Zeno von Cittium und seine Lehre (Inauguraldissertation)

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Zeno von Cittium und seine Lehre. Ein V e r s u c h , d e n z e n o n is c h e n

A n t h e i l am S t o i c i s m u s

d e r Q u e lle n

a u f G ru nd

a u s z u s c h e id e n .

Inaugural - Dissertation, der philosophischen Facultät zu Jena zur

E rla n gu n g d e r D octorw u rd e vorgelegt von

Gg. P. W e y g o l d t .

; Jena, 1872. D r u c k von- W .-R a tz .

Inhaltsverzeichniss, V o rb em erk u n g. I. II.

Das Leben Zeno’s. Der Charakter Zeno’s.

III.

Bildungsgang Zeno’s und präsumtiver Charakter seiner Phi­ losophie.

IV.

Schriftstellerische Thätigkeit Zeno’s.

V. VI.

Eintheilung der zenonischen Philosophie. Die Logik des Zeno. 1. Eintheilung der Logik. 2. Die Vorstellung. 3. Die Kriterienfrage. 4. Das λεκτόν.

VII.

Die Physik des Zeno. 1. Kosmologie. 2. Theologie. 3. Psychologie.

VIII.

Die Ethik des Zeno. 1. Das ethische Lehensziel und seine Hemmnisse. 2. Der AVeise und sein Gegensatz. 3. Die zenonische Socialethik.

Vorbemerkung. Dass eine möglichst genaue Kenntniss dessen, was von den Lehren der späteren Stoa schon dem Stifter selbst angehört, in jeder Beziehung sehr wünschenswert!» wäre, wird wohl Jedermann zugeben.

Eine andere Frage ist es aber, ob eine solche Kennt­

niss sich auf Grund der noch vorhandenen dürftigen Quellenan­ gaben werde ermöglichen lassen.

Neuere Forscher, wie Bandis,

Zeller, halten eine Ausscheidung für ziemlich unmöglich; hin­ gegen ist eine solche, um von früheren Arbeiten nicht zu reden, von Tennemann im 4. Band seiner Geschichte der Philosophie versucht worden.

Der Verfasser der vorliegenden Arbeit kam

nun nach Durchsicht der Quellen zu dem Urtheil, dass allerdings der Tennemann’sche Versuch an schweren Mängeln leide und nach all den bisher angestellten, ungleich gründlicheren For­ schungen kaum mehr zu gebrauchen sei, dass aber auch anderer­ seits der Zweifel an der Möglichkeit einer Ausscheidung zu weit gehe.

Die Abhandlung selbst, bei deren Bearbeitung besonders

das klassische Werk Zellers über die Philosophie der Griechen erspriessliche Dienste leistete’, mag darthun, dass die circa 70—80 directen Citate aus Zeno’s Schriften immerhin ausreichen, um, namentlich in der Physik und Ethik, eine ziemlich eingehende Kenntniss des zenonischen Antheils am Stoicismus zu gewähren. Im Uebrigen fand man es in Hinsicht auf den nächsten Zweck dieser Abhandlung geeignet, sich mehr nur mit der blossen An1

2 gäbe und pragmatischen Verknüpfung des in den Quellen als zenonisch Ueberlieferten zu begnügen und sich eingehenderer Consequenzen zu enthalten; desgleichen war man bestrebt, die Citate einerseits nicht allzusehr zu häufen und sie andererseits womöglich den bekannteren Schriftstellern Cicero, Plutarch, Sex­ tus, Diogenes und Stobäus zu entnehmen.

I. D a g lie b e n Z e n o ’e.

Ueber Geburt und Tod Zeno’s , sowie über die dazwischen­ liegenden Hauptstationen seines Lebens hat die chronologische Forschung bis zur Stunde zu keinem einheitlichen Ergebniss zu gelangen vermocht. Die Angaben hierüber gehen bei Diogenes Laertius so sehr auseinander, dass die Gelehrten theils zu Emendationen ihre Zuflucht nahmen (wie Zumpt), theils, an der Zu­ verlässigkeit der Resultate überhaupt verzweifelnd, sich mit un­ gefähren Zahlenangaben begnügen zu müssen glaubten (Wage­ mann, Zeller, Ueberweg u. A.). Doch dürften sich aus den vor­ handenen Notizen Schlüsse ziehen lassen, die mindestens eine grosse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Die biographischen Anhaltspunkte sind nämlich: Nach Persäus (bei Diog. VII. 28.) kam Zeno 22jährig nach Athen; nach D. VH. 2 soll er im 30. Lebensjahr zufällig an die Lectüre der xenophontischen Denk­ würdigkeiten gekommen sein und sich alsbald für das Studium der Philosophie entschieden haben; er sei nun zuerst Schüler des Cynikers Krates geworden, habe dann (nach Timokrates bei D. 2.) den Megariker Stilpo und den Akademiker Xenokrates, später und zwar gleichzeitig mit Arcesilars den Polemo (Cic. Acad. I. 9. 35) und endlich j den Dialectiker Diodorus Kronos (D. 25.) gehört. Im Ganzen soll er 20 Jahre lang Schüler der genannten Philo­ sophen gewesen sein. Endlich habe er seine eigene Schule be­ gründet, habe dieser 58 Jahre vorgestanden, habe 80 Jahre alt eine Einladung des Königs Antigonus Gonatas (der 01. 124 zur Regierung kam) abgelehnt (D. 6 .), sei unter dem Archonten Arrhenides von der Stadt Athen durch einen goldenen Kranz und eine Bildsäule geehrt worden und sei endlich im 98. (nach Per-

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siius im 72.) Lebensjahr eines freiwilligen Todes gestorben (D. 28.). — Auf Grund dieser Angaben lassen sich 3 Berechnungen aufsteilen, von denen die letzte die haltbarste sein dürfte. 1. Zeno wurde zu Cittium auf der Insel Cypern 354 ge­ boren, kam 332 als 22jähriger Jüngling nach Athen, lebte dort seinem kaufmännischen Beruf bis ins 30. Jahr, wo ihn der Ver­ lust seines Vermögens durch einen Schiffbruch der Philosophie in die Arme führte (D. 2.). Er schloss sich 324 zunächst dem Krates an , dessen Blüthe D. VI. 86 in eben diese Zeit gesetzt wird. Doch abgestossen von der cynischen Derbheit des Krates, wandte er sich Stilpo zu, welcher gerade damals das allgemeinste Aufsehen in Athen erregte (D. II. 113, 119.). Diese beiden Män­ ner gewannen den nachhaltigsten Einfluss auf das Denken Zeno’s , doch war dieser einerseits zu lernbegierig (D. VII. 15. 25.) und andererseits zu sehr zu einem eklektischen Sammeln geneigt, als dass er nicht auch von andern gleichzeitigen Celebritäten Notiz genommen hätte, vor allem von Xenokrates, dem berühmten Haupte der Academie. Schon seit 324 mag er die Vorträge dieses Philo­ sophen besucht haben und zwar anfänglich neben denen des Krates und Stüpo, später aber ausschliesslich nur sie bis zum Tod des Xenokrates 314. So erklären sich die 10 Jahre seines Jüngerverhältnisses zu Xenokrates (324— 314). Auf Xenokrates folgte Polemo in der Leitung der Schule. Weil Zeno sich zur Gründung einer eigenen Schule noch nicht gereift genug fühlte, beschäftigte er sich noch ein weiteres Decennium mit der Durch­ bildung seines Systems; er besuchte in dieser Zeit nicht selten die Vorträge Polemos und Diodors (D. 25. 16.) und übte sich fleissig im Disputiren mit Philo (D. 16.); 3Ö4 begründete er dann seine eigene Schule, stand ihr 58 Jahre lang vor und starb 98jährig 256 (D. 6.). Die Einladung des Antigonus fällt dann auf 275/74, die Auszeichnung durch die Athener etwa 260, sofern eben damals Arrhenides Archon gewesen sein könnte. — In dieser Chronologie lassen sich die meisten biographischen Angaben wohl vereinigen,'nur ist ein Alter von 98 Jahren mit ungeschwächter Geisteskraft und ununterbrochener physischer Gesundheit (D. 28) sehr unglaublich.

5 2. Die andere Berechnung stützt sich auf die Angabe des Persäus, eines unmittelbaren Schülers des Zeno, dass letzterer 72 Jahre alt geworden sei. Hiernach würden sich folgende Zah­ len ergeben: Geburt 346, Ankunft in Athen 324, noch im glei­ chen Jahr Schüler des Krates, zugleich bis 314 Zuhörer des Xenokrates, bis 304 des Polemo und Diodor, 304 Gründung der Schule, 275 Einladung des Königs und Ehrenkranz, 274 Tod. Eine Erklärung der Ereignisse im 30. und 80. Lebensjahr ist dann unmöglich, und die ganze Berechnung hat nur dann Wahr­ scheinlichkeit, wenn man glauben will, dass Persäus als unmittel­ barer Schüler am besten unterrichtet sein konnte. Dass jedoch und wie auch er geirrt haben konnte, soll bald gezeigt werden. Auch die Thatsache, dass dann Zeno mit seinem Rivalen Epikur das gleiche Alter erreicht hätte (D. X. 15), muss sehr auffallen. 3. Die 3. Berechnung stützt sich auf D. 176: »Kleanth habe ebenso wie Z. ein Alter von 80 Jahren erreicht.« (Denn jedenfalls ist das ταντα Ζήνωντ der Stephan. Ausgabe oder das ταντα Ζήνωνος des Cod. Arund., gegen Hübner, beizubehalten.) Hiernach würde sich folgende Zahlenreihe ergeben: Geburt 354, Ankunft in Athen 332, Schüler des Krates 324 (so dass sowohl die 30 als auch die 22 Jahre erklärt sind), die Gründung der Schule 304, Einladung des Antigonus und Ehrenkranz 275, Tod 274. Z. war also nur 30 Jahre Schulhaupt, aber er hat 58 Jahre in Athen gelebt, 332— 274, so dass Diogenes zweifelsohne die unglaublichen 58 Jahre der Schulleitung mit den 58 Jahren des athenischen Aufenthaltes verwechselt hat. Für diese Berechnung spricht dann auch die weitere Thatsache, dass D. 28 angiebt, Z, sei bis zu seinem Tod nie krank gewesen; dass aber Z. selbst im 80. Jahre von körperlichen Leiden redet, die ihm die Anstrengung einer Reise unmöglich machten (D. 9.); auch D. 162 kann die • «lange Krankheit“ Z. nicht 256, sondern nur etwa 274 fallen, weil ja Palemo, zu dem Aristo infolge derselben übergeht, schon 270 starb. Der Irrthum des Persäus rührt daher, dass er von dem 8jährigen Aufenthalt in Athen von 332 bis 324 nichts wusste, sondern einfach die 22 Jahre des Alters Z enos. bei seiner An­ kunft mit den 20 Jahren der Jüngerschaft und den 30 Jahren

7 II. I le r C h a r a k te r dee Z en o. Dem griechischen Philosophen war seine Speculation eine Angelegenheit von überwiegend praktischem Interesse: was er lehrte, wollte er leben, und was er lebte, sollte sich auf lehr­ bare Sätze bringen lassen. Darum treten 11ns so manche edle und scharfgezeichnete Charaktere entgegen, wie ein Pythagoras, Sokrates, Plato und Andere, in denen sich Denken und Handeln zur schönsten Harmonie zusammengefunden hatten; ebendarum begegnen uns aber auch solche Männer, in deren persönlichem Auftreten gerade die widerwärtigsten Consequenzen ihrer Den­ kungsart sich schroff ausprägten und unmittelbar beleidigten, so namentlich bei einzelnen Gliedern aus dem Sophistenkreis und aus der cynischen Schule. In Z. nun haben wir eine Persönlich­ keit vor uns, die an Adel des Charakters sich den besten der griechischen Philosophen ebenbürtig an die Seite stellen darf, eine Persönlichkeit, in welcher die Gegensätze des Lebens und des menschlichen Herzens zu heiterer Ruhe ausgesöhnt waren. Aus einer zum Theil phönicischen Stadt (D. 1.) und vielleicht selbst phönicischem Bluthe entsprossen, zeigte er in seinem ganzen We­ sen jenen würdigen und gesetzten Ernst, der dem Halborientalen schou mehr als dem Griechen eigenthümlich ist. Das erschüt­ ternde Unglück, welches ihm, wie es scheint, den grössten Theil seines Vermögens verschlang (D. 2), mag dann noch dazu bei­ getragen haben, ihn vom äusseren Scheine abzuziehen und ihn mehr in sich selbst zu vertiefen. Nicht minder trieb ihn aber auch der innerste Grundzug seines Wesens zu einer sorgfältigen Prüfung der äusseren Glücksgüter und zu der Frage: »welches denn die allein haltgewährenden und unmitteibar nutzbringenden Realitäten des Lebens seien?“ und seine frühere kaufmännische Beschäftigung konnte ihn in diesem realistischen Zuge nur be­ stärken. Weil aber der Realismus in der Auffassung des Lebens fast immer mit einer Neigung zum Eklecticismus verbunden ist, so mochte es auch Zeno lieben, den philosophischen Ertrag der Vergangenheit soweit als möglich kennen zu lernen, ihn gewisser-

6 der Schulleitung addirte; denn es ist sehr natürlich, dass Z. wohl hin und wieder von der Dauer seiner Studien redete, aber von der vorphilosophischen Periode seines Lebens schwieg. "Wir hal­ ten diese Berechnung allein für richtig. 80 Jahre sind auch ein «langes Leben“ (D. 28.), 98 Jahre waren aber damals, wie heute noch, ziemlich unerhört. Auch andere Philosophen, deren Alter man mit Auszeichnung ein hohes zu nennen pflegte, lebten nur 80—90 Jahre, so Plato (80), Timon (80), Karneades (85), Epicharm (90) etc. Ebenso hat auch die Angabe, dass Zs. Schüler Persäus um 260— 256 geblüht habe (D. 6.), nur dann Sinn, wenn er nach und nicht neben Z. blühte; sonst würde auch der an­ geblich 256 sterbende Z. wahrscheinlich diesen und nicht den be­ schränkteren Kleanth zu einem Nachfolger gewählt haben. Es dürften also folgende Daten als ausgemacht gelten: 324 als erstes Jahr der Jüngerschaft, 20jährige Dauer derselben, 304 als Gründungsjahr der Schule, 274 als Todesjahr Zs. Für 274 als Todesjahr spricht auch die weitere Geschichte der Stoa. Nach Z. war nämlich Kleanth und nach diesem Chrysipp Schulvorstand; Chrysipp lebte 282— 209; er war kein Schüler des Z. mehr (D. 179.), so dass Z. wahrscheinlicher 274 als 256 starb. Ferner giebt Chrysipp als liestaurator und Neubegründer der Stoa (D. 183); von einem solchen kann aber nur gesprochen werden, wenn vom Stifter bis zum Bestaurator eine gewisse Frist verstrichen ist, in welcher eine Depravation oder ein auffallender Stillstand stattfinden kann. Diese unberühmte Periode der Stoa mögen die Jahre zwischen 274 und 256 sein, als der ungelenke Kleanth Schulhaupt war. 256 aber starb Kleanth und Chrysipp trat sein Amt an, so dass es sich leicht erklärt, warum auf dieses bedeu­ tungsvolle Jahr die Chronologie der Stoiker öfters hinweist. Kle­ anth hätte dann von 336 bis 256 gelebt. Uebrigens bestätigt die Thatsache, dass Kleanth, der blinde Anbeter Zs., sich gerade im 80. Lebensjahr den Tod gab, unsere Behauptung vielleicht mehr als manche andere Angabe.

