Fides caritate formata: Das Verhältnis von Glaube und Liebe in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin 9783666563423, 9783525563427

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Fides caritate formata: Das Verhältnis von Glaube und Liebe in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin
 9783666563423, 9783525563427

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz

Band 112

Vandenhoeck & Ruprecht

Miriam Rose

Fides caritate formata Das Verhältnis von Glaube und Liebe in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56342-7

© 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: b Hubert & Co., Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Inhalt Inhalt Vorwort ................................................................................. .................

9

Einleitung ...............................................................................................

11

1. Die Summa Theologiae. Vorklärungen ..............................................

19

1.1 Entstehung und Wirkungsgeschichte der Summa Theologiae ... .

19

1.2 Aufbau der Summa Theologiae ....................................................

21

1.3 Kohärenz der Summa Theologiae ................................................

30

1.4 Schlussfolgerungen für die Interpretation ...................................

39

2. Die Summa Theologiae im Überblick ................................................

41

2.1 Gott als Ursprung und Ziel ....................................................... 2.1.1 Gottes Wesen ................................................................... 2.1.2 Gottes Liebe ...................................................................... 2.1.3 Gottes trinitarisches Sein .................................................. 2.1.4 Gott der Schöpfer .............................................................. 2.1.5 Gott als Ziel.......................................................................

41 41 49 52 56 59

2.2 Der geschaffene Mensch als Ebenbild Gottes ...........................

63

2.3 Das Erkennen des Menschen .....................................................

68

2.4 Das Streben des Menschen ....................................................... 2.4.1 Der Wille........................................................................... 2.4.2 Die menschlichen Leidenschaften ....................................

76 76 91

2.5 Die menschliche Freiheit und das menschliche Handeln ..........

97

2.6 Die Tugenden ............................................................................. 104 2.7 Die Sünde und das Gesetz ......................................................... 112 2.8 Die Gnade ................................................................................. 2.8.1 Die Notwendigkeit der Gnade ......................................... 2.8.2 Das Wesen der Gnade ....................................................... 2.8.3 Die Konstitution der Gnade .............................................. 2.8.4 Einteilung der Gnade ....................................................... 2.8.5 Die Rechtfertigung des Sünders .......................................

121 122 124 128 130 132

6

Inhalt

2.8.6 Gnade und Verdienst ........................................................ 137 2.8.7 Die theologischen Tugenden ............................................ 139 2.8.8 Die Gaben des Hl. Geistes ................................................ 142 2.9 Christus, die Kirche und die Sakramente .................................. 144 3. Glaube ................................................................................................. 153 3.1 Forschungsperspektiven............................................................. 153 3.2 Vorüberlegungen........................................................................ 159 3.3 Der Gegenstand des Glaubens ................................................... 163 3.4 Der Akt des Glaubens ................................................................ 3.4.1 Der innere Glaubensakt .................................................... 3.4.2 Wille und Verstand im Glaubensakt ................................ 3.4.3 Der äußere Glaubensakt .................................................... 3.4.4 Die Heilsnotwendigkeit des Glaubens ..............................

168 168 170 178 179

3.5 Glaube als Tugend .................................................................... 183 3.6 Das Subjekt des Glaubens.......................................................... 188 3.7 Die Gaben der Einsicht und der Wissenschaft .......................... 190 3.8 Die Gewissheit und die Ursache des Glaubens.......................... 194 3.9 Theologie, Glaube und Wissen .................................................. 198 3.10 Unglaube, Häresie und Gotteslästerung..................................... 200 3.11 Die Bedeutung der Liebe für den Glauben ................................ 3.11.1 Die Liebe als Form des Glaubens ................................... 3.11.2 Der unbeformte Glaube .................................................. 3.11.3 Die guten Werke des Glaubenden ..................................

206 206 211 214

4. Hoffnung............................................................................................. 219 4.1 Gegenstand, Akt und Subjekt der Hoffnung.............................. 219 4.2 Die Hoffnung als theologische Tugend ..................................... 220 4.3 Die Gewissheit der Hoffnung .................................................... 222 5. Liebe ................................................................................................... 225 5.1 Forschungsperspektiven............................................................. 225 5.2 Die Liebe als theologische Tugend der caritas .......................... 228 5.3 Der Akt und das Subjekt der caritas ......................................... 238 5.4 Gegenstand und Ordnung der caritas ......................................... 242 5.5 Die Wirkung der caritas ............................................................. 251

Inhalt

7

5.6 Freundschaft als Bestandteil der Gerechtigkeit ......................... 257 5.7 Die Gabe der Weisheit ............................................................... 257 5.8 Liebesgebote und Sünden gegen die Liebe ............................... 260 6. Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe ................................... 265 6.1 Die Pluralität von Verhältnisbestimmungen ............................. 265 6.1.1 Theorie der Verhältnisbestimmung .................................. 265 6.1.2 Detailanalysen................................................................... 267 6.2 Das handlungstheoretische Paradigma ...................................... 6.2.1 Der Ausdruck ‚fides caritate formata‘ .............................. 6.2.2 Zusammenfassende Thesen ............................................. 6.2.3 Rechtfertigungstheologische Konsequenzen .................... 6.2.4 Evangelische Rezeption der ‚fides caritate formata‘ ........

273 273 275 277 278

6.3 Das Freundschaftsparadigma ..................................................... 284 6.4 Freundschaft als reale Relation zwischen Gott und Mensch ..... 286 Literatur................................................................................................... 288

Vorwort

Die vorliegende Studie stellt die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die an der Münchener Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zum Wintersemester 2004/5 eingereicht wurde. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Gunther Wenz danke ich für die außergewöhnliche Freiheit und all das, was ich als seine Assistentin von ihm lernen durfte. Prof. Dr. Jan Rohls gebührt Dank für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens. Für die intensive Förderung während meines Studiums möchte ich Prof. Dr. Wilfried Härle meine bleibende Dankbarkeit ausdrücken. Den Herausgebern der Reihe und dem Verlag ist zu danken für die Aufnahme in diese Reihe. Außerdem sei der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanzielle Förderung während meines Studiums und der Hanns-Seidel-Stiftung für die anfängliche Förderung meines Promotionsstudiums gedankt. Der Münchner Universitätsgesellschaft schulde ich Dank für den Promotionspreis, der dieser Arbeit 2005 verliehen wurde. Meinen Eltern und meinem Bruder David sei innig Dank gesagt für liebevolle Unterstützung. Lebendiges Denken bildet sich in Begegnungen. Für freundschaftliche Nähe und geistigen Austausch danke ich Andreas Kuhn, Antje Fetzer, Christine Kuhn, Franz Domaschke, Friedrich Hermanni, Inge Klauser, Jörg Schneider, Manfred Pohlenz, Martin Arneth, Thomas Schärtl und Tim Lorentzen. Gewidmet sei diese Arbeit den Freunden.

München, 7. März 2006

Miriam Rose

Einleitung

Zum Verhältnis von Glaube und Liebe bei Thomas von Aquin stellen sich vier grundlegende Probleme. 1. Das rechtfertigungstheologische Problem Der Ausdruck „fides caritate formata“ hat zunächst eine rechtfertigungstheologische Bedeutung und besagt, dass nur der durch die Liebe geformte Glaube rechtfertigt. In der konfessionellen Auseinandersetzung konzentrierte sich die evangelische Theologie auf diese Grundaussage des Thomas. Der fides caritate formata stellte man reformatorisch das sola fide als kontradiktorisch gegenüber. Inzwischen ist auch auf evangelischer Seite klar, dass die thomasische Formel nicht bedeutet, dass nur Glaube und Werke der Liebe zusammen rechtfertigen. Wenn nicht Werke, was dann muss zum Glauben dazukommen, damit er rechtfertigt? 2. Das epistemische Problem Glauben heißt für Thomas, mit Zustimmung zu denken. Die Zustimmung des Verstandes zu den Glaubensinhalten geschieht aufgrund des Befehls durch den Willen, genauer durch die Liebe zu Gott (caritas), nicht aber aufgrund von eigener Einsicht des Verstandes. Wird dadurch das Wahrheitsverhältnis des Verstandes desavouiert, Wahrheitseinsicht durch Autoritätsgehorsam ersetzt? 3. Das willenstheoretische Problem Der Wille befiehlt die Zustimmung des Verstandes, weil der Wille durch Eingießung der Gnade mit dem Habitus der caritas vervollkommnet wurde. Ebenso empfängt der Verstand die Tugend des Glaubens. Während als Tugenden Glaube und Liebe in einem und gleichzeitig eingegossen werden, folgen ihre Akte aufeinander: zuerst glauben, dann hoffen und lieben; denn nichts kann geliebt werden, was nicht erkannt ist. Wie kann der Glaubensakt sich einerseits einem Willensakt der caritas verdanken, andererseits für einen solchen selbst die Voraussetzung bilden? 4. Das theo-logische Problem Thomas versteht die caritas als gegenseitige Freundschaft mit Gott, die durch Gott konstituiert wird. Wie kann ein streng gefassten Gottesbegriff Gott wirklich als Liebenden denken? Wie soll reale Gegenseitigkeit der Freundschaft zwischen Gott und Mensch ausgesagt werden? Solche Einwände bringt Thomas von Aquin auf den Begriff in seiner Lehre von der Relation zwischen Gott und Schöpfung.

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Einleitung

Alle Relationen Gottes zur Welt sind rein gedankliche, während die Relationen der Welt zur Gott reale Relationen sind. Rein gedankliche Relationen unterscheiden sich von realen dadurch, dass das Relat in keiner Weise durch die Relation bestimmt wird. Bei realen Relationen dagegen wird das Relat durch die Relation real bestimmt, so wie bei Beziehungen zwischen Bewegendem und Bewegtem, zwischen Vater und Sohn. Wird Gott als reine Vollkommenheit, als actus purus gedacht, dann kann er nicht von etwas anderem als ihm selbst bestimmt werden, in dieser Hinsicht kann er keine reale Relation zur Welt haben. Von Gottes Liebe als realer Liebe und Freundschaft Gottes zum Menschen theologisch zu sprechen wird also schwierig. Trotzdem bezeichnet Thomas die Liebe als den Inbegriff der heilvollen Beziehung zwischen Gott und Mensch, mit den Merkmalen: Gegenseitigkeit der Liebe und Gemeinsamkeit im Lieben. In der Arbeit soll gezeigt werden, wie Thomas einen Begriff von Freundschaft zwischen Gott und Mensch entwickelt, der den skizzierten Schwierigkeiten gerecht wird. Die vier genannten Problemstellungen zum Verhältnis von Glaube und Liebe hängen dergestalt zusammen, dass die rechtfertigungstheologische Frage nur zu beantworten ist, wenn das epistemische und das willenstheoretische Problem gelöst sind. Während die Klärung des theo-logischen Problems die Bestimmung der drei erstgenannten Themen voraussetzt. Nach dem präzisen Verhältnis von Glaube und Liebe bei Thomas zu fragen, entspricht der thomasischen Problemstellung, weil Thomas selbst an vielen Stellen seiner Summa Theologiae explizit sich dieser Frage zuwendet. Darüber hinaus erweisen sich Verhältnisbestimmungen nur dann als sinnvoll, wenn das, was ins Verhältnis gesetzt wird, auch in einem Verhältnis steht. Glaube und Liebe stehen bei Thomas tatsächlich in einem ihnen wesentlichem Verhältnis, weil beiden Größen das Verhältnis nochmal intern ist. Das, was Glaube ist, kann für Thomas nur bestimmt werden innerhalb des Verhältnisses zur Liebe, und Liebe kann nur erfasst werden, wenn ihr Bezug zum Glauben geklärt ist. Zur sinnvollen Behandlung des Themas gehört notwendig auch ein Bewusstsein der Wirkungsgeschichte des Thomas von Aquin: „Jetzt reden sie miteinander, die Theologen, und haben dazu ihren hauseigenen Stallgeruch ökumenisch wegparfümiert, reden über Thomas von Aquin.“1 Diesen Vorwurf würde sich zu Recht einhandeln, wer vergäße, dass vom Aquinaten eine höchst kontroverse Wirkungsgeschichte ausging. Auf evangelischer Seite galt nach dem Tridentinum Thomas jeweils als Kronzeuge für die abzulehnende katholische Position – wobei man sich nicht wirklich mit den Thomas-Texten beschäftigte. Noch heute ist im Apparat der kritischen 1

Baur, Fragen eines evangelischen Theologen, 162, wobei Baur mit diesem Satz einen möglichen Einwand, aber nicht seine eigene Position wiedergibt.

Einleitung

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Ausgabe der lutherischen Bekenntnisschriften als Beleg für eine verworfene Position oft ein Zitat aus der Summa Theologiae von Thomas von Aquin genannt, wobei jeweils weder Kontext des Zitates noch Aussage-Intention beachtet sind.2 In Thomas erblickte man den römisch-katholischen Normaltheologen, gegen den man folgende Vorwürfe erhob: – Thomas betreibe eine geschichtslose Metaphysik. – Die Übernahme der aristotelischen Philosophie habe das eigentliche Evangelium verdunkelt. – Thomas nehme die Sünde des Menschen nicht ernst genug, vor allem nicht, dass der ganze Mensch einschließlich seiner Vernunft von ihr betroffen ist. – Die Christusbezogenheit der Gnade sei nicht klar genug ausgesagt.3 – Thomas vertrete eine Werkgerechtigkeit. – Die von Thomas als Habitus gedachte Gnade werde als Besitz des Menschen konzipiert. Die Gnade werde verdinglicht. Dem entsprach auf katholischer Seite seit dem Tridentinum eine Identifizierung von Thomas und kirchlicher (katholischer) Lehre, so dass man mit Thomas auf der Fahne ins kontroverstheologische Feld zog. Im Zuge der ökumenischen Öffnung der katholischen Theologie und des ökumenisches Interesses der evangelischen Theologie seit den 60er Jahren versuchte man das Verhältnis Thomas – Luther als der beider kontroverstheologischen Gallionsfiguren differenzierter zu bestimmen sowie sich eine eigene, textfundierte Sicht auf die jeweils andere konfessionelle Zentralfigur zu arbeiten. So entstanden wichtige Studien zum Vergleich von Thomas und Luther.4 Vorausgesetzt war bei diesen Arbeiten ein neuer, historisch orientierter Ansatz bei der Thomasforschung sowie eine sich mit der ökumenischen Fragestellung entwickelnde Hermeneutik: Unterscheidung von Aussageform und Sachgehalt, von Aussage und Intention, Einordnung von Einzelaussagen in den Textzusammenhang, Analyse der verschiedenen Ansätze und Formen theologischen Wirkens, Einordnung von Texten in deren Entstehungssituation, Unterscheidung von möglichen Schlussfolgerungen aus 2 Vgl. z.B. CA II (BSLK 53,14–19), CA XXVI (BSLK 100,13–18), CA XXVIII (BSLK 125,31–126,2). Vgl. grundlegend zur Confessio Augustana und zu den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche: Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften. 3 Vgl. Lange, Ethik in evangelischer Perspektive, 261f. 4 Vgl. Pfürtner, Luther und Thomas im Gespräch (1961), zum Thema Heilsgewissheit: Pesch, Die Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin (1967/21985); Kasten, Taufe und Rechtfertigung bei Thomas von Aquin und Martin Luther (1970); Vorster, Das Freiheitsverständnis bei Thomas von Aquin und Martin Luther (1965).

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Einleitung

bestimmten Thesen von den durch den jeweiligen Verfasser selbst explizierten Schlussfolgerungen. Als Ertrag anerkannte man die jeweils gegenüber ihrem geschichtlichen Kontext guten Gründe, Theologie so wie Luther oder so wie Thomas zu entfalten. Beide hätten auf ihre Weise den Kerngehalt des Evangeliums bzw. des Christlichen ausgesagt. Daher bestehe zwischen ihnen bei aller Differenz keine völlige Unvereinbarkeit; die theologischen Differenzen zwischen ihnen hätten keine kirchentrennende Bedeutung. Diese Erkenntnisse beeinflussten das Projekt der Lehrverurteilungsstudien bis hin zur Gemeinsamen Erklärung. Neben der rein kontroverstheologischen Rezeption gab es zumindest im 19./20. Jahrhundert eine Linie evangelischer Thomasrezeption, welche die Leistung des Aquinaten würdigt und sich konstruktiv mit seinen Einzelargumenten für die Klärung theologischer Probleme auseinandersetzt (Karl Barth, Eberhard Jüngel, Gerhard Ebeling, Wolfhart Pannenberg). Eine eigene Thomasforschung entwickelt sich auf evangelischer Seite – nach einer sehr frühen Thomasdissertation von 1934 – aber erst in den 60er Jahren.5 Als Ergebnis kann mit Baur festhalten werden: Hier wurden Schwierigkeiten, gerade für evangelisches Verständnis, überwunden. Das Evangelium wurde in der thomasischen Theologie nicht an Aristoteles ausgeliefert, die Sätze zur Gottebenbildlichkeit des Menschen lassen sich nicht auf Aussagen über die Rationalität reduzieren, die Lehre vom Gesetz weiß davon, daß an ihm Hochmut und menschliches Selbstvertrauen scheitern, die Ausführungen über Qualitäten und Gehaben machen aus der Gnade und den theologischen Tugenden keinen verfügbaren Besitz des Christen; gerade der relationale Charakter des Gnadenverständnisses lässt sich aufbrechen und erschließen, die reformatorische Thematik von Gesetz und Evangelium ist [...] auch Wort des Thomas.6

Als Fazit lässt sich ziehen: Die Beschäftigung mit Thomas (und mit Luther etc.) hat die ökumenische Annäherung wesentlich gefördert. Diese Auseinandersetzung mit Thomas in einem ökumenischen Interesse und Kontext hat umgekehrt die historische Thomas-Forschung vorangetrieben und so die Fruchtbarkeit von Ökumene für die theologiegeschichtliche Forschung erwiesen. Im evangelischen Bereich fand eine gewisse Normalisierung im Umgang mit Thomas und der Scholastik statt. Man hat antrainierte Aversi5 Vgl. Johannes Mundhenk, Die Seele im System des Thomas von Aquin, Hamburg 1980 (=Dissertation von 1934); Ulrich Kühn, Via caritatis. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin, Göttingen 1965; Thomas Bonhoeffer, Die Gotteslehre des Thomas von Aquin als Sprachproblem, Tübingen 1961; George Sabra, Thomas Aquinas’ Vision of the Church. Fundamentals of an Ecumenical Ecclesiology, Mainz 1987; Rochus Leonhardt, Glück als Vollendung des Menschseins. Die beatitudo-Lehre des Thomas von Aquin im Horizont des EudämonismusProblems, Berlin/New York 1998. 6 Baur, Fragen eines evangelischen Theologen, 165.

Einleitung

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sionen gegen bestimmte scholastische Begriffe (Habitus, Tugend, Verdienst, Mitwirkung, Substanz) überwunden. Thomas konnte so befreit werden aus einem einseitig kontroverstheologischen und aus einem einseitig Ökumene orientierten Verständnis. Er kann nun gelesen und gewürdigt werden unabhängig von (kontrastierenden oder annähernden) Vergleichen. Thomas wurde als evangelisches Vätererbe entdeckt, man begann, ihn auch vorkonfessionell zu lesen.7 Welche Bedeutung kommt der Beschäftigung mit Thomas für die evangelische Theologie zu? Indem die evangelische Theologie ein historisch differenzierteres Bild der Scholastik gewinnt, wird auch ihr Verständnis der Reformation komplexer. Wenn evangelische Theologie sich würdigend mit der Scholastik auseinandersetzt, schließt sie an die gesamte christliche Tradition an, in der sie steht und die zu ihr gehört (wie auch die Begegnung mit orthodoxer bzw. ostkirchlicher Tradition dafür wichtig ist). Sie wird dadurch gesprächsfähiger und selbstaufgeklärter. Durch die Beschäftigung mit Thomas (und anderen bedeutenden katholischen Theologen) kann die katholische Lehre in ihrer Entwicklung, Entwicklungsdynamik und Entwicklungsfähigkeit wahrgenommen werden – was in der gegenwärtigen ökumenischen Situation nur ermutigend wirken kann. Für die ökumenischen Dialoge ist es wichtig, die Tradition des Partners möglichst in seiner Vielfalt und Komplexität zu verstehen. Nichtsdestotrotz bleibt Thomas in seiner Begrifflichkeit, in seinen Fragen und Denkvoraussetzungen fremd, insofern er ein mittelalterlicher Denker ist, von dem uns die Geschichte der Reformation und der Neuzeit trennen. Nur eingedenk dieses Abstandes kann der Versuch einer gegenwärtigen, evangelischen Interpretation gelingen. Nachdem nun die Leitfragen der Arbeit vorgestellt und der forschungsgeschichtliche Kontext benannt wurde, sei das methodische Vorgehen auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Thomas-Forschung8 begründet. Die genannten Arbeiten zur Theologie des Thomas von Aquin beziehen sich meistens – soweit sie den Gesamtzusammenhang der einzelnen theologischen Themen des Aquinaten behandeln – auf das Gesamtwerk des Aquinaten. Dies erscheint sinnvoll, weil das Werk des Thomas trotz gewisser interner Weiterentwicklungen eine relativ große Kohärenz aufweist, andererseits verführt es dazu, für jede Fragestellung denjenigen Text von Thomas heranzuziehen, der auf diese am prägnantesten eingeht und so die internen systematischen Querverbindungen der einzelnen Werke zu wenig zu 7

Vgl. Kühn, Thomas von Aquin, 15. Vgl. dazu Jenkins, Knowledge and Faith, 1–8; Bieler, Gott und sein Ebenbild. Berger, ‚Summa theologiae‘, 75–78 unterscheidet zwischen dialektisch-kommentierendem Verfahren und historisch genetischer Methode bei Untersuchungen der Summa Theologiae, sieht aber die Notwendigkeit einer Synthese beider Methoden für eine „tragfähige Interpretation“ (78). 8

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Einleitung

berücksichtigen und dabei die Kohärenz des Gesamtwerkes wenig kontrolliert vorauszusetzen.9 Das ist mit einem forschungs-praktischen Problem verbunden: Wer vertraut ist mit den vielen verschiedenen Thomas-Texten kann fast gar nicht anders als das, was bestimmte Thomastexte zu einem Problem sagen, in den anderen zumindest als Hintergrundtext mitzulesen, meistens aber in die sachlichen Leerstellen hineinzulesen. Auf der anderen Seiten lässt sich an Spezialuntersuchungen10 zu bestimmten Traktaten innerhalb der Summa beobachten, dass diese gerade bei höchster systematischer Präzision einer theologischen Gesamtperspektive ermangeln, was zu Fehlinterpretationen im Einzelnen führen kann. Viele der neueren Thomasarbeiten in der katholischen Forschung vollziehen methodisch eine Integration von historischer und systematischer Betrachtung,11 die ein komplexes und nuancenreiches Bild der thomasischen Texte zeichnet. Diese Komplexität verdankt sich aber mehr den Einsichten in den gedanklichen Produktionsprozess als der Analyse der innertextuellen Strukturen. Meine Arbeit untersucht ausschließlich das zweite Hauptwerk des Thomas von Aquin, seine Summa Theologiae. Dabei wird die Summa Theologiae in Entsprechung zu ihrem Selbstanspruch als ein geordnetes Ganzes verstanden, weshalb erst der Gesamtgedankengang der Summa knapp zusammengefasst wird, bevor dann vom diesem Gesamtzusammenhang ausgehend Glaube und Liebe jeweils einzeln und im Einzelnen analysiert werden, um anschließend zu untersuchen, wie Thomas die Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe konstruiert. Von diesem methodischen Ansatz lassen sich folgende Leitlinien der Darstellung formulieren: (a) Grundlage der Interpretation ist ausschließlich die Summa Theologiae selbst. Einzelprobleme in der Interpretation werden durch Einordnung in die Summa Theologiae gelöst, wodurch deren komplexe systematische (Binnen-)Struktur sichtbar gemacht werden soll. Das Mittelalter kennt keinen solchen Begriff eines autonomen Werkes. Thomas selbst beansprucht aber mit der Summa Theologiae, eine eigene und der theologischen Aufgabe angemessene Ordnung des Stoffes vorzulegen. Diese Ordnung kann nur in den Blick kommen, wenn die Summa Theologiae als Gesamtwerk den ersten und eigentlichen Interpretationskontext aller Einzelthemen bildet und nicht die Behandlung dieser Einzelthemen in anderen Thomaswerken oder bei anderen Theologen. (b) Zuerst erfolgt in dieser Arbeit die Vorstellung des gedanklichen Zusammenhangs der Summa Theologiae, indem die Argumentationslinien im 9

Beispiel: Ilien, Liebe. Beispiel: Pasnau, Human Nature. 11 Ein außerordentlich gelungenes Beispiel stellt Schockenhoff, Bonum hominis dar. 10

Einleitung

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Durchgang durch die einzelnen Themen anhand des Textes rekonstruiert werden. Dieser erste Hauptteil hat die Funktion einer einführenden Zusammenfassung. Daher wird im entsprechenden Teil dieser Arbeit auf die Darstellung der außerordentlich differenzierten und detaillierten Diskussionen in der Sekundärliteratur weitgehend verzichtet, so sehr sie auch zur Kenntnis genommen ist (siehe Literaturverzeichnis). Kennern des thomasischen Werkes sei gleich die Lektüre der Hauptkapitel 3, 5 und 6 empfohlen. (c) Bei der Analyse der thomasischen Traktate zu Glaube und Liebe bezieht sich die Darstellung auf alle Artikel dieser Traktate, nicht wie sonst üblich auf die heute als wesentlich eingeschätzten. Gerade dort, wo Thomas seine grundsätzlichen Bestimmungen auf praktische Fragen anwendet, wie z.B. Häretikerbestrafung, zeigt sich die Tragfähigkeit und Kohärenz seiner Theologie und deshalb dann auch die einer wissenschaftlichen Interpretation seines Werkes. Die Arbeit verfährt also historisch, insofern sie den Text der Summa untersucht bezogen auf die zu rekonstruierenden Fragen, Problemhorizonte und Anliegen des historischen Thomas. Systematisch-theologisch ist die Arbeit, weil sie eine logisch konsistente Gesamtdeutung vorlegt, welche die argumentative Vernetzung der verschiedenen Teile ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. Daraus ergibt sich folgender Aufbau der Arbeit: Nach dieser Einführung soll der erste Hauptteil die Summa Theologiae als geschichtliches Werk vorstellen sowie ihre Intention, ihren Anspruch und ihre Struktur analysieren (1). Dann erfolgt eine referierende Gesamtzusammenfassung der thomasischen Denkbewegung (2). Glaube, Hoffnung und Liebe im Einzelnen interpretieren die Teile 3, 4 und 5. Teil 6 deutet abschließend die thomasische Verhältnisbestimmung von Glauben und Liebe.

1. Die Summa Theologiae. Vorklärungen Die Summa Theologiae. Vorklärungen

1.1 Entstehung und Wirkungsgeschichte der Summa Theologiae Das theologische Hauptwerk Thomas von Aquins, die Summa Theologiae entstand zwischen 1265–1273.1 In dieser Zeit wirkte er zuerst als Magister in Rom mit dem Auftrag, dort ein Studium für den Dominikanerorden zu gründen (1265–1268). 1268 erhielt Thomas die Weisung, nach Paris an die Universität zurückzukehren. Drei Auseinandersetzungen erforderten die argumentative Stellungnahme des Aquinaten: Erstens musste er die positive Würdigung und die Erforschung der aristotelischen Theorie verteidigen gegen konservative Theologen, die in der Beschäftigung mit Aristoteles lediglich eine Gefährdung des Glaubens fürchteten. Zweitens hatte Thomas gegen den von Averroes gelehrten und sich an der Pariser Fakultät ausbreitenden Monopsychismus intellektuell zu kämpfen. Unmittelbar ihn selbst betraf die dritte Front, bei der die Säkularkleriker die lehrenden Bettelmönche als Lehrpersonal von der Fakultät ausschließen wollten. Trotz dieser intensiven, öffentlichen Auseinandersetzungen produzierte Thomas zahlreiche Texte, unterstützt von einer Gruppe an Sekretären,2 die ihm Tag und Nacht zur Verfügung standen: dazu gehören Kommentare zur Nikomachischen Ethik und zur Physik des Aristoteles, zum Matthäus- und zum Johannesevangelium. Im Juni 1272 übertrug das Provinzkapitel von Rom ihm die Aufgabe, ein Studium Generale zu gründen, worauf Thomas nach Neapel ging. Am 6. Dezember 1273 erlitt Thomas einen ernsthaften gesundheitlichen Zusammenbruch, von dem er sich trotz besonderer Pflege seitens seiner Schwester nicht mehr erholte und seit dem er nichts mehr schrieb, ja sogar seine Schreibutensilien vernichtete. Thomas selbst deutete dieses Erlebnis gegenüber seinem Sekretär Reginald von Piperno anders: „Ich kann nicht mehr. Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich gesehen habe.“3 Der sehr geschwächte Thomas wurde mit Reginald zum Konzil nach Lyon geschickt, aber auf dem 1

Zum Folgenden Torrell, Magister Thomas; Berger, Summa theologiae, 17–31. Die Sekretäre hatten auch nach Zitaten zu suchen, sowie zu bestimmten Themen frühere Ausführungen von Thomas aus Texten herauszusuchen und in das jeweils neu entstehende Werk zu kopieren. Berger bemerkt, dass z.B. STh II–II 10,12 aus Quodlibet II 4,2 stammt, Berger, Summa theologiae, 28. 3 Zitiert nach Torrell, Magister Thomas, 302. 2

20

Die Summa Theologiae. Vorklärungen

Weg dahin verstarb er am 7. März 1274 im Zisterzienserkloster Fossanova. In diese ereignisreiche Zeit seiner letzten Lebensjahre fällt die Abfassung seines theologischen Hauptwerkes. Die drei Teile dieses umfangreichen Werkes veröffentlichte Thomas sukzessive. Die Prima Pars verfasste Thomas in Rom, begann sie wahrscheinlich 1266 und schloss sie bis September 1268 ab. Bis Sommer 1270 arbeitete er an der Prima Secundae; die Secunda Secundae wurde bis zum Beginn des Winters 1271 in Paris fertig. Zu Anfang des Jahres 1272 begann er in Paris mit der Tertia Pars, an der er wohl bis zum 6. Dezember 1273 in Neapel schrieb und die unvollendet blieb. Die Motivation für die Entstehung der Summa Theologiae lässt sich nicht eindeutig angeben. Die Summa Theologiae entstand weder als Auftragswerk noch stellt sie ein direktes Ergebnis von Thomas Lehrtätigkeit dar. Thomas selbst betont als Zweck die „bessere Ordnung“ gegenüber anderen Lehrbüchern, und zwar nicht an sich, sondern für den Lernenden, genauer für den Anfänger. Das Werk spiegelt die akademische Lehrform, ist aber nicht direkt aus ihr hervorgegangen. Die Wirkungsgeschichte der Summa Theologiae4 verlief nicht so einlinig, wie das von evangelischer Seite oft wahrgenommen wurde. 1277 verurteilt der Bischof von Paris Stephan Tempier einzelne Sätze des Thomas zusammen mit insgesamt 219 anderen Sätzen ohne Nennung der Autorschaft. Das hinderte nicht, dass Papst Johannes XXII Thomas von Aquin 1323 heilig sprach. Im Dominikanerorden verpflichtete man die Ausbildung des eigenen Nachwuchses sowie die Lehrer des Ordens auf die Theologie des Thomas von Aquin, beginnend mit dem Generalkapitel zu Mailand 1278, dann zu Paris 1286. Trotzdem blieben die Sentenzen des Petrus Lombardus das beherrschende Lehrbuch bis ins 16. Jahrhundert. Zunächst prägten Zusammenfassungen die literarische Behandlung von Thomas Werk. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts begann man, die Summa Theologiae als eigenen und expliziten Gegenstand von Kommentaren in Vorlesungen und schriftlichen Werken zu behandeln, was in kürzester Zeit die Summenkommentierung zur Normalform des theologischen Arbeitens machte. Dabei sind vor allem die Arbeiten von Kardinal Thomas Cajetan5 und Franz Sylvester von Ferrara zu nennen. Beim Konzil von Trient und insbesondere bei der Abfassung des Rechtfertigungsdekretes spielte die Summa Theologiae eine zentrale Rolle. Nach Abschluss der Konzils wurde Thomas 1567 zum Kirchenlehrer ernannt. In der Folge entwickelte sich eine reiche Literatur an Thomas-Kommentaren, unter denen herausragen: Dominicus Bánez mit „Scholastica commentaria 4 5

Vgl. dazu Berger, Summa theologiae, 33–40. Cajetan ist als Gegner Luthers aus der Reformationsgeschichtsschreibung bekannt.

Aufbau der Summa Theologiae

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in Summam theologicam Angelici doctoris D. Thomae“ (1548–1594) und Johannes a S. Thoma mit „Cursus theologicus in summam theologicam D. thomae“ (1637–1645). Die Zeit der Aufklärung beendete die Dominanz von Thomas in der theologischen Ausbildung der katholischen Kirche. Erst die Neuscholastik in der Theologie des 19. Jahrhunderts und die Enzyklika „Aeterni Patris“ von Papst Leo XIII rückten die thomasische, genauer die thomistische Theologie ins Zentrum der dogmatischen Forschung und der theologischen Lehre.

1.2 Aufbau der Summa Theologiae Aufbau der Summa Theologiae Im Folgenden soll geklärt werden, wie Thomas seine Summa Theologiae versteht, um welche Textgattung es sich bei der Summa handelt und wie die Summa aufgebaut ist. Die thomasische Intention (1) bei der Abfassung seines Werkes entspricht seinem Theologiebegriff (2), der Aufbau und Form der Summa (3) strukturiert. (1) Der Lehrer der katholischen Wahrheit hat nicht nur die Aufgabe, die Fortgeschrittenen tiefer in die Wissenschaft einzuführen; er soll sich – nach 1 Kor 3,1: ‚Ich gab euch, gleichsam Kindern in Christus, Milch zur Nahrung, nicht feste Speise‘ – auch dem Unterricht der Anfänger widmen. Darum wollen wir in diesem Werk den Inhalt der christlichen Religion so darstellen, daß auch Anfänger folgen können.6

Thomas begründet also das Verfassen der Summa Theologiae mit seiner Aufgabe als Lehrer. Zu lehren nennt Thomas die Grundaufgabe der Summa Theologiae, und zwar spezieller: die Anfänger zu lehren. Begründungspflichtig erscheint Thomas nicht der Lehrbuchcharakter, sondern die Angemessenheit für Anfänger. Die nähere Begründung für das Verfassen dieses Werkes liegt nach Thomas in der mangelhaften Darstellungsweise der vorhandenen Lehrbücher,7 nicht in inhaltlichen Fragen.8 Als Problem der vorhandenen Lehrbücher bestimmt er die Nutzlosigkeit mancher Fragen, die mangelhafte Ordnung des Stoffes, der nicht gemäß des „ordo disciplinae“ dargestellt wird sowie häufige Wiederholungen. Daraus ergibt sich 6 STh prol. I: „Quia catholicae veritatis doctor non solum provectos debet instruere, sed ad eum etiam pertinet incipientes erudire, secundum illud Apostoli 1 ad Corinth. 3: ‚Tamquam parvulis in Christo, lac vobis potum dedi, non escam‘; propositum nostrae intentionis in hoc opere est, ea quae ad Christianam religionem pertinent, eo modo tradere, secundum quod congruit ad eruditionem incipientium.“ 7 Das ist primär als Kritik an den Sentenzen des Petrus Lombardus zu verstehen, dem Standardlehrbuch im theologischen Studium. 8 Speer, Die Summa theologiae lesen, 5f spricht vom „pastoralen Anliegen“ des Thomas, für das er aber keine Argumente nennt und das m.E. auch an der Summa selbst nicht erkennbar ist, jedenfalls nicht in einem spezifischen Sinne.

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Die Summa Theologiae. Vorklärungen

ex negativo, um was sich Thomas in der Summa Theologiae bemüht: um relevante Fragen in einer Stoffanordnung gemäß des ordo disciplinae. Positiv formuliert er seine Darstellungsziele als Kürze und Klarheit, aber gemessen an dem, was vom Stoff her möglich ist. Didaktik erfordert die Klarheit des ordo disciplinae, während umgekehrt die Theologie ihrem ordo disciplinae gemäß Lehre freisetzt. Das Lehren stellt keine wissenschaftsfremden Anforderungen an die Theologie als Wissenschaft, sondern erfordert gerade die gegenstandsgemäße Darstellung, also die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft der Theologie. Gelehrt zu werden ist der Theologie als Wissenschaft nicht äußerlich, sondern insofern die Notwendigkeit der Theologie als eigene Wissenschaft ausschließlich mit dem notwendigen Lehren des Heils begründet wird impliziert die Wissenschaftlichkeit der Theologie auch die Notwendigkeit ihres Gelehrtwerdens. Als Lehre und als Wissenschaft hat Theologie einen bestimmten, eben sachgemäßen ordo disciplinae zu entfalten; dessen Darstellung ist das Hauptanliegen des Thomas von Aquin. Damit gibt er zugleich die Lese-Anweisung, dass Aufbau und Gliederung für die Interpretation in hervorgehobener Weise heranzuziehen sind und den theologischen Gedankengang des Thomas in besonderer Prägnanz ausdrücken. (2) Thomas setzt bei seiner Summa ein, indem er die Frage beantwortet, ob Theologie9 überhaupt notwendig sei neben den philosophischen Wissenschaften, die u.a. auch Gott, soweit er rein mit der menschlichen Vernunft erkennbar ist, zum Gegenstand haben. Thomas Argumentations-gang zielt nun darauf, neben der vorausgesetzten Philosophie auch die Theologie als notwendige, d.h. notwendig eigene und eigenständige Wissenschaft zu erweisen. Wie bestimmt Thomas die Notwendigkeit der Theologie? Das erste, was von Theologie zu sagen ist, lautet:10 Die Theologie ist um des Heils des Menschen willen notwendig, insofern der Mensch das Ziel, für das er bestimmt ist, nicht von sich aus erkennen kann, es aber erkennen muss – und aufgrund von Offenbarung erkennen kann –, um sich wollend und handelnd darauf auszurichten. Der Mensch, der auf das Ziel hingeordnet ist, muss seine Intentionen und Handlungen aufgrund von Erkenntnis auf das Ziel hinordnen. Damit hat Thomas die Strukturmomente seiner Darstellung der Theologie benannt: die Beziehung zwischen Ausgerichtetsein des Menschen und seinem Sich-Hinordnen auf das Ziel. Aus diesen Strukturmomenten entfaltet Thomas eine sich in ihrer Komplexität steigernde Struktur. Aus dem Grund für die Notwendigkeit der Theologie entfaltet Thomas den 9 In STh I 1,1 spricht Thomas von sacra doctrina, insofern sie Theologie als Wissenschaft und Offenbarung Gottes (in der Bibel) umfasst. 10 Vgl. STh I 1,1 c.a.

