Flitzer im Sport: Zur Sozialfigur des Störenfrieds 9783839466827

Flitzer im Sport lassen sich schlecht ignorieren. Sie stürmen nackt, spärlich bekleidet oder kostümiert in Stadien und A

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Flitzer im Sport: Zur Sozialfigur des Störenfrieds
 9783839466827

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1 Nacktheit und Schamlosigkeit
2 Grenzüberschreitung und Raumentweihung
3 Plötzlichkeit und Überrumpelung
4 Vom Erleben zum Handeln
5 Individualisierung und Distinktion
6 Legitimationsrhetoriken
7 Huldigung und Sanktionierung
8 Hochstapler, »Photo Bomber«, Witzbolde
Schlussbetrachtungen
Abkürzungen
Literatur
Medien

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Karl-Heinrich Bette, Felix Kühnle Flitzer im Sport

KörperKulturen

Editorial Die jüngste (Wieder-)Entdeckung des Körperbegriffs in den Sozial- und Kulturwissenschaften »verkörpert« paradigmatisch ein neuartiges materialistisches Verständnis von Gesellschaft und Kultur, das von einer Inkorporierung symbolischer Ordnungen ausgeht. Die Reihe KörperKulturen stellt diesen innovativen Diskursen um den Körperbegriff ein eigenes editorisches Profil zur Verfügung, das die interdisziplinäre Vielfalt körpertheoretisch inspirierter Perspektiven zeigt.

Karl-Heinrich Bette (Prof. Dr.), geb. 1952, war von 1992 bis 2002 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Heidelberg. Er folgte anschließend einem Ruf auf den Lehrstuhl für Sportsoziologie an der TU Darmstadt, den er bis 2021 innehatte. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen in der Soziologie des Körpers, der Sportsoziologie sowie der neueren soziologischen Systemtheorie. Felix Kühnle (Prof. Dr.), geb. 1983, ist Professor für Sportsoziologie am Institut für Sportwissenschaft der TU Darmstadt. Seine Forschungsund Publikationsschwerpunkte liegen in der Sportsoziologie, der Medizin- und Gesundheitssoziologie sowie der neueren soziologischen Systemtheorie.

Karl-Heinrich Bette, Felix Kühnle

Flitzer im Sport Zur Sozialfigur des Störenfrieds

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Pia Breker, Bochum Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839466827 Print-ISBN 978-3-8376-6682-3 PDF-ISBN 978-3-8394-6682-7 Buchreihen-ISSN: 2702-9891 Buchreihen-eISSN: 2702-9905 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Einleitung .................................................................. 7 1 Nacktheit und Schamlosigkeit ........................................ 31 2 Grenzüberschreitung und Raumentweihung .........................49 3 Plötzlichkeit und Überrumpelung .................................... 65 4 Vom Erleben zum Handeln ............................................ 77 5 Individualisierung und Distinktion ................................... 91 6 Legitimationsrhetoriken ............................................. 115 7 Huldigung und Sanktionierung ....................................... 125 8 Hochstapler, »Photo Bomber«, Witzbolde ..........................139 Schlussbetrachtungen .................................................. 151 Abkürzungen ............................................................. 177 Literatur .................................................................. 179 Medien .................................................................... 197

Einleitung

Die Soziologie hat sich im Zuge der soziokulturellen Evolution der Wissenschaft als Disziplin für amoralische, inkongruente und fremde Beobachtungen des Sozialen ausdifferenziert und damit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Selbstinspizierung geleistet. In ihrem Bestreben, das zu sehen, was andere Beobachter nicht zu sehen bekommen, wenn sie sich selbst und ihre gesellschaftliche Umwelt zu beobachten versuchen, erwarb sie auch das Privileg, Themen zu analysieren, die in der Reputationshierarchie anderer Wissenschaftsdisziplinen entweder nicht vorkommen oder dort sogar als wissenschaftsunwürdig angesehen werden. Ohne sich auf die Seite der von ihr untersuchten Akteure und Lebensverhältnisse zu schlagen, fällt es der Soziologie insofern leicht, Handlungsmuster mit inkongruenten Blicken zu hinterfragen, die gemeinhin als anrüchig, kurios, peinlich, verachtenswert oder belanglos gelten. So schrecken Soziologen und Soziologinnen in ihren Untersuchungen nicht davor zurück, die Figur und Funktion des lachenden Dritten (Simmel 1983a: 82ff.), das Trink- und Annäherungsverhalten an Kneipentheken (Cavan 1966), die Abweichung von sexuellen Verhaltensnormen im Karneval (Redmon 2003), die Tonhöhe des »Keifens« im Geschlechterdiskurs (Paris 1998: 212ff.) oder die Lektionen der Lebenskunst beim Flipperspielen (Schimank 1999) jenseits von Vorurteil und Ressentiment abzuklären. Selbst die Blickrichtungen und Vermeidungsstrategien von Personen beim Aufzugfahren (Hirschauer 1999), die Lust Heranwachsender auf Latte Macchiato (Allert 2015: 45ff.), aber auch die Umgangsformen mit schmutziger Wäsche in Paarbeziehungen (Kaufmann 2005) oder die Facetten und Nuancen in der weitverbrei-

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Flitzer im Sport

teten »Kunst der Arschkriecherei« (Silbermann 1997) durch Lügner, Speichellecker, Heuchler und Intriganten sind im Rahmen alltagssoziologischer Exkursionen mit großem Gewinn und außerordentlichem Lesespaß durchleuchtet worden. Die Kompetenz der Soziologie, inkongruente und fremde Blicke auf soziale Phänomene zu werfen, zeigt sich nicht nur in der Bearbeitung von Themen, die aufgrund von Banalitätsvermutungen und Bedeutungslosigkeitsunterstellungen durch das Aufmerksamkeitsraster anderer Wissenschaftsdisziplinen fallen. Auch in der Abklärung jener Sozialfiguren, die selbst Inkongruenzen gegenüber gängigen Handlungserwartungen erzeugen und dadurch die reflexionsentlastende Alltagsroutine in den einzelnen gesellschaftlichen Funktionsbereichen und Sozialmilieus bewusst unterlaufen, kann das Theorie- und Methodeninventar der Soziologie erfolgreich zum Einsatz kommen. Wird beispielsweise Management als Störung in Organisationen beobachtet (Baecker 2011: 76ff.), Psychotherapie als Störung der betroffenen Psyche gedeutet (Simon 1993: 474ff.), die Brauchbarkeit illegaler Regelabweichungen durch Organisationsmitglieder herausgearbeitet (Kühl 2020) oder Protest als Teil des Immunsystems moderner Gesellschaften betrachtet (Luhmann 1996), zeigt sich in einer soziologischen Perspektive, dass Störungen oft weder zufällig entstehen noch um jeden Preis zu vermeiden sind. Der Störenfried ist vielmehr eine Sozialfigur, an deren Auftauchen soziale Systeme in einer subtilen Weise durch ihre funktionale Ausrichtung und ihr Affizierungspotential ganz wesentlich beteiligt sind – und über die es nachzudenken lohnt, wenn man die moderne Gesellschaft und ihre verschiedenen Sozialbereiche einträglich analysieren möchte. Die folgende Studie unternimmt den Versuch, eine als kurios und merkwürdig wahrgenommene Störung der sozialen Ordnung zu analysieren und bis zur Kenntlichkeit zu verfremden, die des Öfteren im Kontext sportlicher Wettkämpfe zu beobachten ist und dort für Aufsehen, Erheiterung, aber auch massenmediales Abschalten oder Wegsehen sorgt, das sogenannte »Flitzen«. Dominant vertreten sind in dieser illegitimen Handlungspraxis jene Personen, die nach emsiger und heimlicher Vorbereitung plötzlich aus dem Zuschauerraum oder

Einleitung

den Stadionkatakomben auf die Wettkampffläche sprinten und dabei die diversen Schutzvorkehrungen der Veranstalter überwinden, um sich überfallartig Spielern und Publikum zu präsentieren. Sie unterbrechen kurzzeitig das auf dem Spielfeld ablaufende Handeln und drängeln sich provokativ in eine Öffentlichkeit hinein, die für andere Zwecke entstanden ist. Flitzer interpunktieren die Ernsthaftigkeit eines Wettkampfes, fügen Elemente des Unernstes und des Karnevalesken in das Geschehen ein und konterkarieren dadurch geltende Nützlichkeits- und Funktionalitätserwartungen. Der unbarmherzige und bisweilen verbissen ausgetragene Kampf um Sieg oder Niederlage wird durch sie nachhaltig gestört. Attacken dieser Art sind keine Un-Fälle mehr, sondern Fälle, auf die man sich bei den großen Sportevents einzustellen hat. Das Sportflitzen als eine bislang meist harmlose Form der Personen- und Körperpräsentation findet inzwischen in unterschiedlichen Sportdisziplinen, Wettkampfräumen und theatralischen Inszenierungen überall dort statt, wo gesellschaftlich erzeugte Individualisierungs- und Sichtbarkeitsbedürfnisse dieser Art nicht durch drakonische, lebensbedrohliche Strafen oder massive soziokulturelle Ächtungspraktiken blockiert werden. Flitzer zeigen sich in männlicher und weiblicher Gestalt im Fußball, Tennis, American Football, Eiskunstlauf, in der Leichtathletik, beim Wasserspringen, Boxen, Golfen, Curling, Cricket, Eishockey, Polo oder auch bei Pferde-, Hunde- und Autorennen sowie bei Ruder-, Snooker- und Skiwettbewerben, um als »streaker«, »sneaker«, »flasher«, »pitch invader«, »prankster«, »imposteur« oder »saltador« die Blicke der Zuschauer spontan und ungefragt auf sich zu ziehen. Selbst in MixedMartial-Arts-Käfigen sorgten Flitzer als uneingeladene Störenfriede bereits für entsprechende Überraschungen. Die Vielzahl der sprachlichen Bezeichnungen deutet darauf hin, dass die parasitäre Teilhabe am sportlichen Wettkampfgeschehen durch Flitzer nicht nur im nationalen und internationalen Kontext weit verbreitet ist, sondern auch zahlreiche Handlungsvarianten hervorgebracht hat. Flitzer tauchen einzeln oder in Gruppen auf, präsentieren sich nackt, teilbekleidet oder kostümiert, tragen Schuhe oder laufen barfuß, sind bemalt oder unbemalt, alt oder jung, maskiert oder unmaskiert, mit oder ohne Handy, projizieren sich in überindividuelle »signaling ac-

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Flitzer im Sport

tivities« oder leben ungeniert individuelle Sichtbarkeitsbedürfnisse aus. Man sieht Flitzer im Wettkampf, in Wettkampfpausen, bei Mannschaftsaufstellungen, beim Abspielen von Nationalhymnen oder bei Siegerehrungen. Konkrete Beispiele für die zahlreichen Auftritte dieser Störenfriede gibt es zuhauf: Eine notorische Bekanntheit erreichte Morganna Roberts, die im August 1969 als 17-Jährige in knapper Bekleidung und mit ausgeprägten sekundären Geschlechtsmerkmalen in ein Baseballspiel der Major League stürmte, um Pete Rose, einen Spieler der Cincinnati Reds mit einer Kuss-Attacke auf die Wange zu überraschen. Trotz mehrfacher Inhaftierung und zahlreicher Verletzungen durch übereifrige Ordner erhob sie diese korporale Annäherung an berühmte Profisportler später auch im Basketball, Football und Fußball zu ihrem Markenzeichen. Über drei Jahrzehnte kletterte sie als »Kissing Bandit« über die Bande diverser Sportarenen und schrieb sich so nachhaltig in die Geschichte des Flitzens ein. Andere Störenfriede nutzten ihre Laufangriffe, um für Pornoseiten, Sexplattformen oder Wettanbieter zu werben, um mit Fahnen, Bannern oder Transparenten ein sofortiges Ende militärischer Konflikte einzufordern, die Unabhängigkeit von Regionen anzumahnen oder ein Zeichen für mehr Diversität zu setzen. Ein Protestflitzer wollte sich bei einem Fußballspiel zwischen Liverpool und Arsenal mit einem Kabelbinder am Torpfosten festzurren und durch die Aufschrift auf seinem T-Shirt auf eine Umweltschutzorganisation und deren Programmatik hinweisen. Auch der Versuch eines Flitzers, sich dauerhaft am Torpfosten festzukleben, wurde bereits beobachtet. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 liefen vier Mitglieder der russischen Protestgruppe Pussy Riot in der 52. Minute des Endspiels zwischen Frankreich und Kroatien in Polizeiuniformen auf das Spielfeld, um auf die willkürliche Polizeigewalt in Russland aufmerksam zu machen. Auch beim Nations-League-Spiel zwischen Deutschland und Italien rannten im Juni 2022 gleich drei Flitzer unter tosendem Beifall und ausgelassenem Johlen des Publikums auf das Spielfeld und konnten sich dort infolge der Aufsplitterung der Ordnungskräfte und deren Rutschpartien auf dem nassen Stadionrasen zum Teil sogar ungehindert über den ganzen Platz bewegen. Selbst ein Rollstuhlfahrer betätigte sich im gleichen Jahr in seinem elektrisch angetriebenen Gefährt auf

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dem »heiligen Rasen« eines Fußballstadions als Störenfried, um die heimische Fankurve zum verstärkten Jubel für die eigene Mannschaft anzuregen. In nicht wenigen Fällen begaben sich Flitzer auch in die Symbolwelt der Comics und verkleideten sich als Zorro oder Batman, um als subversive Elemente auf eine Verbesserung des Weltgeschehens hinzuweisen. In seltenen Ausnahmen schwebten sie sogar von oben mit motorisierten oder unmotorisierten Gleitschirmen in die Stadien und Arenen des Sports hinein und sorgten dort für eine Aufregung, die ihrer schwerelosen Ankunft entsprach. Auch Flitzer mit direktem Sportbezug wurden bereits in den Stadien, Arenen und Hallen gesichtet, um als selbsternannte Stellvertreter des eigenen Heimatvereins Schiedsrichter zu bestrafen, gegnerische Fans oder Spieler zu attackieren oder zu verhöhnen, die Söldnermentalität gewisser Athleten anzuprangern oder auch nur um ein Selfie mit einem angehimmelten Sporthelden zu schießen oder dessen Trikot für sich einzufordern. Die genannten Beispiele deuten darauf hin, dass man nicht nur mit Worten, Schriften, Bildern oder Filmen, sondern auch mit bewegten Körpern, körpernahen Botschaften, Handlungen und Kostümierungen kommunizieren, stören und Aufmerksamkeit erregen kann. Im weiteren Verlauf der Untersuchung werden wir uns nicht ausschließlich, aber vornehmlich mit jenen Akteuren befassen, die in der Öffentlichkeit des Sports teilbekleidet oder völlig nackt in schärfster Form zu provozieren wissen und dadurch in den letzten Jahrzehnten zum Inbegriff des Flitzers geworden sind. In einem eigenen Kapitel werden wir ergänzend einen vertieften Blick auf die Hochstapler, »Photo Bomber« und Witzbolde werfen, die in einer subtilen Weise am Konstrukt sportlicher Wettkämpfe parasitieren und Sonderformen des Störenfrieds darstellen. Um die Motive all dieser Akteure näher kennenzulernen und mit den Theoriemitteln der Soziologie zu dekonstruieren, wird der Umgang der Flitzer mit sich selbst und ihren Praktiken uns besonders interessieren. Im Zeitalter der globalen Berichterstattung und Kommerzialisierung des Sports haben schließlich einige dieser Störenfriede gelernt, ihre Körperoberfläche gegen Bezahlung für entsprechend justierte Werbebotschaften zur Verfügung zu stellen oder ihr

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Flitzer im Sport

Handeln körpernah mit humorvollen, ironischen und selbstreflexiven Botschaften zu kommentieren. Mit Heraufkunft und Verbreitung der neuen sozialen Medien beweisen Sportflitzer noch in einer anderen Hinsicht kommunikative Kompetenzen. Sie warten nicht mehr nur auf Berichte, in denen Beobachter ihre Taten »von außen« kommentieren; sie machen vielmehr in eigenen Webauftritten selbstbewusst auf ihre Praktiken, Motive, Ausweichmanöver, Sanktionierungen und Medienresonanz aufmerksam. Manchmal engagieren sie sogar Freunde oder Familienmitglieder, die ihre Taten in den Sonderräumen des Sports ablichten, um die so entstandenen Aufzeichnungen anschließend im Internet oder in selbst- und professionell produzierten Filmen und Videos einem breiteren Publikum zu präsentieren. In einschlägig orientierten Talkshows dürfen bekannte Flitzer zudem ihre Sicht der Dinge quotenträchtig mit markigen Worten und anzügigen Gesten einem entsprechend interessierten Publikum vorstellen. Der erste kolportierte Nacktflitzer im Sport war der Australier Michael O’Brien, der in Umsetzung einer Wettverpflichtung am 20. April 1974 vor 53.000 Zuschauern im englischen Twickenham-Stadion während eines Rugbywettbewerbs zwischen England und Frankreich unter den Augen der königlichen Familie völlig entblößt in der Pause auf das Spielfeld rannte und durch seine Tat ‒ dank medialer Verbreitung ‒ eine weltweite Aufmerksamkeit erregte. Das Foto, das seinen Abtransport durch die englische Ordnungsmacht sowie die Zweckentfremdung einer polizeilichen Kopfbedeckung als Instrument der Genitalverdeckung zeigte, wurde eines der meistgedruckten Bilder des damaligen Jahres und sogar zum »Picture of the Decade« der Zeitschrift »People« gewählt. Eine als »campus streaking« bekannte studentische Spaß- und Selbstermächtigungspraxis hatte damit den sozialen Raum des Sports erreicht. Die mediale Resonanz auf das Twickenham-Ereignis übersprang rasch sportartspezifische Grenzen, regte zahlreiche Nachahmeraktionen an und ebnete den Weg des Sports zu einer »stronghold of streaking culture in a number of countries« (Kohe 2012: 207). Im Jahre 1975 sorgte die überraschende Spielunterbrechung durch einen Flitzer auf dem englischen »Lord’s Cricket Ground« für Furore. Der berühmte Schnapp-

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schuss seiner auf diesem traditionsreichen Spielfeld durchgeführten nackten Sprungeinlage ziert seit 2013 sogar das Albencover einer irischen Popband.1 Als erste halbnackte Flitzerin ging Erika Roe in die Annalen des Sports ein. Ihr Oben-ohne-Überfall fand 1982 vor 67.000 Zuschauern ebenfalls auf dem Rasen des Twickenham-Stadions statt. Ihre im Laufen vollzogene Körperpräsentation im Rugbyspiel zwischen England und Australien hatte im Stadionrund zu einem kollektiven Hinsehen und Raunen geführt und wird heute als »probably the most famous streak ever« (Sheridan 2017: 121) erinnert. Die Zurschaustellung nackter oder spärlich bekleideter Körperlichkeit auf dem Spielfeld durch Sportflitzer ist für die Organisationen des Sports und deren Bezugsgruppen nicht folgenlos geblieben. Sportvereine und -verbände haben angesichts der Vielzahl der Zwischenfälle eine Reihe von Gegenmaßnahmen ergriffen, um Störungen der im Sport etablierten Präsentations- und Interaktionsordnung zu unterbinden. Die Ordnerzahl wurde erhöht, die Hausordnung wurde geändert, die Zugangsmöglichkeiten zum Wettkampfraum wurden erschwert, die Kontrolldichte nahm zu. Der Aufmerksamkeitsdiebstahl soll so unterbunden werden. Flitzer werden als unerwünschte Eindringlinge gejagt, gestellt und rasch aus den Stadien entfernt. Einige Sportverbände verpflichten die medialen Beobachter des Geschehens in ihren Auflagenbüchern zum Wegschwenken der Kamera, um potentielle Nachahmungstäter a priori durch ein generelles Nichtzeigen derartiger Aktionen vom imitierenden Nachvollzug abzubringen. Eine andere Strategie besteht darin, bekannte Störenfriede im Vorfeld einer möglichen Zurschaustellung zu verwarnen und auf etwaige Konsequenzen hinzuweisen. Erwischte Nacktläufer erhalten zudem Stadionverbote, werden auf Schadensersatz verklagt, durch Geldstrafen für ihren Hausfriedensbruch sanktioniert oder landen gar auf einer »Sex-OffenderListe«. Die Soziologie hat zur Beantwortung der Frage nach dem Wie und Warum dieser Praktiken bislang wenig beigetragen und das Deutungs1

Gemeint ist die Platte »Sticky Wickets« der Band »The Duckworth Lewis Method«.

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Flitzer im Sport

feld weitgehend den Psychologen, Journalisten, Alltagsphilosophen und Juristen überlassen. Weder die berühmte Busen-Attacke linker SDS-Aktivistinnen in einer Vorlesung von Theodor W. Adorno im Jahre 1969 noch der Nacktauftritt des stadtbekannten Bielefelder Stadionflitzers »Ernie« auf dem Weltkongress der Soziologie in Köln im Jahre 1997 waren hierzulande Anlässe für tiefergehende soziologische Reflexionen über das Auftauchen teilbekleideter oder gänzlich nackter Körper im Rahmen öffentlicher Ereignisse, sondern wurden als unverschämte Unterbrechungen seriöser Veranstaltungen in den »blinden Fleck« des soziologischen Erkenntnisinteresses gedrängt. Selbst in den zahlreichen Studien, die sich in den letzten Jahren explizit mit »Grenzverletzern« (Horn/Kaufmann/ Bröckling 2002), subversiven Gestalten und anderen auffälligen Sozialfiguren der Gegenwart (Moebius/Schroer 2010) auseinandergesetzt haben, blieben die Flitzer ausgespart. Durch die enge Fokussierung auf bekannte Figuren der Philosophie- und Literaturgeschichte sowie der politischen Theorie vom 17. bis ins 20. Jahrhundert erwies sich ebenfalls der »Puer robustus«, den Dieter Thomä (2016) vorlegte, als wenig ergiebig für unsere Forschungsinteressen. Real existierende Sozialfiguren wie Sportflitzer und viele andere notorische Grenzverletzer erhielten in seiner »Philosophie des Störenfrieds« nicht die höheren Weihen der akademischen Aufmerksamkeit. Auch laientheoretische Deutungen sind bislang beim Versuch, das Sportflitzen zu erklären, gescheitert, weil die spezifischen Botschaften dieser Störenfriede in Gestalt subtiler Gesten und narrativer Selbstdeutungen unberücksichtigt blieben und nicht vor dem Hintergrund des Sinngehalts spitzensportlicher Wettkämpfe und veränderter gesellschaftlicher Kontextbedingungen diskutiert wurden. Naheliegende Hypothesen zur Beschreibung des Flitzens als Kollateraleffekte von Alkoholexzessen, Exhibitionismuspraktiken und Adrenalinausschüttungen zeigen ebenso wie die üblichen Trieb- und Sublimationstheorien auf das Persönlichkeits- und Hormoninventar der Flitzer, und sind insofern soziologisch nur bedingt nutzbar. Auch die in Interviews, Blogs oder Filmen geäußerten Selbstdeutungen bekannter Flitzer müssen einer Beobachtung zweiter Ordnung unterzogen werden, da diese Akteure sich »nur« mit alltagstheoretischen Blicken beobachten, über die

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Nennung von Protest-, Spaß- und Animationsmotiven zugunsten des Publikums nicht hinauskommen und in ihren Beschreibungen pauschalisierend, selbstglorifizierend und beifallheischend an der Oberfläche bleiben. Neben der Selbstentblößung, die Flitzer innerhalb des Sports demonstrieren, lässt sich körperliche Voll- oder Teilnacktheit in der Gegenwartsgesellschaft jenseits von Privatheit und Intimität noch in zahlreichen anderen Situationen beobachten: als sexuelle Präferenzstörung von Menschen, die in Parks oder auf anderen öffentlichen Plätzen Schamgrenzen überschreiten, um sich vor den Augen unfreiwilliger Beobachter sexuell zu erregen, als korporal vorgetragene Protestaktion gegen Prüderie und übertriebene Sittsamkeit oder gegen tatsächliche oder vermeintliche Missstände und Ungerechtigkeiten in Wirtschaft, Politik, Religion, Medien und Wissenschaft, als Happening im Kontext künstlerischer Performanzen und Paraden, als Statement für die Freiheit und Autonomie des Subjekts in der Organisationsgesellschaft, als Maßnahme zur Steigerung von Gesundheit, Fitness und Natürlichkeit im Rahmen der Alternativ- oder Freikörperkultur oder als Striptease in den einschlägigen Lokalitäten des Rotlichtmilieus, um durch das langsame Freilegen und Zeigen symbolisch aufgeladener weiblicher Körperteile ein meist männliches Begehren zu entfachen.2 Nackte Personen tauchen außerdem uneingeladen bei hochrangigen Preisverleihungen3 auf, provozieren bei Parteitagen und in kirchlichen

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Zum Striptease siehe die klassische Studie von Barthes (1957: 147ff.) sowie die Ausführungen von Kolakowski (1967). Zum neueren Phänomen eines medial übertragenen Exhibitionismus von Amateurdarstellern im virtuellen Raum siehe Jones (2010). Die spezifische Kommunikation zwischen Tänzerinnen und Kunden in US-Strip Clubs beschreibt Frank (2005) in einer ethnographischen Studie, in der sie auch eigene, mehrjährige Erfahrungen als »exotic dancer« einfließen ließ. Bei der Oscar-Verleihung im Jahre 1974 lief plötzlich ein Nacktflitzer mit einem Victoryzeichen während der Moderation von David Niven vor der versammelten Festgemeinde über die Bühne. Niven kommentierte diese unerwartete Störung schlagfertig mit den Worten: »Isn’t it fascinating to think that probably

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Messen oder suchen Aufmerksamkeit auf Theaterbühnen und bei Vernissagen. Sie zeigen sich zudem im Rahmen juveniler Mutproben oder präsentieren eine Handlungspraxis, die darauf ausgerichtet ist, die Kontingenz gängiger Moral- und Bekleidungsvorschriften im Kontext sozialer Bewegungen plakativ vorzuführen. An US-amerikanischen Universitäten laufen Flitzer bisweilen mit oder ohne Maske einzeln oder in Klein- und Großgruppen über den Campus oder präsentieren sich zum Amüsement ihrer Kommilitonen kurz vor den »final exams« in stark frequentierten Bibliothekssälen. Der erste Flitzer wurde bereits 1803 an der Washington und Lee Universität gesichtet.4 In einigen Universitäten hatten sich Flitzer in den 1970er Jahren sogar teamförmig organisiert, um an benachbarten Bildungseinrichtungen selbstbewusst Flagge zu zeigen und Werbung für das eigene akademische Herkunftsmilieu zu machen. Nackte Laufeinlagen gehören bisweilen auch zu den obligatorischen Aufnahmeritualen für Erstsemester in dortigen Studentenvereinigungen. In all diesen Fällen handelt es sich nicht um eine unbekümmerte, sich ihrer selbst nicht bewussten Nacktheit, wie sie beispielsweise noch in den wenigen tribalen Kulturen Afrikas, Südamerikas oder Asiens anzutreffen ist. Nacktheit wird vielmehr sinnhaft eingesetzt, um unkonventionelle Selbstermächtigungsabsichten durchzusetzen, Passageriten zu absolvieren, Spaßmotivationen alternativ auszuleben oder um Personen mit Provokationsinteressen oder anderen funktionsspezifischen Absichten als Beobachtungsobjekte vor einer größeren Kulisse sichtbar zu machen. Das Signalhafte der öffentlich präsentierten Nacktheit erfolgt dabei auf Grundlage der allgemein zugänglichen Erfahrung, dass Menschen in öffentlichen Situationen üblicherweise bekleidet auftreten. Vor diesem Hintergrund lässt sich der nackte Körper als scharfe Waffe im Reich der Distinktion einsetzen, um durch die bewusste Korporalisierung der Kommunikation Aufmerksamkeit zu

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the only laugh that man will ever get in his life is by stripping off and showing his shortcomings.« Siehe Barthe-Deloizy (2003: 124). Vgl. hierzu den Artikel unter dem Titel »Streaking: Is it Happening on Your Campus?« im College Magazin (26.7.2018: 1).

Einleitung

erregen und der eigenen Gesinnung nachhaltig Ausdruck zu verleihen. Dies gilt auch für jene gewaltsam hergestellte Nacktheit, die bisweilen in totalen Institutionen zum Einsatz kommt, um durch eine öffentliche Zurschaustellung und Demütigung von Menschen Macht gegenüber Mindermächtigen zu demonstrieren.5 Mit Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Sportflitzer zielt die vorliegende Untersuchung darauf ab, ein Themenfeld zu erhellen, das bislang auch in der Sport- und Körpersoziologie keine größere Resonanz erzeugen konnte. Die defensive Vermeidungshaltung gegenüber den Sportflitzern ist einerseits verständlich, da diese Störenfriede nicht zu den dominanten Akteuren des Sports oder zum assistierenden Unterstützungsmilieu der Athleten und Athletinnen zählen. Sie sind weder Trainer, Mediziner oder Psychologen noch gehören sie zur Gruppe der Sportfunktionäre, Sponsoren oder Medienvertreter. Andererseits ist die bisherige Nichtberücksichtigung aber auch verwunderlich, da Flitzer durchaus regelmäßig bei den großen Events des Sports auftauchen, sich dort in einer körperlich-offensiven Weise in das Sichtfeld der Athleten und des Publikums drängen und auf diesem Weg wiederkehrend zum Thema der massenmedialen Berichterstattung in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, Radio-Podcasts und Fernseh-Dokumentationen geworden sind. Selbst in manchen literarischen Erzählungen (Davison 2009), filmischen Fiktionen (Frydman 2013; Luisi 2017) und Autobiografien (Jump 2011) spielen Sportflitzer bisweilen die Hauptrolle. Andere Störenfriede wie die Hooligans oder Ultras konnten in der Sport- und Körpersoziologie dennoch sehr viel mehr an akademischer Aufmerksamkeit erregen, weil sie – ganz im Gegensatz zu den Flitzern – mit ihrer exzessiven Gewaltbereitschaft und ihrem Massenauftreten innerhalb und außerhalb der Stadien ein öffentliches Problem im nationalen und internationalen Sport darstellen und dadurch in den Fokus

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Man denke nur an die Folterbilder, die während des Irak-Krieges im Gefängnis von Abu-Ghraib angefertigt wurden. Siehe hierzu den Film »Standard Operating Procedure« von Errol Morris. Weitere Beispiele für die Entwürdigung durch erzwungene Nacktheit zeigt Carr-Gomm (2010: 90f.).

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umfangreicher polizeilicher Gegenmaßnahmen und vereinsinterner Faninitiativen gelangt sind. Indem wir mit der Analyse der Sozialfigur des Sportflitzers dieses Forschungsdesiderat beheben, soll zudem eine wesentliche Vorgehensweise der soziologischen Forschung zum Ausdruck gebracht werden: Wer Aussagen über Verhaltensweisen und Botschaften treffen möchte, die gegen das Übliche verstoßen und in parasitärer Nutzung dominanter gesellschaftlicher Sozialsysteme und deren Funktionsrollen und Sinnprinzipien stattfinden, darf über den sozialen Kontext, in dem die Verstöße zur Aufführung kommen und auf den sie sich explizit beziehen, nicht schweigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Störenfriede durchaus ambivalente Wirkungen in ihren relevanten Umwelten hervorrufen können. Sie sind einerseits in der Lage, die Eigenkomplexität interpenetrierender Sozialbereiche mit ihren Transgressionen im positiven Sinne zu irritieren und zu bereichern; andererseits können sie aber auch die Stabilität ihrer Kontaktsysteme bedrohen, wenn sie deren Strukturen und Prozesse durch Grenzüberschreitungen sabotieren und eventuell sogar zum Stillstand bringen. Insgesamt gilt für die Analyse des Sportflitzens, was Turner (2012: 1) vor Jahren in einem anderen Zusammenhang, nämlich bezüglich der soziologischen Analyse des Torjubels im Fußball, feststellte: »To many scholars within the field, the phenomenon of the goal celebration may, on the surface, appear rather comical and not worthy of any serious scrutiny. However, goal celebrations are, and have generally always been, a part of football culture and are thus worthy of critical examination.« Dies gilt in besonderer Weise für die soziologische Abklärung von Situationen, in denen Personen sich bewusst als Störenfriede in Szene setzen und gegen etablierte soziale Erwartungen verstoßen, nämlich ablaufende und sportrechtlich abgestützte Handlungsroutinen in den Räumen des Sports zu respektieren und sportartspezifische Bekleidungsvorschriften einzuhalten. Mit der vorliegenden soziologischen Studie über das Flitzen im Sport betreten wir im Wissenschaftsdiskurs insgesamt Neuland. Die wenigen englischsprachigen Analysen bezogen sich zunächst nicht auf das Auftauchen von Flitzern in Sportstadien und -arenen, sondern galten dem »Streaking« an US-amerikanischen Universitäten und Colleges.

Einleitung

Heckel (1976) sah eine besondere Nähe der im Frühjahr 1974 vermehrt aufgetauchten und später wieder abgeflauten Nacktflitzerkultur zum »Feast of Fools«, einem mittelalterlichen Fest, das durch die zeitweise Aufhebung, Karikierung und Umkehrung bestehender Statushierarchien, Rollen, Verhaltenskonventionen und Traditionen gekennzeichnet war und in Gestalt des Karnevals bis heute in kommerzialisierter Weise in vielen Ländern durchgeführt wird. Nacktflitzer wären nicht, so Heckel, darauf aus gewesen, die bestehende Ordnung gewaltsam umzustürzen, sondern hätten vor einem bewusst aufgesuchten Publikum lediglich mit temporär begrenzten Spaß- und Freiheitsmotiven gegen das in der Öffentlichkeit geltende Bekleidungsgebot opponiert. Körperorientierte und durch Alkohol befeuerte Normverstöße dieser Art seien auch bei anderen US-amerikanischen Großereignissen zu beobachten gewesen, beispielsweise bei der jährlichen Eröffnung der BaseballSaison, dem 500-Meilen-Rennen von Indianapolis, bei Rock-Konzerten oder beim sogenannten »Spring break« amerikanischer Universitäten und Colleges. Anderson (1977) wertete das Nacktlaufen an amerikanischen Bildungseinrichtungen als Modeerscheinung und Marotte und wies auf die unterschiedlichen Präsentationsmodi hin, die sich nach den ersten bekannt gewordenen »Streaks« schnell ergeben hätten. »Some streakers varied their style by wearing masks and googles, which offered the advantage of making identification difficult, and by wearing various types of head gear.« (ebd.: 221) Andere seien nackt auf Skiern über den Campus geglitten; einige seien sogar an Fallschirmen nackt oberhalb der Campusgebäude durch die Luft gesegelt oder hätten sich bewusst in Verkehrsstaus hineinbegeben, um nackt zwischen den stehenden Autos nach vorne zu laufen und anschließend in einem Fluchtauto unerkannt das Weite zu suchen. Für andere wäre das Nacktlaufen eine Mutprobe oder das Ergebnis einer verlorenen Wette gewesen. Da eine Face-toface-Interaktion zwischen den weit verstreut agierenden Personen mit entsprechenden Verabredungen nicht stattgefunden hätte, seien die campusinterne und überregionale Berichterstattung in den Mas-

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senmedien6 sowie Aktivisten aus den spaß- und erlebnisorientierten »Fraternities« und »Sororities« maßgeblich für das spontane oder später auch geplante und vorab angekündigte Solo- und Gruppennacktflitzen vor lachenden und anfeuernden Mitstudenten verantwortlich gewesen. Die Ordnungsmächte in Gestalt akademischer Gremien und der Campuspolizei hätten dann auf diese Vorkommnisse zunächst lediglich mit weicher Repression und Obstruktion reagiert.7 Kirkpatrick (2010) deutete demgegenüber das Nacktlaufen an US-amerikanischen Bildungseinrichtungen nicht als eine oberflächliche Modeerscheinung, sondern als das Ergebnis einer »extensiven diskursiven Anstrengung« (ebd.: 1024). Er wandte sich damit gegen soziologische und ökonomische Herangehensweisen, denen er lediglich ein Interesse im Rahmen von »deviance studies« oder konsumorientierten Analysen unterstellte. Er thematisierte das universitäre Nacktlaufen aus dem Blickwinkel der »cultural studies« und sah darin vornehmlich ein »media event«. In dem Versuch, das Nacktlaufen als rein spaßorientierte, unpolitische und entsexualisierte jugendliche Marotte auszugeben, vermutete er vielmehr eine gegen die politische Linke gerichtete Strategie neokonservativer Kreise, um nach Jahren universitätsbasierter Proteste eine Semiotik der »white supremacy« zu installieren und durch die Hintertür einen Wertehaushalt aus den späten 1950er Jahren wiederbeleben zu wollen. »The streakers’s normalcy – his whiteness, maleness, youthfulness, middle classness, and supposedly apolitical nostalgia for the innocence of 1950s America before feminism and civil rights – made him the ideal representative of the status quo ante.« (ebd.: 1040) Männliche Weiße hätten auf der Grundlage einer medial transportierten Spaß- und Klamaukrhetorik den Universitätscampus durch ihre Streaks kurzfristig zurückerobert und entpolitisiert. Dadurch hätten sie einer Schwächung der Universität als Ort und Hort der Kultur- und Gesellschaftskritik Vorschub geleistet. Die Frage, warum Kirkpatrick

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Siehe beispielsweise den Artikel von Andrew H. Malcolm in der New York Times (10.3.1974: 49) unter dem Titel »Streakers Off and Running on Nation’s Campuses«. Siehe außerdem Aguirre, Quarantelli und Mendoza (1988).

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die öffentlich präsentierte Nacktheit der Studenten als Teil der »half forgotten joys of the 1950s« ansah und dadurch die repressive Moral und Körperdistanziertheit dieser Zeit mit ihren Verhüllungsgeboten und Prüderievorstellungen völlig ausblendete, ließ er unbeantwortet. Das Bedürfnis, sich gerade an Campus-Universitäten in aller Öffentlichkeit in kurzen Episoden unbekleidet zu präsentieren, um anschließend schnell in bekleidete Studenten- und Alltagsrollen zurückzuwechseln, lässt sich auch anders deuten. Es entstand nicht zufällig in Bildungsorganisationen, in denen gleichaltrige Heranwachsende über einen längeren Zeitraum jenseits des familialen Herkunftsmilieus räumlich eng zusammengeführt wurden, von den üblichen Verpflichtungen der späteren Arbeitswelt entbunden waren, keine eigene Zeugungsfamilie begründet hatten und in diesem geschlossenen subkulturellen Biotop die Chance erhielten, eigene Verhaltensregeln jenseits traditioneller Erwachsenennormen zu entwickeln und auszuleben. Temporäre Nacktheit in der Öffentlichkeit erscheint dann als ein Freiheitssignal, das Jugendliche und junge Erwachsene sich selbst geben, bevor sie in die Rollenverpflichtungen des Erwachsenendaseins und den Routinetakt des Arbeitslebens überwechseln. Nacktflitzer konnten ihre libertären Ambitionen im Kontext universitärer Organisationen ausleben, an deren Finanzierung sie durch Studiengebühren beteiligt waren und die als korporative Akteure darauf zu achten hatten, ihre studentische Klientel und Finanzierungsbasis nicht durch allzu harte Repressionen abzuschrecken.8 Der in der Regel durch eine eigene Polizei kontrollierte und geschützte Campus konnte so für Praktiken genutzt werden, die an anderen Orten scharfe Sanktionen hervorgerufen hätten.

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Eine genaue Auflistung und Beschreibung der einzelnen Nacktlaufevents an US-amerikanischen Universitäten in der Zeit von 1974 bis 2005 liefert der 57seitige Newsletter Nr. 16, den »The Naturist Society« im Mai 2005 unter dem Titel »Campus Nudity Special Issue« publizierte. Eine Erklärung für die laxe Haltung einer Universität in Sachen Nacktlaufen lieferte Herring (2008) mit ihrem Hinweis auf das »Hamilton College Varsity Streaking Team«.

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Das universitäre und collegebasierte Nacktlaufen wurde zudem durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse begünstigt, die sich hinter dem Rücken der Flitzer ergeben hatten. Der noch aus den 1960er Jahren stammende Slogan der Hippiebewegung »Make love not war« war nicht nur gegen den Vietnamkrieg gerichtet. Er drückte auch eine neue Einstellung junger Erwachsener zur außerehelichen Sexualität und Nacktheit aus. 1972 wurde der Pornofilm »Deep Throat« mit expliziten sexuellen Inhalten zu einem Kassenschlager. Sex avancierte zu einem öffentlichen Thema. Im gleichen Jahr publizierten Meadows und Kollegen im Rahmen des Club of Rome ihre erste gesellschaftskritische Analyse zu den »Grenzen des Wachstums«. 1973 zogen sich die USA aus Vietnam zurück. Die Frequenz der Antikriegsproteste innerhalb und außerhalb der Universitäten wurde dadurch schlagartig reduziert. Präsident Nixon stolperte über die Watergate-Affäre. Die erste Ölkrise führte zu einer Neubewertung traditioneller Fortschrittsideen. Außerdem hatten zahlreiche soziale Bewegungen durch öffentliche Proteste nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht und Freiheitsrechte eingefordert. Man denke nur an die Bürgerrechts- und Feminismusbewegung sowie an die zahlreichen Schwulen- und Lesbeninitiativen, die ihr Anliegen auch mit der Präsentation nackter und teilbekleideter Körper in öffentlichen Räumen zum Ausdruck brachten. Flitzen im Sport fand in der akademischen Diskussion erst eine beiläufige Erwähnung in der Literatur über die sogenannten »Celebrities« (Rojek 2002; Turner 2006) und in Diskursen über Mode (Entwistle 2000), Entkleidung (Brownie 2017), Nacktheit (Cover 2003; BartheDeloizy 2003; Barcan 2004; Atkinson 2014), Maskulinität (Alperstein 2010a, 2010b) und über das sogenannte »Ambush Marketing« (Wei/ Kretschmer 2004) oder auch »Guerilla Marketing« (Kraus/Harms/Fink 2010; Roux 2020). Sport- und strafrechtliche Artikel (Klett-Straub 2006; Friedman/Grossman 2013) steuerten weitere Erkenntnisse bei. Die Studien von Kohe (2012) und Sheridan (2017) beschäftigten sich explizit mit dem Sportflitzen. Kohe (2012) erörterte die soziale Konstruktion von Nacktheit anhand der Unterscheidung von »nakedness« und »nudity«, deutete »Streaking« paradoxerweise als »costumed practice« (ebd.: 197) und explorierte die Mehrdeutigkeit und Kontextabhängigkeit der Flit-

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zerpraxis im Sport. Sheridan (2017) rekonstruierte knapp die Geschichte des Nacktflitzens seit dem 18. Jahrhundert und ließ bekannte Sportflitzer der Gegenwart sowie einen Ordnungshüter in Interviews zu Wort kommen. Er stellte damit interessantes und brauchbares Material zur Verfügung, verzichtete aber darauf, die Selbstbeschreibungen, Sinnbehauptungen, Legitimationsrhetoriken und Rechtfertigungsnarrative der Akteure mit Hilfe soziologischer Blicke und Theorien alternativ zu deuten. Er offerierte dadurch keine Nähe durch Distanz. Indem er sich bruchlos in Form und Inhalt an die Spaß-, Freiheits- und Lebensfreudesemantiken der befragten Akteure anschloss und eine unverhohlene Sympathie auch dadurch zeigte, dass er die von ihm interviewten Flitzer konsequent bei ihren Vornamen ansprach, präsentierte er eine Analyse, die auf Objektivität, theoretische Generalisierung und Abstraktion keinen Wert legte. Er bettete seine personalisierenden Ausführungen vielmehr in diverse Helden- und Huldigungsgeschichten ein, um Bewunderung und Beifall für das Nacktlaufen zu generieren. Das soziologisch Relevante zum Flitzen im Sport ist demnach insgesamt noch nicht gesagt worden. Um der Komplexität des Untersuchungsfeldes gerecht zu werden, wird es deshalb wichtig sein, die verschiedenen Selbst- und Fremdbeschreibungen der Flitzer in Printmedien, Talk-Shows, Podcasts und Fernseh-Dokumentationen sowie die auf Online-Plattformen verfügbaren »Highlight Reels« und »Compilations« einschlägiger Auftritte von bekannten Flitzern wie Mark Roberts, Karl Power, Rémi Gaillard oder Jaume Marquet (alias »Jimmy Jump«) sowie weitere Videozusammenschnitte einer Vielzahl anonym gebliebener »one hit wonder« des Flitzens zu sammeln und die dort vorgebrachten Absichten und Motive soziologisch zu deuten und zu dekonstruieren. Denn artikulierte Absichten und Handlungsbewertungen sind immer auch »Konstruktionen« (Luhmann 2000a: 26), die in der Sozialisation erlernt werden und auf die Personen zurückgreifen, um ihr Handeln gegenüber sich selbst und anderen zu legitimieren. Versuche, dem eigenen Handeln Motive und Absichten zu unterstellen und zuzuordnen, zielen darauf ab, unbestimmte Komplexität auf Überschaubarkeit zu reduzieren und Licht ins Dunkle des eigenen Handelns zu bringen. »Rather than fixed elements ›in‹ an individual, motives are

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the terms with which interpretation of conduct by social actors proceeds. […] The differing reasons men give for their actions«, gibt C. Wright Mills (1940: 904; Herv. im Orig.) zu bedenken, »are not themselves without reasons.« Motive sind in dieser Lesart kontext- und situationsabhängig in dem Sinne, dass sie vor allem etwas darüber sagen, welche Motivdarstellungen in einer spezifischen Interaktionssituation gefragt sind und als legitim und plausibel gelten, und weniger darüber, welche Motive tatsächlich am Werk sind (vgl. Kühl 2014: 75). Erst Beobachtungen, die das Geschehen mit anderen Sichtweisen aus der Distanz beobachten, sind in der Lage, die blinden Flecken individueller Motivangaben in einem alternativen Licht zu deuten. Mit der vorliegenden Studie wollen wir diskurstypische Reflexionsblockaden, »unquestioned answers« (Mills 1940: 907) und andere »obstacles epistemologiques« (Bachelard 1977: 13) hinter uns lassen und einen anderen Weg einschlagen. Anstatt bei einer unterkomplexen und allzu schnellen Deutung des Flitzens als bloßer Marotte stehenzubleiben oder unkritisch und naiv den Fährten zu folgen, welche die Flitzer in ihren Selbstbeschreibungen und Legitimationsrhetoriken gelegt haben, werden wir die theatralischen Inszenierungen sportlicher Wettkämpfe und die hieraus ableitbaren Ressourcen des Spitzensports offenlegen, um die Flitzer in ihrem Begehren kennenzulernen und in ihren Motivlagen auszuloten. In diesem Zusammenhang wird es wichtig sein, nicht nur die Störungen der Sportereignisse in den Blick zu nehmen, die Flitzer durch ihre Grenzüberschreitungen erzeugen; auch die spezifischen Pull-Effekte sind zu analysieren, mit denen der Wettkampfsport Flitzer anzieht und handlungsstimulierende Resonanzen bei ihnen auslöst. Beide Frage- und Erkenntnisrichtungen sind relevant und unverzichtbar: Was lernen wir über den Spitzensport, wenn wir uns mit Flitzern auseinandersetzen? Und was erfahren wir über die Sozialfigur des Flitzers, wenn wir den Spitzensport in seinen diversen Ausprägungen, Erscheinungsformen und sozietalen Austauschbeziehungen analysieren? Als Disziplin, die darauf spezialisiert ist, die soziale Welt mit inkongruenten, fremden und amoralischen Blicken zu beobachten, »hinter den äußeren Schein« (Bourdieu 1996: 68) der Dinge zu blicken und »liebgewordene Überzeugungen« (Müller 1996: 39) der beobachteten

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Beobachter zu attackieren, erweist sich die Soziologie im Rahmen unserer Untersuchung selbst als eine Art Störenfried. In ihrer Auseinandersetzung mit der Sozialfigur des Sportflitzers fungiert sie gleichsam als Störenfried zweiter Ordnung. Schließlich analysiert und konfrontiert sie mit ihrer außeralltäglichen, oft entlarvenden, skeptisch hinterfragenden und bisweilen auch verschreckenden Vorgehensweise individuelle Akteure, die sich im Sport auf Störung spezialisiert haben.9 Soziologische Fragen nach dem Wie und Warum einer Handlungspraxis, die nicht wenige Beobachter als skurril, peinlich, überflüssig und bestrafungswürdig wahrnehmen, können durchaus, wie Raymond Bodenheimer (1985: 73) in seiner Studie zur »Obszönität des Fragens« festhielt, zu Erkenntnissen führen, die Gefühle der Ernüchterung, Bloßstellung und Beschämung auch bei denen hervorrufen, die andere durch ihre Selbstentblößung zu beschämen und vorzuführen trachten. Wenn im weiteren Verlauf unserer Studie über das Sportflitzen die Namen bekannter Störenfriede an der einen oder anderen Stelle auftauchen, erfolgt dies weder mit Verehrungs- noch mit Herabwürdigungs- und Bloßstellungsabsichten. Vielmehr sollen überindividuell 9

Soziologen erweisen sich auch dann als Störenfriede, wenn sie nicht nur die Transgressionen von Flitzern, Hooligans oder Ultras analysieren, sondern auch Akteure in den großen gesellschaftlichen Funktionssystemen auf Sabotageakte systemischer Codes hin beobachten, personalisierenden Deutungsmustern widersprechen und über die »brauchbare Illegalität« (Luhmann 1964: 304ff.) dieser Devianzen arbeiten: über Wahlfälschung in der Politik, Kartellabsprachen in der Wirtschaft, Betrug in der Wissenschaft, sexualisierte Gewalt in der Religion oder Dopingpraktiken im Spitzensport. In totalitären Gesellschaften machen sich Soziologen und Soziologinnen, die inkongruente Blicke auf die Machthaber und die dortigen Devianzen werfen, durch derartige Vorgehensweisen nicht nur verdächtig. Sie werden vielmehr beruflich aus dem Verkehr gezogen, psychisch und physisch attackiert und müssen, wenn sie dies verhindern wollen, oft das Land verlassen. Dies gilt auch für Whistleblower und investigativ arbeitende Journalisten und Journalistinnen, die über Korruption, Mafiakontakte, Drogenkartelle, Staatsdoping und sonstige illegale Geschäfte berichten. Sie werden erschossen, vergiftet, in die Luft gesprengt oder mit falschen Anschuldigungen ins Gefängnis geworfen, um das Reden über die weitverbreitete Devianz in diesen Milieus und Szenen zu unterbinden.

