Gartenstädte von morgen: Ein Buch und seine Geschichte [2 ed.] 9783035606577, 9783035606560

Ebenezer Howard veröffentlicht 1902 sein Werk Garden Cities of Tomorrow, seine Ideen haben maßgeblich dazu beigetragen,

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Gartenstädte von morgen: Ein Buch und seine Geschichte [2 ed.]
 9783035606577, 9783035606560

Table of contents :
INHALT
Howard’s »Tomorrow« – ein gründlich mißverstandenes Buch
Einleitung
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechtes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Nachwort
Vorwort. zur englischen Neuausgabe 1946
Der Gartenstadtgedanke und moderner Städtebau von Lewis Mumford
Kurze Übersicht über die Literatur
Personenverzeichnis
Nachwort

Citation preview

Bauwelt Fundamente 21

Herausgegeben von Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hildegard Barz-Malfatti Elisabeth Blum Eduard Führ Thomas Sieverts Jörn Walter

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Ebenezer Howard Gartenstädte von morgen Das Buch und seine Geschichte Herausgegeben Von Julius Posener

Bauverlag Birkhäuser Gütersloh · Berlin Basel

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Die Reihe Bauwelt Fundamente wurde von Ulrich Conrads 1963 gegründet und bis 2013 herausgegeben (einschließlich Band 149), seit Anfang der 1980er Jahre gemeinsam mit Peter Neitzke.

Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN 978-3-0356-0657-7) erschienen.

Der Vertrieb über den Buchhandel erfolgt ausschließlich über den Birkhäuser Verlag. © 2015 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel, Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz, ein Unternehmen von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston; und Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, Berlin Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Germany ISBN 978-3-0356-0656-0 987654321 www.birkhauser.com

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INHALT

Howard’s »Tomorrow« – ein gründlich mißverstandenes Buch Einleitung Erstes Kapitel Zweites Kapitel Drittes Kapitel Viertes Kapitel Fünftes Kapitel Sechtes Kapitel Siebentes Kapitel Achtes Kapitel Neuntes Kapitel Zehntes Kapitel Elftes Kapitel Zwölftes Kapitel Dreizehntes Kapitel Nachwort Vorwort von Frederic J. Osborn zur englischen Neuausgabe 1946 Der Gartenstadtgedanke und moderner Städtebau von Lewis Mumford Kurze Übersicht über die Literatur Personenverzeichnis Nachwort von Carl Fingerhuth

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1 Sir Ebenezer Howard. Nach einem Gemälde von Spencer Pryse

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HOWARD'S » TOMORROW « EIN GRÜNDLICH MISSVERSTANDENES BUCH Von Julius Posener

Bisher, sagt der Architekt Eckhardt Schulze-Fielitz, habe es nur zwei Arten von Stadtplanung gegeben: die Gartenstadtbewegung, deren Anhänger unsere Umwelt in einen Schrebergarten verwandeln möchten, und die CIAJ\.1, welche sie in eine Kaserne verwandeln wollen. Wenn wir heute, nach langer Zeit, Ebenezer Howard's Buch wieder in deutscher Sprache vorlegen, so tun wir das mit dem Wunsch, daß Mißverständnisse wie das oben zitierte nicht ganz so leicht entstehen mögen. Wir befinden uns in einer Auseinandersetzung über die Möglichkeiten des Städtebaues, die man die Urbanitätsdiskussion genannt hat. Da in absehbarer Zeit der weitaus größte Teil der Menschheit in Städten leben wird, so ist die Sorge um das, was man dann noch Stadt nennen kann, tief berechtigt. Und da wir es erleben mußten, wie die Städte ausgeufert sind und fortfahren auszuufern, sich zu verdünnen, so unüberschaubar zu werden, daß die alte Stadtmitte, selbst wo sie noch vorhanden ist - in West-Berlin existiert sie nicht mehr -, in Gefahr ist, das Ganze nicht mehr zusammenzuhalten, es nicht mehr auf sich zu beziehen, so empfindet jeder von uns die Angst vor einem Leben in der Stadt, das kein städtisches Leben mehr ist. Die Stadt wächst planlos und unaufhaltsam seit langer Zeit. Aristoteles, der am Beginn der großstädtischen Aera der Antike lebte - sein Schüler Alexander hat ihre Entwicklung stark gefördert -, Aristoteles hat gesagt: »Zehn Leute machen noch keine Stadt aus; und 100 ooo sind keine Stadt mehr.« Die Zahl 100 ooo scheint uns zu niedrig gegriffen. Aber eine Millionenstadt ist ein Monstrum, auch wenn sie uns heute, wo wir in naher Zukunft Stadtregionen von mehreren Zehnmillionen Einwohnem haben werden, bereits als klassisch erscheint. Anstoteies spricht von der oberen Grenze. Die Griechen, als sie noch Städter waren wie in Athen und noch nicht Großstädter wie in Alexandria, kannten die obere Grenze. Sie ließen die Städte nicht ins Ungemessene wachsen, sie gründeten Tochterstädte. Um 18oo gibt es in Europa zwei Millionenstädte - und es gibt in Frankreich und in England, wo diese Millionenstädte liegen, die Leute, welche diese Entwicklung beunruhigt (Fourier, Owen). Sie machten ihre Vorschläge, wie man die Stadt auflösen könne, und das hat die Stadt nicht daran gehindert, weiter zu wachsen. Seitdem haben Dichter - Blake, Heine, Dickens, Rilke - die Großstadt beschrieben und verflucht, Sozialreformer, Verwaltungs-

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leute, sogar Politiker haben den Wildwuchs der Stadt beklagt, und einige haben, immer wieder, nach Mitteln und Wegen gesucht, dieses krebsartige Wachstum aufzuhalten. Industrielle haben ihre Werke aufs Land verlegt und ihre Arbeiter mitgenommen (Salt, Cadbury, Lever). Endlich hat ein Unberufener, ein Parlamentsstenograf, Ebenezer Howard, ein System ausgedacht, welches die griechische Kolonisation auf englischem Boden verwirklichen sollte. Die obere Grenze war einer seiner Leitgedanken. Sie liegt für ihn bei 250 ooo Einwohnem, also, der europäischen Zivilisation entsprechend, höher als bei Aristoteles. Lebte er heute, so würde er über die obere Grenze mit sich sprechen lassen. Sein engster Mitarbeiter und Nachfolger, Sir Frederic Osbom, der gottlob noch unter uns weilt, läßt darüber mit sich sprechen. Aber am Prinzip der Grenze hält er fest. Howard hat sogar zwei seiner Kolonien verwirklicht - nicht Gruppen von Städten mit einem Gesamt von 250 ooo Einwohnem, sondem Einzelstädte: er hielt eine Stadt mit 30 ooo Einwohnem für lebensfähig. Zwei solcher Städte, Letchworth und Welwyn, hat dieser Londoner Kleinbürger, dieser Parlamentsstenograf wirklich gegründet und ist als Sir Ebenezer in Welwyn hochbetagt und hochgeehrt gestorben. Auch das hat London nicht daran gehindert, seine Tentakeln bis in die Gegend von Letchworth und Welwyn herauszustrecken. Im Anfang wuchs die Stadt als wirrer Haufen von schlechten Unterkünften. Seit dem Ende des ersten Weltkrieges wächst London als endloser Vorort von Reihenhäusem und Doppelhäusem und Berlin als eine beinahe ebenso endlose Ausbreitung von »Siedlungen«; und seit dem zweiten Kriege hat sich an diesem Wachstum in London nur insofem etwas geändert, als der Grüngürtel, ein Howardsches Konzept - Abercrombie hat ihn in seinem Plan für Groß-London niedergelegt -, der unmittelbaren Ausdehnung sehr weit draußen eine Grenze setzt; und daß Berlin eine solche Grenze durch politische Umstände gesetzt ist. Daß das Wachstum der Stadt die Stadt bis zur Auflösung verdünnt, wußte Howard, obwohl für ihn nicht dies das Hauptproblem war. Für ihn war das Hauptproblem, daß die Stadt das Land leersaugt und daß sie, indem sie das tut, Elend anhäuft; daß sie durch ihr Wachstum ihren Bürgem den Weg nach außen, aus diesem düsteren Elend, immer mehr verbaut; und daß das Momentum dieser einläufigen Bewegung auf alle Fälle gebremst werden muß. Dies war, gestehen wir es, ein emsteres Problem als das der »Unwirtlichkeit unserer Städte«, um den Titel von MitseherUchs bekanntem Buch zu nennen, als das Problem ihrer Öde, ihres Mangels an Urbanität. Ich leugne indes keineswegs, daß auch diese Probleme emst sind; daß auch sie ans Mark des Lebens gehen. Howard hatte geglaubt, er habe ein Mittel gefunden, durch das man den Zuzug in die große Stadt nicht nur bremsen konnte, sondem die Bewegungsrichtung umkehren. Er lebte bis zum Jahre 1928. Er hat wahrscheinlich gesehen, daß er das - er sagte gewiß noch -nicht erreicht hatte. Frederic Osbom rief 1918 nach 8

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neuen Städten und mußte erleben, daß zwischen dem ersten und dem zweiten Krieg nur das eine Welwyn entstand; daß dagegen die im Kriege angekündigten Hornes for Heroes, 4 ooo ooo an der Zahl, alle um London und die anderen Großstädte herum gebaut wurden. Dieses Anschwellen der Stadt nicht mehr als eine Anhäufung von Elend, beileibe nicht, sondern als formlose Monstrosität, als gut durchgrünte und belüftete Unwirtlichkeit hat ihn entsetzt. Darum besteht er in seinem Vorwort zur Ausgabe von 1946 auf einer strengen Scheidung der Begriffe Gartenstadt und Gartenvorort - und noch einiger anderer dieser Worte mit dem Suffix Garten, mit denen man die Gartenstadt Howardscher Prägung verwechselt hat. Er wollte die Stadt, ebenso wie Howard die Stadt gewollt hatte. Wenn man sich Howards Idealplan ansieht, so wird das völlig klar (Bild 33). Der »Kristallpalast«, der das Zentrum der Stadt umgibt, war ein durchaus städtisches Element, er war das, was man heute einen Ort der Begegnung nennen würde. Die »Große Avenue«, die das Wohngebiet in einen inneren und einen äußeren Gürtel teilt, ist eine städtische Anlage, umgeben von Reilienhäusern, nicht von Einzelhäusern. Natürlich war die Gartenstadt Gartenstadt. Natürlich wollte man einem jeden dort möglichst sein eigenes Haus und seinen eigenen Garten geben. Ich nenne das natürlich, weil die Alternative der großstädtische Slum war. Auch in Deutschland beklagte sich der Kritiker der Stadt, wie sie damals, zu Beginn unseres Jahrhunderts, aussah, über das steinerne Berlin1 • Auch Le Corbusier verlangt wenige Jahre später la ville verte. Aber wie er, wollte Howard die Stadt, und nichts lag ihm ferner als der Wunsch, unsere Umwelt in einen Schrebergarten zu verwandeln. übrigens war er ein Kind seiner Zeit; und die Zeit legte wirklich im Worte Gartenstadt ebenso großen Wert auf »Garten« wie auf »Stadt«. Sie legte hierauf sogar mehr Wert als Howard selbst, wie man an einem Vergleich seiner Idealstadt mit dem endgültigen Plan für Letchworth sehen kann (Bilder 33, 15, 21 und 22). Da bleibt allerdings wenig von den städtischen Gebilden seines Planes übrig. Da wird sogar die geschlossene Bebauung, an der der erste Plan für den symmetrisch angelegten Stadtkern noch festhält, nur in einigen Straßen durchgeführt. Howard hat nachgegeben. Ob er darüber ganz glücklich gewesen ist, weiß man nicht. Immerhin tritt in der zweiten Griindung, Welwyn (Bild 29, 30), der Ortskern und die große Avenue mit stärkerem städtischem Anspruch auf: Wohl doch ein Zeichen dafür, daß Howard diesen Anspruch nie aufgegeben hat. Es ist eine ganz andere Frage, ob Welwyn oder die ersten der neuenStädte, welche nach 1945 auf Howards Prinzipien basieren, diesem Anspruch gerecht werden. Howard hat den beiden Magneten Stadt und Land einen dritten, Stadt-Land, zugesellen wollen. In der inneren Kolonisation, der lebensfähigen Stadt auf dem I Bauwelt Fundamente, Band 0 : Wemer Hegemann, Das steineme Berlin. Geschichte der größten Mietskasemenstadt der Welt.

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wiederbelebten Lande, glaubte er einen Magneten gefunden zu haben, welcher die Vorteile des Landlebens mit denen des Stadtlebens vereinigt und die Nachteile beider ausschließt. Zu diesem Magneten, meinte er, würden die Leute gehen. Indem er aber den Stadtmagneten und den Landmagneten in seinem Diagramm (Bild 31) gleich groß, also gleich stark darstellt, widerspricht er seinem eigenen Ausgangspunkt, der beredt beklagten Aussaugung des Landes durch die Großstadt. In Wahrheit war der Landmagnet sehr klein, sehr schwach, der Stadtmagnet überwältigend groß und stark; und wie bei Himmelskörpern wächst sein Magnetismus mit der Masse. Howards Zeitgenossen begehrten offenbar nicht mit der gleichen Kraft frische Luft, mit der sie Gin-Paläste haben wollten: GinPaläste und die vielen anderen städtischen Annehmlichkeiten. Man mußte in erster Linie den Nachweis führen, daß das Leben in der Gartenstadt ebenso interessant, ebenso vielseitig, ebenso erregend sein würde wie das in der großen Stadt, wenn man die Massenrückwanderung in Bewegung bringen wollte, die Howard für notwendig hielt. Man lief sonst Gefahr, nur bestimmte Typen anzuziehen: Lebensreformer, Antialkoholiker, Kunstgewerbler; und wenn man den folgenden Bericht aus Letchworth aus dem Jahre 1912 liest, so wird man sehen, wie wirklich diese Gefahr gewesen ist1• Letchworth ist überhaupt eine Stätte geworden, in der sich allerlei Reformer niedergelassen haben. Das gesellschaftliche Leben pulsiert dort ohne Schützenvereine, Kegel- und Rauchklubs, ohne Früh- und Abendschoppen der Honorationen, ohne Kaffeekränzchen der Damen und Skatsitzungen der Männer sehr stark. Die paar gutgehaltenen sauberen, dabei mit niedrigen Preisen rechnenden Gasthäuser stehen samt und sonders unter Alkoholverbot. Offentliehen Zusammenkünften, musikalischen Aufführungen, der Erörterung politischer und sozialer Fragen dient die großzügig von einigen Stiftern aus eigenen Mitteln erbaute, architektonisch bloß durch geschickte Massenverteilung äußerst wirksame »Memorial Hall« sowie ein zweites geräumiges Versammlungshaus. Durch die Ansiedlung von Werkstätten kunstindustrieller Richtung, Buchbindereien, die »Garden City Press« (die, ein genossenschaftliches Unternehmen, infolge ihrer in rauch- und staubfreier Atmosphäre hergestellten, vorzüglichen Arbeiten, vor allem Dreifarbendrucke, Aufträge aus ganz England zur Ausführung bringt und schon im ersten Jahr einen Umsatz von über roo ooo,- DM zu verzeichnen hatte), eine Teppichweberei, die »lceni«-Töpferei, die bereits erwähnte Stickereianstalt nach schweizerischem Muster usw., die alle in regem Betrieb arbeiten, bahnen sich für Letchworth auch künstlerische Entwicklungsbedingungen günstigster Art an. Die in diesen Erwerbszweigen Tätigen haben sich zu einer Kor1 Aus: Berlepsch-Valendas: Die Gartenstadt-Bewegung in England. R. Oldenbourg, München/Berlin, 1912.

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poration zusammengeschlossen. Bei ihren regelmäßigen Zusammenkünften werden fachliche, » arts and crafts « betreffende Fragen erörtert, Vorträge gehalten usw. Natürlich hat die Gartenstadt auch ihr eigenes Organ, das »Letchworth MagazintröstenVictoria«, die Stadt von James Silk Buckingham (1849)

Colony, bereits einen Glashausring enthielt, also etwas wie den Crystal Palace in Howards Diagramm (Bild 33). Als Pemberton sein Projekt veröffentlichte, war Paxtons großer Ausstellungsbau, der Crystal Palace von 1851, neu. Wir werden sehen, daß er in einer der frühen Verwirklichungen eine Rolle spielt, welche der Paternalismus unternahm. So nachhaltig war seine Wirkung, daß es immer noch »modern« war, eine große Glashalle, einen Crystal Palace, in einen Plan einzuführen, als Howard schrieb (1898). Verglichen mit diesen Projekten hat die Siedlung Ackroyden, die Gründung des Obersten Ackroyd, den Vorteil der Wirklichkeit (Bild 8, g). Freilich handelt es sich nicht um eine Stadt. Ackroyden ist ein halb philanthropisches, halb geschäftsmännisches Spielzeug: eine reine Wohnsiedlung, im Quadrat angelegt wie Victoria und, ebenfalls wie Victoria, nach Klassen geordnet. Kurios ist die Vorschrift, welche Ackroyd für den Stil der Siedlung machte. Sie ist im gotischen Stil errichtet, und er sagt dazu: »Im Jahre 1859 konsultierte ich den berühmten Architekten Mr. Georg Gilbert Scott und gab ilim den Auftrag, Pläne im Stil der Gotik für den Wohnbau anzufertigen. Das tat ich nicht nur, weil das mei21

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8 Ackroyden (1861-63 ). Architekten: G. G. Scott und W. H. Crossland

nem eigenen Geschmack entsprach, dieser Geschmack, welcher der Geschmack unserer Vorfahren gewesen war, trägt dazu bei, die M enschen dem Haus und dem Heim zu verbinden, er durchdringt die Gegenwart mit der Erinnerung an die Vergangenheit und er wird gewiß das gegen ihn bestehende Vorurteil überwinden und der nationale Stil des modernen England werden, so wie er der nationale Stil des alten England gewesen ist.« In dieser Anweisung spricht sich ein Bestreb en aus, welches in den paternalistischen Gründungen oft wiederkehrt, von denen die Rede sein soll. Man will die arbeitenden Klassen nicht nur physisch, sondern auch geistig und b esonders sittlich »heben«. Zweifellos wollte dies der erste dieser menschenfreundlichen Unternehmer, Titus Salt. Der Wunsch, seinen Mitmenschen pädagogisch Gutes zu tun, war in diesem Selfmademan aus der Zeit der Königin Victoria so ausgesprochen, daß er, ein entschiedener Nichtraucher , bei den großen Gastereien, die er zu geben hatte, niemals Zigarren ohne eine Broschüre über die Schäden herumreichen ließ, die der Tabakgenuß unserer Gesundheit zufügt. Titus Salt hatte sein Vermögen eigentlich einer einzigen klugen Spekulation zu 22

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verdanken: er erkannte den Wert der Alpaca-Wolle. Er verarbeitete, was seine Geschäftskollegen drauf und dran waren fortzuwerfen. So war er ein bedeutender Textilfabrikant und leitendes Mitglied der Stadtverwaltung von Bradford geworden, als er den Entschluß faßte, seine Fabrik mitsamt ihrer Belegschaft auf das Land zu verlegen. Er wollte das durchaus auf große Art tun - wobei der Baustil nicht, wie bei Ackroyd, die Gotik war, sondem die italienische Renaissance. Dieser Stil, eine Art Sempen-Renaissance, wurde zunächst auf die Werksgebäude selbst angewandt, und die Gebäude waren eines Semper vielleicht nicht unwürdig (Bild 10). Die Fabrik wurde sehr bewundert. Völlig im Geist des Untemehmens war es gedacht, daß Titus Salt beabsichtigte, den Crystal Palace in London zu kaufen und als einen Teil seiner Fabrik in Saltaire - so nannte er den Fabrikort - wieder aufrichten zu lassen. Technisch war das durchaus zu leisten, da Paxtons berühmtes Glashaus demontiert werden konnte. Das Gebäude erwies sich indessen als unpraktisch; aber die Tatsache, daß Titus Salt seinen Transport nach Saltaire ins Auge faßte, zeigt, wie hoch hinaus er wollte. Es wäre eine Sensation gewesen.

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10 Titus Salts T.::r.tiljlll,riA, Saltaire, begonrv.n 18J1

11 Plan

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12 Saltaire (beg~>nnen 18 j 1 ) : Architekten: Lockwood und 21-lawson

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Das Sensationelle, auf jeden Fall das Hochostentative, lag diesem echten Victorian durchaus. Er war ein Mann, der den Erfolg liebte, der gern Eindruck machte; gleichzeitig ein Asket, ein Mann von Prinzip und ein Philanthrop; und so ist denn auch die Arbeiterstadt, die er neben seiner Fabrik gebaut hat, eindrucksvoll; sie ist, wie die Fabrik selbst, ein Monument für Sir Titus. Und sie ist human; besonders aber ist sie etwas völlig Neues. Titus Salt schreibt dazu: »>ch werde alles tun, was ich kann, um so große übel wie verschmutzte Luft und verschmutztes Wasser zu vermeiden, und ich hoffe, um mich wohlgenährte, zufriedene, glückliche Arbeiter zu versammeln. Ich habe meinem Architekten Anweisungen gegeben, und der ist durchaus fähig, sie auszuführen; es soll alles getan werden, um diese Arbeiterhäuser zu einem Muster für das ganze Land zu machen.« Der Stadtplan, ein rechtwinkliger Straßenraster mit Häuserreihen, deren Abstände voneinander kaum größer waren als die in den üblichen, von Spekulanten erbauten Slums der großen Städte (Bild 11), war insofern neu, als die Straßen kurz waren, das Ganze überschaubar. Viel wichtiger - und neuer - war eben die Tatsache, daß diese kleine, regelmäßig angelegte, konventionell victorianische Arbeiterstadt im Grünen lag; weshalb das einzelne Reihenhaus auch mit dem geringen Hof im Rücken auskommen konnte: frische Luft durchwehte die ganze Ansiedlung und nicht die Luft von Coketown; denn Salt hatte die Fabrik im Norden der Ansiedlung hingestellt, vielmehr nördlich der Stadt und leicht nach Osten zurückgenommen, so daß Rauchbelästigung nur an wenigen Tagen des Jahres zu erwarten war. übrigens wirkt die Stadt weniger regelmäßig, als ihr Plan vermuten läßt, da sie in einem lebhaft hügeligen Gelände eingebettet ist. Und der Plan hat seine besonderen Züge: die von der Straße zurückgesetzte Gruppe der Alte-Leute-Häuser im Süden, die beiden Kirchen und ganz besonders der Platz, welcher zwischen der Doppelschule - für Knaben und Mädchen und dem Institut liegt. Das Institut mit seinem Turm und davor dem Schmuckplatz mit einem Löwendenkmal war die Krönung der Stadt. Es war das Bildungsmittel, durch welches der Fabrikherr und Stadtgründer seine Arbeiter geistig-sittlich zu heben beabsichtigte. Die Stadt hatte ungefähr 850 Häuser, und wenn man die durchschnittliche Familie mit fünf Köpfen annimmt, etwas über 4000 Einwohner. Diese Menschen sind keineswegs in ihrer kleinen Stadt eingepfercht; überdies sorgen zwei Areale mit Schrebergärten dafür, daß solche, die das wollen, auch die Tätigkeit und die Freuden des Gartens genießen dürfen. Das nördliche dieser Gartengelände endlich, am Fluß, geht unmittelbar in den Park über, in welchem auch für Sport und Spiel Vorsorge getroffen ist. Der Bau der ganzen Stadt, einschließlich der Fabrik selbst, begann am Anfang der fünfzigerJahreund war Ende des sechziger Jahre abgeschlossen (Bild 12).