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Aufbau der dreiteiligen Summa: Der erste Teil handelt von Gott als Ursprung und Ziel des Menschen, der zweite von der Bewegung des Menschen auf Gott als Ziel zu und der dritte Teil schließlich erörtert Christus als den Weg des Menschen zu Gott.11 Da der Mensch weder Ziel noch den Weg dazu von sich erkennen kann, wird beides ihm durch die Offenbarung gesagt. Was die Theologie über Gott und den Menschen auf dem Weg zu Gott lehrt, entnimmt sie der Offenbarung. Theologie als Lehre gründet sich also auf Offenbarung, die um des Heils des Menschen notwendig ist, auch wenn sie sich inhaltlich z.T. mit den philosophischen Wissenschaften überschneidet. Somit vertritt Thomas ein Differenzierungsmodell12 für das Verhältnis von Theologie und Philosophie – weder Unterordnung noch Konkurrenz, sondern funktionelle Differenz kennzeichnet dieses Verhältnis.13 Mit dieser funktionellen Differenz verbindet sich eine methodische, die jedoch ganz der funktionellen entspricht. Weil es die Theologie um des Heils des Menschen willen gibt, stützt sie sich allein auf die Offenbarung als die einzige Erkenntnisquelle für das Heil. Nun muss Thomas noch zeigen, dass diese Lehre die Kriterien von Wissenschaft erfüllt, dass also Theologie wirklich Wissenschaft nach den aristotelischen Kriterien ist. Dass Theologie allein in der Offenbarung, genauer in Glaubenssätzen fundiert ist, also in Prinzipien, die nicht selbstevident sind, widerspricht ihrem Wissenschaftscharakter nur dann nicht, wenn man diese Prinzipien als einer anderen höheren Wissenschaft zugehörig betrachtet, in der sie einsichtig sind: Als diese gilt Thomas die scientia Dei et beatorum, also die Wissenschaft Gottes und der Glückseligen. Diese höhere Wissenschaft, auf die der Mensch als imago Dei in seiner Erkenntniskraft als auf das letzte Ziel, die visio Dei hingeordnet ist,14 vermittelt ihre Prinzi11 Die drei (bzw. vier) Teile der Summa markieren am deutlichsten das Gliederungsprinzip der Summa. An nur einer Stelle äußert sich Thomas selbst zum Gesamtaufbau der Summa Theologiae: „Quia igitur principalis intentio hujus sacrae doctrinae est Dei cognitionem tradere, et non solum secundum quod in se est, sed etiam secundum quod est principium rerum et finis earum et specialiter rationalis creaturae, ut ex dictis est manifestum, ad hujus doctrinae expositionem intendentes, primo tractabimus de Deo; secundo, de motu rationalis creaturae in Deum; tertio, de Christo, qui, secundum quod homo, via est nobis tendendi in Deum.“ STh I prol. 2. 12 Speer, Die Summa theologiae lesen, 10. In dieser thomasischen Nebenordnung kann man mit Recht eine Begrenzung der Philosophie (sowie der Theologie) sehen, insofern keine Disziplin die Aufgaben der anderen übernehmen und sie so ersetzen könne, vgl. Aertsen, Die Rede von Gott, 32, der am genannten Sachverhalt den philosophiekritischen Aspekt betont. 13 Dabei ist zu beachten, dass die Philosophie in der Theologie selbst auch eine Rolle spielt, da aber der Theologie und dem Ziel der Theologie untergeordnet ist. 14 Vgl. „Homo autem est in potentia ad scientiam beatorum, quae in visione Dei consistit, et ad eam ordinatur sicut ad finem: est enim creatura rationalis capax illius beatae cognitionis, inquantum est ad imaginem Dei. Ad hunc autem finem beatitudines homines reducuntur per Christi humanitatem“ STh III 9,2 c.a.

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pien, die in ihr vollkommen intelligibel sind, durch Offenbarung. Die scientia Dei und die scientia beatorum sind zwei verschiedene Wissensformationen:15 Gottes Wissen16 ist sein Sein, sein Wesen, als solches keinem geschaffenem Erkenntnisvermögen zugänglich, während die scientia beatorum als visio Dei das dem menschlichen Erkenntnisvermögen mögliche eschatologische Wissen verwirklicht, welche Verwirklichung sich aber nicht ohne besondere Hilfe Gottes vollzieht. Die Theologie lehrt die Ausrichtung auf das (wahre) letzte Ziel des Menschen, und zugleich vollzieht es sie. Lehrinhalt und Vollzug entsprechen sich, und so ist die Theologie eine Vorwegnahme der Zielerreichung. Theologie als Wissenschaft verhält sich zur scientia beatorum wie das Glauben zum Schauen. Thomas rekurriert damit auf das von Aristoteles rezipierte Wissenschaftsverständnis17 seiner Zeit: Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich auf Prinzipien stützt und aus diesen Ableitungen vornimmt. Die Prinzipien müssen aus sich heraus intelligibel sein. Jedoch ist es möglich, dass eine Wissenschaft von einer anderen Prinzipien übernimmt und sie in sich unbewiesen voraussetzt, ohne ihren eigenen Wissenschaftscharakter zu verlieren, weil die Prinzipien in der anderen Wissenschaft als Konklusionen einsichtig gemacht werden. So bezieht sich die Musik auf Prinzipien, die Konklusionen in der Arithmetik darstellen. Dieses Wissenschaftskonzept heißt, zurückgehend auf Aristoteles Zweite Analytik Subalternationstheorie. Zur Wissenschaftlichkeit nach Thomas gehört ferner, dass die Wissenschaft einheitlich ist, indem sie einen einheitlichen (Formal-) Gegenstand hat. Die sogenannten Gottesbeweise dienen u.a. dazu, die Existenz eines solchen einheitlichen Gegenstandes mit philosophischen Mitteln nachzuweisen – wobei alles, was über Wesen dieses Gegenstandes gesagt werden kann, sich allein der Offenbarung verdankt, sodass die Gottesbeweise die Notwendigkeit einer offenbarungsfundierten Wissenschaft aufzeigen, oder anders gesagt: Mit philosophischen Mitteln wird die Notwendigkeit einer Überschreitung der Philosophie auf Offenbarungserkenntnis gezeigt.18 Ihre Einheit erhält die Theologie also durch einen einheitlichen Formalgegenstand: alles, insofern es von Gott offenbart ist, und durch einen ein15

Vgl. STh III 9,2 obj. 3, ad 3. Vgl. STh I 14. 17 Als „Leitdiskurs vor allem an den neu gegründeten Universitäten“ bezeichnet Speer den Status dieses aristotelische Wissenschaftskonzept, Speer, Die Summa theologiae lesen, 6f. 18 Vgl. dazu Ricken, Religionsphilosophie, 296, der hier einen argumentativen Bruch feststellt, weil die Verbindung von philosophischer Gotteserkenntnis (in den Gottesbeweisen) zu den theologischen Gottesaussagen, die sich auf Offenbarung gründen, nur von der Offenbarung her sichtbar gemacht werden können, aber nicht umgekehrt. 16

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heitlichen Materialgegenstand: Gott und alles, insofern es sich auf ihn als Ursprung und Ziel bezieht. Das Verhältnis von Theologie als sacra doctrina und der Wissenschaft Gottes und der Seligen ist das einer untergeordneten zu einer übergeordneten Wissenschaft, zugleich aber ist die sacra doctrina eine „quaedam impressio divinae scientiae“19 (STh I 1,3 ad2). Damit sprengt Thomas das aristotelische Konzept, insofern hier die über- und die untergeordnete Wissenschaft denselben Gegenstand umfassen, und die möglichst große Ähnlichkeit der untergeordneten mit der übergeordneten die Qualität jener kennzeichnet.20 Aus diesem Wissenschaftsverständnis folgt, dass Begründung in der Theologie nur gemäß eines schwachen Begründungsbegriff möglich ist, für den folgende Kriterien gelten:21 – Sätze der Theologie müssen aus den Glaubensartikeln bzw. der Heiligen Schrift argumentativ gewonnen werden. – Sätze, die den theologischen Aussagen widersprechen, müssen sich widerlegen lassen. – Theologische Sätze dürfen dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht unterlaufen. (3) Der Aufbau und die Gestaltung der Summe entsprechen diesem thomasischen Theologiebegriff auf das Genaueste und präzisieren sie ihn im Vollzug, sowohl in der Struktur des Ganzen als auch in der Struktur des Artikels.22 Die Summa Theologiae23 besteht aus drei Teilen, deren mittlerer wiederum zweigeteilt ist; die Textgattung entspricht der Quaestionenmethode. Die insgesamt 512 Quaestionen gliedern sich wiederum in Artikel (2669), die alle derselben Struktur folgen. 19

„Eine Art Einprägung des göttlichen Wissens“. Was leistet dieser thomasische Theologiebegriff? In der Forschung ist umstritten, ob Thomas wirklich eine Begründung der Wissenschaftlichkeit der Theologie gelungen sei, die aristotelischen Kriterien standhalten würde. Ausschließlich skeptisch äußert sich Leinsle (Einführung, 158): „Für die Wissenschaftstheorie der Offenbarungstheologie selbst bringt dieser Nachweis ihrer Wissenschaftlichkeit allerdings außer weiteren Problemen wenig: Wenn die Prinzipien nur im Glauben festgehalten werden, tut der Verweis darauf, daß sie in der Erkenntnis Gottes und der Seligen evident sind, für den Theologen und seinen Ausweis an der Universität wenig zur Sache“. 21 Vgl. STh I 1,8, sowie Ricken, Religionsphilosophie, 296f. 22 Siehe dazu und zu Folgendem die ausgezeichnete, bahnbrechende Studie von Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, v.a. 109–117. 23 Der Titel stammt wohl nicht von Thomas selbst – wir haben keine diesbezügliche OriginalHandschrift und die ältesten Dokumente variieren im Titel, z.B. Summa in theologia, Summa totius theologiae oder nur Summa. Der häufigste Titel, der auch in den ersten Drucken gebraucht wird, lautet Summa theologiae, während der heute auch noch geläufige Titel (z.B. auf dem Buchrücken der deutsch-lateinischen Ausgabe) Summa theologica erst neuzeitlich nachweisbar ist. Vgl. dazu Walz, De genuino titulo Summa theologiae. 20

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Das gängige Schema in der Quaestionenmethode seiner Zeit lautet: Vortrag der sog. Pro-Argumente24 (das sind die Argumente, die der eigenen These widersprechen), dann die sed-contra-Argumente (s.c.), darauf folgt der corpus articuli, in dem die eigene Position begründet sich entfaltet (c.a.), dann die Widerlegung der Pro-Argumente (gezählt ad 1, ad 2), worauf das Eingehen auf die sed-contra-Argumente den Artikel beendet. Thomas reduziert erstens die Anzahl der Pro-Argumente auf normalerweise drei, unter sed contra wird fast ausschließlich nur eine Autorität zitiert und kaum argumentativ entfaltet,25 nach dem corpus articuli greift Thomas nur die Pro-Argumente auf, wobei er dabei oft weitere wichtige Gesichtspunkte einführt. Die Eingangsargumente haben die Funktion, in das entsprechende Problem einzuführen. Das sed contra enthält das Offenbarungsprinzip (meistens als Schriftwort, manchmal auch in Gestalt eines Väterzitats) und damit die Wahrheit, die dann im corpus articuli argumentativ entfaltet wird. Sed contra und corpus articuli verhalten sich damit wie Offenbarung zur Theologie als Wissenschaft. Aus der Argumentation im corpus articuli entwickelt Thomas dann seine Widerlegung der Eingangsargumente, wobei er weiterführende Unterscheidungen oder bisher nicht genannte Implikationen oft erst dort nennt. Die Einwände und deren Entgegnung ermöglichen es Thomas, sowohl in der eigentlichen Antwort in einer streng-konzentrierten Argumentationslinie zu bleiben, als auch den Horizont der ganzen Theologie aufzurufen und auf später verhandelte Probleme zu verweisen. Diese Veränderungen gegenüber der traditionellen Artikelstruktur drücken in eins sein didaktisches Anliegen aus, das indem es auf Kürze und Klarheit zielt, zugleich die Sachlogik der Theologie optimal zum Ausdruck bringt. Die Artikelform – in seiner veränderten Gestalt – ist die formale Darstellung seines Theologiekonzepts der Subalternation: „Das sed contra als der Ort der auctoritas steht zum corpus articuli, wo die Lehraussagen wissenschaftlich expliziert werden, in demselben Verhältnis, in dem [...] die revelatio zur scientia steht.“26 Thomas schreibt auf Latein, der damaligen Wissenschafts- und Liturgiesprache. Seine Sätze sind eher kurz, es dominieren Hauptsätze und Haupt-

24 In der Summa Theologiae beschränkt Thomas sich meistens auf drei; sind es mehr – bis zu sechs z.B. STh I–II 55,4 – ist ein aktueller Streit zu vermuten. 25 „Allein im sed contra hat der Ausspruch der Autorität ausschließlich die Aufgabe, ‚nur‘ die Wahrheit – ohne falsche Folgerungen und ohne wissenschaftliche Begründung – rein auszusprechen; dadurch stellt das sed contra eine unverwechselbare und selber nicht argumentierende Mitte des Artikels das, die den Übergang bildet von einem Argumentieren für den Irrtum (Eingangsargumente) zu einem Argumentieren für die Wahrheit“, Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, 110. 26 Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, 113. Das Verhältnis von revelatio zu den theologischen oder philosophischen Autoritäten bedarf noch einer genauen Bestimmung.

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sätze mit einem Nebensatz. Die logischen Verbindungen der Sätze markiert Thomas meist mit Konjunktionen, dabei ragen an Häufigkeit heraus: ‚ergo‘, ‚sed‘, ‚nisi‘. Thomas versteht seine Sprache als Wissenschaftssprache, die sich als solche durch klare Begriffe auszeichnet. Die von ihm integrierten und vorgestellten Aussagen der Bibel oder der philosophischen und theologischen Tradition behandelt er ebenso als Wissenschaftssprache, also ohne die Textgattung und historische Situation, der sie entstammen, näher zu differenzieren. So entsteht auch mit den Zitaten ein einheitlicher Text. Aber trotz dieses Wissenschaftsanspruches ist seine Terminologie in Bewegung; seine Begriffe verändern ihren Bedeutungsgehalt durch den jeweiligen Kontext und die jeweiligen Begriffskonstellationen.27 Thomas verwendet oft „für besondere Probleme eine spezifische Terminologie; man darf sie weder zu einem kommunen Wortschatz verdünnen, noch darf man mit ihr den legitimen allgemeinen Sprachgebrauch auf anderen Gebieten belasten.“28 Thomas Denken zielt Ordnung an, kein System. Ordnung zeichnet aus, dass sie sich bildet in Auseinandersetzung der Ordnungsprinzipien mit dem jeweils zu Ordnenden. Die dargestellte Ordnung ist daher immer die konkrete Synthese aus Ordnungsprinzipien und dem Geordneten. Das „hermeneutische Spannungsverhältnis zwischen dem Ganzen und dem Einzelnen“29 löst Thomas nicht auf, sondern setzt es bewusst ein, um eine Gedankenbewegung zu erzeugen, welche als solche die dargestellte Bewegung des Menschen auf Gott als sein letztes Ziel abbildet. Das kleinste in sich bestehende Element ist der einzelne Artikel. Dieser erhält durch die Quaestio und den Teil, in dem er steht, seine spezifische Bedeutung. Daher seien nun die einzelnen Teile kurz vorgestellt, mit denen Thomas die Artikel ordnet. STh I bedenkt Gott, nämlich sein Wesen, den Unterschied der drei göttlichen Personen und die Schöpfung. Zur Lehre vom Wesen Gottes gehört die Frage, ob er ist, wie er (nicht) ist und die Frage nach seinem Tätigsein, unterschieden in Wissen, Willen und Macht. In STh I–II geht es um die allgemeinen Prinzipien des menschlichen Handelns, aber auch darin steigert sich die Konkretheit: zuerst die Zielbestimmung, nämlich Gott als das letzte Ziel des Menschen, dann die geschöpflichen Handlungsstrukturen, dann über die Sünde, die Folgen der Sünde, das Gesetz und die Gnade. STh II–II expliziert dann die konkrete Gestalt der Gnade und des menschlichen Handelns, gegliedert nach Tugenden und Ständen. Zunächst 27

Dazu auch Chenu, Werk, 127–137. Chenu, Werk, 131, Anm. 18. 29 Speer, Die Summa theologiae lesen, 15. 28

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behandelt Thomas die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, dann die vier Kardinaltugenden prudentia, iustitia, fortitudo und temperantia, denen jeweils Untertugenden zugeordnet werden. Bei jeder Tugend erfolgt außerdem die Analyse der entsprechenden Gaben (nach Jes 11), der entgegengesetzten Laster und der zugehörigen Gebote und Verbote. Bei den Ständen spricht Thomas vom aktiven und kontemplativen Leben, über den Status der Vollkommenheit, über Bischöfe und monastisch Lebende. Christus als Weg zu Gott bildet das Thema der Tertia Pars, einsetzend mit der Inkarnation.30 Unmittelbar dazu gehören die Prologe zu I–II, II–II und III, die Zusammenhänge zwischen den Teilen herstellen:31 Am Übergang von I zu I–II bezeichnet Thomas rückblickend I als Darstellung des exemplar (Urbild), dem nun die Darstellung der imago Dei, des Menschen folge. Das Verhältnis von I–II und II–II führt Thomas ein als von allgemeiner Betrachtung des Sittlichen („communem considerationem) zu Betrachtung des Einzelnen im Besonderen (considerare singula in speciale), wobei er dieses ausdrücklich für nützlicher hält, „weil unser Tun auf das Besondere geht“.32 STh I–II betrachtet die ganze (!) menschliche Wirklichkeit unter der Perspektive der Natur, während STh II–II die Gnade zur Leitperspektive auf das (ganze!) menschliche Leben erhebt. Das Verhältnis aller drei Teile rekonstruiert Metz folgendermaßen: „Die Secunda Pars nämlich bedenkt im ganzen, wie der Mensch die Bild–Beziehung auf sein göttliches exemplar auch selber realisieren kann und soll. Dieselbe relatio also von imago //und exemplar, die der innere Verbindungsbogen der Prima Pars ist, steht auf verwandelte Weise Blick, um jetzt aus der Perspektive des handelnden Menschen gedacht zu werden.“33 Formal spricht Thomas vom dritten Teil als consummatio totius theologici negotii.34 Christus ist derjenige, der in sich selbst uns Menschen den 30 Vgl. dazu den Vorweis in STh II–II 2,7 c.a.: „Via autem hominibus veniendi ad beatitudinem est mysterium incarnationis et passionis Christi“. 31 Für die Interpretation kommen den wenigen Zwischentexten eine besondere Bedeutung zu: in ihnen erläutert Thomas seine Aufbauprinzipien und nennt die damit verbundenen theologischen Hauptgedanken. Außer Einführungen in die jeweiligen Teile (Prologe) sowie in die Traktate (Proömium) hat Thomas keine die einzelnen Artikel verbindenden Texte verfasst – für das Verständnis des Gesamtzusammenhang kommt dem Aufbau des Textes also eine umso höhere Bedeutung zu – auch dadurch unterstreicht Thomas seine Intention, durch die Anordnung den ordo disciplinae auszudrücken. Ein Beispiel: In der Gotteslehre STh I stellt Thomas Gottes Wesen dar, um dann auf die kreatürliche Gotteserkenntnis in Quaestio 12 und 13 einzugehen: eine explizite Begründung fehlt. 32 STh II–II prol. 1. 33 Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, 20f. 34 Vgl. STh III prol 1.

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Weg der Wahrheit zeigte.35 Darin erweist Christus sich also als der konkrete Ermöglichungsgrund der menschlichen Bewegung auf ihr letztes Ziel zu. Insofern als zu dem Ermöglichungsgrund auch Offenbarung von Wahrheit (des Zieles) gehört, bedenkt Pars III die Ermöglichung von Theologie und im Speziellen der Summa.36 Aus Aufgabe und Gegenstand und Begriff der Theologie leitet Thomas den Aufbau ab: Gott als principium und finis und exemplar, zu dessen imago der Mensch gemacht ist (homofactus est ad imaginem Dei), wobei ihn sein imago-Sein zur Ausrichtung auf Gott als letztem Ziel bestimmt. Das imago-Sein wird sowohl nach der Seite des principium als auch des finis bestimmt. STh II–II konkretisiert das, insofern Handeln immer auf das Konkrete-Einzelne geht. Das Allerkonkreteste stellt dann die Christologie dar. Die Gott-Mensch Beziehung als imago-Beziehung wird unterfangen durch das Menschsein Gottes (Deus factus est homo pro nostra salute). Christus ist der Salvator, der von den Sünden erlöst, er ist derjenige, der den Weg der Wahrheit zugleich zeigt und verkörpert, damit die Menschen ihr letztes Ziel erreichen. Der Gedankengang der ganzen STH läßt sich, in einer äußersten Kontraktion, somit folgendermaßen charakterisieren: Bestimmung der beiden relata exemplar und imago (Prima Pars). Darstellung ihrer relatio selbst, als Bewegung der imago auf ihr exemplar hin (Secunda Pars). Aufhebung der relatio in die Identität von exemplar und imago – in der Konkretion Christi –, welche Identität die Bewegung der imago, als eine ihr letztes Ziel erreichende, im ganzen erst stiftet (Tertia Pars).37

So zeigt sich eine Linie zunehmender Konkretion von I bis III. Die drei Teile stellen die Gott-Mensch-Beziehung in drei verschiedenen Perspektiven dar: von Gott her, vom Menschen und von Christus her, vermittelt durch die Logik des Verhältnisses von exemplar und imago, welche der begrifflichen Bestimmung von Gott als Ziel des Menschen und des Menschen als auf Gott ausgerichtetes Wesen die spezifisch theologische Bestimmtheit verleihen. Die zunehmende Konkretion als auch die dreifache Perspektivierung bedeutet hinsichtlich Glaube und Liebe folgendes: In STh I stellt Thomas die 35 Vgl. STh III prol 1: „Dominus Iesus [...] viam veritatis nobis in seipso demonstravit, per quam ad beatitudinem immortalis vitae resurgendo pervenire possimus“. 36 Handlungstheorie und imago-Lehre plausibilisieren, warum Christologie am Ende steht: jede Handlung ist durch ihr Ziel bestimmt. Der zunächst noch sehr formale Aufriss begründet sich in Durchgang durch die einzelnen Inhalte, erfordert sogar den Durchgang, weil er sich letztlich nur materialdogmatisch begründen lässt. Damit ist die Alternative in der Deutung des christologischen Teils der Summa überwunden: weder ist Pars Tertia einfach ein Anhang noch ist die gesamte Summa christologisch konzipiert, als welche sie im letzten Teil erst zu ihrem eigentlichen Gegenstand käme. 37 Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, 33.

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schöpfungsgemäße Ausstattung des Menschen mit Wille und Verstand dar, die sich in STh I–II als die Trägervermögen von Glaube und Liebe erweisen werden. Ebenso behandelt STh I die Gottebenbildlichkeit des Menschen, die sich im Glauben und Lieben Gottes realisiert. In STh I–II kommen Glaube und Liebe (und Hoffnung) als die theologischen Tugenden zur Sprache gemeinsam mit den anderen Tugenden des Menschen als Prinzipien des Handelns. Dass Glaube und Hoffnung und Liebe in ihrer Einheit die konkrete Gestalt der Gnade sind, durch die der Mensch wirksam auf Gott hingeordnet wird, führt STh II–II aus. Schließlich reflektiert Thomas in STh III auf Christus und die Sakramente, die Grund und Instrumentalursache der eingegossenen Gnade und damit der theologischen Tugenden sind. Was folgt daraus für die Interpretation von Glaube und Liebe? Die Darstellung der theologischen Tugenden ist die Darstellung des motus der imago Dei auf Gott hin, welcher motus nur auf dem Weg geschieht, der Christus ist und den Christus gezeigt hat. Umgekehrt heißt das, dass die Bedeutung der drei theologischen Tugenden bei Thomas nur dann hinreichend erfasst werden, wenn man alle drei Perspektiven berücksichtigt. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Theologie ist Entfaltung von Prinzipien, die in der Offenbarung gegeben worden sind. Die Offenbarung vermittelt die Prinzipien aus der Wissenschaft Gottes und der Seligen. Dass es sich bei der Offenbarung wirklich um Offenbarung handelt, zeigen die Wunder, die Christus getan hat. Die eigentliche Gewissheit darüber aber wird von Gott bewirkt, der den Willen dazu bewegt, dass der Verstand den Glaubenssätzen zustimmt. Darüber hinaus kann begründet gezeigt werden, dass alle Einwände gegen den Glauben bzw. alle inhaltlichen Alternativen falsch sind.

1.3 Kohärenz der Summa Theologiae38 Kohärenz der Summa Theologiae Die Summa Theologiae nun aufgrund ihrer hochsystematischen Gestalt als System zu interpretieren, würde ein großes Missverständnis bedeuten. Bei der Summa prädeterminieren Aufbau und Theologiebegriff weder den exakten Ort von Einzelthemen noch deren inhaltliche Ausgestaltung im Einzelnen. Es vollzieht sich ein gegenseitiges Bestimmungsverhältnis zwischen den Grundgedanken des Aufbaus der Summa und den EinzelAusführungen. Die eigentliche Synthese, die Thomas auszeichnet, stellt er her zwischen Denken in Zusammenhängen und Denken von Einzelproble38

Vgl. zum Folgenden besonders Grabmann, Erkenntnis- und Einleitungslehre; Berger, Summa theologiae.

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men her; er opfert keine Einzelüberlegungen um der übergeordneten Systematik willen – zugleich integriert er alles und alle Autoritäten in den Gesamtzusammenhang. Die argumentative Kohärenz stellt Thomas mit drei Mittel her; einmal durch einige wenige Gedankenfiguren (3), mit denen er ganz verschiedene Sachverhalte strukturieren kann, durch Einführung von Unterscheidungen (2) und durch die Art und Weise, wie er mit seinen eigenen Begriffen umgeht (1). (1) Thomas entwickelt eine eigene Begrifflichkeit, die aber nicht aus streng definierten Termini sich aufbaut, sondern aus Begriffen, die jeweils viele verschiedene, aber zusammenhängede Bedeutungsaspekte in sich bergen, so z.B. „ratio“, „communicatio“, „motus“, „virtus“. Die Einheit des theologischen Gedankenganges baut sich daher nicht aus einheitlich und präzise definierten Begriffen auf, sondern die inneren Zusammenhänge des theologischen Gedankenganges stiften Einheit zwischen der Vielfalt an Bedeutungen der verwendeten Begriffe, und die Begriffe ihrerseits konstituieren des Netz an Bedeutungszusammenhängen innerhalb der Gesamtargumentation der Summa Theologiae. Thomas weist beständig darauf hin, indem er das Wort „quasi“ oder „quidam“ seinen Aussagen einfügt. Es bedeutet dann also, dass ein Begriff nicht streng technisch und in einem anderen Aspekt als bisher oder als im Vorherigen zu verstehen ist. Thomas „spürt die Inadäquatheit gewisser Worte und zeigt durch ein quodammodo die Gebrechlichkeit noch der klassischsten Ausdrücke an. Ein quasi macht es ihm möglich, den Vorteil einer, abstrakt gesprochen, nur ungenauen Annäherung nicht einbüßen zu müssen.“39 Thomas verkörpert also elastisches Denken, das elastisch wird durch quasi, quodammodo und Parallelisierungen, die keine Gleichsetzungen sind. Sein Denken versucht, den Einzelphänomenen und der Ordnung gerecht zu werden. Auch die Fragen werden nicht genetisiert, sondern die vorhandenen – durch aktuelle Diskussion und Tradition vorhanden – geordnet. (2) Ein übelwollender Leser könnte Thomas mit James Bond vergleichen; immer wenn dieser in Not ist, zaubert er ein trickreiches Agentenwerkzeug herbei: Und Thomas fällt immer noch eine Unterscheidung ein, wenn er in argumentative Schwierigkeiten kommt (die er sich ja selbst durch die Einwände bereitet). Die wohlmeinende Leserin aber erblickt in den Unterscheidungen die thomasische Methode, mit der er einerseits alle Einzelfragen an theologische Grundaussagen und Grundprinzipien transparent rückvermitteln, andererseits den vielen einzelnen, auch praktischen und kirchenrechtlichen Fragen wirklich gerecht werden kann. Gerade darin erweist sich die Summa als Lehrbuch für theologische Urteilsbildung. (3) Kohärenz stellt Thomas aber grundlegend her, indem er einige weni39

Chenu, Werk, 131f.

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ge Gedankenfiguren bzw. Verhältnisbegriffe auf die verschiedenen theologischen Sachverhalte anwendet, und über diese gemeinsamen Gedankenfiguren40 Strukturzusammenhänge sichtbar macht. Die wichtigsten Gedankenfiguren sind mit den Stichworten Bewegung, Ursache, Partizipation, Relation und Analogie erfasst. Die Summa Theologiae wäre keine theologische Summe im strengsten Sinne, wenn Thomas diese Gedankenfiguren einer philosophischen Tradition entnehmen würde41 und umstandslos auf die Theologie anwenden würde. Thomas verwendet diese Gedankenfiguren als von ihm schon theologisch interpretierte und gefasste Gedankenfiguren; außerdem erfahren diese Gedankenfiguren innerhalb der Summa Theologiae selbst ihre theologische Begründung. Die fundamentaltheologischen Prinzipien – die in einem gewissen Sinne philosophische Gedankenfiguren von ihrer Herkunft her sind – erfahren jeweils nochmal eine materialdogmatische Begründung, sosehr sie auch dazu dienen, eben die materialdogmatischen Ausführungen zu strukturieren und zu ordnen. Im Folgenden seien die thomasische Rede von Ursache (a) und Bewegung (b) kurz vorgestellt, die Gedankenfigur der Analogie (c), der Relation (d) und der Partizipation (e) aber angesichts ihrer hohen Bedeutung für die Rekonstruktion von Glaube und Liebe bei Thomas etwas ausführlicher erörtert.

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Dazu umfassend und im Einzelnen Meyer, Thomas von Aquin. Zum sog Aristotelismus des Thomas, der ihm oft vorgeworfen wurde, ist mit Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 609–628 Folgendes zu sagen: Bei allen Typen von Verwendungsweisen aristotelischer Philosophie gilt: Thomas benutzt aristotelische Philosophie als immer schon von ihm selbst gedeutete und weiterentwickelte Philosophie. Die Verwendungsweisen zu Typen geordnet: - Ein aristotelisches Konzept dient zur Darstellung von anthropologischen Grundstrukturen innerhalb der Theologie, aber bevor diese in ihrem Wirken in der Gott-Mensch-Beziehung gedeutet werden. - Ein aristotelischer Begriff erläutert einen theologischen Begriff näher: durch analoge Übertragung: z.B. die Deutung von Glaube, Hoffnung und Liebe als Tugenden. - Ein aristotelischer Gedankenzusammenhang wird zum Grundparadigma, um einen theologischen Sachverhalt näher zu erklären, so z.B. die Rechtfertigung des Sünders durch das Bewegungsparadigma. - Einwände gegen thomasische Positionen werden entkräftet, indem Thomas zeigt, dass sie entweder nach aristotelischen Kategorien nicht korrekt sind oder zwar innerhalb des aristotelischen Denkens richtig, aber eine falsche Übertragung des aristotelischen Denkens auf einen theologischen Zusammenhang darstellen. „Das zu Beachtende am thomasischen Aristotelismus besteht gerade darin, daß Aristoteles selber teleologisch denkt, so daß Thomas über Aristoteles hinausgehen bzw. aristotelische Einsichten auf höhere Offenbarungswahrheiten hin disponieren kann mit aristotelischen Denkstrukturen selbst, die sich gerade in der thomasischen Trinitätslehre, in seiner Lehre von der caritas und in der Christologie zu bewähren haben.“ (Metz, Die Architektonik des Summa Theologiae, 26). 41

Kohärenz der Summa Theologiae

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(a) Ursache42 Im Anschluss an Aristoteles unterscheidet Thomas vier Arten von Ursache: die causa finalis, formalis, efficiens und materialis.43 Ursache allgemein ist etwas, von dem das Entstehen eines anderen, von ihm real Verschiedenen abhängt; man kann dann zwischen substantialem Werden, bei dem überhaupt ein neuer Gegenstand entsteht, von akzidentellem Werden unterscheiden, bei dem an einem Seienden etwas Neues entsteht bzw. verändert wird. Bei Kausalität zwischen geschaffenen Dingen ist vorausgesetzt, dass diese sowohl tätig sein als auch „leiden“ können, damit eines auf ein anderes überhaupt wirken kann. Alle Tätigkeit geht aus der Wesensform eines Dinges hervor. Insofern die Wesensform den actus essendi bewirkt bzw. darstellt, nennt Thomas die Form auch den ersten Akt und das Tätigsein aufgrund der Form zweiter Akt.44 Materia ist die rein passive Voraussetzung, davon, dass etwas werden kann. Die Form ist das, was der Materia das bestimmte Sein gibt, also den actus essendi bewirkt. Form und Materia bilden die inneren Ursachen eines Gegenstandes, insofern sie ihm innerlich sind, im Unterschied zur Wirkund zur Zweckursache. Form und Materia sind erst im seienden Gegenstand, und zwar nur als das Kompositum aus Form und Materia, das der Gegenstand ist. Die innere Bestimmtheit und Einheit wird dem konkreten Seienden durch seine substantielle Form verliehen; alle weiteren Bestimmungen erhält das Seiende durch akzidentelle Formen. Weil aber Form und Materia nur im seienden Gegenstand wirklich sind, d.h. „im Akt“ sind, bedarf es einer bewirkenden Ursache, welche Form und Materia zu ihrem Akt bewegt, der das Sein des Gegenstandes ist: actus essendi. Die Wirkursache bewirkt also das Sein oder die Veränderung eines Gegenstandes. Dabei differenziert Thomas zwischen Haupt- und Instrumentalursache: Die Instrumentalursache wirkt in Kraft der Hauptursache, vermittelt aber diese: so wie beim Schreiben die menschliche Hand den Stift führt. Hand wie Stift sind dabei Instrumentalursache des Menschen als Wirkursache, aber die Hand als verbundene Instrumentalursache. Da aber alles wirkt (bzw. handelt) wegen eines Zieles, muss es, damit die Wirkursache überhaupt tätig wird, ein Ziel für eben dieses Tätigwerden geben: die Ziel- oder Zweckursache. Diese steht in der Rangordnung der Ursachen an erster Stelle, weil die Zweckursache das Tätigwerden der drei anderen Ursachen hervorruft. 42 Vgl. dazu Meyer, Thomas von Aquin, 279–297; te Velde, Participation, 160–183; McInerny, Aquinas, 51–59; Wippel, Metaphysics. 43 Dazu STh II–II 27,3 c.a., wo Thomas zur Frage, ob Gott um seiner selbst willen zu lieben sei, die verschiedenen Arten (hier: genus!) von Ursachen definiert und mit Beispiel erklärt. Außerdem STh I 105,5. 44 Vgl. STh I 48,5 c.a.: „Actus autem est duplex: primus, et secundus. Actus quidem primus est forma et integritas rei: actus autem secundus est operatio.“

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Die Ursächlichkeit auf das Verhältnis von Gott und Mensch angewendet, bedeutet, dass Gott als die Erstursache in allem wirkt, aber der Schöpfung das Wirken als Zweitursache gewährt. Gott wirkt in den Zweitursachen, indem er erstens das Sein der Zweitursache wirkt und erhält, zweitens die Wirkkraft der Zweitursache wirkt und erhält und drittens die Wirkkraft der Zweitursache auf deren Tätigkeit appliziert. (b) Bewegung Die Grundsignatur endlicher Wirklichkeit ist für Thomas Bewegung. Bewegung hat immer ein Ziel und Bewegung hat immer eine Ursache, d. h. alles, was bewegt wird, wird von einem anderen bewegt, Bewegung bedeutet Überführung einer Potenz in den Akt. Im einfachsten Falle: Thomas von Aquin wirft einen brennenden Holzscheit in Richtung einer bestimmten Dame.45 Der Holzscheit bewegt sich, weil er von Thomas als Wirkursache bewegt wird, und zwar auf ein präzises Ziel (die Haare der Dame) hin, um diese zu vertreiben. Der Holzscheit wird dabei, was seinen Ort betrifft, aus der Potenz in den Akt überführt. Komplizierter gestaltet sich der Fall, wenn Thomas sich selbst in Richtung der Dame bewegt hätte. Das Ziel der Bewegung wäre ebenso einfach und präzise gewesen. Aber Thomas hätte ja sich selbst bewegt: Das ist nur so (in aristotelischer Tradition) zu denken, dass der Selbstbewegende aus einem Beweger (Seele) und einem Bewegten besteht. Thomas kennt Bewegung nicht nur als Ortsveränderung, sondern auch als quantitive Veränderung, als qualitative Veränderung und als Entstehen/Vergehen von Gegenständen überhaupt. Nichts Geschaffenes kann zu seinem Akt gelangen – sich bewegen –, ohne von Gott bewegt zu werden. In Anwendung der Ursachenlehre auf die Bewegung ist zu sagen: Alles erhält von Gott seine Form und darin sein Sein, durch die es auf spezifische Weise bewegt; Gott bewegt zu jedem tatsächlichen Wirksamwerden.46 Den Bewegungsbegriff wendet Thomas auch auf den Vollzug menschlichen Wollens und Verstehens an, wobei er das als einen weiter gefassten Sinn des Bewegungsbegriffs ausweist – diese Sinnweitung entsteht durch Analogie.47 Die Veränderung des menschlichen Wollens bezeichnet Thomas daher als Bewegtwerden des Willens durch Gott. Wie das durch die Gnade geschieht, erörtert das Kapitel zur Gnadenlehre des Thomas. Nun also zur Analogielehre des Thomas.

