Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg [1 ed.] 9783428478972, 9783428078974

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Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg [1 ed.]
 9783428478972, 9783428078974

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DEUTSCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

BEITRÄGE ZUR STRUKTURFORSCHUNG HEFT 147 · 1993

Dieter Vesper

Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg

DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN

D E U T S C H E S I N S T I T U T FÜR

WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

gegründet 1925 als INSTITUT FÜR KONJUNKTURFORSCHUNG von Prof. Dr. Ernst Wagemann Königin-Luise-Straße 5 · D-14195 Berlin (Dahlem)

VORSTAND Präsident Prof. Dr. Lutz Hoffmann Sir Leon Brittan · Prof. Dr. Johann Eekhoff · Dr. Norbert Meisner · Wolfgang Roth · Dr. Ludolf-Georg von Wartenberg Kollegium der Abteilungsleiter* Dr. Heiner Flassbeck · Dr. Fritz Franzmeyer · Dr. Kurt Hornschild · Prof. Dr. Wolfgang Kirner Prof. Dr. Eckhard Kutter · Dr. Wolfram Schrettl · Dr. Bernhard Seidel · Dr. Hans-Joachim Ziesing KURATORIUM Vorsitzender: Dr. Alexander von Tippeiskirch Stellvertretender Vorsitzender: Dr. Thomas Hertz Mitglieder Der Bundespräsident Bundesrepublik Deutschland Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft Bundesministerium für Verkehr Bundesministerium für Post und Telekommunikation Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bundesministerium für Forschung und Technologie Land Berlin Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe Senatsverwaltung für Bundes- und Europaangelegenheiten Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für Wirtschaft Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Wirtschaftsministerium Deutsche Bundesbank Deutsche Bundesbahn Deutsche Bundespost Postdienst Deutsche Bundespost Telekom Bundesanstalt für Arbeit Wirtschaftsvereinigung Bergbau Christlich-Demokratische Union Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Freie Demokratische Partei Deutscher Gewerkschaftsbund Industriegewerkschaft Metall Berliner Bank Aktiengesellschaft Berlin Hyp Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank AG 1KB Deutsche Industriebank AG Berliner Kraft- und Licht (Bewag)-Äktiengesellschaft Elektrowerke GmbH Holding Vereinigung der Freunde des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Persönliche Mitglieder Dr. Günter Braun Dr. Dieter Hiss Dr. Karl-Heinz Narjes * Präsident und Abteilungsleiter sind gemeinsam für die wissenschaftliche Leitung verantwortlich.

D E U T S C H E S I N S T I T U T FÜR

WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

BEITRÄGE ZUR STRUKTURFORSCHUNG

HEFT 147 · 1993

Dieter Vesper

Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg

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DUNCKER & HUMBLOT

BERLIN

Verzeichnis der Mitarbeiter

Bearbeiter Dieter Vesper

Statistik Edwin K. Wohlgemuth

Textverarbeitung Ingrid Moewius Monika Neuwald

Herausgeber: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Königin-Luise-Str. 5, D-14195 Berlin Telefon (0 30) 82 99 10 - Telefax (0 30) 82 99 12 00 Schriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Kirner Verlag: Duncker & Humblot GmbH, Carl-Heinrich Becker-Weg 9, D-12165 Berlin. Alle Rechte vorbehalten Druck: 1993 bei ZIPPEL-Druck, Oranienburger Str. 170, D-13437 Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-07897-7

Gliederung Seite Tabellen Verzeichnis

5

0

Aufgabenstellung und Vorgehensweise

9

1

Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen

11

1.1

Ausgangslage

11

1.2

Perspektiven

12

2

Die finanziellen Perspektiven Berlins und Brandenburgs

16

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 3

Der Berliner Haushalt Strukturelle Besonderheiten Haushaltsentwicklung 1991 Mittelfristige Perspektiven Ein Ausblick auf das Jahr 2000 Der Haushalt des Landes Brandenburg Aktuelle Lage Perspektiven Ein Zwischenfazit Berlin und Brandenburg im Länderfinanzausgleich

16 16 18 20 29 31 31 33 35 37

3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

Das System des Länderfinanzausgleichs Grundzüge des Systems Umfang der Ausgleichswirkungen 1991 Ergebnisse von Simulationsrechnungen Ausgleichswirkungen im Jahre 1995 Konsequenzen für Berlin und Brandenburg Berlin und Brandenburg als getrennte Länder Berlin und Brandenburg als gemeinsames Land Ein Ausblick auf das Jahr 2000 Berlin und Brandenburg als getrennte Länder Berlin und Brandenburg als ein gemeinsamer Flächenstaat Ein alternatives Modell des horizontalen Finanzausgleichs Ergänzungszuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder Zusammenfassung Exkurs: Vorstellungen von Bund und Ländern zur Neuregelung des Länderfinanzausgleichs

37 37 40 42 42 48 48 52 54 54 57 59 66 70 74

3

Seite

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Der Ausgabenrahmen für einen gemeinsamen Flächenstaat Berlin-Brandenburg

80

4.6

Methodische Probleme "Normierte" Ausgaben und die Konsequenzen für Berlin-Brandenburg Ausgewählte staatliche Leistungen Berlins im interregionalen Vergleich Staatliches Personal im Land Brandenburg Personal für kommunale Aufgaben in westdeutschen Großstädten und in Brandenburg Fazit

