsels mit ἀνδρὸς δ᾽ εἰθυδίκου ποθέων περικάλλεα ἔργα angibt, liegt gerade in dieser Kultivierung des Ortes dessen Vorzug gegenüber Bergen und Höhlen.60 Damit lässt sich in der Bukolik Calpurnius Siculus’ 7. Ekloge vergleichen, in der der Hirt Corydon von den nova spectacula in der Stadt Rom berichtet, welche die veteres fagos des Landlebens bei Weitem überträfen (7, 5).61

59 Parallelen bei Robert 1948 V, 5 ff. Vgl. auch Antigonos v. Karystos AP 9, 406 = GPh 67– 72 (ein Frosch, der jetzt einen Mischkrug »bewohnt« [d. h. auf ihm abgebildet ist]) und die Beispiele auf S. 283 f. Da Kunstwerke meist in der Stadt aufgestellt sind, stellt sich das Problem besonders bei Land- oder Meeresgottheiten, wilden Tieren etc. 60 Dabei hebt Pan auch hervor, dass es sich bei den Gebäuden um Werke eines »gerechte Urteile fällenden« Mannes handelt (zur Interpretation von εἰθύδικος s. Robert 1948 V, ­13–27); nicht nur deren Schönheit ist demnach für ihn anziehend, sondern auch die zivilisatorische Leistung ihres Stifters, wodurch ein weiterer Kontrast zum Leben auf dem Land beschrieben wird. 61 Außerdem lässt sich der panegyrische Charakter der Ekloge als Lob des Nero mit dem Lob des Ampelios im Epigramm vergleichen. Die Idee, dass bukolische Dichtung wegen ihrer rusticitas geringzuschätzen sei, findet sich in P.Oxy. 3537, einer Ethopoiie auf Hesiod, der sich nach der Musenweihe zu Höherem aufschwingt (21–5): ] οὐ γὰρ ἀοιδήν / παύρην βουκολικ[ὴν ἀναβάλλο]μαι, οὐδ᾽ ὃς ἀφαυροί / ῥηιδίως μέλπουσι […… ἀγρο]ιῶται, / οὐδέ

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Loca amoena und Quellen

Dennoch ist der neue Aufenthaltsort Pans kein rein artifizieller Ort, sondern verfügt über Bäume und einen Brunnen, ist also gewissermaßen ein locus amoenus in der Stadt. Der Gegensatz zwischen den beiden Aufenthaltsorten ist also nicht nur der von Stadt und Land, sondern von »ursprünglicher« und kultivierter Natur. Die Betonung, dass Natur und menschliches Tun zusammenwirken, um einen wahrhaft schönen locus amoenus zu erschaffen,62 steht einerseits in gewissem Kontrast zu den loca amoena der Bukolik, die zunächst keine Kultivierung aufweisen; andererseits sind aber auch diese Orte Produkte menschlichen Tuns, nicht nur als Hervorbringungen dichterischer τέχνη schlechthin, sondern auch in der Auswahl der beschriebenen Elemente. Insofern besteht eine Ähnlichkeit zwischen der dichterischen »Konstruktion« eines locus amoenus und dem von Ampelios angelegten Platz.63 Thematisch nahe steht, wie bereits beobachtet wurde,64 ein Epigramm Meleagers (AP 7, 535 = HE 4700–5):

5

Οὐκέθ᾽ ὁμοῦ χιμάροισιν ἔχειν βίον, οὐκέτι ναίειν   ὁ τραγόπους ὀρέων Πὰν ἐθέλω κορυφάς. Τί γλυκύ μοι, τί ποθεινὸν ἐν οὔρεσιν; Ὤλετο Δάφνις,   Δάφνις, ὃς ἡμετέρῃ πῦρ ἔτεκε κραδίῃ. Ἄστυ τόδ᾽ οἰκήσω, θηρῶν δέ τις ἄλλος ἐπ᾽ ἄγρην   στελλέσθω· τὰ πάροιθ᾽ οὐκέτι Πανὶ φίλα. Nicht mehr gemeinsam mit Ziegen leben, nicht mehr die Gipfel der Berge be­ wohnen will ich, der bocksfüßige Pan. Was ist mir angenehm, was ersehnt in den Bergen? Tot ist Daphnis, Daphnis, der in meinem Herzen das Feuer entfachte. Diese Stadt will ich nun bewohnen, ein anderer möge sich auf die Jagd nach wilden Tieren begeben: das Frühere ist dem Pan nicht mehr lieb.

μοι αἰπολικὴ .[  ]. εὕαε σύριγξ· / σὺν δ᾽ αὐτοῖς καλά[μοισιν ἀπέσ]τυγον ἄγριον ἠχήν. Vgl. hier auch die Wiederholungen von οὐ bzw. οὐδέ am Versanfang bzw. nach der bukolischen Diärese (dazu s. u. S. 318 f.). 62 Weitere Beispiele für das Zusammenspiel von Natur und Kultur s. u.; vgl. auch IG V,1 455, 1–3: [σὴ]ν μ[ὲν] ἄναξ σκοπιὴν [ακίν]θιε δάσκιον ἄλσ[ος] / [καὶ] ροχοαὶ ποταμοῦ πάν[τῃ] ἐπηγλάισαν / [χα]λκοῦ τε στεροπὴ πολυδ[αίδα]λος. Der Glanz des Quellwassers und der Glanz der kunstfertigen Bronzestatue bewirken zusammen die Schönheit des ­Haines. 63 Vgl. Hunters Deutung des locus amoenus in Theokr. Id. 7 (1999, 193 »the overt artifice of the passage matches the artifice of the locus amoenus which Phrasidamos and his f­ amily have created«). Darin, dass Pan den Ort des Ampelios vorzieht, mag auch der Gegensatz von »real« und »fiktiv« reflektiert sein: Pan verlässt die »fiktive« Welt der Bukolik zugunsten dieses »greifbaren«, »real« erfahrbaren Ortes. 64 Robert 1948 V, 10.  Vorsichtig Rossi 2001, 59: »It would seem that the author of the epitaph had in mind the Meleagrian model.« Rossi vertritt eine ältere Interpretation der Inschrift, nach der die Panstatue in einem Temenos des Ampelios steht und dessen Tod be­ trauert. Gegen diese Deutung Robert und IG IV2 a. l.

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Auch dieses Epigramm muss man sich als (fiktive)  Inschrift unter der Statue eines Pan vorstellen, die in der Stadt (ἄστυ) aufgestellt ist.65 Der Gott erzählt hier ebenfalls von seinem früheren Leben, das er hinter sich gelassen hat. Während es allerdings in der Ampelios-Inschrift ein neuer πόθος ist, der Reiz des Städtischen, der ihn zum Umzug bewogen hat (ποθέων 4), ist es hier der Verlust eines πόθος, der ihm das (Weiter-)Leben in den Bergen unmöglich gemacht hat. Pan ist durch Daphnis’ Tod mutlos geworden, er fühlt sich in der Stadt offenbar nicht recht heimisch, doch eine Rückkehr aufs Land ist für ihn ausgeschlossen. Ganz anders der Pan der Inschrift, der auch im Hain des Ampelios weiterhin vergnügt umherspringt und von Ampelios’ Werken bezaubert keinen Gedanken mehr an seine frühere Liebe Echo verschwendet. Darüber hinaus scheint ein intertextueller Bezug des meleagrischen Epigramms zum 1. Idyll Theokrits zu bestehen, dem locus classicus für den Tod des Daphnis (115–7; 119–22): 115

119 120

ὦ λύκοι, ὦ θῶες, ὦ ἀν᾽ ὤρεα φωλάδες ἄρκτοι, χαίρεθ᾽· ὁ βουκόλος ὔμμιν ἐγὼ Δάφνις οὐκέτ᾽ ἀν᾽ ὕλαν, οὐκέτ᾽ ἀνὰ δρυμώϛ, οὐκ ἄλσεα … Δάφνιϛ ἐγὼν ὅδε τῆνοϛ ὁ τὰϛ βόαϛ ὧδε νομεύων, Δάφνιϛ ὁ τὼϛ ταύρωϛ καὶ πόρτιαϛ ὧδε ποτίσδων. ἄρχετε βουκολικᾶϛ, Μοῖσαι, πάλιν ἄρχετ᾽ ἀοιδᾶϛ. ὦ Πὰν Πάν, εἴτ᾽ ἐσσί κατ᾽ ὤρεα μακρὰ Λυκαίω κτλ. »Ihr Wölfe, ihr Schakale, ihr Höhlenbären in den Bergen, lebt wohl! Der Rinderhirt, ich, Daphnis, streife nicht mehr mit euch durch den Wald, nicht mehr durch Dickichte, nicht durch Haine … Ich hier bin Daphnis, der, der die Kühe weidet, Daphnis, der die Stiere und Kälber hier tränkt.« Beginnt, Musen, beginnt wieder mit dem bukolischen Gesang! »Pan, ach Pan, ob du in den hohen Bergen des Lykaion bist …« (Üb. Effe)

Hier verabschiedet sich Daphnis zunächst von den wilden Tieren, in deren Lebensraum er sich bisher aufgehalten hatte; anschließend (120 ff.) richtet er das Wort an den (abwesenden) Hirtengott Pan und bittet ihn schließlich, seine Hirtenflöte anzunehmen. Neben der Ähnlichkeit der jeweiligen Situation und der Verknüpfung durch die Hauptpersonen werden in beiden Gedichten Pans und Daphnis’ Namen je zweimal verwendet. Die unmittelbar aufeinander folgende Dopplung bei Theokrit Πὰν Πάν entspricht Melagers Gebrauch von Δάφνις (3 f.). Und während Daphnis bei Theokrit den eigenen Namen anaphorisch verwendet (119 f.), nennt Pan bei Meleager seinen Namen über das Gedicht verteilt zweimal (1, 5). Weiterhin fällt die »bukolische Anapher« (d. h. die anaphorische Verwendung eines Wortes am Anfang des Verses und nach der bukolischen Diärese) des οὐκέτι im ersten Vers des Epigramms auf, die ebenfalls bei Theokrit 65 S. Gow/Page a.l.

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(116 f.) begegnet; dort erstreckt sie sich allerdings über zwei Verse. Die so bewirkte Betonung der bukolischen Diärese als Verseinschnitt bei ­Meleager deutet bereits auf Theokrits erstes Idyll, denn kein anderes Gedicht weist diese Struktur in solcher Häufung auf.66 Dass die bukolische Diärese gerade des οὐκέτι in der nachtheokriteischen Bukolik öfter begegnet, so in [Mosch.] 3, 20 f. und Bion Epit. Adon. 88 f., spricht für ihre Wahrnehmung als bucolic marker.67 Die thematischen und strukturellen Verknüpfungen beider Passagen legen nahe, dass Meleagers Epigramm intertextuell auf Theokrit verweist. Dabei ist die Verwendung des οὐκέτι besonders instruktiv, denn hier handelt es sich wohl um ein ursprünglich epigrammatisches Motiv.68 Indem Meleager es in einem pastoralen Epigramm verwendet, verbindet er so beide Traditionen.69 Wie ist vor diesem Hintergrund die Häufung der Verneinungen in IG IV2,2 786 zu deuten? Auch hier begegnet οὐκέτι am Anfang des Gedichts, wird aber nicht im strengen Sinne anaphorisch verwendet; es begegnet eine Anapher der Verneinungen οὐκέτι, οὔτε und (mehrfach) οὐ (1–3), die allerdings nicht an der bukolischen Diärese stehen. Dennoch mag diese Häufung der Negationen in Verbindung mit den sachlichen Bezügen auf Meleager und Theokrit (Abschied aus der Hirtenwelt) den »bukolischen« Charakter der Inschrift unterstützen. Bemerkenswert ist zudem, dass auch in den biographischen Berichten von Kunstwerken, in denen diese ihr früheres Leben als »lebendige« Wesen mit ihrer jetzigen Existenz als Statue kontrastieren, regelmäßig οὐκέτι begegnet. So erzählt in einer Inschrift des 1. Jh. n. Chr. ein bronzener Delphin, der als Figur auf 66 Bing 1995, 129 f. 67 Vgl. auch ihre Verwendung in den Epigrammen: Kallim. Ep. 22 Pf. = HE 1211–4 auf einen von Nymphen entführten Hirten (intertextueller Bezug auf Theokr. Id. 1 u. a. wegen des οὐκέτι von Bing 1995 postuliert); Antipater v. Sidon AP 7, 8 = HE 228–35 auf den Tod des Orpheus; Orpheus erscheint hier als Hirte, der θηρῶν αὐτονόμους ἀγέλας be­zaubert (vgl. hiermit Bions Charakterisierung als Hirte und Orpheus in [Mosch.] 3, 18; 20–24). Thyillos AP 7, 223, 5 f. = FGE 368 f. verwendet das Motiv in einem Grabepigramm auf einen Gallus-Priester, während Marcus Argentarius AP 9, 87, 1 = GPh 1411 (hier bukolische Anapher von μηκέτι) keinen offensichtlichen Bezug zu Bukolik oder Grabepigrammen erkennen lässt. Später verwendet Nonnos das οὐκέτι-Motiv, metrisch Theokrit entsprechend, am Ende der Totenklage des Aktaion (Dion. 5, 364 f.): οὐκέτι μορφήν / οὐκέτι γιγνώσκουσιν ἐμὴν ἑτερόθροον ἠχώ; auf die Parallele zu Theokr. Id. 1 wurde bereits von Hopkinson (1994, 129) hingewiesen; noch nicht herausgestellt wurde, dass ἑτερόθροον ἠχώ als intertextual marker fungiert (zu dieser Funktion des Echobegriffs s. o. S. 110): die Hunde erkennen das »Echo« ihres Herrn nicht, der Leser soll aber das »bukolische« Echo erkennen. 68 S. Hunter 1999 a.l. unter Verweis auf CEG 680, 6; Anyte AP 7, 202, 1 = HE 704; Anyte AP 7, 215, 1 = HE 708; vgl. auch CEG 161 und 585 (οὐ γὰρ ἔτι). Das Motiv ist in Epigrammen auch später sehr beliebt; eine Liste findet sich bei Siedschlag 1977, 29 f. Es mag relevant sein, dass Vergil in der Rezeption von Theokr. Id. 1, 120 f. aus den Versen ein Epitaph macht (Ecl. 5, 43 f.). 69 Ähnlich ließe sich für Kallimachos’ und Antipaters »οὐκέτι-Epigramme« argumentieren (s. Anm. 67).

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einem Brunnenhaus vermutlich als Wasserspeier diente, wie er nun nicht mehr im Meer lebt, sondern den Nereiden die Nymphen und dem Salz- das Süßwasser vorgezogen hat: τόν με κυ]βιστητῆρα τὸν ἐξ ἁλὸς οὐκέτι Νηρεὺς / [ποιμαίνει].70 Peek erklärt zur Stelle, dass das οὐκέτι-Motiv den Grabepigrammen auf tote Delphine entnommen sei (Archias AP 7, 214 = GPh 3724–31 und Anyte AP 7, 215 = HE 708–13).71 Es lässt sich somit eine Entwicklung vom Kontrast »früher im Leben – jetzt im Tod« hin zu »früher im Leben – jetzt als Statue« rekonstruieren. Sowohl bei Meleager als auch in der Inschrift scheint das οὐκέτι-Motiv nicht nur als bukolischer Marker zu fungieren, sondern auch auf den Topos der »Biographie« der Statue zu verweisen.72 Während sich im hellenistischen Epigramm Bernand 34 ein Rekurs auf die bukolische Dichtung wohl nicht nachweisen lässt, zeigt IG IV2,2 768 eine Rezeption der Bukolik als Gattung sowohl in thematischer (Katalog bukolischer Motive) als auch in struktureller Hinsicht (»οὐκέτι-Motiv«), neben inter­textuellen Anspielungen auf Theokrits erstes Idyll und das meleagrische Epigramm. Auch das Motiv des »Endes der Bukolik«, das durch Pans Umsiedlung in die Stadt markiert wird, der sich nun nicht mehr am Klang der Syrinx erfreut, ist in der Bukolik selbst bereits vorgezeichnet (Calp. Sic. 7; [Mosch.] 3, 11 f.), ebenso wie die panegyrische Ausdeutung des Vorzugs der Stadt gegenüber dem Land (Calp. Sic. 7). Es ist wohl kaum ein Zufall, dass ein so anspruchsvolles Gedicht in einem Musenhain inskribiert wurde.

2.3. Gefährliche Quellen Eine Brechung der Idylle, wie wir sie bei Leonidas fanden, lässt sich auch in einigen weiteren literarisch überlieferten Epigrammen nachweisen. In einem anonym überlieferten paradoxographischen Werk κρῆναι καὶ λίμναι καὶ πηγαὶ καὶ ποταμοὶ ὅσοι θαυμάσιά τινα ἐν αὐτοῖς ἔχουσιν, das vermutlich aus dem 1.  Jh. n. Chr. stammt  – und wohl unabhängig davon bei Vitruv73  – sind drei Epigramme überliefert, welche jeweils die schädliche Wirkung des Wassers einer Quelle beschreiben (FGE Anon. 143a [1648–57],  b [1658 f.],  c [1660–5]). Quelle (a) verleidet dem, der daraus trinkt, auf immer den Weingenuss, Quelle (b) macht stumpfsinnig und Quelle (c) lässt dem, der daraus trinkt, die Zähne

70 IK Byzantion 10, s. oben S. 283. 71 Peek 1931, 129; Peek 1932, 59 f. 72 Der intertextuelle Bezug von IG IV2,2 786 auf Theokrit lässt sich dadurch stärken, dass die Erwähnung der mit Wachs verbundenen Syrinx (κηροχύτοισι … αὐλοῖς πηκτίδος) auf Id. 1, 128 f. verweisen kann (Daphnis an Pan: τάνδε φέρευ πακτοῖο μελίπνουν / ἐκ κηρῶ σύριγγα), also die Passage, die unmittelbar auf Meleagers Prätext folgt. 73 Zur Frage der Überlieferung s. FGE a.l.

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ausfallen. Da für zwei dieser Gedichte (a, b)  inschriftliche Provenienz vorgeschlagen wurde, soll untersucht werden, ob sich auch hier, wie für die den Grabbewuchs beschreibenden Epigramme, eine Rezeption der Opposition von locus amoenus und locus horribilis nachweisen lässt. Das Epigramm auf eine Quelle in Keos (b) besteht aus einem Distichon, das zunächst mit einer konventionellen Schilderung der Quelle beginnt, dann aber umschlägt: ἡδεῖα ψυχροῖο ποτοῦ λιβάς, ἣν ἀναβάλλει   πηγή, ἀλλὰ νόωι πέτρος ὁ τῆσδε πιών. Süß ist der Schluck des kalten Trankes, den die Quelle hervorsprudeln lässt, doch wie ein Stein in seinem Verstand wird der sein, der davon trinkt.

Der Hexameter des Epigramms preist den angenehmen Geschmack und die Kühle des Quellwassers, wie sie aus den literarischen Quellepigrammen bekannt sind.74 Der Pentameter dagegen rät dringend davon ab, dieses Wasser zu trinken. Zwar findet sich hier außer der Beschreibung der Quelle sonst kein Hinweis auf einen locus amoenus, aber der Hinweis auf die Süße und Kühle des Wassers lässt den Leser wohl dennoch an solche Quellepigramme wie Anyte AP 16, 228 denken; und indem dieser Hintergrund idyllischer Quellbeschreibungen evoziert wird, erscheint die Brechung der Idylle im Pentameter umso überraschender. Page hält dieses Epigramm wohl aufgrund stilistischer Kriterien (Hiat im Pentameter an ungewöhnlicher Stelle, außerdem die »odd and uncouth phrase« νόωι πέτρος)75 für »certainly inscriptional« und datiert es in die erste Hälfte des 3. Jh. v. Chr., weil der Peripatetiker Ariston, der im anonymen Traktat als Gewährsmann für dieses Paradoxon angeführt wird, zu dieser Zeit lebte. Da Ariston aus Keos stammt, könnte er die Inschrift dort selbst gesehen haben. Gleichwohl ist es problematisch, die Frage »inschriftlich oder literarisch?« mit der literarischen Qualität eines Gedichts zu begründen. Soweit ich sehe, fehlen inschriftliche Parallelen für solche »Warnungen« vor dem Genuss des Quellwassers, und man mag sich fragen, in welchem Kontext ein solches Gedicht als Inschrift überhaupt gestanden haben könnte. Auch die Art und Weise, wie der Umschwung von einer lieblichen Quellbeschreibung zur negativen Wirkung der Quelle gestaltet ist, scheint auf ein Spiel mit der traditionellen Form des Quellepigramms hinzudeuten, das sie geradezu destruiert, womit man eher

74 Die Süße des Trunks (ἡδὺ ποτόν) wird auch in einer Inschrift thematisiert (IG XII,9 13, s. u. S. 326). 75 Die Versteinerung des νόος lässt sich dabei als Rückbezug auf die Inschrift deuten: Der Sinn wird so steinern wie der inskribierte Stein.

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in einem literarischen Epigramm rechnen möchte. Eine Parallele bietet das ebenfalls literarisch überlieferte Epigramm auf eine Quelle bei Dion (Anon. FGE 1860 f.): Νᾶμα τὸ Διηνὸν γλυκερὸν ποτόν· ἢν δὲ πίνῃϛ νιν,   παύσῃ μὲν δίψης, εὐθὺ δὲ καὶ βιοτοῦ. Das Wasser von Dion ist ein süßer Trunk: Wenn du ihn trinkst, löschst du nicht nur deinen Durst, sondern sogleich auch dein Leben aus.

Die Gedankenführung ist hier sehr ähnlich, der Umschlag (durch die Spondeen im ersten Teil  des Pentameters retardiert) ereignet sich erst im letzten Wort. Sollte das eine echte »Warninschrift« an einer Quelle sein, kann man nur hoffen, dass der Passant auch bis zum Ende liest. Näher liegt es, im Wortspiel mit παύειν und im Umschlag der Idylle eine literarische ἐπίδειξις zu sehen, was auch erklärt, warum der Ort genannt ist, was in einem inschriftlichen Epigramm eine Überinformation wäre.76 Auch Page hält dieses Epigramm für literarisch. Es scheint daher plausibler, dass beide Gedichte als Parodien inschriftlicher Epigramme wie IMagnesia 252 (s. o. Anm. 3) und IG XII,9 13 (s. u. S. 326) einerseits und idyllischer Quellepigramme wie Anyte AP 16, 228 andererseits literarische Produkte sind. Den sachlichen Hintergrund solcher Beschreibungen bilden doxographische Werke über geographische Wunder; ein solches soll auch Kallimachos verfasst haben. Als Hintergrund für FGE 1860 f. könnte eine Quellmirabilie wie die folgende gedient haben (Kallim. Fr. 407, 13 Pf.): Θεόπομπον δέ φησιν γράφειν τῆς μὲν ἐν Κίγχρωψιν τοῖς Θρᾳξὶν τὸν ἀπογευσάμενον τελευτᾶν εὐθύς. Theopompos, sagt er [i. e. Kallimachos], schreibe, dass derjenige, der vom [Brunnen, M. Asper] im thrakischen Kinchrops etwas trinke, sogleich sterbe. (Üb. A ­ sper)

Insofern Quellepigramme dieser Art (von der sich in der Anthologie noch weitere finden77) nicht nur parodistischen Charakter haben, sondern auch solche gelehrten »Fakten« in ein poetisches Gewand kleiden, illustrieren sie einen auch sonst belegten Zug hellenistischer Dichtung: von Kallimachos’ Schüler Philo­stephanos von Kyrene jedenfalls ist ein Epigramm auf eine Wassermirabilie überliefert (SH 691), das aus einem Werk περὶ λίμνων παραδόξων stammen 76 Zur »Überinformation« als Kriterium der Literarizität s. Preger S. XII (zu diesem Gedicht); Weber 1917, 547; Köhnken 1993, 119–21; Bettenworth 2007; Kritik bei Bing 1998b, 29 mit Anm. 32. 77 Anon. AP 9, 392 (Das Wasser aus Hierapolis ist so kalt, dass es sich für Selbstmörder eignet); wohl von einer Quellmirabilie inspiriert ist Dioskorides AP 7, 31, 5 = HE 1579 (Quellen auf Anakreons Grab sollen unvermischten Wein hervorsprudeln lassen).

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könnte. Weitere Epigramme der Anthologia Palatina beruhen offenbar auf paradoxographischen Notizen,78 ebenso wie einige der Lithika des Poseidipp.79 Wie verhält sich nun FGE Anon. 143a zu dieser Tradition?

5

10

Ἀγρότα, σὺν ποίμναις τὸ μεσημβρινὸν ἤν σε βαρύνηι   δίψος ἀν᾽ ἐσχατιὰς Κλείτορος ἐρχόμενον, τῆς μὲν ἀπὸ κρήνης ἄρυσαι πόμα καὶ παρὰ Νύμφαις   ὑδριάσι στῆσον πᾶν τὸ σὸν αἰπόλιον· ἀλλὰ σὺ μὴ ποτὶ λουτρὰ βάληιϛ χροΐ, μή σε καὶ αὔρη   πημήνηι τερπνῆϛ ἐκτὸϛ ἰόντα μέθηϛ· φεῦγε δ᾽ ἐμὴν πηγὴν μισάμπελον, ἔνθα Μελάμπουϛ   λυσάμενοϛ λύσσηϛ Προιτίδαϛ ἀργαλέηϛ πάντα καθαρμὸν ἔκρυψεν ἀπόκρυφον· αἱ γὰρ ἀπ᾽ Ἄργουϛ   οὔρεα τρηχείηϛ ἤλυθον Ἀρκαδίηϛ. Landbewohner, wenn dich mit deinem Vieh der Mittagsdurst beschwert, dann schöpfe, wenn du zur Stadtgrenze von Kleitor kommst, Trank aus dieser Quelle und lass deine ganze Ziegenherde bei den Wassernymphen rasten. Aber schöpfe kein Wasser zum Waschen deiner Haut, damit dir der Duft des angenehmen Weines kein Leid zufüge, wenn du von hier fortgehst. Fliehe vor meiner die Rebe hassenden Quelle, wo Melampus die Töchter des Proitos von ihrer schweren Raserei erlöste und worin er alle zur Reinigung verwendeten Mittel unsichtbar verbarg. Sie aber kamen von Argos zu den Bergen des steinigen Arkadien.

Der Sprecher des Epigramms, vermutlich eine der Quellnymphen,80 wendet sich an einen Hirten und lädt ihn ein, seinen eigenen Durst und den seiner Herde zu stillen. Das Waschen im Quellwasser allerdings werde ihm den Weingenuss verleiden. Die Ursache hierfür liegt im Mythos: der Seher Melampus hatte einst die Töchter des Proitos aus Argos von einer Raserei durch die Anwendung von reinigenden Mitteln befreit, die er danach in der Quelle versenkte. Die ProitosTöchter hatten sich den Riten des Dionysos verweigert, und diese Ablehnung des Weingottes wurde offenbar von den καθάρματα aufgenommen, die sie ihrerseits an das Quellwasser weitergaben. Page hält dieses Epigramm für »presumably inscriptional«; dagegen lassen sich verschiedene Elemente erkennen, die eher für eine Entstehung des Textes als Buchepigramm sprechen. So wird im ersten Teil des Epigramms eine pastorale Szenerie entworfen (1–4); Adressat des Epigramms ist ein Hirte, der die Quelle zur Mittagszeit aufsucht, um seine Herde zu tränken und sich zu er­ frischen. Auch das Geschehen in Theokrits erstem Idyll findet an einer Quelle zur Mittagszeit statt. Nun dürfte die mittägliche Tränkung zum Hirtenalltag 78 Antiphilos v. Byzanz AP 9, 73 = GPh 809–14; Anon. AP 9, 125; 128; Nestor v. Laranda AP 9, 129; Krinagoras AP 9, 430 = GPh 1987–94; s. Rossi 2002, 164 f. 79 S. hierzu Krevans 2005, 88–92. 80 So Page mit Verweis auf ἐμὴν in Vers 7.

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gehört haben; dass aber das Gedicht mit einer aus der Bukolik geläufigen Szenerie eröffnet, spricht, ebenso wie die Verengung des Adressatenkreises auf Hirten,81 eher gegen eine Inskribierung des Epigramms. Dazu kommt das Fehlen sonstiger inschriftlich üblicher Verweise (wie etwa die Nennung eines Stifters etc.); dagegen ist der Ort der Quelle benannt. Auch der Umschlag der Beschreibung des Ortes von einem locus amoenus in einen locus horribilis, prägnant in den kontrastierenden Imperativen στῆσον (4) und φεῦγε (7) ausgedrückt, rückt das Gedicht in die Nähe der besprochenen Epigramme auf Quellmirabilien, deren literarischer Charakter bereits herausgestellt wurde. Es zeigt sich also, dass zwar die Beschreibung gefährlicher Quellen auch auf die loca amoena (bzw. den Kontrast von loca amoena und loca horribilia) der literarischen Epigramme rekurriert; es ist aber unwahrscheinlich, dass es sich bei diesen Gedichten um Steinepigramme handelt. Schließlich lässt sich die hier thematisierte Opposition von Wein und Wasser in Quellmirabilien bisweilen belegen (AP 7, 31, s. o. Anm. 77); dennoch ist zu fragen, ob die Verbindung des Trinkens des Quellwassers und der Furcht vor dem Weingenuss in FGE Anon. 143a nicht auch poetologische Implikationen haben kann vor dem Hintergrund der späthellenistischen Antinomie von Weinund Wassertrinkern als Vertretern zweier Stile, die mit am deutlichsten von Antipater v. Thessalonike ausgesprochen wird (AP 11, 20 = GPh 185–90):82 Φεύγεθ᾽, ὅσοι λόκκας ἢ λοφνίδας ἢ καμασῆνας   ᾄδετε, ποιητῶν φῦλον ἀκανθολόγων, οἵ τ᾽ ἐπέων κόσμον λελυγισμένον ἀσκήσαντεϛ   κρήνηϛ ἐξ ἱερῆϛ πίνετε λιτὸν ὕδωρ. σήμερον Ἀρχιλόχοιο καὶ ἄρσενοϛ ἦμαρ Ὁμήρου   σπένδομεν· ὁ κρητὴρ οὐ δέχεθ᾽ ὑδροπόταϛ. Flieht, die ihr von »λόκκαι«, »λοφνίδες« oder »καμασῆνες« singt, Verein dornensammelnder Dichter, die ihr euch im verdrehten Schmuck der Worte übt und aus der heiligen Quelle schlichtes Wasser trinkt. Heute bringen wir ein Trankopfer dar auf den Geburtstag des Archilochos und des mannhaften Homer. Unser Mischkrug akzeptiert keine Wassertrinker.

Knox, der nachzuweisen sucht, dass der poetologische Gegensatz von Wein und Wasser noch nicht bei Kallimachos selbst zu finden ist,83 hält diesen Gegensatz für eine Erfindung Antipaters,84 was hier – wenn man Pages Datierung von FGE Anon. 143a ins 3./2. Jh. v. Chr. akzeptiert – gegen eine Anspielung spräche. Es 81 In GVI 1312 werden zunächst auch die Hirten angesprochen, dann aber erweist sich der Μουσείοις καμάτοις τεθραμμέν᾽ ὁδίτης als eigentlicher Adressat (s. oben S. 313). 82 Zum Motiv in der Epigrammatik s. Asper 1997, 131 Anm. 110. 83 Gegen die These, der Gegensatz sei bereits kallimacheisch, vgl. auch Asper 1997, ­128–34. 84 Knox 1985, 112.

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wäre immerhin möglich, Kallimachos’ Dichtung als terminus post quem zu akzeptieren, und in diesem Gedicht bereits einen früheren Beleg des Topos zu erkennen. Allerdings ist hier die Wein-Wasser-Antithese dadurch verkompliziert, dass ein Gegensatz zwischen bloßem Trinken und Waschen eingeführt wird, der sich nicht leicht erklären läßt. Zwar figuriert auch das Waschen oder Baden als Symbol für poetische Inspiration;85 aber worin sollte  – auf poetologischer Ebene – der Unterschied zwischen (erlaubtem) Trinken und (verbotenem) Waschen bestehen?86 Die Komplexität dieses Bildes vertrüge sich auch schlecht mit der Frühdatierung, da man eher von einer Entwicklung vom Einfachen (repräsentiert durch Antipater) zum Komplexeren ausgehen möchte. Eine poetolo­ gische Deutung dieses Gedichts bleibt demnach fraglich.

2.4. Poetologische Quellen Das Bild der Quelle als Symbol für dichterische Inspiration ist bereits in der archaischen Dichtung bekannt,87 wird aber im Hellenismus zu einem Standardmotiv.88 So lässt Kallimachos im Somnium den Hesiod, zu dessen Dichterweihe er seine eigene Initiation in Beziehung setzt, vermutlich aus der Hippokrene selbst oder aus dem Fluss Aganippe trinken.89 Möglicherweise umfasst seine

85 Möglicherweise poetologisch zu deuten ist Antigonos v. Karystos AP 9, 406, 3 f. = GPh 69 f. κεῖμαι δ᾽ ἐν Νύμφαις, κείναις φίλος, οὐδὲ Λυαίῳ / ἐχθρός, ὑπ᾽ ἀμφοτέρων λουόμενος σταγόσιν (s. Knox 1985, 109); Prop. 2, 10, 5 f. nondum etiam Ascraeos norunt mea carmina fontes / sed modo Permessi flumine lavit Amor; Pers. Prolog 1 nec fonte labra prolui caballino (dazu Wimmel 1960, 232: »fonte labra prolui ist als Verbindung der Motive vom Quelltrunk und sakraler Besprengung geschickt (vielleicht kallimacheisch)«). In der kaiserzeitlichen Visio Maximi (Bernand 168; vgl. Brandis 2002 und Knuf 2010), die das kallimacheische Somnium imitiert, schläft der Sprecher/Dichter auf dem Helikon ein, wird im Traum in seine Heimat entrückt und dort im Nil gebadet (13–16): ῥείθροις ἐδόκουν γὰρ ποταμοῦ σῶμα ἀπολύειν / ἱκανοῖς ἀπὸ Νίλου γλυκεροῦ ὕδασι προσ[η]νῶς· / ᾠόμην δὲ σεμνὴν Μουσῶν Καλλιέπειαν / νυ[μ]φαῖς ἅμα πάσαις μέσ(σ)ην κῶμον ἀείδειν. Vielleicht wird hier darauf Bezug genommen, dass bei Hesiod die Musen in der Hippokrene baden (Theog. 5 f.). 86 Bemerkenswerterweise ist im Lemma des Epigramms vom Trinken, nicht vom Waschen die Rede (τοὺς πίνοντας μισεῖν οἶνον). Hierin stimmt es mit der Mehrzahl der Autoren, welche die Quelle behandeln, überein (Phylarchus ap. Ath. 2, 43f; Steph. Byz. s.v. Ἀζανία; Ov. Met. 15, 322 ff.; Vitr. 8, 3, 21; Plin. NH 31, 16); nur ein weiteres Zeugnis (Ruf. ap. Oreib. Coll. Med. 5, 3, 35) nennt das Waschen als Auslöser. Beim Gegensatz Waschen/Trinken könnte es sich um eine in Quellmirabilien verbreitete Antithese handeln, was deren Eindringen in die Beschreibung der Quelle von Kleitor erklären könnte: Er findet sich in FEG Anon. 143 (c) wieder; dort ist das Waschen unschädlich, aber das Trinken verursacht Zahnausfall; vgl. auch Kallim. Fr. 407, 28 Pf. 87 Nünlist 1998, 195–9. 88 Knox 1985, 109–19; Argentieri 2003, 94–8. 89 Fantuzzi/Hunter 2004, 6 f.