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Dazu Näheres bei Tocco, Leben, 89–91. Vgl. STh I–II 109,1 c.a. 47 So in STh I–II 109,1 c.a. 46

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(c) Analogie48 Seine Lehre von der analogen Bezeichnung entwickelt Thomas in der Gotteslehre, Quaestio 13 unter der Frage, wie sich die Anwendung eines Begriffes auf Gott von seiner Anwendung auf etwas Geschöpfliches unterscheidet. Wenn der gleiche Begriff auf Gott und Geschöpfe angewandt wird, – was nur möglich ist, wenn der Begriff eine Vollkommenheit bezeichnet, sonst könnte er per se nicht auf Gott angewandt werden oder nur bildlich – , dann mit dem Unterschied, dass Gott als die Ursache der ausgesagten Vollkommenheit bezeichnet wird, während die geschöpfliche Vollkommenheit als eine verursachte in den Blick kommt. Gott ist aber auf die Weise die Ursache der Vollkommenheit, dass er diese Vollkommenheit ursprünglich und auf „überragende Weise“ selbst ist.49 Dieser Unterschied betrifft das, was die Begriffe bezeichnen, also ihre Intension. Ein zweiter Unterschied ergibt sich daraus, wie die Begriffe bezeichnen.50 Geschöpfe sind aus Sein und Wesen zusammengesetzt; entsprechend bezeichnen Begriffe Eigenschaften eines Seienden, das diese Eigenschaften hat. Gott aber hat keine Eigenschaften, sondern ist sein Wesen und damit seine Eigenschaft. Insofern die menschlichen Begriffe die Art ihres Bezeichnens mit implizieren, können sie schon von der Art ihres Bezeichnens her Gott nur analog bezeichnen. Das hat zur Folge, dass das an Gott Bezeichnete als solches unbegriffen bleibt,51 wie andererseits daran gerade begriffen wird, wie und warum der Begriff Gott nicht begreift, wie er in sich selbst ist. Thomas zieht daraus weiter den Schluss, dass man irdisch Gott umso besser begreift – durch das begriffliche Erfassen der Differenz von Gottes Sein und geschöpflichem Sein –, je präziser man begreift, inwiefern und dass Gott durch Begriffe unbegreiflich ist. In einem allgemeinen Sinn versteht Thomas also unter Analogie, dass ein Begriff auf Dinge angewandt wird, die sich in verschiedener Weise auf ein und dasselbe beziehen.52 Das lässt sich nochmals unterteilen in Analogie der Proportionalität und Analogie der einfachen Proportion, was hier aber auch sich beruhen soll. (d) Relation53 Seine Lehre von den Relationen entwickelt Thomas in Verbindung mit der 48

Vgl. dazu Müller, Analogie; Meyer, 153–159. Vgl. STh I 13,6 c.a. 50 Vgl. dazu Perler, Theorien der Intentionalität. 51 Vgl. STh I 13,5 c.a. 52 Vgl. STh I 13,5 c.a. 53 Vgl. dazu Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 408–418; Liske, Kann Gott reale Beziehungen zu den Geschöpfen haben. 49

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analogen Bezeichnung Gottes durch Begriffe, die sonst Geschöpfliches aussagen. Er fragt, wie es sich mit den Begriffen verhält, die eine Beziehung Gottes zu seinen Geschöpfen aussagen z.B. „Herr“ oder „Schöpfer“, insbesondere danach, ob diese Begriffe von Gott mit zeitlicher Geltung ausgesagt werden. Um diese Frage zu beantworten, entfaltet er seine Theorie von drei möglichen Relationstypen. Was sind Relationen? Thomas definiert sie als Akzidentien, als eine der neun Kategorien, welche die Substanz näher bestimmen. Wie alle Akzidentien ist die Relation auch ein „inesse“, ein Insein in einer Substanz, „denn das Sein der Eigenschaft ist Inne-sein“.54 Der Relation als Relation55 ist eigentümlich, dass sie an der Substanz den Hinweis bezeichnet, „der das bezogene Wirkliche selbst trifft, insofern er von diesem weg auf ein anderes hinstrebt“.56 Das „Auf-anderes-hin-sein“ der Relation klassifiziert Thomas näher, indem er das eine Relat der Relation in seiner Beziehung zur Relation betrachtet: Rein gedankliche Relationen werden allein durch das Denken hergestellt; die Relation hat keinen Einfluss auf das Sein des Relates, bestimmt dieses nicht näher. Ein Beispiel sei herausgegriffen: wenn durch das Denken etwas auf sich selbst bezogen und eine Identitätsrelation konstatiert wird.57 Bei realen Relationen dagegen wird das Relat als es selbst durch die Relation bestimmt, bzw. wenn die Beziehung aufgrund von etwas besteht, dass beiden Relaten real zukommt: z.B. Quantitätsrelationen und actio-passioRelationen. Betrachtet man Relationen nun als zweiseitige Beziehungen, dann können sie rein gedanklich, real oder „gemischt“ sein, so dass die Relation für ein Relat real, für das andere Relat nur gedacht ist. Thomas sieht sie überall dort gegeben, wo die Relate verschiedenen Ordnungen angehören, z.B. beim Erkennen. Der Erkennende hat eine reale Beziehung zum Erkannten; vom Erkannten zum Erkennenden dagegen ist es nur eine gedachte Beziehung. Um eine solche gemischte Beziehung handelt es sich auch zwischen Gott und Mensch bzw. Schöpfung: „Nun steht Gott außerhalb der gesamten geschöpflichen Ordnung und doch sind alle Geschöpfe auf ihn hingeordnet, nicht umgekehrt; daher haben die Geschöpfe offenbar eine natur-wirkliche Beziehung zu Gott. In Gott aber gibt es keine natur-wirkliche Beziehung zu 54

STh I 28,2 c.a. „Accidentis enim esse est inesse.“ Weil Thomas die Relation primär von ihrem Relationscharakter versteht, kann er dann innertrinitarisch Relationen denken, die keine Akzidentien sind, obwohl sonst, geschöpflich, Relationen immer nur als Akzidentien vorkommen. 56 STh I 28,2 c.a.: „Quasi significantes respectum quodammodo contingentem ipsam rem relatam, prout ab ea tendit in alterum.“ 57 Darin liegt sein trinitätstheologischer Grundsatz philosophisch begründet, dass Wesen Gottes nicht real verschieden ist von den Personen, sondern es sich um eine gedachte Relation handelt: weil nämlich sachlich (1) Relation und Wesen Gottes identisch sind, d.h. diese verschiedenen Begriffe haben dieselbe Extension, vgl. STh I 28,2 c.a. 55

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den Geschöpfen, sondern bloß eine gedachte, insofern die Geschöpfe zu ihm eine Beziehung haben.“58 Daraus folgt für die Gottesbegriffe, dass „Herr“ Gott bezeichnet, insofern die Schöpfung ihm untergeben ist, also eine reale Relation zu Gott hat, die in Gott aber nur als gedachte besteht; als diese gedachte hat sie aber ihren Grund in der Macht Gottes, womit das Wesen Gottes selbst bezeichnet ist. Von diesem Konzept einer nur gedanklichen Beziehung Gottes zur Welt legt sich der Verdacht nahe, dass „der Aristotelismus [...] Thomas dazu verführt, mit seiner Theorie von der bloß rationalen Beziehung Gottes zur Welt den christlichen Schöpfungsglauben zu verfälschen.“59 Ob der Verdacht begründet ist und wie Thomas mit oder trotz dieses Axioms Gottes Liebe zur Welt denken kann, wird der Verlauf der weiteren Untersuchung zeigen. (e) Partizipation60 Thomas entwickelt in der kritischen Auseinandersetzung mit Plato und der aristotelischen Kritik an dessen Partizipationsdenken ein eigenes Partizipationskonzept, für welches das Rezeptionsprinzip basal ist. Damit ist gemeint, dass die Dinge ein empfangenes Sein haben, insofern Gottes Sein für sie den Seinsgrund darstellt. Ihr Sein hat nicht unmittelbar teil am göttlichen Sein, sondern an seiner Seinsmächtigkeit, insofern geschöpfliches Sein vom göttlichen Sein geschaffenes (!) Empfangen von Sein ist. Partizipation ist bei Thomas strikt von Kausalität und Similitudo her gedacht und hat die Funktion, den Schöpfungsgedanken auszulegen.61 Partizipation bezieht sich auf das Sein der Geschöpfe überhaupt, darin auf ihr Gutsein. Nach diesem Ersten also, das durch sein Wesen seiend und gut ist, können dann alle Dinge seiend und gut genannt werden, sofern sie nämlich durch eine Art Verähnli58

STh I 13,7 c.a.: „Cum igitur Deus sit extra totum ordinem creaturae, et omnes creaturae ordinentur ad ipsum, et non e converso, manifestum est quod creaturae realiter referuntur ad Deum; sed in Deo non est aliqua realis relatio ejus ad creaturas, sed secundum rationem tantum inquantum creaturae referuntur ad ipsum.“ 59 Liske, Kann Gott reale Beziehungen zu den Geschöpfen haben?, 210. 60 Dazu v.a. Fabro, Participation; Krenn, Vermittlung; Mundhenk, Seele; Krenn, Vermittlung; Weier, Seinsteilhabe und Sinnteilhabe. 61 Elders findet bei Thomas Partizipation in dreifacher Bedeutung, wobei er sich auf Thomas Kommentar zu Boethius Schrift De hebdomadibus stützt: als logische, als prädikamentale und als transzendentale. Die Beziehung von Individuum zu Art, und von Art zu Gattung, die Thomas nicht als ontologische denkt, bezeichnet Elders als logische Partizipation. Die prädikamentale beschreibt das Verhältnis von Substanz zu Akzidentien, sowie von Materie und Form, während die tranzendentale das Verhältnis von Wirkung und (Wirk-)Ursache ausdrückt. Er berücksichtigt dabei nicht die Rolle der similitudo für das thomasische Konzept; auch würdigt er die zentrale Stellung der transzendentalen Partizipation für die Argumentation des Theologen Thomas nicht, Elders, Metaphysik, I, 175–185.

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chung an ihm teilhaben, wenn auch nur unvollkommen und mangelhaft. So werden also alle Wesen gut genannt durch die Güte Gottes, sofern Gott Ur-Bild und Ur-Sache sowie Endziel aller Güte und alles Guten ist. Nichtsdestoweniger ist aber auch jedes Ding gut durch eine ihm innewohnende Ähnlichkeit mit der Güte Gottes, die formell als seine eigene Güte zu betrachten ist [...]. Und so sind alle Dinge gut durch eine einzige Güte, und doch ist auch ein jedes für sich gut.62

Thomas stellt das alleinige Schöpfersein Gottes heraus: Er ist Prinzip und Ursache alles dessen, was ist. Zweitens betont er die Eigenständigkeit des Geschaffenen bei bleibender Verwiesenheit auf den Schöpfer. Das gelingt ihm, insofern er durch den Partizipationsgedanken Kausalität und Abbildlichkeit/similitudo zusammendenkt: Verursachung ist Mitteilung von Ähnlichkeit; als mitgeteilte, daher den Geschöpfen wirklich eigene Ähnlichkeit ist sie diese nur in Beziehung auf ihr Urbild, also ihre Ursache. In dieser Perspektive, von den Geschöpfen her, ist die Ursache zugleich Ziel, auch wiederum vermittelt durch Ähnlichkeit. So streben alle Geschöpfe danach, auf ihre Weise Gott ähnlich zu werden (assimilare).63 Gott fungiert dabei jedoch nicht als neutral verstandene Ursache und dementsprechend Ziel, sondern insofern er der und das Gute ist, das aufgrund seiner Güte schafft und das aufgrund seiner Güte von allem Geschaffenem geliebt und erstrebt wird. Als Schlüsselbegriff fungiert similitudo inhaerens: Das Geschöpf wird konstituiert durch Mitteilung von Ähnlichkeit bezüglich Sein und Wesen, welche Mitteilung als Mitteilung beinhaltet, dass die Mitteilung mitgeteilte Mitteilung ist, und in diesem Sinn dem Mitgeteilten zueigen, welche aber als Mitteilung von Ähnlichkeit nur im bleibenden Bezug auf das Urbild ist, was es ist. Konstitution, Eigenständigkeit, Erhaltung und Zielausrichtung des Geschöpfes sind so gleichermaßen ausgesagt. Die Schöpfungslehre des Thomas beginnt in STh I 44,1 auch exakt mit dem Partizipationsgedanken. Gott ist das esse per se subsistens, und es kann nur ein einziges esse per se subsistens geben; alles andere muss durch Partizipation existieren. Der Partizipationsgedanke erfüllt bei Thomas dann auch die Funktion, die Verschiedenheit des Seienden zu erklären, nämlich als 62 STh I 6,4 c.a.: „A primo igitur per suam essentiam ente et bono, unumquodque potest dici bonum et ens, inquantum participat ipsum per modum cujusdam assimilationis, licit remote et deficienter, ut es superioribus patet. Sic igitur unumquodque dicitur bonum bonitate divina, sicut primo principio exemplari, effectivo et finali totius bonitatis. Nihilominus tamen unumquodque dicitur bonum similitudine divinae bonitatis sibi inhaerente, quae est formaliter sua bonitas denominans ipsum. Et sic est bonitas una omnium; et multae bonitates.“ 63 Vgl. STh I–II 109,6 c.a.: „Da nun Gott das erste Bewegende schlechthin ist, kommt es aus seiner Erstbewegung, daß alles zu Ihm hingeordnet wird in der allgemeinen Zielrichtung des Guten, kraft deren ein jedes Wesen danach strebt, Gott auf seine Weise ähnlich zu werden.“/„Sic igitur, cum Deus sit primum movens simpliciter, ex ejus motione est quod omnia in ipsum convertantur secundum communem intentionem boni, per quam unumquodque intendit assimilari Deo secundum suum modum.“

Schlussfolgerungen für die Interpretation

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unterschiedliche Partizipation, als Grade an Vollkommenheit, die von dem Vollkommensten verursacht werden. Die analysierten Begriffsmomente von Partizipation erweisen ihre Gültigkeit an einem besonderen Fall von Partizipation: wenn Gott bzw. eine der göttlichen Personen Subjekt der Partizipation gedacht wird, wie es Thomas bei der theologischen Tugend der caritas konzipiert. Der Hl. Geist partizipiert am Menschen, wobei diese Partizipation die von Gott geschaffene caritas des Menschen darstellt. Die Partizipation ist eine vom Hl. Geist geschaffene Ähnlichkeit zur göttlichen Liebe, die der Hl. Geist selbst ist. Auch hier vermittelt der Partizipationsgedanke die Momente von Schöpfung, Kausalität und Ähnlichkeit. Indem die Begriffe ‚participatio‘, ‚similitudo‘ und ‚imago‘ zugleich auf die Seele angewandt werden, wird zum Ausdruck gebracht, daß die menschliche Seele eine Ähnlichkeit zu Gott besitzt, die sie zugleich des göttlichen Seins, der göttlichen Erkenntniskraft und durch die Gnade auch der göttlichen Natur teilhaftig macht.64

Der Partizipationsgedanke strukturiert die thomasische Deutung der GottMensch-Beziehung sowohl in Schöpfung als auch Erlösung als auch Vollendung. Zusammen mit den anderen vorgestellten Gedankenfiguren trägt der Partizipationsgedanke zu der außerordentlich großen, darin einfachen und zugleich komplexen Kohärenz der Summa Theologiae bei.

1.4 Schlussfolgerungen für die Interpretation Schlussfolgerungen für die Interpretation Die besondere Schwierigkeit einer systematisch-theologischen Interpretation der Summa liegt in der Differenz von heutigem und mittelalterlichem Interesse: Die Aufbauprinzipien, die Verbindung der Teile, die Vorentscheidungen. All dieses für unser heutiges Verständnis Interessante eines Entwurfs ist in der Summa nur implizit enthalten. Uns interessiert die Ordnung, nicht das Geordnete, das Originelle, nicht das Traditionelle, die Leitidee, nicht die Ausführung, die Einheit, nicht das Einzelne. Das unterscheidet unsere Leseperspektive von der Verfasserperspektive. Bei der Interpretation ist das zu berücksichtigen, indem folgend verfahren wird: 64 Mundhenk, Seele, 136, der hier aber nur ungenau ausdrückt, dass die Ähnlichkeit gerade die Partizipation ist und umgekehrt. Obwohl Mundhenk gute und genaue Textbeobachtungen formuliert, kommt er aufgrund falscher methodischer Grundannahmen (Kriterium für Wichtigkeit: ob jemand dazu Neues zu sagen intendiert) zum gravierenden Fehlurteil: „Fragt man, welches die stärksten Impulse des Thomas gewesen seien, so spielt sie, die „participatio“, nur eine bescheidene Rolle und leistet zum Gesamtverständnis des Thomas keinen nennenswerten Beitrag“, Mundhenk, Seele, 160f. Der Gang der vorliegenden Untersuchung wird erweisen, dass Partizipation ein unentbehrlicher Leitbegriff der thomasischen Theologie ist.

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Die Summa Theologiae. Vorklärungen

Der Aufbau der Summa ist bei allen Einzelinterpretationsproblemen als entscheidend zu heranzuziehen. Da die verschiedenen Teile der Summa das Gleiche unter unterschiedlichen Perspektiven untersuchen, sind bei den Einzelfragen die Ergebnisse dieser Perspektiven in Zusammenhang zu bringen. Die vorliegende Arbeit entspricht diesen Prinzipien, indem sie die thomasische Konzeption unter der Fragestellung des Verhältnisses von Glaube und Liebe als Argumentationslinie zunächst dem thomasischen Aufbau gemäß darstellt, um dann die verschiedenen entwickelten Perspektiven in ein Gesamtbild des Verhältnisses von Glaube und Liebe zu integrieren. Von Thomas vor dem Glaubens- und dem Liebestraktat entwickelte Unterscheidungen werden zur Interpretation der thomasischen Thesen hinsichtlich Glauben und Liebe auch dann in Anschlag gebracht, wenn Thomas die Verbindung an dieser Stelle selbst nicht explizit herstellt. Die Wissenschaftstheorie der Theologie ist zugleich die Einführung und komprimierte Form seiner materialen Theologie. Der Mensch muss Gott als sein Ziel (zugleich als Wahrheit) kennen, um sich auf ihn im Handeln auszurichten; das kann und soll er als Ebenbild Gottes, das Wissen um beides und den Möglichkeitsgrund von Wissen und Handeln stellt Jesus Christus dar. Was also auch immer über den Menschen gesagt werden kann, ist dreifach zu entfalten: insofern Gott des Menschen Letztziel ist, insofern der Mensch Ebenbild Gottes ist und insofern Christus als der menschgemachte Gott die Vermittlung von beidem ist.

2. Die Summa Theologiae im Überblick Die Summa Theologiae im Überblick Im Folgenden wird der Gedankengang der Summa Theologiae einführend zusammengefasst. Gott ist Ursprung und Ziel des Menschen, der sich als sein Ebenbild durch die Gnade vermittelt durch Jesus Christus auf ihn zu bewegt in Glaube, Hoffnung und Liebe.

2.1 Gott als Ursprung und Ziel1 Gott als Ursprung und Ziel 2.1.1 Gottes Wesen Gott kann nicht definiert, darum im strengen Sinne nicht bewiesen werden, weil er keiner Gattung angehört. Gattung setzt immer ein Verhältnis von Verwirklichung und Potentialität voraus; die Rede von Gattung impliziert, dass denjenigen, die unter eine Gattung fallen, etwas gemeinsam ist und diese dabei aber ein eigenes Sein haben, d.h. Sein und Wesen müssen unterschieden sein. Dies ist bei Gott nicht erfüllt, denn er ist reines Sein (actus purus) und sein Wesen ist sein Sein.2 Als Verstehensschlüssel für alles Reden von Gottes Wesen, Eigenschaften und Vollzügen dient die Quaestio 3 über die Einfachheit Gottes, mit der Thomas seine Lehre über das Wesen Gottes einleitet. Die Rede von Gottes Einfachheit begründet, warum wir nicht wissen – im emphatischen Sinn des Begriffes Wissen –, wie Gott ist, sondern nur wie er nicht ist, warum wir nur analog über Gott sprechen können, worunter auch die Rede von Gottes Einfachheit selbst fällt.3 Thomas geht so vor, dass er alle Formen von Zusammensetzung, die im kreatürlichen Bereich anzutreffen sind, der Reihe nach von Gott ausschließt. Gott hat keinen Körper, weil das unvereinbar wäre damit, dass er – wie in STh I 2,3, in den sog. Fünf Wegen gezeigt – der erste unbewegte Beweger ist, dass er erstes Sein (und daher actus purus) und dass er bezüglich der

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Dazu v.a. Hankey, God in Himself. Vgl. STh I 3,5 c.a. 3 So auch Davies, Aquinas, 54–61. 2

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Die Summa Theologiae im Überblick

Stufenordnung des Seienden das edelste Wesen ist.4 Gott ist nicht zusammengesetzt aus Form und Materia, sondern ist reine Form. Auch hierfür gibt Thomas drei Gründe an: Gott kann nichts enthalten, was noch Potentialität aufweist, denn das besagt eine Unvollkommenheit. Jede Materia aber ist Potentialität. Zweitens ist alles, was gut und vollkommen ist, gut und vollkommen durch seine Form, an deren Gutheit die Materia Anteil hat und insofern, also nicht aus sich heraus, gut ist. Gott nun als das höchste Gut, kann nichts enthalten, was nur durch Anteilhabe gut ist, sonst wäre er nicht das höchste Gut. Weil drittens jedes Wirkende durch seine Form wirkt, Gott aber der erste und durch sich selbst Wirkende ist, muss er ganz und nur Form sein. Ist in Gott zwischen Suppositum und essentia zu unterscheiden? Suppositum meint bei Thomas eine individuelle Substanz, die Träger einer allgemeinen essentia ist. So ist der Mensch Sokrates Träger einer allgemeinen Menschheitsnatur, die als Form durch die Materia zu einer einzelnen Substanz individuiert wird. Sokrates ist mit der allgemeinen Menschheitsnatur nicht identisch, insofern er nur einer der vielen Träger dieser Menschheitsnatur ist und er als Sokrates zugleich über Merkmale verfügt, die nicht Teil der allgemeinen Menschheitsnatur sind (z.B. große Nase). Alles, jedoch, was reine Form ist und was durch sich als Form individuiert wird, hat keinen Unterschied von allgemeiner Natur und Naturträger, oder zwischen Suppositum und essentia. Weil also Gott reine Form ist, ist er zugleich seine essentia.5 Gott ist sein Wesen. Gottes Vollkommenheit erörtert Thomas in drei Artikeln. Vollkommen ist ein Wesen, wenn es hinsichtlich aller ihm zukommenden Bestimmungen in actu ist, d.h. seine eigenen Möglichkeiten vollständig verwirklicht.6 Thomas muss daher nun nachweisen, dass Gott, um das Vollkommenste zu sein, am meisten in-actu, also reine Wirklichkeit, ohne jede Möglichkeit ist. Gott ist als prima causa die causa efficiens für alle Wesen. Alles Wirkende, insofern es wirkt, ist in-actu. Daher muss Gott als das Prinzip des Wirkens, als der erste Wirkende, am meisten in-actu sein. Wenn Gott aber am meisten in actu ist, ist er am vollkommensten. Als vollkommen hat Gott auch die Vollkommenheiten aller Dinge in sich (STh I 4,2), was Thomas zweifach begründet: 1. Er geht von der Prämisse aus, dass alle Vollkommenheit 4 Biblische Redewendungen, die ein körperliches Verständnis Gottes nahe legen, interpretiert er als gleichnishafte Rede. 5 Eigene Differenzierungen erfordert die thomasische Trinitätslehre, in der Thomas davon spricht, dass für den menschlichen Verstand drei Supposita von dem einen göttlichen Wesen zu unterscheiden seien. 6 Thomas gibt in STh I 4,1 c.a. nominell zwei Definitionen, von denen eine keine ist: „perfectum dicitur, cui nihil deest secundum modum suae perfectionis“, insofern das Definiens in der Definition selbst wieder verwandt wird.

Gott als Ursprung und Ziel

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einer Wirkung bereits in der Ursache zu finden sein muss, entweder auf gleiche oder auf höhere Weise. Da Gott die Wirkursache aller Dinge ist, müssen auch alle ihre Vollkommenheiten in ihm vorgebildet sein. 2. Thomas muss hier voraussetzen, dass die Vollkommenheiten der Dinge immer Vollkommenheiten des Seins sind. Das stellt jedoch eine Implikation dar seiner Bestimmung von Vollkommenheit als in-actu-Sein hinsichtlich einer Eigenschaft. Thomas hat also zu zeigen, dass Gott alle Vollkommenheiten des Seins hat. Dies trifft zu, insofern Gott schlechthin in-actu ist. Zur Vollkommenheit gehört, dass etwas „sowohl seine Wesensform als auch die notwendigen Voraussetzungen für diese und die notwendigen Auswirkungen“ hat.7 Damit interpretiert Thomas Augustin in der Weise, dass das Vollkommensein in modus, specie und ordo besteht. Mit modus kennzeichnet Thomas die Voraussetzungen für die Form, d.h. das rechte Verhältnis „der inneren und äußeren Entstehungsgründe zur Form selbst“.8 Specie bezeichnet die Art, welche die Form bestimmt, sodass also specie die Form meint. Ordo bezieht sich auf die Neigung zum Tätigsein entsprechend der Form und aus der Form folgend.9 Weiter unterscheidet Thomas eine dreifache Weise der Vollkommenheit: Die erste besteht darin, dass etwas ist, also sein Sein hat; die zweite darin, dass es Eigenschaften hat (die zu seinem Wesen hinzukommen), die es zu einer vollkommenen Tätigkeit befähigen. Dass etwas sein Ziel erreicht, nennt Thomas die dritte Weise der Vollkommenheit. Nur Gott ist allein durch sein Wesen auf diese dreifache Weise vollkommen; seine Vollkommenheit ist also nicht nur graduell von jeder möglichen geschöpflichen unterschieden. Bevor Thomas dann das Gutsein Gottes als Implikat der Vollkommenheit Gottes darlegt, widmet er sich der Frage nach der Bestimmung des Guten. Gutsein leitet Thomas aus der Vollkommenheit ab.10 Vorausgesetzt ist auch hier wieder, dass alles nach (seiner) Vollkommenheit strebt, nach dem Sein in actu. Und weil das Gute das ist, wonach alle streben, ist das Gute das Vollkommene (insofern es erstrebt wird). Und insofern Vollkommenheit im Sein besteht, ist Gutsein mit Sein sachlich identisch. Gutsein impliziert Sein, insofern es vollkommen ist und von einem anderen erstrebt wird. Als Konsequenz bedeutet bei Thomas das Böse immer einen Mangel an Sein. 7 STh I 5,5 c.a.: „quod formam habeat, et ea quae praeexiguntur ad eam, et ea quae consequuntur ad ipsam“. 8 STh I 5,5 c.a. 9 Nicht nachvollziehbar erscheint Elders Bewertung: „Thomas überwindet damit die statische Anschauung des Guten und sieht das Gute im Entstehen (modus), im spezifischen Reichtum seiner selbst (species) und in dem, was es erstrebt und bewirkt (ordo).“ Elders, Die Metaphysik des Thomas von Aquin in historischer Perspektive. 1. Teil, 94. 10 Vgl. STh I 5,5 c.a.

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Die Summa Theologiae im Überblick

Das Prädikat „gut“ impliziert immer eine Instanz, die sich auf das als „gut“ Prädizierte richtet, und zwar indem es dieses erstrebt. Diese Implikation unterscheidet das Gutsein begrifflich vom Sein. Der Seinsbegriff ist „früher“, was bei Thomas heißt, die Erkenntnis des Seins eines Gegenstandes ist das erste, was erkannt wird, weil es die Grundlage der Erkennbarkeit eines Gegenstandes darstellt. Hinsichtlich der Ursächlichkeit im Wirkenden aber hat das Gute den Primat, nämlich als Zweckursache; hinsichtlich des Bewirkten aber tritt das Ziel als letztes ein. „Das Gutsein hat den Charakter des Zieles, worin nicht nur alles ruht, was bereits wirklich, sondern wonach auch das in Bewegung ist, was noch nicht verwirklicht ist, aber noch der Verwirklichung harrt.“11 Alles Seiende ist also als Seiendes gut. Die Argumentation rekurriert hier nicht auf das Geschaffensein aller Dinge (anders das sed contra in STh I 5,3). In STh I 5,6 stellt Thomas seine interne Differenzierung des Guten in „honestum, utile et delectabile“ vor, die laut Thomas dem Guten als Gutem, also auch unabhängig von der menschlichen Beziehung auf es zukommen. Dies stellt zunächst einen Widerspruch zu seiner bisherigen Bestimmung des Guten dar, für das es begrifflich konstitutiv sei, dass es von Menschen erstrebt wird oder werden kann. Erst in STh I 20,2 expliziert Thomas seine schöpfungstheologische Begründung des Gutseins des Guten: Weil es von Gott gewollt wird, ist es und ist es gut. Die genannte Dreiteilung plausibilisiert Thomas anhand des Vergleichs mit einer Bewegung hin zu einem Ziel. Das, was als Mittel zum Ziel erstrebt würde, sei das Nützliche, das, was als Ziel um seiner selbst willen gewollt ist, würde das Edle genannt, während der menschliche „Besitz“ des Zieles das Angenehme sei. Daraus ergibt sich eine wertende Reihenfolge der so geordneten Güter: das Edle als erstes, das Angenehme als zweites und als drittes das Nützliche. Das Gutsein Gottes legt Thomas in Quaestio 6 dar. Er leitet hier (!) also die Bestimmung von Gutsein nicht von Gott ab, sondern fragt danach, wie das zuvor definierte Gutsein auf Gott zutrifft. Nachdem Thomas gezeigt hatte, dass Gott vollkommen ist, muss er nun zeigen, dass er auch erstrebt wird, um das Kriterium des Guten zu erfüllen. Die Appetibilität der Guten stellt den logischen, die Vollkommenheit aber den ontologischen und darin grundlegenden und vorgängigen Aspekt des bonum dar.12 Alle Wesen streben nach (ihrer) Vollendung; diese besteht in einer gewissen Ähnlichkeit mit dem, der (das Sein und) die Vollendung bewirkt. Vorausgesetzt ist dabei, dass der Wirkende eine höhere Vollkommenheit aufweist als das, was er bewirkt. So wird der Wirkende selbst zum 11 STh I 5,2 ad 2: „bonum habet rationem finis, in quo non solum quiescunt quae sunt in actu, sed ad ad ipsum moventur quae in actu non sunt, sed in potentia tantum.“ 12 Dazu auch Ilien, 76–79.

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Gegenstand des Strebens nach Vollkommenheit. Weil Gott die erste Wirkursache aller Wesen ist, wird er von allen in ihrem Vollkommenheitsstreben13 erstrebt und ist insofern gut. Inwiefern ist Gott nun das höchste Gut? Thomas kommt es darauf an, das „höchste“ nicht in einem graduellen, quantitativen Sinn zu verstehen. Sein Gutsein ist in einzigartiger Weise ein anderes als das mögliche Gutsein von Geschöpfen, weil nur Gott aufgrund seines Wesens vollkommen ist (und nicht durch zusätzliche Eigenschaften und Zielerreichung), denn nur bei ihm sind Wesen und Sein eins. Trotzdem kann sein Gutsein mit dem Gutsein der Geschöpfe verglichen werden, sodass sein Gutsein als das alles überragende Gutsein in den Blick kommt, weil er zwar mit den geschöpflichen Wesen nicht in einer Gattung steht, aber das Prinzip jeder Gattung bildet. Weil Gott als einziges allein durch sein Wesen vollkommen ist, ist auch nur er allein durch sein Wesen gut. Dass es Gott als einem solchen Wesen gemäß ist, sich zu verströmen und so sein Gutsein weiterzugeben, reflektiert Thomas erst in STh I 19,2. Zunächst soll nach dem Gutsein eine weitere der Transzendentalien behandelt werden: das Wahre und Gott als die Wahrheit. Dass Gott die Wahrheit ist, begründet Thomas in Quaestio 16, wobei er auch hier zunächst den Wahrheitsbegriff allgemein klärt, wobei der allgemeine Wahrheitsbegriff qua Begriff Gott als Bedingung enthält. Das (durch die von Thomas rezipierte Theologie- und Philosophiegeschichte vorgegebene) Ausgangsproblem lautet, inwiefern die Wahrheit im Verstand oder in den Dingen sei. Die thomasische Antwort „veritas est adaequatio rei et intellectus“ eröffnet eine Sicht, die Erkenntnistheorie und Ontologie explizit verbindet: Das Ziel des Erkennens besteht in einer Wahrheit des Verstandes, weil eine Erkenntnis sich daran bemisst, was im Erkennenden ist. In dem Sinne stellt Erkenntnis eine Angleichung des Verstandes an die zu erkennende Sache dar, also eine Relation von Verstand und Sache, vom Verstand aus betrachtet. Nun sind aber die zu erkennenden Sachen ihrerseits konstitutiv auf einen Verstand bezogen, von dem sie abhängen: den Verstand Gottes. Wird diese Relation von den Dingen her betrachtet, sind diese wahr, insofern sie ihren species im göttlichen Verstand entsprechend, denen sie sich verdanken. Also auch insofern die Dinge wahr sind hinsichtlich des göttlichen Verstandes, dessen species sie entsprechen, gilt die Wahrheitsdefinition: Veritas est adaequatio rei et intellectus. Thomas ordnet diese zwei Aspekte der Wahrheit so, dass er die Wahrheit in erster Linie 13 „Denn die Vollkommenheiten aller Wesen sind irgendwie Verähnlichungen mit dem göttlichen Wesen“ (STh I 6,1 ad 2), wobei Thomas in STh I 4,3 c.a. gezeigt hatte, „daß die Dinge, die von Gott kommen, sofern sie Seiende sind, Gott ähnlich als der ersten und universalen Ursache alles Seins“ sind.

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und ursprünglich im Verstand ansiedelt. Das spezifiziert Thomas (STh I 16,2), indem er Wahrheit als Erkenntnis nur im trennenden und zusammensetzenden Verstand, also im Urteil verortet; denn nur da ist die Übereinstimmung von Verstand und Sache nicht nur gegeben, sondern selbst als eine solche erkannt. Die Erkenntnis der Übereinstimmung findet statt, wenn die Sache mit der Form, die der Verstand von ihr erkannt hat, verglichen und ihr entweder zu- oder abgesprochen wird in einem Urteil. Was nun die Wahrheit in den Dingen betrifft, so ist Wahrsein und Sein für Thomas vertauschbar (STh I 16,3). Das Wahrsein fügt aber dem Seienden begrifflich die Beziehung auf den Verstand hinzu, was mit dem Begriff des Guten parallelisiert wird, der dem Seienden das Erstrebtwerden begrifflich hinzufügt. Als Einwände nennt Thomas: (1) Während das Sein in den Dingen ist, sei Wahrheit vor allem im Verstande, daher sei keine Vertauschbarkeit gegeben. (2) Wahrheit erstrecke sich auch auf Nichtseiendes (dass es nicht sei). (3) Was sich wie früher und später verhält, scheint nicht vertauschbar zu sein (denn die Erkenntnis des Seienden geschieht unter dem Gesichtspunkt von dessen Wahrsein).14 Thomas antwortet auf (2), dass das Nichtseiende begrifflich, also im Verstande ein Seiendes sei. Zu (3) führt Thomas aus, dass im Erkennen des Seienden noch nicht dessen Wahrsein miterkannt wird (wohl aber umgekehrt). Das ist im oben dargestellten Sinne zu verstehen, dass zur Wahrheit als Erkenntnis eben nicht nur die Übereinstimmung von Seienden und (menschlichen) Verstand gehört, sondern auch die Erkenntnis dieser Übereinstimmung. Damit ist der Kern des Einwandes, eine logische Reihenfolge (Wahrem und Seiendem) nicht widerlegt, sondern gerade bestätigt, wenn auch Thomas die Reihenfolge selbst anders bestimmt! Als nächstes (STh I 16,4) diskutiert Thomas die begrifflichen Unterschiede von bonum und verum, insofern sie aber doch mit dem Seienden vertauschbar sind. Das Wahre ist früher, weil es sich unmittelbar auf das Seiende bezieht, das Gute aber bezeichnet das Seiende, insofern das Seiende vollkommen ist, also das Seiende unter einem Aspekt des Seienden selbst betrachtet. Zweitens gelte allgemein, dass das Erkennen (bezogen auf das verum) dem Streben (bezogen auf das bonum) vorausgeht. Als Einwände formuliert Thomas: (1) Da das Wahre ein bestimmtes Gut ist und das Allgemeinere begrifflich früher, muss das Gute als Allgemeineres früher sein als das Wahre. (2) Während das Gute in den Dingen läge, sei das Wahre im Verstand. Das, was in den Dingen sei, sei aber begrifflich früher. (3) Insofern Wahrheit eine Tugend sei, gehöre sie in den Bereich des Guten, 14 Hier ist der Einwand von Thomas nicht klar formuliert, was aber gerade dazu dient, in seiner Entgegnung wichtige Differenzierungen einzuführen – auch wenn er dabei den Einwand nicht einmal richtig zitiert.

