An Literatur erinnern: Zur Erinnerungsarbeit literarischer Museen und Gedenkstätten 9783839443088

How do literary museums and memorials remind the public of writers? A typology of the remembrance work of literary museu

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An Literatur erinnern: Zur Erinnerungsarbeit literarischer Museen und Gedenkstätten
 9783839443088

Table of contents :
Inhalt
Dank
1. Einleitung
2. Ursprung und Entwicklung literaturmusealer Einrichtungen – zum Forschungsstand
3. Literaturmuseale Einrichtungen: Tempel des Kanons oder „Disneyland für Deutschlehrer“
4. Methodik der empirischen Erhebung
5. Gründungsprozesse literaturmusealer Einrichtungen
6. Ausstellungsanalyse
7. Sammeln, Sichern, Forschen, Präsentieren und Vermitteln
8. Typen literaturmusealer Erinnerungsformen
9. Abschließende Betrachtungen
Literaturverzeichnis
Anhang

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Anna Rebecca Hoffmann An Literatur erinnern

Edition Museum  | Band 32

Anna Rebecca Hoffmann, geb. 1983, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt »Ko-Konstruktion literarischer Bildungsvorstellungen im Verlauf der gymnasialen Oberstufe« an der Universität Osnabrück. Von 2010 bis 2014 war sie Mitglied des International Graduate Centre for the Study of Culture an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen empirische Forschung, literarische Museen und Gedenkstätten, Literatur- und Mediendidaktik sowie Inter- und Transkulturalität.

Anna Rebecca Hoffmann

An Literatur erinnern Zur Erinnerungsarbeit literarischer Museen und Gedenkstätten

Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation am Fachbereich 05 der JLU Gießen eingereicht.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: v.l.n.r. Blick auf Georg Büchners inszenierten Schreibtisch (Büchnerhaus, Riedstadt-Goddelau, © Peter Brunner), Blick in Theodor Storms »Poetenstübchen« (Storm-Haus, Husum 2012), Blick in das Arbeitszimmer Wilhelm Raabes (Raabe-Haus, Braunschweig 2013), Blick auf Anna Seghers’ Schreibmaschine (Seghers-Gedenkstätte, Berlin 2013), Fotografien 2-4 von Anna Rebecca Hoffmann, mit freundlicher Genehmigung der Museen Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Print-ISBN 978-3-8376-4308-4 PDF-ISBN 978-3-8394-4308-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1

Einleitung | 9

2

Ursprung und Entwicklung literaturmusealer Einrichtungen – zum Forschungsstand | 21

2.1 Vom Ursprung des Museums zur Entstehung der ersten literaturmusealen Einrichtungen | 21 2.2 Zu den Erscheinungsformen literaturmusealer Einrichtungen | 30 2.3 Literaturmuseale Ausstellungen im Wandel der Zeit | 37 2.4 Zur Ausstellbarkeit von Literatur – Gegenstände literaturmusealer Ausstellungen | 43 3

Literaturmuseale Einrichtungen: Tempel des Kanons oder „Disneyland für Deutschlehrer“ | 49

3.1 Literaturmuseale Einrichtungen im erinnerungstheoretischen Kontext | 49 3.2 Weiterentwicklungen der Theorie des kulturellen Gedächtnisses | 61 3.3 Zur Bedeutung des Vergessens im literaturmusealen Kontext | 65 3.4 Störungen in der literaturmusealen Erinnerung zwischen Destruktivität und Produktivität | 70 3.5 Literaturmuseale Einrichtungen – Zwischen Tradition und McDonaldisierung | 75 4

Methodik der empirischen Erhebung | 83

4.1 4.2 4.3 4.4 5

Auswahl der Fälle | 83 Leitfadengestützte Experteninterviews | 87 Ausstellungsanalyse | 100 Gütekriterien und Reflexion der qualitativen Untersuchung | 119

Gründungsprozesse literaturmusealer Einrichtungen | 127

5.1 5.2 5.3 5.4

Prämuseale Formen der Erinnerung | 127 Gründungsanlässe und Zeitpunkte | 132 Lokale und materielle Gründungsvoraussetzungen | 139 Initiatorinnen und Initiatoren der Gründungen | 151

6

Ausstellungsanalyse | 163

6.1 Grundzüge literaturmusealer Präsentationsformen | 163 6.2 Funktionen von Ausstellungsobjekten in literaturmusealen Ausstellungen | 193 6.3 Literaturmuseale Ausstellungen als Erzählungen | 208 6.4 Zusammenfassung der personalen, literaturmusealen Ausstellungsnarrative | 284 7

Sammeln, Sichern, Forschen, Präsentieren und Vermitteln | 293

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6

8

Museumspädagogik | 294 Wissenschaftsnahe Aufgabenbereiche | 300 Öffentlichkeitsarbeit | 310 Sonderausstellungen | 314 Weitere Aufgabenbereiche | 316 Aufgabenbereiche der literaturmusealen Einrichtungen im Überblick | 322

Typen literaturmusealer Erinnerungsformen | 327

8.1 Zur Typenbildung | 327 8.2 Prototypische Fallbeispiele | 349 9

Abschließende Betrachtungen | 389

9.1 Literarische Museen und Gedenkstätten zwischen authentischem Ort, Disneysierung und Wissenschaft | 389 9.2 Gegenwärtige Tendenzen in der personalen, literaturmusealen Erinnerung | 400 Literaturverzeichnis | 415 Anhang | 439

Dank

Das Projekt in seiner hier vorliegenden Form wäre ohne die Unterstützung mehrerer Personen und Institutionen nicht möglich gewesen. Daher möchte ich ihnen an dieser Stelle danken. Mein erster Dank gilt meinem Betreuer und Erstgutachter Professor Dr. Carsten Gansel für sein Interesse an meiner Arbeit, seine jahrelange Betreuung, seine konstruktive Kritik und schließlich die spannenden Kolloquien an den verschiedensten Orten in Deutschland und Polen. Danken möchte ich auch Professor Dr. Werner Nell für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens. Ein besonderer Dank gilt den literaturmusealen Einrichtungen und ihren (ehemaligen) Leiter/innen, namentlich Andreas Böttcher (Raabe-Haus: Literaturzentrum Braunschweig), Renate Brucke (Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte in Bohsdorf), Wolfgang de Bruyn (Kleist-Museum in Frankfurt/Oder), Christian Demandt (Storm-Haus in Husum), Jürgen Hillesheim (Brechthaus in Augsburg), Sylke Kaufmann (Lessing-Museum in Kamenz), Ernst Laage (Storm-Haus in Husum), Elke Pfeil (Anna-Seghers-Gedenkstätte in Berlin), Rotraud Pöllmann (Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau), Jörg-Philipp Thomsa (Günter Grass-Haus in Lübeck) und René Wagner (Karl-May-Museum in Radebeul). Durch ihr Engagement und ihre Bereitschaft zur Teilnahme an meiner Studie wurde diese Arbeit erst möglich. Des Weiteren gilt mein Dank den Teilnehmer/innen des Kolloquiums von Prof. Dr. Carsten Gansel sowie des Sozialwissenschaftlichen Kolloquiums des GCSC an der Universität Gießen für die hilfreichen Rückmeldungen sowie Professor Dr. Christian Dawidowski und meinen Kolleginnen und Kollegen an der Universität Osnabrück, besonders Julia, die mich mit wertvollen Hinweisen versorgt und in meinem Vorhaben stets befördert haben. Meinen Freunden und meiner Familie danke ich für ihre jahrelange mentale Unterstützung und ihr Verständnis. Besonderer Dank gilt Michael für seine unermüdliche Kritik, seine Anmerkungen und Korrekturen. Meinem Sohn Juri danke ich dafür, dass er in seinem ersten Lebensjahr so viel geschlafen hat.

1 Einleitung

Nach dem Tod von Autorinnen und Autoren wird auf die verschiedensten Arten und Weisen an diese erinnert. Ihre Werke werden in Klassiker- und Prachtausgaben publiziert (vgl. Raabe 1970, S. 95), es werden Jubiläen gefeiert (vgl. Noltenius 1984) und Denkmäler errichtet (vgl. Selbmann 2008), ihre Werke werden wiederholt rezipiert und erforscht (vgl. A. Assmann 1995). Am weitesten geht die Erinnerungspflege aber dann, wenn den Autorinnen und Autoren eigene Einrichtungen geschaffen werden: Archive, Literaturhäuser oder literarische Museen. Letztere sammeln und bewahren Zeugnisse der Literaturgeschichte und bereiten diese für ein Besucherpublikum in Form von Ausstellungen und einem darüberhinausgehenden Vermittlungsangebot auf. Darüber hinaus beteiligen sie sich an der Erforschung der Schriftsteller/innen. Hierdurch werden sie zu „Agentur[en] des kulturellen Gedächtnisses“ (Schönemann 2006, S. 25), die an der Tradierung und Vermittlung der Vergangenheit beteiligt sind. Denn „[d]as Museum transzendiert die bloß individuelle Sammeltätigkeit, indem es sie verstetigt und professionalisiert. Außerdem ist natürlich an die Vermittlungsfunktion des Museums zu denken: Die Ergebnisse des Sammelns bleiben nicht geheim oder nur einem kleinen Kreis von Auserwählten vorbehalten, sondern werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Deshalb ist das Museum eine Institution der Geschichtskultur oder eine Agentur des kulturellen Gedächtnisses“ (Schönemann 2006, S. 27).

So haben auch literarische Museen einen nicht unerheblichen Anteil an der Vermittlung dessen, was Jan Assmann als „zerdehnte Situation“ (vgl. J. Assmann 2002, S. 241f.) bezeichnet: Sie legen einen roten Faden in die Vergangenheit, der diese mit der Gegenwart verbindet und als Wegweiser in die Zukunft dient. Die Museen sind dabei einerseits als Resultate der Wirkmacht des Kanons zu betrachten, andererseits aber auch als dessen „Katalysator“, der „weitere Wissensproduktionen und Bildungsprozesse“ (Dücker 2011, S. 39) ermöglicht.

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Während Denkmäler „Erinnerung standortunabhängig konservieren“ (Selbmann 1988, S. 2), ist der prädestinierte Ort für die Einrichtung eines literarischen Museums die ehemalige Wohn- oder Schaffensstätte eines Autors oder einer Autorin. Denn „[e]ine der eindrucksvollsten Möglichkeiten, Dichter kennen und verstehen zu lernen, ist, sich mit Leben und Schaffen am Ort ihres Wirkens zu befassen“ (Greiner-Mai 1988, S. 9). Wie Daniel Greiner-Mai hier deutlich macht, sind die historischen Orte für die Auseinandersetzung mit den in der Regel verstorbenen Autorinnen und Autoren von besonderer Bedeutung für ihre Rezeption. So ist jede Erinnerungsgemeinschaft „bestrebt, sich Orte zu schaffen und zu sichern, die nicht nur Schauplätze ihrer Interaktionsformen abgeben, sondern Symbole ihrer Identität und Anhaltspunkte ihrer Erinnerung sind. Das Gedächtnis braucht Orte, tendiert zur Verräumlichung“ (J. Assmann 2007, S. 39). Dies gilt auch für die literaturmusealen Einrichtungen und die Erinnerung an Schriftsteller/innen. Insbesondere diejenigen literarischen Museen, die zugleich „Dichterhaus“ sind, weisen eine solche Verbindung zum Ort auf und streichen diese aus einem recht schlichten Grund besonders heraus: „Die Vorstellung, sich in denselben Wohnräumen zu bewegen, in denen sich schon der Autor zu Lebzeiten aufgehalten hat, macht den spezifischen Reiz der Dichterhäuser aus“ (Wehnert 2002, S. 69). Sie vermögen dadurch etwas zu vermitteln, das durch museale Ausstellungen nicht hervorzurufen und damit den literarischen Memorialen vorbehalten ist: „die Emotionalität des Betrachters“ (Kunze 1991, S. 173) anzurühren. Wenngleich literarische Museen im Vergleich zu den Memorialen mit ihren historisch-authentischen Räumen zu Orten der – durchaus wissenschaftlichen – Auseinandersetzung mit Dichterinnen und Dichtern geworden sind, „stellt auch heute noch die Verehrung des Autors den Hauptanlass für die Initiierung von Ausstellungen dar“ (Wehnert 2002, S. 37). Daher „erwartet man von Literaturausstellungen nicht, dass sie an konkrete Lektüren erinnern oder ebendiese auslösen; vielmehr sollen sie die Geschichte von Autor und Werk erzählen, mithin seine ‚Größe‘ demonstrieren“ (Gfrereis 2012, S. 271). Die Dichter/innen scheinen folglich bis in die Gegenwart im literaturmusealen Bereich der Hauptgegenstand der Erinnerung zu sein. Nicht ihre Werke, obschon diese doch den Grund dafür darstellen, dass überhaupt an sie erinnert wird. Doch auf welche Weise tun literarische Museen dies und welche Faktoren beeinflussen ihre Ausrichtungen und Schwerpunktlegungen? Ich gehe im Folgenden davon aus, dass die zum Gründungszeitpunkt gegebenen Voraussetzungen bereits einen großen Einfluss darauf haben, wie ein Museum im weiteren Verlauf seiner Arbeit die Erinnerung an einen Autor oder eine Autorin ausgestaltet. So ist bspw. für eine Ausstellungskonzeption von großer Bedeutung, ob sich das Museum im ehemaligen Wohnhaus eines Autors oder einer Autorin befindet, ob noch originale Möbelstücke existieren und zur Verfügung stehen oder die ehemals von dem Autor oder der Autorin bewohnten Räume noch wie zu deren Lebzeiten erhalten sind – Beispiele für letztere Ausgangssituation sind die Anna-Seghers-Gedenkstätte in

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Berlin oder auch das Jünger-Haus in Wilflingen. Deutlich häufiger hingegen sind die Fälle, in denen die ehemaligen Wohnhäuser zunächst als solche identifiziert und ihr kulturgeschichtlicher Zeugniswert ausgehandelt werden musste, bevor es zur Gründung eines Museums oder einer Gedenkstätte kam – exemplarisch sei das Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau genannt.1 In anderen Fällen existierte das ehemalige Wohnhaus zum Gründungszeitpunkt bereits nicht mehr, so dass auf andere (zumeist repräsentative) Gebäude ausgewichen oder Neubauten geschaffen werden mussten, in denen eine museale Einrichtung ihren Platz finden konnte – so zum Beispiel beim Lessing-Museum in Kamenz. Im Falle letzterer konnte folglich keineswegs einfach die ehemalige Wohnstätte für Besucher/innen zugänglich gemacht, geschweige denn wieder wie zu Lebzeiten des Dichters hergerichtet werden. Diese unterschiedlichen Ausgangspunkte literaturmusealer Einrichtungen stehen sinnbildlich für die vielfältigen Formen, in denen diese Einrichtungen gegenwärtig in Erscheinung treten und an die Dichter/innen erinnern. Die verschiedenen Varianten literarischer Museen und Gedenkstätten und ihre Geschichte sind bislang wenig erforscht. Dieses Desiderat ist nicht mit einer etwaigen Randstellung zu begründen.2 Vielmehr lässt sich die Konjunktur literaturmusealer Einrichtungen in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur an den vielen Neugründungen dieser ablesen, sondern auch daran, dass 1980 sogar „vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst eine zentrale ‚Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg‘ geschaffen wurde“ (Scheffelen 2001, S. 46). Der Literaturwissenschaftler Peter Seibert (2005) beklagt in seinem Kurzüberblick zum Forschungsstand literarischer Museen insbesondere drei Aspekte: Erstens würden die Ausstellungen nicht hinreichend untersucht, dies gelte zweitens sowohl für die Ausstellungen als auch die Museen und Gedenkstätten als Ganze in historischer Perspektive, wobei dieser Mangel mitunter durch die schlechte Quellenlage, aber nicht allein durch diese zu erklären sei. Drittens fehle bei den bereits entstandenen Arbeiten die fachliche Anbindung an „fachwissenschaftliche germanistische Fragestellungen“ (Seibert 2005, S. 27). Wie die Professorin für Kunst und Kunstgeschichte Sabine Autsch allerdings zu Recht meint, stellt „die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Künstlerhäusern [...] insgesamt ein Forschungsdesiderat dar“ (Autsch 2005b, S. 30). So hat Paul Kahl, ein Historiker, einen ersten entscheidenden Schritt zur grundlegenden Erforschung literaturmusealer Einrichtungen getan, indem er in seinem von der DFG geförderten Forschungsprojekt die Geschichte des GoetheNationalmuseums auf quellengeschichtlicher Basis grundlegend aufarbeitet. Er zeichnet hier bspw. nach, inwiefern das Goethehaus zu verschiedenen zeitlichen

1

Vgl. dazu im Detail Kap. 8.2.2.

2

Vgl. zur vielfach unterschätzten Bedeutsamkeit literarischer Ausstellungen sowie der ausstellenden Institutionen auch Hügel 1991, S. 23.

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Abschnitten instrumentalisiert und von der Politik vereinnahmt wurde (vgl. bspw. Kahl 2015, S. 30f.). Dazu zeigt er, dass Instrumentalisierungen literarischer Personengedenkstätten wie der des Goethehauses nur möglich (gewesen) seien, weil diese Einrichtungen „zur Person führen, nicht zur Literatur, und insofern wohl eine Erinnerung, nicht aber die Auseinandersetzung fördern“ (ebd., S. 267). Ein zentrales Anliegen ist ihm daher auch, die bis in die Gegenwart beschworene Formel des ‚humanistischen Erbes‘ in Weimar zu dekonstruieren und nachzuweisen, inwiefern sie angesichts der systematischen Menschenvernichtung in Buchenwald ad absurdum führt. Neben Kahl haben sich bislang Stefanie Wehnert (2002) und Susanne LangeGreve (1995) in Monographien mit dem literaturmusealen Feld befasst. Beide arbeiten neben Einzelfallanalysen zusätzlich mit Besucherbefragungen zu den von ihnen erforschten Ausstellungen. Wehnert entwickelt in ihrer Studie mit Hilfe einer Synthese aus literaturdidaktischen Vermittlungsansätzen und der Museumspädagogik sowie einer Fallstudie zum Buddenbrookhaus in Lübeck Empfehlungen für die praktische Arbeit hinsichtlich musealer Literaturvermittlung. Bei Lange-Greve hingegen bilden nicht vermittlungstheoretische Ansätze den Ausgangspunkt, sondern expositorische. Sie legt demgemäß zunächst die bestehenden theoretischen Annahmen zu Ausstellungen, Objekten und der Rolle von Besucherinnen und Besuchern dar und entwickelt anhand verschiedener Fallstudien Kriterien für (gelungene) Ausstellungen, die „kulturellen Wert“ (Lange-Greve 1995, S. 214ff.) zu entfalten vermögen. Deutlich zahlreicher als die Monographien sind die in den vergangenen beiden Jahrzehnten erschienenen Sammelbände, die sich literarischen Museen und Gedenkstätten widmen. Die Publikationen konzentrieren sich im Wesentlichen auf Fragen die Ausstellungen und Vermittlungsperspektiven der Einrichtungen betreffend. Die Ausstellungen werden im Kontext neuer Medien3 ebenso diskutiert wie grundsätzlich gefragt wird, was eigentlich ausgestellt wird bzw. werden soll und welche Bedeutung in literarischen Ausstellungen Objekten und deren Materialität zukommt.4 Wie an diesen Publikationen deutlich wird, ist die Relevanz, Ausstellungen und ihre Möglichkeiten zu erforschen, wenn diese ‚erfolgreich‘ sein und gewissen Qualitätskriterien genügen sollen, erkannt worden. Die Erforschung der Ausstellungsgeschichte stellt sich hingegen problematisch dar, wie Hans-Otto Hügel, Professor für Populäre Kultur, feststellt:

3

Vgl. Autsch/Grisko/Seibert (Hrsg.) 2005.

4

Vgl. Hochkirchen/Kollar (Hrsg.) 2015 sowie Bohnenkamp/Vandenrath (Hrsg.) 2011 und Wißkirchen (Hg.) 2002.

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„Zwar erscheinen, seitdem es literarische Ausstellungen gibt, Besprechungen und Würdigungen in Zeitungen und Zeitschriften, und auch frühe Bibliotheks- und Archivführer gehen auf bibliothekarische Ausstellungen ein. So wertvoll diese publizistischen Quellen auch sind, da sich nur vereinzelt Kataloge, Exponatverzeichnisse oder Abbildungen erhalten haben, so wenig gehören diese im eigentlichen Sinn zur Forschung“ (Hügel 1991, S. 22).

Hügel ist mit dieser Einschätzung sicher zuzustimmen. Dennoch wurde der Versuch, vergangene literarische Ausstellungen zu untersuchen und sich einen Überblick über die historische Entwicklung dieser bis hin zu den Ausstellungsformen der Gegenwart zu verschaffen, an verschiedenen Stellen unternommen – wenngleich auch hier die Quellenlage im Einzelnen sehr unterschiedlich war.5 Im Hinblick auf die Vermittlungsebene ist 2011 erstmals ein Band erschienen, der das „Literaturmuseum“ explizit als „Lernort“ zu ergründen sucht.6 Darüber hinaus widmen sich an anderen Stellen einzelne Aufsätze Vermittlungs- bzw. museumspädagogischen Fragen in literarischen Museen und Gedenkstätten, wobei diese oftmals mit ausstellungstechnischen Problemen verbunden werden. Ein grundlegender Überblick über die Arbeit literaturmusealer Einrichtungen fehlt nichtsdestotrotz bis in die Gegenwart. Dementsprechend gilt weiterhin, was Wolfgang Barthel und Rolf Lang bereits 1987 monierten: „Eine breit angelegte analytische Phänomenologie der heute existierenden lit. Institutionen und Einrichtungsverbunde sowie ihre Funktion fehlt allerdings. An ihr erst ließe sich eine sichere Klassifikation und Funktionserkenntnis der Gattung Literaturmuseum gewinnen. Sie hätte nicht nur einzelne nationale Modelle zu beschreiben, sondern auch deutlich zu machen, wie lit.-museale Einrichtungen (gleich welchen Herkommens) im Rahmen ideeler [sic] Wertungssysteme operieren. Dies erst ließe eine Einschätzung der wirklichen kulturellen Funktionen, Valenzen, Kooperations- und Wirkungspotenzen, der Kommunikations- und Entwicklungsmöglichkeiten des LM (=Literaturmuseums) und seiner Verbundnetze zu und verdeutlichte zugleich seine Defizite, Kompetenzen und Inkompetenzen“ (Barthel/Lang 1987, S. 11, zit. n. Hügel 1991, S. 23).

Indem in der vorliegenden Arbeit literarische Museen und Gedenkstätten innerhalb des erinnerungstheoretischen Kontextes untersucht werden, leistet sie einen Forschungsbeitrag zur Schließung eines Teils ebendieses Desiderats. Das Ziel der Arbeit ist daher zweigeteilt: zum einen sollen erstmalig und in grundsätzlicher Weise die Aufgabenbereiche literaturmusealer Einrichtungen beschrieben werden. Denn literarische Museen erinnern nicht nur mittels Ausstellungen an Schriftsteller/innen,

5

Vgl. bspw. Seemann/Valk (Hrsg.) 2012 sowie Ebeling/Hügel/Lubnow (Hrsg.) 1991.

6

Vgl. Dücker/Schmidt (Hrsg.) 2011.

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sondern bspw. auch durch ihre Forschung und verschiedenen Veranstaltungen. Darüber hinaus, dass die Museen ganzheitlich in den Blick genommen werden, sollen sie in den erinnerungstheoretischen Kontext eingeordnet und untersucht werden, inwiefern sie an die Schriftsteller/innen durch die Wahrnehmung ihrer vielfältigen Aufgabenbereiche erinnern. Mit der Theorie des kulturellen Gedächtnisses nach Jan Assmann (2002) und Aleida Assmann (1999) sowie den Weiterentwicklungen dieser bei Astrid Erll (2005) u.a. existieren bereits theoretische Annahmen darüber, welche die tragenden Konstituenten gesellschaftlicher Erinnerung sind (vgl. dazu ausführlich Kap. 3). Allerdings liegen bislang erst wenige Studien vor, die den Versuch unternehmen, die erinnerungstheoretischen Annahmen auf ausgewählte Einrichtungen zu übertragen und diese empirisch hinsichtlich ihrer Erinnerungsarbeit zu untersuchen. Dieser Versuch wird im Folgenden im Hinblick auf literaturmuseale, personale Einrichtungen unternommen. Die Theorie des kulturellen Gedächtnisses ebenso wie deren Weiterentwicklungen, wie sie sich beispielsweise bei Astrid Erll (2003/2005) zum kollektiven Gedächtnis finden, können als ‚Großtheorien‘ angesehen werden. Großtheorien haben die Eigenschaft, keine konkreten, empirisch gehaltvollen Aussagen zu ermöglichen, da sie lediglich den größeren Gesamtzusammenhang eines Phänomens erklären sollen. Sie „enthalten in der Regel eine große Anzahl von Kategorien und Annahmen, die nur sehr bedingt oder überhaupt nicht empirisch überprüfbar sind“ (Kelle/Kluge 2010, S. 36). Daher konnte keine unmittelbare Operationalisierung der Theorie des kulturellen Gedächtnisses erfolgen, die in ein methodisch hypothetiko-deduktives Instrument hätte überführt werden können. Hierin lag einerseits die Schwierigkeit begründet, ein empirisches Forschungsprojekt im Bereich der Erinnerungstheorien durchzuführen, andererseits jedoch auch das Potenzial der Erinnerungstheorien, indem sie als heuristisches Konzept im Sinne Herbert Blumers sensibilisierender Konzepte (vgl. Blumer 1954, S. 7) 1.

„[...] dem Forscher oder der Forscherin jene „Linse“ oder theoretischen Perspektiven zur Verfügung [stellen], durch die er oder sie soziologisch relevante Phänomene überhaupt erst wahrnehmen und beschreiben kann, und

2.

[...] gleichzeitig hinreichend ‚offen‘ [gewesen sind], so dass die Gefahr verringert wird, dass die Relevanzsetzungen der Befragten durch die vorgängigen Forschungshypothesen überblendet werden“ (Kelle/Kluge 2010, S. 37).

Durch das Auffüllen dieses theoretisch-heuristischen Rahmens mittels qualitativer Forschung konnten schließlich empirisch gehaltvolle Aussagen über die Erinnerung an Schriftsteller/innen in literarischen Museen und Gedenkstätten getroffen werden. Ziel ist dabei nicht, die erinnerungstheoretischen Annahmen zu verifizieren, sondern der Theorie eine empirische Studie an die Seite zu stellen, die zum einen untersucht, wie die Erinnerung am Beispiel der literarischen Museen in der Praxis

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ausgestaltet wird, und zum anderen wichtige Hinweise auf notwendige Modifikationen der Erinnerungstheorien zu liefern vermag. Forschungsleitend ist die Frage gewesen, wie in personalen, literaturmusealen Einrichtungen an Autorinnen und Autoren erinnert wird. Zur Beantwortung dieser Frage ist wiederum die Erforschung mehrerer Aufgabengebiete der Einrichtungen notwendig gewesen. Zwei Schwerpunkte lassen sich diesbezüglich benennen, die – wie in Kap. 4 dargestellt – mithilfe jeweils unterschiedlicher triangulierter Methoden untersucht werden mussten. So bildeten den einen Untersuchungsschwerpunkt die Ausstellungen der Museen und Gedenkstätten, den anderen ihre über die Dauerausstellungen hinausgehenden Aufgaben in den Bereichen Sammeln, Forschen und Vermitteln. Während ersterer nur über eine Ausstellungsanalyse (vgl. Kap. 4.3 sowie 6.3) untersucht werden konnte, wurden die weiteren Aufgabenbereiche über Interviews mit den Verantwortlichen der Einrichtungen zugänglich gemacht und erhoben (vgl. dazu Kap. 4.2). In den Interviews wurde darüber hinaus die Historie der Einrichtungen angesprochen, so dass Erkenntnisse über typische Prozesse literaturmusealer Gründungen gewonnen werden konnten. Denn zu Gründungsprozessen literarischer Museen liegen bislang keine systematisierenden Forschungsergebnisse vor. So geht bspw. Constanze Breuer in ihrer Überblicksdarstellung zu literarischen Museen und Gedenkstätten darauf ein, dass die Kanonisierung der Schriftsteller/innen eine gewisse Relevanz für die Gründung von Museen darstelle, doch bezieht sie keine weiteren potentiell förderlichen Kriterien in ihre Überlegungen mit ein (vgl. Breuer 2013). Dass allerdings über die Kanonisierung hinaus weitere Kriterien Relevanz für Museumsgründungen haben werden, ist erwartbar. Hinsichtlich der Entstehung der Museen wurde in den Interviews danach gefragt, wann, in welcher Form und unter welchen Umständen es zu ihrer Gründung kam und wer sich für sie einsetzte. So stellte sich heraus, dass bspw. zur Gründung einer Einrichtung für einen ‚Großschriftsteller‘ weit weniger materielle Voraussetzungen notwendig waren, als dies bei weniger bekannten bzw. kanonisierten oder nur regional bedeutsamen Autorinnen und Autoren der Fall gewesen ist (vgl. dazu Kap. 5). Die Ausstellungen wiederum sind als Kern der Öffentlichkeitsarbeit und Repräsentation der literaturmusealen Einrichtungen zu betrachten. Dort erzählen die Museen nicht nur die ausgestellte Dichterpersönlichkeit, sondern oftmals auch ihre eigene Geschichte. So spiegelt sich in ihnen das Selbstverständnis der Einrichtung, denn „[j]ede Ausstellung stellt nicht nur etwas aus, sondern auch sich selbst“ (Sommer 2002, S. 232ff., zit. n. Käuser 2005, S. 22). Exemplarisch ist hier auf das Kleist-Museum zu verweisen, das einen dezidiert wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkt aufweist. Dieser tritt in der gegenwärtigen Dauerausstellung insofern zutage, als nuanciert darüber aufgeklärt wird, was über Kleists Leben quellengeschichtlich bekannt und nachgewiesen ist und was lediglich als Gerücht bzw. vom Hörensagen überliefert ist (vgl. Kap. 6.3.5). Für die Ausstellungsanalyse war deshalb von besonderer Bedeutung, wie Wirkung und Leben der Dichter/innen erzählt und inszeniert werden,

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da sich in den Erinnerungsnarrativen spiegelt, inwiefern sie kulturelle Bedeutsamkeit für eine Erinnerungsgemeinschaft gewinnen konnten und welche Normen und Werte mit ihnen verbunden werden. Museale Aufgaben erstrecken sich vom Ausstellen und Vermitteln über das Sammeln und Sichern bis hin zum Forschen. Daher war im Hinblick auf die über das Ausstellen hinausgehenden, von den literaturmusealen Einrichtungen jeweils übernommenen Aufgaben danach zu fragen, in welchen der genannten Bereiche diese einzuordnen sind und wie diese Aufgaben konkret umgesetzt werden. Denn gleichwohl zum Beispiel das Forschen als eine museale Aufgabe angesehen wird, wird bei Weitem nicht jedes Museum forschend tätig. So reicht das Spektrum von solchen Einrichtungen, die weder über ein Archiv verfügen, noch Forschung betreiben, über solche, die zwar in hauseigenen Archiven Sammlungen anlegen und die Bestände zu Forschungszwecken zugänglich machen, selbst aber nicht forschen, bis hin zu solchen Museen, die sogar über Personal verfügen, das ausschließlich mit Forschungsaufgaben befasst ist. Dabei ist erinnerungstheoretisch durchaus bedeutsam, ob sich ein Museum als wissenschaftliche Einrichtung oder eher als kulturtouristische versteht, da mit diesem Selbstverständnis verschiedene Schwerpunktlegungen einhergehen und damit auch andere Erinnerungsweisen beschritten werden. Die vorliegende Studie gliedert sich dazu in mehrere Teile. Zunächst werden die Begriffe ‚literarisches Museum‘ bzw. ‚literarische Gedenkstätte‘ definiert sowie der derzeitige Forschungsstand zur Entstehung und Geschichte literarischer Gedenkstätten und Museen sowie literarischen Ausstellungen aufgearbeitet (vgl. Kap. 2). Sodann erfolgt eine theoretische Einordnung literaturmusealer Einrichtungen in erinnerungstheoretische Ansätze (Kap. 3). Die theoretischen Darlegungen dienen als Rahmung für den empirischen Teil der Studie, da dieser die an das Feld gestellten Fragen wesentlich beeinflusste. Über die theoriegeleiteten Annahmen hinaus werden bereits gewonnene empirische Ergebnisse in die Entwicklung der Studie integriert. Dazu wurde eine kleinere Vorstudie7 durchgeführt, in deren Zuge die von der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V. (ALG) herausgegebene Daten-CDROM Literatur vor Ort (2006) einer systematischen Auswertung unterzogen wurde. Diese umfasst Informationen zu denjenigen literarischen Museen, welche als Mitglieder der ALG registriert sind. Die Daten einer jeden personalen, literaturmusealen Einrichtung wurden in einer Excel-Tabelle nach Kategorien8 gegliedert aufge-

7

Dabei handelt es sich um eine Vorerhebung, deren Ergebnisse ich 2011 im Rahmen der Konferenz Literatur ausstellen in Göttingen vorgestellt habe.

8

Die Kategorien, die in die Tabelle aufgenommen wurden, waren: Gründungsjahr, Art der Einrichtung, Verbindung zur Örtlichkeit des Museums/der Gedenkstätte, örtlichmaterielle Voraussetzungen und Gegebenheiten, Initiatorinnen und Initiatoren sowie wei-

EINLEITUNG | 17

nommen und ausgewertet. Insgesamt konnten so Informationen zu über 80 literaturmusealen Einrichtungen gewonnen werden. Die Daten und Informationen unterscheiden sich enorm hinsichtlich Qualität und Quantität, da es sich hierbei um Selbstauskünfte der Museen und Gedenkstätten handelt.9 Ergänzend hierzu wurden daher weitere Quellen herangezogen, wie die Webseiten und Flyer von Museen, literarische Museums- und Reiseführer10 sowie Sekundärliteratur zum literaturmusealen Feld.11 Im Rahmen weiterer Recherchen wurde eine über die Sammlung auf der CD-ROM Literatur vor Ort (und damit Mitglieder der ALG) hinausgehende Liste literarischer Museen und Gedenkstätten in Deutschland zusammengestellt.12 Auf Basis dieser Vorstudie sowie des Forschungsstands zum literaturmusealen Feld wurden die qualitativ zu untersuchenden Fälle ausgewählt. Untersuchungsge-

tere Beförderer, Gründungs-/Einrichtungsanlass, Trägerschaft, Veränderungen der Konzeption/Ausweitung des musealen Bereichs, Umzug der Einrichtung, andere Erinnerungsformen (offiziell wie inoffiziell), Ausstellungsinhalte, Aufgabenbereiche der Museen, Grundkonzeption des Museums, Ziele der Museen, Besucherzahlen, Anzahl und Art ausgestellter Originale, Anzahl der Objekte, Besichtigungsart, Zugänglichkeit von Literatur/Recherchemöglichkeiten vor Ort, weitere individuelle Merkmale der Museen. 9

Es heißt dort: „Das hier zusammengefasste Material beruht auf den Angaben der jeweiligen Einrichtungen. Sofern keine Angaben gemacht wurden, haben wir die uns zugänglichen Daten aufgenommen“ (Literatur vor Ort 2006, S. 18).

10 Zu diesen zählten Reiseführer für Literaturfreunde (1965), Literarische Museen und Gedenkstätten in der Deutschen Demokratischen Republik (1981), Literatur. Dichter, Stätten, Episoden (1988), Dichter, Stätten, Literatouren (1992), Literaturreisen. Wege, Orte, Texte. Der Main (1994), Literatur-Museen. Wohnhäuser, Sammlungen, Literaturkabinette (1995), Dichterhäuser um Dresden (2004), Literaturlandschaft Sachsen. Handbuch (2007), Literarischer Führer Deutschland (2008), Dresdner Dichterhäuser (2010), Dichterhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz (2011), Auf den Spuren deutscher Dichter. Ein literarischer Reisebegleiter (2012), Deutsche Literaturlandschaften. Reiseziele aus der Welt der Literatur (2012). Eine wichtige Website im Zuge der Recherche war u.a. die Homepage von „Literaturland Baden-Württemberg“ [http://www.literaturland-bw.de, zuletzt abgerufen am 12.09.2016]. 11 Zudem wurden weitere Besichtigungen durchgeführt, um ein möglichst umfassendes Bild über das Feld zu erhalten: das Struwwelpeter-Museum und Goethe-Museum in Frankfurt a.M., das Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf, die Brecht-Weigel-Gedenkstätte in Berlin, Goethes und Schillers Wohnhäuser sowie die Museen in Weimar, das Marbacher Literaturmuseum der Moderne sowie das Lottehaus in Wetzlar, das Goethe-Museum in Düsseldorf, das Buddenbrookhaus in Lübeck und das Erich Kästner Museum in Dresden. 12 Diese Liste befindet sich im Anhang.

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genstand waren dabei ausschließlich personale, literarische Museen und Gedenkstätten, da es für die Ausrichtung der Museen einen erheblichen Unterschied macht, ob sie sich auf eine Person spezifiziert haben oder vielmehr – im Sinne eines reinen Literaturmuseums – mehrere Schriftsteller/innen oder gar unabhängig von den Personen Epochen oder Literaturgattungen in den Blick nehmen. Einrichtungen wie das Literaturmuseum der Moderne in Marbach, das Museum für Literatur am Oberrhein oder auch das Märchenmuseum in Alsfeld wurden daher von vorneherein aus der Samplebildung ausgeklammert. Untersucht wurden • • • • • • • • • •

das Brechthaus in Augsburg (Jürgen Hillesheim),13 das Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau (Rotraud Pöllmann), das Günter Grass-Haus in Lübeck (Jörg-Philipp Thomsa), das Kleist-Museum in Frankfurt an der Oder (Wolfgang de Bruyn), das Lessing-Museum in Kamenz (Sylke Kaufmann), das Karl-May-Museum in Radebeul (René Wagner), das Raabe-Haus in Braunschweig (Andreas Böttcher), die Anna-Seghers-Gedenkstätte in Berlin (Elke Pfeil), das Theodor-Storm-Haus in Husum (Christian Demandt) und die Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ in Bohsdorf (Renate Brucke).14

Im Anschluss an die Darstellung des Forschungsstands sowie der theoretischen Einordnung der Museen in erinnerungstheoretische Annahmen, werden die Methoden der Erhebung dargelegt (vgl. Kap. 4). Dabei handelt es sich um ein triangulatives Verfahren, da nur ein solches den beiden Untersuchungsschwerpunkten, den Ausstellungen sowie den darüberhinausgehenden Aufgabenbereichen literaturmusealer Einrichtungen, gerecht zu werden vermochte. Während die Kombination aus leitfadengestützten Interviews mitsamt einer qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2010) ein gängiges Erhebungsverfahren ist, mussten das Erhebungs- und Auswertungsverfahren für die Ausstellungsanalyse zunächst entwickelt werden. Dabei konnte einerseits hinsichtlich der Erhebungsmethode auf Erkenntnisse aus der (teilnehmenden) Beobachtung (Lamnek 2010) zurückgegriffen werden. Im Hinblick auf die Ausstellungsanalyse konnten andererseits jüngst entwickelte methodische Ansätze wie die Übertragung der Erzählanalyse auf Ausstellungen (Buschmann 2010)

13 In Klammern werden die Leiter/innen genannt, die zum Erhebungszeitpunkt aktiv waren und mit denen die Interviews im Rahmen der vorliegenden Erhebung durchgeführt wurden. Zum Interview im Storm-Haus war zusätzlich der ehemalige Leiter desselben, Ernst Laage, anwesend. 14 Zur Auswahl der Fälle vgl. Kap. 4.1.

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fruchtbar gemacht werden. Abschließend werden die Vor- und Nachteile der angewandten Methoden sowie die Güte der qualitativen Erhebung reflektiert. Die Ergebnisdarstellung gliedert sich in vier Bereiche. Zuerst werden die Gründungsprozesse der literaturmusealen Einrichtungen näher betrachtet. Dies geschieht fallübergreifend. Die Ausstellungsanalyse hingegen gliedert sich in zwei Teile, wobei im ersten fallübergreifende Grundmuster literaturmusealer Präsentationen herausgearbeitet werden und im zweiten Teil die einzelnen Dauerausstellungen sowie ihre Spezifika fallweise analysiert werden. Auf die Ausstellungsanalyse folgt – wiederum in fallübergreifender Weise – die Darstellung der über die Dauerausstellungen hinausgehenden Aufgabenbereiche der Museen. Zuletzt und auf den Ergebnissen der vorangegangen Kap. 5-7 aufbauend gehe ich auf die Typenbildung literaturmusealer Erinnerung ein und stelle vier prototypische Fälle sowie einen Grenzfall im Detail vor. An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass die in Kap. 5-7 erarbeiteten Ergebnisse nicht nur als Grundlage für die Typenbildung dienten, sondern einen eigenen, darüberhinausgehenden Erkenntniswert besitzen. So konnte bspw. im Zuge der einzelfallbezogenen Ausstellungsanalyse im Detail gezeigt werden, wie Schriftsteller/innen, ihr Leben und ihr Werk erzählt und mittels dieser Erzählung auf ganz bestimmte Weise gedeutet werden. In einer Typologie wiederum hätten diese Details nicht beleuchtet werden können. Auf diese Weise ergänzen sich die Ergebnisse der Detailanalysen in Kap. 5-7 mit den auf einer gröberen Ebene angesiedelten typisierenden. In dem beschließenden Kapitel werden die Ergebnisse noch einmal in Kürze zusammengefasst und gegenwärtige Tendenzen in der literaturmusealen Erinnerung herausgestellt. Mit dem Rückbezug auf die erinnerungstheoretischen Implikationen wird abschließend gezeigt, inwiefern die Erinnerungstheorien einer Überarbeitung bedürfen und in welchen Bereichen weiterhin besonderer Forschungsbedarf besteht. Die vorliegende Untersuchung der personalen, literarischen Museen und Gedenkstätten bietet folglich in vielerlei Hinsicht einen Forschungsbeitrag. Zum einen werden die Museen erstmalig ganzheitlich in den Blick genommen. Auf diese Weise werden Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aufgabenbereichen der Einrichtungen sichtbar. Außerdem zeichnen sich unterschiedliche Museumstypen ab, die sich aus ihren je eigenen Gründungsprozessen und -voraussetzungen ergeben. Es wurden sowohl Einzelfälle detailliert betrachtet, als auch fallübergreifend nach Zusammenhängen und übergreifenden Strukturen gesucht. Die Typologie stellt diesbezüglich ein wesentliches Ergebnis dar, denn „[m]it Hilfe komplexer Typologien können außerdem inhaltliche Zusammenhänge rekonstruiert und ggf. erklärt werden, so daß Typologien die Generierung von Hypothesen und die (Weiter-)Entwicklung von Theorien in hohem Maße unterstützen“ (Kluge 1999, S. 85).

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In der Typenbildung konnten schließlich die Einzelergebnisse der untersuchten Teilbereiche, wie sie in Kap. 5-7 dargestellt wurden, zusammengeführt werden. In ihr spiegeln sich in augenfälliger Weise die verschiedenen Erinnerungsweisen je nach musealem Typ, so dass Zusammenhänge innerhalb des literaturmusealen Feldes nachvollziehbar und erklärlich werden. Zum anderen konnten über die Geschichte literaturmusealer Einrichtungen, ihrer Ausstellungen sowie die Ausgestaltung ihrer weiteren Aufgabengebiete hinaus wichtige Impulse für die Theoriebildung geben werden. Indem erinnerungstheoretische Annahmen als ‚sensibilisierende Konzepte‘ forschungsleitende Impulse gegeben haben und das literaturmuseale Feld aus dieser Perspektive erforscht wurde, konnten im Umkehrschluss wiederum wichtige Anregungen zur Weiterentwicklung dieser herausgestellt werden. Zuletzt bietet die Studie bestehenden literaturmusealen Einrichtungen einen Einblick in die Arbeit anderer Museen und Anhaltspunkte für eine institutionelle Selbstreflexion. Da mit den Interviews sowie den Ausstellungsanalysen bereits ein sehr umfangreiches Material zu bearbeiten war, konnte darüber hinaus kein Quellenstudium durchgeführt werden, das wichtige Erkenntnisse zur Rekonstruktion der Geschichte literarischer Museen bringen könnte. Da das zentrale Ziel allerdings nicht die quellenhistorische Aufarbeitung der Geschichte der Einrichtungen war, sondern diese nur im Kontext der Ausgestaltung der Erinnerungsarbeit von Relevanz war, musste auf den umfangreicheren Einbezug von Primärquellen verzichtet werden. Ein weiterer wichtiger Forschungskomplex, der im Folgenden nicht beleuchtet wird, ist die konkrete Erinnerungspraxis, die einzelnen Handlungen und Aushandlungsprozesse, die im Zuge der Ausgestaltung der literaturmusealen Erinnerungsarbeit von Bedeutung sind. Mithilfe einer ethnographischen Erhebung wie der teilnehmenden Beobachtung könnten die Arbeitsprozesse der Akteure in den Museen beobachtet werden. Hierdurch ließen sich für die unterschiedlichen Formen literarturmusealer Einrichtungen ggf. unterschiedliche Strukturen und Mechanismen in der Erinnerungspraxis identifizieren. Die Anlage der vorliegenden Erhebung, die mehrere Fälle komparativ in den Blick nimmt, machte ein solch ressourcenaufwendiges Erhebungsverfahren jedoch unmöglich. Schließlich hätten die Beobachtungen über einen längeren Zeitraum hinweg im Alltag der Akteure in den Museen erfolgen müssen. Zuletzt sind auch die Besucher/innen und der individuelle Akt der Erinnerung, die Aktualisierung durch diese, nicht erforscht worden. Hierzu wären weitere empirische Erhebungen notwendig gewesen, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei Weitem gesprengt hätten.

2 Ursprung und Entwicklung literaturmusealer Einrichtungen – zum Forschungsstand

2.1 VOM URSPRUNG DES MUSEUMS ZUR ENTSTEHUNG DER ERSTEN LITERATURMUSEALEN EINRICHTUNGEN Zum Verständnis der Ausdifferenzierung literaturmusealer Einrichtungen bis in die Gegenwart hilft ein Blick in die Geschichte. An ihr lässt sich nachzeichnen, inwiefern die Museen und Gedenkstätten im Laufe ihrer Entwicklung zu gesellschaftlich und politisch bedeutsamen Einrichtungen wurden und wie sie zu ihrem gegenwärtigen Stellenwert gelangten. Im antiken Griechenland stellte das ‚museion‘1 eine Art Musentempel dar. Später wurden darunter antike „Schulen der Dichtkunst und der Philosophie“ (Wehnert 2002, S. 12) sowie Orte in Rom, an denen „erbeutete griechische Kunstgegenstände in städtischen Tempeln und Gärten ausgestellt [wurden]“ (Wohlfromm 2005, S. 11), gefasst. Als erstes Museum – und Literaturmuseum – bezeichnet Vieregg die 290 v. Chr. gegründete Bibliothek von Alexandria (vgl. ebd. 2008, S. 18, 167),2 in welcher bereits die größte Schriftensammlung der Antike vorlag, die systematisch

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Das ‚museion‘ war der Wohnort der Musen. Orte, die als Musensitz bekannt waren, waren heilige Orte für die Griechen der Antike. Dadurch wurde der Wohnort der Musen „zu einem Ort des Gedächtnisses, einem Ort der Erinnerung und Verehrung derer, die das Lob der Musen gesungen haben“ (Flügel 2005, S. 35.). Der Wandel vom räumlich geprägten Begriff des schlichten Wohnortes der Musen hin zu einem Bildungsbegriff vollzog sich deshalb, weil es an diesen Orten gesammelte, alte Schriften sowie Abbilder von Dichtern und Philosophen gab. Hierdurch entwickelte sich das ‚museion‘ vom bloßen Gedenkort zur Bildungsstätte, an der gelehrte Texte vorzufinden waren (vgl. Flügel 2005, S. 35).

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Die Bibliothek von Alexandria hat ihre Nachfolger im Mittelalter in den klösterlichen Sammlungen und Schreibstuben gefunden, welche als Vorläufer heutiger Bibliotheken und Archive angesehen werden können (vgl. Vieregg 2008, S. 22).

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zu verbreiten versucht wurde. Neben diesem bekannten Beispiel existierten in den griechischen Poleis antike Schatzhäuser, die bereits Ansätze moderner musealer Merkmale aufwiesen, „so die Kriterien der Sammlungen, der Präsentation, der Zugänglichkeit für Besucher und der Vermittlung an ein griechisches Publikum“ (ebd., S. 19). Hildegard Vieregg sowie Krzysztof Pomian (1993) weisen darauf hin, dass der Ursprung des Museums im Sammeln liege. Bereits in der Antike und Spätantike seien Objekte und Reliquien von (Pilger-)Reisen und Feldzügen mitgebracht und gesammelt worden; insbesondere den Heiligen- und damit Reliquienkult habe erst das Christentum „zur vollen Blüte [gebracht]“ (Pomian 1993, S. 30). Unter einer Sammlung versteht Pomian „jede Zusammenstellung natürlicher oder künstlicher Gegenstände, die zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten werden, und zwar an einem abgeschlossenen, eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ort, an dem die Gegenstände ausgestellt werden und angesehen werden“ (ebd., S. 16).

Bei den Dingen, die einer solchen Sammlung zugeführt werden, handle es sich in erster Linie um „Semiophoren“ – Gegenstände, die jeglicher Nützlichkeit entbehren, jedoch mit Bedeutung versehen seien; im Idealfall Reliquien3 –, die neben ihrer Bedeutsamkeit auch das Merkmal der Seltenheit aufweisen müssen, um Sammlungswert zu erhalten.4 Dieser Sammlungsbegriff lässt sich folglich sowohl auf die ersten Sammlungen der Antike sowie auf Museen der Gegenwart anwenden. Im Mittelalter wurden Sammlungen primär von Klöstern und Kirchen sowie Fürsten und Königen angelegt. Sie dienten der Bekräftigung politischer Rechtsakte, als Schutzsymbole, als Herrschaftszeichen, zu repräsentativen Zwecken oder zur Ausstattung von Kirchen und Klöstern (vgl. Vieregg 2008, S. 21ff.). Die Sammlungen waren in aller Regel nur dem Klerus, Institutionenangehörigen oder den Sammelnden nahestehenden Personen zugänglich. Ihre unmittelbaren Vorläufer fanden Museen jedoch in den ‚Kunst- und Wunderkammern‘ der Fürsten und Monarchen. Zum einen dienten sie dem personalen Erinnerungskult der Fürsten und ihrem Nachwirken, zum anderen der Repräsentation des Herrschers zu Lebzeiten,5 indem

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Reliquien definiert Pomian als „Gegenstände, von denen man annimmt, daß sie mit einem Gott oder Heroen in Berührung gekommen sind oder daß sie Spuren irgendeines Ereignisses aus der mythischen oder einfach nur fernen Vergangenheit sind“ (Pomian 1993, S. 30).

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Bezüglich der mangelnden Nützlichkeit der gesammelten Gegenstände sei darauf verwiesen, dass museal integrierte Objekte immer aus ihrem ursprünglichen Kontext genommen und erneut funktionalisiert und kontextualisiert werden.

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Vgl. auch Hartung 2010, S. 9.

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er in seinen Sammlungen wertvolle, schöne sowie fremde und bizarre – so genannte ‚mirabilia‘ – Gegenstände aus Natur und Kunst zusammentrug. Ab dem 16. Jahrhundert wurden diese Sammlungen zunehmend systematisiert und nach bestimmten Prinzipien geordnet. Pomian sieht hier eine direkte Verbindung zwischen dem Anstieg von Reisen und dem vermehrten Sammeln (vgl. Pomian 1993, S. 57). Darüber hinaus wurden ab der Renaissance durch die veränderte Perspektive auf die Vergangenheit6 auch ‚Abfälle‘ zu Semiophoren (ebd., S. 56) – beispielsweise bauliche Überreste und Objekte aus Ausgrabungen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts quantitativ forciert wurden. Aufgrund des gestiegenen Interesses an Historie und Wissenschaftlichkeit wurden die Sammlungsbereiche stetig ausgeweitet;7 es entwickelte sich eine neue Aufmerksamkeit für die Erkenntnismöglichkeit mittels historischer Quellen, antiker Objekte und Artefakten. Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Privatsammlungen kennzeichnet die öffentlichen Sammlungen ihre „Permanenz“ (ebd., S. 67); so wurden ab dem 17. Jahrhundert auch private Sammlungen gestiftet bzw. in öffentlich zugängliche Sammlungen umgewandelt. Das wohl bekannteste Beispiel ist die MediciSammlung, die Anna Maria Luisa de’ Medici 1743 unter der Bedingung, dass sie nicht veräußert werden dürfe und öffentlich zugänglich sein müsse, dem toskanischen Staat übergab (vgl. ebd., S. 66; Vieregg 2008, S. 24). Im 18. Jahrhundert eröffneten weitere bedeutende Beispiele erster Museen, so das British Museum in London 1759 oder der Louvre in Paris im Jahr 1793 (vgl. Gast 2005, S. 21).8 Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff ‚Museum‘ „teilweise mit rein historischen Bedeutungen gefüllt [...], [bezog] sich aber nicht auf einen institutionalisierten Ort, auf ‚das‘ Museum [...]. Das ändert[e] sich mit der Französischen Revo-

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Dieser Wandel hing mit dem zunehmenden Interesse für antike Texte zusammen, die in Bibliotheken ein unbeachtetes Dasein gefristet hatten. Unter Bezugnahme auf diese Schriften gewannen Gegenstände an Bedeutung, die zuvor weder über eine solche verfügten, noch nützlich waren, sondern als ‚Abfall‘ unbedeutend oder verborgen waren (vgl. Pomian 1993, S. 55f.). Unter ‚Abfall‘ versteht Pomian „Körper, die durch menschliche Tätigkeiten aufgelöst worden sind, vor allem durch die Herstellung von Artefakten, sowie Artefakte, die keine Funktion mehr haben, sei es durch Zerstörung oder Abnutzung, sei es, weil sie veraltet sind“ (ebd., S. 92). Vgl. auch Vieregg (2008, S. 31) in Bezug auf die Veränderungen ab der Mitte des 17. Jahrhunderts.

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Katharina Flügel (2005, S. 41) beschreibt, wie sich die Sünde ‚curiositas‘ (=Neugier) vom Mittelalter zur Renaissance in eine an der Welt interessierte natürliche und tugendhafte Wissbegierigkeit verwandelt.

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Johanna Gast gibt als Eröffnungszeitpunkt für das British Museum allerdings das Jahr 1795 an.

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lution. ‚Das‘ Museum mit Sammlungen und Ausstellungen als Ort diskursiver bürgerlicher Öffentlichkeit [wurde] zu einem verorteten Prinzip mit gesellschaftlicher Aktualität“ (Blank/Debelts 2002, S. 15f.).

Diese begriffliche Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit der institutionellen: Nach der Gründung der ersten (Kunst-)Museen wurden in ganz Europa weitere Museen gegründet; in den deutschen (Klein-)Staaten zum Beispiel das Alte Museum in Berlin und die Glyptothek in München (beide im Jahre 1830).9 Zwar bestand nach den Unruhen der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts Einigkeit darüber, dass die Museen der Bildung des Volkes zugute kommen und daher Klassen und Schichten übergreifend geöffnet werden sollten; einen Streitpunkt im Bereich der Kunstmuseen stellte im 19. Jahrhundert jedoch immer wieder die Grundidee der Ausstellungskonzeptionen dar: Während die einen „einen Ort für ästhetischen Genuss“ forderten, plädierten die anderen für eine „‚kunstgeschichtliche‘ Bildungsanstalt“, die neben der Vermittlung der Kunst ihre Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte in den Blick nehmen sollte (vgl. Hartung 2010, S. 30). Im deutschen Raum sollten Museen zudem eine besondere Funktion im nationalen Einigungsprozess übernehmen: Durch die Herleitung und Fundierung einer „vermeintlich gemeinsamen Geschichte“ (ebd., S. 10) sollte die Einheit auf nationaler Ebene vorangetrieben werden. Dieses Ziel wurde nicht nur in kulturhistorischen (Heimat-)Museen angestrebt, sondern auch in Kunst- und literarischen Museen.10 „Museen sollten die angestrebte politische Einheit bereits im kulturellen Bereich vorwegnehmen“ (ebd.). Wenngleich die Geschichte zum Zwecke der Fundierung einer gemeinsamen Vergangenheit bedeutsamer wurde, so konnte sie die ästhetischbildende Zielsetzung – insbesondere der Kunstmuseen – nicht ablösen (vgl. Hochreiter 1994, S. 34). Die Entwicklung stand in engem Zusammenhang mit der teilweisen Ablösung der (christlichen) Religion durch bürgerliche Vorstellungen und Werte, die wiederum hochstilisiert und sakralisiert wurden. Für diese bürgerliche Bildungsschicht war die Ablösung der Religion mit einer starken Wissenschaftsorientierung verbunden, was dazu führte, „daß sich die Wissenschaft, während sie die Welt säkularisierte, selbst sakralisierte“ (Jardine 2001, S. 206). So waren die Museen des 19. Jahrhunderts zuallererst bürgerliche Institutionen, in denen sie ihre Deutungsmuster zur Entfaltung bringen konnten. Die Museen sollten zwar im Sinne der nati-

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Die Beschlüsse zu ihren Errichtungen fielen unabhängig voneinander bereits im Jahre 1815 (vgl. Hartung 2010, S. 29).

10 Vgl. zur Geschichte verschiedener Museen: Hochreiter 1994; Hartung 2010; sowie speziell zum Kunstmuseum: Sheehan 2002.

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onalen Einigung alle Schichten ansprechen, tatsächlich jedoch vermochten sie die Arbeiterschicht nicht zu erreichen, da sie nicht an deren Wissen anknüpften und grundlegende Voraussetzungen für einen Besuch, wie Öffnungszeiten an Sonntagen, nicht gegeben waren.11 Museen, oftmals in prachtvollen Gebäuden wie Tempeln untergebracht,12 lösten also Orte der Religion, die Kirchen, ab (vgl. Pomian 1993, S. 70) und boten Platz für einen neuen Kult, der sich am Nationalen orientierte. Bislang ist keine Geschichte literaturmusealer Einrichtungen abgefasst worden. Nichtsdestotrotz lässt sich auf Basis des gegenwärtigen Forschungsstandes zumindest eine grobe Entwicklung nachzeichnen. So hatten Dichter bereits in der Antike eine herausragende Stellung inne (vgl. Zilsel 1926). Diese hat sich durch die ihnen entgegengebrachte und teilwiese ‚in Stein gehauene‘ – in Form von Büsten und Denkmälern – Wertschätzung überliefert. Die Dichter waren nicht nur den oberen Schichten nahestehende Künstler, sondern auch die Überlieferer der Geschichte, was ihren Stellenwert sowie ihre Bedeutsamkeit insbesondere für die Herrscher vergrößerte (vgl. Zankl 1972, S. 39). Bildnisse von Dichtern finden sich jedoch nicht nur in Form von Denkmälern. „Schon von spätantiken Schriftstellern sind Bildnisse überliefert, die den Ausgaben ihrer Werke vorangestellt waren“ (ebd., S. 40). Diese Tradition – mit individuellen Bildnissen versehene Ausgaben – wurde ab dem 16. Jahrhundert wieder aufgegriffen und entwickelte sich mit der Autorität des Autors und dem Geniegedanken bis zu zeitgenössischen Formen weiter.13 Der Ursprung der gegenwärtigen Dichterverehrung ist nicht nur in dieser Hinsicht in der Antike zu suchen. So stellt Vieregg für die Bibliothek von Alexandria fest, dass diese bereits als erster Vorläufer heutiger literarischer Museen angesehen werden könne. Dass allerdings nicht nur Bücher und Papyrusrollen als sammelwürdige Ge-

11 Durch diese Mängel einer tatsächlichen Öffnung reproduzierte sich das Privileg der Bildungsbürger/innen, die sich nun darin bestätigt sahen, dass ihnen das Museum vorbehalten sei (vgl. dazu Hartung 2010, S. 9). 12 Vgl. zu zeitgenössischen Diskursen über den Bau von Museumsgebäuden Hochreiters (1994, S. 28, 37f., 47ff.) Ausführungen zum Alten Museum in Berlin, das von Karl Friedrich Schinkel kreiert wurde. 13 Schriftsteller/innen werden gegenwärtig oftmals mit Foto auf den Covern ihrer Bücher abgedruckt. Handelt es sich um besonders bekannte Autorinnen und Autoren, entwickelt sich um sie ein regelrechter ‚Personenkult‘, im Rahmen dessen sie verehrt werden, Fanpost erhalten und Autogrammkarten unterschreiben (müssen) – eine durchaus gängige Variante stellt das Signieren von Werken im Anschluss an Lesungen dar.

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genstände angesehen wurden,14 sondern auch die mit den Dichtern verbundenen Orte eine besondere Bedeutung innehatten, wird an dem Beispiel des ehemaligen Hauses des Dichters Pindar evident: Demnach zerstörte Alexander der Große – außer Tempel und Burg – 335 das geschlagene Theben und verschonte lediglich das Haus des Dichters, das den göttlichen Orten vergleichbar sakrale Merkmale zu kennzeichnen schienen. Den mit dem Dichter verbundenen Ort der Erinnerung rührte er nicht an (vgl. Zankl 1972, S. 40; Kahl 2010, S. 347). Wie Max Kunze in einem Überblicksaufsatz über die (internationale) Geschichte literarischer Museen und Ausstellungen ausführt, wurde dem Dichter Du Fu zu Ehren schon im Jahre 902 eine Art Tempel eingerichtet, der bis heute – und seit 1961 als literarisches Museum – existiert (vgl. Kunze 1991, S. 172). Daneben berichtet er für das Beispiel Shakespeares im 18. Jahrhundert von einem so belästigenden literarischen Tourismus, dass der spätere Hauseigentümer das Haus Shakespeares abreißen musste. Für den deutschsprachigen Raum sieht Paul Kahl „die Aufwertung der Autorpersönlichkeit seit der Geniezeit, im 18. Jahrhundert gipfelnd in Klopstock und seiner Verehrung“ (Kahl 2010, S. 128), begründet. Mit der Einrichtung des ersten genuin literarischen Museums,15 Schillers Wohnhaus in Weimar, zunächst in Form einer literarischen Gedenkstätte,16 ist der Grundstein für eine im 19. Jahrhundert aufblühende bürgerlich-museale Dichterverehrung gelegt, die sich im 20. Jahrhundert und besonders nach 1945 noch ausweitet. Der Eröffnung des Schillerhauses in Weimar 1847 folgen das Schillerhaus in Leipzig-Gohlis (1848) sowie in Marbach (1859), 1862 das Gleimhaus in Halberstadt, 1863 das Lottehaus in Wetzlar sowie das Goethehaus in Frankfurt am Main; erst 1885 erfolgt nach mehrfachen, gescheiterten Versuchen17 die öffentliche Zugänglichmachung des Goethehauses am Frauenplan in Weimar.

14 Manuskripte entwickelten sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu bedeutungsvollen Sammlungsgegenständen, was sich schließlich 1885 in der Gründung des Goethe- (und – später – Schiller-)Archivs widerspiegelte. 15 Wiederum als eine Art Vorläufer im Sinne der Popularität Goethes und anderer Dichter mit Blick auf die Entwicklung einer Erinnerungskultur, allerdings in fürstlicher Tradition von repräsentativen Schau- und Wunderkammern stehend, können die im Auftrag Maria Pawlownas Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder zu Ehren eingerichteten Gedenkräume im Weimarer Residenzschloss gelten (vgl. Hecht 2012, S. 13 und Seemann 2012, S. 189). 16 Zu den verschiedenen Arten literarischer Museen vgl. Kap. 2.2. Einen explizit musealen Ausstellungsbereich erhielt das Schillerhaus in Weimar erst im Jahre 1930 beigefügt. 17 Vgl. dazu bspw. Kahl 2010, S. 120-123.

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Diese frühen literarischen ‚Museen‘ waren in erster Linie Memoriale, die als personale Gedenkstätten an authentischen Orten – ehemaligen Wohn- und Wirkungsstätten der Dichter/innen18 – eingerichtet wurden. Sie dienten der Ehrung der großen Dichter/innen einer – damals noch nicht geeinten – deutschen Nation. Dabei kam der bürgerlichen Verehrung entgegen, dass die Schriftsteller/innen oftmals als einfache Bürger aus dem Volke angesehen sowie als nationale Heroen gefeiert wurden. So fügten sie sich im Zuge der Nachwirkungen des Geniekults19 perfekt in eine emanzipiert bürgerliche Erinnerungskultur20 ein, im Rahmen derer sie Personen ‚aus ihren Reihen‘ adelten und ihre (national-kulturellen) Leistungen hervorhoben. Diese Tendenzen machten sich nicht nur in der Gründung personaler Museen, sondern auch in der Errichtung von Denkmälern und dem Abhalten von Dichterfei-

18 Wie groß die Rolle solch authentischer Orte für die Einrichtung von literarischen Memorialen und Museen (gewesen) ist, wird daran deutlich, dass man es nicht nur beispielsweise 1812 für nötig hielt, in „Marbach ein öffentliches Protokoll über die Authentizität des Schiller Geburtshauses“ (Zankl 1972, S. 43) anfertigen zu lassen, sondern auch in dem Faktum, dass die meisten der später als Museen öffentlich zugänglichen Orte bereits vor der Einrichtung dieser als Erinnerungsorte aufgesucht wurden. Vgl. dazu insbesondere Kap. 5.1. 19 Vgl. dazu insbesondere Jochen Schmidt (1985), der eine zwei Bände umfassende „Geschichte des Genie-Gedankens“ vorgelegt hat. Wesentliche Voraussetzungen für die Entstehung des Geniekultes waren die Unabhängigkeit – „Emanzipation[...]“ – des Dichters, und damit die „Autonomie der Kunst“ (ebd., Bd. 1, S. 41), sowie die „Entstehung eines bürgerlichen Lesepublikums“ (ebd., S. 2), was erst durch den gesellschaftlichen Wandel ermöglicht wurde. Indem Klopstock „die Sprache der Dichtung als eigengesetzlich darstellt“, entwickelt sich eine Art „Eigenrecht des Dichters. Diese Eigengesetzlichkeit wird als poetische Autonomie zu einem Grundelement der Genie-Ideologie“ (ebd., S. 63). 20 Vgl. Gerd Reichardts Ausführungen zur Erweiterung fürstlicher und monarchischer Denkmäler um solche von Dichtern, Musikern und bildenden Künstlern, deren Ermöglichungsursache er zuvorderst darin begründet sieht, dass die „Leistungen der Kunst [...] denen der Könige und Feldherren gleichgesetzt“ (2009, S. 27) würden; dies sei erst durch eine bürgerliche Gesellschaft, die über ein Rechtssystem verfüge und damit den Heroen unnötig mache, ermöglicht worden (vgl. ebd.; Reichardt verweist hier in seiner Begründung auf Hegels Ästhetik, in der dieser davon ausgehe, dass es in einer bürgerlichen Gesellschaft keine Helden mehr geben könne). Vgl. zudem Aleida Assmann (1993, S. 40ff.) zur Entwicklung der deutschen bürgerlichen Bildungsreligion, als deren Heilige Dichter – insbesondere Goethe und Schiller – und Denker der deutschen Nation (vgl. ebd. S. 60ff.) fungierten.

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ern bemerkbar;21 das bekannteste Beispiel sind die Schillerfeiern von 1859, die überall in Deutschland begangen wurden.22 Da sich die persönlichen Gegenstände der meisten Dichter/innen zum Gründungszeitpunkt der Museen nicht wie im Falle des Goethehauses in Weimar noch in ihren ehemaligen Wohnhäusern und nahezu unverändert fanden,23 sondern weit verstreut z.B. als Erbstücke unter Verwandten der Dichter/innen verteilt oder bereits verkauft waren, baten die Verantwortlichen öffentlich um Schenkungen und Verkäufe,24 um die personalen Gedenkstätten möglichst originalgetreu wieder einrichten oder zumindest authentische Objekte ansammeln zu können.25 Die dadurch entstandenen Sammlungen entsprachen allerdings noch nicht den Standards und Prinzipien heutiger Sammlungen und Ausstellungen. Vitrinen wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts populär, so dass die erworbenen Objekte in den authentischen Räumlichkeiten aufgebahrt und vor äußeren Einflüssen nicht konservatorisch geschützt wurden. Allerdings schien man sich der negativen Beeinflussung der Objekte durch Berührungen und Umwelteinflüsse zunehmend bewusst zu werden; einen beispielhaften Eindruck vermag Endrulats Schilderung zu einer Reliquie Schillers in Hamburg 1859 zu geben: „Diese Reliquie ward von vielen Tausenden [...] mit größter Ehrfurcht betrachtet. Zu ihrem Schutze hatte der Aufsteller einen Zettel mit den Worten: ‚Ich bitte höflichst, dieses theure Andenken an den großen Dichter [Schiller] nicht zu berühren‘ beigelegt, und in der That hat Niemand das Blatt angerührt“ (Endrulat 1860, S. 94).

21 Vgl. zu den Dichterdenkmälern besonders Rolf Selbmann 1988 und zu den Dichterfeiern Rainer Noltenius 1984. 22 Auf die damit verbundene Sakralisierung der Dichter/innen wird später noch weiter einzugehen sein. 23 „Das Arbeitszimmer und das Sterbezimmer sind seit Goethes Tod fast unberührt geblieben“ (Zankl 1972, S. 43). 24 Beispielsweise bat das Schillerkomitee in Marbach die Tochter Schillers, Emilie von Gleichen-Rußwurm, um ‚Reliquien‘ (vgl. Kahl 2010b, S. 339f.); durch öffentliche Aufrufe in Zeitungen versuchte man ebenfalls, persönliche Gegenstände des Dichters ausfindig zu machen und zu erwerben (vgl. Kahl 2010a, S. 124). 25 Wie Ernst Beutler beschreibt, erkannte man erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Wert historischer Dokumente von Autorinnen und Autoren. Da es keine Literaturarchive gab und sich die sammelnden Institutionen des 19. Jahrhunderts nicht dazu berufen fühlten, derartige Schriftdokumente zu sammeln, gingen viele potentiell bedeutsame Zeugnisse dieser Zeit verloren (vgl. Beutler 1930, S. 228f.).

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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die Ausstellungsformen in personalen Museen weiter und es kamen neue Formen literarischer Museen hinzu. Mit dem Goethe- und Schillerarchiv,26 welches als „Handschriftenmuseum“ (Rosenbaum 2012, S. 111) konzipiert wurde, etablierte sich ein literaturwissenschaftlicher, forschungsgeschichtlicher Bereich. Allerdings konnten solche auf (handschriftliche) Dokumente konzentrierte Ausstellungen und Museen bei Weitem nicht so einen Publikumserfolg aufweisen wie die Geburts-, Wohn- oder Sterbehäuser der Autorinnen und Autoren, die zu möglichst authentischen Orten rekonstruiert oder inszeniert wurden. Die Besucher/innen erkannten vielfach nicht den eigenästhetischen und dokumentarischen Wert der Dokumente. Damit verfehlten solche Ausstellungen wiederholt ihre Vermittlungsintention, da sie die „vulgäre Neugierde“ (Wahle 1922, Bl. 149) – die Schaulust bezogen auf die Dichter/innen als Privatpersonen – nicht befriedigen konnten. Dennoch können die Gründung eines solchen Handschriftenmuseums sowie das Aufkommen anderer wissenschaftsnaher Literaturausstellungen27 als entscheidendes Indiz gewertet werden, dass sich literarische Ausstellungen und damit die ihnen zugrunde liegenden Konzepte um 1900 bereits wandelten bzw. ausdifferenzierten.28 Im Zentrum standen nicht mehr bloß die Ehrung einer Persönlichkeit und demgemäß die Versammlung möglichst vieler Reliquien, sondern eine wissenschaftlich orientierte Aufbereitung der Literatur und ihrer Bedingungen, wodurch sie sich wesentlich von den ersten „Ausstellungsprojekten der Dichtervereine“ (Seibert 2005, S. 32) unterschieden.29 In diesem Zusammenhang gewannen literarische Archivalien wie Handschriften und Briefe der Schriftsteller/innen, aber auch ihre Schreibutensilien wie z.B. Papier, Feder und Tinte an Bedeutung und wurden als Zeugnisse in die Präsentationen eingebunden (vgl. dazu

26 Das Goethe-Archiv, welches seit 1885 existiert, wurde ab 1889 um das Schillerarchiv ergänzt und heißt seitdem Goethe- und Schillerarchiv. 27 Als solche definiert und beschreibt Peter Seibert (2005, S. 32ff.) die „Ausstellung ‚schwäbischer Dichter‘“ 1890 in Stuttgart. Aufschlussreich ist hier zudem, wie Seibert beschreibt, dass im Kontext der Ausstellung keine Kanonisierung vorgenommen wird. Friedrich Schiller ist der einzige Autor, der damals in besonderer Weise hervorgehoben wurde, ansonsten folgte das Konzept einem egalisierenden Prinzip. Vgl. ebd., S. 35ff. 28 Vgl. zur Ausdifferenzierung literarischer Ausstellungen im Laufe der Zeit Kap. 2.3. 29 Im Zuge dieser Entwicklung ist auch Wilhelm Diltheys Forderung in seiner Rede „Archive für Literatur“ von 1889 zu sehen, Literaturarchive einzurichten, die Bücher sowie Handschriften und Quellen (Briefe, Notizen etc.) sammeln, archivieren und wissenschaftlich aufarbeiten sollten. Ihm schwebte dabei eine ähnliche „Zentralstelle“ (Herrmann 1970, S. 3) wie die heutige Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main vor, die aber zugleich archivarische Aufgaben gegenwärtiger Dichterarchive hätte übernehmen sollen.

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Seibert 2011, S. 18f.), wobei dies gleichwohl „einer Auratisierung geschuldet“ (ebd., S. 19) war.

2.2 ZU DEN ERSCHEINUNGSFORMEN LITERATURMUSEALER EINRICHTUNGEN Bevor definiert wird, was im Folgenden unter einer ‚literaturmusealen Einrichtung‘ verstanden wird, soll zunächst ein Blick auf die Problematik des Begriffs ‚Museum‘ gerichtet werden. Problematisch ist der Begriff vor allem deshalb, weil er nicht rechtlich geschützt ist. So kann er prinzipiell von jeder Einrichtung verwendet werden. Die vom Internationalen Museumsrat (ICOM)30 vorgelegte Definition hat allerdings die breiteste Anerkennung gefunden. Ihr zufolge ist ein Museum „eine gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienst der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien-, Bildungs- und Unterhaltungszwecken materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“31

Damit sind die zentralen Aufgabenbereiche, die ein Museum erfüllen soll, klar benannt: Sammlung, Sicherung, Forschung, Präsentation und Vermittlung. Museen sind folglich nicht nur für den nach außen sichtbarsten Bereich der Ausstellungen und ihrer Vermittlung zuständig, sondern erfüllen wichtige Aufgaben in der Archivierung und Erforschung von Quellen, Objekten und deren (historischen) Sachverhalten. Für die empirische Untersuchung zur Erinnerungsarbeit literarischer Museen und Gedenkstätten waren demzufolge nicht nur die Ausstellungen Untersuchungsgegenstand, sondern alle weiteren darüberhinausgehenden Tätigkeitsbereiche. Die Definition von Museen durch den ICOM stellt daher eine Art Strukturierung für die zu untersuchenden Gegenstände dar, da alle in ihr genannten Bereiche Berücksichtigung finden sollen. Wie sich in der Definition zeigt, wird der Ursprung des Museums in der Sammlungsaktivität von Menschen ausgemacht. Dass sich die Tätigkeit des Sammelns bis hin zu einer akademischen Fachwissenschaft wie der Museologie entwickeln konn-

30 ICOM = International Council of Museums. 31 Übersetzung der Definition von ‚Museen‘ unter: http://www.museumsbund.de/cms/index. php?id=135&L=0&STIL=0%2Findex.php%3Fpage (Zugriff am 21.01.2012). Diese Definition von ‚Museum‘ ist jedoch nicht juristisch abgesichert, was zur Folge hat, dass auch Einrichtungen oder Sammlungen die Betitelung Museum nutzen dürfen, die den zitierten Merkmalsausprägungen und Standards nicht gerecht werden.

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te, ist in erster Linie der Zunahme des Sammelns in den vergangenen 300 Jahren geschuldet. Darüber hinaus liegt ein weiterer Grund im Wandel der meisten Sammlungen von privaten hin zu permanenten32 und ihrer Sicherung in dafür eigens geschaffenen Institutionen. Als solche Institutionen verfügen Museen wiederum über komplexe Organisationsstrukturen. Würden sie nicht in die Form einer Institution überführt, so verblieben sie in einem ungesicherten Status, der von der Willkür von Einzelpersonen abhinge. Denn „Elemente der Organisation sind Aufgaben, Personen und Sachmittel, die durch die Gestaltung besonderer geregelter Beziehungen miteinander verbunden werden“ (Waidacher 1996, S. 280). Friedrich Waidacher weist im Folgenden auf die unbedingte Professionalisierung der musealen Organisationshierarchie hin: Das Personal sei das zentrale „Kapital“ eines Museums und könne nur in einer „Teamorganisation“ voll ausgeschöpft werden (vgl. ebd.). Daneben seien die Beachtung der Umwelt sowie äußerer Entwicklungen existentiell, da nur dann garantiert werden könne, dass es nicht „zu einer institutionellen Blindheit gegenüber institutionellen Anforderungen“ komme, aus der heraus Museen ein „unzeitgemäßes Eigenleben“ entwickeln (ebd., S. 280, 282). Neben den Fragen, welche Voraussetzungen Museen generell erfüllen und welche institutionellen Strukturen sie aufweisen müssen, ist danach zu fragen, in welchem musealen Genre literaturmuseale Einrichtungen einzuordnen sind. Vieregg hat 2008 in Anlehnung an die Typologisierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Überblick über die verschiedenen existierenden musealen Sparten verfasst. Dort wird das literarische Museum als eine Unterkategorie der Kulturgeschichtlichen Museen angesehen (vgl. Vieregg 2008, Inhaltsverzeichnis). Es steht somit neben archäologischen, ethnologischen, Kunstgewerbe- und Freilichtmuseen sowie national-, sozial- und multifunktional kulturgeschichtlichen Museen. Neben der gleich benannten Oberkategorie der Kulturgeschichtlichen Museen – unter welche neben den explizit Kulturgeschichtlichen Museen auch Historische und Kunstmuseen fallen –, gibt es noch Museen der Naturwissenschaften, Natur- und Technikgeschichte. Indem sich Vieregg bei der Einteilung der groben Oberkategorien – Naturwissenschaftliche versus Geschichts- und Kunstmuseen – an der Strukturierung der DFG in ihrer „Denkschrift Museen“ aus dem Jahre 1974 (vgl. Vieregg 2008, S. 94) orientiert, wählt sie ein fachwissenschaftliches Prinzip – Naturwissenschaften versus Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften und Kunst – zur Differenzierung von Museumstypen. Dabei weist sie darauf hin, dass auch ein Ansatz

32 Auf die Bedeutsamkeit der „Permanenz“ von nicht mehr privat, sondern institutionalisiert geführten Sammlungen hat bereits Pomian (1993, S. 67) hingewiesen.

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hätte gewählt werden können, der sich an der Organisation33 der Museen orientiert (vgl. ebd., S. 95). Christina Didier (1991, S. 53f.) sieht darüber hinaus deutliche inhaltliche34 Überschneidungspotentiale literarischer Museen mit anderen musealen Kategorien: 1. „mit dem Kulturgeschichtlichen Museum (Präsentation einer vergangenen Lebenswelt in Autorenhäusern), 2. mit dem Kunstmuseum (Kunst aus der Lebenswelt des/r Dichters/in sowie neben der schriftstellerischen auch Bildende Kunst dieser), 3. mit dem Regionalmuseum (historische Dokumente und Darstellungen zum/r Dichter/in in Bezug auf die Regionalgeschichte), 4. mit dem Theatermuseum (als Inszenierungs- und Rezeptions- sowie Bühnengeschichte der Werke des/r Autors/in), 5. mit dem Geschichtsmuseum (Bezugnahme auf gesellschaftspolitische und soziale wie kulturelle Kontexte) und 6. mit dem Naturwissenschaftlichen Museum (naturwissenschaftliche Interessen und Arbeiten des/r Autors/in sowie Beeinflussung des Werks durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse).“

Literarische Museen sind somit zwar grundsätzlich der Kategorie Kulturgeschichtlicher Museen zuzurechnen und weisen innerhalb dieser Kategorie vielfache Überschneidungen mit anderen Gattungen auf, doch sind sie zugleich stets auf den Gegenstand der Literatur und des literarischen Werks ausgerichtet, was die spezifische Gattung ‚literarische Museen‘ rechtfertigt. Unter den literarischen Museen finden sich wiederum unterschiedliche Ausprägungen dieser. Beispielsweise schließt „[d]er Begriff des literarischen Museums [...] Gedenkstätten ein“ (Breuer 2013, S. 206; vgl. auch Holm 2013, S. 570). Und dies scheint zu gelten, obwohl einige Gedenkstätten durchaus nicht die von der ICOM aufgestellten Anforderungen an Museen erfüllen. Dies ist von besonderer Relevanz für die Begründung der Auswahl der hier untersuchten Fälle (vgl. Kap. 4.1.) sowie die gebildete Typologie (vgl. Kap. 8). Literarische Museen sind zumeist Personalmuseen, die an sogenannten authentischen Orten – dort, wo die Dichter/innen geboren wurden, lebten, arbeiteten oder

33 Vieregg listet folgende unterschiedliche Organisationsformen auf: Regional-, Heimat-, Stadt-, Landes- und Privatmuseen sowie Sammler- oder Stiftermuseen, wobei sie besonders deren potentiell unterschiedliche Entstehungsgeschichten betont. 34 Didier spricht zwar von „Funktionsüberschneidungen von Literaturmuseen zu anderen Gattungen“ (ebd., S. 54), doch handelt es sich bei ihren Nennungen zuallererst um inhaltliche Überschneidungen.

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starben – eingerichtet werden. Ihre „Aufgabe und Hauptziel [sind es], die Persönlichkeit als historischen, zeittypischen und geschichtsbestimmenden Faktor darzustellen“ (Zankl 1972, S. 7). Neben diesem Typus, den Franz Rudolf Zankl als „Personalmuseum“ (ebd., S. 1) bezeichnet, stellt er das ‚Themenmuseum‘, das nicht einem bestimmten Schriftsteller oder einer Schriftstellerin, sondern einem literarischen thematischen Bereich gewidmet ist. Zu solchen Themenmuseen gehören beispielweise das Marbacher Literaturmuseum der Moderne (LiMo), das Deutsche Märchen- und Wesersagenmuseum in Bad Oeynhausen oder das Märchenmuseum in Alsfeld. Im Kontext dieser Arbeit liegt der Untersuchungsschwerpunkt auf dem Personalmuseum, auf das hier näher eingegangen werden soll. Diesem „kommt aus seinem Bezug auf die bedeutende Einzelpersönlichkeit neben seiner Museumsfunktion auch die Aufgabe des Denkmals zu. Würdigung, Verehrung und Andenkenpflege sind mindestens gleichberechtigte Anliegen neben den Museumsfunktionen des Sammelns, Bewahrens und Darstellens“ (Zankl 1972, S. 1).

Hier zeigen sich deutliche Parallelen zur Begriffsbestimmung durch Wolfgang Barthel. Barthel untergliedert literarische Museen zwar nicht wie Zankl nach inhaltlichen Kriterien in Personal- und Themenmuseum, sondern nach ihrer Ausstellungsart – ähnlich einer Gattung – in literarisches Memorial und Literaturmuseum,35 jedoch weisen Personalmuseen und literarische Memoriale wiederum ähnliche formale Strukturen auf. Das literarische Memorial als eine frühe Form der personalen Gedenkstätte, die einer Person zu Ehren eingerichtet wird, die „Vorbildliches geleistet“ (A. Assmann 1999, S. 328; vgl. auch Zankl 1972, S. 69) hat, etablierte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts. Einendes Kennzeichen literarischer Memoriale ist, dass sie „in Schriftstellerhäusern, dem Geburts- oder Sterbeort, der Wirkungsstätte von einzelnen Dichtern“ (Kunze 1989, S. 224) untergebracht sind und von der Lebenswelt der Dichter/innen und den Umständen ihres Schaffens und Wirkens zeugen. „Das Künstlerhaus repräsentiert aufgrund seiner historischen Entwicklung, den damit verbundenen Funktionszuweisungen sowie seiner monografischen Ausrichtung eine Schnittstelle zwischen dem Museum und der Gedenkstätte, d.h. zwischen Sammeln, Bewahren, Erforschen und Präsentieren, zwischen dem Erlebnis und der Erinnerung“ (Autsch 2005b, S. 31).36

35 Es besteht eine „[...] deutliche Scheidung der literaturmusealen Grundtypen Literaturmuseum (i.e.S.) und literarisches Memorial“ (Barthel 1990, S. 187). 36 Autsch bezieht sich zwar hier auf Häuser bildender Künstler/innen, doch gilt ihre Feststellung ebenso für Schriftsteller/innen-Häuser.

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Ihre hervorstechende Popularität, besonders im Vergleich zu reinen Literaturmuseen, liegt in der Lokalisierung der memorialen Stätte am authentischen Ort begründet. Indem sie sich am historischen Ort des Geschehens befinden, ist ihnen die Beglaubigung der Dinge, an die sie erinnern sollen, zu eigen. Der authentische37 Ort ist die Beglaubigung des memorialen Narrativs.38 Eine Gefahr, die sich in dem Bemühen um Originalität und Authentizität verbirgt, betrifft die Konstruktion von so genannten „Scheinmemorial[en]“ (Barthel 1990, S. 189), in denen durch Substitute der originale Schauplatz zu rekonstruieren versucht wird. Problematisch wird dies insbesondere, wenn die Besucher/innen nicht darüber aufgeklärt werden. Im Literaturmuseum dagegen „wird eher des Werkes oder eines Teils davon sowie seiner Wirkungen gedacht, teils in quellengeschichtlichen, teils in biobibliographischen oder wirkungsbezogenen Präsentationen bzw. Kombinationen aus diesen“ (Barthel 1996, S. 11). Es vermag zu kompensieren, was das literarische Memorial an Lücken aufweist: Die Beleuchtung der Literatur, ihrer Rezeption sowie der (künstlerischen) Tätigkeiten der Dichter/innen und ihres Lebens unabhängig vom ‚authentischen Ort‘. Barthel zufolge können Literaturmuseen aufgrund der

37 Auf die begriffliche Problematik von ‚Authentizität‘ ist an späterer Stelle noch einzugehen. Hier sei zunächst Stefanie Wehnert zitiert, die bereits die Problematik der Begriffsverwendung anreißt: „Der Begriff der Authentizität ist dabei äußerst vorsichtig zu verwenden. Tatsächlich handelt es sich in den meisten Fällen um eine Fiktion, da nur die wenigsten Literaturmuseen ganz authentisch sein können. Diese Tatsache bringt zum einen der Lauf der Zeit mit sich und zum zweiten repräsentiert das Memorial zwangsläufig immer nur einen Augenblick aus einem längeren Zeitraum, also beispielsweise ein Zimmer in dem Zustand, in dem der Dichter es verlassen hat. Seine Beschaffenheit in den Tagen und Wochen zuvor wird nicht gezeigt“ (Wehnert 2002, S. 218). Ich möchte an dieser Stelle noch einen Schritt weitergehen, denn die ‚authentischen Orte‘ werden bereits durch die Umfunktionalisierung zur Gedenk- oder Memorialstätte ihrer eigentlichen Authentizität enthoben. Überzeugen mag in diesem Kontext, dass alle ‚authentischen Orte‘ irgendwann einer Restauration, Renovierung oder ähnlichen Instandhaltungsarbeiten obliegen, wodurch sie spätestens oben beschriebenes Merkmal verlieren. Beispielhaft sei hier das Ernst-Jünger-Haus in Wilflingen benannt, in welchem alle Objekte zum Zwecke der Bestandsaufnahme katalogisiert und daher zeitweise entfernt wurden (vgl. dazu Heike Gfrereis mit Ellen Strittmatter in ihrem Vortrag „Die dritte Dimension. Ausgestellte Textualität bei Ernst Jünger und W. G. Sebald“ auf der Tagung Literatur ausstellen in Göttingen, 01.09.-03.09.2011). Durch dieses kurzfristige Entfernen im Sinne der Sicherung wird der ‚zurückgelassene‘ Ort eines Teils seiner Authentizität beraubt. 38 Erinnerungen sind stets mit einem Narrativ verbunden.

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‚Unausstellbarkeit‘39 von Literatur auch „nie Werkmuseen sein, wie Kunstgalerien dies sind“ (Barthel 1996, S. 11). Somit entspricht das literarische Memorial einem „literaturbiographische[n]“ und das Literaturmuseum eher einem „literarhistorische[n] Museum“ (Barthel 1996, S. 12), wobei sie den meisten kulturhistorischen Museen und ihren Ausstellungsweisen sehr ähneln. Kahl wählt bezüglich der Definitionen von Museum, Gedenkstätte und Literaturmuseum zunächst einen begriffsgeschichtlichen Ansatz, indem er die bislang wenig beachtete Geschichte und Entwicklung des Begriffs „Gedenkstätte“ im Vergleich zum „Museum“ nachzeichnet, um beide auf diese Weise kontrastieren und ausdifferenzieren zu können (vgl. Kahl 2010a, S. 339ff.). Dabei unterscheidet er genealogisch ähnlich wie Barthel zwischen dem „authentischen Ort“ und „literarischer Ausstellung“, wobei er die Wurzeln dieser Ausdifferenzierung bereits bei den ersten literarischen Museen im 19. Jahrhundert ausmacht, welche sich in originale Schauplätze und Kabinette untergliedern lassen (vgl. ebd., S. 340). Diese beiden Formen sind zwar in ihrer Ausrichtung und Gestaltung unterschiedlich, gehören dessen ungeachtet in den meisten Fällen aber zusammen: Wo es einen als personale Gedenkstätte gesicherten authentischen Ort gibt, existiert in aller Regel auch eine museale Einrichtung (als Ergänzung). Geeint würden die beiden Formen – Gedenkstätte und Museum – dadurch, dass sie öffentliche Institutionen seien, die sich durch „Öffentlichkeit, Ständigkeit, Zugänglichkeit“ (Kahl 2015, S. 22) auszeichneten. Ihr wesentlicher Unterschied sei hingegen, dass für eine Gedenkstätte im Vergleich zum Museum nicht die Sammlung der entscheidende Faktor sei, sondern der authentische Ort (vgl. ebd., S. 23 sowie Kahl 2010a, S. 352). Entsprechend gehörten Gedenkstätten „bei einem weiten Begriffsverständnis zu Museen (oder vielleicht zu musealen Einrichtungen). Bei einem engeren Begriffsverständnis sind sie ein Gegensatz zu Museen. Entscheidend ist der Ort, eine ‚Stätte‘, nicht eine Sammlung als Grundlage“ (Kahl 2015, S. 24). Im Folgenden wird ein breites Begriffsverständnis von literaturmusealen Einrichtungen zugrunde gelegt. Zum einen deshalb, weil die literarischen Gedenkstätten in aller Regel eben auch einen museal gestalteten Ausstellungsteil umfassen. Zum anderen, weil mittlerweile eine nicht geringe Anzahl an literarischen ‚Museen‘ existiert, die zu ihrem Gründungszeitpunkt über keine eigene ‚Sammlung‘ verfügten bzw. das Sammeln, Sichern und Erforschen von Objekten nicht zu ihrem Tätigkeitsfeld zählen. Zu nennen wäre hier unter den untersuchten Fällen bspw. das Büchnerhaus (vgl. dazu Kap. 8.2.2). Daher scheint die ‚Sammlung‘ zur Differenzierung zwischen Gedenkstätte und Museum nicht als trennscharfes Kriterium zu genügen.

39 Die von Wolfgang Barthel vehement vertretene These der ‚Unausstellbarkeit von Literatur‘ wird im Rahmen von Kap. 2.4 noch weitergehend erläutert.

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Bei dem Versuch einer vorläufigen Schematisierung zweier Idealtypen personaler, literarischer Museen ergibt sich folgendes Bild:40 Tab. 1: Zwei Idealtypen literaturmusealer Einrichtungen Literaturmuseale Einrichtungen41 Literarische Gedenkstätte personale Einrichtung authentischer bzw. rekonstruierter Ort in erster Linie auf die Ausstattung der Gedenkstätte beschränkte Sammlung Ort der Emotionen (vgl. Kahl 2010a, S. 358), des Gedenkens (in Anlehnung an ‚Gedenkstätte‘)

Literarisches Museum Personal- oder Themenmuseum (theoretisch, praktisch aber meist nicht) ortsunabhängig breit angelegte, fachwissenschaftliche Sammlung Ort der Ratio: literarhistorisch/ wissenschaftlich

Diese beiden Idealtypen kommen allerdings selten in Reinform vor, sondern werden aufgrund ihrer sich ergänzenden Merkmale in der Regel kombiniert. Constanze Breuer nennt auch die größeren Variationsmöglichkeiten von Museen als Grund dafür, dass Gedenkstätten in der Vergangenheit vielfach um museale Räumlichkeiten ergänzt worden seien (vgl. Breuer 2013, S. 208). Denn „[k]onservatorische und archivierende Aufgaben bestimmen vor Fragen der Vermittlung den Inhalt und Charakter von Gedenkstätten“ (Autsch 2005b, S. 34). So vermag eine Mischform aus Gedenkstätte und Museum nicht nur die Schaulust der Besucher/innen zu befriedigen, indem sie den authentischen Ort der Dichterpersönlichkeit zugänglich macht. Darüber hinaus liefert sie fachwissenschaftliche, kulturhistorische Inhalte, die eine Kontextualisierung ermöglichen und Informationen über den original erhaltenen oder rekonstruierten Ort hinaus liefern. Dementsprechend reichen die literaturmusealen Angebote von rein literaturwissenschaftlichen Ausstellungen über literarische Erlebnisorte bis hin zu fein ausge-

40 Abzugrenzen wäre von diesen beiden Formen wiederum das ‚Literaturmuseum‘, wie es z.B. das Literaturmuseum der Moderne in Marbach ist. Diese ‚Literaturmuseen‘ sind nicht an Personen ausgerichtet, sondern ausschließlich am Gegenstand Literatur – wobei es hier unterschiedliche Schwerpunkte geben kann (Literaturmuseen für bestimmte Regionen, Epochen, Genres etc.). 41 Dem hinzuzufügen wäre auf nicht-personaler Ebene noch das ‚reine‘ Literaturmuseum, das sich nicht einzelnen Dichterpersönlichkeiten widmet, sondern z.B. einer literarischen Gattung oder Epoche.

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arbeiteten Mischformen, die Erinnerungsstiftung und Verehrung ebenso wie Erlebnis bzw. Event und wissenschaftliche Schwerpunkte unter ihrem Dach vereinen (vgl. dazu Kap. 6). Welche Merkmale dabei stärker zum Tragen kommen, hängt zu einem nicht unerheblichen Teil von der Geschichte der Einrichtungen ab, aber auch von den Autorinnen und Autoren sowie der Art ihrer Literatur, der Zeit, zu der sie schriftstellerisch tätig waren, den gegebenen (materiellen) Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Gründung und einigen weiteren Faktoren. Karl May, seine Literatur sowie seine Sammlung und seine testamentarischen Verfügungen haben in Radebeul beispielsweise eine ganz andere literaturmuseale Ausstellungsform befördert als dies beispielsweise bei Lessing in Kamenz der Fall gewesen ist (vgl. dazu Kap. 5).

2.3 LITERATURMUSEALE AUSSTELLUNGEN IM WANDEL DER ZEIT Wie bereits einleitend ausgeführt, liegen über die Geschichte literaturmusealer Einrichtungen im 20. Jahrhundert bislang keine Forschungsergebnisse vor, die einen Überblick über deren Entstehen, Wandel oder Spezifika zu bieten in der Lage wären. Lediglich in Hinblick auf die Entwicklung der Ausstellungspraxis existieren erste Versuche, diese in ihrem Wandel sowie hinsichtlich ihrer typischen Merkmale zu beschreiben. Für das Verständnis gegenwärtiger Formen literaturmusealer Ausstellungen ist es allerdings hilfreich, die Entwicklungen, welche die Ausstellungspraxis durchgemacht hat, zu kennen. Darüber hinaus geben frühere Ausstellungen und Präsentationsformen Aufschluss über die Ausrichtungen und das Selbstverständnis der damaligen Einrichtungen, so dass hieraus wiederum über die Ausstellungen hinaus Erkenntnisse gewonnen werden können. Wie sich im Zuge der folgenden Analysen herausstellte, zeigen sich bspw. deutliche Parallelen in der Entwicklung der Ausstellungen sowie der literaturmusealen Einrichtungen als Ganzes, die wiederum mit der Erinnerungsarbeit dieser zusammenhängen (vgl. dazu Kap. 9.1). Aus diesem Grund wird nachfolgend der Forschungsstand zur historischen Entwicklung literarischer Ausstellungen skizziert. Susanne Ebeling und Matthias Lohrer haben Ende der 1980er Jahre den Versuch unternommen, durch Recherchen sowie mithilfe einer Befragung einen Überblick über vergangene literarische Ausstellungen zu erstellen (vgl. Ebeling/Lohrer 1991, S. 243-412). Dazu haben sie ein Verzeichnis über die im Zeitraum von 1949 bis 1985 organisierten literarischen Ausstellungen in der BRD sowie der ehemaligen DDR zusammengestellt. Hans-Otto Hügel (1989) und Seibert (2011, 2015) unternehmen darüber hinaus den Versuch, literarische Ausstellungen systematisch zu beschreiben und eine Art Typik zu entwickeln. Dabei beziehen sie sämtliche litera-

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rische Ausstellungen ein und konzentrieren sich nicht nur auf solche in literarischen Museen und Gedenkstätten, sondern auch Ausstellungsprojekte anderer Institutionen wie Archiven, Bibliotheken, Schulen etc. Hügel identifiziert im Zuge seiner Untersuchungen sechs Inszenierungsstile literarischer Ausstellungen, wobei er zugleich darauf hinweist, dass diese „nur eine ganz grobe Orientierung“ (Hügel 1989, S. 249) bieten. Er unterscheidet zwischen der Repräsentationsausstellung (1), der Memorial-Ausstellung (2), der thematischen Dokumentationsausstellung (3), der wertenden und überredenden Ausstellung (4), dem literarischen Museum als Anreger (5) und schließlich der subjektiven Inszenierung (6) (vgl. ebd., S. 249ff.). Die Repräsentationsausstellungen (1) gibt es nach Hügel seit Aufkommen der ersten literarischen Ausstellungen überhaupt. Sie zeichnen sich durch ihre Zimelienschau aus (vgl. ebd., S. 249f.), weshalb sie insbesondere im Kontext von Bibliotheken und Archiven vorkommen, die dort wertvolle und möglichst viele Sammelstücke zeigen. „In solchen repräsentativen Ausstellungen feiert also die ausstellende und ausgestellte Bibliothek sich selbst, betreibt durch ‚Anschauung und Belehrung‘ Werbung“ (ebd., S. 250). Die MemorialAusstellungen (2) betrachtet Hügel als eine Form der repräsentativen Ausstellungen – allerdings befinden sich erstere zumeist in Gedenkstätten und nicht in Bibliotheken. Charakteristisch ist für sie gegenüber den Repräsentationsausstellungen, dass sie keine bestimmte Gliederung bzw. Struktur aufweisen, auf Feierlichkeit ausgerichtet sind und im Wesentlichen (unbeschriftete) Reliquien darbieten (vgl. ebd., S. 250f.). „Der Inszenierungsstil dieser Ausstellungen ist neben seiner Feierlichkeit dadurch bestimmt, daß er gleichermaßen auf Emotionalität und Irrationalität aufbaut“ (ebd., S. 251). Die häufigste Form der thematischen Dokumentationsausstellung (3) ist die biographisch ausgerichtete Ausstellung. Allen thematischen Dokumentationsausstellungen gemein ist, dass sie an „leitenden Ideen“ ausgerichtet sind und quasi eine Geschichte erzählen sollen, wenngleich tatsächlich „ein übersichtliches, möglichst umfassendes und sofort einleuchtendes Ordnungsraster“ (ebd., S. 252) maßgeblich ist. Diese Ausstellungen kennzeichnet darüber hinaus ein „Totalitätsanspruch“: „Jedes Thema, jeder Aspekt, ja, möglichst jeder Name soll dokumentiert, soll ‚abgedeckt‘ sein“ (ebd.). Die wertenden und überredenden Ausstellungen (4) verortet Hügel insbesondere in der DDR. Sie haben einen besonderen didaktischen Anspruch, indem sie, thematisch strukturiert, von einer Lehre zu überzeugen suchen. Die Objekte dienen ihnen dabei dazu, ihre Thesen zu belegen. „Entsprechend der didaktischen Zielsetzung verlieren in der wertenden Ausstellung die originalen Sachzeugen ihre Vorrangstellung. Alles kann Exponat werden, das dem rhetorischen Zweck dient. Die Folge ist, daß diese Ausstellungen viel größeren Wert auf das Design legen, als die strengen Dokumentationsausstellungen, in denen die Priorität der Originale (Handschriften, Werke der Dichter) auch als Begründung für die formal strenge Gestaltung der Ausstellungsräume dient“ (ebd., S. 256).

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Beim literarischen Museum als Anreger (5) bezieht Hügel sich auf ein von Didier vorgelegtes Konzept, demzufolge dem Museum „eine wertende Aufgabe im ‚Ensemble erbevermittelnder Instanzen‘ aufgetragen“ wird, es „Anreger und Antwortgeber“ sein soll und zu einem Auseinandersetzungsprozess führt, „an dessen Ende für die verschiedensten Besuchergruppen objektiv begründbare Ergebnisse stehen“ (ebd.). Die Literatur soll hier mit Blick auf ein bestimmtes Ziel befragt, aber es soll nicht gelenkt werden. Die subjektive Inszenierung (6) hingegen „inszeniert Ansichten“ (ebd., S. 258). Dabei werden „konsequent Fragen zur Literatur, nicht bloß Objekte in ‚richtigen Zusammenhang‘“ (ebd.) gestellt. Wie die Bezeichnung bereits verrät, werden durch sie subjektive Sichtweisen vermittelt. Hügels Angaben dazu, in welchen zeitlichen Abschnitten welche Inszenierungsstile jeweils vorzufinden gewesen sind, bleiben allerdings vage: „Der repräsentative Stil und der Dokumentationsstil finden sich – in verschiedener Ausformung – nicht nur viel häufiger als die übrigen, sondern ohne Unterbrechung auch seit den ersten Literaturausstellungen. Während der wertende und überredende nur in wenigen Jahrzehnten etwa den dreißigern und nachachtundsechzigern – [sic] vorkam und es für den anregenden und den das Material befragenden, subjektiven Ausstellungsstil meiner Beobachtung nach nur wenige Beispiele gibt“ (Hügel 1989, S. 249).

Zum zeitlichen Vorkommen der Memorial-Ausstellung äußert sich Hügel überhaupt nicht. Aber auch hinsichtlich der anderen Ausstellungsformen bleibt Hügel recht schwammig, so dass der historische Wandel literarischer Ausstellungen anhand seiner Ausführungen noch nicht hinreichend geklärt wird. Im Gegensatz dazu nimmt Seibert bei den von ihm identifizierten Ausstellungsformen klare zeitliche Zuordnungen vor. Während bei Hügel der Zweck der Ausstellungen ein wesentlicher Aspekt für die Zuordnung zu den sechs verschiedenen Inszenierungsstilen ist, legt Seibert bei seiner Typologie und Historisierung literarischer Ausstellungen inhaltliche Kriterien an – ergänzt um solche der Präsentationsformen. Er unterscheidet zwischen drei verschiedenen Ausstellungsarten, die zeitlich aufeinander folgen: 1. den werkimmanenten und autorzentrierten, 2. den kontextorientierten und 3. den rezeptionsorientierten, inszenierten Ausstellungen (vgl. Seibert 2011, 2015). Die werkimmanenten und autorzentrierten Ausstellungen (1) fanden sich überwiegend bei Autoren der Weimarer Klassik – insbesondere Goethe und Schiller (vgl. Seibert 2011, S. 20). Im Zentrum standen die authentischen Objekte und möglichst ein Dichterhaus als authentischer Ort. Dabei wurden zwischen den historisch-authentischen Räumen und den Ausstellungen keine klaren Grenzen gezogen (vgl. ebd., S. 21). Erst um 1900 setzte sich die „räumliche Trennung von Ausstellungsräumen und Gedenkstätte“ (ebd.) durch, was jedoch nicht dazu führte, dass sich die Ausstellung vom memorialen Ort emanzipierte: Wie Beutler noch in den 1930er Jahren konstatierte, würden die Literaturmuseen dann nämlich „das

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Beste ihrer Eigenart verlieren“ (Beutler 1930, S. 227). Unter Rekurs auf Ebeling stellt Seibert fest, dass sich „in den ersten beiden Jahrzehnten [...] das literarische Ausstellungswesen nicht weiterentwickelt“ (Ebeling 1991, S. 161) habe. Erst im Goethe-Jahr 1949 sei ein „grundlegender Wandel“ eingetreten; insgesamt habe es in diesem Jahr 28 Gedenkausstellungen für den Autor gegeben (vgl. ebd.). Allerdings kam es während der Zeit des Nationalsozialismus auch zu ersten Schließungen literaturmusealer Einrichtungen, wie beispielsweise des Lessing-Museums in Berlin – das Lessing-Museum in Kamenz hingegen (erst 1930 gegründet) war nicht von einer Schließung bedroht, da es im Gegensatz zu ersterem nicht von überwiegend jüdischen Bürgerinnen und Bürgern getragen wurde (vgl. dazu auch Kap. 3.4). Im Dritten Reich wurde die Literatur darüber hinaus in den Dienst der Propaganda gestellt, was sich Seibert zufolge in Ausstellungen wie „Das wehrhafte Deutschland in Zeugnissen deutschen Schrifttums (Katalog Berlin 1935)“ (Seibert 2011, S. 25) zeigte. Die Ausstellungen im Exil hingegen richteten sich auf die von den Nationalsozialisten verbotenen und der Bücherverbrennung zum Opfer gefallenen Werke. Dort wurden die Ausgaben, die vor der Verbrennung gerettet werden konnten, als besonders wertvolle, weil nun seltene, nicht mehr verfügbare Bücher präsentiert (vgl. ebd., S. 25). Nach dem Zweiten Weltkrieg fand kein grundlegender Wandel literarischer Ausstellungspraxis statt. Vielmehr besann man sich auf die mit dem/r Autor/in verbundenen Originale, die man als Reliquien zur Schau stellte (vgl. Seibert 2015, S. 30ff.). In Ost- und Westdeutschland hatten Klassiker wie Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in diesem Zusammenhang besondere Konjunktur, boten sie doch die Möglichkeit, sich auf ein ‚humanistisches‘ Erbe zu berufen. Entsprechend hatten nicht nur Klassikerausstellungen Konjunktur, sondern wurden auch ihre im Zweiten Weltkrieg zerstörten Dichterhäuser innerhalb der ersten Nachkriegsjahre wieder aufgebaut und ausgestattet.42 In westdeutschen Ausstellungen konzentrierte man sich nach 1945 auf das Zeigen authentischer, auratischer Gegenstände43 – Objekte, die die Zeit überdauert, den Krieg überlebt hatten und auf die man daher stolz war. Dies trifft im Wesentlichen auch auf die Ausstellungen in der ehemaligen DDR zu. In einer Weimarer Goetheausstellung allerdings beschritt der Leiter Gerhard Scholz neue Wege, wenngleich

42 Bspw. das Goethe-Haus in Frankfurt am Main, Goethes Wohnhaus in Weimar oder auch Raabes ehemalige Wohnung in Braunschweig. 43 Ein großes Ereignis stellte die Marburger Goethe-Ausstellung dar, in welcher die umfangreiche Kippenbergsche Goethe-Sammlung gezeigt wurde, die später in den Besitz der Stadt Düsseldorf überging und den Grundstein für das heute dort befindliche GoetheMuseum bildete.

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die Ausstellung schon 195244 wieder geschlossen werden musste: Innerhalb der Ausstellung wurde keine eindeutige Lesart vorgegeben; was bereits für die konzeptionelle Struktur der Ausstellung prägend war – es gab keinen festgelegten Durchgang –, spiegelte sich somit auch im inhaltlichen Bereich. Die Kritik nahm von 1951 an stetig zu, bis die Ausstellung schließlich geschlossen wurde (vgl. dazu Seibert 2012, S. 197ff.). Es folgte eine starke Rückbesinnung auf die ‚authentischen Orte‘ als nationale Gedenkstätten, in deren Zuge die Restauration und möglichst originalgetreue Wiedereinrichtung Priorität erhielten. Scholz` Goethezeit-Museum blieb folglich ein zunächst einmaliger Innovationsversuch in der hiesigen Ausstellungspraxis. In den 1960er Jahren begann Seibert zufolge in Westdeutschland eine Ausweitung des Ausstellungsrepertoires, indem nicht mehr nur werkimmanente bzw. werkbiographische Konzeptionen umgesetzt wurden, sondern auf kritische Anstöße reagiert und „Epochen- und Problemfelddarstellungen“ (Seibert 2011, S. 28) konzipiert wurden. Damit war ein entscheidender Schritt in Richtung kontextorientierter Ausstellungen (2) gemacht, in denen neben einem erweiterten Literaturbegriff auch über Bücher hinausgehende Medien in die Ausstellungsthematik einbezogen wurden (vgl. ebd., S. 30).45 In den 1970er Jahren kamen dann schließlich Ausstellungen mit „rezeptionsgeschichtlichen Ansätzen“ (ebd.) (3) hinzu: „Eine verstärkte expositorische Thematisierung der historischen und gesellschaftlich unterschiedlichen Sinnzuschreibungen an literarische Werke verlagerte den Ausstellungsschwerpunkt von der Werkautorität auf Rezeptionsakte und Rezipientenkompetenzen, eine Verlagerung, die die Ausstellungsprinzipien in der Konsequenz selbst tangieren und zu neuen expositorischen Konzepten führen musste“ (ebd., S. 30f.).

In der DDR wurden rezeptionsästhetische Bestrebungen im musealen Feld hingegen kurz nach ihrem Aufkommen wieder erstickt. So wurden entsprechende Ideen zwar im Zuge der Neugestaltung der Ausstellung im Goethe-Museum in Weimar diskutiert, aber letztlich „1978 die Museumsneugestaltung unter Parteikontrolle gestellt, was Konzepten für eine auf rezeptionstheoretischen Überlegungen aufgebaute Ausstellung, durch die die Deutungshoheit der Partei in Frage hätte gestellt werden können, ein Ende setzte“ (ebd., S. 31). Eng verbunden mit den rezeptionsästhetischen Ansätzen, die in den 1970er Jahren Einzug in die Museen hielten, war auch die grundlegende Neudefinition der Aufgabe von Museen als Bildungseinrichtungen. Museen wurden im Zuge ihrer

44 Lothar Ehrlich gibt stattdessen 1953 als Schließungsjahr an (vgl. Ehrlich 2012, S. 207). 45 Seibert (2011, S. 30) nennt hier z.B. die Marbacher Ausstellung „Hätte ich das Kino! Die Schriftsteller und der Stummfilm“ (1976).

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„Didaktisierung“ (Seibert 2015, S. 37) zu Wissensvermittlern, wodurch sich ihr Wandel von Orten, an denen Objekte zur sinnlichen Erfahrung dargeboten wurden, über soziologisch ausgerichtete Ausstellungskonzepte hin zu ganzheitlichen Orten der Wissensvermittlung vollzog. Beispielsweise wurden „[i]n den 1970er Jahren [...] Museen erstmals als Bestandteil der Bildungsoffensive der sozialliberalen Koalition genannt (Glaser 1996). Später, in den 1980er Jahren, wurde im Zuge der Akzentuierung lokaler Alltagswelten als Gegenstand einer demokratisierten Wissenschaft und Politik die Musealisierung aller Lebenserfahrungen und Alltagsgegenstände propagiert und Museen in diesem Sinne eingesetzt (Zacharias 1990). Und in den 1990er Jahren wurde von einer popularisierten Politik im Rahmen einer neu interpretierten Lebensqualitätsdiskussion die politische Öffnung von Museen als verstärkte Erlebnisausrichtung verstanden“ (Kirchberg 2005, S. 34).

Mit dieser Entwicklung einher ging auch die Bedeutungsabnahme von einzelnen Objekten sowie deren Aura zugunsten von Inszenierungen, und „die Szenographie [hielt] Einzug in das Museum“ (Kaiser 2006, S. 37). Allerdings richteten sich stärkere Inszenierungen auch „gegen die Anerkennung der konstruktiven Tätigkeit des Rezipienten wie der Werkautorität“ (Seibert 2011, S. 32). Kritiker/innen wie Hannelore Schlaffer beklagten an dieser Entwicklung, dass inszenierte Ausstellungen zu reinen „Kulissen“ (Schlaffer 1990, S. 368) degradiert würden und die Objekte ihren Eigenwert verlören. Thomas Thiemeyer kommt zwar ebenfalls zu dem Schluss, dass „das Exponat heute bestenfalls eines von mehreren Mitteln“ (Thiemeyer 2011, S. 62f.) sei, wertet dies aber nicht wie Schlaffer als vom Fernsehen beeinflussten Verfall der Ausstellungspraxis bzw. -kultur (vgl. Schlaffer 1990). Für die DDR stellt Seibert einen ähnlichen Inszenierungstrend fest, der sich beispielweise in der auratisierenden Ausstattung des Goetheschen Gartenhauses in Weimar oder aber, ebenfalls in Weimar, in der Ausstellung des 1988 eröffneten Schiller-Museums geäußert habe, in dem der Einsatz lebensgroßer Figuren „auf die Bühnengestaltung wie auf die Tradition des tableau vivant ausdrücklich verwiesen habe“ (Seibert 2011, S. 33). Abschließend weist Seibert auf die Rolle der neuen Medien in Ausstellungen hin und betont deren Bedeutsamkeit für die Veränderungen in der Landschaft literarischer Ausstellungen. Dabei trete die Bedeutsamkeit des historischen Ortes, des Dichterhauses, in ein besonderes Spannungsverhältnis zur weltweiten Verfügbarkeit digitalisierter Objekte und Ausstellungen (vgl. ebd., S. 34). Besonders für die Ausstellungsanalyse im Hinblick auf erinnerungstheoretische Aspekte bieten die Ergebnisse zum Wandel literarischer Ausstellungen Anregungen. So wird danach zu fragen sein, welche Ausstellungs- und Präsentationsformen sich in den untersuchten literaturmusealen Einrichtungen wiederfinden bzw. welche Teilformen – wie bspw. das Zeigen historisch-authentisch eingerichteter Räume –

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sich erhalten haben und inwiefern dies wiederum mit der Gesamtkonzeption und dem Selbstverständnis heutiger Einrichtungen zusammenhängt.

2.4 ZUR AUSSTELLBARKEIT VON LITERATUR – GEGENSTÄNDE LITERATURMUSEALER AUSSTELLUNGEN Mit der Frage nach dem Vorkommen verschiedener literaturmusealer Einrichtungsformen und Ausstellungen einher geht diejenige nach den Objekten. Während es für Kunstausstellungen selbstverständlich ist, dass dort Kunst gezeigt wird, gilt dies nicht in gleichem Sinne für literarische Ausstellungen. Barthel formulierte etwa die These, „daß Literatur im eigentlichen Verstande nicht ausstellbar“ (Barthel 1991, S. 59) sei,46 was uns zu der grundlegenden Frage führt, welche Rolle Literatur überhaupt in literarischen Ausstellungen spielen kann. Barthel führt dazu weiter aus: „Ohne entschiedenen Verlust läßt sich Literarisches nicht oder nur sehr bedingt in die Sprache von Ausstellungen übersetzen. An die verbale Zeichenstruktur gebunden, bedarf Literatur des individuellen Leseaktes oder der Anhörung (Theater, Rundfunk, Lesetheater), um zur Vergegenwärtigung und vollen Wirkung zu gelangen“ (ebd.).

Barthel sieht in diesem Problem die Notwendigkeit der ständigen „Substituierung“ in literaturmusealen Ausstellungen begründet, was letztere zu „Umfeldausstellungen“ mache (ebd., S. 60). Literatur ebenso wie biographische oder entstehungsgeschichtliche Werkaspekte ließen sich nur durch Substitute ‚repräsentieren‘, nicht aber selbst ausstellen. In dieser Repräsentationsfunktion komme ihnen zugleich die Aufgabe zu, auf anderes zu „verweisen“ (vgl. ebd.; Hervorh. i.O.) und Ideen sowie Anregungen (vgl. Barthel 1984, S. 13) zu geben. Demgemäß diene die literarische Ausstellung im Gegensatz zur Gemäldegalerie nicht der unmittelbaren Präsentation der Kunstwerke, sondern lediglich dem Verweis auf das tradierte literarische Erbe und seine Bedeutungsmöglichkeiten in historischer wie aktueller Perspektive. Die Unausstellbarkeit von Literatur sieht Barthel jedoch offenbar nicht grundsätzlich als Problem: „Das literarische Kunstwerk [könne] von der Literaturausstellung [...] nur höchst fragmentarisch oder in kleineren überschaubaren, etwa lyrischen Formen in der ihm eigenen sprachli-

46 An anderer Stelle konstatiert er: „Literatur und literarische Prozesse können in der literaturmusealen Ausstellung weder aus- noch dargestellt werden“ (Barthel 1984, S. 13).

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chen (handschriftlichen oder ausgedruckten) Zeichenform vorgezeigt werden“ (Barthel 1989, S. 11).

„Fabeln, Anekdoten, kurze Gedichte, Geschichten und Essays“ (Barthel 1991, S. 64) seien somit sehr wohl ausstellbar. Hügel geht über Barthels Verständnis von der Unausstellbarkeit von Literatur weit hinaus, indem er die grundsätzliche Immaterialität47 von Literatur betont (vgl. Hügel 1991, S. 13). Er definiert Literatur als etwas, das sich nur „in der Phantasie des Lesers“ (Pöllmann 1987, S. 22; zit. n. Hügel 1991, S. 13) abspiele. Literatur sei dementsprechend auch nicht das Manuskript, der gedruckte oder verbalisierte Text, sondern die sich individuell vollziehende Vorstellung. Hügel zufolge sind die Produkte von Literaturausstellungen „nicht Literatur, sondern Meinungen zur Literatur. Literatur ist also [...] überhaupt nicht der Gegenstand von Literaturausstellungen. Literaturausstellungen stellen nicht Literatur aus, sondern Ansichten von Literatur“ (Hügel 1991, S. 14).

In Bezug auf die Literaturausstellung als Produkt scheint Hügel durchaus Recht zu haben, da die Gesamtkonzeption einer Ausstellung tatsächlich einen bestimmten Blickwinkel auf Autor/in und Werk (re-)präsentiert. In diesem Sinne vermag sie nicht nur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte von Literatur darzustellen, sondern wird selbst zu einem Teil dieser (vgl. Barthel 1996, S. 29). Die Literatur als Manuskript und ausgestelltes Einzelobjekt allerdings ist als materielles Produkt eines Autors bzw. einer Autorin anzusehen, das als historische Quelle bzw. als überliefertes Dokument ausstellbar ist. Dass diese Dokumente, auch wenn sie nicht als ausgestellte Literatur gefasst werden mögen, ihre Berechtigung in Literaturausstellungen haben und diese enorm bereichern können, haben bereits Ausstellungen wie bspw. eine Dauerausstellung in Marbach unter Beweis gestellt. Christiane Holm verweist diesbezüglich auf das allzu bildlich werdende Beispiel des materiellen Trägers eines Gedichts von Gottfried Benn, denn dort „geht die Schau nicht in der Emphase für das Material von Textträgern auf, sondern ist von der ‚lustvollen Lektüre‘ her konzipiert (Metz 2010). Sieht man dort, dass ein Benn-Gedicht über ‚Sterbendes Blau‘ auf einem blauen Papierrest entstanden ist, dann ermöglicht das Betrachten neue Lesarten, die materialsemantische Aspekte mit einbeziehen (Gfrereis 2006, S. 37): ‚Wer sieht, hat mehr vom Lesen‘ (Raulff 2007)“ (Holm 2013, S. 578).

47 „Literatur ist vielmehr deshalb nicht ausstellbar, weil sie strenggenommen im materiellen Sinn nicht existiert“ (Hügel 1991, S. 13).

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Ungeachtet Barthels Eingeständnis (Barthel 1991, S. 64), dass Literatur nicht gänzlich unausstellbar sei, gilt, dass Literaturausstellungen nicht primär ‚Literatur‘ ausstellen, sondern die in ihrem Zusammenhang entstandene literarische Kommunikation. Literatur wird auf diese Weise einerseits zum Ausstellungsobjekt, indem Autographen, Zitate, Passagen oder kleinere literarische Werke präsentiert werden, andererseits zum thematischen Ausstellungsfeld, indem neben inhaltlichen werkimmanenten und interpretatorischen Aspekten gerade das literarische Umfeld, historische Deutungen, Rezeptionen, Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie persönliche Schicksale von Autorinnen und Autoren zum Gegenstand werden. Eine Systematisierung potentieller Ausstellungszwecke von Objekten in literarischen Ausstellungen hat Susanne Lange-Greve (1995) vorgenommen. Sie können als Reliquien, als Dokumente und als Repräsentanten in Ausstellungen eingebunden werden (vgl. Lange-Greve 1995, S. 100ff.). Als Reliquien werden die Objekte ausschließlich aufgrund ihrer Aura und Authentizität ausgestellt (ebd., S. 100). Sie erhalten damit keine über das Objekt selbst hinausgehende (verweisende) Funktion, sondern bestechen durch ihre Echtheit. Werden Objekte als Dokumente eines dargestellten Sach- oder Sinnzusammenhangs integriert, so sollen sie diesen in erster Linie bezeugen. Dabei können sie entweder so arrangiert werden, dass sich der Zusammenhang aus der Objektanordnung von selbst ergibt oder dieser durch eine entsprechende Beschriftung und damit sprachliche Kontextualisierung hergestellt wird (vgl. ebd., S. 101f.). Objekte als Repräsentanten können Lange-Greve zufolge zweierlei sein: erstens Illustrationen (ebd., S. 103f.) und zweitens Inszenierungen (ebd., S. 104f.). Als Illustration werden sie ergänzend zu einem anderen Gegenstand oder Text herangezogen, um diesen zu verdeutlichen, seine Aussage zu bekräftigen oder ganz im Gegenteil zu widerlegen. Häufig werden in literarischen Ausstellungen gerade Texte durch andere Medien wie Bilder oder dreidimensionale Objekte illustriert. Lange-Greve geht hier davon aus, dass illustriertes und illustrierendes Objekt „gleichberechtigt nebeneinander bestehen“ (ebd., S. 106), doch wird es häufiger zu einer Gewichtung dieser beiden kommen, indem entweder die Illustration hervorstechender und bedeutsamer ist oder das zu illustrierende Objekt, das aber zur Herausstellung dieser Merkmale genau oben beschriebener Illustration – Veranschaulichung – bedarf. Inszenierungen gehen über die bloße Illustration hinaus und stellen einen eigenen Zusammenhang her. Hierbei komme es entsprechend weniger auf die einzelnen Objekte als auf das Narrativ ihrer Gesamtkonstellation an (vgl. ebd., S. 104). Es werden dazu mehrere Objekte und Requisiten so kombiniert, dass sie eine Situation ‚erzählen‘; hierunter kann auch eine Inszenierung als ‚authentischer Ort‘ fallen, der nicht erhalten, deshalb aber rekonstruiert und somit inszeniert wurde. Eines der bekanntesten Beispiele literaturmusealer Inszenierungen ist im Buddenbrookhaus in Lübeck zu sehen gewesen. Aufgrund des zwar nie offiziell erteilten, jedoch tradierten Namens des Hauses schien den Gestaltern eine Ausstellung zur Schriftstellerfamilie Mann mit Blick auf die Besuchererwartungen nicht

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hinreichend. Im zweiten Stockwerk wurde daher ein „begehbare[r] Roman“ eingerichtet: In zwei Räumen wurden das „Landschaftszimmer“ sowie das „Speisezimmer mit den Götterfiguren“ in Anlehnung an den Roman Die Buddenbrooks (1901) von Thomas Mann inszeniert (Flyer des Buddenbrookhauses, Stand Februar 2008). Dargestellt werden die Räume in dem fiktiven Zustand, wie sie vom Erzähler am Vorabend des Auszugs der Familie in dem Roman geschildert werden. Die Objekte einzeln genommen sind bedeutungslose Möbel, die außer als Zeitzeugen keine Bedeutung hätten. Durch die Inszenierung wird jedoch deutlich, „daß die dargestellten Gegenstände (die Repräsentanten) nicht das Gemeinte sind, daß sie nur Hilfsmittel darstellen, um auf deren Bedeutung zu verweisen“ (Lange-Greve 1995, S. 106). Darüber hinaus wird Literatur ebenso wie jegliche andere Ausstellungsobjekte im musealen Kontext zunächst entfunktionalisiert,48 um sodann eine neue Funktion zu erhalten. Die Funktionen, welche Ausstellungsobjekte in literaturmusealen Ausstellungen erhalten können, gliedert Lange-Greve folgendermaßen auf: • • •

„Exponate den Sinnen zugänglich machen (Literatur zeigen) Exponate als Zeugen präsentieren (literarisches Umfeld dokumentieren) Literatur in Bilder ‚übersetzten‘ und dadurch veranschaulichen (Literatur repräsentieren, das kann durch Inszenierung oder Illustration geschehen)



Meinungen, Interpretationen zur Literatur zu veröffentlichen und durch Gegenstände sichtbar zu machen (Literatur interpretieren) und



Literarisches gezielt als etwas von den Exponaten Jenseitiges erfahrbar und bewußt zu machen (Literatur als künstlerische Hervorbringung zeigen und deuten), – all das kann ‚Ausstellen‘ bedeuten“ (Lange-Greve 1995, S. 100; Hervorh. i.O.).

Mit dem letzten Punkt verweist Lange-Greve auf die „poetische Tätigkeit“ (ebd., S. 111), die das Ausstellen bedeute, da es selbst ein kreativ-produktiver Prozess sei – ähnlich dem Schreiben von Texten –, bei dem ebenfalls Zeichen in Sinn übersetzt würden. Sie konstatiert: „So wie der Autor zwischen Zeichen und Sinn vermittelt und dennoch Vieldeutigkeit bewußt beläßt bzw. gestaltet, stellen die Exponate in literarischen Ausstellungen Versuche von Deutungen vor und hindern gleichzeitig deren Eindeutigkeit. Die Ausstellung wird so auch für den Rezipienten als künstlerische Tätigkeit sichtbar“ (ebd., S. 112). „Ausstellen künstlerischer Gegenstände heißt demnach, offene Semantik auszuhalten, statt keine (Reduktion auf Schauwert) oder eine eindeutige Deutung (Exponat als Beleg) zu prä-

48 „Jedes Objekt verliert durch die museale Präsentation zunächst seine ursprüngliche Funktion“ (Eversberg 2002, S. 135). Vgl. auch Seibert 2007, S. 61.

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sentieren. So wird die Vielfalt der Übersetzungsmöglichkeiten nicht nur mühsam verdeckt, sondern gezielt genutzt, um ein Thema auf unterschiedliche Weisen zu beantworten, d.h. mit jeweils verschiedenen Differenzinterpretationen zu zeigen“ (ebd., S. 115).

Lange-Greves Interpretation der Aufgabe der Ausstellungsgestalter/innen widerspricht Hügel, der ihn mit dem Dokumentarfilmer vergleichen möchte, da dieser sich bezüglich seines Produktes eben nicht als Kunst-Schaffender in den Vordergrund stelle, sondern zurückhalte und unsichtbar bleibe (vgl. Hügel 1996, S. 38f.).49 Die Sichtbarkeit der Ausstellungsgestalter/innen hängt aber vor allem von der grundsätzlichen Ausrichtung der Ausstellungsart ab, denn je nachdem, wie stark grundsätzlich eine Gestaltung offenbar wird, werden auch die Gestalter/innen selbst (in der Gestaltung) für die Besucher/innen sichtbar. Wenn jede ‚Ausstellung‘ – auch der (angeblich original) erhaltene historisch-authentische Ort – als inszeniert gelten kann, wovon an dieser Stelle ausgegangen wird, dann hilft Brigitte Kaisers Differenzierung von Inszenierungen bezüglich der Frage, wie sichtbar wann ein/e Ausstellungsmacher/in ist, weiter. Sie unterscheidet bezüglich der verschiedenen Inszenierungsformen zwischen rekonstruktiven und abstrahierenden Raumbildern (vgl. Kaiser 2006, S. 40ff.). Rekonstruktive Raumbilder sind dazu da, „bestimmte historische Begebenheiten zu rekonstruieren oder an historische Situationen zu erinnern“ (ebd., S. 40). Diese lassen sich wiederum ausdifferenzieren in solche rekonstruktiven Raumbilder, die entweder eine ‚authentische‘ Situation oder eine ‚nichtauthentische‘ Situation inszenieren. „Unter Ersterem wird die Anordnung ursprünglich wirklich zusammengehöriger Gegenstände verstanden, zum Beispiel das Mobiliar eines Wohnraumes oder Geräte und Maschinen einer Werkstatt, und zwar in der Weise, dass die Aufstellung im Museum genau den Verhältnissen der ursprünglichen Situation entspricht. Das nicht-authentische Ensemble dagegen besteht aus zusammengestellten Gegenständen etwa aus einer bestimmten Zeitspanne, zum Beispiel werden Möbel zu einem Biedermeierzimmer gruppiert, die ursprünglich nicht zusammengehörten. Auch eine entsprechende Zusammenstellung, in der Originale gemeinsam mit Nachbildungen oder einem Großfoto gezeigt werden, kann gemeint sein“ (ebd., S. 42).

Kaisers Ausführungen zufolge wären somit die im oberen Stockwerk befindlichen Räumlichkeiten des Lotte-Hauses in Wetzlar nicht-authentische rekonstruktive Raumbilder, da hier nicht nur originale Möbelstücke ausgestellt werden. Das Jünger-Haus in Wilflingen hingegen würde aufgrund dessen, dass es sich hier um die originalen Möbelstücke in originalen Ensemble-Situationen handelt, als ein authen-

49 Damit widerspricht er seiner diesbezüglichen Interpretation des Kurators als „Ausstellungsregisseur“ fünf Jahre zuvor (Hügel 1991, S. 15).

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tisches rekonstruktives Raumbild gelten. Der Einwand, der beim letzten Beispiel vorgebracht werden könnte, dass es sich doch um kein rekonstruktives Raumbild handle, ist leicht auszuräumen: Erstens ist jede Entscheidung, ein Haus, eine Wohnung oder nur einen Raum so zu belassen, ‚wie er verlassen wurde‘, eine bewusste Entscheidung und damit eine Inszenierung, zweitens wurde das Jünger-Haus, bevor es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, einmal komplett ausgeräumt und für das Archiv indiziert. Dabei wurden nicht alle im Haus vorhandenen Gegenstände wieder zurückgeführt. Es fand also eine Selektion statt, die als Inszenierungsentscheidung anzusehen ist. Für beide Formen des rekonstruktiven Raumbildes gilt, dass die Gestalter/innen für die Besucher/innen relativ unsichtbar bleiben. Denn auch bei nicht-authentischen rekonstruktiven Raumbilden wird in der Regel darauf verzichtet, die künstliche und nicht originale Zusammenstellung der Möbel und Objekte an sichtbarer Stelle bekannt zu machen – zumindest ist oftmals nur schwer nachvollziehbar, bei welchen Gegenständen es sich tatsächlich um Originale und bei welchen lediglich um zeitgenössische Objekte oder Requisiten handelt. Bei den abstrahierenden Raumbildern treten die Inszenierung und die „subjektive Interpretation“ (ebd., S. 46) der Ausstellungsmacher/innen in den Vordergrund, Ziel „ist in erster Linie die Auseinandersetzung mit Ideen und weniger die Ausstellung von Objekten“ (ebd.). Diese Ausstellungsformen wenden sich gegen neutrale, objektiv anmutende Konzepte, sie stellen im Gegenteil eigene Deutungen aus. „Die Wahrnehmung und Decodierung kann [bei den abstrahierenden; ARH] im Vergleich zu den rekonstruktiven Raumbildern schwieriger sein, da die Wirkung beiläufiger, indirekter und zum Teil auch bewusst subtiler ausfällt. So kann dies auch dazu führen, dass Inszenierungseinheiten als solche nicht wahrgenommen oder missverständlich interpretiert werden“ (Kaiser 2006, S. 47).

Das Buddenbrookhaus kann mit seinem ‚begehbaren Roman‘ als ein abstrahierendes Raumbild gedeutet werden, als rekonstruktive Raumbilder gelten hingegen alle Formen der Erhaltung bzw. Rekonstruktion von Dichterhäusern, die zeigen sollen, wie die Dichter/innen lebten und arbeiteten. Indem abstrahierende Konzepte einer Interpretation und individuellen Gestaltung(sidee) der Ausstellenden bedürfen, lassen sie diese stärker hervortreten und spiegeln so ihren Ursprung.

3 Literaturmuseale Einrichtungen: Tempel des Kanons oder „Disneyland für Deutschlehrer“

3.1 LITERATURMUSEALE EINRICHTUNGEN IM ERINNERUNGSTHEORETISCHEN KONTEXT Literarische Museen und Gedenkstätten dienen der ICOM-Definition zufolge der Sicherung, Aufarbeitung und Vermittlung „materielle[r] Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt“1. Damit sind sie ganz wesentlich an der Sicherung von Objektivationen einer Vergangenheit, sprich an der Tradierung dieser beteiligt. Indem sie materielle Zeugnisse der Vergangenheit sammeln und für die Präsentation in der Öffentlichkeit aufarbeiten, werden sie zu Trägern der Erinnerung. Jan Assmann, Ägyptologe, Religionswissenschaftler und Kulturwissenschaftler, und Aleida Assmann, ebenfalls Ägyptologin, Anglistin und Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, unterscheiden im Rahmen ihrer Theorie des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ zwischen zwei Formen der Erinnerung: 1. derjenigen im kommunikativen2 Gedächtnis und 2. der im kulturellen Gedächtnis (vgl. J. Assmann 2007, S. 50-52). Diese beiden lassen sich durch ihre Inhalte, Formen, Medien, Zeitstrukturen und Träger (ebd., S. 56) deutlich voneinander abgrenzen.

1 Übersetzung der Definition von ‚Museen‘ unter: http://www.museumsbund.de/cms/index. php?id=135&L=0&STIL=0%2Findex.php%3Fpage (Zugriff am 21.01.2012). 2

Das kommunikative Gedächtnis bezieht sich auf einen beschränkten Zeithorizont von drei bis vier Generationen und umfasst diejenigen Erinnerungen, welche in den physischen Gedächtnissen beispielsweise zur Familiengeschichte und Alltagsgeschichte gespeichert sind. Damit beinhaltet es vor allem informelle, lebendige Erinnerungen – Erfahrungen und Hörensagen. Diese Erinnerungen werden mittels sozialer Interaktion und (zumeist mündlicher) Kommunikation ausgetauscht (vgl. J. Assmann 2007, S. 56). Medien der Speicherung des kommunikativen Gedächtnisses sind z.B. Fotoalben, Tagebücher, Briefe, aber auch Orte, zu denen tradierte Geschichten von Generation zu Generation weitergegeben werden.

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Relevant im Hinblick auf die Institutionalisierung literaturmusealer Erinnerung ist das kulturelle Gedächtnis, das sich von ersterem insbesondere durch „seine kulturelle Geformtheit und die Zeremonialität seiner Anlässe“ (ebd., S. 58) unterscheidet. Denn die Geformtheit der Inhalte3 kommt insbesondere dadurch zustande, dass „fundierende Erinnerung [...] immer mehr von Stiftung als von natürlichem Wachstum“ hat und die Vergangenheit in feste, symbolische Formen gebannt wird (ebd., S. 52). Solche Objektivationen können J. Assmann zufolge „in Gestalt von Texten, Tänzen, Bildern und Riten“ (ebd.) vorkommen. Sie können sich jedoch ebenso in einer musealen Institutionalisierung niederschlagen, da ihre Funktion darin besteht, „ein Handeln oder einen Zustand in der Gegenwart – etwa die Unvergleichlichkeit einer Stätte – zu begründen und damit Identität zu stiften. Sie ist normativ und ‚völlig unabhängig davon, ob sie fiktiv oder faktisch ist‘“ (Kahl 2015, S. 264). Eine weitere Besonderheit des kulturellen Gedächtnisses im Vergleich zum kommunikativen ist, dass „jenes durch Medien gewährleistet [wird]. Medien sind die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß spätere Generationen zu Zeugen eines längst vergangenen Geschehens werden können“ (J. Assmann/A. Assmann 1994, S. 120).

Beim Übergang von Inhalten aus dem kommunikativen in das kulturelle Gedächtnis ist entsprechend eine mediale Fixierung Voraussetzung für den Erhalt.4 Diese symbolischen Fixpunkte stellen einen Bezug zur Vergangenheit in Form von „[Ursprungs-]Mythen“ (J. Assmann 2007, S. 52) her und sind damit rekonstruktiv organisiert. Sie referieren nicht bloß die Geschichte einer Gruppe, sondern versehen diese mit Sinn (vgl. ebd., S. 58). In diesem Zusammenhang wird auch die Identität der Gruppe fundiert: Der rekonstruktive, mythenhafte Vergangenheitsbezug dient folglich dem Erzählen einer kohärenten Geschichte, die bis in die Gegenwart reicht und das jeweils gegenwärtige Selbstbild einer Gruppe legitimiert. Durch die wiederholte Partizipation der Gruppenmitglieder am kulturellen Gedächtnis und den Zusammenkünften,5 beispielsweise in Form von Festen6 oder dem Lesen7 von ka-

3

A. Assmann konstatiert, dass nur im Hinblick auf „Religion, Geschichte und Künste [...] sinnvoll von ‚Kultur als Gedächtnis‘ die Rede sein [könne]“ (A. Assmann 2004, S. 46). Damit nimmt sie eine Begrenzung des Kulturbegriffs im Rahmen der Theorie des kulturellen Gedächtnisses vor.

4

Das kommunikative Gedächtnis kann durch Medien – wie das Fotoalbum – Unterstützung finden, bedarf dieser jedoch nicht zwingend.

5

Solche Zusammenkünfte sind für Schriftkulturen zwar nicht mehr notwendig, weil sie „unabhängig von der Aktualisierung in kollektiven Inszenierungen“ (A. Assmann 1999, S. 137) aktualisiert, nämlich medial vermittelt gelesen, gehört oder gesehen werden kön-

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nonischen Texten, versichert sich eine Gruppe ihrer Identität und bestätigt die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses (vgl. ebd., S. 53, 57). Die gesicherten und repetierten Inhalte sind dabei so lange verbindliche Norm, wie sie für die Identität der Gruppe bürgen können und nicht delegitimiert werden. Die Inhalte sind jedoch nicht nur verbindlich und wirken normierend, sondern sie unterliegen auch einer Wertperspektive hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit. Darüber hinaus ist das kulturelle Gedächtnis in dreierlei Hinsicht reflexiv: Es reflektiert die Lebenswelt der Gruppe, ihr Selbstbild und sich selbst (vgl. J. Assmann 1988, S. 15). Um die Inhalte zu schützen und ihre Weitergabe zu sichern, bedarf das kulturelle Gedächtnis einer dazu spezialisierten Trägerschaft, wie sie durch „Priester, Lehrer, Künstler, Schreiber, Gelehrte [...], Mandarine“ (J. Assmann 2007, S. 54) in entsprechenden institutionellen Kontexten erfüllt wird. Aufgrund der Problematik der Polarisierung des Verständnisses von ‚Geschichte‘ und ‚Gedächtnis‘, die sich bereits bei Theorieentwicklungen zum Verhältnis von Gedächtnis und Geschichte bei Friedrich Nietzsche, Maurice Halbwachs und Pierre Nora zeigten,8 entwickelte Aleida Assmann eine weitere Ausdifferenzierung in das Gedächtnis als ‚ars‘ und ‚vis‘. Sie verweist darauf, dass eine absolute Polarisierung ebenso wie eine Gleichsetzung keinen Sinn ergäbe, vielmehr ließen sich Korrelationen und Ausschlussmechanismen dieser beiden Begriffe feststellen. So prägt A. Assmann für Schriftkulturen9 die Begriffe „bewohntes Gedächtnis“, welches dem Funktionsgedächtnis entspricht, und „unbewohntes Gedächtnis“, von dem im

nen, dennoch werden Festtage und Jubiläen weiterhin feierlich in Form von gemeinsamen Veranstaltungen begangen. 6

J. Assmann bezieht sich in seinen Ausführungen besonders auf schriftlose Kulturen, weshalb Feste und rituelle Wiederholungen, bei denen Stimme, Mimik und Gestik tragende Funktionen erfüllen, von ihm hervorgehoben werden. „In schriftlosen Kulturen haftet das kulturelle Gedächtnis nicht so einseitig an Texten. Hier gehören Tänze, Spiele, Riten, Masken, Bilder, Rhythmen, Melodien, Essen und Trinken, Räume und Plätze [...] in sehr viel intensiverer Weise zu den Formen feierlicher Selbstvergegenwärtigung und Selbstvergewisserung der Gruppe“ (J. Assmann 2007, S. 59).

7

Vgl. dazu die Rezeptionsweise kanonischer bzw. kultureller Texte; beschrieben in: A. Assmann 1995, S. 241f.

8 9

Vgl. dazu die Ausführungen bei A. Assmann 1999, S. 130-133. Sie weist explizit darauf hin, dass in oralen Kulturen eine Unterscheidung in Speicherund Funktionsgedächtnis keinen Sinn mache, da die an Individuen gebundenen Memorierungen quantitativ so begrenzt seien, dass eine Speicherung von aktuell nicht benötigtem Wissen nicht möglich sei. Sie grenzt sich in dieser Hinsicht von J. Assmann ab, der sich bei der Entwicklung der Theorie des kulturellen Gedächtnisses vorwiegend auf orale Kulturen bezog (vgl. A. Assmann 1999, S. 137 sowie J. Assmann 2002, S. 163ff.).

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Folgenden als Speichergedächtnis die Rede sein soll (A. Assmann 1999, S. 133ff.). Für das Funktionsgedächtnis sind „Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung“ charakteristisch (ebd., S. 134). Die Inhalte des Speichergedächtnisses hingegen haben keinen vitalen Bezug zur Gegenwart, es wird allgemein Wissen über die Vergangenheit bewahrt, das für die Gegenwart und Zukunft nicht von Bedeutung sein muss. Damit ist das Speichergedächtnis jedoch nicht minder bedeutsam als das Funktionsgedächtnis. Jenes stellt zu jeder Zeit ein potentielles Repertoire zur Verfügung, auf das zurückgegriffen und dessen Inhalt im Funktionsgedächtnis aktualisiert werden kann. Die Geschichte bzw. Geschichtsschreibung als historische Wissenschaft ist dementsprechend eine Art ‚Kurator‘ des Speichergedächtnisses: Sie kollektiviert und archiviert Wissen und Relikte über die bzw. der Vergangenheit, die verloren gingen, gäbe es nur das Funktionsgedächtnis. Das Speichergedächtnis ist dazu in der Lage, ein Repertoire bereitzustellen, auf das zurückgegriffen werden kann, wenn sich in Gruppen oder Gesellschaften Bedeutungsund Wertungsänderungen vollziehen und dementsprechend Inhalte des Funktionsgedächtnisses gestrichen, ausgewechselt oder neue hinzugefügt werden (müssen10). A. Assmann verknüpft auf diese Weise die Begrifflichkeiten ‚Geschichte‘ und ‚Gedächtnis‘ miteinander, ohne dass sie diese polarisierend gebraucht oder ihre Grenzen verwischt. Die Geschichte wird in beide Gedächtnisformen integriert, mit dem Unterschied, im Funktionsgedächtnis mit Sinn versehen worden zu sein, im Speichergedächtnis hingegen lediglich aus einer Art angesammeltem, strukturlosem und unzusammenhängendem ‚Faktenwissen‘ zu bestehen (vgl. ebd., S. 137). Bei den mit Bedeutung versehenen und in Objektivationen gebundenen Inhalten des Funktionsgedächtnisses handelt es sich A. Assmann zufolge in erster Linie um Kanonisiertes.11 „Das liegt daran, dass sie durch Verfahren der Auswahl und Wertzuschreibung (wir nennen diesen Vorgang ‚Kanonisierung‘) durchgegangen sind [...]. Sie bleiben trotz historischen Wandels und beschleunigter Innovation auf den Lehrplänen der Schulen, auf den Spielplänen der Theater, in den Sälen der Museen, den Aufführungen der Konzerthallen und den Programmen der Verlage“ (A. Assmann 2004, S. 48).

Bereits in dieser Auflistung wird die Affinität des kulturellen Gedächtnisses zur Literatur deutlich, indem sich vier der fünf benannten Trägerinstitutionen auf Litera-

10 Das Wort ‚müssen‘ bezieht sich hier insbesondere auf das Phänomen von System- oder Machtwechseln, so dass eine andere Legitimierung bzw. Geschichtsdeutung notwendig wird; dies ist insbesondere bei ‚geschlossenen‘ Gesellschaften zu beobachten. 11 Kanones lassen sich in den verschiedensten Bereichen feststellen; im Allgemeinen wird der Begriff ‚Kanon‘ jedoch für den literarischen Kanon gebraucht.

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tur oder zumindest den literarischen Bereich beziehen (lassen). Die Literatur nimmt damit innerhalb des kulturellen Gedächtnisses eine bedeutsame Position ein. A. Assmann unterscheidet grundsätzlich zwischen kulturellen12 und bloß literarischen Texten. Sie rechnet dabei jenen Teil der Literatur zum Funktionsgedächtnis, welcher kanonisiert und somit zum kulturellen Text wurde.13 „Das Paradigma des kulturellen Textes ist die Bibel“ (A. Assmann 1995, S. 237). Bei der Auszeichnung als ‚kultureller Text‘ sind weder die Art des Textes noch seine Gattung entscheidend (vgl. Winko 1997, S. 598). Kanon „ist vielmehr das historisch und kulturell variable Ergebnis komplizierter Selektions- und Deutungsprozesse, in denen inner- und außerliterarische (z.B. soziale, politische) Faktoren eine Rolle spielen“ (Winko 2008, S. 344).

Potentiell kann demzufolge jeder – nicht nur literarische – Text zu einem Inhalt des kulturellen Gedächtnisses werden. In der Bibel vereinen sich alle Merkmale eines kulturellen Textes durch die Zuschreibung von Bedeutung und die daraus folgende Rezeptionsweise: Der Text hat eine Wert setzende Qualität sowie einen Wandel überdauernden Wahrheits- und Aktualitätsanspruch (vgl. A. Assmann 1995, S. 238),14 er widersetzt sich dem „literarische[n] Markt mit seinen Rhythmen kurzlebiger Konjunktur“ (A. Assmann 1996, S. 101), die Leser/innen können sich mit dem Text hinsichtlich der Normen und Werte identifizieren und verändern dadurch ihr Lese- und Rezeptionsverhalten, der Text wird wiederholt studiert und verehrt

12 Zu diesen zählen selbstverständlich auch literarische Texte im klassischen Verständnis. 13 Entgegen A. Assmanns Ausführungen in Was sind kulturelle Texte? schreiben Jan und Aleida Assmann in Das Gestern im Heute: „Die Stabilisierung der Texte geschieht zum einen durch Materialisierung in Gestalt der Schrift [...], und darüber hinaus durch Fixierung oder Kanonisierung [...]. Sie [die kanonisierten Texte; ARH] haben eine reelle Chance, unabhängig von ihrer Inanspruchnahme durch spezifische Funktionsgedächtnisse im kulturellen Speichergedächtnis zu überdauern“ (A. Assmann/J. Assmann 1994, S. 128). Die hier ausgeführte These widerspräche jedoch derjenigen zu kulturellen Texten, die gehandhabt werden wie Inhalte des kulturellen Funktionsgedächtnisses: Mit ihnen werden konkrete Werte verbunden, sie gehören zu fixierten Inhalten und werden wiederholt rezipiert. Dies gilt hingegen nicht für Texte bzw. allgemein Inhalte des Speichergedächtnisses, die durch Amorphie, eben keinen vitalen Bezug zur jeweils gegenwärtigen Lebenswelt, gekennzeichnet sind. 14 Der Innovationsdruck, unter dem literarische Texte im Allgemeinen stehen, trifft kulturelle Texte nicht. Für die kulturellen Texte gilt, „daß diese Auswahl stabil ist und sich damit dem Erneuerungs- und Variationsgebot des Marktes wie des zeitlichen Wandels widersetzt“ (A. Assmann 1995, S. 242).

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(vgl. A. Assmann 1995, S. 241). Diese Merkmale treffen nicht nur auf die Bibel und andere religiöse Texte zu.15 Klassische kanonische16 Texte – wie Johann Wolfgang von Goethes Die Leiden des jungen Werther – weisen A. Assmann zufolge ebenfalls sakrale17 Merkmale auf. Durch den Rückgriff auf kanonische Texte, die eine „Allianz mit einer späteren Leserschaft“ (A. Assmann 1996, S. 102) darstellen, wird nach Assmann ein Erinnerungsakt vollzogen, welcher auf das gemeinsame kulturelle Gedächtnis referiert (vgl. A. Assmann 1995, S. 238). Somit ist der Text einerseits ein Medium, durch das erinnert wird, andererseits ist er das Erinnerte selbst. Bedeutsam ist hier das sakrale Moment, welches A. Assmann im Zuge der Erläuterungen kultureller Texte immer wieder betont. Sie stellt fest, dass „in einer Zeit der Säkularisierung der Religion die Kunst sakralisiert wird“ (ebd., S. 241). Dies ist ein wichtiges Moment für die Theorie des kulturellen Gedächtnisses: Inhalte des Funktionsgedächtnisses werden wiederholt, gesichert und verehrt. Dies geschieht nicht primär auf sachlich-neutrale Weise, sondern die Inhalte werden mit Sinn, Normen und Werten aufgeladen und zu normativen ‚Gütern‘ stilisiert. A. Assmann betont demgemäß in verschiedenen Ausführungen, dass sich ab dem 19. Jahrhundert zwei Ausdifferenzierungen im Bereich der Kunst feststellen lassen: Ihre gleichzeitige Verwissenschaftlichung und Sakralisierung (vgl. A. Assmann 1993, S. 58).18 Die Sakralisierung zeige sich denn auch in einem Umgang mit den kulturellen Inhalten, der demjenigen mit Religiösem und Heiligem ähnele. Die Medien und Riten der sakralisierten Kunst „sind ebenso bezogen auf die Arbeit am na-

15 Das sakrale Merkmal literarischer Texte hat Hermann Korte unter Bezugnahme auf Klopstocks Rolle im 19. Jahrhundert anschaulich beschrieben, dort heißt es: „Klopstocks Positionierung des Dichters als einer genialischen Seher-Figur und seine Hochschätzung von Dichtung als ‚heiliger Poesie‘ kehrt spiegelbildlich im Selbstbewusstsein der von ihrer eigenen Sendung überzeugten Lehrer wieder: ‚Das Amt eines deutschen Sprachlehrers’, hieß es 1843 bei Wackernagel [ders. 1843, S. 90], ‚ist ein königliches, ein hohepriesterliches Amt‘, eben ein Dienst am dritten, am ‚weltlichen Evangelium‘ der Dichtung“ (Korte 2005, S. 15; Hervorh. i.O.). 16 Die wissenschaftliche Literatur und Forschungsarbeit zum Begriff ‚(literarischer) Kanon‘ ist mittlerweile beinahe unüberschaubar. Daher sei an dieser Stelle lediglich auf einzelne, beispielhafte Publikationen verwiesen, in denen dieser Begrifflichkeit nachgegangen werden kann: Arnold (Hrsg.) 2002; A. Assmann 1993; Fuhrmann 1993; Winko 1997; Heydebrand (Hrsg.) 1998. 17 „Sie sind am Paradigma des sakralen Textes orientiert; durch die ihnen zugesprochenen normativen und formativen Qualitäten haben sie religionsähnliche Züge“ (A. Assmann 1995, S. 238). 18 Dies gilt ihr zufolge ebenfalls für den Bereich der Kultur. Vgl. ebd.

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tionalen Gedächtnis: es geht um Denkmäler der Kulturheroen, Dichterfeiern, um die Kanonisierung von Klassikern und den Zitatenschatz des deutschen Volkes“ (ebd., S. 60). Und sie führt anschließend ein populäres Beispiel der Literatur an: „Goethe hatte, wie wir uns erinnern, keine deutsche Bibel zustande gebracht, dafür ist er aber selbst umso wirkungsvoller kanonisiert worden, sowohl als Denkmal wie als nationaler Klassiker“ (ebd.). Neben den literarischen Texten werden auch die Dichter/innen selbst zu einem Teil des kulturellen Gedächtnisses: Sie werden hochstilisiert, mythisiert und verehrt. Die literarischen Museen, insbesondere diejenigen an historisch-authentischen Lebens- oder Schaffensstätten der Schriftsteller/innen, sind ihre Tempel. Die sakralen Feiertage des Dichterkultes werden in Dichterfeiern und Jubiläen begangen. Den Texten wird durch wiederholtes Lesen und Rezitieren gehuldigt, den Autorinnen und Autoren durch personales Andenken. Dabei wird die Erinnerung nicht nur von den Rezipientinnen und Rezipienten ausgestaltet, sondern teilweise bereits von den Dichterinnern und Dichtern selbst zu Lebzeiten intendiert und vorbereitet.19 Mit der Problematik der Beschränkung von Gedächtnisinhalten auf den Kanon ‚hoher Literatur‘ und der damit zusammenhängenden Schwierigkeit, zu bestimmen, welche Werke diesem überhaupt zuzurechnen sind, wird allerdings die Frage virulent, ob nicht auch über den (Kern-)Kanon hinaus weitere literarische Texte zu den Inhalten und Medien des kulturellen Gedächtnisses zu zählen sind. Literaturmuseale Einrichtungen scheinen also geradezu idealtypische Träger des kulturellen Gedächtnisses im Assmannschen Sinne zu sein: Sie sind institutionell organisiert und geformt, sie stellen verbindliche Inhalte – (kanonisierte) Literatur und ihre Dichter/innen – aus, die innerhalb der Literatur selbst, aber auch in der Rezeption und in den Anschlusskommunikationen Formen der Selbstreflexivität aufweisen, und sie beziehen sich auf eine kulturell definierte Gruppe.20 Sie sind zudem nicht an ein Individuum (und dessen Gedächtnis oder Erinnerungen) gebunden, sondern werden von einem Kollektiv gesichert: Es gibt zwar stets beschränkte Verantwortlichkeiten, die auf einen oder mehrere Leiter/innen oder Geschäftsführer/innen eines Museums beschränkt sind, aber das Museum wird durch Aufmerk-

19 Vgl. zum Phänomen der Selbstkanonisierung und -inszenierung bspw. Detlev Schöttker 2002, S. 277-290. 20 Die Begrenztheit der Gruppe ist nicht empirisch zu erheben. Nichtsdestotrotz partizipiert nur eine irgendwie begrenzte Anzahl von Individuen an der kollektiven Erinnerung, so dass die Gruppe als begrenzt zu kennzeichnen ist. Die Frage bspw., inwiefern es literarischen Museen gelingt, sich international zu öffnen und auszurichten, ist besonders für die nationalen Dichterhäuser brisant. Der Assmannschen Theorie zufolge wäre eine internationale Anschlussmöglichkeit nur gegeben, wenn zumindest eine grundsätzliche Übereinstimmung der gesellschaftlichen Normen und Werte vorläge.

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samkeit21 sowie Akzeptanz, materielle Zuwendungen und Gelder einer (kulturellen) Gruppe gestaltet, getragen und finanziert.22 Dabei kann das literarische Museum der Assmannschen Theorie zufolge als Medium ebenso wie als Trägerinstitution des kulturellen Gedächtnisses verstanden werden (vgl. A. Assmann/J. Assmann 1994, S. 123). Dies wird im Folgenden näher ausgeführt. 3.1.1 Literaturmuseale Einrichtungen als Träger des kulturellen Gedächtnisses Wie einleitend geschildert, untergliedert Aleida Assmann das kulturelle Gedächtnis wiederum in das Funktions- und das Speichergedächtnis, denen sie jeweils unterschiedliche Institutionen zuordnet: „Institutionen des kulturellen Speichergedächtnisses sind Archive, Bibliotheken und die Magazine von Museen, Institutionen des kulturellen Funktionsgedächtnisses sind Erziehungsund Bildungsorte wie Familien und Schule, aber auch Theater, Konzertsaal und die Ausstellungsräume von Museen, sowie Denkmäler und Jahrestage“ (A. Assmann 2004, S. 49).

Diese Aufteilung des Museums zwischen dem Magazin als Speichergedächtnis und den Schauräumen als Funktionsgedächtnis ist insofern schlüssig, als Ausstellungen immer konstruierte Deutungen darstellen. So trennscharf die Definition in diesem Zitat allerdings scheinen mag, so verschwommen und demgegenüber widersprüchlich taucht sie in anderen Ausführungen A. Assmanns wieder auf: „Museum und Archiv ebenso wie Forschungsbibliotheken sind kulturelle Orte, an denen eine Gesellschaft die Überreste und Spuren der Vergangenheit aufbewahrt, nachdem diese ihre lebendigen Bezüge und Kontexte verloren haben“ (A. Assmann 2006, S. 54; Hervorh. ARH).

21 Vgl. zum Phänomen beschränkter und damit ökonomisierter Aufmerksamkeit Georg Franck 1998. 22 Die Rede von einem „tragenden Kollektiv“ soll nicht die Illusion erzeugen, dass ein Museum von allen einer Gruppe oder Gesellschaft zugehörigen Individuen mitgetragen wird. Es geht vielmehr um Institutionen, die stellvertretend für die Individuen einer Gruppe agieren, so zum Beispiel der Staat. Ohne staatliche Subventionen und Teilfinanzierungen wären Museen, die sich nur zu einem sehr geringen Prozentsatz selbst tragen, nicht überlebensfähig. Zudem erhalten Museen finanzielle und materielle Spenden – z.B. neue Objekte – und Bestätigung, indem sie besucht und als (nationale) Bildungsstätten anerkannt werden.

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Zudem wird die Zuordnung bedeutungsneutraler Inhalte zum Speichergedächtnis und bedeutungsaufgeladener Inhalte – Kanonisiertes – zum Funktionsgedächtnis nicht durchgehalten. „Das Speichergedächtnis bedarf deshalb in besonderer Weise der Formen und Institutionen (Archive), welche das vom Gestern bewahren, was im Horizont des Heute nicht gebraucht wird. [...] Dafür bedarf es zweierlei: Der Stabilisierung der Texte und/oder eines Kontextes, der von einer unmittelbaren sozialen Gebrauchsfunktion entlastet ist. Die Stabilisierung der Texte geschieht zum einen durch Materialisierung in Gestalt der Schrift [...], und darüber hinaus durch Fixierung oder Kanonisierung [...]. Sie [eben die kanonisierten Texte; ARH] haben eine reelle Chance, unabhängig von ihrer Inanspruchnahme durch spezifische Funktionsgedächtnisse im kulturellen Speichergedächtnis zu überdauern“ (A. Assmann 1994, S. 128; Hervorh. ARH).

Hier rechnet A. Assmann im Gegensatz zu vormaligen Definitionen kanonisierte Inhalte dem Speichergedächtnis zu. Damit verwischt sie die zuvor gezogene Grenze, der zufolge das Funktionsgedächtnis das Kanonisierte beinhalte und das Speichergedächtnis einen amorphen, bedeutungsneutralen Hintergrund bilde. Dies ist wenig verwunderlich, ist es doch so, dass „Depotbestände beinhalten, was Sammlungsleiter zu bestimmten Zeiten als wichtig erachten“ (Thiemeyer 2010, S. 79). Gesammelt wird in den Archiven somit überwiegend das, was auch bedeutsam und sammelwürdig erscheint – als amorph sind die Objekte nicht zu beschreiben. Wie hier bereits deutlich wird, birgt die Übertragung der theoretischen Ansätze auf reale Konstellationen und Zusammenhänge einige Probleme. So lässt sich bspw. die sehr zweckmäßige Unterscheidung nach den Inhalten von Funktions- und Speichergedächtnis nicht sinnvoll auf literaturmuseale Einrichtungen übertragen, denn bereits die Aufnahme von Objekten in das Archiv einer musealen Einrichtung stellt einen bedeutungszuweisenden Akt der Selektion dar.23 Ein weiteres Problem ergibt sich aus A. Assmanns These, dass es hinsichtlich verschiedener Museumstypen einerseits solche für Kunst, andererseits solche zur Präsentation der Vergangenheit gebe. „Das Kunstmuseum ist der Ort der Auswahl und Kanonisierung künstlerischer Werke; denjenigen Werken, die in die Dauerausstellungen aufgenommen werden, ist ihr fester Platz im kulturellen Gedächtnis sicher. Das historische Museum ist der Ort, an dem das, was aus den

23 Die Bedeutsamkeit literaturmusealer Archive für künftige Ausstellungen ist darüber hinaus nicht zu unterschätzen. Schließlich stellen sie den Fundus, das ‚potentielle Repertoire‘ für in Ausstellungen präsentierte Fixationspunkte der Erinnerung dar.