8 massen als Marktwaare vor sich ausgebreitet zu sehen, aus dem­ selben aber nur dasjenige für seinen eigenen Bedarf auszuwählen, was er zuvor sorgfältig gegeneinander abgewogen und probehaltig gefunden hatte. Er hasste darum jede leere Wortmacherei (D. 18), jede Aufgeblasenheit (D. 22), dagegen liebte er im Reden die geistreiche Kürze (D. 16. 18), im Denken von sich selbst und im Handeln das Massvolle. Wir sehen bei ihm nichts von jenen gesuchten Absonderlichkeiten, welche manche gleichzeitigen Philo­ sophen zur Schau trugen: seine Kleidung, seine Genüsse waren einfach, vielleicht zu einfach (D. 16.), wenn nicht etwa die Nach­ rede des Geizes von der klatschsüchtigen Schule Epikurs aus­ ging ; seine Enthaltsamkeit war im guten Sinne zum Sprichwort geworden (D. 28); seine Genügsamkeit war weit entfernt, cynisch zu sein; sein Auftreten war bescheiden utid zur Bescheidenheit und Wohlanständigkeit ermahnte er auch seine Jünger (D. 22.); er war ein Freund der Zurückgezogenheit, die zur Selbsterkenntniss und zur Vertiefung in sich selbst einlädt; er liebte selbst in heiteren, geselligen Stunden nicht den Umgang mit Vielen und in seinen philosophischen Unterredungen suchte er sich den An­ drang der Neugierigen vom Leibe zu halten (D. 14.), um das innere Gleichgewicht nicht zu verlieren; doch zeigte er sich, wo er mit Andern in Verkehr trat, durchaus leutselig und wohl­ wollend. — Fassen wir alle diese Data zu einem einheitlichen Gemälde zusammen, so müssen wir in Zeno einen Charakter er­ blicken, zu dessen edlen Zügen jeder nur einigermassen Wahl­ verwandte mit Liebe, ja mit Begeisterung emporblicken wird. Z. erhielt desshalb auch schon von seinen Zeitgenossen ehrende Be­ weise ihrer Hochachtung und Dankbarkeit: der König Antigonus war ihm mit auszeichnendem Wohlwollen zugethan (D. 67.) und die Athener fassten den Beschluss, ihn mit einem goldenen Kranz zu beschenken, ihm eine Bildsäule zu setzen und ihm auf Staats­ kosten ein Grabmonument im Keramikus, dem Begräbnissplatz berühmter Athener, zu errichten, »weil er sich als durchaus gut und edel erwies, weil er die um ihn versammelten Jünglinge durch seine Lehren zur Tugend und Mässigung anhielt und Jedermann sein eigenes Leben als Muster darstellte, welches mit seiner The?

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orie übereinstimmte“ , (D. 10.) — ganz entgegengesetzt den Er­ fahrungen, welche Sokrates gemacht hatte, mit dem doch Z. so­ wohl in der Hässlichkeit der äusseren Erscheinung (D. 1. 16.) als auch in der Harmonie seines Seelenlebens nicht wenig verwandt war. III. Bildungsgang Zeno’e und präsumtiver Charakter seiner Philosophie. 1. Der Cynismus mit seiner grundsätzlichen Verachtung aller äusseren Güter war vor dem Auftreten des Stoicismus die geeignetste Philosophie für alle Diejenigen, welche gegen harte Schicksalsschläge Trost und Aufrichtung suchten. Es war darum vielleicht kein so unvorhergesehener Zufall, wie es Diog. (2. 3.) hinstellt, dass der von dem plötzlichen Verlust seines Vermögens betroffene Zeno sich zunächst an Krates anschloss. Sowohl der 8jährige Aufenthalt in Athen 332— 324, den wir oben als gewiss annahmen, als auch die Nachricht (D. 31 f.), dass er schon in Cittium die Bücher griechischer Philosophen studirt habe, bewei­ sen es, dass er gegebenen Falles sich nicht erst bei Andern zu erkundigen hatte, wem er sich anschliessen müsse. Jedoch machte er sich von Krates wieder los, als er sich von seinem Schlag er­ holt und mehr und mehr eingesehen hatte, dass die forgirte Praxis der Cyniker den innern Schmerz nur betäuben, aber nicht naturgemäss heilen konnte, und dass überhaupt zum Cynismus, so zu sagen, etwas cynischere Gemüthsanlagen gehörten, als sie ihm selbst, dem gebomen Freund der Wohlanständigkeit, eigen waren. Diese Einsicht, sowie sein grosser Wissensdurst zogen ihn zu einer damaligen Berühmtheit ersten Banges, zu Stilpo. Indem jedoch auch Stilpo’s Standpunkt kaum mehr als ein durch me­ garische Dialectik verfemter Cynismus war, so konnte Z. nur in­ sofern Neues darin finden, als der Meister seine Lehrsätze mit einem grösseren Aufwand von Scharfsinn und dialectischer Bedefertigkeit zu begründen verstand. Nach und wahrscheinlich schon neben Stilpo hörte er darum den Akademiker Xenokrates, bei dem er aber nur in formaler Hinsicht gewonnen haben dürfte. Wenn ein längerer Besuch der xenokratischen Vorträge von Ge9

11 Ans Zs. Charakter nun lässt sich muthmassen, dass unser Philo­ soph, in manchen Punkten wenigstens, eklektisch verfahren haben werde, weil, wie schon bemerkt wurde, realistische Naturen zum Eklekticismus geneigt sind; in seiner Philosophie wird uns also schwerlich überall nur Neues und Originales entgegen treten, sondern nicht selten nur eine Verarbeitung schon vorhandener Anschauungen, eine Verarbeitung aber nach neuen Gesichtspun­ kten und mit der Beigabe einer scharf individuellen Färbung. Dabei w'ird er .am meisten Gewicht auf den praktischen Theil der Philosophie, also auf die Ethik legen, wenn es sich auch treffen sollte, dass theoretisch einer anderen Disciplin ein höheres Ansehen zuerkannt wird. Die oberste Frage des Zenonismus wird sein: Unter welchen Voraussetzungen und durch welche Mittel kann der Mensch, in welcher Lage er sich auch befinden möge, glücklich werden und es bleiben? Die Logik und Physik wird er vielleicht zum guten Theil nur desshalb bebauen, weil sie her­ kömmlich eben einmal in den Umfang der Philosophie gehören und noch mehr, weil sie den ethischen Sätzen als Beweismittel dienen können. — Aus seinem Studiengang lässt s'ch schliessen, dass er bei Xenokrates für die Eintheilung seines Systems, bei Krates und Palemo für die Grundzüge seiner Ethik, bei Aristo­ teles, Stilpo und Diodor für die Logik resp. Dialektik gewonnen haben werde. Doch lässt sich der zenonischen Philosophie trotz dieses eklektischen Charakters weder ihre relativ wissenschaftliche Selbstständigkeit, noch ihr hoher praktischer Werth absprechen und es gereicht dem Eklektiker Cicero keineswegs zur Mehrung seines Ruhmes, dass er, ungeachtet er selbst alle vorfindlichen stoischen Compendien ausschrieb, dennoch nicht müde wird, auf den Eklekticismus Zs. mit der Ruhmredigkeit eines Compilators aufmerksam zu machen (Cic. de fin. III. 2. Zeno non tam rerum inventor fuit quam novorum verborum; cf. V. 8. 29. IV. 3. 25. Acad. IV. 5. I. 10. legg. I. 13. 20).

IV. Schriftstellerische Thatfgkeit Xeno’s. Zeno soll etwa 25 Schriften verfasst haben, die aber alle bis

10 lehrten wie Zeller bezweifelt wird, weil «Zeno sich in seiner gan­ zen Denkweise doch überwiegend an Krates und Stilpo ange­ schlossen habe“ , so lässt sich diese Thatsache vielleicht ebenso gut zu der conträren Behauptung benutzen, dass eben dieses längere Studium des Platonismus für Z. nothwendig war, um ihn in dieses System nicht nur ein -, sondern auch wieder herauszu­ führen. Auch dem Nachfolger des Xenokrates, den Ethiker Po­ lemo (Cic. Acad. IV. 42), hörte Z. und zwar, wie es nach D. 25 scheint, mit dem lebendigsten Interesse (Cic. Acad. I. 9; fin. IV. 16(. »Es berichten aber Hekaton und Apollonius von Tyrus im 1. Buch von Z., dass er das Orakel befragt habe, was er thun müsse, um a u fs Beste zu leben, und dass ihm der Gott geant­ wortet h abe, er müsse sich mit den Todten beschäftigen. Dies habe er so gedeutet, dass er die Bücher der Alten lesen müsse.“ (D. 2.). Schon oben wurde nun angemerkt, dass er sich mit der Lectüre xenophontischer Schriften befasst habe. Seine Beschäf­ tigung mit Plato ist Themist. orat. 23 p. 295 c. bezeugt; und dass er auch die pythagoräische Philosophie kannte, ist daraus zu schliessen, dass er selbst πνϋαγοριχα. schrieb. Ebenso schei­ nen die »5 Bücher homerischer Probleme“ die Frucht eingehen­ der Homerstudien zu sein (Dio Chrys. Or. LIII. p. 275.). Dass er sich mit Heraklit eingehend beschäftigte, geht daraus hervor, dass er seine Physik fast ganz auf die Theorie des ephesischen Denkers gründete. Seine genaue Bekanntschaft mit Hesiod ist D. VHI. 48 und Cic. nat. deor. 1. 14. 36 bezeugt, vgl. auch Krische a. a. 0 . p. 395 f . , wo aus den Scholien zur Theogonie und zu Apoll. Rhod. besonders über die Stellung Zs. zur hesiodischen Lehre vom Chaos viel Haltbares beigebracht wird. Dass er auch die Eleaten und ihre Philosophie kannte, lässt sich mit Wahrscheinlichkeit aus D. 12 entnehmen, wo er zu der Inschrift auf der Bildsäule »Zeno’s des Philosophen“ , noch hinzufügen lässt: »des Kittiers“ , wohl zur Unterscheidung von dem gleich­ namigen Zeno von Elea. 2. Ein Schluss von Charakter und Bildungsgang eines Man­ nes auf sein Denken kann, sofern man sich von dem Fehler des aprioristischen Construirens freihält, stets nur anregend sein.

12 auf spärliche Citate verloren gegangen sind. Ausser andern Sch icksalen sind besonders wohl 2 Umstände fürdieselbeu ver­ derblich gewesen: erstens dass bald nach Z. der gelehrtere Chrysipp seine zahllosen Abhandlungen in die Welt schickte, sodann dass spätere Stoiker selbst an der Entstellung resp. am Unter­ gang derselben arbeiteten; wie denn z. ß. Athenodor als pergamenischer Bibliothekar alle nach seiner Meinung übertreibenden Stellen einfach herausgeschnitten haben soll (D. 34). Z. scheint bei der Abfassung seiner Schriften keinen systematischen Plan befolgt, sondern mehr gelegentlich · dieses oder jenes Kapitel er­ örtert zu haben; auch wird berichtet, dass er viel citirt habe (D. X. 27.), obwohl nicht in dem missbräuchlichen Umfang wieEpikur und Chrysipp. Ein etwas durcheinander geworfenes Ver­ zeichniss der zenonischen Büchertitel hat uns Diogenes aufbe­ wahrt. Seine erste Schrift, »die Staatsverfassung“, verfasste Z. noch als Schüler des Krates, wesshalb man sagte, dass sie auf dem Schwanz des Hundes geschrieben worden sei (D. 4.) und wesshalb sie auch einzelne starke Cynismen enthält (D. 33 f. Plut. stoic. rep. 68). * In dieselbe Zeit gehören mit grosser Wahr­ scheinlichkeit die όιαι ριβαί, sowie die Schrift περί έρωτιχή; τέχνης, weil sie Dinge behandeln, welche wohl dem cynischen, aber weni­ ger dem stoischen Denken nahe lagen (D. 34 Sext. Emp. pyrrh. III. 245 f.). Die Denkwürdigkeiten (des Krates) gehören wohl schon der Uebergangsperiode an; denn die Abfassung solcher Denkwürdigkeiten über einen früheren Lehrer setzt voraus, dass die besprochene Person schon in eine gewisse objective Entfer­ nung getreten ist und dass der Schreiber seinen eigenen Stand­ punkt gegen den des Lehrers mehr und mehr abgrenzen lernte; bei dem Abgrenzen liegen aber Grenzstreitigkeiten sehr nahe; desshalb mag diese Schrift zugleich polemisch gewesen sein. Nachdem Z. in dieser Schrift die Schroffheiten des Cynismus schriftlich fixirt hatte, war er zugleich, wie dies echt psycholo­ gisch ist, von denselben ziemlich geheilt. Die übrigen Bücher gehören deshalb der Periode einer grösseren Reife und Selbst­ ständigkeit an. Unter ihnen findet sich eine Schrift über die hellenische Erziehung, in welcher Z., wie früher in seiner Staats-