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13 Plan von Bedford Park (187 5). Architekt: Richard Norman Shaw

Saltaire ist die erste große Schöpfung des Paternalismus, und in ihrem Charakter ist sie einmalig geblieben; denn Saltaire ist eine Stadt mit den Häusern der Arbeiterstadt, wie man sie damals verstand: kein Slum, selbstverständlich; Reihenhäuser, die, stünden sie in London, kleinbürgerlich genannt würden; und mit Plätzen, Anlagen und öffentlichen Gebäuden von durchaus städtischem Anspruch; sie besaßen eine gewisse düstere Pracht. Zwischen Saltaire aber und der nächsten großen Fabriksiedlung des Paternalismus, Bournville, begonnen 1879, liegen die Anfänge der Gartenbewegung. Einem menschenfreundlichen Unternehmer wie Georg Cadbury würde es nicht mehr genügt haben, ein städtisches Arbeiterviertel sozusagen aus der Stadt her-

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auszuheben und auf dem Land nahe seiner dort neu errichteten Fabrik niederzusetzen. Er wollte einem jeden Bewohner von Bournville Haus und Garten geben. Der Wunsch, den kleinen Mann aus der Stadt hinaus ins Grüne zu führen und ihm Haus und Garten zu geben, manifestiert sich zum ersten Male im Jahre 1875 bei der Gründung des Gartenvorortes Bedford Park (Bild 1(» 14), welcher 20 Kilometer von der City entfernt, damals also völlig außerhalb von London, gebaut wurde. Wenn ich sage »den kleinen Mann«, so meine ich nicht den Arbeiter und nicht einmal den Kleinbürger des Typus (Postbeamter), der in Battersea wohnt - oder in Steglitz. Ich meine Leute, die normaliter in den weniger herrschaftlichen Straßen von Kensington oder Saint Jones Wood leben würdenBerlin hat keine vergleichbaren Gegenden; denn in Kensington und in Saint Jones Wood gibt es Straße bei Straße mit Reihenhäusern und kleinen Gärten zwischen den Häuserreihen. Die Leute, die in London in solchen Reihenhäusern lebten, lebten in Berlin in Wohnungen. Nun wollten solche Leute, die es, nach Berliner Begriffen, eigentlich nicht nötig hatten, hinaus: hinaus beinahe aufs Land; aber nicht in eine Stadt auf dem Lande; vielmehr in eine kleine Wohnstadt mit stillen baumbestandenen Straßen und Einzel- und Doppelhäusern, auch einigen Reihen von Häusern, die aber nicht, wie in den städtischen Straßen, alle gleich aussahen und an der Straße aufgereiht standen wie Soldaten; Norman Shaw, der Erbauer von Bedford Park, mischte geschickt eine geringe Anzahl von Haustypen, so daß die Häuser auf den ersten Blick verschieden voneinander aussehen, und er stellte sie so auf, daß lebhafte Gruppen von Häusern entstanden. Bedford Park war erfolgreich, weil es der Großstadtfeindlichkeit der Zeit entsprach - man kann es auch Kleinstadtfreundlichkeit nennen; wobei jener nicht ganz ehrliche Kompromiß entstand, daß man die Kleinstadt fürs Wohnen dicht an die Großstadt pflanzte - und mit guter Bahnverbindung zu ihr. Der beste dieser Gartenvororte, Hampstead Gardensuburb, entstand erst nach 1900. Hier machten die Architekten Raymond Unwin und Barry Parker sehr neuartige Experimente mit geschlossener, halbgeschlossener und offener Bebauung und besonders mit der Auflösung der Bauflucht zugunsten freiräumlicher Gruppierungen (Bild 15)\ die dem Vorort eine städtische und doch freie Form geben sollten - Unwin wurde von der mittelalterlichen Stadt in Deutschland angeregt: sein Buch »Städtebau« ist voll von Beispielen aus Rotheuburg und ähnlichen Orten. Unwins Experimente sind bedeutend. Sie führen unmittelbar zum Plan für Radburn in den USA. Für unseren Gegenstand bedeutet Hampstead Garden Suburb deswegen viel, weil Unwin und Parker die Planer von Letchworth waren. Sie planten mit Überzeugung, denn sie waren Anhänger der Howardschen Ideen. 1 Das Beispiel einer solchen Gruppierung, das wir geben, stammt nicht aus Hampstead, sondern aus Letchworth. Letchworth wurde von den gleichen Architekten geplant.

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14 Bedford Park, Schaubild eines Straßenzuges

Barry Parkers Witwe lebt noch in Letchworth, in dem Teil des von Parker entworfenen Hauses, der sein Büro gewesen war. Die Entwicklung, die 1875 mit Bedford Park ihren Anfang genommen hatte, wirkte sofort auf die Gründungen des Paternalismus ein. Georg Cadbury wollte das Arbeiterhaus mit Garten, weil es sich so gehörte, weil man nur von dieser völligen Befreiung aus dem städtischen Reihenhaus-Slum, meinte er, die guten Ergebnisse für die Gesundheit der dort Lebenden erwarten konnte, die dann auch eingetreten sind, gemessen wurden, veröffentlicht wurden (vergleiche Tabelle). Alter

Gewicht in Pfund 6 J. 8 J. 10 J. 12 J.

Körpergröße in Zoll 6 J. 8 J. 10 J. 12 J.

Knaben 61,6 Bournville 71,8 45,0 52,9 44>3 Birmingham, Floodgate-Str. 39> 0 47,8 56,1 63,2 41,9 Mädchen Bournville 43,5 50,3 62,1 74>7 44> 2 Birmingham, Floodgate-Str. 39,4 45,6 59,9 65,7 4 1>7

48,3 51,9 54,8 46,2 49,6 52,3 48,6 52,1 44,8 48,1

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15 Frei gruppierte Reihen und Hofbildungen in Letchworth. Architekten: Unwin und Parker

Er wollte ferner den Garten als Hilfswirtschaft (Bild 16), und auch in diesem Sinne hat er sich bewährt. Ein Blick auf den Plan von Bournville (Bild 17) zeigt den Unterschied zu Saltaire; aber auch zu Hampstead Garden Suburb. Selbstverständlich gibt es in Bournville Doppelhäuser und kurze Reihen (drei, höchstend vier Häuser); aber die Bebauung an den geschwungenen Straßen des Ortes ist locker, ja formlos, etwa so wie die Berliner Vororte dann gebaut wurden, nur mit kleineren, enger beieinanderstehenden Häusern (Bild 17). Cadbury hatte den Arbeiter völlig von der Stadt befreit. Er war sich der Bedeutung seines Experiments bewußt, das heißt, er faßte es als einen Beitrag zur Lösung der "\Vohnungsfrage im ganzen Lande und der Arbeiterfrage schlechthin auf. Zur gleichen Zeit wie Cadbury, aus gleichen Gründen und mit ähnlichen Ergebnissen führte bei Liverpool in Port Sunlight der Seifenfabrikant Lever ein verwandtes Experiment durch. Lever und Cadbury bestanden keineswegs darauf, daß die Bewohner von Bournville oder Port Sunlight zum Werk gehörten. Diese Orte standen jedem offen, und im Jahre 19u waren etwa nur die Hälfte

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for Heroes« gebaut werden würden, welche das Kriegskabinett angekündigt hatte: Würden sie London weiter vergrößern, so wäre eine einmalige Gelegenheit vertan. Darum bildete sich innerhalb der Gartenstadtbewegung eine Gruppe der New-Towns-Men. Sie bestand aus Howard selbst, F. G. Osborn, G. B. Purdom und W. G. Taylor. Osborn schrieb für die New-Towns-Men das Buch »New Towns after the War«, Neue Städte nach dem Kriege (1918), in dem Regierungshilfe für die Gründung von 100 neuen Städten gefordert wird. Nicht 100 wurden gegründet, sondern eine, Welwyn, ohne Regierungshilfe und, wie wir gesehen haben, von einem Mitglied der Gruppe, Howard, hinter dem Rücken der anderen (vgl. Seite 14). Howard war offenbar der Meinung, daß es eines zweiten praktischen Erfolges bedürfe, ehe man hoffen könne, die Autoritäten zu überzeugen. Osborn, welcher bei allem Respekt für den Gründer aus seinem Gegensatz zu ihm in dieser Frage kein Hehl machte, schreibt: »Damals verlor die Association die ungeschmälerte Mitwirkung einiger fähiger Propagandisten: Rice, Howard und die New-Towns-Men wurden durch den Aufbau der neuen Gartenstadt Welwyn stark in Anspruch genommen1 .« Osborn und einige andere waren, im Gegensatz zu Howard, der Meinung, daß man nicht warten dürfe, daß das eine Beispiel, Letchworth, genügen müsse, daß es notwendig sei, die Forderung an die Regierung nach einer Politik der neuen Städte mit aller Kraft sofort zu erheben. Er geht indessen nicht so weit zu sagen, daß Welwyn an dem verhältnismäßig geringen Erfolg der Bemühungen, die die Jahre zwischen den Kriegen ausfüllten, schuld gewesen sei. Die Bemühungen waren stetig, und es gab sogar gewisse Erfolge in Form von Grundsatzerklärungen; dennoch mußte Osborn sein Buch von 1918 während des zweiten Krieges noch einmal veröffentlichen, mußte es als einen dringenden Aufruf, nach einem zweiten Friedensschluß zu tun, was nach dem ersten versäumt worden war, dem Publikum und besonders den Regierungsstellen ans Herz legen. Welwyn war ein sichtbarerer Erfolg, als Letchworth gewesen war. Sein Plan, in welchem Unwins freie Gruppen mit einer Verwirklichung von Howards anspruchsvoller Parkavenue - wenigstens einem Anlauf zu einer solchen Verwirklichung - verbunden war, seine einheitliche Architektur, beides das Werk von Louis de Soissons, seine erfolgreiche Industrie, sogar die Tatsache, daß man die Väter der Bewegung, besonders Howard selbst, in Welwyn finden konnte: alldas hat zu dem Erfolg der zweiten Gründung beigetragen. Das überzeugende Beispiel war da, sein Einfluß auf eine Änderung der Regierungspolitik ließ zu wünschen übrig. Es scheint uns unwahrscheinlich, daß die Association einen größeren Einfluß hätte ausüben können, wenn sie sich, wie Osborn es wollte, 1 Sir Frederic Osborn und Arnold Whittick. The New Towns, 1963. 2 3 Letchworth: Gesamtplan

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24 Letchworth: Reihenhäuser, Schaubild und Grundrisse

mit der Verwirklichung von Letchworth hinter sich nur noch der Propaganda gewidmet hätte. Rückblickend schreibt Osborn (op. cit.): »Sidney Webb pflegte zu sagen, daß zwischen der Veröffentlichung eines bedeutenden Reformplanes und seiner Annahme im breiten Publikum etwa 18 Jahre vergingen; und er konnte sich auf eindrucksvolle Beispiele für die Gültigkeit dieser Erfahrung stützen. Zwischen 18g8, dem Erscheinungsjahr von »Tomorrow«, und 1946, dem Jahr der »New Towns Act« liegen 48 Jahre. Warum hat es so lange gedauert? Einige Kritiker haben dafür - zum Teil wenigstens - Schwankungen in der Geradlinigkeit und Kraft verantwortlich gemacht, mit der die Association ihre Propaganda betrieb. Solche Schwankungen hat es gegeben. Aber klein und schwach an Mitteln, wie die Association war, hat sie 40

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25 Letchworth. Genossenschaftlicher Wohnhof mit gemeinsamer Küche und Eßraum. Der Gedanke geht auf Howard zurück

dennoch i=er den Gartenstadtgedanken und seine beiden Verwirklichungen sichtbar vertreten. Daß das Publikum nicht früher reagierte, war eher die Ursache als die Folge des geringen Einflusses, den die Association zu gewissen Zeiten besessen hat1.« Er beklagt es, daß nicht ein Propagandist vom Kaliber Rousseaus sich der Idee bemächtigt habe, muß indessen zugeben, daß auch Männer wie Howard und Unwin »keine schlechten Propagandisten« gewesen seien. Am Ende zuckt er die Achseln. »Es war einfach ein unglückliches zeitliches Zusammentreffen mit dem großen Aufblühen der Vororte um 1900 und der großen staatlichen Förderung für den Hausbau (eben dort! Der Herausgeber), der zwanziger und dreißiger Jahre.« 1

Vom Herausgeber hervorgehoben.

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Wir glauben nicht, daß das ein unglückliches zeitliches Zusammentreffen gewesen ist. Howard hatte den Landmagneten zu groß und den Stadtmagneten zu klein gezeichnet. Da er dies nicht sah, nicht sehen wollte, nicht sehen konnte, ist Osbom ein zu strenger Kritiker der eigenen Anstrengungen zwischen den beiden Kriegen gewesen. Daß die Association die Berichte der Kommissionen 1 beeinflussen konnte, die in diesen Jahren sich mit den Fragen des Wohnens, der Industrie und der Planung beschäftigt haben, und daß einige ihrer besten Mitglieder in diesen Gremien gesessen haben, war in Wahrheit ein großer Erfolg. Der Ausbruch des Krieges im Jahre 1939 unterbrach diese Entwicklung, aber nur für einen Augenblick. Unmittelbar nach der Battle of Britain im Oktober 1940 erhielt Lord Reith den Auftrag, dem Kabinett Vorschläge für eine Politik des Wiederaufbaues in Stadt und Land nach dem Kriege zu unterbreiten. Er war Minister für öffentliche Arbeiten im Kriegskabinett, und dies war der Anfang der Politik, welche zu Abercrombies Greater-London-Plan von 1944 und zu der New Towns Act von 1946 führte. Während der Kriegsjahre hielt die TCPA (Town and Country Planning Association) eine Reihe wichtiger Konferenzen ab. Es zeigte sich jetzt, in welchem Maße ihre Gedanken, also Howards Gedanken, Allgemeingut geworden waren. Es war nicht mehr wichtig, ob die führenden Persönlichkeiten, die dort das Wort ergriffen, der TCPA angehörten- viele von ihnen gehörten ihr an: daß Persönlichkeiten wie Trevelyan, Thomas Sharp, Olaf Stapledon und Lord Samuel dort sprachen, daß Lewis Silkin, der Mann, der

1 Die Neville-Chamberlain-Kommission: Bericht über die ungesunden Wohngegenden mit R. L. Rice, einem der Gründer der Association als Mitglied; die Marley-Kommission 1935 mit Sir Theodor Chambers, dem Vorsitzenden der Welwyn Garden City Limited als Mitglied: Ihr Bericht schlägt den Bau von Städten und eine Umsiedlung der Industrie vor; der Stewart-Bericht über Stadtregionen mit hoher Arbeitslosigkeit (1936), in dem empfohlen wurde, daß es verboten sein sollte, in London femer Fabriken zu bauen; die Barlow-Kommission (1938) mit Sir Patrick Abercrombie und Mrs. Lionel Hitchins. Sir Partick wurde in der Folge der Verfasser des Greater-London-Planes, das heißt, des Planes für die Londoner Stadtregion, welcher die Begrenzung Londons durch einen Grüngürtel und die Anlage neuer Städte jenseits dieses Grüngürtels vorsieht (1944). Abercrombie machte den Bericht der Minderheit in der Kommission, zu welchem später der Vorsitzende Barlow selbst sich bekannte. Barlow trat sogar der Association bei. Dies sind nur einige der Kommissionen, welche in diesen Jahrzehnten sich mit den durch Howard und durch die städtische und ländliche Not angeregten Fragen beschäftigten und in denen Mitglieder der Association vertreten waren oder vor denen solche Mitglieder Bericht erstatteten. In all diesen Berichten und in jedem von ihnen stärker als in dem vorhergehenden werden die Grundsätze Howards bekräftigt: Beschränkung des Wachstums der Großstädte, besonders Londons, Verlagerung von Industrien, Gründung neuer Städte.

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6 Hausgrundriß, Letchworth. Unwin und Parker (1908)

27 Wohnraum in dem Hause Bild 26. Grundriß und Wohnraum zeigen die Qualität des Tf'erkes von Unwin und Parker

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dann für die gesetzlichen Grundlagen verantwortlich wurde, auf denen die neuen Städte ruhen, und daß andere Howards Gedanken vertraten, zeigt, wie tief diese Gedanken in das Bewußtsein der führendenMännerund Frauen der Nation eingedrungen waren. Es zeigt- bedürfte es dieses Beweises noch-, daß die New Towns eine Folge von »Tomorrow« sind. Frederic Osborn, engster Mitarbeiter Howards, Manager der zweiten Gartenstadt und Vorsitzender der TCP A, war eines der Mitglieder des New Town Commitee von 1945: derselbe Osborn, der heute noch die lebendige Verkörperung des Gartenstadtgedankens ist. Zwischen 1947 und 1950 wurden die ersten 15 dieser neuen Städte begonnen. Bis zum Erscheinen des Buches von Osborn und Whittick im Jahre 1963 waren es 21. Und obwohl die Gestalt dieser Städte sich ändert, so daß bereits Cumbernauld (1956 begonnen) von den 9 Jahre früher begonnenen Harlow und Crawley völlig verschieden ist, hat man keine Ursache gesehen, das Prinzip selbst, die Gründung neuer, in sich selbst vollständiger Städte von begrenztem Umfang in Frage zu stellen. Das ist das Prinzip Howards. Daß das Prinzip internationale Gültigkeit erlangt hat, dafür sind die Gründungen in vielen Ländern ein Beleg (14 allein in der Bundesrepublik). In Deutschland besonders hat es bereits in den ersten Jahren des Jahrhunderts eine aktive Gartenstadtbewegung gegeben (Berlepsch- Valendas, Kampffmeyer, Eberstadt). So weit reichen die unmittelbaren Folgen des Buches, das wir, zum erstenmal seit 1907, wieder in deutscher Sprache vorlegen. Wir können sie hier nur erwähnen. Die Versuchung war groß, auch ihre Geschichte zu schreiben, auch sie mit Dokumenten zu belegen; aber beides: The New Towns und die Gartenstadtbewegung außerhalb Englands, besonders in Deutschland, sind Themen für sich, denen man nur gerecht werden könnte, wenn man dem gegenwärtigen Band einen zweiten von gleicher Stärke beifügen wollte. Wir wollten den Text selbst in den Mittelpunkt stellen. Seit 30 Jahren habe ich diesen Text gelesen und wieder gelesen, niemals ohne die tiefste Bewunderung; denn in ihm wird das Problem der menschlichen Umwelt, eine der großen Fragen des Jahrhunderts, als ein politisches Problem angesprochen: politisch und moralisch; durchaus nicht als ein ästhetisches Problem. Was tut der Mensch mit der Erde, die ihm geschenkt ist, fragt Howard. Was tut er mit seinesgleichen? Was tut er mit sich selbst? Die Antwort, daß uns nur eine Verbindung größter persönlicher Freiheit mit größtem Gemeinsinn helfen kann, daß beide einander bedürfen, daß diese Verbindung die wahre conditio humana sei: diese Antwort muß noch, muß immer wieder gelten. Nicht anders kann ich die Unruhe verstehen, die eben jetzt sich der Jugend bemächtigt. 28 Fabrik in Letchworth: als Cottage verkleidet. Um 1910

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29 Welwyn (seit 1920 ), Gesamtplan. Architekt: Louis de Soissons

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Die Übersetzung, die wir benutzen, ist die der Ausgabe von 1907. Wir haben einige Termini verbessert, die uns mißverständlich schienen, und einige Unebenheiten geglättet. Im übrigen haben wir die Übersetzung gelassen, wie wir sie vorgefunden haben. Sie ist Howards kräftigem Englisch nicht adäquat; aber welche Übersetzung wäre das? Die gewisse Umständlichkeit ihrer Sprache schien uns jedoch für die Zeit der stärksten Wirkung Howards in Deutschland so bezeichnend zu sein, daß wir sie so wenig wie möglich antasten wollten. Sie ist ein Dokument der deutschen Gartenstadtbewegung: das einzige, welches wir geben. Howards Motti allerdings haben wir alle gegeben. Die deutsche Ausgabe von 1907läßt einige der bezeichnendsten unter ihnen fort. Das Vorwort der damaligen deutschen Ausgabe von Franz Oppenheimer haben wir fortgelassen. Franz Oppenheimer ist ganz gewiß, wie er sagt, Fleisch vom Fleische Howards. Die Aussaugung des Landes und der Gedanke, dem Lande durch genossenschaftliche Verbände neues Leben zuzuführen, ist sein Thema, wie es Howards Thema ist; aber das Vorwort macht so sichtbar durch den Lauf der Geschichte widerlegte Voraussagen, daß es wenig zu einer Ausgabe von Howard beitragen kann, die für die Gegenwart bestimmt ist. Dagegen haben wir Howards eigenes Nachwort von 1907 gegeben, welches in Osboms Ausgabe von 1946 nicht enthalten war. Dieses Nachwort war für Osbom ein historisches Dokument, und er betrachtete die Herausgabe des Textes im Jahre 1946 als einen Akt der Propaganda in einem wichtigen Augenblick: Es ist das Jahr der New Towns Act. Das wird völlig klar, wenn man Osboms eigenes Vorwort zu dieser Ausgabe liest. Es ist nicht das Vorwort eines literarischen Herausgebers, sondern der Beitrag eines Mitkämpfers zu der Sache, die Howard vertritt: ein politischer Akt. Es gehört darum zur Nachgeschichte des Buches, auf die wir eben hingedeutet haben1 . Mumfords Vorwort ist ebenfalls engagiert, nicht objektiv literarisch oder historisch wertend. Für den Protagonisten städtischer Dezentralisation ist Howards Buch etwas wie eine Bibel. Diese Texte, Howards Buch und Osboms Vorwort, bilden den Auftakt zu dem Bau der neuen Städte in England. In den rund zwanzig Jahren, die seitdem verflossen sind, hat sich die geistige Situation verändert. Die ersten unter den neuen Städten überzeugten nicht. Man meinte, es fehle ihnen an Gestalt. Man fragte, warum auf dem Lande breite Grüngürtel die einzelnen Nachbarschafren innerhalb von Harlow oder Crawley voneinander abgrenzen müssen, da diese Nachbarschafren selbst schon offen gebaut waren. Die Gründungen seit Cumbernauld (1956) werden zusehends städtischer in ihrer Anlage. 1 Osboms Vorwort ist freilich erheblich mehr, als nur das: es ist ein Meisterwerk der Analyse, von einem Mann geschrieben, der Howards Gedanken weitergedacht hat; und es ist ein warmer Tribut für Howards Persönlichkeit.

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An die Stelle der künstlichen Ausweitung der ersten Städte tritt hier bereits eine künstliche Zusammenballung. Sie ist ein Ausdruck der Bewegung für die Stadt, für das Gewimmel der Menschen in ihr, für die Mischung aller städtischen Funktionen und ihre ständige Begegnung innerhalb der Stadt: für das, mit einem Wort, was man das Urbane nennt. Diese Stadtbejahung ist an die Stelle der Stadtfeindlichkeit getreten, welche zu Howards Zeit verbreitet war. Die Stadtfeindlichkeit hatte ihren Grund; und da in dem durch Bomben »sanierten« Berlin die Neigung besteht, die finstere und übelriechende Stadt des vorigen (aber auch noch dieses) Jahrhunderts zu vergessen, haben wir die Texte von Dickens und Reine eingefügt, die ihre Schrecken aufrufen. Diese Schrecken sind der Hintergrund der Gartenstadt. Bedford Park und Hampstead Garden Suburb, Gründungen der Stadtflucht, sind ihr zeitgenössisch. So hat man in der Gartenstadt selbst einen Ausdruck der Stadtflucht gesehen, und man verwechselt sie auch heute mit dem Gartenvorort, ja, mit den Schrebergärten. This is where we came in. Und es seien mir zum Abschluß lediglich zwei Worte gestattet: 1. Die so denken, verkennen, daß Howard nie etwas anderes gewollt hat als die Stadt. Osborn erzählt, er habe sogar mit dem Ausdruck Gartenstadt mehr die Stadt im Garten gemeint, die Stadt in der englischen Parklandschaft, als eine Stadt der Gärten1 • 2. Allerdings meinte er auch dies, er meinte eine Stadt anderer Struktur, als die Großstadt seiner Zeit. Das soll gewiß nicht geleugnet werden; und er erkannte, daß der Garten ein städtisches Element ist. Dieser Meinung schließt sich der gegenwärtige Herausgeber an. Was immer die Zukunft der Städte sein wird, er vermag nicht zu glauben, daß die Wohnungen der Menschen in einem Stahlgespinst über dem Ärmelkanal hängen werden (Projekt von Schulze-Fielitz). Auf keinen Fall werden sie lange dort hängen. Völlige Trennung vom Boden kann der Mensch, bei all seiner Anpassungsfähigkeit, nicht überstehen. In dieser Überzeugung ist der gegenwärtige Herausgeber ein echter Howardianer. Berlin, im November 1968

Julius Poseuer

1 Vgl. »Bemerkungen zur Terminologie« am Ende von Osboms Vorwort, S. 179. 30 Aus dem Plan von Welwyn: rechts der Park Way. Freie Gruppierungen und Hofbildungen, wie Unwin sie meist geplant hatte

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Neue Zeiten - neue Ziele. Heißen Atems, ohne Ruh Strebt im heil' gen Dienst des Wahren Höherer Vollendung zu! Durch der Wogen wilde Brandung Treibet Eures Schiffes Kiel! Seht! Der Wahrheit helle Leuchte Weist Euch ein beglückend Ziel. Landet an der Zukunft Ufern Frei von Schuld, von Fehle rein! Dann erschließt des Glückes Pforte Euch ein neues, höh'res Sein.