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eigene Berufung zum Dichter den Trunk aus der Musenquelle.90 Dass die Quelle im kallimacheischen Apollonhymnos (110–2) poetologisch zu deuten ist, darf als communis opinio der Forschung gelten (auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, was im Einzelnen durch Meer, Assyrischen Fluss und Quelle bezeichnet werden soll).91 Nun ist die Quelle als poetologische Metapher überhaupt verbreitet, doch könnte gerade ein Quellepigramm seinem Verfasser den Anlass bieten, darüber zu reflektieren.92 Für das Leonidas-Epigramm AP 16, 230 wurde eine 90 Da vom Somnium (Fr. 2 Pf.) nur Fragmente erhalten sind, hat man versucht, den Inhalt vor allem aus seiner möglichen Rezeption in der römischen Dichtung zu rekonstruieren (Reitzenstein 1893, 52–9; Kambylis 1965, 98–102; Crowther 1979; Knox 1985, 117–9; Brandis 2002 anhand von Bernand 168). Gegen dieses Verfahren wendet sich Cameron 1995, 362–7. 91 Asper 1997, 109–125. 92 Es scheint an dieser Stelle nützlich, die verschiedenen, seit dem Hellenismus gebräuchlichen poetologischen Wassermetaphern zu klassifizieren. Diese sind (folgende Liste gibt nur eine Auswahl relevanter Passagen; eine nützliche Zusammenstellung vor allem spätantiker Stellen findet sich in Vatsend 2000, 142 f.): (1) Der Trunk aus einer Quelle bzw. der Musenquelle als Mittel dichterischer Inspiration (s. Nisbet/Hubbard ad Hor. Carm. 1, 2, 26); wohl erst in späthellenistischer und römischer Zeit wurden diese Quellen »vermehrt« und verschiedene Dichtungsarten durch den Trunk aus verschiedenen Quellen miteinander kontrastiert: [Mosch.] 3, 76 f. (Homer trinkt aus der Hippukrene, Bion aus der Arethusa); Prop. 3, 1, 6 quamve bibistis aquam; Prop. 2, 10, 25 f. (2) Anknüpfend an die archaische Me­tapher vom Fließen der Rede (Nünlist 1998, 178–80) und Ausgießen der Dichtung (Nünlist 1998, 180–89), die Beschreibung des Werks eines anderen Dichters (oder Autors) als Quelle für die eigene Dichtung (oder für das eigene Werk). Homer als Quelle: Herakleit. All. 18; [Long.] Sublim. 13, 3 (Homer als Quelle für Platon); Ov. Am. 3, 9, 25 f.; andere Dichter: Prop. 3, 3, 52 Philitea .. aqua; Hor. Epist. 1, 3, 10 Pindarici fontis (wobei in den letzten beiden Beispielen auch (1) im Sinne von »Quelle, aus der Philitas/Pindar tranken« gemeint sein kann); nicht dichtungsspezifisch: Vitr. 7, prooem. 10; Lib. Epist. 1307 Foerster, 6 πέπωκε [Paianios] γὰρ ἐξ ἀμφοῖν [Akakios und Libanios], ὥσπερ τις ταὐτὸν ὕδωρ ἐκ κρηνῶν δύο; insofern aus der Quelle Stoff für das eigene Werk geschöpft wird, klingt wohl auch die Vorstellung der Quelle des Wissens bzw. der Weisheit an: Plat. Symp. 175d-e; Plut. Mor. 516c; AP 9, 660 (zitiert u. in Anm.  147); Theodoret. Interpr. in Psalm. PG 80, 1188, 51 σοφίας δὲ προχέεις διὰ τῆς γλώσσης πηγάς. (3) Die Metapher des Werks als Quelle wird bisweilen durch eine genauere Quanti- und Qualifizierung des Wassers erweitert: bei Kallimachos (Hymn. Ap. 105–12) als Meer, (schlammiger) Strom, kleiner (reiner, heiliger) Quellfluss; Horaz (Carm. 4, 2) beschreibt Pindars Gedichte als Sturzbach (für die Zuordnung der jeweiligen Wassereigenschaften zu bestimmten Dichtungseigenschaften vgl. [für Kallimachos] Asper 1997, 109–27; [für Horaz] Hunter 2003, 219–25; Hunter 2009, 125–7). (4) unter Verbindung von (2) und (3) erscheint Homer nicht nur als Quell, sondern als Fluss oder Ozean, aus dem sich alle Dichtung ableitet. Fluss: Manil. 2, 8–10; Anon. AP 9, 184, 3–4; Ozean: s. hierzu unten S. 351 f. (5) Ebenfalls auf Homer beschränkt und offenbar aus der Doppelbedeutung von στόμα (sowohl »Mund« als auch »Ausguss [einer Quelle, eines Gefäßes etc.]«, s. u. Anm.  195) entwickelt (auch das Bild von den »Brocken vom Mahl Homers« (Ath. 347e) mag eine Rolle spielen, s. Asper 1997, 124 f.) ist das Bild, dass andere Dichter das von Homer Ausgespiene aufsammeln (Ael. Var. Hist. 13, 22; Page, GLP S. 414 πόντοϛ τιϛ ὅπωϛ ἔπτυσαϛ ἄλλοιϛ … φωσίν; Brink 1972, 555 f.). (6) der in Anlehnung an (1) entstandene, polemische, antikalli­macheische Gegensatz von Wein- und Wassertrinkern, der an Dichtung im Stil des Kallimachos ihre Nüchternheit und trockene Gelehrsamkeit hervorhebt. Die Metapher selbst ist wohl nachkal­

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solche Deutung ja bereits vorgeschlagen. Das Bild der Quelle taucht auch bei Kallimachos in einem Epigramm auf, vermutlich in poetologischer Funktion (28, 3 f. Pf.) οὐδ᾽ ἀπὸ κρήνης / πίνω· σικχαίνω πάντα τὰ δημόσια.93 Hier wird das Quellwasser deutlich abgelehnt, was (bei einer poetologischen Deutung) auf den ersten Blick schlecht zum Lob desselben im Apollonhymnos passen will. Doch dem Brunnen, der hier zu den δημόσια gezählt wird, mangelt es eben an der Exklusivität und Selektivität der πίδακος ἐξ ἱερῆς ὀλίγη λιβάς, ἄκρον ἄωτον des Apollonhymnos (112). Darüber hinaus gewinnt die Ablehnung des Wassers aus dem öffentlichen Brunnen im kallimacheischen Epigramm noch mehr Kontur, wenn man als Folie inschriftliche Quellepigramme heranzieht, die gerade solche öffentlichen Brunnen betreffen; uns ist eines aus dem 3. Jh. v. Chr. erhalten (IG XII,9 13, Euböa, Karystos):

5

[    ]οι Νύμφαι τόδ᾽ ἀπ᾽ οὔ[ρ]εος ἤγαγ[ον] ὕδωρ   [ε]ὐκλείτει τέκνων μητρὶ χαριζόμεναι οὕνεκεν Εὐσεβειῶν τέμενος τόδ᾽ ἐπώνυμον αὔξει   ἄφθονον ἱμερτὴν τευξαμένη λιβάδα καὶ τάδε πάντα ἀνέθηκε· λέγει δ᾽ ἐν πᾶσι πολίταις·   Εὐσεβειῶν κρήνης λαμβάνετ᾽ ἡδὺ ποτόν. 1 Ἀνταίπου? Peek Die Nymphen führten dieses Wasser vom Berg [Antaipos?] herab, als Gefälligkeit für die wegen ihrer Kinder berühmte Mutter, weil sie diesen nach den Eusebeioi benannten Bezirk verschönert, indem sie reichliches, liebliches Fließen gewährt und dies alles geweiht hat. Unter allen Bürgern verkündet sie: »Schöpft den süßen Trank aus dem Brunnen der Eusebeioi!«

Es handelt sich um eine Weihinschrift anlässlich der Verschönerungen, welche die Mutter im Grabbezirk ihrer Söhne hat vornehmen lassen, die wegen ihres frommen Verhaltens der Mutter gegenüber Eusebeioi genannt werden.94 Unter den Verschönerungen wird besonders der Brunnen hervorgehoben, der wohl von einer Quelle aus dem Gebirge gespeist wird. Die Bewohner der Stadt werden eingeladen, sich an deren Wasser zu laben. Der Brunnen steht allen Bürgern gleichermaßen zur Verfügung (πᾶσι πολίταις) und spendet reichlich Wasser (ἄφθονον λιβάδα). Das Motiv der Fülle findet sich dabei auch in einigen der genannten vorhellenistischen Inschriften (CEG 822; 865; evtl. IMagnesia 252) und in Kaibel 1070 (Pantikapaion, 1. Jh. n. limacheisch und hat nicht dazu geführt, dass die Wahl der Inspirationsflüssigkeit (Wasser bzw. Wein) nachfolgend mit einem besonderen poetischen Programm verbunden ge­wesen wäre (Asper 1997, 131 Anm. 110). 93 Die poetologische Deutung dieses Bildes ist umstritten. Asper 1997, 57 konzediert eine poetologische oder eine erotische Deutung. 94 IG XII,9 Add. Ult. S. VII.

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Chr? = CIRB 958) (κρήνης πολλὴν λιβάδα); es handelt sich offenbar um einen Topos inschriftlicher Quellepigramme. Vor diesem Hintergrund konstituiert Kallimachos in der Ablehnung der δημόσια und der Bevorzugung des winzigen Schlucks, der ὀλίγη λιβάς, sein Ideal der Quelle nicht nur in der Ablehnung des großen Stroms, sondern auch in der Ablehnung des öffentlichen Brunnens, wie er in Ep. 28 Pf. in Anlehnung an inschriftliche Vorbilder beschrieben wird. Die Charakterisierung der bevorzugten Quelle des Kallimachos lässt sich so auch als eine Inversion inschriftlicher Quellbeschreibungen betrachten.95 Das Bild der Quelle als Symbol für ein bestimmtes poetisches Programm bzw. als Metapher für die Dichtkunst selbst lässt sich möglicherweise in einigen späten inschriftlichen Quellepigrammen nachweisen, was als Reaktion auf die Popularisierung der Quelle als poetologische Metapher gedeutet werden kann (IG XII,2 129[1] mit IG XII, Suppl. S. 18, Mytilene, 2. Jh. n. Chr. = Kaibel 828 = CIG 2169):

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Σοὶ Πλα[τ]ανη[ὶς] ἀνῆκε κόρη Διὸς ὑδατόεσσα   πηγὴ Νυμφάων, Ὄρφιτε, νᾶμα φίλον· ἔνθα πάλαι βασιλῆες ἀπὸ πτολέμοιο καμόντες   ἔγχεα καὶ κόρυας κάθθεσαν ἱππολόφους. ἐξ οὗ δὴ Δορύκναμα τεὸς λάχεν οὔνομα χῶρος,   χῶρος ἐλαιηρῇ τερπόμενος λιβάδι. πάντα δέ σοι νῦν ταῦτα διεργατίναις παλάμαισιν   τρισσὸν ὑπὸλ λυκάβαν Γραμματικὸς τελέω. Für dich, Orphitos, hat Plataneis, die Tochter des Zeus, die wasserreiche Quelle, das liebliche Wasser der Nymphen hervorschießen lassen, wo einst Könige, vom Krieg erschöpft, ihre Speere und rosshaargeschweiften Helme absetzten. Daher hat nämlich dein Landgut den Namen Doryknama erhalten, ein Landgut, das sich über den Guss des Öls freut. Dies alles habe nun ich, Grammatikos, dir mit arbeitsamen Händen kurz vor dem dritten Jahr vollendet.

Das Epigramm ist in einer Abschrift erhalten, das Original ist verloren; die Buchstabenform deutet auf das 2. Jh. n. Chr.96 Obwohl der Fundkontext unbekannt ist, scheint es nahezuliegen, dass der Stifter Grammatikos als vilicus des Gutsbesitzers Orphitos tätig war97 und hier die auf dem Gut befindliche Quelle, vielleicht auch den umliegenden Platz, hat umbauen oder ausbauen lassen. Von den vier Distichen beschreibt das erste die Quelle, die beiden folgenden beziehen sich auf den sie umgebenden Platz: In den Versen 3–5 wird erklärt, wie der Ort zu seinem Namen gekommen ist, und in Vers 6 wird er kurz beschrie 95 Ovids pocula plena wiederum (Am. 1, 15, 35) sind vielleicht als Überbietung des Kallimachos aufzufassen (s. McKeown a.l.). 96 S. hierzu und zur Textkonstitution Hiller von Gaertringen 1934–36, 113 f. 97 So Hiller von Gaertringen, IG; Boeckh architectus vel hortulanus.

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ben: Der Hinweis auf den »öligen Fluss« soll vermutlich besagen, dass hier das Öl naher Olivenbäume ausgepresst wird.98 Diese Beschreibung handwerklicher Arbeit und die implizite Charakterisierung der Natur als Kulturlandschaft bilden einen Kontrast zum ersten Distichon, in dem die Spontaneität der Natur hervorgehoben wird, da die Quelle von sich aus, ohne menschliches Zutun, hervorsprudelt. Die Epanalepse von χῶρος in Vers 6 rundet diesen Mittelteil ab. Im letzten Distichon wird das von Grammatikos geschaffene Bauwerk beschrieben; das Thema menschlicher Arbeit, das in Vers 6 bereits aufgegriffen wurde, wird hier in den Mittelpunkt gestellt, so dass man Vers 6 als thematische Überleitung betrachten darf. Gleichzeitig besteht durch die Wiederaufnahme des σοί eine Verbindung mit dem ersten Distichon. Hier wird der Gegensatz von Natur und Arbeit, der spontan hervorsprudelnden Quelle und Grammatikos’ langwieriger Tätigkeit, nochmals deutlich hervorgehoben: Der Ort besitzt einen natürlichen Reiz, aber erst menschliche Anstrengung bringt ihn zur vollen Entfaltung seiner Schönheit. Das Epigramm weist einige Züge auf, die es in die Tradition hellenistischer Literatur im Allgemeinen und hellenistischer Quellepigramme im Speziellen stellen. So macht der Verfasser im Schlussdistichon darauf aufmerksam, dass er sein Werk mit arbeitsamen Händen erst im dritten Jahr vollendet hat. Zunächst ist hiermit die Anlage der Quelle gemeint, aber πάντα ταῦτα ist so allgemein formuliert, dass man auch das Verfassen des Epigramms darunter zählen kann.99 So verstanden, deuten der Hinweis auf die Arbeit100 und deren Dauer darauf hin, dass das Epigramm, dem hellenistischen Dichtungsideal entsprechend, sorgfältig komponiert wurde.101 Dass die Verse so zu verstehen sind, legt auch der sprechende Name des Gutsverwalters Γραμματικός nahe, der pointiert ans Ende des Gedichts gestellt wurde. Zwar muss das bloße Tragen des Namens nicht darauf hindeuten, dass der Träger tatsächlich über philologische Bildung

98 Jacobs vermutete, hiermit sei das ruhig fließende, strahlende Wasser der Quelle gemeint (1802, 402). 99 So bereits Kaibel: »haec omnia (i. e. πλάκα et inscriptionem et relicum loci adparatum).« Kaibels πλάκα beruht auf einer abweichenden Konjektur in Vers 1. 100 Wenn man, statt διὰ mit dem Dativ anzunehmen (Boeckh, Kaibel, Hiller von Gaertringen), in διεργατίναις ein Kompositum erkennt (s. LSJ s.v.), dann würde durch das verstärkende Präfix die Dauer und Anstrengung der Arbeit noch stärker hervorgehoben. 101 Der Hinweis auf das Dichten als Arbeit (das »πόνος-Motiv«) findet sich z. B. bei Posei­ dipp AP 12, 98, 3 f. = HE 3076 f. ἐν βύβλοις πεπονημένη … ψυχή (weitere Stellen bei Hunter 1999 zu Theokr. Id. 7, 51; Asper 1997, 98 Anm. 326 mit Lit.): zur Verbindung von literarischer und körperlicher Arbeit s. Asklepiades AP 7, 11 = HE 942–5 mit Hunter 1996, 15. Die lange Zeit, die ein Dichter mit dem Verfassen seiner Gedichte verbringt, lässt sich am besten durch die neun Jahre illustrieren, die Cinna an seiner Zmyrna gearbeitet haben soll (Catull. 95; Quint. Inst. 10, 4, 4); vgl. allgemein hierzu Syndikus 2001 I, 74 Anm. 25; Kroll 1924 I, 38 f.

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verfügte, doch in diesem Fall – so scheint es – wollte der Gutsverwalter mit dem Epigramm seinem Namen Ehre erweisen.102 Die Quelle und der sie umgebende Platz wird darüber hinaus mit Worten beschrieben, die den Ort als locus amoenus charakterisieren, ein Zug, der gerade in hellenistischen Epigrammen auf Quellen hervorgehoben wird.103 Hier ist zunächst an die erquickende Wirkung des Wassers und der Natur zu denken, die in ihrer Wirkung auf den Menschen in νᾶμα φίλον (2) hervorgehoben wird. Auch vom Landgut wird gesagt, es freue sich über das Öl, das über es fließt, ἐλαιηρῇ τερπόμενος λιβάδι. Der Ort ist von derselben Freude erfüllt, die auch den Betrachter erfasst. Unberührte und kultivierte Natur tragen hier gleichermaßen zur Anziehung des Ortes bei. Gleichzeitig wird durch die Personifikation des Ortes der Topos der belebten Natur aufgegriffen, der auch in 1 f. durch die Nennung der Quellnymphe Plataneis und der Nymphen im Allgemeinen begegnet.104 Die Anwesenheit der Gottheiten verleiht dem Ort Heiligkeit.105 Schließlich lässt sich im Namen der Quellnymphe eine Anspielung auf den ­locus amoenus erkennen, da die Platane häufig in Zusammenhang mit ihm auftaucht.106 Ebenfalls in hellenistischer Tradition steht die etymologische Erklärung für Δορύκναμα, den Namen des Platzes, der die Quelle umgibt.107 Er wird vom Dichter offenbar von δόρυ »Speer« und κάμνω »ermüden« abgeleitet.108 Da die 102 Γραμματικός war die von den Alexandrinern gewählte Selbstbezeichnung, die später auch in Invektiven gegen sie verwendet wurde (s. DeForest 1994, 21 und 32 f.); vgl. Hiller von Gaertringen 1934–36, 119: »Der brave vilicus silvarum et agnelli, Grammaticus, mag mit seinem stolzen Namen wirklich eine ingeni benigna vena verbunden haben«. Γραμματικός als Name ist belegt z. B. in IG XII,9 1114; Ephesos 2630. 103 S. Galán Vioque 2003. Die folgende Aufzählung von Topoi des locus amoenus orientiert sich wieder an Schönbeck 1962, 15–60. 104 Der Gedanke, dass eine Quelle zu Ehren des Landbesitzers hervorsprudelt, begegnet auch FPL 80 Morel, 7 f. (auf die Heilquelle der puteolanischen Villa Ciceros): nimirum locus ipse sui Ciceronis honori / hoc dedit, … fontes cum patefecit etc. Die Nymphen tauchen in Vers­inschriften, in denen von Wasser die Rede ist, regelmäßig auf (s. Robert 1948 IV, 44–8). 105 Zu Belebung und Heiligkeit als Topoi des locus amoenus s. Schönbeck 1962, 33–8 und 20, 26 f. 106 Schönbeck 1962, 49–51. S. auch die Stellensammlungen bei Nowacki 1927, 81 f.; Sens 1997 ad Theokr. Id. 22, 76; spätere, dort nicht genannte Beispiele: AP 6, 35, 2; 6, 96, 5; 6, 106, 1; 6, 170, 2; 9, 669, 3. 107 Quellaitiologien begegnen häufiger, z. B. bei Kallimachos in den Aitien (Fr. 42 Pf.) und bei Apollonios Rhodios (1, 1065–9, 1148–9). In Theokrit Id. 7, 6 spielt der Name der Quelle Βούρινα etymologisch auf die  Ἵππου κρήνη an (s. Hunter 1996, 24). 108 Boeckh meinte (CIG a.l.), der Name sei von δόρυ und νᾶμα (vgl. Vers 2) abgeleitet, »neglecta littera κ«. Hiller von Gaertringen (1934–36, 115–6) sieht den Ort dagegen nach einem Heilkraut benannt (er vergleicht δορύκνιον Dioskor. 4, 74 Wellmann; diese Deutung in IG a.l. übernommen), und bezieht den zweiten Bestandteil auf κνῆ(σ)μα »Abgeschabtes«; in der Erzählung von den Königen sieht er eine Referenz auf die Heilung des Telephos durch Achill mit Spänen von dessen Lanze (die nach Euripides in Argos stattfand, aber Hiller von

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Konsonantenfolge zu dieser Deutung nicht recht passen will, wollte Hermann den Namen in Δορυκάμνα, Pohlenz in Δορύκμαμα ändern.109 Allerdings ist die Annahme von Konsonantenänderungen in etymologischen Erklärungen so verbreitet,110 dass Grammatikos damit rechnen konnte, dass seine Leser daran keinen besonderen Anstoß nehmen würden. Gleichwohl mag seine Deutung den zeitgenössischen Leser überraschen: David Konstan wies mich darauf hin, dass die vielleicht nächstliegende Bedeutung des Namens in δόρυ »Holz, Baum« und κνήμη »Bein« (im übertragenen Sinne von Pflanzen Theophr. Hist. Plant. 9, 13, 5) liegt, in etwa »Ort der Baumwurzel bzw. des Baumstammes«.111 Vor diesem Hintergrund mag den Leser die Deutung des Grammatikos als eine gelehrtaitiologische überraschen, die den Ort gleichsam nobilitiert. Diese Deutung ergänzt das Gedicht einerseits um einen weiteren Aspekt des locus-amoenus-Motivs, nämlich der Entspannung und der Erholung, die er gewährt.112 Andererseits könnte der Hinweis auf die Könige auf eine poetolo­gische Deutung verweisen: Bereits Hiller von Gaertringen meinte, dass »Könige in der Mehrzahl … hauptsächlich die Führer der Griechen gegen Troia« seien; hier läge also weniger ein Verweis auf ein konkretes Ereignis, als vielmehr ein Fingerzeig auf das Epos als Dichtung von Königen und Kriegen κατ᾽ ἐξοχήν vor, gerade weil die Passage auch sprachlich Bezug auf das homerische Epos nimmt: So taucht die Verbindung von ἔγχεα und κόρυθες auch in den Epen auf, um ἀσπίς/ ἀσπίδες erweitert;113 episierend wirkt zudem die Erweiterung von κόρυθας durch das epitheton ornans ἱππολόφους.114 Auch die Phrase ἐξ οὗ δή kann in diesem Zusammenhang durch den Anklang an das Ilias-Proömium (Il.  1, 6 ἐξ οὗ δὴ τὰ πρῶτα διαστήτην ἐρίσαντε) zur epischen Färbung der Passage beiGaertringen vermutet »daß ein lesbischer Autor, vom Historiker Hellanikos an, der noch die Arginusenschlacht 406 erlebte, die Geschichte nach Lesbos verlegt hat, falls wir nicht bis zu den Kyprien hinaufgehen dürfen«); diese Aitiologie, welche den Ausschlag für die Benennung des Platzes gegeben habe, sei Grammatikos nur noch bruchstückhaft bekannt gewesen, weshalb seine Erklärung so allgemein bleibe. 109 Hiller von Gaertringen 1934–36, 115. 110 Zahlreiche Belege dafür finden sich bereits in Platons Kratylos, vgl. Rijlaarsdam 1978, 147. Bei unserem Beispiel denkt man sogleich an eine Metathese der Konsonanten; aber obwohl das Konzept in der Antike bekannt war (z. B. καρδίη/κραδίη, vgl. LSJ s.v. μετάθεσις 4), wurde es offenbar nicht zur etymologischen Erklärung herangezogen (vgl. Rijlaarsdam 1978, 147, der eigens darauf hinweist, dass γράμμα μετατιθέναι bei Platon nicht »umstellen«, sondern »verändern« bedeute). 111 Dass sich Bäume in der Nähe des Ortes befanden, legen der Name der Quelle Plataneis und vielleicht die Beschreibung des Ortes als ἐλαιηρῇ τερπόμενος λιβάδι nahe, die auf Vorhandensein von Ölbäumen hindeuten könnte. 112 Dieses Motiv taucht gerade in bukolischen Epigrammen häufig auf (vgl. Bernsdorff 2001, 139–154). 113 Il. 7, 62; 21, 50; Od. 19, 32 f. 114 Dieses ist in den Epen nicht belegt, vgl. aber die synonymen Begriffe ἵππουρις, ἱππόκομος, ἱπποδάσεια.

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tragen. Dass hier darüber hinaus das Epos zum Gegenstand metapoetischer Betrachtung wird, dafür spricht, dass die βασιλῆες in diesem Zusammenhang bereits im Aitien-Prolog begegnen (Kallim. Fr. 1, 1–5 Pf.). Dort wird dem Dichter von den Telchinen vorgeworfen, er habe kein langes, zusammenhängendes Gedicht über Könige oder Heroen geschrieben (ἄεισμα διηνεκὲς ἢ βασιλ[ήων … ἢ προτέ]ρους ἥρωας, 3/5).115 Die Abgrenzung gegenüber der epischen (oder episierenden) Dichtung vollzieht sich im Epigramm des Grammatikos nun gerade nicht in einer unepischen Diktion, sondern auf folgende zwei Arten: Zum einen wird der Ort gerade dadurch als unepisch charakterisiert, dass die Helden hier nicht ihrer üblichen Beschäftigung, dem Kriegführen, nachgingen, sondern sich von der Mühsal des Krieges erholen. Das Ablegen der Waffen in Vers 4 (κάθθεσαν) lässt sich geradezu als eine Umkehrung der für das Epos typischen Rüstungsszenen lesen.116 Zweitens wird die Welt des Epos als eine längst vergangene charakterisiert (πάλαι), welcher die Gegenwart der Inschrift (πάντα δέ σοι νῦν ταῦτα) gegenübertritt. Zum Epos als einer kriegerischen Gattung steht das Epigramm als aktuelle Beschreibung des Quellplatzes somit in einer sachlichen und einer zeitlichen Distanz. Durch diese Abgrenzung könnte der Dichter auf seine eigene, »moderne« Art des Dichtens hinweisen. Die Tatsache, dass Grammatikos diese Auseinandersetzung mit dem literarischen Erbe gerade in einem Quell­epigramm thematisiert, legt nahe, dass er sich in der Tradition der kallimacheischen Apologetik sieht. Bei Kallimachos steht die Quelle, wie sie im Apollonhymnos charakterisiert wird (105–13), für die eigene Art zu dichten.117 115 Allerdings ist nicht sicher, ob damit das Epos gemeint ist (s. Fantuzzi/Hunter 2004, 69), doch scheint Kallimachos dort der kurzen Dichtung gegenüber der langen den Vorzug zu geben. 116 Vgl. das Absetzen des Helms in Il. 6, 469–75 (Hektor bei Andromache und Astyanax), besonders 473 καὶ τὴν μὲν κατέθηκεν. Vergleichen ließe sich auch Jasons Absetzen des Helms vor dem Einspannen der feuerspeienden Stiere des Aietes (Apoll. Rhod. 3, 1287 κυνέην δ᾽ ἀποκάτθετ᾽ ἐρείσας; für das Ablegen des Helms in dieser Szene als »unkriegerische Handlung« vgl. die Interpretation in Serafimidis 2012). Eine poetologische Deutung des Ablegens der Waffen scheint in Ov. Fast. 3, 1 f. vorzuliegen, wo der Dichter den Gott Mars bittet, unter Ablegen der Waffen in die elegische Dichtung einzutreten: Bellice, depositis clipeo paulisper et hasta / Mars ades et nitidas casside solve comas (vgl. Barchiesi 2002, 17). Alternativ ließe sich κατατίθημι als verbum dedicandi auffassen (s. Lazzarini 71–2): die Könige hätten ihre Waffen dann an Ort und Stelle geweiht. Auch diese Deutung birgt poetologisches Potential, insofern dadurch deutlich das Ende des Krieges (und damit das Ende des Epos) markiert wäre, und zwar durch einen Akt, der üblicherweise in einem Epigramm beschrieben wird, wodurch der Gegensatz von epigrammatischer und epischer Dichtung deutlich hervorträte. Von den zahlreichen Weihungen der Werkzeuge am Ende eines Arbeitslebens vgl. besonders Antiphilos AP 6, 95, 5 f. = GPh 875 f. [seine Werkzeuge] ὁ γατόμος ἄνθετο Δηοῖ / Πάρμις, ἀνιηρῶν παυσάμενος καμάτων; weitere Belege bei Bernsdorff 2000a, 147 mit Anm. 14. 117 Vgl. Williams 1978, 89: »The fine spray from the pure spring stands for Callimachus’ own poetry: on a small scale, but highly refined, written for the few who are able to appreciate the poet’s learning and subtlety.«

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An dieser Stelle ist es vielleicht interessant anzumerken, dass das ­Epitheton ἱππολόφους in den auf uns gekommenen literarischen Texten nur in Aristoph. Ran. 818 begegnet.118 Hier steht es in der Chorpassage, die dem Wettkampf zwischen Aischylos und Euripides vorausgeht; der Chor erwartet von beiden ἱππολόφων λόγων κορυθαίολα νείκη, »helmschwingende Streite rosshaargeschweifter Worte«. Wie Kenneth Dover im Kommentar bemerkt, wird der Agon der beiden Dichter hier mit den Worten eines »epic battle« beschrieben:119 gleichwohl erinnert die Phrase eher an den bombastischen Stil des Ais­ chylos, wie er im Folgenden von Aristophanes nachgezeichnet wird. Das Adjektiv begegnet mithin in einer auf die hellenistische Dichtung einflussreichen Passage,120 in der zwei unterschiedliche Dichtungsstile, ein »archaischer« und ein »moderner«, einander gegenübergesetzt werden, wodurch ein poetologisches Verständnis des Wortes im vorliegenden Epigramm erleichtert wird. Kehren wir nochmals zum Schlussdistichon des Epigramms zurück. Wie bereits festgestellt, bezeichnet der Sprecher mit πάντα δέ σοι νῦν ταῦτα vermutlich sowohl sein architektonisches als auch sein dichterisches Werk. Die Paralle­ lisierung des Instandsetzens einer Quelle und dem Dichten eines Epigramms hat besondere Relevanz, wenn man sie in Beziehung setzt zu der seit Langem üblichen Fließmetapher, nach der das Dichten mit dem Fließen (oder Ausgießen) von Wasser beschrieben wird.121 Indem Grammatikos beide Tätigkeiten des Bauens einer Quelle und des Dichtens in diesen Versen zusammenfasst, weist er den Leser auf diese Analogie hin. Während im ersten Distichon die Quellnymphe Plataneis die Quelle für Orphitos spontan zum Hervorsprudeln bringt,122 verleiht Grammatikos ihr durch sein Handwerk Gestalt, im wörtlichen Sinne durch die Umgestaltung des Quellortes, im übertragenen Sinne durch das Verfassen des Epigramms.123 Die Betonung der manuellen Arbeit (διεργατίναις παλάμαισιν) scheint zunächst auf das Bauen zu verweisen, lässt sich aber auch auf das Verfassen und Einmeißeln der Inschrift beziehen. Vor diesem Hin-

118 Es ist sonst nur in einem Wörterverzeichnis (SH 991, ergänzt) und in den Homerscholien als Erklärung für ἱπποδάσεια belegt (Σ ad Il. 6, 9); die Suda kennt einen Eintrag ἱππιολόφος. 119 Dover 1993, 292. 120 S. hierzu Wimmel 1960, 115 Anm. 1; Hunter 2009, 10–52. 121 Zu dieser Metapher in der archaischen Dichtung s. Nünlist 1998, 178–205. 122 Die Verbindung des ersten und des letzten Distichons des Epigramms wird, wie bereits erwähnt, durch die Wiederaufnahme des σοί aus V. 1 in V. 7 gestärkt. 123 Eine ähnliche Linie scheint mir Alexander Sens zu verfolgen, wenn er die Vermutung aufstellt, dass die Errichtung des Quellhauses in Nikias AP 9, 315 = HE 2771–4 als Metapher für bukolische Dichtung gelesen werden kann: »Simus’ construction of a fountain, an object that contains and controls the water from a natural spring, may be read as a metaphor for the basic project of pastoral poetry, the production of a self-contained and artificial portrait of the natural world« (Sens 2006, 157).

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tergrund bezeichnet das letzte Wort des Epigramms, τελέω, nicht nur das Ende der Bauarbeiten, sondern auch den Abschluss des Gedichts: »Ich bin fertig«.124 Auch ein spätes Epigramm aus Aphrodisias scheint in der Beschreibung eines Brunnens an hellenistische Poetik anzuknüpfen (SGO 02/09/03, etwa 450 n. Chr.; Roueché 1989, 67–71, Nr. 38):

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ἴδμονι θεσμοσύνης γλυκερῷ γενετῆρι τιθήνης Ἀμπελίῳ Νύμφαι χάριν ἴσχομεν, οὕνεκα θάμβος χώρῳ φυνικόεντι καὶ ἀγλαὸν ὤπασε κάλλος, ὄφρα καὶ ἡμετέροις τις ἐν ὕδασιν ὄμμα τιταίνων αὐτὸν ἀεὶ καὶ χῶρον ὁμοῦ Νύμφας τε λιγαίνοι. Τραλλιανὸς ῥητὴρ τάδ᾽ ἐγράψατο Πυθιόδωρος. Wir Nymphen wissen Dank dem Kenner der Gesetze und lieben Vater seiner Amme (= dem »Vater der Stadt«) Ampelios, weil er diesem von Palmen umgebenen Ort Staunen und herrliche Schönheit gegeben hat, damit einer, der sein Auge auf unser Wasser richtet, immer ihn und den Platz und die Nymphen hell besinge. Diese Verse hat geschrieben der Rhetor Pythiodoros aus Tralleis. (Üb. Merkelbach/Stauber)

Sachlich ergeben sich einige Überschneidungen zum eben behandelten Epigramm: Ampelios hat einem Ort, an dem sich Bäume und Wasser befinden, Schönheit verliehen; Merkelbach/Stauber nehmen an, er habe ein Brunnenhaus mit einem Teich errichten lassen. Auch inhaltlich lassen sich Übereinstimmungen feststellen. So treten in beiden Epigrammen die Nymphen auf (vgl. V. 4 ἡμετέροις ἐν ὕδασιν gegenüber oben Νυμφάων νᾶμα V. 2). Auch der Ort, an dem Ampelios tätig war, war bereits schön (χώρῳ φυνικόεντι), doch wird der Beitrag des Ampelios besonders stark herausgestellt (θάμβος καὶ ἀγλαὸν ὤπασε κάλλος). In beiden Gedichten kommt ein gewisser Stolz des Verfassers auf seine Verse zum Ausdruck: Während Grammatikos als Erbauer und Dichter gleichermaßen auftritt, stellt sich der Verfasser des Epigramms auf Am­pelios durch die Künstlersignatur im letzten Vers und durch die Selbstcharakte­ risierung als ῥητήρ vor, eine – wie Merkelbach/Stauber bemerken – homerische Vokabel, die seine Begabung auf dem Feld der Rhetorik und, wie wir hier sehen, auch der Dichtkunst besonders herausstellen soll.125 Die Umgebung des Brunnenhauses wird auch hier als eine Art locus ­amoenus charakterisiert: Die Elemente des Wassers, des Reichtums an umstehenden Bäumen und der Heiligkeit des Ortes durch die Präsenz der Nymphen kommen wieder vor. Die Nymphen werden hier aber nicht nur erwähnt, sondern tre-

124 Diesen Hinweis verdanke ich David Konstan. 125 Roueché (unter Bezug auf Al. und Av. Cameron) hält ihn für einen »professional poet« oder »lawyer« (1989, 70).

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ten als Sprecher auf.126 Möglicherweise ist auch ein etymologisches Spiel mit dem Namen des Stifters Ampelios intendiert, der an ἄμπελος »Weinstock« erinnert; die Etymologie könnte durch das Adjektiv γλυκερῷ aufgerufen werden.127 Vor dem Hintergrund der seit dem Hellenismus belegten »Feindschaft« zwischen Wasser- und Weintrinkern könnte ein gewisser Humor darin liegen, dass die Wassernymphen einem Mann, der den Wein im Namen trägt, für die Er­richtung eines Brunnenhauses danken. Gleichwohl liegt der Schwerpunkt des Gedichts weniger auf der Beschreibung des Brunnens und seiner Umgebung, als vielmehr auf dem Stifter Ampelios und dessen Ruhm, der zweifach zum Ausdruck kommt: Zum einen durch den direkten Dank der Nymphen, zum anderen durch die Antizipation des Lobs, das spätere Besucher des Ortes aussprechen werden. Diese »Vorwegnahme« des Nachruhms ist aus der inschriftlichen Epigrammatik wohlbekannt und taucht dort in ähnlicher Weise auf: üblich ist die Bezeichnung des zufällig vorbeikommenden Passanten mit τις und die Kennzeichnung der zukünftigen Lektüre mit ἀεί.128 Gleichwohl wird der Passant nicht Ampelios allein, sondern auch den Ort und die Nymphen besingen, also den Ruhm des Ampelios einfügen in eine Beschreibung des schönen Ortes. Die Verse 4 f. erwecken zudem den Anschein, als diene das Betrachten des Ortes dem Passanten geradezu als Inspiration für seinen Gesang: der enge Zusammenhang von τιταίνων und λιγαίνοι wird durch die jeweilige Stellung am Versende und durch die Klangähnlichkeit beider Worte verdeutlicht. Die enge Verbindung von locus amoenus und Gesang, im Speziellen das Motiv, dass ein locus amoenus den Verweilenden zum Gesang anregt, ist ein aus der bukolischen Literatur bekanntes Motiv.129 Dass speziell das Wasser des Brunnens hervorgehoben wird, ἡμετέροις ἐν ὕδασιν ὄμμα τιταίνων, kann als Verweis auf den hellenistischen Topos der Quelle als Inspiration des Dichters gelesen werden, auch wenn hier die Inspiration nicht durch das Trinken aus der Quelle, sondern durch deren genaues Betrachten bewirkt wird. Der Bezug auf die Buko­ 126 In Platon AP 16, 13, 3 = FGE 638 lädt eine Nymphe den Leser ein, sich unter einem Baum niederzulassen, ἐμοῖς παρὰ νάμασιν; vgl. hier ἡμετέροις ἐν ὕδασιν. In Nikias AP 9, 315 = HE 2771–4 laden die Sprecher den Passanten ein, πίδακος ἁμετέρας zu trinken. Auch hier sind Nymphen als Sprecher wahrscheinlich (vgl. Sens 2006, 156 Anm. 28); Nymphen als Dialogpartner Pans: Glaukos AP 9, 341 = HE 1819–24; Nymphe als Sprecher: FGE 1648–57 (s. o.). 127 Zu den homerischen Epitheta des Weins gehören μελιηδής, ἡδύς, μελίφρων, ἡδύποτος (vgl. O’Sullivan, LfrgE s. v. οἶνος 587, 13 f.). Vgl. das Spottgedicht auf eine noto­rische Trinkerin namens Ampelis (Ariston AP 7, 457 = HE 786–93). Allgemein zu Namensspielen im Epigramm vgl. Weinreich 1928, 162. 128 Vgl. für τις bereits das homerische »Epigramm« Il. 7, 87–91; IC I 8, 33, 4 καὶ ὀψαγόνων τις ἀείσει; Ebert 56, 2 τις ἐρεῖ; Bernand 27, 8 φήσει τις. Für ἀεί siehe z. B. IG IX,1 881, 5 ἀλλά τις αἰνείτω τὸν ἀεὶ χρόνον ἀνέρα τοῦτον. Ἀεί ruft die Assoziation ewigen Nachruhms auf (κλέος (ἄφθιτον) ἀεί/αἰεί): CEG 2, 344; IG II2 11120; Lindos II 699; SEG 9:194. 129 Theokr. Id. 1, 12–4; 5, 31–4.