13 Verfassung (D. 32), von ethischen und pädagogischen Gesichts­ punkten ausgehend, die damalige Erziehungsweise scharf getadelt zu haben scheint. Eine andere Schrift: περί ορμής ή περί ά νθρ α ­ καν ψύσεως ist sowohl wegen der Verschiedenheit der Begriffe Trieb und Natur, als besonders auch wegen der Stellung des Wortes α νθρώ που, welches nach φΰσεως stehen sollte, in 2 zu zerlegen: περί ορμής η (8 Bücher vom Trieb) und π. φΰσεως άνθρω πον; letztere gehört dann wahrscheinlich in dje Physik und ist identisch mit der Schrift π . φΰσεως Stob. ecl. I. 178. In den «homerischen Problemen“ scheint Z. weniger die Absicht gehabt zu haben, Textkritik zu üben, als vielmehr Aehnlichkeiten mit seinen eigenen theologischen Lehren nachzuweisen, und die π ν θ α γοριχά waren vielleicht wegen D. VIII. 48 eine Controversschrift. Dem Inhalt nach dürften die zenonischen Schriften folgendermassen zu rubriciren sein: 1. Logik (mit Dialektik und Rhetorik): περί λόγον, καθολικά, τεχνιχαί λύσεις, π. σημείων, π. λέξεων, π. ποητιχής άκροάσεως, έλεγχοι, (D. 4), χρείαι (D. VI. 91). 2. Physik: π . του όλου, π . ουσίας, π . όψεως, π· φΰσεως (αν­ θρώπου). 3. Ethik: πολιτεία, δ ια τριβ α ϊ, Κράτητος ηθικά, απομνημονεύ­ μ α τα , λ . τον χατά ψύαιν β ίου, π . ορμής η , π . π α ­ θ ώ ν, π . τον χαθήχοντος, π . νόμου, π. ερωτικής τέχ­ νης, π . τής *Ελληνικής παιδείας. 4. Sonstige Schriften: π ν θ α γο ρ ιχά , προβλημάτων 'Ομηρικών πέντε. V. KSintheilung der zenoniechen Philosophie«

Aus Charakter und Bildungsgang Zenos haben wir oben muthmassend geschlossen, dass wohl die Ethik als die Wissenschaft vom vernunftgemässen und tugendhaften Handeln des Menschen den Mittelpunkt der Philosophie Zeno’s bilden werde, dass sich aber im Hinblick auf seinen strebsamen Geist erwarten lasse, dass er auch für alles Uebrige, was in den. Bereich des menschlichen Wissens fa llt, ein lebhaftes Interesse haben werde. Es steht

Η weiterhin fest, dass, obwohl erst Chrysipp dem stoischen System die spätere Feinheit und Correktheit der Ausbildung gegeben hat, doch schon Z. seiner Schule den wissenschaftlichen Geist ein­ hauchte, der sie stets vortheilhaft auszeichnete. Hieraus nun, sowie aus dem Umstande, dass zwei unmittelbare Schüler Zenos, Aristo und H eriil, in der Frage, ob die Logik und Physik zur Philosophie gehörten, gegnerisch auseinander gingen, liesse sich, auch ohne weitere Quellenbelege, schliessen, dass Z. selbst schon in gewissem Umfange logische und physikalische Untersuchungen angestellt haben muss. Nach D. 40 theilte er in seiner Schrift η . λϋγ>ν die Philosophie ein in Logik, Physik und Ethik und zwar in der angegebenen Reihenfolge. Es ist nun zu untersuchen, erstens ob und wie er sich über den relativen Werth und die Zweckbeziehung der einzelnen Disciplinen zu einander ausge­ sprochen und sodann, wie weit er jede einzelne Disciplin bebaut habe. Was die erstere Frage betrifft, so ist sehr zu bezweifeln, dass er sich ähnlichen Speculationen eingehender hingegtjben habe, und es gehört darum auch von den bekannten Vergleichungen der Philosophie mit einem E i, einem Garten, Leib u. s· w. (a. a. 0 . D . 40), vielleicht keine einzige ihman. Z. war eben viel zu sehr von der praktischen Tendenz des Philosophirens beherrscht, als dass er auf Competenzberichtigungen der einzelnen Fächer hätte Gewicht legen wollen. Erst der grosse Systematiker der Stoa, Chrysipp, hatte die nöthige gelehrte Müsse, sowie genug innere und äussere Anlässe zu scharfen Grenzbestimmungen und subtile­ ren Distinctionen. Wie wenig Z. selbst sich mit solchen Aus­ einandersetzungen befasste, geht schon daraus hervor, dass er so­ gar jene generelle Eintheilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik mit grösster Wahrscheinlichkeit aus einer andern Schule entlehnte; denn es wird uns Sext. Emp. adv. mth. VII. 16. ge­ sagt, dass nach Andeutungen Plato’s erst Xenokrates ganz aus­ drücklich diese Dreitheilung in die Akademie eingeführt habe; sie ist nun möglichenfalls das Wichtigste, was Z. aus des Xeno­ krates Hörsaal in seine eigene Schule herüberzunehmen für gut fand. Anlangend die andere Frage, wie weit Zeno in jede dieser 3 Disciplinen eingedrungen s e i, so soll aber dies der Gegenstand

15 der nachfolgenden Untersuchung sein. Die Dürftigkeit der Quellen ist freilich, besonders im Kapitel von der Logik, so gross, dass wir oft genöthigt sein werden, Lücken in der Berichterstattung durch Gründe der inneren Wahrscheinlichkeit zu überbrücken. Nicht einmal dies kann immer festgestellt werden, ob und welche Unterabtheilungen Z. in den einzelnen Disciplinen gemacht habe. Doch kann uns hiefür vielleicht D. 41 ein Fingerzeig sein; denn wenn sich hier ergibt, dass Kleanth neben der Logik von der Rhetorik, neben der Physik von der Theologie und neben der Ethik auch von der Politik gehandelt habe, so lässt sich der Arg­ wohn nicht abweisen, dass Kleanth, wie sonst gewöhnlich, so auch hier nur das Sprachorgan Zeno’s gewesen sein möchte. Doch das Nähere an seinem Ort und zu dem bisher Besprochenen nur noch die Bemerkung, dass es Z. in solchen Stücken überhaupt nicht genau zu nehmen pflegte (D. 84 .),

VI. JDie Logik des Zeno. 1.

E i n t h e i l u n g d e r L o g ik .

Es mag als feststehend betrachtet werden, dass Zeno die, Logik in die Dialektik und Rhetorik eintheilte, und zwar sprechen hiefür ausser der Thatsache, dass auch Kleanth diese Abtheilung machte, noch die weiteren Gründe: 1. dass diese Eintheilung von der Schule im Wesentlichen immer beibehalten wurde, 2. dass sie von Diogenes (41) vor andern Eintheilungsarten und darum viel­ leicht als ursprüngliche angeführt wird. (Ueberhaupt glauben, wir behaupten zu dürfen, dass der Abschnitt D. 41—48 fast nur Zenonisches enthält; denn sein Inhalt ist allgemein und kennt nicht die feineren Distinctionen, welche nachher von Chrysipp u. A. aufgezählt werden; es war ferner Diogenes bemüht, womöglich zu­ erst die Meinung Zeno’s anzugeben und dann die der übrigen Stoi­ ker folgen zu lassen wie D. 39—41, und so sagt er auch ausdrück­ lich c. 48, dass er jetzt nach dem Allgemeinen [Zeno’s] die nähe­ ren Erläuterungen [der Späteren] angeben wolle; ebenso bemerkt er :c. 45, dass die [kleanthische] Vergleichung der Seeleneindrücke

16 mit den Abdrücken eines Siegelringes eine spätere Uebertragung sei, woraus hervorgeht, dass alles Andere nur von Z. gelten kann). Die Wissenschaft der Logik umfasst nun nach Z. den ganzen Um­ fang des Begriffes λόγος. Die drei Seiten des λόγος sind aber: Gedanke, Laut, Rede. Die Dialektik als die Lehre vom richtigen Reden (όρ&ως διαλέγεσ&αε D. 42) hat den λόγος in seiner dop­ pelten Bedeutung als Gedanke (Vorstellung, Begriff) und als Laut (φωνή) zu ihrem Gegenstand. Gedanke und Laut waren aber nach Z. nur zwei Seiten einer und derselben Sache, des λόγος, insofern derselbe noch in der Brust lebt oder auf der Zunge hör­ bar wird, und er sprach desshalb von den σημαινόμενα (dem λόγος als Gedankeninhalt) und den σημαίνοντα (dem λόγος als Laut) (D. 43). In der Lehre von den σημαίνοντα war der Gedanke nach seiner Herkunft und inneren Wahrheit ins Auge zu fassen, sowie sein richtiger Gebrauch bei der Bildung von Urtheilen und Schlüssen, oder es war dies die Lehre von der Vorstellung, von dem Prüfstein der Richtigkeit einer solchen und von der formal­ logischen Anwendung unseres Denkinhaltes. Unter das Kapitel von den σημαίνοντα wurde nicht nur die Grammatik als Laut-, Wort- und Satzlehre, sammt der Lehre von den Solöcismen, Bar.barismen und der Amphibolie subsumirt, sondern auch die Dicht­ kunst (welche also nur vom Gesichtspunkt des Phonetischen und der Declamation aus eine Stelle fand), sowie die Musik, nämlich die Vocalmusik (D. 44). — Die Rhetorik als Lehre von der län­ geren · Rede (εν λέγει v περί τών εν όιεξόόω λόγων D. 42) hatte den λόγος in seiner dritten Bedeutung zum Gegenstand; sie um­ fasste eine gewisse Anzahl von technischen Regeln, nach denen jede Rede abgefasst sein musste, insofern sie wirksam sein wollte. Das Nähere kann nicht mehr angegeben werden. Von der zwei­ fachen Eintheilung einer Rede, welche D. 42. 43 angemerkt ist, scheint wenigstens die erstere, nämlich die Eintheilung in einen ' beratschlagenden, einen richtenden und einen lobenden Theil, dem Z. anzugehören, weil er sie von Aristoteles herübernehmen konnte. Ueberhaupt aber hat sich die Rhetorik bei unserm wort­ kargen Philosophen keiner besonderen Gunst zu erfreuen gehabt (D. 18).— In der späteren Stoa herrschte die verschiedene Praxis,

17 dass man die Lehre von der Vorstellung, den Kriterien und dem Syllogismus bald parataktisch neben Dialektik und Rhetorik stellte, bald sie unter die Dialektik subsumirte. Dass sie Z. selbst nur als Unterabtbeilungen behandelt habe, kann keinem ernstlichen Zweifel ausgesetzt sein, erstens weil diese Stücke naturgemäss in das Kapitel vom λόγος als Gedanke, d. b. in die Dialektik gehö­ ren, sodann weil im entgegengesetzten Fall die Rubrik der σημαινόμενα ganz ohne Inhalt wäre, drittens weil Diogenes selbst c. 43 sogleich nach der Eintheilung der Dialektik in die Lehre vom Bezeichneten und Bezeichnenden ganz allgemeinbin anfügt, dass zu jener auch die Vorstellungen gehörten, wo er gewiss seine An­ gabe durch ενιοι φααί oder sonst wie restringirt haben würde, hätte er nicht Grund gehabt, sie dem Stifter selbst beizulegen; viertens würde eine andere Eintheilung das ganze System unnöthigerweise verkünsteln und unübersichtlich machen, was doch kaum schon dem Urheber desselben, dem praktischen Z ., zuzu­ trauen ist. — Nach dem Bisherigen lässt sich für die Eintheilung der zenonischen Logik folgendes Schema aufstellen:

λογική ρητορική

διαλεκτική τα Σημαίνοντα

i , γραμματική ποιητική μουσική

τα

σημαινόμενα

1. φαντασία 2. κριτήριον

3. λεκτόν

συμβουλευτικόν δικανιχόν εγκωμιαστικόν

1

Dass die Lehre vom Bezeichnenden der vom Bezeichneten voranzugehen pflegte, ist D. 55 bezeugt. Ebendesshalb wird dann aber auch die Ehetorik hinter die Dialektik zu stellen sein; denn alsdann findet ein synthetisches Fortschreiten statt vom phoneti­ schen Theil des λόγος zu seinem Inhalt als Begriff und von da zu seiner Verbindung mit anderen Begriffen in der Rede. Auch setzt die Kunst der Rede eine gewisse grammatische und erkenntniss - theoretische Bildung nothwendig voraus. Auffallend könnte sein , dass die Dichtkunst und Musik von Z. so ganz äusserlich aufgefasst wurden; es konnte eben der kaufmännische, rein prak­ tische Sinn dieses Mannes den Künsten kein besonderes Gewicht

2

18 beilegen, weil sie nur angenehm unterhalten und weniger durch kritische Sichtung unserer Begriffe nutzbar werden. In den gram­ matischen Lehren Zeno’s werden wir kaum etwas mehr suchen dürfen als eine Verarbeitung des Materials, welches etwa Aristo­ teles darüber Unterlassen batte; erst die spätere Stoa erwarb sich hierin dauernde, wenngleich nicht selten (und neuerdings beson­ ders von Prantl) sehr in Frage gestellte Verdienste. Dass speciell Z. sich mit etymologischen Untersuchungen befasste, wird weiter unten in der Theologie des Näheren zu berühren sein. Für jetzt bleibt uns die Erörterung des Haupttheils der zenonischen Logik übrig, die Lehre vom Bezeichneten. 2.

D ie V o r ste llu n g .