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woraus folge, dass das Gute früher sei. Darauf entgegnet Thomas, dass mit dieser Wahrheit als Tugend, eine besondere und nicht allgemein Wahrheit gemeint sei. Bezüglich (2) präzisiert Thomas näher, was die Frage nach dem begrifflich Früheren impliziert: Welche der Begriffe ist (logisch) früher im erkennenden Verstand? In dieser Hinsicht betrachtet, erkennt nach Thomas der Verstand erst das Seiende, dann, dass er erkennt, dann, dass er das Erkannte erstrebt.15 Schließlich widerlegt Thomas (1), indem er zeigt, dass sich Wille und Verstand gegenseitig einschließen, in dem Sinne, dass der prinzipiell eigentümliche Gegenstand des einen im Bereich des anderen nur einer unter anderen und damit ein spezieller sei. Das Wahre ist hinsichtlich des Willens (nur) ein mögliches erstrebenswertes Gut, während das Gute für den Verstand nur eines der möglichen Erkenntnisgegenstände darstellt. Während in Quaestio 16 bis zu diesem Punkt nur philosophische Autoritäten zitiert wurden, leitet Artikel 5 mit biblischen Satz „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) die theologische Frage im engeren Sinn ein, nämlich, ob Gott Wahrheit sei. Thomas zeigt hier, dass Gott einerseits die zweiteilige Definition von Wahrheit erfüllt und sie zweitens in unübertreffbarer Weise anders erfüllt als die Geschöpfe. Insofern Wahrheit in den Sachen ist gemäß ihrer Bezogenheit auf Gottes Verstand, ist Gott Wahrheit, weil sein Sein sein Erkennen ist, es also die denkbar engste Verbindung von Sein und göttlichem Verstand darstellt. Was die Wahrheit als Bezogenheit auf Sachen angeht, so ist Gottes Erkennen Ursache und Maß für das Sein der Dinge, also auch hier besteht wieder die denkbar engste Verbindung von Verstand und Erkanntem (das gilt natürlich erst recht, insofern Gott sich selbst erkennt). Die bisher vorgetragene Argumentation, dass Gott gut und wahr ist und dass diese Eigenschaften bezüglich des Seienden mit seiend vertauschbar sind, führen im gegebenen Zusammenhang zu den Fragen, wie Einheit und Differenz von Wollen und Erkennen bezüglich des Objektes zu denken sind, wie dies insbesondere von Gott als Gegenstand menschlichen Wollens und Erkennens gilt. Die mögliche Antwort basiert auf der sogenannten Transzendentalienlehre, die sich im 13. Jhdt. herausbildete,16 zurückgehend auf Plato, auf Aristoteles Metaphysik, auf Avicenna und Dionysius Areopagita;17 Thomas entfaltet sie ausführlich in seiner Schrift De veritate. Das Transzendentalienproblem18 beinhaltet die Frage, was dem Seiendes als 15

Offen bleibt hier, wie sich das Streben zur Erkenntnis, dass man etwas erstrebt, verhält. Zuerst wohl zusammenhängend dargestellt von Philipp dem Kanzler in seiner Summa de bono, dann eigenständig jeweils weitergedacht von Alexander von Hales, Bonaventura, Albertus Magnus und Thomas von Aquin. 17 Vgl. dazu Elders, Die Metaphysik des Thomas von Aquin in historischer Perspektive. 1. Teil, 65–95. 18 Dazu Aertsen, Die Rede von Gott, 45–49. 16

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Seiendes, vor und unabhängig von der Einteilung in Kategorien zukommt, also danach, was „transkategorial“ ist, wie sich die einzelnen transkategorialen Bestimmungen zueinander verhalten und auf welche Weise das mit Gott als erster Ursache alles Seienden zusammenhängt. Thomas benennt in De veritate als Transzendentalien „unum“, „res“, die einem Seiendem in sich betrachtet zukommen, während die Trans-zendentalien „aliquid“, „verum“, „bonum“ das Seiende in seiner Be-ziehung auf anderes Seiendes bezeichnen. Nur die beiden letzteren zeigen sich für die obige Fragestellung relevant. Das Wahre ist begrifflich früher als das Gute, was sich darauf bezieht, was logisch früher „dem Verstande ansichtig wird“.19 Der Verstand erfasst zunächst und zuallererst das Seiende als Seiendes, dann, dass er das Seiende erkennt, dann, dass er das Seiende erstrebt. Für die vorliegende Fragestellung ist nur wichtig, dass alles Seiende dem Menschen zum Erkenntnisgegenstand und Gegenstand des Strebens werden kann, weil alles Seiende als Seiendes zugleich auch wahr und gut ist.20 Den Abschluss der thomasischen Ausführungen zum Wesen Gottes bildet das Problem des Verhältnisses der Gottesprädikate zu Gott und wechselseitig zueinander. Thomas argumentiert in Auseinandersetzung mit Dionysios Areopagita und seinem Werk „Über die göttlichen Namen“, weshalb er auch das Problem unter dem Titel „Gottesnamen“ verhandelt. Wie beziehen sich die Gottesnamen auf Gott? Gott kann nicht in seinem Wesen erkannt werden, sondern unter irdischen Bedingungen erkennt der Mensch ihn aus den Geschöpfen, insofern Gott ihr Ursprung ist. Dabei wird alle Unvollkommenheit von ihm ausgeschlossen, sowie alle Zuschreibungen ins Unendliche gesteigert.21 Weil die menschliche Gotteserkenntnis und daher sein Reden über Gott von den Geschöpfen ausgehen, bezeichnen die Namen für Gott nicht das göttliche Wesen als solches, d.h. sie bezeichnen es unvollkommen; dass die an den Geschöpfen gebildete Namen Gott aber überhaupt bezeichnen können, begründet vorgängig die ontische Struktur der Ge19

STh I 16,4 ad 2. Dass alles Seiende zugleich ein bonum ist, das bedeutet für Thomas, dass es erstrebt werden kann von der menschlichen Seele, versucht Thomas auf (mindestens) drei Wegen zu zeigen, deren scharfsinnige Analyse Friedrich Hermanni (Das Böse und die Theodizee, 81–94) geleistet hat: Hermanni unterscheidet eine theologische, eine teleologische und eine perfektionistische Begründung. Die ersten beiden hält er für zirkulär, die perfektionistische setze die Privationsthese voraus, die dann umgekehrt erst hergeleitet werden soll. Im Rahmen seiner Frage nach der dem ontologischen Status des malum kritisiert er daher Thomas Theorie trotz ihrer elaborierten Fassung als haltlos, weil zirkulär. So sehr Hermanni dabei die logische Struktur der Argumentation aufgedeckt hat, so sehr übersieht er folgende für die Interpretation zentrale Aspekte: Thomas Transzendentalienlehre ist auch und vor allem eine Lehre über die Unterscheidung, nicht nur über die Identität von ens und bonum. Diese Lehre ist – unabhängig von den Traditionen, die sie verarbeitet – eine theologische und hat ihren Ort in der theologischen Gotteslehre, was bedeutet, sie ist als Auslegung von Offenbarungsprinzipien zu verstehen. 21 Hier rekurriert Thomas auf den sog. dreifachen Weg der menschlichen Gotteserkenntnis. 20

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schöpfe, die Gott abbilden, wenn auch noch so unvollkommen (STh I 13,2). Art und Maß dieser ontischen Abbildung Gottes durch das Sein der Geschöpfe bestimmt Art und Maß der menschlichen Gotteserkenntnis. Dazu führt Thomas die Differenzierung zwischen dem Bezeichneten und dem Modus der Bezeichnung ein. Das Bezeichnete als Vollkommenheit kommt Gott eigentlich zu (und ihm eigentlicher als den Geschöpfen), aber die Weise der Bezeichnung ist von der geschöpflichen Wirklichkeit genommen und kommt Gott daher nicht eigentlich zu, aufgrund der Einheit und Einfachheit seines Wesen, das sein Sein ist. Wie verhalten sich nun die verschiedenen Namen zu Einfachheit Gottes? Sind diese Namen einander synonym? Die verschiedenen Namen beziehen sich zwar auf den in sich einfachen Gott, aber unter verschiedenen Gesichtspunkten, unter denen sich seine einfache Vollkommenheit auf vielfache Weise in den Geschöpfen abbildet – synonym wären diese Namen nur, wenn sie Gott unter einem einzigen Gesichtspunkt, aber mit verschiedenen Namen bezeichneten.

2.1.2 Gottes Liebe Zum erstenmal spricht Thomas von der Liebe im Rahmen der Gotteslehre. Nachdem er Dasein und Wesen Gottes theologisch reflektiert hat, widmet er sich der göttlichen Tätigkeit, zu der Wissen und Wollen Gottes gehören. Die Liebe Gottes, seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit stellt er als Näherbestimmungen des göttlichen Wollens dar. Erkenntnis- und Willensakte sind intentionale Akte, die ihre Besonderheit bei Gott darin haben, dass grundlegend Subjekt, intentionales Objekt und Akt als sachlich identisch zu beschreiben sind. Dass es in Gott Liebe gibt, leitet Thomas aus der Struktur von Wollen überhaupt ab, wie umgekehrt das Wollen Gottes daher begründet wird, dass er Verstand hat (STh I 19,1). Was Verstand hat, muss auch (etwas) wollen; Erkennen setzt aus sich heraus Wollen frei – das ist Thomas Behauptung –, unter der Prämisse, dass alles, was ist, zum Gut seiner Natur strebt, zu seinen natürlichen Vollkommenheiten. So strebt der Verstand erstens danach, wirklich zu erkennen (als seine Vollkommenheit), also als Verstand sich zu vollziehen; und er erkennt nur, indem er etwas erkennt und etwas als Gut erkennt (zumindest in dem Sinne, dass es als seiend und insofern als bonum erkannt wird). Durch das Erkennen wird eine Beziehung zu dem als bonum Erkannten hergestellt, so dass es als ein bonum für den Erkennenden erkannt wird. Was bei erkenntnislosen Dingen und Wesen ein Streben nach dem bonum ihrer eigenen Natur ist, als ein Streben nach Vervollkommnung ihrer eigenen Natur, das ist bei den erkennenden Wesen darüber hinaus ein Streben nach den bona

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für sie. So löst also das Erkennen von bona aufgrund der oben genannten Prämisse zweitens ein Streben nach ihnen aus, und das ist der Wille. Aus der Existenz eines Verstandes folgt also die Existenz eines Willens im selben Subjekt. Wie spezifiziert Thomas diese Argumentation für das göttliche Wesen? Gott ist sein Erkennen. Er erkennt sein eigenes Wesen, seine Vollkommenheit. Darauf als das bonum schlechthin richtet sich sein Wollen, aber nicht als auf Ausstehendes, sondern als ein Verwirklicht-Besessenes. Willensvollzüge können entweder Ausstehendes oder schon Verwirklichtes intendieren. Gottes Wille als sein Wesen richtet sich auf sein Wesen. Gott will also, er will zunächst sich als bonum, sein Wesen. Weil es aber zum Wesen der Guten (und des Willens!22) gehört, das eigene Gute mitteilen zu wollen, will Gott auch Nicht-Göttliches, dem er sein Gut mitteilen kann. Insofern widerspricht das nicht dem oben Gesagten, dass Gott sich selbst, sein Wesen will und dass sein Wille unveränderlich ist, wie sein Wesen unveränderlich ist. Während Gott aber notwendig sein Wesen als bonum als Ziel will, will er das Außergöttliche, insofern er es als Mittel zum Ziel will, nicht mit Notwendigkeit, jedenfalls nicht mit schlechthinniger Notwendigkeit. In Bezug auf das Außergöttliche hat Gott daher Wahlfreiheit.23 Nachdem Thomas aus dem Erkennen Gottes die Annahme eines Willens in Gott begründet hat, folgert er aus diesem nun das Lieben Gottes. Der Wille richtet sich ganz allgemein auf das/ein bonum – und auf bzw. gegen ein Übel nur davon abgeleitet. Und die allgemeinste, durch das bonum noch nicht näher spezifizierte Bewegung auf das bonum ist das Lieben. Liebe ist daher der erste und der grundlegende Willensakt, der von allen anderen Willensakten vorausgesetzt wird. Zunächst expliziert der Liebesbegriff nur die dem Willen als Willen eigene positive Intentionalität, die allen Differenzierungen in verschiedene Willensakte logisch vorausliegt. Was bedeuten diese allgemeinen Strukturen in der Anwendung auf Gott? Die Quaestio über die Liebe Gottes ist unterteilt in vier Artikel, die da lauten: „Gibt es in Gott Liebe?“, „Liebt Gott alles?“, „Liebt Gott gleicherweise alles?“ und „Liebt Gott immer das Bessere mehr?“. Am Ende des ersten Artikels führt Thomas seinen näher differenzierten Liebesbegriff ein: Er stellt fest, dass es sich um einen dreistelligen Begriff handelt: Lieben heißt dann, eine Person will jemandem/etwas ein Gut. a will b ein n. So interpretiert Thomas Gottes Schöpfungshandeln als Liebe: Insofern auch Sein ein Gut ist, besteht der gründende Liebesakt Gottes darin, den 22 23

Vgl. STh I 19,2 c.a. Vgl. STh I 19,10 c.a.

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Dingen Sein zu wollen. Weil Gott sie liebt, sind die Dinge. Insofern ist das Sein von Welt und ihr Geliebtsein von Gott sachlich identisch. Daher kann umgekehrt auch gesagt werden, dass Gott, alles, was ist, liebt. Hierin differieren menschliches und göttliches Lieben trotz formal gleichen Liebesbegriffs fundamental. Die menschliche Liebe entspringt am Gutsein und Sein der Dinge und Wesen, während Gutsein und Sein der Dinge aus Gottes Liebe entspringen, die wiederum an ihrem eigenen bonum entspringt zu dessen Wesen es gehört, anderen von sich mitzuteilen. Thomas begründet dadurch das Gutsein des Seienden theologisch vom Willen Gottes her, während er in der eigentlichen Quaestio über das Gute (STh I 5) nur den Willen des Menschen nannte. Somit besteht eine klare Parallele zwischen Wahrsein und Gutsein der Dinge hinsichtlich der Begründungsstruktur: Durch das Wollen und Erkennen Gottes, werden die Dinge erst wahr und gut; während das menschliche Wollen und Erkennen das Gut- und Wahrsein voraussetzen. Im zweiten Artikel führt Thomas eine weitere zentrale Unterscheidung ein: Es gibt die Liebe der Begehrlichkeit (amor concupiscentiae) und die Liebe der Freundschaft (amor amicitiae). Die Freundschaftsliebe kann nur bestehen innerhalb einer Freundschaft. Für eine Freundschaft gelten folgende Bedingungen: zwei vernunftbegabte Wesen, die einander Gutes wollen, zwischen denen also gegenseitige Liebe herrscht und zwischen denen eine Lebensgemeinschaft besteht. Bezüglich Gott umschreibt Thomas diese Lebensgemeinschaft mit „communicatio intellectualis et beatae vitae“.24 Die Freundschaftsliebe wäre mit obiger Formel so auszudrücken: a liebt b mit Freundschaftsliebe und hat Freundschaft mit b, wenn a dem b ein n will und b dem a ein n will a und b zusammenleben. Die Begehrlichkeitsliebe wäre so auszudrücken: a liebt n mit Begehrlichkeitsliebe, wenn a das n für a oder b will. Der amor Dei kommt zunächst als Schöpfungsliebe in den Blick, dann aber gleich als Freundschaftsliebe,25 die auf Gegenseitigkeit nicht nur aus ist, sondern nur als und in Gegenseitigkeit bestehen kann. Thomas führt also ersten Gott als Liebenden ein, zweitens als Liebender, der in seiner Freundschaftsliebe auf Freundschaft in Gegenseitigkeit aus ist, er wendet diese Bestimmungen auf das Verhältnis Gottes zu Geschaffenem an und viertens er behandelt die Liebe Gottes als zum Wesen Gottes gehörig. Heißt das in 24

Vgl. STh I 20,2 ad 3. Wenn auch zunächst nur im Modus der Verneinung, nämlich dass diese Art der Liebe nicht den vernunftlosen Wesen gelten kann. 25

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Konsequenz, dass die Liebe Gottes gegenüber dem Menschen zum Wesen Gottes nach Thomas gehört? Wie ist das mit Thomas Rede von der nur gedachten Relation Gottes zur Schöpfung zu vereinbaren? Bevor Thomas das beantwortet, schließt er eine weitere Problematisierung an: Wie ist das mit der Gottesliebe und den Sündern? An dieser Stelle erhält die Leserin lediglich die Antwort, dass Gott den Sünder als Seienden liebt, aber als Sünder hasst. Gott liebt diejenigen mehr, die mehr Gnade haben. Nach dem oben Gesagten ist das so zu verstehen, dass mehr Gnade haben bedeutet mehr geliebt zu werden, das wäre dann ein und derselbe Akt. Wenn Gott nun alles (Seiende) liebt, liebt er dann auch alles gleichermaßen? Auch hier schlüsselt Thomas nach zwei Aspekten auf: Vom Aspekt der Intensität des Willensaktes liebt Gott alles gleichermaßen; von der Größe des Gutes her betrachtet, das Gott den Dingen und Wesen jeweils will, liebt er das mehr, dem er ein größeres Gut will. Daran wäre die Anfrage zu stellen, ob die Größe des Gutes wirklich von der Intensität des Aktes getrennt werden kann, bzw. woher sich begründet, dass Gott verschieden große Güter den Wesen will. Später unterscheidet Thomas ausdrücklich zwischen der allgemeinen Liebe Gottes für seine Geschöpfe und der besonderen für die vernunftbegabten, denen er das größte Gut, nämlich sich selbst will (vgl. STh I–II 110,1). Aber auch das muss als ein einziger Akt gedacht werden: dass Gott etwas will (=liebt) und dass er diesem Geliebten ein Gut will, denn das Sein selbst ist bereits ein Gut. Der Wille Gottes ist die Ursache der Dinge, d.h. der Schöpfung; Gott handelt kraft seines Willens, nicht aber aufgrund der Notwendigkeit seiner Natur.26 Selbst mit dieser Unterscheidung steht die ganze bisherige von Thomas entwickelte Lehre von der Liebe Gottes in Frage, wenn man sie mit seiner Lehre von der nur gedanklichen Relation Gottes zur Welt in Verbindung bringt. Beides kann Thomas nun vermittels seiner Trinitätslehre zusammen denken. 2.1.3 Gottes trinitarisches Sein Thomas behandelt das trinitarische Sein Gottes (STh I 27-43), nachdem er Dasein, Einheit und Wesenseigenschaften Gottes dargestellt hatte. Schon aufgrund dieses Aufbaus wurde Thomas Trinitätstheologie daher meist als Ableitung aus dem Begriff der Einheit Gottes als Geist verstanden.27 26

Vgl. STh I 19,4 c.a. So z.B. Pannenberg, Systematische Theologie I, 313f, der aber darauf hinweist, dass Thomas selbst keine begriffliche Ableitung vornehmen, sondern die Kongruenz von (philosophischem) Gottesbegriff und offenbarter Dreieinigkeit Gottes zeigen wollte. Wenn es sich um eine Ableitung 27

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Thomas ist aber darin ernst zu nehmen, dass er selbst die Vorstellung der Dreieinigkeit Gottes nicht aus dem Begriff Gottes als Geist ableiten will, und zweitens grundsätzlich alle Ausführungen in seiner Summa als Entfaltung von Offenbarungsprinzipien versteht, die als vorausgesetzte dann auch philosophisch plausibilisiert oder als mit philosophischen Erkenntnissen kongruent erwiesen werden. Thomas will in seiner Trinitätstheologie die Dreieinigkeit Gottes als denkbar erweisen, nicht als denknotwendig! Die Dreieinigkeit Gottes ist weder philosophisch denknotwendig noch inkarnationstheologisch denknotwendig.28 Thomas plausibilisiert den trinitarisch verfassten Gottesbegriff am philosophisch unmittelbar nachvollziehbaren Gottesbegriff: Gott als Geist. Ihm kommt es zu, dass er sein eigenes Erkennen ist und sich selbst erkennt und dass er Liebe ist, mit der er sich selbst liebt. Dem göttlichen Erkennen und dem göttlichen Lieben entsprechen zwei ewige Hervorgänge in Gott, nämlich das Wort und die Liebe, bzw. der Sohn und der Hl. Geist. Für die Struktur des trinitarisch verfassten Gottesbegriffes gilt dann nach Thomas:29 (1) Die Relation von Ursprungsgrund und den Hervorgängen ist jeweils eine nicht-akzidentelle, sondern eine subsistierende.30 (2) Die Relationen sind identisch mit den drei göttlichen Personen. (3) Die Relationen sind vom Wesen Gottes nur im Denken zu unterscheiden. (4) Die Relationen sind untereinander real verschieden. (5) Die Personen unterscheiden sich nur durch ihre Beziehung voneinander. Welche Funktion erfüllt der Liebesgedanken bei der Konzeption der Trinitätslehre? Begründet Gott als die Liebe die Dreizahl von Personen in Gott, wegen der Grundstruktur von Liebe als intersubjektiver Relation? Wenn der Geist die Liebe/der amor ist, wessen amor ist er dann? aus dem Begriff Gottes als Geist handeln würde, dann hätte Pannenberg damit recht, dass es Thomas nicht gelungen sei, die Dreiheit der Personen wirklich zu denken. 28 Dazu Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 608, der auf STh III 3,3 ad 1; ad 2 verweist im Anschluss an Malet, Personne et amour, 137. 29 Dazu STh I 40,1–4. 30 Es ist Eigenart dieser Relate, sich ausschließlich durch die Relation zu unterscheiden. Das bedeutet aber, dass in der Relation die Relate wirklich entgegengesetzt sind und ihre Identität ausschließlich als Relat in der Relation haben; das bedeutet aber nicht, dass das, was Relat ist, außerhalb der Relation nicht(s) ist, sondern abgesehen von der Relation sind die „Relate“ ununterschieden eins. Wenn nicht das Gleiche als Wesen eins und in der Relation als Relat verschieden wäre, dann müsste man statt von „drei Personen in einem Wesen“ von „drei Personen und ein Wesen“ sprechen. Thomas Beschreibung ist – seine Begrifflichkeit vorausgesetzt! – die einzig mögliche, um dieser „Häresie“ zu entkommen. Eine andere Frage ist, ob und wie man einen stimmigen Begriff einer Relation bilden kann, bei dem Relation und Relate identisch sind.

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Zunächst kann amor Gott in seinem Wesen bezeichnen oder eine Person der Trinität, nämlich den Geist so wie der Sohn auch Wort heißt. Die Liebe des Liebenden bezeichnet amor, wenn er sich auf das Wesen Gottes bezieht; ist mit amor aber das Hervorgehende und mit amare die Beziehung zwischen Ursprungsgrund und Hervorgehendem. Ursprungsgrund ist die eine und einzige Liebe, mit der der Vater sich und den Sohn liebt und der Sohn sich und den Vater liebt. So ist der Vater sich selbst und allen Geschöpfen zugeneigt durch den Heiligen Geist, insofern der Heilige Geist hervorgeht als die Liebe der ersten Gutheit, gemäß welcher der Vater sich und alle Geschöpfe liebet. Und so ist auch klar, daß sowohl im WORT als auch in der hervorgehenden LIEBE eine Beziehung aufscheint zu den Geschöpfen, wenn auch gleichsam in zweiter Linie, insofern die Wahrheit und die göttliche Gutheit der Grund ist, jedes Geschöpf zu verstehen und zu lieben.31

Thomas beschreibt den Hl. Geist einerseits als die Liebe, mit der Gott sich selbst liebt, andererseits als die Liebe, mit der der Vater den Sohn und der Sohn den Vater liebt. Das bedeutet keinen Widerspruch, sondern erklärt sich aus zwei verschiedenen Beschreibungsebenen. Eine „konkret indeterminierte“ (die trinitätstheologisch noch unterbestimmt ist) ist von einer „konkret determinierten“ Ebene zu unterscheiden.32 Bei der konkret-indeteminierten wird Gott als Subjekt gedacht, das jeder personalen Unterscheidung vorausliegt, um davon ausgehend, erst das Entspringen personaler Unterscheidungen auszusagen. Bei der konkret-determinierten Ebene ist Gott als personal unterschiedener bereits gedacht und die Liebe wird als Lieben der personal differenzierten Personen ausgesagt, womit der theologische Gottesbegriff erst erreicht ist.33 Die konkret-indeterminierte Beschreibung versucht also, den theologisch-christlichen Gottesbegriff innerhalb eines philosophischen Gottesbegriffes auszusagen, die Aussagbarkeit zu zeigen und damit die Kongruenz vorzuführen. Der theologische Gottesbegriff, der Gott als personal differenziert denkt, denkt nun aber nicht den Hl. Geist aus zwei Prinzipien hervorgehend, indem er vom Vater und vom Sohn als deren gegenseitige Liebe hervorgeht. Vater

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STh I 37,2 ad 3: „Ita diligit se et omnem creaturam Spiritu Sancto, inquantum Spiritus Sanctus procedit ut amor bonitatis primae secundum quam Pater amat se et omnem creaturam. Et sic etiam patet quod respectus importatur ad creaturam, et in Verbo et in Amore procedente quasi secundario; inquantum scilicet veritas et bonitas divina est principium intelligendi et amandi omnem creaturam.“ 32 Mit dieser Begriffsklärung entwickelt Schmidbaur seine Interpretation der thomasischen Trinitätslehre, vgl. Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 609f. 33 Vgl. Schmidbaur, Personarum Trinitatis, der aber die Funktion der konkret-indeterminierten Beschreibung nur unzureichend würdigt und benennt.

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und Sohn unterscheiden sich nur insofern, als sie einander durch ihre gegenseitige Beziehung gegenüberstehen, während sie davon abgesehen eins sind. Im Hervorgehen des Hl. Geistes stehen Vater und Sohn nicht einander gegenüber, sondern in Einheit dem Hl. Geist. Diese Einheit im Gegenüber zum Hl. Geist besteht aber aufgrund ihres Einander-Gegenüber-Seins in der wechselseitigen Liebe. Die Einheit im Gegenüber zum Geist setzt also die personale Verschiedenheit von Vater und Sohn voraus und vollzieht sie. Vater und Sohn sind also „ein einziges Prinzip des Heiligen Geistes“.34 Der Hl. Geist ist also ineins die Liebe Gottes, mit er sich selbst liebt, mit der der Vater und der Sohn einander lieben, und mit der Gott die Geschöpfe liebt.35 Die Liebe Gottes zur Schöpfung ist keine andere als die innertrinitarische Liebe, an der Gott Anteil gibt. In der Liebe zwischen Vater und Sohn durch den Hl. Geist wird die Schöpfung geliebt: hingeordnet auf das göttlichen bonum, das Gott selbst ist und das er als innertrinitarische Liebe liebt. Diese Mittel-Ziel-Relation macht es denkmöglich, die innertrinitarisch notwendige Liebe des Vaters zum Sohn, die der Hl. Geist ist, von der freien Liebe zur Schöpfung zu unterscheiden, obwohl die Liebe ein und dieselbe ist. Das wird bei der theologischen Tugend der caritas bedeutsam, weil Thomas nun auch begründen kann, wie der Mensch Gott wirklich lieben kann: So bedeutet die caritas als Partizipation des Hl. Geistes an der menschlichen Seele dann das schöpferische Ankommen der Liebe Gottes zum Menschen im Menschen und gleichzeitig durch die (durch den Hl. Geist geschaffene) Partizipation der caritas am Hl. Geist die Anteilhabe des Menschen an der Liebe Gottes zu sich selbst, durch welche Anteilhabe der Mensch in der caritas Gott liebt.36 Wie diese Partizipation aber so vorgestellt werden kann, dass wirklich auch der Mensch liebt, wird Kapitel V Liebe zeigen. Bezogen auf die Frage nach der nur gedanklichen Relation Gottes zu Welt und Mensch heißt das, „daß er keine ‚Extra-Relation‘ zur Welt aufnimmt, die von der Existenz der Welt bestimmt ist [...] Die Bezogenheit der Welt zu Gott und Gottes zur Welt besteht gerade darin, daß Gott seine Schöpfung direkt und unmittelbar an den ewigen, innertrinitarischen Relationen teilhaben läßt.“37 34 STh I 36,4 c.a., nun als ganzer Satz zitiert: „Quod Pater et Filius in omnibus unum sunt, in quibus non distinguit inter eos relationis opposito. Unde cum in hoc quod est esse principium Spiritus sancti, non opponantur relative, sequitur quod Pater et Filius sunt unum principium Spiritus sancti.“ 35 In dieser Liebe, die der Hl. Geist ist, ist die vermittelte Differenz zwischen Vater und Sohn mitenthalten; vgl. Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 621, der auf STh I 37,1 c.a. rekurriert. 36 Vgl. Kapitel VI, 3 Die Liebe als theologische Tugend. 37 Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 414. Liske, Kann Gott reale Beziehungen zu den Geschöpfen haben?, übersieht fast völlig die Bedeutung der innertrinitarischen Beziehungen für die Relation Gottes zur Welt.

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2.1.4 Gott der Schöpfer Seine Schöpfungslehre entfaltet Thomas in STh I 44–119.38 Gott ist die Wirkursache (causa efficiens), die Vorbildursache (causa exemplaris) und die Zielursache (causa finalis) seiner Schöpfung. Gott schafft alles aus dem Nichts. Alles hat sein Vor-Bild in Gott, und hat irgendeine Ähnlichkeit mit seiner Vollkommenheit, die aber im Gott eins, in den Geschöpfen vielfältig ist. Gott schafft, indem er seine absolute Vollkommenheit, also sein Gutsein mitteilt. Alles Geschaffene strebt nach dem Guten, daher strebt alles nach Gott. Gott ist also das Ziel seiner Schöpfung.39 Das Geschaffene zeichnet als Geschaffenes aus, dass es sein Sein und sein Gutsein grundsätzlich als Partizipation hat. Bei Thomas stellt der Partizipationsbegriff die begriffliche Zusammenfassung seiner Schöpfungslehre dar: Das, was partizipiert, ist verursacht von Gott, ist Gott ähnlich und strebt zu Gott. Gott als der Schöpfer ist der trinitarische Gott. Da Gott Schöpfer ist gemäß seines Seins, das identisch ist mit seinem Wesen, kommt es Gott in seinem Wesen zu, zu schaffen, daher Gott in der Einheit der drei Personen. Insofern sich Gott aber erkennend und wollend auf das Geschaffene bezieht, sind die göttlichen Personen auf unterschiedliche Weise an der Schöpfung beteiligt.40 „Gott der Vater hat die Schöpfung gewirkt durch sein Wort, das ist der Sohn, und durch seine Liebe, das ist der Heilige Geist, und in diesem Sinne sind die Hervorgänge der Personen Gründe der Hervorbringung der Dinge, insofern sie die Wesensmerkmale in sich beschließen, das Wissen und den Willen.“41 Alles Geschaffene ist geordnet, und zwar danach, in welchem Grade es am Sein partizipiert. Aufgrund dieser unterschiedlichen Seinspartizipation kann Geschaffenes anderem Geschaffenem helfen, sich strebend Gott anzunähern42 – was alles Geschaffene als Geschaffenes auszeichnet. Der Ordo des Geschaffenen als hierarchisch gestufte Vielfalt besagt für Thomas auch, dass um der Vollkommenheit, also der Diversität dieses Ordo willen es solches Geschaffenes geben muss, das vom Guten nicht abweichen kann 38

Dazu Berger, Thomas von Aquin begegnen, 118–130. Vgl. STh I 44,4 c.a. 40 Das göttliche Sich-Lieben und Sich-Erkennen ist dasselbe, mit dem Gott auch Geschaffenes erkennt und liebt: das Verhältnis darin zum Erkannten und Geliebten ist ein völlig verschiedenes. Vgl. Obenauer, Thomistische Metaphysik, 68: Dass Gott „sich selber notwendig erkennt und will und darin jenes außergöttlich-endliche Sein frei mit-erkennt und -will“ begründet geschaffenes Sein. 41 STh I 45,6 c.a.: „Unde et Deus pater operatur est creaturam per suum Verbum, quod est filius; et per suum amorem, qui est Spiritus sanctus. Et secundum hoc processiones personarum sunt rationes productionis creaturarum, inquantum includunt essentialia attributa, quae sunt scientia et voluntas.“ 42 Vgl. STh I–II 11,1 c.a. 39

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und solches, das vom Guten abweichen kann. Bei letzterem muss es solches geben, das nicht abweicht und solches, das abweicht. Daher gehört das malum zur vollkommenen Ordnung des Geschaffenen hinzu. Gott befiehlt nicht das malum, also das Abweichen eines Geschaffenen vom Guten, aber er lässt es zu.43 Die Ordnung des Geschaffenen enthält rein geistige und rein körperliche Wesen sowie körperlich-geistige Wesen. Die Engel als die rein geistigen Wesen bestehen aus Wesen und Sein. Die Engel besitzen ein ungetrübtes und ungehemmtes Erkenntnisvermögen sowie einen freien Willen, der frei von Schwankungen ist. Da Gott den Engeln die Schau Gottes gewährt, können die Engel den Menschen göttliche Geheimnisse mitteilen. Die rein körperliche Schöpfungswirklichkeit hat ihre primäre Zielorientierung darin, dem Menschen zu dienen, damit dieser seine Aufgabe erfüllen kann. Gemeinsam aber ist die gesamte Schöpfung auf Gott als ihr letztes Ziel hingeordnet. Gott verhält sich zu seiner Schöpfung in zweifacher Weise: zum einen als Schöpfer. Das bedeutet, er ist Ursprung und Ziel alles Geschaffenen, er ist in allem Geschaffenem durch sein Wesen, seine Macht und seine Gegenwart. Diese Gegenwart ist vergleichbar der einer Ursache in ihrer Wirkung. Das Verursachte ist dann der Ursache ähnlich wie eine Spur. Auf eine zweite, andere Weise verhält Gott sich zu den vernunftbegabten Geschöpfen. In diesen kann Gott nämlich noch auf eine andere Weise sein: wie das Erkannte im Erkennenden und das Geliebte im Liebenden. Das kann nur Gott selbst bewirken und zwar aus zwei Gründen: Der Mensch kann mit seinen natürlichen Kräften Gott nicht erkennen und sich nicht auf ihn als letztes Ziel liebend ausrichten, und braucht dazu besondere göttliche Hilfe, die den Menschen über seine eigene Natur hinaushebt. Zweitens folgt das aus der Gottheit Gottes: Gott kann nur als Erkannter in einem Erkennenden sein, wenn Gott selbst das Erkennen seiner selbst vermittelt, und zwar indem dem Erkennenden Anteil am göttlichen Sich-Selbst-Erkennen gegeben wird, das gleiche gilt für Gott als Geliebtes.44 Die göttliche Hilfe für den Menschen, mit der er über seine Natur hinausgehoben wird, indem er (geschaffenen!) Anteil an der göttlichen Natur erhält und die Selbstvermittlung Gottes in seinem Erkanntwerden und Geliebtwerden geschehen durch die sog. heiligmachende Gnade. Die heiligmachende Gnade ist der Hl. Geist selbst, der seine Anwesenheit im Menschen – aus einer anderen Perspektive betrachtet: die Partizipation des Men43

Vgl. STh I 48,2 c.a.; ad 3. Wie sich die allgemeine Gegenwart Gottes in den Geschöpfe und die besondere in den vernunftbegabten zueinander verhalten, war Gegenstand einer ausführlichen Debatte im nachtridentinischen Thomismus. Ableitbarkeit der zweiten von der ersten oder völlige Unabhängigkeit voneinander lauten die Extrempositionen. Vgl. dazu Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 655. 44

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schen am Hl. Geist – als geschaffene Wirklichkeit im Menschen setzt. Der Hl. Geist ist im Menschen so anwesend, dass er seine Anwesenheit als eine geschöpfliche Wirklichkeit für den Menschen schafft. Daher bezeichnet die Gnade einerseits die Anwesenheit des Hl. Geistes selbst, wie auch die geschaffene Anwesenheit des Hl. Geistes als einer Gabe. Dieses Wirken einer göttlichen Person bezeichnet Thomas als unsichtbare zeitliche Sendung.45 Eine solche unsichtbare zeitliche Sendung ordnet Thomas vor allem dem Hl. Geist zu, aber auch dem Sohn.46 In der Gnade selbst sind die Sendungen von Sohn und Hl. Geist eins, aber in der Wirkung unterscheiden sie sich: Durch die unsichtbare Sendung des Sohn wird der Verstand des Menschen erhellt zum Erkennen Gottes im Glauben,47 während durch die unsichtbare Sendung des Hl. Geistes der Mensch in seinen Strebekräften entflammt48 wird. Von der unsichtbaren Sendung unterscheidet Thomas eine sichtbare, die beim Sohn Menschwerdung heißt und beim Hl. Geist sich in einer Vielzahl von sichtbaren Gestalten, u.a. als Pfingstereignis zeigt. Die sichtbare Sendung des Sohnes beschreibt Thomas als Urheber der Heiligung des Menschen, die Sendung des Geistes als Gabe und Zeichen der Heiligung. Zusammenfassend kann mit Schmidbaur gesagt werden: „Die Sendung führt zur Einwohnung der göttlichen Personen in der Seele des Gerechtfertigten und besteht von seiten des Menschen darin, daß dieser den dreifaltigen Gott erkennt und liebt.“49 Thomas widmet dem Handeln Gottes im Tätigsein der Geschöpfe dann einen Artikel innerhalb seiner Ausführungen zur Lenkung der geschaffenen Dinge (gubernatio rerum). Dass Gott alle unsere Werke in uns bewirkt, lässt sich Thomas als Offenbarungsprinzip (Jes 26,12) sagen, um selbst aufgrund dessen zu sagen, dass die Dinge auch selbst tätig sind und ihre je eigenen Wirkungen hervorbringen.50 Denn wären die Dinge nicht auch selbst tätig, würden sie nicht ihr Ziel als geschaffene Dinge erreichen, das im Tätigwerden besteht. Gott wirkt auf dreierlei Weise in den Akten der Geschöpfe. Zuerst hinsichtlich des Zieles. Alles, was handelt, handelt wegen etwas, das als Gut angestrebt wird, sei das nun wirklich oder nur vermeintlich gut. Da aber, alles, was gut ist, seine Güte hat durch Partizipation qua Ähnlichkeit an der Güte Gottes als des höchsten Gutes, folgt, dass Gott selbst quasi als Ziel auf 45

Vgl. dazu Krämer, Imago Trinitatis, 438–460. Die präzise Verhältnisbestimmung findet sich in STh I 43,5 ad 1;ad 3. 47 Daher kann Thomas sagen, dass Christus durch den Glauben im Menschen wohnt, vgl. STh III 62,5 ad 2. 48 Thomas spricht von „inflammatio affectus“, STh I 43,5 ad 3. 49 Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 666. 50 Er wendet sich gegen Positionen, die dem geschöpflichen Eigenwirken keine Raum gewähren. Von dieser Intention her ist auch seine Argumentation zu verstehen. 46

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die Akte der Geschöpfe wirkt. Auf diese Weise wirkt Gott indirekt, eben so, dass er jedes mögliche Handlungsziel als Handlungsziel konstituiert, weil jedes Handlungsziel sein Gutsein Gott verdankt. Handlungsziele aber beschreibt Thomas als die erste Ursache. Zweitens handelt alles Geschöpfliche in der Kraft des ersten Handelnden/des ersten Bewegers. Auch auf diese Weise ist Gott also Ursache jeder Tätigkeit eines Tätigen. Drittens bezieht Gott die Form der Tätigen auf ihr Tätigsein, so wirkt Gott auch als Formursache. Dieselbe Handlung verursacht Gott als Erstverursacher und das Tätige als Zweitverursacher. 2.1.5 Gott als Ziel Insofern alles seine Vollkommenheit erstrebt, erstrebt alles Gott, weil alle Vollkommenheiten Ähnlichkeiten mit Gottes Wesen darstellen.51 Das menschliche Streben nach Gott ordnet Thomas ein in das allgemeine geschöpfliche Streben nach Gott. Die Besonderheit des menschlichen Erstrebens erwächst aus seiner Erkenntnisfähigkeit, die das menschliche Streben auch zu einem Streben der Freiheit macht. Mit der Rede von der Ebenbildlichkeit Gottes drückt Thomas die Besonderheit des menschlichen Strebens, seine besondere Struktur und sein besonderes Ziel aus, denn nur der Mensch erstrebt Gott, indem er die Schau Gottes erstrebt. Dieses schöpfungsgemäße Streben nach Gott ist dem Menschen als desiderium naturale52 gegeben. Im Menschen wird dieses Streben – sofern der 51