99 103

5

Berlin - eine Kommune Brandenburgs

105

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.2 5.2.1 5.2.2

Das kommunale Finanzsystem in Deutschland Beteiligungen der Gemeinden am Steueraufkommen Zuweisungen von den Ländern: Der kommunale Finanzausgleich Ergebnisse nach Gemeindegrößenklassen Kommunaler Finanzausgleich in Ostdeutschland Kommunale Kreditaufnahme Das Einnahmepotential einer Großstadt Berlin Anteil an der Lohn-und Einkommensteuer Zuweisungen des Landes

105 105 110 118 123 125 128 128 130

6

Schlußfolgerungen

135

4

80 82 86 96

Tabellenverzeichnis Seite Tabelle 1: Tabelle 2:

Tabelle 3

Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7:

Tabelle 8: Tabelle 9:

Tabelle 10: Tabelle 11:

Tabelle 12:

Tabelle 13: Tabelle 14:

Tabelle 15:

Ausgaben der Stadtstaaten 1990, je Einwohner in DM

16

Ausgewählte Steuern der Stadtstaaten 1991, je Einwohner in DM

17

Entwicklung der Einkommen- und Körperschaftsteuern in Berlin bis 1995

21

Projektion der Einnahmen und Ausgaben Berlins (Variante I)

24

Projektion der Einnahmen und Ausgaben Berlins (Variante II)

25

Projektion der Einnahmen und Ausgaben des Landes Brandenburg

32

Steuereinnahmen der Länder je Einwohner in vH des Durchschnitts 1991

41

Berechnung der Ergänzungsanteile im Umsatzsteuer-Vorwegausgleich 1995 (Variante I)

44

Veränderung der Steuerkraft durch den Umsatzsteuer-Vorwegausgleich 1995 (Variante I)

45

Wirkungen des Finanzausgleichs i.e.S. im Jahre 1995 (Variante I) .

46

Ergänzungsanteile und Finanzausgleich i.e.S. 1995 in Variante II

50

Ein gemeinsamer Flächenstaat BerlinBrandenburg im Länderfinanzausgleich: Modellrechnung für das Jahr 1995

53

Berlin und Brandenburg im Länderfinanzausgleich: Modellrechnung für das Jahr 2000

55

Ein gemeinsamer Flächenstaat BerlinBrandenburg im Länderfinanzausgleich: Modellrechnung für 2000

58

Berlin und Brandenburg im Länderfinanzausgleich: Alternativrechnung für 1995

61 5

Tabelle 16:

Tabelle 17:

Tabelle 18:

Tabelle 19:

Tabelle 20:

Tabelle 21 : Tabelle 22:

Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25:

Tabelle 26:

Tabelle 27: Tabelle 28:

Tabelle 29: Tabelle 30: 6

Ein gemeinsamer Flächenstaat BerlinBrandenburg im Länderfinanzausgleich: Alternativrechnung für 1995

Seite 62

Berlin und Brandenburg im Länderfinanzausgleich: Alternativrechnung für 2000

63

Ein gemeinsamer Flächenstaat BerlinBrandenburg im Länderfinanzausgleich: Alternativrechnung für 2000

64

Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen 1992 auf die Bundesländer

68

Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen auf die Bundesländer - Modellrechnung für 1995 (Variante I)

69

Finanzkraft und Steueraufkommen Berlins und Brandenburgs in den Modellvarianten

71

Gegenüberstellung der Simulationsergebnisse des Länderfinanzausgleichs und die Auswirkungen auf Berlin und Brandenburg

72

Ausgaben je Einwohner in den westdeutschen Flächenstaaten und Großstädten in DM

83

Personal der Flächen- und Stadtstaaten nach Aufgabenbereichen 1990

87

Schüler je Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in den Stadtstaaten und im Bundesgebiet nach Schularten 1990

89

Erteilte Unterrichtsstunden je Schüler in den Stadtstaaten und im Bundesgebiet an allgemeinbildenden Schulen 1990

. 90

Anteil der ausländischen Schüler in ausgewählten Großstädten und im Bundesgebiet

91

Erteilte Unterrichtsstunden je Schüler an beruflichen Schulen in den Stadtstaaten und im Bundesgebiet

92

Personal, Studenten und Einwohner nach Ländern 1990

93

Kindergarten und Hortplätze in den Stadtstaaten und im Bundesgebiet

94

Tabelle 31:

Schüler, Lehrer und Unterrichtsstunden in Ost-Berlin 1991

Tabelle 32:

Personal des Landes Brandenburg nach Aufgabenbereichen 1991

Seite . 97

98

Tabelle 33:

Kommunales Personal in Brandenburg 1991

Tabelle 34:

Kommunales Personal in ausgewählten Großstädten nach Aufgabenbereichen 1991 Auswirkungen alternativer Höchstbeträge von zu versteuernden Einkommen nach Gemeindegrößenklassen

107

Gemeindliche Steuerkraft 1990 nach Gemeindegrößenklassen und Ländern, DM je Einwohner

109

Hebesatzbereiche nach Gemeindegrößenklassen - Gewerbesteuer 1990

111

Tabelle 38:

Steuerverbund 1992 in den alten Bundesländern

113

Tabelle 39:

Einnahmen und Ausgaben der kreisfreien Städte nach Größenklassen - Pro Kopf der Bevölkerung in DM

119

Einnahmen und Ausgaben der kreisangehörigen Gemeinden nach Größenklassen - Pro Kopf der Bevölkerung in DM