Der Untersuchung, wie sich Z. das Zustandekommen unserer Erkenntnisse gedacht habe, muss die Bemerkung aus der Physik vorausgeschickt werden, dass Z., nach dem Vorgänge des Aristo­ teles, das Herz als Centralorgan der Seele ansieht; hier hat sie ihren Sitz als ηγεμονιχόν des ganzen Menschen; die 5 Sinne sind die Kanäle, durch welche sie von aussen her allen Wahrnehmungs­ inhalt empfängt, Sprache und Zeugungsvermögen sind die Wege, auf welchen sie sich nach aussen ergiesst. Im ι]γεμονιχΰν nun kommt auch die Vorstellung (φαντασία) zu Stande und zwar so, dass die Objecte der Sinneswahrnehmung in unserer Seele, welche einer unbeschriebenen, weichen Tafel vergleichbar ist, einen mate­ riellen Eindruck hinterlassen. Wenn nämlich Sext. Emp. adv. mth. VII. 228 gesagt wird, »dass Kleanth unter diesem Vorstellungs­ eindruck einen solchen mit sinnlichen Erhöhungen und Vertie­ fungen verstanden h abe, ähnlich der Abprägung des Siegelringes im Wachs“, und wenn dann fortgefahren wird, »Chrysipp sei die­ ser Vergleichung entgegengetreten, weil er vermuthete, dass Zeno die Bezeichnung τνηω αις im Sinn einer Veränderung oder έτεροίωαις gemeint habe, so muss die Definition D. 45 φαντασίαν τύηω σιν είναι iv ψ υχή von Ζ. sein. Die sinnliche Wahrnehmung ist also die ursprüngliche und in gewissem Sinne einzige Quelle unserer Erkenntnisse; nur reale Objecte vermögen darum eine richtige Vorstellung hervorzurufen (nihil effici potest ab ea natura

19 quae expers est corporis Cic. Acad. I. 11. 39), Vorstellungen hin­ gegen , die nur scheinbar von realen Objecten herrühren, sind unrichtig und nichts weiter als leere Spiegelbilder (φαντασίαι ακα­ τάληπτοι oder εμφάΰΗς D. 4G, 51.). Wird aber das reale Ob­ ject den Sinnen entrückt, so hat die Seele das Vermögen, die Vorstellung als Erinnerung (μνήμη) zurückzubehalten und dann aus einer Reihe gleichartiger Erinnerungen eine Erfahrung (εμπει­ ρία) zu abstrahiren (Plut. plac. IV. 11. 2.). Die Seele ist also bei der Conception ihrer Vorstellungen theils leidend, theils thätig. Doch hat Z., wie es scheint, keine näheren Untersuchungen darüber angestellt, woher die Seele, die er sich doch in ganz materialistischer Weise denkt, die Fähigkeit des Gedächtnisses sowie der Abstraction empirischer Erkenntnisse habe. Er scheint sich vielmehr mit dem einfachen Hinweis auf die Entwickelung des Verstandes im Kinde begnügt zu haben, wie es auch spätere Stoiker noch thaten: Es sammle sich nämlich in den ersten Jugendjahren nach und nach ein Schatz von Erfahrungen an, der die Grundlage alles Wissens werde; etwa vom 14. Jahr an (Stob. ecl. I. 792 D. 55) trete dann diejenige Seite der Seele hervor, welche λόγος genannt werde und welche, über den ganzen Erfahrungsinhalt immer freier verfügend, theils durch Zufall, durch Aelinlichkeiten und Analogie, theils durch Versetzung, Zusammenstellung, Entgegensetzung, die abstracten sittlichen und transcendentalen Begriffe schaffe, z. B. die Begriffe des Guten und Bösen, Gottes und seiner Vorsehung (D. 52). Bei dieser Bildung von abstracten Begriffen schöpft der λόγος nichts aus sich selbst, weil er ja nur eine formale Anlage ist, sondern er nimmt die Verhältnisse der sinnlichen Dinge als Muster und trägt sie in das Gebiet der Abstraction hinüber; er abstrahirt also von einem gerechten Mann den Begriff der Gerechtigkeit, von einem Baumeister den eines Gottes etc. Solche und ähnliche Erläuter­ ungen müssen wir schon Z. selbst zuschreiben, weil die ganze Stoa sie ziemlich übereinstimmend immer wiederholte (Seneca epist. 120; und Cic. de fin. IH. 10 ist Diogenes nur als Vertreter der Stoa überhaupt, nicht aber als der zu nehmen, welcher etwa jene Lehren zuerst aufgestellt hätte). Im Allgemeinen nahm die

2*

ganze Stoa eine doppelte Art der Bildung abstracter Begriffe an: eine mehr unbewusste und eine bewusste; die stoische Termino­ logie sprach daher von einer kunstlosen und einer künstlichen Be­ griffsbildung (I). 51.) und schloss sich hierin wahrscheinlich an zenonische Bezeichnungen an. Die Vorstellungen der ersteren Art werden in fast gleicher Weise von allen Menschen vollzogen; sie wurden von Chrysipp stρολ?}ψεις genannt, von den späteren Stoi­ kern erhielten sie aber den bezeichnenderen Namen χοιναί i'w otai ; dass ein zenonischer Terminus nicht angegeben wird, beweist uns abermals, dass Z. in diesem Kapitel noch keine eingehenderen Untersuchungen anstellte. Zufolge des oben Bemerkten können also diese Vorstellungen im Sinne Zs. keine angebornen Ideen sein, wie etwa die angebornen Vorstellungen der Leibnitz’schen Monaden, sie können auch andrerseits sich nicht vollständig mit der sinnlichen Wahrnehmung decken, sondern nur ihren Inhalt schöpfen sie aus der Erfahrung, die sie durch kunstlose Schluss­ folgerungen erweitern und befruchten, ihrem tieferen Grund nach beruhen sie aber auf einer formalen Anlage der Seele, die von dem Materialisten Z. so gut wie ganz ignorirt und die überhaupt erst von Kant einer gründlichen Erörterung gewürdigt wurde. Z. war noch ganz im Unklaren über das, was bei Cicero Acad. I. 11. 42 norma scientiae et principium und bei Seneca ep. 120: scientia, quam natura docere non potuit genannt wird, und er begnügte sich mit der praktisch allein wichtigen Thatsache, dass eben alle unsere Erkenntnisse materialiter auf der Empirie be­ ruhen. — Ueber die blos kunstlose Begriffsbildung geht aber die künstliche hinaus, indem die Vernunft die empirisch erworbenen Erkenntnisse durch die Mittel der Dialektik erweitert, syllogistisch begründet und dadurch ein ganzes System von Erkenntnissen zu Stande bringt, welches Wissen oder Wissenschaft genannt wird (D. 47.). Dass Z. nur dem Weisen die Fähigkeit zusprechen konnte, zu einem solchen systematischen Wissen zu gelangen, während die grosse Masse nur an den χοιναί ivvoiat Theil hat, ist nach dem Bisherigen selbstverständlich; dasselbe geht aber auch aus den Aussprüchen hervor, welche uns in dem zenonischen Kapitel (D. 42—48) aufbewahrt sind, dass die Wissenschaft eine χατάληψις

21 ασφαλής, ein sicheres Begreifen.sei, zu welchem uns nur eine be­ dächtige Ueberlegung und eine scharfe Logik führe, dass über­ haupt nur die Dialektik uns vor Irrthümern bewahren; es geht auch aus der exceptionellen Stellung hervor, welche Z., wie sich später zeigen wird, dem Weisen zuerkannt. Denn worin sollte auch sonst der Vorzug des Weisen bestehen? Die gesunde Ver­ nunft der Masse findet im Allgemeinen immer das Richtige heraus; will sich nun der Weise hiermit nicht zufrieden geben, so kann sein Vorzug nur darin liegen, dass er sich zum klaren, wissen­ schaftlichen Bewusstsein bringt, was der grosse Haufen mehr nur dunkel ahnt. Dass freilich bei dieser Sachlage, derzufolge der Weise sich nur graduell vom Unweisen unterscheidet, dass da noch der von der ganzen Stoa und besonders von Z. so stolz betonte Widerspruch des Weisen gegen viele, oft gegen die heiligsten Mei­ nungen der übrigen Menschen möglich sei, ist dann ohne allen Grund und hierin liegt desshalb eine der härtesten Inconsequenzen der zenonischen Philosophie, die man Z. selbst und seinen Nachfolgern oft genug und mit Recht vorgerückt hat. Wir aber sehen hierin einen neuen Beleg dafür, dass, wie die Logik der schwächste Theil der zenonischen Philosophie, so die Erkenntnisstheorie die schwächste Seite der zenonischen Logik ist. — Es erwächst uns also der ganze Complex unserer Erkenntnisse aus den sinnlichen Vorstellungen, welche kraft des Gedächtnissvermögens einen Erfahrungsschatz bilden, welche dann durch die Schule eines formalen rrincips (des λόγος) hindurchgehend sich klären und bereichern und so endlich als fertiges Wissen vor uns liegen. Wie uns Cicero Acad. IV. 47 cf. I. 14 erzählt, pflegte Z. auf diesem Weg der Erkenutnissbildung vier Hauptstationen hervorzuheben: die Wahrnehmung des Objectes die Zustimmung (σνγχατά$ησις), die Erfassung des Objectes (χατάληψις) und endlich das Wissen oder die Wissenschaft; die Wahr­ nehmung soll er hiebei mit der flachen Hand, die Zustimmung mit der halb geschlossenen Hand, die Erfassung mit der Faust, das Wissen endlich mit der durch die linke Hand umschlossenen rech­ ten Faust verglichen haben. Dieses Bild bestätigt uns nun nach­ träglich zweierlei, erstens unsere Behauptung, dass Z. zwischen ursprünglichen und abgeleiteten Wahrnehmungserkenntnissen unter*

22 schieden habe, so dass also die,Wahrnehmung, Zustimmung und Erfassung die Bildung der rein sinnlichen Vorstellung bezeichnete, das Wissen aber, das durch Hinzutritt des λόγος gewonnene be­ griffliche Wissen; sodann bestätigt sich uns, dass Z. mit dieser höheren und niedei’en Art der Erkenntnissbildung nur einen quali­ tativen, keinen quantitativen und conträren Unterschied statuiren wollte; der ihn leitende Gesichtspunkt war eben nur der, zu be­ stimmen, in welchem Grad eine Vorstellung ασφαλής sei oder nicht (D. 47). Ein Schema der Faktoren, welche nach Z. das Zustandekommen unserer Erkenntnisse bedingen, müsste nach dem Bisherigen etwa so aussehen:

χατάληψις αίσίλήσει γενομένη

1.

αϊσίλησις, σνγχαταΰησις, χατάληχρις ^ ..... ■■■ ·■ -

φανιααία



■■

-■ V

μνήμη

, I . εμπειρία χαιάληψις άισϊϊήαει χαι λόγο» γενομένη * ··



-■

'

[φαντασίαι άτεχνοι χαι τεχνιχαι V)



επιστήμη 3.

D ie K r it e r ie n .

Die Frage nach einem Prüfstein der Richtigkeit oder Un­ richtigkeit unserer Erkenntnisse war bis jetzt nicht (und auch von Aristoteles nicht eigentlich, trotz Metaph. 4. 6.) ernstlich aufge­ worfen worden. Allein die Skepsis, die eben damals in Arcesilaus ihr Haupt kampflustig erhob und andrerseits der praktische Ernst Zenos, welcher die Grundsätze, die sein Lebensglück bedeuteten, auf keine Nichtigkeiten bauen wollte, drängten unabweisbar zu diesem hochwichtigen Kapitel der Erkenntnisstheorie hin. »Wer bürgt uns dafür, dass wir adäquate Vorstellungen haben, dass unsere φαντααίαι keine φαντάσματα sind?« Z. stellte nun den Satz auf: eine Vorstellung ist richtig, wenn sie auf ein reales Ob­ ject geht und dieses vollständig erfasst, mit andern Worten: das

23 Kriterium ist die φαντασία καταληπτική. Dass nämlich dieser Ter­ minus von Z. selbst schon aufgestellt wurde, ist vielleicht weniger darum sicher, weil er Cic. Acad. I. 11. 41 als zenonisch bezeugt ist, als darum, weil er in D. 46 verzeichnet steht, also in einem Abschnitt, dessen zenonische Authenticität sich uns schon mehr­ mals aufdrängte; auch Sext. adv. mth. VII. 253 muss darum unter den αρχαιότεροι τών Στωικών, welchen diese Definition beigelegt wird, Z. selbst mitverstauden werden. Dass jedoch Z. diesen Ter­ minus schon stereotyp und als Schlagwort in seinen Vorträgen gebraucht habe, ist minder wahrscheinlich; er scheint vielmehr bald von dem ασφαλής (D. 47), bald von dem εναργής und πλη­ χτικός (Sext. mth. VII. 257.) der Vorstellung gesprochen zu haben, wodurch uns unsere Zustimmung unmittelbar abgenöthigt werde. Dies mag auch der Grund sein, warum der Terminus φαντασία καταληπτική D. 54 verwechslungsweise erst dem Chrysipp beige­ legt wird, während doch gleich daneben die richtige Angabe steht, dass Chrysipp im Widerspruch gegen die vier Kriterien des Boe­ thus nur zwei aufgestellt habe, nämlich die αϊσΰησις und πρόληψις. Das zenonische Kriterium fasst übrigens noch ein weiteres Moment in sich; auf die Frage nämlich, woran erkannt werde, dass eine Vorstellung wirklich kataleptisch sei, wird geantwortet: daran, dass sie uns zur Zustimmung nöthigt. Die Definition sollte also voll­ ständig lauten: wahr ist nur die mit σνγχατά&ησις verbundene φαντασία καταληπτική (Sext. adv. mth. VII. 257). Weil jedoch unsere Zustimmung erst nach dem Befund der Wahrheit einer Vorstellung eintritt, so ist die ganze Definition eigentlich ein Cirk el: eine Vorstellung ist wahr, weil sie unsere Zustimmung erhält, und diese erhält sie, weil sie wahr ist. Diesem Cirkel zu ent­ gehen, war Z. genöthigt, ein anderes Kriterium aufzustellen, wel­ ches auch darüber zu entscheiden vermochte, ob eine Vorstellung kataleptisch sei oder nicht. Dieses Kriterium konnte aber nichts anders sein als die Stichhaltigkeit einer Vorstellung vor dem Syllo­ gismus d. h. es konnte, wie dies Z. nach D. 54 bezeichnete, nur der όρΌ-ός λόγος sein; denn in diesem Sinn ist der όρϋ·ός λόγος bei Z. aufzufassen und nicht, wie z. B. Tennemann es thut, als sensus communis und identisch mit dem xoival εννοιαι; es ist der

24 auf dialektischem Wege als richtig erwiesene Begriff und der Ter­ minus selbst ist nur die Substantivirung von όρϋ-ως λέγειν sive δια λέγεβ ΰ α ι, wie Ζ. die Dialektik selbst definirte (D. 42). Es kann also gesagt werden, dass Z. im Grund nur ein Kriterium annahm, nämlich den ορθός λόγος , dic Probehaltigkeit vor der dialektischen Untersuchung ·, und es erklärt sich dann auch hieraus, warum Z. auf die dialektische Uebung so grosses Gewicht legte (D. 16. 46.) und warum er dem Weisen d. h. dem cxacten Dia­ lektiker eine so hohe Stellung anwies. Doch hatte Z. auch in der Kriterienfrage seine Ansichten noch keineswegs scharf präcisirt und zu feststehenden Formeln ausgebildet; der Grundgedanke dessen, was er in stets wechselnden Umschreibungen verlangte, war eben die dialectische Richtigkeit einer Vorstellung; und diese Thatsache, dass er keine ausgeprägten Formeln hinterliess, scheint auch schuld daran zu sein, dass der sonst wörtlich referirende Kleanth in der Kriterienfrage von den Quellen fast gar nie ange­ zogen wird, weil er eben nicht Viel und nichts Feststehendes zu referiren wusste. Diese Thatsache ist auch der Grund dafür, dass bis auf Chrysipp eine bunte Mannigfaltigkeit der Ansichten be­ stand, dass z. B. Boethus vier Kriterien aufstellte und dass erst Chrysipp die Zweizahl stereotyp machte. Wenn übrigens Chrysipp neben der Wahrnehmung sich auf den sensus communis bequem zurückzieht, so hat er zwar hiermit den Angriffen der Skepsis eine scheinbar unfehlbare Auctorität entgegengestellt, aber er hat zugleich den Geist der zenonischcn Erkenntnisstheurie verlassen und hat zu­ erst den crkcnntnisstheoretischen Dogmatismus in die Stoa eingeführt. 4.