»The Present Crisis«

J. R. Lowell

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GARTENSTÄDTE VON MORGEN

EINLEITUNG

Neues Leben, neues Ringen und Streben, das sich in der Stille unter der Kruste der Reaktion vorbereitet hat, tritt plötzlich zutage. Green: »Kurze Geschichte des englischen Volkes.Kristall-Palast< schon seit langem geschlossen«. Spricht man über den Opiumhandel, so wird 4*

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einerseits behauptet, das Opium untergrabe zusehends die sittliche Kraft des chinesischen Volkes, und auf der andern Seite wird geltend gemacht, diese Ansicht beruhe auf Täuschung; der Chinese sei dank des Opiums zu Arbeiten fähig, die dem Europäer unmöglich sind, und zwar bei einer Ernährung, über die der anspruchsloseste Engländer vor Ekel die Nase rümpfen würde. Religion und politische Fragen trennen uns allzuoft in feindliche Lager. So kommt es denn, daß gerade auf den Gebieten, auf denen allein Ruhe, leidenschaftsloses Denken und ideales Fühlen klare Oberzeugungen und gesunde Grundsätze für jedwede Betätigung erzeugen können, sich dem Zuschauer Schlachtgetöse und Kampfesgewühl der streitenden Feinde viel stärker aufdrängen als Wahrheits- und Vaterlandsliebe, die doch sicherlich fast jede Brust beseelen. Eine Frage jedoch gibt es, bei deren Behandlung man kaum auf Meinungsverschiedenheiten stößt: Der Umstand, daß das Volk dauernd in die schon übervölkerten Städte strömt und so die ländlichen Distrikte mehr und mehr entvölkert, wird allgemein aufs tiefste von den Anhängern aller Parteien beklagt, nicht allein in England, sondern in ganz Europa, Amerika und in unsern Kolonien. In einer Rede, die Lord Rosebery vor einigen Jahren als Präsident der Londoner Grafschaftsverwaltung hielt\ legte er besonderen Nachdruck auf folgende Stelle: »Der Gedanke an London ruft nicht den geringsten Stolz in mir wach. Wie ein Schreckgespenst verfolgt mich die Ungeheuerlichkeit Londons, die fürchterliche Tatsache, daß Tausende von Menschen scheinbar vom Zufall an die Ufer dieses stolzen Stromes verschlagen worden sind, wo jeder in seiner eigenen Hütte und seiner eigenen Zelle arbeitet, ohne auf den andern Rücksicht zu nehmen oder ihn zu kennen, ohne ihn auch nur zu beachten, ja ohne die geringste Ahnung zu haben, wie der andere lebt - diese blinde Zufälligkeit des Geschickes vieler Tausende von Menschen. Vor sechzig Jahren nannte ein berühmter Engländer, Cobbet, London einen Auswuchs. Wenn es schon damals ein Auswuchs war, was ist es dann jetzt?! Eine krankhafte Wucherung, eine Elefantiasis, die in ihr krankhaftes System die Hälfte des Lebensblutes und des Markes der ländlichen Distrikte saugt.« Sir John Gorst weist auf das übel hin und schlägt folgendes Heilmittel vor: »Wenn man dem übel dauernd abhelfen will, so muß dessen Ursache beseitigt werden. Man muß die Flut zurückdämmen. Dem Zuzug der Bevölkerung in die 1 »London County Council (L. C. C.)Nicht ruhen soll der Geisteskampf, Das Schwert nicht rasten in der Hand, Bis neu ersteht J erusalem, In Englands schönem, grünem Land.« Blake >>Der Umbau der schon vorhandenen Häuser, wie es Gesundheit und Sittlichkeit verlangen; die Errichtung neuer, fest und schön gebauter W ohnstätten, und zwar in Gruppen von begrenztem Umfang, die der ganzen Anlage entsprechen; die Umschließung derselben mit Mauern, so daß es nirgends mehr ungesunde, elende Vorstädte geben kann, sondern drinnen nur schöne, belebte Straßen und draußen freies Land; außerhalb der Mauern ein Gürtel schöner Zier- und Obstgärten, so daß die Bewohner von jedem Punkt der Stadt in ein paar Minuten in vollkommen frische Luft und ins Grüne gelangen und den Anblick des weiten Horizontes genießen können - das ist das Endziel!« lohn Ruskin, »Sesam und Lilien« Der Leser stelle sich ein Gelände von einem Flächeninhalt von etwa 2400 ha vor, das bisher lediglich landwirtschaftlichen Zwecken dient und im freien Grundstücksverkehr mit einem Aufwand von Mk. 2000 1 pro Hektar, also im ganzen für Mk. 4 8oo ooo, erworben worden ist. Die Kaufsumme ist durch Aufnahme von Hypotheken aufgebracht worden und wird zu einem Durchschnittszinsfuß von höchstens 4 °/o verzinst2 • Das Grundstück ist gesetzlich auf den Namen von vier Personen eingetragen, die sich alle in verantwortungsvoller Stellung befinden und Ansehen und tadellosen Ruf genießen. Diese verwalten es, um sowohl den Hypothekengläubigern sowie den Bewohnern der Gartenstadt - des LandStadt-Magneten, der darauf geschaffen werden soll - die nötige Sicherheit zu bieten. Eine wesentliche Eigentümlichkeit des Planes besteht darin, daß alle Bodenrenten, die auf dem jährlichen Ertragswert des Landes basieren, an die Verwalter - das Trust-Kollegium - zu zahlen sind. Dieses händigt nach den nöti1 Dies war im Jahre 1898 der Durchschnittspreis für Ackerland. Da diese Schätzung mehr als reichlich hoch ist, wird sie auch wohl kaum irgendwo wesentlich überschritten werden. 2 Wahrscheinlich wird man von dem in diesem Buch beschriebenen Finanzplan wohl in der Form, aber nicht im Prinzip abweichen. Bevor man über einen bestimmten Plan einig geworden ist, halte ich es für richtiger, den Plan genau so zu wiederholen, wie in »To-Morrow«, dem ursprünglichen Titel dieses Buches, welches den Anlaß zur Gründung der »Gartenstadt-Gesellschaft« gab.

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N.B. DIAGRAN ONLY. UHTIL SITE SEUCTED 32 Diagramm der Gartenstadt (18 9 8)

gen Abzügen für Zinsen und Amortisationsfonds den überschuß an den Rauptverwaltungsrat der Stadtgemeinde aus, und letzterer verwendet den überschuß zur Schaffung und Instandhaltung aller öffentlichen Anlagen wie Straßen, Schulen, Parks usw. Der Zweck dieses Landerwerbs kann auf verschiedene Weise auseinandergesetzt werden; hier genügt es, ihn folgendermaßen darzutun: Unserer Industriebevölkerung soll Arbeit zu Löhnen von höherer Kaufkraft geboten und gesundere Umgebung und regelmäßigere Beschäftigung gesichert werden; unternehmenden Fabrikanten, gemeinnützigen Gesellschaften, Architekten, Ingenieuren, Bauunternehmern und Handwerkern aller Art sowie Angehörigen anderer Berufszweige will man ein Mittel an die Hand geben, ihre Kapitalien und Talente auf neue und bessere Weise als bisher zu verwerten. Zu gleicher Zeit beabsichtigt man, den schon auf dem Grundstück ansässigen Landwirten und denen, die sich dort niederlassen werden, einen neuen Absatzmarkt für ihre Produkte dicht vor ihrer Tür zu eröffnen. Kurz, der Zweck des Planes besteht darin, daß man allen wirklich tüchtigen Arbeitern, gleichviel welcher Klasse sie angehören, ein höheres

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33 Teil des Planes der Gartenstadt 1898

Maß von Gesundheit und Wohlbehagen bieten will. Das Mittel für diesen Zweck ist eine gesunde, natürliche und wirtschaftliche Vereinigung von Stadt- und Landleben und zwar auf Grund und Boden, der sich im Gemeindeeigentum befindet. Die eigentliche Stadt, die ungefähr im Mittelpunkt der 2400 ha liegen soll, bedeckt ein Areal von 400 ha oder den sechsten Teil der Gesamtfläche und kann in kreisrunder Form gedacht werden; sie mißt etwas über einen Kilometer vom Mittelpunkt bis zur Peripherie. (Diagramm II zeigt den Grundriß des ganzen Stadtgebiets mit der Stadt im Mittelpunkt, und Diagramm III, das einen Ausschnitt oder Bezirk der Stadt darstellt, wird einen Anhalt für die Beschreibung der eigentlichen Stadt gewähren. Diese Beschreibung bedeutet jedoch nichts weiter als eine Anregung, von der wahrscheinlich in vielen Punkten abgewichen werden wird.) Sechs prächtige Boulevards, von denen jeder 0 6 m breit ist, durchschneiden

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die Stadt als Radien und teilen sie so in sechs gleiche Teile oder Bezirke. Im Mittelpunkt befindet sich ein kreisrunder, etwa 2 1/4 ha großer Platz: eine schöne Gartenanlage mit Wasserkünsten. Um diese gruppieren sich die größeren öffentlichen Gebäude - Rathaus, Konzert- und Vortragshalle, Theater, Bibliothek, Museum, Bildergalerie und Krankenhaus - jedes von geräumigen Gärten umgeben. An diese Baulichkeiten schließt sich ein öffentlicher Park von 58 ha Größe mit weiten Spiel- und Erholungsplätzen, die für jeden Bewohner leicht zu erreichen sind. Rund um den Zentralpark (mit Ausnahme der Stellen, wo er von den Boulevards durchschnitten wird) läuft eine breite Glashalle, der »Kristallpalast«, der sich nach der Parkseite öffnet. Dieses Gebäude ist bei nassem Wetter eine beliebte Zufluchtsstätte der Bewohner, und das Bewußtsein der unmittelbaren Nähe dieses prächtigen Schutzdaches lockt die Leute selbst bei dem zweifelhaftesten Wetter in den Zentralpark. Hier sind Waren der verschiedensten Art zum Kauf ausgestellt, und hier wird der größte Teil der Einkäufe besorgt, die mit Überlegung und Muße gemacht sein wollen. Der Raum, den der »Kristallpalast« einschließt, ist jedoch bedeutend größer, als zu diesem Zweck notwendig, und ein beträchtlicher Teil desselben dient daher als Wintergarten. Das Ganze bildet eine höchst anziehende, ständige Ausstellung, die durch ihre kreisrunde Anlage für jeden Einwohner leicht zu erreichen ist; denn selbst für diejenigen, die am weitesten vom Mittelpunkt entfernt wohnen, liegt sie nicht weiter als etwa 6oo m entfernt. Wenn wir den Kristallpalast verlassen und uns dem äußeren Ring der Stadt zuwenden, so kreuzen wir die Fünfte Avenue, die wie alle Straßen der Stadt mit Bäumen bepflanzt ist. In dieser Avenue sehen wir, dem »Kristallpalast« zugewendet, einen Gürtel vortrefflich gebauter Häuser, jedes mit eigenem, gut bemessenem Garten, und im Weitergehen fällt uns auf, daß die Häuser entweder in konzentrischen Kreuzen an den Ringstraßen oder Avenuen liegen oder an den Boulevards und Straßen, die auf den Mittelpunkt der Stadt zulaufen. Auf unsere Frage, wie groß die Bevölkerung dieser kleinen Stadt sei, antwortet uns unser freundlicher Begleiter, sie betrage in der Stadt selbst ungefähr 30 ooo und in dem landwirtschaftlichen Bezirk ungefähr 2000; das Stadtterrain sei in 5500 Bauplätze aufgeteilt von durchschnittlich6mBreite und 40 m Tiefe; die kleinste zulässige Größe einer Parzelle sei 6 m Breite zu 31 m Tiefe. Die große Mannigfaltigkeit, die in der Bauart und Zweckbesti=ung der einzelnen Häuser und Häusergruppen - einige haben gemeinsame Gärten und Speiseräume - zum Ausdruck ko=t, fällt uns auf. Wir hören dazu, daß die Stadtverwaltung hauptsächlich nur auf die Innehaltung der Fluchtlinien achte, unter Zulassung aller Abweichungen, welche die Harmonie des Ganzen nicht stören, und vor allem eine gesunde Bauweise erzwinge, im übrigen aber dem individuellen Geschmack und Bedürfnis freien Spielraum lasse.

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Auf unserm Weg nach dem Außenring der Stadt kommen wir auf die »Große Avenue«. Sie verdient ihren Namen in vollem Umfang, denn sie ist etwa 130m breit und stellt eine ringförmige Anlage von etwa 5 Kilometer Länge dar 1 , welche den außerhalb des Zentralparkes gelegenen Teil der Stadt in zwei große Gürtel teilt. In Wirklichkeit bildet sie einen zweiten Park von 46 ha, der für den entferntesten Bewohner in 3-4 Minuten zu erreichen ist. In dieser prächtigen Avenue finden wir auf sechs je etwa 1 1/2 ha großen Plätzen die öffentlichen Schulen mit den dazugehörigen Spielplätzen und Gärten. Andere Grundstücke sind für Kirchen der verschiedenen Glaubensrichtungen vorbehalten, deren Anhänger sie aus ihren eigenen Fonds erbauen und unterhalten. Wie wir sehen, weichen die Fluchtlinien der Häuser (wenigstens in dem einen auf Diagramm III dargestellten Bezirk) von dem allgemeinen Plan des konzentrischen Kreises ab. Sie sind halbmondförmig angeordnet, um eine längere Frontlinie in der großen Avenue zu gewinnen und dem Auge die an sich schon großartige Breite der Avenue noch imposanter erscheinen zu lassen. Am Außenring der Stadt finden wir Fabriken, Lagerhäuser, Meiereien, Märkte, Kohlen- und Zimmerplätze usw. Alle diese Grundstücke liegen an der Ringbahn, welche die ganze Stadt umkreist und durch Anschlußgleise mit der Haupteisenbahnlinie verbunden ist, die das Gartenstadtgebiet durchschneidet. Diese Einrichtung macht es möglich, die Waren aus den Lagerhäusern und Werkstätten direkt in die Eisenbahnwagen zu verladen und mit der Bahn nach entfernt gelegenen Märkten zu versenden oder aus den Wagen direkt in die Speicher und Fabriken zu bringen. Auf diese Weise werden einerseits bedeutende Ersparnisse an Verpackungs- und Transportkosten erzielt und der Verlust durch Bruch wird auf ein Minimum reduziert werden. Andererseits werden durch die Beschränkung des Lastverkehrs in den Straßen der Stadt die Straßenunterhaltungskosten bedeutend herabgemindert werden. Auch der Rauchplage wird man in der Gartenstadt beikommen. Alle Maschinen werden durch Elektrizität betrieben werden, und dieser Umstand wird auch die Elektrizität für Licht und andere Zwecke sehr verbilligen. Die Abfallstoffe der Stadt werden auf dem landwirtschaftlichen Gürtel Verwendung finden. Dieser letztere befindet sich sowohl unter landwirtschaftlichen Groß- wie Kleinbetrieben sowie auch unter Weidewirtschaft. Der natürliche Wettstreit dieser Wirtschaftsmethoden wird einerseits in der Bereitwilligkeit der Pächter zum Ausdruck kommen, der Gemeinde möglichst hohe Pachten zu zahlen. Andererseits wird er dazu beitragen, das beste Wirtschaftssystem oder, richtiger, die VVirtschaftssysteme herauszubilden, die den jeweiligen Zwecken am besten dienen. So mag sich beispielsweise der Weizenbau auf weiten Flächen im kapi1

Der Kurfürstendamm ist nur 53 m breit. (Hrsg.)

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talistischen oder genossenschaftlichen Großbetrieb als vorteilhaft erweisen. Dagegen mag die Kultur von Gemüse, Obst und Blumen, die eine interessiertere und mehr persönliche Pflege sowie einen höheren Grad von Kunstsinn und Erfindungsgabe erfordem, besser in den Händen von einzelnen Individuen oder Gruppen von Individuen gedeihen, die über den Wert bestimmter Kultur- und Düngungsmethoden sowie über Treib- und Freilandkulturen einer Meinung sind. Diese Richtschnur oder besser diese Abwesenheit einer für alle bindenden Richtschnur geht den Gefahren der Stagnation und des Stillstandes aus dem vVeg. Sie ermutigt die Initiative des Individuums und läßt zu gleicher Zeit genossenschaftlicher Tätigkeit freien Spielraum. Und tritt durch den entfachten Wettbewerb eine Erhöhung der Pachten ein, so sind diese Eigentum der Allgemeinheit, der Gemeinde, und werden zum größten Teil in ständigen Verbesserungen angelegt werden. Endlich werden die Landwirte der Stadtgemarkung in der eigentlichen Stadt mit ihrer in den verschiedenen Handels-, Gewerbs- und Berufszweigen tätigen Bevölkerung ihren natürlichsten Absatzmarkt finden, da sie hier alle Eisenbahnfrachten und sonstigen Unkosten sparen. Jedoch sind sie, ebenso wie andere Gewerbetreibende, keineswegs auf die Stadt als ihr einziges Absatzgebiet beschränkt. Es steht ihnen vollkommen frei, ihre Produkte überall hin und an jedermann zu verkaufen. Hier wie überall im ganzen Plan handelt es sich nicht darum, die Rechte der Individuen zu beschränken, sandem den Spielraum für ihr Wünschen und Streben zu erweitem. Das gleiche Prinzip der Freiheit gilt auch für die Fabrikanten und andere Berufstätige, die sich in der Stadt niedergelassen haben. Sie sind unbeschränkte Herren in ihren Betrieben. Davon abgesehen sind sie natürlich an das allgemeine Landesgesetz sowie an die Vorschriften gebunden, die für Werkstätten bestimmte Raumverhältnisse und gesundheitliche Bedingungen vorsehen. Selbst was die Fragen der Wasser- und Lichtversorgung sowie des Telefonverkehrs angeht, so ist nicht an ein absolutes Gemeindemonopol gedacht. An sich wird ja eine tatkräftige und von ehrenhaften Absichten geleitete Gemeindeverwaltung sicherlich die beste und geeignetste Körperschaft für die Übernahme dieser Aufgaben sein. Wenn jedoch eine private gemeinnützige Körperschaft oder eine Gesellschaft sich als leistungsfähiger auf einem Gebiet erweist, so darf ihr nichts im Weg stehen, die Stadt oder einen Teil derselben zu bedienen. Eine gesunde Sache setzt sich auch ohne Unterstützung durch, genauso wie eine gute Idee. Das Tätigkeitsgebiet der Gemeinden und privaten gemeinnützigen Gesellschaften dehnt sich immer mehr aus; aber wenn dem so ist, so geschieht es, weil man Vertrauen in diese Tätigkeit setzt, und dieses Vertrauen wird am besten dadurch bewiesen, daß man volle Freiheit läßt.

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über das Stadtgebiet sehen wir verschiedene wohltätige und gemeinnützige Anstalten verstreut. Sie stehen nicht unter der Aufsicht der Stadtverwaltung, sondem werden von sozial denkenden Personen unterhalten und verwaltet. Die Stadtverwaltung hat diese nur aufgefordert, ihre Institute in der Gartenstadt zu errichten und hat ihnen dafür Grund und Boden in gesunder freier Lage zu einem Spottpreis verpachtet: Die Stadtbehörden haben eingesehen, daß sie in dieser Weise freigebig sein müssen und können. Denn was solche Institute ausgeben, kommt wieder der ganzen Stadtgemeinde zugute. Und dann sind diese Leute auch stets die tatkräftigsten und hilfreichsten Glieder des Gemeinwesens, dem sie sich anschließen. Da ist es nur recht und billig, daß ihren Pfleglingen, unseren hilfloseren Mitbrüdern, auch der Segen eines Experimentes zuteil wird, das die ganze Menschheit beglücken soll.

Anm.: Folgendes Motto stand in der Ausgabe von 1898 über diesem Kapitel: »Man liebt auf die Dauer nur die Landschaft, die voll freudiger menschlicher Arbeit ist; glatte Felder, schöne Gärten; reiche Fruchtgehege: eine geordnete, eine heitere Landschaft, in welcher überall die Heime der Menschen stehen; sie tönt wider von den Stimmen des Lebens. Schweigen beglückt nicht; was beglückt, sind die sanften Laute des Daseins: Vogelzwitschem, das Summen der Insekten und die ruhigen Worte derMännerund das Jauchzen der Kinder. Wenn wir lernen zu leben, werden wir finden: Was schön ist, ist stets auch notwendig für das Leben; - die wilden Blumen des Rains ebenso wie das Kornfeld; die Vögel und die Tiere des Waldes ebenso wie das Vieh in seinen Gehegen; denn der Mensch lebt nicht von Brot allein, er braucht auch das Manna in der Wüste. Er braucht jede Offenbarung Gottes und ein jedes seiner gehehnnisvollen Werke. (John Ruskin: Unto This Last, 1862.)« (Osborn)

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Zweites Kapitel DIE EINNAHMEN DER GARTENSTADT 1 UND IHRE QUELLENLANDWIRTSCHAFTLICHER BEZIRK »Mein Ziel ist, eine Gemeinde zu entwerfen, welche unter wissenschaftlich fundierten Bedingungen lebt und leben will, die dem Ideal der Gesundheit zumindest nahekommt, sofern sie es nicht erreicht: Dort wird die Sterblichkeitsquote denkbar niedrig sein und die Menschen werden dort denkbar lange leben.« Dr. B. W. Richardson: Hygeia- eine Stadt der Gesundheit (1876). "Haben wir erst einmal überall Entwässerung, die den Böden wieder zuführt, was ihnen durch die Ernte entzogen wurde, und damit verbunden eine neue Sozialwirtschaft, so wird die Fruchtbarkeit der Erde verzehnfacht, und es wird kaum mehr Armut geben. Wenn man dann noch die Ausbeutung abschafft, dann ist das ganze Problem gelöst.The Coming Revolution« von Capt. Petavel, I sh, beide bei Swan Sonnenschein & Co. erschienen. (Fußnote von Howard, erweitert in der deutschen Ausgabe von I907.)