120

Struktur der Zuweisungen der kreisfreien Städte nach Größenklassen in vH

121

Struktur der Zuweisungen in den Haushalten der kreisangehörigen Gemeinden nach Gemeindegrößenklassen in vH

122

Einnahmen eines gemeinsamen Landes BerlinBrandenburg 1995

132

Hypothetische Einnahmen und Ausgaben in einem Kommunalhaushalt Berlin 1995

132

Tabelle 35:

Tabelle 36: Tabelle 37:

Tabelle 40:

Tabelle 41 :

Tabelle 42:

Tabelle 43: Tabelle 44:

Übersicht 1:

Übersicht 2:

Modellrechnungen der Länder zur Reform des Länderfinanzausgleichs - Aufteilung des Transfervolumens auf die alten Länder und den Bund in Mill. DM Sonderbedarfsansätze in den Finanzausgleichsgesetzen der alten Länder

100

102

77 115 7

0

Aufgabenstellung und Vorgehensweise

Durch die deutsche Vereinigung vom 3. Oktober 1990 wurde Berlin auch in der Finanzpolitik vor die größte Herausforderung in seiner Nachkriegsgeschichte gestellt. Mit der Aufhebung der Insellage und dem Wegfall der politischen Sonderrolle werden für Berlin alle finanzpolitischen und haushaltsrechtlichen Besonderheiten, die das Haushaltswesen im Westteil der Stadt in der Zeit der Teilung und Abschnürung vom Umland prägten, fortfallen. Spätestens 1995, wenn Berlin in das bestehende System des Länderfinanzausgleichs einbezogen wird, hat die Stadt - ebenso wie die neuen Länder finanzpolitisch den gleichen Status wie die alten Bundesländer bzw. die Stadtstaaten Hamburg und Bremen. Einschneidende Veränderungen wären die Folge, wenn sich Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Flächenstaat zusammenschließen. Berlin wäre nicht mehr ein eigenständiger Stadtstaat. Es entfiele das "Stadtstaatenprivileg" und damit die besondere Behandlung im Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Auch die auf Berlin entfallenden Landesanteile an den Steuern würden dem gemeinsamen Flächenstaat zufallen. Als Kommune des Landes Brandenburg müßte damit ein erheblicher Teil des Finanzbedarfs aus dem Landeshaushalt gedeckt werden; an eigenen Steuereinnahmen verblieben lediglich der kommunale Einkommensteueranteil, die Grund- und Gewerbesteuer (abzüglich Gewerbesteuerumlage) sowie einige Bagatellsteuern. Die Frage nach den finanziellen Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg liegt auf der Hand. Das DIW wurde im Frühjahr 1992 von der Senatsverwaltung für Finanzen beauftragt, diese Frage zu untersuchen.

Die Untersuchung ist in mehrere Schritte gegliedert:

Ausgangsbasis sind die finanziellen Perspektiven der öffentlichen Haushalte in Berlin und Brandenburg, die sich auf der Basis einer Projektion der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region ableiten lassen. In einem zweiten Schritt wird das bestehende System des Länderfinanzausgleichs skizziert. Es werden sowohl die finanziellen Auswirkungen berechnet, die sich 1995 durch die Einbeziehung der neuen Bundesländer und Berlins in dieses System ergeben, als auch die finanziellen Konsequenzen dargestellt, die eine Vereinigung von Berlin und Brandenburg hätte.

9

Konsequenzen gäbe es auch für die Ausgaben. Um die Dimension der Anpassungsprobleme beider Länder zu verdeutlichen, müssen Informationen über die Ausgabenintensität und M

Versorgungsgrade" in Westdeutschland verarbeitet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß

der Berliner Haushalt auch kommunale Aufgaben erfüllt.

Schließlich gilt es, die Grundzüge der bestehenden Regelungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs darzustellen und Größenordnungen zu schätzen, die Berlin aus dem Haushalt des gemeinsamen Bundeslandes erhielte. Bedeutsam ist dabei, welchen Finanzbedarf eine Kommune in der Größenordnung Berlins reklamieren kann. Auch hier bietet sich ein Vergleich zu Westdeutschland an. Im Gegensatz zum Länderfinanzausgleich, der ein bloßer Steuerkraftausgleich ist, werden im kommunalen Finanzausgleich unterschiedliche, zumeist von der Gemeindegröße abhängige Finanzbedarfe berücksichtigt.

1.

Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen

1.1

Ausgangslage

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist gespalten. Noch immer ist der Prozeß der Zerstörung alter Strukturen in Ostdeutschland im Gange und die Kräfte für einen Neuaufbau sind noch nicht ausreichend mobilisiert. Von dem Zusammenbruch im Osten profitierte bisher der Westen, die Zerstörung dort wirkte hier wie ein Konjunkturprogramm. Dies war möglich, weil die ostdeutsche Nachfrage durch hohe staatliche Transferzahlungen gestützt wurde. Diese Transfers haben nicht nur die Einkommensverhältnisse stabilisiert, sondern legen auch die Grundlagen für den Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur.

Je länger es dauert, bis ein Aufschwung in Ostdeutschland in Gang kommt, um so mehr bleibt die Region auf hohe staatliche Transferzahlungen aus Westdeutschland angewiesen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Finanzpolitik der ostdeutschen Wirtschaft selbst auch Wachstumsimpulse vermitteln und somit den Anpassungsprozeß beschleunigen kann. Zweifelsohne sind eine gute Infrastrukturausstattung und entsprechendes Humankapital unabdingbare Voraussetzung für die Schaffung wettbewerbsfähiger Strukturen. Hierzu sind aber riesige Finanzvolumina erforderlich. Und die Perspektive, daß der Bedarf an öffentlichen Transfers von West nach Ost noch längere Zeit hoch sein wird, schafft zunehmend Akzeptanzprobleme, sowohl beim Steuerbürger wie auch auf den einzelnen Haushaltsebenen.