D as liXTor.

Unserem Schema zufolge wäre schliesslich noch über die Auf­ stellungen Zs. in Betreff des λεχιόν d. h. über das zu sprechen, was wir heutzutage im Allgemeinen unter formaler Logik ver­ stehen. Allein das fast vollständige Schweigen der Quellen nöthigt uns zu dem Geständniss, dass, wie reichliche Berichte uns auch über die Logik der Stoiker überhaupt vorlicgcn, doch der zenonische Antheil hieran mit keinerlei Wahrscheinlichkeit sich mehr werde ausscheiden lassen. Wollen wir nicht in ein leeres Spielen

/

25 mit Vermuthungen verfallen, so können wir kaum mehr sagen als dies: Z. scheint allerdings im Anschluss an die megarischc und aristotelische Logik Mancherlei über Begriff, Urthcil, Schluss, Kate­ gorien u. s. w. vorgetragen zu haben; doch mag dies kaum hoch anzuschlagcn sein, weil weder Z. noch Kleanth von den Quellen angezogen werden’, sondern alle überlieferten Data Chrysipp ent­ nommen sind. Z. war eben auch hier zu sehr nur praktischer Philosoph und zu sehr Feind jeder nutzlosen Wortmacherei, als dass er über die Logik, wie sie von der späteren Stoa betrieben wurde, ein langes Gerede zu machen geliebt hätte; nur ein chrysippischer Charakter mochte sich in dieser zweideutigen Neigung gefallen. In der Schrift π. σημείων scheint Z. von der Richtigkeit der Prämissen im hypothetischen Urtheil und von deren Verhältniss zur Schlussfolgerung gehandelt zu haben. VII. Die Physik des Zeno. Waren wir im Kapitel von der zenonischen Logik öfters gcnöthigt, uns mit Wahrscheinlichkeiten zu begnügen, so sind uns über die zcuonische Physik und Ethik in den Quellen selbst zahl­ reiche und dankenswerthe Anhaltspunkte gegeben. Bei der Beant­ wortung der ersten Frage: ob und wie Z. die Physik näher cingctheilt habe? sehen wir uns freilich noch einmal im Stiche ge­ lassen. Denn wenn D. 132 neben einer speciellen auch von einer generellen Eintheilung geredet wird: in die Lehre von der Welt, von den Elementen und von den Ursachen, so Hesse sich aller­ dings die Einfachheit dieser Eintheilung als Instanz für eine zenonische Urheberschaft benützen; allein dagegen ist wieder entschei­ dend, dass Z. nicht besonders genannt wird, ja dass derselbe Dio­ genes, der es sonst liebt, bei Angaben von Eintheilungen Gewährs­ männer und womöglich ältere namhaft zu machen, diesmal gar Niemand erwähnt. Wir bedienen uns daher einer bekannten Ein­ theilung, unter welche sich alle in die Physik gehörigen Dicta Zeno’s leicht subsumiren lassen, in: Kosmologie, Theologie und Psychologie, und haben dabei den Vortheil, dass diese Eintheilung der des Kleanth (in Physik und Theologie D. 41) näher steht, von

26 der wir schon oben vennutheten, dass sie auf zenonischen Voraus­ setzungen beruhe. , 1.

Im Gebiet der K o s m o l o g i e Folgendes gelehrt.

hat nun Z. nachweisbar

Das Universum ist der Complex alles Seins, aller Wirklichkeit Alles Wirkliche ist aber seinem Wesen nach körperlich und umgekehrt (ή ουσία σώμα ίσ ιίν D. 150; Stob. ecl. II. 90). Körperlich ist darum nicht nur das, was sich schon dem gemeinen Sinne als solches darstellt, sondern auch vieles Andere, was es im ersten Augenblick nicht zu sein scheint: körperlich ist die Gott­ heit, denn sie ist feurige Vernunft (Stob. ecl. I. 60) und mit der Welt identisch (D. 148); körperlich ist ferner die Seele, denn sie ist ein warmer Hauch (D. 157); dass auch das Verhalten der Seele, ihre Denkthätigkeit, ihre Tugenden und Fehler, schon von Z. für körperlich gehalten wurden, geht daraus hervor, dass die ganze Stoa dies immer annahm, dass besonders Kleanth, dem doch wohl nur in der eigentlichen Theologie einige Originalität und Selbst­ ständigkeit zuzutrauen sein dürfte, diese Ansicht schon des Brei­ teren ausführt und dass vielleicht schon Z. selbst (nach Stob. ecl. II. 110) das Vermögen der Seele zu urtheilen und zu handeln von einer gewissen materiellen Spannkraft (r όνος) herleitet, welche der Muskelkraft des Leibes vergleichbar sei. Alles scheint also von Z. als körperlich aufgefasst worden zu sein, wobei aber freilich anzunehmen sein wird, dass er sich in diesem Punkte noch mit allgemeinen Aussagen begnügt habe. Wenn wir daher überliefert finden, dass die ausserweltliche Leere, die Zeit und das Gedachte (λεχτόν) von der Stoa für unkörperlich gehalten worden sei, so wird dies eben kaum mehr sein als eine Klausel, zu der sich die nachzenonische Speculation im Kampfe mit der Skepsis hingedrängt sah; Z. selbst wird sie nirgends zugeschrieben, und es könnte selbst eine ausdrückliche Quellenangabe durch die andere Notiz (Cic. nat. d. I. 14. 36) hinlänglich widerlegt werden, dass Z. die Jahre, Monate und Jahreszeiten für Götter und also gewiss auch für körperlich hielt. Man hat allerdings hiegegen geltend gemacht,, dass Z. dabei nicht, das Formale der Zeit gemeint haben werde,

(ουσία).

27 sondern die materiellen Träger und Verursacher der Jahre, Monate u. s. w., nämlich die Gestirne, und dass ihm also die Möglichkeit bleibe, dieses Formale der Zeit unkörperlich zu denken, wie er denn auch wirklich nach Stob. ecl. I. 254 die Zeit als διάατημα χινήαεως, also in der Weise des Aristoteles als etwas Formales definirt habe; allein hiegegen ist zu sagen, dass die schroffe Un­ terscheidung eines Materialen und Formalen von dem Materialisten Z. überhaupt nicht gemacht wurde und dass er andrerseits auch bei der erwähnten Definition der Zeit an ein materielles Substrat gedacht haben könne, nämlich an einen in Bewegung begriffenen Körper, der jetzt hier und hernach dort ist. — Das Körperliche wird nun als solches nach Z. daran erkannt, dass es der Activität und Passivität fähig ist; „Nichts könnte von demjenigen bewirkt werden, welches der Körperlichkeit nicht theilhaftig wäre“ (Cic. Acad. I. 11. 39); weil es aber überall nur Körperliches gibt, so müssen darum auch Activität und Passivität die beiden Grundprincipien («ρχ«ί) des Alls sein. Das passive Princip ist nun die Ma­ terie, das active ist die Gottheit (D. 134; Stob. ecl. I. 306). Die Materie ist qualitätslos (άποιος) und keiner Veränderung fähig, sic ist eben nur Stoff und als solcher rein passiv; sie ist ewig, „wird nicht mehr und nicht weniger, sofern wir das Ganze im Auge haben; die einzelnen Theile aber können zertheilt und zer­ stört werden“ (Stob. ecl. I. 322). Das active Princip der Welt dagegen ist nur Kraft, Energie und Alles leitende Intelligenz (D. 134); es tritt uns entgegen in der Vernunft, welche überall im Weltganzen herrscht; ohne dasselbe wäre die Schöpfung nicht fähig, fühlende und denkende Wesen hervorzubringen (Cic. nat. d. II. 8); es ist als causa efficiens substantiell und sein Product ist accidentell (Stob. ecl. I. 336); daher die grosse harmonische Ein­ heit im Ganzen und auch wieder der ewige Wechsel im Einzelnen, daher der ewige Bestand des Ursprünglichen (nämlich Gottes und der qualitätslosen Materie) neben der Vergänglichkeit des Abgelei­ teten und Gewordenen, nämlich des Einzelnen (D. 134). Die Welt ist, wie Z. in der Schrift vom All sagte, nur eine (D. 143; Stob. I. 496) und das von ihr Erfüllte ist der Kaum (Stob. I. 382); sie ist begrenzt, die Grenze aber kann nichts anderes als das Leere

i

— 28 — sein, welches nirgends 'innerhalb, sondern nur ausserhalb ihrer sich befindet und hier unbegrenzt ist (ibid.). Die Welt und das Leere mag schon Z. unter dem höheren Begriff des Ganzen zusammengefasst haben (Sext. adv. mtb. IX. 332); die Entgegensetzung einer körperlichen Welt und eines leeren άπειρον ist aber augenschein­ lich mit der atomistischen Annahme eines Vollen und eines Leeren nahe verwandt. Wie Enipedokles, so nahm auch Z. vier Elemente an: Feuer, Luft, Wasser, Erde. Nach Stob. ecl. I. 272 dachte er sich die Entstehung dieser Elemente, die ja nur temporäre Er­ scheinungsformen der Urmaterie sind (D. 134), fast ganz in heraklitischer Weise: „Wenn vom Feuer aus die Wendung (τροπή, welcher Bezeichnung sich auch Heraklit bediente) durch die Luft hindurch zum Wasser geschehen sei, so leiste ein Theil desselben Widerstand und verdichte sich zu Erde, der übrige Theil aber bleibe theils Wasser, theils werde er durch Verdampfung wieder zu Luft; an letztere knüpfe dann wieder die Bildung des Feuers an.“ Die Triebkraft aber und Fähigkeit, die Elemente in dieser Reihenfolge hervorzubringen, werde dem Stoff vom göttlichen λόγος verliehen, welcher dabei wirksam sei, wie der Same bei der Zeu­ gung (D. 136). Die gewordenen Elemente bewegen sich dann nach der Mitte der Erde hin, auch die Luft und das Feuer, obschon diese vermöge ihrer relativen Schwerelosigkeit in der Peripherie der Welt ihre Stellung nehmen. (Dass Letzteres bei Stob. ecl. I. 406 ausdrücklich schon Z. beigelegt wird, scheint Zeller S. 170 über­ sehen zu haben.) Durch dieses centripetale Streben der Elemente ist es dann auch möglich, dass die Welt mitten im leeren άπειρον und die Erde mitten in der Welt beharrt (ibid.). Von Cicero wird ferner (Acad. I. 11. 39) berichtet, dass Z. die aristotelische An­ nahme eines fünften Elementes, des Aethers, aus welchem die sogenannten oberen Sinne und der Geist gebildet würden, mit dem Einwurf bestritten habe, dass eben hiefiir das Feuer cintrete; wenn er nun aber doch nach Ach. Tat. Isag. 130. A den Himmel als äussersten Theil des Aethers definirt haben soll, so muss dies entweder ein Irrthum des Berichterstatters sein, statt: „des äusser­ sten Theiles des Feuers,“ oder ein lapsus calami eines Abschrei­ bers, welcher αϊΰέρος statt πνρΰς las, oder es müsste, was trotz

/

>

29 der Verallgemeinerung in Stob. I. 500 am wahrscheinlichsten ist, Z. den äussersten Theil des Feuers Aether genannt haben, um doch diesen seit Aristoteles unverdrängbar gewordenen Terminus beizubehalten; dass er damit nicht ein fünftes Element statuiren wollte, ist übrigens schon dadurch bewiesen, dass sonst Stob. I. 40G bei den schwerelosen Elementen Luft und Feuer auch der Aether aufgezählt sein müsste. Hingegen scheint Z. in der Localisirung der Elemente dem Aristoteles sich ganz angeschlossen zu haben, so dass er also zu unterst die Erde setzte, dann das Wasser, dann die Luft und zu oberst das Feuer; auch die dem Aristoteles ent­ nommene Begründung dieser Anordnung, nämlich durch die ver­ schiedene Leichtigkeit oder Schwere dieser Elemente, welche Stob, ecl. I. 346 den Stoikern überhaupt beigelegt wird, ist dann zwei­ felsohne schon von Z. selbst. Das Feuer ist aber nicht nur local das oberste, sondern auch dem Range nach das höchste der Elemente; es ist nach Z., wie sich uns später zeigen wird, das Wesen Gottes selbst; in ihm schweben und aus ihm bestehen die Gestirne (Stob. I. 554), welche Z. nach dem Vorgang eines Plato für belebte Wesen gehalten zu haben scheint; denn dies war die unbestrittene Ansicht der ganzen Stoa, Kleanth insonderheit spricht ihnen, wahrschein­ lich nicht ohne den Vorgang Zeno’s, Göttlichkeit und Belebtheit unmittelbar zu (Cic. nat. d. II. 15), und Z. selbst definirt sie Stob. I. 538 als „verständig und einsichtsvoll“. Die Bewegung des Feuers nennt Z. (Stob. I. 536) eine geradlinige, wozu Zeller mit Recht bemerkt, dass damit nur das irdische Feuer gemeint sein könne. Im Uebrigen scheint Z. sich gern mit astronomischen und meteorologischen Fragen befasst zu haben, für deren Auflösung er schon als Ilalbphönicier mehr Vorliebe und auch mehr Kenntnisse besitzen mochte. Er suchte z. B. die Bewegung der Sonne und des Mondes zu erklären (Stob. I. 538); er lehrte, die Sonne ver­ finstere sich, wenn der Mond zwischen sie und die Erde trete, der Mond hingegen, wenn er in den Erdschatten eintrete, was nur zur Zeit des Vollmonds möglich sei (ibid. cf. D. 145 f.); die Kometen seien keine besonderen Sterne, sondern mehrere sich nahe kom­ mende Sterne brächten durch das Zusammenwerfen ihrer Strahlen den Lichteffect des Schweifes hervor (Seneca nat. qu. VII. 19);

30 der Blitz sei eine Entzündung der sich reibenden Wolken und das dadurch entstehende Geräusch sei der Donner; und so gehören die meisten Erklärungen in D. 152— 157 mit grosser Wahrscheinlich­ keit schon Z. an. Die Welt ist aber nicht ewig; ewig sind nur Kraft und Stoff, d. h. Gott und die Urmaterie; die Welt der Erscheinungen hin­ gegen wird dereinst in Feuer aufgehen, indem Gott, das Urfcuor, alles aus sich Abgeleitete und Hervorgebrachte wieder in sich zurücknimint (Stob. I. 414); auch die Götter gehen unter, deren Leben nur gewisse Zeiträume dauert (Phil. vol. Ilcrcul. VI. 1), und nur Zeus selbst oder das Urfeuer bleibt ewig. Doch ist mit dem Weltbrand nicht Alles aus, sondern die Gottheit erzeugt die Welt abermals aus ihrem feurigen Schoosse und nimmt sie dann wieder in sich zurück und so fort in alle Ewigkeit (Stob. I. 414). Auch in dieser Theorie hatte Z. den Ileraklit zum Vorgänger. Die sich hier anschliessende Lehre, dass die neue Welt der vor­ hergegangenen im Ganzen wie in allen Thcilen ganz ähnlich sein werde, dass die gleichen Personen auftreten und die gleichen Schicksale abermals haben werden, scheint ebenfalls schon Z. an­ zugehören und zwar schon desshalb, weil die Läugnung dieser Apokastasis seitens einiger jüngeren Stoiker von Philo (incor. m. 947 C.), Numenius (bei Eus. pr. ev. XV. 18. 2) und Andern aus­ drücklich als Neuerung resp. Häresie angegeben wird.