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ausgerichtete Aussagen über die Sozialfigur des Flitzers durch anschauliche Belegbeispiele und Kontextinformationen eine nachvollziehbare Konkretisierung erfahren. Personenbezogene Ausführungen sind analytisch einzubeziehen, weil sich Flitzer nach ihren Aktionen oft mit Namen und Bildern offensiv zu Wort melden und damit ausdrücklich auf sich und ihre Taten medial aufmerksam machen. Es ist deshalb wichtig, an ausgewählten Stellen das Allgemeine und Überindividuelle auf konkrete Personen und Ereignisse zu beziehen. Umgekehrt sind die Selbstbeschreibungen der Akteure als Datenquelle unverzichtbar, um vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen und die in männlicher und weiblicher Gestalt auftauchende Sozialfigur des Flitzers als Störenfried sportlicher Aktivitäten soziologisch zu modellieren. Abstraktion, Generalisierung und inkongruente Deutungen helfen dabei, auf Distanz zum konkreten Geschehen und zu real existierenden Personen zu bleiben. Um die Praktiken der Sportflitzer aus der Ecke des Marginalen und Kuriosen herauszuholen und als ein etabliertes Sozialphänomen ernst zu nehmen, werden wir in den ersten Kapiteln die Transgressionen in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht analysieren, mit denen Flitzer sowohl die Veranstalter als auch das Publikum provozieren und sich selbst unaufgefordert und unerwünscht in die kommunikative Sphäre des Sports hineinkatapultieren. Die Grenzüberschreitungen der Flitzer sollen so modelltheoretisch aus dem spezifischen Affizierungspotential des Spitzensports abgeleitet und interpretiert werden. Das Motto heißt: Ohne Medium keine Form! Eine umfangreiche Betrachtung der Individualisierungs- und Distinktionsstrategien, mit denen diese Störenfriede Besonderheit, Originalität und Ruhm jenseits ihrer aufmerksamkeitsfernen Alltagsrollen zu erreichen suchen, wird sich anschließen. Sportflitzer singularisieren sich, wie wir zeigen werden, nicht durch erworbene Bildungslizenzen, berufliche Erfolge und Karrieren in Organisationen. Sie glänzen vielmehr durch spektakuläre sportunspezifische Normverstöße, die sie in der Öffentlichkeit des Sports vollziehen. Die Serienflitzer, die bei den großen Sportevents auftauchen und Einzigartigkeit durch Mehrfachabweichung anstreben, werden uns in diesem Zusammenhang besonders interessieren. Denn

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sie sind es, die durch ihr provokantes Auftreten in der kommunikativen Landschaft der Gesellschaft typischerweise bildliche, tonale oder auch schriftliche Spuren hinterlassen, die zum verstehenden Nachvollzug einladen und deswegen in die soziologische Analyse einzubeziehen sind. Und wie reagieren Flitzer im Sport auf diejenigen, die mit gleichen oder ähnlichen Grenzüberschreitungen und Tabubrüchen auf sich aufmerksam machen, um die Gunst des Publikums buhlen und damit das Singularitätsbegehren des einzelnen Störenfrieds subtil hintertreiben? Da Transgressionen auf der Grundlage strafbewehrter Tabubrüche erklärungsbedürftig sind, beschreibt das Folgekapitel die typischen Narrative und Rhetoriken, mit denen Sportflitzer ihr Handeln gegenüber sich selbst und Außenstehenden legitimieren. Welche Motive führen sie für ihre Normbrüche und Auftritte an? Werden egoistische Gründe genannt oder wird das Flitzen sogar als altruistischer Dienst an einer Öffentlichkeit dargestellt, die sich durch Konformitätserwartungen oder auch Prüderie selbst ausbremst und den Gesellschaftsmitgliedern wichtige Lebendigkeitserfahrungen vorenthält? Im Anschluss werfen wir einen Blick auf die Huldigungen und Sanktionen, mit denen Sportflitzer in ihrem Handeln zu rechnen haben. Unterbrechungen des Wettkampfgeschehens werden nicht geduldet, sondern geahndet. Dies schließt allerdings, wie wir zeigen werden, Praktiken der sozialen Anerkennung innerhalb und außerhalb der Stadien nicht aus. Eine Reflexion über die auf Nacktheit und Selbstentblößung verzichtenden Hochstapler und »Photo Bomber« wird die Studie abrunden. Diese alternativen Störenfriede fallen paradoxerweise dadurch auf, dass sie zunächst nicht auffallen, sich in Situationen des Sports – meist bedeutsame Feste, Ehrungen, Wettkämpfe, Interviewsituationen oder Mannschaftsaufstellungen – klammheimlich einschleichen und so tun, als ob sie zum dortigen Sozialinventar gehörten. Ihr Kerngeschäft ist die Täuschung und die Simulation von Mitgliedschaft, Leistung und sozialer Bedeutsamkeit. Ihre Anwesenheit und Nähe zu den im Sportkontext Versammelten belegen sie später voller Stolz durch Fotos oder Filme, auf denen sie mit den Celebrities der Sportszene zu sehen sind. Durch die mediale Verbreitung ihrer Taten, in denen sie zudem auch als Witzbolde sportliche Wettkämpfe, Sinnprinzipien und Rituale stö-

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ren und die Begeisterung des Publikums ironisieren und persiflieren, sind einige von ihnen zu »Helden« des Internets geworden und haben nationale und internationale Berühmtheit erlangt. In unseren Schlussbetrachtungen werden wir die wichtigsten Erkenntnisse theoriegeleitet resümieren und durch generalisierende Einsichten ergänzen. Der Spitzensport wird im Lichte einer alternativen Deutung als ein Sozialsystem erscheinen, in dem Praktiken der Krisenbewältigung und Noterzeugung zwischen den konkurrierenden Parteien zur Normalität gehören, um eine Entscheidung zwischen Sieg oder Niederlage herbeizuführen (Bette 2019: 105ff.). Der eine wird dadurch zum Störenfried des jeweils anderen. Sportflitzer, die ihre Transgressionen in diesem auf Rivalität um ein knappes Gut, den sportlichen Sieg, ausgerichteten Milieu platzieren, betätigen sich insofern als Störenfriede zweiter Ordnung. Sie perturbieren eine regelbasierte Interaktionsordnung, die selbst auf Störung und Entstörung ausgerichtet ist und soziale Konflikte zum Amüsement eines Massenpublikums zur Aufführung bringt. Die Parasitologie von Michel Serres (1981) wird uns dabei helfen, die Grenzüberschreitungen im Kontext einer komplexen Akteurskonstellation einzuordnen, die vom Flitzer über den Spitzensport, das Publikum, Wirtschaft, Politik und Massenmedien reicht und im Zuge dessen auch die Errungenschaften und Kollateralwirkungen des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses in den Blick nimmt. Wir werden außerdem sondieren, inwieweit Sportflitzer mit analytischem Gewinn auch als »Trickster« angesprochen und durchleuchtet werden können. Analogieschlüsse bieten sich an, da Trickster in der Ethnologie und Kulturanthropologie als Sozialfiguren angesehen werden, die Grenzen überschreiten, einen Gestaltwandel vollziehen und Üblichkeiten durch Tabubrüche auf den Kopf stellen – und genau dadurch entweder die Bedeutung eingefahrener Routinen, die reflexionsfrei von Nutzern hingenommen werden, in einer subtilen Weise bestätigen oder durch Transgression auf den Bedarf an Neuerung und Innovation innerhalb einer Kultur hinweisen. Bei der Umsetzung dieser Analyseabsichten tut der soziologische Beobachter insgesamt gut daran, die Störungen der Sportflitzer weder in Bewunderung und Heldenverehrung noch mit Abscheu, Verachtung oder mit Lächerlich-

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keitsunterstellungen zu kommentieren. Auch Moralisierungen anhand der Differenz von Gut und Böse sind fehl am Platze, um vorschnelle und unterkomplexe Urteile zu vermeiden. Dem Lamento von einem allgemeinen Moralverlust oder einem weit verbreiteten Sittenverfall werden wir uns demnach nicht anschließen. Insgesamt haben wir uns in unserer Analyse der Sozialfigur des Sportflitzers von einem Diktum Siegfried Kracauers inspirieren lassen, der in seiner Soziologie der Dinge und des Visuellen über die Differenz von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit räsonierte und darauf hinwies, dass nicht das Dunkle und Verborgene, sondern gerade umgekehrt »das im hellen Licht Erstrahlende und Vorgezeigte« unsichtbar seien und erst sichtbar gemacht werden müssten (nach Schroer 2007: 14). Dies gilt in besonderer Weise, wenn Personen in der Teilöffentlichkeit des Sports auftauchen, bisweilen sogar ihre Kleidung ungeniert ablegen und sich dadurch sowohl den Athleten und Athletinnen als auch dem Publikum in einer brachialen Weise als Aufmerksamkeitsobjekte aufdrängen, ohne hierfür offiziell eingeladen worden zu sein. Mit dem Sport nutzen diese Störenfriede ein körper- und personenorientiertes Sozialsystem als Handlungsmedium, das nach dem Durchbruch des Strukturprinzips der funktionalen Differenzierung diesen grundlegenden Prozess der gesellschaftlichen Evolution seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit Verspätung nachholt. Der Sport konnte sich unter Rückgriff auf vormoderne Körper-, Spiel- und Bewegungspraktiken allmählich aus der diffusen Verschränkung mit anderen Sozialbereichen – vornehmlich Religion, Erziehung, Medizin, Politik und Militär – lösen, eigene Selbstbezüglichkeiten ausprägen und globale Inklusionsprozesse in Gang setzen. Er wurde dadurch nicht nur zu einer begehrten Referenzgröße für Wirtschaft, Politik, Massenmedien und Publikum, sondern rief durch seine spannungsgeladenen und zuschauerorientierten Konkurrenzinszenierungen auch eine Sozialfigur in männlicher und weiblicher Gestalt auf den Plan, die Wettkämpfe als die typischen Vollzugsepisoden des Spitzensports bewusst stört, um coram publico durch sachliche, räumliche, zeitliche und soziale Grenzüberschreitungen Subjektivierungsarbeit abzuleisten: den Sportflitzer.

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In den Stammeskulturen, die sich bis heute in den entlegenen Regionen Afrikas, Südamerikas und Asiens als Restbestandteile segmental differenzierter Gesellschaften halten konnten, ist eine komplexe, auf permanente Erneuerung abzielende Form der Bekleidung, wie sie in den spätmodernen Gesellschaften des Westens unter dem Einfluss einer eigenständigen Modeindustrie stattfindet, nicht vorfindbar. Wenn alle Energien darauf ausgerichtet sind, das physische Überleben im Hier und Jetzt abzusichern, finden Darbietungen, die mit der Differenz von Zeigen und Verhüllen spielen, nur im Rahmen seltener religiös geprägter Feste statt, in denen auch Rausch und Ekstase ihren legitimen gesellschaftlichen Platz finden.1 Insbesondere in den Hitze- und Wärmeregionen der Welt ist Voll- oder Teilentblößung im Alltag häufig anzutreffen. Alters- und geschlechtsspezifische Auflagen regulieren den Grad an sozial akzeptierter Nacktheit. Erst christliche Missionare vermittelten der indigenen Bevölkerung im Rahmen ihrer Bekehrungsversuche das Gefühl, dass Nacktheit insgesamt kein erwünschter Zustand sei, um sich in öffentlichen Situationen zu präsentieren. Kleidung wurde so zu einem Disziplinierungsmechanismus, um Fügsamkeit herzustellen. In gesellschaftlichen Kontexten, in denen traditionelle, oft religiös motivierte Verschleierungspraktiken und Entkleidungstabus bis heute das Handeln bestimmen, kann die intendierte Harmlosigkeit

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Das Verhältnis von Kunst, Mode und Alltagsbewältigung in gering differenzierten Gesellschaften beschreibt Hahn (2001: 40). Zum Thema Nacktheit in vergleichender Perspektive siehe Masquelier (2005).

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einer öffentlichen Nacktpräsentation drastische Konsequenzen hervorrufen. Wenn staatliche Ordnungsmächte entblößte Körperlichkeit sogar mit dem Tode bestrafen, fallen die Kosten einer möglichen Fehldeutung der Nacktheit hoch aus. Aber auch in den modernen Gesellschaften des Westens kann der nackte Körper trotz fortschreitender Erotisierung öffentlicher Räume durchaus noch provozieren. Das Signalhafte der öffentlich präsentierten Entblößung real anwesender Körper erfolgt auch hier vor dem Hintergrund der allgemein zugänglichen Erfahrung, dass Individuen im öffentlichen Austausch üblicherweise bekleidet aufzutreten haben. Der gänzlich Entblößte oder nur marginal Bekleidete parasitiert damit am verhüllten Status seiner sozialen Mitwelt insofern, als er sich bewusst und radikal vom Mainstream der Bekleideten abgrenzt. Nacktheit ist, so wird deutlich, das Ergebnis sozialer Handlungskalküle.2 Reaktionen auf entblößte Körperlichkeit fallen deshalb kontextabhängig aus und weisen im Anwesenden auf das Abwesende hin. In Gesellschaften, in denen nackte oder teilbekleidete Körper im öffentlichen Raum bereits durch Werbung oder Mode des Öfteren präsent sind oder in sozialen Bewegungen als Beweise für Natürlichkeit, Authentizität und Gesundheit angesehen werden, markiert öffentlich präsentierte Nacktheit einen deutlich geringeren Unterschied als in Gesellschaften, in denen repressive Moralvorstellungen und körperorientierte Prüderie das öffentliche und private Leben maßgeblich bestimmen. Die spontane Erscheinung eines Nacktflitzers in Sportstadien und Arenen irritiert, weil das Sportpublikum im Zeitalter fortgeschrittener Zivilisierung auch im Spitzensport nicht auf die ungeschminkte Beobachtung von Nacktheit eingestellt ist. Entblößung findet üblicherweise in Sphären von Privatheit und Intimität statt. Bei Betrachtung des eigenen Körpers sowie bei der Entkleidung in Anwesenheit des männlichen oder weiblichen Sexualpartners sind die ansozialisierten Hemmschwellen aufgrund von Vertrauen, Liebe und Gewohnheit weitgehend abgebaut. Intimitätserwartungen hingegen werden in 2

Zur rhetorischen Kraft des nackten Körpers in öffentlichen Räumen siehe die Ausführungen von Lunceford (2012).

1 Nacktheit und Schamlosigkeit

Situationen dieser Art aufgebaut. Darüber hinaus bestehen gesellschaftliche Sonderzonen wie Duschräume, Saunalandschaften oder andere Bereiche der sog. »Freikörperkultur«, in denen prinzipiell erwartbare Scham- und Peinlichkeitsgefühle durch subtile Mechanismen und Übereinkünfte zwischen den Anwesenden eine Auflockerung erfahren.3 Außeralltägliche Temperaturverhältnisse sowie der Zielbezug der Körperreinigung und des Schwitzens mitsamt den damit verbundenen Gesundheits- und Natürlichkeitskonzepten reduzieren im Bereich der Körperentblößung die Hemmschwelle der Präsentation von Nacktheit. Auch Phasen einer zwischenzeitlichen Verhüllung tragen dazu bei, dass Missverständnissen in der Deutung des Geschehens vorgebeugt wird und mögliche Intimphantasien in den psychischen Umwelten der Dusch- und Schwitzgemeinschaft verbleiben. Nur die Gedanken sind frei. Zudem existiert in diesen Sonderbereichen der Körperpflege und Körperpräsentation eine formale Regelung der Nacktheit, die lediglich die Verwendung von Bademänteln und Handtüchern zulässt. Frauen in Badeanzügen oder Männer in Unterhosen werden in nacktorientierten Situationen deshalb mit bösen Blicken abgestraft oder sogar verbal über Entblößungserwartungen informiert. Derartige Verhüllungsaccessoires rufen vor allem in Erinnerung, dass man sich schämen könnte. Der französische Soziologe JeanClaude Kaufmann (1996) hat in einer ethnographischen Studie über das Verhalten von Badenden an französischen Stränden ausführlich beschrieben, dass Hemmschwellen und Schamgrenzen in diesen Randzonen vermeintlicher Freiheit, Offenheit und Natürlichkeit nach wie vor subtil wirken und keineswegs gänzlich entfallen sind. Die Offenbarung nackter Frauenbrüste macht den Weg in Richtung auf Indifferenz gegenüber verbreiteten Konventionen keineswegs frei. Sie schränkt den

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Zur Soziologie der Scham siehe Neckel (1991). Zur Zivilisationstheorie des Schämens siehe die klassische Studie von Elias (1939). Kontroverse Argumente liefert Duerr (1988–2003). Die kommunikative Konstruktion von Peinlichkeit analysiert Döring (2015).

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Umgang zwischen den Geschlechtern bisweilen sogar zusätzlich ein.4 Das Auftauchen eines weiblichen Torsos im Blickfeld des männlichen Auges resultiert in Verhaltensnormen aufseiten der Frau, das horizontale Liegen und armmäßige Verbergen im Vergleich zum aufrechten Stehen oder Laufen zu bevorzugen. Komplementär entstehen rigide Blickregeln, denen sich die beteiligten männlichen Anwesenden zu unterwerfen haben. Wer mit »gefräßigen Augen« (Mattenklott 1981) weibliche Körperpartien auffällig lange anstarrt, setzt sich unweigerlich dem Risiko aus, als Spanner wahrgenommen und entsprechend kommentiert zu werden. Im Sport nutzen Nacktflitzer eine Sphäre der Öffentlichkeit, die durchaus einen semi-erotisierten Charakter aufweist (Jirasek/Kohe/ Hurych 2013; Guttmann 1996: 75ff.; Miller 2001). Schließlich hat sich der Sport im Laufe der soziokulturellen Evolution als ein Handlungsfeld ausdifferenziert, das im Kontrast zur gesteigerten Körperdistanzierung der Moderne eine anachronistische Gegenwelt darstellt (Bette 1989), in der Formen der freizügigen Körperpräsentation und Körpernutzung routinemäßig erlaubt sind und auch erwartet werden, die in anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern aufgrund rigider Dresscodes eine scharfe Sanktionierung erfahren. Während der Körper in Prozessen der Zivilisierung, Technisierung, Medialisierung oder Digitalisierung immer stärker diszipliniert, kontrolliert, entlastet oder auch gänzlich zum Schweigen gebracht worden ist, steht er insbesondere im Spitzensport im Mittelpunkt des Geschehens. Im Ringen um Sieg und Niederlage werfen Athleten und Athletinnen ihre Körper in einer sportartspezifischen Spezialbekleidung ins Kräftefeld einer künstlich hergestellten und organisatorisch ermöglichten Krisen- und Notsituation, die nicht nur auf die Erbringung komparativ messbarer Leistungen ausgerichtet ist, sondern auch auf die Beobachtung der Leistungsträger im Vollzug ihres korporalen Handelns. Die Funktion des Sports besteht nicht zuletzt in der Wiederversammlung und kontrafaktischen Darstellung marginalisierter Körperlichkeit unter den Bedingungen der modernen 4

Ein illustres Beispiel hierzu liefert die Kurzgeschichte »Der nackte Busen« von Italo Calvino (2007).

1 Nacktheit und Schamlosigkeit

Gesellschaft – wobei nach wie vor die Prämisse gilt, dass sportliche Leistungen auf natürlichem Weg erbracht werden sollen. Der Sport stellt somit das einzige gesellschaftliche Funktionssystem dar, in dem der Körper zum Zwecke der Leistungssteigerung systematisch mit Rekord- und Erfolgsabsichten bis in den biologischen Grenzbereich hinein trainiert und belastet wird, um die so gesteigerte Körperlichkeit anschließend in konkurrenzorientierten und seriell hergestellten Sondersituationen den Blicken von Beobachtern auszusetzen. Das gesellschaftliche Inklusionsangebot des Sports beschränkt sich demnach nicht nur auf die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am sportlichen Trainings- und Wettkampfbetrieb. Für die breite Masse besteht die Möglichkeit einer passiven Teilhabe als Zuschauer, Hörer, Leser oder engagierter Fan. Die teilentblößte Körperlichkeit von Athletinnen und Athleten, die den gesellschaftlichen Diskurs über Schönheit und Attraktivität durch ihre Vorbildwirkung wesentlich bestimmt, stellt ein schlagkräftiges Argument im Werben um die Gunst potenzieller Zuschauer dar. Die ästhetisch-freizügige Präsentation durchtrainierter Männer- und Frauenkörper im Sport gehorcht primär funktionsspezifischen Überlegungen. Enganliegende, direkt auf der Haut getragene Sportkleidung aus Sondertextilien dient zum einen dem Prinzip der Leistungssteigerung, indem sie beispielsweise die Bewegungsfreiheit der Gliedmaßen erhöht, den Schweiß direkt nach außen abtransportiert und häufig auch »atmungsaktiv« und temperaturregulierend wirkt. Überdies stellt sie die bessere Sichtbarkeit und Bewertbarkeit der Leistung sicher und folgt in dieser Hinsicht dem Fairnessprinzip sowie dem Regelwerk einer Sportart. Nur wenn die Feingliedrigkeit der Bewegungen beim Turmspringen auch im Detail beobachtbar ist und das Überqueren der Brust auf dem Zieleinlauffoto haargenau abgebildet wird, können Sieg und Niederlage legitimerweise voneinander unterschieden werden. Die Avantgarde der Leichtbekleideten im Sport bedient nichtsdestotrotz ein durchaus vorhandenes voyeuristisches Begehren (Bette/Schimank 1995: 78f.). Im Sport bekommt das Publikum etwas zu sehen, was es ansonsten so nicht zu sehen bekommt. In Anlehnung an die Ausführungen von Jean-Paul Sartre (1991: 467ff.) erhält der Sportzuschauer im Rahmen seiner Publikumsrolle eine privilegierte

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Position am Schlüsselloch: Er kann sehen, ohne als Voyeur oder Spanner negativ gebrandmarkt werden zu können. Denn der einzelne kann stets vorgeben, eigentlich wegen des sportlichen Geschehens anwesend zu sein, und sich so auch vor sich selbst legitimieren. Die modische Darstellung der beobachteten Körper und deren Inszenierung in Posen und Bewegungsabläufen zeichnen sich häufig durch eine besondere Freizügigkeit aus, wie man sie in der Öffentlichkeit ansonsten nur selten antrifft. In einigen Sportarten wie dem Beachvolleyball stellen supranationale Verbände in ihrem Regelwerk sogar die Erwartbarkeit nackter Haut sicher und machen Prüderie durch Androhung von Teilnahmeverboten und Strafzahlungen unwahrscheinlich.5 Dass einzelne Turnerinnen der deutschen Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokyo dazu übergegangen sind, ihre Wenden, Salti und Spreizübungen in Ganzkörperanzügen vorzutragen, bestätigt diese Beobachtung – weist dieses Verhüllungsbegehren doch auf ein Reflexivwerden der Athletinnen in Bezug auf jene eindringlichen Blicke hin, mit denen sie ansonsten im Wettkampf zu rechnen haben. Die sportliche Darstellung durchtrainierter Athletenkörper lässt allerdings kaum Spielräume für eine unverhüllte Präsentation primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale. Nur in seltenen Ausnahmefällen lassen einzelne Sportler gänzlich ihre vestimentären Hüllen fallen, um ihre entblößten Körperpartien im Rahmen obszöner Jubelgesten in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Exzesse dieser Art gehen gerade aufgrund ihrer Seltenheit in die Annalen des Sports ein. Sportorganisationen schreiben die erlaubten Formen der Körperpräsentation im Regelwerk penibel fest und halten ihren Verhaltenskodex durch Strafandrohungen strikt und unmittelbar aufrecht. Schiedsrichter werden im Fußball von Verbandsseite dazu angehalten, jene allzu fröhlichen Spieler direkt zu verwarnen, die ihren Torjubel dadurch zu steigern trachten, dass sie sich das Trikot vom Leib reißen und mit nackter Brust vor Kameras

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Das Verhältnis von Prüderie, Scham und Nacktheit analysieren Till (1998) und Bologne (1999).

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und Fankurve in Pose werfen.6 Die Entblößung des Oberkörpers bewertet das Regelwerk als überschüssige Freude und unangemessenes Verhalten jener Sportler, die sich allzu weit »vom Spiel jenseits des Spiels« (Bourdieu 1976: 143) haben davontragen lassen. Die Regeln besagen in der Mehrzahl der Sportdisziplinen, dass auch Männerbrüste durch Trikots zu bedecken sind. Die Nutzung der Sportöffentlichkeit durch Nacktflitzer lässt sich vor diesem Hintergrund als ein Akt der demonstrativen Unzivilisiertheit interpretieren. Denn Zivilisiertsein bedeutet nicht zuletzt, »mit anderen so umzugehen, als seien sie Fremde« (Sennett 2000: 336) und sie »mit der Last des eigenen Selbst zu verschonen« (ebd.: 335). Flitzer können, so gesehen, als Tyrannen der Intimität in Sphären der Öffentlichkeit gelten. Sie suchen Gelegenheiten zu einem taktlosen Verhalten, um zumindest kurzfristig die Grenzen sozialer Regeln zu überschreiten, einen Raum sozialer Unbeschwertheit zu eröffnen und Momente des befristeten Losgelöstseins von Konventionen zu genießen. Die Grenzüberschreitung des Flitzenden verweist dabei auf ein Spiel mit dem Gefühl der Scham. In Anlehnung an Theodor W. Adornos (2003: 32) Ausführungen zur Lüge müsste Flitzen als »Technik der Unverschämtheit« verstanden werden – insofern Scham als ein soziales Medium wirkt, das Impulsen der überschießenden Selbstpräsentation prinzipiell entgegenwirkt, vorhandene Kontingenz beschränkt und in besonderer Weise auch die »Unmoral am anderen« (ebd.) einhegt. Beschämende Situationen vermitteln zudem einen Verlust an Selbstwert, Ehrgefühl und Reputation in den Augen der anderen (Taylor 1985: 54). Das in der Scham wahrgenommene Ungenügen macht deutlich: »Ich bin nicht so, wie ich sein sollte!« Im Falle des Flitzens aber begibt sich eine Person 6

Vergleiche hierzu die Ausführungen von Turner (2012: 13): »In 2004, FIFA’s clarification of Law 12 led to the introduction of a yellow card for players who removed their jersey after scoring a goal. Throughout the 1980s, it was often seen as unsportsmanlike behaviour for a player to remove their jersey when celebrating scoring a goal. However, this clarification now made it punishable. Under the section ›Additional Instructions for Referees and Assistant Referees‹, the Laws clearly state: ›Removing one’s shirt after scoring is unnecessary and players should avoid such excessive displays of joy.‹«

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aktiv, bewusst und mit breitem Grinsen in ein Verhängnis, das die übrigen Zuschauer um jeden Preis zu vermeiden trachten würden. Durch die Selbstwahl der Situation drehen Flitzer den haltgebenden Spieß sozialer Konventionen um und nutzen den naheliegenden Selbstverlust für einen sichtbaren Individualisierungsgewinn. Indem sie mit den primären und sekundären Merkmalen ihres Geschlechts öffentlich in Erscheinung treten, geben sie in einer Umkehrung der »prometheischen Scham« (Anders 1987: 24) zu erkennen: »Ich bin so geworden und ich will so sein!«7 Vielleicht vermitteln sie in Anbetracht eines »Evidenzschwunds der großen Erzählungen« (Gumbrecht 1988: 917) und der rigiden Zurichtung des Subjekts in der Organisationsgesellschaft sogar eine letzte Gewissheit: »Ich bin nackt, also bin ich!« Auch deshalb reagiert das anwesende Sportpublikum nicht primär mit Empörung auf die Flitzer, sondern quittiert deren »nu jubilatoire« (Barthe-Deloizy 2003: 124) oft mit Johlen, Gelächter und Beifall – manchmal auch mit einem mitleidigen Lächeln, wenn das, was gezeigt wird, unterdurchschnittlich ausgeprägt ist oder dominanten Schönheitserwartungen eklatant widerspricht. Selbst dort, wo Flitzer noch auf Restbestandteile von Kleidung zurückgreifen und im strengen Sinne lediglich nur von einer Teilentblößung zu sprechen ist, heben Baseballcaps, Fanschals, Umhänge, Nationalflaggen, Schutzhelme, geringelte Socken oder Tennisschuhe den Verstoß gegen bestehende Kleidungsvorschriften nicht wirksam auf. Vielmehr verstärken sie die symbolisierte Devianz, indem sie die Kontingenzseite der Unterscheidung bekleidet/unbekleidet in einer alternativen Weise markieren. Sportflitzer verzichten durch ihre Entkleidung auf ein zentrales Präsentationsmittel von Individuen im öffentlichen Austausch. Kleidung und Mode dienen üblicherweise der vestimentären Kommunikation (Bohn 2000) und Aufrechterhaltung mikrosozialer Ordnungen (Entwistle 2000: 324). Sie kommen als Zeichen- und Stichwortgeber zur

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Als »prometheisch« bezeichnet Anders die Scham des in Anbetracht der Perfektion der Apparate und Maschinen antiquiert erscheinenden Menschen, der nicht gemacht, sondern geworden ist.

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wortlosen Informationsvermittlung über die verhüllte Person zum Einsatz. Durch Enthüllung streifen Flitzer im Stadion oder auch in anderen Sporträumen ihre vestimentäre Loyalitätsbekundung gegenüber den wettkämpfenden Sportlern und Mannschaften ab und reduzieren ihr Erscheinungsbild auf eine überschaubare und schnell wahrnehmbare Anzahl körperbezogener Differenzen: jung/alt, dick/dünn, Mann/Frau, stramm/schlaff, hübsch/hässlich, klein/groß, langsam/schnell oder sportlich/unsportlich. Im Kontext einer soziologischen Analyse des Sportflitzens kommt der Betrachter nicht umhin, jenseits dieser Differenzen besonderes Augenmerk auf die Inszenierung und Zensur geschlechtsspezifischer Körperpartien zu legen. Der männliche Phallus erregt im Rahmen einer öffentlichen Präsentation besonderes Aufsehen und avanciert bis heute zu einem Skandalobjekt par excellence. »Even today«, so Barcan (2004: 184), »reverence for the male nude derives in large part from reverence of the phallus.« Nackt ist der Phallus nicht nur im erigierten Zustand sichtbar, sondern auch im Modus der Ruhe. Wohl auch deshalb wird diesem Genital häufig eine exponierte Stellung in den Hierarchien der Geschlechterordnung zugeschrieben. In besonderer Weise hat die Psychoanalyse nach Sigmund Freud und Jacques Lacan dieses »Symbol der Symbole« (Bischoff 2001: 298) zum »Angelpunkt der Theoriebildung« (ebd.: 300) gemacht und sich den phallischen Formen mit ihren sozial durchschlagenden und psychopathogenen Wirkungen auf beiden Seiten der Geschlechterdifferenz gewidmet. Litten Jungen vor allem in der ihnen unterstellten »phallischen Phase« an einer »Kastrationsangst«, wird der Mädchen- und Frauenpsyche hingegen zeitlebens ein unbewusster »Penisneid« zugeschrieben (vgl. hierzu Gay 2006: 581ff.). Auch der vielzitierte »Ödipuskomplex« gehe auf den Vater zurück, der »zeigt, dass er den Phallus hat« (Hammermeister 2008: 54) und das Kind auf diesem Weg mit der symbolischen Ordnung der Dinge konfrontiert. Nicht zufällig jedenfalls unterliegt das männliche Glied im Vergleich zur weiblichen Brust oder zum Gesäß an sich, das bei der durchaus nicht

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seltenen Praxis des sogenannten »mooning«8 konsequent freigelegt wird, einer verstärkten Zensurpflicht, die viele Sportflitzer internalisieren und im Sinne einer Selbstzensur übernehmen.9 Auch in der Vielzahl US-amerikanischer Werbespots, in denen Flitzer ihre Runden drehen, unterliegt der Genitalbereich einer scharfen sozialen Kontrolle. Entsprechende TV-Commercials inszenieren »Streaker« im Allgemeinen sowie Sportflitzer im Besonderen folglich nicht als Sozialfiguren eines Patriarchats, die ihr Herrschaftsgebiet mit hegemonialer Männlichkeit abstecken und verteidigen, sondern als kindliche, tendenziell bemitleidenswerte Fälle einer »incomplete masculinity« (Alperstein 2010b), die sich selbst öffentlich bloßstellt und deshalb auch in Stadien und Arenen von hypermaskulinen Athleten unsanft zu Boden gebracht wird. Die Funktion der Phalluszensur scheint in diesem Zusammenhang darin zu bestehen, dem Skandalösen, Animalischen und sexuell Eindeutigen die Bedrohlichkeit zu nehmen. Bei manchen Flitzern wird allerdings gerade diese Tendenz zu einer symbolischen Grenze, deren selektives Überschreiten Distinktionsgewinne ermöglicht. Während Exhibitionisten Gefahr laufen, eine unmittelbare und juristisch relevante Reaktion bei denen hervorzurufen, die sie durch ihre Auftritte schockiert und eventuell auch traumatisiert haben, müssen Flitzer, die sich komplett entblößen, zunächst die Lacher und Empörungsverweigerer auf ihre Seite bringen, bevor sie die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen haben. Momente der Selbstparodie lassen sich deshalb bei Sportflitzern

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Beim »mooning« handelt es sich um eine Provokation der Beobachter durch Entblößung des eigenen Hinterteils. Um die anschließende Konfrontation mit den unfreiwillig rekrutierten Beobachtern zu vermeiden, findet »mooning« häufig vor vorbeifahrenden Zügen oder auf dem Rücksitz von Autos statt. Zum Vorzeigen des entblößten Hinterteils als nicht sexuell motivierte, aber obszönaggressive Demütigungs- und Entwürdigungsgeste siehe Stähli (2001: 255). Diese Beobachtung wird durch die unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen bestätigt, die im Falle weiblicher bzw. männlicher Entblößung im öffentlichen Raum jeweils drohen: »indeed, female streaking is defined as a ›public order offence‹, while the ›flasher‹, by comparison, can be punished for ›indecent exposure‹.« (Entwistle 2000: 324) Siehe ausführlicher hierzu unsere Ausführungen im Kapitel zur Huldigung und Sanktionierung des Flitzens im Sport.

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schnell finden. Mark Roberts beschwichtigte entrüstete Polizisten im Hongkonger Stadion (»You crazy, you crazy, you’ve got big penis!«) durch eine Abklärung ihrer Aufklärung: »No, man, just have a look at the size of that.« (Bought the T-Shirt 2011: 12:53) Beim legendären Auftritt von Michael O’Brien 1974 verwies Constable Bruce Perry stellvertretend auf die ohnehin überschaubare Größe dessen, was nicht zensiert wurde: »It was a cold day and he had nothing to be proud of.« (zit. in Sheridan 2017: 102) In der sozialen Schwerelosigkeit des Sports und vor großem Publikum markieren somit auch »men flashing their sausages« (ebd.: 3) noch den entlastenden Unterschied: »Das kann der nicht ernst meinen!« Die Enthüllung des weiblichen Busens führt demgegenüber zur Entstehung einer anders gearteten »Erregungsgemeinschaft« (Sloterdijk 1998: 30). Aufgrund eines »erotischen Privilegs« (Baudrillard 1982: 161) des weiblichen Körpers provoziert dessen Entblößung keine größere Empörung. Im Gegensatz zur Protestnacktheit für die Emanzipation der Frau oder gegen Massentierhaltung und Billigfleisch führen weibliche Flitzer zwar Momente der Freiheit theatralisch auf; sie distanzieren sich dabei jedoch zumeist nicht von den etablierten Geschlechterordnungen und zeigen ostentativ den auffälligsten Teil des weiblichen Körpers. Auch deshalb bleiben die Brüste meist unbemalt und sollen für sich sprechen. Der Busen der Flitzerin ist eher Form als Medium. »Doing sex, not gender!« Das Entblößungsereignis ordnet sich damit in das Raster hegemonialer Männlichkeit ein, in welcher – der Feministin Susan Brownmiller (1987: 36) zufolge – junge Mädchen schon früh lernen und auf Dauer begreifen müssen, »selektiv großzügig mit Brüsten umzugehen« oder sogar, dass die Brüste der Frau »allen gehören«. Kein Wunder, dass insbesondere »angry feminists« (Sheridan 2017: 127) auf die Barrikaden gehen, wenn diese Praxis salonfähig zu werden droht. Flitzerinnen liefern Argumente für diese These. Die bekannten Reduktionen auf die physisch-sexuellen Ausprägungen ihrer Körper sowie die Anonymisierung und Objektivierung der Frau tauchen sogar in ihren Selbstdeutungen auf. So erklärte sich Erika Roe die breite Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde, mit klaren Worten: »I was a lolloping old elephant. But there we go, the Brits are very into big boobs.« (Mirror: 25.3.2016) An den Auftritt Erika Roes angelehnt schrieb eine

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Eventagentur folgendes Gesuch in zahlenbasierter Verschlüsselung: »Wanted: 42-inch chested girl for half-time entertainment. No experience necessary.« (zit. in Sheridan 2017: 126) Die erotische Qualität einer nackten Laufeinlage vor großem Publikum ermöglicht den Erwerb eines »erotischen Kapitals« (Hakim 2010), das zwar Inklusionsbarrieren gegenüber bestimmten Berufsfeldern aufbaut, aber Karrierechancen in anderen Gesellschaftsbereichen, insbesondere in den Boulevardmedien und in der Werbung, eröffnet. »Toplessness« erweist sich dann als »Sprungbrett« auf knappe soziale Positionen und eröffnet finanziell lohnende Präsentationschancen. So resultierte der Auftritt Erika Roes nach ihrem Flitzerlauf im Jahre 1982 in einer Anfrage des »Playboy« zur medialen Veröffentlichung weiterer Körperteile in lasziven Posen. Der ehemaligen Cricketspielerin Sheila Nicholls wurde nach ihrem Nacktauftritt auf dem Cricketfeld vom »Penthouse« angeblich eine sechsstellige Summe angeboten, zudem konnte sie Reputationsgewinne für eine Karriere als Sängerin verbuchen. Auch Lisa Lewis, »serial streaker« aus Neuseeland, profitierte von der kollektiven Aufmerksamkeit, nahm eine Stelle als Oben-ohne-Nachrichtenmoderatorin (Busted Coverage: 7.5.2008) an und zählt bis heute zum Kandidatinnenkreis für einschlägige Reality-Shows (Daily Mail online: 29.3.2018). In der neuseeländischen Stadt Hamilton mit immerhin etwa 165.000 Einwohnern (Stand 2017) versuchte sie im Jahr 2019 ihr erotisches Kapital in politische Macht umzumünzen und ließ sich bei der Bürgermeisterwahl aufstellen (Laddible: 16.9.2019). Die amerikanische Pornodarstellerin Brittney Skye entblößte sich bei den »Golf US Open« und tätowierte sich die Werbung eines Online-Casinos auf ihre Brust. Sie vollzog damit weniger einen Passageritus zum Beginn einer pornographischen Karriere, sondern nutzte diese »great opportunity to get some exposure and be part of a new marketing trend« (AVN: 18.6.2003). Wo der weibliche Körper mit seinen impliziten Botschaften bewusst nicht für sich sprechen und erst recht kein erotisches Kapital akkumulieren oder sonstwie sexuell animieren soll, begleiten und bekleiden Flitzerinnen ihre öffentliche Präsentation mit Worten und supercodieren damit ihre Körperoberfläche. Der Beobachter bekommt dann eine Reihe von Mitteilungen zu sehen, die direkt auf die Haut aufgetragen

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wurden. Außerhalb der Sinnsphäre des Sports ließ sich dieses Phänomen bereits auf Demonstrationen von Tierschutzaktivisten beobachten, die sich öffentlich als »Fleisch« inszenieren, sowie wiederkehrend in der Frauen- und Emanzipationsbewegung – vor allem als Strategie im Rahmen des »Femen«-Aktivismus. Die Paradoxie dieser hochgradig voraussetzungsvollen korporalen Intervention besteht darin, dass Frauen die irritierende Wirkung des nackten Busens im öffentlichen Raum instrumentalisieren, um kritisch auf die allgegenwärtige Sexualisierung weiblicher Körperpartien hinzuweisen und die Suprematie männlicher Blicke als gesellschaftlichen Normalzustand zu stigmatisieren. »Brüste erregen Aufmerksamkeit«, so Brownmiller (1987: 35). In einer Art Aikido der Blicke wollen Frauen, die sich als sexualisiert beobachtet fühlen, die Beobachter mit ihren eigenen Waffen schlagen und zu einer Beobachtung zweiter Ordnung provozieren. Um den Automatismus der unterstellten Lustobjektivierung aufzubrechen und die paradoxe Geste zu entparadoxieren, sollen auf den Körper aufgetragene Botschaften Klartext sprechen. Es gilt, den weiblichen Torso durch diese Verweise zu entsexualisieren und zu einem Symbol der Authentizität in uneigentlichen Weltverhältnissen zu machen. Über Rundungen wölben sich dann allerlei Friedenssymbole, Freiheitssemantiken, Anti-NaziParolen, religionskritische Statements, Menschenrechtsüberzeugungen oder ganz einfache Erläuterungen: »I am a woman, not an object!« Ähnliches passierte Anfang Juli 2021 im Rahmen einer Berliner FahrradDemo, in der für ein universelles »Oben-ohne-Recht« aller Geschlechter beim Sonnenbaden protestiert wurde. Hier lautete das Motto: »I am not your porn!« Oder sogar: »Boobs have no gender!« In solchen und ähnlichen Aktionen nobilitieren männliche und weibliche Aktivisten die Schriftsprache gleichsam zum Büstenhalter der Situation. Mehr noch soll deutlich werden: »Der Schein trügt«. Über Evidenzen muss wieder gesprochen werden, da das evident Sichtbare offensichtlich nicht für sich selbst zu sprechen vermag. Auch Sportflitzer platzieren auf den von ihnen präsentierten Körperpartien immer wieder explizite Botschaften. Allerdings werden die »soziale Harmlosigkeit« und die »sekundäre Bedeutsamkeit des Sports« (Bette 1989: 216ff., 2019: 183ff.) im Kontext einer funktional differenzier-

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ten Gesellschaft nicht immer für Kommunikationen der Hoffnung auf Weltfrieden, Gewaltfreiheit, Diversität und eine nachhaltige Klimawende genutzt. Wenn Flitzer nicht gerade für Pornoseiten, Sexplattformen und Wettanbieter werben, senden sie Mitteilungen, die auf die eigenen Körperteile oder die soziale Umwelt des Sports verweisen. Häufig greifen sie dann im Sinne einer Kontextzitation etablierte Sportsemantiken auf und verfremden sie in einer humorvollen Weise. Obszöne Verweise verstärken bisweilen die Materialität der Kommunikation. Im Golfsport deutete ein Pfeil auf dem Rücken eines Flitzers den Weg nach unten zum »19. Loch«.10 Auf dem Tenniscourt wurde die Zensur der eigenen Gonaden durch ein weißes Kleidchen mit der Frage »New Balls?!!«11 kommentiert oder die Testimonialwerbung einer bekannten Tennisspielerin für einen Sport-BH karikiert: »Only the Balls Bounce«.12 Über das Hinterteil hinweg wird vereinzelt »explicit content« ohne impliziten Sportbezug kommuniziert: »No Entry« (Mills 1995: 4:38). In Pandemiezeiten thematisieren Flitzer sogar den Lockdown, verfremden ihn und stellen eine Verbindung zum Genitalbereich her: »Lock this down!«13 Bereits Anfang der 2000er Jahre resümiert Barthe-Deloizy (2003: 126): »Il est imposible de citer toutes les formules inscrites à même les corps.« Auch der symbolische Tausch des Feigenblatts gegen Artefakte des Sporttreibens ist ein gängiges Stilmittel, um die Welt des Sports ironisch zu kommentieren. Den Schambereich verdecken dann Torwarthandschuhe, luftentleerte Fußbälle, Baseballmützen, ein Ballettkleid und vieles mehr. Flitzer verzichten bisweilen auch auf Zitationen dieser Art und greifen dehumanisierend auf Fuchsmasken, Affengesichter, Plastiktruthähne und sonstige Kuriositäten zurück. In 10

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Mit dieser rhetorischen Erweiterung des Golfkurses in die unteren Körperregionen schaffte es Roberts bis auf die Titelseite einer Sammlung humorvoller Anekdoten über die Welt des Golfsports (vgl. Gallacher 1996). Das Bild ist auf der Homepage »thestreaker.org« von Mark Roberts unter der Rubrik »Dutch Open 2006« zu sehen. Auf Plakaten und Transparenten stand damals die russische Tennisspielerin Anna Kournikowa für eine familienähnliche (Werbe-)Botschaft Modell: »only the ball should bounce«. Siehe den Beitrag »Budapest« auf dem Instragram-Kanal des »streakerking«.

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Einzelfällen weisen sie auf biologische Triebtheorien hin und bringen einen genitalen Eigensinn zur Sprache: »›The Balls‹ made me do it.«14 Auch die zur Schau gestellten äußeren Körperformen und Rundungen markieren regelmäßig kommunikativ nutzbare Unterschiede. Vor allem männliche Flitzer stellen oft eine Körperlichkeit durch Selbstentblößung zur Schau, die im Hinblick auf die physisch-organischen Erfordernisse der jeweiligen Sportart als dysfunktional erscheint und gerade dadurch bewusst auf Distanz zu bestehenden korporalen Schönheits- und Funktionsidealen geht. Auf entblößten Bäuchen finden sich dann sprachliche Hinweise auf Körpereigenschaften, die den körperlichen Modell- und Idealvorstellungen des Sports eklatant widersprechen. Das sportliche Weltereignis »Super Bowl« wird dann zum »Super Bowel« umettiketiert. Die ergebnisoffene Konkurrenz zwischen zwei Football-Teams um die sogenannte Weltmeisterschaft im American Football nutzen Flitzer dann für die Präsentation korporaler Entgleisungsgeschichten in einem hypermaskulinen Milieu. Als »not very shapely« (Sheridan 2017: 60) wurde die Hüllenlosigkeit Michael Angelows auf dem »Lord’s Cricket Ground« fernsehöffentlich kommentiert. Erika Roe lies zwar viele Hüllen fallen, steckte sich vor ihrem »Streak« jedoch eine ganze Reihe Zigaretten an und trug somit neben ihrer bloßen Körperlichkeit nicht zuletzt einen wenig sportiven Lebensstil zur Schau. Matt Chatham, der einstige Linebacker der New England Patriots, beendete Mark Roberts Auftritt beim Super Bowl durch ein unsanftes Tackling und fand, der Flitzer habe ausgesehen wie ein »sack of mashed potatoes« (zit. in Chatabix 2022: 39:15). Im schlimmsten Fall werden Figur und körperliche Erscheinung des Flitzers in aller Öffentlichkeit mit einem Hippopotamus oder Homer Simpson verglichen (Herald Sun: 19.7.2013). Für Mark Roberts (ESPN 2015: ab 3:55) besteht allerdings die Legitimation des Flitzens nicht zuletzt darin, keinen guten Grund zur ästhetischen Körperpräsentation zu haben: »I am not very well-endowed. I haven’t got a lovely body. If I was well-endowed,

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Das Beweisfoto findet sich in der Bilderserie mit dem Titel »Jö schau, a Nackerter!« von news.at vom 24.5.2013.

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usable body, I’d be a poser. And I wouldn’t have to run. I’d just stand there. But I’ve got to run fast because my body’s a mess.« Die Distanz zu dominanten Schönheitserwartungen und die bewusste Demonstration körperlicher Unbeholfenheit verstärken Flitzer dadurch, dass sie keine mühsam einstudierten Choreographien vorführen – auch wenn sie dies später behaupten. Im Turmspringen endete Ron Bensimhons Sprung vom 3-Meter-Brett in einer misslungenen Bauchlandung. Und auch für die von Sander Latingas nackt präsentierte Radwende beim Viertelfinale von Wimbledon 2006 zwischen Maria Sharapova und Elena Dementieva, die er für die BBC-Show »Try Before You Die« aufführte, entsprach keiner turnerischen Eleganz und korporalen Höchstkompetenz. In manchen Fällen wird die ironische und karikaturhafte Wirkung einer Flitzerbotschaft durch den deutlichen Kontrast erzeugt, wenn einzelne Akteure beispielsweise üppige Körperpartien in einen Tanga zwingen und das Geschehen als die irdische Ankunft eines »galactic ass«15 ausgeben. Ironische Kommentare dieser Art schließen nicht aus, dass andere Auftritte narzisstisch motiviert sind. Der stadtbekannte und zunehmend auch darüber hinaus prominente Bielefelder Ernst Wilhelm Wittig (alias »Ernie«) wies darauf hin, dass seine öffentlichen Auftritte dazu dienten, die weitverbreitete Geringschätzung seines außerordentlichen Körpers zu kompensieren. Der »permanent resident« im lokalen Fitnessstudio habe es sich aufgrund seines harten Trainingsalltags als Bodybuilder nach eigener Ansicht durchaus verdient, für seinen schönen Körper und die damit verbundenen Entbehrungen allgemein bewundert zu werden.16 Kontextzitationen dieser und anderer Art lassen sich auch dann finden, wenn Flitzer im Rahmen ihrer Selbstentblößungen Kulturen des schichtspezifischen Sportkonsums karikieren. Um soziale Differenzen

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Siehe hierzu den Beitrag »Streakers … sabes que son?« auf taringa.net vom 5.8.2011. Wittig bezeichnet seinen Körper als ein regelrechtes Gesamtkunstwerk. Entsprechend sei sein unbekleideter Ganzkörpereinsatz als Statement für die Freiheit der Kunst zu deuten. Siehe hierzu den Beitrag »Als Ernie sich unten rum frei machte« auf 11freunde.de vom 3.2.2012.

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öffentlich zu brandmarken, zeigen sie beispielsweise in England eine Vorliebe für den Sport der oberen Zehntausend und dem dort kultivierten royal-gesitteten Habitus der Selbstpräsentation. Wer als Flitzer auf dem »Royal Ascot« nackt den Renngalopp der Pferde imitiert oder auf den Grünanlagen bei Golf-Masters-Turnieren die Wege feingekleideter und caddybegleiteter Golfprofis grimassierend schneidet, kann sich der Protestwirkung seiner Aktionen gewiss sein. Denn »es gibt bei den Elitegeschöpfen zuweilen so viel Gutangezogenheit, Distinktion und feine Zugeknöpftheit, daß man sich fragt«, wie dies beispielsweise der französische Schriftsteller Romain Gary (1970: 58) getan hat, »ob eine größere Kunst denkbar wäre, als die sich anzuziehen.« Auch wer sich als Flitzer auf dem prestigeträchtigen Tennisrasen von Wimbledon entblößt, um beispielsweise eine Rolle vorwärts über das Tennisnetz durchzuführen, lässt die Etikette des »All England Tennis and Croquet Club« hinter sich, in dem bevorzugt weiß getragen wird und Nacktheit nur unter der Dusche erlaubt ist. Den Verstoß gegen die »guten Sitten« elitärer Sportkultur steigern Flitzer überdies durch zusätzliche Inszenierungen. Wer sich vor der »Royal Box« nackt in Pose wirft und den Mittelfinger zum Stellvertreter des Zeigefingers erhebt, hält offensichtlich nichts von feinen Unterschieden.17 Er stellt vielmehr demonstrativ einen »Kodex der schlechten Sitten« zur Schau, der auf das Gesittete pfeift, sich aus dem Zeichenrepertoire des Anstößigen und Vulgären bedient und der Obrigkeit zeigt, »dass sie mich mal gerne haben kann« (Schild 2014: 85), so Mark Roberts über seine Nacktinterventionen. Auf dem »Royal Ascot« wandte er sich 2003 mit den groß aufgetragenen Lettern »Lady Muck« den Ehrentribünen des elitären Pferdesports zu und versuchte dadurch englische Frauen zu karikieren, denen er statusinkongruente Verhaltensweisen im Sinne einer weit auseinanderklaffenden Differenz zwischen Statusträumen und Statusgehabe unterstellte. »Le nec plus ultra est la rencontre où un des membres de la famille royale est invité«, so auch Francine Barthe-Deloizy (2003: 127; Herv. im Orig.). Sheila Nicholls betont nach ihrem Auftritt beim »Lord’s Cricket Ground«, sie 17

Siehe http://thestreaker.org.