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lik scheint auch durch die Wahl des Verbs λιγαίνω unterstützt zu werden, das in der Literatur der Zeit, namentlich bei Nonnos, zwar öfter in der allgemeinen Bedeutung »singen« begegnet;130 dennoch scheint es relevant, dass das Verb in dieser Bedeutung131 früher nur in der bukolischen Dichtung als Kennzeichen für bukolischen Gesang auftaucht.132 Die Verwendung von λιγαίνω in vorliegendem Epigramm kann also zur bukolischen Färbung des Gedichts, das der Passant singen wird, beitragen.133 Was für ein Lied wird der Betrachter nun singen? Der Inhalt ist in Vers 5 mit Ampelios, dem Ort und den Nymphen angegeben. Man könnte an ein extemporiertes Lied des Passanten denken, möglicherweise an weitere Epigramme;134 doch auch eine schlichtere Variante ist nicht von der Hand zu weisen: Da als Themen des Gesangs Ampelios, der Ort und die Nymphen genannt werden, könnte auch die zukünftige Lektüre des Gedichts selbst gemeint sein: Der locus amoenus regt den Betrachter zum »Singen« der Inschrift an.135 Die Quelle dient in diesem Gedicht nun nicht dazu, eine bestimmte poetologische Aussage zu unterstützen, aber eine allgemeinere Funktion als Inspirationsquelle zu (bukolisch konnotiertem) Gesang lässt sich erkennen. Eine entsprechende Verbindung von locus amoenus, Quelle und Gesang lässt sich noch in einer weiteren Inschrift vermuten (IG XII,1 928, Loryma auf Rhodos, nicht früher als 3. Jh. n. Chr.):136

130 Insgesamt 27 Belege in Peek 1968–75. 131 Λιγαίνω heißt eigentlich »etwas mit schriller Stimme sagen«, und wird in dieser Bedeutung bei Homer (Il. 11, 685) von Herolden und bei Aischylos (Sept. 874) von Trauernden gebraucht. 132 [Mosch.] 3, 81 βούτας ἐλίγαινε, 120 Σικελικόν τι λίγαινε; [Bion] Epithal. 1 Σικελὸν μέλος λιγαίνειν. Bei Nonnos lässt sich an einigen Stellen für λιγαίνω ein pastoraler Kontext nachweisen: Dion. 7, 48; 12, 120; 19, 183; 43, 392; 47, 291. In 22, 10 wird wohl auf die Bukolik angespielt (vgl. Rouse 1965 a.l.). Dies könnte dafür sprechen, dass das Verb immer noch einen »bukolischen Klang« hatte. 133 Hier mag es relevant sein, dass der Verfasser Pythiodor sich als ῥητήρ bezeichnet, sich also in die Tradition der guten homerischen Redner wie Nestor stellt, die mehrfach als λιγύς bezeichnet werden (z. B. Nestor λιγὺς Πυλίων ἀγορητής Il. 1, 248; 4, 293). Wenn der Passant daher als »hellstimmiges Lied« die Inschrift vorliest, verleiht er so auch der »hellen Stimme« des Pythiodor Ausdruck. Das Gedicht knüpft an den Wohlklang sowohl der Dichtung wie auch der schönen Rede an. 134 Vgl. als Parallele die Interpretation von μνῆμα καὶ ἐσσομένοισιν ἀοίδιμον in IG XI,4 1105, 9 in Bing/Bruss 2007a, 11: das inschriftliche Epigramm antizipiert, dass zukünftige weitere (literarische)  Epigramme über das Denkmal gesungen werden (zum »Singen« von Epigrammen s. o. Kap. I.3.1.). 135 Dass Epigramme als Teil  bukolischen Gesangs gedeutet werden können, legt ihre Verwendung im Wechselgesang von Theokr. Id. 8 nahe (s. Bernsdorff 2001, 92 f.); hier erleichtert zudem das hexametrische Versmaß diese Deutung. 136 Die Inschrift wurde 1892 von Hiller von Gaertringen transkribiert; Karl Frederik Kinch konnte sie bereits 1903 nicht mehr finden.

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Epigramma sinistrum (I) periit (?). Epigramma medium (II): [Ἠέλιος?] νέος ἐμμί, ἐπεὶ περιώσιον ἔργον [εὐξάμενος Ν]ύμφαισιν ἀγαλλομένῃσιν ἔτε[υ]ξε [ὑμνοπόλοισι ν]έοισι ἀοίδιμον ἐνθάδε Μ[ίκω]ν(?). Ich bin der neue [Helios?], da M[iko]n (?) hier, [auf ein Gelübde hin], ein unermessliches Werk für die Nymphen geschaffen hat, damit sie sich darüber freuen, ein Werk, das [von jungen Hymnendichtern?] besungen werden wird. Epigramma dextrum (III): Ἠελίου φαέθοντος ἐπώνυμος ἐνθάδ᾽ ἐτύχθην   χώρῳ ἐ[ν?137] ἠγαθέῳ Λωρυμίων γυάλων· Νυμφάων κρουνοῖσι δ᾽ ἀγάλλομαι, ὅττι γελῶσ[αι]   [ἀ]ενάοις ὀχετοῖς [γῆν(?) ἐ]πέβλυσαν ὅλαι. Εἰμὶ δ᾽ ἐγὼ πινυ[τὸϛ …         ]  [                   ] Ich, der eponyme Priester des Helios Phaethon, wurde hier, im hochheiligen Land der lorymischen Winkel geboren (oder: aufgestellt?); ich freue mich über die Kanäle der Nymphen, da sie lachend in nie versiegenden Strömen [das Land?] ganz überfluten. Ich aber bin (der) verständig(e)….

Die Epigramme waren über einer Tür angeordnet, von deren Einrahmung Teile der Mitte und der rechten Seite erhalten waren. Vom links stehenden Epigramm I war nichts erhalten, seine Existenz wurde allein aus Symmetriegründen vermutet.138 Das dritte Gedicht bestand wohl aus drei Distichen; allerdings ist in der in IG gegebenen Umzeichnung unter Vers 5 ein Leerraum, so dass der letzte Pentameter – falls er noch folgte – entweder stark nach rechts eingerückt war oder weiter unten stand. Denkbar ist aber auch, dass das Gedicht mit Vers  5 als Hexameter endete, oder  – wenn man mit Kaibel in Vers 4 einen Hexameter annimmt (s. u.) – Vers 5 den Schlusspentameter bildete.139 Der Sprecher stellt sich wohl als der Eponymos des Gottes Helios vor, d. h. er ist der eponyme Priester, nach dessen Namen das Jahr gezählt wurde.140 Gewisse Verständnis­ 137 Die Ergänzung χώρῳ ἐν ἠγαθέῳ scheint sicher, vgl. IG II2 3765 κώμῳ ἐν ἠγαθέῳ; IG V,1 258 [χώρ]ωι ἐν ἠγαθέῳ. 138 Hiller von Gaertringen IG a.l. 139 Zur Selbstvorstellung des Sprechers im letzten Vers vgl. IG II2 7227. 140 Zur Konstruktion vgl. SEG 9:172 (Kyrene, 176–80 n. Chr.) ἱαρεὺς ἐπώνυμος τῶ κτίστα Ἀπόλλωνος. In rhodischen Inschriften wird der Amtsträger i. d. R. als ἱερεὺς (ἱερατεύσας) Ἀλίου bezeichnet (z. B. IG XII,1 824, 833; SEG 39:743), das Jahr mit der Formel ἐπ᾽ ἱερέως τοῦ δεῖνος angegeben. Diese Deutung liegt wohl näher als die Annahme, der Stifter sei »nach Helios benannt«, d. h. trage den Namen Heliodor o. Ä. (pace Hiller von Gaertringen 1892, 313; Robert 1948, 7 Anm. 2).

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schwierigkeiten bereitet ἐνθάδ᾽ ἐτύχθην, das bedeuten könnte (1) »ich (d. h. die Statue) wurde hier aufgestellt« (2) »ich wurde hier geboren« (3) »ich wurde hier zum Eponymos gekürt«. (3) suggeriert, dass der Sprecher der eponyme Priester in Loryma war, der hier mit einem Standbild geehrt wurde. Das bedeutet aber, dass sich an Ort und Stelle dann wohl auch ein Heliostempel befand, in dem d ­ ieser Priester seinen Dienst verrichtete. Diese Deutung vertritt Hiller von Gaertringen (IG a.l.): Solis cum Nymphis culti sacerdos eponymus Lorymis fuit poeta. Diese Deutung scheint allerdings weniger wahrscheinlich; zum einen ist über ein eponymes Priesteramt am Ort nichts überliefert; demgegenüber sind die eponymen Heliospriester des gesamtrhodischen Staates aus anderen Inschriften bekannt, was die Bedeutung des Amtes unterstreicht, das hier im Gedicht gleich zu Beginn rühmlich hervorgehoben wird. Die Hervorhebung des Ortes, eigentlich nach ἐνθάδε eine »Überinformation«, ergibt gerade dann guten Sinn, wenn der hier Aufgestellte (2) in Loryma geboren wurde und dann Karriere in der Hauptstadt machte; das Dorf Loryma dürfte entsprechend stolz auf seinen Sohn gewesen sein. Da ἀγάλλομαι in Vers 3 auf ein Bild zu verweisen scheint, kann auch (1) nicht ausgeschlossen werden: ἐτύχθην wäre dann als Variante von μ᾽ ἀνέθηκε aufzufassen. Wie dem auch sei: der Priester, dessen Name in Vers 5 genannt war (möglicherweise ist er mit dem M[iko]n aus Gedicht II identisch), hat ein Bildnis seiner selbst in Loryma aufgestellt, vielleicht in Zusammenhang mit der Erneuerung des Gebäudes und der Quelle. Im folgenden Distichon jedenfalls freut sich der Sprecher über die Bewässe­ rungsanlage.141 Dass es die Nymphen sind, die am Ende des Verses lachen, passt zu Epigramm II 2 ἀγαλλομένῃσιν und auch sonst zu ihrer Charakteristik.142 Gewisse Schwierigkeiten bereitet die Metrik in Vers 4. Das υ in ἐπέβλυσαν sollte nach Kaibel kurz gemessen werden; dann aber muss es sich um einen weiteren Hexameter handeln, den er ergänzt zu [ἀ]ενάοις ὀχετοῖσ[ιν ἐ]πέβλυσαν ὀλλ[υμένην γῆν]. Dieser Vers wäre wesentlich länger als die ersten drei; man müsste annehmen, die Buchstaben nach ὀλλυ- stünden auf dem Rand, der jedenfalls genug Platz dafür zu bieten scheint. Wilamowitz’ Ergänzung hält den Pentameter und belässt ihm die Länge der übrigen Verse; für die Langmessung des υ ließen sich Apoll. Rhod. 3, 223 (ἀναβλύεσκε) und 4, 1417 (ἐκβλύοντα) anführen. Das mittlere Epigramm ist ebenfalls in der Ich-Form abgefasst; da der Sprecher sich wohl in der Lacuna von Vers 1 identifizierte, wissen wir nicht, ob er mit dem Sprecher von Epigramm III identisch ist. Kaibel meint, es spre 141 Die Freude eines Standbildes über das nahe fließende Wasser findet sich auch in Lanckoronski I, 185, Nr. 107; vgl. Robert 1948, 7 Anm. 2. 142 Zum Lachen der Nymphen s. Aristoph. Thesm. 977 f.; Dion Chr. 32, 58, 11 f. Weniger wahrscheinlich ist das homerische Bild γελῶσ[αν] … [γῆν].

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che der Tempel des Helios selbst: Solis fanum sum restauratum. Sein Supple­ ment allerdings wurde bereits von Hiller von Gaertringen bezweifelt und wirft mehrere Probleme auf. Zunächst kann  Ἠέλιος schwerlich Solis fanum heißen  – eine solche Metonymie wäre singulär. Folglich aber käme als Sprecher nur eine Statue des Helios in Frage, die dann von Mikon erneuert wurde. Doch scheint der Wortlaut des Folgenden, das »unermessliche Werk«, das »zur Freude der Nymphen« geschaffen wird, weniger auf eine Statue als auf das Brunnenhaus (und seine Kanäle) hinzuweisen. Ἠέλιος ist daher als Ergänzung unwahrscheinlich. Kann aber νέος stehen bleiben, oder verbirgt sich dahinter ein anderes Wort, das auf -νεος endet? Νέος kann im Zusammenhang mit Erneuerungen von Statuen, Gebäuden etc. verwendet werden, vgl. etwa SGO 03/02/13 (Ephesos, 410 n. Chr.) λοιπὸν ἐγὼ Πείσω(ν) τελέθω νέος. Man erwartet allerdings im Vergleich mit den anderen Erneuerungsepigrammen ein ausführlicheres Eingehen auf die Erneuerung des Gebäudes; dies hat möglicherweise Epigramm I geleistet. Für νέος spricht auch νέοισιν in Vers 4, doch ist die Lesung hier nicht sicher (die Zeichnung scheint ΗΕΟΙΣΙΝ zu bieten). Eine mögliche, sicherlich spekulative Ergänzung wäre οἶκος ἐγὼ] νέος ἐμμί »ich, das Brunnenhaus (bzw. der Tempel), bin (wieder) neu«.143 Prüfen wir noch die Variante, dass -νεος das Ende eines längeren Wortes ist. Es könnte der Genitiv eines Namens sein, doch wessen Namens? Es kommen wohl nur der Stifter oder ein Gott in Frage, dem das Brunnenhaus geweiht ist. Der Stifter war sicher bereits in Vers 2 f. genannt, da er das Subjekt in dem mit ἐπεί beginnenden Satz bilden muss; einen zweiten Stifter anzunehmen, ergäbe den schwierigen Gedankengang »Ich bin (das Geschenk) des [Stifters A], weil [Stifter B] ein großartiges Werk vollbracht hat.« Ein passender Gottesname lässt sich, soweit ich sehe, nicht finden. Bleibt die Möglichkeit, dass es sich um ein auf -νεος ausgehendes Nomen handelt. Möglich wäre ἀφ]νεός »üppig, reiche Ernte tragend«;144 Sprecher wäre dann das Land, das durch das von hier sich ausbreitende Kanalsystem bewässert wird (s. Ep. III 3 f.),145 also etwa χῶρος ὅδ᾽ ἀφ]νεός ἐμμι.146 Diese Deu 143 Zur Ich-Rede eines οἶκος vgl. Anon. AP 9, 656, 1 f. (auf die 479 n. Chr. erbaute Chalke des Anastasios) οἶκος Ἀναστασίοιο τυραννοφόνου βασιλῆος / μοῦνος ὑπερτέλλω; ebendort in Vers 5 wird der Bau als πελώριον ἔργον bezeichnet (vgl. 1 περιώσιον ἔργον). Für ἐγώ in dieser sedes vgl. IG II2 10699a; 13452; IG III 3849, 2 [οὗτο]ς ἐγὼ τύπο[ς εἰμί; IG IV 625; IvO 184; SGLIBulg 35, 1 σταυρὸς ἐγὼ [ϑ]εό[τε]υκτός εἰ[μι etc. 144 Zum Wechsel ἀφνεός / ἀφνειός s. LSJ s. v. 145 Ähnlich Anon. AP 9, 678, 3 f. Νύμφης ἀρχαίης Βάσσης πολυκάγκεα χώρην / ὕδασι καὶ λουτροῖς θῆκας ἀφνειοτέρην. Vgl. auch Thuk. 1, 13 ἀφνειόν … τὸ χώριον 146 Zur Wendung χῶρος ὅδ(ε) am Versanfang vgl. Greg. Naz. AP 8, 152; Paul. Sil. Descr. St. Soph. 824; nach der Penthemimeres Greg. Naz. AP 8, 130; CEG 98. Für χῶρος im Quellepigramm siehe oben das Gedicht des Grammatikos (S. 327).

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tung würde Ep. II, 1 und III, 3–4 inhaltlich eng miteinander verbinden, was für Parallelepigramme typisch wäre. Für das Sprechen eines Ortes ließen sich einige Parallelen anführen.147 Die für den Anfang von Vers 2 vorgeschlagene Ergänzung entspricht üblicher inschriftlicher Diktion und trifft wohl das Richtige.148 Dann fehlen (unter der Voraussetzung, dass die Verse 1 und 2 links bündig begannen) am Anfang von Vers 1 gemäß der Skizze etwa 8 Buchstaben, d. h. die oben vorgeschlagenen Ergänzungen (8 bzw. 9 Buchstaben) füllen auch die Lücke besser aus als Hiller von Gaertringens Ἠέλιος (6 Buchstaben). Es bleibt die Lücke vor ἀοίδιμον, die einen Dativ Plural enthielt. Es ist naheliegend, wenn auch nicht zwingend, diesen Dativ auf ἀοίδιμον zu beziehen. Die übliche Wendung ist ἐσσομένοισιν (o. Ä.) ἀοίδιμον »Gegenstand des Gesanges für kommende Generationen«.149 Vielleicht könnte man βρο]τέοισιν lesen, also (e.g.) λοιπὸν ἀεὶ βροτέοισιν ἀοίδιμον. Inschriftlich ebenfalls belegt ist die Konstruktion des Adjektivs mit dativus causae (IG VII 94 καθαρῇσιν ἀοίδιμον εὐνομίησιν; SEG 35:1570 παντοίηισ᾽ ἀρετήισιν). In Epigramm III wird die Wasseranlage wieder mit Elementen der locusamoenus-Topik beschrieben. So wird die Heiligkeit des Orts durch die Anwesenheit der Nymphen betont, die ebenso fröhlich sind (γελῶσαι, vgl. ἀγαλλομένῃσι II 2) wie das Standbild des Heliospriesters (ἀγάλλομαι).150 Diese Beschreibung ist durch ἀοίδιμον in II 3 mit der Aufforderung zum Gesang verbunden. Da der genaue Zusammenhang aufgrund der lacuna nicht mehr sicher zu rekonstruieren ist,151 wissen wir nicht, ob der Ort oder das Denkmal deswegen zu besingen ist, weil sie an einer Quelle und an einem locus amoenus liegen; Hinweise darauf, dass ein Denkmal besungen werden soll, finden sich ja auch in Gedichten, in denen keine Quelle oder ein locus amoenus beschrieben werden. Dennoch lässt sich vermuten, dass der Komplex »Quelle – locus amoenus –

147 Agathias AP 9, 631; 662; Anon. AP 9, 660; vgl. insb. AP 8, 152 χῶρος ὅδ(ε) … κατέχω. AP 9, 631 und 662 werden von Merkelbach/Stauber für inschriftlich gehalten (s. SGO 05/01/16 [es spricht ein Bad] und 05/01/20). AP 9, 660 verbindet die Ich-Rede des Ortes mit einer (übertragen auf die Rechtsprechung gebrauchten) Quellbeschreibung: χῶρος ἐγὼ θεσμοῖσιν ἀνειμένος· ἐνθάδε πηγὴ / ἄφθονος Αὐσονίων ἐκκέχυται νομίμων / ἣ πᾶσιν τέταται μὲν ἀείναος, ἠιθέοις δὲ / ἐνθάδ᾽ ἀγειρομένοις πάντα δίδωσι ῥόον. 148 Zum allein stehenden Partizip εὐξάμενος siehe LSJ Suppl. s. v. εὔχομαι II 4. 149 ἀοίδιμον ἐσ(σ)ομένοισιν: Il. 6, 358; Kallim. Hymn. Pall. 121; Greg. Naz. AP 8, 219, 2; IG XI,4 1105, 9; IGLSyr 4, 1599, 10 f.; vgl. SEG 47:1509 (ἀνθρώποισιν); Bernand 118, 7 (ὀψιγόνοισιν); SEG 27:847 (ἐν ναετῇσιν edd.; stattdessen wohl ἐνναετῇσιν zu schreiben). 150 Die Freude der Nymphen über das Wasser: SGO 11/04/02; SGO 02/14/02; Nymphen und Naiaden: SGO 03/07/07. 151 Mit Kaibels Ergänzung in II 3 »ein Werk, von jungen (»neuen«) Dichtern zu be­ singen« wäre vielleicht eine programmatische Aussage verbunden (»im neuen Stil«), doch es ist ganz unsicher, ob dies in der lacuna gestanden hat.

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Gesang« in dieser Verbindung nicht zufällig ist, sondern als, wenn auch schlichter, Reflex der Bukolik und der ländlichen Epigramme zu betrachten ist, wo dieser Zusammenhang häufig belegt ist. Ergiebiger für die Frage nach inschriftlicher Quell-Poetologie scheint folgende spätantike Bäderinschrift (SGO 21/22/01, Gadara, ca. 455 n. Chr. = SEG 32:1502):152

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   Εὐδοκίας Αὐγούστης Πολλὰ μὲν ἐν βιότῳ κ(αὶ) ἀπίρονα θαύματ᾽ ὄπωπα, τίς δέ κεν ἐξερέοι, πόσα δὲ στόματ᾽, ὦ Κλίβαν᾽ ἐσθλέ, σὸν μένοϛ, οὐτιδανὸϛ γεγαὼϛ βροτόϛ; Ἀλλά σε μᾶλλο(ν) Ὠκεανὸν πυρόεντα νέον θέμιϛ ἐστὶ καλεῖσθαι, Παιᾶνα καὶ γενέτην γλυκερῶν δοτῆρα ῥεέθρων. Ἐκ σέο τίκτεται οἶδμα τὸ μυρίον, ἄλλυδιϛ ἄλλῃ, ὅππῃ μὲν ζεῖον, πῇ δ᾽ αὖ κρυερόν τε μέσον τε. τετράδας ἐς πίσυρας κρηνῶν προχέεις σέο κάλλος. Ἰνδή · Ματρώνα τε · Ῥεπεντῖνος · Ἠλίας ἁγνός · Ἀντωνῖνος ἐΰς · Δροσερὰ Γαλατία · καὶ αὐτή Ὑγεία · καὶ Χλιαρὰ Μεγάλα · Χλιαρὰ δὲ τὰ Μικρά · Μαργαρίτηϛ · Κλίβανοϛ Παλεόϛ · Ἰνδή τε · καὶ ἄλλη Ματρώνα · Βριαρή τε Μονάστρια · κ᾽ ἡ Πατριάρχου. Ὠδείνουσι τεὸν μένοϛ ὄβριμον ἠνεκ[ὲϛ αἰέν.] Ἀλλὰ Θεὸν κλυτόμητιν ἀείσομ[αι εἰϛ εὐεργεσείην μερόπων τεχν[ήσατο (?) 5 δωτῆρα Bevegni: τε add. Koenen  15 ὃς τόσον ἔργον suppl. Busch e. g.  16 τεχνήσατο πάντων suppl. Busch e. g.; τε χ[ρ ed. pr.; τε χρ[ SEG, SGO Viele grenzenlose Wunder habe ich in meinem Leben gesehen, doch wer oder wie viele Münder könnten, edler Klibanos, von deiner Kraft künden, wenn man ein nichtsnutziger Sterblicher ist? Du aber kannst mit größerem Recht ein neuer, feuriger Ozean genannt werden, Paian und Erzeuger und Stifter süßer Wassergüsse. Aus dir entsteht eine unendliche Woge, die bald hierher, bald dorthin fließt, hier heiß, dort aber wiederum eiskalt und lauwarm. In vier Gruppen, die jeweils aus vier Quellen bestehen, gießt du deine Schönheit aus: Inderin und Matrona, Repentinos, Heiliger Elias, Guter Antoninus, Tauige Galateia und Hygieia und die Großen Warmen und die Kleinen Warmen (Bäder), Margarites, Alter Klibanos, (zweite) Inderin und eine andere Matrona153 und die Starke Nonne und die (Quelle) des Patriarchen. Den Leidenden ist deine Kraft immerwährend stark. Aber ich will den für sein Geschick berühmten Gott besingen, der [ein so großes Werk] zur Erquickung [aller] Menschen geschaffen hat (?).

152 Green/Tsafrir 1982, 77–91 (Editio prima); Busch 1999, 84–98; Sowers 2008, 26–40. 153 Obwohl die Wortstellung dagegen spricht, wird man ἄλλη vielleicht auch auf  Ἰνδή beziehen.

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Das Gedicht stammt, wie die (später hinzugefügte) Überschrift mitteilt, von der Kaiserin Eudokia Augusta (ca. 400 – ca. 460 n. Chr.), der Gemahlin Theodosius’ II.,154 einer von ihren Zeitgenossen hoch gelobten Dichterin, deren Werk zum Teil erhalten ist.155 Es behandelt eine Badeanlage in der Nähe von Gadara, die von einer heißen Quelle gespeist wurde.156 Die Dichterin wendet sich, in gut epigrammatischer Manier, an einen Gegenstand, den Klibanos, dessen Funktion innerhalb der Badeanlage nicht ganz klar ist.157 Green/Tsafrir meinen, es müsse sich um einen Wassermischer handeln, Busch spricht sich dafür aus, dass es der heiße Quell selbst sei.158 Das Quellwasser ergießt sich jedenfalls in Vers 8 in vier »Tetraden«, was man vielleicht als »Viererbrunnen« deuten darf.159 Das Wasser wurde also vom Hauptquell auf 16 Brunnen bzw. Becken verteilt. Es folgt nun eine Liste von 15 graphisch durch einen Punkt (·) voneinander getrennten Namen. Man nimmt an, dass ein Punkt bei der Inskribierung vergessen wurde, und dass hier die oben erwähnten 16 Brunnen des Bades aufgezählt werden.160 Das Gedicht schließt vermutlich mit einem Dank an den Christengott, der die Quelle zum Wohl der Menschen hat hervorsprudeln lassen. Die Beurteilung der dichterischen Leistung Eudokias ist recht negativ ausgefallen.161 Dieses Urteil gründet vor allem auf metrischen und prosodischen 154 Biographisches z. B. bei Haffner 1996, 219–22. 155 Die (in verschiedenen Rezensionen überlieferten) Homerocentones (Rey 1998, Usher 1999, Schembra 2007), deren Mitverfasserin sie ist (Rey 1998, 16–28); Teile eines Epos über das Martyrium des heiligen Cyprian; der Schlussvers eines Enkomiums auf Antiochia; zu den nur dem Titel nach bekannten Werken s. Haffner 1996, 222–3. 156 Zu den Ausgrabungen des Badkomplexes s. Hirschfeld 1997; Stern 1993, 569–73; Broise 2003. 157 S. die Übersetzung in LSJ Suppl. s. v. κρίβανος »part of a hot-bath system«. 158 Green/Tsafrir 1982, 85; Busch 1999, 89–90. Die sonstigen Belege des Wortes legen nahe, dass es sich um ein Bauelement, nicht um die Quelle selbst handelt. Einen »Wassermischer« als architektonisches Element scheint es aber nicht gegeben zu haben, vielmehr wurde das Wasser der im Bad entspringenden heißen Quelle erst in den Becken mit dem kalten Wasser vermischt, das aus einer anderen Quelle herbeigeführt, vermutlich in einem Tank gesammelt wurde und ein eigenes Kanalsystem besaß (Hirschfeld 1997a). Vermutlich ist das über dem Quell errichtete Steigbecken gemeint, das metonymisch auch für den Quell selbst steht (vgl. Di Segni 1997, 240 »the hot-water system that fed the baths, i. e., the spring’s source (elevating pool) together with the conduits which conveyed the hot water to the pools«). 159 Jeweils vier zusammengehörige Brunnen oder Becken in den Ecken einer Halle (Green/Tsafrir 1982, 86); doch die Identifikation bereitet Schwierigkeiten. Vgl. Di Segni 1997, 230: »… probably refer to individual parts of the water system. Some of them may have been ornamented with emblematic representations, perhaps protomes or statues, that illustrated their names.« 160 Green/Tsafrir 1982, 86–9. Ein Versuch, die Namen dem archäologischen Befund zuzuordnen, bei Di Segni 1997, 230–2; Broise 2003, 233. Buschs Annahme, alle Namen seien als Apposition zum Wort »Quelle« zu verstehen (1999, 94–5), bereitet, wie er selbst einräumt, sprachliche und inhaltliche Schwierigkeiten. 161 »The poetic quality is actually rather poor« Green/Tsafrir 1982, 81; »Ein dichterisches Meisterwerk hat jedoch Eudokia mit diesen Versen nicht vollbracht« Busch 1999, 97.

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Fehlern, die hier nicht nochmals aufgezählt werden sollen.162 Sowohl Green/ Tsafrir als auch Busch betonen Eudokias Verpflichtung gegenüber Homer, die sie allerdings beide eher negativ bewerten, freilich aus unterschiedlichen Gründen. Während Green/Tsafrir sie offenbar für ihren zu freien Umgang mit dem homerischen Vorbild kritisieren,163 missfällt Busch die »starke Anlehnung an Homer«.164 Dahinter steht jeweils die Vorstellung, Eudokia wollte eine Art Homercento verfassen; doch ist die Ansicht, dass ein Cento nur geringen oder keinen künstlerischen Wert hat, in jüngerer Zeit relativiert worden.165 Die Grundlage für eine Neubewertung der Homerocentones hat Mark Usher gelegt, indem er zeigen konnte, dass dieser Text nicht lediglich ein Flickwerk ist, sondern sich mit seiner Vorlage in verschiedener Weise auseinandersetzt, wobei auch intertextuelle Bezüge eine Rolle spielen.166 Wie sich zeigen wird, lässt sich auch für dieses Epigramm ein nuancierterer Umgang mit dem Vorbild Homers nachweisen als bisher festgestellt wurde. Das Gedicht beginnt in Vers 1 mit dem Eingeständnis des Sprechers, schon viele θαύματα in seinem Leben gesehen zu haben, wobei impliziert wird, dass der Klibanos all diese übertrifft. Green/Tsafrir verweisen auf homerische Parallelen, wie für πολλὰ κ(αὶ) ἀπίρονα auf Od. 15, 79 πολλὴν ἐπ᾽ ἀπείρονα γαῖαν, für ὄπωπα am Versende auf Od. 17, 371; 21, 74; Hom. Hymn. Herm. 310, 338 und für θαύματα auf die homerische Formel θαῦμα ἰδέσθαι.167 Neben diesen lexikalischen Parallelen fällt aber auch auf, dass der Sprecher des Gedichts wie der homerische Erzähler auftritt; so hat man darauf hingewiesen, dass

162 S. Green/Tsafrir 1982, 85 Anm.  26; Busch 1999, 91–3, 97; zum Phänomen, dass in der Spätantike häufiger metrische und prosodische Fehler einer anspruchsvollen Diktion gegenüberstehen, vgl. Agosti 2008, 198–202. 163 »The language of the first half of the poem attempts to be Homeric, though there are few exact quotations« (1982, 83). 164 » … die Originalität wird so stark beeinträchtigt.« Busch konzediert aber auch, dass Eudokia Homers Verse »nicht ohne jedes Geschick dem jeweiligen Zwecke anbequemt« (1999, 97). 165 Arthur Ludwich, der die Arbeit an einer Ausgabe der Homerocentones unvollendet abgebrochen hatte, urteilte (1882, 221): »Wer möchte in dieser sonderbaren, stellenweise fast sinnlosen Versklitterung, die uns heute nur wie eine Caricatur anmuthet, die geistreiche Athenerin wiedererkennen? Und doch unterliegt es keinem Zweifel, dass sie an dieser Geschmacksverirrung ihren reichlichen Anteil hat.« Für ein neutrales Urteil über die Gattung s. etwa Gärtner/Liebermann, DNP s.v. Cento; ein kurzer historischer Überblick über die Beurteilung der Gattung bei Usher 1998, 1–5. 166 Usher 1998. 167 Green/Tsafrir 1982 weisen außerdem darauf hin, dass die Junktur ἀπίρονα θαύματα seltsam sei: »in Homeric Greek ἀπείρων modifies γαῖα or πόντος« (83). Doch könnte die Assoziation mit dem πόντος den Okeanos-Vergleich vorbereiten. Für θαύματα als Bezeichnung des Bades s. GCS Epiphan. 1, 342 (über die Heilquellen von Gadara)  τοῦ θεοῦ θαύματα.

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θαῦμα ἰδέσθαι bei Homer als auktorialer Kommentar gedeutet werden kann.168 Vers 1 des Epigramms lässt sich dann als in die Ich-Form gewendete Variante des homerischen Motivs deuten, wie sie auch für den primären Erzähler in den Homerocentones belegt ist (ἀλλ᾽ οὔ πω τοιόνδε τοσόνδε τε λαὸν ὄπωπα 1159 Usher).169 Die Perspektive des homerischen Erzählers bleibt auch im nächsten Vers gewahrt; sowohl Green/Tsafrir als auch Busch erinnern an das homerische Vorbild von πόσα στόματα, nämlich Il. 2, 487–9:170 πληθὺν δ᾽ οὐκ ἂν ἐγὼ μυθήσομαι, οὐδ᾽ ὀνομήνω, οὐδ᾽ εἴ μοι δέκα μὲν γλῶσσαι, δέκα δὲ στόματ᾽ εἶεν, φωνὴ δ᾽ ἄρρηκτοϛ, χάλκεον δέ μοι ἦτορ ἐνείη. Die Menge [i. e. der Griechen, die nach Troia zogen] kann ich wohl nicht erzählen noch benennen, auch nicht, wenn ich zehn Zungen und zehn Münder hätte, eine unzerbrechliche Stimme und ein ehernes Herz.

Dieser Unsagbarkeitstopos ist nach Homer sehr häufig belegt, vor allem in der lateinischen Literatur.171 Green/Tsafrir und Busch kommentieren dem­ gemäß, dass die Verfasserin hier einen »dichterischen Allgemeinplatz« verwendet habe.172 Und tatsächlich macht Eudokia von diesem Topos in den Homerocentones häufigen Gebrauch.173 Im Epigramm jedoch gibt es einen engen Bezug zum homerischen Vorbild. Das Motiv der zehn Münder und Zungen begegnet dort im zweiten Musenanruf, der unmittelbar dem Schiffskatalog (Il. 2, 494–760) vorausgeht. Der Dichter bittet die Muse um Inspiration, da er von selbst nicht in der Lage wäre, die griechischen Führer alle aufzuzählen. Auch bei Eudokia steht das Motiv einer Art Katalogbeschreibung voran, nämlich der Namensaufzählung (10–14). Diese strukturelle Parallele erweist hier die Iliaspassage als das motivische Vorbild.

168 De Jong 1987, 48–9. 169 Vgl. auch οὐ γάρ πω ἰδόμην, οὐδ᾽ ἔκλυον αὐδήσαντος 1641 Usher. 170 Zusätzlich mag auch ein Bezug zu Od. 3, 113–6 bestehen, allerdings wird dort ἐξερέοις (116) von einem anderen Verb abgeleitet als das ἐξερέοι des Gedichts; der Bezug auf das Unvermögen der sterblichen Menschen, etwas zu erzählen, begegnet nicht nur Od. 3, 114, sondern auch – als Einschaltung des primären homerischen Erzählers – Il. 12, 176 ἀργαλέον δέ με ταῦτα θεὸν ὣς πάντ᾽ ἀγορεῦσαι. 171 Courcelle 1955; Häussler 1976, 322 f.; M. Robinson 2011, 140–2; vgl. die Diskussion bei Hinds 1998, 34–47. 172 Green/Tsafrir 1982 weisen auf Persius 5, 1 f. hin, vatibus hic mos est centum sibi poscere voces / centum ora et linguas optare in carmina centum. 173 Πάντας δ᾽ οὐκ ἂν ἐγὼ μυθήσομαι οὐδ᾽ ὀνομήνω 373, 523 Usher; πληθὺν δ᾽ οὐκ ἂν ἐγὼ μυθήσομαι οὐδ᾽ ὀνομήνω 546, 810 Usher; τῶν δ᾽ ἄλλων τίς κεν ᾗσι φρεσὶν οὐνόματ᾽ εἴπῃ 1166 Usher (cf. Il. 17, 260; de Jong 1987, 47).

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Dann folgt, in Anlehnung an Elemente des Hymnos, die Appellation des Klibanos mit verschiedenen Namen und Attributen, sowie eine Beschreibung der Quellen, die sich aus ihm ableiten. Die Anrede als Okeanos wurde bisher meist als Metapher gedeutet: sie ist bisweilen als Anrede für einen Wohltäter des Volkes belegt – tertium comparationis ist die Fülle der Wohltaten, mit denen dieser das Gemeinwesen überschüttet.174 Da diese Anrede nur auf ägyptischen Papyri belegt ist und von der einzigen Stelle in der Literatur, an der sie erwähnt wird, vermutet wurde, sie basiere auf einer in Ägypten anzusiedelnden Geschichte,175 ist es fraglich, ob diese Bezeichnung über Ägypten hinaus verbreitet war. In Ägypten wurde der Nil nämlich mit dem Okeanos identifiziert (vielleicht aufgrund von Homonymie mit einer epichorischen Bezeichnung),176 und der Vergleich eines Wohltäters mit dem Nil ist wegen der überragenden Bedeutung der Nilschwemme für Überleben und Prosperität in Ägypten von vorn­ herein plausibel. Eine näherliegende Deutung, die auch vom Gedicht gestützt wird, scheint mir im Verständnis des Okeanos als Vater aller Flüsse zu liegen, wie er explizit bei Xenophanes beschrieben wird (μέγας πόντος γενέτωρ νεφέων ἀνέμων τε / καὶ ποταμῶν Fr. 30 B DK, 5 f.). Die Vorstellung geht auf Homer zurück (Il. 21, 195–7):177         μέγα σθένος ᾽Ωκεανοῖο, ἐξ οὗ περ πάντες ποταμοὶ καὶ πᾶσα θάλασσα καὶ πᾶσαι κρῆναι καὶ φρείατα μακρὰ νάουσιν. … die große Kraft des Okeanos, aus dem alle Flüsse und jedes Meer, alle Quellen und die großen Brunnen fließen.

Im Gedicht wird auf diese Deutung durch γενέτην (5) und τίκτεται (6) hingewiesen; man mag außerdem μένος ὄβριμον (14) mit μέγα σθένος Ὠκεανοῖο vergleichen (Il. 18, 607; 21, 195). Dass im Katalogteil die Namen der Brunnen genannt werden, die sich aus diesem »neuen Okeanos« ableiten, mag zudem als Reminiszenz des hesiodischen Katalogs der Okeaniden gedeutet werden

174 Am deutlichsten Sowers 2008, 31–3; nur Busch 1999, 90 meldet Zweifel an (»Wenn dies auch gut zu den [sic] v. a. im 14.  Vers beschriebenen ›Wohltätertum‹ des Quells passen mag, so ist die Benennung als ›Okeanos‹ hier doch anders, viel konkreter aufzufassen … Der Klibanos ist ein ›zweiter Okeanos‹«). Di Segni 1997, 230 weist darauf hin, dass Ὠκεανός bisweilen als Bezeichnung für Bewässerungskanäle in Bädern gebraucht wird (s. SEG 7:873 mit Anm.). 175 Peterson 1929, 223. 176 Merkelbach 1997, 291–2. 177 Vgl. auch Il. 16, 246.