2.

D ie T h e o lo g ie Z e n o ’s.

Das Wesen und die Wirkungen Gottes waren für Z. wie über­ haupt für die ganze Stoa ein Gegenstand vom höchsten sowohl wissenschaftlichen als religiösen Interesse. Gott ist nach Z., wie wir schon oben sahen, identisch mit dem Princip der Actualität in der Welt. Er ist ebendesshalb körperlich, aber sein σώμα ist d a s . reinste, d. h. es ist Aether (Hippolyt, ref. haer. I. 21); der Aether aber is t, wie wir gleichfalls schon bemerkten, nichts anders als der äusserste Theil des Feuers; folglich ist die Gottheit, wie schon Heraklit angenommen hatte, ihrem Wesen nach eigentlich Feuer und zwar nach Stob. I. 538, Cic. nat. d. II. 22. 57 künstlerisches Feuer (πυρ τεχνικόν) und als solches wohl zu unterscheiden von

31 unserm gewöhnlichen Feuer (πΰρ iatyvov). Die beiden Begriffe Feuer und Vernunft zusammenfassend, definirt dann Z. (Stob. I. GO) Gott auch als die feurige Vernunft der Welt (νους πύρινος). Diese feurige Vernunft durchdringt die ganze Erscheinungswelt (Cic. nat. d. I. 14) und stellt sich dar als φνβις und ψνχή, d. h. als organisirende Kraft in den Pflanzen und Thieren (Stob. I. 538); auf Grund dieser letzteren Stelle scheint Z. in Uebereinstinlmung mit der ganzen späteren Stoa auch die ΐξ ις , d. h. die verbindende Kraft in der unorganischen Welt, und den νονς im Menschen für Ausflüsse der Gottheit gehalten zu haben (vgl. Krische a. a. 0 . S. 382 ff.). Gott ist also der Grund alles Zusammenhaltes und alles Lebens in der Welt; er ist der λόγος τον παντός, der durch die ganze νλη hindurchgeht (Stob. I. 322), wesshalb sich auch Tertullian des Bildes bediente (ad. nat. II. 4); „Z. lasse Gott durch die Welt hindurchgehen, wie Honig durch die Waben.“ Weil fer­ ner die Seele, die also nach dieser Weltauffassung ein Theil der Gottheit ist, von Z. auch ein warmer Hauch genannt wird (D. 157), so muss er auch Gott selbst als warmen, weil ja nämlich feurigen, Hauch bezeichnet haben (πνίνμα πνρινον), und es erklärt sich dann hieraus, wie Tertullian (adv. Marc. I. 12) sagen konnte, Z. sehe die Luft als Gottheit an. Gott ist das die Welt erhaltende und leitende Vernunftprincip (Cic. nat. d. II. 8. III. 9); er theilt seine Vernunft an den Kosmos mit und zwar eben weil er selbst vernünftig ist, ganz so wie auch durch den männlichen Samen eine Uebertragung von Vernunft auf das Erzeugte nothwendig stattfin­ det (Sext. mth. IX. 101). Ebendesshalb ist Gott aber auch im höchsten Grad selbstbewusst, weil derjenige, welcher seinem Wesen nach die personificirte Vernunft ist und welcher selbstbewusste Geschöpfe hervorruft, nothwendig selbst im eminenten Sinn selbst­ bewusst und persönlich sein muss (ibid.). Ist aber Gott die die ganze Welt lenkende Vernunft, so ist er auch identisch mit den Naturgesetzen oder mit dem, was Heraklit λόγος genannt hatte (Lact, de vera sap. 9; Cic. nat. d. I. 14. 3G: naturalis lex divina est), und weil ferner das durch die Naturgesetze Bestimmte noth­ wendig eintreffen muss und also das Schicksal nichts anders ist als der nach den Gesetzen der ewigen Vernunft verlaufende Gang

32 der Ereignisse, so ist Gott auch identisch mit dem Schicksal; er ist fatum, necessitas, ειμαρμένη (Stob. I. 322; D. 149; Lact. d. v. sap. 9; Tertull. apolog. 21), wie schon Ileraklit das Schicksal als die das All durchwirkende Vernunft definirt hatte (Stob. I. 178): „es sei eins, Gott und Vernunft, Schicksal und Zeus und er werde mit noch vielen andern Namen benannt“ , z. B. als Athene, weil seine Herrschaft im Aether sich ausbreite, als Hera, weil er die Luft, als Hephäst, weil er das künstlerische Feuer beherrsche u. s. w. (D. 135. 147, welche beiden Stellen dem Zusammenhang nach, in dem sie stehen, noch mehr aber ihrer Verwandtschaft nach mit dem bis jetzt Dargelegten zweifelsohne zenonisch sind). Ganz nahe lag es dann auch, Gott mit der Vorsehung zu identificiren, welche Alles weise einrichte und geordnet verlaufen lasse (Stob. I. 178). Wie freilich neben diesem, nach immanenten Gesetzen des göttlichen Wesens selbst festbestimmten Gang der Dinge noch eine Willensfreiheit des Menschen, und wie unter der Voraussetzung einer allweisen Vorsehung noch das moralische Uebel möglich sei, diese schwierigste und brennendste Frage scheint sich Z. noch nicht ernstlich vorgelegt zu haben. Wenn ferner die Gottheit in der ganzen Welt ausgebreitet und gegenwärtig ist, so hat sie doch ihren eigentlichen Sitz in demjenigen Theil derselben, der ihrem Wesen adäquat ist, im Aether resp. im obersten Theil des Feuers (Cic. Acad. IV. 41, wesshalb auch der Ausspruch D. 138 zenonisch zu sein s c h e in t: εν ούρανώ η ΰ ν ϊδρνται· τό itsiov). Das Dasein Gottes lässt sich erweisen sowohl aus den übereinstimmenden An­ nahmen aller Menschen, als insonderheit durch folgenden Schluss: Das Lebende und Wirkende in der Welt hat die Kraft seines Lebens und seiner Bewegung nicht in sich selbst, sondern es muss den Impuls hiezu erst von einem allbeherrschenden Wesen empfan­ gen, aus welchem, gleich als aus der Urquelle, alle geheimen Kräfte und Wirkungen ausfliessen; dieses allbeherrschende Wesen (ηγεμονιχόν) ist aber nichts anders als die Gottheit selbst (Sext. mth. IX. 102). Von dem . ungewordenen und ewigen göttlichen Wesen oder Zeus sind aber wohl zu unterscheiden die gewordenen Götter, welche, wie schon bemerkt wurde, nicht ewig leben, sondern wahr-

scheinlich in der Ekpyrosis untergehen, d. h. in Zeus zurückkehren. Der grosse Haufen legt diesen Untergöttern gegenüber Zeus ein allzu grosses Ansehen bei und er zeigt eben darin seine Unver­ nunft, dass er alle die Fabeln der Dichter von den Göttern und ihrem Zusammenleben wörtlich nimmt und die anthropomorphistischen Vorstellungen der Vorzeit zu einem masslosen Aberglauben fortspinnt (Cic. nat. d. II. 24. G3). Der Abfassung jener Dichtun­ gen liegt allerdings immer ein richtiger Gedanke zu Grunde und cs besteht der Vorzug des Weisen vor dem Thoren eben darin, dass Ersterer sich nicht nur überhaupt zu geläuterten Göttervor­ stellungen erhebt, sondern dass er auch in dem Hergebrachten und Positiven den wahren Kern von der trügerischen Hülle loszulösen und zu würdigen weiss. Das Mittel hiezu ist aber die allegorische Deutung, von welcher denn auch Z ., und zwar in seiner Schrift von den homerischen Problemen, in einem bis dahin unerhörten Umfange Gebrauch machte. Sein Grundsatz war dabei der, dass allen populären Göttervorstellungen theils physikalische, theils moralische Ideen zu Grunde lägen. In diesem Sinn berichtet Cicero in der Schrift von der Natur der Götter (II. 24. 63, bei deren Abfassung er, nach Krische’s wohl motivirter Annahme, die im Jahre 1753 zu Herculanum aufgefundene, von dem Epikuräer Phädrus verfasste und fälschlich dem Philodem beigclegte Schrift „über die Götter“ vor sich gehabt zu haben scheint), dass Z. die Plura­ lität der Götter alia quoque ex ratione et quidem physica fliessen lasse, dass er in Folge (jessen weder Zeus, noch Juno, noch Vesta für Götter halte, sondern leblosen und stummen Wesen diese Namen beilege, z. B. den Gestirnen, Jahren, Monaten und Jahreszeiten (I. 14. 36). Wir finden hierin abermals einen Beweis für unsere obige Behauptung, dass die in D. 147 aufgezählten allegorischen Deutungen entweder von Z. direct herrühren oder ihn wenigstens zu ihrem intellectuellen Urheber haben müssen. Dass Z. diese physikalischen Deutungen zugleich auch auf etymologische Ver­ wandtschaften zu stützen gesucht und in dieser Weise z. B. die Titanen auf die Elemente und die Kyklopen auf die Kreisbewegun­ gen des Himmels bezogen habe, hat Kvische a. a. 0 . mit viel Wahrscheinlichkeit aus den hesiodischen Scholien zu erweisen unter3

34 nommen, und es dürfte diese Annahme eine unerwartete Stütze auch noch darin finden, dass Kleanth, wahrscheinlich ebenfalls um zu allegorisiren, ein besonderes Buch über die Giganten schrieb (D. 175). Wie jedoch die allegorische Deutung immer, und na­ mentlich in der christlichen Kirche, von dem Bestreben geleitet war, selbst in den offenbaren Widersprüchen der heiligen Bücher eine höhere und infallible Grundvorraussetzung nachzuweisen, so will auch Z. in seinem Homer keinen Widerstreit der Angaben in Betreff der Götter gelten lassen; es rühre vielmehr der scheinbare Widerspruch daher, dass Homer aus Accomodation „Einiges der gewöhnlichen Meinung, Einiges aber der Wahrheit gemäss geschrie­ ben habe (Dio Chrys. Or. 53 p. 270 R).“ ' Dass endlich Z. auch die damals weit verbreitete Annahme von einem, jedem Menschen beigegebenen, Schutzgeist oder Dämon getheilt habe, lässt sich im Hinblick auf die nahe Verwandtschaft, in welcher die ältere Stoa sowie der Cynismus zu Sokrates zu ste­ hen glaubte und auch wirklich stand, wohl erwarten; ob aber die Deutung des Dämons auf die menschliche Vernunft, die ihrem Ur­ sprung nach ein göttliches Wesen ist, schon ihm angehöre, lässt sich weiter nicht ausmacheu. Ausdrücklich wird uns hingegen berichtet, dass er an die Mantik geglaubt und ihre Richtigkeit aus gewissen Erfolgen demonstrirt habe (D. 149), und diese Notiz fin­ det vielleicht auch eine Bestätigung in der Art, wie er selbst in seinen eigenen Lebensschicksalen den Finger der Gottheit zu erken­ nen glaubte (D. 5); leider wird uns aber nicht gesagt, ob Z. und wie weit er sich von den abergläubischen Vorstellungen des Volkes über Weissagung und Vorbedeutung entfernt habe und wie er dein Widerspruch entgangen sei, der zwischen dem Glauben an Mantik und der Annahme einer strengen Gesetzmässigkeit in der ganzen Welt besteht.

Nach Allem diesem mag noch auf eine besondere Seite der zenonischcn Theologie aufmerksam gemacht werden. Unserer obi­ gen Darlegung zufolge zerfällt nach Z. das All in die beiden Grundprincipien der Actualität und Passivität oder in Gott und die qua­ litätslose Materie; es wurde dann weiter nachgewiesen, dass Z. sich die Entstehung der Erschcinungswelt in der Weise des IJeraklit

denkt, so dass also die Erde ein Niederschlag des Wassers, dieses eine Verdichtung der Luft und diese eine solche des Feuers sei; verhält sich dies nun richtig, dass also das Feuer der Grund aller Dinge ist und soll doch andrerseits wieder die qualitätslose Materie das Substrat der Erscheinungswelt sein, dann muss ja nothwendig diese Urmaterie mit dem Urfcuer, d. h. mit Gott identisch sein. Und in der That soll Z. (nach D. 148) gelehrt haben, „das Wesen Gottes sei die ganze Welt und der Himmel,“ derselbe sei also Alles in Allem. Hieraus sehen wir, dass schon Z., wie den Mate­ rialismus, so auch den Pantheismus in die Stoa einführte: Gott bringt Alles in unendlichem Process aus sich hervor und nimmt Alles wieder in sich zurück; bei der Urzeugung aller Dinge ist er der belebende Keim, wie analog bei der Forterzeugung der anima­ lischen Wesen aus dem Samen sich alle Gestaltungen herausbilden; Gott ist allverbreiteter λόγος ΰπερματιχύς —- welcher Terminus, ob­ schon nicht direct als zenonisch bezeugt, doch wegen D. 136, sowie auf Grund der auch von Krische für zenonisch gehaltenen Stelle Stob. I. 66 schon Z. selbst beigelegt werden muss. 3.

D ie P s y c h o l o g i e Z e n o ’s.