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Themse als einem praktischen Problem nähertraten, mußten wir sofort die Tatsache anerkennen, daß das Hauptentwässerungssystem in seinen Grundzügen unabänderlich vorgezeichnet war und daß man damit ebenso rechnen müsse wie mit den Hauptverkehrslinien, gleichgültig, ob beide unsern Wünschen entsprechen oder nicht.« In der Gartenstadt dagegen würde ein geschiCkter Ingenieur mit verhältnismäßig geringen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Er würde sozusagen ein unbeschriebenes Blatt für seine Pläne vorfinden, und, da auch das gesamte Gebiet zugleich der Stadtgemeinde gehört, freie Bahn vor sich haben und zweifellos mit Erfolg zur besseren Nutzung der Ländereien beitragen können. Die Schaffung von kleineren PachtgrundstüCken würde, besonders wenn sie so günstig liegen wie auf Diagramm II, zur Erhöhung des Gesamtrenteertrages beitragen. Das Wachsen der Rente für landwirtschaftliche Grundstücke würde aber auch noch durch ganz andere Gründe bedingt werden. Das Wachsen der Pachten für die Ländereien hängt nicht nur von einem wohldurchdachten Kanalisationssystem und der Nähe eines neuen, erweiterungsfähigen Marktes mit einzigartigen Transporterleichterungen nach entfernter gelegenen Märkten ab. Ein anderer wesentlicher Faktor kommt hinzu, nämlich die Art des Bodenrechts und des Pachtverhältnisses. Gerade dieses Moment wird den Landwirt des Gartenstadt-Gebietes zur intensivsten Bewirtschaftung ermuntern, denn es ist eine gerechte Pacht. Folgende Grundsätze werden hier gelten: Die Ländereien werden zu landesüblichen Preisen verpachtet. Der erste Pächter darf auf dem Land sitzenbleiben, solange er bereit ist, ebenso viel Rente zu bezahlen, wie irgendein Interessent abzüglich, sagen wir einmal, 10 °/o, die er weniger zu zahlen brauchte. Der neue Pächter muß den fortziehenden Pächter für alle noch unausgenutzten Aufwendungen entschädigen. Unter solchen Verhältnissen könnte sich einerseits der Pächter nicht unbilligerweise einen Teil der steigenden Bodenrente aneignen, deren Höhe ja durch die allgemein wachsende Wohlfahrt der Stadt bedingt ist. Auf der anderen Seite hätte er jedoch billigerweise den Vorzug vor jedem Neureflektanten, und er würde die Gewißheit haben, daß er nicht die Früchte seines Fleißes verlieren würde, die wohl zur Hebung des Bodenwertes beitragen, aber noch nicht von ihm geerntet werden konnten. Es muß jedem einleuchten, daß eine solche Rechtsform des Besitzes von selbst die Regsamkeit und den Fleiß der Pächter ermuntern und dadurch zu gleicher Zeit zur Erhöhung der Rentabilität des Bodens und auch der Pachten beitragen muß. Die Tatsache, daß man in der Gartenstadt mit einem höheren Pachtangebot wird rechnen können, wird immer einleuchtender, wenn wir einmal dem Wesen dieser Bodenrente, die ein Landwirt der Gartenstadt zahlt, auf den Grund ge-

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hen. Ein Teil davon würde zur Verzinsung resp. Rückzahlung des eingetragenen Kaufgeldes dienen und würde insofern - wenn die Geldgeber nicht etwa Gartenstadtbewohner sind - für die Gemeinde nicht in Betracht kommen können. Der ganze verbleibende Rest der Pachtsumme würde für Zwecke der Gemeinde verwendet werden, und der Pächter hätte bei der Verwendung dieses Geldes ebenso mitzusprechen wie jeder andere erwachsene Bürger. Der Ausdruck »Bodenrente« hat daher in der Gartenstadt eine ganz neue Bedeutung bekommen, und der Klarheit wegen wird es in Zukunft nötig sein, unzweideutige Ausdrücke zu gebrauchen. Den Teil der Summe, welcher die Zinsen für das eingetragene Kaufgeld repräsentiert, nennen wir von nun an »Grundherrnrente«, den Teil, welcher zur Zurückzahlung der Kaufsumme dient, »Amortisationsquote« und den für öffentliche Zwecke bestimmten Teil »Grundsteuer«, während die Gesamtsumme »Steuerrente« heißen mag. Nach diesen Darlegungen darf man mit Sicherheit annehmen, daß der Landwirt in die Schatulle der Gartenstadt gern eine bedeutend höhere Steuerrente zahlen wird, als er sonst an Rente einem privaten Grundbesitzer zahlt. Überläßt ihm doch der Privatgrundbesitzer, der die Rente in demselben Maße steigert, wie der Landwirt den Wert seines Grund und Bodens erhöht, außerdem noch die ganze Last der Kommunalsteuern. Die Gartenstadt bietet also dem Landwirt eine ganze Reihe von Vorteilen. Er findet ein Kanalisationssystem, welches dem Boden in veränderter Gestalt viele Stoffe wieder zuführt, die ihm durch die Ernte entzogen werden und anderswo durch die Anwendung so kostspieliger Düngemittel wieder ersetzt werden müssen, daß der Landwirt sich deren Notwendigkeit oft verschließt. Außerdem findet er ein Steuerrentensystem, bei dem viele seiner sauer verdienten Goldstücke, die ihm früher in Form von Grundherrnrente verlorengingen, wieder in seine erschöpfte Kasse zurückwandern. Dies allerdings in veränderter, aber gleichwohl mannigfaltiger und nützlicher Form, nämlich in Gestalt von Straßen, Schulen, Märkten. Diese Einrichtungen und Anlagen unterstützen ihn, wenn auch indirekt, ganz wesentlich bei seiner Arbeit, aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen legen sie ihm so schwere Lasten auf, daß er ihre natürliche Notwendigkeit nur schwer einsieht und sie sogar mit Argwohn und Widerwillen betrachtet. Das Land und der Landwirt befinden sich hier unter ebenso gesunden wie natürlichen Verhältnissen, dies sowohl im materiellen wie im rechtlichen Sinne. W,er kann da zweifeln, daß diesen neuen Verhältnissen auch ein williges Land und ein hoffnungsfreudiger Landwirt entsprechen werden, ein Land, das durch jeden Grashalm, den es hervorbringt, fruchtbarer wird, ein Landwirt, der durch jeden Heller, den er an Steuerrente bezahlt, an Wohlstand gewinnt. Wir begreifen nunmehr, daß die von den Groß- und Kleinpächtern bereitwillig bezahlten Steuerrenten bedeutend höher sein dürfen als die ehemaligen Renten, und wir fassen die hierfür sprechenden Gründe nochmals zusammen:

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1. Die in unmittelbarer Nähe befindliche neue Stadt ist der gegebene Absatzmarkt für landwirtschaftliche Produkte, weil Eisenbahnfrachten in weitem Umfang gespart werden können. 2. Dem Boden werden die entzogenen Stoffe in möglichst vollkommener Weise wieder zugeführt. 3· Die Pachtbedingungen entsprechen ebenso dem Rechtsgefühl wie dem Billigkeitsempfinden und dem gesunden Menschenverstand. 4. Die nun bezahlte Rente ist zu gleicher Zeit Steuer und Rente, während der Pächter früher außer der Rente noch Steuern zu zahlen hatte. Aber so sehr diese Gründe auch für die Berechtigung unserer Annahme, d. h. einer ungleich höheren Bodenpacht, sprechen, so ist doch schwer zu sagen, wie hoch in Wirklichkeit unsere »Steuerrente« sein wird. Wir werden daher gut tun, sie möglichst niedrig zu schätzen. Berücksichtigen wir dies alles, und nehmen wir einmal an, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung der Gartenstadt bereit ist, für Steuern und Rente 50 °/o mehr zu zahlen, als sie vordem für Rente allein zahlte. Wir kommen dann zu folgendem Ergebnis:

Gesamteinkommen aus dem landwirtschaftlichen Gebiet (nach Schätzung): Landesübliche Grundherrnpacht für 2 ooo ha . . . . . . . dazu 50 °/o für Komunalsteuern und Amortisationsfonds .

Mk. Mk.

ooo 65 ooo

Gesamte Steuerrente aus dem landwirtschaftlichen Gebiet

Mk. 195 ooo

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ln dem folgenden Kapitel wollen wir schätzungsweise und mit aller Vorsicht die Summe berechnen, die von der Stadt selbst zu erwarten ist, und dann prüfen, ob die Totalsumme der Steuerrente für die Bedürfnisse der Stadtgemeinde ausreicht.

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Drittes Kapitel DIE EINNAHMEN DER GARTENSTADT- STADTGEBIET »Was für Reformen man auch in den Wohnungen der Armen Londons vornimmt, an der Tatsache wird nichts geändert, daß das gesamte Gelände Londons nicht genügt, um seine Bevölkerung ausreichend mit frischer Luft und freiem Raum zu versorgen, wie es Gesundheit und Erholung erfordern. Gegen die Übervölkerung Londons werden wir trotz aller Reformmaßregeln immer noch ein Heilmittel suchen müssen. - Die Abwanderung breiter Schichten der Londoner Bevölkerung auf das Land würde im Laufe der Zeit wirtschaftlich nur zu begrüßen sein; es würde von Nutzen sein sowohl für die, welche fortziehen als für die, welche zurückbleiben. In der J(leiderkonfektion sind IJO ooo oder mehr Arbeiter beschäftigt. Der bei weitem größte Teil wird sehr erbärmlich bezahlt, und es widerspricht allen Regeln wirtschaftlicher Vernunft, daß er eine solche Arbeit auf dem Grund und Boden verrichtet, auf dem eine hohe Bodenrente lastet.« Professor Marshall: »The Housing of the London Poor«, r884. Nachdem wir im vorigen Kapitel das aus dem landwirtschaftlichen Bezirk zu erwartende Gesamteinkommen auf Mk. 195 ooo geschätzt haben, wollen wir uns nun dem eigentlichen Stadtgebiet zuwenden. Die Umwandlung von Ackerland in Stadtland wird natürlich ein hohes Steigen des Bodenwertes zur Folge haben. Unter diesem Gesichtspunkt, aber auch zugleich mit aller Vorsicht wollen wir nun einen Überschlag über den Betrag der Pacht oder »Steuerrente« zu gewinnen suchen, welche freiwillig von den Pächtern des Stadtgebietes geboten werden wird. Wie erinnerlich, besteht das Gelände der eigentlichen Stadt aus 400 ha. Wir haben angenommen, daß es Mk. 8oo ooo kostet und mit 4 °/o, also Mk. 32 ooo, zu verzinsen ist. Diese Summe von Mk. 32 ooo ist daher die ganze »Grundherrnrente«, die von den Bewohnern des Stadtgebietes aufgebracht werden muß. Jede darüber hinaus gehende Zahlung an »Steuerrente« ist entweder zur Rückzahlung der Kaufsumme als »Amortisationsquote« bestimmt oder wird als »Steuer« zur Anlage und Unterhaltung von Straßen, Schulen, Wasserleitungen oder für sonstige Kommunalzwecke verwendet. Interessant ist nun die Frage, wie hoch sich die Last der Grundherrnrente pro Kopf beläuft und was die Gemeinde für solche Zahlung gewährleistet. Teilt man die Summe von Mk. 32 ooo, die jährliche Zinsverpflichtung oder »Grundherrnrente«, durch 30 ooo (die angenommene Bevölkerungszahl der Stadt), so ergibt sich für den Kopf der Bevölkerung, Frauen und Kinder eingeschlossen, eine jährliche »Grundherrnrente« von Mk. 1,06. Dieses ist also die ganze Grundherrnrente, die je erhoben werden kann. Jede darübergehende, als »Steuerrente« erhobene Summe wird für den Amortisationsfonds oder für Kommunalzwecke verwendet.

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Zunächst wollen wir nun zusehen, was unserer günstig gestellten Gemeinde für diese geringfügige Summe alles geboten wird. Für eine jährliche Zahlung von etwa Mk. 1,10 pro Kopf erhält sie geräumige Bauparzellen von einer Durchschnittsgröße von 6 m Breite und 40 m Tiefe, die zur Errichtung bequemer Wohnungen für etwa fünf Personen ausreichen. Sie erhält ferner genügend Raum für Straßen - einige darunter sind fast von verschwenderischer Ausdehnung - so weit und geräumig, daß Licht und Luft überall ungehinderten Zutritt haben und daß Bäume, Sträucher und Rasen der Stadt ein halb ländliches Aussehen verleihen. Sie erhält ferner geräumige Plätze für Rathaus, öffentliche Bibliothek, Konzerthalle, Krankenhaus, Schulen, Kirchen, Badeanstalten, öffentliche Märkte usw. Ein Zentralpark von 58 ha und eine prächtige Avenue von 130m Breite und 5 km Länge, die durch weite Boulevards und durch Schulen und Kirchen unterbrochen wird, sind gesichert. Und diese letzteren brauchen gewiß nicht weniger schön zu sein, weil eine so geringfügige Kaufsumme für ihre Plätze verwendet wurde. Die Gemeinde erhält ferner all das Land, das für eine die Stadt umkreisende Eisenbahn von 7 km Länge erforderlich ist und endlich noch etwa 33 ha für Lagerhäuser, Fabriken, Marktplätze usw. und ein prächtiges Gelände für einen Kristallpalast, der einerseits einer Anzahl von Läden Unterkunft bietet und andererseits auch als Wintergarten dient. Die Pachtverträge für die Bauparzellen enthalten also nicht die sonst übliche Bestimmung für den Pächter, alle auf solchem Eigentum lastenden Steuern und Abgaben zu bezahlen, sondern sie enthalten im Gegenteil eine Bestimmung für den Grundherrn, die dahin lautet, daß er die gesamte eingehende Pachtsumme zu verwenden habe: 1. zur Zahlung der Zinsen für das eingetragene Kaufgeld, 2. zur Rückzahlung dieser Kaufsumme, 3· zur Abführung des ganzen verbleibenden Restes an eine Kasse, die öffentlichen Zwecken dient. Zu den aus diesem Fonds zu bestreitenden Auslagen gehören auch die an andere Behörden als die der Stadt1 zu entrichtenden Steuern. Nach diesen Ausführungen mögen wir nunmehr den Ertrag an Steuerrente zu schätzen versuchen, die aus dem eigentlichen Stadtgebiet zu erwarten ist. Zunächst wollen wir uns mit den Parzellen für Bauzwecke beschäftigen. Obgleich alle eine ausgezeichnete Lage haben, so ist doch anzunehmen, daß die höchsten Pachtangebote für die an den Großen Avenue (130 m) und an den prächtigen Boulevards (36 m) gelegenen Parzellen zu erwarten sind. Natürlich können wir hier nur mit Durchschnittssummen rechnen, aber man wird wohl zugeben müssen, daß eine Steuerrente von Mk. 20 pro m Frontlänge ein äußerst mäßiger Preis für Häusergrundstücke ist. Dies ergibt für eine Parzelle von 6 m Straßenfront in mittlerer Lage eine jährliche Bodenrente von Mk. 120, und aus den 1 Die Frage nach der Form der Pachtverträge ist in einer speziellen Kommission (LandTenure-Section) der Garden City Association eingehend beraten worden.

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5500 Bauparzellen wäre somit eine Jahreseinnahme von Mk. 66o ooo zu erwarten. Bei der Schätzung der Bodenpachten aus den Grundstücken für Fabriken, Lagerhäuser, Marktplätze usw. kann wohl nicht gut die Länge der Straßenfront als Maßstab dienen. Durchaus gerechtfertigt dagegen erscheint die Annahme, daß ein Unternehmer im allgemeinen bereit sein wird, für jeden Angestellten Mk. 40 7U bezahlen. Es liegt natürlich nicht im Plan, daß die »Steuerrente« eine Kopfsteuer sein soll. Die Höhe der Steuer wird auch hier durch Angebot und Nachfrage der Pächter bestimmt. Aber diese Art der Schätzung gibt vielleicht ein Mittel an die Hand, nach dem Fabrikanten oder andere Arbeitgeber, gemeinnützige Genossenschaften oder selbständige Gewerbetreibende sich leicht orientieren könnten, ob die in der Gartenstadt zu zahlenden Steuern und Renten geringer sein würden als ihre augenblicklichen Abgaben. Dabei müssen wir natürlich immer im Auge behalten, daß nur von Durchschnittszahlen die Rede ist, und wenn die vorgeschlagene Zahl einem großen Unternehmer hoch erscheinen sollte, so kommt sie einem kleinen Ladeninhaber wahrscheinlich lächerlich klein vor. In einer Stadt mit 30 ooo Einwohnern werden sich ungefähr 20 ooo Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen I6 und 65 Jahren befinden. Angenommen nun, von diesen wären IO 625 in Fabriken, Läden, Lagerhäusern usw. oder in irgendeinem anderen Betrieb beschäftigt, der die Pachtung eines für kaufmännische oder industrielle Zwecke bestimmten Grundstückes erfordert, so würde dieses eine Einnahmequelle von Mk. 425 ooo bedeuten. Die Totaleinnahme aus dem Gesamtstadtgebiet beträgt demnach: Steuerrente aus dem landwirtschaftlichen Gebiet (s. S. 72) . . . . Mk. I95 000 Steuerrente für 5 5oo Bauparzellen a Mk. I2o . . . . . . . . . . . Mk. 66o ooo Steuerrente von Grundstücken für Gewerbe, berechnet nach der Zahl der Angestellten, d. h. IO 625 Personen zu durchschnittlich Mk. 40 pro Kopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mk. 425 ooo -~----

Mk. I 280 000

Dies bedeutet eine Abgabe von Mk 40 pro Kopf der Bevölkerung für »Steuer« und »Grundherrnrente« Diese Summe würde für folgende Zwecke verfügbar sein: Für »Grundherrnrente« oder Zinsen für das Kaufgeld von Mk. 4 8oo ooo zu 4 °/o . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mk. I92 ooo Für Amortisationsquote (30 Jahre) . . . . . . . . . . . . . . Mk. 88 ooo Für öffentl. Zwecke, die sonst aus den Steuern bestritten werden Mk. I 000 000 ·Mk. I 280 000 Die gewichtige Frage, ob Mk. I ooo ooo zur Befriedigung der kommenden Bedürfnisse der Gartenstadt ausreichen, wird Gegenstand einer ferneren Untersuchung sein müssen. 75

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Viertes Kapitel DIE EINNAHMEN DER GARTENSTADT ALLGEMEINE BEMERKUNGEN ÜBER DEREN VERWENDUNG

Bevor ich der sich am Schluß des letzten Kapitels aufdrängenden Frage nähertrete, ob das auf Mk. 1 ooo ooo geschätzte Reineinkommen der Gartenstadt für ihre Bedürfnisse genügt, sei mir kurz ein Vorschlag über die Aufbringung der Gelder gestattet, die für die Aufschließungsarbeiten erforderlich sind. Das Geld mußte auf »B-Hypotheken1 « aufgenommen und durch Verpfändung der Steuerrente sichergestellt werden; bezüglich der Zahlung der Zinsen und Amortisationsquote müßte es aber natürlich den »A-Hypotheken«, auf welche das Kaufgeld für das ganze Stadtgebiet erhoben worden ist, nachstehen. Während für den Kauf des Landes die Aufbringung des ganzes Geldes oder doch wenigstens eines beträchtlichen Teiles desselben gleich anfangs erforderlich sein dürfte, bevor der Besitz des Landes angetreten oder mit den Arbeiten begonnen wird, liegt der Fall für die öffentlichen Arbeiten selbst ganz anders. Den Beginn der Arbeiten so lange hinauszuschieben, bis die ganze endgültig erforderliche Summe aufgebracht wäre, dürfte hier als unnötig, ja sogar als unzweckmäßig erscheinen. In dieser Weise ist beim Aufbau einer Stadt wohl auch noch niemals verfahren worden; denn die der Gemeinde gleich im Anfang dadurch aufgebürdeten Lasten würden sie vollständig erdrücken. Mögen auch die Verhältnisse, unter denen die Gartenstadt erbaut werden soll, einzigartig sein, man wird im Laufe der Untersuchung doch einsehen, daß in dieser Beziehung keine Ausnahme gemacht zu werden braucht. Die weiteren Ausführungen werden sogar besonders beweiskräftiges Material dafür ergeben, daß die Oberlastung des Untemehmens mit überflüssigem Kapital ganz unnötig und darum auch unzweckmäßig ist. Natürlich muß eine genügende Summe zur Ausführung der sogleich erforderlichen Einrichtungen von vornherein vorhanden sein. Es mag in diesem Zusammenhang vielleicht zweckmäßig sein, den Unterschied in der Höhe des aufzubringenden Kapitals festzustellen, das einerseits für die Erbauung einer Stadt und andererseits z. B. für den Bau einer eisemen Brücke über eine breite Strommündung erforderlich ist. Für den Brückenbau ist es ratsam, die ganze notwendige Summe vor Beginn der Arbeiten aufzunehmen, aus dem einfachen Grund, weil die Brücke erst mit der Befestigung der letzten Niete zur Brücke wird. Bevor sie nicht vollständig vollendet und auf beiden 1

Siehe Anmerkung 2 Seite 59·

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Seiten ihre Verbindung mit den Eisenbahnen oder den Landstraßen hergestellt ist, bringt sie keine Einkünfte. Nur unter der Voraussetzung, daß sie ganz und gar fertiggestellt wird, bietet sie für das darin angelegte Kapital die erforderliche Sicherheit. Die Kapitalisten, die man um Geld anginge, würden mit Recht sagen: »Wir werden kein Geld in dieses Unternehmen stecken, bis Sie uns beweisen, daß Sie genug Kapital zusammenbringen können, um es auch zu Ende zu führen.« Ganz anders steht es dagegen mit dem für die Aufschließungsarbeiten der Gartenstadt aufzunehmenden Kapital. Es soll für Straßen, Schulen usw. verwendet werden. Diese Arbeiten werden jedoch erst in Angriff genommen, wenn die Bauplätze in nötiger Anzahl verpachtet worden sind und die Pächter sich verpflichtet haben, mit einem bestimmten Termin zu bauen. Hier wird sich das angelegte Geld bald wieder in Form von Steuerrente verzinsen, die in Wirklichkeit eine Bodenrente von höherem Ertrag und größerer Sicherheit darstellt. Für das auf »B-Hypotheken«-Briefe vorgeschossene Geld wird also eine erstklassige Sicherheit geboten, und es dürfte daher möglich sein, bald weitere Summen - und dies zu einem geringeren Zinsfuß - aufzunehmen. Weiterhin ist es ein wichtiger Bestandteil des ganzen Planes, daß jeder Bezirk oder ein Sechstel der Stadt in gewissem Sinne eine Stadt für sich darstellen soll. Auf diese Weise könnten in früheren Entwicklungsstadien die Schulen auch für den Gottesdienst, für Konzerte, als Lesesäle und für Versammlungen aller Art benutzt werden, so daß alle Auslagen für kostspielige Verwaltungs- und andere Gebäude hinausgeschoben werden können, bis das Unternehmen sich in größerem Umfang entwickelt hat. Endlich muß es zum Grundsatz gemacht werden, daß die Entwicklung eines Stadtviertels so gut wie abgeschlossen sein muß, bevor die Erschließung eines neuen in Angriff genommen wird, und daß die Erschließung der verschiedenen Stadtviertel nacheinander und in geordneter Reihenfolge vor sich geht. Die noch nicht dem Bau übergebenen Teile des Stadtgebietes könnten alsdann noch als kleine Pachtgrundstücke, Viehweiden oder als Ziegeleigrundstücke abgegeben werden und auf diese Weise eine vorläufige Einnahmequelle bilden. Nach diesen allgemeinen Betrachtungen wollen wir jetzt zur eigentlichen Kernfrage übergehen: Werden die bei der Gründung der Gartenstadt maßgebenden Leitsätze eine Erleichterung für den Gemeindehaushalt bedeuten? Mit anderen \Vorten: Wird mit den gegebenen Einnahmen mehr ausgerichtet werden können als unter gewöhnlichen Verhältnissen? Diese Fragen müssen mit ja beantwortet werden. Es wird sich zeigen, daß hier jede Mark mit höherem Nutzeffekt angelegt werden kann als irgendwo anders und daß große und unverkennbare Ersparnisse gemacht werden können, die sich wohl nicht in genauen Zahlen ausdrücken lassen, die aber zusammengenommen sicherlich eine große Summe ausmachen. 77

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Die erste bemerkenswerte Ersparnis bezieht sich auf den Posten »Grundhermrente«. Unter gewöhnlichen Verhältnissen spielt sie im Gemeindehaushalt eine sehr bedeutende Rolle; in der Gartenstadt kommt sie indes kaum in Betracht. Gutorganisierte Städte verlangen Verwaltungsgebäude, Schulen, Schwimmanstalten, Bibliotheken, Parks usw., und die Baugrundstücke für diese oder andere städtische Unternehmungen müssen durch Kauf erworben werden. Die städtischen Steuern sollen eine Verzinsung der für den Kauf der Grundstücke erforderlichen Anleihe gewährleisten. So kommt es, daß ein sehr beträchtlicher Teil der von einer Gemeinde erhobenen Steuern nicht produktiv verwendet wird, sondern entweder in Form von Zinsen zur Bestreitung der von uns so benannten >-'Grundhermrente« oder zur Ansammlung eines für die Rückzahlung des Kaufgeldes bestimmten Amortisationsfonds dient, der einer kapitalisierten Grundhermrente entspricht. In der Gartenstadt sind nun alle solche Ausgaben mit einigen Ausnahmen, wie etwa die für Straßenterrain im landwirtschaftlichen Gebiet, schon durch den ersten Ankauf gedeckt. So kosten die 100 ha für öffentliche Parks, die Grundstücke für Schulen und andere öffentliche Gebäude die Steuerzahler gar nichts, oder, richtiger gesagt, die Kosten dafür, die sich auf Mk. 2 ooo pro ha beliefen, finden durch die durchschnittliche Zahlung von Mk. 1,06 Grundherrnrente pro Person und Jahr ihre Deckung. Die Einkünfte der Stadt in Höhe von Mk. 1 ooo ooo sind also die Reineinkünfte nach Abzug aller Zinsen und der Amortisationsquote für den ganzen Landkauf. Bei Prüfung der vorliegenden Frage, ob ein Etat von Mk. 1 ooo ooo ausreicht, müssen wir daher immer im Auge behalten, daß von diesem Betrag in keinem Fall noch Ausgaben für städtisches Bauterrain abgehen. Einen anderen Posten, bei dem große Ersparnisse gemacht werden, wird ein Vergleich zwischen der Gartenstadt als Neuschöpfung und einer alten Stadt wie z. B. London ergeben. Die Londoner Stadtverwaltung will nicht hinter anderen Verwaltungen zurückbleiben und erachtet es für ihre Aufgabe, Schulen zu bauen, alte verseuchte Wohnviertel niederzureißen, Bibliotheken, Schwimmbäder usw. zu errichten. Hierfür muß sie nicht nur das Grundeigentum an den Bauplätzen erwerben, sondern auch die darauf befindlichen Gebäude bezahlen, zu dem einzigen Zweck, sie wieder niederzureißen und den Grund und Boden frei zu machen. Häufig kommen dazu noch seitens der Geschäftsleute wegen Geschäftsstörung Schadenersatzklagen mit schweren Gerichtskosten. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß die Londoner Schulbehörde seit der Zeit ihres Bestehens für Schulgrundstücke einschließlich alter Gebäude, Entschädigungen und Gerichtskosten bereits die ungeheure Summe von Mk. 70 321 5401 veraus1 Siehe den Bericht der Londoner Schulbehörde vom 6. Mai 1897, S. 1480.