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Blicken und oft auch aus dem Bewußtsein geschwunden ist, in kleinen Ausschnitten noch einmal gezeigt wird und besichtigt werden kann“ (A. Assmann 2001, S. 24).

Damit nimmt sie eine Definition vor, die über die vorangegangenen hinausgeht, indem nicht mehr bloß zwischen Magazin und Ausstellung getrennt wird, sondern zwischen Museumstypen, die wiederum entweder das Speicher- oder das Funktionsgedächtnis bedienen. Auch die Unterscheidung in Kunstmuseen – im Sinne des Funktionsgedächtnisses/kanonisierter Inhalte – und historische Museen – im Sinne des Speichergedächtnisses/bedeutungsneutraler Ansammlungen – erscheint hingegen wenig sinnvoll, da auch Ausstellungen in historischen Museen Selektionsprozessen unterliegen, für die das für die jeweilige Gegenwart Bedeutsame aus der Geschichte ausgewählt und im Sinne eines gültigen Geschichtsnarrativs erzählt wird. 3.1.2 Literaturmuseale Einrichtungen als Medien des kulturellen Gedächtnisses Die literarischen Museen und Gedenkstätten werden innerhalb der Assmannschen Erinnerungstheorie allerdings nicht nur als Träger, sondern auch als Medien des kulturellen Gedächtnisses beschrieben. Die Bindung von Gedächtnisinhalten an Medien ist J. Assmann zufolge eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für die Sicherung des kulturellen Gedächtnisses; neben der Materialisierung von zu erinnernden Inhalten – wie beispielsweise in Textdokumenten – arbeite auch „die Erinnerungskultur mit Zeichensetzung im natürlichen Raum“ (J. Assmann 2007, S. 60). Darunter versteht er neben Denkmälern ganze Landschaften, die in den Dienst der Erinnerung gestellt werden können, wobei dann von „Gedächtnisorte[n]“ (ebd.) die Rede sein solle. A. Assmann rechnet diese Gedächtnisorte zu den Medien24 des kulturellen Gedächtnisses und eröffnet damit die Frage, ob hierunter ein Gedächtnis an die Orte, ein in den Orten verortetes Gedächtnis oder der Ort als Träger von Erinnerung gemeint ist (vgl. A. Assmann 1999, S. 298). Die Gedächtnisorte, welche sie

24 Vgl. dazu die Gliederung von Erinnerungsräume (A. Assmann 1999, S. 8f.): Hier wird der zweite Teil mit „Medien“ überschrieben, darunter finden sich „Schrift“, „Bild“, „Körper“ und „Orte“. Die Stimme als Medium der Erinnerung erhält hier keinen Platz. Auch J. Assmann zählt Orte zu den Medien des Gedächtnisses: „Sogar und gerade ganze Landschaften können als Medium des kulturellen Gedächtnisses dienen. Sie werden dann weniger durch Zeichen (‚Denkmäler‘) akzentuiert, als vielmehr als Ganze in den Rang eines Zeichens erhoben, d.h. semiotisiert“ (J. Assmann 1997, S. 60; Hervorh. i.O.). Als Beispiel für eine solche literaturmuseale Landschaft könnte Weimar dienen, das Georg Schwedt auch als „Mekka für Literaturfreunde“ (Schwedt 1995, S. 6) bezeichnet.

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wechselnd auch als Gedenk- oder Erinnerungsorte bezeichnet,25 können dabei sehr Unterschiedliches sein. Es kann sich um Friedhöfe, Ruinen, Denkmäler, heilige Orte und Schicksalsorte handeln. Allen gemeinsam ist jedoch, dass „[s]elbst wenn den Orten kein immanentes Gedächtnis innewohnt, [...] sie doch für die Konstruktion kultureller Erinnerungsräume von hervorragender Bedeutung [sind]. Nicht nur, daß sie die Erinnerung festigen und beglaubigen, indem sie sie lokal im Boden verankern, sie verkörpern auch eine Kontinuität der Dauer, die die vergleichsweise kurzphasige Erinnerung von Individuen, Epochen und auch Kulturen, die in Artefakten konkretisiert ist, übersteigt“ (ebd., S. 299).

Die Dauer und Kontinuität der Gedächtnisorte tritt insbesondere bei Ruinen, die auch als ‚Spuren‘26 vergangener Zeiten auftreten, zutage. Selbst wenn sich hier die Kultur oftmals bereits der Natur wieder annähert bzw. sich die Natur der Kultur zu bemächtigen scheint (vgl. ebd., S. 315ff.) – indem Ruinen von Pflanzen umrankt oder teilweise sogar komplett überwachsen werden –, bleiben sie Zeugen einer Vergangenheit, zu der die jeweilige kulturelle Gruppe ein Verhältnis der Kontinuität oder der Diskontinuität pflegen kann. Entweder sieht sich die Gruppe dann in der Tradition der durch die Gedächtnisorte vermittelten Vergangenheit stehend (Kontinuität)27 oder sie hat keinen Bezug mehr zu den Spuren der Vergangenheit

25 Vgl. beispielsweise das mit „Gedächtnisorte“ überschriebene Kapitel, in dessen ersten Absätzen in Bezug auf die Stadt Jerusalem bereits von „Gedenkorte[n]“, „Erinnerungsorten“ und „Gedächtnisort[en]“ die Rede ist (A. Assmann 1999, S. 305). Eine klare begriffliche Trennung erfolgt nicht. 26 Die Begriffe ‚Spur‘ sowie ‚Abfall‘ tauchen bei Assmann selbst auf und werden dort definiert als „Zeugnisse[...], die nicht an die Nachwelt adressiert und nicht zur Dauer bestimmt waren“ (A. Assmann 1996, S. 107). Diese Definition kann für den hier vorliegenden Gebrauch übernommen werden, auch wenn sie eine darüber hinaus gehende Funktion erfüllt. Historiker/innen sprechen hier von Überresten, worunter „dasjenige Quellenmaterial zu verstehen [ist], das von den Geschehnissen unmittelbar – ohne das Medium eines zum Zweck historischer Kenntnis berichtenden Vermittlers – übriggeblieben ist. [...] Unter Tradition verstehen [sie hingegen] diejenigen Quellengruppen, die eigens und absichtlich zum Zweck (historischer) Unterrichtung geschaffen worden sind“ (Brandt 2003, S. 56, 61). 27 Vgl. beispielsweise ‚Generationenorte‘, die insbesondere im kommunikativen Gedächtnis durch direkte, mündliche Weitergabe gepflegt werden (A. Assmann 1999, S. 301ff.).

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und betrachtet sich selbst in einem davon losgelösten, unabhängigen Kontext (Diskontinuität).28 Die literaturmuseale, personale Einrichtung weist nicht selten eine enge Bindung an ihre Örtlichkeit auf. Insbesondere bei den literarischen Memorialen (Gedenkstätten), wie sie Wolfgang Barthel im Vergleich zu den rein ausstellenden Literaturmuseen klassifiziert (vgl. Barthel 1990, S. 187), handelt es sich um örtliche Manifestationen an bedeutsamen Schauplätzen der Vergangenheit: Hier wurde der/die Autor/in geboren29, er/sie lebte30, arbeitete31 oder starb32 hier oder ihm/ihr widerfuhren33 ganz besondere Momente. Dabei ist die durch die direkte lokale und real-historische Verbindung entstehende „Aura, die dem Gedächtnisort seine Weihe gibt, [...] in keine noch so kunstfertigen Monumente übersetzbar“ (A. Assmann 1999, S. 326). Die literarischen Gedenkstätten bzw. Museen werden ebenso wie die Gedächtnisorte mit den Arenen des Vergangenen lokal verknüpft. Hierdurch legitimieren und verifizieren sich erzählte Geschichte und Erinnerungsort gegenseitig (vgl. ebd., S. 329). Barthel weist auf „die auratische Kraft und Wirkung einer derartigen Einrichtung und ihrer Objekte“ (Barthel 1990, S. 187) auf die Besucher/innen hin; der Ausstellende wünsche sich entsprechend, dass „Haus und Ausgestaltung [...] original“ (ebd.) seien. Jedoch gilt: ein Ort „hält Erinnerungen nur dann fest, wenn Menschen auch Sorge dafür tragen“ (A. Assmann 1999, S. 327). Das Gedächtnis der Orte ist entsprechend unzuverlässig,34 es bedarf stets der Gedächtnispflege und dem Akt des Erinnerns und damit der Aktualisierung durch die Lebenden. Astrid Erll weist in

28 Vgl. „Ruinen“, „Relikte“, „Überreste“. „[Ü]ber diese Reste [wird] auch achtlos hinweggegangen“ (A. Assmann 1999, S. 309). 29 Z.B. Bertolt Brecht in Augsburg oder Gotthold Ephraim Lessing in Kamenz. 30 Bertolt Brecht in Berlin oder Johann Wolfgang von Goethe in Weimar. 31 Friedrich Schiller in Weimar, wobei er im selben Gebäude lebte. Dass Arbeits- und Wohnstätte zusammenfallen, trifft auf die meisten Dichter/innen zu. 32 Beispielsweise Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in Weimar sowie Bertolt Brecht in Berlin. 33 Kurt Tucholsky verbrachte auf Schloss Rheinsberg eine amouröse Liebesnacht und Johann Wolfgang von Goethe lernte in Volpertshausen, wo er zu einer Ballnacht geladen war, Charlotte Sophie Henriette Buff kennen. An beiden Orten wurde eine literaturmuseale Einrichtung gegründet. 34 Vgl. A. Assmann 1999, S. 326. Sie weist zugleich an anderer Stelle darauf hin, dass insbesondere die Archäologie jedoch auf dem „Prinzip der methodischen Spurensicherung“ beruhe und somit die Hoffnung extrapoliere, auch diskontinuierliche Orte – Überreste und unlesbare Spuren –, deren Bedeutungen dem Vergessen anheimgefallen sind, wieder lesbar zu machen und ausdeuten zu können (ebd., S. 317).

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diesem Zusammenhang auf die Funktion der Gedächtnisorte (als Medien des kollektiven Gedächtnisses) als „cues“ hin: Unter cues versteht sie „Abrufhinweise“ (Erll 2005, S. 255), die mit den Orten der Erinnerung verbunden sein können. Die cues stellen eine Verbindung zur „Erinnerungskultur mit Vergangenheitsversionen“ dar, „die außerhalb des erinnerungskulturellen Kontexts nicht aktualisierbar“ wären, weshalb „die gesellschaftliche Übereinkunft für die cue-Funktion von Medien des kollektiven Gedächtnisses von zentraler Bedeutung“ (ebd.) sei. Die Theorie des kulturellen Gedächtnisses bietet folglich zwar oberflächlich Erklärungsansätze, Mechanismen und Konstituenten kollektiver, kultureller Erinnerung zu beschreiben, doch ist eine direkte Übertragung mit Problemen verbunden. A. Assmanns Ausführungen zu den Gedächtnisorten gestalten sich für eine empirische Untersuchung insofern besonders problematisch, als sie keine klare definitorische Abgrenzung zwischen den verschiedenen Formen von Gedächtnisorten zu geben vermögen. So stellt sich beispielsweise konkret für die hier vorliegende Arbeit die Frage, inwiefern sich literarische Museen von Gedenkstätten unterscheiden und welche Arten und Weisen von Erinnerung jeweils mit ihnen einhergehen, welche Erinnerungsnarrative mit ihnen entfaltet werden und welche Funktionen die literaturmusealen Einrichtungen im kulturellen Feld übernehmen. Darüber hinaus ist A. Assmanns Definition von dem kulturellen Gedächtnis angehörigen Texten, den sogenannten „kulturellen Texten“, sowie der sakralisierende Umgang mit ihnen in Übertragung auf die literaturmuseale Erinnerungspraxis als problematisch anzusehen. Besonders in Anbetracht der Ausweitung kulturtouristischer Angebote von literarischen Museen erscheint ein rein sakralisierender Zugang fraglich.

3.2 WEITERENTWICKLUNGEN DER THEORIE DES KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES Nachdem die Assmannsche Theorie des kulturellen Gedächtnisses im erinnerungspolitischen Diskurs eine bemerkenswerte Konjunktur, wenn nicht gar Anfang der 2000er Jahre die Deutungshoheit gewonnen hatte, sollte der Ansatz in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt werden. Im Folgenden werde ich mich auf die diesbezüglichen Arbeiten von Astrid Erll und Mathias Berek konzentrieren. Sie haben auf wichtige Aspekte hingewiesen, die auch für das literaturmuseale Feld nicht unerheblich sind und daher kurz erläutert werden sollen. So wurden die Begriffe ‚Erinnern‘ und ‚Gedächtnis‘ in den bisherigen Ausführungen weitestgehend synonym verwendet, was damit zusammenhängt, dass A. Assmann sie als „Begriffspaar, als komplementäre Aspekte eines Zusammenhangs, die in jedem Modell gemeinsam auftauchen“ (A. Assmann 1991, S. 14), auffasst. Der Schwerpunkt des Gedächtnisses sei das Organische, derjenige der Erinnerung das Merken und (wieder) Aufrufen

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(vgl. ebd.). Erinnern und Gedächtnis werden dem gegenwärtigen Forschungsstand zufolge allerdings zurecht getrennt, bezeichnet das Gedächtnis doch einen passiven Zustand (statisch) und das Erinnern einen aktiven Prozess (dynamisch).35 Mathias Berek definiert Gedächtnis als einen „bestimmte[n] Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt, es ist die Gesamtheit der in der Gegenwart zuhandenen Wissenselemente über die Vergangenheit“ (Berek 2009, S. 32). Unter Erinnern versteht er gemäß dem Forschungsstand ebenfalls einen aktiven Prozess, der sich primär im „Reproduzieren“ (ebd.) von Erfahrungen und Wissen über die Vergangenheit veräußerlicht. Erinnerungen sind dann das Ergebnis dieses Prozesses. Gedächtnis darf als Zustand jedoch nicht missverstanden werden als feststellbarer Bestand, sondern muss unabhängig von der Speichermetapher als wandelbar und nicht lokal gebunden oder gar beobachtbar angesehen werden. Das kulturelle (J. Assmann/ A. Assmann) wie das kollektive (Erll/Berek) Gedächtnis dienen vielmehr als Metapher für den Bestand der zur Verfügung stehenden bzw. potentiell abrufbaren Erinnerungen. „Der Begriff kollektives Gedächtnis legt dabei den Schwerpunkt auf die Inhalte des gemeinsam Erinnerten und auf den gegenwärtigen Zustand der Summe all dieser Erinnerungen, während Erinnerungskultur den Fokus auf die Prozesse richtet: die Strukturen, Funktionen und Abhängigkeiten kollektiven Erinnerns“ (Berek 2009, S. 39).

Das kulturelle (kollektive) Gedächtnis wird somit erst in den kollektiven Erinnerungsakten36 sichtbar. Dies wird besonders anschaulich in einem Modell Erlls zum Konzept von Erinnerungskulturen (vgl. Abb. 1). Kollektive Erinnerungsakte berufen sich demnach einerseits auf gemeinsame und geteilte Inhalte37 des kollektiven Gedächtnisses, zudem modifizieren sie dieses aber auch, indem neue Erinnerungen hinzukommen und irrelevant gewordene ‚vergessen‘ werden oder als potentiell vorhandene und rückholbare Erinnerungen in das Speichergedächtnis zurückfallen. Erll geht grundsätzlich davon aus, dass es – im Gegensatz zu der Assmannschen

35 Vgl. bezüglich dieser Differenzierung zwischen Erinnern und Gedächtnis bspw. Erll 2005, S. 7 oder S. J. Schmidt 1992, S. 32ff. 36 Kollektive Erinnerungsakte wiederum finden ihre Realisierung nur durch bzw. in organische/n Gedächtnisse/n, das heißt den Individuen, welche am kollektiven Erinnern partizipieren. Für Museen bedeutet dies, dass vom Erinnerungsakt z.B. in Form des Museumsbesuchs als individuellem Erinnerungsakt die Rede sein kann. 37 Diese werden stets nur in den Akten kollektiver Erinnerung sichtbar; der ‚Bestand‘ des kollektiven Gedächtnisses scheint also in Erinnerungsakten auf, lässt sich aber nicht hinreichend feststellen, da er sich im ständigen Wandel befindet und in den einzelnen Erinnerungsakten nie alle potentiellen Erinnerungen erinnert werden.

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Annahme – mehrere sich ergänzende wie konkurrierende kollektive Gedächtnisse gibt.38 Dies spiegelt sich in der Wahl des Plurals von Erinnerungskultur(en). Die Vorstellung von Erinnerungsgemeinschaften ist dabei stets als konstruiert zu denken, es wird ebenso wenig möglich sein, abgrenzbare Gruppen zu identifizieren wie klar umrissene kollektive Gedächtnisse. Die Konstruiertheit ermöglicht es jedoch, in metaphorischer39 Weise zu umschreiben, wie Kultur im Sinne von Gedächtnis denkbar wird. Bedeutsam ist diese Annahme, weil sie zu erklären vermag, wie es zur Einrichtung von Museen und Gedenkstätten für lediglich regional bekannte Autorinnen und Autoren kommt, die nicht zum nationalen Kernkanon gehören – so schwierig dieser auch letztlich zu bestimmen sein mag. Die Schwerpunktverlagerung vom Gedächtnis auf Erinnerungskulturen, wie Erll sie beschreibt, verdeutlicht zudem, dass das Gedächtnis als nicht beobachtbares „Gewebe aus materialen, mentalen und sozialen Phänomenen der Kultur“ (Erll 2003, S. 37) besteht und erst in den Erinnerungskulturen ihren Ausdruck findet. Erinnerungskulturen zu beschreiben, bedeutet entsprechend, nicht nur die erinnerten Inhalte, sondern auch die Träger, die partizipierenden Individuen sowie die historischen Kontexte und Bedingungen zu schildern. Erinnerungskulturen sind also die geteilten Umgangsweisen mit Vergangenem (vgl. Berek 2009, S. 39).

38 Erll (2003, S. 44-53) spricht zudem vom ‚kollektiven‘ anstelle des ‚kulturellen‘ Gedächtnisses, da die Differenzierung in das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis verschiedene Unterscheidungsebenen vermische, die getrennt betrachtet werden müssten. So handelt es sich scheinbar um eine inhaltliche Trennung bei der Assmannschen Ausdifferenzierung in kommunikatives und kulturelles Gedächtnis, doch macht Erll anschaulich, dass es sich den Unterscheidungsmerkmalen zufolge vielmehr um eine Aufteilung nach Modi des Erinnerns handle. Dies hat zur Folge, dass die Inhalte der beiden Gedächtnisarten nicht verschieden sein müssen, die Art des Erinnerns demgegenüber schon. Charakteristisch für das kommunikative Gedächtnis sei, dass es sich auf einen „Nahhorizont“ (ebd., S. 50) beziehe und in Bezug auf eine soziale Gruppe und ihren (begrenzten) Horizont „sozialen Sinn“ (ebd.) erzeuge. Das kulturelle Gedächtnis verorte sich im „Fernhorizont“ (ebd.) und produziere in Anbetracht seiner (Geltungs-)Reichweite „kulturellen Sinn“ (ebd.). Eine ähnliche Kritik findet sich auch bei Berek, der ebenso bevorzugt, von zwei Modi des kollektiven Gedächtnisses zu sprechen, anstelle von verschiedenen inhaltlichen Bereichen (vgl. Berek 2009, S. 45). 39 Erll erläutert, dass es sich bei der Metapher des Gedächtnisses in erster Linie um Übertragungen von der Kognitionspsychologie auf die Beschreibung kultureller Phänomene handelt: Annahmen bezüglich des individuellen menschlichen Gedächtnisses werden übertragen auf gesellschaftliche Gruppen und ihr Gedächtnis sowie Erinnern (vgl. Erll 2003, S. 35).

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Literarische Museen sind demgemäß als Formen institutionalisierter Erinnerung zu denken, die einen Teil des kulturellen Gedächtnisses spiegeln. Zudem zeigen sich in der Geschichte und den Entwicklungen auch die Prozesse, die literarische Museen durchlaufen (haben). Es werden in der empirischen Untersuchung folglich erstens der gegenwärtige Zustand – der ‚Bestand‘ – des kulturellen Gedächtnisses im Bereich der literarischen Museen untersucht, und zweitens die Prozesse und Stufen, die durchlaufen wurden, bis das Museum in der gegenwärtigen Form aus den historischen Entwicklungen hervorgegangen ist. Ausstellungen als Manifestationen kollektiver Erinnerungsakte repräsentieren einen Teilbestand des kulturellen Gedächtnisses; die Etablierungsprozesse literaturmusealer Einrichtungen belegen beispielhaft, wie die Institutionalisierung über erste Selektionsprozesse bis hin zur Einrichtung von Museen verläuft. Abb. 1: Modell zum kollektiven Gedächtnis und zu Erinnerungskulturen

Quelle: Erll 2003, S. 37

Schließlich wird – analog zu Vorstellungen von impliziten und expliziten Gedächtnissystemen in der Kognitionspsychologie – auch das kollektive Gedächtnis entsprechend ausdifferenziert. Unter dem impliziten Gedächtnis versteht Erll „Phänomene wie [die] nicht gesteuerte[...] Wiederkehr von Wissensbeständen und Ausdrucksformen“ (Erll 2003, S. 41). Dazu rechnet sie beispielsweise die von Aby Warburg beschriebenen ‚Pathosformeln‘.40 Das explizite Gedächtnissystem ist wiederum zu unterteilen in ein semantisches und ein autobiographisches Gedächtnis.

40 Vgl. zur Renaissance Aby Warburgs und der Wiederkehr bestimmter ‚Bilder‘ beispielsweise Michael Diers 1995, S. 79-94.

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Dabei handelt es sich um Verfahrenssysteme (Modi) des Erinnerns: Während das kollektiv-semantische Gedächtnis „Verfahren der kulturellen Wissensorganisation und -speicherung bezeichnet“ (Erll 2003, S. 39), dient das kollektivautobiographische Gedächtnis der „Selbstbeschreibung einer Kultur“ (ebd.) und damit der Identitätsstiftung. Die Inhalte können somit durchaus Teil beider Gedächtnissysteme sein, allerdings unterliegen sie unterschiedlichen Aktualisierungsbedingungen. Aktualisierungen des kollektiv-semantischen Gedächtnisses sind weit weniger emotional und folgen rationaleren Kategorisierungen und Mechanismen, als dies beim autobiographischen Gedächtnis der Fall ist, auf das sich problematische Inhalte delegitimierend auswirken können. Handelt es sich bei dem aktualisierten Vergangenen also mehr um fundierende, identitätsstiftende Erinnerungen, mit denen konkrete und verbindliche Normen, Werte, Vorstellungen und Deutungsmuster einhergehen, ist vom autobiographischen Gedächtnis bzw. Erinnerungsmodus zu sprechen; erfolgt die Aktualisierung im Sinne von aufgerufenem, relativ bedeutungsneutralem Wissen, so ist das semantische Gedächtnis gemeint.41 Zur Beschreibung der Erinnerungsformen literaturmusealer Einrichtungen ist diese Unterscheidung in Modi des Erinnerns von immenser Bedeutung, sobald es zu Störungen innerhalb der Erinnerung kommt. Indem nämlich im Erinnerungsmodus des semantischen Gedächtnisses identitätsstiftende Momente in den Hintergrund treten, ermöglicht es auch die Erinnerung solcher Ereignisse, die sich delegitimierend auswirken können – so zum Beispiel die im Nachhinein aufgedeckte Vergangenheit Erwin Strittmatters im nationalsozialistischen Deutschland (vgl. dazu Kap. 8.2.1).

3.3 ZUR BEDEUTUNG DES VERGESSENS IM LITERATURMUSEALEN KONTEXT Eine konstitutive Voraussetzung für die Ermöglichung von Erinnerung ist stets das Vergessen. Während das Erinnern sich durch Aktualisierung und Wiederholung auszeichnet, sind „Ignorieren, Übersehen und Übergehen [...] Ausgangspunkte des Vergessens“ (Dimbath 2011, S. 300). Soll erklärt werden, unter welchen Bedingungen und warum es zu Schließungen im literaturmusealen Feld kommt, so müssen im erinnerungstheoretischen Kontext Erklärungen aus dem Bereich des Vergessens herangezogen werden, da durch sie erklärbar wird, unter welchen Umständen zuvor Erinnertes verschwindet. Wenngleich das ‚Vergessen‘ weit schwieriger greifbar zu machen ist als die Erinnerung bzw. das Erinnern, denn:

41 Vgl. dazu auch Erll 2003, S. 40. Sie führt als Beispiel die Geschichtswissenschaft an, die je nach ihrer Funktion (Wissen oder Erinnerung) dem semantischen oder dem autobiographischen Gedächtnis zugeordnet werden kann.

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„Allen diesen Strategien des Vergessens [Butzer/Günter nehmen hier Bezug auf die im Folgenden zu erläuternden Strategien nach Lachmann und von Heydebrand; ARH] ist somit gemein, dass die kulturellen Zeichen niemals vollständig gelöscht werden können, sondern in der einen oder anderen Weise erinnerbar bleiben“ (Butzer/Günter 2004a, S. 12).

Ebendiese „Paradoxie von der Notwendigkeit und zugleich der Unmöglichkeit des Vergessens“ (Butzer/Günter 2004b, S. 233) macht die Rede vom Vergessen zu einem solchermaßen komplexen Phänomen, bei dem es nicht bloß um Löschung – vor allem nicht endgültiges, keine Spuren hinterlassendes Löschen – gehen kann. Nichtsdestotrotz liegen einige Ansätze vor, die ‚kulturelles Vergessen‘ zu erklären bzw. zu systematisieren versuchen. Sie sollen im Folgenden herangezogen werden, um mögliche Erklärungen für Schließungen von literarischen Museen und Gedenkstätten zu geben. So geht Vergessen (im kulturellen Kontext) mit einem Bedeutungsverlust einher. Auf welche Weisen sich ein solcher Bedeutungsverlust vollziehen kann, hat Renate Lachmann beschrieben. Sie unterscheidet vier Formen des Vergessens: 1. Desemiotisierung, 2. Verdrängung, 3. Umsemantisierung und 4. Löschung (vgl. Lachmann 1991, S. 112-117). Die Desemiotisierung bezeichnet den Vorfall, dass ein Zeichenträger seine Bedeutung verliert, nicht aber, dass diese auch gelöscht würde. Es kann folglich zur Resemiotisierung kommen. Die Verdrängung stellt eine „Transpositionsarbeit“ (ebd., S. 115) nach einem einschneidenden Ereignis dar, infolgedessen das nicht mehr akzeptable Zeichen in ein akzeptables überführt wird. Dies hat zur Folge, dass das inakzeptable Zeichen stets latent vorhanden ist und wieder an die Oberfläche treten kann. Die Umsemantisierung meint die Umdeutung kultureller Zeichen und Werte. Sie wird notwendig, wenn sich die jeweiligen zeitgenössischen Konstituenten verändern und eine Konversion erforderlich wird. Hierunter fällt bspw. auch das Umschreiben der Geschichte; es werden also „Deckerinnerungen“ (ebd., S. 116) eingesetzt, um die vorherigen zu übertünchen. Als letztes besteht Lachmann zufolge die Möglichkeit des Löschens von Zeichenträgern, was deren materieller Vernichtung entspricht.42 Das desemiotisierte Zeichen, das aufgrund seines Bedeutungsverlustes vergessen gehen kann, ist dabei als weitaus weniger problematisch anzusehen als das Gelöschte, da letzteres „strukturelle und semantische Spuren hinterläßt“ (ebd., S. 117) und damit potentiell zum Störfaktor werden kann. Renate von Heydebrand diagnostiziert darüber hinaus eine fünfte Form des Vergessens: die Nicht-Semiotisierung. Dies ist ihr zufolge historisch betrachtet vor allem bei weiblicher Literatur der Fall gewesen, die, dadurch, dass sie nicht ins Bewusstsein einer erinnerungsfähigen Gruppe gelangte, weder er-

42 Prinzipiell muss allerdings bereits an dieser Stelle die Frage gestellt werden, ob nur solche Literatur als ‚gelöscht‘ angesehen werden darf, die materiell vernichtet wurde, oder ob auch solche dazu zu rechnen ist, die lediglich zensiert bzw. verboten wurde.

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innert noch vergessen werden konnte (vgl. von Heydebrand 1999, S. 136-155), sondern schlicht von vorneherein marginalisiert wurde. Diese Formen des Vergessens kommen auch als Ursache für Schließungen literaturmusealer Einrichtungen in Frage. Dazu gibt Tabelle 2 einen Überblick. Anzumerken ist, dass speziell die Verdrängung als ein Mechanismus des Vergessens jedoch tendenziell eher in Bezug auf einzelne Inhalte vorkommt, die in Ausstellungen ausgeschlossen werden können und nicht die Schließung eines ganzen Museums zur Konsequenz haben müssen.43 Tab. 2: Formen des Vergessens in der literaturmusealen Erinnerung Formen des Vergessens Desemiotisierung (z.B. Dekanonisierung44) Verdrängung (z.B. aufgrund der Verstrickung eines Autors bzw. einer Autorin in NS-Verbrechen)

Art der (potentiellen) Schließung Abnahme der Bedeutsamkeit bis hin zur Schließung abrupter Bedeutungsverlust, der zu strukturellen Veränderungen oder auch zu Schließungen führt

Umsemantisierung (Umdeutungen von Werten und damit einhergehender Bedeutungsverlust von Autor/innen und ihrer Literatur; ggf. auch nur einzelner Aspekte) Löschung (Vernichten der Erinnerung an nicht systemkonforme Schriftsteller/innen und ihre Literatur) Nicht-Semiotisierung (nicht in institutionalisierter Form erinnerte Autor/innen

zeitlich versetzte, teils schleichend einsetzende Schließungen/ Schließungsprozesse

unmittelbares Auflösen und ggf. endgültige Vernichtung aller materiellen Spuren es kommt nicht zur Gründung eines Museums bzw. einer Gedenkstätte

43 Die Nicht-Semiotisierung, wie sie von Renate von Hildebrand beschrieben wird, findet sich im musealen Bereich nicht in Form von Museumsschließungen, jedoch kann diese Form des „(Nicht-)Vergessens“ auf Schriftsteller/innen und ihre Literatur bezogen werden, an die überhaupt nicht erst erinnert und die somit auch nicht vergessen wurden. 44 Zur Dekanonisierung literarischer Texte vgl. Hermann Korte (2005, S. 6-21), der diese zwar als eine Art von Vergessen versteht, nicht aber von Löschen. Vielmehr beschreibt Korte Dekanonisierung (unter Bezugnahme auf Klopstock) als einen Abwanderungsprozess vom Funktionsgedächtnis in das Speichergedächtnis, mit dem eine Abnahme aktualisierender, lebensweltlicher Bezugnahmen und eine Historisierung des Autors/der Autorin einhergehen (können). Da es also nicht zu einer Löschung, sondern nur zu einem Verschieben in das Speichergedächtnis kommt, kann der Autor/die Autorin in das Funktionsgedächtnis wiederaufgenommen und rekanonisiert werden.

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Desemiotisierungen, die dazu führen, dass Inhalte ihre kulturelle Bedeutsamkeit verlieren, hängen im Bereich der Literatur häufig mit De-Kanonisierungsprozessen oder abnehmenden Popularitätsmechanismen zusammen. Die Aufmerksamkeit, die ihnen vorher zuteil wurde, wird ihnen mit dem Bedeutungsverlust zunehmend abgesprochen. Sie geraten schrittweise in Vergessenheit, sind aber potentiell – ähnlich dem Speichergedächtnis – latent im Hintergrund vorhanden und können wieder resemiotisiert werden. Verdrängungen hingegen gehen nicht mit schrittweisem Bedeutungsverlust einher, sondern erfolgen nach maßgeblichen Einschnitten und Zensuren, wie sie Systemwechsel darstellen können. Verdrängungen, die zu Schließungen geführt haben, liegen bisher offensichtlich nicht vor,45 indes könnten langsam vor sich gehende Schließungsprozesse46 oder zumindest abnehmende Aufmerksamkeit und Resonanz, wie sie sich im Falle des Kolbenheyer-Archivs manifestieren, Verdrängungsphänomene darstellen.47 Hingegen führten Umsemantisierungen, wie wir sie bezüglich der Werte Humanität und Gleichheit der Menschen und der Religionen mit der Etablierung des NS-Systems historisch beobachten konnten, durchaus zu Schließungen. Insbesondere für Schließungen, die als Löschung verstanden werden können, finden sich in der Geschichte mehrfach Beispiele: So wurde das Karl-Marx-Haus 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten geschlossen und erst 1947 wiedereröffnet; ähnliches gilt für das Nietzsche-Archiv, das – 1902 eingerichtet – während der Zeit der DDR geschlossen wurde und für DDR-Bürger weitestgehend unzugänglich blieb (vgl. A. Seemann 2012, S. 369f.). Jedoch „bedeutet Vergessen keinen vollständigen Akt der Löschung“ (Wetzel 2011, S. 45): Nach der Wende erfolgte seine Wiedereröffnung. Schließung und Wiedereröffnung gehen hier einher mit den jeweiligen Systemwechseln. Problematisch erscheint angesichts der Wiedereröffnungen der gewählten Beispiele, ob tatsächlich von Vergessen die Rede sein kann. Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass Vergessen nur in seinem Paradoxon, dem Bewusstwerden über das Vergessen und damit dem

45 Jedoch gab es Verdrängungen, die innerhalb von Ausstellungen wirksam wurden. Dies wird im Rahmen der Einzelfallanalyse der Strittmatter-Gedenkstätte noch ausführlich darzustellen sein. 46 Es wird sich als aufschlussreiche Beobachtung herausstellen, unter welchen Umständen Museen, die bereits gegenwärtig nur sehr begrenzte Öffnungszeiten vorzuweisen haben und ausschließlich von ehrenamtlich tätigen Personen geführt werden, in Zukunft Bestand haben werden. Es kann angenommen werden, dass die lokale Verankerung und Bedeutung eine nicht unerhebliche Rolle spielen werden. 47 Erwin Guido Kolbenheyer als ein Autor mit nationalsozialistischem Hintergrund unterliegt zunehmend Verdrängungseffekten, wie sie in Form der Umbenennung einer Straße, die nach ihm benannt war, oder der lediglich auf Anfrage erfolgenden Öffnung bzw. Zugänglichmachung des Kolbenheyer-Archivs sichtbar werden.

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Nicht-Vergessen, manifest wird, löst sich die Schwierigkeit, indem zum Beispiel temporäres Vergessen wieder zu Erinnerung führen kann. Zudem darf in Bezug auf das Löschen nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich um ein intendiertes Vergessen handelt, das systembedingt erfolgt, und Vergessen, gleich welcher Art, nicht gleichbedeutend ist mit dem ohne Spuren hinterlassenden Vernichten. Schließlich hinterlässt alles, was jemals zur Wirkung kam oder gebracht wurde, auf irgendeine Weise Spuren. Die Nicht-Semiotisierung führt zwar nicht zu Schließungen, da die Schriftsteller/innen und ihre Literatur überhaupt nie ins kulturelle Gedächtnis vorgedrungen sind und erinnert wurden, doch lässt auch sie sich auf die literaturmuseale Landschaft beziehen, indem sie ein Beispiel für nicht institutionalisierte Erinnerung gibt. Nicht alle oben aufgeführten Ursachen führen allerdings zwangsläufig und immer zu Schließungen: Manche Museen oder Gedenkstätten werden mit anderen, zuvorderst Heimatmuseen, zusammengelegt, so dass es nicht zu einer Abschaffung der institutionalisierten Erinnerung kommt, aber eine kostengünstigere, pragmatischere Alternative im Zweckverbund angestrebt wird – so wurde beispielsweise die Ehm-Welk-Gedenkstätte im Jahre 2005 mit dem vor Ort ansässigen Heimatmuseum vereint. Zudem müssen Schließungen nicht mit dem Vergessen zusammenhängen: Finanzielle Probleme können ebenfalls dazu führen, dass der Museumsbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Das Schillerhaus in Dresden musste zum Beispiel von 2002 bis 2005 geschlossen werden, da zur Instandhaltung die Gelder fehlten. Hier kann – in Anbetracht des Status des Autors und seiner Literatur im Kernkanon, wenn wir an dieser Stelle von einem solchen Konstrukt ausgehen wollen – nicht geschlussfolgert werden, dass die Schließung mit einem Vergessensprozess gleichzusetzen ist. Vergessen ist im erinnerungstheoretischen Kontext folglich nur eine mögliche Ursache für Schließungen. Systemtheoretische Ansätze wählen im Gegensatz zu kultursemiotischen bereits einen gänzlich anderen Ausgangspunkt. Während letztere davon ausgehen, dass das Vergessen ein notwendiger Reduktions- und damit Selektionsprozess ist, bei dem alles vergessen wird, was für die jeweilige Erinnerungsgemeinschaft nicht relevant ist – den Ausgangspunkt folglich die Erinnerung darstellt und das Vergessen eine Art notwendiger Mangel –,48 sieht die systemtheoretische Perspektive das Vergessen als den Normalfall an. Weit bedeutsamer ist der systemtheoretische Ansatz allerdings im Hinblick auf Störungen der Erinnerung, die in der Folge nicht zwangsläufig zu Schließungen, sondern beispielsweise auch zu Restabilisierungen des Erinnerten führen können (vgl. dazu Kap. 3.4).

48 Vgl. bspw. A. Assmann 2006, S. 104-108; Erll 2005, S. 7f.

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3.4 STÖRUNGEN IN DER LITERATURMUSEALEN ERINNERUNG ZWISCHEN DESTRUKTIVITÄT UND PRODUKTIVITÄT Im vergangenen Jahrzehnt sind im erinnerungstheoretischen Kontext auch systemtheoretische Annahmen produktiv gemacht worden.49 Insbesondere im Zusammenhang mit den meisten Formen des Vergessens sind Störungen (systemtheoretisch: Perturbationen), die ebenfalls zu Schließungen literarischer Museen führen können, von Bedeutung. Störungen können aber nicht nur destruktive Auswirkungen haben, sondern auch mit sich bringen, dass Schriftsteller/innen und ihre Literatur umso fester im Gedächtnis verankert werden. Diese systemtheoretisch geprägte Annahme von der potentiellen Produktivität von Störungen scheint mit den gängigen Erinnerungstheorien zunächst wenig kompatibel, da diese einem in der Regel auf Harmonie angelegten Konzept folgen. Retrospektiv betrachtet werden in diesem Sinne Erinnerungen bzw. Vergegenwärtigungen verselbstständigt und in eine kohärente ‚Geschichtserzählung‘ eingegliedert.50 Dass Störungen nicht nur zu Vergessen in seinen verschiedensten Formen führen können, sondern auch Erinnerung befördern, wird erst unter einem systemtheoretischen Blickwinkel evident. Das Gedächtnis ist Niklas Luhmann zufolge kein Speicher bzw. Bestand, wie in der Assmannschen Theorie angenommen, sondern ein Operationsrahmen.51 Es ist

49 Vgl. dazu die von Carsten Gansel u.a. herausgegebenen Bände: Gansel, Carsten/Zimniak, Pawel (Hrsg.): Zwischenzeit, Grenzüberschreitung, Aufstörung: Bilder von Adoleszenz in der deutschsprachigen Literatur. Heidelberg: Universitätsverlag WINTER 2011; Gansel, Carsten/Zimniak, Pawel (Hrsg.): Störungen im Raum – Raum der Störungen. Heidelberg: Universitätsverlag WINTER 2012 und Gansel, Carsten/Ächtler, Norman (Hrsg.) Das Prinzip Störung in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Berlin/Boston: de Gruyter 2013. 50 Diese ‚Kohärenz‘ kann auch davon geprägt sein, sich von einem vormals existenten System deutlich abzugrenzen und abzusetzen, wie es in der Bundesrepublik Deutschland für die Nachkriegsgesellschaft in Bezug auf das nationalsozialistische Regime der Fall gewesen ist. 51 Beim Gedächtnis handelt es sich Luhmann zufolge um eine „Zusatzeinrichtung“: Das „System [benutzt] in seinen jeweils aktuellen (jeweils gegenwärtigen) Operationen eine Zusatzeinrichtung, die wir (im Anschluß an Spencer Brown) das Gedächtnis nennen können. In jedem Fall benötigt ein System, das historische Ursachen für seinen gegenwärtigen Zustand feststellen oder sich im Unterschied zu früheren Zuständen als verschieden, zum Beispiel als ‚modern‘, charakterisieren will, ein Gedächtnis, um die Unterscheidungen prozessieren zu können“ (Luhmann 1997, S. 578; Hervorh. i.O.). Luhmann führt dort weiter aus, dass es sich beim Gedächtnis nicht um einen Speicher handle, sondern um ei-

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zu verstehen als ein in der Kommunikation geteilter Rückgriff auf die Vergangenheit, der Operationen52 erleichtert, indem diese „kontextualisier[t]“ (Pethes 2008, S. 73) werden. Die Kommunikation ist dabei nur möglich, wenn der „Kommunikationsbeitrag der Operation des jeweiligen Systems zugeordnet werden kann“ (ebd.).53 Nur wenn der Beitrag als dem System zugehörig erkannt wird, besteht Anschlussfähigkeit und damit Relevanz. Mit jedem weiteren Akt von Kommunikation wird erneut entschieden, ob und, wenn ja, welcher Vergangenheitsbezug einbezogen wird. Wird auf die Vergangenheit Bezug genommen, so spricht Luhmann von Redundanz, andernfalls komme es zu Variation. Er folgert, „daß Kultur in der Tat nichts anderes ist als das Gedächtnis der Gesellschaft, also der Filter von Vergessen/Erinnern und die Inanspruchnahme von Vergangenheit zur Bestimmung des Variationsrahmens der Zukunft. [...] Kultur verhindert, anders gesagt, die Überlegung, was man anstelle des Gewohnten anders machen könnte“ (Luhmann 1997, S. 588).54

Allerdings werden Gedächtnis und Kultur nicht als positiver, bewahrter Bestand55 definiert, sondern als in der Kommunikation wirksam werdender Filter verstanden, der die jeweiligen „Entscheidungs- und Vergleichsrahmen, anhand dessen [sic!] sich eine Gesellschaft beim Entwurf ihrer Zukunft auf die Vergangenheit bezieht

ne „immer nur gegenwärtig benutzte Funktion, die alle anlaufenden Operationen testet im Hinblick auf Konsistenz mit dem, was das System als Realität konstruiert. [...] Die Funktion des Gedächtnisses besteht also darin, die Grenzen möglicher Konsistenzprüfungen zu gewährleisten und zugleich Informationsverarbeitungskapazitäten wieder frei zu machen, um das System für neue Irritationen zu öffnen“ (ebd., S. 578f.). 52 Die Operationen, die von den einzelnen (psychischen) Systemen – nicht von Individuen – vorgenommen werden, manifestieren sich in der Kommunikation und werden nur in dieser sichtbar. 53 Nicht erfolgreich sind Operationen – Kommunikation –, die nicht an das System anschließen, sondern „zur Umwelt dieses Systems gehör[en]“ (Pethes 2008, S. 73). 54 Vgl. in Anlehnung an Luhmann auch Elena Esposito: „Letztlich ist das Gedächtnis eher für den Verlust von Inhalten, denn für deren Aufbewahrung zuständig, eher für das Vergessen denn für die Erinnerung. Die Form des Gedächtnisses besteht nicht in der Identität der Erinnerung, sondern in der Differenz Erinnern/Vergessen. Gerade weil das Gedächtnis das kondensiert, was stabil bleiben soll (und deshalb wird erinnert), gestattet es, alles andere zu vergessen“ (Esposito 2002, S. 27). 55 Vgl.: „Gedächtnis ist nicht etwa Speicherung von etwas Vergangenem (wie sollte das gehen?), sondern Hinausschieben der Wiederholung. [...] Was häufiger zur Formbildung verwendet wird, wird erinnert, was nicht benutzt wird, wird vergessen“ (Luhmann 1995, S. 170).

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oder nicht (Baecker 2000)“, was den systemtheoretischen Ansatz deutlich vom erinnerungstheoretischen scheidet. Die primäre Funktion des Gedächtnisses ist hier nicht das Erinnern, sondern das Vergessen (vgl. Luhmann 1997, S. 579). Was im Wesentlichen zur Aktualisierung führt, kann mit dem Begriff der Aufmerksamkeit gefasst werden: Nur dasjenige, was sich Aufmerksamkeit zu verschaffen vermag, wird auch aktualisiert. Da Aufmerksamkeit jedoch ein knappes Gut und äußersten Schwankungen unterlegen ist, wie bereits Georg Franck herausstellte (vgl. Franck 1998, S. 50ff.), bedarf es spezieller Mechanismen, um sich diese zu sichern und für eine positive Selektion zu sorgen. In diesem Kontext sind Störungen von enormer Bedeutung, da sie diese Aufmerksamkeit und damit Kommunikation und Anschlussfähigkeit befördern (können).56 Um Aufmerksamkeit zu erregen, müssen „Reize“ (ebd., S. 52) der „Unwahrscheinlichkeit“ (Hahn 2001, S. 31) – bei Luhmann Informationen – ausgesandt werden, die durch das Hervorrufen von Irritationen und Störungen einen größtmöglichen Aufmerksamkeitseffekt zu erzielen vermögen. Franck erklärt deren Zustandekommen durch die „emotionale Voreingenommenheit“ (Franck 1998, S. 70), beispielsweise in Form von „Wut“, „Hass“ oder „Abwehr“ (ebd., S. 80), die eine involvierende Aufmerksamkeit ermögliche. Die autopoietischen Systeme müssen also auf Störungen, worunter Luhmann Informationen, Irritationen versteht (vgl. Luhmann 2009, S. 126), reagieren, indem eine Verarbeitung bezüglich der Semantiken angestoßen wird. „Störung heißt also, einen Informationsverarbeitungsprozess in Gang zu setzen, der im System operativ gehandhabt werden kann“ (ebd., S. 127). Dabei handelt es sich jedoch um einen in Gang gesetzten Prozess, der nur dadurch möglich wird, dass das System „die Differenz des Systems zu seiner Umwelt formuliert, aber natürlich nur in Begriffen des Systems. [...] Enthüllungen sind nur möglich im Horizont des schon mit Aufmerksamkeit ausgeleuchteten Raumes des Interessanten. Sie generieren diese nicht, sondern konkretisieren oder aktualisieren sie lediglich“ (Hahn 2001, S. 53f.).

Auch im kulturellen Bereich werden die Differenzen insbesondere an den Grenzen sichtbar: So sind „[k]ulturelle Zwischenräume [...] der bevorzugte Ort, in dem Stö-

56 Vgl. dazu auch die Ausführungen Alois Hahns (2001, S. 27) zum Phänomen der Aufmerksamkeit, der sich explizit auf Luhmann bezieht und mit diesem konstatiert: Luhmann „knüpft seinen Sinnbegriff an die stets nötige Selektion, die in jeder Zuwendung des Bewußtseins sich konkretisiert. Aber es handelt sich um eine Auswahl, die das aktuell nicht Gewählte nicht eliminiert, sondern lediglich in den Horizont schiebt.“ Hahn weist jedoch zu Recht darauf hin, dass Aufmerksamkeit nicht nur aus der Unwahrscheinlichkeit entsteht, sondern im häufigeren Regelfall durch „Normen“ (ebd., S. 47), die die Aufmerksamkeitslenkung regulieren.

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rungen offenbar und gegebenenfalls symbolisch ausgehandelt werden“ (Gansel 2013, S. 36). „Insofern ist Kultur über Grenzen definiert“ (ebd.). Wie auf Störungen reagiert wird, kann anschließend verschiedentlich sein: Eine Störung kann darin münden, dass das Gleichgewicht wiederhergestellt, ein anderes, alternatives Gleichgewicht gefunden wird oder „Informationsverarbeitungsprozesse [ablaufen], die auf die Kapazität des Systems abgestimmt sind“ (Luhmann 2009, S. 127). Dadurch, dass Störungen in eine Weiterverarbeitung überführt werden, die ein neues Gleichgewicht und damit eine Restabilisierung innerhalb eines Systems produzieren, können jene nicht als bloß destruktive Elemente angesehen werden. Carsten Gansel hat diese systemtheoretischen Annahmen in den erinnerungstheoretischen Kontext überführt, indem er die graduellen Differenzen zwischen Destruktivität und Produktivität von Störungen herausgestellt hat: 1. „‚Aufstörung‘ im Sinne von Aufmerksamkeit erregen, integrierbar / restitutiv. 2. ‚Verstörung‘ im Sinne einer tiefgreifenden Irritation, reparierbar / regenerativ. 3. ‚Zerstörung‘ im Sinne nachhaltiger Umwälzung, nicht integrierbar / irreversibel“ (Gansel 2011, S. 46).

Die Informationsverarbeitungsprozesse führen demgemäß je nach dem Grad und der Vehemenz der Störung in eine Integration der Informationen oder in eine modifizierende Restabilisierung, was entweder wiederum Redundanz oder Varianz zur Folge hat. Welches Ausmaß die Störungen annehmen, hängt von dem jeweiligen System, in dem sie auftreten, und den mit dem System in Übereinstimmung zu bringenden Möglichkeiten ab. Als Beispiel, an dem Gansel zeigt, wie ein Werk zur Störung im Handlungssystem Literatur führen kann, wählt er Erwin Strittmatters Roman Der Wundertäter III (1980) aus, der im Jahre 1980 in der ehemaligen DDR erschien (vgl. Gansel 2013, S. 49ff. sowie ders. 2012, S. 173ff.). In diesem wird in der sogenannten Risse-Geschichte die Vergewaltigung einer Frau durch sowjetische Soldaten geschildert. Besonders diese Episode wurde im Laufe des Publikationsprozesses zu einem Politikum. So wurden im Auftrag der Kulturabteilung des ZK der SED gleich mehrere Gutachten zu Strittmatters Erzählung angefertigt, die zu unterschiedlichen Urteilen kamen. Kurt Hager, der Leiter der Kulturabteilung des ZK, kümmerte sich schließlich persönlich um den Fall und nahm sogar Kontakt zu Erich Honecker auf (vgl. Gansel 2013, S. 52ff.). Dass Strittmatter mit seinem Roman eine Störung erzeugt habe, macht Gansel v.a. an der Aufmerksamkeit fest, die dem Wundertäter im Laufe des Verfahrens zur Druckgenehmigung zukam: „Wenn die gesellschaftlichen Instanzen der DDR – wie in diesem Fall die von Kurt Hager geführte Abteilung Kultur des ZK der SED – Erwin Strittmatter, seinem Roman und den darin dargestellten Problemen eine solche Aufmerksamkeit widerfahren ließen, ja über viele Monate bemüht waren, den Autor zur Veränderung der ursprünglichen Textfassung zu bewegen,

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dann konnte dies nur bedeuten, dass vor dem Hintergrund der gültigen politischen wie literarischen Vereinbarungen, der gesetzten Normen und Werte und der verfügten politischen Verbindlichkeiten der Text in den Status einer Irritation geraten war und als Störung bewertet wurde“ (ebd., S. 53).

Strittmatter nahm schließlich deutliche Veränderungen an dem Roman vor (vgl. ebd., S. 55), so dass er 1980 erscheinen konnte – dadurch sollte es bei einer Aufstörung des Handlungssystems Literatur bleiben. Für literaturmuseale Einrichtungen können Störungen existenzbedrohend werden. Dies gilt insbesondere für Störungen, die irreversibel sind und einer „Umwälzung“ (Gansel 2011, S. 46) nahekommen. Im Hinblick auf die Vehemenz der Störung scheint eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen, ob eine Störung mit einem gesellschaftspolitischen Systemwechsel auftritt und sie womöglich erst durch diesen hervorgerufen wird, oder ob sie unvermittelt innerhalb eines bestehenden Systems vorkommt. Im Extremfall kann eine Störung dann auch die Schließung der musealen Einrichtung zur Folge haben. Weiter zu untersuchen wäre jedoch, ob bei einem (gesellschaftspolitischen) Systemwechsel eine auftretende Störung häufiger mit der Schließung einer Einrichtung beantwortet wird als bei Störungen, die innerhalb eines (fort-)bestehenden Systems auftreten. So wurde bspw. das LessingMuseum in Berlin 1936 im Zuge eines Systemwechsels geschlossen. Der Grund jedoch, der zur Schließung führte, ist – wie sich an diesem Beispiel zeigt – nicht immer zwangsläufig beim Autor zu suchen. Während das Lessing-Museum in Kamenz seine Arbeit zur Zeit des Nationalsozialismus weitgehend unbehelligt fortführen konnte, war das Berliner Lessing-Museum den Nationalsozialisten insbesondere deshalb ein Dorn im Auge, weil seine Träger überwiegend jüdisch waren. Wie Lisa Balihar nachgewiesen hat, setzte sich der Trägerverein des Berliner LessingMuseums Anfang der 1930er Jahre überwiegend aus Juden zusammen, so dass er mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht arisiert wurde wie viele andere, sondern Nicht-Juden sich aus ihm zurückzogen (vgl. Balihar 2011, S. 37). Störend wirkte sich hier folglich nicht in erster Linie das Erinnerungskonstrukt zum Autor aus, sondern in Folge des Machtwechsels im politischen System die Trägerschaft des Museums. Indem dieser die finanziellen Mittel zum Betreiben des Museums entzogen wurden, wurde letztlich die Schließung des Museums herbeigeführt (vgl. ebd.). Störungen – wie Skandale – im literaturmusealen Feld sollten insbesondere deshalb weitergehend untersucht werden, um dadurch mehr über die Mechanismen in der Praxis der Erinnerungsarbeit (musealer Einrichtungen) sowie über die Grenzen des Erinnerbaren zu erfahren. Indem Störungen vor allem an den Systemgrenzen auftauchen, vermögen sie deutlich zu machen, wie Selektionsmechanismen innerhalb der kulturellen Erinnerung funktionieren. Da für die Institutionalisierung von Autorinnen und Autoren in Form von Museumsgründungen und den Fortbestand

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dieser die Beförderung und Unterstützung ebenso bedeutsam sind wie Störungen, die einen aktiv gepflegten Einbezug in das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft befördern, verhindern oder sogar für das Vergessen Sorge tragen können, soll dieser systemtheoretisch begründete Ansatz in Erweiterung zu den in dieser Arbeit zugrunde gelegten erinnerungstheoretischen Paradigmen Beachtung finden und diese ergänzen. Dass Störungen zugleich existenzbedrohend und förderlich für eine Einrichtung sein können wird am Beispiel der Strittmatter-Gedenkstätte in Kap. 8.2.1 noch zu zeigen sein.

3.5 LITERATURMUSEALE EINRICHTUNGEN – ZWISCHEN TRADITION UND MCDONALDISIERUNG Als ein wesentlicher Kritikpunkt der Theorie des kulturellen Gedächtnisses gilt die Sakralisierung der Gedächtnisinhalte, der innerhalb der Theorie eine besondere Bedeutung zukommt. In Arbeit am nationalen Gedächtnis stellt A. Assmann die „KoEvolution“ der Sakralisierung und Verwissenschaftlichung von Kunst und Geschichte heraus (vgl. A. Assmann 2001, S. 21 sowie dies. 1993, S. 46). Dort erörtert sie, dass es mit dem Bedeutungsverlust der Religion(en) in Folge der Aufklärung zu einer Verschiebung der Sakralität gekommen sei, welche von diesem Zeitpunkt an auf die Nation ausgerichtet war. Die Bildungsidee sei damit gleichermaßen zur neuen Religion geworden. Ihre Inhalte bezögen sich auf kanonische Klassiker, deren Auswahl am nationalen Mythos ausgerichtet werde. Anstelle der Bibel würden Kanones von Literatur zusammengestellt, an deren Idee bereits Goethe mitgewirkt habe, indem er den Vorschlag Niethammers aufgegriffen und Prinzipien für eine national-literale Bibel, ein Volksbuch entworfen habe (vgl. A. Assmann 1993, S. 36f.). Und auch bei allen späteren etwaigen Bestrebungen bleibe die Bibel „das Modell“ (ebd., S. 38).57 Diese Entwicklung der Sakralisierung von Kunst und Literatur bringe die Notwendigkeit mit sich, diese angemessen zu (re-)präsentieren. Die Texte würden daher wiederholt rezipiert und ihre Bedeutsamkeit mit Bezug auf die Gegenwart und Zukunft der Nation ausgelegt. Neben den Texten selbst würden die Dichter/innen verehrt, es entstehe ein regelrechter Personenkult. Aus dieser Entwicklung heraus, wie A. Assmann sie beschreibt, ist es nur folgerichtig, dass Denkmäler aufgestellt und Dichterfeiern begangen werden (vgl. ebd., S. 60f.). Hier schließen sich die Ein-

57 Diese These wird bei A. Assmann durch das Aufkommen von Klassiker-Ausgaben, welche die Grundlage für die Ausstattung privater Bibliotheken bildeten, sowie Sammlungen von geflügelten Worten und Zitaten, die bis heute oftmals als Indiz für (literarische) Bildung gewertet werden, gestützt (vgl. A. Assmann 1993, S. 63).

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richtung von Gedenkräumen oder die Erhaltung der ehemaligen Wohn- bzw. Schaffensstätten der Dichter/innen an, die als sakral-säkulare Tempel fungieren. Literarische Museen und Gedenkstätten können aus der Assmannschen Perspektive somit als sakrale ‚Tempel‘ für Dichter/innen und ihre Texte betrachtet werden. Dass diese Tempel in Teilen Kirchen ähneln mögen, scheint auch in den an verschiedenen Stellen zu findenden Beschreibungen der Besuchspraktiken dieser wie jener auf: Die ‚idealen‘ Besucher/innen verhalten sich leise und andächtig,58 sie reden (auch aus Rücksichtnahme auf andere Besucher/innen) nicht, sie sind geduldeter Gast.59 Im Museum werden zwar anstelle heiliger auratische Gegenstände zur Anschauung dargeboten, allerdings erfahren sie in ihrer exponierten Ausstellung eine Sakralisierung. Der Ort selbst – oftmals ein authentischer Ort, an dem der/die Dichter/in geboren wurde, arbeitete oder lebte – ist Kontaktzone des Allerweltlichen zu einer gottähnlichen Figur, dem/der Dichter/in ‚persönlich‘. In einer seiner soziologischen Studien beschreibt Pierre Bourdieu auf besonders eindrückliche Weise, inwiefern Museen als bildungsbürgerliche Tempel oder Kirchen erscheinen. „Alles, aber auch alles in diesen bürgerlichen Tempeln, in denen die bürgerliche Gesellschaft deponiert, was sie an Heiligstem besitzt, nämlich die ererbten Reliquien einer Vergangenheit, die nicht die ihre ist, in diesen heiligen Stätten der Kunst, die einige Erwählte aufsuchen, um den Glauben an ihre Virtuosität zu nähren, während Konformisten und Philister hier pilgern, um einem Klassenritual Genüge zu tun, alles in diesen ehemaligen Palästen oder großen historischen Wohnsitzen, denen das neunzehnte Jahrhundert imposante, oft im graecoromanischen Stil der bürgerlichen Heiligtümer gehaltene Anbauten hinzufügte, besagt schließlich nur das Eine: daß nämlich die Welt der Kunst im selben Gegensatz zur Welt des alltäglichen Lebens steht wie das Heilige zum Profanen“ (Bourdieu 1970, S. 199).

Gegenwärtig stellen sich die Tendenzen musealer Ausstellungspraxis jedoch – vermutlich gerade in Anbetracht der von A. Assmann beschriebenen Unzulänglichkeit der Masse der Besucher/innen60 – diesem Phänomen von Sakralität zum Teil gegen-

58 Vgl. dazu auch Bourdieu, der Museen als Orte beschreibt, die die „Unberührbarkeit der Gegenstände, die feierliche Stille“ präsentieren (1970, S. 199). 59 Vgl. auch Christina Didier 1991, S. 45, die in dieser Hinsicht das Goethe-Museum der 1960er Jahre kritisiert. 60 Die sakral anmutenden Ausstellungen, welche sich noch am (Selbst-)Bild des gebildeten Bürgerlichen des 19. Jahrhunderts zu orientieren scheinen, schließen (und schlossen schon immer) die Mittel- und Unterschicht aus; dieser Ausschlussmechanismus, der zudem die Selbstwahrnehmung ersterer und ihre Distinktion gegenüber letzteren noch verstärkte, kann denn auch als entscheidender Faktor verstanden werden, der bereits im 19. Jahrhundert verhinderte, dass die Museen die Bildung und Beförderung der Idee der

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läufig dar.61 Andächtige Stille und Anschauung werden ausgetauscht gegen Auseinandersetzung, (Inter-)Aktivität, Erlebnis.62 Es kommt zu einer „Entmythologisierung des traditionellen Kulturverständnisses“ und „[z]um Bildungsanspruch gesellt sich der Unterhaltungswert“ (Opaschowski 2004, S. 264; Hervorh. i.O.). Zur Beschreibung literaturmusealer Erinnerung stellt ein theoretischer Ansatz, der diese primär in einen sakralen Kontext einordnet, kein hinreichendes Hilfsmittel dar. Aus diesem Grund wird der Einbezug solch theoretischer Annahmen notwendig, die Kultur nicht nur als sakralisierten, sondern auch vermarkteten Bereich ansehen. Der Soziologe Gerhard Schulze geht bspw. davon aus, dass sich seit den 1950er Jahren eine Rationalität der Erlebnisnachfrage entwickelt habe (vgl. Schulze 2005, S. 425). Damit sei auch eine neue Aufgabe an die museale Landschaft gestellt worden, die seitdem entsprechende Erlebnisangebote zu machen habe. Rationalität im Sinne Schulzes darf in Bezug auf Erlebnisnachfrage allerdings nicht missverstanden werden als kalkulierbares Gut, über das eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellbar wäre, da „erlebnisorientierendes Handeln oft gerade nicht abwägend, sondern betont spontan inszeniert wird, weil der Erlebnisnutzen für den Handelnden zu ungreifbar ist“ (ebd., S. 429) und die Motive und Motivationen im Subjekt begründet liegen. Erlebnisrationales Handeln beginnt Schulze zufolge, „[s]obald wir den unentrinnbaren Strom der Erlebnisse nicht mehr hinnehmen, wie er gerade kommt, sondern selbst zu regulieren versuchen“ (ebd., S. 430). Dabei bleibt das gewünschte und erhoffte Erlebnis sowohl zuvor als auch hernach nicht konkretisierbar, lediglich um-schreibbar.63

Nation in den unteren Schichten voranzutreiben vermochten. Vgl. dazu u.a. A. Assmann 1993, S. 43, 66. 61 Vgl. dazu auch Bernhard Zeller (1991, S. 42), der feststellt, dass die mit Pietät zusammengestellten Sammlungen von Erinnerungsstücken ausgedient hätten. 62 Horst W. Opaschowski (2004, S. 278; Hervorh. i.O.) betont bezüglich der Erlebnis- im Vergleich zur Bildungskultur, dass es auf die „soziale Dimension“ ankomme: „Erlebnispsychologisch gesehen werden Museums- und Konzertbesuche, Literaturstudien und Vorträge als traditionelle Kultur (=‚reine‘ Bildung) empfunden, wenn sie allein genossen werden. Breitenkultur beginnt jedoch mit dem Unterhaltungswert, wenn also eine kulturelle Veranstaltung in Gesellschaft erlebt wird.“ 63 Über Erlebnisse vermögen wir zu sagen, dass sie spannend, aufregend, lustig, gruselig, schön, traurig oder schlicht langweilig sind, was sie allerdings aus welchen Gründen genau dazu qualifiziert – und ob das auch für andere so sein würde –, lässt sich nicht vollends verbalisieren bzw. hinreichend feststellen.

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In die Diskussionen wurden daher die Begriffe der Disneysierung64 oder McDonaldisierung65 von Museen eingebracht. Während unter der Disneysierung im Allgemeinen „eine Vermarktung von Erlebnissen“ (Kirchberg 2005, S. 60) verstanden wird, greift der Begriff der McDonaldisierung weiter, indem er nicht nur auf den touristischen (Konsum-)Bereich bezogen wird. „Postmoderne McDonaldisierung bedeutet die effiziente Inszenierung von Symbolen zum Zwecke der Profiterzielung durch die Suggestion zum Kauf der hinter den Symbolen stehenden Produkte und Dienstleistungen. McDonaldisierte Einrichtungen reproduzieren diese Symbole in den Medien dabei so intensiv, dass sie als real wahrgenommen werden“ (ebd., S. 57).

Volker Kirchberg, Professor für Soziologie der Künste, überträgt die global funktionierende Theorie der McDonaldisierung der Gesellschaft auf Museen und arbeitet in diesem Zuge zwei sich skalenartig gegenüberstehende Ausprägungen von musealen Einrichtungen heraus: McDonaldisierte und traditionelle Museen, wobei erstere primär als besucherorientierte For-Profit-Organisationen zu verstehen seien und letztere vornehmlich als wissenschaftstreue Non-Profit-Organisationen. Merkmale von McDonaldisierung bei Museen sind ihm zufolge (vgl. ebd., S. 64-82): 1. Effizienz: Diese meint die „Formalisierung interner Organisationsstrukturen zu-

gunsten der Optimierung der Zielerreichung“ (ebd., S. 64). Tendenziell gelte, dass Museen, die Zielformulierungen entwickeln und diese mit einem „optimalen Mitteleinsatz“ (ebd., S. 67) umzusetzen versuchten, effizienter konkrete Ziele verfolgten. Hier scheiden sich bereits die Vorstellungen der Akteure in der musealen Landschaft in diejenigen, die wirtschaftlich effizient und besucherorientiert arbeiten (wollen), und die demgegenüber zuallererst wissenschaftlich orientierten.

64 Der durchaus provokante Begriff ist beispielsweise zu finden bei Ulbricht, Justus H.: Weimar – „deutscher Erinnerungsort“ oder nur „Disneyland für Deutschlehrer“? In: Der Deutschunterricht 61 (2009). H. 2, S. 11-19; Hochreiter, Walter: Vom Musentempel zum Lernort. Zur Sozialgeschichte deutscher Museen 1800-1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994, S. 228 oder Kaiser, Brigitte: Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen. Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive. Bielefeld: transcript 2006, S. 12. 65 Vgl. Volker Kirchberg (2005, S. 49-87), der sich in seinen Ausführungen auf „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“ (1997) von George Ritzer (1995) bezieht.

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2. Berechenbarkeit (Quantifizierung): Ein offensichtlicher Zusammenhang von

Berechenbarkeit und Museum sind die benötigten finanziellen Mittel sowie Statistiken über Besuchszahlen.66 Hinzu kommen aber auch quantitativ gehaltvolle Ausstellungen, die möglichst viele besondere Objekte zeigen. Kritiker/innen befürchten durch die Ökonomisierung und Quantifizierung des Museums eine Ablösung der Qualität. 3. Vorhersagbarkeit: Unter Vorhersagbarkeit wird „der Grad der Übereinstimmung von Ereigniserwartung und Ereigniserfüllung beim Publikum verstanden“ (ebd., S. 70). Kirchberg eröffnet unter diesem Punkt eine Diskussion um die oppositionelle Wahrnehmung von Standardisierung – in der Regel negativ bewertet in der traditionelleren Museumslandschaft – und Stabilität, welche gerade im Bereich der Kultur als Orientierungsmuster gewünscht werde (vgl. ebd., S. 70f.).67 4. Kontrolle: Diese finde in McDonaldisierten Museen vor allem in den Bereichen der Besucherbefragungen sowie wirtschaftlichen Vergleichen (BenchmarkingVergleichen) mit anderen Museen statt. Innerhalb der Ausstellungen wird sie durch technische Innovationen und „innerarchitektonische Wegführung“ (ebd., S. 76) umzusetzen versucht, die die Besucher/innen durch die Ausstellungen begleiten und v.a. leiten sollen. Museumspersonal, das Besucher/innen in die ‚richtige Richtung‘ schickt und Besuchshinweise und -anweisungen gibt, gehört ebenfalls in den Bereich der Kontrolle (vgl. ebd., S. 74ff.). 5. Postmodernität: Unter Postmodernität als letzte Dimension von McDonaldisierung versteht Kirchberg „die erlebnisorientierte Konsumierbarkeit von Symbolen“ (ebd., S. 77). Es handle sich dabei vielfach um den Konsum von „Simulacra“,68 bei denen das beworbene Image im Vergleich zum tatsächlichen Inhalt

66 Dabei sei auf den teilweise ad absurdum zu führenden Statistik-Glauben hingewiesen, der diesen anlastet. So sagen die Statistiken in der Regel nichts darüber aus, ob erstens die Dauer- oder eine Sonderausstellung besucht wurde und ob es sich zweitens um einen sehr kurzen oder längeren Besuch mit tieferer Auseinandersetzung handelte (Qualität des Besuchs). Zudem haben größere Häuser mit mehreren (Sonder-)Ausstellungen pro Jahr häufig Mehrfachbesucher/innen, die jedoch in der Statistik alle als Einzelbesuche gezählt werden, und können mit herausragenden, kurzweilig gezeigten Attraktionen zusätzliche Besucher/innen anlocken, die sonst nicht gekommen wären. Vgl. dazu Kirchberg 2005, S. 68f. 67 Kirchberg spricht in Bezug auf die Standardisierung das Guggenheim-Prinzip an, mit dem global standardisierte und damit international erwartbare Formen der Kunstpräsentation verbunden würden. 68 Bei der Verwendung der Begrifflichkeit „Simulacra“ bezieht Kirchberg sich auf die Definitionen und Darstellungen Jean Baudrillards. Das Simulacra hat im Gegensatz zum Zei-

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im Vordergrund stehe und ganze Hyperrealitäten erzeugt werden könnten.69 Es komme damit zu einer Abnahme von Authentizität, der Tendenz zum Erlebnispark sowie der Bedeutungszunahme von Design im Vergleich zum Inhalt (vgl. ebd., S. 77f.). Mit dieser letzten Dimension bewegen sich die Museen weg vom akademisch gekennzeichneten Ort der „securitas“ hin zu einem der „curiositas“ (Camartin 1999, S. 15), worin kritische Stimmen die Gefahr einer simplifizierenden Vereinfachung und Popularisierung sehen, die „die Fähigkeit zur Sensibilität, zur Aufnahme auch kleiner, anrührender Veranstaltungen“ (Klein 1997, S. 79, zit. n. Kirchberg 2005, S. 81) zerstören. Insbesondere letzterer Gedanke („Postmodernität“) widerspricht den Assmannschen Annahmen in der Hinsicht, dass es bei Institutionen des kulturellen Gedächtnisses stets um die Stabilisierung und Beglaubigung kollektiver, fundierter und vor allem verbindlicher Inhalte gehe. Wenn nun nicht mehr die securitas, sondern die curiositas im Vordergrund steht, liegt im musealen Bereich ein Funktionswandel vor, der dem kulturellen Gedächtnis nicht dienlich erscheint. Vielmehr scheint er ein Störfaktor zu sein, der Konstanz und Verbindlichkeit in Frage stellen und auf diese Weise die Glaubwürdigkeit des kulturellen Gedächtnisses untergraben kann. McDonaldisierte Museen folgen entsprechend den von Kirchberg aufgestellten Kriterien vier rationalen Grundsätzen des Erlebnismarktes, wie Schulze sie herausgestellt hat: (a) der Schematisierung, (b) der Profilierung, (c) der Abwandlung und (d) der Suggestion (vgl. Schulze 2005, S. 440-443). (a) Da sich die Konsumenten, an die sich auch ein museales Angebot richtet, nach ihren Geschmäckern – oder entsprechend Bourdieu nach ihrem Habitus – in kulturelle Gruppen aufteilen lassen,

chen, das in absoluter Weise zu distinguieren vermochte (vgl. Baudrillard 1991b, S. 80), aufgrund des Aufbrechens der hierarchischen Ordnung seine Verbindlichkeit und Eindeutigkeit verloren. Für die feudalen Ordnungen mit strikten Hierarchien galt: „Ein Verbot schützt die Zeichen und sichert ihnen eine absolute Klarheit: jedes verweist zweifelsfrei auf einen Status“ (ebd.). „Das Simulakrum der ersten Ordnung hebt niemals den Unterschied [zwischen Sein und Schein; ARH] auf: es setzt den immer spürbaren Widerstreit des Simulakrums und des Realen voraus“ (ebd., S. 85). Eben hieraus ergibt sich kein Konsum eines realen, echten Ereignisses, sondern lediglich des Nachgestellten, der Imitation, des Simulacrums. 69 In Bezug auf die Dimension ‚Postmodernität‘ wird die Analyse der Ausstellungskonzeptionen von besonderem Interesse sein. Es ist beispielsweise anzunehmen, dass je nach dem Grad und der Art der Inszenierung (vgl. dazu Kaiser 2006, S. 40ff.) tendenziell von eher McDonaldisierten oder traditionellen Museen auszugehen ist, deren Qualität (im Sinne von Komplexität und Ausführlichkeit) kultureller (Gedächtnis-)Inhalte sich dementsprechend unterscheiden wird.

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die sich unterschiedlich orientieren, müssen im Sinne eines optimierten rationalen Erlebnisangebots Schematisierungen aufgegriffen und zu kommunikativen Werbezwecken genutzt werden. (b) Zudem ist eine Profilierung des angebotenen Produkts notwendig, es muss mit einer „Aura“, dem einzigartigen „Produktimage“ (ebd., S. 441) versehen werden, damit es sich vom Rest des Angebots im selben Produktbereich unterscheidet. Dazu wird in der Regel mit einer starken Symbolik gearbeitet. (c) Die Gewohnheit führt zu vermindertem Konsum. Daher ist es erforderlich, die „Sicherheit“ des gewohnten Konsums, der eine standardisierte Erwartbarkeit garantiert, mit dem „dosierte[n] Reiz des Neuen“ zu kombinieren (ebd., S. 442). (d) Zuletzt funktioniert ein Produkt über die mit ihm verbundene Suggestion, die zunächst auf symbolischer Ebene evoziert wird. Die Symbole wirken als „Konstruktionshilfe“ (ebd., S. 443) der Konsumenten, die sich ein bestimmtes Bild von einem (scheinbar neuen) Produkt aufbauen (sollen). Diese Kriterien lassen sich bei den Museen wiederfinden, die versuchen, Stammbesucher/innen an sich zu binden, indem sie auf die Stabilität der mit ihnen verbundenen Werte und Erwartungshaltungen setzen und zugleich stete Innovation und Variation anbieten oder zumindest suggerieren, diese anzubieten. Bei den Neuerungen, die die Besucher/innen wiederholt ins Museum locken, kann es sich beispielsweise um regelmäßig neue Sonderausstellungen oder aber die Veränderung einzelner Ausstellungsmodule handeln. Das Grass-Haus gehört beispielsweise zu den Einrichtungen, die diese beiden Möglichkeiten nutzt (vgl. dazu Kap. 8.2.5). Dabei ist insbesondere mit Blick auf die ‚Erlebnisgesellschaft‘ ersichtlich, dass die zwei verschiedenen Extreme musealer Ausrichtungen – McDonaldisiert oder traditionell – auch unterschiedliche Besucherinteressen bedienen. So scheint der Besuch McDonaldisierter Museen Kirchberg zufolge oberflächlicher zu sein als derjenige traditioneller Museen, wo „ein individuelles Erlebnis“ geboten werde und „das Museum [...] eine Identifizierung der lokalen Besucher mit ihrem Museum“ (Kirchberg 2005, S. 86) vermittle. Das traditionelle Museum scheint somit weniger mit der Assmannschen Theorie zu konfligieren und den dort mit dem Museum verbundenen Elementen – kulturelles Erbe, Tradition, Konstanz, Kanon, Hochkultur, stille/passive Anschauung, Fundierung und Legitimation – zu entsprechen als das McDonaldisierte Museum, das für Event, Erlebnis, Innovation, Popularisierung, Inszenierung, Aktivität, Performance und Unverbindlichkeit steht.70 Nichtsdestotrotz sind beide Sparten zum Kulturtourismus zu zählen, der sich selbst aufgrund seiner Bildungsaspirationen im Vergleich zum allgemeinen Tourismus als höherwertig definiert. Das bedeutet, dass beide musealen Varianten darauf angewiesen sind, Angebote zu machen, die über das bloße Erleben hinausgehen und etwas kulturell Be-

70 Dabei werden populärwissenschaftlich ausgerichtete Museen im Durchschnitt häufiger besucht als hochkulturelle Museen (vgl. ebd., S. 28).

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deutsames, eine Botschaft, zumindest aber im Vorhinein Bildungsversprechen vermitteln.71 Kirchbergs Kontrastierung McDonaldisierter Museen im Vergleich zu traditionellen Museen macht derzeitige Wandlungen im musealen Bereich nachvollziehbar, die auch bei literarischen Museen festzustellen sind. So reichen ihre Erscheinungsformen von literaturmusealen, sakral anmutenden ‚Tempeln‘ bis hin zu disneysierten Erlebnisausstellungen, die Kriterien der McDonaldisierung zu folgen scheinen.72 Im Kontext dieser Untersuchung erscheint besonders aufschlussreich, welchen dieser beiden Extrempole die Museen tendenziell folgen und welche Konsequenzen dies wiederum auf ihre Erinnerungsarbeit und deren praktische Ausgestaltung in Form der Ausstellungen hat. Es stellt sich mit Blick auf die empirische Erhebung folglich die Frage, welchen basalen Ausrichtungsprinzipien literarische Museen und Gedenkstätten mit ihren Konzepten und Ausstellungen gegenwärtig folgen. Die Konzeptionen legen das Selbstbild und die intendierte Außenwirkung dieser offen und lassen damit Rückschlüsse auf ihren Status zu: Handelt es sich bei literaturmusealen Einrichtungen mehrheitlich weiterhin um sakrale Institutionen im Assmannschen Sinne, die für den nationalen Literaturkanon Sorge tragen, oder sind sie vielmehr zu kommerziellen Erlebnisorten geworden, die neben dem Event zugleich Bildungs- bzw. Wissensvermittlung versprechen?

71 Vgl. zum Kulturtourismus Anja Saretzki 2005, S. 128. Saretzki erläutert, dass der heutige Kulturtourismus in der Tradition der Bildungsreisen des 19. Jahrhunderts stehe. In Anlehnung an Dean MacCannell (1989) folgert sie, dass der kulturtouristische Bereich aufgrund der Bedeutungszuschreibungen insbesondere sakralisierte Inhalte umfasse. 72 Vgl. dazu Elemente vergangener Ausstellungen wie denjenigen im Buddenbrookhaus bzw. im Brüder Grimm-Museum in Kassel, in denen Inszenierungen die Literatur erlebbar machen sollten.

4 Methodik der empirischen Erhebung

Wie an den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden ist, lassen sich die literarischen Museen und Gedenkstätten nicht ausschließlich anhand der Theorie des kulturellen Gedächtnisses nach Jan und Aleida Assmann beschreiben. Daher wurde ein Erhebungsverfahren entwickelt, das die Einrichtungen in größtmöglicher Breite in den Blick zu nehmen vermag und im Folgenden beschrieben wird. Es sollten dabei neben den Ausstellungen auch die anderen literaturmusealen Arbeits- und Aufgabenbereiche einbezogen werden. Damit wurde ein methodentriangulierendes Erhebungsverfahren notwendig, bei dem die Methoden „auf verschiedenen Ebenen ansetzen“ (Flick, 2008, S. 41).

4.1 AUSWAHL DER FÄLLE Da im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie nur in begrenzter Anzahl Fälle herangezogen werden können, hat die Zusammensetzung des Samplings wesentlichen Einfluss auf die Gesamtstudie. Udo Kelle und Susann Kluge (2010, S. 43ff.), die beide einen Arbeitsschwerpunkt in der empirischen Forschung haben, schlagen drei verschiedene Vorgehensweisen zur Bildung eines Samples vor, das möglichst alle Merkmale, die für den Forschungsbereich relevant sind, umfasst: 1. die Suche nach Gegenbeispielen,1 2. das „theoretical sampling“2 und 3. möglichst elaborierte

1

Es wird solange nach Gegenbeispielen gesucht, bis die jeweilige Arbeitshypothese nicht mehr widerlegt werden kann. Dazu bedarf es jedoch konkreter falsifizierbarer Hypothesen, die mit einer Großtheorie aufgrund des geringen empirischen Gehalts nicht gebildet werden können. Vgl. Kelle/Kluge 2010, S. 43ff., die sich hier auf Alfred Lindesmith (1947, 1968) und Donald Cressey (1950, 1971) beziehen.

2

Das Prinzip des theoretical sampling folgt den Grundsätzen der Grounded Theory. Die Fälle werden hier im Laufe der Erhebung bzw. parallel zu dieser ausgewählt. So können neu gewonnene Erkenntnisse aus der Empirie unmittelbar Einfluss nehmen auf die Aus-

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qualitative Stichprobenpläne. In der vorliegenden Arbeit erfolgte die Auswahl nach dem dritten Prinzip, das in der empirischen Sozialforschung auch unter dem Begriff „selektives Sampling“ (vgl. Kelle/Kluge 2010, S. 50) bekannt ist.3 Dieses kann angewendet werden, „[w]enn die UntersucherInnen über Kenntnisse oder Arbeitshypothesen über relevante Einflussfaktoren im untersuchten Feld verfügen [...] [und] durch eine a priori Definition von Auswahlmerkmalen sichergestellt werden [kann], dass TrägerInnen bestimmter theoretisch relevanter Merkmalskombinationen im qualitativen Sample vertreten sind“ (ebd.; Hervorh. i.O.).4

Dies ist bei der vorliegenden Studie der Fall gewesen, da ich bereits in den literaturmusealen Bereich eingearbeitet gewesen bin und im Vorhinein der Studie weiteres verfügbares Datenmaterial ausgewertet hatte.5 Insbesondere die Auswertung der CD-ROM Literatur vor Ort stellte eine wichtige Voraussetzung für die Kriterien geleitete Fallauswahl dar, da durch sie nicht nur potentiell einflussreiche qualitative Faktoren ausgemacht werden konnten, sondern auch erstmalig ein quantitatives

wahl weiterer Fälle. „Beim theoretical sampling werden Untersuchungseinheiten miteinander verglichen, die hinsichtlich theoretisch bedeutsamer Merkmale entweder relevante Unterschiede oder große Ähnlichkeiten aufweisen. Barney Glaser und Anselm Strauss sprechen dabei von den Methoden der Minimierung („minimization“) und Maximierung („maximization“) von Unterschieden“ (Kelle/Kluge 2010, S. 48; Hervorh. i.O.). 3

Da bei diesem Vorgehen bereits vor der Erhebung Merkmale und Kriterien festgelegt werden – entwickelt aus Theorie und Empirie –, wonach die Fälle auszuwählen sind, geben diese Entscheidungen später zu einem nicht unerheblichen Teil die Forschungsrichtung vor (vgl. Kluge 1999, S. 71f.). Dies sollte bei der Entscheidung der Samplingstrategie stets mit bedacht werden. Im vorliegenden Fall wurde das selektive Sampling zugrunde gelegt, da das bereits erarbeitete Wissen über das zu erforschende Feld adäquate Leitlinien vorzugeben vermochte.

4

Vgl. dazu auch Siegfried Lamnek 2010, S. 171f. Lamnek weist zudem auf die Vorteile eines qualitativen Samples für eine beabsichtigte Typenbildung hin: „Durch die Konstruktion eines qualitativen Stichprobenplans mittels [bestimmter] Merkmale, von denen angenommen wird, dass sie typisierbare Unterschiede markieren, soll bspw. garantiert werden, dass die wesentlichen [...] strukturellen Kontextbedingungen, die für das untersuchte Handlungsfeld relevant sind, bei der Auswahl von Untersuchungseinheiten Berücksichtigung finden. Hierbei kann es sinnvoll sein, auf quantitative Forschungsergebnisse zurückzugreifen“ (ebd., S. 172).

5

Vgl. dazu die Einleitung, in der das Vorgehen im Überblick expliziert wird.

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Bild über die literaturmuseale Landschaft in Deutschland gewonnen werden konnte.6 Somit stellten sich für die Erhebung folgende Merkmale als bedeutsam heraus: • • • • • • •





die Größe des Museums die Reichweite des Museums (international, deutschlandweit, regional) Einrichtungsform: Gedenkstätte versus Museum der/die Autor/in, seine/ihre Literatur sowie die ihm/ihr zuzuordnende ‚Epoche‘ die Frage, ob der/die Autor/in noch lebt Bedeutsamkeit des Autors/der Autorin (regional wie national oder international) die Region: städtisch oder ländlich (hier ist auch die (museale) Umgebung von Bedeutung), ebenso wie die möglichst breite Verteilung der zu untersuchenden Museen innerhalb Deutschlands (Norden, Süden, Osten, Westen bzw. ehemalige BRD und DDR) Gründungszeitpunkte und -bedingungen (es werden nur Einrichtungen untersucht, die im Laufe des 20. oder 21. Jahrhunderts gegründet wurden und sich auf diesen Zeitraum möglichst breit verteilen; die Gründungen der Fälle im Sample erstrecken sich auf die zeitlichen Abschnitte der Weimarer Republik, der ehemaligen BRD und DDR sowie die Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung) möglichst kontrastive Ausstellungskonzepte (soweit diese vorab zu ermitteln waren).

Bei der Auswahl der Fälle wurde darauf geachtet, dass die Merkmale möglichst in verschiedenen Kombinationen vorkamen. So wurde mit der Erwin StrittmatterGedenkstätte in Bohsdorf beispielsweise eine literarische Gedenkstätte ausgewählt, deren Autor einer der wichtigsten der DDR war und dessen Werk einen starken regionalen Bezug aufweist. Zudem handelt es sich bei der Gedenkstätte um eine literaturmuseale Einrichtung im Osten Deutschlands, die in den 1990er Jahren eingerichtet worden ist. Das Ausstellungskonzept folgt hier einer Mischung von authentischer Stätte mit Verweisen auf das literarische Werk Strittmatters sowie literaturmusealen Elementen in einem eigens dafür eingerichteten Raum. Mit der Aufdeckung der NS-Vergangenheit des Autors wurde die Erinnerung an den Autor teilweise skandalisiert, was wiederum Auswirkungen auf die Arbeit der Gedenkstätte hatte und deshalb erinnerungstheoretisch von besonderem Interesse war. Im Gegensatz dazu hat Günter Grass als Bildender Künstler und mit dem Geständnis seiner

6

Die Ergebnisse dieser Auswertung sowie weiteren Datenmaterials habe ich auf der Konferenz Literatur ausstellen 2011 in Göttingen vorgestellt; eine Druckfassung des Vortrags liegt nicht vor. Zur Relevanz von quantitativen Vorerhebungen für eine fundierte und systematische Fallauswahl vgl. Kelle/Kluge 2010, S. 52.

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SS-Zugehörigkeit ebenso Skandale provoziert; das Grass-Haus in Lübeck unterscheidet sich jedoch in den meisten anderen Merkmalen deutlich von der Strittmatter-Gedenkstätte: Günter Grass ist ein international bekannter Autor. Das GrassHaus wurde bereits zu Lebzeiten des Autors nach der Jahrtausendwende gegründet und befindet sich im Norden Deutschlands. Es handelt sich dabei um ein reines Literaturmuseum und nicht um eine literarische Gedenkstätte. Ausgestellt werden zum einen Günter Grass’ literarische wie künstlerische Werke, zum anderen weitere Doppelbegabungen in wechselnden Sonderausstellungen. Biographische Aspekte zu Günter Grass haben in der Vergangenheit7 eine untergeordnete Rolle gespielt, auch der Ort des Museums wird nicht als authentischer Ort inszeniert.8 Anhand dieser beiden Beispiele wird deutlich, dass bei den ausgewählten Fällen Merkmalsüberschneidungen ebenso wie Unterschiede vorlagen und in verschiedenen Kombinationen auftraten. Im Rahmen der Untersuchung sollten auf der Basis von Einzelfallanalysen, deren Ergebnisse wiederum verglichen wurden, Erkenntnisse über die differierenden Memorierungspraktiken und ihre Bedingungen und Einflussfaktoren gewonnen werden. Bei der vorliegenden Methode der Fallauswahl ging es jedoch nicht darum, „ein ‚repräsentatives‘, d.h. maßstabsgetreu verkleinertes Abbild einer Grundgesamtheit herzustellen, sondern theoretisch bedeutsame Merkmalsauskombinationen bei der Auswahl der Fälle möglichst umfassend zu berücksichtigen, um bislang unbekannte Phänomene zu identifizieren und um neue Kategorien zu entwickeln und Typen zu konstruieren“ (Kelle/Kluge 2010, S. 55).

Der Gesamtumfang der zu erhebenden Fälle wurde vor Beginn der Erhebungsphase auf (ungefähr) zehn festgelegt, wobei die Anzahl je nach Ertrag der Fallerhebungen auch hätte variiert respektive ausgeweitet werden können. Repräsentativität kann und soll im Rahmen einer qualitativen, insbesondere explorativ vorgehenden Studie, nicht das Ziel sein. Wichtiger war es, auch Sonderfälle zu berücksichtigen, die seltener vorkommen, aber theoretisch relevante Merkmalskombinationen aufwiesen. Insgesamt wurde nur eine Interviewanfrage von einem Museum abgelehnt; mit allen anderen Leitungen konnte ein Interviewtermin vereinbart werden. Die Anonymität der Einrichtungen kann im Rahmen der qualitativen Erhebung nicht ge-

7

Seit Oktober 2012 gibt es eine neue Dauerausstellung, bei der biographische Aspekte Grass’ eine wichtigere Rolle spielen.

8

Dies gilt jedoch nur unter Einschränkungen, da sich zum Erhebungszeitpunkt im Nebengebäude das Sekretariat Grass’ befand und seine Präsenz an den Tagen, an denen er dort zugegen war, beispielsweise durch den Pfeifengeruch olfaktorisch manifest wurde, wie der Leiter Jörg-Philipp Thomsa im Interview berichtete.

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wahrt werden, da eine sinnvolle Darstellung der Fälle bei einer so geringen Grundgesamtheit an literarischen Museen und Gedenkstätten in Deutschland nicht umsetzbar gewesen wäre. Insbesondere die Untersuchung der Ausstellungsstrategien oder die Erläuterungen zum Einfluss einer Autorpersönlichkeit und ihren literarischen Werken auf die gegenwärtige Erinnerungsarbeit wären so verhindert worden. Daher war ein besonders sensibler Umgang mit den zur Verfügung gestellten Informationen und Daten Voraussetzung für die Veröffentlichung dieser Erhebung, um den Museen und Gedenkstätten, die an ihr teilgenommen haben, nicht zu schaden.

4.2 LEITFADENGESTÜTZTE EXPERTENINTERVIEWS Da zum einen bereits vor Erhebungsbeginn erste Annahmen über die Erinnerungsarbeit literarischer Museen formuliert werden konnten, andererseits jedoch weitere Unbekannte zur Erinnerungsarbeit der literarischen Museen aufzudecken waren, stellten sich leitfadengestützte, qualitative Experteninterviews, denen eine „geschlossene Offenheit“ (Liebold/Trinczek 2009, S. 37) zugrunde liegt, als geeignete Erhebungsmethode9 heraus. Unter dem Begriff Experten verstehen Michael Meuser und Ulrike Nagel eine „Funktionselite“, die „selbst Teil des Handlungsfeldes“ ist, was ihr einen „relationale[n] Status“ verleiht (1991, S. 443). „Als Experte wird angesprochen,



wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder



wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt“ (ebd.).

Zudem zählen solche Personen nur dann zu den Experten, „wenn sie auch über eine gewisse Macht verfügen“ (Littig 2008, Absatz 31)10 und wenn die „Etikettierung

9

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass ‚Experteninterviews‘ nicht im eigentlichen Sinne als Methode anzusehen sind, sie folgen methodisch vielmehr dem (problemzentrierten) Leitfadeninterview (vgl. dazu Liebold/Trinczek 2009, S. 37).

10 Beate Littig nimmt hier in Anlehnung an Alexander Bogner (2005, S. 201f.) eine Ausdifferenzierung in Gestaltungsmacht und Deutungsmacht vor, auf deren Grundlage sie zwischen Eliten, die primär über Gestaltungsmacht verfügen, und Experten, die tendenziell eine größere Deutungsmacht innehaben, unterscheidet (vgl. Littig 2008, Absatz 32). Um Experteninterviews handle es sich daher immer, „[w]enn es um die Erforschung von pro-

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einer Person als Experte [...] notwendig auf eine im Feld vorab erfolgte und institutionell-organisatorisch zumeist abgesicherte Zuschreibung“ (Meuser/Nagel 1997, S. 484) zurückgeht.11 Dabei gilt, dass „Experten [...] nicht als Personen, sondern als Träger von Wissen“ (Liebold/Trinczek 2009, S. 37)12 von Relevanz sind und, „weil ihre Handlungsorientierungen, ihr Wissen und ihre Einschätzungen die Handlungsbedingungen anderer Akteure“ (Bogner/Menz 2005, S. 45) beeinflussen. „Von Interesse sind ExpertInnen als FunktionsträgerInnen innerhalb eines organisatorischen oder institutionellen Kontextes. Die damit verknüpften Zuständigkeiten, Aufgaben, Tätigkeiten und die aus diesen gewonnenen exklusiven Erfahrungen und Wissensbestände sind die Gegenstände des ExpertInneninterviews“ (Meuser/Nagel 1991, S. 444).

Experten verfügen entsprechend ihrer Position und Eingebundenheit in organisatorische und institutionelle Abläufe über Kontextwissen und Betriebswissen. Wird letzteres untersucht, so stehe der Interviewte als Repräsentant einer Organisation bzw. Institution im Vordergrund der Untersuchung – allerdings lediglich in seiner diesbezüglichen Funktion. Bei der Erhebung von Kontextwissen nehme der Interviewte tendenziell eine Randstellung ein, da er hier lediglich „zusätzliche Informationen wie Hintergrundwissen und Augenzeugenberichte liefer[e] und zur Illustrierung und Kommentierung der Aussagen der Forscherin zum Untersuchungsgegenstand dienen“ (Meuser/Nagel 1991, S. 445) solle. Besonders explorative Forschungsvorhaben, bei denen das inhaltliche Erkenntnisinteresse über ein Feld im Zentrum steht, folgen letzterem Prinzip (vgl. Bogner/Menz 2005, S. 37). In Anleh-

fessionellem oder beruflichem, explizitem wie implizitem Deutungs-, Handlungs- und Prozesswissen“ gehe (ebd., Absatz 35). 11 Andernfalls läge ein Expertenbegriff zugrunde, demzufolge der Forschende willkürlich bestimmen würde, wer Experte/Expertin ist und wer nicht. Dies würde aber auch bedeuten, dass prinzipiell jede/r zum Experten werden könnte. Damit würde die methodische Spezifizierung „Experteninterview“ allerdings hinfällig (vgl. dazu Liebold/Trinczek 2002, S. 35ff). 12 Dies gilt nur unter der Einschränkung, dass die Expertinnen und Experten ihre Persönlichkeit nicht vollkommen von ihrer professionellen/beruflichen Tätigkeit bzw. Funktion als Experte/Expertin trennen können. So stellte es sich beispielsweise als bedeutsam heraus, welcher beruflichen Tätigkeit die Interviewpartner/innen zuvor nachgegangen waren. Didaktische Aspekte spielten bei (ehemaligen) Lehrerinnen und Lehrern eine weit größere Rolle als bei Personen eines anderen Berufsfeldes. Dennoch gilt oben benannte Annahme insoweit, als dass im Zentrum des Interesses nicht die interviewte Person selbst stand, sondern dass sie in ihrer Funktion als Verantwortliche/r für das Museum bzw. die Gedenkstätte interviewt wurde.

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nung an Bogner und Menz soll darüber hinaus jedoch zwischen dem explorativen (1), dem systematisierenden (2) und dem theoriegenerierenden Experteninterview (3) unterschieden werden (vgl. Bogner/Menz 2005, S. 37ff.). Explorative Experteninterviews dienen ihnen zufolge vor allem dazu, „das Untersuchungsgebiet thematisch zu strukturieren und Hypothesen zu generieren“ (ebd., S. 37). Mittels systematisierender Interviews sollen hingegen den Forschenden ansonsten nicht zugängliche Wissensbereiche aus der Praxis des Experten zugänglich gemacht werden; sie dienen der „systematische[n] und lückenlose[n] Informationsgewinnung“ (ebd.). Zuletzt unterscheiden Bogner und Menz von diesen das theoriegenerierende Experteninterview, durch das „eine theoretisch gehaltvolle Konzeptualisierung von (impliziten) Wissensbeständen, Weltbildern und Routinen angestrebt [werde], welche die Experten in ihrer Tätigkeit entwickeln und die konstitutiv sind für das Funktionieren von sozialen Systemen“ (ebd., S. 38).

Damit zielt letzteres nicht nur auf „das explizite Sonderwissen des Experten [...], sondern auch auf das implizite Handlungs- und Deutungswissen, das in der (professionellen) Praxis erworben wird“ (Littig 2008, Absatz 13). Grundsätzlich können drei unterschiedliche Arten von Expertenwissen zum Tragen kommen (vgl. Bogner/Menz 2005, S. 43f.): 1. technisches Wissen, 2. Prozesswissen und 3. Deutungswissen. Um welche der „drei Formen des Expertenwissens“ es sich handelt, ist dabei „weniger ein Charakteristikum der Wissensbestände selbst, sondern primär eine Konstruktion des interpretierenden Sozialwissenschaftlers“ (ebd., S. 44). Daher wurde in den vorliegenden Interviews auch nicht lediglich ein Bereich von Expertenwissen anvisiert. Um welche Art Wissen es sich handelte und in welchen Zusammenhängen dieses theoretisch relevant wurde, unterlag vielmehr der interpretatorischen Leistung der Forscherin. In der vorliegenden Studie geht es in erster Linie um die Gewinnung von Kontextwissen. Die Experteninterviews sind dementsprechend explorativ und systematisierend. Im Wesentlichen soll mit Hilfe der Experteninterviews Wissen über die Geschichte der Institutionen, die aktuelle Ausgestaltung ihrer institutionellen Arbeit – was sowohl die Ausstellungsgestaltungen als auch alle weiteren Aufgabenbereiche der Einrichtungen einschließt – sowie die ihrer Arbeit zugrundeliegenden Prinzipien und Leitbilder zugänglich gemacht werden. Insbesondere der letzte Punkt wäre bei kleineren Einrichtungen anders nicht zu erheben gewesen. Größere Einrichtungen mit ausdifferenzierten Aufgabenbereichen und professionellhauptberuflich in der Einrichtung arbeitendem Personal verfügen in der Regel über klare hierarchisch organisierte Entscheidungsstrukturen und Ablaufprozesse sowie über eine umfangreiche Dokumentation ihrer eigenen Arbeit. Hier wäre im Zuge einer Zugänglichmachung der Dokumentensammlungen und Archive der Einrichtungen historische Fragen betreffend auch eine quellenbasierte Untersuchung mög-

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lich gewesen. Dies gilt allerdings so nicht für viele der kleineren und weniger professionell organisierten Einrichtungen. Um eines einheitlichen Erhebungs- und Auswertungsverfahrens Willen habe ich mich daher dazu entschlossen, leitfadengestützte Interviews als Informationsbasis zu nutzen. Es wurde kein zusätzliches Quellenstudium durchgeführt, so dass die Rekonstruktionen der Gründungsprozesse der literaturmusealen Einrichtungen im Wesentlichen auf den Aussagen der interviewten Leiter/innen fußen und um in der Sekundärliteratur zugängliche Informationen ergänzt wurden. Eine zusätzliche quellengeschichtliche Aufarbeitung der Einrichtungen wäre im Umfang der vorliegenden Studie nicht möglich gewesen und muss ein drängendes Forschungsdesiderat bleiben. Die Ergebnisse der Experteninterviews sind in erster Linie in die Darstellung der Gründungsprozesse der literarischen Gedenkstätten und Museen (Kap. 5) sowie ihrer über die Dauerausstellungen hinausgehenden Tätigkeitsbereiche als literaturmuseale Einrichtung eingeflossen (vgl. Kap. 7). Gemeinsam mit den Ergebnissen der Ausstellungsanalyse (vgl. Kap. 6.3) konkretisierten die Ergebnisse schließlich die Typenbildung (Kap. 8). 4.2.1 Erhebung der leitfadengestützten Experteninterviews Qualitative Experteninterviews zeichnet aus, dass sie in ihren Fragen grundsätzlich offen angelegt sind, ihnen zugleich aber ein Leitfaden zugrunde liegt, so dass sie einerseits thematisch fokussiert sind und andererseits „hinreichend Raum für freie Erzählpassagen mit eigenen Relevanzsetzungen“ (Liebold/Trinczek 2002, S. 39) lassen. Die Interviewleitfäden, welche bereits eine thematische Strukturierung sowie (theoriegeleitete) Problembereiche aufweisen, stellen folglich „eine Kombination aus Induktion und Deduktion mit der Chance auf Modifikation der theoretischen Konzepte oder Kategorien der Forscher“ (Liebold/Trinczek 2009, S. 37) dar. Renate Liebold und Rainer Trinczek bezeichnen dies als ‚geschlossene Offenheit‘: „Zum einen strukturieren konzeptionelle Überlegungen das Feld, zum anderen bleibt durch das Erzählprinzip die Bedeutungsstrukturierung durch die Forschungssubjekte erhalten. Deduktion und Induktion gehen Hand in Hand“ (ebd.).13

13 Diese Annahmen teilt auch Lamnek (2010, S. 333) bezüglich problemzentrierter Interviews, indem er festhält, „dass der Forscher nicht ohne jegliches theoretischwissenschaftliches Vorverständnis in die Erhebungsphase“ eintrete und er sich „mittels einer Kombination aus Induktion und Deduktion“ stets die Möglichkeit einer Ablösung vom theoretischen Konzept offenhalte.

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Demgemäß wurden bereits nach dem ersten geführten Interview einige zusätzliche Fragen aufgenommen, die sich induktiv aus dem empirischen Material ergeben haben.14 Folglich ist die qualitative Erhebung als eine ebensolche, oben beschriebene Mischform eines explorativ-induktiven und hypothetiko-deduktiven Verfahrens anzusehen. Das Ignorieren neuer Erkenntnisse oder bedeutsam scheinender Hinweise während der Erhebungsphase hätte schließlich einer Verfälschung des Forschungsprozesses entsprochen. Erweist sich ein theoretisches Konzept als (teilweise) falsch, so muss es korrigiert bzw. modifiziert und erneut mit den empirisch vorgefundenen Phänomenen abgeglichen werden (vgl. Lamnek 2010, S. 333). Die Interviewerin ist in den Experteninterviews in unterschiedlich zu beschreibenden Rollen aufgetreten.15 Diese bewegten sich zwischen den von Bogner und Menz (2005, S. 50-65) skizzierten Rollen als Co-Experte, Laie und Komplize. Der Einstieg in die Interviews erfolgte über eine Erzählaufforderung, die Geschichte und Entwicklung der musealen Einrichtung darzustellen. In dieser Phase trat die Interviewerin tendenziell als Laie auf, um möglichst umfassende Informationen zu erhalten, zugleich aber durch den offen gestalteten Erzählimpuls die Befragten selbst eine Geschichte und damit ein Narrativ des Museums ausgestalten zu lassen. Im Laufe der Interviews wurden sodann tiefergehende, auch kritische Nachfragen gestellt, so dass sich der Status hin zum Co-Experten wandelte. Diese Veränderung lässt sich retrospektiv insbesondere darin erkennen, dass die Interviewerin nach ihrer Meinung und eigenen Vor- und Ratschlägen für das Museum befragt wurde. Die Rolle als Komplizin zeigte sich in der Art, dass auch vertrauliche Informationen weitergegeben wurden – um deren teilweise Nichtveröffentlichung gebeten wurde – sowie Bestätigungen durch die Interviewerin für das Gesagte eingefordert wurden. Hier war im Laufe der Interviews besonderes Feingefühl gefragt, um einerseits nicht grundsätzlich alle Aussagen zu bestätigen und andererseits das aufgebaute Vertrauen nicht zu zerstören. Während Jochen Gläser und Grit Laudel „das strikte Abarbeiten des Interviewleitfadens vom ersten bis zum letzten Interview“ (Gläser/Laudel 2010, S. 143) empfehlen, um zu vermeiden, dass im Laufe der Erhebung gewonnenes Wissen die Art der Fragen und damit die komplette Interviewführung

14 Diese Fragen wurden den bereits interviewten Personen nachträglich noch vorgelegt, so dass alle Interviewpartner/innen alle Fragen beantworteten. Diese nachträglich gestellten Fragen sind entsprechend in den transkribierten Interviews gekennzeichnet und befinden sich deutlich markiert am Ende der jeweiligen Transkripte. 15 Dass dies durchaus legitim und sogar nützlich für die Interviews sein kann, beschreiben Bogner und Menz ausführlich (2005, S. 60f.), indem sie in Bezug auf die Befragten darlegen, dass „sich im Gesprächsverlauf Erwartungen und Zuschreibungen, die anfangs auf vagen Vermutungen basierten, erst langsam heraus[bilden], [...] stabilisiert oder revidiert“ (ebd.) werden.

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zu beeinflussen droht, sprechen sich Meuser und Nagel (1991, S. 448f.) sowie Liebold und Trinczek (2009, S. 35f.) für dessen offene Handhabung aus. Das Entwerfen der Leitfäden sei als qualifizierende inhaltlich-thematische Vorbereitung auf das Feld der Expertinnen und Experten anzusehen, zudem strukturierten die Leitfäden dieses theoretisch und seien „Ausdruck erster (theoriegeleiteter) Hypothesen“ (Liebold/Trinczek 2002, S. 42). Darüber hinaus könnten sie während des Interviews als Absicherung dienen, nicht vom Hauptthema abzuweichen sowie das Ansprechen aller relevanten Bereiche zu garantieren. Die vorliegenden Interviews wurden entsprechend Liebold und Trinczek mit einer offen gehaltenen Aufforderung begonnen, davon zu erzählen, wie es zur Gründung der Einrichtung kam und sich diese bis in die Gegenwart weiter entwickelt hat.16 In dieser narrativ markierten Phase des Interviews stellten die Interviewpartner/innen meistens bereits die Schwerpunktlegungen ‚ihres‘ Museums bzw. ihres Blickwinkels auf die Museen heraus und generierten eine retrospektiv logische Darstellung, die linear in die Beschreibung der gegenwärtigen Situation mündete.17 Insbesondere diese Passagen erwiesen sich als besonders fruchtbar für den Erhalt von Informationen, die im Leitfaden nicht konkret als Frage vorgesehen waren. Ein Pretest bzw. eine Pilotstudie im strengen Sinne erfolgte im Rahmen der Erhebung nicht. Allerdings verfügte die Verfasserin bereits aus einer anderen Studie

16 So wurde die Erzählaufforderung gegenüber Sylke Kaufmann, der Leiterin des LessingMuseums in Kamenz, bspw. folgendermaßen formuliert: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen jetzt am liebsten ist, dass wir vorgehen mit dem Experteninterview, also es ist meistens so, dass die Leiter der Museen erstmal anfangen zu erzählen und dass sich dabei schon ganz viele von den Fragen sowieso ergeben, das sind ja sehr kleinschrittige Fragen, die ich Ihnen geschickt habe, Sie haben sich die ja sicherlich auch kurz angeguckt, so dass Sie einen Überblick haben, ansonsten würde ich Sie einfach bitten, dass Sie einsteigen, indem Sie was erzählen zu der Geschichte des Museums, zu dem Gründungsprozess, zu den ersten Ausstellungen vielleicht, wie sich das alles so entwickelt und etabliert hat. Meistens ergibt sich dadurch so eine Geschichte, wie das Museum sich auch selbst erzählt und das ist eigentlich ganz gut dann auch, weil dadurch viele Aspekte abgedeckt werden, die vielleicht auch gar nicht in den Fragen vorkommen, aber trotzdem wichtig für mich sind. [...]“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 1) 17 Diese gegenwartslogische Erzählweise ist vor allem aus biographisch-narrativen Interviews bekannt. Ihr liegt der Mechanismus zugrunde, eine möglichst kohärente Geschichte zu generieren, die den jeweils aktuellen Zustand begründet. Brüche, Konflikte und Störungen werden dabei oftmals übergangen und nicht thematisiert. Im Rahmen qualitativer Forschung sollte – soweit dies forschungsethisch zu vertreten ist – versucht werden, solchermaßen verschwiegene Bereiche ausfindig zu machen und zur Sprache zu bringen, da sich an diesen Stellen interessante Phänomene aufdecken lassen können.

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über Erfahrungswerte zu einem ähnlichen Leitfaden.18 Darüber hinaus wurden vorab weitere vertiefende Literaturstudien zu theoretischen Konzepten sowie die quantitative Auswertung der Daten-CD-ROM Literatur vor Ort vorgenommen. Insgesamt konnten auf diese Weise weitere potentiell relevante Fragen entwickelt, abgewandelt und dem Leitfaden hinzugefügt oder – wenn sie sich als irrelevant herausstellten – auch gestrichen werden. Die Konzeption und Strukturierung des Interviewleitfadens orientierte sich an folgenden Bereichen: 1. Gründungsprozess der Einrichtung, 2. Museums-, Gedenkstätten- bzw. Ausstellungsgestaltung, 3. weitere Aufgabenbereiche der Einrichtung, 4. Besucher/innen, 5. Ziele/Leitbild der Einrichtung sowie 6. Probleme/Skandale in der Geschichte der Einrichtung und 7. für wichtig erachtete Ergänzungen auf Seiten der Interviewten. Die Fragen wurden offen gestellt. Nur in Ausnahmefällen wurden den Interviewten zur Verdeutlichung illustrative Beispiele genannt, um aufzuzeigen, welche Gegenstandsbereiche für das Interview gesprächsrelevant waren.19 Alle Befragten erhielten vorab eine Information, aus der der Fragenkomplex des bevorstehenden Interviews hervorging. Dieses Vorgehen ist methodisch legitim, da die Befragungen zuallererst der Informationsgewinnung von Expertenwissen über die Einzelfälle literarischer Museen und Gedenkstätten dienten. Zudem wurde ein solches Vorgehen von den Interviewten auch gewünscht, um sich entsprechend inhaltlich auf das Interview und dessen thematische Breite vorbereiten können.20 Die Interviews wurden als digitales Tondokument aufgezeichnet und anschließend transkribiert,21 um eine intersubjektiv nachvollziehbare Auswertung und deren Nachvollzug am Material garantieren zu können. Bei der Transkription wurden le-

18 Vgl. dazu Hoffmann 2009. 19 Dies war insbesondere an solchen Stellen der Fall, an denen unbekannte Fachbegriffe fielen und diese von Befragten nicht direkt erschlossen werden konnten. In der Regel waren die Befragten jedoch mit den Fachtermini vertraut, da ihnen diese aus der Museologie und anderen für sie relevanten Wissenschaftsfeldern geläufig waren. 20 Viele der Befragten nutzten so bspw. im Vorhinein die Möglichkeit, sich einige Daten und Quellen zu ihren Einrichtungen herauszusuchen und diese auch im Interview zu zitieren bzw. als Quelle mitzubringen. 21 Da es sich bei den Befragungen nicht um narrative Interviews, sondern um problemzentrierte, informatorische Experteninterviews handelte, war ein umfangreiches Notationssystem nicht vonnöten. Lediglich Auslassungen und Streichungen wurden innerhalb des Transkripts markiert. Darüber hinaus gab es Fälle, bei denen Anmerkungen zu den Interviews nötig wurden, beispielsweise um Fehlinformationen, wie sie im Rahmen eines mündlichen Interviews bezüglich Daten und Fakten leicht zustande kommen können, zu korrigieren. Die korrigierenden bzw. ergänzten Daten wurden den Interviews im Quellenband beigefügt und als solche gekennzeichnet.

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diglich solche Passagen ausgespart, die für die Studie als unerheblich gelten konnten und nicht in thematischem Zusammenhang mit dem literaturmusealen Bereich standen, sowie diejenigen, um deren Auslassung ich von den Interviewten ausdrücklich gebeten wurde.22 Neben der zeitversetzten Transkription der Interviews wurden unmittelbar nach der Durchführung der Interviews Postskripte angefertigt, die Informationen zu der Interviewsituation, den Inhalten im Überblick sowie der Gesprächsatmosphäre und -abfolge enthalten.23 4.2.2 Auswertung der Experteninterviews Die Experteninterviews mit den Verantwortlichen der literaturmusealen Einrichtungen dienten in erster Linie dazu, Informationen über die Gründungsprozesse (vgl. Kap. 5), die Ausstellungsgestaltungen (vgl. Kap. 6) sowie die weiteren Aufgabenbereiche (vgl. Kap. 7) der Museen und Gedenkstätten zu gewinnen. Erst in einem zweiten Schritt, bei dem die Ergebnisse der Experteninterviews mit denen der Ausstellungsanalyse verbunden wurden, erfolgte eine Typenbildung (vgl. dazu Kap. 8). Die Auswertung der Interviews orientierte sich an den bei Philipp Mayring (2010) dargestellten Grundlagen der qualitativen Inhaltsanalyse. Qualitative Inhaltsanalyse meint ein variables, jedoch systematisches, theorie- und regelgeleitetes Vorgehen zur Analyse und Interpretation von Texten und Zeichen (vgl. Mayring 2010, S. 63), das die Auswertung von Datenmaterial intersubjektiv nachvollziehbar werden lässt. Demgemäß hat eine qualitative Inhaltsanalyse gewisse Standards zu erfüllen, die je nach grundsätzlicher Ausrichtung der Inhaltsanalyse (Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung)24 allerdings unterschiedlichen Strukturen und Schwerpunktsetzungen folgen. Im Allgemeinen hat die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring folgendem Ablaufmodell zu gehorchen (Mayring 2010, S. 60, vgl. Abb. 2).

22 Einige Interviewpartner/innen berichteten in ihren Interviews von Problemen und Disputen der Vergangenheit, die jedoch nicht in die Transkriptionen aufgenommen werden durften; hierbei spielte die Sorge um das Wiederaufbrechen von (teilweise auch internen) mittlerweile beigelegten Konflikten eine wesentliche Rolle. Um den Interviewten keinen Schaden zuzufügen, da keine Anonymität gewährt werden konnte, wurde diesem Wunsch entsprochen. 23 Die Postskripte sind der Arbeit nicht als Material im Quellenband beigefügt, sondern dienen der Forscherin primär als zusätzliche reflexive Grundlage. Der Quellenband kann über die Verfasserin eingesehen werden. 24 Vgl. zu deren Unterschieden: Mayring 2010, S. 63ff.

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Abb. 2: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell

Quelle: Mayring 2010, S. 60

Für die Entwicklung von Typen als Teilziel der Auswertung der qualitativen Daten ist die „[t]ypisierende Strukturierung“ (Mayring 2010, S. 98ff.) von besonderer Bedeutung. Diese ist bei Mayring allerdings lediglich auf ein deduktives Verfahren ausgerichtet, so dass es sich forschungslogisch empfiehlt, das allgemeine Ablaufmodell der strukturierenden Inhaltsanalyse (vgl. Abb. 3) dem typisierenden vorzuziehen, da es die Überarbeitung und Revision des Kategoriensystems bereits beinhaltet und einen zweiten Kodierdurchlauf durch das Material einbezieht. Schritt 7 impliziert hier, dass das Kategoriensystem nicht ausschließlich auf der Grundlage von Theorie- und Vorwissen basiert, sondern sich auch – wie es für das theoretische bzw. offene Kodieren im Sinne der Grounded Theory üblich ist – aus dem Material ergibt (vgl. Gläser/Laudel 2010, S. 46; Mayring 2010, S. 84).

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Abb. 3: Ablaufmodell der strukturierenden Inhaltsanalyse

Quelle: Mayring 2010, S. 93

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Ein solches Vorgehen ist zudem am ehesten mit den Eigenschaften der Erhebungsmethode des Leitfadeninterviews vereinbar, denn bei dessen Auswertung „findet man überwiegend Codesysteme, die auf zwei Ebenen ausdifferenziert sind. Die erste Ebene wird häufig vor der Auswertung des Materials festgelegt und folgt der Struktur des Leitfadens. Die zweite Ebene entsteht auf der Basis des Materials in Form induktiver Kategorien während des Auswertungsprozesses“ (Kuckartz 2010, S. 203f.).

Aus diesem Grund wird ausschließlich ein gemischt deduktiv-induktives Auswertungsverfahren der Erhebungsmethode gerecht, wie es bei der strukturierenden Inhaltsanalyse der Fall ist (vgl. Abb. 3). Um die Entwicklung einer Typologie literaturmusealer Erinnerung, wie sie im Folgenden in Anlehnung an Kluge (1999) bzw. Kelle/Kluge (2010) erfolgte (vgl. Kap. 8.1), nachvollziehbar zu machen, wurden alle Interviews verkodet. Kodierung meint, dass •

„Textpassagen indiziert bzw. kodiert werden, indem ihnen bestimmte Kategorien zugeordnet werden,



Textpassagen, die bestimmte Kategorien und ggf. weitere Merkmale gemeinsam haben, synoptisch verglichen und analysiert werden,



und dass angestrebt wird, auf der Grundlage dieses Vergleichs Strukturen und Muster im Datenmaterial zu identifizieren, die dann etwa zur Bildung neuer Kategorien bzw. Subkategorien führen können“ (Kelle/Kluge 2010, S. 59).

Während die computergestützte Auswertung und Kodierung heute ermöglicht, den Gesamtkontext der kodierten Passagen zu berücksichtigen und somit überhaupt erst eine hermeneutische Auswertung (vgl. ebd.) zu ermöglichen, gestaltete sich dies noch vor zwei Jahrzehnten als äußerst aufwendig und schwierig. Die Kodierung wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit mithilfe der Software MAXQDA vorgenommen,25 die die Prozesse der Verschlagwortung, der getrennten, dann jedoch wieder zusammenführenden und re-kontextualisierenden Analyse und Interpretation des Datenmaterials organisatorisch erleichtert. An dieser Stelle fiel die Entscheidung explizit gegen ein (ebenfalls inhaltsanalytisches) Vorgehen, wie Gläser und Laudel es verstehen, da dieses „sich frühzeitig und konsequent vom Ursprungstext trennt“ (Gläser/Laudel 2010, S. 200) und auch nicht zurückkehrt. Es erschien im Kontext der vorliegenden Erhebung jedoch nicht sinnvoll, einzelne Textpassagen

25 Vgl. zur besseren intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von Analysen und der Systematisierung, Rekonstruktion sowie Rekontextualisierung von Kodierungen im Rahmen EDVgestützter Kodierungen: Kluge 1999, S. 278.

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vollkommen vom Äußerungskontext zu trennen, insbesondere deshalb nicht, weil die Analyse über deskriptive Ansätze hinausgehen und Systematiken, Strukturen und kausale Zusammenhänge nachzeichnen sollte. Dies ist nur möglich, wenn die verschiedenen Konditionen der Einzelfälle, eben der Museen und Gedenkstätten als Fälle einbezogen werden. So werden zwar in Kap. 7 fallübergreifend die über den Ausstellungsbereich hinausgehenden Aufgabenbereiche der literaturmusealen Einrichtungen vorgestellt, für die Typenbildung in Kap. 8 war hingegen eine Rückkehr zur Betrachtung der Einzelfälle auf den in Kap. 7 beschriebenen Ebenen von Aufgaben wichtig, um die Strukturen und Zusammenhänge der Merkmale der Einzelfälle identifizieren und auf Basis des Merkmalsraums (vgl. Kap. 8.1.1, 8.1.2) die maßgeblichen Merkmalsdimensionen der einzelnen Typen ausmachen zu können. Das dem Kodieren zugrundeliegende Prinzip ist die regelgeleitete Bildung von Kategorien bzw. die Anwendung eines Kategoriensystems auf Texte, Daten und Materialien. Kategorie meint im sozialwissenschaftlichen Kontext einen „Begriff, der zu einer Klassifizierung von beliebigen Objekten dienen kann, im qualitativen Forschungsprozess also jeder Begriff, der zur Kennzeichnung und Unterscheidung von Phänomenen jeglicher Art [...] und damit zur Erschließung, Beschreibung und Erklärung der Daten genutzt werden kann“ (Kelle/Kluge 2010, S. 60).

Die Kodierung des Materials erfolgte zunächst, wie oben bereits angedeutet, indem aus dem Leitfaden Kategorien extrahiert wurden. Die Entwicklung des Leitfadens und in der Folge ebenso diejenige des (vorläufigen) Kodesystems stützte sich auf heuristische Annahmen, die den Erinnerungstheorien als ‚Großtheorien‘ folgten,26 sowie empirisch gehaltvollen Kategorien, die sich einerseits aus den empirischen Voruntersuchungen,27 andererseits aus der theoretischen Diskussion28 ableiten ließen. Der Konzeption des Leitfadens kam demgemäß auch für die Auswertung der Interviews eine große Bedeutung zu, indem jener den Beginn der Datenauswertung anleitete und bis zu einem gewissen Grade steuerte. Die deduktiven, im Leitfaden implizit verankerten Kategorien wurden jedoch nicht unwesentlich durch induktive, am Material entwickelte Kategorien ergänzt und modifiziert. Ebenso wurden deduktiv gewonnene Kategorien bei der Auswertung der Kodes aufgegeben, wenn sie in den auszuwertenden Interviews keine Rolle spielten. Dieses Vorgehen entsprach

26 „Hierbei dienen die heuristischen Rahmenkonzepte [...] als formales Gerüst, das die Konstruktion empirisch gehaltvoller Kategorien anhand des Datenmaterials ermöglichen soll“ (Kelle/Kluge 2010, S. 63). 27 Vgl. dazu die empirische Erhebung im Rahmen der Staatsexamensarbeit (Hoffmann 2009) sowie die quantitative Auswertung der CD-ROM Literatur vor Ort. 28 Vgl. Kap. 2 und 3.

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grundsätzlich der von Kelle und Kluge empfohlenen offenen Kodierung, bei der zunächst heuristische Annahmen die Kodierung leiten und erst im Kodierverlauf schrittweise empirisch gehaltvolle Kodes entwickelt werden (vgl. Kelle/Kluge 2010, S. 70f.). Mit Beginn der Kodierung wurden dann weitere Oberkategorien sowie die Subkodes entwickelt. Letztere wurden absichtlich erst mit Beginn der Kodierung und damit induktiv festgelegt, um hierbei möglichst offen zu bleiben und den einzelnen Bereichen noch keine feste Struktur vorzugeben. Die Anfangskodes bildeten also Oberthemen des Interviewleitfadens – 1. Gründungsprozesse des Museums, 2. Museums-/Ausstellungs-/Gedenkstättengestaltung, 3. Besucher/innen, 4. Ziele/Leitbild des Museums sowie 5. Aufgabenbereiche des Museums und 6. Probleme und Skandale – ab, stellten allerdings kein fertiges Kategoriensystem dar. Während die Kategorien übergreifende Zuordnungen darstellen, dienen Subkategorien zuvorderst der weiteren Ausdifferenzierung der Kodes, was auch als „Dimensionalisierung“ (Strauss 1991, S. 44ff., zit. n. Kelle/Kluge 2010, S. 73) bezeichnet wird. Bei der Entwicklung von Subkategorien ist entscheidend, dass sie eine maximale interne Homogenität und eine maximale externe Heterogenität aufweisen, dass also die „Varianz im Datenmaterial“ (Kelle/Kluge 2010, S. 74) möglichst anschaulich und strukturiert sichtbar wird. Sofern das gesamte Material bereits mit Kodes versehen wurde,29 schlagen Kelle und Kluge (2010, S. 76) zwei Vorgehensweisen zur Entwicklung der Subkategorien vor. Entweder könne eine fallvergleichende Entwicklung von Subkategorien erfolgen, bei der zunächst die Einzelfälle kodiert und anschließend deren Kodesysteme miteinander verglichen würden, oder es könne eine fallübergreifende Kodierung angeschlossen werden, bei der unabhängig von den Einzelfällen thematisch vergleichende Subkategorien entwickelt würden. Erstere Variante bietet den Vorteil, dass Einzelfälle detaillierter beschrieben werden können, letztere vereinfacht hingegen den Fallvergleich. Da als letztes Teilziel der Studie eine Typenbildung stehen sollte, fiel die Entscheidung auf letzteres Verfahren. Dabei wurde das Kodesystem im Laufe des ersten Kodierdurchgangs aller Interviews immer wieder modifiziert. Erst nach zwei Kodierdurchgängen durch alle Interviews stand das Kodesystem fest, woraufhin dieses ein

29 Eine wichtige Regel zur Kodierung des Materials ist, dass dieses immer vollständig kodiert werden muss. Nur so kann gesichert werden, dass ein regelgeleitetes Vorgehen vorliegt und nicht potentiell relevante Textstellen oder gar ganze -abschnitte übergangen werden. Für Textstellen, denen zunächst kein (neuer) Kode zugeordnet werden konnte, wurde daher eine ‚Restekategorie‘ angelegt, die nach den Durchgängen durch das Material erneut gesichtet wurde, um sie wiederholt auf ihre Bedeutsamkeit hin prüfen zu können. So gehen auch solche Textstellen, die auf den ersten Blick keine Relevanz zu haben scheinen, im Laufe des Auswertungsprozesses nicht verloren.

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weiteres Mal auf alle Interviews angewandt wurde, um sicher zu gehen, dass alle Interviewpassagen nach dem entwickelten Kodesystem kodiert worden waren.

4.3 AUSSTELLUNGSANALYSE Neben den leitfadengestützten Experteninterviews zählen die jeweils aktuellen Konzeptionen der Dauerausstellungen30 zum wesentlichen Untersuchungs- und Analysegegenstand. Sie wurden jeweils vor der Durchführung der Interviews besichtigt, so dass erstens noch keine Beeinflussung durch die Aussagen der Leiter/innen in Bezug auf die Ausstellungen zustande kommen konnte und zweitens im Laufe des Interviews auf einzelne Aspekte der Ausstellungen eingegangen werden konnte bzw. Nachfragen zur Konzeption möglich waren. Die Besichtigungen folgten den Prinzipien einer halbstandardisierten Form der ‚teilnehmenden Beobachtung‘. Zwar ist das klassische Gebiet der teilnehmenden Beobachtung die menschliche, soziale Interaktion, doch bietet sich die Methode ebenso für die systematische, semistrukturierte Besichtigung und deren Protokollierung an. Daher wurden Elemente dieser methodischen Erhebungspraxis adaptiert, indem eine Besichtigungsmethode entwickelt wurde. Dabei ist stets zu beachten, dass „jede Betrachtung [...] nur eine Momentaufnahme“ (Thiemeyer 2010, S. 83) ist und Museen und ihre Ausstellungsbereiche potentiell unsystematischen und aperiodischen Veränderungen unterliegen. 4.3.1 Semistrukturierte Besichtigungen der Ausstellungen 31 Lamnek untergliedert die systematische teilnehmende Beobachtung in die strukturierte und die unstrukturierte Beobachtung (vgl. Lamnek 2010, S. 508). Die strukturierte Beobachtung diene dabei primär der „Quantifizierung“, die unstrukturierte Beobachtung der „Erfassung vornehmlich qualitativer Sachverhalte“ (ebd.). Während die teilnehmende Beobachtung, wenn sie der Beobachtung sozialen Verhaltens und Interagierens dient, das Aufdecken von Verhaltens- und Agitationsweisen zum Ziel hat (vgl. ebd., S. 502f.), die nicht ‚objektiv‘ vom Beobachteten reflektiert und

30 Nicht berücksichtigt werden konnten vergangene Ausstellungen, die nur bruchstückhaft hätten rekonstruiert werden können, sowie temporäre, Sonder- und Wanderausstellungen, die die Dauerausstellungen ergänzen und zudem nicht in allen Museen/Gedenkstätten vorzufinden sind. 31 Unter Ausstellungen werden in einem weiten Sinne sowohl die in den Gedenkstätten zugänglich gemachten, (original) wieder eingerichteten Räumlichkeiten verstanden, als auch ‚museale‘ Ausstellungsräume.

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in einem Interview wiedergegeben werden können, so wird im Rahmen dieses Forschungsprojekts ein ähnliches Ziel verfolgt: Im Interview wurden Fakten ebenso wie Stellungnahmen eingefordert – diese wurden aus der Produzentenperspektive (Ausstellungsmacher/innen, Leiter/innen) geäußert –, die Analyse der Ausstellungen – als Produkte – sollte hingegen Aufschluss darüber geben, wie die Schriftsteller/innen gedeutet und dargestellt werden, inwiefern sich in den Ausstellungen das Selbstbild der Institutionen widerspiegelt und auf diese Weise stützt oder sich auch widerspricht. Bei der Besichtigung der Ausstellungen spielten daher nicht nur strukturelle und materielle Aspekte eine Rolle, sondern gerade auch inhaltliche. Die lokalen und zeitlichen Restriktionen, die mit der Methode der Beobachtung in aller Regel verbunden sind, schränken diese bei Museumsbesichtigungen nicht erheblich ein; anders stellt sich dies bei der Restriktion durch den Beobachtungsgegenstand dar. Es kann lediglich das statische, temporäre Ergebnis eines Konzeptionsprozesses beobachtet werden, da nur das prinzipiell Beobachtbare einbezogen werden kann, so dass eine damit einhergehende „Oberflächlichkeit“ (ebd., S. 505) nicht ganz auszuschließen ist. Weitere Probleme der Methode sind „Wahrnehmungsverzerrungen“ (ebd., S. 507) und zwangsläufig mangelnde Objektivität.32 Reflektiert werden muss in dieser Hinsicht insbesondere, „dass gewisse Inhalte bevorzugt registriert werden und auf diese Weise die Aufnahme anderer Inhalte hemmen, d.h. die Wiedergabe der Beobachtung wird beeinflusst durch Ziele und Vorstellungen des Beobachters“ (ebd.).

Diese Schwierigkeiten heben die Notwendigkeit eines systematischen und möglichst strukturierten Vorgehens (vgl. Jahoda u.a. 1966, S. 77) bei gleichzeitiger Offenheit gegenüber dem Beobachtungsgegenstand und seinen Spezifika hervor. Die Besichtigungen folgten demgemäß einem semistrukturierten33 Beobachtungsleitfaden.34 Durch dessen offenen Einsatz konnte erstens umgangen werden, dass durch zuvor festgelegte Kategorien Teile von Ausstellungen ausgeschlossen wurden, und zweitens sicherte der Leitfaden ab, dass in Bezug auf alle besichtigten Museen und

32 Eine Trennung von Beobachter/in und Forscher/in, wie sie von Jürgen Friedrichs und Hartmut Lüdtke (1977, S. 34) gefordert wird, konnte im Rahmen dieser von einer Einzelperson durchgeführten Untersuchung nicht erfolgen. 33 Eine strukturierte Beobachtung wurde hier nicht angestrebt, da dazu ein ex ante entwickeltes Kategoriensystem notwendig gewesen wäre, das auf konkreten, zu falsifizierenden Hypothesen basiert hätte. Ein solches Vorgehen hätte dem Prinzip der Offenheit qualitativer Forschung widersprochen und wäre den Ausstellungen insbesondere in Anbetracht ihrer Vielfalt und ihren differenten Schwerpunktlegungen nicht gerecht geworden. 34 Der Beobachtungsleitfaden befindet sich im Anhang der Arbeit.

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Gedenkstätten dieselben Beobachtungsaufträge abgearbeitet wurden. Die Besichtigungen erfolgten grundsätzlich offen (nicht verdeckt), da sie in Kombination mit den Experteninterviews an einem Tag stattfanden und somit geplant und angekündigt wurden. Der Partizipationsgrad war im Gegensatz zur Beobachtung von menschlichem Verhalten zu vernachlässigen, in Hinblick auf die Tatsache, dass die Forscherin auch als Museumsbesucherin anzusehen ist, während sie ihre Besichtigung durchführt, jedoch nicht unerheblich: Bei der Besichtigung fügte ich mich weitestgehend35 den Strukturen der Ausstellungskonzeption und ließ meine Beobachtungen von dieser (an-)leiten, was die Ergebnisse in gewissem Maße beeinflusste.36 Wie die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) annimmt, ist von einer gegenseitigen Beeinflussung von Akteur und Ausstellung bzw. einer wechselseitigen Einflussnahme von Besucher/innen und den ausgestellten Dingen auszugehen.37 Dies sollte bereits während der Besichtigung mit reflektiert werden, um sich die damit einhergehende subjektive Wahrnehmung, aber auch die Beeinflussung der Ausstellung bewusst zu machen. Deswegen schwang während der Besichtigung immer die

35 Diese Fügung gilt nur bedingt, da immer wieder zurückgegangen werden konnte, bestimmte Teile wiederholt betrachtet werden konnten, im Falle mancher literaturmusealer Einrichtungen sogar wiederholte Besichtigungen stattgefunden haben. 36 Vgl. dazu auch die Ausführungen Werner Hanak-Lettners (2011, S. 105f.): „Im Ausstellungsraum kommt es zu einer Konfrontation zwischen dem Besucher, der sich sowohl als Zuschauer als auch als Akteur auf einer Bühne (dem inszenierten Ausstellungsraum) bewegt, und den dort ausgestellten Dingen. Wenn es ein Drama in der Ausstellung gibt, dann spielt es sich zwischen den Dingen untereinander, vor allem aber zwischen den Dingen und den Besuchern ab.“ Indem die Ausstellungsmacher/innen jedoch keinen exakten Verlauf vorgeben können, sondern die Besucher/innen immer über mehrere Entscheidungsfreiheiten verfügen, passen sie sich nicht vollends in die von ersteren vorgesehene Dramaturgie ein: „Diese Beobachtung ist ein wichtiges Indiz dafür, dass der Besucher einer Ausstellung nicht nur Rezipient, sondern vermehrt auch Akteur, Protagonist oder Co-Produzent ist, der die Handlung durch seine Vorwärtsbewegung in welche Richtung auch immer vorantreibt und sich die Geschichte, die anhand von Dingen und architektonischen Strukturen von Ausstellungsmachern ‚in den Raum gestellt wurde‘, selbst fertig erzählt“ (ebd., S. 109). „Denn nicht nur die Besucher, auch die Dinge sind Akteure einer Ausstellung“ (ebd., S. 140). 37 „Die bekannteste und zugleich umstrittenste These der ANT, die methodologische Forderung, sämtliche Entitäten – Menschen wie technische Apparate – als soziale Akteure zu behandeln“ (Belliger/Krieger 2006, S. 15), ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Den Dingen wird schließlich hierdurch ein Status zugesprochen, demzufolge sie das menschliche Wesen in seinem Handeln und Wahrnehmen beeinflussen und nicht bloß passive Objekte sind.

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Frage mit, warum etwas wie auf mich wirkte. Zudem habe ich im Laufe der Besichtigungen wiederholt versucht, Abstand zum Gesehenen zu nehmen, indem ich Pausen eingelegt habe, in denen ich spontan emotional-assoziative Wahrnehmungen realisieren und reflektieren konnte. Mit Lamnek kann demgemäß davon ausgegangen werden, dass „eine klare Dominanz der Beobachtung“ vorlag, wenn auch keine „reine Beobachtung ohne Interaktion“ (Lamnek 2001, S. 268) mit den Dingen zustande kommen konnte. Dass eine Beobachtung der letztgenannten Variante nicht möglich sein kann, wird weiterhin dadurch forciert, dass die meisten Ausstellungen gegenwärtig interaktive Elemente enthalten und das Aktivwerden der Besucher/innen einfordern, um sich alle Ausstellungsbereiche erschließen zu können. Ausstellungsbesucher/innen bewegen sich folglich in Ausstellungen immer in einem performativen Raum, den sie selbst wiederum durch Formen der (Inter-)Aktion beeinflussen. Denn „[a]uch wenn der mächtige Gestus des Museums Geschichten vorgibt, Assoziationen aufdrängt, trägt der von den BesucherInnen gewählte Weg, ihre Position in den Räumen, die Auswahl von Objekten, die sie wahrnehmen, und Texten, die sie lesen, zur Konstruktion spezifischer Ausschnitte der Narration bei. Der Museumsbesuch wird zum performativen – und auch subjektiven – Akt“ (Martinez-Turek 2009, S. 26).

Im Zentrum der Erhebung stand stets die Beantwortung der Frage, WAS in den Ausstellungen WIE ausgestellt wird. Um diese beiden Fragenbereiche möglichst offen beantworten zu können, wurde der Beobachtungsleitfaden inhaltlich breit angelegt, so dass zwar bestimmte Beobachtungsbereiche vorgegeben wurden, diese jedoch noch nicht in Subkategorien und entsprechende Merkmalsausprägungen unterteilt waren. Auf diese Weise konnte die Offenheit der Beobachtung bei gleichzeitiger Garantie der Bearbeitung von spezifischen Beobachtungsaufträgen gesichert werden. Schwerpunkte der Beobachtungen stellten erstens Inhalte und Strukturen der Ausstellung dar – was wird in welcher (kausalen bzw. temporalen) logischen Abfolge dargestellt und erzählt – sowie damit zusammenhängend die Art der Präsentation – in Form der ausgewählten Objekte sowie der räumlichen Anordnungen, Gestaltungen und Inszenierungen. Da es in Hinblick auf erinnerungstheoretische Fragestellungen ganz wesentlich scheint, wie sich Gruppen als Erinnerungsgemeinschaften erzählen und repräsentieren, waren sowohl narrative als auch materielle Elemente – vor allem in ihrer Kombination und logischen Verschränkung – für die Analysen von großer Bedeutsamkeit. Der Beobachtungsleitfaden richtete sich zunächst auf folgende Aspekte: 1. Art der ‚Ausstellung‘ (z.B. museale Ausstellung versus historisch-authentisch wiedereingerichtete Räume), 2. Struktur der Ausstellung (chronologisch, thematisch, in Anlehnung an Literatur; Orientierungsmöglichkeiten innerhalb der Ausstellung etc.), 3. Objekte und Möbelstücke (insbesondere Schreibutensilien oder -möbel),

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4. Art der Präsentation und Funktion der Objekte sowie ihre Verbindung mit Texten/Erläuterungen, 5. inhaltliche Schwerpunktlegungen, 6. Atmosphäre und Design der Ausstellung, 7. Integration von Medien, 8. Anwesenheit und Funktion von Aufsichtspersonal, 9. (angenommene) Zielgruppe und 10. Arten der Besichtigung (autonom, Führung optional/Pflicht, mediale Guides etc.).38 Neben der Bearbeitung des Beobachtungsleitfadens wurden bereits während der Besichtigungen zusätzlich offene Kommentare notiert, die folglich induktiv aus der Besichtigung hervorgingen und nicht zuvor als Beobachtungsauftrag festgehalten waren. Gemäß der großen Offenheit und geringen Strukturiertheit der Erhebungsmethode handelte es sich bei den Auswertungsergebnissen zuallererst um Deskriptionen der Ausstellungskonzepte. Die Ergebnisse konnten zwar nicht auf ihre intersubjektive Gültigkeit hin geprüft werden, indem die Besichtigungen von mehreren Forschenden durchgeführt, protokolliert und ausgewertet wurden,39 allerdings wurden die Interviewpartner/innen im Laufe des Interviews konkret zu den Konzepten und Ausgestaltungen befragt, so dass diese einerseits auf der Basis der Beobachtungen analysiert, andererseits hingegen auch die Darstellungen der Verantwortlichen und deren Blick auf die Ausstellungen einbezogen werden konnte. Die Beobachtungen der Forscherin konnten so mit denjenigen der Ausstellungsgestalter/innen abgeglichen werden. Um die Analyse der Ausstellungen zusätzlich abzusichern, wurden in allen Einrichtungen Fotos aufgenommen, die zur Auswertung unterstützend – nicht als eigenständiger Untersuchungsbereich – herangezogen werden konnten. Sie dienten insbesondere der erzähltheoretischen Analyse, da sich so exakte Formulierungen wie einzelne inszenierende (Objekt-)Arrangements innerhalb ihres Ausstellungskontextes festhalten und nach dem Museumsbesuch noch detaillierter interpretieren ließen. Als problematisch stellte sich heraus, dass in die meisten Ausstellungen digitalisierte Darstellungsformen integriert waren, die es nicht zugelassen hätten, in die Tiefe und Breite aller zur Verfügung stehenden Informationen vorzudringen, da sie offensichtlich so angelegt waren, dass die Besucher/innen jeweils in ihre Interessenschwerpunkte weiter eindringen können, zugleich aber die verschiedenen Schwerpunkte so breit und tief ausgestaltet waren, dass keine vollkommene Erschließung möglich gewesen wäre. Diese vielfältigen und umfangreichen Textebenen konnten daher lediglich exemplarisch und ausschnitthaft in die Analysen mit einbezogen werden.

38 Die Auflistung stellt keine hierarchische Reihenfolge dar. 39 Dies wäre organisatorisch und ökonomisch im Rahmen eines Dissertationsprojektes nicht möglich gewesen.

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4.3.2 Auswertung der Museumsbesichtigungen: literaturmuseales Erzählen Die Analyse von Ausstellungen stellt bis in die Gegenwart ein Forschungsgebiet dar, das noch nicht systematisch ausgearbeitet worden ist. Allerdings liegen bereits einige Ansätze vor, die neben semiotischen40 performanztheoretische41, erzähltheo-

40 Ein bekannter semiotischer Ansatz – die Semiotik versteht Kultur als Text – stammt von Jana Scholze, die „Museumsobjekte als Zeichen“ und die „Ausstellungspräsentation als Komplex codierter Zeichenrelationen“ (Scholze 2010, S. 137) versteht, wobei die Bedeutungsvielfalt ersterer innerhalb letzterer beschränkt werde. Sie legt ihrem Ansatz theoretische Ansätze Roland Barthes und Umberto Ecos zugrunde und untersucht Ausstellungen als Codierungen durch Decodierungsprozesse, indem sie die drei Kommunikationsrichtungen der Zeichen – Denotation, Konnotation und Metakommunikation (vgl. Scholze 2004, S. 30) – herausarbeitet. Eine semiotische Analyse ist dabei in erster Linie „auf die Beziehung zwischen den ausgestellten Objekten und Objektbeschreibungen“ (Scholze 2010, S. 133) ausgerichtet, sie nimmt aber nicht die Ausstellung als Ganze bzw. die Räume als gestaltetes Ganzes in den Blick, so dass sie sinnliche Aspekte und Wirkungen von Räumen ausschließt (vgl. dazu auch die Kritik von Thomas Thiemeyer 2010a, S. 32). Daher soll Scholzes Ansatz lediglich als sensibilisierendes Konzept hinsichtlich der Objektanalyse eingesetzt werden. Vgl. dazu Kap. 6.2. 41 Performanztheoretische Ansätze nehmen Ausstellungen als Aufführungen in den Blick (vgl. zum Begriff der Aufführung Erika Fischer-Lichte) und rechnen dem/der Besucher/in als Subjekt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Bedeutung zu. Werner HanakLettner, der die „Ausstellung als Drama“ (2011) versteht, wählt einen solchen Ansatz, wenn er davon ausgeht, dass „[j]eder einzelne Ausstellungsbesuch [...] seinen eigenen Ablauf“ (ebd., S. 106) hat. Die Performance spielt sich dabei zwischen den beteiligten Akteuren ab, also sowohl den Besucherinnen und Besuchern als auch den Objekten. „Im Ausstellungsraum kommt es zu einer Konfrontation zwischen dem Besucher, der sich sowohl als Zuschauer als auch als Akteur auf einer Bühne (dem inszenierten Ausstellungsraum) bewegt, und den dort ausgestellten Dingen. [...] Der Dialog zwischen Dingen und Besuchern ist ein innerer Dialog, in dem der Besucher den Dingen, je nach seinem Wissen und seiner Erfahrung seine Stimme leiht“ (ebd., S. 105f.) Die Besucher/innen konstruieren folglich in ihrer Interaktion, ihrer Performance in Bewegung durch die Ausstellung die Bedeutung des Ausgestellten auf immer neue und individuelle Weise mit. Eine Wiederholung ein und derselben Performance ist nicht möglich. Deutlich wird bereits an diesen Ausführungen, dass sich der performanztheoretische Ansatz zuerst Inszenierungs- und Aufführungsfragen widmet, nach sinnlichen Momenten und der Wahrnehmung bzw. der Rolle der Besucher/innen innerhalb der Ausstellungsbesichtigung fragt. Diese Momente sind für die folgenden Analysen nicht zentral, auch wenn sie in der Ana-

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retische42, ethnografische43 oder quellenanalytische44 Methoden umfassen. Jeder der genannten Ansätze bringt unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich, die mit Blick auf die leitende Forschungsfrage dieser Arbeit abzuwägen waren. Da das Erkenntnisinteresse sich im Wesentlichen darauf richtete, herauszufinden, wie in personalen literaturmusealen Einrichtungen an Schriftsteller/innen erinnert wird und wie diese entsprechend mithilfe von Texten, Objekten und Inszenierungen ausge-

lyse der Gestaltung der Ausstellungserzählungen natürlich mitschwingen. Insgesamt gibt dieser Ansatz allerdings wichtige Impulse für Museumsanalysen, die sich oftmals lediglich auf die Objekte und ihre Beschreibungen konzentrieren, dabei aber die Ausstellung als zur Aufführung bzw. Inszenierung gebrachtes Ganzes und die Besucher/innen vergessen. 42 Vgl. bspw. den Ansatz von Heike Buschmann (2010), auf den im Folgenden noch näher eingegangen wird. 43 Eric Gable hat einen ethnografischen Zugang zum „Museum als Feld“ (Gable 2010, S. 95) gewählt. Als das klassische Forschungsfeld eines Ethnologen definiert er das „Dorf“ (ebd., S. 97) als recht abgeschlossene Einheit, konstitutiv für die Methodik sei stets eine „Übersetzung“, „nämlich die ‚Perspektive des Eingeborenen‘ zu beschreiben und zu analysieren“ (ebd.), sichtbar werden zu lassen. Dementsprechend entpuppen sich demokratische Ziele als Zentrum ethnografischer Forschungen, die sich zum Ziel setzen, anderen eine Stimme zu verleihen (vgl. ebd. S. 103) sowie „das Fremde vertraut und (in verstärktem Maße) das Vertraute fremd zu machen“ (ebd., S. 98). Methodisch sind ethnografische Studien in aller Regel so angelegt, dass sie eine teilnehmende Beobachtung über einen längeren Zeitraum erfordern – so hätte bspw. die konkrete Praxis der Aushandlung des zu Erinnernden in den Einrichtungen mithilfe einer ethnografischen Methodik untersucht werden können, indem der Konzeptionsprozess einer Ausstellung begleitet worden wäre. 44 Thomas Thiemeyer untersucht – seiner Profession als Historiker folgend – (historische) Museen als Quellen, genauer: als „Traditionsquellen“ (Thiemeyer 2010b, S. 84). Einbezogen werden in seine Analysen nicht nur die Ausstellungen, sondern auch weitere Quellen, die mit der Konzeption oder Wahrnehmung der Ausstellungen von außen zusammenhängen, wie Konzeptpapiere, Ausstellungskataloge oder Rezensionen; hinzu kommen „selbst generierte Quellen“ wie etwa „Expertengespräche mit Projektmitarbeitern, Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats oder Interviews mit Besuchern“ (ebd., S. 82; Hervorh. i.O.). Thiemeyer stellt im Zuge seiner Analysen der Museen als Quellen acht Fragen an diese, die Analysemethodik beschreibt er als Hermeneutische (vgl. ebd., S. 89). Die Grenzen einer solchen Methodik hat Thiemeyer selbst formuliert: „Wie der Raum wirkt, welche Ausstrahlung die Dinge haben und wie sie zusammenwirken, lässt sich mit ihr nicht ergründen“ (ebd.). Demzufolge lassen sich die Ausstellungen als performatives Ganzes und die (Art und Weise der in ihnen vermittelten) Narrative nicht ermitteln.

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stellt und erzählt werden, müssen die Einzelelemente der Ausstellungen stets auf ihre Bedeutung für das Gesamtensemble – die Einrichtung als Museum oder Gedenkstätte – hin befragt werden. Was sind jedoch die Einzelelemente, die bei einer Ausstellungsanalyse grundsätzlich Beachtung finden können, und welche geraten im Kontext dieser Arbeit besonders in den Blick? Thomas Hammacher und Angela Jannelli haben im Zuge ihrer Beschäftigung mit der Ausstellungsanalyse eine Mind map mit den zu beachtenden Komponenten entwickelt, die mir als Ausgangspunkt dazu dient, die grundlegenden Strukturen herauszuarbeiten (vgl. Hammacher/Jannelli 2008, S. 10). Die Mind map versammelt bereits einige Aspekte, die auch für die folgenden Ausstellungsanalysen von Relevanz sind. In besonderer Weise gilt dies für die in der Abbildung fett hervorgehobenen Punkte „Erzählung“, „Exponat“ und „Raum/Ort“, die ich allerdings um die ‚Inhalte‘ literaturmusealer Ausstellungen ergänzen möchte, die in dem Modell nur implizit unter „Erzählung“ eine Rolle spielen (vgl. ebd.). Diese vier Aspekte lassen sich je nach gewähltem Ansatz ausstellungsanalytisch nur schwer miteinander in Verbindung bringen. Ihre Verknüpfung ist allerdings mit Blick auf das Untersuchungsziel der vorliegenden Arbeit unerlässlich, geht es doch darum, herauszufinden, wie die Erinnerung an die Autorinnen und Autoren innerhalb literaturmusealer Institutionen (und hier insbesondere ihrer Ausstellungen) ausgestaltet und welches Narrativ um sie entfaltet wird. Diese Frage ist hinsichtlich der Ausstellungen jedoch nur zu beantworten, wenn alle Bereiche zumindest erfasst und anschließend zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies scheint mir möglich, wenn Ausstellungen als Erzählungen45 aufgefasst werden. (Literaturmuseale) Ausstellungen grundsätzlich als Erzählungen zu verstehen, ist kein vollkommen neuer Gedanke, wie auch Heike Buschmann (2010, S. 149ff.) feststellt. Ähnlich wie Buschmann halte ich die literaturwissenschaftlich-narratologische Analyse für auf die literarischen Ausstellungen übertragbar, denn „[a]ls mündliche oder schriftliche Darstellung von Begebenheiten ermöglicht die Erzählung eine einerseits elementare, andererseits hochkomplex elaborierte Auffassung, Strukturierung, Deutung und Vermittlung von realen oder imaginierten Erfahrungen, von Vorstellungen und Intentionen“ (Fulda 2011, S. 251).

45 Dieser Auffassung liegt die grundsätzliche Annahme zugrunde, „dass Erzählungen nicht bloß eine literarische Form oder ein bestimmtes sprachliches Ausdrucksmedium, sondern ein phänomenologischer und kognitiver Modus der Selbst- und Welterkenntnis sind“ (Nünning 2013, S. 22). Erzählungen werden im Folgenden insbesondere relevant als „Wirklichkeitserzählungen“ (vgl. Klein/Martínez 2009).

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Ebenso geht Thiemeyer davon aus, dass „Museen narrative Medien [sind], weil sie eine Geschichte erzählen. Sie tun das mit Objekten und im Raum“ (Thiemeyer 2013, S. 479). Dieser Annahme liegt ihm zufolge ein weites Verständnis von Erzählung zugrunde; ein engeres Verständnis sei dann gegeben, wenn danach gefragt werde, „wie sie [die Museen] ihre Geschichten erzählen“ (ebd., S. 483; Hervorh. i.O.). Die in den Ausstellungen generierten Erzählungen sind grundsätzlich als faktuale Erzählungen zu klassifizieren, die „Teil einer realen Kommunikation“ sind und „als tatsächliche Behauptungen des Autors verstanden werden“ (Martinez/Scheffel 2002, S. 17) können, da sie in der „Form der authentischen Erzählung von historischen Ereignissen und Personen“ (ebd., S. 10) handeln. Wie Axel Rüth verstehe ich historiographisches Erzählen und damit auch das Erzählen in literaturmusealen Ausstellungen „als kulturelle Praxis“ (Rüth 2012, S. 24), die an der Ausformung der Erinnerung im Rahmen des kulturellen Gedächtnisses beteiligt ist. Etwas grundsätzlicher kann auch Ansgar Nünning gefolgt werden, der „Kulturen als Erinnerungs- und Erzählgemeinschaften“ (2010)46 auffasst, was nicht nur bedeutet, dass Kulturen auf Erzählungen angewiesen sind, sondern auch, dass sich die Kulturen durch unterschiedliche Arten von Erzählungen auf wiederum verschiedene Arten und Weisen ausbilden. Denn die „wirklichkeitsstrukturierende und wirklichkeitskonstituierende Funktion“ (Nünning 2013, S. 40) von Erzählungen sowie ihre Rolle in Bezug auf Sinn-, Bedeutungs- und Identitätsstiftung (sowohl auf individueller wie kollektiver Ebene) ist als bedeutsames Paradigma für die Ausprägung und Gestaltung von Kultur anzusehen.47 Die Museen und Gedenkstätten konstruieren zu den in ihnen ausgestellten Autorinnen und Autoren ebensolche Erzählungen (zu verstehen als Materialisierungen von Kultur), durch die wiederum rekonstruktive Rückschlüsse auf mentale Dimensionen wie „kulturell geprägte Werte, Normen, Weltbilder und Kollektivvorstellungen“ (Nünning 2013, S. 29) möglich werden. Doch inwiefern weisen Ausstellungen dieselben Merkmale wie Erzählungen auf? Der Begriff Erzählung wird bereits innerhalb der Literaturwissenschaft kontrovers diskutiert und definiert. So versteht Monika Fludernik unter einer Erzählung Folgendes: „Eine Erzählung (engl. narrative, frz. récit) ist eine Darstellung in einem sprachlichen und/oder visuellen Medium, in deren Zentrum eine oder mehrere Erzählfiguren anthropomor-

46 Die Grundlage für ein solches Verständnis von Kultur(en) bildet bei Nünning eine semiotische Definition von Kultur, welche sich aus „der materialen, der sozialen und der mentalen Dimension“ (Nünning 2013, S. 28) zusammensetzt. 47 Exemplarisch sei hier verwiesen auf Müller-Funk 2008, Klein/Martínez 2009, Nünning 2010 und 2013, Meuter 2004.

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pher Prägung stehen, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht existenziell verankert sind und (zumeist) zielgerichtete Handlungen ausführen (Handlungs- oder Plotstruktur). Wenn es sich um eine Erzählung im herkömmlichen Sinn handelt, fungiert ein Erzähler als Vermittler im verbalen Medium der Darstellung. Der Erzähltext gestaltet die erzählte Welt auf der Darstellungs- bzw. (Text-)Ebene kreativ und individualistisch um, was insbesondere durch die (Um-) Ordnung der zeitlichen Abfolge in der Präsentation und durch die Auswahl der Fokalisierung (Perspektive) geschieht. Texte, die von Lesern als Erzählungen gelesen (bzw. im Drama und Film: erlebt) werden, sind automatisch narrative Texte; sie dokumentieren dadurch ihre Narrativität (engl. narrativity, frz. narrativité)“ (Fludernik 2010, S. 15).

Diese Definition grenzt damit weder faktuale Erzählungen aus, noch beschränkt sie das Erzählen auf mündliches oder schriftsprachliches Erzählen. Ausstellungen können demgemäß als Darstellungsformen verstanden werden, die mit sprachlichen und visuellen – zu ergänzen wäre hier für die Ausstellungen: räumlichen – Medien arbeiten. Ihre Darstellungsinhalte, ihre „Geschichten“ (vgl. Genette 2010, S. 12) umfassen die geforderten Erzählfiguren und unterliegen auch den zeitlichräumlichen Restriktionen sowie dem Kriterium der Handlungsstruktur. Erzählungen in Museen und Gedenkstätten kennzeichnet ähnlich fiktionaler Literatur, dass sie jeweils individuell gestaltet werden und Freiheiten in der Ausgestaltung der Ereignisabfolge und Perspektivierung haben. In den Ausstellungen werden als Elemente der Gestaltung schließlich nicht nur die Ausstellungstexte analysiert, sondern auch die Objekte und die räumlichen Arrangements,48 die die institutionelle Erzählung mitgestalten und strukturieren. Ebenso scheint die Definition einer „herkömmlichen“ Erzählung auf museale Ausstellungen übertragbar, da diese (zumindest in der Regel) über einen Erzähler verfügen und die Erzählung nicht ausschließlich mithilfe von räumlich angeordneten Objekten – also visuell –, sondern vermittelt durch Sprache erfolgt. Auch wenn die Objekte innerhalb der musealen Erzählung oftmals ins Zentrum der Analyse gestellt und als Haupttext definiert werden, wird die Sprache dennoch für ein notwendiges Mittel gehalten, um diese zu einer Erzählung zusammenfügen zu können.49 Auch Buschmanns Ansatz konzentriert „sich auf die räumliche Anordnung und Inszenierung von Exponaten und architektonischen Elementen als Haupttext der

48 Indem auch die räumlichen Arrangements als Gestaltungsmittel der Ausstellungserzählung in die Analyse einbezogen werden, finden performanztheoretische Annahmen Eingang in die Analysen, die nicht nur auf Objekte und Texte ausgerichtet sind, sondern nun auch das Gesamtensemble als Inszenierung berücksichtigen. 49 Vgl. dazu bspw. Michael Parmentier (2012, S. 161), der im Rahmen eines Aufsatzes die „Sprache“ als eine wesentliche Bedingung für das ‚Erzählen mit Dingen‘ (in Form von Ausstellungen als „Narrationen“) identifiziert hat.

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musealen Erzählung“ (Buschmann 2010, S. 166). Eine solche Fokussierung ist im Kontext literaturmusealer Ausstellungen allerdings nicht immer sinnvoll, da diese oftmals die Ausstellungstexte ins Zentrum stellen, und nicht die Objekte, handelt es sich bei diesen doch vielfach primär um sogenannte ‚Flachware‘, die in aktuellen Ausstellungskonzeptionen zunehmend sparsamer eingesetzt werden, um die Besucher/innen nicht zu überfordern. Radikal zeigt sich dies besonders bei neueren Ausstellungen, die grundsätzlich wenige Objekte einbeziehen.50 Daher muss von Fall zu Fall eruiert werden, ob die Erzählung eher von den Objekten, vom Arrangement oder von den Ausstellungstexten her konzipiert ist. Dementsprechend werden dann auch bei der Erzählanalyse unterschiedliche Aspekte ins Zentrum gestellt.51 Bevor die Ausstellungen als Erzählungen in den Blick genommen werden konnten, sollten allerdings die grundsätzlichen Strukturen und Präsentationsmuster in den untersuchten Ausstellungen (vgl. Kap. 6.1) sowie die in ihnen vorzufindenden Objekte und ihre Funktionen (vgl. Kap. 6.2) in den Blick kommen. Die verschiedenen Präsentationsformen geben bereits ersten Aufschluss darüber, was für ein Ausstellungsansatz und damit auch Umgang mit (literarischer) Geschichte innerhalb der Einrichtung und damit ihrer Ausstellung gepflegt wird. Hier war beispielsweise danach zu fragen, inwiefern die Räume (wieder) mit historisch-authentischen Möbelstücken ausgestattet wurden oder vielmehr mit abstrakten räumlichen Inszenierungen gearbeitet wurde, die historische oder literarische Szenerien darstellten. Darüber hinaus waren für die Analyse der Ausstellungsnarrative auch die Darstellungsstrukturen von Relevanz, wie ein chronologisches, thematisches oder vielmehr episodisches Konzept, geben diese doch bereits eine Art rahmende Erzählstruktur vor. Im Anschluss hieran wurde auf die in den literaturmusealen Ausstellungen vorkommenden Objekte und ihre Funktionen näher eingegangen, da diese durch die Art ihrer Einbindung das Ausstellungsnarrativ ebenfalls wesentlich mitbestimmen. Dass sie zunächst getrennt von der Analyse der Ausstellungen als Erzählungen betrachtet wurden, schmälert ihre Bedeutung innerhalb der Erzählungen nicht, sondern diente vielmehr dazu, ihre große Bedeutung innerhalb der Ausstellungen zu

50 Ausnahmen stellen hier beispielsweise die Dauerausstellung des Literaturarchivs in Marbach sowie das Goethe-Museum in Düsseldorf dar, wobei ersteres nicht zu den hier untersuchten personalen literarischen Museen zu zählen ist. Das Goethe-Museum weist eine Konzeption auf, die den von Buschmann beschriebenen ähnelt und bei denen das Objekt eine zentrale Stellung einnimmt und auch den Plot der musealen Erzählung determiniert. 51 Bei der narrativen Analyse eines Comics kann schließlich auch nicht nur der Text einbezogen werden, sondern es müssen v.a. auch die bildlichen erzählerischen Elemente Berücksichtigung finden. Entsprechend muss in den Ausstellungsanalysen jeweils darauf geachtet werden, dass weder nur die Objekte, noch nur die Ausstellungstexte oder die räumlichen Inszenierungen in den Blick kommen.