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(Theog. 337–370).178 Sein Attribut πυρόεις erinnert an die Verbindung von Feuer und Wasser, die zur Topik der Ekphrasis heißer Quellen gehörte.179 Die Beschreibung der vier Tetraden schließlich hat, wie von Green/Tsafrir herausgestellt wurde, als unmittelbares Vorbild die Beschreibung der vier Quellen der Grotte der Kalypso (Od. 5, 70 f.): κρῆναι δ᾽ ἐξείης πίσυρες ῥέον ὕδατι λευκῷ, πλησίαι ἀλλήλων, τετραμμέναι ἄλλυδιϛ ἄλλῃ. Vier Quellen flossen der Reihe nach mit klarem Wasser, nah beieinander, in verschiedene Richtungen gewandt.

Der intertextuelle Bezug unterstreicht hier zunächst die Anklänge an den locus amoenus (vgl. γλυκερῶν ῥεέθρων 5, κάλλος 8) und den numinosen Charakter des Ortes, der hier allerdings der Schöpfung des Christengottes zugeschrieben wird (15 f.). Die Erwähnung des Christengottes als Schöpfer des Klibanos wirft die Frage auf, ob sich im Gedicht auch christliche Elemente wiederfinden. Bemerkenswerterweise begegnen die vier Quellen der Kalypso auch zweimal in den Homerocentones: zunächst in der Beschreibung des Garten Eden (30–2 Usher [περὶ τῶν ἐν τῷ παραδείσῳ τεσσάρων ποταμῶν]): κρῆναι δ᾽ ἐξείης πίσυρες ῥέον ὕδατι λευκῷ, πλησίαι ἀλλήλων τετραμμέναι ἄλλυδιϛ ἄλλῃ· τῶν δέ γε πάντεϛ μὲν ποταμοὶ πλήθουσι ῥέοντεϛ.

Die vier Quellen sind hier die vier Paradiesflüsse, in die sich nach Gen. 2, 10–14 der Paradiesquell aufteilt: ποταμὸς δὲ ἐκπορεύεται ἐξ Εδεμ ποτίζειν τὸν παράδεισον· ἐκεῖθεν ἀφορίζεται εἰς τέσσαρας ἀρχάς. ὄνομα τῷ ἑνὶ Φισων· οὗτος ὁ κυκλῶν πᾶσαν τὴν γῆν Ευιλατ, ἐκεῖ οὗ ἐστιν τὸ χρυσίον· τὸ δὲ χρυσίον τῆς γῆς ἐκείνης καλόν· καὶ ἐκεῖ ἐστιν ὁ ἄνθραξ καὶ ὁ λίθος ὁ πράσινος. καὶ ὄνομα τῷ ποταμῷ τῷ δευτέρῳ Γηων. οὗτος ὁ κυκλῶν πᾶσαν τὴν γῆν Αἰθιοπίας. καὶ ὁ ποταμὸς ὁ τρίτος Τίγρις. οὗτος ὁ πορευόμενος κατέναντι Ἀσσυρίων. ὁ δὲ ποταμὸς ὁ τέταρτος, οὗτος Εὐφράτης. Ein Fluss aber geht hervor aus Edem, um den Gartenpark zu tränken, von dort trennt er sich in vier Anfänge. Der eine heißt Phison, dieser ist es, der das ganze Land Hevilat umringt, dort wo das Gold ist. Das Gold aber jenes Landes ist gut

178 Bemerkenswerterweise schließt dieser Katalog mit einer Variante des homerischen Unsagbarkeitstopos ab: τῶν ὄνομ᾽ ἀργαλέον πάντων βροτὸν ἄνδρα ἐνισπεῖν (369). Ein Okeanidenkatalog ähnlicher Form findet sich auch in Hymn. Hom. Dem. 416–23, eingeleitet mit ἐξερέω (416). 179 Speyer 1977, 40 (zur Komplementarität der Elemente Feuer und Wasser 41 f., Anm. 20).

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und dort ist Karfunkel und Grünstein. Und der zweite Fluss heißt Geon, dieser ist es, der das ganze Land Äthiopien umringt. Und der dritte Fluss ist der Tigris, dieser ist es, der den Assyrern gegenüber seinen Weg nimmt. Der vierte Fluss aber, das ist der Euphrat. (Üb. Kraus/Karrer)

Die Vorstellung, dass von diesen vier Flüssen sich alle anderen ableiten, ist in der Genesis in der Identifikation zweier dieser Ströme mit bekannten großen Flüssen präfiguriert und wurde später ausgebaut;180 bei Eudokia liegt, wie aus 32 ­Usher (= Il. 16, 389) erhellt, diese Vorstellung ebenfalls zugrunde. Die vier Paradiesflüsse sind ebenso Element des himmlischen Paradieses, in das die Gerechten einziehen werden (255–60 Schembra [Conscriptio Γ]):181 οὐ νιφετός, οὔτ᾽ ἂρ χειμὼν πολὺς οὔτε ποτ᾽ ὄμβρος ἀλλ᾽ αἰεὶ Ζεφύροιο λιγὺ πνείοντας ἀήτας Ὠκεανὸς ἀνίησιν ἀναψύχειν ἀνθρώπους, κρῆναι δ᾽ ἐξείης πίσυρες ῥέον ὕδατι λευκῷ, τῶν δέ τε πάντες μὲν ποταμοὶ πλήθουσι ῥέοντες. τῶν ὑμῖν χαρίσαιτο πατὴρ ἀπερείσι᾽ ἄποινα. Keinen Schneefall, noch reichlich Sturm oder Regen (gibt es dort), sondern der Ozean lässt immer die helltönend wehenden Lüfte des Zephyrs aufsteigen, um die Menschen zu erfrischen. Nebeneinander flossen vier Quellen mit klarem Wasser, durch welche sich alle Flüsse füllen, die da fließen. Von diesen möge mein Vater euch unermessliche Gaben gewähren.

Die Schilderung des Paradieses als locus amoenus erscheint hier in erweiterter Form; außerdem tritt Gott als Gewährer dieser Wohltaten auf.182 Dass Eudokia bei der Erwähnung der vier Quellen im Epigramm nicht nur auf Homer selbst, sondern gerade auf diese interpretatio Christiana der home­ rischen Quellen anspielt, wird einerseits durch deren Hervorfließen aus einem Quellfluss nahegelegt, der gleichzeitig als »neuer Okeanos«, als »Ursprung un 180 So wurde der Geon mit dem Nil, der Phison mit dem Ganges identifiziert (z. B. Avit. 1, 262–3, 290). 181 Zur Identifikation des urzeitlichen und des zukünftigen Paradieses s. z. B. Speyer 2007, 277. 182 Die Verse 255–7 sind zusammenhängend der homerischen Beschreibung der Insel der Seligen entnommen (Od. 4, 566–8), der einzigen Stelle, an der in den Epen ein »Paradies« beschrieben wird. Dabei lässt sich die Idee, bei der Beschreibung des jüdisch-christlichen Paradieses auf diese Stelle zurückzugreifen, schon früher, nämlich bei Flavius Josephus, nachweisen (Bel. Iud. 2, 155): καὶ ταῖς μὲν ἀγαθαῖς [sc. ψυχαῖς] ὁμοδοξοῦντες παισὶν Ἑλλήνων ἀποφαίνονται τὴν ὑπὲρ ὠκεανὸν δίαιταν ἀποκεῖσθαι καὶ χῶρον οὔτε ὄμβροις οὔτε νιφετοῖς οὔτε καύμασι βαρυνόμενον, ἀλλ᾽ ὃν ἐξ ὠκεανοῦ πραῢς ἀεὶ ζέφυρος ἐπιπνέων ἀναψύχει· ταῖς δὲ φαύλαις ζωφώδη καὶ χειμέριον ἀφορίζονται μυχὸν γέμοντα τιμωριῶν ἀδιαλείπτων. Zum Einfluss der homerischen Passage auf spätere Paradiesbeschreibungen überhaupt s. Cairon 2006 mit Lit.

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zähliger Wogen« bezeichnet wird – denn diese Verknüpfung liegt an den beiden Stellen der Homerocentones durch Hinzusetzen von Il. 16, 389 auch vor – andererseits durch dessen Schöpfung durch den Christengott. Der Klibanos wird so zum irdischen Vertreter des Paradiesquells, das Bad zu einem Paradies auf Erden. Hiermit gut vereinbar ist auch seine Funktion εἰς εὐεργεσείην μερόπων, obgleich das Motiv der Erquickung auch sonst in der Bäderekphrasis beliebt ist.183 Das Verfahren, das Eudokia hier anwendet, ähnelt ihrem Vorgehen in den Homerocentones: Es liegt nicht lediglich eine Verknüpfung homerischer Sprache und christlicher Inhalte vor, sondern die Autorin versucht  – in Analogie zum Katalog, der pagane und christliche Elemente enthält – pagane Mythen mit christlichen Erzählungen zu verknüpfen und so auf die Kontinuität der Tradition, vielleicht auch auf die »Vorahnung« des Christentums in heidnischen Texten hinzuweisen.184 Möglicherweise lässt sich darüber hinaus eine Anspielung auf eine weitere Stelle der klassischen Literatur nachweisen, welche die homerischen vier Quellen verarbeitet hat. Im 3. Buch der Argonautika des Apollonios Rhodios wird zunächst die Außenansicht des Palastes des Aietes beschrieben, in dessen Umgebung sich ebenfalls vier Quellen befinden (219–29): 220

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             ἄγχι δὲ τοῖο ἡμερίδεϛ χλοεροῖσι καταστεφέεϛ πετάλοισιν ὑψοῦ ἀειρόμεναι μέγ᾽ ἐθήλεον, αἱ δ᾽ ὑπὸ τῆισιν ἀέναοι κρῆναι πίσυρεϛ ῥέον, ἃϛ ἐλάχηνεν Ἥφαιστοϛ· καί ῥ᾽ ἡ μὲν ἀναβλύεσκε γάλακτι, ἡ δ᾽ οἴνωι, τριτάτη δὲ θυώδεϊ νᾶεν ἀλοιφῆι· ἡ δ᾽ ἄρ᾽ ὕδωρ προρέεσκε, τὸ μέν ποθι δυομένηισι θέρμετο Πληιάδεσσιν, ἀμοιβηδὶϛ δ᾽ ἀνιούσαιϛ κρυστάλλωι ἴκελον κοίληϛ ἀνεκήκιε πέτρηϛ. τοῖ᾽ ἄρ᾽ ἐνὶ μεγάροισι Κυταιέοϛ Αἰήταο τεχνήειϛ  Ἥφαιστοϛ ἐμήσατο θέσκελα ἔργα. Daneben wuchsen, sich in die Höhe erhebend, Weinstöcke in Fülle, mit grünen Blättern umrankt; unter ihnen flossen vier nie versiegende Quellen, die Hephaistos gegraben hatte: Die eine ließ ständig Milch emporquellen, die andere Wein, die dritte floß von duftendem Öl über; die vierte ließ ständig Wasser hervorströmen, das angeblich beim Untergang der Pleiaden heiß war, bei ihrem Aufstieg aber im Wechsel kalt wie Eis aus dem hohlen Felsen emporstieg. Solche herrlichen Werke also hatte Hephaistos im Palast des Kytaiers Aietes kunstreich ersonnen. (Üb. Glei/Natzel-Glei)

183 Beispiele bei Busch 1999, 612 s.v. »Gesundheit«. 184 Man ging bisweilen so weit, zu behaupten, Homer habe Partien seines Epos aus dem Alten Testament entlehnt (Ps.-Iustinus, Ad Graecos de vera religione 28, 3–6).

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Loca amoena und Quellen

Der Bezug auf Homer ist durch die Junktur ἀέναοι κρῆναι πίσυρες ῥέον (222) gegeben. Der Bezug zum Epigramm der Eudokia wiederum wäre hier nicht lexikalisch, sondern sachlich gegeben, insofern das aus dem Klibanos hervorströmende Wasser, das seine Temperatur ändert (7), der vierten Quelle bei Apollonios entspricht, die in der Schilderung dort den größten Raum einnimmt.185 Insofern der Klibanos nicht nur heißes und kaltes, sondern auch lauwarmes Wasser hervorbringt, und das unabhängig von allen Jahreszeiten, übertrifft er sogar die Quelle des Kolcherkönigs. Dass ein Text nicht nur auf ein Vorbild anspielt, sondern zusätzlich auf einen Text, der ebendieses Vorbild rezipiert hat, ist ein aus der alexandrinischen Dichtung bekanntes Verfahren.186 Die Apolloniosparallele wird zudem noch durch weitere Beobachtungen gestützt: Als Schöpfer der Quellen des Aietes wird­ Hephaistos genannt (223, 229). Der Klibanos nun wurde vom Christengott erschaffen, doch dieser erhält in V. 16 das Epitheton κλυτόμητις, das (abgesehen von einigen inschriftlichen und späten Belegen) in der Literatur nur einmal begegnet, nämlich im homerischen Hymnos auf Hephaistos (20, 1  Ἥφαιστον κλυτόμητιν ἀείδεο Μοῦσα λίγεια); der intertextuelle Bezug wird außerdem dadurch unterstützt, dass das im Epigramm gebrauchte ἀείσομαι mehrfach in den homerischen Hymnen als Eröffnung in derselben sedes, mit derselben syntaktischen Struktur begegnet (10, 1 Κυπρογενῆ Κυθέρειαν ἀείσομαι; 15, 1 Ἡρακλέα Διὸς υἱὸν ἀείσομαι; 23, 1 Ζῆνα θεὸν τὸν ἄριστον ἀείσομαι; 30,  1 Γαῖαν παμμήτειραν ἀείσομαι); hier setzt sich also nicht nur die Erzählperspektive des homerischen (Hymnen-)Sprechers fort,187 sondern der Christengott wird im­plizit mit Hephaistos verglichen, was durch die allegorische Deutung der Schildbeschreibung als creatio mundi und Hephaistos’ als deren Schöpfer bereits nahegelegt war.188 Überdies scheint die Anspielung auf Hephaistos, den Gott des Feuers, bei der Erschaffung einer heißen Quelle ohnehin plausibel. Falls die Apolloniosparallele aber überzeugt, mag man in den Schlussversen des Epigramms auch eine lexikalische Anspielung auf Apoll. Rhod. 3, 229 ent-

185 In den Homerocentones findet sich auch ein Vers aus den Argonautika (263 Ludwich = Apoll. Rhod. 4, 103, den Ludwich athetierte), der, falls er ursprünglich ist, auf Eudokias Bekanntschaft mit dem Werk hinweist. 186 Richard Thomas spricht von »conflation« (1986, 193–8) bzw. »window-reference« (1999). 187 Dass Eudokia zwischen Ilias und Odyssee einerseits und den homerischen Hymnen andererseits keinen entscheidenden Unterschied machte, zeigt die Tatsache, dass in den Homerocentones auch Verse bzw. Halbverse aus den Hymnen auftauchen (z. B. Vers 1 mit Rey a. l.). Insofern ist die hymnische Sprecherrolle im zweiten Teil des Gedichts als Fortsetzung der epischen Sprecherrolle im ersten Teil zu betrachten. 188 S. Herakleit. All. 43–51; Ps.-Iustinus, Ad Graecos de vera religione 28, 3 (mit Riedweg 1994, 438 f.). Entsprechend wird der Beginn der Erschaffung der Welt in den Homerocentones u. a. mit Versen aus der Schildbeschreibung beschrieben (8–13 Usher).

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decken, vorausgesetzt, Buschs Ergänzung τεχνήσατο trifft das Richtige.189 Bei Eudokia begegnet der Stamm des bei Apollonios gebrauchten Verbs ἐμήσατο im Attribut κλυτόμητις, während sich das Attribut τεχνήεις im Verb τεχνήσατο wiederfindet. Es gibt außerdem eine Tradition, die vier Paradiesflüsse nicht nur als die Quellen der großen Ströme der Welt zu deuten, sondern in ihnen statt Wasser auch andere lebensspendende Flüssigkeiten wie Milch, Honig, Wein, Öl fließen zu lassen.190 Falls Eudokia und ihre Leser mit dieser Tradition vertraut waren, könnte dies die Anspielung auf die Apolloniosstelle noch unterstützt haben. Der Palast des Aietes liegt darüber hinaus in einem mythischen Land weit im Osten, am Rand der Ökumene, wo auch das Paradies lokalisiert wurde.191

189 Nach dem Foto bei Stern 1993 liegt die Lesung als N nahe; man vergleiche mit den Resten das N von ΜΕΡΟΠΩΝ in Vers 16. 190 Zwei Paradiesquellen, die Honig und Milch bzw. Öl und Wein fließen lassen und sich dann in vier Teile teilen: 2 Enoch 8, 5–6; Identifikation von vier Flüssen mit Honig, Milch, Wein, Öl mit den vier Flüssen der Genesis in der Visio Pauli (ApkPl 23; die Schrift wird in die erste Hälfte des 5. Jh. n. Chr. datiert); vier Paradiesströme mit Öl, Balsam, Wein, Honig in der späteren Haggada; im Koran vier Flüsse von unverderblichem Wasser, Milch, Wein, Honig (47, 16–7; alle Angaben nach Böttrich 1995, 850 Anm. 5d; vgl. Schlee 1937, 35). In der pa­ganen Tradition werden Flüsse von Milch, Honig und Wein mit bakchischen Wundern in Verbindung gebracht (s. Hunter 1989 ad Apoll. Rhod. 3, 221–7). 191 Bereits in Gen. 2, 8 Καὶ ἐφύτευσεν κύριος ὁ θεὸς παράδεισον ἐν Εδεμ κατὰ ἀνατολάς. Vgl. auch Fl. Joseph. Bel. Iud. 2, 155 (s. o. Anm. 182) τὴν ὑπὲρ ὠκεανὸν διαίταν. Pfister (1959, 21 Anm. 1) hat vermutet, dass die Flüsse von Milch, Honig, Wein und Öl an der genannten Enoch-Stelle letztlich auf eine Passage aus dem Alexanderhistoriker Onesikritos zurückgehen. Dort berichtet dieser von einem Mythos, den ihm der Gymnosophist Kalanos erzählt habe (Onesikritos Fr. 17 Jacoby [=Strab. 15, 64, 10–16]): τὸ παλαιὸν φάναι πάντ᾽ ἦν ἀλφίτων καὶ ἀλεύρων πλήρη καθάπερ νῦν κόνεως· καὶ κρῆναι δ᾽ ἔρρεον αἱ μὲν ὕδατος, γάλακτος δ᾽ ἄλλαι καὶ ὁμοίως μέλιτος, αἱ δ᾽ οἴνου τινὲς δ᾽ ἐλαίου· ὑπὸ πλησμονῆς δ᾽ οἱ ἄνθρωποι καὶ τρυφῆς εἰς ὕβριν ἐξέπεσον. Ζεὺς δὲ μισήσας τὴν κατάστασιν ἠφάνισε πάντα καὶ διὰ πόνου τὸν βίον ἀπέδειξε. »Früher, habe er [i. e. der Brahmane Kalanos] gesagt, sei alles von Gerstenund Weizenmehl voll gewesen wie nun von Staub. Und Quellen flossen, die einen mit Wasser, mit Milch andere und ebenso mit Honig, die anderen mit Wein, manche mit Öl. Wegen Übersättigung und Schwelgerei verfielen die Menschen in Hochmut. Da ergriff Zeus Hass über diesen Zustand, und er ließ alles verschwinden und wies ihnen ein Leben in Mühe an.« Hier soll dagegen die Frage gestellt werden, ob die Stelle nicht Vorbild für die Schilderung des Apollonios sein konnte; immerhin handelt es sich offenbar um einen indischen Lokalmythos aus grauer Vorzeit (τὸ παλαιόν) innerhalb eines Werkes, das auch geographische Exkurse enthielt (Fr. 22 Jacoby). Indien wie Aia sind Länder am östlichen Rand der Ökumene. Allerdings bestehen auch Differenzen: so herrscht in Aia kein goldenes Zeitalter wie im indischen Mythos. Ein Zusammenhang zwischen den Quellen, die im bakchischen Ritual hervorsprudeln, und dem indischen Mythos wiederum liegt vielleicht wegen der indischen Herkunft des Gottes Dionysos nahe. Vielleicht gehen Onesikritos, Apollonios und die bakchischen Wunder auch auf eine gemeinsame Erzählung von solchen, weit im Osten existierenden Quellflüssen zurück. Zu »ethnograpischen Utopien« vgl. Rohde 1960 (zum »Schlaraffenland« 209 f. Anm. 4) sowie Winiarczyk 2011.

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Loca amoena und Quellen

Für eine Anspielung auf diese Vorstellung im Epigramm spricht vielleicht die Qualifizierung des Wassers als γλυκερός, das bei Homer einmal vom Süßwasser gebraucht wird (Od. 12, 306, aus Sicht derer, die lange auf See waren); verbreiteter aber wird es für Wein, Nektar oder Honig verwendet.192 Der Klibanos, der die Badeanlage speist, trägt also sowohl Züge der Grotte der Kalypso, der Quellen am Palast des Aietes und des Paradiesquells der Genesis. Als ein Anliegen dieser Technik haben wir bereits die Verbindung heidnischer und christlicher Traditionen, eines der Hauptanliegen der in klassischer Tradition schreibenden Christen der Spätantike, ausgemacht.193 Es zeigen sich in diesem Gedicht aber darüber hinaus Entsprechungen zwischen dem beschriebenen Gegenstand und poetologischen Aussagen der Dichterin sowie formalen Aspekten. Zunächst besteht eine Verknüpfung zwischen dem Unsagbarkeitstopos und der Klibanos-Ekphrasis: So wird in der Beschreibung des οἶδμα τὸ μυρίον, das aus dem Klibanos entspringt, das bereits in Vers 2 verwendete Motiv der Stofffülle aus der Unsagbarkeitstopik wiederaufgenommen, wie es etwa in Theokr. Id. 17, 11 vorliegt: τί πρῶτον καταλέξω; ἐπεὶ πάρα μυρία εἰπεῖν. Dem entspricht, dass aufgrund der Doppelbedeutung von στόμα, das ebenso »Mund« wie »Ausguss« bedeuten kann,194 der Klibanos mit seinen zahlreichen στόματα das Motiv der πόσα στόματα gewissermaßen verbildlicht. Zwar werden die 16 κρῆναι nicht ausdrücklich als στόματα bezeichnet, doch ist die Parallelisierung einerseits aus früherer Literatur bekannt195 und darf daher wohl vorausgesetzt werden; andererseits wird sie auch durch die architektonische Umgebung nahegelegt. Die Inschrift der Eudokia befindet sich in der 192 Nachhomerisch ist der Gebrauch von γλυκερός in der Bedeutung Süßwasser geläufig (LSJ s. v. γλυκύς 1b). 193 S. hierzu Haffner 1996, 227. 194 Ausguss: Xen. An. 4, 5, 25; Aristoph. Fr. 598 K.-A. 195 Vgl. Philipp AP 6, 251, 6 = GPh 2677; Marcus Argentarius AP 9, 229, 2 = GPh 1428 εὔστομε (apostrophiert wird ein Weingefäß, das implizit mit einer trunkenen Alten verglichen wird [so Hopkinson 1994, 102]); ähnlich Anon. AP 5, 135 = HE 3902–7. Ins­besondere wird der Mund mit einem Ausguss verglichen, wenn er die Stimme »fließen« lässt, s. Kratinos Fr. 198, 1–2 K.-A. τῶν ἐπῶν τοῦ ῥεύματος, καναχοῦσι πηγαί. δωδεκάκρουνον στόμα; [weniger deutlich Hes. Theog. 39 f., 84; Empedokles 3 B, 2 DK ἐκ ὁσίων στομάτων καθαρὴν ὀχετεύσατε πηγήν; vgl. auch Basilius v. Cäsarea Epist. 343 (= Foerster XI 583, 1­ 2–14) σοὶ μὲν γὰρ ἐν τῷ στόματι λόγων οἰκοῦσι πηγαὶ κρείσσους ναμάτων ἐπιρροῆς· ἡμεῖς δὲ εἰ μὴ καθ᾽ ἡμέραν ἀρδοίμεθα, λείπεται τὸ σιγᾶν. Unterstützt wird die poetologische Deutung durch den Hinweis auf die Süße des Wassers in V. 6 γλυκερῶν δοτῆρα ῥεέθρων; die Verknüpfung des Motivs der (Honig-)süße und der fließenden Stimme ist in poetologischem Zusammenhang häufig (locus classicus ist Il. 1, 249 τοῦ καὶ ἀπὸ γλώσσης μέλιτος γλυκίων ῥέεν αὐδή (Nestor) und Hes. Theog. 83; weiteres bei Wilhelmi 1967, 5; 88 f.); die Motive des Fließens der Stimme und der hundert Münder sind verbunden bei Hostius Fr. 3 Blänsdorf non si mihi linguae / centum atque ora sient totidem vocesque liquatae, der Unsagbarkeitstopos und der Inspirationstrunk in Stat. Silv. 2, 2, 36 u. 41 f. non, mihi si cunctos Helicon indulgeat amnes … innumeras valeam species cultusque locorum Pieriis aequare modis.

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sog. »Hall of Fountains«, in der an einem langgestreckten Becken 32 Fontänen stehen, die mit Gesichtern von Löwen und Menschen versehen sind und aus deren Mündern das kalte Wasser ins Becken sprudelt. Nun sind die 16 κρῆναι wohl nicht mit diesen Fontänen zu identifizieren, doch ist es naheliegend, dass dem Leser bei der Erwähnung der πόσα στόματα gerade diese Vielzahl ihm unmittelbar vor Augen stehender strömender »Münder« einfallen musste. Schließlich rekurriert der Vergleich des Klibanos mit einem Ozean auf den hellenistischen Topos von Homer als dem Ozean, aus dem sich alle anderen Dichter wie Flüsse oder Quellen ableiten (Dion. Hal. Comp. 24): κορυφὴ μὲν οὖν ἁπάντων καὶ σκοπός ›ἐξ οὗ περ πάντες ποταμοὶ καὶ πᾶσα θάλασσα καὶ πᾶσαι κρῆναι‹ δικαίως ἂν Ὅμηρος λέγοιτο. Der Gipfel von allem nun und der Aussichtspunkt, »aus dem alle Flüsse und jedes Meer und alle Quellen (entspringen)« kann Homer wohl mit Recht genannt­ werden.

Dionysios zitiert hier den oben besprochenen Vers aus der Beschreibung des Okeanos in der Ilias. Der Vergleich Homers mit dem Ozean scheint in alexandrinischer Zeit aufgekommen zu sein196 und bildet wohl, in der typisch hellenistischen Opposition von Groß und Klein, einen Gegenpol zum kleinen Quellfluss als Bild des kallimacheischen Ideals (vgl. Kallim. Hymn. Ap. 106 οὐκ ἄγαμαι τὸν ἀοιδὸν ὃς οὐδ᾽ ὅσα πόντος ἀείδει).197 Die poetologische Deutung könnte außerdem durch die wahrscheinliche Ergänzung ἠνεκές (15) gestützt werden, ein Schlagwort der alexandrinischen Poetik­debatte, das dort zur Charakterisierung homerisierenden epischen Erzählens gebraucht wird, am prominentesten im Aitienprolog des Kallimachos (ἄεισμα διηνεκές, Fr. 1, 3 Pf.).198 Insgesamt betrachtet besingt also Eudokia in homerischer Weise einen Gegenstand, der selbst metaphorisch die homerische Dichtung repräsentiert. Im 196 Weiteres bei Williams 1978, 88 und 98 f.; Brink 1972, 553–6. 197 Williams 1978, 87–9. Auch in der christlichen Apologetik wurde diese Ilias­passage mehrfach angeführt; für unsere Zwecke aufschlussreich ist ihre Verwendung bei Theodoret (Graecarum affectionum curatio 2, 51): τί δήποτε μὴ τούτους πάντας καταλιπόντες πρὸς Μωϋσέα τὸν τῆς θεολογίας ὠκεανὸν μεταβαίνομεν, ἐξ οὗπερ, ποιητικῶς εἰπεῖν, πάντες ποταμοὶ καὶ πᾶσα θάλασσα; Καὶ γὰρ Ἀναξαγόρας καὶ Πυθαγόρας καὶ Πλάτων ὕστερον ἐκεῖθεν εἵλκυσαν σμικρὰ ἄττα τῆς ἀληθείας ἐναύσματα. Die Idee, Moses als den »Okeanos der Theologie« zu bezeichnen, aus dem die griechischen Philosophen ihre Inspiration geschöpft hätten, geht wohl auf die hellenistische Identifikation von Okeanos und Homer zurück. 198 Diese Deutung des διηνεκές bei Asper 1997, 221; διηνεκές ist das in diesem Zusammenhang häufiger gebrauchte Wort, ἠνεκές »wird aber immer wie διηνεκές gebraucht«­ (Asper 1997, 220 Anm. 61). Cameron (1995, 5) bezieht ἄεισμα διηνεκές auf (lang-)elegische Dichtung; anders Asper 1997, 198 mit Anm. 283 (Homerepigonen).

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Loca amoena und Quellen

Hinweis auf die zahlreichen Quellen, die sich aus ihm ableiten, zeigt sie sich selbst in homerischer Tradition stehend: Sie ist eben einer dieser Quellen aus dem homerischen Ozean, wie sie in diesem Gedicht, das in vielfacher Hinsicht an das homerische Vorbild anknüpft, unter Beweis stellt: So entsprechen den 16 genannten Quellen des Brunnes die 16 Hexameter ihres Epigramms. Doch nicht nur sie selbst, sondern auch alexandrinische Dichter wie Apollonios stehen in dieser homerischen Tradition:199 Indem sie gerade auf die Imitation einer homerischen Passage hinweist, in der Quellen erwähnt werden, und auf deren »Weiterfließen« sowohl bei Apollonios als auch bei sich selbst in den Homerocentones und im Epigramm hinweist, bildet sie ein poetisches Verfahren auf der inhaltlichen Ebene des Gedichts ab. Entsprechend lässt sich auch der dichterisch so häufig belegte »Topos der vielen Münder« deuten: die πόσα στόματα sind auf dieser poetologischen Ebene die Münder der späteren Dichter, die Zeugnis ablegen von der Größe des »Ozeans« Homer, und die in der »Hall of Fountains« als Wasserspeier das aus dem Klibanos-Ozean entspringende Wasser ins Becken leiten. Das Epigramm auf den Klibanos lässt sich so geradezu als Allegorie von Eudokias Dichtungsweise lesen, wie sie sich besonders in den Homerocentones zeigt: deutlicher als durch einen Homercento kann die Anlehnung an Homer kaum sichtbar gemacht werden. Neben der Funktion des »homerischen« Ozeans als Ursprung aller nachfolgenden Dichtung scheint aber auch der angesprochene alexandrinische Gegensatz von Groß und Klein eine Rolle zu spielen;200 Eudokia dichtet hier einmal kein Epos in aus Homer geborgten Versen, sondern ein Epigramm, also die hellenistische Kleinform κατ᾽ ἐξοχήν, wobei die Spannung zwischen den epische Breite signalisierenden Formelementen und der Kleinform des Epigramms sicherlich intendiert ist; auch die Beschreibung des Klibanos als neuer Ozean steht in Kontrast zum kallimacheischen kleinen, feinen Quellfluss. Das Gedicht, das ja nicht aus Distichen, sondern aus Hexametern besteht, lässt sich so auch als ein Epos »im Kleinformat« auffassen; die Miniaturisierung der epischen Dichtung, die sich auch sonst nachweisen lässt,201 entspricht der Miniaturisierung des Klibanos-Ozeans und des Bad-Paradieses. In dieser Deutung des Epigramms als »Miniaturepos« stellt sich Eudokia gegen eine alexandrinische Tradition, die Epigramm und Epos als einander entgegengesetzt ansieht; sie steht dabei Antipater von Thessalonike näher, der – ebenfalls im Epigramm –

199 Vgl. Richard Hunters Bemerkung zur »double allusion or window reference« (2008, 340): »No device could be better suited to demonstrate the weight and depth of tradition«. 200 Allgemein dazu Asper 1997, 135–56. 201 Bei Ausonius’ Periochae Homeri Iliadis et Odyssiae handelt es sich um Prosa­ zusammenfassungen einzelner Bücher; vgl. auch Parsons Vorschlag (2009), bei P. Köln XI 431 handle es sich um ein παίγνιον, in dem jeweils ein Buch der Ilias in einem Vers zusammen­ gefasst wurde; zur Miniaturisierung des Epos auf den Tabulae Iliacae s. Squire 2011.

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gefordert hatte, ein Dichter müsse sich an Homer halten (s. o. S. 323).202 Eudokias Gedicht zeigt mithin, dass über Fragen der Gattungskonvention und dichterischer Nachfolge auch im 5.  Jh. n. Chr., einer Zeit, für die man gemeinhin einen Verfall der Bildung konstatiert, noch innerhalb der Dichtung selbst reflektiert werden konnte; insofern steht dieses Epigramm in einer langen Tradition, welche die Dichterin in origineller Weise zur Begründung ihrer eigenen Dichtungsweise variiert hat. Instruktiv scheint ein kontrastierender Vergleich mit folgender Inschrift, in der eine ähnliche Motivik begegnet (GVI 1684, Chersonnesos, 1./2. Jh. n. Chr. = GG 390):

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     Οἰνάνθη Γλαυκίου. ἆ βάλε τοι Μοῦ σὰ χαρείσια, κάμμορε νύμφη Οἰνάνθη, παων ἐπὶ γούνασι σεῖο τεθέντων, φωνῆσα λοχίης τε καλὸν νόμον Εἰλειθύης, μητρὶ τεῇ καὶ πατρὶ κεκαρμένα δῶρα πόε. νῦν ὲ σὺ μὲν κρυεραῖσιν ἐπὶ ψαμάθοισιν ύεις Κωκυτοῦ κελάδοντοϛ ἀνὰ δρόσον, οὐδέ σ᾽ ἐγείρει ἀεναὲϛ κελάδημα ίληϛ ὀόϛ, ᾧτέ σε μήτηρ ὄρνιϛ ὅκωϛ γεγόκε, ὺ δὲ λίθοϛ οὐδὲν ἀκούειϛ ἀλὰ μελανδεῖν σε περὶ ῥόϛ ὠκεανοῖο εἰλεῦνται, ψυχαὶ δὲ κατακθονίων ἀβάντων ζμερδαλέον βρομέουσι, σὺ δὲ θρο οὐχὶ τοκήων, οὐ πόσιοϛ νενόηκαϛ, ἐπεὶ πίεϛ ἆ στύγα Λήθηϛ. τίϛ μακάρων νόμοϛ οὗτοϛ, ἵ ἀνρεϛ ἠέ νυ κῶρ οὐχὶ κακαὶ θνῄσκουσι προμοιρίεϛ, οὐχὶ τοκήων οὐτιδανῶν, ἀλ εἴ τιϛ ἀριπρεπὲϛ εἶδοϛ ἔχουσα ἢ γένοϛ; ἦ ῥα τόδ᾽ ἐσθλὸν ἐτήτυμον ἀνδράσι Πυθώ, χρύσεον ὅττι γένεθλον ἐϛ Ἄϊδα πρῶτον ὁδεύιν. Ach hätten doch die Musen die Danklieder für dich angestimmt, unglückliche junge Frau Oinanthe, nachdem man dir Kinder auf den Schoß gesetzt hätte, und der Geburtshelferin Eileithyia schöne Weise, deiner Mutter und dem Vater willkommene Gaben und dem Gatten. Doch jetzt irrst du auf den feuchten Sand­ öden des rauschenden Kokytos, und nicht weckt dich der immer wiederholte Ruf der lieben Stimme, mit der die Mutter wie ein Vogel um dich klagt: wie ein Stein hörst du nichts, sondern die schwarzwirbelnden Fluten des Okeanos bedrängen dich, und die Seelen der unterirdischen Toten schwirren schauerlich. Deiner Eltern Rede hast du nicht verstanden und nicht die des Gatten, da du, ach, das Fluchwasser Lethes getrunken hast. Was ist das für ein Gesetz der Göt 202 Vgl. auch [Long.] Sublim. 35, 4 οὐ τὰ μικρὰ ῥεῖθρα θαυμάζομεν, εἰ καὶ διαυγῆ καὶ χρήσιμα, ἀλλὰ τὸν Νεῖλον καὶ  Ἴστρον ἢ Ῥῆνον, πολὺ δ᾽ ἔτι μᾶλλον τὸν Ὠκεανόν. Der Kontext ist hier nicht explizit poetologisch, man darf aber (mit Asper 1997, 127) vermuten, dass die kallimacheischen Metaphern hier herausgehört werden sollen, zumal [Longin] auch das Bild von Homer als Ozean, aus dem sich alles ableitet, kennt (Sublim. 13, 2 f.).