Die Seele ist nach Z. ein durch den ganzen Körper verbrei­ teter Hauch oder Dunst (ηνενμα Macrob. Somn. I. 14, άναΐϊνμίααις Euseb. pr. ev. XV. 20. 1); desshalb und weil sie sich vom Leibe lostrennen kann, ist sie auch körperlich; denn das, was beim phy­ sischen Tode den Körper verlässt, muss selbst ein Körper sein (Tertull. de an. 5). Sie ist aber, näher gesagt, ein warmer Hauch (ηνενμα εν&ερμον D. 157); denn sie ist ja, wie schon bemerkt wurde, ein Ausfluss der Gottheit, welche ihrem Wesen nach Feuer ist (Cic. nat. d. III. 14; Stob. I. 538). Die Seele ist das unsern ganzen Organismus beherrschende Princip (das ηγεμονικόν), wie auch die Gottheit das Beherrschende der ganzen Welt ist. Sic hat ihren Sitz in der Brust, denn aus der Brust kommt der Träger der Seele, die Stimme, und in der Brust ist der Mittelpunkt des Blutes, von dessen Ausdünstungen sie sich nährt (Galen Ilippocr. et Piat. II. 8 p. 282 f .; Tertull. de an. 15). Nach Nemesius de naL hom. p. 96 hielt Z. die Seele für achttheilig, indem er ausser 3*

3(i dem Beherrschenden auch die fünf Sinne, die Sprache (φωνητικόν) und das Zeugungsvermögen ( σπερματικόν) als besondere Seiten oder Theile der Seele aufzählte. Wie sich aus D. 157 entnehmen lässt, war dies überhaupt die Ansicht der älteren Stoa, bis, viel­ leicht erst seit Panätius, eine Verschiedenheit der Auffassung her­ vortrat. Es ist daher auch auf Grund der angeführten zwei Stel­ len, die sich wohl noch vermehren Hessen, die Angabe Tertullian’s (de an. 14), dass Z. die Seele in tres partes getheilt habe, als eine irrige zurückzuweisen, die sich daraus erklärt, dass es dem eifernden Kirchenvater bei seinen ungefähren Angaben weniger auf historische Treue ankam, als vielmehr auf den Beweis, dass die heidnische Philosophie zu keiner einheitlichen und richtigen Auf­ fassung der Seele habe gelangen können. (Die Vermuthung in den Adnotationen zur Pariser Ausgabe, dass Tertullian den Z. mit jenem Varro verwechselt habe, dem Augustin de civit, dei VII. c. 23 ebenfalls eine Dreitheilung der Seele zuschreibt, ist schon wegen der Aufzählung Zcno?s nach Plato und vor Panätius ziemlich grund­ los.) Das ηγεμονικόν ist das Centralorgan und die Grundkraft der ganzen Seele, aus der die übrigen sieben Seelenvermögen ausfliessen (Sext. mth. IX. 102). Im Gegensatz zu Plato's Präexistentianismus lehrte Z., dass die Seele vom Vater durch die Zeugung auf das Kind übertragen werde, denn der feuchte Same enthalte Theile der männlichen Seele (Eus. pr. ev. XV. 20. 1); die Stoa huldigte also dem Traducianismus. Die Seele ist aber, obwohl sie ein Aus­ fluss und Theil des göttlichen Urfeuers ist, doch nicht ewig, son­ dern wie die Untergötter vergänglich; allerdings stirbt sie nicht mit dem Leibe, sondern sie geht nach dem Tode an einen besondern Ort, den Z. nach Lactanz Inst. VII. 7. 20 in populärer Weise die Insel der Seeligen genannt haben soll; dort lebt sie eine unbe­ stimmte Zeit, höchstens aber bis zum Weltbrande. Die Thatsache, dass Kleanth ein Fortbestehen der Seele bis zur Ekpyrosis statuirte (D. 157), macht es wahrscheinlich, dass schon Z. diese Ansicht vertreten hatte; übrigens wird iin Zusammenhänge mit der Lehre von der Apokatastasis dieses Vergehen der Seele im Sinne; Zeno’s nicht als ein eigentlicher Untergang, sondern nur als ein zeitwei­ liges Aufgehen des individuellen Selbstbewusstseins im universellen

37 aufzufassen sein. Ueber das Nähere der zenonischen Eschatologie fehlen uns ausreichende Quellenangaben.

VIII. ]>ie Ethik dee Xeno. Wie in der Physik, so sehen wir uns auch in der Ethik ausser Stand anzugeben, ob und welche Unterabtheilungen Z. in dieser Disciplin gemacht habe. Es wird D. 84 die sehr unübersichtliche Eintheilung eines späteren Stoikers initgetheilt und zugleich aus­ drücklich bemerkt, dass Z. und Kleanth in solchen Dingen einfacher verfahren seien. Wir haben daher abermals freie Hand zur Auf­ stellung einer Eintheilung, von der sich annehmen lässt, dass sie dem Geist der zenonischen Ethik gerecht werde; wir handeln also 1. von dem ethischen Lebensziel und seinen Hindernissen, 2. vom Weisen und seinem Gegensatz, 3. von der zenonischen Socialethik. Hiebei dürfte sich Theil 1 und 2 so ziemlich mit dem decken, was Kleanth (D. 41) unter Ethik im engeren Sinn, und Theil 3 mit dem, was er unter Politik versteht. In Betreff der Quellen ist zu bemerken, dass uns zwar zahlreiche, für zenonisch ausgegebene Data vorliegen, besonders bei Stobäus, Plutarch und Diogenes, dass aber nichtsdestoweniger die grösste Vorsicht bei der Verwerthung derselben anzuwenden ist; denn sogleich z. B. der grosse, dem Z. beigelegte Abschnitt Stob. II. 90 — 244 ist sicherlich den Schriften eines Späteren, vielleicht wegen I. 1004 des Apollodor oder, wenn es gut geht, des Chrysipp entnommen, wie sich nicht nur aus der Schlussbemerkung zu diesem Abschnitt ergibt, soudern auch daraus, dass die äussere Anordnung des Inhaltes so ziemlich mit dem übereinkommt, was 1). 84 dem Chrysipp und einigen Spä­ teren zugeschrieben wird.

1.

D as e t h i s c h e L e b e n s z i e l und s ei ne H i n de r ni s s e.

Seitdem es in der griechischen Philosophie eine eigentliche Ethik gab, d. h. seit Sokrates, stand es auch fest, dass das höchste Lebensziel oder das höchste Gut in einem Zustand liege, den man gewöhnlich Glückseligkeit zu nennen pflegt. Es kam also für den

38 einzelnen Philosophen nur darauf an, zu bestimmen, was er unter Glückseligkeit verstehe. Und hierin gingen Alle auseinander. Z. soll sie nach Stob. ecl. II. 138 als ενροια τον βίου, als angeneh­ mes Dahinfliessen des Lebens definirt haben. Weil aber ein sol­ ches Leben nur möglich ist, wenn der Mensch nach einem bestimm­ ten, obersten Grundsatz (xa if Iva λόγον Stob. II. 134) handelt und sich nicht durch untergeordnete und einander widerstreitende Maximen (μαχομενως) bald dahin bald dorthin ziehen lässt, so sah sich S. zu der schärferen Definition genöthigt: die Glückseligkeit bestehe in dem übereinstimmenden, nämlich in dem mit den Ver­ nunftforderungen übereinstimmenden Leben (im όχολογονμένως ζ ψ ibid. u. D. 87). Was aber die richtige Vernunft (der όρ&ός λόγος) bei all unserm Handeln verlangt, ist nichts Anderes als die Tugend; desshalb äussert sich Z. (D. 87) weiter dahin, dass das όμολογονμένως ζήν ein ζήν χατ αρετήν sei. (Gegen Ueberweg und Brandis nehmen wir an, dass Stobäus im Recht ist, wenn er die erweiterte Formel όμολογοιψένως rfj ψνοεε ζήν erst dem Kleanth zuschreibt, II. 134; denn für’s Erste mag wohl Stobäus gewichtige Gründe gehabt haben, von Diogenes, den er sicherlich vor sich hatte, ab­ zuweichen und jene Erweiterung ausdrücklich als kleanthisch her­ vorzuheben, und für’s Andere entspricht nach Allem, was sich uns in der Dialektik und speciell in der Kriterienfrage als zenonisch ergeben hat, die Definition des όμολογονμένως mit χατά λόγον oder χατ αρετήν dem Denken unsers Philosophen durchaus am Besten.) Ist aber also die einheitliche Maxime das Bedingende der Glück­ seligkeit, und ist ferner die Tugend das Postulat der Maxime, so ist mit andern Worten eigentlich nur die Tugend die wahre Glück­ seligkeit. In diesem Sinn sagt denn auch Z .: Die Tugend sei aus­ reichend zur Glückseligkeit (D. 127, vgl. 30. 94. 101). — Damit waren die grundlegenden Positionen der stoischen Ethik in ihrem Unterschied zu den Theorien anderer Schulen gegeben, und schon Z. mag desshalb in lebhafter Polemik namentlich den Epikur und sein Lustprincip bekämpft haben.

Die Thatsache, dass Z. die Tugend in so enge Beziehung zur Vernunft setzt, lässt es dann auch als selbstverständlich erscheinen, wenn er weiterhin die Vernunft als das Wesen der Tugend bezeich­

39 net (Cic. Acad. I. 10. 38); alle Tugend ist darum vernünftig, und umgekehrt ist alles \ rernünftige tugendhaft; alle Unvernunft aber ist lasterhaft. Doch liess Z. die weitere Consequenz nicht zu, die sein Schüler Ilerill zog (D. 37. 165), dass dann die Wissen­ schaft (als Inhalt der Vernunft) und nicht die Tugend das eigent­ liche Ziel des Lebens sei; denn dieser Schluss würde auf der An­ nahme beruhen, dass Vernunft und Tugend sich nicht vollständig decken, was doch Z. durchaus in Abrede stellte. Diese völlige Identificirung von Tugend und Vernunft oder Wissen macht es andrerseits auch wahrscheinlich, dass Z ., nach dem Vorgänge des Sokrates, die Tugend auch für lehrbar hielt. Die weitere Frage hingegen, ob die Tugend verlierbar sei, hat sich Z. entweder noch nicht vorgelegt, oder sie im verneinenden Sinn beantwortet; das Letztere ist nicht nur aus der exceptionellen Stellung zu schliessen welche Z. dem Weisen als dem vollkommen Tugendhaften anweist, sondern auch daraus, dass Kleanth die Tugend für unverlierbar hält und zwar mit einer Begründung, welche auch dem Freund der Dialektik, Zeno, sehr wohl anstünde (D. 127); überdies wei­ den wir noch öfters zu bemerken Gelegenheit haben, dass die An­ schauungen Zs. über Ethik an manchen Schroffheiten leiden und dadurch ihre Abstammung aus dem Cynismus bekunden. Hatte sich aber unser Philosoph in den bisherigen Fragen vielfach als Anhänger der sokratischen Lehren gezeigt, so weicht er von ihnen dadurch wieder ab, dass er eine Pluralität von Tu­ genden statuirt (D. 161). Und zwar soll es vier Cardinaltugenden geben: die Einsicht, die Tapferkeit, die Gerechtigkeit und Selbst­ beherrschung (Plut. de virt. mor. 2 cf. stoic. rep. 7. 1). Der Grund der ihn zu dieser Eintheilung veranlasste, wird nirgends angegeben; wahrscheinlich war es, höchst äusserlich, nur der, dass sie schon Plato gemacht hatte; jedoch weicht Z. von Plato wieder darin ab, dass ei nicht die Gerechtigkeit, sondern die Einsicht (φρόνηϋις) als oberste Tugend bezeichnete, aus welcher alle anderen her­ stammten, denn in allen sei Einsicht: die Gerechtigkeit sei die Einsicht bei der Vertheilung der Dinge, die Selbstbeherrschung die Einsicht in das zu Befolgende oder zu Meidende, die Tapfer­ keit die Einsicht in das zu Ertragende (Plut. virt. mor. 2). Ob-

40 schoD Z. in allen Theilen seines Systems däS Wissen als solches sehr hoch stellt, so scheint doch mehr noch das Beispiel des Aristo­ teles ihn veranlasst zu haben, der Einsicht diese Superiorität und diese durchaus praktische Bedeutung beizulegen ; denn es war schon Ethic. Nie. VI. 5. die dianoetische Tugend der φρύνηβις definirt worden als ΐ'ξτς αληθής μετά λόγον ττραπτιχή περί τά άν~ ίϊρωπω άγα&ά χαϊ κακά. Doch ist es nicht die praktische Fer­ tigkeit oder die blosse Ausübung allein, welche den Werth der Tugend ausmacht; dieser liegt vielmehr in der tugendhaften An­ lage und in der Gesinnung, mit welcher wir das Gute vollbringen (Cic. Acad. I. 10. 38). Jeder Mensch ist aber zum tugendhaften Handeln unmittelbar verbunden, und dieses Verbundensein heisst Pflicht; es hat seine Begründung darin, dass eben nur die Tugend dem Menschen als vernünftigem Geschöpfe entspricht oder geziemt. Die Pflichtcnlehre kann darum auch als Lehre vom Geziemenden oder καθήκον bezeichnet werden, welchen Terminus schon Z. (nach D. 108) in die Stoa eingeführt hat. Es giebt aber (denn wir halten D. 108— 111 für zenonisch) theils Pflichtgemässes, theils Pflichtwidriges, theils solches, was unter gewissen Umständen pflichtgemäss werden kann, je nachdem die Vernunft zu Etwas rathen oder abrathen muss. \ rerwandt mit dieser Eintheilung ist die andere in vollkommene und mittlere Pflichten (Stob. II. 158), die aber schwerlich von Z. selbst herrührt. In der Fassung des Pflichtbegriffs als καθήκον liegt jedoch noch nicht die Forderung der subjectiven Zustimmung bei der Ausübung der Pflicht; die Pflicht von dieser Seite aufge­ fasst erhielt die Benennung κατόρθωμα. (Z. selbst scheint schon diese Unterscheidung, die mit der kantischen Unterscheidung von Legalität und Moralität übereinkommt, gemacht zu haben, was je­ doch nur auf Grund von Cic. Acad. I. 10. 38 wahrscheinlich wird, wo Z. den Werth der Tugend vorzugsweise in die Gesinnung setzt; nicht beweiskräftig ist aber die von Brandis angezogene Phrase Cicero’s, dass Z'. non tam rerum inventor quam verborum novo­ rum gewesen sei; denn Cicero spielt mit seinem Tadel nirgends speciell auf unsere vorliegende Frage an, und es war ja Z ., inso­ fern die Unterscheidung einer moralischen und einer bloss legalen