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unterstreichen – wenngleich in vielen Ausstellungen gegenwärtig schriftsprachliche Texte zentral zu sein scheinen oder zumindest quantitativ überwiegen. Um die Funktionen der Objekte innerhalb der Ausstellungen besser erfassen zu können, wurden sie in Anlehnung an Susanne Lange-Greves (1995, S. 100ff.) entwickelte Kategorien – Reliquie, Dokument und Repräsentant (vgl. Kap. 2.4) – betrachtet. Allerdings habe ich die Kategorien aus verschiedenen Gründen, die in Kap. 6.2 näher ausgeführt werden, modifiziert, so dass ich jeweils exemplarisch Objekte der drei Oberkategorien „Relikte“, „Belege“ („Zeugen“ und „Illustrationen“) und „Objekte im Kontext von Inszenierungen“ beschrieben und mit Blick auf ihre Funktionen innerhalb der Ausstellungen analysiert habe. Leitfragen waren dabei: Welche Objekte kommen in literarischen Museen und Gedenkstätten grundsätzlich vor? Welche Objekte erhalten eine Zentralstellung? Wie werden die Objekte ausgestellt und welche allgemeine Funktion erhalten sie dadurch? Inwiefern unterstützen sie die Ausstellungstexte oder funktionieren gar unabhängig von bzw. konträr zu diesen? In Bezug auf die darauffolgenden Erzählanalysen (vgl. Kap. 6.3) wurden die Objekte vor allem dann aufgegriffen, wenn diese für die Analyse der Erzählung ein Schlüsselmoment darstellten. So war bspw. von Bedeutung, ob und inwiefern die Objektanordnungen und -konstellationen parallel zu den Ausstellungstexten erzählen und einen ergänzenden Erzählstrang eröffnen, letzterem gegenüber aber vielleicht auch gegenläufig angelegt sind und ihm widersprechen. Hierin zeigt sich die enge Verbindung von textförmiger Narration und Funktion der Objekte innerhalb der Ausstellungen. Um im Vorhinein der Analyse deutlich werden zu lassen, inwiefern das erzählanalytische Instrumentarium auf die Ausstellungen zu transferieren war, gehe ich im Folgenden kurz auf einige Kategorien und Begrifflichkeiten ein, die für die späteren Analysen grundlegend gewesen sind. Ziel dieser Darstellung ist es, zu zeigen, inwiefern diese für literaturmuseales Erzählen eine Relevanz besitzen und welche möglichen Funktionen damit verbunden sein können. In der literaturwissenschaftlichen Erzählforschung kann grundsätzlich unterschieden werden zwischen fiktionalen und faktualen Erzählungen. Die Trennung zwischen diesen beiden kann allerdings nicht eindeutig erfolgen, da Faktualität und Fiktionalität sich überschneiden und sich die jeweilige Lesart (faktual/fiktional) erst in der Rezeption eines Textes herausstellt (vgl. Martinez/Scheffel 2003, S. 15). Matias Martinez und Michael Scheffel definieren die – dennoch oftmals antithetisch gebrauchten – Begriffe folgendermaßen: „Fiktional ist ein Text demnach nicht an und für sich, sondern in einem bestimmten historischen und sozialen Kontext, d.h. er ist fiktional für ein Individuum, eine Gruppe, eine Gesellschaft, in einer bestimmten Situation, in einer bestimmten Epoche. [...] Faktuale Texte sind Teil einer realen Kommunikation, in der das reale Schreiben eines realen Autors einen Text produziert, der aus Sätzen besteht, die von einem realen Leser gelesen und als tatsächliche Behauptungen des Autors verstanden werden. Fiktionale Texte sind ebenfalls Teil einer rea-

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len Kommunikationssituation, in der ein realer Autor Sätze produziert, die von einem realen Leser gelesen werden. Fiktionale Texte sind jedoch komplexer als faktuale, weil sie außer der realen auch noch einer zweiten, imaginären Kommunikationssituation angehören“ (ebd., S. 15ff.).

Erzählungen enthalten daher zumeist mehr oder weniger eindeutige Signale, die dem Leser bzw. der Leserin Fiktionalität oder Faktualität signalisieren. In Anlehnung an Christian Klein und Matías Martínez soll für literarische Museen davon ausgegangen werden, dass sie sich, ähnlich der Geschichtsschreibung, ‚deskriptiver Wirklichkeitserzählungen‘ bedienen, deren primäre „Funktion [...] die Darstellung realer Sachverhalte“ (Klein/Martínez 2009, S. 7) ist. Im Gegensatz zu fiktionalen Erzählungen gehen die Schriftsteller/innen mit den Leserinnen und Lesern hier einen „Wahrhaftigkeitspakt“ (Jaeger 2009, S. 110) ein, bei dem erstere letzteren garantieren, dass ihre Erzählungen sich an den historischen Gegebenheiten orientieren und nicht an rein erfundenen Welten, wobei das „Überprüfbarkeitskriterium“ (vgl. ebd., S. 111) dabei stets maßgebend sei, denn nur dieses vermöge die Wahrhaftigkeit und Gültigkeit des Erzählten – z.B. durch Quellenangaben – abzusichern. „Die Geschichten der Historiker sind also nicht nur aus sich selbst heraus überzeugend, sondern der Historiker muss auch explizit erklären, warum sie einen bestimmten Verlauf und nicht einen anderen nehmen. So gesellt sich zur Geschichte an sich eine sie permanent begleitende erläuternde Rede über Methode, Theorien, Fragestellungen, Quellen und Begriffe“ (Rüth 2012, S. 34).

Für die literaturmusealen Ausstellungen gelten die genannten ‚begleitenden‘ Aspekte zwar in verringertem Maße, da sie ansonsten die ‚Lesbarkeit‘ der Ausstellung stören und vermutlich die Besucher/innen überfordern würden, allerdings nehmen sie durchaus Bezug auf Quellen, Fachbegriffe, Theorien, Forschungsmethoden und zentrale Fragestellungen. Insbesondere mit Blick auf die ausgestellten Objekte und Dokumente ist ein typisch geschichtswissenschaftlicher Modus der Beweisführung zu erwarten.52 Gleichwohl diese das Erzählen und die Erzählung verwissenschaftlichenden Momente mit in die historische Geschichtsschreibung hineinspielen, ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass auf der Ebene der ‚histoire‘ (faktuale) Geschichtserzählungen fiktive Elemente53 enthalten und auf der Ebene des ‚discours‘

52 Vgl. dazu die in Kap. 6.2 eingeführte Kategorisierung, der zufolge Objekte insbesondere als Belege in Ausstellungen vorkommen. 53 Oftmals handelt es sich dabei um ausschmückende Elemente, die ähnlich den Raumbildern mit Objekten zu Illustrationszwecken eine größere Anschaulichkeit erzeugen sollen.

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nicht-erzählende, bspw. argumentierende Darstellungsarten vorkommen können (vgl. Klein/Martínez 2009, S. 7). Im Zuge einer Erzählanalyse der literaturmusealen Ausstellungen wird zu prüfen sein, inwiefern fiktionale Elemente in die tendenziell faktualen Erzählungen mit hineinspielen bzw. innerhalb der faktualen Erzählungen eine Argumentations- und Verweisstruktur aufgebaut wird, die die oben benannten geschichtswissenschaftlichen Be- und Nachweisstrategien integriert. Darüber hinaus haben sich für die Erzähltextanalyse die Dimensionen Stimme, Modus und Zeit als fruchtbar herausgestellt (vgl. Martinez/Scheffel 2003) und sollen daher nun auf Formen des literaturmusealen Erzählens angewendet werden. Zunächst wenden wir uns daher der Frage zu, wer in einer Ausstellung überhaupt spricht bzw. die Geschichte erzählt (Stimme). Handelt es sich dabei um einen heterodiegetischen (nicht der erzählten Welt zugehörigen) Erzähler oder erzählt ggf. der (ausgestellte) Autor selbst oder ein Verwandter bzw. Bekannter des Autors die Geschichte, im Sinne einer homo- bzw. autodiegetischen Erzählweise? Die Bestimmung dieses Aspekts ist von Bedeutung, da eine Ausstellung, die von der ausgestellten Person erzählt wird, in der Regel auch eine andere Fokalisierung mit sich bringt. Wenn das Dargestellte nicht retrospektiv erzählt wird, bleibt der Fokus überaus verengt, Zusammenhänge, die der homo- oder autodiegetische Erzähler (noch) nicht erkennen kann, müssen ausgeblendet werden und es kann mitunter eine relativierende Distanz fehlen, die es notwendig macht, dass Ausstellungsbesucher/innen diese Aufgabe selbst erfüllen. Die mit dieser Erzählweise einhergehenden Probleme im Kontext musealen Ausstellens werden daher mit ein Grund dafür sein, warum sich – zumindest unter den untersuchten Fällen – kein Museum befunden hat, das primär eine solche Stimme in der Ausstellung gewählt hat. Hauptsächlich werden in den Museen heterodiegetische, also nicht der erzählten Welt angehörende Erzähler eingesetzt, die ganz im Sinne einer Nullfokalisierung mehr wissen, als dies bei den Figuren (den Autorinnen und Autoren) innerhalb der Erzählung der Fall gewesen wäre. Diese heterodiegetischen Erzähler kennzeichnet ein wissenschaftsnaher Erzählstil. Wie bereits angedeutet, ist im Kontext des Modus die Fokalisierung und damit das „Problem der Perspektivierung des Erzählten“ (Martinez/Scheffel 2003, S. 63) zentral. Zu klären ist, ob der Erzähler mehr als die Figuren der erzählten Welt (Nullfokalisierung), ebenso viel wie diese (interne Fokalisierung) oder gar weniger (externe Fokalisierung) weiß. Stimme ebenso wie Fokalisierung können innerhalb einer Erzählung variieren. Dies kann zur Folge haben, „dass die externe Fokalisierung in eine interne umschlägt und so nach einem distanzierten Beginn eine größere Nähe zu den Charakteren möglich wird (z.B. ausgelöst durch eine Quelle, in der

In beiden Fällen werden historische ‚Fakten‘ mit weiteren, hier als fiktiv zu bezeichnenden Elementen ausgestaltet.

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historische Figuren Gedanken äußern)“ (Buschmann 2010, S. 154). Dies hängt zumeist jedoch damit zusammen, dass sich auch die Erzählebene ändert. Wenn beispielsweise innerhalb eines Ausstellungstextes von einem heterodiegetischen Erzähler mit Nullfokalisierung ein Ereignis erzählt wird und sodann ein Dokument – z.B. ein Tagebuchauszug des Autors – herangezogen wird, in dem letzterer eben jenes Ereignis nun aus der autodiegetischen Perspektive mit einer internen Fokalisierung berichtet, kann ein solcher Wechsel eintreten. Solche repetitiven Erzählweisen lassen sich besonders gut einsetzen, wenn die Wahrnehmung oder Einschätzung von Autorinnen und Autoren zu einem historischen Zeitpunkt im Vergleich zur gegenwärtigen, distanzierten herausgestellt werden soll. Sie kann aber auch dazu dienen, um die Voraussicht der Schriftsteller/innen im Vergleich zu ihren Zeitgenossen und damit ihre ‚Fortschrittlichkeit‘ zu unterstreichen. Das Erzählen der Ereignisse erfolgt in aller Regel retrospektiv in Form einer späteren Narration, was sich auch in der Verwendung des Präteritums zeigt. Alternativ wird das historische Präsens genutzt; hier wird die Nähe zum historischen Erzählen wiederholt sichtbar. Die Ereignisse werden zudem oftmals in chronologischer Reihenfolge erzählt, so dass, auch wenn Ellipsen Anwendung finden, indem nur einzelne thematisch relevante Ereignisse und Entwicklungen herausgegriffen werden, diese in einer chronologischen Abfolge angeordnet werden. Pro- und Analepsen – Formen der Anachronie – werden dementsprechend nur in kleinerem Umfang eingesetzt, um die Bedeutsamkeit von vorausgegangenen oder noch folgenden Entwicklungen zu betonen. Achronien finden sich in literaturmusealen Ausstellungen nicht, sie würden dem gängigen musealen Prinzip, einen Sachverhalt strukturiert und wissenschaftlich aufgearbeitet darzustellen, offenbar zu sehr widersprechen. Neben den bereits erwähnten Ellipsen sind Raffungen, Dehnungen und Pausen möglich, szenische Darstellungen im Sinne einer Entsprechung von Erzählzeit und erzählter Zeit finden sich in den Ausstellungen hingegen nicht. Die Dauer der Erzählung hängt mit der grundsätzlichen Struktur der Ausstellungen zusammen. So umfasst sie bei einer Ausstellung, die sich auf das gesamte Leben eines Autors bzw. einer Autorin bezieht, ebendiese Zeitspanne; werden allerdings auch vorangegangene literarische Strömungen oder das Nachwirken von Autorinnen und Autoren und ihrer Literatur mit einbezogen, kann sich die Dauer der Erzählung extrem ausweiten – Raffungen und Ellipsen sind hier die Regel. Daneben können sich die Erzählungen auch auf kleinere Lebensabschnitte beziehen, indem sie beispielsweise nur das einschließen, was sich an dem Ort, an dem sich auch die Ausstellung befindet, ereignet hat. Erzählanalytisch ist zusammenfassend also besonderes Augenmerk darauf zu richten, aus welcher Perspektive erzählt wird, welche verschiedenen Stimmen zu vernehmen sind und ob sie dazu genutzt werden, ein und dasselbe durch unterschiedliche Stimmen zu vermitteln, oder ob diese auf eine – sich auch teils widersprechende – Mehrstimmigkeit hin angelegt sind.

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Des Weiteren sind in musealen Ausstellungen die verschiedenen Formen von Transtextualität von immenser Bedeutung, insbesondere dann, wenn die Erzählung hauptsächlich aus Objekten besteht, wie es Buschmann (2010) annimmt. Die transtextuellen Bezüge innerhalb einer Ausstellung erlauben dann überhaupt erst, die Abfolge der Erzählung und ihr(e) Narrativ(e) zu erkennen. Ohne Überschriften, Erläuterungen, Nummerierungen, Kataloge, Audioguide etc. blieben die meisten Ausstellungen abstrakt und unverständlich. Bei der Darstellung der verschiedenen Formen von Transtextualität beziehe ich mich auf die Arbeit von Genette, der die unterschiedlichen Arten von Trans- bzw. Intertextualität ausdifferenziert und expliziert hat,54 sowie auf erste Übertragungen dieser auf den musealen Kontext durch Buschmann. Im Gegensatz zu dem Ansatz bei Buschmann können in der Regel jedoch nicht die Objekte als die zentralen zu analysierenden, die Erzählung konstituierenden Elemente angesehen werden, da diese in literaturmusealen Ausstellungen deutlich weniger präsent sind, als dies möglicherweise in historischen Ausstellungen der Fall ist. Daher werden sich die Analysen in erster Linie auf die Ausstellungs-Texte beziehen. Somit werden Modifikationen bei der Übertragung narratologischer Analysebegriffe vom geschichtsmusealen (vgl. Buschmann 2010) auf den literaturmusealen Kontext notwendig. Eine häufige Form der Transtextualität in literaturmusealen Ausstellungen ist die Intertextualität, welche Genette „in den meisten Fällen [...] als effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text“ (Genette 1993, S. 10) versteht. Sie kann in drei unterschiedlichen Formen vorkommen: als Zitat, als Plagiat oder als Anspielung (vgl. ebd.). In den literaturmusealen Ausstellungen ist die Intertextualität insbesondere in Form von Zitaten vertreten. Bei diesen Zitaten handelt es sich nicht nur um solche der ausgestellten Schriftsteller/innen, sondern auch anderer Personen – neben anderen Autorinnen und Autoren werden in der Öffentlichkeit stehende oder ersteren nahestehende Personen zitiert. Die Funktionen der solcherart eingebundenen Zitate reichen vom schlichten Beleg – ähnlich den als Belege fungierenden Objekten – bis hin zur Erzeugung polyphoner Erzählsituationen, die Eindeutigkeiten auflösen oder zumindest (teilweise) in Frage stellen sollen.55 Mit einer solchen Mehrstimmigkeit hielte dann bereits eine Erzählstrategie Einzug in die Museen, welche der Art der Einrichtung lange Zeit widersprach, war sie doch auf die Präsentation von wissenschaftlichen Tatsachen und damit Eindeutigkeiten ausgerichtet.

54 Trotz oder möglicherweise gerade aufgrund der detaillierten Ausdifferenzierung sind die Übergänge zwischen den einzelnen Kategorien in Teilen fließend, was auch Gérard Genette selbst einräumt (vgl. Genette 1993, S. 18). Vgl. dazu auch Buschmann (2010, S. 167), die dies im Bereich des musealen Erzählens für die Grenze zwischen Hyper- und Metatext zeigt. 55 Vgl. dazu bspw. den Beginn der Ausstellung im Grass-Haus (vgl. Kap. 6.3.6).

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Ob sich in einer Ausstellung folglich polyphone Momente finden und wie stark die ihnen zugewiesene Position innerhalb der gesamten Ausstellung ist, lässt demzufolge Rückschlüsse darauf zu, wie die Einrichtung grundsätzlich mit ihrer Geschichte, ihrem Gegenstand und der zu erzählenden Vergangenheit umgeht. Paratexte steuern das Lesen eines Textes und kommentieren ihn auf eine spezifische Art und Weise. Beispiele für Ausstellungen sind „Titel, Anmerkungen oder Illustrationen“ sowie „Hinweisschilder“, „Überschriften“ und „eine Nummerierung der Exponate“ (Buschmann 2010, S. 166).56 Die in dieser Form als Peritexte auftretenden Paratexte befinden sich stets in räumlicher Nähe zum zentralen Text (beim Museum in der Ausstellung) und entfalten ihren Bezug zu ihm erst durch diese. Im Gegensatz dazu finden sich Epitexte nicht unmittelbar innerhalb der Ausstellung, sondern können in Interviews, Berichten oder auf Homepages vorkommen. Dieser Definition folgend ist das Interview mit den Leiterinnen und Leitern der Einrichtungen in den Abschnitten, die sich auf die Ausstellung(skonzeptionen) beziehen, ebenfalls als Epitext anzusehen. Metatextualität kommt dadurch zustande, dass der Ausstellungstext durch einen anderen Text kommentiert wird. Dies kann mit Blick auf literaturmuseale Ausstellungen sowohl in Ausstellungsrezensionen wie auch in -katalogen der Fall sein. Genette zufolge meint Hypertextualität „jede Beziehung zwischen einem Text B (den ich als Hypertext bezeichne) und einem Text A (den ich, wie zu erwarten, als Hypotext bezeichne), wobei Text B Text A auf eine Art und Weise überlagert, die nicht die des Kommentars ist. [...] Oder, um es anders zu sagen: Wir gehen vom allgemeinen Begriff eines Textes zweiten Grades [...], d.h. eines Textes aus, der von einem anderen, früheren Text abgeleitet ist“ (Genette 1993, S. 14f.).

Als Hypertexte ordnet Buschmann „Begleitbücher, Audioführungen und Texttafeln in Ausstellungen“ ein, die allerdings nur so lange als Hypertexte zu verstehen sind, wie sie „keinen Kommentar zu Exponaten darstellen“ (Buschmann 2010, S. 166). Sie müssen das Kriterium der „Transformation“ (Genette 1993, S. 15) erfüllen, so dass sie entweder dasselbe Thema behandeln wie der Ausstellungstext, dies aber nicht tun, indem sie diesen kommentieren, sondern indem sie deren Thema bzw. Inhalte aufgreifen und in eigenem, neuem Stil bearbeiten. Oder die Hypertexte

56 Buschmann lehnt sich dabei eng an Genette an, der als Paratexte in Bezug auf das literarische Werk „Titel, Untertitel, Zwischentitel; Vorworte, Nachworte, Hinweise an den Leser, Einleitungen usw.; Marginalien, Fußnoten, Anmerkungen; Motti; Illustrationen; Waschzettel, Schleifen, Umschlag und viele andere Arten zusätzlicher auto- und allographer Signale“ (Genette 1993, S. 11) identifiziert.

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müssen (als Nachahmung) im Stile eines Ausstellungstextes verfasst sein, nicht aber zwangsläufig die gleichen oder ähnliche Themen aufgreifen. Architextualität meint eine „Beziehung, die bestenfalls in einem paratextuellen Hinweis auf die taxonomische Zugehörigkeit des Textes zum Ausdruck kommt“ (Genette 1993, S. 13). Sie tritt in Bezug auf literaturmuseale ‚Ausstellungen‘ wohl am ehesten insofern auf, als diese sich in Museen (Ausstellungshäusern) oder Gedenkstätten (historisch-authentischen Gebäuden) befinden und ihnen dadurch die Gattung Ausstellungstext zugeschrieben wird. Durch den Ort der Unterbringung wird ihnen eine Ausstellungsgattung zugewiesen, die vom reinen Zeigen von Objekten über kontextualisierende Ausstellungen bis hin zu erhaltenen, rekonstruierten oder inszenierten Räumen reichen kann. Ob eine literaturmuseale Einrichtung, innerhalb derer sich die ‚Ausstellungen‘ befinden, beispielsweise als GoetheGedenkstätte oder Goethe-Museum bezeichnet wird, ist damit nicht mehr beliebig, sondern gibt entscheidende Hinweise darauf, welche Ausstellungsart bzw. -gattung grundsätzlich zu erwarten ist. Schließlich spiegeln sich in den Ausstellungserzählungen stets bestimmte Narrative sowie narrative Strategien, die es ebenfalls zu untersuchen gilt. Denn Kuratorinnen und Kuratoren stellen Objekte zu einem thematischen oder zeitlichen Bereich nicht bloß aus, sondern kontextualisieren diese und generieren eine Erzählung, hinter der sich Narrative verbergen. Dies wird an einem ihre kuratorische Tätigkeit reflektierenden Zitat der Kulturwissenschaftlerin Anke te Heesen deutlich: „Anders vielleicht als beim Schreiben werde ich mir beim Ausstellungenmachen viel eher bewusst, dass ich den Kontext mache, dass ich die Narrationen verfasse. Dass ich das Lesen, das Erfassen dieser Objekte für den Besucher ganz eindeutig vorgebe“ (te Heesen 2011, S. 81).

Diese Erzählungen kennzeichnet also, dass sie erstens konstruiert sind („dass ich den Kontext mache“) und zweitens eine klare Lesart „vorgebe[n]“. Neben den formalen Strukturen des Erzählens gehören auch die inhaltlichen Erzählmuster, die zu den Autorinnen und Autoren entwickelten Narrative zu den in literaturmusealen Ausstellungen wiederkehrenden Formen, die im Rahmen der Memorierungspraxis betrachtet und auf ihre Funktion im Erinnerungskontext hin untersucht werden sollen. In literaturmusealen Narrativen kondensiert sich, welches Bild von den erinnerten Autorinnen und Autoren vermittelt werden soll, was erinnerungstheoretisch von großer Relevanz ist. Als „Erzählgemeinschaften“ greifen Gruppen auf ein ihnen eigenes „narratives Reservoire“ (Müller-Funk 2008, S. 14) zurück, das narrativkulturelle Muster umfasst. Diese narrativen Muster strukturieren die einzelnen kulturellen Erzählungen. Es geht hierbei um eine Ebene des Erzählens, die für die Strukturierung des plots zuständig ist; sie steht demzufolge über dem plot, indem

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dieser durch „konventionalisiert[e]“ (Nünning 2013, S. 36) Muster strukturiert wird. Mit Walburga Hülk kann ein Narrativ definiert werden als „eine Erzählung, mündlich oder schriftlich, Alltagsbericht oder Dichtung, in der Faktum und Fiktion vielfach nicht getrennt sind. Narrative sind sinnstiftend, das heißt sie überführen Erlebtes in bekannte Kategorien, stellen vertraute Kontexte her. Elemente werden verknüpft, ausgewählt, weggelassen und auf das Narrativ hin zugespitzt. Das Narrativ erklärt und interpretiert bereits, setzt häufig Neues in Bezug mit Altem und führt zu etwas hin. Narrative sind kulturspezifische, individuelle und kollektive Denkmuster, die Wahrnehmungen und Verhalten bilden und ausdrücken“ (Hülk 2013, S. 118).

Im Kontext der Erzählanalyse der Ausstellungen werden folglich auch die maßgeblichen Narrative dieser herausgearbeitet. Diese sind in zweierlei Hinsicht von Interesse: 1. inwiefern sich allgemeine und grundlegende „Mini-Narrative wie ‚Fortschritt‘, ‚Steigerung‘, ‚Wachstum‘, ‚Krise‘ oder ‚Katastrophe‘“ (Nünning 2013, S. 37f.) in den Ausstellungen finden und 2. welcher Art Narrative damit zu den jeweiligen Autorinnen und Autoren erzeugt werden. Gerade im Anschluss an die narratologische Analyse, mit deren Hilfe die grundsätzlichen Erzählweisen und Erzähltechniken der Ausstellungen herausgearbeitet werden können, erscheint es sinnvoll, sich diesen Aspekten zu widmen. Der erste Fokus zielt dabei auf Ausstellungen übergreifende narrative Muster, durch Letzteren geraten demgegenüber die Spezifika der einzelnen ausgestellten Schriftsteller/innen in den Blick, die die Lese- und Interpretationsrichtung ihres (ausgestellten) Lebens und damit die Art ihrer Erinnerung prägen. Die narrativen Muster sind mit Blick auf die Memorierungspraxis literaturmusealer Einrichtungen und ihre Erzählweisen deshalb von besonderem Interesse, weil „solche Metaphern und Plots Einblick geben [können] in jenen Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Normen, der gemäß semiotischen Kulturbegriff als die mentale Dimension bzw. Mentalität einer Kultur zu verstehen ist“ (ebd., S. 38).

Insbesondere in diesem Kontext wird zu zeigen sein, inwiefern innerhalb der Ausstellungen Bezug genommen wird auf gesellschaftlich geteilte Normen und Werte wie Gleichheit, Freiheit, Solidarität etc. Darin spiegelt sich bereits, dass die Narrative „nicht bloß einen retrospektiven, sondern auch einen prospektiven oder teleologischen Aspekt enthalten“ (Müller-Funk 2008, S. 253). Die in den literarischen Museen verwendeten Narrative sind zusammenfassend mit den Worten Birgit Neumanns aus folgenden Gründen von besonderem Interesse:

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„Gedächtnisnarrative können Wirksamkeit entfalten, sie können einen tragfähigen Sinnhorizont zur Verfügung stellen, weil sie vom Standpunkt der Gegenwart konstruiert und auf diese Weise auf die aktuellen Identitätsbedürfnisse sowie Sinnanforderungen der Gruppenmitglieder abgestimmt werden“ (Neumann 2005, S. 103).

Die im Kontext der Museen und Gedenkstätten vorzufindenden Narrative spiegeln demzufolge Deutungs- und Orientierungsmuster der Gegenwart, auf die hin jene ausgerichtet werden müssen, sollen sie in der Erinnerungsgemeinschaft Akzeptanz erfahren. Damit sind sie als konstitutiver Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses, oder spezifisch der literaturmusealen Erinnerung anzusehen.

4.4 GÜTEKRITERIEN UND REFLEXION DER QUALITATIVEN UNTERSUCHUNG Da sich die Gütekriterien quantitativer Forschung – gemeinhin Objektivität, Reliabilität und Validität – nicht einfach auf qualitative Forschung übertragen lassen, qualitativer Forschung aber, wenn sie auch außerhalb ihrer Scientific Community wahr- und ernstgenommen werden möchte, Gütekriterien zugrunde gelegt werden müssen, wurden solche speziell für qualitative Forschung entwickelt. Diese werden dem Umstand gerecht, dass qualitative Daten im Gegensatz zu quantitativen weder standardisiert erhoben, noch statistisch ausgewertet werden können oder intersubjektiv überprüfbar sind (vgl. Steinke 2003, S. 324). Zu den Gütekriterien, welche methodenübergreifend für qualitative Forschung zählen, gehören nach Ines Steinke (ebd., S. 324ff.) intersubjektive Nachvollziehbarkeit, Indikation des Forschungsprozesses, empirische Verankerung, Limitation, Kohärenz, Relevanz und reflektierte Subjektivität. Mayring (2002, S. 144ff.) führt hingegen Verfahrensdokumentation, argumentative Interpretationsabsicherung, Regelgeleitetheit, Nähe zum Gegenstand, kommunikative Validierung und Triangulation auf, wobei sich die Kriterien teilweise überschneiden bzw. decken. Im Folgenden soll nachgewiesen werden, inwiefern die genannten Gütekriterien für die vorliegende qualitative Erhebung gelten. „Intersubjektive Nachvollziehbarkeit“ (Steinke 2003, S. 324)57 meint erstens die Dokumentation des Forschungsprozesses, indem sowohl die Erhebungsmethoden, die Regeln der Datenaufbereitung (z.B. der Transkription von Interviews), die Auswertungsmethoden, als auch grundsätzlich Informationsquellen angegeben

57 Bei Mayring bspw. bezeichnet als „Verfahrensdokumentation“, welche die „Explikation des Vorverständnisses, Zusammenstellung des Analyseinstrumentariums, Durchführung und Auswertung der Datenerhebung“ (Mayring 2002, S. 145) umfasst.

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werden. Zweitens fällt unter die intersubjektive Nachvollziehbarkeit die Interpretation in Gruppen, bei der das Forschungsprojekt mit anderen Forschenden diskutiert wird, die nicht selbst an dem Projekt beteiligt sind, sowie drittens der Rückgriff auf kodifizierte Verfahren, also die Nutzung bzw. Modifikation von bereits elaborierten Forschungsmethoden. Diese Kriterien wurden insoweit erfüllt, als die Methodenwahl und einzelnen Verfahren transparent gemacht wurden, auf gängige methodische Ansätze zurückgegriffen und das Projekt regelmäßig in unterschiedlichen Gruppen von Forschenden vorgestellt und (Material) diskutiert wurde. Die Indikation des Forschungsprozesses58 „ist weiter gefasst als die Forderung nach Gegenstandsangemessenheit, da nicht nur die Angemessenheit der Erhebungsund Auswertungsmethoden, sondern der gesamte Forschungsprozess hinsichtlich seiner Angemessenheit (Indikation) beurteilt wird“ (Steinke 2003, S. 326).59 Ein qualitatives Vorgehen (1) lag aus dem Grund nahe, dass zum Feld literaturmusealer Einrichtungen bislang wenig geforscht wurde und daher nicht auf vorliegende Erkenntnisse zurückgegriffen werden konnte, die eine quantitative Erhebung ermöglicht hätten. Die triangulierende Methodenwahl (Experteninterviews60 und Ausstellungsbesichtigungen61) (2) ermöglichte einen umfassenden Blick auf die Arbeit der

58 Unter diese fallen die Indikation des qualitativen Vorgehens (1), der Methodenwahl (2), von Transkriptionsregeln (3), der Samplingstrategie (4), der methodischen Einzelentscheidungen im Kontext der gesamten Untersuchung (5) sowie der Bewertungskriterien (6) (vgl. dazu Steinke 2009, S. 326ff.). 59 Steinke untergliedert dieses Kriterium in sechs Unterpunkte: „Indikation des qualitativen Vorgehens angesichts der Fragestellung“, „der Methodenwahl“, „von Transkriptionsregeln“, „der Samplingstrategie“, „der methodischen Einzelentscheidungen im Kontext der gesamten Untersuchung“ und „der Bewertungskriterien“ (ebd., S. 326-328; Hervorh. i. O.). 60 Die Experteninterviews waren so angelegt, dass sie gemäß den Standards qualitativer Forschung zunächst möglichst offen begannen: So wurde zum Einstieg die Erzählaufforderung gewählt, zunächst einmal auf die (Vor-)Geschichte der Einrichtung und ihre Entwicklungen sowie Schwerpunkte bis zum heutigen Tag einzugehen. Erst daraufhin folgten spezifischere (Rück-)Fragen. So hatten die Leiter/innen die Möglichkeit, zu Anfang des Interviews ihre ganz eigenen Schwerpunktsetzungen zu wählen. 61 Aufgrund der großen Disparatheit literaturmusealer Ausstellungen wäre es nicht sinnvoll gewesen, vorab einen geschlossenen, kategorialen Beobachtungsbogen zu entwickeln. Auf dem semistrukturierten Beobachtungsleitfaden, der hier gebraucht wurde, befanden sich lediglich offene Beobachtungshinweise bzw. -fragen; es wurden allerdings noch keine Antwortkategorien vorgegeben. Zudem wurden offene, freie Kommentare in Notizheften zu den Besichtigungen angelegt und Fotografien der Ausstellungen gemacht, die als Erinnerungsstütze für die Analysen dienten. Insbesondere aufgrund ihrer je individuellen

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Museen und Gedenkstätten. Wären nur die Ausstellungen berücksichtigt worden, hätten keine generellen Aussagen über die Arbeitsschwerpunkte der Einrichtungen getroffen werden können; andererseits hätte eine Beschränkung auf die Interviews dazu geführt, den (zumeist) bedeutsamsten Teil ihrer Arbeit, mit dem die Häuser an die Öffentlichkeit treten und sich präsentieren, zu ignorieren. Die Auswertungsmethoden (5) wurden auf die Erhebungsmethoden abgestimmt: so ist die Inhaltsanalyse ein gängiges Verfahren im Umgang mit Leitfadeninterviews; die semistrukturierte Besichtigung ist zwar als Erhebungsmethode so bislang nicht expliziert worden – dies liegt insbesondere an dem Mangel bislang publizierter Forschungen zu Ausstellungen bzw. deren Defizit in der Beschreibung der Erhebungsmethoden –, ist aber in der Beschreibung in Kap. 4.3.1 dargestellt worden und lehnt sich an ein gängiges Verfahren der empirischen Forschung an. Alle notwendigen Daten für die Analyse der Ausstellungen konnten zudem mit ihr erhoben werden. Die Transkriptionen (3) wurden entsprechend der Standardorthografie angefertigt und Sprecherwechsel durch Absätze – zusätzlich durch die Abkürzungen I für Interviewerin und B für Befragte/r – markiert. Die Nutzung der literarischen oder gar der phonetischen Umschrift war nicht notwendig, da die Interviews der Informationsgewinnung, nicht aber hermeneutischen Analysezwecken, wie sie bei der Sozialwissenschaftlichen oder Objektiven Hermeneutik üblich sind, dienten. Zudem wurden die Interviews komplett transkribiert – lediglich solche Abschnitte, in denen es zu Unterbrechungen des eigentlichen Interviews kam oder um deren Streichung die Interviewten baten, wurden ausgelassen. Die Samplingstrategie (4) richtete sich nach dem qualitativen Sample, das insbesondere dann Verwendung findet, wenn bereits Vorwissen über das Feld vorliegt und eine Typenbildung angestrebt wird. Es wurden somit bewusst solche Fälle ausgewählt, die möglichst das Spektrum literarischer Museen und Gedenkstätten abdeckten und verschiedene, theoretisch bedeutsame Merkmalskombinationen aufwiesen.62 Die empirische Verankerung meint, dass die „Bildung und Überprüfung von Hypothesen bzw. Theorien [...] in der qualitativen Forschung empirisch, d.h. in den Daten, begründet (verankert) sein“ (Steinke 2003, S. 328) sollte. Dieses Kriterium trifft auf die Erhebung zu, wurden doch kodifizierte Methoden verwendet und die Typologie ausschließlich auf den empirischen Ergebnissen basierend und schrittweise entwickelt. Zudem wurden aus dem theoretischen Vorwissen hervorgehend

Spezifika wurden die Ausstellungen schließlich innerhalb der Ausstellungsanalyse nicht nur fallübergreifend, sondern auch fallspezifisch betrachtet, so dass ihre Eigenheiten und Besonderheiten zur Geltung kommen konnten. 62 Ob die Studie den „Qualitätskriterien, die an die Studie angelegt werden, dem jeweiligen Gegenstand, der Methode und der Fragestellung angemessen“ (Steinke 2009, S. 328) sind, sollte letztlich von den Leserinnen und Lesern dieser entschieden werden.

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forschungsleitende Annahmen formuliert, die am empirischen Material geprüft werden konnten, und auch Grenzfälle zwischen den Typen, wie derjenige des Grass-Hauses, nicht fallen gelassen, sondern gesondert dargestellt. Abweichende oder Grenzfälle stellen sich dabei nicht grundsätzlich als Widerspruch zur Typologie heraus, sondern zeigen vielmehr an, dass sich die Einrichtungen im Laufe der Zeit verändern und deshalb Grenzfälle bzw. Verschiebungen von dem einen zu einem anderen Typus wie auch die Entwicklung weiterer Typen möglich sind. Unter dem Kriterium der Limitation wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Ergebnisse einer qualitativen Studie verallgemeinerbar bzw. auch auf andere, weniger spezifische Bereiche als den Untersuchungsgegenstand übertragbar sind. Mit der Entwicklung der Typologie gehen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit über reine Einzelfallbeschreibungen hinaus und bieten einen systematisierten Überblick über im empirischen Feld vorgefundene Typen von literaturmusealer Erinnerung – die Ergebnisse sind somit auch für andere literaturmuseale Einrichtungen relevant und auf diese übertragbar. Im Hinblick auf das Kriterium der Kohärenz sollte geprüft werden, inwiefern die entwickelte Theorie in sich konsistent ist bzw. an welchen Stellen sich Widersprüche feststellen ließen (vgl. Steinke 2003, S. 330). Diese sollten offen dargelegt werden. Wie oben bereits angedeutet, wurde diesem Prinzip Rechnung getragen, indem auch auf Fälle eingegangen wurde, die sich als Grenzfälle herausstellten (vgl. Kap. 8.2.5). Relevanz besitzen die vorliegenden Forschungsergebnisse vor allem in der Hinsicht, dass bislang keine Studie existiert, die sich der systematischen Aufarbeitung und Beschreibung des literaturmusealen Feldes gewidmet hat. Die Studie ist daher in der Grundlagenforschung anzusiedeln. Als letztes Kriterium nennt Steinke die reflektierte Subjektivität (vgl. ebd., S. 330f.). Unter dieses fallen die den Forschungsprozess begleitende „Selbstbeobachtung“, die Eignung der forschenden Person hinsichtlich ihrer „persönliche[n] Voraussetzungen“, das Vorhandensein einer „Vertrauensbeziehung“ zwischen Forschendem/r und Informant/in sowie „Reflexionen während des Feldeinstiegs“ (ebd., S. 331; Hervorh. i.O.). Auf das eigene Verhalten sowie die Rolle der Forschenden, insbesondere im Laufe der Erhebungsphase, wurde an verschiedenen Stellen reflektierend eingegangen (vgl. Kap. 4.2.1 und 4.3.1). Dass zwischen der Forschenden und den Befragten ein Vertrauensverhältnis zustande kam, zeigte sich mitunter darin, dass die Befragten im Laufe der Interviews auch von Dingen berichteten, bei denen sie darum baten, dass diese nicht in die Transkriptionen und Auswertungen aufgenommen werden sollten, um der Einrichtung nicht zu schaden. Sie waren also dazu bereit, auch von nicht für die Öffentlichkeit gedachten Aspekten zu erzählen. Dass sie darum baten, dass diese nicht in die Auswertung mit aufgenommen werden sollten, widerspricht dem nicht, agierten sie doch damit in Verantwortung für ihre Einrichtungen.

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Zuletzt soll über die nach Steinke aufgeführten Gütekriterien noch auf ein Kriterium eingegangen werden, das Mayring benennt und das nicht wie die anderen in denjenigen Steinkes aufgeht: die Triangulation (vgl. Mayring 2002, S. 147f.).63 „Triangulation meint immer, dass man versucht, für die Fragestellung unterschiedliche Lösungswege zu finden und die Ergebnisse zu vergleichen. Ziel der Triangulation ist dabei nie, eine völlige Übereinstimmung zu erreichen“ (ebd.), was insbesondere im Hinblick auf eine Methodentriangulation – fände diese nun innerhalb qualitativer Methoden oder übergreifend bei qualitativen und quantitativen Methoden statt – auch nicht möglich wäre. Schließlich werden mit der Wahl der Methode Fokussierungsentscheidungen getroffen. So dienen beispielsweise die Experteninterviews wie auch die Ausstellungsanalysen dazu, etwas über die Art und Weise der literaturmusealen Erinnerung an Schriftsteller/innen herauszufinden. Nichtsdestotrotz fokussieren sie unterschiedliche Schwerpunkte und unterscheiden sich darüber hinaus in den erhobenen Daten – als Aussagen der Leiter/innen64 und Beobachtungen der Forscherin. Neben der Methodentriangulation kamen die Theorietriangulation sowie in Ansätzen die Datentriangulation zum Einsatz. Erstere zeigt sich vor allem in der Explikation der forschungsleitenden theoretischen Ansätze (vgl. Kap. 2 und 3), letztere darin, dass auf Ergebnisse sowie Datenmaterial aus anderen Studien zurückgegriffen wurde.

63 Vgl. dazu ausführlicher Lamnek 2010, S. 141ff. 64 Wichtig ist an dieser Stelle, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Experteninterviews um Aussagen der Leiter/innen handelt, die nicht im Einzelnen an historischen Quellen, Dokumenten o.ä. überprüft wurden. Historische Quellen hätten ggf. noch einmal andere oder exaktere Ergebnisse gebracht, aber auch nicht überall vorgelegen, zudem hätten dann nicht so viele Fälle untersucht werden können. Ziel der Arbeit war es, etwas über die Art der Erinnerung an Dichter/innen im literaturmusealen Kontext herauszufinden, was bedeutet, dass sowohl von Interesse war, wie es zu deren Gründung gekommen ist, als auch, wie die konkrete Erinnerungsarbeit v.a. in der Gegenwart ausgestaltet wird. Dafür von Belang waren nicht nur die gegenwärtigen Ausstellungen, sondern auch die weiteren Aufgabenbereiche, denen sich die Eirichtungen widmen. In einem Interview konnten diese von den Leiterinnen und Leitern dargestellt und ausgeführt werden. Dabei unterlagen die erhaltenen Informationen stets den Schwerpunktlegungen der Leiter/innen, was bedeutet, dass eine längere Ausführung zu einem Bereich nicht zwingend auch bedeuten muss, dass dieser quantitativ einen solch hohen Stellenwert einnimmt; es kann auch rein um die persönliche Bedeutsamkeit des Erzählten für den Erzählenden gehen. Wichtig ist hier zu betonen, dass die Leiter/innen allerdings nicht hinsichtlich ihrer persönlichen Vorlieben und Meinungen befragt wurden, sondern als Expert/innen ihrer Einrichtungen auftraten.

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Über diese allgemein für qualitative Forschung gültigen Gütekriterien hinaus gibt es auch solche, die speziell für die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse entwickelt worden sind. Das bekannteste unter den Gütekriterien ist sicherlich die „Intercoderreliabilität“ (vgl. Mayring 2010, S. 118f.). Diese besagt, dass die Kodierungen, welche von einem/r Forscher/in vorgenommen wurden, so auch von anderen vorgenommen werden müssen, damit die Datenauswertung als objektiv bezeichnet werden kann. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass nicht nur die Kodierungen der verschiedenen Kodierer/innen übereinstimmen, sondern auch auf der (häufig) vorgeschalteten Ebene der Entwicklung von Kodes bereits überprüft wird, ob die Forscher/innen dieselben Kodes entwickeln. Bei der vorliegenden Studie wurden zu Anfang, bevor die erste Kodierung und die Erweiterung des Kodiersystems vorgenommen wurden, Interviewausschnitte mit anderen Empirikerinnen diskutiert, so dass hier zumindest Teile der Kodes und des Interviewmaterials von mehreren Forscherinnen gemeinsam entwickelt wurden. Als zweites Gütekriterium nennt Mayring die „[s]emantische Gültigkeit“ (ebd., S. 119) der Kategorien, welche sich „in der Angemessenheit der Kategoriendefinitionen (Definitionen, Ankerbeispiele, Kodierregeln) aus[drückt]“ (ebd.). So wurden alle Kodes definiert, Ankerbeispiele gegeben und Regeln für das Kodieren festgelegt (s.o.) sowie beispielsweise die Homogenität aller Textstellen überprüft, denen derselbe Kode zugewiesen wurde. Drittens sei die „Stichprobengültigkeit“ (ebd.) von zentraler Bedeutung, um Aussagen über die untersuchte Gruppe treffen zu können. „Dabei ist zu beachten,



dass die Grundgesamtheit, über die Aussagen gemacht werden sollen, genau definiert wird.



dass der Stichprobenumfang nach Repräsentativitätsüberlegungen und ökonomischen Erwägungen festgelegt wird.



dass schließlich die Stichprobe nach einem bestimmten Modell gezogen wird“ (ebd., S. 53).

Die Grundgesamtheit wurde bei der vorliegenden Studie definiert als die personalen, literarischen Museen und Gedenkstätten in Deutschland, aus denen zehn Fälle, die möglichst kontrastiv ausgerichtet waren und bestimmte Merkmalskombinationen aufwiesen (vgl. Kap. 4.1), nach dem Samplingverfahren eines möglichst elaborierten qualitativen Stichprobenplans (vgl. Kelle/Kluge 2010, S. 43ff.) zusammengestellt wurden.65 „Konstruktvalidität“ (Mayring 2010, S. 120) meint, dass das Er-

65 Folgende Gütekriterien, die Mayring ebf. nennt, konnten v.a. aufgrund der Tatsache, dass die Studie von einer Forscherin alleine durchgeführt wurde, nicht berücksichtigt werden: „Korrelative Gültigkeit“ konnte nicht als Kriterium geltend gemacht werden, da keine

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hebungsinstrument – hier die Experteninterviews – auch das erhebt, was es erheben soll – im vorliegenden Fall die in Kap. 4.2.1 im Interviewleitfaden festgehaltenen thematischen Bereiche, welche für die Rekonstruktion der Erinnerung an die Dichter/innen durch die literaturmusealen Einrichtungen zentral sind. Die „Stabilität“ (ebd., S. 120) des Analyseinstruments wurde durch die wiederholte Kodierung geprüft – so wurde das im Laufe des ersten Kodierverfahrens modifizierte und durch Subkodes ausdifferenzierte Kodiersystem in einem zweiten Durchgang geprüft und in einem dritten Durchgang endgültig angewendet (vgl. Kap. 4.2.2).

entsprechenden Vergleichsdaten aus anderen Studien vorlagen. „Vorhersagegültigkeit“ kann generell nur als Kriterium veranschlagt werden, wenn das Material das Aufstellen von Prognosen zulässt, was hier nicht der Fall ist. „Reproduzierbarkeit“ ließe sich lediglich messen, wenn die Intercoderreliabilität durch mehrere Forscher/innen hergestellt worden wäre. Eine „kommunikative Validierung“ fand nur in Ansätzen statt, indem mit einigen Leiterinnern und Leitern im Nachhinein Gespräche über den Stand der Erforschung und damit auch ihre Einrichtungen geführt wurden sowie in einer Gedenkstätte ein (beratendes) Gespräch zum Umgang mit der Vergangenheit eines Autors stattfand (vgl. Mayring 2010, S. 119ff.).

5 Gründungsprozesse literaturmusealer Einrichtungen

Wenn literaturmuseale Einrichtungen daraufhin untersucht werden sollen, wie sie die Erinnerung an Dichter/innen ausgestalten, drängt sich zuallererst die Frage auf, wie es überhaupt zur Gründung der Museen und damit zur Erinnerungsinitiative gekommen ist. Hierüber liegt bislang kein Forschungsüberblick vor. Aus diesem Grund wandte sich der erste Teil der problemzentrierten Interviews mit den Leiterinnen und Leitern der Museen den Gründungs- und Einrichtungsprozessen zu. Im Zuge der Interviewkodierung haben sich die Aspekte prämuseale Erinnerungsformen, Gründungsprozesse, ihre Anlässe und Zeitpunkte, lokale wie materielle Gründungsvoraussetzungen sowie die Initiatorinnen und Initiatoren bzw. Beförderinnen und Beförderer der literaturmusealen Einrichtungen als besonders bedeutsam herausgestellt. Da übergreifende Strukturen von Gründungsprozessen identifiziert werden sollen, erfolgt die Darstellung weitestgehend fallübergreifend. Hinzugezogen werden über die untersuchten Fälle hinaus Erkenntnisse aus Gründungsprozessen anderer Einrichtungen, sofern diese die Darstellung bereichern und eine weitere Facette dieser aufzuzeigen vermögen. Auf diese Weise sollen sowohl grundsätzliche und in der Breite auftretende Tendenzen skizziert werden, als auch Spezifika der Einzelfälle Beachtung finden. Zunächst soll jedoch auf Formen des prämusealen Erinnerns eingegangen werden, die als ‚Vorläufer-Prozesse‘ für die Gründungen angesehen werden können, die aber, wie zu zeigen sein wird, nicht zwangsläufig oder gar unmittelbar in einen Gründungsprozess münden (müssen).

5.1 PRÄMUSEALE FORMEN DER ERINNERUNG Die Anna-Seghers-Gedenkstätte in Berlin stellt einen der wenigen – zugleich aber in der jüngeren Vergangenheit häufiger gewordenen – Fälle literaturmusealer Einrichtungen dar, die unmittelbar nach dem Tod der Autorinnen und Autoren in ein

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Museum bzw. eine Gedenkstätte umgewandelt wurden. Ein anderes Beispiel hierfür wäre das Jünger-Haus in Wilflingen. Den meisten Museums- und Gedenkstättengründungen gehen allerdings längere Zeitspannen voraus, in denen den Autorinnen und Autoren auf vielfältige andere Weise gedacht wurde. Es finden sich sowohl Formen der prämusealen Erinnerung, die von privaten, individuellen Besuchen der ehemaligen Wohnorte der Autorinnen und Autoren über offizielle Akte wie Benennungen von Straßen, Schulen etc. bis hin zur Aufstellung von Denkmälern oder zur Einrichtung kleinerer Gedenkstätten reichen. All diese Formen können als vorbereitende und somit für die Gründungen wichtige Vorläufer der literaturmusealen Erinnerung verstanden werden. Die am wenigsten formalisierten und institutionalisierten Formen sind dabei sicherlich die privaten und individuellen Besuche der Orte, an denen die Schriftsteller/innen gelebt bzw. gearbeitet haben. 1 So berichteten mehrere Leiter/innen in den Interviews davon, dass die Wohnhäuser der Dichter/innen bereits vor der Museumsgründung aufgesucht und eine Besichtigung dieser angestrebt wurde (vgl. z.B. Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 54ff.;2 Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 22ff.; Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 2). Für das ehemalige Wohnhaus Erwin Strittmatters schildert Renate Brucke auf anschauliche Weise die Entwicklungen nach dem Tod des Autors: „[U]nd es kamen immer mehr Besucher hierher und ich war 1996 schon mit einer Schulklasse hier. Und da war der Laden noch ganz leer. Und hier wohnte der Heinrich, der jüngere Bruder, der bis 2002 hier wohnte, und der empfing dann, also nicht nur uns, sondern immer wieder Besucher. Und ja, wohin nun mit den Besuchern bzw. was sollte er ihnen zeigen? Hier war ja nichts. Da hinten sind seine Wohnräume und der Laden war leer. Denn der Laden hier, der Ladenraum war zeitweilig auch mal Schlafstelle, er war Poststelle, er war nach der Schließung Bürgermeisteramt und alles Mögliche, und jetzt wurde überlegt: Hier müssen wir und hier können wir was draus machen. Denn die Touristenströme rissen nicht ab“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 2).

1

Exemplarisch zu nennende, weitere Fälle, in denen die Häuser bereits vor der musealen Institutionalisierung aufgesucht wurden, sind das Lottehaus in Wetzlar (vgl. Hoffmann: Material- und Quellensammlung 2009, S. 117), das Buddenbrookhaus in Lübeck (vgl. ebd., S. 19) oder das Goethehaus in Weimar (vgl. Kahl 2009).

2

Nachzulesen ist dies für das Raabe-Haus auch bei Biegel 2004, S. 7f. Er schildert, wie sich Margarethe Raabe, eine Tochter Raabes, um die Besucher/innen kümmerte und sie mit Informationen und Dokumenten versorgte. Biegel schlussfolgert sogar: „In diesem familiären Umfeld kann man bereits von einer frühen Informations- und Forschungsstätte zu Raabes Leben und Werk sprechen“ (ebd., S. 8)

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An Bruckes Ausführungen wird deutlich, dass die ersten Überlegungen, aus dem ehemaligen Wohnhaus Strittmatters Familie eine Gedenkstätte zu machen, nicht von den vor Ort Ansässigen selbst kam, sondern an diese indirekt herangetragen wurde, indem bereits vorher Besucher/innen kamen, um sich den Ort anzusehen, an dem Erwin Strittmatter lebte und über den er in seiner Laden-Trilogie geschrieben hatte. Darüber hinaus kristallisiert sich in den von Brucke stellvertretend gestellten Fragen – „Und ja, wohin nun mit den Besuchern bzw. was sollte er ihnen zeigen?“ – die Herausforderung heraus, auf den Besucherzustrom angemessen zu reagieren.3 Andererseits zeigt sich an diesem Beispiel jedoch auch, dass es nicht zwangsläufig einer Institutionalisierung in Form einer Gedenkstätte oder eines Museums bedarf, damit ein Ort wie das ehemalige Wohnhaus eines Autors oder einer Autorin für Menschen so viel Bedeutsamkeit entfaltet, dass sie ihn aufsuchen. Dass bereits vor der Gründung der Gedenkstätte ‚Der Laden‘ so viele Menschen nach Bohsdorf gekommen sind, um den Laden zu besichtigen, hat seinen Grund und seine Ursache zum einen darin, dass seine Literatur und v.a. die Trilogie Der Laden „auf Selbsterlebtem und Erfahrenem aufbaut“ (Gansel 2012b, S. 25). Zum anderen gehörte Strittmatter in der ehemaligen DDR zum Kanon der Gegenwartsautoren (vgl. bspw. Dahlke 2012, S. 144), so dass das frühe Pilgern zum Haus seiner Eltern in Verbindung mit der autobiographischen Rezeption des Laden I-III keineswegs verwunderlich scheinen. Häufig aufgesucht, aber in aller Regel für die Öffentlichkeit gedacht, sind demgegenüber aufgestellte Denkmäler4 und (an Gebäuden) angebrachte Gedenktafeln;5 darüber hinaus nach Autorinnen und Autoren benannte Straßen, Schulen, Haltestellen etc. In seltenen Fällen wurden auch vorab Gedenkräume bzw. Gedenkstätten eingerichtet, ein Beispiel ist die Lessing-Gedenkstätte in Kamenz. Dass letztere weniger häufig vorkommen, mag damit zusammenhängen, dass sie eines weitaus grö-

3

Schwierigkeiten durch die Pilgerströme vor Ort ergaben sich auch andernorts. So fühlten sich beispielsweise die Nachkommen Goethes durch erstere belästigt, wie Paul Kahl anschaulich in einem Aufsatz, der mit dem passenden Zitat „ich hätte sonst Handwerksbursche und Vagabunden darin [im Wohnhaus Goethes am Frauenplan] herumführen müssen [...]“ betitelt ist, schildert (vgl. Kahl 2009).

4

So wurde beispielweise für Friederike Caroline Neuber bereits 1776 ein Denkmal errichtet, 1913 für Wilhelm Busch, 1869 für Friedrich Rückert.

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Gedenktafeln wurden vor Einrichtung eines Museums bspw. 1908 am E.T.A. HoffmannHaus (vgl. ALG 2006) und 1928 am Friedrich-Wilhelm-Weber-Museum angebracht (vgl. ALG 2006).

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ßeren, dauerhaften organisatorischen Engagements bedürfen als erstere, und bereits als eine ‚festere‘ Form der Institutionalisierung zu betrachten sind.6 Offizielle Formen der Erinnerung werden in der Regel von wenigen Personen für Viele umgesetzt – unabhängig davon, ob diese Personen privat, im Rahmen einer Vereinstätigkeit oder des Staates agieren. Auch wenn die Wirkung bzw. der Grad der ihnen geschenkten Aufmerksamkeit durchaus umstritten ist, so sind diese Erinnerungsformen doch Teil des öffentlichen Raumes und stellen eine von offizieller Seite kommende Würdigung einer Person (oder eines literarischen Werks) dar. „[W]ährend das Denkmal geradezu dadurch definiert werden kann, daß es Erinnerung standortunabhängig konserviert“ (Selbmann 1988, S. 2), werden Gedenktafeln in der Regel an den ehemaligen Wohnhäusern der Dichter/innen oder aber an Gebäuden angebracht, die zumindest einen konkreten Bezug zu ihnen aufweisen. Zudem scheint das Aufstellen eines Denkmals einer weitaus breiteren Unterstützung für die Erinnerungsstiftung zu bedürfen, als dies bei Gedenktafeln der Fall ist. Denn sowohl im Fall des Brechthauses (1960) als auch des Büchnerhauses (1931) wurden letztere zu Zeitpunkten angebracht, in denen eine offizielle Würdigung von staatlicher Seite hätte problematisch werden können.7 Jürgen Hillesheim, der Leiter des Brechthauses, berichtet, dass Brecht in den 1960er Jahren aufgrund des Ost-WestKonflikts und der Zurechnung Brechts zum sozialistischen Osten durchaus umstritten war, und „da haben linke Gruppierungen, Gewerkschafter zum Beispiel, dafür gesorgt, dass hier am Haus eine erste Gedenktafel angebracht wurde“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 6). Ganz ähnlich stellt es sich für das Büchnerhaus dar, bei dem die Gedenktafel zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten angebracht wurde und der „Pfarrer“ den im Haus lebenden „Bauer[n]“ aufgefordert haben soll, diese abzuhängen, was letzterer mit der Antwort, „nein, die Tafel bleibt, dann gehe ich lieber nicht in die Kirche“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 4), abgetan haben soll – „und Fakt ist, dass die Tafel geblieben ist“ (ebd., Abs. 6). Wie Brecht auch „hatte es Büchner in Perioden schwer, die politisch und ästhetisch konservativ waren. Sein Stern ging auf im Naturalismus und später in der Weimarer Republik, und seit den 1960er Jahren gilt er in Deutschland als ein Autor der Weltliteratur, wobei die Politisierung des kulturellen Lebens seit der „Kulturrevolution“ um 1968 einen Aufschwung in der Rezeption ermöglichte“ (Hofmann/Kanning 2013, S.178).

6

Ein weiteres Beispiel ist Gerhart Hauptmann. Für ihn gab es in Erkner ab 1957 einen Gedenkraum (vgl. de Bruyn 2008, S. 1f.).

7

Vgl. dazu bspw. auch Helmut Gier 2002, S. 38.

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Die Benennung von Straßen oder öffentlichen Einrichtungen scheint ein ähnlich sensibler Bereich zu sein wie die Denkmalpflege, denn erstens kommt es hier – vor allem bedingt durch politisch-gesellschaftliche Umwälzungen – oftmals zu Umbenennungen8 und zweitens werden Prozesse der Benennung mitunter demokratischen Abstimmungen unterzogen, so dass die Berechtigung ihrer Benennung in ideeller Hinsicht legitimiert wird. So wurde die „Karl-May-Straße“ in Radebeul nach dem Zweiten Weltkrieg zwischenzeitlich umbenannt in „Hölderlinstraße“ und schließlich wieder rückumbenannt in „Karl-May-Straße“ (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 16) und die Benennung des Gymnasiums in Spremberg nach Erwin Strittmatter im Jahre 1996 wurde sogar einem Entscheidungsfindungsprozess unterzogen, an dem neben den Schülerinnen und Schülern auch ihre Eltern sowie Lehrer/innen beteiligt waren (vgl. Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 26). Eine hervorstechende Ausnahme unter den prämusealen Erinnerungsstiftungen von öffentlicher Seite stellt die am ehemaligen Standort des Lessing-Wohnhauses, das in einem Stadtbrand vernichtet wurde, eingerichtete Gedenkstätte dar. Kaufmann schildert, dass man sich schon sehr früh der Bedeutung des Hauses und des mit dem Brand einhergegangenen Verlusts bewusst gewesen sei. Schließlich habe man „sich entschieden, eine Gedenkstätte dort einzurichten, und hat diese Gedenkstätte auch, so um 1860 entsteht die dann: ist eine kleine Grünanlage mit einer Steineinfassung und dort ist eine Metallplatte eingelassen, wo man eine Ansicht des Hauses, wie es zu Lessings Zeiten aussah, in Gold, drauf sehen kann und: hier wurde Lessing geboren. So ähnlich muss man sich das vorstellen. Die Gedenkstätte hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein bisschen verändert. Ist aber im Wesentlichen bis heute erhalten geblieben, ist inzwischen ein bisschen erweitert worden. Im Grunde aber ist das die Idee des 19. Jahrhundert. Dort, an diesem Platz des Geburtshauses, an Lessing zu erinnern“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 4).

Das Besondere ist in diesem Fall, dass nicht an dem Ort der Gedenkstätte oder in deren unmittelbarer Nachbarschaft ein Museum eingerichtet wurde, sondern davon entfernt am Stadtrand ein Gebäude komplett neu und zu musealen Zwecken eigens errichtet wurde. Einerseits mag die Entscheidung dazu den mangelnden räumlichen

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Verlieren Autorinnen oder Autoren ihre Legitimation, so kann es zu Umbenennungen kommen: Beispielswiese wurde die Kolbenheyer-Straße (1955-1999) in Geretsried 1990 in die Graslitzerstraße umbenannt, da Erwin Guido Kolbenheyer nationalsozialistisch gesinnte Texte verfasst hatte. Z.B. nachzulesen unter: Empörung über Hitler-Lob eines CSU-Kulturstadtrates, o.V. in: Die Welt [http://www.welt.de/print-welt/article592619/ Empoerung-ueber-Hitler-Lob-eines-CSU -Kulturstadtrats.html, zuletzt abgerufen am 28.08.2016].

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Gegebenheiten geschuldet sein, andererseits manifestiert sich hierin jedoch auch die außerordentliche Bedeutung des Autors Lessing, da eine Museumsgründung nicht etwa aufgrund der ungünstigen lokal-räumlichen Gegebenheiten verhindert wurde, vielmehr dazu veranlasste, einen anderen dem Autor angemessenen Ort – nicht nur zu suchen, sondern – zu erschaffen. Neben den benannten lassen sich weitere Formen der (prämusealen) Erinnerung an die Dichter/innen identifizieren, die sowohl von offizieller wie auch semioffizieller Seite inszeniert werden. In zahlreichen Fällen werden im Vorhinein von Museumsgründungen Schriftstellerfeiern und -jubiläen sowie Lesungen, Vorträge oder Ausstellungen organisiert und zelebriert. Während es zu Günter Grass beispielsweise schon vor der Museumsgründung von der Stadt organisierte Ausstellungen in Lübeck gegeben hat (vgl. Thomsa [Grass-Haus], Abs. 8), wurden zum Gedenken Lessings diverse Feiern abgehalten (vgl. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 6) und über Erwin Strittmatter Vorträge gehalten (vgl. Brucke [StrittmatterGedenkstätte], Abs. 24). Dabei sind unterschiedliche Initiatorinnen und Initiatoren beteiligt. Zum Teil bilden sich bereits vor den Gründungen literarische Gesellschaften (vgl. Storm-Gesellschaft) und Vereine (vgl. Strittmatter-Verein, Verein Büchnerhaus e.V.) oder existieren – verbunden mit dem Nachlass – Stiftungen (KarlMay-Stiftung), im Rahmen derer die Erinnerung aktualisiert wird.9 Diese engagieren sich dann in den verschiedenen bereits benannten Bereichen und treiben so wiederum potentiell eine Museums- oder Gedenkstättengründung voran, teilweise werden sie sogar zu ebendiesem Zweck gegründet, wie es beim Förderverein Büchnerhaus e.V. der Fall war, der nun auch Träger des Büchnerhauses ist. Weitere, nicht unbedeutende, aber tendenziell Verwaltungsakten ähnelnde Erinnerungsinitiativen liegen beispielsweise vor, wenn die Schriftsteller/innen die Ehrenbürgerschaft einer Stadt erhalten (vgl. z.B. Raabe oder Strittmatter) oder ihre ehemaligen Geburts- oder Wohnhäuser unter Denkmalschutz gestellt werden (vgl. z.B. das Büchnerhaus 1977).

5.2 GRÜNDUNGSANLÄSSE UND -ZEITPUNKTE Literaturmuseale Einrichtungen „entstanden und entstehen nicht nach einem einheitlichen Plan, sondern, zeitversetzt und eher zufällig, an verschiedenen Orten in kulturell unterschiedlich geprägten Regionen [...]“ (Barthel 1996, S. 15). Dies erschwert die Beschreibung ihrer Gründungsprozesse. Wenn nichtsdestotrotz der Versuch unternommen werden soll, Gründungsprozesse literaturmusealer Einrich-

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Andere Beispiele sind der Literaturkreis Novalis e.V., die Wilhelm Busch Gesellschaft, die Grimm-Gesellschaft oder der Förderkreis Gleimhaus e.V.

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tungen zu analysieren und damit gemeinsame Merkmale sichtbar werden zu lassen, stellt sich im Anschluss an die Darstellung prämusealer Erinnerungsformen die Frage, wann es denn schließlich zur Gründung kommt bzw. welche Anlässe zu Gründungen führen oder zumindest zu deren Eröffnung inszenierend genutzt werden. Mit der Frage des ‚Wann‘ ist allerdings nicht nur der zu benennende Zeitpunkt im Sinne eines Datums gemeint – welches mitunter in einigen Fällen schlicht unbekannt ist, wie im Falle der Seghers-Gedenkstätte –, sondern es sind auch die zu jenem Zeitpunkt politisch-gesellschaftlichen sowie kulturellen Gegebenheiten zu beleuchten, um etwas darüber herausfinden zu können, wann bzw. unter welchen zeitlich-systemischen Voraussetzungen Museen und Gedenkstätten für die jeweils unterschiedlichen Autorinnen und Autoren eingerichtet werden. Erinnerungstheoretisch ist dies insbesondere deshalb von Relevanz, weil davon auszugehen ist, dass die Dichter/innen grundsätzlich anschlussfähig sein müssen an das (zum Gründungszeitpunkt maßgebliche) zeitgenössische Funktionsgedächtnis. Obwohl durchaus als förderlich zu bezeichnen, ist die Kanonisierung der Schriftsteller/innen, wie auch Breuer feststellt, „keine notwendige Bedingung für die Erhaltung seines Geburts-, Wohn- oder Sterbehauses [...], weil sowohl dekanonisierte als auch nichtkanonisierte Autoren entsprechende Einrichtungen erhalten“ (Breuer 2013, S. 206). Grundsätzlich gilt auch hier, dass die im Folgenden dargestellten Gründungsanlässe keine notwendigen, sondern lediglich hinreichende, wenngleich mitunter sehr bedeutsame Voraussetzungen für Neugründungen sind. Ein Großteil der literaturmusealen Gründungen scheint mit für den zu erinnernden Autoren oder die zu erinnernde Autorin einhergehenden Daten verbunden zu sein: sprich, mit den Geburts- oder Todestagen der Dichter/innen.10 Ebenso können andere Jubiläen, wie ein Stadtjubiläum, ausschlaggebend dafür sein, dass eine Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte stattfindet und infolgedessen beispielsweise eine berühmte Schriftstellerpersönlichkeit geehrt wird.11 In Augsburg wurde entsprechend anlässlich der „Zweitausendjahrfeier der Stadt im Jahre 1985 eine Dauerausstellung über das Leben und Werk Brechts“ (Gier 2002, S. 39) im Ge-

10 Schriftstellerjubiläen führen indes nicht nur zu Gründungen, sondern befördern auch nach der Einrichtung vielfach Erweiterungen und Erneuerungen. So werden zu (runden) Jubiläen häufig Dauerausstellungen überarbeitet bzw. neugestaltet (wie im Brechthaus zum 10. Februar 1998 oder im May-Museum zum 30. März 1995) oder Sanierungen bzw. Anund Umbaumaßnahmen vorgenommen. 11 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Ehrung von Autorinnen und Autoren in Form von Gedenkstätten bzw. Museen nicht nur diesen dient, sondern auch der Stadt oder Gemeinde zugutekommt, da sie wiederum mit der kulturellen Herberge für sich werben kann. Zur Gründung eines Dichter/innen-Hauses kann es somit auch unter äußerst zweckgebundenen Gesichtspunkten kommen.

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burtshaus Brechts eröffnet, das die Stadt erst 1981 erworben hatte. Bevorstehende Jubiläen stellen folglich oftmals erst den Anlass dazu dar, einer Person (wieder) zu gedenken.12 Als ein weiteres Beispiel, bei dem das bevorstehende Jubiläum zur Initiative für die Einrichtung eines Museums gereichte, kann das Kästner Museum in Dresden aufgeführt werden. Die Initiative zur Einrichtung des Museums entsprang der Bewusstwerdung über die Tatsache, dass der 100-jährige Geburtstag Erich Kästners bevorstand und es in Dresden bisher keine ‚angemessene‘ Erinnerungsform gab.13 Das Jubiläum wurde somit zum Anlass, sich über eine Würdigung des Autors Gedanken zu machen und schließlich das Kästner Museum zu gründen. In anderen Fällen sind Jubiläen zwar nicht der Anstoß zur Gründung, aber dienen als Datum für Eröffnungsfeiern. So entstand die Idee, eine Strittmatter-Gedenkstätte einzurichten, zum 80. Geburtstag von Erwin Strittmatters Bruder, Heinrich, an dem beschlossen wurde, „einen Verein zu gründen“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 2). Eröffnet wurde die Gedenkstätte drei Jahre später zu Erwin Strittmatters fünftem Todestag.14 Neben bevorstehenden Jubiläen stellen zum Verkauf stehende Schriftstellerhäuser einen der häufigsten Anlässe zur Gründung dar. Sowohl beim Brechthaus in Augsburg als auch beim Büchnerhaus in Goddelau und beim Storm-Haus in Husum bildeten diese den Ausgangspunkt. Zwar gab es an allen drei Orten bereits prämuseale Initiativen, doch wurde offenbar nicht in Erwähnung gezogen, ein vom Geburts- bzw. Wohnhaus unabhängiges Museum einzurichten. In Husum gab es schon vor der Initiative, die letztlich zur Museumsgründung geführt hat, Initiativen, ein Storm-Museum einzurichten, zum Beispiel, als das Elternhaus zum Verkauf stand. Aber „[d]ie Stadt wollte sich in solche Abenteuer nicht stürzen. Als dann dieses Haus zum Verkauf stand, da wurde die Storm-Gesellschaft nun hellwach, weil dieses Haus genau so erhalten war, wie es Storm verlassen hat. [...] Dass das Haus, in dem der Dichter die wichtigste Periode seines Lebens gelebt und gedichtet hat, völlig unverändert erhalten war und nun verkauft

12 Andererseits ereilt auch manchen Literaten in dieser Hinsicht ein ironisches Schicksal, indem keine Ehrung in Form einer Museumsgründung erfolgt, sondern der Abriss des ‚authentischen Ortes‘, wie es Bernhard Lauer für „das ehemalige Wohngebäude der Grimms in der Goethe-Allee pünktlich zum 200. Geburtstag der Brüder Grimm im Sommer 1985“ (Lauer 2005, S. 175) schildert. 13 Vgl. Hoffmann: Material- und Quellensammlung. 2009, S. 72. Es handelt sich hier um eine Schilderung des Initiators und Leiters, Ruairí O`Brien. 14 Bis 2002 lebte Heinrich Strittmatter allerdings noch im selben Gebäude. Vgl. ausführlich zur Strittmatter-Gedenkstätte Kap. 8.2.2.

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werden sollte, das hat natürlich die Storm-Gesellschaft elektrisiert, bei der Stadt nicht gleich einen zündenden Funken hinterlassen, aber dann zum Schluss doch, sind wir uns einig geworden, also dass dann 1972 hier tatsächlich das Museum eröffnet werden konnte“ (Laage [Storm-Haus], Abs. 15).

Während Ernst Laages Ausführungen zufolge das Elternhaus zwar bereits als (literar-)historisch bedeutsames Gebäude wahrgenommen wurde, aber die Beziehung zwischen dem Autor Theodor Storm und der Geschichte des Gebäudes (Elternhaus) offenbar nicht tragfähig genug war, erfüllte das ehemalige Wohnhaus Storms die notwendigen Kriterien, indem es sich bei ihm um „das Haus, in dem der Dichter die wichtigste Periode seines Lebens gelebt und gedichtet hat“, handelte und dieses noch dazu „so erhalten war, wie Storm es verlassen hat“ (ebd.). Damit scheint ein weiteres zentrales Moment angesprochen, das im folgenden Kapitel weiter ausgeführt wird: Es muss eine dezidierte Verbindung zum Ort bestehen.15 Allerdings führt der Erwerb eines Schriftstellerhauses – in der Regel durch die Stadt bzw. Gemeinde – nicht zwingend und unmittelbar zur Einrichtung eines Museums oder einer Gedenkstätte. Das Büchnerhaus wurde beispielsweise bereits 1988 mit der Aussicht darauf, dort ein Museum einzurichten, erworben, die Eröffnung des Museums zog sich dann allerdings noch zehn Jahre hin. Einflussfaktoren wie die Problematik, eine ehrenamtliche Leitung für das Haus zu finden sowie die Restauration, die Ausstellungskonzeption und deren Umsetzung zu finanzieren, führten zu der – nach Erwerb des Hauses – recht langen Einrichtungsphase (vgl. Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 2; 4). Als förderlich habe sich auf den Gründungsprozess ausgewirkt, dass die Medien auf das 1995 immer noch leerstehende Büchnerhaus aufmerksam geworden seien und darüber berichtet hätten. Rotraud Pöllmann beschreibt es daher als „Glück, dass von der FAZ ein Reporter kam, es war brennend heiß, und hat sich das Haus angeschaut und hat einen Bericht geschrieben und gut, dann wurde der Hessische Rundfunk initiativ und haben hier in der Turnhalle, nein, in der Schule, in der Aula, eine Veranstaltung gemacht ‚Rettet das Geburtshaus Georg Büchners‘. Und jetzt waren also verschiedene markante Leute dabei, das war 1995“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 4).

15 Wie ausgeprägt diese Verbindung letztlich im Einzelfall sein muss, ist nur schwer verallgemeinerbar. Die Verbindung mit dem Ort – der Stadt oder dem Dorf – scheint für alle Einrichtungen eine Grundbedingung zu sein. Inwiefern jedoch ein Gebäude konstitutiver Bestandteil sein muss, ist unterschiedlich. Vgl. dazu ebf. das folgende Kapitel.

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Zwar habe es auch weiterhin Schwierigkeiten in der Finanzierung des Büchnerhauses gegeben, aber das Ziel, dort ein Museum einzurichten, wurde in der Folge aktiv angegangen und schrittweise umgesetzt.16 Weniger von materiellen Voraussetzungen beeinflusst scheint demgegenüber der Anlass, von dem Jörg-Philipp Thomsa, der Leiter des Grass-Hauses, berichtet. Ihm zufolge sei die Idee, ein Grass-Haus einzurichten, mit der Verleihung des Literaturnobelpreises an Günter Grass entstanden.17 „Und Anlass der Gründung war der Literaturnobelpreis 1999, dass eben die Stadt sich gesagt hat, wir möchten neben dem weltberühmten Buddenbrookhaus noch ein Haus für den zweiten großen Dichter der Gegenwartsliteratur widmen und die sind ja 5 Minuten voneinander entfernt. Das ist also eine fantastische Möglichkeit, auch hier die Literaturgeschichte des letzten, also Thomas Mann, 1875 geboren, 1901 erscheint Buddenbrooks, 1955 stirbt er, vier Jahre später erscheint die Blechtrommel von Grass, 1999 dann der Literaturnobelpreis, bis heute in den 2000er Jahren kann man wirklich zwei der bedeutendsten Repräsentanten der Literaturgeschichte hier wunderbar in Lübeck entdecken“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 4).

Hinzugekommen sei, dass Grass sein Sekretariat 1996 nach Lübeck verlegt und der Stadt seinen bildkünstlerischen Vorlass sowie einige seiner jüngeren Manuskripte18 angeboten habe (vgl. ebd., Abs. 6; 8). Unabhängig von materiellen Aspekten ist folglich auch diese Gründung nicht vonstattengegangen. Wie im Falle der Einrichtung des Grass-Hauses in Bezug auf das VorlassAngebot Günter Grass’ schon aufschien, können auch der Erwerb oder die Schenkung einer Sammlung zum Gründungsanlass werden – zugleich sind die Sammlungen bzw. hinterlassenen Gegenstände dann als materielle Voraussetzungen anzusehen, auf die in Kap. 5.3 noch einzugehen sein wird. Das Goethe-Museum in Düsseldorf wäre vermutlich in dieser im Vergleich zu Weimar, Frankfurt am Main oder Wetzlar literaturgeschichtlich weitaus unbedeutenderen Stadt nicht gegründet wor-

16 Die Finanzierung erfolgte in erster Linie durch die Kommune, daneben durch größere Spenden. 1997 war das Büchnerhaus fertig saniert und wurde von Ministerpräsident Eichel eingeweiht. Bis zur Eröffnung der Dauerausstellung „Von Goddelau zur Weltbühne“ 1998 wurden Bilder eines regionalen Künstlers gezeigt (vgl. Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 4). 17 „Und Anlass der Gründung war der Literaturnobelpreis 1999, dass eben die Stadt sich gesagt hat, wir möchten neben dem weltberühmten Buddenbrookhaus noch ein Haus für den zweiten großen Dichter der Gegenwartsliteratur widmen [...]“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 4). 18 Dazu zählten „ungefähr 1100 Graphiken und sämtliche Manuskripte, die seit 1996 bis zu der Eröffnung des Hauses 2002 anfielen“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 26).

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den, wenn der Stadt nicht die Anton- und Katharina-Kippenberg-Sammlung geschenkt worden wäre.19 Im Falle des Karl-May-Museums bedurfte es eines ebenfalls unvorhersehbaren Ereignisses: dem Angebot Patty Franks, seine (v.a. indianische) Sammlung an die Witwe Karl Mays zu verkaufen. Im Gegensatz zu anderen Sammlungsstiftungen, die mitunter in Museumsgründungen mündeten, handelte es sich bei der Sammlung nicht um eine Autoren-, sondern um eine völkerkundliche Sammlung, die die Maysche Sammlung, die Klara und Karl May auf ihren Reisen zusammengetragen hatten, wesentlich ergänzte. Umso weniger verwundert, dass es sich bei der daraus hervorgegangenen Gründung vielmehr um ein völkerkundliches Museum als um ein literar-biographisches Autorenmuseum handelte: „Dann wurde das Museum eröffnet und war eigentlich kein Karl-May-Museum, kein – es wurde zwar der Literat Karl May gewürdigt, aber es nahm von den Ausstellungsgegenständen einen kleinen Platz ein – also es wurden die gängigen, die damals gängigen Buchausgaben gezeigt, und natürlich auch animiert: Kauft sie Euch!“ (Wagner [May-Museum], Abs. 16).

Erst 1985 wurde das ‚Indianermuseum‘ in der Blockhütte „Villa Bärenfett“ um eine Ausstellung zum Autor ergänzt, die in seinem ehemaligen Wohnhaus, der „Villa Shatterhand“, untergebracht wurde. Dass das Museum nicht ganz 60 Jahre ausschließlich mit einem völkerkundlichen Schwerpunkt existierte, hängt unter anderem mit Mays Status in der DDR zusammen.20 So „war Karl May in der SBZ bzw. der DDR nie verboten. Aber auch nicht erlaubt. Er war in eine Grauzone gerückt worden, wie das für Diktaturen charakteristisch ist“ (Heermann 2008, S. 364). 1956 wurde sogar der Name des Museums geändert in „Indianermuseum, und dann klein drunter der Karl-May-Stiftung“. „Man wollte ihn totschweigen“ (beide: Wagner [May-Museum], Abs. 16). Und „Jahre vor der großen Wende gab es in der DDR die May-Wende – exakt am 25. Dezember 1982 um 14.15. Im DDR-Fernsehen startet der Dokumentarfilm ‚Ich habe Winnetou begraben. Karl May – Stationen seines Lebens‘. Die einstige Unperson durfte auferstehen“ (Heermann 2008, S. 368). 1984 kam es in Folge der May-Renaissance dann zur Rückumbenennung des Museums in Karl-May-Museum. Zudem wurde die Ausstellung um oben erwähntes Autorenmuseum („Villa Shatterhand“) ergänzt. In diesem Prozess scheint auf, wie flexibel je nach gesellschaftspolitischem System mit der Erinnerung umgegangen wird. Einen ähnlich gelagerten Fall stellt das Brechthaus in Augsburg dar. Während Bertolt Brecht zu Anfang der 1960er Jahre durchaus noch als linker und damit problematischer Autor wahrgenommen wurde, änderte sich das gegen Ende des Kalten Krieges.

19 Vgl. dazu Kap. 5.3. 20 Vgl. zur May-Rezeption Hans Hintz 2007, S. 508.

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„Brecht hat sich mit Augsburg und umgekehrt etwas schwer getan, also 1963 wurde schonmal im Stadtrat abgelehnt, eine Straße nach Brecht zu benennen, das wurde dann 1966 nachgeholt und es gab dann einen Stadtratsbeschluss Ende der 80er Jahre, die Bertolt Brecht Forschungs- und Gedenkstätte einzurichten [...]. Und auf der Ebene – also Stadtratsebene – hat man dann auch beschlossen, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium, als sich der 100. Geburtstag näherte, hier eine angemessene Dauerausstellung einzurichten“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 4).

Aber auch wenn man sich mit Brecht in den 1960er Jahren „etwas schwer getan hat“, so haben doch zu diesem Zeitpunkt schon „linke Gruppierungen, Gewerkschafter zum Beispiel, dafür gesorgt, dass hier am Haus eine erste Gedenktafel angebracht wurde “ (ebd., Abs. 6). Eine Museumsgründung wurde hingegen erst mit Entspannung des Kalten Krieges und einer Neuinterpretation des Autors sowie aufgrund dessen internationaler Bedeutung möglich. Flexible Ausdeutungen erfuhren daneben auch andere Autorinnen und Autoren, beispielswiese wurden während des Nationalsozialismus die Einrichtung eines Museums für den bekannten Volkserzähler Wilhelm Busch (Hannover 1937) sowie den frühen Nationalisten und Franzosengegner Ernst Moritz Arndt (Garz, Rügen 1937), den man zu Anfang des 20. Jahrhunderts als Vorläufer des in den 1930er Jahren aufgekommenen Nationalsozialismus ansah, befördert. Diese beiden Häuser konnten aufgrund der breiten Auslegungs- und Anschlussmöglichkeiten21 auch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches weiterbestehen. Demgegenüber musste hingegen das auf Initiative der SPD 1931 gegründete Museum Karl-Marx-Haus bereits 1933 wieder geschlossen werden. Diese Beispiele verdeutlichen die Abhängigkeit von musealen Erinnerungsinitiativen von politischen Systemen und ideologischen Ausrichtungen.22 Eine Ausnahme stellt im Hinblick auf konkret zu benennende ‚Anlässe‘ wiederum die Anna-Seghers-Gedenkstätte dar, die aufgrund des Ministerratsbeschlusses nach dem Tod der Autorin eingerichtet wurde. Da das Datum der Eröffnung nicht bekannt ist, lässt sich in diesem Fall auch nicht sagen, inwiefern ein Jubiläums- oder Jahrestag dazu genutzt wurde.

21 Wilhelm Busch blieb nach wie vor ein wichtiger deutschsprachiger Erzähler und Ernst Moritz Arndt ein wichtiger Verfechter der nationalen deutschen Einigung im 19. Jahrhundert. 22 Hier bestünde darüber hinaus weiterer Forschungsbedarf, da die Geschichte der Gründungen und Schließungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht hinlänglich aufgearbeitet werden konnten, aber Aufschluss darüber zu geben vermögen, wann Erinnerungsstiftungen gesellschaftspolitisch problematisch werden oder ihre Gültigkeit verlieren und wie daraufhin mit ihnen umgegangen wird.

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5.3

LOKALE UND MATERIELLE GRÜNDUNGSVORAUSSETZUNGEN

Personale literarische Museen und insbesondere Gedenkstätten werden an Orten eingerichtet, die zu Lebzeiten der Autorinnen und Autoren für diese von Bedeutung waren bzw. zu denen diese eine Verbindung aufweisen. Um auf ebenjene ‚Verbindung‘ so explizit wie möglich verweisen und damit die Erinnerung am Ort fundieren zu können, wird in aller Regel versucht, die Einrichtung im ehemaligen Geburts- oder Wohnhaus zu ermöglichen. Umgekehrt wird aber nicht nur angestrebt, die musealen Einrichtungen in solchen Gebäuden einzurichten, sondern die Gebäude selbst scheinen einen Imperativ zur Einrichtung darzustellen: Allein im Fall von drei der untersuchten zehn Museen bildete das zum Verkauf stehende Schriftstellerhaus den Ausgangspunkt für diejenige Initiative, die schließlich zur Gründung führte – dies gilt für das Büchnerhaus23, das Brechthaus24 und das Storm-Haus25, wenn-

23 „Und 1988 hier, ist die Dame gestorben, die das mit besessen hat und die Erben waren Großneffen, also mehrere Leute, und die haben das Haus zum Verkauf gegeben, und einer bei der Bank, der da in dieser Immobilienabteilung war, hat den Bürgermeister darauf aufmerksam gemacht, dass das Anwesen zu verkaufen sei. Und der war der Meinung, das Geburtshaus Georg Büchners, da müsste dann doch mal die Kommune sich drum kümmern. Der Kaufvertrag wurde Ende 1988 geschlossen und seit 1989 suchte dann die Gemeinde eine Leitung für das Museum, das da eingerichtet werden sollte“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 2). 24 „Die Stadt Augsburg hat es erst Anfang der 80er Jahre, ich glaube, Anfang der 80er Jahre, 1981 erwerben können – es war bis dahin in Privatbesitz – und 1985 wurde eine erste kleine Ausstellung im ersten Stock eingerichtet“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 2). 25 „Als dann dieses Haus zum Verkauf stand, da wurde die Storm-Gesellschaft nun hellwach, weil dieses Haus genau so erhalten war, wie es Storm verlassen hat. [...] Dass das Haus, in dem der Dichter die wichtigste Periode seines Lebens gelebt und gedichtet hat, völlig unverändert erhalten war und nun verkauft werden sollte, das hat natürlich die Storm-Gesellschaft elektrisiert, bei der Stadt nicht gleich einen zündenden Funken hinterlassen, aber dann zum Schluss doch, sind wir uns einig geworden, also dass dann 1972 hier tatsächlich das Museum eröffnet werden konnte“ (Laage [Storm-Haus], Abs. 15). An anderer Stelle betont Laage darüber hinaus die besondere Dringlichkeit, das Haus zu erwerben: Damals „war die Nachricht [...], dass die Familie Grell, der das Storm-Haus Wasserreihe 31 gehörte, das Haus verkaufen wolle, eher eine Schreckensnachricht: Denn als einziges Grundstück mit einem Garten in Hafennähe hätte sich [...] die Möglichkeit für eine moderne Wohnanlage bzw. ein mehrstöckiges Hotel ergeben“ (Laage 2012, S. 46). Die Initiative der Gesellschaft entstand folglich offensichtlich nicht allein aus ei-

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gleich es vorher bereits teilweise Erinnerungsinitiativen gab, die allerdings nicht in die Einrichtung eines Museum mündeten. Über diese drei Einrichtungen hinaus befinden sich weitere vier in einem ehemaligen Schriftstellerhaus: das Raabe-Haus, die Seghers-Gedenkstätte, die Strittmatter-Gedenkstätte und das May-Museum (die „Villa Shatterhand“). Seghers Wohnung wurde ohne zwischenzeitliche, anderweitige Nutzung in eine Gedenkstätte überführt (vgl. Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 12), die Strittmatter-Gedenkstätte entstand noch zu Lebzeiten von Heinrich Strittmatter, dem Bruder des Autors, und wurde nach dessen Tod weitergeführt und ausgebaut. Das Gebäude, in dem sich die Raabesche Wohnung befand, wurde zwar im Zweiten Weltkrieg zerstört, unmittelbar nach Kriegsende jedoch wieder aufgebaut, so dass die Möbel Wilhelm Raabes in seine ehemalige Wohnung zurückgebracht und dort eine Gedenkstätte eröffnet werden konnte.26 Bei der Anordnung der Möbelstücke im Raum orientierte man sich an Fotos von Wilhelm Raabes Arbeitszimmer. Der Teil des Karl-May-Museums, der die Ausstellung zu May beherbergt, wurde erst 1985 eingerichtet, nachdem die May-Rezeption in der DDR eine „Renaissance“ (s. oben) erfuhr und man das Haus „freilenken“ konnte – denn „die längste Zeit in der DDR war es Hort“ (Wagner [May-Museum], Abs. 26). Dies unterstreicht die Bedeutsamkeit der lokalen Verbindung eines einzurichtenden Erinnerungsortes, wie sie im vorigen Unterkapitel zu den Gründungsanlässen bereits herausgestellt wurde. Befindet sich die literaturmuseale Einrichtung in einem Schriftstellerhaus, hat dies den Vorteil, dass letzteres nicht nur durch das Museum oder die Gedenkstätte wieder zum ‚Erzählen‘ gebracht wird, indem dort eine Ausstellung oder zumindest grundlegende Informationen dargeboten werden, sondern der (mehr oder weniger) authentische Ort beglaubigt wiederum die durch die Einrichtung gestiftete Erinnerung. Demgegenüber verzichten jedoch auch diejenigen Einrichtungen nicht auf eine Verbindung zum Ort, wo sich entweder überhaupt kein Schriftstellerhaus befindet, dieses zerstört oder schlicht nicht zur Verfügung steht. Sowohl das Lessingsche Elternhaus in Kamenz als auch das Kleistsche in Frankfurt an der Oder wurden zerstört – ersteres durch den großen Kamenzer Stadtbrand 1842, letzteres im Zweiten Weltkrieg – und konnten so nicht als Unterbringungsort oder gar initiales Moment für die Museumsgründung dienen. Alterna-

ner Faszination heraus, sondern auch aus der Befürchtung, das Storm-Haus könne abgerissen und somit unwiederbringlich zerstört werden. 26 Die Tochter Wilhelm Raabes, Margarethe Raabe, bewohnte die Wohnung in der Leonhardstraße 29a nach dessen Tod weiter; seinen Nachlass verkaufte sie vor ihrem Tod 1940 an die Stadt Braunschweig. Da sie diesen zu Kriegszeiten aus der Stadt weg und Sicherheit bringen ließ, kam er bei der Zerstörung der Wohnung durch eine Bombe nicht zu Schaden und konnte bei der Gedenkstätteneröffnung wieder am (rekonstruierten) historischen Ort gezeigt werden (vgl. Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 8).

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tiv wurde zur Einrichtung des Lessing-Museums eigens ein (repräsentatives) Gebäude erbaut. Die Geschichte des Kleist-Museums ist demgegenüber als Sonderfall einzustufen, denn „[a]uf Initiative der alten Kleist-Gesellschaft konnten Anfang der zwanziger Jahre im Geburtshaus, trotz der schwierigen Wohnungssituation Frankfurts, zwei Räume angemietet werden, die man, unter Nutzung der 1919 von der Stadt angekauften Ottomar Bachmannschen Kleist- und Frankfurtliteratur-Sammlung sowie einiger Sachspenden, zu Museumsräumen umgestaltete. Das Haus als Ganzes anzumieten, es gar zu erwerben und zu einem Schriftsteller- und Literaturmuseum umzurüsten, ist nicht versucht worden. [...] Denn erstens handelte es sich [...] eben doch nicht um ein echtes Schriftstellerhaus. Hier waren keine Werke entstanden. [...] Es fehlte nicht allein an schriftlichen Zeugnissen, sondern eben auch an museal verwertbaren originären Ausstattungsstücken und persönlichen Erinnerungsgegenständen, und über die Ausgestaltung der Räume zur Kleist-Zeit war ohnehin nichts bekannt. Drittens befand sich das Haus in einem schlechten baulichen Zustand [...] All dies zusammengenommen [...] mag am Ende dazu geführt haben, daß man das Kleist-Museum im Geburtshaus wieder aufhob, eine in der Geschichte literarischer Museen ziemlich einmalige Entscheidung, und die Kleist-Präsentation an einen gleichsam neutralen Ort verlegte, nämlich ins später im Krieg zerstörte Frankfurter Oderlandmuseum“ (Barthel 1996, S. 13f.).

Dass literarische Museen und Gedenkstätten aus den unterschiedlichsten Gründen geschlossen werden, ist nicht ungewöhnlich, dass die Kleist-Gedenkstätte hingegen geschlossen und zunächst für einige Jahre in ein anderes Museum integriert wurde, um anschließend an einem anderen, nicht konkret mit dem Schriftsteller verbundenen Ort, der ehemaligen Garnisonsschule, wieder begründet zu werden, ist tatsächlich ein Einzelfall (vgl. Barthel 1996, S. 13ff.). Aber auch bei diesem Einzelfall wird eine möglichst explizite Verbindung des Ortes der Wiedereröffnung zum Autor gesucht: „das Haus ist im Geburtsjahr Kleists erbaut, 1777, es hat insofern einen Bezug zur Familie, zur Offiziersfamilie, zur Adelsfamilie Heinrich von Kleists, und man kann zumindest auch sagen, dass Kleist durchaus mal hier gewesen sein könnte, in der Zeit hier in Frankfurt/Oder“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 2).

Derartige Verweise auf eine gesicherte oder zumindest anzunehmende Verbindung des Autors oder der Autorin mit dem Ort finden sich bei weiteren Museen: Der Autor hielt sich in der Nachbarschaft des Museumsgebäudes auf (Goethe-Museum

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Düsseldorf),27 er war in dem Gebäude zu einer Ballnacht geladen, wo er eine wichtige Person kennen lernte (Goethehaus Volpertshausen: Johann Wolfgang von Goethe lernt Charlotte von Buff kennen),28 oder er verbrachte an diesem Ort ein ‚amouröses‘ Liebeswochenende (Kurt Tucholsky Literaturmuseum), das schließlich sogar in ein literarisches Werk einfloss (Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte (1912)).29 Auf diese Weise werden tatsächliche oder naheliegende Verbindungen genutzt, um lokale Legitimationen zur Einrichtung eines Erinnerungsortes zu vollziehen. Teilweise mit real-historischen Argumenten, teilweise in beinahe mythenhafter Art und Weise. Das Grass-Haus befindet sich im Gegensatz zum Kleist- und Lessing-Museum zwar nicht in einem vollkommen vom Autor losgelösten Zusammenhang, ist indes aber auch kein Schriftstellerhaus im Sinne eines ehemaligen Wohnhauses. Günter Grass hat in den vorderen Teil des Gebäudekomplexes bereits 1996 sein Sekretariat verlegt, welches als Verknüpfungspunkt des Autors mit dem Ort verstanden werden kann. Darüber hinaus betont Thomsa, dass dieser von Grass aufgrund seiner Geschichte ganz bewusst ausgewählt worden sei. Dass erstens die Wahl auf Lübeck fiel, begründe Grass mit dessen Verbindung zu „Willi Brandt, Danzig und Thomas Mann“, dass er zweitens genau das Gebäude gewählt habe, in dem nun Sekretariat und Museum untergebracht sind, hänge mit der Geschichte der „Immobilie“ zusammen: „Was Grass aber daran interessiert hatte, war, dass damals ein Steinbildhauer hier sein Geschäft hatte. Sie sehen das also, wenn Sie sich in der Diele orientieren, dann finden Sie im Betonfußboden zwei Schienenstränge, wo also die schweren Steine hin und her transportiert wurden. Und Grass natürlich, als gelernter Steinmetz, war völlig fasziniert von der Geschichte des Hauses und hat es dann als sein Büro eingerichtet“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 8).

Unabhängig davon, dass der Leiter hier die Beweggründe des Autors referiert und diese als Legitimation für die Wahl des Ortes aufführt, benennt er noch weitere: schließlich habe der Autor in Lübeck die Pressekonferenz zur Nobelpreisverleihung

27 Volkmar Hansen führt dazu aus: „Und nebenan [...] ist dieses historische Gebäude Jacobihaus und Goethe konnte dieses damals neu erbaute Schloss Jägerhof damals schon von da aus sehen. Hier im Ort selber war er wahrscheinlich nicht, in diesem Schloss“ (Hoffmann: Material- und Quellensammlung. 2009, S. 73). 28 Vgl. Museen in Hessen [http://museen-in-hessen.de/museum/?id=190, zuletzt abgerufen am 15.10.2014]. 29 Vgl. Homepage des Kurt Tucholsky Literaturmuseums Schloss Rheinsberg [http://www. rheinsberg.de/de/tucholsky-museum/kurt-tucholsky/tucholsky-in-rheinsberg.html, zuletzt abgerufen am 28.08.2016].

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abgehalten, weshalb er daraufhin – und bereits zuvor aufgrund von „vielen, vielen Lesunge[n]“ und anderen Veranstaltungen – als mit Lübeck verbunden wahrgenommen worden sei, zudem habe er seine Wohnsitze in der Nähe der Stadt und sei – auch wenn er im Sekretariatssitz nicht künstlerisch arbeite – regelmäßig vor Ort, so „dass man ihn schon von weitem riecht, aufgrund seines Pfeifentabaks“ (ebd.). Angesichts der diversen Betonungen der Ortsverbundenheit der Autorinnen und Autoren verwundert es nicht, wenn auf der Homepage als Information über das Uwe Johnson Literaturhaus falschen Erwartungen entgegenwirkend zu lesen ist: „Dass das Haus kein klassisches Dichterhaus ist, zeigt bereits der Umstand, dass die Ausstellung in einem nicht auratisch besetzten Haus eingerichtet worden ist."30 Andere Museen wurden, wenn nicht im ehemaligen Wohnhaus des Dichters oder der Dichterin, zumindest in einem repräsentativen Gebäude untergebracht. Das GoetheMuseum in Düsseldorf befindet sich zum Beispiel im Schloss Jägerhof, die JohannGottlieb-Fichte-Gedenkstätte im Barockschloss Rammenau und das Hoffmann-vonFallersleben-Museum im Renaissanceschlösschen. Das Schiller-Museum in Marbach stellt sogar eine „Imitation des Schlosses Solitude“ dar (Raabe 1970, S. 96). In allen diesen Fällen scheint es so, dass die fehlende Wirkmacht des ehemaligen Wohnhauses durch prestigeträchtige Gebäude ‚kompensiert‘ werden soll. Denn auch diese verfügen über eine Aura, die Historizität und Bedeutsamkeit ausstrahlen. Im Sinne einer kritischen Replik auf diese Unterbringungsweisen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern ist das Konzept des Kästner Museums in Dresden zu verstehen. Bei dessen Planung widersetzte sich Ruairí O’Brien (Initiator und Leiter des Kästner Museums) geradezu den zuvor beschriebenen Maßstäben, indem er ihnen ein Micromuseum entgegenstellte: In theatralen wie philosophischen Projekten setzte O’Brien sich im Vorhinein mit der Frage „Wie viel Platz braucht der Mensch?“ und „wie viel Platz braucht ein Mensch wie Erich Kästner?“31 auseinander und kam zu dem Schluss: Große Dichter brauchen keine großen Häuser. Beim Kästner-Museum handelt es sich entsprechend erstens um ein kleines (im geschlossenen Zustand ist es 5qm groß) und zweitens um ein mobiles Museum (die Einzelelemente befinden sich auf Rollen und können aufgrund ihrer Gesamtgröße mit einem LKW leicht an andere Orte transportiert werden). Allerdings – und darauf ist gerade an dieser Stelle hinzuweisen, wenn es um auratische bzw. authentische Orte geht – wurde auch dieses mobile Micromuseum im ehemaligen Wohnhaus von Kästners Onkel, in der Villa Augustin, wo sich Erich Kästner zu Lebzeiten immer wieder aufhielt, aufgebaut. Erinnerungstheoretisch ist damit ein Fall beschrieben,

30 Homepage des Uwe-Johnson-Literaturhauses [http://www.literaturhaus-uwe-johnson.de/ index.php?id=ausstellung, zuletzt abgerufen am 20.04.2016]. 31 Hoffmann: Material- und Quellensammlung. 2009, S. 73, vgl. dazu auch O’Brien 2006, bes. S. 68-71.

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der sich Maßstäben, wie sie immer noch zu gelten scheinen, widersetzt, nämlich die Größe und den Budgetumfang eines Hauses als Merkmal für dessen Bedeutsamkeit zu verstehen. Damit stellt es einen hervorstechenden Einzelfall dar. Neben den Gebäuden, in denen die Museen oder Gedenkstätten untergebracht werden, ist für Neugründungen ausschlaggebend, welche darüberhinausgehenden materiellen Grundlagen gegeben sind. Im Falle von Gedenkstätten scheint zentral zu sein, dass die Möbelstücke und Einrichtungsgegenstände der Dichter/innen noch vorhanden sind oder zumindest wieder beschafft werden können.32 Für die Museen ist das Vorhandensein der Möbel weniger bedeutsam, vielmehr sind sie auf Sammlungsbestände angewiesen, so dass sie über Objekte verfügen, die sie im Rahmen ihrer Ausstellungen zeigen und sinnvoll in ihre Erzählungen einbinden können. Da die Wohnung Seghers’ nach dem Tod der Autorin zwischenzeitlich nicht anderweitig genutzt, sondern unmittelbar in die Gedenkstättennutzung überführt wurde, stellte sich in ihrem Fall nicht das Problem, die Möbel wieder beschaffen zu müssen – auch die Gestaltungsfrage war mit dem Beschluss, die Wohnung als solche zugänglich machen zu wollen, in wesentlichen Zügen vorgegeben.33 In der Strittmatter-Gedenkstätte waren die meisten Möbelstücke der Eltern Erwin Strittmatters noch in Gebrauch oder zumindest eingelagert, da sein Bruder Heinrich das Haus nach dem Tod der Eltern weiter bewohnt hatte. An den Äußerungen Bruckes wird allerdings deutlich, dass die gängige Vorstellung vom unveränderten historischen Ort im Falle der Strittmatter-Gedenkstätte nicht zutreffend ist – dies gilt auch für die anderen literaturmusealen Gedenkstätten, deren historische Räumlichkeiten so präsentiert werden, als ‚hätten der Autor bzw. die Autorin sie gerade erst verlassen‘. Brucke erläutert, wie die Einrichtung und Ausstattung der Gedenkstätte sich im Laufe der Zeit verändert hat und neben dem Einbezug von zeitgenössischen auch neuere Gegenstände hinzukamen bzw. Originale in die Wohnräume zurückgebracht wurden, die zeitweise eingelagert waren. „Ein bisschen musste ergänzt werden, nicht? Also, das Glücksrad z.B. stand hier früher auch nicht drin. Das ist ja eine Sache, die dann beim Johannesfest im Juni übernommen wurde. Oder das [zeigt] war das erste, was der Stellmacher herstellte, das erste – verunglückter Vo-

32 Im Falle Friedrich Schillers Wohnhauses in Weimar sowie seines Geburtshauses in Marbach wurde beispielsweise angestrebt, die Orte möglichst im Originalzustand zu Lebzeiten des Autors wiedereinzurichten, zumindest jedoch originale Gegenstände aus dessen Besitz dort zu versammeln. Aus diesem Grunde wurden Nachkommen Schillers angeschrieben sowie öffentliche Aufrufe zu Spenden oder Verkäufen getätigt (vgl. Kahl 2010b, S. 339f. sowie ders. 2010a, S. 124). 33 Inwiefern allerdings auch hier gestaltende und inszenierende Veränderungen vorgenommen wurden, wird ausführlicher in der Ausstellungsanalyse in Kap. 6.3.9 dargestellt.

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gel, da sind die Flügel dann abgefallen, er beschreibt das zumindest so sehr schön. Und da stand der hier auch nicht im Laden. Und das Bild stand hier nicht und hing hier nicht. Und sowas, und die Vitrinen standen hier nicht. Und das ist dann im Nachhinein, so peu à peu ergänzt worden und erweitert worden. Auch die Räumlichkeiten, die waren hier erst nicht zugänglich und ich weiß auch gar nicht, wie es hier so groß ausgesehen hat, als der Heinrich hier noch wohnte. Ob der diese Möbel alle noch so hatte. Aber wird wohl so gewesen sein, denn alles hätte man ja nicht auf den Boden schaffen können. Das wurde dann so nach und nach ausgestaltet, denn als wir 1999 hier den eingerichtet haben, da war das eben das einzige, was wir hier zeigen konnten“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 20).

An den Ausführungen lässt sich nachvollziehen, dass es sich bei andernorts zu findenden Formulierungen wie „so erhalten wie zu Lebzeiten von...“ um Mythen zuspielende Aussageformen handelt, die wiederum vom Selbstverständnis und Narrativ einer Einrichtung zeugen. Im Falle des Raabe-Hauses – zum Gründungszeitpunkt noch Raabe-Gedächtnisstätte – konnte nach Wiederaufbau des Gebäudes auf die originalen Möbel und Einrichtungsgegenstände zurückgegriffen werden, da die Stadt Braunschweig den Bestand der Tochter Raabes bereits 1940 abgekauft hatte. Dass die Raabesche Wohnung zwischenzeitlich nicht mehr existierte, weil sie ausgebombt worden war, verdeutlicht einmal mehr, wie brüchig solche Konzeptionen vom historisch-authentischen Ort sind. Andreas Böttcher spricht – wie andere Leiter/innen34 – dennoch vom „authentische[n]“ und „erhalten gebliebene[n] Arbeitszimmer“ Raabes: „Dass wir jetzt hier dieses erhalten gebliebene Arbeitszimmer haben in dieser Wohnung, das liegt einfach daran, dass die Tochter Margarethe Raabe vor dem Krieg die ganzen Möbel, alles ausgelagert hat, und wir sagen eben, das authentische Arbeitszimmer, so hat das Arbeitszimmer bei Raabe eigentlich immer ausgesehen, in Anführungszeichen, es war natürlich viel unordentlicher, also wir haben jetzt nicht mehr diese ganzen Kartons, er hatte ganz viele so Zigarrenkisten mit einer Zettelsammlung, wahrscheinlich sein Computer, würde ich mal sagen, das, was überall hier stand“ (Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 8; Hervorh. ARH).

Indem Böttcher hier nicht nur beschreibt, dass die Möbel an den wiederhergestellten Ort zurückgebracht wurden, sondern auch, inwiefern sich das wieder eingerichtete Arbeitszimmer vom Original unterscheidet – letzteres war „unordentlich“ und es standen überall „Kartons“ und „Zigarrenkisten“ herum –, kristallisiert sich neben der Re-Konstruktion vor allem die Konstruktion solcher Erinnerungsorte heraus: Sie werden bewusst gestaltet und inszeniert, nicht bloß überliefert. So folgt nach dem Einschnitt „in Anführungszeichen“ auch nicht eine Einschränkung der Authen-

34 Vgl. Laage [Storm-Haus], Abs. 15 und Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 20.

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tizität des Raumes an sich, sondern lediglich eine kurze Beschreibung derjenigen Elemente, die man weggelassen hat. Das Storm-Haus, das 1969 erworben und 1972 als Museum eröffnet werden konnte, verfügte zu diesem Zeitpunkt nicht über die Möglichkeit, Räume wieder original auszustatten. „Nur ein einziges Möbelstück im Storm-Museum stammte aus Storms Besitz: Im Wohnzimmer stand das Tafelklavier, das der Vater des Dichters seinem Sohn Weihnachten 1858 in Heiligenstadt geschenkt hatte“ (Laage 2012, S. 52). Umso mehr betont Ernst Laage den „Glücksfall [...], dass das Wohnzimmer eines Dichters vollständig erhalten ist und dass der Raum, in dem diese Möbel gestanden haben, auch vollständig erhalten ist“ (Laage [Storm-Haus], Abs. 25), und ebenjene Möbelstücke einige Zeit nach der Gründung in diesen zurück überführt werden konnten. In Theodor Storm. Der Dichter und sein Haus geht Laage dezidiert auf die einzelnen (Wieder-)Fundgeschichten bedeutsamer Stücke ein, wie die Wiege, die Storm seiner Tochter Dodo zu Weihnachten schenkte, zwischenzeitlich als „Blumenuntersatz“ fungierte und nur durch Zufall als die Puppenwiege Dodos identifiziert wurde (vgl. Laage 2012, S. 58). Insbesondere in solchen Schilderungen tritt deutlich hervor, dass die Einrichtung der ehemaligen Wohnungen und Häuser der Schriftsteller/innen, wenn diese nicht unmittelbar in museale Nutzung überführt werden, nur schwer von den Museumsverantwortlichen steuerbar ist; vielmehr sind diese auf Hinweise von Außenstehenden angewiesen, die entweder von dem Verbleib einzelner Stücke wissen oder in deren Besitz sind. Insofern erwähnt Laage zu Recht die Bedeutsamkeit der „Nachkommen des Dichters (durch Hinweise auf die Einrichtung des Hauses)“ (ebd., S. 53). Demgegenüber stellt sich die Situation im Büchnerhaus gänzlich anders dar, denn ihm stehen bis heute keine Möbelstücke der Büchnerfamilie aus der Zeit, in der diese das heutige Museumsgebäude bewohnte, zur Verfügung. Die schlechte materielle Ausgangslage ist hier damit zu begründen, dass Büchner selbst zu diesem Zeitpunkt noch ein Kleinkind gewesen und die Familie bereits kurze Zeit später nach Darmstadt umgezogen und somit nicht dauerhaft in Riedstadt-Goddelau geblieben ist. Darüber hinaus sind jedoch auch keine Möbelstücke Büchners aus seinem weiteren Leben erhalten geblieben, was mit seiner prekären Situation und seinem damit zusammenhängenden Lebenswandel zu begründen ist. Das Brechthaus in Augsburg, bei dem es sich ebenfalls um das Geburtshaus des Autors handelt – das letzte Wohnhaus Brechts befindet sich in Berlin und ist als Brecht-Weigel-Gedenkstätte für Besucher/innen zugänglich – konnte einen Raum mit den originalen Schlafzimmermöbeln der Mutter ausstatten. „Brecht selbst lag es am Herzen, daß diese Möbel im Haushalt des Vaters aufbewahrt wurden. Sein Bruder überführte sie nach dem Tod des Vaters im Jahre 1939 in seine Villa nach Darmstadt, von wo aus sie 1990, nach seinem Tod, nach Augsburg zurückkehrten“ (Gier/Hillesheim o.J., S. 40). Die Möbel wurden allerdings so in die Ausstellung integriert, dass sie – abgesehen von dem schriftlichen Hinweis, um was für Möbelstü-

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cke es sich hierbei handelt – mehr als Inszenierungskulisse der Ausstellung wirken und weniger wie originale Stücke, die um ihrer selbst bzw. ihrer Bedeutung Willen ausgestellt werden. So ist beispielsweise das Bett mit einer Abdeckung versehen, die als eine Art liegende Ausstellungswand genutzt wird (vgl. Abb. 4). Abb. 4: Das Bett von Brechts Mutter, bedruckt mit Gedichten und einem Bild

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Im Gegensatz zu denjenigen Einrichtungen, die sich in den ehemaligen Schriftstellerhäusern befinden, sind für andere das Vorhandensein bzw. der Erhalt einer Sammlung ein konstitutives Moment. In diversen Fällen wurden Städten Sammlungen zum Kauf oder als Schenkung angeboten, unter der Voraussetzung, diese zu pflegen, zu ergänzen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies war unter anderem beim Goethe-Museum in Düsseldorf der Fall.35 Zu dessen Gründung kam es, da die Goethe-Sammlung Katharina und Anton Kippenbergs nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Tode der beiden in den Besitz der Stadt Düsseldorf übergegangen war. Anton Kippenberg intendierte, „die Sammlung als Ganzes der Nachwelt als Stiftung zu hinterlassen“ (Wachsmuth 1952/53, S. 351f.) und verpflichtete die Stadt Düsseldorf mit der Annahme seiner Sammlung dazu, diese zu erweitern, zu erschließen und in Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zudem darf die Sammlung nicht veräußert werden.36 Ohne die Stiftung der Sammlung wäre die Einrichtung eines Goethe-Museums in der Stadt Düsseldorf wohl äußerst unwahrscheinlich gewesen, wies sie doch im Vergleich zu anderen Orten – wie Weimar oder Frankfurt am Main – nur eine lose Verbindung zum Autor auf und verfügte auch sonst über keine der bereits ausgeführten, gründungsrelevanten Voraussetzungen. Wie oben geschildert, befindet sich das Grass-Haus nicht in einem ehemaligen Wohnhaus Günter Grass’, auch wenn es eine dezidierte Verbindung zu diesem aufweist. Dass es zur Einrichtung des Hauses gekommen ist, hängt im Wesentlichen mit dem Angebot Grass’ zusammen, der Stadt Lübeck einen Teil seines Vorlasses anzubieten. Dieser bot den entscheidenden Ausgangspunkt, um zum damaligen Zeitpunkt überhaupt über eine Gründung nachzudenken – schließlich entstehen Dichterhäuser in aller Regel erst nach dem Tod eines Autors oder einer Autorin. In der konzeptionellen Ausrichtung des Hauses als „Zentrum für Literatur und bildende Kunst“ spiegeln sich schließlich die Arbeitsschwerpunkte und Facetten des Künstlers Grass wider, die auch für die Zusammensetzung des Vorlasses aus Manuskripten sowie bildkünstlerischen Objekten charakteristisch war.

35 Zur Einrichtung des Gellert-Museums Hainichen kam es infolge einer Jahrzehnte langen Sammeltätigkeit. Während die Sammlung zunächst als Dependance des Stadt- und später des Heimatmuseums gezeigt wurde, erfolgte die Gründung einer eigenen GellertEinrichtung erst 1985. Die bereits 1893 aufgenommene Sammlung von mit Gellert verbunden Objekten ist allerdings als eine wesentliche Voraussetzung für die Gründung anzusehen. Vgl. dazu Homepage des Gellert-Museums Hainichen [http://www.gellertmuseum.de/index1024.php, zuletzt abgerufen am 15.10.2014]. 36 Vgl. dazu auch die Stiftungssatzung des Goethe-Museums in Düsseldorf (Webseite des Goethe-Museums Düsseldorf) [http://www.duesseldorf.de/stadtrecht/4/41/41_203.shtml, zuletzt abgerufen am 11.09.2012].

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Die erste Kleist-Gedenkstätte (Einrichtung: 1922/23) wurde demgegenüber zwar noch in zwei Räumen des ehemaligen Wohnhauses der Familie Kleist untergebracht, allerdings hatte die Stadt Frankfurt/Oder bereits 1919 die KleistSammlung von Ottomar Bachmann angekauft, welche die materielle Grundlage für die dortige Ausstellung bildete (vgl. Barthel 1996, S. 13). Im Gegensatz zum ehemaligen Wohnhaus der Familie Kleist sowie dem späteren vorübergehenden Unterbringungsort, dem Lienau-Haus, – beide wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört – blieb die Sammlung erhalten und bildete wiederum den Grundstock für die Gründung einer vom Stadtarchiv unabhängigen Kleist-Einrichtung im Jahre 1969.37 Von herausgehobener Bedeutung war für die Gründung des Karl-MayMuseums, das zunächst fast 60 Jahre als „Indianermuseum“ existierte und den Autor nur am Rande thematisierte, einerseits, dass Karl May bereits zu Lebzeiten eine umfassende Sammlung mit indianischen und orientalischen Gegenständen anlegte, andererseits aber auch, dass der Artist Ernst Tobis alias Patty Frank der Witwe Klara May aufgrund finanzieller Probleme seine Sammlung zum Kauf anbot.38 Der Vertrag zwischen Klara May und Tobis sah vor, dass die Sammlung in den Besitz ersterer übergehe, letzterer dafür jedoch lebenslanges Wohnrecht in dem zu erbauenden Blockhaus sowie eine lebenslange monatliche Rente erhalten sollte (vgl. ebd.). Entsprechend wurde in einem Ausstellungskatalog von 1973 sogar die „umfangreiche und wertvolle Sammlung indianischer Objekte“ Patty Franks als der entscheidende „Grundstock des Museums“ (Indianermuseum Radebeul 1973, S. 3) bezeichnet. Mit der Art der Sammlung – vor allem Stücke indianischer Provenienz – eng verbunden ist schließlich auch die Konzeption des ersten May-Museums in der „Villa Bärenfett“, das sich zuerst als völkerkundliches und nicht als literarisches Museum verstand. Darüber hinaus ist die besondere Hervorhebung Patty Franks für die Gründung des Museums in mehrerlei Hinsicht nachvollziehbar: Erstens entwickelte sich die Überlegung, ein Museum (noch zu Lebzeiten Klara Mays) zu gründen, überhaupt erst in Folge seines Angebots und zweitens verwaltete er das Museum von 1928 bis 1959. Da „sich die Karl-May-Stiftung auf Drängen der DDRRegierung“ in den 1960er Jahren vom in Westdeutschland befindlichen MayVerlag trennte (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 16), waren zum Zeitpunkt der Einrichtung der literar-biographischen Ausstellung zum Autor Karl May in dessen

37 Von 1953 bis zur Gründung des Kleist-Museums und dessen Unterbringung im heutigen Museumsgebäude wurde die Sammlung vom Stadtarchiv betreut und war in der Stadtbücherei untergebracht. Vgl. dazu Barthel 1996, S. 14 und „Geschichte des Kleist-Museums und des Hauses Faberstraße 7, Frankfurt (Oder)“ (Webseite des Kleist-Museums) [http://www.heinrich-von-kleist.org/kleist-museum/wir-ueber-uns/das-haus/, zuletzt abgerufen am 15.10.2014]. 38 Vgl. Karl-May-Museum. Kurzführer durch die Ausstellung 1992, S. 7.

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ehemaligem Wohnhaus („Villa Shatterhand“) 1985 nur noch einige wenige der originalen Einrichtungsgegenstände vorhanden, denn „die meisten der Gegenstände gingen nach Bamberg“ (ebd.). Auch wenn die Erweiterung des May-Museums vom Indianermuseum hin zu einer Kombination aus Indianer- und Autorenmuseum infolge der „May-Renaissance“ ohne denjenigen Teil, der aufgrund der Trennung von Verlag und Stiftung nach Bamberg gebracht worden war, möglich geworden war, so veranschaulichen Schilderungen der Rückführung jedoch, dass diese als außerordentliches Ereignis wahrgenommen wurde.39 Zum Zeitpunkt der Gründung des Lessing-Museums verfügte die Stadt Kamenz zwar bereits über einige Sammlungsgegenstände zu Lessing, doch betont die Leiterin, dass es sich im eigentlichen Sinne um eine „Gründung aus dem Nichts“ gehandelt habe: „Dann entsteht eigentlich auch aus der Bürgerschaft von Kamenz, die Idee, Lessing ein Museum zu schaffen. Das ist mit Sicherheit ein Unterschied z.B. zum Goethemuseum in Weimar, wo man erst den Bestand hat und sagt, jetzt machen wir mal ein Museum. Das war bei uns genau umgedreht. Wir haben überhaupt keinen Bestand, aber man will dem großen Sohn ein Museum gründen. Wir haben natürlich nicht mal mehr das authentische Gebäude. Auch das wäre ja ein Ansatzpunkt. Hier macht man eine Gründung aus dem Nichts“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 6).

Neben dem Lessing-Museum beweist auch die Gründungsgeschichte des Kästner Museums in Dresden, dass weder das Vorhandensein eines Schriftstellerhauses noch einer Sammlung Voraussetzung sein müssen, damit ein Museum entstehen kann. Insbesondere das Kästner Museum hat seinen Schwerpunkt nicht auf das Sammeln und die wissenschaftliche Erschließung gelegt, sondern auf die Vermittlungsarbeit. Dieser Aspekt unterscheidet es grundlegend vom Lessing-Museum, das mittlerweile eine umfangreiche Sammlung besitzt, die auch erforscht wird. Das Kästner Museum kann dementsprechend im Gegensatz zum Lessing-Museum, bei dem durch aktive Sammeltätigkeiten der fehlende Bestand zum Gründungszeitpunkt quasi aufgearbeitet und ‚nachgeholt‘ wurde, als ein Museumstyp neuerer Zeit angesehen werden, für den der ursprünglich und in der Museumsdefinition des ICOM als wesentliches Merkmal festgehaltene Sammelbestand nicht mehr konstitutiv ist. Da es hierbei nicht nur um eine individuelle Schwerpunktlegung des Muse-

39 „Es sind Ereignisse eingetreten, an die vor zwei Jahren noch niemand zu denken wagte: [...] Erstmals in der Geschichte des Karl-May-Museums sind jetzt [...]“ (Karl-MayMuseum. Kurzführer durch die Ausstellung 1992, S. 1 der sechsseitigen, in den Katalog eingelegten Broschüre mit Informationen zur Umgestaltung der Ausstellung 1995 anlässlich der Rückführung des Bamberger Bestandes).

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ums geht, sondern museumspolitische Grundsätze in Frage gestellt werden – ein Museum muss über eine Sammlung verfügen, damit überhaupt von einem Museum die Rede sein kann; in Ausstellungen werden Objekte aus-gestellt –, findet diese Tatsache hier besondere Erwähnung. Schließlich können solche grundlegenden Veränderungen musealer Einrichtungen auch als Spiegelbild einer veränderten Bedeutsamkeit materieller Bestände sowohl in Sammlungen als auch in Ausstellungen gewertet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, wenngleich die lokalen und materiellen Voraussetzungen im Zuge von Museums- und Gedenkstättengründungen sehr wichtig erscheinen, die Initiatorinnen und Initiatoren dieser oftmals damit zu kämpfen haben, dass die Bedingungen gerade nicht so gegeben sind, wie es für eine Gründung wünschenswert wäre. Die Beispiele dafür sind zahllos: das Haus, in dem sich die ehemalige Raabe-Wohnung befand, ist im Zweiten Weltkrieg bis auf den ersten Stock zerbombt worden; das Storm-Haus stand zwar als ehemaliges Wohnhaus zur Verfügung, aber es gab zunächst keine der originalen Möbelstücke, mit denen man es hätte ausstatten können; selbiges gilt als Elternhaus des Schriftstellers Brecht für das Brechthaus in Augsburg; das Lessing-Haus in Kamenz ist bereits Mitte des 19. Jahrhunderts abgebrannt und im Falle des Büchnerhauses kann bis heute nicht mit absoluter Sicherheit bestimmt werden, ob es sich tatsächlich um Georg Büchners Geburtshaus handelt (vgl. dazu Kap. 8.2.2). Diese Beispiele zeigen, dass, auch wenn Unsicherheiten bestehen oder zunächst (materielle) Grundlagen und Ideen für die Einrichtung geschaffen werden müssen, diese nicht unmöglich oder unwahrscheinlich sind. Die unterschiedlichen Voraussetzungen und Einflussfaktoren lassen sich also wie die zuvor beschriebenen als förderliche, nicht aber als notwendige einstufen. Dass nichtsdestotrotz der überwiegende Teil der Museen sich in den ehemaligen Gebäuden bzw. zumindest aber in Städten bzw. Dörfern befinden, wo die Schriftsteller/innen lebten, zeigt, wie bedeutsam die Orte für die Erinnerung sind. Wenn also Aleida Assmann sogar Ruinen als Erinnerungsveranlassungen beschreibt (vgl. A. Assmann 1999, S. 315ff.), so gilt dies in übertragener Weise auch für die literarischen Museen. Die Spuren, die von den Autorinnen und Autoren noch vorhanden sind, werden zu cues, zu „Abrufhinweisen“ (Erll 2005, S. 255) und damit zu einer zentralen Voraussetzung für die institutionell gepflegte Erinnerung.

5.4 INITIATORINNEN UND INITIATOREN DER GRÜNDUNGEN Damit es zur Institutionalisierung literaturmusealer Einrichtungen kommt, bedarf es neben förderlicher materieller sowie lokaler Bedingungen engagierter Beförde-

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rer/innen, „die in dem Haus einen zu erhaltenden Wert erkennen und erhalten wollen, und zugleich auch dazu in der Lage sind, dieses Interesse dauerhaft durchzusetzen“ (Breuer 2013, S. 207). Während sich nach dem Institutionalisierungsprozess zumeist Strukturen herausgebildet haben, durch die die Aufrechterhaltung der Einrichtung gewährleistet und Betrieb sowie Offenhaltung organisiert werden – unabhängig davon, ob die Verantwortlichkeit dafür bei einem Verein, einer Gesellschaft, Stiftung, Stadt, einzelnen Personen oder anderen liegt –, ist das Engagement vor den Gründungen als weitaus diffuser zu beschreiben. Dieses kann in der Praxis von unterschiedlichen Initiatorinnen und Initiatoren übernommen werden, die aus wiederum unterschiedlichen Gründen und Motiven an einer Gründung interessiert sind. Grundsätzlich ließen sich bei den zehn qualitativ untersuchten Fällen sechs verschiedene Arten von Initiatorinnen und Initiatoren bzw. Initiativen feststellen: 1. Privatpersonen, 2. literarische Gesellschaften oder Vereine, 3. Städte bzw. Gemeinden, 4. gesellschaftspolitisch bedeutsame bzw. einflussreiche Personen sowie 5. staatliche Regulierungen und 6. die Dichter/innen selbst. Dabei werden die genannten Instanzen in aller Regel nicht alleine tätig, sondern es ergeben sich Kooperationen unter ihnen oder es werden etappenweise unterschiedliche Kräfte tätig. Während die Städte hinsichtlich der materiellen und finanziellen Umsetzung einer Gründungsinitiative eine große Rolle spielen, treten sie nur in wenigen Fällen als ideelle Initiatorinnen auf. Hierin scheint auf, dass die Städte einerseits als eine Art ‚Investorinnen‘ und später als Trägerinnen der literaturmusealen Einrichtungen fungieren, andererseits aber auch von deren Prestige und davon, dass sie einen kulturellen Anlaufpunkt und ein potentiell touristisches Ziel darstellen, profitieren. Wenn Brucke beispielsweise beschreibt, wie „der Bürgermeister aus Bohsdorf, der im wahrsten Sinne kein Strittmatter-Freund war, [...] sagte, wir können durchaus Touristen hiermit anlocken und dadurch das Dorf auch noch vielleicht lebenswerter gestalten, interessanter gestalten. Wir müssen hier was draus machen“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 2),

so wird evident, dass es zu den Gründungen mitunter nicht ausschließlich aufgrund von im Gegenstand verankerten Motiven kommt, sondern gerade auch aufgrund möglicher positiver Nebeneffekte für die Stadt oder Gemeinde. Im Falle der Strittmatter-Gedenkstätte erwarb die Gemeinde Felixsee nach dem Tod Heinrich Strittmatters das Gebäude, das von ihr instandgehalten wird; die Gedenkstätte wird allerdings vom Strittmatter-Verein betrieben, der für das Gebäude zwar keine Miete bezahlen, jedoch für die Ausgestaltung, das Programm sowie die laufenden Kosten – Heizung, Telefon etc. – aufkommen muss (vgl. Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 10). Die Idee zur Einrichtung entstand ursprünglich zu Heinrich Strittmatters 80. Geburtstag. Aus diesem noch recht abstrakt gebliebenen Gedanken folgte schließlich die Gründung des Erwin-Strittmatter-Vereins e.V., der noch zu Lebzei-

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ten Heinrichs in einem Teil seines Wohnhauses eine Gedenkstätte einrichtete. Die Initiative ging folglich in erster Linie vom Strittmatter-Verein aus, dem sowohl „echte Strittmatter-Fans“ wie auch „Leute, die von Vereinsgründungen etwas wussten“ oder sich in finanziellen Angelegenheiten auskannten (ein Bankmitarbeiter), angehörten (vgl. ebd., Abs. 2). Die Ausgangslage für ein Storm-Haus in Husum beschreibt Laage in ähnlicher Weise. Da das Storm-Haus erst einige Jahrzehnte nach Storms Tod als Museum eingerichtet worden ist, betont er, „dass das Haus natürlich zunächst überhaupt kein Interesse gefunden hat“ (Laage [Storm-Haus], Abs. 13). Und auch „der letzte Versuch 1966 oder 65 [...], als das Elternhaus verkauft werden sollte, das schlug auch fehl. Die Stadt wollte sich in solche Abenteuer nicht stürzen“ (ebd., Abs. 15). Äquivalent zum Strittmatter-Verein, der sich derzeit sogar eigens zur Einrichtung der Gedenkstätte gründete, setzte sich in Husum die Storm-Gesellschaft dafür ein, dass das ehemalige Wohnhaus Storms von der Stadt erworben wurde. Allerdings wurde nicht von Anfang an das gesamte Gebäude von der Storm-Gesellschaft zu musealen Zwecken genutzt: Von 1972 bis 1978 befand sich im Erdgeschoss das Stadtarchiv und nur die Räume im oberen Geschoss, von denen lediglich zwei mit Möbeln ausgestattet werden konnten (vgl. Laage [Storm-Haus], Abs. 21), standen der Gesellschaft zur Verfügung. Nach dem Auszug des Archivs konnten die Räume im Erdgeschoss ebenfalls museal genutzt werden. Während die Kleist-Gedenkstätte, welche 1923 in zwei angemieteten Räumen im Geburtshaus des Autors eröffnet werden konnte, noch von der ‚alten‘40 KleistGesellschaft initiiert wurde (vgl. de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 24), wenngleich die 1919 von der Stadt erworbene Kleist- und Frankfurtliteratur-Sammlung den Grundstock für die Ausstellungsstücke bildete (vgl. Barthel 1996, S. 13), stellte die Gründung des Kleist-Museums in der heutigen Form ein „auf städtische Initiative, aber auch auf Initiative vieler Einwohner“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 24) zurückgehendes Engagement dar. Nachdem die Ausstellung der KleistGedenkstätte im Geburtshaus bereits 1937 aufgelöst worden war und 1937 „ins später im Krieg zerstörte Frankfurter Oderlandmuseum“ (Barthel 1996, S. 14) überführt worden war, wurde sie 1953 in der Stadtbücherei wiedereröffnet (vgl. ebd.). Mit dem Umzug 1969 in die ehemalige Garnisonsschule veränderten sich schließlich auch Konzept und Name der Einrichtung von „Kleist-Gedenkstätte“ hin zu

40 Die erste in Frankfurt/Oder ansässige und 1920 gegründete Kleist-Gesellschaft löste sich 1945 aufgrund ihrer nationalsozialistischen Gesinnung und Ausrichtung auf: Bereits 1933 durfte nur noch Mitglied sein, wer weder jüdische Wurzeln aufwies noch den Freimaurern angehörte; wesentlich mitbestimmt wurde diese Ausrichtung der Gesellschaft durch den damaligen Leiter, Georg Minde-Pouet (vgl. dazu Maurach 2009, insb. S. 376). Die zweite Kleist-Gesellschaft wurde 1960 in Westdeutschland ins Leben gerufen.

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„Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte“ mit einem dezidierten Forschungsschwerpunkt. Wie de Bruyn erwähnt, ging die Gründung des Museums allerdings nicht auf eine rein städtische Initiative zurück. Hervorgetreten sind in diesem Prozess insbesondere die Mitbegründerin und Leiterin der Gedenkstätte im Stadtarchiv, Elfriede Schirrmacher, (vgl. de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 26) und ihr Nachfolger, der Leiter der Gedenkstätte, der auch bis 1994 Leiter des Kleist-Museums blieb, Rudolf Loch (vgl. Barthel 1996, S. 30), sowie einige weitere Privatpersonen, die allerdings weder im Interview noch in anderen Quellen mit Namen benannt wurden. Das Engagement der Städte, in denen sich die Autorenmuseen zu Lessing, Brecht, Büchner und Raabe heute befinden, war im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Fällen, bei denen Dichter-Vereine oder -Gesellschaften als (ideelle) Gründungsinitiative ausgemacht werden konnten, breiter fundiert und reicht von der Idee und Initiative bis hin zur Gründung und Trägerschaft der Einrichtung. Nichtsdestotrotz ging in allen Fällen der städtischen Initiative ein anders geartetes Engagement voraus, wie bereits im Abschnitt betreffend die prämusealen Erinnerungsformen gezeigt werden konnte. Die Geschichte der Erinnerungsstiftung an Lessing begann bereits mit Johann Gottfried Bönisch, der dem von ihm gegründeten Krankenhaus den Namen „Lessingstift“ zu geben gedachte, von diesem Plan aber Abstand nehmen musste, da er aufgrund der angedachten Namenswahl nicht genügend Spender werben konnte (vgl. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 4). Ausgehend von dieser ersten bekannten Initiative zur Lessing-Ehrung ist eine Geschichte der Erinnerungsstiftung an Lessing auszumachen, die von privaten Initiativen über eine sich ausbreitende Akzeptanz Lessings in der Kamenzer Bürgerschaft (vgl. ebd., Abs. 6) bis hin zur öffentlichen Anerkennung und Ehrung des Dichters in institutionalisierter Form reicht. Insbesondere die von offizieller Seite veranstalteten Lessingfeiern ab dem 19. Jahrhundert bereiteten auch die Fürsprache für die Museumsgründung vor. Das Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau weist sogar eine Vorläufergeschichte auf, die derjenigen des Kleist-Museums ähnelt. So mietete die Gemeinde in den 1960er Jahren im Geburtshaus Büchners zwar Räume an und es wurde „ein Zimmer eingerichtet, ‚wie Büchners Arbeitszimmer hätte gewesen sein können‘“ (Pöllmann 1997, S. 85), allerdings wurde dieses kleine Museum 1968 bereits in die Bahnhofstraße 1 verlegt „und blieb dort, bis 1973 an der Stelle des alten Gebäudes das heutige Rathaus gebaut wurde. Das Museum war heimatlos“ (ebd., S. 86). Die vorübergehende Unterbringung der Sammlung in einer „Garage“ stellte allerdings noch nicht den „Endpunkt“ dar, wie Erik Neutsch 1975 in der DDR-Zeitung Neues Deutschland titelte (vgl. Neutsch 11./12. Januar 1975), wobei sein Artikel Anlass bot, in Goddelau wieder aktiv zu werden. In der Folge wurde an anderem Ort, der Büchnerstraße 9, ein Büchner-Museum eingerichtet. Nachdem die Stadt schließlich 1988 das Büchnersche Geburtshaus erworben hatte, zog das einräumige Museum dorthin um (vgl. dazu Pöllmann 1997, S. 86). Mit dem Kauf des Geburtshauses kam

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es allerdings nicht unmittelbar zur Renovierung und anschließenden Einrichtung einer Ausstellung, da es der Gemeinde an finanziellen Möglichkeiten mangelte. Daher gründete sich im Frühjahr 1995 schließlich der Förderverein Büchnerhaus e.V., in dem sich verschiedene Personen zusammengeschlossen hatten, die dafür sorgen wollten, dass das Geburtshaus Büchners wieder in Stand gesetzt würde.41 Unterstützung erhielten sie dabei von den Medien: Auf einen Artikel der FAZ hin wurde der Hessische Rundfunk aktiv und organisierte im Dezember die Veranstaltung „Erhaltet das Büchnerhaus“, mit deren Hilfe der entscheidende Schritt zur Finanzierung der Renovierung vollzogen werden konnte (vgl. dazu Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 3, 4 sowie Boehncke/Sarkowicz 1997, S. 90). An dieser Veranstaltung nahmen auch Akteure des Literaturbetriebs wie einige der Büchner-Preis-Träger teil: Wolf Biermann, Herbert Heckmann, Gert Heidenreich, Adolf Muschg und Peter Schneider (vgl. ebd., S. 90). Wenngleich die Initiative folglich seit den 1960er Jahren als eine vor allem städtische zu bestimmen ist, war diese offensichtlich auf Unterstützung weiterer Personen (z.B. der Preisträger oder des Ministerpräsidenten Hans Eichel) bzw. Gruppen (des Fördervereins) angewiesen. Vorausgegangen waren der städtischen Initiative nichtsdestotrotz private Ehrungsbestrebungen, die allerdings noch keine Museumsgründung intendierten, sondern sich beispielsweise in der Anbringung einer Gedenktafel am Geburtshaus äußerten (vgl. Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 4). In Augsburg gingen dem Kauf des Geburtshauses und der Einrichtung einer Ausstellung im Brechthaus ebenfalls Erinnerungsstiftungen durch andere, private Gruppierungen voraus. Dass die Stadt sich angesichts des Kalten Krieges zu Anfang der 1960er Jahre Brecht gegenüber noch nicht öffnen konnte bzw. wollte, zeigte sich bspw. 1963 – nur ein Jahr nach der Kuba-Krise –, als die Benennung einer Straße nach Brecht abgelehnt worden war. Bereits drei Jahre später konnte diese jedoch umgesetzt werden (vgl. Hillesheim [Brechthaus], Abs. 4). Im Zuge der Entspannung des Ost-West-Konflikts veränderte sich auch die Wahrnehmung des Autors, der nicht mehr rein als kommunistischer Dichter angesehen wurde, so dass der Kauf des Geburtshauses 1980 durch die Stadt sowie die Museumseröffnung 1985 möglich wurden. Das Raabe-Haus war ebenso von vorneherein eine städtisch getragene Einrichtung, allerdings sind auch hier die ersten Bestrebungen nicht aufseiten der Stadt,

41 Pöllmann führt auf Rückfrage, wer Initiator des Fördervereins gewesen sei, wörtlich aus: „das war das Parlament, und dann hat sich das eben so heraus kristallisiert, weil die Parteien ja immer auf Ausgewogenheit achten, dass jeder beteiligt ist und Bescheid weiß, und da waren dann eben Leute von allen Parteien dabei, und was natürlich sinnvoll war, wofür wir alle waren, dass der Bürgermeister dann auch den Vorsitz macht“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 4).

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sondern bei Raabes Tochter, Margarethe Raabe, auszumachen, die in der Wohnung ihres Vaters wohnen blieb und seinen Nachlass zusammenhielt. Sie war es auch, die zwar bereits 1940 den Nachlass Raabes an die Stadt verkaufte, aber diesen im Zweiten Weltkrieg aus der Stadt brachte und damit vor der Zerstörung durch Bomben rettete (vgl. Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 8, 16).42 Im Rahmen der Gründung des Indianermuseums als Karl-May-Museum handelt es sich um eine Initiative von Privatpersonen, der Frau Mays, Klara May, sowie des Sammlers Ernst Tobis bzw. Patty Frank.43 Nichtsdestotrotz ist im Zusammenhang der Gründung von Bedeutung, dass Karl May bereits in seinem Testament verfügte, dass aus seinem Nachlass nach Klara Mays Tod eine May-Stiftung hervorgehen und mittellosen Journalisten und Schriftstellern zugute kommen sollte.44 Klara May initiierte jedoch bereits 1913 die Stiftungsgründung und beabsichtigte, mit ihren Anteilen am gemeinsam mit Euchar Schmid ebenfalls neu gegründeten May-Verlag das Stiftungsvermögen zu vermehren. Neben den wohltätigen Zwecken diente die Stiftung laut Satzung auch dazu, wie es in der aktuellen Satzung heißt, „das Andenken an den Schriftsteller Karl May und seine Werke, deren erzieherische Absicht

42 Im Falle des Brecht-Hauses in Berlin war es Brechts Witwe, Helene Weigel, die die oberen Stockwerke, die Bertolt Brecht genutzt hatte, bis zu ihrem Tode erhielt. 43 Dass seit der Stiftungsgründung wiederholt Bestrebungen Klara Mays sowie auch des Verlegers, Euchar Schmid, ein Museum Karl May zu Ehren einzurichten, festzustellen sind, geht aus den folgenden Darstellungen hervor, die auf der Homepage der Stiftung nachzulesen sind: „Der Schriftsteller verstarb am 30. März 1912. Bis ins Gründungsjahr der Karl-May-Stiftung, 1913, geht der Gedanke zurück, ihm zu Ehren ein Museum zu errichten. Das ist aus der Korrespondenz Klara Mays und des Leiters des ebenfalls 1913 gegründeten Karl-May-Verlages Radebeul, Dr. Euchar A. Schmid (1884-1951), mit Ministerialdirektor Dr. Erich Wulffen (1862-1936) zu entnehmen. Zu diesem Zweck sollten Räumlichkeiten der Villa ‚Shatterhand‘ museal ausgestaltet werden. Einige Jahre später gewann dieser Plan an Profil. Denn 1920 äußerte Schmid die Absicht, ‚die Villa Shatterhand und Karl Mays Sammlungen sowie seine wertvolle Bücherei der Öffentlichkeit als eine Art Karl-May-Museum zu erhalten und zugänglich zu machen‘. Erwogen wurde sogar, die Villa Mays auf der Kirchstraße 5 der Stadt Radebeul zu schenken, und zwar mit der Auflage, ein Karl-May-Museum zu unterhalten. Aber der Gemeinderat lehnte dies auf seiner Sitzung vom 13. September 1922 ab“ (Hoffmann, Klaus: Zur Geschichte des KarlMay-Museums, seiner indianischen Sammlungsobjekte und deren Präsentation (Webseite der

Karl-May-Stiftung)

[http://www.karl-may-stiftung.de/museum/indianer/hoffmann.

html, zuletzt abgerufen am 20.10.2014]). 44 Vgl. Satzung der Karl-May-Stiftung vom 15. November 1991 in der Fassung vom 23. November 2002 (Webseite der Karl-May-Stiftung) [http://www.karl-may-stiftung.de/ satzung.html, zuletzt abgerufen am 20.10.2014].

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der Ausbreitung von Toleranz, Völkerverständigung und Friedensliebe galt, zu erhalten und zu pflegen“ (ebd.). Mit dem bereits in der Satzung von 1913 festgelegten Stiftungszweck, das Andenken an May wachzuhalten, war die Grundlage dafür geschaffen, ein Museum zu gründen. Das Vermögen der Stiftung, das Klara May ausbauen konnte, bildete dabei einen wesentlichen Grundstock für den Bau der Blockhütte „Villa Bärenfett“ sowie die Übernahme der Sammlung von Ernst Tobis. Letzterer verwaltete schließlich bis 1959 das Indianermuseum (Homepage des MayMuseums45). Im Gegensatz zu den obigen Initiatoren(-gruppen) wurde die Wohnung Anna Seghers im Zuge eines top-down-Prozesses anlässlich eines Ministerratsbeschlusses46 in eine Gedenkstätte umgewandelt,47 was die Gründung von ersteren grundlegend unterscheidet. Im Kontext der zentral organisierten Kulturpolitik und Denkmalpflege in der DDR stellt die Seghers-Gedenkstätte keinen Sonderfall dar, auch wenn in der vorliegenden Untersuchung keine weiteren literaturmusealen Einrichtungen qualitativ untersucht wurden, bei denen eine solche ‚Gründungsinitiative‘ festzustellen gewesen wäre. Über die Erhebung hinaus sind allerdings weitere Fälle bekannt, bei deren Gründung ein ebensolcher Ministerratsbeschluss griff: so zum Beispiel beim Becher-Archiv in Berlin-Pankow, in dessen Untergeschoss 1964 eine Gedenkstätte eingerichtet wurde (vgl. Harder 2012, S. 22f.). Die bislang beschriebenen Initiatorinnen und Initiatoren zeichnet aus, dass sie nach dem Tod der Dichter/innen – teilweise auch erst Jahrzehnte später – aktiv geworden sind, um an diese in musealer Form zu erinnern. Mit dem Grass-Haus liegt

45 Vgl. Überblick zur Museumsgeschichte 1928-2010 des May-Museums (Webseite des Karl-May-Museums) [http://www. karl-may-museum.de/data/cms/pdf/pdf_Pressmappe/ geschichte_kurz_kmm_1928_2010.pdf, zuletzt abgerufen am 12.09.2016]. 46 148. Sitzung des Präsidiums des MR vom 30. Aug. 1984, DC 20-I/4/5463, Maßnahmen zur Würdigung des Lebenswerkes von Genossin Anna Seghers, vgl.: Das Bundesarchiv. Ministerrat der DDR. – Regierungen bis November 1989. – Teil 3: Sitzungen des Präsidiums des Ministerrates [http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/DC20I4-23765/index. htm?kid=443118b8-1221-4579-9bfb-83b0a668a9b6, zuletzt abgerufen am 20.10.2014]. 47 Vgl. auch: „es gab ja, [...] nachdem Becher gestorben ist, gab es einen Ministerratsbeschluss, dass sozusagen diese Orte als Forschungsstätten und als Erinnerungsorte eingerichtet werden, und das war, das erste war dann quasi das Becher-Haus, das ist dann als erstes eingerichtet worden. Und so hat man das dann weiter gemacht. Und im Fall von Anna Seghers war das dann so, die ist 1983 gestorben, [...] und dann gab es dann 1985 schon dieses Haus offen als Gedenkstätte – und vorher gab es, also einen Erinnerungsort gab es vorher nicht, in dem Ort selber hier waren natürlich zu ihren Lebzeiten immer viele Leute da, das ist ganz klar, aber es gab dazwischen, da gab es nichts. Aber es gab wirklich diesen Ministerratsbeschluss [...]“ (Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 12).

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diesbezüglich ein anders gearteter Fall vor, da Grass erstens zum Gründungszeitpunkt noch lebte und er sich zweitens neben anderen offensichtlich selbst für die Gründung einsetzte. Auch wenn, wie Thomsa ausführt, „die dominierende Seite ganz klar die Stadt war“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 8), ist Grass aufgrund der Tatsache, dass er der Stadt seinen „bildkünstlerischen Vorlass und einen Teil seiner Manuskripte“ (ebd., Abs. 6) zum Verkauf angeboten hat, als Mitinitiator des ihm gewidmeten Museums anzusehen.48 „Die Stadt“ als hauptinitiative Seite muss angesichts der an den politischen Grenzen verlaufenden Kontroversen um die Gründung eines Grass-Hauses ausdifferenziert werden: eingesetzt hätten sich „mehrere Personen [...] unter SPD-Oberschaft“ wie „der damalige Senator, Ulrich Meyenborg“ (ebd., Abs. 6) oder „private Mäzene wie Frank-Thomas Gaulin, der ein wichtiger Kulturpolitiker der SPD in Lübeck nach wie vor ist“ (ebd., Abs. 14), aber auch Hans Wißkirchen, der damalige Leiter des Buddenbrookhauses und seit 2011 Sprecher des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung in Lübeck. In finanzieller Hinsicht sei vor allem auch die lokale Possehl-Stiftung eine wichtige Förderin gewesen. Die Gründung war aber „auch zum Teil umstritten [...]. Zum Beispiel in der CDU-Fraktion, die auch negative Äußerungen gegen den politischen Grass dann geäußert hatten“ (ebd., Abs. 6). Überzeugt habe die Kritiker/innen schließlich das Konzept des Hauses als Forum für Literatur und bildende Kunst sowie, dass der größte Teil der Finanzierung nicht nur nicht von der Stadt übernommen werden müsse, sondern für diese sogar „kostenneutral“49 sei. Günter Grass steht mit jener Initiative zur Selbstmusealisierung jedoch nicht allein, denn auch andere „Schriftsteller, und das gilt vor allem für jene mit Kanonisierungsanspruch, wollen nicht nur Werke in die Welt setzen, sie wollen vielmehr als Person dauerhaft in der Vorstellung ihrer Leser gegenwärtig sein“ (Schöttker 2002, S. 277).

48 Ernst Müller geht sogar so weit, Grass als den alleinigen Initiator zu benennen: „In Lübeck „hat auch Günter Grass, nur wenige Straßen weiter [vom Buddenbrookhaus entfernt; ARH], eine lebendige Begegnungsstätte für Dichtung und bildende Kunst eingerichtet“ (Müller 2012, S. 11). 49 Vgl. dazu das Sitzungsprotokoll des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege vom 10.12.2001: „Herr Dr. Wißkirchen weist die Ausschussmitglieder erneut darauf hin, dass, wie seinerzeit von der CDU- Fraktion gewünscht, der Aufbau des Grass- Hauses für die HL kostenneutral ist. 90 % der notwendigen finanziellen Mittel sind bereits extern eingeworben worden. Die restlichen 10 % werden auch noch gedeckt werden“. Online verfügbar unter: Niederschrift Nr. 30 über die Sitzung des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege vom 10.12.2001 [http://www.travemuende.de/stadt_politik/buergerinfo/ bi/to020.asp?TOLFDNR=1000272&options=8, zuletzt abgerufen am 21.10.2014].

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Dazu gebrauchen sie unterschiedliche Mittel, von der Selbstheroisierung und Selbstmythisierung über ihre Popularisierung50 bis hin zur gesellschaftlichen Provokation, sei es durch das Werk oder die Schriftstellerpersönlichkeit. Dass Autorinnen und Autoren zu Lebzeiten versuchen, sich selbst ein Denkmal zu setzen, oder sich innerhalb ihres Werk zum (zukünftigen, überdauernden) Kanon zählen, ist ein weit verbreitetes Phänomen, das bereits in der Antike51 vorkommt und bis in die Gegenwart präsent ist.52 Zu inszenieren suchten sie sich nicht bloß durch die – teils autobiographische – Einschreibung in ihre eigenen Werke, sondern auch über Briefe, Autobiographien, Tagebücher, unvollendete, fragmentarische Werke und andersartige Ereignisse wie zum Beispiel Kleists Doppel(selbst)mord (vgl. Schöttker 2002, S. 282ff.). Als ein Höhepunkt derartiger Anstrengungen kann daher die Selbstmusealisierung angesehen werden. Sie geht weit über das Maß hinaus, sich selbst in das eigene Werk einzuschreiben oder die Aufmerksamkeit auf sich lenken zu wollen. Wer sich selbst zu musealisieren beabsichtigt, versucht, sich zu Lebzeiten ein Denkmal zu setzen, das der Nachwelt nach dem Ableben als Ort der Erinnerung zugänglich gemacht werden kann. Ernst Jünger und Johann Wolfgang von Goethe statteten ihre Wohnhäuser beispielsweise bereits zu Lebzeiten mit einnehmenden Sammlungen aus, so dass diese schon vor der Einrichtung eines Museums wie eine der frühneuzeitlichen Wunderkammern wirkten. Die Autoren versammelten in ihren Wohnstätten Gegenstände, die für ihre Werke und sie persönlich stehen und eine repräsentative Funktion einnehmen.53 Goethe wie Jünger verfügten in ih-

50 Ein Paradebeispiel der Selbstinszenierung stellt Karl May dar. Helmut Schmiedt bezeichnet Karl May daher sicher zu Recht als „frühe[n] Popstar der deutschen Literatur“ (Schmiedt 2008, S. 59). Und für die Literatur der Gegenwart gilt gar, was Porombka (2005, S. 209) konstatiert: „Die moderne Literatur lässt sich ohne diese säkulare Kultifizierung des Schriftstellers kaum denken. Sie ist nicht nur eine Begleiterscheinung der zunehmenden Medialisierung der Gesellschaft. Vielmehr ist sie konstitutiv für eine Literatur, die sich aus der repräsentativen Öffentlichkeit der Fürstenhöfe herauslöst und sich an ein anonymes Publikum wenden muss.“ 51 Vgl. bspw. Horaz: „Errichtet habe ich ein Monument, das Erz überdauert, / das den majestätischen Bau der Pyramiden überragt, / (...) Nicht gänzlich werde ich vergehen, ein großer Teil von mir / wird entgehen der Todesgöttin; unaufhörlich werde ich in der Nachwelt / wachsen im Ruhme jugendfrisch“ (Horaz: Oden und Epoden. Übersetzt und hg. von Bernhard Kytzler. Stuttgart: Reclam 1995. S. 183. Zit. n. Schöttker 2002, S. 279). 52 Vgl. dazu die verschiedenen Beispiele bei Detlev Schöttker (2002): Platon (S. 279), Dante (S. 279f.), Francesco Petrarca (S. 280), Arno Schmidt (S. 281), Peter Rühmkorf (S. 281), Maximilian I. (S. 282) und Friedrich Nietzsche (S. 285). 53 Bei Goethe sind exemplarisch antike, römische Skulpturen, bei Jünger die Käfersammlung zu nennen.

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ren Testamenten im Vorhinein darüber, wie nach ihrem Ableben mit ihrem Besitz zu verfahren sei. Goethes Testament wird daher auch in verschiedentlicher Fachliteratur als die „eigentliche[...] Gründungsurkunde“ (Zankl 1972, S. 42) des GoetheMuseums in Weimar bezeichnet.54 Jünger tat dies in Form eines Vorlasses an das Deutsche Literaturarchiv Marbach, wie es bei einigen weiteren Autorinnen und Autoren der jüngeren Vergangenheit zu beobachten ist. Doch die Museumsgründungen scheinen nicht nur der Erinnerung an die Autorinnen und Autoren dienlich zu sein. Vielfach gehen Museumsgründungen mit der Unterstützung von offizieller Seite bzw. berühmten Persönlichkeiten einher, die sich auf diese Weise selbst in die Erinnerung(sgeschichte) einschreiben. Auf diese Weise wird mit den Musealisierungen nicht nur den Dichterinnen und Dichtern ein ‚Denkmal‘ gesetzt, sondern insbesondere auch denjenigen, die sich für die Gründung eingesetzt haben. So schlussfolgert Beutler für den Beginn solch personaler Museumsgründungen im 19. Jahrhundert, dass die Ehrung eines Schriftstellers zugleich der Ehrung des bürgerlichen Volkes gegolten habe. In der Tatsache, dass nicht mehr nur Adlige und Geistliche erinnerungs- und verehrungswürdig gewesen seien, habe sich schließlich das zunehmende Selbstbewusstsein des aufkommenden Bürgertums manifestiert. „Das deutsche Bürgertum, das sich frei fühlen gelernt hatte, sah in seinen Dichtern die erlesensten Vertreter des eigenen Standes und wollte seinen Geistesfürsten und – mehr oder weniger bewußt – in ihnen sich selbst die gleichen Ehren erweisen, die in den Jahrhunderten vorher nur den regierenden Fürsten vorbehalten waren. Die Denkmalsfrage wurde eine Prestigefrage des Bürgertums“ (Beutler 1930, S. 258).

Allerdings scheint dies in ähnlicher Weise auch für Gruppen bzw. Erinnerungsgemeinschaften der Gegenwart zu gelten, so dass die eingerichteten Dichterhäuser nicht nur die Schriftsteller/innen ehren, sondern auch das Prestige einer Gruppe oder Gemeinde mehren, indem sie Zeugnisse von der Pflege der eigenen Kultur bzw. kulturellen Hervorbringungen sind. Dücker zufolge, diene das Dichterhaus somit nicht nur demjenigen, an den dort erinnert werde, sondern auch dessen Trägerinnen und Trägern, „weil dieses [das Dichterhaus], der Erinnerung an den Repräsentanten eines historischen Prozesses gewidmet, der Trägergruppe die Möglichkeit zur Selbstpräsentation bietet, die Möglichkeit also, sich einen Namen zu machen, indem sie ihrem Namenspatron einen Namen zu

54 Vgl. dazu auch Ernst Beutler (1930, S. 232): „So hat er [Goethe] denn selbst als Erster ein Goethemuseum zu schaffen versucht [...].“

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machen versucht, dadurch nämlich, dass sie sein Ansehen, sein symbolisches Kapital (Pierre Bourdieu), vergrößert“ (Dücker 2011, S. 39; Hervorh. i.O.).

Einzelne Persönlichkeiten können in dieser Hinsicht besonders hervortreten, wenn sie beispielweise eine Sammlung stiften, aus der später ein Museum hervorgeht – so im Falle des Goethe-Museums in Düsseldorf durch die Stiftung der Anton- und Katharina-Kippenberg-Sammlung – oder sich zunächst als einzelne Initiatorinnen und Initiatoren eines Museums oder der Erinnerungsstiftung verdient gemacht haben – zum Beispiel beim Karl-May-Museum Klara May und Ernst Tobis. Wie Constanze Breuer treffend festhält, ist darüber hinaus besonders für Städte das mit dem symbolischen Kapital einhergehende ökonomische Kapital von Bedeutung (vgl. Breuer 2013, S. 207), da ein breites kulturelles Angebot wiederum vermehrt Touristen anzulocken vermag. Gründungsinitiativen gehen, so kann geschlussfolgert werden, also keineswegs nur von dazu spezialisierten Personen aus, sondern unterschiedliche Interessensgruppen setzen sich für die Einrichtung literarischer Museen ein. Ein ähnliches Bild zeigt sich hinsichtlich der Leiter/innen der Museen und Gedenkstätten. Zwar sind es deutlich häufiger Personen, die ein germanistisches oder zumindest kulturwissenschaftliches Studium absolviert haben – will man dies im gegeben Kontext als entsprechende ‚Spezialisierung‘ ansehen –, doch gilt dies keineswegs für alle Einrichtungen. Allein im Sample der vorliegenden Untersuchung wiesen drei Leiter/innen keinen entsprechenden Hintergrund auf: Rotraud Pöllmann (Büchnerhaus), René Wagner (May-Museum) sowie Elke Pfeil (Seghers-Gedenkstätte). Die in der Assmannschen Theorie formulierte These, dass es sich bei den Funktionären des kulturellen Gedächtnisses stets um dazu spezialisierte Träger/innen handle (vgl. J. Assmann 2007, S. 54), lässt sich folglich nur bedingt auf die literaturmusealen Einrichtungen übertragen.

6 Ausstellungsanalyse

Die Ergebnisse der Ausstellungsanalyse resultieren in erster Linie aus den semistrukturierten Besichtigungen. Darüber hinaus wurden an einigen Stellen erläuternde Aussagen der Leiter/innen der Museen aus den Interviews einbezogen. Die Ausstellungsanalysen gehen, was ihren Detailierungsgrad anbelangt, weit über das Maß hinaus, wie es in Hinblick auf die Typenbildung (vgl. Kap. 8) notwendig gewesen wäre. Denn bei letzterer stellten sich grundsätzliche Strukturen – ob bspw. eine Ausstellung oder historisch-authentische Räume gezeigt werden bzw. Mischformen dieser beiden Präsentationsformen vorliegen – als maßgeblich heraus. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse sind daher als eigenständiger Teil im Zuge der Beschreibung der Erinnerung an Schriftsteller/innen innerhalb der Ausstellungen zu lesen. Insbesondere aus den Narrativen kristallisieren sich die mit jenen verbundenen Normen und Werte heraus, so dass die kulturelle wie gesellschaftspolitische Bedeutung der Autorinnen und Autoren und damit auch Gründe für die Erinnerung an sie nachvollziehbar werden.

6.1 GRUNDZÜGE LITERATURMUSEALER PRÄSENTATIONSFORMEN In den folgenden, den Einzelanalysen der Ausstellungen vorangestellten Ausführungen werden die grundsätzlichen literaturmusealen Präsentationsformen, welche sich im Rahmen von Vorstudien und der eigentlichen Erhebung dieser Arbeit herauskristallisiert haben, erläutert. Denn unabhängig davon, was und wie erzählt wird und welchen Narrativen die Ausstellungen folgen, weisen sie wiederum unterschiedliche Strukturen auf, die Parallelen zu bereits verfassten Ordnungsversuchen von Ausstellungsformen aufweisen. Die Ausstellungen lassen sich jedoch bestehenden Kategorisierungs- und Systematisierungsversuchen nicht einfach unterordnen. Daher ist die vorliegende Einordnung zwar in Anlehnung an andere, bereits

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bestehende Systematisierungen entstanden, grenzt sich von diesen jedoch durch notwendige Weiterentwicklungen ab.1 Einer der bereits bestehenden Ordnungsversuche stammt von Jana Scholze. Sie unterscheidet aufgrund „der Beobachtung, dass die Haltung zu und der Umgang mit Objekten von Kuratorinnen und Kuratoren nicht nur zu spezifischen Modi des Ordnens, sondern auch des Vorzeigens und Präsentierens der Sammlung führt [sic]“, zwischen den Präsentationsformen „Klassifikation“, „Chronologie“, „Inszenierung“ und „Komposition“ (Scholze 2004, S. 27f.). Unter Ausstellungen, die dem Prinzip der „Klassifikation“ folgen, versteht sie solche Ausstellungen, deren Präsentationen mit der im 19. Jahrhundert „typischen Depotordnung aus konsequenten Reihen weltanschaulicher und wissenschaftlicher Klassifikation“ (Scholze 2004, S. 27) übereinstimmten. Die einer „Chronologie“ folgenden Ausstellungen weisen hingegen eine lineare Struktur (vgl. ebd.), einen zeitlich angeordneten Durchgang auf. Unter „Inszenierungen“ versteht sie wie Brigitte Kaiser Ausstellungsformate, die von ‚abstrahierenden Raumbildern‘ bis hin zu ‚authentischen rekonstruktiven‘ und ‚nicht-authentischen rekonstruktiven‘ Raumbildern reichen (vgl. Kap. 2.4). Es werden folglich nicht nur assoziative Raumbilder als Inszenierung definiert, sondern auch solche, bei denen historische Settings rekonstruiert werden oder scheinbar der historische Ort samt „authentischen Interieurs“ (Scholze 2004, S. 28) erhalten geblieben ist. Bei der „Komposition“, deren Sammlungsordnung eine „netzartige Struktur“ aufweist, wird „[d]ie Polysemie der gesammelten Objekte [...] ernst genommen und führt zu scheinbar unendlichen Kombinations- und Bedeutungsmöglichkeiten“ (ebd.). Die Objekte werden einer Montage ähnlich angeordnet, sie schaffen Assoziationsräume und verweisen auf „abstrakte Inhalte“ (ebd.). Michael Parmentier hat in Anlehnung an Scholze einen weiterführenden Ordnungsversuch unternommen. Er übernimmt die Präsentationsformen „Klassifikation“, „Komposition“ und „Inszenierung“ – bei ihm als „szenische Darstellung“2 bezeichnet – verzichtet hingegen auf die „Chronologie“ und entwickelt eine eigene vierte Ausstellungskategorie. Diese schließt allerdings seinen Ausführungen zufol-

1

Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass bereits bestehende Ansätze primär vom Objekt ausgehen, in den literaturmusealen Ausstellungen allerdings eine solche Vorrangstellung in der Analyse übergangen hätte, dass die Objekte eine deutlich geringer gewichtete Stellung einnehmen. Bereits die Ausgangspunkte der Analysen stellten sich somit als verschieden heraus.

2

Wie Scholze nachgezeichnet hat, wird der Begriff der Inszenierung deutlich weiter aufgefasst als derjenige der Szenografie (vgl. Scholze 2004, S. 225ff.). Unter letztgenannten Fallen in aller Regel beispielweise nicht historisch-rekonstruktive Raumbilder. Parmentier zählt diese in seiner Definition hingegen sehr wohl zur „szenischen Darstellung“ (vgl. Parmentier 2012, S. 154f.).