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gabt hat. Die Ausgaben für die baufertigen Grundstücke (148 ha) betragen also, im Durchschnitt gerechnet, Mk. 475 ooo pro ha1. Hiernach müßte die Gartenstadt für eine Fläche von g,6 ha 2 Schulgrundstükken Mk. 4 560 ooo ausgeben. Die Ersparnisse, die die Gartenstadt allein an den Schulgrundstücken macht, würden also hinreichen, um das Gelände für eine zweite Musterstadt zu erwerben. »Aber«, könnte man einwenden, »die Schulgrundstücke in der Gartenstadt sind größer als notwendig und könnten in dieser Ausdehnung für London gar nicht in Frage kommen; zudem ist es ungerechtfertigt, eine kleine Stadt wie die Gartenstadt mit London, der reichen Hauptstadt eines mächtigen Reiches, zu vergleichen.« Ich erlaube mir darauf zu erwidern: »Es ist ganz richtig, daß die Bodenpreise in London den Ankauf groß bemessener Grundstücke als eine Verschwendung erscheinen ließen und ihn darum geradezu verböten - die Bauplätze würden, sage und schreibe, ungefähr Mk. 8oo ooo ooo kosten. - Aber deutet dies nicht auf einen sehr ernsthaften, einen ganz wesentlichen Fehler des Systems hin? Muß der Unterricht der Kinder in einer Stadt, in welcher der Boden Mk. 475 ooo pro ha kostet, besser sein als da, wo er nur Mk. 2 ooo kostet? Für andere Zwecke mag der wirtschaftliche Wert des Bauterrains in London ja immerhin solche~ Preisen entsprechen- wir kommen im weiteren Verlauf noch hierauf zurückaber was Schulzwecke angeht, vermögen wir den Vorteil nicht zu erkennen, der darin besteht, daß die Schulen häufig inmitten schmutziger Fabriken oder enger Höfe und Gassen liegen. Ist nicht die Große Avenue in der Gartenstadt ein ebenso idealer Platz für Schulen wie Lombard Street in London für Bankinstitute? Und muß nicht die Wohlfahrt unserer Kinder die Hauptsorge jeder wohlorganisierten Gemeinde sein? »Aber«, könnte man sagen, »die Kinder müssen in der Nähe ihres Heims erzogen werden, und dieses muß in der Nähe der Arbeitsstätten der Eltern liegen.« Gewiß! Aber sorgt nicht der Plan gerade hierfür in höchst wirksamer Weise, und verdienen nicht gerade in dieser Beziehung die Schulgrundstücke der Gartenstadt den Vorzug vor den Londoner Schulgrund1 »Es ist sehr schade, daß man niemals die Anregung verwirklicht hat, wo immer es anging, eine jede Grundschule im Land mit einem Viertel Hektar Landboden auszustatten. Schulgärten geben jungen Menschen eine Erfahrung im Gartenbau, die ihnen später im Leben zustatten kommt. Ein wenig über den Anbau und über den relativen Wert von Lebensmittel zu wissen, wäre ein viel besseres Schulfach als einige der Fächer, mit denen die Jugend heute Jahre ihrer Zeit vergeudet; und im Schulgarten würden sie alles dazu Notwendige mit Augen sehen können.« (Echo, November 18go).

Seit Howards Buch erschien, hielt man für Schulen erheblich größere Grundstücke für notwendig. Für Grundschulen allein braucht eine Bevölkerung von 30 ooo jetzt über 20 Hektar Land (Housing Manual 1944) und für alle Arten von Schulen zusammen gut 55 Hektar. (Osborn, 1946)

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stücken? Die Kinder werden hier weit weniger Kraft auf den Schulweg zu verwenden haben, als es sonst der Fall ist, ein Umstand, der nach der Ansicht aller Pädagogen von sehr großer Bedeutung ist - besonders im Winter. Und weiter, haben wir nicht von Professor Marshall gehört (siehe das Zitat zu Beginn des dritten Kapitels) »daß es allen Gründen wirtschaftlicher Vernunft widerspricht, daß 150 ooo Personen der Konfektionsbranche ihre Arbeit an einem Platz mit so hoher Bodenrente verrichten«, mit anderen Worten, daß diese 150 ooo Menschen überhaupt nicht in London leben dürften. Fallen die Worte von Professor Marshall nicht besonders ins Gewicht, und erhalten sie nicht eine ganz besondere Bedeutung, wenn man erwägt, daß gerade die Kinder dieser Arbeiter unter so ungeheurem Kostenaufwand und unter ungünstigen Bedingungen ihre Schulerziehung genießen? Wenn diese Arbeiter nicht in London leben dürften, dann müßten auch ihre Häuser niedergerissen werden, für die sie trotz ihrer Ungesundheit hohe Pachten bezahlen. Weiter folgte daraus, daß eine entsprechende Anzahl Ladeninhaber, die sie mit allem Nötigen versorgen, in London nicht mehr bestehen könnten und daß Leute der verschiedensten Berufsklassen, die durch den Lohn der Konfektionsarbeiter Beschäftigung finden, ebenfalls ihre Existenz in London verlieren müßten. Man sieht also, daß ein Vergleich zwischen den Ausgaben für Schulgrundstücke in der Gartenstadt und in London seine volle Berechtigung hat. Denn wenn, wie Professor Marshall anregt, diese Leute London tatsächlich verlassen, so können sie bei Befolgung meiner Vorschläge nicht nur für ihre Werkstätten, sondern auch für Wohnungen, Schulen und andere Zwecke bedeutende Ersparnisse an Bodenrente machen. Die Größe der Ersparnisse ergibt sich aus dem Unterschied zwischen dem, was früher für diese Zwecke bezalllt wurde, und dem, was unter den neuen Verhältnissen dafür zu zahlen ist, abzüglich des durch einen solchen Wohnungswechsel eventuell verursachten Verlustes und zuzüglich der zahlreichen damit verbundenen Vorteile. Um ganz klar zu sehen, wollen wir den Vergleich noch auf andere Weise ziehen. Die Einwohner von London haben für die im Besitz der Londoner Schulbehörde befindlichen Schulgrundstücke die enorme Summe von Mk. 70 321 540 bezalllt. Verteilt auf die etwa 6 ooo ooo Einwohner Londons kommen über Mk. 11,50 auf den Kopf der Bevölkerung. Die Grundstücke für Privatschulen sind dabei noch gar nicht einmal berücksichtigt. Die 30 ooo Köpfe zählende Bevölkerung der Gartenstadt hat diese auf jeden Einwohner kommenden Mk. 11,50, im ganzen also Mk. 345 ooo, gespart. Bei einer Verzinsung von 3 °/o bedeutet dies eine jährliche Ersparnis von Mk. 10 350 für alle Zukunft. Dazu kommt, daß die Schulgrundstücke in der Gartenstadt unvergleichlich besser sind als in London; denn sie ermöglichen es, alle Kinder der Stadt bequem unterzubringen, während die Londoner Schulbehörde nur für die Hälfte ihrer Kinder Raum hat. (Die

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Schulgrundstücke der Londoner Schulbehörde umfassen einen Flächeninhalt von 148 ha; auf 40 540 Einwohner kommt also 1 ha. Die Bewohner der Gartenstadt dagegen haben g,6 ha oder 1 ha auf 3125 Köpfe.) Mit anderen Worten, die Schulgrundstücke in der Gartenstadt sind im Vergleich zu denen in London größer, besser gelegen und in jeder Hinsicht für Erziehungszwecke besser geeignet und kosten dabei nur einen Bruchteil der in London dafür verausgabten Summen. Die soeben besprochenen Ersparnisse können auf zwei einfache, schon vorher erwähnte Ursachen zurückgeführt werden. Die eine besteht in dem Umstand, daß das Land angekauft wurde, bevor durch die Besiedlung eine Werterhöhung eingetreten war: die zuwandernde Bevölkerung erhält ein Gelände zu ungewöhnlich niedrigem Preis und sichert für sich selbst und die Nachkommenden den späteren Wertzuwachs. Die zweite Ursache liegt in dem Umstand, daß sie neues, unbebautes Terrain vorfindet. Dadurch fallen bedeutende Ausgaben für alte Gebäude, Entschädigungen und drückende Gerichtskosten fort. Es scheint, als habe Professor Marshall in seinem Artikel in der »Contemporary Review« die Möglichkeit übersehen, den armen Londoner Arbeitern den erstgenannten großen Vorteil zu sichern\ denn er sagt weiterhin: »Schließlich würden alle durch diese Zuwanderung gewinnen, a b e r a m m e i s t e n (der Sperrdruck rührt von mir her) die Grundeigentümer und die Eisenbahnen, welche d i e V e r b i n d u n g m i t d e r A n s i e d l u n g h e r s t e ll e n . « Wir aber wollen statt dessen den hier empfohlenen Ausweg einschlagen und dafür Sorge tragen, daß die ungünstig gestellten Gesellschaftsklassen, denen dieser Plan ja hauptsächlich zunutze kommen soll, selbst die Grundeigentümer und dadurch diejenigen werden, die » a m meisten dabei gewinnen«. Dadurch würde ein starker Antrieb für die erwünschte Abwanderung geschaffen,die bisher nur unterblieben ist, weil man nicht mit vereinten Kräften darauf hingeorbeitet hat. Was den Vorteil für die Eisenbahn anbetrifft, so wird die Erbauung der Stadt zweifellos der durch das Gebiet führenden Hauptlinie in gewissem Grade zugute kommen, aber auch die Bevölkerung wird insofern begünstigt sein, als die Eisenbahnfrachten und Abgaben nicht in dem Maß wie bisher den Verdienst der Bevölkerung schmälern. Unsere Betrachtungen führen uns jetzt zu einem Sparsamkeitsmoment von ganz unberechenbarer Bedeutung. Dasselbe liegt in dem Prinzip der Planmäßigkeit, dem der Bau der Stadt von Anfang an unterliegt, und das der ganzen Frage städtischer Verwaltung mit einem weitausschauenden und abgeschlossenen Plan vorgreift. Es ist keineswegs nötig und auch gar nicht menschenmöglich, daß der endgültige Plan das Werk eines einzelnen ist. Zweifellos ist er das Werk vieler 1 Natürlich ist keinem diese Möglichkeit besser bekannt als dem Professor selbst. (Siehe »Principles of Economics«, !2. Ausg., Buch V, Kapitel X und XIII.)

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Köpfe, die Arbeit von Ingenieuren, Architekten, Landmessern, LandschaftsgärtDem und Elektrotechnikem. Aber das Wesentliche ist, daß der Plan durchaus einheitlich ist und den Entwicklungsgang der Stadt bis zu ihrem Abschluß ins Auge faßt und regelt, damit sie sich später nicht in so sinnloser Weise entwickeln kann, wie dies bei den meisten englischen Städten und mehr oder weniger bei den Städten aller Länder der Fall war. Wie eine Blume oder ein Baum oder ein Tier sollte eine Stadt in jedem Stadium ihres Wachstums Einheitlichkeit, Symmetrie und Abgeschlossenheit an den Tag legen1 • Einheitlichkeit und Symmetrie dürften durch das Wachstum nicht gestört, soudem müßten immer mehr herausgebildet und entwickelt werden, und die Vollkommenheit einer früheren Entwicklungsperiode sollte in der noch vollendeteren Vollkommenheit späterer Entwicklung ganz und gar aufgehen 1 • Der Plan der Gartenstadt ist nicht bloß leicht hingeworfen, soudem die allermodemsten Anforderungen sind dabei berücksichtigt worden. Es ist ja natürlich auch leichter und gewöhnlich auch ökonomischer und befriedigender, aus neuem Stoff ein neues Kleid zu machen, als ein altes zusammenzuflicken und umzuändem. Dieses ökonomische Prinzip läßt sich wohl am besten durch ein schlagendes Beispiel, das wir gerade zur Hand haben, illustrieren. In London2 hat man sich seit Jahren mit der Frage beschäftigt, eine Verbindungsstraße von Holbom nach dem Strand durchzulegen. Schließlich hat man 1 Man meint, die Städte in den USA seien geplant! Mag sein: aber höchst unzulänglich. Amerikanische Städte bestehen nicht aus Labyrinthen von Straßen, die so aussehen, als hätten Kühe sie entworfen. Und ein paar Tage in einer amerikanischen Stadt genügen im allgemeinen zur Orientierung - wenn man von einigen der ältesten absieht. Trotzdem kann man da kaum von wirklicher Planung sprechen; es ist eine brutale Art, Städte anzulegen: man legt einige Straßenzüge fest, und wenn die Stadt dann wächst, so werden sie verlängert und durch Parallelstraßen ergänzt in einer endlosen Eintönigkeit. Washington ist die eine glorreiche Ausnahme, aber auch nur, was den Straßenplan angeht; auch hier hat der Planer nicht dafür Sorge getragen, daß die Leute schnell ins Freie kommen; die öffentlichen Gärten sind nicht zentral gelegen, noch sind Schulen und andere Gemeinschaftsbauten nach wissenschaftlichen Grundsätzen eingeplant. 2 »London hat sich ganz planlos, ohne jegliche Einheitlichkeit entwickelt. Seine Gestaltung war der Willkür derer überlassen, die zufälligerweise so glücklich waren, Land zu besitzen, als sich in den verschiedenen Bauperioden die Nachfrage danach geltend machte. Manchmal hat sich ein großer Grundbesitzer bei dem Ausbau eines ganzen Viertels von dem Prinzip leiten lassen, die besseren Klassen der Bewohner durch Plätze, Gärten oder seitabgelegene Straßen anzulocken, die durch Gatter und Schranken vom Durchgangsverkehr abgesperrt sind. Aber selbst dann ist London als Ganzes nicht berücksichtigt, und Hauptverkehrsstraßen sind nicht vorgesehen worden. In andem Fällen, und zwar häufig dann, wenn kleinere Grundbesitzer in Frage kamen, waren die Bauunternehmer nur darauf bedacht, das Terrain durch möglichst viele Straßen und Häuser

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auch einen Plan ausgeführt, der der Londoner Bevölkerung ungeheure Kosten auferlegte. »Durch jede Änderung in den Straßenzügen verlieren in London Tausende von Armen ihre Wohnungen - ich zitiere aus der >Daily Chronicle< vom 8. Juli 1898 -, und seit längerer Zeit liegt denen, die solche öffentliche Unternehmungen durchführen, die Verpflichtung ob, soviel Wohnungen als möglich für die Verdrängten zu schaffen. Das ist recht und billig. Aber die Schwierigkeiten beginnen in dem Augenblick, wo die Gemeinde die Folgen tragen und die Rechnung bezahlen soll. Im gegenwärtigen Fall sollen über dreitausend Seelen der arbeitenden Bevölkerung ihre Wohnungen aufgeben. Bei genauerer Untersuchung ergibt sich noch, daß die meisten unter ihnen durch ihre Beschäftigung so an die Stadtgegend gebunden sind, daß es unrecht wäre, ihnen weiter als eine engl. Meile davon entfernt Wohnungsgelegenheit zu beschaffen. Und das finanzielle Ergebnis? London muß für ihre Unterbringung ungefähr Mk. 2000 pro Kopf oder Mk. 6 ooo ooo im ganzen opfern. Ja, die Auslagen werden noch größer sein, wenn es sich um Leute handelt, von denen man es billigerweise nicht verlangen kann, daß sie ihre Wohnung auch nur eine Meile weiter entfernt aufschlagen - Gelegenheitsarbeiter auf Märkten oder andere, die sonstwie an den Platz gebunden sind. Sie werden verlangen, auf dem kostbaren Terrain, das durch den großen Plan freigelegt wurde, untergebracht zu werden, und schließlich wird dies auch zu dem ansehnlichen Preis von Mk. 5200 pro Kopf geschehen müssen, was für eine 5-6köpfige Familie etwa Mk. 28 ooo ausmacht. Da Zahlen im allgemeinen nur eine unvollkommene Vorstellung geben, so wollen wir auf andere Weise eine klarere Anschauung geben. Eine Summe von Mk. 28 ooo bedeutet auf dem Gebäudemarkt eine jährliche Miete von etwa Mk. 2000. Man könnte sich dafür ein schönes, ja beinahe prächtiges Haus mit Garten in Hampstead kaufen, wie es sich der bessere Mittelstand leistet. In irgendeinem der näher gelegenen Vororte genügte diese Summe zum Kauf von Häusern, wie sie von Leuten mit Mk. 20 ooo Jahreseinkommen bewohnt werden. Und wenn man noch weiter hinaus in die neuerschlossene, benachbarte Umgegend geht, die der Bürobeamte mit der Bahn leicht erreichen kann, kauft man für Mk. 28 ooo ein wahrhaft luxuriöses Haus.« Aber was für eine Wohnung findet denn ein armer Arbeiter mit Frau und fünf Kindern in Covent-Garden? Die Mk. 28 ooo, die ihm an Ort und Stelle Unterkunft schafften, geben ihm eine auszunutzen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Nachbarschaft und ohne zu bedenken, daß offene Plätze und weite Zufahrtsstraßen notwendig sind. Bei sorgfältiger Prüfung der Karte von London sieht man, daß von irgendeinem Plan bei dem ·wachsturn der Stadt überhaupt nicht die Rede gewesen sein kann, und wie wenig die Bequemlichkeit und die Bedürfnisse der Bevölkerung oder Rücksichten auf Würde und Schönheit bei der Entwicklung mitgesprochen haben.« Right Hon. G. J. Shaw-Lefevre, New Review l8gl, s. 435· 6*

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Wohnung, die weit von bescheidener Behaglichkeit, geschweige denn von Luxus entfernt ist.« Er wird in drei recht kleinen Stuben in einer vierstöckigen Mietskaserne wohnen.« Man vergleiche nun dieses Ergebnis mit dem, was auf bisher unerschlossenem Terrain geleistet werden könnte, wenn gleich zu Anfang ein weitsichtiger Plan bei der Erschließung zugrunde gelegt würde. Man könnte für einen verschwindenden Bruchteil der Kosten Straßen anlegen und ausbauen, die viel breiter wären als diese neue Straße. Für eine Summe von Mk. 28 ooo, für die man in diesem Fall nur eine Familie »in drei recht kleinen Stuben einer vierstöckigen Mietskaserne« unterbringt, würde man in der Gartenstadt sieben Familien je ein behagliches, sechszimmriges Häuschen mit hübschem Garten bieten können. Angesichts der starken Nachfrage nach Industrieterrain würden auch Fabrikanten sich dort möglichst schnell Land sichern und zu bauen beginnen, und jeder Erwerbstätige könnte den Weg zu seiner Arbeit bequem zu Fuß zurücklegen. Und weiter! Mit der Entwicklung der sanitären Fürsorge und unterstützt durch die raschen Fortschritte der Technik in jüngster Zeit, hat sich ein anderes modernes Bedürfnis herausgebildet, dem alle Städte Rechnung tragen sollten. Man hat eingesehen, daß es vom ökonomischen Gesichtspunkt aus vorteilhaft ist, unter den Straßen Tunnel zu bauen, zur Aufnahme von Kanalisations-, Wasser- und Gasröhren, von Leitungsdrähten für Telegraf- und Telefonverkehr sowie für Kraftübertragung, von pneumatischen Röhren für die Rohrpost usw. Würde eine derartige Anlage schon in alten Städten eine Quelle der Ersparnis sein, so wird dieses in neuen Städten in noch weit größerem Maß der Fall sein. Kann man sich doch auf einem freien Arbeitsfeld der allerbesten Arbeitsmaschinen bei dem Bau bedienen und sich im weitesten Umfang ihre Vorzüge zunutze machen, die mit der Zahl der von ihnen verrichteten Hilfsleistungen immer mehr zunehmen. Bevor mit dem Bau der Tunnel begonnen werden kann, müssen bedeutende Bodenaushebungen vorgenommen werden, wozu man die bewährtesten Maschinen verwenden kann. In alten Städten würde dies kaum angängig, wenn nicht ganz unmöglich sein. Aber hier in der Gartenstadt würden die Dampfbagger ja nicht in bewohnten Teilen arbeiten; erst nachdem sie ihr Teil zu den erforderlichen Vorbereitungen beigetragen, würden die Menschen hier ihre Wohnungen aufschlagen. Wie schön wäre es, wenn sich unter den Augen des englischen Volkes ein Schauspiel vollzöge, welches Zeugnis davon ablegte, daß die Verwendung von Maschinen nicht nur Nationalwohlstand schaffen hilft, sondern auch direkten, unmittelbaren Vorteil für den einzelnen bringt, nicht nur für die, die Maschinen besitzen und gebrauchen, sondern auch für die, welche sie bedienen. Was für ein glücklicher Tag wäre es für unser Volk und auch für alle andern Völker, wenn sie aus praktischer Erfahrung lernen könnten, daß die Maschine

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nicht bloß Arbeit nimmt, sondem auch gibt, nicht bloß Arbeit verdrängt, sondem auch neue Arbeitsgelegenheit schafft, den Menschen nicht allein unterjocht, sondem ihn auch befreit. Viel Arbeit wartet unser in der Gartenstadt. Zunächst muß eine größere Zahl von Häusem und Fabriken gebaut werden. Je schneller also die Gräben ausgehoben, die Tunnel vollendet, Häuser und Fabriken gebaut sind und für Licht und elektrische Kraft gesorgt wird, desto schneller kann die Stadt, die einem fleißigen, glücklichen Volk eine Heimat gewähren soll, im Bau vollendet und desto schneller kann mit dem Bau neuer Städte begonnen werden. Diese Städte werden der ersten nicht gleich sein, sondem sich immer mehr vervollkommnen, bis sie die erste in demselben Maß übertreffen wie unsere heutigen Lokomotiven die ersten tastenden Versuche der Pioniere auf dem Gebiet mechanischer Fortbewegung. Wir glauben, im vorhergehenden überzeugende Gründe dafür gegeben zu haben, daß mit den gegebenen Einkünften in der Gartenstadt viel vorteilhafter gewirtschaftet werden kann als unter gewöhnlichen Verhältnissen, und wollen diese Gründe hier nochmals kurz zusammenstellen: 1. Außer dem bei der Berechnung der Reineinkünfte schon veranschlagten kleinen Betrag ist keine weitere Zahlung für »Grundhermrente« oder für Verzinsung des erworbenen Grundbesitzes zu leisten. 2. Da sich auf dem Terrain so gut wie keine Gebäude oder sonstigen Anlagen befinden, so werden nur geringe Ausgaben für den Ankauf solcher Gebäude, für Entschädigungen, Gerichts- und sonstige Kosten erforderlich sein. 3· Die Tatsache, daß ein definitiver Plan vorliegt, der den Bedürfnissen und Anforderungen modemer Städtetechnik in allen Teilen entspricht, erspart der Gartenstadt alle die Ausgaben, die sich in einer alten Stadt ergeben, wenn sie im modemen Sinn umgestaltet werden soll. 4· Da das ganze Stadtgebiet ein freies Arbeitsfeld darstellt, besteht die Möglichkeit für die Verwendung bester und modemster Arbeitsmaschinen zum Zweck des Wegebaues und anderer Bauten des Ingenieurfachs. Noch andere Erspamisse werden sich im weiteren Verlauf der Untersuchung ergeben; aber wir werden die Frage, ob die veranschlagten Einnahmen ausreichend sind, besser entscheiden können, nachdem zuvor das Terrain durch Erörterung allgemeiner Grundsätze geklärt worden ist.