41 Pflichterfüllung vorher nie so scharf ausgesprochen worden war, allerdings in diesem Falle ein inventor rerum; cf. Brandis a. a. 0. S. 70.) Ob indess der Terminus κατόρθωμα von Z. selbst schon herrühre, ist wohl möglich, aber unerweisbar. Wer jedoch vom Lichte sprechen will, der darf auch den Schat­ ten nicht vergessen. Und so wusste denn auch Z. sehr wohl, dass der Mensch nicht immer von tugendhaften und vernunftgemässcn Motiven geleitet wird (D. 110). Der Zustand nun, in welchem sich der Mensch befindet,, wenn er die Leitung der vernünftigen Ucberlegung von sich geworfen bat und dann zu Allem fähig ist, wird von Z. als Leidenschaft oder Affect (πάϋος) bezeichnet; die Definition desselben lautet näher: »Der Affect ist eine unvernünf­ tige und naturwidrige Bewegung der Seele oder ein übermässiger Trieb« (denn es ist die Lesart ή άλογος sicherlich dem ή άλογος bei Hübner vorzuziehen, Plut. de virt. mor. 3; vgl. auch Zeller S. 208). Die Affecte haben ihren Sitz nicht in den untergeord­ neten Theilen der Seele, wie Plato angenommen hatte, sondern im ηγεμονικόν selbst, insofern dieses gegen Natur und Nothwendigkeit die Unvernunft zur Führerin macht (Cic. Tuse. IV. 28. 60. Acad. I. 10. 39); sie werden vom Menschen mit freier innerer Entschei­ dung zugelassen und treten ganz in die Stelle der richtigen Ver­ nunft ein (ibid.); ebendesshalb sind sie auch nicht blosse theo­ retische Willensactionen, sondern in ihren Begriff gehört all das Erhebende, Niederschlagende, Quälende u. s. w. der in ewiger Un­ beständigkeit fluctuirenden Neigungen und Gefühle eines Menschen (Cic. Tuse. IV. 7. 15. cf. Galen. Hipp, et Plato IV. 3. p. 377). Wie vier Cardinaltugenden, so nahm Z. auch vier oberste Affecte an: Traurigkeit, Furcht, Begierde, Wollust (D. 110); jedoch ist nicht mehr zu ermitteln, wie er die einzelnen Affecte des Näheren definirt habe und auch D. 111 ff. bietet uns hiefür keine Anhalts­ punkte; denn die hier aufgezählten Definitionen setzen eine Ge­ neigtheit zu Spitzfindigkeiten voraus, wie sie eher dein Chrysipp als dem Z. zuzutrauen sein möchte. Verhalten sich aber Tugend und Affect zu einander wie der rechte Gebrauch und der Missbrauch einer und derselben geistigen Grundkraft, dann kann nach Z. der einzelne Mensch auch nur die

42 Alternative haben, entweder mit Vernunft und also tugendhaft oder im Affect und also thöricht zu handeln; beide Möglichkeiten des sittlichen Verhaltes müssen sich schroff gegenüber stehen, ohne Mittelglieder zuzulassen und sie müssen eigentlich Übereinkommen mit dem Gegensatz des Guten und des Schlechten; denn alles aus tugendhaften Maximen Hervorgehende ist eo ipso gut und Alles, was jenseits der Grenzscheide liegt, ist durchaus schlecht, Auch lässt sich bei diesem Zusammenhang der Dinge ein Mehr oder Minder in der Tugend und in der Schlechtigkeit nicht wohl annehmen, weil z. B. ein Minimum von Schlechtigkeit eben immer noch Schlech­ tigkeit ist: und sollte auch Jemand sich besser, beziehungsweise sich für weniger schlecht halten als gewisse Andere, so darf er doch nicht hoffen, dass die moralische Zurechnung sich um solche Gradunterschiede kümmern werde; vielmehr sind alle Sünden an Werth oder Unwerth sich völlig gleich, weil sic eben alle Ver­ irrungen vom moralischen Ziele sind; »wer hundert Meilen von Kanobus entfernt ist und wer es nur eine ist, sind eben alle Beide nicht in Kanobus.« (D. 120; Sr* ϊΰα evtl τά άμαρτήμαοα Sext. adv. mth. VII. 422). Dass schon Z. diese Gedanken in ihrer gan­ zen Schroffheit aussprach, lässt sich ausser durch die eben citirten Stellen auch durch die Thatsache wahrscheinlich machen, dass ähn­ liche Uebertreibungen Stob. II. 116 auch Kleanth beigelegt worden; es spricht dafür aber auch namentlich der absolute Gegensatz, welchen Z., wie wir sogleich sehen werden, zwischen dem Weisen und dem Thoren statuirte, und endlich kennzeichnet diese An­ schauungsweise den Mann, der bei einem Krates in die Schule gegangen war. Auf Grund dieser Vordersätze möchte man zu dem Urtheil geneigt sein, dass die Angabe Plut. de prof. in virt. 12, »nach Z. könne ein Jeder sein moralisches Fortschreiten au seinen Träumen beobachten und bemessen«, falsch sein müsse; jedoch ist festzuhalten, dass es durchaus nicht zugleich eine Läugnung eines moralischen Fortschreitens iuvolvirt, wenn Z. einen Gradunterschied vor der moralischen Zurechnung nicht zugiebt. Man könnte indessen leicht annehmeu, dass eine gewisse Will­ kür zur Aufstellung solcher Sätze verleitet habe, wollte man nicht bedenken, dass alle diese Urtheile Zeno’s überden sittlichen Werth

43 unseres Handelns durchaus Hand in Hand gehen mit dem Werth, welchen er den Objecten unseres Handelns, den äusseren Gütern, glaubte beilegen zu müssen. Es giebt nämlich nach Z. nur abso­ lut Gutes und absolut Schlechtes, und was sich unter eine dieser Kategorien nicht subsumiren lässt, ist sittlich rein gleichgiltig, ist ein Adiaphoron (Stob. ecl. II. 90, D. 101). Güter sind nun im besten Sinne die Tugenden und zuvörderst die vier Cardinaltugenden 5 sie allein sind eigentlich erstrebenswerth; hingegen sind die ent­ gegengesetzten moralischen Gebrechen Uebel und als solche durch­ aus zu meiden. Diejenigen Dinge aber, welche die physische Seite unseres Daseins angehen, indem sie dieselbe entweder fördern oder schädigen, gehören zu den Mitteldingen, z. B. Leben Tod, Ruhm Ruhmlosigkeit, Mühe Lust, Reichthum Armuth, Krankheit Gesund­ heit und Aehnliches (Stob. II. 90). Es wird uns im Einzelnen nicht berichtet, wie Z. die Gleichgiltigkeit von Dingen habe wahr­ scheinlich zu machen gewusst, welche nach der übereinstimmenden Bcurtheilung fast aller Menschen durchaus entweder als Güter oder als Uebel anzusehen sind. Dass speciell der Tod kein Uebel sei, soll er allerdings durch folgenden Schluss zu beweisen gesucht haben (Seneca epist. 82, 9); »kein Uebel ist ruhmvoll, der Tod ist ruhmvoll, folglich ist der Tod kein Uebel«; indessen ist dieser Schluss, wie schon Seneca bemerkte, durchaus nichtssagend, und seine Schülerhaftigkeit lässt es als zweifelhaft erscheinen, ob ihn der geübte Dialektiker Z. geliefert habe. Eine natürliche Folge aber solcher Anschauungen war, dass Z. auch den Selbstmord bil­ ligen, ja unter Umständen als pflichtgemäss ansehen musste. Ob nämlich ein Adiaphoron Existenz hat oder nicht, ist ja völlig gleich­ giltig; wird nun das an sich schon werthlose Leben vielleicht Ur­ sache von positiven Upbeln, von Verletzungen der Tugend, so thut der Weise gut daran, lieber sein Leben als die Tugend aufzugeben. Um diese Billigung des Selbstmords — selbstverständlich gilt dies nur vom W eisen, denn der Thörichte begeht auch im Selbstmord eben eine strafwürdige Thorheit — als echt zenonisch zu rechtfertigen, bedarf es statt aller Citate nur der Erwähnung, dass Z. selbst sich in Folge einer leichten Fingerquetschung den Tod gab (D. 28). Die Geringfügigkeit dieses Anlasses zum Selbstmord lässt

44 es als thatsächlich erscheinen, dass der Stifter der Stoa das Leben weit mehr geringschätzte als seine Nachfolger. Allein schon Z. selbst mochte fühlen, dass die harte Missachtung so erspriesslichcr Güter, wie Leben, Gesundheit, Reichthum u. s. w., im Hinblick auf das praktische Leben etwas verfehlt sei. Mit Recht wird es darum von Zeller als »Milderung des sittlichen Idealismus« und als Concession an das wirkliche Bedürfniss aufgefasst, wenn Zeno, wahrscheinlich im höheren Alter und bei grösserer Entfernung vorn Cynismus, den Satz aufstellte, dass von den Mitteldingen einige verwerflich (άποπροηγμίνα), andere aber allerdings begehrenswerth seien (προηγμένα Stob. 156). In Rücksicht hierauf dürfte es dann auch ausser Zweifel sein, dass Beispiele, wie sie D. 105 ff. ange­ zogen werden, schon von Z. selbst aufgestellt worden sind. 2.

D e r W e i s e u nd s e i n G e g e n s a t z .

Wenn das sittliche Verhalten nur entweder richtig oder ver­ werflich ist, so kann der Mensch auch nur entweder gut oder schlecht sein, oder es,kann nach Z., der alle Tugenden auf die praktische Einsicht zurückführt, nur Weise und Thoren geben (Stob II. 198.). Der Weise ist schlechthin vollkommen und tadellos, der Thor ist in allem, was er thut, schlecht und unvernünftig, nur die Weisen und Tugendhaften sind Bürger, Freunde, Ver­ wandte u. s. w., die Thoren hingegen sind Fremde, Feinde (D. 33). »Die Weisen allein sind Freie, jeder Thor aber ist ein Sclave« (D. 121, welcher Ausspruch nach D. 33 einen durchaus zenonischen Gedanken enthält). Es ist überhaupt anzunehmen, dass Viele von den übertreibenden Lobsprüchen des Weisen und seines unvergleichlichen Werthes schon Z. selbst angehören (Stob. II. 120 ff., Plut. tranqu. an. 12, D. 122, wo der von Z. »im eigentlichen Sinne gemachte Gebrauch der Benennungen«, für welchen Chrysipp als Anwalt auftritt, sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf die vorher aufgezählten Uebertreibungen bezieht). Dass schon Ebenderselbe auch den Uebergang vom Standpunkt des Thoren in den des Weisen für einen plötzlichen hielt, geht aus allem Bis­ herigen, und namentlich aus der Annahme eines absoluten Gegen­ satzes von weise und thöricht, von gut und schlecht, unzweideutig

45 hervor, und es wird gewissennassen bestätigt durch das schroffe Urtheil, mit welchem Z. die beiden Perioden seines eigenen Lebens vor und seit seiner philosophischen Thätigkeit auseinanderhält. 3.

l)ie zenonischc Socialethik.

In der Art, wie Z. sich über socialethische und politische Fragen auszusprechen pflegte, trat mehr als sonst je zu Tage, dass er den Unterricht der Cyniker genossen hatte. Von der privilegirten Höhe seines Standpunktes als eines stoischen Weisen herab­ sehend urtheilte er über das Geschlechtsverhältniss, über Familie, Staat und Volkssitten mit einem Iladicalismus, der nicht nur unsern modernen, christlichen Anschauungen durchaus widerspricht, sondern der auch unter den griechischen Zeitgenossen Zeno’s , die sich doch in solchen Dingen Viel sagen Hessen, Aufsehen und Be­ denken erregte (D. 32). Er gestattete die Knabenliebe, allerdings jedoch so, dass er das Moment der Freundschaft und des selbst­ suchtslosen Wohlwollens in den Vordergrund stellte und nur die Liebe zu tugendhaften Jünglingen billigte (D. 129, vgl. auch 13); denn es sei nicht einzusehen, warum die Vermischung mit seines Gleichen nicht gestattet sein solle, da sie es doch mit dem andern Geschlecht sei (Sext. hyp. pyrrh. 245. adv. mth. XI. 190); nach demselben Grundsatz könne selbst die Vermischung mit Mutter und Schwester nicht schändlich und der ödiopodeische Incest nicht fluchwürdig sein (ibid.). Selbstverständlich kann der stoische Weise, wenn er selbst über diesen horror naturalis sich erhaben dünkt, sich andrerseits auch nicht an die Schranken des Familienlebens binden wollen. Wie Plato, so stellte darum auch Z. die Weiber­ gemeinschaft als Ideal für seinen Staat von Weisen auf (D. 33. 131), und um bei der Einancipation selbst das Aeusserliche nicht zu vergessen, verlangte er, dass beide Geschlechter einerlei Kleidung tragen und keinen Theil des Körpers ängstlich verhüllen sollten (ibid.). Freilich sollte es immerhin gewisse züchtige Schranken im äusseren Auftreten einer Frau geben, die nicht überschritten werden dürften (Clemens paedaq. III. 253 c .); doch schien Z. den Massstab für deren Beurtheilung nicht dem entnehmen zu wollen, was der Eigenthümlichkeit des weiblichen Geschlechtes entspricht,

46 sondern mehr dem, was der stoische Weise, ohne sich verletzt zu fühlen, ertragen kann. Mehr nur eine Accomodation an die gegebe­ nen Zustände ist es, wenn Z. annimmt, dass der Weise heirathen und Kinder zeugen werde (I). 121). Bei allem diesem muss aber bemerkt werden, dass trotz der starken Cynismen in der Theorie dennoch der Charakter Zeno’s über den Vorwurf sittlicher Laxheit ziemlich erhaben war (D. 13). Die Ueberspannung des Ideals eines stoischen Weisen macht sich nicht minder aber auch in dem Staate geltend, dessen Grand­ züge Z. nach dem platonischen Vorbild entworfen hatte: Es gibt in diesem Staate keine Gerichtshöfe, weil der Weise ja den gött­ lichen Nomos vollständig in sich trägt: es gibt keine Tempel, keine Opfer und Feste, weil der Weise, als absolut gottesfürchtig, solcher Gunstbuhlereien nicht bedarf; es gibt keine Plätze für gymnastische Uebungen, weil der Weise als solcher auch durchaus schön, wohl­ gebildet und gesund is t ; es sind keine Münzen mehr nöthig, weder im Staate selbst, noch zum Zwecke von Reisen in’s Ausland (D. 32. 33; Stob. II. 120 ff.). Die Weisen werden sich auch nicht an die bisher bestandenen staatlichen Einrichtungen binden; sie werden keine Gemeinwesen, keine Gauverbände und Demen, keine positi­ ven Rechte und Verträge haben, weil ihre moralische und intellectuelle Vollkommenheit über die enge Grenzlinie eines einzigen Volkes hinaus weist, sondern alle Menschen werden sie als Volks­ genossen und Mitbürger betrachten und werthschätzen (ibid.). So wurde der Stoicismus schon durch Z. der Vertreter eines Kosmopolitismus, welcher mit der nationalen Exclusivität des klas­ sischen Hellenenthums auf’s Schroffste contrastirte, welcher aber auch jenen Universalismus der Bildung und der Menschenliebe mitbefördern half, der, im alexandrinischen Zeitalter überhaupt angebahnt, endlich erst durch die Entwickelungsgeschichte des Christenthums zum relativen Siege gelangte.