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ge die chronologisch geordnete story-line (vgl. Scholze 2004, S. 28) mit ein: die „Narration“ (vgl. Parmentier 2012, S. 150ff.). Die Bedingungen einer Narration im Raum seien zum einen viel „Platz“, denn der Raum sei „nicht nur der leere Behälter, in dem die Erzählung vorgetragen“ werde, er sei „vielmehr so oder so durch Größe und Form ihr konstitutiver Bestandteil“ (ebd., S. 160).3 Zum anderen sei die „Sprache“ (ebd., S. 161) eine notwendige Komponente, da nur mithilfe dieser tatsächlich eine erzählerische und sinnvoll miteinander verbundene Erzählung entstehen könne. Versucht man nun, diese Ansätze4 auf die literarischen Museen und Gedenkstätten anzuwenden, kommen unter den untersuchten Fällen die Ansätze der „Narration“ bzw. „Chronologie“ und der „Inszenierung“ bzw. der „szenischen Darstellung“ vor. Präsentationsformen, die den Prinzipien der „Klassifikation“ oder der „Komposition“ folgen, waren nicht vertreten. Da alle untersuchten Einrichtungen eine personale Ausrichtung an den ausgestellten Autorinnen und Autoren aufwiesen, verwundert dieser Befund wenig, denn die beiden nicht vorgefundenen Ausstellungsverfahren beförderten eine Ablösung von diesen: die Klassifikation, indem sie beispielsweise nach taxonomischen Parametern ausstellt; die Komposition, indem sie sich von einer story löst und vielmehr Bedeutungsvarianten und -facetten hervorruft, als eine Geschichte eines Autors oder einer Autorin, zu deren Werken oder Rezeption zu erzählen.5 Demgegenüber sind personale Ausstellungen im Laufe ihrer Geschichte bislang als möglichst kohärente Erzählungen organisiert gewesen. Sie kamen folglich vor allem als chronologische Erzählungen, als Narrationen vor, ebenso wie sie immer wieder Elemente von Inszenierungen umfassten – unabhängig davon, ob diese nun einem abstrahierenden, eher assoziativen oder einem authentisch-historischen (rekonstruktiven) Raumbild glichen. Als wenig praktikabel und teilweise problematisch erweisen sich die beiden Ansätze für die vorliegende Arbeit vor allem deshalb, weil sie stets vom Objekt ausgehen und in den literaturmusealen Einrichtungen häufig vorkommende Erzählweisen, bei denen der Ausstellungstext und nicht das -objekt im Vordergrund steht, von vorneherein marginalisieren. Ausstellungen wie diejenige im Grass-Haus, die im

3

Aus welchem Grund ausgerechnet „viel Platz“ (Hervorh. ARH) benötigt wird, ist allerdings lediglich aufgrund der linearen Abfolge nicht ganz einsichtig. Schließlich können lineare Erzählungen auch auf wenig Raum realisiert werden.

4

Beide, Scholze und Parmentier, machen nicht zur Voraussetzung, dass die beschriebenen Präsentationsformen innerhalb der Ausstellungen als Reinform vorkommen. Vgl. dazu Scholze 2004, S. 29 und Parmentier 2012, S. 150. Nichtsdestotrotz haben sich nicht alle Ansätze in den Museen wiederfinden lassen.

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Damit soll nicht in Frage gestellt werden, dass auch diese Verfahren grundsätzlich zu produktiven Ausstellungen und Auseinandersetzungen führen könnten.

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Hauptraum weder in erster Linie „mit Dingen erzählen“ (Parmentier 2012), sondern mit Texten, noch eine lineare Erzählung aufweisen, wie es für das Konzept der „Narration“ nach Parmentier konstitutiv wäre, fallen aus den dargestellten Ordnungsversuchen heraus. Als grundlegendste Kategorie für die Unterscheidung literaturmusealer Ausstellungskonzepte – respektive Präsentationsformen – sollte daher nicht die Einbindung der Objekte entscheidend sein, sondern vielmehr und in grundsätzlicherer Weise der Ausstellungsansatz sowie die Struktur der Darstellung. Bezüglich des Ausstellungsansatzes war danach zu fragen, ob eine Form der (historischen oder literarischen) Inszenierung oder aber der informatorischen Darstellung gewählt wurde. Anschließend musste ermittelt werden, welcher grundlegenden Struktur die Präsentationen folgten. Bei diesem Kategorisierungsversuch wurden sowohl die Objekte einbezogen als auch die Texte und die Raumgestaltungen. Unter Einbezug dieser Komponenten konnten vier Grundformen literaturmusealer Präsentationsformen identifiziert werden, die sich wiederum weiter untergliedern ließen, wie später zu zeigen sein wird: 1. Historische Inszenierungen, 2. Literarische Inszenierungen, 3. Chronologische Darstellungsformen, 4. Thematisch-modularisierte Darstellungsformen.6 Grundsätzlich gilt für all diese Präsentationsformen, dass sie in der Regel nicht nur einzeln vorkommen, sondern vor allem als Mischformen. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass es weitere Präsentationsformen gibt, da sich die folgenden Darstellungen in erster Linie auf die Ergebnisse der untersuchten Fälle beziehen. Über diese Präsentationsformen hinaus verfügen einige der literaturmusealen Einrichtungen über thematisch strukturierte Räume, die in ansonsten nicht thematisch strukturierte Ausstellungen integriert sind – dies gilt insbesondere für literarische Museen (und eben nicht Gedenkstätten). Literarische Museen stellen überwiegend entweder in Form von chronologischen Durchgängen oder aber in thematischmodularisierten Einheiten aus, die keine bestimmte Reihenfolge für einen Durchgang vorgeben, sich aber dennoch an Strukturprinzipien wie Lebensabschnitten, Werkaspekten und zeithistorischen Verflechtungen von Autor bzw. Autorin und Gesellschaft bzw. Politik orientieren. Indem die chronologisch organisierten Präsentationsformen einen linearen Entwicklungsgang vorgeben, lassen sie nur wenig Spielraum für Exkurse, in denen beispielsweise einzelne Werke näher beleuchtet

6

Die Rekonstruktionen bzw. der Erhalt historischer Orte (1) lassen sich ebenso wie literarische abstrahierende (literarisch-fiktive) Raumbilder (2) unter den Begriff der Inszenierung (bei Scholze) bzw. die szenische Darstellung (bei Parmentier) subsumieren, die linear-chronologische Darstellung (3) unter die chronologische Präsentationsform (vgl. Scholze) oder die Narration (vgl. Parmentier). Lediglich die modularisierten Ausstellungsformen (4) lassen sich weder den genannten, noch der Klassifikation oder Komposition unterordnen.

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werden können. Allerdings sind die meisten der ausgestellten Schriftsteller/innen in erster Linie durch ein Werk oder aber einige wenige Werke bekannt geworden. Daher wird auf diese, um den Erwartungen der Besucher/innen Genüge zu tun, in aus der Chronologie ausgekoppelten Ausstellungsabschnitten – zumeist in eigens dazu eingerichteten Räumen – detaillierter eingegangen. Thematisch ausgegliederte Abschnitte bzw. Räume sind folglich in aller Regel werkbezogene Ausstellungsräume. Zu finden waren sie unter den untersuchten zehn Fällen beim Lessing-Museum in Kamenz in Form des ‚Innenraums‘ des äußeren Rundgangs – unter dem Titel „Lessings Werk“ werden dort die Bereiche „Fabelhaft aufgeklärt“, „Theatralisch aufgeklärt“, „Gelehrt aufgeklärt“ und „Vorurteilsfrei aufgeklärt“ entfaltet – sowie beim Kleist-Museum zu Beginn der Ausstellung – hier fokussiert der erste Raum die „Sprache“ in Kleists Werk und der zweite seine wichtigsten inhaltlich-thematischen Ausrichtungen. Aber auch das Storm-Haus, das insgesamt eine Mischform aus historischem Ort und literarischem Museum darstellt, verfügt über zwei Räume, die ausschließlich dem Schimmelreiter gewidmet sind. Thematisch-modularisierte Präsentationen verfahren zwar ohnehin grundsätzlich thematisch orientiert, so dass längere Ausführungen zu einzelnen Werken leichter eingebunden werden können, allerdings entbehren sie aufgrund ihrer Ausstellungsstruktur eines chronologischen Überblicks. Daher binden sie – wie die chronologischen Ausstellungen die ausgegliederten Räume zu den Werken – zumeist zu Anfang der Ausstellung eine chronologisch-tabellarische Übersicht zur Biographie der Schriftsteller/innen ein, die ebenfalls für sich steht.7 Im Folgenden werden nun die vier Präsentationsformen – 1. historische Inszenierungen, 2. literarische Inszenierungen, 3. chronologische Darstellungsformen und 4. thematisch-modularisierte Darstellungsformen – beschrieben. 6.1.1 Historische Inszenierungen Grundsätzlich werden im Kontext der vorliegenden Erhebung alle Arten literaturmusealer Räume als konstruierte bzw. inszenierte Räume angesehen. Es kann sich bei ihnen um erstens ‚erhaltene‘ Räumlichkeiten handeln, die nach dem Tod eines Autors oder einer Autorin unmittelbar in die Nutzung als Gedenkstätte überführt worden sind, zweitens um (original) wieder eingerichtete – zwischenzeitlich anderweitig genutzte – Räume oder drittens um reine Nachbauten der historischen Gegebenheiten handeln. Sie alle sind immer gestaltet und damit inszeniert. Besonders im Kontext ‚historischer‘ Inszenierungen bedarf dies mit Blick auf die stets in der Diskussion auftauchenden Begriffe der ‚Aura‘ und ‚Authentizität‘ einer genaueren Begründung.

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Vgl. dazu die Ausstellungen im Grass-Haus sowie im Raabe-Haus.

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Den Erinnerungsorten wird in der Assmannschen Erinnerungstheorie eine große Bedeutung beigemessen. Dies hängt in erster Linie mit ihrer Erinnerung fundierenden und verortenden Kraft zusammen. Indem ein Ort als historisch authentischer Ort eines Geschehens anerkannt wird, wird mit ihm zugleich eine Art Aura verbunden, die ihn zu einem jener sakralen Erinnerungsorte im Sinne Assmanns macht. Walter Benjamin definiert Aura als ein „sonderbares Gespinst aus Raum und Zeit: einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ (Benjamin 1935/36, S. 383). Damit trifft er den Ton der Empfindungen, welcher auch den als sakralen Tempeln beschriebenen Erinnerungsorten anhaftet. Denn die authentischen, echten Objekte und Orte sind der Assmannschen Theorie folgend zugleich Zeugnisse einer weit zurückliegenden mythischen Vergangenheit und bis in die Gegenwart hineinreichenden Tradition. Dadurch repräsentieren sie zum einen die Ferne und damit die Unzugänglichkeit des Vergangenen, zum anderen stellen sie im Gegensatz zu der damit hervorgerufenen Diskontinuität durch ihren Fortbestand und ihre Dauer über die Zeit hinweg sowie ihre Bedeutsamkeit für die Gegenwart Konstanz und Kontinuität her. (Historisch-)Auratisches ist folglich immer dialektisch angelegt, indem es das Paradoxon von Diskontinuität und Kontinuität in seiner gleichzeitigen Vergegenwärtigung und Repräsentation in sich vereint. Benjamin beschreibt Aura als Phänomen auf zwei verschiedenen Ebenen. Sie stelle zum einen Erfahrungsmodus des Subjekts und damit (konstruierte) Zuschreibung dar, zum anderen sei sie als Eigenschaftskonfiguration den Objekten inhärent (vgl. Spangenberg 2000, S. 405f.). Im Gegensatz dazu soll hier hingegen davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Auszeichnung eines Objekts mit der Qualität der Aura ausschließlich um das Resultat8 einer Zuschreibung handeln kann. Aura ist einem Ort oder Gegenstand genauso wenig von Natur aus inhärent, wie dem Ort kein Gedächtnis innewohnen kann, ohne dass Sorge dafür getragen wird. Selbst wenn also davon ausgegangen würde, dass ein Gegenstand durch seine Einmaligkeit und Dauer auratisch sei, so handelte es sich doch nur um eine zugewiesene, keine tatsächliche Eigenschaft, die man ihm aufgrund der Mischung genuin objektiver und subjektiv als bedeutsam empfundener Merkmale zuschreibt. So können die objektiv bestimmbaren Merkmale ‚aus einer fernen (mythischen) Zeit stammend‘, ‚Zeugnis eines vergangenen Ereignisses‘, ‚echt und überliefert‘ sowie ‚bedeutsam für die Gegenwart‘ einem Objekt, wie einer Haarlocke oder einem Füller, die Eigenschaftszuschreibung ‚auratisch‘ nur sichern, wenn ein Subjekt dem Gegenstand wiederum eine sinnhafte Bedeutung zugesteht. Denn nicht jeder aus der Vergangenheit überlieferte originale Gegenstand ist zugleich von sich aus auratisch:

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Aura ist immer nur als Resultat erfahrbar bzw. sichtbar, nie als Prozess.

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Es bedarf stets der Zuschreibung, welche eng geknüpft ist an den kulturellen Sinn bzw. die kulturelle Bedeutsamkeit des Objekts.9 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Authentizität, denn sie steht in einem direkten Zusammenhang mit der Aura, indem jene diese befördern kann (aber nicht muss) und sie selbst ebenso janusköpfig ist wie die Aura.10 Zunächst muss die Art und Weise der Bestimmung von Authentizität differenziert werden in empirische Überprüfung und interpretative bzw. normative Zuschreibung (vgl. Knaller/Müller 2005, S. 44). Ein Gemälde Rembrandts im Original wäre folglich empirisch nachweisbar authentisch, eine Performance eines Künstlers hingegen könnte als interpretativ bzw. normativ authentisch im Sinne einer gelungenen Inszenierung gelten. Susanne Knaller unterscheidet zwischen Subjekt- und Objektauthentizität. „Objektauthentizität resultiert zumeist aus der Rückführbarkeit auf einen Urheber bzw. eine Urheberin oder auf Zugehörigkeit“ (Knaller 2007, S. 8). Diese „Urheberschaft“ wird durch Institutionen und Autoritäten bestätigt, zum Beispiel durch den Autor oder die Literaturkritik bzw. Literaturwissenschaft (vgl. Knaller 2006, S. 22). Es handelt sich somit um eine referentielle Beglaubigung, die als Resultat von Fremdverweisen zustande kommt (vgl. Knaller 2006, S. 21f.). Kunstauthentizität, welche ebenfalls der Objektauthentizität zuzurechnen ist, weist über diese hinaus, indem sie durch „Wertzuschreibungen“ in Form von Fremd- sowie Selbstverweisen – als (ästhetisch gesehen) ‚authentische Kunst‘ – zustande kommt (ebd., S. 22). Subjektauthentizität hingegen ist ein weit diffuserer Begriff, indem durch ihn „das Übersteigen des Individuellen und die Rückkehr oder Ankunft an einem Ort des Ursprungs in der ästhetischen Moderne, wenn der Künstler/ die Künstlerin über kreatives Potential und Originalität das unkontaminierte Selbst findet“ (Knaller 2007, S. 8),

beschrieben werden. Ausgangspunkt einer solchen „Subjektauthentizität ist die Vorstellung eines empirischen, gesellschaftlichen, psychologischen Subjekts, das Wahrhaftigkeit auszeichnet. In seiner Außendarstellung und kommunika-

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Über kulturellen Sinn verfügt jedwedes Objekt wiederum nur über Zuschreibung. Gegenstände sind also nie aus sich selbst heraus bedeutsam, sondern nur durch die ihnen zugeschriebenen Qualitätsmerkmale.

10 Die Konjunktur des Begriffes Authentizität rührt vermutlich gerade daher, dass er nicht exakt bestimmbar und entsprechend in verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen gebraucht werden kann (vgl. dazu Knaller 2007, S. 7ff. oder Amrein 2009, S. 9ff.).

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tiven Haltung weist der Einzelne als authentisches Subjekt deshalb eine Übereinstimmung von Form und Selbst auf“ (Knaller 2007, S. 22).

Hierbei handelt es sich um eine normative Zuschreibung, die nicht empirisch – z.B. durch Urheberschaft – nachweisbar ist (vgl. ebd., S. 23). Indem Authentizität wie Aura auf Zuschreibungen und Beglaubigungen beruhen (vgl. Knaller 2007, S. 21), die dem Objekt aufgrund seiner – ihm ebenfalls zugeschriebenen – Echtheit, Originalität, Eigentlichkeit und Einzigartigkeit zukommen,11 werden sie mit der Problematik der Echtheitszuschreibung beladen und können als primär fremdreferentiell angesehen werden. Im Kontext literaturmusealer Einrichtungen geht es zwar nicht um Authentizität von Kunstwerken – mit Ausnahme der Subjektauthentizität, was in Kap. 6.1.2 zu den literarischen Inszenierungen noch erläutert wird –, aber um die Authentizität von historischen Gegenständen und Orten. Der Ort erhält seine Authentizität durch die Referenz auf den/die Dichter/in, der/die einst dort lebte oder arbeitete. Der Gegenstand als solcher wiederum durch den Verweis darauf, dass er vom Autor oder von der Autorin gebraucht wurde, sich in seinem/ihrem Besitz befand oder gar ein Teil der Person war. Ein Beispiel für letzteren Fall könnte eine Dichterlocke sein. Anstelle von Kunstauthentizität kann demgemäß neben der Referenzauthentizität von historischer Authentizität die Rede sein. In Bezug auf die authentischen Orte ergibt sich jedoch eine spezifische Problematik: Während die Besucher/innen eine ‚authentisch eingerichtete‘ Schreibstube für die authentische, im Sinne von historisch echt, halten mögen,12 wissen die Kuratorinnen und Kuratoren um die Konstruiertheit und Inszenierung derselben. In den Augen letzterer mögen einzelne Gegenstände authentisch sein, nie jedoch das Gesamtensemble, welches weder im absoluten13 Originalzustand zu erhalten,14 noch zugänglich zu machen wäre. Dies lässt

11 Knaller nennt „wahrhaftig, eigentlich, unvermittelt, unverstellt, unverfälscht, verbürgt, verbindlich“ (Knaller 2007, S. 20) als die aktuell geläufigsten Bedeutungen von authentisch. 12 Dieses Phänomen beschreibt Jost Schneider (2010, S. 33f.) in einem verwandten Kontext bezüglich des Vermögens, zwischen Fiktionalität und Realität erzählender Texte zu unterscheiden, wozu nicht alle Leser/innen von Literatur fähig seien. Diese genuin literarische Problematik setzt sich wie ein Automatismus bei den ‚historisch-authentischen Stätten‘ fort, denen beispielsweise fiktionale Elemente als reale zugeschrieben werden. 13 In Bezug auf den Begriff ‚absolut‘ soll im Zusammenhang der Diskussion um den Begriff des Authentischen auf die raffinierte Anmerkung Michael Wetzels hingewiesen sein, dass ‚absolut‘ etymologisch auf lat. absolvere – ablösen – zurückführbar sei, und damit immer das Spurenhafte (mit)bezeichne (vgl. Wetzel 2006, S. 40).

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sich exemplarisch am Ernst-Jünger-Haus in Wilflingen demonstrieren, das komplett inventarisiert und restauriert wurde. Durch das temporäre Entfernen der Gegenstände, ihrer Markierung und die selektive Wiederaufstellung kam es zu einem erheblichen Eingriff in das authentische, vom Autor zurückgelassene Ensemble: Denn jeder einzelne Gegenstand wurde durch seine Markierung und Bewegung letztlich verändert. Der Eingriff, der mehr dem Erhalt als der Veränderung dienen sollte, manipuliert somit sehr wohl die Authentizität des Ensembles, wenn er auch zugleich deren Sicherung dienen soll, indem genau vermerkt wurde, welche Gegenstände sich nach dem Tode Jüngers wo befunden haben. Für die Untersuchung der literarischen Museen und Gedenkstätten sind die Konzepte, welche sich hinter den Begriffen Aura und Authentizität verbergen, in Bezug auf die Sakralität der Erinnerungs- und Gedächtnisorte von großer Bedeutung. Schließlich ermöglicht die Analyse der Konzepte Aussagen darüber, inwiefern die literaturmusealen Einrichtungen bei ihren Ausstellungen und Inszenierungen auf sie zurückgreifen und welches Bild sie auf diese Weise von den Autorinnen und Autoren sowie ihrer Literatur konstruieren. Zudem wird deutlich, dass es sich bei den für die Besucher/innen zugänglich gemachten ‚historischen‘ Räumen immer um Inszenierungen handeln muss, da durch ihre Öffnung als literaturmuseale Einrichtungen bereits eine Entscheidung über ihre (Re-)Präsentationsformen getroffen wird.15 Solche Inszenierungsentscheidungen betreffen einzelne Objekte in den historischen Räumlichkeiten, die bleiben oder entfernt werden, ebenso wie die Außengestaltung bzw. Beschilderung eines Hauses.16 In Abhängigkeit von dem Grad der Künstlichkeit der Inszenierungen lassen sich unter den historisch ausgerichteten Inszenierungen schließlich unterschiedliche Subformen ausmachen: a) Authentische historische Inszenierungen: Kaiser zufolge haben rekonstruktive Raumbilder generell die Funktion „eine bestimmte historische Begebenheit zu rekonstruieren oder an historische Situationen zu erinnern“ (Kaiser 2006, S. 40). Für authentische rekonstruktive Raumbilder ist allerdings maßgeblich, dass die Inszenierung auf einer Zusammenstellung von Objekten beruht, die auch in ihrem Ur-

14 Bereits durch den Versuch der Erhaltung überkommener Gegenstände oder auch Gebäude, werden die Originalität und Echtheit beschnitten, da sie ihrer ursprünglichen Kontexte und Funktionen beraubt und in neue überführt werden. 15 Diese Einschätzung teilt auch Paul Kahl im Hinblick auf literarische Personengedenkstätten (Kahl 2015, S. 264f.) 16 Vgl. zum Unterschied der Inszenierung des ‚authentischen Ortes‘ und der musealen Ausstellung auch Sabiene Autsch: „Ist es da die Vitrine, die den Gegenstand zugleich isoliert als auch exponiert und dadurch seinen Wert unterstreicht, so ist es dort ein Tisch, auf dem der Gegenstand scheinbar beiläufig platziert ist“ (Autsch 2005a, S. 9).

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sprungskontext zusammengehörten. Es handelt sich folglich ausschließlich um Originale, die (scheinbar) nicht neu kontextualisiert worden sind. Kaiser anerkennt als ein solches historisch-authentisches Raumbild sowohl ein Ensemble, das sich noch am historischen Ort ihres Zusammenseins befindet, z.B. im ehemaligen Wohnhaus einer Autorin oder eines Autors, als auch eine „Anordnung ursprünglich wirklich zusammengehöriger Gegenstände [...], zum Beispiel das Mobiliar eines Wohnraumes oder Geräte und Maschinen einer Werkstatt, und zwar in der Weise, dass die Aufstellung im Museum genau den Verhältnissen der ursprünglichen Situation entspricht“ (Kaiser 2006, S. 42).

Entscheidend dafür, ob eine historische Inszenierung somit als authentisch oder nicht eingestuft wird, ist ihr zufolge die Zusammenstellung der Objekte, nicht ihre Umgebung. Für die Erinnerung im literaturmusealen Kontext darf hingegen ein qualitativer Unterschied zwischen der bloßen ursprünglichen Zusammenstellung originaler Gegenstände – bspw. des Mobiliars einer Dichterschreibstube – und deren Unterbringung in den Räumlichkeiten, in denen sie sich ursprünglich befanden, angenommen werden. Schließlich bezeugt der Ort selbst auch das Ensemble der Originale und erhöht auf diese Weise den (wahrgenommenen) Grad der Authentizität. Ensembles aus zusammengehörigen Originalen, welche sich nicht an dem Ort befinden, an dem sie ursprünglich zusammen vorkamen, werden hier zu den semiauthentischen rekonstruktiven Inszenierungen (vgl. b)) gezählt.17 Authentische historische Inszenierungen können sich entweder auf einzelne Räume oder auf ganze Wohnungen bzw. Häuser erstrecken, wobei letztere in aller Regel nicht in ihrer Gesamtheit zu authentisch-historischen Inszenierungszwecken genutzt werden, sondern manche Räume zum Beispiel als Büros, als Kassen- oder als Ausstellungsräume dienen, so bspw. in der Seghers-Gedenkstätte (vgl. Kap. 6.3.9). Im Gegensatz zu Seghers’ Wohnung existiert in Wilhelm Raabes ehemaligen Wohnräumen nur noch sein Arbeitszimmer in einem originalen Zustand.18

17 Die Wahl des Begriffs Inszenierung anstelle des von Kaiser präferierten Begriffs Raumbild ist besonders für die in diesem Abschnitt dargelegte Unterscheidung relevant, da im Zusammenhang des Begriffs Raumbild der Raum vielmehr als begrenzender Rahmen gedacht wird. Im Gegensatz dazu kann der Begriff der Inszenierung das Gesamtensemble, inklusive des Ortes sowie seiner Umwelt und damit des Kontextes in den Blick nehmen, oder aber nur Teile eines Raumensembles. 18 Infrage gestellt werden könnte diese Aussage dadurch, dass das Gebäude, in dem sich Raabes Wohnung befunden hat, im Zweiten Weltkrieg zu einem Großteil zerstört und lediglich wieder aufgebaut wurde. Damit mag zwar die Ausstattung des Arbeitszimmers original sein, der Raum an sich ist es eigentlich nicht.

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Auch im ehemaligen Wohnhaus Karl Mays konnten nur der „Empfangssalon“, das „Arbeitszimmer“ sowie die „Bibliothek“ des Autors und das „Klara-May-Zimmer“ wieder original ausgestattet werden.19 An den aufgeführten Beispielen lassen sich bereits spezifische Muster erkennen, welche Räume im Erinnerungskontext so viel Bedeutung entfalten, dass sie einer authentischen historischen Inszenierung lohnen: In erster Linie sind es die Arbeitsräume der Schriftsteller/innen, gefolgt von solchen, die für ihre sozialen Kontakte sowie den Austausch wichtig waren. Dies gilt auch für die Seghers-Gedenkstätte, in der das Schlafzimmer der Autorin nicht mehr vorzufinden ist und Küche und Bad teilweise saniert bzw. um neuere Gerätschaften ergänzt wurden, um weiter genutzt werden zu können. b) Semi-authentische historische Inszenierungen können sowohl Zusammenstellungen originaler Objekte umfassen, die nicht am historischen Ort untergebracht sind, als auch Objektensembles meinen, die sich zwar am historischen Ort befinden, sich aber nur zu einem Teil aus originalen Gegenständen zusammensetzen. Zum anderen Teil bestehen sie aus lediglich zeitgenössischen oder für die Inszenierung eigens hergestellten Objekten. Besonders häufig sind solche semi-authentischen Inszenierungen in Gebäuden zu finden, deren Räume nach dem Auszug oder Tod der Schriftsteller/innen jahrzehntelang anderweitig genutzt wurden. Bei ihnen wird dann versucht, die Räume – zumindest teilweise – wieder so auszustatten, wie sie es zu dem Zeitpunkt waren, als sie noch von den Schriftstellerpersönlichkeiten bewohnt wurden. In der Regel besteht bei solchen Bestrebungen das größte Problem darin, dass das ursprüngliche Interieur, wenn überhaupt, lediglich partiell wiederbeschafft werden kann. Nur in seltenen Fällen befinden sich alle Möbelstücke eines Zimmers zusammen an einem Ort, von dem aus sie gemeinsam in ihren historischräumlichen Kontext zurücküberführt werden können.20 Ausstellungsmacher/innen greifen dann gerne auf zeitgenössische Stücke zurück, die sie in die Inszenierung integrieren. Als Beispiel einer solchen semi-authentischen Inszenierung können die meisten der Räumlichkeiten in der Erwin Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ gelten, in denen die Lebensverhältnisse der Familie Strittmatter zu der Zeit (1920er bis 40er Jahre) rekonstruiert wurden, als Erwin Strittmatter noch in Bohsdorf lebte. Im Mittelpunkt steht der kolonialladenähnliche Verkaufsraum, der gegenwärtig zugleich Eingangs- und Kassenbereich der Gedenkstätte ist (vgl. Abb. 5).

19 Sowohl das Arbeitszimmer Raabes sowie die original wieder eingerichteten Räume im May-Museum dürfen im Gegensatz zur Anna-Seghers-Gedenkstätte von den Besucher/innen nicht betreten werden. 20 Von einem solchen „Glücksfall“ berichtete beispielweise Ernst Laage für ein Zimmer des Storm-Hauses in Husum (vgl. Laage [Storm-Haus], Abs. 23, 25)

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Abb. 5: Eingangsbereich der Strittmatter-Gedenkstätte mit rekonstruierter Ladentheke

Das Haus wurde zwar bis zum Tode von Erwin Strittmatters Bruder, Heinrich, von ebendiesem bewohnt, aber erfuhr selbstverständlich im Laufe der Jahrzehnte diver-

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se innerräumliche Veränderungen, so dass insbesondere der Laden-Bereich rekonstruiert und mit zeitgenössischen Warenverpackungen ausgestattet wurde.21 Die auf diese Weise zustande kommende semi-authentische Inszenierung richtet sich jedoch darüber hinaus nicht nur auf eine frühere, historische Situation, sondern auch auf eine literarisch-fiktionale, auf die in Kap. 6.1.2 noch einzugehen sein wird. Neben dem ‚Laden‘ verfügen auch das Theodor Storm-Haus in Husum (vgl. Kap. 6.3.8) und das Brechthaus in Augsburg über semi-authentische historische Inszenierungen. Allerdings können mit ihnen unterschiedliche Zwecke verbunden werden. Der semi-authentisch eingerichtete Raum „Die Eltern / Kindheit und Jugend“ im Brechthaus in Augsburg dient bspw. primär ausstellungsgestalterischen Zwecken. Er ist mit den Möbeln des ehemaligen mütterlichen Schlafzimmers ausgestattet. Die Entscheidung zur Einbindung dieser in die Ausstellung wird damit begründet, dass die Mutter für Bertolt Brecht eine sehr große Bedeutung hatte und Brecht selbst nach ihrem Tod dafür Sorge getragen habe, dass ihre Möbel im elterlichen Haushalt verblieben (vgl. dazu Gier/Hillesheim o.J.). Die Möbel werden allerdings nicht mit der Funktion in die Ausstellung integriert, eine historische Situation eins zu eins wiederherzustellen, sondern sie werden zu Inszenierungszwecken einer tendenziell bedrückenden und durch die Krankheit und den frühen Tod der Mutter geprägten Atmosphäre eingesetzt.22 Indem zum Beispiel das Bett nicht mit Kissen und Decke bestückt wurde, sondern anstelle einer Matratze eine harte, weiß glänzende Abdeckungsfläche angebracht und mit einem Bild der Mutter Brechts sowie mit Brechts Lied von meiner Mutter (und zwei weiteren Gedichten) bedruckt wurde, werden ihm die Merkmale ‚weich, warm, gemütlich‘ genommen und es entsteht eine kühle, sterile Atmosphäre, die die Krankheit und den frühen Tod der Mutter spiegelt. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen semi-historischen Inszenierungen steht im Brechthaus somit die Erzeugung einer speziellen Ausstellungsatmosphäre im Vordergrund; Ziel ist hingegen nicht die Herstellung eines möglichst authentisch wirkenden Raumes, der der historischen Situation abbildhaft entspräche. Die Inszenierung im Brechthaus ist folglich nicht als Rekonstruktionsversuch einzustufen. Damit weisen die semi-authentischen historischen Inszenierungen (b)

21 Bereits die Entscheidung, den ehemaligen Verkaufsraum nicht unbestückt zu belassen, sondern zeitgenössische Produktschachteln auszustellen, stellt eine grundlegende Inszenierungsentscheidung dar, die nicht nur einem Veranschaulichungszweck zu dienen scheint, um zu zeigen, welche Produkte damals in einem solchen Laden verkauft wurden, sondern die historischen Räumlichkeiten auch ‚mit Leben‘ zu füllen. 22 Im Ausstellungskatalog heißt es dazu: „Im ersten der den einzelnen Lebens- und Werkabschnitten gewidmeten Räumen im ersten Stock prägt das originale Schlafzimmer der Mutter Brechts die Atmosphäre. Sie war lange krank und starb früh im Jahre 1920, als Brecht erst zweiundzwanzig Jahre alt war“ (Gier/Hillesheim o.J., S. 40).

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hinsichtlich ihrer Funktionen innerhalb der Ausstellungen bereits eine weitaus größere Spannbreite auf, als dies bei den authentisch-historischen Inszenierungen (a) der Fall ist. Darüberhinausgehende Inszenierungsvariationen bieten nichtauthentische historische Inszenierungen (c). Diese bezwecken zuerst assoziative bzw. symbolische Vergangenheitsvergegenwärtigungen, geben aber nicht vor, konkrete historische Situationen abbilden zu können bzw. diesen zu entsprechen. c) Zu ebendiesen nicht-authentischen historischen Inszenierungen gehören alle Formen der Inszenierung historischer Situationen und Ereignisse, die nicht mithilfe originaler oder zeitgenössischer Objekte arbeiten. Anliegen solcher Inszenierungen kann demnach nicht sein, die historischen Konstellationen möglichst detailgetreu wiederherzustellen; vielmehr haben sie – und darin ähneln sie den abstrahierenden Raumbildern nach Kaiser (2006) – assoziative Funktionen. Sie kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn eine historische Situation zwar ‚in Szene gesetzt‘ werden soll, aber weder originale Objekte, noch detaillierte Belege zu jener vorliegen. Eine solche Inszenierung stellt der Ausstellungsteil im Büchnerhaus dar, in dem die Schreibstube des Dichters zu seiner Zeit in Zürich umgesetzt wurde, als er seine Doktorarbeit über das Nervensystem der Barben vollendete. Im Rahmen dieser Inszenierung konnten keine originalen Stücke eingesetzt werden, da aus seiner Exilzeit keine solchen vorhanden sind. Ideengebend war für die Ausstellungsmacher/innen die Skizze des Zimmers, die ein Mitstudent Büchners angefertigt hatte: „Es ist von einem Mitstudenten eine Skizze, wie Büchners Zimmer ausgesehen hat in Zürich, [...] und da ist eben nur Bett, Tisch und Stuhl drin; also auf das Bett haben wir jetzt verzichtet, ja, also er brauchte eben einfach einen Tisch, was anderes ging ja gar nicht, oder Truhe oder Schrank, das kann man nicht so sehen, wenn man nur so eine Bodensache hat und nicht perspektivisch. Insofern lag das nahe, dass wir dann alles auf den Tisch legen, weil er auch schreibt: Ich sitze bei Tag und bei Nacht und sehe Dich zwischen den Froschschenkeln dadurch, Dein Gesicht oder so. Also, es muss wirklich da immer das nächste, was anstand, wurde gemacht und war nicht viel Platz, ne?“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 40)

Aufgrund der Tatsache, dass keine Originale eingesetzt werden konnten und sich dieses Arbeitszimmer auch nicht in Goddelau, sondern in Zürich befunden hatte, wurde eine Form der historischen Inszenierung gewählt, die mit einem assoziativen Bild vergleichbar ist (vgl. Abb. 6). Es wurden Gegenstände versammelt, die symbolisch für Büchners damalige Zeit am Schreibtisch standen, wie ein Mikroskop, Sezierbesteck, eine gläserne Nierenschale, Fische, beschriebenes Papier und (fachwissenschaftliche) Literatur. Am Schreibtisch sitzt eine geflochtene Figur, die in einer denkend-arbeitenden Pose verharrt. Mithilfe dieser Inszenierung kann eine konkrete historische Situation vergegenwärtigt und in ein Bild übersetzt werden, so dass sie an Anschaulichkeit gewinnt. Zugleich erhebt sie nicht den Anspruch, als authen-

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tisch bzw. als reines Abbild der damaligen Situation wahrgenommen werden zu wollen. Abb. 6: Inszenierung von Georg Büchners Schreibtisch zu seiner Züricher Zeit

Quelle: © Büchnerhaus

Eine ähnliche Inszenierung, die ebenfalls die Funktion der Vergegenwärtigung einer historischen Situation erfüllt, liegt in der aktuellen Ausstellung des KleistMuseums vor. Im letzten und kleinsten Ausstellungsraum wird die Situation von Kleists Doppelmord inszeniert. Dazu sind die Wände mit Tapeten beklebt, die ebenjene Stelle am Kleinen Wannsee zeigen, wo sich Heinrich von Kleist selbst sowie Henriette Vogel erschoss. Zusätzlich zu der bildlichen Szenerie wird das polizeiliche Protokoll zum Doppelselbstmord verlesen, so dass die Besucher/innen über den Teil des Geschehens, der bekannt ist, in Form eines historischen Dokuments informiert werden. Die Kombination aus diffusem Licht, Vorlesen des Polizeiberichts und bildlicher Vergegenwärtigung des historischen Ortes erleichtert den Besucherinnen und Besuchern, sich in die damalige Situation hineinzuversetzen. Nicht zuletzt trägt der abgedruckte Abschiedsbrief Kleists an seine Schwester Ulrike von Kleist dazu bei, da er Einsicht in die Perspektive Kleists bietet und diesen abschließend zur Ausstellung noch einmal selbst zu Wort kommen lässt.

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6.1.2 Literarische Inszenierungen Neben historischen Rekonstruktionen und Inszenierungen werden literarische Werke in Szene gesetzt. Ähnlich den nicht-authentischen historischen Inszenierungen dienen sie dazu, Literatur zu verbildlichen und damit zur Anschauung zu bringen. Im Gegensatz zu den historischen Inszenierungen stellt sich hier nicht die Frage nach der historischen Authentizität des Ensembles, sondern nach der ‚literarischen Authentizität‘, die in direktem Zusammenhang mit der Subjektauthentizität bei Knaller steht (vgl. Kap. 6.1.1): Wie Philippe Lejeune im Zusammenhang mit dem „autobiographischen Pakt“ beschrieben hat, wird Literatur, obwohl ihr die Merkmale von Dichtung zugeschrieben werden können,23 von den Leserinnen und Lesern oftmals als ‚wahr‘ bzw. real-historisch gedeutet.24 „Der Roman wird sozusagen für die wahrere Autobiographie erklärt“ (Lejeune 1994, S. 47), gleichwohl historisch überliefert sein mag, dass die (autobiographische) Literatur reine Fiktion ist und nicht mit den historischen Tatsachen und Ereignissen übereinstimmt. So kommt zu der Problematik der Authentizität des Ortes eine weitere Dimension hinzu, wonach real-historische Fakten von literarisch-fiktionalen Schilderungen zu trennen sind. Dies wird insbesondere dann zum Problem, wenn „Form und Selbst“ (Knaller 2007, S. 22) der Außendarstellungen – solche Formen sind beispielsweise autobiographische Literatur oder anderweitige öffentliche Positionierungen und Selbstinszenierungen – nicht übereinstimmen. Ein Beispiel hierfür stellt der Autor Erwin Strittmatter dar. Durch die Form sind mit Strittmatters Selbst konkrete Wertzuschreibungen verbunden worden, die aufgrund der Enthüllungen seiner NS-Vergangenheit nicht aufrechterhalten werden können. Mit der Aufdeckung der von Strittmatter verschwiegenen biographischen Aspekte sind allerdings seine Literatur sowie sämtliche Stellungnahmen und Handlungen unter Generalverdacht geraten, nicht authentisch gewesen zu sein. Das Erinnerungskonstrukt ‚Strittmatter‘ gerät ins Wanken und steht vor seiner Delegitimierung, wenn nicht anhand von entsprechenden Quellen, die wiederum aufgrund ihrer Authentizität Beweischarakter haben, der Großteil des Konstrukts re-authentifiziert werden kann.25 Die Trennung zwischen Fiktion und Realität wird in literarischen Museen vielfach nicht konsequent verfolgt, teilweise verdeckt oder absichtlich genutzt und in die Ausstellungskonzepte integriert, so dass es zu semantischen Überlagerungen am

23 Vgl. Braungart 1996, S. 149ff. 24 Vgl. dazu Lejeune 1994, S. 48: „Früher war es der Leser, der trotz der Beteuerungen des Autors die Initiative ergriff und die Verantwortung für diese Art der Lektüre übernahm; heute hingegen wird er von den Autoren und Verlegern von Anfang an in diese Richtung getrieben.“ 25 Vgl. dazu im Detail Kap. 8.2.1.

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historischen Ort kommt. Entsprechend gibt es sogar „spezielle Reiseführer, die anstelle eigener Beschreibungen vornehmlich Auszüge aus Romanen [...] miteinander kombinieren“ (Schneider 2010, S. 33). Das bedeutet, dass genuin literarische und damit fiktionale Inhalte in die Textur des Real-Historischen eingewoben, mit dieser verbunden werden und anschließend dieses Gewebe als Folie auf den historischen Ort aufgelegt wird. Der historische Ort erfährt um der Passung Willen dann auch Veränderungen und Umgestaltungen, die seine Echtheit aus dem Blickwinkel des Historikers eher boykottieren als stützen, aus Sicht der Leser/innen26 hingegen ‚authentisch‘ zu wirken vermögen. Als Beispiel sei hier das Buddenbrookhaus27 aufgeführt, welches bereits seinen Namen einem literarischen Werktitel verdankt. Die Kuratorinnen und Kuratoren standen hier – ähnlich wie beim Büchnerhaus – vor dem Problem, dass auch sie über keine originalen Einrichtungsgegenstände der Zeit und aus dem Besitz der Familie Mann mehr verfügten; darüber hinaus hätte lediglich die Möglichkeit einer semi-authentischen historischen Inszenierung bestanden, wenn Möbelstücke Thomas oder Heinrich Manns aus ihrer Lübecker Zeit zur Verfügung gestanden hätten, denn diese hatten ab 1882 nicht mehr in der Mengstraße 4, sondern in der Beckergrube 52 gelebt. Aufgrund dieser geschilderten historischen Lage und des literarisch inspirierten Namens entschied man sich für eine Inszenierung, die der Situation des Auszugs der literarischen Familie Buddenbrook gewidmet ist. Im „Speisezimmer“ und im „Götterzimmer“ sind die Möbelstücke bereits mit weißen Tüchern verhangen, alles ist zum Abtransport bereit. Die Besucher/innen betreten folglich Räumlichkeiten, die einerseits im 19. Jahrhundert von den Großeltern Thomas und Heinrich Manns bewohnt wurden, andererseits aber die Inszenierung einer literarisch-fiktiven Szenerie umfassen, die wiederum angelehnt ist an die Geschichte der Familie Mann. Wie in einem Vexierspiel kommt es somit zu einer

26 An dieser Stelle wird explizit auf die Leser/innen und nicht die Besucher/innen im Allgemeinen Bezug genommen, da die Veränderungen am historischen Ort im Sinne der Literatur nur für sie augenfällig werden und Bedeutsamkeit hervorrufen können – mit Ausnahme von weit verbreiteten mythenhaften Erzählungen. Ergänzend sei auf Literaturverfilmungen hingewiesen, welche ähnliche Effekte evozieren können. So finden sich in Ausstellungen auch Gegenstände, die weder real-historisch, noch literarisch bedingt ausgewählt wurden, sondern aufgrund ihrer Rolle und Bedeutsamkeit in der Verfilmung. Dabei kann es sich auch um Objekte handeln, die zur Literatur überhaupt keinen Zusammenhang aufweisen. 27 Das Buddenbrookhaus gehörte zwar nicht zum Sample der vorliegenden Studie, doch ist es ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Präsentationsform.

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„doppelten Optik“28, die die „Geschichte eines ganz realen fiktiven Ortes“29 zutage treten lässt. Im Buddenbrookhaus wurde in der Vergangenheit entsprechend mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Besucher/innen die ‚Buddenbrooks‘ für eine realhistorische Familie halten. So schildert Britta Dittmann30 in einem Interview, dass Besucher/innen auf die Aussage „Hier ist das Schaukelpferd von Hanno Buddenbrook!“ (Dittmann, zit. n. Hoffmann 2009, S. 25) nicht irritiert reagierten, sondern das Schaukelpferd als authentischen Gegenstand akzeptierten. Dass es sich bei den Buddenbrooks nur um literarische und damit fiktionale Figuren handelt und sie daher kein ‚gegenständliches‘ Schaukelpferd besitzen können, wurde offensichtlich ausgeblendet. Das Besucherpublikum lässt sich von der Gegenwart, dem Sichtbaren und Inszenierten31 folglich teilweise täuschen und befindet es für realhistorisch, glaubwürdig und somit ‚authentisch‘ – was im Falle der fiktionalen Buddenbrooks daran liegen mag, dass diese mit der historischen Familie Mann gleichgesetzt werden, was die Bedeutsamkeit des Fehlschlusses für die Wahrnehmung der Inszenierung in dem Museum allerdings keinesfalls schmälert. Gerade in dieser Überlagerung historischer Tatsachen und fiktiver Elemente liegt allerdings das scheinbar Typische solch literarischer Inszenierungen. Wie bereits oben angedeutet, ist die Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ nicht bloß als (semi-)authentische historische Rekonstruktion zu verstehen, sondern darüber hinaus als Inszenierung eines literarisch-fiktiven Ortes: des Kleinwarenladens sowie der Wohnräume der Familie Matt in Der Laden I-III. So sind an einigen Möbelstücken Zettel angebracht, auf denen entweder kurze Zitate aus der Roman-Trilogie abgedruckt sind oder sich kurze Erläuterungen zu ihrer Einbindung und Bedeutung in den Romanen finden. Durch diese Art der Beschilderung der ‚authentischen‘ Räume wird den Besucherinnen und Besuchern eine konkrete Lesart des Ortes vorgegeben: Der Bezug zur Literatur bzw. die Vermischung von Fakt und Fiktion ist

28 So unter Rekurs auf Friedrich Nietzsche auf der Homepage des Buddenbrookhauses zu lesen: http://buddenbrookhaus.de/de/46/asid:9/ausstellung.html, zuletzt abgerufen am 24.11.2014. 29 Homepage des Buddenbrookhauses [http://buddenbrookhaus.de/de/279/das-haus.html, zuletzt abgerufen am 24.11.2014]. 30 Britta Dittmann ist eine Mitarbeiterin des Buddenbrookhauses und war an der Umgestaltung des Museums im Jahre 2000 beteiligt. Mit ihr wurde ein Interview durchgeführt. Dieses findet sich in: Hoffmann, Anna R.: Material- und Quellensammlung. 2009, S. 428. 31 Die Konzeption zweier Räume des Museums basiert auf der Inszenierung des „Speisezimmers mit den Götterfiguren“ und des „Landschaftszimmers“. Durch dieses Konzept wird zugegebenermaßen mit dem Realitäts- und Fiktionalitätsempfinden der Besucher gespielt.

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bereits im Konzept angelegt und verlangt im Gros ‚eingeweihte‘ Besucher/innen, die diesen ‚Lesehinweisen‘ durch die Laden-Lektüre zu folgen imstande sind. Die Verknüpfungen erfolgen stets in anekdotischer Weise. Die Besucher/innen werden nicht darüber aufgeklärt, dass der Aussage des Erzählers (Esau Matts, nicht Erwin Strittmatters!) im Roman, 90% seien Wahrheit und 10% Dichtung,32 nicht unbedingt Glauben zu schenken sei. Da dies nicht geschieht, werden die Besucher/innen implizit dazu aufgefordert, den originalen Ort als Beweis für die Literatur und die Aussage des Erzählers zu lesen sowie ihn daraufhin zu prüfen. Auf diese Weise entsteht eine hybride Mischform zwischen historischer und literarischer Inszenierung, deren Teile nicht mehr eindeutig voneinander zu unterscheiden sind. Darüber hinaus existieren solche Bezugnahmen, die vom Historischen ausgehen und dessen Einflussnahmen auf die Literatur lediglich kenntlich machen sollen. Sie sind monodirektional und legen ausschließlich nahe, historische Ereignisse, Situationen oder Konstellationen als Anregung für die Literatur auszuzeichnen, nicht aber an ihnen einen Beleg für die Literatur zu finden. Solche kleineren Verweisformen, die nicht eigentlich zu den literarischen Inszenierungen zu zählen sind, finden sich beispielsweise im Storm-Haus in vielfältiger Weise (vgl. Kap. 6.3.8). Literarische Inszenierungen kommen darüber hinaus ebenso unabhängig von historischen Ereignissen oder Gegenständen bzw. Gebäuden vor. Sie werden dann in die Ausstellungen integriert, um Literatur in eine bildliche oder symbolische RePräsentation zu übersetzen. Dabei können sie unterschiedlich umfangreich sein und verschiedene Funktionen haben. Kleinere, in ansonsten thematisch oder chronologisch strukturierte Ausstellungen integrierte literarische Inszenierungen haben neben der Veranschaulichung häufig einen ausschmückenden Wert für die Raumgestaltung. Zugleich greifen aber gerade sie oftmals zentrale Symbole und Zeichen des literarischen Werks auf und binden sie in darstellende Kontexte auf der visuellen Ebene ein. Im Brechthaus in Augsburg wurden für jeden Ausstellungsraum im Obergeschoss jeweils Gestaltungselemente ausgewählt, die Bezüge zu den zentralen Stellen derjenigen Werke aufweisen, die in den jeweiligen Räumen – welche grundsätzlich in chronologischer Abfolge angeordnet sind – angesprochen werden. So ist die „Stadtsilhouette [...] dem Bühnenbild der Uraufführung von ‚Trommeln in der Nacht‘ nachempfunden“ (Gier/Hillesheim o.J., S. 46; vgl. Abb. 7), die Gitterstäbe im folgenden Raum stehen für die Gefängniszelle der DreigroschenoperFigur Mackie Messer und im letzten Raum ist für den Kaukasischen Kreidekreis ein weißer Kreis auf den Boden aufgemalt.

32 Vgl. dazu Erwin Strittmatter: Der Laden II. Berlin/Weimar: Aufbau 1987, S. 406.

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Abb. 7: Stadtsilhouette zu ‚Trommeln in der Nacht‘ im Brechthaus Augsburg

Diese kleinen visuellen Übersetzungen sind allerdings nicht bloße Raumausschmücken, sondern sie verweisen stets auf besonders wichtige Elemente in Brechts Stücken. Insofern erfüllen sie die Funktion von Fokussierungen. Sie lenken den Blick der Besucher/innen auf Kernelemente und -stellen in Brechts Werken. Zudem greifen sie das thematisch auf, was in den Ausstellungstexten dargestellt und verhandelt wird. 6.1.3 Chronologische Darstellungsformen Unter den chronologischen Ausstellungsformen sind solche Präsentationsformen zu fassen, wie sie Scholze (2006) als chronologische und Parmentier (2012) als Narrationen gekennzeichnet hat. Allerdings gehen beide, wie bereits oben angemerkt, bei ihren Bestimmungen musealer Präsentationsformen im Wesentlichen vom Objekt aus. Dies ist vermutlich auch der Grund dafür, dass Parmentier nicht von einer chronologischen Präsentationsform, sondern von der „Narration“ spricht. Er stellt heraus, dass ausschließlich mit Dingen keine kohärente (chronologische) Erzählung zu schaffen sei, da zumindest immer die temporalen Subjunktionen und Adverbien fehlen würden. Daher kommt er zu dem Schluss, dass, um mit Dingen zu erzählen, stets die Sprache ein konstitutiver Bestandteil sein müsse (vgl. Parmentier 2012,

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S. 160f.). Da ich hingegen nicht nur die Objekte in meine Beobachtungen und Analysen einbeziehe, sondern darüber hinaus auch die Texte und Raumgestaltungen, wird eine Unterscheidung zwischen chronologischen Präsentationsformen und Narrationen obsolet. Im Gegenteil gehe ich davon aus, dass in allen literaturmusealen Einrichtungen Narrationen vorliegen33 – die dementsprechend auch immer der zumindest zeichenhaften, in aller Regel aber sprachlichen Vermittlung bedürfen.34 Die chronologische Präsentationsform kommt insbesondere in literarischen Museen vor, findet sich aber in kleinerem Umfang bzw. in additiver Form auch in literarischen Gedenkstätten.35 Für all diese Ausstellungformen gilt, dass bei ihrer Konzeption großer Wert auf ihre Struktur sowie ihr Design gelegt wurde.36 Auch in kleineren Häusern wie beispielsweise dem Büchnerhaus oder dem Stefan-GeorgeMuseum37 wurden die Ausstellungen von externen Fachleuten inhaltlich konzipiert und von Designerinnen und Designern gestaltet.38 Die chronologische Darstellungs-

33 Vgl. zur näheren Begründung, Ausstellungen als Erzählungen zu begreifen, auch Kap. 4.3.2, in dem die Analysemethodik vorgestellt wird, sowie Kap. 6.3, in dem die Ausstellungen als Erzählungen analysiert werden. 34 Dies gilt bspw. auch für die erhaltenen und unbeschrifteten Räume in der Anna-SeghersGedenkstätte; schließlich werden diese ebenfalls erst durch die Führung und somit mündliche Darstellung bedeutsam. 35 Bei den in den Gedenkstätten befindlichen (additiven Mini-)Ausstellungen handelt es sich häufig um auf einen kleinen Raum begrenzte Präsentationen, die inhaltlich sowie hinsichtlich des Designs weniger professionell gestaltet sind, als dies bei Häusern der Fall ist, die ausschließlich eine museale Ausstellung und keine historischen Räume zeigen. 36 Für die Konzeption der kleineren Ausstellungen, wie sie in Gedenkstätten in tendenziell additiver Form vorliegen, wurden in den untersuchten Fällen (Seghers-Gedenkstätte, Strittmatter-Gedenkstätte) keine Ausstellungsdesigner/innen hinzugezogen. Die Konzeptionen erfolgten unter anderen Schwerpunktlegungen und mit anderen Zielsetzungen, so dass das Design der Ausstellung eine geringere Bedeutung hatte. In Anbetracht der Tatsache, dass mittlerweile sogar kleine Häuser Designer/innen für ihre Ausstellungen heranziehen, wird es jedoch wahrscheinlich, dass im Falle einer Überarbeitung auch bei den Gedenkstätten in Zukunft Designer/innen in den Gestaltungsprozess mit einbezogen werden. 37 Das Stefan-George-Museum in Bingen gehörte ursprünglich zum Sample der vorliegenden Arbeit, so dass ich dieses ebenfalls besichtigt und die Ausstellung analysiert habe. Aus diesem Grund wird es hier sowie im Folgenden an ausgewählten Stellen als Beispiel herangezogen. 38 In größeren Häusern sind nur die Designer/innen als Externe in den Konzeptionsprozess einbezogen, die fachliche Gestaltung erfolgt intern durch die Leiter/innen und (wissenschaftlichen) Mitarbeiter/innen.

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form ist stets an der Person des Autors bzw. der Autorin ausgerichtet und zeigt all das in chronologischer Abfolge, was für deren Leben und Werk von Bedeutung ist. Durch die chronologische Grundstruktur entstehen lineare Erzählungen, die zumeist mit der Geburt der Schriftsteller/innen beginnen – alternativ mit Grunddaten zu den Elternteilen – und mit dem Tod der Erstgenannten enden. Räumlich entfalten sich diese Lebensgeschichten innerhalb der Museen so, dass sie als ein Durchgang organisiert werden, der eine Richtung für das Ablaufen der Ausstellung vorgibt. Charakteristisch ist an einem solchen Durchgang, der nur in eine Richtung führt, dass er immer eine bestimmte Lesart vorgibt – es gibt keine Abzweigungen oder alternativen Wege, die eine andere Geschichte darböten.39 Parallel zu den Lebensgeschichten der Schriftsteller/innen sowie der Einbindung rahmender gesellschaftshistorischer Daten und Ereignisse erfolgt eine integrierte werkgeschichtliche Darstellung. Die Besucher/innen werden folglich linear durch alle wichtigen Lebens- und Schaffensstationen geführt und erhalten mit diesen verknüpft Informationen zu den zu diesen Zeitpunkten entstandenen Werken und ihren Besonderheiten. Beispiele solcher Präsentationsformen, denen in erster Linie ein chronologisches Konzept zugrunde liegt, finden sich im Brechthaus, im Büchnerhaus, im Lessing-Museum sowie im Kleist-Museum. Die Ausstellung im Büchnerhaus erstreckt sich auf vier ‚Räume‘, wobei die Grundstruktur analog zum dreiaktigen Drama organisiert ist. Die Ausstellung beginnt im ersten Raum und ersten Akt klassischerweise mit der Geburt sowie Kindheit und Jugend Büchners, ähnlich einer Exposition. Der zweite Raum und Akt stellt den Höhepunkt Büchners politischer Aktivität dar und mündet im dritten Raum – eigentlich eine Art Flur oder Gang – in der Katastrophe in Form von Flucht, Exil und Tod Büchners. Der vierte Raum und Epilog ist der Rezeption des Autors – in erster Linie in Bezug auf das Theater – gewidmet und schließt sich zwar in gewissem Sinne folgerichtig und chronologisch an die anderen Räume an, stellt jedoch auch einen von ihnen abgegrenzten Teil dar (vgl. dazu Kap. 6.3.1). Insgesamt neigen die chronologischen Darstellungsformen aufgrund ihrer linearen Struktur dazu, eine klare Lesart der Dichter/innen vorzugeben. Durch die chro-

39 Als ‚fortschrittlich‘ muss bereits gelten, dass das Kleist-Museum im Rahmen seiner aktuellen Ausstellung an den (chronologisch konsequenten) Stellen, an denen nichts über Kleists Leben bekannt ist, explizit darauf hinweist. Dieses Vorgehen ist äußerst unüblich für (die untersuchten) Museen, werden doch Leerstellen zumeist entweder übergangen oder anderweitig ausgeschmückt. So hätte die Kuratorin der Kleist-Ausstellung durchaus auch schlicht darauf verweisen können, dass Kleist vermutlich die für adlige Jungen damals gängige Ausbildung durchlaufen hat. Eine solche Ausführung hätte die Leerstelle sehr wohl verschleiern und die Ungewissheit (auch der Wissenschaftler/innen) in diesem Punkte verdecken können.

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nologische Struktur erfolgt eine Narrativierung des Darzustellenden,40 was zugleich mit sich bringt, „dass jede spezifische Präsentationsform die [...] Sinngebungen in einem begrenzten Deutungsrahmen bindet, womit die Polysemie der unterschiedlichsten Bedeutungsträger einer Ausstellung durch Auswahl, Strukturierung, Hierarchisierung und Akzentuierung eingeschränkt wird“ (Scholze 2010, S. 137).

Damit werde beabsichtigt, „Einfluss und Kontrolle auf die möglichen Zuschreibungen zu nehmen sowie bestimmte Inhalte zu vermitteln“ (ebd.). Indem im Falle chronologischer Präsentationsformen zudem ein Entwicklungszwang erzeugt wird, bei dem jeder weitere Teil auf dem vorangegangenen aufbaut, entsteht der Eindruck, die im Museum erzählte story könne sich nur in eben der erzählten Weise tatsächlich zugetragen haben. Die entwickelten Narrative sind somit weitaus starrer und fixer, als es zunächst scheinen mag bzw. bei anderen Präsentationsformen (wie den thematisch-modularisierten) der Fall ist. Alternative Entwicklungen oder Auslegungen scheinen ausgeschlossen. Wir finden folglich bestätigt, was Scholze für die meisten der musealen Präsentationsformen festhält, nämlich dass diese mit Mieke Bal gesprochen „apodiktisch, affirmativ und doktrinär“ (ebd., S. 132) seien.41 Die Ausstellungsmacher/innen orientieren sich bei der Konzeption der Ausstellungen an den vorherrschenden Diskursen über die Schriftsteller/innen und versuchen, dementsprechend geprägten Erwartungshaltungen gerecht zu werden. Dies zeigt sich besonders in der Bezugnahme – und oftmals auch Schwerpunktlegung – auf das bekannteste Werk eines Dichters oder einer Dichterin. Mehrfach beschrieben die Leiter/innen der Museen in den Interviews, dass sie zwar gerne mehr auf andere Werke der Dichter/innen eingehen würden, dass sie aber den Wünschen der Besucher/innen nachzukommen hätten.42 Diese erwarteten nach Einschätzung der Leiter/innen, dass das Hauptwerk, mit dem man einen Autor bzw. eine Autorin

40 Zum Erzählen sowie den Narrativen in Ausstellungen vgl. Kap. 4.3.2 sowie 6.3 und 6.4. 41 Welche Narrative in literaturmusealen Ausstellungen in welcher Festigkeit vermittelt werden, wird in Kap. 6.3 und 6.4 sowie in den Analysen der exemplarisch ausgewählten Museen der fünf Typen literaturmusealer Erinnerung (Kap. 8.2) weiter ausgeführt werden. An dieser Stelle kann zunächst nur auf strukturelle Phänomene eingegangen werden. 42 Solche (unterstellten) Besucherwünsche wurden bspw. bezogen auf das Grass-Haus (vgl. Thomsa [Grass-Haus], Abs. 60), das Storm-Haus (vgl. Laage [Storm-Haus], Abs. 130) und das Lessing-Museum (vgl. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 18, 32) von den jeweiligen Leiterinnen und Leitern expliziert, spielen aber auch in den anderen Museen und Gedenkstätten eine nicht zu unterschätzende Rolle.

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identifiziere, auch im Zentrum der Ausstellung stehe; zumindest könne es nicht ausgespart und müsse umfassender ausgestellt werden als andere, weniger bedeutsame bzw. bekannte Werke. Die Museen können sich den herrschenden Vorstellungen demzufolge offenbar nicht entziehen bzw. müssen teilweise zunächst Aufklärungsarbeit in ihren Ausstellungen leisten, um ‚falsches Vorwissen‘ über Autorinnen und Autoren zu korrigieren oder zumindest den Horizont zu öffnen und über allgemein Bekanntes hinaus Angebote zu machen. Speziell daran wird deutlich, dass literarische Museen keine unabhängigen Institutionen sind, die über das von ihnen als zu erinnernde Konstruierte allein entscheiden, sondern dass es sich um ein Aushandeln und Austarieren der in Ausstellungen aktualisierten Inhalte handelt. Da die Museen, um nicht als mythisierende Anstalten wahrgenommen zu werden, zugleich immer wissenschaftlichen Ansprüchen genügen müssen, stehen sie in der Pflicht, über Fehlinformationen aufzuklären und ggf. gängige Vorstellungen von den Dichterinnen und Dichtern zu revidieren.43 Dass die Besucher/innen dessen ungeachtet einfordern, ihnen Bekanntes in den Ausstellungen wiederzufinden, markiert ein Charakteristikum kollektiver Erinnerung. Diese orientiert sich möglichst an einem gemeinsamen, geteilten Wissensschatz und bestätigt sich diesen in repetitiver Weise. Die Freiheit der literaturmusealen Einrichtungen, darüber zu entscheiden, welche Inhalte in den Ausstellungen aktualisiert werden sollen, ist folglich beschränkt durch eine Art „Meistererzählung“44 zum Autor bzw. zur Autorin. Sie ist Teil des Diskurses und manifestiert sich auf Seiten der Besucher/innen in ihren Erwartungshaltungen gegenüber der Einrichtung. Da linear-chronologische Präsentationsformen darauf ausgerichtet sind, eine Geschichte in ihrer chronologischen Entwicklung zu präsentieren, stehen die zu erzählenden Inhalte in aller Regel im Vordergrund. Die Objekte oder das Gebäude können zwar – vor allem im Hinblick auf das Gesamtensemble – wichtig sein, konstitutiv aber sind die narrativ-chronologisch strukturierten Ausstellunginhalte. Als Ziel solcher Präsentationen ist demgemäß eine auf die Autorinnen und Autoren bezogene Verständigung45 über geteilte und darüber hinausgehende Informationen, Daten, Fakten sowie Anekdoten und Mythen auszumachen. Objekte werden zu An-

43 In der Strittmatter-Gedenkstätte wurden einige Jahre nach der Gründung zum Beispiel Überarbeitungen der biographischen Informationen notwendig, da sich herausstellte, dass Strittmatter wichtige Details bezüglich seiner Zeit im Zweiten Weltkrieg sowie seiner Verbindung zur Staatssicherheit in der DDR verschwiegen hatte (vgl. dazu Kap. 8.2.1). 44 Vgl. zum Begriff der Meistererzählung Jarausch/Sabrow 2002. 45 In Anbetracht der Einforderung gewisser Inhalte durch die Besucher/innen wurde hier bewusst der Begriff ‚Verständigung‘ gewählt, da ‚Vermittlung‘ ausschließlich monodirektional angelegt wäre und die Beeinflussung bei der Selektion der Ausstellungsinhalte durch angenommene Besuchererwartungen sonst unterschätzt würde.

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schauungs- und Beglaubigungszwecken herangezogen, bestimmen allerdings nicht die museale Erzählung. Darin unterscheiden sich die chronologischen Präsentationsformen schließlich am deutlichsten von den historischen Inszenierungsformen. Ziel letzterer ist es, zu zeigen, wie eine historische Situation aussah, nicht aber diese gegenüber dem Publikum in sachlicher Auseinandersetzung darzulegen und zu bewerten. Während also die historischen Inszenierungen auf einen (historischen) Zustand ausgerichtet sind, ist für die chronologischen Darstellungsformen die (historische) Entwicklung bedeutsamer. 6.1.4 Thematisch-modularisierte Darstellungsformen Die unter diesem Punkt zusammengefassten Ausstellungsansätze zeichnet ihre thematisch strukturierte und damit einhergehend zumeist modularisierte Darstellungsweise aus. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Präsentationsformen ist die chronologische Abfolge des Dargestellten zweitranging, maßgebend sind die thematischen Schwerpunktlegungen. Innerhalb der Präsentationen werden dazu in Abhängigkeit von den Schriftstellerinnen und Schriftstellern spezifische Bereiche ausgewählt, die als eigenständige Einheiten stehen können.46 Diese werden im Folgenden als Module bezeichnet; eine Ausstellung setzt sich dabei immer aus mehreren Modulen zusammen. Da in thematisch-modularisierten Präsentationen auf eine chronologische Darstellungsweise entlang der gesamten Biographie des Autors oder der Autorin verzichtet wird, geraten immer nur einzelne Ausschnitte aus den Lebens- und Schaffensphasen dieser in den Blick. Indem die Kuratorinnen und Kuratoren hier also bestimmte Ereignisse oder Zusammenhänge fokussieren, gehen sie bei der Konzeption der Ausstellung höchst selektiv vor. Darüber hinaus unterscheiden sich die thematisch-modularisierten von den chronologischen Präsentationsformen dadurch, dass sie nicht darauf angewiesen sind, den Besucherinnen und Besuchern einen Weg durch die Ausstellung vorzugeben. Aufgrund des Verzichts auf eine chronologische Narration, bei der jedes weitere Element auf dem vorangegangenen aufbaut, können weitgehend individuelle Wege durch die Ausstellungsräume gewählt werden. Hierdurch verliert die Ausstellung einerseits an Struktur, andererseits gewinnt sie gestalterische und inhaltliche Freiräume. So sind die Module, wie die folgenden Beispiele zeigen, nicht in einem ‚Rundgang‘ angeordnet, sondern be-

46 Im Kontrast zu den Themenräumen, die in chronologisch strukturierten Präsentationen additiv hinzugezogen werden und zumeist den bekanntesten Werken eines Autors bzw. einer Autorin gewidmet sind, werden für thematisch-modularisierte Formen komplexere Strukturierungskriterien (als die Werke) herangezogen. Bei diesen handelt es sich vielfach um keine autorenübergreifenden Kriterien, sondern um individuelle, an die Autorinnen und Autoren und ihre Spezifika gebundene.

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finden sich vielfach so in den Räumen verteilt, dass keine (strikte) Reihenfolge erkennbar ist. Die im Rahmen der einzelnen Module behandelten Themen bzw. Problemstellungen erlauben es, dass einzelne Aspekte detailliert behandelt und ggf. auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden können; im Gegenzug sind sie je nach Anlage und Auswahl nur bedingt dazu in der Lage, einen Gesamtüberblick über die Schriftsteller/innen zu bieten. Als Beispiel für eine thematisch-modularisierte Ausstellung, die einen breiten Überblick über den Schriftsteller zu geben versucht, dafür aber weniger problemorientiert verfährt, kann diejenige im Raabe-Haus: Literaturzentrum Braunschweig herangezogen werden. Hier wird Raabe in vier Räumen in einer Art ‚modularisierten‘ Ausstellung gezeigt. In den beiden Haupträumen der Ausstellung werden Raabes Facetten im Privaten und als Schriftstller dargestellt. Im ersten Raum wird er als Privatperson – als „Wanderer“, „Vereinsmensch“, „Freund“, „Ehemann“, „Familienvater“ und „Wilhelm Raabe“ (so die Modulbezeichnungen) – gezeigt. Hinzu kommen zwei kleinere Module, „Die Bibliothek“ und „Das Arbeitszimmer“, im Türrahmen zum historisch-authentisch wiedereingerichteten Arbeitszimmer Raabes. In dem zweiten Hauptraum dreht sich alles um Raabe als Schriftsteller und seine damit verbundenen Funktionen als „Autor“, „Realist“, „Ikone“, „Unternehmer“, „Vertragspartner“, „Zeichner“ (= Module). Auf diese Weise kann erstens zwischen Raabe als Privatmensch und Raabe in seiner erinnerungskulturell bedeutsamen Funktion als Schriftsteller getrennt werden und zweitens erhalten die Besucher/innen einen Überblick über die einzelnen Dimensionen, die auf den zwei Ebenen von Belang sind. Die einzelnen Bereiche, denen die Module gewidmet sind, finden sich in der Weise nicht bei anderen Autorinnen und Autoren und müssen somit induktiv gewählt worden sein. Bei einer solchen Ausstellungsstruktur findet eine starke Selektion statt, die den Besucherinnen und Besuchern abnimmt, zu entscheiden, welche Kulminationspunkte es im Leben des Dichters gegeben haben könnte und welchen Stellenwert diese in Bezug auf seine kulturelle und literarische Bedeutsamkeit haben. Anstatt Leben und Schaffen Raabes chronologisch darzustellen, wurden unabhängig von der Biographie Schwerpunkte gewählt, die für besonders interessant oder bedeutsam gehalten werden. Für den Verlauf des Ausstellungsbesuchs ist unerheblich, ob zunächst der Raum zu Raabe als Privatmensch oder derjenige zu Raabe als Schriftsteller besucht wird. Auch die einzelnen Module können in einer beliebigen Abfolge betrachtet werden, da sie nicht aufeinander aufbauen, sondern sich lediglich um jeweils einen weiteren Aspekt ergänzen. Darüber hinaus erleichtert die thematische Struktur der Präsentation den Besucherinnen und Besuchern, die sie interessierenden Schwerpunkte zu identifizieren. Modularisierte Präsentationsformen geben folglich kein lineares, ‚abzulaufendes‘ Narrativ vor, dem die Besucher/innen physisch – durch ihre Bewegung in den Ausstellungsräumen – zu folgen hätten. Dies macht zugleich deutlich, dass die ein-

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zelnen Module wiederum generell austauschbar sind. Für die Ausstellung als Ganze ist somit zunächst nicht wichtig, ob das Modul „Raabe als Vereinsmensch“ ausgestellt wird: die anderen Module würden auch ohne dieses ‚funktionieren‘. Diese Flexibilität modularisierter Präsentationsformen birgt den großen Vorteil, dass die Ausstellungen höchst wandelbar sind. Indem weder eine chronologische Geschichte erzählt wird, noch die einzelnen Modulteile aufeinander aufbauen, erhalten die Kuratorinnen und Kuratoren die Freiheit, mit ihrer Dauerausstellung ähnlich zu verfahren wie mit kleinen Sonderausstellungen. Sie können einzelne Teile gegen andere austauschen und auf diese Weise auf aktuelle Ereignisse und Diskussionen schneller reagieren, neuere Forschungsergebnisse weniger umständlich in bestehende Präsentationen einfließen lassen sowie aufgrund regelmäßiger Aktualisierungen bzw. Veränderungen vermutlich eine größere Anzahl von Besucherinnen und Besuchern zu Mehrfachbesuchen anregen. Ein Museum, das gerade auf dieses Prinzip der Wandelbarkeit durch Modularisierung setzt, ist das Günter Grass-Haus. Sein Ausstellungsbereich ist ebenfalls thematisch räumlich47 gegliedert. Die einzelnen Modultexte im Grass-Haus, welche an den Wänden des Ausstellungsraums angebracht sind, sind zwar weniger umfangreich und detailliert als die Modultexte im Raabe-Haus. Allerdings dienen sie lediglich zur Einführung, so dass die Besucher/innen einen Einblick erhalten, worum es inhaltlich in den weiterführenden Informationen gehen wird. Letztere können an Touchscreen-Tischen elektronisch aufgerufen werden.48 In regelmäßigen Abständen wird eines der Ausstellungsmodule gegen ein neues ausgetauscht. Allerdings entscheiden nicht die Kuratorinnen und Kuratoren darüber, welches Thema als nächstes zu sehen sein wird, sondern die Besucher/innen. In den Abstimmungsphasen können sie ihre Stimme für eines der vorgeschlagenen Themen abgeben. Die Themen sind wiederum strukturell anders angelegt als im Raabe-Haus. Während letztgenanntes Raabe zum einen als Privatperson, zum anderen als Schriftsteller ausstellt, werden diese Ebenen in der Grass-Ausstellung vermischt und mit sich spezifisch auf den Autor Grass gerichteten Frage- und Problemstellungen verbunden.

47 Es existieren nicht einzelne Räume pro Ausstellungsthema, sondern alle Themenbereiche sind in einem großen Raum untergebracht, in dem die jeweils kurzen Einführungstexte zu den Themen an den Wänden in der Nähe der ihnen thematisch zugeordneten Touchscreens angebracht sind. 48 Ein Nachteil für größere Besuchergruppen im Grass-Haus liegt sicher darin, dass es nur insgesamt sechs solcher Touchscreens gibt, die die Besucher/innen individuell, nach ihren Interessen und Aufmerksamkeitsspannen bedienen können und sollen: größere Besuchergruppen werden sich bei der Bedienung der Stationen vermutlich gegenseitig behindern, wohingegen sie Individualbesucherinnen und -besuchern die Möglichkeit bieten, sich gezielt Interessenschwerpunkte auszuwählen und diese zu vertiefen.

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Zwar geht es auch immer um die Person des Autors, allerdings werden dieser und seine Werke im Lichte gesellschaftspolitischer Zusammenhänge betrachtet. Dass die Günter Grass-Ausstellung nicht als chronologische Präsentation angelegt ist, scheint schlüssig, lebte Grass doch zum Eröffnungszeitpunkt noch, so dass seine Geschichte nicht hätte ‚zu Ende‘ erzählt werden können. Da Grass mit seiner Literatur wie auch seinen gesellschaftspolitischen Stellungnahmen wiederholt für Diskussionen sorgte, ist es darüber hinaus eine nachvollziehbare Entscheidung, ebendiese Diskussionspunkte zum Anlass für Themenmodule zu nehmen – so bspw. in den Modulen „Der Nationalsozialismus und seine Folgen“, „Skandale“ und „Politisches Engagement“. In radikalster Form wird die modularisierte Ausstellungsweise allerdings im Erich Kästner Museum49 in Dresden umgesetzt. Dieses „micromuseum“50 umfasst mehrere Dutzend Fächer und Schubladen, die nach thematischen Bereichen51 farblich gekennzeichnet sind und Gegenstände und Informationen bereithalten. Die Erläuterungen zu den Gegenständen werden in kein großes Narrativ eingebettet, sondern quasi isoliert in Bezug auf die Objekte vorgenommen. Die Reihenfolge, in der die Besucher/innen beim Entdecken der einzelnen Schubladen und Fächer vorgehen, ist ebenfalls nicht vorgeschrieben. Durch die thematische Zuordnung der Fächer mittels farblicher Markierungen hat die entdeckende Person die Wahl, sich entweder die Oberthemen systematisch und nacheinander zu erarbeiten oder die thematische Trennung unberücksichtigt zu lassen und zwischen den Themen, Säulen und Fächern zu springen.52 Grundsätzlich ist es jedoch vonnöten, dass die Besucher/innen aktiv werden, Fächer öffnen, Gegenstände entnehmen und sich mit ihnen

49 Das Kästner Museum gehört nicht zum Sample der vorliegenden qualitativen Untersuchung, doch stellt seine Ausstellung einen besonders exemplarischen Fall der modularisierten Präsentationsform dar, weshalb er hier aufgeführt wird. 50 Das Museum ist in zusammengeschobenem Zustand 5qm groß und besteht aus 14 Elementen – 13 Säulen und einem Multimedia-Kern. Im Multimedia-Kern sind ein Computer zu Recherchezwecken rund um Kästner sowie Abspielgeräte für die bereitgestellten Medien wie VHS-Kassetten zugänglich. Die Außenwände des Kerns sind als Vitrinen organisiert, in denen sich beispielweise Kästners ehemalige Schreibmaschine und ein Jackett befinden. 51 Diese sind: „Erich Kästner, ein Deutscher aus Sachsen“, „Kästner, ein Außenseiter wider Willen“, „Kästners Utopie – das innere Kind“, „Kästner und die Medien“ sowie „Kästner, Aktuelles/Forschungsergebnisse“ (O’Brien 2007, S. 139). 52 Die Säulen beherbergen jeweils alle Themen, so dass erst auf der Ebene der Schubladen und Fächer eine thematische Trennung erfolgt.

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auseinandersetzen.53 Auf diese Weise entsteht mit jedem Museumsbesuch eine neue und von vorhergegangenen sich unterscheidende Re-Konstruktion ‚Kästners‘. Das Kästner-Museum erscheint quasi als Reinform dessen, was performanztheoretisch unter der „Ausstellung als Drama“ (Hanak-Lettner 2009) verstanden werden kann, da es hier kein festes Skript gibt: „Im Ausstellungsraum kommt es zu einer Konfrontation zwischen dem Besucher, der sich sowohl als Zuschauer als auch als Akteur auf einer Bühne (dem inszenierten Ausstellungsraum) bewegt, und den dort ausgestellten Dingen. Wenn es ein Drama in der Ausstellung gibt, dann spielt es sich zwischen den Dingen untereinander, vor allem aber zwischen den Dingen und den Besuchern ab. Der Dialog zwischen Dingen und Besuchern ist ein innerer Dialog, in dem der Besucher den Dingen, je nach seinem Wissen und seiner Erfahrung seine Stimme leiht. [...] Der Besucher ist Protagonist, Erzähler und Rezipient“ (Hanak-Lettner 2011, S. 105ff.).

Im Kästner Museum gibt es keine museal vorgegebene Erzählung, die an die Besucher/innen in einer monodirektionalen Kommunikationssituation herangetragen würde. Im Falle des Kästner Museums kann also von einem Idealtyp der Ausstellung als Drama gesprochen werden, bei dem Besucher/innen und Dinge zu gleichberechtigten Aktanten werden und ein je individuelles und temporär einzigartiges Netzwerk eingehen. Indem durch diese Art von Museumsbesuch dauernd ein neues Bild, eine neue Erzählung von Kästner entsteht, wird jeder einzelne zu einem Ereignis; es kommt zur Aufführung.54 Erika Fischer-Lichte zufolge entsteht die Aufführung „als Resultat der Interaktion zwischen Darstellern [hier: Objekten] und Zuschauern“ (2004, S. 47). Diese ist folgendermaßen gekennzeichnet: „Es handelt sich hier weder in dem Sinne um ein Subjekt/Objekt-Verhältnis, daß die Zuschauer die Akteure zum Objekt ihrer Beobachtung machen würden, noch in dem, daß die Akteure als Subjekte die Zuschauer als Objekte mit nicht verhandelbaren Botschaften konfrontieren. Die leibliche Ko-Präsenz meint vielmehr ein Verhältnis von Ko-Subjekten“ (ebd.).

53 Da die Gegenstände hier ähnlich einer Montage zusammengefügt sind, nicht aber geordnet oder in eine Rangfolge gebracht werden, sind in der Kästner-Ausstellung am ehesten Parallelen zu der von Scholze als „Komposition“ bezeichneten Konzeption zu erkennen (vgl. Scholze 2004, S. 28). 54 In abgeschwächter Form ist grundsätzlich jeder Museumsbesuch als ein performativer Akt anzusehen, lediglich aufgrund der im Kästner Museum explizit werdenden Unmittelbarkeit des Hervortretens von Handlungen und ihren Bedeutungen für den Museumsbesuch und das dadurch entstehende Bild von einem Dichter und seinem Werk, soll dies hier betont werden.

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Im Sinne netzwerktheoretischer Annahmen kann das ausgestellte Objekt äquivalent zu Fischer-Lichtes Darsteller/in als Aktant angesehen werden. Denn auch das Objekt wird in Form der Ausstellung inszeniert.55 Objekt und Museumsbesucher/in werden innerhalb der Inszenierung als Aufführung „von einer selbstbezüglichen und sich permanent verändernden feedback-Schleife hervorgebracht und gesteuert [...]. Daher ist ihr Ablauf [derjenige der Aufführung] auch nicht vollständig planbar und vorhersagbar“ (ebd., S. 59). Wenn wir nun davon ausgehen, dass die Ausstellung eine Inszenierung im Sinne Fischer-Lichtes ist, so wird diese mit dem Museumsbesuch zur Aufführung gebracht und ist ebenso wenig vorherzusagen56 – auch wenn die von den Kuratorinnen und Kuratoren geschaffene Inszenierung als Erzeugungsstrategie einen solchen Planungsversuch darstellt. Jeder Museumsbesuch ist damit individuell und nur in eingeschränktem Maße plan- und steuerbar. Diejenigen Ausstellungen, die ihrem Konzept nach zu einem linearen Durchgang anleiten und eine abzuschreitende, aufeinander aufbauende Erzählung konstruieren, erscheinen jedoch weit leichter zu kontrollieren als Ausstellungen wie diejenige des Kästner Museums, die zu einer sich aus dem Auseinandersetzungsprozess emergierenden freien Performance anregen. Indem sich die Besucher/innen, wie im zuletzt geschilderten Beispiel, die Informationen erst selbst beschaffen, sie heraufholen und zu einer, nämlich ihrer Erzählung zusammensetzen müssen,57 werden sie in eine Interaktion mit der Ausstellung eingebunden und zur Handlung gebracht: es entsteht eine Performance des Entdeckens im Museum. Dabei findet eine klare Loslösung von vorgegebenen Erzählschemata statt, auch wenn die Inhalte natürlich weiterhin nur in selektierter Form zugänglich gemacht werden – entweder mittels Gegenständen und Texten in Schubfächern oder digital über Touchscreens. Die Art des hier vorliegenden Erin-

55 Inszenierung meint Fischer-Lichte zufolge „den Vorgang der Planung, Erprobung und Festlegung von Strategien, nach denen die Materialität der Aufführung performativ hervorgebracht werden soll, wodurch zum einen die materiellen Elemente als gegenwärtig, in ihrem phänomenalen Sein in Erscheinung treten können, und zum anderen eine Situation geschaffen wird, die Frei- und Spielräume für nicht-geplante, nicht-inszenierte Handlungen, Verhaltensweisen und Ereignisse eröffnet“ (2004, S. 327), und ist im Rahmen dieser Definition ebenfalls auf Ausstellungen anzuwenden. 56 Dass jeder Museumsbesuch grundsätzlich individuell verläuft, gilt selbstverständlich nicht nur für das Kästner Museum, sondern auch für diejenigen, welche beispielsweise ein chronologisches Narrativ vorgeben. 57 Dieser Akt ist vergleichbar mit den Theateraufführungen, die Fischer-Lichte unter Bezugnahme auf Max Reinhardts theatrale Inszenierungen beschreibt, deren Zuschauer „durch die Notwendigkeit, selbständig Sinneseindrücke zu selegieren [...] im emphatischen Sinne zu ‚Schöpfern‘ der Aufführung“ (Fischer-Lichte 2004, S. 48) wurden.

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nerungsaktes als Museumsbesuch forciert somit, was Astrid Erll auch generell für Erinnerungskulturen festhält, denn es „herrscht vielleicht eine Einheit der medialen Erinnerungsanlässe, kaum aber eine Einheit der abgerufenen Inhalte“ (Erll 2005, S. 139). Die Erinnerungsanlässe innerhalb des Museums – die räumlichen Arrangements, Objekte, Dokumente oder anderweitig aufbereiteten Informationen – bleiben zwar für jede/n Besucher/in dieselben, doch macht ihre weniger vorgegebene Benutzungs- bzw. Abrufweise sie zu Faktoren, die die Pluralität der aktualisierten Inhalte noch verstärkt.

6.2 FUNKTIONEN VON AUSSTELLUNGSOBJEKTEN IN LITERATURMUSEALEN AUSSTELLUNGEN „Exponate sind stumm, ihnen muss erst eine Stimme verliehen werden“ (Dücker 2011, S. 45f.), so dass größere Erzählzusammenhänge entstehen, in denen jedes Objekt seine Funktion erhält. Sie erbringen dann im Kontext von Ausstellungen eine „Erinnerungsveranlassungsleistung“ (Korff 2002, S. 143). Doch welche konkreten Funktionen nehmen Objekte in literaturmusealen Ausstellungszusammenhängen ein? In der Geschichte und Tradition von Museen verfügt das Objekt über einen zentralen Stellenwert, schließlich ist es konstitutiv für die Entstehung des Museums und die Entwicklung bis hin zu heutigen Ausstellungsformen. Allerdings scheinen sie im Laufe der musealen Geschichte auch an Bedeutung verloren zu haben, so stellt es Thomas Thiemeyer zumindest für die Bedeutung von musealen Sammlungen fest (vgl. Thiemeyer 2011, S. 62). Wenn aber die Bedeutung der Sammlungen abnimmt, so gilt dies auch für diejenige der Objekte. Thiemeyer beschreibt das originale Objekt im Ausstellungskontext somit als „bestenfalls eines von mehreren Mitteln“ (ebd., S. 62f.), derer sich ein/e Kurator/in bediene. Wie sich auch in den Analysen zu den hier untersuchten Fällen gezeigt hat, werden Ausstellungen mitunter unabhängig von dem Vorhandensein von Objekten in bestimmten thematischen Feldern geplant. Die Ausstellung hat sich folglich teilweise von den Objekten emanzipiert. Ausgestellt werden in aller Regel ‚Erzählungen‘; diese werden, soweit möglich und zum Konzept passend, von Objekten begleitet. Im Gegensatz zu den historischen Schau- und Wunderkammern sind es demzufolge nicht mehr die Dinge, die hier im Zentrum stehen, sondern abstrakte Inhalte, die, wo verfügbar, von Objekten begleitet werden. Das Vorhandensein von Objekten ist damit nicht mehr maßgeblich dafür, ob ein bestimmter inhaltlicher Kontext ausgestellt wird oder nicht. Exemplarisch mag hier Sylke Kaufmann, die Leiterin des Lessing-Museums, zu Wort kommen, die eben solche Erwägungen beschreibt, die nicht in erster Linie vom Objekt ausgehen:

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„[...] wir hatten schon eine ganz akzeptable Sammlung von Gemälden und da lag es nahe auch eine kleine Gemäldegalerie zu machen. Während wir bestimmte Bereiche mit Objekten gar nicht abdecken können. Das jetzt vom familiären Umfeld oder den Lebensumständen von Lessing aufzuziehen, hätte bei uns nichts gebracht, weil wir schlichtweg nicht ein Objekt haben. Dass man sagen kann, Lessings Schreibfeder oder so, ist eben nicht da bei uns. Insofern konnten wir von unserer Seite so nicht rangehen. Dann haben wir natürlich auch gesehen und das muss jeder machen, der so eine Ausstellung konzipiert: wo soll die hingehen, wie sind die Räumlichkeiten. [...] Es war logisch, dass man den Lebensrundgang in einem Raum abarbeitet – und dann, ja, was passiert nach dem Tod? Das war der Punkt, wo wir dann auch sagen mussten, da muss man jetzt was finden, was sinnvoll, auch für den Besucher nachvollziehbar sich dann dort verortet. So hat sich das entwickelt: aus Dingen, die von vornherein gesetzt waren, der Bestand, die Räumlichkeiten, die Erfahrung, die man auch hatte mit dem Besucher“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 32).

Wie bereits in Kap. 2.4 theoretisch erläutert, stellt sich für das Literaturmuseum darüber hinaus stets die Frage danach, welche Rolle die Literatur eigentlich in literaturmusealen Ausstellungen innehat und welcher Stellenwert in diesem Kontext den Objekten zugewiesen wird. Mit dieser Frage ist eng verbunden, welche Funktion die ausgestellten Dinge im Museum erhalten. Fungieren sie als Reliquien, Dokumente oder Repräsentanten (vgl. Lange-Greve 1995, S. 100ff.)? Und wie werden sie in den Gesamtkontext der Ausstellung und das Ausstellungsnarrativ eingebunden? Diesen Fragen widmen sich die anschließenden Überlegungen zur Rolle und Funktion der Objekte in den literaturmusealen Ausstellungen. Scholze (2004, S. 19ff.) schlägt zur Analyse von museal ausgestellten Dingen und ihrer Kontextualisierung, Narrativierung und Funktionalisierung eine semiotische Analyse vor, die sie als „Vorgang deskriptiven Decodierens“ (Scholze 2010, S. 129) beschreibt. Sie geht davon aus, dass der Konzeptionsprozess einer Ausstellung einem Codiervorgang entspricht und demgemäß mittels Decodierung „Zuschreibungen und Wertungen rekonstruiert sowie mögliche Interpretationen gefunden werden“ (ebd.) können. Indem für Scholze die Hypothese leitend ist, dass alle Ausstellungsobjekte zugleich immer auch etwas über den Eingliederungsprozess sowie die Aufnahmeintention des Ausstellungsmachers und damit seiner Einstellung, Werthaltung und Absicht aussagen, lassen sich ihr zufolge „drei Arten der Mitteilung oder Richtungen von Kommunikation“ von Ausstellungsobjekten ableiten, die es zu decodieren gelte: „Denotation, Konnotation und Metakommunikation“ (Scholze 2004, S. 30). Die Entschlüsselung der Denotation verweist auf den ursprünglichen Existenz- und Nutzungszusammenhang, die Funktion eines Objektes, und wird zumeist in der „Objektbezeichnung“ offenbar (vgl. ebd.). Unter Konnotationen versteht sie „das Eingebundensein des Objekts in kulturelle Vorgänge, Norm- und Wertsysteme bis hin zu individuellen Lebensgeschichten“, die entweder aus den „Codes der äußeren Objektgestalt“ oder „aus den Beziehungen zu anderen

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Objekten“ hervorgehen (ebd., S. 32). Die Metakommunikation bezieht sich schließlich auf die Einbindung in den größeren, gesamt-musealen Kontext sowie den „Einfluss der intentionalen Handlung der Ausstellungsmacher auf die Wahrnehmung einer Ausstellung sowie mögliche Deutungen und Wertungen“ (Scholze 2010, S. 141). Konkret sind damit der Wirkungseinfluss der Institution Museum, der bestimmte Konditionen mit sich bringt, sowie der einzelnen Mitarbeiter/innen gemeint, in deren konkret ausgestalteten Ausprägungen sich wiederum (wissenschaftliche) Diskurse spiegeln.58 Im Folgenden sollen die Ausführungen Scholzes als sensibilisierendes Konzept bei der Beschreibung literaturmusealer Objekte und Gestaltungen dienen, grundlegend und rahmend wird allerdings Susanne Lange-Greves Beschreibungsansatz herangezogen, der die Objekte auf drei mögliche Weisen in die Ausstellungen eingebunden sieht: als Reliquie, Dokument oder Repräsentant. Diese Entscheidung ist erstens forschungsökonomisch begründet, da es sich bei Scholzes decodierendem Vorgehen um einen sehr aufwendigen methodischen Ansatz handelt, der nur einige wenige Einzelanalysen zuließe – sie selbst hat darauf hingewiesen, dass im Rahmen solcher Analysen keine „vollständige Darstellung“ (Scholze 2010, S. 26) möglich sei; zweitens ist im Kontext dieser Arbeit das Gesamtensemble einer Ausstellung weitaus relevanter als das Einzelobjekt, so dass letzteres vor allem hinsichtlich seiner für die Erinnerungsnarrative in den Ausstellungen relevant werdenden Funktion in den Blick kommen soll. Ein zentrales Moment der Analyse von Ausstellungsobjekten ist immer die Frage nach ihrer Funktion. Lange-Greves Einteilung (vgl. dazu Kap. 2.4) kann für die vorliegenden Analysen jedoch nur in Grundzügen übernommen werden. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich Lange-Greve zuvorderst auf die Ausstellung von Literatur bezieht, so dass beispielsweise der Bereich des Dichterlebens aus ihren Kategorisierungen herausfällt, indem sie sich lediglich dafür interessiert, wie Literatur59 aus- und dargestellt wird. Da hier alle Ausstellungsbereiche und -aspekte

58 Scholze listet diesbezüglich konkret folgende Aspekte auf: „So gibt die Art und Weise der Präsentation neben den Ausstellungsinhalten immer auch Hinweise auf akademische Überzeugungen, Lehrhaltungen und -intentionen, die ausgewählten Ausstellungsobjekte und -themen Hinweise auf Sammlungsinteressen der Kuratoren, die Raumnutzung und Gestaltungsmittel Hinweise auf die hauseigene Geschichte wie auf die Ausstellungsgestalter“ (Scholze 2004, S. 35). 59 Dass Lange-Greve diese Beschränkung auch nicht konsequent einhält, zeigt sich beispielsweise bei der Beschreibung der Kategorie Reliquie, bei der sie exemplarisch die „Haare Lessings“ nennt. Bei diesem Objekt kann es sich allerdings nur um eine Bezugnahme auf den Autor, nicht aber auf die Literatur handeln. Dieser Unterschied wird besonders im Kontrast zur Kategorie „Repräsentanten“ deutlich, bei der es darum gehe, „Li-

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mit betrachtet werden sollen, ist eine Modifizierung notwendig. Diese werde ich kurz darstellen und sodann entsprechend dieser Kategorisierungen ausführen, welche Objekte in welchen Funktions- und Darstellungszusammenhängen vorkommen. Die Bezeichnung ‚Reliquie‘ (1)60 darf nicht, ohne problematisiert zu werden, einfach aus dem christlich-religiösen Kontext übernommen werden. In seiner Monographie Reliquien führt Alfred Läpple, ein Religionspädagoge, aus, dass der Reliquienkult stets ein christlich-religiöses Phänomen und eine Übertragung auf Profanes daher unzulässig sei: „Wahre Reliquien sind auf gar keinen Fall religiöse Souvenirs oder museale Andenken an einen großartigen Menschen (wie z.B. die Kleidung eines Johann Wolfgang von Goethe oder der Schreibtisch eines Friedrich Hölderlins). Reliquienverehrung war und ist stets Heiligenverehrung. Sie ist gewiß ein an der Vergangenheit orientierter, aber letztlich auf Gegenwart und Zukunft weisender Kult. Überall dort, wo sich der Reliquienkult von der Heiligenverehrung löst, dringen aber kräftige und überaus gefährliche Strömungen der Magie und des Fetischismus in die Frömmigkeit ein“ (Läpple 1990, S. 11).61

Gemäß seiner Profession lehnt Läpple eine Übertragung des Verständnisses von Reliquien und Reliquienkult vom religiösen auf den profanen Bereich ab. Dass im Folgenden dennoch von Reliquien, aber ebenso von Relikten die Rede sein soll, ist damit zu begründen, dass mit der Begriffsübertragung keine Gleichsetzung religiösen und weltlichen Reliquienkultes gemeint sein soll, sondern diese dazu dient, Analogien zwischen den jeweiligen Handlungs- und Umgangsweisen mit bestimmten Gegenständen aufzudecken. Es geht folglich bei der Verwendung des Begriffs Reliquie nicht um eine Gleichsetzung weltlicher und religiöser Reliquien, sondern er wird – wie auch bei Andreas Hartmann (2010, S. 47ff.) – als sensibilisierender Begriff zur Aufdeckung von Analogien im praktischen Umgang mit Objekten gebraucht. „Im Folgenden soll daher zwischen Relikten als echten oder geglaubten Überresten der Vergangenheit im Allgemeinen und Reliquien als Relikten mit sakralem Status im Besonderen terminologisch unterschieden werden“ (ebd., S. 51). Die Begriffswahl Lange-Greves (Reliquie) wird demnach im Folgenden durch das ‚Relikt‘ (1) ersetzt, das sowohl Überreste als auch sakral anmutende Objekte mei-

teratur durch Exponate zu repräsentieren“ (Lange-Greve 1995, S. 102). Dass daneben in literaturmusealen Ausstellungen auch andere Vermittlungsinhalte illustriert werden, wird von ihr ausgeklammert. 60 Innerhalb der vorliegenden Analysen bezeichnet als „Relikt (1)“. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 61 Für letztere These, dass „gefährliche Strömungen“ dadurch zustände kämen, nennt Läpple allerdings weder Belegbeispiele, noch führt er aus, was er darunter versteht.

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nen kann, die jeweils ihres bedeutsamen Status wegen ausgestellt werden und weder als ‚Beleg‘ (2) noch innerhalb einer ‚Inszenierung‘ (3) vorkommen, sondern um ihrer selbst willen. Die Trennung zwischen Dokumentations- und Illustrationszweck62, welche Lange-Greve vornimmt, soll aufgelöst werden durch die Einführung der Kategorie des ‚Belegs‘ (2), worunter erstens Gegenstände als Zeugen (2a) verstanden werden können, wobei dann konkret nur die ausgewählten Objekte und keine anderen dazu in der Lage sind, als ein solcher Zeuge zu fungieren. Dies gilt beispielsweise für Dokumente wie Zeugnisse oder Briefe, die einen bestimmten Sachverhalt belegen, der nicht durch andere Quellen belegt werden kann. Zweitens fallen unter den ‚Beleg‘ diejenigen Objekte, die als Illustration (2b) herangezogen werden. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Dinge, die zu Illustrationszwecken genutzt werden, einen tendenziell eher belegenden als einen inszenierenden Charakter haben. Im Vergleich zu den Zeugen werden sie additiv bzw. exemplarisch eingesetzt, könnten folglich potentiell auch durch andere ersetzt werden. Beispielsweise kann der Briefverkehr zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller durch beliebige Briefe der beiden Schriftsteller belegt werden. Bestünde der Zweck des Zeigens eines Briefes allerdings darin, einen dort niedergeschriebenen Inhalt zu belegen, könnte nur der eine Brief Verwendung finden, in dem es um den besagten Inhalt geht. Er würde dann als Zeuge, nicht als bloße Illustration fungieren. Zwar haben auch die zu Illustrationszwecken eingesetzten Objekte eine repräsentierende Funktion, wie sie Lange-Greve ihnen zuschreibt, allerdings scheint mir die belegende Funktion deutlich stärker, so dass die oben beschriebene Umstrukturierung zustande kommt, der zufolge illustrierende Objekte nicht bloß Repräsentanten, sondern Belege sind. Und drittens können die ausgestellten Dinge auch Elemente einer Inszenierung (3) sein. Hier schließe ich mich der ObjektKategorisierung Lange-Greves an, die unter einer Inszenierung ein (künstliches) „Arrangement“ (Lange-Greve 1995, S. 104) versteht, in das insbesondere auch nicht originale Objekte einbezogen werden können, da nicht die Authentizität, sondern die anschauliche Darstellung im Vordergrund steht (vgl. ebd., S. 105).63

62 Bei Lange-Greve zählt die Illustration neben der Inszenierung zu der Oberkategorie Repräsentation. 63 Der Begriff Inszenierung bezieht sich an dieser Stelle ausschließlich auf die Art der Einbindung des Objekts in die Ausstellung. Grundsätzlich gilt, dass alle Ausstellungen, auch die historisch-authentisch erhaltenen Orte, Inszenierungen sind.

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6.2.1 Objekte als Relikte Lange-Greve merkt in ihren Ausführungen zur Reliquie an, dass diese in Ausstellungen ohne „expliziten Zusammenhang“ (Lange-Greve 1995, S. 100) ausgestellt werde, da ihr offensichtlich eine ihr inhärente Wirkmacht zugeschrieben werde, die eine Kontextualisierung unnötig werden lasse. Bei dieser Interpretation wird jedoch außer Acht gelassen, dass sehr wohl eine Kontextualisierung solcher Objekte vorgenommen wird, beispielsweise, indem sie schriftlich bezeichnet werden. Wenn eine Haarlocke ausgezeichnet wird mit „Eine Haarlocke von ...“, erfolgt die Kontextualisierung als Verweis auf die Herkunft bzw. den Ursprung des Objektes, wodurch ihm erst ein auratischer Status zugewiesen wird.64 Dieser Annahme pflichtet Thiemeyer bei, der in Frage stellt, dass ein Objekt von sich aus auratisch sein könne:65 „Die Aura des Exponats resultiert in dieser Wahrnehmung nicht aus einer Qualität des Objekts, die im Ding selbst zu finden ist (selbstreferenziell), sondern sie ist ein performativer Akt, für den primär die Umgebung, man könnte sagen, die Inszenierung des Objekts, verantwortlich ist. Nicht das Objekt, sondern die Rezeptionssituation ist auratisch. Der museale Raum und seine Atmosphäre machen die Dinge erst besonders, und nicht umgekehrt die Dinge den musealen Raum“ (Thiemeyer 2011, S. 6f.).

Dass eine museale Präsentation die Aura eines Objektes stützt, soll nicht in Frage gestellt werden. Doch gehe ich davon aus, dass nicht allein die performative Einbindung von Gegenständen in eine museale Ausstellung ihnen Aura verleihen kann, sondern bereits ihre Herkunftszuschreibung. Denn wie Knaller ausgeführt hat, geht Objektauthentizität immer auf Zuschreibungen von Ursprung, „Urheberschaft“ bzw. „Zugehörigkeit“ (vgl. Knaller 2007, S. 8) zurück, die dann durch dazu berechtigte Institutionen wie das Museum beglaubigt werden. Als persönliche Gegenstände von Autorinnen und Autoren verfügen die Objekte also qua Herkunftszuschrei-

64 Darüber hinaus sei an dieser Stelle angemerkt, dass auch ohne eine schriftliche Bezeichnung durch die Einbindung in die Ausstellung eine Kontextualisierung erfolgt. Das bedeutet, dass die Besucher/innen denjenigen Gegenständen, die sich potentiell im Besitz des Dichters oder der Dichterin befunden haben könnten und nun in der Ausstellung vorzufinden, aber nicht beschriftet sind, zuschreiben, im Besitztum des Dichters bzw. der Dichterin gewesen und damit nun ein auratischer Gegenstand zu sein. 65 Dieser Ansicht ist mitunter auch Hartmann: „Die Aufladung eines Objektes oder Ortes mit Bedeutung erfolgt wesentlich durch den Betrachter“ (Hartmann 2010, S. 26).

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bung66 über Aura und Authentizität.67 Hierin unterscheiden sich die Relikte schließlich auch von den ‚verweisenden Belegen‘, wie später zu zeigen sein wird, denn letztere scheinen ihre ‚Ausstrahlung‘ tatsächlich erst im Rahmen der ‚Aufführung‘ im Museum zu erhalten.68 Thiemeyers These ist folglich nicht zu widersprechen, sondern im Gegenteil in fundamentaler Weise auszuweiten auf jegliche Arten von Zuschreibungen. Zunächst sind die Reliquien als eine Erscheinungsform der Relikte in den Blick zu nehmen. Wie oben bereits ausgeführt, geht es bei der Bemühung eines religiösen Begriffsfeldes – wie Reliquie, sakral, Wallfahrt etc. – nicht darum, weltliche Phänomene mit religiösen gleichzusetzen, sondern analoge Strukturen herauszuarbeiten. Arnold Angenendt tut dies in radikaler Form, wenn er Dichter/innen, Philosophinnen und Philosophen ebenso wie nationale Heldinnen und Helden als „Ersatz‚Heilige‘“ (Angenendt 1994, S. 316ff.) bezeichnet. Als Beispiel für die Entwicklung eines Kultes um Ersatz-Heilige im Laufe des 19. Jahrhunderts zieht er die Schillerfeiern heran (vgl. ebd., S. 324f.), bei denen Schiller als „Heiland“ und „Erlöser“ bezeichnet worden sei (ebd., S. 325). Was jedoch versprach man sich mit Beginn der Dichterverehrung von den Reliquien, da es nicht christliche Motive wie Sündenerlass und Vergebung sein konnten? Aus zeitgenössischen Texten lassen sich einige Parallelen zum Umgang mit religiösen Reliquien feststellen: Reliquien wurden berührt und sogar mitgenommen – von Schillers Wohnhaus in Marbach lösten Besucher/innen bspw. Splitter vom Türrahmen ab –,69 man versprach sich auch

66 Ebenso wie bei religiösen Reliquien tritt auch im profanen Reliquienkult wiederholt das Problem auf, dass „deren Originalität nie nachgeprüft wurde, und auch nie nachgeprüft werden konnte. Nicht wenige dieser Reliquien und Gegenstände wurden später mit einem Zertifikat versehen, das nicht dem entsprach, was die ursprüngliche Bezeichnung aussagte“ (Läpple 1990, S. 32). 67 Vgl. dazu die Ausführungen Scholzes: Bereits die Denotation, die Bezeichnung der Objekte, verweist auf ihre Bedeutung. Die Objekte werden demzufolge nicht erst innerhalb der Ausstellung zu auratischen Objekten, sondern bereits durch ihre Bestimmung. Fasst man diese Bezeichnungen von Objekten ebenfalls als performativen Akt der Auratisierung auf, ist Thiemeyer selbstredend beizupflichten. 68 Dass Objekte und die mit ihnen verbunden Bedeutungen und Narrative in einem wechselseitigen Verhältnis stehen und sich gegenseitig schwächen oder verstärken können, wird an folgender Ausführung evident: „Während also im einen Fall die Narration dem Objekt folgt, ist sie im anderen vorgängig und führt erst zur Wahrnehmung des Objektes“ (Hartmann 2010, S. 45). 69 Vgl. Schmälzle 2012, S. 60.

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von ihnen eine Reinigung ebenso wie, mit dem Geist des Dichters durchdrungen und so tugendhaft zu werden wie dieser:70 „Das ist der rechte Strom, womit die Berührung von Reliquien uns durchzittern soll, so ergreifend und reinigend, als die Schauer des Erhabenen uns durchwehten, und ans Unvergängliche mahnten, da wir unter dem Glockenschall, den Schiller so unerreichbar schön gesungen, dieser Stätte genaht sind“ (Elben 1859, S. 65).

Die Motive für das Bedürfnis, Dichterreliquien sehen oder berühren zu wollen, weisen also, auch wenn sie sich hinsichtlich der damit verbundenen Zielvorstellungen unterscheiden, ähnliche Strukturen auf: In beiden Fällen gehen die Personen, welche Sicht- oder Berührungskotakt erstreben, davon aus, dass dieser unmittelbare Auswirkungen auf sie haben werde. Es ging demgemäß auch in den Dichterhäusern nicht bloß darum, sich die historisch-authentischen Gegenstände anzuschauen, sondern Besucher/innen wie derjenige, von dem das obige Zitat stammt, versprachen sich davon eine über das rational Erklärbare hinausgehende Wirkung. Unabhängig davon, ob die Besucher/innen sich gegenwärtig ähnliche Versprechungen von dem Sicht- oder Berührungskontakt machen oder nicht, besteht bei ihnen weiterhin der Wunsch, reliquienartige Gegenstände von Autorinnen und Autoren anzuschauen oder auch anzufassen. Um die Reliquien daher erstens vor den Zugriffen der Besucher/innen zu schützen,71 zweitens aber auch vor nachteiligen Klima- und Luftverhältnissen, werden sie in den allermeisten Fällen geschützt in Vitrinen aufbewahrt. Als Reliquien können Objekte im literaturmusealen Kontext auf zwei unterschiedliche Arten ausgestellt werden: entweder werden sie in enger inhaltlicher Verbindung zu demjenigen Feld, durch das sie ‚sakralisiert‘ werden, gezeigt oder als Gegenstände präsentiert, die rein physisch in Verbindung mit dem Sakralisierten, der Person des Schriftstellers oder der Schriftstellerin standen – z.B. in Form räumlich-körperlicher Nähe. Unter den Reliquien in literarischen Museen sind demzufolge zwei Typen zu unterscheiden: Die einen stehen semantisch dem Feld des Schreibens und Dichtens nahe. Die anderen zählten beispielsweise zum persönlichen Besitz der Dichter/innen, hatten aber nicht unmittelbar etwas mit ihrer künstlerischen Tätigkeit des Schreibens zu tun. Als typische, in literarischen Museen vorzufindende Objekte, die eine inhaltliche Verbindung zum Tätigkeitsfeld des Dich-

70 Vgl. dazu auch Heuer/Hoffmann 2013. 71 Ganz ähnlich hat sich die Reliquienverehrung im Christentum entwickelt: „Der Reliquienschrein war meist aus Marmor oder ein festverschlossener Metallschrein. Fromme Neugier wie auch eine Art magischer Schau- und Berührungsfrömmigkeit waren wohl der Grund dafür, daß schließlich die Seiten der Schreine mit weitmaschigen Gittern versehen wurden“ (Läpple 1990, S. 28).

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tens aufweisen, zählen das Schreibwerkzeug, Manuskripte, spezifisches (Arbeits-) Mobiliar und andere Hilfsobjekte wie die Brille oder das Monokel. Die Präsentation dieser Objekte erfolgt je nach den gegebenen Voraussetzungen äußerst divergent: Wo die Möbelstücke des Arbeitszimmers (zumindest teilweise) erhalten geblieben sind, werden das Tintenfass oder die Schreibmaschine oftmals auf dem Schreibtisch platziert, wie in der Anna-Seghers-Gedenkstätte (vgl. Abb. 8) oder im Storm-Haus. Abb. 8: Schreibmaschine von Anna Seghers an einem ihrer Arbeitsplätze

In anderen Fällen erfolgt die Präsentation auch getrennt vom Mobiliar, obwohl dieses als Inszenierungsrahmen zur Verfügung stünde. Im Karl-May-Museum steht im ehemaligen Arbeitszimmer (wieder) der Schreibtisch, doch „Federhalter und Brille Karl Mays“, so die Beschriftung, werden in einer Vitrine ausgestellt (vgl. Abb. 9). Innerhalb der Vitrine werden diese beiden Objekte umringt von einer Ave-MariaKomposition, einem Titelblatt des Gesangsvereins Lyra, für den May komponierte, sowie einer Äußerung seines Verlegers, Friedrich Ernst Fehsenfeld, und Erläuterungen zu Mays Verlags- und Schreibsituation. Durch die deutliche Rahmung und die Distanz der übrigen Objekte zu den mittig Angeordneten wird die Bedeutung letzterer extrapoliert. Dies ist im Übrigen auch bei Anna Seghers’ Schreibmaschine der Fall, was einmal mehr die Inszeniertheit historisch-authentisch wiederhergerichteter Orte demonstriert, und eben nicht ihre unbeeinflusste Überlieferung.

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Abb. 9: Vitrine im Karl-May-Museum mit Federhalter und Brille Karl Mays

Dass in beiden hier beschriebenen Ausstellungssituationen die Brille neben dem Schreibwerkzeug vorzufinden ist, kann als Hinweis auf die Bedeutung des Lesens für die dichterische Tätigkeit verstanden werden. Als vom Schreiben unabhängige Reliquien können demgegenüber Objekte gelten, die idealtypisch die Repräsentationsfunktion für den Autor bzw. die Autorin übernehmen und pars pro toto für diese stehen. Sie haben keine andere Funktion, als diese zu vergegenwärtigen. Zu ihnen zählen in exemplarischer Weise die Lebend- und die Totenmaske, denn diese haben die Dichter/innen nicht nur berührt, wie es für vestimentäre Objekte ebenfalls gälte, sondern sie haben zugleich eine abbildende Funktion. Darüber hinaus finden sich in Museen auch sogenannte Primärreliquien: das klassischste Beispiel ist hier die Dichterlocke. Die Unterscheidung in Reliquie und Relikt in Anlehnung an Hartmann bringt allerdings auch Bestimmungsprobleme mit sich, wie sich bei den konkreten Bestimmungsversuchen herausstellt. Als entscheidendes Parameter für die Bestimmung als Relikt oder Reliquie ist nach Hartmann der Umgang mit dem Objekt anzusehen. Demgemäß wären beispielsweise die vielen von Anna Seghers gesammelten Figuren in ihrer Wohnung als Relikte im oben beschriebenen Sinne zu begreifen, denn sie fungieren innerhalb der ‚Ausstellung‘ lediglich als ‚Überreste der Vergangenheit‘ und werden, indem sie schlicht in das Einrichtungsensemble inte-

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griert, aber nicht an exponierter Stelle präsentiert werden, nicht mit einem ‚sakralen Status‘ versehen. Allerdings könnten auch diese durch eine andere Praxis in den Status einer Reliquie versetzt werden. Objekte, die sich als Reliquien besonders zu eignen scheinen, können allerdings auch als Dokumente und Repräsentanten eingesetzt werden. Sobald sie eine Verweisfunktion auf einen anderen Kontext erhalten, verwandeln sich Reliquien zu letztgenannten. Beispielsweise kann das Schreibwerkzeug einer Autorin oder eines Autors, ohne dass eine konkrete Kontextualisierung erfolgen müsste, in der Ausstellung präsentiert werden. Es soll dann als ehemaliges, für das Schreiben bedeutsames Besitzstück wahrgenommen werden. Seine – benannte – Herkunft macht es zur Reliquie. Sobald das Schreibwerkzeug hingegen als (expliziter) Verweis auf die dichterische und schreibende Tätigkeit eines Dichters oder einer Dichterin fungiert, indem beispielsweise im Kommentar darauf hingewiesen wird, dass er/sie immer nur mit Bleistiften geschrieben habe, ist es nicht mehr nur ‚heiliges‘ Objekt um seiner Herkunft willen, sondern kann zum Zeugen (ein Bleistift aus dem Besitz belegt, dass er/sie solche besaß, sie vor anderen Schreibwerkzeugen bevorzugte und mit ihnen schrieb) oder zur Illustration (er/sie schrieb beispielsweise mit dem ausgestellten Bleistift) werden. Die funktionale Einbindung der Objekte kann also ganz wesentlich mit darüber entscheiden, wie diese wahrgenommen werden (sollen): als einzigartiger, quasi-sakraler Gegenstand, als Zeuge oder als einfache Illustration, neben der viele andere belegende Gegenstände stehen könnten. Da bei musealen Ausstellungen nicht – wie oben bereits unter Bezugnahme auf Latour und Hanak-Lettner angedeutet – von einem monodirektionalen Kommunikationsprinzip ausgegangen werden kann, demzufolge die Ausstellung als eindeutige und klare Botschaft der Ausstellungsmacher/innen an die Besucher/innen anzusehen wäre, muss bei einer Analyse der Objekte immer mitbedacht werden, dass zudem jede/r Besucher/in die ausgestellten Gegenstände wiederum individuell deutet. Abhängig von der Wahrnehmung und Deutung der Besucher/innen kann ein von Kuratorinnen und Kuratoren als Reliquie eingesetztes Objekt auch als Beleg oder als Objekt innerhalb einer Inszenierung (‚miss‘-)verstanden werden. Die Einbindung der Objekte in die Ausstellung entscheidet nichtsdestotrotz wiederum mit darüber, welche Funktionen sie im Erinnerungskontext einnehmen. Die Reliquie als sakralisierter Gegenstand wird nicht in erster Linie zu Veranschaulichungs- oder Illustrations-, sondern zu Beglaubigungszwecken bzw. zur Befriedigung der Schaulust der Besucher/innen ausgestellt. Als Objekt aus dem persönlichen Besitz eines/r Autors/in verfügt zudem auch das Relikt (durch seine Herkunft) über eine Aura und einen besonderen ‚Anschauungswert‘, der vom Objekt nicht verlangt, dass es zum Beleg werden muss, um Bedeutsamkeit für die Betrachter/innen zu entfalten. Indem die Dichter/innen die Gegenstände berührt, getragen oder benutzt haben, werden sie in der Rezeption der nachkommenden Generationen zu einem repräsentativen Teil jener. Dies ist als Alleinstellungsmerkmal der Relikte

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anzusehen. Nur Objekte mit dem Potenzial, für sich und ohne weitere Erläuterungen – abgesehen von der Objekt-/Herkunftsbezeichnung – zu stehen, werden als solche eingesetzt. 6.2.2 Objekte als Zeugen und Illustratoren Demgegenüber können Objekte, die als ‚verweisende Belege‘ eingesetzt werden, ohne den Kontext der Ausstellung in der Regel nicht so leicht Bedeutung entfalten. Darin liegt bereits ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen und den Relikten. Der Beleg muss hingegen über die Objektbezeichnung hinaus zum Sprechen gebracht werden, indem das Objekt in einem inhaltlich-thematischen Arrangement platziert, kontextualisiert und seine Bedeutung teilweise sogar erklärt wird. Es ist vollends auf die oben nach Thiemeyer beschriebene, wie ich sie hier bezeichnen möchte, ‚museale Auratisierungsperformance‘ angewiesen. Wie Thiemeyer (2011, S. 62) treffend angemerkt hat, scheint das Objekt in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung verloren zu haben und die zu vermittelnden Inhalte sowie das Konzept einer Ausstellung in den Vordergrund zu rücken. Damit geht einher, dass das der Ausstellung zugrundeliegende Narrativ als bestimmendes Parameter angesehen wird und demgemäß nur Objekte in die Ausstellungen gelangen, die den Gang der Erzählung zu stützen vermögen.72 Die Objekte werden dann vor allem als Zeugen (2a) und Illustratoren (2b) eingesetzt, die das Dargestellte bzw. das Erzählte belegen sollen.73 Zu den Objekten, die in diesem Funktionsbereich verwendet werden, können prinzipiell alle im Museum ausstellbaren Objekte gehören. Im Folgenden werden solche Objekte hervorgehoben, die in erster Linie als Belege und eben nicht als Relikte oder im Rahmen von Inszenierungen in den untersuchten Ausstellungen vorzufinden waren. Als Zeugen (2a) werden z.B. schriftliche Dokumente eingesetzt, die in den Ausstellungen konkrete inhaltliche Aspekte belegen sollen. Darunter können Fotos oder Bilder, Briefe und Postkarten ebenso wie Tagebucheinträge, Zeugnisse, Urkunden

72 Andernfalls würden die Objekte losgelöst von der Haupterzählung präsentiert und erzählt. 73 In ihren Ausführungen zum Ausstellen von Literatur als künstlerischem Gegenstand geht Lange-Greve davon aus, dass Literatur hier neuartig ausgestellt werde (vgl. ebd., S. 107ff.). Dabei übersieht sie jedoch, dass sich die Funktion des Objekts in der Ausstellung nicht verändert, sondern lediglich die Art des Narrativs, das damit konstruiert wird. Indem ein Wandel von der einen, (scheinbar) ‚wahren‘ und objektiven Erzählung hin zu einem Narrativ erfolgt, das sich auf einer Metaebene selbst reflektiert und kenntlich macht, dass insbesondere in Bezug auf Literatur stets von Polyvalenz und damit Uneindeutigkeit auszugehen sei, wird auch die Stellung des Museums im Allgemeinen mit reflektiert.

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oder andere schriftliche Quellen fallen. Sie alle erhalten als Zeuge die Funktion, einen dargestellten Sachverhalt zu belegen. So kann durch eine erhaltene Urkunde aus der Amtszeit Theodor Storms belegt werden, dass es in seiner Erzählung Draußen im Heidedorf (1872) Anlehnungspunkte an einen historischen Erbrechtsfall aus seiner Amtszeit als Landvogt gibt. Gezeigt werden zwei Urkunden. Auf einem in der Mitte zwischen diesen Urkunden liegenden Blatt steht in schwarzer Schrift geschrieben: „Zwei Urkunden / Zwei von Storm hier in der Landvogtei unterschriebene Urkunden aus den Jahren 1866 und 1867, in denen von ‚Eingesessenen‘ die Rede ist“. Auf diese Erläuterung hin folgt ein in blauer Schriftfarbe abgedruckter Auszug aus der benannten Novelle, der die Anlehnung an die links und rechts danebenliegenden Urkunden beweist. Andere Beispiele sind die erhaltenen Gedenktafeln, die sich am Büchnerhaus bzw. an Georges Geburtshaus befanden und nun in den jeweiligen Ausstellungen gezeigt werden, um die frühe Ehrung der Dichter zu belegen. Ungleich ausgreifender sind die Fälle, in denen die Objekte illustrieren (2b), das heißt einen beschriebenen Sachverhalt im Allgemeinen darstellen bzw. vergegenständlichen sollen. Die Exponate sind dann nicht mehr ausschließlich dazu da, eine konkrete Aussage zu bezeugen, sondern sie stellen vielmehr eine zusätzliche Darstellung dar, die das Geschilderte repräsentiert und ausschmückt. Fotos von Erwin Strittmatter mit Pferden illustrieren seine Zuneigung zu diesen Tieren, ausgewählte Souvenirs Karl Mays repräsentieren seine Reisen und Zeichnungen der Landschaften und Städte, in denen sich Lessing zu Lebzeiten aufhielt, veranschaulichen einen Teil seiner äußeren Lebensumstände, belegen aber nicht sein Leben selbst in dieser Umwelt. Als besonderes Beispiel sei auf den Ausstellungsteil „Raabe als Wanderer“ hingewiesen. Dort werden scheinbar als illustrierende Belege Gegenstände ausgestellt, die in engem Zusammenhang mit dem Wandern und Reisen stehen. Es finden sich hier eine Quittung von einem Hotel in Bremerhaven, ein Stadtplan Stuttgarts und ein Reiseführer für Wilhelmshaven, über der Vitrine hängen diverse Wanderstöcke. Lesen die Besucher/innen den Informationstext nicht, entsteht der Eindruck, dass Raabe ein passionierter Wanderer und Reisender war. Allerdings geht es in dem erläuternden Text bezüglich des Begriffs „Wanderer“ vielmehr um eine metaphorische Übertragung auf Raabes Lebenssituationen und -stationen. Denn „[i]n seinem Leben hat er einige Stationen durchwandert, im Alltag jedoch ist Raabe eher ein Spaziergänger als ein Wanderer“ (Raabe-Haus, „Wilhelm Raabe als Wanderer“). Die Objekte illustrieren also nur zum Teil Raabes Reiseverhalten, daneben verweisen sie auf seine Lebensstationen. Wie sich an diesem Beispiel zeigt, können Objekte, die als Belege eingesetzt werden, auch den Zweck haben, einen Widerspruch zwischen Text bzw. Überschrift und Objekten hervorzurufen. Ein solches ausstellungsstrategisches Vorgehen ist in literarischen Museen recht selten vorzufinden. Wie in der Literatur betont wird, erhofft man sich von Irritationen stiftenden Verfahren zwar eine besondere Aufmerksamkeit bei den Besucherinnen und

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Besuchern, die sie in einen Dialog mit den Dingen verwickeln sollen,74 doch scheinen sich die Museumsgestalter/innen davor zu scheuen, ihre Besucher/innen mit solch zunächst widersprüchlichen Arrangements zu verunsichern. 6.2.3 Objekte im Kontext von Inszenierungen Die Formen der Inszenierungen sind sehr vielfältig und betreffen unterschiedliche inhaltliche Bereiche. Abgesehen von rekonstruktiven Raumbildern,75 die eine möglichst authentisch wirkende, historische Atmosphäre zu schaffen versuchen, wird in den meisten Fällen nicht mit originalen Objekten gearbeitet, sondern schlicht mit – teilweise zeitgenössischen – Gegenständen, die dem Darstellungszweck dienlich scheinen. Eines der populärsten Beispiele ist das abstrahierende Raumbild im Buddenbrookhaus, auf das bereits in Kap. 2.4 sowie 6.1.2 eingegangen wurde. Daneben existieren in vielen weiteren Häusern diverse kleinere oder größere Inszenierungen. Im Büchnerhaus wurde der Schreibtisch Büchners in Form einer nichtauthentischen historischen Inszenierung (vgl. Kap. 6.1.1) gestaltet, indem er mit Gegenständen bestückt wurde, die in einer Art metaphorischem Zusammenhang mit seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten stehen. So finden die Besucher/innen Sezierbesteck und zwei Plastiken von Barben, über deren Nervensystem Büchner seine Dissertation verfasst hat. Bei keinem der gezeigten Objekte innerhalb dieser Inszenierung handelt es sich um ein Original. Dies ist jedoch mit Blick auf den Zweck dieser unerheblich. Ziel einer solchen Inszenierung ist nicht die authentische Rekonstruktion,76 sondern die Vermittlung einer Impression historischer Zustände und Situationen sowie – abstrakter – von Büchners Interessen- und Arbeitsschwerpunkten. „Die Aufmerksamkeit wird nicht mehr so sehr dem ausgestellten Objekt gewidmet, sondern einer allumfassenden Idee, bei der das Objekt nur noch eine komplementäre Aufgabe erfüllt. [...] Mit anderen Worten: Das Ziel dieser Arbeitsweise ist in erster Linie die Auseinandersetzung mit Ideen und weniger die Ausstellung von Objekten“ (Kaiser 2006, S. 46).

Wie in diesem Beispiel, so wird bei Inszenierungen zumeist auf originale Objekte verzichtet, was auch damit zusammenhängen mag, dass Inszenierungen in einigen

74 Vgl. zum Beispiel Lange-Greve 2005, S. 121ff., bes. S. 126. 75 Vgl. ausführlich zu den verschiedenen Arten von rekonstruktiven und abstrahierenden Raumbildern Kap. 2.4. 76 Die authentische Rekonstruktion kann bereits deshalb hier nicht als Ziel in Frage kommen, da der inszenierte Schreibtisch eine Lebensspanne Büchners repräsentiert, in der er nicht in Riedstadt-Goddelau lebte.

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Fällen erst dann gewählt werden, wenn nicht genügend originale Objekte zur Verfügung stehen. Die einzelnen Gegenstände sind unbedeutend, selten wertvoll. Sie entfalten ihre Bedeutsamkeit erst im Kontext der Inszenierung, indem sie gemeinsam mit den anderen (unbedeutenden) Gegenständen ein bedeutsames Szenario entfalten. Im Lessing-Museum finden sich zudem auch einzelne Objekte, die als kleinere Inszenierungen in die Ausstellung mit eingebunden sind und dazu dienen, diese insgesamt aufzulockern und auszuschmücken. Beispielsweise wird zu Beginn der Ausstellung, als es um Lessings Schulzeit geht, die Hälfte einer Schulbank, auf der eine Maus sitzt, so drapiert, dass es scheint, dass sie aus der Wand herausragt. Im Gegensatz zu der Inszenierung im Büchnerhaus wird hier zwar auch inhaltlich aufgegriffen, worum es in den Darstellungen geht, allerdings nicht im Sinne einer abstrahierenden Inszenierung einer historischen Situation, sondern lediglich als inhaltlich-abstraktes Bild (die Schulbank verweist auf die Schulzeit Lessings). Wie an der aktuellen Ausstellung im Grass-Haus deutlich wird, können aber ebenso Originale eines Autors in eine abstrahierende Inszenierung eingebunden werden. Gezeigt wird hier der Schreibtisch des Kurators, auf dem sich zwar keine Gegenstände befinden, aber potentielle Themen wie bei einem Brainstorming in Kreisen festgehalten wurden. Nimmt man den Platz des Kurators hinter dem Schreibtisch ein, so fällt der Blick unmittelbar auf ein deckenhohes Regal, in dem sich die verschiedensten Objekte befinden, die in Zusammenhang mit dem Autor Günter Grass stehen. Indem neben dem thematischen ‚Brainstorming‘ auf dem Tisch (und der dahinterstehenden Bank) gerade eine vielfältige Bandbreite von Objekten gezeigt wird, die scheinbar noch keine Selektion durchlaufen haben, wird die Situation, in der sich Ausstellungsmacher/innen bei der Konzeption einer jeden Ausstellung befinden, hergestellt: Sie sehen sich einer Vielfalt an thematischen Schwerpunkten und Objekten gegenübergestellt und müssen aus diesen für ihre Ausstellungen eine Auswahl treffen. Die scheinbar unsystematische und noch nicht durch eine Selektion durchgegangene Ansammlung von Objekten repräsentiert innerhalb der Inszenierung das Archiv eines Museums. Um die Schwierigkeit der Selektionsentscheidung zu unterstreichen, wurden vermutlich gerade möglichst unterschiedliche, jedoch Fragen aufwerfende und Interesse weckende Objekte ausgesucht, die auch den Besucherinnen und Besuchern die fiktive Entscheidung erschweren. Der Inszenierung liegt allerdings sehr wohl bereits eine bewusste Selektion zugrunde, denn gerade die vorliegende, breit gestreute Ansammlung von Objekten erzeugt aufgrund ihrer Eigenschaften erst den Eindruck, es könne sich um ein Archiv handeln. Zudem wird mit den mitunter nicht zu erwartenden Objekten ein breites Assoziationsfeld zu Grass eröffnet, das die Besucher/innen fragen lässt, was es mit diesen Gegenständen in Bezug auf den Autor auf sich hat. So unterschiedlich wie die Inszenierungen selbst sind auch die eingebundenen Objekte sowie die mit ihnen verbundenen Funktionen. Bei den meisten in Inszenie-

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rungen verwendeten Objekten handelt es sich nicht um Originale. Vielmehr werden zu Inszenierungszwecken Dinge genutzt, die der Ausgestaltung dienlich und möglichst plakativ sind. Der inszenierte Schreibtisch Büchners ist diesbezüglich ein anschauliches Beispiel gewesen, denn keiner der dort vorkommenden Gegenstände ist etwa ein Original. Eine Ausnahme unter den untersuchten Fällen stellt die Inszenierung im Eingangsbereich des Grass-Hauses dar. Denn hier soll durch das Nebeneinanderstellen von mehreren authentischen Stücken das Problem des Kurators, einzelne Objekte für Ausstellungen auszuwählen, auf die Spitze getrieben werden. Allerdings scheint eine Gemeinsamkeit der in Inszenierungen vorkommenden Objekte zu sein, dass ihnen selbst als einzelnen Objekten meist keine besondere Bedeutung beigemessen wird. In ihrer Formation mit den anderen Objekten sowie den räumlichen Arrangements werden sie hingegen bedeutsam, indem sie gemeinsam mit diesen ein Netz von bedeutenden Komponenten aufbauen, die nur in ihrer jeweils vorliegenden Kombination diejenige Bedeutung entfalten können, die mit ihrem Zusammenbringen verbunden ist. So kann die Urkunde über die Nobelpreisverleihung an Günter Grass zwar auch für sich von Bedeutung sein, wenn sie als Relikt oder Beleg in eine Ausstellung eingebunden wird, in der Inszenierung im Grass-Haus entfaltet sich ihre Bedeutsamkeit hingegen in ganz anderer Weise, indem gerade nicht ihre Einzelbedeutung unterstrichen wird, sondern sie den anderen Objekten77 innerhalb der Ansammlung schlicht zur Seite gestellt wird. Durch dieses Nebeneinander der Objekte werden einerseits ihre Zusammenhänge und gegenseitigen Verweise aufeinander deutlich, andererseits ihre Konkurrenz um Aufnahme in die Ausstellung: sie konkurrieren scheinbar um den Aufstieg aus dem dunklen Archiv in die ausgeleuchtete Ausstellung.

6.3 LITERATURMUSEALE AUSSTELLUNGEN ALS ERZÄHLUNGEN Nachdem nun grundsätzliche Strukturen literaturmusealer Präsentationsformen beschrieben und die Facetten der funktionalen Einbindung von Objekten ausdifferenziert wurden, soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, wie die Schriftsteller/innen innerhalb der Ausstellungen in literarischen Museen und Gedenkstätten im Erinnerungskontext erzählt werden. Denn die Erzählungen bestimmen in ganz wesentlichem Maße die Rezeption und Wahrnehmung der dort dargestellten Schriftsteller/innen mit und spiegeln den aktuellen Diskurs um sie wider. Die er-

77 Bei diesen handelt es sich u.a. um das Waschbrett, mit dem Grass Musik machte, um diverse seiner Skulpturen, Mal- und Zeichenutensilien des Künstlers sowie eine seiner Pfeifen.

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zähltheoretisch angeleiteten Ausstellungsanalysen (vgl. zur Methodik Kap. 4.3) richten sich auf exemplarisch ausgewählte Aspekte. Die zentralen Narrative zu den einzelnen Autorinnen und Autoren werden abschließend noch einmal zusammengefasst, da sich anhand dieser deutlich zeigen lässt, wie in den aktuellen Ausstellungen an die Schriftsteller/innen erinnert wird. Bei der Konzeption ihrer Ausstellungen sind die literaturmusealen Einrichtungen stets gezwungen zu selektieren, zu abstrahieren und zu kontextualisieren, um die Fülle des potentiell Erzählbaren zu beschränken und auf diese Weise in eine ‚begehbare‘ Form zu bringen, die im Rahmen eines Museumsbesuchs zu bewältigen ist. So kommt es, dass alle ihre Erzählungen grundsätzlich als zeitliche Raffungen zu beschreiben sind. Die Erzählungen beginnen zumeist mit der Geburt des Autors bzw. der Autorin und folgen einem chronologischen Durchlauf, wobei Anaund Prolepsen an ausgewählten Stellen gezielt eingesetzt werden, um Einflussfaktoren oder Auswirkungen einzelner Ereignisse kenntlich zu machen. Während in den einen Ausstellungskonzeptionen bewusst eine konkrete, linear ablaufbare Erzählung konstruiert wird, nutzen andere eher episodische Erzählformen, wieder andere etablieren darüber hinaus Erzählstrategien, die über das reine chronologische Erzählen – im Sinne einer historischen Entwicklungsdarstellung – hinausgehen; so beispielsweise das Grass-Haus, das in Modulen präsentiert und mithilfe einer Inszenierung eine Rahmen- und eine Binnenerzählung entwickelt hat (vgl. Kap. 6.3.6). Da die Ausstellungen der untersuchten Museen und Gedenkstätten nicht in Gänze dargestellt werden können, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf ausgewählte Bereiche dieser. Die ‚Aus-stellung‘ der Schriftsteller/innen beginnt allerdings nicht erst in den Ausstellungen selbst, denn bereits auf dem Weg zu einigen der literaturmusealen Einrichtungen wird auf die den Autorinnen und Autoren gewidmeten Einrichtungen hingewiesen. Diese Hinweise sind jedoch bereits Teil der Erzählungen. Deshalb sei zunächst kurz fallübergreifend auf die Gestaltung der Umgebung der musealen Gebäude sowie deren Außenfassade eingegangen, bevor die einzelnen Dauerausstellungen als Einzelfälle vorgestellt und analysiert werden. So wurden in den verschiedensten Fällen literaturmusealer Einrichtungen Straßen nach den Autorinnen und Autoren (um)benannt78 bzw. Hinweisschilder79 aufgestellt, die anzeigen, wo sich die Einrichtungen befinden. Auf diese Weise werden

78 Beispiele sind die Anna-Seghers-Straße und die Karl-May-Straße. 79 Zu Brecht leitet nicht nur ein Hinweisschild bei der Abbiegung in die Straße „Auf dem Rain“, sondern bereits an einem zentralen Platz in der Nähe des Rathauses (Ecke Karolinenstraße/Am Perlachberg) steht eine auffällig-rote Brechtfigur, die die „Wege zu Brecht“ weist. Auf der Figur werden für Brecht bedeutsame Orte in Augsburg beschrieben und als abzulaufende Stationen auf einer Karte der Stadt gezeigt.

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im öffentlichen Raum Markierungen gesetzt, die zum Erinnerungsanlass werden können. Auf der einen Seite soll denjenigen, die das Museum besuchen möchten, eine Orientierungshilfe gegeben werden, so dass sie es leichter finden können. Auf der anderen Seite sollen aber auch andere auf das Museum aufmerksam gemacht werden, die von dessen Existenz nichts gewusst bzw. den genauen Unterbringungsort der Einrichtung bislang nicht gekannt haben. Sodann vermitteln die Gestaltungen der Häuserfassaden der literarischen Museen und Gedenkstätten vergleichbar mit einem Buchrücken und dessen Cover einen ersten Eindruck und führen in die literaturmuseale Rezeption ein. Bei allen untersuchten Fällen war zumindest eine Hinweistafel am Haus angebracht, die darüber informiert, dass sich im Gebäude ein literarisches Museum befindet. Vielfach sind zudem die Öffnungszeiten oder Kontaktdaten vermerkt gewesen – beim Büchnerhaus gibt es bspw. auch eine Außenwandvitrine, in der über aktuelle Veranstaltungen informiert oder von vergangenen berichtet wird. Neben diesen eher auf pragmatische Informationen ausgerichteten Hinweistafeln sind an einigen Häusern Gedenktafeln angebracht worden. In der Regel ist auf ihnen lediglich festgehalten, wann ein/e Autor/in in dem Gebäude geboren wurde bzw. dort gelebt hat. An der Seghers-Gedenkstätte ist beispielsweise neben einem Hinweisschild mit Informationen zur Gedenkstätte eine davon sowohl durch die Platzierung am Haus als auch optisch abgehobene Gedenktafel zu sehen, auf der steht: „IN DIESEM HAUSE WOHNTE / DIE SCHRIFTSTELLERIN / ANNA SEGHERS / VON 1955 BIS 1983“. Solche Gedenktafeln bilden einen klassischen Peritext im Sinne Genettes. Ihre Funktion ist nicht nur die Betitelung, sondern vor allem die Kontextualisierung. Sie geben den Rahmen vor und liefern die Begründung, warum sich gerade in diesem Gebäude ein literarisches Museum oder eine Gedenkstätte befindet. Ein besonders interessantes Beispiel stellt die Gedenktafel am Brechthaus dar: „BERT-BRECHT-GEDENKSTÄTTE // IN DIESEM ALTEN / HANDWERKERHAUS / WURDE AM / 10. FEBRUAR 1898 / EUGEN BERTHOLD BRECHT / GEBOREN // DIE STADT AUGSBURG / HAT DIESES HAUS / ERWORBEN UND / ZU EHREN DES DICHTERS / EINE GEDENKSTÄTTE / EINGERICHTET“

In diesem Fall findet zwar auch eine peritextuelle Kontextualisierung statt, doch gehen die Informationen und Verweise deutlich über diejenigen an Seghers’ oder auch Storms Wohnhaus80 hinaus. Erstens erfolgt mit dem Verweis darauf, dass es sich bei dem Gebäude um ein ehemaliges „Handwerkerhaus“ handelt, eine Verortung in einem gesellschaftlich eher niedrig gestellten (handwerklich arbeitenden)

80 Auf der Gedenktafel am Storm-Haus ist zu lesen: „IN DIESEM HAUSE WOHNTE / THEODOR STORM / VON 1866-1880“.

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Milieu – es handelt sich eben gerade nicht um eine ehemalige Villa oder ähnliches. Zweitens wird dieses Handwerkerhaus als ‚altes‘ Haus bezeichnet, das – insbesondere in Verbindung mit dem „Handwerkerhaus“ – auf Traditionsreichtum und Geschichtsträchtigkeit hindeutet. Drittens wird mit dem abschließenden Absatz nicht mehr nur der zu erinnernde Dichter in den Blick genommen, sondern auch die Erinnerungsstifter. Wie Bernhard Dücker (2012, S. 9) angemerkt hat, bedeutet schließlich die Einrichtung eines Museums bzw. einer Gedenkstätte nicht nur die Aufwendung finanzieller und materieller Ressourcen zum Zwecke der Erinnerung an eine/n Autor/in, sondern ist auch als Investition zu verstehen, die der Trägergruppe vor allem symbolisches Kapital einbringt. Bei den Häusern, in denen sich die Ausstellungen befinden, handelt es sich darüber hinaus vielfach um repräsentative, größere Gebäude. Da viele der ehemaligen Wohnhäuser bereits sehr alt sind, wurden sie vor der Einrichtung eines Museums bzw. einer Gedenkstätte oder zwischenzeitlich renoviert. Wenn seit der Zeit, in der die Gebäude von den Autorinnen oder Autoren bewohnt wurden, bauliche Änderungen an diesen vorgenommen wurden, gab es immer wieder Bemühungen, diese rückzubauen. Dies gilt indes nicht nur für die Außenfassaden oder Anbauten der Gebäude, sondern auch für den Innenbereich. Beispielsweise ist es üblich, die Raumaufteilung zu Lebzeiten der Schriftsteller/innen wiederherzustellen und auch die Wände wieder in der damaligen Farbgebung zu streichen bzw. Tapeten freizulegen oder zumindest mit ähnlichen Tapeten auszustatten. Ob eine solche authentisierende Wiederherstellung im Einzelfall angestrebt wird, hängt allerdings mitunter von der grundsätzlichen Konzeption ab. Restaurationen und Wiederherstellungen historischer Zustände sind insbesondere dann von Belang, wenn noch historische Einrichtungsgegenstände vorhanden sind und (einzelne) Räume möglichst originalgetreu wiedereingerichtet werden sollen. Solch gestalterische Fragen sind allerdings im Rahmen der Analyse von literaturmusealen Ausstellungen als Erzählungen mit zu bedenken, da sie diese als Gestaltungsmittel wesentlich mit beeinflussen – besonders dann, wenn es sich um Gedenkstätten handelt, in denen mit historischen Inszenierungen (vgl. Kap. 6.1.1) gearbeitet wird. 6.3.1 Ausstellung im Büchnerhaus Die Ausstellung im Büchnerhaus befindet sich in Büchners ehemaligem Geburtshaus81 und ist grundsätzlich als chronologische Ausstellung konzipiert. Im ersten Raum, der mit „erster akt“ überschrieben ist, heißt es einleitend: „Am Sonntagmorgen um halb sechs kommt Carl Georg Büchner als erstes Kind des Chirurgen Ernst Karl Büchner und seiner Frau Caroline Louise, geb. Reuß, in diesem Haus zur

81 Vgl. dazu im Detail Kap. 8.2.2.

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Welt“ (Büchnerhaus, „erster akt“). Die Erzählung beginnt mit der Geburt Georg Büchners, und zwar, indem betont wird, dass Büchner „in diesem Haus zur Welt“ kam. Diese Tatsache in den ersten Satz einer Ausstellung einfließen zu lassen, muss als außerordentlich bedeutsam für die gesamte Lesart der Ausstellung gewertet werden.82 Es geht folglich nicht mehr nur um eine Ausstellung des Autors, sondern die Ausstellungserzählung wird hier zum ersten Mal verortet und beglaubigt: denn diese Erzählung (und ihr vorgängig die Ausstellung, das Museum) wird überhaupt nur generiert, weil es dieses Haus gibt und weil Georg Büchner hier geboren wurde. Die Motivation der Erzählung liegt folglich im Ort begründet und erhält auf diese Weise eine natürlich erscheinende Legitimation. Die Verwendung des Präsens erzeugt ebenso wie der Verweis „in diesem Haus“ eine Unmittelbarkeit, die sich damit lokal sowie sprachlich manifestiert. Der Erzähler gibt sich indes als ein extradiegetischer, heterodiegetischer Erzähler, der mehr weiß, als die erzählte Figur, der Autor, was daran sichtbar wird, dass der Erzähler nicht nur über die inneren und äußeren Zustände des Autors, sondern auch über die regionalen Gegebenheiten Bescheid weiß. So finden sich im Ausstellungstext Passagen wie „Ihn [Büchner] bekümmern die politischen Verhältnisse, er leidet unter der Trennung von seiner Verlobten, das Studium der praktischen Medizin ist ihm zuwider“ (Büchnerhaus, „zweiter akt“) ebenso wie „Goddelau ist zu dieser Zeit [1815] ein kleines Dorf mit etwa 550 Einwohnern, die von Landwirtschaft, Handwerk und Torfstechen leben“ (ebd., „erster akt“). Darüber hinaus werden Zitate von Georg Büchner, seinen Verwandten und Bekannten in die tendenziell sachliche Darstellung des Erzählers integriert. Auf diese Weise werden auf der intradiegetischen Ebene teilweise weitere metadiegetische Erzählebenen eröffnet, wie es bei dem Zitat von Büchners Bruder, Alexander, festzustellen ist: „In diesem Hause und Garten verbrachten wir eine höchst glückliche Kindheit, denn dasselbe war der Sammelpunkt der Jugend aus der ganzen Nachbarschaft“ (ebd.). Hier macht sich der Erzähler nicht nur die direkte zitierte Rede zunutze, sondern integriert eine Art Mini-Erzählung auf einer weiteren Erzählebene. Das Zitat wird ebenso wie andere in die chronologische Darstellung integriert und lediglich durch Fettdruck und die Kennzeichnung als Zitat durch doppelte Anführungszeichen vom restlichen Ausstellungstext abgehoben und kann damit als Zitat im intertextuellen Sinne verstanden werden. Demgegenüber sind diejenigen Zitate, die nicht in den Ausstellungstext eingebunden und additiv im Raum angebracht wurden, je nach Funktion als para- oder hypertextuelle Phänomene zu kategorisieren. Zugleich inter- und paratextuell sind in erster Linie diejenigen Zitate, die den Werken oder Schriften Büchners entstammen. Dies gilt beispielswei-

82 Die Bedeutsamkeit wird noch dadurch gesteigert, dass es keine hinreichende Quellenlage gibt, anhand der eindeutig bewiesen werden könnte, dass es sich tatsächlich um das Geburtshaus handelt. Vgl. dazu Kap. 8.2.2.

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se für das Zitat „Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen...“ (ebd.) aus dem Hessischen Landboten (1834), welches nicht explizit in einen der Ausstellungsabschnitte eingebettet worden ist und daher nicht als Beleg oder Illustration dient, sondern als Bezugnahme auf Büchners Werke, den Leserinnen und Lesern der Ausstellung aber elementare Hinweise dafür liefert, wie die Ausstellung insgesamt zu verstehen ist. Indem nämlich Büchners explizit gesellschaftskritischen Äußerungen zitiert werden, wird das Bild des Aufrührers oder Revolutionärs Büchner, der sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzte, verstärkt und damit auch die Aufmerksamkeit der Besucher/innen in diese Richtung gelenkt. Dies deckt sich mit den inhaltlichen Schwerpunktsetzungen: Dem Hessischen Landboten, einer politischen Flugschrift (!), wird ein eigener Raum gewidmet, ganz im Gegensatz bspw. zu Woyzeck, der nur am Rande Erwähnung findet, im Raum zur Rezeption Büchners. Hier wäre dann auch eine deutliche Verbindung zu den Narrativen der Ausstellungen zu ziehen, denn die Art der Erzählung kristallisiert sich als Mittel heraus, bestimmte ‚Meistererzählungen‘ als Lesart zu befördern: In diesem Fall das Narrativ, dass Georg Büchner sich ähnlich einem Märtyrer für besonders wertvolle (und heute noch gültige) Normen und Werte einsetzte und sich zu deren Durchsetzung für andere Menschen ‚opferte‘. Besondere Aufmerksamkeit muss der Bezeichnung der Raumstruktur zukommen, die der Terminologie zur Gliederung von Dramen entnommen ist: So wird der erste Raum, in dem Kindheit und Jugend des Autors dargestellt werden und der somit als Exposition angesehen werden kann,83 als „erster akt“ bezeichnet, den Höhepunkt im „zweiten akt“ bildet die Zeit, in der Büchner den Hessischen Landboten verfasste, und ist daher als wichtigster Raum zu verstehen. Im „dritten akt“ geht es um die Phase nach seiner Flucht bis zum Tod – die Erzählung endet somit in der Katastrophe. Im „epilog“ wird schließlich die Rezeption Büchners einerseits im Theater (die Ausstellung trägt den Titel: „Von Goddelau zur Weltbühne“ und danach richtet sich auch die Struktur) und andererseits in den Äußerungen von Büchner-Preisträgerinnen und -Preisträgern aufgegriffen. Insgesamt ist die Ausstellung – wiederum durch Paratexte – klar untergliedert in einzelne ‚Kapitel‘, die sich nach den Lebensabschnitten Büchners in zeitlicher wie räumlicher Hinsicht gliedern. So werden links von den Textabschnitten die Jahreszahlen, (teilweise) die Lebenspha-

83 Im ersten Raum befindet sich zudem die erste kleine Inszenierung der Ausstellung: ein Tisch, auf dem acht Mappen liegen und an dem acht Stühle bzw. Hocker stehen, „symbolisiert das Familienleben im Elternhaus. Hier sind alle versammelt, die ihm nahestanden, die Eltern und Geschwister und die Verlobte“ (Flyer zur Ausstellung „Von Goddelau zur Weltbühne“). Durch die Mappen zu den einzelnen Personen werden weitere kleine, parallel angeordnete Erzählstränge eröffnet, in denen stets die Verknüpfung zu Georg Büchner gesucht wird.

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se, der Ort und das Ereignis angegeben; für den ersten Abschnitt der Ausstellung sind das folgende Paratexte: „1813“, „Kindheit“, „Goddelau“ und „Geburtstag“ (nicht Geburt). Unterhalb dieses Abschnittes sowie weiterer anderer ist ein Zitat aus einem Brief Büchners an seine Verlobte, Wilhelmine Jaeglé, in deutlich größerer Schrift angebracht „Was kann ich sagen, als dass ich dich liebe; was versprechen, als was in dem Wort Liebe schon liegt, Treue? Aber die sogenannte Versorgung?“. Hier bricht das Zitat im ersten Raum ab, wird allerdings über eine in den nächsten Raum („zweiter akt“) verlängerte schwarze Linie (dieselbe Farbe hat die Schrift) hinübergeführt und dort fortgesetzt „Zwei Jahre eine gewisse Aussicht auf ein stürmisches Leben, vielleicht bald auf fremdem Boden“ (Büchnerhaus, „erster akt“, „zweiter akt“). Die Integration dieses Zitats als Paratext weist in Richtung der tragischen Entwicklung Büchners Leben, der zunächst fliehen muss, weil er aufgrund des Hessischen Landboten steckbrieflich gesucht wird, und schließlich im Exil an Typhus erkrankt und stirbt, ohne jemals mit seiner Verlobten ein ‚normales Eheleben‘ geführt zu haben. Wie bei dem vorigen Beispiel wird durch dieses Zitat ein bestimmtes Narrativ bzw. eine bestimmte Lesart der Ausstellung forciert: die Schicksalhaftigkeit Büchners kurzen, aber aufgrund seines sozialen und gesellschaftspolitischen Engagements „stürmischen Lebens“. Vom „zweiten akt“ erfolgt die Überleitung in den dritten Raum („dritter akt“) in Form einer Inszenierung. Unmittelbar nach Verlassen des zweiten Raumes befindet sich rechts an der Wand eine an dieser aufgestellte Leiter, auf deren Sprossen ein Zitat Wilhelm Büchners zu lesen ist: „Wir hatten schon Tage lang / eine Leiter in dem Garten / an die Mauer gelehnt, / mit deren Hülfe er / in andere Gärten flüchten wolle, / wenn die Häscher kämen.“ Die Leiter, als die materiell-räumliche Überbrückungsmöglichkeit, symbolisiert hier einerseits die Flucht und den Übertritt in einen anderen Raum, fungiert jedoch zugleich als erzähltechnisches Mittel innerhalb der Ausstellung, indem sie die Überleitung vom Zeitpunkt der Flucht hin zur Zeit des Exils Büchners bildet. Im dritten Raum verändert sich dann auch die Art des Erzählens, da dieser primär als Inszenierung84 angelegt ist und damit eine Schwerpunktverlagerung von der schriftsprachlichen Ausstellung hin zu einem abstrahierenden Raumbild vollzieht. Die Stimme des allwissenden Erzählers vollzieht hier den Wandel in diejenige eines nur in Teilen wissenden Erzählers, der nicht genau weiß, wie Büchners damalige Lebenssituation ausgesehen hat. Dies zeigt sich nicht

84 Allerdings finden sich auch in den anderen Räumen Inszenierungen: so ist beispielsweise im ersten Raum in der hinteren Mitte ein Tisch mit sechs Hockern und zwei Stühlen aufgestellt, die symbolisch für die achtköpfige Familie stehen. Vor jedem Sitzplatz liegt auf dem Tisch eine Mappe zu jeweils einem Familienmitglied. Hier erhalten die Besucher/innen also die Möglichkeit, sich über Büchners Familie und ihr Verhältnis untereinander zu informieren.

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nur in den fiktionalen, inszenierenden Elementen, sondern auch darin, dass der Erzähler sie nicht in Worten ausdrückt, sondern in Form eines Raumbildes (vgl. Kap. 6.1.1).85 Auf diese Weise können Leerstellen gelassen werden, der Zwang, eine Situation konkret auszugestalten, wird umgangen, indem eine abstrakte Vorstellung erzeugt wird. Dies ist wohl auch einer mangelnden Quellenlage geschuldet. Schließlich wird die Erzählung in den Raum der Rezeption („epilog“) überführt, in dem keinerlei Texte die Rezeption erläutern, sondern allein Zeugen und Zeugnisse zur Sprache kommen: Mittig im Raum sind sockelartige Vitrinen mit Theaterrequisiten arrangiert und das Nachwirken Büchners wird über videographisch aufgezeichnete Szenen aus Theateraufführungen seiner Stücke sowie Äußerungen anderer (teilweise noch lebender) den Büchner-Preis tragender Schriftsteller/innen eingefangen, die über einen Beamer und Lautsprecher abgespielt werden. Der Erzähler tritt hier eindeutig zurück und lässt seine Figuren über direkte Zitate im dramatischen Modus zu Wort kommen. Er greift somit nicht ein, wertet und relativiert nicht, sondern übergibt den Abschluss an zeitgenössische ‚Figuren‘, die in der gegenwärtigen schriftstellerischen Welt von Bedeutung sind und ein hohes Ansehen genießen. Indem die Stellungnahmen nicht nur abgedruckt, sondern als Video gezeigt werden, ist keine weitere Beglaubigung vonnöten: die Besucher/innen können die sich äußernde Person sehen, und innerhalb des Videos werden wiederum Paratexte eingeblendet, die über die sich jeweils äußernde Person informieren (bspw. Name und Erhalt des Büchner-Preises). Wer die dort ausgestrahlten Schriftsteller/innen also nicht direkt erkennt, kann sich mit Hilfe der Paratexte von ihrer Identität überzeugen. Die Theaterrequisiten werden gleichsam äußerst bedeutsamen Objekten in Sockelvitrinen ausgestellt. An diesen Vitrinen sind keine Beschriftungen angebracht, was den Eindruck, dass es sich hierbei um auratische Gegenstände handle, noch steigert. Allerdings gibt es einen ‚Belegplan‘ für die Vitrinen. Auf diesem sind die Stücke Büchners, auf die die Objekte Bezug nehmen sollen, verzeichnet, nicht aber, inwiefern sie mit diesen zusammenhängen oder ob sie in den Inszenierungen tatsächlich zur Verwendung gekommen sind. Dass der dort zu findende allgemeine Hinweis „aus Inszenierungen des Staatstheaters Darmstadt“ eben nicht lautet „aus den Inszenierungen der Stücke Büchners“, ist kein Zufall, denn die Requisiten stammen nur zum Teil aus diesen. Rotraud Pöllmann, die Leiterin des Büchnerhauses, erläutert dies folgendermaßen:

85 Indem die Inszenierung Büchner an seinem Schreibtisch zeigt, wird auch hier das in anderen Einrichtungen vorzufindende Bild des als typisch angenommenen Alltags eines Autors gezeigt. Es erfolgt allerdings ein Bruch mit dieser Vorstellung, da die Gegenstände, die sich auf dem Tisch befinden, nicht dem literarischen, sondern dem biologischnaturwissenschaftlichen Metier zuzurechnen sind.

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„Gut, ja, das mit diesen Requisiten von Originalinszenierungen, das ist ein, das wird vielleicht für das Rasierzeug stimmen, aber wir mussten natürlich erstens Dinge nehmen, die das Theater bereit war abzugeben, und es ist ja auch in dem Sinn keine Liste geführt worden, welche Requisiten vor fünf oder vor 20 Jahren mal da waren, also, das haben wir jetzt mal so hingeschrieben, das macht sich gut, aber jetzt dokumentierend in dem Sinne ist es jetzt nicht. Ich mag das dann auch nicht so gerne sagen, ich sage immer das sind Requisiten aus dem Theater, die man eben mit den Büchnerstücken in Verbindung bringen kann, weil: das und das und das ist dabei“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 34).

Indem die Objekte durch die Form ihrer Präsentation als auratische präsentiert werden – jedem einzelnen ist eine eigene Vitrine gewidmet –, gewinnen sie eine Bedeutung, die ihnen nur durch diese Art der Inszenierung zukommen kann, ihnen aufgrund ihrer Geschichte aber nicht zusteht. Diese Erkenntnis weist jedoch auf ein generelles Problem in musealen Ausstellungen hin, da hier oftmals Objekte als reliquienartige Gegenstände drapiert werden, ohne den ihnen damit zugewiesenen Stellenwert zu thematisieren oder gar zu hinterfragen. In der Regel geschieht dies unter dem Einsatz ‚originaler‘ Stücke, doch hier wie dort führt ihre derartige Präsentation nicht zu einer Auseinandersetzung, sondern zum Kult.86 Die Lesart Büchners als politischer Autor, der sich für Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzte und deshalb seine Existenz in Hessen aufgeben und ins ausländische Exil flüchten musste, zeigt sich allerdings nicht nur darin, dass seiner politischen Schrift so viel Raum gewährt wird, sondern auch darin, dass dieses Narrativ durch die gesamte Erzählung der Ausstellung trägt und sie strukturiert. Von vorneherein wird die von Büchner empfundene Enge seiner Lebensverhältnisse betont, es ist die Rede von einer Depression, die er überwindet, als er beginnt, sich politisch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu beschäftigen und gegen sie anzugehen.87 Im „ersten akt“ sind bereits Zitate Büchners angebracht, in denen er Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen übt.88 Damit rückt seine politische Entwicklung ins Zentrum der Aufmerksamkeit, nicht seine literarische, wie es vielleicht in-

86 Kahl (2015, S. 271) bemängelt ein ähnlich gelagertes Problem bspw. zurecht im Hinblick auf die Ausstellung „Lebensfluten – Tatensturm“ (2012) im Weimarer Goethe-Haus. 87 „Hier [im Darmstädter Elternhaus] vertieft er sich in die Geschichte der Französischen Revolution und überwindet seine Depression, indem er sich zu aktivem politischen Handeln entschließt“ (Büchnerhaus, „zweiter akt“). 88 „Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde.“ Oder: „Der Gedanke, daß für die meisten Menschen auch die armseligsten Genüsse und Freuden unerreichbare Kostbarkeiten sind, machte mich sehr bitter“ (beide Zitate: Büchnerhaus, „erster akt“).

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nerhalb einer Ausstellung zu einem Autor erwartbar wäre. Mit der Ausrichtung der Ausstellung auf die politische Seite Büchners erfährt auch die Entwicklung seines Lebens eine bestimmte Richtung, sein Leben wird bestimmt von der obrigkeitsstaatlichen Repression: Er wird steckbrieflich gesucht, weil er „sich der gerichtlichen Untersuchung seiner indicirten Theilnahme an staatsverrätherischen Handlungen aus dem Vaterlande entzogen“89 (Büchnerhaus, „zweiter akt“) habe. Mit dem bereits oben angeführten Zitat, in dem von der „Aussicht auf ein stürmisches Leben“ die Rede ist und das sich über die Ausstellungstafeln vom ersten Raum in den zweiten hinüber erstreckt, wird dieser ‚rote Faden‘ verfolgt. In ihm erfolgt die einem Drama nachempfundene Zuspitzung des Lebens Büchners und der damit verbundenen Ereignisse. Sein ausstellungstechnischer Lebens-Höhepunkt ist der Hessische Landbote. Alle seine vorangegangenen Lebensabschnitte scheinen zwangsläufig darauf hinauszulaufen. Danach folgt mit dem dritten ‚Raum‘ der Wendepunkt. Büchners Lebensgeschichte wird gestaltet als tragische Leidensgeschichte, die in der tödlichen Katastrophe endet. Erzählt wird er als politischer Autor, der sich für seine Ideale aufopfert. 6.3.2 Ausstellung im Lessing-Museum Die Ausstellung im Lessing-Museum, die sich nicht im ehemaligen Wohnhaus der Familie befindet, präsentiert sich ganz im Stile der Epoche des Barock. Es wurden nicht nur typische Farbtöne der Zeit – wie Gold, dunkles Bordeauxrot und Weiß – aufgegriffen, sondern auch vom Stil her typische Tische sowie Spiegel in den Ausstellungsraum integriert, die den ansonsten engen äußeren Rundgang weiter erscheinen lassen. Zudem läuft leise im Hintergrund klassische Musik, welche die barocke Atmosphäre noch verstärkt. Auf gestalterischer Ebene wird demzufolge deutlich auf die Zeit (Barock) rekurriert, in der Lessing lebte, womit der Versuch verbunden scheint, die Besucher/innen in die Zeit Gotthold Ephraim Lessings atmosphärisch hineinzuversetzen. Hinsichtlich der Erzählstruktur weist die Ausstellung einige Parallelen zum Büchnerhaus auf. So wird ebenfalls mit verschiedenen Textebenen und Paratexten gearbeitet. Eine Erzähleinheit, ähnlich einem Kapitel in einer biografischen Erzählung, besteht im Lessing-Museum aus fünf Komponenten: Im obersten Bereich ist ein in weißer Schriftfarbe und besonders groß gestalteten Lettern abgedrucktes Zitat Lessings zu lesen, das eine sinngemäße Sentenz zum zeitlichen Abschnitt darstellt. Darunter befindet sich eine goldene Leiste, auf der in roter Schriftfarbe Jahreszahlen und jeweils dahinter in weißer Schriftfarbe die mit ihnen verbundenen Ereignisse bzw. Aufenthaltsorte festgehalten sind. Auf dem

89 Es handelt sich hierbei um den abgedruckten Steckbrief zu Georg Büchner aus dem Jahr 1835.

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großen darunter befindlichen Teil der hell, beinahe weiß gestalteten Ausstellungswand sind sowohl der Ausstellungstext mit dem Haupterzählstrang in größerer Schriftgröße abgedruckt, wie auch in die Wand selbst kleinere aufklappbare bzw. drehbare Elemente eingelassen sind, hinter oder auf denen weitere Abbildungen und Schilderungen zugänglich sind. Indem diese als spielerische Elemente gestaltet wurden, fordern sie die Besucher/innen zum einen auf, selbst aktiv zu werden und mit dem Ausstellungsmobiliar in Interaktion zu treten, zum anderen signalisieren sie, dass sie über den Haupterzählstrang hinausgehende Informationen umfassen und ihre Rezeption daher optional dafür ist, ersterem weiter folgen zu können. Neben diesen kleinen auf- bzw. umklappbaren Zusatztexten und Abbildungen sind in die Wände Vitrinen eingelassen, in denen Abbildungen, verschiedene Ausgaben und andere Objekte gezeigt werden. Sie haben eine additive Funktion innerhalb der Erzählung und können als Quellen und Quellenverweise ebenso wie als Illustrationen verstanden werden. Den Einstiegspunkt in die Ausstellung bildet nach der kleinen Bildergalerie90 mit Lessing-Abbildungen sowie Bildern seiner Vorfahren die Geburt Lessings in Kamenz. Die Schilderung erfolgt allerdings im Präteritum und schafft damit eine größere Distanz im Vergleich zu der Darstellung im Büchner-Haus: „Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar 1729 in Kamenz geboren. Seine Eltern, der evangelische Theologe Johann Gottfried Lessing (1693-1770) und Justina Salome geb. Feller (1703-1777), wohnten zu diesem Zeitpunkt im heute nicht mehr erhaltenen Archidiakonat“ (Lessing-Museum, äußerer Rundgang).