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ter, daß Männer und junge Frauen vor der Zeit sterben müssen, nicht häßliche, nicht niedriger Eltern Kinder, sondern wenn eine ansehnlich ist an Schönheit oder Geschlecht. Wie wahr ist dieser treffliche Spruch, den Pytho den Menschen gesagt hat: Wo ein Nachwuchs glänzt wie Gold, da muß er zuerst zum Hades gehen. (Üb. Peek)

Das Gedicht ist auf dem Stein zwar gut erhalten, aber durch zahlreiche Fehler eines »liederlichen, ungebildeten Steinmetzen«203 entstellt, so dass der Wortlaut im Einzelnen nicht immer ermittelt werden kann. Man kann das Gedicht in etwa vier gleich große Teile gliedern. Im ersten (1–5) wird der Gedanke ausgedrückt, dass man der Toten lieber ein Dankeslied zur Mutterschaft als eine Totenklage gesungen hätte. Im zweiten Teil (6–9) wird die condicio der Toten beschrieben, die am Ufer des Kokytos umherirrt und die Klage der Mutter nicht hören kann, weil sie ein Stein ist.204 Der dritte Teil (10–13) ist gedanklich parallel zum zweiten gebaut, mit leichter Variation der Motive: das Dröhnen des Kokytos ist durch die Ströme des Ozeans ersetzt, die Tote versteht nicht die Klagen der Eltern und des Gatten, weil sie aus der Lethe getrunken hat. Der vierte Teil  enthält einen Vorwurf an die Götter, das Mädchen so früh aus dem Leben gerissen zu haben; im Schlusssatz wird durch den Hinweis auf das »goldene Geschlecht«, das als erstes in den Hades geht, das Schicksal der Toten verallgemeinert und erhöht. Im Mittelteil stechen zwei Merkmale hervor: zum einen die Angabe der verschiedenen Gründe, warum das Mädchen nichts mehr hört (Dröhnen der Umgebung, Verwandlung in einen Stein, Trunk aus der Lethe); diese Häufung steigert das Pathos, indem das beklagenswerte Schicksal der Toten in möglichst vielen Aspekten ausgemalt wird. Zum anderen fällt die Betonung akustischer Phänomene auf: In den Versen 7–9 folgt auf das Brausen des Kokytos die Beschreibung der vogelgleich klagenden Stimme der Mutter. Hier denkt man zunächst wohl an zwei einander entgegengesetzte Klänge: das dunkle, tosende Flussrauschen und die helle, schrille Klage. Der Vergleich des Trauergesangs der Mutter mit einem Vogel ist in Epitaphen häufiger belegt;205 in Frage kommen die Nachtigall (ἀήδων), die Schwalbe (χελιδών) oder der Eisvogel (ἀλκυών), die sich alle durch einen hell tönenden Gesang auszeichnen.206 Andererseits hat der Dichter auch versucht, das Brausen des Kokytos mit der Stimme der Mutter zu parallelisieren. Zum einen wird die Stimme der Mutter als ἀεναὲς κελάδημα bezeichnet, wobei durch κελάδημα das Attribut 203 Wilamowitz 1928, 384. 204 Wilamowitz 1928, 387 vergleicht Theokr. Id. 3, 18. Zur Gleichsetzung des Toten mit einem Stein vgl. Theogn. 1, 569 f. 205 Rossi 1999, 38 f. 206 Im Falle des Eisvogels liegt wohl eine Verwechslung mit einem ähnlich aussehenden Singvogel vor, s. Keller 1963, II 59 f.

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κελάδοντος wiederaufgenommen wird und durch ἀεναὲς an der Stimme ein Zug hervorgehoben wird, der sensu proprio dem Fluss eignet.207 Die Klage der Mutter wiederum erinnert an die Etymologie des Flussnamens Kokytos (zu κωκύω »einen Klageruf ausstoßen«). So wird auch eine Entsprechung der beiden Klänge angedeutet. Die Bildsprache ist suggestiv, doch eine nähere Erläuterung der jeweiligen Klangqualität erfolgt nicht. Es folgt eine Beschreibung der Strudel des die Unterwelt umgebenden Okeanos; zwar wird hier nicht explizit deren akustische Wirkung beschrieben, doch der mittlerweile dafür sensibilisierte Leser wird diese aus μελανδεῖναι und εἰλεῦνται heraushören. Die dann beschriebenen Seelen βρομέουσι; der Ruf der Eltern und des Gatten kann nicht mehr gehört werden.208 Auch wenn in diesem Gedicht Klangwirkungen besonders eindrücklich hervorgehoben werden und das Fließen des Flusses mit dem Fließen der Stimme der Mutter verglichen wird, lassen sich diese Motive hier, anders als im Epigramm der Eudokia, kaum als Aussagen über das Gedicht oder seine Dichtungsweise deuten.209 Es handelt sich eher um eine – zugegebenermaßen originelle – Verknüpfung verschiedener Topoi. Der Kontrast verschiedener Lautstärken und Klangfarben dient hier nicht, wie bei Kallimachos, einer polemischen Gegenüberstellung,210 sondern der Steigerung des Pathos. Eine solche Refunktionalisierung, in der eine eigentlich selbstreflexive Ausdrucksweise nur mehr der Pathossteigerung dient, haben wir oben für das Motiv des »weinenden Steins« beobachtet. Vielleicht darf man hier ein analoges Vorgehen konstatieren.

207 Der Stamm κελαδε- bedeutet (bei Homer und z. T. auch noch später) »unter Rauschen dahineilen« (auf Wasser, Flüsse und Meer bezogen), später bezeichnet er in der Regel das Singen von Menschen oder Vögeln (Tichy 1983, 195–8). Die Junktur ποταμὸς κελάδων ist homerisch (Il. 18, 576); vgl. auch Bakchyl. 8, 65; Theokr. Id. 17, 92; Theokr. Id. 15, 102 ἀενάω Ἀχέροντος. 208 Dies wird nur implizit gesagt; die eigentliche Begründung liegt im Trinken aus der Lethe, doch man kommt nicht umhin, eine »Mitverantwortung« der brüllenden Seelen und des Okeanos anzunehmen. Βρομέω bezeichnet sensu proprio das Summen der Fliegen, wobei die Iterativbildung die ständige Bewegung bezeichnet (»herumsummen«; vgl. Tichy 1983, 86). Das semantisch nahestehende βομβέω bedeutet außerdem »in den Ohren summen, so dass man nichts mehr hört« (Plat. Crit. 54d; s. Tichy 1983, 87), eine Bedeutung, die im Gedicht gut passen würde und die man hier daher vielleicht auch βρομέω unterlegen mag. 209 Störend wäre zudem die Verwendung von δρόσος in Verbindung mit dem tosenden Fluss, der ja sonst im poetologischen Bild für den hell tönenden Gesang begegnet. 210 Zu den »akustischen Quantitätsantithesen« bei Kallimachos s. Asper 1997, 193–8. Nach Wilamowitz hat der Verfasser »den Kallimachos, nicht die Epigramme, sondern die Aitien, … sicher vor sich gehabt, den Theokrit auch, daneben Homer.« Wenn er tatsächlich die Aitien benutzt hat, hatte er für die poetologischen Aussagen des Aitienprologs wenig Verwendung.

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Loca amoena und Quellen

2.5. Addendum: Das Gewebe als poetologische Metapher An die Quelle als poetologische Metapher anschließend, soll zum Abschluss dieses Kapitels eine weitere Inschrift besprochen werden, welche das poetolo­gische Potential des Gewebes aufruft (Bernand 122, Sheikh Zowed, 4. Jh. n. Chr.):211 Ναοῖς Νέστορα τὸν φιλόκαλον κτίστην.

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Δεῦρ᾽ ἴδε τὰς χάριτας χαίρων, φίλε, ἅστινας ἡμῖν   τέχνη ταῖς ψήφοις ἔμβαλε πηξαμένη,   τὸν Φθόνον ἐκ μέσσου καὶ ὄμματα Βασκανίης   τῆς ἱλαρῆς τέχνης πολλάκις εὐξάμενος. Εἴ με φιλεῖϛ, ὥνθρωπε, χαίρων ἐπίβαινε μελάθρων, ψυχὴν τερπόμενοϛ τεχνήμασιν, οἷσιν ποθ᾽ ἡμῖν πέπλον ἱμερόεντα Χαρίτων ἡ Κύπριϛ ὕφανεν λεπταλέῃ ψηφῖδι χάριν δ᾽ ἐνεθήκατο πολλήν. In die Tempel mit 212 Nestor, dem das Schöne liebenden Gründer! Hier, sieh mit Freude die Anmut, Freund, die für uns die Kunst in den Steinchen ausgedrückt hat, als sie diese festsetzte, und bete oft darum, dass der Neid und die Augen der Eifersucht von der fröhlichen Kunst fernbleiben. Wenn du mich liebst, Mensch, tritt freudig in das Zimmer ein, und erfreue dich an den Kunstfertigkeiten, mit denen für uns Kypris einst das reizvolle Gewand der Chariten webte, (nun) aber dem feinen Mosaik viel Anmut verlieh. 211 Vgl. Ovadiah/Ovadiah 1987, Nr. 69; Baumann 2002, 74 plädiert für eine Datierung ins 6. Jh. n. Chr. 212 Ναοῖς wurde früher verdächtigt (ΝΑΟΙΣ Bernand, Ναΐς Plassart, οιϛ Perdrizet, ναοιϛ Gallavotti). Eine 1988 publizierte Inschrift (Malay 1988) aus Tralles aus dem 3. Jh. n. Chr. (Z. 10) bietet die Akklamation ναοῖς τὸν σωτῆρα (Nollé [1990, 122] übersetzt »In die Tempel mit einem solchen Heiland!« [d. h. die Statue des Akklamierten soll in einem Tempel aufgestellt werden, vgl. Nysa 1 (2. Jh. n. Chr.), 45–8 ψηφίσασθαί [τε εἰ-] / κόνας ἐπιχρύσους καὶ ἀνδριάντας ἀναστῆ[σαι] / ἔν τε τοῖς ἱεροῖς τῆς Ἀσίας τῶν αὐτοκρατόρ[ων] / ναοῖς κτλ.]). Die Verknüpfung mit dem ΝΑΟΙΣ der Mosaikinschrift zog offenbar als erster Feissel (BE 1992, Nr. 432). Die Wendung ναοῖς τὸν σωτῆρα findet sich jetzt auch in einer Inschrift aus Ephesos (Engelmann 2000, 88 Nr. 23 [3. Jh. n. Chr.]); vgl. auch Mylasa 188, 56. Noch nicht herausgestellt wurde, wie sich der Rest des Ausrufs in akklamatorische Tradition einfügt: Zum Akklamationsstil passt die Qualifikation Nestors als φιλόκαλος κτίστης: mit κτίστης vgl. conditor (Liv. 5, 49, 7; vgl. Roueché 1984, 182); Komposita mit φιλο-: φιλόπατρις (Roueché 1984, 182, 190), φιλοκτίστης (Roueché 1984, 195); καλός: Cassius Dio 61, 20, 5 ὁ καλὸς Καῖσαρ. Die Vermeidung des Φθόνος (4) spielt auch in Akklamationen eine Rolle (Roueché 1984, 195). Schließlich mag auch die rhythmische Struktur des Ausrufs zum Akklamationsstil passen, der aus genau zwölf Silben besteht, wobei die vorletzte Silbe betont ist (vgl. hiermit z. T. die Akklamationen des Albinus bei Roueché 1984, 189 f.; alternative me­ trische Deutungen bei Bernand S. 487 Anm. 3).

Rezeption in den Inschriften  

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Die Inschrift befindet sich auf einem Mosaik und besteht aus drei (räumlich voneinander abgesetzten) Teilen, die jeweils in verschiedenem Versmaß ab­ gefasst sind.213 Der erste nennt als eine Art Überschrift den Auftraggeber des Mosaiks, der dann in den beiden Epigrammen als Sprecher auftritt,214 die inhaltlich eng aneinander anknüpfen. Nestor ist bemüht, den Betrachter für sich einzunehmen: Er spricht ihn als Freund an (φίλε 2; εἴ με φιλεῖς 6)215, er stellt ihm Freude in Aussicht (χαίρων 2, 6; ψυχὴν τερπόμενος 7), und er stellt ihn mit sich auf eine Stufe (ἡμῖν 2, 7): Das Mosaik ist ebenso für den Betrachter gemacht wie für Nestor, und der Betrachter erscheint ebenso als φιλόκαλος, als Liebhaber der Kunst,216 wie dieser. Der Stifter selbst übernimmt so die Rolle, die im ekphrastischen Epigramm üblicherweise einem anonymen Exegeten zukommt. Wie ein solcher fordert er den Betrachter auf, das Kunstwerk genauer zu betrachten (ἴδε 2) und verweist mehrfach auf dessen hohe künstlerische Qualität.217 Eine ikonographische Beschreibung des Kunstwerks fehlt: diese ist einerseits nicht nötig, denn das gelobte Mosaik steht dem Betrachter ja vor Augen, andererseits teilt das Gedicht diesen Zug mit vielen literarischen ekphrastischen Epigrammen, die auf eine solche Beschreibung ebenfalls verzichten und lediglich die Vorzüge des Werks hervorheben. Im zweiten Epigramm wird eine mythologische Begebenheit erzählt (ποτέ): Aphrodite habe einst selbst ein Gewand für die Chariten genäht. Die Kommentatoren haben darauf hingewiesen, dass der Peplos der Aphrodite homerisch bzw. episch ist,218 doch dort sind es die Chariten, die das Gewand der Aphrodite überreichen. Dass Aphrodite selbst an den Webstuhl tritt, ist ungewöhnlich und lässt sich, soweit ich sehe, zuerst in den Dionysiaka des Nonnos, also etwa ein Jahrhundert später, belegen.219 Dort (24, 245 ff.) webt sie zwar auch einen πέπλος, doch als Anfängerin hat sie große Schwierigkeiten und gibt, nachdem die anderen Götter sie verspotten, schließlich auf. Aufgrund dieser Schwierig 213 Zum Metrum der Akklamation s. die vorige Fußnote; der zweite Teil  ist hexame­ trisch-pentametrisch, der dritte rein hexametrisch (zu den metrischen Problemen s. Bernand a. l.). 214 Diese Identifikation liegt nahe, auch wenn sie nicht explizit ausgedrückt wird. 215 Εἴ με φιλεῖς ist wohl Höflichkeitsfloskel, vgl. lat. si me amas (OLD s. v. amo 5b). 216 Für φιλόκαλος in der Bedeutung »Liebhaber der Kunst« vgl. die eindringliche Beschreibung des Silius Italicus bei Plin. Epist. 3, 7, 8: Erat φιλόκαλοϛ usque ad emacitatis re­ prehensionem. Plures isdem in locis villas possidebat, adamatisque novis priores neglegebat. Multum ubique librorum, multum statuarum, multum imaginum, quas non habebat modo, verum etiam venerabatur, Vergili ante omnes, cuius natalem religiosius quam suum celebrabat, Neapoli maxime, ubi monimentum eius adire ut templum solebat. 217 Zu diesem Topos der Ekphrasis vgl. Bühler 1960, 92 f. 218 Gallavotti 1963 verweist auf Il. 5, 338, 366; Cypria Fr. 4 Allen. 219 In Markus Argentarius AP 6, 284 = GPh 1419–26 tritt Kypris metaphorisch als Weberin auf (αὐτὴ Κύπρις ἔριθος), aber die Pointe liegt dort gerade darin, dass die Webwerkzeuge untätig im Korb liegen, während die Hetäre Philainion sich ihren Peplos durch sexuelle Dienste erarbeitet.

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Loca amoena und Quellen

keiten wurde vorgeschlagen, ὑφαίνω hier kausativ zu verstehen, »Kypris ließ den Mantel der Chariten (i. e. von den Chariten) nähen«.220 Andererseits ist das Motiv, dass ein Kunstwerk so vorzüglich ist, dass eine Gottheit es geschaffen haben muss, geläufig;221 und da Aphrodite im letzten Vers selbst als Handelnde auftritt, mag sie – um den Vergleich enger zu gestalten – auch im mythischen Exemplum als Handelnde, nicht nur als Veranlassende beschrieben sein. Der Vergleich des Mosaiks mit dem Peplos der Aphrodite ist aber auch in anderer Hinsicht aufschlussreich. Zum einen wird dadurch auf die Ähnlichkeit des Mosaiks mit einem Gewebe hingewiesen, da man ein Mosaik als Muster sich kreuzender Kett- und Schussfäden betrachten kann; das hier dargestellte Mosaik ähnelt in seiner Form einem Teppich,222 was hier bildlich durch eine umlaufende geflochtene Borte noch hervorgehoben wird (Muster B3 nach Ovadiahs Klassifikation (1980, 21, 23).223 Auf Teppichen und Gewändern dargestellte Szenen sind Gegenstände berühmter Ekphraseis,224 was die Beschreibung des Mosaiks durch ein ekphrastisches Epigramm zusätzlich motiviert. Dass gerade textile Gewebe in literarischen Ekphraseis gern thema­ tisiert werden, liegt in der Funktion der Ekphrasis begründet, die zur Rahmen-

220 So Gallavotti 1963, 462 (»faceva tessere«). 221 Beispiele bei Gelzer 1985, 102. Recht nahe kommt unserem Epigramm Theokr. Id. 15, 78 f. τὰ ποικίλα πρᾶτον ἄθρησον, / λεπτὰ καὶ ὡϛ χαρίεντα· θεῶν περονάματα φασεῖϛ. 222 Zur Deutung von Mosaikbildern als Teppiche s. z. B. Daszewski 1985, 28 f. 223 Die Ähnlichkeit des Webens mit dem Zusammensetzen von Steinen ist in der Übertragung von ὑφαίνω bisweilen belegt. Bereits Aischylos spricht von πλινθυφεῖς δόμους (Prom. 450 f.), und bei Platon ist die Rede von τῶν οἰκοδομημάτων τὰ μὲν ἁπλᾶ, τὰ δὲ μειγνύντες τοὺς λίθους ποικίλα ὕφαινον (Krit. 116b2–4; vgl. ἡ οἰκήσεων […] συνυφή Epin. 975b7 f.). In der Spätantike tritt dieses Bild häufiger auf (Theodoret. Prov. Orat. Decem PG 83, 613, 35 f.; Nonn. Paraphr. 2, 97 f.; Agathias Hist. 2, 15, 7) und begegnet nun auch speziell vom Mosaik (Paul. Sil. Descr. St. Soph. 648 f. λεπτὰϛ λαοτόροϛ παλάμηι λάϊγγαϛ ὑφαίνων … ἔγραφε). Das »Steinweben« begegnet vielleicht als poetologische Metapher bei Kallimachos, der davon spricht, dass Apollon selbst die Grundmauern einer Stadt »webt«, αὐτὸς δὲ θεμείλια Φοῖβος ὑφαίνει (Hymn. Ap. 57). Der Prätext dieser Stelle ist Hom. Hymn. Ap. 254 f. (= 294 f.) ὡς εἰπὼν διέθηκε θεμείλια Φοῖβος Ἀπόλλων / εὐρέα καὶ μάλα μακρὰ διηνεκές, und Kallimachos kam es offenbar auf den Kontrast zwischen dem monumentalen Bau des homerischen Apoll und dem »feinen«, gewebeartigen Bau »seines« Apoll an. Wimmel 1960, 68 sieht darüber hinaus in der Ersetzung von διέθηκε durch ὑφαίνω einen Verweis auf die Zartheit des kallimacheischen Apolls selbst beim Mauerbau, was er auf die kallimacheische Dichtung bezieht (kritisch dem gegenüber Williams 1978, 57). Die Parallelisierung von Mosaik und Gewebe ist außerdem in der spätantiken Bezeichnung eines Mosaiks als λεπτός greifbar, das sensu proprio von Textilien gebraucht wird: Greg. Naz. Paup. Am. 877 ψηφῖδοϛ λεπτῆϛ; Bas. Seleuc. Vita Mirac. St. Thecl. 10 ἐμπέπηγε γράμματα διὰ ψηφῖδοϛ λεπτῆϛ … κηρύττοντα; Prok. Aed. 1, 10, 5 ὀροφή … ἐναρμοσθεῖσα ψηφῖσι λεπταῖϛ; Paul. Sil. Descr. St. Soph. 507 λεπταλέῃ ψηφῖδι; Chorik. Op. 1, 2, 24 ψηφῖδοϛ λεπτῆϛ. Inschriftlich: Dunbabin/Dickie 1983, 30 Anm. 156 λεπτῇσιν [λιθά]δεσσι (5). 224 Decke: Catull. 64; Mantel des Jason: Apoll. Rhod. 1, 721–68.

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handlung225 im Verhältnis einer mise en abyme steht, mit der sie, nicht zuletzt in poetologischer Hinsicht, verglichen werden will. Dieser Vergleich wird bei einem Gewebe durch die seit Langem gebräuchliche Metapher des »Webens« für »Dichten« besonders nahegelegt.226 Die Beliebtheit der Gewebe-Ekphrasis gerade im Hellenismus hat wiederum ihren Hintergrund in der Doppelbedeutung von λεπτός, dem »Schlagwort« kallimacheischer Stiltheorie,227 das schon bei Homer von Geweben gebraucht wurde (z. B. Il. 22, 511 εἵματα … λεπτά τε καὶ χαρίεντα);228 ein feines Gewebe ist in diesem Sinne das Äquivalent eines kallimacheischer Dichtungstradition verpflichteten Gedichts.229 Lässt sich nun der Gebrauch von λεπτός (bzw. λεπταλέος) in unserem Epigramm in dieser Weise nicht nur auf die Kunstfertigkeit des Mosaiks, sondern auf die stilistische Feinheit des Epigramms beziehen? Zwar findet sich λεπταλέος im Aitienprolog, Μοῦσαν … λεπταλέην (24), und zur Hervorhebung der χάρις des Mosaiks (2, 8, 9) mag man auf Kallimachos’ erstes Aition verweisen, an dessen Ende er die Chariten bittet, ihre Hände an seinen Dichtungen abzuwischen (Fr. 9, 13 f. Pf.) – gleichwohl ist χάρις eine allgemeine Eigenschaft der Dichtung, nicht nur der alexandrinischen.230 Da aber λεπτός und χαρίεις bereits homerische Epitheta eines Gewebes sind, ist eine Anspielung auf Kallimachos allein aufgrund dieser Bezüge noch nicht zwingend. Die mehrfache Herausstellung der τέχνη allerdings (3, 5, 7) verweist deutlich auf den Alexandriner, denn sie erscheint programmatisch im Aitienprolog (Fr. 1, 17 f. Pf.): ἔλλετε Βασκανίης ὀλοὸν γένος· αὖθι δὲ τέχνῃ   κρίνετε,] μὴ σχοίνῳ Περσίδι τὴν σοφίην· Fort mit Euch, übles Neidergeschlecht! Mit Sachverstand lieber beurteilt, nicht mit dem persischen Meilenmaß, die Kunst! (Üb. Asper)

225 Dies gilt also nicht für epigrammatische Ekphraseis, die i. d. R. keinen narrativen Rahmen haben. Jaś Elsner schlägt zur Unterscheidung dieser beiden Formen der Ekphrasis die Termini »interventive ekphrasis« und »self-standing ekphrasis« vor (2002, 3). 226 Vgl. z. B. Fantuzzi/Hunter 2004, 143 Anm. 43. 227 S. Cairns 1969, 153–8. 228 E. Reitzenstein 1931, 35 meint, dass die Metapher »spinnen = dichten« bei der Kür von λεπτός zum dichtungstheoretischen Begriff eine Rolle gespielt hat. 229 Interessant in diesem Zusammenhang Lucil. 84 f. Marx: quam lepide lexis [i. e. λέξειϛ] compostae ut tesserulae omnes / arte pavimento atque emblemate vermiculato. Die Alliteration von lepide mit dem griechischen Wort lexis könnte dessen Verbindung mit λεπτός hervorheben (der Zusammenhang beider Wörter lässt sich bei Catull wahrscheinlich machen, s. Godwin 1999, 113 (zu. c. 1, 1): »lepidus … bears more than a trace of the Greek leptos familiar as a term of poetic approval since Callimachus«), und der Vergleich zwischen Mosaik und einer geschickt konstruierten Rede könnte auf den Vergleich von Mosaik und Dichtung in unserem Epigramm vorausweisen. 230 Zu einer möglicherweise besonderen Beziehung zwischen den Chariten und Kalli­ machos vgl. allerdings Tsantsanoglou 2010, 111.

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Diese Stelle darf als locus classicus für die Bedeutung der τέχνη für die alexandrinischen Dichter und ihre Nachfolger gelten.231 Für einen Bezug spricht auch die Erwähnung der Neidgöttin Baskanie, die im ersten Epigramm ebenfalls begegnet (4).232 Das hier beschriebene »Mosaik-Gewebe« genügt also den Forderungen, die Kallimachos an die Dichtung gestellt hat. Die Ekphrasis kann daher selbstreferentiell auch auf das Epigramm bezogen werden. Diese Deutung ist vielleicht schon dadurch nahegelegt, dass das Epigramm selbst Teil des Mosaiks ist; es ist also im eigentlichen Sinne »gewebt«, genauer gesagt, durch einen dem Weben vergleichbaren Vorgang, nämlich dem Aneinanderreihen von Mosaiksteinchen, hergestellt. Die über das Mosaik getroffenen Aussagen sind damit von vornherein ebenso auf das Gedicht selbst als dessen integraler Bestandteil zu beziehen. Insgesamt wird die Aussage, ein »kallimacheisches« Epigramm verfasst zu haben, eher postuliert als erfüllt, doch im Aufgreifen der poetologischen Schlagwörter erweist sich wieder die Länge des kallimacheischen Schattens, der hier noch auf eine Inschrift des 4. Jh. n. Chr. fällt (wenn sie nicht sogar noch später zu datieren ist).

231 S. Kroll 1924 I, 34–43. 232 Die Baskania-Parallele bereits bei Gallavotti 1963, 463. Die Zurückweisung des Neides begegnet bei Kallimachos noch öfter: Ep. 21 Pf., 4 κρέσσονα βασκανίης; vgl. Fr. 393 Pf., 1 f. αὐτὸς ὁ Μῶμος / ἔγραφεν ἐν τοίχοις ›ὁ Κρόνος ἐστὶ σοφός‹; Hymn. Ap. 112.

Zusammenfassung

Wir sind von der Frage ausgegangen, ob sich in der inschriftlichen Epigrammatik seit dem Hellenismus Indizien für eine zunehmende »Literarisierung« zeigen, eine Annäherung an Tendenzen, die wir sowohl in literarischen Epigrammen als auch in der hellenistischen Literatur überhaupt beobachten; daran knüpfte die Frage nach der Art des Einflusses an: Handelt es sich jeweils um eine »Übernahme« literarischer Techniken, wurden diese also im Wesentlichen unverändert beibehalten, oder um eine »Aneignung«, eine Anpassung dieser Techniken an die besonderen Bedingungen der inschriftlichen Epigram­ matik. Bei einer Aneignung wäre weiter danach zu fragen, ob sich aus der Art und Weise der Aneignung Rückschlüsse auf eigentümliche Unterschiede des­ literarischen und des inschriftlichen Epigramms ergeben. Diese Frage soll nun abschließend diskutiert werden; zuerst sollen aber die Ergebnisse der einzelnen Kapitel zusammengefasst werden. In Kapitel I hat es sich gezeigt, dass die Rede des Gegenstands vor dem Hellenismus als konventionelles Motiv begegnet, das auf der fingierten Mündlichkeit der Kommunikation beruht, die nur in Ausnahmefällen relativiert wird: etwa in CEG 108, wo die Kommunikation mit dem Denkmal als Lektüre beschrieben wird (δεῦρο ἰὸν ἀνάνεμαι), oder in CEG 861, wo die Schrift nicht »spricht«, sondern »anzeigt« (γραφὴ παροῦσα σημανεῖ). Hierfür haben sich Parallelen in der Literatur gezeigt: Bei Thukydides wird die (in)schriftliche Informationsvermittlung durch δηλόω und σημαίνω beschrieben, ebenso ihre Rezeption nicht als Akt des Hörens, sondern des Lesens (ἀναγιγνώσκειν). Seit dem Hellenismus finden sich inschriftliche Beispiele für die »gewöhnliche« Rede des Gegenstands (λέγειν etc.) zwar weiterhin, doch erscheint sie nun häufiger in einer modifizierten Form: Die Steine sprechen nicht nur, sie singen und schreien. Für das Singen des Steins gibt es dabei Vorbilder in der literarischen Epigrammatik, ebenso für das Rufen bzw. Schreien, das darüber hinaus bereits bei Euripides belegt ist. Bisweilen wird das Phänomen der Rede des Gegenstands auch auf andere Weise in den Vordergrund gerückt, wenn ihre Verlässlichkeit betont wird, wenn sie als θαῦμα erscheint, oder wenn sie gegen die Annahme in Schutz genommen wird, ein bronzenes Objekt könne gar nicht sprechen. Die Besonderheiten inschriftlicher Kommunikation werden nun hervorgehoben, indem die Art und Weise der Kommunikation von Inschrift und Leser präzisiert wird: die Inschrift »bricht aus dem Stein hervor«, sie »spricht stumm«, oder sie spricht gar nicht, sondern der Leser betrachtet sie bzw. liest sie; das Paradox des stummen Sprechens kann dabei zum »Schrifträtsel« ausgebaut werden.

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Zusammenfassung

Diese Modifikationen inschriftlicher Rede hatten Vorbilder in den Vorstellungen über die Möglichkeiten der Schrift, wie sie in der vorhellenistischen Literatur beschrieben wurden; auch das Schrifträtsel liegt dort bereits vor. Gleichwohl stellt sich die Frage, warum diese Erweiterungen der Rede des Gegenstands gerade jetzt zu beobachten sind. Die Annahme liegt nahe, dass das Bedürfnis, die Voraussetzungen inschriftlicher Kommunikation in den Versinschriften nicht nur zu thematisieren, sondern in pointierter Weise zu reflektieren, im Zusammenhang zu sehen ist mit der Entwicklung in den literarischen Epigrammen, welche die traditionellen Sprecherrollen modifizieren und hinterfragen. Dabei fällt auf, dass einige Inschriften affirmativen Charakter haben (wenn sie die Ich-Rede verteidigen und die Verlässlichkeit der Inschrift hervorheben). Andere heben die Besonderheit der Ich-Rede (als θαῦμα, Paradox, Rätsel) oder ihre Eigentümlichkeit (in der genaueren Darstellung der Kommunikationssituation) hervor, und machen so implizit deutlich, dass die Ich-Rede keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Diese Beispiele erkennen an, dass die Rede des Objekts nun der Rechtfertigung, der Neumotivierung, der Präzisierung bedarf. Man mag hierin eine Reaktion auf die Problematisierung der Rede des Gegenstands sehen, wie sie sich im literarischen Epigramm des Hellenismus gezeigt hat. Der Umgang mit dieser Problematik ist aufschlussreich: Man könnte erwarten, dass angesichts der »Kritik« an der Ich-Rede diese ganz aufgegeben wird, was zum Teil ja geschieht. Doch zahlreiche Inschriften machen aus der Not eine Tugend, indem die Irritation des Lesers in Staunen über die Möglichkeiten der Inschrift verwandelt wird (auch Paradoxa und Rätsel lassen sich als Variation des θαῦμα-Motivs begreifen); gerade in ihrer Wirkung auf den Leser, ihrer »Rhetorik« unterscheiden sich die Versinschriften von den literarischen Beispielen, so dass man eher von einer Aneignung als einer Übernahme sprechen mag. Dieses »Transparent-Machen« der kommunikativen Situation lässt sich aber auch in einen über das unmittelbare Motiv der »Ich-Rede« hinausgehenden Zusammenhang einordnen. Es reflektiert einerseits den Vorgang der Informa­ tionsvermittlung durch Lektüre deutlicher, als dies vor dem Hellenismus der Fall war, und entspricht so dem »Nachdenken über Schriftlichkeit«, das im Hellenismus in vielen Gattungen stattfindet; andererseits lenkt dieser selbstreflexive Umgang mit traditionellen Motiven, der auf Seiten des Lesers eine Vertrautheit mit diesen Motiven voraussetzt und eine entsprechende Fähigkeit, den originellen Umgang damit zu würdigen, das Augenmerk auf den Konstruk­ tionsvorgang des Dichtens selbst: we are supposed to see the poet … work on his poem.1 Doch während die Sprecherrolle des kallimacheischen Hahns (Ep. 56 Pf.) konflikthaft ist, was letztlich die Verlässlichkeit der Nachricht an sich gefährdet, ziehen die inschriftlichen Modifikationen die Aussage selbst nicht in

1 So Hunter 2010, 266 (über Meleager AP 5, 190 = HE 4316–9).

Zusammenfassung

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Zweifel. Die Darstellung eines Gegenstands, der Staunen verursacht, der in Paradoxien und Rätseln präsentiert wird, lässt sich darüber hinaus als Mittel der Leserbindung deuten;2 diese Leserbindung, die bereits in den archaischen Versinschriften eine wichtige Rolle spielte, bleibt für ein inschriftliches Epigramm, das sich an den vorbeigehenden Passanten wendet, von zentraler Bedeutung; einem literarischen Epigramm kommt sie nicht in gleicher Weise zu.3 Die besondere Form der inschriftlichen Aneignung des Problems der Ich-Rede lässt sich also auch auf ­Unterschiede der Rezeptionssituation zurückführen.4 Aufbauend auf der Beschreibung des inskribierten Objekts als »stumm sprechend« und der präziseren Darstellung der Kommunikationssituation, wurde in Kapitel II zunächst untersucht, ob die Stimme des Steins als Echo gedeutet werden kann; wie Echo kann die Inschrift nicht von sich aus sprechen, sondern bedarf der »Aktivierung« durch die Stimme des Lesers. Hier hat es sich bei der Interpretation literarischer Epigramme gezeigt, dass die (fiktive)  Inschrift in der Tat als Echo gedeutet werden kann; von einer Rezeption des EchoMotivs in den Versinschriften kann man dagegen höchstens im Ansatz sprechen. Demgegenüber ist das Motiv des weinenden bzw. klagenden Steins auch 2 Zur Rätselform als Mittel der Leserbindung s. Walsh 1991, 92–3. 3 Zur Appellstruktur der Epigramme als Mittel der Leserbindung s. Meyer 2005, 8. In jüngerer Zeit wird die Frage diskutiert, ob die Versinschriften tatsächlich gelesen wurden (Bing 2002; Zusammenfassung der Diskussion bei Garulli 2012, 19–21). Textimmanent betrachtet, entwerfen die rhetorischen Strategien der Inschriften – Appellstruktur, Aufforderung zum Stehenbleiben (z. B. μή μου παρέλθῃς τὸ ἐπίγραμμα, ὁδοιπόρε GVI 1906, 1 [S. 181]), In-Aussicht-Stellen einer nur kleinen Mühe (λιτὸν πόνον Bernand, Philae 143, 3 [S. 101]) etc. – das Bild eines eher mäßig interessierten Lesers, dessen Geduld nicht überstrapaziert werden darf. 4 Peter Bing hat darauf hingewiesen (2009, 165), dass der Unterschied in der Komplexität literarischer Anspielungen in literarischen und inschriftlichen Epigrammen auf der jeweils eigentümlichen Rezeptionssituation beruht: Ein literarisches Epigramm kann vom Leser immer wieder vorgeholt werden, während eine Inschrift sich im einmaligen Lesen erschließen muss, da nicht zu erwarten ist, dass der Passant mehr als einmal am Denkmal vorbeikommt. Hinsichtlich der Zeit, die ein Leser vor dem Stein verbringen muss, lässt sich sicherlich eine Entwicklung schon daran ablesen, dass hellenistische und kaiserzeitliche Epigramme im Vergleich mit ihren archaischen Vorläufern (teilweise wesentlich) umfangreicher sind; aber auch die Komplexität nimmt zu, wie sich besonders an den Texten auf der Moschion-Stele ablesen lässt, in denen zwar explizit nur eine kurze Verweildauer des Passanten gefordert wird, letztendlich aber doch nur eine eingehendere Beschäftigung dem Monument gerecht wird (s. S. 105). Dennoch lässt sich hier vielleicht auch eine Rücksichtnahme auf die Rezeptionsbedingungen feststellen: Während anspielungsreiche literarische Epigramme »gewinnen«, wenn man sie öfter liest (vgl. Bing 2009, 169: »Yet for the reader to discover the layers of allusion … he must have time; he must also have the patience to persist with repeated rereading and reflection … one can only say Thank goodness there is no statute of limitations on discovering allusions«), ist ein Rätsel, ist es erst gelöst, »erledigt« und braucht nicht mehr gestellt zu werden. Für die Rätselepigramme gilt somit, dass sie zwar eine größere Verweildauer vor dem Stein erfordern als etwa ein archaisches Distichon (und eine dem Entdecken von Anspielungen vergleichbare »Detektivarbeit« [»literary detective work« Bing 2009, 169]), aber sich dennoch bereits in einer einmaligen Lektüre erschöpfen.

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literarisch, vor allem aber inschriftlich verbreitet. Hier ließ sich ein Zusammenhang mit dem Topos der Rede des Steins plausibel machen: die »stumme Trauer« in GVI 1263 ähnelt dem »stummen Sprechen«, in GVI 1989 weint die Schrift, in SGO 16/51/05, 16/34/97 und IGUR III 1221 weint der Stein in Verbindung mit der Ich-Rede, in Couilloud 482 lässt der Stein einen θρῆνος aus seinem »Mund« ertönen. Da vor dem Hellenismus keine Beispiele begegnen, in denen das Motiv des klagenden Denkmals unzweifelhaft vorliegt, liegt auch hier die Vermutung nahe, dass es sich um eine Erweiterung und Zuspitzung der traditionellen »IchRede« des Objekts handelt, das so gleichsam beseelt erscheint, wie ja auch einige der aus den literarischen Epigrammen bekannten Gegenstände als »beseelt« erscheinen. Zudem mögen andere literarische Motive, wie die pathetic fallacy oder der Niobe-Mythos, zusätzlichen Einfluss auf die Genese des Motivs genommen haben.5 Auch hier zeigt sich neben der Literarisierung eine »Aneignung«, eine Anpassung an die Besonderheiten der Inschrift, wie der Vergleich mit dem Lysikles-Epigramm Poseidipps zeigen konnte (89 A.-B.). Dort wurde die Verlebendigung des Grabsteins besonders hervorgehoben (durch drei personifizierende Verben, »fordern«, »weinen«, »tadeln«), ohne dass das Phänomen als solches relativiert worden wäre. Die Inschriften bemühen sich dagegen, das Paradox des weinenden Steins zu mildern, indem sie es als »stumme Trauer« rationalisieren oder rechtfertigen: Das Denkmal empfindet Mitleid, obwohl es aus Stein ist (SGO 16/34/97), sogar Grabstelen empfinden Trauer (SGO 16/51/05) etc.­ Gleichzeitig besteht durch den expliziten Hinweis auf das Adynaton wieder eine Tendenz, das θαῦμα eines weinenden Steins hervorzuheben, das hier vor allem der Pathossteigerung und so der Erhöhung des Toten zu dienen scheint.6 Kapitel III hatte die Rede des Toten zum Thema. Diese ist, anders als die Rede des Denkmals, nicht aus der spezifischen Kommunikationssituation zwischen Denkmal und Leser heraus entwickelt, sondern eine (später als diese einsetzende) Stilisierung; für ihr Vorkommen scheint es keine Rolle zu spielen, ob der Tote wirklich an Ort und Stelle begraben, also »physisch« präsent war; ebenso ließen sich Vermutungen, die Rede des Toten sei Ausdruck einer religiös oder rituell vermittelten Präsenz desselben, nicht erhärten. Seit dem Hellenismus wird in den Inschriften die Fiktionalität des sprechenden Toten stärker betont. Bereits vorhellenistisch konnte dieser sagen, dass »die Stele meinen Namen verkündet« (CEG 532); jetzt wird aber auf die Materialität und die Schriftlichkeit der Rede des Toten, die »in Wahrheit« die Rede der 5 Keine Rückwirkung auf die inschriftliche Epigrammatik wurde beobachtet für die in einigen literarischen Waffenepigrammen angewandte Technik, Waffen unter Rückgriff sowohl auf die Tradition der Ich-Rede als auch auf die homerische Waffenpersonifikation als mordlüstern o. Ä. darzustellen. 6 Eine solche Pathossteigerung findet sich auch in literarischen Epigrammen (AP 7, 328; 468; 599).