Dazu STh I 6,1 ad 2. Das Konzept des desiderium naturale hat eine intensive Diskussion hervorgerufen, deshalb einige kurze Hinweise dazu. Das desiderium naturale besagt, dass der Mensch nach etwas ein natürliches Verlangen hat, was er auf natürlichem Wege nicht erlangen kann. Oder: die Natur des Menschen zielt auf etwas ab, was übernatürlich ist. Zu bestimmen ist, worin das desiderium naturale besteht: Es ist zum einen Streben nach bonum perfectum (mehr vom Willen her aufgefaßt) und zum anderen Streben nach Erkenntnis (mehr vom Intellectus aufgefaßt) der Ursachen, daher auch der ersten Ursache. Thomas wird zu zeigen haben, wie beides sich in einem erfüllt, nämlich in der Schau Gottes, die vom desiderium naturale nur unthematisch erstrebt wird. Diese als sie selbst zu erstreben vermag der Mensch nur aufgrund und mit Hilfe der Gnade. Das desiderium naturale kann sich nicht aufgrund natürlichen Strebens mit natürlichen Kräften erfüllen; sondern bedarf der Gnade, um als Natur des Menschen Erfüllung zu finden. Insofern für Thomas kein Streben der Natur vergeblich sein kann, ist die Gnade notwendig. An diesem Problem entzündete sich im 20. Jahrhundert eine umfangreiche Debatte in der katholischen Theologie, ob die Gnade bei Thomas dann noch wirklich als ungeschuldet gedacht werden kann. Dieses Problem stellt sich aber nur dann in solcher Schärfe, wenn man die Natur auf eine bestimmte Weise versteht, nämlich als Gott gegenübertretend. Gott aber als Schöpfer der Natur, der jeden einzelnen Akt in ihr als Akt bewirkt, ist in seinem Gnadenhandeln sich als Schöpfer treu. Nicht also die Natur tritt Gott gegenüber, sondern Gott als Schöpfer wirkt als der eine Gott auch als der gnadeschenkende Gott. „Aus der Tatsache, daß Gott sich selbst zur gnadenhaften Gemeinschaft schenkt, muß geschlossen werden, daß er auf deren geschichtliche Verwirklichung hin die Natur erschaffen 52

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Mensch Natur und sofern er Sünder ist – nur darin wirksam, dass der Mensch ausgerichtet ist auf ein höchstes Ziel, das ist formal die Glückseligkeit. Dass der Mensch also auf Gott als sein letztes Ziel ausgerichtet ist, bleibt auch beim Sünder in der menschlichen Handlungsstruktur insofern erhalten, als der Mensch alles, was er willentlich tut, um eines letzten Ziel willen tut: so falsch und verkehrt dieses letzte Ziel auch sein kann. Im irdischen Leben kann der Mensch aufgrund der Gnade – und nur aufgrund der eingegossenen Gnade – glauben, dass Gott sein letztes Ziel ist und sich von ihm ausrichten lassen; wirklich sehen, dass nur Gott das letzte Ziel sein kann, wird der Mensch erst in der Herrlichkeit. Was Thomas zunächst von der Gottes- und Schöpfungslehre her entwikkelte, zeigt er nochmals anhand der Analyse der Struktur der menschlichen Handlung: die Zielausgerichtetheit des Menschen, welche nur Gott allein als letztes Ziel wirklich erfüllen kann. Die für das Menschsein konstitutive Zielausgerichtetheit legt Thomas dar durch eine Analyse der Struktur menschlichen Handlungen. Darin folgt er seinem Grundprinzip, dass der Mensch in seinem Wesen und in seinen Vermögen durch seine Akte erkennbar ist. Die Glückseligkeit bzw. das letzte Ziel kann nicht selbst im Wollen bestehen – denn das Wollen bezieht sich immer auf ein Ziel –, sondern nur in einer vom Willen befohlenen Tätigkeit.53 Nur wenn ein Handelnder sie bewegt, folgt eine Materia der Form, da nichts sich selbst von der Potenz in den Akt bringen kann. Der Handelnde bewegt aber einzig aufgrund seiner Intention eines Zieles, weil er ohne Festlegung auf eine bestimmte anzustrebende Wirkung überhaupt nicht handeln würde. Diese Festlegung geschieht beim Menschen durch den Willen, so dass der Mensch sich auf diese Weise selber auf das Ziel zu bewegt – im Unterschied zu den nicht mit Vernunft begabten Geschöpfen. So erhalten die Akte von Ziel her ihre Artbestimmtheit, genauer von der Intention des Zieles her. Die Ziele der Handlungen begegnen in einer doppelten Ordnung: der der Intention und der der Erreichung. In beidem muss es ein jeweils erstes geben, sonst gäbe es die Ordnung der Ziele nicht – denn ein regressus ad infinitum sei unmöglich. Des weiteren kann es für jeden Menschen jeweils nur ein letztes Ziel geben – eine Pluralität derselben ist ausgeschlossen. Etwas kann nämlich nur die Bestimmung des letzten Zieles erfüllen, wenn es das ganze Streben des Menschen so erfüllt und an sich bindet, dass nichts zu wünschen übrig bliebe jenseits des letzten Zieles. hat“ (Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 520). Gott schuldet also die Gnade nicht der Natur, aber sich selbst. Thomas stellt sich die Frage nicht, ob Gott den Mensch grundsätzlich auch ohne übernatürliche Bestimmung hätte schaffen können und ob das mit der Ungeschuldetheit der Gnade vereinbar ist (das ist für ihn selbstverständlich). Vgl. auch Bradley, Aquinas, 455–471. 53 STh I–II 1,1 ad 2.

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Wenn auch das letzte Ziel nur jeweils ein einziges sei, ist darüber hinaus zu fragen, ob sich denn auch der Mensch in allen seinen Willensakten auf dieses letzte Ziel bezieht. Thomas begründet die Bejahung dieser Frage damit, dass der Mensch das, was er will, will, insofern es gut ist: Entweder ist es vollkommen gut, dann handelt es sich um das letzte Ziel oder aber es ist gut nur in einer bestimmten Hinsicht, dann bezieht es sich als Anfang des Guten auf die Vollendung des Guten, welche das letzte Ziel darstellt. Dieses eine letzte Ziel muss erstens die Bewandtnis des für den Menschen schlechthin Guten haben und zweitens ineins damit die höchst mögliche Vervollkommnung des Menschen darstellen, welche Bedingung nur die Glückseligkeit erfüllt. Die Vollkommenheit des Menschen kann nicht in einer Potenz – die durch die Überführung in einen Akt in der Vollkommenheit steigerbar wäre, sondern muss daher in einem Akt bestehen.54 Dieser Akt kann nicht von den sinnlichen Vermögen des Menschen ausgehen, weil diese nicht mit Gott als dem ungeschaffenen Gut verbinden können. Ob die Glückseligkeit aber nun in einem Akt des Verstandes oder des Willens besteht, diskutiert Thomas ausführlich unter intensiver Berücksichtigung der damaligen kontroversen Debatte. Seine Argumentation zeigt zunächst, warum es sich nicht um einen Akt des Willens handeln kann: Er beginnt mit der Unterscheidung dessen, was die Glückseligkeit wesenhaft ausmacht und was mit ihr quasi akzidentell verbunden ist, z.B. delectatio. Das Wesen der Glückseligkeit ist exakt das Erreichen des letzten Zieles, welches Gott ist. Dies kann jedoch kein Akt des Willens sein, der sich nur in prinzipiell zweifacher Hinsicht zu einem Ziel verhalten kann: nämlich als Erstreben eines (noch) abwesenden Zieles und als freudiges Ruhen in einem gegenwärtigen Ziel, insofern und weil es gegenwärtig ist. Da der Glückselige glückselig ist, indem er sein Ziel erreicht, kann sein Akt der Gückseligkeit nicht als Erstreben des Ausstehenden verstanden werden; umgekehrt setzt der Akt des freudigen Ruhens im Ziel dessen Erreichen voraus. Das Erreichen des Zieles muss also in einem anderen Akte vollzogen werden. Dies kann nun nur noch ein Akt der Vernunft sein, und zwar der theoretischen Vernunft, in Thomas Worten: Die Glückseligkeit besteht in der Kontemplation. Nur das kann das vollkommene Gut sein, durch das der ganze Mensch vervollkommnet und gut wird.55 Fragt man mit Thomas aber nach Vorerfahrungen der Glückseligkeit in diesem Leben, dann sind diese zwar primär auch in einem kontemplativen Leben und in der Betrachtung der spekulativen Wissenschaften zu finden, darüber hinaus jedoch in Akten der praktischen Vernunft, die die Handlungen und Leidenschaften des Menschen ordnet. 54 55

Vgl. STh I–II 3,2 c.a. Vgl. STh I–II 3,5 ad 2.

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Worin besteht also nun inhaltlich die Glückseligkeit des Menschen? Diese Glückseligkeit erfährt der Mensch nur in der Schau/Erkenntnis des Wesens Gottes, die ihm durch Vereinigung mit Gott zuteil wird. Gott in seinem Offenbarungs- und in seinem Gnadenhandeln bewirkt, dass der Mensch dieses sein Ziel erreicht. Das höchste Ziel kann Thomas verschieden benennen abhängig von der jeweiligen Perspektive: beatitudo, similitudo Dei, visio Dei, unio Dei, summum bonum sowie Gott selbst. Am letzten Ziel des Menschen unterscheidet Thomas nämlich dieses selbst (Gott) von der menschlichen Aneignung des Zieles. Diese ist geschaffen, jenes ist ungeschaffen. Als finis cuius ungeschaffen, als finis quo geschaffen, besteht die beatitudo in einem Vollzug des intellectus speculativus. Die Glückseligkeit genießt der Mensch in der Schau Gottes. Nur da ist das desiderium naturale erfüllt. Thomas muss nun begründen, warum darin wirklich das desiderium naturale erfüllt wird. Nur wenn kein Verlangen des Menschen unerfüllt bleibt, kann er nach Thomas glückselig sein. Der Mensch aber verlangt in seinem Erkenntnisvermögen danach, das, was etwas ist, zu erkennen, wozu gehört, die Ursache dessen zu erkennen. Solange der Mensch also die Ursache alles Seienden nicht als sie selbst in ihrem Wesen erkennt, bleibt sein natürliches Verlangen unerfüllt. Nicht das Entzücken (delectatio) macht die Glückseligkeit des Menschen aus, sondern das reine Innesein Gottes, das sich als Schau ereignet. Das Entzücken ist eine Folge, aber nicht das Wesen der Schau. Caritas als die Liebe zu Gott zielt auf diese Schau, nicht auf das ihr dann eigene Entzücken.56 In der Gnade zielt der Wille auf das Gut des Verstandes, dessen Aktvollzug, weil das Geliebte nur im Erkennen als es selbst „gehabt“ wird und nur im Erkennen das Haben selbsttranszendent auf das Gegenüber bleibt. Erkennen erweist sich so als der eigentlichste Vollzug des Liebens, ohne mit ihm identisch zu sein. Die Differenz ist dann eine rein heilvolle, welche die Glückseligkeit als Beziehung erst ermöglicht und bleibend ermöglicht. Die Differenz von Erkennen und Lieben ist das Prinzip der Dynamik der menschlichen Glückseligkeit, welche unabschließbare Dynamik zu ihrem Wesen als Glückseligkeit gehört. Je größer nämlich die Sehnsucht der Liebe, umso mehr erkennt der Mensch Gott, je größer das Erkennen wird, umso mehr liebt der Mensch Gott. Das Erkennen Gottes in der Schau geschieht als ‚unio ad Deum‘, während die caritas die ‚visio Dei‘ als ihr eigentliches bonum anzielt. Thomas verwendet damit Begriffe, die er sonst zur Beschreibung von Vollzügen des jeweils anderen Vermögens heran56 Dazu STh I–II 4,2 ad 3: „quod caritas non quaerit bonum dilectum propter delectationem: sed hoc est ei consequens, ut delectetur in bono adepto quod amat. Et sic delectatio non respondet ei ut finis, sed magis visio, per quam primo finis fit ei praesens.“

Der geschaffene Mensch als Ebenbild Gottes

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zieht. Ziel ist also einmal Gott selbst, dann die Schau Gottes als das Erreichen Gottes. Die Dialektik von Ziel und Zielerreichung ist konstitutiver Bestandteil des Begriffes Zieles und nicht zu vermeiden. Würde man das Ziel als die Schau Gottes bestimmen, auch dann könnte man wieder unterscheiden zwischen Schau Gottes und dem Erreichen der Schau Gottes als dem eigentlichen Ziel des Menschen. Was Gott als das übernatürliche Endziel angeht, erhält der Geist des Menschen übernatürliche Vollkommenheiten, das sind die theologischen Tugenden. Damit der Mensch nun von seinem Geist leichter bewegt werden kann, sind sittliche Tugenden in den Strebekräften des Menschen erfordert. Die Gaben des Hl. Geistes sind entsprechende Habitus, die das besondere Bewegtwerden durch Gott erleichtern – denn Gott wirkt in jeder Bewegung mit.57 Im Laufe der Untersuchung sollen daher die Leitbegriffe der Bewegung des Menschen auf Gott zu analysiert werden: Geist, Wille und Verstand, Handlung, Habitus, Tugend, Gnade. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Natur des Menschen also nicht durch sich selbst erreichen kann, was sie als Natur ersehnt und was sie als Natur vollendet. Ricken konstatiert daher einen „Bruch in der conditio humana“:58 Der Mensch kann von sich aus nicht erkennen noch erreichen, was seine einzig mögliche Erfüllung bedeutet bzw. sein wahres Endziel. Was sich aus einer rein philosophischen Perspektive tatsächlich als ein Bruch darstellt, zeigt sich theologisch als etwas ganz Anderes: Der Mensch ist von Gott wirklich und bis in seine anthropologischen Grundstrukturen als berufen zur Freundschaft geschaffen; als Freund Gottes soll er alles auch durch und in dieser Freundschaft (als Lebensform!) erhalten. Der Mensch soll seine Erfüllung nicht nur in der Freundschaft finden, sondern auch ganz und gar durch sie. Wie Thomas das sich im Einzelnen denkt, dazu nun die folgenden Ausführungen.59

2.2 Der geschaffene Mensch als Ebenbild Gottes Der geschaffene Mensch als Ebenbild Gottes Ziel und Bestimmung der Erschaffung des Menschen ist seine Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit,60 und diese besteht in seiner Berufung zur Freundschaft mit Gott. Im Menschen findet sich eine Ähnlichkeit mit Gott, die sich von Gott als dem Urbild ableitet, die aber nicht die Bewandtnis von Gleichheit hat, denn Gott als das Urbild übertrifft das Abbild unendlich. 57

Vgl. STh I–II 68,2 c.a. Ricken, Religionsphilosophie, 299. 59 Dazu Goris, Anthropologie und Erkenntnislehre; Pasnau, Thomas Aquinas on Human Nature; Mundhenk, Die Seele. 60 STh I prooemium 93. 58

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Der Mensch ist daher genauer das imperfekte Bild Gottes, das Thomas von Christus als dem perfekten Bild Gottes unterscheidet. Diese Differenz bringt Thomas auch durch die Termini „ad imaginem“ (Mensch) und „imago“ (Christus) zum Ausdruck. Die Ebenbildlichkeit61 vollzieht sich in den Akten der Geistnatur, insofern sie sich auf Gott richten, so dass die Ebenbildlichkeit den Engeln mehr zukommt als den Menschen. Betrachtet man nun den Menschen, so ist er jedoch in der Hinsicht am meisten Ebenbild des dreieinigen Gottes, insofern er den dreieinigen Gott am meisten nachahmt, nämlich im Erkennen Gottes und im Lieben Gottes.62 Da die „drei göttlichen Personen [...] sich aber durch den Ausgang des Wortes vom Sprechenden und der Liebe, die beide verknüpft [unterscheiden, MR], [...] darum sieht man das Bild der Dreifaltigkeit im Geist des Menschen zunächst und hauptsächlich in dessen Tätigkeiten“.63 Die Ebenbildlichkeit des Menschen bezogen auf Tätigkeit beschreibt Thomas in dreifacher Hinsicht: Erstens durch seine natürliche Neigung, Gott zu lieben und zu erkennen. Diese kommt dem Menschen aufgrund seiner Natur zu und ist also allen Menschen eigen, völlig unabhängig von ihrer sonstigen Verfasstheit und ihren Handlungen.64 Zweitens ahmt der Mensch Gott nach durch die tatsächlichen Akte und Habitus der Gotteserkenntnis und Gottesliebe. Das vermag der Mensch mit Hilfe der Gnade, in der er vermittels des Hl. Geistes Anteil erhält am göttlichen Lieben und Erkennen (übernatürliche Gottebenbildlichkeit, similitudo), und auf diese Weise hineingenommen wird in die innergöttliche 61 Die Gottebenbildlichkeit besteht für Thomas in einem Zusammenhang: der Mensch ist auf Gott als sein letztes Ziel hingeordnet so, dass ihm die für diese Zielbewegung erforderlichen Fähigkeiten als Bild göttlichen Seins und Tuns zukommen: Erkenntnisfähigkeit, freier Wille und Selbstmächtigkeit. Thomas zitiert hier unvollständig Johannes Damascenus, der in STh I 93, 9 c.a. ungekürzt zur Sprache kommt: „id quod est secundum imaginem, intellectuale significat, et arbitrio liberum per se potestativum: quod autem secundum similitudinem, virtutis, secundum quod homini possibile est inesse, similitudinem.“ 62 Thomas unterscheidet begrifflich die Ebenbildlichkeit des Menschen hinsichtlich des einen Wesens Gottes und hinsichtlich der drei göttlichen Personen. 63 STh I 93,7 c.a.: „Divinae autem personae distinguuntur secundum processionem verbi a dicente, et amoris connectentis utrumque. Verbum autem in anima nostra sine actuali cogitatione esse non potest […]. Et ideo primo et principaliter attenditur imago Trinitatis in mente secundum actus“. 64 Krämer, Imago Trinitatis, 447, bezieht diese natürliche Neigung, Gott zu lieben und zu erkennen nicht auf die natürliche Gottesliebe (die Thomas für möglich hält), sondern auf die „natürliche Befähigung (capacitas) zur gnadengetragenen Gotteserkenntnis und -liebe“. Dem ist zuzustimmen, aber aus anderen Gründen, als die bei Krämer genannten: da nach Thomas auch der sündige Mensch diese Ebenbildlichkeit qua Natur nicht verliert, wie er auch seine Natur dadurch nicht verliert, der Sünder aber andererseits von sich aus Gott nicht mehr über alles lieben kann, kann die Ebenbildlichkeit also nur als Befähigung für die gnadengetragene Gottesliebe und – erkenntnis gemeint sein.

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Freundschaft, die er aufgrund von Partizipation selbst vollzieht im gnadenhaften Erkennen und Lieben Gottes. Drittens liebt und erkennt der Mensch Gott vollkommen, was erst im ewigen Leben geschieht. Nur also auf die erste Weise ist jeder Mensch Ebenbild Gottes, indem er die Bestimmung dazu trägt, zur Freundschaft mit Gott eschatologisch vollendet zu werden. Das bedeutet also: Die Ebenbildlichkeit vollzieht sich in der Ausrichtung des Menschen als Geistnatur auf den trinitarischen Gott als seinem Urbild; und sie ist daher nur von dieser Beziehung und in Hinordnung auf diese Beziehung zu verstehen.65 Diese Beziehung, zu der der Mensch berufen ist, ist Freundschaft mit Gott, die irdisch durch die Gnade beginnt und sich eschatologisch vollendet. Wegen seiner Gottebenbildlichkeit ist der Mensch von Natur aus der Gnade fähig,66 genauer: Seine Gottebenbildlichkeit besteht in seiner geschaffenen Fähigkeit, die Gnade Gottes zu empfangen, die die gewährte Anteilhabe an der innertrinitarischen Freundschaft(sliebe) Gottes ist. Die Gottebenbildlichkeit stellt den zentralen Begriff dar, mit dem Thomas die Existenz des Menschen theologisch deutet. Die Secunda Pars beginnt mit der Rede von der Gottebenbildlichkeit und wird von daher strukturiert,67 während Thomas dann in der Tertia Pars die christologische Fundierung vornimmt.68 Das Lieben und Erkennen Gottes, zu dem der Mensch berufen ist, sieht Thomas mit der Tradition in einer bestimmten Ausstattung des Menschen fundiert, und zwar in der Entscheidungsfreiheit, in der Selbstmächtigkeit und im Erkenntnisvermögen.69 Zusammengefasst kann also gesagt werden: Die Abbildlichkeit des Menschen besteht in seinem Gott-Lieben und Gott-Erkennen. Die Gottebenbildlichkeit nimmt Thomas in den Blick unter dem Gesichtspunkt des Zieles der Erschaffung des Menschen. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen kann dreifach differenziert werden: eine der Natur nach, die auf die der Gnade nach zielt, welche sich in der Herrlichkeit vollendet. Die Gottebenbildlichkeit unterscheidet sich einerseits von der bloßen Ähnlichkeit alles Geschaffenen zu Gott, welches die Ähnlichkeit einer Spur ist, andererseits vom Bildsein Christi, der das vollkomme65

Wie Thomas den Menschen in allen seinen Dimensionen als von seinen Relationen bestimmt versteht, zeigt differenziert Margerie, L’Homme, wobei er bestimmte thomasische Ansätze gegenüber anderen deutlich überbetont. 66 Siehe STh I–II 11,10 c.a. 67 Das menschliche Handeln kommt also von vorneherein „in der Perspektive seiner Heilsbedeutsamkeit“, (Mertens, Handlungslehre, 169) in den Blick. 68 Zur Einordnung in den mittelalterlichen Diskurs über die Gottebenbildlichkeit des Menschen, siehe Krämer, Imago Trinitatis, 496–499. 69 Vgl. STh I–II prol.

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ne Bild Gottes aufgrund seiner Natur ist. Somit entsprechen die zwei Weisen der Präsenz Gottes in der Welt bzw. des Verhältnisses Gottes zu seiner Schöpfung den zwei Weisen der Ähnlichkeit des Geschaffenen in Gott.70 Im Folgenden sei daher die Geistnatur der Menschen, welche die Grundlage seiner Ebenbildlichkeit bildet, untersucht, zuerst das Erkenntnisvermögen und dann das Strebevermögen des Menschen, das seine besondere Signatur durch das Erkennen des Menschen erhält. Zuvor jedoch noch eine kurze Bemerkung zur thomasischen Rede von „Natur“.71 Das konsequente thomasische Insistieren auf dieser Unterscheidung zwischen Natur und Gnade entstammt aus zwei zusammengehörigen AussageInteressen. Zum einen, dass ein über die Schöpfung hinausgehendes Handeln Gottes für die Menschen notwendig, von Gott aus jedoch ungeschuldet war. Zum zweiten, dass die Kirche als die Vermittlerin dieser Gnade unentbehrlich ist. Wenn Thomas von Natur spricht, hat der Leser auf vier verschiedene Bedeutungsaspekte zu achten:72 (a) Natur an sich, unabhängig von Sünde oder Gnade betrachtet. Hiermit meint Thomas bestimmte Prinzipien der geschaffenen Wirklichkeit sowie die Zusammensetzung der Geschöpfe, z.B. des Menschen, dessen Seele die Seelenvermögen Verstand, Wille und sinnliche Strebevermögen umfasst. (b) Natur, insofern sie auf Vervollkommnung durch die Gnade angelegt ist und ihrer bedarf und sie erfährt. (c) Natur als geschaffenes Gut ohne Sünde. In dieser Hinsicht ist Natur gekennzeichnet durch ihre Ordnung. (d) Natur als Neigung zum Guten, als Maß, dem zu entsprechen, gut ist. Diese Redeweisen von Natur stellen jeweils eine bewusst vollzogene Abstraktion dar, denn die eine Natur des Menschen kommt in vier verschiedenen Zuständen vor, die Auswirkungen auf die Struktur haben: die Natur des Menschen im Status der ursprünglichen Gerechtigkeit, im Status der Sünde, im Status der Gnade und im Status der Herrlichkeit (den man nochmals in zwei unterteilen könnte). Die Differenz dieser Zustände ist so groß und wird von Thomas so deutlich unterstrichen, dass die Einheit der Natur in ihren Zuständen zunächst schwer festzuhalten ist. Diese Einheit begründet Thomas dann aber teleologisch: zum einen mit der Bestimmtheit aller Zu-

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Dazu Krämer, Imago Trinitatis, 446. Dazu grundlegend: Schockenhoff, Bonum hominis, 1987; Robert Pasnau, Thomas Aquinas on Human Nature, 2002. 72 Dazu Mundhenk, Die Seele, 106–108. 71

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stände hin auf den eschatologischen Zustand der Natur, so dann mit dem Ausgerichtetsein der Natur überhaupt. Die Natur des Menschen kennzeichnet Thomas näher durch das natürliche Gesetz als Anteilhabe des Menschen am ewigen Gesetz. Wenn Natur des Menschen als die dem Menschen eigene und besondere Natur verstanden wird, dann hat sie zum Kriterium die Vernunft. Alles ist dann dem Menschen natürlich, was seiner Vernunft entspricht. Jede Natur neigt dazu, sich im Handeln selbst zu entsprechen. Den Menschen zeichnet daher die natürliche Neigung aus, gemäß seiner Vernunft zu handeln. Wie sich Thomas die Natur des Menschen vorstellt, insofern dieser seine Form durch die Seele erhält, sei im Folgenden vorgestellt, bevor die einzelnen anthropologischen Vermögen in den Blick genommen werden. Die Seele ist als Form des Körpers reine Form, so dass sie als sie selbst keine Potentialität sein kann. Potentialität als Möglichkeit von Verwirklichung und Aktivität muss dem Menschen daher auf andere Weise zukommen, aber eben doch so, dass die Seele dabei als die Form des Körpers gedacht werden kann. Das erfüllt die Rede von den Seelenvermögen als dem Ausgangsgrund der menschlichen Akte, die zur Seele gehören, aber nicht mit ihr identisch sind. Die Seelenvermögen versteht Thomas als natürliche Eigenschaften der Seele, die ihr aufgrund ihrer Artbestimmtheit als menschliche Seele zukommen.73 An den Seelenvermögen unterscheidet er solche, für welche die Seele sowohl Urgrund als auch Träger ist, wie das Erkenntnisvermögen und der Wille, sowie solche, für die die Seele zwar Urgrund, aber die Verbindung von Seele und Körper der Träger ist wie die sinnlichen Strebevermögen. Die Seelenvermögen entspringen der Seele als ihrem Prinzip. Die eine Seele des Menschen fasst Thomas als also Lebensprinzip des Körpers sowie als Prinzip des Erkennens und Wollens auf. Die Verschiedenheit der Seelenvermögen (potentiae animae) und ihre Ordnung behandelt Thomas in STh I 77. Die Pluralität der Vermögen plausibilisiert er von der Ordnung der Wirklichkeit her, die Rangstufen beinhaltet, deren Kriterien sind, ob etwas die vollkommene Gutheit überhaupt erreichen kann, und wenn ob mit vielen und mit wenigen und auf der höchsten Stufe ohne Bewegung überhaupt. Die Menschen erreichen zwar die vollkommene Gutheit, das ist die beatitudo, aber nur mit vielen verschiedenen Bewegungen, die von unterschiedlichen Vermögen ausgehen. Als zweite Plausibilisierung nennt Thomas, dass der Mensch auf der Grenze steht zwischen geistigen und körperlichen Wesen, und daher ihm die eigentümlichen Kräfte beider Lebensformen zukommen. Die Vermögen werden spezifiziert durch die Verschiedenheit der Tätigkeiten und diese durch ihre Gegenstände, so dass Thomas fünf Vermögen unterscheidet: das Ernährende 73

So STh I–II 110,4 ad 3; ad 4.

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(vegetativum), das Wahrnehmende (sensitivum), das Strebende (appetitivum), das örtlich Bewegende (motivum secundum locum) und das Verstehende (intellectivum). Ihr gegenseitiges Verhältnis bezüglich ihres gemeinsamen Ursprunges in der Seele beschreibt Thomas als dreifache Ordnung: die Ordnung der Entstehung, der Natur bzw. der höheren Vollkommenheit nach und gemäß der sie spezifizierenden Gegenständen. Im Folgenden seien nun Wille und Verstand als die den Menschen gegenüber dem Tier auszeichnenden Seelenvermögen näher analysiert. Wille und Verstand sind Verhältnisvermögen, die daher durch eine Beschreibung ihrer Relationen zu charakterisieren sind. Diese Relationen sind auch formal von verschiedener Struktur. Das Erkenntnisobjekt ist als Erkanntes für Thomas im Erkennenden, während das Gewollte zwar als erkanntes Objekt im Erkennenden ist, aber als bonum den Willen auf etwas jenseits seiner selbst ausrichtet.

2.3 Das Erkennen des Menschen Das Erkennen des Menschen Das Erkennen des Menschen beginnt mit der Wahrnehmung, die Thomas Sinneserkenntnis nennt. Der Verstand ordnet diese Sinneserkenntnis so, dass er erstens die Form der zu Erkennenden erfasst und zweitens ein Urteil bildet durch „Verbinden und Trennen“, also indem dem Satz-Subjekt ein Prädikat zu- oder abgesprochen wird. Handelt es sich gleich um Aussagen, die dem Verstand begegnen, dann verfährt er ebenso in einem Zweischritt: Er erfasst eine Aussage und dann stimmt er ihr zu oder lehnt sie ab. Obwohl für die Bestimmung des Glaubens vor allem die letzte Funktion des Verstandes wichtig wird, sei die thomasische Vorstellung vom menschlichen Erkennen beginnend mit der sinnlichen Wahrnehmung kurz skizziert, um auf diesem Hintergrund die Eigenart des Erkenntnisvollzuges im Glaubensakt genauer erfassen zu können. Das Erkennen geschieht, indem das Sinnesvermögen die Form der sinnlichen Gegenstände aufnimmt, welche Phantasmata heißen. In der sinnlichen Wahrnehmung wird das Sinnesvermögen des Menschen durch den Wahrnehmungsgegenstand geformt, indem es dessen Form erhält, welche dann auf verschiedene Weise im Gegenstand und im Wahrnehmenden ist. Das Beformtwerden macht das Sinnenvermögen erst zu einem wahrnehmenden; das Beformtwerden ist die sinnliche Wahrnehmung. Was geschieht mit den sinnenhaften Eindrücken? Der Verstand abstrahiert nun die Form aus den Phantasmata: Als tätiger Verstand „beleuchtet“ er die Phantasmata, so dass sie geeignet werden, den möglichen Verstand so zu formen, dass species intelligibiles entstehen.

Das Erkennen des Menschen

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Durch diese erkennt der Verstand in Hinwendung zu den Phantasmata die sinnlich erfassbaren Dinge. Deren Ähnlichkeit bildet die Form des (möglichen) Verstandes im Erkennen. Daraus macht der Verstand eine Wesensbestimmung und ein Urteil, welches im Verbinden, Trennen und Schlussfolgern besteht. Für das Schlussfolgern sind logische Grund-Sätze erforderlich, die dem Denken durch sich selbst einsichtig sind. Diese werden als intellectus bezeichnet, während die abgeleiteten Sätze scientia, Wissen genannt werden. Was bedeutet es, zu verbinden und zu trennen? Zunächst die Bestimmung von Gattung und Art eines Einzeldinges, dann die Zuordnung von Akzidentien zum Träger. Das entspricht nach Thomas dem Gegenstand insofern, als auch im Gegenstand selbst zwei Verbindungen statthaben: die von Form und Materie, und die von Akzidens und Träger. Die Verbindung im Denken unterscheidet sich aber von der im Gegenstand. Der Sinn nimmt die Formen ohne Stoff auf, aber mit ihren stofflichen Bedingungen, während der Verstand auch von diesen stofflichen Bedingungen abstrahiert. Erkennen bedeutet für Thomas, die Form aus den Phantasiebildern zu abstrahieren: das Allgemeine aus und in dem Besonderen. Das Allgemeine ist die Art, die durch die Form bestimmt wird. Die erkannte Form ist im Erkennenden auf eine andere Weise als im Gegenstand, der durch sie artbestimmt ist. Zu bestimmten Formen aber kann es gehören, dass sie sich mit Materia verbinden. Dafür nennt Thomas als Beispiel: Der Begriff der Art Mensch umfasst seine Leiblichkeit, darunter auch Knochen.74 Thomas unterscheidet materia sensibilis individualis, materia sensibilis communis, materia intelligibilis. Aus ersterer muss für das Erkennen immer abstrahiert werden, aus der zweiten abstrahiert die Erkenntnis die mathematischen Artformen und aus der dritten die Erkenntnis der Begriffe „das Seiende“, „das Eine“, „Möglichkeit“ und „Wirklichkeit“.75 Der Mensch, dessen Erkennen von der sinnlichen Wahrnehmung ausgeht, erkennt zunächst und zuerst Einzelnes, und dann erst Allgemeines. Aber sowohl die Sinneserkenntnis als auch die Verstandeserkenntnis erfasst zunächst das Gemeinsame/Unspezifizierte, bevor sie das Spezifischere erkennt. Der Verstand erkennt die Art(-form), also das Allgemeine; insofern er sich aber aufgrund dieser Erkenntnis auf die Phantasmata rückwendet, erkennt er das Allgemeine in dem jeweiligen Einzelnen. Seine Erkenntnis hat daher die Struktur: Dieses bestimmte Einzelne gehört zur Art x. Mögliche andere Erkenntnisgegenstände diskutiert Thomas differenziert, dazu im Folgenden mehr. Das Unendliche kann nur als Mögliches erkannt werden, denn als Wirkliches kann es nicht ein einziges Erkenntnisbild bilden – und nur ein einzi74 75

Vgl. STh I 85,1 ad 2. Vgl. STh I 85,1 ad 2.

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ges Erkenntnisbild kann der Mensch auf einmal erfassen. Der Mensch kann nur jeweils Teile auf einmal erfassen. Wie der Verstand über die Rückwendung zu den Phantasmata Einzelnes erkennen kann, so auch Zufälliges. Über die materiellen Gegenstände hinaus erkennt die menschliche Seele in gewisser Weise auch sich selbst. Der Verstand aber erkennt sich selbst nur durch seine Tätigkeit, insofern er nur dann in Wirklichkeit ist und somit erkennbar – denn nur Wirkliches ist der Erkenntnis direkt zugänglich –, wenn er tätig ist, also erkennt. Das trifft zu für den Fall des einzelnen Verstandes als auch für die Erkenntnis der Natur des menschlichen Verstandes überhaupt. Auch Habitus sind dem Menschen grundsätzlich nur über ihre Tätigkeiten erkennbar. Zunächst erkennt der Verstand also materielle Gegenstände; durch sie wird er ein wirklich erkennender Verstand. Durch die Erkenntnis von Gegenständen erkennt er sein eigenes Erkennen, und dadurch wiederum sich selbst. In extensiver Auseinandersetzung mit Averroes diskutiert Thomas die Frage, ob der menschliche Verstand auch inmaterielle Substanzen erkennen könne,76 wozu v.a. die Engel gehören. Zu beginnen ist mit der Klärung des ontologischen Status dieser Substanzen. Diese hält Thomas für gänzlich anders in ihrer Art als die materiellen Substanzen; gemeinsam ist ihnen lediglich die logische Gattung der Substanz, im Gegensatz zu Gott, der keine Substanz ist, insofern bei ihm Sein und Wesen identisch sind. Wegen der Unähnlichkeit mit den materiellen Substanzen sind die inmateriellen als solche und direkt daher für den menschlichen Verstand nicht erkennbar; eine gewisse, aber unvollkommene Erkenntnis ist zu erlangen über den Weg des Ausschlusses (via remotionis) und über ihr Verhältnis zu den materiellen Substanzen. Insofern die logische Gattung der Substanz gemeinsam ist, kann der menschliche Verstand auch bejahende Aussagen über die inmateriellen Substanzen erreichen. Gott dagegen kann direkt vom menschlichen Verstand überhaupt nicht erkannt werden, sondern nur durch die Erkenntnis des Geschöpflichen, v.a. der materiellen Substanzen. Thomas unterscheidet präzise zwischen einzelnen Erkenntnisfunktionen. Die Differenzierungen zwischen möglichem und tätigem Verstand, zwischen intellectus und ratio sind die wichtigsten und seien nun vorgestellt. Der Verstand ist ein Seelenvermögen, das die Möglichkeit zum Verstehen der intelligiblen Wirklichkeit darstellt. Das Wirkliche ist bestimmt durch Art-Formen, die Materia geformt haben. Zum Verstehen ist es nun nötig, diese Artformen zu erkennen, wozu diese im Erkenntnisakt aus den stofflichen Bedingungen, mit denen sie uns im sinnlichen Eindruck zusammen gegeben werden, zu lösen. Thomas nennt diesen Vorgang Abstraktion; und die entsprechende Funktion des Verstandes den tätigen Verstand. Bei 76

Dazu STh I 88, 1–2.