Im Gegensatz zu der bei Büchner gewählten Formulierung „in diesem Haus“ wird im Lessing-Museum betont, dass das Geburtshaus nicht mehr erhalten ist, worin sich die Notwendigkeit einer Rechtfertigung ausdrückt, darzulegen, warum sich das Museum in dem heutigen Gebäude befindet und nicht in dem historisch bedeutsameren seiner Geburt. Ebenso wie bei Büchner werden zuerst das Geburtsdatum und sodann die Namen bzw. Daten der Eltern genannt. Mit den Ausführungen zu den familiären Verhältnissen der Autoren wird bereits zu Anfang der Ausstellungen geklärt, unter welchen Bedingungen sie aufgewachsen sind. Als Ausgangspunkt entwickeln diese Informationen für die übergreifenden Narrative im Laufe der musealen Erzählung zumeist eine nicht unerhebliche Bedeutung, indem in der Folge ge-

90 Dass es überhaupt Gemälde von Lessing und seinen Vorfahren gibt, macht bereits zu Ausstellungsbeginn deutlich, dass Lessing in keiner ganz unbedeutenden Familie aufgewachsen ist. Mit dem Zeigen der Gemälde soll folglich nicht nur ein Eindruck von Lessings Aussehen bzw. dem seiner Vorfahren vermittelt werden, sondern Lessing wird bereits gesellschaftlich-familiär verortet.

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schildert wird, wie sie aus den ihnen oftmals „zu eng geworden[en]“ (LessingMuseum, äußerer Rundgang) Heimatstädten oder -dörfern ausbrechen bzw. gesellschaftlich auf- oder absteigen. Allerdings ist nicht nur das Ausbrechen aus der ‚beengenden‘ Geburtsstadt wichtig, sondern auch die wiederholte Rückkehr, die zeigt, dass die Autoren zwar die Heimat verlassen haben – was oftmals im Sinne von Weltoffenheit gedeutet wird –, aber ebenso dorthin zurückgekehrt sind, gerade weil diese nach den Erfahrungen an anderen Orten ihre persönliche Bedeutung für sie behalten habe. In der Lessing-Ausstellung heißt es demgemäß: „Er [Lessing] behielt seine Geburtsstadt und seine Jugendzeit in guter Erinnerung“ (LessingMuseum, äußerer Rundgang). Auch in der Brecht-Ausstellung wird Augsburg als weiterhin für Brecht persönlich wichtige Stadt erzählt, nachdem er diese verlassen habe: „Hier [gemeint ist Augsburg] verbringt Brecht seine Kindheit und Jugend, und auch nach der Übersiedlung nach Berlin bis zur Emigration jedes Jahr mehrere Wochen und Monate“ (Brechthaus, „1898-1917. Die Eltern, Kindheit und Jugend“). „Mitte seines Lebens bleibt aber die Mansarde im Elternhaus, von dem er noch lange abhängig bleibt, und die Gruppe seiner Augsburger Freunde“ (ebd., „1918-1924. Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Umzug nach Berlin“).

Die Lessing-Ausstellung ist ähnlich wie diejenige zu Büchner so gestaltet, dass größere, optisch abgehobene Paratexte um die Ausstellungstexte herum arrangiert wurden, die Informationen zu der dort behandelten Zeit sowie dem Ort bzw. den Lebensumständen umfassen. So ist beispielsweise am oberen Teil der Ausstellungswand ein Zitat in deutlich größerer Schriftgröße angebracht, das die soeben beschriebenen ‚positiven Erinnerungen‘ an die Heimat zum Ausdruck bringt: „‚wo ich meine Jugend vergnügt zugebracht‘ (Lessing an Eva König, 5. März 1771)“ (Lessing-Museum, äußerer Rundgang). Da solche positiven Äußerungen über den Heimatort ihrer Geburt und Kindheit insbesondere in Museen vorzufinden sind, die sich an den Geburtsorten der Schriftsteller/innen befinden, lässt sich rückschließen, dass ihre Aufnahme in die Ausstellungen zur Hervorhebung der persönlichen Bedeutung des Ortes für die Schriftsteller/innen sowie damit einhergehend zur Legitimation des Museums an ebendiesem Ort dient. Grundsätzlich ist die Lessing-Ausstellung in fünf voneinander zu trennende Bereiche aufgeteilt: 1. ein sehr kleiner Vorraum, in dem Lessing und das Theater spielerisch aufgearbeitet werden können, 2. die Bildergalerie, 3. den äußeren Ausstellungsrundgang im Hauptausstellungsraum, der Lessings Leben gewidmet ist, 4. den ebenda befindlichen inneren Ausstellungsrundgang, in dem Lessings Werke wortwörtlich im Zentrum stehen, sowie 5. den Raum zur Rezeption Lessings. Leben, Werk und Rezeption des Schriftstellers werden somit als klar voneinander getrennte

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Bereiche ausgestellt und nicht, wie etwa in der Brecht-Ausstellung Leben und Werk miteinander verwoben und auf das Werk hin zugespitzt. Der äußere Ausstellungsrundgang gibt einen Überblick über Lessings Lebensstationen und ist chronologisch gegliedert nach seinen Aufenthaltsorten.91 Bereits im ersten Ausstellungsteil zu Lessings Kindheit und Jugend werden Momente betont, die darauf hinweisen, dass sich Lessings Werdegang als Schriftsteller schon in dieser frühen Lebensphase vorbereitete. Dementsprechend wird hinsichtlich des Unterrichts in Kamenz erwähnt, dass der Rektor „besonderes Augenmerk auf die sprachlichen Fähigkeiten der Schüler [gelegt habe], so dass Übungen im Reden, Schreiben und Dichten einen großen Stellenwert hatten“ (Lessing-Museum, äußerer Rundgang). In St. Afra habe sich Lessing im Selbststudium dann einer „umfangreichen Lektüre“ gewidmet und sei „vorzeitig von der Schule“ (ebd.) entlassen worden, weil er schon vor dem üblichen Ablauf der Schulzeit die für ein Studium nötigen Kenntnisse erworben habe. Das hier von Lessing konstruierte Bild zeigt ihn folglich als früh literarisch gebildet und schulischen ‚Überflieger‘. Die Lesart Lessings Biografie ist demgemäß von vorneherein eine, die Lessing als Schriftsteller verstehen will. Diesem Verständnis folgend studierte er Theologie nur „auf Wunsch der Eltern“ (ebd.) und wechselte schließlich auch das Fach. Im Gegensatz zu Wilhelm Raabe, wie später zu zeigen sein wird, führt Lessings ‚Selbstverwirklichung‘ jedoch nicht dazu, dass er sich voll und ganz seinem Schriftstellerdasein widmen kann: Lessing hat sich, so die Darstellung, wiederholt gegen widrige Umstände und die an ihn von außen gestellten Forderungen zu behaupten. So verlange der Vater eigentlich von ihm, dass er Theologie studiere, und sei „entsetzt“ (ebd.) über den Lebenswandel des Sohnes in Leipzig. Dass sich Lessing gegen den Vater durchsetzt, scheint aus der Erzählerperspektive eindeutig, wenn er, noch bevor der VaterSohn-Konflikt von ihm aufgelöst wird, hinsichtlich Lessings Interessen und Kontakten in Leipzig kommentiert: „Eine Vorentscheidung über Lessings weiteren Lebensweg war offensichtlich gefallen“ (ebd.). Allerdings sind die Probleme, die damit verbunden sind, dass Lessing schriftstellerisch tätig sein kann, mit Schlichtung des Vater-Sohn-Konflikts offenbar nicht überwunden, denn im weiteren Erzählverlauf werden besonders seine finanziellen Schwierigkeiten unterstrichen, die ihn dazu zwingen, seinen Lebensunterhalt auf andere Weise zu erstreiten.92 In der Her-

91 Die Abschnitte sind im Einzelnen: „Kamenz und Meißen 1729-1746“, „Leipzig und Wittenberg 1746-1752“, „Berlin und Breslau 1748-1767“, „Hamburg 1766-1770“ und „Wolfenbüttel und Braunschweig 1770-1781“. 92 Vgl. bspw.: „Obwohl sich Lessing in den Kreisen der Berliner Intellektuellen sehr wohl fühlte und seine Freunde ihn gern in Preußen gehalten hätten, ergab sich für den unkonventionellen Denker hier keine finanziell einträgliche Wirkungsmöglichkeit. Die Existenz als freier Schriftsteller, die er immer wieder zu leben versuchte, wäre ihm angemessen

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vorhebung Lessings finanzieller Probleme, aufgrund derer er neben der Schriftstellerei anderen beruflichen Tätigkeiten nachgehen musste, kristallisiert sich ein Narrativ um Lessing heraus, das ihn als Autor versteht, der sich zu Lebzeiten dauerhaft dafür einsetzen musste, überhaupt als Schriftsteller tätig sein zu können. Mit ihm wird also eine Art ‚Durchsetzungsnarrativ‘ verbunden. Das ebenfalls erwähnte Glücksspiel, dem Lessing gelegentlich nachging, verbesserte seine finanzielle Situation nicht – dass es innerhalb der Ausstellung erwähnt wird, zeugt davon, dass Lessing auch Schwächen zugestanden werden, die ihn menschlich machen sollen. Der Ausstellungsrundgang wird ganz im Sinne dieses ‚Durchsetzungsnarrativs‘ mit den Stationen in Hamburg, Wolfenbüttel und Braunschweig fortgesetzt. Hamburg wird einleitend als der Ort charakterisiert, mit dem Lessing in Hinblick auf das Theater „große[...] Hoffnungen und Erwartungen“ (ebd.) verbunden habe. Durch die Hervorhebung dieser „Hoffnungen und Erwartungen“, von denen nur ein Erzähler aus der Übersicht wissen kann, bereitet dieser vor, die Enttäuschung, die Lessing dort erlebt, besonders unterstreichen zu können. Ebenso kennzeichne Lessings Lebensabschnitt in Wolfenbüttel, dass in diesen „die glücklichsten wie tragischsten Momente in Lessings Privatleben“ (ebd.) gefallen seien. Für seine letzten Jahre in Wolfenbüttel wird resümiert, dass Lessing „geistige Impulse“ vermisst und „unter Einsamkeit und depressiven Stimmungen“ (ebd.) gelitten habe. Aus der Leserlenkung und dem Argumentationsgang des Erzählten kristallisiert sich das Narrativ eines Autors heraus, der im Laufe seines Lebens viel zu erleiden und zu erdulden hatte – wenngleich nicht in der Form wie Büchner, der verfolgt wurde und ins Exil gehen musste. Im Laufe des Rundgangs wurden mehrere, kleine inszenierende Elemente integriert, die thematische Aspekte des in den Texten Geschilderten aufgreifen und symbolisieren (vgl. Kap. 6.1.1). Für Lessings Schulzeit findet sich beispielsweise eine Schulbank in die Wand eingelassen, die zur Hälfte hervorragt, Lessings Glücksspiel wird im Abschnitt zu Berlin und Breslau durch Würfel und Karten symbolisiert. Auf die hintere Wand sind zwei Kutschen aufgemalt, bei denen an der Stelle, wo das Gepäck untergebracht wurde, jeweils eine Klappe in die Wand eingelassen ist, die man öffnen kann und in der sich Informationen zu Lessings Reisen befinden. Zwar gilt auch gegenwärtig ein weitgereister Mensch oft als gebildet und erfahren, doch hatten die Bildungsreisen zu Lebzeiten Lessings eine noch weit darüberhinausgehende Bedeutung. Insofern ist es durchaus von Relevanz, dass hier auf die Reisen Lessings im Umfang einer „Grand Tour“ (ebd.) eingegangen wird. Mit Blick auf die kleinen Inszenierungselemente lässt sich festhalten, dass diese

gewesen, doch fehlten ihr noch die gesellschaftlichen Voraussetzungen. [...] Im November 1760 trat er als Gouvernementssekretär in dessen [Generalmajor Friedrich Bogislaw von Tauentzien] Dienste und siedelte nach Breslau über“ (ebd.).

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mehr schmückenden denn weiterführenden Charakter haben. Sie sind insofern vergleichbar mit Illustrationen in literarischen Werken, die keine komplette Szene des Geschilderten darstellen – wie es beispielsweise im Büchnerhaus im „dritten akt“ der Fall ist –, sondern lediglich einzelne Aspekte symbolisch aufgreifen. Da Lessing vor allem als Autor der Aufklärung bekannt ist, wird diese Vorstellung im inneren Rundgang in den Titeln der vier Abschnitte aufgegriffen: „Fabelhaft aufgeklärt“, „Theatralisch aufgeklärt“, „Gelehrt aufgeklärt“ und „Vorurteilsfrei aufgeklärt“. Wie auch beim äußeren Rundgang ist der Haupterzählstrang in größerer Schriftgröße (mittig) zwischen den umklappbaren, in die Wand eingelassenen Tafeln abgedruckt. Hier erhalten die Besucher/innen generelle Informationen über die drei wichtigsten Schaffensbereiche des Autors: die Fabeln, Dramen und theoretischen Schriften. Auf den kleinen Tafeln wird dann auf einzelne Werke bzw. Ideen(-geber) und Figuren eingegangen, um den Schwerpunkt zu vertiefen. In konzeptioneller Hinsicht stellt damit der vierte Schwerpunkt zu Nathan der Weise (1779) eine Ausnahme dar. Als bekanntestes Werk wird ihm ein herausgehobener Stellenwert innerhalb der Ausstellung zuerkannt, der das hier von Lessing zu vermittelnde Verständnis spiegelt, denn Lessing wird gezeigt als Autor, der ethnische und ethische Schranken hinter sich lässt und sich der Aufklärung, Toleranz und humanistischen Idealen und Werten verpflichtete: So wird nicht nur darauf hingewiesen, dass er ein enges Verhältnis zu jüdischen Mitbürgern pflegte93 und im Nathan die Gleichberechtigung aller drei Weltreligionen vertrat,94 sondern im Kleineren beispielweise auch die erste sorbische Figur in deutschsprachiger Literatur auftreten ließ.95 Die Ausstellung abschließend widmet sich der letzte Raum der Rezeption Lessings. Seine Raumbezeichnung als „Die Bibliothek der schwebenden Bücher“ greift die zwei wesentlichen gestalterischen Elemente auf: Zum einen das Deckengemälde des Raumes mit den schwebenden Büchern, zum anderen, dass die gesamten Wände des Raumes mit inszenierten Bücherregalen ausgestaltet sind, in die integriert die chronologisch angeordneten Informationen zur Rezeptionsgeschichte Lessings dargeboten werden. Besonders hervorzuheben ist hier die in die Rezeptionsgeschichte

93 „In Berlin war Lessing nicht nur mit Moses Mendelssohn befreundet, sondern auch mit Aaron Salomon Gumpertz, einem vielseitig gebildeten Akademiker, der zu einem der Wegbereiter der jüdischen Emanzipation in Deutschland wurde“ (Lessing-Museum, äußerer Rundgang). 94 „Es ging ihm nun nicht mehr allein um die Emanzipation der Juden, sondern um die Gleichwertigkeit der drei monotheistischen Religionen und die humanistischen Werte der Aufklärung schlechthin“ (Lessing-Museum, innerer Rundgang). 95 „Daher gilt Anton [aus dem Stück Der junge Gelehrte] als der erste Sorbe in der deutschen Dramatik“ (Lessing-Museum, innerer Rundgang).

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integrierte Dokumentation der Erinnerungsstiftung an Lessing. Nicht nur die Rezeption Lessings Werke, die sich bei einem Dramatiker in erster Linie in der Darstellung der Inszenierungen der Stücke zeigt, wird hier aufgegriffen, sondern auch, wann und von wem beispielsweise die Errichtung von Denkmälern, Lessingstatuen oder gar die Einrichtung einer Lessing-Gedenkstätte initiiert wurde. Mithilfe dieser integrativen Darstellung wird nicht nur die Geschichte der Rezeption von Lessings Werken dargestellt, sondern darüber hinaus auch – quasi auf einer Metaebene – die Erinnerungsstiftung an den Autor, in deren Linie sich das Museum einreiht. 6.3.3 Ausstellung im Brechthaus Im Vergleich zur Lessing- und zur Büchner-Ausstellung folgt der Raum der Rezeption im Brechthaus unmittelbar auf die im ersten Raum als Wandtafel in Fächerform aufgestellte, ausführliche chronologische Übersicht zu Brechts Lebensstationen.96 Auf diese Weise werden vor der Hauptausstellung im Obergeschoss das Nachwirken und die Rezeption seiner Werke und Ideen, einer Prolepse ähnlich, vorweggenommen. Erzähllogisch muss damit die Bedeutsamkeit des Erzählten nicht erst noch im Laufe der Erzählung herausgestellt, sondern kann vielmehr im Weiteren vorausgesetzt werden. Diese Aufteilung erfüllt nicht nur dahingehend ihren Zweck, dass die Bedeutsamkeit des Autors Brecht vorweggenommen wird, sondern war vermutlich auch ausstellungstechnisch nicht anders zu organisieren, da die anderen Ausstellungseinheiten als chronologischer Durchgang im Vergleich zur Rezeption nur schwer voneinander zu trennen sind, die Räumlichkeiten aber entsprechende Vorgaben machen. Zugleich wird bereits im Raum zur Rezeption Brechts evident, dass der Schwerpunkt der Darstellungen auf seinem Schaffen in den Bereichen Drama und Theater liegen wird. So handelt es sich bei den an einer Wand gesammelten Zitaten zu Brecht ausschließlich um solche von internationalen Theaterregisseuren, die wiederum alle auf Brechts Bedeutung als Dramatiker eingehen. Auch die fremdsprachigen Plakate an den Wänden zeugen von den vielen verschiedenen Inszenierungen seiner Stücke in aller Welt. Die Fokussierung auf Brechts dramatische Werke und deren Inszenierungen setzt sich indes in der Hauptausstellung im Obergeschoss fort. Inhaltlich ist die Hauptausstellung des Brechthauses deutlicher an den Werken Brechts ausgerichtet, als dies bei den anderen Ausstellungen festzustellen ist. Zwar wird dort die chronologische Einteilung in die fünf Lebensabschnitte, die im ersten

96 Diese Stationen sind: „Die Eltern, Kindheit und Jugend“, „Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Umzug nach Berlin“, „Übersiedlung nach Berlin bis zum Beginn des Exils“, „Zeit des Exils bis zur Rückkehr nach Europa“ und „Von der Rückkehr nach Europa bis zum Tod in Berlin“.

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Raum im Erdgeschoss in der überblicksartigen Kurzchronologie (als Wandfächer) eröffnet werden, wieder aufgegriffen und räumlich umgesetzt,97 doch wird in allen Räumen Brechts literarisches Schaffen ins Zentrum gestellt. Dies manifestiert sich nicht nur in den entsprechenden Erläuterungstexten, sondern auch in den mannigfaltigen, längeren Zitaten aus seinen Werken sowie in den entsprechenden räumlichen Inszenierungen, die ebenfalls auf die Werke Bezug nehmen bzw. diese symbolisieren,98 und den vielen Fotos von Aufführungen seiner Stücke. Einzige Ausnahme stellt der Raum „Die Eltern, Kindheit und Jugend“ dar, in dem die Augsburger Zeit verhandelt wird. Brecht verfasst damals zwar bereits seine ersten Werke, doch liegt das Hauptaugenmerk der Darstellung noch auf der familiären Situation sowie der Schulzeit Brechts. Nichtsdestotrotz erfolgt hier die Überleitung zur Fokussierung auf Brecht als Schriftsteller, indem wiederholt auf frühe Ereignisse im Leben Brechts eingegangen wird, die für ihn und seine literarischen Auseinandersetzungen prägend gewesen sind. Indem beispielsweise auf „Brechts erste literarische Versuche“ (Brechthaus, „1898-1917. Die Eltern, Kindheit und Jugend“) sowie die Einflüsse der Lehrer auf später von Brecht geschaffene literarische Figuren eingegangen wird,99 wird die Erzählung zum Autor Brecht von vorneherein auf seine Tätigkeit als (gesellschaftskritischer) Schriftsteller ausgerichtet. Ähnlich wie bei Büchner, bei dem von den beengenden Lebensverhältnissen die Rede ist (s.o.), die ihn dazu motivieren, politisch aktiv zu werden, wird also auch bei Brecht die Basis für die gesellschaftspolitischen Ambitionen seiner literarischen Werke in seiner Kindheit und Jugend gesucht. Dementsprechend wird die Genese der Werke beschrieben

97

Indem die Struktur des chronologischen Überblicks über Brechts Leben im Erdgeschoss in der Hauptausstellung im Obergeschoss wieder aufgegriffen wird, erhält sie eine ähnliche Funktion wie ein Inhaltsverzeichnis bzw. ein einleitendes Vorwort, das bereits erste Einblicke in das ausführlichere Folgende gibt.

98

Es werden eben nicht – wie im dritten Raum der Büchner-Ausstellung (eine lebensgroße Figur aus Flechtwerk sitzt an einem Schreibtisch und seziert Barben) – Brechts Lebensumstände zu einem bestimmten Zeitpunkt inszeniert, sondern seine Werke bzw. deren Bühneninszenierungen.

99

„Der Königliche Gymnasiallehrer Franz Xaver Herrnreiter, dessen Name in Brechts Werk öfters erscheint, ist in der Sexta und Quarta sein Klassenlehrer. Herrnreiter unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte, Geographie und Latein. Wie auch sein Kollege Dr. Ledermann ist er die Personifizierung dessen, was Brecht in der Schule als bedrückend und quälend empfindet“ (Brechthaus, „1898-1917. Die Eltern, Kindheit und Jugend“).

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als eine in erster Linie politisch-idealistisch motivierte,100 angelegt bereits in der Jugend des Autors: „Bereits diese frühesten Texte [gemeint sind Brechts erste Texte um 1913; ARH] lassen ein Hinterfragen jener Werte, die ihm die bürgerliche Gesellschaft mitgegeben hat, erkennen. [...] wendet sich Brecht 1916 in einem Schulaufsatz mutig gegen die nationalistische Kriegsverherrlichung und die patriotische Opferbereitschaft“ (Brechthaus, „1898-1917. Die Eltern, Kindheit und Jugend“; Hervorh. ARH).

Mithilfe dieser stetig hergestellten Verknüpfungen von politischen Idealen und Vorstellungen des Autors mit seiner Literatur wird auch Brecht als politischer Autor skizziert – im Gegensatz zu Büchner allerdings nicht aufgrund einer rein politischen Schrift, sondern aufgrund seiner gesellschaftspolitischen und -kritischen Literatur. In den folgenden Räumen wird die chronologische Einteilung nach dem Schema des Wandfächers im Erdgeschoss, der einen kurzen Überblick über Brechts Biografie gegeben hat, beibehalten; die Struktur dieser Einteilung ergibt sich aus gesellschaftspolitischen Umbrüchen und Zäsuren sowie persönlichen Entwicklungen in Brechts Leben – beispielhaft sei hier die zeitliche Eingrenzung des zweiten Hauptausstellungsraums genannt „Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Umzug nach Berlin“ (Brechthaus, OG) – und den damit verbundenen Ortswechseln Brechts. Die Ausstellungswände in den einzelnen Räumen weisen verschiedene Textebenen auf, die optisch voneinander abgegrenzt sind. Einführend in den zeitlichen Schwerpunkt eines jeden Raumes ist ein Text in weißer Schrift auf rotem Untergrund abgedruckt und insofern deutlich abgehoben von den anderen Textebenen, die alle über einen weißen Hintergrund verfügen. Auf diese Weise ist der Haupterzählstrang innerhalb der Ausstellung, der eine grundsätzliche Orientierung durch die Räume bietet, leicht auszumachen. Alle weiteren Ebenen werden innerhalb der gesamten Ausstellung nicht in einheitlicher Weise voneinander unterschieden, allerdings werden die Ebenen in den verschiedenen kleineren Einheiten jeweils voneinander abgehoben, so dass über den einführenden Text hinausgehende Ausführungen des Erzählers von Bildunterschriften oder von Zitaten aus den Werken Brechts oder anderer Personen voneinander abgegrenzt werden können. Die Werkzitate als Form der exemplarisch arbeitenden Intertextualität sollen den Besucherinnen und Besuchern einen Einblick

100 Wie im folgenden Bsp.: „1926 beginnt Brecht sich mit der marxistischen Lehre zu beschäftigen und seine Theorie des ‚epischen Theaters‘ zu entwickeln, das einem kritischen Zuschauer die Abhängigkeit des Menschen von ökonomisch-politischen Verhältnissen und zugleich deren Veränderbarkeit demonstrieren will“ (Brechthaus, „19241933. Übersiedlung nach Berlin bis zum Beginn des Exils“).

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in das Schaffen des Autors in den jeweiligen Lebensabschnitten geben. Dass die literarischen Werke selbst immer wieder zitiert und eingebunden werden, korreliert mit der starken Ausrichtung am literarischen Schaffen Brechts insgesamt, das exemplarischer Auszüge bedarf, um Bedeutung entfalten zu können. Neben den mehrebenen Ausstellungstexten befindet sich in jedem Raum eine Inszenierung. Im ersten Raum ist es die durch Aufstellen der Schlafzimmermöbel der Mutter Brechts geschaffene semi-authentische historische Situation (vgl. Kap. 6.1.1). In den nachfolgenden Räumen handelt es sich demgegenüber um literarische Inszenierungen (vgl. Kap. 6.1.2). Letztere nehmen durchweg Bezug auf Brechts dramatische Stücke bzw. deren Bühneninterpretation. So lehnt sich die Ausstellungskulisse im zweiten Raum an das Bühnenbild von Trommeln in der Nacht (UA 1922) an, die balkenartigen Holzelemente wiederum stehen für Baal (UA 1923), im dritten Raum verweisen Gitterstäbe auf die Dreigroschenoper (UA 1928) und die Szenerie eines Boxrings auf Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (UA 1930). Im vierten Raum sind neben der als Zielscheibe gestalteten Planetenkonstellation, die auf Leben des Galilei (UA 1943) rekurriert, Inszenierungselemente zu sehen, die nicht auf das literarische Schaffen Brechts zielen, sondern auf seine Zeit im Exil: Über die Flaggen derjenigen Länder, in denen Brecht damals Station machte, hinaus wird auch eine gebogene Weltkarte mit seinen Aufenthaltsorten gezeigt. Im letzten Raum liegt ein Schwerpunkt auf dem Stück Mutter Courage und ihre Kinder (UA 1941), zu dem ein Bühnenbildmodell gezeigt wird und über der Ausstellungswand die Stationen innerhalb des Stückes auf Holzschildern angeschlagen sind; darüber hinaus ist auf dem Boden ein weißer Kreis aufgemalt, der den Kaukasischen Kreidekreis (UA 1954) symbolisiert. Die Inszenierungen nehmen stets Bezug auf die jeweils in den Räumen gebildeten inhaltlichen Schwerpunkte. Dabei stellen sie das in den Ausstellungstexten Geschilderte allerdings nicht konkret dar, etwa im Sinne eines Abbildes, oder belegen es, sondern verweisen, wie es für ein abstrahierendes Raumbild typisch ist, über das Gesagte hinaus und haben vielmehr symbolische Bedeutung. In der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Inszenierungen sich auf die dramatischen Arbeiten Brechts richtet, findet sich einmal mehr die bereits für den Rezeptionsraum festgestellte Schwerpunktlegung der Ausstellung bestätigt. Indem die Ausstellung einerseits auf die dramatischen Werke ausgerichtet ist, deren gesellschaftskritisches Potential stets unterstrichen wird, und andererseits zeigt, dass Brecht sich gerade aufgrund seiner literarisch-künstlerischen Tätigkeiten zunächst gezwungen sah, von München/Augsburg nach Berlin und später ins Exil zu gehen, wird innerhalb der Ausstellung eine Erzählung des Autors als politischer Literat gestaltet. Als durch die Ausstellung leitendes Narrativ kann daher die Bedeutsamkeit seiner dramatischen Arbeiten gelten, die diese aufgrund ihrer gesellschaftskritischen Komponenten erst erhielten bzw. die Erinnerung an den Autor heute im Wesentlichen bestimmen und rechtfertigen. Dass Brecht wegen seiner

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Schriften ins Exil gehen musste, macht ihn zu einem Schriftsteller, der sich im Sinne noch heute gültiger Werte in Gefahr gebracht und insofern für diese aufgeopfert hat. An den Beispielen Büchners und Brechts zeigt sich folglich, dass insbesondere, wenn Schriftsteller/innen zu Lebzeiten (heftig) kritisiert, verboten oder verfolgt wurden, dies in Ausstellungen aufgegriffen wird, um ihre prekäre, teils lebensbedrohliche Situation und damit ihr risikobehaftetes Engagement zu unterstreichen.101 Denn gerade, indem darauf verwiesen werden kann, dass es von diesem Zeitpunkt an, zu dem ein/e Autor/in als ‚umstritten‘ galt, eine diesen Zustand der gesellschaftlichen Marginalisierung dieser überwindende gesellschaftliche Entwicklung, einen Fortschritt gegeben hat, können die Fortschrittlichkeit dieser sowie ihre Durchsetzungskraft betont werden. Kritik und Widerspruch der Vergangenheit werden auf diese Weise retrospektiv umgedeutet in Weisheit, Vorausschau und Fortschrittlichkeit. Der Dichter wird zu einer Art Held stilisiert. 6.3.4 Ausstellung im May-Museum In der Ausstellung zu Karl May102 wurde im Gegensatz zu den oben vorgestellten Ausstellungseröffnungen kein klassischer Einstieg zur Geburt oder Kindheit des Autors gewählt, sondern ein Beginn in medias res – und das obwohl die Ausstellung mit „Karl May – Leben und Werk“ betitelt ist. Der erste Raum hinter dem Souvenirshop ist Karl Mays Reisen gewidmet. Begründet wird die Entscheidung für die Ausklammerung der ersten über 30 (!) Lebensjahre Mays von 1842 bis 1875 damit, dass man erstens mit der literarischen Laufbahn Mays habe beginnen und zweitens kein „Anti-Karl-May-Museum“ sein wolle, indem man die Straftaten und Prozesse ausbreite, sowie dass man drittens nach der Rückführung der Möbelstücke und der historisch getreuen Wiedereinrichtung seiner Wohnräume nur noch zwei weitere Räume für die Ausstellung zur Verfügung gehabt habe (vgl. Wagner [MayMuseum], Abs. 30). Demgemäß steigt die Ausstellung nicht über die Geburt des Autors ein, sondern es wurde ein Ansatzpunkt des Erzählens gewählt, der sich in vielen anderen literaturmusealen Einrichtungen in ähnlicher Weise, zumeist aber im

101 Dies ist beispielsweise auch beim Marieluise Fleißer gewidmeten Fleißerhaus der Fall. Zentral ist immer, dass sich einer prekären oder Leidensphase der Erfolg anschließt und damit der Fall eintritt, dass die Schriftsteller/innen sich durchsetzen. 102 Ich beziehe mich im Folgenden, da es in den vorliegenden Analysen primär um die konkreten Darstellungen der ausgestellten Schriftsteller/innen geht, ausschließlich auf denjenigen Ausstellungsteil, der sich in der „Villa Shatterhand“ befindet und sich mit Karl Mays Leben und Werk befasst. Auf die Bedeutung der Indianerausstellung in der „Villa Bärenfett“ und das dort vermittelte Bild bzw. die Wirkung der Konstellation des gesamten Museumskomplexes inklusive Außengelände gehe ich in Kap. 8.2.3 ein.

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Kontext der Rezeption findet: die Betonung der Relevanz bzw. Bedeutung des Autors und seiner Werke. So führt der erste Satz ein mit „Seit vielen Generationen gehört Karl May weltweit zu den meistgelesenen deutschen Schriftstellern“ (MayMuseum, erster Raum EG). Mit dieser Aussage, die Wahrhaftigkeit beansprucht, wird allerdings nicht nur die Bedeutung Mays betont, sondern auch ein traditionelles Moment seiner Literatur, das Generationen übergreifend wirksam sei. Der Satz behauptet demzufolge nicht einfach, dass May ein wichtiger und vielgelesener Autor ist, sondern er scheint mit der Formulierung „seit vielen Generationen“, die Tradition vermittelt, eine Art Beweis mitzuliefern. Neben der soeben zitierten, einführenden Texttafel „Karl May – Leben und Werk“ ist eine weitere Texttafel angebracht, die direkt zitierte Aussagen anderer Schriftsteller/innen, deren Namen nach den Zitaten genannt werden, versammelt.103 Sämtliche Zitate sind affirmativ und stützen die eingangs in den Raum gestellte These zur May-Rezeption in zweifacher Hinsicht: erstens, indem es sich bei den sich zu May äußernden Personen um ebenfalls bekannte Schriftsteller/innen handelt, und zweitens, indem diese unterschiedlichen Generationen angehören. Da keine kritischen Aussagen über May aufgenommen wurden, entsteht der Eindruck, dass die Bedeutung Karl Mays unstrittig und positiv sei. Die hier herausgestellte Bedeutsamkeit Mays als Schriftsteller wird im weiteren Ausstellungsverlauf mit Ausführungen dazu begründet, dass er mit seinen Werken das Indianerbild in Deutschland maßgeblich geprägt habe; hier findet seine diesbezügliche Alleinstellung besondere Betonung: „Das Indianerbild der Deutschen hat Karl May wie kein anderer geprägt. Mays literarische Vorbilder im Genre des im Wilden Westen angesiedelten Abenteuerromans, Schriftsteller wie Armand [...], der aus eigener Kenntnis der Verhältnisse schilderten, sind nahezu vergessen; einzig Karl May, der rein aus seiner Phantasie heraus den Westen und seine Bewohner, Rote und Weiße, lebendig werden ließ, hat unverwüstlich überlebt“ (ebd.).

Der Wortwahl dieses Beispiels sollte besondere Beachtung geschenkt werden, ist sie doch einem emotionalen und teilweise sogar mythischen Feld zuzuordnen: Die Begriffe „geprägt“, „vergessen“, „Vorbilder“, „rein“, „lebendig“ ebenso wie „unverwüstlich überlebt“ stilisieren May als einen Schriftsteller, der sich im Vergleich zu anderen als einziger (auf lange Sicht) durchsetzen konnte. Zugleich wird in weiteren Vitrinen und auf Texttafeln darüber aufgeklärt, dass Mays literarische Darstellungen nicht auf seinen eigenen Erfahrungen beruhten – wie er lange Zeit behauptete –, dass er erst spät und nach seinen erfolgreichsten Romanen Reisen nach Nordamerika sowie in ‚den‘ Orient unternahm und dass sein

103 Die beiden Texttafeln rahmen wiederum eine Büste Karl Mays, die auf einem Sockel zwischen den beiden ersteren aufgestellt wurde.

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Weltbild sowie seine danach verfassten Erzählungen durch letztere verändert wurden. Zu seiner Orientreise heißt es: „Die Reiseeindrücke veränderten Mays Lebensbild. Er sah sich unauflösbaren Widersprüchen ausgesetzt, die er im literarischen Schaffen ab 1901 zu bewältigen suchte“ (ebd.), beispielsweise in den Reiseerzählungen Et in terra pax (1904). Neben den schriftlichen Ausführungen zu Klara und Karl Mays Reisen haben die von ihnen mitgebrachten Objekte in diesem Raum eine große Bedeutung inne. Es handelt sich hierbei zum einen um besonders wertvolle und repräsentative Gegenstände und zum anderen um solche, die symbolisch für andere Kulturkreise stehen – wie die Wasserpfeife (Nargileh) für ‚den‘ Orient. Über ihre ursprünglichen Bedeutungs- und Nutzungszusammenhänge wird nicht oder nur sehr rudimentär aufgeklärt. Dass diese Dimension der Objekte, welche Scholze als Denotation bezeichnet, ausgeschlossen wird, verdeutlicht ihren Status: sie werden hier nicht als ethnographische Gegenstände gezeigt, mit deren Hilfe Wissen über andere Kulturen vermittelt wird. Im Gegenteil dienen sie vor allem repräsentativen Zwecken, teilweise aber auch als Objekte ungesicherter Assoziationen: „Assoziationen zum literarischen Werk Karl Mays wecken der Paradesattel eines Scheichs – Sujet für die in Jerusalem beginnende Erzählung ‚Schamah‘ – und eine Peitsche, deren sich Hadschi Halef Omar, eine literarische Figur Mays, bedient haben könnte“ (Karl-MayMuseum. Kurzführer durch die Ausstellung 1992, S. 33).

Als solche „Assoziationen“ werden die Objekte scheinbar als belegende Illustrationen eingesetzt, allerdings belegen sie nicht tatsächlich eine literarische Anlehnung Mays an die Objekte, vielmehr stellen sie diese Möglichkeit lediglich in den Raum. Sie simulieren folglich einen Objektstatus und eine Funktion innerhalb der Ausstellung, die ihnen eigentlich gar nicht zukommt – ähnlich den Theaterrequisiten in der Büchner-Ausstellung (vgl. Kap. 6.3.1). Dies lenkt den Blick zurück auf ihre zuvor erwähnte repräsentative Funktion. Der Eindruck, die Objekte dienten zuvorderst repräsentativen Zwecken, entsteht allerdings nicht nur dadurch, dass über den ursprünglichen Nutzungs- oder Sinnzusammenhang der Reisemitbringsel nicht aufgeklärt wird, sondern auch dadurch, dass es sich fast ausschließlich nicht um Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, sondern um Statussymbole handelt. Derart prachtvolle Objekte wie kunstvoll ausgearbeitete Waffen, ein Paradesattel oder festliche Gewänder sozial höher gestellter Personen demonstrieren nicht nur die gesellschaftliche Bedeutung ihres Ursprungskontextes. Sie transferieren auch auf ihren damaligen Besitzer, May, und ihren jetzigen Besitzer, das Museum, einen Teil dieser Bedeutsamkeit, die schmückende und repräsentative Wirkung entfaltet. Darüber hinaus erfüllen sie bereits dadurch repräsentative Zwecke, dass es sich um Gegen-

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stände ‚fremder‘ Kulturen und Länder handelt, die damit von einer Welterfahrung und -offenheit zeugen.104 Gerade dieser letzte Aspekt ist für das May-Museum, das auch ein Indianermuseum beherbergt, von zentraler Bedeutung, sollen doch „Völkerverständigung“ und „Toleranz“ als Leitlinien und Ziele des Museums nach außen kommuniziert werden: „Natürlich Völkerverständigung. [...] Also diese Toleranz, die stellen wir in den Mittelpunkt, und auch dass mit der Freundschaft Winnetou – Old Shatterhand eigentlich auch eine Brücke gebaut wird in diese Richtung der Freundschaft und Werteerziehung. Dass das christliche Werte sind, ist nicht zu verdenken, denn wir leben nunmal in einem christlich geprägten Europa und unabhängig, dass ich das jetzt meinetwegen nicht bin [konfessionell christlich; ARH], akzeptiere ich diese Grundeinschätzung, weil sie für mich eine Richtschnur sind des humanistischen Handelns und das versuchen wir zu vermitteln“ (Wagner [May-Museum], Abs. 74).

Neben den Reisen wird im ersten Raum die bekannteste literarische Figur aus Mays Literatur, Winnetou, ins Spiel gebracht. Interessant ist hier die räumliche Anordnung innerhalb des Raumes, da der einführende Text zu May sowie seine Büste vis à vis mit dem Text zu Winnetou und seiner Büste präsentiert werden. Auf diese Weise werden die zwei wichtigsten Personen bzw. Figuren über die Reisen erzählerisch verbunden und sogar auf eine Augenhöhe gestellt: Beiden ist ein eigener Text gewidmet, zu beiden wird eine Büste ausgestellt.105 Indem Winnetou zudem im Zusammenhang mit Mays Nordamerikareisen ausgestellt wird, wird die zuvor relativierte und falsche Vorstellung, May habe die Romane auf der Basis eigener Reisen und Erfahrungen geschaffen, allerdings wieder mit Leben gefüllt. Dieses Arrangement führt uns beispielhaft vor Augen, wie ‚alte‘ Erzählungen zwar einerseits – durch die oben beschriebenen schriftlichen Informationen – aufzulösen versucht werden, sich aber doch im Narrativ der Ausstellung in gewisser Weise fortsetzen. Denn die Abfolge der Vitrinen und Texte – 1. eine Vitrine zu Mays Nordamerikareise 1908, 2. eine Texttafel zu „Karl May und Amerika“, 3. eine Winnetou-Büste von Selmar Werner, 4. eine Texttafel zu „Winnetou“ und 5. eine Vitrine zu Winnetou(-Ausgaben) – suggeriert eine lineare, logische Abfolge, die die Vorstellung, May habe die Indianererzählungen auf seine Amerikareisen hin verfasst, stützt und nicht, wie in den Ausstellungstexten dargestellt, korrigiert. Somit wird zwar in den Ausstellungstexten die falsche Annahme, die Romane beruhten auf Mays Reiseer-

104 Vgl. dazu auch den Abschnitt zu Lessings Reisen in Kapitel 6.3.2. 105 Indem eine Büste von Winnetou gezeigt wird, wird suggeriert, es habe Winnetou als historische Person tatsächlich gegeben. Damit verändert sich allerdings auch die Wahrnehmung der Figur.

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fahrungen, berichtigt, Struktur und Abfolge der Ausstellungseinheiten und damit der Erzählung bleiben aber eben jenem Narrativ verhaftet. Der auf den „Reise“-Raum folgende Ausstellungsraum steht im Zeichen der Entwicklung Karl Mays literarischen Schaffens, vom Frühwerk über Lieferungsromane, Jugend- und Reiseerzählungen, seine Abkehr von Kolportage-Erzählungen, seinen Durchbruch, das Spätwerk, bis hin zum Verhältnis zu seinem Verleger, den Sascha-Schneider-Ausgaben und den Übersetzungen seiner Werke. In räumlicher Hinsicht wird allerdings die von May selbst geschaffene und prononcierte Legende, er selbst habe die von ihm literarisch verfassten Abenteuer erlebt und sei Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi, ins Zentrum gerückt. Erzähltechnisch ergibt sich damit ein weiterer bedeutsamer Kniff, indem Mays Werkgeschichte um die Ausstellung ebendieser Karl-May-Legende herum arrangiert wird. Alles scheint sich um die mit der Legende verbundenen Erzählungen zu drehen, ohne die Mays Werk vermutlich auch nicht zu einer so langfristigen Rezeption gekommen wäre. Die Vitrine in der Mitte des Raumes ist in Form eines Triptychons aufgebaut, das die Gewehre mit den beiden fiktiven Figuren, deren Identität May temporär für sich beanspruchte, vereint. Über der linken Seitenvitrine ist der zitierte Ausspruch „Ich bin wirklich Old Shatterhand...“ zu lesen, der über der rechten Seitenvitrine mit „...resp. Kara Ben Nemsi“ fortgeführt wird.106 Die mittige Vitrine (vgl. Abb. 10) ist mit „Die berühmtesten Gewehre der Welt“ überschrieben und bewahrt (von links nach rechts) „Silberbüchse“, „Bärentöter“ und „Henrystutzen“ auf. In den Vitrinen sind unter anderem Teile der Kostüme Mays sowie Fotos zu sehen, auf denen er diese trägt und mit einer der ausgestellten Waffen abgebildet ist. Im Kontext dieser Triptychon-Vitrine wird nicht noch einmal auf die Legende selbst eingegangen. Mays Selbstinszenierungen bleiben hier vom Erzähler unkommentiert, so dass der Eindruck einer Unmittelbarkeit entsteht: Karl May scheint hier selbst zu sprechen, was auch die direkten Zitate ohne Quellenbenennung unterstützen: „Ich bin wirklich...“.

106 Allein das kleine, noch dazu abgekürzte Wort „resp.“ erzeugt natürlich eine gewisse Ironie auf die Selbstinszenierung Mays, hebt es doch allzu deutlich hervor, dass gerade die Mehrfachidentifikation mit verschiedenen literarischen Figuren die Glaubwürdigkeit schmälern müsste.

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Abb. 10: Die mittig im Raum aufgestellte Vitrine mit den „berühmtesten Gewehren der Welt“

Bei den Räumen in der „Villa Shatterhand“, die wieder mit originalen Möbelstücken ausgestattet wurden, handelt es sich im Erdgeschoss um den Empfangsraum und im Obergeschoss um die ehemalige Bibliothek Mays sowie sein Arbeitszimmer und das Zimmer von Klara May. Sie dienen laut dem Leiter des Museums vor allem dazu, „das Lebensgefühl der damaligen Zeit nachzuempfinden“ (Wagner [MayMuseum], Abs. 8). Begehbar sind die wiedereingerichteten Räume selbst allerdings nicht. Sie können lediglich durch Glasscheiben bzw. über Absperrungen hinweg eingesehen werden, ähnlich Objekten in Glasvitrinen. Sie stellen die ‚Haupttexte‘ dar. Die außen angebrachten Texttafeln haben eine paratextuelle, kommentierende und kontextualisierende Funktion. Die Relevanz letzterer für die Lesart der Räume sollte deswegen jedoch nicht unterschätzt werden, bilden sie doch den Rahmen für die historisch-authentischen Inszenierungen und füllen diese erst mit ‚Leben‘. Dabei werden nicht bloß die Räumlichkeiten mit der gegenwärtigen Ausstattung erklärt, sondern es wird in Form von Analepsen auch von ursprünglichen Zuständen der Räume erzählt. Im Falle des Arbeitszimmers Mays wird dies mit seinem Ein-

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stellungswandel in Folge seiner Orient-Reise begründet.107 Dass die räumliche Veränderung infolgedessen überhaupt thematisiert und auf das ursprüngliche Mobiliar sowie die Ausstattung mit tierischen Fellen, Waffen etc. eingegangen wird, macht deutlich, wie wichtig die damalige Einrichtung im Zusammenhang der Legendbildung und Selbstinszenierung Mays gewesen ist. „Alle Welt zu überzeugen, daß er im Wortsinne die Abenteuer Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis erlebt habe, förderte Karl May die Legende auch bei der Einrichtung seines Arbeitszimmers. Ein ausgestopfter Löwe, Bärenfelle, exotische Wandbehänge, zahlreiche Waffen aus aller Herren Länder – darunter „die drei berühmtesten Gewehre des Wilden Westens“ – und andere fremdländische Gegenstände ließen keinen Zweifel, daß hier ein weitgereister und vielerfahrener Mann an einem Schreibtisch saß, der genau für seine Körperhöhe gearbeitet war“ (May-Museum, OG „Arbeitszimmer Karl Mays“).

Die Zimmer in der gegenwärtigen Ausgestaltung würden diese Funktion der vorangegangenen Einrichtung schließlich nur unzureichend wiedergeben. Wenngleich also das Arbeitszimmer nicht in dem Zustand, wie es von Mitte der 1890er Jahre bis ca. 1906 bestanden hat, gezeigt wird, geht der Ausstellungstext auf ebendiesen Zustand ein und fokussiert damit zum wiederholten Male Mays Selbstinszenierung. Darüber hinaus werden die damals im Raum befindlichen Objekte im obigen Zitat zwar eindeutig als zu Zwecken der Selbstinszenierung identifiziert. Nichtsdestotrotz wird der Eindruck, der damals mithilfe der Raumausstattung hervorgerufen werden sollte – May sei ein „weitgereister und vielerfahrener Mann“ –, hier durch die Formulierung nicht relativiert, da eine faktische Aussage getroffen wird: „ließen keinen Zweifel“. An diesen wie den oben bereits aufgeführten Beispielen wird evident, dass die Legende um Karl May als derjenige Autor, der seine literarischen Abenteuer selbst erlebt habe, weiter den musealen (Erinnerungs-)Diskurs bestimmt. Im Hinblick auf die Frage, was und wie an Schriftsteller/innen erinnert wird, ergibt sich damit ein aufschlussreiches Bild: So wird die Erinnerung an den Schriftsteller Karl May bestimmt von Legenden. Besonders die Tatsache, dass May im Laufe seines Lebens wiederholt zu Täuschungsversuchen griff – er nutzte beispielsweise auch einen Doktortitel, den er nicht erworben hatte –, scheint ein Faszinosum zu sein, das die Erinnerung an den Autor am Leben hält. Indem diese Legenden innerhalb der Aus-

107 „Nach der Orientreise (März 1899 bis Juli 1900) änderte sich Mays Lebenseinstellung. Ein Teil der ‚Reisetrophäen‘ wurde aus dem Zimmer verbannt, Bilder seines neuen Freundes Sascha Schneider als Zimmerschmuck sollten inspirierend wirken“ (MayMuseum, OG „Arbeitszimmer Karl Mays“).

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stellung allerdings nicht nur in einem aufklärerischen Sinne aufgegriffen werden, sondern selbst wiederum zu Inszenierungszwecken erzählerisch mit Leben gefüllt werden, erfolgt nur bedingt eine Distanzierung vom ‚Mythos May‘. Anstatt ihn rein wissenschaftlich zu betrachten, macht man sich seine erfundenen Selbsterzählungen zunutze und repetiert sie in der Ausstellung, um über einen attraktiven erzählerischen Ansatzpunkt zu verfügen. Ein Großteil der Erzählung Karl Mays im Museum fußt somit auf den von dem Autor selbst geschaffenen Legenden.108 6.3.5 Ausstellung im Kleist-Museum Die Dauerausstellung des Kleist-Museums hebt sich von den obigen insofern ab, als zuerst auf die Werke – und zwar zunächst auf rein sprachlich-analytischer Ebene, dann auf inhaltlicher – und erst darauf folgend im alten Gebäudeteil109 auf den Autor und seine verschiedenen Lebensabschnitte eingegangen wird. Der erste Text der Ausstellung führt daher zunächst in die Struktur der Ausstellung und die ihr zugrundeliegenden Prinzipien ein: „Die Ausstellung präsentiert Leben und Werk des Schriftstellers Heinrich von Kleist (17771811) räumlich getrennt. Seine Dichtungen und Schriften werden unabhängig von ihren Entstehungs- und Wirkungskontexten betrachtet, um sie als eigenständige Kunstwerke zu würdigen. Die Ausstellung lädt zur Erkundung der einzigartigen Sprache Kleists und seiner Textwelten ein. Ohne vorgefertigte Bilder anzubieten, ermöglicht sie persönliche Zugänge zu seinem Werk, die den individuellen Akt des Lesens spiegeln. Kleists Leben wird in seinem historischen Umfeld präsentiert. Jeder Raum widmet sich einem biographischen Abschnitt. Zäsuren setzen dabei die verschiedenen, Kleist vorgegebenen oder von ihm selbst gewählten Lebensmodelle. Die wenigen erhaltenen Dokumente ergeben jedoch keine vollständige Chronik, und auch manche Motive seines Handelns bleiben im Dunkeln. Die Ausstellung basiert ausschließlich auf gesicherten Kenntnissen, Lücken sowie Fragliches der Überlieferung werden gekennzeichnet“ (Kleist-Museum, Einführender Ausstellungstext).

Es handelt sich bei diesem Text nicht im eigentlichen Sinne um den Zentraltext, sondern um einen Paratext, der den Leserinnen und Lesern Hinweise gibt, welche Aspekte innerhalb der Ausstellung wichtig sind, welche Bereiche überhaupt ange-

108 Inwiefern diese Strategie auch in dem über die Ausstellung hinausgehenden Programm des Museums eine Rolle spielt, wird in Kap. 8.2.3 näher erläutert. 109 Das Kleist-Museum wurde 2013 durch einen Neubau erweitert. Ursprünglich befand es sich ausschließlich in der ehemaligen Garnisonsschule in der Faberstraße. Im Anbau befindet sich der Ausstellungsteil zu Kleists Werk, in der Garnisonsschule derjenige zum Leben Kleists.

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sprochen werden und wie die Ausstellung im Groben strukturiert ist. Er gibt somit eine Art ‚Leseanleitung‘ für die Ausstellung. Zunächst wird die Intention des ersten Ausstellungsteils benannt, die der „Erkundung der einzigartigen Sprache Kleists und seiner Textwelt“ diene, „ohne vorgefertigte Bilder“ zu liefern, dafür „persönliche Zugänge“ fördernd. Daraufhin erfolgt die Begründung, warum nicht mit Kleists Leben begonnen wird, sondern mit dem Werk, denn „Kleists Leben wird in seinem historischen Umfeld präsentiert.“ Die Struktur der Ausstellung ergibt sich somit aus der Aufteilung der Gebäude, deren Neubau (Kleists Werk gewidmet) bei einem Besuch vor dem Altbau (der ehemaligen Garnisonsschule, die zu Kleists Geburtsjahr erbaut wurde) betreten werden soll. Dass die ehemalige Garnisonsschule als Kleists „historische[s] Umfeld“ bezeichnet wird, suggeriert eine unmittelbare Verbindung des Ortes zu Kleists Leben. Diese ist allerdings nicht in Quellen gesichert; es wird lediglich vermutet, dass Kleist sich zwischenzeitlich in der Garnisonsschule aufgehalten haben könnte.110 Damit wird eine Argumentationsweise zur Legitimation des Unterbringungsortes eines Ausstellungsteils verfolgt, die nicht historisch abgesichert ist. Im Anschluss daran wird darauf hingewiesen, dass der zweite Ausstellungsteil einem chronologischen Durchgang durch die verschiedenen Lebensstationen Kleists folge. Relativierend wird jedoch schon hier angemerkt, dass Kleists Leben grundsätzlich viele Leerstellen lasse, die auch von der Forschung nicht zu schließen seien. Dieser Hinweis wird sich hinsichtlich des unmittelbar darauf formulierten Anspruchs, sich lediglich auf „gesicherte[...] Kenntnisse“ zu berufen, bei genauerer Betrachtung noch als bedeutsam herausstellen.111 Mit diesem letzten Satz wird schließlich ein wissenschaftlicher Anspruch des Museums mit Blick auf seine Darstellungen innerhalb der Ausstellung evident. So bietet der einführende Text nicht nur Orientierung, sondern ist zugleich eine museumspolitische Positionierung. Indem von „Methoden, Theorien, Fragestellungen, Quellen und Begriffe[n]“ (Rüth 2012, S. 34) die Rede ist, wird eine Analogie zu den Anforderungen an geschichtswissenschaftliche Erzählungen hergestellt. Die literaturmuseale Ausstellung soll folglich wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Das Kleist-Museum demonstriert auf diese Weise sein Selbstverständnis als ein Museum, das sich in der wissenschaftlichen Traditionslinie verortet. Der einführende Paratext verrät darüber hinaus noch mehr, kann er doch als reflexiver, die eigentliche Kleist-Erzählung rahmender Text verstanden werden. Der Erzähler gibt hier nämlich offen zu erkennen, dass er nicht allwissend ist, sondern dass er vielmehr selbst auf Überliefertes angewiesen ist, das er (lediglich) aufarbei-

110 Vgl. dazu den ehemaligen Leiter, Wolfgang de Bruyn: „[...] und man kann zumindest auch sagen, dass Kleist durchaus mal hier gewesen sein könnte, in der Zeit hier in Frankfurt/Oder“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 2). 111 Vgl. dazu die Ausführungen zur Kleist-Ausstellung weiter unten.

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tet und weitergibt.112 In einem solchen Gebärden manifestiert sich auf anschaulichste Art und Weise, welchen Ansprüchen offenbar eine von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geschaffene Erzählung zu gehorchen hat. Keinesfalls darf der Erzähler als unzuverlässig aus dem Erzählten hervorgehen, eher werden Leerstellen preisgegeben. Im Ausstellungsteil zum „Leben“ Kleists heißt es daher beispielsweise zu seiner Kindheit: „Heinrich von Kleists Kindheit wurde durch zwei Ereignisse gerahmt: Taufe und Konfirmation. Über den Zeitraum dazwischen besitzen wir keine gesicherten Kenntnisse“ (Kleist-Museum, „Leben“).113 Auch mit der abschließenden Inszenierung zu Kleists Doppelmord an Henriette Vogel und sich selbst im letzten Raum weicht die Kuratorin nicht von dem Grundsatz ab, nur „gesicherte Erkenntnisse“ weiterzugeben, basiert sie doch auf polizeilichen Protokollen. Der Einstieg in den ersten Teil der Kleist-Ausstellung, die Werke, erfolgt in medias res und kann als eine Art wissenschaftlicher Metatext zu Kleists literarischen Werken verstanden werden, denn hier wird die in seinen Werken verwendete

112 Mit den Hinweisen auf die quellengeschichtlich ungesicherten Lebensabschnitte Kleists werden Defizite expliziert, die auch die Wissenschaft nicht zu beheben weiß, die in anderen Ausstellungen und Publikationen aber oftmals schlicht übergangen und überspielt werden. Hierdurch vollführt die Ausstellung eine wichtige wissenschaftliche Reflexion, indem ‚der Wissenschaft‘ der Spiegel vorgehalten und offen ausgesprochen wird, dass auch sie nicht in alles Dunkel Licht zu bringen vermag. Allerdings wird mit der Betonung des offenen Umgangs mit den quellengeschichtlichen Lücken zugleich auch suggeriert, dass die Erzählung an den übrigen Stellen – dem Großteil des Dargestellten – gesichert sei. Dieses Gesicherte ist dann aber nicht mehr in Frage zu stellen und präsentiert sich als die eine Wahrheit. Damit ergibt sich ein recht klassischer Trugschluss, den die Geschichtswissenschaft mittlerweile vielfach reflektiert: Geschichtsschreibungen scheinen gerade aufgrund ihrer Arbeit mit Quellen vergangene ‚Wahrheiten‘ herauszuarbeiten, tatsächlich generieren sie jedoch lediglich auf der Basis ihrer Anhaltspunkte, den Quellen, eine Erzählung. Grundsätzlich könnte aber jede dieser Erzählungen auch anders erzählt werden. Vgl. dazu bspw., was Hayden White unter emplotment versteht: „Das emplotment verknüpft heterogene Erfahrungs- und Wissenselemente zu einer mehr oder weniger einheitlichen Ganzheit, die eine kontinuierliche Abfolge einzelner Ereignisse suggeriert. Die narrative Syntheseleistung, die das emplotment impliziert, begründet den konstruktiven Charakter von Erzählungen. Aus demselben Repertoire vorgängiger Ereignisse können durch unterschiedliche Formen der narrativen Konfiguration verschiedenartige Erzählungen konstruiert werden“ (Neumann 2008, S. 526; Hervorh. i.O.). 113 Diese Aussage wird im selben Raum unter dem Reiter „Tradition“ sogar noch einmal wiederholt, wenn es dort heißt: „Über seine Kindheit existieren nur sehr wenige und größtenteils unsichere Zeugnisse.“

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Sprache genauer betrachtet. Ein solches Vorgehen ist für eine literaturmuseale Ausstellung äußerst ungewöhnlich: Wie soeben geschildert, stellen die anderen Einrichtungen – zumindest einführend – den ausgestellten Autor ins Zentrum und beginnen mit einer einleitenden Passage zu Geburt und/oder Kindheit der Dichter/innen. Ihre Werke werden eher auf inhaltlich-konzeptioneller Ebene angesprochen, nur selten wird auf sprachliche Aspekte eingegangen. Demgegenüber folgt dem oben zitierten, kurzen Einleitungstext der Ausstellungsraum zur „Sprache“ in Kleists Werk, beginnend mit dem Satz: „Kleists Sprache ist einzigartig“ (Kleist-Museum, „Sprache“). Dieser Satz beansprucht von seiner Aussagenart her Gültigkeit. Es handelt sich folglich um eine als faktisch inszenierte Aussage, die suggeriert, beweisbar zu sein. Im Kontext der Ausstellung dient er zu Anfang des Teils zur „Sprache“ in Kleists Werken vor allem als Grundlegung und Rechtfertigung dafür, warum im Folgenden detaillierter auf einzelne sprachliche Gestaltungen eingegangen werden soll. Im Gegensatz zum Ausstellungsbereich zu Kleists „Leben“ kommt in diesem Ausstellungsteil zur „Sprache“ keine Erzählung im eigentlichen Sinne zustande; die Texte verbleiben auf einer analytischen, germanistischen Lehrbüchern ähnelnden Vermittlungsebene. Im folgenden Beispiel, der einführenden Passage zum Bereich „Wortschatz“, sind sogar deutliche Parallelen zu Strukturen in gängigen sprachwissenschaftlichen Artikeln zu erkennen: „Wörter setzen sich aus Morphemen, den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, zusammen. Man unterscheidet zwischen freien Morphemen, die als eigenständiges Wort auftreten, und gebundenen Morphemen (Vor-, Nachsilben, Endungen). Wörter transportieren sowohl eine gegenständliche, bezeichnende Bedeutung als auch eine kontextabhängige assoziative, wertende Bedeutung“ (Kleist-Museum, „Sprache“, Text zum „Wortschatz“).

Zum Vergleich sei hier die Definition des Begriffs „Morphem“ aus einem linguistischen Lehrbuch zitiert: „Der wichtigste morphologische Grundbegriff ist der des Morphems. Unter einem Morphem versteht man im Allgemeinen ein einfaches sprachliches Zeichen, das nicht mehr in kleinere Einheiten mit bestimmter Lautung und Bedeutung zerlegt werden kann“ (Meibauer u.a. 2002, S. 29). Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei einem Blick auf weitere Texte in diesem Ausstellungsteil: „Seit Ende des 18. Jahrhunderts dominiert der Blankvers in deutschsprachigen Dramen. Er ist ein reimloser Vers, der zwischen fünf betonten und fünf unbetonten Silben wechselt und stets mit einer unbetonten Silbe beginnt [...]“ (Kleist-Museum, „Sprache“, Text zur „Verslehre“). „Ein Satz setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Diese stehen in bestimmten Abhängigkeitsverhältnissen zueinander und werden nach festen Regeln verknüpft. Subjekt, Prädikat, Objekt, Adverbialbestimmung, Attribut sind die wichtigsten Bestandteile eines Satzes; sie können in Form von Wörtern, Wortgruppen oder neben- und untergeordneten Sätzen auftreten“ (ebd., Text zum „Satzbau“).

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„Sprache wird im Druck visuell dargestellt. Schriftbildgestaltung umfasst beispielsweise Elemente wie Größe und Art der Schrift, Zeilenabstand, Textmengen pro Seite, Absätze, Hervorhebungen, Orientierungshilfen und Papierqualität [...]“ (ebd., Text zur „Schriftbildgestaltung“).

In den zitierten Auszügen werden entweder wie im ersten Beispiel Definitionen dargeboten, die als Grundlage für die analytischen Erläuterungen zu Kleists Werken zu verstehen sind, oder es werden literaturgeschichtliche Entwicklungen bzw. Produktions-/Druckbedingungen von Literatur dargestellt. Diese sachlichen, wissenschaftsnahen Ausführungen werden daraufhin exemplarisch an Werkauszügen gezeigt, indem neben einer Erläuterung zum konkreten Beispiel auch der Text selbst abgedruckt und so bearbeitet worden ist, dass das optische Arrangement die Beispielanalyse unterstützt. Es wurde folglich ein exemplarisch arbeitendes, analytisches Darstellungsverfahren gewählt. Abb. 11: Zur Gleichzeitigkeit in Kleists Werk(en)

Die Abb. 11 zeigt ein entsprechendes Beispiel zum Komplex „Erzähltheorie“, bei dem auf der linken Seite zunächst grundlegende Informationen zum Erzählen referiert werden, darunter das spezifische Phänomen der „Gleichzeitigkeit“ in Kleists Werken erläutert wird und auf der rechten Seite ein exemplarischer Auszug aus

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Prinz Friedrich von Homburg (UA 1821) abgedruckt ist, der das theoretisch Erläuterte anschaulich werden lässt: Durch die transparenten, übereinander liegenden Seiten, welche sich wegblättern lassen, kann die Gleichzeitigkeit optisch nachvollziehbar gemacht werden, da sich die gleichzeitig verlaufenden Erzähl- und Handlungsebenen voneinander trennen und sich wieder zusammenfügen lassen. Die Anlage des Ausstellungskonzepts dieses ersten Raumes fordert von den Besucherinnen und Besuchern, dass sie nicht als bloße Betrachter in der Ausstellung verweilen, sondern aktiv werden, blättern, lesen und wieder blättern. Ein solcher Museumsbesuch beansprucht Zeit und Auseinandersetzung, wenn er zur Wirkung kommen will. Zudem ist der sprachwissenschaftliche Duktus, der hier im Gegensatz zu einer erzählenden Ausstellungshaltung gewählt wurde, anspruchsvoller als letzterer. Darüber, dass eine solche Ausstellung auch problematisch sein und die Besucher/innen überfordern kann, sind sich die Verantwortlichen offenbar bewusst, wenn sie diese selbst als „Wagnis“ beschreiben.114 Der auf den Raum zur „Sprache“ folgende Raum zu Kleists „Werk“ weist ebenfalls ausstellungstechnische Besonderheiten auf. Der sachlich-analytische Mitteilungsgestus scheint sich hier im Einleitungstext zunächst fortzusetzen, da im Stile einer Auflistung Kleists Werke in Zahlen gefasst werden: „Heinrich von Kleists Gesamtwerk umfasst acht Dramen (darunter ein Fragment), acht Erzählungen, zwei Aufsätze, 29 Gedichte, zwölf kleinere Schriften, drei Fabeln, 55 Epigramme, eine Idylle, 17 Anekdoten, 68 journalistische und 23 redaktionelle Beiträge sowie neun Albumeinträge und 235 (im Wortlaut erhaltene) Briefe. Die literarischen und journalistischen Texte entstanden zwischen 1802 und 1811“ (Kleist-Museum, „Werk“).

Es folgt daraufhin ein ebenso langer Absatz zu inhaltlich-thematischen Kernelementen in Kleists literarischen Werken, wobei „vier Themenkomplexe“ als zentral herausgestellt werden, zu denen es im Raum wiederum jeweils einen eigenen Ausstellungstext gibt: „Zufälligkeit“, „Recht und Gerechtigkeit“, „Allgegenwärtigkeit von Gewalt“ und „Fragen der Identität“ (ebd.). Diese vier Ausstellungstexte bleiben allerdings ebenso wie der Einleitungstext zum Komplex „Werk“ auf einer sehr allgemeinen Ebene und stellen keine expliziten exemplarischen Bezüge zu den Werken her. Um die impliziten Anspielungen – wie „Auf welches Recht beruft sich eigentlich ein rechtsbrüchiger Dorfrichter?“ („Recht“) oder „Ein Erdbeben zerstört vermeintlich festgefügte kirchliche und staatliche Einrichtungen.“ („Zufall“) – zu

114 Zur Dauerausstellung „Rätsel. Kämpfe. Brüche. Die Kleist-Ausstellung“ (Webseite des Kleist-Museums)

[http://www.heinrich-von-kleist.org/kleist-museum/aktuelle-ausstel

lungen/#c4797, zuletzt abgerufen am 08.07.2014].

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verstehen, müssen die Werke bereits bekannt sein; andernfalls regen sie maximal allgemein philosophische Fragen an. Bei Betreten des Raumes erwartet die Besucher/innen eine Landschaft aus Gitterstäben, die sie auf einen linearen Weg durch die Ausstellung zwingen und ihnen nicht die Wahlmöglichkeit lassen, welchen thematischen Bereich sie sich als nächstes erschließen möchten. Auf dem vorgegebenen Weg werden von den Besucherinnen und Besuchern durch Bewegungsmelder Audioaufnahmen mit Auszügen aus Kleists Werken gestartet, die zum Verweilen und Zuhören anregen sollen. Der Gang durch den Werk-Raum wird durch die Installation zu einer besonderen, klar geregelten „Dramaturgie“ (vgl. Hanak-Lettner 2011), die zwar ein Zurück und Vorwärts, aber kein Zurseite erlaubt. Somit bleiben die Besucher/innen zwar die Aktiven, sich Bewegenden und Suchenden, wie sie Werner Hanak-Lettner im Rahmen seiner Analysen der „Ausstellung als Drama“ skizziert hat (vgl. ebd., S. 131), allerdings ist die Dramaturgie hier eine Vorgeschriebene. Indem die Besucher/innen auf den einen Pfad durch die Gitterstäbe gezwungen werden, entsteht für sie eine Ausweglosigkeit bzw. Vorgegebenheit ihres Weges, der zugleich repräsentativ für die von Kleist empfundene Enge in der Welt stehen kann. Die unerwarteten Schrägen im Boden verstärken den physischen Effekt und weisen auf einen Lebensweg mit Höhen und Tiefen, mit Unebenheiten und Widerständen hin, unterstützt von der diffusen, flackernden Beleuchtung, die thematische Aspekte wie die „Gewalt“ und die in den Werken vorkommenden „Katastrophen“ betonen. Die durchaus als performativ zu bezeichnende Inszenierung, treten doch die Besucher/innen in Interaktion mit der Installation und lösen gewisse mediale Elemente aus, unterstützt auf diese Weise das in der Tragödie des Doppel(-selbst-)mordes endende Narrativ zu Kleists Leben und Werk. Die vier folgenden Räume weisen demgegenüber ein eher klassisches literaturmuseales Ausstellungskonzept auf, indem in chronologischer Abfolge in Form einer geschlossenen Erzählung – von der Geburt bis zum Selbst- bzw. Doppelmord – auf die Lebensstationen Kleists eingegangen wird. Der Erzähler tritt allerdings nicht als Erzähler in den Hintergrund, sondern scheint immer wieder aus seinem Erzählten hervorzutreten, wenn er, wie oben beschrieben, auf Lücken in der Quellenlage hinweist, oder wie in der Darstellung zu Kleists Entscheidung, sein Lebenskonzept zu ändern, kommentiert: „Die Zweifel verband er mit einem Gedanken der Philosophie Immanuel Kants, indem er – allerdings nicht sehr schlüssig – daraus ableitete, es gebe überhaupt keine Wahrheit auf Erden“ (Kleist-Museum, „Leben“, „Liebe und Bildung“; Hervorh. ARH). Der Erzähler gibt hier eindeutig zunächst die Sicht- und Argumentationsweise Kleists wieder, enthält sich aber, wie am Einschub deutlich markiert, nicht einer eigenen Wertung. Die Kommentierung hätte auch so erfolgen können, dass der Erzähler dabei weniger stark hervorgetreten wäre. Indem er ebenso jedoch nicht verfährt, inszeniert er sich selbst als eigenständiger Erzähler, der zwar von der Figur Heinrich von Kleist erzählt, aber deren Ansichten nicht unre-

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flektiert einfach übernimmt bzw. wiedergibt. Ein so klares Hervortreten des Erzählers ist in den Ausstellungen selten, im Regelfall wird lediglich implizit kommentiert bzw. werden die Leser/innen gelenkt. Eine solche Lenkung lässt sich dann insbesondere durch die Begriffswahl oder den logisch-argumentativen Aufbau der Erzählung erzielen. Im Haupttext zum Raum „Liebe und Bildung“ gebraucht der Erzähler entsprechend gleich zwei Mal hintereinander Formulierungen, die die Zwänge, die auf Kleist einwirkten, betonen: „Nun [nach der Verlobung mit W. Zenge] war er Student und Dozent zugleich, denn als Bräutigam übernahm er die Aufgabe, seine Braut zu seiner Ehefrau heranzubilden. Mit Blick auf die zukünftige Familiengründung hatte er außerdem die Pflicht, eine Anstellung zu finden“ (ebd.; Hervorh. ARH).

Der zeitlich darauffolgende Studienabbruch sowie die Entscheidung, auf Reisen zu gehen, werden somit als logische Konsequenz entfaltet, was am Gebrauch der Formulierung „stellte er seinen bisherigen Lebensentwurf [...] endgültig in Frage“ deutlich wird. Die Bezeichnung des darauffolgenden Raumes, „Stationen“, ist Kleists Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft geschuldet – er versucht sich sowohl als Bauer als auch im Staatsdienst –, die sich in diesem zeitlichen Abschnitt von 1800 bis 1807 besonders deutlich zeigt und ihn nie lange an einem Ort bleiben lässt. Materiell werden die Reisen und Stationen dadurch symbolisiert, dass die einzelnen Vitrinen zu den Stationen als aufgeklappte Koffer115 inszeniert sind und eine der vier Wände komplett mit einer Europakarte zu Kleists Zeit tapeziert ist, auf der die Stationen markiert sind und der Reiseverlauf nachvollzogen werden kann. Die „Rätsel“,116 welche Kleist der Forschung aufgibt, werden im Zusammenhang seiner wiederholt wechselnden Reiseziele und -pläne besonders betont, wenn der Erzähler wieder angibt, „Anlass und Grund der Reise“ nicht zu kennen (Kleist-Museum, „Stationen“, „1800 Würzburg“) oder für bestimmte Zeiträume „keine gesicherten Angaben über seinen Verbleib“ zu haben (ebd., „1802 Schweiz“). Die Überbetonung der Lücken in Kleists Lebenslauf wirkt beinahe pedantisch und stilisiert Kleist auf diese Weise zu einer Figur, die den nachfolgenden Generationen rätselhaft bleiben muss und die auf diese Weise etwas Mythisches erhält. Während es zunächst also scheint, dass mit den Hinweisen im Sinne von wissenschaftlich-ethischen Grundsätzen agiert wird, die dazu dienen, Lücken nicht zu überspielen, sondern

115 Die Koffer signalisieren zudem eine Einteilung in (zeitliche) Erzählabschnitte, wie es bei der Gliederung einer literarischen Erzählung in Kapitel der Fall ist. 116 Die Dauerausstellung, welche seit dem 18. Oktober 2013 zu besichtigen ist, trägt den Titel „Rätsel. Kämpfe. Brüche.“

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sichtbar zu machen, können sie jedoch auch genau ihr Gegenteil bewirken, nämlich den Mythos um den ‚rätselhaften‘ Kleist bestärken, indem gerade auf die vielen, einzelnen Leerstellen hingewiesen wird. Dass es schwerfällt, sich auf eine eindeutige Lesart Kleists Leben festzulegen, wird jedoch auf komische Weise in die Überspitzung getrieben, wenn zum Beispiel links neben dem gut lesbaren Haupttext der Koffer-Station „1800 Würzburg“ ein scheinbar aufgesprühter, blasser Text noch soeben lesbar ist: „Kleist fährt nach Würzburg, um seine Vorhautverengung operieren zu lassen, / Industriespionage zu betreiben, / das Casino zu sprengen“ (Kleist-Museum, „Stationen“, „1800 Würzburg“). Abb. 12: Links oben im Kofferdeckel: Ungesicherte Aussagen werden nur in blasser, schemenhafter Schrift abgedruckt, um deren ungesicherten Status optisch zu unterstreichen

Diese übertrieben plakativen und kurzen um zu-Sätze, die gleich drei skandalträchtige Aspekte auf einmal umfassen und in einer Art Klimax angeordnet sind, zeugen von einem ironisch-parodierenden Umgang mit und Blick auf die sich um Kleist rankenden Mythen und Erzählungen. Da Kleist für seine Würzburg-Reise nicht nur keinen Grund angab, sondern diesen in seinen Briefen sogar verheimlichte, wurden die verschiedensten Spekulationen über den Anlass der Reise angestellt. Hier kom-

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mentiert der Erzähler zwar nicht, aber er scheint sich über ebendiese Spekulationen, welche einen skandalträchtigen Grund vermuten, lustig zu machen und von ihnen zu distanzieren (dafür spricht die Klimax). Dass die Schrift im Gegensatz zu den ‚gesicherten‘ Aussagen blass und schemenhaft ist, weist einmal mehr darauf hin, dass es sich hier um Aussagen handelt, die anders geartet, eben nicht nachweisbar und deshalb im Schriftbild weit weniger klar und deutlich sind. Die Aussagen, die zunächst also ebenso als geschriebener Text vorkommen wie andere, werden erstens durch die Stilistik bzw. den Satzbau, zweitens durch den optischen Unterschied im Schriftbild als Varianten unzuverlässigen Erzählens gekennzeichnet, denen der museale Erzähler offenbar weder folgen, noch sie vorenthalten möchte.117 Zu erwähnen sind schließlich die in der Kleist-Ausstellung eingesetzten Tablets, die als zusätzlich zu den Ausstellungen abrufbare Paratexte verstanden werden können. Die Besucher/innen können immer nur begrenzt wählen, welche Texte sie angezeigt bekommen: die Technik registriert jeweils, an welcher Station sich die Besucher/innen befinden und ruft dann die dazu konzipierten Seiten mit den Hintergrundinformationen auf. Diese beziehen sich nicht unmittelbar auf Kleists Leben, sondern auf das gesellschaftspolitische und kulturelle Weltgeschehen zum jeweiligen Zeitpunkt, dem sich eine Vitrine bzw. Station widmet. Mithilfe der Tablets können so Informationen, die einen klassischen Ausstellungstext überfrachten würden, für Interessierte nachgeliefert werden.118 6.3.6 Ausstellung im Grass-Haus Das Grass-Haus versteht sich in grundsätzlicher Weise nicht als rein literarisches Museum, sondern widmet sich in seinen Dauerausstellungen explizit der Mehrfachbegabung von Günter Grass sowie in Sonderausstellungen anderen Künstlerinnen und Künstlern, die ebenfalls eine Mehrfachbegabung aufweisen. Entsprechend werden im Rahmen der Dauerausstellungen literarisches und bildkünstlerisches Werk möglichst paritätisch ausgestellt. So zieht sich die enge Verwobenheit von literarischem und bildkünstlerischem Werk durch die gesamte Ausstellung, indem deren Inhalte und Motive miteinander verknüpft und neben der Darstellung seiner Litera-

117 Im letzten Raum befindet sich eine historische Inszenierung zu Kleists Mord an Henriette Vogel sowie seinem Selbstmord. Vgl. dazu Kap. 6.1.1. 118 Teilweise ist es jedoch schwierig, zwischen den Informationen und der Lebenssituation Kleists einen Bezug herzustellen. Beispielsweise wird bei der Station „1801 Reise nach Paris“ auf dem iPad unter der Kategorie „Welt“ folgende Information eingeblendet, die keinen unmittelbaren Bezug zu Kleist und seiner Paris-Reise zu haben scheint: „4. März. Amtseinführung des 3. Präsidenten der USA, Thomas Jefferson“.

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tur, ihres Entstehungskontextes und der Rezeption immer auch die bildkünstlerischen Werke gezeigt werden. Während dieses Narrativ der Doppel- bzw. Mehrfachbegabung in den ersten beiden Dauerausstellungen allerdings noch im Mittelpunkt stand, sind neben diesem in der aktuellen Dauerausstellung zwei weitere Aspekte maßgebend: zum einen Grass’ Rolle als gesellschaftskritischer Autor der Nachkriegsgesellschaft, zum anderen seine Vergangenheit im Nationalsozialismus – sowie wiederum die Verbindung zwischen diesen beiden Aspekten. Bereits die Einstiege der vergangenen und der aktuellen Dauerausstellung unterscheiden sich diesbezüglich erheblich voneinander: In der Dauerausstellung „Bildwelten des Günter Grass“, die von 2007 bis 2012 zu sehen war,119 erfolgte im Flur hinter dem Verkaufsraum neben einem biographischen Überblick zu Günter Grass eine kurze Einführung in die Begründung, warum für das Grass-Haus das oben beschriebene Konzept von Doppel- bzw. Mehrfachbegabungen gewählt wurde. Im Vorraum, in dem sich gegenwärtig die Inszenierung des Kuratorenschreibtisches befindet (vgl. Kap. 6.2.3), wurden damals noch Grass’ „Produktionsbereiche“ („Schreiben“, „Zeichnen“, „Druckgrafik“ und „Bildhauerei“) im Überblick ausgestellt. Die Ausstellung widmete sich in erster Linie der Aufklärung darüber, dass Grass ursprünglich aus dem bildkünstlerischen Bereich komme – und seinen künstlerischen Tätigkeiten in diesem Feld nicht nur nebenbei neben der Schriftstellerei nachgegangen sei. So hieß es beispielsweise: „Obwohl sich Grass in den Ausbildungsjahren vorwiegend als bildender Künstler versteht, widmet er sich gleichzeitig bereits der Literatur“ (ehemalige Dauerausstellung 2007-2012 im Grass-Haus, „Literatur und Bildende Kunst im Frühwerk“). Eindeutig wurde als Ausgangspunkt und Basis seiner künstlerischen Tätigkeiten also der bildkünstlerische, nicht der schriftstellerische Bereich angeführt.120

119 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung habe ich beide Dauerausstellungen besichtigt und analysiert. 120 Der Eindruck, dass dem Geschriebenen das Bildkünstlerische vorausgehe, wird auch in einem anderen Ausstellungstext der vorangegangenen Dauerausstellung lanciert, wobei das Zeichnen hier zugleich funktionalisiert erscheint: „Für Günter Grass stehen Schreiben und Zeichnen in Bezug zueinander. Es sind nicht nur zwei verschiedene Ausdrucksformen, derer er sich bedient, sondern das Zeichnen erfüllt eine Funktion für das Schreiben und im Schreiben greift er Themen auf und erweitert sie, die ihn zuvor bereits in seinen Grafiken beschäftigt haben. Der studierte Bildhauer und Grafiker überprüft nach eigenen Angaben geschriebene Metaphern durch Zeichnungen“ (ehemalige Dauerausstellung 2007-2012 im Grass-Haus, „Bildwelten des Günter Grass“).

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Während seine Mehrfachbegabung durch die vorangegangene Ausstellung leitete,121 ist es gegenwärtig der Zwiespalt um Grass, der sich dadurch ergibt, dass er einerseits innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft Jahrzehnte lang als das ‚Gewissen der Nation‘ galt, andererseits selbst eine problematische nationalsozialistische Vergangenheit hat – wie sich erst 2006 herausstellte. Um der Uneinheitlichkeit der Wahrnehmung des Autors und dem um ihn geführten Disput gerecht zu werden, wird in dem Durchgang zum hinteren Gebäudeteil nicht mehr auf die Grundkonzeption des Hauses eingegangen, sondern als Spiegel eben jener widersprüchlichen Rezeption eine äußerst disparate Zitatsammlung angeboten, die das Spektrum der Meinungen zu Günter Grass abbildet. Neben den abgedruckten Zitaten werden weitere Stellungnahmen zu Grass über einen Lautsprecher vorgelesen. Bereits hierin wird deutlich, dass ein mehrperspektivischer Ansatz für die neue Dauerausstellung gewählt wurde, der auch Kritiker/innen von Grass als potentielle Besucher/innen einplant. Während solche Zitaträume oder -wände in der literaturmusealen Ausstellungspraxis durchaus Gang und Gäbe sind, ist es hingegen unüblich, neben für die Reputation der Schriftsteller/innen positiven Aussagen auch solche (in großer Zahl) aufzunehmen, die im Gegenteil eher kritisch sind. Im GrassHaus entsteht auf diese Weise eine polyphone Situation, die den Disput um den Schriftsteller abbildet und durch die die Einrichtung vermeiden kann, als „hagiographische Anstalt“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 22) und unkritischer Fürsprecher des Autors (miss-)verstanden zu werden. Die Ausstellungsgestalter/innen nehmen so potentielle Kritik vorweg und konstruieren ein Bild von der Einrichtung, das sich durch eine im Hinblick auf den Autor autonome und differenzierende Strategie auszeichnet. Während in der Kleist-Ausstellung selbstreflexive Momente literaturmusealen Erzählens in der Thematisierung der mangelhaften Quellenlage aufscheinen, erfolgt die Selbstreflexion in der Grass-Ausstellung auf kuratorischer Ebene.122 Dazu wird

121 In der 2012 eröffneten Dauerausstellung „Das Ungenaue genau treffen“ wird der Komplex der Doppelbegabung weiterhin als ein Schwerpunkt gezeigt – zum einen in Bezug auf den ausgestellten Autor im Hauptausstellungsraum mit dem Titel „‚Bin ich nun Schreiber oder Zeichner?‘ Literatur und Bildende Kunst“, zum anderen in einem kleinen Nebenraum, wo ein Überblick über die bereits im Grass-Haus in Sonderausstellungen gezeigten Mehrfachbegabungen geboten wird – wenngleich dieser nicht mehr das Hauptnarrativ bildet. 122 Auch in der Storm-Ausstellung finden sich Stellen, in denen die eigene Arbeit offen reflektiert wird. So wird in einem Ausstellungstext zu Storms Bibliothek ausgeführt, dass sich nur ein Teil der originalen Bibliothek Storms in den hauseigenen Archiven befinde, man aber versuche, den Bestand zumindest um äquivalente Ausgaben zu ergänzen; genannt werden zudem Archivierungsmethoden und -grund: „Im Archiv wird die gesamte

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die Ausstellung grundsätzlich als Rahmen- und Binnenerzählung organisiert: In einem durch Glasscheiben und -türen vom eigentlichen Ausstellungsraum abgetrennten kleineren Vorraum stellt der Kurator sich selbst aus, er erzählt von sich selbst. Die Ausstellung beginnt folglich mit einer autodiegetischen Erzählung. Inszeniert wird hier die Situation, in der sich der Kurator befindet, wenn er eine neue Ausstellung konzipieren muss. Dazu werden im Wesentlichen zwei Elemente inszeniert: Zum einen der Schreibtisch des Kurators mit den einem Brainstorming ähnlich ungeordneten, vielfältigen Ideen, und zum anderen das Archiv bzw. der museale Bestand, repräsentiert durch ein Regal, in dem sich verschiedene, mit dem Autor Grass in Verbindung zu bringende Objekte befinden, ohne dass diese bereits beschriftet, kommentiert oder in einer besonderen Reihenfolge angeordnet wären. Schreibtisch und Regal sind räumlich so angeordnet, dass der Blick des am Schreibtisch Sitzenden auf das Regal fällt. Auf diese Weise wird durch das räumliche Arrangement der Inszenierung eine Erzählung kreiert, der zufolge bei der Konzeption einer Ausstellung die thematischen Ideen des Kurators in ein wechselseitiges Verhältnis mit den potentiell auszustellenden Objekten gebracht werden. Die Ideen des Kurators finden sich in unterschiedlich farbigen Kreisen unmittelbar auf der Tischplatte und der dahinterstehenden Bank abgedruckt. Weder die Ideen, noch die Situation werden kommentiert, was dazu dient, die den Kurator beschäftigende zentrale Frage nach der Verbindung des Was und des Wie innerhalb der Ausstellung auf die Besucher/innen zu übertragen. Diese sollen im Idealfall dazu angehalten werden, sich in den Kurator hineinzuversetzen und zu erkennen, wie schwierig es ist, diese beiden Aspekte – Gemengelage der Ideen und musealen Bestände – in eine schlüssige Ausstellung zu gießen. Um die ausgestellte Szenerie richtig einschätzen zu können, werden die Besucher/innen bei Eintritt in diesen Raum von einer Person in Empfang genommen, die sie, neben den Hinweisen auf Schließfächer und Garderobe, in die Inszenierung inhaltlich einführt und darauf verweist, dass es sich um die Darstellung der Ausgangssituation des Kurators bei der Neukonzeption einer Ausstellung handelt. Im Hauptausstellungsraum, den die Besucher/innen durch die Glastüren erreichen und der bereits bei Besichtigung des ersten Raumes stets sichtbar ist, befindet sich schließlich die Ausstellung zum Autor und Künstler Günter Grass, die Binnenerzählung. In der Grass-Ausstellung werden somit eine Rahmen- und eine Binnenerzählung geschaffen, die eine doppelte Ausstellungsperspektive ermöglichen. Zunächst auf einer Metaebene die Inszenierung der selbstreflexiven Perspektive des

Bibliothek – soweit ihre Bestände rekonstruiert werden können – auf Karteikarten erfaßt; ermittelte, aber fehlende Bücher werden nachgekauft, diese sind also nur ‚wie‘ aus Storms Bibliothek. Die Bücher stellen eine wichtige Quelle zur Erforschung von Storms geistiger Welt dar“ (Storm-Haus, „Poetenstübchen“).

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Kurators, die den Besucherinnen und Besuchern dessen Voraussetzungen, aber auch Schwierigkeiten bei der Konzeption einer Ausstellung vermitteln soll. Sogleich fällt der Blick dabei aber auch schon prolepsenartig durch die Glasscheibe in den Hauptausstellungsraum, in dem das Resultat der dargestellten Arbeitsszenerie zu sehen ist. Der Erzähler innerhalb der Ausstellung wird durch diese Inszenierung als Kurator explizit benannt und bleibt keine abstrakte Stimme. Die Aufforderung zur Identifikation oder zumindest zum empathischen Hineinversetzen in den Kurator wird dadurch noch verstärkt, dass die Besucher/innen über das nächste auszustellende, thematische Modul mit abstimmen und so tatsächlichen Einfluss auf die Ausstellung nehmen dürfen. Sie werden zu Kuratorinnen und Kuratoren, zumindest was die Bestimmung der nächsten zu zeigenden thematischen Einheit betrifft. Durch die Strukturierung der Ausstellung in thematische Module123 liegt über das Konzept von Rahmen- und Binnenerzählung hinaus im Vergleich zu den meisten anderen Ausstellungen keine lineare, chronologische Erzählweise vor. Erzählt wird nicht Grass’ Leben, das aufgrund der Tatsache, dass der Autor zum Zeitpunkt der Eröffnung der Ausstellung noch lebte, auch nicht ‚klassisch‘ mit dem Tod hätte enden könnte, sondern erzählt wird in Episoden und aus für Grass besonders relevanten Bereichen wie Politik, Nationalsozialismus und bildender Kunst. Die IdeenKreise, wie sie auf dem Kuratorenschreibtisch symbolisch für ein Brainstorming aufgemalt sind, werden als Form in der Hauptausstellung wieder aufgegriffen und können so als einzelne Weiterführungen und schließlich Realisierungen aus der Sammlung ersterer gelesen werden. In Abb. 13 ist als Beispiel das thematische Modul „Geschlechterverhältnisse in Wort und Bild“ zu sehen. Schräg darüber wird der erste Satz aus Grass’ Roman Der Butt (1977) zitiert: „Ilsebil salzte nach“ (ebd., S. 9).124 In dem halb abgedruckten Ideenkreis, der sich farblich deutlich von der Wandfarbe abhebt, ist der einführende Modultext abgedruckt.125 Rechts daneben befinden sich hier wie bei den anderen

123 Folgende Module waren zum Besichtigungszeitpunkt zu sehen: „Der Nationalsozialismus und seine Folgen“, „Skandale“ und „Politisches Engagement“, „Literatur und Bildende Kunst“, „Geschlechterverhältnisse in Wort und Bild“. 124 Dieser Satz gewann 2007 in der Kategorie „Erwachsenenliteratur“ den Wettbewerb „Der schönste erste Satz“. Nachzulesen auf der Homepage zum Wettbewerb: http://www.der-schoenste-erste-satz.de/1_derwettbewerb.php, zuletzt abgerufen am 06.09.2016. 125 Der Modultext lautet: „Weiblichkeit und Geschlechterverhältnisse stellt Grass äußerst facettenreich dar und bietet damit immer wieder Anlass zu Kontroversen. // Der Themenkomplex wird durch einzelne Figuren in der Danziger Trilogie (1959-63) vorbereitet und bildet den Schwerpunkt des Romans Der Butt, der 1977 erscheint. Vor dem Hintergrund der Neuen Frauenbewegung entfaltet der Schriftsteller darin eine Geschichte

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Modulen Zeichnungen von Günter Grass, die dem Modulthema zuzuordnen sind. Im vorliegenden Fall zeigen sie die Episode der Vergewaltigung im Butt. Das im Vordergrund zu sehende Pult bietet multimedial aufbereitet die Möglichkeit, sich weiter zu dem Themenfeld Geschlechterverhältnisse in Wort und Bild“ zu informieren. In Schubladen unter dem Pult sind darüber hinaus Originaldokumente – wie Handschriften, Zeichnungen etc. – untergebracht. Abb. 13: Blick auf eines von fünf Ausstellungsmodulen („Geschlechterverhältnisse in Wort und Bild“)

der Geschlechter von der Steinzeit bis in die Gegenwart. Das Buch lässt sich gleichermaßen als Loblied auf die Frau wie auch als Warnung vor einer zunehmenden Anpassung von ‚typisch‘ weiblichen an männliche Verhaltensweisen lesen. Im Kapitel Vatertag schildert Grass in grotesker Überzeichnung, wie eine Frau von ihren Geschlechtsgenossinnen vergewaltigt wird. // Fünf Jahre nach der Veröffentlichung fertigt er 22 Litografien zu der Episode an“ (Grass-Haus, Modul „Geschlechterverhältnisse in Wort und Bild“).

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Insgesamt umfasst die Ausstellung fünf thematische Module, wobei jährlich zu Grass’ Geburtstag ein Modul gegen ein neues ausgewechselt wird.126 Die Module setzen sich stets aus drei Elementen zusammen: Sie umfassen erstens jeweils einen ‚Ideen-Kreis‘ mit dem Hauptausstellungstext, in dessen Überschrift das Modulthema genannt wird – in obigem Beispiel war dieses „Geschlechterverhältnisse in Wort und Bild“. Daneben wurden zweitens thematisch passende Bilder von Grass angebracht sowie drittens ein Pult mit Touch-Screen und Schubladen installiert.127 Die Bedienung dieser Touch-Screens funktioniert analog zum Öffnen von Fächern und Schubladen: Überschriften und Bilder müssen angeklickt und ausgewählt werden. Über diese Aktionen werden Informationstexte, weitere Bilder, Fotos, Zeichnungen, Hörbeispiele und Videos zugänglich, sodass detailliertere Informationen sowie unterschiedliche mediale Formate zur Verfügung stehen. Unterhalb der Touchscreens, in die Tische dieser eingelassen, befinden sich Schubladen, in denen unter Glas Originaldokumente gezeigt werden. Gemäß der grundlegenden Ausrichtung des Grass-Hauses, als Ort der Doppelbegabungen zu fungieren – die volle Bezeichnung des Museums lautet „Günter Grass-Haus. Zentrum für Literatur und bildende Kunst“ –, werden nicht allein die literarischen Werke Grass’ im Rahmen der Module behandelt, sondern auch seine bildkünstlerischen Arbeiten eingeflochten. In jeden ‚Ideen-Kreis‘ ragen Kunstwerke des Autors hinein, die thematisch passen. Die Erzählung ist folglich stets darauf ausgelegt, neben Grass’ literarischer Auseinandersetzung auch die bildkünstlerische zu zeigen und diese miteinander zu verflechten. Für die Selbsterzählung der Einrichtung ist eine solche Strategie konstitutiv, da sie sich über die Ausstellung Günter Grass’ Doppelbegabungen hinaus zur Aufgabe gemacht hat, auch andere Doppelbegabungen, die zumeist nur aus einem ihrer künstlerischen Tätigkeitsbereich bekannt sind, zu zeigen.128 Um also dem selbst gestellten Anspruch, sich Literatur und bildender Kunst gleichermaßen zuzuwenden, gerecht zu werden, muss dieser auch konzeptionell in der Dauerausstellung berücksichtigt werden.

126 Die Besichtigung der Dauerausstellung erfolgte zeitnah nach der Eröffnung, so dass alle Module vom Kurator bestimmt wurden und noch keine Besucherabstimmung über eines der Module stattgefunden hatte. 127 Neben dem Touch-Screen auf dem Pult ist ein weiterer Text abgedruckt, der ähnlich demjenigen innerhalb des ‚Ideen-Kreises‘ an der Wand eine einleitende und Überblicks-Funktion hat, allerdings bereits etwas weiter ins Thema einführt. 128 Vgl. dazu die Vielzahl der in den letzten Jahren organisierten Sonderausstellungen, die im Obergeschoss veranstaltet werden und – um ein weiteres quantitatives Argument als Beleg dafür einzubringen – in Quadratmetern eine beinahe so große Ausstellungsfläche einnehmen wie der Raum mit der Hauptausstellung zu Günter Grass im Erdgeschoss.

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Die Module sind jeweils mit direkten Zitaten überschrieben, die entweder aus Grass’ Werken stammen129 oder bei denen es sich um realhistorische Zitate Grass’ handelt.130 Durch letztere kommt der Autor persönlich zu Wort, noch bevor der Kurator seine Ausführungen beginnt – wenngleich auch in die Darstellungen des Kurators wiederholt Zitate des Autors eingebunden werden und dieser so zum Sprechen gebracht wird. Das ermöglicht dem Erzähler, (historisch-gesellschaftliche) Sachverhalte darzustellen und, ohne direkt für die Position Grass’ zu sprechen, dessen Perspektive einfließen zu lassen. Das bedeutet allerdings nicht, dass es sich hier um einen distanzierten Erzähler handelt; im Gegenteil gebärdet er sich empathisch, indem er seine Schilderungen aus der Übersicht immer wieder um interne Fokalisierungen ergänzt, wenn er Grass’ Perspektive und Emotionen in seine Darstellungen integriert, wie im folgenden Beispiel: „Die Kapitulation Deutschlands und damit das Kriegsende am 8. Mai 1945 empfindet der Autor als ‚Befreiung von Angst‘“ (Grass-Haus, Modul „Der Nationalsozialismus und seine Folgen“). Indem Grass als ein Mensch beschrieben wird, der durch die Kapitulation von seiner „Angst“ befreit wird, wird er zugleich als ohnmächtig gegenüber dem NS-Regime gekennzeichnet. Darüber hinaus offenbart sich an den gewählten Formulierungen, dass der Erzähler ein Fürsprecher des Künstlers ist, wenn er von der „Leistung“ (Grass-Haus, TouchScreen-Station „Der Nationalsozialismus und seine Folgen“) und der „Sehnsucht nach seiner Heimat“ (ebd.) spricht. Grass wird hier unabhängig von seiner eigenen aktiven Beteiligung am Krieg durch seine SS-Mitgliedschaft, die erst nach der Jahrtausendwende bekannt wurde, als der Autor gezeichnet, wie er vor Bekanntwerden seiner Beteiligung wahrgenommen wurde: er bricht „mit den Mythen um den Nationalsozialismus, zeigt, inwiefern sich auch gewöhnliche Bürger schuldig gemacht haben“, und schildert „Folgen der Vertreibung und Ermordung jüdischer Mitbürger [...] als besonders schmerzliche Erfahrung und kulturellen Verlust“ (ebd.). Grass’ Vergangenheit ebenso wie die sich um ihn rankenden Skandale seiner literarischen Frühphase (vgl. dazu Gansel 2012a) werden offen angesprochen – wie Carsten Gansel zudem gezeigt hat, „zielt das verfolgte ‚Prinzip Erinnerung‘ im Spätwerk (‚Im Krebsgang‘, ‚Beim Häuten der Zwiebel‘) – entgegen der vermeintlichen ‚Aufstörung‘ – darauf, sich in Übereinstimmung mit dem hegemonialen Erinnerungsdiskurs zu bringen“ (ebd., S. 173). Explizit zum Thema gemacht werden die Skandale in dem Modul, „‚Seitdem gelte ich als umstritten‘ Skandale“.131 Dort geht

129 So bspw. „Ilsebil salzte nach“ aus Der Butt (1977, S. 9). 130 Beispielhaft ist das Zitat zum Modul „Skandale“ zu nennen: „Seitdem gelte ich als umstritten“. Es handelt sich hierbei um ein Zitat Grass’ aus der Lesung zur Nobelpreisverleihung im Jahr 1999. 131 Innerhalb dieses Moduls kann über den zugehörigen Touchscreen folgenden Unterkategorien nachgegangen werden: „Die Blechtrommel (1959)“, „Katz und Maus (1961)“,

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es um die Provokationen Günter Grass’ durch seine Werke und Stellungnahmen. Es wird diesbezüglich seine gesellschaftskritische Leistung herausgestellt, die in der zeitgenössischen Rezeption hingegen vermehrt zu Ablehnung und Aufstörungen132 führte, was durch die Grenzüberschreitungen des damaligen Erinnerungsdiskurses hervorgerufen wurde (vgl. ebd., S. 174ff.). Zugleich handelt es sich um eine geschickte Konstellation der Ausstellungsmacher/innen, bei der diejenigen Skandale, bei denen es um die Verstrickungen Grass’ zur NS-Zeit geht, neben solchen stehen, in denen Grass die deutsche Gesellschaft und ihre Resignation gegenüber den Gräueltaten und Verbrechen der Nationalsozialisten angeklagt hat. Dadurch wird die persönliche Schuld und Involviertheit des Autors neben seine als progressiv gewerteten Schriften gestellt, die ihm zunächst enorme Kritik, später aber Ansehen eingebracht haben. Dass diese nebeneinandergestellt werden (können), scheint mit der Art und dem Ausmaß der ‚Skandale‘ in Verbindung zu stehen. Gansel schlussfolgert, dass es sich bei Grass’ literarischer Enthüllung über seine Mitgliedschaft in der SS um keine wirkliche „Aufstörung“ gehandelt habe. Denn „das Spätwerk versucht sich durch die Art und Weise des Erinnerns in Übereinstimmung mit dem existierenden Kollektivbewusstsein der Deutschen zu bringen“ (ebd., S. 174). Somit handle es sich nur scheinbar um eine Störung. Nichtsdestotrotz lässt sich an den gewählten Formulierungen und inhaltlichen Ausführungen innerhalb der Ausstellungstexte ablesen, welche Skandale der Vergangenheit noch bis in die Gegenwart wirksames Störpotential haben. Besonders augenscheinlich wird das an dem neben dem Touchscreen zum Modul „Skandale“ abgedruckten Text, der zunächst recht allgemein in die Problematik Grass’ früher Werke einführt, die primär „sexuelle und religiöse Tabuverstöße“ (Grass-Haus, Modul „Skandale“) aufwiesen. Die Skandale um diesen Teil seiner Werke werden allerdings abgeschwächt durch den beschließenden Satz: „Die Diskussionsbeiträge reichen von Leitartikeln über erboste Leserbriefe bis hin zu rechtlichen Klagen“ (ebd.). Dass auch „Klagen“ einleitend unter „Diskussionsbeiträge“ gefasst werden, schwächt diese folglich in ihrer Schwere ab. Den Wendepunkt bildet der unmittelbar darauffolgende Satz „Einen Skandal um seine eigene Person erregt die Offenlegung des Dichters im autobiographischen Text Beim Häuten der Zwiebel, als Siebzehnjähriger der Waffen-SS angehört zu haben“ (ebd.). Die Begriffswahl „Skandal“ grenzt sich klar von den – harmloseren – „Diskussionsbeiträgen“ ab und es wird betont, dass es sich bei diesem Skandal um die „eigene Person“ Grass’ und nicht seine Literatur drehte. Ferner erfolgt eine Abschwächung des mit diesem Werk einherge-

„Ein weites Feld (1995)“, „Laudatio auf Yasar Kemal (1997)“, „Beim Häuten der Zwiebel (2006)“, „Was gesagt werden muss (2012)“ sowie „Günter Grass über seine Kritiker“. 132 Vgl. zum Begriff „Aufstörung“ Kap. 3.4.

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henden Geständnisses des Autors, wenn von einer „Offenlegung [...] der Waffen-SS angehört zu haben“ die Rede ist. Darauffolgend verfällt der Erzähler sogar in das Passiv: „Grass [...] wird vorgeworfen, über diesen Teil seiner Biografie zu lange geschwiegen zu haben“ (ebd.). Das Passiv ebenso wie die in dem Satz formulierten Vorwürfe, die aber nicht in faktische Aussagen im Indikativ, wie „Grass hat zur Waffen-SS gehört“ und „er hat zu lange geschwiegen“, überführt werden, schwächen die Aussagen ab. Der Autor Grass erhält eine passiv-reaktive Rolle und der Erzähler weicht einer eindeutigen Einschätzung dieses Skandals aus. Mit der angeschlossenen Überleitung zu Grass’ israelkritischem Gedicht Was gesagt werden muss (2012) wird die Kritik an Grass wieder in einen Bereich überführt, der nicht mehr in erster Linie mit seiner Person, sondern mit seiner literarisch-politischen Stellungnahme zusammenhängt und daher weniger problematisch scheint. Hieran angeschlossen kann der Erzähler diesen Abschnitt mit einer Einschätzung beschließen, die auch die Fürsprecher Grass’ sichtbar werden lassen: „Die Rezeption der Grass’schen Texte und Äußerungen ist jedoch nie einhellig ablehnend gewesen. Aus Teilen der Öffentlichkeit erhält er inhaltlichen Zuspruch und Anerkennung für das Anregen wichtiger Diskussionen“ (ebd.). Grundsätzlich demonstriert die explizite Einbindung der „Skandale“133 um Grass die Bereitwilligkeit und Offenheit, sich auch mit den problematischen Aspekten bezüglich Grass’ wie seiner NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Diese Strategie entspricht dem generellen Selbstverständnis des Grass-Hauses, das sich nach außen als vom Autor unabhängiges und folglich durchaus kritisches Haus kommuniziert (vgl. auch Thomsa [Grass-Haus], Abs. 22). Dass die Diskussionen um Grass und sein Werk aufgenommen wurden, war zudem insofern geschickt, als zum einen das disparate Meinungsbild zu Grass innerhalb der (deutschen) Gesellschaft aufgegriffen wurde und damit ein breites Spektrum an Besuchermeinungen abdeckt, und zum anderen so keine eindeutige Positionierung der Verantwortlichen des Grass-Hauses ablesbar wird. Demgemäß lässt sich mit dem den Modultext abschließenden Absatz resümieren: „Während einige Kritiker seit Grass’ Bekanntgabe seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS in Beim Häuten der Zwiebel (2006) seine moralische Autorität in Frage stellen, befürworten andere nach wie vor seine kritischen Impulse zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen“ (GrassHaus, Modul „Skandale“).134

133 Die im Haupttext des Moduls genannten Skandale beziehen sich auf: die Danziger Trilogie (1959-63), darunter explizit auf Die Blechtrommel (1959), Ein weites Feld (1995), Beim Häuten der Zwiebel (2006) sowie das Gedicht Was gesagt werden muss (2012). 134 Dieser Satz ist in sehr ähnlicher Weise auch neben dem Touchscreen-Bildschirm zu diesem thematischen Bereich noch einmal abgedruckt, dort heißt es: „Die Rezeption der

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Als Narrativ zieht sich somit durch, dass Grass seit jeher ein disparat diskutierter und kritisierter Autor gewesen sei, aber nichtsdestotrotz von vielen weiterhin als gesellschaftskritischer Autor angesehen werde, der entscheidende Diskussionsimpulse geliefert habe. Kritik an Grass sei der Normalfall, seiner Stellung und Bedeutung innerhalb der Gesellschaft sei dies aber nicht in grundlegender Weise abträglich (gewesen). 7.3.7 Ausstellung in der Strittmatter-Gedenkstätte Für das Konzept der Erwin Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ spielt die RomanTrilogie Der Laden (1983-1992) eine konstitutive Rolle, denn die historischen Räumlichkeiten sind nicht nur als ‚klassische‘ Gedenkstätte von Relevanz, in der die ehemaligen Lebens- bzw. Schaffensräume des Autors gezeigt werden, sondern vor allem in Hinblick auf die Literatur Strittmatters, der der historische Ort als Vorbild diente. Die Erzählung der Einrichtung beginnt demgemäß mit dem Kernstück und titelgebenden Raum der Trilogie, dem (Kolonialwaren-)Laden. Die Räumlichkeiten, welche zum Teil mit den originalen Möbelstücken, zum anderen mit rekonstruierten oder schlicht zeitgenössischen Gegenständen wieder ausgestattet wurden, sind möglichst so wiedereingerichtet worden, wie sie zu der Zeit ausgesehen haben, als Erwin Strittmatter noch in Bohsdorf lebte.135 Demgemäß scheinen sie als historische Inszenierung zunächst bloß die realhistorische Situation einzufangen. Indes geht das Konzept der durchweg höchst inszenierten und zugleich scheinbar authentisch rekonstruierenden Räumlichkeiten weit darüber hinaus, indem die historische Situation ebenso eng mit der Literatur verknüpft wird, wie Strittmatter seine Lebenswelt in seine Literatur verwoben hat. Dabei wird nicht innerhalb eines Ausstellungstextes erläutert, dass und inwieweit der Kolonialwarenladen Strittmatters Eltern sowie seine kindliche Lebenswelt die Trilogie Der Laden prägten. Die Ausstellungserzählung ist vielmehr so angelegt, die Literatur selbst – und damit den Erzähler Esau Matt – in Bezug auf Möbel und Arrangement sprechen zu lassen, indem unmittelbar aus ihr zitiert wird. In der Laden-Trilogie nimmt der Erzähler allerdings bereits explizit Bezug auf die reale, außerliterarische Welt, indem er behauptet, 90% des Geschriebenen seien Wahrheit, 10% seien Dichtung.136 Der Erzähler, Esau Matt, wird in der Rezeption des Laden jedoch vielfach gleichgesetzt mit dem realen Autor, Erwin Strittmatter. Es kommt zum autobiographischen Pakt, wie ihn Lejeune

Grass’schen Texte und Äußerungen ist jedoch nie einhellig ablehnend gewesen. Aus Teilen der Öffentlichkeit erhält er inhaltlichen Zuspruch und Anerkennung für das Anregen wichtiger Diskussionen“ (ebd.). 135 Vgl. dazu die Ausführungen von Renate Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 2. 136 Vgl. dazu Erwin Strittmatter: Der Laden II. Berlin/Weimar: Aufbau 1987. S. 406.

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(1994) beschrieben hat. Diese Konstellation birgt die Problematik, dass den in der Literatur getroffenen Aussagen ebenso viel Glauben geschenkt wird wie faktischen Aussagen. Und das, obwohl es sich um fiktionale Literatur handelt, die keineswegs Fakten und realem Geschehen verpflichtet ist. Ausstellungstechnisch wird diese Vorstellung aufgegriffen, indem zwischen literarischen Erzählungen und historischen Tatsachen innerhalb der inszenierten (historisch-authentischen) Räumlichkeiten nicht unterschieden wird. Diese Vermischung von historischer Situation und literarischer Fiktion kommt erstens durch die Benennung der Gedenkstätte – Erwin Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ – zustande, da hier die Bezeichnung des historisch-authentischen Ortes, wo Erwin Strittmatter gelebt hat (Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte), und das literarische Werk (Der Laden) auf einer Ebene miteinander verbunden werden. Zweitens aber auch dadurch, dass die Räume und Möbelstücke sowohl mit Zitaten aus der Trilogie Der Laden als auch mit museumstypischen, denotativen Beschriftungen versehen sind, die sich allerdings rein optisch nicht voneinander unterscheiden.137 Bei direkten Zitaten aus den Werken wird lediglich die Quelle dahinter angegeben. So finden die Besucher/innen beispielweise „In der Guten Stube/Jugendstilmöbel der Eltern“ (Strittmatter-Gedenkstätte) im Sinne von Intertextualität in erster Linie Zitate aus den drei Laden-Bänden und nicht etwa Beschreibungen der Gegenstände, die über ihren historischen Erwerb oder Gebrauch informieren. Ein Beispiel ist das Zitat am Vertiko: „Das Vertiko von Mutter Lenchen // Das Vertiko einer Mutter erscheint, hölzern, braun und auf Hochglanz gestriegelt. Ein Zimmerbewohner von dieser Art wurde in Bossdom bislang nicht gesichtet. In der Guten Stube der Bauern halten Glasschränke die Hauptpredigt. // Die Dorffrauen erkennen die Nachteile des Vertikos. Aller Klunkerkram, Gläser, Tänzerinnern und Hunde aus Porzellan stünden uneingeschränkt und verletzbar auf ihm. // Die Stobwischerei! Das täte mir scheußern! sagt eine Frau. // Auszug aus „Der Laden“ Bd. 1“ (StrittmatterGedenkstätte).

Da die Zitate jedoch an oder neben konkreten historischen Gegenständen angebracht wurden, ersetzen sie deren museumstypische Objektbeschreibung. Das Vertiko wird hier ausschließlich durch die Literatur zum Sprechen gebracht, seine mögliche Bedeutsamkeit als Original, unabhängig von der Literatur ist nebensächlich. Ihre Bedeutung entfalten die Gegenstände wie auch die gesamte Inszenierung des ‚Laden‘ demzufolge in erster Linie aufgrund der Literatur und nicht durch ihre

137 Sie sind in derselben Schriftart sowie -größe auf gleich gestalteten, papiernen Zetteln abgedruckt, die an den Möbelstücken und Einrichtungsgegenständen angebracht wurden.

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dinglich-auratische Echtheit. In der „Guten Stube“ findet sich ein weiteres Beispiel, das überdeutlich werden lässt, wie die Verschränkung von Literatur und historischem Ort funktioniert: Auf dem Vertiko der Eltern Strittmatters steht eine Blumenvase aus deren Besitz. Die Beschriftung klärt hingegen nicht darüber auf, sondern nimmt Bezug auf Beschreibungen innerhalb des Romans Der Laden. So heißt es dort: „Eine der Blumenvasen // Auf jeder Tisch-Ecke stand ein Blumenstraß. Was waren es damals für Sträuße! Sträuße wie kleine Baumkronen, bunte Sträucher! Nelken, Rosen, Vergißmeinichten, Goldlack und Reseda. Seit Goldlack und Reseda nicht mehr modern sind, habe ich nie wieder richtig Geburtstag gehabt. // Auszug aus: „Der Laden“ Bd. 1“ (StrittmatterGedenkstätte)

Es wird allerdings nicht einfach nur diese deskriptive Stelle zitiert, in der von den überall im Haus stehenden, prächtigen Sträußen die Rede ist, sondern darüber ist zu lesen: „Eine der Blumenvasen“ (ebd.; Hervorh. ARH). Dass es ‚eine der Blumenvasen‘ überhaupt nicht geben kann, weil es sich hier um eine Darstellung in einer fiktiven Erzählung handelt, wird von vorneherein ausgeklammert. Beschreibungen in der Literatur werden also als authentische Beschreibungen der damaligen historischen Situation interpretiert, Literatur und Realität in eins gesetzt. Literarische Abweichungen von historisch gesicherten Fakten können auf diese Weise die Vorstellung, literarische Erzählung und real-historische Vergangenheit stimmten überein, irritieren. Solche kleineren Irritationen führen allerdings nicht dazu, diese Vorstellung grundsätzlich zu revidieren, sondern werden integriert und bringen eine Restabilisierung mit sich – als hilfreich erweist sich hier, dass sogar der Erzähler selbst in Strittmatters Laden darauf hingewiesen hat, dass nur 90% der Wahrheit entsprächen: „Was man natürlich auch, wo man natürlich aufpassen muss, dass man nicht sagt, dass der Laden hier, das Haus ist der Roman eins zu eins. Er [Erwin Strittmatter] sagt ja selber, 90% ist Wahrheit und 10% ist Dichtung, oder erstunken und erlogen. Ich denke mal, es ist vielleicht noch mehr, noch mehr Dichtung dabei. Also, denn es gibt viele, die sagen, so, wie er seinen Vater hier beschreibt, so war der gar nicht. Oder diese Problematik mit der Hanka, vielleicht war das mit dem Kindermädchen auch alles gar nicht so, aber sonst wäre es ja auch zu langweilig, das wahre Leben aufzuschreiben, das wäre ja pottlahm“ (Brucke [StrittmatterGedenkstätte], Abs. 14).

Wo innerhalb der Ausstellung aufgrund der Quellenangaben noch klar identifizierbar ist, dass es sich bei den Texten um Werkauszüge handelt, werden hingegen auch kurze Erläuterungen einbezogen, bei denen nicht gekennzeichnet wird, ob sie sich nun auf fiktionale oder faktuale, historisch-reale Momente beziehen. So in ei-

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nem weiteren Beispiel: Hier wurde der Spiegel von Erwin Strittmatters Eltern mit einem Hinweisschild versehen – „Der Spiegel, der eine wichtige Rolle beim Einzug der Familie in das Ladengrundstück spielte.“ (Strittmatter-Gedenkstätte) –, ohne dass eine Quelle benannt bzw. sich die Schrift optisch von der der Zitate unterscheiden würde. Es bleibt schlicht uneindeutig, ob sich die Beschriftung auf die fiktive oder die reale Welt bezieht. Damit gewinnt der Ort eine doppelte Authentizität, zum einen in Bezug auf historische Faktizität, zum anderen hinsichtlich literarischer Authentizität. Indem sowohl der historische als auch der literarische Ort Beglaubigung finden, kann allerdings der Eindruck entstehen, literarische und historische Welt seien identisch und unterschieden sich lediglich in kleineren, dem literarischen Schreiben gemäßen Ausschmückungen. Durch das Arrangement aus historischen Gegenständen, literarischen Bezugnahmen und (nicht eindeutig als solche zu identifizierenden) Erläuterungen ergibt sich demzufolge eine komplexe Erzählsituation: Während bei Betreten des Raumes durch das Hinweisschild an der Tür „In der Guten Stube/Jugendstilmöbel der Eltern“ darauf hingewiesen wird, dass ein historisch-authentisches Setting betreten wird, das dem Narrativ „So war es“ folgt, scheint der Inszenierung tatsächlich ein anderes Skript zugrunde zu liegen. Da nun die literarischen Zitate in ebenjenes historische Setting integriert werden, reihen sie sich in das benannte Narrativ ein, wodurch die Literatur (und die in ihr hervorgebrachte Äußerung, 90% seien Wahrheit, 10% Dichtung) durch den historischen Ort belegt wird, denn der Raum wird überhaupt erst durch die Literatur in der Weise zum Erzählen gebracht, wie es aufgrund des Namens der Gedenkstätte erwartbar ist. Mithilfe der literarischen Zitate spielen sich für die Besucher/innen, die den Laden gelesen haben, all die fiktionalen Szenen am historischen Ort ab. Da sie lokal und materiell fundiert werden – im Übrigen eine klassische Form der Beweisführung in der Erinnerungsstiftung –, werden sie zu glaubhaften Episoden. Die Möbelstücke und Objekte werden somit nicht bloß mit der Literatur in Verbindung gebracht, um sie als Inspirationsquelle für die Literatur zu identifizieren, letztere erklärt vielmehr die historischen Objekte und entfaltet erst ihre Bedeutsamkeit. Die Räume und Objekte der Gedenkstätte beglaubigen auf diese Weise aber auch die Literatur. Inwiefern diese Konstellation erinnerungstheoretisch problematisch werden kann, wird im Kontext der von Werner Liersch in Gang gebrachten Debatte zu Strittmatters NS-Vergangenheit deutlich.138 Liersch stieß im Zuge von Recherchen auf Brüche in der Biographie des Autors. Strittmatter hatte in der DDR zu seiner militärischen Vergangenheit im Nationalsozialismus lediglich angegeben, der

138 Vgl. dazu den in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienenen Artikel: Liersch, Werner: Strittmatters unbekannter Krieg. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (08.06.2008).

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Schutzpolizei angehört zu haben.139 Tatsächlich war sein Bataillon jedoch Teil der Ordnungspolizei und unterlag ab dem Jahr 1943 dem SS-Oberbefehl (vgl. Klemp 1998, S. 64).140 Liersch wies auf diese Unstimmigkeit im Rahmen eines Artikels mit dem Titel Strittmatters unbekannter Krieg in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (08.06.2008) hin und löste damit eine umfassende Diskussion um den Autor Strittmatter aus. Tatsächlich gehörte Strittmatter im Zweiten Weltkrieg dem Polizeibataillon 325 an, das ab 1942 mit anderen Bataillonen in das SSPolizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 eingegliedert wurde (vgl. Klein 2012, S. 360). Dieses operierte mitunter in Slowenien, Finnland und Griechenland. Es ging dort „gegen vermeintliche oder tatsächliche Partisanen vor“ (Klein 2007, S. 50) und beschränkte sich folglich keineswegs auf die allgemeine Kriegsführung.141 Da Strittmatter diesem Regiment angehörte, muss er von den Kämpfen gegen ebendiese vermeintlichen Partisanen gewusst haben. Auch wenn nicht klar ist, in welchem Umfang Strittmatter selbst an kämpferischen Auseinandersetzungen beteiligt war – er beteuerte zu Lebzeiten wiederholt, „dass den ganzen Krieg über keine Kugel meinen Gewehrlauf verliess“ (zit. n. Leo 2012, S. 102), schreibt jedoch bspw. in einem Brief an Helene und Heinrich Strittmatter vom 15./16.01.1942: „War wieder mal Schütze 2 am I.M.G.“ (zit. n. Leo 2012, S. 137) –, so können ihm die begangenen Verbrechen zumindest nicht entgangen sein. Der Historiker Ralph Klein resümiert in seinen diesbezüglichen Recherchen: „Die vorhandenen Quellen lassen keinerlei gesicherte Aussagen darüber zu, was Strittmatter getan oder eben nicht getan haben könnte. Jede be- oder entlastende Aussage ist Spekulation.

139 In seiner offiziellen Biographie in der DDR verschwieg Strittmatter, dass er der „Ordnungspolizei“ und dem „SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18“ angehört hatte (vgl. BArch, DY30/IV2/11/V/5185, zit. n. Liersch, Werner: Die Inseln des Verschweigens. Strittmatters Erinnerungsbuch „Grüner Juni“ und der Krieg auf den Zykladen. In: DA (2011) 5 (Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung) [http://www.bpb.de/ themen/CTHZ66,0,0,Die_Inseln_ des_Verschweigens.html, zuletzt abgerufen am 19.01.2012]). 140 Vgl. auch Klein 2012, S. 347. 141 Klein fasst die Funktionen des Regiments in Griechenland folgendermaßen zusammen: „In Griechenland war das SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 in dreifacher Hinsicht für Kriegs- und NS-Verbrechen verantwortlich: wegen der Funktionen seiner Angehörigen im deutschen Besatzungsapparat, wegen seiner Massaker und Rachemaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung sowie wegen seiner Beteiligung an der Vernichtung der griechischen Juden“ (Klein 2012, S. 359). Diese Zusammenfassung gibt einen Einblick in den Krieg, den Strittmatter tatsächlich erlebt haben muss – im Gegensatz zu seinen idyllisierenden Darstellungen in Grüner Juni (1985).

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Dies gilt für fast alle Regimentsangehörigen. Gesichertes historisches Wissen ist jedoch, dass sich aus seiner Funktion als Bataillons-Schreiber allein nicht schließen lässt, dass Strittmatter sich nicht an Kämpfen oder Erschießungen beteiligt hätte, und zweitens, dass Strittmatter und seine Polizei-Kameraden im Gefüge ihrer Einheit einen wie auch immer gearteten individuellen Beitrag dazu leisteten, dass diese Polizeieinheit bis zum letzten Kriegstag zuverlässig im Sinne der nationalsozialistischen Kriegsführung funktionierte, sei es im Kampf gegen die Widerstandsbewegungen in Slowenien und Griechenland zur Aufrechterhaltung der deutschen Besatzungsherrschaft, sei es an einer Front“ (Klein 2012, S. 360f.).

Auch in Folge weiterer Nachforschungen durch die Historikerin Annette Leo (2012) und die Publikation von Strittmatters Tagebüchern (2012 und 2014) können keine gesicherten Aussagen über den von Strittmatter tatsächlich erlebten Krieg gemacht werden, da Strittmatter dazu weder Aufzeichnungen in seinen Tagebüchern vorgenommen hat, noch Quellen oder Dokumente gefunden wurden, die eine der Versionen hätten belegen können. Anstatt jedoch über seine im Bataillon gemachten Erfahrungen zu sprechen bzw. zu schreiben, habe Strittmatter sie bewusst verschwiegen, so der Vorwurf Lierschs. Strittmatter habe sich, „der Verantwortung seiner Erfahrungen nicht [ge]stellt[...]“, seine literarischen Kriegsdarstellungen seien geschönt statt wirklichkeitsgetreu (Liersch 2012, S. 403). Frank Hoffmann und Silke Flegel fassen die Vorwürfe folgendermaßen zusammen: „Der in der DDR hochgeschätzte Nationalpreisträger und Vizepräsident des Schriftstellerverbands habe nicht nur unter Druck der SED einige Daten und Fakten in seiner Biografie geschönt, sondern durch sein Schweigen über die ihm gewiss bekannt gewesenen Verbrechen seiner Einheit und durch die literarische Gestaltung des Krieges in einer systemgerechten Form zum antifaschistischen Konsens in der DDR beigetragen“ (Hoffmann/Flegel 2008, S. 973).

Problematisch ist dies vor allem deshalb, weil Strittmatter sich stets als den Deserteur inszenierte, der niemals einen Schuss abgegeben, sich also nicht aktiv am Krieg beteiligt habe. Mit seiner Literatur verlieh Strittmatter sogar vielmehr der sorbischen Minderheit eine Stimme und fügte sich in die antifaschistische politische Linie der DDR ein, wofür er entsprechende Anerkennung und Präsenz erntete und zu einem der bedeutendsten nationalen Autoren der DDR wurde. Allerdings fügte er sich nicht einfach nur in den Literaturbetrieb der DDR, sondern störte diesen auch auf (vgl. Gansel 2012c), indem er in den Wundertäter III (1980) die Szene einer Vergewaltigung einer Frau durch einen sowjetischen Soldaten einfügte.142 Dies war

142 Vgl. dazu auch Adámková 2011, S. 193-198.

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als deutliche Kritik an Russland und dem Vorgehen der russischen Soldaten in Deutschland zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu verstehen und führte wiederum zu langwierigen Auseinandersetzungen, bevor der Roman erscheinen konnte – Strittmatter unterschätzte hier offensichtlich die (Aus-)Wirkungen seines Romans, denn er rechnete nicht mit einem so harschen Gegenwind vom Verlag sowie der darauf folgenden, langwierigen Überarbeitungsprozedur (vgl. Gansel 2012c, S. 174ff.). Das Bild Strittmatters als antifaschistischer Deserteur, der es auch wagte, in der DDR nicht gern gesehene Kritik zu üben, wurde vor allem durch seine Literatur geprägt. Demgegenüber muss es heute revidiert und dem neuen Kenntnisstand angepasst werden. Dadurch kommt aber das gesamte Erinnerungskonstrukt ‚Strittmatter‘ zunächst ins Wanken, weil es unter Verdacht gerät, nicht ‚authentisch‘ (gewesen) zu sein. Wie in Kap. 6.1.1 ausgeführt, gibt es verschiedene Formen von Authentizität (vgl. Knaller 2005, 2006). Von Bedeutung ist in diesem Kontext zunächst die Subjektauthentizität (vgl. Knaller 2007, S. 22f.), die sich dadurch auszeichnet, dass „Form und Selbst“ (Knaller 2007, S. 22) eines Subjekts übereinzustimmen scheinen. „D.h. mediale Selbstdarstellung und Kommunikation entsprechen idealerweise den biografischen, psychologischen und physischen Besonderheiten. Authentizität kann auf diese Weise zur Grundlage von Glaubwürdigkeits- und Autoritätszuschreibungen werden“ (Knaller 2007, S. 22).

Im Falle Strittmatters wurde seine Subjektauthentizität und damit auch seine Glaubwürdigkeit in Folge der in Gang gebrachten Debatten und Nachforschungen zunehmend in Frage gestellt. Die mit Strittmatters Selbst verbundenen Wertzuschreibungen (sozialer, antifaschistischer Autor, der der sorbischen Minderheit eine (literarische) Stimme verlieh) können in Anbetracht der Erkenntnisse der letzten Jahre nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten werden. Insbesondere seine Zugehörigkeit zum Gebirgsjägerregiment 18 und seine verschwiegenen und literarisch idyllisierenden Kriegserfahrungen lassen auch andere literarische Werke wie öffentliche Positionierungen des Autors hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit fragwürdig werden. Die Subjektauthentizität ist jedoch aus einem weiteren Grund für die Strittmatter-Gedenkstätte von besonderer Bedeutung: So wurde durch die Subjektauthentizität im Falle Strittmatters der autobiographische Pakt noch verstärkt. Die Trilogie Der Laden schien eine Art Abbild seines Lebens in der Lausitzer Provinz zu sein. Durch die Gedenkstätte wurde dieses Erinnerungskonstrukt von Strittmatters Literatur, demzufolge realhistorisches Leben des Autors und literarische Darstellung übereinstimmten, noch verstärkt. Denn indem sich in Bohsdorf alles mehr oder weniger so findet wie in der Literatur, wurde diese wiederum durch den historisch-

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authentisch wiedereingerichteten Ort beglaubigt. Durch die Art der Ausstellung wurde dieser Effekt umso mehr befördert, da die historischen Möbelstücke mit literarischen Zitaten und nicht etwa mit denotativen Objektbeschriftungen versehen wurden. Das Problematische an der Erzählweise ist die Richtung der Beweisführung, da Literatur – fiktionale Texte – zur Erklärung bzw. Ausschmückung historischer Situationen und Ereignisse genutzt wird. Damit wird einer Lesart der literarischen Texte als historische Quellen zugespielt, die ihnen qua Gattung nicht zukommt und weitergehende Problematiken in der Rezeption des Autors und der Erinnerung an ihn mit sich bringen kann. Wenn nämlich die Literatur eines Schriftstellers, der die eigenen Kriegserlebnisse in geschönte literarische Erzählungen wie Grüner Juni einfließen ließ, als autobiographisches Werk, in dem Tatsachen dargestellt werden, gelesen wird, kann es zu einer Verklärung der Gräueltaten und nationalsozialistischen Verbrechen kommen. Dies gilt ungeachtet der „literaturwissenschaftlichen Grundannahmen, dass Literatur keine wie auch immer geartete Widerspiegelung des Lebens ist“ (Gansel 2012, S. 30), denn die Rezeptionsweise – Grüner Juni als real-historisches, autobiographisches Werk zu lesen – erzeugt erst diese Problematik. So hat nicht nur der Ort Zeugnis für die Authentizität der Literatur abgelegt, sondern auch umgekehrt die Literatur den historischen Ort bestätigt, indem sie zu ihm eine Geschichte erzählte und auf diese Weise einen fiktionalen zu einem real begehbaren Ort gemacht hat. Daneben, dass der historische Ort seit Erscheinen der Trilogie Der Laden als stützendes Element der Subjektauthentizität Strittmatters fungierte, zeichnete ihn aber eine weitere Form von Authentizität aus: die Objekt-143 bzw. historische Authentizität. Dies machte den Ort umso glaubwürdiger, da er als eine Art belastbare Quelle angesehen wurde. Dessen nachträgliche Inszenierung und Einrichtung wurden in diesem Zusammenhang allerdings ausgeblendet. Folglich vermochte der historische Ort zum Beleg für die Literatur zu werden; mit dem Effekt, dass Strittmatters Literatur nicht nur als autobiographisch geprägt eingestuft, sondern letztlich als Autobiographie verstanden wurde und heute mitunter noch wird. Indem durch die identitäre Inszenierung von Literatur und historischem Ort jedoch erstere beglaubigt worden ist, wurden indirekt auch andere autobiographisch gestaltete literarische Werke Strittmatters beglaubigt – ist das eine Werk ‚wahr‘, wie von Strittmatter bekräftigt, so müssen auch die anderen glaubhaft sein, wenn der Autor dies behauptet oder zumindest nahelegt. Allerdings wird dann nicht nur das, was sich am historischen Ort bestätigt gefunden hat, als historisch real wahrgenommen, sondern auch andere in der Literatur dargestellte historische Ereignisse, Personen und Orte. Genau dies verursacht im Falle eines Autors wie Strittmatter,

143 Bei Susanne Knaller auch Referenzauthentizität (Knaller 2007, S. 21).

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der in seinen Werken – wie bspw. in Grüner Juni – eine idyllisierende Darstellung des Zweiten Weltkriegs vornahm, eine Problematik hinsichtlich der damit erzeugten Vergangenheitsversionen. Aussagen wie, 90% seien Wahrheit, 10% Dichtung, verschärfen dies noch, da suggeriert wird, dass die Übereinstimmung zwischen historischer Realität und Fiktionalem sehr hoch sei. Hierdurch wird allerdings der Blick auf den Zweiten Weltkrieg geschönt und, in Anbetracht des Standes der historischen und quellengeschichtlichen Aufarbeitung desselben, eine nicht angemessene Darstellung wieder- und weitergegeben. Dass eine scharfe Trennung von historischen Ereignissen und Literatur oftmals nicht gelingt, wird auch außerhalb der Gedenkstätte bei der Aufarbeitung der Vergangenheit des Autors deutlich: Immer wieder finden sich in den Darstellungen argumentative Rekurse auf die literarischen Texte Strittmatters, um historische Ereignisse zu erklären. Besonders deutlich wird dies bei Joachim Jahns, der literarische Erzählungen Strittmatters als Erklärung für historische Begebenheiten heranzieht, wie folgendes Beispiel belegt: „Den heftigen Widerstand der Italiener sowie den Angriff der Deutschen bei der Besetzung der Insel Andros schildert Strittmatter im ersten Roman des „Wundertäters wie folgt: [...]“ (Jahns 2011, S. 65). Darauf folgt ein zitierter Auszug aus dem benannten Roman, auf den es unmittelbar mit der historischen Darstellung weitergeht. Es erfolgt keine Kommentierung oder Relativierung des Zitats aus Strittmatters Literatur. Stattdessen wird es von Jahns als Quelle für die historische Darstellung gebraucht. Auch Leo, die eine StrittmatterBiographie verfasst hat, verfällt zeitwiese in eine Argumentationsweise, bei der historische Fakten neben Literatur zur Beweisführung herangezogen werden: „Er [Hermann Franz] erwähnt in diesem Zusammenhang einen Vorfall, den Erwin Strittmatter auch in seiner Erzählung ‚Grüner Juni‘ in fast gleicher Weise aufgreift: Die dreiköpfige Besatzung eines Bootes, die Befehle und Post von Naxos nach Paros bringen sollte, sei von einem plötzlich auftauchenden englischen U-Boot gekapert worden. Später hatten Angehörige des Bataillons von ihren in Gefangenschaft geratenen Kameraden in Ägypten Post bekommen“ (Leo 2012, S. 161).

Literarische Erzählung und historische Quelle beglaubigen sich hier gegenseitig, zugleich wird innerhalb der Ausführungen die Wiedergabe der historischen Quelle in den Mittelpunkt gestellt, so dass der Eindruck entsteht, es solle vor allem die historische Quelle durch die Literatur Bestätigung finden. Für wie glaubhaft die literarischen Darstellungen (vermeintlich) historischer, autobiographischer Ereignisse durch Strittmatter bis heute vielfach angenommen werden, manifestiert sich ebenso in den steten Bemühungen Leos, die in den Werken dargestellten Szenerien zu widerlegen. So lässt sich an mannigfachen Stellen ihrer Strittmatter-Biographie nachvollziehen, wie sie zunächst literarische Darstellungen heranzieht, um an diesen ein ums andere Mal zu zeigen, dass sie durch historische Quellen widerlegt werden

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müssen, ihnen folglich kein Glauben zu schenken ist.144 Allein in der Tatsache, dass sie dies tut, wird deutlich, wie gefestigt die Vorstellung davon ist, dass es sich bei Strittmatters Literatur um autobiographische Erzählungen handle, die mit der historischen Vergangenheit übereinstimmten. Indem die Literatur somit zur Quelle für die historische Darstellung wird, wird sie mit historischen Quellen und Dokumenten auf dieselbe Ebene gestellt und ihr wird eine Glaubwürdigkeit zugesprochen, die ihr qua Textgattung nicht zusteht. Dabei wäre es durchaus legitim zu erforschen, ob und wie Strittmatter realhistorische Ereignisse literarisch erzählt hat. Hingegen historische Ereignisse durch die Literatur zu erklären, wie es in Folge der angenommenen Authentizität der Literatur immer wieder geschieht, führt zu einem verklärten Geschichtsbild. So klaffen Mutmaßungen, Strittmatter habe vielleicht nur einen harmlosen Zweiten Weltkrieg erlebt, und historische Quellen darüber, wo sich sein Bataillon jeweils aufhielt und zu welchen Zwecken es eingesetzt wurde, deutlich auseinander. Letztere belegen, dass es sich bei den literarischen Darstellungen nur um geschönte handeln kann. Neben dem Umgang der Gedenkstätte mit der Verwebung von historischer Realität und Literatur des Autors im Kontext des historisch-authentischen Ensembles ist von Bedeutung, wie in der kleinen informierenden Ausstellung mit Strittmatters Biographie umgegangen wird. Nach der Aufdeckung Strittmatters Vergangenheit durch Werner Liersch änderte man zunächst „lediglich die Biographie“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 132). Dort ist gegenwärtig auf einer Informationstafel zu lesen: „Nach der Ausbildung an der Schutzpolizei-Schule in Eilenburg kommt er mit dem PolizeiBataillon 325 ab August 1941 zu Einsätzen nach Oberkrain (Slowenien), nach Polen, 1942 erneut nach Jugoslawien, später nach Finnland und Griechenland. Sein Bataillon wird zum Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 umgeformt und erhält im Februar 1943 den SS-Titel, ohne Teil der SS zu sein. Von Frühjahr 1942 bis Sommer 1944 ist Strittmatter BataillonsSchreiber, danach wird er zur Film- und Bildstelle der Ordnungspolizei nach Berlin-Spandau versetzt“ (Strittmatter-Gedenkstätte).

Aus dieser Darstellung geht für Besucher/innen, die sich mit den militärischen Strukturen zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs nicht gut auskennen – was als Regelfall anzunehmen ist –, nicht deutlich hervor, was das nun bedeutet. Die gezeigten Fotos geben zudem einen ähnlich idyllischen Eindruck von ‚Strittmatters Krieg‘ wieder wie seine literarischen Darstellungen bspw. im Grünen Juni. Dort ist Strittmatter auf einem Bild, das in Griechenland aufgenommen wurde, zurückgelehnt in einen Stuhl und umgeben von Pflanzen und Bauwerken, wie sie für den Mittelmeer-

144 Vgl. dazu z.B. Leo 2012, S. 171, 191f.

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raum typisch sind, zu sehen. Auf heutige Betrachter/innen wirkt dieses Foto mehr wie ein Urlaubsbild als eine Aufnahme aus dem Krieg. Informationen, die die notwendigen Kontextualisierungen ermöglichen und ein realistisches Bild von Strittmatters Kriegserlebnissen liefern würden, fehlen. Auch die Kriegsverbrechen des Gebirgsjägerregiments 18 werden mit keinem Wort erwähnt. Allerdings gibt es seit 2013 eine weitere Texttafel, die sich der Frage, „[w]elcher Streit sich am Autor Erwin Strittmatter entzündete“ (StrittmatterGedenkstätte), widmet. 145 Auf dieser wird bereits deutlicher, worum es in der Debatte um Strittmatters Vergangenheit geht. „2008 wird bekannt, dass Erwin Strittmatter nicht Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg, sondern Wachtmeister im Polizeibataillon 325 war. Diese Einheit, ab 1943 der SS unterstellt, diente u.a. zur Partisanenbekämpfung in Slowenien und in Griechenland. Dass er selbst an Erschießungen teilgenommen hat, ist bisher nicht bewiesen, dass er aber Grausames erlebt und gesehen haben muss, schon. Als Kriegsberichter dokumentierte er die Gräueltaten“ (Strittmatter-Gedenkstätte).

Diesen kurzen Informationstext rahmend sind Zitate von Literaten, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie weiteren Personen abgedruckt, die die disparate Diskussion darum, was Literatur von der Realität zeigen muss, mit Blick auf Strittmatters Vergangenheit und seine Literatur auffangen. Wie schon im Falle des Grass-Hauses gezeigt, wird auf diese Weise ein polyphones Meinungsspektrum entfaltet, das sowohl kritische wie auch affirmative Stellungnahmen umfasst. Da historisch bislang nicht nachgewiesen werden konnte, dass Strittmatter selbst auf vermeintliche Partisanen geschossen hat, und ein solcher Nachweis vermutlich auch zukünftig schwierig zu erbringen sein wird, scheint es nicht in grundsätzlicher Weise fragwürdig, an den Autor zu erinnern. Vielmehr stellt sich gegenwärtig eine an moralischen Grundsätzen ausgerichtete Frage, die die Literatur eines Autors betrifft, der zwar wiederholt darauf hingewiesen hat, dass diese auch Erlogenes enthalte, 90 Prozent aber der Wahrheit entsprächen. Die Frage ist also derzeit nicht, ob er sich schuldig gemacht hat. Vielmehr geht es darum, ob er den Krieg, wie er ihn erlebt haben muss – und dies lässt sich in Quellen belegen –, nicht auch entsprechend hätte schildern müssen, anstatt in seiner Literatur entlastende „Wunschbiographien“ (Gansel 2012b, S. 34) zu schaffen. Indem innerhalb

145 Die Tafel wurde in die Ausstellung integriert, nachdem ein beratendes Gespräch mit der Verfasserin dieser Arbeit stattgefunden hat. In diesem Gespräch wurden allerdings nur allgemeine Anregungen gegeben, wie mit der Vergangenheit Strittmatters in der Ausstellung offener umgegangen werden könnte: Die Konzeption der Informationstafel unterlag allein den Verantwortlichen der Gedenkstätte.

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dieser Ausstellungstafel darauf mit der Abbildung eines breiten Meinungsspektrums reagiert wird, enthalten sich die Verantwortlichen und damit die Erzähler einer eindeutigen Markierung ihrer Position und fordern die Besucher/innen implizit selbst zu einem Urteil auf. In dem unten auf der Tafel stehenden Absatz werden die Besucher/innen zudem explizit in die Pflicht genommen: „Wir Nachgeborenen haben die Pflicht, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und uns über unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft klar zu werden“ (Strittmatter-Gedenkstätte). Durch den Gebrauch der inkludierenden 1. Person Plural liegen das Erinnern und Hinterfragen nicht mehr allein in der Verantwortung der Ausstellungsmacher/innen, sondern auch der Besucher/innen. Dies ist im Zusammenhang der (noch laufenden) Diskussion um Strittmatter, dessen Schweigen in seiner Literatur sowie der Frage, inwieweit der Autor selbst am Kriegsgeschehen beteiligt war, eine geschickte Darstellungsweise: Die Verantwortlichen entziehen sich eines eindeutigen Urteils, das im Hinblick auf die Frage, was ein Schriftsteller sagen muss und was er verschweigen darf, nur ein Wert-Urteil sein könnte. Schließlich könnte ein solches nur Meinungsverschiedenheiten provozieren. Nichtsdestotrotz stellt sich Strittmatters Biographie im Hinblick auf das Ausstellungskonzept der Gedenkstätte erinnerungstheoretisch als Problemfall146 dar. Eine sakrale Erinnerungspraxis, wie sie in der Assmannschen Erinnerungstheorie beschrieben wird, scheint entweder nicht mehr aufrechtzuerhalten oder die Erkenntnisse über Strittmatters Biographie müssten verschwiegen werden, denn delegitimierende Inhalte haben ihr zufolge keine Berechtigung im Funktionsgedächtnis (vgl. Kap. 3.1). Das Konzept der authentischen Literatur, welches die Gedenkstätte als ‚Der Laden‘ trägt, funktioniert nicht mehr, denn der mit der Aufdeckung gemachte Vorwurf wiegt umso schwerer, weil „Authentizität als ästhetische Kategorie weiterhin an ethische Implikationen gebunden sein kann, an Einmaligkeits- oder Wahrhaftigkeitspostulate bezüglich des Autors/der Autorin bzw. den Texten“ (Knaller 2005, S. 63). Damit werden „moralische und ästhetische Urteile in eins gesetzt“ (ebd.). Eine Differenzierung dieser beiden Ebenen unterbleibt. Daraus folgt für die Arbeit der Gedenkstätte die erinnerungstheoretisch bedeutsame Frage, inwiefern ihr auf Authentizität beruhendes Konzept noch tragfähig ist oder vielleicht eine objektive, kritischere, museal ausstellende Auseinandersetzung nötig macht.

146 Vgl. dazu weiterführend Kap. 8.2.1, in dem erläutert wird, inwiefern der Skandal um Strittmatters Kriegsvergangenheit als (systemtheoretische) ‚Aufstörung‘ aufzufassen ist und was dies für die Erinnerungspraxis bedeutet.

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7.3.8 Ausstellung im Storm-Haus Im Storm-Haus werden historische Objekte und Dokumente in gänzlich anderer Weise mit der Literatur des Autors in Verbindung gebracht als in der StrittmatterGedenkstätte. Allerdings liegt darüber hinaus ein weiterer Unterschied in der Rezeption der Literatur der beiden Autoren: So wird die Literatur Storms nicht primär als autobiographische rezipiert, was einen qualitativen Unterschied in Hinblick auf die Erzähl- und damit Erinnerungsweise ausmacht, steht doch bei der Rezeption ersterer nicht der Autor im Fokus. Wie nicht nur im Rahmen des Interviews, sondern auch in einer der Publikationen147 des ehemaligen Leiters, Ernst Laage, zum Storm-Haus deutlich wird, lag in der Vergangenheit ein Schwerpunkt der Arbeit des Museums auf der Wiederbeschaffung der originalen Einrichtungsgegenstände. Denn bevor ein Teil der Räume mit originalen Gegenständen ausgestattet werden konnte, mussten diese zunächst schrittweise wieder ‚eingesammelt‘ werden. Da das Storm-Haus zum Zeitpunkt der Gründung bereits über mehrere Jahrzehnte anderweitig genutzt worden war und nicht mehr zum Besitzstand der Nachkommen Theodor Storms gehörte, befanden sich die heute dort vorzufindenden originalen Einrichtungsgegenstände, soweit sie noch existierten, in privatem Besitz an anderem Ort.148 Die Möbelstücke aus Storms Besitz, die nun im Museum zu besichtigen sind, mussten zunächst aufgespürt und angesammelt werden.149 Aus diesem Grunde begann die Arbeit in Husum mit einer Ausstellung im Erdgeschoss. Die oberen Stockwerke des Gebäudes wurden noch anderweitig genutzt und standen der musealen Arbeit nicht zur Verfügung. Ernst Laage betont in dieser Hinsicht, dass man auch nicht gewusst hätte, womit man die übrigen Räume hätte füllen sollen (vgl. Laage [Storm-Haus], Abs. 290-294). Im Zuge dieser Re-Authentifizierung entwickelte sich konzeptionell die heutige Mischform aus authentischem, rekonstruiertem und ausstellendem Haus. Christian De-

147 Bei dieser handelt es sich um Der Dichter und sein Haus (Laage 2012). Dort fokussiert Ernst Laage nicht in erster Linie konzeptionelle Weiterentwicklungen der Ausstellung(en), sondern, wie es stückweise gelang, immer mehr originale Möbelstücke zurück in das Haus zu überführen. Als entscheidend für die Entwicklungen innerhalb des Hauses scheinen folglich nicht wissenschaftliche Fortschritte zu gelten, die neue Erkenntnisse gebracht hätten, sondern vor allem gegenständliche Wiederbeschaffungsmaßnahmen. 148 Teilweise ist das auch heute noch der Fall. 149 Ähnlich stellten sich auch die Bedingungen für die Einrichtung des Schillerhauses in Weimar dar: Das Haus war zwar noch erhalten, die privaten Gegenstände und Möbel Friedrich Schillers jedoch weithin verstreut unter Verwandten und anderen Personen, die man ebenfalls um die Möglichkeit des Ankaufs bzw. die Schenkung dieser bat.

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mandt, seit 2012 Leiter des Storm-Hauses, erwähnt diesbezüglich im Interview, dass in Zukunft stärker und für die Besucher/innen offensichtlicher zwischen authentischen und ausstellenden Räumen getrennt werden solle, indem beispielweise Beschriftungen wie auch nicht originale Gegenstände in authentischen Räumen wegfallen: „es wird darum gehen, ganz grundsätzlich, diesen ganzen Ausstellungsbereich, also das, was hier in den Vitrinen ist, das muss man nochmal neu überdenken und modernisieren und das stärker zu trennen vielleicht von den historischen Räumen, und die historischen Räume vielleicht noch historischer zu machen, noch historischer, dass man da wirklich auch die Bilder weghängt, die da in echt nicht hingehören und dann noch ein historischeres Gefühl hat“ (Demandt [Storm-Haus], Abs. 299).

Dadurch, dass darüber hinaus original wiedereingerichtete Räume neben solchen liegen, in denen sich Möbelstücke Storms befinden, die aus einer anderen Lebensphase stammen und nicht im Husumer Haus gestanden haben, werden zudem Authentizitätsdifferenzen übergangen bzw. für die Besucher/innen nicht hinreichend expliziert. Daher scheinen alle zeitgenössischen Möbelstücke als Originale und an ihrem ursprünglichen Platz im Haus befindlich. Davon zu unterscheiden ist das „Hademarschenzimmer (früher: Schlafzimmer)“,150 dessen Bezeichnung eindeutig darauf verweisen soll, dass es sich um Möbel aus der Zeit Storms in Hademarschen handelt und der Raum von der Familie Storm anderweitig genutzt wurde.151 In dieser Form liegt ein klassischer Fall semi-authentischer historischer Inszenierung (vgl. Kap. 6.1.1) vor: die Möbelstücke sind original, befinden sich aber nicht am historischen Ort. Im Gegensatz zum May-Museum oder Raabe-Haus, bei denen die historisch wiedereingerichteten Räume klar abgegrenzt werden und für die Besucher/innen nicht zugänglich sind, sind die Übergänge zwischen diesen Räumen und solchen, die klassisch-museale Ausstellungseinheiten mit Vitrinen, Erläuterungen und Objektschauen beherbergen, im Storm-Haus hingegen fließend. Im Wesentlichen lassen sich im Storm-Haus drei Arten von Räumen ausmachen: 1. mit den originalen Möbelstücken Storms wieder eingerichtete Räume, die einerseits zeigen, wie Storm und seine Familie lebten, andererseits mithilfe von Hinweisschildern darauf aufmerksam machen, wo Storm sich in seinem direkten (Wohn-)Umfeld Anregungen

150 Diese Beschriftung ist im Türbereich angebracht. 151 Ob die Besucher/innen die Bezeichnung des Zimmers als Verweis darauf lesen, dass diese Möbel in einem anderen Haus gestanden haben, wird davon abhängen, ob sie zur Kenntnis genommen haben, dass Storm seine letzten Lebensjahre in Hademarschen verbrachte.

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für sein literarisches Schaffen holte, 2. reine Ausstellungsräume, in denen Vitrinen bzw. antiquarische Möbelstücke stehen, die allerdings als Ausstellungsmöbel genutzt werden, um Fotos, Schriftstücke bzw. originale Objekte zu zeigen, und 3. solche Räume, in denen zeitgenössische Möbelstücke aufgestellt wurden, die sowohl einen Eindruck davon vermitteln sollen, wie Storms Wohn- und Arbeitsräume ausgesehen haben mögen, als auch als Ausstellungsmöbel fungieren. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit werden allerdings immer wieder diejenigen Entdeckungen gerückt, die belegen, dass Storm sich im literarischen Schaffen an historische Gegebenheiten, Personen oder Gegenstände seiner Zeit angelehnt hat. Auf diese Weise ist das in Teilen historisch wieder eingerichtete Haus nicht nur als Zeugnis für das Leben Theodor Storms bedeutsam, sondern auch in Hinblick auf seine Einflüsse auf Storms Literatur. Die Verweisrichtung ist im Storm-Haus stets so angelegt, dass auf einige originale Objekte und schriftliche Dokumente besonders hingewiesen wird, weil sie offensichtlich Anlass bzw. Inspiration für Storms Literatur gewesen sind. Auf diese Weise werden auch weniger bekannte Werke Storms angesprochen.152 So wird beispielsweise im Wohnzimmer hervorgehoben, dass das Biedermeier-Sofa, auf dessen Rückenlehne ein von Hunden gejagter Hirsch zu sehen ist, Inspirationsquelle für eine Schilderung in der Novelle Drüben am Markt gewesen sei. Neben der knappen Erläuterung wurde auch der Auszug aus der Novelle abgedruckt, so dass die direkt zitierte Literatur als Beleg für die Anlehnung herangezogen werden kann. Das literarische Zitat hat der besseren Unterscheidung vom Ausstellungstext wegen eine andere Schriftfarbe. Diese andere, blaue Schriftfarbe wird allerdings nicht nur für literarische Zitate gebraucht, sondern auch für zitierte Quellen wie Briefe, die ebenfalls als Beleg für literarische Anlehnungen herangezogen werden. Weitere Beispiele sind im gesamten Storm-Haus zu finden und beziehen sich auf Kupferstiche Claude J. Vernets, auf Urkunden aus Storms Zeit als Landvogt, auf eine getrocknete Blume sowie auf andere Schriftstücke und Objekte. Stets soll mithilfe der Verweise nachempfunden werden, wie wichtig und einflussreich Storms Umfeld für ihn als Inspiration für seine literarischen Werke gewesen ist. Im Gegensatz zur Strittmatter-Gedenkstätte wird allerdings nicht die Literatur mit dem historischen Ort in eins gesetzt oder gar letzterer durch erstere erklärt, ausgeschmückt oder gedeutet. Indem alle Verknüpfungen zwischen Objekten und Literatur zugleich immer an eine Objektbeschreibung geknüpft werden, aus der hervorgeht, in welchem Kontext das (literarisch bedeutsame) Objekt in seiner real-historischen Situation vorkam bzw. ge-

152 Exemplarisch zu nennen wären hier Draußen im Heidedorf (1872), Ein Doppelgänger (1887) und Viola Tricolor (1874). Für letztere Erzählung diente ein Zimmer im Erdgeschoss des Storm-Hauses als Vorbild. Dieses Ausstellungszimmer trägt heute daher auch den Namen „Viola tricolor“.

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braucht wurde, wird ein Verschwimmen von Fakt und Fiktion verhindert.153 Das Objekt erhält eine besondere Bedeutung für die Literatur Storms, behält aber zugleich seinen Eigenwert als historisches Original. Die Erzählweise einer Einrichtung wie dem Storm-Haus unterscheidet sich indessen nicht nur von derjenigen in der Strittmatter-Gedenkstätte, sondern auch von der in der Anna-Seghers-Gedenkstätte (vgl. Kap. 6.3.9). Das liegt insbesondere darin begründet, dass im Storm-Haus die Räumlichkeiten nicht wie in letzterer unbeschriftet und unkommentiert belassen wurden. Die Kommentierung bewegt sich dabei auf verschiedenen Ebenen: Zunächst werden die Räume durch papierne, auf die Türrahmen aufgeklebte Schilder, ähnlich Kapitelüberschriften (als Paratexte) bezeichnet. Wenn der Raum nicht original eingerichtet und wiederhergestellt werden konnte, werden sowohl sein gegenwärtiger Ausstellungszweck bzw. sein Thema als auch seine ursprüngliche Nutzung zu Storms Lebzeiten benannt. Der erste Raum zur Schimmelreiter-Ausstellung ist daher mit dem Text „Ausstellungsraum Storms ‚Schimmelreiter‘ (früher: Küche 1868-1880)“ und der Raum mit Möbelstücken Storms aus seiner Zeit in Hademarschen mit „Hademarschenzimmer (früher: Schlafzimmer)“ ausgezeichnet. Den Besucherinnen und Besuchern wird mithilfe dieser Kombination aus gegenwärtig gültiger Bezeichnung und Mini-Analepsen zugleich eine Vorstellung von der historischen Raumaufteilung und -nutzung geliefert wie auch eine Orientierung innerhalb der derzeitigen Ausstellung geboten. Durch die weiterführenden Erläuterungen zu einzelnen, in den Raumensembles aufgehenden Objekten wird der Ort in Hinblick auf seine literarische Bedeutung zum Sprechen gebracht. Damit wird das Haus zu einem Ort, der nicht nur deshalb wichtig ist, weil Storm hier lange Zeit lebte, sondern auch, weil er Einfluss auf die von ihm geschaffene Literatur genommen hat. Literaturmuseal ausstellend wird in jeweils zwei Räumen im Erd- sowie im Obergeschoss verfahren. Die Ausstellung im Erdgeschoss nimmt Storms Leben und Werk allgemein in den Blick. In den zwei Räumen befinden sich mehrere Vitrinen sowie ein Sekretär und ein Schrank, die allesamt als Ausstellungsmobiliar fungieren. Gefolgt wird dabei einer chronologischen Struktur, aufgeteilt in die Lebens-

153 Vgl. bspw. den Text zu „Kolorierte Kupferstiche von Claude J. Vernet (1714-1789)“: „Vernets Kupferstiche hatte Storms Großvater von einer Frankreichreise mitgebracht; sie hingen im Elternhaus Storms, Hohle Gasse 3 in der oberen Etage. / Storm erwähnt sie in seiner Novelle ‚Von heut und ehedem‘ (1873): / [...] droben in der Stube hinter dem Saal, wo noch die Vernetschen Kupferstiche hingen, sollte es zuweilen recht ‚unruhig‘ zugehen. / Die beiden Kupferstiche wechselten mehrfach den Besitzer; sie waren 1901 im Besitz von Frau Mummy (verwandt mit Storms Frau) in Kopenhagen“ (StormHaus, Zimmer „Viola tricolor“; kursive Hervor. i.O. in blauer Schrift).

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und Schaffensphasen des Autors.154 Im Gegensatz zu den bislang beschriebenen Ausstellungen ist hier nicht ein Ausstellungstext zentral, der als schriftsprachliche Erzählung durch die Ausstellung leitet und dem belegende oder zu Inszenierungszwecken eingebundene Objekte und Dokumente lediglich zur Seite gestellt wurden. Letztere bilden ganz im Gegenteil den Ausgangspunkt der Betrachtungen. Durch die Zuordnung der ausgestellten Stücke zu einer Lebens- bzw. Schaffensphase wird zunächst eine zeitliche Ordnung entlang der zwei Räume hergestellt. Innerhalb dieser Einheiten sind sowohl Fotos, handschriftliche Quellen, Erstausgaben, persönliche Stücke (zum Beispiel Porzellantassen oder ein Amulett) sowie weitere Objekte und Dokumente zu sehen. Diese sind mit Nummern versehen, die eine Fußnoten ähnliche Funktion haben: Zu jeder Nummer und damit jedem Objekt ist auf einem Blatt, das in der Nähe der gezeigten Objekte (z.B. in der Vitrine oder an der Wand neben Bildern) positioniert wurde, eine kurze Information dazu festgehalten. Zu ausgewählten Objekten befindet sich zudem ein zusätzlicher Text innerhalb der Vitrine. Auf ebendiese Weise mithilfe von Objekten das Leben eines Autors zu erzählen, ist ein gänzlich anderes Vorgehen als bei denjenigen Ausstellungen, die vom (darstellenden) Text ausgehen. In den chronologisch strukturierten Ausstellungen, die konzeptionell vom Text ausgehen, wird das Leben der Schriftsteller/innen in seinen einzelnen Phasen recht gleichmäßig und gleichverteilt erzählt und erläutert. Bei vom Objekt ausgehenden Ausstellungen bilden jene das bestimmende Parameter: Zunächst ist hier also die Frage zentral, ob für einen bestimmten zeitlichen Abschnitt überhaupt Objekte verfügbar sind bzw. ob diese sich zur Einbindung in eine Ausstellung eignen. Die schließlich ausgewählten Objekte werden dann innerhalb der Ausstellung in eine räumliche Ordnung gebracht, die sich sowohl an chronologischen wie auch lokalen, kausalen oder konsekutiven bzw. finalen Strukturen ausrichten kann – im Storm-Haus wurde für die Objektgruppierungen in Vitrinen eine chronologische Struktur gewählt. Allerdings erfolgte innerhalb der Vitrinen keine Strukturierung nach einem der oben benannten Merkmale. Auf diese Weise kommen innerhalb der Vitrinen sehr verschiedenartige Objekte zusammen, die ebenso unterschiedliche Bedeutungshorizonte eröffnen: während die einen auf ein für Storm persönlich bedeutsames Moment verweisen, entfalten andere ihre Bedeutsamkeit insbesondere in Hinblick auf seine Werke, wieder andere scheinen zunächst weder mit dem einen, noch mit dem anderen in direktem Zusammenhang zu

154 Folgende Einteilungen wurden vorgenommen: (Raum 1, EG:) 1. 1817-1826: Elternhaus, Vorfahren, Husum, 2. 1826-1837: Schule in Husum und Lübeck, 3. 1837-1842: Studium in Kiel und Berlin, 4. 1842-1853: Als Rechtsanwalt in Husum, 5. 1853-1864: Exil in Potsdam und Heiligenstadt, (Raum 2, EG) 6. 1864-1875: Wieder in Husum, 7. 1875-1880: Hauptschaffensperiode und 8. 1880-1888: Hademarschen.