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Fünftes Kapitel

üBER DEN HAUSHALT DER GARTENSTADT WEITERE EINZELHEITEN »Oh! Würden doch diejenigen, die die Geschicke der Nation lenken, nur daran denken, wie schwer es für die Armsten ist, ihr Heim zu lieben, solange sie in dichten und dreckigen Massenquartieren leben müssen, wo jeder menschliche Anstand verlorengeht. - Schlimmer: er hat dort nie bestanden. Und in der Liebe fürs Heim wurzeln alle großen Tugenden. Könnten die Mächtigen nur einmal ihre Augen von den breiten Straßen und den großen Häusern abwenden und daran denken, die elenden Behausungen in den Gassen zu verbessern, in denen nur die Armut umhergeht - dann würde manch ein bescheidenes niederes Dach mit mehr Recht gen Himmel weisen als der höchste Turm, der sich stolz aus einer Umgebung von Schuld, V erbrechen und Seuchen erhebt, als wolle er sie durch seine Höhe verhöhnen. Das Stöhnen derer in den Fabriken, den Spitälern, den Zuchthäusern predigt diese Wahrheit, jeden Tag und viele Jahre schon. Das ist nicht leichtzunehmen, nicht mur das Gebrüll des arbeitenden Packslediglich eine Frage der Volksgesundheit und des Komforts für die Massen>Royal Garnmission on Metropolitan Water Supply, 1893«. Mit Befriedigung nimmt man dagegen davon Kenntnis, daß H. G. Wells seine Ansichten über das künftige Wachstum Londons ganz geändert hat (siehe >>Anticipations«, Kap. 11). Ich verweise auch auf >>The Distribution of Industry« von P. Wilson in >>The Heart of the Empire« (Fisher Unwin), auf einen Vortrag von W. L. Madgen über >>Industrial Redistribution«, Society of Arts Journal, Februar 1902.

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sinken werden! So lange von den 58 ooo Quadratmeilen Englands die 121 Quadratmeilen Londons eine so große magnetische Kraft ausüben, daß sie ein Fünftel der ganzen Bevölkerung anziehen, Menschen, die heiß um das Recht kämpfen, den Grund und Boden innerhalb dieses kleinen Gebietes zu bewohnen, so lange wird dieses Land natürlich Monopolpreise haben. Aber man entmagnetisiere das Volk und überzeuge breite Kreise, daß sie durch Abwanderung ihre Lage in jeder Beziehung verbessern können! Was wird alsdann aus diesem Monopolwert? Der Zauber ist gebrochen, und die große Seifenblase zerplatzt. Aber Leben und Verdienst der Londoner sind nicht nur den Eigentümern des Bodens verpfändet, die ihnen freundliehst gestatten, gegen ungeheure Renten darauf zu leben - d. h. für Mk. 320 ooo ooo pro anno, welche den gegenwärtigen (übrigens ständig wachsenden) Bodenwert Londons repräsentieren -, sondern sie sind auch bis zur Höhe von etwa Mk. Soo ooo ooo für die kommunalen Schulden der Stadt London verpfändet. Aber man beachte Folgendes. Zwischen einem Schuldner als Gemeindemitglied und einem gewöhnlichen Schuldner besteht in höchst wichtiger Beziehung ein großer Unterschied. Der Schuldner als Gemeindemitglied kann der Bezahlung durch Fortzug entfliehen. Er braucht nur aus einem bestimmten kommunalen Gebiet fortzuziehen, und er schüttelt damit co ipso zugleich nicht nur seine Verpflichtungen gegen seinen Grundherrn, sondern auch alle seine Verpflichtungen gegen seine kommunalen Gläubiger von sich ab. Allerdings muß er, wenn er fortzieht, die Lasten einer neuen kommunalen Bodenrente und einer neuen kommunalen Schuld auf sich nehmen. Aber in unsern neuen Gartenstädten werden diese einen außerordentlich kleinen und immer geringer werdenden Teil der jetzt getragenen Lasten darstellen. Die Versuchung, dorthin zu ziehen, wird aus diesen und vielen andern Gründen sehr stark sein. Aber was bedeutet ein Fortzug größerer Teile der Bevölkerung für die Zurückbleibenden? Jeder, der aus London fortzieht, verringert einerseits die Last der Grundrente, während er andererseits die Steuerlast für die Steuerzahler Londons erhöht, so lange nicht ein Wandel im Gesetz geschaffen wird. Obgleich jeder Fortziehende die Zurückbleibenden in den Stand setzt, immer günstigere Vereinbarungen mit ihren Grundherren zu treffen, so bleibt doch andererseits die kommunale Schuldenlast die gleiche, und die Zinsen für dieselbe verteilen sich auf immer weniger Köpfe. Hieraus ergibt sich, daß die Erleichterung, die der arbeitenden Bevölkerung aus der Herabminderung der Grundrenten erwächst, durch die Erhöhung der Steuern reichlich aufgewogen wird. Auf diese Weise wird die Versuchung abzuwandern andauern, und ein immer größerer Teil der Bevölkerung wird fortziehen, wodurch die Schulden zu einer immer drückenderen Last anwachsen, bis sie zuletzt, obgleich eine weitere Herabminderung der Bodenrenten damit Hand 153

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in Hand geht, unerträglich werden müssen. Allerdings hätten diese ungeheuren Schulden niemals aufgenommen zu werden brauchen. Wenn London auf kommunalem Grund und Boden erbaut worden wäre, so hätten die Renten nicht nur mit Leichtigkeit für alle laufenden Ausgaben genügt, ohne daß es nötig gewesen wäre, Steuern zu erheben oder Darlehen auf lange Zeiträume aufzunehmen, sondern die Stadt wäre auch in den Stand gesetzt worden, ihre Wasserversorgung und andere nutz- und gewinnbringende Unternehmungen selbst in die Hand zu nehmen, anstatt wie jetzt mit großen Schulden und geringem Vermögen dazustehen. Aber ein fehlerhaftes und auf Unmoral aufgebautes System muß schließlich einmal zusammenbrechen, und wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, werden die Eigentümer der städtischen Schuldverschreibungen von London ebenso wie die Eigentümer des Grund und Bodens von London gezwungen sein, sich mit der Bevölkerung gütlich zu einigen. Denn letzterer steht der Ausweg offen abzuwandern und an anderen Orten ein besseres, schöneres Städteturn aufzubauen, für den Fall, daß man ihr nicht gestattet, auf dem Grund und Boden ihrer alten Stadt von neuem zu bauen, und zwar auf einer Grundlage, die dem Gerechtigkeitsgefühl und der Vernunft entspricht. Die Abwanderung eines großen Teils der Bevölkerung ist von großer Tragweite für zwei große Probleme: für das Wohnungsproblem der Bevölkerung Londons und das Problem, wie Arbeit für die Zurückbleibenden zu finden ist. Die Bodenrenten, welche die arbeitende Bevölkerung Londons heute für eine höchst elende und ungenügende Behausung zahlt, verschlingen mit jedem Jahr einen stets wachsenden Teil des Einkommens, und zugleich stellen die sich immer mehrenden Ausgaben für die Fahrt zu und von der Arbeit oft eine sehr beträchtliche Steuer an Zeit und Geld dar. Man stelle sich aber nun vor, daß die Bevölkerungszahl Londons sinkt, und zwar schnell sinkt, weil große Scharen von Abwandernden sich in Städten niederlassen können, wo die Bodenrenten außerordentlich gering sind und wo sie ihre Arbeit leicht zu Fuß erreichen können. Es ist klar, daß alsdann der Ertragswert des Hauseigentums in London sinken, und zwar ungeheuer sinken wird. Der Wert der verfallenen und verpesteten Häuser in Arbeitervierteln wird auf Null herabsinken, und die ganze Arbeiterbevölkerung Londons wird Häuser beziehen, die weit besser sind als die, welche sie bisher bewohnen konnten. Familien, die heute gezwungen sind, sich in einem Zimmer zusammenzudrängen, werden fünf oder sechs Zimmer mieten können, und auf diese Weise wird das Wohnungsproblem mit der Zeit ganz von selbst gelöst werden, durch den einfachen Vorgang, daß die Zahl der Pächter und Mieter geringer wird. Aber was wird aus den verfallenen und verpesteten Häusern werden? Ihre Fähigkeit, den Armen Londons einen großen Teil ihres saueren Verdienstes abzuzwingen, ist jetzt für immer dahin. Aber werden sie nicht gleichwohl durch ihr 154

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Vorhandensein noch ein Dorn im Auge und ein Schandfleck bleiben, wenn sie auch die Gesundheit nicht länger gefährden und das Sittlichkeitsgefühl nicht länger verletzen können? Nein! Diese elenden Slums werden niedergerissen werden, und an ihre Stelle werden Parkanlagen, Spielplätze und kleine Pachtgärten treten. Und dieser sowohl wie mancher andere Wechsel wird nicht auf Kosten der Steuerzahler, sondern fast gänzlich auf Kosten der Grundherrenklasse vor sich gehen, insofern wenigstens, als aus den Grundrenten, die die Bevölkerung Londons noch für stark entwertetes Grundeigentum zahlt, die Kosten für die Verbesserungen der Stadt bestritten werden. Auch wird, glaube ich, kaum ein Parlamentsbeschluß erforderlich sein, um diese Wirkung zu erzielen; wahrscheinlich werden die Grundherren unter dem Zwang einer Nemesis, der sie nicht entrinnen können, freiwillig Ersatz für die so lange von ihnen begangene Ungerechtigkeit leisten müssen. Man beachte die unausbleibliche Folge. Da ein weites Arbeitsfeld außerhalb Londons erschlossen worden ist, so wird, wenn nicht ein Arbeitsfeld ähnlicher Art innerhalb der Stadt erschlossen wird, die Stadt London ganz und gar zurückgehen müssen, und die Grundherren werden sich dann in einer sehr traurigen Lage befinden. Dem Aufbau neuer Städte muß eine vollständige Umgestaltung Londons entsprechen. Dort dringt die Stadt auf das Land; hier muß das Land in die Stadt dringen. Dort werden Städte unter ganz neuen Bedingungen erbaut: das Land wird zu niedrigen Preisen erworben und dann den neuen Stadtgemeinden übertragen; in London müssen ähnliche Einrichtungen getroffen werden, oder niemand wird mehr bauen wollen. Anderswo können, dank der Tatsache, daß nur wenige Interessenten abgefunden zu werden brauchen, Verbesserungen aller Art schnell und auf wissenschaftlicher Grundlage durchgeführt werden: in London ist dies nur möglich, wenn das investierte Kapital sich vor dem Unabänderlichen beugt und Bedingungen annimmt, die wohl auf den ersten Blick lächerlich erscheinen mögen. Diese Bedingungen sind aber nicht lächerlicher, als wenn ein Fabrikant sich z. B. gezwungen sieht, für einen lächerlich geringen Preis eine Maschine zu verkaufen, die eine große Summe Geldes gekostet hat, aus dem einfachen Grund, weil eine bessere Maschine auf dem Markt ist, und es sich bei dem heißen Konkurrenzkampf nicht länger bezahlt macht, mit einer geringwertigen Maschine zu arbeiten. Der Wertverlust an Kapital wird ungeheuer groß sein, aber der Wertgewinn an Arbeit wird noch bedeutend größer sein. Wenige werden verhältnismäßig arm, aber die Menge wird verhältnismäßig reich werden - ein heilsamer Wandel, dessen üble, aber immerhin erträgliche Begleiterscheinungen die Gesellschaft sehr wohl abmildern kann. Schon sind Anzeichen der bevorstehenden Wandlung zu verspüren- ein Rollen, das dem Erdbeben vorangeht. Gerade in diesem Augenblick scheint London sei-

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nen Grundherren gewissermaßen den Krieg erklären zu wollen. Mancherlei Verbesserungen, nach denen London sich seit lange sehnt, sind nur möglich durch einen Wandel im Gesetz, der einen Teil der Ausführungskosten auf die Grundherren abwälzt. Eisenbahnen sind projektiert, aber in einigen Fällen werden sie nicht gebaut - wie z. B. die Epping Forest Railway -, weil die Londoner Grafschaftsverwaltung mit gutem Recht verlangt, daß die Fahrpreise durch Arbeiterzüge niedrig gehalten werden. Darum sucht sie, unterstützt von einem Parlamentsausschuß, den Förderem dieses Unternehmens Bedingungen aufzuerlegen, die nach deren Meinung außerordentlich drückend sind und jede Gewinnmöglichkeit ausschließen, die aber gleichwohl der Eisenbahngesellschaft guten Gewinn sichern würden, wenn nicht so unmögliche Preise für Land und sonstiges Eigentum an der projektierten Strecke verlangt würden. Die Hemmnisse, die sich auf diesem Wege Unternehmungen aller Art entgegenstellen, müssen das Wachsturn Londons beeinträchtigen und es weniger rasch vorwärtsschreiten lassen, als es sonst der Fall sein würde. Wenn aber die unermeßlichen Schätze unseres Landes durch eine Gartenstadtbewegung aufgeschlossen werden und das Volk, das heute in London lebt, entdeckt, wie leicht man gesetzlich geschützte Interessen umgehen kann, ohne sie anzugreifen, dann werden die Grundeigentümer Londons und die Vertreter anderer geschützter Interessen bald nachgeben müssen. Oder London wird aus einem »Schmutznest«, wie es Grant Allen genannt hat, zu einem verödeten Dorf werden. Aber wir wollen hoffen, daß besserer Rat die Oberhand gewinnen und eine neue Stadt aus der Asche der alten erstehen wird. Die Aufgabe ist allerdings schwierig. Auf jungfräulichem Boden ist es verhältnismäßig leicht, den Plan einer prächtigen Stadt zu entwerfen, wie Diagramm V es veranschaulicht. Mit weit größerer Schwierigkeit ist das Problem verknüpft - selbst wenn das investierte Kapital sich freiwillig seiner Rechte begeben sollte -, eine neue Stadt an Stelle einer alten, dichtbevölkerten zu setzen. Soviel ist allerdings gewiß, daß das gegenwärtige Gebiet der Londoner Grafschaftsverwaltung (im Interesse von Schönheit und Gesundheit und auch - was allerdings nicht das Wichtigste sein sollte- einer raschen Produktion neuer Reichtümer) nicht mehr als ein Fünftel seiner heutigen Bevölkerung enthalten dürfte und daß neue Systeme des Eisenbahnverkehrs, der Kanalisation, der Entwässerung, der Beleuchtung von Parkanlagen usw. die alten ersetzen müßten, wenn London in seinem Fortbestehen nicht gefährdet werden soll. Zugleich müßte das gesamte System unserer Gütererzeugung und -verteilung so vollständige und gründliche Wandlungen erfahren, wie sie der Obergang vom Tauschhandel zu unserem jetzigen komplizierten Handelssystem mit sich gebracht hat. Pläne für die Umgestaltung Londons sind bereits entworfen worden. Im Jahre 1883 hat der verstorbene William Westgarth der »Society of Arts« die Summe von Mk. 24 ooo für ein Preisausschreiben angeboten, um Vorschläge für die

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Schaffung guter und billiger ·Wohnungen für die Armen Landans sowie einen Neuaufbau des Zentrums der Stadt zu gewinnen. Dieses Angebot hat mehrere kühne Entwürfe gezeitigt1 . In neuerer Zeit erschien auch im Verlag von Stanford ein Buch von Arthur Cawston unter dem Titel: »A Comprehensive Scheme for Street Improvements in London«, das in seiner Einleitung folgende beachtenswerte Stelle enthält: »Die Literatur über London, so ausgedehnt sie auch ist, enthält kein einziges Werk, welches sich die Lösung eines Problems zum Ziel setzt, das gerade für die Londoner von größtem Interesse ist. Letztere beginnen jetzt einzusehen, teils durch Reiseerfahrung, teils durch die Kritik Amerikas und anderer Länder, daß das riesenhafte Wachstum ihrer Hauptstadt (mangels eines von der Stadtverwaltung vorgeschriebenen einheitlichen Bebauungsplans) nicht nur die größte, sondern auch wohl die unregelmäßigste, unbequemste und unmethodischste Anhäufung von Häusern in der Welt gezeitigt hat. In Paris ist seit 1848 ein einheitlicher Plan für die Umgestaltung der Stadt allmählich durchgeführt worden, in Berlin sind seit 1870 alle ungesunden Stadtviertel vom Erdboden verschwunden; etwa 35 ha sind im Zentrum von Glasgow vollständig neu bebaut worden; Birmingham hat etwa 37 ha, auf denen vorher schmutzige Slums standen, in prächtige Straßen mit architektonisch schönen Gebäuden umgewandelt; Wien ist im Begriff, seine innere Stadt umzugestalten, nachdem es seinen Außenring vollendet hat; und der Verfasser ist bestrebt, durch Hinweis auf jene Beispiele die Frage anzuregen, auf welche Weise die Mittel, die mit Erfolg zur Verbesserung dieser Städte angewendet worden sind, den Bedürfnissen Landans am geeignetsten angepaßt werden können.« Die Zeit für einen vollständigen Neuaufbau Landans - der vielleicht ein viel umfassenderer sein wird als der von Paris, Berlin, Glasgow, Birmingham oder Wien - ist jedoch noch nicht gekommen. Ein einfacheres Problem muß zunächst gelöst werden. Es gilt, eine kleine Gartenstadt als Arbeitsmodell und später eine Gruppe von Gartenstädten zu erbauen, so wie sie im vorigen Kapitel beschrieben ist. Nachdem diese Aufgaben gelöst, und zwar gut gelöst sind, muß der Neuaufbau Landans unvermeidlich folgen, und die Macht aller Interessen, die den Weg versperrten, wird alsdann beseitigt sein, wenn auch nicht ganz, so doch nahezu. Darum wollen wir zunächst unsere ganze Energie der kleineren dieser Aufgaben zuwenden und die größeren, darüber hinausliegenden Aufgaben als Endziel und Ansporn für zielbewußtes Handeln im Auge behalten und nicht vergessen, daß das Kleinere die Vorbedingung des Größeren ist, vorausgesetzt, daß es in der richtigen Weise und im richtigen Geist w~tan wird.

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Siehe >>Reconstruction of Central London« (George Bell & Sons).

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NACHWORT

Das vorliegende Buch - »Garden-Cities of To-Morrow« - ist im wesentlichen eine Neuauflage meines Buches »To-l\1orrow«, wdches gegen Ende des Jahres 18g8 veröffentlicht worden ist. Der Leser, der mir bis hierher gefolgt ist, wird begierig sein zu erfahren, was seitdem geschehen und geplant worden ist, um das darin entworfene Projekt zu verwirklichen. Gleich von Anfang an sah ich ein, daß es zunächst galt, das Projekt in weiteren Kreisen bekanntzumachen; daß von der Stadt, die in meinem Geist sich so lebendig spiegelte, nunmehr viele ein möglichst klares Bild bekommen müßten. Nur so konnte in weiten Schichten der Bevölkerung der starke Wunsch wachgerufen werden, eine solche Stadt zu schaffen; nur so konnte weislich der erste Schritt getan werden, um dem Projekt festere Gestalt zu verleihen. Denn die Aufgabe, die vor mir lag- ich war mir dessen voll bewußt-, war schwierig und erforderte die tatkräftige Mitarbeiterschaft vieler auf allen Gebieten des Lebens erfahrener Männer und Frauen1 • Ihnen näherzutreten, galt es, und sie für die Sache zu gewinnen. Der Städtebau - als ein auf Denken und Planmäßigkeit beruhendes Unternehmen - ist eine vergessene Kunst, wenigstens in unserem Land, und diese Kunst muß nicht nur neubelebt, sondern auch von höheren Idealen getragen werden, als man sich bisher träumen ließ. Alleinherrscher wie Alexander der Große und Philipp Il. konnten Städte nach wohldurchdachten und sorgfältig gereiften Plänen erbauen, weil sie ihren \Villen mit Gewalt durchsetzen konnten. Aber bei einem Volk, das sich selbst regiert, kann eine Stadt, die der Ausdruck der wirklichen Interessen aller ihrer Bewohner sein soll, nur das Ergebnis geduldiger, zielbewußter Arbeit vieler sein. Außerdem eröffnet die Erbauung einer ersten derartigen Stadt notwendigerweise ein Betätigungsfeld für genossenschaftliche Bestrebungen auf neuen Gebieten, auf bisher noch unbetretenen Pfaden. Und da die Freiheit des Individuums in gleicher Weise gewahrt werden soll wie die Interessen des Gemeinwesens, so bedarf es vieler Arbeit, um den \Veg für die erfolgreiche Inangriffnahme eines solchen Experimentes vorzubereiten. 1 Der Einfluß der Frau wird nur zu oft ignoriert. 'Yenn die Gartenstadt, wie es ja in Kürze geschehen muß, gebaut wird, wird es sich zeigen, daß die Frauen großen Anteil an der Arbeit gehabt haben; Frauen gehören zu den tätigsten Vertretern unserer Ideen.