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wäre niemals bei einem Rugby- oder Fußballspiel geflitzt. Konkreter Teil des Plans sei vielmehr gewesen, die reichen Krawattenträger in ihren VIP-Pavillons vor lauter Überraschung dazu zu bringen, ihren Gin & Tonic zu verschütten (Sheridan 2017: 141). Unter den Augen des Publikums wird das Flitzen dadurch zu einem sozialadressierten Geschehen, das auserwählte Anwesende gezielt zu provozieren trachtet. Denn »wer provoziert, zeigt, wer er ist und wofür er den anderen hält.« (Paris 1998: 57) Der Auftritt zielt auf einen Gesichtsverlust der Ehrengäste in den Hospitality- und VIP-Logen und soll dort besonders empören, wo Prüderie und Unterkühltheit zu Statusmerkmalen erhoben wurden. Durch den mit Nacktheit assoziierten Natürlichkeitsdiskurs stellen Flitzer ostentativ die Authentizitätsfrage und attackieren die traditionelle Hierarchie des guten Geschmacks. Boulevardmedien unterstützen die ironische Kommentierung des Geschehens, wenn sie »Streaking« vor diesem Hintergrund als »noble art« bezeichnen, in Form von »Highlight reels« kuratieren und sich so parteiergreifend auf die Seite der Sportflitzer stellen. Nacktheit auf dem Sportplatz führt dann zu einer Nutzenverschränkung zwischen dem Selbstdarstellungs- und Präsentationsbedürfnis einzelner Akteure und dem Sensationsbedarf jener medialen Instanzen, die nicht durch staatliche Pflichtabgaben finanziert und subventioniert werden, sondern aus kommerziellen Gründen an hohen Einschaltquoten und Auflagen interessiert sind.

2 Grenzüberschreitung und Raumentweihung

Die Metamorphose vom traditionellen Volksspiel zum modernen Sport hat das Fußballspiel, die weltweit populärste und von Flitzern besonders häufig aufgesuchte Sportart, in geradezu idealtypischer Weise vollzogen. Die wilde, weitgehend regellose, oral vermittelte und nur an bestimmten Tagen vollzogene volkstümliche Spiel- und Festkultur Englands, die schon im Mittelalter als Gefährdung der öffentlichen Ordnung angesehen und deshalb immer wieder von der Obrigkeit mit Verboten belegt worden war, wurde im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts von den bürgerlichen Eliten aus ihrem ursprünglichen Entstehungskontext abgekoppelt, einem fundamentalen Bedeutungswandel unterworfen und an den »public schools« in ein eigenständiges, auf Erziehung, männliche Charakterbildung, Aggressionsdämpfung und Gesundheit ausgerichtetes System konkurrenzorientierter Übungen und Spiele transformiert. Und nachdem das vormals brutale und verletzungsreiche Gegeneinander der Spieler in den Schulen erfolgreich durch eine Konkurrenzethik, den Fairplay-Gedanken, domestiziert und zivilisiert worden war, konnte ein jenseits des Erziehungssystems angesiedelter Sport mit eigenen Organisationen entstehen, die national und international geltende Regeln definierten und schriftlich fixierten, räumliche Grenzen und zeitliche Limitierungen des Spielablaufs genau festlegten, eine scharfe Trennung zwischen Spielern und Publikum vornahmen, die Sozialfigur des intervenierenden Dritten, den Schiedsrichter, strukturell in das Spielsystem einbauten, das Aggressionspotential der Spieler infolgedessen einer strikten Kontrolle unterwarfen, bei Verfehlungen Sanktionen verhängten sowie körperliche und taktische Fertigkeiten

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statt Gewalt und Stärke belohnten (Dunning 1973: 228; Bette 2010: 89ff., 97ff.). Vergleichbare Metamorphosen vom Spiel zum Sport fanden auch in anderen Spiel- und Bewegungskontexten statt. So entstand in den USA in einer ersten Formierungsphase seit den 1820er Jahren aus einem ländlich-volkstümlichen, vornehmlich Kindern vorbehaltenen und weitgehend ungeregelten Schlagballspiel eine eigenständige, thematisch bereinigte, durch formalisierte Regeln strukturierte und in Ligen organisierte Sportdisziplin: das Baseballspiel. Eine Sportdisziplin wie der Moderne Fünfkampf griff die Überlebensnotwendigkeiten des Meldereiters und Botenüberbringers aus den Zeiten der vormodernen Kriegsführung auf, warf militärische Funktionsüberlegungen ab, annektierte die Grundelemente des Laufens, Schießens, Schwimmens, Reitens und Fechtens und verwandelte diese in eine zivilisierte Wettkampfpraxis, die lange Zeit fester Bestandteil der Olympischen Spiele war. Insbesondere in den durch Urbanisierung, Technisierung und Industrialisierung geprägten Städten war ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein jenseits der Arbeit angesiedelter Bedarf an Zerstreuung, Regeneration, Schock, Gemeinschaftserleben und körperlicher Eigenbetätigung entstanden, der zu einem großen Teil durch den Sport abgedeckt wurde. Die evolutionäre Leistung des Spitzensports besteht, wie diese Ausführungen signalisieren, insbesondere darin, eine Eigenwelt in zeitlicher, sachlicher, sozialer und räumlicher Hinsicht ausgegliedert und selbstreferentiell stabilisiert zu haben. Flitzer erweisen sich in allen Dimensionen des Erlebens und Handelns als uneingeladene Störenfriede. In der Sachdimension gehen sie, wie wir im vorhergehenden Kapitel demonstriert haben, durch korporale Selbstentblößung, Schamlosigkeit oder spärliche Teilbekleidung auf Distanz zur regelbasierten Sinnwelt des Sports, in der körperliche Leistungen zwar wie in keinem anderen Sozialbereich theatralisch und durchaus auch semi-erotisch zur Aufführung gebracht werden, ohne allerdings durch die direkte Vorführung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale anzüglich und sexuell aufdringlich zu sein. Flitzer nutzen hierbei, wie wir nun zeigen werden, in parasitärer Weise die Räume, die der Sport für seine systemtypischen Handlungsvollzüge ausdifferenziert hat. Die Frage,

2 Grenzüberschreitung und Raumentweihung

warum sie dies tun, lässt sich mit Blick auf die Orte, in denen Sportwettkämpfe typischerweise stattfinden, leicht beantworten: Stadien, Arenen oder Sporthallen sind materielle Entitäten, die aus dem unendlichen Raum jeweils Sonderräume ausgrenzen und diese für Spezialhandlungen verfügbar machen. Zwei Raumkategorien machen vornehmlich das Innere aus: Es gibt einen Raum für das Konkurrenzhandeln der Athleten und Athletinnen; und es gibt gestaffelte und hierarchisierte Räume für unterschiedliche Publika und Medieninstanzen. Beide Räumlichkeiten werden durch architektonische Maßnahmen getrennt, um Störungen und Übergriffe von außen nach innen zu verhindern. Die Zuschauer erhalten das Privileg, das Geschehen aus der Erhöhung oder Seitenansicht zu beobachten. Auf den Zuschauerrängen geht es um das Erleben des Handelns, das unten stattfindet. Zwischen beiden voneinander abgegrenzten Raumkategorien sorgt das Sicherheitspersonal für einen geregelten Ablauf des Geschehens. Die inneren Sporträume, die auch Rennstrecken oder naturale Räume sein können, sollen das leistungs- und konkurrenzorientierte Athletenhandeln nicht nur irgendwie konzentriert zusammenführen und für eine Beobachtung von außen verfügbar machen; sie haben auch die Funktion, messbare Rekorde zu ermöglichen und formale Gleichheit der Konkurrenten durch Standardisierung und Normierung herzustellen und sichtbar zu machen.1 Wie die scharfe Trennung zwischen Wettkampffläche und Zuschauerraum verdeutlicht, sind die Räume des Sports bühnenähnliche Orte, die das Handeln der Wenigen den Blicken der Vielen aussetzen (Bette 2007: 247). Und wie man weiß: Von oben sehen Zuschauer perspektivisch mehr als von unten. Von oben kann man Zusammenhänge erkennen und Spielzüge identifizieren, die man auf den unteren Rängen so nicht zu sehen bekommt. Vor allem versetzt der erhöhte

1

Zur Raumbezogenheit sozialen Handelns siehe Simmel (1983b: 460ff.) und Konau (1977). Eine phänomenologische und psychologische Deutung räumlichen Verhaltens liefern Kruse (1974) und Kruse/Graumann (1978). Zu den »Räume(n) der Gesellschaft« zählt Schroer (2018: 217ff.) auch den Sport mit seinen Arenen und Stadien.

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Flitzer im Sport

Zuschauerraum die Beobachter in die Lage, das Geschehen unten zu beurteilen und zu kritisieren, Bedürfnisse der Beeinflussung und Einmischung zu entwickeln, lautstark in Mimik und Gestik umzusetzen und bisweilen auch in Form von Fantasien eines Platzsturms oder einer direkten Teilhabe auszuleben. Ausgebildete und jahrelang trainierte Wettkämpfer treten vor faszinierten Laien gegeneinander an, um knappe Rangplätze zu erreichen, elitäre Meisterschaft zu beweisen und Unterhaltungsbedürfnisse des Publikums mit Leistungen zu befriedigen, die durch die Zuschauer selbst in vergleichbarer Weise in der Regel nicht erbracht werden können. Das Ziel der hier ausgetragenen Konkurrenz ist die Herstellung sozialer Ungleichheit – allerdings auf der Grundlage formaler Gleichheit und einer prinzipiellen Prozess- und Ergebnisoffenheit. Der Spitzensport bietet in diesem Zusammenhang eine Besonderheit: Im Wettkampf verschwindet die Materialität der Kommunikation nicht hinter der Kommunikation des Sieg/NiederlageCodes.2 Die Kommunikation benutzt vielmehr die Materialität, den Sportlerkörper, in diesen Sonderräumen als Mitteilungsinstanz und macht sich hierdurch selbst sichtbar. Sie bewegt Menschen nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes, sondern schreibt sich sogar in die physischorganische Materialität ein und hinterlässt dort ihre »Körperspuren« (Bette 1989). Dort, wo die direkte Teilhabe der Zuschauer durch die räumliche Dispersion des Wettkampfgeschehens nicht möglich ist, sorgen mediale Übermittlungstechniken für eine reale Simulation von räumlich-direkter Co-Präsenz von Publikum und Geschehen. Durch die spezifische Inanspruchnahme der Raumdimension, die eine explizite Verweigerung von Ortlosigkeit darstellt, zieht der Sport Sozialfiguren an, die durch die Störung raumbezogener Interaktionen und die Entweihung sportlicher Sonderräume Aufmerksamkeitsgewinne in eigener Sache zu erzielen trachten.

2

Hierfür zwei Beispiele: Man telefoniert mit dem Handy, ohne dass die hierfür notwendigen technischen Voraussetzungen beim Kommunizieren sichtbar sind. Auch die Sendemasten der Fernsehanstalten tauchen auf dem heimischen Bildschirm nicht auf, wenn man fernsieht.

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»Wie soziale Normen in einem metaphorischen Sinn Grenzen ziehen«, schreiben Kaufmann/Bröckling/Horn (2002: 7), »so konstituieren territoriale Grenzen in einem ganz unmetaphorischen Sinn soziale Normen.« In dieser Hinsicht markiert die Raumgrenze zwischen Athleten und Publikum die Unterscheidung zwischen denjenigen, die dazugehören, und jenen, die draußen zu bleiben haben. Formalisierte Wechselrituale regeln das Kommen und Gehen der Akteure. Konfusionen entstehen, wenn Ein- und Austrittsregeln im Eifer des sportlichen Gefechts missachtet werden. Die folgende Szene, die sich nach dem Sieg der Italiener gegen Spanien im Halbfinale der Fußball-EM 2021 ereignete, belegt dies in einer anschaulichen Weise. Leonardo Bonucci, der italienische Verteidigerheld, eilte nach dem verschossenen Elfmeter durch den Spanier Morata an den Spielfeldrand, um gemeinsam mit den Fans den Finaleinzug zu feiern.3 Als er nach den üblichen Siegerposen zur Mannschaft zurückkehren wollte, wurde er von einer Ordnerin fälschlicherweise für einen Fan bzw. Flitzer gehalten, der den geschützten Wettkampfraum illegitimerweise zu betreten versuchte. Er wurde mit festem Griff an einer Grenzüberschreitung gehindert. Dass Bonucci dieses Missverständnis mit Humor nahm und die maßregelnde Ordnerin zur Versöhnung umarmte, wurde in den sozialen Medien vielfach als Zeichen seines besonderen Charakters gedeutet. Aus soziologischer Sicht zeigt die Szene vor allem, dass die sinnhafte Architektur des Spitzensports in räumlicher Hinsicht ein labiles Gebilde darstellt. Entsprechend aufwendig sind die Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung dieser sozialen Konstruktion. Die Besonderheiten von Sporträumen und deren Entweihung durch Flitzer ergeben sich vor dem Hintergrund der fortschreitenden Marginalisierung des Raumes im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess. Der vormoderne Mensch hatte noch ein enges Verhältnis zum Raum und zu den dort vorfindbaren Materialitäten und Menschen. Das Leben fand in einer überschaubaren, lokal abgegrenzten Umgebung statt. Die Entwicklungsdynamik und Komplexitätszunahme funktional differenzierter Gesellschaften führten dazu, dass sich die Distanz zwischen der 3

Siehe hierzu Sportsfinding vom 7.7.2021.

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Flitzer im Sport

Mikrowelt des wechselseitigen Wahrnehmens in einer gemeinsamen Raumsituation und der kommunikativen Sphäre der Gesellschaft vergrößerte. Interaktion und Gesellschaft traten auseinander (Luhmann 1997: 812ff.). Mit dem Systemtypus der Organisation hatte sich ein neues Sozialgebilde verstärkt zwischen diese beiden Ebenen geschoben, das die Gesellschaftsmitglieder aus traditionellen Sozialbezügen herauslöste und in Leistungs-, Klienten-, Bedarfs- und Zuschauerrollen verstrickte. Organisationen sichern ihre Selbstbezüglichkeit durch abstrakte Mitgliedschaftsregeln und Entscheidungsprämissen ab und erreichen ihre besondere Leistungsfähigkeit dadurch, dass sie auf eine Anwesenheit aller Mitglieder in einer gemeinsamen Raumsituation nicht mehr angewiesen sind. Die Entterritorialisierung der Kommunikation durch die Erfindung moderner Verbreitungstechniken wie Telegrafie, Telefonie, Radio, Fernsehen und Internet führte weiterhin dazu, dass sich das Verhältnis der Menschen zum Raum nachhaltig veränderte. Menschen können mit Hilfe der neuen Medien miteinander kommunizieren, ohne physisch-organische »Mobilitätskosten« (Berger 1995: 99) im Raum aufbringen zu müssen. Auch die Evolution der modernen Transporttechniken blieb nicht ohne Folgen. Menschen müssen heute nicht mehr notwendigerweise ihre eigenen Gliedmaßen in Bewegung setzen oder Pferde- und Kamelrücken besteigen, um sich von Ort zu Ort zu bewegen. Die Entwicklung der Fortbewegung vom Gehen über das Laufen, die Nutzung von Tierkörpern oder anderweitigen Transportmitteln bis hin zur Rakete beschreibt den Weg einer zunehmenden Revolutionierung von Raumwahrnehmung und Beschleunigung. Vor allem die Erfindung der Dampfmaschine mit der anschließenden Entwicklung der Eisenbahn löste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das einstmals enge Verhältnis von Raum und Mensch, entkoppelte die Wahrnehmung vom Tempo der Fortbewegung und emanzipierte sich von den Limitierungen des Körpers – mit zunächst schockartigen Erfahrungen aufseiten der ersten Benutzer (Bette 2004: 97ff.). Auch jenseits von Organisationsbildung und der körperverdrängenden Wirkung neuer Kommunikations- und Transporttechniken verlor der Raum für die Funktionsweise der Gesellschaft an Bedeutung. Sozialbereiche wie Wirtschaft, Politik, Recht, Religion und Wissen-

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schaft konnten in Folge ihrer Autonomiegewinnung auf die räumliche Repräsentation ihrer symbolisch generalisierten Steuerungsmedien verzichten.4 Geld erzielt seine Wirkung beispielsweise nicht nur in den vier Wänden von Banken. Es hält sich nicht an nationale Grenzen, sondern fluktuiert in Glasfaserkabeln durch die Weltgesellschaft. Die Mobilität des Kapitals ist im Internetzeitalter nicht mehr an das Vorhandensein einer Straße und die Schrittfrequenz eines Geldboten gebunden. Marktteilnehmer können mit Hilfe der neuen Kommunikationstechniken miteinander in Kontakt treten und Austauschprozesse auf den Weg bringen, ohne in einer sozialen Situation co-präsent sein zu müssen. Märkte funktionieren auch dann, wenn Kaufhäuser, Basare oder Börsen geschlossen sind. Kaufen und Verkaufen von Dienstleistungen oder Objekten setzen im Zeitalter von Onlineversandhändlern nicht mehr die Räumlichkeit eines bestimmten Ortes voraus. Während folglich der physisch-evidente Raum in der funktional differenzierten Gesellschaft für den Vollzug von Kommunikation immer bedeutungsloser geworden ist, ablaufende Kommunikation weitgehend entterritorialisiert stattfindet und sich immer mehr einer möglichen Begleitbeobachtung durch die Gesellschaftsmitglieder entzieht, haben einige wenige gesellschaftliche Sondersphären eine raumbasierte Kultur der Präsenz geschaffen, die den Gesellschaftsmitgliedern sowohl Handlungs- als auch Erlebnisofferten besonderer Art zur Verfügung stellt. Im Tanz ist der marginalisierte Raum zur zentralen Erlebnis- und Darstellungsdimension geworden. Hier kann der ansonsten verdrängte Körper zum Reden gebracht werden, ohne dass erklärende Worte die Bewegungen begleiten. Vor allem aber im modernen Sport wird die Entkopplung von Körper, Raum und Fortbewegung konsequent zugunsten einer »Wiederaneignung verdrängter Zwischenräume« (Bette 1989: 88ff.) zurückgenommen.5 Der Sport wirkt dadurch dem Bedeutungsverlust des

4 5

Zur Theorie der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien siehe Luhmann (1975: 170ff.; 1997: 316ff.). Auch dies ist ein signifikanter Unterschied zum Spielgeschehen in den virtuellen Gefilden des eSports, wo nicht Menschen aus Fleisch und Blut ihre Leistungsfähigkeit im Medium des Raumes messen, sondern Personen auf Bild-

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Flitzer im Sport

Raumes in der Moderne bewusst entgegen. Der Raum wird vielmehr zur entscheidenden Dimension für die Umsetzung sportlicher Sinnprinzipien. Durch seine explizite Personen- und Körpernähe und durch seinen Rückgriff auf den ansonsten marginalisierten Raum signalisiert der Sport, dass die Kluft zwischen Interaktion und Gesellschaft noch nicht dazu geführt hat, dass Menschen gänzlich aus der Gesellschaft abgeschleudert werden. Der Sport unterbreitet in dieser Hinsicht zwei Inklusionsofferten, auf die Gesellschaftsmitglieder zurückgreifen können: den Teilnehmersport und den Zuschauersport. So erfolgt die Anwendung des Sieg/Niederlage-Codes im Spitzensport in unhintergehbarer Weise in Sonderräumen, in denen Organisationen die Leistungsvergleiche zwischen real existierenden Personen oder Mannschaften durchführen, messen, hierarchisieren und für eine Beobachtung durch Zuschauer freischalten. Im Ringen um Sieg und Niederlage wird der Raum folglich nicht eliminiert und durch Abstraktion und Virtualisierung ersetzt, sondern – ganz im Gegenteil – sozial, sachlich und zeitlich in Anspruch genommen, damit sich Athleten und Athletinnen im Laufen, Springen, Werfen, Stoßen, Gleiten, Ringen, Boxen oder Schießen coram publico miteinander vergleichen und voneinander unterscheiden können. Die Reduktion von Komplexität auf den in Sonderräumen stattfindenden sportlichen Konflikt erscheint in diesem Zusammenhang nicht als Beschränkung, sondern als ein leicht nachvollziehbares Prinzip, das durch die Körper- und Personenorientierung des Sports an Attraktivität gewinnt und die Anschlussfähigkeit des Sports für Publikum, Massenmedien, Wirtschaft und Politik nachhaltig absichert. Wie die weltweite Nachfrage nach sportlichen Leistungen durch ein Massenpublikum zeigt, ist die sportlich fokussierte Interaktion der Athleten in Stadien, Arenen, Hallen oder anderweitigen Räumen vor einem physisch anwesenden Publikum offensichtlich auch für diejenigen ein hochwirksames Evidenzbeschaffungsprogramm, die mit Hilfe der Massenmedien aus der Ferne am Geschehen teilhaben. Im Sport geht

schirmen Avatare steuern, die stellvertretend für sie Monster töten, Tore schießen oder Gebiete erobern.

2 Grenzüberschreitung und Raumentweihung

es eben nicht nur um Sieg und Niederlage. Es geht auch darum, mit Hilfe des Sports Wirklichkeitsgefühle in einer Gesellschaft zu erarbeiten, in der sich die Teilhabe an den steuerungsrelevanten Sektoren der Realität immer weniger durch eigene Sinneswahrnehmungen abdecken und garantieren lässt (Bette 2004: 85ff.). Für viele markiert der Gang ins Stadion dennoch den entscheidenden Unterschied zum Erleben aus der Distanz. Moderne Sportarchitekturen sind als »Kollektivierungs- und Überwältigungsmaschinen« (Sloterdijk 2004: 638) konzipiert, in denen die Beobachtung individueller oder kollektiver Leistungen auf paradoxe Weise mit dem Aufgehen in der Publikumsmasse zusammenfällt. »Wer hier eintrat«, so Peter Sloterdijk (ebd.) mit Blick auf das Zuschauererleben im Berliner Olympiastadion, »mußte jede Hoffnung auf Individualität fallen lassen«, während die Figuren auf dem Siegerpodest »pure Emanation« aus dieser anonymen Energiequelle verkörperten. Die Stadien und Arenen des Hochleistungssports haben sich nicht nur deshalb zu besonderen Orten entwickelt, weil auf ihren Wettkampfflächen bisweilen Helden in postheroischen Zeiten geboren werden. Die Räume des Sports ermöglichen zudem ein knappes Gemeinschaftserleben, das infolge der multiplen Partialinklusion moderner Subjekte in die Gesellschaft sowie der Auflösung der Drei-Generationen-Familie und des blasierten Umgangs zwischen Menschen in urbanen Räumen immer seltener wurde. Gerade auf der Interaktionsebene ging die Modernisierung mit einem erheblichen Gemeinschaftsverlust einher. Nicht zuletzt tragen Kommunikationstechnologien wie Telefon, Fernsehen und Internet wesentlich dazu bei, dass die Menschen sich über die Distanz emotional näherkommen, aber einander weniger begegnen als früher. Vor diesem Hintergrund offerieren die zahlreichen sportlichen Events und Wettkampfserien die Möglichkeit, in einer feier- und spaßorientierten Erlebnisgemeinschaft aufzugehen (Bette 2011: 36). Auf den Zuschauerrängen findet ein hochgradig korporalisiertes »Wahrnehmen des Wahrnehmens« (Luhmann 1984: 560) statt, das zwar nicht immer eine Interaktion zwischen den Zuschauern hervorruft, immer öfter aber ein »reflexives Erleben«, ein Erleben des Erlebens, ermöglicht und einen Enthusiasmus über den Enthusiasmus der eng aufgerückten Anderen

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entstehen lässt. »In der Masse-Sein«, so Gumbrecht (2020: 27) über das rauschhafte Stadionerleben, »heißt schließlich in zweifacher Hinsicht innen sein: umgeben von anderen Körpern zum einen und zum anderen nah beim Spielfeld, eben im inneren Zentrum des Stadions.« Flitzer suchen die Räume des Sports auf, um die Co-Präsenz von Athleten und Publikum in eigener Sache zu nutzen. Ihre Attacken erfolgen in der Regel von außen nach innen, manchmal aber auch von oben nach unten. Aus dem Hinterhalt erstürmen sie ein Territorium, dem in der modernen Gesellschaft auch deshalb eine besondere Bedeutung zukommt, weil in ihm Zuschauer als eingeschlossene ausgeschlossene Dritte in die Lage versetzt werden, an dem in den Stadien und Arenen stattfindenden Prozess der Entscheidungsfindung unmittelbar teilhaben zu können ‒ was in Politik, Wirtschaft, Religion oder Wissenschaft in vergleichbarer Weise so nicht möglich ist, da die maßgeblichen Sozialfiguren dieser Sozialbereiche ihre systemspezifischen Handlungen hinter verschlossenen Türen, in Laboren, Sitzungssälen, Computerterminals, Fabrikhallen oder Kirchen abwickeln. Was bekommt man schon von einer in diversen Ausschüssen und Hinterzimmern arbeitenden Politik zu sehen, wenn man die Debatten im Bundestag verfolgt. Und was lernt man von der Komplexität der Wirtschaft, wenn man die DAX-Kurven und Zahlenspiele an der Börse beobachtet. Und die Leitunterscheidung von Transzendenz und Immanenz oder von profan und sakral im Kontext religiöser Kommunikation wird nicht über die gleichzeitige Anwesenheit von Gott und religiöser Gefolgschaft, sondern über Glauben und die Simulation von göttlicher Präsenz in der Kirche reguliert (Bette 2019: 47). Auch die Entscheidung zwischen Wahrheit und Nichtwahrheit in der Wissenschaft ist nur durch die zeitintensive und voraussetzungsvolle Lektüre von Fachpublikationen möglich – und nicht durch die Beobachtung von Wissenschaftlern am Schreibtisch oder im Labor. Im sportlichen Wettkampf hingegen werden Beobachter in die Lage versetzt, knappe Präsenzgefühle zu entwickeln, wenn sie Athleten und Athletinnen mit eigenen Augen und Ohren dabei beobachten, welche Strategien, Taktiken und Kompetenzen sie einsetzen, um künstlich erzeugte Krisen- und Notsituationen erfolgreich zu bewältigen. Was

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auch immer hinter den Kulissen der Vereine oder Verbände stattfindet, auf dem Spielfeld entscheidet sich vor dem Publikum, wer die bessere oder schlechtere Mannschaft ist oder der überlegene bzw. unterlegene Athlet. In einer immer intransparenter und komplexer werdenden Welt ist der sportliche Wettkampf ein ereignisdichter Mikrokosmos, der dem Publikum einen überschaubaren Rezeptionskontext für das raumgebundene Handeln von Personen und Gruppen zur Verfügung stellt (Bette 2019: 48ff.). Die relevante, über Sieg und Niederlage entscheidende Konkurrenz darf im Wettkampf nur in der Öffentlichkeit sportlicher Sonderräume stattfinden. Leistungen, die im Training erzielt werden, zählen nicht. Flitzer nutzen die Sichtbarkeit sportlicher Wettkämpfe in einer konkret ablaufenden, thematisch eng fokussierten Interaktionssituation und die dadurch ermöglichte Synchronizität von Athletenhandeln und Zuschauererleben als Ressourcen, um sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Der auf Beobachtung ausgerichtete Sportraum eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich vor einem großen Publikum als mutig, risikobereit und indifferent gegenüber etwaigen Konsequenzen darzustellen. Leere Stadien in der Pandemie sind zwar eine ultimative Herausforderung, aber auch der Albtraum eines jeden Flitzers.6 Es ist insofern nicht überraschend, dass Sportflitzer ihre Lauf- und Penetrationspraxis nach Wiedereröffnung der Stadien für Zuschauer und nach Beendigung reiner Geisterspiele wieder aufgenommen haben, um in schwierigen Zeiten ihren Teil zur Leichtigkeit des Daseins beizutragen. Mit dem Eindringen von Flitzern in die Innenräume erleidet der Sport einen Kontrollverlust. Flitzer fallen insgesamt durch einen dreifachen Übergriff im Sinne von Lyman und Scott (1967: 243f.) auf: Sie

6

Beim Fußball-Europa-League-Spiel zwischen dem FC Granada und Manchester United vom 8.4.2021, das aufgrund der Coronapandemie unter Ausschluss von Zuschauern stattfand, schlich sich ein bärtiger Flitzer bereits in den frühen Morgenstunden ins Stadion ein und verbrachte anschließend 14 Stunden unter einer Plane. Wenige Minuten nach Anpfiff der Begegnung stürmte der Störenfried auf den Platz und ging infolgedessen als »Bart von Granada« in die Geschichte des Flitzens ein (vgl. t-online: 9.4 2021).

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Flitzer im Sport

sind erstens »violators«, die zumindest kurzfristig ein Territorium betreten, auf das sie keinerlei Ansprüche erheben können und in dem ihnen der Zutritt verwehrt ist. In den Spiel- und Mannschaftssportarten dürfen selbst Sportlerinnen und Sportler den Rasen während eines Wettkampfes nur nach Absolvierung eines genau festgelegten Ein- und Auswechselrituals betreten oder verlassen, wodurch die Anwesenheit auf dem Platz auf eine feste Gruppengröße beschränkt ist. Auch Trainer erhalten eine Ermahnung, wenn sie ihre Coaching-Zone verlassen, geschweige denn impulsiv auf den Platz stürmen, um beispielsweise ihrer Freude nach einem gelungenen Torschuss Ausdruck zu verleihen. Im Fußball enden hingegen die Laufattacken der Flitzer bisweilen sogar in jener Zone, in die nur Bälle und Torwarte legitim eindringen dürfen: im Tor. Flitzer handeln zweitens als »invasors«, da sie durch ihre Grenzverletzung Wettkämpfe nicht nur beiläufig stören, sondern vielmehr minutenlang unterbrechen und zum Stillstand bringen. Wenn sie den geschützten Raum des Sports mit ganzem Körpereinsatz und aus vollem Lauf betreten, zwingen sie dem Geschehen einen Sinn- und Bedeutungswechsel auf, der im Sport selbst nicht vorgesehen ist. Spannungsbogen und Rhythmik sportlicher Wettkämpfe werden unterbrochen – auch das hierauf ausgerichtete Erleben des Publikums wird gestört. Für eine derart auffällige Form der korporalen Kommunikation durch laufende Eindringlinge gilt zumindest anfangs sowohl für die Athleten als auch für das Publikum: Man kann nicht Nicht-Hinsehen! Flitzer drängen sich durch ihre physische Evidenz in das Sichtfeld der Konkurrenten und des Publikums hinein, ohne dass ein Wegschauen zunächst möglich wäre. Sie fallen durch ihre Alterität und Fremdheit auf und stechen vor dem Sinnhorizont des Sports in ihrer Rolle als »Outsider« umso markanter hervor. Die »contamination« der Flitzer besteht drittens darin, dass sie das Territorium des Sports durch krude Nacktheit, Schamlosigkeit und Selbstentblößung symbolisch beschmutzen. Sie transportieren eine Art der ungeschminkten Körperlichkeit in den Wettkampfraum hinein, die durch sportliche Funktionsüberlegungen nicht abgedeckt ist. Flitzer drängeln sich nicht einfach in ein Territorium, in dem sie

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nichts zu suchen haben. Sie erobern vielmehr kurzzeitig eine Sphäre, die in der modernen Gesellschaft eine symbolische Überhöhung erfahren hat. Die Stadien, Arenen und Hallen, in denen die Mega-Events und Weltereignisse des Sports stattgefunden haben, Affekte ausgelebt, Gemeinschaftserlebnisse gesammelt, Helden verehrt und »Wunder« erlebt werden konnten, gelten nicht wenigen Zuschauern als »heilige Orte«. Sportflitzer begehen insofern ein Sakrileg, wenn sie diese sinnhaft aufgeladenen Wettkampfflächen betreten und besudeln. An der symbolischen wie materialen Grenze zwischen Innen und Außen gilt: »no profane man has the right to transgress this borderline« (Gebauer 2010: 255). Wie schützenswert der Wettkampfraum ist, verdeutlichen bereits jene illegitimen Praktiken, mit denen Zuschauer materielle Gegenstände in Gestalt von Bananen, Feuerzeugen, Bengalos, Pyros, Chinaböllern, Plastikbechern oder Mobilfunkgeräten in den Wettkampfraum schleudern, um in bestimmten Spielsituationen gegnerische Spieler zu irritieren oder zu verletzen oder ihren Gefühlswallungen uneingeschränkt Ausdruck zu verleihen. Umso auffälliger ist das Verhalten von Flitzern, die in ihrer physisch-psychischen Gesamtheit im Sportraum auftauchen und sich durch Fluchtbewegungen und Hakenschlagen einer schnellen Entstörung des Geschehens und einer Wiederherstellung des sportlichen Raumregimes bewusst widersetzen. Eine äußerst sonderbare Form der versuchten Raumaneignung unternahm ein als »Fan Man« in die Annalen des Sports eingegangener Störenfried. Er attackierte den Sportraum im Boxen, Football sowie Fußball nicht laufend, sondern fliegend mit einem motorgetriebenen Paraglider. Als am 6. November 1993 im Caesar’s Palace in Las Vegas ein prestigeträchtiger Boxkampf zwischen Riddick Bowe und Evander Holyfield vor großem Publikum ausgetragen wurde, verpasste er sein Ziel, direkt im Inneren des Boxrings zu landen, nur denkbar knapp. Er blieb mit seinem Gleitschirm an der Beleuchtungsanlage und mit beiden Beinen in den Ringseilen hängen und landete anschließend im tieferliegenden Zuschauerraum. Er blieb nicht der Einzige seiner Art. Bei der FußballEuropameisterschaft 2021 landete ein Umweltaktivist von Greenpeace beim Auftaktspiel zwischen Deutschland und Frankreich mit einem Motor-Gleitschirm in der Allianz-Arena in München, um gegen einen Spon-

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Flitzer im Sport

sor des DFB zu protestieren. Er touchierte eine Seilkonstruktion, kam ins Trudeln und verletzte zwei Männer auf den Zuschauerrängen. Das hohe Affizierungspotenzial des Sports für Publikum und Flitzer verdankt sich nicht zuletzt auch der in den Sporträumen ausgelebten Idee der Stellvertretung und symbolischen Ortsverbundenheit. Der nationale und internationale Wettkampfsport profitiert von der kollektiven Fiktion, dass die Athleten nicht nur ihre eigenen Ziele verfolgen, sondern ihre sportiven Schlachten auch als Repräsentanten überindividueller Kollektive schlagen und für die Souveränität und Höherwertigkeit von Verein, Nation, Region, Stadt, Ethnie, Geschlecht oder Herkunftsmilieu in den Kampf ziehen. Die Idee der Stellvertretung war bereits Kernbestandteil der Olympischen Spiele der Antike. Die Athleten traten zu den Wettläufen im Stadion, zu den Ring- und Faustkämpfen, zum Pentathlon und zu den Pferde- und Wagenrennen im Hippodrom nicht nur an, um Zeus zu huldigen, sondern auch um selbst berühmt zu werden und die Ehre der eigenen Herkunftspolis zu mehren (Bette 2019: 139). Dieser symbolische Austausch zwischen Leistungsträgern und Entsendemilieu gilt auch heute noch. Die beiden Weltereignisse des Sports, die Olympischen Spiele der Neuzeit und die Fußball-Weltmeisterschaften, sind Wettbewerbe, an denen Athleten und Athletinnen als Stellvertreter von Nationalstaaten mit expliziten Erfolgsaufträgen und entsprechenden Herkunftsemblemen und Insignien teilnehmen. Sportler, die bei diesen Ereignissen knappe und allseits begehrte Medaillen, Pokale und Titel erringen, erzeugen beim Herkunftsmilieu das Gefühl einer leistungsfähigen und erfolgreichen »Communitas«. Für ihr Engagement und ihre Hingabebereitschaft werden sie dann auch von ihren Entsendeinstanzen entsprechend belohnt und subventioniert. So entsteht im Austausch zwischen Geben und Nehmen in einer forcierten Weise ein Konformitäts- und symbolisches Selbstergänzungsbegehren aufseiten der Zuschauer, das besonders durch die sportlichen Erfolge der eigenen Athleten und Athletinnen befriedigt wird und sich in gemeinsamer Fankleidung, lautstark vorgetragenen Schlachtrufen und Fangesängen, kollektiver Erregung, Heldenverehrung sowie Abneigung gegenüber der Konkurrenz niederschlägt.

2 Grenzüberschreitung und Raumentweihung

Stadien und Arenen, in denen die Idee der Stellvertretung und der symbolischen Ortsverbundenheit durch Athletenerfolge positiv umgesetzt werden konnte, werden zu Sehnsuchtsorten, die eine Sogwirkung auf Athleten und Publikum ausüben, aber auch jene anziehen, die sich im Schatten dieser quasi-sakralen Sphäre in Szene setzen wollen. Je höher ein Wettkampfort in der symbolischen Hierarchie der Sporträume angesiedelt ist, umso stärker fallen die Pull-Effekte für den Nacktauftritt von Flitzern aus. Die »Kathedralen des Sports«, in denen Vereine und Verbände ihre »liturgischen Feiern« vor einem großen Publikum abhalten, sind so zu begehrten Orten der Selbstdarstellung und Selbstglorifizierung für Störenfriede geworden. Die großen Sportevents wie der Super Bowl im American Football, die vier Grand Slam-Turniere im Tennis, der FIFA World Cup und das Finale der UEFA Champions League im Fußball sowie die olympischen Wettkampfstätten sind deshalb in erwartbarer Weise bereits des Öfteren einer kurzzeitigen Entsakralisierung durch Flitzer zum Opfer gefallen. Bei der FIFA-WM im Jahre 2006 wäre es dem bekannten spanischen Flitzer Jimmy Jump fast gelungen, dem WM-Pokal bei der Präsentation der Mannschaften vor Anpfiff des Finalspiels die rote Barreteramütze überzustülpen und die ersehnte Trophäe in ein Symbol der Unabhängigkeit Kataloniens zu verwandeln. Damit wird deutlich: Die großen Sportereignisse werden einerseits zwar mit großem Aufwand gegen sinnfremde Interventionen geschützt, andererseits verfügen sie gerade dadurch über eine Aura, die sie nicht nur für Publikum, Wirtschaft, Politik und Massenmedien, sondern auch für Störenfriede interessant und anziehend macht. Entsprechend reizvoll und prestigeträchtig erscheinen die als heilig erachteten Sonderräume des Sports und die hier gebildeten Öffentlichkeiten vor allem für jene Störenfriede, die sich nicht aus einer spontanen Laune heraus zur Intervention in die sportliche Sinnwelt entscheiden, sondern ihre Übertritte in die geheiligten Räume des Sports wie Trophäen sammeln und im Rahmen eigener Webauftritte mehr oder weniger professionell vermarkten, um in die »Highlight Reels« der gängigen Online-Plattformen wie YouTube, Vimeo und Co. aufgenommen zu werden.

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3 Plötzlichkeit und Überrumpelung

Der Spitzensport hat im Gefolge seiner Ausdifferenzierung als selbstreferentielles Sozialsystem und seiner Emanzipation von Religion, Erziehung und Militär eine autonome Zeitstruktur ausgeprägt und gegenüber den temporalen Ansprüchen anderer Sozialbereiche monopolisieren und stabilisieren können. Wettkämpfe finden nicht irgendwann und zufällig statt, sondern unterliegen einer eigenen Rhythmik und Dauer. Serialität und Zyklizität der leistungs- und konkurrenzorientierten Begegnungen sind für den Spitzensport nicht nur wichtig, um sich als Sozialbereich durch die Produktion systemspezifischer Ereignisse zu perpetuieren und eine eigene, memorierbare Geschichte zu erzeugen. Sie sind auch unverzichtbar, um das Sportpublikum sowie publikumsinteressierte Bezugsgruppen in Wirtschaft, Politik und Massenmedien dauerhaft an sich zu binden. Der Spitzensport geht durch die Ausgliederung einer Eigenzeit auf Distanz zur Monotonie und Profanität des modernen Alltags und verleiht der eigenen Temporalität den Nimbus des Besonderen und Außeralltäglichen. Vor allem gibt er dem Sportpublikum durch die Installierung von Wettkampfserien und -episoden das Versprechen auf eine Wiederkehr des positiv Besetzten. Die Zuschauer können davon ausgehen, dass ihnen spannende, spaßbesetzte und überraschende Wettkampfereignisse auch zukünftig zur Verfügung stehen werden. Der Spitzensport ist durch seine agonalen Wettkampfinszenierungen und seine temporale Kalkulierbarkeit zu einem festen Bestandteil der zeitgenössischen Freizeit- und Unterhaltungsindustrie geworden. Die Großereignisse des Sports wie die Fußball-Weltmeisterschaften, die Olympischen Sommer- und Winterspiele, die Tour de France, die Rennserien

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Flitzer im Sport

der Formel 1, die Grand Slam-Turniere im Tennis oder die Ligaspiele in den diversen Spielsportarten schlagen regelmäßig Millionen Menschen national und international in ihren Bann. Das Publikum nutzt den Zuschauersport, um die Alltagsroutine zu unterbrechen, Lebenszeit sinnhaft zu strukturieren, parasoziale Sympathien zu entwickeln, Gemeinschaftsgefühle durch die massenhafte Synchronisierung individuellen Erlebens zu erfahren, sich an gelungenen ästhetischen Darbietungen zu erfreuen und sich affektiv auszuleben (Bette/Schimank 1995: 57ff.). Die Inklusion in Organisationen und Arbeitsrollen hingegen zwängt die Gesellschaftsmitglieder in das eherne Korsett zweckrationalen Handelns. Man muss pünktlich zur Arbeit erscheinen, sich den sachlichen Organisationszielen unterordnen und die Befriedigung außerberuflicher Bedürfnisse in die Freizeit verschieben. Spontane Affekt- und Gefühlsäußerungen sind im Berufsleben in der Regel unerwünscht, weil sie die reglementierten organisatorischen Funktionsabläufe zu stören drohen. Vor diesem Hintergrund bietet der Zuschauersport den Gesellschaftsmitgliedern ein Kontrastprogramm, auf das viele nicht nur beiläufig zurückgreifen. Die durch die korporativen Akteure des Sports, die Sportverbände, festgelegte Abfolge der Wettkämpfe prägt vielmehr die Lebensweise und Zeitverwendung breiter Bevölkerungskreise, so dass bei nicht wenigen Gesellschaftsmitgliedern Entzugserscheinungen oder Verlustgefühle entstehen, wenn etwa die Fußball-Bundesliga Pause macht oder die Olympischen Spiele sich mit einem Abschiedsritual in die Zukunft verabschieden. Flitzer unterbrechen durch ihr brachiales Eindringen die autonome Zeit, die der organisierte Sport im Gefolge seiner Ausdifferenzierung in Gestalt von Spielzeit und Wettkampfdauer ausgeprägt hat. Sie stören den Ablauf und den Rhythmus eines temporalen Geschehens, das im Ringen um Sieg oder Niederlage den »thrill« lustvoller Spannung generiert. Sie bewegen sich nicht im Schutz der »inattentional blindness« (Simons/Chabris 1999)1 eines voll und ganz auf das Wettkampfgeschehen fixierten Publikums, sondern bringen das Zeitregime des Sports 1

Der Begriff bezeichnet jene unabsichtliche Blindheit für nichterwartete Ereignisse, die sich in Situationen fokussierter Interaktion bisweilen einstellt.

3 Plötzlichkeit und Überrumpelung

kurzfristig zu einem unerwünschten Stillstand. In arbeitsteilig organisierten Sportarten sorgen Flitzer für Rhythmusunterbrechungen im Zusammenspiel der Athleten und Athletinnen. Spielzüge werden durch sie an ihrer Entfaltung gehindert. Strategiekonzepte können nicht umgesetzt werden. Vor allem oktroyieren sie den Athleten, Trainern, Schiedsrichtern, Zuschauern sowie den medial zugeschalteten Beobachtern die temporale Eigendynamik des Flitzens auf. Dabei entsteht kein tragischer Katharsiseffekt, der sich im Vorfeld der Tat über mehrere Stationen erzählerisch anbahnt und in einem Akt der Reinigung final entlädt. Indem Flitzer sich überfallartig in den sportlichen Interaktionszusammenhang einklinken, das Handeln der Sportler durch eigenes Handeln ersetzen und die zentralen Akteure zu wartenden Beobachtern machen, rufen sie vielmehr kollektive Spannungsverluste hervor. Gerade weil der Sport durch die Dominanz von Wahrnehmung Verstehensbarrieren reduziert und das Handeln der Aktiven mit dem Erleben der Beobachter synchronisiert, offenbart sich die Indiskretion des Flitzers in einem Moment der »Plötzlichkeit« (Bohrer 1981: 43ff.), der die Kontinuität der etablierten Sportzeit unterbricht und Spannungsbögen implodieren lässt. Dem Publikum wird dadurch die Möglichkeit genommen, über einen längeren Zeitraum in das Geschehen einzutauchen und »Seinsvergessenheit« (Heidegger) zu kultivieren. In Wettkämpfen, in denen es um alles geht und jahrelange Vorbereitungen aufseiten der Athleten in Medaillen- oder Titelwährung eingelöst werden sollen, stört das Auftauchen eines Flitzers nicht nur die Konzentration der Leistungsträger; auch die wechselseitige Übertragung von Ekstase, ein autokatalytisches Hinaufschwingen von Begeisterung zwischen dem Handeln der Sportler und dem Erleben des Publikums wird blockiert. Flitzer treten als »Virtuosen des Augenblicks« (Bette 1992: 72) auf, die sich durch ihren Tabubruch mit einer Aura der Devianz, des Ungehörigen und Skandalösen umgeben. Hierbei entsteht nicht die ereignishafte, konkrete und nicht-reflexive »Präsenz« (Gumbrecht 2019: 261ff.) des Mannschaftssports; es ist vielmehr der Flitzerkörper, der sich ohne Ankündigung und Einladung von außen als Teil einer realen und nichtsemiotischen Realität in das Wahrnehmungsfeld von Spielern und Pu-

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Flitzer im Sport

blikum hineindrängt und die Aufmerksamkeit durch seine unmittelbare Anwesenheit in Beschlag nimmt.2 Flitzer nutzen gerade die Theatralität und hohe Sichtbarkeit des sportlichen Wettkampfes und die dort ablaufenden Interaktionen, um sich selbst in diesem Ensemble zeitgebundener Leistungspräsentation und Leistungsbeobachtung mit ihren oft entblößten Körpern als Störenfriede in Szene zu setzen. Ihre Attacke erfolgt nicht mit laut gebrüllten Worten oder Parolen, die darauf aus sind, eine reflexionsbasierte Überzeugungsarbeit anzuregen oder ein unmittelbares Verstehen aufseiten des Publikums hervorzurufen. Der spurtende Flitzerkörper wird zu einem Sinnesreiz, dem das Publikum auch deshalb hilflos ausgeliefert ist, weil das sportliche Wettkampfgeschehen durch die Flitzerattacke gleichzeitig zum Stillstand gebracht wird und folglich keine Aufmerksamkeit mehr beansprucht. Selbst das Wegschwenken der TV-Kameras macht dem medial zugeschalteten Publikum deutlich, was hier rein sportlich gerade passiert: nichts. Die Möglichkeit eines beiläufigen Weg- und Übersehens der Transgression entfällt. Flitzer können aufgrund ihrer physischen Präsenz im Stadion nicht als Unpersonen behandelt werden. Alle Anwesenden, die das Geschehen auf dem Spielfeld beobachten, können nicht so tun, als ob die Flitzerattacke nicht erfolgt wäre. Die Medien hingegen haben das Privileg, auf die Anwesenheit von Flitzern anders zu reagieren. Sie können die Störenfriede als Unpersonen ansehen und ihnen eine mediale Aufmerksamkeit durch die Übertragung ihrer Transgression an das nichtanwesende Publikum verweigern. Der strategische Vorteil des Flitzers in der etablierten Interaktionsordnung des Sports besteht darin, dass er die Überraschung und die Überrumpelung im Vorfeld seiner Tat genau planen kann. Der britische Wiederholungsflitzer Mark Roberts gibt an, seine Auftritte akribisch durchdacht zu haben: »I prethink everything and it’s a really serious drain of thought that I’d go through: the best time to go on, what I wanted to do, how I wanted to do it, well of course, any offenses 2

Zur Soziologie der Aufmerksamkeit siehe Hahn (2001) und Schroer (2014a). Eine philosophische Annäherung an das Thema bietet Waldenfels (2004). Eine »Ökonomie der Aufmerksamkeit« formulierte Franck (1998).

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to anybody, or as little offenses to anybody.« (The Back of the Range 2018: ab 11:33ff.) Selbst die von ihm auf der nackten Haut angebrachten Botschaften hätte er vorher sorgfältig ausgewählt, um ein möglichst breites Publikum amüsieren zu können. Mit der Vorbereitung auf das weltweit übertragene Super Bowl-Finale habe er bereits ein Jahr im Voraus begonnen.3 Um das Geheimnis ihrer Lauf- und Entkleidungsattacke zu wahren, kündigen Flitzer ihr Handeln für gewöhnlich nicht im Vorfeld von Sportveranstaltungen an. Sie bringen keine Plakate an Stadionwänden an, um ihr zukünftiges Handeln publikumswirksam vorwegzunehmen und als einen Akt der Konzeptkunst erscheinen zu lassen.4 Vielmehr setzen sie gerade dann auf Überrumpelung, wenn die Gelegenheit günstig ist und niemand damit rechnet. Wenngleich manche Flitzer ihr Handeln im Nachhinein mit Rhetoriken der Spontaneität und Reflexionsabstinenz legitimieren, sind andere Flitzer weit davon entfernt, im Hier und Jetzt lebende »Spontis« zu sein.5 Flitzer, die ihr Handeln langfristig planen und dabei nicht einer bloßen Bierlaune folgen, werden durch die Schutzmaßnahmen der Sportveranstalter genötigt, sich als Spezialisten in der Kunst der Täuschung, Camouflage und Simulation zu üben. Um nicht vorzeitig entdeckt und mit großem Gesichtsverlust aus dem Verkehr gezogen zu werden, kultivieren Sportflitzer die Kunst der Verhüllung und verstecken ihre Absichten hinter einer Fassade der Harmlosigkeit und Normalität. Dabei täuschen sie die Ordnungs- und Sicherheitskräfte nicht nur einfach. Die Täuschung wird von ihnen vielmehr auf sich selbst gewendet und damit reflexiv gehandhabt. 3

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Roberts, der sich beim Super Bowl vor Anpfiff der zweiten Hälfte als falscher Schiedsrichter auf den Platz gestohlen hatte, kontaktierte in dieser Zeit unter anderem die National Football League und gab sich als American Football-Referee in England aus, der dringend neue Uniformen benötige. So hat Dieter Meier sein Handeln prophezeit, als er im Juni 1972 im Rahmen der documenta eine Metalltafel am Kasseler Hauptbahnhof anbringen ließ mit der Aufschrift: »Am 23. März 1994 von 15 bis 18 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen.« Zur Sozial- bzw. Kulturfigur des »Spontis« siehe Stein (1982: 287ff.) und Bette (1989: 136).