Aufgrund der besonderen Lage Berlins treten in dieser Stadt die wirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Anpassungsprobleme zwischen West und Ost noch viel schärfer zutage. Andererseits sind die Chancen groß, daß die Stadt ökonomisch und auch sozial schneller zusammenwächst als die beiden Teile Deutschlands. Nach dem Fall der Mauer war die wirtschaftliche Entwicklung auch in den beiden Teilen Berlins höchst verschieden. Insbesondere die Ost-Berliner Industrie hat es sehr schwer mit der wirtschaftlichen Umstrukturierung; nach dem dramatischen Einbruch 1990 stagniert die Produktion auf sehr niedrigem Niveau. Die Wirtschaftskraft in Ost-Berlin beträgt - pro Kopf gerechnet - nur 40 vH der West-Berlins1. Hingegen zog die Wirtschaft im Westteil der Stadt in überdurchschnittlichem Maße Nutzen von der Nachfrage nicht nur aus dem Ostteil der Stadt, sondern auch aus den neuen Bundes1

Vgl. Grundlinien der wirtschaftlichen Entwicklung in Berlin 1991/92. Bearb.: Karl Brenke. In: Wochenbericht des DIW,

Nr. 15/1992.

11

ländern. Für 1992 wird davon ausgegangen, daß sich die Wirtschaft in beiden Teilen nicht mehr entgegengesetzt entwickeln wird - in Anbetracht des niedrigen Niveaus in Ost-Berlin eine unbefriedigende Perspektive.

Aufgrund der besonderen Situation Berlins ist auch der Landeshaushalt unter extremen Anpassungsdruck geraten. Mit der Vereinigung haben sich die finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen schlagartig verschlechtert. Die Finanzlage der Stadt spitzt sich dramatisch zu. Der erste gemeinsame Haushalt beider Stadthälften für das Jahr 1991 - der Finanzbedarf Ost-Berlins wurde in einem Nachtragshaushalt berücksichtigt - Schloß mit einem Defizit von 3 1/2 Mrd. DM ab. Im Jahre 1989 wies der Haushalt eine Lücke von 1 Mrd. DM auf, 1990 waren es 1,6 Mrd. DM. Ähnlich prekär ist die Finanzlage des Landes Brandenburg: Im Jahre 1991 belief sich das Haushaltsdefizit auf 2,5 Mrd. DM. Einerseits sind riesige Summen zum Aufbau der Verwaltung und Infrastruktureinrichtungen erforderlich; andererseits fließen wegen der geringen Wirtschaftskraft die Steuereinnahmen nur spärlich. Wie im Berliner Haushalt haben auch hier die externen Hilfen, vor allem aus dem Fonds "Deutsche Einheit", ein viel höheres Gewicht als die eigenen Steuereinnahmen. Da diese Hilfen degressiv gestaffelt sind, hängt die Finanzierung der Ausgaben in Zukunft zwangsläufig stärker von den Steuereinnahmen ab. Höhe und Entwicklung des Steueraufkommens sind eng an die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die wirtschaftlichen Perspektiven der Region gekoppelt.

1.2

Perspektiven

Die Bedingungen für die wirtschaftliche und räumliche Entwicklung haben sich für Berlin auch insofern grundlegend verändert, als nunmehr das Umland in die unternehmerischen und wirtschaftspolitischen Entscheidungen einbezogen werden muß. In Berlin selbst werden sich vermehrt Finanzund Dienstleistungsunternehmen ansiedeln. Der Nachfrageboom nach Büroflächen wird Betriebe des produzierenden Gewerbes an den Rand des Ballungsraumes verdrängen und neue Industrieansiedlungen werden sich auf das Umland konzentrieren; verstärkt wird dieser Effekt durch das Auslaufen der Berlinförderung. Vieles spricht dafür, daß Berlin bis zur Jahrtausendwende einen Prozeß nachholen wird, der sich anderswo als "Suburbanisierungsprozeß" bereits vollzogen hat2. In diesem Prozeß wird

2

Vgl. Großraum Berlin - Strukturen, Chancen, Risiken. Bearb.: Hans Heuer. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 22/1990; Hans Heuer: Der Großraum Berlin. In: Hubertus Moser (Hrsg.): Berlin-Report, Wiesbaden 1992.

12

es - analog zu der Entwicklung zwischen Kernstädten und dem Umland in westlichen Ballungsgebieten - zu engen, arbeitsteiligen Verflechtungen zwischen Berlin und Brandenburg kommen, wobei Brandenburg von der wirtschaftlichen Dynamik Berlins profitieren dürfte. Gleichwohl wird es einige Zeit brauchen, bis die Verflechtungen Berlins mit dem Umland ähnlich intensiv sind wie in anderen Ballungsräumen. Noch gibt es zwischen Berlin und seiner Umgebung historisch bedingte Barrieren, und zwar nicht nur im Westteil, sondern auch in Ost-Berlin: West-Berlin war es verwehrt, nach außen zu expandieren, während Ost-Berlin wuchs und das Umland stagnierte?. Doch arbeiten bereits jetzt etwa 50 000 Pendler aus der näheren und weiteren Umgebung in Berlin.