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stehen: Die Beschriftung zu einem Stahlstich unter der Nummer 2 lautet: „Herzogliches Schloss in Weimar; kolorierter Stahlstich, 19. Jhd.“ (Storm-Haus, Raum 2 der „Ausstellung zu Storms Leben und Werk“ im EG). Erst durch die zusätzlich unter dem Bild angebrachte Beschriftung, die sich nur bei einigen wenigen Objekten in den Vitrinen findet, wird klar, warum ein Stahlstich des Weimarer Schlosses aufgenommen wurde: Weil Storm 1886 „zur Jahrestagung der neugegründeten GoetheGesellschaft“ reiste und dort „auch seinen Freund Erich Schmidt, den Direktor des Goethe-Archivs“ (ebd.), besuchte. Erzählt werden hier folglich nicht in gleichförmiger Weise Storms Leben und Werk, sondern es werden äußerst divergente Objekte nebeneinandergestellt und zu diesen kurze Erläuterungen gegeben. Auf diese Weise entsteht jedoch keine durchgängig kohärente oder gar lineare Erzählung. Die Besucher/innen sind hier gezwungen, Leerstellen auszuhalten bzw. selber zu füllen, erzählt wird in episodenähnlichen Einzelbildern. Anders hingegen wird in den Ausstellungsräumen im Obergeschoss verfahren, woran bereits deutlich wird, dass die Ausstellungskonzeptionen im Erd- und im Obergeschoss unterschiedlichen Generationen angehören. Im Obergeschoss wurde 2009 in zwei Räumen ein abgetrennter, für sich stehender Ausstellungsbereich eingerichtet, der sich ausschließlich dem Schimmelreiter widmet und dessen Haupterzählstrang von Texten ausgeht, nicht von Objekten. An den Wänden befinden sich großformatige Texttafeln, die an den Wandseiten, wo sich keine Fenster befinden, in Form eines Triptychons um ein großes Bild einer Küstenlandschaft bzw. eine Karte mit den Deichen des „Hattstedter Neuer Koog“ zu verschiedenen Zeitabschnitten angeordnet wurden. Unterhalb dieser stehen wiederum Vitrinen mit verschiedenen historischen Dokumenten und Objekten zum Deichbau und zur Werkgeschichte des Schimmelreiter (1888). Der Haupterzählstrang richtet sich primär auf entstehungsgeschichtliche Aspekte. Inhaltlich wird auf die Erzählung nur insofern eingegangen, als historisch-reale Ereignisse, Umstände und Personen aufgegriffen werden und erklärt wird, inwiefern sich diese im Werk wiederfinden. In der Konzentration auf den Schimmelreiter manifestiert sich neben der Wertung dieses als Zentralwerk eine regionalgeschichtliche Schwerpunktlegung, die eng mit den Problemen der Küstenregion und damit des Deichbaus verwoben ist.155 Indem be-

155 Der gegenwärtige Leiter, Demandt, beabsichtigt, in Zukunft stärker die Verwobenheit Dänemarks und Deutschlands innerhalb der Literatur des Autors Storm herauszustellen. Damit würde zwar ein grenzüberschreitendes Ausstellungsinteresse anvisiert, allerdings bliebe die Ausstellung auf regionale, nämlich deutsch-dänische, grenzspezifische Aspekte ausgerichtet. Regional literaturgeschichtlich ist schließlich auch die aktuelle Kooperation des Storm-Hauses mit dem Buddenbrookhaus, in deren Rahmen die Beziehung zwischen Storm und Thomas Mann auf einer Tagung sowie innerhalb einer Sonderausstellung, die an beiden Orten gezeigt wird, beleuchtet werden soll. Vgl. „Bürger

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reits neben dem Eingang in den Raum darauf hingewiesen wird, dass es sich bei dem Deichgrafen des Schimmelreiter um eine „regionale Sagengestalt“ handelt, wird der Ausgangspunkt für die Darstellungsstruktur und Argumentationslinie des Ausstellungsteils zum Schimmelreiter gelegt: So wird ein Großteil der Darstellungen darauf gerichtet, erstens zu belegen, dass die Spukgeschichte um die Figur des Schimmelreiters ihren Ursprung nicht in der Husumer, sondern in der Danziger Region hat, und zweitens nachzuzeichnen, an welche historischen Personen, Höfe etc. sich Storm bei der literarischen Gestaltung anlehnte und welche Quellen er dazu verwendete. Der Ausstellungsteil im ersten Raum hat damit zum einen die Funktion, über Anlehnungen an Storms zeitgenössische Umwelt zu informieren, andererseits aber auch die Vorstellung, es handle sich bei der Erzählung um einen rein heimatgeschichtlichen Mythos, zu revidieren. Im zweiten Raum stehen editionsgeschichtlich relevante Aspekte im Vordergrund. Als von der Decke bis zum Boden hängende ‚Textfahnen‘ sind Teile des Manuskripttexts abgedruckt, aus denen Änderungen im Originalmanuskript hervorgehen. Den Besucherinnen und Besuchern soll auf diese Weise ein Einblick in die literarischen Schaffensprozesse Storms ermöglicht werden. Wie gezeigt, sind am Beispiel des Storm-Hauses seine geschichtlichen Entwicklungen und Veränderungen innerhalb der Ausstellungsräume bis in die Gegenwart nachvollziehbar. Das macht es als literaturmusealen Fall in historischer Perspektive besonders interessant. An ihm lässt sich nachvollziehen, wie schrittweise originale Möbelstücke aus dem Besitz Theodor Storms integriert wurden und dadurch Mischformen unter den Räumen entstanden, die sowohl als historisch-authentische Inszenierung als auch als musealer Ausstellungsraum fungieren. Darüber hinaus tritt die Veränderung von Ausstellungskonzeptionen und -techniken besonders deutlich hervor, wenn man die Ausstellungsräume im Erd- sowie im Obergeschoss miteinander vergleicht. Zwar wird in letzteren auch noch mit solchen Vitrinen gearbeitet, wie sie im Erdgeschoss eingesetzt werden, allerdings geschieht dies ausgehend von einer textuellen Rahmung und in tendenziell additiver Weise. Die historisch (und original wieder) eingerichteten Räume sind nicht nur in Hinblick auf die in ihnen versammelten authentisch-auratischen Gegenstände oder Möbelstücke wichtig, sondern entfalten eine besondere Relevanz erst dadurch, dass sie für die Entstehung und Ausgestaltung Storms literarischer Werke bedeutsam geworden sind. Mit den historisch wieder eingerichteten Räumlichkeiten soll daher nicht bloß gezeigt werden, wie Storm gelebt hat, bzw. den Besucherinnen und Besuchern eine Begegnung mit dem authentischen Ort ermöglicht werden. Vielmehr scheint erst mit der Verbindung zu den literarischen Werken eine tatsächliche Be-

auf Abwegen: Thomas Mann und Theodor Storm“ (Homepage des Theodor-StormHauses [http://www. storm-gesellschaft.de/, zuletzt abgerufen am 27.01.2015]).

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deutsamkeit und damit eine Rechtfertigung für das Gezeigte zu entstehen. In erinnerungstheoretischer Hinsicht ist eine solche Verschiebung von großer Bedeutung, da sich hierdurch auch die Art der Erinnerung qualitativ verändert. Der Autor wird schließlich nicht mehr als Quasi-Heiliger ‚verehrt‘, mit dem Besuch des historischauthentischen Ortes wird keine Vergegenwärtigung oder gar die Durchdringung des eigenen Geistes mit Storms Genius verbunden,156 sondern die originalen Objekte werden zu Mitteln, mit deren Hilfe konkrete Anlehnungspunkte in der Literatur verobjektiviert werden können. Sie werden gegenständlich. Einer rational motivierten, der Belegführung durch Quellen ähnelnden Darstellungs- und Argumentationsstruktur wird somit gegenüber der emotional-empathischen Einfühlung in die Lebens- und Schaffensverhältnisse der Dichter/innen Vorrang gegeben. Dies spiegelt sich auch in der Schwerpunktlegung innerhalb der Abteilung zum Schimmelreiter, wo der Mythos von der heimatgeschichtlichen Erzählung bzw. Figur des Schimmelreiters aufgedeckt und entstehungsgeschichtlichen Fragen nachgegangen wird. 7.3.9 Ausstellung in der Seghers-Gedenkstätte Bei der Anna-Seghers-Gedenkstätte handelt es sich um die ehemalige Wohnung Seghers, die nach ihrem Tode der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Die Autorin und ihr privater Lebensraum stehen hier im Zentrum, Anlehnungen in der Literatur an diesen Ort wie bei Storm oder die Verwebung von Literatur und historischem Ort, wie sie sich in der Strittmatter-Gedenkstätte zeigt, gibt es nicht. Die heute zugänglich gemachten Räume – das Arbeitszimmer Seghers’ sowie das Wohnzimmer157 – seien, nach Aussage der Leiterin (vgl. Pfeil [SeghersGedenkstätte], Abs. 20), nach dem Tod der Schriftstellerin größtenteils so erhalten geblieben, wie sie von ihr zurückgelassen wurden. Damit ist die Gedenkstätte als einer der wenigen Fälle anzusehen, bei dem die Möbelstücke nicht erst zurückgebracht werden mussten, so dass deutlich mehr der zugänglichen Räume noch ‚original‘ eingerichtet sind, als dies für viele andere Gedenkstätten oder insbesondere Museen gilt. Die Einrichtung der Wohnung wird als schlicht charakterisiert: Es werden keine Luxusgegenstände gezeigt. Zu sehen sind die „soliden Holztische[...]“, die bis unter

156 Solche Beschreibungen des historischen Ortes als auratischem Ort, von dem man sich erhoffte, es würde durch den Besuch etwas von dem Genius des Schriftstellers auf einen selbst abfallen, finden sich in Ausführungen von Personen, die im 19. Jahrhundert das ehemalige Wohnhaus Goethes oder Schillers besuchten. Vgl. dazu Heuer/Hoffmann 2013, S. 216-221. 157 Zur Nutzung der anderen Räume siehe unten in diesem Kapitel.

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die Decke reichenden Bücherwände sowie die in der Wohnung verteilten kleinen Sitzgelegenheiten. Im Prospekt der Gedenkstätte heißt es dazu: „Möbel und Gegenstände wurden einzig unter dem Gesichtspunkt überschaubarer Zweckmäßigkeit ausgewählt. Wichtig war lediglich, an soliden Holztischen arbeiten zu können, die umfangreiche Bibliothek bequem zur Hand zu haben und Freunde empfangen und beherbergen zu können.“158

Die Betonung der Schlichtheit der Wohnung und ihrer Ausstattung dienen dem (Ausstellungs-)Zweck, ein ganz bestimmtes Bild von der Autorin zu konstruieren. Durch die spartanische Einrichtung kann herausgestellt werden, dass Seghers eine genügsame Person159 und darüber hinaus gesellig („Freunde empfangen und beherbergen“) sowie gebildet („umfangreiche Bibliothek“) gewesen ist. Die Wohnung wird folglich entsprechend ihrer Einrichtungsgegenstände mit Blick auf Eigenschaften der Autorin ausgedeutet. Die Räume des Alltags hingegen, wie Schlafzimmer, Küche und Bad, sind nicht mehr bzw. nur zum Teil original erhalten.160 Indem diese (teils vollständig) fehlen, erhalten die Besucher/innen zwar Einblicke in private Räume Seghers’, allerdings primär in solche, die einen unmittelbaren Bezug zu ihrem literarischen Schaffen herstellen: Sie waren Arbeits-, Lese- oder Besprechungsraum. Diejenigen Räumlichkeiten, die im Gegensatz zum Geistigen, zum kreativen Schaffen zu stehen scheinen und körperliche Bedürfnisse in den Blick brächten – wie Schlafen, Essen und Hygiene –, werden nicht gezeigt oder weiterhin genutzt (wie die Küche), weshalb ihnen kein semiophorer Status zugeschrieben wird. Die Überführung der ehemaligen Wohnung der Autorin in eine öffentlich zugängliche Gedenkstätte hat folglich eine Reduktion der Person von Anna Seghers auf ihre Funktion und Bedeutung

158 „Aus dem Prospekt der Anna-Seghers-Gedenkstätte“ (Webseite der SeghersGedenkstätte [http://www.anna-seghers.de/dokumente/gedenkstaette_prospekt.pdf, zuletzt abgerufen am 17.12.2014, S. 1]). 159 In einem Text von Klaus Bellin zur Wohnung Seghers’, der auf der Homepage der Gedenkstätte abrufbar ist, wird dies noch deutlicher betont: „Man hatte in der oberen Etage zwei kleine Wohnungen zusammengelegt und damit eine größere mit sechs Zimmern geschaffen. Es war der einzige Luxus, den Anna Seghers in Anspruch nahm. Angebote, ein Haus zu beziehen und ähnlich repräsentativ zu wohnen wie Becher oder Arnold Zweig im Norden der Stadt, lehnte sie jedes Mal ab“ (Aus: Bellin, Klaus: Die Wohnung der Seghers (Webseite der Anna-Seghers-Gedenkstätte [http://www.anna-seghers.de/ dokumente/bellin_segherswohnung.pdf, zuletzt abgerufen am 17.12.2014]). 160 Zwei Räume wurden umgenutzt in ein Mitarbeiterzimmer und einen kleinen Ausstellungsraum.

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als Schriftstellerin mit sich gebracht – die privat-alltäglichen Aspekte bleiben ausgeklammert. Indem die original eingerichteten Räume zudem nicht beschriftet wurden, wird das Bild einer unberührten Überlieferung inszeniert. Auf diese Weise wird die unmittelbare Begegnung mit der Autorin bzw. ihrer Lebenswelt zum leitenden Narrativ der Gedenkstätte. Dies spiegelt sich auch in den Ausführungen der Leiterin, die die Seghers-Gedenkstätte als „original“ erhalten beschreibt: „Die Räumlichkeiten sind so geblieben, man hat dann halt nur nochmal saniert, gemalert und so, aber sonst ist alles so geblieben, und dann hat man sich überlegt, welche Räume man sozusagen zeigt. Die anderen Räume sind auch noch original eingeräumt, der Raum dort hinten in der Nähe von dem modernen Bad, aber hier nebenan war noch ein Arbeitszimmer, da war noch ein Schlafzimmer; wo jetzt die Küche ist und der Arbeitsraum meiner Mitarbeiterin, da war noch ein Schlafzimmer, das hat man also ein bisschen umgeräumt und nur die Sachen hat man original hier gelassen, dieses Bücherregal hier, die sind ja auch sehr, sehr schön“ (Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 20).

In diesem Zitat zeigt sich bereits das zentrale Spezifikum von Gedenkstätten, die zuvorderst der Erhaltung des historisch-authentischen Ortes dienen sollen: Es wird zugrunde gelegt, dass es sich um die „original“ erhaltenen Räume handle. Dabei ist – auch bei anderen Einrichtungen – für die Auskunft Gebenden unerheblich, ob es sich um sanierte bzw. restaurierte Räume handelt, ob diese zwischenzeitlich anderweitig genutzt und nachträglich wieder mit den originalen Möbelstücken eingerichtet wurden etc. Wenn in diesem Kontext die Begriffe „original“ oder „authentisch“ benutzt werden, wird die Konstruiertheit der Räume in aller Regel nicht mitreflektiert. Indem Pfeil jedoch ausführt „und dann hat man sich überlegt, welche Räume man sozusagen zeigt“ und „hat dann halt nur nochmal saniert“, wird im Grunde expliziert, dass auch das Zugänglichmachen scheinbar original erhaltener, vorhandener Räumlichkeiten nicht ein bloßes ‚Aufschließen‘ der Räume ist, sondern eine Konstruktionsleistung dessen, was hier als zu zeigende Stätte an die Öffentlichkeit vermittelt werden soll. Es steht demzufolge eine bewusste Inszenierungsentscheidung dahinter, beispielsweise eben nicht das Schlafzimmer zu zeigen, sondern das Arbeits- und Wohnzimmer Seghers’. Diese Entscheidungen hängen wiederum mit der Frage nach der Bedeutsamkeit der Räume für das Leben und künstlerische Schaffen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusammen, deren Wohn- und Arbeitsräume jeweils zugänglich gemacht werden sollen. Dass sich dieser Diskurs des unveränderten Ortes nicht allein in den Aussagen Pfeils spiegelt, sondern sich ebenso in Publikationen zur Seghers-Gedenkstätte wiederfindet, lässt sich exemplarisch an den Schilderungen Ernst Stöckmanns zeigen:

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„Seit dem Tod von Anna Seghers wird ihr Adlershofer Domizil durch die Akademie der Künste als Gedenkstätte betreut. Die Wohn- und Arbeitsräume mit der kostbaren, fast zehntausend Bände umfassenden Bibliothek, mit dem schlichten Mobiliar, der alten Reiseschreibmaschine aus der Exilzeit und den vielen Reiseandenken aus aller Welt zeigen einen faszinierenden Originalzustand. Als ob die Zeit angehalten wäre. Der Besucher bemerkt, dass Anna Seghers’ Zimmerpflanze gegossen ist und ertappt sich bei dem Eindruck einer unangetasteten Wohnlichkeit: bei dem Gedanken, dass es noch nicht so lang her sein könnte, dass hier geschrieben und telefoniert, gelacht und gut mainzerisch geschwätzt wurde. Alles hier ist an seinem Platz geblieben, authentisch, spricht die Sprache des bescheidenen Lebensstils der Seghers, lässt sich lesen wie ihre Texte im Stil der Einfachheit und gehört als Anschauungsunterricht für gelebte Genügsamkeit zum historischen Vermächtnis der Jahrhundertschriftstellerin“ (Stöckmann 2012, S. 30).

Zwar scheint Stöckmann mit der Feststellung „Der Besucher bemerkt [...] und ertappt sich“ zwischenzeitlich genau den Eindruck „Als ob die Zeit angehalten wäre“ aufbrechen zu wollen, doch verfällt er schließlich wieder in den Duktus, dass alles „an seinem Platz geblieben, authentisch“ sei. Die Aussage, es sei „Anna Seghers’ Zimmerpflanze“, die hier frisch „gegossen“ stehe, bildet diesbezüglich einen kleinen Höhepunkt, verweist doch das „frisch gegossen“ auf den Zustand der Räume, die wirken, als wären sie soeben erst von der Autorin verlassen worden. Die Pflanze erhält sogar beinahe einen reliquienartigen Status, indem sie ein noch lebendes Überbleibsel aus der Zeit ist, in der Seghers selbst in der Wohnung noch zur Miete lebte. Dass in den historisch-authentischen Räumen völlig auf kontextualisierende Paratexte verzichtet wurde, ist damit zu erklären, dass die Atmosphäre dieser als original erhaltene Wohnräume nicht gestört werden soll. Besichtigt werden können die Räume nur in Verbindung mit der Teilnahme an einer Führung, für die bei der Seghers-Gedenkstätte eine freie Mitarbeiterin zuständig ist. Da vor allem in der BrechtWeigel-Gedenkstätte immer wieder Einrichtungsgegenstände, insbesondere Bücher, gestohlen wurden, dürfen die Räume nur noch in Anwesenheit eines Museumsmitarbeiters oder einer Museumsmitarbeiterin betreten werden. Dies ist allerdings nicht der einzige Grund dafür, dass die Besichtigungen nur geführt erfolgen. Die Führungen hält Pfeil grundsätzlich für wichtig, denn es wäre „auch langweilig, wenn man rumgeht und sich nur die Möbel anguckt, gut, man könnte bei den Büchern vorbei, dann kann man sich die ganzen Autoren angucken, die sie hat in ihrer Bibliothek, aber ich finde, dass gerade das, dass man was erzählt bekommt, dass man Fragen stellen kann, dass ein Gespräch entsteht, dass man auch mal über spezielle Themen was machen kann“ (Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 43).

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Abgesehen von den mündlichen und somit in jeder Führung variierenden Ausführungen zu den Räumlichkeiten stehen diese ausschließlich für sich. Sie stellen ein Artefakt des Lebens Seghers’ dar und als solche werden sie durch den bewussten Verzicht auf Paratexte inszeniert. Die Bedeutung von in Bezug auf die Schriftstellerin wichtigen Details wie die vielen kleinen, bunten Figuren, die Seghers sammelte und die sich überall verteilt in den Regalen finden, oder die Nutzung der Räume wie auch bspw. des Balkons, auf dem sie besonders gerne geschrieben haben soll,161 werden erst in den Führungen entfaltet. Die Führungen sind in diesem Sinne als kontextualisierender und Bedeutung generierender Ersatz einer schriftlichen Erzählung zu verstehen, durch die Einzelelemente verknüpft und zu einem kohärenten Bild zusammengesetzt werden. Ein nicht unwesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass ebendiese im Laufe einer Führung generierten Erzählungen jedes Mal wieder individuell und verschieden sind. Im Gegensatz zu den anderen untersuchten Ausstellungen liegt damit eine – abgesehen von dem kleinen Ausstellungsraum – oral geprägte Vermittlungspraxis vor, wie sie für institutionalisierte Museen und Gedenkstätten tendenziell unüblich ist.162 Dadurch, dass die Informationen mündlich an die Besucher/innen weitergegeben werden, entsteht eine Art von Nähe, wie sie in der Schriftlichkeit nicht möglich ist. Erstens hat die durch die Gedenkstätte führende Person die Möglichkeit, speziell auf die Besucher/innen einzugehen, deren Fragen zu beantworten oder ihre Interessen aufzugreifen; und zweitens scheint auch die führende Person der ‚ausgestellten‘ Schriftstellerin näher zu stehen. Denn indem jene davon erzählt, wie Seghers die Räume gewöhnlich genutzt hat und auch auf einzelne Details und Anekdoten eingeht, entsteht für Außenstehende der Eindruck, sie habe die Schriftstellerin in diesen Räumen selbst erlebt. Hier lassen sich die die Führung anbietenden Personen tatsächlich mit den in der Assmannschen Erinnerungstheorie aufgeführten „spezifischen Trägern“ einer mündlichen Erinnerungskultur vergleichen, die das Ritual der Aktualisierung (die Führung) begehen, indem sie ihr offenbar mündlich tradiertes Wissen teilen. Die kleine Ausstellung im ehemaligen Arbeitszimmer von Seghers’ Mann, László Radványis, orientiert sich konzeptionell an Anna Seghers’ literarischem Schaffen. Ihr Zweck ist es, „ein Leben einer Autorin zu erzählen anhand ihrer Bü-

161 So Pfeils Darstellung in der Führung durch die Ausstellung, die ich erhalten habe. 162 An dieser Stelle muss daher auch darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keine spezielle Erhebungsmethode für eine solche, mündliche Erzählweise einbezogen wurde. Wäre die Führung aufgezeichnet und transkribiert worden, hätte die Möglichkeit bestanden auf Einzelheiten und Formulierungen genauer einzugehen. Allerdings hätten, um daraus verallgemeinerbare Schlüsse ziehen zu können, dann auch mehrere Führungen aufgezeichnet werden müssen, um etwas über die Grundstrukturen und stets wiederkehrenden narrativen Momente zu erfahren.

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cher, das lässt sich nicht bei allen so gut machen, bei Anna Seghers lässt sich das wirklich gut machen, weil die so zeitig angefangen hat zu schreiben“ (Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 95). Pfeil berichtet weiter, dass ihre Vorgängerin die Dauerausstellung eingerichtet habe, um den historisch-authentischen Räumen einen Kontext zu geben und über das Erzählte derjenigen Person, die durch die Räume führt, hinaus schriftliche Informationen anzubieten (vgl. ebd., Abs. 97). Diese Motivation scheint ebenfalls für andere Gedenkstätten handlungsleitend gewesen zu sein, denn meistens sind nicht nur die historischen Räume zugänglich gemacht, sondern diese auch um eine (kleine) Ausstellung ergänzt worden. Die private Seite der Autorin wird hier nur am Rande und unter Bezugnahme auf ihr Werk angeschnitten. Die Vitrinen der kleinen Präsentation sind chronologisch angeordnet und inhaltlich am literarischen Schaffen Seghers’ ausgerichtet. Grundsätzlich lassen sich die folgenden Schwerpunkte im chronologischen Durchgang erkennen: Anna Seghers’ Schulzeit – hier wird besonders betont, dass Rita Denk als Vorbild für die literarische Figur Gerda in Ausflug der toten Mädchen (1946) diente –, vor dem Exil entstandene Literatur, der Roman Das siebte Kreuz (1942), Seghers’ Verhältnis zu Georg Lukács, Rezeption und Ehrung der Autorin, ihre Zeit im Exil sowie ihr dortiges Engagement für die Zeitschrift „Freies Deutschland“ und als Präsidentin des Heinrich-Heine-Clubs, die Erzählung Transit (1944). Zwischen den Fenstern des Ausstellungsraumes hängt eine kurze Biographie der Autorin, die einen Überblick über ihre Lebensstationen bietet. Keiner der genannten ‚Schwerpunkte‘ wird allerdings mit tiefergehenden Informationen versehen oder ausgeführt, was die Ausstellung voraussetzungsreich macht. Einige der Schrankvitrinen (vgl. Abb. 14) versammeln überwiegend verschiedene Ausgaben ein und derselben Erzählung, wie zu Das siebte Kreuz, oder unterschiedlicher Erzählungen zu einem thematischen Bereich, zu nennen wären hier die Karibischen Erzählungen Seghers’, und bilden damit vereinzelte Schwerpunkte. In anderen Vitrinen stehen Seghers-Karikaturen und -Bilder sowie Zitate zu der Autorin neben Ausgaben weiterer von ihr verfasster Literatur. Die in den Vitrinen angebrachten Texte verfügen im Gegensatz zu den teilweise eingesetzten Beschriftungszetteln über kein einheitliches Format. Auf ihnen abgedruckt finden sich Brief- oder Tagebuchauszüge, Zitate zu oder von Anna Seghers sowie lyrische Auslassungen über die Autorin, so dass nicht immer klar wird, wer hier spricht. Die einzelnen Objekte, Dokumente und Zitate funktionieren wie Allusionen, indem sie auf bedeutsame Momente in Seghers’ Leben rekurrieren, diese aber nicht näher erklären.

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Abb. 14: Blick in den kleinen Ausstellungsraum in der Seghers-Gedenkstätte (im Vordergrund Verkaufstisch, im Hintergrund Vitrinen und darüber Bücherregale mit Sekundärliteratur zu Seghers)

Die vielen ausgestellten Ausgaben ihrer Werke scheinen einerseits zeigen zu sollen, wie früh Seghers bereits mit dem Schreiben begonnen hat163 und wie viele verschiedene Werke sie hervorgebracht hat, zum anderen aber auch, dass diese nicht nur in der deutschen, sondern in vielen anderen Sprachen erschienen sind. Sie sind folglich als belegende Repräsentanten für Seghers’ Werk und dessen (internationale) Bedeutung zu verstehen. Dass keine umfangreichere Ausstellung geboten werde, begründet Pfeil mit den beschränkten Gegebenheiten vor Ort, denn die unter Denkmalschutz stehenden Räume dürften nicht verändert werden (vgl. Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 71). Daher habe die Gedenkstätte nicht die Möglichkeit, mit interessanten, medial gut ausgestatteten Ausstellungen zu locken, wie dies andernorts der Fall sei. Bezüglich der eigenen Voraussetzungen meint die Leiterin, man müsse

163 „[...] ein Leben einer Autorin zu erzählen anhand ihrer Bücher, das lässt sich nicht bei allen so gut machen, bei Anna Seghers lässt sich das wirklich gut machen, weil die so zeitig angefangen hat zu schreiben, da kann man das wirklich gut machen [...]“ (Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 95).

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„schon so ein bisschen unterhalten, einfach dass man, hier kommt es ja wirklich nur durch Gespräche oder eben durch das Hören, das ist eine Viertelstunde, diese CD [auf der zu hören ist, wie Seghers selbst liest] – wenn man das schon erreicht, dass die Schüler wirklich auch gespannt, das kann man ja gut, vielleicht vorsichtig hier durch Rundgänge, und dann sitzt man hier, und wenn die wirklich hier mal eine Viertelstunde gut zuhören, dann hat man auch schon viel erreicht“ (ebd., Abs. 67).

Wie sich an Pfeils Ausführungen zeigt, bringt die zunächst besonders günstige Überlieferungslage – die Wohnung blieb erhalten und wurde nicht zwischenzeitlich anderweitig genutzt – auch Nachteile in der Vermittlungsarbeit mit sich. So kann die Einrichtung sich zwar darauf berufen, dass sie die Wohnung Seghers’ erhalten habe. Allerdings sind aus ebendiesem Grund auch nicht die Möglichkeiten gegeben, eine umfangreiche informierende bzw. kontextualisierende Ausstellung einzurichten. Die original eingerichteten Räume sind als ebensolche inszeniert: Die Wohnung Seghers’ wurde eben nicht einfach nur aufgeschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Gegenteil wurde dezidiert entschieden, welche Räume gezeigt und welche ausgeräumt oder anderweitig genutzt werden sollten. Indem in erster Linie diejenigen Räume gezeigt werden, die für Seghers’ literarisches Schaffen sowie ihr intellektuelles Umfeld von Bedeutung waren, erfolgt erinnerungspraktisch eine Fokussierung. Wenngleich also die authentischen Räume in Einrichtungen wie der Seghers-Gedenkstätte als unveränderte Orte vermittelt und rezipiert werden, sind sie doch im Sinne eines Erinnerungsnarrativs intentional gestaltet worden. 7.3.10 Ausstellung im Raabe-Haus Die literaturmuseale Einrichtung des Raabe-Hauses befindet sich in der ehemaligen Wohnung Raabes. Zwar wurde der obere Teil des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg bis auf seine Fassade ausgebombt und auch die ehemalige Wohnung Raabes dadurch zu großen Teilen zerstört, doch konnte sie nach Kriegsende wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt werden. Da die Möbelstücke Raabes sowie seine Bibliothek, die bereits während des Zweiten Weltkriegs von der Stadt Braunschweig erworben worden waren, von Raabes Tochter, Margarethe, aus der Stadt und in Sicherheit geschafft worden waren, verfügt das Haus heute über die damalige Einrichtung von Arbeitszimmer und Bibliothek Raabes. Diese wird in den wiederhergestellten, historischen Räumlichkeiten gezeigt. Der Raum kann von den Besucherinnen und Besuchern nicht selbst betreten werden. Eine blaue Kordel ist im Eingangsbereich der Türe angebracht, die das Betreten des Raumes zwar verhin-

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dert, aber einen guten Einblick in das Zimmer erlaubt.164 Im Türrahmen sind zwei im einheitlichen Design der Ausstellung gestaltete Hinweisschilder angebracht, die über „Das Arbeitszimmer“ und „Die Bibliothek“ informieren. Auf letzterem Hinweisschild ist über dem genannten Text ein Foto abgedruckt, auf dem Raabes Arbeitszimmer mit Bibliothek zu seinen Lebzeiten zu sehen ist. Auf diese Weise wird der gegenwärtige Zustand des ausgestellten Zimmers beglaubigt, denn die Möbelstücke und Bilder befinden sich an demselben Platz wie damals. Schaut man genauer hin, führt das Foto darüber hinaus vor Augen, dass es sehr wohl einen Unterschied zwischen dem damaligen Zimmer und dem gegenwärtig zu besichtigenden gibt: denjenigen der Inszenierung. Während in dem Zimmer auf dem Foto beispielsweise mehrere Haufen mit Dokumenten und Papieren zu erkennen sind, fehlen diese im heutigen Zustand. Die Ähnlichkeit der beiden Räume vermag also, den heute zu sehenden Zustand zu beglaubigen, die Bibliothekseinrichtung als die authentische erkennen lassen, jedoch weist die Differenz darauf hin, dass es eben nicht dasselbe Arbeitszimmer ist, das Raabe in ebenjenem historischen Zustand verlassen hat, sondern dass es ein inszenierter, wiedereingerichteter, aufgeräumter und von Dokumenten und Zeugen Raabes Schreibarbeit befreiter Raum ist. Neben diesem historisch-authentisch wiedereingerichteten Raum gliedert sich die Ausstellung in drei weitere Abschnitte: 1. den Eingangsbereich, 2. den Ausstellungsabschnitt zu „Raabe als Mensch“ und 3. denjenigen zu „Raabe als Schriftsteller“. Der Eingangsbereich zeugt in erster Linie von der Rezeption Raabes, da hier verschiedene (affirmativ-lobende) Zitate anderer Schriftsteller/innen zu Raabe an den Wänden angebracht sind165 und die Raabe-Preisträger/innen seit 1944 aufgelistet werden. Aber auch Raabe selbst kommt hier erstmalig zu Wort. In diesem Zitat aus einem Brief äußert sich Raabe zu der Wohnung, in der sich nun auch die Ausstellung befindet. Da sich in dem Zitat wenig Begeisterung aufseiten Raabes für diese neue Wohnung feststellen lässt, wenn er das Gebäude als „abgeschmackten scheußlichen Koulissenbau“ (Raabe-Haus, Eingangsbereich) charakterisiert, liegt es nahe, es im Kontext des Raabe-Hauses als anekdotisch-humorvolles Zitat zu verstehen. Neben der Rezeption und der Stellungnahme Raabes zu dem Wohnhaus hat der Eingangs- und Durchgangsbereich zur Hauptausstellung einführenden Charak-

164 Ein Vorteil zu den im Vergleich dazu im May-Museum genutzten Glasscheiben ist, dass die Besucher/innen sich hier leicht über die Kordel beugen und auf diese Weise auch sehen können, was sich um die Ecke befindet. Zudem schafft eine Kordel weniger Distanz als eine Glasscheibe. Nachteilig ist allerdings der geringere Schutz vor sich negativ auswirkenden klimatischen Einflüssen. 165 Ebenso im weiteren Ausstellungsverlauf zwischen den einzelnen thematischen Ausstellungsmodulen, aber auch zum Beispiel in den Toilettenräumen sind immer wieder solche direkt auf den Wänden angebrachten Zitate zu sehen.

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ter. Es gibt nicht nur eine knappe biografische Übersicht zum Schriftsteller, sondern auch eine an der Wand angebrachte Karte Braunschweigs, mit deren Hilfe nachvollzogen werden kann, wo Raabe in Braunschweig zuvor gewohnt hat. Darüber hinaus wird Raabes ‚zweite Begabung‘ ausgestellt: das Zeichnen. Im Gegensatz zu den thematisch gegliederten Modulen in den zwei Räumen der Hauptausstellung äußert sich der Erzähler der Ausstellung hier nicht selbst, sondern lässt lediglich andere zu Wort kommen – Raabes Tochter Margarethe und Hanns Fechner, einen Maler. Damit entzieht sich folglich der Erzähler einer Positionierung zu bzw. Bewertung von Raabes Zeichnungen. Indem allerdings neben Margarethe auch ein Mann des Fachs, ein Maler, zitiert wird, und dieser die Zeichnungen Raabes lobt, erhält dieser Ausstellungsbereich, der sich nicht auf Raabe als Schriftsteller bezieht, seine Legitimation. Raabes Doppelbegabung ist allerdings im Gegensatz zum Grass-Haus lediglich als Nebenbereich innerhalb der Ausstellung zu werten. Dies wird nicht nur an dem fehlenden Kommentar des Erzählers selbst deutlich, sondern auch an der Randstellung innerhalb der Räume der Ausstellung: der Bereich „Wilhelm Raabe als Zeichner“ befindet sich so zwar direkt zu Anfang der Ausstellung, jedoch auch vor den Hauptausstellungsräumen und an den Wänden (um eine Ecke herum) in Richtung Toiletten. Im letzten Raum der Ausstellung werden Raabes Mal- und Zeichenutensilien ausgestellt und der Erzähler geht doch noch auf Raabe als Zeichner ein (vgl. Raabe-Haus, „Der Schriftsteller als Zeichner“). In seinen Ausführungen verschränkt er allerdings nicht schriftstellerisches und zeichnerisches Werk Raabes, sondern grenzt diese vielmehr voneinander ab: „Das Zeichnen und Malen bleibt für ihn aber in erster Linie Zeitvertreib neben seiner literarischen Tätigkeit. Für die Öffentlichkeit produziert Raabe nie ein Bild, er erwägt auch nicht, seine Bücher von eigener Hand zu illustrieren“ (ebd.). Hierin liegt der zentrale Unterschied im Vergleich zum Grass-Haus, für das die Verschränkung der Mehrfachbegabung des Künstlers zentral ist und nicht nur das Grundkonzept des Hauses bestimmt, sondern innerhalb der Ausstellungen auch leitmotivische Funktionen erfüllt. Die zwei Hauptausstellungsräume unterteilen sich in die beiden Bereiche „Wilhelm Raabe als Mensch“ und „Wilhelm Raabe als Schriftsteller“. Es wird eine Trennung zwischen Raabe als Privatmensch und Raabe als beruflich tätigem Mensch vorgenommen. Die Kontrastierung ‚Mensch – Schriftsteller‘ und nicht beispielsweise ‚Privatperson – Schriftsteller‘ macht deutlich, dass das Schriftstellerdasein vom Menschsein getrennt verstanden wird. Hierin spiegelt sich ein zentrales Narrativ um Raabe als Schriftsteller, der die schriftstellerische Tätigkeit – im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen – hauptberuflich ausübt. Raabe wird hier reduziert auf seine Funktion und Bedeutung als Schriftsteller, die Verwebung der Dimensionen Raabe als Schriftsteller und Raabe als Privatperson ist nicht vorgesehen. Der Fokus richtet sich in dem Ausstellungsabschnitt „Wilhelm Raabe als Schriftsteller“ demgemäß auf die Erfolgsgeschichte des Autors, der die Entscheidung zur

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vollberuflichen Schriftstellerei bewusst getroffen habe (vgl. unten) – darauf verweist bereits der Titel des Moduls „Der Schriftsteller als Unternehmer“ (RaabeHaus; Hervorh. ARH): „Im Gegensatz zu seinen Schriftsteller-Kollegen, die zur Sicherung ihrer Existenz neben ihrer Autorentätigkeit zumeist noch einem anderen Beruf nachgehen, ist Wilhelm Raabe als einziger der deutschen Realisten ein echter Berufsautor. / Trotz anfänglicher finanzieller Schwierigkeiten gelingt es Wilhelm Raabe, sich als Schriftsteller-Unternehmer zu behaupten, und seine Präsenz und Geltung auf dem literarischen Markt auszubauen und zu festigen“ (RaabeHaus, „Der Schriftsteller als Unternehmer“).

Indem der Schriftsteller jedoch als „Unternehmer“ gekennzeichnet wird und seine Produktivität und die Quantität seines literarischen Schaffens hervorgehoben werden, finden Elemente Betonung, die in anderen Museen oder Gedenkstätten entweder eine untergeordnete Rolle spielen oder nur in Kontrastierung mit den sonstigen umfänglichen beruflichen Verpflichtungen expliziert werden, um hervorzuheben, dass der/die Autor/in trotz einer hohen Auslastung durch den Beruf noch so viele Werke hervorgebracht hat. Zudem wird gerade in Hinblick auf die Trennung von Raabe als Privatperson das Geistige, die lebensdurchdringende Beschäftigung mit Ideen, Fragen und Problemen, die bei anderen Autorinnen und Autoren oftmals herausgestellt wird, ersetzt durch eine scheinbar rationale schriftstellerische Produktion. Die Schriftstellerei wird thematisiert als „Beruf“,166 weder als Berufung noch als Leidenschaft. Gestützt wird dieses Narrativ im Laufe der Ausstellung mehrfach, unter anderem durch die beiden folgenden Aussagen: „In seinen letzten Lebensjahren bezeichnet er sich selbst als ‚Schriftsteller a. D.‘ – er betreut nur noch die Neuauflagen seiner Werke“ (Raabe-Haus, „Der Schriftsteller als Autor“). „Das letzte Erzeugnis des Schriftstellers ist bemerkenswerterweise kein Text, sondern eine Federzeichnung: Sie zeigt einen müden Krieger auf seinem Pferd, der einem Kreuz auf einer Anhöhe zustrebt“ (ebd., „Der Schriftsteller als Zeichner“).

Eng verbunden mit dieser Erfolgsgeschichte ist jedoch das vormalige wiederholte Scheitern des Autors. So wird erzählt, wie er auf verschiedenen, gesellschaftlich vorgesehenen und zu durchlaufenden Ausbildungsstufen versagt, bevor die ‚glückliche Wendung‘ eintreten kann: Raabe bricht seine Lehre in einer Buch- und Musi-

166 Vgl.: „Raabe entscheidet sich ganz bewusst für den Beruf des Schriftstellers“ (RaabeHaus, „Der Schriftsteller als Autor“). Ebenso der Gebrauch von Formulierungen wie „schriftstellerische[s] Handwerk[...]“ (ebd.) weist auf ein solches Verständnis des Schriftstellers als (erlernbarem) Beruf hin.

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kalienhandlung ab, schafft das Abitur nicht und schließt sein Studium als Gasthörer nicht ab (vgl. Raabe-Haus, „Wilhelm Raabe als Wanderer“). Allerdings findet er auf diesem Wege des Scheiterns zu seiner späteren Profession: er trifft die „feste[...] Entscheidung Berufsschriftsteller zu werden“ (ebd.). Rückblickend bedeutsam und betont werden denn auch Gewohnheiten Raabes wie diejenige, dass er „schon seit frühster Kindheit die meiste Zeit mit Lesen verbringt“ (ebd.). Durch den Einbezug solcher Ausführungen erscheint Raabes Entwicklung über die Ausbildung als Buchhändler und seine Studien zu „Literaturgeschichte, Kunstwissenschaft und Ästhetik“ (ebd.) hin zum Beruf des Schriftstellers nur logisch. Sein Weg kann gelesen werden als einer zur beruflichen Selbstfindung, durchsetzt mit dem wiederholten Scheitern an gesellschaftlichen Vorgaben, schließlich aber in der bewussten Berufswahl als Schriftsteller mündend. Indem anschließend betont wird, dass sein Einkommen „vergleichbar mit dem Gehalt eines Juristen“ (ebd.) war, mit dessen Profession ein hohes Ansehen sowie ein hohes Gehalt verbunden werden, wird Raabes Etablierung auf dem Buchmarkt noch einmal unterstrichen. Die einzelnen Module im Ausstellungsraum zu „Wilhelm Raabe als Mensch“ befinden sich im Raum verteilt. Eine Reihenfolge, in der die Stationen abgelaufen werden sollen, ist weder zu erkennen noch intendiert, da die Module inhaltlichthematisch nicht aufeinander aufbauen. Ein Modul gliedert sich dabei in verschiedene Einzelelemente, die ineinanderwirken. Die Überschriften der Module liefern entweder Hinweise auf die Inhalte der Texte oder haben metaphorische Funktion. So benennt die Überschrift „Wilhelm Raabe als Vereinsmensch“ genau, worum es im Folgenden geht, die Überschrift „Wilhelm Raabe als Wanderer“ hingegen verweist in einem metaphorischen Sinne auf seine Lebensstationen, denn „[i]n seinem Leben hat er einige Stationen durchwandert, im Alltag jedoch ist Wilhelm Raabe eher ein Spaziergänger“ (Raabe-Haus, „Wilhelm Raabe als Wanderer“). Die zunächst aufgrund des Titels erzeugte Erwartung, Raabe sei gerne bzw. viel gewandert, wird hier also revidiert und damit eine (erzeugte) Lesererwartung gebrochen. Unterhalb der Überschriften wird jeweils der Text entfaltet. Über diesem Text sind Zitate verschiedener Personen, die sich zu dem in den Texten Dargestellten äußern, zu lesen. Die Zitate stammen allesamt von Personen, die innerhalb des dargestellten, thematischen Bereichs vorkommen. Der Erzähler lässt Raabe auf diese Weise von anderen Personen kommentieren. Alle zu Wort kommenden Personen skizzieren Raabe als Einzelgänger – mit Ausnahme des Zitats Margarethe Raabes, die auf das äußere Erscheinungsbild ihrer Eltern eingeht. Indem solche Zitate in die Module integriert wurden, die das vom Erzähler im Haupttext Ausgeführte aufgreifen, stützen sie diesen. Die Zitate werden folglich nicht dazu eingesetzt, um ein möglichst breites Spektrum von mitunter individuellen und vom Haupttext abweichenden Meinungen zu integrieren, die ein polyvalentes und facettenreiches Bild Raabes erzeugen, sondern sie dienen der Stützung des vom Erzähler entwickelten Narrativs.

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Neben den Zitaten sind auf den Ausstellungstafeln diverse Fotos abgedruckt, die dasjenige aufgreifen und rahmen, was auch im Text geschildert wird. So sind zum Modul „Wilhelm Raabe als Familienvater“ Familienfotos zu sehen, zu „Wilhelm Raabe als Vereinsmensch“ Bilder von Vereinstreffen und zu „Wilhelm Raabe als Wanderer“ werden vor allem Fotos seiner Lebensstationen gezeigt, wie das der Creutz’schen Buch- und Musikalienhandlung, in der Raabe eine Lehre begann. Damit das Abgebildete von den Besucherinnen und Besuchern eingeordnet werden kann, sind die Fotos wiederum mit kurzen Paratexten in Form von Untertiteln versehen, die das in den Texten Erläuterte begrifflich aufgreifen. Die Zitate ebenso wie die Fotos, die im Kontext der Ausstellungstafeln nicht im Original gezeigt werden, sondern ebenso wie der Text auf ihnen abgedruckt wurden, sind als Paratexte zu verstehen und haben eine primär illustrierende bzw. belegende Funktion. Sie geben ein Bild von den Orten und Menschen, die in Raabes Leben eine Rolle spielten, und zeigen, wie letztere ihn wahrnahmen. Neben den Ausstellungstafeln werden entweder an der Wand in vollständig durchsichtigen Wandvitrinen oder in unterhalb ersterer stehenden Tischvitrinen Objekte gezeigt; in der Mitte des Raumes stehen darüber hinaus drei Vitrinen, die Objekte zu Raabe versammeln, sowie an der Fensterfront eine einzelne Vitrine mit der Totenmaske Raabes. Im Gegensatz zum ersten Ausstellungsraum sind die Textmodule im zweiten Raum nicht mit Fotos umrandet, über jedem Text steht allerdings ebenfalls ein durch kursive Schriftart hervorgehobenes Zitat. In den Tischvitrinen, die entlang der Wände aufgestellt sind, werden Ausgaben verschiedener Werke Raabes ausgestellt. Die Tischvitrinen in der Mitte des Raumes enthalten zudem handschriftliche Manuskripte sowie die oben bereits erwähnte eine Vitrine, die Raabes Mal- und Zeichenutensilien umfasst. An der Wand gegenüber der Tür, wo eine Büste Raabes platziert ist, sind auf der grün gestrichenen Tapete in weißer Schrift die Werke Raabes aufgelistet. Inhaltlich wird auf diese allerdings nicht eingegangen. Damit liegt wiederholt ein Fokus auf der Quantität der Werke Raabes, der dem Narrativ Raabes als „Unternehmer“, der viel und erfolgreich produziert hat, zuträglich ist. Auf inhaltlich-konzeptionelle Aspekte seiner Werke wird lediglich an einigen wenigen Stellen der Modultexte „Der Schriftsteller als Realist“ sowie „Der Schriftsteller als Autor“ eingegangen.

6.4 ZUSAMMENFASSUNG DER PERSONALEN, LITERATURMUSEALEN AUSSTELLUNGSNARRATIVE „Gerade Literaturmuseen, Dichterhäusern und literarischen Gedenkstätten ist mit Perspektive auf den literarischen Text ein narratives Moment eigen. Abgeleitet vom sukzessiven Lesen liegt ihnen eine lineare Erzählstruktur nahe, Seite für Seite oder

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Raum für Raum“ (Völker 2015, S. 59). Was Susanne Völker hier unter exemplarischer Bezugnahme auf das Hermann-Hesse-Museum in Calw ausführt, gilt, wie die vorangegangenen Analysen gezeigt haben, für den überwiegenden Teil der personalen, literaturmusealen Einrichtungen. Entsprechend der entlang der Biographien der Schriftsteller/innen entwickelten Narrationen, bildet die Geburt, und damit oftmals das Gebäude des Museums selbst, den Ausgangspunkt. Ist das Museumsgebäude nicht identisch mit dem Geburtshaus, so handelt es sich in den überwiegenden Fällen um ein später von den Autorinnen und Autoren bewohntes oder auf andere Weise mit ihnen verbundenes Gebäude. Unter den untersuchten Fällen befinden sich lediglich das Kleist-Museum und das Lessing-Museum nicht in solch auratisch aufgeladenen Häusern, dafür hingegen in entsprechend repräsentativen Gebäuden. Am Kleist-Museum zeigt sich darüber hinaus, wie, obwohl keine nachweisbare Verbindung des Autors zum Unterbringungsort des Museums besteht, eine solche konstruiert wird: denn es ist möglich, „dass Kleist durchaus mal hier gewesen sein könnte“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 2).167 Dass stets Verbindungen zwischen Autor/in und Ort gesucht und hergestellt werden,168 unterstreicht die Bedeutsamkeit, die der Verortung von Erinnerung zukommt. So bilden die Orte oftmals erst den Erinnerungsanlass, so dass literaturmuseale Einrichtungen entstehen – bspw., wenn Geburts- oder ehemalige Wohnhäuser der Dichter/innen zum Verkauf stehen (vgl. die Fälle Storm-, Brecht- und Büchnerhaus). Darüber hinaus dienen sie der kontextualisierenden Einbettung der Ausstellungserzählungen in den jeweiligen (geographischen) Erinnerungsraum. Die Ausstellungserzählungen beginnen entsprechend bei diesen Gebäuden nicht erst im Gebäude bzw. im ersten Ausstellungsraum, sondern bereits in Form von Architextualität am Gebäudeäußeren, indem auf Gedenktafeln darauf hingewiesen wird, wer in welchem Zeitraum in dem Gebäude lebte, und dass dort nun ein Museum bzw. eine Gedenkstätte eingerichtet wurde. Diese Form von Transtextualität provoziert eine Erwartungshaltung gegenüber dem, was in dem Haus gezeigt wird, die sich klar auf die Autorinnen und Autoren selbst fokussiert. Dass also in den Museen und Gedenkstätten primär biographisch-chronologische

167 Im Falle des Lessing-Museums ist es schließlich das Moment, dass Kamenz Lessings Geburtsstadt ist, wodurch der Ort mit dem Autor und dem Museum verknüpft wird. 168 Dies zeigte sich in ähnlicher Weise auch an einem anderen Fall, dem Goethe-Museum in Düsseldorf. So wird damit argumentiert, dass Goethe sich während seiner Reisen nach Düsseldorf nachweislich in der Nachbarschaft des Jacobi-Schlosses aufgehalten habe (vgl. Hansen, S. 39 in: Hoffmann 2009: „Und nebenan beim Malkasten, der ja hier auch daneben ist, ist dieses historische Gebäude Jacobihaus und Goethe konnte dieses damals neu erbaute Schloss Jägerhof damals schon von da aus sehen. Hier im Ort selber war er wahrscheinlich nicht, in diesem Schloss.“).

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Erzählungen entworfen werden, scheint bereits in der Erinnerungsmotivation und den Eigenschaften der Häuser mitbegründet. Völker weist allerdings auf ein weiteres wichtiges Merkmal literaturmusealer Ausstellungen hin: dass nämlich „eine lineare Erzählstruktur“ naheliege, die sich „Raum für Raum“ entwickle. Wie sich in den Analysen gezeigt hat, ist dies eine weit verbreitete Präsentationsform (vgl. Kap. 6.1.3), die sich besonders exemplarisch im Brecht- und Büchnerhaus sowie im Lessing- und im Kleist-Museum entlang der Biographien der Autoren gezeigt hat.169 In denjenigen Ausstellungsabschnitten hingegen, wo thematisch-modularisierte Präsentationsformen (vgl. Kap. 6.1.4) überwiegen, wird keine chronologische Abfolge eingehalten, sondern episodenhaft bzw. themenspezifisch erzählt. So existiert im Grass-Haus zwar im Treppenaufgang zum Sonderausstellungsbereich eine biographische Übersicht zu Grass, die Ausstellung selbst im Erdgeschoss ist demgegenüber aufgegliedert in thematische Felder. Thematisch-modularisiertes Erzählen bringt im Gegensatz zum biographisch-chronologischen mit sich, dass Fokussierungen auf Aspekte vorgenommen werden, die für den dargestellten Autor von besonderer Bedeutung sind. Dagegen müssen in den an der Biographie der Schriftsteller/innen orientierten Präsentation die Chronologie eingehalten und alle Lebensabschnitte – auch wenn sie vielleicht weniger wichtig sind – dargestellt werden. In konzeptioneller Hinsicht können die Ausstellungen darüber hinaus von der Literatur der ausgestellten Schriftsteller/innen oder aber durch den Lebensweg dieser beeinflusst sein. So ist die Ausstellung im Büchnerhaus gegliedert als dreiaktiges Drama mit Epilog, was nicht nur als Allusion auf Büchners dramatische Werke, sondern auch auf seinen Lebensweg zu verstehen ist, der tragisch endet. Ebenfalls als tragische Figur wird Heinrich von Kleist inszeniert, der an der Gesellschaft scheitert und sich und Henriette Vogel das Leben nimmt. Sein Scheitern führt in der Ausstellung in Form eines sich steigernden Narrativs des Suchens und daran Leidens bis in den Doppel(selbst)mord und damit in die Katastrophe. Auch der Titel der Ausstellung weist in diese Richtung: „Rätsel. Kämpfe. Brüche“. Im Vergleich beispielsweise zum Ausstellungstitel der Dauerausstellung im Büchnerhaus, „Von Goddelau zur Weltbühne“, mit dem explizit auf den Erfolg der Literatur des Autors verwiesen wird, obwohl auch ganz im Sinne einer Leidensgeschichte dessen Tod im Exil hätte Betonung finden können, eröffnet der Titel zur Kleist-Ausstellung ein Begriffsfeld rund um Gewalt, Diskontinuität und mysteriöse Problemstellungen. Der Titel deutet also darauf hin, dass der (erst nach seinem Tod umfassend rezipierte) Autor zu Lebzeiten nicht Fuß fassen kann, zeitlebens wiederholt sein Lebens-

169 Die Präsentation in dem kleinen Ausstellungsraum der Seghers-Gedenkstätte ist im Übrigen ebenfalls nach biographisch-chronologischen Gesichtspunkten strukturiert, wenngleich die Biographie der Autorin entlang ihrer Werke erzählt wird.

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konzept ändert, Phasen seines Lebens nicht quellengeschichtlich nachvollzogen werden können, der Autor ständige Kämpfe auszutragen hat und sein Leben schließlich in der Katastrophe, dem Doppel(selbst)mord, endet. Kleists literarische Erfolgsgeschichte scheint daher eng verwoben mit seinem persönlichen Scheitern, das zum tragenden Element durch die Ausstellung wird. Das Motiv des ‚Leidens‘ ist darüber hinaus in beinahe allen Ausstellungen von Bedeutung. Besonders herausgestellt werden die Leidensgeschichten hingegen dann, wenn sie unmittelbar mit der schriftstellerischen Tätigkeit der Dichter/innen verbunden sind. Im Hinblick auf Seghers, Brecht und Büchner wird z.B. betont, dass diese v.a. aufgrund ihrer literarischen Werke ins Exil gehen mussten. Im Nachhinein erscheinen sie somit als Personen, die für bis in die Gegenwart gültige Werte einstanden und sich in gewisser Weise opferten. Hierin spiegelt sich, inwiefern Muster religiöser Narrative wie dasjenige des Opferns in den personalen, literaturmusealen Bereich übertragen werden und die Dichter/innen so gesamtgesellschaftliche Bedeutung erlangen. Ihre Bedeutsamkeit, so die Narrative, ist folglich nicht in erster Linie in der Artifizialität oder Ästhetik ihrer Literatur zu suchen, sondern in deren Aktualität hinsichtlich der darin vermittelten Normen und Werte. In enger Verbindung zum Leidens- bzw. Opfernarrativ steht demgemäß stets dasjenige der Aktualität. Büchners Beispiel zeigt auf besonders prägnante Weise, wie wichtig die Aktualisierungsmöglichkeiten der Werke wie der Autorinnen und Autoren sind. Denn das in der Ausstellung verfolgte Narrativ richtet sich nicht primär auf die Literatur Büchners. Büchners literarisches Werk wird ganz im Gegenteil innerhalb der Ausstellung an den Rand gedrängt von der offenbar weit größeren gesellschaftlichen Bedeutsamkeit, die seiner politischen Schrift, dem Hessischen Landboten, beigemessen wird. Hier wird ein wesentliches Prinzip von Erinnerung sichtbar: Kunst, soll sie zu einem Teil des in einer Gruppe erinnerten Bestands werden, transportiert eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung und lässt dementsprechend politische Deutungen zumindest zu. Alle hier herausgestellten Narrative in den literaturmusealen Ausstellungen bewegen sich dementsprechend innerhalb des Spannungsfeldes Autor/in – Literatur – Gesellschaft. Es wird nie nur einer der drei genannten Aspekte in das Zentrum der Darstellungen gestellt. Die Erzählungen von den Autorinnen und Autoren als historische Personen werden dazu besonders häufig als Leidens- bzw. Opfergeschichten entfaltet. Dabei wird herausgestellt, dass sie insbesondere aufgrund dessen, dass sie sich für – heute noch gültige – Normen und Werte eingesetzt haben, die unter ihren Zeitgenossen noch keine entsprechende Anerkennung fanden (vgl. bspw. Lessing, Kleist, Brecht, Seghers, Büchner), zu leiden hatten. Indem sie als ‚ihrer Zeit voraus‘ charakterisiert werden, erscheinen sie retrospektiv als fortschrittlich. An die Schriftsteller/innen wird folglich nicht nur deswegen erinnert, weil sie besonders ästhetisch wertvolle literarische Werke hervorgebracht haben,

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sondern vor allem, weil ihre Literatur einen gesellschaftspolitischen Stellenwert erlangte. In diesem Zusammenhang ist die „historische Kontinuität“ (Fulda 2011, S. 257) zentral, denn durch sie wird Kohärenz hergestellt, indem „Erzählen eine zeitliche und qualitative Differenz übergreift (und zugleich ‚erklärt‘)“ (ebd.). Zunächst sorgt die zeitlich bedingte Nicht-Identität für Differenz, doch indem auf das Gewordensein des Gegenwärtigen sowie das Erbe des Vergangenen und seinen Einfluss auf die Gegenwart hingewiesen wird, entsteht wiederum historische Kontinuität, die neben „‚sachlichen‘ – örtlichen, thematischen, personalen – Kohärenzen“ (vgl. ebd., S. 257f.) die Entstehung eines Erzählzusammenhangs garantiert. Historische Kontinuität spielt in literarischen Museen zum einen insofern eine Rolle, als der literarische Kontext aufgezeigt werden soll, indem z.B. auf literarische Strömungen, Epochen, Gruppen und (gegenseitige) Beeinflussungen Bezug genommen wird. Zum anderen wird Kontinuität hergestellt, indem darauf verwiesen wird, welche Aktualität die literarischen Werke für die Normen und Werte der jeweiligen Gegenwart und damit den Gegenwarts- und Zukunftsbezug haben. In den Ausstellungen erfolgt die Herstellung historischer Kontinuität nur teilweise explizit. Häufiger sind implizite Konstruktionen, bei denen die Auswahl von Ausstellungsaspekten an gesellschaftlich relevante Themenkomplexe angeschlossen wird: So wird im Lessing-Museum darauf zurückgegriffen, dass Lessing sich für Toleranz und die Gleichberechtigung der drei – am weitesten verbreiteten – Religionen, das Christentum, das Judentum sowie den Islam, einsetzte. Der Akzent liegt dabei auf Lessings Einsatz für seine jüdischen Zeitgenossen, der an den Dramen Die Juden (UA 1749) und Nathan der Weise (UA 1783) exemplarisch nachgewiesen wird.170 Die Betonung, dass „Lessing [...] damit die erste positive Darstellung

170 Darüber hinaus ist nicht nur typisch, dass Lessings Einsatz für jüdische Mitbürger betont wird, sondern es offensichtlich auch der Herausstellung der positiven Merkmale der Juden bedarf. In dem im Ausstellungskatalog abgedruckten Text wird die Diskriminierung der Juden angesprochen, woraufhin eingewandt wird: „Gleichwohl gab es viele jüdische Kaufleute, Bankiers und Intellektuelle, die sich erfolgreich assimiliert hatten und das deutsche Wirtschafts- und Geistesleben bereicherten“ (Kaufmann 2011, S. 93). Dieses „Gleichwohl“ scheint einen Gegensatz zwischen den diskriminierten Juden auf der einen und den erfolgreichen auf der anderen Seite zu konstruieren: Zu Ende gedacht bedeutete dies jedoch, dass es auf der einen nicht oder weniger erfolgreiche und (daher?) diskriminierte Juden und auf der anderen Seite erfolgreiche und akzeptierte/angepasste Juden gegeben habe. Solche Konstruktionen finden sich nicht nur im Lessing-Museum, sondern können als typische (historische) Darstellungs- und Beschreibungsform angesehen werden. Ähnliche Strukturen finden sich in aktuellen Migrationsdiskursen.

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eines Juden auf die deutsche Bühne“ (Kaufmann 2011, S. 93) brachte,171 dient wiederum der Manifestation der Fortschrittlichkeit Lessings, die sich sogar bis in die Gegenwart fortsetzt. Durch diese Narrativierung wird im Kontext der deutschen Geschichte versucht, im Gegensatz zur jahrhundertelangen Verfolgung der (deutschen) jüdischen Bevölkerung und deren katastrophale Zuspitzung im Holocaust, in Bezug auf die Person Lessing eine positive Tradition herzustellen, die zudem auf das christlich geprägte Motiv der ‚Nächstenliebe‘ anspielt. Die Aktualität zeigt sich hier also in der humanistischen Tradition, in der Betonung der Gleichberechtigung sowie grundsätzlich in der Ausübung von Toleranz und der Bestätigung von Religionsfreiheit. Eine historische Kontinuität in Form von Anschlussfähigkeit an die von Autorinnen und Autoren vertretenen Werte wird bei weiteren hergestellt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: bei Büchner sind es Gleichheit und Gerechtigkeit, bei May Toleranz und Völkerverständigung, bei Brecht anti-nationalsozialistische, auf eine gerechte Gesellschaft hinzielende Werte, bei Seghers ihr Einsatz gegen nationalsozialistische Tendenzen. Die Relevanz der Schriftsteller/innen wird allerdings nicht nur durch die Betonung der in ihrer Literatur vermittelten Normen und Werte herausgestellt, sondern auch, indem ihre (lange) Rezeptionsgeschichte dargestellt wird. So wird in der Ausstellung zu Karl May gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass dieser „[s]eit vielen Generationen [...] zu den meistgelesenen deutschen Schriftstellern“ (MayMuseum, EG) zähle, und im Lessing-Museum sowie im Büchner- und Brechthaus gibt es sogar eigens der Rezeption gewidmete Räume. Diese sind zum einen schlicht ein wichtiges Zeugnis der Rezeptionsgeschichte, zugleich dienen sie jedoch der Legitimierung der literaturmusealen Einrichtungen, indem sie die bis in die Gegenwart reichende (gesellschaftspolitische) Bedeutsamkeit der Schriftsteller/innen belegen. Schließlich wird in den Ausstellungen mitunter das Ausstellen selbst reflektiert bzw. thematisiert. Im Grass-Haus geschieht dies auf deutlichste Weise, indem die Ausgangssituation eines Kurators bzw. einer Kuratorin inszeniert wird. Daneben sind aber auch die vielfachen Hinweise in der Kleist-Ausstellung, dass gewisse Lebensabschnitte des Autors nicht sicher rekonstruiert werden können, eine Form der Reflexion, indem darauf aufmerksam gemacht wird, dass das wissenschaftliche Erzählen stets entsprechender Quellen bedarf. Durch diese reflexiven Elemente werden zugleich das Zustandekommen der Erinnerung und die Weisen des Erinnerns thematisiert. Die Erzählungen um Kleists nicht quellengeschichtlich gesicherten Lebensabschnitte haben den Status von Gerüchten und sind deshalb in der Ausstel-

171 Bei dieser Publikation Sylke Kaufmanns handelt es sich um den Ausstellungskatalog „Lessings Leben und Werk. Katalog zur Dauerausstellung des Lessing-Museums Kamenz“, dessen Texte im Wesentlichen mit den Ausstellungstexten übereinstimmen.

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lung im Gegensatz zu den gesicherten Abschnitten auch nur schwach abgedruckt. Auf diese Weise wird innerhalb der Ausstellung nahegelegt, diesen ‚Mythen‘ weniger Glauben zu schenken. Nichtsdestotrotz wird in den Ausstellungen nicht auf die Mythen um die Schriftsteller/innen verzichtet. Die Kleist-Ausstellung ist hier kein Einzelfall. Auch in der Ausstellung zu Karl May wird der Mythos um dessen Identität mit Old Shatterhand bzw. Kara ben Nemsi zugleich aufgelöst, als auch repetiert, indem sich die Ausstellung ganz wesentlich an diesem orientiert. Von einer Loslösung solcher Mythen zugunsten der Wissenschaft kann daher keine Rede sein. Mythen sind folglich für das Erzählen der Schriftsteller/innen – auch in wissenschaftsnahen Einrichtungen – wichtige Konstituenten. Das Erzählen in denjenigen Einrichtungen, die überwiegend die historischauthentisch wiedereingerichteten Räume zeigen, kennzeichnet wiederum andere Charakteristika. Eine in Hinblick auf erhaltene oder wiedereingerichtete historischauthentische Ensembles vieldiskutierte Frage betrifft die Beschriftung bzw. Erklärung solcher Räumlichkeiten. Da diese Räume erst dann eine Bedeutung für die Besucher/innen entfalten, wenn sie erzählt werden, ist diese Frage zentral mit Blick darauf, wie die Schriftsteller/innen von einer literaturmusealen Einrichtung ausgestellt und erinnert werden. Die Vorgehensweisen sind hier divergent: Während die einen die Räume und Möbelstücke mit der Absicht unbeschriftet lassen, dass sie durch ihre materielle Präsenz und Aura (vgl. dazu Kap. 6.1.1) zur Wirkung kommen sollen und nicht durch schriftliche Erläuterungen von ihnen abgelenkt wird, integrieren andere Einrichtungen Texte in die historisch eingerichteten Räume, um ihre ehemalige Funktion und Nutzung, und damit ihre heutige Bedeutung überhaupt erst herausstellen zu können. In der Seghers-Gedenkstätte wurden keine Beschriftungen vorgenommen, um die Räume für sich stehen zu lassen. Im Storm-Haus hingegen wurden die Räume sowie einzelne Objekte bzw. Möbelstücke beschriftetet. Im May-Museum und im Raabe-Haus werden mit Blick in die nicht begehbaren Räume Informationen zu diesen geboten und in der Strittmatter-Gedenkstätte wurden historische Möbelstücke mit (überwiegend aus literarischen Zitaten stammenden) Objektbeschriftungen versehen und die Räume mit ihrer real-historischen Funktion bzw. Nutzung beschriftet. Allen gemeinsam ist jedoch erstens, dass es sich bei den gezeigten Räumen stets um Inszenierungen handelt, auch wenn diese nach dem Tod eines/r Autors/in nicht anderweitig genutzt wurden, sondern erhalten geblieben sind. Zweitens müssen alle diese Räume auf irgendeine Art und Weise ‚erzählt‘ werden, um Bedeutsamkeit entfalten zu können. Ob dabei auf schriftliche oder mündliche Erzählweisen, klassische Objekt- und Raumbeschriftungen oder die Beschriftung mit literarischen Zitaten zurückgegriffen wird, entscheidet lediglich darüber, wie ein solcher Ort erzählt wird, nicht aber, ob er überhaupt erzählt wird – im Übrigen wird ein Ort auch dann erzählt, wenn es innerhalb der Räume weder Beschriftungen noch mündliche Führungen gibt, denn auch dann werden sie zuvor in einen Kontext

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eingebunden, sei dies über einen Museums- bzw. Gedenkstättenflyer oder schlicht über eine Informationstafel. So sind bereits Gedenktafeln am Haus von Autorinnen und Autoren als eine architextuelle Kontextualisierung anzusehen. Mit ihrem Hinweis, dass in dem Gebäude ein schriftstellerisch tätiger Mensch gelebt habe, lenken sie den Fokus der Aufmerksamkeit unmittelbar auf Elemente und Objekte des Schreibens: auf Schreibwerkzeuge, Plätze des Schreibens sowie alles Weitere mit dem Schreiben Verbundene wie Bücher oder eine Brille. Auf diese Weise geben sie eine ‚Lese‘-Anleitung für die Einrichtung und ihre Präsentation. Die Räume werden demzufolge stets mit der Zielsetzung gezeigt, sie in Hinblick auf bestimmte Aspekte zum Sprechen zu bringen. Dabei haben sich drei verschiedene Narrative als zentral herausgestellt. Das Erzählen kann erstens unter dem Gesichtspunkt erfolgen, dass die Räume authentisch seien, als habe der Autor oder die Autorin sie eben erst verlassen. Dieses Narrativ wird auch an Orten verfolgt, wo die Räume zwischenzeitlich anderweitig genutzt und erst später wieder möglichst originalgetreu eingerichtet wurden. So führt beispielsweise der ehemalige Leiter des May-Museums, René Wagner, aus, dass es zwar inszeniert sei, „aber man könnte wirklich so sagen, er ist gerade aufgestanden und rausgegangen, also wir haben dort mit sehr viel Detailtreue gearbeitet“ (Wagner [May-Museum], Abs. 20). Zwar weist der ehemalige Leiter des May-Museums hier explizit darauf hin, dass die Räume inszeniert und von ihnen gestaltet worden seien,172 doch bleibt zugleich das für die Vermittlung bestimmende Narrativ der erhaltenen, eben erst verlassenen Räume bestehen.173 Wie Christiane Holm ausführt, wird besonders bei dieser Präsentationsweise der Räume auf eine Rezeption auf einer „affektiven Ebene gefühlter biographischer Nähe“ (Holm 2013, S. 571) abgezielt. Zweitens finden sich Narrative, in denen nicht nur die Authentizität der historischen Räume betont, sondern darüber hinaus deren Bedeutsamkeit für die Literatur akzentuiert wird. Unter den untersuchten Fällen trat ein solcher die authentischen Objekte erzählender Ansatz besonders im Storm-Haus auf (vgl. Kap. 6.3.8). Das Jünger-Haus in Wilflingen kann als weiteres Beispiel für eine solche Erzählweise dienen, da es ebenfalls zahlreiche Objekte beherbergt, die Ernst Jünger in seiner Li-

172 Im Anschluss an diese zitierte Aussage, führt Wagner zu der Re-Authentifizierung der Räume sogar weiter aus: „Es sind uns zwar Fehler passiert, mit der Farbgebung im Empfangsraum, wir haben es hell gemacht und wir wissen aus einer Farbprobe, dass es dunkelbau gewesen sein muss. Wobei wir andere Farben nehmen mussten, weil diese Farbmischung giftig ist, die damals verwendet worden ist, und die darf man eben nicht mehr verwenden. So detailtreu, dass die Leute daran kaputtgehen, darf man eben auch nicht sein“ (Wagner [May-Museum], Abs. 20). 173 Dieses Narrativ ist ebenfalls für die Seghers-Gedenkstätte sowie den Raum mit Raabes Bibliothek und Arbeitszimmer im Raabe-Haus bestimmend.

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teratur verarbeitet hat (vgl. dazu Hartmann 2013 bzw. Penke 2013). Beispielhaft zu nennen wären hier „die Sanduhren in Das Sanduhrbuch, die Käfer in Subtile Jagden“ (Penke 2013, S. 190). Dadurch, dass Jünger allerdings verfügt habe, dass an seinem nachgelassenen Haus nichts verändert werden dürfe, kommt es, wie Penke beschreibt, im Jünger-Haus zudem zu einer „fortgesetzte[n] Autorschaft“ (ebd.). Insofern unterscheidet sich auch die Verknüpfung von Objekten mit der Literatur im Jünger-Haus deutlich von derjenigen im Storm-Haus. Daneben werden Gedenkstätten bzw. historisch-authentische Raumensembles drittens mitunter so erzählt, dass die Übereinstimmung von historischem Ort und in der Literatur geschilderten Orten betont wird, was deutlich über das soeben dargestellte Narrativ der Anlehnungen in der Literatur an den historischen Ort hinausgeht. Dies hat sich in besonderer Weise an der Strittmatter-Gedenkstätte gezeigt, für die das Kernstück der (nicht erhaltene) Laden darstellt. So trägt die Gedenkstätte – ganz im Sinne eines architextuellen Hinweises – die Bezeichnung ‚Der Laden‘ in Anlehnung an den literarischen Laden im Namen. Indem darüber hinaus die historischen Objekte mit literarischen Zitaten versehen wurden, wird dieses Narrativ der Identität von Fakt und Fiktion auch innerhalb der Gedenkstätte verfolgt. Für den Erinnerungsakt ist somit neben der Authentizität des Ortes und dem Erleben der „gefühlte[n] biographische[n] Nähe“ das Eintauchen in die Literatur bzw. den literarischen Ort zentral.

7 Sammeln, Sichern, Forschen, Präsentieren und Vermitteln

Die musealen Aufgabenbereiche erstrecken sich nicht nur auf das Ausstellen und Präsentieren, sondern ebenso auf das Sammeln, Archivieren, Sichern, Forschen und Vermitteln. Auch die literarischen Museen und Gedenkstätten orientieren sich an diesen Grundprinzipien, wobei jedoch die einzelnen Bereiche je nach Einrichtung hinsichtlich Qualität wie Quantität unterschiedlich stark ausgeprägt sind.1 Zudem legen sie bei der Erfüllung der Aufgaben unterschiedliche Schwerpunkte, die wiederum ihrem Gesamtkonzept und Selbstverständnis gehorchen. In Anbetracht des breiten Spektrums der über den Ausstellungsbetrieb hinausgehenden Tätigkeitsfelder der Museen und Gedenkstätten werden diese hier nur in ihren Grundzügen dargestellt. Detailliertere Ausführungen wären lediglich im Sinne von Einzelfallanalysen umsetzbar gewesen. Da die Analyse der literaturmusealen Einrichtungen jedoch in eine fallübergreifende Typenbildung münden soll, werden vielmehr grundsätzliche Aufgabenbereiche herausgestellt, die als Grundlage für die Typenbildung zu verstehen sind. Wie im Methodenkapitel beschrieben, erfolgte die auf die Experteninterviews angewendete Kategorienbildung gemischt deduktiv und induktiv (vgl. Kap. 4.2.2); die folgende Darstellung orientiert sich an den im Zuge der Kodierung herausgearbeiteten Kategorien. Die fünf Bereiche – Museumspädagogik, wissenschaftsnahe Aufgabenbereiche, Öffentlichkeitsarbeit, Sonderausstellungen sowie weitere Aufgabenbereiche – sind für die literaturmuseale Arbeit zwar nicht gleich

1

Insbesondere hinsichtlich der Quantität der übernommenen Aufgaben ist zwischen den Museen zu differenzieren: bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass einige Museen zwar bereits in allen von der ICOM definierten Aufgabenbereichen tätig gewesen sind, jedoch in äußerst divergierendem Ausmaß. Wird also versucht, Aufgaben-Kategorien zu bilden, um die Museen dort einzuordnen und auf diese Weise voneinander abzugrenzen, so muss zumindest das Kriterium der Quantität der nachgegangenen Aufgabenbereiche mit berücksichtigt werden.

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bedeutsam, doch entsprechen sie den Schwerpunktlegungen der interviewten Leiterinnen und Leiter der Museen in den Interviews. Im Folgenden liegt das Hauptaugenmerk daher auf der deskriptiven Aufarbeitung der Breite und Vielfalt der von den literaturmusealen Einrichtungen wahrgenommenen Aufgaben.2

7.1

MUSEUMSPÄDAGOGIK

Unter dem breit gefassten Begriff ‚Museumspädagogik‘ werden im Folgenden sowohl solche Angebote verstanden, die sich konkret auf die jeweils aktuell gezeigten Dauer- und Sonderausstellungen beziehen, als auch darüber hinausgehende populärwissenschaftliche Veranstaltungsformate, die sich nicht explizit auf die Ausstellungen richten müssen.3 7.1.1 Ausstellungsorientierte Angebote Die Museumspädagogik gehört bei den meisten literaturmusealen Einrichtungen zum Kernstück ihrer Arbeit. Dabei wird hier unter dem Begriff nicht ausschließlich die Museumspädagogik für Kinder und Jugendliche bzw. Schüler/innen verstanden,4 sondern auch Angebote für Erwachsene, die beispielsweise als Kulturtouristen kommen. Dieses Verständnis von Museumspädagogik wird auch in neueren Publikationen zugrunde gelegt, in denen deutlich gemacht wird, dass eine alleinige Ausrichtung an einer Schülerklientel weder den Maßgaben des Museums noch den an es gestellten Nachfragen gerecht zu werden vermag.5 Nichtsdestoweniger liegt der Schwerpunkt der museumspädagogischen Aktivitäten vielfach in der Arbeit mit Kindern und Schülerinnen und Schülern, was nicht zuletzt damit einhergeht, dass diese in der Regel die größte Besuchergruppe ausmachen. Das einzige Museum, das die Angebotsstruktur zum Untersuchungszeitpunkt in diesem Bereich völlig aus der

2

Über die zehn qualitativ untersuchten Fälle hinaus werden weitere literaturmuseale Einrichtungen einbezogen, soweit diese das Spektrum in den beschriebenen Aufgabenbereichen wesentlich zu ergänzen vermögen.

3

Gesondert aufgeführt werden lediglich die wissenschaftlichen Veranstaltungsformate, da sie dem Bereich „Wissenschaftsnahe Aufgabenbereiche“ zuzuordnen sind, der in Kap. 7.2 dargestellt wird.

4

Vgl. zum Begriff der Museumspädagogik und dessen Beschränkung auf Kinder und Jugendliche sowie eine ‚Schulklientel‘ z.B. Hartmut Johns Kritik (John 2008, S. 33).

5

Vgl. dazu bspw. einige der Beiträge in Kunz-Ott/Kudorfer/Weber (Hrsg.) 2009 oder Dücker 2011, S. 54.

SAMMELN , SICHERN , FORSCHEN , PRÄSENTIEREN UND VERMITTELN | 295

Hand gegeben hatte, ist das Brechthaus in Augsburg,6 wo über die Regio Augsburg Tourismus GmbH7 Führungen und Veranstaltungen zu Brecht in Augsburg gebucht werden konnten. Bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung der Angebote sowie der Schulung der Führungskräfte bestand zwar eine Zusammenarbeit mit dem Brechthaus, doch ist damit einer der bei anderen Museen am häufigsten vertretenen Arbeitsbereiche ausgelagert gewesen. Die anderen Museen unterscheiden sich mit Blick auf die Museumspädagogik insbesondere in folgenden Punkten: Ausrichtung auf bestimmte Besucher/innen bzw. Besuchergruppen, Anbindung an die Ausstellung, Umfang der Angebote, Bildungs-/Vermittlungs- versus Freizeitorientierung, Rezeptions- versus Produktionsorientierung, Personal. Deren Ausgestaltung hängt wiederum mit dem Museumsganzen zusammen. Der Großteil der Museen versucht, ein Programm anzubieten, das alle Altersgruppen umfasst. Einen gesondert zu gestaltenden Bereich stellt hierbei die Museumspädagogik für Kinder dar. Im Grass-Haus in Lübeck konnten sich beispielsweise in der Vergangenheit Kinder „in Barockkostümen fotografieren lassen“ oder es wurde „zum Thema Holz ein Naturschutzparcour“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 32) entwickelt, im Storm-Haus auf Husum gibt es seit Kurzem Schüler-führen-SchülerFührungen,8 die mittels einer Bundesfreiwilligendienststelle auch in Zukunft institutionalisiert werden sollen, und im Karl May-Museum in Radebeul dürfen die Jüngeren zum thematischen Feld „Indianer/indianisches Leben“ (zum Beispiel Traumfänger) basteln. Wie sich an dem Beispiel des Storm-Hauses zeigt, liegt insbesondere eine starke Orientierung an schulischen Gruppen vor. Dies spiegelt sich auch in den Ausführungen zum Lessing- und Kleist-Museum sowie zur StrittmatterGedenkstätte ‚Der Laden‘. Das Grass-Haus, das Storm-Haus, das Lessing-Museum

6

„Museumspädagogik Null“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 42). Begründet wird dies von dem Leiter mit dem Mangel an Geldern, die nötig wären, um eine entsprechende Angebotsstruktur einrichten zu können. Grundsätzlich wird die museumspädagogische Arbeit aber auch hier als bedeutsam eingeschätzt (vgl. ebd., Abs. 108).

7

„Die Regio Augsburg Tourismus GmbH wurde 1998 für das operative Geschäft des Verkehrsvereins Region Augsburg e.V. gegründet, der der einzige Gesellschafter dieser GmbH ist“ (Die Regio Augsburg Tourismus GmbH – „Wir über uns“ (Webseite der Regio Augsburg) [http://www.augsburg-tourismus.de/profil.html, zuletzt abgerufen am 20.08.2016]). Die Zielsetzungen der GmbH betreffen in erster Linie den Ausbau des Tourismus in Augsburg.

8

Zudem soll zukünftig ein Gesamtpaket für schulische Exkursionen angeboten werden, in das dann nicht nur das Museum, sondern die ganze Stadt Husum und die thematischen Zusammenhänge inhaltlich eingebunden werden können (vgl. Demandt [Storm-Haus], Abs. 142).

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und das Kleist-Museum bieten sogar spezielle Angebote für Lehrer/innen an9 und richten ihre Programme teilweise an den Vorgaben in den (ehemals Lehrplänen, zum Zeitpunkt der Erhebung größtenteils bereits) Kerncurricula und Vorgaben für das Zentralabitur aus, um möglichst viele Klassen und Schulgruppen anziehen zu können. Spezifisch werkbezogene Ausrichtungen werden dabei insbesondere dann vorgenommen, wenn die Werke Teil des schulischen ‚Kanons‘ bzw. (vorgeschriebenen) Lektürekorpus sind. So führt Wolfgang de Bruyn, der ehemalige Leiter des Kleist-Museums, zum Beispiel zu dem umfassenderen Programm für Schüler/innen aus: „und dann kommen die Schulklassen her und die bleiben dann auch über Nacht und die erwarten dann ein Programm, so dass man dann eine Stadtführung macht, eine Führung durch das Museum mit der Ausstellung, und so eine Art Spezialseminar zu Heinrich von Kleist, je nachdem, was da grad Thema ist, der Michael Kohlhaas oder Der zerbrochene Krug oder welches Werk von Kleist auch immer“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 2).

Sylke Kaufmann, die Leiterin des Lessing-Museums, konstatiert ganz ähnlich: „Wir haben Seminare zu Nathan, Minna von Barnhelm und Emilia. Das sind die Dramen, die auch gelesen werden“, und erläutert im selben Zuge, dass man sich auf den „sächsischen Lehrplan“ eingestellt habe und aufgrund der Tatsache, dass dort keine konkreten Lektüren mehr vorgeschrieben seien, sondern lediglich die „Aufklärung“ noch „Pflicht“ sei, ein entsprechendes „Seminar kreiert [habe]. Ein allgemeines Aufklärungsseminar [...], da kam dann auch die Nachfrage“ (alle Zitate Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 40, 42). An dieser und in anderen Interviews ähnlichen Explizierungen für Programmentscheidungen wird die Bedeutsamkeit des schulischen Bereichs sichtbar. In den Fällen von musealen Einrichtungen, bei denen eine Behandlung der Werke in der Schule unwahrscheinlich ist, erfolgt auch keine entsprechend spezialisierte Programmausrichtung. Auf der anderen Seite ist zu beobachten, dass das Verschwinden eines Autors aus dem Bereich der Schullektüre andererseits auch dazu führt, dass das Museum nicht nur versucht, attraktive Angebote zu machen, sondern auch aktiv in die Schulen zu gehen. Dies zeigt sich beispielsweise im Fall Erwin Strittmatters, der zu DDR-Zeiten noch zum Kernbestand

9

Auch im Brechthaus wurden bereits auf der Basis von eigenen Forschungsergebnissen – zu „Bertolt Brechts Augsburger Topographie“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 42) – Lehrerfortbildungen durchgeführt. Hier zeigt sich auch deutlich die strenge Ausrichtung des Brechthauses am Forschungsbereich, die sich bis in den museumspädagogischen hineinzieht, indem letzterer eigentlich ausgelagert ist, und die vereinzelt angebotenen Weiterbildungen für Lehrer/innen dann auf die Vermittlung neuerer Forschungsergebnisse ausgerichtet werden.

SAMMELN , SICHERN , FORSCHEN , PRÄSENTIEREN UND VERMITTELN | 297

der schulischen Literatur gehörte, seit der Wiedervereinigung aber konstant weniger im Unterricht behandelt wird und sich zu einem nur noch regional bedeutsamen Autor zu entwickeln scheint. Renate Brucke berichtet in diesem Kontext von ihren Versuchen, als ehemalige Deutschlehrerin einer Spremberger Schule Kontakt zu dieser aufzunehmen und die Lehrer/innen dazu anzuregen, Strittmatter zum Thema des Unterrichts zu machen (vgl. Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 41). Es geht ihr dabei darum, „dass ich die Schüler erstmal vertraut mache mit Strittmatter“ (ebd., Abs. 43). Um bei jungen Menschen Interesse zu wecken, wurde beispielsweise auch ein Schreibwettbewerb durchgeführt; ein Format, mit dem auch andere Museen wie das Lessing-Museum Nachwuchs anziehen und an sich binden möchten. Die Angebote für Erwachsene sind in der Regel primär auf die Ausstellung bzw. die Thematisierung der Werke oder der Schriftsteller/innen ausgerichtet. Das May-Museum bietet zum Beispiel Führungen zu Spezialthemen aus dem Kontext Indianer und Karl May an. In der „Villa Nscho-Tschi“ und mit dem Erlebnisparcour wird zudem ein darüberhinausgehendes, auf Kinder und Jugendliche ausgerichtetes museumspädagogisches Angebot gemacht, das primär handlungs- und produktionsorientiert ausgerichtet ist. Ein solch dezidierter Schwerpunkt auf erlebnisorientierter Museumspädagogik ist keineswegs Standard unter den literarischen Museen und hat daher einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Typenbildung (vgl. dazu Kap. 8, besonders Kap. 8.2.3) genommen. 7.1.2 Allgemeine Veranstaltungen Neben den museumspädagogischen sowie den auf die Ausstellungen selbst ausgerichteten Programmangeboten der Museen organisieren sie darüber hinaus Veranstaltungen, die nicht nur im literarischen, sondern auch im bildkünstlerischen, musikalischen oder generell kulturellen bzw. sozialen Bereich angesiedelt sein können. Besonders häufig sind Vortragsveranstaltungen, die zumeist am Abend stattfinden. Im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Veranstaltungen, wie sie unter Kap. 7.2 noch näher erläutert werden, handelt es sich hierbei um populärwissenschaftliche Vorträge, die auch Nicht-Wissenschaftler/innen anziehen sollen. Neben reinen Vorträgen werden aber auch Lesungen oder Podiumsdiskussionen mit bekannten Persönlichkeiten oder Formate, die auf die (Inter-)Aktion der Teilnehmer/innen abzielen, organisiert. Das Grass-Haus richtete beispielsweise eine Podiumsdiskussion mit Joschka Fischer, Ulrich Wickert und Günter Grass zum Verhältnis von Literatur und Politik sowie eine Lesung mit Farin Urlaub, dem Sänger der Poppunkband „Die Ärzte“, aus. Das Lessing-Museum, dessen Veranstaltungsschwerpunkt alle zwei Jahre auf den Lessing-Tagen zwischen dem Geburtstag des Autors im Januar und seinem Todestag im Februar liegt, veranstaltete in der Vergangenheit neben Vorträgen und Lesungen auch Poetry Slams. Im Kleist-Museum wurden in einer

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Wintersaison „Spieleabende mit den historischen Spielen“ (de Bruyn [KleistMuseum], Abs. 42) aus der Kleist-Zeit durchgeführt. In der StrittmatterGedenkstätte wurde beispielsweise 2011 statt einer Lesung ein Hoffest „mit Glücksrad und Tombola und mit Essen und Trinken“ (Brucke [StrittmatterGedenkstätte], Abs. 29) ausgerichtet, wo auch eine filmische Dokumentation zu Erwin Strittmatter und dem Laden gezeigt wurde, denn Lesungen, so Brucke, „das interessiert die Leutchen natürlich nicht so sehr, das sind dann wirklich eingefleischte Fans, die sich das anhören“ (ebd.). Häufig bieten die Einrichtungen auch Führungen an, die sich nicht mehr auf den Ausstellungsbereich konzentrieren, sondern die Verbindung des Autors oder der Autorin zum Ort herausstellen. Im Rahmen dieser Führungen, die oftmals betitelt werden mit „Auf den Spuren von [Name des Autors/der Autorin]“, wird die Verortung, die bereits zumeist durch das ehemalige Wohngebäude angelegt ist, weitergeführt. Sie sind demgemäß darauf ausgerichtet, erstens zu zeigen, wo die Schriftsteller/innen sich zu welchen Zwecken und mit wem aufhielten bzw. welchen Beschäftigungen sie dort nachgingen, und zweitens, welche Bedeutung der Ort und das Leben dort für das Schreiben bzw. ihre Literatur gehabt haben. Solche literarischen Spaziergänge und Führungen haben teilweise anekdotischen Charakter, indem neben dem Alltag und den Routinen auf besondere, manchmal erheiternde Vorfälle und Ereignisse eingegangen wird. Das Kleist-Museum hat sich darüber hinaus ein spezielles Angebot überlegt, das auf den für die Region wichtigen FahrradTourismus ausgerichtet ist: „in diesem Jahr wird es hier ein Leitsystem auf den Spuren Kleists geben, speziell für Fahrradtouristen[...], wenn der Neubau steht, wird hier der Fahrradstützpunkt sein, wo man sich Räder ausleihen kann und Informationsmaterial kriegt und losradeln kann“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 52). Durch die Verbindung von Kulturtourismus und Radtourismus können dann schließlich Synergieeffekte genutzt werden. Für Kinder und Jugendliche bzw. Schüler/innen kommen spezifische schreibfördernde Angebotsstrukturen hinzu. So werden zum Teil nicht nur Schreibwettbewerbe durchgeführt, die mit einer Preisverleihung abgeschlossen werden, sondern auch Schreibwerkstätten durchgeführt wie im Erich Kästner Museum in Dresden. Das Raabe-Haus veranstaltete in der Vergangenheit darüber hinaus regelmäßig „Jugendliteraturfestival[s]“ und inszenierte zweimalig einen „Märchenpark für Kinder“, den Andres Böttcher – bezogen auf die Darstellerzahlen von 120 bzw. 180 Personen – auch mit den Karl-May-Festspielen vergleicht (vgl. Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 124). Das Raabe-Haus, das die Bezeichnung „Literaturzentrum“ im Namen trägt, ähnelt mit seinem Veranstaltungsprogramm mehr den Angebotsstrukturen eines Literaturhauses als denjenigen eines literarischen Museums. Allein quantitativ geht das Programm weit über ein solches von literarischen Museen hinaus. Aber auch inhalt-

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lich und konzeptionell ist die Ausrichtung offener und von Raabe und seiner Literatur unabhängiger. „[E]s sind so im Jahr, ca. 80 Literaturveranstaltungen im Jahr, die wir organisieren, das können Sie sich dann ausrechnen, das ist dann ungefähr jeden dritten Tag. Ich würde sagen, 50% davon in Eigeninitiative und 50% davon in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern [...]. Wir organisieren aber in erster Linie Lesungen, und nicht nur zu Wilhelm Raabe hier im Haus, sondern alles Mögliche. Das würde sich ansonsten auch irgendwann totlaufen, wenn wir immer nur Wilhelm Raabe lesen lassen würden, wir lesen höchstens ein bis zwei Werke Raabes und ansonsten quer Beet durch die Weltliteratur, moderne und traditionelle Literatur [...]. Wir hatten schon Lyrikwettbewerbe [...], wir laden natürlich auch ganz viele aktuelle zeitgenössische Autoren ein, wie das andere Literaturhäuser auch machen, wir konzipieren manchmal auch, das geht dann schon mehr so in Richtung Theaterarbeit, dass wir so literarische Abende machen mit Musik, szenische Lesungen, also es wird eigentlich im Grunde genommen nichts eingekauft, sozusagen, sondern wir haben dann alles selbst konzipiert [...], wir versuchen schon, alle Bereiche abzudecken, das Unterhaltsame bis zum LiterarischAnspruchsvoll-Schwierigen“ (Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 92).

Darüber hinaus hat das Raabe-Haus weitere Konzepte entwickelt wie den „Buchclub Roter Saal“ oder „vielfacher Schriftsinn“ (vgl. ebd.), die ebenfalls über die museumsspezifische Thematik hinausweisen und auf diese Weise auf ein breiteres Publikum abzielen. Wie umfangreich ein literaturmuseales Programmangebot jeweils gestaltet ist, hängt einerseits von den personellen wie finanziellen Kapazitäten sowie der grundsätzlichen Ausrichtung der Museen und Gedenkstätten ab, andererseits von der potentiellen Nachfrage vor Ort. Der Einfluss der Nachfrage für die oben beschriebenen Veranstaltungen ist dabei nicht zu unterschätzen. Unterschiedlich sind die konkreten Ursachen für eine fehlende Nachfrage. Sie sind erstens in der Abgelegenheit der Einrichtungen und damit der beschränkten Reichweite zu finden, zweitens aber auch in der großen Konkurrenz mit touristischen Angeboten in Städten. Tendenziell zeigt sich an den beschriebenen Formaten, dass die Museen über das Ausstellen hinaus tätig sind, um neue Besucher/innen anzulocken oder andere durch ein attraktives Angebot an sich zu binden. Dabei sind sie dazu gezwungen, über ihr eigentliches Feld hinauszudenken und sich andere literarische, aber auch generell kulturelle Bereiche zu erschließen, um in der Konkurrenz bestehen zu können. In diesem Bereich zeigt sich deutlich, dass die Museen sich nicht auf ihren ‚hochkulturellen‘ Status verlassen (können), sondern dass sie gezwungen sind, sich an weiteren potentiellen Rezipientinnen und Rezipienten zu orientieren und teilweise kulturtouristische und populäre Konzepte zu entwickeln, um insbesondere eine neue Besucherklientel zu erschließen.

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7.2

WISSENSCHAFTSNAHE AUFGABENBEREICHE

Die wissenschaftsnahen Aufgabenbereiche ließen sich im Zuge der Interviewkodierung in drei Teilbereiche zusammenfassen: 1. Sammlung und Bibliothek, 2. Forschungsbetrieb und wissenschaftliche Publikationen sowie 3. wissenschaftsnahe Veranstaltungen. Ob die literaturmusealen Einrichtungen in einem oder mehreren dieser Bereiche Schwerpunkte in ihrer Arbeit legten, ist für das Gesamtkonzept einer Einrichtung von besonderer Bedeutung, denn z.B. nur solche Museen, die einer regen Sammeltätigkeit nachgehen, verfügen über entsprechende Objekte, die sie erforschen und ausstellen können. Indem die wissenschaftsnahen Tätigkeitsfelder also die Grundausrichtung der Museen wesentlich mit beeinflussten, waren sie auch für die Typenbildung wichtig (vgl. Kap. 8). Gleichwohl nämlich in der Definition von Museen durch die ICOM festgehalten ist, dass ein Aufgabenbereich von Museen die Sicherung und Sammlung von Objekten sowie deren Erforschung darstellen solle, gibt es durchaus Einrichtungen, die dieser Forderung aufgrund ihrer spezifischen finanziellen, materiellen wie personellen Situation nicht oder nur in geringem Umfang nachkommen können. Dadurch jedoch unterscheiden sie sich erheblich in ihrer Erinnerungsarbeit an die Schriftsteller/innen. 7.2.1 Sammlung und Bibliothek Die Ausrichtung der Sammlungsschwerpunkte wird bei den meisten literarischen Museen durch ihre Gründungsvoraussetzungen mitbestimmt: An die original erhaltenen Wohnhäuser oder Wohnungen, die nach dem Tod der Schriftsteller/innen weitestgehend unverändert geblieben sind und besichtigt werden können, wird in der Regel ein externes Archiv angeschlossen, in dem v.a. ‚Flachware‘ gesammelt wird, wie es beispielsweise beim Storm-Haus in Husum der Fall ist. Dieses Archiv befindet sich gegenüber in einem anderen Gebäude. Neben dem Sammeln für das Archiv, in dem Storms ehemalige Bibliothek untergebracht ist, liegt der Sammelfokus des Hauses auf der Rückgewinnung ehemaliger Möbelstücke Storms, die sich zu seinen Lebzeiten im Husumer Haus befanden. Ernst Laage, der langjährige Leiter des Storm-Hauses, betont die vielen „Glücksfälle“ der Entdeckung und Wiedergewinnung von Möbelstücken und weiteren persönlichen Gegenständen Storms nicht nur im Interview (vgl. z.B. Laage [Storm-Haus], Abs. 25), sondern auch in seiner 2012 erschienenen Publikation Theodor Storm. Der Dichter und sein Haus (S. 50ff.), wo er diesbezüglich von „Überraschung“ (S. 54) und „Schicksal“ (S. 58) spricht. Die Gründung des Goethe-Museums in Düsseldorf fußt sogar darauf, dass eine private Sammlung – diejenige Anton und Katharina Kippenbergs – in den Besitz der Stadt Düsseldorf unter den Voraussetzungen überging, dass diese sich der Pfle-

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ge, Ergänzung und Bekanntmachung jener zu widmen habe. Der Sammelbereich im Goethe-Museum in Düsseldorf ist grundsätzlich weit gefasst: „Das Prinzip, nach dem schon Kippenberg seine Sammlung zusammentrug und das auch für die Stiftung verpflichtend geblieben ist, entspricht Goethes Symbolbegriff: Nur solche Objekte werden aufgenommen, die nach Goethes Worten im Brief vom 16. August 1797 an Schiller ‚eminente Fälle‘ sind, ‚die, in einer charakteristischen Mannigfaltigkeit, als Repräsentanten von vielen anderen dastehen‘, die also über den von ihnen bezeugten einzelnen Anlass hinaus zugleich charakteristisch für den Geist Goethes und seiner Zeit sind“ (Homepage GoetheMuseum – Die Stiftung).10

Daher bilden nicht nur originale Objekte aus Goethes Zeit, sondern auch Objekte der Rezeption bis in die Gegenwart einen wichtigen Grundstock der Sammlung. Volkmar Hansen, der Leiter, betont: „Sammeln heißt hier also, dass auch wirklich Neues hinzukommt; daraus ergibt sich auch das Ergebnis unseres heutigen Hauses“ (Hansen, zit. n. Hoffmann 2009, S. 48). Das Lessing-Museum und das Kleist-Museum weisen ebenso wie das GoetheMuseum einen umfassenden Sammelschwerpunkt auf, dem in den Interviews eine Sammel-Taktik zugrunde gelegt wurde, die erstens die Begrenzung des Sammelgebietes und zweitens die Sammelbarkeit von Objekten (hinsichtlich Aufwendung finanzieller Mittel und Verfügbarkeit von Objekten) einbezieht und durch diese mitbestimmt wird. So betont beispielsweise Sylke Kaufmann als grundsätzliches Problem: Lessing sei „auch ein schlechtes Sammelobjekt, denn der hat einen extremen Marktwert“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 30). Daher habe man ein „neues Sammlungsgebiet begonnen, indem wir versuchen wollen die Bibliothek von Lessing, wie sie sich zum Zeitpunkt seines Todes in seinem Besitz befunden hat, in Ausgabengleichen Exemplaren wieder zusammen zu tragen. Da gibt es ein Nachlassverzeichnis, das auch von Paul Rabe in Wolfenbüttel, wo es auch im Archiv liegt, ediert worden ist. Anhand dieses Verzeichnisses versuchen wir diese Ausgaben zusammen zu tragen. Das haben wir ganz frisch im letzten Jahr angefangen und sind jetzt bei 32 Bänden – wenn ich es richtig in Erinnerung habe –, von 264 Bänden“ (ebd.).

Das Problem des Kleist-Museums ist wiederum etwas anders geartet. De Bruyn erläutert, dass es „eigentlich von seinen Lebenszeugnissen bis auf wenige Ausnahmen gar nichts [gebe], so, also muss man sich als Museum auf andere Schwerpunkte

10 Zur Sammlung des Goethe-Museums Düsseldorf (Webseite des Goethe-Museums Düsseldorf [http://www.goethe-museum.com/deutsch/0003-deutsch-frame%20die%20samm lung.html, zuletzt abgerufen am 28.11.2013]).

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konzentrieren und das ist bei Kleist ein sehr interessanter, ist die Rezeption“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 24), die man bereits zu DDR-Zeiten fokussiert habe und entsprechend über eine „sehr gute Kunstsammlung zu Kleist, also alles, was Bildende Künstler zu Kleist gemacht haben, gearbeitet haben,“ (ebd., Abs. 2) verfüge. Die Verlegung des Sammelschwerpunkts auf die Rezeption scheint sich auch in anderen größeren Häusern zu klassischen, national bedeutsamen Schriftsteller/innen durchgesetzt zu haben. Dieser ist zum einen finanzierbar, zum anderen existiert– auch zukünftig – ein großes Repertoire an potentiell sammelbaren Objekten. Die Sammlungen des Brechthauses sowie des Raabe-Hauses sind in den städtischen Archiven untergebracht, wo dem Archiv eine Forschungsstelle angeschlossen ist, die allerdings im Falle Raabes nicht mit einer wissenschaftlichen Stelle ausgestattet ist, die der Erschließung des Raabeschen Materials diente – im Gegensatz dazu ist Hillesheim zum Erhebungszeitpunkt „Leiter der Bertolt-BrechtForschungs- und Gedenkstätte“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 90) und maßgeblich für die Erschließung des Archivbestandes mitverantwortlich. Beide Leiter betonen – wie andere auch – in den Interviews, dass die Auslagerung des Archivs unproblematisch sei und, da es sich primär um „Flachware“ handle, diese im Museum ohnehin nur in Auszügen ausstellbar sei. Zudem seien die konservatorischen Bedingungen in den Museumsgebäuden nicht ausreichend, um die Objekte in eine Präsentation einzubinden oder gar vor Ort zu archivieren.11 Kleinere Museen stehen vor dem Problem der mangelnden Räumlichkeiten sowie der fehlenden Möglichkeiten, originale Gegenstände angemessen konservatorisch aufzubewahren. So liest sich auch die Begründung Rotraud Pöllmanns, die vom Büchnerhaus ähnliches berichtet: „Wir haben keinen Platz [...]. Aber wie gesagt, ein richtiger Sammelauftrag, wie jetzt beim Literaturinstitut in Marbach, das geht hier natürlich nicht, weil den Tresor können wir gar nicht finanzieren, wo das alles liegen müsste“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 72). Wie bedeutsam der Stellenwert des Sammelns und der Sicherung in Archiven ist, wird an einer Ausführung Jörg-Philipp Thomsas, dem Leiter des Grass-Hauses, deutlich. Er wertet die Einrichtung eines eigenen Archivs in unmittelbarer Nähe des Ausstellungshauses als wesentliche „Voraussetzungen [...] für Forschungsarbeit“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 18). Zugleich räumt er ein – und damit scheint sich das Grass-Haus von Häusern wie dem Goethe- oder dem Lessing-Museum zu un-

11 Jürgen Hillesheim führt aus, man verfüge in Augsburg über die „zweitbedeutendste Brecht-Sammlung der Welt, also mit Manuskripten und Originalen, die man hier [im Museum, aus konservatorischen Gründen] nicht ausstellen kann“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 117).

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terscheiden –, „dass die Sammlung eher im Hintergrund steht“ (ebd., Abs. 32) im Vergleich zu den anderen Aufgabenbereichen, denen man sich dort zuwende. Das Karl-May-Museum stellt wiederum einen Einzelfall dar, denn anstelle einer Sammlung zum Autor basiert der Anfang der musealen Geschichte auf einer Indianersammlung, die bereits von Karl May begonnen, von seiner Frau, Klara May, fortgeführt, und zunächst durch die Sammlung von Patty Frank (bürgerlicher Name: Ernst Tobis) und später um weitere andere Objekte ergänzt wurde. Die Einrichtung eines Museums ging allerdings nicht nur auf das Vorhandensein dieser Sammlung zurück, sondern hing mit der Idee zusammen, es „als Werbeeffekt [zu nutzen], auch für den Verlag, also die Bücher quasi zu illustrieren, man kann den Winnetou lesen und dann sieht man dort eine Apachenkleidung“ (Wagner [May-Museum], Abs. 14). Die einzige der untersuchten Einrichtungen, die sich im Grunde ausschließlich auf die Wiederherstellung der ‚historisch-authentischen Situation‘ konzentriert bzw. in der Vergangenheit zeitgenössische Gegenstände sammelte oder annahm12, um eine Atmosphäre des Kolonialwarenladens der 1920er bis 40er Jahre zu erzeugen, ist die Strittmatter-Gedenkstätte. Auch das war ein Grund dafür, dass sie in die Auswahl der zu untersuchenden Museen aufgenommen worden ist (vgl. Kap. 4.1). Neben den Sammlungen, die sowohl mehrdimensionale Objekte sowie Manuskripte umfassen, verfügen die Museen über Bibliotheken, die sich sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Hinsicht voneinander unterscheiden. Die Bibliotheken dienen dabei nicht nur dazu, Primär- und Sekundärliteratur zum Gegenstand der

12 Das Annehmen spielt im Kontext des Sammelns bei Museen und Gedenkstätten keineswegs eine nebengeordnete Rolle, da sie immer wieder Objekte angeboten bekommen: auch im Falle der Strittmatter-Gedenkstätte, die selbst nicht aktiv ‚sammelt‘, zeigt sich dies. Hier wurden wiederholt Angebote zu Dingen bzw. originalen Verpackungen von Verkaufsobjekten in Kolonialwarenläden gemacht – wobei Brucke an dieser Stelle betont, dass auch einige Gegenstände dabei gewesen seien, die eben nicht zeitgenössisch gewesen sind, sondern beispielsweise erst deutlich später verkauft wurden – ebenso wie zu Requisiten vom Theater oder aber auch zu Grabsteinen (!): „Wir haben noch diese Grabsteine von denen, die alle im Roman eine namentlich ähnliche Rolle spielten, ob das der Pferdehändler war. Die wurden aufgehoben, die Grabsteine, und wurden hier alle abgekippt. Und dann lagen hier ganz viele Grabsteine und wir haben überlegt, das kann man doch nicht machen. Auf dem Hof hier die ganzen Grabsteine anbringen, dann haben wir gesagt, dann holen wir die ab. Die spielen ja auch teilweise so eine kleine Rolle, dass man die dann nicht – wir haben ein paar aufgehoben, von der Schwester, von seinem Freund, dem Alfretko, aus der Konkurrenz, die wollen wir dann evtl. auf dem Hof auch nochmal integrieren, aber so, dass es nicht zu viel ist, dass da nicht ein Friedhof draus wird“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 35).

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Einrichtung zu sammeln, sondern stellen auch die Grundlage für eigene wissenschaftliche Recherchen und Forschungsprojekte sowie Anfragen von außen13 dar. In Abhängigkeit vom Umfang und Professionalisierungsgrad der Bibliothek sind auch der Ort ihrer Unterbringung und ihre Zugänglichkeit geregelt. In kleineren Museen wie dem Büchnerhaus, der Seghers-Gedenkstätte oder dem George-Museum14 befindet sich der Bibliotheksraum in einem unmittelbar mit den Ausstellungsräumen verbundenen Raum, der zumeist auch einen Arbeitsplatz bereithält. Haben die Museen zugleich einen Forschungsschwerpunkt, so sind Archiv und Bibliothek in der Regel getrennt vom Ausstellungsbetrieb. Zwar wird in solchen Fällen auf Nachfrage Zugang zu diesen Räumlichkeiten gewährt, allerdings erfolgt dennoch eine deutliche Trennung von Vermittlungs- und Forschungsraum. Hierin spiegelt sich eine Professionalisierungstendenz, die zwischen den Aufgaben des Sammelns, Forschens und Vermittelns häufig auch personell trennt. Darüber hinaus kristallisiert sich in der Trennung von Archiv und authentischem Ort heraus – wie am Beispiel des Modells des Marbacher Literaturarchivs zu sehen ist –, dass die Archivierung und das Sammeln, die hier in erster Linie Speicher- und Forschungszwecken zu dienen scheinen, nicht an einen bestimmten Ort gebunden sein müssen. Damit stehen sie im Kontrast zu den musealen, ausstellenden Kontexten, die ganz im Sinne des Assmannschen Funktionsgedächtnisses eine Aktualisierungsform darstellen, die aufgrund ihrer Bedeutung und Aufladung mit Sinn der lokalen Beglaubigung sowie der Vergegenwärtigung bedingen. Während also im Bereich der Ausstellung und Vermittlung die lokale Fundierung als Beglaubigungsmöglichkeit eine hohe Relevanz hat, kommt die Forschung, welche – kontrastierend gedacht – mehr auf die Sicherung und Erschließung ausgerichtet ist, scheinbar ohne eine solche aufgeladene Ver-Ortung aus. 7.2.2 Forschungsbetrieb und (wissenschaftliche) Publikationen Wie sich bereits in den obigen Ausführungen gezeigt hat, ist eine literaturwissenschaftliche Schwerpunktlegung in der literaturmusealen Arbeit nicht grundsätzlich gegeben, sondern hängt von den Rahmenbedingungen – insbesondere Personal, Finanzen und Sammlung/Archiv – ab. Über einen Forschungsschwerpunkt verfügen in aller Regel lediglich diejenigen Einrichtungen, die über ein funktional ausdiffe-

13 Vgl. zur Betreuung von Anfragen Kap. 7.5. 14 Dass es mitunter umfassendere Bibliotheksabteilungen in den Archiven zu den Autorinnen und Autoren gibt, wie im George-Archiv in Stuttgart oder dem Seghers-Archiv in Berlin, widerspricht dem nicht, sondern bestätigt vielmehr die Tatsache, dass Forschung und Vermittlung bei kleineren musealen Einrichtungen häufig nicht beide in gleichem Umfang abgedeckt werden können.

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renziertes und fest angestelltes Personal verfügen; beispielsweise das LessingMuseum, das Kleist-Museum oder auch das Düsseldorfer Goethe-Museum. Hier gibt es entweder neben dem musealen Betrieb eine weitegehend autonom arbeitende Forschungsstelle oder zumindest innerhalb der musealen Arbeitsstrukturen eine Ausdifferenzierung die Aufgabenbereiche betreffend. In unmittelbarer Nachbarschaft des Lessing-Museums wurde zum Beispiel die „Arbeitsstelle für LessingRezeption“ eingerichtet und das Kleist-Museum führte in der Vergangenheit ein von der DFG gefördertes Forschungsprojekt durch. Die wissenschaftliche Arbeit nimmt in den genannten drei Fällen sowie auch beim Brechthaus in Augsburg einen zentralen Stellenwert ein und prägt das Selbstverständnis der Museen mit. Volkmar Hansen, der Leiter des Goethe-Museums, verweist diesbezüglich auf die im Stiftungsvertrag festgelegten Grundsätze: „Also in unserem Stiftungsvertrag steht drin, dass wir verpflichtet sind, als wissenschaftliches Museum zu arbeiten, es muss halt der Wissenschaft dienen, dieses Haus, durch Ausstellungen, durch aber eben auch eigene Arbeit und alles, was dazu gehört“ (Hansen, zit. n. Hoffmann 2009, Abs. 15). Ähnlich bedeutsam schätzt auch Hillesheim, der Leiter des Brechthauses, die Rolle der Wissenschaft ein; seiner Meinung nach ist der „Schwerpunkt eindeutig die Brechtsammlung, deren Erschließung, die Betreuung von Wissenschaftlern, meistens aus dem Ausland, aber auch eben eigene Forschungstätigkeit. [...] einfach die literaturwissenschaftliche Forschung“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 42). Erinnerungspolitisch schreibt er der Forschung einen entsprechend hohen Stellenwert zu, indem er schlussfolgert, dass sie erst dafür gesorgt habe, dass Brecht als das wahrgenommen werde, „was er immer sein wollte, als Klassiker, als großer“ (ebd., Abs. 72).15 Aber auch andere literarische Museen, die keinen so großen Schwerpunkt im Forschungs- bzw. Wissenschaftsbereich haben, weisen ähnliche Strukturen auf. So hat das Grass-Haus mit der Einrichtung des Archivs nun die wesentlichen Voraussetzungen für Forschungsarbeit vor Ort geschaffen, deren Ergebnisse dann wiederum auch in neue Dauerausstellungen einfließen sollen.16 Mit dem Zusammenschluss in der Kulturstiftung Hansestadt Lübeck und der Etablierung eines Stipendienprogramms, das Forschen und Arbeiten im Museum verbinden soll, ist die Ba-

15 Hillesheim misst der Forschung im Bereich musealer Aufgaben insgesamt die größte Bedeutung bei; darüber hinaus wird bei dieser Einschätzung der Rolle der Wissenschaft wichtig gewesen sein, dass das Ansehen Brechts in Augsburg sich erst in den letzten Jahrzehnten (etwa seit den 1980er Jahren) entwickelt hat und die Forschung lange davon ausging, dass seine Zeit in Augsburg weniger bedeutsam für sein Gesamtwerk gewesen sei. 16 „Diese Forschungsarbeit fließt natürlich ein, oder die Erkenntnisse daraus, in unsere Dauerausstellung, die wir dann neu eröffnen“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 26).

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sis für zunehmende Forschungstätigkeit in den Lübecker Museen geschaffen worden. Bezüglich des Grass-Hauses ist damit auch zu erwarten, dass die Forschungsarbeit an Bedeutung gewinnen wird. Mit dem Storm-Haus, dem Raabe-Haus und der Seghers-Gedenkstätte ist jeweils eine Forschungsstelle mit unterschiedlicher Trägerschaft (ebenso wie die Museen: das Storm-Haus wird primär von der Storm-Gesellschaft getragen, das RaabeHaus von der Stadt und die Seghers-Gedenkstätte von der Akademie der Künste) verbunden. Diese stellen auswärtigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Arbeitsplätze und Archivalien zu Forschungszwecken zur Verfügung. Die Forschungsarbeit ist allerdings kein Schwerpunkt der Museen bzw. Gedenkstätten selbst, worin sie sich von den zuvor genannten Museen unterscheiden. Besonders deutlich tritt dies in den Beschreibungen Elke Pfeils, der Leiterin der AnnaSeghers-Gedenkstätte, hervor: „Also, in der Akademie der Künste (AK) [...] zu Ostzeiten war es so, dass es in der AK einen großen Forschungszweig gab, bei der Vereinigung ist der Forschungszweig abgeknapst worden. Die meisten Leute sind entlassen worden, im Archiv der AK arbeiten halt Leute, die Sachen zur Verfügung stellen. Die ganzen Archivare verzeichnen die Dinge und dann wird das zur Verfügung gestellt, aber es gibt natürlich auch jede Menge wissenschaftliche Archivare, die trotzdem auch eigene Publikationen herausbringen, mit dem Material, für das sie verantwortlich sind. [...] Eine eigene Publikation haben wir derzeit noch nicht rausgebracht [...]. Aber das sozusagen, die Forschung unterstützen. Selber Forschung machen im Archiv ist wirklich problematisch, Unterstützung der Forschung, das ist dann die Hauptaufgabe des Archivs“ (Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 73).

In anderen, wiederum ehrenamtlich betriebenen Häusern – wie dem Büchnerhaus und der Strittmatter-Gedenkstätte – wird weder Forschungstätigkeiten nachgegangen, noch gibt es ein Archiv. Zwar klammern sie den Wissenschaftsbereich nicht gänzlich aus, sondern versuchen im Gegenteil, diesen beispielsweise durch wissenschaftsnahe Veranstaltungen und Kooperationen mit Forschungsinstituten oder literarischen Gesellschaften zu integrieren, obwohl sie über kein eigens dazu spezialisiertes Personal verfügen, doch bleibt die Verbindung sporadischer, gelegentlicher Natur. Während die auf Forschung und den Wissenschaftsbetrieb ausgerichteten Museen regelmäßig wissenschaftliche Beiträge publizieren,17 begrenzen sich die

17 Im Falle des Brechthauses sind das die Mitherausgeberschaft des Brecht-Jahrbuchs, der Museumskatalog sowie Publikationen des Museumsleiters, beim Lessing-Museum die Katalogreihe, Tagungsbände sowie eine wieder aufgenommene (zwischenzeitlich eingestellte) Schriftenreihe und beim Kleist-Museum ebf. diverse Publikationen, Tagungsbän-

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Schriften einer ehrenamtlich geführten Einrichtung wie derjenigen des GeorgeMuseums auf ein Jahrbuch im Rhythmus von zwei Jahren, in dem Beiträge der im gleichen Turnus durchgeführten Tagung veröffentlicht werden, im Falle Storms auf jährlich erscheinende Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft, ebenfalls anlässlich der jährlichen Tagung, und beim Grass-Haus auf Kataloge zu Dauer- oder Sonderausstellungen. Im Falle des Büchnerhauses, der Seghers-Gedenkstätte oder der Strittmatter-Gedenkstätte liegen keine museumseigenen Publikationen vor. Eine Sonderstellung nimmt diesbezüglich das Karl-May-Museum ein, das in Kooperation mit der Karl May-Gesellschaft die historisch-kritische Ausgabe herausgibt, wobei „die wissenschaftliche Arbeit [...] dann allerdings viele Akademiker in ganz Deutschland und darüber hinaus“ (Wagner [May-Museum], Abs. 54) übernehmen, nicht aber das Museumspersonal. Daneben publiziert das Museum jedoch den Beobachter von der Elbe und „dort sind oft Beiträge drin, die durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, wobei wir eigentlich bei der Anlage dieses Magazins [...] populärwissenschaftliche Ansprüche erheben, damit das auch der normale Besucher versteht, was da drin steht“ (ebd., Abs. 48). Auf diese Weise hat das Museum eine Reihe etabliert, die sich zwar wissenschaftlichen Fragestellungen widmet, diese jedoch tendenziell populärwissenschaftlich aufarbeitet, so dass die Ergebnisse nicht nur innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses in Umlauf gebracht werden können, sondern auch die interessierten Besucher/innen ansprechen und ihnen zugänglich aufbereitet sind. In einem solchen populärwissenschaftlichen Schriftenkonzept spiegelt sich insgesamt die starke Rezipientenorientierung des May-Museums wider, wie sie sich auch in anderen Bereichen feststellen lässt.18 7.2.3 Wissenschaftsnahe Veranstaltungen Im Gegensatz zu den allgemein ausgerichteten Veranstaltungsformaten sind die wissenschaftlichen Veranstaltungen primär auf ein Publikum ausgerichtet, das akademisch aus- bzw. vorgebildet ist. Der Spezialisierungsgrad der Besucher/innen wird dabei jedoch mit dem Spezialisierungsgrad der Veranstaltung selbst korrelieren, was sich beispielweise an Tagungen oder Konferenzen im Vergleich zu Vortragsabenden zu einem wissenschaftlichen Thema zeigen lässt. Während zu letzterem nicht ausschließlich ein Fachpublikum zu erwarten wäre, würde dies schon viel eher auf erstere zutreffen – dies bestätigen auch die Leiter/innen der verschiedenen Museen und Gedenkstätten (vgl. bspw. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 54; Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 47; Demandt [Storm-Haus], Abs. 119).

de sowie Publikationsreihen in Kooperation mit anderen Einrichtungen. Vgl. dazu detaillierter die Interviews mit den Leiterinnen und Leitern dieser Museen. 18 Vgl. dazu Kap. 8.2.3.

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Die fachwissenschaftlichen Veranstaltungen erstrecken sich von gelegentlichen Abendvorträgen über Fortbildungsangebote – v.a. für Lehrkräfte – und Kolloquien bis hin zu (international ausgerichteten) Tagungen und Konferenzen. Museen wie das Lessing- oder Kleist-Museum, die beide eine enge Verzahnung mit der (akademischen) Forschung vorzuweisen haben, bieten in regelmäßigen Abständen Fachvorträge an oder entwickeln ein „Forschungsvorhaben, das dann mündet in eine Tagung, die wir machen, mit Experten“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 6). Für diese Museen sind eigene Tagungen bereits aus dem Grund relevant, weil die Museen sich selbst aktiv an der Forschung beteiligen, eigene Forschungsprojekte durchführen und diesbezüglich auf einer Augenhöhe und/oder in Kooperation mit den universitären Forschungszweigen agieren. Eine Tagung stellt dann nicht nur einen Prestigefaktor dar, sondern gehört zur ‚Alltags‘-Kommunikation im Wissenschaftssystem. Großformatige Veranstaltungen wie Tagungen und Konferenzen sind allerdings keineswegs ausschließlich den größeren Museen vorbehalten; so veranstaltet das George-Museum, eine kleinere, ehrenamtlich geführte Einrichtung in Mitteldeutschland, regelmäßig im Abstand von zwei Jahren eine Tagung und auch die Strittmatter-Gedenkstätte lud in der Vergangenheit zu einer Tagung ein. Wie Brucke, die Leiterin der Strittmatter-Gedenkstätte beschreibt, sind die Reaktionen darauf allerdings keineswegs nur positiv gewesen. So führt sie aus, dass die Tagung beim regionalen Publikum auf Ablehnung gestoßen sei („die arbeiten uns zu wissenschaftlich“, „es wurde nicht so angenommen“; vgl. Brucke [StrittmatterGedenkstätte], Abs. 47), was nicht nur auf Außenstehende, sondern auch auf Vereinsmitglieder zugetroffen habe.19 Wissenschaftliche Vorträge organisiere man daher nun primär „in Zusammenhang mit der Mitgliederversammlung“ (ebd., Abs. 73). Das Günter Grass-Haus lädt regelmäßig Referentinnen und Referenten zu Vorträgen über Grass und seine Werke wie auch zu neuen Sonderausstellungen für fachwissenschaftliche Vorträge ein; und der Leiter des Storm-Hauses beteuert sogar, dass die Vorträge in der Vergangenheit zuallererst „sehr wissenschaftlich orientierte Vorträge“ gewesen seien, was sich in Zukunft ändern solle, um ein breiter gestreutes Publikum anzusprechen (vgl. Demandt [Storm-Haus], Abs. 119). Für das Büchnerhaus beschreibt Pöllmann hingegen, dass sie „immer nach Referenten [suche], die ohne Honorar was machen“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 58), so dass die dabei eingenommenen Gelder dann dem Büchnerhaus zugutekommen könnten.

19 Dass die Ablehnung wissenschaftlicher Veranstaltungen auch aus den vereinseigenen Reihen gekommen ist, mag damit zusammenhängen, dass diese Mitglieder kein primär wissenschaftliches bzw. fachspezifisch literarisches, sondern ein regionalgeschichtliches Interesse an der Erinnerungsarbeit an Erwin Strittmatter haben. Diese Hypothese wäre allerdings zu belegen.

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Die Nachfrage bzw. Teilnehmerzahlen entscheiden in diesem Bereich zwar darüber, ob eine entsprechende Veranstaltung erneut angeboten wird, allerdings wird eine geringere Teilnahme an wissenschaftlichen Veranstaltungen, wenn das Museum zugleich auf Forschungsarbeit ausgerichtet ist, insgesamt nicht so stark sanktioniert wie ähnlich wenig erfolgreiche, kommerziell ausgerichtete Veranstaltungsangebote. Dies wird in den Interviews zwar so nicht explizit ausgesagt, doch kristallisiert es sich in den komparativen Beschreibungen von allgemeinen und wissenschaftlich ausgerichteten Veranstaltungen, in denen letztere immer als die schlechter besuchten, doch zugleich als die bedeutsameren hervorgehoben werden, heraus. So kann eine alle zwei Jahre ausgerichtete und mitunter schwach besuchte Tagung oder Konferenz für ein Museum einen höheren Stellenwert erlangen als ein wöchentliches oder monatliches, auf ein breiteres Publikum ausgerichtetes Angebot. Wissenschaftliche Vorträge können jedoch auch gezielt so platziert werden, dass sie überhaupt nur einen bestimmten Personenkreis ansprechen. So steht das Brechthaus in Augsburg vor dem ‚Problem‘, dass der Platz, den die für Veranstaltungen genutzte Räumlichkeit im Museum bietet, im Falle eines populär(wissenschaftlich)en Vortragstitels bei Weitem nicht ausreichen würde. Daher würden in der Regel nur Vorträge angeboten, „die dann natürlich ein bisschen exponiert sein dürfen, weil sonst die Bude hier aus den Nähten platzt“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 50). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass wissenschaftliche Veranstaltungen, wenngleich weniger besucht als populärere Formate, einen hohen Stellenwert für die Museen haben. Alle Einrichtungen versuchen unabhängig von ihrer Hauptausrichtung, entsprechende Angebote zu ermöglichen und zu institutionalisieren. Dabei stoßen sie auf Reaktionen in den eigenen Reihen sowie unter dem potentiellen Publikum, die von Begeisterung bis hin zu Ablehnung reichen. Wie die Reaktionen bezüglich wissenschaftlicher Orientierung ausfallen, hängt wesentlich von den Strukturen und dem Umfeld ab, in denen eine Einrichtung agiert. Die wissenschaftliche Profilierung des Museums bzw. der Gedenkstätte – mit der oftmals auch eine entsprechende personelle Ausdifferenzierung und Professionalisierung einhergeht – scheint erheblichen Einfluss darauf zu haben, ob Kritik an hochkulturellen, wissenschaftlichen und tendenziell elitären Veranstaltungen geäußert wird. Während eine auf Vereinsbasis und Ehrenamt bestehende Einrichtung wie die StrittmatterGedenkstätte auf breite Unterstützung im Verein angewiesen ist und aufgrund der disparaten Interessen- und Motivlagen des Engagements der einzelnen Mitglieder Schwierigkeiten hat, diese für wissenschaftliche Veranstaltungen zu erhalten, gehören sie in einem Kleist- oder Lessing-Museum, das in den Tätigkeitsbereichen Sammeln, Forschen, Ausstellen über ausdifferenzierte und professionalisierte Strukturen verfügt, zum grundlegenden Aufgabenrepertoire. Die festzustellende Tendenz zeigt auf, dass Wissenschaftsorientierung nicht grundsätzlich vorangetrieben wird, sondern entsprechende wissenschaftsnahe Strukturen gegeben bzw. ent-

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wickelt sein müssen. Dies scheint erst mit einer gewissen Professionalisierung der musealen Strukturen bzw. des hauptverantwortlichen Museumspersonals zuzutreffen, und mag erklären, warum sich beispielsweise in der Strittmatter-Gedenkstätte, in der die Unterstützung der anderen Vereinsmitglieder nötig ist, keine wissenschaftlichen Angebotsformate zu etablieren vermögen, obwohl die Leiterin sich für entsprechende Angebote in der Vergangenheit eingesetzt hat.20

7.3

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

Öffentlichkeitsarbeit ist eine der Aufgaben, die von allen literarischen Museen und Gedenkstätten als wichtig und gleichwohl problematisch eingeschätzt wird. Einerseits ist es nötig, in den (regionalen) Medien als kulturelle Einrichtung auf sich aufmerksam zu machen, zu werben und Aktionen oder Events anzukündigen, andererseits bleibt der tatsächliche Effekt der Werbemaßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit im Dunkeln. Thomsa bringt die Zielsetzung der damit verbundenen Anstrengungen auf den Punkt, wenn er zusammenfasst, das Ziel sei, „dass man Zielgruppen erweitert, ohne das Stammpublikum zu verlieren“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 54). Dazu verwenden die Einrichtungen in der Praxis unterschiedliche Strategien, die konkrete Werbemaßnahmen ebenso umfassen wie Aktionen oder bestimmte Angebote, die erst als Sekundäreffekt bewerbend wirken – so kann beispielsweise eine Lesung mit Farin Urlaub für das Grass-Haus mit Blick auf jüngere Rezipientinnen und Rezipienten eher einen Werbeeffekt erzielen, als es mit klassischer Werbung möglich wäre, obwohl die Lesung selbst zunächst ein Veranstaltungsformat ist, keine ‚Werbung‘. Sie verschafft dem Museum allerdings durch die Einbindung eines Musikstars wie Farin Urlaub Aufmerksamkeit und lässt es als junge und offene Einrichtung erscheinen – ein solches Image wäre über Werbung im rein museal-

20 Zu diesem Zwiespalt vgl.: „Wir machen das, was wollen wir eigentlich? Uns auch mal um Experten bemühen, die sich mit Strittmatter beschäftigt haben. Das wurde dann natürlich wieder von anderer Seite kritisch gesehen. Da hatten wir viele Bohsdorfer, die gleich zu den ersten Mitgliedern gehörten: Och, die arbeiten uns zu wissenschaftlich, das gefällt uns nicht, wir treten aus. Diese andere Seite gab es auch. [...]“. Zu einem konkreten Beispiel führt Brucke weiter aus: „Und das wurde leider nicht so gut besucht, da haben wir uns sehr weit aus dem Fenster rausgehängt, da haben wir noch die Schulen angeschrieben, die Deutschlehrer sollten doch bitte kommen, und können das doch gleich als Weiterbildung nutzen; war aber nichts, denn mit mir waren es drei, die dann dasaßen. Das war denn alles, es wurde nicht so angenommen“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 47).

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ausstellenden Bereich sicherlich nicht authentisch zu erzeugen, sondern würde eher anbiedernd wirken. Versucht man die verschiedenen Möglichkeiten an Werbemaßnahmen zu strukturieren, entfiele ein erster Bereich auf gezielte Werbemaßnahmen wie Museumsflyer, Plakate, Hinweistafeln oder Werbung in Tourismusagenturen sowie Magazinen. Die genannten Maßnahmen bringen allerdings hohe Kosten mit sich und werden im Idealfall ausschließlich möglichst gezielt eingesetzt. Während fast alle Museen über Flyer oder Plakate verfügen, ist die Anzeigenwerbung in touristischen Magazinen sehr teuer und nur bei einem größeren Werbe-Budget bezahlbar. René Wagner berichtet für das Karl-May-Museum, dass sie sich nicht dazu in der Lage sehen, eine Anzeigen-Werbung zu bezahlen; allerdings seien sie als kinderfreundliches Museum zertifiziert worden, so dass sie nun ohne Bezahlung in entsprechenden Publikationen und Prospekten des Freistaates Sachsen mit aufgeführt würden. Damit erreichten sie einen unbezahlbaren Werbeeffekt. Wagner erklärt die Strategie folgendermaßen: „Also da müssen wir die Leistung eben erbringen, diesen Erlebnispfad und ähnliche Dinge, das geht hin bis zur Toilette oder so, damit sind wir auch in Familienfreundliches Sachsen, in dieser Rubrik überall mit drin, das ist also diese traditionelle Werbung über Kataloge, also Tourismus-Kataloge und auch das könnten wir nie bezahlen – wir haben dann lieber gesagt: was können wir? Arbeitsleistung erbringen können wir, also, das heißt unsere Arbeit möglichst so gut machen, dass wir dazu gehören können, und dann über diesen Weg uns mit einbringen“ (Wagner [May-Museum], Abs. 80).

Thomsa geht zwar in seinen Ausführungen auch explizit auf die Ungewissheit bezüglich der Wirkung von Werbung ein, betont jedoch zugleich, dass die Qualität der Materialien wie Papier und Design von Flyern von zentraler Bedeutung sei, um sich von anderen abzuheben. Deshalb würden sie bei Werbemaßnahmen eine „Premiumstrategie“ verfolgen (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 76). Neben dem Schalten von Anzeigen und Werben mittels Flyern und Plakaten ist die Pressearbeit ein nicht zu unterschätzender Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Museen. Im Idealfall sind sie nicht nur in den Printmedien wie regionalen und überregionalen Zeitungen vertreten, sondern auch im Radio und Fernsehen (besonders auf regionalen Sendern). So geben Ernst Laage und Christian Demandt, der ehemalige und der aktuelle Leiter des Storm-Hauses, an, dass über sie bereits auf NDR Kultur sowie NDR Welle Nord berichtet worden sei (vgl. Demandt/Laage [Storm-Haus], Abs. 185, 188). Auch andere Museen weisen auf ihre (über-)regionale Präsenz in den audiovisuellen Medien hin. Häufiger scheinen jedoch Berichte und Ankündigungen in den (regionalen) Printmedien, in denen von vergangenen wie anstehenden Veranstaltungen, von Neuheiten – seien es Objekte, museale Umgestaltungen oder Entdeckungen – sowie Jubiläen, Festlichkeiten und Preisverleihungen zu lesen

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ist. Besonders gut funktioniert die Öffentlichkeitsarbeit über die journalistischen Medien, wenn über ein bedeutendes Ereignis wie Jubiläen oder Preisverleihungen berichtet werden kann. Sowohl das Lessing-Museum, bezogen auf die LessingTage und die Lessing-Preisverleihung (vgl. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 54), als auch das Raabe-Haus, mit Blick auf die Verleihung des Raabe-Preises (vgl. Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 136), schildern, dass sie hierdurch in die überregionale Presse kämen. Der Leiter des Brechthauses sieht die Öffentlichkeitsarbeit vielmehr über seine „spektakulär[en]“, „überraschenden Forschungsergebnisse“ (Hillesheim [Brechthaus], Abs. 64) realisiert, da das Museum dadurch in die Presse komme – die Public Relation funktioniere weniger über das Museum selbst. Dabei machen die Museen nicht nur ‚positive‘ Presse, sondern müssen sich auch mit Kritik oder Vorwürfen auseinandersetzen. Ausstellungen können schlecht rezensiert werden, über den Misserfolg einer Veranstaltung wird berichtet und es werden Probleme oder Skandale aufgedeckt, die sich vom genuin literarischen Bereich über die Schriftsteller/innen bis hin zu den Leiterinnen und Leitern oder der Geschichte des Museums erstrecken können. Negative Presse muss dabei jedoch nicht grundsätzlich schlecht sein, denn auch sie verschafft dem Museum bzw. der Gedenkstätte Aufmerksamkeit, wie an Bruckes Äußerung deutlich wird: „wer sagte mir das denn auch? Er [besagte Person] freut sich, dass er [Strittmatter] dann noch mal wieder in aller Munde war, ne? Also, irgendjemand sagt, lass das doch, [...] dann bleibt doch der Name Strittmatter mal wieder lebendig“ (Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 105).

Zuletzt sei ein dritter wichtiger Bereich der Öffentlichkeitsarbeit genannt: das Bekanntmachen des Museums und seiner Angebote über das Internet und Soziale Medien. Die untersuchten Museen und Gedenkstätten verfügen alle über eine Internetpräsenz, wobei diese bezüglich der Qualität, des Umfangs und der Autonomie äußerst breit streuen. Während die einen Museen, wie das Büchnerhaus21, das RaabeHaus22 oder das Brechthaus23, nur über die Homepage oder das Wiki der Stadt so-

21 Georg Büchner (Webseite der Stadt Riedstadt [http://www.riedstadt.de/stadt/georgbuechner.html, zuletzt abgerufen am 12.09.2016]). Bereits an der URL ist hier abzulesen, dass es sich um die Homepage der Stadt Riedstadt handelt. 22 Homepage des Raabe-Hauses: Literaturzentrum Braunschweig [http://www.braun schweig.de/literaturzentrum/, zuletzt abgerufen am 12.09.2016]. Das Raabe-Haus taucht als Unterseite der städtischen Homepage auf – besondere Aufmerksamkeit verdient dabei, dass es in der URL „literaturzentrum“ und nicht bspw. ‚raabe-haus‘ heißt. Die Begriffsverwendung verweist nachdrücklich auf das Selbstverständnis dieses Museums als Literaturzentrum.

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wie andere Informationsseiten vertreten sind, verfügen andere über eine eigenverantwortlich gestaltete und betreute Homepage – so bei der StrittmatterGedenkstätte, dem May-Museum, dem Storm-Haus und dem Kleist-Museum (bei den drei letztgenannten Museen in Kombination mit der jeweiligen Gesellschaft). Das Grass-Haus sowie auch die Seghers-Gedenkstätte sind institutionell Teil der Kulturstiftung Hansestadt Lübeck bzw. der Akademie der Künste und erscheinen somit auch in deren Webpräsenz eingebunden. An der Internetpräsenz der Museen zeigt sich, dass diese als notwendiger Bestandteil der Public Relations angesehen wird. Umstritten ist jedoch, ob Soziale Medien wie Facebook oder Twitter eingebunden werden sollten, auch Apps werden noch recht zaghaft eingesetzt. Die Skepsis gegenüber den Sozialen Medien hängt einerseits damit zusammen, dass man erstens relativ wenig über sie weiß und sich zweitens ihrer Wirkung unsicher ist – ob es sich also lohnt, dort präsent zu sein –, und andererseits mit der Furcht vor der Unkontrollierbarkeit von Sozialen Medien. So müssen im Vorhinein Strategien entwickelt werden, wie bspw. auf kritische Einträge oder Kommentare reagiert werden soll, welche Contents überhaupt gepostet oder mitgeteilt werden sollen und auf welche Zielgruppen die Beiträge ausgerichtet werden müssen. Hinzu kommt, dass insbesondere Profile in sozialen Netzwerken sehr pflege- und damit zeitaufwendig sind, da nicht nur regelmäßig Neuigkeiten mitgeteilt werden sollten, um im Fokus der Aufmerksamkeit zu bleiben, sondern auch kontrolliert werden muss, was andere auf der eigenen ‚Seite‘ posten. Aufgrund derartiger Unsicherheiten bzw. des Aufwandes benutzten zum Untersuchungszeitpunkt lediglich das Grass-Haus sowie das May-Museum Facebook als soziales Netzwerk für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Das Kleist-Museum bietet eine Kleist-App an und die Lübecker Museen eine App als Newsletter. Da auch die Homepages teilweise „in fremde Hand“ (Wagner [May-Museum], Abs. 80) gegeben werden müssen, weil das medientechnische Know-How fehlt und die Museen tendenziell davon ausgehen, dass ihre Besucher/innen nicht die „klassischen Nutzer von Facebook“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 67) seien, werden die Museen voraussichtlich erst im Laufe der kommenden Jahre vermehrt PR-Strategien über Soziale Medien anvisieren.

23 Vgl.: Das Brechthaus (Webseite der Stadt Augsburg [http://augsburg.de/kultur/museengalerien/brechthaus/, zuletzt abgerufen am 12.09.2016]) sowie das Brechthaus im „Augsburgwiki“

[http://www.augsburgwiki.de/index.php/AugsburgWiki/Brechthaus,

zuletzt

abgerufen am 12.09.2016]. Beim Brechthaus als städtischer Einrichtung sind weitergehende Informationen zusätzlich in ein Wiki der Stadt Augsburg eingebunden.

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7.4

SONDERAUSSTELLUNGEN

Der Aufgabenbereich der Sonderausstellungen wird nur von einigen wenigen literarischen Museen, gelegentlich von Gedenkstätten, wahrgenommen. Dabei zeigen Forschungsergebnisse, dass das zeigen von Sonderausstellungen „nach wie vor das wichtigste Erfolgskriterium hinsichtlich der Besucherentwicklung in Museen“ (Graf 2002, S. 14) ist. Daraus schlussfolgert Bernhard Graf sogar, „daß Museen zwar ihren Gründungsboom der wachsenden Bedeutung und Zunahme von Sammlungen, verbunden mit einem gestiegenen Geschichtsbewußtsein im Sinne der Erinnerungskultur zu verdanken scheinen, daß aber die Akzeptanz bei ihrem Publikum ganz entscheidend von ihren temporären Angeboten und Anreizen in Sonderausstellungen abhängt“ (ebd.).

Allerdings nehmen Sonderausstellungen – insbesondere, wenn sie in regelmäßigen Abständen neu konzipiert werden sollen – große finanzielle, personelle wie auch räumliche Ressourcen in Anspruch und sind daher nur in solchen Museen (regelmäßig) zu realisieren, in denen die dazu nötigen Kapazitäten vorhanden sind. Zunächst einmal müssen diese Museen über zusätzliche Räumlichkeiten verfügen, in denen die Sonderausstellungen gezeigt werden können. Darüber hinaus müssen diese thematisch angebunden, geplant, designt, konzipiert und aufgebaut werden. Hierzu müssen teilweise nicht nur zu zeigende Objekte extern angeliehen, sondern auch Informationstafeln und -texte geschrieben und designt werden. Hinzu kommen zusätzliche Werbematerialien wie Flyer und Plakate sowie Veranstaltungen, z.B. zur Eröffnung oder im Laufe der Sonderausstellung, wenn Expertinnen und Experten oder Diskussionspartner/innen eingeladen werden. Wie an der bei weitem noch nicht alle Punkte umfassenden Auflistung deutlich wird, können Sonderausstellungen ähnlich aufwendig sein wie neue Dauerausstellungen, mit dem entscheidenden Unterschied, dass erstere nicht annäherungsweise so lange gezeigt werden wie Dauerausstellungen. Folglich rentieren sich Sonderausstellungen in der Regel nur für Häuser, die auf Mehrfachbesucher/innen hoffen (dürfen), überwiegend also Besucher/innen aus der Region, die nicht wie weit gereiste Touristinnen und Touristen lediglich ein Mal die Dauerausstellung besuchen. Bereits aufgrund dieser Eingrenzung konzentriert sich die Gruppe derjenigen Museen, die regelmäßig Sonderausstellungen konzipieren, auf solche, die in städtischen Räumen vorzufinden sind, denn nur dort treffen sie auf ein notwendig großes Publikum. Das Grass-Haus ist unter den untersuchten Museen dasjenige, das die meisten Sonderausstellungen in regelmäßigen Abständen zeigt. Dazu wird dem Sonderausstellungsbereich ein fast genauso großer räumlicher Bereich zuerkannt wie der Dauerausstellung. Die Sonderausstellungen wechseln im halb- bis vierteljährlichen

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Turnus und widmen sich den verschiedensten Themenstellungen, mit deren Hilfe wiederum unterschiedliche Besuchergruppen angesprochen werden sollen. Das Spektrum vergangener Sonderausstellungen reicht von Janosch in Lübeck, über Jugendgefährdende Schriften – Über Goethe, Hesse, Grass & Co. sowie Wolken überm Wald bis hin zu Von Danzig nach Lübeck – Günter Grass und Polen. Schwerpunkte legt das Grass-Haus insbesondere auf andere Doppel- und Mehrfachbegabungen, wie es auch bezüglich Günter Grass in der Dauerausstellung der Fall ist. So gab es Sonderausstellungen zu den Themen Arno Schmidt – Der Schriftsteller als Fotograf, The Art of John Lennon oder Das Arsenal des Dramatikers – Die Bildkunst Friedrich Dürrenmatts; und die Liste weiterer geplanter Sonderausstellungen zu diesem Schwerpunkt ist lang, wie Thomsa exemplarisch im Interview ausführt. Die thematische Ausrichtung spiegelt letztlich auch konsequent die Grundkonzeption des Grass-Hauses: „[Die] Doppelbegabung bei Grass, dieses Phänomen, das in Deutschland vor der Gründung des Hauses viel, viel unbekannter war als jetzt, das ist die Hauptkonzeption, also wie ich ja jetzt schon mehrfach erwähnte, als Forum von Literatur und Bildender Kunst, mit einer gleichrangigen Personalstruktur auf die Disziplinen verteilt, das ist sicherlich ein bleibendes Merkmal dieses Hauses, dass also in der Sammlungsausstellung das vermittelt werden soll, aber eben nicht nur anhand des Werks von Grass, sondern auch von anderen so genannten Doppelbegabungen“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 24).

Die Entscheidung für eine Orientierung an Doppelbegabungen von (v.a. schriftstellerisch tätigen) Persönlichkeiten neben Günter Grass, der selbst in mehreren künstlerischen Bereichen tätig ist, geht demzufolge mit der Grundausrichtung des Hauses einher. Auf diese Weise wurde mit der Einrichtung des Grass-Hauses neben der Fokussierung auf Günter Grass ein Schwerpunkt gelegt, der eine große Offenheit und Bandbreite an Ausstellungsmöglichkeiten garantiert – im Gegensatz zu einer für den literaturmusealen Kontext typischen, rein personalen Ausrichtung auf einen Autor bzw. eine Autorin. Eine Sonderausstellung, die in der Bohsdorfer Strittmatter-Gedenkstätte gezeigt wurde, trug den Titel Bohsdorfer Impressionen und versammelte Bilder und Zeichnungen der Leiterin des Hauses, die in dem angrenzenden, ehemaligen Pferdestall gezeigt wurden. Im George-Museum wurde im Jahr 2010 einmalig die Sonderausstellung Vom Privatdruck zum Taschenbuch. Stefan George im Spiegel seiner Verlage24 im Kontext der damaligen Tagung Buchkunst und Buchkultur um 1900 gezeigt. Andere Sonderausstellungen wurden hier oder in den anderen kleineren Mu-

24 Die Ausstellungstexte und -bilder sind weiterhin in Archivschubladen in einem der Ausstellungsräume des George-Museums für die Besucher/innen zugänglich.

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seen und Gedenkstätten jedoch nicht organisiert, was v.a. mit den zu knappen Ressourcen zusammenhängt. Auch Kaufmann vom Lessing-Museum beklagt den Mangel an geeigneten Räumlichkeiten für Sonderausstellungen – so müssen diese in Kamenz in ein anderes Gebäude verlegt werden. Insgesamt habe man „hier erst relativ spät auch auf regelmäßige Sonderausstellungen im Literaturmuseum gesetzt“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 36). Die Sonderausstellungen werden oftmals jedoch nicht nur im eigenen Haus gezeigt, sondern auch als Wanderausstellungen andernorts ausgestellt. Das KleistMuseum arrangierte in Kooperation mit der Stadt Thun die Ausstellung „Ich will ein Bauer werden – Heinrich Kleist und die Schweiz“ (vgl. de Bruyn [KleistMuseum], Abs. 42) oder eine „Doppelausstellung, mit dem Stadtmuseum in Berlin“ (ebd., Abs. 2), bei der sich der eine Teil in Berlin, der andere in Frankfurt/Oder befand. Daneben konzipieren manche Museen auch externe Sonderausstellungen, die im beheimateten Museen überhaupt nicht gezeigt werden. Dies berichtet Wagner für das Karl-May-Museum: „Wir machen eine Ausstellung pro Jahr und beteiligen uns pro Jahr so im Schnitt an zehn Ausstellungen außerhalb. An Beteiligungen, aber zum Teil auch bis zur Vitrinengestaltung vor Ort. Dieses Jahr ist kein Maßstab, das sind [aufgrund des Jubiläums 2012] mehr als 100“ (Wagner [May-Museum], Abs. 48).

7.5

WEITERE AUFGABENBEREICHE

Zu den beschriebenen Aufgabenbereichen kommen weitere hinzu, die im Folgenden in ihrer Vielfalt kurz dargestellt werden sollen. Sie reichen von einfachen Kooperationen mit anderen Einrichtungen und Institutionen über die Arbeit in Verbänden bis hin zum Einwerben von Geldern, um über die Grundfinanzierung hinaus Projekte zu ermöglichen, sowie Gastronomie im eigenen Museumsbetrieb und der Organisation von Preisverleihungen an Schriftsteller/innen der Gegenwart. 7.5.1 Kooperationen und kooperatives Engagement Die Kooperationsformen25 unterscheiden sich erstens hinsichtlich der Kooperationspartner, zweitens hinsichtlich ihres Zwecks und drittens bezüglich ihrer Intensität. So kooperiert das Storm-Haus in Husum beispielsweise mit dem StormMuseum in Hademarschen; gleichwohl existieren aber auch Kooperationen mit

25 Unter Kooperation wird hier in einem weiten Verständnis jede Form von organisierter Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen verschiedenen Einrichtungen verstanden.

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nicht-literarischen Museen wie zwischen dem Grass-Haus und dem Willy-BrandtHaus, das sich in der unmittelbaren Nachbarschaft befindet und mit dem sich das Grass-Haus auch einen Veranstaltungsraum teilt, der von beiden Museen aus unmittelbar (im Falle des Grass-Hauses über einen hinterhofartigen Garten) zu erreichen ist. Die Verbindung dieser beiden Häuser ergab sich schließlich insbesondere durch die persönliche Verbindung Günter Grass’ zu Willy Brandt. Das Kleist-Museum in Frankfurt/Oder arbeitete demgegenüber in der jüngeren Vergangenheit eher in loser Form mit dem Stadtmuseum Berlin und mit der Schweizer Stadt Thun zusammen, um gemeinsam Ausstellungen (anlässlich eines Jubiläums) zu organisieren. Wie sich bereits an dieser Auflistung zeigt, sind die Kooperationen keineswegs nur im literaturmusealen Bereich angesiedelt, sondern erstrecken sich innerhalb eines breiten bildungskulturellen, gesellschaftspolitischen und historischen Rahmens. Dieser wird je nach Kooperationspartner regional, national oder international ausgerichtet: So ist die Frankfurter Kooperation mit Thun international ebenso wie eine Kooperation zwischen dem Goethe-Museum in Düsseldorf und dem Casa di Goethe in Rom: die gemeinsamen Projekte müssen dann gleichsam eine solche Fokussierung aufweisen, um ein transnationales Interesse nicht nur versprechen, sondern auch einhalten zu können. Dies hat erinnerungskulturell zur Folge, dass die sonst vielfach vorzufindende national orientierte Schwerpunktlegung durch globale oder zumindest europäische oder interregionale Akzentsetzungen abgelöst bzw. erweitert wird. Manche der Kooperationen sind nur temporär und können der Umsetzung eines einmaligen Projekts dienen, andere sind auf dauerhafte und intensive Zusammenarbeit ausgerichtet, die in regelmäßigen Abständen in gemeinsame Realisierungen münden; dies ist besonders häufig der Fall bei regionalen Initiativen, Kollaborationen zwischen Museen für dieselben Schriftsteller/innen bzw. sich inhaltlich, persönlich oder zeitgeschichtlich nahestehende, unterschiedliche Schriftsteller/innen oder bei Museen einer Gemeinde, einer Stadt oder eines Kreises. Dabei werden die Vorteile der lokalen bzw. inhaltlichen Nähe ausgenutzt, um gemeinsame Arbeitsschwerpunkte zu entwickeln. Neben den vielfältigen Kooperationen beteiligen sich die Museen an der Arbeit in Museumsverbänden und Gesellschaften auf verschiedenen Ebenen. Die Museen sind zum Beispiel Mitglieder des ICOM, des Deutschen Museumsbundes oder landesspezifischer Museumsverbände. Da die Mitgliedschaften mit für die Museen nicht unerheblichen Mitgliedsbeiträgen verbunden sind, so die Begründung einiger Leiter/innen, seien sie oft nur in einem Verband vertreten.26 Andere Leiter/innen

26 In diesem Zusammenhang sollte jedoch auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Verbände – wie beispielsweise die ALG – ebenso finanzielle Mittel für ausgewählte Projekte oder Ausstellungen zur Verfügung stellen, so dass die Museen nicht nur für ihre Mitgliedschaft zahlen, sondern umgekehrt auch vom Verband profitieren können.

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sind als Privatpersonen Mitglied und können auf diese Weise zumindest an der Kommunikation sowie den Programmen und Veranstaltungen partizipieren und das dort Besprochene, Gelernte oder Diskutierte in ihre Einrichtungen zurücktragen. Hervorzuheben sind insbesondere die Arbeitsgemeinschaften innerhalb der Verbände, die eine intensive Mitarbeit der Einzelpersonen erforderlich machen. So schildert Elke Pfeil, dass sich innerhalb des Landesmuseumsverbandes Berlin nun eine Fachgruppe für kulturelle Vermittlung gegründet habe, bei der sie mitarbeite (vgl. Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 79). Daneben beteiligen sich einige Einrichtungen an sozial-gesellschaftlichen Projekten. Pfeil, die auch Leiterin des Berliner Brechthauses ist, berichtet zum Beispiel von einer Anfrage, „ein Projekt zu unterstützen, da wollte jemand mit Migranten die „Flüchtlingsgespräche“ bringen, ob wir das unterstützen, finanziell können wir es sicherlich nicht unterstützen, aber z.B. wenn sie Kopien von Texten brauchen oder so, das können wir sicherlich alles machen. Und der hatte die Idee gehabt, das war ein Theaterregisseur, mit den Migranten in den verschiedenen Städten Brandenburgs übt der Teile der „Flüchtlingsgespräche“ von Brecht ein und dann führt er das zusammen und dann zeigen die das“ (ebd., Abs. 55).

Wenngleich es zur Umsetzung dieses Projekts aufgrund von Schwierigkeiten hinsichtlich aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen der potentiellen Teilnehmer/innen nicht gekommen ist, zeigt dieses Beispiel, dass die Einrichtungen sich ebenso im sozialen Bereich engagieren.27 Neben solch größeren Projekten übernehmen die Einrichtungen auch die unentgeltliche Betreuung von externen Anfragen. Solche externen Anfragen reichen von der Bitte um Zusendung von Informationsmaterial zur Einrichtung oder zu den ausgestellten Autorinnen und Autoren (vgl. ebd., Abs. 55; Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 56) bis hin zur Unterstützung in der Forschung durch Zugänglichmachung oder Aufarbeitung von Quellenmaterial (vgl. de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 30; Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 73). Von solchen Anfragen berichten die meisten der befragten Leiter/innen. Darüber hinaus sind die Museen an der Ausrichtung von Preisverleihungen im Namen der von ihnen ausgestellten Schriftstellerinnen und Schriftstellern beteiligt. Dies geschieht in der Regel ebenfalls in Kooperation mit denjenigen, die für die (finanzielle) Stiftung des Preises verantwortlich sind, z.B. mit der entsprechenden Ge-

27 Die Seghers-Gedenkstätte ist ebenfalls eingebunden in ein soziales Projekt, das den Titel „Lernen durch Engagement“ (vgl. Pfeil [Seghers-Gedenkstätte], Abs. 47) trägt. Im Rahmen dieses Projekts arbeitet Personal der Gedenkstätte mit Schülerinnen und Schülern vor Ort zusammen.

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sellschaft für die Autorin oder den Autor. Der Anna-Seghers-Preis wird beispielsweise von der Anna-Seghers-Stiftung28 vergeben, das Raabe-Haus veranstaltet die Wilhelm-Raabe-Preisverleihung mit, der Preis wird jedoch von der Stadt Braunschweig und dem Deutschlandfunk verliehen, und der Lessing-Preis wird vom Freistaat Sachsen (und alle zwei Jahre im Rahmen der Lessing-Tage) in Kamenz ausgelobt, mit ausgerichtet vom Lessing-Museum. 7.5.2 Einwerben von Geldern Die Finanzierung29 der literarischen Museen ist von Fall zu Fall unterschiedlich gestaltet, allerdings lassen sich einige besonders häufig vorkommende Träger ausmachen: So befinden sich manche Museen in städtischer Trägerschaft, wie das Brechthaus, andere sind eingebunden in eine Stiftung oder eine Akademie, so beim GrassHaus bzw. bei der Anna-Seghers-Gedenkstätte, und wiederum andere werden von Vereinen oder Gesellschaften finanziert. Häufig sind auch Mischformen vorzufinden, so bezahlt der Strittmatter-Verein die laufenden Kosten des Museums wie Heizung, Strom und Telefonrechnung, allerdings keine Miete für das Gebäude, das sich im Besitz der Gemeinde Felixsee befindet. Eine ganz ähnliche Regelung hat man auch für das Storm-Haus gefunden: „das Haus und die Unterhaltung des Hauses, so haben wir das geregelt, hat die Stadt übernommen, großzügiger Weise, und wir [die Storm-Gesellschaft] sind für die Unterhaltung des Inneren des Hauses und die Ausstattung des Hauses, Ankauf von Möbeln und Handschriften und sowas verantwortlich“ (Laage [Storm-Haus], Abs. 65).

28 Bis 1994 wurde der Preis noch durch die Akademie der Künste verliehen; infolge der Umstrukturierungen nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung Deutschlands änderte sich dies. 29 Insgesamt handelt es sich hierbei um ein heikles Thema, das von den Museumsleiterinnen und -leitern nur ungern angesprochen wird. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass einige von der Stadt (ko-)finanzierte literarische Museen im Vergleich zu anderen Museen deutlich mehr Geld erhalten, was nicht öffentlich ist. Die Ursachen sind aber auch insgesamt in der Ungleichverteilung der Gelder – auch unter den literarischen Museen – zu suchen, weshalb zum Beispiel besser finanzierte Museen ungern über die ihnen zur Verfügung stehenden Gelder sprechen. Im Rahmen dieses Forschungsprojektes wurde nicht nach den konkreten Summen gefragt, sondern lediglich in allgemeiner Hinsicht, wie das Museum finanziert wird. Die Beträge im Einzelnen wurden als weniger wichtig erachtet, größere Relevanz hatte in Hinblick auf die Fragestellung der Studie, wer sich grundsätzlich in welchem Umfang an der Finanzierung beteiligt.

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So ist die Grundfinanzierung bei den meisten Einrichtungen zunächst gesichert. Über die regulären Unterhaltungskosten hinaus müssen allerdings auch der Ankauf und die Restauration von Objekten, oder auch die Finanzierung von Tagungen, Publikationen bzw. (kleineren) Forschungsprojekten finanziert werden. Da hierfür im Kulturbereich oftmals kein Budget zur Verfügung steht, müssen die Museen und Gedenkstätten selbst aktiv werden und sich darum bemühen, Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Eine Möglichkeit, zusätzlich entstehende Kosten abzudecken, besteht zum Beispiel darin, je nach Aufwendungsbereich, Anträge beim Träger bzw. der Stadt, dem Land oder Bund sowie bei Organisationen, beispielsweise der DFG oder der ALG, zu stellen. Darüber hinaus werden bei – in erster Linie regionalen – Geldgebern Spenden eingeworben. Im Gegenzug werden die Geldgeber als kulturfördernde Sponsoren genannt und dürfen zu Werbezwecken auf ihre Förderung verweisen. Die Spenden stammen zumeist von regionalen Bankfilialen oder Betrieben, Privatpersonen spenden den literaturmusealen Einrichtungen tendenziell eher Sammelobjekte. Wenn Spenden für konkrete Zwecke eingeworben werden, wie z.B. die Sanierung eines Gebäudes, kommt es auch vor, dass Bau-, Sanitär- oder Malerbetriebe zwar nicht spenden, aber Aufträge auf Materialkostenbasis übernehmen, so dass die Zahlung der Arbeitsstunden des Personals entfällt.30 Eine weitere Einnahmequelle sind der Leihverkehr von Objekten sowie damit zusammenhängend die Vergabe von Rechten: „wenn Dritte jetzt irgendwo Ausstellungen machen zu dem Thema, dann fragen die hier an, habt Ihr das, oder das, oder könnt Ihr uns das ausleihen? Also, Leihverkehr ist für uns auch ein ganz wichtiges Standbein. Das geht hin bis zu Einnahmen, wir haben ja Rechte an bestimmten Exponaten, und wenn die ausgeliehen werden, oder bspw. ein Verlag vor zwei Jahren hat Rowohlt Berlin hat eine Kleistbiographe rausgebracht von Jens Bisky, da wollten wir ein Kleistgemälde auf den Umschlag nehmen, was uns gehört, so dann sind es die Rechte, die man dann verwertet, und das ist für uns auch eine wichtige Einnahmequelle für unser Haus. Das funktioniert eigentlich ganz gut“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 20).

Ebenfalls über die Vermietung ihrer Räumlichkeiten nehmen die Museen und Gedenkstätten Geld ein; da sie sich in repräsentativen Gebäuden befinden und/oder als kulturell bedeutsame Orte über eine spezielle Aura verfügen, werden sie oftmals für Feiern und Festlichkeiten gemietet. In der ehemaligen Scheune neben dem Büchnerhaus befindet sich zum Beispiel ein Veranstaltungsraum, der für feierliche Anlässe wie Trauungen gemietet werden kann.

30 Vgl. dazu die Sanierung des Büchnerhauses.

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7.5.3 Museumsshop und Gastronomie Der Museumsshop ist eine weitere wichtige Einnahmequelle für die Museen und Gedenkstätten. Bei den meisten der untersuchten Fälle ist der Eingang zugleich als Kassenbereich und Museumsshop gestaltet, allerdings in unterschiedlichem Umfang. Im Grass-Haus, im Kleist-Museum, im Lessing-Museum, im Storm-Haus und im Buddenbrookhaus handelt es sich um vom Ausstellungsbereich abgetrennte, kleinere Räume, die zugleich als Kasse wie auch als Museumsshop genutzt werden. Beim May-Museum, dessen Außenanlage durch den Park, der die „Villa Shatterhand“ und die „Villa Bärenfett“ verbindet, sehr weitläufig ist, existiert im Eingangsbereich des Grundstückes ein Kassenhäuschen, wo der Eintritt bezahlt wird; der Museumsshop befindet sich im Eingangsraum zur Karl May-Ausstellung in der „Villa Shatterhand“. In den anderen Museen und Gedenkstätten wie dem Büchnerhaus, dem Brechthaus und der Seghers-Gedenkstätte sind die Kassenbereiche in keinen abgetrennten Räumen eingerichtet, so dass die Museumsshops in der Regel deutlich kleiner sind und weniger Artikel umfassen – wenn überhaupt von einem Museumsshop die Rede sein kann und es sich nicht nur um ein minimales Repertoire an sog. Souvenirs handelt. Die Palette der in den Shops angebotenen Artikel reicht von verschiedenen Ausgaben der Werke der Schriftsteller/innen sowie Briefeditionen, Biographien oder Museumskatalogen über Bilder, Poster, Briefmarken bis hin zu Dichtermünzen, Ministatuen und weiteren ähnlichen Souvenirartikeln. Die Vielfalt der angebotenen Gegenstände kann sich dabei erheblich unterscheiden: Während in der StrittmatterGedenkstätte lediglich Literatur von und über Erwin Strittmatter sowie seiner Frau Eva Strittmatter verkauft wird, werden im May-Museum auch indianische Souvenirs – besonders als Spielzeug für Kinder, wie Pfeil und Bogen – angeboten. Neben dem Verkauf im Museumsshop werden auch alternative Formen wie kleine Bücherflohmärkte bzw. -kisten integriert, so dass die Museen und Gedenkstätten zum Verkauf gespendete Bücher veräußern und die Einnahmen für sich verbuchen können; so zum Beispiel vorzufinden im Büchnerhaus oder in der Strittmatter-Gedenkstätte. Darüber hinaus verfügen manche Museen auch über einen online betriebenen Warenverkauf bzw. Museumsshop – beispielsweise das Lessing-Museum, das Storm-Haus, das May-Museum, das Kästner Museum in Dresden, das Grass-Haus und das Kleist-Museum. Dass der Verkauf keinesfalls eine unerhebliche Einnahmequelle ist, zeigen die Überlegungen de Bruyns, der beschreibt, dass sie „versuchen wollten, für [den] Museumsshop so interessante Produkte zu entwickeln, möglichst gemeinsam mit Partnern [...] eine Bäckerei [...] ein Kleistfrühstück mit einem Kleistcroissant [...], also diese Merchandisingprodukte“ (de Bruyn [KleistMuseum], Abs. 48).