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Flitzer täuschen vor, dass es nichts zu täuschen und zu verheimlichen gibt. »Kurz vor dem Moment laufe ich wie auf Autopilot«, beschreibt Mark Roberts den Vorstartzustand: »Ich setze ein Grinsen auf, juble, springe, wüte, gestikuliere, all das, was die Leute um mich herum auch machen. Aber das ist eine Hülle. Eigentlich suche ich den Weg, wie ich auf den Platz kommen kann.« (Schild 2014: 85) Schließlich wissen Flitzer, dass Misstrauen ihnen gegenüber das eigene Täuschungs- und Entkleidungsvorhaben erschweren würde. Denn misstrauische Ordner versuchen hinter die Kulissen der Vorderbühne zu schauen, um die wahren Motive auf der Hinterbühne zu entschlüsseln. Letztlich bringen Sportflitzer ihr im Vorfeld der Abweichung praktiziertes »impression management« (Goffman 1959: 208ff.) durch ihre öffentlich vollzogene Lauf- und Entkleidungspraxis aber selbst zu Fall – ganz im Gegensatz beispielsweise zu den sich dopenden Athleten, die ihre reflexive Täuschung zwangsweise aufrechterhalten müssen, um nicht erwischt und ihrer erschlichenen Titel und Medaillen beraubt zu werden. Da nicht alles im Vorfeld exakt planbar ist, müssen Flitzer des Öfteren auch improvisieren. In manchen Fällen täuschen sie Symptome der Krankheit und der Schwäche vor oder bestechen Ordner, um optimale Bedingungen für ihre Transgressionen herzustellen. Nach dem Überspringen und Überklettern der Metallzäune, Plexiglasscheiben, LED-Banden und sonstigen Barrikaden und Barrieren gilt für sie umso mehr: Prestissimo! Die Entkleidungsaktion nach Betreten der Wettkampfbühne muss schnell vonstattengehen. Gerade der beschleunigte und oft routiniert ablaufende Entblößungsvorgang zeigt, dass das Flitzen eine durchkomponierte Handlungsform darstellt, die zwar »just in time« stattfindet, aber eine sorgfältige Planung notwendig macht und in dieser Hinsicht durchaus modern ist. Mark Roberts verfügt seit langem über eine elaborierte Spezialkleidung, die er in Sekundenschnelle abzulegen vermag. »Ich habe Klamotten mit Klettverschluss, die kann man einfach so aufreißen. Darunter trage ich dann nichts, außer vielleicht einen lustigen String«, berichtet »The Streaker« (Schild 2014: 85). Mäntel, lange Jacken und präparierte Outfits wie seitlich angeschlitzte Hosen, locker sitzende T-Shirts und Druckknöpfe haben die Funktion, den Ordnern stets einen Schritt voraus zu bleiben. Sie nehmen der

3 Plötzlichkeit und Überrumpelung

Entkleidung allerdings auch ihren letzten Rest erotischen Zaubers. Dadurch dass Flitzer den Zustand der Nacktheit unmittelbar und hochbeschleunigt herstellen und nicht auf Langsamkeit und Verzögerung setzen, entsexualisieren sie den Akt ihrer Entkleidung. Die Ausziehaktion des Flitzers unterscheidet sich dadurch essentiell von der Praxis des Striptease, bei der verheißungsvolle Hüllen wie Strapse, Handschuhe, Pelzschals, Federschmuck, Lack- und Lederaccessoires strategisch zum Einsatz kommen, um durch ein langsames Ablegen Begehren zu entfachen. Die Dehnung des Augenblicks beim Entkleiden ist, wie Thomas Ziehe (1984: 50) bemerkte, allemal erotischer als die Nacktheit selbst. »Nur die Dauer des Entkleidens macht das Publikum zum Voyeur.« (Barthes 1957: 147) Das lustvolle Räkeln beim Striptease ist durch eine inszenierte Langsamkeit gekennzeichnet, die in ihrer Dramaturgie verführerisch den Beobachter ins Visier nimmt und ihren Reiz nicht nur aus dem gewinnt, was passiert, sondern auch aus dem, was passieren könnte oder demnächst passieren wird. Beim Striptease geht es folglich nicht um die Nacktheit an sich, sondern um deren temporale Verzögerung mittels geheimnisvoller, aber vielversprechender Gesten. Beim Flitzen hat hingegen keiner der Beteiligten Zeit, »einen entsprechenden Mangel zu empfinden« (Baudrillard 1982: 168). Stattdessen dient die Beschleunigung des Entkleidungsverfahrens vor allem bei männlichen Flitzern der schnellen Lüftung des Geheimnisses. Sie markiert den bewussten Verzicht auf Intransparenz, die bei der Kommunikation koketter Erotik und sexueller Interessen essentiell bedeutsam ist. Flitzer entblößen sich umstandslos und bringen dadurch zum Ausdruck: »Ich bin kein Sexsymbol, sondern einfach nur nackt.« Indem sie anschließend losspurten, tragen sie weiter zur Ausräumung potenzieller Missverständnisse bei. Sie durchqueren das Blickfeld ihrer Beobachter so rasant, »that nobody has much of a chance to dwell on their nakedness« (Friedman/Grossman 2013: 192). Folgt man der Philosophie von Mark Roberts, besteht der lohnende und gelungene »Streak« nicht nur im richtigen »Timing« des Auftritts, sondern auch in der anschließenden Hetzjagd zwischen Räuber und Gendarm, das heißt zwischen dem devianten Störenfried und den Durchsetzern der Bekleidungsnorm. Was die Perspektive der Zuschauer

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betrifft, nimmt er sogar an: »I think the chase is the best part to watch as I like to try and outrun and dodge for as long as possible, making my pursuers looking daft.« (zit. in Sheridan 2017: 78) Als er bei einem renommierten Golfevent völlig überraschend keine Ordner zur Jagd auf ihn animieren konnte, ist Roberts bitter enttäuscht: »I want to get chased. I want to see how long it takes to take me down.« (The Back of the Range 2018: 18:19) Flitzer fallen demgemäß nicht nur durch ein eigenes beschleunigtes Handeln auf. Sie wollen auch die Hüter von Sicherheit und Ordnung im Stadion durch ihr plötzliches Erscheinen zum Handeln zwingen. Erst die Jagd nobilitiert ihre Transgression. Weil Flitzer nach ihrem Erscheinen im Aufmerksamkeitshorizont des Stadionpublikums sowie auf der Bildfläche der Fernsehzuschauer regelrecht wie Wild verfolgt werden, führen sie eine Bewegungspraxis auf, die in der Gegenwartsgesellschaft mit ihren vielfältigen Formen der Entkopplung von Körper, Kommunikation, Raum und Fortbewegung weitgehend überflüssig und verzichtbar geworden ist – und gerade deshalb noch als »Sport« oder »Jogging« betrieben wird: das Laufen. Unter den Bedingungen hochentwickelter Verkehrsmittel, moderner Kommunikationstechnologien und der »Verstuhlung« der Gesellschaft müssen Menschen nur noch selten die Anstrengungen des Laufens oder einer langen Wanderschaft auf sich nehmen oder sonstwie körperlich-physische Hochleistungen erbringen, um sich von einem Ort zum nächsten zu bewegen. Stattdessen nehmen sie das Auto, sammeln Flugmeilen, schreiben E-Mails, »chatten« über Facebook, posten »Stories« auf Instagram oder verschicken Sprachnachrichten per WhatsApp. Auch im Militärwesen ist man immer weniger darauf angewiesen, dass Soldaten »marschieren«. Botschaften, Befehle und Bündnisgesuche in kriegerischen Auseinandersetzungen werden bereits seit Entwicklung der Signal- und Funktechnik nicht mehr von heroischen Meldegängern und Stafettenläufern zu Fuß übermittelt, die sich im Dienste der eigenen Truppen verausgaben und nach Überbrin-

3 Plötzlichkeit und Überrumpelung

gen der Nachricht bisweilen sogar tot zusammenbrechen.6 Selbst die religiös motivierte Pilgerschaft ist von der entbehrungsreichen Glaubensprüfung überzeugter Christen zu einem oft entsakralisierten und kommerzialisierten Erlebnis geworden, zu dessen Start man mit Bus und Bahn anreisen kann. Flitzer wollen durch ihr theatralisches Laufen und Hakenschlagen weder Rekorde erzielen, Fitnessprogramme abarbeiten noch gottgefällig handeln, Buße tun oder menschliches Leben retten. Sie werden auch nicht durch soziale Ungleichheiten und Stigmatisierungsdynamiken in eine prekäre Situation hineinversetzt, der sie sich zu entziehen versuchen. Ihr Schicksal als potentielle Beute wählen sie vielmehr ganz bewusst. Die Jagd auf den Flitzer im Stadion, in der Arena oder auf dem Center-Court ähnelt dennoch in mancherlei Hinsicht der von Alice Goffman (2014) beschriebenen Flucht junger Schwarzer vor der meist weißen Polizei in den Vororten großer US-Städte. Wenn Worte zur Erklärung der Anwesenheit nicht helfen und das Vorurteil der staatlichen Ordnungsmacht überwiegt, muss der Körper schnell aus der Gefahrenzone gebracht werden. Während die »Art of Running« (ebd.: 23) im amerikanischen Ghetto überlebenswichtig sein kann, dient sie im Falle des Sportflitzens lediglich als Verzögerungstaktik, um ein prinzipiell unabwendbares Schicksal zur bloßen Belustigung der Zuschauer in die Länge zu ziehen. Können Flitzer zu Beginn ihrer Performanz noch einen Flick-Flack, Luftsprünge, eine Flugrolle oder eine Radwende in ihre Laufpraxis einbauen und zu einer Runde »high five« mit den Sportlern auf dem Feld ansetzen, wird die Restzeit in Anbetracht des heranrauschenden Sicherheitspersonals schnell knapp. Bereits die begrifflichen Konnotationen des »Flitzens« symbolisieren das Bestreben der Akteure, die Momente der Freiheit durch hohe Handlungsgeschwindigkeit und schnelles Weglaufen zu verlängern und ihre Arena-Existenz möglichst lange hinauszuzögern. Die Knappheit der zur Verfügung stehenden Zeit führt allerdings dazu, dass einige »Streaker« das Entblößungsritual 6

So soll es der Legende nach dem griechischen Laufboten Pheidippides nach Verkündigung des Sieges der Athener in der Schlacht von Marathon gegen die Perser ergangen sein.

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nicht auf die Spitze treiben. Um beim Abwerfen der Kleidung nicht allzu viel Zeit zu verlieren und bei der Verfolgung die Nase möglichst lange vorn zu haben, behalten sie ihre Schuhe an oder verzichten zumindest nicht auf halbwegs rutschfeste Socken. Während das Ergebnis des Rennens und Sprintens in den Armenvierteln US-amerikanischer Großstädte ergebnisoffen ist, sind die Fluchtversuche des Flitzers demgegenüber sisyphosartige Revolten gegen ein unabwendbares Schicksal. Hier machen die Ordnungskräfte mit dem Störer kurzen Prozess. Das Wissen, unausweichlich geschnappt zu werden, verweist in besonderer Weise auf die etablierten Architekturen der modernen Sportarenen, die sich weniger am griechischen Stadion-Prinzip orientieren, »das U-förmig angelegt war und eine offene Seite forderte« (Sloterdijk 2004: 633), sondern am Oval der römischen Arena ausgerichtet sind, was das rauschhafte Erleben der Zuschauer zusätzlich steigert, eine »Königsstelle« (ebd.: 629) in der Mitte projiziert, panoptische Blicke von allen Seiten ermöglicht und auch dem Flitzer keine Lücke zum Entrinnen lässt. Techniken und Praktiken des Flitzens wie Hakenschlagen, Abducken, Kehrtwenden und sonstige ZickZack-Bewegungen im Raum stellen vor diesem Hintergrund paradoxe Maßnahmen dar, die nicht verhindern können, was sie scheinbar zu verhindern suchen. Da der Flitzer im hermetisch abgeriegelten Stadionrund seinen Jägern fast nie entkommen kann, wird er früher oder später zur Beute der Bekleideten – ganz im Gegenteil zu jenen Flitzern in außersportlichen Situationen, die beispielsweise in universitären Seminaren oder Hörsälen durch Nacktheit auf sich aufmerksam machen und sich anschließend einem Zugriff der Hausmeister durch Flucht in andere Räumlichkeiten entziehen. Sportflitzer, die Transgressionen an den traditionellen Orten des Sports vornehmen und sich dabei selbst zum Opfer machen, sind gewissermaßen »Helden des Absurden« (Camus 1961: 99). Sie begeben sich aus freien Stücken in ausweglose Situationen hinein und machen ihr Schicksal zum Geschick, auch wenn die Ordnungskräfte nicht immer schneller als die Flitzer sind und sich durch altersbedingte Unbeholfenheit desöfteren zum Gespött des Publikums machen. Das Scheitern der Flitzer ist dennoch von Anfang an als Teil der Inszenierung einkalkuliert.

3 Plötzlichkeit und Überrumpelung

Sportflitzer rennen nicht als Parcoursläufer durch den Sportraum und springen nicht mit exzeptioneller Akrobatik über Balustraden, Wellenbrecher oder Sitzbänke. Vor allem können sie sich nicht bei Freunden, Verwandten und Bekannten verstecken und solange untertauchen, bis die Luft wieder rein ist. »It was just like being in a goldfish bowl, there was nowhere to go« (Sheridan 2017: 61), erinnert sich Michael Angelow an seinen Cricketstunt. Christian Langford-Snape (ebd.: 96) brachte seine Flitzererfahrung bei einem Eishockeyspiel mit ähnlichen Worten auf den Punkt: »Once I was in, there was no getting out.« Nach einer solchen Erkenntnis dauert es meist nur ein paar Sekunden, bis Ordner und anderweitiges Sicherheitspersonal das »Gesetz der Arena« (Sloterdijk 1999: 327) exekutieren und die Jagd mehr oder weniger schmerz- und humorlos beenden. Nur wenn mit Gefangennahme und Bußgeld a priori gerechnet wird, lässt sich anschließend urteilen: »The police, they were fantastic!« (The Back of the Range 2018: 13:09) Auch die eher gelassenen Reaktionen anderer Flitzer auf ihre Gefangennahme lassen vermuten, dass Erwartungen hierbei nicht enttäuscht, sondern erfüllt werden. Lediglich im Raumregime des Golfsports und anderer Outdoor-Sportarten ist es möglich, nach der Transgression das Weite zu suchen, irgendwo über den Zaun zu klettern oder spontan in den Teich zu springen. In den traditionellen Sportarenen sind die Bedingungen der Fangsituation demgegenüber ungleich verteilt, da die Anzahl der Verfolger schnell anwächst und die Möglichkeiten des Ausweichens im geschlossenen Stadionrund rapide abnehmen. Obwohl der Übeltäter nach der Gefangennahme zwangsverhüllt der Polizei übergeben wird und mit mehr oder weniger scharfen Sanktionen zu rechnen hat, muss man sich den erwischten Sportflitzer als glücklichen Menschen vorstellen. Er hat erreicht, was er erreichen wollte: Aufmerksamkeit.

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4 Vom Erleben zum Handeln

Flitzer machen nicht nur durch öffentliche Nacktheit auf sich aufmerksam. Sie unterbrechen im Vollzug ihrer Selbstpräsentation vielmehr auch die systemische Eigenzeit des Sports und begeben sich in Räume hinein, die für sie nicht vorgesehen sind. Indem sie vom passiven Erleben in ein aktives Handeln überwechseln, bringen sie vor allem aber das spitzensportliche Erwartungsregime zwischen Leistungs- und Publikumsrollen zum Einsturz. Flitzer sind Beobachter, die kurzzeitig darauf aus sind, Akteure zu sein. Der Ort der Metamorphose ist traditionellerweise das Stadion. Dabei sind die Rollen in den Sportstätten klar verteilt. Generell gilt: Die Erwartungsstrukturen des Spitzensports sind wie in keinem anderen Sozialbereich auf Leistungserbringung und Leistungsbeobachtung eingeschworen. Der Spitzensport tritt als regelrechter Prototyp des modernen Leistungsprinzips in Erscheinung, weshalb sportlichen Höchstleistungen und Rekorden oft »Bedeutung weit über den Bereich des Sports hinaus« (von Krockow 1974: 9) zugemessen und als Zeichen der Leistungsfähigkeit von Staat und Nation gedeutet wird. Die soziale Aufmerksamkeit für die in den Sporträumen anwesenden Akteure ist demgemäß ungleich verteilt. Als primäre Leistungsrolle fungieren die Athleten, die die sportliche Leistungsfähigkeit der Sportorganisation praktisch vollziehen und symbolisch verkörpern. Trainer operieren als sekundäre Leistungsrolle zur möglichst zielgenauen Steuerung der sportlichen Leistungsentwicklung von Athleten und Mannschaften. Im Sinne tertiärer Leistungsrollen leistet das medizinische und psychologische Unterstützungsmilieu seinen Beitrag zum

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Flitzer im Sport

sportlichen Erfolg, indem es beispielsweise Schmerzen und Verletzungen behandelt bzw. die Negationsfähigkeit der Athletenpsyche selbst unter Extrembedingungen zu kontrollieren sucht. Vereins- und Verbandsfunktionäre sind als quartäre Leistungsrollen für die weiteren Rahmenbedingungen des Trainings- und Wettkampfhandelns verantwortlich.1 Die rigide Ausrichtung am Leistungsprinzip stellt dabei einen scharf diskriminierenden Inklusionsmodus dar, der Mitgliedschaft unter ständigen Bewährungsdruck setzt. Alle müssen sich auf ihre jeweiligen Aufgaben konzentrieren, erwartungskonform handeln und zur kollektiven Produktion von Höchstleistungen, Medaillen, Titeln und Rekorden beitragen. Der einmal erreichte Mitgliedsstatus bleibt somit kurz-, mittel- wie langfristig prekär. Praktiken des Cooling out und der Entlassung aus dem Zirkel der Leistungselite gehören zum Alltagsgeschäft spitzensportlicher Supervisionsrollen. Die Inklusion in die Publikums- bzw. Zuschauerrolle des Sports ist weit weniger exklusiv, sondern fällt optional und hochgradig inklusiv aus. Mit seinem Spannungs-, Gemeinschafts-, Evidenz-, Körper- und Gefühlserleben offeriert der Zuschauersport ein knappes Gut in der »abstract society« (Zijderveld 1970), das Individuen und Gruppen massenhaft nachfragen. Sportevents bieten dem Sportpublikum zudem Gelegenheiten eines affektiven Sichauslebens, bei dem nicht nur die ausgelassene Freude über den Erfolg der favorisierten Athleten erlaubt ist. Vielmehr werden bei Ärger und Frust über die Leistungspräsentation der eigenen Mannschaft, Tatsachenentscheidungen des Schiedsrichters, unterstellte Arroganz des Gegners oder Managemententscheidungen der Vereinsführung die Regeln des »guten Benehmens« auf der Tribüne außer Kraft gesetzt und Impulsen einer temporären Dezivilisierung nachgegeben. Die Zuschauerrolle toleriert nicht nur das Ausleben von Affekten, sondern fördert und fordert es sogar. Wer ohne Gefühlsregung einem Wettkampf beiwohnt oder sich demonstrativ den Zuschauerwellen im Stadion verweigert, wirkt höchst deplatziert. Ein Großteil der üblichen Reglementierungen der Selbstdarstellung 1

Die funktionale Differenzierung von Leistungsrollen beschreiben Cachay/Thiel (1998).

4 Vom Erleben zum Handeln

in der Öffentlichkeit wird auf den Stadionrängen aufgehoben (Bette/ Schimank 2000: 312). Solange sich die Zuschauer allerdings vom entfesselten Siegescode nicht ihrerseits vollends entfesseln lassen und folglich dazu verleitet werden, Pyrotechnik auf das Spielfeld zu feuern, Mäzene mit dem Tod zu bedrohen oder einzelne Sportlerinnen und Sportler rassistisch zu beleidigen, ist vieles erlaubt. Es wird allerdings erwartet, dass man die käuflich erworbene Beobachterposition einhält und nicht Hals über Kopf auf die Wettkampffläche stürmt. Zuschauer, die gegen diese Passivitätserwartungen verstoßen und spontan oder auch nach langer Planung als Flitzer auf den Bühnen des Sports auftauchen, erscheinen jedoch nicht nur in räumlichen Gefilden, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben. Sie stiften zudem nicht einfach Kontingenz oder bewegen sich außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Sie treten vielmehr als »Gespenster der Freiheit« im Sinne von Luis Buñuel in Erscheinung und erzeugen eine Gegenrealität, deren Eigenkomplexität in besonderer Weise aus dem starken Kontrast zur etablierten Erwartungscollage des Spitzensports resultiert.2 Indem Flitzer vom Erleben zum Handeln überwechseln, aktiv eingreifen und nicht, wie Voyeure, es dabei belassen, das Geschehen von außen passiv zu beobachten, verursachen sie eine abrupte Störung, die das komplexe Erwartungsregime und Rollengefüge sportlicher Konfliktaustragung zwi2

In Luis Buñuels Film »Das Gespenst der Freiheit« aus dem Jahr 1974 trifft sich in einer Episode eine gesellige Runde zum gemeinsamen Stuhlgang. Hin und wieder entschuldigt sich einer der Gäste, um sich für eine kleine Mahlzeit im Zimmer nebenan zu isolieren. Offensichtlich werden weitverbreitete soziale Konventionen und Abläufe in dieser fiktiven Situation auf den Kopf gestellt und durch eine provokante Gegenrealität ersetzt, die ihren Reiz nicht aus sich heraus generiert, sondern in Differenz zu dem, was der Beobachter als Normalität kennt und unterstellt. Im Sinne einer Erwartungsumkehr funktioniert auch ein auf den Filmfestspielen von Cannes 2003 preisgekrönter Spot, den eine spanische Werbeagentur für den Fußballclub Athletic Bilbao zur Vermarktung seiner »new sportswear line« erstellte: Im Rahmen eines fiktiven Fußballspiels, bei dem nicht nur alle Spieler, sondern auch das gesamte Publikum nackt in Erscheinung treten, stürmt Mark Roberts unvermittelt auf den Platz und präsentiert dort den neuen Vereinsdress. Einen ähnlichen Stunt vollzog ein Flitzer, als er bei einem Nudisten-Rugbyspiel angezogen zum Störenfried wurde.

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schenzeitig kollabieren lässt und die Fragilität der sozialen Konstruktion des Hochleistungssports nach außen kehrt.3 Auch Flitzerauftritte erzeugen durch das Zusammentreffen von Zeit, Ort und Handlung Evidenz, aber anders. Vor allem jedoch bewirken sie eine nachhaltige Kontinentalverschiebung in der sinnhaften Architektur der Wettkampfsituation. In sozialer Hinsicht stellt Sportflitzen ein Phänomen der Rollenanmaßung dar. Flitzer wollen nicht mehr sehen, sondern gesehen werden. Anstatt sich in Vereinsfarben zu kleiden, in kollektive Fangesänge einzustimmen und gelungene Aktionen der favorisierten Mannschaft zu bejubeln, werden Flitzer uneingeladen zur »Rampensau« und inszenieren sich als Hauptattraktion einer Veranstaltung, bei der sie noch nicht einmal in einer Nebenrolle vorgesehen sind. Während Ehrerbietung in sportlichen Kontexten in besonderer Weise jenen zukommt, deren Leistung sich im fairen Vergleich als höherwertig erwiesen hat, stehlen sich Flitzer in einen Blickhorizont, der prinzipiell anderen gilt, und erbeuten dadurch zumindest für kurze Zeit die gesamte Stadionaufmerksamkeit. Sie nehmen gleichsam an einer Tafel Platz, die für andere gedeckt wurde. Sie drängen sich dem Publikum als Wahrnehmungsobjekte auf und können für ihre exponierte Stellung keine sportspezifischen Argumente vorbringen. Indem sie in den Sportraum eindringen, machen sie sich vor allem auch zu Beobachtern von Zuschauerreaktionen. Sie messen die Resonanz, die sie durch ihre Tabubrüche beim Publikum auslösen, und nutzen sie für ihre Identitätsarbeit. Das Motto heißt: »Ich werde gesehen, also bin ich!« Ohne selbst etwas geleistet zu haben, ergreifen sie die günstige Gelegenheit, um das bereits vorhandene wettkampfinteressierte Publikum als ihr Publikum zu inkludieren. Das physisch anwesende Publikum ist zunächst ihre bedeutsamste Bezugsgröße. Die weit fortgeschrittene Medialisierung sportlicher Wettkämpfe hat den sozialen Resonanzraum allerdings inzwischen ins Globale auf das physisch nichtanwesende Publikum hin erweitert. Die Sozialfigur des Flitzers ist in dieser Hinsicht auch eine Konsequenz der fortschreitenden Medialisierung sportlicher Wettkämpfe. 3

Zur Sozialfigur des Voyeurs bzw. zum Voyeurismus siehe die Ausführungen von Schroer (2010) und Springer (2013).

4 Vom Erleben zum Handeln

Flitzen geschieht im Wissen, dass alle großen Sportereignisse der Welt medial übertragen werden und mit Hilfe von Verbreitungsmedien ein globales Publikum erreichen. Aufgrund des Publikumsinteresses an Siegern, Helden, Rekorden und Human-Interest-Stories nutzen Fernsehen, Hörfunk, Print- und digitale Medien Sportereignisse, um ihre Eigenlogik zu bedienen und die sportinteressierten Zuschauer als eigenes Publikum zwecks Erhöhung von Einschaltquoten, Auflagen und Werbeeinnahmen einzubeziehen. Zu diesem Zweck steht zumeist ein komplexer Übertragungsapparat aus hochauflösenden »Sehmaschinen« (Virilio 1989) mit variablen Kameraeinstellungen und Beobachtungswinkeln zur Verfügung, die den Wettkampf mehrperspektivisch und polykontextural erlebbar machen. Das Spiel- und Wettkampfgeschehen wird von vorne und hinten, links wie rechts, im Weitwinkelmodus und per Nahaufnahme, in Echtzeit, Zeitlupe oder im Schnelldurchlauf, auf dem Spielfeld und der Tribüne, auf der Höhe von Spiel- und Torlinien, von oben sowie bisweilen auch in intimen Posen von unten beobachtet.4 Wer die Möglichkeiten einer globalen Sichtbarkeit nutzen möchte, ohne selbst hierfür als Leistungsträger eingeladen worden zu sein, kann die üblichen Verhaltensweisen von Zuschauern hinter sich lassen, sich als »Anheizer« an der Erregung des Publikums beteiligen, als Hooligan durch Randale auffällig werden oder eben als Flitzer auf sich aufmerksam machen – ganz wie im Song »The Streak« von Ray Stevens: »If there’s an audience to be found, he’ll be streakin‹ around.« In exakt diesem Sinne beschreibt Mark Roberts in einem Werbespot für das dänische Fernsehen die höhere Bedeutung von Wimbledon in Flitzerkarrieren und verweist auf die allumfängliche Live-Übertragung des auf 15 Plätzen ausgetragenen Tennisevents: »All streakers want to streak Wimbledon. It’s probably the finest tournament to streak in the

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In diesem Zusammenhang sind die Startblockkameras bei der LeichtathletikWM in Qatar (Doha) im Jahre 2019 kritisch diskutiert worden. Offenbar sollte nicht nur die Kopplung zwischen Athleten und Publikum verstärkt, sondern auch die Sehlust aufseiten der medial zugeschalteten Beobachter gesteigert werden.

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world.« (TV2 Play 2021: 0:53ff.) Die panoptische Matrix aus Kamerablickwinkeln und Mikrofonübertragungen fungiert dann als singuläre Präsentationsmaschine, und nicht als Symbol eines Überwachungs- und Disziplinierungsapparates, wie sie in Gefängnissen oder anderen totalen Institutionen anzutreffen ist (Foucault 1994: 318ff.). So gesehen sind Flitzer die Prototypen einer »Visual Culture« (Jenks 2002), die nicht durch irgendeine Ordnungsmacht zwecks Zurschaustellung ins Rampenlicht gezerrt werden, sondern dies freiwillig tun. In ihrem »Fight for Visibility« (Schroer 2014b) greifen sie auf Strategien zurück, die Aufmerksamkeit durch illegitime Grenzüberschreitungen sicherstellen. Stabile Sozialgefüge sind darauf angewiesen, ihre Erwartungsstrukturen und Grenzen gegen innere Abweichungen und externe Interventionen zu schützen. Sicherheitsbeauftragte, wie sie nicht nur im Fußball fest institutionalisiert sind, dienen aus dieser Perspektive als Immunsystem des sportlichen Interaktionsgeschehens, die als »AntiKörper« an den Grenzstellen der künstlichen Konfliktaustragung arbeiten. Das Security-Personal konterkariert die Leidenschaft des Sportpublikums durch ein eigenes Spielseh- und Amüsierverbot und richtet seine Aufmerksamkeit mit ernster Miene auf die anwesenden Zuschauer. Ihre professionelle und finanziell entlohnte Selbstlosigkeit besteht darin, mit dem Rücken zum Spielfeld das Publikum beim Beobachten zu beobachten und auf etwaige Stör- und Überrumpelungsversuche hin zu sondieren. Ordner verzichten somit auf die Partizipation an den Beobachtungsofferten des Sports, um Wettbewerbsunterbrechungen präventiv zu unterbinden. Misstrauen gegenüber dem anwesenden Publikum ist Teil ihres Rollenprofils. Es entsteht dann, wenn das Publikum Vertrauensvorschüsse durch Regelbrüche enttäuscht hat und in der Vergangenheit bereits durch Entgleisungen auffällig wurde. Zuschauer werden durch die bohrenden Blicke der Ordner pauschal unter Verdacht gestellt, ihre passive Beobachterrolle jederzeit aufgeben und zu einer werfenden oder platzstürmenden Akteurmasse werden zu wollen. Das Sicherheitspersonal fungiert insofern als Beobachter zweiter Ordnung, die als kollektive »Andere« verhindern sollen, dass das überschüssige Handlungspotenzial aufseiten der Zuschauer von außen nach innen auf das Spielfeld überschwappt und dort Unordnung stiftet. Spaß und

4 Vom Erleben zum Handeln

Begeisterung der Zuschauer dürfen während eines Wettkampfes nur auf den Stadionrängen oder in den eigenen oder öffentlichen Fernsehräumen stattfinden, nicht im Binnenraum der Arenen. Das menschliche Security-Bollwerk soll sicherstellen, dass die Konkurrenz zwischen den Sportakteuren eine »geschlossene Gesellschaft« (im Sinne von JeanPaul Sartre) bleibt: Die Hölle der Zuschauer, das sind diese »Anderen«! Um einen reibungslosen Ablauf des Wettkampfgeschehens sicherzustellen, haben Sportveranstalter allerdings nicht nur den Wechsel von außen nach innen zu kontrollieren; sie haben weiterhin dafür zu sorgen, dass der Funken der Athletenbegeisterung nicht umgekehrt über die Absperrungen von innen nach außen auf die Seite des Publikums überspringt, um sich auf der Zuschauertribüne in Gestalt von Verbrüderungs- und Jubelszenen für gelungene Spielzüge, Torschüsse oder Rekorde auszuleben. Auch hier begrenzen Sportverbände die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zwischen Leistungserbringern und Leistungsbeobachtern. Flitzer, die eine günstige Gelegenheit erwischen, blinde Flecken des kontrollorientierten Immunsystems schamlos ausnutzen, ausgewählte Ordner mit »fish and chips« bestechen, sich als Rollstuhlfahrer tarnen, lügen oder andere Täuschungsmanöver geschickt zum Einsatz bringen, schaffen es dennoch immer wieder, hinter dieses Bollwerk und in das Zentrum der Stadionaufmerksamkeit zu gelangen.5 Die Herstellung von Nacktheit erfolgt oft direkt im Anschluss an die Grenzüberwindung. Mark Roberts orientiert sein Handeln an einem speziellen Code: »Take off your clothes once you are visible!« (Sheridan 2017: 72) Auch Sheila Nicholls befand sich kurz vor dem Spielfeld, als sie die Hüllen fallenließ. Ein Beobachter bemerkte: »In the metre of grass between, she took off everything she was wearing except her watch.« (ebd.: 132) Mark Roberts löste beim Super Bowl mit seiner Metamorphose vom uniformierten Referee zum Nacktflitzer eine solche Konfusion aus, dass ihn die Polizei

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Im Interview gibt Melissa »Missy« Davis folgende Anekdote über ihre »wellplaced bribery« (Sheridan 2017: 20) preis: »I gave free fish and chips to the security guards so they’d let me down on the pitch near the court. I told them I was just a big fan.«

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eine ganze Minute lang frei walten ließ, bevor sie zur Jagd ansetzte. Der Akt der Entkleidung fungiert in solchen Fällen als eine Art »Übergangsritus« (van Gennep 2005: 25ff.), bei dem Flitzer gegen allgemeingültige Konventionen des zivilisierten Verhaltens verstoßen und die kontrastierende Wirkung des Vorzeichenwechsels auf die Spitze treiben. Durch die Passage vom bekleideten Zustand in den status nascendi verzichten sie auch auf jene vestimentären Feigenblätter, die soziale Erwartungscollagen in Form von Kleidungsstücken symbolisieren (Hitzler 1985: 508). Ärztekittel, Polizeihelme, Offizierswesten, Anwaltsroben, Boxhandschuhe oder die Nonnentracht signalisieren nicht zuletzt, womit in der Interaktion unter Anwesenden zu rechnen ist. Standardisierte Berufskleidung kommuniziert nonverbal, was Leistungsempfänger in Gestalt von Klienten-, Patienten- oder Gläubigenrollen zu erwarten haben. Demgegenüber aktualisieren Körperpräsentationen im »birthday suit« eine anthropologische Konstante. Wer geboren wird, wird schließlich nackt geboren. Insofern zeichnet sich der Zustand der Nacktheit gerade auch durch seine anti-hierarchische Qualität aus und fungiert als Symbol der Gleichheit unter den Bedingungen von Vielheit. Die Nacktheit eines Sportflitzers transportiert zudem eine Neutralitätsbotschaft in eine Situation hinein, die theatralisch als Konkurrenz zwischen zwei oder mehreren Kombattanten in Szene gesetzt wird. Die Enthüllung des Flitzers signalisiert vor allem in den Mannschafts- bzw. Spielsportarten einen Verzicht auf die über Kleidung transportierte Kommunikation von Loyalität zu einem der beiden Teams und bringt auch auf den Zuschauerrängen die Auflösung der sportlichen Konfliktsituation mit sich. Denn für gewöhnlich arbeitet auf der Tribüne die eine Zuschauerfraktion an der Entwürdigung und Bloßstellung der Akteure auf der anderen Seite und hofft auf einen günstigen Wettkampfverlauf für den eigenen Verein. Im Medium der leibhaftigen Flitzererscheinung laufen diese Abgrenzungspraktiken jedoch ins Leere und schlagen in eine Identifikation der Zuschauer mit dem nackten Störenfried um. Die Polarisierung zwischen den Wettbewerbern und ihren Anhängern wird dadurch kurzzeitig suspendiert. Das anwesende Publikum springt dem gejagten Eindringling fast komplizenhaft zur Seite – zumindest für die kurze Zeit seiner Auflehnung gegen die

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höhere Gewalt des Sicherheitspersonals. Entsprechend werden die beobachteten Jagd- und Fluchtszenen mit Lachen, Anfeuerungsrufen und Gebrüll, die Gefangennahme des Eindringlings aber von Buhrufen und lauten Pfiffen gegen die Ordnungshüter begleitet.6 »The crowd’s reaction to the streaker«, beobachtet auch Kohe (2012: 198), »becomes an inherent part of the action of streaking«. Mark Roberts berichtete, viele der 65.000 Zuschauer beim »Rugby Sevens« in Hongkong, seinem allerersten Flitzerauftritt, hätten den Sittenwächtern im Stadion verbal regelrecht gedroht: »Leave him alone! Leave him alone!« (The Back of the Range 2018: 8:22) In Einzelfällen kommt es sogar zu einer handfesten Kumpanei einiger Fans mit dem Störenfried und gegen die verhasste Ordnungsmacht. Als ein Flitzer bei einem Fußball-Champions-LeagueSpiel des FC Bayern München gegen Dynamo Kiew am 23. November 2021 von einem Ordner zu Fall gebracht wurde und anschließend abgeführt werden sollte, eilten ihm mehrere Fans zu Hilfe, schreckten sogar vor einem kurzen Handgemenge nicht zurück und ermöglichten dem Flitzer durch diesen Einsatz, mit einem beherzten Sprung in die Zuschauerränge zu entkommen (Spox: 23.11.2021). Der Schulterschluss des Publikums mit dem Flitzer funktioniert allerdings nur unter einer Bedingung: Der Störenfried hat neutral zu bleiben und darf nicht zugunsten einer Partei in das Geschehen auf dem »heiligen« Rasen eingreifen. Nur dann ist das Publikum bereit, die Grenzüberschreitung mit Lachen, Johlen oder anderweitigen Sympathiebekundungen zu kommentieren. Flitzen verweist somit nicht nur auf Diskurse über Macht, Herrschaft und Autorität in den Räumen des Sports, sondern legt auch Mechanismen sozialer Sympathie und Solidarität offen. Im Profiboxen provozierte der »Fan Man« seinerzeit in Las Vegas eine umgekehrte, sportartspezifische Reaktion aufseiten des Publikums. Nachdem er mit einem motorgetriebenen Hangglider versucht hatte, den Boxring von oben zu erreichen, dabei aber in den Ringseilen hängengeblieben war und in den Zuschauerreihen für entsprechende Turbulenzen gesorgt hatte, wurde er verprügelt und bewusstlos geschlagen. Hier saßen 6

Zur Theorie des Lachens siehe beispielsweise Bergson (1900), Plessner (1941), Heinrich (1986).

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die Zuschauer zum einen näher am Ring und fühlten sich durch den Stunt selbst attackiert. Zum anderen wurde der Boxkampf durch den Vorfall für längere Zeit unterbrochen und in seiner Dynamik gestört. Nicht wenige Zuschauer hatten zudem auf den Ausgang des Wettkampfes gewettet und fühlten sich in ihren Einschätzungen durch diese Intervention von außen düpiert. Auch für den Unparteiischen stellt die Flitzerintervention nicht bloß eine Unterbrechung des Spielgeschehens dar. Der Schiedsrichter wird vielmehr akut mit einer Situation der Rollenunsicherheit konfrontiert und an die habituellen Grenzen seiner Einflusspotenziale gebracht. Ihrer Funktion gemäß sind Schieds- und Kampfrichter mit der Aufgabe betraut, als intervenierende Dritte den reibungslosen Ablauf des Handlungsgeschehens sicherzustellen, Konflikte zu finalisieren, Athleten auf regelkonformes Rollenhandeln zu verpflichten und die überschüssigen Energien in der personalen Umwelt des sportlichen Leistungsvergleichs einzuhegen. Für den Fall der Regelübertretung sowie bei möglichen Eskalationen verfügen Schiedsrichter über Verwarnungs- und Sanktionierungsrechte, um normkonformes Verhalten durch die Androhung von Konsequenzen (z.B. Platzverweise, Spielsperren) wahrscheinlich zu halten bzw. Devianz als solche zu markieren und mit Folgen zu belasten. Da Flitzer die etablierten Sinngrenzen der sportlichen Konfliktaustragung transzendieren und kein offizieller Teil des Spielsystems sind, verpuffen diese Potenziale der Einflussnahme im Umgang mit dem Störenfried. Hin und wieder karikieren Flitzer den Umstand des Kontrollverlustes aufseiten der Schiedsrichter sogar in entsprechenden Signalaktivitäten. Sie kolportieren dann das Bild einer verkehrten Welt: Der Flitzer zeigt dem Unparteiischen die rote Karte und führt seinem Gegenüber die eigene Handlungsunfähigkeit bildhaft vor Augen. Er bringt die Lacher dadurch auf seine Seite. Jene Schiedsrichter, die sich nichtsdestotrotz als Institution der finalen Einflussnahme und Kontrolle begreifen, steigen regelmäßig in die Fangsituation mit ein. Sie werden dann Teil der Meute, die den Störenfried zu stellen versucht. In anderen Fällen resultiert die plötzliche Distanz zu den eigenen Interventionsmöglichkeiten in einer humorvollen Reaktion. Dann verrät ein breites Grinsen beim Zücken der roten Karte gegen den Flitzer im Gesicht des anwesenden Schieds-

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richters die selbstironische Reflexion des eigenen Handelns. Denn auch der Schiedsrichter weiß: Diese Störung wird für den Flitzer Konsequenzen haben – aber nicht durch ihn, den Schiedsrichter. Die Athleten laufen bei einem Eingreifen in das Geschehen ebenfalls Gefahr, das Gesicht zu verlieren bzw. ihr scheinbar wahres Ich zu zeigen. Wer den ungeschützten Flüchtling durch einen gefährlichen Körpereinsatz, beispielsweise einen Faustschlag, zur Strecke bringt oder gar den Cricketschläger als Schlaginstrument zum Versohlen des Hinterteils eines Flitzers zweckentfremdet, stellt keine sportliche Handlungsfähigkeit unter Beweis, sondern agiert als Spaßverderber und riskiert einen dauerhaften Imageschaden.7 Die Irritation ist komplett, wenn gerade diesen Spielern vor Wiederanpfiff die rote Karte für ihr rüdes Einsteigen wider den Flitzer gezeigt wird. Dass die Vorzeichen durch den Flitzerauftritt gewechselt haben, zeigt sich nicht zuletzt im Bedeutungswandel gesellschaftlicher Uniform-Artefakte. Muss der Polizeihut zum Brustschutz oder als Genitalzensur herhalten, kommen Rollendistanz und Inkongruenz auch in dieser neuen Prioritätensetzung zum Ausdruck.8 Da es sich bei den Sicherheitsbeauftragten zumeist um Männer handelt, wird beim Eintritt männlicher Flitzer gerade in jenen Sportarten, die sich durch eine Kultur der hegemonialen Männlichkeit auszeichnen, zusätzlich die heteronormative Geschlechterordnung dieser Sozialbereiche konterkariert. Die homoerotische Fangsituation verstärkt dann häufig den Lachimpuls auf den Zuschauerrängen, während sich das Sicherheitspersonal mit einer Aufgabe höherer Komplexität konfrontiert sieht. Es muss nicht nur situativ aus einem breiten Abfangrepertoire auswählen, um den Eindringling möglichst schnell zur Strecke zu bringen. Es hat zudem unter Zeitdruck besondere Fürsorge dafür zu treffen, nicht in das Fettnäpfchen der Berührung von

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Der »Hitter« Greg Chappell musste für diese Aktion heftige Kritik einstecken und wurde vom Flitzer zudem angezeigt und auf Schadensersatz verklagt. Siehe hierzu »Greg Chappell spanks a streaker« auf der Webseite Cricket Country vom 26.12.2014. Auch Theodor W. Adorno versteckte sich in Reaktion auf das sog. »Busenattentat« hinter seiner Aktentasche (Greiner 2014: 33).

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Intimzonen des Flüchtigen zu tappen. Hin und wieder führt die Schwierigkeit dieser Vermeidungsaufgabe zum Scheitern selbst der allerbesten Absichten. Schnappschüsse derartiger Fehlleistungen zieren dann die Berichterstattung der Boulevardpresse und provozieren hämische Kommentierungen über die tragisch gewordenen Helden: »Streaker went down, crowd went nuts and security man, hopefully, went home for a loooong (sic!) bath.«9 In manchen Fällen läuft das Erwischtwerden derjenigen, die den Wechsel vom Erleben zum Handeln vollzogen haben, allerdings weniger zivilisiert ab. Dann löst die Wut der Ordner, den Eindringling anfänglich nicht an seiner Grenzüberschreitung gehindert zu haben, einen asymmetrischen Gewalteinsatz aus, bei dem der Flitzer nach Gefangennahme in den Schwitzkasten genommen und sogar verprügelt wird. In schmerzhaften Einzelfällen »tackeln« Ordner den Flitzer bisweilen auch von der Seite, schleudern ihn mit voller Wucht gegen die Spielfeldbande und bringen ihn hierdurch unsanft zu Fall. Der Leichtigkeit des Flitzens setzen sie so ein überaus humorloses, übermotiviertes und an Körperverletzung grenzendes Ende entgegen. Das Publikum goutiert diesen aus dem Rugby und American Football stammenden Körpereinsatz in der Regel nicht und reagiert mit Empörung auf die Beendigung der Lauf- und Nacktattacke. Der Flitzer wird sich sein Scheitern in solch rabiaten Fällen der Transgressionsbeschränkung anders vorgestellt haben: kein grinsendes Abgeführtwerden unter dem Johlen des Publikums, sondern ein äußerst schmerzhafter Abtransport auf einer Bahre unter den mitleidigen Blicken der Zuschauer. Auch für die primären Leistungsrolleninhaber, die Athleten, geht der Wechsel vom Erleben zum Handeln aufseiten der Zuschauer nicht immer glimpflich aus. Das Attentat auf Monica Seles auf der Hamburger Tennisanlage Rothenbaum zeigt, dass die räumliche Nähe des Publikums zu den Spitzensportlern gravierende Konsequenzen haben kann. Im April 1993 attackierte ein vermutlich psychisch kranker Bewunderer von Steffi Graf die junge US-amerikanische Konkurrentin

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Siehe hierzu die australische Herald Sun vom 19.7.2013.

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mit einem Messer, verletzte sie dabei schwer und beeinträchtigte ihre Karriere langfristig durch diese Traumatisierungserfahrung. Der suspendierte irische Priester Cornelius Horan fiel ebenfalls durch einen radikalen Eingriff in ein Weltereignis des Sports negativ auf. Im Jahr 2004 drängte Horan im olympischen Marathonlauf den bis dahin führenden Brasilianer Vanderlei de Lima in die Zuschauermenge ab und verhinderte zeitweise dessen Weiterlaufen. De Lima landete nach dieser erzwungenen Pause »nur« auf dem dritten Platz. Auch in Israel resultierte das Derby zwischen Maccabi und Hapoel Tel Aviv im Jahr 2014 in einer eskalatorischen Gewaltspirale. Als ein Fan spontan auf den Fußballrasen sprang, um einen Spieler mittels Handgreiflichkeiten für seinen Wechsel zum Stadtrivalen zu bestrafen, stürmten mehrere Zuschauer ebenfalls auf das Spielfeld, um in die dadurch angestiftete Prügelei einzusteigen. Beim DFB-Pokalspiel zwischen dem FC Bayern und dem Hamburger Sportverein im Jahre 2014 flitzte ein HSV-Anhänger in Fanbekleidung kurz vor dem Abpfiff in der Verlängerung auf das Spielfeld, schlug Franck Ribery, einen Bayernspieler, mit einem Schal und zeigte ihm despektierlich beide Mittelfinger. Die Aktion ging als »Schal-Attacke« in die Annalen des Fußballs ein. Der bekleidete Störenfried wurde bei der Polizei angezeigt und erhielt ein Stadionverbot. Diskurse über Stadionsicherheit sind angesichts dieser Transgressionen nicht nur mit Berichten über Hooligans verknüpft. Auch Flitzer gelten als Bedrohung der etablierten Stadionordnung. Die Möglichkeit unerwünschter Laufattacken und Unterbrechungen durch Flitzer wird geradezu als Lackmustest für Stadionsicherheit und als Signifikant für lückenhafte Sicherheitsvorkehrungen gewertet. Allein während der 14 Spiele des FIFA Confederations Cup im Vorjahr der Fußball-WM 2006 in Deutschland gab es vier Flitzer-Vorfälle, die das Sicherheitskonzept des Gastgebers gehörig in die Kritik brachten (Klett-Straub 2006: 188). Die Nacktheit vieler Flitzer gibt vor dem Hintergrund möglicher Schadenseintritte allerdings Entwarnung und signalisiert soziale Harmlosigkeit. Denn wer unbekleidet im Stadionrund auftaucht, hat im wahrsten Sinne des Wortes nichts zum Verbergen. Nacktheit bedeutet nicht: »Hände hoch!« Das Motto heißt vielmehr: »Ich bin unbewaffnet und stelle keine Gefahr dar!« Nacktflitzer attackieren die Akteure auf dem Spielfeld in

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der Regel nicht, sondern nutzen sie als Slalomstangen, um sich den zugreifenden Händen der Ordner zu entziehen und ungestört Selfies mit bekannten Sportlern zu schießen, ihnen auf die Backe zu küssen, einen Klaps auf den Hintern zu geben, sie mit lasziven Tänzen zu umgarnen oder sie nach ihren Trikots zu fragen. Flitzer decken durch ihre Tabubrüche auch keine Skandale im Sport auf oder sind auch nicht darauf aus, eine Revolte »gegen das System« anzuzetteln. Sie rebellieren mit ihren Laufeinlagen nicht gegen die soziale Ordnung des Sports, wollen keinen sozialen Wandel anstoßen, keine soziale Bewegung auslösen und keine kollektive Identität bei Anhängern ausprägen; sie nutzen die Sinnwelt des Sports vielmehr parasitär, um sich durch die kurzzeitige Stiftung von Unordnung und Chaos in Szene zu setzen. Die referierten Anekdoten und Hinweise machen nicht nur auf die hohe Variabilität der Störmaßnahmen aufmerksam; sie zeigen auch, dass es sich lohnt, die Sozialfigur des Sportflitzers auf ihre Handlungsmotive hin zu befragen. Bei jenen Störenfrieden, die nicht aus Protest-, Werbungs- oder Parteilichkeitsgründen in die Sonderräume des Sports stürmen oder die Umsetzung von Wettverpflichtungen für ihr Handeln ins Feld führen, scheint der Drang nach Einzigartigkeit und Ruhm eine besondere Rolle zu spielen. Diesen Gedankengang wollen wir im nächsten Kapitel mit Hilfe der soziologischen Theoriebildung vertiefen und analytisch zur Entfaltung bringen.