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der Näherbestimmung des tätigen Verstandes im Diskussionskontext seiner Zeit kommt Thomas zu folgenden Aussagen: Der tätige Verstand ist weder der Verstand Gottes noch ein allgemeiner Verstand, sondern ist eine der jeweiligen menschlichen Seele zugehörige Kraft, die durch Partizipation am Verstand Gottes entstanden ist.77 Die menschliche Seele hat in Bezug auf Erkenntnis zwei Kräfte, den tätigen Verstand und den möglichen Verstand, der die Artformen aufnehmen kann und in Potenz hinsichtlich dieser abstrahierten Artformen ist. Weiter unterscheidet Thomas das Gedächtnis als eine Kraft, die Erkenntnisbilder aufbewahrt. Eine solche Kraft gibt es im verstehenden Teil und im sinnlichen Teil der Seele. Das Gedächtnis im verstehenden Teil ist dasselbe Vermögen wie der Verstand; Thomas ordnet es dem möglichen Verstand zu. Ratio und Intellectus sind für Thomas keine verschiedenen Vermögen. Dem Intellekt eigentümlich ist das einfache Erfassen von Wahrheit, z.B. der ersten Prinzipien. Die Ratio dagegen erreicht Wahrheitserkenntnis durch Schlussfolgerungen. Das Verhältnis kann mit dem zwischen Ruhen und Bewegtwerden verglichen werden, was bei jeder Bewegung ein und demselben zukommt, weshalb also Ratio und Intellekt für Thomas nur ein einziges Seelenvermögen sind. Dieses eine Seelenvermögen lässt sich aber noch auf eine weitere Weise differenzieren, ohne die Einheit zu gefährden: Als höhere Vernunft betrachtet sie die ewigen Dinge, als niedere die zeitlichen. Sie hängen insofern eng zusammen, als wir durch die zeitlichen Dinge das Ewige erkennen; und gemäß der Erkenntnis des Ewigen beurteilen wir das Zeitliche. Ebenso sind zwar praktischer und theoretischer Verstand anhand ihres Zweckes zu unterscheiden, aber bilden ein einziges Vermögen: „Der betrachtende Verstand ist der, der das, was er wahrnimmt, nicht auf die Ausführung hinordnet, sondern einzig auf die Betrachtung der Wahrheit. Ausführender Verstand aber heißt derjenige, der das, was er wahrnimmt, auf die Ausführung hinordnet.“78 Thomas diskutiert dann den Status des synderesis. Diese enthält die uns durch die Natur mitgegebenen Grundsätze des Handelns, darin vergleichbar den ersten Prinzipien des theoretischen Verstandes und deren Status. Sie ist insofern kein Vermögen, sondern ein Habitus, vergleichbar dem Habitus der Einsicht. Die ersten Prinzipien der theoretischen und der praktischen Vernunft erklärt Thomas wie folgt. Alle Menschen erfassen zuerst und in allem, was sie erkennend erfassen, die Bedeutung von „seiend“. Dabei wird 77 Hiermit richtet sich Thomas gegen die These von der Einheit des tätigen Verstandes, wie sie insbesondere Averroes vertreten hatte. 78 „Intellectus speculativus est, qui quod apprehendit, non ordinat ad opus, sed ad solam veritatis considerationem: practicus vero intellectus dicitur, qui hoc quod apprehendit, ordinat ad opus“ STh I 79,11 c.a.

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der Unterschied von Sein und Nichtsein und seine Bedeutung miterfasst. Das erste selbstevidente Prinzip für das menschliche Erkennen ist daher der Satz: „Etwas kann nicht zugleich bejaht und verneint werden“, der darauf basiert, dass etwas nicht zugleich sein und nichtsein kann. Alle anderen selbstevidenten Prinzipien der theoretischen Vernunft stehen im Zusammenhang mit diesem Satz vom verneinten Widerspruch. Diese Prinzipien bzw. Grundsätze bilden den Gegenstand des intellectus. Vergleichbar kommen der praktischen Vernunft auch erste Grundsätze zu, die mit dem natürlichen Gesetz identisch sind. Die praktische Vernunft erfasst zuerst und in allem das Gutsein als Gutsein. Der erste selbstevidente Satz der praktischen Vernunft lautet daher: „Das Gute ist zu tun und zu erstreben, das Böse ist zu meiden.“79 Umgekehrt erfasst die praktische Vernunft auch das, worauf sich das natürliche Streben richtet, als gut. Der Ordnung des natürlichen Strebens entnimmt sie die weiteren Grundsätze: Alles strebt nach Selbsterhaltung. Alle Lebewesen streben nach Fortpflanzung. Alle vernunftbegabten Geschöpfe streben von Natur aus nach Gotteserkenntnis und nach Gemeinschaft. So gehören zum natürlichen Gesetz die Selbsterhaltung, die Vereinigung von Frau und Mann, Kindererziehung, gemeinschaftsgerechtes Verhalten und Streben nach Überwindung von Unwissenheit. Diese verschiedenen Strebeziele bilden einen einzigen Zusammenhang, der von dem ersten Satz konstituiert ist. Allgemein bekannt und für alle gleich sind die genannten ersten Prinzipien der theoretischen und der praktischen Vernunft. Anders verhält es sich jedoch mit den Folgerungen aus ihnen. Bei der theoretischen Vernunft nimmt Thomas auch für die Folgesätze ein und dieselbe Wahrheit für alle an; diese ist jedoch nicht mehr allen bekannt. Die Folgerungen aus den ersten Prinzipien der praktischen Vernunft können weder für alle (d.h. für alle Situationen) dieselbe Wahrheit beanspruchen, noch sind sie – wären sie auch dieselben – allen bekannt. Diesen Sachverhalt erklärt Thomas damit, dass die praktische Vernunft es mit den zufälligen und veränderlichen Dingen zu tun hat, bei denen viele Einzelheiten zu berücksichtigen sind.80 Weil Thomas aber die bisher genannten Erkenntnisfunktionen begrifflich verschieden zuordnet, sei ein kurzer Überblick über seine Terminologie gegeben: Intellectus bedeutet für Thomas die Erfassung der durch sich selbst einsichtigen Grundsätze, während ratio das Schlussfolgern und Beweisen ausgehend von diesen Grundsätzen vollzieht. Beide gehören zu demselben Vermögen.81 79

Siehe dazu STh I–II 94,2 c.a. Vgl. STh I–II 94,4 c.a. 81 Vgl. STh I 83,4 c.a. 80

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An anderen Stellen steht intellectus für das Erkenntnisvermögen des Menschen überhaupt, und umfasst da auch das Schlussfolgern. Ratio verwendet Thomas gelegentlich für die vernünftigen Seelenvermögen des Menschen, also für intellectus, ratio i.e.S. und Willen.82 Mens steht für die Gesamtheit der rationalen Vermögen des Menschen, also für Wille und Verstand und ungeachtet der Differenzierung zwischen ihnen, im Gegenüber zu den Leidenschaften bzw. den niederen Strebevermögen.83 Cognitio bezeichnet ganz allgemein Erkenntnis nach ihrer inhaltlichen Seite als Erfassen von etwas, worunter sowohl Wissen und Glauben usw. fallen können. Mit dem natürlichen Licht der Vernunft bezeichnet Thomas eine Form des Verstandes, die ihn befähigt, bestimmte Inhalte zu verstehen, nämlich all das, was wir vermittels der sinnlichen Wahrnehmung erkennen können.84 Für andere Inhalte, die der Mensch nicht auf diesem Wege erlangen kann, braucht der Mensch eine weitere Form, das Licht der Gnade. Diese Form ist eine „Einprägung der ersten Wahrheit“.85 Der Mensch erkennt nicht diese Form, sondern durch diese Form. Es bleibt noch zu erörtern, ob der Verstand sich täuschen kann.86 Hinsichtlich des ihm jeweils eigentümlichen Gegenstandes täuscht sich weder der Verstand noch ein Sinnesvermögen, es sei denn aufgrund einer organischen Beeinträchtigung. Insofern der Verstand sich auf die Washeit eines Gegenstandes richtet, täuscht er sich also nicht; er kann sich aber irren in der Bestimmung dessen, womit ein Gegenstand zusammenhängt sowie in Schlussfolgerungen, welche die ratio zieht. Vollendetes Wissen dagegen ist dadurch gekennzeichnet, dass von der Kenntnis der Ursachen und Prinzipien ausgehend die Wirkungen erkannt werden. Der Weg des Wissenserwerbs kann jedoch umgekehrt verlaufen: von den Wirkungen zu den Gründen. Am Schluss dieser Überlegungen lässt sich zusammenfassen: Wenn der aufnehmende Verstand durch das geistige Erkenntnisbild geformt ist, bildet er die Wesensbestimmung der erkannten Sache, die in einem Wort ausgedrückt wird. Ein Begriff bezeichnet die Wesensbestimmung eines Gegenstandes; eine Aussage bezeichnet die Verbindung und Trennung durch den Verstand.87 Die geistigen Erkenntnisbilder stellen nicht das dar, was erkannt wird, sondern wodurch erkannt wird.88 82

Siehe dazu Seckler, Theologie als Glaubenswissenschaft, 204–212. Vgl. STh I–II 109,8 c.a. 84 Vgl. STh I–II 109,1 c.a. 85 „Impressio veritatis primae“ STh I 88,3 ad 1. 86 Vgl. STh I 85,6. 87 Vgl. STh I 85,2 ad 3. 88 Vgl. STh I 85,2 c.a. 83

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Das eigentlich theologische Problem der Erkenntnistheorie lautet, ob und wie der Mensch Gott erkennen kann. Daher folgt also nun eine Analyse der thomasischen Möglichkeitsbestimmung von menschlicher Gotteserkenntnis. Von sich aus kann der Verstand des Menschen im Status des irdischen Lebens Gott nur an seinen Wirkungen erkennen (1). Im Zustand der Glorie kann der Mensch Gott in dessen Wesen schauen, aber ohne ihn je ganz zu begreifen (2).89 (1) Der Mensch kann Gott nur erkennen als Ursache der Wirkungen, als die er seine Erfahrungswelt identifiziert – von Thomas vorgeführt in den fünf Wegen zur Erkenntnis des Daseins Gottes. Dass Gott ist und dass ihm folgende Merkmale zukommen, ist natürlicher Erkenntnis erreichbar: Gott ist Ursache aller Dinge; Gott ist unterschieden von seinen Geschöpfen; dieses Unterschiedensein bedeutet ein Überragen alles Geschöpflichen. Der Mensch erkennt im statu viae Gottes Dasein, sein Wesen auf dem Weg der Negation, der Steigerung und der Ursache. Er erkennt Gott aber nicht so, wie er in sich ist, sondern nach der Weise des geschaffenen Verstandes, nämlich in Form von zusammengesetzten Aussagen. Die natürliche Gotteserkenntnis, wie sie in den Gottesbeweisen sich expliziert, erreicht Gott als Ursache der Dinge und erkennt über sein Dasein hinaus alle Merkmale, die ihm zukommen als Ursache der Dinge: seine Verschiedenheit von den Dingen aufgrund seiner Überlegenheit über sie, also seine Vollkommenheit. Die Gotteserkenntnis mit Hilfe der Gnade im Glauben überschreitet jene Erkenntnisse, weil die Gnade die natürliche Erkenntniskraft verstärkt und Gott Phantasiebilder hervorbringen lässt, die Gott besser darstellen. Diese Glaubensinhalte, bedeuten zwar inhaltlich ein Mehr an Erkenntnis, sie haben aber nicht den Status von Wissen! Der Mensch erkennt Gott nur auf die Weise der Analogie, weil sich alle Begriffe, die Gott zwar bezeichnen können, Gott aber auf eine ihm unangemessene Weise bezeichnen, eben als zusammengesetzt aus Sein und Wesen, nicht aber insofern Gott sein Wesen zugleich ist. Der Mensch kann nicht wissen, was und wie Gott ist, weil zu wissen, immer bedeutet, aussagen zu können, warum es ist, wie es ist, d.h. es auf Prinzipien zurückführen zu können. Der Mensch kann zwar wahre Aussage über Gott machen, aber er weiß nicht im strengen Sinne, was diese bedeuten. Im Glauben aber erkennt der Mensch, dass und warum er Gott nicht auf Gott gemäße Art erkennt. (2) Die eschatologische Gotteserkenntnis ist für Thomas nicht nur relevant als Teil der theologischen Eschatologie, sondern auch für die Anthro89 Vgl. STh I 86,2 ad 1. Auch hier kann gefragt werden, wie bei diese Differenz zwischen irdischem und eschatologischem Erkennen die Einheit und Selbigkeit des Erkenntnisvermögens noch zu behaupten ist, so auch Goris, Anthropologie und Erkenntnislehre, 136f.

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pologie und Erkenntnistheorie, denn hier steht die thomasische Position insofern auf dem Spiel, als er den Sinneseindruck, der an die leibliche Verfassung des Menschen gebunden ist, als konstitutiv für das dem Menschen eigentümliche Erkennen bezeichnet hat, und das eschatologische Erkennen über keine solchen Sinneseindrücke mehr verfügt. Erkennt denn da noch der Mensch? Thomas muss nun zeigen, dass die menschliche Seele die gleiche bleibt nach dem Tod, dass sich trotzdem ihr Erkennen verändert, dass aber die irdische Erkenntnisweise der Seele gleichermaßen wesentlich ist und dies keine minderwertige Erkenntnisweise im Vergleich mit der eschatologischen darstellt. Die anima separata, wie Thomas die Seele ohne Körper nach dem Tode bezeichnet, hat eine andere Seinsweise, und daher auch eine andere Erkenntnisweise als die mit dem Körper vereinte Seele und bleibt doch in ihrer Natur gleich. Diese andere Erkenntnisweise bedarf nicht mehr der Hinwendung zu den sinnlichen Vorstellungsbildern, sondern richtet sich auf das schlechthin Verstehbare, welches durch vom göttlichen Licht eingeströmten Bildern erkannt wird, an denen die menschliche Seele partizipiert. Thomas unterscheidet nun zwischen der natürlichen Erkenntnis durch die anima separata und der Erkenntnis aufgrund des Glorienlichtes. Hinsichtlich der natürlichen Erkenntnis führt Thomas aus:90 Die anderen abgeschiedenen Seelen können ganz, die Engel dagegen nur unvollkommen erkannt werden; auch von allem Irdisch-Natürlichen hat die anima separata nur eine allgemeine und verschwommene Erkenntnis. Sie kann sich erkennend nur auf bestimmtes Einzelnes beziehen, dem sie verbunden ist durch Zuneigung oder durch Gottes Weisung, durch ein natürliches Verhältnis oder durch ein früheres Erkennen. Das irdische Erkennen bleibt über den Habitus des Wissens der anima separata erhalten, allerdings ändert sich der damit verbundene Akt, der nicht mehr durch Rückwendung zu den sinnlichen Vorstellungsbildern erkennt, sondern gemäß der Erkenntnisweise der abgeschiedenen Seelen. Die irdischen Ereignisse, die sich ja aus Einzelnem zusammensetzen, sind der abgeschiedenen Seele nicht zugänglich. Wenn die Erkenntniskraft durch das Licht der Glorie verstärkt wird, dann macht Gott in seinem Wesen sich selbst zur Erkenntnisform und gibt sich so zu erkennen – ohne Vermittlung eines geschaffenen Erkenntnisbildes. In Gott als der Ursache aller Dinge werden die Dinge mitgeschaut, als in der Ursache angelegte Wirkungen, dabei als Art und Gattung, nicht als Einzelwesen, alles auf einmal, nicht nacheinander.

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Dazu STh I 89, 2–8.

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2.4 Das Streben des Menschen Das Streben des Menschen 2.4.1 Der Wille Wille ist ein Vermögen, welches Willensakte freisetzt. Thomas unterscheidet zwischen vom Willen gewählten Akten (actus eliciti)91 und vom Willen befohlenen Akten (actus imperati), deren Vollzug nicht selbst vom Willen bewerkstelligt wird (STh I–II 1,1 ad 2). Die vom Willen gewählten Akte lassen sich wiederum unterscheiden in solche, die sich auf das Ziel richten, und solche, die sich auf Mittel zum Ziel beziehen. Bei den zielbezogenen Akten zählt Thomas das Wollen (velle), das Freuen (frui) und das Intendieren (intendere) auf.92 Wählen (eligere), Zustimmen (consentire) und Gebrauchen (uti) beschreiben die drei möglichen mittelbezogenen Akte. Thomas setzt in seiner Willenslehre ein mit allgemeinen Strukturen der Wirklichkeit, nämlich der Formbestimmtheit alles Seienden. Jede Form impliziert nach Thomas eine inclinatio, Hinneigung, wofür er als Beispiel das Feuer mit seiner Neigung nach oben und danach, etwas sich selbst Ähnliches zu erzeugen, nennt.93 Nun verhält sich die Form in den mit Erkenntnisfähigkeit ausgestatteten Wesen zu ihnen in einer höheren Weise als bei den anderen, insofern die erkennenden Wesen im Erkennen die Formen anderer Wesen aufnehmen können, ohne ihre eigene Form zu verlieren. Diese durch das Erkennen aufgenommenen Formen anderer Dinge sind in den erkennenden Wesen auf eine andere, höhere Weise als in den Dingen, deren Naturformen sie sind. Daher muss auch die mit den (erkannten) Formen gegebene inclinatio auf höhere Weise in den erkennenden Wesen gegeben sein als die natürliche inclinatio sowohl der erkennenden Wesen als auch der erkannten Dinge. Diese andere Weise der inclinatio bewirkt und beinhaltet, dass die erkennenden Wesen sich dem strebend zuwenden, dessen Form sie erkennen und nicht nur dem, wozu sie ihre eigene Naturform hinordnet. Diese andere inclinatio wird ihnen ein eigenes Seelenvermö-

91 In der Forschungsliteratur wird gelegentlich auch “vom Willen hervorgelockte Akte” übersetzt. Zu der genannten Unterscheidung, insbesondere hinsichtlich seines aristotelischen Hintergrundes: Mertens, Handlungslehre und Grundlagen der Ethik, 175–185. Weiter ist Mertens (Handlungslehre und Grundlagen der Ethik, 179) in seinem Urteil zuzustimmen: „Mit dieser Zuspitzung der handlungstheoretischen Reflexion auf den freien Willen, der in seinem Wollen von keiner Notwendigkeit eingeschränkt wird, folgt Thomas Überlegungen, die ihre traditionsprägende Gestalt vor allem bei Augustinus gefunden haben.“ Zu den verschiedenen theoriegeschichtlichen Wurzeln der thomasischen Willenslehre: Wittmann, Die Ethik des Hl. Thomas von Aquin. 92 STh I–II proöm. 8. 93 Hier zeigt sich der grundlegende Ansatz Thomas, den Menschen von den allgemeinen Strukturen der Wirklichkeit her zu verstehen, gerade auch in seiner Besonderheit, vgl. hierzu die ausführlichen Überlegungen von Robert Pasnau, Thomas Aquinas on Human Nature, v.a. 200–203.

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gen,94 das sich nochmals zu der inclinatio der eigenen Form verhält und unterschieden ist von der je eigenen inclinatio der anderen Seelenvermögen. „Die Tätigkeit des Willens ist nichts anderes als eine gewisse Hinneigung, die einer vom Verstand erkannten Form folgt“.95 Das Strebevermögen differenziert Thomas in ein verstandesmäßiges und ein sinnliches, welches Thomas auch mit „Sinnlichkeit“ (sensualitas) bezeichnet. Das sinnliche Streben als die der sinnlichen Wahrnehmung folgende Hinneigung richtet sich nun auf etwas Gutes, insofern es den Sinnen zuträglich oder angenehm erscheint – wozu die Flucht vor dem Schädlichen gehört –, zum anderen widersteht es Hindernissen in der Bewegung auf das zuträgliche Gut. Daher nimmt Thomas hier mit der Tradition zwei Vermögen des sinnlichen Strebens an, und zwar das begehrende und das zornmütige, auch wenn das zornmütige Streben stets von einem begehrenden ausgeht. So erzeugt das Verlangen nach einem kühlen Bier an einem heißen Sommertag die zornmütige Kraft, lange geduldig im Biergarten für das Bier anzustehen. Das sinnliche Streben entfaltet seine Wirksamkeit aber nur vermittels der Vernunft, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen muss die Vernunft das angestrebte Objekt bewerten. Ist Bier überhaupt zur Kühlung geeignet, ist das erhältliche Bier überhaupt kühl und daher für einen selbst in dieser Situation zuträglich. Zum anderen muss der Wille zustimmen, damit das sinnliche Streben wirken kann. Diese Herrschaft der Vernunftkräfte (Vernunft und Wille) über das sinnliche Streben vergleicht Thomas im Anschluss an Aristoteles mit politischer Herrschaft, insofern trotz Gehorsam das sinnliche Streben auch ein gewisses Eigenleben hat. Der Wille nun ist der appetitus rationalis. Das rationale Streben folgt aber keiner Form, wie sie in einem Gegenstand existiert, sondern einer wahrgenommenen Form. Der Wille braucht sich daher nicht auf etwas beziehen, das auch als Gegenstand gut ist, sondern nur auf etwas, insofern es als gut wahrgenommen bzw. erkannt ist. Gegenstand des Wollens kann daher das Ziel sein wie auch Mittel zum Ziel, insofern beides formal als gutseiend erstrebt wird. Der eigentliche Gegenstand des Willens im engeren Sinne ist aber das Ziel, das in allen einzelnen Willensakten gewollt wird. Das Strebevermögen ist ein passives Vermögen, weil es vom Wahrge94

Beim entsprechenden Abschnitt in der ScG II 47 geht es Thomas um den Nachweis, dass geistige Wesen Willen besitzen; seine Argumentation versucht nachzuweisen, dass bei den geistigen Substanzen die Definition des Willens erfüllt ist: die zum einen lautet: Wille ist Aus-sichselbst-heraus-Tätigsein, und zum zweiten: der Wille ist ein Streben, das sich auf alles erstreckt. Auch hier setzt Thomas das Streben bereits voraus. Eine Genetisierung des Strebens aus der Struktur geistiger Wesen versucht er hier nicht. 95 STh I 87,4 c.a.: „Actus voluntatis nihil aliud quam inclinatio quaedam consequens formam intellectam“ oder STh I–II 6,4 c.a.: „Actus voluntatis nihil est aliud quam inclinatio quaedam procedens ab interiori principio cognoscente“.

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nommenen bewegt wird. Da Vermögen gemäß ihrer Formalgegenstände spezifiziert werden, ist das Wahrgenommene zu betrachten: Dieses ist zu unterscheiden ist in das von den Sinnen und das vom Verstand Wahrgenommene; daher existiert beim Menschen ein sinnliches neben einem verstandesmäßigen Streben. Dieses sinnliche Streben identifiziert Thomas mit Sinnlichkeit überhaupt. Bewegt wird es vom einem Wahrgenommen, das durch die Vernunft als etwas erkannt und eingeschätzt wird, worauf der Wille als das verstandesmäßige Streben über die Ausführung entscheidet. Den Willen untersucht Thomas nach folgenden Hinsichten: Was will der Wille? Der Wille will Gutes unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des Guten.96 Das Gute fungiert für den Willen immer als Ziel. Wie will der Wille? Der Wille will in bestimmter Weise etwas notwendig. Der Wille will notwendig etwas Gutes. Notwendig will er daher die Glückseligkeit als das, was uneingeschränkt und in jeder Hinsicht gut ist. Dieses Wollen des letzten Zieles als Glückseligkeit ist dem Menschen qua Natur gegeben und macht den Willen als Willen aus. Qua Natur bedeutet, dass es sich der Ordnung Gottes, seinem ewigen Gesetz verdankt, durch das alles Geschaffene auf die ihm eigentümlichen Ziele und Akte hingeordnet ist. Die Teilhabe an Gottes ewigem Gesetz ist das natürliche Gesetz, aufgrund dessen der Mensch das letzte Ziel will und alle seine Handlungen auf ein letztes Ziel ausrichtet.97 Die Notwendigkeit des Wollens erstreckt sich dann auch auf Dinge, die in einer notwendigen, vom Wollenden dann auch erkannten Verbindung zur Glückseligkeit stehen. Mit bedingter Notwendigkeit will der Wille etwas, wenn mit einem Gewollten etwas anderes notwendig verbunden ist: „So entsteht aus dem Willen, über das Meer zu fahren, im Willen die Notwendigkeit, ein Schiff zu wollen.“98 Der Wille kann hingegen nichts gegen seinen Willen wollen; denn er kann nicht zugleich etwas wollen und es nicht wollen. Hinsichtlich des Willens ist es also sinnlos, von Zwang zu sprechen oder von einem unfreien Willen. So gilt auch, dass wenn der Wille von etwas bewegt wird, er selbst es dann ist, der will. Wodurch wird der Wille bewegt? Bewegt werden impliziert zweierlei: zum Akt gebracht werden und zu 96

STh I–II 82.5. Vgl. dazu STh I–II 91,2 ad 2. 98 STh I–II 82,1 c.a. 97

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einem bestimmten Akt gebracht zu werden. Das erste kommt dem Träger, also dem Handelnden selbst zu, das zweite dem Gegenstand, der dann den Akt bestimmt. Der Handelnde handelt (kommt ins Handeln) wegen eines Zieles, das Gegenstand des Willens ist. Der Wille bewegt auf diese Weise alle Seelenvermögen zu ihren Handlungen. Die Handlung nun wird spezifiziert durch den Gegenstand, gewinnt so ihre eigentümliche Form. Insofern die Vernunft dem Willen die Gegenstände präsentiert, die dann die Willensakte bestimmen, bewegt die Vernunft den Willen. Dabei ist zu beachten, dass die Vernunft mehrere bona vergleichen kann, daher von sich aus nicht auf ein Einzelbonum festgelegt ist.99 Wird der Wille auch vom sinnlichen Strebevermögen bewegt? Dass der Wille durch Gegenstände (vermittels der Vernunft) bewegt wird, hängt daran, dass Gegenstände als gut und zuträglich erscheinen. Dies wiederum liegt in den Gegenständen selbst und zum anderen im Wollenden begründet. Durch das sinnliche Streben, d.h. durch die Leidenschaften wird der Mensch auf eine Weise disponiert und so verändert, dass ihm etwas als zuträglich oder erstrebenswert erscheint, was ihm ohne diese Leidenschaft nicht so erscheint. So beeinflusst das sinnliche Streben die Vorauswahl der Handlungsgegenstände, welche die Vernunft prüft und bewertet. Der Wille bewegt sich selbst nur insofern als er durch das Wollen des Zieles sich zum Wollen der Mittel bewegt; streng genommen bewegt also der Wille nicht sich selbst. Wird der Wille durch externe Prinzipien bewegt? Weil der Wille zu der je bestimmten Handlung (vermittels der Vernunft) durch einen Gegenstand bewegt wird, wird er durch ein externes Prinzip bewegt. Aber auch zum Handeln überhaupt kann ein externes Prinzip den Menschen veranlassen. Der Wille fängt an, etwas wollen, was er vorher nicht gewollt hat, und dazu muss er bewegt werden. Wenn der Wille etwas als Mittel zu einem vorher gewollten Ziel will, dann bewegt er sich dazu, das Mittel zu wollen. Das Ziel kann als Mittel für ein anderes Ziel angesehen werden, und dieses wiederum als Mittel für ein anderes. Gemäß der thomasisch gesetzten Unmöglichkeit eines infiniten Regresses, muss es einen Anfang geben, also etwas Willensexternes, das den Willen zum Wollen eines ersten Zieles bewegt. Die erste Willensbewegung kommt von einem externen Beweger. Als mögliche Kandidaten diskutiert Thomas Himmelskörper und Gott. Weil Materielles nicht Nicht-Materielles (wie den menschlichen Willen) bewegen kann, bleibt nur Gott. Denn: Etwas seiner natürlichen Bewegung nach bewegen kann nur derjenige, der auch Ursache 99

Vgl. STh I–II 82,2 ad 3.

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der Natur der bewegten Entität ist. Thomas argumentiert mit dem Beispiel des Steines, der zwar vom Menschen bewegt werden kann, aber nicht auf die dem Stein natürliche Bewegungsweise. Daher kann der Wille, der ja nur auf seine Weise bewegt werden kann – ein gezwungener Wille ist ein selbstwidersprüchlicher Begriff – nur von der Ursache seines Seins, also von Gott bewegt werden. Dafür nennt Thomas zwei Hinsichten: Gott ist Ursache des Willens, insofern er ihn als ein Seelenvermögen geschaffen hat. Er ist aber auch Ursache des Willens, insofern er das bonum universale ist, auf das er den Willen konstitutiv hinordnet, weil der Wille alle Einzelgüter anstrebt, insofern sie gut sind, was sie aber nur sind durch Partizipation. Dass der Wille also überhaupt etwas will und zwar das bonum universale, geschieht aufgrund des Bewegtwerdens durch Gott.100 Gott kann aber auch den Willen des Menschen dazu bewegen, etwas Bestimmtes zu wollen; das geschieht durch Gnade.101 Auf welche Weise wird der Wille bewegt?102 Der Wille wird auf natürliche Weise zu etwas bewegt. Natürlich heißt hier, dass etwas einem Seienden gemäß seiner Substanz zukommt. Durch den Willen will der Mensch nicht nur das dem Willen eigene Objekt, sondern auch das, was den anderen Seelenvermögen und dem Menschen als ganzen gemäß ist: so die Erkenntnis des Wahren oder zu leben. Diese fungieren dann als partikulare Güter. Ein Objekt kann den Menschen nicht mit Notwendigkeit bewegen. Zum einen vermag es nicht, den Menschen zu einem Akt zu bewegen, denn der Mensch braucht einem Gegenstand nicht seine Aufmerksamkeit zuwenden. Was die Bewegung zu einem spezifischen Akt betrifft, so kann allein das schlechthin Gute den Willen mit Notwendigkeit bewegen: Das ist die Glückseligkeit. Alles andere ermangelt in irgendeiner Hinsicht des Guten und braucht daher den Willen, der unfehlbar allein auf das (für ihn) Gute gerichtet ist, nicht notwendig zu einem bestimmten Akt zu bewegen, sondern die Akte folgen einer Betrachtung und Entscheidung. Als zweites untersucht Thomas, wie die Leidenschaften den Menschen bewegen. Wenn Leidenschaften den Menschen dahin bringen, dass er seine Vernunft nicht mehr gebraucht, ist seine Lage wie die der wilden Tiere zu beurteilen: dass sie mit Notwendigkeit dem Antrieb der Leidenschaften folgen. Schränken die Leidenschaften dagegen den Vernunftgebrauch nur ein, sodass er zu einem freien Urteil fähig ist, dann folgt der Mensch nicht notwendigerweise seinen Leidenschaften. Schließlich wendet sich Thomas 100

Vgl. STh I–II 9,6 ad 3. Vgl. STh I–II 109,2. 102 Vgl. STh I–II 10,1–4. 101

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der für die vorliegende Arbeit wichtigsten Frage zu: ob der Wille von Gott auf notwendige Weise bewegt wird. So sehr zwar gilt, dass der Wille Gottes sein Ziel erreicht, so ist andererseits zu sagen, dass Gott den menschlichen Willen nicht mit Notwendigkeit bewegt. Gott als Schöpfer der Dinge und ihrer je eigenen Seinsweise bewegt diese auch jeweils gemäß ihrer Seinsweise. Die Seinsweise, besser Wirkweise des Willens besteht darin, sich indifferent zu den vielen Einzelgütern zu verhalten, und also nicht von vorneherein auf eines festgelegt zu sein. Wie Gott aber den Willen bewegt, bleibt hier zunächst offen.103 Thomas führt an anderer Stelle aus, dass erstens Gott jede Bewegung oder jeden Akt als erster Beweger bewirkt. Zweitens verleiht er jedem Akt seine Form, durch die der Akt gewirkt wird. Im Hinblick darauf, dass der Mensch Sünder ist, kann er von sich aus nicht die Gesamtheit des seiner Natur gemäßen Gutes wollen und verwirklichen – wie es dem Menschen im Stande der Urgerechtigkeit möglich war –, sondern nur einzelne Güter. Als Sünder bedarf der Mensch daher der Heilung von der durch die Sünde bewirkten Schwächung seiner Natur, sodann aber ebenso wie der Mensch im Stande der Urgerechtigkeit einer übernatürlichen Kraft, um übernatürlich Gutes zu wollen und zu wirken.104 Der Wille will als sein Formalobjekt das Gute. Alles, was der Wille will, will er aufgrund dessen Gutsein. „Allerdings bindet etwas, das der Verstand als in jeder Hinsicht Gutes und Angemessenes erfaßt, das Wollen notwendigerweise an sich“,105 das ist die Glückseligkeit. Der Wille als Vermögen ist Ausgerichtetsein auf ein Letztziel als bonum universale. Diese Ausrichtung wird zum Akt in jedem einzelnen Willensakt, der auf ein einzelnes Gut zielt. Thomas differenziert zwischen zwei Arten von Zielerkenntnis, derjenigen, die nur den Gegenstand, der konkret als Ziel fungiert, erkennt und der jenigen, die auch das Ziel als solches und das Verhältnis der Mittel zum Ziel erkennt. Nur mit dieser Zielerkenntnis ist auch die Freiheit verbunden, sich zu diesem Ziel zu verhalten. Das Maß an Willentlichkeit und Freiheit hängt also an der Erkenntnis. In einem anderen Sinn gehört zur Struktur des Willens Notwendigkeit: diejenige, welche seiner Struktur entspringt. So will der Wille mit Notwendigkeit als letztes Ziel die Glückseligkeit, wobei „Notwendigkeit“ hier besagt, dass dies die Voraussetzung aller seiner einzelnen Vollzüge ist, die sich zu dieser ihrer Voraussetzung nicht noch einmal willentlich verhalten können, sondern die sie mit vollziehen in jedem ihrer Vollzüge, weshalb diese Notwendigkeit auch in keiner Weise der Freiheit des Willens entgegensteht. 103

Vgl. STh I–II 10,4. Vgl. STh I–II 109,2. 105 Zimmermann, Thomas lesen, 209. 104

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Bereits an dieser Stelle behandelt Thomas die theologischen Tugenden, also Glaube, Hoffnung und Liebe. Die einzelnen Tugenden und Stände des Menschen beschreibt Thomas als Konkretionen der Gnade, oder anders gesagt: Die konkreten Tugenden und Akte des Menschen stellt Thomas nur als Tugenden und Akte des begnadeten Menschen dar. Der menschliche Wille, der sich notwendig auf die Glückseligkeit als sein Letztziel richtet, will auch das notwendig, was er als mit diesem „notwendig“ verbunden erkennt. Die Notwendigkeit der Verbindung der Glückseligkeit mit Gott (bzw. der Schau Gottes) erkennt der Mensch jedoch erst in der Schau Gottes. Daher will der menschliche Wille in diesem Leben Gott nicht mit der inneren Notwendigkeit, wie jener aufgrund seiner Struktur die Glückseligkeit will. Da der Wille immer etwas will, will der Mensch auch immer etwa Bestimmtes als seine Glückseligkeit. Das Formalobjekt Glückseligkeit wird immer mit einem bestimmten bonum identifiziert. Im irdischen Leben richtet sich der Mensch entweder durch die Gnade auf Gott als sein letztes Ziel aus oder er identifiziert ein geschaffenes bonum als sein letztes Ziel, womit er inhaltlich seine Glückseligkeit verfehlt, seiner eigenen Natur und der Ordnung des Geschaffenen widerspricht. Darin liegt der Grundvollzug der Sünde, der die Liebe als caritas entgegengesetzt ist. Weil der Mensch die Ausrichtung auf das letzte Ziel in allen Einzelakten vollzieht und reproduziert, bestimmt diese Endzielausrichtung sein ganzes Wollen und Handeln, so dass entweder Sünde oder Liebe als caritas das menschliche Handeln kennzeichnen. Schon der geschaffene Mensch als solcher bedarf der Gnade, um sich so auf Gott als sein übernatürliches Letztziel auszurichten. Noch viel weniger könnte der Mensch als Sünder ohne Gnade sich frei für Gott als letztes Ziel entscheiden, so sehr nichts dagegen spricht, dass er sich innerhalb der Ausrichtung auf ein bonum creatum als letztes Ziel anders entscheidet. Hinsichtlich der Grundausrichtung auf Gott oder auf ein bonum creatum ist der Wille des Menschen nicht frei, sondern gebunden. Im Folgenden seien nun die internen Differenzierungen des Willens in der thomasischen Willenstheorie untersucht. Innerhalb des verstandesmäßigen Strebevermögens unterscheidet Thomas Wille und freies Entscheidungsvermögen (liberum arbitrium), und parallelisiert diese Differenzierung mit der zwischen intellectus und ratio. Der Wille will notwendig das eine, die Glückseligkeit. Das freie Entscheidungsvermögen entscheidet lediglich über die Mittel zu diesem Ziel. Das liberum arbitrium versteht Thomas als das Vermögen, aufgrund dessen der Mensch frei urteilt,106 und darin besteht das Wählen.107 106 Vgl. STh I 83,2 c.a. Thomas erläutert dazu: „quod consuetum est potentiam significari nomine actus. Et sic per hunc actum qui est liberum judicium, nominatur potentia quae est hujus actus principorum“ (STh I 83,2 ad 1).

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Was also das liberum arbitrium ist, entwickelt Thomas von der Wahl her, die Thomas wiederum als eine Art Urteil versteht. Was ist also das (freie) Urteil? Das Urteil ist die Festlegung einer Überlegung. Die Festlegung erfolgt nun durch zweierlei: durch den Spruch der Vernunft (sententia rationis) und die Akzeptanz des Willens (acceptatio appetitus). In dieser Formulierung spricht Thomas der Vernunft den Primat zu. Bei der Wahl wirken Erkenntnisvermögen und Strebevermögen zusammen: „Von seiten der Erkenntniskraft ist die Überlegung erforderlich, durch die entschieden wird, was dem anderen vorzuziehen sei; von seiten der Strebekraft jedoch ist erforderlich, daß man das erstrebend annimmt, wofür man durch die Überlegung sich entscheidet.“108 Bezüglich der Mittel zum Ziel teilt Thomas die Willensakte ein in die (1) Wahl (electio), die (2) Zustimmung (consentire) und das Gebrauchen (uti). (1) Die Bestimmung des Seelenvermögens,109 zu dem die Wahl gehört, gestaltet sich schwierig, weshalb Thomas auch auf verschiedene Interpretationen verweist, so von Aristoteles und Gregor von Nyssa. Die Vernunft geht dem Willen voraus und ordnet dessen Akt, insofern der Wille etwas nach der Ordnung der Vernunft, die ihm etwas als bonum präsentiert, intendiert. Der Akt des Wählens gehört dem Willen an, obwohl er von dem höheren Vermögen der Vernunft bestimmt wird. Von der Form her gehöre der Akt der Vernunft zu, materialiter aber dem Willen. Trotzdem ordnet Thomas das freie Urteil, damit das liberum arbitrium dem Strebevermögen zu, was er mit der formalen Struktur des Objektes des Urteils begründet: Es handelt sich um etwas, das zum Ziele führt, das also aufgrund seiner positiven Zielrelation willen gewählt wird: und das heißt, es wird als bonum Gegenstand des Urteils und damit der Wahl. Das Gute ist aber Gegenstand des Strebevermögens, weshalb also das liberum arbitrium dem Strebevermögen zugehört. Das Urteil bezieht sich also auf die gleichen Gegenstände wie die Wahl. Das Prinzip der Urteilens besteht im angestrebten (also zukünftigen) Ziel (das selbst kein Gegenstand der Wahl ist), von dem her auf das geschlossen wird, was gegenwärtig zu tun ist, um es zu erreichen. Die Ordnung der Überlegung verhält sich daher genau umgekehrt zur Ordnung des Handelns, in der das Ziel als letztes kommt. Das Urteilen kann aber auch einer

107 Thomas kann daher synonym einmal das liberum arbitrium als Vermögen frei zu urteilen, an anderen Stellen als Vermögen zu wählen (z.B. STh I 83,4 c.a.) bezeichnen. 108 STh I 83,3 c.a.: „Ex parte quidem cognitivae, requiritur consilium, per quod dijudicatur quid sit alteri praeferendum; ex parte autem appetitivae, requiritur quod appetendo acceptetur id quod per consilium dijudicatur.“ 109 Vgl. STh I–II 13,1.