322 | AN LITERATUR ERINNERN

Das Karl-May-Museum stellt im Vergleich zu den anderen untersuchten Museen einen Einzelfall dar, wenn es um das Betreiben einer museumseigenen Gastronomie geht. Bei dieser handelt es sich passend zur Eventstrategie der Einrichtung um einen Barbecue-Stand, der von April bis Oktober im Park zwischen den beiden Ausstellungshäusern betrieben wird. Im Gegensatz zu vielen anderen großen Museumseinrichtungen – wie dem „Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven“ oder dem „Museum für Kommunikation“ in Frankfurt am Main – hat sich eine in den Museumsbetrieb integrierte Gastronomie unter den literarischen Museen und Gedenkstätten bislang offensichtlich nicht durchsetzen können. Allerdings haben kleinere Einrichtungen wie die Strittmatter-Gedenkstätte in der Vergangenheit bereits das Angebot gemacht, vor Ort Kaffee und Kuchen zum Verkauf anzubieten, wenn sich eine größere Reisegruppe angekündigt hatte (vgl. Brucke [StrittmatterGedenkstätte], Abs. 182f.).

7.6

AUFGABENBEREICHE DER LITERATURMUSEALEN EINRICHTUNGEN IM ÜBERBLICK

Die verschiedenen, über die Ausstellungsarbeit hinausgehenden Tätigkeitsbereiche der literarischen Museen und Gedenkstätten machen einen bedeutenden Teil ihrer Arbeit als kulturelle Einrichtungen aus. Wenngleich also die Einrichtungen nach außen hin in erster Linie über ihre Ausstellungen in Erscheinung treten, sind sie darüber hinaus aktiv, zum Beispiel indem sie literarische wie kulturelle Veranstaltungen organisieren und literaturwissenschaftlich sowie literaturgeschichtlich forschen. Eine ausschließliche Betrachtung literarischer Museen und Gedenkstätten in Bezug auf ihre Ausstellungen wäre somit im erinnerungskulturellen Kontext nicht hinreichend. Die im Zuge der Kodierung eruierten darüberhinausgehenden Tätigkeitsfelder, welche hier vorgestellt wurden, erhalten zudem im folgenden Kapitel in Hinblick auf die Typenbildung eine besondere Bedeutung. Wie sich allerdings einerseits anhand der breiten Ausdifferenzierung und Vielfältigkeit der Tätigkeitsbereiche, andererseits anhand der sich bereits abzeichnenden Schwerpunkte der einzelnen Einrichtung gezeigt hat, bietet dieser Teil aufschlussreiche Einsichten in die Gesamtkonzepte der Einrichtungen. So ist festzustellen, dass sich beinahe alle Einrichtungen auf einzelne Bereiche fokussieren müssen und – sei es aufgrund fehlender finanzieller, materieller oder personeller Ressourcen – nicht dazu in der Lage sind, alle vom ICOM definierten Aufgabenbereiche gleichermaßen abzudecken. Tendenziell scheint es so zu sein, dass die Museen sich zwischen den Polen der Wissenschaftsorientierung und der Museumspädagogik (in einem weiten Verständnis) bewegen. Dabei ist es offenbar keineswegs beliebig, zu welchem Pol sie tendieren. In Anbetracht dieses Ergebnisses stellt sich die weiter-

SAMMELN , SICHERN , FORSCHEN , PRÄSENTIEREN UND VERMITTELN | 323

führende Frage, wie sich die Zusammenhänge innerhalb der Profilierung bzw. der Gesamtkonzeption einer Einrichtung darstellen. Welche Aufgabenbereiche kommen besonders häufig gleichzeitig vor? Unter welchen Umständen sind bestimmte Aufgaben ausgeschlossen oder zumindest nur in eingeschränktem Maße zu erfüllen? Darüber hinaus sollte geklärt werden, in welchem Zusammenhang wiederum die Gründungsgeschichte oder auch die gegenwärtigen Ausstellungskonzepte mit den hier dargestellten Aufgabenbereichen stehen. Lassen sich also Typen literaturmusealer Einrichtungen identifizieren, die ein ähnliches Profil, eine ähnliche Struktur aufweisen? Und wenn ja, in welchen Bereichen weisen sie dann Gemeinsamkeiten auf und wo Unterschiede? Diesen Fragen soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden, indem die vorangegangenen, in erster Linie deskriptiven Ausführungen nun in eine weitergehende Analyse überführt werden, mit deren Hilfe Zusammenhänge und Strukturen in Form einer Typenbildung aufgedeckt werden können. Die untenstehende Tabelle bietet abschließend noch einmal einen Überblick über die oben dargestellten Aufgabenbereiche der Museen und Gedenkstätten, wie sie sich bei den untersuchten Fällen herauskristallisiert haben. Tab. 3: Überblick über die Tätigkeitsfelder literaturmusealer Einrichtungen neben dem Ausstellen Aufgabenbereiche • Museumspädagogik

• Wissenschaftsnahe Aufgabenbereiche

Dimensionen dieser Aufgabenbereiche • Führungen und Programme für Schüler/innen (auch als Gesamtpakete für Exkursionen) • Führungen/Programme für andere Besucher/innen(-gruppen) (im Museum) • Lehrermappen/Informationsmaterialien entwickeln • Workshops zum Basteln/Verkleiden/Inszenieren etc. • Schüler/innen als Museumsführer/innen • Lesungen • Museumsnächte • Führungen durch den Ort („Auf den Spuren von...“) • Podiumsdiskussionen organisieren • (populäre) Vorträge organisieren • (theatrale) Inszenierungen • Feste veranstalten • Objekte beschaffen (Schenkungen, Ankauf) • Objekte verleihen/ausleihen (Leihverkehr) • Objekte aufbewahren (Archivieren/Schützen)

324 | AN LITERATUR ERINNERN

• Objekte erschließen/aufarbeiten • Objekte restaurieren • Sammlungstraditionen fortführen bzw. neue, potentielle Sammelschwerpunkte erschließen • Bibliothek pflegen • Bibliothek und Sammlung zugänglich machen • Projekte vergeben und koordinieren • eigene Forschungsarbeiten (an Beständen) durchführen • Forschungsstellen • Archive zugänglich machen • Arbeitsräume zur Verfügung stellen • Recherchemöglichkeiten offerieren • Finanzierungsmöglichkeiten für Forschung schaffen (z.B. Stipendien) • Kolloquien/Tagungen/Konferenzen veranstalten • wissenschaftliche Vorträge organisieren • Fortbildungen/Workshops (v.a. für Lehrer/innen) • Kataloge • Tagungsbände • Jahrbücher • weitere (semi-)wissenschaftliche Publikationen und Reihen • Öffentlichkeitsarbeit

• Sonderausstellungen

• Weitere Aufgabenbereiche

• • • • • • • • • • •

Flyer Homepages Nutzung Sozialer Medien (Twitter, Facebook) Apps Pressearbeit (v.a. Zeitung und Radio, teilweise Fernsehen) Artikel/Anzeigen in Reisemagazinen Plakate Sonderausstellungen Wanderausstellungen kooperative Ausstellungen extern gezeigte Sonderausstellungen

• Kooperationen schaffen und pflegen • Preisverleihungen organisieren • Engagement in Museumsverbänden

SAMMELN , SICHERN , FORSCHEN , PRÄSENTIEREN UND VERMITTELN | 325

• • • • • • • •

inhaltliche Anfragen beantworten Gastronomie Museumsshop Buch- und Souvenirverkauf Verkauf über das Internet/Onlineshops ‚Bücher-Flohmärkte‘ in den Museen Spenden einwerben Anträge auf finanzielle Unterstützung stellen (bei Stadt/Gemeinde/Land/Bund oder einer Organisation) • Forschungsanträge stellen (z.B. bei der DFG) • Vermietung der Räumlichkeiten • Instandhalten der Räumlichkeiten sowie räumlich-klimatisch angemessene Bedingungen schaffen

8 Typen literaturmusealer Erinnerungsformen

Ein Teilziel der vorliegenden Studie stellte die Bildung von Typen literarischer Museen und Gedenkstätten in Hinblick auf ihre Erinnerungsarbeit dar. Für diese Typenbildung waren neben den Ergebnissen der Experteninterviews – den Befragungen der Produzentenseite – diejenigen der Ausstellungsanalysen – und damit der Produkte – von zentraler Bedeutung. Ihre Ergebnisse flossen jeweils in die Bildung der Typologie ein. Es handelt sich folglich um ein synoptisches, mehrere Erhebungs- und Auswertungsmethoden triangulierendes Verfahren, das als Basis für die Typenbildung fungiert. Bei der Typenbildung stand stets die Erinnerungsarbeit der Museen und Gedenkstätten mit ihren Entwicklungen, Konzeptionen, Aufgabenbereichen, Zielen sowie Problemen im Vordergrund. Durch die Verknüpfung von Typen mit theoretischen Annahmen im Kontext der Erinnerungstheorien1 sollten letztere in Bezug auf die spezifische Erinnerungsarbeit literaturmusealer Einrichtungen modifiziert und auf diese Weise wiederum neue Erkenntnisse gewonnen werden, die auch generell für die Diskussion zu erinnerungskulturellen Einrichtungen und deren Funktionen von Bedeutung sind. Die im Zuge der qualitativen Inhaltsanalyse entwickelten Kategorien (vgl. Kap. 4.2.2, 5 und 7) ebenso wie die Erkenntnisse aus der Ausstellungsanalyse (vgl. Kap. 4.3.2 und 6) dienten anschließend als Vergleichsparameter zur Typenbildung, wie sie Susanne Kluge (1999, S. 257-283) sowie Udo Kelle und Kluge (2010, S. 83ff.) beschreiben.

8.1 ZUR TYPENBILDUNG Der Prozess der Typenbildung lässt sich in vier Phasen unterteilen: 1. die „Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen“, 2. die „Gruppierung der Fälle und Analy-

1

Denn „[n]ur wenn empirische Analysen mit theoretischem (Vor-)Wissen verbunden werden, können ‚empirisch begründete Typen‘ gebildet werden“ (Kluge 1999, S. 259).

328 | AN LITERATUR ERINNERN

se empirischer Regelmäßigkeiten“, 3. die „Analyse inhaltlicher Zusammenhänge“ und 4. die „Charakterisierung der gebildeten Typen“ (ebd., S. 91f.). Die in Kap. 4.2.2 beschriebene Dimensionalisierung im Zuge der Kodierung stellte eine grundlegende Vorarbeit der ersten Phase der Typenbildung dar,2 denn erst auf der Basis der Kategorien und Subkategorien wurde ein Merkmalsspektrum erarbeitet, mit dessen Hilfe Gruppierungen als erste Strukturierungsversuche vorgenommen werden konnten. Um der Nachvollziehbarkeit willen empfiehlt sich dazu immer der Einsatz eines divisiven3 Verfahrens, zum Beispiel mittels des „Konzept[s] des Merkmalsraums“ (ebd., S. 96; Hervorh. i.O.) oder einer entsprechenden Schematisierung (vgl. Kluge 1999, S. 272). Durch die Entfaltung des Merkmalsraums werden alle potentiellen Gruppierungen sichtbar und können daran anschließend durch „Zuordnung der Untersuchungselemente“ (ebd., S. 274) auf ihre empirische Häufigkeit hin geprüft werden. Mit der dritten Phase wird das bloße Beschreiben überschritten, die Typen sollen „verstanden und erklärt werden“ (Kelle/Kluge 2010, S. 91). Auf dieser Stufe wird das Material der Übersichtlichkeit und eindeutigen Abgrenzung wegen bereits wieder reduziert. Beispielsweise muss bezüglich konstruierter Typen, die sich im empirischen Material nicht wiederfinden, überprüft werden, ob diese tatsächlich nicht vorliegen oder ob sie bei der Zusammenstellung des Samples ggf. schlicht nicht erfasst wurden. Abschließend erfolgt die Charakterisierung der Typen „anhand ihrer Merkmalskombinationen sowie der inhaltlichen Sinnzusammenhänge“ (ebd., S. 92). Insbesondere bei der Entwicklung mehrdimensionaler Typen müssen die Stufen mehrfach durchlaufen werden, um schlüssige Gruppen zu bilden, die eine maximale interne Homogenität und eine maximale externe Heterogenität aufweisen. Die letzte Phase stellt zugleich einen Übergang vom Teilziel ‚Typenbildung‘ zum daran anschließenden Ziel der Theoriebildung bzw. Modifikation der Theorie dar.4 Indem nicht nur eine deskriptive Typenbildung erfolgt, sondern darüber hinaus auch Kausal- und Sinnadäquanz5 geprüft werden,

2

Die Vergleichsdimensionen müssen jedoch nicht zwangsläufig den Kodestrukturen entnommen werden; sie können – wie die Kategorien der Kodes selbst auch – aus den Kriterien der Fallauswahl oder aus der Struktur des Leitfadens hervorgehen. Vgl. dazu Kelle/Kluge 2010, S. 94.

3

Beim divisiven Verfahren bildet im Gegensatz zum agglomerativen Vorgehen immer die Gesamtgruppe den Ausgangspunkt, von dem aus weitere Unterteilungen und Ausdifferenzierungen erfolgen. Vgl. dazu Kluge 1999, S. 270ff.

4

Nach Kluge stellt die Typenbildung in den meisten Fällen „einen notwendigen ‚Zwischenschritt der Theoriebildung‘ dar, indem sie zur Hypothesenbildung“ (Kluge 1999, S. 51) führen.

5

Unter Kausalzusammenhängen werden äußere Merkmalskorrelationen verstanden. Sinnadäquanz meint hingegen „‚innere‘ Sinnzusammenhänge“ [...], mit deren Hilfe die ein-

TYPEN LITERATURMUSEALER ERINNERUNGSFORMEN | 329

können weiterführende Hypothesen sowie heuristische Annahmen entwickelt werden, die der Theoriebildung dienen. Wie Kluge in Empirisch begründete Typenbildung gezeigt hat, ist eine strikte Trennung zwischen einer empirischen (Realtypen) und einer theoretischheuristischen (Idealtypen) Typenbildung nicht sinnvoll.6 Denn „[s]ollen die gebildeten Typen die untersuchte soziale Realität möglichst umfassend abbilden, müssen sich empirisch und theoretisch ausgerichtete Auswertungsschritte vielmehr ergänzen, so daß eine abduktive Vorgehensweise befürwortet wird“ (Kluge 1999, S. 84). Dies spiegelt sich auch in der vorliegenden Typenbildung wider: Während die Basis für die Typenbildung Merkmalsdimensionen bilden, die aus der qualitativen Erhebung gewonnen wurden – und daher zunächst die Bildung von so genannten ‚Realtypen‘ naheliegend erscheinen mag – bringt eine Typenbildung, die sich an Idealtypen orientiert, den Vorteil mit sich, dass sie übergreifender, allgemeingültiger ist und theoriebildende Funktionen erfüllt. Die allgemeine Typenbildung innerhalb dieses Unterkapitels folgt zwar in der grundsätzlichen Ausrichtung der Bildung von Idealtypen, berücksichtigt allerdings sowohl theoretische und forschungspragmatische Aspekte, als sie auch auf empirisch gewonnene Erkenntnisse zurückgreift. Es handelt sich folglich nicht um ‚reine Idealtypen‘, wie sie in der klassischen sozialwissenschaftlichen Literatur definiert würden.7 Um die Bildung der „empirisch begründeten“8 Typologie für die Leser/innen nachvollziehbar zu machen, erfolgt die Darstellung in drei Schritten. 1. werde ich auf die Auswahl der maßgeblichen Kategorien eingehen, da diese nicht einfach vor-

zelnen Typen (‚Ebene des Typus‘) sowie das Gesamtgefüge einer Typologie (‚Ebene der Typologie‘) verstanden und erklärt werden kann“ (Kluge 1999, S. 277). 6

Vgl. dazu Kluge 1999, S. 58-78.

7

Idealtypen werden „vorrangig aus theoretischen Überlegungen abgeleitet“ (Kluge 1999, S. 61), Realtypen sind demgegenüber „an der empirischen Verteilung der Untersuchungselemente orientiert“ (ebd., S. 60). Die beiden Arten von Typologien haben jeweils ihre eigenen Vor- und Nachteile: während Realtypen oftmals der Vorwurf gemacht wird, sie würden lediglich auflisten, ohne aber zu verstehen, ist das verstehende Systematisieren und Strukturieren das Ziel der Bildung von Idealtypen. Idealtypen hingegen vermögen wenig über die real vorkommenden Fälle und Typen zu sagen. Idealerweise sollte der Streit zwischen den beiden Richtungen, wie er bei Kluge (1999, S. 58ff.) beschrieben wird, also beigelegt und es sollten die Vorteile der beiden Verfahren verbindend genutzt werden.

8

Ich richte mich bei der Typenbildung, wie bereits erläutert, nach Kluge (1999) und Kelle/Kluge (2010). Der Ansatz der „empirisch begründeten Typenbildung“ überwindet den Disput zwischen Real- und Idealtypen und verknüpft beide Arten von Typologien, indem Empirie und Theorie gleichermaßen Einfluss auf die Typenbildung gewinnen.

330 | AN LITERATUR ERINNERN

liegen oder sich ausschließlich induktiv ergeben, sondern sich erst in einer ‚abduktiven Vorgehensweise‘, dem Wechselspiel zwischen Empirie und Theorie und unter Berücksichtigung der Forschungsfrage herauskristallisieren. Sodann werde ich 2. auf die Verteilung der Fälle auf den durch die Kombination der Merkmalsdimensionen konstruierten Merkmalsraum eingehen. Abschließend werde ich 3. die Idealtypen beschreiben. Die Darstellung der Idealtypen dient schließlich als Folie für die Beschreibung jeweils eines ausgewählten prototypischen,9 empirischen Falls meines Samples. Auf diese Weise können sowohl die Generalisierung und Abstrahierung auf der Ebene des Verstehens wie auch die exemplarische Rückbindung an die realen Fälle gewährleistet werden. 8.1.1 Bildung des Merkmalsraums Entscheidend für die Bildung einer Typologie ist nicht nur der oben angedeutete Disput um die Frage, auf welcher Basis eine Typenbildung vorgenommen wird, sondern vor allem wird sie bestimmt durch die gestellte Forschungsfrage. Sie legt einen Fokus fest, den der/die Forschende bei allen forschungsstrategischen Entscheidungen zu beachten hat. Im Kontext dieser Arbeit ist die zentrale Frage, auf welche unterschiedlichen Arten und Weisen in literarischen Museen und Gedenkstätten an Autorinnen und Autoren erinnert wird. Dabei geht es stets um das Gesamtkonzept, die grundsätzliche Ausrichtung der literaturmusealen Einrichtungen und nicht beispielweise ausschließlich um die Ausstellungen – denn dann läge der Fokus auf dem Ausstellungskonzept und die darüberhinausgehenden Aufgabenbereiche der Museen und Gedenkstätten könnten außer Acht gelassen werden. Die Typenbildung dient schließlich dazu, etwas darüber herauszufinden, auf welche verschiedenen Weisen in literarischen Museen und Gedenkstätten an Schriftsteller/innen erinnert wird und wie sich diese Formen systematisch beschreiben lassen. Folgen die Einrichtungen der Definition des ICOM und kommen allen darin genannten Aufgabenbereichen des Sammelns, Archivierens, Forschens, Präsentierens und Vermittelns nach? Welche Schwerpunkte bilden die jeweiligen Typen und warum? Werden Schriftsteller/innen unterschiedlicher ‚Epochen‘ auf verschiedene Weise aufgearbeitet oder hängt ihre Darstellung in den Ausstellungen vielmehr von institutioneninternen Faktoren ab? Wie hängt dies mit den weiteren Aufgabenbereichen einer Einrichtung zusammen? Wann verändern sich Einrichtungen und entwi-

9

Ich orientiere mich bei der Nutzung dieses Begriffs an der Definition von „Prototypen“ nach Kluge (1999, S. 84; kursiv i.O.): „Bei Prototypen handelt es sich um ein Untersuchungselement bzw. einen Fall, der für eine bestimmte Gruppe oder einen gebildeten Typus sehr repräsentativ und typisch, eben ‚prototypisch‘ ist, weil er mit dem Typus in nahezu idealer Weise übereinstimmt.“

TYPEN LITERATURMUSEALER ERINNERUNGSFORMEN | 331

ckeln neue Aufgabenbereiche? Welche Voraussetzungen müssen für einen wissenschaftlichen Fokus gegeben sein und in welchen Kontexten setzen die Häuser auf populärwissenschaftliche bzw. eventorientierte Strategien? Darüber hinaus ließen sich weitere Fragen stellen, die auf die Gesamtkonzepte der Einrichtungen und ihre inneren, strukturellen Zusammenhänge abzielen. Die Typologie hilft dabei, Zusammenhänge dieser aufzudecken und zu systematisieren, so dass über einen deskriptiven Ansatz hinaus auch Erklärungen für die Erscheinungsformen gegenwärtiger literaturmusealer Einrichtungen möglich werden. Im Hinblick auf die leitende Forschungsfrage ist daher zunächst die Bestimmung der maßgeblichen Momente in der literaturmusealen Erinnerungsarbeit wichtig, was am erhobenen Material einerseits durch die systematische Interviewauswertung mittels inhaltsanalytischer Methoden, andererseits durch die Ausstellungsanalysen möglich gewesen ist. Während es zu Beginn der Arbeit so schien, dass zur Beschreibung der Erinnerungsarbeit in den Museen die Ausstellungen die richtungsweisenden Elemente sein würden, hat sich im Laufe der Erhebung herausgestellt, dass gerade aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtungen der literaturmusealen Einrichtungen eben auch andere Aspekte in ihrer Arbeit ausschlaggebend sein können – wie beispielsweise das weitere Veranstaltungsangebot, Zusatzangebote vor Ort, die wissenschaftliche Ausrichtung und eigene Forschung durch das Museum. Durch sie verändern sich einflussreiche Parameter für die gesamte museale Arbeit, wie vor allem in Kap. 8.2 an den prototypischen realen Einzelfällen zu zeigen sein wird. Zu Anfang der Auswertung und Ermittlung der bestimmenden Merkmale für die Bildung einer Typologie literaturmusealer Erinnerungsformen ergaben sich aus dem Material und den theoretischen Vorarbeiten folgende Bereiche als relevant: die Gründungsvoraussetzungen, die Ausstellungsarten und die weiteren schwerpunktmäßigen – museumspädagogischen und wissenschaftlichen – Aufgabenbereiche der literaturmusealen Einrichtungen.10 Die Gründungsvoraussetzungen können nach Abschluss der Auswertung zwar auch weiterhin als bedeutender Einflussfaktor dafür angesehen werden, ob und in welcher Form es zur Gründung eines Museums bzw. einer Gedenkstätte kommt – und bei manchen Fällen, wie dem GoetheMuseum in Düsseldorf, haben die Gründungsvoraussetzungen auch prägenden Ein-

10 Während sich zu einem früheren Zeitpunkt der Untersuchung auch das leitende Personal der Einrichtungen als einflussreiche Merkmalsdimension herauszustellen schien (vgl. Hoffmann 2014), wird dieses hier nicht mehr in die die Typen bestimmenden Merkmalsdimensionen aufgenommen. Nichtsdestotrotz soll darauf hingewiesen werden, dass das leitende Personal im Kontext der Erinnerungsarbeit durch die Museen und Gedenkstätten eine wichtige Funktion einnimmt, liegt es doch in seinem Verantwortungsbereich, die Richtung der literaturmusealen Arbeit vorzugeben.

332 | AN LITERATUR ERINNERN

fluss auf die Grundausrichtung des Museums gehabt. Allerdings haben sich die inhaltsanalytisch herausgearbeiteten Dimensionen im Kontext der Gründungsvoraussetzungen für die Typologie und die Differenzierung zwischen den Einzeltypen als nicht trennscharf herausgestellt und wurden daher an dieser Stelle ausgeklammert.11 Anschaulich wird dies besonders an den materiellen Voraussetzungen: So zeigte sich, dass fast alle Gedenkstätten und Museen im Geburts- oder ehemaligen Wohnhaus eines Autors oder einer Autorin eingerichtet wurden. Lediglich bei den sogenannten Großschriftstellern – allesamt männlich – scheint das Vorhandensein eines Gebäudes keine im Regelfall notwendige Voraussetzung gewesen zu sein, denn das Lessing-Museum und das Kleist-Museum wurden zwar in besonders repräsentativen Gebäuden untergebracht, nicht aber in solchen, in denen sich die Dichter zu Lebzeiten (nachweislich) aufgehalten hätten. Das Vorhandensein einer Sammlung zum Entstehungszeitpunkt einer literaturmusealen Einrichtung wiederum kann nicht im Kontext der Gründung als differenzierendes Merkmal angeführt werden, da sich auch hier keine stringenten Verbindungen bspw. zwischen dem Vorhandensein einer Sammlung zum Gründungszeitpunkt und der damit einhergehenden Entwicklung einer Einrichtung in eine bestimmte Richtung nachweisen ließen. Dass die Sammlungen für die Typenbildung außerhalb der Frage nach den Einrichtungsgründungen nichtsdestotrotz eine wichtige Rolle für die Typenbildung spielen, soll weiter unten im Zusammenhang der Wissenschaftsorientierung der Einrichtungen gezeigt werden. Demgegenüber stellten sich die Ausrichtungen der Ausstellungen sowie der weiteren Aufgabenbereiche der Museen und Gedenkstätten durchaus als einflussreiche Merkmalsdimensionen heraus. Bezüglich der Ausdifferenzierung der Ausstellungsarten konnte nicht auf die Ergebnisse der Erzählanalysen (vgl. Kap. 6.3) zurückgegriffen werden, da diese zu feinmaschig waren. Stattdessen musste auf gröbere Ausdifferenzierungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden. So stellte sich die Grundkonzeption des Hauses als maßgeblich heraus, und nicht etwa, ob beispielsweise eine eher biografisch-chronologische oder eine thematischmodularisierte Präsentationsform (vgl. Kap. 6.1) gewählt wurde. Ausdifferenziert werden konnten auf diese Weise drei verschiedene Ausstellungsarten: Zuerst gibt es solche Häuser, deren Ausstellungsschwerpunkt auf rein musealen Ausstellungen basiert (a1). Sie können zwar daneben über historisch-authentisch (wieder) eingerichtete Räume verfügen, doch stehen diese dann nicht im Zentrum der Ausstellung. Im Gegensatz dazu stehen bei der zweiten Ausstellungsart museale Ausstellung und

11 Dies kann auch als Beispiel dafür gelten, wie im Laufe eines offenen, qualitativ orientierten Forschungsprozesses theoretische Vorannahmen (hier die Bedeutung der Gründungsvoraussetzungen für die Gesamtausrichtung der Einrichtungen) in Anbetracht neuer Erkenntnisse modifiziert werden müssen.

TYPEN LITERATURMUSEALER ERINNERUNGSFORMEN | 333

historisch-authentische Räume gleichberechtigt nebeneinander (a2), was sich nicht nur quantitativ zeigt, indem beiden Ausstellungsarten ungefähr gleich viele Räume gewidmet werden, sondern auch in den inhaltlichen Konzeptionen und Narrativen der Ausstellungen (vgl. dazu Kap. 6.3). Drittens gibt es unter den literaturmusealen Einrichtungen auch solche, die den historisch-authentisch (wieder) eingerichteten Räumen mehr Platz und Bedeutung einräumen als musealen Ausstellungsräumen (a3). Zwar verfügen diese regulär zumindest über einen kleinen musealen Ausstellungsteil, doch handelt es sich dabei oftmals lediglich um kurze biographische oder werkgeschichtliche Überblicksdarstellungen zu den Autorinnen und Autoren, die nicht vergleichbar sind mit den aufwendig konzipierten und designten Ausstellungen anderer Häuser. Neben den Ausstellungen hat sich das museumspädagogische Zusatzangebot in den Bereichen von z.B. Führungen, Workshops, Veranstaltungen wie Lesungen und Vorträgen oder Podiumsdiskussionen als ein wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen den einzelnen Museen und Gedenkstätten herauskristallisiert. Dabei war hinsichtlich der Differenzierung unter den einzelnen Museen und Gedenkstätten zunächst zu prüfen, inwiefern diese Angebote in ‚standardisierter‘ Weise angeboten werden. So verfügen einige Häuser nicht nur über ein festes Führungsangebot, das auf die jeweiligen Adressatengruppen spezialisiert ist – wie Schüler/innenGruppen oder (erwachsene, kulturtouristische) Reisegruppen. Darüber hinaus werden weiter spezifizierte Führungen angeboten, welche bspw. nur einen Teil einer Ausstellung betreffen oder weit über die eigentliche Ausstellungsführung hinausgehen und die Spuren der Dichter/innen vor Ort verfolgen oder sogar darüber hinaus an gänzlich andere Orte führen und nur noch eine assoziative Verbindung zu den Schriftstellerinnen und Schriftstellern zulassen (z.B. Gedichtlesungen zu Weinverkostungen). Während kleinere Häuser auf ihren Internetpräsenzen oftmals lediglich eine Kontaktmöglichkeit angeben, unter der eine nicht weiter spezifizierte Führung gebucht werden kann, ist das Führungsangebot eines großen Hauses wie des Buddenbrookhauses in Lübeck weit ausdifferenziert: Hier wird zunächst unterschieden in „Öffentliche Führungen“, welche zu regelmäßigen Terminen stattfinden und an denen jede/r teilnehmen kann, sowie „Buchbare Führungen“ und „Schüler führen Schüler“. Das thematische Spektrum der Führungen reicht von „Familiengeschichten“, „Die Buddenbrooks – ein Jahrhundertroman“ oder „Die Manns – eine Schriftstellerfamilie“ über „‚Nobel!‘ – Von Thomas Mann zu Günter Grass“ bis hin zu zubuchbaren Angeboten wie „Zu Besuch in der Weinhandlung Tesdorpf“, wo „der perfekte Ausklang nach einer Museumsbesichtigung“ versprochen wird.12 Des Wei-

12 Alle Zitate stammen von der Homepage des Museums (Homepage des Buddenbrookhauses

[http://buddenbrookhaus.de/de/

02.05.2015].

91/fuehrungen.html,

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334 | AN LITERATUR ERINNERN

teren ist einzubeziehen, wie häufig und in wie regelmäßigen Abständen Veranstaltungen durchgeführt werden. Werden zum Beispiel wöchentlich Lesungen, Workshops, Gespräche oder ähnliches offeriert oder lediglich ein Mal im Monat oder seltener? Im Kleist-Museum werden wöchentlich mehrere Veranstaltungen durchgeführt, ebenso im kleineren Raabe-Haus, das ein ähnlich umfangreiches Angebot an Lesungen und literarischen Gesprächen macht wie ein reines Literaturhaus. Hingegen finden in einem kleinen Museum wie dem ehrenamtlich geführten Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau nur selten Zusatzveranstaltungen statt. Zu unterscheiden wären folglich solche Museen und Gedenkstätten, die über ein großes und umfangreiches museumspädagogisches Zusatzangebot verfügen, das regelmäßig angeboten wird und nach Themen bzw. Adressatengruppen ausdifferenziert ist (b1), sowie solchen, die zwar Zusatzveranstaltungen anbieten, allerdings in geringerem Umfang, seltener in festen regelmäßigen Abständen sowie weniger ausdifferenziert (b2), und solchen Einrichtungen, die regulär keine weiteren (über eine einheitliche Führung hinausgehenden) Angebote machen (b3). Darüber hinaus ist die wissenschaftliche Arbeit der literaturmusealen Einrichtungen mit entscheidend gewesen für die Typenbildung. Dieser Aufgabenbereich ist deshalb im Kontext der Erinnerungsarbeit als bedeutsam anzusehen, da die Museen und Gedenkstätten, wenn sie sich an der Forschung zu den von ihnen ausgestellten Autorinnen und Autoren beteiligen, nicht nur von anderen erarbeitete Forschungsergebnisse aufgreifen, sondern sich selbst an der Aushandlung der Schriftsteller/innen beteiligen und als wissenschaftliche Einrichtung verstehen. Ein solches Selbstverständnis als wissenschaftliche Einrichtung spiegelt sich letztlich nicht nur in der Durchführung von wissenschaftlichen Veranstaltungen und Forschungsprojekten, sondern zumeist auch in den museumspädagogischen Angeboten sowie den Ausstellungen selbst wider, und ist damit als einflussreicher Grundsatz für das Gesamtkonzept der Einrichtung anzusehen. Bei der Einschätzung der Wissenschaftsorientierung der untersuchten Fälle sind neben wissenschaftsnahen Veranstaltungsformaten wie Tagungen und Konferenzen auch deren eigene Forschungsinfrastruktur wie Bibliothek und (eigenes) Archiv sowie eigene Forschungsprojekte und wissenschaftliche Publikationen zu berücksichtigen gewesen. Zur Ausdifferenzierung der Fälle nach dem Grad ihrer Wissenschaftsorientierung wurde danach gefragt, ob das Museum oder die Gedenkstätte über eine eigene umfangreichere Sammlung verfügt, die sie in einem eigenen Archiv aufbewahrt, und ob diese Sammlung durch die einrichtungseigenen Mitarbeiter/innen erforscht wird. Zweitens war von Relevanz, ob museumseigene wissenschaftliche Publikationen vorlagen und ob bereits eigene Forschungsprojekte – evtl. durch Drittmittel gefördert – durchgeführt wurden. Drittens wurden der Umfang, die Art und die Regelmäßigkeit von wissenschaftsnahen Veranstaltungen mit einbezogen. Wie in den beiden vorangegangenen Bereichen – Ausstellungsarten und museumspädagogische Angebote – konnten auch hier Abstufungen auf drei Ebenen vorgenommen werden: Ein hoher Grad an

TYPEN LITERATURMUSEALER ERINNERUNGSFORMEN | 335

Wissenschaftsorientierung (c1) zeigt sich darin, dass die Museen bzw. Gedenkstätten in regelmäßigen Abständen Tagungen oder Konferenzen durchführen, in ihre Vortrags- und sonstigen Veranstaltungsreihen auch wissenschaftliche und Spezialthemen einbeziehen, die ggf. nur ein kleineres (Fach-)Publikum ansprechen, und die über ein eigenes Archiv und eine umfangreiche Sammlung verfügen, die sowohl von den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erforscht wird, als auch externen Forschenden zur Verfügung steht. Eine mittlere bzw. populärwissenschaftliche Wissenschaftsorientierung (c2) liegt dann vor, wenn zwar wissenschaftliche Vorträge und Tagungen organisiert und Publikationen getätigt werden, dies aber in wesentlich geringerem Umfang bzw. nicht regelmäßig geschieht. Zudem fallen in diesen Bereich auch populärwissenschaftliche Publikationen, die zwar den wissenschaftlichen Standards nicht in jeglicher Hinsicht genügen mögen, jedoch als niedrigschwelliges Organ darauf zielen, ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Als drittes sind diejenigen Einrichtungen zu nennen, welche eine geringe Wissenschaftsorientierung (c3) aufweisen. In diesen Häusern steht kein eigenes Archiv mit einer umfangreicheren Sammlung zur Verfügung, es existieren keine eigenen Forschungsprojekte, Tagungen werden in der Regel nicht durchgeführt, Vorträge und andere wissenschaftsnahe Veranstaltungen nur gelegentlich und unter Federführung von externen Forscherinnen und Forschern. Wissenschaftliche Publikationen liegen in der Regel ebenfalls nicht vor. Der Merkmalsraum setzt sich dementsprechend aus den folgenden Merkmalsdimensionen zusammen, die wiederum unterschiedliche Merkmalsausprägungen aufweisen: a) Ausstellungsarten, b) museumspädagogische Zusatzangebote, c) wissenschaftliche Ausrichtung. 8.1.2 Verteilung der empirischen Fälle auf den Merkmalsraum Die Fälle können nun auf der Basis der Auswertungsergebnisse aus den Interviews und den Ausstellungsanalysen entsprechend ihrer Merkmalsausprägungen auf den Merkmalsraum (vgl. Tab. 4) verteilt werden. Bereits hier zeigt sich, dass sich erste Gruppen von Fällen ergeben, die sich innerhalb des Merkmalsraums nahestehen und im Folgenden zu Typen zusammengefasst werden. Zuvor sollen allerdings die Zuordnungen der empirischen Fälle zu den einzelnen Merkmalsdimensionen erläutert werden, da später (unter Kap. 8.2) pro Typ lediglich auf jeweils einen empirischen Fall detaillierter eingegangen werden kann.

336 | AN LITERATUR ERINNERN

Tab. 4: Übersicht über die Verteilung der untersuchten Fälle auf den Merkmalsraum museale Ausstellung (a1)

umfangreiches, standardisiertes und ausdifferenziertes museumspädagogisches Angebot (b1) weniger umfangreiches und standardisiertes museumspädagogisches Angebot (b2) in der Regel kein über Führungen hinausgehendes museumspädagogisches Angebot (b3)

c1 K, L

c2 G13

c3

(gleich bedeutend) museale Ausstellung und historisch-authentisch eingerichtete Räume (a2) c1 c2 c3 St M R



historischauthentisch eingerichtete Räume (a3)

c1

c2

c3

S, Str

B

Erläuterung der in der Tabelle verwendeten Abkürzungen: B = Brechthaus, Bü = Büchnerhaus, G = Günter Grass-Haus, Kl = Kleist-Museum, L = Lessing-Museum, M = Karl-May-Museum, R = Raabe-Haus: Literaturzentrum Braunschweig, S = Anna-Seghers-Gedenkstätte, St = Storm-Haus, Str = Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ c1 = hoher Grad an Wissenschaftsorientierung, c2 = mittlerer bzw. populärwissenschaftlicher Grad an Wissenschaftsorientierung, c3 = geringe Wissenschaftsorientierung.

13 Das Grass-Haus wurde in dieser Tabelle mit keinem Hintergrund belegt, da es sich innerhalb der im Folgenden gebildeten Typologie als Grenzfall zwischen Typ 3 und Typ 4 (s. dazu unten) herausgestellt hat. Es wird in Kap. 8.2.5 daher als solcher Grenzfall detailliert vorgestellt werden. Vergleichbares gilt für das Brechthaus, welches sich seit 2014 in einem starken Wandlungsprozess befindet, was die Neukonzeption der Dauerausstellung, aber besonders auch die Entwicklung eines museumspädagogischen Programms betrifft. So wurde bspw. der gesamte museumspädagogische Bereich an die Regio Augsbrug Tourismus GmbH übertragen.

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a) Art des literaturmusealen Ausstellungsbereichs Ob die literaturmusealen Einrichtungen der Merkmalsausprägung ‚museale Ausstellung‘, ‚historisch-authentisch eingerichtete Räume‘ oder einer paritätischen Mischform aus diesen beiden zugeordnet werden, hängt davon ab, in welchem Bereich die Einrichtungen jeweils ihren Schwerpunkt haben. Im Falle des Kleist-Museums, des Lessing-Museums sowie des Grass-Hauses ist eindeutig zu entscheiden, dass es sich bei ihrer Ausstellungsart nicht um historisch-authentisch wieder eingerichtete Räumlichkeiten handelt, sondern dass sie ein museales Ausstellungskonzept aufweisen (a1). Der Versuch, Räume (wieder) original einzurichten, würde in diesen Fällen bereits daran kranken, dass sich die Museen nicht in Gebäuden befinden, die von den Autoren bewohnt wurden – lediglich das Grass-Haus weist überhaupt eine direkte Verbindung zum Autor auf, dessen Sekretariat hier bis zu seinem Tode im Jahr 2015 untergebracht war. An diesen Fällen wird deutlich, welch großen Einfluss das (Nicht-)Vorhandensein des ehemaligen Wohnhauses und der originalen Möbelstücke auf die grundsätzliche Ausstellungsrichtung einer personalen, literaturmusealen Einrichtung haben können. Das Büchnerhaus befindet sich zwar im Geburtshaus Büchners, aus der Zeit, als die Familie Büchner dieses bewohnte, es sind allerdings keine originalen Möbelstücke mehr erhalten – hinzu kommt hier, dass die Familie kurz nach der Geburt Büchners umzog und das Haus somit für Büchner und seine Entwicklung als Autor eine geringe Bedeutung hatte. Ähnliches gilt für das Brechthaus, in dem Bertolt Brecht zwar geboren wurde, aber ebenfalls nur einige Monate lebte. Hier wurde ein Ausstellungsraum mit den originalen Schlafzimmermöbeln der Mutter Brechts ausgestattet – jedoch haben diese innerhalb der Ausstellung mehr die Funktion einer inszenierenden Ausstellungskulisse, als dass sie als authentisch-auratische Möbelstücke wahrgenommen würden (vgl. Kap. 6.3.3). Das Storm-Haus und das Karl-May-Museum verfügen hingegen zu paritätischen Teilen über eine museale Ausstellung wie auch historisch-authentische Räume (a2). Interessant ist an diesen beiden Häusern besonders, dass sie im Gegensatz zu denjenigen, die ihren Ausstellungsfokus auf die historischen Räume richten, die beiden Ausstellungsbereiche weniger strikt voneinander trennen. Beide Ausstellungen sind erst im Nachhinein um originale Einrichtungsgegenstände der Autoren angereichert worden, begonnen haben sie mit rein musealen Ausstellungen. Dies könnte auch mit ein Grund dafür sein, dass sich hier original wieder eingerichtete und museal ausstellende Räume abwechseln bzw. im Storm-Haus sogar ausstellende Elemente in original wieder eingerichtete Räume integriert wurden. Auch das Raabe-Haus ist an dieser Stelle aufzuführen. Es verfügt zwar nur über einen original wieder eingerichteten Raum, jedoch ist dessen Stellenwert – auch im Hinblick auf die Geschichte der Einrichtung – als so bedeutsam einzuschätzen, dass weder museale Ausstellung (zwei Räume), noch historisch-authentisch wiedereingerichtetes Zimmer hinsichtlich der gesamten Ausstellungskonzeption wichtiger sind.

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Die Anna-Seghers-Gedenkstätte sowie die Strittmatter-Gedenkstätte sind demgegenüber – wie ihre Bezeichnung als Gedenkstätte erwartbar macht – Häuser, in denen zuerst original (wieder) eingerichtete, ehemalige Wohnräume der Dichter/innen zugänglich gemacht werden (a3). Die einzigen Ausstellungsräume entsprechen vielmehr zusätzlichen Informationsräumen, in denen die Besucher/innen eine an Leben und Werk der Schriftsteller/innen orientierte, überblicksartige Kontextualisierung erhalten. b) Museumspädagogisches Angebot Die Einordnung der literaturmusealen Institutionen in Kategorien entsprechend ihrer über die Ausstellung(en) bzw. das Zugänglichmachen des ‚authentischen Ortes‘ hinausgehenden Angebote ist komplexer als die Bestimmung der ‚Art‘ des literaturmusealen Ausstellungsbereichs. Hier spielen mehrere Unterkategorien, wie sie in Kap. 7 beschrieben wurden, in die Bestimmung mit hinein und müssen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ abgewogen werden: es kommt bei der Zuordnung folglich nicht ausschließlich auf die Anzahl der Angebote an, sondern auch auf ihre Art und Besonderheiten. Relativ eindeutig fällt die Zuordnung bei denjenigen Museen und Gedenkstätten aus, die (annähernd) keine über die Ausstellung hinausgehenden Angebote offerieren (b3). Dies war beispielsweise beim Brechthaus in Augsburg der Fall, das die gesamte museumspädagogische Arbeit zum Zeitpunkt der Erhebung ausgelagert hatte: Führungen waren lediglich über die Regio Augsburg buchbar, vom Brechthaus selbst wurden nur gelegentlich Lesungen oder Vorträge veranstaltet. Wenn die Institutionen hingegen in regelmäßigen Abständen Vortrags- und Lesungsveranstaltungen, museumspädagogische Einheiten oder Museumsfeste anboten, waren sie der nächsthöheren Merkmalsausprägung (b2) zuzuordnen. Dabei ist die Differenz der Programme derjenigen Museen und Gedenkstätten, denen diese Kategorie zugewiesen wurde, hinsichtlich ihrer Vielfalt nicht zu unterschätzen. Sie unterscheiden sich nicht nur mit Blick auf die grundsätzlichen Veranstaltungsarten, sondern auch hinsichtlich der Zielgruppen, der inhaltlichen Ausrichtung sowie des Professionalisierungsgrades. Während beispielsweise in der Anna-SeghersGedenkstätte jeden Monat Lesungen und Vortragsabende stattfinden, die gemeinsam mit der Seghers-Gesellschaft organisiert werden, und es eine Angestellte gibt, die eigens für die Führungen und die Museumspädagogik verantwortlich ist, gibt es solche Veranstaltungen in der Strittmatter-Gedenkstätte – die im Gegensatz zur Seghers-Gedenkstätte rein ehrenamtlich geführt wird – nur gelegentlich und die museumspädagogischen Angebote werden von der Leiterin, einer pensionierten Deutschlehrerin, selbst ausgearbeitet, auf die Adressatengruppe jeweils angepasst und durchgeführt. Wie sich an diesen beiden Beispielen zeigt, geben allein die institutionellen Strukturen den einzelnen Einrichtungen somit einen gewissen, meist recht begrenzten Handlungsrahmen vor. Das Büchnerhaus, das auch ehrenamtlich

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geführt wird, führt ebenfalls lediglich in selteneren Abständen Lesungen, Vorträge und andere Veranstaltungen durch. Die dritte Kategorie ist am komplexesten strukturiert, denn sie umfasst sowohl solche Einrichtungen, die beinahe täglich Veranstaltungen anbieten, als auch diejenigen, die seltenere, aber besonders spezifische bzw. außergewöhnliche Angebotsstrukturen aufweisen (b1). Das Grass-Haus, das Kleist- sowie das Lessing-Museum und das Storm-Haus sind dieser Merkmalskategorie zuzuordnen, weil sie über ein ausgesprochen breites, regelmäßiges und professionalisiertes Angebotsspektrum verfügen, welches sich in ähnlicher Weise bei anderen größeren Häusern wie dem Buddenbrookhaus oder dem Goethe- und Schiller-Museum in Weimar finden lässt. Bei zwei weiteren Fällen, dem Raabe-Haus und dem May-Museum, hängt die Zuordnung mit ihren Spezialisierungen zusammen, die als ihr Alleinstellungsmerkmal gelten können. So hat sich das Raabe-Haus auf Veranstaltungsarten fokussiert, wie sie bezüglich der Art und Anzahl für Literaturhäuser und -zentren üblich sind. Ein ähnliches Konzept verfolgt beispielsweise das Kästner Museum in Dresden, allerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt für Kinder und Jugendliche. Das MayMuseum hat demgegenüber vielmehr einen kulturtouristischen Fokus, indem nicht nur der Ausstellungsteil zu den Indianern Nordamerikas – neben demjenigen zu Karl Mays Leben und Werk – außergewöhnlich für ein literarisches Museum ist und weitere Museumsbesucher/innen anzulocken vermag. Zu den Angeboten, die das Museum macht, gehören darüber hinaus Erlebnisführungen. In der Beschreibung eines solchen „Erlebnisrundgang[s]“ auf der Homepage des Museums heißt es entsprechend: „Schwer bewaffnet und in der Lederkluft des amerikanischen Westmannes, so empfängt Karl May persönlich seine Besucher in der Villa „Shatterhand“. Hier ist er ganz in seinem Element, wenn er indianisch spricht, oder seine kostbaren Waffen präsentiert. Und wenn er seine selbst erlebten Geschichten vorträgt, wird er wieder lebendig: ‚Der Wilde Westen‘!“ (Webseite des Karl-May-Museums)14

Des Weiteren erinnern die zwei Ausstellungsgebäude des May-Museums mit dem von indianischen Skulpturen durchzogenen Park bereits 2012 an einen Erlebnispark. Inwieweit im Falle des May-Museums weitere kulturtouristische Besonderheiten zum Tragen kommen, wird in Kap. 8.2.3 noch näher ausgeführt.

14 „Erlebnisrundgang mit Karl May“ (Webseite des Karl-May-Museums [http://www.karlmay-museum.de/web/start.php?lang=de&kID=111, zuletzt abgerufen am 23.01.2014]). Neben dem Erlebnisrundgang werden weitere Erlebnisangebote gemacht, die fiktive oder historisch-indianische Figuren performen und ‚zum Leben erwecken‘ sollen.

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c) Wissenschaftliche Orientierung Ein weiteres Merkmal, das sich für die Typenbildung als ausschlaggebend herausgestellt hat, ist der Grad der Wissenschaftsorientierung. Das Lessing- und das Kleist-Museum sowie das Storm-Haus weisen alle Merkmale auf, die auf einen hohen Grad an Wissenschaftsorientierung schließen lassen (c1): Die Häuser verfügen über einen spezifischen Sammlungsbereich, eine bereits ausgebaute Sammlung und ein Archiv, das Personal der Museen ist selbst forschend tätig, ebenso wie es für externe Forscher/innen die Möglichkeit gibt, vor Ort forschend tätig zu werden. In regelmäßigen Abständen erfolgen wissenschaftliche Publikationen und es werden teilweise zusätzlich externe Gelder eingeworben, um bestimmte Forschungsprojekte durchführen zu können – so warb das Kleist-Museum beispielsweise bei der DFG Gelder zur Durchführung eines Projekts ein. Darüber hinaus werden wissenschaftsnahe Veranstaltungen wie Konferenzen, Tagungen und wissenschaftliche Workshops sowie Vortrags-, Lesungs- und Diskussionsabende organisiert. Der gegenwärtige Leiter des Storm-Hauses weist im Kontext der starken Wissenschaftsorientierung sogar darauf hin, dass in Zukunft auch andere (populärwissenschaftliche) Bereiche stärker mit einzubeziehen seien: „Vorträge, bisher waren es doch sehr wissenschaftlich orientierte Vorträge, das soll jetzt auch ein bisschen breiter werden, z.B. das Papiertheater hatten wir hier, das war sehr charmant. Ja, und dass es nicht nur jetzt ein strenger Storm-Forschungsvortrag sein muss, sondern auch eine Lesung usw.“ (Demandt [Storm-Haus], Abs. 119).

An dieser ebenso wie anderen Ausführungen Christian Demandts zu Veränderungen des Storm-Hauses im Zuge des Leiterwechsels kündigt sich eine zukünftige Ausweitung des Aufgabenspektrums an, die das Storm-Haus umso deutlicher dem Typ der ‚literaturmusealen Allrounder‘ angehören lässt.15 Diejenigen Museen und Gedenkstätten, die eine mittelstarke bzw. populärwissenschaftliche Wissenschaftsorientierung aufweisen (c2), können zwar ebenfalls einen Teil dieser genannten wissenschaftlichen Tätigkeitsbereiche vorweisen, allerdings in geringerem Umfang bzw. vielmehr mit populärwissenschaftlicher Ausrichtung. Das Grass-Haus in Lübeck, das erst seit 2002 existiert, verfügt seit 2011 über ein eigenes Archiv, in dem die Sammlung, die als Vorlass ganz wesentlich dafür verantwortlich war, dass es überhaupt zur Einrichtung des Grass-Hauses kam, nun fachgerecht aufbewahrt werden kann. Zudem wurde in der Vergangenheit über ein Stipendium im Rahmen der Kulturstiftung Hansestadt Lübeck eine Mitarbeiterin finanziert, die sich der Erforschung eines Teils der Sammlung widmete. Daneben veranstaltet das Grass-Haus literaturwissenschaftliche Kolloquien und Tagungen

15 Vgl. dazu unten die Darstellung der Idealtypen.

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und publiziert museumseigene Schriften. Dass sich das Haus – vermutlich auch aufgrund seines kurzen Bestehens – noch in einem Entwicklungs- und Ausdifferenzierungsprozess befindet, zeigt sich an ebensolchen, wenige Jahre nach der Gründung erfolgten Erweiterungen wie dem Anbau des Archivs. Da damit Zuordnungsschwierigkeiten innerhalb der Typologie verbunden sind, wird auf das Grass-Haus als Grenzfall unter Kap. 8.2.5 gesondert einzugehen sein. Das May-Museum weist hingegen eine in erster Linie populärwissenschaftliche Orientierung auf, die in einem engen Zusammenhang mit seinem museumspädagogischen Programm sowie der Gestaltung der Ausstellungswelt des Komplexes aus „Villa Shatterhand“, „Villa Bärenfett“ und erlebnisorientierter Parkanalage zu stehen scheint. Die Funktion des Beobachter von der Elbe als museumseigenes, populärwissenschaftliches Magazin genügt Wagner zufolge zwar wissenschaftlichen Ansprüchen, doch richtet es sich nicht an Spezialisten aus der Germanistik und anderen Fachbereichen, sondern an die durchschnittlichen Besucher/innen (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 48). Wenngleich beispielsweise dieses Magazin vom Museum herausgegeben wird, weist der ehemalige Leiter zugleich auf die begrenzten personellen Kapazitäten zur Abdeckung eines größeren Engagements in der Forschung hin. So existieren zwar eine Sammlung und ein Archiv, zu dem auch externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zugang haben, doch kann keine umfassende eigene Forschungsarbeit durchgeführt werden. Eine geringere Wissenschaftsorientierung weisen die Seghers- sowie die Strittmatter-Gedenkstätte, das Raabe-Haus sowie das Büchnerhaus auf (c3). Während die Sammlung der Seghers-Gedenkstätte im Archiv der Akademie der Künste und die des Raabe-Hauses im Stadtarchiv der Stadt Braunschweig jeweils extern untergebracht sind, gibt es im Büchnerhaus und in der Strittmatter-Gedenkstätte überhaupt keine museumseigene, archivarische Sammlung – was mitunter mit den fehlenden archivarischen Unterbringungsmöglichkeiten begründet wird (vgl. Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 68). Forschung findet hier keine statt. Dort, wo hingegen Sammlungen vorhanden sind, werden sie Externen zwar zu Forschungszwecken zugänglich gehalten, jedoch nicht vom Museumspersonal selbst erforscht. Wissenschaftliche Vorträge sowohl im Raabe-Haus als auch in der Seghers-Gedenkstätte werden überwiegend in Kooperation mit externen Veranstaltern bzw. unter Federführung der jeweiligen Gesellschaft veranstaltet. Bei kleineren Einrichtungen, die zudem ländlich gelegen sind, kommt die Problematik hinzu, dass sie auch dann, wenn sie grundsätzlich die Möglichkeit dazu hätten, mehr und häufigere wissenschaftsnahe Veranstaltungen durchzuführen, dies nicht tun, da es schlicht eine zu geringe Resonanz gäbe. Auffällig ist darüber hinaus, dass in erster Linie bei den musealen Einrichtungen eine starke Wissenschaftsorientierung vorzufinden ist, im Kontrast zu den Gedenkstätten, bei denen diese einen nicht so hohen Stellenwert einnimmt, was damit zu-

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sammenhängen mag, dass die Gedenkstätten sich primär auf die Erhaltung und/oder Ausgestaltung des historisch-authentischen Ortes konzentrieren. 8.1.3 Beschreibung der empirisch-theoretisch gebildeten Typen Eine grundsätzliche Schwierigkeit bei der Typenbildung ist, „dass zwischen den verschiedenen Typen keine scharfen Grenzen gezogen werden können und die charakteristischen Eigenschaften der verschiedenen Typen vielfältig abstufbar sind“ (Kluge 1999, S. 31), gleichwohl mit jeder Typenbildung der Versuch verbunden ist, intern möglichst homogene und extern möglichst heterogene Gruppen zu bilden. Eine weitere Problematik bei der Zuordnung der literaturmusealen Einrichtungen in eine Typologie liegt darin begründet, dass diese immer nur temporär gelten kann. Dies ist auch der Grund dafür, warum hier nun auf der Basis empirisch feststellbarer Typen sogenannte Idealtypen formuliert werden sollen, denn nur diese vermögen eine grundsätzliche Strukturierung literaturmusealer Erinnerung evident werden zu lassen. Einige der Einrichtungen – wie das Grass-Haus, das Brechthaus oder das Storm-Haus – haben bereits im Laufe des Forschungsprozesses einflussreiche Wandlungen vollzogen, sodass Mehrfachbesuche notwendig wurden bzw. ausdrücklich darauf hingewiesen werden muss, dass sie sich mitunter weiterhin in einem Wandlungsprozess befinden.16 Darüber hinaus kann eine Schwerpunktverlagerung und damit eine andere typologische Zuordnung der Einrichtungen zustande kommen, sobald diese einen ihrer Arbeitsbereiche weiter ausbauen oder zurückfahren. Dies ist ein weiterer Grund dafür, nicht nur die empirisch auftretenden Typen zu beschreiben, sondern darüber hinaus allgemeine Strukturierungsmerkmale herauszustellen und in einer Typologie von ‚empirisch begründeten Idealtypen‘ zusammenzuführen. Denn auch wenn sich die Museen dann verändern, sollten sie weiterhin einem der Typen innerhalb der Typologie zuordenbar bzw. in Übergangsphasen an der Schwelle zwischen zwei Typen zu verorten sein. Bei den empirisch begründeten Typen, wie sie sich im Laufe der Untersuchung herausgestellt haben, handelt es sich um die folgenden vier: 1. literaturmuseale Einrichtungen zur Erhaltung des historisch-authentischen Or-

tes, 2. ausstellungsbetriebsorientierte literarische Museen, 3. erlebnis- und veranstaltungsorientierte literarische Museen und 4. literaturmuseale Allrounder.

16 Letzteres gilt beispielsweise für das Storm-Haus, bei dem der Veränderungsprozess mit dem Leiter-Wechsel im Jahr 2011 begonnen hat, aber den geäußerten Plänen des Leiters zufolge noch nicht abgeschlossen ist.

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Diese sollen nun in ihrer idealtypischen Form beschrieben werden, bevor in Kap. 8.2 je Typus ein prototypischer Fall sowie ein Grenzfall aus dem Sample der empirischen Untersuchung vorgestellt werden. Auf reale Beispiele wird im Folgenden nur dann eingegangen, wenn dies zur Veranschaulichung der Beschreibung eines Typs als notwendig erachtet wird – andernfalls verbleiben die Charakterisierungen auf einer verallgemeinernden, abstrakten Ebene. 1. Literaturmuseale Einrichtungen zur Erhaltung des historisch-authentischen Ortes Unter dem 1. Typ versammeln sich diejenigen literaturmusealen Einrichtungen, in deren Zentrum die Erhaltung bzw. Wiedereinrichtung des historisch-authentischen Ortes steht. Entsprechend bedeutsam sind in ihrem Fall das Vorhandensein des ehemaligen Wohnhauses bzw. der ehemaligen Wohnung eines Autors oder einer Autorin sowie die Möbelstücke, die sich damals in diesen befanden. Wie die jeweiligen historisch-authentischen Räume im Nachhinein ausgestaltet und ‚in Szene‘ gesetzt werden, kann sich innerhalb dieses Typs stark voneinander unterscheiden: Während in den einen Fällen beispielsweise die Wohnung des Autors bzw. der Autorin nach dem Tode erhalten geblieben ist und nicht zwischenzeitlich anderweitig genutzt wurde, wurden andere erst nachträglich wieder möglichst authentisch im ehemaligen Wohngebäude eingerichtet und somit rekonstruiert. Wiederum andere Gedenkstätten lassen Räume absichtlich unbestückt, um den Mangel des Vorhandenseins der originalen Möbelstücke nicht mit der Ausstattung durch zeitgenössische zu überdecken. Daneben verfahren die Einrichtungen dieses Typs auch in den räumlichen Gestaltungsweisen sehr unterschiedlich. In einigen Wohnungen bzw. Häusern finden sich Beschreibungen, die eine Orientierung bieten und das Gesehene kontextualisieren sollen, andere werden vollkommen ohne Beschriftung belassen, um den authentisch-auratischen Eindruck nicht zu stören, und wieder andere arbeiten mit literarischen Zitaten, um die Verbindung zwischen authentischem Ort und Literatur aufzuzeigen (vgl. dazu Kap. 6.1.1). Bei all diesen verschiedenen Erscheinungsformen gilt in aller Regel: „Je weniger die Originalität des Zimmers oder sogar des ganzen Hauses bezweifelt wird – anders gesagt: je weniger der Inszenierungscharakter offengelegt wird –, umso wirksamer ist das durch sie vermittelte Bild“ (Kahl 2015, S. 265). Gemeinsam ist den Gedenkstätten des ersten Typs jedoch, dass sie über keine umfassenden Dauerausstellungen verfügen, die einen Überblick über Leben und Werk der Schriftsteller/innen gäben. Zwar schließen sich an den zugänglich gemachten, erhaltenen bzw. rekonstruierten Ort kleine, meistens auf einen Raum beschränkte museale Ausstellungsbereiche an, allerdings vermitteln diese nur rudimentäre (v.a. biographische) oder wenig strukturierte bzw. lose Informationen, was damit zusammenzuhängen scheint, dass sie innerhalb des Gesamtensembles eine

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mehr additive Funktion einnehmen. Denn Ziel dieser Einrichtungen ist in erster Linie, den historisch-authentischen Ort für interessierte Besucher/innen zugänglich zu machen und ihnen ein möglichst auratisches Erlebnis zu bieten. Demgemäß rückt die Informationenvermittlung zu Autor/in und Literatur in den Hintergrund. Die Zusatzangebote sind mit denen vergleichbar großer, aber primär ausstellender Institutionen vergleichbar (vgl. insbesondere Typ 2). Es gibt sowohl museumspädagogische Angebote in Form von Führungen und Seminaren, die an die verschiedenen Adressatengruppen angepasst werden können, als auch Veranstaltungen wie Lesungen oder Vorträge, wobei weniger wissenschaftsnahe Veranstaltungen überwiegen, was mit der geringeren Wissenschaftsorientierung korreliert. Die Lesungen und Vorträge finden vielfach in regelmäßigen, allerdings weiter auseinanderliegenden zeitlichen Abständen statt. Im Durchschnitt gibt es ein bis zwei Veranstaltungen pro Monat, ggf. kann das Angebot zwischen Winter- und Sommersaison variieren – ebenso wie die Öffnungszeiten (aufgrund der Lichtverhältnisse bzw. des mangelnden Tourismus in den Wintermonaten). In Abhängigkeit von den finanziellen Ressourcen und den übergreifenden Strukturen, in die die ‚Gedenkstätten‘ eingebunden sind, ist das leitende Personal fest angestellt oder engagiert sich ehrenamtlich in seiner Funktion. Von kleineren literarischen Vereinen betriebene Häuser verfügen deutlich seltener über festangestelltes Personal als solche, die zum Beispiel von städtischer Seite betrieben werden. Ein wissenschaftlicher Schwerpunkt kann im Rahmen der literaturmusealen Einrichtungen des ersten Typs nicht abgedeckt werden; abgesehen von wenigen wissenschaftlichen Vorträgen – die je nach Brisanz mehr oder weniger gut besucht sind – und (zumeist) unregelmäßig stattfindenden Tagungen, die beispielweise in Kooperation mit den Schriftsteller/innenGesellschaften organisiert werden und denen teilweise eine Anschlusspublikation folgt, wird der wissenschaftliche Bereich nicht abgedeckt. 2. Ausstellungsbetriebsorientierte literarische Museen Die ‚ausstellungsbetriebsorientierten literarischen Museen‘ (Typ 2) zeichnet aus, dass ihre Aufgabenbereiche sich zuallererst auf die Aufrechterhaltung des Ausstellungs-Betriebs17 und die damit verbundenen Aufgaben erstrecken – wie kleinere Erneuerungen oder Aktualisierungen im Ausstellungsbereich, die Gewährleistung regelmäßiger Öffnungszeiten,18 Führungen durch das Museum sowie mitunter sogar die Reinigung der Räumlichkeiten. In personeller Hinsicht stellen sich die Struktu-

17 Der Begriffsteil „-betriebs-“ soll in der Bezeichnung dieses Typs bereits auf diesen Umstand aufmerksam machen. 18 Wie in Kap. 2 bereits herausgestellt wurde, ist gerade die Gewährleistung regelmäßiger Öffnungszeiten eine grundlegende Voraussetzung, um überhaupt von Museen bzw. Gedenkstätten als Institutionen sprechen zu können.

TYPEN LITERATURMUSEALER ERINNERUNGSFORMEN | 345

ren analog zu Typ 1 dar; da sie ebenfalls häufig rein ehrenamtlich geleitet und offengehalten werden, sind die personellen Kapazitäten damit zumeist ausgeschöpft, so dass andere Aufgabenbereiche einen nebengeordneten Stellenwert erhalten. Auch in den Bereichen museumspädagogischer Zusatzangebote und Wissenschaftsorientierung weisen ausstellungsbetriebsorientierte Museen Parallelen zu Typ 1 auf, denn auch sie bieten ein bestimmtes Basisprogramm an, das die Museumspädagogik ebenso wie andere Veranstaltungsformate abdeckt, und verfügen weder über die personellen noch die finanziellen Möglichkeiten oder Voraussetzungen, um sich selbst an der Forschung aktiv und in demselben Umfang wie zum Beispiel die ‚literaturmusealen Allrounder‘ (Typ 4) zu beteiligen. Umgekehrt profitieren die Museen jedoch von der Forschung, durch die erst eine Grundlage für ihre rein ausstellenden personalen Ausstellungsformate geschaffen wird. Die Ausstellungen sind zumeist von außenstehenden, dazu professionalisierten Personen inhaltlich konzipiert und designt worden. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Ausstellungen durchaus mit denjenigen größerer Ausstellungshäuser, wie sie unter den ‚Allroundern‘ zu finden sind, vergleichbar sind. Im Gegensatz zu den literaturmusealen Einrichtungen, die ihren Schwerpunkt auf der Erhaltung und Zugänglichmachung des historisch-authentischen Ortes haben, können sich die Museen des Typs 2 zwar im ehemaligen Wohnhaus eines Autors bzw. einer Autorin befinden, jedoch steht – auch wenn es einen original wieder eingerichteten oder erhaltenen Raum geben sollte – immer die museale Ausstellung im Zentrum. 3. Erlebnis- und veranstaltungsorientierte literaturmuseale Einrichtungen Diese literaturmusealen Einrichtungen (Typ 3) stellen den auf den ersten Blick inkohärentesten Typ dar, denn ihre Gesamtkonzepte streuen mehr als die der anderen Typen. Dass sie dennoch einem Typus zugeordnet werden können, hängt mit der Art ihrer Spezialisierung zusammen: Kern ihrer Arbeit ist die Ermöglichung eines (musealen) Erlebnisses bzw. ein im Vergleich zu den ersten beiden Typen deutlich ausgeweitetes und im Vergleich zum vierten Typ (den ‚literaturmusealen Allroundern‘) ausgefalleneres Angebotsspektrum im Veranstaltungsbereich, das jedoch weniger auf wissenschaftsnahe Inhalte ausgerichtet ist. Dies kann ebenso bedeuten, dass eine literaturmuseale Einrichtung Erlebnisparks ähnelnde Strukturen entwickelt, in denen besonders inszenierende und performative Elemente sowie Gastronomie und zu Eigenaktivität anregende Stationen eine wichtige Rolle spielen,19 als

19 Als Beispiel für ein nicht-literarisches Museum, das ähnliche Strukturen aufweist, sei das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven genannt, das auch als „Erlebnismuseum“ bezeichnet wird (vgl. die Auskunft auf der Homepage des Museums: http://dah-bremerhaven. de/museum/, zuletzt abgerufen am 07.05.2015).

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auch, dass sie beispielsweise ihr Veranstaltungsrepertoire so weit ausbauen wie andere ihr nahestehende Kultureinrichtungen – beispielsweise Literaturhäuser oder literarische Gesellschaften. In letzterem Fall ist dann vielfach die enge Kooperation und gemeinsame Organisation von Veranstaltungen mit anderen Kultureinrichtungen die Basis für die Garantie eines so umfangreichen Angebots. In beiden Fällen liegt allerdings eine Art Professionalisierung vor, die nicht genuin literaturmuseal ist. Das leitende Musemspersonal spielt bei diesem Typ eine besondere Rolle, denn die jeweiligen Ausrichtungen und Schwerpunktlegungen, die letztendlich zur Zuordnung zu Typ 3 führen, hängen oftmals unmittelbar mit dessen persönlichen Voraussetzungen und Präferenzen zusammen. Dies ist auf der Ebene der Idealtypen nur insofern allgemeingültig zu beschreiben, als dass deutlich zu machen ist, dass sich der fachliche Ausbildungshintergrund der Leiter/innen erstens in ihrer Arbeit widerspiegelt und zweitens nicht unbedingt in Zusammenhang mit dem Fach der Germanistik zu bringen ist. Um ein Beispiel zu nennen: Beim Erich Kästner Museum in Dresden wird dies in der architektonischen Konzeption des Museums – der Leiter und Initiator ist Architekt und hat das Kästner Museum als erstes Micromuseum konzipiert – sowie bezüglich des Arbeitsschwerpunkts als „Literaturhaus Villa Augustin“20 im literarischen Interesse – bei der Frau des Leiters ist dieses Interesse auch beruflich verwurzelt, denn sie ist „Literaturwissenschaftlerin“ (vgl. O’Brien in Hoffmann 2009, S. 87) – sichtbar. Bei den Ausstellungen des erlebnis- und veranstaltungsorientierten Typs kann es sich sowohl um rein literaturmuseale Ausstellungskonzepte als auch Kombinationen aus diesen und historisch-authentischen Räumen handeln – nicht aber kommen nur letztere vor. Darüber hinaus kommen in einigen Fällen weitere Ausstellungsbereiche hinzu, die sich nicht direkt auf den/die Namensgeber/in der Einrichtung bzw. seine/ihre Literatur beziehen müssen, sondern teilweise sogar weit über den literarischen Bereich hinausgehen – so bspw. in der ethnographischen Ausstellung im May-Museum (vgl. dazu Kap. 8.2.3).21 Der Grad der Wissenschaftsorientierung ist im Mittelfeld einzuordnen, denn die Museen führen in der Regel keine eigenen umfangreichen Forschungsprojekte durch. Im Interesse ihrer Vermittlungsarbeit liegt darüber hinaus, möglichst viele potentielle Besucher/innen mit ihrem Programm ansprechen zu können, so dass sie überwiegend populärwissenschaftliche Themen in ihre Arbeit einbeziehen.

20 Veranstaltungen im Erich Kästner Museum Dresden (Webseite des Kästner Museums Dresden [http://www.literaturhaus-dresden. de/, zuletzt abgerufen am 16.01.2014]). 21 Beim Grass-Haus, das als Grenzfall zwischen Typ 3 und 4 einzuordnen ist, zeigt sich dies in dem für es durchaus wichtigen Sonderausstellungsbereich (vgl. dazu Kap. 8.2.5).

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4. Literaturmuseale Allrounder Der letzte zu beschreibende Typ 4 soll als ‚literaturmusealer Allrounder‘ bezeichnet werden, weil er die verschiedenen möglichen Schwerpunktlegungen literaturmusealer Einrichtungen in sich vereint und alle von der ICOM genannten Aufgabenbereiche in der Definition von Museen weitestgehend paritätisch umsetzt. Diese Einrichtungen beschränken sich in der Regel auf die sogenannten ‚Großschriftsteller‘.22 Damit es zur Einrichtung eines literaturmusealen Allrounders kommt, müssen zudem offenbar weniger Voraussetzungen erfüllt sein, als dies für Museen und Gedenkstätten eines anderen Typs gilt. So basieren die meisten Gründungen literaturmusealer Einrichtungen darauf, dass zumindest das ehemalige Geburts- oder Wohnhaus des Dichters bzw. der Dichterin noch erhalten war und als Unterbringungsort für die Einrichtung zum Zeitpunkt der Gründung zur Verfügung stand. Literaturmuseale Allrounder werden hingegen auch in anderen Gebäuden oder sogar in Städten untergebracht, in denen die Schriftsteller/innen nicht einmal lebten – beispielhaft sei das Goethe-Museum in Düsseldorf genannt. Dementsprechend kann der authentische Ort im Ausstellungskontext eine wichtige Bedeutung haben – man denke etwa an das Goethehaus am Frauenplan in Weimar –, allerdings steht dieser dann neben einem mindestens gleichberechtigten musealen Ausstellungsbereich – in diesem Fall dem Goethe-Nationalmuseum, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet. An der unbedingten Verbindung von wissenschaftlichen oder anderen Veranstaltungsschwerpunkten mit einem Ausstellungsbereich – und nicht nur einem original erhaltenen Ort – manifestiert sich deren enge Verwobenheit. Eine wissenschaftliche Ausrichtung einer literaturmusealen Institution ohne einen entsprechenden – zumindest neben dem historisch-authentischen Ort gleichberechtigten – Ausstellungsbereich scheint nicht denkbar. Die Ausstellung ist das auf der wissenschaftlichen Seite fundierte, objektive Aufarbeitung demonstrierende Moment literaturmusealer Einrichtungen, wohingegen der authentische Ort zwar lokal verortet und damit Geschichte fundiert und bekräftigt, aber nur einen subjektiven und sehr begrenzten Einblick gewährt: nämlich in das Privat- bzw. Arbeitsleben der Dichter/innen. Erinnerungstheoretisch ist dies überaus bedeutsam, denn die dem Andenken der Schriftsteller/innen geschaffenen Orte verfügen damit über unterschiedliche Funktionen und dienen anderen Zwecken. Die literaturmusealen Allrounder umfassen somit alle einen fundierten Ausstellungsbereich, der sich nicht nur mit dem Leben des Autors bzw. der Autorin, sondern auch mit ihrer Literatur beschäftigt. Die inhaltliche Konzeption erfolgt durch das hauseigene Museumspersonal, mit der Entwicklung des Designs hingegen werden Externe beauftragt. Ne-

22 Hier wurde ausschließlich die männliche Form benutzt, da kein entsprechender Fall bekannt ist, bei dem eine literaturmuseale Allrounder-Einrichtung einer Schriftstellerin gewidmet wäre. Dies gälte es, an anderer Stelle weitergehend zu beleuchten.

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ben den umfassenden Ausstellungsbereichen gibt es einen ausgebauten wissenschaftlichen Schwerpunkt. Hier werden eigene Forschungsprojekte durchgeführt und in regelmäßigen Abständen Tagungen und Konferenzen sowie Workshops veranstaltet und wissenschaftliche Vorträge organisiert. Oftmals sind dem Museum ein Archiv und ein Forschungszentrum angeschlossen und sie verfügen über umfangreiche (Spezial-)Sammlungen, die als Grundlage ihrer wissenschaftlichen Arbeit dienen. Das museumspädagogische Aufgabenspektrum umfasst das gesamte potentielle Angebot: es werden Führungen und andere ausstellungsbezogene und zielgruppenspezifische Angebote gemacht, daneben gibt es museumspädagogische Formate sowie populäre Vortrags- und Lesereihen. Das leitende Personal verfügt in Anbetracht dieser vielfältigen Herausforderungen über eine akademische, fachbezogene Ausbildung und das weitere Personal ist entsprechend seiner ausdifferenzierten Aufgabenbereiche ausgebildet und professionalisiert. Da die vorliegende Typenbildung auf der von Kluge vorgeschlagenen Verknüpfung von theoretischen Überlegungen (Idealtypen) und empirisch auftretenden Fällen (Realtypen) basiert, soll an dieser Stelle auch kurz auf solche Typen eingegangen werden, die innerhalb des untersuchten Samples nicht vorkamen, auf theoretischer Ebene im Zuge anderer Merkmalskombinationen aber vorstellbar wären. Dies gilt insbesondere für einen weiteren denkbaren Typ, das ‚wissenschaftsorientierte literarische Museum‘. Dieses würde sich in erster Linie dadurch auszeichnen, dass es im Gegensatz zu den anderen literaturmusealen Typen einen dezidierten wissenschaftlichen und Forschungsschwerpunkt aufwiese. Seine Ausstellung wäre schwerpunktmäßig museal ausgerichtet, wenngleich es daneben historisch-authentisch eingerichtete Räume geben könnte. Die Ausstellungen wären ähnlich umfassend, wissenschaftlich fundiert gestaltet und gingen auf das Leben ebenso wie auf Werkaspekte ein, wie dies bei den literaturmusealen Allroundern der Fall ist. Von Typ 4 unterschieden sich die wissenschaftsorientierten Museumstypen durch ihr weniger stark ausgeprägtes Zusatzangebot. Sie wären zwar im wissenschaftlichen Bereich sehr engagiert und organisierten hier auch einige Veranstaltungen wie Vortragsabende, Workshops bzw. Fortbildungen und Tagungen; allerdings fiele die museumspädagogische Sparte geringer aus oder hätte ebenso einen deutlich wissenschaftlichen Fokus. Die Adressierung dieser Museen richtete sich dementsprechend an ein literarisch-kulturell gebildetes und tendenziell älteres Publikum, das an einem wissenschaftlichen Diskurs zu partizipieren interessiert und in der Lage wäre. Unwahrscheinlicher wäre demgegenüber, dass literaturmuseale Einrichtungen im Ausstellungsbereich ihren Schwerpunkt auf historisch-authentische Räume (a3) legen, ein wenig umfangreiches museumspädagogisches Angebot machen (b2 oder b3), aber dafür einen umfangreichen Forschungsschwerpunkt aufweisen (vgl. Tab. 4). Ein solcher Fall scheint wohl nur in einem außer-literaturmusealen Kontext

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denkbar, wenn beispielsweise eine wissenschaftlich arbeitende SchriftstellerGesellschaft zwar über einen oder mehrere original eingerichtete Räumlichkeiten eines Autors bzw. einer Autorin verfügt, diese aber nicht im Sinne eines musealinstitutionalisierten Betriebs der Öffentlichkeit zugänglich machen.

8.2

PROTOTYPISCHE FALLBEISPIELE

Im Zentrum steht nun die Frage, inwiefern sich die Erinnerungsarbeit der einzelnen literaturmusealen Typen voneinander unterscheidet, denn erst eine Antwort darauf lässt die gebildete Typologie im Kontext der Forschungsfrage dieser Arbeit sinnvoll erscheinen. Dazu sollen im Folgenden exemplarische, prototypische Fälle eines jeden Typs im Detail vorgestellt werden, da sich nur an diesen konkreten Beispielen ihre typenbezogenen Besonderheiten veranschaulichen lassen. Ich werde dazu auch auf Aspekte wie die Geschichte der Einrichtungen und die Ausstellungskonzepte eingehen, die nicht explizit in der Typologie als Merkmalsdimensionen vorkommen, jedoch die Unterschiede zwischen den Typen noch deutlicher hervortreten lassen. 8.2.1 Literaturmuseale Einrichtungen zur Erhaltung des historisch-authentischen Ortes (Typ 1) – die Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ Die Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ wurde im Januar 1999 in jenem Haus eingerichtet, in dem Strittmatter Teile seiner Kindheit und Jugend mit seiner Familie verlebte. Das Gebäude beherbergte damals neben einem kleinen Geschäft auch eine Backstube. Zum Zeitpunkt der Einrichtung der Gedenkstätte lebte Strittmatters Bruder, Heinrich Strittmatter, noch in dem Haus und bewohnte den ‚Laden‘. Dass es dennoch zur Gründung einer Gedenkstätte kam, hing mit verschiedenen Entwicklungen zusammen. Vorausgegangen waren der Gründung diverse Erinnerungsinitiativen. Als offizielle Erinnerungsakte wären neben der Ehrenbürgerschaft Erwin Strittmatters in Spremberg (1989) die Benennung eines Spremberger Gymnasiums sowie einer Straße nach Strittmatter (1996) und die Eröffnung eines dauerhaften Ausstellungsteils zu dem Autor im Spremberger Heidemuseum (1997) zu nennen. Darüber hinaus wurde das ehemalige Wohnhaus des Autors und seiner Familie wiederholt von Privatpersonen aufgesucht, die den ‚Laden‘ besichtigen wollten (vgl. Brucke [Strittmatter-Gedenkstätte], Abs. 2). Entscheidend für die Einrichtung der Gedenkstätte war die Gründung des Erwin-Strittmatter-Vereins im Jahr 1996, dessen erstes Mitglied Heinrich Strittmatter wurde und der sich zur Aufgabe machte, „die regionalen Zeitzeugnisse zum Leben

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Erwin Strittmatters zu sammeln, zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.23 In dieser Formulierung finden drei Aspekte besondere Betonung, welche die Arbeit der Gedenkstätte umreißen: Erstens liegt ein Schwerpunkt auf der Sicherung regionaler Zeugnisse, sprich: Objekten, Gegenständen, die mit dem Ort bzw. der Region und Strittmatters Leben dort verbunden sind; zweitens konzentriert man sich auf das Leben des Schriftstellers und nicht seine Literatur; drittens wird in der Begrenzung auf das Sammeln, Bewahren und Zugänglichmachen zugleich das Forschen indirekt ausgeschlossen. Die Einrichtung versteht sich folglich nicht als Forschungseinrichtung, sondern als Bewahrungs- und Vermittlungseinrichtung. Wenngleich auch das Sammeln mit aufgeführt wird, beschränkt sich dieses auf die „regionalen Zeitzeugnisse“. Es liegt somit keine Sammlung in dem Sinne vor, dass bspw. Autographen oder Zeugnisse der Rezeption in einem museumseigenen Archiv deponiert und in Ausstellungen gezeigt würden. Eigene Forschung betreibt die Gedenkstätte nicht (vgl. Brucke [StrittmatterGedenkstätte], Abs. 69), dies wäre auch bei einer rein ehrenamtlich geführten Einrichtung wie der Strittmatter-Gedenkstätte nicht möglich. Allerdings wurden in der Vergangenheit wiederholt wissenschaftsnahe Veranstaltungsformate organisiert, wenngleich diese im gesamten Veranstaltungsangebot eine eher untergeordnete Rolle spielen, denn sie bergen die Problematik, dass sie für einen großen Teil des potentiellen Publikums weniger attraktiv sind als z.B. Lesungen oder eventartige Veranstaltungen. So schildert Renate Brucke, wie die Bemühungen des Vereins, Veranstaltungen zu organisieren, auf denen Strittmatter-Forscher/innen zu Wort gekommen sind, in der Vergangenheit mitunter auf Kritik aus den eigenen Reihen des Vereins stießen und als „zu wissenschaftlich“ (ebd., Abs. 47) abgelehnt wurden. Nichtsdestotrotz wurden bereits eine Tagung veranstaltet und einige wissenschaftliche Vorträge gehalten. Das darüberhinausgehende Veranstaltungsangebot umfasst von (szenischen) Lesungen über populärwissenschaftliche Vorträge bis hin zum jährlichen Hoffest in erster Linie unterhaltende Formate, die ein breites Publikum ansprechen. Museumspädagogische Angebote sind nicht standardisiert, sondern werden in Rücksprache mit den sich ankündigenden Gruppen individuell abgesprochen. Einfache Führungen werden genauso offeriert wie Wanderungen ‚auf den Spuren Strittmatters‘ (vgl. ebd., Abs. 39) oder grundlegendere pädagogische Vermittlungsangebote für Schulklassen. Zur Eröffnung des ‚Laden‘ wurde zunächst nur der ehemalige Verkaufsraum zugänglich gemacht, später kamen die anderen Räume im Erdgeschoss hinzu, die

23 Zur Aufgabe des Erwin Strittmatter-Vereins (Webseite des Strittmatter-Vereins [http://www.strittmatter-verein.de/cms/ page/index.php?lang=de&katID=25, zuletzt abgerufen am 13.01.2012]).

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möglichst wieder mit den originalen Möbelstücken aus den 1910er bis 1940er Jahren ausgestattet wurden (vgl. dazu Kap. 5.3). An der etappenweisen Ausstattung der Räume zeigt sich, wie auch bei der Seghers-Gedenkstätte, die ebenfalls Typ 1 zuzuordnen ist, dass die Gedenkstätten keinesfalls einfach erhaltene und der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Orte sind. Vielmehr liegen ihnen konzeptionelle Inszenierungsentscheidungen zugrunde. Wenngleich also ein Merkmal des ersten Typs ist, dass er einen historisch-authentisch wieder eingerichteten Ort zugänglich zu machen verspricht, handelt es sich bei ihm letztlich um ein Erinnerungskonstrukt. Keine der Gedenkstätten wird einfach für die Besucher/innen aufgeschlossen, sondern zunächst erfolgen Aufbereitungen dieser Orte, indem auf- und weggeräumt sowie entschieden wird, welche Räume überhaupt zu besichtigen sein sollen, welche umgenutzt werden können, weil sie weniger wichtig für die Erinnerung sind, und schließlich auch, was dem Vorhandenen hinzugefügt werden soll. Konzeptionell ist der ‚Laden‘ im Gegensatz zur Seghers-Gedenkstätte nicht bloß ein historischer Ort, sondern zugleich auch ein literarischer, denn er diente dem Autor als Vorlage für seine Trilogie Der Laden und wird auch als ein solches Zeugnis rezipiert und inszeniert (vgl. Kap. 6.3.7). Hieraus folgt, dass die wieder eingerichteten Räumlichkeiten zum einen als Zeugnis einer historischen Situation fungieren, zum anderen als Materialisierung der Literatur.24 Indem nun die historischen Gegenstände und Arrangements mit Zitaten aus dem literarischen Werk Der Laden versehen wurden, perpetuiert die Ausstellungsweise die Ineinssetzung von faktualer und fiktionaler Vergangenheit. Die Trennung der fiktionalen von der faktual-historischen Version wird dadurch erschwert, dass das Narrativ der Gedenkstätte suggeriert, Fakt und Fiktion seien (überwiegend) identisch. Dies bekräftigt die Authentizität25 der Strittmatterschen Literatur, was Strittmatter selbst zu Lebzeiten forcierte – man denke an das berühmte Zitat aus dem Laden, 90 Prozent seien Wahrheit und 10 Prozent Dichtung (vgl. Der Laden II, S. 406) –, und verstärkt damit den Effekt des autobiographischen Pakts. Wie bereits im Zuge der Ausstellungsanalyse (vgl. Kap. 6.3.7) angedeutet, ergibt sich damit allerdings für das Erinnerungskonstrukt Strittmatter ein Problem. Denn durch die von Werner Liersch angestoßene Debatte um die Vergangenheit des Autors zur Zeit des Nationalsozialismus und seine Beteiligung am Krieg wurden weitere Nachforschungen initiiert, die ergaben, dass Strittmatters Biographie nur in Teilen mit seinen literarischen Darstellungen übereinstimmt und dass letztere insbesondere mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg geschönt sind (vgl. dazu bspw. Leo 2012). Die sakralisierende Erinnerung, wie sie in der Assmannschen Theorie des kulturellen Gedächtnisses beschrieben wird, erfährt hierdurch hingegen eine Dele-

24 Vgl. dazu detaillierter Kap. 6.3.7. 25 Zum Begriff der Authentizität vgl. Kap. 6.1.1.

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gitimierung. Im Gegensatz dazu wird mit der Weiterentwicklung der Theorie des kulturellen Gedächtnisses, wie sie bei Erll beschrieben wird, und der Unterteilung des kollektiven Gedächtnisses in ein semantisches und ein autobiographisches Gedächtnis beschreibbar, welche Aufgabe die Gedenkstätte hier zu bewältigen hat, um die Aufdeckung Strittmatters Vergangenheit integrativ zu verarbeiten. Der „Kampf um die historische Deutungsmacht zwischen dem literarischen Erinnern und der Wahrheit der Archive“ (Hoffmann/Flegel 2008, S. 979) muss von ihr nämlich nicht entschieden, aber abgebildet werden. Das bedeutet, dass eine unreflektierte, die Vergangenheit Strittmatters nicht kommentierende Ausstellung im Erinnerungskontext nicht legitim wäre. Im Gegenteil bedarf es neben dem das autobiographische Gedächtnis und damit die Identifikation stützenden Erinnerungsmodus auch der objektiven, wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Sinne des semantischen Gedächtnisses. Während nämlich im autobiographischen Erinnerungsmodus „Identitätskonzepte, Normen und Werte vermittelt“ werden und deutlich „affektive Anteile“ enthalten sind, richtet sich der semantische Modus mehr auf „identitätsabstraktes Wissen“ (Erll 2003, S. 40). Innerhalb letzterem haben dann auch ‚Erinnerungen‘ ihren Platz, die potentiell delegitimierend sein oder störende Wirkung entfalten können und nicht identitätsstiftend wirken. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Strittmatters ist inner- wie außerhalb der Gedenkstätte ‚Der Laden‘ notwendig, denn nur sie vermag eine offene Vergangenheitskommunikation zu ermöglichen, die über die identifikatorisch ausgerichteten Erinnerungen hinausgeht. In diesem Zusammenhang sollte auch über die Unterschiede zwischen Literatur und historischer Wirklichkeit gesprochen und aufgeklärt werden, um etwaige ‚Mythen‘ aus der Literatur als fiktional zu entlarven. Der wissenschaftliche Einbezug vermag das Defizit der Form der Gedenkstätte zu kompensieren, da diese primär auf eine affektiv-emotionale Rezeptionsweise ausgerichtet ist. Das Problem bei der Rezeption des ‚Laden‘ liegt in erster Linie in der angenommenen Authentizität der Literatur begründet. Diese erzeugt jedoch den Wunsch, alles so vorfinden zu wollen, wie es in der Literatur beschrieben ist. Denn gleichwohl „‚authentisch‘ immer den Willen zu – oder das Wissen um – Konstruktion und Inszenierung einschließt“ (Knaller 2005, S. 65), wird dies in der Rezeption selbst selten reflektiert. Die Aufklärung darüber ist auch deshalb von Bedeutung, weil mit der Institutionalisierung der Gedenkstätte gewisse Ansprüche an sie gestellt werden. Ausstellungen verfügen über einen „Wahrheitswert“ (Scholze 2010, S. 131) und werden entsprechend gelesen, das gilt auch für Gedenkstätten. Dies macht es umso wichtiger, dass die literaturmusealen Einrichtungen ihrer Verantwortung nachkommen, die ihnen entgegengebrachte Glaubwürdigkeit nicht zu missbrauchen, sondern möglichst den wissenschaftlichen Standards und dem Forschungsstand entsprechend zu erfüllen. Dass dies mitunter einer affirmativen Erinnerungsstrategie widersprechen, diese sogar in Frage stellen kann, darf dabei kein Hinderungsgrund sein.

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Wie sich am Beispiel Strittmatters zeigt, hat die Aufdeckung seiner Vergangenheit zu einer regelrechten Störung26 der Erinnerung an den Autor geführt. Allerdings ist mit dieser nicht die Schließung der Gedenkstätte einhergegangen, oder wurde gar der Autor ‚vergessen‘. Im Gegenteil wurden neue Forschungen in Gang gebracht, die Gedenkstätte erhielt wichtige neue Impulse für ihre Arbeit und öffentliche Aufmerksamkeit – auch die vorliegende Forschungsarbeit ist ein Zeugnis davon, dass der Skandal um Strittmatter zu Aktualisierungen geführt hat. Dass Störungen nicht nur zu Vergessen in seinen verschiedensten Formen führen können, sondern auch Erinnerung befördern, wird jedoch erst unter einem systemtheoretischen Blickwinkel evident – die Assmannsche Theorie bietet hier keine schlüssige Erklärung. In dieser Hinsicht geht der systemtheoretische Erklärungsansatz über die erinnerungstheoretische Weiterentwicklung des kulturellen Gedächtnisses (vgl. Erll 2003, 2005) hinaus. In Bezug auf Carsten Gansels Differenzierung von Störungen nach ihrem Ausmaß, ist die Störung der Erinnerung an Strittmatter als ‚Aufstörung‘ zu kategorisieren. Dies manifestiert sich insbesondere in dem integrativen Umgang mit der Aufdeckung der Vergangenheit des Autors: Zum einen wurde mit Blick auf diese in der Ausstellung „lediglich die Biographie“ geändert und eine zusätzliche Tafel zum „Streit“ um den Autor ergänzt, auf der jedoch keine eindeutige institutionelle Positionierung zu der Problematik erfolgte (vgl. Kap. 6.3.7). Zum anderen wurden seit der Aufdeckung Strittmatters NS-Vergangenheit vielfältige Formen der Auseinandersetzung mit der Störung angestoßen, sei es durch Veranstaltungen wie Podiumsdiskussionen und Vorträge27 oder aber Forschung und Publikationen.28 Aufgrund der mangelnden Belege für die eine oder die andere Variante der Geschichte des Autors wird es voraussichtlich auch bei der Aufstörung bleiben. Da Störungen an den „Toleranzgrenzen von Systemen“ wirksam werden, werden über sie auch „die Grenzen eines Systems offenbar bzw. markiert“ (Gansel 2012a, S. 179f.). An dem Umgang mit der Störung bzw. dem Effekt der Störung lässt sich daher ablesen, wie stark die Störung ausgefallen ist und wo die Grenzen eines Systems verlaufen. Eine mehr als aufstörende Wirkung hätte die Aufdeckung Strittmatters Vergangen-

26 Vgl. zum Begriff „Störung“ Kap. 3.4. 27 Exemplarisch zu nennen wären hier die Podiumsdiskussionen „Zeitumstände“ vom 05.07.2012 sowie „Blickverschiebung – Zwischen Biografie und literarischem Werk“ vom 21.10.2012, aber auch Veranstaltungen wie die Lesung aus den Tagebüchern Strittmatters vom 21.11.2015. 28 In Folge der aufgekommenen Diskussion um Strittmatters Kriegsvergangenheit wurden bspw. die Strittmatter-Biographie (Leo 2012), der Forschungsband Es geht um Erwin Strittmatter oder Vom Streit um die Erinnerung (Gansel/Braun 2012) sowie bislang unveröffentlichte Tagebücher Strittmatters publiziert.

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heit im Zweiten Weltkrieg für die Gedenkstätte bedeuten können, wenn sie erstens entweder den ‚Mythos‘ von Strittmatter als Deserteur und nicht am Krieg beteiligtem Autor weiter aufrechterhalten hätte. Oder wenn sich zweitens eindeutige Quellen und Belege dafür gefunden hätten, dass Strittmatter sich z.B. an den vermeintlichen Partisanenbekämpfungen kriegerisch beteiligte, was dazu geführt hätte, dass das bis dahin gepflegte Erinnerungskonstrukt ‚Strittmatter‘ in sich zusammengebrochen wäre. Der systemtheoretische Ansatz erklärt somit nicht nur, inwieweit auch potentiell problematische Erinnerungen Teil des Erinnerten sein können, sondern sieht in Störungen sogar ein produktives Moment. Dass nämlich seit Beginn der Debatte um Strittmatter im Jahr 2008 neue Forschungsprojekte zum Autor angestoßen, seine Tagebücher veröffentlicht, zahlreiche wissenschaftliche Schriften und Zeitungsartikel gedruckt, Veranstaltungen durchgeführt, Vorträge gehalten und epische Werke des Autors auf der Bühne inszeniert wurden, ist nicht zuletzt der Aufstörung zu verdanken. Die Art und Weise, wie im ‚Laden‘ museal mit der Biographie des Autors Erwin Strittmatter umgegangen wird, ist geprägt von der Art der Einrichtung: Bei der Gedenkstätte des ersten Typs, deren Konzept noch dazu darauf beruht, mit der engen literarischen Anlehnung an die Biographie Strittmatters zu spielen, liegt ein Schwerpunkt auf der Ausstellung der materiellen, historisch lokalisierbaren LebensGeschichte des Autors. Die Literatur spielt zunächst nur insofern eine Rolle, als sie auf den historischen Ort beziehbar ist. Nur ein kleiner Teil der ‚Ausstellung‘ widmet sich der Darstellung historischer Fakten, der Großteil ist der Re-Konstruktion des historischen Ensembles und dessen Verbindung zur Trilogie Der Laden gewidmet. Dementsprechend ist das Ziel der Gedenkstätte, einen Ort der Begegnung mit einem Teil aus dem Leben des Schriftstellers und der autobiographischen Literatur zu schaffen. Die Informationsvermittlung tritt demgegenüber zurück. In einem solchen Umgang mit der Vergangenheit des Autors spiegelt sich schließlich auch, dass bei der Gedenkstätte des ersten Typs Wissenschaft und Forschung eine untergeordnete Rolle spielen. Schließlich wird auch die Geschichte der Einrichtung der Gedenkstätte nicht thematisiert,29 so dass sie als original ‚erhaltener‘ Ort erscheint, gleichwohl sie erst Jahrzehnte, nachdem Erwin Strittmatter schon nicht mehr dort lebte, wiedereingerichtet wurde.

29 Allerdings wird die Geschichte des Gebäudes in dem kleinen Ausstellungsraum dargestelt. Hier ließe sich ein Überblick über wesentliche Schritte der Einrichtung der Gedenkstätte anfügen.

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8.2.2 Ausstellungsbetriebsorientierte literarische Museen (Typ 2) – das Büchnerhaus Das Gebäude, in dem sich das Büchnerhaus befindet, wird als das „Geburtshaus“30 Georg Büchners gehandelt.31 Allerdings konnte, wie Rotraud Pöllmann, die Leiterin des Büchnerhauses, beschreibt, bis in die Gegenwart nicht sicher geklärt werden, dass es sich bei dem Haus tatsächlich um das Geburtshaus des Autors handelt. Pöllmann führt dazu aus, dass es zwar noch „Kartoffelbriefe“ gebe und dass man an der Kirchenchronik deutlich sehen könne, dass dort durch den Goddelauer Pfarrer Otto Fischer (Amtszeit: 1897-1937) Veränderungen vorgenommen worden seien, dass aber bis in die Gegenwart letztlich nicht genau nachvollzogen werden konnte, ob es sich bei dem unter Denkmalschutz gestellten Gebäude tatsächlich um Büchners Geburtshaus handle. „Das Haus ist aber 1977 unter Denkmalschutz gestellt worden, weil es eben Büchners Geburtshaus ist, und da muss ich sagen, habe ich auch kein Problem. Hier in Goddelau ist Büchner geboren, wir haben ein Haus, in dem für ihn zur Erinnerung eine Ausstellung eingerichtet ist, und das finde ich alles ganz toll. Ich nehme an, dass durch diese Familienzwistigkeiten natürlich da eine ganz andere Hartnäckigkeit auch immer noch so herrscht, die mich dann als Zugereiste nicht so berührt. [...], es hat aber keiner einen wissenschaftlich schlagenden Beweis, und insofern scheint mir die Familie, die hier vorher gewohnt hat, bevor das Haus verkauft wurde, das also zu Büchners Zeit vermietet hat, das erscheint mir eben einfach als vertrauenswürdiger, weil die anderen von dem Pfarrer Fischer abhängig waren“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 8, 10).

Diese Ausführungen zeigen, dass in der letztlichen Unbestimmtheit allerdings „kein Problem“ gesehen wird, „scheint“ es sich doch um das Geburtshaus zu handeln. Da es für letztere Annahme mehr „Indizien“ (ebd., Abs. 8) gebe und die lokale Verortung für personale, literaturmuseale Einrichtungen von zentraler Bedeutung ist, wird in der Außenkommunikation keine Unsicherheit, sondern Gewissheit vermittelt.32 So auch im Flyer des Hauses, in dem es heißt:

30 Das Büchnerhaus (Webseite der Stadt Riedstadt [http://www.riedstadt.de/kultur/georgbuechner.html#c838, zuletzt abgerufen am 13.04.2014]). 31 Die noch junge Familie Büchner bewohnte das Büchnerhaus in der Weidstraße 9 nur bis 1815. Danach wohnte sie in der Hospitalstraße, bis sie schließlich nach Darmstadt umzog. 32 Ein weiteres „Indiz“ nennen Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz (1997, S. 91): „Für das Gebäude in der Weidstraße spricht aber eines ganz deutlich: die Familienüberlieferung. 1913 übergab Ernst Büchner der Gemeinde Goddelau ein Bild des Geburtshauses

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„Das Geburtshaus Georg Büchners ist der letzte Originalschauplatz in Deutschland, der an das Leben des Dichters, Revolutionärs und Naturwissenschaftlers erinnert. Das 1665 erbaute Fachwerkhaus befindet sich heute im Besitz der Stadt Riedstadt.“33

In der Tatsache, dass trotz der Ungewissheit behauptet wird, es handle sich um das Geburtshaus Büchners, manifestiert sich, wie wichtig es für personale Erinnerungsstätten ist, dass sie lokalisiert werden können und eine konkrete Verbindung zum Ort bzw. zum Gebäude aufweisen. Die Verunsicherung wird demgemäß überlagert durch einen Diskurs der Gewissheit. Erstere wird nicht offensiv thematisiert, da sie das Potenzial dazu hätte, das Erinnerungsnarrativ der Lokalisierung Büchners an ebendiesem konkreten Ort in Frage zu stellen. Obwohl es seit Anfang des 20. Jahrhunderts bereits Ambitionen zur Einrichtung einer Büchner-Gedenkstätte gab, begann die Initiative, die letztlich zur Einrichtung des Büchnerhauses führte, erst im Jahre 1988.34 Von der Gründungsidee des Büchnerhauses bis zur Eröffnung verging allerdings eine zehnjährige Zeitspanne. Nach dem Tod der letzten Besitzerin des Hauses, Maria Schrimpf, boten 1988 ihre Erben das bereits 1977 unter Denkmalschutz gestellte Haus zum Verkauf an. Die Stadt Riedstadt erwarb das Haus noch 1988 mit der Absicht, dort eine Ausstellung einzurichten. Zwar wurde parlamentarisch festgelegt, dass die Sanierung des Hauses sowie die Ausstellungseinrichtung erfolgen sollten, sobald sich eine ehrenamtliche Leitung gefunden hätte, allerdings geschah auch dann noch nichts, als sich Rotraud Pöllmann 1993 als ehrenamtliche Leiterin zur Verfügung stellte. 1995 wurde, auf Anregung des Parlaments, der Förderverein Büchnerhaus e.V. gegründet, der sich fortan für die Einrichtung des Hauses einsetzte und zum Trägerverein des Hauses wurde. Da es sich auch bei der Vereinsgründung um eine parlamentarische Initiative handelte, habe man geachtet auf „Ausgewogenheit, dass jeder beteiligt ist und Bescheid weiß, und da waren dann eben Leute von allen Parteien dabei, und was

seines Onkels Georg. Und diese Fotografie zeigt das Gebäude in der Weidstraße.“ Abgedruckt ist das Foto des Hauses bspw. in Boehncke/Sarkowicz (Hrsg.) 1997, S. 25. 33 Der Text des Flyers „Das Büchnerhaus. Von Goddelau zur Weltbühne. Georg Büchner 1813-1837. Leben und Werk“ findet sich in ähnlicher Weise auch auf der Homepage des Büchnerhauses, die über die Stadt Riedstadt unterhalten wird: Das Büchnerhaus (Webseite der Stadt Riedstadt [http://www.riedstadt.de/kultur/georg-buechner.html#c838, zuletzt abgerufen am 13.04.2014]). Daneben zweifelt auch Hans Deuster in Zeitgeschehen und Leben der Familie Büchner im Hessischen Ried (2004) nicht daran, dass es sich um das Büchnersche Geburtshaus handelt, wenngleich er auch andere falsch tradierte Fakten korrigiert (vgl. die Korrektur der „Brandkataster-Nummer“ und damit die „Besitzer des Weidstraßenanwesens“, S. 13). 34 Vgl. zu den Gründungsprozessen Kap. 5.

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natürlich sinnvoll war, wofür wir alle waren, dass der Bürgermeister dann auch den Vorsitz macht“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 4). Pöllmann führt weiter aus, dass die Kommune erst aktiv wurde, nachdem in der FAZ ein Artikel zum noch leerstehenden Büchnerhaus erschienen sei und der Hessische Rundfunk eine Veranstaltung unter dem Motto „Rettet das Geburtshaus Georg Büchners“ durchgeführt habe (vgl. ebd.). Nachdem weitere Spenden und Gelder eingeworben worden seien35 und das Gebäude 1997 fertig saniert worden war, wurden bis zur Eröffnung der Dauerausstellung Bilder des Künstlers Leo Leonhard gezeigt, der sich künstlerisch mit Büchner intensiv befasst und einige Ausgaben Büchners illustriert hatte. 1998 folgte dann die Eröffnung der Dauerausstellung „Von Goddelau zur Weltbühne“, die extern von Susanne Michelsky und Marianne Jakoby gestaltet wurde. Da aufgrund Büchners später Rezeption nur sehr wenige persönliche Objekte gesichert wurden, war es von vorneherein notwendig, die Dauerausstellung davon unabhängig zu planen. Die Gestalterinnen entwickelten ein Ausstellungskonzept, das dem Aufbau eines klassischen dreiaktigen Dramas folgt. Wie bereits in Kap. 6.3.1 beschrieben, wird auf der einen Seite durch die Struktur der Ausstellungserzählung, auf der anderen durch die inhaltliche Fokussierung auf den Hessischen Landboten (1834) ein Erinnerungsnarrativ zu Büchner entworfen, das ihn vor allem als gesellschaftspolitischen Autor kennzeichnet.36 Denn im Vordergrund der Ausstellung stehen nicht Büchners Werke, sondern er selbst als Person. Mit Ausnahme des Hessischen Landboten, bei dem es sich um eine politische Flugschrift und nicht um ein literarisches Werk handelt, werden seine Schriften nur am Rande thematisiert und nicht inhaltlich oder gar werkgeschichtlich aufgearbeitet. Lediglich die Theaterrequisiten im Epilog-Raum stellen Verbindungen zu den bekannten dramatischen Werken Woyzeck (1879), Leonce und Lena (1836) und Dantons Tod (1835) her. Indem der Hessische Landbote dadurch eine Art Vorrangstellung vor den literarischen Werken erhält, wird der museale Diskurs um Büchner als erinnerte Person auf gesellschaftspolitische Aspekte hin ausgerichtet. Diese Feststellung deckt sich mit dem Forschungsstand, dass die Büchner-Rezeption (in Westdeutschland) seit den 1960er Jahren zunehmend politisch orientiert war.37 Aufgrund der Betonung des Personalen gegenüber dem Literarischen wird zugleich immer die Verortung betont und die Existenz der Einrichtung an genau diesem Ort legitimiert. Damit wird Büchner nicht nur zu einem ausgestellten Schriftsteller, sondern vor allem zu einer politischen Person, einem „Revolutionär“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 98).

35 Unter anderem mit Hilfe von Lesungen und Diskussionsveranstaltungen mit BüchnerPreisträgerinnen und -Preisträgern wie Günter Grass. 36 Vgl. zu den Ausstellungskonzeptionen Kap. 6. 37 Vgl. zur Büchner-Rezeption nach 1945: Borgards/Neumeyer (Hg.) 2009, S. 335.

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Neben diesem dreiaktigen Teil der Dauerausstellung im Erdgeschoss befinden sich im ersten Stock sowohl im Aufgangs- und Treppenbereich weitere Ausstellungsstücke wie der Steinsockel des Grabes Büchners, Büchner-Porträts, seine Übersetzungen Victor Hugos und die Gedenkplatte, die 1931 am Büchnerhaus angebracht wurde, als auch in der als Bibliothek eingerichteten Stube, die Literatur von und zu Georg Büchner versammelt, einen Leseplatz bietet und einen kleinen Bücher-Flohmarkt beherbergt. Das Büchnerhaus weist grundsätzlich ein literaturmuseales Konzept auf, das weder auf der Bewahrung eines historisch-authentischen Interieurs noch einer musealen Sammlung beruht. Auch wenn das – zumindest als solches angenommene – Geburtshaus Büchners initiales Moment für die Einrichtung des Büchnerhauses gewesen ist, so basiert das Gesamtkonzept auf museal-ausstellender Vermittlungsarbeit, nicht aber auf der Konservierung und Zugänglichmachung der örtlichen Gegebenheiten. Im musealen Ausstellungsbereich bedeutet dies, dass zwar einige wenige originale Objekte, bei denen es sich um Leihgaben handelt, gezeigt werden, es aber keine umfangreiche Sammlung gibt, auf die im Rahmen der Ausstellung zurückgegriffen werden könnte. Im Zentrum steht vielmehr das Dar-stellen – und eben nicht das Aus-stellen! Hierin wird einmal mehr die enge Verschränkung von dem Vorhandensein einer Sammlung und dem Ausstellen von Objekten deutlich. Da Museen des zweiten Typs in der Regel nicht über eine Sammlung verfügen und nur vereinzelt in ihren Ausstellungen auf Leihgaben zurückgreifen können, handelt es ich bei ihren Ausstellungen zumeist um darstellende bzw. inszenierende Präsentationsformen. Das Büchnerhaus stellt insofern keinen Einzel-, sondern einen typischen Fall dar. Da es sich bei dem Unterbringungsort des Büchnerhauses um einen personalen Erinnerungsort handelt, der aufgrund mangelnder Objekte keine Bedeutsamkeit als historisch-authentische Räumlichkeit entfalten kann, muss die Verortung des Dichters ebenfalls über die Dar-stellung erfolgen, wie es zuvorderst im ersten Raum der Ausstellung erfolgt, dem ersten Akt, in dem sowohl Büchners Familie vorgestellt wird als auch Informationen zu der Verbindung Büchners zu Riedstadt und weiteren Orten in Hessen geliefert werden. Indem das Ausstellungskonzept darüber hinaus dem im Titel genannten Erzählprinzip „Von Goddelau zur Weltbühne“ folgt, soll die Bedeutsamkeit des Geburtsortes für das (Lebens-) Werk des Dichters, der zu einem international bedeutsamen und bekannten Schriftsteller wurde, herausgestellt werden. Museen des zweiten Typs sind aufgrund ihrer oftmals schlechteren finanziellen, materiellen und personellen Voraussetzungen nicht dazu in der Lage, das gesamte, in der ICOM-Definition von Museen festgehaltene Aufgabenspektrum zu erfüllen. Nichtsdestotrotz werden, wenn auch nicht in gleicher Gewichtung, alle diese Aufgabenbereiche in der Satzung des Fördervereins Büchnerhaus e.V. genannt. Dieser habe

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„die Aufgabe, die Renovierung für das unter Denkmalschutz stehende Geburtshaus Georg Büchners in Riedstadt-Goddelau eigenständig zu koordinieren. Der Verein verfolgt dazu ausschließlich gemeinnützige Zwecke auf den Gebieten der Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung, Erziehung, Kunst, Kultur und des Denkmalschutzes im Sinne des dritten Abschnittes steuerbegünstigte Zwecke der Abgabenordnung. Der Verein hat weiterhin die Aufgabe, bei der Museumskonzeption mitzuwirken. Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch die Sanierung des Geburtshauses sowie der bestehenden Nebengebäude, die Einrichtung einer Dauerausstellung und einer Stätte für Lesungen, Vorträge und andere Veranstaltungen sowie die Sammlung und Archivierung von Dokumenten, Exponaten, Materialien und die Veranstaltungen, die die Kenntnisse über Georg Büchner, sein Leben, sein Werk, seine Zeit und Wirkung erweitern und verbreitern“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 64).

Wenngleich „die Förderung von Wissenschaft und Forschung“ gleich zu Anfang genannt wird, so tritt sie in der Praxis an eine hintere Stelle, und auch „die Sammlung und Archivierung“ ist bislang auf zeitgenössische Dokumente wie bspw. Zeitungsartikel, Aufführungsplakate und den Ausbau einer Präsenzbibliothek zu Büchner beschränkt (vgl. Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 70). Im Anschluss an das Zitat aus der Satzung des Fördervereins betont Pöllmann auch, dass man nicht beabsichtige, eine „Kult-“ oder „Pilgerstätte“ zu sein, sondern ein „lebendige[r]“ Ort der Vermittlung, der Büchner „ins Volk bringt“ (ebd., Abs. 64, 66). Damit legt sie den Schwerpunkt auf die Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit im Gegensatz zum Forschen und Sammeln. Die beiden letztgenannten Bereiche können von der Einrichtung nur in Grundzügen gewährleistet werden, denn für die Anlage einer größeren Sammlung fehlen die konservatorischen Bedingungen in dem restaurierten Gebäude und für eine ausgeprägte Forschungsarbeit die eigenen personellen und finanziellen Kapazitäten. Somit werden zwar die klassischen Aufgabenbereiche einer musealen Einrichtung benannt, allerdings lassen sich deutliche Schwerpunktlegungen ausmachen, die weniger in den wissenschaftlich-archivarischen, als vielmehr in den ausstellend-vermittelnden Bereich fallen. Der Schwerpunkt auf der Vermittlungsarbeit wurde hingegen von Anfang an mitgedacht – wenn auch von externer Seite: So erklärte sich der Hessische Museumsverband nur unter der Bedingung bereit, in die Ausstellung im Büchnerhaus zu investieren, wenn man „auch einen flexiblen Raum hat, d.h. wir mussten die Sanierung des Nebengebäudes mit dem Kuhstall vorziehen. Sonst hätten wir erstmal hier die Ausstellung gehabt und dann wär das halt als alter Stall dagestanden“ (Pöllmann [Büchnerhaus], Abs. 4). Aus diesem Grund musste die zum Büchnerhauses dazugehörige Scheune neben dem ehemaligen Wohnhaus Büchners zeitgleich restauriert werden. Sie trägt heute die Bezeichnung „Kunstgalerie am Büchnerhaus“ und dient

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als Veranstaltungsraum. Hier finden kleine Sonderausstellungen, Konzerte, Lesungen, Vorträge und andere Feierlichkeiten statt.38 Zudem kann der Raum beispielsweise gemietet werden, um standesamtlich zu heiraten. In der Regel finden im Büchnerhaus ein bis zwei Veranstaltungen im Monat statt, die als Benefizveranstaltungen organisiert werden, so dass die Schriftsteller/innen, Künstler/innen, Musiker/innen oder Wissenschaftler/innen, die sich an der Programmgestaltung durch einen eigenen Beitrag beteiligen, in der Regel kein Honorar erhalten, sondern zugunsten des Büchnerhauses aktiv werden. Alle daraus stammenden Einnahmen werden dann zur Tilgung der Hypothek verwendet, die zur Sanierung von Büchnerhaus und Scheune aufgenommen werden musste. Das museumspädagogische Programm ist nicht wie bei Einrichtungen des dritten oder vierten Typs standardisiert, sondern wird je nach Absprache beispielsweise mit den Lehrerinnen und Lehrern ausgerichtet und gestaltet. Dass keine festen Programm-Pakete angeboten werden, die von den Besuchergruppen gebucht werden können, weist einmal mehr auf den geringeren Grad der Professionalisierung und Spezialisierung der Einrichtungen des zweiten Typs hin. Da in ihrem Falle keine funktionale Ausdifferenzierung des Personals – z.B. als Museumspädagoge, Archivar oder Museumsleitung – gegeben ist, fehlen auch damit einhergehende ausdifferenzierte, festgelegte und standardisierte Aufgabenbereiche. Die Leiterin steht im Fall des Büchnerhauses daher vor der Herausforderung, für alle Bereiche gleichermaßen verantwortlich zu sein. Da es zudem ehrenamtlich offengehalten werden muss, hat es wöchentlich lediglich an Donnerstagen und Sonntagen geöffnet. 8.2.3 Erlebnis- und veranstaltungsorientierte literaturmuseale Einrichtungen (Typ 3) – das Karl-May-Museum Das Karl-May-Museum ist ein prototypisches Beispiel für Typ 3, das nicht nur über den üblichen Umfang hinaus Veranstaltungen anbietet, sondern daneben auch einen weiteren Ausstellungsschwerpunkt und erlebnisparkähnliche Strukturen aufweist. Bereits hinsichtlich Gründungsgeschichte und Entwicklung des Karl-MayMuseums ist es jedoch zugleich als ein Spezialfall der literaturmusealen Landschaft anzusehen. Karl May verfügte bereits im Jahre 1908 testamentarisch, dass aus seinem Nachlass eine Stiftung entstehen solle. Daneben sammelte er schon zu Lebzeiten indianische und orientalische Gegenstände, so dass sein Wohnhaus einer Art

38 Zu beachten ist bezüglich des Programms der Jahre 2012/2013, dass es sich hierbei um die Jubiläumsjahre zum 175. Todestag (2012) und 200. Geburtstag Büchners (2013) handelte. Dementsprechend gab es in diesen Jahren ein deutlich umfangreicheres Programm, das auch szenische Lesungen, kleinere Theateraufführungen sowie Radtouren und Exkursionen auf den Spuren Georg Büchners umfasste.

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kleinem Museum von Exotika glich – und damit den früheren Wunderkammern ähnelte. In engem Zusammenhang mit seinem Sammelinteresse standen nicht nur seine Romane und Erzählungen, sondern auch seine Art der Selbstinszenierung. So behauptete Karl May zu Beginn des 20. Jahrhunderts, seine literarischen Abenteuer selbst erlebt zu haben. Helmut Schmiedt geht aus heutiger Perspektive sogar so weit, May als einen „Popstar der deutschen Literatur“ (Schmiedt 2008, S. 59) zu bezeichnen.39 Er schildert, wie die Positionierung der Literatur als „Gesammelte Reiseerzählungen“ bzw. „-romane“ und der Erzählstil dieser die Identitätskonstruktion des Autors mit seinen literarischen Figuren – im Plural, denn er identifizierte sich neben Old Shatterhand auch mit Kara Ben Nemsi – unterstützten: „Die IchForm des Erzählens ist nicht mehr nur ein literarisches Kunstmittel, sondern wird auch zum Zeichen für den Realitätsgehalt des Erzählten, beglaubigt durch die empirische Person, wenn man so will: durch den Körper des Autors Karl May“ (ebd.). Mit dieser Inszenierung, die May selbst aktiv vorangetrieben hatte, legte er den Grundstein für die Wahrnehmung seiner Person bis in die Gegenwart. So soll mit den folgenden Ausführungen gezeigt werden, dass es durchaus kein Zufall ist, dass gerade das Maysche Museumsensemble eine ethnologische Sammlungsausstellung umfasst, Züge eines Erlebnisparks aufweist und die Autorenausstellung bis heute dem Narrativ der Selbstinszenierung Mays folgt. Das erste kleine Karl-May-Museum in Radebeul wurde 16 Jahre nach Mays Tod im Dezember 1928 eröffnet. Allerdings handelte es sich dabei weder um eine personale Gedenkstätte zum Andenken Mays noch wurde das Museum in seinem ehemaligen Wohnhaus eingerichtet.40 Das „Hauptaugenmerk, auch international, liegt auf der Indianerausstellung“ (Wagner [May-Museum], Abs. 12) und lag auch damals schon auf dieser, denn nicht nur Karl als auch seine Ehefrau Klara May sammelten bereits auf ihren Reisen exotische Objekte, die in dem Museum gezeigt werden konnten. Auch die (indianischen) Objekte aus der Sammlung Patty Franks flossen in den Bestand des Museums ein. Letzterer bot Klara May in den 1920er Jahren an, ihr seine Sammlung zu verkaufen. Klara May und Patty Frank einigten sich in der Folge darauf, dass die Sammlung in ihren Besitz übergehen und sie ihm im Gegenzug lebenslanges Wohnrecht in Radebeul sowie eine kleine Rente gewähren sollte. Das Blockhaus „Villa Bärenfett“, das daraufhin erbaut wurde, war zunächst nur als Wohnhaus Franks gedacht. Er zeigte zwar schon ab 1926 neugierigen Besucherinnen und Besuchern die Sammlungsstücke, allerdings gab es zu diesem

39 Wenngleich der Begriff des Popstars bei Schmiedt nur umrissen, nicht aber definiert wird, so dass die Zuordnung auf Ähnlichkeitsbeschreibungen beruht. 40 Der ehemalige Leiter, Wagner, meint dazu, dass ein solches Museum innerhalb des Wohnhauses Klara May in ihrer Ruhe gestört hätte, weshalb es zunächst verhindert wurde (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 14).

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Zeitpunkt noch kein Museum. Erst im Dezember 1928, nachdem an die Blockhütte zu Ausstellungszwecken angebaut worden war, wurde offiziell das Karl-MayMuseum eröffnet. Für die Jahre des Nationalsozialismus berichtet Wagner, dass diese auf die Ausstellung, die Ausstellungstexte sowie den Katalog keinen Einfluss gehabt hätten, seien diese doch zuletzt 1934 und danach erst wieder 1956 aktualisiert worden (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 40). Allerdings schätzt Wagner auch die Aktualisierung der Ausstellung und des Katalogs zu DDR-Zeiten ähnlich politisch unbeeinflusst ein (vgl. ebd.). Konsultiert man demgegenüber den Ausstellungskatalog von 1973,41 so ist eine gänzlich andere Interpretation der Geschichte des Hauses sowie der Ziele und Zwecke der Einrichtung nachzulesen. Nicht Karl May, seine Literatur, seine Sammlungen sowie die ins Leben gerufene Karl-May-Stiftung werden hier als initiales Moment herausgestellt, sondern Patty Frank und dessen Sammlung. So heißt es dort im ersten Satz: „Viele Jahre der Geschichte des Indianermuseums Radebeul sind eng mit dem Wirken eines Mannes verbunden, der hier auch bis 1959 als Verwalter tätig war: Patty Frank“ (Indianermuseum Radebeul 1973, S. 3). Und weiter: „Während seiner Aufenthalte in Nordamerika erstand er eine umfangreiche und wertvolle Sammlung indianischer Objekte, die zum Grundstock des Museums werden sollte“ (ebd.). Offensichtlich erfolgt mit der Hinlenkung zu Patty Frank zugleich eine Nivellierung oder zumindest Abwendung von der Person Karl Mays, die in den folgenden Ausführungen evident wird: „Um einen Ausstellungsraum erweitert [...] wurde es im Herbst 1928 als ‚Karl-May-Museum‘ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wie schon aus dem Namen ersichtlich, war das Museum als Werbeeinrichtung für den Karl-May-Verlag gedacht“ (ebd.). Indem der ursprüngliche Name des Museums auf die Werbefunktion, die er für den Verlag (!), und nicht den Autor, gehabt haben soll, reduziert wird, erfolgt zugleich eine Degradierung der suggerierten Intentionen der ursprünglichen Einrichtung. Mit der Broschüre positionierte sich die Einrichtung im Diskurs der DDR und grenzte sich damit von vorgängigen Zuständen ab. So wird betont, dass „ein völkerkundliches Museum nur dann seinen Aufgaben gerecht werden [kann], wenn es mit der Aussage seiner Ausstellung der Rassendiskriminierung und kolonialen Unterdrückung

41 Dabei handelt es sich um die 11. Auflage der 1956 erstmals erschienen „Broschüre“, welche mit dem „Namenswechsel des Hauses – Aus dem ‚Karl-May-Museum‘ wurde das ‚Indianermuseum‘“ (Indianermuseum Radebeul 1973, S. 3) – erschien. Vor der Umbenennung des Museums erfolgte bereits unmittelbar nach Kriegsende noch im Jahr 1945 die Umbenennung der Karl-May-Straße in Hölderlinstraße (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 16), welche später wieder rückbenannt wurde.

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entgegentritt und den Besucher zur Achtung und Wertschätzung der Schöpferkraft fremder Völker führt“ (ebd.).

Die alleinige Ausrichtung des Museums auf völkerkundliche Aspekte unter gleichzeitigem Ausschluss der Bedeutsamkeit des Autors Karl May für die Existenz desselben verdeutlicht, wie wenig der Autor den Verantwortlichen in das Ausstellungskonzept zu passen schien. Entsprechend wird auch die Idee zur Einrichtung umgedeutet, indem beteuert wird, dass die nun aktualisierte Ausrichtung „der ursprünglichen Absicht der ersten Gestalter der Ausstellungen“ (ebd., S. 4) entspräche. Die Legitimation der Aussparung Karl Mays und alleinige Konzentration auf völkerkundliche Aspekte wird damit abgerundet. Mit Lachmann gesprochen lag hier folglich ein Versuch der Verdrängung vor,42 bei dem der Autor May zwar nicht gänzlich verschwand, sondern im Hintergrund stets präsent war, aber eine andere Erzählung favorisiert und ins Zentrum gestellt wurde: diejenige der indianischen Sammlung und des Mitbegründers des Museums, Patty Franks. Für die DDR-Zeit beschreibt Wagner weiter, dass sich im Jahre 1960 „die KarlMay-Stiftung auf Drängen der DDR-Regierung von dem Karl-May-Verlag“ (Wagner [May-Museum], Abs. 16) getrennt habe und damit eine Aufteilung der Sammlungsgegenstände einhergegangen sei, die zur Folge hatte, dass ein großer Teil des Mobiliars sowie der Orientalika nach Bamberg in Besitz des Verlages gelangt seien. Erst mit der „Karl-May-Renaissance“ in der DDR ab 1982 fand ein Wandel des Museums statt, demzufolge sowohl die Indianer Nordamerikas als auch der Schriftsteller May sowie seine Werke ausgestellt werden sollten. So wurde 1985 in der „Villa Shatterhand“ eine Dauerausstellung zu Mays Leben und Werk eingerichtet (vgl. Karl-May-Museum. Kurzführer durch die Ausstellung 1992, S. 25). Zuvor war Mays ehemaliges Wohnhaus nach dem Zweiten Weltkrieg – Klara May verstarb 1944 – als Wohnraum genutzt worden, bis es anschließend einen Kinderhort beherbergte. Im obersten Stockwerk lebte bis 1994 der Hausmeister, der zugleich der Sohn des damaligen Museumsleiters war, gemeinsam mit seiner Familie (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 26). 1992 wurde die Ausstellung grundlegend überarbeitet. In der „Villa Shatterhand“ wurden zu diesem Zeitpunkt drei Räume als Ausstellungsräume genutzt, welche die nach Räumen aufgeteilten thematischen Bereiche 1. „Reise in den Orient“ (Karl-May-Museum. Kurzführer durch die Ausstellung 1992, S. 30), 2. zentrale Werke, Möbelstücke, Ausgaben und die „berühmtesten Gewehre der Welt“ (ebd., S. 42) sowie 3. die „Reise zu den Indianern Nordamerikas“ (ebd., S. 50) umfassten. Da sich der Großteil der Möbel aus Mays Wohnhaus 42 Die Verdrängung stellt eine „Transpositionsarbeit“ (Lachmann 1991, S. 115) nach einem einschneidenden Ereignis dar, infolgedessen das nicht mehr akzeptable Zeichen in ein akzeptables überführt wird. Dies hat zur Folge, dass das inakzeptable Zeichen stets latent vorhanden bleibt und wieder an die Oberfläche treten kann.

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in Bamberg befand, konnten zunächst keine original wieder eingerichteten Räume gezeigt werden, „und da haben wir eben ausgestellt, und zwar nur mit Fremdausgaben“ (Wagner [May-Museum], Abs. 16). Bereits 1995 konnte das Museum eine überarbeitete Ausstellung zeigen, da sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1994 die Gelegenheit ergab, die Sammlungs- und Möbelstücke, welche in den 1960er Jahren nach Bamberg gegangen waren, zurück zu erwerben: „1994 gab es das Angebot, von der Familie Schmid in Bamberg und dem Karl-May-Verlag, das Mobiliar zurückzubringen, also das Mobiliar war Arbeitszimmer, Bibliothek und Empfangszimmer, deshalb haben wir jetzt auch zwei Ausstellungen hier unten, wo wir den Schriftsteller würdigen können, ansonsten ist es mehr Zeigen, Arbeitskultur eines Schriftstellers, Lebenskultur des Schriftstellers im ausgehenden 19., Anfang des 20. Jahrhunderts“ (ebd., Abs. 16).

Zwar bedeutete die Rückführung der Originale an den ehemaligen Wohnort Mays für das Museum hinsichtlich der Ausstellung eine deutliche Verbesserung, allerdings gingen mit dem Rückkauf und der Restaurierung weiterer zwei Räume auch erhebliche Kosten einher, so dass das Museum damals erstmalig höhere Ausgaben hatte, als es tragen konnte, so dass ein Kredit aufgenommen werden musste (vgl. ebd., Abs. 22). Das May-Museum in Bamberg wurde mit der Rückführung 1995 geschlossen. In einem Interview äußert sich der Verleger Bernhard Schmid über die Entwicklungen positiv, wenn er ausführt, dass das May-Museum in Bamberg zwar eine Bereicherung gewesen sei, „aber auch immer ein Draufzahlgeschäft“ (vgl. Schmid in: 100 Jahre Karl-May-Verlag 2013).43 Seit der Rückführung 1994 und der damit einhergegangenen Aktualisierung und Umgestaltung 1995 sind die beiden Dauerausstellungen im Wesentlichen so aufrechterhalten und nur kleinere Änderungen vorgenommen worden. In der „Villa Shatterhand“ stehen seit diesem Zeitpunkt authentisch wieder eingerichtete Räume und museale Ausstellungsräume konzeptionell gleichberechtigt nebeneinander. Wie sich bereits in der Ausstellungsanalyse (vgl. Kap. 6.3.4) gezeigt hat, bilden der Autor und sein Werk den Schwerpunkt. Dabei wird stets auf Mays Selbstinszenierungen und Legendenbildung Bezug genommen – und zwar nicht nur in der Weise, dass über diese aufgeklärt wird, sondern sie werden auch wieder mit Leben gefüllt und strukturieren das Narrativ der Ausstellung mit. Literatur und Autor werden in der Ausstellung eng miteinander verschränkt, indem biographische Aspekte im Hinblick auf ihre Bedeutung für die bzw. ihren Zusammenhang mit der Literatur

43 Dieses Interview ist online verfügbar auf der Webseite von ART. 5/III: Keil, Frank: 100 Jahre Karl-May-Verlag. 1913-2013 in Bamberg (04.04.2013) [http://www.art5drei. de/artikel.neo?aid=130, zuletzt abgerufen am 16.04.2014].

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erzählt werden. Dies gilt sogar für die original wieder eingerichteten Räume, nimmt doch der Text zum Arbeitszimmer Mays Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem es am deutlichsten zum Zwecke der Selbstinszenierung ausstaffiert war, und nicht auf den späteren Zustand nach 1906, der dort allerdings ausgestellt wird. In der Ausrichtung des musealen Narrativs auf die Verknüpfung von Literatur und historischer Person werden die historischen Gegenstände und Ereignisse durchgängig mit Blick auf die Literatur betrachtet, was mit sich bringt, dass die literarischen Abenteuer und die Legende, May habe diese selbst erlebt, immer mitschwingen. Objekte und vergangene Geschehnisse erhalten ihre Bedeutsamkeit somit erst durch die literarische Bezugnahme. In der „Villa Bärenfett“ sind hingegen die Geschichte und Kultur der nordamerikanischen Indianer maßgeblich. Hier sind unter anderem Kleidungsstücke, Werkzeuge, kulturelle Gegenstände wie Musikinstrumente und Waffen von Indianern zu sehen; zudem wird die Schlacht am Little Bighorn detailliert aufgearbeitet. Eine große, auf dem Boden des Hauptausstellungsraums aufgezeichnete Karte zeigt die örtlich-geographischen Bedingungen der Schlacht, darüber hinaus werden Waffen der Indianer sowie der Amerikaner gezeigt. Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse archäologischer Arbeiten ab den 1980er Jahren wird zudem darauf verwiesen, dass die über ein Jahrhundert alte Erzählung, bei der Schlacht habe es sich um „einen schweren, heftigen Kampf“ (Ausstellungstext, „Villa Bärenfett“) gehandelt, schlicht ein Mythos sei. Indem zugleich darauf aufmerksam gemacht wird, dass Patty Frank bereits 1926 in Die Indianerschlacht am Little Bighorn daran zweifelte, dass der „Mythos von Custers letzten [sic] heroischen Kampf“ (Ausstellungstext, „Villa Bärenfett“) so korrekt sei,44 wird eine Erzählung zur Einrichtung und zum Personal des Museums selbst generiert, die suggeriert, man habe bereits lange vor dem Bekanntwerden der archäologischen Befunde aus den 1980er Jahren angenommen, dass diese Erzählungen zur Schlacht auf einem Mythos gründeten.45 Dies kann als Verweis auf das Selbstverständnis der musealen Einrichtung gelesen werden, die

44 Exakt heißt es hier: „Patty Frank stellte in seinem Buch ‚Die Indianerschlacht‘ am Little Bighorn‘ diesen Mythos in Frage“ (Ausstellungstext, „Villa Bärenfett“). 45 Darüber hinaus wird hier die letzte Schlacht dargestellt, die die Indianer gewinnen konnten. Auf diese Weise wird ein ganz bestimmtes Bild gezeichnet, das die Indianer nicht in eine unterlegene Position rückt, indem erzählt wird, wie sich die indianischen Stämme den kolonialistischen Einflüssen zu beugen hatten, sondern (noch) über die ‚Eindringlinge‘ triumphieren konnten. Für das Museum hat dies eine nicht minder große Bedeutung, stellt es doch eine Schlacht ins Zentrum, die gewonnen wurde. Auch wenn die Indianer sich später nicht mehr behaupten konnten, positioniert sich das Museum damit ausstellungstechnisch auf der Seite der ‚Sieger‘ – und bezüglich des weiteren geschichtlichen Verlaufs auf die Seite der imperialistisch Unterdrückten.

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schon zu DDR-Zeiten im Katalog zur Ausstellung darauf hinwies, dass sie – ganz im Sinne der zeitgenössischen, ostdeutschen antiamerikanischen Haltung – die „koloniale[...] Unterdrückung“ der Indianer kritisierte und sich daher zum Ziel setzte, „den Besucher zur Achtung und Wertschätzung der Schöpferkraft fremder Völker führ[en]“ (Indianermuseum Radebeul 1973, S. 3) zu wollen.46 Ähnlich liest sich die Zielstellung im „Kurzführer durch die Ausstellung“ von 1992, in dem es heißt: „Beide Ausstellungen sind vom Geist der Völkerverständigung, der Nächstenliebe und der Toleranz gegenüber uns weitgehend fremden Kultur- und Lebensauffassungen getragen, einem Geist, dem sich Karl May und die nach ihm benannte Stiftung verpflichtet fühlen“ (KarlMay-Museum. Kurzführer durch die Ausstellung 1992, S. 4).

Der Verweis auf Patty Franks oben erwähnte ‚Vorahnungen‘ ist in diesem Kontext so zu deuten, dass die Einrichtung von Beginn ihrer Existenz an für sich reklamierte, eine Art ‚gerechteren‘ bzw. angemesseneren Umgang mit den Indianern und ihrer Geschichte zu pflegen, als dies andernorts und besonders in der amerikanischen Geschichtsschreibung der Fall gewesen sei. Der Text ist somit nicht nur als zusätzliche Information und Verknüpfung mit dem langjährigen Verwalter Patty Frank zu lesen, sondern auch als Fundierung der eigenen institutionellen Vergangenheit in der Gegenwart, da sich deren Umgang und Interpretation mit der Geschichte (durch die archäologische Untersuchung) empirisch bestätigt habe.47 Im Gegensatz zu den Ausstellungen der anderen untersuchten Fälle sowie auch derjenigen in der „Villa Shatterhand“ umfasst die Indianerausstellung Elemente, die explizit auf ein kindliches Publikum ausgerichtet sind: So befinden sich auf Augenhöhe von Kindern kurze Hinweis- und Informationstexte, die mit einem Bären mit indianischem Schmuck gekennzeichnet sind und sich von den übrigen Ausstellungstexten abheben, und es gibt einen Tisch, an dem sich die Kinder hinsetzen und malen können. Zudem sind die übrigen Ausstellungstexte in einer ‚lockeren‘, gera-

46 Wagner grenzt die Würdigung der nordamerikanischen Indianer in der Ausstellung des May-Museums auch im Interview vom Umgang mit ihnen in den USA ab: „Das ist eigentlich etwas, das dieses Museum mit vermitteln will, dass wir fremde Kulturen zeigen und immer die natürliche Ästhetik bspw. der Indianer als Naturvolk würdigen. Und auch dass die Besucher, die Indianer, die immer wieder hierher kommen, immer wieder erstaunt sind und auch anerkennend sich darüber äußern, dass es spürbar ist, dass wir ihre Kultur würdigen, anders als in ihrer Heimat“ (Wagner [May-Museum], Abs. 94). 47 Neben der Ausstellung zu den Indianern Nordamerikas befindet sich in der Blockhütte noch ein Bereich für Sonderausstellungen, in dem zum Zeitpunkt der Besichtigung des Museums eine temporäre Ausstellung zu postalischen Autographen – Briefen und Postkarten – Karl und Klara Mays gezeigt wurde.

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dezu infantilen Schriftart gestaltet, die einen weniger starren Textaufbau suggeriert bzw. die Texte optisch auflockert. Ein Vergleich der grundsätzlichen Konzeptionen der beiden Ausstellungen in der „Villa Bärenfett“ und der „Villa Shatterhand“ ergibt folglich, dass erstere ein breites Publikum48 anvisiert, das vom unter 10-jährigen Kind bis hin zum Erwachsenen reicht, für die jeweils unterschiedliche Angebote gemacht werden,49 während in der „Villa Shatterhand“ dasjenige (Leser/innen-)Publikum angesprochen werden soll, das zumindest in Grundzügen Werke Mays kennt – und sei dies nur durch Verfilmungen. In dieser Ausstellung fehlen die eigens für Kinder angebrachten Informationstafeln, und sämtliche Informationen – ausgenommen Vitrinen, die bis auf den Boden reichen – sind auf Augenhöhe von Erwachsenen angebracht. Ausschließlich die im zweiten Ausstellungsraum der „Villa Shatterhand“ befindliche Hörstation ist dezidiert auch auf Kinder ausgerichtet, denn diese musste „so eingestellt werden, dass eben ein Kind, das 20 Kilo wiegt, das auch schon hören kann“ (Wagner [May-Museum], Abs. 32).50 Die „Villa Bärenfett“ ist hingegen als der maßgebliche Ausstellungsteil des Museums zu identifizieren, der auch ursächlich dafür ist, dass das May-Museum als familienfreundliches Museum Sachsen zertifiziert wurde (vgl. ebd., Abs. 80). Betrachtet man nun die Gesamtkonzeption des Museums und insbesondere die Angebote, mit denen das Museum für sich wirbt, zeigt sich, dass in erster Linie ein erlebnisorientierter Ansatz gewählt wurde, der auf dem Schwerpunkt ‚Indianer‘ fußt. Dieser steht zwar in einem engen Zusammenhang mit dem Autor Karl May und auch das „Indianermuseum“ ist 1928 nur aufgrund Karl Mays schriftstellerischer und sammelnder Tätigkeiten gegründet worden.51 Allerdings scheint sich dieser Bereich teilweise emanzipiert und einen eigenen, autonomen Stellenwert erhalten zu haben. Ein Blick auf die Geschichte des Museums bestätigt dies, wurde doch durch die Umbenennung des Museums zu DDR-Zeiten von „Karl-May-Museum“

48 Nach Angabe Wagners (vgl. ders. [May-Museum], Abs. 64) sind rund 40-45% der Besucher/innen des May-Museums Kinder. 49 Neben einem Maltisch für Kinder sind über die regulär angebrachten Ausstellungstexte hinaus solche für Kinder integriert. Die ausgestellten Ethnographica sind darüber hinaus besonders plastisch und anschaulich, weshalb sie auch für Kinder leicht zugänglich und interessant sind. 50 Die Hörstation bietet eine Sitzfläche, die auf Gewicht reagiert: setzt sich eine Person hin, beginnt der Hörtext. 51 Den Gründungsprozess haben vor allem Klara May und Patty Frank vorangetrieben – Karl May war zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Jahrzehnt tot –, allerdings wäre die Museumseinrichtung ohne die von ihm geschaffene Literatur sowie seine angelegten Sammlungen nicht denkbar gewesen.

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in „Indianermuseum“ genau diese Orientierung weiter forciert. Erst im Jahre 1985 kam mit der musealen Einrichtung des ehemaligen Wohnhauses Mays ein Ausstellungsteil hinzu, der dezidiert Karl May, seinem Leben und seinen Werken gewidmet war.52 Dass auch weiterhin der ethnographische Teil des Museums mit der Indianerausstellung zumindest in Hinblick auf die Vermarktung des Museums einen zentralen Stellenwert hat, wird an den über die Ausstellungsarbeit hinausgehenden Tätigkeitsbereichen und Angebotsstrukturen evident. Die Besucher/innen, die sich vorab auf der Homepage des Museums informieren, können bereits auf der Startseite lesen, dass sie „Zwei Welten – ein Erlebnis“ erwarten, dass sie einen „Erlebnisrundgang“ mitmachen können, bei dem sie „Old Shatterhand im Karl-May-Museum persönlich begegnen“ können. Alles, was sie tun müssen, ist der Aufforderung zu folgen: „Kommen Sie herein und erleben Sie es selbst!“53 Gesondert wird an dieser Stelle auch auf das Angebot für Kinder hingewiesen, die sich auf „Schatzsuche“ und einen „Spurenpfad“ begeben können (ebd.). Das museumseigene Magazin Der Beobachter an der Elbe stellt ein Medium dar, das sich an ein erwachsenes Publikum richtet. Dabei ist es bewusst so konzipiert, dass es auf einem populärwissenschaftlichen Niveau gehalten ist, das zwar neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufnimmt, aber diese für ein nichtwissenschaftliches Publikum aufbereitet werden: „dort sind oft Beiträge drin, die durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, wobei wir eigentlich bei der Anlage dieses Magazins [...] populärwissenschaftliche Ansprüche erheben, damit das auch der normale Besucher versteht, was da drin steht. Es gibt ja eine literarische Karl-May-Gesellschaft, die dann auch die andere Wissenschaft, also die intensive germanistische Beschäftigung, aber auch mit anderen Spezialzweigen sich mit Karl May beschäftigt. Und da sind ja dann auch mal Artikel drin, die vielleicht der Autor noch versteht. Ich sag das mal ein bisschen kritisch, weil das Magazin hat eine andere Aufgabe“ (Wagner [MayMuseum], Abs. 48).

Wagner grenzt das Magazin folglich von anderen wissenschaftlichen Publikationsorganen ab, die im Bereich der Germanistik zu Karl May existieren. Das Magazin stellt somit ein Organ dar, das ähnlich dem für die Kinder angelegten Erlebnispfad dem erwachsenen Publikum einen niedrigschwelligen Zugang zu Fragen rund um

52 Ebenfalls im Jahre 1985 wurde Karl May in seinem Geburtsort, Hohenstein-Ernstthal, ein weiteres Museum eingerichtet. 53 Alle

Zitate

stammen

von

der

Startseite der

Homepage

des

May-Museums

[http://www.karl-may-museum.de/web/start.php, zuletzt abgerufen am 16.05.2014]. Weitere Beispiele für die Event- und Erlebnisorientierung sind auf den zahlreichen Unterseiten der Homepage zu finden.

TYPEN LITERATURMUSEALER ERINNERUNGSFORMEN | 369

Karl May, seine Literatur sowie indianische Völker bieten soll. Die Summe dieser Ausrichtungstendenzen – Erlebnisorientierung sowie populärwissenschaftliche Bereiche – zeigen, dass das Museum einen niedrigschwelligen Zugang bietet und mit dem Ausstellungsbereich in der „Villa Bärenfett“ einen thematischen Schwerpunkt gewählt hat, der im Prinzip unabhängig von der Literatur oder dem Schriftsteller Karl May funktioniert.54 Neben den auf ein Erlebnis bzw. Event zielenden museumspädagogischen Angeboten55 und der populärwissenschaftlichen Ausrichtung im Erwachsenenbereich ist die parkähnliche Anlage, die sich zwischen den beiden Häusern erstreckt, entsprechend ausgestaltet und ähnelt Strukturen von Disney- oder anderen Freizeitparks. Im Eingangsbereich stehen ein Kassenhäuschen56 sowie Hinweistafeln mit einem Grundriss des Geländes, den aktuellen Mitteilungen und den Angeboten des Museums, daneben ein Automat, an dem sich Besucher/innen eine Souvenirmünze ziehen können. Das gesamte Gelände ist zur besseren Orientierung in Anbetracht der vielen Anlaufpunkte mit einem beschilderten Leitsystem ausgestattet und zwischen den Büschen und Bäumen des Parks befinden sich neben indianischen sowie tierischen Skulpturen Totempfähle und ein hölzernes Kanu. Die ansonsten klassisch wirkende Parkanlage wird vor allem durch die letztgenannten Elemente, die aus einem ‚fremden‘ Kulturkreis stammen, ergänzt und somit eine neue Bedeutungsebene eröffnet. So handelt es sich selbst bei der tierischen Skulptur um einen Wolf, der innerhalb des westeuropäischen Kulturkreises lange Zeit nicht mehr beheimatet war und erst seit Kurzem zurückkehrt und damit Fremdheitserfahrungen erzeugt. Mithilfe dieser Konstellationen wird im Park eine fremde Welt geschaffen, in die die Besucher/innen eintauchen. Damit findet sich die als Erlebnisort gestaltete Inszenie-

54 Dass dieser unabhängig davon ‚funktioniert‘, ist allerdings nicht gleichbedeutend damit, dass er nicht abhängig von ersterem ist: Denn ohne Karl May und sein Werk gäbe es auch die Indianerausstellung in der „Villa Bärenfett“ nicht. 55 Neben den hier genannten sind die auf Kinder- und Jugendgruppen ausgelegten Programme von ihren Ansätzen her in erster Linie handlungs- und produktionsorientiert: Es werden „typisch“ indianische Gegenstände hergestellt wie Traumfänger, Glücksbringerbeutel etc. oder die Kinder erhalten eine indianische Gesichtsbemalung. Mit diesen Ansätzen soll zugleich das Lernen über die indianische Geschichte und Kultur verbunden sein, indem beispielsweise nicht nur ein Traumfänger gebastelt wird, sondern die Kinder auch erfahren, wozu die Traumfänger von den Indianern hergestellt und eingesetzt wurden. Vgl. „Begleitende Rundgänge, Gespräche und Gestaltungsangebote im Karl-MayMuseum

Radebeul“

(Webseite

des

Karl-May-Museums

[http://www.karl-may-

museum.de/data/cms/pdf/kmm_mpthemenblatt.pdf, zuletzt abgerufen am 16.05.2014]). 56 Dass hier eine vergünstigte Familienkarte sowie Fotorechte erworben werden können, illustriert ein weiteres Mal die kulturtouristische Konzeption des Museums.

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rung nicht nur innerhalb der Museumsgebäude und im Rahmen der musealen Programme, sondern liegt dem gesamten Museumsgelände konzeptionell zugrunde. Mit der „Vision 2012“ geht das Museum einen weiteren Schritt in diese Richtung. Die Vision sieht vor, dass baulich in allen Bereichen – „Villa Bärenfett“, „Villa Shatterhand“ sowie Park – Erweiterungen und Ergänzungen vorgenommen werden. Neben den Sanierungen und kleineren Erweiterungen der bestehenden Gebäude (Fahrstuhl am Gebäude der „Villa Shatterhand“ sowie Anbau an der „Villa Bärenfett“) soll zudem ein komplett neues „Besucherzentrum“ entstehen. Dieses wird – ganz dem Event- und Erlebnischarakter entsprechend – mittig die Form eines Tipi-Zeltes erhalten. „Dort wird ein vergrößerter Museumsladen für den Erwerb von Andenken und Büchern Platz finden, ebenso ein Vortragsraum, in dem die Besucher sich mit einem Einführungsfilm auf unser wunderbares Museum einstimmen können. Nicht fehlen darf heutzutage auch die passende gastronomische Versorgung, selbstverständlich mit Terrasse und Blick in den Museumsgarten mit Indianerdorf“ (Homepage des May-Museums).57

Indem dieses bauliche Vorhaben zugleich als „das wichtigste Vorhaben der Neugestaltung des Museums“ (ebd.) und als eine „zeitgemäße und wirtschaftlich notwendige Erweiterung“ bezeichnet wird, kommt der diesem Projekt zugeschriebene Stellenwert zum Ausdruck. Nicht die Neukonzeption der Ausstellung zu Leben und Werken Karl Mays steht im Zentrum, auch die „Indianerausstellung“ ist nicht das wichtigste Anliegen, sondern die Gestaltung der ‚Umwelt‘ des Museums, im Sinne des möglichst repräsentativen Empfangs der Besucher/innen und ihrer Bewirtung sowie darüber hinaus ein für größere Veranstaltungen und damit höhere Besucherzahlen zur Verfügung stehender Raum. Mit diesen Schritten bewegt sich das Museum klar auf eine ganzheitliche kulturtouristische Angebotsstruktur zu, in deren Rahmen eben nicht nur eine museale Ausstellung geboten wird, sondern darüber hinaus auch Verpflegungs- und Veranstaltungsmöglichkeiten sowie speziell auf Kinder und Jugendliche ausgerichtete, erlebnisorientierte Angebote. Im Jahr 2012 wurde der erste Teil der Vision umgesetzt. Dazu wurden im Park die zu museumspädagogischen Zwecken gedachte Blockhütte „Villa Nscho-Tschi“ erbaut und der für Kinder angelegte Erlebnispfad eingerichtet. Beide dienen dazu, das museumspädagogische Angebot weiter auszuweiten, wobei diese speziell auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet sind. In unmittelbarer Nähe der beiden Neuerungen befindet sich in den Sommermonaten von April bis Oktober ein gastronomisches Angebot in Form eines Barbecue-Standes. Der Standort scheint bewusst ge-

57 http://www.karl-may-museum.de/web/start.php?lang=de&kID=88, zuletzt abgerufen am 21.05.2014.

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wählt, können doch die Eltern bzw. erwachsenen Begleitpersonen auf den Bierzeltgarnituren nächst dem Erlebnispfad Platz nehmen, während letzterer von den Kindern erprobt und erkundet wird. Wagner versteht das Museum hinsichtlich seines Gesamtkonzepts als „Kulminationspunkt zwischen verschiedenen Kulturen und natürlich auch künstlerisch, da hat man die Literatur und eben Völkerkunde“ (Wagner [May-Museum], Abs. 94). Diese Sichtweise spiegelt die doppelte Ausrichtung des Museums wider, die dadurch zustande kommt, einerseits Autorenmuseum und andererseits völkerkundliches Museum zu sein. Dass das Museum beide Bereiche abdeckt, ist jedoch keine künstlich erzeugte Ausrichtung, sondern entspricht vielmehr einer Entwicklung, die aus der Literatur und den Interessen sowie der Selbstinszenierung des Autors hervorgegangen ist. Erst aufgrund seines Interesses an indianischen Völkern hat May – ohne damals schon selbst in den USA gewesen zu sein – seine populärsten Romane verfasst und damit begonnen, entsprechende Ethnographica zu sammeln. Indem er sich nicht nur literarisch mit diesem Bereich befasste, sondern von sich selbst behauptete, er habe die geschilderten Abenteuer selbst erlebt, bereitete er die Basis für ein Museum, wie es in Radebeul existiert. Die integrative Verbindung von Indianern, Abenteuern, Erlebnissen und Literatur sind demzufolge die zentralen Konstituenten des damaligen (inszenierten) Lebens und Werks Karl Mays sowie gegenwärtig der (literatur-)musealen Einrichtung. Während mit der „Vision Karl-May-Museum 2012“ der Bereich der Erlebnisund Veranstaltungsorientierung im kulturtouristischen Sinne weiter ausgebaut werden soll, findet der wissenschaftliche Bereich keine Berücksichtigung. Das MayMuseum verfügt zwar über eine umfangreiche Sammlung zu Karl May (vgl. Wagner [May-Museum], Abs. 16) und auch über einige weitere bedeutende Spezialsammlungen – wie die Indianersammlung, auf der auch „das Hauptaugenmerk“ (ebd., Abs. 20) liege, oder Künstlersammlungen wie diejenige zu Sascha Schneider. Eigene Forschung wird jedoch nur in sehr kleinem Umfang betrieben. Allerdings beteiligt sich das Museum an der Herausgabe der historisch-kritischen Ausgabe von Mays Werken, wenngleich es die wissenschaftliche Arbeit in diesem Fall externen Forscherinnen und Forschern überlässt. Dass der wissenschaftliche Aufgabenbereich im Zuge der Vision nicht weiter ausgebaut werden soll, erscheint angesichts des Selbstverständnisses als „touristische Einrichtung“ (vgl. Wagner [MayMuseum], Abs. 54) wenig verwunderlich. Somit liegen die Schwerpunkte der Vision konsequenterweise auf der Ausweitung des touristischen und nicht des wissenschaftlichen Bereichs. Damit ist das Museum einmal mehr unter dem dritten Typ, den event- und veranstaltungsorientierten Museen, zu verorten. Schließlich spiegelt sich im May-Museum, was Kirchberg als die McDonaldisierung von Museen beschrieben hat (vgl. Kap. 3.5). Es ist möglichst wirtschaftlich effizient und besucherorientiert organisiert (Effizienz), es führt Statistiken, bspw. über die Besuchszahlen (Berechenbarkeit), macht standardisierte Angebote (Vorhersagbarkeit), nutzt ein

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Wegweisersystem auf dem Museumsgelände (Kontrolle) und überführt seinen Gegenstand in erlebnisorientierte Angebote wie die Führung mit „May persönlich“58 (Postmodernität). Demgemäß kann mit Blick auf das May-Museum nicht von einer sakralisierenden Erinnerungsweise, sondern vielmehr nur von einer eventisierenden die Rede sein. 8.2.4 Literaturmuseale Allrounder (Typ 4) – das Lessing-Museum Bereits ein Jahrhundert vor der Einrichtung des Lessing-Museums in Kamenz kommt es zu ersten Versuchen, Gotthold Ephraim Lessing zu ehren und ihm ein Denkmal zu setzen. Dabei hatte man allerdings noch kein Museum im Blick, sondern Lessing sollte als Namensgeber für ein „Krankenhaus [...] für arme und bedürftige Personen“ dienen, das der Mediziner Johann Gottfried Bönisch einzurichten beabsichtigte (vgl. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 6). Dass es dazu nicht kam, hing mit dem anvisierten Namensgeber Lessing zusammen, der Kaufmann zufolge in den 1820er Jahren noch zu umstritten war unter den damals in Frage kommenden Geldgebern: Bönisch „hat dafür Geld gesammelt und hat aber feststellen müssen, dass ein großer Teil seiner potentiellen Spender zwar für ein Krankenhaus, aber nicht für den Herren Lessing spenden wollten“ (ebd.). Daher erhielt das Krankenhaus den Namen „Barmherzigkeitsstift“ und Lessing zu Ehren ließ Bönisch zumindest eine Büste anfertigen, die in diesem Stift zu sehen war (vgl. ebd.). Im Stadtbrand 1842, bei dem große Teile der Stadt Kamenz zerstört wurden, brannte auch das Geburtshaus Lessings bis auf die Grundmauern ab. „Das ist auch ein Verlust, denn Kamenz ist damals schon bewusst gewesen, denn man hat schon relativ kurz nach dem Brand überlegt, was macht man? Baut man das Gebäude an der Stelle wieder auf – das wäre auch wirklich nicht mehr das authentische Haus gewesen oder überbaut man es komplett, geht da gar nicht drauf ein? Man hat sich entschieden, eine Gedenkstätte dort einzurichten, und [...] so um 1860 entsteht die dann: ist eine kleine Grünanlage mit einer Steineinfassung und dort ist eine Metallplatte eingelassen, wo man eine Ansicht des Hauses, wie es zu Lessings Zeiten aussah, in Gold, drauf sehen kann und: hier wurde Lessing geboren“ (ebd., Abs. 4).

Neben dieser 186359 eingerichteten Gedenkstätte, die heute noch erhalten ist, wurde eine frei zugängliche kleine Tafelausstellung an diesem Ort eingerichtet, so dass die in dem Zitat beschriebene, repräsentative „Gedenk“-stätte mit Informationen zur

58 „Erlebnisrundgang mit Karl May“ (Webseite des Karl-May-Museums [http://www.karlmay-museum.de/web/start.php? lang=de&kID=111, zuletzt abgerufen am 23.01.2014]). 59 Vgl. Fratzke 1983, S. 23.

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Geschichte des Gedenkens an Lessing inhaltlich angereichert wurde. Eine weitere Büste des Bildhauers Hermann Knaur wurde 1863 auf dem Platz aufgestellt, an dem sich vor dem benannten Stadtbrand das Kloster befand, wo Lessing zur Schule ging. Mit der Eröffnung des Lessing-Museums wurde diese auf den Museumsvorplatz umgesiedelt und zum Logo des Museums (vgl. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 6). Als die Gründung des Museums beschlossen wurde, zählten weder ein historisch-authentisches Gebäude, noch eine Sammlung zu den materiellen Voraussetzungen. Gerade die Tatsache, dass es kein Gebäude gegeben hat, das sich aufgrund seiner Verbindung zu Lessing angeboten hätte, beförderte den Bau eines eigens zu musealen Zwecken zu nutzenden Gebäudes am „andere[n] Ende der Altstadt“, wo noch ein „Bauplatz zur Verfügung stand“ (ebd.). Eine solche Entscheidung hat unter den personalen, literarischen Museen und Gedenkstätten Seltenheitswert, werden die meisten von ihnen doch in einem vorhandenen, repräsentativen Gebäude untergebracht, wenn das ehemalige Wohnhaus der Dichter/innen nicht mehr steht.60 Die Einrichtung und der Bau des Museums gehen auf eine städtische Initiative zurück, die jedoch auf die finanzielle Unterstützung durch Spenden angewiesen war. Neben den Spenden wurde ein Teil über den Verkauf von Gedenkmünzen und kleinen Schriften zu Lessing sowie über eine Lotterie finanziert. Der eigentliche Bau dauerte von 1929 bis 1931 an, eröffnet wurde das Museum am 1. Juni 1931 (vgl. Fratzke 1994, S. 70). Die breite Unterstützung, die das Museumsprojekt erfuhr, schlug sich entsprechend in den umfangreichen Spenden nieder. Die Betreuung des Museums erfolgte während der ersten Jahre durch einen Lehrer des Lessing-Gymnasiums (vgl. Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 8) und wurde später professionalisiert, indem die Stadt Personal anstellte. Die Trägerschaft hat sich hingegen seit der Gründung nicht verändert: „Es ist ja eine kommunale Einrichtung seit der Gründung bis heute, sodass wir [...] nur von der Kommune getragen sind und auch das Geld nur von der Stadt Kamenz bekommen. Wir sind also auch Angestellte der Stadtverwaltung Kamenz. Es ist allerdings so, dass es in Sachsen eine Regelung gibt, das Kulturraumgesetz. Das gibt es, glaube ich, nur in unserem Bundesland. Da zahlt die Landesregierung Gelder ein und dann alle Sitzgemeinden, d.h. alle Gemeinden beteiligen sich daran auch. Dieses Geld wird auf bestimmte Kultureinrichtungen nach einem gewissen Schlüssel auch wieder verteilt. Dadurch erhält die Kommune praktisch eine Ko-Finanzierung über den Kulturraum“ (ebd., Abs. 20).

60 So beispielsweise im Falle des Goethe-Museums in Düsseldorf, wo Goethe nur hin verreiste, nicht aber dort lebte, oder des Kleist-Museums in Frankfurt/Oder, welches in der ehemaligen Garnisonsschule untergebracht wurde.

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Aufgrund der städtischen Trägerschaft konnte der Fortbestand der Einrichtung von vorneherein recht gut gesichert werden. An der positiven Wahrnehmung Lessings änderte sich in Kamenz, wie Kaufmann schildert, auch kurze Zeit später während des Nationalsozialismus nichts, obwohl beispielsweise das Berliner Pendant schließen musste. Kaufmann wertet als entscheidenden Vorteil, dass sich das Kamenzer im Gegensatz zum Berliner Lessing-Museum in der „Provinz“ befunden und damit weniger Aufmerksamkeit erregt habe, „[d]enn die Schließung des zu dieser Zeit noch existierenden Berliner Lessingmuseums [...] ist durchaus schon politisch motiviert gewesen“ (ebd., Abs. 10). Hinzu kam bei letzterem sicherlich jedoch auch die anders geartete Trägerschaft. Das Berliner Lessing-Museum wurde über einen Verein finanziert und organisiert, der sich zu einem großen Teil aus wohlhabenderen jüdischen Mitgliedern zusammensetzte. Mit ihrer Verfolgung während des Nationalsozialismus konnte der Verein das Museum nicht weiter aufrechterhalten.61 Die temporäre Schließung des Kamenzer Museums von 1948 bis 1953 war hingegen nach Kaufmann ausschließlich durch die Auswirkungen des Krieges bedingt und eine Offenhaltung der Einrichtung zeitweise nicht mehr möglich.62 Die erste Ausstellung im neu eröffneten Lessing-Museum wies 1931 – vermutlich auch dadurch bedingt, dass zudem keine Sammlung vorhanden war, mit deren Hilfe andere (Teil-)Fokussierungen erst möglich geworden wären – einen besonders starken Bezug zur Lessing-Familie in Kamenz auf, was Kaufmann mit der sozialen Stellung dieser in Kamenz begründet. „Die erste Ausstellung ist familiengeschichtlich orientiert gewesen und hatte ganz stark auch diesen Charakter einer Memorialstätte, die immer irgendwo in einem Personalmuseum auch drin ist. Das ist in gewisser Weise natürlich auch heute noch so. Aber es hat sich natürlich auch schon gewandelt. Man geht heute doch stärker weg von diesem ganz starken memorialen Charakter. Auch die Familiengeschichte, die damals obligatorisch war, weil auch die Kamenzer sich als der Ort der Herkunft von Lessing gefühlt haben und man so auf die Familien-

61 Vgl. zum Berliner Lessing-Museum Kap. 3.4. 62 Dennoch ist hier anzumerken, dass die Wiedereröffnung im Gegensatz zu einigen ande-

ren während der letzten Kriegsjahre geschlossenen literarischen Museen und Gedenkstätten erst vergleichsweise spät erfolgte. So wurden beispielsweise das Lotte-Haus in Wetzlar, das im Zweiten Weltkrieg teils schwer beschädigt wurde, bereits 1949 (vgl. Schmidt in: Hoffmann 2009, S. 105) und das Goethe-Museum in Frankfurt/Main, das sogar vollständig zerstört wurde, bereits 1951 (Goethe-Haus) bzw. 1954 (Goethe-Museum) wiedereröffnet (vgl. Geschichte des Frankfurter Goethe-Hauses (Webseite des Goethe-Hauses in Frankfurt/Main [http://www.goethehaus-frankfurt.de/freies-deutsches-hochstift/geschichte, zuletzt abgerufen am 13.05.2015]).