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Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Sozialfigur des Flitzers im Sport sich nur dann komplexitätsangemessen beschreiben und verstehen lässt, wenn die Selbstreferentialität des Sports in ihren zeitlichen, sachlichen, sozialen und räumlichen Ausprägungen als maßgeblicher Resonanzboden für die devianten Grenzüberschreitungen eingeblendet und in die Analyse einbezogen wird. Flitzer erscheinen dann als Formgestalten, die den Spitzensport als Medium nutzen, um sich selbst als Subjekte sichtbar zu machen. Der Blick auf die parasitäre Inanspruchnahme dieses Sozialsystems durch Flitzer soll nun durch die Einbeziehung jener gesellschaftlichen Wandlungsprozesse ergänzt werden, die den Drang dieser Störenfriede nach Individualität, Originalität und Ruhm hinter dem Rücken der Akteure anheizen und motivieren. Im Lichte einer derartigen Herangehensweise erscheint das Flitzen im Spitzensport als Strategie, mit der moderne Subjekte in einer durchaus kuriosen und exzentrischen Weise auf das Risiko der Bedeutungslosigkeit und des Nicht-beachtet-Werdens in der Gegenwartsgesellschaft reagieren. Das im Sportflitzen zutage tretende Individualitäts- und Einzigartigkeitsbegehren zeigt sich als Konsequenz sozialstruktureller Veränderungen, die Menschen nach dem Wechsel von Stratifikation auf funktionale Differenzierung aus vormaligen Bindungen freigesetzt haben und zur Selbstgestaltung auffordern. Wurde die vormoderne Identität noch maßgeblich durch Geburt, Religionszugehörigkeit und Stand geprägt, dessen Handlungsorientierungen und Werte der Einzelne passgenau zu verkörpern und zu reproduzieren hatte, erfolgt die

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moderne Identitätsarbeit vornehmlich auf der Grundlage von Individualisierung und Distinktion. Der einzelne sieht sich infolgedessen mit der Aufgabe konfrontiert, sich sowohl nach außen, gegenüber anderen, als auch nach innen, gegenüber sich selbst, als eine eigenständige und einzigartige Größe darzustellen und abzugrenzen (Bette 2004: 49ff.). Da der soziale Status des modernen Subjekts sich vornehmlich nach der Karriere in Organisationen und deren Rangzuteilung (Luhmann 2000b: 101ff.) richtet und nicht mehr automatisch aus der Teilhabe an ständischen, lokalen und häuslichen Lebenszusammenhängen errechenbar ist, wird der individuelle Lebenslauf zu einem Fixpunkt, an dem das Subjekt Besonderheit auszudrücken und sich für andere lesbar zu machen hat. Und was individualisiert in einem durch Routinehandeln, affektive Neutralität und Rollenkonformität geprägten Alltag mehr als gezielte und weithin sichtbare Grenzüberschreitungen und Provokationen, die nicht nur den Einzelnen als aktiv handelndes Subjekt in den Vordergrund rücken, sondern auch das Übliche in öffentlich einsehbaren Situationen bewusst gegen den Strich bürsten. Flitzer treten vor diesem Hintergrund den ultimativen Beweis für eine soziologische Grundeinsicht an: dass Abweichung, die gegen etablierte soziale Erwartungen läuft, stärker individualisiert als ein konformes Handeln, das Erwartungen entspricht (Luhmann 1995: 90). Für unsere Analyse bedeutet dies: Flitzer werden nicht dadurch als Individuen bekannt, dass sie sportliche Leistungen vorbildlich übererfüllen und sich in Wettkämpfen zum Ruhme des Herkunfts- und Entsendemilieus als besonders leistungsfähige Subjekte auszeichnen. Sie bringen weder im harten Wettkampf errungene Pokale, Titel oder Medaillen nach Hause noch verausgaben sie sich in jahrelangen, voraussetzungsvollen und entbehrungsreichen Trainingsmaßnahmen. Vor allem können sie auch keine besonderen Meriten vorweisen, die sie energie- und zeitintensiv auf den typischen Karrierepfaden von Arbeitsorganisationen erworben hätten. Ganz im Gegenteil: Sie bestätigen ein zentrales Moment der Beobachtungen zum »demotic turn« (Turner 2006), indem sie idealtypisch den zunehmend verbreiteten Anspruch verkörpern, nicht unbedingt etwas leisten zu müssen, um soziale Berühmtheit zu erlangen. Flitzer singularisieren und subjektivieren sich

5 Individualisierung und Distinktion

paradoxerweise durch eine Art Anti-Leistung, indem sie einen mehrfachen Tabubruch in einer Welt des »Als-ob« begehen. Auf den Bühnen des Sports fallen sie durch Nacktheit und »explicit lyrics« auf Brust, Bauch und Rücken auf. Nachdem sie eine unerwünschte Metamorphose vom Beobachter zum Akteur vollzogen haben, penetrieren sie einen Raum, in dem sie nichts zu suchen haben. Hier bringen sie ein Geschehen zum Stillstand, das Unterbrechungen von außen nicht vorsieht, sondern nur nach eigenen Regeln erlaubt, oder dann in Kauf nimmt, wenn die Gültigkeit dieser Regeln kontrafaktisch wiederhergestellt werden muss. Zusätzlich glänzen sie durch ironische Kontextzitationen, »happy dancing« und »silly poses«. Beim Räuber-und-Gendarm-Spiel mit der Ordnungsmacht fallen sie, last but not least, fast immer durch mittelmäßige Körperperformanz und grobmotorische Bewegungsschnitzer auf, was in einem auf Körper- und Bewegungsperfektion ausgerichteten Sozialmilieu in besonderer Weise distinktionsträchtig ist. Offensichtlich steckt hinter diesen transgressiven Handlungen nicht nur die Fähigkeit der Akteure zu Witz, Clownerie und Klamauk; vielmehr kommt ein posttraditionales Leistungsverständnis zum Vorschein, das nicht auf erworbene Bildungslizenzen, hart erarbeitete berufliche Erfolge, Geld- und Grundbesitz oder andere Formen des bürgerlichen Statuserwerbs setzt, sondern im schnellen und provokanten Tabubruch die andere Seite des Individualisierungsbegehrens sichtbar macht, nämlich die Angst, als Mensch hinter den Kulissen von Organisationen in langen, anonymen Arbeitsketten zu verschwinden, ohne jemals vor großer Kulisse als Subjekt wahrgenommen und entsprechend gewürdigt worden zu sein. Der auf Nacktheit verzichtende Flitzer Jimmy Jump beschrieb seine Motivation zum Flitzen dementsprechend mit den folgenden Worten: »Since I was a child I applied for castings, I wanted to be on TV, but they never took me, and I decided on a radical method.« (Motjer 2011: ab 0:42) Um dem Schicksal des Nicht-beachtet-Werdens zu entgehen, brechen Flitzer aus ihren meist aufmerksamkeitsfernen Alltagsrollen aus und suchen herausgehobene Sportevents auf, in denen sie Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit leicht herstellen können, weil die »archimedisch gewünschte Position des Individuums« (Luhmann/ Fuchs 1989: 144) in der Mitte des Geschehens bereits Teil der dortigen

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Inszenierung und Theatralisierung ist. Der Spitzensport ist schließlich ein Sozialsystem, das durch seine Körper- und Personenorientierung sowie durch seine auf Konkurrenz und Hierarchisierung ausgerichtete Wettkampfkultur darauf ausgerichtet ist, einzelne Athleten oder Gruppen nach harten Selektionsprozessen in einsehbaren Räumen und vor großer Kulisse als Besonderheiten zu profilieren und zu feiern. Der vielzitierte Aphorismus aus der Kunsttheorie Andy Warhols (1975), demgemäß »in Zukunft […] jeder 15 Minuten lang berühmt sein kann«, scheint auch das Individualisierungsbegehren von Sportflitzern zu beschreiben. Sie radikalisieren den genannten Zeithorizont ihrer Prominenz sogar, setzen vielmehr auf »15 Sekunden nackten Wahnsinn« (Spiegel online: 22.10.2017) oder wollen wenigstens einmal im Leben eine »Minute des Ruhms« ergattern.1 Selbst Vitaly Zdorovetskiy, der zum Zeitpunkt seines Flitzerauftritts im Finale der FIFA-WM 2014 bereits ein Internetstar war, twitterte im Anschluss an seinen Stadionstunt: »Finally famous!« Flitzer erweisen sich mit ihrem auf traditionelle Leistungserbringung verzichtenden Individualisierungsbegehren und ihrer medialen Ruhmorientierung als Auswüchse einer »Gesellschaft des Spektakels« (Debord 1996), in der Reality-TV zur Regel, Banalität publikationsfähig und Peinlichkeit und induziertes Fremdschämen zu Stilmitteln erhoben worden sind, um ein voyeuristisch gestimmtes und entgleisungsinteressiertes Publikum zu unterhalten. Die Praxis des Sportflitzens eignet sich in besonderer Weise für die schnelle Herstellung von Aufmerksamkeit und die Inszenierung von Besonderheit, weil sie die Selbstentblößung von Personen kompromisslos auf die Spitze treibt und Personen in einer Sonderöffentlichkeit exponiert, in der diese Form der Selbstpräsentation nicht vorgesehen ist, sondern vielmehr unter Strafe steht. Die multiple Grenzüberschreitung und die mehrfache Devianz der Sportflitzer lösen »Minikrisen des Erwartens« (Luhmann 1995: 79) aus und führen das Sportpublikum an den Rand des Verstehbaren. Beim 1

So lautet der Titel einer Dokumentation über Jimmy Jump aus dem Jahr 2011, im Original: »Minut de Glòria« (Regie: Eric Motjer).

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Flitzen findet kein »Ausflug ins Abstrakte« (Luhmann/Fuchs 1989: 138) statt – wie beispielsweise in der zeitgenössischen Lyrik. Beide Phänomene der Kommunikation, die sprach- und schriftorientierte moderne Lyrik und das korporale Flitzen, entziehen sich jedoch weitgehend einem Routinezugriff des Verstehens und verbürgen gerade dadurch die Individualität der Mitteilenden in der Massengesellschaft. Im Gegensatz zur modernen Lyrik stellt das Flitzen kein Experimentieren in den Randzonen der Semantik dar; im Vordergrund steht vielmehr ein auf Konkretion abzielendes personen- und körperorientiertes Handeln, in dem Momente der Plötzlichkeit erzeugt, Sinngrenzen transzendiert und der alltägliche Weltzugang durch die Einführung von Choc-Situationen (Benjamin 1974: 33ff.; 1991: 605ff.) ad absurdum geführt werden. Anstatt in Anbetracht der Flitzerintervention die normale Ordnung der Dinge und sich selbst zu hinterfragen oder eine soziologische Reflexion über die Implikationen, Latenzen und Kontextbedingungen dieser Praxis anzuschließen, fällt die Verwunderung des Publikums auf den Störenfried zurück. Der wirksame Bruch mit dem roten Faden alltäglicher Verhaltensweisen sowie sportiven Handelns und Erlebens hat jedoch bald schon ein »erlösendes Lachen« (Berger 1998) aufseiten der Zuschauer zur Folge und führt zu kollektiver Erheiterung sowie harmloser Entrüstung über die sich nackt oder teilbekleidet exponierenden Individuen. Dass sich das Publikum in den anschließenden Jagdszenen mit dem Flitzer solidarisiert und dabei johlt, brüllt und laut Beifall klatscht, entfaltet affirmative, individualisierungsbestätigende Wirkungen aufseiten des Flitzers. Nicht das, was der Flitzer tut, wird als deviant markiert, sondern all jene werden mit dem Vorwurf konfrontiert, falsch zu liegen, die sein Handeln als obszön und unschicklich stigmatisieren und ins soziale Abseits schieben. Auf subtile Weise bringen auch die Ordnungsmächte die höhere Bedeutsamkeit des Flitzerhandelns zum Ausdruck und haben Anteil an der Selbstbestätigung und Individualisierung des Flitzers. Da der Störenfried nach Überschreitung der räumlichen System/Umwelt-Grenze des Sports unmittelbar die Kontroll- und Reinigungsprozesse der Veranstalter auslöst und von den Ordnungskräften engagiert gejagt wird, kann er für eine kurze Zeit das Gefühl entwickeln, sozial bedeutsam zu sein.

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Er wird schließlich nicht mit Ignoranz und Indifferenz für sein Handeln abgestraft, sondern als Quälgeist von der anonymen Zuschauermasse unterschieden, den es aus dem Verkehr zu ziehen gilt. Das Gejagtwerden zeigt dem Gejagten, dass signifikante Andere ihn als denjenigen wahrnehmen, der er in diesem Moment sein möchte. Das Ordnungspersonal wird dadurch zu einer wichtigen Instanz in der Selbstvergewisserungsarbeit der Sportflitzer. Eine ähnliche Form der Identitätsbestätigung durch Kontrollorgane erhalten die anderen Störenfriede des organisierten Sports, die Hooligans, wenn sie beim Auswärtsspiel ihrer Mannschaft am Zielort der Bahnfahrt von Polizisten in Empfang genommen und durch die Stadt ins Stadion eskortiert werden. Das Eingekeiltsein zwischen zwei Polizeikolonnen − mit blaulichtfahrenden Polizeiautos vor und hinter der Hooligan-Gruppierung − ist der Ritterschlag, den die Hooligans in ihrer Identität als Störenfriede durch die Staatsgewalt erhalten. Soziale Bestätigung muss insofern nicht in Gestalt von Lob und Zuspruch erfolgen. Auch Sanktionsandrohungen und Verfolgungsmaßnahmen können dem einzelnen Devianten signalisieren, dass er nicht nur wahrgenommen, sondern auch als Gegner oder Störenfried ernstgenommen wird. Die Option der Nichtbestätigung der Flitzeridentität durch das Securitypersonal im Stadion durch Nichtbeachtung und Ignoranz entfällt, da sportliche Wettkämpfe ansonsten nicht durchführbar wären. Flitzer können davon ausgehen, gejagt zu werden. Bereits seit geraumer Zeit treten auf den Bühnen des Sports nicht nur jene Personen mit ihrem Einzigartigkeitsbegehren in Erscheinung, die sich spontan ein Herz fassen, um den Pionieren der Zunft nachzueifern und zumindest einmal im Leben flitzen zu gehen. Vielmehr gibt es eine ganze Reihe von Akteuren, die wie Mark Roberts, Jimmy Jump oder Rémi Gaillard ihr Individualisierungsbegehren auf eine andere Weise umzusetzen trachten.2 Sie nutzen die Serialität sportlicher Meisterschaften und Wettbewerbe, um durch Wiederholung ihrer Störaktivitäten Originalität zu beweisen. Sie parallelisieren ihre Auftritte 2

Da der Geburtsname nur bedingt individualisiert, haben sich insbesondere die Serienflitzer exklusive Künstlernamen zugelegt, die sie als Markenzeichen nutzen.

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mit der Ereignisfrequenz des Sports und setzen sich dadurch signifikant von jenen Flitzern ab, die ihre Störungen nur einmal vollziehen. Sie versuchen insofern Einzigartigkeit durch Quantifizierung zu erreichen und somit den Paradoxien und Grenzen der Individualisierung zu entgehen. Serienflitzer drängt es ins Rechnerische und Zahlenmäßige. Sie betreiben ihre Individualisierung mit sportiven Absichten, wollen besser sein als die anderen: verwegener, raffinierter, engagierter und auch elitärer. Unter diesen Bedingungen kann derjenige Flitzer Anspruch auf Einzigartigkeit erheben, der seine Entblößungs- und Laufkompetenz in den Räumen des Sports mehr als dutzendfach unter Beweis gestellt hat. »You name it, I’ve streaked it.« (Banksy 2011: 28:47), gibt sich Mark Roberts wenig bescheiden. In seiner langjährigen Karriere sei er bereits weit über fünfhundertmal geflitzt. In dem Maße, wie Flitzer sich von anderen durch die Quantität ihrer Grenzüberschreitungen zu unterscheiden versuchen, übernehmen sie die Leistungs- und Rekordsemantik des Sports und betätigen sich als Sammler ihrer heroischen Taten. Flitzer häufen keine Gegenstände, Artefakte oder Tattoos an, sondern sammeln Auftritte und damit verbundene Erlebnisse. Ihre forcierte Individualisierung erfolgt durch die Akkumulierung von Devianz. Der Grund liegt auf der Hand: Der singuläre Auftritt mag zwar aus der eigenen Biografie herausstechen, er individualisiert jedoch nicht dauerhaft – vor allem nicht in den Augen der anderen Flitzer. »Serial streaker« haben den Flitzerdiskurs durch ihr Bestreben, Individualität zu beweisen, ganz wesentlich geprägt und verändert. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass sowohl die Körper- und Personenpräsentation als auch das Erwischtwerden in den Sonderräumen des Sports Wiedererkennbarkeit schafft und Adressabilität garantiert. Gerade die »Wiederholungstäter« machen deshalb auch kein Geheimnis aus ihrer Identität. Jimmy Jump händigte dem früheren spanischen Tennisprofi Carlos Moya zur Sicherheit sogar die Visitenkarte aus. Serienflitzer unterscheiden sich dadurch von jenen Störenfrieden, die sich maskieren, vermummen oder verkleiden, um Sanktionen zu vermeiden oder zumindest einer öffentlichen Identifizierung zu entgehen. Wenn die Maskierung des Gesichts das Überschreiten einer Grenze erlaubt, ohne als Subjekt hierfür direkt haftbar gemacht

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werden zu können, sichert das unverhüllte Gesicht Erkennbarkeit und individuelle Zurechenbarkeit der Transgression. Nicht zufällig provozierte der »Naked Handstander«, der über mehrere Jahre hinweg die Welt bereiste und sich unbekleidet vor bekannten Monumenten und Hintergründen präsentierte und fotografierte, Wünsche zur Lüftung des Rätsels um seine Person, während Rückenansicht und Kopfstand seine biometrische Erkennbarkeit verhinderten (Zeit online: 9.10.2014). Er praktizierte dadurch eine paradoxe Strategie, die in der Kunstszene des Öfteren zur Anwendung kommt, um Besonderheit auszudrücken: Individualisierung durch Intransparenz und demonstrativen Individualisierungsverzicht. Nicht wenige Literaten und bildende Künstler (Beispiele: Thomas Pynchon, Banksy) umgeben sich mit dem Nimbus der Anonymität und des Nicht-gesehen-werden-Wollens, der meist mit dem Versuch einhergeht, den Kameras und Fotoapparaten zeitlebens durch ritualisierte Distanz und Pseudonymisierung des Namens zu entgehen. In räumlicher Hinsicht greifen Flitzer in ihren Individualisierungs- und Einzigartigkeitsbemühungen auf den symbolischen und mythischen Status der Stadien und Arenen zurück, in denen sie ihre Transgressionen durchführen. Denn Wettkampforte und Sportereignisse können sich tief in das kollektive Gedächtnis von Vereinen oder auch Nationen eingraben und korrespondierende Effekte in den Psychen identifikationsbereiter Befürworter erzielen – man denke nur an die Bedeutung, die das »Wunder von Bern« für die Nachkriegsdeutschen bei der Fußball-WM im Jahre 1954 erzielte. Nach dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft im Berner Wankstadion hieß das vielzitierte Motto »Wir sind wieder wer!«3 Flitzer suchen die symbolisch gehaltvollen Wettkampforte des Sports auf, um dort ein »basking in reflected glory« (Cialdini et al. 1976) zu vollziehen. Sie profitieren davon, dass Sporträume wie das Wembley-Stadion, das »Old Trafford« in Manchester, das legendäre »Twickenham Stadium« oder das Münchner

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Für die Gewinner war das Wankstadion ein quasi-heiliger Ort, für die Verlierer ein Ort der Niederlage, Schmach und Schande.

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Olympiastadion sich nicht nur als Austragungsstätten sportlicher Wettbewerbe einen Namen gemacht haben, sondern Erinnerungsspeicher für geschichtsträchtige Ereignisse, Bilder und Narrationen sind. Indem Flitzer diese Orte für eine kurze Zeit mit ihren Grenzüberschreitungen erobern, versuchen sie ihre Biografiearbeit mit dem kollektiven Gedächtnis von Vereinen oder Nationen sowie den Annalen des Sports zu koppeln. Sie parasitieren an dem symbolischen und mythischen Gehalt »heiliger« Sporträume, treten als Event im Event auf und versuchen auf diesem Weg Spuren der Besonderheit zu hinterlassen. Im WimbledonFinale auf dem Center Court oder beim Super Bowl die Hüllen fallen zu lassen, verspricht einen enormen Reputationsgewinn. Flitzer tragen insofern nicht »Zerstreutes von gleicher oder ähnlicher Beschaffenheit am selben Ort« (Stagl 1998: 37) zusammen wie die Liebhaber von Büchern, Schallplatten, Briefmarken oder Gartenzwergen, sondern suchen ihrerseits möglichst viele Bühnen des Sports als Störenfriede auf. Es wäre schließlich langweilig, wenn ein Flitzer immer nur im gleichen Stadion auftauchte. In Extremfällen zielen Flitzer auf Vollständigkeit möglicher Nacktläufe ab – was im globalisierten Sport kein einfaches und billiges Unterfangen ist. »In 22 years and about 22 countries, I think I have done every major sporting event in the world«, so stellt Mark Roberts (ESPN 2015: ab 1:06) heraus. Außer Tischtennis in China und Hundeschlittenrennen in Alaska habe er keine Möglichkeit ausgelassen, um sich in den diversen Sportlokationen zu präsentieren. Flitzen auf einem Dorfsportfest macht für ihn wenig Sinn, weil es wegen fehlender medialer Berichterstattung und ausbleibender Massenaufmerksamkeit keinen Individualisierungswert abzuwerfen verspricht. In Umkehrung bürgerlicher Statuserwerbsvorstellungen inszenieren sich Flitzer häufig als die wahren Prototypen des modernen Leistungsprinzips, geben die Prachtstücke und Raritäten ihrer Sammlung bei jeder Gelegenheit zum Besten, berichten über ihre Projekte in Form autobiografischer Werke (Jump 2011) und geizen nicht mit überspitzten Selbstdarstellungen und Leistungsanmaßungen. Immer wieder berichten sie vom peniblen Studium der Sicherheitslücken und ihrem rigiden Trainingsregime, machen Liegestütze vor laufender Kamera, stimmen leichtfüßig den Rocky-Soundtrack an, absolvieren Laufeinheiten

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am Strand, üben Hochsprung und geben doch zu bedenken, wie langweilig die Sprinteinheiten gewesen seien. Auf ironische Weise kokettieren sie sogar mit sportlichen Erfolgen, legen dabei allerdings ihre eigenen Leistungskriterien an, die mit dem Feld, in dem sie auftauchen, nicht kompatibel sind. Bei Markus Lanz feierte Jimmy Jump seinen gefälschten WM-Pokal, als ob er ihn im realen Wettstreit mit den Besten der Welt errungen hätte. Eher süffisant kommentierte auch Oliver Kahn die Art und Weise, wie Jump vor Anpfiff des WM-Finales 2010 die Ordnungskräfte überwinden konnte, mit einem denkwürdigen Vergleich: Sie erinnere ihn »ein bisschen an Maradona« (ZDF 2010: 4:03). Mark Roberts weiß sich absolut überlegen: »I’ve got a better CV than any athlete on the planet.« (The Back of the Range 2018: 57:32) Kein anderer Sportler habe so viele Finals in so unterschiedlichen Sportarten erreicht und dabei sowohl Tore geschossen als auch Touchdowns erzielt und den Zieleinlauf vor anderen erreicht. Dass die formale Gleichheit und Prozessoffenheit der Ausgangsbedingungen in dieser Wirkungsfiktion von ihm nicht eingehalten wurden, scheint ihn wenig zu stören: »I came second in the London Marathon, but I only did the last 200 metres behind the winner. The Champions League Football final, which is the one next to the World Cup, I scored a goal in there.« (Criminal 2018: 1:10) Das Tor zählte allerdings nicht. Flitzer widmen ihre Zeit nicht nur der intensiven Selbststilisierung als personale Besonderheiten. Auch bei der Nachbereitung ihrer Flitzertaten überlassen gerade die Stars der Zunft nur wenig dem Zufall. Denn so ekstatisch und libertär das Gegenwartserleben auch sein mag, gehört die Präsenz des Flitzers auf den Bühnen des Sports nach einem Nacktlauf schon bald der Vergangenheit an. Wenngleich dem einzelnen Störenfried selbst die eigenen Auftritte noch lange im Bewusstsein bleiben, werden sie vom Publikum schnell vergessen und nicht einer Person mit Namen und Adresse zugeschrieben. Damit Grenzüberschreitungen nicht wie Sternschnuppen am Nachthimmel schnell verglühen und auch für Beobachter memorierungsfähig bleiben, müssen Flitzer sie in andere Speichermedien überführen und dort aufbewahren und aufbereiten. Körperorientierte Handlungen lassen sich konservieren und am Verschwinden hindern, wenn sie in Worte, Texte, Bilder und Filme

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übertragen werden. Im Zeitalter der digitalen Medien können sich Flitzer auch dann auf die Dokumentation ihrer Auftritte verlassen, wenn sie nicht ihrerseits Weggefährten ins Stadion eingeschleust haben oder die berichterstattenden Fernsehmedien mit einem Wegschwenken der Kameras auf die Flitzerintervention reagieren. Nicht wenige Zuschauer, die in permanenter Aufnahmebereitschaft darauf warten, spektakuläre Ereignisse auf oder neben dem Spielfeld abzulichten, zücken ihre Smartphones, filmen den Flitzer mit wackligen Händen, begleiten das Geschehen durch erlösendes Lachen und lautes Brüllen und stellen ihre Aufnahmen anschließend ins Internet. In Fotografien frieren sie flüchtige Augenblicke ein, multiplizieren sie technisch und schalten sie für ein mediales Eigenleben in virtuellen Räumen und Foren frei. Bisweilen greifen Online-Nachrichtenportale oder Zeitungen auf diese Bilder zurück und veröffentlichen sie, um Aufmerksamkeit bei ihrer Klientel zu erzeugen. Mit Vorliebe berichten die englische »Yellow Press« und andere Boulevardzeitungen über die Transgressionen der Flitzer und zeigen die unbeholfenen Kontrollversuche der Sicherheitsleute oder deren ungeschickte Griffe, die an den falschen Körperteilen landeten. Hin und wieder sind die illustren Schnappschüsse auch in Fotobänden über herausragende Momente oder lustige Anekdoten aus der Welt des Sports zu sehen. Flitzer, die Erinnerungsarbeit betreiben und mit dem Rücken zur Zeitrichtung auf die von ihnen durchgeführten Transgressionen zurückblicken, nutzen ihre Auftritte als biografische Fixpunkte, um die Sinnhaftigkeit ihrer Existenz hieraus abzuleiten und ihre Individualität in Form von Selbstthematisierungen zum Ausdruck zu bringen. Um einen temporalen Mehrwert ihres Erlebens und Handelns abzuschöpfen und einen identitätsstabilisierenden Sinn in den Augen der anderen zu generieren, dokumentieren sie ihre Handlungsspuren in der Welt des Sports, setzen ihre Präsentationslust mit anderen Mitteln fort und wirken dadurch aktiv an der Verbreitung ihrer Einzigartigkeitsprojektionen mit. Um all dies zu erreichen, fällt Flitzern die Aufgabe zu, ihre kurzzeitige Sichtbarkeit dauerhaft sichtbar zu machen, also eine Sichtbarkeit zweiter Ordnung herzustellen. Hierfür kommentieren sie ihre Taten aktiv auf Twitter, posten Schnappschüsse ihrer Grenzverletzungen auf

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Instagram, veröffentlichen Videos in YouTube-Kanälen und gründen eigene Webseiten für ihre »Follower«. In Bilderserien lassen sie ihre Flitzerkarriere als eine konsistente Abfolge gelungener Projekte erscheinen und umhüllen ihre Aktionen mit Seriositäts- und Normalitätsunterstellungen. Im Rahmen von Talk-Shows, Fernsehdokumentationen und Radio-Podcasts berichten sie ausführlich über ihre Tabubrüche und teilen dem Publikum erheiternde Hintergrundgeschichten und bislang verborgene Anekdoten im Rahmen eines geselligen Klientelismus mit. Zur Dokumentation seiner Transgressionen schrieb Jimmy Jump eine Autobiografie, in der er nicht nur seine diversen Grenzüberschreitungen aufzählte, sondern auch die dazugehörigen Vor- und Nachgeschichten mitteilte. Über mehrere Buchseiten hinweg listete er penibel die von ihm erzielte Medienresonanz auf, druckte internationale Zeitungsberichte seiner Auftritte ab und veröffentlichte eine Collage der Bilder, die ihn in Aktion zeigen. Rémi Gaillard, ein französischer »Imposteur«, drehte einen Film, in dem er Spaßvideos als wahre Fakten in seine fiktive Lebensgeschichte integrierte und als DVDs zum Verkauf anbot. Flitzer exponieren ihre Auftritte und versuchen, mit ihrer Begeisterung ansteckend zu wirken. Dem möglichen Vorwurf einer banalen Praxis stellen sie den hohen Distinktionswert ihrer Grenzüberschreitungen gegenüber. Sie speisen Informationen und Bilder in die gesellschaftliche Kommunikationssphäre ein, die ihren Sensationswert erhöhen. Die medial geschürte Aufmerksamkeit der anderen wird genutzt, um ein reflexives Erleben zu stimulieren. Indem man vor Ort und in den sozialen Medien erlebt, wie die anderen das eigene Handeln wahrnehmen, wird das eigene Erleben nobilitiert und mit dem Erleben der anderen verstärkt. Flitzer sammeln nicht nur ihre prestigeträchtigen Auftritte bei den Sportgroßereignissen der Welt, sondern weisen auch mit Stolz auf die physisch-organischen, finanziellen und sozialen Kollateralschäden hin, die sie sich bei ihren Flitzerattacken eingehandelt haben. Hinweise auf die körperlichen Opfer, die sie zum Amüsement des Publikums erbracht haben, lassen sich ebenfalls für die Inszenierung von Individualität nutzen. Die Krankenakte von Mark Roberts entspricht zwar nicht unbedingt der Verletzungsbiografie eines Hochleistungssportlers;

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sie kann sich aber definitiv sehen lassen: ein zweimal gebrochener Zeh, zwei Frakturen im Sprunggelenk, vier gebrochene Rippen, eine Schulterfraktur, Knochenbrüche im Handgelenk und in den Fingern sowie natürlich »a good few beatings by security« (The Back of the Range 2018: 58:32). Selbst die Strafen und Anklagepunkte, die Roberts für kurze Zeit immer wieder auf die lokalen Polizeistationen und ins Gefängnis brachten, wurden zum Zweck der Individualisierung weiterkommuniziert (Criminal 2018: ab 5:08). Kaum vermeidbar sammeln die Wiederholungstäter auch jede Menge Schulden, auf die sie genüsslich hinweisen. Markus Lanz stellte fest, dass es Jimmy Jump keineswegs um Profit gehen könne, sondern dass ihn die Auftritte vielmehr eine ordentliche Stange Geld gekostet hätten (ZDF 2010: ab 7:30).4 Nicht nur die Selbstinszenierung als Gesetzloser, Normbrecher und Sonderling ist, wie man sieht, geeignet für die Selbstdarstellung als Besonderheit, auch der wirtschaftliche Ruin, den man sich eingehandelt hat, lässt sich nutzen, um Subjektivierungsarbeit abzuleisten. Wie die Athletenrolle kann demgemäß auch die Rolle des Serienflitzers hyperinkludierend wirken, Exklusionsdynamiken aus anderen Sinnkontexten freisetzen und dadurch Individualisierungseffekte hervorrufen. Um ihrem Anspruch Ausdruck zu verleihen, eine Besonderheit zu sein, nehmen insbesondere Serienflitzer in einem Akt der Selbstnobilitierung häufig die Mentorenrolle ein, regen Neophythen zur Nachahmung an und markieren sich dadurch selbst als Avantgarde der Flitzerszene. Die Prinzipien und Prämissen, die sie als Ratschläge zum Besten geben, sollen einen Nachvollzug anregen. Mark Roberts gibt beispielsweise an, seine Auftritte an einem strengen »code of ethics« auszurichten: »My ethics in streaking are: You’ve always got to go on at the right time. Don’t go on for too long. Make it fully. Get chased. And don’t resist the arrest. All these aliments create the perfect performance.« (The Back of the Range 2018: ab 24:50) Außerdem: »Don’t interrupt the game, because it can change the outcome. Be prepared to spend a few hours, maybe even an evening in a police cell. Have a good lawyer handy. And don’t eat spicy food the night before.« (Criminal 2018: 4

Angeblich soll er bereits im Jahr 2010 300.000 Euro Schulden gehabt haben.

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ab 18:27) Die höhere Bedeutung der Jagd kommt in den Anleitungen gegenüber dem folgebereiten Nachwuchs häufig zur Sprache: »Always get chased. Don’t look at the crowd. But when you’re getting chased, and you’ve got a chance, just have a look and watch everyone cheering: ›Get away from those coppers! Go on, run!‹« (Banksy 2011: ab 29:06) Erika Roe gab drei knappe Empfehlungen: »And if you’re thinking of streaking, I give you a little bit of advice. Get yourself an agent, go on a diet and enjoy it.« (Mills 1995: 57:48) Handlungsanweisungen dieser Art werfen allerdings einen geringen Individualisierungsnutzen bei denen ab, die bereit sind, diesen Ratschlägen zu folgen. Denn die feinen Unterschiede und Details des Flitzerhandelns werden von den sogenannten Mentoren zurückgehalten. Der singularitätsorientierte Störenfried zeigt sich so nicht nur als »flat character« (Forster 2005: 73) ohne allzu viel Tiefe und Reflexion, sondern trägt durch seine dosierte Informationsübermittlung vor allem Sorge für den Erhalt seiner eigenen Einzigartigkeit und Originalität. Im Anschluss an seine Intervention beim 38. Super Bowl in Austin (Texas) verweigerte sich Mark Roberts einer Anfrage der US Homeland Security, um als deren Berater zu fungieren und sein Wissen über die Lücken der Stadionsicherheit mit der Behörde zu teilen. Wer will schon den Ast absägen, auf dem er sitzt? Auf die Zeiten, in denen das Flitzen in den Räumen des Sports aufgrund fehlender Fanginitiativen leicht war und bei den Veranstaltern noch nicht die Angst vor einer Entgleisung oder einer terroristisch motivierten Intervention grassierte, blickt Roberts dennoch nicht wehmütig zurück. Die verschärften Maßnahmen spornten seine Entweichungsabsichten vielmehr an: »I want to do it even more because of this.« (The Back of the Range 2018: 13:16) Die Banausen und Dilettanten unter den Flitzerkopien hingegen werden schnell bei ihren Grenzverletzungsversuchen aus dem Verkehr gezogen. Auch in der Korrespondenz mit Fans, die einen Flitzerauftritt vorhaben und ihre Erfolgsaussichten mit seiner Hilfe zu verbessern trachten, gibt Mark Roberts sich reserviert und betont die eigene Einzigartigkeit: »there can be only one« (ebd.: 25:55). Als Rollenvorbild sind Serienflitzer insofern widersprüchliche Figuren. Sie geben vor, Mentoren zu sein, um sich herauszuheben, verweigern die Mentorenrolle aber zugleich in ihrem

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Unvergleichbarkeits- und Einzigartigkeitsbegehren. Sie beschreiben sich selbst als Originale, die sowohl kopiert werden wollen als auch nicht kopiert werden können. Man kennt das Dilemma aus der Mode, die gleichermaßen auf die Annektierung durch andere abzielt, sich jedoch umgehend selbst regelmäßig zu zerstören hat, sobald das Ziel der demokratischen Stilaneignung entweder erreicht wurde oder in Sicht ist. Bevor Serienflitzer sich mit ihrer eigenen Devianz identifizieren und ihre Einzigartigkeit aus ihren zahlreichen Grenzüberschreitungen ableiten, helfen Karrierezufälle den Weg ins Kuriose und Exzentrische zu bereiten. Eine biografische Anekdote bestätigt die Vermutung, dass das Sportflitzen weder auf der Grundlage einer genetischen Vorprogrammierung erfolgt noch das Ergebnis plötzlicher hormonaler Ausschüttungen und Aufwallungen ist. Es verweist vielmehr auf ein soziales Opportunitätsmilieu, in dem Normbrüche und exzentrische Verhaltensweisen dazu dienen, sich in Interaktionssituationen als Subjekte zu bewähren und Farbe in einen als grau wahrgenommenen Alltag zu bringen. Als Mark Roberts 1992 in Hongkong als Barkeeper arbeitete, wurde über einen Flitzer auf einem dort ausgetragenen Rugby-Turnier gesprochen. Roberts kommentierte den »ale talk« (Sheridan 2017: 70) der Gruppe mit großen Tönen: »Behave, anyone can streak!« Am nächsten Tag forderte die Gruppe ihn nicht nur auf, seinen Worten entsprechende Taten folgen zu lassen, sondern holte ihn ungefragt zuhause ab und fuhr ihn direkt zum Stadion. Am Ende vollzog Roberts die Flitzeraktion nicht nur irgendwie, sondern erwies sich als dramatischer Übererfüller. Er entblößte sich komplett, ergriff den Rugbyball, beförderte ihn über das gesamte Spielfeld und schloss seine Aktion mit einem »Try« ab. Die Begeisterung auf den Zuschauerrängen soll ergreifend gewesen sein. Im biografischen Rückblick geriet er regelrecht ins Schwärmen, als er sein Stadion- und Publikumserlebnis memorierte: »That moment changed my life forever. As I have turned round, the whole stadium, 65.000 people were all on their feet screaming and cheering. I was like: Whow! What’s going on here!?« (Bought the T-Shirt 2021: ab 4:04) Durch die Zufallsbegegnung mit einer feierwilligen und stark alkoholisierten Peergroup und die erlebte Zuschauerresonanz habe Roberts seine Be-

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rufung gefunden – so seine spätere Selbstdeutung. Aus soziologischer Sicht fällt ins Auge: Mark Roberts begann seine Flitzerkarriere nicht als Original, sondern als Kopie. Und ohne den bereits existierenden Spitzensport und die im Stadionrund erzeugte Zuschauerbegeisterung wäre seine Karriere als Flitzer unwahrscheinlich geblieben. Dies bestätigt die Einschätzung, die Michel Serres in seiner Parasitologie sehr allgemein formulierte: Ohne einen Wirt kein Parasit und keine wirtsbasierte Individualisierung! Nicht selten nutzen die Protagonisten des Sportflitzens das mediale Interesse, um ihr Individualisierungsprojekt auch außerhalb von Stadien und Arenen voranzutreiben. Im Rahmen von Talk-Show-Einladungen verstoßen sie gegen soziale Regeln und denunzieren Normalverhalten durch gezielte Taktlosigkeit. Mark Roberts gab vor laufenden Kameras nicht nur seine Flitzermotivation zum Besten und erzählte Anekdoten aus seiner langjährigen Karriere. Mit Flatulenzgeräuschen und Nasenbohren projizierte er den Eindruck nach außen, fehlsozialisiert zu sein und eine deviante Persönlichkeit zu besitzen, der die Kontrolle über die eigenen Körperöffnungen entglitten sei und die Einhaltung sozialer Normen in öffentlichen Austauschprozessen notorisch schwerfalle. Im Gespräch mit dem Talk-Master James Whale (»The Blue Whale«) brachte er das öffentliche Bild seiner Person verbal auf den Punkt. Auf die Frage, wodurch genau er berühmt geworden sei, antwortet Roberts inhaltlich korrekt: »show me bullocks off« (talkSport 2001: 0:22ff.). Die Weigerung, den Kodex der guten Sitten einzuhalten, erscheint bürgerlich sozialisierten Beobachtern als kindlich-pubertär und versinnbildlicht eine Revolte gegen die Welt der Erwachsenen – durchaus ähnlich der Sozialfigur des »pibe« in Südamerika, der seine sozialisatorische Prägung auf der Straße und auf dem Bolzplatz erhält und sich auch in späteren Karrierephasen nicht um Konventionen schert.5 Flitzer kennen die Regeln des Zivilisiertseins – auch wenn sie diesen Eindruck schauspielerisch gekonnt vermeiden und das Fallenlassen der Hüllen im Stadion

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In Argentinien gilt vor allem Diego Maradona als Verkörperung des »pibe« (Junge, Bursche). Siehe hierzu Archetti (1998: 154ff.).

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als unbedarft inszenieren. Um sich von ihrer sozialen Umwelt zu distinguieren, verstoßen sie innerhalb und außerhalb der Stadien bewusst und absichtsvoll gegen jene Normen und Gesetze, an denen sie sich in ihrem Alltagshandeln und Berufsleben konsequent orientieren. In gewisser Weise symbolisieren sie dabei nicht nur Devianz gegenüber den Regeln der modernen Zivilisation, mehr noch stehen sie für eine Werteumkehr ein, bei der Nacktsein als authentisch und natürlich angesehen wird, das Bekleidetsein hingegen als erklärungsbedürftig und pervers. »Echte« Individualität lässt sich indes allein auf dem Weg der Originalität gewinnen, der den »Genies« offensteht (Luhmann 1994: 192). Versteht man als Genie eine regelsetzende und mit außeralltäglichen Leistungen glänzende Sozialfigur, muss auch im Diskurs der Flitzer jener als genial und individuell gelten, der nicht seinerseits imitiert und den Regeln der anderen entspricht, sondern als Original fungiert und andere dazu anstiftet, »sich Ziele, Anspruchsniveaus und Lebensart durch Copie zu beschaffen, also eine copierte Existenz zu führen« (ebd.: 191). Im Diskurs über das Flitzen stechen die Wegbereiter dieser sozialen Praxis hervor, die noch von der Aufmerksamkeit ihrer Person gegenüber überrascht und überrumpelt wurden und auch in dieser Hinsicht dem Heldenschema entsprachen. Denn »der Held sollte relativ arglos vorgehen und nicht wissen, daß er einer ist« (Luhmann 1995: 93). Die Originalität der Pioniere bestand darin, das Phänomen des Sportflitzens (Morganna Roberts), des Nacktflitzens (Michael O’Brien, Erika Roe) oder des erstmaligen Flitzens in bestimmten Stadien oder bei berühmten Sportevents salonfähig gemacht zu haben. Die Singularisierung dieser »Meister totaler Distinktion« (Luhmann/Fuchs 1989: 150) funktioniert über die Zeitdimension, waren die Akteure der ersten Stunde doch ihrer Zeit voraus und standen am Anfang einer Geschichte, die bis heute fortwährt. Flitzer, die die Bühnen des Sports zu einem späteren Zeitpunkt aufsuchen, erhalten deshalb keinen Neuheitsbonus mehr. Ihr Individualisierungsbestreben ist folglich paradox gelagert. Die fundierende Paradoxie besteht darin, dass ein auf außeralltägliche, überraschende Norm- und Erwartungsdevianz angelegtes Phänomen veralltäglicht wird und sich dem Banalitätsverdacht aussetzt, wenn es von anderen

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kopiert wird.6 So erinnerte sich ein Rugby-Kommentator beim Auftritt einer barbusigen Flitzerin an Erika Roe und gab zu bedenken: »I think […] it’s been done before, and it’s never quite so funny the second time.« (Mills 1995: 34:34ff.) Auch Mark Roberts hatte sich von seinem Auftritt im Finale des 38. Super Bowl im Jahr 2004 einen höheren Individualisierungsnutzen versprochen. Er stürmte nach der Halbzeitpause im Spiel zwischen den New England Patriots und den Carolina Panthers auf das Feld, wobei er einen luftentleerten Football als Feigenblatt nutzte. Sein expressiver Auftritt wurde aber – laut eigener Aussage – durch die sog. »Nipplegate-Affäre« um die kurzzeitig entblößte Brust Janet Jacksons in der Half-time-Show mit Justin Timberlake gemindert und banalisiert. Die offizielle Bewertung der Brustfreilegung als ungewollte »wardrobe malfunction« konnte den erhofften Distinktionsgewinn des Flitzers nicht mehr nachträglich regenerieren. Immerhin hatte Roberts auf dem Polizeirevier anschließend noch die Möglichkeit, einen reduzierten Individualisierungsgewinn durch Autogrammschreiben zu verbuchen. Flitzer stoßen in ihrem Bemühen, durch Transgressionen Originalität und Ruhm zu erwerben, auf weitere Grenzen der Individualisierbarkeit. Wiederum in zeitlicher Hinsicht wird die Präsentationszeit des Flitzers durch das schnelle Erwischtwerden und den umgehenden Abtransport reduziert. Meist stehen nur wenige Sekunden zur Verfügung, um sich sichtbar zu machen und die Resonanz des Publikums zu messen. Auch die Ausdehnung der Sporträume schränkt die Möglichkeiten der Selbststilisierung ein. Es macht zum Beispiel wenig Sinn, bei der Rallye Paris-Dakar, der Vendée Globe oder dem Volvo Ocean Race zu flitzen, da das Handeln in diesen Fällen in gefährlichen naturalen Räumen stattfände. Grenzverletzungen bei Formel 1-Rennen hat es zwar gegeben; sie sind aber lebensgefährlich und angesichts der kilometerlangen und kurvigen Rennstrecken wenig geeignet, punktgenaue Sichtbarkeit zu garantieren. Unter Umständen wird der riskante Stunt noch nicht einmal von den TV-Kameras bildmäßig eingefangen. Das geschlossene und auf die Mitte hin zentrierte Stadionoval ist demgegenüber das 6

Den begrenzten Nutzen von Tabubrüchen beschreibt Bolz (2006) am Beispiel von Akteuren der Popkultur.

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räumliche Maß aller Dinge beim Flitzen, da es die Aufmerksamkeit aller Zuschauer genau dort bündelt, wo es schicksalhaft zugeht und die sportlichen Konfrontationen stattfinden. Die Materialität des Stadions begrenzt jedoch ihrerseits den Bewegungsradius und die Präsentationschancen des Störenfrieds. Außerdem stößt der Flitzer in seinem Einzigartigkeitsbestreben auch sachlich an natürliche Grenzen. Der Akt der Entkleidung stellt zwar einen Tabubruch mit individualisierender Wirkung vor einem bekleideten Publikum dar. Nacktheit selbst offeriert aber nur für kurze Zeit Distinktionschancen. Wohl kann die Präsentationszeit des Flitzers durch Fluchtbewegungen verlängert und die nackte Haut mit schwarzer Farbe beschriftet und zur Mitteilungsinstanz umfunktioniert werden. Auch das mimische und gestische Potenzial des Körpers lässt sich kreativ für diverse Signalaktivitäten nutzen. In manchen Fällen macht der Mut, entgleiste Körperlichkeit in der Öffentlichkeit zu zeigen oder sich bei Minusgraden im Schnee zu entblößen, den entscheidenden Unterschied. Der Zustand der Nacktheit an sich ist jedoch nicht mehr steigerbar. Mehr als nackt zu sein, geht nicht. Steigerungsmöglichkeiten gegenüber konkurrierenden Nacktflitzern entfallen dadurch. Da der Flitzer das sportliche Wettkampfgeschehen zum Stillstand bringt, nicht Teil der sportlichen Akteurskonstellation ist und werden kann und von den Ordnungskräften unbarmherzig gejagt wird, entfallen auch die Spielräume der Leistungsindividualisierung, die nur den Athleten mit ihren psychischen, physisch-organischen und technisch-taktischen Ressourcen und Kompetenzen zur Verfügung stehen. Man denke beispielsweise an gelungene Fallrückziehertore, spektakuläre Torwartparaden, gewonnene Zweikämpfe, präzise Schmetterbälle oder exakt gemessene Rekordläufe auf der Kurz-, Mittel- und Langstrecke. Flitzerversuche, sportartspezifische Kompetenzen zu simulieren, enden meist in Parodien, die an die Originalbewegungen nicht im Entferntesten heranreichen. In der Sozialdimension stoßen Flitzer auf das Problem, dass sie in ihrem Bestreben, Einzigartigkeit zu erwerben, nicht allein sind. Serienflitzer sind insofern keineswegs nur selbstreferenzielle Identitätsbe-

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haupter.7 Vielmehr streben sie nach dem Titel als »World’s most famous streaker« und stehen in ständiger Konkurrenz mit anderen Akteuren, die vergleichbare Ambitionen haben. Im direkten Anschluss lässt sich das Vollbrachte zwar genießen und mit den Polizisten auf dem Revier oder mit den Menschen auf den Straßen feiern. Nach dem Auftritt ist jedoch bald schon wieder vor dem Auftritt. Das fortlaufende Risiko, von anderen kopiert und übertrumpft zu werden, bringt es mit sich, dass Flitzer mit ihren Einzelaktionen nie ganz zufrieden sein können, sondern mehr oder weniger sprichwörtlich »am Ball« bleiben müssen und durch die Serialität ihres Handelns Gefahr laufen, als pedantisch, exzentrisch und triebhaft wahrgenommen zu werden. Distinktionschancen, die sie sich durch eigene Transgressionen erarbeitet haben, können demnach bedroht werden, wenn andere Akteure mit eigenen Distinktionsambitionen im Performanzraum auftauchen, die Publikumsaufmerksamkeit für sich beanspruchen und durch eigene Grenzüberschreitungen in Beschlag nehmen. In solchen Fällen erzeugt die Wiederholung oder Transgressionsähnlichkeit Redundanz und »Redundanzen sind gerade nicht: Einzigartigkeiten« (Luhmann/Fuchs 1989: 146). Wer sich als Flitzer singularisieren und subjektivieren will, findet sich insofern schnell auf Pfaden wieder, die andere bereits be- und ausgetreten haben. Sportflitzer werden dann mit dem Vorwurf konfrontiert, Kopien zu sein und lediglich einem »fad«, einer Marotte, zu folgen.8 Bei genauer Hinsicht stellt die im Medium des Flitzens kommunizierte Einzigartigkeit ein »positionales Gut« im Sinne des britischen Ökonomen Fred Hirsch (1976) dar, das durch soziale Verbreitung gefährdet wird (Bette 1999: 177) und seinen Wert einbüßt, je mehr Personen antreten, um Einzigartigkeit und Originalität durch das Flitzen zu erwerben. Der Versuch, ein Original zu sein, mündet unter den Bedingungen der flitzerinternen Konkurrenz in einem »Narrenrennen« (Bette 2012). Die typologische Vielfalt des Flitzens ist bei genauer Hinsicht das Resultat des begrenzten Individualisierungsnutzens, den Flitzer aus 7 8

Zur Akteursfiktion des Identitätsbehaupters siehe Schimank (2000: 121ff.) Eine Geschichte amerikanischer »fads« von 1890 bis in die 1970er Jahre liefern Skolnik, Torbet und Smith (1978).