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Meine Aufgabe -man kann sie kaum eine selbstauferlegte nennen; denn als ich vor langen Jahren meine Untersuchungen aufnahm, ließ ich mir kaum träumen, wohin sie mich führen würden - wurde besonders durch die Art meiner Berufstätigkeit erschwert, die ich unmöglich aufgeben konnte. So kam es, daß ich nur immer gelegentlich mühsam erübrigte Zeit und Kraft auf sie verwenden konnte. Aber glücklicherweise blieb ich nicht ohne Hilfe. Zuerst unterstützte mich die Presse. »To-Morrow« fand in weiten Kreisen Beachtung. Viele Bücher mögen ausführlicher besprochen worden sein, aber wenige sind in so vielen und in Zeitungen so verschiedener Art so günstig besprochen worden wie »To-Morrow«. Nicht nur in den Tageszeitungen und Wochenblättern Londons und der Provinzen fand das Projekt eine günstige Beurteilung, sondern auch in den Blättern der verschiedensten Fach- und Interessenkreise. Als Beispiel hierfür kann ich folgende anführen: »Commerce«, »Country Gentleman«, »Spectator«, Leisure Hour«, »Court Circular«, »Clarion«, »Builders Journal«, »Commonwealth«, »Young Man«, »Councillor und Guardian«, »Ladies Pictorial«, »Public Health Engineer«, »Municipal Journal«, »Argus«, » Vegetarian«, »Journal of Gas Lighting«, »Labour Copartnership«, »Hospital«, »Brotherhood«, »Municipal Reformer«. Der Grund für dieses allgemeine Interesse liegt auf der Hand: Das Projekt steht in der Tat im engsten Zusammenhang mit den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Lebens, und seine Ausführung verspricht, ein Musterbeispiel von weittragender, nutzbringender Bedeutung zu liefern. Aber obgleich man meine Bestrebungen allgemein anerkannte, wurden - besonders im Anfang - doch oft Zweifel betreffs ihrer Ausführbarkeit geäußert. So sagte die »Times«: »Alle Einzelheiten der Verwaltungs- und Steuerfragen usw. sind in hervorragender Weise durchgearbeitet. Die einzige Schwierigkeit besteht in der Erbauung der Stadt, aber das ist ja bekanntlich für Utopisten eine Kleinigkeit.« Nach diesen Worten der »Times« bin ich allerdings kein Utopist, denn die Erbauung der Stadt, die ich seit langem anstrebe, war für mich nie eine »Kleinigkeit«. Wenige Monate später trat jedoch das »Journal of Gas Lighting« nachdrücklich für meine Sache mit folgenden Ausführungen ein: »Warum sollte die Erbauung einer Stadt wirklich unüberwindliche Schwierigkeiten bieten? Keineswegs! In London bieten sich im gegenwärtigen Augenblick die günstigsten Vorbedingungen für eine versuchsweise Verwirklichung der Howardschen Idealstadt. Alle Augenblicke kann man die Nachricht lesen, daß irgendeine Londoner Firma aus geschäftlichen Rücksichten ihre Fabrik nach Rugby oder Dunstahle oder High Wycombe hinaus verlegt hat. Es sollte nicht unmöglich sein, diese Bewegung systematisch auszubauen und dem alten Land neue Städte zu schenken, in denen ein einsichtsvoller Plan ein harmonisches Arbeiten der wirtschaftlichen Kräfte gewährleistet.«

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In meiner freien Zeit hielt ich Vorträge über die Gartenstadt, der erste nach der Veröffentlichung des Buches fand im Dezember 18g8 in der Rectory Congregational Church, Stoke Newington, N statt. Den Vorsitz hatte Herr T. E. Young, der ehemalige Präsident des »Institute of Actuaries«, und es unterstützten mich die Herren Dr. Forman, Rev. C. Fleming Williams, AL. CC, James Branch L.C.C., und Lampard, L.C.C. 1 In einem Lokalblatt wurde günstig über den Vortrag berichtet, und ich fand bald, daß durch Vorträge in weiteren Kreisen Interesse für das Projekt geweckt werden könne, weil es ein gutes Thema bildet. Darum hielt ich immer, soweit es nur irgend möglich war, auf Wunsch Vorträge, und ich habe in London, Glasgow, Manchester und vielen Provinzstädten gesprochen. Auch Freunde begannen zu helfen, und einer der ersten, der öffentlich über das Projekt sprach, war Rev. J. Bruce Wallace, MA, von der »Brotherhood Church«. Nie werde ich die Freude vergessen, die ich bei seinen einfachen, eindringlichen Ausführungen empfand. Bald nach der Veröffentlichung von »To-Morrow« gingen mir viele Briefe zu, und zwar oft solche von Geschäftsleuten. Einer der ersten stammte von der Hand des Herrn vV. R. Bootland, Daisy Bank Mills, Newchurch bei Warrington, der das Projekt als geschäftlich gesund und dabei in hohem Grade gemeinnützig empfahl. Nach mehreren Monaten unregelmäßiger Propagandatätigkeit, wie ich sie nur leisten konnte, beriet ich mit einem Freund, Herrn F. W. Flear über weitere Schritte. Wir kamen dahin überein, daß es gut wäre, eine Gesellschaft zu gründen, um auf diesem systematischeren Wege Helfer und ein umfassenderes Programm zu gewinnen, damit zu einem möglichst frühen Zeitpunkt eine geeignete Organisation zur Ausführung desselben geschaffen werden könne. Demgemäß trafen am 10. Juni 18gg mehrere Freunde in dem Büro des vereidigten Bücherrevisors Herrn Alexander W. Payne, Finsbury Pavement E. C., zusammen. Herr Fred. Bisbop-Tunbridge Wells führte den Vorsitz, und die »Garden City Association« wurde gegründet. Herr Payne wurde der erste Kassenführer und Herr F. W. Steere - ein Advokat, der in »Uses« einen sehr nützlichen Auszug aus »To-Morrow« geschrieben hatte - der erste Sekretär; beide Herren bekleideten die Stellen im Ehrenamt. Am 21. desselben Monats wurde eine öffentliche Versammlung in der »Memorial Hall«, Farringdon Street E. C. abgehalten, in der Sir John Leng, Parlamentsmitglied, den Vorsitz führte. Er entwickelte in kurzen Worten und scharfen Umrissen die Gartenstadtidee und forderte die Anwesenden auf, mich bei meiner schweren Aufgabe zu unterstützen. Bei Gelegenheit dieser Versammlung wurde ein geschäftsführender Ausschuß der Gesellschaft gebildet, und in den ersten Sitzungen dieses Ausschusses wurde Herr T. H. W. Idris, 1

L. C. C. = London Country Council (Hrsg.); vgl. Anm. S. 52.

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J. P., L. C. C., zum Vorsitzenden desselben gewählt. Diesen Posten gab er später aus Gesundheitsrücksichten auf, obgleich er von der Zweckmäßigkeit der Garteustadtidee so fest durchdrungen blieb wie je. In den verschiedenen Teilen des Landes wurden nun Vorträge gehalten, und durch Vorführung von Lichtbildem und der Diagramme wurde weiteres Interesse geweckt. Die Gesellschaft wuchs beständig, und drei Monate nach ihrer Gründung konnte ich an den »Citizen« schreiben: »Die Gesellschaft zählt Leute der verschiedensten Berufsklassen zu ihren Mitgliedem: Fabrikanten, Genossenschaftler, Architekten, Künstler, Ärzte, Finanziers, Rechtsanwälte, Kaufleute, Geistliche, Mitglieder des Londoner Grafschaftsrats, Gemäßigte und Fortschrittler, Sozialisten und Individualisten, Radikale und Konservative.« Das Budget unserer Gesellschaft war jedoch nur äußerst gering. Um keinen auszuschließen, hatten wir als Beitrittsminimum den demokratischen Shilling festgesetzt, aber unglücklicherweise begnügten sich viele, die weit mehr erschwingen konnten, mit der Zahlung dieser Summe. Von dem Augenblick der Gründung der Gesellschaft bis zum 13. August 1901 - einem Zeitraum von etwas über zwei Jahren - erreichten die Gesamtzeichnungen für den allgemeinen Fonds der Gesellschaft nur die Höhe von Mk. 4833,75. Plötzlich trat jedoch ein Wechsel für die Gesellschaft ein. Im Beginn des Jahres 1901 erfuhr ich, daß Herr Ralph Neville, K. C. in »Labour Copartnership« einen Artikel geschrieben habe, in dem er sein volles Einverständnis mit den wesentlichen Prinzipien des Gartenstadtprojektes aussprach. Als ich ihm daraufhin meine Aufwartung machte, willigte er ein, unserem Ausschuß beizutreten, und wurde kurz darauf einstimmig zum Vorsitzenden desselben gewählt. Ungefähr zu derselben Zeit mieteten wir, obgleich unsere finanzielle Lage einen solchen Schritt kaum rechtfertigte, ein eigenes Büro und engagierten einen bezahlten Sekretär, der bereit war, seine ganze Zeit in den Dienst der Sache zu stellen. Bei dieser Wahl war die »Garden City Association« außerordentlich glücklich. Sie sicherte sich die Dienste des Herm Thomas Adams, eines jungen Schotten von seltener Tatkraft, Gewandtheit und großem Organisationstalent. Auf seine Anregung sind die Konferenzen zurückzuführen, die im September 190 I in Herrn Cadburys schönem Dorf Boumville und die im Juli 1902 in Herm Levers reizvoller Ansiedlung Port Sunlight stattfanden und die mehr als irgend etwas anderes dazu beigetragen haben, das Projekt im großen Publikum bekanntzumachen und unsem Mitgliedem augenscheinliche Beweise für die Ausführbarkeit, ja, den wundervollen Erfolg von Unternehmungen zu geben, die dem unsrigen in so vieler Hinsicht gleich sind. Seit unserer Jahresversammlung im Dezember 1901 ist die Zahl unserer Mitglieder dank besonderer Bemühungen einzelner Mitglieder von 530 auf 1300 angewachsen. Und da viele Freunde in dem Bestreben, das Projekt möglichst 11

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bald durch das Experiment zu erproben, sich zur Zeichnung recht bedeutender Summen erboten, haben wir eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht unter dem Namen »Garden City Pioneer Company« mit dem geringen Kapital von etwa Mk. 400 ooo gegründet. Diese Gesellschaft beabsichtigt, die Option auf ein geeignetes Grundstück zu erwerben und an der Hand desselben mit einem vollständigen Plan für die Erschließung dieses Terrains vor die Öffentlichkeit zu treten 1 . Dieser Plan wird im wesentlichen mit den in diesem Buch entwickelten Prinzipien übereinstimmen, in den Einzelheiten aber natürlich Abweichungen aufweisen. Diejenigen, die dieser vorläufigen Gesellschaft Summen zuwenden, gehen natürlich ein großes Risiko ein, und da der Gewinn, selbst im Fall eines vollständigen Erfolges, nur ein nomineller sein wird, so wendet sich unser Aufruf nur an solche, die sich aus Gemeinsinn für das Unternehmen interessieren. Niemand steht unter größerer Dankesschuld als derjenige, der ernstlich bestrebt ist, eine Idee zu verwirklichen, und Menschen findet, die ihm dazu verhelfen, dem, was nur als Gedanke besteht, sichtbare Gestalt zu verleihen. In dieser tiefsten Schuld befinde ich mich. Viele haben mir geholfen und sind stets bereit, mir zu helfen, das auszuführen, was ohne ihren Beistand ganz unmöglich wäre. Sie unterstützen mich durch schriftstellerische Tätigkeit, durch Vorträge, durch Organisieren von öffentlichen und privaten Versammlungen, durch Vorschläge, Ermunterung und guten Rat, durch Korrespondenzen und andere Arbeiten, durch Bekanntmachen des Projektes im Freundeskreis, durch Zeichnung von Geldem für Propagandazwecke und jetzt sogar durch das Anerbieten, bedeutende Summen für eine praktische Verwirklichung zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise haben sie meine Kräfte vervielfacht, ja vertausendfacht, und ich danke ihnen aus ganzem Herzen dafür, daß ihre Bemühungen das Vertrauen auf einen schnellen Erfolg in mir zur Gewißheit haben werden lassen. Ich hoffe, wir treffen uns in Kürze in der Gartenstadt.

1 Im September 1903 wurde bei Hitchin ein geeignetes Grundstück erworben und ein halbes Jahr später mit dessen Erschließung begonnen. Die neue Gartenstadt befindet sich bereits im besten Wachstum. (Anm. des übersetzers)

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VORWORT VON FREDERIC J. OSBORN zur englischen Neuausgabe 1946

Ebenezer Howards Buch erschien zuerst im Jahre 1898 unter dem Titel »Morgen: Ein friedlicher Weg zu echter Reform.« Es wurde mit leichten Veränderungen im Jahre 1902 noch einmal unter dem Titel »Gartenstädte von morgen« herausgegeben. Unsere Ausgabe hält sich an den Text von 1902 mit der einen Ausnahme, daß ich aus dem Buch von 1898 einige von Howards Zitaten von anderen Schriftstellern übernommen habe, da ich meine, daß sie heute wieder von besonderem Interesse sind. Howards Figuren habe ich aus der Ausgabe von 1902 übernommen. Diese Figuren erscheinen ein wenig antiquiert, wenn man sie mit der lebendigen Frische von Howards Text vergleicht; sie sind aber ein wesentlicher Teil des Buches, und da Howard selbst sie gezeichnet hat, liO geben sie einen Begriff von seinem praktischen, obwohl nicht im technischen Sinn konstruktiven Geist und von seiner Überredungsgabe. Die Geschichte des Buches und seine Wirkungen sind voller Widersprüche. Es hat allen modernen Sprachen einen neuen Ausdruck gegeben (Garden City, Cite Jardin, Gartenstadt, Ciudad-jardin, Tuinstad); und obwohl Howard diesen Begriff unmißverständlich klar definiert hat, so wird er doch allenthalben und immer wieder in einem Sinne gebraucht, der völlig von dem verschieden ist, was der Autor gemeint hat; man kann so weit gehen zu sagen, daß er das Gegenteil dessen ist, was der Autor im Sinn gehabt hat. Ein anderes Paradox: Das Buch nimmt in der Literatur des Städtebam einen besonderen Platz ein. Sein Name erscheint in allen Quellenangaben, man findet es auf den Regalen der größeren Bibliotheken, und fast alle Bücher, die sich mit Städtebau beschäftigen, erwähnen es; und doch sieht es so aus, als haben die meisten populären Schriftsteller über Städtebau es nicht gelesen; oder, wenn sie es gelesen haben, so haben sie vergessen, was darin steht. Ferner: das Buch hat zwei Stadtgründungen veranlaßt, sie wurden nachgemacht, und die Nachahmungen wurden nachgemacht, und so haben diese Gründungen einen schier unendlichen Einfluß auf die Stadtentwicklung überall in der Welt gehabt. Gleichzeitig, aber im großen und ganzen unabhängig von dieser Entwicklung, hat das Buch Ideen in Umlauf gesetzt, welche viel später erst unsere wissenschaftlichen und politischen Anschauungen über Stadtstruktur und Stadtwachstum verändert haben. Und trotzdem hat man niemals von einem bedeu11*

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tenden Buch in akademischen Kreisen weniger Notiz genomn,en. Mit Ausnahme von Alfred Marshall und Charles Gide hat kein führender Nationalökonom bis in die letzte Zeit jemals Howards These ernst genommen, daß man die Größe von Städten beschränken soll. Unter den anerkannten Schriftstellern über Städtebau hat einzig Sir Raymond Unwin diesen Gedanken völlig verstanden; und es ist ein anderes Paradox, daß, wie Lewis Mumford sagt, Unwins Lebensarbeit (nachdem er bei der Planung der ersten Gartenstadt Letchworth die entscheidende Rolle gespielt hatte) wesentlich dazu beitrug, der Entwicklung von Gartenvororten Vorschub zu leisten, wie sie überall angelegt werden, obwohl gerade Unwin als Schüler Howards sie prinzipiell ablehnte. Die Soziologen endlich haben 40 Jahre lang Tatsachen gesammelt und analysiert, ehe sie endlich begriffen haben, daß die Größe einer städtischen Siedlung ein bedeutender Faktor in ihrer gesellschaftlichen Organisation ist; und sie alle (mit Ausnahme von Patrick Geddes und Lewis Mumford) haben dabei Howards Werk bewußt ignoriert. Man braucht nicht lange nach den Gründen für diese Ablehnung von seiten der Akademiker zu suchen. Howard war offenbar kein »Wissenschaftler«. Sein Buch vermeidet die wissenschaftliche Terminologie, es ist kein gelehrtes Buch, es enthält keine Theorien über die Geschichte und die Gesellschaft. Es wurde auch kein Bestseller, es hat die Anschauungen der Masse nicht beeinflußt: Bücher, denen das gelingt, werden ja von den Gelehrten, wenn auch widerwillig, anerkannt. Und doch wundert es einen immer wieder, daß so wenige wissenschaftlich geschulte Leute gesehen haben, daß Howard eine außerordentliche Intuition und Urteilskraft besessen hat; daß er ein vor ihm völlig vernachlässigtes Problem von großer gesellschaftlicher Bedeutung ans Licht gehoben hat; und daß er in seinem Werk mit sicherem Instinkt unter den Ideen seiner Zeit sich nur für die eingesetzt hat, denen Bedeutung und Dauer zukommt. Natürlich hat er in seinem Buch Hypothesen vorgetragen, welche ein vorsichtiger Gelehrter nicht ohne weiteres annehmen würde, und er wirft solche Gedanken hin, ohne sie mit einem großen Aufwand an berühmten Namen und statistischen Fakten zu untermauern. Aber seine Hypothesen waren fast alle richtig, weil sie auf ein tiefes Verständnis der Gewohnheiten und Wünsche gewöhnlicher Leute gegründet sind. Howard war kein systematischer Denker, welcher eine große Anzahl von Tatsachen sammelt und analysiert. Vielmehr besaß er gesunden Menschenverstand und menschliches Verständnis. Mit ihnen drang er bis in den Kern des Stadtproblems unserer Zeit vor. Howards Buch beschäftigt sich lediglich mit der Frage der Stadtstruktur. Hier liegt seine historisch bedeutende Aussage. Aber wenn man es heute liest, so staunt man, wie stark es auf einen Wandel des politischen Lebens hindeutet. Es ist nun fast ein halbes Jahrhundert her, seit Howard geschrieben hat, und trotz-

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dem blieben seine Gedanken wesentlich für unsere heutigen Auseinandersetzungen. Er sah voraus, daß das Feld der Tätigkeit der Stadtgemeinde sich sehr stark erweitern müßte, aber er kannte auch die Grenzen dieser Tätigkeit. Ihn interessierte die freie Initiative des einzelnen ebensosehr wie die Kontrolle, die die Gemeinschaft ausübt. Eine Grenze zwischen diesen beiden Kräften hat er nicht festlegen wollen: er experimentiert, er fühlt sich langsam vor. Er hat gesehen, wie in der Demokratie der einzelne Verantwortungen für demokratische Aufgaben übernehmen kann, er hat vom Bereich der freiwilligen Zusammenarbeit gesprochen; und alle diese Gedanken sind durchaus wichtig für die gegenwärtige Situation. Und was noch bemerkenswerter ist: Sein Konzept der Stadtplanung als Teamwork und als ein Vorgang (»dieser Plan oder, wenn der Leser es vorzieht, dieser Nichtplan«) ist eben die Anschauung, zu der wir heute endlich kommen, nachdem wir Jahrzehnte engstirniger Planung und von noch hartnäckigerem Widerstand gegen jede Planung hinter uns haben. Das Buch enthält viele solcher blitzartigen Einsichten in die Zukunft. Aber als es erschien, fanden konservative Leute es lediglich phantastisch. Und die Männer des linken Flügels meinten, es zeige nicht genügend Respekt vor ihren eigenen grobschlächtigen Allheilmitteln. Sogar unter den Realisten der Fabian Society gab es solche, welche Howards Plan als albern und unpraktisch ablehnten 1 • So geschah es, daß dieses Buch keinen direkten Einfluß auf die geistige Welt ausübte; aber es überzeugte eine Handvoll energischer und fähiger Männer, welche Experimente in praktischem Städtebau unternahmen. Die nebensächlichen Dinge, die diese Leute taten, wurden in der ganzen Welt bis in alle Einzelheiten kopiert. Aber das Wesentliche, was sie erreichten, das nämlich, was sich auf Howards Vorschläge gründete, wurde im besten Falle nur ungefähr verstanden. Der wahre Sinn und die vitale Bedeutung des Gartenstadtgedankens wurden nicht mehr beachtet. Aber in den Jahren unmittelbar nach dem Erscheinen von »Tomorrow« war der Gedanke, neue Fabrikstädte in Großbritannien zu bauen, trotzdem dieses Land voll alter Städte ist, durchaus populär. Howard hielt allenthalben Vorträge über 1 »Seine Pläne hätte er den Römem unterbreiten sollen, als sie Britannien eroberten. Sie haben ja Städte gegründet, und unsere Vorfahren haben in ihnen gelebt bis zum heutigen Tage. Nun will Mr. Howard sie alle niederreißen und durch Gartenstädte ersetzen, jede nach einem hübschen farbigen Plan gebaut und schön mit Reißschiene und Zirkel entworfen. Der Autor kennt viele gelehrte und interessante Schriftsteller, und was er in seinem Buch von ihnen zitiert, ist das einzig Genießbare in dem unverdaulichen Teig seiner Utopien. Wir müssen das Beste aus den Städten machen, die wir haben, und neue vorzuschlagen hat etwa ebensoviel Sinn, als wollte man sich Schutzmaßnahmen gegen eine Invasion vom Mars ausdenken, wie Mr. Wells sie beschreibt.« Fabian News, Dezember 18g8.

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diesen Gedanken, und im Jahre 1899 hatte er immerhin so viele Anhänger um sich versammelt, daß er die Gartenstadtgesellschaft gründen konnte (Garden Cities Association). Im Jahre 1901 stieß der inzwischen verstorbene Ralph Neville, K. C., zu ihm (später Mr. Justice Neville); er wurde der Chairman der Gesellschaft und half ihr in ihrer Propaganda durch seine Lebensweisheit; ebenso der - ebenfalls verstorbene - Thomas Adams (der später als Expert im Städtebau bekannt wurde); Adams wurde der Sekretär der Gesellschaft; eine ganze Reihe fähiger und einflußreicher Industrieller und Männer des öffentlichen Lebens stießen um diese Zeit ebenfalls zu Howard. Das Publikum war skeptisch, ob ein Plan, der so neu und so kühn war, verwirklicht werden könnte; aber die Gruppe hatte das Prestige, die Fähigkeit und den Idealismus, es durchzusetzen. Ein Aktionskomitee wurde als Gesellschaft eingetragen, und nach sorgfältigen Vorbereitungen war es bereit, im Jahre 1903 ein Gelände von 3818 acres in der Grafschaft Hertfordshire zu kaufen, 35 Meilen vom Zentrum Londons entfernt; und so wurde die erste Gartenstadt Letchworth ins Leben gerufen. Wie Letchworth zustande kam, wurde an anderem Orte berichtet1 , und ich will es hier nicht wiederholen. Die Gruppe fähiger Geschäftsleute, die die Stadt gründeten, wußte offenbar, was sie wollte: sie beauftragte zwei damals noch unbekannte Architekten, Raymond Unwin und Barry Parker damit, den Plan für die neue Stadt zu entwerfen. Unwin war ein Mann von großen beruflichen Fähigkeiten, und er verstand sofort, was Howard wollte. Wie Howard war es auch ihm klar, daß in der Gesellschaft Kräfte und Strebungen an die Oberfläche traten, welche im Laufe einer Generation Wohnbau und Fabrikbau revolutionieren sollten. Später, als er den Tudor-Walters-Bericht über sozialen Wohnungsbau verfaßte (1918), legte er den gültigen Standard für Haus und Garten fest, dem das Bauen in Großbritannien zwischen den Kriegen überall folgte. Natürlich gab es Vorwegnahmen dieses Standards schon früher, z. B. in Bournville; aber erst Letchworth zeigte, wie populär die offene Wohnform wirklich war. Gartenstadtgesellschaften wurden in vielen anderen Ländern gegründet, und schließlich die Internationale Gartenstadtgesellschaft (sie wurde später der Internationale Bund für Wohnungswesen und Städtebau genannt) 2 , deren Präsident Howard wurde: Letchworth wurde weltberühmt; die Stadt wurde das Mekka für Leute mit neuen Ideen im Wohnen und Planen in allen Ländern; die Gründer von Letchworth konnten nichts dafür, daß die Experten, die da kamen, offenbar viel mehr an der Wohndichte, an den Häusern und an allen Einzelheiten der Planung von Letchworth interessiert waren und lange nicht genug an dem großen Gedanken, den Letchworth ja nur demonstrieren sollte. 1 Der beste Bericht steht in C. B. Purdom: Das Bauen von Trabantenstätdten, 1949. International Housing and Town Planning Federation.