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Neigung oder einer Wesensverwandtschaft mit dem zu Beurteilenden entspringen.110 Mögliche Gegenstände der Wahl sind ausschließlich Mittel zu einem gesetzten Ziel, wobei das Ziel in anderer Hinsicht selbst wieder Mittel sein kann und daher Gegenstand von Wahl. Von dieser Freiheit der Wahl unterscheidet Thomas ausdrücklich das naturhafte Streben des Willens auf das Endziel, auf die Glückseligkeit.111 Gott als letzte Ziel ist kein Gegenstand einer möglichen Wahl; die Akte von Glaube und Liebe verdanken sich also keiner Wahl des Menschen! Die Mittel zum Ziel können ausschließlich menschliche Handlungen, und da auch nur die dem Wählenden möglichen menschlichen Handlungen sein. Der Mensch wählt frei und nicht aus Notwendigkeit, und zwar in zweifacher Hinsicht: Er ist frei zu wählen oder nicht zu wählen, und er kann dieses oder jenes wählen, denn keines der Einzelgüter ist schlechthin gut, und nur das schlechthin Gute bindet den Willen. Die Freiheit des Willens und des Entscheidungsvermögens112 folgert Thomas aus der Freiheit des Urteils, das der menschlichen ratio zukommt: Der Mensch handelt nämlich aufgrund von Verstandesurteilen darüber, was anzustreben oder zu vermeiden sei. Im Unterschied zu den Tieren gründen sich diese Urteile nicht auf Instinkte,113 sondern auf einem Vergleich der verschiedenen möglichen Gegenstände, die als partikulare und kontingente das Urteil nicht eindeutig festlegen. Weil also das Urteil nicht durch die Gegenstände oder durch den Innenantrieb vollständig bestimmt wird, daher frei ist, schließt Thomas auf die Freiheit der Entscheidung, welches zu wählen sei.114 Oder anders formuliert: Weil die ratio verschiedene Auffassungen des Guten hat, in den einzelnen Dingen jeweils verschiedenes Gutes erkennt, ist der menschliche Wille frei, sich zu den einzelnen Dingen zu verhalten und eben nicht auf eines festgelegt. Die menschliche ratio ist für Thomas daher die Ursache der menschlichen Freiheit.115 Zu dieser Freiheit gehört, ohne ihr zu widersprechen, dass Gott die Erstursache auch der willentlichen Entscheidungen ist; es gehöre zur Weise seines Wirkens, dass er entsprechend der Seinsweise des Seienden wirkt. „Der Nachweis der Willensfreiheit des Menschen erfolgt damit, daß gezeigt wird, wie sich aus

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Dazu STh I 1,6 ad 3; II–II 45,2 c.a. Vgl. STh I 83,1 ad 5. 112 Dass dies für Thomas ein gewichtiges Problem darstellte, zeigt die Fünfzahl der Einwände in STh I 83,1. 113 In der lateinisch-deutschen Thomas-Ausgabe, Bd. 6, mit „naturhafter Innenantrieb“ übersetzt, vgl. STh I 83,1 c.a. 114 Vgl. STh I 83,1. 115 Vgl. STh I–II 17,1 ad 2. 111

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dem Zusammenwirken von Vernunft und Wille die Möglichkeit der Wahl, d.h. freier Entscheidung, ergibt.“116 Mit Vorster117 kann man einen induktiven von einem deduktiven Beweis für die Willensfreiheit des Menschen unterscheiden. Bezüglich des Willens ist es sinnlos, von einem äußeren Zwang, und in dem Sinne von Notwendigkeit zu sprechen.118 Entweder der Wille will etwas, und dann ist er es selbst, der will, oder er will etwas nicht, und dann ist es auch kein gezwungener Wille. Was besagt die Sünde für das liberum arbitrium? Das liberum arbitrium als solches bleibt erhalten; aber der Mensch ist nicht mehr frei von Sünde und Elend, seine innere Ordnung der verschiedenen Vermögen ist zerstört, was den Vollzug des liberum arbitrium negativ betrifft. Wie Thomas sich das im Einzelnen vorstellt, wird bei der Behandlung der Gnadentheologie zur Sprache kommen. Jedenfalls bedeuten für Thomas konkrete Willensvollzüge immer freie Willensvollzüge des Menschen. Eine Alternative von Freiheit und Notwendigkeit beim Willen des Menschen ist aufgrund der Willensstruktur unmöglich. Daher kann er auch eine Alternative von Freiheit und Gnade hinsichtlich des menschlichen Wollens nicht denken – was es umso dringlicher macht, das Ineinander von Gnade und Freiheit präzise zu begreifen. „Die freie Entscheidung ist aber Trägerin der Gnade, mit deren Beistand sie das Gute wählt.“119 Thomas macht hier die Unterscheidung von Bewirken und Zustimmen geltend: „Die eingegossene Tugend wird in uns von Gott verursacht ohne Bewirken von unserer Seite, nicht aber ohne unsere Zustimmung.“120 „Es macht die innere Ausgewogenheit des Denkens von Thomas aus, daß er die Spannung zwischen Allwirksamkeit Gottes und Eigenwirksamkeit der Geschöpfe durchhält, ohne sie ins eine oder andere Extrem hinein aufzuheben.“121 Entweder Thomas bietet eine kohärente gedankliche Möglichkeit, den Zusammenhang beider zu denken, oder nicht; und dann kann es auch keine ausgewogene Spannung geben zwischen causa prima und causae secundae. (2) Den Consensus122 rechnet Thomas auch zu den Akten der Strebevermögen. Der Aquinate bestimmt den Consensus als Anwendung der Strebebewegung auf etwas, das schon vorher in der Macht des Strebenden exis116

Vorster, Freiheitsverständnis, 137. Vgl. Vorster, Freiheitsverständnis, 137f. 118 Vgl. STh I 82,1. 119 STh I 83,2 s.c.: „Sed liberum arbitrium est subjectum gratiae; qua sibi assistente, bonum eligit.” 120 STh I–II 55,4 ad 6: „Quod virtus infusa causatur in nobis a Deo sine nobis agentibus, non tamen sine nobis consentientibus.“ 121 Heinzmann, Philosophie des Mittelalters, 204. 122 Vgl. STh I–II 15. 117

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tiert.123 „Manifestum est autem quod superior iudicare: quia de sensibilibus per rationem iudicamus; de his vero quae ad rationes humanas pertinent, iudicamus secundum rationes divinas, quae pertinent ad rationem superiorem.“124 Nach den actus eliciti behandelt Thomas die actus imperati,125 also die vom Willen befohlenen Akte. Auch hier insistiert Thomas auf den engen Zusammenhang von Wille und Intellekt. Die Akte des Willens und des Intellekts tragen und erzeugen einander gegenseitig. Da die Kraft eines früheren Aktes im nachfolgenden Akt bleibt, geschieht es, dass die Kraft eines Willensaktes in einem dazugehörigen Akt des Intellekts zu finden ist, und umgekehrt. Zu befehlen bedeutet, denjenigen, dem befohlen wird, durch Mitteilung zum Handeln hinzuordnen. Damit „geht es um den handlungstheoretisch entscheidenden Schritt vom Wollen zum Handeln“.126 Derjenige, der einen Befehl empfängt, empfängt damit v.a. eine Information, auf Grund derer er sich in Bewegung setzt. Mitteilen ist aber wesentlich ein Akt des Intellekts. Andererseits kommt es allein dem Willen zu, zum Handeln überhaupt zu bewegen (exercitum actus). Daher schließt Thomas: So ist das Befehlen ein Akt des Intellekts, der aber einen Akt des Willens voraussetzt und in dessen Kraft geschieht. Der Intellekt bewegt in der Kraft des ersten Bewegenden, und das ist eben der Wille. Der Wille braucht zur Vermittlung eine Instanz der Mitteilung, die das „was“ des Willens strukturiert vermittelt. Wie die ratio dem Willen seinen Gegenstand (inhaltlich) gibt, so gibt sie diesen Gegenstand (inhaltlich) weiter an das andere Vermögen, dem der Wille einen Akt befiehlt. Wie verhalten sich nun der Befehl und der befohlene Akt zueinander? Thomas beschreibt dieses Verhältnis als differenziert Einheit. Beides bildet eine untrennbare Ganzheit so wie Körper und Seele, die als Teile betrachtet aber unterschieden und zwei sind. Der eine ganz Akt besteht aus TeilAkten, die aber jeweils in der Kraft der vorhergehenden Akte wirken und so eine Einheit bilden. Der Wille will etwas, die ratio befiehlt dies einem Vermögen des Menschen in der Kraft des Willens, und dieses Vermögen führt den Befehl aus in der Kraft der ratio. Für die vorliegende Arbeit essentiell zu klären ist, ob und wie dem Willen und der ratio ein Akt befohlen werden kann, wie also beide nicht nur gegenüber anderen Vermögen zusammenwirken, sondern einander gegenseitig Akte befehlen. Die ratio kann dem Willen befehlen, etwas zu wollen, 123

Vgl. STh I–II 15,3. STh I–II 15,4 c.a. 125 Vgl. STh I–II 17, 1–9. 126 Mertens, Handlungslehre und Grundlagen der Ethik, 183. 124

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insofern sie urteilt, dass es gut sei, etwas zu wollen. Auf den Einwand, dass es doch vorkommt, dass befohlen wird und der Wille dennoch nicht will, antwortet Thomas, dass in diesem Fall der Befehl nicht vollkommen sei, weil die ratio zwischen Befehlen und Nichtbefehlen hin- und hergerissen sei. Als zweiten Einwand formuliert Thomas, dass zum Befehl-Gehorchen doch Verstehen gehöre, der Wille aber nicht verstehen könne, da das ja gerade das Proprium der ratio sei. Dagegen argumentiert Thomas, dass die ratio nicht nur für sich verstehe, sondern für alle Vermögen, so wie der Wille nicht nur für sich, sondern für alle Vermögen wolle. Auf diese Weise würde der Mensch als Verstehender und Wollender sich selbst einen Akt des Willens befehlen. Wenn nun also ein Befehl der ratio einen Willensakt freisetzt, andererseits aber selbst einen Willensakt voraussetzt, welcher wiederum einen Befehl der ratio voraussetzt: Was stand dann am Anfang der Akte eines Menschen? Für Thomas ist der erste Willensakt kein von der ratio geordneter, d.h. befohlener, sondern er entsteht entweder aus einem natürlichen Antrieb127 oder aus einer höheren Ursache, gemeint ist die göttliche Gnade.128 Aus der bisherigen Analyse folgt, dass die neue Letztzielausrichtung des Menschen durch die Gnade, nämlich auf Gott, sich keinem Willensakt verdanken kann129 – erst recht keinem Wahlakt –, weil erstens jeder Willensakt die Letztzielausrichtung des Menschen vollzieht, indem sie sie voraussetzt, und zweitens weil jeder Befehl, den die ratio dem Willens geben könnte, selbst einen Willensakt voraussetzt, welchem seine Letztzielausrichtung vorausliegt. Eine neue Letztzielausrichtung, nämlich auf Gott, kann die Gnade nur bewirken, indem das Wollen des Menschen so von seinem neuen Letztziel bestimmt wird, dass es dies dann in einem eigenen Willensakt vollzieht (aber nicht bewirkt). Gott als das Letztziel muss sich so zeigen, dass er als das bonum auf einen nicht-diskursive Weise erkannt und als Erfüllung des Glückseligkeitsstrebens identifiziert wird. Ein solches nicht-diskursive Erkennen eignet der Liebe. Wie also die neue Letztzielausrichtung des Menschen durch Eingießung der Gnade, v.a. der caritas sich ereignet, wird der weitere Gang der Untersuchung zeigen.

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„Ex instinctu naturae“, STh I–II 17,5 ad 3. Dieses von ihm dann theologisch interpretierte Prinzip hat Thomas – wie er selbst in STh I– II 9,4 schreibt, der Auseinandersetzung mit Aristoteles aufgrund des sog. Liber de bona fortuna, zu verdanken. Die Bedeutung dieses Prinzips für die thomasische Gnadenlehre stellt Horst, Die Gaben des Heiligen Geistes, 74–76 mit Recht heraus. 129 Anders verhält es sich damit, wenn ein geschöpfliches bonum für den Menschen zum Letztziel wird: der Mensch entscheidet sich nicht für dieses bonum als Letztziel, aber er lässt zu, dass dieses bonum, das als geschöpfliches eine sinnliche Vermittlung impliziert, ihn ganz bindet und es so zu seinem Letztziel wird. Das geschieht in der (Tod-)Sünde, aus der sich der Mensch auch (!) deshalb nicht befreien kann, weil Gott ihm nicht sinnlich als bonum und als Letztziel aufscheint. 128

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Nicht nur ein Akt des Willens kann von der ratio befohlen werden, sondern auch der ratio selbst kann befohlen werden, denn indem die ratio über sich selbst reflektiert, kann sich die ratio auch einen Akt befehlen. Bezüglich des exercitium actus gilt das uneingeschränkt, bei der Spezifizierung des Aktes nur eingeschränkt. Zwei Verstandesakte sind gemäß der oben vorgestellten Erkenntnisprinzipien130 zu unterscheiden. Der Akt der Erfassung des Wahren, welcher entweder durch natürliches oder übernatürliches Licht sich ereignet und in der Spezifizierung nicht befohlen werden kann, ist ein anderer als der Akt der Annahme oder Zustimmung (assensus), durch den das Aufgenommene angenommen wird. Hier ist ein Befehl nur dann möglich, wenn das Erfasste aus sich selbst heraus nicht den Verstand zur Annahme oder Ablehnung nötigt. Beim Glaubensakt liegt genau dieser Fall vor, wie Teil III zeigen wird. Sowohl Wille als auch Verstand können sich selbst bewegen – unter der Voraussetzung, dass sie zuallererst selbst bewegt worden sind: was Gott allein zukommt131 und zweitens, dass eine Differenz innerhalb von ratio und innerhalb des Willens eingeführt wird, denn Selbstbewegung ist im strengen Sinne für Thomas nicht zu denken. Thomas benennt diese Unterscheidung als Unterschied zwischen allgemeiner Ausrichtung und besonderem Seelenvermögen mit bestimmter Tätigkeit.132 Diese Unterscheidung betrifft sowohl die ratio als auch den Willen. Die ratio als allgemeine Ausrichtung auf das Wahre kann der ratio als spezifisches Erkenntnisvermögen etwas durch Vermittlung des Willens befehlen. Wie der Wille (in seiner Allgemeinheit) allen Vermögen und Akten ihre Letztzielausrichtung verleiht, so auch den spezifischen Willensakten selbst. Festzuhalten ist, dass wenn der ratio ein Akt befohlen wird, es in einem bestimmten Sinne eine Selbstbewegung der ratio ist, vermittelt durch den Willen. Das Verhältnis von Wille und Verstand133 ist zentral für die Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe. Daher muss an dieser Stelle eine ausführliche Erörterung des Zusammenwirkens von Wille und Verstand erfolgen. Wie verhalten sich also Wille und Verstand zueinander? Zum einen sind sie verbunden, insofern ihre Formalgegenstände, das Gute und das Wahre, einander gegenseitig enthalten, weil das Gute immer auch wahr ist und das Wahre immer auch ein Gut darstellt.134 Dabei ist jedoch zu differenzieren: 130

Vgl. II 3.1. Vgl. STh I–II 17,6 ad 1. 132 Vgl. STh I 82,4 ad 1. 133 Am ausführlichsten behandelt diese Fragestellung Horvath, Caritas est in ratione, 28–110. 134 „Wahr und gut schließen sich gegenseitig ein. Denn das Wahre ist ein bestimmtes Gut, sonst wäre es nicht erstrebbar; und das Gute ist ein bestimmtes Wahre, sonst wäre es nicht verstehbar.“ „Verum et bonum se invicem includunt: nam verum est quoddam bonum, alioquin non esset appetibile; et bonum est quoddam verum, alioquin non esset intelligibile“ STh I 79,11 ad 2. 131

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Das bonum ist für den Menschen immer auch ein verum, insofern dem Menschen etwas ein bonum nur wird als erkanntes bonum. Umgekehrt aber kann etwas vom Menschen erkannt sein, ohne dass es ein Gegenstand seines Willens wird. Vorausgesetzt ist nur, dass der Mensch es erkennen will. Insofern ist die Erkenntnis des verum immer auch ein bonum. Verbunden erscheinen Wille und Verstand als Vermögen, weil sie gemeinsam in der Seele wurzeln, und noch mehr, weil der Verstand das Prinzip des Willens ist. Sie enthalten sich gegenseitig, daher ist auch das, was im Willen ist, in der ratio – ratio hier als allgemeine Wahrheitsausrichtung des Menschen verstanden. „Der Inhalt einer menschlichen, in Verstand und Willen gründenden Handlung stammt vom Verstand; denn dieser gibt ihr mit der erkannten Form das spezifizierende Objekt vor. Als Ursprung des Aktvollzugs erweist sich der Wille; denn er ist auf Gutes schlechthin gerichtet und damit auf ein Ziel, dem jedwedes bestimmtes Gute wie ein Mittel zugeordnet ist.“135 Erkennt der Verstand die Akte des Willens? Der Verstand erkennt die Akte des Willens, insofern die Willensakte des Menschen vom Verstehenden als Verstehenden ausgehen. Thomas beruft sich hier auf Aristoteles De Anima, dass die „voluntas in ratione est“.136 Wille und Verstand stellen bei Thomas die „zweifache Außenweltkommunikation des menschlichen Geistes“137 dar. Welches Vermögen ist höher? An sich betrachtet ist der Verstand ein höheres Vermögen als der Wille, weil der Gegenstand des Verstandes höher ist, insofern er allgemeiner und einfacher ist. Betrachtet man aber die „Orte“, an denen die intentionalen Gegenstände von Verstand und Wille sind, kann ein edlerer Ort des Willensgegenstandes bewirken, dass in dieser Hinsicht der Willensakt bezüglich dieses Gegenstandes edler ist als der Erkenntnisakt: So ist die Liebe zu Gott edler als die Gotteserkenntnis. Wie findet die Bewegung der Seelenvermögen statt? Thomas unterscheidet zwei verschiedene Arten, einen anderen zu bewegen, einmal als Ziel, einmal als Tätiges. Der Wille wird von einem bonum bewegt, welches dem Willen als vom Verstand erkanntes bonum präsent sein 135

Zimmermann, Thomas lesen, 207. STh I 87,4 c.a. 137 Ilien, Liebe, 64. Ilien spricht dort irreführend von einer kognitiv-voluntativen Kreisbewegung der Seele; zwar sind sinnvoll zwei verschiedene Bewegungsrichtungen zu unterscheiden, aber die Bewegungen vollziehen sich auf ganz verschiedene Art und Weise. Dass es eine einzelne Belegstelle für diesen Begriff des Kreises bei Thomas gibt, rechtfertigt nicht die Übernahme als zentralen Interpretationsbegriff. 136

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muss. Weil also der Verstand dem Willen dessen bonum präsentiert,138 kann Thomas sagen, dass der Verstand den Willen bewegt: Es ist aber immer ein über den Gegenstand beider Vermögen vermitteltes Bewegen. Dieses gegenstandsvermittelte Bewegen des Willens durch den Verstand geschieht noch genauer betrachtet, indem der Verstand die formale Ausrichtung des Willens „auf das ‚allgemeine Gut‘ (‚bonum in communi‘) in einen bestimmten Willensakt (‚ad determinationem actus‘) überführt.“139 In anderer Weise bewegt nun der Wille den Verstand, nämlich als Tätiger – warum Thomas hier nicht explizit von causa efficiens spricht, ist unklar. Er liefert eine ausführliche Begründung sowie zwei Beispiele, eine aus der Struktur des Kosmos, eine aus dem politischen Bereich. Dort, wo es geordnete, tätige Vermögen gibt, werden diese von dem Vermögen bewegt, das sich auf das Gesamtziel bezieht. Da der Wille das Gute im Allgemeinen und das Ziel zum Gegenstand habe, sei er dieses alle anderen Vermögen bewegende Vermögen. Die Interaktion der beiden Grundvermögen des Menschen verläuft jedoch noch komplexer, weil an ihnen die zwei, schon benannten Grunddimensionen zu unterscheiden sind. Zum einen als Prinzipien, die sich auf zwei verschiedene allgemeine Gegenstände beziehen, der Verstand auf das Sein und das Wahre im Allgemeinen und der Wille auf das Gute und Ziel im Allgemeinen; zum anderen fungieren sie als Vermögen, die spezifische und konkrete Tätigkeiten freisetzen, also etwas Bestimmtes erkennen und etwas Bestimmtes wollen. Die Verhältnisbestimmung anhand dieser Unterscheidungen sieht für Thomas so aus: Wille als allgemeines und Verstand als allgemeines Prinzip: Der Verstand ist das höhere Vermögen. Wille als spezifisches Vermögen und Verstand als allgemeines Prinzip: Der Verstand ist höher und früher, weil der Verstand den Willen und seine Tätigkeit erkennt, als eines seiner Gegenstände, sofern sie unter das Wahre im Allgemeinen fallen. Wille als allgemeines Prinzip und der Verstand als spezifisches Vermögen: Der Wille ist höher, er will als bonum sowohl den Verstand als auch dessen Tätigkeit, das Erkennen als auch seinen Gegenstand, das Wahre als ein bonum. Wille und Verstand als spezifische Vermögen: Die Tätigkeiten der Vermögen schließen sich gegenseitig ein. Der Wille will das Erkennen des Verstandes und der Verstand erkennt das Wollen des Willens. Thomas formuliert sich selbst den Einwand: „Wir können nichts wollen, was nicht vom Verstand erkannt ist. Wenn nun der Wille zum Erkennen 138 139

An anderer Stelle spricht Thomas vom „repraesentante objectum“: STh I–II 51,2 c.a. Dörnemann, Freundschaft, 37, Hervorhebung im Original.

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bewegt, indem er das Erkennen will, so muß auch diesem Wollen ein anderes Erkennen vorhergehen und diesem Erkennen wieder ein anderes Wollen und so weiter ins Unendliche, was unmöglich ist.“140 Thomas löst das Problem durch zwei Klarstellungen: Erstens braucht nicht jeder Willensbewegung eine Erkenntnis des Verstandes vorausgehen, sondern es kann auch eine Wahrnehmung sein. Einer Wahrnehmung wiederum braucht auch nicht immer eine Willensbewegung vorausgehen, sondern das Prinzip der Wahrnehmung und unseres Verstehens ist Gott in seinem Erkennen. Insofern ist das Erkennen das Erste und das Fundierende. Daraus folgt, dass beim Glauben dem Willen zur Zustimmung eine Wahrnehmung vorausgeht, deren Prinzip Gott ist. Welche Wahrnehmung ist das? Die durch die Gnade in bestimmter Weise konstituierte Wahrnehmung der connaturalitas Gottes für den Menschen, der durch Gnade Anteil erhält an der göttlichen Natur und ihr insofern connatural ist. Die connaturalitas ist dann Grund (und wieder Wirkung) der Liebe. Ausführlich wird das erörtert im Kapitel II,11 und V sowie bei der Leidenschaft des amor, um die es nun gehen wird. 2.4.2 Die menschlichen Leidenschaften141 Neben Wille und Verstand kennt Thomas als Seelenvermögen das sinnliche Strebevermögen, der die Leidenschaften entspringen. Den lateinischen Begriff passiones leitet Thomas von pati/Erleiden ab und nimmt ihn als Ausgangspunkt seiner Ausführungen. Die Seele erleidet im gemeinten Sinne dann etwas, wenn etwas weggenommen und gleichzeitig etwas aufgenommen wird, was insgesamt mit einer körperlichen Veränderung einhergeht. Die Seele betrifft das nur vermittelt ihrer Einheit mit dem Körper, daher akzidentell. Leidenschaft ist also ein Bestimmtwerden des sinnlichen Strebevermögens, was mit einer körperlichen Veränderung einhergeht.142 Die Leidenschaften lassen sich nun entsprechend der Unterscheidung in den sinnlichen Strebevermögen der Gattung nach unterteilen: in solche des begehrenden und solche des überwindenden Strebevermögens. Entsprechend gehören alle Leidenschaften, die auf ein Gut oder Übel an sich zielen zum begehrenden Strebevermögen – wie Freude, Trauer, Liebe, Hass. Was sich aber auf ein Gut richtet, dessen Erreichen Schwierigkeiten bereitet oder auf ein Übel bezieht, dessen Vermeiden Mühe verlangt, gehört zum über140

STh I 82,4 obj. 3. Dazu STh I–II 22–48. Vgl. Ilien, Liebe, 106–146; Brungs, Metaphysik der Sinnlichkeit; ders., Die passiones animae; Dörnemann, Freundschaft, 44–48. 142 Analogisch kann auch dem Willen Leidenschaft zugesprochen werden, z.B. bei Gott, dann aber ohne die Dimension einer körperlichen Veränderung. 141

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windenden Strebevermögen. Hier zählt Thomas Tapferkeit, Furcht und Hoffnung auf. Diese beiden Gattungen an Leidenschaften stehen sich nicht gegenüber, sondern die letzteren entstehen in einer Hinsicht aus den ersteren und münden in sie gemäß einer anderen Hinsicht. Im Folgenden führt Thomas weitere Unterscheidungskriterien ein, um die Leidenschaften zu klassifizieren, ob das Objekt der Leidenschaft ein Gut oder ein Übel ist, ob die Leidenschaft eine Hinbewegung oder eine Abkehr bedeutet.143 Eine weitere Unterscheidung entnimmt Thomas der Bewegungsanalogie. Wenn ein Bewegendes etwas anderes anzieht und so zu sich bewegt, ist das mit dem Erleiden der Leidenschaften angesichts eines Gutes zu vergleichen. Das Gut erzeugt im Strebevermögen eine Neigung oder Verwandtschaft (connaturalitas) zu ihm selbst, was amor heißt, zweitens löst das Gut eine Bewegung auf es zu aus – Sehnsucht (desiderium) –, worauf ein Ruhen im erreichten Gut einsetzt, womit die Freude (gaudium) bzw. Lust (delectatio) bezeichnet wäre. Übertragen auf eine Abkehrbewegung von einem Übel lauten die drei Momente: Hass (odium), Abscheu oder Flucht (fuga) und Trauer (tristitia). Ist die das erst noch zu erstrebende Gut mit Schwierigkeiten verbunden, kann die Leidenschaft des überwindenden Strebevermögens auf den Plan treten: die Hoffnung (spes) oder die Verzweiflung (desperatio); hinsichtlich eines nicht leicht zu vermeidenden Übels dann Furcht (timor) oder Kühnheit (audacia). Die Leidenschaft des Zorns (ira) richtet sich dagegen auf ein schon erreichtes Übel. Thomas kennt also elf Leidenschaften. Wie bewertet Thomas von Aquin menschliche Leidenschaften?144 Als sie selbst, unabhängig von ihrem Bezug auf Willen und Verstand, betrachtet Thomas die menschlichen Leidenschaften als indifferent.145 Insofern die Leidenschaften aber vom Willen befohlen oder toleriert werden, haben sie an der sittlichen Qualität der entsprechenden Willensbewegung teil und gehören entweder zur Sünde oder zur Tugend. Es macht gerade die Vollkommenheit des Guten aus, dass der Mensch durch Willen und Leidenschaften zum Guten bewegt wird. Das ist jedoch dahingehend zu differenzieren, dass die Leidenschaft keinen Einfluss auf das Verstandesurteil oder den Handlungsentschluss haben soll – ansonsten mindert die Leidenschaft die moralische Qualität einer Handlung. Wohl aber erhöht es die moralische Qualität einer Handlung, wenn dem Willen die entsprechenden Leiden143 So wendet sich die Leidenschaft der Kühnheit hin zu einem furchterregenden Übel, vgl. STh I–II 23,2 c.a. 144 Dazu STh I–II 24,1–4. 145 Leidenschaft an sich selbst betrachtet ist für Thomas gut – nur beim Menschen ist ihr Akt immer entweder von Wille und Vernunft geordnet und gemäß der Qualität des Willensaktes gut oder böse, oder die Leidenschaft richtet sich gegen die Vernunft und ist darin sündig, wobei aber die Verfehlung bei Willen und Vernunft liegen. Die Menschlichkeit der menschlichen Leidenschaft besteht darin, nie nur Leidenschaft zu sein.

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schaften folgen oder aufgrund eines Entschlusses den entsprechenden Leidenschaften freie Entfaltung gewährt wird.146 Bei der Sünde verhält es sich jeweils umgekehrt. Die Leidenschaft soll sich also an der ratio des Menschen ausrichten unter Beibehaltung ihrer Eigenbewegung. Die ratio herrscht über die Leidenschaft nach dem Modell einer politischen Herrschaft, nicht aber wie der Herr über seinen Sklaven – so beschreibt Thomas modellhaft das Verhältnis von ratio und Leib.147 Die Liebe148 als amor gilt Thomas als die erste der Leidenschaften des begehrenden Strebevermögens. Der Mensch flieht nämlich nur deshalb ein Übel, weil er ein bestimmtes Gut sucht. So erstrebt der Mensch grundsätzlich zuerst ein Gut, bevor er ein Übel flieht. Das angestrebte Gut fungiert als ein zu erreichendes Ziel; je nachdem man nun die Ordnung der Absicht oder der Erreichung des Gutes in Betracht zieht, lautet die Reihenfolge Lust, Sehnsucht, Liebe oder Liebe, Sehnsucht, Lust. Bei den Leidenschaften des überwindenden Strebevermögens nimmt die Hoffnung die Rolle der ersten Leidenschaft ein. Die Hoffnung richtet sich auf ein Gut insofern es ein Gut ist. Thomas stellt nun die Reihenfolge auf: Hoffnung, Verzweiflung, Furcht und Kühnheit, Zorn. Was alle Leidenschaften betrifft, ordnet er folgendermaßen: Liebe, Hass, Sehnsucht und Flucht, Hoffnung und Verzweiflung, Furcht und Kühnheit, Zorn,149 Freude, Traurigkeit. Mit der Begründung der traditionellen Gruppe der vier Hauptleidenschaften, nämlich Freude, Trauer, Hoffnung und Furcht beendet Thomas seine diesbezüglichen Ordnungsüberlegungen, bevor er sich ausführlichen Darlegungen zur Liebe widmet. Amor stellt Thomas als universales Phänomen vor, das alles Geschaffene bestimmt. Alles strebt nach dem Guten. Alles, was kein Wahrnehmungsvermögen hat, erstrebt das seiner Natur Gemäße, vermittelt durch die Erkenntnis Gottes, der alles entsprechend eingerichtet hat. Bei den Tieren folgt dagegen das Streben ihrer eigenen Wahrnehmung, aber mit Notwendigkeit auf das Wahrgenommene. Dieses sinnliche Strebevermögen ist beim Menschen zugleich aber auch frei, insofern es der Vernunft gehorcht. Beim menschlichen Willen erwächst das Streben aus Wahrnehmung und freiem 146 Thomas kann daher auch sagen, dass die Tugend, je vollkommener sie sei, um so stärker die Leidenschaft des Menschen hervorrufe, so in STh I–II 59,5 c.a. 147 Dörnemann ist zuzustimmen, „daß auch in der Affekte-Lehre die Vorrangstellung der Vernunft betont wird, indem auf die nur dem Menschen gegebene Möglichkeit der Durchdringung der Affekte durch die Vernunft hingewiesen wird“, Dörnemann, Freundschaft, 47. 148 Cruz, Ontologiá bietet eine schöne, textnahe Zusammenfassung der thomasischen Ausführungen zum amor. Nur berücksichtigt er die thomasische Freundschafskonzeption ungenügend, innerhalb der Freundschaft gewinnt für Thomas der amor erst seine wahrhaft humane Gestalt. 149 Hierbei erscheint nur die Stellung des Zorns nicht ganz einsichtig, bzw. als nicht vollständig ableitbar aus den bisher genannten thomasischen Prinzipien.

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Urteil. Das Gemeinsame dieser Strebeformen liegt im Prinzip der Strebebewegung, die sich einer connaturalitas des Strebenden mit dem Angestrebten verdankt. Diese connaturalitas wird dann dynamisch durch eine Veränderung des Strebevermögens, hervorgerufen durch das Angestrebte. Durch die Wahrnehmung einer Ähnlichkeit wird das Bestreben des amor ausgelöst, dem als ähnlich Wahrgenommenen immer ähnlicher zu werden. Connaturalitas fungiert also als Ursache und Wirkung des amor. Wie unterscheidet sich amor von Freundschaft, Liebe zu Gott (caritas) und Zuneigung (dilectio)? Freundschaft stellt einen Habitus dar, während amor v.a. Akte meint. Amor fungiert als Überbegriff über caritas und dilectio. Dilectio ist amor, welcher eine vorausgehende Wahl impliziert. Dilectio hat daher ihren Ort im menschlichen Willen. Caritas dagegen bedeutet Vollendung des amor, insofern er mit einer Hochschätzung des geliebten Gegenüber sich verbindet. Amor lässt sich nun näher bestimmen als amor der Freundschaft und als amor des Begehrens. Lieben bedeutet, einem Gutes wollen. Denjenigen, dem wir ein Gut wollen, lieben wir mit der Liebe der Freundschaft;150 das Gut dagegen, das wir ihm wollen, mit der Liebe des Begehrens. Das, was für den Menschen bonum wird, differenziert Thomas so in ein an sich gewolltes bonum und eines, das für einen anderen gewollt wird. Thomas behandelt hier amor als den Überbegriff über Bewegungen des sinnlichen und des geistigen Strebevermögens, mit Schwergewicht auf der menschlichen voluntas. Die Strukturverwandtschaft zwischen sinnlichen und geistigem Strebevermögen wird auf diese Weise besonders deutlich.151 Was verursacht amor? Beim Strebevermögen löst das einen Strebeakt aus, was Gegenstand des Strebeaktes ist. Die Ursache der Liebe findet sich also in ihrem Gegenstand; dieser ist zum Liebenden connatural – weil Liebe connaturalitas mit dem Geliebten bedeutet. Das Connaturale ist gut für den Liebenden; daher verursacht das Gute die Liebe. Etwas Böses oder ein Übel wird geliebt, weil mit ihm ein Gut verbunden ist, das Ursache der Liebe ist. Das Gute wird aber nur dann Gegenstand und Ursache der Liebe, wenn es als solches wahrgenommen oder erkannt ist. Für die sinnenhafte Liebe bewirkt das Sehen die Liebesbewegung; das geistige Betrachten von Gutsein152 verursacht so geistige Liebe. Liebe setzt also ein anfängliches Erkennen voraus, aber für vollkommenes Lieben bedarf es keiner vollkommenen Erkenntnis. Ähnlichkeit verursacht Liebe. Ähnlichkeit, welche die Liebe der Freundschaft begründet, besteht darin, dass beide etwas Gleiches verwirklicht 150 Nur die Freundschaft der Edlen, nicht die auf Nützlichkeit und Lust beruhende Freundschaft gilt Thomas hier als echte Freundschaft, STh I–II 26,4 ad 3. 151 So Ilien, Liebe, 112. 152 Das Schönsein ist eine Bestimmung des Gutseins, von diesem dadurch unterschieden, dass nicht nur es selbst, sondern schon und nur seine Wahrnehmung erstrebt wird.