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ihrem Engagement ableiten können und durch Variation und Binnendifferenzierung ihrer Grenzüberschreitungen zu vermeiden suchen. Aus der Perspektive einer Beobachtung zweiter Ordnung rücken gerade die Aufschaukelungseffekte, Eskalationsdynamiken und Abweichungsverstärkungen in den Fokus, die das Handeln hinter dem Rücken der Flitzer antreiben, ihrem Einzigartigkeitsbestreben entgegenstehen, Gewöhnungseffekte beim Publikum erzeugen sowie andere nichtintendierte Konsequenzen ihrer Individualisierungsversuche entstehen lassen. Folglich entstehen Konkurrenzsituationen um Domänenmonopole, Alleinstellungsmerkmale, Markenbildung und die Deutungshoheit über die Flitzerpraxis. Insbesondere Jimmy Jump und Mark Roberts führen einen Diskurs über das authentische Flitzen, arbeiten emsig an ihren Markenzeichen und erheben je eigene Distinktionsansprüche. Im lauten und abfälligen »Schimpfklatsch« (Elias/Scotson 1990: 166ff.) über den jeweils anderen loben sie sich selbst, weil »sich der Schimpfende indirekt in die Rolle des Normwächters, des moralisch Urteilenden und deshalb Urteilsfähigen versetzt« (Paris 1998: 127). Ein anderes Thema läuft dabei unterschwellig immer mit: die Angst vor einer Entindividualisierung der eigenen Person, vor Achtungsverlust und vor einer Abwertung der eigenen Flitzerleistung durch eine Demokratisierung des vormals Knappen. Im Negativklatsch über Flitzerkonkurrenten werden eigene Qualitätskriterien definiert und Normen für ein »richtiges« Handeln gesetzt. Mark Roberts hat deshalb eine klare Meinung über Jimmy Jump: »He copies me, but he jumps all his clothes on and he ruins games, he goes on during the match or whatever the tournament is […] he’s copying me, but a different game … but he’s ruining it!« (Bought the T-Shirt 2021: ab 14:48; vgl. auch Chatabix 2022: ab 10:25) Jimmy Jump, der seine öffentlichen Auftritte häufig als Protestformen legitimiert und auch in dieser Hinsicht eine Kontrastfigur zu Mark Roberts darstellt, gibt sich vordergründig bescheidener, zitiert die Meinung der Netzöffentlichkeit über ihn und gratuliert sich selbst: »I don’t know, there are many messages saying: ›Jimmy, you are the king.‹, ›Jimmy, you are the best.‹, ›Jimmy, keep on jumping.‹… I’m not the best or the worst, I’m just one other, another one of them who does what he likes, which is jumping, and the only

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thing I can say to myself is: ›Congratulations, Jaume, congratulations for the jump.« (Motjer 2011: ab 28:49) Das Individualisierungs- und Distinktionsgebaren der Flitzer verdeckt den Umstand, dass Störenfriede und Grenzverletzer nicht immer alleine und auf eigene Faust handeln. Gerade weil die Sicherheitsorgane ihre Schutzvorkehrungen in den letzten Jahren drastisch verschärft haben und gelungene Interventionen deswegen immer voraussetzungsvoller ausfallen, sind Flitzer bei ihren Versuchen, einen Einzigartigkeitsstatus zu erreichen, auf die Mithilfe von Komplizen und Gefährten angewiesen. Neben Mut, Hingabe, Selbstkontrolle, Geduld, Chuzpe und der Fokussierung von Aufmerksamkeit scheint das Gelingen der Individualisierungsmaßnahmen eines Flitzers insofern auch das Resultat eines Coachings durch Freunde und Gefährten zu sein, welche die Ideen im Ursprung mitaushecken, zu den Sportereignissen mitanreisen, Tickets besorgen, die Beobachtung des Geschehens als »Spotter« übernehmen und im richtigen Moment eindringlich empfehlen: »Go!« Sportflitzer laufen demnach nicht einfach nur auf den Platz, sondern brauchen Hilfe, um Ordnungskräfte zu täuschen, Spezialkleidung anzufertigen, den richtigen Moment zu erwischen, die beste Route zu wählen und vor Gericht verteidigt zu werden. Ebenso wird für die Veröffentlichung von Bildern und Texten auf der eigenen Homepage oder in den Social Media professionelle Hilfe benötigt. Mit Blick auf die vielfältige Arbeitsteilung erscheint Flitzen als ein typisch modernes Phänomen, das ohne Satellitenfiguren nicht auskommt. In einigen Fällen übernimmt das Intimsystem eine ermöglichende Funktion. Das devianzunterstützende und identitätsbestätigende Milieu des Flitzers erinnert damit ansatzweise an die Gruppen und Netzwerke, die den Einsatz von Dopingpraktiken im Spitzensport durch einen »amoral familism« (Banfield 1963: 10) ermöglichen, die Athleten und Athletinnen mit entsprechenden Mitteln versorgen und vor Verfolgung abschotten (Bette/Schimank 1995: 185ff.). Immer wieder wurde Mark Roberts auch von Sponsoren unterstützt, die ihm bei der Vorbereitung unter die Arme griffen, seine Reise finanzierten, ihm die besten Anwälte verschafften und ihn motivierten, weiterzumachen. Spätestens dann, wenn er auf den Platz stürmte und das Logo des Spon-

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sors in den Medien präsentierte, hatten beide Seiten etwas von diesem »Guerilla Marketing«. In manchen Fällen trägt sogar das Sicherheitspersonal zum Gelingen bei, indem es zurückhaltend kontrolliert, absichtlich wegsieht und sich an der Devianz des Flitzers klammheimlich miterfreut. Jimmy Jump beschreibt dennoch die Einsamkeit des Flitzers vor dem Stunt: »Before jumping you are on your own and you wish someone to be with you and it can be God.« (Motjer 2011: 17:40) Er bittet deshalb regelmäßig um die metaphysische Unterstützung durch höhere Mächte. In der Kirche gehe es ihm (ebd.: 18:14) allerdings nicht um die Vergebung seiner Sünden, sondern um Hilfe bei der Umsetzung einer riskanten Penetrationsidee: »Today I would ask God to be able to jump on to Barca’s pitch for the third time.«

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Wer etablierte soziale Erwartungen nicht nur klammheimlich, sondern öffentlich enttäuscht und auf multiple Weise von bestehenden Normen abweicht, kann zwar darauf hoffen, bei gleichgesinnten oder normindifferenten Beobachtern als Besonderheit wahrgenommen und gefeiert zu werden. Im Anschluss an seine Individualisierung durch Abweichung muss der Betreffende jedoch davon ausgehen, dass sein Handeln im Kontext geltender Regeln und Normen bewertet und geahndet wird. Zur Selbstreferentialität sozialer Systeme gehört schließlich die Fähigkeit, zwischen Konformität und Devianz zu unterscheiden, dies per Satzung oder Gesetz festzuschreiben und für den Fall der Abweichung Sanktionen vorzusehen und durchzusetzen, um die Ordnung wiederherzustellen. Normen stellen Verhaltenserwartungen dar, an denen man auch dann festhält, wenn sie durch Nichterfüllung enttäuscht werden. Jagdszenen im Stadionrund nach einem unerlaubten Nacktlauf machen deutlich, dass der Sport kein rechtsfreier Raum ist. Die handfesten Immunreaktionen der Veranstalter vermitteln dem Flitzer die Einsicht, dass seine Transgressionen nicht nur unerwünscht sind, sondern auch bestraft werden. Stadionverbote und Geldstrafen teilen dem Störenfried unmissverständlich mit: Das darf und sollte nicht wieder vorkommen! In Anbetracht der recht eindeutigen Diskurslage bleiben die Eintagsfliegen unter den Flitzern häufig stumm oder wundern sich im Nachgang über sich selbst. In Einzelfällen bereuen die Protagonisten ihre Grenzüberschreitung sogar, entschuldigen sich, sprechen von einer »Reflexhandlung« und appellieren: »Ich kann niemandem raten,

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das nachzumachen. Ich habe mit dieser Dummheit meine Zukunft riskiert.« (Spox: 6.11.2021) »Auch meiner Familie habe ich damit keinen Gefallen getan«, so der BVB-Fan weiter, der eine drohende Anzeige wegen Hausfriedensbruch seinem Arbeitgeber melden müsste.1 Serienflitzer hingegen müssen bei TV-, Podcast- oder Zeitungsinterviews reflexiv werden, Subjektivierungsarbeit leisten und nachvollziehbare Erklärungen für ihr Verhalten liefern. Die in den Räumen des Sports vollzogene öffentliche Selbstentblößung stellt einen Tabubruch dar, der in besonderer Weise zur Rechtfertigung zwingt. In Auseinandersetzung mit den Ressentiments, die gegen sie und ihre Praxis im Raum stehen, haben sie eine Legitimationsrhetorik entwickelt, mit der sie ihr Handeln vor sich selbst und anderen rechtfertigen. Um eine moralische Verurteilung ihrer Person zu vermeiden und Verständnis für ihr regelwidriges Handeln zu generieren, greifen sie auf eine differenzierte Auswahl an Beschwichtigungsformeln zurück (vgl. Sykes/Matza 1957). Wie Athleten, die des Dopings überführt wurden, verfügen sie über ein »elaboriertes Rechtfertigungsrepertoire« (Bette/Schimank 1995: 214), durch das sie die moralische Verurteilung ihrer Person neutralisieren, kognitive Dissonanzen auflösen und Verständnis für ihr regelwidriges Handeln unterbreiten. Normverletzungen werden so in eine für den Normbrecher annehmbare Form gebracht. Im Unterschied zu gedopten Athleten versuchen Flitzer ihr Fehlverhalten weder zu bagatellisieren noch die Abweichung zu entpersonalisieren oder individuelle Schuld zurückzuweisen. Sie bejahen ihre Transgression, berufen sich nicht auf höhere Instanzen, sehen weder Sport noch Publikum als Opfer ihrer Taten an und verdammen auch nicht die Verdammenden, sondern versuchen diese auf ihre Seite zu ziehen. Wenn sie sich öffentlich und oft auch ausgiebig über ihre Praxis äußern, unterstellen sie der Stadionsicherheit kein Kontrolldefizit und monieren keinen Startnachteil gegenüber anderen Störenfrieden in den

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Insbesondere vor dem Zeitalter der neuen sozialen Medien liefen Streaks in dieser Hinsicht risikoärmer ab, weil der einzelne Flitzer anonymer bleiben konnte und nicht das Risiko einging, von seinem Arbeitgeber direkt gekündigt zu werden.

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Sonderräumen des Sports. Sie referieren auch keine Deutungsmuster aus dem psychiatrischen Diskurs. Demzufolge behaupten sie weder unter einem Stoffwechseldefizit zu leiden noch erzählen sie, dass ihnen »in der Kindheit ein Brett oder ein Hammer über die Rübe gezogen wurde« (Wallace 2015: 30ff.) oder eine ähnlich traurige Inzidenz widerfahren wäre. Vielmehr übernehmen sie die volle Verantwortung für ihr Handeln und betreiben Dialektik im eigentlichen Sinne. Dem Unverständnis ihnen gegenüber begegnen sie ihrerseits mit Unverständnis und kehren den Banalitätsvorwurf um, wenn sie der Deutung ihres Handelns als Fehlleistung widersprechen, den subjektiven Sinn ihrer Praxis darlegen, die akribische Vorbereitung ihrer Auftritte schildern, ihre außeralltäglichen Erfahrungen detailgenau mitteilen und sich selbst als Mentoren und Originale feiern. Flitzer, die sich medienöffentlich über ihre Praxis äußern, wollen nicht bloß ihr Gewissen beruhigen, Stigma-Management betreiben oder ungeschoren davonkommen. Sie wollen ihre alternative Sicht der Dinge offenlegen, ihr Handeln in das bestmögliche Licht rücken und Anerkennung für ihre deviante Karriere einheimsen. Ihre Begründungsformeln »säen Zweifel, wo zuvor Gewissheit war« (Breithaupt 2012: 12), und eröffnen eine Welt der »narrativen Mehrdeutigkeit« (ebd.: 8). Mit Denkvolten und argumentativen Umplausibilisierungen wehren Flitzer die Alltagstheorien aufseiten ihrer Kritiker ab, wenden sie ins Gegenteil und leiten provozierend zu der Frage über, wer hier etwas zu lernen hätte. Sie betreiben damit eine Art der »Gegenstigmatisierung«, die sich dadurch auszeichnet, »daß man sie (die Schuld, die Autoren) leugnet, abwehrt und zurückgibt an die stigmatisierende Erstinstanz« (Lipp 1993: 21). Dabei gehen Flitzer allerdings nicht soweit, die eigene Transgression als einen bewussten Akt der Selbstaufopferung oder als Gnade auszuflaggen, um charismatische Kompetenzen zu beweisen, Gefolgschaft zu finden und eine Bewegung zu begründen. In ihren Rhetoriken sind Flitzer allerdings wenig kreativ und greifen routinemäßig auf die gängigen spaß-, protest-, freiheits-, natürlichkeits- und kunstbezogenen Legitimationen der Nacktheit im öffentlichen Raum zurück. Mark Roberts richtete sein Handeln nicht zuletzt an der Maxime aus: »Nudity can be fun.« (Canal Plus 2016: 2:16) Auch mit

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dem Hinweis auf Kunst nutzte er eine geläufige Strategie, mit der er individuelle und kollektive Nacktheit vor den Augen Fremder legitimiert und Vorwürfe pornographischer Motivlagen entkräftet: »It’s an art form, what I do.« (ITV 2011: 0:58) An anderer Stelle bezeichnet er sich als »performance artist« (The Back of the Range 2018: 25:15). Dass die Stadionnacktheit anderen Performanzen überlegen sei, begründete er mit dem Hinweis auf die ökonomische Rationalität seines Kurzzeitauftritts: »If a band, a top band, plays a set for two hours, at the end they get a standing ovation«, gibt Roberts (in Banksy 2011: ab 28:53) zu bedenken. »I get standing ovations within 30 seconds.« Nicht wenige Flitzer geben Uneitelkeit und legitime Indifferenz gegenüber sozialen Konventionen und Zwängen als Sinnmotive ihrer öffentlichen Entkleidung an. »Appearance«, so Erika Roe, »I care not tuppen for that« (zit. in Sheridan 2017: 130). Bisweilen lautet das Argument auch: Protest. Sheila Nicholls betonte im Interview, dass die Nacktpräsentation ihres Frauenkörpers als »feminist action« (ebd.: 132) gegen Unterwürfigkeit und patriarchale Dominanz zu betrachten sei. Sie sei dem tiefen Drang gefolgt, alles hinter sich zu lassen, und sieht ihre Intervention vor einem Massenpublikum als Beispiel dafür, »how something light-hearted can stand as a beacon for something powerful« (ebd.: 143). Nacktheit und Selbstentblößung können allerdings nicht allein als ein nach außen kommuniziertes Nein gedeutet werden. Das Entkleidungsmoment kann die Scham auch als Abstoßpunkt nutzen und darauf abzielen, als entsexualisiertes Freiheitserleben nach innen zu wirken. Jacqui Salmond, die alle Hüllen auf den British Open im Golf fallen ließ, die Wege von Tiger Woods kreuzte und ihre Mutter damit offenbar an den Rand einer Depression brachte, stellte klar: »People see a naked woman and immediately make it sexual and think it’s about sexuality. It had nothing to do with that, even if it was a public event it was entirely about me, and entirely about choosing to be free.« (zit. in Sheridan 2017: 160) Mark Roberts verweist auf die ultimative Freiheit, die er für eine Minute genossen hätte. Die Bedeutung dieses Glücksgefühls leitet er nicht zuletzt ab aus dem Kontrast zum anschließenden Freiheitsentzug in Form von Gefangennahme, Abtransport sowie Verwahrung auf der Polizeistation. Die Frage, wie individuelle Freiheit

6 Legitimationsrhetoriken

ausgelebt werden kann, wenn der Zustand der Unfreiheit am Ende einer Flitzerattacke unweigerlich eintritt, beantworten andere Flitzer in einer bemerkenswerten Denkvolte. Die durch das Sicherheitspersonal hergestellte Unfreiheit wird von ihnen präflexiv als Teil selbstbestimmten Handelns angesehen und bewusst in Kauf genommen. Allen Begründungsformeln ist gemein, dass Flitzer das Nacktsein legitimatorisch neu rahmen. Die korporale Entblößung sei weder als schambesetzter Tabubruch noch als sexualisierte Gewalt zu verstehen, sondern werde als harmloses Kommunikationsmittel und als demonstrative Schamlosigkeit zur Anwendung gebracht. Dass der nackte oder teilbekleidete Körper von Flitzern bewusst als Handlungs- und Kommunikationsmedium benutzt wird, macht in einer gewissen Weise Sinn. Das öffentlich präsentierte physisch-organische Substrat repräsentiert eine generell verfügbare und einsetzbare Größe, bei der sich Wirkungen noch erzielen und auch fühlen lassen. In einer abstrakten, immer mehr entsinnlichten Gesellschaft wird der Körper zu einer wichtigen Sinninstanz. Menschen setzen ihn für konsumatorische und präsentative Zwecke ein, um einen individuellen Sinn zu finden. Er stellt einen Bezugspunkt dar, der Konkretheit und Gegenwärtigkeit noch als erreichbare und herstellbare Erfahrungskategorien erscheinen lässt (Bette 1999: 123ff.). Da Menschen immer weniger in der Lage sind, eine sinnvolle Einheitsformel für ihr Leben zu finden, leuchtet es ein, wenn sie, wie die Sportflitzer, mit dem Körper eine Instanz nutzen, die nicht erst symbolisch als Einheit hergestellt werden muss, wie die Identität, sondern als eine kompakte, in sich geschlossene biologische Ganzheit bereits vorhanden ist. Auf energische Weise widersprechen Flitzer in ihren Legitimationsrhetoriken allgegenwärtigen Zuschreibungen von Verrücktheit, psychischer Auffälligkeit oder geistiger Minderbemitteltheit. Gemäß ihren Selbstdarstellungen litten sie keineswegs unter einem Reflexionsdefizit, vielmehr hätten sie sich aktiv für ihre Handlungen entschieden und die temporäre Gedankenlosigkeit im Vorfeld ihrer Störungen ganz bewusst gewählt. »Sod it!«, so referiert »Missy« Davies (zit. in Sheridan 2017: 22) stellvertretend das »Just do it« des Flitzens, wie man es gemeinhin aus der Sportartikelwerbung und der Selbsthilfe- bzw. Ratgeberliteratur

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kennt. Mark Roberts ließ sich sein Risikobereitschaft und Erfolgszuversicht symbolisierendes Lebensmotto nach dem Super Bowl-Stunt auf den Arm tätowieren: »If you can think it, you can do it!« (Independent: 10.2.2013) Offensichtlich geben sich Flitzer nicht nur einer spontanen Aktions- und Erlebenslust hin, sie reflektieren anschließend darüber und erörtern die Vernünftigkeit ihrer Unvernunft. »Caring less for the why and more about the why not« (Sheridan 2017: 2). Ihre Stellungnahmen betten sie subtil in eine Philosophie der Lebenskunst ein. »I live for fun. Adventure!«, so beispielsweise Mark Roberts (ESPN 2015: 0:16). Kinsey Wolanski profitierte vom Aufmerksamkeits- und Markenwert ihrer freizügigen Auftritte, machte Werbung für die Webseite ihres Lebenspartners und appellierte an Dritte: »Das Leben ist da, um es zu leben. Macht verrückte Dinge, an die ihr euch für immer erinnern werdet!« (20 minuten: 2.7.2019) Rémi Gaillard, der französische »Imposteur«, gibt sein Lebensprinzip bei jeder Gelegenheit preis und okkupiert zu diesem Zweck beispielsweise das Stadionmikrofon des Stuhlschiedsrichters im Tennis, stiehlt sich bei einer Handballübertragung vor die laufenden Fernsehkameras und beendet seine Videoclips stets mit demselben Abspann: »C’est en faisant n’importe quoi qu’on devient n’importe qui.« Er spielt mit der Doppelbedeutung der zentralen Wendung in dieser zum Schlagwort geronnenen Formel. »Wenn du irgendetwas machst, wirst du irgendwer«, so die Übersetzung der Devise auf seiner DVD. Die alternative Übersetzung lautet: Wenn du nach dem Motto »n’importe quoi« Unsinn und verrückte Dinge machst, wirst du jemand, zumindest ein Individuum, das wahrgenommen wird.2 Weil die religiösen Heilsversprechen in Zeiten »transzendentaler Heimatlosigkeit« (Lukács 1994: 52) nicht mehr ohne Weiteres überzeugen, traditionelle Sinninstanzen wie Beruf und Familie ebenfalls an Bedeutung verloren haben und »sich im Nichts nicht leben lässt« (Schmid 2016: 13), muss die Sinnhaftigkeit der Existenz in der Moderne selbst erarbeitet werden. Flitzer stehen dem traditionellen Leistungsdenken kritisch gegenüber und geben auf die Frage nach dem schönen

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Zu dieser Deutung des Slogans vgl. auch Touil (2013: 38).

6 Legitimationsrhetoriken

Leben zumeist eine hedonistische Antwort. Immer wieder verweisen sie auf die exzeptionellen Momente und Glückserfahrungen ihrer Grenzüberschreitungen. Die momentanen Gefühle werden als Handlungsgrundlagen in Anspruch genommen. Das Ich könne besonders in der Transgression und im wilden Erleben zu sich selbst kommen und im Rausch dieser Erfahrung ein neues Weltverhältnis finden. Das Flitzen vor einem Publikum wird damit als eine Antigeschichte erzählt, als Opposition gegen die Langeweile, Routine und Rauscharmut des modernen Alltags, wider die fehlenden Herausforderungen in der Freizeit und die Verdrängung ursprünglicher, ganzheitlicher und authentischer Erfahrungen in einer durch Körperferne bestimmten Gesellschaft. Für Lianne Crofts besteht der Sinn des Lebens vornehmlich darin, außeralltägliche Erfahrungen zu sammeln. Mark Roberts (ESPN 2015: 3:36) ist bereits bei seiner ersten Aktion hochgradig begeistert: »The adrenaline and that feeling of euphoria was absolutely unbelievable.« Jeder Mensch auf der Welt sollte mindestens einmal selbst flitzengehen, um dieses unfassbare Gefühl überhaupt nachvollziehen zu können. Sheila Nicholls behauptet, durch ihren Streak eine ganz neue, ekstatische und fast außerkörperliche Seinserfahrung erschlossen zu haben: »I could hardly even feel the boundaries of my own body.« (zit. in Sheridan 2017: 133) Jimmy Jump schwärmt im Interview bei Lanz (ZDF 2010: 5:54), wie sehr er seine Auftritte genieße: »Ich fühle mich wie Superman in dem Augenblick.« Dieser außeralltägliche Bewusstseinszustand habe ihn regelrecht süchtig werden lassen: »I cannot give up. I feel it as an adrenaline and it gets like a drug and more.« (Motjer 2011: ab 0:56) Wertvoll scheinen nicht nur die außeralltäglichen Momente an sich, sondern mehr noch die Erinnerung an sie. Mark Roberts redet im Podcast seinem Gesprächspartner Ben Adelberg ins Gewissen: »You only got one shot in life, Ben. Well, enjoy it. But the most important thing is: Create memories!« (The Back of the Range 2018: 59:38) Flitzer wollen nicht nur in der Erinnerung an vergangene Taten schwelgen. Im Futur zwei antizipieren sie ihr späteres Ich, das mit dem Rücken zur Zukunft auf die eigene Biografie zurückblickt. Auch deshalb taucht das Flitzen auf der »To-do-Liste« mancher Individuen als ein abzuhakender Punkt auf,

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Flitzer im Sport

wenn Tod und Endlichkeit des eigenen Lebens ins Bewusstsein rücken.3 Ihr »Nachruf auf das zu lebende Leben« (Welzer 2021: 207) legt weder Aufhören noch »spektakuläre Faulheit« (ebd.: 213) oder selbstgenügsame Bequemlichkeit nahe, sondern fordert nachdrücklich zu einer Suche nach Highlights, Vollständigkeit und einem Weitermachen in Zeiten existentieller Desillusionierung auf. Spaß durch das Tun verrückter Dinge erscheint in diesem Zusammenhang ein notwendiges Muss für Menschen zu sein, die in ihrer gesellschaftlichen Umwelt mit Beschleunigungserfahrungen, Zukunftsorientierung und dem Wissen vom Verlust der Einheit der Wirklichkeit konfrontiert werden. »Some people never go crazy«, stellt sich »The Streaker« (Mark Roberts) auf seinem Instagram-Account vor. Gerade den Nichtflitzern unterstellt er somit ein ungelebtes, unfreies Leben. »What truly horrible lives they must lead.« Weil Flitzer sich immer wieder neu und aus freien Stücken in eine Situation hineinbegeben, in der sie zu Opfern werden, weisen sie in ihren Begründungen auch auf Leistungen hin, die sie durch ihre Grenzüberschreitung für das Publikum erbracht haben. In den entsprechenden Passagen gehen die Protagonisten zwar auf die sozialen Kontextbedingungen ihres Handelns ein. Sie beschreiben sich jedoch nicht mit soziologischen Mitteln als Subjekte, die den Spitzensport als Medium ihrer Individualisierung nutzen und ihre Identität als Flitzer daraus ableiten. Stattdessen stellen sie sich als Mittel zum Zweck einer höheren Sache dar, weisen ihre Performanzen als »best practice« in turbulenten Zeiten aus und geben Altruismus, Selbstlosigkeit oder sogar Opferbereitschaft als die wahren Triebkräfte ihrer öffentlichen Selbstentblößung an. Sie leugnen, den Zuschauern einen Schaden zugefügt zu 3

Die Neuseeländerin Rosa Kupa gibt an, ihr Auftritt als Flitzerin im Alter von 25 Jahren sei Bestandteil einer solchen To-do-Liste (Sheridan 2017: 143ff.) gewesen. Der holländische TV-Moderator und Radio-DJ Sander Lantinga plante und verwirklichte seinen »Streak« im Rahmen des Programms mit dem Titel »Try Before You Die« (vgl. NUsport vom 25. Juni 2011). Hierzu passt das Handlungsgerüst eines Musikvideos der »Dustaphonics«, bei dem Mark Roberts einen Trauerfall in der Familie verarbeitet, indem er direkt nach der Beerdigung losflitzt. Catherine Maher verweist auf ihre »list of things I want to do in life« (Sheridan 2017: 151). Das Flitzengehen stand offensichtlich auf dieser Liste.

6 Legitimationsrhetoriken

haben. Folgt man ihren wiederkehrenden Selbstbeschreibungen, wollen Flitzer dem Publikum vielmehr Time-out-Erlebnisse und außeralltägliche Momente vermitteln und Spaß als modernes Apriori schenken. Ihr Handeln sei weder deviant noch selbstsüchtig-parasitär, sondern eine Bereicherung für alle und hochgradig publikumsdienlich. Mark Roberts zum Beispiel möchte Augenblicke kreieren, die albern, überraschend und ansteckend sind. »When the world seems like it’s going through a rough patch«, beschreibt er seine hehren Motive, »the only thing I can do about it is to try to put a smile on people’s faces« (zit. in Sheridan 2017: 165). Humor und Lachen sollen in diesen und ähnlichen Situationen als einheitsstiftendes Momentum dienen, das nicht nur sportliche Rivalitäten und soziale Ungleichheiten überwölbt. Selbst die Verfolger des Störenfrieds geben bisweilen an, bei der Jagd eine großartige Zeit gehabt zu haben (ebd.: 12f.). »As long as I can entertain people«, nimmt Mark Roberts seine Zukunft vorweg: »I see no reason to hang up my boots.« (ebd.: 85) Bei genauer Hinsicht ist die Rechtfertigung des Flitzerhandelns als Spaß- und Euphorisierungsprogramm an konkrete Bedingungen geknüpft. Flitzen kann vor allem dann als positiver Dienst am Menschen vermittelt werden, wenn das sportliche Handlungsgeschehen nur kurzzeitig unterbrochen wird. Systemische Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen und der ergebnisoffene Wettkampfausgang dürfen nicht korrumpiert werden. Flitzer, die sich der Leichtigkeit des Seins verschreiben, wollen keine Verantwortung für die Kollateralschäden ihrer Auftritte in den Karriereverläufen von Athleten oder das Scheitern von Sportlerbiografien übernehmen. Aufs Schärfste verurteilt werden vor allem jene Akteure, die aktiv in das Spielgeschehen eingreifen, trotz Nacktheit keine Berührungsängste gegenüber den Sportakteuren an den Tag legen und beispielsweise dem ballführenden Spieler im Rugby aktiv Paroli bieten oder beim Fußballspiel selbst ein Tor treten wollen. Nicht alle Sportlerinnen und Sportler nehmen Nacktinterventionen aus dem Zuschauerraum mit Humor, besonders wenn die Grenzüberschreitungen eine Kehrtwende im Spiel bewirken, die sportliche Niederlage einleiten oder die Messbarkeit der individuellen Leistung beeinträchtigen.

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Flitzer im Sport

Dass einige Flitzer auf die nichtintendierten Folgen ihrer Störaktionen präflexiv achten, sich am Fairplay-Gedanken des Sports orientieren und die Glaubwürdigkeit ihrer Rechtfertigungsstrategien im Blick behalten, zeigen die oft sorgfältig gewählten Zeitpunkte ihrer Grenzüberschreitungen beim Abspielen von Nationalhymnen, während der Platzwahl, beim Abstoß vom Tor kurz vor Halbzeitende, nach dem 100m-Finale in der Leichtathletik oder im Anschluss an den letzten Golfschlag am 18. Loch. Bei einer Flitzerattacke während eines Billard- oder Snookerspiels ist es verpönt, die Kugeln auf dem Tisch zu bewegen. Ein Nacktflitzer im Hippodrom rannte neben den galoppierenden Pferden und ihren windschnittigen Jockeys auf der äußersten Bahn mit und bewegte sich insofern auch in räumlicher Hinsicht außer Konkurrenz. Jahre später blickte Erika Roe zurück auf ihren Stunt und schätzte die gesteigerten Sicherheitsvorkehrungen bei Sportgroßveranstaltungen ein: »I have heard that there is an ›Anti-Twickenham-Streak-Squad‹ running around with paper toweling or something. I think that it’s a good idea if it’s protecting the game of rugby, so that it’s not interrupted. I pride myself in having done it at halftime, cause I’d hate to interrupt the game. I think it’s a good game. But if it’s for prudery, protection from the flash, then it’s hypocrisy – and this should be done away with.« (Mills 1995: 54:12) Dass Mark Roberts das Green des Golfkurses beim Ryder Cup 2006 in der fälschlichen Annahme erstürmte, der Wettbewerb sei bereits vorüber, und sich damit irrte, bezeichnete er (zit. in Sheridan 2017: 80) später als den größten Fehler in seiner langjährigen und erfahrungsreichen Flitzerlaufbahn.

7 Huldigung und Sanktionierung

Im Diskurs über das Sportflitzen erfolgt in einer subtilen Weise eine Verhandlung über die Möglichkeiten und Grenzen korporaler Selbstdarstellung im öffentlichen Raum. Zusätzlich werden in der Betrachtung der Flitzerpraktiken Grenzen des guten Humors und des feinen Geschmacks ausgelotet. Was ist erlaubt oder verboten und was kann jenseits der offiziellen Nutzung sportlicher Räume an Transgressionen hingenommen werden? Vor allem: Wie soll man mit einem Verhalten umgehen, das zwar verboten und strafwürdig ist, aber parasitär in einer Welt das »Als-ob« stattfindet und bislang nicht jenes Gewaltpotential entfaltet hat, das in Gestalt von Amokläufen oder Terroranschlägen Menschen nicht nur stört, sondern auch tötet? Die öffentliche Meinung über die spaßorientierten Flitzerauftritte ist keineswegs einhellig. Flitzer, die die Selbstbezüglichkeit des Sports durch ihre Überrumpelungs- und Raumbesudelungspraktiken verletzen und dabei kurzerhand nackte Tatsachen schaffen, stoßen an den Orten ihrer Grenzüberschreitung nicht auf die einstimmige Ablehnung durch Fans oder Ordner. Zuschauer werfen keine Bengalos, Plastikbecher oder Sitzkissen in den Wettkampfraum, um Flitzerattacken zu unterbinden. Die Plötzlichkeit der Grenzüberschreitung und die räumliche Distanz zu den Flitzern ließen für derartige Reaktionen auch wenig Zeit. Vielmehr erfahren die Flitzer Momente sowohl der stillschweigenden Duldung als auch der ostentativen Huldigung und spaßbesetzten Ehrerbietung. Das Stadionpublikum schlägt sich, wie Filmaufnahmen immer wieder zeigen, vielmehr in Form von »standing ovations«, »thumbs up« oder auch handfesten Interventionen auf die

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Flitzer im Sport

Seite der Flitzer und wendet sich mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden mimischen, gestischen und tonalen Möglichkeiten gegen die Sicherheitskräfte. Flitzer werden insofern von den anwesenden Zuschauern nicht in Grund und Boden verdammt. Sie erwerben vielmehr auch eine Prise Respekt und Anerkennung ob ihres Mutes, sich trotz des Wissens, unausweichlich durch Ordner in aller Öffentlichkeit aus dem Verkehr gezogen zu werden, als Störenfriede zu exponieren. Der Zuschauerapplaus ist allerdings nicht ambivalenzfrei. Die Flitzeraktionen bleiben skurril. Zuschauer klatschen Beifall für ein Handeln, das sie sich in einer vergleichbaren Weise selbst nicht zumuten würden. Dass Nacktflitzer und teilbekleidete Störenfriede ihre Grenzüberschreitung als Spaßbotschaft ausflaggen und damit als eine Art Leistung darstellen, die sie für andere erbringen, wird nicht jeden Zuschauer überzeugen. Bisweilen scheinen einige Akteure auch pekuniäre Interessen zu verfolgen. Flitzer, die mit der Wirtschaft kooperieren, sich das Unternehmenslogo des Sponsors vor ihren Auftritten auf Brust und Rücken malen oder Sichtbarkeit für Marken und Produkte auf anderen Wegen herstellen, werden mit einer Stange Geld für den gelungenen Aufmerksamkeitsdiebstahl honoriert oder bekommen zumindest Kost und Logis bezahlt. Ohne Gewähr: Laut eigenen Angaben habe Mark Roberts eine Million Dollar von seinem Sponsor für seinen geglückten Super Bowl-Stunt erhalten (The Guardian: 30.1.2015). Nicht nur in Filmen setzen Flitzer in spe große Summen auf einen Flitzerauftritt bei den Sportwettanbietern und helfen dem Zufall anschließend selbst auf die Sprünge (vgl. Luisi 2017).1 Im Jahr 2021 gab ein Super Bowl-Streaker öffentlich preis, er habe 50.000 Dollar auf einen Flitzerauftritt gewettet und für seinen eigenen Stunt 374.000 Dollar gewonnen. Der Buchmacher reagierte auf diese Äußerung und verweigerte anschließend die Auszahlung. Inzwischen sind insbesondere die Serienflitzer dazu übergegangen, Unterstützungs- und Befürwortungsinitiativen mit Hilfe des Internets aufzubauen und zu orchestrieren. »The streaker’s internet [is] 1

Im Schweizer Film »Flitzer« versucht ein unter Geldnot leidender Deutschlehrer mit seiner Entourage Kapital aus dieser Wettstrategie zu schlagen. Um einer geldbringenden Wette zum Erfolg zu verhelfen, ging er am Ende selber flitzen.

7 Huldigung und Sanktionierung

usually good«, vermuten auch David Earl und Joe Wilkinson (Chatabix 2022: 4:05) in ihrem Podcast über Mark Roberts. Flitzer regen Netzgemeinschaften an, erhöhen die Zahl ihrer »Follower« durch öffentliche Auftritte und versuchen dadurch ihren Marktwert zu steigern. Um Anschlussfähigkeit der Ereignisse untereinander herzustellen, bauen sie ein kollektives Gedächtnis auf der Grundlage medialer Sammlungen auf. Seit dem Jahr 2000 werden auf der Website »Streakerama: The Streaking Site« Bilder und Pressemeldungen zu den lustigsten und kuriosesten Flitzerauftritten zusammengetragen – auch wenn diese Form der »celebration of streakers« wenig systematisch erscheint und seit längerem nicht mehr aktualisiert wird. Ergänzend hierzu sitzen Flitzer in einschlägigen Talkshows neben entblößten Hostessen oder selbst oben ohne und erörtern ihre Auftritte mit markigen Worten und einem schelmischen Lachen. Nacktflitzerinnen verzücken in manchen Fällen nicht nur das Stadionpublikum, sondern bauen durch ihren Auftritt auch erotisches Kapital für außersportliche Situationen auf und erhalten unmoralische Angebote für Aktfotografien in entsprechend orientierten Männermagazinen. Eher selten und nur kurzfristig findet sozialer Aufstieg in die »High society« statt. Nach seinem Super BowlAuftritt sei Mark Roberts von »Puff Daddy« höchstpersönlich zu dessen Party eingeladen worden, wo er neben Stevie Wonder am Urinal gestanden habe (Chatabix 2022: ab 46:45). Bei »Missy« Davis war die ganze Familie begeistert, koppelte stolz ihre Teilhabe an der Störaktion zurück (»We saw you!«), veranstaltete ein Barbecue zur Feier des Tages und hängte das Foto der flitzenden Tochter in das heimische Wohnzimmer (Sheridan 2017: 27). Rund um ihren Nacktauftritt bildete sich sogar ein eigener Fanclub, der ihr Fanpost, Blumensträuße und andere Aufmerksamkeiten zukommen ließ. Als Davis bei einem Jobinterview nach ihrem denkwürdigen Auftritt in Wimbledon gefragt wurde, erwies sich ihr Stunt sogar als karriereförderlich. In anderen Fällen werden ebenfalls Facebook-Gruppen im Gedenken an einen Flitzer gegründet oder Memes der Aktion in zahlreichen Varianten im Internet verbreitet. Selbst die Haltung der Polizei ist weniger eindeutig als es die Stadionszenen nahelegen. Auf die Bemerkung, dass er als Serienflitzer bei der Polizei nicht allzu be-

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liebt sein dürfte, gibt Mark Roberts zu bedenken: »Manche mögen mich nicht, ja. Aber viele sagen hinterher: Das war toll!« (Schild 2014: 85) Als Roberts (Chatabix 2022: ab 41:58) einem Police Officer beim Super Bowl beispielsweise versicherte, er habe das »große amerikanische Volk« schlicht und ergreifend zum Lachen bringen wollen, bestätigte der Polizist: »That was fucking awesome, man.« Nachdem die Ordnungskräfte und Polizisten ihre Stadionpflicht getan, den Störenfried aus dem Verkehr gezogen, seine Personalien aufgenommen und Sanktionen angekündigt haben, finden auf den Polizeirevieren nicht selten Autogrammstunden mit jüngst erstellten Fahndungsfotos statt. Sportveranstalter und übergeordnete Förderinstanzen schließen sich diesen subtilen Anerkennungspraktiken allerdings nicht an. Demgemäß ist festzuhalten, dass bestimmte Rituale der Huldigung und Ehrerbietung, mit denen berühmte Sporthelden für ihre Taten belohnt werden, den Sportflitzern bislang vorenthalten wurden. Statuarisierungen bekannter Störenfriede in Gestalt von Monumenten hat es, soweit bekannt, nicht gegeben. Auch eine »Hall of fame« des Flitzens ist noch nicht gegründet worden. Ebensowenig wurden Rentenanrechte oder Grundstücke für erfolgreich durchgeführte »Streaks« verschenkt, Straßennamen vergeben oder Jubelfeiern auf Balkonen vor versammelten und jubilierenden Fans abgehalten. Silberne Lorbeerblätter hat man am Revers bekannter Sportflitzer auch noch nicht beobachten können. Flitzergesichter auf Briefmarken haben die Welt der Philatelie ebenfalls nicht bereichert. Ebensowenig wurde bekannten Sportflitzern nach ihrem Ableben ein Ehrenbegräbnis mit vorausgehenden Lobreden spendiert. Auch die Ernennung zu Ehrenbürgern des Herkunftsortes unterblieb bisher. Selbst das »Guinness Buch der Rekorde«, das auf eine Würdigung oftmals kurioser Leistungen und absonderlicher Erscheinungen spezialisiert ist und insofern einer Versportlichung verrückter Ideen Vorschub leistet, hat von der Veröffentlichung von Flitzerrekorden bislang Abstand genommen – insbesondere um keine Nachahmungsphantasien bei seinen Lesern zu kultivieren. Flitzerdevianz wird, wie all diese Beispiele zeigen, offiziell nicht belohnt, sondern geahndet. Flitzer, die die Bühnen des Sports ungefragt aufsuchen, sich schnellstmöglich ganz oder teilweise entblößen und bei ihren Kehrt-

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wenden, Flugrollen und Vollsprints auch ihre Körperpartien und Geschlechtsmerkmale zeigen und in Bewegung setzen, verstoßen gegen das Tabu der Selbstentblößung in der Öffentlichkeit. Von möglichen Scham- und Peinlichkeitsgefühlen sowie von drohenden Stigmatisierungs- und Exklusionsdynamiken lassen sie sich nicht abschrecken.2 Im Gegenteil: Meist inszenieren sie sich in demonstrativer Weise als schamlose Subjekte, geben scheinbar gute Gründe für ihre öffentliche Nacktheit an oder erheben das Stigma des »Outsider« zum Charisma ihrer außeralltäglichen Lebensweise. Jacqui Salmond verweigerte sich der Scham für ihren nackten Körper und rechtfertigte ihren »Streak« mit den gängigen Argumenten: »It’s not anything I’m ashamed of at all, it brought a bit of joy to the world.« (zit. in Sheridan 2017: 160) Nur in Ausnahmefällen setzt sich die gutbürgerliche Erziehung durch. Nachdem sich Sheila Nicholls vollständig entblößt, das Cricketfeld gestürmt, Fließerfahrungen gesammelt und ein sehr freizügiges Rad geturnt hatte, zensierte sie ihren Intimbereich und die Brust kurz nach ihrer Gefangennahme, schlug sich anschließend beide Hände vor das Gesicht und ließ sich bereitwillig abführen. Sie reflektierte die Neueinschätzung der Situation im Rückblick: »While I was running, my body was engaged, but when I stopped running, I was no longer in that personal space. I realized I was at a public event and I was naked.« (zit. in Sheridan 2017: 138) Da sich Flitzer durch Abweichung individualisieren, müssen sie auch jenseits ihrer Gefühlswelt mit Konsequenzen rechnen. Nicht nur die Jagdszenen und der Abtransport des Flitzers aus dem Stadionrund in die Katakomben, auch die anschließenden Sanktionierungen sind vorprogrammiert und fest einkalkuliert. Die Spaßabsichten der Flitzer sind dabei nicht direkt ersichtlich. Die Hüter von Recht und Ordnung

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Für das familiäre und persönliche Umfeld gilt diese Sorglosigkeit nur bedingt. Bisweilen wird von Fremdscham und »stigma by association« gerade der engsten Vertrauten berichtet. Den Kindern von Mark Roberts ist die Karriere ihres Vaters überaus peinlich. »The Streaker« erzählt: »Sie haben oft gesagt, dass ich aufhören soll. Und als ich bei der Casting-Show X-Factor ›teilnehmen‹ wollte, da haben sie fast gefleht – ihre Freunde gucken das ja.« (Schild 2014: 85)

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der Sportöffentlichkeit müssen vielmehr mit dem Schlimmsten rechnen und dürfen schon deshalb nicht dem »zwanglosen Zwang« der in Legitimationsrhetoriken präsentierten Argumente nachgeben oder stets Laissez faire im Umgang mit Platzstürmern an den Tag legen. Es wäre nicht auszudenken, wenn Flitzer ihren Störungen nicht durch Nacktheit, sondern mit Hilfe von Messern, Schlagringen, Pistolen oder Sprengkörpern Nachdruck verliehen. Bisweilen versuchen die Ordnungskräfte den Störaktionen präventiv zu begegnen. Stadionverbote oder sogar ein »lifetime ban« für bestimmte Sportveranstaltungen haben manche Flitzer durchaus schmerzlich getroffen. In Einzelfällen werden Wiederholungstäter vor dem Anpfiff per Streife in die Kneipe eskortiert oder haben vor Spielen der Fußball-Nationalmannschaft ihren Reisepass abzugeben. Selten schreiben die Veranstalter »usual suspects« per Post an und bitten die ungebetenen Gäste auf diesem Weg, zuhause zu bleiben. Mark Roberts berichtet über seinen Versuch, bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio zu flitzen, wie er von einem jungen Soldaten mit der Waffe bedroht und dabei fast erschossen worden wäre. Im Allgemeinen lassen sich die Störenfriede jedoch weder abschrecken noch im Vorfeld ihrer Aktionen einsammeln. Dass die Intervention der Flitzer keine Würdigung als Striptease erfährt, sondern als Norm- und Tabubruch bewertet und bestraft wird, zeigt sich allerspätestens vor Gericht. Die Richter setzen die Deutung des Rechtssystems durch und lassen zumeist keinen Zweifel aufkommen. Mag das Publikum auch geklatscht und gelacht haben, wird aus juristischer Sicht doch keine kollektive Verantwortung gesehen. Anwälte und Richter diskutieren den Rechtsbruch, erörtern das Strafmaß, sprechen Schuld und legen den Fall anschließend zu den Akten. Nicht umsonst betonen Flitzer regelmäßig, wie wichtig ein guter Anwalt als Wegbegleiter bei der Verhandlung über die Deutung ihrer Praxis sei. Mark Roberts plädiert inständig: »not guilty«. Nicht weil er kein Gesetz gebrochen habe, sondern weil er das Gesetz für falsch halte, das die Belustigung der Mitmenschen unter Strafe stelle; tatsächlich scheint er viele Verfahren gegen ihn zu gewinnen (Criminal 2018: ab 12:26). In einem Instagram-Video vom 30.8.2018 hält sein Strafverteidiger ein flammendes Plädoyer für die weltverbessernden Motive seines Klienten: »What can I

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say of Mark Roberts? A breath of fresh air, sunshine into a dreary world of criminal law. As you know, I deal with all kinds of cases: murders, rapes, robberies, drugs, fraud, all kinds of things. But then along comes Mark with his harrassment, alarm or distress cases after a good old streak – and there is no way that a prosecutor can ever realistically convict him, because he brings happiness to a bad world.« Das Argument ist nicht ganz abwegig. Selbst die Jury im Bundesstaat Texas soll im Geschworenenzimmer laut gekichert und gelacht haben, als sie den Schuldspruch von Mark Roberts in ihrer Klausur diskutierte (The Guardian: 30.1.2015). Der Bielefelder Serienflitzer »Ernie« wurde im Juli 2009 dennoch zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er sich vor Gericht als unverbesserlich inszenierte, während des Urteilsspruchs die Hose herunterließ und seine primären Geschlechtsmerkmale vor dem Richter entblößte. Die Strafe wurde nur deshalb zur Bewährung ausgesetzt, weil Wittig gewissermaßen kontrafaktisch glaubhaft Besserung versprach. Generell ist der Norm- und Gesetzesbruch keineswegs klar definiert und seine rechtliche Verfertigung im internationalen Vergleich variantenreich. Bereits öffentliche Nacktheit ist eine komplexe und juristisch umstrittene Form der Devianz (Atkinson 2014). In den USA gibt es zwischen den einzelnen Bundesstaaten divergierende Vorstellungen davon, was als »middling sort of nudity« zu gelten habe, also als Nacktheit, »which neither takes place in, say, a fenced-in colony, on the one hand, or which is plainly offensive and sexually threatening, on the other« (Friedman/Grossman 2013: 189). In diesem Sinne variieren auch die Semantiken des Anstoßes, die Mark Roberts immer wieder auf die Polizeistationen und ins Gefängnis bringen. Im Podcast »Criminal« (2018: ab 5:08) wird ein enumeratives Zwischenresümee gezogen, bei dem nur eine Auswahl der Anklagepunkte angeführt wird: »outreaching public decency«, »criminal trespass«, »public nuisance«, »breach of the peace« sowie »causing alarm and distress in the public«. Im Gros der Verhandlungen wird über die Beurteilung als »indecent exposure« gestritten. Im deutschen Recht ist für die strafbare Einordung eine »Erheblichkeitsgrenze« entscheidend. Die annäherungsweise Formel scheint zu lauten: »Je mehr Zuschauer auf einen Nackten kommen, desto geringer die Belästigung für den einzelnen.« (Klett-Straub 2006:

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189) Prinzipiell kann Flitzen sowohl als »Belästigung der Allgemeinheit« – und somit als »Ordnungswidrigkeit« – gelten, als auch als »Hausfriedensbruch« gemäß § 123 im Strafgesetzbuch behandelt werden. Denn »wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft«. Die Tat wird jedoch nur auf Antrag verfolgt. Überblickt man die verschiedenen Urteile gegen Flitzer, dann zeigt sich: »All cases are assessed on their merit and there is no standard charging process for streaking.« (Sheridan 2017: 150) In den meisten Fällen kommen Nacktflitzer in Deutschland, England und vielen anderen Ländern glimpflich davon oder erhalten aufgrund guter Führung beim Abtransport nur eine »precharge warning« (ebd.: 150). Bisweilen sitzen die Missetäter wenig später wieder auf den Tribünen, schauen sich die zweite Hälfte des Spiels an und tragen als beifallklatschende Zuschauer ihren Teil zur sozialen Konstruktion des Spitzensports bei. Michael Angelow musste wegen »insulting behaviour« (ebd.: 105) zehn Pfund zahlen. Bruce McCauley wurde 1977 mit 25 neuseeländischen Dollar für sein »disorderly behaviour« bestraft, während dem Cricketspieler Greg Chappell, der ihm mit gutplatzierten Schlägen den Hintern versohlt hatte, eine Anzeige wegen Körperverletzung drohte. Auch über den brachialen Körpereinsatz eines südafrikanischen Cricketspielers, der einen Flitzer in vollem Lauf mit einem Schulterrempler zu Fall brachte, wurde kontrovers diskutiert. Ein Störenfried, der beim missglückten Überklettern der Eishockey-Bande mit dem Kopf aufschlug, wurde mit 35 Stunden gemeinnütziger Arbeit und einer Spende von insgesamt 1650 Dollar für wohltätige Zwecke belangt. Mit relativer Milde können indes nicht nur jene Flitzer rechnen, die bewusstlos auf dem Eis liegenbleiben und anschließend von den Sanitätern abtransportiert werden, sondern auch jene, die ihre Boxershorts anbehalten und ihre Genitalien zensieren: »The difference between keeping my boxers on and taking them off«, so die Einschät-

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zung eines Flitzers, »was a plane ticket back to the UK. As much as I would have liked to go full nude, I think I made the right choice.« (zit. in Sheridan 2017: 96) Die Unterscheidung des Geschlechtskörpers und seiner sozialen Konstruktion spielt bei der juristischen Verarbeitung von Nacktheit eine zentrale Rolle. Über die sexualisierten und erotischen Implikationen weiblicher Brüste wird einerseits kontrovers diskutiert, wie die Diskurse rund um Janet Jacksons »Nipplegate« idealtypisch zeigen. »For the most part«, so stellen andererseits Friedman und Grossman (2013: 192) mit Bezug auf die Rechtslage in den USA fest, »indecent exposure laws do not include the female breast in the definition of indecency.« Hier stehen die Genitalien des Mannes im Zentrum der Aufmerksamkeit. Während die nackten Brüste einer Frau die Mitwelt zwar mehr ablenkten als männliche Brüste und in dieser Hinsicht zum sozialen Problem werden könnten, wirke der männliche Phallus – so die Argumentation – auf seine Beobachter an sich bereits als bedrohlich (Criminal 2018: ab 9:13). Flitzer gehen mit ihren Auftritten dennoch ein Risiko ein. Gemäß »New Zealand Legislation« beispielsweise können »pitch invader« jeglicher Art bis zu drei Monate eingesperrt und mit einem Bußgeld von maximal 5000 NZ-Dollar bestraft werden. In den USA haben sie einen Eintrag in das »sex offender register« zu befürchten. Obwohl Mark Roberts nach seinem »Streak« beim Super Bowl in Texas mit einem Bußgeld von 1000 Dollar davonkam, hatte die Anklage zunächst eine sechsmonatige Gefängnisstrafe gefordert. Tatsächlich wurde ein Rugby-Flitzer in Neuseeland zunächst zu drei Monaten Gefängnis und 2000 Dollar Strafe verurteilt, weil er nicht zum ersten Mal auffällig geworden war. Die Strafe wurde nachher auf zwei Monate reduziert. Vor allem in Ländern, die aus religiösen Gründen einen sehr rigiden Umgang mit der Offenbarung nackter Körperlichkeit ausgeprägt haben, gilt es auf der Hut zu sein. »There’s some countries you just don’t even dare, man, like Muslim countries and stuff.« (Bought the T-Shirt 2021: ab 41:33) Roberts wolle durch seine öffentliche Selbstentblößung zwar provozieren. »But I don’t want to offend anybody, because what I do is making people laugh […] and that has to be as pure as possible, all about form, all about uplifting.« (Ebd.) Auch in anderen Ländern identifiziert Barthe-Deloizy (2003:

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130; Herv. im Orig.) eine reservierte Haltung des Publikums gegenüber Nacktflitzern: »Confronté à la culture latine, le nu exposé, masculin ou féminin, ne suscite ni le rire ni une certaine complicité avec le spectateur (ce qui est recherché par le streaker).« Mark Roberts berichtet wiederkehrend von seinen Erfahrungen mit einer besonders schwerwiegenden Form von »Shaming« auf einem Madrider Polizeirevier.3 Als ob er die Scham kontrafaktisch wiedererlernen sollte, wurde er dort nicht nur nackt in die Zelle gesteckt. Selbst bei seiner Entlassung wurden ihm Kleidung und Ausweisdokumente vorenthalten. All sein Hab und Gut sei im Stadion geblieben und in die Menge, aus der er kam, zurückgeworfen worden. Über die Deutung und Bewertung der »public nudity« hinaus ist strittig, ob und wie genau die flitzenden Störenfriede überhaupt gegen das Hausrecht verstoßen und hierfür strafrechtlich belangt werden können. Im Prozess nach dem Super Bowl in Texas argumentierte der Anwalt von Mark Roberts (zit. in Chatabix 2022: ab 45:30) in diesem Sinne und besprach die Verteidigungsstrategie mit dem Angeklagten: »Nobody told you, you couldn’t go on the field. There was no signs. There was no announcements. There was nothing on the tickets.« Darüber, ob Karteninhaber überhaupt in einen geschützten Raum »eindringen«, ob die generelle Eintrittserlaubnis beim Vorliegen der Flitzerabsicht »entfalle«, ob das Spielfeld ein »befriedetes Besitztum« sei oder ob womöglich erst ein »Nichtentfernen« aus dem Innenraum trotz Aufforderung eine Verletzung des Hausrechts darstelle, wird auch in der Bundesrepublik Deutschland trefflich gestritten.4 Im Fußball hat man sich gemäß der »Richtlinie für die Arbeit des DFB-Kontrollausschusses in sportgerichtlichen Verfahren gegen Vereine und Kapitalgesellschaften« (2018) nichtsdestotrotz auf eine »täterorientierte Sanktionierung« geeinigt, die generalpräventiv im Sinne der Abschreckung wirken soll. Zwar werden wie im Falle des Abbrennens, Werfens oder Abschießens von Pyrotechnik oder beleidigenden Bannern auch beim Auftauchen von Flitzern auf dem Spielfeld zunächst 3 4

Beispielhaft in Criminal (2018: ab 6:30). Ausführlicher hierzu bei Klett-Straub (2006).