Die Wirtschaft der Region entwickelt sich nicht unabhängig von der Gesamtwirtschaft - im Gegenteil. Denn das Wirtschaftswachstum einer Region ist auch - ja vor allem - abhängig vom Wachstum der Volkswirtschaft, in die sie eingebettet ist. Will man die ökonomischen Perspektiven der Region Berlin-Brandenburg abschätzen, muß man sich zunächst mit den gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten in West- und Ostdeutschland auseinandersetzen. Angesichts des wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs in Ostdeutschland ist eine bis in die Mitte oder gar bis an das Ende der 90er Jahre reichende gesamtwirtschaftliche Projektion nur unter großen Vorbehalten möglich. Schon der Begriff "Projektion" scheint unter diesen Umständen verfehlt, zutreffender wäre die Bezeichnung "Modellrechnung". Das DIW hat bisher lediglich in Form von alternativen Entwicklungspfaden aufgezeigt, mit welchen Raten die ostdeutsche Produktion wachsen muß, wenn innerhalb bestimmter Fristen das westdeutsche Pro-Kopf-Niveau erreicht werden soll4. Unter welchen Bedingungen ein wirtschaftlicher Aufholprozeß einsetzen wird, blieb dabei ausgeklammert. Eine Bewertung der künftigen Perspektiven hängt entscheidend davon ab, in welchem Umfang westdeutsche Unternehmen in Ostdeutschland investieren. Den ostdeutschen Unternehmen fehlen wegen der schlechten Ertragssituation die Mittel hierfür. Ein Teil der - noch nicht privatisierten Unternehmen produziert auch deshalb Verluste, weil die Lohnzuwächse die Entlastung auf der Kostenseite infolge freisetzungsbedingter Produktivitätssprünge überkompensieren. In welchem Maße die Investitionstätigkeit für wirtschaftliche Entwicklung von Bedeutung ist, zeigt ein Szenario, das von 3

Karl Brenke und Kurt Geppert: Die Wirtschaft im Räume Berlin. In: Hubertus Moser (Hrsg.): Berlin-Report, a.a.O., S.

90. 4

Eine Modellrechnung zur wirtschaftlichen Angleichung zwischen West- und Ostdeutschland. Bearb.: Wolfgang Scheremet. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 7/1992.

13

einer unterschiedlich starken Investitionstätigkeit westlicher Unternehmen in Ostdeutschland ausgeht5. Das Tempo des wirtschaftlichen Gesundungsprozesses variiert in dieser Modellrechnung bis zum Jahre 2000 erheblich. In dem einen Falle steigt die reale Produktion nur um etwa 6 vH, im zweiten Szenario um immerhin 10 vH pro Jahr. Die Dauer der Anpassung an westdeutsche Verhältnisse wäre selbst in dem optimistischeren Szenario mit mindestens 15 Jahren zu veranschlagen. Die Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums über die ökonomische Entwicklung der neuen Bundesländer, die bis zum Jahre 1996 reichen und der mittelfristigen Steuerschätzung zugrunde liegen, bewegen sich im Rahmen der optimistischen Variante des DIW-Diskussionspapiers6. Von Bedeutung für die Schätzung des Steueraufkommens sind allerdings nicht nur die realen Größen, sondern auch die in jeweiligen Preisen gemessenen Raten. Die Berechnungen des DIW-Papiers fußen nur auf realen Werten, die Entwicklung des Preisniveaus bleibt außer Betracht. In der Projektion des Bundeswirtschaftsministeriums expandiert der nominale private Verbrauch mit mehr als 15 vH im Jahresdurchschnitt, während der Anstieg der Bruttolohn- und -gehaltsumme mit 13 1/2 vH pro Jahr veranschlagt wird. Die Bruttolohn- und -gehaltssume ist die Schätzbasis für die aufkommenstarke Lohnsteuer, der private Verbrauch die Grundlage für die Schätzung des Aufkommens an Umsatzsteuern. Für Westdeutschland rechnet das DIW-Diskussionspapier bis zum Jahre 2000 mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 2,3 vH. Nur geringfügig höher ist die Rate, die der gesamtwirtschaftlichen Projektion des Bundeswirtschaftsministeriums zugrunde liegt. Die Bruttolohn- und -gehaltsumme schlägt in der BMWi-Rechnung mit 5 1/2 vH pro Jahr zu Buche, wobei die Zahl der Beschäftigten in Westdeutschland jährlich um 1 vH steigen soll. Für den privaten Verbrauch wird ein nominaler Zuwachs von 5 1/2 vH jährlich unterstellt. Im Westteil der Stadt hat die wirtschaftliche Leistung nach 1989 kräftiger expandiert als im Durchschnitt der alten Bundesländer. Viele Aspekte - vor allem die Sekundäreffekte der Hauptstadtfunktion, die Funktion Berlins als Metropole Ostdeutschlands, der Ausbau Berlins zum Knotenpunkt im WestOst- und Nord-Süd-Verkehr, Berlin als Ort für die Vorbereitung und Abwicklung des Handels mit den osteuropäischen Ländern7 - sprechen dafür, daß auch in den nächsten Jahren das Wachstum

5 Vgl. Martin Gomig: Szenarien der Wirtschaflsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2000. In: DIW-Diskussionspapiere, Nr. 46, Berlin 1992.