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Stele sei (GVI 1905; SEG 20:747; SEG 20:748), hingewiesen. Nur in lateinischen Inschriften belegt scheint das Motiv, die Stimme des Toten ausdrücklich als die Stimme des Lesers zu bezeichnen.7 Diese Explizierung der »wahren« Verhältnisse lässt sich als Reaktion auf die literarische Epigrammatik deuten, in der die Rede des Toten ironisiert wurde, etwa wenn der Menschenfeind Timon, weil »er ja nicht mehr ist« (οὐ γὰρ ἔτ᾽ ἐσσί), über die Verhältnisse im Hades befragt wird (Kallim. Ep. 4 Pf.), oder wenn der Tote in einem Epigramm des Leonidas zuerst in der Ich-Form davon erzählt, dass er von einem Seeungeheuer entzweigebissen wurde, dann aber den jetzt »angemesseneren« Pluralis maiestatis wählt (AP 7, 506 = HE 2359–70). Indem also die Inschriften die Fiktionalität der Sprecherrolle explizieren, weisen sie die Herangehensweise der literarischen Beispiele, die Rede des Toten für »bare Münze« zu nehmen, als unberechtigt zurück: der »leibhaftige« Tote ist eben nicht mit seiner bloßen Sprecherrolle zu identifizieren. Gleichzeitig wird so wieder die literarische Konstruktion des Gedichts hervorgehoben. Besonders deutlich wird das in einem Dialogepigramm, in dem zwei Wanderer eine Inschrift lesen und schließlich durch eine Art Regieanweisung die Tote auffordern, selbst über ihr Schicksal zu berichten (Martínez Fernández 8). Andere Inschriften nehmen dagegen den Faden, es handle sich um eine »reale« Kommunikation mit dem Toten, auf und loten das Verhältnis zwischen der fiktiven Rede des Toten vom Stein und seiner realen Stimme aus. Wenige Beispiele deuten die Ich-Rede schlichtweg als reale Rede, die dem Toten zukomme, weil er durch einen Gott geehrt wurde (IG XII,8 600) oder weil er auch im Tod noch einen νοῦς besitze (SGO 07/06/05). Umgekehrt kann die Redefähigkeit des Toten geleugnet (IG II2 13134) oder relativiert werden (GVI 2023); den literarischen Beispielen näher zu stehen scheinen solche Inschriften, in denen ein Kontrast zwischen der »lebendigen« Rede des Toten und einer nihilistischen Aussage über das Leben im Jenseits konstruiert wird (GVI 350; GVI 1906). Hier wird die Präsentationsform des Gedichts, die Ich-Rede des Toten, weder rechtfertigt noch rationalisiert, vielmehr durch den Inhalt der Rede unterminiert, wodurch sich diese Beispiele stärker an die literarischen Vorlagen, an Kallimachos’ Epigramme auf Timon und Charidas, anlehnen. Bisweilen behaupten die sprechenden Toten, sie lägen »stumm« da. Es ist nicht ganz klar, ob hier ein Gegensatz von inschriftlicher Rede und realer Stummheit ausgedrückt werden soll oder ob darauf angespielt wird, dass die Rede der Inschrift eine »stumme« Rede ist. Der Zusammenhang zwischen inschriftlicher und realer Stimme kann auch in Epitaphen auf Tiere und Kinder reflektiert werden, denen artikulierte Stimme im Leben gar nicht oder nur eingeschränkt zukam, die sich nun aber durch eine kunstvolle, metrische gebun 7 Doch wird in den »Echo-Epigrammen« die Stimme des Sprechers bereits als Echo der Stimme des Lesers gedeutet.

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dene Rede mitteilen können. Besonders weit geht das Epitaph auf den Hund Margarita (CLE 1175), der in seiner Inschrift von sich behauptet, dass er sich bereits im Leben durch eine Art »beredtes Bellen« auszeichnete, was sich in der stumm-sprechenden Ich-Rede des Steins fortsetzt; Ovid spielt im Epitaph auf den Papagei der Corinna (Am. 2, 6) nicht nur mit dessen Beredtheit im Leben, sondern auch mit dem Motiv der Inschrift als Echo eines Echo-Vogels. Ein Zusammenhang von lebendiger Stimme und Sprecherrolle scheint in einigen Grabepigrammen auf Schauspieler und Pantomimen gesucht zu werden. Bei Schauspielern kann die Stimme auf dem Stein als »Sprecherrolle« verglichen werden mit der Stimme ihrer Bühnenrollen; tertium comparationis ist die Fiktionalität. Pantomimen wiederum sind ein beliebtes Motiv in ekphrastischen Epigrammen, da sie sich im Leben bereits durch ein »beredtes Schweigen« auszeichneten, was das Schweigen ihrer Statue als besonders lebensecht erscheinen lässt. Auch in der Inschrift auf den Pantomimen Krispos (SGO 09/11/02) scheint ein solcher Zusammenhang vorzuliegen, wobei zusätzlich dessen »beredtes Schweigen« im stummen Sprechen des Epigramms selbst zum Ausdruck kommt; die Inschrift reflektiert darüber hinaus noch weitere Eigentümlichkeiten seiner Bühnentätigkeit. Überhaupt zeigen sich Parallelen hinsichtlich der Behandlung der Stimme des Toten in inschriftlichen Grabepigrammen und der Stimme der dargestellten Person in literarischen ekphrastischen Epigrammen auf Pantomimen, Philosophen und Redner. Es zeigen sich im Umgang mit der »Rede des Toten« und der »Rede des Gegenstands« einige Übereinstimmungen, z. B. hinsichtlich des Herausstellens der Rede als literarisches Konstrukt. Das θαῦμα des sprechenden Toten wird demgegenüber seltener hervorgehoben; öfter wird nun die Strategie verfolgt, die Stimme auf dem Grab als eine Art Fortsetzung der Stimme im Leben darzustellen (was bei der Ich-Rede der Objekte natürlich schon sachlich nicht nahelag). Dabei ist das Motiv »früher (im Leben)« – »jetzt (im Tod)« ein genuin inschriftliches (vgl. CEG 89); doch dessen Fokussierung gerade auf die inschriftliche Stimme sowie die z. T. recht elaborierten Vergleichspunkte deuten auf literarischen Einfluss. In Kapitel IV hat es sich gezeigt, dass das Motiv der Lebensechtheit im ekphrastischen Epigramm eine Neuerung ist, die aber verschiedene bereits vorhellenistische Traditionen (Ähnlichkeit von Bild und Person, Eigennamen-Typus) aufgenommen hat; auch Ansätze zu einer Bildbeschreibung ließen sich in einigen Epigrammen bereits vor dem Hellenismus finden. Ausgehend von der Beobachtung, dass das Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem hinsichtlich Bildern von Göttern und Menschen verschieden zu beurteilen ist, hat sich an einigen hellenistischen Beschreibungen von Götterbildern gezeigt, dass der Status des Bildes sprachlich und gedanklich zwischen einem »bloßen« materiellen Bild und der leibhaftigen Gottheit hin- und herzuwechseln scheint. Eine solch pointierte Verbindung ließ sich bei der Verwendung des Eigennamen-Typus vor

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dem Hellenismus nicht nachweisen. Seit dem Hellenismus finden sich Inschriften, die zwischen der Gottheit und ihrem Bild deutlich unterscheiden, etwa in SGO 01/19/33, wo die leibhaftige Göttin von ihrer »Gestalt« unterschieden wird; dem gegenüber steht dann eine über das bisher Übliche hinausgehende Thematisierung der Ineinssetzung von Gott und Bild, wie in Iscrizioni di Cos 234, wo die Statue des Bakchos sagt, sie sei »für sich selbst« geweiht worden. Ein besonders deutliches Beispiel scheint SGO 08/01/03 zu bieten, wo der Gott Poseidon gleichzeitig als Statue, als (homerische) Gottheit und (allegorisch) als das Meer auftritt. Dass ein solches Spiel auch in Inschriften (als Dokumenten »realer« Weihungen) belegt ist, spricht wohl auch gegen die These, dass solche Ineins­ setzungen in der Literatur (etwa in den kallimacheischen Hymnen) religionskritisch zu verstehen seien.8 In Bezug auf Bilder von Menschen konnte deutlich gemacht werden, dass der Topos der Lebensechtheit in seinen verschiedenen Ausprägungen auch in den Inschriften eine Rolle spielt. So werden Kunstwerke explizit als »lebendig« (ἔμπνοος) beschrieben. Eine Variante des Topos, die Beschreibung der Wiederherstellung eines Denkmals als »Verjüngung«, ist vor allem inschriftlich belegt (insofern Reparaturen/Reinigungen/Erneuerungen häufiger notwendig gewesen sein dürften). Das Motiv der Fesselung der Statue auf der Basis (bzw. das Sich-dort-Niederlassen) ließ sich literarisch und inschriftlich nachweisen. Wieder vor allem inschriftlich beliebt ist das Motiv, das Material der Statue als Ausweis des Charakters des Dargestellten zu deuten. Ein ekphrastisches Epigramm, welches die Lebensechtheit eines Kunstwerks beschreibt, bezieht sich, wie am Anfang des Kapitels herausgestellt wurde, auf die beim Betrachten entstehende Spannung zwischen »erudition« und »absorption«, zwischen dem Wissen, dass es sich bei dem beschriebenen Gegenstand um ein Objekt handelt, und der Täuschung, dass man die leibhaftige Person zu erblicken meint. Diese Spannung bleibt auch bestehen, wenn das Motiv in die Inschrift übertragen wird: So kommt in NSER 19 ἀτθρήσας, ὦ ξεῖνε, τὸν ἔμπνοον ἔγγυθι χαλκόν κτλ. in der Junktur ἔμπνοον χαλκόν gerade die Stellung der Statue zwischen Lebendigkeit und Materialität zum Ausdruck. Anders verhält es sich mit der Konkurrenz, in die literarisches Epigramm und Kunstwerk treten: Man hat darauf hingewiesen, dass ein ekphrastisches Epigramm das Kunstwerk gerade­zu »ersetzen« soll;9 dabei geht es auch um den Vorrang der Literatur vor der Kunst. Dies kann ein inschriftliches Epigramm gar nicht leisten, da es ja unter dem Kunstwerk steht; die Aufforderung, es »anzublicken«, im literarischen ­Epigramm gleichzeitig ein Verweis auf dessen Nichtvorhandensein und

8 Zum Problem S. 257 Anm. 94. 9 Z. B. Livingstone/Nisbet 2010, 67; vgl. auch die hier vorgeschlagene Interpretation des Echo-Epigramms AP 16, 154 (S. 123–7).

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ein A ­ ppell an die φαντασία des Lesers,10 hat in der Inschrift (ἀτθρήσας) eine ganz konkrete Bedeutung; die Verwendung des Motivs der Lebensechtheit in den Inschriften scheint so vor allem dazu zu dienen, die Qualität des vor Augen stehenden Kunstwerks hervorzuheben. Bemerkenswert ist, dass in zwei Fällen die Versinschrift den Primat der Kunst vor der Literatur hervorhebt. Dass die Beschreibung des Kunstwerks zur Folie für Aussagen über die eigene Dichtung gemacht wird,11 ließ sich in diesem Kapitel nur bei einem Beispiel vermuten (SGO 03/02/13). Ein eigentümlicher Zug der Inschriften scheint es zu sein, Motive, die ursprüng­ lich die Lebensechtheit eines Kunstwerks beschreiben, auch zur Charakte­risierung der Lebendigkeit des sprechenden Objekts zu benutzen. So erscheinen auch nichtikonische Objekte als »lebendig« (wenn sie, wie in SGO 21/24/02, als Taubenschlag lebende Tiere enthalten), »verjüngt«, oder einer Person als besonders »ähnlich« oder »angemessen«. In Kapitel V konnte gezeigt werden, dass das inschriftliche Motiv »keine Dornen, sondern Blumen ums Grab« in der Gegenüberstellung von erwünschtem und unerwünschtem Grabbewuchs sowohl solche hellenistischen Beispiele aufgreift, in denen der Grabbewuchs als »Visitenkarte« des Toten dient, als auch im allgemeineren Sinn einer Gegenüberstellung von locus amoenus und locus horribilis verpflichtet scheint, wie sie sich bei Leonidas AP 16, 230 = HE 2498– 503 oder in den Epigrammen auf gefährliche Quellen findet (bei diesen scheint es sich ausschließlich um literarische Epigramme zu handeln). Wieder lässt sich eine Tendenz zur Entproblematisierung feststellen: Weniger schmeichelhafte Charakterzüge, wie sie in den Epigrammen auf Timon oder Trygonion zum Ausdruck kommen, überhaupt Hinweise, die über generisches Lob hinausgehen (wie die Rosen als Symbol für Jugendschönheit)12 sind in den Inschriften nicht rezipiert. Der Kontrast mit dem Dornenbewuchs scheint nur noch dazu zu dienen, die erhoffte Schönheit des Grabes hervorzuheben. Als »bukolische Inschrift« hat sich, wie schon früher festgestellt wurde, das Epigramm IG IV2,2 786 erwiesen, das inhaltliche und formale Elemente der Gattung aufgreift; als engere thematische Parallele für den »Abschied« von der Bukolik und das Lob der Stadt erwies sich die 7. Ekloge des Calpurnius Siculus. Der »bukolische Apparat« wird aber auch hier dem Lob des Stifters untergeordnet: der Pan der Inschrift weint seinem früheren Leben keine Träne nach und fühlt sich im Hain des Ampelios rundum wohl.

10 Squire 2010. 11 S. hierzu Prioux 2008, 159–252; Squire 2010, 76 »the crafted products of the artist serve as metapoetic figures for the literary creations of the poet.« 12 Im Epigramm des Patron (IGUR III 1303f) mag der Singvogelkatalog auf dichterische Tätigkeit des Toten (oder Interesse an Dichtkunst) hinweisen.

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Schließlich hat es sich gezeigt, dass in Quellinschriften bisweilen auch poetologische Metaphern Eingang gefunden zu haben scheinen, was zeigt, dass die Quelle als metapoetischer Begriff vor allem des Hellenismus auch auf die inschriftliche Poesie ausgestrahlt hat. Gleichwohl ließ sich in einigen Beispielen nur ein thematischer Zusammenhang der Begriffe Quelle und Gesang nachweisen, doch im Gedicht des Grammatikos (IG XII,2 129[1]), und im Hinblick auf die Webmetapher im Epigramm des Nestor (Bernand 122) wird wohl das kallimacheische Dichtungsideal reflektiert. Ein deutlicher Bezug zwischen Form und metapoetischem Inhalt zeigte sich im Epigramm der Kaiserin Eudokia; es überrascht kaum, dass ein so anspruchsvolles Beispiel von einer profilierten Dichterin stammt, aber es zeigt immerhin, dass auch eine Inschrift als angemessener Ort für dichterische Reflexion erscheinen konnte. Diese Beobachtungen zeigen, dass wir für die Versinschriften seit dem Hellenismus in der Tat zwei unterschiedliche, wenn auch einander bedingende Entwicklungslinien erkennen können: Zum einen eine zunehmende Literarisierung, also ein Rückgriff auf die literarische Epigrammatik und die hellenistische Literatur überhaupt, der sich auch in der Übernahme einzelner inhaltlicher Motive und Formulierungen äußert, aber sich darin nicht erschöpft. Vielmehr hat es sich gezeigt, dass sich außerdem gattungsgeschichtliche Entwicklungen abzeichnen: Die Modifikationen und Erweiterungen, insbesondere auch die (oft spielerischen) Problematisierungen, denen traditionelle inschriftliche Topoi in der literarischen Epigrammatik unterworfen werden, wirken nun ihrerseits auf die inschriftliche Epigrammatik zurück. Schließlich spiegeln sich in einem noch weiteren Sinn auch übergreifende literarische Entwicklungen wie die stärkere Hervorhebung der Literarizität von Texten und des Konstruktionscharakters von Dichtung in den Versinschriften. Die Überlegungen zur Gattungsgeschichte führen uns zur zweiten Entwicklungslinie: Es lässt sich nicht nur eine Annäherung an die Literatur auf dem Wege der Übernahme feststellen, sondern es findet auch eine Abgrenzung durch Aneignung statt: Ebenso wie die literarischen Epigramme die inschriftliche Tradition modifizierten und an ihre Aussageabsicht anpassten, eignen sich nun die Versinschriften die literarische Tradition nicht unverändert an, sondern stimmen diese auf die besonderen Verhältnisse ab, denen sie als »echte« Inschriften unterworfen sind. Neben die Literarisierung tritt (sit venia verbo) eine Inskriptionalisierung literarischer Motive. In diesem Spannungsfeld von Literarisierung und Inskriptionalisierung, von Annäherung durch Übernahme und Abgrenzung durch Aneignung scheinen sich die Versinschriften seit dem Hellenismus zu entwickeln. Schließlich war zu fragen, ob sich über die Art der Aneignung Rückschlüsse auf die eigentümlichen Unterschiede zwischen einem inschriftlichen und einem literarischen Epigramm ergeben. Als ein Merkmal der Aneignung hat sich

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erwiesen, dass, während einige literarische Epigramme inschriftliche Topoi destru­ieren, die Inschriften, unter Einbeziehung der literarischen Neuerungen, nicht selten eine Affirmation der Tradition anstreben.13 Dies könnte mit ihrer im Ganzen stärkeren »Gebundenheit« erklärt werden, die sowohl eine Ortsgebundenheit als auch eine Zweckgebundenheit darstellt: Eine Versinschrift bezieht sich auf einen realen Vorgang der Bestattung, Weihung etc.; dieser stellt gewissermaßen ihre Existenzberechtigung dar. Dementsprechend ist sie daraufhin angelegt, ihre Nachricht als verlässlich darzustellen, für das Gelingen der inschriftlichen Kommunikation zu sorgen, den Ruhm des Stifters, des Toten etc. zu mehren. Literarische Epigramme dagegen genießen oft, gerade  – aber nicht nur – wenn das beschriebene Ereignis und die Personen fiktiv sind, größere Autonomie.14 Die genannten Personen oder Dinge stehen oft nicht um ihrer selbst willen, sondern werden dem jeweiligen dichterischen Zweck untergeordnet.15 In diesem (relativen) Sinn scheint mir die bereits vorgeschlagene Charakte­ risierung der Versinschriften als »funktional« bzw. »Gebrauchspoesie« nicht unzutreffend.16 Vermeiden sollte man es allerdings, einen Mangel an dichterischer Autonomie mit einem Mangel an Qualität gleichzusetzen, denn das hieße, an die Versinschriften einen unsachgemäßen Maßstab anzulegen. Beurteilen

13 Der Begriff der »Destruktion der Tradition« wurde für die hellenistische Dichtung (am Beispiel Theokrits) geprägt von Effe 1978 und ist von Fantuzzi/Hunter 2004, 206 kritisiert worden; ich möchte ihn hier dennoch verwenden, verstehe darunter aber nicht, dass so die Unzulänglichkeit der Tradition erwiesen werden soll, sondern dass durch ein (absichtliches) Allzu-wörtlich-Nehmen dieser Tradition Inkonzinnitäten und Irritationen erzeugt werden, die dann in der inschriftlichen Rezeption wieder aufgelöst werden (d. h. die Tradition wird »affirmiert«). Vgl. hiermit Fantuzzi/Hunter 2004, 206 (zur »Korrektur« des Mythos in Theokr. Id. 24): »the fact that Heracles performs his miraculous feat when ten months old, rather than almost immediately after being born … is often ascribed to Theocritus’ concern with ›realism‹ …; it is, however, a curious kind of ›verisimilitude‹ which considers the strangling of snakes appropriate to a ten-month-old baby, but not to a neonate. The very imposition of ›probability-structures‹ upon mythic material does not in fact ironise the myth itself, but rather dramatises the inappropriateness of such strategies of reinterpretation.« Auf die (literarischen) Epigramme übertragen, könnte man von der »imposition of ›probability-­ structures‹« auf die Sprecherrollen sprechen. 14 Sicherlich gibt es auch literarische »zweckgebundene« Epigramme (z. B. Auftragsarbeiten mit bestimmten Vorgaben), doch aufs Ganze gesehen wird man den Verfassern literarischer Epigramme wohl größeren Freiraum zugestehen. 15 Gero von Wilperts Definition der »sogenannten schönen Literatur« (2001, s. v. Literatur) scheint mir auch auf das Verhältnis von inschriftlichem und literarischem Epigramm übertragbar: » die sog(enannte) schöne Literatur …, die nicht zweckgebundene und vom Gegenstand ausgehende Mitteilung von Gedanken, Erkenntnissen, Wissen und Problemen mit prakt(ischer) Zielsetzung ist, sondern aus sich heraus besteht und e(ine) eigene Gegenständlichkeit hervorruft.« 16 S. 23 Anm. 24.

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sollte man sie vielmehr danach, wie geschickt sie ihre Aufgabe im Rahmen der ihnen gesteckten Möglichkeiten erfüllen; dann zeigt sich, dass die Versinschriften in der kreativen Weiterführung literarischer Techniken unter den ihnen eigenen Vorzeichen einen selbständigen Beitrag zur Entwicklung der epigrammatischen Dichtung leisten konnten.

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Register

Sach- und Namensregister1 ἀεί  52 mit Anm. 98; 74; 140 mit Anm. 114; 153; 334 Anm. 128 affirmativ/Affirmation  25; 178 f.; 362; 370 anikonisch  29 mit Anm. 9; 241 mit Anm. 34; 254 Animismus  32–6; 41 Anm. 59; 155 mit Anm. 165; 255 Anm. 87 anonym Trauernder  45; 141 mit Anm. 119; 142–3 Appell, Appellstruktur  39; 55 Anm. 105; 68; 363 mit Anm. 3 ἀρχέτυπον s. εἰκών Ares (Metonymie für Waffe)  89 mit Anm. 213 und 214; 90; 159 Asyndese  212 Anm. 175; 219–26; 272 Auctor/Urheber/Sender  38 f.; 44 f.; 51 f.; 67–9 –– Abwesenheit  38 f.; 43; 68 f. Beseelung  48 f.; 88; 130–2; 144; 154–61; 274; 289; 364 Bild –– Bildbegriff 237–9 –– ontologischer Status  34 Anm. 31; 227 Anm. 223; 237 f. Anm. 29; 252 –– Verhältnis von Bild und abgebildeter Person  230 f. –– »Realpräsenz«  41; 163–5; 241 Anm. 34 –– Unterschied Menschenbild / Götterbild  253 f. Brief 43–5 Bugonie  113 Anm. 20 Cento  110 f.; 342 mit Anm. 165; 352 Chares-Inschrift  33; 239 Anm. 30; 244; 249 Anm. 60 destruktiv/Destruktion  25; 80; 370 mit Anm. 13

Dramatisierung der Lektüre  55–7; 191–3 Echo  s. Kap. II.1.; 153 f.; 198 f.; 314; 318 Anm. 67; 363; 365 Anm. 7; 366 echoicum, versus echoicus 110 Eigennamen-Typus  41 mit Anm. 61; 150; 230 f.; 267 f.; s. Kap. IV.1.1.3. εἰκών  125 f.; 204 f.; 227; 249–52 –– im Verhältnis zu ἀρχέτυπον  205; 252 Ekphrasis (vgl. »Paragone«) –– allgemein  264; 345; 358 f. –– im Epigramm 26; 124–7; 131; 148; ­203–6; 226; 229 f.; s. Kap. IV.1.1.2.; 263 f.; 275; 289; 357 f.; 366 f. –– verbum videndi  117; 264 ἔμπεδος  277, 284 ἔμπνοος   100 mit Anm. 266; 205; 272; 367 ἐνάργεια  261–4; 274 Epiphanie  246; 251; 261–4 »Erwartung«, »Aufschluss« (Lessing)  53; 87 Anm. 208 ἐσσομένοισιν ἀοίδιμον  335 Anm. 134; 339 mit Anm. 149 Eudokia Augusta  340–353 face-to-face-Situation/direkte Kommunikation  39; 43; 46 f.; 167 mit Anm. 24 Fiktionalität und Lüge  69; 72; 202 Anm. 35 genus dissolutum  217 Göttersteine  34; 214 mit Anm. 34 Inschrift als »Stimme«  29; 54; 57; 76 f.; 79 Anm. 184; 94 mit Anm. 240; 126 mit Anm. 77; s. Kap. III.2.2.5. Inschrift in der Inschrift  55–7; s. Kap. III.1.4. Inschriftliches Epigramm / Inschriften: –– außergriechische Parallelen  39

1 Nicht aufgenommen wurden Begriffe, die durch die Kapitelüberschriften im Inhaltsverzeichnis hinreichend erschlossen sind.

Register –– etruskisch (italisch)  31 Anm. 20; 45 Anm. 75; 242 Anm. 35 –– orientalisch (allgemein)  31 Anm. 20; 33 f.; 40–2; 240 Anm. 32 –– phönizisch  33; 35 mit Anm. 33; 39 Anm. 47; 42 Anm. 65; 71 Anm. 161; 242 Anm. 35 –– Runeninschriften  36 Anm. 40; 39 Anm. 47 –– Genitiv der dargestellten Person  249–51 –– Genitiv des Affekts  141 f. –– Genitiv/Nominativ  240 Anm. 32; 242 Anm. 36 –– Imperativ  29; 162 –– Nominativ  33; 55 Anm. 108; 240 f. mit Anm. 32 –– »Nominativus absolutus«  98 Anm. 255 –– Plural statt Singular  134 Anm. 100; 153 Anm. 160 f.; 207 Anm. 154 –– verbum dicendi im Futur  29 Anm. 6; 73; 84 mit Anm. 198; 187 f.; 334 Anm. 128 –– Vokativ  29 mit Anm. 8; 141; 162 κεκλασμένος  215; 217 Anm. 196; 225 Anm. 218 Kenotaph  70; 131 f.; 167 mit Anm. 26 κερκίς  65 f. κλέος/Nachruhm  38, 65 f.; 72; 82 f.; 232; 235; 275 f.; 291; 334 Anm. 128; 370 Königsinschriften  41 f. Kompensationsgedanke  66 mit Anm. 148; 194 mit Anm. 101 Kontinuität im Wandel (Kontinuität von Leben und Tod)  122 Anm. 57; 130; 198; 201 f.; 209 f.; 212 mit Anm. 177; 233 f.; 297 f.;  366 κωφός  100 Anm. 265; 135 mit Anm. 104 Lebensechtheit des Kunstwerks –– allgemein  75; 148; 229–31; 272–5 –– αὐτὸν (τὸν δεῖνα)  206; 226 Anm. 219 –– Autopsie  248 mit Anm. 54; 251 Anm. 70 –– erstarrt  203 f. –– früher einmal lebendig  283 f.; 314 f.; 318 f. –– schmerzempfindlich  131 Anm. 94; 148 mit Anm. 140; 267 f. –– schweigsam 226–8 –– sprachbegabt 75 –– übertragen auf sprechenden Gegenstand  272; 274 f.; 280 f.

397

Lektüre –– kognitiver Ablauf  121 Anm. 51 –– lautes Lesen  38 Anm. 45; 79 Anm. 185; 100 Anm. 266; 108; 121 Anm. 51; 125 f. –– leises Lesen  49 mit Anm. 92; 87 mit Anm. 205 Leserbindung  105; 314; 363; s. Appell literarische Techniken –– Spiel mit der Etymologie  114; 116 Anm. 35; 183; 225; 268 f.; 299; 329 f.; 334 –– »window-reference« (conflation)  64 Anm. 136; 348 Anm. 186; 352 Anm. 199 literarisches und inschriftliches Epigramm –– Abgrenzung voneinander  20 Anm. 16; 23 mit Anm. 24; 369 –– affirmativ/destruktiv  s. »affirmativ/­ Affirmation« bzw. »destruktiv/Destruktion« –– direkte Imitation  18 Anm. 10; 20 f.; 182 Anm. 69 –– Komplexität literarischer Anspielungen  363 Anm. 4 –– Literarizität  23 mit Anm. 23; 369 –– thematische Parallelen  21 f. –– Übernahme/Aneignung  25; 361 f.; 369 f. Löwe  21 f.; 77; 214; 234–6; 282–4; 351 λύω (λελυμένοϛ)  213–7 Marmorbild 293–5 Menhir  33 mit Anm. 28 Mimesis/mimetisch  204; 227 f.; 250; 251 Anm. 70; 253 Anm. 79 μορφή  217; 249; 265 f.; 271; 279; 285; 292 Mutter Erde  97 mit Anm. 251 Mysterium der Musenweihe  89 mit Anm. 214; 90–3; 305 Anm. 20 Mytacismus  123 Anm. 61 Naturalismus  230 Anm. 7; 253 –– des Götterbildes  248; 251 Anm. 70; 253 f. Nestorbecher  30 f.; 35 Anm. 34; 37 f. nichtikonisch  29 mit Anm. 9; 368 ὅδε εἰμί etc.  45 mit Anm. 75 οἴμοι-Inschriften  141 f. Orientalismus  34 Anm. 31 οὐκέτι  203 mit Anm. 138; 283 f. mit Anm. 175; 314–9 Pantomime s. Topoi, Pantomimus Paradiesflüsse 345–50

398

Register

Paragone (Wettstreit der Künste)   82 f.; 117; 204 f.; 228; 264; 273 f.; 367 Parallelität von Kunst und Leben  200 Pathossteigerung  81; 86 f.; 137; 144; 180; 354 f.; 364 performativer Widerspruch  68 Persuasionsforschung  69 Anm. 156 Petros Barsymes  295–8 Phantasie/φαντασία  253 Anm. 79; 264; 368 Poetik des Epigramms –– art of variation  18 Anm. 10; 122 f. –– Formelhaftigkeit  28 Anm. 2 –– Intertextualität  28 Anm. 2 –– monumental context  19 f.; 161 –– Sprecherrollen –– allgemein  25 f. –– ambivalent  29 f.; 68 f.; 124 Anm. 68; 163; 172–4 –– neu 45 –– neutral/personal  31 mit Anm. 18 und 19; 43–5 –– Überinformation  20; 67 mit Anm. 152; 321 mit Anm. 76; 337 –– unreflektierte Imitatio/mechanische Übernahme  18 Anm. 10; 123 mit Anm. 63 Poetologische Metaphern –– ἄεισμα διηνεκές  331; 351 mit Anm. 198 –– Fließen der Stimme/Dichtung/Rede  79; 91 f.; 218 f.; 325 Anm. 92; 332 mit Anm. 121; 350 Anm. 195; 355 –– Homer als Ozean  325 Anm. 92; 351 f.; 353 Anm. 202 –– Honig  350 Anm. 195 –– Kleinheit / Feinheit (λεπτότης)  91; 93 Anm. 234; 199 Anm. 126; 288; 351; 358 Anm. 223; 359 –– Könige  331 f. –– παχύς 105 –– πόνος  101 f.; 104 f.; 313 Anm. 53; 328 Anm. 101 –– Quelltrunk  91–3; 324 f. mit Anm. 92 –– Schlaflosigkeit  104 mit Anm. 280 –– Schwere des Alters  278 –– Vergleich zweier Gewässer  303; 325 Anm. 92; 334 –– Waschung  324 mit Anm. 85 –– Weben 359 –– Weg  91 f.; 303 –– Wein/Wasser  93 mit Anm. 234; 323f; 325 Anm. 92; 334 Pythagoras 226

qualis oratio talis vita  219 Anm. 201; 226 Rätsel  50 f.; s. Kap. I.3.3.6.; 113 f.; 192; 361–3 Realismus  257 Anm. 94; 370 Anm. 13; s. Naturalismus ῥήγνυμι φωνήν  79 f. Rekonstruktionsspiel  192 f. Religionskritik  237 Anm. 29; 257 Anm. 94; 367 Sardanapal  184–6; 308 Anm. 32 Satorquadrat 107 Schreien der Inschrift  48 f.; 80 f.; 361 Sotadeen  207 f.; 213–25 Sprechblaseninschriften  48 Anm. 88 Stein (Inschriftenträger) –– leblos, unempfindlich  94; 99 f.; 130 Anm. 91 –– schweigsam  35 f. –– unbeweglich  35; 60 mit Anm. 121; 204 Anm. 141; 277; 283 f. –– vergänglich  75 Anm. 170; 275 f. stummes Sprechen  49–51; 75; 81 Anm. 189; 83 Anm. 196; 84 f.; 89; 100; 104; 135; 186; 189; 195; 197 mit Anm. 113; 204 Anm. 140; 210 mit Anm. 168; 361; 363–6 Technopaignien  88; 95; 101 mit Anm. 272; 111–7 τέλος  102 mit Anm. 273; 201 mit Anm. 132; 333 θαῦμα  s. Kap. I.3.3.2.2.; 80; 87; 136; 144; 148; 179 f.; 361 f.; 364 τις  334 Anm. 128 τίϛ τίνοϛ  81 Anm. 190; 226 f. τοῖος, ὁποῖον ὁρᾷς  231 f. Topoi –– Ekphrasis s. »Lebensechtheit des Kunstwerks« –– Epigramm allgemein –– »Bleib stehen (und lies)«  78; 102; 161; 181; 183; 301; 363 Anm. 3 –– Grabepigramme –– Blumenbewuchs  306 mit Anm. 25 und 26; 309 –– Bühnentod  212 Anm. 177 –– γαῖα κεύθει / καλύπτει  97 Anm. 252 –– Elysiumsgarten  308 mit Anm. 31 –– Erstarren im Tod  211 f. –– Grabmal ersetzt den Toten (ἀντί)  151 –– Hochzeit mit Hades  194 Anm. 101

Register –– –– –– –– ––

Leben als Darlehen  202 Anm. 135 Mythenkritik 181–6 οὐδενόϛ εἰμι τάφοϛ  69–72 οὐ μέλει μοι  181 Anm. 67 παῖς τέλειος/puer senex  196 mit Anm. 105 –– Reichtum im Hades  183 mit Anm. 75 –– Toter entspricht seinem Denkmal  97 mit Anm. 250; 298 f. mit Anm. 216 –– Verkünden des Todes  134 Anm. 100 –– Welkende Blume  211 mit Anm. 172 –– locus amoenus  115 Anm. 33; s. Kap. V –– Pantomimus –– »Ansteckung« des Publikums  214 Anm. 80

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–– Erstarren auf der Bühne  204 f.; 212; 282 –– stummes Sprechen  205; 210 mit Anm. 167 f. –– Unsagbarkeitstopos  343; 345 Anm. 178; 350 tote Buchstaben  98 f. trespassing  146 mit Anm. 133 Unsterblichkeit durch Dichtung  99; 190; 276 Verschriftung / Verschriftlichung  40, 42–4 verständige/unverständige Leser  58 f.; 105 mit Anm. 285; 314 Anm. 56 χάλκεος  73–5; 232 Anm. 13; 266; 288–91 χρύσεος  62 f.; 266 f.; 289–97; 305 Anm. 18

Stellenregister (in Auswahl)1 Acta Joannis 3, 17  212 Anm. 174 Ael. Var. Hist. 13, 22  325 Anm. 92 Aesop. Nr. 185  91 Anm. 222 Agathias Hist. 2, 15, 7  358 Anm. 223 Aischin. Sokr. Fr. 37 Dittmar  203 Anm. 139 Aischylos –– Ag. 242 f.  58 Anm. 117 –– Eum. 55  250 –– Hik. 946–9  49 Anm. 89 –– Pers. 623–851  168 –– Pers. 841 f.  183 Anm. 75 –– Prom. 450 f.  358 Anm. 223 –– Sept. 375–652  47–9 –– Sept. 464 f.  52 Anm. 99 –– Sept. 559  250 Anm. 64 –– Sept. 874  335 Anm. 131 AL2 111  210 Anm. 167; 212 Anm. 175; 222 AL2 721  100; 190 Alex. Aphrod. Probl. 3, 17  117 Anm. 41 Alk. Fr. 140 Voigt  160 Anm. 190 Alkid. Soph. 27–8  59 f.; 86 Anm. 202; 98 f.; 126 Anacreontea 17, 25 f.  210 Anm. 168 Anakreon PMG 43  297 Anm. 211 Ant. Lib. 39, 6  281 Anm. 168

Anth. App. 7, 45 (XL)  89 Anm. 216 Anth. App. 7, 53 (XLVIII)  94 Anm. 241 Anth. App. 7, 54 (XLIX)  102 Anm. 275 Antiph. Fr. 55 K.-A.  96 Antiph. Fr. 164, 7 K.-A.  210 Anm. 168 Antiph. Fr. 194 K.-A.  50 f.; 57 Anm. 114; 89; 96 AP 1, 14 (Anon.)  278 Anm. 160 AP 2, 29–31  287 AP 2, 31  203 Anm. 139 AP 2, 42–4  287 AP 2, 186–8  153 Anm. 162 AP 4, 1 (Meleager)  61 Anm. 124 AP 5, 28 (Rufinus)  310 Anm. 39; 312 AP 5, 135 (Anon.)  100 Anm. 263; 350 Anm. 195 AP 5, 190 (Meleager)  362 Anm. 1 AP 5, 292 (Agathias)  308 Anm. 35 AP 5, 299 (Agathias)  289 Anm. 186 AP 6, 13 (Leonidas v. Tarent)  23 Anm. 26 AP 6, 47 (Antipater v. Sidon)  66 Anm. 147 AP 6, 67 (Julianos v. Ägypten)  91 Anm. 223 AP 6, 95 (Antiphilos)  331 Anm. 116 AP 6, 122 (Nikias)  157–9 AP 6, 123 (Anyte)  66; 159–61

1 Kallimachos’ Epigramme stehen unter »Kallimachos« und »HE« (nicht unter AP!); alle anderen griechischen Epigrammatiker erscheinen unter AP (bzw. unter dem Autor, bei dem sie sonst überliefert sind [z.B. Athenaios]); Poseidipps Epigramme erscheinen unter AP und HE (soweit dort zu finden), auch unter »Poseidipp«.