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die Vereine wegen unsportlichen Verhaltens der eigenen Anhänger, nicht ausreichender Ordnungsdienste und mangelnder Sicherheitsmaßnahmen zur Kasse gebeten. Diese können die auferlegten Strafen anschließend jedoch auf die Übeltäter umlegen. Denn gemäß einem Urteil des Oberlandesgerichts in Rostock vom 28.4.2006 können die Vereine für das Fehlverhalten der Zuschauer nicht haftbar gemacht werden, wenn diese im Rahmen von Zuschauerverträgen ihre Pflicht zur Zurücknahme verletzen (vgl. Adolphsen 2012: 235). Die Höhe der geforderten Strafe variiert überdies mit der Länge der Spielunterbrechung. Bei einer Dauer von mindestens fünf Minuten soll die Strafzahlung sogar um 100 Prozent erhöht werden.5 Zum Schutz der Exklusivität von Sponsoringbeziehungen bei Sportgroßveranstaltungen wird gemeinhin auch gegen das »Guerilla Marketing« (Roux 2020: 2) bzw. »Ambush Marketing« (Wei/Kretschmer 2004) mancher Flitzer und Social Media-Influencer vorgegangen. Diese in den Sonderräumen des Sports auftauchenden Störenfriede erweisen sich als Auftragnehmer von Parasiten zweiter Ordnung, die den Parasiten erster Ordnung, den offiziellen Sponsoren, die teuer bezahlte Show stehlen. Mark Roberts und andere Flitzer wurden Anfang der 2000er Jahre von einem Online-Casino (»Goldenpalace.com«) gesponsert. Diese Online-Plattform ist berühmt-berüchtigt dafür, die Marken- und Produktwerbungen der offiziellen Sponsoren zu durchkreuzen und eigene Sponsoringbotschaften auf sichtbaren Körperteilen zu platzieren. Die Selbstdarstellung im Medium von »Streaker Marketing« scheint sich trotz Strafzahlungen rentiert zu haben (Priceonomics: 18.11.2014). Vodafone Australia setzte das »Guerilla-Marketing« nur kurzfristig ein. 5

Bei Flitzern auf dem Spielfeld fallen dem Strafbemessungsleitfaden des DFB zufolge spielklassenabhängig in der ersten Liga 3.000 Euro, in der zweiten Liga 2.000 Euro und in der dritten Liga 1.000 Euro an Strafgeldern an. Nachdem ein Flitzer während der Zweitliga-Partie zwischen Fortuna Düsseldorf und Hannover 96 am 8. November 2021 unerlaubt den Innenraum des Stadions betreten hatte, gewährte das DFB-Sportgericht einen weiteren Nachlass von 25 Prozent und verwies dabei auf die finanziellen Einbußen, die den Vereinen infolge der reduzierten Zuschauerkapazitäten während der Corona-Pandemie entstanden waren.

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Stattdessen entschuldigte sich das Unternehmen für die Intervention zweier Nacktflitzer mit Vodafone-Tattoo bei einem Rugbyspiel in Sidney, zahlte reumütig die anfallende Strafgebühr und spendete darüber hinaus eine größere Summe an den austragenden Sportverband. Der Grund für diesen Rückzug aus dem »Ambush-« oder »GuerillaMarketing« war ein Verstoß gegen die ungeschriebenen Gesetze des Sportflitzens: Einige neuseeländische Fans hatten sich in Mails und Telefonanrufen heftig beim Unternehmen beschwert, weil die Flitzer mit ihrer Grenzüberschreitung das von ihnen aufgesuchte Spielgeschehen negativ beeinflusst hätten. (NZ Herald: 9.8.2002) Zwischen der Sanktionierung und Huldigung von Flitzern kann nicht immer eindeutig differenziert werden. Vielmehr stößt die soziologische Verwendung dieser Unterscheidung auf eine Reihe von Paradoxien. Wer sehenden Auges nicht nur Normen bricht, sondern auch weiß, dass er hierfür anschließend zur Rechenschaft gezogen wird, muss nicht nur mutig oder dreist sein, sondern auch Genuss und Anerkennung aus dem Erwischtwerden und seinen Konsequenzen ableiten. Indem Serienflitzer ihre öffentlichen Auftritte als Erfolge sammeln, detailgenau über ihre Bestrafung berichten, Bußgeldbescheide in die Kamera halten und Schnappschüsse ihrer Verfolgung durch das Sicherheitspersonal posten, bauen sie Identität gerade dadurch auf, dass sie gegen Konventionen verstoßen, vom durchschnittlichen Alltagsverhalten abweichen und sich als Außenseiter gerieren. Durch die Inklusion des Exkludierten in der Regenbogenpresse, einschlägigen Fernsehformaten und dem Internet erfahren sie von außen eine Identitätsbestätigung und werden so pfadabhängig auf der Spur der Abweichung gehalten. Da »Streaking« als langfristig geplante berufliche Laufbahn mit formal festgelegten Karriereabschnitten eher untauglich ist, führen Flitzer zumeist ein Doppelleben. Auch wenn sie sich als professionelle Störenfriede zur Schau stellen, verfolgen sie parallel meist gewöhnliche Berufe. Sie wechseln demgemäß flexibel zwischen Konformität und Abweichung hin und her und arbeiten beide Facetten ihrer Existenz in ihre Selbstbeschreibungen ein. Auf die Frage, wie er sich die ganzen Reisen, Eintrittskarten und Bußgelder als gewöhnlicher Maler überhaupt leis-

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ten könne, antwortet Mark Roberts, dass Auftritte im United Kingdom zwar immer schon möglich waren und er zeitweise gesponsert wurde, im Prinzip aber gelte: »Nowadays, I work just to get me flight bare together, me hotel stuff together.« (The Back of the Range 2018: ab 48:55) Im Job fungiere er als »regular painter guy« (ebd.: 4:17). Auch darüber hinaus sei er ein ganz normaler Kerl, mache dies und das und führe keineswegs das Leben einer Berühmtheit. Dennoch benötige er diese Energie, die er beim Flitzen erlebe: »I can’t just walk around doing the 9–5«, betont er im Interview mit Vice (2016). »Everyone needs that outlet – you just have to find it. And this is mine.« Im Gegensatz dazu scheint Jimmy Jump in seiner Rolle als Außenseiter aufzugehen. »Ever more I stop being Jaume Marquet to be Jimmy Jump.« (Motjer 2011: 1:21) In eher flachen Diskursen beschreibt er seine gesellschaftliche Marginalisierung und kokettiert auf paradoxe Weise mit dem Suizid: »I will say farewell to everyone, and it will be over. I don’t care what they say, I don’t care what they do. I get further and further from society, and I really mean it. I’m not going to commit suicide, you don’t need to worry.« (ebd.: ab 10:08) Unter den Bedingungen einer solchen Pfadabhängigkeit und Beobachtungsrelativität der Devianz ist mit einer Reue- und Abschreckungswirkung hoher Bußgelder nicht zu rechnen. Die wirksamste Waffe gegen die Grenzüberschreitungen durch diese Störenfriede wäre das gleichgültige Geschehenlassen des Flitzens in einem Akt der Anerkennungsverweigerung durch das Publikum. Einschneidend ist zudem, wenn die TV-Moderatoren den Auftritt mit Schweigen abstrafen und auch die Fernsehkameras das Geschehen ausblenden – was oft der Fall ist. Denn in der Gegenwartsgesellschaft definieren, inszenieren und spezifizieren vor allem die Massenmedien, über was und wen auf welche Weise berichtet wird. Die besondere Relevanz, die Erika Roes Oben-ohne-Auftritt 1982 zugeschrieben wurde, erlebte sie in der Tat als überwältigend. Roe verließ später sogar ihre britische Heimat in Richtung Portugal, um dem Medienrummel und Scheinwerferlicht mit all den TV-Anfragen und Hochzeitsanträgen zu entkommen. Die allgemeine Huldigung ihrer Störaktion wurde auf diesem Wege zu einer persönlichen Bürde. Mark Roberts (Canal Plus 2016: 1:57) erzählt demgegenüber mit Stolz, was ihm ein Polizist nach seiner Gefangennahme

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beim 38. Super Bowl am 1. Februar 2004 versicherte: »You are now part of American history.«

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Die Laufattacken, mit denen Flitzer das Publikum amüsieren und das Sicherheitspersonal zum Eingreifen zwingen, sind nicht die einzigen Grenzüberschreitungen, die im Kontext sportlicher Konkurrenzen auftreten. Jenseits von Hooligan- und Nacktflitzerentgleisungen finden Transgressionen in zahlreichen anderen Varianten statt. Einige davon sollen in diesem Kapitel als Ergänzung zu unseren bisherigen Ausführungen angesprochen und vertieft dargestellt werden. Dabei wird es vornehmlich um jene Akteure gehen, die auf Nacktheit und Teilbekleidung verzichten, aber dennoch die Sinnmotive und Affizierungspotentiale des Sports nutzen, um sich innerhalb und außerhalb der etablierten Sporträume uneingeladen in Szene zu setzen. Im Vergleich zu den multiplen Grenzüberschreitungen der Sportflitzer fallen die Aktionen dieser anderen Störenfriede weniger ostentativ und dramatisch aus. Anstatt Aufmerksamkeit durch provokante Nacktheit, schnelle Jagdszenen auf dem Spielfeld oder gewaltsame Übergriffe gegen die sportliche Prominenz zu erregen, schleichen sich Hochstapler und »Photo Bomber« verkleidet und auf leisen Sohlen in Wettkämpfe, Ehrungen und Feste hinein und tun so, als ob sie zum dortigen sozialen Inventar gehörten. Sie stellen paradoxe Sozialfiguren dar. Denn sie fallen dadurch auf, dass sie zunächst nicht auffallen wollen. Ihr Metier ist die subtile Assimilation, nicht die aufdringliche Störung. Ihre Devianz besteht darin, dass sie sich den Sportakteuren chamäleonartig angleichen und sich klammheimlich ins Geschehen hineinstehlen, wo sie sich auf den ersten Blick gerade nicht von den dort anwesenden Akteuren unterscheiden. Sie kultivieren ein situationsangepasstes Normali-

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sierungsbegehren und wollen als Personen wahrgenommen und wertgeschätzt werden, die sie faktisch nicht sind. Sie sonnen sich im Schatten der Leistungsträger, ohne selbst Leistungen erbracht zu haben. Sie entsprechen mit dieser Vorgehensweise jener Figur, die Woody Allen 1983 in seinem Film »Zelig« treffend porträtiert hat (vgl. Feyerabend 2015). Leonard Zelig, dieses menschliche, auf schnelle Anpassung ausgerichtete Chamäleon, fiel dadurch auf, dass er nicht auffiel, aber bei wichtigen historischen Anlässen immer sichtbar in unmittelbarer Nähe bedeutsamer Menschen anwesend war und deren Habitus übernahm. Durch seine Fähigkeit, sich an die physische Erscheinung und die jeweiligen Rollenerwartungen anzupassen und folglich das zu sein, was er nicht war, wurde er gleichsam der Ulrich des Films, der typische »Mann ohne Eigenschaften« (Musil). Die Sozialfigur des »situativen Opportunisten« (Schimank 2002: 243), die sich durchwurstelnd in den Sport schleicht, um an dessen Eventressourcen selektiv teilzuhaben, lässt sich in unterschiedlichen Ausprägungen, Rollenspielen und Verwandlungskünsten beobachten. Im Allgemeinen verkleiden sich diese Hochstapler als Athleten, Trainer, Betreuer oder geben sich mit gefälschten Ausweisen als Journalisten aus. Im Gegensatz zu den Sportflitzern, die überfallartig den Rasen erstürmen, um sich dort nackt oder teilbekleidet zu präsentieren und anschließend publikumswirksam von Ordnern überwältigt und aus dem Verkehr gezogen zu werden, versuchen diese Störenfriede unbemerkt in der bestehenden Interaktionsordnung der Veranstaltung aufzugehen. Sie drängen sich den Anwesenden und dem Publikum nicht durch demonstrative Regelabweichung auf, sondern passen sich der jeweiligen Situation mimetisch-gekonnt an und können nur so ein »basking in reflected glory« kultivieren. Der besondere »Thrill« ergibt sich für sie aus dem Umstand, an Veranstaltungen teilhaben zu können, ohne deren Zutrittsregeln genügen zu müssen. Voraussetzung für ein Gelingen dieser subtilen Grenzüberschreitung ist ein gekonntes Eindrucksmanagement. Hochstapler und »Photo Bomber« verzichten darauf, den äußerst langwierigen und entbehrungsreichen Selektions- und Trainingsprozess, der üblicherweise zur aktiven Teilnahme an der Sportöffentlichkeit qualifiziert, selbst zu

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durchlaufen. Stattdessen gleichen sie ihre Gestik und Mimik sowie ihr Äußeres dem Dresscode der Veranstaltung an. Sie sind insofern Meister der Simulation und Täuschung. Hochstapler und »Photo Bomber« begeben sich heimlich und leise mit der Absicht in das Innere der Wettkampfräume, sich bei Siegerehrungen oder Fototerminen mit den Athleten oder Sportfunktionären ablichten zu lassen. Der auf der Sportgala getragene Anzug und das bei Mannschaftsvorstellungen übergestreifte Trikot sind dann Kostümierungen, die Zugehörigkeit simulieren und die wahre Identität des Trägers verbergen. Verstellung wird zu einem Handlungsprinzip, um Vertrauen zu erschleichen, ein potentielles Misstrauen zu blockieren und ein vorzeitiges Entdecktwerden zu vermeiden. Auf einem derart klandestinen Weg schlich sich beispielsweise Karl Power, ein damals ungelernter Arbeiter aus Manchester, incognito ins Bild einer bedeutsamen Sportveranstaltung. Mit gespielter Selbstverständlichkeit und Nonchalance betrat er kurz vor Anpfiff des Champions League-Viertelfinales zwischen Manchester United und dem FC Bayern München im April 2001 den Rasen im Münchner Olympiastadion, um sich uneingeladen und unberechtigterweise auf dem Mannschaftsbild seines Lieblingsvereins mit breiter Brust und in überlegener Pose ablichten zu lassen. Er inszenierte sich so im Stadion als »12. Mann«. Soziologisch interessant ist nicht nur, was die hochstapelnden Störenfriede tun, sondern auch was sie nicht tun: Sie protestieren nicht gegen soziale Ungerechtigkeiten und Missstände. Sie sind nicht die Robin Hoods von Greenpeace, die sich unter hohem Risiko an den Materialitäten der Industriegesellschaft festketten, mit einem motorgetriebenen Paraglider in die Stadien und Arenen des Sports schweben oder auf Funkmasten, Schlote oder Gebäude steigen, um als Störenfriede die ökologischen und sozialen Kollateralschäden von Industrieunternehmen vor mitgebrachten Kameras anzuprangern. Sie protestieren auch nicht gegen die Kommerzialisierung und Politisierung des Sports. Durch ihre aufmerksamkeitsvermeidende Vorgehensweise und ihre situative Anpassungswilligkeit grenzen sie sich ebenso von jenen Akteuren ab, die sich unter dem Deckmantel der Dazugehörigkeit in Tagungen und Kongresse schleichen, um plötzlich und lautstark gegen

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den Sinn der Veranstaltung und die dort versammelten Funktionsträger zu agitieren, den Redner mit einer Torte zu bewerfen oder durch Entblößung der Brust die Prüderie und Verklemmtheit der akademischen Eliten bloßzustellen. Hochstapler wie Power fallen ebensowenig dadurch auf, dass sie Eier, Tomaten oder anderweitige Nahrungsmittel auf Amtsinhaber und Würdenträger werfen oder Plakate hochhalten, mit denen sie lautbrüllend auf Vortragsbühnen stürmen. Sie sind demnach keine Störenfriede, die korporalen und kommunikativen Sand in das Getriebe von Veranstaltungen streuen. Um unterhalb des Radars von anwesenden Ordnungs- und Sicherheitskräften durchzurutschen, bereiten sie ihre Interventionen mehr oder weniger heimlich-akribisch vor. Freunde, die zu den Sportereignissen mitanreisen, das Geschehen »spotten« und das Startsignal geben, helfen bei der Umsetzung ihrer Teilhabe-Idee. Im Gegensatz zum Zelig des Films, der an einer komplexen Persönlichkeitsstörung litt, keine Selbstbezüglichkeit entwickelte und seiner Umwelt deshalb wie ein Spiegel begegnete, vergessen die Hochstapler und »Photo Bomber« zu keinem Zeitpunkt, wer sie wirklich sind. Als beispielsweise Gary Neville, ein englischer Fußballnationalspieler, den »Photo Bomber« und Hochstapler im Stadionrund als erster bemerkte, mit dem Finger auf ihn zeigte und verdutzt in die Runde fragte »Wer ist das?«, entgegnete Power ihm überaus forsch: »Sei ruhig, Gary, du Spitzel, ich tue das hier für Cantona!«1 Die Vorspiegelung falscher Tatsachen und Identitäten, mit denen diese Störenfriede Sportler, Trainer, Funktionäre und Ordner täuschen, darf allerdings langfristig nicht unerkannt bleiben.2 Die Enthüllung des »false game« ist vielmehr ein wichtiges Moment der Narretei. Das Entdecktwerdenwollen ist Teil der komplexen Handlungsprogrammatik und Motivkonstellation der Hochstapler und »Photo Bomber«. Nur wer auffällt und in seiner Devianz bemerkt wird, kann Individualisierungsgewinne verbuchen und sich von anderen distinguieren. Die Entlarvung als jemand, der nicht dazugehört, wird dadurch häufig 1 2

So berichtete The Guardian vom 22. Oktober 2016 diesen Vorfall. Zu Hochstaplern und »Bluff-Menschen«, die außerhalb des Sports auffällig geworden sind, vgl. Wulffen (1923), Veelen (2012) und Prisching (2019).

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zu einer bewussten Selbstentlarvung. Sie entspricht dem Willen der Stadionflitzer, von den Ordnungskräften einkassiert zu werden. Die Entdeckung der Hochstapler und »Photo Bomber« erfolgt in der Regel a posteriori. Nachdem Karl Power sich bei einem Cricketspiel in der Anonymität seines Schutzhelms als »Hitter« eingewechselt hatte, ging er vor den Augen aller an sein Handy, zog dabei seinen Helm ab und gab damit sein Gesicht als Sitz seiner Individualität der Öffentlichkeit preis. Beim Spiel im Münchner Olympiastadion waren es die Fotografen, die die falsche Einwechselung dokumentierten, massenmedial verbreiteten und diese Hochstapleraktion zu einem Teil des kollektiven Gedächtnisses der Sportberichterstattung werden ließen. Nicht nur der illustre Schnappschuss ging um die Welt, auch die Geschichte dahinter wurde in Zeitungsartikeln und Talk-Shows mehrfach erzählt und durch Hintergrundberichte und Dokumentationen regelrecht nobilitiert. Neben seiner Aktion als Hochstapler und »Photo Bomber« wurde diese Störaktion durch Selbsteinwechselung in das Wettkampfgeschehen zu Powers Markenzeichen. Er schlich sich anschließend auch bei Rugby-, Formel 1- und Tennis-Events ein, wiederholte seinen »Stunt« gemeinsam mit zehn weiteren Fans im legendären »Theatre of Dreams«, dem Old Trafford-Stadion von Manchester, und wurde daraufhin mit einem Stadionverbot belegt. Durch die weltweite Verbreitung von Smartphones und die Heraufkunft der neuen sozialen Medien fällt es den hochstapelnden Störenfrieden zunehmend leicht, sich später auf der Grundlage von Belegfotos und Filmen als bedeutsam darzustellen. Sie werden dadurch, wie die traditionellen Nacktflitzer, zu Sammlern ihrer Taten. Je hochkarätiger die Veranstaltungen, an denen sie uneingeladen teilnehmen konnten, umso höher der Individualisierungsgewinn, der allerdings erst dann ausgelebt werden kann, wenn sich diese Störenfriede von Boulevardmedien entdecken lassen und durch sie den Ritterschlag einer kurzfristigen Bedeutsamkeit erhalten. Die mediale Sichtbarmachung reduziert allerdings auch die Möglichkeit, weiterhin als Hochstapler an prestigeträchtigen Events teilnehmen zu können. Steckbriefe in den Stadionkatakomben oder in naheliegenden Polizeirevieren machen dar-

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auf aufmerksam, dass Transgressionen durch Störenfriede zu erwarten sind. Auch der französische Web-Videoproduzent Rémi Gaillard war mehrfach als Hochstapler und »Photo Bomber« in der Welt des Sports zu bewundern. Er mogelte sich zunächst unerkannt in Mannschaftskleidung auf das Spielfeld, klatschte Spieler ab, sang lautstark die Nationalhymne mit, feierte nach einem Pokalsieg mit dem siegreichen Team vor der Fantribüne, hielt Trophäen in die Höhe, schüttelte dem damaligen Staatspräsidenten Frankreichs, Jacques Chirac, nach der Siegerehrung die Hand, gab Autogramme und drängte sich in laufende Interviews hinein, um seinen Markenslogan unaufgefordert in das Mikrofon zu brüllen. In Deutschland reüssierte der Entertainer Hape Kerkeling mit vergleichbaren spaßorientierten Stör- und Täuschungsaktionen. Im Rahmen seiner Comedy-Sendung »Darüber lacht die Welt«, die Ende der 1990er Jahre auf Sat.1 (1999a, 1999b) ausgestrahlt wurde, trat er beispielsweise nach heimlicher Absprache mit der Vereinsführung als neuer Fußballtrainer des Grazer Athletiksport Klubs in Erscheinung oder nahm es als vermeintlicher iranischer Großmeister mit der Schachmannschaft des FC Bayern auf. Der Humor seiner Auftritte resultierte aus einem Wissensvorsprung der Fernsehzuschauer gegenüber den gefoppten Akteuren. Unter Vortäuschung falscher Tatsachen mit Hilfe von Verkleidung, Verstellung und Rollenanmaßung verstieß Kerkeling systematisch gegen die Gepflogenheiten des Sports. Beim Pressetermin anlässlich seiner Vorstellung als neuer Trainer in Graz gab er als »Albertas Klimawiszys« zur Überraschung der Anwesenden keine Einblicke in sein Trainingskonzept, sondern sang zur Begrüßung ein angebliches Volkslied. Anschließend wunderte er sich über warme Duschen in Deutschland und referierte litauische Sprichwörter. Bei den Zuhörern erzeugte er so Gefühle des Fremdschämens. Dass er den Stürmerstar des Vereins und damals teuersten Einkauf im österreichischen Fußball zukünftig auf einer anderen Position einsetzen und vorher zum Psychiater schicken wollte, führte bei den anwesenden Journalisten zu einem kollektiven Kopfschütteln. Im anschließenden Training interessierte Kerkeling sich insbesondere für die automobilen Besitztümer

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der Spieler und schickte einzelne von ihnen aus reiner Willkür zum Duschen in die Kabine. In erwartbarer Weise verweigerte die in den Klamauk nicht eingeweihte Mannschaft bereits nach 30 Minuten ihren Dienst und kündigte dem Trainer ihre Folgebereitschaft auf. Bei seinem Auftritt als Schachgroßmeister verschaffte eine deutsche Schachspielerin Kerkeling mittels eines »Knopfs im Ohr« den nötigen Freiraum für die Platzierung dummer Sprüche und anderweitiger Verstöße gegen die expliziten und impliziten Interaktionsregeln des Schachsports. Mit markanter Topf-Frisur und einem gewaltigen Schnurrbart im Gesicht servierte er arabischen Kaffee, verteilte glücksbringende Hasenpfoten, gab seinen Schachfiguren Vornamen und den Gegenspielern gut gemeinte Tipps. Außerdem malte er gelangweilt zwischen den Zügen das Konterfei seines Gegenübers, kündigte Schachmatt in wenigen Zügen an, erkundigte sich nach einer möglichen Blasenschwäche seiner Widersacher und fragte mehrfach nach: »Sind Sie Schwede?«3 3

Einen Streich der besonderen Art unternahm der Youtube-Star Dawson Gurley aufgrund seiner Ähnlichkeit mit einem berühmten Basketballspieler der Golden State Warriors. Er postete hierzu auf seinem Kanal »BigDawsTV« mehrere Videos unter dem Titel »Fake Klay Thompson« (z.B. 2018, 2022) bzw. »Pretending To Be Klay Thompson« (2017). Als hochstapelndes Double, der durch seine physisch-organische Ausstattung weitgehend auf Verstellung verzichten konnte, forderte er Passanten zum Eins-gegen-Eins-Spiel auf, stellte sich für Selfies zur Verfügung, gab Autogramme in Großbuchstaben und Krakelschrift oder sorgte durch geselligen Klientelismus für überschwängliche Freude bei seinen Fans: »Go Klay!« Als er vor einem Spiel der NBA-Final-Serie gegen die Boston Celtics mit einem Luxusauto vor dem Chase Center vorfuhr, mit gespielter Selbstverständlichkeit den VIP-Eingang nahm, alle Sicherheitsvorkehrungen unkommentiert hinter sich ließ und in der Arena ein paar Körbe warf, flog der Hochstapler am Ende doch noch auf und wurde anschließend mit einem lebenslangen Arena-Verbot belegt. Auffälliger und sportinvasiver war die Aktion eines holländischen Entertainers mit seiner Comedy-Truppe. Er schlich sich im Jahr 2015 ins Training des FC Schalke 04 ein, stellte sich einigen Profis per Handschlag vor und wurde vom damaligen Trainer nach Bestehen einer leichten Aufnahmeprüfung (Warmlaufen an der Bande) freundlich aufgenommen. Auch wenn der Newcomer bereits nach ein paar harmlosen Übungen sichtlich außer Atem war, wurde ihm anschließend mit taktvollen Aufmunterungen Mut gemacht und ein wenig Talent attestiert. Siehe hierzu CCCP TV (2015).

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Der Franzose Gaillard machte noch eine weitere Störvariante salonfähig. Er wurde unter anderem dadurch national und international bekannt, dass er das Muster der Störung im Vergleich zu den Stadionflitzern kreativ umkehrte. Anstatt die Sportöffentlichkeit durch Raumbesudelung, nackte Tatsachen und die plötzliche Unterbrechung von Wettkämpfen zu überrumpeln, platzierte er seine »publicity stunts« zunächst außerhalb sportlicher Wettkampfräume – immer unter Nutzung der Symbolik und Artefaktkultur des Sports. Mit Spaß- und Klamaukabsichten »garfinkelte« er sein Publikum und setzte sich so als Witzbold und Schelm in Szene, der seine Mitmenschen mit präzise geplanten Streichen foppte und bluffte. Er griff damit – wie Kerkeling – auf experimentelle Verfahren zurück, die in der Soziologie und Sozialpsychologie entwickelt worden waren, um die handlungsprägende Bedeutung sozialer Situationsdefinitionen herauszuarbeiten. In den berühmten Krisenexperimenten bzw. »breaching experiments« von Harold Garfinkel (1973) ging es darum, gängige Verhaltenserwartungen und Handlungsnormen durch Provokation auf den Kopf zu stellen. Die in den jeweiligen Situationen implizit und unhinterfragt operierenden sozialen Sinnvorgaben sollten hierdurch in einer unorthodoxen Weise offengelegt und beobachtbar gemacht werden. Wenn Kinder nach soziologischer Anleitung ihre Eltern wie Fremde behandeln, das Restaurantpersonal seine Gäste als Kellner adressiert, Käufer freiwillig deutlich mehr als den angegebenen Preis bezahlen oder Wartende sich in der Schlange provokativ vorne anstellen, sind nicht psychisch Kranke am Werk, die ein sozial auffälliges Verhalten an den Tag legen.4 Vielmehr erhielten die routinemäßigen Grundlagen des Alltagshandelns durch gezielte Maßnahmen bewusst neue Rahmungen. Störung wurde in den Krisenexperimenten zu einem erkenntnisproduzierenden Prinzip erhoben. Gaillard und seine Komparsen griffen diese auch von Medienanstalten verwertete schelmenhafte Witzbold-Idee auf (Beispiel: »Verstehen

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Zum Etikett »Geisteskrankheit« als »residual deviance« in Alltagssituationen siehe Scheff (1963).

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Sie Spaß?«) und irritierten die Öffentlichkeit durch die verfremdende Darstellung sportlicher Bewegungsmuster, sportiver Gesten und sporttypischer Begeisterungsstürme. Gaillard traktierte Rinderhälften im Supermarkt mit Faustschlägen in Anspielung auf Szenen aus dem Sportfilm »Rocky«, veranstaltete das traditionelle »Ceremonial WeighIn« der Boxer auf einer Obst- und Gemüsewaage, paddelte auf einer Rolltreppe im Kaufhaus mit einem Kajak herunter, funktionierte Absperrgitter für einen Hürdenlauf im urbanen Raum um, ließ sich auf ein Wettrennen mit Auto und Straßenbahn ein, spielte Squash in einer Hotellobby, schlich sich mit seinem Alltagskörper auf die Präsentationsbühne eines Bodybuildingwettbewerbs, lieferte sich mit Ronaldo ein Präzisionsschießen im Fußball, ließ ein McDonalds-Restaurant zur Versorgungsstation eines fingierten Marathonlaufs werden und führte in öffentlichen Verkehrsmitteln Turnübungen an einer Haltestange durch.5 All dies ließ er mit eigenen versteckten Kameras für eine spätere Veröffentlichung des Videomaterials im Internet filmen. In seinem Video »Tour de France« (2009) trieb Gaillard das sportive Störungsmuster in Gestalt einer Wettbewerbssimulation dramaturgisch in die Höhe. Er unterbrach das komplexe Erwartungsregime dieser weltweit rezipierten Großveranstaltung nicht als ein raumbesudelnder Störenfried während einer laufenden Tour in Simulzeit, sondern konfrontierte einsame, nichtsahnende Hobbysportler, die zufällig einen Berg hochfuhren, an einem x-beliebigen Tag mit einer plötzlich über sie hereinbrechenden Publikums- und Mediennachfrage. Er mobilisierte hierfür spaß- und mitmachbereite Massen, die sich als Fans verkleidet hatten, um Sportbegeisterung und Heldenverehrung theatralisch aufzuführen. Breitensportler katapultierte er so in eine Situation hinein, in die sonst nur Spitzenathleten nach außeralltäglichen Leistungen und Rekorden bei den großen Sportevents hineingeraten. Gemeinsam mit zahlreichen Mitstreitern, die Teil der Inszenierung waren, kreierte Gaillard die Illusion eines sportlichen Triumphes am 658 Meter hohen Hausberg Montpelliers für einen sportlichen Nobody. 5

Siehe hierzu die zahlreichen Videos von Rémi Gaillard in den sozialen Netzwerken, auf Videoplattformen sowie auf seiner Webseite.

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Simuliert wurde nicht nur die Zieleinfahrt am »Pic Saint-Loup«; auch die Unterstützung durch Begleitfahrzeuge, mitlaufende und beifallklatschende Fans, die man sonst nur aus Live-Fernsehübertragungen des Profiradsports kennt, wurde gekonnt dargestellt. Ein vorbeifahrendes Motorrad zeigte dem angeblich Uneinholbaren des fingierten Rennens vorher an, dass das »Peloton« der übrigen Fahrer bereits 7:24 Minuten zurückläge. Im Zentrum aber standen die inszenierten Jubelszenen des Publikums, das den überraschten Freizeitsportler mit Tröten, Nationalflaggen, tosendem Beifall und zwei nackten Gesäßen empfing. Die Menge klopfte dem scheinbar Erstplatzierten anerkennend auf die Schultern, übergoss ihn mit Sekt, nahm ihn reihenweise in den Arm, überhäufte ihn mit Küssen auf Fahrradhelm und Wangen oder setzte ihn überdies ungefragt auf Fanschultern. Auch ein fiktives Fernsehteam bot Gaillard auf, das dem »Tagessieger« feierlich einen Pokal überreichte und ihn vor laufender Kamera nach dem subjektiven Erleben seiner scheinbar triumphalen Fahrt befragte. Während einer der Protagonisten sich gekonnt in Übernahme der Starrolle feiern ließ und bestätigte, dass der Berg sehr steil und anspruchsvoll gewesen sei, wurden Versuche der Richtigstellung durch andere Fahrer geflissentlich überhört. Sogar die Dopingprobe gehörte mit zur Re-Inszenierung der erfolgreichen Bergankunft. In einem ähnlich arrangierten Videoclip taucht der im wahrsten Sinne überwältigende Flashmob eines vorgeblich hyperinkludierten Fanclubs mit einer Buskolonne zu Hunderten überraschend mit Störabsichten auf dem lokalen Sportplatz von Le Crès auf, um den unterklassigen Fußballern des ansässigen Dorfvereins mit wehenden Fahnen, uniformierter Fankleidung, lauten Tröten und Ansagen per Megafon zu huldigen und zumindest einmal im Leben die Atmosphäre in der »Champions League« (2010) zu vermitteln. Der soziale Sinn des Fußballspiels wurde weniger verfremdet als vielmehr theatralisch auf die Spitze getrieben, überstrapaziert und sukzessive okkupiert. In Anlehnung an Erving Goffmans dramaturgischen Ansatz kann man sagen: Sie »alle spielten Theater«. Die Mimikry dieses »Fun mob« war nicht darauf ausgerichtet, kapitalistische Machtstrukturen offenzulegen, an die humanitäre Pflicht zur Seenotrettung zu appellieren oder gegen die

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aktuellen Coronabestimmungen zu demonstrieren; es ging vielmehr nur darum, bloße Präsenz zu bewirken und eine sportspezifische Klamauk- und Witzsituation »ohne tieferen Sinn« (Bär 2012: 63) entstehen zu lassen. Die »Blitzmeute« löste sich zudem nicht nach wenigen Minuten wieder in ihre individuellen Einzelteile auf.6 Vielmehr fand auch hier ein Vorzeichenwechsel vom Erleben zum Handeln aufseiten des Mobs sowie in umgekehrter Richtung aufseiten der irritierten Spieler auf dem Platz statt. Der Umschlag der Situation ging nicht nur darauf zurück, dass die »kritische Masse« der Fangemeinde das Geschehen auf dem Fußballfeld um ein Vielfaches übertönte; vielmehr setzte sich nach kurzer Zeit sogar ein Flitzer auf das Spielfeld ab, entblößte seinen Allerwertesten, schoss ein Tor gegen den passiven Torhüter und löste mit seinem überschwänglichen Jubel einen kollektiven Platzsturm aus. Die mitgebrachte Zuschauermasse hatte spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur ihren Wissensvorsprung ausgespielt und Verwunderung an den Grenzen des real existierenden Sportereignisses ausgelöst. Sie hatte auch die Kontrolle über die soziale Situation übernommen und die Protagonisten des Fußballspiels in die nächste Pause verabschiedet. Vor allem aber wurde die Störung durch einen Flitzer in die Störung selbst inszenatorisch eingearbeitet und als ein wiederkehrendes Phänomen im Sport zur Darstellung gebracht. In solchen und ähnlichen Situationen führen Störenfriede als Witzbolde eine absichtliche Kontextverschiebung und Rahmenmanipulation durch. Sie nehmen sportliche Handlungen und Bewegungsvollzüge aus ihrem Ursprungsmilieu heraus und pflanzen sie mit Stör- und Verfremdungsabsichten in eine andere soziale Rahmung hinein, um nichtanwesende Beobachter zu unterhalten und zu amüsieren. Selbst Nahrungsmittel, Werkzeuge, Haushaltsgeräte und andere Alltagsgegenstände wurden von ihnen als Sportgeräte zweckentfremdet. Gaillard setzte beispielsweise Frauenhandtaschen für Hammerwurfübungen ein oder nutzte ein Kassenband für Joggingeinlagen. In der direkten Konfrontation mit solchen und ähnlichen Krisenexperimenten erfolgte 6

Zum Flashmob-Phänomen in den urbanen Zentren im Zeitalter der Social Media siehe auch Pierce (2012), Hauer (2015) und Schieder (2011).

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allerdings nicht immer ein kollektives Lachen über den Spaßvogel. Vielmehr entstanden auch Flucht- und Verfolgungssituationen, wenn der Scherz von den Scherzopfern nicht als solcher erkannt wurde und der Witzbold sich vor den Gefoppten in Sicherheit bringen musste. Dass unhinterfragte soziale Situationen absichtsvoll verfremdet und übertrieben dargestellt wurden, ergab sich für das nicht eingeweihte Publikum erst aus der Perspektive zweiter Ordnung. Gegen die »Universalisierung ernster Kommunikation« (Baecker 1997: 488ff.) in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Religion und die damit einhergehenden Vorregulierungen sozialer Rollen und Situationen setzten die hochstapelnden Witzbolde den Ernst des Spaßes und des Albernen. Dem YouTube-Kanal von Rémi Gaillard folgen rund 7,29 Mio. Abonnenten. Manche seiner Videos wurden bereits über 70-millionenfach geklickt (Stand 11/2022). Die Zitation sportlicher Sinn- und Verehrungsmuster gehört zum Standardrepertoire dieses Witzboldes und schelmenhaften Störenfrieds. Seine zahl- und variantenreichen Spaß- und Klamaukdarstellungen erfreuen ein Massenpublikum, das bisweilen sogar bereit ist, aktiv mitzumachen und sich selbst zu ironisieren und zu persiflieren.

Schlussbetrachtungen

Der sportliche Wettkampf ist eine sozial konstruierte Situation, in der einzelne Personen oder Personenkollektive vor den Augen anwesender oder medial zugeschalteter Dritter die Chance erhalten, künstlich erzeugte Krisen zu bewältigen und eine erwünschte und durch Regeln kontrollierte Not beim sportlichen Gegner zu erzeugen. Menschen werden hierdurch in die Lage versetzt, sich leistungsmäßig zu individualisieren und sozial sichtbar zu machen (Bette 2019: 105ff.). Strategien der wechselseitigen Störung und Entstörung in der Konkurrenz um das knappe Gut des sportlichen Sieges gehören insofern zum Kerngeschäft sportlicher Wettbewerbe und kommen mit disziplinspezifischen Varianzen zum Zwecke der Vorteilsbeschaffung und Nachteilsvermeidung zum Einsatz. Ein Verteidiger, der einem Stürmer den Ball abjagt, stört dessen Torschussambitionen. Eine Volleyballspielerin, die ihre Gegnerinnen am Netz durch eine Finte täuscht und überspielt, kontert die Störambitionen der konkurrierenden Mannschaft. Ein Boxer, der mit seiner Führhand »Jabs« austeilt, institutionalisiert eine Dauerstörung im Gesichtsfeld seines Kontrahenten und verhindert dessen Kompetenzentfaltung. Ein »Point Guard« im Basketball, der seinem Gegenüber durch schnelle und wendige Dribbel- und Kreuzbewegungen einen »ankle breaker« in die Beine spielt, provoziert dadurch eine Selbstblockade der unteren Gegnerextremitäten. Weiterhin gehört es zum akzeptierten sportlichen Strategie- und Taktikrepertoire, dass Athleten und Athletinnen im Wettkampf bisweilen durch Bluffen eigene Schwächen oder Verletzungen vortäuschen, um aus dem Zustand der simulierten Mindermächtigkeit plötzlich mit Höchstkompetenz her-

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vorzustoßen und den Wettkampf für sich zu entscheiden. Störpraktiken durch Verzögerungen und bewusste Verlangsamungen des Spielflusses kommen außerdem zum Einsatz, um in Mannschaftssportarten einen Gleichstand oder einen Vorsprung über die Zeit zu retten. Maßnahmen dieser Art werden vom eigenen Publikum nicht als verwerflich und unmoralisch gewertet, sondern als gewiefte Strategien auf dem Weg zum Erfolg gefeiert. Die gegnerischen Zuschauer hingegen reagieren auf Praktiken der demonstrativen Entschleunigung und Einsatzverweigerung mit Empörung und Verachtung. Allzu exzessive Verzögerungen werden vom Schiedsrichter bestraft. Auch in jenen Disziplinen, in denen die Sportler und Sportlerinnen in indirekte Konkurrenzen eingebunden sind und nicht gleichzeitig und duellmäßig um knappe Rangplätze kämpfen, sondern nacheinander am Wettkampf teilnehmen, um am Ende auf der Grundlage von Zeit- und Raummessungen oder Ästhetik- und Punktewertungen einen Sieger oder eine Siegerin zu ermitteln, stört das Bessersein einer Partei durch überlegene Technik, Taktik und Athletik die Erfolgsambitionen der Mitkonkurrenten. Athleten sind, so gesehen, Spezialisten für die Durchführung und Verhinderung von Störmaßnahmen. Der eine wird im Wettkampf, wenn man so will, zum Störenfried des jeweils anderen. Und wer das Geschäft der Störung besonders effektiv betreibt und bestehende Erfolgserwartungen bei den großen Weltereignissen des Sports zum Wohle von Verein, Nation, Ethnie oder Geschlecht übererfüllt und mit Medaillen, Trophäen und Titeln nach Hause kommt, erhält den Ritterschlag zum Sporthelden oder zur Sportheldin. Ein wichtiger Zusammenhang wird an dieser Stelle sichtbar: Im sportlichen Wettkampf werden Handlungsstrategien und Durchsetzungskompetenzen in einer regelgeleiteten Weise re-inszeniert, die außerhalb des Sports bisweilen in einer entfesselten und unzivilisierten Weise zum Einsatz kommen. Der mit Täuschung, Schlitzohrigkeit, Wachsamkeit und permanenter Reaktionsbereitschaft verbundene Überlebenskampf auf der Straße wird beispielsweise in dem vornehmlich von männlichen schwarzen Jugendlichen gespielten Streetbasketball theatralisch neu aufgeführt. Norman K. Denzin (1995: 24f.) hielt hierzu treffend fest: »Basketball is community for the African-Ameri-

Schlussbetrachtungen

can community. It is public-life-as-spectacle. In it the deeply and practical elements of the hustling culture, which turns on survival, are enacted […]. One hustles on the court as one hustles on the street, and for many of the same reasons.« Trainer erscheinen im Lichte der sportlichen Krisenbewältigung und Noterzeugung als Akteure, die ihre Komplementärrolleninhaber, die Athleten, in der Kunst der Störung und Störungsabwehr zu unterweisen haben. Die jahrelangen Trainingsmaßnahmen, denen sich die Sportler und Sportlerinnen in Vereinen, Stützpunkten und anderweitigen Fördereinrichtungen zu unterziehen haben, zielen darauf ab, sportartspezifische Störeliten auszubilden. Um dies zu erreichen, werden Alltagskörper in leistungsfähige Sonderkörper transformiert und Psychen im Rahmen entsprechender Regulationsmaßnahmen auf Stress- und Angstresistenz ausgerichtet sowie auf Resilienz in Anbetracht widriger Umwelten eingestellt. Und Forschungs- und Materialentwicklungseinrichtungen fällt die Aufgabe zu, den eigenen Nationalkadern konkurrenzfähige Sportgeräte für Störeinsätze im In- und Ausland verfügbar zu machen. Störungen und Entstörungen sind im unmittelbaren Wettkampfsystem demnach nicht unerwünscht oder das Ergebnis existentieller Nöte; sie werden vielmehr durch hierauf spezialisierte Organisationen bewusst hergestellt und gefördert, um Athleten Bewährungsfelder für Leistungsindividualisierung und Selbstheroisierung anzubieten und Amüsementbedürfnisse des Publikums zu befriedigen. Um die formale Gleichheit der Sportler und die Offenheit des Wettkampfausgangs abzusichern und eine Sabotierung des sportlichen Sieg/Niederlage-Codes durch Foulplay oder Doping zu unterbinden, unterliegen alle Krisenbewältigungs- und Noterzeugungsmaßnahmen allerdings einer strikten sozialen Kontrolle. Die Zuschauer haben in diesem Zusammentreffen unterschiedlicher Perturbationsaktivitäten das Privileg, dem Geschehen auf dem Rasen, in der Sporthalle oder auf der Laufbahn aus einer erhöhten Beobachterposition beizuwohnen. Hier haben sie die Möglichkeit, an korporal basierten Kommunikationen teilzuhaben, ohne selbst kommunizieren zu müssen. Klatschen, Buhen, Schreien, Pöbeln oder auch das Absingen von Fangesängen und das Hochhalten von Spruchbändern gehören zu

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den erlaubten Signalaktivitäten, die ihnen zur Verfügung stehen, um die eigene Mannschaft zu unterstützen und die gegnerische Formation zu verunglimpfen und zu irritieren. Jenseits der tolerierten und zudem recht seltenen Störungen, die Tauben, Hühner, Katzen, Hunde, Marder, Eichhörnchen oder unbeaufsichtigte Kleinkinder unwissentlich und zur Erheiterung des Publikums bisweilen in die Stadien und Arenen importieren, besitzt der Sport auch ein hohes Affizierungspotential für unerlaubte Störungen. Ein Sozialbereich, der beim Publikum Aufmerksamkeit erzeugt, gibt das unausgesprochene Versprechen, dass auch diejenigen, die hier stören, Aufmerksamkeit erregen können. Dies zeigen die zahlreichen Vorfälle und Skandale, in denen das Sinnpanorama des organisierten Sports in den letzten Jahren und Jahrzehnten kritisch hinterfragt und mit sportlichen und außersportlichen Sinnansprüchen konfrontiert wurde. Man denke beispielsweise an den Black-Power-Protest bei der Siegerehrung im 200m-Lauf bei den Olympischen Spielen in Mexico City im Jahre 1968 durch John Carlos und Tommie Smith, der vom IOC als Störung olympischer Etikette wahrgenommen und mit einem Ausschluss der beiden Athleten geahndet wurde. Auch der symbolische Kniefall des Footballspielers Colin Kaepernick beim Abspielen der Nationalhymne war eine bewusste Störung und Missachtung traditioneller Zugehörigkeitsrituale, um die exzessive Gewalt weißer Polizisten gegen schwarze US-Amerikaner öffentlich anzuprangern. Nicht zu vergessen sind auch jene unerlaubten Störmaßnahmen, bei denen Fans mit Randale- und Prügelabsichten auf das Spielfeld stürmen, auf gegnerische Spieler und Fans losgehen und Tore einreißen oder auf den Zuschauerrängen Pyros zünden und missliebige Mäzene, denen sie eine Überkommerzialisierung des Fußballs unterstellen, auf Spruchbändern beleidigen oder sogar mit dem Tode bedrohen. Wo die sportliche Leistungserbringung nicht in hermetisch abgeriegelten Sonderräumen stattfindet und die räumliche Grenze zwischen Beobachtern und Athleten immer schon prekär ist, wie z.B. bei der Tour de France oder anderen großen Etappenrennen, können Zuschauer auch unabsichtlich zu Störenfrieden werden, wenn sie sich zu nahe am Geschehen aufhalten, Handtaschen, Handykameras und andere Gegenstände in die Ideallinie der Fahrer

Schlussbetrachtungen

halten oder die mediale Aufmerksamkeit für die Herstellung von Nähe zu ihren Helden und die Kommunikation von Begleitbotschaften an nichtanwesende Verwandte nutzen und dadurch einen Favoriten- oder sogar Massensturz mit gravierenden Verletzungsfolgen aufseiten der Rennsportler herbeiführen.1 Handfeste Interventionen von außen, die das Geschehen im sportlichen Wettkampf durch Nacktheit, Raumentweihung und Plötzlichkeit unterbrechen und zum Stillstand bringen, sind im Sport ebenfalls nicht vorgesehen oder erlaubt. Flitzer, die im Sport in männlicher oder weiblicher Gestalt auftauchen, besitzen keine Störlizenz. Sie fallen, wie wir in den ersten Kapiteln gezeigt haben, durch mehrfache Grenzüberschreitungen auf. Sie verstoßen erstens auf der Sachebene des Geschehens gegen den Kodex der guten Sportsitten, wenn sie sich nackt oder dürftig bekleidet einem Publikum präsentieren, das für andere Zwecke anwesend ist. Die Devianz besteht darin, ungefragt Körperteile öffentlich zu zeigen, die für Intimität, sexuelles Begehren, Reproduktion und Ausscheidung zuständig sind. Durch ihre offensive und provokative Körperpräsentation überschreiten sie bewusst Takt-, Geschmacks- und Schamgrenzen, um die Aufmerksamkeit eines Massenpublikums auf sich zu ziehen, ein Alleinstellungsmerkmal unter Anwesenden zu verkörpern und Individualisierungsgewinne zu verbuchen. Dadurch dass sie nackte Tatsachen in einem Ambiente exponieren, in dem die Bekleidung der Hauptakteure zwar durchaus freizügig und semi-erotisch ausfällt, aber nicht vollständig abgelegt wird, setzen sie distinktive Zeichen, die auch ohne weitere Begleitbotschaften auskommen. In ihre Interventionen bauen sie Partikel des Unernsten, Albernen und Anstößigen ein. Sie gehen dadurch auf Distanz zu der auf dem Rasen 1

So geschehen während der ersten Etappe bei der Tour de France 2021. Eine unaufmerksame Französin hatte nicht bemerkt, dass das Pappschild, mit dem sie ihre deutschen Großeltern grüßen wollte, allzu weit in den Fahrweg des deutschen Radsportlers Tony Martin vom Team Jumbo-Visma hineinragte. Dass Jan Ullrich bei einer Pyrenäen-Etappe der Tour de France 2003 die Kollision zwischen Lance Armstrong und einem Zuschauer nicht für einen Angriff zu eigenen Gunsten nutzte, gilt bis heute als Zeichen von wahrer Fairness und echtem Sportsgeist.