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geschichte, auf die Leute, die neben Lessing eine Bedeutung hatten, zurückgegriffen [hat]“ (ebd.).

Neben der familiengeschichtlichen hatte die Ausstellung eine „heimatkundlich orientierte“ (Fratzke 1994, S. 70) Ausrichtung. Indem in der Ausstellung somit die lokale Verbindung Lessings zur Stadt Kamenz unterstrichen wurde, tritt die Beobachtung Dückers besonders deutlich hervor, dass sich nämlich die Initiatoren selbst ein Denkmal setzen (vgl. Dückers 2011, S. 39). Ein Bewusstsein dafür spiegelt sich bereits in zeitgenössischen Äußerungen, wie dem Spruch „Lessing zu Ehren – Kamenz zur Zierde“, der auf den damaligen Bürgermeister zur feierlichen Eröffnung des Museums zurückgeht und sich heute beispielsweise in der Gedenkstätte am Anger 2 wiederfindet. Mit der Wiedereröffnung des Museums 1953 erfolgte auch eine Neukonzeption der Ausstellung in Richtung einer „literarhistorisch-biographischen“ Konzeption, die in den Jahren 1951 bis 1953 vorbereitet worden war (vgl. Fratzke 1994, S. 70). Diese wurde in den 1970er Jahren weiterentwickelt, indem das Ausstellungsdesign sowie Ausstellungstechniken verändert und neue literaturwissenschaftliche Erkenntnisse einbezogen wurden (vgl. ebd.). Die Darstellung der Vorfahren und familiären Verhältnisse Lessings hatte damals nach wie vor einen eigenen Stellenwert im Rahmen der Ausstellung erhalten, indem der Zugang zu den weiteren Ausstellungsräumen über einen Raum erfolgte, der einer „kleinen Vorfahren-Galerie“ (Fratzke 1983, S. 37) gewidmet war.63 Mit der vierten Ausstellungskonzeption64 wurde schließlich ein „ganzheitliches Darstellungssystem[...]“ angestrebt, „bei dem die musealen Schauobjekte mit der mündlichen und schriftlichen Vermittlung in Beziehung gesetzt werden – und umgekehrt“ (Fratzke 1994, S. 70). In dem großen Ausstellungsraum wurde in einem äußeren Rundgang Lessings Leben in Verbindung mit zeitgenössischen kulturhistorischen und gesellschaftspolitischen Aspekten ausgestellt. Im Zentrum des Raumes wurde hingegen das Schwerpunktthema „Lessing und das Theater“ (vgl. Fratzke 1985, S. 4) gezeigt. Neben dem großen gab es noch zwei weitere kleine Ausstellungsräume: im „Lesekabinett“ wurden die ver-

63 Dieser Raum blieb auch bei späteren Veränderungen und Neukonzeptionen als Raum der „Vorfahrengeschichte“ (Fratzke 1985, S. 4ff.) bis zur Ausstellungseröffnung von 2011 erhalten. Gegenwärtig befindet sich dort der Raum zu „Lessings Nachwirken“: „Das ist dann so eine Mischung aus Chronologie, dass man sieht, wie geht es in den Einzelepochen weiter, und dann auch mal ein thematischer Aufbau, wo Lessing in der Kunst, in der Musik, bis zu Lessing in der Schule behandelt wird“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 18). 64 Vgl. zu dieser Ausstellung auch Dieter Fratzke 2002, S. 214-221.

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schiedenen, käuflich vor Ort zu erwerbenden Publikationen zugänglich gemacht65 und in dem Raum „Lessingrezeption und Erbepflege“ über die Bedeutung Lessings sowie die (regionale) Rezeption und Pflege Lessings informiert (vgl. ebd., S. 10f.). Kaufmann beschreibt diese als „[e]ine Ausstellung, die damals für DDR-Zeiten durchaus schon innovativ war und bestimmte Aspekte von Literaturmuseen neu entwickelt hat. Man hat damals verstärkt auf eine Verbindung zur Museumspädagogik gesetzt“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 16).

So schlussfolgert sie, dass die Ausstellung die deutsche Wiedervereinigung „zu Recht“ überdauert habe, „[w]eil sie von den Texten her keinerlei Anknüpfungspunkte gegeben hat für irgendwelche ideologischen Betrachtungsweisen, dass sie nun nicht mehr tragbar sei nach der Wende“ (ebd., Abs. 18). Nach der grundsätzlichen Neu-Konzeption der Dauerausstellung, die 2011 eröffnet worden ist, wurde die Struktur eines äußeren chronologisch-biographischen Rundgangs – ähnlich wie in den von Fratzke konzipierten Ausstellungen – zwar beibehalten, doch habe man sich „mehr auf Lessing konzentrieren“ (ebd., Abs. 32) wollen und daher den Schwerpunkt „Lessing und das Theater“ durch einen inneren Rundgang zu ausgewählten Werken Lessings ersetzt, die vorher lediglich in den biographischen Rundgang eingebunden waren und auf die so nicht detailliert eingegangen werden konnte (vgl. ebd., Abs. 18). Indem hier nun auch die Fabeln Lessings thematisiert werden, wird in der Ausstellung neben den anderen mitunter höchst anspruchsvollen sowohl künstlerischen wie auch theoretischen Schriften Lessings ein Bereich integriert, der die museumspädagogische Arbeit mit Kindern unter zehn Jahren nicht nur ermöglicht, sondern sogar nahelegt. Auf diese Weise wird die Ansprache jüngerer Besucher/innen und damit auch von Familien möglich, wenngleich Kaufmann konstatiert: „Wir sind eben auch nicht das Familienmuseum [...]. Das ist mit Lessing nicht zu schaffen“ (ebd., Abs. 44). Ein Grundproblem, mit dem die Kuratorinnen und Kuratoren im LessingMuseum umzugehen haben, zieht sich von der Gründung der Einrichtung bis in die Gegenwart: Es stehen quasi keine persönlichen Gegenstände Lessings zur Verfügung, die man in Verbindung mit der Präsentation der Person Lessing zeigen könnte. Das hängt einerseits mit dem frühen Wegzug Lessings von Kamenz – er verließ die Stadt mit gerade einmal zwölf Jahren – zusammen, andererseits ist die Aus-

65 „In dieser Abteilung, die in zwei kleinen Räumen eingerichtet wurde, lädt ein Lesekabinett zum Verweilen und zu Literaturstudien ein. Hier kann der Besucher in den Jahresund Sonderheften der Schriftenreihe des Museums blättern und sich auf diese Weise über das Themenangebot genauer informieren. Darüber hinaus wird es für Diskussionen und Arbeitsgespräche genutzt“ (Fratzke 1985, S. 10).

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gangslage Kaufmann zufolge auch andernorts wie in Wolfenbüttel nicht besser. Alternativ erstreckt sich die Sammeltätigkeit insbesondere auf die Theatergeschichte, die Rezeption Lessings sowie die Beschaffung Ausgaben gleicher Bände aus Lessings Bibliothek (vgl. ebd., Abs. 30) sowie verschiedener Ausgaben zu Literatur von und über Lessing.66 Das ‚Problem‘ mangelnder persönlicher Objekte Lessings erweist sich jedoch bei den gegenwärtig angewandten Ausstellungsprinzipien als wenig problematisch, wird doch trotz der vermehrten Konzentration auf die Person Lessing (weg von der Theatergeschichte) eine Abwendung von bloßer Autorenverehrung verfolgt. Indem nicht nur Lessings Leistungen und Stärken, sondern auch seine Schwächen thematisiert werden, soll einer unkritischen Darstellung vorgebeugt werden: „und das ist auch so ein Zugang von mir gewesen bei der Konzeption der Ausstellung, dass wir wegkommen wollten von dieser starken Denkmalverehrung. Die ist ein Aspekt [...], aber wir wollen Lessing zeigen mit seinen Verdiensten, aber vielleicht auch problematischen Seiten – ohne dass wir ihn jetzt schlechtmachen, das ist gar nicht das Interesse der Ausstellung, machen wir, glaube ich, auch nicht. Aber es soll halt rüberkommen auch ein Mensch, der als Papst der Aufklärung in Deutschland gilt – der sich für das Rationale eingesetzt hat, für den Sieg der Vernunft –, dass ausgerechnet der ein begeisterter Glücksspieler ist“ (ebd., Abs. 60).

Das „Authentischste“, was sich im Besitz des Museums befinde, sei eine Locke Lessings (vgl. ebd., Abs. 6). Welche Bedeutung dieser allerdings – vielleicht gerade aufgrund ihrer Einzelstellung – beigemessen wird, manifestiert sich im Umgang mit ihr, auch wenn grundsätzlich kein autorenverehrender Ausstellungsansatz gewählt wurde: „Weil das das Exponat ist, bei dem man wirklich sagen kann, es ist etwas von Lessing und mit ihm direkt verbunden [...]. Wir haben sie aber noch nicht naturwissenschaftlich untersuchen lassen, das macht man mit Reliquien nicht – denn es ist ja so was wie eine ProfanReliquie. Aber aus der Herkunft, die Provenienz, die ist quasi lückenlos – aus der Reihe mit seiner Stieftochter, mit der Lessing bis zu seinem Tod zusammengelebt hat“ (ebd.).

Wie sich bereits in der Ausstellungskonzeption in der Integration der Lessingschen Fabeln angedeutet fand, bedient das Museum unterschiedliche Zielgruppen. Kaufmann zufolge sind besonders zwei Zielgruppen relevant: Zum einen die kulturtou-

66 Weitere Informationen zur Sammlung finden sich auf der Homepage des Museums unter dem Reiter „Sammlung“ (Webseite des Lessing-Museums [http://www.lessingmuseum. de/sammlung/index.html, zuletzt abgerufen am 14.06.2014]) sowie in den teilweise gedruckten Sammlungsverzeichnissen des Museums.

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ristischen Individualbesucher/innen und zum anderen die Schüler/innengruppen. Letztere machen ca. 60% des gesamten Museumspublikums aus und sind daher besonders bedeutsam für die Einrichtung, weshalb es auch „ein sehr umfangreiches museumspädagogisches Programm, was auch auf den sächsischen Lehrplan [...] abgestimmt ist“ (ebd., Abs. 40), gäbe. Das Programm ist wiederum ausdifferenziert nach den Altersstufen. Während die Jüngsten sich in erster Linie mit den Fabeln befassen, werden ab der neunten Klasse Dramenseminare (vgl. ebd., Abs. 42) oder ein „allgemeines Aufklärungsseminar“ (ebd., Abs. 40) angeboten. Allerdings betont Kaufmann bezüglich der Entwicklung von Angeboten für Schulen den Zwang, diese explizit auf die schulischen Vorgaben hin auszurichten, so dass wenig Raum für „schöne und gut ausgedachte Zusatzsachen“ (ebd.) bleibe. In diesen Ausführungen zeigt sich einmal mehr, dass die vielfach vorgebrachte Forderung, (literarische) Museen hätten ‚andere‘ Lernorte zu sein, die ‚anderen‘ Zielsetzungen und Inhalten gehorchen als die Schulen,67 für die Einrichtungen teilweise schwer zu erfüllen sind, da sie sich gezwungen sehen, ein auf schulische Vorgaben ausgerichtetes Programm zu entwickeln. Über das konkret auf die schulischen Belange angepasste Programm hinaus reichen die Formate im Veranstaltungsbereich vom populärwissenschaftlichen Vortrag bis hin zum wissenschaftlichen Fachvortrag ebenso wie Lesungen zu Lessing, aber auch performativ-inszenierenden Vorträgen und Lesungen wie beim „Poetenbrettl“ – einer Art Poetry Slam. Für Schüler/innen wird darüber hinaus seit den 1970er Jahren ein Schreib-Wettbewerb organisiert, mit dem auch Schreibseminare verbunden sind. Daneben hat das Museum „schon Projekte gemacht mit einem externen Bildungsträger. Mit Leuten aus dem Hartz-IVBereich. Die waren im Zuge dieses Projekts zum ersten Mal in ihrem Leben bei einer Schriftstellerlesung dabei. Das ist für die jungen Menschen sicherlich eine völlig neue Erfahrung gewesen. Das ist ein Unterschied, wenn man so etwas macht, und das ist dann natürlich der Versuch, sie überhaupt erstmal mit so einem Bereich in Kontakt zu bringen, als wenn wir hier durchaus auch Fachpublikum haben“ (ebd., Abs. 56).

Hinsichtlich des Zusatzangebots des Museums betont die Leiterin jedoch, dass eine Entwicklung im Sinne der „Spaßgesellschaft“ mit Lessing nicht umsetzbar sei und auch nicht zum Profil der Einrichtung passe (vgl. ebd., Abs. 54). Das museumspädagogische Programm ist zwar durchaus zielgruppenspezifisch ausdifferenziert, doch schwerpunktmäßig wissenschaftlich ausgerichtet. Dies korreliert mit der starken Wissenschaftsorientierung, die sich beim Lessing-Museum in der Bearbeitung

67 Vgl. dazu bspw. den Vergleich von Schule und Museum von Gunter Otto (2007, S. 1518).

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eigener Forschungs- und Publikationsprojekte (wie der – wiederbelebten – hauseigenen Schriftenreihe), der Pflege, Erweiterung und Erforschung der eigenen Sammlung, der engen Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Lessing-Rezeption im Nachbargebäude sowie der Veranstaltung von Tagungen und Konferenzen in Kooperation mit zuvor genannter zeigt (vgl. ebd., Abs. 44, 46).68 Seit 1962 führt das Museum alle zwei Jahre die Lessing-Tage durch. Diese finden im Januar und Februar zwischen Lessings Geburts- und Sterbetag statt und stellen eine facettenreiche Veranstaltungsreihe – z.B. „Lesungen, Vorträge, Ausstellungseröffnung, Theateraufführungen, Workshops“ (ebd., Abs. 54) – dar, mit der unter anderem die Verleihung des Lessing-Preises des Freistaates Sachsen verbunden ist. In den Jahren, in denen keine Lessing-Tage stattfinden, werden die LessingAkzente im selben Zeitraum organisiert, die hingegen etwas kleiner ausfallen. Dieser Zeitraum ist für die „Außenwahrnehmung“ des Museums sehr wichtig, da es durch diese große Veranstaltungsreihe sowie die Preisverleihung auch überregional in die Presse kommt (vgl. ebd.). Das Lessing-Museum kann aufgrund der Tatsache, dass es alle in der ICOMDefinition genannten musealen Aufgabenbereiche erfüllt, als prototypischer Fall des vierten Typs, der literaturmusealen Allrounder gelten. Es verfügt über ein ausdifferenziertes und standardisiertes museumspädagogisches Programm und bietet diverse Veranstaltungen an, die vom wissenschaftlichen Vortrag zu einem Spezialthema bis hin zu populären Unterhaltungsformaten reichen. Zudem weist es einen hohen Grad an Wissenschaftsorientierung auf: So existiert eine eigene museale Sammlung mit speziellen Sammelgebieten, die auch gegenwärtig weiter ausgebaut und erforscht wird, und es werden sowohl wissenschaftliche Veranstaltungen organisiert als auch eigene Publikationen vorgenommen. Das Personal ist entsprechend dieser Aufgabenbereiche ausdifferenziert und professionalisiert. Indem es diese Aufgabenbereiche paritätisch abdeckt, keinen Schwerpunkt in der Erlebnis- bzw. Veranstaltungsorientierung hat und im wissenschaftlichen Feld tätig ist, lässt es sich vom dritten Typ, den veranstaltungs- und erlebnisorientierten Museen abgrenzen. Darüber hinaus ist ein literaturmusealer Allrounder wie das Lessing-Museum durch seine Arbeit nicht nur repetierend und tradierend an der Erinnerung an den Autor beteiligt, sondern durch seine Forschungstätigkeit auch gedächtnisbildend. Seine Erinnerungsarbeit geht damit deutlich über diejenige der anderen Typen hinaus, da

68 „Also wir sehen uns nicht nur als reines Museum mit der Ausstellung und dem museumspädagogischen Bereich, sondern auch schon als Forschungseinrichtung zu Lessing. Dafür haben wir auch hier vor Ort noch Unterstützung, indem wir die Arbeitsstelle für Lessingrezeption haben, die von Bund und Land finanziert wird, die sich um Lessing bemühen soll, und seine Ideen in die Gegenwart zu tragen, mit Wanderausstellungen und Podiumsdiskussionen, solchen Dingen“ (Kaufmann [Lessing-Museum], Abs. 44).

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es – neben dem Aufgreifen von Inhalten des kulturellen Gedächtnisses und deren Weitervermittlung – selbst an der diskursbildenden Ausgestaltung dieses mitwirkt. 8.2.5 Ein Grenzfall – das Günter Grass-Haus Das Günter Grass-Haus ist als Grenzfall zwischen den Typen 3 und 4 zu verorten. Inwiefern es sich als solches positioniert und warum eine eindeutige Zuordnung zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll erscheint, hängt eng mit der Entstehung und während des vergangenen Jahrzehnts herausgebildeten Grundkonzeption des Hauses zusammen. Um seine gegenwärtige Erscheinungsform zu verstehen, ist es notwendig, die Entwicklungen des Hauses – inklusive der Probleme und Skandale um den Autor Grass – genauer zu betrachten. Mit der Idee zur Einrichtung eines Museums, wie sie sowohl auf Initiative Günter Grass’ als auch der Stadt Lübeck forciert wurde, stand auch die Frage im Raum, wie das Haus konzeptionell aufgestellt werden sollte. Die jetzige Ausrichtung des Hauses ist eng verwoben mit den Gründungsvoraussetzungen: Grass hat der Stadt Lübeck angeboten, einen bedeutsamen Teil seines Vorlasses aus dem bildkünstlerischen Bereich sowie Manuskripte aus dem Zeitraum von 1995 bis in die Gegenwart käuflich zu erwerben, was in Anbetracht der Nobelpreisverleihung69 neben den anderen ‚Nobelpreis-Söhnen der Stadt‘, Thomas Mann (Literaturnobelpreis) und Willy Brandt (Friedensnobelpreis), ein verlockendes Angebot darstellte. Die Wahl des Ortes, an dem sich das Grass-Haus heute befindet, hängt insbesondere mit dem Standort seines Sekretariats in Lübeck zusammen, denn dieses ist im selben Gebäude untergebracht gewesen. Grass hatte sich dieses Gebäude als Sekretariatssitz gewählt, weil es eine Geschichte aufzuweisen hat, die eng mit seiner eigenen Künstler-Biographie zusammenhängt (vgl. Kap. 5.3). Ein weiterer Grund, der für die Einrichtung des Grass-Hauses gesprochen habe, sei, so Jörg-Philipp Thomsa (vgl. Thomsa [Grass-Haus], Abs. 8), dass Grass bereits vor der Gründung des Museums ein besonderes Verhältnis zur Stadt Lübeck gehabt und gepflegt habe, da er dort re-

69 Die anlässlich der Verleihung stattgefundene Pressekonferenz hielt Grass damals ebenfalls in Lübeck ab. Wie wichtig auch in der Außenkommunikation der Passus des „Nobelpreisträgers“ wurde, zeigt sich exemplarisch an dem folgenden Auszug aus einem Zeitungsartikel der Aachener Zeitung vom 20.10.2002, wie er auch dutzendfach an anderer Stelle zu finden ist: „Mit dem Günter Grass-Haus und dem Buddenbrookhaus ist Lübeck die weltweit einzige Stadt mit Museen für zwei Literaturnobelpreisträger. Damit sei Lübeck zu einem Schwergewicht auf der literarischen Landkarte geworden, sagte Ulrich Meyenborg (SPD), Kultursenator der Stadt“ („Günter-Grass-Haus in Lübeck mit Festakt eröffnet“ (20.10.2002) [http://www.aachener-zeitung.de/news/kultur/guenter-grass-hausin-luebeck-mit-festakt-eroeffnet-1.45708, zuletzt abgerufen am 19.01.2014]).

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gelmäßig Lesungen abhielt und an anderen Veranstaltungen teilnahm; auch gab es bereits von der Stadt initiierte Ausstellungen zu Günter Grass wie die „große Graphikschau im Burgkloster“ (ebd.). In der offiziellen Begründung, warum Günter Grass Lübeck für einen geeigneten Standort für ein Grass-Haus bzw. -Museum gehalten habe, werden die folgenden drei Argumente genannt: erstens ähnele Lübeck seiner Heimatstadt Danzig, zweitens sei Thomas Mann, den Grass sehr schätze, in Lübeck geboren und drittens gelte dies auch für Willy Brandt, zu dem Grass ein enges privates wie politisches Verhältnis pflegte.70 Als Grund, warum Grass nicht etwa seiner Geburtsstadt Danzig den Vorlass anbot, mag zudem gelten, dass er seine letzten Lebensjahre unweit Lübecks in Behlendorf verbrachte.71 Politisch war die Einrichtung des Grass-Hauses jedoch keineswegs unumstritten: Während die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), der Günter Grass nahesteht und für die er in der Vergangenheit auf Bundesebene Wahlkampf gemacht hatte, für die Einrichtung votierte, mussten die Christlich Demokratische Union (CDU) und das Bündnis 90/Die Grünen erst von der Idee überzeugt werden. In einem Kompromiss, der im Falle der Einrichtung Kostenneutralität72 des Lübecker Haushaltes vorsah, einigte man sich schließlich auf die Gründung.73 Da literarische Museen in der Regel für verstorbene Schriftsteller/innen eingerichtet werden, war es durchaus als problematisch anzusehen, ein Museum für einen noch lebenden und künstlerisch aktiven Autor und Bildkünstler einzurichten, denn dies hätte den Eindruck erwecken können, eine ‚bessere Galerie‘ zu sein. Thomsa

70 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang mitunter, dass Günter Grass sich nach der Einrichtung des Grass-Hauses in der Glockengießerstraße für die Einrichtung (2007/2008) des Willy-Brandt-Hauses in unmittelbarer Nachbarschaft einsetzte. 71 Neben dem Grass-Haus in Lübeck soll weiterhin ein Grass-Haus bzw. -Museum in Göttingen entstehen, für das sich insbesondere der Verleger Steidl einsetzt. Allerdings scheinen die Restaurierungsarbeiten des dafür vorgesehenen Hauses so umfangreich und schwierig zu finanzieren, dass zum jetzigen Zeitpunkt unklar ist, ob dort tatsächlich ein Grass-Haus entstehen wird. Vgl. dazu „Stadt ohne Geld – Kunst ohne Quartier“ [http://www.extratip-goettingen.de/lokales/die-naetionaele-haeme.html, zuletzt abgerufen am 12.09.2016] oder „Steidl plant ‚Günter-Grass-Haus‘ in Göttingen und Kunstquartier“ (08.04.2008) [http://www.art-magazin.de/szene/5403/guenter_grass_haus_gerhard_steidl, zuletzt abgerufen am 13.05.2015]. 72 Vgl. z.B. das Protokoll des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege der Hansestadt Lübeck vom 10.12.2001, Niederschrift Nr. 30, S. 2. 73 Endgültig wurde die Finanzierung allerdings erst im Jahr 2004 geregelt, zuvor hatte die Stadt trotz des benannten Beschlusses die Kosten, für die bis dahin keine Gelder eingeworben werden konnten, übernommen, um nicht die Leistungen von Bund und Land rückerstatten zu müssen.

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erläutert zudem, wie bedeutsam es in der Vergangenheit war, dass das Grass-Haus vom Einfluss Günter Grass’ unabhängig gewesen sei. Gerade in Bezug auf die SSDebatte sei es entscheidend gewesen, dass das Grass-Haus autonom agiert habe, um als ‚wissenschaftliche Einrichtung‘ auch im Wissenschaftsbetrieb weiterhin ernst genommen zu werden (vgl. Thomsa [Grass-Haus], Abs. 22). Abgesehen davon wäre es schwierig geworden, die notwendigen Fördergelder für eine Einrichtung einzuwerben, die sich ausschließlich Günter Grass als Autor gewidmet hätte, da diese keine hinreichende Zukunftsperspektive für das erfolgreiche (Weiter-)Bestehen des Hauses geboten hätte.74 Die Idee, sich als „Günter Grass-Haus. Forum für Literatur und Bildende Kunst“ zu formieren, vermochte diese Zukunftsperspektive zu bieten (vgl. ebd., Abs. 6). Das Grass-Haus widmet sich demgemäß nicht nur Günter Grass als Autor, sondern auch als bildendem Künstler, seiner „Doppelbegabung“ sowie daneben anderen Doppelbegabungen (vgl. ebd.), die in Sonderausstellungen75 präsentiert und vermittelt werden. Thomsa definiert „als Leitbild ganz klar: Günter Grass als Doppelbegabung zu präsentieren und zu erforschen. Und einfach zu zeigen, dass seine Herkunft eben nicht im Literarischen zu finden ist, sondern im Bildkünstlerischen, das ist das Leitmotiv, das sich eben auch aus der Sammlung heraus erklärt. Und das muss der Besucher verstanden haben, wenn er das Haus verlassen hat. Und dann eben nachfolgend dieses Phänomen der Doppelbegabung, also diese gegenseitige Befruchtung von Wort und Bild [...]“ (ebd., Abs. 85).

Im ersten Jahresbericht für das Grass-Haus heißt es sogar: „Der Schwerpunkt der Grass-Sammlung des Günter Grass-Hauses liegt eindeutig auf dem bildnerischen Aspekt – und dies mit Absicht. In Lübeck soll sowohl dem interessierten Publikum als auch der Grass-Forschung zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben werden, einen

74 „Unter der Hand, aber auch ganz offen, kann man sagen, dass die Chancen sehr gering gewesen wären, dass das Haus eröffnet worden wäre, wenn sich das nur ausschließlich auf Grass bezieht, weil man natürlich auch 20, 30 Jahre weiterdenken muss, und das wäre dann in Lübeck auch zu wenig gewesen, wahrscheinlich [...] aber das Alleinstellungsmerkmal ist eben diese Besonderheit der Wort-Bild-Kombination und das macht das Haus für die nächsten Dekaden unangreifbar“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 24). 75 Solche Sonderausstellungen zu anderen Doppelbegabungen waren, um nur einige der letzten zu nennen: ‚Unruhe im Olymp‘. Gedichte, Zeichnungen und Skulpturen von Markus Lüpertz (2013); The Art of John Lennon (2013); ‚Idyllenjäger‘. Gottfried Keller als Maler (2012); © Arno Schmidt. Der Schriftsteller als Fotograf (2011).

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fundierten Überblick über das bildnerische Werk zu erhalten“ (Jahresbericht 2002, Kulturstiftung Hansestadt Lübeck, S. 35).76

Es folgt darauf die notwendige Abgrenzung von Grass’ Vorlass der Akademie der Künste in Berlin, der vornehmlich auf das schriftstellerische Werk begrenzt ist und nur dort das bildnerische Werk einbezieht, „wo es in enger Beziehung zur Schriftstellerei steht“, aber diejenigen bildkünstlerischen Werke, „bei denen diese TextBild-Bezüge nicht eindeutig sind oder ganz fehlen, außer Acht gelassen“ (ebd.) würden. Dass es sich bei den ersten beiden Leitungen des Hauses, Dr. Kai Artinger und Stefanie Wiech, um studierte Kunsthistoriker/innen handelte, fügt sich in die Darstellungen des Jahresberichts 2002 ein. Die Dauerausstellungen im Grass-Haus, die unter der Feder dieser Leiter/innen entstanden, wiesen dementsprechend einen deutlichen Schwerpunkt im Bereich bildender Kunst auf. Mit dem gegenwärtigen Leiter, der Germanistik und Geschichte studiert hat, kam es zu Veränderungen im Haus, die mit seiner fachlichen Ausrichtung zusammenhängen. Thomsa beschreibt die Entwicklung folgendermaßen: „So muss ich sagen, dass gerade meine Vorgängerin, natürlich aufgrund ihrer Ausbildung auch und ihrer Interessen, sich sehr bildkünstlerisch orientiert haben, also der Schwerpunkt in der allerersten Dauerausstellung war ganz eindeutig bildkünstlerisch, nachher wurde es dann bei der Überarbeitung der Dauerausstellung, die dann 2007 zum 80. von Grass eröffnet wurde, etwas paritätischer, das war auch mein Job, dass ich ein bisschen so die Zusammenlegung von Literatur und bildender Kunst im Werk von Grass veranschauliche, und Frau Wiech eben die sehr schöne Dauerausstellung, die Sie gesehen haben, kuratiert hat“ (Thomsa [GrassHaus], Abs. 16).

Die Dauerausstellung, welche von 2007 bis in den Herbst 2012 zu sehen war, widmete sich den vier Schaffensbereichen Grass’: Schreiben, Zeichnen, Druckgrafik und Bildhauerei. Im Eingangsbereich der Ausstellung befand sich auf der rechten Seite eine große Vitrine, in der auf vier säulenartigen, hölzernen Kisten jeweils ein symbolischer Gegenstand für die Tätigkeitsbereiche Grass’ gezeigt wurde: Für das Schreiben eine alte Schreibmaschine Grass’, für das Zeichnen eine Feder und weitere spezielle Zeichenutensilien, für die Druckgrafik eine Druckplatte und für die Bildhauerei eine kleine Skulptur sowie Bildhauerwerkzeuge. Innerhalb der Ausstel-

76 Jahresbericht 2002. Kulturstiftung Hansestadt Lübeck. Heinrich-und-Thomas-MannZentrum im Buddenbrookhaus und Günter Grass-Haus. Lübeck: Zentrale Vervielfältigungsstelle Lübeck 2002 (Webseite des Buddenbrookhauses [http://buddenbrookhaus. de/file/jahresbericht_2002.pdf, zuletzt abgerufen am 20.01.2014]).

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lung wurden im Gegensatz zu vielen anderen personalen, literarischen Museen und Gedenkstätten nicht die Person Grass und ihre Biographie fokussiert, sondern sein künstlerisches Werk. Der Grund dafür, dass der Schwerpunkt gerade nicht auf Grass selbst gelegt wurde, ist in erster Linie darin zu suchen, dass Grass ein noch lebender Künstler und es daher problematisch war, ihn auszustellen bzw. zu ehren wie einen verstorbenen. Demgemäß beschränkte man sich im Wesentlichen darauf, im Durchgangsbereich von Shop und Kassenbereich zum Hinterhof eine ausführliche Biographie Grass’, strukturiert nach Jahreszahlen, zu zeigen. Innerhalb der Hauptausstellung erhielt Günter Grass dann allerdings eine untergeordnete Rolle und seine Kunst rückte ins Zentrum. Dabei wurden nicht nur Grass’ literarische, sondern auch seine bildkünstlerischen Werke ausgestellt. Eine Besonderheit ist deren enge Verknüpfung: „Und da es nunmal den bildkünstlerischen Vorlass hier jetzt im Grass-Haus seitdem ja gibt, dass wir ungefähr 1100 Graphiken und sämtliche Manuskripte, die seit 1996 bis zu der Eröffnung des Hauses 2002 anfielen – herausragend zu nennen Im Krebsgang, In meinem Jahrhundert, aber auch die Lyrikbände wie Fundsachen für Nichtleser, Novemberland, das sind also wichtige Werke und wunderbarer Weise können wir eben auch genau anhand der Manuskripte erkennen, inwieweit sich bildkünstlerische Arbeiten mit den Manuskripten ergänzt haben“ (ebd., Abs. 26).

So wurden literarische und bildkünstlerische Werke nicht getrennt bzw. unabhängig voneinander ausgestellt, sondern gerade die Verbindungen zwischen den beiden Bereichen gesucht, indem beispielsweise zur (literarischen) Blechtrommel (1959) auch ein Aquarell gezeigt wurde, auf der eine Blechtrommel spielende Figur zu sehen ist. Ebenso wurden analog solche Überschneidungen von Literatur und bildender Kunst bezüglich des Butt (1977) oder der Rättin (1986) gezeigt. Wie in Kap. 6.3.6 gezeigt, stand allerdings in den früheren Dauerausstellungen das bildkünstlerische Werk noch deutlicher im Zentrum als in der gegenwärtigen. Auch das Narrativ der vorangegangenen Dauerausstellung folgte der Logik, dass Grass erst von der bildenden Kunst zur Literatur gekommen sei. Diese Lesart Grass’ künstlerischen Werdegangs findet sich in der 2012 eröffneten Dauerausstellung nicht mehr so explizit. Der Eingangsbereich der neuen Dauerausstellung seit Oktober 2012 inszeniert hingegen die Ausgangslage des Kurators und verschiebt damit den Blickwinkel: Der Grund, warum man sich für den Perspektivwechsel und damit die Reflexion der Situation des Kurators entschieden hat, hängt mit den Gegebenheiten zusammen, die es nötig machten, eine ‚andere‘ Rahmenerzählung zu generieren. Die Ausgangslage für die Konzeption der neuen Dauerausstellung schildert Thomsa zunächst als ein Problem, das damit einhergehe, dass die wesentlichen Konstituenten Grass’ Schaffens eben nicht im Museum präsentiert werden können:

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„Und wenn Sie mich jetzt als Jörg-Philipp Thomsa befragen, als jemand, der auch den Alltag hier kennt, ist es so, dass ich irgendwann mal an meinem Punkt war, dass ich dachte, wer das Sekretariat Grass einmal besucht hat, und war vielleicht 5 Minuten nur oben bei ihm, sieht den Tabak, die Streichhölzer, den Geruch, die Aura, die ganzen Graphiken, die Federn, die Tintenfässer, Stapelweise Manuskripte etc., der hat von Grass mehr verstanden, als wenn er unsere Dauerausstellung besichtigt hat, und dass das so nicht sein kann, war mir ganz klar. [...] Der Eindruck, den man von Grass hier gewinnt, zu gering ist, um zu verstehen, warum er eigentlich weltweit so ein bedeutender Künstler ist [...]“ (Thomsa [Grass-Haus], Abs. 30).

Das Grundkonzept sieht daher vor, im Eingangsbereich die Situation des Kurators in symbolischer Weise herzustellen und im Hauptteil der Ausstellung fünf unterschiedliche Module zu zeigen. Diese Module sind jeweils voneinander unabhängig, wodurch sich die Ausstellung des Grass-Hauses wesentlich von solchen unterscheidet, die durch eine lineare, durchgehende Narration strukturiert und aus Gründen der Kohärenz auf die Einzelelemente dieser Erzählung angewiesen sind.77 Hinzu kommt im Grass-Haus, dass diese Module nur bei der Konstellation der Ausstellungseröffnung vom Museumspersonal vorgegeben wurden und seitdem in regelmäßigen Abständen je ein Ausstellungsmodul gegen ein neues ausgetauscht wird, das von den Besucherinnen und Besuchern des Museums über eine Abstimmung ermittelt wird. Zwar werden diese Module vom Museumspersonal kuratiert, doch erhalten die Besucher/innen auf diese Weise eine Mitbestimmungsmöglichkeit darüber, welches Thema als nächstes gezeigt werden soll. Die Austauschbarkeit der Module verweist uns zugleich auf die grundsätzliche Willkür, welcher Ausstellungen generell unterliegen. Denn es wird im Rahmen einer solchen Ausstellungskonzeption zum Thema gemacht, dass die Ausstellungsmacher/innen in der Regel einen großen Archivfundus zur Verfügung haben und im Zuge der Ausstellungsgestaltung gezwungen sind, sich für bestimmte Themen und Objekte zu entscheiden – diese Entscheidungen allerdings für die Besucher/innen unsichtbar bleiben. Indem nun die Besucher/innen in diesen Entscheidungsprozess eingebunden werden und Modulteile durch andere ersetzt werden, wird sichtbar gemacht, dass die einzelnen Teile einer Ausstellung eben nicht natürlich gegeben, sondern in gewisser Weise und innerhalb eines Möglichkeitsrahmens bestimm- und gestaltbar sind. Die Ausstellung wird auf diese Weise zur Reflexion ihrer selbst. Ein zentraler Arbeitsschwerpunkt des Grass-Hauses ist neben der Dauerausstellung die Konzeption von Sonderausstellungen zu anderen Doppelbegabungen. Dass dieser beinahe paritätisch neben der Hauptausstellung läuft, zeigt sich nicht nur daran, dass die Sonderausstellungen eine fast genauso große Ausstellungsfläche beanspruchen wie erstere. Sie sind darüber hinaus wesentlicher Bestandteil der Leitidee

77 Vgl. zum literaturmusealen Erzählen auch Kap. 6.

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des Hauses, das sich als „Zentrum für Literatur und bildende Kunst“ versteht und zwar Günter Grass als Namenspatron hat und diesen auch ins Zentrum stellt, allerdings zugleich grundsätzlich das Neben- und Ineinander der beiden künstlerischen Bereiche – Literatur und bildende Kunst – miteinander verbinden möchte. Die oben angesprochene ‚Existenz- und Gründungsberechtigung‘ des Grass-Hauses speist sich folglich aus dem Grundsatz, eben nicht nur ein Haus für Literatur und auch nicht nur eines einzigen Autors zu sein. Indem das Grass-Haus also einen weiteren, über den Autor Grass hinausgehenden Ausstellungsschwerpunkt abdeckt, scheint es unter Typ 3, den event- und veranstaltungsorientierten Museen, einzuordnen, für die über den Autor und seine Literatur hinausgehende Ausstellungsbereiche durchaus typisch sind. Neben dem Sonderausstellungsbereich spiegelt sich die doppelte Ausrichtung auch in den Veranstaltungsangeboten wider. So werden Literatur und bildende Kunst auch hier verbunden, indem zum Beispiel zur Sonderausstellung zu Cornelia Funke ab Mitte April 2014 ein „Familiensonntag“ angeboten wurde, bei dem zunächst die Ausstellung erkundet wurde und im Anschluss die Möglichkeit bestand, ein „eigenes Phantasietier, das in einer Geschichte der Autorin eine Gastrolle erhält“, zu malen – nicht eine Geschichte zu schreiben! –, wie es in der Veranstaltungsbeschreibung betont wird.78 Veranstaltungen für Familien und Kinder sind indessen nur ein Format der über das Ausstellen hinausgehenden Tätigkeiten. Hinzu kommen literarische Kolloquien, diverse populäre Lesungen, Workshops, Museumsnächte, Fortbildungsangebote für Lehrer/innen oder ‚Grass on Tour‘. Mit der Schaffung eines neuen Archivraumes, der im März 2011 eingeweiht werden konnte, wurde schließlich die Grundlage geschaffen, um vor Ort auch wissenschaftlich arbeiten zu können sowie vor allem die Grafiken, Zeichnungen und Manuskripte sachgerecht unterzubringen. Am Archiv bzw. der dort verwahrten Sammlung kristallisiert sich ein weiteres Mal die Leitidee des Grass-Hauses heraus, denn auch hier werden Objekte seiner unterschiedlichen künstlerischen Tätigkeitsbereiche, die zwischen 1996 und 2002 entstanden sind,79 paritätisch gesammelt. Zwischenzeitlich arbeitete neben Jörg-Philipp Thomsa eine über das Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL) nach dem „Lübecker Modell“80

78 Vgl. http://grass-haus.de/de/2/terminkalender.html, zuletzt abgerufen am 09.04.2014. Im Archiv der Webseite sind auch die Informationen zu in der Vergangenheit liegenden Veranstaltungen noch zugänglich. 79 Vgl. http://grass-haus.de/de/518/forschung.html, zuletzt abgerufen am 09.04.2014. 80 „Das ‚Lübecker Modell‘ stellt eine Kombination von wissenschaftlicher und beruflicher Qualifizierung dar: Die Dissertation wird im Rahmen einer 50%-Stelle als wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in erarbeitet, die über die Universität verwaltet wird, aber an einer städtischen Einrichtung angesiedelt ist, so dass an der Einrichtung zugleich eine dem Vo-

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finanzierte wissenschaftliche Mitarbeiterin mit einer 50%-Stelle im Günter GrassHaus. Da diese Stellen allerdings mit einem Stipendium verknüpft sind, handelt es sich hierbei zwar um eine grundsätzlich gelungene Idee zur Verknüpfung von Wissenschaft in Theorie und Praxis, doch wird auf diese Weise noch keine zweite wissenschaftliche Mitarbeiterstelle für das Grass-Haus gesichert. Eine Einordnung des Grass-Hauses in die oben beschriebene Typologie ist insofern schwierig, als es zwar grundsätzlich alle fünf musealen Aufgabenbereiche wahrzunehmen versucht, aber aufgrund der eigenen personellen Strukturen nur schwierig ein solch umfangreiches Tätigkeitsprofil zu entwickeln vermag, wie es für den Allrounder-Typ der Fall ist. Mit dem Ausbau des Archivs sowie den temporären zusätzlichen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern nach dem Lübecker Modell befindet sich das Grass-Haus auf der Schwelle zwischen Typ 3 und Typ 4. Gerade aufgrund seiner noch jungen Institutionengeschichte ist dies allerdings auch keinesfalls überraschend. Unabhängig von einer exakten Zuordnung lässt sich am Beispiel des GrassHauses jedoch sehr genau nachzeichnen, welche Auswirkungen das Gesamtkonzept und das Leitbild des Hauses auf dessen Erinnerungsarbeit haben. Zunächst handelt es sich um eine Einrichtung, die einen Namenspatron hat, der noch lebte – Grass starb im Mai 2015. Dieses Faktum ist bedeutender, als dies vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag. Es war aufgrund dieser Tatsache keine ‚Erinnerung‘ an den Künstler Grass möglich. Letzterer war bis vor kurzem ein noch lebender Künstler, der weiterhin künstlerisch aktiv war und – wie bereits in seinen Anfängen – auch weiterhin polarisierte. Umso bedeutsamer war für das Grass-Haus als museale Institution im Hinblick auf den Wissenschaftsbetrieb seine Unabhängigkeit bzw. teilweise auch Distanzierung von der Person Grass. Diese Problematik mag mit ein Grund dafür sein, dass die letzte Dauerausstellung Günter Grass nur am Rande behandelte und seine Kunst in den Mittelpunkt rückte, sowie er in der derzeitigen Dauerausstellung zwar mehr in den Fokus gerückt wurde, doch primär unter starker Bezugnahme auf seine Werke und deren Rezeption. Hinzu kam eine erzähltechnische Herausforderung, denn ein unabgeschlossenes Leben kann in keine abgeschlossene Erzählung überführt werden und verlangte von der Ausstellung, ständig offen und durchlässig zu sein für Umdeutungen und Neues. Die Entscheidung für eine modularisierte Ausstellungskonzeption anstelle einer solchen, die einer linearen oder gar abgeschlossenen Erzählung folgt, ist somit nicht nur praktisch, um sich ein Stammpublikum zu schaffen, das bei Austausch einzelner Modulelemente wie-

lontariat vergleichbare Berufserfahrung gesammelt werden kann“ (Das „Lübecker Modell“ des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (Webseite des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung [http://www.zkfl.de/luebecker_modell. html, zuletzt abgerufen am 09.04.2014])).

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derkommt, sondern auch um museumspolitisch flexibel agieren zu können. In diesem Kontext ist des Weiteren von Bedeutung, dass in der Ausstellung kein eindeutiges Bild von Grass gezeichnet wird, sondern aufgrund seiner Polarisierungen schlaglichtartig diverse, kontrovers diskutierte Aspekte beleuchtet und polyphone Situationen geschaffen werden. Großen Einfluss auf die Erinnerungsarbeit des Grass-Hauses hat ferner die grundsätzliche Ausrichtung auf weitere Doppelbegabungen neben Grass. Hierdurch verliert der Künstler einen Teil seines Alleinstellungsstatus, der anderen im Rahmen personaler, literaturmusealer Einrichtung oftmals zuteil wird. Indem nicht nur gelegentlich andere Künstler/innen und Doppelbegabungen in Sonderausstellungen bedacht werden, sondern diese selbst konstitutiver Teil der Einrichtung sind, erhalten sie zwar keinen unmittelbar gleichberechtigten Status, zumindest aber relativieren sie die Alleinstellungsmerkmale Günter Grass’ und machen ihn zu ‚einem Künstler unter anderen‘. Das Grass-Haus unterscheidet sich allerdings nicht nur dadurch von anderen Häusern, dass Grass als ein Künstler unter vielen gezeigt wird, sondern auch dadurch, dass er als Autor und bildender Künstler präsentiert wird.

9 Abschließende Betrachtungen

9.1 LITERARISCHE MUSEEN UND GEDENKSTÄTTEN ZWISCHEN AUTHENTISCHEM ORT, DISNEYSIERUNG UND WISSENSCHAFT Literaturmuseale Erinnerung als eine institutionalisierte Form der literarischen Erinnerung entsteht weder stets auf dieselbe Weise (vgl. Kap. 5), noch ist deren Ausgestaltung in Form von Ausstellungen (vgl. Kap. 6) und (mitunter weit) darüberhinausgehender Tätigkeitsbereiche (vgl. Kap. 7) identisch. Vielmehr spiegelt sich in der Typologie (vgl. Kap. 8) die Vielfalt der literaturmusealen Landschaft. Sie reicht von ehrenamtlich betriebenen kleinen Gedenkstätten für regional bedeutsame Autorinnen und Autoren bis hin zu hochgradig professionalisierten Einrichtungen, die neben dem Sammeln und Ausstellen auch der Aufgabe nachgehen, ihre Bestände zu erforschen sowie zugleich ein breites und zielgruppenspezifisches Vermittlungsangebot zu offerieren. Dass mit diesen unterschiedlichen Ausrichtungen auch verschiedenartige Erinnerungen erzeugt werden, soll zusammenfassend noch einmal herausgestellt werden. Hinsichtlich der Entstehung literaturmusealer Erinnerung stellt sich zunächst die Frage, wie und wo überhaupt Museen und Gedenkstätten entstehen. Aleida Assmann zufolge handelt es sich bei Erinnerungsorten um „Kontaktzonen“ (dies. 1999, S. 337) zwischen Göttern und Menschen sowie – übertragen auf die Museen und Gedenkstätten – zwischen den (verstorbenen) Dichterinnen und Dichtern und den Besucherinnen und Besuchern. Die ehemaligen Lebens- und Schaffensstätten erhalten dann im Kontext der Erinnerung eine sakrale Aura und werden zu Dichtertempeln stilisiert. Doch bereits hier zeigt sich die erste Unstimmigkeit im Hinblick auf die Theorie des kulturellen Gedächtnisses. Dies gilt insbesondere auch für Autorinnen und Autoren, die dem Kernkanon angehören. So befinden sich weder das Lessing- noch das Kleist-Museum in einem Gebäude, in dem die Autoren gelebt oder gearbeitet hätten – es handelt sich lediglich um die Geburtsstädte der beiden Autoren. Noch drastischer ist das Beispiel des Goethe-Museums in Düsseldorf, denn

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dort hielt der Autor sich nur für kürzere Besuche auf. Dass er das Jacobi-Schloss, in dem das Museum untergebracht ist, jemals betreten hätte, ist nicht bekannt. Literaturmuseale Einrichtungen werden folglich auch weitestgehend unabhängig vom Ort eingerichtet und nicht, wie A. Assmann in ihren Ausführungen nahelegt (vgl. Kap. 3.1.2), ausschließlich am authentischen Ort. Dies ist nur möglich, da ihnen wiederum unterschiedliche Konzepte zugrunde liegen. Hierin liegt einer der größten Unterschiede zwischen literarischen Gedenkstätten (im Sinne von Typ 1) und Museen. Erstere stellen den Ort ins Zentrum ihrer Arbeit. Sie verfügen meist nicht über eine umfangreiche Ausstellung oder Sammlung, jedoch konservieren sie die (mehr oder weniger) authentischen Orte, an denen die Dichter/innen lebten und arbeiteten. Ihre Hauptaufgabe besteht in der ‚Erhaltung‘ oder ‚Wiederherstellung‘ des Ortes – je nachdem, ob der Ort zwischenzeitlich anderweitig genutzt oder unmittelbar in museale Nutzung überführt wurde – und sie sollen im Sinne der von A. Assmann beschriebenen „Kontaktzone“ die Möglichkeit bieten, den historischen Ort zu besichtigen. Informationsvermittlung steht dabei im Hintergrund und wird überwiegend additiv in kleineren Ausstellungsbereichen angeboten bzw. erfolgt mündlich in Führungen. Die Erinnerung richtet sich also primär auf die Person des Autors bzw. der Autorin, indem ein Ort aus ihrem Leben zugänglich gemacht wird. Die Literatur ist dabei nur am Rande bedeutsam, es sei denn, dass sie unmittelbar mit dem historischen Ort verbunden wird – wie es bspw. in der StrittmatterGedenkstätte der Fall ist, die nicht nur einen Eindruck vom Leben der Familie Strittmatter vermittelt, sondern auch für die Authentizität seiner Literatur bürgt (vgl. Kap. 6.3.7). In den Führungen werden die Geschichten der Häuser erzählt und es werden Anekdoten zu Lebensweisen und Gewohnheiten der früheren Bewohner/innen wiedergegeben. Die Form der Vermittlung steht zudem durch die Mündlichkeit und damit geringe Möglichkeit der Standardisierung der Führungen den Memorierungspraktiken des kommunikativen Gedächtnisses nahe. Dadurch unterscheiden sie sich grundlegend von musealen Ausstellungsformaten, in denen nicht nur für jede/n Besucher/in dieselben Texte zu lesen sind, sondern zudem auch Zitate und Quellen mit eingebunden werden, die das (schriftlich) Dargestellte zusätzlich (wiederum schriftlich) belegen. Die in ihrem Rahmen betriebenen Erinnerungsformen weisen Überschneidungspunkte mit oral dominierten Erinnerungsgemeinschaften auf – was sich bspw. in der Weitergabe von Anekdoten spiegelt. Werden Anekdoten aus dem Leben der Schriftsteller/innen wiedergegeben, kommt durch das Eingeweihtsein der erzählenden Person(en) eine scheinbare Nähe zum/r Dichter/in zustande, so dass der Zugang zu diesem/r tendenziell persönlicher und weniger formell oder gar objektiv wird. Wenn Beschriftungen in den historischen Räumen eingesetzt werden, benennen sie zumeist nur die (ehemalige) Funktion und Nutzung der Räume oder weisen in kurzen Ausführungen auf Besonderheiten hin. Oftmals wird aber selbst darauf verzichtet, um das historisch-authentische Setting nicht durch im Nachhinein angebrachte (Objekt-)Beschreibungen zu stören.

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Dass die Orte jedoch als authentische, unveränderte oder original wieder eingerichtete Orte vermittelt werden, ist folgenreich für das so erzeugte Erinnerungskonstrukt: Die Besucher/innen sollen den Eindruck erhalten, dass der Ort identisch ist mit demjenigen, an dem die Dichter/innen einst lebten und arbeiteten. Dabei wird jedoch verkannt, dass bereits das Schild am Gebäude mit der Aufschrift „Hier wohnte...“ der Beginn einer bewussten Inszenierung ist, die sich durch sämtliche Räume zieht. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Nutzung der Räume: In Gedenkstätten wurden die für das (literarische) Schreiben bzw. für den/die Autor/in persönlich bedeutsamen Räume historisch (authentisch) eingerichtet, in der Regel aber nicht das gesamte Gebäude. In der Seghers-Gedenkstätte ist es beispielsweise das – ausstellungstechnisch weniger bedeutsame – ehemalige Arbeitszimmer ihres Mannes, das als Raum für die kleine Ausstellung und den ‚Museumsshop‘ dient. Die Zimmer hingegen, in denen Anna Seghers arbeitete und ihren Besuch empfing, sind mit dem originalen Mobiliar ausgestattet und verfügen über keine musealausstellenden Elemente wie Vitrinen oder Beschriftungen. Hier wird also ein historisch-authentischer Ort inszeniert. Die als intendiert anzunehmenden Entscheidungen über die Raumnutzung sowie darüber, was in den einzelnen Räumen ausgestellt wird, was also bleibt und was verbannt wird, werden nicht offengelegt. Nichtsdestotrotz werden sie getroffen und mit ihnen ein bestimmtes Bild von den Schriftstellerinnen und Schriftstellern gezeichnet, das als konstruiert und inszeniert anzusehen ist. Paul Kahl fasst bezüglich des Goethehauses in Weimar treffend zusammen: „Personengedenkstätten sind nicht authentischer Abdruck der Person, der sie gewidmet sind (dass Abbild und Wirklichkeit nicht dasselbe sind, ist keine verblüffende Einsicht); sie konstruieren oder ‚erzählen‘ – will man Begriffe der Erinnerungskultur-Forschung verwenden – fundierende Geschichte. Personengedenkstätten sind insofern inszenierter, d.h. in einem Raum sichtbar gemachter Mythos“ (Kahl 2015, S. 264).

Aufgeklärt wird über die Geschichte der Einrichtung der Gedenkstätten zumeist nur, wenn fälschlicherweise als authentisch angenommene Raumaufteilungen, Einrichtungsgegenstände, Wandgestaltungen oder ähnliches entdeckt wurden und eine Korrektur gefordert wird. Indem zunächst ein bestimmter Zustand als authentisch vermittelt wurde und dann aufgedeckt wird, dass dieser zu Lebzeiten des Dichters oder der Dichterin nicht original gewesen ist, wird eine Berichtigung notwendig. Da die historische Stätte im Sinne einer Gedenkstätte weiterhin als authentischer Ort vermittelt werden soll, bleiben in der Folge meist nur zwei Möglichkeiten: entweder bleibt das Gebäude bzw. die Einrichtung in dem (falschen) Zustand und dies wird offen thematisiert als ein Fehler in der Restauration bzw. Rekonstruktion, das nun als Quelle der Rezeptionsgeschichte dienen kann; oder der Zustand wird behoben und durch einen historisch korrekteren überdeckt – bspw. indem die Wandfarbe geändert, Möbel umgestellt oder ausrangiert werden oder ähnliches. In beiden Fällen

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jedoch wird versucht, das Bild vom ‚historisch-authentischen Ort‘ aufrechtzuerhalten und die entstandene Störung1 zu integrieren oder zu überdecken, denn der Ort ist das Kernstück ihrer Erinnerung und darf in seiner Authentizität nicht fragwürdig werden. Aufdeckungen ‚falscher Authentizität‘ wirken daher als Störungen und zeigen, wie fragil das Konstrukt ‚authentischer Ort‘ letztlich ist. Literarische Gedenkstätten reflektieren ihre Geschichte und dessen Konstruktion demzufolge gar nicht oder nicht hinreichend. Wo es hingegen an historischen Orten mangelt – sich das Museum bspw. nicht im ehemaligen Wohnhaus befindet – sowie originale Ausstellungsobjekte oder Informationen fehlen, wird dieser Missstand vielfach offen angesprochen. Die 2013 eröffnete Dauerausstellung im KleistMuseum ist ein gutes Beispiel hierfür (vgl. auch Kap. 6.3.5): Da die KleistForschung einige Lücken im Lebenslauf des Autors nicht schließen konnte und mit verschiedenen Varianten und Legenden diesbezüglich zu kämpfen hat, wurde diese problematische Ausgangslage in die Erzählung der Ausstellung integriert. Es werden nicht nur die Lücken klar benannt, sondern auch – optisch in schwächerem Druck – die Gerüchte über Kleists Verbleib während der Zeiten, über die man keine gesicherten Informationen hat, abgedruckt. Innerhalb der Ausstellung wird also typographisch kenntlich gemacht, was als wissenschaftlich gesicherte Information gilt und was lediglich (neben anderem) berichtet oder in Umlauf gebracht wurde. Allerdings hat die durchgehende Benennung der Lücken einen weiteren Effekt: Es wird nämlich nicht nur wissenschaftlich äußerst korrekt verfahren, indem Leerstellen als solche gekennzeichnet werden, sondern die Benennung dieser führt zugleich dazu, dass Kleist umso ‚rätselhafter‘ erscheint und er tatsächlich mythische Züge erhält. Denn umso deutlicher wird, dass wir über viele Lebensabschnitte des Autors nichts wissen und er sich uns entzieht, desto geheimnisvoller wird er. Während das Erzählverfahren zunächst wissenschaftlicher Korrektheit geschuldet ist, befördert es letztlich die Repetition der Mythen um Kleist. Das Kleist-Museum spielt also in seiner Ausstellung mit den offen gebliebenen ‚Rätseln‘ um Kleist, wenngleich es als ‚literaturmusealer Allrounder‘ grundsätzlich als wissenschaftsnaher Typ zu charakterisieren ist und seine wissenschaftlichen Ansprüche nichtsdestotrotz auch in der Ausstellungsweise demonstriert. Im Gegensatz zu den Einrichtungen des ersten Typs wird hier im zweiten Teil der Ausstellung ein Schwerpunkt auf der Darstellung des Lebens des Autors – als chronologischem Durchgang – gelegt. Auch die Ausstellungen der anderen Museen des zweiten bis vierten Typs sind zumeist strukturiert durch chronologisch geordnete Erzählungen, die die Zusammenhänge zwischen Leben und Werk der Dichter/innen darlegen. Neben diesen Erzählungen werden gezielt einzelne Objekte eingesetzt, die über-

1

Auf den systemtheoretisch geprägten Begriff der ‚Störung‘ gehe ich im Zuge der Falldarstellung zur Strittmatter-Gedenkstätte ‚Der Laden‘ in Kap. 8.2.1 ein.

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wiegend belegende Funktion haben (vgl. Kap. 6.2). Zudem werden kleinere Inszenierungen eingebunden, um die grundsätzliche Form der Dar-stellung aufzulockern und mit szenischen Eindrücken anzureichern. Im Kleist-Museum geschieht dies in der aktuellen Ausstellung zum Beispiel im letzten Raum der Dauerausstellung, wo die Wände mit der Stelle des Sees tapeziert sind, wo Kleist Selbstmord beging, und das Polizeiprotokoll über Lautsprecher verlesen wird. Diese literaturmusealen Darstellungsformen haben jedoch nur wenig gemein mit denjenigen von Gedenkstätten, die in erster Linie den historisch-authentischen Ort zugänglich machen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass für Einrichtungen der Typen 2 bis 4 originale Räume unwichtig wären. Vielmehr gestaltet es sich so, dass sie über diese vielfach nicht mehr verfügen und aus diesem Mangel heraus erst zu rein literaturmuseal ausstellenden Präsentationsformen greifen.2 Denn bei denjenigen Einrichtungen, bei denen ehemalige Wohnräume wieder mit den originalen Möbelstücken ausgestattet werden konnten (vgl. Raabe-Haus, Storm-Haus, May-Museum, Brechthaus), wurde dies auch umgesetzt. Wolfgang Barthel, der auf die immense Bedeutung historischauthentischer Räume im Kontext der personalen literaturmusealen Erinnerung hingewiesen hat (vgl. Barthel 1990, S. 187), ist also bei solchen Einrichtungen bis heute zuzustimmen. Im Vergleich zu den (meisten) anderen literaturmusealen Typen zeichnet die ‚Allrounder‘ aus, dass sie einen dezidiert wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkt aufweisen. Sie gehören zu den Akteuren, die den Forschungsstand nicht nur in ihren Ausstellungen und Veranstaltungen aufgreifen und weitergeben, sondern selbst forschend tätig sind und sich am wissenschaftlichen Diskurs produktiv beteiligen. Unter Rückgriff auf Astrid Erlls Erinnerungsmodi des autobiographischen und semantischen Gedächtnisses lassen sich die Museen des vierten Typs somit als auf zwei verschiedenen Ebenen am kollektiven Gedächtnis beteiligte Institutionen beschreiben: Einerseits gestalten sie die Inhalte des semantischen Gedächtnisses mit, indem sie Forschung betreiben, denn ihre Arbeit ist dann „mehr dem ‚Wissen‘ als der ‚Erinnerung‘ im engeren Sinne zuzuordnen“ (Erll 2003, S. 40). Andererseits werden sie jedoch auch im Sinne des autobiographischen Gedächtnisses tätig und arbeiten identitätsstiftend, indem sie Teile des gesammelten Wissens aufgreifen und im Rahmen literaturmusealer Erzählungen in Ausstellungen wie Veranstaltungen wiedergeben. Diese Erzählungen sind stets mit Sinn versehen und durchsetzt mit den Normen und Werten der Gruppe, für die sie gemacht wurden. Innerhalb der Ausstellungsanalysen (vgl. Kap. 6.3) zeigte sich dies insbesondere an den durch die

2

Vgl. dazu bspw. Fratzke 2002, S. 213: „Weil Lessings Geburtshaus im Jahre 1842 durch einen verheerenden Stadtbrand zerstört wurde, konnte in Kamenz, wo der Dichter seine Kindheit verbracht hat, kein Memorialmuseum entstehen.“

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Ausstellungen leitenden Narrativen.3 Besonders deutlich wird dies an der Lesart Lessings, der als der ‚Aufklärer‘ gehandelt wird (vgl. Kap. 6.3.2). Indem mit der Aufklärung verbundene Werte mit Lessing verknüpft werden, erhält er eine über sein literarisches Werk hinausgehende, gesellschaftspolitische Bedeutsamkeit. Um die Bereiche des Sammelns, Forschens, Ausstellens und Vermittelns paritätisch abdecken zu können, bedürfen die literaturmusealen Allrounder eines für die verschiedenen Aufgabengebiete spezialisierten Personals. Wolfgang de Bruyn beschreibt die Mitarbeiterstruktur des Kleist-Museums folgendermaßen: „Da haben wir diese klassische Konstruktion, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, eine Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit, eine Mitarbeiterin, die unsere Sammlung betreut, also die Theater- und Bildkunstsammlung, die anderen kleinen, z.B. Fotosammlungen usw., ein Bibliothekar, ein sachbearbeitendes Sekretariat, jemand, der für den ganzen Haushalt und die Finanzgeschichte zuständig ist, der Leiter der Einrichtung und dann noch – deswegen 7,5, das sind dann Aufsichtskräfte und so. Teilweise gibt es so einen Stamm und die anderen werden dann sozusagen frei, über Honorarbasis, teilweise sind es Studenten da, die jetzt auch Führungen machen, auf Polnisch oder Englisch usw., und das ist im Grunde, 8,5 Stellen müssten es dann sein – [...] das ist der feste Stamm und dann haben wir fast immer noch 5-6 Stellen, die so frei sind. Also das sind einerseits so Projektmitarbeiter, die für 1-2 Jahre hier arbeiten, wo die Gelder dann eingeworben worden sind über Stiftungen. Dann Arbeitsfördermaßnahmen, wir haben keinen Hausmeister hier, also dass wir dann immer irgendwelche Fördermaßnahmen haben, wo wir uns damit über Wasser halten in dem Bereich. Und dann haben wir ein freiwilliges soziales/kulturelles Jahr, das sind ja dann Einrichtungen, die vermittelt werden, wir haben viele Praktikanten, teilweise, wenn wir es können, bezahlt, teilweise unbezahlt, das sind Schüler, Ausbildungspraktika, aber auch Studenten, die hier arbeiten, in ganz unterschiedlichen Bereichen, je nach Ausrichtung“ (de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 22).

Ein solch umfangreicher Grundstock an Personal – und de Bruyn bezeichnet das Haus als „klein“ (vgl. ebd.) – ist lediglich bei größeren Einrichtungen zu finden, die den sogenannten ‚Großschriftstellern‘ gewidmet sind, da sie erhebliche finanzielle Mittel binden. Literaturmuseale Allrounder erreichen damit einen hohen Grad an Professionalisierung in den einzelnen Bereichen, was sie ebenfalls von vielen der kleineren Ausstellungshäuser unterscheidet. Letztere haben häufig nicht einmal eine/n festangestellte/n Mitarbeiter/in, sondern werden ausschließlich durch ehrenamtliche Mitarbeit offengehalten. Dementsprechend sind sie nur sehr bedingt dazu

3

Dies bedeutet nicht, dass die Typen 1-3 überhaupt nicht in solcher Weise an der Wissensproduktion beteiligt sind, doch Typ 4 engagiert sich hier in deutlich darüberhinausgehender Weise.

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in der Lage, ein standardisiertes museumspädagogisches Programm anzubieten, eine Sammlung zu pflegen oder gar selbst forschend tätig zu werden. Der Arbeitsschwerpunkt der Einrichtungen des zweiten Typs – den ausstellungsbetriebsorientierten literarischen Museen –, auf die letztgenanntes zutrifft, liegt demgemäß in der Vermittlungsarbeit durch die Ausstellungen. Die Ausstellungen ähneln konzeptionell nichtsdestotrotz denjenigen des vierten Typs, denn sie sind überwiegend von externen Expertinnen und Experten inhaltlich konzipiert und designt, die über die dazu notwendigen wissenschaftlichen wie gestalterischen Kenntnisse verfügen, und müssen nicht von den (oft ehrenamtlich tätigen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entworfen werden. Indem die kleineren Museen einmalige Spenden und Fördergelder für die Neukonzeption ihrer Ausstellungen einwerben und es sich zudem um über mehrere Jahre hinweg einmalige Aufwendungen handelt, kann diese Form der Konzeption und Gestaltung finanziert werden – auch wenn in anderen Bereichen keine umfangreicheren Mittel auf Dauer zur Verfügung gestellt werden und es vielfach kein festangestelltes Personal gibt. Die Erinnerungsarbeit der Häuser des zweiten Typs konzentriert sich damit im Wesentlichen auf die Vermittlung eines an anderen Orten produzierten (semantischen) Wissens, das durch die Ausstellungserzählungen in sinnhafte Form gebracht und mit den Normen und Werten einer Gruppe versehen wird. Die Ausstellung zu Büchner ist dafür ein eindrückliches Beispiel, indem um Büchner ein Opfer-Narrativ gesponnen wird: Er wird erzählt als der Revolutionär, der sich für moderne, im Zeichen der Aufklärung stehende Werte wie Gleichheit und Freiheit einsetzte und Kritik an der adligen und klerikalen Obrigkeit übte, weswegen er schließlich zur Emigration gezwungen war. Dazu wird denn auch seine politische Schrift, Der Hessische Landbote (1834), und nicht etwa literarische wie Woyzeck (1879) oder Dantons Tod (1835), ins Zentrum der Ausstellung gerückt, gleichwohl es sich hier um ein Autorenmuseum handelt (vgl. Kap. 6.3.1). Objekte sind dabei für das Funktionieren der Ausstellung von sehr geringer Bedeutung, wichtiger sind die kleineren Inszenierungen, die die erzählende Dar-stellung stützen (vgl. bspw. die Inszenierung von Büchners Schreibtisch). Die dazu eingesetzten Gegenstände müssen keine ‚Originale‘ sein, sondern erhalten lediglich innerhalb der Inszenierung ihre Funktion. Dass innerhalb der Ausstellungen konzeptionell auf das Zeigen von Objekten weitgehend verzichtet und ein davon unabhängiges Narrativ entwickelt wird, hängt unter anderem damit zusammen, dass diese als Leihgaben beschafft werden müssten, da die Museen des zweiten Typs in der Regel nur über wenige originale Stücke verfügen. Während die Typen 1, 2 und 4 sich im Wesentlichen auf die klassischen musealen Aufgaben konzentrieren, weisen die Museen des dritten Typs darüberhinausgehende Schwerpunkte auf, die in den Bereichen Veranstaltung und Eventisierung zu verorten sind. Das Raabe-Haus verfügt über ein solch umfangreiches literarischkulturelles Veranstaltungsprogramm, dass seine Arbeit mit derjenigen eines Literaturhauses vergleichbar ist. Das May-Museum hat hingegen eine Eventisierung sei-

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nes museumspädagogischen Programms vorgenommen, das sich in erster Linie an Kinder richtet. Indem beim Raabe-Haus die Veranstaltungen, die sich nur gelegentlich auf den Autor Raabe und seine Literatur beziehen, als Kern der Arbeit betrachtet werden können, sind es beim May-Museum Events wie Erlebnisführungen, Schatzsuche auf dem Erlebnispfad etc., die sich stets um indianische Aspekte und Abenteuer drehen. Beide Einrichtungen gehen mit ihrem Programm über das sonst übliche Normalmaß eines museumspädagogischen bzw. Veranstaltungsprogramms hinaus und entwickeln professionalisierte Strukturen, die sich sonst nur in anderen Bereichen finden: im Falle des Raabe-Hauses bei Literaturhäusern, beim MayMuseum in Freizeit- und Erlebnisparks. Diese Angebote werden nicht bloß zu dem Zweck entworfen, um die Schriftsteller/innen und ihre Literatur zu vermitteln, sondern scheinen sich mitunter von diesen sogar emanzipiert zu haben, so dass hier gänzlich andere Inhalte zum Tragen kommen. Im Raabe-Haus äußert sich dies in dem seltenen Einbezug des Autors und seiner Literatur in das Lesungs- und Veranstaltungsprogramm, während vor allem der Bereich der Gegenwartsliteratur bedient wird; im May-Museum wiederum wird es an der Forcierung auf die nordamerikanischen Indianer/innen deutlich. Die Literatur der Autoren spielt dabei nur eine nebengeordnete Rolle. Die literaturmusealen Einrichtungen treten folglich überwiegend durch über ihre eigentlichen Kernaufgaben hinausgehende Angebote in Erscheinung. Somit ist auch ihre Arbeit als kulturelle Einrichtung nur zum Teil mit erinnerungstheoretischen Ansätzen zu fassen. Zwar schwingen beispielsweise die Winnetou-Romane Mays in den vom Museum angebotenen Events immer mit, doch bilden sie letztlich in erster Linie den Aufhänger der Events. Zugleich scheinen diese Ausprägungen bei den beiden Beispielfällen auf sehr unterschiedliche Weise zustande gekommen und somit historisch bedingt zu sein: Zunächst als Raabe-Gedächtnisstätte eingerichtet, stand das Raabe-Haus in den 1990er Jahren kurz vor der Schließung. Nachdem die „FAZ“ schon titelte „Hungerkultur. Braunschweig verstößt Wilhelm Raabe“,4 wurden die Schließungspläne revidiert und das Konzept der Raabe-Gedächtnisstätte umgewandelt in eine Kombination aus Gedenkstätte, Museum und Literaturhaus. Dass der Arbeitsschwerpunkt gegenwärtig auf der Arbeit als „Literaturzentrum“ liegt, wird nicht nur an der Namensänderung und an dem breiten Veranstaltungsangebot sichtbar, sondern bspw. auch daran, dass Führungen mitunter von Ehrenamtlichen durchgeführt werden (vgl. Böttcher [Raabe-Haus], Abs. 62). Aufgabenbereiche aus literaturmuseal fernen Bereichen, die denen eines Literaturhauses entsprechen, werden also vom museumseigenen Personal übernommen, solche aber, die eigentlich zu den genuin musealen zählten, an Ehrenamtliche übergeben.

4

Schümer, Dirk: Hungerkultur. Braunschweig verstößt Wilhelm Raabe. In: FAZ (27.03.1995), S. 45, abgedruckt in: Biegel 2004, S. 26f.

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Beim May-Museum scheint die Entwicklung des Museums dahin, dass es den gegenwärtigen Erlebnis- und Abenteuerschwerpunkt aufweist, hingegen in der Literatur und Selbstinszenierung des Autors angelegt oder durch diese zumindest begünstigt gewesen zu sein. Diese Ausrichtung spiegelt sich auch in der Ausstellung: Indem vor allem Mays Selbstinszenierungen als Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi als narrativer Leitfaden durch die Ausstellung tragen, wird hier eine Verbindung geknüpft. Dies zeigt sich bspw. an den Erlebnisführungen, die versprechen, dass „May persönlich [...] seine selbst erlebten Geschichten vorträgt“.5 Das Museum ‚lebt‘ demgemäß von der Selbstinszenierung des Autors sowie seiner Sammelleidenschaft zu Lebzeiten – hätte May nicht schon selbst indianische und orientalische Objekte gesammelt, hätte wohl auch Patty Frank seine Sammlung nicht Mays Witwe in Radebeul angeboten und die „Villa Bärenfett“ in der damaligen Form wäre nicht gegründet worden. Diese Entwicklungen bilden den Grundstein für die gegenwärtige Arbeit des Museums. Mit ihren Schwerpunktlegungen im Veranstaltungsangebot sowie im Falle des May-Museums auch der Ausgestaltung des musealen Umfeldes (erlebnisparkähnliche Strukturen im die beiden Ausstellungsgebäude umgebenden Park) grenzen sich die beiden Einrichtungen von der Erinnerungspraxis ab, wie sie im Zuge der Assmannschen Erinnerungstheorie charakterisiert wird. Dort ist von „heiligen Orten“ die Rede, von Tempeln und einer sakralisierenden Erinnerung. Im Gegensatz dazu verfügen sowohl das Raabe-Haus als auch das May-Museum zwar über historischauthentisch wiedereingerichtete Räume, doch stehen sie nicht im alleinigen Fokus der Erinnerungsarbeit der Einrichtungen. Vielmehr sind die Arbeit des RaabeHauses als Literaturhaus sowie des May-Museums mit seinen erlebnisorientierten Angeboten als mindestens gleichberechtigt, wenn nicht sogar als Kern ihrer Arbeit zu betrachten. Damit legen sie einen Schwerpunkt in Bereichen, wie sie mitunter als „Disneysierung“ und „McDonaldisierung“ von Museen beschrieben worden sind (vgl. Kap. 3.5) und rücken ab von einer rein personalen oder gar sakralisierenden Erinnerungsweise. Darüber hinaus spiegelt sich in den vier Typen – ähnlich wie in den von Peter Seibert (2011) entwickelten Typen literarischer Ausstellungen (vgl. Kap. 2.3) – die historische Entwicklung der musealen Institutionen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dabei ist Typ 1, die literaturmuseale Einrichtung zur Erhaltung des historisch-authentischen Ortes diejenige mit der längsten Tradition, denn bei den ersten Dichterinnen und Dichtern geweihten Einrichtungen handelte es sich um literarische Gedenkstätten bzw. Memoriale, die ganz im Sinne der Dichterverehrung (vgl. Braungart 2004) im 19. Jahrhundert den auratisch aufgeladenen Dichter-

5

„Erlebnisrundgang mit Karl May“ (Webseite des Karl-May-Museums [http://www.karlmay-museum.de/web/start.php? lang=de&kID=111, zuletzt abgerufen am 23.01.2014]).

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Ort zugänglich machen sollten. „Das neunzehnte Jahrhundert kennt Literaturmuseen im engeren Sinne noch nicht, denn Dichterhäuser sind Personen gewidmet, dem Personengedenken, nicht der Auseinandersetzung mit Literatur“ (Kahl 2015., S. 266). Um 1900 kam dann ein weiterer Bereich zu den literaturmusealen Aufgaben hinzu: Es wurden größere Sammlungen angelegt, die auch erforscht wurden.6 Hier waren insbesondere die Handschriften, daneben die Korrespondenzen und anderen überlieferten Texte und Dokumente der Schriftsteller/innen von wissenschaftlichem Interesse.7 In der Gegenwart werden literaturmuseale Forschungsbereiche weiter gefasst. Sie umfassen neben den genannten Bereichen eine historische Kontext- und Rezeptionsforschung, die über den rein literarischen Bereich hinausgeht und auch bildkünstlerisches Material einbezieht. Dieser Teil ihrer Erinnerungsarbeit ist als „wissenschaftlich-diskursiv[...]“ (Erll 2005, S. 35) zu beschreiben, da sich die Einrichtungen erstens aktiv an der Erforschung und damit Produktion wissenschaftlicher Ergebnisse beteiligen und zweitens auch in ihren Ausstellungen weniger emotionale oder affektive, sondern wissenschaftsnahe, objektiv-rationalisierende Zugangsweisen wählen, als dies bei den Gedenkstätten der Fall ist.8 Wie in Kap. 8.1.3 beschrieben, wäre ein weiterer Typ literaturmusealer Einrichtungen denkbar: das wissenschaftsorientierte Museum. Ein solcher Fall befand sich nicht im vorliegenden Sample, allerdings lässt er sich historisch nachweisen. Viele der gegenwärtig den literaturmusealen Allroundern zuzuordnenden Häuser wären in ihrer Vergangenheit diesem Typus zugehörig gewesen. Das liegt daran, dass die museumspädagogischen sowie die über wissenschaftsnahe Veranstaltungen hinausgehenden Angebote erst später hinzukamen. Von zentraler Bedeutung für die Arbeit eines wissenschaftsorientierten Museums, aber auch die wissenschaftliche Arbeit eines literaturmusealen Allrounders ist dabei stets das Vorhandensein einer eigenen Sammlung, die als Fundament für die Forschungsarbeit anzusehen ist. Historisch bedeutsam ist diese Weiterentwicklung in dreierlei Hinsicht: Zum einen deshalb, weil die Museen damit selbst Forschungsaufgaben in literatur-, geschichts- und schließlich auch kulturwissenschaftlichen Bereichen übernommen haben; zum anderen, weil

6

Den Anfang machte hier das Goethe- (und Schiller-) Archiv als „Handschriftenmuseum“.

7

Dieser neu hinzugekommene Wissenschaftsschwerpunkt manifestierte sich parallel auch

Vgl. dazu Rosenbaum 2012, S. 111ff. in der Forderung Wilhelm Diltheys von 1889 nach Archiven für die Literatur. 8

Dies wird bei diesen Einrichtungen auch an den wissenschaftsnahen Veranstaltungsformaten wie Tagungen, Vorträgen, fachnahen Sonderausstellungen und in der Museumspädagogik Veranstaltungsthemen, die sich am Wissenschaftsdiskurs orientieren – nicht z.B. am „Erlebbarmachen von Literatur“ – und wissenschaftlichen Standards zu genügen haben, deutlich.

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zum ersten Mal planvoll gestaltete Ausstellungen entstehen, die sich vom rein authentischen Ort emanzipieren und sogar – wie das Handschriftenmuseum in Weimar – unabhängig von diesem existieren können. Und drittens, da im Gegensatz zu den Gedenkstätten nun eine Auseinandersetzung mit dem ausgestellten Gegenstand zustande kam und die Einrichtungen nicht mehr bloß der Huldigung im Sinne eines Dichterkultes dienten. In den ausstellungsbetriebsorientierten Museen zeigt sich demgegenüber ein verändertes Verständnis literaturmusealer Einrichtungen, besonders aber deren Ausstellungen – denn die Museen des Typs 2 existieren oftmals unabhängig von historisch-authentisch wiedereingerichteten Räumlichkeiten und größeren Sammlungen. Thomas Thiemeyers These – „Das Konzept einer Ausstellung wird wichtiger, die Bedeutung der Sammlungen nimmt ab“ (Thiemeyer 2011, S. 62) – ist in diesem Zusammenhang zuzustimmen, geht es diesem literaturmusealen Typ doch nicht primär um das Sammeln und Aus-stellen von Objekten, sondern um die Darstellung und museale (!) Vermittlung. Möglich geworden ist solch eine Form des Museums, das nicht mehr in erster Linie auf dem Vorhandensein einer Sammlung fußt, sondern sogar ohne sie existieren kann, durch die Erweiterung musealer Aufgabenbereiche im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die einen Verzicht auf Objekte auch im Museum zugunsten didaktischer Entscheidungen legitimieren. An prominenter Stelle zu nennen wäre hier die Museumspädagogik, denn „[d]er kulturpolitische Auftrag von Museen wird spätestens seit den 1970er Jahren nicht mehr nur im Sammeln, Bewahren und Erforschen von Objekten, die für eine Gesellschaft von Bedeutung sind, gesehen. Vielmehr geht es auch darum, das in den Objekten manifestierte Wissen möglichst vielen Mitgliedern dieser Gesellschaft zu vermitteln“ (vgl. Mandel 2008, S. 76).

Die erlebnis- und veranstaltungsorientierten literarischen Museen sowie die literaturmusealen Allrounder sind als die jüngsten der vier Typen anzusehen. Die literaturmusealen Allrounder sind dabei die am weitesten ausdifferenzierten und professionalisierten Museumstypen. Sie setzen alle fünf in der Museums-Definition des ICOM zugrunde gelegten Aufgabenbereiche weitestgehend paritätisch um, so dass neben dem Bewahren, Erforschen und Präsentieren des kulturellen Erbes ein nach Adressatengruppen ausdifferenzierter Vermittlungsschwerpunkt hinzukommt. Dazu benötigen sie nicht nur die entsprechenden finanziellen und materiellen Mittel, sondern auch eine professionalisierte und ausdifferenzierte Personalstruktur. Die Bindung solch umfangreicher Mittel sind dem Kernkanon angehörenden „Großschrift-

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stellern“, wie sie Burckhard Dücker (2011, S. 46) bezeichnet, vorbehalten.9 Aufgrund ihrer Arbeitsteilung sowie des breiten Spektrums der übernommenen Aufgabengebiete sind sie vergleichbar mit anderen modernen Dienstleistungseinrichtungen. Typ 3, das erlebnis- und veranstaltungsorientierte Museum, scheint wiederum ein Spezialfall neuerer Entwicklungen zu sein, der auf die mitunter veränderte Nachfrage nach Unterhaltung und Entertainment reagiert. Diese Einrichtungen bieten über die als mittlerweile traditionell zu bezeichnenden literaturmusealen Veranstaltungsangebote wie Führungen, museumspädagogische Angebote und Veranstaltungen, die sich auf die ausgestellte Schriftstellerpersönlichkeit und ihre Literatur beziehen, hinausgehende Formate an. Diese reichen teilweise weit über den eigentlichen Ausstellungsgegenstand hinaus – andere Dichter/innen, Gegenwartsliteratur, kulturhistorische Fragen – bzw. bringen eine neue Qualität und/oder Quantität hinsichtlich der Veranstaltungen mit sich. Darüber hinaus erfahren auch die Ausstellungen selbst bedeutende Neuerungen, die auf eine neue Generation kulturtouristischer Präsentationsformen verweisen. Beispielhaft aufzuführen sind unter den analysierten Fällen in diesem Zusammenhang das Raabe-Haus mit seinem seit der Jahrtausendwende aufgebauten Schwerpunkt als Literaturhaus sowie das MayMuseum, das sowohl ausstellungstechnisch als auch mit seinen Veranstaltungen einen erlebnisorientierten Ansatz verfolgt.

9.2 GEGENWÄRTIGE TENDENZEN IN DER PERSONALEN, LITERATURMUSEALEN ERINNERUNG Im Zuge der Kurzzusammenfassung der historischen Entwicklung und Ausdifferenzierung der verschiedenen Typen literarischer Museen und Gedenkstätten (vgl. Kap. 9.1) schienen bereits einige der jüngeren Entwicklungen auf. Als zentrale Tendenzen der letzten Jahre innerhalb der personalen, literaturmusealen Landschaft sind 1. die geringere Bedeutung von Sammlungen, 2. der Wandel der Ausstellungen vom Aus-stellen hin zum Dar-stellen und Inszenieren, 3. die Ausweitung der literaturmusealen Aufgabenbereiche sowie 4. die abnehmende Bedeutung der Dichter/innen als Kernstück der literaturmusealen Vermittlungsinhalte zu nennen. Im Jahre 1990 konstatiert Krzysztof Pomian noch:

9

Dücker bezeichnet diese Häuser zugleich als „erfolgreich[...]“; zu ihnen zählt er die Gedenkstätten der Klassik Stiftung Weimar, das Goethehaus in Frankfurt am Main, Schillers Geburtshaus in Marbach am Neckar und das Buddenbrookhaus in Lübeck. Was diese jedoch genau dazu qualifiziert und von anderen unterscheidet, führt er nicht aus.

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„Jedes Museum ist natürlich eine Sammlung. [...] Ein Museum ist ein Ausstellungsort und nichts anderes. Alle Aktivitäten, die in ihm Platz finden, wie Restauration, Forschung, Lehre, Konzerte, Diavorführungen, Vernissagen, sind einem letzten Zweck untergeordnet, nämlich dem Publikum Kunstwerke unter den bestmöglichen Bedingungen zu zeigen“ (Pomian 1990, S. 50f.)

Wenngleich sich Pomian hier offensichtlich auf Kunstmuseen bezieht, trifft er doch eine verallgemeinernde Aussage, indem er für „jedes Museum“ definiert, dass es eine Sammlung sei. Wie in Kap. 2.1 gezeigt, liegt zwar der Ursprung des Museums in Sammlungen, doch verliert Pomians verallgemeinernde Aussage an Gültigkeit angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre. So verfügen die ausstellungsbetriebsorientierten Museen (Typ 2) vielfach nicht über eine (umfangreichere) Sammlung, aber auch Museen eines anderen Typs können ohne das Vorhandensein einer Sammlung gegründet werden oder Bestand haben, ohne dass das Sammeln zu einem ihrer schwerpunktmäßigen Aufgabengebiete zählen würde (1.). So formuliert Gfrereis prägnant: „Literaturausstellungen sind in den letzten Jahren immer weniger an einzelne Orte und Gegenstände geknüpft. Hinter ihnen steht längst nicht immer ein Archiv, eine Bibliothek oder ein Dichterhaus“ (Gfrereis 2015, S. 43). Beispielhaft kann hier das Erich Kästner Museum in Dresden aufgeführt werden. Eine Art Prototyp des Museums – das „Doppelte Lottchen K1“ – wurde im Vorhinein der Museumsgründung an verschiedenen Orten gezeigt, um finanzielle Mittel zu akquirieren; originale Objekte gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht (vgl. O’Brien 2006, S. 73). Zwar verfügt es mittlerweile über weit mehr als 1000 Objekte, doch sind diese für das Museum nicht maßgebend, denn den Schwerpunkt bildet die Vermittlungsarbeit. Dies gilt nicht nur für die vom Kästner Museum organisierten Veranstaltungen, sondern auch für die Ausstellung, für die das architektonischdidaktische Ausstellungskonzept (vgl. dazu auch Kap. 6.1.4) von weit größerer Bedeutung ist als die dort ausgestellten Objekte. Darüber hinaus ist auch der Ort der Unterbringung – das ehemalige Wohnhaus Kästners Onkels – erst im Nachhinein der Gründungsbestrebungen bestimmt worden und für das Museum nicht konstitutiv (vgl. O’Brien 2006, S. 73). Wenn Sammlungen allerdings nicht mehr konstitutiv für Museen sind, geht damit auch eine Veränderung der grundlegenden Merkmale musealer Einrichtungen einher. Das literarische Museum, das über ein Archiv zu verfügen hätte, das dem Assmannschen Speichergedächtnis gemäß Objekte der Vergangenheit sammelt, erforscht und ausstellt, existiert nicht mehr notwendigerweise in dieser Form und nimmt damit eine Verlagerung seiner Aufgabenschwerpunkte vor. An die Stelle des Sammelns und Forschens treten Vermittlungsaufgaben. Es entwickeln sich neue Vermittlungsweisen und Veranstaltungsformate (vgl. dazu 2. und 3.). Damit wandeln sich zugleich die Formen der Erinnerung, wie an den Tendenzen gegenwärtiger Präsentationsformen in den Ausstellungen nachvollziehbar wird.

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Innerhalb der gewandelten Vermittlungen in den Ausstellungen (2.) sind insbesondere zwei Veränderungen zu nennen: Erstens – und dies steht in engem Zusammenhang mit der abnehmenden Bedeutung der Sammlungen (1.) – verzichten Ausstellungen in (personalen) literarischen Museen zunehmend auf Originale, da „vom Museumsbesuch heute mehr als die Bereitstellung von authentischen Objekten“ (Mandel 2008, S. 85) erwartet wird. Statt also die Konzeption der Ausstellungen an (den vorhandenen) Objekten auszurichten, orientiert man sich an Themen oder der zu erzählenden Biographie des Autors bzw. der Autorin. Es werden nicht mehr im eigentlichen Sinne Objekte aus-gestellt, sondern inhaltliche Themen- und Fragestellungen dar-gestellt. Natürlich wird dabei in der Regel nicht gänzlich auf Objekte verzichtet, doch erhalten sie vielfach lediglich die Rolle eines Beiwerks als Belege oder im Kontext von Inszenierungen (vgl. Kap. 6.2). In der Ausstellung des Büchnerhauses bspw. sind im Hauptdurchgang im Erdgeschoss nur sehr wenige Objekte eingebunden. Bei den wertvollen Originalen, die in der Ausstellung gezeigt werden, handelt es sich um Leihgaben und sie liegen im Obergeschoss in abgedeckten Vitrinen. Sie haben sowohl hinsichtlich ihrer räumlichen Positionierung innerhalb der Ausstellung als auch inhaltlich-konzeptionell mit Blick auf die in der Ausstellung entfaltete Erzählung eine Randstellung. Für die Hauptausstellung sind die Objekte hier also genauso wenig existentiell wie im Kästner Museum (s.o. unter 1.). Zweitens liegt stattdessen auch im Büchnerhaus neben der schriftlich entfalteten Erzählung ein Schwerpunkt auf den begleitenden, illustrierenden Inszenierungen. Inszeniert werden der Familientisch im Hause Büchner, die Flucht Büchners nach dem Verfassen des Hessischen Landboten sowie sein Leben im Exil (vgl. Kap. 6.3.1). Aber auch in literaturmusealen Allroundern, die über umfangreiche Sammlungen verfügen, gewinnen Inszenierungen in den Ausstellungen an Bedeutung: im Lessing-Museum anhand kleinerer ‚Bilder‘ (vgl. Kap. 6.3.2), im Kleist-Museum in umfangreichen Raum-Klang-Inszenierungen, bei denen sich die Inszenierung vom Boden über die Wände bis zur Decke erstreckt und sogar akustische Elemente einbezieht (vgl. Kap. 6.3.5). Diese Entwicklung hat in den vergangenen Jahrzehnten für Kontroversen in der literaturmusealen Ausstellungslandschaft gesorgt, ist doch mit ihr die Frage danach verbunden, ob ‚gute‘ Ausstellungen ohne das Vorhandensein guter bzw. besonderer Objekte möglich sind. Hannelore Schlaffer, eine Verfechterin der These, dass die Objekte unverzichtbar sind und zum Kern eines jeden Museums gehören sollten, übte zum Beispiel harsche Kritik an sämtlichen inszenierenden, aber auch ‚informierenden‘ Ausstellungen: „Die literarische Ausstellung ist kein literaturgeschichtlicher Lehrpfad; ihr Wert liegt durchaus nicht in der zuverlässigen Information und Weiterbildung des vorgebildeten Lesers. Ihr Reiz liegt in der Archäologie verschollener, beiseitegelegter Materialien“ (Schlaffer 1990, S. 366).

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Museen wie ihre Ausstellungen und deren Didaktik werden in einer solchen Sichtweise ausschließlich vom Objekt her gedacht. Wird dieses jedoch nicht mit Informationen versehen, muss es für die Besucher/innen weitgehend bedeutungslos bleiben. „Keine konzeptionell bewußte literaturmuseale Präsentation wird ohne kommentierende Leittexte auskommen. Die Selbstdarstellungskraft der Objekte ist im Literaturmuseum doch erheblich geringer als in anderen Museen“ (Barthel 1991, S. 63). Olaf Mückain, der Leiter des Nibelungenmuseums in Worms, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Ein Text ist ein beliebig oft reproduzierbarer Bedeutungsträger, dessen Gehalt und ästhetische Formgestalt durch eine Vervielfältigung keine Veränderung erfahren. Während Realien im Museum als Semiophoren, (Krysztof Pomian) d.h. als gegenständliche Sinnträger eingesetzt werden, die mehrere Sinne beim Rezipienten aktivieren, handelt es sich bei der Schrift um abstrakte Zeichen, die unmittelbar auf die Vorstellungskraft einwirken. [...] Daraus folgt, dass ein Literaturmuseum seine Ausstellung nicht unbedingt mit Exponaten bestücken muss, sondern sich ganz auf seinen Inhalt konzentrieren kann“ (Mückain 2008, S. 17).

Ihm zufolge geht die Notwendigkeit von Objekten also aufgrund der Gattung ‚Literaturmuseum‘, deren Gegenstand abstrakt ist, verloren. Dass Museen traditionell Einrichtungen sind, die Objektsammlungen anlegen, erforschen und präsentieren, wird hier ausgeklammert. Mit den gewandelten Präsentationsformen liegt allerdings nicht nur eine veränderte Ausstellungspraxis vor, sondern literaturmuseale Rezeptionsweisen wie auch ihre -funktionen wandeln sich. Die Museen sind nicht mehr in erster Linie Orte, an denen ihre Sammlungen präsentiert und bestaunt werden, sondern sie verstehen sich als Dienstleister in der (informierenden) Vermittlung. Indem die Objekte seltener in die Ausstellungen einbezogen werden, ergibt sich jedoch eine janusköpfige Entwicklung: einerseits erhalten die Objekte eine geringere Stellung und sind als authentisch-auratische Zeugen der Vergangenheit innerhalb der Ausstellungskonzeptionen weniger bedeutsam, andererseits erfahren diejenigen Gegenstände, die noch gezeigt werden, eine deutliche Aufwertung, da sie so über einen exponierten Status verfügen. Gezeigt werden in erster Linie Objekte, die den Relikten zuzuordnen sind und die einen reliquienartigen Stellenwert genießen oder für das Schreiben der Dichter/innen von Relevanz waren – z.B. eine Schreibmaschine (im Hesse-Museum in Calw), Tintenfass und Federhalter (Storm-Haus in Husum) oder ein Schreibpult (Goethe-Haus in Frankfurt am Main). Indem vor allem solche Reliquien präsentiert werden und eben nicht Dokumente, die als Flachware und oftmals in für die Besucher/innen unleserlichen Handschriften ohnehin nur schwer zugänglich sind, erhalten erstere einen sakralisierten Stellenwert. Schließlich finden sich unter den literarischen Museen immer häufiger erweiterte Aufgabenbereiche (3.), die über die als klassisch zu bezeichnenden – Sammeln,

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Ausstellen, Forschen, Vermitteln – auf verschiedene Art und Weise hinausreichen. Diese Entwicklung hängt unter anderem mit dem Druck auf kulturelle Einrichtungen zusammen, die sich nicht selbst finanziell tragen können, denn „Kultureinrichtungen geraten im Zuge abnehmender bzw. stagnierender öffentlicher Gelder für Kultur unter Legitimations- und finanziellen Druck. Sie sind zunehmend darauf angewiesen, Eigeneinnahmen zu erzielen – bei gleichzeitigem Wegbrechen ihres Stammklientels, des traditionellen Bildungsbürgertums, für das der Kulturbesuch zum selbstverständlichen Bestandteil ihres Lebensstils gehörte“ (Mandel 2008, S. 75).

Dies gilt insbesondere für Neugründungen der letzten Jahre, da diese neu einzurichtenden Museen angesichts der Vielfalt kultureller Einrichtungen unter Rechtfertigungsdruck geraten, warum ein weiteres Museum gegründet werden sollte, das öffentlicher Gelder bedarf. Bei der Neugründung des Grass-Hauses wurden die durch seine Einrichtung entstehenden Kosten sowie der Mehrwert eines solchen Museums offen diskutiert. Zur Voraussetzung für seine Gründung wurden ein innovatives, neuartiges Gesamtkonzept, das bei seiner Arbeit nicht nur den Autor Grass alleine berücksichtigen sollte, sowie Kostenneutralität bei der Einrichtung des Hauses gemacht (vgl. Kap. 8.2.5). So wurde das Grass-Haus von vorneherein weder als rein personales, noch rein literarisches Museum geplant. Der Beiname „Forum für Literatur und Bildende Kunst“ nennt neben der Literatur bereits den zweiten Schwerpunkt. Begründet wird der Einbezug der bildenden Kunst mit Grass’ Doppelbegabung. Diese wurde bislang in allen Dauerausstellungen berücksichtigt, indem Grass’ Werk stets im Hinblick auf seine Literatur wie seine bildenden Kunstwerke betrachtet worden ist, da diese ineinandergreifen und sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Doch auch die Sonderausstellungen werden überwiegend mit Doppelund Mehrfachbegabungen bestritten. Nur ein Teil der Sonderausstellungen richtet sich auf den Namensgeber des Hauses, der andere stellt neben Grass weitere Doppel- und Mehrfachbegabungen aus. Dies birgt den großen Vorteil, dass Einfach- zu Mehrfachbesucher/innen des Hauses werden können, auch wenn sie die Dauerausstellung bereits gesehen haben, ebenso wie Besucher/innen gewonnen werden, die ggf. nicht wegen des Autors Grass gekommen wären, aber angelockt durch die sie interessierende Sonderausstellung den Weg ins Grass-Haus finden. Mit dem May-Museum ist darüber hinaus im Sample ein Fall gegeben, der sich sogar zu einem großen Teil selbst finanziert: „Wichtig ist, und das unterscheidet uns von staatlichen Museen generell, dass wir uns natürlich auch als eine Art touristische Einrichtung empfinden, weil wir das Geld im Wesentlichen auch selber erarbeiten. Wir haben einen Eigenerwirtschaftungsgrad von über 60 oder 65%, also zwei Drittel. Staatliche Museen, selbst wenn sie gut arbeiten, in der Regel nicht über 10%, wenn überhaupt“ (Wagner [May-Museum], Abs. 54).

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Hierin manifestiert sich überdies bereits ein erweitertes Selbstverständnis der Einrichtung. Diese wird über klassisch-museale Aufgaben hinaus „als eine Art touristische Einrichtung“ begriffen. Das bedeutet hier, dass neben bildungsorientierten Angeboten vor allem event- und erlebnisorientierte gemacht werden. Darüber hinaus hat das May-Museum sein Spektrum deutlich über die klassischen Museumsbesucher/innen hinaus erweitert: Während von personalen, literarischen Museen hauptsächlich Erwachsene angesprochen werden und keine oder nur eine teilweise Aufbereitung für Kinder und Jugendliche erfolgt, deckt das May-Museum ebendiesen Bereich ab. Dabei finden nicht nur erlebnisorientierte, kindgerechte Programme Berücksichtigung, sondern auch die Ausstellung – dies gilt überwiegend für den Ausstellungsteil in der „Villa Bärenfett“ – und das gesamte Parkgelände zwischen den zwei Ausstellungsgebäuden sind auf Familien als Besucher/innen ausgerichtet. So befinden sich in letzterem neben vielen Skulpturen aus dem Feld der WesternLiteratur ein Karl-May-Erlebnispfad, die museumspädagogische „Villa NschoTschi“, zuletzt eingerichtet die „Goldwäsche am Silbersee“10 sowie für die Sommermonate ein Barbecue-Stand. Auf diese Weise kommt es zur Integration „imaginativ-fiktive[r] Strategien“ (Erll 2005, S. 35), mit deren Hilfe Literatur erlebbar gemacht werden soll (vgl. Kap. 8.2.3). Das May-Museum kommt mit diesem breiten kulturtouristischen Spektrum der Forderung nach, dass Kultur, wenn sie erfolgreich vermittelt werden wolle, Spaß machen (vgl. John 2008, S. 36), „niedrigschwellig sein [...] und zugleich außeralltägliche Erlebnisse ermöglichen“ (Mandel 2005, S. 17) müsse. Hartmut John weist zugleich jedoch auch darauf hin, dass eine reine Eventisierung ohne umfassende, nachhaltige und strategische Planung weder zielführend sei, um die Besucherklientel zu erweitern, noch das Stammpublikum auf Dauer zu halten (vgl. John 2008, S. 29). Weit häufiger ist im Gegensatz zu der umfassenden kulturtouristischen Ausrichtung des May-Museums allerdings der Ausbau einzelner Aufgabenbereiche. So konzentrieren sich die meisten literaturmusealen Einrichtungen auf ihr Hauptaufgabenfeld, die Literatur – wenngleich sie dabei nicht allein bei ihren Namensgebern und -geberinnen bleiben. Einer der am häufigsten vorzufindenden Schwerpunkte, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten herausgebildet haben, ist die Kombination aus literarischem Museum und Literaturhaus. Seit der zunehmenden Verbreitung von Literaturhäusern, bei denen es sich noch um recht junge literaturvermittelnde Einrichtungen handelt,11 werden zunehmend die Synergieeffekte genutzt und muse-

10 „Etappen zur Realisierung der Zukunftsvision“ (Webseite des Karl-May-Museums [http://www.karl-may-museum.de/ web/start.php?lang=de&kID=110, zuletzt abgerufen am 08.06.2016]). 11 „Das erste Literaturhaus im strengeren Sinn, mit dem auch die Bezeichnung geboren war, wurde erst 1986 in Berlin-Charlottenburg eröffnet“ (Johannsen 2013, S. 212).

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ale Aufgabenbereiche mit denjenigen von Literaturhäusern verknüpft. Lesungen, literarische Inszenierungen (bspw. durch musikalisch begleitete Inszenierungen von Literatur) sowie Metaveranstaltungen zu Literatur wie Fachvorträge, Diskussionen u.ä. gehörten zwar schon länger zum Repertoire literarischer Museen, doch entwickeln sie sich erst in den letzten Jahren zu gleichberechtigten Aufgabenschwerpunkten neben dem literaturmusealen Bereich. Dies spiegelt sich zum einen in der Quantität der Veranstaltungen, zum anderen aber auch in den vielfältigeren Veranstaltungsarten sowie der dort vorkommenden Literatur. Denn indem sich die Museen nicht vorwiegend auf die Literatur der von ihnen ausgestellten Autorinnen und Autoren bzw. deren zeitgenössisches literarisches Umfeld beziehen, sondern mehrheitlich Gegenwartsliteratur zum Tragen kommt, übernehmen die Einrichtungen nicht mehr nur die Aufgabe, ihren Gegenstand aktiv zu vermitteln. Sie eignen sich vielmehr den Vermittlungsauftrag von Literaturhäusern an, „Orientierung in der längst unüberschaubar gewordenen Menge an Neuerscheinungen“ (Johannsen 2013, S. 212) zu bieten. Auf diese Weise locken die Museen ein deutlich breiteres Publikum in ihre Häuser, als es ihnen mit dem musealen Bereich möglich wäre, denn „Lesungen werden nicht nur von denen besucht, die sich für Literatur interessieren, sondern auch von jenen, für die das Bücherlesen eigentlich viel zu anstrengend ist und die deshalb eigentlich lieber ins Kino oder auf Konzerte gehen“ (Porombka 2005, S. 211). Eine entsprechende Umwandlung wie das Raabe-Haus: Literaturzentrum Braunschweig (vgl. Kap. 9.1) erfuhr zum Beispiel auch das Literaturhaus Magdeburg.12 Dieses wurde zunächst 1961 als Erich-Weinert-Museum eingerichtet. Nachdem in den 1990er Jahren dann einem weiteren Autor, Georg Kaiser, eine Ausstellung gewidmet wurde, erweiterte das Museum seinen Gegenstandsbereich: Die „Erbepflege, die Sammel- und Forschungstätigkeit wurde auf Autoren der Region, Autoren aus Sachsen-Anhalt, ausgeweitet.“13 Daneben wurde ein umfassendes Veranstaltungsprogramm umgesetzt, das sich auf die Formate von Literaturhäusern konzentrierte. Deshalb war „es ein folgerichtiger Schritt, als im Januar 2005 ein Verein, der Literaturhaus Magdeburg e.V., die Trägerschaft für das Literaturhaus übernahm“ (ebd.). Das Literaturhaus Magdeburg ist damit nicht nur ein Beispiel dafür, wie sich neben den literaturmusealen Aufgaben solche als Literaturhaus etablieren, sondern auch, dass immer häufiger nicht mehr nur ein einzelner Autor oder eine einzelne Autorin im Zentrum der Arbeit stehen, sondern mehrere. Ein weiteres

12 2005 vom Verein Literaturhaus Magdeburg e.V. übernommen; Ausstellung zu Erich Weinert und seit den 1990er Jahren auch Georg Kaiser. 13 „Die Geschichte des Literaturhauses Magdeburg“ (Webseite des Literaturhauses Magdeburg

[http://www.literaturhaus-magdeburg.de/das-literaturhaus/geschichte-des-hauses.

html, zuletzt abgerufen am 08.06.2016]).

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Beispiel für die Verbindung literaturmusealer Tätigkeitsfeder mit solchen von Literaturhäusern im Nachhinein der Gründung ist das Kästner Museum Dresden.14 Daneben lassen sich bei Neugründungen in den letzten 20 Jahren ähnliche Schwerpunktlegungen feststellen, bspw. beim Koeppenhaus (2003), beim Literaturhaus „Uwe Johnson“ (2006) oder beim Brigitte-Reimann-Literaturhaus (1999). Bereits die Namensgebung der Häuser verrät eine Distanzierung vom klassisch-personalen, literarischen Museum. Zwei der Einrichtungen tragen sogar im Gegensatz zum „Museum“ die Bezeichnung „Literaturhaus“ im Namen;15 das Koeppenhaus erhielt einen neutralen Namen, der lediglich auf den Autor rekurriert, nicht aber die Art der Einrichtung benennt. Das Literaturhaus „Uwe Johnson“ wird schon auf der Homepage als „kein klassisches Dichterhaus“ beschrieben, worauf „bereits der Umstand, dass die Ausstellung in einem nicht auratisch besetzten Haus eingerichtet worden ist“,16 hinweise. Wenngleich das Brigitte-Reimann-Literaturhaus zwar an dem Ort erbaut wurde, an dem sich ihr ehemaliges Wohnhaus befand, so gilt dies auch für dieses. Damit liegen für jüngere Gründungen schon zwei Fälle vor, bei denen eine literaturmuseale Einrichtung nicht in einem ehemaligen Dichterhaus eingerichtet wurde – gleichwohl dies beim Brigitte-Reimann-Literaturhaus intendiert wurde, aber nicht realisiert werden konnte, da das Gebäude bei den Sanierungsarbeiten einstürzte. Offenbar war die Einrichtung allerdings bereits vor dem Einsturz als Literaturhaus und nicht als rein personales Literaturmuseum geplant.17 In Anbetracht der

14 2000 Museumseröffnung; seit 2004 neben Museum auch Dresdner Literaturbüro (Förderverein für das Erich Kästner Museum e.V. gegründet am 25.01.1999, seit 2004 Förderverein für das Erich Kästner Museum/Dresdner Literaturbüro e.V.); vgl.: Förderverein des Kästner Museums Dresden (Webseite des Kästner-Museums [http://www.erichkaestner-museum.de/foerderverein/, zuletzt abgerufen am 12.09.2016]). 15 Vgl. dazu auch die veränderte Namensgebung derjenigen Häuser, die bereits bestanden, aber umgewandelt wurden: Raabe-Haus: Literaturzentrum Braunschweig sowie das Literaturhaus Magdeburg. Darüber hinaus trägt bspw. auch das Grass-Haus, welches sich durchaus primär musealen Aufgaben widmet, nicht die Bezeichnung „Museum“ im Namen, sondern ebenfalls neutral „Haus“ und „Forum“, so dass die Arbeitsbereiche im Namen letztlich offengehalten werden. 16 Zur Ausstellung im Literaturhaus „Uwe Johnson“ (Webseite des Uwe Johnson Literaturhauses [http://www.literaturhaus-uwe-johnson.de/index.php?id=ausstellung, zuletzt abgerufen am 20.04.2016]). 17 Vgl. dazu: „Dieses ehemalige Wohnhaus von Brigitte Reimann sollte, so hatte es die Ratsversammlung Neubrandenburgs 1993 beschlossen, zu einem Literaturhaus für die Stadt umgebaut werden. Doch das Gebäude aus dem Jahr 1914 stürzte bei den Sanierungsarbeiten ein und musste vollständig abgerissen werden“ (Brigitte Reimann Litera-

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Tatsache, dass personale, literarische Museen und Gedenkstätten in der Vergangenheit, wenn möglich, am authentischen Ort eingerichtet wurden, ist diese Entwicklung überaus bedeutsam. Auch die Konzepte unterscheiden sich von denjenigen literarischer Museen, die primär die von der ICOM definierten, als klassisch museal zu bezeichnenden Aufgabengebiete abdecken. So wird in einem der zentralen Absätze des Literaturhauses „Uwe Johnson“ weder festgehalten, dass das Sammeln zu einer der Hauptaufgaben gehört, noch, dass der Autor in Ausstellungen bekannt gemacht werden soll: „In diesem Sinne will der Verein dazu beitragen, dass über das Literaturhaus „Uwe Johnson“ das literarische Wirken von Uwe Johnson der Bevölkerung ebenso vermittelt wird, wie den nationalen und internationalen Besuchern sowie den Kulturtouristen unserer Region. Die Aufgabe des Literaturhauses und damit auch die des Fördervereins ist darüber hinaus die Vermittlung von Literatur, die Vorstellung bekannter und unbekannter Autoren sowie die Auseinandersetzung mit dem Umgang mit Sprache. Das Literaturhaus „Uwe Johnson“ ist sowohl literarische Plattform für Autoren, die sich mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinandersetzen als auch ein Forum für Autoren der Gegenwartsliteratur und unterstützt diese in ihrem Wirken. Der Förderverein unterstützt alle Aktivitäten des Literaturhauses „Uwe Johnson“, die einen Beitrag zum literarisch-kulturellen Leben und zur Diskussion gesellschaftlicher Fragen leisten sowie alle Bemühungen des Literaturhauses „Uwe Johnson“, die der Steigerung der regionalen Identität dienen“ (Satzung des Fördervereins Literaturhaus „Uwe Johnson“ Klütz e.V.).18

Stattdessen ist in allgemeiner Weise von der Vermittlung der Literatur des Autors Johnson wie aber auch anderer Schriftsteller/innen die Rede. Auch in der Beschreibung des Koeppenhauses wird derjenige Teil des Hauses, bei dem es sich um die Koeppen-Ausstellung handelt (Münchner Zimmer) erst an letzter Stelle genannt, zuerst wird hingegen auf den Veranstaltungsraum und seine Nutzungsweisen sowie das Literaturcafé und die Galerie eingegangen.19

turhaus Neubrandenburg [http://www.literaturzentrum-nb.de/002.html, zuletzt abgerufen am 08.06.2016]). 18 Satzung des Fördervereins Literaturhaus „Uwe Johnson“ Klütz e.V. (Webseite des Uwe Johnson Literaturhauses [http://www.literaturhaus-uwe-johnson.de/Satzung.pdf, zuletzt abgerufen am 13.09.2016]). 19 „Das Literaturzentrum umfasst einen Veranstaltungsraum, in dem wöchentlich Lesungen, Vorträge und Konzerte oder auch literatur- und kulturwissenschaftliche Tagungen stattfinden, ein Literaturcafé, eine Galerie, in der Wechselausstellungen aus dem Spannungsfeld Literatur und Kunst präsentiert werden, und das Münchner Zimmer“ (Information

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So berufen sich die Einrichtungen zwar auf einzelne – oder mehrere – Schriftsteller/innen, doch kristallisiert sich mit den Neugründungen und Umwandlungen der Häuser, ihren Gesamtkonzepten und Namensgebungen eine Emanzipation vom klassischen, personalen literarischen Museum heraus. Diese kann in Anbetracht der Verbreitung derartiger Neugründungen und Wandlungen bestehender Häuser durchaus als eingetretener Wandel der literaturmusealen Landschaft gewertet werden. Erinnerungstheoretisch sind diese Entwicklungen von großer Relevanz, denn in der Umorientierung der Häuser spiegelt sich ein grundlegender Wandel ihrer Vermittlungsperspektive. Durch die Verschiebung des Gegenstandsfokus von einem nicht mehr lebenden Autor hin zu gegenwärtig tätigen, mitunter sogar bislang unbekannten Autorinnen und Autoren, verlagert sich die Vergangenheitsorientierung hin zu einer Gegenwarts- und Zukunftsorientierung. Nicht mehr Erinnerung und Vergangenheit im Sinne von Tradierung bilden das Zentrum, sondern kulturelle Hervorbringungen der Gegenwart, die ganz im Gegensatz für Innovation stehen. Damit geht eine Funktionsveränderung der Einrichtungen einher. An die Stelle der Tradierungsfunktion tritt die Selektionsfunktion. Kanontheoretisch transformieren sich die literaturmusealen Einrichtungen demzufolge von Institutionen des Kanons hin zu überwiegend Kanon bildenden Einrichtungen. Sie vermitteln nicht mehr (nur) einen bereits – sei es nun im Kern- oder Randkanon – kanonisierten Gegenstand, sondern wirken Kanon bildend, indem sie aus der Masse der Neuerscheinungen eine Vorauswahl vornehmen und diese dem interessierten Publikum in ihren Veranstaltungen und Lesungen präsentieren. Schließlich werden neben den als ‚personal‘ zu bezeichnenden Einrichtungen darüber hinaus auch vermehrt literaturmuseale Einrichtungen geschaffen, die sich der Literatur mehrerer Schriftstellerinnen und Schriftsteller widmen (4.). Exemplarisch zu nennen sind hier das 2006 eröffnete Literaturmuseum der Moderne und das Museum für Literatur am Oberrhein. Letzteres wurde zunächst 1926 als (personales) Scheffel-Museum gegründet, bevor es 1936 zum „Badischen Dichtermuseum“ erweitert, 1965 in Oberrheinisches Dichtermuseum umbenannt wurde und seit 1998 als Museum für Literatur am Oberrhein in seiner heutigen Form existiert. „Mit letzterer Benennung wird die Verschiebung von einer personen- zu einer textzentrierten Museumsausrichtung markiert“ (Breuer 2013, S. 207). Es handelt sich bei dem Veränderungsprozess des Museums folglich nicht um eine bloße Ausweitung des Sammlungsgegenstandes von einem Autor auf mehrere. Schriftsteller/innen als Personen bilden hingegen überhaupt nicht mehr den Ausgangspunkt. Die Erinnerung verlagert sich von Personen zu Dingen, die gänzlich anders erzählt und ausgestellt werden (müssen). Besonders deutlich wird dies an den Marbacher Ausstellungen,

zum Koeppenhaus (Webseite des Koeppenhauses [http://www.koeppenhaus.de/koeppenhaus/, zuletzt abgerufen am 12.09.2016]).

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die jüngst die Objekte wieder ins Zentrum stellten20 – im Gegensatz zu oben beschriebenem Trend personaler, literaturmusealer Einrichtungen, in deren Ausstellungen der letzten Jahre die Objekte eine Randstellung erhielten. Das Literaturhaus „Uwe Johnson“ sowie das Koeppenhaus beziehen demgegenüber zwar ebenfalls mehrere Dichter/innen in ihre Vermittlungsarbeit ein, womit auch sie über die traditionelle Beschränkung auf eine/n Autor/in hinausgehen, verbleiben aber bei ‚personalen‘ Konzepten, wenn bspw. von der Bekanntmachung mit „Autoren der Region“ oder „Autoren der Gegenwartsliteratur“ die Rede ist (s.o.). Dass sie sich nicht mehr nur auf eine/n Schriftsteller/in konzentrieren, hängt mit ihrem insgesamt veränderten Aufgabenspektrum sowie den hinzugekommenen Aufgaben, wie sie hier unter (3.) beschrieben wurden, zusammen. So scheint ein insgesamt breiter angelegtes Konzept, bei dem sowohl im musealen Bereich (Sammeln, Forschen, Ausstellen) als auch demjenigen, der klassischerweise Literaturhäusern zuzuordnen ist, mehrere Autorinnen und Autoren berücksichtigt werden, vielversprechender. Wie sich an den geschilderten Entwicklungen (1.-4.) zeigt, sind „die Grenzen zwischen dem Populären und dem Elitären [...] unscharf geworden. Kultur als ‚high culture‘ hat ihren privilegierten Status als bürgerliches Referenz- sowie als Inklusions- beziehungsweise Exklusionsprojekt eingebüßt“ (Manderthaner/Musner 2007, S. 33). Vielmehr werden Elemente des Populären mit traditionell hochkulturellen wie den klassischen Arbeitsbereichen literarischer Museen verbunden und zu Einrichtungen eines neuen Typs zusammengefasst. Diese Häuser, welche insbesondere als der dritte Typ vorkommen, zeigen deutliche Veränderungen von dem, was Volker Kirchberg als das traditionelle Museum bezeichnet, hin zum McDonaldisierten Museum. Die Häuser richten ihre Schwerpunkte und Angebote in erster Linie an den Besucherinnen und Besuchern aus, sie setzen auf Steigerungen im quantitativen Bereich – Zunahme der Besucher/innen durch vermehrte Angebote –, kontrollieren ihre diesbezüglichen Resultate (Besucherbefragungen und -erhebungen) und vermarkten die mit ihrem Gegenstand verbundenen Symbole (vgl. Kirchberg 2005 bzw. Kap. 3.5). Als exemplarisches Fallbeispiel vereint das May-Museum all diese Merkmale (vgl. Kap. 8.2.3). Diese Entwicklung mag vor allem mit dem zunehmenden Druck auf die kulturellen Non-Profit-Einrichtungen zusammenhängen, von dem die Verantwortlichen der literarischen Museen in nahezu allen Interviews berichteten.21 Denn sie stehen, wie Armin Klein treffend formuliert hat, in direkter Konkurrenz mit For-Profit-Einrichtungen:

20 Vgl. dazu bspw. Gfrereis 2015, S. 43-51. 21 Vgl. bspw. Thomsa [Grass-Haus], Abs. 14, 32 und 34; de Bruyn [Kleist-Museum], Abs. 2 und 12.

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„Um als öffentlich getragene oder finanzierte Non-Profit-Kultureinrichtung [und als solche sind Museen in aller Regel bislang zu verstehen] auch in Zukunft bestehen zu können, ist es nötig, sich an den Kriterien der Exzellenz zu orientieren. Aufgrund der immer stärker werdenden Konkurrenz im Kultur- und Freizeitsektor wird es auf Dauer nicht genügen, einfach nur ‚da‘ zu sein. Die ‚neuen Kulturunternehmer‘ [...] werden, ob sie dies wollen oder nicht, einen entsprechenden Innovationsdruck auf die etablierten Kultureinrichtungen ausüben und diese zu Veränderungen zwingen“ (A. Klein 2011, S. 319).

Wenngleich also unter den literaturmusealen Einrichtungen weiterhin frühe Formen wie die literarisch-personale Gedenkstätte vorzufinden sind, stehen sie unter einem Anpassungs- und Konkurrenzdruck, der sie zu Veränderungen weg vom bürgerlichsakralen Museumstempel hin zu solchen Angeboten zwingt, bei denen hochkulturelle Inhalte auf populärkulturelle Weise vermittelt werden. Diese Entwicklung gibt einen deutlichen Hinweis auf notwendige Modifikationen in der Assmannschen Theorie des kulturellen Gedächtnisses. So müsste das Konzept der sakralisierten Kultur überdacht und in der Weise überarbeitet werden, dass die Ökonomisierung von (Hoch-)Kultur mit thematisiert wird, denn „Kultur und Ökonomie sind [...] mittlerweile in grundlegender Weise aufeinander bezogen und die Kulturalisierung der Ökonomie geht mit einer Ökonomisierung der Kultur einher, die den instrumentellen Zugriff auf symbolische Reserven, Traditionen und Ressourcen verschärft“ (Manderthaner/Musner 2007, S. 36).

Eine solche theoretische Verknüpfung würde auch solche Entwicklungen zu erklären vermögen, dass bspw. weiterhin literaturmuseale Einrichtungen entstehen, diese allerdings nicht mehr allein den klassisch-musealen Bereich zu ihren Kernaufgaben umfassen, sondern die ausgestellten Schriftsteller/innen zu einer Art Markenname einer Einrichtung werden, die weit über die ausgestellte Person hinaus kulturelle Programmangebote macht. „[D]ass sich die Literaturvermittlung in den letzten Jahren zunehmend professionalisiert hat – oder zumindest unter Professionalisierungsdruck geraten ist“ (Porombka 2005, S. 211.), hat darüber hinaus einen deutlichen Effekt auf die Möglichkeit gehabt, literarische Museen und Gedenkstätten mit Hilfe erinnerungstheoretischer Ansätze zu beschreiben. Denn im Zuge des Wandels der Einrichtungen, die „sich heute zwischen den Wissenschafts- und Bildungsansprüchen der so genannten Hochkulturinstitutionen und dem Erlebnishunger der breiten Bevölkerung“ (Mandel 2005, S. 16) bewegen, greifen theoretische Ansätze, die von einer sakralisierten Kultur ausgehen, nur bedingt. Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die literaturmusealen Einrichtungen des dritten Typs, aber auch an den hier beschriebenen Tendenzen und Herausforderungen der Gegenwart, denen sich die Museen zu stellen haben. Die Museen gehen mit ihren Aufgabenbereichen zunehmend über ihr

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klassisch museales Feld hinaus und wenden sich ab von Konzepten, die sich überwiegend oder ausschließlich Einzelschriftsteller/innen widmen. Stattdessen stecken sie den inhaltlichen Rahmen weiter und setzen auf populäre Veranstaltungsformate, die mehr gemein haben mit Events aus der Unterhaltungsindustrie als mit traditionell musealen Formaten wie Vorträgen. Auf diese Weise wird innerhalb der Vermittlung jedoch nicht nur ein sakralisierter Aktualisierungsmodus abgelöst durch einen popularisierten, der kulturell bedeutsame Inhalte für eine breite Gruppe anschlussfähig machen soll, sondern auch die Funktion der Häuser wird über die Sicherung von Inhalten hinaus erweitert. Dadurch ähneln sie „modernen Dienstleistungsbetrieben“ (Dücker 2011, S. 54). Indem einige Einrichtungen bspw. ihren Vermittlungsschwerpunkt in einer Aufgabe sehen, wie sie sonst Literaturhäusern zukommt, transformiert sich ihre Funktion erinnerungstheoretisch von einer bewahrend-vermittelnden hin zu einer selektiv-vermittelnden bzw. kanonisierenden. Sie sichern, erforschen und präsentieren eben nicht mehr nur in regelmäßig zu erneuernden Ausstellungen, was sich in der Vergangenheit als zu sichernder, kanonischer Bestand bereits etabliert hat, sondern nehmen Auswahlentscheidungen im literarischen Bereich vor und bestimmen so mit, was als lesens- und vermittelnswerte Literatur (der Gegenwart) anzusehen ist. Da diese Selektionsentscheidungen auch für die Zukunft und damit für einen potentiellen Kanonisierungsprozess relevant sind, wirken die literaturmusealen Einrichtungen Kanon sichernd wie auch Kanon bildend. Ungeachtet des Trends hin zu einer Popularisierung ist es jedoch nicht zu einer reinen Eventisierung gekommen. So ist bspw. das Grimm-Museum in Kassel im Zuge seiner Neugestaltung 2015 nicht als Märchenwelt inszeniert worden, obwohl Nicole Nierad-Schalkes Untersuchung zu „Märchen-Pop und Grimms-Krams“ aus dem Jahr 2011 gezeigt hat, wie erfolgreich solche als Inszenierungen von Märchen entwickelten Konzepte sein können. Die Grimmwelt – wie sich die Einrichtung heute nennt – wurde vielmehr in Anlehnung an die Arbeit der Brüder Grimm am Deutschen Wörterbuch als „Glossar“ strukturiert. Deshalb hat man auch „keinen an der Biografie der Brüder Grimm ausgerichteten Ansatz“ gewählt, sondern einen „vom Werk“ ausgehenden, der allerdings ähnlich Science Centern vor allem das eigene, handelnde Entdecken befördern soll (vgl. Völker 2015, S. 59). Auf diese Weise sollen erlebnisorientierte Elemente nicht Inhalte ersetzen, sondern als Auflockerung innerhalb der Vermittlung dienen. Die Grimmwelt ist darüber hinaus zugleich ein exemplarischer Fall für die oben beschriebenen Entwicklungen literaturmusealer Einrichtungen, denn „[b]ei der Grimmwelt Kassel handelt es sich nicht um ein Dichterhaus, auch nicht um ein Literaturarchiv oder ein Museum, sondern um ein Forum und Ausstellungshaus, das sich der vielfältigen Vermittlung des Themas ‚Grimm‘ annimmt“ (Völker 2015, S. 55).

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Sowohl in der neuen Namensgebung – statt Grimm-Museum heißt es nun Grimmwelt – als auch in der Konzeption sowie dem Selbstverständnis der Einrichtung wird damit der Wandel vom Museum hin zu einer weit offeneren Form der literarisch-kulturellen Vermittlung, eben einem „Forum und Ausstellungshaus“ evident. Ob diese Entwicklungen in der literaturmusealen Landschaft, wie sie sich an der Grimmwelt ebenso wie am Raabe-Haus: Literaturzentrum Braunschweig und anderen, oben beschriebenen Fällen gezeigt haben, Einzelfälle bleiben, wird sich zukünftig herausstellen. Deutlich wird dessen ungeachtet, dass die literaturmusealen Einrichtungen sich wandeln und besonders Neugründungen, aber auch Neukonzeptionen von bereits bestehenden Häusern zunehmend auf Vermittlungsansätze setzen, die sich von klassisch-musealen Aufgabenbereichen ebenso wie von den ausgestellten Autorinnen und Autoren als bestimmendem Faktor emanzipieren. Im Zuge dessen verändert sich schließlich auch die Erinnerungsarbeit der literarischen Museen und Gedenkstätten: Es wird seltener nur ein Autor oder eine Autorin allein in das Zentrum der Arbeit gestellt, anstelle der Bewahrung gewinnt die Vermittlung an Bedeutung. Letztere erfolgt dabei eher populärwissenschaftlich und erlebnisorientiert als sakralisierend und das grundsätzliche Aufgabenspektrum erweitert sich.

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436 | AN LITERATUR ERINNERN

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LITERATURVERZEICHNIS | 437

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Thiemeyer, Thomas: Die Sprache der Dinge. Museumsobjekte zwischen Zeichen und Erscheinung. In: Museen für Geschichte (Hrsg.): OnlinePublikation der Beiträge des Symposiums „Geschichtsbilder im Museum“ im Deutschen Historischen Museum Berlin, Februar 2011a [http://www.museenfuergeschichte.de/downloads/news/Thomas_Thiemeyer -Die_Sprache_der_Dinge.pdf., zuletzt abgerufen am 08.08.2013]. Thiemeyer, Thomas: Simultane Narration – Erzählen im Museum. In: Strohmaier (Hrsg.) 2013, S. 479-488. Ulbricht, Justus H.: Weimar – „deutscher Erinnerungsort“ oder nur „Disneyland für Deutschlehrer“? In: Der Deutschunterricht 61. Heft 2. 2009, S. 11-19. Vieregg, Hildegard K.: Geschichte des Museums. Eine Einführung. München: Wilhelm Fink 2008. Völker, Susanne: Die Ausstellung als Erfahrungsraum zwischen Assoziation und Zeugnis. Vermittlung von A bis Z in der Grimmwelt Kassel. In: Hochkirchen/Kollar (Hrsg.) 2015, S. 54-70. Wagner, Ernst/ Dreykorn, Monika (Hrsg.): Museum, Schule, Bildung. Aktuelle Diskurse, Innovative Modelle, Erprobte Methoden. München: kopaed 2007. Waidacher, Friedrich: Handbuch der Allgemeinen Museologie. 2. Aufl. (= Minimundus. Wissenschaftliche Reihe des Österreichischen Theater Museums 3). Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 1996. Wehnert, Stefanie: Literaturmuseen im Zeitalter der neuen Medien. Leseumfeld Aufgaben – Didaktische Konzepte. Kiel: Ludwig 2002. Weiss, Norbert/Wonneberger, Jens: Dichterhäuser um Dresden. Berlin: be.bra Verlag 2004. Weiss, Norbert/Wonneberger, Jens: Dresdner Dichterhäuser. 2. Aufl. Berlin: be.bra Verlag 2010.

438 | AN LITERATUR ERINNERN

Wetzel, Dietmar: Maurice Halbwachs – Vergessen und kollektives Gedächtnis. In: Dimbath/Wehling (Hrsg.) 2011, S. 37-55. Wetzel, Michael: Artefaktualitäten. Zum Verhältnis von Authentizität und Autorschaft. In: Knaller, Susanne/Müller, Harro (Hrsg.): Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München: Fink 2006, S. 36-54. Winko, Simone: Literarische Wertung und Kanonbildung. In: Arnold, Heinz Ludwig/Detering, Heinrich (Hrsg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. 2. Aufl. München: dtv 1997, S. 585-600. Winko, Simone: Kanon, literarischer. In: Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 4. Aufl. Weimar: Metzler 2008, S. 344-345. Wißkirchen, Hans (Hrsg.): Dichter und ihre Häuser. Die Zukunft der Vergangenheit. Lübeck: Schmidt-Römhild 2002. Wohlfromm, Anja: Museum als Medium – Neue Medien in Museen. 2. Aufl. Köln: Halem 2005. Zankl, Franz Rudolf: Das Personalmuseum. Untersuchung zu einem Museumstypus (= Museumskunde 41). Berlin/New York: de Gruyter 1972. Zeller, Bernhard: Literaturausstellungen: Möglichkeiten und Grenzen. In: Ebeling/Hügel/Lubnow (Hrsg.) 1991, S. 39-44.

Anhang

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1: Modell zum kollektiven Gedächtnis und zu Erinnerungskulturen (Erll 2003, S. 37) Abb. 2: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell (Mayring 2010, S. 60) Abb. 3: Ablaufmodell der strukturierenden Inhaltsanalyse (Mayring 2010, S. 93) Abb. 4: Das Bett von Brechts Mutter, bedruckt mit Gedichten und einem Bild Abb. 5: Eingangsbereich der Strittmatter-Gedenkstätte mit rekonstruierter Ladentheke Abb. 6: Inszenierung von Georg Büchners Schreibtisch zu seiner Züricher Zeit (© Büchnerhaus) Abb. 7: Stadtsilhouette zu ‚Trommeln in der Nacht‘ im Brechthaus Augsburg Abb. 8: Schreibmaschine von Anna Seghers an einem ihrer Arbeitsplätze Abb. 9: Vitrine im Karl-May-Museum mit Brille und Federhalter Karl Mays Abb. 10: Die mittig im Raum aufgestellte Vitrine mit den „berühmtesten Gewehren der Welt“ Abb. 11: Zur Gleichzeitigkeit in Kleists Werk(en) Abb. 12: Links oben im Kofferdeckel: Ungesicherte Aussagen werden nur in blasser, schemenhafter Schrift abgedruckt, um deren ungesicherten Status optisch zu unterstreichen. Abb. 13: Blick auf eins von fünf Ausstellungsmodulen („Geschlechterverhältnisse in Wort und Bild“) Abb. 14: Blick in den kleinen Ausstellungsraum in der Seghers-Gedenkstätte (im Vordergrund Verkaufstisch, im Hintergrund Vitrinen und darüber Bücherregale mit Sekundärliteratur zu Seghers)

440 | AN LITERATUR ERINNERN

LEITFADEN FÜR DIE EXPERTENINTERVIEWS • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

• • • • • • •

Welchem Autor/welcher Autorin widmet sich das Museum? Wann wurde das Museum gegründet? Um was für eine Art Museum handelt es sich? Welche Voraussetzungen waren bei der Gründung des Museums gegeben? Welche Bedeutung hat das Gebäude, in dem das Museum untergebracht ist, für das Museum selbst? Wer setzte sich für die Gründung des Museums ein? Von wem wurden die Initiatoren und Initiatorinnen unterstützt? Wie kam es zu dieser Initiative? Von wem bzw. welcher Institution wurde das Museum während der ersten zehn Jahre finanziell getragen? Und vom wem gegenwärtig? Gab es seit der Gründung wesentliche Veränderungen an der Grundkonzeption des Museums oder sind solche geplant? Gab es vor der Museumsgründung bereits eine andere (institutionalisierte) Erinnerung an den Autor/die Autorin? Wurde die Örtlichkeit des Museums bereits vor der Gründung des Museums als Erinnerungsort (an den Autor/die Autorin) frequentiert? Was ist das zentrale Thema der Ausstellung? Was möchten Sie Ihren Besucherinnen und Besuchern mitteilen (Botschaft)? Welche der folgenden Bereiche deckt das Museum ab? Woran orientiert sich das Konzept der Ausstellung? Warum wurde gerade die vorliegende Ausstellungsart gewählt? Ist der Ausstellungsdurchgang eher thematisch, chronologisch oder nach einem anderen Prinzip strukturiert? Welchen inhaltlichen Schwerpunkt legt die Ausstellung? Inwiefern unterstützt die „Form“ (Art) der Ausstellung den ausgestellten „Inhalt“? Welche der folgenden Aspekte sollen durch die Ausstellung gefördert werden: 1. Es soll Wissen dargeboten werden, 2. Sie soll Erinnerung stiften, 3. Sie soll einen Überblick über den ausgestellten Themenbereich vermitteln, 4. Sie soll Neugierde beim Besucher wecken, 5. Sie soll Fragen aufwerfen? Wie macht sich das Museum in der Öffentlichkeit bekannt? Worin sehen Sie die wichtigste Aufgabe des Museums? Was ist das zentrale Ziel des Museums? Werden in dem Museum Originalgegenstände des Autors/der Autorin ausgestellt? Wie viele Objekte umfasst die Sammlung des Museums ungefähr? Welche Vermittlungswege sind in die Ausstellung integriert? Dürfen die Besucher/innen sich ohne Führung selbstständig/autonom durch die

ANHANG | 441

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• •

Ausstellung bewegen? Wie können sich die Besucher/innen die Ausstellung erschließen? Gibt es einen Ort, an dem die Besucher/innen Zugang zu Werken haben und sich zum Lesen niederlassen können? Haben die Besucher/innen die Möglichkeit, (ohne Antragstellung) selbst vor Ort zu recherchieren? Wie viele Mitarbeiter/innen hat das Museum in welchen Arbeitsbereichen? Wie viele Besucher/innen hat das Museum ungefähr pro Jahr? Welche Besuchergruppen sollen in erster Linie angesprochen werden und welche kommen hauptsächlich? Woher kommen Ihre Besucher/innen (regional, bundesweit, international)? Gibt es ein System, um bei den Besuchern Feedback einzuholen? Wie ist das Museum organisiert? Über welches Budget/welche finanziellen Mittel verfügt das Museum? Inwiefern hat sich das im Laufe der Geschichte des Museums verändert? In welche Netzwerke, Fachgesellschaften, o.ä. ist das Museum eingebunden? Wofür steht das Museum Ihrer Ansicht nach? Inwiefern ist dieses Museum, Ihrer Ansicht nach, an der Wertsetzung und vermittlung beteiligt? Welches Leitbild verfolgt das Museum? Was verstehen Sie unter literarischer Bildung im Museum? Inwiefern sehen Sie diese hier in der Ausstellung umgesetzt? Sahen Sie sich in der Vergangenheit in Bezug auf die Wahrnehmung des Autors bzw. des Museums Problematiken (z.B. Probleme mit der Öffentlichkeit, ‚Skandale‘, Vergangenheit des Autors) ausgesetzt? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen? Welche anderen (literatur-)musealen Angebote gibt es in der ‚näheren Umgebung‘? Was möchten Sie an dieser Stelle noch ergänzen, was bisher im Interview unberücksichtigt geblieben ist?

442 | AN LITERATUR ERINNERN

BEOBACHTUNGSLEITFADEN FÜR DIE AUSSTELLUNGSANALYSE • Handelt es sich um ein literarisches Memorial, ein Literaturmuseum oder eine

Mischform? • Was sind Merkmale des Gebäudes? (alt, Dichterhaus, Neubau, prunkvoll...) • Wie sind die Räumlichkeiten des Museums ausgestaltet? (prunkvoll, dekorativ,

schlicht, modern, designt...)? • Nach welchem Prinzip ist die Ausstellung organisiert? (chronologisch, thema-

tisch, memorial...) • Geht es nur um eine bestimmte (vielleicht lokal verankerte) Lebensphase des Au-

• •

• •

• • • •

• • • •

tors/der Autorin oder steht das Haus stellvertretend für das Ganze (Autor/in, Leben und Werk in allen Phasen und Bereichen)? Steht der Schreibtisch bzw. Arbeitsplatz als ‚typisches‘ Narrativ im Mittelpunkt? Wenn nicht, was wird als Mittelpunkt der Ausstellung inszeniert? Welche ‚Texte‘ sind in der Ausstellung zu finden? Wie sind sie gestaltet? (groß, klein, lang, komplex, kurz, leicht, auffällig, zu übersehen, bedeutsam, ergänzend...) Welche Rolle spielt das ‚Hauptwerk‘ des Autors/der Autorin in der Ausstellung bzw. im gesamtmusealen Kontext? Welche Gegenstände werden in der Ausstellung gezeigt? (Originale, Handschriften, Totenmasken, Bilder, Gemälde, Persönliche Gegenstände des Dichters/der Dichterin...) Wie werden die Gegenstände präsentiert? (Vitrinen, frei im Raum, als zu berührender Gegenstand...) Sind sie modern aufbereitet oder werden sie ‚klassisch‘ in Vitrinen gezeigt? Entsteht der Eindruck, dass die Ausstellung ‚überladen‘ ist oder sind tendenziell wenige Gegenstände integriert? Wie werden welche Gegenstände (v.a. Originale) re-kontextualisiert (aus welchen ursprünglichen Zusammenhängen stammen sie und in welchen neuen Kontexten wurden sie ausstellungstechnisch wieder integriert)? Welche Medien werden wie integriert? (Buch, Video, PC, Touchscreen, Internet, Hörstation...) Gibt es Aufsichtspersonal (wie viele Personen, wo, was tun sie, beantworten sie auch inhaltliche Fragen...)? Welche Sonderausstellungen werden aktuell gezeigt und zu welchem Thema? Wie passt das zum Museum? (Wenn keine: welche zuletzt?) Wie lange braucht man im Durchschnitt für die Besichtigung eines jeden Raums? Wenn die Zeiten sehr abweichen: Inwiefern unterschieden sich die gestalteten Räume?

ANHANG | 443

• An wem orientiert sich die Konzeption inhaltlich und gestalterisch? (SuS, Er-

wachsene, Akademiker/innen, Germanisten...) • Wie viele Besucher/innen sind da? • Ist eine Führung Pflicht oder kann das Museum autonom besichtigt werden (mit

Audio-/Heft-guide)? • Welche interaktiven Elemente/Stationen werden mit einbezogen? • Werden die Besucher/innen (auch in Texten) direkt angesprochen oder bleiben sie passiv Anschauende?

444 | A N L ITERATUR ERINNERN

ÜBERSICHT ÜBER PERSONALE, LITERATURMUSEALE EINRICHTUNGEN IN DEUTSCHLAND Diese Liste orientiert sich 1. an der Zusammenstellung literarischer Museen und Gedenkstätten in der DDR von Max Kunze (1981), 2. an der CD-ROM der ALG (2006), 3. an Bodo Plachtas Sammlung zu „Dichterhäuser[n] in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ (2011) und 4. an weiteren umfangreichen Recherchen, die sich aus der Sekundärliteratur sowie dem empirischen Untersuchungsteil speisen. Die Liste wurde hinsichtlich einiger Gründungsdaten sowie Schließungen und Neueröffnungen überprüft und ergänzt, ein Anspruch auf Vollständigkeit kann jedoch aufgrund der sich ständig wandelnden literaturmusealen Landschaft nicht erhoben werden. In andere Ausstellungen integrierte Ausstellungsbereiche zu Schriftsteller/innen wurden hier nicht berücksichtigt, da es sich dabei nicht um eigenständige, zuvorderst auf Literatur und ihre Dichter/innen bezogene Einrichtungen handelt.

Museum/Gedenkstätte1

Gründung/Eröffnung

Hermann-Allmers-Haus (Rechtenfleth) (BÖ) Martin-Andersen-NexöGedenkstätte (Dresden) (A) Stefan-Andres-Museum (Schweich) Ernst-Moritz-Arndt-Haus (Bonn)

1905

Ernst-Moritz-ArndtHeimatmuseum (heute: -Museum) (Garz)

1937

1

1958

(vorübergehende) Schließung

1991

1978 1909

1944/45 zerstört, 1954 wiedereröffnet; heute gibt es noch einen ArndtRaum, ansonsten gehört das Haus zum Stadtmuseum

Hinter den Museen in Klammern stehen die Orte, an denen sich die Museen befinden; dahinter in Klammern stehende Buchstaben sind folgendermaßen aufzuschlüsseln: W = weiblich, L = Literatur(technik)museum, Ö = Öffnungszeiten nur auf Anfrage, BÖ = sehr beschränkte Öffnungszeiten, LF = Museum benannt nach literarischen Figuren, A = Ausländische/r Autor/in.

A NHANG | 445

Bettina und Achim von Arnim Museum (Wiepersdorf) (BÖ) Achim von Arnim-Stube (Waiblingen) Berthold-AuerbachMuseum im Schloß (Horb am Neckar) Ernst-Barlach-Haus (Hamburg) Erst Barlach Museum (Ratzeburg) Ernst Barlach Museum (Wedel) Ernst-BarlachGedenkstätte der DDR Güstrow (Güstrow) Meininger Museen – Literaturmuseum Baumbach (Meiningen) Baumbachhaus (Kranichfeld) Johannes-R.-Becher-Haus (Berlin) Johannes-R.-BecherGedenkstätte (Bad Saarow) August Becker Museum Blumhardts Literatursalon (Bad Boll) Gottliebin-Dittus-Haus (für Johann Christoph Blumhardt) (Bad Liebenzell-Möttlingen) Brechthaus (Augsburg) Brecht-WeigelGedenkstätte (Berlin)

2

1992

2007 1986

1962 1956 1987 19772

1937

1999 1964

1990 geschlossen

1981

1991 geschlossen

nicht bekannt 2005 1988

1985 1978

Nach Zankl (1972, S. 82) 1953 eingerichtet.

446 | A N L ITERATUR ERINNERN

Brecht-Weigel-Haus (Buckow) Brehm-Gedenkstätte (Renthendorf) Brentanohaus (Oestrich-Winkel) Dichterhaus BrücknerKühner (Kassel) (Ö) Büchnerhaus (RiedstadtGoddelau) Buddenbrookhaus (Lübeck) (LF) Astronomisches Zentrum, „Bruno H. Bürgel“ (Potsdam) Gottfried-August-BürgerGedenkstätte (Molmerswende) Wilhelm-BuschGeburtshaus (Wiedensahl) Wilhelm-Busch-Haus Mechtshausen (SeesenMechtshausen) Wilhelm-Busch-Mühle (Ebergötzen) Wilhelm Busch Museum in Hannover (Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst) (Hannover) Wilhelm-Busch-Zimmer (Lüthorst) Cisinski-Gedenkstätte (Panschwitz-Kuckau) Annette von DrosteHülshoff-Museum, Fürstenhäusle Meersburg (Meersburg)

1977 1946/52 seit Ende der 1920er Jahre als privat geführtes Museum zugänglich 1998 1998 1993

1955

ab 1968 nicht mehr in Funktion; Ratsbeschluss: 1971 ins Astronomische Zentrum verlegt

1965

1930 2006

1977 1937

1997 1956 1924

2013

A NHANG | 447

Burg Hülshoff und Rüschhaus (Havixbeck) Johannes-Gillhoff-Stuv Glaisin Museum „Villa IRMGARD“ (Herigsdorf) (v.a. Maxim Gorki) Friedrich-WilhelmGrimme-Gedenkzimmer (BÖ) (Olsberg-Assinghausen) Heimat- und Grimmelshausenmuseum (Oberkirch) Eichendorff-Gedenkstätte (Neisse) Deutsches EichendorffMuseum (Wangen im Allgäu) Museum Wolfram von Eschenbach (Wolframs Eschenbach) Till-EulenspiegelMuseum (Schöppenstedt) Eulenspiegel Museum (Mölln) Literarisches Museum Max-Eyth-Haus (Kirchheim unter Teck) Johannes Falk Gedenkstätte (Weimar) Hans-FalladaGedenkstätte (Berkenbrück/ Spree) Hans-Fallada-Haus in Carwitz (Carwitz), heute: Hans-Fallada-Museum Hoffmann-vonFallersleben-Museum (Wolfsburg)

(Rüschhaus Museum) 1992

seit

1949

nicht bekannt

1937

1991

1935 1954 (Nachfolger der zerstörten EichendorffGedenkstätte in Neisse) 1995

1999 1996 1994

2002 1976

1977, ab 1995 nicht mehr nur Gedenkstätte, sondern musealer Betrieb 1991

1945 zerstört

448 | A N L ITERATUR ERINNERN

Fleißerhaus (Ingolstadt) (W) Paul-Fleming-Haus Johann-Gottlieb-FichteMuseum im Barockschloss (Rammenau) Theodor Fontane-Gedenkstätte (Berlin) Fontane-Haus (Schiffmühle) Forster-Ausstellung im Gotischen Haus (Wörlitzer Park) (Wörlitz) Anne Frank Zentrum (Berlin) Freudenthal-Stuv (Soltau) Gustav-FreytagGedenkstätte (Gotha)

2001

Gustav-FreytagGedenkstätte (Gotha)

2009 (Nachfolger der Gustav-FreytagGedenkstätte von 1960) 1951

Gustav-Freytag-Museum und -Archiv (Wangen im Allgäu) Erika-Fuchs-Haus – Museum für Comic und Sprachkunst (Schwarzenbach) Franz Fühmann Literaturund Begegnungszentrum (seit 2012) (Märkisch Buchholz) Gellert-Museum Hainichen (Hainichen)

3

2002 19623

2010 1994 1969

1997 (2002 umgezogen, weiterhin in Berlin) 1988 1960

2014

1997 (gegründet als Franz Fühmann Begegnungsstätte) 1905 (2 Ausstellungsräume); seit 1985 eigenständiges GellertMuseum

Nach Zankl (1972, S. 92) bereits 1900 gegründet.

vermutlich nicht mehr vorhanden

im Laufe der Zeit in der DDR als Kindergarten genutzt

A NHANG | 449

Stefan-George-Museum im Stefan-George-Haus (Bingen) Paul-Gerhardt-Kapelle (Gräfenhainichen) Friedrich-GerstäckerMuseum (Braunschweig) Gleimhaus (Halberstadt) Frankfurter Goethe-Haus (Frankfurt am Main) Goethe-Gedenkstätte, Schloss und Park Kochberg (Großkochberg) Gothe-Gedenkstätte am Botanischen Garten Jena (Jena) Goethehaus Stützerbach (Stützerbach) Goethe-Nationalmuseum (Am Frauenplan, Weimar) Goethe-Museum Düsseldorf (Düsseldorf) Goethes Gartenhaus am Stern (Weimar) Goethehaus Volpertshausen (Hüttenberg) Goethe- und SchillerArchiv (Weimar)

GoetheStadtMuseum (Ilmenau) Maxim-GorkiGedenkstätte (Bad Saarow-Pieskow) (A) Maxim-Gorki-

4

19964 (1995 vorläufig in Villa Sachsen in Bingen, weil Gebäude noch nicht fertig restauriert) 1844, 1992 Wiedereröffnung 1982 1862 1863 (1897 Gründung des Museums) 1949, Wiedereröffnung 1975 1921

1962 1886 1957 1886 1992 1885 (als GoetheArchiv), 1889 erweitert zum Goethe- und Schiller-Archiv 1899 1972

1948

Ernst Müller (2012) gibt 2004 als Gründungsjahr an.

1997 (heute ein Gästehaus)

450 | A N L ITERATUR ERINNERN

Gedächtnisstätte (Seebad Heringsdorf) (A) Günter Grass-Haus (Lübeck) Brüder Grimm Museum (Kassel) Brüder-Grimm-Haus (Steinau an der Straße) Brüder Grimm Gedenkstätte (Schloss Steinau) Klaus-Groth-Museum (Heide) Heinrich-HansjakobGedenkstätte „Kartaus“ (Freiburg) Hansjakob-Museum und Archiv „Freihof“ (Haslach) Hauffs Märchenmuseum (Baiersbronn) Wilhelm-Hauff-Museum (Lichtenstein-Honau) Gerhart-HauptmannMuseum Erkner (Erkner)

Gerhart-HauptmannGedenkstätte Kloster (Kloster/ Hiddensee) Hebbel-Museum (Wesselburen) Literaturmuseum Hebelhaus (Wiesental)

2002 1960, seit 2015 Grimmwelt Kassel 1997 nicht bekannt 19145 1916

1973

1997 1980 1962 (gegründet als Gerhart-HauptmannGedenkstätte), seit 1987 Gerhart-HauptmannMuseum seit 1953 zugänglich, seit 1956 Gedenkstätte6 1911 (1960 bereits als Dorfmuseum gegründet) 2010 als Literaturmuseum umgestaltet

5

Nach Zankl (1972, S. 98) 1919 gegründet.

6

Nach Zankl (1972, S. 99) seit 1951 eröffnet.

saniert 1996/97

A NHANG | 451

Hegel-Haus (Stuttgart) Martin-HeideggerMuseum (Meßkirch) Heinrich-Heine-Institut (Düsseldorf) Heinsehaus Kirms-Krackow-Haus mit Herder-Museum (Weimar) Hermann-Hesse-Haus und -Garten (Gaienhofen) Hermann-Hesse-HöriMuseum (Gaienhofen) Hesse-Kabinett (Tübingen) Hermann-Hesse-Museum (Calw) Peter-Hille-Haus (Erwitzen) E.T.A.-Hoffmann-Haus (Bamberg) Heinrich-Hoffmann- und Struwwelpeter-Museum (Frankfurt am Main) Hölderlinturm (Tübingen) Peter-HuchelGedenkstätte (Wilhelmshorst) Literarische Dauerausstellung „Peter Huchel und Erhart Kästner in Staufen“ im Stubenhaus am Marktplatz (Staufen) Christian Friedrich Hunold – MENANTES/MenantesLiteraturgedenkstätte

7

1991 2002 19707 1998 1963

1996

2004 1988 2013 1990 1986 1930 1977

1921/22 1997

2013

2005

Nach Zankl (1972, S. 100) 1904 als Heinrich-Heine-Museum eingerichtet.

452 | A N L ITERATUR ERINNERN

Literaturhaus „Uwe Johnson“ (Klütz)

2006

Michael-von-JungGedenkstätte (Kirchdorf an der Iller) Jünger-Haus, Gedenkstätte für Ernst und Friedrich Georg Jünger (Wilflingen) Jung-Stilling-Haus (Hilchenbach-Grund) Erich Kästner Museum (Dresden) Walter Kempowski Haus Kreienhoop (Nartum) (BÖ) Justinus-Kerner-Haus (Weinsberg) Kleist-Gedenkstätte (Frankfurt/ Oder)

1985

Kleist-Museum (Frankfurt/Oder)

1969 (Nachfolger Kleist-Gedenkstätte Frankfurt/Oder) 1899

Klopstock-Museum (Quedlinburg) Jakob-Kneip-Museum (Morshausen) (BÖ) Koeppenhaus (Greifswald) Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin (Wöbbelin)

1999

1928 2000 2005

1907 1922/23

bereits 1937 ins LienauHaus umgezogen und in das Oberland-Museum integriert worden: dieses brannte genauso wie das Geburtshaus 1945 im 2. WK ab der in

1999 2003 bereits 1863 Gedenkhalle für Theodor Körner errichtet, abgerissen, da 1936/37 ein neues Museum gebaut wurde; seit

(vorübergehend während des 2. WK geschlossen, 1946 wiedereröffnet)

A NHANG | 453

Körner-Museum (Dresden-Neustadt)

Kolbenheyer-Archiv (Geretsried) (Ö) Manfred-Kyber-Museum im Freihaus (Löwenstein) Józef-Ignacy-KraszewskiMuseum (Dresden) Kügelgenhaus – Museum der Dresdner Romantik (Dresden) Stadtund ManfredKyber-Museum (Löwenstein) Lessing-Museum (Berlin) Lessinghaus (Wolfenbüttel) Lessing-Museum (Kamenz) Roger Loewig Haus (Belzig) Lottehaus (Wetzlar) (LF) Otto-LudwigGedenkstätte (Eisfeld)

8

1965 Erinnerung an die Geschichte des Konzentrationslagers Wöbbelin 1875

1945: zu einem beträchtlichen Teil im 2. WK zerstört, gerettete Objekte wurden in das Schillerhäuschen und Museum der Dresdner Romantik überführt

19518

1993 1960 1981

1993

1905 1929 (-1931) 1931 2009 1863 1934

Gründung der Kolbenheyer-Gesellschaft.

1936

454 | A N L ITERATUR ERINNERN

Museum Karl-Marx-Haus (Trier)

1947 (Wiedereröffnung)

Karl-May-Museum gGmbH (Radebeul)

1928: Indianermuseum; seit 1985 im ehemaligen Wohnhaus Karl Mays ergänzt um das biographische Museum 1960

Karl-May-Museum (Bamberg) Karl-May-Haus (Hohenstein-Ernstthal) Melanchthonhaus Bretten – Stätte des europäischen Humanismus (Bretten) Melanchthon-Haus (Museum) (Lutherstadt Wittenberg) Agnes-Miegel-Haus Theodor-MommsenGedächtnis (Garding) Mörike-Gedenkstätte im Museumim Schafstall (Neuenstadt am Kocher) Mörike-Haus (Bissingen an der Teck) Mörike-Museum im Alten Schulhaus, Cleversulzbach (Neuenstadt am Kocher) Fritz-MühlenwegMuseum (Allensbach) Münchhausen-Museum (Bodenwerder) Neuberin-Museum (Reichenbach (Vogtland)) (W)

1985 1903

1954

1969 1987 1980

1981 1996

2012 2003 1968 eingerichtet als Neuberin-Gedenkstätte, seit 1997 NeuberinMuseum

1931-1933 (mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten geschlossen worden)

1994

A NHANG | 455

Nietzsche-Archiv (Weimar)

1902

Nietzsche-Haus und Nietzsche-Dokumentationszentrum (Naumburg) Novalis-Haus (Weißenfels) Forschungsstätte für Frühromantik und NovalisMuseum Schloss Oberwiederstedt (Arnstein) Mori-Ogai-Gedenkstätte (Berlin) (A) Julie-Palmer-Stube im Dorf- und Heimatmuseum (Winterbach) Jean-Paul-Museum (Bayreuth) Jean-Paul Museum (Jöditz-Koditz) (BÖ) Jean-Paul-Stube in der Rollwenzelei (Bayreuth) Jacob Picard Gedenkstätte (Moos-Bankholzen) Heinz Piontek-Archiv Pocci-Museum (Wolfratshausen) Polenz-Museum (Cunewalde) (BÖ) Pumuckl-Museum (Ohlstadt) (für Ellis Kaut) Raabe-Haus: Literaturzentrum Braunschweig (Braunschweig)

1994

2001 1989

1984

1984

1980 1998

1876 2007 2008 2013 1992

2005 1948 (ursprünglich Raabe-Gedächtnisstätte)

(formal von 1956 an aufgelöst; erst nach Wende wiedereröffnet)

456 | A N L ITERATUR ERINNERN

Wilhelm-Raabe-Museum Eschershausen (Eschershausen)

1957

Schloss Freienwalde, Walther-Rathenau-Stift gGmbH Brigitte Reimann Literaturmuseum (BÖ) (W) Erich Maria RemarqueFriedenszentrum (Osnabrück) Museum Johannes Reuchlin (Pforzheim)

1991

Fritz-Reuter-und-RichardWagner-Museum Eisenach (Eisenach) Fritz-Reuter-Gedenkstätte Neubrandenburg (Neubrandenburg) Fritz-ReuterLiteraturmuseum Stavenhagen (Stavenhagen) Hans-ReyhingGedenkstube (HohensteinBernloch) Werner-Richter-Haus (Bansin) Joachim-RingelnatzMuseum (Cuxhaven) Joachim-RingelnatzGedenkausstellung (Wurzen) Museum Sophie La Roche (Bönnigheim), (BÖ), (W)

9

zwischenzeitlich geschlossen wegen Restaurierungsarbeiten; 1981 wiedereröffnet

1999 1996

1922 als Reuchlinmuseum eröffnet, im 2. WK komplett zerstört, 2008 Wiedereröffnung 18979

1979

1949 (bereits 1910 Reuterstube im Geburtszimmer eingerichtet) 1985

2000 2002 seit 1948 (zu DDR-Zeit), dann wieder ab 2010 1999

Nach Kahl (2010) ist das Gründungsjahr 1896.

(anscheinend nur noch in einem regionalen Heimatmuseum integriert)

A NHANG | 457

Friedrich-RückertGedenkstätte (Coburg)

Sebastian-SailerGedenkstätte (Dieterskirch) (Ö) Scheffel-Museum (Karlsruhe)

Scheffelschlösschen/ (Radolfzell am Bodensee) Schillers Geburtshaus (Marbach) Museum Schillerhaus (Mannheim) Deutsches Literaturarchiv Marbach (offizieller Name seit 2005) – SchillerNationalmuseum (Marbach)

Schillerhaus Bauerbach (Bauerbach) Schillers Gartenhaus (Jena) Schillerhaus Dresden (Dresden)

Schillerhaus LeipzigGohlis (Leipzig-Gohlis)

(urspr. von Nachkommen als Gedenkraum zugänglich gemacht); 1997 (wieder) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht 1995

1926

seit 1932 „Badisches Dichtermuseum“; seit 1965 „Oberrheinisches Dichtermuseum“ und seit 1998 „Museum für Literatur am Oberrhein“

1928 1859 2005 1903 Schiller-Archiv und -Museum (1922 Umbenennung in SchillerNationalmuseum); 1955 Deutsches Literaturarchiv Marbach; 2006 Erweiterung um das LiMo (Literaturmuseum der Moderne) 1931-1934 als Gedenkstätte eingerichtet 1923 1853 als Gedenkstätte eingerichtet

1848; 1856-1858 Einrichtung als Gedenkstätte

zwischenzeitlich von 2002 bis 2005 geschlossen aufgrund mangelnder Gelder zur Instandhaltung

458 | A N L ITERATUR ERINNERN

Schillerhaus (Weimar) Stadt Ludwigshafen am Rhein – Schillerhaus Oggersheim (Ludwigshafen) Arno Schmidt Stiftung und Gedenkstätte (Eldingen) (BÖ) Heimat- und SchubartMuseum (Aalen) Schubart-Stube (Blaubeuren) (für Christian Friedrich Daniel Schubart sowie Eduard Mörike und Agnse Sapper) Gustav-Schwab-Museum (Gomaringen) Gedenkstätte Dietrich Schwanitz im Historischen Gasthaus „Zum Salmen“ (Hartheim) Anna Seghers-Gedenkstätte (Berlin) (W) Göschenhaus in GrimmaHohnstädt, SeumeGedenkstätte (Grimma) Suso-Haus (Heinrich Seuse) (Überlingen) Friedrich-SieburgGedenkstätte (Gärtringen) Simplicissimus-Haus (Renchen) Muzej Serbskeho Pismowstwa (Museum des Sorbischen Schrifttums) Stoltze-Museum der Frankfurter Sparkasse (Frankfurt/Main)

1847 1959

1981

1907

1919 geschlossen (ab 1935 im alten Rathaus)

1990

1998 2012

1985

1960 („Seumezimmer“)

1900 (2009/2010 saniert und wiedereröffnet; stand zwischenzeitlich leer) 1993 1998 1958

1978

Zeitpunkt der Schließung unbekannt

A NHANG | 459

Literaturmuseum „Theodor Storm“ Heilbad Heiligenstadt) Storm-Museum (Husum) Erwin-StrittmatterGedenkstätte ‚Der Laden‘ Ludwig-Thoma-Haus (Tegernsee) (BÖ) Thomas-Archiv (Kempen) Literarisches Museum „Tschechow-Salon" (Badenweiler) Kurt Tucholsky Literaturmuseum (Rheinsberg) Valentin-KarlstadtMusäum (München) Clara-Viebig-Zentrum (Eisenschmitt) (W, BÖ) Johann-Heinrich-VoßGedenkstätte, Alte Burg Penzlin (Penzlin) Christian-Wagner-Haus (Warmbronn) (BÖ) Waldschmidt-Ausstellung (Eschlkam) Carl-Julius-WeberGedenkstätte (Langenburg) Friedrich-WilhelmWeber-Museum (Bad Driburg) Gedenk- und Bildungsstätte „Erich Weinert“ (Magdeburg), heute Literaturhaus Magdeburg (mit einer ständigen Ausstellung zu Erich Weinert und Georg Kaiser) Ehm-Welk-Gedenkstätte (Angermünde)

1988

1972 1999 1971 1987 1998

1989 1959 2005 1975; 2018 soll ein VoßLiteraturhaus in Penzlin eröffnet werden 1972 1987 1987

1953

1961 (umgewandelt mit Wechsel der Trägerschaft 1993)

1974

seit 2005 mit dem Heimatmuseum vereint

460 | A N L ITERATUR ERINNERN

Ehm-Welk-Haus Bad Doberan (Bad Doberan) Wieland-Geburtshaus (Oberholzheim) Wieland-Museum Biberach (Biberach an der Riß) Wieland-Gedenkstätte Oßmannstedt (Oßmannstedt) Wittumspalais mit Wieland-Museum (Weimar) Winckelmann-Museum (Stendal) Zeller-Mörike-Garten (Nagold) Peter Zirbes Haus (Landscheid) Wilhelm-ZimmermannGedenkstätte im JohannLudwig-Fricker-Haus (Dettingen an der Ems)

1979 1907 1905 1956 (Einrichtung von zwei Museumsräumen; heute: Wielandgut Oßmannstedt) 1963 1955 2008 1982 1984

geschlossen

Museum Ann Davis, Kerstin Smeds (eds.)

Visiting the Visitor An Enquiry Into the Visitor Business in Museums 2016, 250 p., pb., numerous ill. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3289-7 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3289-1

Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hg.)

Das Museum als Provokation der Philosophie Beiträge zu einer aktuellen Debatte Januar 2018, 286 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4060-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4060-5

Andrea Kramper

Storytelling für Museen Herausforderungen und Chancen 2017, 140 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4017-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4017-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4017-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Museum NÖKU-Gruppe, Susanne Wolfram (Hg.)

Kulturvermittlung heute Internationale Perspektiven 2017, 222 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3875-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3875-6

Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hg.)

Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart 2016, 344 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3081-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3081-1

Robert Gander, Andreas Rudigier, Bruno Winkler (Hg.)

Museum und Gegenwart Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel 2015, 176 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3335-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3335-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de