14

6

Vgl. Bundesministerium der Finanzen: Finanzbericht 1993,

7

Vgl. Karl Brenke und Kurt Geppeit: Die Wirtschaft im Raum Berlin, a.a.O., S. 94f.

höher sein wird. Eine jährliche Rate des realen Bruttoinlandprodukts von 3,5 vH bis 4 vH scheint keine unrealistische Perspektive zu sein. Unter diesen Umständen könnte die Zahl der Beschäftigten jährlich um 2 vH und die Einkommen je Beschäftigten um etwa 5 vH pro Jahr steigen. Auch in OstBerlin kann - gemessen an der Projektion für Ostdeutschland - mit einer etwas günstigeren Entwicklung gerechnet werden. Gleichwohl dürfte im Jahre 1995 die Zahl derjenigen, die in Ost-Berliner Betriebsstätten arbeiten, geringer sein als heute, auch wenn das Arbeitsvolumen steigt; es werden dann erheblich weniger Personen als Kurzarbeiter registriert sein oder an Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen. Für die Jahre nach 1995 wird ein Anstieg der Bruttolohn- und -gehaltsumme in Berlin von knapp 7 vH (Variante I) bzw. knapp 9 vH (Variante II) angenommen.

Für das Land Brandenburg wird das gleiche Tempo in der wirtschaftlichen Entwicklung wie für Ostdeutschland unterstellt. Im Berliner Umland dürften die von der Stadt ausgehenden Impulse überdurchschnittliche Wachstumseffekte bewirken, während in den Randregionen die Wirtschaft wohl etwas langsamer voranschreiten wird. Orientiert man sich an den gesamtwirtschaftlichen Eckwerten der Bundesregierung, kann mit einem Anstieg der Bruttolohn- und -gehaltsumme je beschäftigten Arbeitnehmer um 15 vH und insgesamt um 13 1/2 vH pro Jahr gerechnet werden.

15

2.

Die finanziellen Perspektiven Berlins und Brandenburgs

2.1

Der Berliner Haushalt

2.1.1

Strukturelle Besonderheiten

Die Vereinigung der beiden Stadthälften hat nachhaltige Konsequenzen für den Berliner Haushalt. Enorme Aufwendungen sind notwendig, um die öffentliche Infrastruktur im Ostteil der Stadt an das westliche Niveau heranzuführen; schon der Unterhalt des Bestehenden verschlingt Milliarden. Doch kontrastiert der Finanzbedarf mit der Finanzkraft Berlins. Ob ein finanzielles Gleichgewicht erreicht werden kann, hängt vor allem davon ab, in welchem Umfang Einsparungen vorgenommen werden können. Als Hypothek wirkt das hohe Ausgabenniveau, das der West-Berliner Haushalt im Laufe der Zeit erreicht hat. Von der Einnahmenseite wird nur sehr bedingt Entlastung kommen können, denn auf die Höhe seiner Einnahmen kann ein Stadtstaat nur in engen Grenzen Einfluß nehmen.

Immerhin waren in West-Berlin bislang die Ausgaben je Kopf der Bevölkerung um ein Drittel bzw. ein Viertel höher als in den anderen Stadtstaaten (Tabelle 1). Die Unterschiede resultieren einmal daraus, daß in der Vergangenheit durch eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur die Attraktivität der Stadt erhöht und die Nachteile der geopolitischen Lage ausgeglichen werden sollten; die investiven Ausgaben waren allerdings in den letzten Jahren niedriger als in den beiden anderen Stadtstaaten. Höhere Belastungen als anderswo ergeben sich auch durch die ungünstige Sozialstruktur der Bevölkerung sowie dadurch, daß die Berliner Universitäten erhebliche Ausbildungsleistungen für das übrige Bundesgebiet erbringen. Vor allem aber ist die Verwaltung personell übermäßig stark besetzt. Tabelle 1 Ausgaben der Stadtstaaten 1990 je Einwohner in DM

Ausgaben insgesamt1 dar.: Personalausgaben Lfd. Transfers an Dritte Schuldendiensthilfen Zinsausgaben Sachinvestitionen 1

Hamburg

Bremen

Berlin(West)

8 760

9 320

11 740

3 730 1 650 140 790 580

3 660 1 350 10 1 350 860

4 360 1 840 490 380 500

Ohne Krankenhäuser mit kaufm. Rechnungswesen. Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW. 16

Gegenüber den Haushalten der Flächenstaaten weist der Berliner Haushalt einige strukturelle Besonderheiten auf. Sie resultieren einmal aus dem Status eines Stadtstaates: Stadtstaaten nehmen nicht nur Landesaufgaben, sondern auch kommunale Aufgaben wahr; dies wirkt sich auf die Finanzmittelverteilung aus. Zum anderen blieb Berlin aufgrund der besonderen politischen Lage von dem horizontalen Finanzausgleich ebenso ausgeklammert wie von den Ergänzungszuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder. Zur Erfüllung seiner Aufgaben und auch zur Auffüllung seiner Einnahmen - die breite Förderung der wirtschaftlichen Aktivitäten in der Stadt bescherte dem Landeshaushalt beträchtliche Einnahmenverluste - erhielt Berlin in immer größerem Umfang Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt; im Jahre 1990 wurden reichlich die Hälfte der Landesausgaben über Bundeszuschüsse finanziert. Ob und in welchem Maße dieser hohe Finanzierungsanteil dazu geführt hat, daß die Ausgaben in Berlin "überhöht" erscheinen, kann hier nicht untersucht werden.