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aufgeführten Welt der unbarmherzig und unerbittlich ausgetragenen Konfrontationen im professionell betriebenen Spitzensport. Flitzer zeigen, dass die dort getroffenen sozialen Konstruktionen der Ernsthaftigkeit durch Regeln, Routinen und Rollen brüchig und störanfällig sind. Flitzer verletzen und besudeln zweitens den »heiligen« und symbolisch überhöhten Raum des Sports, der üblicherweise nur von Athleten und Schiedsrichtern genutzt werden darf und ansonsten für andere Akteure gesperrt ist. Die Begrenzungen eines Spielfelds oder einer Kampffläche schließen ein und grenzen gleichzeitig aus. Sie inkludieren diejenigen, die sich qualifiziert haben, nominiert wurden und mitmachen dürfen; sie exkludieren jene, denen die aktive Teilhabe am Spielgeschehen verwehrt wird. Selbst zugelassene Sportler und Sportlerinnen dürfen diesen Raum während eines Wettkampfes nur nach Absolvierung eines genau festgelegten Ein- und Auswechselrituals infolge einer Trainerentscheidung betreten oder verlassen. Indem sich Flitzer aus den Zuschauerrängen, Katakomben oder Schutzräumen lösen und von außen in den Wettkampfraum hineinstürmen, penetrieren sie ein Territorium, das für den Vollzug des sporttypischen Sieg/ Niederlage-Codes und die Durchführung legitimer und regelkonformer Störungs- und Entstörungsmaßnahmen reserviert ist. Räume dieser Art besitzen für Athleten und Zuschauer eine besondere Aura, wenn Sportler in diesen Lokalitäten als Stellvertreter des Publikums symbolträchtige Meisterschaftsehren erringen konnten und das Ich aufseiten der Zuschauer die Gelegenheit hatte, im Wir rauschhaft aufzugehen. Stadien, Arenen und Sporthallen sind zudem jene Orte, in denen in einer ostentativen Weise »Feierstunden des Leistungsprinzips« (Bette/Schimank 2000: 319) abgehalten und den Zuschauern evaluative Standards in Gestalt tragender Wertorientierungen der modernen Gesellschaft nähergebracht werden. Die Anerkennung zentraler gesellschaftlicher Prinzipien wie Leistung, Konkurrenz und Wettbewerb sowie die Einordnung in soziale, über diese Prinzipien ausgestaltete Hierarchien werden in den Sonderräumen des Sports auf eine relativ harmlose Weise vermittelt und theatralisch zur Aufführung gebracht. Im Kontrast zu dem sich ausbreitenden zeitgenössischen Individua-

Schlussbetrachtungen

lismus des Sich-Auslebens inkarnieren Sportler damit das zentrale Zuteilungsprinzip der modernen Gesellschaft. Die architektonisch integrierten und im Wettkampf eingesetzten Messgeräte und -verfahren verschaffen Akzeptanz und Plausibilität. Eine Ämterpatronage aufseiten der Sportler ist in diesen meritokratisch geprägten Räumen ausgeschlossen. Die teilnehmenden Athleten lernen vielmehr, ihren Rang auf individuelle Leistungsfähigkeit zurückzuführen. In einem 100mLauf siegt nicht der wirtschaftlich Reichste, der ästhetisch Schönste, der politisch Mächtigste, der wissenschaftlich Klügste oder der sozial Deprivierteste. Es gewinnt vielmehr der sportlich Schnellste (Bette 1989: 204). Flitzer stören die in den Sonderräumen des Sports abgehaltenen Leistungs- und Objektivitätsrituale und zeigen sowohl den Sportlern als auch dem Publikum gleichsam mit erhobenem Zeigefinger, dass Stadien, Arenen und Rennstrecken auch ohne hochstehende individuell oder kollektiv erbrachte Leistungen betreten und genutzt werden können. Eine weitere Provokation ergibt sich aus dem Umstand, dass Wettkampfräume Vollzugsterritorien der extremen Körperdisziplinierung und Körperzähmung (Bale 1977) sind. Wer hier als Athlet auftaucht und sich mit anderen misst, verfügt über eine hochgetriebene, hochspezialisierte und oft auch von asketischen Idealen geprägte Körperlichkeit, die weit jenseits der durchschnittlichen Körperkompetenz der Zuschauer angesiedelt ist. Flitzer geben durch ihre Nacktperformance das Zeichen, dass der wilde, unspezialisierte Alltagskörper auch in diesen Räumen noch seine Berechtigung hat und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit generieren kann. Die schnelle Entfernung der Flitzer nach kurzer Jagd signalisiert allerdings auch, dass der Alltagskörper im Wettkampfraum keine dauerhaften Anwesenheitsrechte genießt und höchstens auf den Tribünen sozial toleriert wird. Flitzer unterbrechen drittens durch die Plötzlichkeit ihres Auftretens die autonome Zeit, die der organisierte Sport im Gefolge seiner Ausdifferenzierung als selbstbezügliches Sozialsystem in Gestalt von Spielzeit und Wettkampfdauer gegenüber den temporalen Ansprüchen anderer Sozialbereiche monopolisieren und stabilisieren konnte. Sie stören den Ablauf und Rhythmus des Geschehens und bringen die Eigenzeit des Sports kurzfristig zu einem unerwünschten Stillstand. Durch ihr Ein-

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Flitzer im Sport

dringen interpunktieren sie ein agonales Mit- und Gegeneinander, das im Ringen um Sieg oder Niederlage auf die Generierung von Spannung spezialisiert ist. Das Spannungserleben des Publikums kann aber nur dann entstehen, wenn formale Gleichheitskriterien durchgesetzt werden und die Zukunft eines Wettkampfes prinzipiell offengehalten wird, und nicht durch Unterbrechung in der Gegenwart daran gehindert wird, offene Zukunft sein zu können. Die vierte Störung besteht in der Sozialdimension darin, dass Flitzer eine Metamorphose von einer Publikumsrolle in eine Akteurrolle vollziehen und kurzfristig vom passiven Erleben in ein aktives Handeln überwechseln. Sportflitzen stellt in dieser Hinsicht eine unerlaubte Rollenanmaßung in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitender Zuschauer dar, die aufseiten der verschiedenen Wettkampfteilnehmer systemtypische Inklusionsverhältnisse auf den Kopf stellt: Athleten werden zu Beobachtern des Geschehens degradiert. Schiedsrichter werden ihrer Verwarnungs- und Sanktionierungsrechte beraubt, das Ordnungspersonal wird genötigt, vom Stillstand direkt in den Vollsprint überzuwechseln. Und das Publikum wird dazu gebracht, auf den Genuss eines sportlichen Wettkampfes kurzfristig zu verzichten und einer unvorhergesehenen und codeunspezifischen Störaktion beizuwohnen. Im koordinierten Zusammenfallen von nackter oder teilbekleideter Körperlichkeit, Plötzlichkeit, Raumentweihung und Rollenanmaßung erfolgt eine brachiale Usurpierung der Publikumswahrnehmung. Die Grenzüberschreitungen setzen ein Überraschungspotential frei, welches die Wahrnehmung des Publikums vom Wettkampf schlagartig auf die Störenfriede umdirigiert. Laufende, spärlich bekleidete, kostümierte oder gänzliche nackte Menschen, die nicht zum offiziellen Akteurset des Sports gehören, von außen nach innen in den Wettkampfraum stürmen und dadurch das Sicherheitspersonal aktivieren, setzen einen Aufmerksamkeitsreiz, der schlecht zu ignorieren ist. Der sportliche Wettkampf erweist sich als maßgeblicher Pull-Faktor für Störenfriede, weil er durch seine Sinnprinzipien permanent Neues, Überraschendes und Spannendes in einem von außen einsehbaren Kontext erzeugt, dadurch das Publikum begeistert und Folge- und Begleitkommunika-

Schlussbetrachtungen

tionen auf den Weg bringt.2 Flitzer perturbieren im Wettkampf vor allem ein Geschehen, das per se schon auf Krisenbewältigung und Noterzeugung und, im Zusammenhang hiermit, auf Störung und Entstörung ausgerichtet ist, diese legitimen und sozial erwünschten Perturbationen aber einer scharfen sozialen Kontrolle unterwirft, mit Fairplay-Idealen abpuffert und an den Spielfeldrändern durch ein weiteres Immunsystem schützt. Flitzer werden durch die Störung von Störenfrieden zu Störenfrieden zweiter Ordnung, die das spannungsgenerierende Affizierungspotential des Sports für eine Zweckentfremdung in eigener Sache nutzen. Sie sind keine Akteure, die sich vor einer Verfolgung in ein Stadion retten, um sich dort schutz- und ruhesuchend vor Nachstellung in Sicherheit zu bringen. Sie wollen vielmehr bewusst Unruhe und Unordnung stiften, obwohl sie einem Schicksal als Beute entgegensehen. Die Welt der regelgerecht durchgeführten Perturbationen nimmt ein Sportflitzer kurzzeitig für sich in Beschlag und schreit durch seine korporal basierte Störung im wahrsten Sinne des Wortes nonverbal: »Nehmt mich wahr!« Im Fall des Nacktflitzens verstärkt er dieses Begehren durch die Provokation einer öffentlichen Selbstentblößung oder spärlichen Teilbekleidung. Die hierdurch generierte und auf den Störenfried gelenkte Aufmerksamkeit ist allerdings keine geschenkte, gewährte oder getauschte, sondern eine gestohlene und erpresste Aufmerksamkeit. Flitzer nehmen insofern mehr als sie geben – auch wenn sie meinen, im Dienst der Zuschauer zu handeln, unterstellte Verklemmungen zu lösen und eine Steigerung des Glücks ihrer Beobachter 2

Bereits Robert Musil (2003: 47; Herv. im Orig.) wies in einem Text über die Tennissozialisation eines Familienvaters auf die Bedeutung des Publikums und sportinteressierter Bezugsgruppen für die Existenz des modernen Wettkampfsports hin. »Er (gemeint ist der sog. ›Geist des Sports‹, die Autoren) entsteht aus einer umfangreichen Sportjournalistik, aus Sportbehörden, Sportschulen, Sporthochschulen, Sportgelehrsamkeit, aus der Tatsache, daß es Sportminister gibt, daß Sportsleute geadelt werden, daß sie die Ehrenlegion bekommen, daß sie immerzu in den Zeitungen genannt werden, und aus der Grundtatsache, daß alle am Sport Beteiligten, mit Ausnahme von ganz wenigen, für ihre Person keinen Sport ausüben, ja ihn möglicherweise sogar verabscheuen.«

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Flitzer im Sport

anzustreben. Schließlich werden sie für ihre Störungen weder vom Publikum noch vom organisierten Sport eingeladen oder bezahlt. Wenn Flitzer ihre unerlaubten Grenzüberschreitungen selbst filmen oder von außen filmen lassen und später in eigenen Blogs veröffentlichen, stellen sie ihren Aufmerksamkeitsdiebstahl einem Internetpublikum zur Verfügung. Sie versuchen so, das Wegblenden der im Stadionrund vorhandenen Kameras zu umgehen, ihre Taten auf Dauer zu stellen und einem physisch nichtanwesenden Publikum bekannt zu machen. Vor allem aber machen sie hierdurch ein anonymes Publikum darauf aufmerksam, beachtet worden zu sein und Aufmerksamkeit erregt zu haben. Nicht wenige Flitzer haben sich durch die mediale Ausdehnung ihrer Taten den Status einer international bekannten Medienprominenz erarbeitet. Ihre Selbstdarstellung in den Räumen des Sports erfolgt dabei nicht im Medium der gesprochenen Sprache, um intellektuelle Kompetenzen und rhetorische Fähigkeiten vor einer interessierten Hörerschaft zum Ausdruck zu bringen, sondern in Gestalt einer korporal durchgeführten und medial abgelichteten Störung der vorgegebenen Interaktionsordnung. Auch wenn das Störrepertoire beim Flitzen äußerst begrenzt ausfällt, ist es in den Folgen seiner Begrenzung doch äußerst wirksam. Flitzer betätigen sich im Rahmen ihrer mehrfachen Grenzüberschreitungen notwendigerweise als »Trickster«. Um nicht vorschnell aus dem Verkehr gezogen zu werden, haben sie nämlich die Versuche des Sicherheitspersonals, die Störung zu unterbinden, im Vorfeld ihrer Handlungen zu antizipieren und durch kreative Täuschungen zu kontern.3 Insbesondere die Serienflitzer und Hochstapler sind ge3

Auch Sporthelden werden bisweilen Tricksterqualitäten unterstellt. Der argentinische Fußballheld Diego Maradona hätte, so Galeano (2014: 272), dem Schicksal oft in der letzten Spielsekunde ein Schnippchen geschlagen, eine »Kunst des Unvorhergesehenen« auf dem Spielfeld aufgeführt, scheinbar übermächtige Gegner besiegt und bestehende Nachteile durch einen mehr oder weniger heimlichen Regelbruch kompensiert, um so die kühnsten Träume der eigenen Anhänger stellvertretend zu materialisieren. Als »Trickster« gilt bisweilen auch Muhammad Ali, der nicht nur durch boxerisches Talent, sondern auch durch derben Humor und »trash talk« (Lemert 2003: 69) glänzte. Außerhalb des

Schlussbetrachtungen

wiefte Kenner sportlicher Rituale, Handlungspraktiken und Etikette. Sie besitzen nicht nur milieuspezifische Kenntnisse, die sie sich im Vorfeld ihrer Abweichung durch Besuche vor Ort und das Ausbaldowern möglicher Hindernisse verschaffen; sie entfalten auch subversive Kräfte, wenden schlitzohrige Tricks an, verstellen sich, wenn sie in das Blickfeld der Ordnungsmacht geraten und bringen unterschiedliche Formen einer »brauchbaren Illegalität« bei der Verfolgung ihrer Ziele zum Einsatz. Trickster zeichnen sich dadurch aus, dass sie Grenzen überschreiten, Tabus brechen und ihre Interessen mit einer situativen Cleverness durchsetzen. Bisweilen glänzen sie aber auch durch Tölpelhaftigkeit und groteske Entgleisungen.4 Als Sportflitzer bringen sie zwar nicht die Ordnung des Universums in Unordnung, unterbrechen aber Wettkampfabläufe und eingefahrene Handlungsroutinen. Vor allem vollziehen sie einen für Trickster typischen Gestaltwandel, wenn sie aus dem Status als Beobachter in die Rolle des Störenfrieds überwechseln, dabei das Erleben als Zuschauer durch das Handeln als Flitzer ersetzen und ihre Metamorphose in der Sonderöffentlichkeit des Sports zelebrieren. Sie erweisen sich dadurch als manipulative Störenfriede einer etablierten, aber keineswegs ultimativen Ordnung der sozialen Welt.5 Störenfriede, die innerhalb und außerhalb des Sports als »Trickster« auftauchen, können ihre Perturbationen nur scheinbar auf eigene Faust und in völliger Handlungsautonomie durchführen. Ihre Aktionsmöglichkeiten werden vielmehr in maßgeblicher Weise durch die

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Boxrings rüttelte Ali aus einer subalternen Position heraus an bestehenden politischen Machtverhältnissen und zwang die »established authority to accept him on his own terms« (Gems 2001: 55). Er zog nicht öffentlich blank, er opponierte vielmehr auf seine Weise gegen den Vietnamkrieg: »I ain’t no quarrel with them Viet Cong.« Zur Diskussion der Tricksterfigur in der Ethnologie und Kulturanthropologie siehe Köpping (1984) und Schüttpelz (2010). McLeod (2014: 217ff.) analysiert die Trickster in der Unterhaltungsbranche und im Untergrund der Popkultur. Zur Idee der Ordnung, zu den Strategien der Aufrechterhaltung von Ordnung und zum »Anderen der Ordnung« siehe die Ausführungen von Bröckling et al. (2015: 9ff.).

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Flitzer im Sport

Sozialbereiche mitbeeinflusst, die sie zu stören beabsichtigen. Sie müssen deshalb ihre Transgressionen systemspezifisch justieren und auf die in den einzelnen Feldern ausdifferenzierten Codes, Steuerungssprachen und Sondersituationen ausrichten. Hierfür haben sie entsprechende Kompetenzen zu entwickeln. In der Wirtschaft geht es in der Differenz von Haben und Nichthaben um das Geldmedium, in der Politik um Macht in der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition, in der Wissenschaft um intersubjektives Wissen im Diskurs zwischen Wahrheit und Nichtwahrheit. Auf diese Leitdifferenzen und symbolisch generalisierten Steuerungsmedien haben Störenfriede sich einzulassen, wenn sie in Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft Störmaßnahmen erfolgreich platzieren und vorhandene Systemcodes sabotieren wollen. Wenn sie in diesen Steuerungssprachen nicht direkt entsprechende Störwirkungen erzielen können, weil sie weder einen Zugang zu systemrelevanten Entscheidungspositionen haben noch die Kompetenz besitzen, um im Geld-, Macht- oder Wahrheitsmedium mitreden zu können, haben sie zumindest die Möglichkeit, ihre Körper als Waffen einzusetzen, um in der sozialen und materialen Umwelt dieser Sozialbereiche Aufmerksamkeit in eigener Sache zu erregen und eine »Kontextsteuerung« (Teubner/Willke 1984) anzustoßen. Sie können dann Straßen und Bahnen blockieren, Verkehrsflüsse zum Erliegen bringen, um Waren und Menschen daran zu hindern, frei zu zirkulieren. Sie können auch wertvolle Gemälde in Museen beschmieren, Hauswände besudeln, sich an Luxusautos festkleben, Walfangboote attackieren, sich in Baumhäusern verbarrikadieren oder auf Türme, Schornsteine oder Wolkenkratzer klettern, um durch ihre meist korporalen Störmaßnahmen auf vorhandene oder vermeintliche Missstände aufmerksam zu machen – in der Hoffnung, auf diese Weise systeminterne Veränderungen auf den Weg bringen zu können.6

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Zur Wirksamkeit einer gezielten Störaktion durch Umweltaktivisten und den anschließenden Boykott einer Weltfirma der Ölindustrie durch die mediale Aktivierung von Öffentlichkeit und Konsumenten siehe Klaus (2002). Die Probleme einer staatszentrierten Steuerung in funktional differenzierten Gesellschaft diskutierte allgemein Willke (1984). Luhmann (1986: 227ff.) und Hell-

Schlussbetrachtungen

Mit dem Spitzensport wählen Störenfriede einen Sozialbereich, der aufgrund seiner Körper- und Personenbezogenheit interaktionsnah komponiert ist und kein exklusives, unverwechselbares Steuerungsmedium ausprägen konnte, dafür aber im Kampf zwischen Sieg und Niederlage Möglichkeiten der öffentlichen Sichtbarmachung und Aufmerksamkeitsbeschaffung in Sonderräumen und zu Sonderzeiten zur Verfügung stellt, die andere Sozialbereiche so nicht zu bieten haben. Störungen, die hier platziert werden, haben allerdings eine besondere Qualität, die sich aus der sekundären Bedeutsamkeit des Spitzensports im Kontext der modernen Gesellschaft ergibt. Als Begründung für diese Einstufung lässt sich anführen, dass die Gegenwartsgesellschaft ihre basale Reproduktion zweifellos ohne Bundesligaspiele, Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele absichern kann. Stellt man die Nullhypothese hingegen bei den primär bedeutsamen Sozialbereichen, zeigt sich ein anderes Bild.7 Fiele beispielsweise in der Wirtschaft das Geldmedium aus, würde die Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Komposition und Funktionalität sofort kollabieren und auf vormoderne Tauschverhältnisse zurückgeworfen. Ohne Geld und Geldderivate könnten Produzenten und Konsumenten keine Geschäfte mehr tätigen. Ohne ein funktionierendes Rechtssystem könnten keine wirtschaftlichen Tauschakte vollzogen und juristisch abgesichert werden. Ohne die Funktion der Politik, kollektiv bindende Entscheidungen für andere Sozialbereiche zu fällen und in Gesetzes- und Verordnungsform zu gießen, entfiele ein wichtiger Steuerungsakteur für die Gesamtgesellschaft. Und ohne die Produktion intersubjektiver Wahrheit im Wissenschaftssystem erfolgte ein Rückfall in die Dominanz religiöser und politisch-ideologischer Deutungen. Da der Sport für den gesellschaftlichen Reproduktionsvollzug »nur« eine sekundäre Bedeutsamkeit erreichen konnte, finden die Störungen

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mann (1996) gingen in ihren Analysen auf die Möglichkeiten und Grenzen sozialer Bewegungen ein. Zur Entbehrlichkleit und sekundären Bedeutsamkeit des Sports aus der Sicht der soziologischen Differenzierungstheorie siehe die Arbeiten von Bette (1989: 169; 2019: 183ff.) und Schimank (2001).

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des sportlichen Handlungsgeschehens durch Flitzer in einer Welt des »Als-ob« statt, in der sich die zentralen Akteure in einer spielerischsportlichen Weise auf wechselseitige Irritationen spezialisiert haben, um Siege davonzutragen und knappe Rangplätze zu erringen. Die Perturbationen durch Flitzer erreichen dadurch nicht die Schärfe und Folgelastigkeit, die durch Störungen in Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft entstehen. Nacktattacken im Stadionrund treiben nicht die Inflation in der Wirtschaft in die Höhe, lösen keinen Machtverlust politischer Parteien aus und reduzieren nicht die Produktion intersubjektiver Wahrheit in der Wissenschaft. Die Nacktheit der Flitzer richtet offenbar auch keinen gravierenden Schaden aufseiten des Publikums an, wie die heiteren Zuschauerreaktionen glaubhaft belegen. Störenfriede, die hingegen in den etablierten Symbolsprachen ausdifferenzierter Sozialbereiche Grenzen überschreiten und deren Leitdifferenzen hintertreiben, richten dort gemeinhin einen sehr viel höheren gesamtgesellschaftlich relevanten Schaden an und können regelrecht katastrophale Wirkungen entfalten. Man denke nur an Hacker, die Computer lahmlegen, Unternehmen erpressen und Zahlungsvorgänge blockieren, an Forscher, die Daten in Medikamentenstudien fälschen, oder an Terroristen, die wirksam »Gegenmachtansprüche« (Schneider 2016: 80) kommunizieren und durch mörderische Gewalt ein Fanal setzen, um das »Schweinesystem«, gegen das sie opponieren, in seiner Zerbrechlichkeit vorzuführen und selbstschädigende Überschussreaktionen der Staatsmacht zu provozieren. Auch Störenfriede, die demokratische Wahlen manipulieren oder als manipuliert diffamieren, können dem politischen System gravierende Probleme bereiten. Die Störwirkung, die Sportflitzer durch ihr überraschendes Auftauchen in den Sonderräumen des Sports hervorrufen, unterscheidet sich auch signifikant vom Störpotenzial jener Devianzen, die den sportlichen Code von Sieg und Niederlage nicht nur kurzfristig zum Stillstand bringen, sondern klammheimlich unterlaufen und das Systemvertrauen der Öffentlichkeit in den Spitzensport im Falle der Aufdeckung nachhaltig erschüttern. Besonders jene illegitimen Innovationen im Sport, die in Gestalt von Doping sozial akzeptierte Ziele mit nichtakzeptierten Mitteln anstreben, dabei die formale Gleichheit und Ergebnisoffen-

Schlussbetrachtungen

heit sportlicher Wettkämpfe hintertreiben und die Geheimhaltung des Regelbruchs in Gruppen aus Eingeweihten und Hintermännern organisieren, führen zwar nicht unmittelbar zur Störung interaktiver Ordnungen im Sport. Sie können infolge ihres Publikwerdens jedoch systemgefährdend wirken, weil sich relevante Bezugsgruppen angewidert abwenden und dem Spitzensport wichtige Förderressourcen entziehen (Bette/Schimank 2006: 145ff.). Familien stellen ihren Nachwuchs den Vereinen und Verbänden bei einem allzu offen praktizierten Doping nicht mehr zur Verfügung; mediale Instanzen ziehen sich aus der Berichterstattung zurück und wirtschaftliche und politische Sponsoren können ihre Unterstützungszahlungen in der Öffentlichkeit nicht mehr legitimieren, wenn die von ihnen geförderten Athleten und Athletinnen reihenweise wegen entdeckter Dopingpraktiken aus dem Verkehr gezogen worden sind. Analysiert man in diesem Zusammenhang die Beschwichtigungsformeln und Legitimationsrhetoriken überführter Doper, die ihre deviante Körperlichkeit auf Zahnpastatuben, potenzsteigernde Mittel, hormonbehandeltes Rinderfleisch, einen ungeborenen Zwilling oder die liebevolle Nähe zum Großvater und dessen Medikamentenpackungen zurückführen, erfährt man auch etwas darüber, wie Doping als Abweichung von den Abweichenden verleugnet, vertuscht und verheimlicht wird, um den Anschein sauber erbrachter sportlicher Leistungen kontrafaktisch aufrechtzuerhalten und einer Bestrafung zu entgehen. Sportflitzer machen es ihren Verfolgern mit ihren Grenzüberschreitungen demgegenüber leicht. Sie tauchen nicht etwa im blinden Fleck der Sportöffentlichkeit auf, um das Geschehen subtil und ohne gesehen zu werden zu manipulieren oder um ihre Devianz in den Tiefen des Körpers zu platzieren und dadurch einer unmittelbaren sozialen Kontrolle zu entziehen. Sie spekulieren auch nicht auf eine zeitlich begrenzte Nachweisbarkeit ihrer Abweichung. Sie nutzen vielmehr proaktiv die Eventkultur des Spitzensports und klinken sich in ihrer konkreten Körperlichkeit in die Theatralität des dort ablaufenden Interaktionsgeschehens ein. Sie begeben sich dadurch sehenden Auges und bewusst in das Zentrum der Publikumsaufmerksamkeit und machen sich dort kurzfristig zum Weltereignis und zur Zuschauerattraktion. Flitzer kön-

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nen von den Sportakteuren und ihrem Publikum deshalb nicht einfach ignoriert oder durch blasiertes Verhalten als »nicht vorhanden« übersehen werden. Sie stellen sich ihren Verfolgern unaufgefordert zur Schau und lassen sich nach einer eifrigen Hetzjagd ohne größere Gegenwehr abführen. Und jene Sportflitzer, die ihre Laufattacken seriell betreiben, verzichten trotz Bestrafung darauf, eine Besserung zu versprechen. Um die Zuneigung des physisch anwesenden Publikums trotz dieser Transgressionen nicht zu gefährden und die paradoxe Unterhaltsamkeit ihrer Störaktionen sicherzustellen, streben Sportflitzer im Rahmen ihrer Störaktivitäten in der Regel keine Bevorzugung einer Partei an und richten ihr Handeln an einem selbstverordneten Neutralitätsgebot aus. Um insbesondere in den Spielsportarten das anwesende, in unterschiedliche Loyalitäten gespaltene Publikum insgesamt auf ihre Seite zu ziehen, tun sie gut daran, nicht in den Spielablauf einer Mannschaft zu intervenieren, um deren Gewinnchancen zu schmälern. Sie sind auch gut beraten, weder Schiedsrichter, Spieler, Trainer oder Publikum zu beleidigen noch Prügelattacken gegen einzelne Sportakteure zu starten. Zum Flitzerkodex gehört es, zivilisiert unzivilisiert zu sein. So reflektieren diese Störenfriede auch die Grenzen ihrer Auftritte und geben die Motivation ihrer Praxis in öffentlichen Selbstbeschreibungen preis. Allerdings führen gerade diejenigen, die das Flitzergeschäft seriell betreiben, bisweilen ein »Guerilla Marketing« durch, um ihre oft jenseits des Horizonts stattfindenden Einsätze finanzieren zu können. Indem sie ihre zunächst sprachlosen Körper textförmig mit Markenbotschaften versehen oder Schuhe einer bestimmten Marke tragen, stören sie die Exklusivitätsgarantien, die Veranstalter ihren Sponsoren gegeben haben. Sportflitzer nehmen, wie die genannten Transgressionen zeigen, unaufgefordert an einer Tafel Platz, die für andere gedeckt wurde, und machen sich dort gleichermaßen kurzfristig wie plötzlich zum Nutznießer der Situation. Sie nehmen das bereits vorhandene Publikum in eigener Sache in Beschlag und machen sich im Rahmen ihrer Störungen zu Beobachtern der Zuschauerreaktionen, die sie selbst hervorgerufen haben. Man kann sie insofern, in der Sprache und Denkweise von Michel

Schlussbetrachtungen

Serres (1981) formuliert, als »Parasiten« bezeichnen.8 Flitzer erweisen sich durch ihre Transgressionen in der Tat nicht als Gäste, die sich selbst eingeladen haben, um in aller Stille und ohne größeres Aufsehen genießen zu wollen. Sie sind vielmehr darauf aus, Unordnung zu stiften, Routinen auf den Kopf zu stellen und mittels korporaler Kommunikation ein Rauschen zu erzeugen, das bis auf Weiteres unverstanden bleibt und Systemfrequenzen nicht nur übertönt, sondern sogar zum Erliegen bringt. Den Flitzern geht es dabei nicht um die gänzliche Zerstörung einer bestehenden Ordnung. Dies wäre kontraproduktiv, weil der Sport dadurch für sie als Handlungs- und Profilierungsmedium ausfiele. Ganz im Gegenteil brauchen Flitzer einen Wirt mit einer dauerhaft funktionierenden und weithin akzeptierten Regelkultur, um die »auferlegte Relevanz« (Schütz 1971: 58) der eigenen Störaktion sicherzustellen und als Normbrecher Individualisierungsgewinne verbuchen zu können. Ohne Publikum keine Aufmerksamkeit und keine Identitätsbestätigung von außen durch Zuspruch oder Ablehnung! Nur die vor den Augen von Beobachtern im Rahmen einer bestehenden Interaktionsordnung vollzogene Devianz erlaubt es den Flitzern, sich coram publico als Subjekte zu präsentieren, die weder vor einer eigenen Entblößung noch vor einem sicheren Erwischtwerden zurückschrecken. Der Wirt reagiert, wie wir gezeigt haben, auf die Störung mit Immunreaktionen, die darauf abzielen, den Parasitenbefall zu vermeiden oder, wenn er bereits geschehen ist, rasch zu beenden und die systemische Grenze zwischen dem sportlichen Handlungsgeschehen im Innenraum und seiner Beobachtung von außen wiederherzustellen. Der Ausgang ist gewiss. Flitzer werden nicht geduldet, sondern aus dem Verkehr gezogen. Ihre Anwesenheit wird als Störung wahrgenommen und entsprechend sanktioniert. Ein eigenes Sicherheitssystem sorgt dafür, dass die alte Ordnung schnell wieder hergestellt wird.

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Zur Geschichte des Parasitenbegriffs und zu der durch Michel Serres angestoßenen Debatte siehe Musolff (2011), Gehring (2010) und Stullich (2013). Leanza (2014) und Schneider (2014) erörtern die Parasitenfigur aus systemtheoretischer Sicht.

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Da Flitzer als physisch-organische Entitäten stören, und nicht etwa Kommunikationen im Sport als Hacker anonym, unsichtbar und körperlos zum Erliegen bringen, werden sie als solche identifiziert, eingesammelt, verhüllt und der Polizei übergeben. Ihre Transgressionen führen nicht zu einem völligen und dauerhaften Zusammenbruch des sportlichen Interaktionsgeschehens, sondern werden im Rahmen der bestehenden Sicherheitsarchitektur der Veranstalter in erwartbarer Weise abgefangen und entschärft. Der Parasitenstatus der Sportflitzer bleibt dauerhaft prekär und labil, da die Grenzüberschreitungen für das Funktionieren des Sports gleichermaßen sichtbar wie verzichtbar sind und bislang noch keinen offiziellen Eingang in die Würdigungskultur und in das Gedächtnis von Sportorganisationen gefunden haben. Wettkämpfe finden auch dann statt, wenn Flitzer angezogen bleiben und das Geschehen nicht durch ihre Laufattacken unterbrechen und perturbieren. Unsere Ausführungen zeigen insgesamt, dass Störenfriede in ihrem Handeln weniger durch feststehende Persönlichkeitsmerkmale bestimmt werden, als vielmehr durch die Typik und das Affizierungspotential der Sozialsysteme, die sie für ihre Störungen in Anspruch nehmen. Menschen schaffen Situationen, aber Situationen schaffen, wie man in der Soziologie weiß, auch ihre Menschen und versorgen individuelle Akteure mit Motiven für ihr Handeln. So haben Störenfriede passende psychische, physische und technisch-taktische Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um den Anforderungen jener Systeme entsprechen zu können, in denen sie ihre Störungen zu platzieren gedenken.9 Störenfriede müssen situativ wissen, welche systemspezifischen Ereignisse störungsgeeignet sind, an welchen Stellen Störanfälligkeiten bestehen und wie sich eigene Störbegehrlichkeiten erfolgreich umsetzen lassen oder an Grenzen stoßen. Die Reputation der Ereignisse, die

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Siehe demgegenüber Thomä (2016: 491ff.) in seinem »puer robustus« mit seiner Einteilung von »egozentrischen«, »exzentrischen«, »nomozentrischen« und »massiven« Störenfrieden. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Bellah et al. (1985: 142ff., 334) zum »biblical«, »republican«, »utilitarian« und »expressive individualism«.

Schlussbetrachtungen

gestört werden sollen, bestimmt das Handeln der Störenfriede in besonderer Weise. Wo lohnt sich eine Perturbation, und wo sollte man auf Grenzüberschreitungen verzichten? Wie sehen Handlungsroutinen aus und was ist zu tun, um diese zu unterbrechen? Welche generalisierten Verhaltenserwartungen gilt es zu kontern und als Abstoßpunkte für die eigene Devianz ins Spiel zu bringen? Vor allem: Welche Leistungen des Wirtssystems lassen sich parasitär nutzen? Störenfriede können vor allem dann in besonderer Weise von ihren Transgressionen profitieren, wenn das Wirtssystem, in dem sie ihre Störung zu platzieren beabsichtigen, selbst ein Parasit ist, der die Errungenschaften und Besonderheiten anderer Sozialzusammenhänge und Systeme in Anspruch nimmt und gerade deshalb ein attraktives Handlungsfeld für eigene parasitäre Störaktivitäten darstellt. Flitzer werden dadurch in die Lage versetzt, an Ressourcen teilzuhaben, die ihnen ansonsten verschlossen blieben. Dies ist beim Flitzen im Sport zweifellos der Fall. Flitzer nutzen mit dem Spitzensport einen Sozialbereich, der bereits seit langem parasitär auf externe Ressourcen für das eigene Funktionieren zurückgreift und durch interne Anpassungsstrategien auch bedient.10 Der moderne Spitzensport steht im Mittelpunkt einer aus Publikum, Massenmedien, Wirtschaft und Politik bestehenden Akteurskonstellation, die durch wechselseitige Nutzenverschränkungen stabilisiert wird. Das Publikum erweist sich in diesem Zusammenhang als oberster Prinzipal des Geschehens. Verbände buhlen untereinander um die Aufmerksamkeit des Publikums, um in der harten Konkurrenz mit anderen Unterhaltungsofferten eigene Wachstumsinteressen zu befördern. Sie erfinden neue Wettkampfserien, nehmen Rücksicht auf die Freizeitrhythmik der Zuschauer, verdichten Wettkämpfe im Stadion und passen ihr Regelwerk

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Man denke an die Durchführung von Wettkämpfen zu unphysiologischen, aber mediengerechten Zeiten. Die publikumsorientierten Darbietungsüberlegungen der bildorientierten Massenmedien bestimmen inzwischen immer mehr die Art und Weise des sportlichen Handlungsvollzugs, vor allem dann, wenn sie kommerzielle Interessen verfolgen und als Sponsoren im Spitzensport auftauchen.

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an, um die Sichtbarkeit des Wettkampfgeschehens für das Publikum zu verbessern, die Spannung zu steigern, Abnutzungseffekte zu vermeiden und mediale Aufmerksamkeit zu erringen. Manchmal erhöhen sie auch den Erotisierungsgrad der Sportkleidung, um voyeuristische Blicke auf Athleten- und Athletinnenkörper zu attrahieren. Auf die Spitze getrieben heißt dies: Flitzer haben nur deshalb ein Störungsinteresse am Spitzensport, weil sie am Publikum interessiert sind, das am Spitzensport interessiert ist und in den Sonderräumen des Sports die Möglichkeit erhält, Leidenschaften und Motive auszuleben, die im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess nachhaltig an den Rand gedrängt worden sind.11 Das Publikum tritt hierbei als eine unorganisierte Kollektivität in Erscheinung, die sportliche Leistungen nicht einfach nur asymmetrischschmarotzend rezipiert, sondern durch ihr massenhaftes Interesse und ihre Zahlungsbereitschaft auch anregt, ermöglicht und begehrenswert macht. Ohne eine dauerhafte Nachfrage vonseiten des Publikums wäre das hochspezialisierte Leistungsstreben der Sportakteure unwahrscheinlich. Auch die diversen Kontakteinrichtungen und Grenzstellen in Wirtschaft, Politik und Massenmedien, die mit der logistischen Ermöglichung, Betreuung, finanziellen Ausstattung und informationellen Übertragung spitzensportlicher Ereignisse befasst sind, wären ohne die Dauernachfrage durch ein sportinteressiertes Publikum letztlich nicht legitimierbar. Denn warum sollten Sponsoren einzelne Vereine, Verbände oder auch Athleten unterstützen, wenn es kein sportinteressiertes Publikum gäbe, das sich die Firmenlogos auf Sportlerhemden, Autos und Stadionbanden ansähe und anschließend entsprechende Kaufentscheidungen träfe? Und warum sollten Fernsehanstalten enorme Geldmengen für die Übertragung sportlicher Wettkämpfe ausgeben, wenn sie damit nicht auch entsprechende Einschaltquoten beim Publikum erreichen und dadurch eigene Handlungsziele durch die Akquisition von Werbeeinnahmen effektiv bedienen könnten? Und warum sollten

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Bette/Schimank (2000) und Bette (2010: 126ff.) stellen das Publikumsinteresse am Leistungssport in den Kontext von erster und zweiter Moderne.

Schlussbetrachtungen

politische Instanzen jährlich Millionen für leistungssportliche Fördereinrichtungen und die Austragung sportlicher Events bezahlen, wenn der Spitzensport sich nicht für eine Repräsentation nach außen und die Herstellung von Wir-Gefühlen nach innen eignete? Die Sportverbände haben das Sportinteresse des Publikums und relevanter Bezugsgruppen, last but not least, dadurch nachhaltig befördert und beeinflusst, dass sie die Athleten und Athletinnen als Stellvertreterfiguren des Publikums in Vereinsligen und in Gestalt von Nationalmannschaften bei den großen Events des Sports gegeneinander antreten lassen. Die hierdurch strukturell ermöglichte und auf den Weg gebrachte parasoziale Identifikation der Beobachter heizt das Sportinteresse des Publikums durch die Einbeziehung überindividueller Kollektive in entscheidender Weise an. Athleten, die bei den Weltereignissen des Sports erfolgreich sind, erzeugen beim Herkunfts- und Entsendemilieu das Gefühl einer erfolgreichen Gemeinschaft, in welche die eigenen Zuschauer ausdrücklich miteinbezogen werden. Der Sport bietet dem Publikum über den Mechanismus der Stellvertretung Möglichkeiten einer »posttraditionalen Vergemeinschaftung« (Hitzler 1998), die wiederum von außersportlichen Bezugsgruppen in eigener Sache genutzt werden. Zeichen der gewollten Verbundenheit und Identifikation zwischen Sportakteuren, Vereinen, Nation und Publikum im Sinne einer »imagined community« (Anderson 1983) werden im Sport bewusst in Szene gesetzt. Die komplexe Beziehungskaskade ist mit dem Hinweis auf das parasitäre Interesse der Sportflitzer an den Sportzuschauern und die Interessen von Publikum, Wirtschaft, Politik und Massenmedien am Spitzensport aber noch nicht abschließend beschrieben.12 Die unorganisierte Kollektivität des Publikums, die am sportlichen Wettkampf und an den dort stattfindenden legitimen Störungen und Entstörungen interessiert ist und einen Pull-Effekt auf Sportflitzer ausübt, parasitiert in Gestalt der eigenen Sportbegeisterung in einer ihr selbst unbekannten Weise an den Möglichkeiten und Verdrängungen, die sich im 12

Die Idee der »Kaskade« im Reich der Mit-Esser findet sich mit einer anderen Schwerpunktsetzung und ohne Sportbezug bereits in den Ausführungen von Serres (1981: 12ff.).

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personalen Erleben und Handeln nach dem Wechsel der Gesellschaft von Stratifikation auf funktionale Differenzierung ergeben haben. Dieser Zusammenhang ergibt sich wie folgt: Technisierung, Industrialisierung und Urbanisierung ermöglichen einerseits erst die Inklusion sportbegeisterter Massen. Menschen können mit Hilfe moderner Transportmittel in Publikumsrollen Wettkämpfe in der Ferne besuchen und selbst bei physischer Nichtanwesenheit mit Hilfe neuer Kommunikationstechniken zeitnah über Sportereignisse informiert werden (Bette 2010: 119). Der gesellschaftliche Modernisierungsprozess schuf andererseits aber auch erst den Bedarf aufseiten des Publikums, sich jenseits von Alltag und Routine, von Körperdistanzierung, Affektdämpfung, Gemeinschaftsverlust und biografischer Diskontinuität als Zuschauer durch den Sport unterhalten und zerstreuen zu lassen. Aus der weltweit gestiegenen Publikumsnachfrage nach spannenden, affektiv aufgeladenen, heldenerzeugenden und gemeinschaftsstiftenden Sportleistungen lässt sich ableiten, wie sehr die humanen Kollateralwirkungen des gesellschaftlichen Wandels bereits im Alltag virulent geworden sind und in einer subtilen Weise dazu beitragen, das Interesse am Spitzensport auf Dauer zu stellen. Die von der Mikro- und Mesoebene bis zum Geschehen auf der Makroebene reichende Beziehungskaskade wird durch diesen Hinweis auf die mehrfachen Nutzenverschränkungen deutlich: Sportflitzer sind am Spitzensport interessiert, weil sie dort die Chance erhalten, Aufmerksamkeit, die zunächst nicht auf sie gerichtet ist, mittels Störung in eigener Sache auf sich selbst lenken zu können. Das so in den Fokus der Flitzerbegehrlichkeiten gerückte Publikum wiederum sucht die Räume des Spitzensports auf, weil dieser dem Publikum durch die künstliche Inszenierung sozialer Konflikte das spannungsgeladene Versprechen gibt, dass alternative Erlebnismöglichkeiten abseits der üblichen Routine und organisatorischen Zurichtung von Person, Körper und Gemeinschaft noch existieren und im Prozess funktionaler Differenzierung nicht gänzlich zerrieben worden sind. Und wirtschaftliche und politische Sponsoren unterstützen den Spitzensport, weil sie aus jeweiligem Eigeninteresse am Publikum des Spitzensports interessiert sind: um Produkte abzusetzen, Werbung zu treiben, Wiederwahlin-

Schlussbetrachtungen

teressen zu bedienen und Einschaltquoten zu erhöhen. »Kein System ohne Parasit«, so formulierte Michel Serres (1981: 26) treffend mit Bezug auf die Funktion des Parasiten und gegen die einseitige Pathologisierung und Negativkommentierung parasitärer Verhältnisse. Die auf den ersten Blick als skurril und merkwürdig erscheinenden Praktiken der Sportflitzer sind somit Teil einer Beziehungskaskade, deren Komplexität allerdings erst dann ersichtlich wird, wenn man mit Hilfe der amoralischen, inkongruenten und fremden Blicke der Soziologie auf Distanz zu dem korporal geprägten Unterbrechungsgeschehen einzelner Personen in den Sonderräumen des Sports geht und die Aufmerksamkeit auf das Affizierungspotential des Spitzensports und dessen gesellschaftliche Resonanz richtet. Weitere Einsichten lassen sich hieraus ableiten. Sportflitzer können die Autopoiesis des Sports auf paradoxe Weise dadurch stabilisieren, dass sie die Selbstbezüglichkeit dieses körper- und personenorientierten Sozialbereichs punktuell und immer wieder neu stören und dadurch Kontingenz sowohl ins System einführen als auch sichtbar machen. Im Hinblick auf die systemische Evolution und die Aufrechterhaltung der System/Umwelt-Grenze des Sports erzeugen Flitzer durch ihre Interventionen zwar kurzfristig akute Unsicherheit und verursachen einen überraschenden und spontanen Rahmen- und Vorzeichenwechsel im sportlichen Geschehen und in den Leistungsbeziehungen zu außersportlichen Bezugsgruppen. Indem sie die Entwicklung und Bereithaltung passfähiger Immunreaktionen durch ihre Störungen vorantreiben, tragen sie auf diesem Weg jedoch zur mittel- und langfristigen Stabilisierung ihres Wirtssystems bei. Denn wie jeder Sozialbereich, der im Verlauf der soziokulturellen Evolution ein autonomes Sinnregime ausdifferenzieren und stabilisieren konnte, hält auch der Sport seine Sinnprinzipien in Form von Indifferenzschwellen gegenüber umweltbedingten Irritationen und Transgressionen aufrecht. Er muss sich dennoch darauf einstellen, dass in der Welt nicht alles zu eigenen Gunsten läuft und das Ausgeschlossene bisweilen lärmend und uneingeladen ins Systeminnere zurückkehren kann.

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Wie andere Grenzverletzungen machen die Störungen von Flitzern auf die Lücken aufmerksam, die an der Grenze zwischen System und Umwelt des Spitzensports bestehen. Sie machen deutlich, dass die Selbstbezüglichkeit des modernen Sports soziokulturell im Bereich höherer Unwahrscheinlichkeit angesiedelt ist. Denn Wettkämpfe, die von der lokalen bis zur transnationalen Ebene durchgeführt und von einem Millionenpublikum beobachtet werden, sind wahrscheinlich gewordene Unwahrscheinlichkeiten. Ein perfektes System, das gegen jegliche Umwelteinflüsse immun ist, kann es allerdings nicht geben. Dies gilt auch für den Spitzensport. Flitzer führen in dieser Hinsicht keine Machtdemonstration auf und wollen keine Revolution anzetteln oder Folgebereitschaft beim Sportpublikum auslösen. Sie machen vielmehr deutlich, dass bereits einfach strukturierte Störungen aus einer Position der Unterlegenheit heraus das Handlungsgeschehen zum Erliegen bringen können. Auf diesem Weg zeigen sie, wie komplex, prekär, »lokal sensitiv« (Bergmann 2013: 289) und organisatorisch voraussetzungsvoll die soziale Konstruktion des Spitzensports ist und wie außeralltäglich die Leistungen jener Akteure sind, die in den Arenen des Sports mit legitimen Perturbationsabsichten gegeneinander antreten, um einen Sieger oder eine Siegerin zu ermitteln sowie um das Publikum zu begeistern und wirtschaftliche, politische und mediale Interessen zu befriedigen. Unterbrechungen, die Flitzer von außen in den Spitzensport importieren, machen in einem instruktiven Umkehrschluss auf die Notwendigkeit unhinterfragter und reibungslos funktionierender Handlungsroutinen und Prozessabläufe für die Autopoiesis dieses personen- und körperorientierten Sozialsystems aufmerksam. Flitzer brauchen die Ordnung und Regelhaftigkeit des Spitzensports, um durch Störung Unordnung stiften zu können. Individualisierungsgeeignete Aufmerksamkeitsgewinne durch Unterbrechung lassen sich nur dort erwirtschaften, wo Ordnung den Prozessablauf bestimmt. Auch der Exzess der Nacktheit und korporalen Teilbekleidung bekommt sein provokatives Profil erst vor dem Hintergrund des Nicht-Exzessiven und ordnungsgemäß Bekleideten. Ebenso lassen sich Unernst und Albernheit nur dort mit Gewinn zelebrieren, wo Ernsthaftigkeit durch systemische Vorregulierungen in Gestalt von organisierten

Schlussbetrachtungen

Weltereignissen, Ligen und Rollen strukturell erzeugt wird. Aus soziologischer Sicht kann man deshalb sagen: Flitzen ist eine »Methode«, die durch Störung eine offene und durchaus nicht klammheimliche Affirmation des Spitzensports betreibt und öffentlich sichtbar macht. Auch die ironischen Züge der Auftritte von Hochstaplern, »Photo Bombern« und Witzbolden, die sich den Athleten und Athletinnen chamäleonartig angleichen, sich schelmenhaft und hochstapelnd in ihre Selektionen einschleichen und an der öffentlichen Aufmerksamkeit und Begeisterung für die gefeierten Sportler und Sportlerinnen parasitär teilhaben, geben früher oder später den Unterschied zu erkennen, der zwischen ihnen und den »wahren« Meistern des Sports quasi-ontologisch besteht. Insofern kommt es durch Flitzer und deren Pendants zu einer paradoxen Gleichzeitigkeit von Anerkennung und Ablehnung spitzensportlicher Sinnprinzipien und Handlungsroutinen. In dieser Hinsicht stellen die Spielfeldinvasionen von Sportflitzern zwar Störungen dar, die das Geschehen kurzzeitig zum Stillstand bringen. Sie passieren aber in Anerkennung des Wirtssystems und seiner Akteure und symbolisieren auf indirektem Wege dessen gesellschaftliches Alleinstellungsmerkmal. Flitzer würdigen den sportlichen Wettkampf in einer bislang unbemerkten Weise, indem sie ihn in zeitlicher, sachlicher, sozialer und räumlicher Hinsicht perturbieren. In der Störung huldigen sie unausgesprochen dem Affizierungspotential des Spitzensports. Sie bestätigen die Notwendigkeit einer Ordnung, die durch Regeln, Überwachungsinstanzen und generalisierte Rollenerwartungen aufrechterhalten wird und eine parasitär nutzbare Öffentlichkeit herstellt und immer wieder neu regeneriert. Als ausgeschlossene Dritte, die sich selbst unaufgefordert und regelwidrig in das Wettkampfgeschehen inkludieren, machen Flitzer zudem durch Störung jenen Möglichkeitsreichtum selektiv sichtbar, den Regeln, Normen und habitualisierte Routinen verhüllen und an einer Entfaltung hindern. Erst die im Verlauf der Verselbständigung des Spitzensports vollzogene Trennung von Leistungs- und Publikumsrollen eröffnet ihnen die Möglichkeit, das Sportgeschehen als Trickster und Parasiten zu benutzen, um vom Erleben ins Handeln überzuwechseln und durch Störung Aufmerksamkeits- und Individualisierungsgewinne in eigener Sache zu verbuchen. Und ohne die Ausweisung und Abgren-

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zung von Sonderräumen in Gestalt von Stadien, Arenen, Hallen oder Rennstrecken und die Etablierung einer durch Serialität und Zyklizität geprägten autonomen Sportzeit blieben ihre Strategien der Raumentweihung und temporalen Unterbrechung unwahrscheinlich. Vor allem aber lassen die Sportflitzer durch ihre Lust an der Grenzüberschreitung kurzzeitig jene wilde Körperlichkeit, anarchische Widerspenstigkeit und ausgelassen-frivole Lebensfreude aufblitzen, die bereits prägende Bestandteile der volkstümlichen Spiel- und Festkultur waren, im modernen Sport aber durch Prozesse der Disziplinierung, Affektdämpfung und Verregelung an den Rand gedrängt wurden.

Abkürzungen

AVN BBC BVB CV DFB DJ EM ESPN FC FIFA IOC LED SDS UEFA VIP WM ZDF

Adult Video News British Broadcasting Corporation Ballspielverein Borussia 09 e. V. Dortmund Curriculum Vitae Deutscher Fussball-Bund e. V. Disc Jockey Europameisterschaft Entertainment and Sports Programming Network Fußball Club Fédération Internationale de Football Association International Olympic Comitee Light Emitting Diode Sozialistischer Deutscher Studentenbund Union of European Football Associations Very Important Person Weltmeisterschaft Zweites Deutsches Fernsehen

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Podcasts Bought the T-Shirt, 2021: »World Champion Streaker: Mark Roberts«; online verfügbar unter https://uk-podcasts.co.uk/podcast/chris-th rall-s-bought-the-t-shirt-podcast/world-champion-streaker-mark -roberts-207 (Zugriff am 31.12.2021) [Interview: Thrall, Chris] Chatabix, 2022: »Mark Roberts – The Greatest Streaker in the World«; online verfügbar unter https://getpodcast.com/at/podcast/chatabix /guest-mark-roberts-the-greatest-streaker-in-the-world_fe4313579 0 (Zugriff am 2.3.2022) [Interview: Earl, David/Joe Wilkinson] Criminal, 2018: »The Chase«; online verfügbar unter https://thisiscrimi nal.com/episode-94-the-chase-7-5-2018 (Zugriff am 13.7.2021). [Interview: Judge, Phoebe] The Back of the Range, 2018: »Mark Roberts – The World’s Most Famous Streaker«; online verfügbar unter https://www.thebackoftherange.c om/42 (Zugriff am 13.7.2021). [Interview: Adelberg, Ben]

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Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)

Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft 2020, 432 S., kart., 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5

Vera Hofmann, Johannes Euler, Linus Zurmühlen, Silke Helfrich

Commoning Art – Die transformativen Potenziale von Commons in der Kunst Juli 2022, 124 S., kart 19,50 € (DE), 978-3-8376-6404-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6404-5

Kerstin Jürgens

Mit Soziologie in den Beruf Eine Handreichung 2021, 160 S., kart. 18,00 € (DE), 978-3-8376-5934-4 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5934-8

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Soziologie Gabriele Winker

Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3

Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid

Gesellschaftstheorie Eine Einführung 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5

Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)

Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9

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