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Denn Letchworth war und bleibt wirklich die Erfüllung dessen, was Howard wollte. Heute ist dort eine große Anzahl erfolgreicher Industrien angesiedelt, die Stadt besitzt Häuser und Gärten, viele Grünflächen und ein aktives Gemeinschaftsleben. Beinahe alle seine Einwohner arbeiten am Ort, es ist umgeben von Ackerland, das nicht bebaut werden darf, und Howards Grundsätze, nämlich städtischer Besitz des gesamten Bodens, Profitbeschränkung und die Verwendung der Wertsteigerung zum Nutzen der Stadt als Ganzes, werden immer noch aufrechterhalten. Seit vielen Jahren haben die Dividenden der Aktionäre ihr festgelegtes Maximum erreicht, und nur einige Rückstände aus den Zeiten des Aufbaues müssen abgezahlt werden1 . Das Unternehmen war kommerziell so erfolgreich, wie ein erster Versuch in einem völlig neuen Feld nur sein konnte. Für den Staatshaushalt war es außerordentlich vorteilhaft, denn die Subventionen, die der Staat pro Kopf der Bevölkerung von Letchworth gegeben hat, sind gar nichts, verglichen mit denen, welche in Stadterneuerung investiert werden mußten. Seine Gesundheitsstatistik ist besser als die irgendeiner anderen Industriestadt mit Ausnahme der zweiten Gartenstadt Welwyn. Ohne Zweifel hat Letchworth bewiesen, daß es möglich ist, eine völlig neue, unabhängjge Industriegemeinde auf jungfräulichem Boden aufzubauen. Nicht weniger wichtig ist es als ein Beispiel organischer Planung einer Stadt, in der das Land der Gemeinschaft gehört und die einzelnen Anwesen verpachtet werden, in der aber trotzdem die Freiheit industrieller und geschäftlicher Unternehmen gewahrt ist und die Stadt demokratisch verwaltet wird. Über die Gartenstadt Wehvyn, welche ihr Entstehen Howards persönlicher Initiative 1919 verdankte, brauche ich wenig zu sagen2 • Sein Beitrag zur Geschichte der Gartenstadt ist, daß die Techniken seiner Planung und seiner Architektur im Vergleich mit Letchworth weiter fortgeschritten sind. Auch ist sein Shopping Center und sein Industriegelände neuartig, und die Erfahrungen, die man dort gemacht hat, sollten sorgfältig von allen denen studiert werden, die an der Wirtschaftlichkeit großer Planungen interessiert sind. Da es näher an London liegt als Letchworth, so pendeln mehr seiner Einwohner täglich nach der Hauptstadt; aber wenigstens 85 °/o seiner arbeitenden Bevölkerung finden ihre Arbeit in der Stadt selbst. Denn es gibt dort viele verschiedene Industrien und einige große geschäftliche Unternehmungen. Es hat sich herausgestellt, daß diese Art 1 Die Rückstände wurden 1946 gezahlt. 1956 wurde das Dividenden-Maximum abgeschafft, aber unter dem Letchworth Garden City Gorparation Act von 1962 wurde Letchworth öffentliches Eigentum. 2 Ich habe ihre Gründung kurz in der neuen Ausgabe von >>Neue Städte nach dem KriegeDispersal>Nothing gained by overcrowding« ist der Titel der Schrift, in der Unwin diesen Nachweis führt. (Hrsg.) 2 1 Fuß = 30,48 cm. Die vorgeschlagenen Grundstücke messen also ungefähr 6 X 40 m und 6 X 30 m. (Hrsg.)

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wurde, war die der traditionellen Stadt vor dem Erscheinen der großen Ballung: 20 X 100 Fuß z. B. ist eine typische Parzelle in New York. Wenn man pro Familie 5 Leute rechnet, dann gäbe das eine Bevölkerungsdichte (unter Berücksichtigung des Straßenlandes) von etwa go-95 Menschen pro acre, und mit unseren heutigen kleineren Familien wäre die Dichte immer noch 70 Personen pro acre. Man muß sagen, daß Howard in den Einzelheiten seiner Planung eigentlich ein Kind des Zeitalters war, das hinter ihm lag. Sein Crystal Palace Road, ein großes Einkaufszentrum unter einem Glasdach gegenüber einem weiten grünen Platz, erinnert ein wenig an Princes Street in Edinburgh. Allerdings erinnert es noch mehr an die glasüberdeckten Straßen des frühviktorianischen Stadtplaners Buckingham und vielleicht sogar an die Phantasien von H. G. Wells. Howard machte wirklich eine brillante städtebauliche Erfindung, aber die wurde kaum beachtet, und bei der Entwicklung der Gartenstädte, die folgten, wurde sie vergessen. Das war sein Gedanke der Grand Avenue eines »Grüngürtels, mehr als 3 Meilen lang«, welcher die Stadt in zwei voneinander getrennte Zonen teilen sollte. Ein innerer Grüngürtel, durch den die Standorte verschiedener städtischer Funktionen voneinander getrennt werden, ist ein Gedanke für die Zukunft. Der Autor dieses Vorwortes hat eine solche Struktur für Honolulu skizziert (Whither Honolulu) und hat sie dem City and County Park Board 1938 unterbreitet. Howards Größe lag nicht auf dem Feld technischer Stadtplanung, und niemand wußte das besser als er selbst: Eine jede Skizze für seinen neuen Stadttyp hat er sorgfältig mit der Warnung unterschrieben, daß man sie lediglich als ein Diagramm nehmen sollte; die wirkliche Stadt würde solche Skizzen den besonderen Bedingungen anzupassen haben, für die sie geplant würden. Als Unwin und Parker schließlich Letchworth planten, gingen sie möglicherweise ein wenig weit in ihrem Bestreben, alles zu vermeiden, was aussehen könnte wie ein HowardDiagramm. Unwins Vorliebe für die unregelmäßige Struktur alter deutscher Städte in hügeligem Gelände widersprach sogar in gewissem Maße der vernünftigen Klarheit und Voraussicht der Howardschen Vorschläge. Aber was man sich wirklich vor Augen halten sollte, ist dies: daß der Garteustadtgedanke sich mit allgemeinen und immer gültigen Prinzipien des Planens beschäftigt: die Idee selbst steht und fällt nicht etwa mit dem Erfolg oder den Fehlern von Letchworth oder Welwyn; man kann auch nicht Howards Beitrag so leichthin abtun, wie einige das getan haben, die später ähnliche Erwägungen angestellt haben, aber der Sache einen neuen Namen gaben. Wie jede andere Erfindung konnte auch Howards Gartenstadt selbstverständlich im einzelnen verbessert werden; und natürlich würde der Gedanke sich in Hertfordshire oder Buckinghamshire in einer ganz anderen Form verwirklichen als im S. Bernadino Valley in Kalifornien oder im Columbia River Valley im Westen der Vereinigten 186

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Staaten. Howards Werk war das eines Soziologen und Staatsmannes, und eben das gibt ihm seine Allgemeingültigkeit. Howard hat damit begonnen, daß er das Wesen einer ausgewogenen Gemeinschaft dargestellt hat; und dann hat er sofort gezeigt, welche Schritte man in einer schlecht organisierten Gesellschaft, einer Gesellschaft ohne Ziele, zu ergreifen habe, um eine solche Gemeinde zu verwirklichen. Auf der einen Seite gab es zu seiner Zeit die übergroße und überbevölkerte Weltstadt, ungesund durch ihre Slums, unpraktisch, weil ihre Industrien dem Zufall ihre Entstehung und ihren Standort verdanken: die Weltstadt, welche Zeit, Energie und Geld ihrer Mitbürger dauernd verschwendet, nur weil Güter und Menschen immerzu über Entfernungen transportiert werden müssen, welche keinen Sinn haben; dieser Großstadt, in welcher die Einwohner nicht als Gesellschaft leben, trotzdem die große Stadt die Institutionen für ein gut organisiertes gesellschaftliches Leben besitzt. Das dauernde Wachsen der Zentren, wie London, Paris und Berlin, und der weniger bedeutenden Ballungen, die sie zum Muster nahmen, hat in keiner Weise das gesellschaftliche Leben gefördert. Die Einwohnerzahl wächst, der Reichtum der Stadt wächst; aber mit ihnen das Elend. Und kein geringer Teil des städtischen Vermögens wird ausgegeben, um dieses Elend durch teure Maßnahmen der Sanierung zu lindern. Das Land, auf der anderen Seite, war ebenfalls verarmt: das Anwachsen der großen Städte hat es seiner fähigsten und unternehmendsten Köpfe beraubt. Hier gab es frische Luft, Sonnenschein, schöne Landschaft, ruhige Nächte, was es alles in den großen Städten nicht mehr gab; aber hier gab es nun eine andere Art der Not, einen Mangel an menschlicher Gemeinschaft und gemeinsamer Unternehmung. Die Landwirtschaft war auf dem Abstieg, denn sie besaß die meisten ihrer örtlichen Märkte nicht mehr, und das Leben in der Kleinstadt war ebenso schäbig spießbürgerlich und unerfreulich wie das Leben in einem großstädtischen Slum. Es half auch nicht, daß einzelne Industrien sich draußen im Land ansiedelten; denn wenn das Leben eines Menschen wirklich ausgewogen sein soll, wenn seine Lebensumstände wirklich das Beste in ihm aufrufen sollen, dann ist es nötig, daß er in einer Gemeinschaft lebt, die ihn eben in diesem Sinne anregt. Howards Lösung war die gleiche, welche Kropotkin damals ebenfalls verkündete: die Ehe von Stadt und Land, von ländlicher Gesundheit und Kraft mit städtischem Wissen, städtischer Technik, städtischem Gemeinsinn; diese Heirat sollte die Gartenstadt vollziehen. Hier muß ich erneut vor einem Irrtum warnen: Howards Programm wird oft so ausgelegt, als habe er den Unterschied zwischen Stadt und Land verwischen wollen, so daß nichts übrigbliebe als ein einziger gestaltloser Vorort. Wenn man Howards Gedanken aber wirklich folgt, so wird man finden, daß er das keineswegs beabsichtigt hat; im Gegenteil: sein Plan sollte dieser bedrohlichen Ent-

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wicklung entgegenwirken. Denn die Gartenstadt, die Howard wollte, ist nicht eine loc.kere und unendlich verzettelte Masse von Einzelhäusern in großen Gärten, die schließlich das ganze Land bedecken: sie ist vielmehr eine kompakte, streng begrenzte städtische Ansiedlung. Innerhalb der Gesamtfläche, die zu der Gartenstadt gehören sollte, bedeckt die Stadt selbst nur eine mittlere Zone von 1000 acres. Und um sie heruni liegen 5000 acres offener, landwirtschaftlich genutzter Böden. 30 ooo Leute sollten auf diesen 1000 acres leben, 30 pro bruttoacre, verglichen mit den 57 Personen pro brutto-acre, die in der überfüllten und parkarmen Grafschaft von London leben. Innerhalb der Gartenstadt gab es auch einige Parks: etwa 9 acresParkland für je 1000 Personen; das ist erheblich mehr als die 4 acres, welche der neue Entwicklungsplan für London vorsieht, aber nicht so sehr viel mehr als die 6 acres, auf die Westminster so stolz ist. Man könnte sagen, daß die Bevölkerungsdichte in Howards Stadt größer ist, als man im allgemeinen für annehmbar hält; man kann ganz gewiß nicht von ihm sagen, er habe der Verzettelung der Stadt das Wort geredet. Worin liegt nun also Howards Originalität? Nicht in irgendwelchen Einzelzügen, sondern in seiner Synthese; und besonders in den folgenden Vorschlägen: die Bereitstellung eines auf immer unbebauten Landgürtels, der landwirtschaftlich genutzt werden soll; dieser Landgürtel sollte ein unabdingbarer Teil der Stadt sein; er sollte dazu dienen, die Ausbreitung der Stadt zu begrenzen und Übergriffe anderer Städte von außen her zu verhindern; ferner: daß das gesamte Stadtgebiet der Gemeinde selbst gehören sollte, und zwar in Permanenz. Die Gemeinde gibt dieses Land durch Pacht in private Hand; dann die Beschränkung der Bevölkerung auf die Anzahl, die von vornherein für das Gebiet der Stadt vorgesehen war; daß alle Wertsteigerungen der städtischen Böden der Stadt selbst zugute kommen sollten; die Ansiedlung innerhalb des Geländes der neuen Stadt von Industrien, die imstande wären, dem größten Teil der Stadtbevölkerung eine Lebensbasis zu geben; und endlich der Gedanke, daß neue Städte gegründet werden müßten, sobald die Böden und die gesellschaftlichen Möglichkeiten der ursprünglichen Gründung voll ausgenutzt wären. Kurz, Howard griff das ganze Problem der Stadtentwicklung an, nicht nur das Wachstum der Stadt im Raum, sondern die Beziehung der verschiedenen städtischen Funktionen zueinander und zum Stadtganzen, und die Integration städtischer und ländlicher Strukturen. So sollten dem städtischen Leben neue Kraft und dem Leben auf dem Lande geistige und gesellschaftliche Impulse gegeben werden. Dadurch, daß er Land und Stadt als ein einziges Problem sah, war Howard seinem Zeitalter weit voraus; und er sah die Gefahren des Verfalls der Stadt besser voraus als viele unserer Zeitgenossen. Seine Gartenstadt sollte nicht nur dazu dienen, die Massen aus der Großstadt zu ziehen und dadurch die Bodenwerte in

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der Stadt zu senken und die Stadt selbst zu erneuern; sie war gleichzeitig ein Versuch, die Vororte loszuwerden, in denen man nur schlief, jene Vororte, welche nur die andere Seite der großstädtischen übervölkerung darstellen. Ihr offener Plan und der Zugang zum Land bestehen nur auf Zeit; und da ihre Bevölkerung nicht in der Industrie arbeitet und überhaupt im Vorort selbst nicht arbeitet, so gehören diese Schlafstädte, die die neuen Großstädte umgeben, zu den unwirklichsten Formen menschlicher Ansiedlung, die je geschaffen wurden: Hier schafft der Mittelstand für sich eine lebensferne Spielwelt etwa so, wie die unumschränkten Herrscher ihre Versailles oder Nymphenburg geschaffen haben. Die Gartenstadt, wie Howard sie definiert, ist kein Vorort, sondern das genaue Gegenteil eines Vorortes: nicht ein Platz im Grünen, wohin man sich zurückzieht, sondern eine neue Stadtgestalt, die Stadt und Land vereint, und in der kräftiges städtisches Leben sich entwickeln kann. Howard begriff, daß es innerhalb des Rahmens unserer Stadtverwaltungen, wie sie jetzt bestehen, keine Lösung des Stadtproblems geben konnte; denn eine der großen Schwierigkeiten besteht darin, daß es zwischen der Stadt und dem umgebenden Land keine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Beziehung gibt. Hier sieht Howard viel klarer als alle jene Stadtreformer und Experten des sozialen Wohnbaues, welche sich in irgendeinem Teilaspekt der städtischen Entwicklung verlieren und darüber die Gesamtsituation vergessen haben. Was Howard über die Beziehung von Stadt und Land innerhalb der Gartenstadt gesagt hat, gilt für das ganze große Gebiet, das man Stadt- und Regionalplanung nennt; die Verwaltungseinheit, die man schaffen muß, muß unbedingt imstande sein, die städtischen und die ländlichen Aspekte einer Region in ihrer Arbeit zu umfassen. Von sehr großer Bedeutung war der Wert, den Howard darauf legte, Gruppen von Gartenstädten zu schaffen: Das Leben in der einzelnen Gartenstadt war bereits ein großer Schritt vorwärts; aber dieses neue städtische Leben konnte dadurch erheblich bereichert und vertieft werden, daß Stadtgruppen, Konstellationen von Gartenstädten geschaffen würden. Da Howard aber ein praktisch denkender Mann war, so schlug er zunächst einmal vor, den Gedanken in einer einzigen Gartenstadt auszuprobieren. Manchem Träumer hätten seine Träume genügt. Howard half Letchworth gründen und ging weiter: er gründete die zweite Stadt, Welwyn. Inzwischen waren die Ideen, die er als erster dargelegt hatte, Gemeingut der Planer überall in der Welt geworden: ihr Einfluß zeigte sich bei der Planung von Hilversum in Holland, in Ernst Mays Satellitenstädten um Frankfurt a. M. und in Wrights und Steins Radburn. Hier müssen wir von Howard als einem Staatsmann sprechen; denn er war ein Staatsmann, ebenso wie J. W. Mitchell von der genossenschaftlichen Bewegung ein Staatsmann gewesen ist; und sein Lebenswerk zeigt die besten Eigenschaften

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britischer Staatskunst; denn er hatte beides: den Sinn für den rechten Augenblick und den langen Atem für die Planung. Hierin unterscheidet er sich von allzu vielen unserer Zeitgenossen. Howards Denken war im besten Sinne englisch: immer praktisch und gleichzeitig idealistisch. Er glaubte fest an die experimentelle Methode; und er meinte, daß im politischen Leben ganz genauso wie im wissenschaftlichen Laboratorium das Experiment so überzeugend wirken würde, daß sogar diejenigen, die die Idee in abstrakto abgelehnt hatten, schließlich bereit sein würden, daran mitzuarbeiten. »Wäre es nicht ... besser, ein kleineres Problem zuerst zu studieren und, um (frei) mit Nunquam zu sprechen: >Wenn wir, sagen wir, 6ooo acres Landes haben, warum sollen wir nicht versuchen, aus ihnen das Beste zu machen?< Denn wenn wir das einmal getan haben, so werden wir gelernt haben, mit größeren Arealen umzugehen.« So sollten vernünftige Leute denken und handeln. Howard war durchaus vernünftig und niemals aggressiv, und er hoffte, alle für seine Idee zu gewinnen: Tories und Anarchisten, Leute der Schutzzölle und Sozialisten, Individualisten und Kollektivisten. Man kann nicht einmal sagen, daß er nicht letztlich recht behalten hätte; denn indem er sich an den englischen Instinkt für den fruchtbaren Kompromiß wandte, befand er sich innerhalb einer gültigen politischen Tradition. Von unserer Zeit her gesehen ist das auffallendste an Howards Vorschlägen für die Gartenstadt dies: daß er sich sehr wenige Gedanken über die äußere Form seiner Stadt machte. Er dachte an die Vorgänge, welche solche Gemeinschaften ins Leben rufen sollten. Er gewann seine Anhänger nicht, indem er kommerzielle Bilder von der idealen Stadt veröffentlichte, noch auch indem er so tat, als meinte er, das Leben der Menschen würde sich vollkommen in der neuen Umgebung ändern. Nein, er befürwortete klar definierte Ziele in einer Richtung, die bereits populär war: er glaubte daran, daß man Wandlungen durch »das gute Beispiel« herbeiführen könnte, »d. h. dadurch, daß man ein besseres System verwirklicht und daß man dazu imstande ist, gesellschaftliche Kräfte und Ideen in die richtige Richtung zu lenken1 «. Das war seine Stärke als Denker: anordnen und lenken. Und in einem der Schlußkapitel seines Buches, welches er »Soziale Städte« nannte, sah er die nächste Phase voraus, welche dem Experiment folgen müßte. »Eisenbahnen«, bemerkte er, »wurden zunächst ohne öffentliche Machtmittel gebaut. Sie wurden zunächst in sehr kleinem Maßstab angelegt - aber als die >Rocket< erst einmal gebaut war, als man sehen konnte, was die Lokomotive zu leisten imstande war, da wurde es nötig, für die Eisenbahn als große Unternehmung gesetzliche Macht zu erlangen.« Aber Sir Ebenezer konnte diesen zweiten Schritt, den er so sicher geplant hatte, selbst nicht tun: Mit der Ungeduld eines alten Mannes wollte er seinen ersten 1 Howard, von dem das Zitat stammt, gebraucht den Ausdruck manipulate. Aber manipulieren ist heute ein belastetes Wort. (Hrsg.)

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Erfolg wiederholen, anstatt ihn sofort politisch auszunutzen. Am Ende des ersten v\'eltkrieges schlug sein jüngerer Mitarbeiter, Mr. F. J. Osborn vor, »neue Städte nach dem Kriege1 « zu bauen, und zwar genügend, um mit den gegenwärtigen Bedürfnissen für Wohnungsneubau und Sanierung fertig zu werden. Dieser Vorschlag war nicht ohne gesetzgeberische Maßnahmen durchzuführen. Aber Howard war so ausschließlich damit beschäftigt, die zweite Gartenstadt zu gründen, daß die wichtigere Aufgabe, die Mr. Osborn vor sich sah, nicht mit der nötigen Energie vorwärts getrieben wurde; es wäre damals nötig gewesen, sozialen Wohnbau, Hilfe für die Industrie und Stadterneuerung als eins zu sehen. Statt dessen breiteten sich die Städte weiter aus, niemand plante diese Ausdehnung wirklich, und in der gleichen, unwirtschaftlichen und wirren Art legte man innerhalb der bestehenden Stadtgrenzen Wohngebiete an. Erst während der letzten zehn Jahre 2 haben wir angefangen, im sozialen Wohnungsbau und in der Planung neuer Gemeinden ein Politikum zu sehen. Der Barlow-Bericht in Großbritannien über die Möglichkeiten eines besseren Städtebaues setzt dort an, wo Howard in seinem Alter aufgehört hat. Was wir in diesem Augenblick brauchen, ist dies: Wir müssen das ganze Gebiet städtebaulicher Neuplanung im Sinne der neuenGedanken über Planung und Finanzgebarung von Gemeinden in Angriff nehmen, die Sir Ebenezer Howard ursprünglich entwickelt hat. Jetzt sind wir auf technischem und biotechnischem Gebiet endlich so weit, daß wir Howards und Kropotkins Intuitionen folgen können. Howards Plan, die Bevölkerungsbewegung zu leiten und sie von den bestehenden großen Zentren fort, neuen Zentren zuzulenken: sein Plan, die Industrie zu dezentralisieren und beides, Stadt und Industrie, auf dem Lande anzusiedeln, und zwar so, daß die neuen Städte menschlichen Maßstab haben sollten, ist heutzutage technisch erheblich leichter zu verwirklichen als vor 40 Jahren. Denn in der Zwischenzeit haben sich unsere Möglichkeiten unmittelbarer Kontaktnahme vervielfältigt; das gleiche gilt für unseren Schnellverkehr; und 50 Meilen brauchen heute nicht mehr zu bedeuten als 5 Meilen in der überfüllten Metropole von gestern, vorausgesetzt allerdings, wir planen unsere Städte als Gartenstädte. Inzwischen hat es sich gezeigt, wie nötig uns gut ausgewogene Gemeinden sind; denn es ist die Aufgabe unseres Zeitalters, eine städtische Umgebung herzustellen, welche der Fruchtbarkeit, der Ehe und dem Familienleben ebenso günstig ist, wie ländliche Gebiete es heute noch sind. Als Howard anfing zu schreiben, hatte er keine Ursache, einen Bevölkerungsrückgang zu befürchten; aber seine Konzeption war so organisch, so im tiefsten Sinne biotechnisch, daß die Stadt, die er entwarf, von allen städtischen Gemeinschaften, die wir kennen, am besten ge2 2

Titel von Osboms Buch: »New Towns after the War