Die soeben angesprochenen Besonderheiten wirken natürlich auch auf der Einnahmenseite. So blieb bisher die Steuerkraft im Westteil der Stadt weit hinter Hamburg und auch Bremen zurück (Tabelle 2). Der Abstand ist Reflex der schwierigen wirtschaftlichen Entwicklungsbedingungen in der Vergangenheit sowie Folge der vielfältigen Steuerverzichte im Rahmen der Berlinforderung, die der Landeshaushalt entsprechend seinen Anteilen an der Einkommen- und Körperschaftsteuer hinnehmen mußte. Die Differenzen bei der Gewerbesteuer und den Grundsteuern resultieren auch aus den niedrigen Hebesätzen in Berlin.

Tabelle 2

Ausgewählte Steuern der Stadtstaaten 1991 je Einwohner in DM

Lohnsteuer Veranl. Einkommensteuer Nichtveranl. Steuern vom Ertrag* Körperschaftsteuer Grundsteuern Gewerbesteuern (brutto)

Hamburg

Bremen

Berlin (West)

2 393 723 207 473 243 1 203

1 812 443 59 372 249 782

1 172 175 159 83 121 469

* Die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag (Kapitalertragsteuer) sind eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer. Quelle: Statistisches Bundesamt.

17

Trotz des höheren Ausgabenniveaus weist Berlin eine vergleichsweise günstige Schuldenposition auf. Ende 1990 war das Land zwar mit fast 8 600 DM je Einwohner verschuldet, in Hamburg waren es aber 11 800 DM und in Bremen sogar 21 900 DM. Nimmt man nur die Schulden aus Kreditmarktmitteln, so vergrößert sich der Abstand noch. Im Vergleich zu Hamburg und Bremen ist Berlin sehr viel stärker beim Bund verschuldet: Diese Kredite sind mit einer langen Laufzeit und niedrigen Zinsen ausgestattet und wurden zum Wiederaufbau der Stadt eingesetzt. Allerdings können die Verschuldung des Berliner Haushalts und die daraus resultierenden Belastungen nicht allein anhand der unmittelbaren Schulden, wie sie in der Statistik ausgewiesen sind, beurteilt werden. Vielmehr muß auch - ein Sonderproblem Berlins - die "mittelbare Verschuldung" Berlins im Zusammenhang mit der Wohnungsbauförderung berücksichtigt werden; im Vergleich zu allen anderen Ländern weist Berlin außergewöhnlich hohe Finanzvolumina im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus aus. Seit Umstellung der Wohnungsbauforderung nehmen die Bauherren selbst Mittel auf den Kapitalmärkten auf, die sie auch bedienen. Vom Land Berlin erhalten sie als Ausgleich langfristige Annuitäts- bzw. Aufwendungshilfen, sie sind finanzwirtschaftlich ähnlich zu behandeln wie Zinslasten. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Finanzen hat Berlin mit der Umstellung des Fördersystems im Zeitraum 1969 bis 1991 eine unmittelbare Beanspruchung der Kapitalmärkte in Höhe von 28,7 Mrd. DM, also 13 300 DM je Einwohner, "vermieden". Die Schuldendiensthilfen - gegenwärtig 2,2 Mrd. DM pro Jahr - werden in der Finanzstatistik als laufende Transfers an Unternehmen verbucht.

2.1.2

Haushaltsentwicklung 1991

Der Haushaltsfehlbetrag Berlins war 1991 mit 3 1/2 Mrd. DM erheblich kleiner als geplant, für Berliner Verhältnisse dennoch ungewöhnlich hoch. Er resultierte in erster Linie aus der geringen Steuerkraft in Ost-Berlin und dem relativ hohen Finanzbedarf im Ostteil der Stadt. Ein Vergleich der Steuern vom Einkommen und der Körperschaftsteuer je Einwohner verdeutlicht das Steuerkraftgefälle:

West-Berlin Lohnsteuer veranl. Einkommensteuer nicht-veranl. Steuern vom Ertrag Körperschaftsteuer

18

Ost-Berlin

1 172 175

562 23

159 83

126

11

Auffällig ist das relativ hohe Körperschaftsteueraufkommen in Ost-Berlin. Das liegt zum Teil daran, daß die Betriebe dort 1991 noch keine Investitionszulagen beantragt hatten. Das niedrige Ergebnis in West-Berlin ist dagegen Folge davon, daß in überdurchschnittlich hohem Maße Zulagen ausgezahlt worden sind, was auch mit dem Auslaufen der Berlinforderung zusammenhängt. Von größerer Bedeutung als die Steuern waren für Ost-Berlin die Mittel aus dem Fonds "Deutsche Einheit", die immerhin über 2 100 DM je Einwohner ausmachten. Auch aus anderen Töpfen flössen erhebliche Mittel in den Ostteil der Stadt: Aus dem "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" standen 300 DM je Einwohner als Soforthilfe für kommunale Investitionen zur Verfügung und aus der zusätzlichen Bundeshilfe für Ost-Berlin nochmals 750 DM je Einwohner. Während die Mittel aus dem Fonds "Deutsche Einheit" bis 1994 befristet (aber degressiv gestaffelt) sind, handelte es sich bei der Sofort- und bei der zusätzlichen Bundeshilfe um einmalige Zahlungen.