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Register

AP 6, 218 (Alkaios v. Messene)  214 Anm. 80 AP 6, 227 (Krinagoras)  93 Anm. 237 AP 7, 228 (Anon.)  70 f. AP 6, 251 (Philipp)  350 Anm. 195 AP 6, 269 (ὡς Σαπφοῦς)  94 Anm. 240; 112 AP 6, 284 (Markus Argentarius)  357 Anm. 219 AP 6, 334 (Leonidas v. Tarent)  266 Anm. 132 AP 6, 353 (Nossis)  206 AP 7, 8 (Antipater v. Sidon)  318 Anm. 67 AP 7, 10 (Anon.)  145 AP 7, 11 (Asklepiades)  328 Anm. 101 AP 7, 23 (Antipater v. Sidon)  309 AP 7, 24 (Simonides)  309 AP 7, 30 (Antipater v. Sidon)  309 AP 7, 31 (Dioskorides)  321 Anm. 77; 323 AP 7, 138 (Akeratos Grammatikos)  201 Anm. 132 AP 7, 142 (Anon.)  147 Anm. 136 AP 7, 153 (Homer oder Kleobulos v. Lindos) s. GVI 1171 AP 7, 155 (Anon.)  200 Anm. 129; 212 Anm. 177 AP 7, 163 (Leonidas v. Tarent)  21 AP 7, 191 (Archias)  122 f. AP 7, 193 (Simias)  100 Anm. 263 AP 7, 198 (Leonidas v. Tarent)  198 Anm. 115 AP 7, 202 (Anyte)   318 Anm. 68 AP 7, 214–6  284 Anm. 175 AP 7, 214 (Archias)  319 AP 7, 215 (Anyte)   318 Anm. 68; 319 AP 7, 222 (Philodem)  309 f. AP 7, 223 (Thyillos)  318 Anm. 67 AP 7, 249 (Simonides)  134 AP 7, 273 (Leonidas v. Tarent)  167 Anm. 26 AP 7, 311 (Anon.)  149 AP 7, 313–20  310 Anm. 43 AP 7, 315 (Zenodotos)  310 f. AP 7, 322 (Anon.)  174 Anm. 49 AP 7, 327 (Anon.)  132 Anm. 99 AP 7, 328 (Anon.)  132 f.; 135; 364 Anm. 3 AP 7, 344a und b (Simonides)  22 Anm. 21 und 22; 282; 284 AP 7, 386 (Bassus)  212 Anm. 176 AP 7, 409 (Antipater v. Thessalonike)  91 Anm. 227 AP 7, 417 (Meleager)  61 Anm. 124 AP 7, 426 (Antipater v. Sidon)  21; 22 Anm. 21 AP 7, 428 (Meleager)  65 mit Anm. 143 AP 7, 429 (Alkaios v. Messene)  105 Anm. 285

AP 7, 457 (Ariston)  334 Anm. 127 AP 7, 465 (Herakleitos)  191 Anm. 93 AP 7, 467 (Antipater v. Sidon)  151 AP 7, 468 (Meleager)  132; 135 mit Anm. 103; 364 Anm. 3 AP 7, 496 (Simonides)  80 AP 7, 506 (Leonidas v. Tarent)  177; 365 AP 7, 511 (Simonides)  138 AP 7, 535 (Meleager)  316–8 AP 7, 548 (Leonidas v. Alexandria)  120 f. AP 7, 558 (Anon.)  188 Anm. 88 AP 7, 562 (Julianos v. Ägypten)  286 Anm. 180 AP 7, 563 (Paulus Silentiarius)  203 f. AP 7, 577 (Julianos v. Ägypten)  310 Anm. 43 AP 7, 589 (Agathias)  151 AP 7, 599 (Julianos v. Ägypten)  133; 135; 364 Anm. 3 AP 7, 641 (Antiphilos)  100 Anm. 263 AP 7, 710 (Erinna)  134 Anm. 100 AP 7, 724 (Anyte)  64 f. AP 8, 129 (Greg. Naz.)  145 AP 8, 130 (Greg. Naz.)  338 Anm. 146 AP 8, 152 (Greg. Naz.)  338 Anm. 146; 339 Anm. 147 AP 8, 219 (Greg. Naz.)  339 Anm. 149 AP 9, 64 (Asklepiades oder Archias)  93 AP 9, 87 (Marcus Argentarius)  318 Anm. 67 AP 9, 162 (Anon.)  90–3 AP 9, 177 (Anon.)  119 f. AP 9, 184 (Anon.)  325 Anm. 92 AP 9, 229 (Marcus Argentarius)  350 Anm. 195 AP 9, 230 (Honestus)  303 Anm. 14 AP 9, 313–38  313 Anm. 50 AP 9, 313 (Anyte)  306 AP 9, 315 (Nikias)  332 Anm. 123; 334 Anm. 126 AP 9, 316 (Leonidas v. Tarent)  232 Anm. 13 AP 9, 319 (Philoxenus)  268 Anm. 136 AP 9, 324 (Mnasalkes)  114 Anm. 31 AP 9, 341 (Glaukos)  334 Anm. 126 AP 9, 382 (Anon.)  110 f. AP 9, 392 (Anon.)  321 Anm. 77 AP 9, 398 (Julianos v. Ägypten)  97 Anm. 251 AP 9, 406 (Antigonos)  93; 315 Anm. 59; 324 Anm. 85 AP 9, 437 (Theokrit)  255 Anm. 86 AP 9, 505 (Anon.)  210 Anm. 167 AP 9, 545 (Krinagoras)  91 Anm. 227 AP 9, 588 (Alkaios v. Messene)  232 Anm. 13; 289 Anm. 187

Register AP 9, 600 (Theokrit)  151; 201 Anm. 130 AP 9, 625 (Makedonios Consul)  261–4 AP 9, 631 (Agathias)  339 Anm. 147 AP 9, 656 (Anon.)  338 Anm. 143 AP 9, 660 (Anon.)  325 Anm. 92; 339 Anm. 147 AP 9, 662 (Agathias)  339 Anm. 147 AP 9, 678 (Anon.)  338 Anm. 145 AP 9, 719 (Leonidas v. Tarent)  281 AP 9, 720 (Antipater v. Sidon)  281 AP 9, 723 (Antipater v. Sidon)  281 AP 9, 727 (Anon.)  75 AP 9, 732 (Marcus Argentarius)  281 AP 9, 738 (Julianos v. Ägypten)  285 Anm. 179 AP 9, 740 (Tullius Geminus)  281 AP 9, 742 (Philipp)  281 AP 9, 756 (Aemilianus)  281 f. AP 9, 815 (Anon.)  280 Anm. 166 AP 11, 17 (Nikarch)  298 Anm. 212 AP 11, 20 (Antipater v. Thessalonike)   323 f. AP 11, 53 (Anon.)  310 Anm. 39; 312 AP 11, 85 (Lukillios)  204 Anm. 141; 282 Anm. 172 AP 11, 130 (Pollianos)  123 Anm. 63 AP 11, 138 (Lukillios)  286 AP 11, 145 (Anon.)  227 AP 11, 148 (Lukillios)  286 AP 11, 149 (Anon.)  228 AP 11, 151 (Anon.)  227 AP 11, 253 (Lukillios)  205 AP 11, 259 (Lukillios)  204 Anm. 141 AP 11, 312 (Lukillios)  69–72 AP 11, 414 (Hedylos)  221 Anm. 207 AP 12, 98 (Poseidipp)  328 Anm. 101 AP 12, 101 (Meleager)  268 Anm. 138 AP 12, 115 (Anon.)  93 Anm. 235 AP 12, 129 (Arat)  80 AP 12, 204 (Straton)  310 Anm. 39 AP 13, 3 (Theokrit)  201 Anm. 130 AP 14, 35 (Anon.)  116 Anm. 36 AP 14, 41 (Anon.)  88; 96 AP 14, 42 (Anon.)  96 AP 14, 45 (Anon.)  89 f.; 91 Anm. 221 AP 14, 60 (Anon.)  89; 91; 96 AP 14, 61 (Anon.)  96 AP 14, 105 (Anon.)  116 Anm. 36 AP 14, 109 (Anon.)  96 AP 14, 132 (Metrodoros)  289 Anm. 187 AP 15, 46 (Anon.)  290 Anm. 192 AP 16, 13 (Platon)  334 Anm. 126

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AP 16, 23 (Simonides)  29 Anm. 7 AP 16, 25 (Philipp)  281 AP 16, 27 (Anon.)  184 Anm. 76 AP 16, 32 (Leontios Scholastikos)  290 Anm. 189 AP 16, 37 (Leontios Scholastikos)  295–8 AP 16, 45 (Anon.)  294 Anm. 203 AP 16, 54 (Anon.)  282 AP 16, 58 (Anon.)  138 Anm. 110 AP 16, 81 (Philipp)  248 Anm. 54; 251 Anm. 70 AP 16, 83 (Anon.)  285 Anm. 179 AP 16, 86 (Anon.)  232 Anm. 13 AP 16, 113 (Julianos v. Ägypten)  153 Anm. 162 AP 16, 120 (Asklepiades)  75; 288; 289 f. AP 16, 129 (Anon.)  148 AP 16, 130 (Julianos v. Ägypten)  148 AP 16, 134 (Meleager)  212 Anm. 176 AP 16, 152 (Gauradas)  109; 118 f. AP 16, 154 (Archias)  123–7; 367 Anm. 9 AP 16, 160 (Platon)  252 Anm. 70 AP 16, 161 (Plato Junior)  282 AP 16, 162 (Anon.)  247 f.; 251 Anm. 70 AP 16, 216 (Parmenion)  248 Anm. 54 AP 16, 228 (Anyte)  301; 306; 320 f. AP 16, 230 (Leonidas v. Tarent)  302–6; 312; 325 f.; 368 AP 16, 245 (Leontios Scholastikos)  131 Anm. 94 AP 16, 246 (Anon.)  206 AP 16, 275 (Poseidipp)  235; 237; 286 AP 16, 284 (Leontios Scholastikos)  282 AP 16, 287 (Leontios Scholastikos)  209 Anm. 166 AP 16, 289 (Anon.)  206 AP 16, 290 (Antipater v. Thessalonike)  205 f. AP 16, 305 (Antipater v. Thessalonike)  91 Anm. 226 AP 16, 306 (Leonidas v. Tarent)  74 Anm. 165 AP 16, 307 (Leonidas v. Tarent)  74 Anm. 165 AP 16, 313 (Anon.)  294 Anm. 203 AP 16, 314 (Arabios Scholastikos)  294 Anm. 203 AP 16, 317 (Palladas)  226 f. AP 16, 318 (Anon.)  227; 228 Anm. 226 AP 16, 325 (Julianos v. Ägypten)  226 AP 16, 326 (Anon.)  226 AP 16, 334 (Antiphilos v. Byzanz)  275 AP 16, 343 (Anon.)  289; 291 AP 16, 375 (Anon.)  203 Anm. 139

402

Register

Apoll. Rhod. 1, 721–68  358 Anm. 224 Apoll. Rhod. 1, 1065–9; 1148–9  329 Anm. 107 Apoll. Rhod. 3, 151  267 Anm. 133 Apoll. Rhod. 3, 219–29  347–9 Apoll. Rhod. 3, 223  337 Apoll. Rhod. 3, 1287  331 Anm. 116 Apoll. Rhod. 4, 1417  337 Apul. Met. 2, 25, 5  226 Anm. 221 Apul. Met. 5, 25  110 Apul. Met. 8, 26  216 Anm. 189 Archil. Fr. 122 W  284 Anm. 175 Arist. Poet. 1458a26–30  88 Anm. 212; 89 Anm. 215 Arist. Rhet. 1411b31–32  130 Anm. 93; 155 Anm. 165 Arist. Rhet. 1413b17–31  219 Anm. 202 [Arist.] Physiogn. 808a13–17  214 f. [Arist.] Physiogn. 813a34–5  215 Anm. 182; 225 Anm. 218 [Arist.] Probl. 898b  194 Anm. 100 [Arist.] Probl. 899b18–36  130 Anm. 89 Aristophanes –– Fr. 598 K.-A.  350 Anm. 194 –– Pl. 62  70 Anm. 159 –– Ran. 52 f.  61 Anm. 123 –– Ran. 818  332 –– Ran. 911–20  150 Anm. 148 –– Ran. 930–2  104 Anm. 279 –– Ran. 939–41  278 –– Ran. 1315 f.  66 Anm. 147 –– Thesm. 977 f.  337 Anm. 142 –– Thesm. 1056–97  111 Anm. 10 Aristoph. Byz. T 7 Slater  200 Athanasios, Or. Arian. 1, 4, 3  214 Athanasios, Synod. Armin. 15  214 Ath. 20d  226 Anm. 219 Ath. 308b-c  116 Anm. 35 Ath. 347e  325 Anm. 92 Ath. 457b  100 Anm. 263 Ath. 620e-f  208 Anm. 158 Ausonius Ep. 11 Kay  127 Anm. 82 Ausonios Ep. 45–7, 51–2 Kay  226 Anm. 220 Ausonius MGH 5,2 S. 132–9  101 f. Anm. 272 Avit. 1, 262–3, 290  346 Anm. 180 Bakchyl. 13, 61  290 Anm. 191 Bakchyl. Fr. 14 (22) Maehler  292 Anm. 198 Basilius v. Cäsarea Epist. 9, 3  99 Basilius v. Cäsarea Epist. 94, 1  99 Basilius v. Cäsarea Epist. 212, 2  99

Basilius v. Cäsarea Epist. 343  350 Anm. 195 Bas. Seleuc. Vita Mirac. St. Thecl. 10  358 Anm. 223 Bernand 6  141 Anm. 117 Bernand 22  85 Bernand 27  84 f.; 334 Anm. 128 Bernand 34  313 f.; 319 Bernand 37  86 Anm. 202 Bernand 45  134 Anm. 101 Bernand 60  81 f. Bernand 63  85 f. Bernand 68  22 Anm. 21; 76 f.; 94 Anm. 240; 178 Anm. 61 Bernand 84  306 Anm. 26 Bernand 97  183 Anm. 72; 216 Anm. 192 Bernand 98  65 Anm. 140 Bernand 102  78–80 Bernand 108  102–7; 207 Anm. 156 Bernand 114  72 f. Bernand 115  72 f. Bernand 118  339 Anm. 149 Bernand 122  356–60; 369 Bernand 123  291 f. Bernand 168  86 Anm. 202; 101 Anm. 269; 207 Anm. 156; 305 Anm. 20; 324 Anm. 85; 325 Anm. 90 Bernand, Philae 143  85 Anm. 201; 101 f.; 301 Anm. 7; 363 Anm. 3 Bess, Inschriftenaufzeichnungen 6–7(2)  82 Anm. 192 Bion Epit. Adon. –– ἀπώλετο καλὸς Ἄδωνις  110 Bion Epit. Adon. 31–4  110; 145 Bion Epit. Adon. 37 f.  110 Bion Epit. Adon. 88 f.  318 Bion Fr. 5 Gow  114 Anm. 31 [Bion] Epithal. 1  335 Anm. 132 BMC Greek (Ionia) 1, S. 47 Nr. 1  30 Anm. 15 CA 321  65 Anm. 140 Cairon 4  201 Anm. 130 Cairon 46  293 Anm. 201 Calp. Sic. 1  191 Anm. 93 Calp. Sic. 1, 31 f.  191 Anm. 94 Calp. Sic. 7  319; 368 Calp. Sic. 7, 5  315 Carm. Priap. 6, 1  232 Anm. 13 Cassiodor Variae ed. Mommsen 4, 51, 8  205 Anm. 146; 210 Anm. 167 Cassiodor Variae ed. Mommsen 4, 51, 9  205

Register Cassius Dio 61, 20  356 Anm. 212 Catull. 11, 3–4  109 Catull. 62, 42 und 44; 53 und 55  111 Catull. 63  223 f. Catull. 63, 2  216 Anm. 191 Catull. 63, 58–73  223 f. Catull. 64  358 Anm. 224 Catull. 95  328 Anm. 101 CE 53  83 Anm. 196 CEG 4  163 Anm. 7 CEG 5  163 Anm. 7; 168 CEG 10  158 CEG 11  158 CEG 13  29 Anm. 8; 163 Anm. 5 CEG 19  160; 163 Anm. 7 CEG 20  159 Anm. 188 CEG 24  163 Anm. 5; 164 f. CEG 26  31 Anm. 16 CEG 27  29 Anm. 8; 77 Anm. 177; 158; 159; 163 Anm. 4; 301 CEG 28  29 Anm. 8; 77 Anm. 177; 163 Anm. 4; 301 CEG 29  31 Anm. 16 CEG 31  160 CEG 34  29 Anm. 8 CEG 42  31 Anm. 16 CEG 47  163 Anm. 7 CEG 48  163 Anm. 7 CEG 49  141 CEG 50  162; 163 Anm. 7 CEG 53  43; 55 Anm. 106 CEG 58  28; 143 CEG 68  29 Anm. 8 CEG 69  163 Anm. 7 CEG 72  45 Anm. 75 CEG 74  39 Anm. 48 CEG 77  55 Anm. 108 CEG 80  29 Anm. 8; 162; 163 Anm. 6 CEG 82  163 Anm. 7 CEG 83  158 CEG 84  31 Anm. 16 CEG 86  28; 159 Anm. 188 CEG 87  31 Anm. 16; 162; 172 CEG 89  55 Anm. 108; 162; 163 Anm. 6; 233 f.; 366 CEG 95  55 Anm. 108; 163 Anm. 7 CEG 96  55 Anm. 108 CEG 97  140 Anm. 114; 163 Anm. 7 CEG 98  300 f.; 338 Anm. 146 CEG 99  163 Anm. 6 CEG 101  159

403

CEG 106  31 Anm. 16 CEG 108  29 mit Anm. 8; 54–7; 77 Anm. 177; 85; 86 Anm. 203; 162; 163 Anm. 6; 175 Anm. 53; 361 CEG 109  55 Anm. 108 CEG 110  29 Anm. 8 CEG 112  158 CEG 114  163 Anm. 6 CEG 115  163 CEG 117  29 Anm. 8 CEG 119  163 Anm. 6; 166 Anm. 21; 172 f.; 196 CEG 120  159 Anm. 188; 173 CEG 122  55 Anm. 106 CEG 124  76 Anm. 174 CEG 127  163 Anm. 7 CEG 131  29 Anm. 8; 162; 163 Anm. 6; 167 CEG 132  167 Anm. 25 CEG 136  39 Anm. 48 CEG 141  163 Anm. 7 CEG 142  31 Anm. 16; 242 Anm. 36 CEG 143  167 Anm. 25 CEG 144  28 CEG 146  37 CEG 148  29 Anm. 8 CEG 150  29 Anm. 8 CEG 152  163 Anm. 7 CEG 153  28; 36; 151 CEG 159  29 Anm. 8; 162; 163 Anm. 6 CEG 161  318 Anm. 68 CEG 162  28; 29 Anm. 8 CEG 163  163 Anm. 7; 166 Anm. 21 CEG 166  162; 167 mit Anm. 25 und 27; 170 f. CEG 167  31 Anm. 16 CEG 171  163 Anm. 6; 166 Anm. 21 CEG 173  28; 29 CEG 174  29 Anm. 8; 45 Anm. 75 CEG 176  163 Anm. 6 CEG 190  45 Anm. 75 CEG 192  28 CEG 194  158 CEG 195  45 Anm. 75 CEG 227  112; 158 CEG 234  271 Anm. 143 CEG 247  242 CEG 260  271 Anm. 143 CEG 264  29 Anm. 8 CEG 266  164 Anm. 12 CEG 268  271 Anm. 143 CEG 270  28

404 CEG 286  29 mit Anm. 8; 53; 56; 58 Anm. 118; 108 CEG 302  249 Anm. 60 CEG 304  246 CEG 307  242 CEG 325  271 Anm. 143 CEG 326  271 Anm. 143 CEG 330  39 Anm. 48 CEG 347  28 CEG 357  271 Anm. 143 CEG 390  28 CEG 394  231 CEG 399  29 Anm. 8; 249 Anm. 56 CEG 400  243 f. CEG 401  36 CEG 407  249 Anm. 60 CEG 415  242 CEG 421  159 CEG 429  29; 36; 38 Anm. 45; 53 f.; 56; 79; 94 Anm. 240; 158 Anm. 178; 173 CEG 436  29 Anm. 13 CEG 437  29 Anm. 13 CEG 439  29 CEG 447  298 CEG 450  298 Anm. 213 CEG 451  29 Anm. 8 CEG 454  29 Anm. 8; 30 f. CEG 459  29 Anm. 8; 31 Anm. 17; 39 Anm. 48 CEG 460  298 Anm. 213 CEG 463  28 CEG 466  29; 167 Anm. 25 CEG 467  162 Anm. 2; 167 CEG 473=99a  28 CEG 481  249 Anm. 61 CEG 487  162; 172 CEG 488  159 CEG 492  162 CEG 511  166 Anm. 21 CEG 512  162 Anm. 2; 163; 173 f. CEG 526  167 Anm. 25 CEG 530  162 Anm. 2; 163; 173; 278 Anm. 161 CEG 532  29; 174 f.; 364 CEG 533  39 Anm. 48 CEG 543  173 CEG 544  162; 167 mit Anm. 25 und 26 CEG 545  162 CEG 566  233 CEG 571  163 CEG 575  166 Anm. 21

Register CEG 585  318 Anm. 68 CEG 590  47 Anm. 81; 162 CEG 591  29; 160 Anm. 189 CEG 592  166 Anm. 21 CEG 593  166 Anm. 21 CEG 596  76 Anm. 174; 162; 234 f.; 242 Anm. 35 CEG 603  166 Anm. 21 CEG 606  173 CEG 629  28 CEG 631  163 CEG 632  29 Anm. 5; 167 CEG 636  249 Anm. 61 CEG 661  166 Anm. 21 CEG 664  167 Anm. 25 CEG 677  162 CEG 678  70 Anm. 159 CEG 680  318 Anm. 68 CEG 687  28 CEG 689 = 169a  163 CEG 693  249 Anm. 61 CEG 709  142 f. CEG 712  242 Anm. 35 CEG 722  167 mit Anm. 25 und 26 CEG 763  278 Anm. 161 CEG 767  249 CEG 775  39 Anm. 48; 249 Anm. 61 CEG 780  249 CEG 785 = 332a  242 CEG 790  161 Anm. 192 CEG 795v  244 Anm. 41 CEG 803  249 Anm. 61 CEG 812  245 CEG 816  242 f. CEG 819iii  249 Anm. 61 CEG 822  300; 326 CEG 823  29; 160 Anm. 189 CEG 824  243 CEG 827  231; 236 CEG 829  86 Anm. 204 CEG 830iii  249 Anm. 61 CEG 833 = 398b  39 Anm. 48 CEG 844  29 CEG 849  161 Anm. 192 CEG 858  249; 285 CEG 859  249 CEG 861  85 Anm. 200; 175; 246 f.; 254; 361 CEG 862  232 CEG 865  300 f.; 326 CEG 866  243 CEG 872  249; 285

Register CEG 878  235 f. CEG 883  29 CEG 885  249 Anm. 61 CEG 888  39 Anm. 48; 231; 249 CEG 898  278 Anm. 161 Chaniotis 2009  65 Anm. 145 Chios 268  272 Chorik. Op. 1, 2, 24  358 Anm. 223 Chrysipp SVF III App. II 28 fr. 11  184 Anm. 76 Cic. Tusc. 5, 64–6  307 Anm. 27 Cic. Tusc. 5, 114  263 Anm. 123 Cic. Verr. 1, 54; 5, 185  265 Anm. 131 CIG 2169  327–33 CIL III 3980  212 Anm. 177 CIL V 1  202 Anm. 135 CIL VI 17985a  232 Anm. 13 CIL XI 627  100; 189 f. CIL XIV 356  190 CIL XIV 480  186 Anm. 84 CIRB 125  139 f.; 151 Anm. 156 CIRB 127  134 f. CIRB 958  326 f. CIRB 1057  138 Ciris 40 f.  63 Anm. 134 CIS 62  39 Anm. 47 Claud. Carm. Min. 53, 96, 99–100  281 Anm. 170 CLE 466  306 Anm. 24 CLE 467  306 Anm. 24 CLE 1175  197; 366 CLE 1278  189 f. Clem. Alex. Prot. 4, 51  264 Anm. 126 Clem. Alex. Prot. 4, 51, 6  264 Anm. 127 Clem. Alex. Prot. 10, 98, 3  227 Anm. 223 Corinth 8,1 89  284 f. Couilloud 482  135 Anm. 103; 146 f.; 364 Courtney 1995, Nr. 49  273 f. Cugusi/Sblendorio Cugusi 2010, 81 Nr. IV  185 Anm. 82 Cypria Fr. 4 Allen  357 Anm. 218 Cyprian Ad Donat. 8  209 Anm. 166 Cyprian Spect. 6  209 Anm. 166 Demetr. Eloc. 12  218 Demetr. Eloc. 187–9  217 Anm. 196 Demetr. Eloc. 189  213 Anm. 180; 214 Demetr. Eloc. 194  219 Demetr. Eloc. 271  219 Anm. 202 Demosth. 18, 67  222 Diodor 22, 9, 5  96

405

Diog. Laert. 1, 71  292 Anm. 198 Diog. Laert. 4, 45  250 Anm. 63 Diog. Laert. 8, 46  226 Anm. 219 Dion Chr. 21, 3  209 Anm. 166 Dion Chr. 32, 58  337 Anm. 142 Dion. Hal. Comp. 4, 5  213 Anm. 180 Dion. Hal. Comp. 18  225 Anm. 218 Dion. Hal. Comp. 24  351 Dioskor. 4, 74 Wellmann  329 Anm. 108 Don. Vita Verg. 45  123 Anm. 63 Dunbabin/Dickie 1983, 30 Anm. 156  358 Anm. 223 Ebert 49  232 Ebert 56  334 Anm. 128 Ebert 72  160 Anm. 189 Empedokles 3 B, 2 DK  350 Anm. 195 Engelmann 2000, 88 Nr. 23  356 Anm. 212 Ennius Fr. 20 Blänsdorf = FLP 20 Courtney  222 Anm. 207 Ennius Fr. 30 Blänsdorf  50 Anm. 93 Ennius Fr. 46 Blänsdorf = FLP 46 Courtney  190 Anm. 90 Ep. Ant. 27:16  129 Anm. 86 Ephesos 2630  329 Anm. 102 Ephraem Syrus, Sermo asceticus S. 157 Phr.  94 Anm. 239 Epiced. Drusi 307  199 Anm. 124 Epikt. Ench. III 13, 14  182 Anm. 68 Etym. Magn. s.v. Ποσειδῶν  268 Eudokia Augusta, Homerocentones –– 1  348 Anm. 187 –– 263 Ludwich  348 Anm. 185 –– 255–60 Schembra [Conscriptio Γ]  346 –– 8–13 Usher  348 Anm. 188 –– 30–2 Usher  345 f. –– 373, 523 Usher  343 Anm. 173 –– 546, 810 Usher  343 Anm. 173 –– 1159 Usher  343 –– 1166 Usher  343 Anm. 173 –– 1641 Usher  343 Anm. 169 Euphor. Fr. 44 Lightfoot  80 Anm. 187 Euphor. Fr. 68 Lightfoot  150; 153 Euripides –– Alk. 394–415  180 –– Alk. 967  49 –– Andr. 246  250 –– Fr. 125 K.  251 Anm. 65 –– Fr. 369 K., 6 f.  49 –– Fr. 578 K., 1 f.  49 Anm. 91 –– Hel. 73  251 Anm. 65

406

Register

–– Hel. 77  251 Anm. 65 –– Hipp. 857  49; 57 Anm. 114 –– Hipp. 868  49; 57 Anm. 114 –– Hipp. 877–81  49 –– Iph. Aul. 117 f.  49 –– Iph. Aul. 798  49 –– Iph. Taur. 72  160 Anm. 190 –– Iph. Taur. 223  251 Anm. 65 –– Iph. Taur. 384  160 Anm. 190 –– Iph. Taur. 641  49 –– Iph. Taur. 763  49; 83 –– Rhes. 492  159 Anm. 184 –– Suppl. 638 f.  160 Anm. 189 Eustath. 1, 223 v. d. V.  251 Anm. 70 Eustath. 1, 715 v. d. V.  130 Anm. 93 Eustath. 3, 435 v. d. V.  113 Anm. 23 Eustath. 4, 382 v. d. V.  263 Anm. 119; 264 Anm. 128 FGE 3 f.  201 Anm. 132 FGE 307 f.  282 FGE 354  298 Anm. 214 FGE 368 f.  318 Anm. 67 FGE 458–63  109; 118 f. FGE 638  334 Anm. 126 FGE 666 f.  252 Anm. 70 FGE 673  94 Anm. 240 FGE 676 f. s. AP 6, 269 FGE 776 f.  134 FGE 808 f.  29 Anm. 7 FGE 940–3  250 Anm. 63 FGE 956–65  309 FGE 981  80 FGE 1007  138 FGE 1022–25  22 Anm. 21 und 22; 282; 284 FGE 1172 f.  145 FGE 1340–5  90–3 FGE 1436 f.  247 f. FGE 1648–57  319; 322–4; 334 Anm. 126 FGE 1658 f.  319–21 FGE 1660–5  319; 324 Anm. 86 FGE 1860 f.  321 FGE 1898–1901  120 f. Fortun. Rhet. 3, 9  217 Anm. 194 FPL 80 Morel, 7 f.  329 Anm. 104 Frag. Buc. Vind.  114 Anm. 31 Galen 6, 155 Kühn  216 Anm. 190 GCS Epiphan. 1, 342  342 Anm. 167 Geffcken 174  73–5 Gell. NA 1, 5, 3  224 f.

Gell. NA 2, 27, 2  222 Anm. 209 GG 129  83 GG 132  65 f. GG 176  313 f. GG 216  98 f. GG 274 s. GVI 1185 GG 285  139 f. GG 335 s. SGO 05/01/55 GG 390  353 GG 416  194 f. GG 445  128–30 GG 461 s. Couilloud 482 GG 473  78–80 GIBM 93 s. Chares-Inschrift (Sachregister) Gibson 13  41 Anm. 57 Gibson 26  42 Anm. 65 Gibson 27  42 Anm. 65 Gibson 28  42 Anm. 65 GLK I 468, 7–16 (Diomedes)  218 Anm. 199 GLK I 514, 16–8 (Diomedes)  214 GLK IV 464, 10 f. (Servius)  224 Anm. 213 GLK IV 467, 4–6 (Servius)  110 GLK VI 44, 5 f. (Marius Victorinus)  216 Anm. 187 GLK VI 131, 6–10 (Marius Victorinus)  214 GLK VI 255, 3–9 (Caesius Bassus)  214 GPh 64  281 f. GPh 69 f.  93; 315 Anm. 59; 324 Anm. 85 GPh 72  93 GPh 185–90  323 f. GPh 489  91 Anm. 226 GPh 503  205 f. GPh 875 f.  331 Anm. 116 GPh 883 f.  100 Anm. 263 GPh 1069 f.  275 GPh 1411  318 Anm. 67 GPh 1419–26  357 Anm. 219 GPh 1428  350 Anm. 195 GPh 1502  281 GPh 1604  212 Anm. 176 GPh 1781–6  93 Anm. 237 GPh 1823  91 Anm. 227 GPh 2362  281 GPh 2418–21  303 Anm. 14 GPh 2620–3  248 Anm. 54 GPh 2677  350 Anm. 195 GPh 3072  281 GPh 3082 f.  248 Anm. 54; 251 Anm. 70 GPh 3157  281 GPh 3320–7  309 f. GPh 3710–5  122 f.

Register GPh 3724–31  319 GPh 3788–91  123–7 Greg. Naz. Carm. 2, 2, 8, 92 (PG 37, 1583)  215 Anm. 185 Greg. Naz. Paup. Am. 877  358 Anm. 223 Gregor v. Nyssa Contr. Eun. 1, 17  214; 224 Anm. 215 GVI 34  22 Anm. 21 GVI 104  140 GVI 121  139 GVI 126  187 GVI 261  101 Anm. 269 GVI 266–74  71 Anm. 162 GVI 268  70 f. GVI 271  71 GVI 350  185 f.; 365 GVI 433 s. AP 7, 155 (Anon.) GVI 455  203 Anm. 139 GVI 469  306 Anm. 24 GVI 575  306 Anm. 26 GVI 665  187 GVI 675  212 Anm. 177 GVI 710  139 f. GVI 731  186; 194 GVI 748  142 f. GVI 758  65 f. GVI 794  127 f. GVI 840  195 Anm. 103; 306 Anm. 24 GVI 845  80 f. GVI 861  187 GVI 873  140 GVI 968  188 Anm. 88 GVI 977  195 Anm. 103 GVI 1001  282 f. GVI 1024  194 f. GVI 1056  186 GVI 1075  22 Anm. 21 GVI 1112  186 GVI 1151  102 Anm. 274 GVI 1158  187 GVI 1171a (1171)  74; 160 Anm. 189; 300 Anm. 4 GVI 1179  98 f. GVI 1184  95–8 GVI 1185  101 Anm. 269; 183 Anm. 75 GVI 1248  133 f.; 144 GVI 1263  134 f.; 144; 364 GVI 1279  86 GVI 1298  100 GVI 1299  65 Anm. 140 GVI 1307  182–5

GVI 1312  313 f.; 323 Anm. 81 GVI 1313  78–80 GVI 1318  186 GVI 1320  188 GVI 1342  86 Anm. 203; 87 Anm. 205 GVI 1353–1358  134 Anm. 100 GVI 1365  196 GVI 1368  151 GVI 1409  311 f. GVI 1429  179 Anm. 62 GVI 1476 s. SGO 16/51/05 GVI 1477  138 GVI 1545 s. SGO 05/01/55 GVI 1595  285 Anm. 177 GVI 1603  293 Anm. 201 GVI 1610  101 Anm. 269 GVI 1620  85 f. GVI 1621  187 GVI 1625  188 GVI 1626  188 GVI 1629  188 GVI 1630  188 GVI 1632  188 GVI 1634  187 Anm. 86 GVI 1635  81 f. GVI 1670  141 GVI 1671  141; 142 Anm. 126 GVI 1684  353 GVI 1729  62–5 GVI 1745  83 GVI 1832  191 Anm. 93; 272 GVI 1843 s. Bernand 68 GVI 1845  179 GVI 1858–1872  179; 191 Anm. 92 GVI 1881  191 Anm. 95 GVI 1882  190–3 GVI 1887  84 GVI 1905  188 f.; 365 GVI 1906  181–5; 186; 363 Anm. 3; 365 GVI 1918  128–30 GVI 1920  179 f.; 228 GVI 1942  211; 216 Anm. 192 GVI 1957  134 Anm. 100 GVI 1970  306 Anm. 24; 306 Anm. 26 GVI 1989  135 f.; 144; 364 GVI 1994a  81; 86 Anm. 203; 188 GVI 2002 s. Couilloud 482 GVI 2005  306 Anm. 26 GVI 2023  180 f.; 365 GVI 2027  307–11 GVI 2035  272

407

408 Halikarnassos 121  298 Anm. 213 Hdt. 1, 85  79 Hdt. 2, 2  79 Hdt. 5, 59  86 Anm. 202 HE 105  105 Anm. 285 HE 106 f.  232 Anm. 13; 289 Anm. 187 HE 134–43  214 Anm. 80 HE 228–35  318 Anm. 67 HE 246–51  309 HE 276–81  309 HE 390–5  21 HE 428  281 HE 434  281 HE 458  66 Anm. 147 HE 538 f.  151 HE 640  91 Anm. 227 HE 664–7  159–61 HE 667  66 HE 676–9  64 f. HE 704  318 Anm. 68 HE 708  318 Anm. 68; 319 HE 726–9  306 HE 734–7  301; 306 HE 761  80 HE 786–93  334 Anm. 127 HE 942–5  328 Anm. 101 HE 1010–3  288; 289 f. HE 1012  75 HE 1022  93 HE 1161–4  67–9 HE 1179–84  174 Anm. 50 HE 1185 f.  174 Anm. 50 HE 1187 f.  121 Anm. 49 HE 1187–92  176 f.; 182 HE 1209 f.  57 HE 1211–4  318 Anm. 67 HE 1227–30  192 HE 1269 f.  176 HE 1579  321 Anm. 77 HE 1781–4  134 Anm. 100 HE 1819–24  334 Anm. 126 HE 1853–6  93 Anm. 234 HE 1857–62  93 Anm. 234 HE 1892  221 Anm. 207 HE 1935–42  191 Anm. 93 HE 1968  266 Anm. 132 HE 2084 f.  198 Anm. 115 HE 2129 f.  232 Anm. 13 HE 2159 f.  74 Anm. 165 HE 2249–54  23 Anm. 26 HE 2345–50  167 Anm. 26

Register HE 2359–70  177; 365 HE 2395–402  21 HE 2498–503  302–6; 368 HE 2509  281 HE 2520  74 Anm. 165 HE 2663–6  114 Anm. 31 HE 2755–8  157–9 HE 2771–4  332 Anm. 123; 334 Anm. 126 HE 2819  206 HE 3036 f.  268 Anm. 136 HE 3076 f.  328 Anm. 101 HE 3092 f.  100 Anm. 263 HE 3146–8  63–4 HE 3154–65 s. AP 16, 275 HE 3275  100 Anm. 263 HE 3430–3  201 Anm. 130 HE 3454–63  151; 201 Anm. 130 HE 3456  151 HE 3640–5  310 f. HE 3668  93 Anm. 235 HE 3846–9  70 f. HE 3902–7  100 Anm. 263; 350 Anm. 195 HE 3934 f.  61 Anm. 124 HE 3990  61 Anm. 124 HE 4316–9  362 Anm. 1 HE 4543  268 Anm. 138 HE 4678  65 mit Anm. 143 HE 4690–3  132 HE 4700–5  316–8 HE 4721  212 Anm. 176 Hephaist. Poem. S. 64 f. Consbruch  214 Anm. 181 Herakleia Salbake 54  69 Anm. 159 Herakleia Salbake 55  69 Anm. 159 Herakleia Salbake 57  69 Anm. 159 Herakleit. All. 18  325 Anm. 92 Herakleit. All. 43–51  348 Anm. 188 Heraklit Fr. 5 B DK  238 Anm. 29 Hermias ad Phaidr. 275c; 275d; 276a  99 Herod. 2, 21 f.  297 Anm. 211 Herod. 4, 20–5  191 Anm. 93 Herod. 4, 32–4  273 Herod. 4, 37 f.  264 Anm. 129 Herrlinger 15  198 Anm. 115 Herrlinger 41  196 Herrlinger 42, 3  197 Anm. 110 Hesiod –– Erg. 48  105 Anm. 286 –– Erg. 109–12  293 f. –– Erg. 147  288 –– Erg. 172 f.  308