Eine Trennung der Ausgaben des Berliner Landeshaushalts im Jahre 1991 in einen West- und einen Ostteil ist nur mit Hilfe umfangreicher Schätzungen möglich. Einen Anhaltspunkt liefert die Haushaltsplanung des letzten Jahres, als für den Finanzbedarf im Ostteil der Stadt ein Nachtragshaushalt von 10 Mrd. DM aufgestellt wurde. Unterstellt man, daß diese Mittel in voller Höhe abgeflossen sind, so wurden in Ost-Berlin fast 8 000 DM je Einwohner an Haushaltsmitteln des Landes ausgegeben, während es im Westteil 12 000 DM waren. In der Summe wurden die Haushaltsansätze beträchtlich - um immerhin 2 1/2 Mrd. DM - unterschritten, so daß der Finanzierungssaldo nicht knapp 6 Mrd. DM, sondern weniger als 3 1/2 Mrd. DM betrug.

Die Ausgaben blieben wohl auch deshalb hinter den Ansätzen zurück, weil die Unsicherheiten bei der Planaufstellung für Ost-Berlin naturgemäß sehr groß waren. Beispiele hierfür sind die Subventionen an die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und an die Ver- und Entsorgungsunternehmen; auch war unklar, wieviele soziale Einrichtungen letztlich unterstützt werden mußten. Unterschritten wurden auch die Ansätze für die Investitionsausgaben, vor allem deswegen, weil wegen eines unzureichenden Planungsvorlaufs und anderer administrativer Hemmnisse nicht alle Vorhaben realisiert werden konnten. Hingegen sind die Personalkostenansätze wohl etwas überschritten worden. Das Land hat im Ostteil einen überdimensionierten Personalstand übernommen, so im schulischen Bereich und auch dadurch, daß für Einrichtungen, die ehemals volkseigenen Betrieben gehörten, noch kein anderer Träger gefunden wurde.

19

2.1.3

Mittelfristige Perspektiven

Die ohnedies prekäre Finanzlage Berlins wird sich auf mittlere Sicht weiter verschlechtern, die Deckungslücken im Haushalt werden gewaltig steigen. Und dies, obwohl die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen günstig gesetzt sind und kräftige Steigerungen bei den Steuereinnahmen erwartet werden können. Wie sehr die finanzwirtschaftlichen Perspektiven von den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängen, soll anhand von zwei Varianten für die Entwicklung des Steueraufkommens gezeigt werden.

In Variante I wird angenommen, daß die West-Berliner Wirtschaft mit der gleichen Rate wie die westdeutsche und die Ost-Berliner Wirtschaft im gleichen Tempo wie die ostdeutsche wachsen. Dieses Szenario entspricht etwa dem regionalisierten Ergebnis der mittelfristigen Steuerschätzung vom Mai 1992. Variante II basiert auf den günstigeren Annahmen über das Wirtschaftswachstum der Stadt. Wegen der sehr unterschiedlichen ökonomischen Ausgangsbedingungen in den beiden Stadthälften wird das Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer für West- und Ost-Berlin getrennt geschätzt (Tabelle 3).

Mit Abstand wichtigste Steuer ist die Lohnsteuer. Ihre Entwicklung wird von der Progressionswirkung des Steuertarifs sowie von dem Einkommens- und Beschäftigungsverlauf geprägt. Bei einem jährlichen Anstieg der Bruttolohn- und gehaltsumme um 7,5 vH in West-Berlin und einer Aufkommenselastizität8 von 1,75 errechnet sich in Variante II ein Zuwachs der Lohnsteuereinnahmen um 13 vH pro Jahr; in der Variante I beträgt die jährliche Rate 10 vH. Berücksichtigt werden muß in beiden Varianten, daß in den nächsten Jahren vermehrt Steuerpflichtige ins Umland abwandern werden, die Zahl der Einpendler also zunehmen wird. Da die regionale Verteilung der Lohnsteuer gemäß dem Wohnsitzprinzip erfolgt, würde somit der dem Berliner Haushalt verbleibende Teil an Lohnsteuereinnahmen kleiner. In beiden Varianten ist auch unterstellt, daß sich im Zuge des raschen strukturellen Wandels die Zahl der qualifizierten Arbeitsplätze erhöhen wird, was sich positiv auf das Steueraufkommen auswirken dürfte. Zu kräftigen Mehreinnahmen kommt es infolge des Abbaus der Arbeitnehmerzulage. An ihnen ist der Landeshaushalt mit 57,5 vH beteiligt; dies ist die Quote, die dem Stadtstaat an den Lohn- und Einkommensteuern zusteht. 1991 betrug der Steuerausfall aufgrund dieser Zulage 3,4 Mrd. DM; davon mußte der Berliner Haushalt knapp 2 Mrd. DM tragen. Bis 1995 wird diese Vergünstigung schrittweise abgebaut: 1992 muß der Berliner Haushalt noch Minder8

Diese Elastizität ist definiert als die prozentuale Veränderung der Lohnsteuereinnahmen im Verhältnis zur prozentualen Veränderung der Bruttolohn- und gehaltsumme.

20

Tabelle 3

Entwicklung der Einkommen· und Körperschaftsteuem in Berlin bis 1995 Mrd. DM

Ost-Berlin

West-Berlin 1991

1992

1993

1994

1995

1991

1992

1993

1994

1995

1,79 405

2,11 405

Variante I Lohnsteuer Veranlagte Einkommensteuer Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag Körperschaftsteuer

2,53 438

3,47 0,57

4,20 0,66

5,10 0,80

6,10 0,85

472 0,03

1,06 0,01

1,45

435 0,20

0,21