Register –– Erg. 288–92  303 Anm. 14 –– Erg. 763 f.  98 Anm. 257 –– Theog. 5  324 Anm. 85 –– Theog. 39 f.  350 Anm. 195 –– Theog. 83  350 Anm. 195 –– Theog. 84  350 Anm. 195 –– Theog. 337–370  345 –– Theog. 546  105 Anm. 286 [Hes.] Scut. 129–34  156 f. [Hes.] Scut. 270  157 Anm. 173 Hesych. ε 2168  116 Anm. 35 Hippokr. Coac. 5, 618, 14  287 Hippokr. Epid. I 2, 714, 5L  287 Hippokr. Epid. II, 6, 4 (5, 132, 22L und 5, 134, 4(pr.), 5L)  286 Hippokr. Epid. VII 5, 408, 16L  287 Hippokr. Morb. III 7, 134, 2L  287 Höghammar, Sculp. and Soc. 181, 71  72; 286–8 Homer –– Il. 1, 6  330 f. –– Il. 1, 49  90 Anm. 218 –– Il. 1, 248  335 Anm. 133 –– Il. 1, 249  350 Anm. 195 –– Il. 1, 525 f.  299 –– Il. 1, 526 f.  261 Anm. 111 –– Il. 2, 487–9  343 –– Il. 2, 494–760  343 –– Il. 4, 125 f.  154; 159 –– Il. 4, 293  335 Anm. 133 –– Il. 4, 521  155 –– Il. 5, 338 und 366  357 Anm. 218 –– Il. 5, 661 f.  154 –– Il. 6, 181  156 Anm. 171 –– Il. 6, 297–311  245 f.; 258–61 –– Il. 6, 358  339 Anm. 149 –– Il. 6, 469–75  331 Anm. 116 –– Il. 7, 12  216 –– Il. 7, 62  330 Anm. 113 –– Il. 7, 87–91  276 Anm. 153; 334 Anm. 128 –– Il. 8, 111  154; 158 –– Il. 9, 14 f.  145 Anm. 131 –– Il. 9, 45–8  313 Anm. 52 –– Il. 9, 128–32 und 270–4  44 Anm. 73 –– Il. 9, 365  292 Anm. 198 –– Il. 9, 446  278 Anm. 160 –– Il. 10, 154  291 Anm. 195 –– Il. 11, 32  159 –– Il. 11, 241  203 Anm. 139 –– Il. 11, 317  120 –– Il. 11, 574 (= 15, 317; 21, 168)  154; 160

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409 Il. 11, 685  335 Anm. 131 Il. 12, 176  343 Anm. 170 Il. 12, 463  291 Anm. 195 Il. 13, 17–9  269 Il. 13, 434 und 437  35 Il. 14, 56  293 Anm. 201 Il. 14, 455  159 Il. 15, 313 f.  159 Il. 15, 542 f.  154 Il. 15, 727 (= 16, 102)  120 Il. 16, 2–4  145 f. Il. 16, 74 f.  154 Il. 16, 143  213 Anm. 180 Il. 16, 246  344 Anm. 177 Il. 16, 389  346 Il. 17, 260  343 Anm. 173 Il. 17, 434 f.  277 Anm. 156 Il. 18, 376 f.  35; 76 Anm. 175 Il. 18, 417–20  35; 54 Il. 18, 469–73  35 Il. 18, 548 f.  229 Anm. 5 Il. 18, 607  344 Il. 20, 60  270 Il. 20, 131  262 Il. 20, 162  159 Il. 21, 50  330 Anm. 113 Il. 21, 69 f.  160 Il. 21, 178  213 Anm. 180 Il. 21, 195–7  344 Il. 21, 257–62  92 f.; 106 Anm. 291 Il. 21, 446 f.  293 Anm. 201 Il. 22, 133  213 Anm. 180 Il. 23, 19  299 Il. 23, 503  295 Il. 23, 626–650  277 Anm. 155 Od. 3, 113–6  343 Anm. 170 Od. 4, 566–8  346 Anm. 182 Od. 5, 70 f.  345 Od. 6, 232 f. (= 23, 159 f.)  106 Anm. 291 Od. 6, 235–7  277 Anm. 154 Od. 7, 112–31  106 f. Od. 8, 193  159 Od. 10, 4  293 Anm. 201 Od. 11, 321–4  257 Anm. 93 Od. 12, 306  350 Od. 13, 163  281 Anm. 168 Od. 13, 312 f.  251 Anm. 69; 262 Anm. 114 Od. 15, 79  342 Od. 17, 371  342 Od. 17, 463 f.  277 Anm. 156 Od. 19, 32 f.  330 Anm. 113

410 –– –– –– –– –– –– ––

Register

Od. 19, 204–9  146 Od. 19, 494  35 Od. 21, 74  342 Hom. Hymn. Dem. 6–8  311 Anm. 46 Hom. Hymn. Dem. 111  262 Anm. 114 Hom. Hymn. Dem. 424  158 Hom. Hymn. Ap. 254 f. (= 294 f.)  358 Anm. 223 –– Hom. Hymn. Herm. 310  342 –– Hom. Hymn. Herm. 338  342 –– Hom. Hymn. Herm. 395  246 Anm. 46 –– Hom. Hymn. Aphr. 214  285 Anm. 178 –– Hom. Hymn. Aphr. 224  278 Anm. 160 –– Hom. Hymn. 10, 1  348 –– Hom. Hymn. 15, 1  348 –– Hom. Hymn. Pan  109 Anm. 6; 110 Anm. 8; 114 Anm. 24 –– Hom. Hymn. 20, 1  348 –– Hom. Hymn. 23, 1  348 –– Hom. Hymn. 28, 3  259 Anm. 107 –– Hom. Hymn. 30, 1  348 –– Σ ad Il. 4, 126  156 Anm. 167 –– Σ ad Il. 6, 9  332 Anm. 118 –– Σ ad Il. 6, 88b  259 Anm. 104 –– Σ ad Il. 6, 92a  259 Anm. 104 –– Σ ad Il. 6, 92c  259 Anm. 104 –– Σ ad Il. 6, 311a  260 –– Σ ad Od. 11, 385  179 Anm. 64 Horaz –– Carm. 2, 16, 30  154 Anm. 63 –– Carm. 4, 2  325 Anm. 92 –– Carm. 4, 2, 11 f.  214 Anm. 181 –– Carm. 4, 8, 21  50 Anm. 93 –– Epist. 1, 3, 10  325 Anm. 92 –– Epod. 4, 8  297 Anm. 211 –– Sat. 1, 8, 1  91 Anm. 221; 254 Anm. 82 Hostius Fr. 3 Blänsdorf  350 Anm. 195 IC I 8, 33  334 Anm. 128 IG I3 474  164 Anm. 12 IG I3 750  242 IG I3 1098  300 IG I3 1099  300 IG I3 1248  141 IG I3 1252  241 Anm. 32 IG I3 1261 s. CEG 24 IG I3 1266  241 Anm. 32 IG I3 1305bis  55 Anm. 108 IG I3 1365  241 Anm. 32 IG I3 1469  249 Anm. 60 IG I3 1508  39 Anm. 48; 171 f.

IG II2 3765  336 Anm. 137 IG II2 5426  182–5 IG II2 7227  336 Anm. 139 IG II2 10699a  338 Anm. 143 IG II2 11120  334 Anm. 128 IG II2 11257  129 Anm. 86 IG II2 13134  179 f.; 228; 365 IG II2 13166  180 Anm. 66 IG II2 13452  338 Anm. 143 IG III 3849  338 Anm. 143 IG IV 625  338 Anm. 143 IG IV 655  272 f. IG IV 666  271 Anm. 143 IG IV 1603  284 f. IG IV2,1 590 B  73–5; 178 IG IV2,2 786  127 Anm. 84; 314–9; 368 IG V,1 258  336 Anm. 137 IG V,1 455  316 Anm. 62 IG V,2 156  293 Anm. 202 IG V,2 287  267 Anm. 135 IG V,2 327  102 Anm. 274 IG VII 94  339 IG VII 336  82 f. IG VII 2470  231 IG IX,1 880  72 IG IX,1 881  334 Anm. 128 IG IX,12,5 1886  100 IG X,2,1 464  134 Anm. 100 IG XI,4 1105  335 Anm. 134; 339 Anm. 149 IG XI,4 1247  104 Anm. 278 IG XII,1 824  336 Anm. 140 IG XII,1 833  336 Anm. 140 IG XII,1 928  335–40 IG XII,2 129[1]  327–33; 369 IG XII,2 476  246 Anm. 46 IG XII,3 1348  74 Anm. 168 IG XII,6,1 285  275 f. IG XII,6,2 625  242 Anm. 36 IG XII,7 305  147 Anm. 135 IG XII,7 448  69 Anm. 159 IG XII,8 600  77 Anm. 178; 178 f.; 365 IG XII,9 13  320 Anm. 74; 321; 326 f. IG XII,9 1114  329 Anm. 102 IG XIII,3 1658  244 Anm. 38 IG XIV 1977  194 f. IG XIV 2124  210 Anm. 167 IGASMG I2 27  142 IGASMG I2 29  141 IGASMG IV 22  163 Anm. 5 IGDOlbia 38  29 Anm. 8 IGLSyr 4, 1599  339 Anm. 149

Register IGUR III 1148  306 Anm. 24; 306 Anm. 26 IGUR III 1216  134 Anm. 100 IGUR III 1221  139; 364 IGUR III 1239  102 Anm. 274 IGUR III 1303f  307–11; 368 Anm. 12 IGUR III 1322  194 f. IGUR III 1336 C1.1  87 Anm. 205 IGUR IV 1526  268 Anm. 135 IGUR IV 1702  195 IK Byzantion 10  283 f.; 319 IK Herakleia Pontike 39  81 Anm. 189 IK Herakleia Pontike 47 s. SGO 09/11/02 IK Kalchedon 21b  74 Anm. 168 IK Kibyra 362  202 Anm. 135 IK Klaudiupolis 15  96 Anm. 243 IK Prusa ad Olympum 58  86 Anm. 202; 188 Anm. 88 ILCV 805  202 Anm. 134 IMagnesia 252  300 Anm. 3; 321; 326 IMT Olympene 2693  186 IMT Olympene 2726  96 Anm. 243 Ios. Bel. Iud. 2, 155  346 Anm. 182; 349 Anm. 191 IosPE I2 519  293 Anm. 202 IosPE II 86  139 f. IScM III 138  86 Iscrizioni di Cos EV 234  266 f.; 271; 367 IThesp 1244  185 f. Ps.-Iustinus, Ad Graecos de vera religione 28, 3  348 Anm. 188 Ps.-Iustinus, Ad Graecos de vera religione 28, 3–6  347 Anm. 184 Iuv. 2, 11 f.  216 Anm. 189 Iuv. 6, 63–6  209 Anm. 166 IvO 184  338 Anm. 143 Jeffery 1961, 278 Nr. 47  241 Anm. 32 Jeffery 1961, 316 Nr. 20  242 Anm. 36 Joh. Chrys. Salt. Herod. (PG 59, 524, 24)  215 Kaibel 128  182–5 Kaibel 402  95–8 Kaibel 539  138 Kaibel 603  139 Kaibel 608  210 Anm. 167 Kaibel 828  327–333 Kaibel 1070  326 f. Kallimachos –– Ep. 4 Pf.  176; 365 –– Ep. 5 Pf.  284

–– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– ––

411 Ep. 11 Pf.  57 Ep. 13 Pf.  121 Anm. 49; 176 f.; 182 Ep. 15 Pf.  192 Ep. 21 Pf.  174 Anm. 50; 360 Anm. 232 Ep. 22 Pf.  318 Anm. 67 Ep. 28 Pf.  119 Anm. 46; 120 Anm. 48; 326 f. Ep. 34 Pf.  67 Anm. 151 Ep. 35 Pf.  174 Anm. 50 Ep. 41 Pf.  177 Anm. 58 Ep. 54 Pf.  67 Anm. 151; 131 Anm. 96; 265; 362 Ep. 56. Pf.  23 Anm. 23; 67–9; 104 Anm. 28 Fr. 1, 1–5 Pf.  331 Fr. 1, 3 Pf.  351 Fr. 1, 17 f. Pf.  359 f. Fr. 1, 24 Pf.  359 Fr. 1, 25–8 Pf.  303 Fr. 1, 28 Pf.  92 Fr. 1, 35 f. Pf.  278 Fr. 2 (Somnium)  324 f. mit Anm. 90 Fr. 9, 13 f. Pf.  359 Fr. 42 Pf.  329 Anm. 107 Fr. 75, 2 Pf.  203 Anm. 139 Fr. 100 Pf.  91 Anm. 221; 254 Anm. 82; 256 Fr. 103 Pf.  65 Anm. 142 und 143 Fr. 114 Pf.  267 Fr. 200b Pf.  256 Anm. 92 Fr. 393 Pf.  360 Anm. 232 Fr. 398 Pf.  91 Anm. 227 Fr. 407 Pf.  321; 324 Anm. 86 Hymn. Iov. 8  68 Anm. 155 Hymn. Ap. 22  135 Anm. 103 Hymn. Ap. 22–4  151 Hymn. Ap. 57  358 Anm. 223 Hymn. Ap. 96 f.  268 Anm. 137 Hymn. Ap. 105–12  325 Anm. 92; 331 Hymn. Ap. 106  351 Hymn. Ap. 108–12  303; 325 f. Hymn. Ap. 112  360 Anm. 232 Hymn. Pall. 1  257–62 Hymn. Pall. 33  257 Hymn. Pall. 34, 57  259 Hymn. Pall. 35  257; 259 Hymn. Pall. 36–39  257 f. Hymn. Pall. 39  267 Anm. 135 Hymn. Pall. 41  258 Hymn. Pall. 43 f.  259 Hymn. Pall. 51–4  258 Hymn. Pall. 52  262

412

Register

–– Hymn. Pall. 53  259 Anm. 108 –– Hymn. Pall. 55  259 Anm. 107 –– Hymn. Pall. 70  259 Anm. 106 –– Hymn. Pall. 78  262 –– Hymn. Pall. 80 f.  263 Anm. 120 –– Hymn. Pall. 113  262 –– Hymn. Pall. 121  339 Anm. 149 –– Hymn. Pall. 131–6  260 –– Hymn. Pall. 142  258 –– Iamb. 1  184 Anm. 77 –– Iamb. 6, 1  254 Anm. 80 –– Iamb. 7, 1–3  254 Anm. 82 –– Iamb. 10  254 Anm. 82 –– Iamb. 11  184 Anm. 77 Kallistr. Ekphr. 9, 2  96 f. Anm. 249 Kallistr. Ekphr. 11, 2  206 Anm. 149; 295 Anm. 206 Kenzelmann Pfyffer/Theurillat/Verdan 2005 Nr. 1  30 Anm. 15 Kenzelmann Pfyffer/Theurillat/Verdan 2005 Nr. E  30 Anm. 15 Kratin. Fr. 128 K.-A.  49 Anm. 89 Kratin. Fr. 198, 1–2 K.-A.  350 Anm. 195 Lanckoronski I, 185, Nr. 107  337 Anm. 141 Langdon 1976 Nr. 4  30 Anm. 15 Langdon 1976 Nr. 6  30 Anm. 15 Langdon 1976 Nr. 29a  30 mit Anm. 15 Langdon 1976 Nr. 29b  30 Anm. 15 Langdon 1976 Nr. 41  30 Anm. 15 Lazzarini 71  158 Anm. 179 Lazzarini 102–3  158 Anm. 179 Lazzarini 633  56 Anm. 110 Lazzarini 657  56 Anm. 111 Lazzarini 660  56 Anm. 111 Lazzarini 661  56 Anm. 111 Lazzarini 664  56 Anm. 111 Lazzarini 666  56 Anm. 111 Lazzarini 668  56 Anm. 110 Lazzarini 685  56 Anm. 111 Lazzarini 690  56 Anm. 113 Lazzarini 693  56 Anm. 113 Lazzarini 695  56 Anm. 111 Lazzarini 699  56 Anm. 110 Lib. Epist. 1307 Foerster  325 Anm. 92 Lib. Or. 64, 60  215 Anm. 185 Lib. Or. 64, 61–66  213 Anm. 180 Lib. Or. 64, 67 f.  216 Anm. 190 Lib. Or. 64, 116  205 Anm. 148 Lib. Or. 64, 118  204 Anm. 144; 212 Lindos II 699  334 Anm. 128

Liv. 5, 49, 7  356 Anm. 212 Long. Fr. 46 P.-B.  213 Anm. 179 [Long.] Sublim. 9, 7–8  270 [Long.] Sublim. 13, 2 f.  353 Anm. 202 [Long.] Sublim. 13, 3  325 Anm. 92 [Long.] Sublim. 35, 4  353 Anm. 202 Longos 2, 34, 3  116 Anm. 36 Longos 4, 2, 6  311 Anm. 46 Lucil. 84 f. M  359 Anm. 229 Lukian –– De Merc. 33  215 Anm. 182 –– Ind. 23  215 Anm. 182 –– Podagra 113–24  221 f. –– Podagra 150–62  222 Anm. 208 –– Podagra 198–203  222 Anm. 208 –– Pro imaginibus 23  251 Anm. 70 –– Rhet. Praec. 11  215 Anm. 183 –– Salt. 3  213 Anm. 180 –– Salt. 5  215 Anm. 185 –– Salt. 62  210 Anm. 167 –– Salt. 70  226 Anm. 219 –– Salt. 72  216 Anm. 190 –– Salt. 77  215 Lukr. 3, 978–1023  182 Anm. 68 LXX Gen. 2, 8  349 Anm. 191 LXX Gen. 2, 10–14  345 LXX 2. Sam. 18, 18  71 Anm. 161 Macr. Sat. 1, 21, 9 (vgl. 1, 22, 4)  116 Anm. 36 Maecenas FLP 5–6 Courtney  219 Anm. 201 MAMA 5, 113  267 Anm. 135 MAMA 10, 152  86 Manil. 2, 8–10  325 Anm. 92 Manni Piraino 92 Nr. 61  241 Mart. 1, 47  297 Mart. 1, 109  197 Anm. 111; 206 Anm. 151 Mart. 2, 16  297 Anm. 211 Mart. 3, 82  297 Anm. 211 Mart. 7, 38  248 Anm. 54 Mart. 8, 74  297 Martínez Fernández 8  190–3; 365 Martínez Fernández 45  128–30 Masson 104  242 Anm. 35 Masson 133  242 Anm. 35 Masson 152  242 Anm. 35 Masson 154b  242 Anm. 35 Masson 260  242 Anm. 35 McCabe, Aphrodisias 226  136 Anm. 106 McCabe, Aphrodisias 727  285 Anm. 179 McCabe, Miletos 267  238; 241 McCabe, Samos 653  240 Anm. 32; 242

Register McCabe, Teos 142b  186 Meletemata 11, K18  136 f.; 139 Anm. 111 [Mosch.] 3, 2  145 [Mosch.] 3, 11 f.  129; 319 [Mosch.] 3, 18; 20–24  318 Anm. 67 [Mosch.] 3, 20 f.  129; 318 [Mosch.] 3, 23  145 [Mosch.] 3, 29  145 [Mosch.] 3, 30 f.  129 [Mosch.] 3, 74 f.  145; 146 [Mosch.] 3, 76 f.  325 Anm. 92 [Mosch.] 3, 81  335 Anm. 132 [Mosch.] 3, 120  335 Anm. 132 Musaios, Hero und Leander 26 f.  145 Mylasa 188  356 Anm. 212 Neues Testament –– Lk. 19, 40  81 Anm. 189 –– Mk. 7, 35  286 Nonn. Dion. 5, 106  210 Anm. 167 Nonn. Dion. 5, 364 f.  318 Anm. 67 Nonn. Dion. 5, 356 f.  145; 154 Anm. 164 Nonn. Dion. 5, 458–67  129 Anm. 88 Nonn. Dion. 12, 79–81  151 Anm. 155 Nonn. Dion. 14, 272 f.  152 Anm. 157 Nonn. Dion. 24, 245 ff.  357 f. Nonn. Paraphr. 2, 97 f.  358 Anm. 223 Nosti Fr. 6 Allen  278 Anm. 160 NSER 19  272; 367 Nysa 1  356 Anm. 212 Onesikritos Fr. 17 Jacoby  349 Anm. 191 Onesikritos Fr. 22 Jacoby  349 Anm. 191 Or. Sib. 1, 141  102 Anm. 275 Orph. Hymn. 11, 12  113 Anm. 18 Ovid –– Am. 1, 1, 7–12  269 Anm. 140 –– Am. 1, 15, 35  327 Anm. 95 –– Am. 2, 6  197–9; 366 –– Am. 3, 9, 25 f.  325 Anm. 92 –– Fast. 3, 1 f.  331 Anm. 116 –– Met. 2, 373  154 Anm. 163 –– Met. 3, 353 und 355  111 –– Met. 3, 361  199 Anm. 124 –– Met. 3, 380–92  109 Anm. 3 –– Met. 3, 385  198 Anm. 118 –– Met. 3, 396  154 Anm. 163 –– Met. 3, 501  109 Anm. 4; 111; 199 –– Met. 4, 672–5  281 Anm. 170 –– Met. 6, 298–300  153 Anm. 161 –– Met. 11, 45 f.  145

413

–– Met. 11, 47 f.  145 Overbeck 125 = Schol. Plat. Men. p. 367  281 Anm. 169 Pack2 1765  94 f.; 97 Anm. 254; 99 Page, GLP S. 414  325 Anm. 92 Palaiphatos, Περὶ ἀπίστων 8 [9]  149 f. Paul. Sil. Descr. St. Soph. 507  358 Anm. 223 Paul. Sil. Descr. St. Soph. 648 f.  358 Anm. 223 Paul. Sil. Descr. St. Soph. 824  338 Anm. 146 Paus. 1, 21, 3  147 Anm. 138 Paus. 6, 11  253 Anm. 78 Paus. 9, 23, 3  91 Anm. 226 Paus. 10, 24, 7  91 Anm. 225 PEG 476 F  304 f. Pentadius PLM 4, S. 344  110; 120 Anm. 48 Perinthos-Herakleia 146  211 Perinthos-Herakleia 216  69 Anm. 159 Pers. Prol. 1  324 Anm. 85 Pers. Prol. 13  123 Anm. 63 Pers. 5, 1–2  343 Anm. 172 Petron. 2, 2  220 Petron. 23, 3  208 f.; 215 Anm. 182; 220 Petron. 42  211 Anm. 171 Petron. 52, 1  229 Anm. 4 Petron. 58  102 Anm. 275 Petron. 71, 7  308 Petron. 87, 10  118 Anm. 42 Petron. 132  216 Anm. 188 Phil. Iud. Cher. 82, 3  215 Anm. 183 Phil. Iud. Sacr. 21, 2  215 Anm. 183 Philemon Fr. 102 K.-A.  150 Anm. 147 Philitas Fr. 8 Lightfoot  87 Anm. 207 Philon v. Byzanz, Proöm. 2 f.  264 mit Anm. 129 Philostr. Heroic. 18  120 Philostr. VA 6, 19, 2  264 Anm. 126 Phoinix Fr. 1 Powell  65 Anm. 140; 184 f. Pind. Nem. 5, 1–5  82 f. Pind. Ol. 1, 1 ff.  290 Anm. 191 Pind. Ol. 1, 37–41  285 Anm. 177 Pind. Ol. 1, 93 f.  83 Pind. Paian. 10, 13  158 Pind. Pyth. 4, 144  290 Anm. 190 P. Köln XI 431  352 Anm. 201 Platon –– Charm. 164d3–165a7  51 f.; 68 –– Cratyl. 402d11-e6  269 –– Crit. 54d  355 Anm. 208

414 –– Crit. 116b2–4  358 Anm. 223 –– Epin. 975b7 f.  358 Anm. 223 –– Gorg. 486d  292 Anm. 198 –– Nom. 931a  252 –– Nom. 947e  308 Anm. 30 –– Phaid. 81c-d  166 Anm. 18 –– Phaidr. 255c  130 Anm. 89 –– Phaidr. 275d4–e6  57–9; 98; 126 –– Phaidr. 276a8 f.  60 Anm. 120 –– Rep. 486e  293 Anm. 202 –– Rep. 596b-598d  252 Anm. 72 –– Symp. 175d-e  325 Anm. 92 Plat. Com. Fr. 204 K.-A.  247 Plin. NH 2, 154  97 Anm. 253 Plin. NH 34, 141  289 Anm. 187 Plin. Epist. 3, 7  357 Anm. 216 Plut. Aem. 28, 2  263 Anm. 122 Plut. Alex. 40, 5  236 Plut. Mor. 346f  58 Anm. 117 Plut. Mor. 393c  268 Anm. 137 Plut. Mor. 516c  325 Anm. 92 Plut. Mor. 728e  116 Anm. 35 Plut. Mor. 748a  204 Anm. 145 Plut. Num. 22, 3  99 Polyb. 30, 10, 6  263 Anm. 122 Porphyr. Abst. 2, 18  256 Anm. 90 Poseidipp –– 7 A.-B.  263 Anm. 121 –– 63 A.-B.  75 mit Anm. 172; 275 –– 72 A.-B.  272 Anm. 144 –– 87 A.-B.  284 Anm. 175 –– 89 A.-B.  131 f.; 147 Anm. 137; 364 –– 95 A.-B.  272 Anm. 144 –– 118 A.-B.  61; 305 Anm. 18 –– 122 A.-B.  63–5 –– 137 A.-B.  308 Anm. 37 –– 142 A.-B. s. AP 16, 275 Posid. Phil. Fr. 290a Theiler 401 f.  215 P.Oxy. 213 s. TrGF Adesp. fr. 700 K/Sn P.Oxy. 413  208 Anm. 157; 216 Anm. 187; 222 Anm. 207; 224 Anm. 215 P.Oxy. 3537  315 Anm. 61 PPUAES IIIA, 7, 798  71 Prok. Aed. 1, 10, 5  358 Anm. 223 Prok. HA 22, 1–3  296 Prok. HA 22, 3–4  295 f. Prok. HA 25, 20–22  296 f. Prokop Gaz. Panegyricus in Imp. Anastasium (PG 87 [3], 2815)  215 Anm. 185 Prop. 1, 20, 48  109 Prop. 2, 1, 40  92 Anm. 229

Register Prop. 2, 10, 5 f.  324 Anm. 85 Prop. 2, 10, 25 f.  325 Anm. 92 Prop. 3, 1, 6  325 Anm. 92 Prop. 3, 3, 52  325 Anm. 92 Prop. 4, 2, 59–63  91 Anm. 221; 254 Anm. 82 Quintilian –– Inst. 4, 9  218 –– Inst. 6, 2, 29  264 Anm. 128 –– Inst. 8, 3, 57  217 Anm. 196 –– Inst. 9, 4, 21  217 Anm. 197 –– Inst. 10, 4, 4  328 Anm. 101 –– Inst. 11, 3, 85–7  210 Anm. 167 –– Inst. 11, 3, 89  224 Anm. 216 –– Inst. 12, 10, 12  224 Anm. 217 RA 1928, 2, 361 Nr. 37  262 Anm. 117 Rhet. Her. 4, 11 [16]  217 Rhet. Her. 4, 21, 29 ff.  199 Anm. 123 Rhet. Her. 4, 30  219 f. Samos 479  275 f. Sappho Fr. 2 Voigt  17 Sappho Fr. 55 Voigt  63 f. SEG 7:873  344 Anm. 174 SEG 9:172  336 Anm. 140 SEG 9:194  65 f.; 334 Anm. 128 SEG 11:956  157 Anm. 176 SEG 12:340  195 Anm. 104 SEG 13:341  82 f. SEG 14:818  280 SEG 14:847  102 Anm. 274 SEG 16:35c  142 SEG 16:863  30 SEG 20:299  187 Anm. 86 SEG 20:747  189; 365 SEG 20:748  189; 365 SEG 26:845  43 SEG 26:863  30 Anm. 15 SEG 26:1214  84 f. SEG 27:847  339 Anm. 149 SEG 28:522  209 Anm. 165 SEG 28:541  136 f. SEG 28:838  298 Anm. 213 SEG 29:821  242 Anm. 36 SEG 30:1421  188 SEG 31:246  268 Anm. 135 SEG 31:846 s. GVI 861 SEG 31:1072 s. SGO 09/11/02 SEG 32:1025  188 SEG 32:1502  340–353

Register SEG 33:1110  86 Anm. 203; 87 Anm. 205 SEG 35:1406  101 Anm. 274 SEG 35:1427  84 SEG 35:1570  339 SEG 37:904  143 SEG 39:743  336 Anm. 140 SEG 47:1475  29 Anm. 8; 30 Anm. 15 SEG 47:1509  339 Anm. 149 SEG 50:578  181; 182 SEG 54:790  195 Sen. Epist. 114, 1  219 Anm. 202 Sen. Epist. 114, 4  219 Anm. 201 Sen. Epist. 114, 7  214 Anm. 80 Sen. Epist. 114, 15  218 Anm. 198 Sext. Emp. Adv. Math. 1, 314  114 Anm. 24 Sext. Emp. Adv. Math. 8, 275  122 Anm. 56 SGLIBulg 35  338 Anm. 143 SGO 01/01/03  302 Anm. 10 SGO 01/01/07  179 SGO 01/06/01  284 SGO 01/09/07  72 SGO 01/12/05 s. CEG 429 SGO 01/12/08  302 Anm. 10 SGO 01/12/20  153 Anm. 159 SGO 01/12/23  142 f. SGO 01/12/24  207 Anm. 156 SGO 01/19/33  265; 271; 367 SGO 01/20/06  284 SGO 01/20/16  278 f. SGO 02/06/03  247 Anm. 50 SGO 02/09/03  333–5 SGO 02/09/05  275 SGO 02/09/09  292 f. SGO 02/14/02  339 Anm. 150 SGO 03/02/13  277; 338; 368 SGO 03/02/66  143 SGO 03/07/07  339 Anm. 150 SGO 04/02/11  66 Anm. 149 SGO 04/14/01  188 Anm. 88 SGO 05/01/16  339 Anm. 147 SGO 05/01/20  339 Anm. 147 SGO 05/01/35  65 Anm. 140 SGO 05/01/42  83; 99 SGO 05/01/44  153 Anm. 159 SGO 05/01/50  98–100 SGO 05/01/52  195 Anm. 103 SGO 05/01/55  134 Anm. 100; 152–4; 299 Anm. 216 SGO 07/06/05  179; 365 SGO 08/01/03  267–71; 367 SGO 08/01/53  80

415

SGO 08/05/08  298 f. SGO 08/08/10  21 SGO 09/05/90  81 SGO 09/09/17  216 Anm. 192 SGO 09/11/02  83; 134 Anm. 100; 206–220; 299 Anm. 216; 365 SGO 09/14/98  207 Anm. 156 SGO 10/06/05  294 f. SGO 11/04/02  339 Anm. 150 SGO 11/08/02  201 f. SGO 11/13/01  95–8; 299 Anm. 216 SGO 13/05/04  179 Anm. 62 SGO 16/08/01  76 SGO 16/08/05  86 Anm. 202; 188 SGO 16/34/97  138; 144; 364 SGO 16/51/05  134 Anm. 100; 137 f.; 144; 152; 364 SGO 17/01/05  261–4 SGO 17/09/01  199–201 SGO 17/10/06  188 SGO 18/01/04  291 SGO 18/01/05  293 f.; 297 SGO 18/02/01  290 f. SGO 18/07/01  294 f. SGO 18/08/02  272; 289 f. SGO 19/05/02  279 f. SGO 19/07/03  78 SGO 19/09/01  298 SGO 19/10/01  21; 22 Anm. 21 SGO 20/05/04  298 SGO 20/25/01  280 SGO 21/11/01  183 Anm. 75 SGO 21/22/01  340–353 SGO 21/23/09  186 SGO 21/24/02  274 f.; 368 SGO 22/23/01  71 SGO 22/44/01  71 SGO 22/44/02  71 SH 310 (Kastorion v. Soloi)  105 Anm. 285; 114 Anm. 31 SH 691 (Philostephanos v. Kyrene)  321 f. SH 705 s. Poseidipp 118 A.-B. SH 977  23 Anm. 24 SH 983  87 Anm. 207; 114 Anm. 27 SH 991  332 Anm. 118 SIG3 III 1259  44 Anm. 69 Simias, Flügel  117 mit Anm. 41 Simon. PMG 579  303 Anm. 14 Simon. PMG 581  74 Anm. 169; 276 Anm. 152 Sokrates Hist. Eccl. I 9  214 Soph. Ai. 580  136 Anm. 105

416

Register

Soph. El. 150–2  149 Soph. OC 1046  288 Anm. 185 Soph. OT 1278  160 Anm. 190 Soph. OT 1378  250 Soph. Phil. 784 f.  160 Anm. 190 Sozonius Hist. Eccl. I 21  214 Spomenik 71, 1931, 25,50  268 Anm. 135 Stat. Silv. 2, 2, 36 u. 41 f.  350 Anm. 195 Stesich. PMG 236  206 Anm. 149 Stob. 4, 1, 135 S. 82 Hense  99 Strab. 8, 3, 30  251 Anm. 70; 263 Anm. 122 Strab. 14, 1, 41  208 Anm. 158 Suet. Aug. 68  208 Anm. 163 Suppl. Epig. Rodio 39  268 Anm. 135 Syrianus I, S. 47 Rabe  213 Tabula Kebetis 21, 2  303 Anm. 14 TAM II 356  86 Anm. 202 TAM III 847  102 Anm. 274 Tatian Or. Ad Graec. 22, 7  215 Anm. 185 Teos 205  186 Theodoret Graecarum affectionum curatio 2, 51  351 Anm. 197 Theodoret. Interpr. in Psalm. (PG 80, 1188, 51)  325 Anm. 92 Theodoret. Prov. Orat. Decem (PG 83, 613, 35 f.)  358 Anm. 223 Theogn. 11 f.  243; 255–7 Theogn. 177  286 Theogn. 449 f.  292 Anm. 198 Theogn. 568 f.  35 f.; 354 Anm. 204 Theogn. 681 f.  105 Anm. 285 Theogn. 1230 f.  100 Anm. 263 Theogn. 1347 f.  285 Anm. 178 Theokrit –– Id. 1, 12–4  334 Anm. 129 –– Id. 1, 115–7; 119–22  317 f. –– Id. 1, 128 f.  114 Anm. 31; 319 Anm. 72 –– Id. 3, 18  354 Anm. 204 –– Id. 3, 49  203 Anm. 139 –– Id. 4, 25  311 Anm. 47 –– Id. 5, 31–4  334 Anm. 129 –– Id. 7, 6  329 Anm. 107 –– Id. 7, 74  145 –– Id. 7, 84 f.  113 Anm. 21 –– Id. 7, 135–46  308 –– Id. 8  335 Anm. 135 –– Id. 15, 78 f.  358 Anm. 221 –– Id. 17, 11  350 –– Id. 17, 24  277 –– Id. 21, 28  105 Anm. 287

–– –– –– –– ––

Id. 22, 47; 59  232 Anm. 13; 289 Anm. 187 Id. 24  370 Anm. 13 Id. 25, 112  293 Anm. 201 Id. 28  65 Anm. 144; 93 Anm. 237 Syrinx  70 Anm. 160; 110 Anm. 8; 111–7; 127 Anm. 83 Theophr. Hist. Plant. 2, 8, 3  311 Anm. 47 Theophr. Hist. Plant. 3, 12, 7  107 Theophr. Hist. Plant. 9, 13, 5  330 Thuk. 1, 13  338 Anm. 145 Trapp I  43 Trapp II  44 Anm. 69 TrGF Adesp. Fr. 700 K/Sn  148 f. Tryph. 647–50  246 Anm. 44 Tryphonius RHG 3, 193 f.  89 Anm. 215 TUAT II, S. 469–72  41 Anm. 58 TUAT II, S. 474–6  41 Anm. 57 TUAT II, S. 479–85  42 Anm. 64 TUAT II, S. 574  42 Anm. 65 TUAT II, S. 600 f.  71 Anm. 161 TUAT N. F. 6, S. 29–33  41 Anm. 61 TUAT N. F. 6, S. 70  42 Anm. 65 Varro Men. 357  213 Anm. 180 Varro Men. 364  213 Anm. 180 Vergil –– Ecl. 1, 5  109 –– Ecl. 1, 53–55  115 Anm. 33 –– Ecl. 3, 79  109 Anm. 4; 111 –– Ecl. 5, 43 f.  318 Anm. 68 –– Ecl. 6, 44  109 –– Ecl. 10, 15  145 –– Georg. 1, 486  109 –– Georg. 2, 328  199 Anm. 123 –– Georg. 3, 338  109 –– Georg. 3, 555  145 –– Georg. 4, 461  145 –– Aen. 4, 648  199 Anm. 124 –– Aen. 12, 928 f.  145 Vérilhac 29  196 mit Anm. 105 Vérilhac 30  196 mit Anm. 105 Vérilhac 109A  186; 194 Vérilhac 117  195 Anm. 104 Vérilhac 119  187 Anm. 86 Vit. Aeschyl. 5  150 Anm. 148 Vit. Dionys. Perieget. 54 f.  278 Anm. 158 Vitr. 7, prooem. 10  325 Anm. 92 Xen. An. 4, 5, 25  350 Anm. 194 Xenophanes Fr. 15 B DK  238 Anm. 29 Xenophanes Fr. 30 B DK  344