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haben, ihnen also eine Form, die sie beide jeweils haben, gemeinsam ist, so dass sie gewissermaßen eins sind in dieser Form und hinsichtlich dieser Form.153 Eine andere Weise der Ähnlichkeit besteht als Verhältnis zwischen Anlage und Verwirklichung, oder Neigung und Verwirklichung. Eine solche Ähnlichkeit ruft die Liebe des Begehrens oder eine Freundschaft der Nützlichkeit, der Lust hervor. Als erste Wirkung der Liebe gilt Thomas eine gewisse Einung. Zunächst ist die Wahrnehmung einer Ähnlichkeit Ursache der Liebe; bei der Freundschaftsliebe besteht die Ähnlichkeit in der Einheit einer gemeinsamen Form. Auf der Wahrnehmung dieser Einheit basiert die innere Einigung mit dem Geliebten gemäß Gefühl und Verlangen. Diese innere Einigung erstrebt die äußere Einigung, also das Gegenwärtigsein des Geliebten für den Liebenden. Liebe setzt die Wahrnehmung von Einheit (als Ähnlichkeit) voraus, bewirkt sie als äußere Einigung und besteht in ihr wesenhaft als Einigung dem Verlangen und Gefühl nach. Liebe bewirkt dabei ein wechselseitiges Ineinander, ein Außer-sich-Sein und liebenden Eifer. Wechselseitiges Ineinander meint nicht gegenseitige Liebe, sondern verschiedene Aspekte der Liebe, die sich als Bewegungsrichtungen von Streben und Erkennen beschreiben lassen: Das Geliebte wird durch Strebeakte in den Liebenden hineingenommen, insofern der Geliebte als Verlangter im Verlangen des Liebenden ist oder – und das gilt für die Freundschaftsliebe – für ihn verlangte Güter das Verlangen im Liebenden bestimmen. Der Liebende ist im Geliebten durch Strebeakte, indem er den Geliebten vollständig zu besitzen verlangt oder in der Freundschaftsliebe so, dass er den Willen des Freundes als seinen eigenen betrachtet, dessen Freuden und Leiden mitvollziehend. Bezüglich des Erkennens ist der Geliebte als Erkannter im Liebenden; insofern der Liebende den Geliebten zu erkennen strebt und ihn erforscht, ist der Liebende im Geliebten. In der Liebe gerät der Liebende mit seiner Strebekraft außer sich, denn in der Freundschaftsliebe will der Liebende ein Gut nicht für sich und um seiner selbst willen, sondern für den Freund. In der Liebe des Begehrens dagegen bleibt der Liebende in sich, da er etwas für sich will. Eindringlich und mit anschaulichen Beispielen beschreibt Thomas den Eifer der Liebe. Eine heftige Liebe versucht, alles zu überwinden, was ihr widerstreitet. In der Freundschaftsliebe bekämpft sie alles, was dem Wohl des Freundes im Wege steht. Die Liebe des Begehrens154 dagegen wütet gegen das, was sich

153 Gegen Rousselot, der bei Thomas das Wesen der Freundschaft in der Überwindung der Verschiedenheit sieht: „de principe d’amour direct et véritable [...] il n’en a pas d’autre que l’unité“, Rousselot, De l’amour, 10. 154 Thomas äußert sich sehr zurückhaltend zur Bestimmung der erotischen Beziehung zwischen Frau und Mann, ob sie Freundschaftsliebe sein könne oder solle. Beim hier gegebenen Beispiel

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ihr selbst entgegenstellt, so z.B. ein Mann gegen Verehrer seiner Frau.155 Angesichts dessen lautet Thomas nächste Frage, ob Liebe den Liebenden versehrt und versengt.156 In einer bestimmten Hinsicht bejaht Thomas diese Frage: Insofern jede Leidenschaft mit einer körperlichen Veränderung verbunden ist, kann eine heftige Leidenschaft zu einer übermäßigen körperlichen Veränderung führen, die den Menschen schädigt. In anderer Hinsicht hängt die Wirkung der Liebe auf den Liebenden vom Gegenstand der Liebe und dessen Gutsein ab. In der Liebe wird die Strebekraft des Menschen dem Geliebten anverwandelt. Handelt es sich daher beim geliebten Gegenstand um etwas Unangemessenes, schädigt die Liebe den Menschen, während ansonsten der Mensch durch die Liebe verwandelt und verbessert wird, was am meisten für die Liebe zu Gott gilt. Liebe ist der Grund aller Handlungen des Menschen. Weil sich alle Handlungen des Menschen auf ein Ziel beziehen, das Ziel aber immer durch ein geliebtes Gut definiert ist, entspringt alles Handeln des Menschen der Liebe. Thomas bezieht in seiner Abhandlung über die Liebe als Leidenschaft alle Formen der Liebe mit ein, und spricht so über das Gemeinsame von geistiger, leidenschaftlicher und naturhafter Liebe. Exemplarisch und im Vorblick auf die theologischen Tugenden soll im Folgenden noch Thomas Analyse der Leidenschaft der Hoffnung vorgestellt werden.157 Die Hoffnung als Leidenschaft des überwindenden Strebevermögens definiert Thomas von vier Bedingungen hinsichtlich des Gegenstandes dieser Leidenschaft: Die Hoffnung bezieht sich auf ein Gut (1), das noch zukünftig ist (2), das schwer zu erlangen (3), aber nicht unmöglich ist (4). Ursache der Hoffnung, die immer Liebe und Sehnsucht voraussetzt, ist alles, was Macht und Möglichkeiten eines Menschen vermehrt. Dazu gehören Reichtum und Erfahrung, durch welche der Mensch lernt, leicht bzw. leichter zu handeln. Ebenso bewirkt all das Hoffnung, was ihn dazu bewegt, ein Gut für möglich und erreichbar zu halten. Auch dazu gehört Erfahrung, aber auch Unterweisung und Überredung durch andere Menschen. Jedoch kann der Mensch auf diese Weise auch Hoffnung verlieren, wenn er nämlich etwas für nicht mehr möglich hält, was er vorher als erreichbar dach-

ordnet er sie eindeutig der Liebe des Begehrens zu, die jedoch laut Thomas nur zu Dingen eine gemäße Beziehung ist. 155 Sehr schön liest sich der Einwand, warum denn Eifer wirklich Wirkung der Liebe sein soll, wenn es doch zum Wesen des Guten gehört, sich mitzuteilen. Bezogen auf die Eifersucht von Männern auf ihre Frauen, hieße das, entweder ist die Eifersucht der Liebe entgegengesetzt, oder die Frau, indem sie sich nur einem Mann verbindet, ist nicht gut. Die lakonische Widerlegung formuliert Thomas in STh I–II 28,4 ad 2. 156 Thomas bezieht sich bei den Einwänden auf Sätze aus dem Hohen Lied, STh I–II 28,5 obj 1; obj 2; obj 3. 157 Dazu siehe STh I–II 40,1–8.

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te.158 Den engen Zusammenhang von Hoffnung und Liebe systematisiert er anhand der Unterscheidung von erhofftem Gut und jemandem, durch den man das Gut (leichter) zu erlangen hofft. Hinsichtlich des Gutes folgt die Hoffnung immer auf die Liebe. Die Person jedoch, von der man Hilfe zu diesem Gut erhofft, liebt man als Folge der Hoffnung, so dass hier die Hoffnung der Liebe vorangeht. Hoffnung fördert das Tätigsein, weil sie mit mehr Lust und Aufmerksamkeit tätig sein lässt.

2.5 Die menschliche Freiheit159 und das menschliche Handeln Die menschliche Freiheit und das menschliche Handeln „Um sein Werk durch Freiheit zum Ziel zu bringen, setzt Gott selbst die Bewegung des Menschen zu sich in Gang und schafft als Voraussetzung dieser Bewegung das ‚liberum arbitrium‘.“160 Ziel und Aufgabe des liberum arbitrium bestehen von vorneherein in der von Gott gesetzten Bewegung des vernunftbegabten Geschöpfes zu ihm hin, das diese gesetzte Bewegung in eigenen Akten vollziehen soll.161 Die menschliche Freiheit ist bei Thomas eine Funktion des Erkennens.162 Die menschliche Erkenntnisfähigkeit kann sich prinzipiell auf alles richten; daher ist prinzipiell unbegrenzt, was die Erkenntnis dem Willen als Gut präsentieren kann. Alles, was nicht in jeder Hinsicht und umfassend gut ist, setzt den Willen von sich aus nicht notwendig in ein bestimmtes Wollen. Nur der Mensch handelt aufgrund eines vorhergehenden Urteils; dieses Urteil des Menschen ist nicht durch seine sinnliche Wahrnehmung und seine Naturausstattung inhaltlich festgelegt. Wie geschieht eine freie Entscheidung? Der Verstand erkennt Gegenstände als Mittel zu einem Ziel. Der Wille bewegt den Verstand zu einem praktischen Urteil über die Gegenstände. Der Wille wählt aufgrund des Verstandesurteils. Thomas analysiert Freiheit vom liberum arbitrium her, also dem Willensvermögen, dem die freien Akte entspringen, die sich auf etwas richten, was dem Willensvermögen in der Erkenntnis vorgegeben ist. Menschliche Erkenntnis kann sich auf alles Seiende beziehen, alles Seiende ist als Seiendes gut, so kann der menschliche Wille prinzipiell auch alles 158 Thomas führt dann in einem eigenen Artikel aus, weshalb Jugendlichkeit intensive Hoffnung verursacht. Thomas können literarische Qualitäten nicht abgesprochen werden, wenn er schreibt: „Juvenes etiam, propter caliditatem naturae, habent multos spiritus: et ita in eis cor ampliatur. Ex amplitudine autem cordis est quod aliquis ad ardua tendat. Et ideo juvenes sunt animosi et bonae spei“, STh I–II 40,6 c.a. 159 Dazu v.a. Vorster, Freiheitsverständnis; Zimmermann, Freiheit. 160 Vorster, Freiheitsverständnis, 129. 161 Vorster, Freiheitsverständnis interpretiert die thomasischen Ausführungen zum liberum arbitrium vom Gesamtgedankengang der Summa her und daher eminent theologisch. 162 Dazu auch STh I 83,1 c.a.: „Quod homo sit liberi arbitrii, ex hoc ipso quod rationalis est.“

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Seiende in seinem Gutsein erstreben. Das Formalobjekt des Willens ist das Gute; weil aber kein irdisches Seiendes in jeder Hinsicht gut ist, kann kein irdisch Seiendes den Willen mit Notwendigkeit binden. Warum entscheidet der Mensch sich dann überhaupt zu etwas? Der Mensch will etwas entweder als Ziel oder als Mittel zu einem gewählten Ziel. Das Ziel legt in den meisten Fällen die Mittel zu seiner Erreichung nicht eindeutig fest, sondern sie können und müssen gewählt werden. Das geschieht aufgrund der Tätigkeit des Verstandes, aber ohne dass der Verstand von sich aus die Festlegung treffen würde. Die Reihe der Zielbezüge kann für Thomas nicht ins Unendliche reichen, sondern er rechnet mit einem letzten Ziel des Menschen. Dieses bindet den menschlichen Willen unbedingt, da es in jeder Hinsicht gut ist; und dieses letzte Ziel ist die Glückseligkeit.163 Dieses Gebundensein ist die Bedingung der Möglichkeit, dass der Wille überhaupt etwas wollen und dass er alles andere frei wollen kann. „Freiheit geschieht als Gestaltungsvollzug, der im Bereich des Verfügbaren auf eine totale Bestimmtheit antwortet und sie dort kontingent verifiziert.“164 Daß der Wille sich nur in seiner universalen Erschlossenheit zum Guten der ihm begegnenden Wirklichkeit des Konkreten zuwenden kann, das eröffnet einen Raum der Distanz gegenüber allen endlichen Gütern und Aufgaben, in dem alles Entscheiden und Wählen erst möglich wird. Nur gegenüber jenem Guten, das sich unter jedweder Hinsicht als uneingeschränkt gut zu erkennen gibt, ist der Wille gebunden und festgelegt; alles andere aber, das sich ihm unter dem Anspruch des Guten darbietet, fordert zu einem abwägenden Urteil heraus und bedarf der Zustimmung oder Zurückweisung, um im Handeln wirksam zu werden.165

Das liberum arbitrium bestimmt Thomas – in Anlehnung an die Tradition – als facultas voluntatis et rationis.166 Der Wille ist zwar formal auf ein letztes Ziel als dem höchsten bonum festgelegt, aber nicht inhaltlich dessen, worin dieses höchste bonum besteht. Wie Gott auf den Menschen und dessen Freiheit wirkt, soll nun im thomasischen Konzept vorgestellt werden, anhand des Wirkens auf den Verstand (1) und auf den Willen (2); das wird zusammengefasst in der thomasischen Lehre vom Bewegtwerden des Menschen in Freiheit (3) und in seiner Lehre von Gottes Vorhersehung (4).

163

Dazu Speer, Das Glück des Menschen, 150–161. Vorster, Freiheitsverständnis, 143. 165 Schockenhoff, Bonum hominis, 143. 166 Vgl. STh I–II 1,1 c.a. 164

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(1) Wie wirkt Gott auf den menschlichen Verstand?167 Zum menschlichen Erkennen gehören zwei Prinzipien, die Erkenntniskraft (virtus intelligendi) und die Ähnlichkeit der erkannten Dinge im Erkennenden. Von Gott stammt nun alle Erkenntniskraft, denn Gott als der erste Erkennende bewirkt alles andere Erkennen, gemäß dem Prinzip, dass immer das Erste in einer Ordnung oder Reihe Ursache aller Folgenden ist. So stammt in jedem menschlichen Erkenntnisakt die Erkenntniskraft oder die reale Möglichkeit zu erkennen – sei sie natürlich oder gnadenhaftübernatürlich – von Gott. Ebenso aber leiten sich die Ähnlichkeiten der Dinge, wie sie im menschlichen Verstand dem Erkennen eignen, von Gottes Erkennen her, dem die Dinge in ihrer Existenz entspringen. Gott bewirkt also die Möglichkeit jedes Erkenntnisaktes sowie im Vollzug des Aktes auch die Kraft des Vollzuges. Er bewirkt dagegen nicht direkt den Impuls zum Vollzug – das geschieht durch den Willen – sowie die inhaltliche Bestimmtheit des Erkenntnisaktes – das geschieht durch den Erkenntnisgegenstand und in bestimmten Erkenntnisvollzügen auch zusätzlich durch den Willen. (2) Wie wirkt Gott auf den menschlichen Willen?168 Gott wirkt in jedem Willen innerlich.169 Er ist erste Ursache auch der willentlichen Ursachen.170 Das liberum arbitrium impliziert daher nicht, dass der Mensch erste Ursache seiner selbst sei, sondern nur, dass er Ursache seiner Selbstbewegung sei. Wie kann das im Detail so gedacht werden, dass dabei der Mensch auch noch wirklich selbst Ursache, wenn auch nicht erste Ursache seiner Bewegung ist? Für jeden Willensakt ist erforderlich: a) Dem Willen zeigt sich ein bonum. Im Normalfall ist es ein vom Verstand als bonum erkanntes bonum. b) Die Willenskraft (virtus volendi) bringt das Willensvermögen dazu, einen Willensakt hinsichtlich dieses bonum zu setzen. In beiderlei Hinsicht bewegt Gott den Willen:171 indem er dem Menschen überhaupt bona zur Wahl gibt, indem er durch die Gnade den Menschen auf sich als Gegenstand ausrichtet. Der Wille wird durch ein bonum bewegt. Nun muss alles, was etwas anderes völlig bewegt, die passive Kraft des Bewegten erreichen oder über167

Dazu STh I 105,3. Siehe dazu STh I 105,4. 169 Vgl. STh I–II 68,2 c.a. 170 So STh I 83,1 ad 3. 171 Zu dieser Frage bleibt Vorster hinter seiner sonstigen Interpretationsgenauigkeit zurück und setzt an die Stelle subtile Spekulationen, die aber weder am thomasischen Text noch am Gedankenzusammenhangs Thomas einen Anhalt bieten, weil er die konstitutive Rolle der Liebe für die Ausrichtung auf Gott nicht berücksichtigt, vgl. Vorster, Freiheitsverständnis, 209–212. 168

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schreiten. Die passive Kraft des menschlichen Willens bezieht sich auf das bonum universale. So kann nur das bonum universale den menschlichen Willen wirklich erfüllen und voll in Bewegung setzen. Dass nur Gott allein die virtus vollendi bewirkt, begründet Thomas damit, dass in jedem Willensakt sich die inclinatio ad bonum universale akutalisiert, welche nur vom ersten Beweger als dem bonum universale bewirkt werden kann. Der Wille wird gegenüber einem einzelnem bonum nur dann tätig, vollzieht also nur dann einen Willensakt, wenn in diesem einzelnen und begrenzten Willensakt die Ausrichtung auf das Formalobjekt Glückseligkeit oder bonum universale, – zunächst unabhängig davon, auf welches wirkliche bonum der Mensch sich dabei inhaltlich ausrichtet – sich vollzieht und als Akt realisiert. „Wie die Wirkursache, die der Wille ist, in die Selbstbewegung versetzt wird“,172 hat Thomas unternommen zu klären. Der Wille bei Thomas will, indem er will, aber weil Gott eine Willensbewegung will. Ob mit dieser Konzeption die menschliche Freiheit wirklich ausgesagt werden kann, hängt an dem Freiheitsbegriff, den man zum Kriterium erhebt.173 Unbestritten aber strukturiert sein Interesse, in der Alleinwirksamkeit Gottes die Freiheit des Menschen als eine Wirkweise Gottes zu denken, seine gesamte Freiheitstheorie, die diesem theoretischen Anliegen untergeordnet auch praktisches Interesse an der strafrechtlichen Zurechenbarkeit von Handlungen und sinnvollen Gültigkeit von Gebot und Gesetz zeigt. (3) Gott bewegt alle Geschöpfe gemäß ihrer Eigenart auf sich selbst als letztes Ziel hin. Dem Menschen als freies Wesen kommt es zu, dass es von Gott so auf das letzte Ziel zu bewegt wird, dass der Mensch diese Bewegung zugleich selbst vollzieht und das heißt in sittlichen Akten. Die Glückseligkeit erreicht der Mensch „in sittlichen Akten [...], aber nicht kraft sittlicher Akte“.174 Gott konstituiert die Natur des menschlichen Willens in seiner Ausrichtung auf das Gute, er konstituiert jeden einzelnen Akt und er vermittelt dem Menschen durch Gnade die wirksame Ausrichtung auf das übernatürliche Ziel, das er selbst ist. Insofern geht die Bewegung des Menschen auf Gott zu ganz von Gott aus, der dem Menschen aber darin Freiheit eröffnet, dass der Mensch diese eine und gleiche Bewegung selbst vollzie172

Vorster, Freiheitsverständnis, 213. Die Einwände von Vorster, oder auch Städtler, Die Freiheit der Reflexion, 145–156 treffen zwar jeweils die für jede Freiheitsdiskussion relevanten Punkte in der thomasischen Theorie, aber die Urteile fällen beide ausgewiesen jeweils von einer anderen theologischen oder philosophischen Freiheitskonzeption her. Obenauer, Thomistische Metaphysik, 68, bringt den Sachverhalt auf die Formel: „die selbstursprüngliche Andersheit Gott gegenüber ist eine aus Gott entspringende Ursprünglichkeit“. Damit grenzt er den Rahmen jeder Thomasinterpretation textgerecht ein, aber bietet keine Lösung für die Verhältnisbestimmung von „entspringender Ursprünglichkeit“ und „Selbstursprünglichkeit“. 174 Vorster, Freiheitsverständnis, 159, Hervorhebungen im Original. 173

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hen kann.175 Die Selbstbewegung des Menschen entfaltet Thomas nun in der Prima Secundae, die damit endet, dass die Selbstbewegung des Menschen ihr eigentliches Wesen als sittliches Handeln und ihre höchsten Möglichkeiten nur als gnadenhaftes Bewegtwerden erreicht. Wie der Mensch als gnadenhaftes Bewegtwerden auf sein Ziel hin seine sittliche Selbstbewegung konkret vollzieht, beschreibt die Secunda Secundae. Als wirkliche Bewegung auf das Ziel zu beginnt mit dieser Bewegung auch schon eine Teilhabe am Ziel, oder eine anfängliche Verwirklichung der beatitudo, die Thomas die „beatitudo imperfecta“ nennt. (4) Die Prädestination Gottes ist eine Dimension seiner Providenz, welche gleichermaßen aus seinem Willen und seinem Erkennen besteht.176 Zu Gott als Schöpfer gehört notwendig die Providenz: Erstens gehört zur Güte der Schöpfung nicht nur deren Sein, sondern auch deren Ordnung und Ausrichtung. Zweitens muss, da alles ist, weil und indem Gott es will, auch diese Ordnung Gottes vorgängigem Wollen und Erkennen kausal entspringen. Der Plan selbst ist ewig, die Ausführung ist geschichtlich und zeitlich. Gottes Plan bezieht sich auf alles Seiende als Seiendes, also auch auf das Geschichtliche und Individuelle.177 Das menschliche Handeln lässt sich für Thomas auch auf Gottes Verursachung zurückführen, und daher auf seine Vorsehung. Dass diese menschlichen Akte dem liberum arbitrium entstammen, ist im göttlichen Plan genauso vorherbestimmt. Die menschlichen causa particularis sind als sie selbst in den göttlichen Plan integriert. Im Folgenden seien nun Grundzüge der thomasischen Handlungstheorie benannt.178 Das Tätigsein alles Geschaffenen geschieht um eines Zieles willen.179 Diese Zielbewegung kann einem Geschaffenen selbst entspringen oder durch anderes ihm gegeben werden. Den Menschen zeichnet aus, dass er sich selbst auf das Ziel zu bewegt – davon unberührt bleibt, dass Gott alle Akte als Erstursache wirkt. Diese Selbstbewegung auf das Ziel zu setzt für Thomas Zielerkenntnis voraus. Zielerkenntnis im vollen Sinne beinhaltet die Erkenntnis des Zieles in seinem Zielsein (identisch mit seinem Gutsein)

175 Speer formuliert zugespitzt: „Aus keinem anderen Grunde wurde dem Menschen daher der freie Wille gegeben, als daß er sich durch diesen zu Gott hinwenden könne, damit dieser ihn glückselig mache“, Speer, Das Glück des Menschen, 166. 176 Siehe Vorster, Freiheitsverständnis, 177–219. 177 Die Existenz von Übeln integriert Thomas in seine Deutung so, dass Mängel an einer Stelle dem größeren Wohl an einer anderen Stelle dienen und insgesamt zur Vollkommenheit des Universums als einer Stufung von Seiendem gehören. 178 Dazu v.a. McInerny, Action Theory; Niederbacher, Glaube, 22–39; Schröer, Quid agitur. 179 Die thomasischen Bezüge auf Aristoteles Nikomachische Ethik arbeitet sehr deutlich Feil, Grundlegung der Ethik, 245–265, heraus.

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und das Verhältnis der Mittel zum Ziel.180 Weil der Mensch das Ziel seiner Akte erkennt und sich selbst bewegt, sind seine Akte im höchsten Maße willentlich181 und das heißt zugleich frei. Solche Akte heißen für Thomas dann menschliche Akte, während er mit „Akte des Menschen“ solche bezeichnet, die dem Sinnenwesen zukommen und nicht willentlich sind, wie z.B. Schlafen. Die menschlichen Akte als freie Akte haben zu ihrer Voraussetzung, dass der Mensch auf kein einzelnes geschaffenes Gut festgelegt ist, sondern dass sein Wille sich formal auf das bonum universale richtet, welches mit keinem geschaffenen Einzelgut identisch ist, welches aber die Einzelgüter insofern sie gut sind, zu einem möglichen (Zwischen-)Ziel macht. Denn erst aus der Zielerkenntnis, einer relativen Freiheit gegenüber Einzelzielen und der Erkenntnis der Mittel folgt für Thomas die Möglichkeit der Überlegung, ob man sich tatsächlich auf dieses (Zwischen-)Ziel zu bewegt oder nicht. Alle menschlichen Handlungen gehen entweder aus der Vernunft oder aus dem Strebevermögen des Menschen hervor182 bzw. aus einem je spezifischen Zusammenwirken beider. Die menschlichen Handlungen erhalten ihre (Art-)Bestimmtheit von dem (Einzel-)Ziel, auf das hin sie erfolgen. Es kann nach Thomas kein willentliches Handeln ohne Zielausrichtung geben. Die Einzelziele werden alle wegen eines einzigen letzten Ziel gewollt, das formal in der Glückseligkeit besteht als dem, was in jeder Hinsicht und umfassend gut ist. Wie die Individuen dieses Endziel für sich inhaltlich bestimmen und ob sie es überhaupt explizit definieren, ist verschieden. Das dem Menschen entsprechende Endziel jedoch kann nur Gott selbst sein, denn kein bonum creatum könnte das menschliche Streben nach dem bonum universale erfüllen, denn jedes bonum creatum hat andere bona creata neben sich und ist daher nicht das Ganze. Will der Mensch sich daher auf das ihm als Mensch entsprechende, auf das „wahre“ Endziel ausrichten, muss er es erstens kennen und muss er zweitens sich darauf in seinem konkreten Handeln darauf ausrichten können. Zu beidem braucht der Mensch Gnade. Vom Gutsein einer Handlung kann nach Thomas in folgenden Hinsichten gesprochen werden: (1) Die Handlung als solche ist gut, weil sie ein Seiendes ist, das eben damit auch ein bonum darstellt. (2) Eine Handlung ist gut, wenn sie der Vernunft entspricht. 180 Vgl. STh I–II 6,2 c.a.: „Perfecta quidem finis cognitio est [...] cognoscitur ratio finis, et proportio eius quod ordinatur in finem ad ipsum.“ 181 Vgl. STh I–II 6,1. 182 So STh I–II 58.3 c.a.

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(3) Zu einer guten Handlung gehören die richtigen Umstände.183 (4) Eine Handlung ist gut, wenn ihr Ziel richtig ist. Zum Gutsein einer Handlung muss die Handlung in jeder der genannten Hinsichten gut sein. Für eine gute Handlung ist also sowohl eine entsprechende Haltung des Strebe- als auch der Erkenntnisvermögens nötig: „So wird also dazu, daß der Mensch gut handle, gefordert, daß nicht nur die Vernunft durch das Gehaben einer verstandhaften Tüchtigkeit gut ausgerichtet sei, sondern daß auch die Strebekraft durch das Gehaben einer sittlichen Tüchtigkeit gut ausgerichtet sei.“184 Zwischen dem Menschen und seinen (guten) Akten vermitteln die Handlungsprinzipien. Thomas kennt innere und äußere. Die inneren Handlungsprinzipien sind dem Menschen intern; das sind die Vermögen und ihre Tätigkeitshabitus, also Tugenden oder Laster/Sünden. Als äußere Handlungsprinzipien benennt Thomas das Gesetz und die Gnade, die beide auf je spezifische Art und Weise den Menschen zum guten Handeln bewegen. Damit ist nun auch schon exakt der Aufbau der STh I–II angegeben, der sich ganz der Analyse der menschlichen Handlung als Bewegung des Menschen als imago Dei auf Gott zu (oder von ihm weg) verdankt: Die menschliche Handlung Ziel des Handelns/Letztzielausgerichtetheit allen Handelns Die menschliche Handlung Der Wille und seine Funktionen Die vom Willen befohlenen Handlungen Die moralische Qualität von Handlungen Die inneren Prinzipien Die Leidenschaften Die Habitus Die Tugenden Die Gaben des Hl. Geistes Die Seligpreisungen Die Früchte des Hl. Geistes Die Laster und Sünden Die äußeren Prinzipien Das Gesetz Die Gnade

I–II 1–5 I–II 6–7 I–II 8–16 I–II 17 I–II 18–21 I–II 22–48 I–II 49–54 I–II 55–67 I–II 68 I–II 69 I–II 70 I–II 71–89 I–II 90–108 I–II 109–114

Der Aufbau der Prima Secundae 183

Dazu im Einzelnen Nisters, Akzidentien der Praxis, v.a. 18–65. STh I–II 58,2 c.a.: „Sic igitur ad hoc quod homo bene agat, requiritur quod non solum ratio sit bene disposita per habitum virtutis intellectualis; sed etiam quod vis appetitiva sit bene disposita per habitum virtutis moralis.“ 184

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Obwohl sich die Struktur der STh I–II der thomasischen Handlungstheorie verdankt, handelt es sich nicht um Ethik in einem philosophischen Sinne, sondern das Handeln des Menschen kommt theologisch in den Blick als die Weise, wie der Mensch als imago Dei und als bestimmt zur imago Dei sich auf Gott als seinen Ursprung und als sein Ziel hinbewegt, um seine imagoDei-Bestimmung im eschatologischen Lieben und Erkennen Gottes zu vollenden.

2.6 Die Tugenden Die Tugenden Nach den Akten und Leidenschaften beschäftigt sich Thomas mit den inneren Prinzipien der menschlichen Handlungen, das sind die Vermögen (die er schon in STh I behandelt hat) und die Habitus.185 Habitus186 ist eine Beschaffenheit (qualitas), die nicht nur auf die Natur des Dinges hinordnet, „sondern in der Folge auch auf die Tätigkeit, insofern sie Ziel der Natur ist oder zum Ziele führt.“187 Diese Hinordnung kann gut oder schlecht sein. Habitus kann also entweder auf die Natur des Dinges oder direkt auf seine Tätigkeiten ausrichten. Der enge Zusammenhang von Natur, Tätigkeit und Ziel ist wesentlich für Thomas. Was impliziert Ausrichtung?188 Das, was ausgerichtet wird, muss verschieden von dem sein, worauf es ausgerichtet wird, wobei letzteres sich zu ersterem wie Akt zu Potenz verhält. Nur etwas, das aus Potenz und Akt zusammengesetzt ist bzw. eben auch Potenz ist, kann auf etwas ausgerichtet werden. Dazu ist weiter erforderlich, dass das, was in Potenz ist, in der Weise unbestimmt ist, dass es zu Verschiedenem bestimmt werden könnte. Schließlich muss die Bestimmung so erfolgen, dass dabei mehreres zusammenwirkt. Bei Entitäten, die allein schon durch ihre Form eindeutig auf eine Tätigkeit festgelegt sind, ist kein Habitus möglich oder erforderlich. Wenn Formen aber eben von der Art sind, dass sie auf verschiedene Weise wirken können, dann müssen die Formen selbst auf bestimmte Weise ausgerichtet werden. Das ist bei der menschlichen Seele der Fall. Die Seele als solche braucht aber keine Ausrichtung auf die menschliche 185 In den meisten deutschen Texten wird Habitus mit Gehaben wiedergegeben. Da das jedoch ein Kunstwort ist, das nur durch seine Rückübersetzung zu Habitus verständlich ist, spreche ich nachfolgend immer von Habitus, belasse aber in den deutschen Thomaszitaten die Übersetzung mit Gehaben. 186 Zum Folgenden: Nickl, Ordnung der Gefühle, 36–53, sowie Darge, Habitus, 15–33; 147– 277. 187 Sth I–II 49,3 c.a.: „Unde habitus non solum importat ordinem ad ipsam naturam rei, sed etiam consequenter ad operationem, inquantum est finis naturae, vel perducens ad finem.“ 188 Diese Überlegungen haben bei Thomas auch die Funktion zu zeigen, warum Gott und Naturdinge keine Habitus haben können.

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Natur189, da die Seele als die Form des Menschen seine Natur erfüllt. Nur insofern der Mensch Anteil an der göttlichen Natur gewinnen kann, braucht er dafür eine Ausrichtung auf diese Natur. Die Seele braucht also als Form eine Ausrichtung auf die göttliche Natur, welcher Habitus ihr als Gnade zuteil wird. Die menschliche Seele abgesehen von ihrer übernatürlichen Vollendung betrachtet, bedarf nur der Ausrichtung auf Tätigkeiten, was durch Habitus in den Seelenvermögen geschieht. Die Sinnesvermögen, der Verstand und der Wille des Menschen werden also durch Habitus auf bestimmte Tätigkeiten gut oder schlecht ausgerichtet. Beim Willen bedeutet das, dass er „hinneigende Qualitäten“ bekommt zu Gegenständen, zu denen seine natürliche, strukturelle Hinneigung, die dem vernunftgemäßen Guten gilt, aufgrund der Pluralität der vernunftgemäßen guten Gegenstände nicht ausreichend gegeben ist.190 Wie entstehen die Habitus? In den Erkenntnisvermögen wie auch in den Sinnesvermögen gibt es anfangsweise Habitus von Natur aus; sowohl von der Artnatur des Menschen als auch von der individuellen Natur her. Aber hauptsächlich erzeugen beim Menschen wiederholte Tätigkeiten die Habitus. Wie ist das zu denken? Träger von Habitus können ja nur Vermögen sein, die sowohl Aktives als auch Potentielles bzw. Passives enthalten (siehe oben). Da Wirkendes anderes, das in dieser Hinsicht in Potenz bzw. passiv ist, ausrichten kann, können die wirkenden Momente durch das Tätigsein in den menschlichen Vermögen Habitus erzeugen. Hinsichtlich des Willens gilt das, insofern er von dem Erkenntnisvermögen bewegt wird. Das Erkenntnisvermögen wird bewegt durch die ersten Prinzipien, die als Habitus von Natur her im Menschen sind. Neben den Habitus, die von Natur aus da sind, und neben den durch Tätigkeit erworbenen Habitus kennt Thomas auch eingegossene Habitus. Durch sie richtet Gott den Menschen auf ein übernatürliches, ihm mit seinen eigenen menschlichen Vermögen nicht erreichbares Ziel aus, weshalb auch die dem Ziel entsprechenden Habitus vom Menschen nicht durch sein eigenen Tätigsein erworben, sondern nur geschenkt werden können. Zusammengefasst: „Die Gehaben sind aber gewisse dem Vermögen innehaftende Beschaffenheiten oder Formen, auf Grund deren das Vermögen

189 Nickl behauptet, dass das Wichtigste der Habituslehre des Thomas darin besteht, dass der Habitus die Natur seines Trägers vervollkommnet. Darauf weist Thomas zwar in der Tat hin, als eine Dimension des Habitus, die aber gerade für die menschliche Seele – unabhängig von der Gnade betrachtet – nur insofern gilt, als um zu Tätigkeiten zu vervollkommnen, das Subjekt bzw. das Ausgangsvermögen dieser Tätigkeit auf die Tätigkeit hin vervollkommnet werden muss (vgl. Nickl, Ordnung der Gefühle, 37). Man könnte von einer zielorientierten oder relationalen Vervollkommnung sprechen. 190 Vgl. STh I–II 50,5.

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zu bestimmten Akten derselben Art hinneigt.“191 Habitus unterscheidet Thomas zum einen nach drei Gesichtspunkten: den Prinzipien ihrer Ausrichtung, der Natur, auf die hin ausgerichtet wird und nach der Art der Gegenstände, auf die sich die durch die Habitus ausgerichteten Tätigkeiten beziehen.192 Zum anderen unterteilt er die Habitus in gute und schlechte, je nachdem, ob sie auf Tätigkeiten ausrichten, die der Natur des Tätigen entsprechen, also beim Menschen je nachdem, ob sie vernunftgemäß sind. Die guten Habitus nennt Thomas Tugenden; während Sünden und Laster negative Habitus darstellen. Tugend193 ist – da übernimmt Thomas die Definition des Petrus Lombardus, die wiederum eine Definition Augustins abwandelt – „jene gute Beschaffenheit des Geistes, kraft deren man recht lebt, die niemand schlecht gebraucht, die Gott in uns ohne uns bewirkt.“194 Er präzisiert aber kurz zu: Tugend ist ein guter Tätigkeitshabitus – weil diese Definition auch die erworbenen einbezieht, während die lombardische nur die eingegossenen trifft. Die Vermögen sind der Sitz der Tugenden und werden durch sie vervollkommnet, denn Tugend als Tätigkeitshabitus richtet auf gute Handlungen aus, welche immer von Vermögen ausgehen. Kann eine bestimmte Tugend nun in mehreren Vermögen ihren Sitz haben?195 Nicht in gleicher Weise kann eine Tugend zu mehreren Vermögen gehören, aber in einer gewissen Ordnung: so, dass die Tugend zu einem Vermögen gehört und auf andere sich ausdehnt entweder durch Ausweitung (per modum diffusionis) oder dadurch, dass ein Vermögen ein anderes disponiert, sofern es das andere bewegt.196 Die Tugend gehört in diesem Fall zu beiden Vermögen, weil in diesem Zusammenwirken beide Vermögen auf die Tätigkeit gut ausgerichtet sein müssen. Die gute Ausrichtung des bewegten Vermögens richtet sich nach der Gleichförmigkeit mit dem es bewegenden Vermögen.197 Tugend im vollen Sinne ist für Thomas nur ein Habitus, der nicht nur die Fähigkeit zu einem bestimmten guten Handeln verleiht, sondern auch das tatsächlich gut Handeln bewirkt. Das tatsächlich gut Handeln verdankt sich 191 STh I–II 54, 1 c.a.: „ Habitus autem sunt quaedam qualitates aut formae inhaerentes potentiae, quibus inclinatur potentia ad determinatos actus secundum speciem.“ 192 Vgl. STh I 54,2. 193 Tugend bezeichnet Thomas mit dem lateinischen Begriff „virtus“, den er daneben auch dann verwendet, wenn er „Kraft“ meint. Das komplexe Bedeutungsgefüge des Begriffes „virtus“ rührt daher, dass ihm die griechischen Begriffe areth, dunamiV und andere in ihren jeweiligen Kontexten integriert sind. Vgl. dazu die instruktiven Erläuterungen von Schockenhoff, Bonum hominis, 235–242, der mit Recht davor warnt, virtus einseitig als terminus technicus zu verstehen. 194 STh I–II 55,4 obj. 1: „Virtus est bona qualitas mentis, qua recte vivitur, qua nullus male utitur, quam Deus in nobis sine nobis operatur.“ 195 STh I–II 56,2. 196 Dieser Fall ist beim Glauben gegeben. 197 STh I–II 56,4 c.a.: „Et quia bona dispositio potentiae moventis motae, attenditur secundum conformitatem ad potentiam moventem“.

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immer dem guten Willen des Menschen. Deshalb kann also Tugend im Vollsinn nur eine sein, die entweder im Willen selbst ihren Sitz hat oder in einem jeden Vermögen, sofern es vom Willen bewegt wird. Sofern der Verstand vom Willen bewegt wird, kann er Träger einer Tugend sein, wofür Thomas den Glauben als Beispiel nennt. Insofern die sinnlichen Strebevermögen Vernunft und Willen unterstehen, kann Tugend auch im sinnlichen Strebevermögen ihren Sitz haben, wodurch diese der Vernunft konform sind. Der Wille nun ist im eigentlichen und besonderen Sinne Träger der Tugend. Da der Wille das vernunftgemäße Gute seiner Willensnatur nach anstrebt, bedarf er dafür keiner Vervollkommung durch einen Habitus, wohl aber für Güter, die seine Natur und ihre Grenzen übersteigen. Das ist zum einen Gott als das übernatürliche letzte Ziel des Menschen (wozu ihn die caritas vervollkommnet) als auch das Gut der Mitmenschen, auf das ihn die Gerechtigkeit ausrichtet198. Im Folgenden entwirft Thomas eine umfassende Ordnung der Tugenden, die er nach drei Kriterien differenziert: nach ihren Trägervermögen, ihrem Gegenstandsbezug und danach, ob sie eigentliche oder nur Tugenden in einem weiten Sinne sind. Zunächst widmet Thomas sich ausführlich den Tugenden nach den Trägervermögen zusammengefasst, also den intellektuellen und den sittlichen Tugenden. Die intellektuellen Tugenden stellen als solche nur Tugend in einem eingeschränkten Sinne dar, insofern sie zwar die Fähigkeit zu, aber nicht den guten Vollzug von Akten bedeuten. Erst die Tugenden des Willens wie caritas oder Gerechtigkeit bewirken, dass die intellektuellen Tugenden auf gute Weise gebraucht werden. Das Verhältnis von intellektuellen und sittlichen Tugenden gestaltet sich folgendermaßen:199 Von ihrem Gegenstand her sind die intellektuellen Tugenden höher zu bewerten, denn ihr Gegenstand, die Wahrheit, ist allgemeiner und deshalb vornehmer als ein bestimmtes einzelnes Ziel, das den Gegenstand von sittlichen Tugenden bildet.200 Die Akte der Tugenden zum Maßstab genommen, haben die sittlichen Tugenden den Vorrang, weil ihr Trägervermögen die anderen Vermögen zu ihren jeweiligen Akten bewegt. Daher erfordert das menschliche Leben auch mehr die sittlichen Tugenden;

198 Hinsichtlich der thomasischen Begründung für den Tugendstatus der Gerechtigkeit ist Schockenhoff, Bonum hominis, 262 zuzustimmen: „Das Anliegen, jeder Tugend ein ihr eigenes psychisches Subjekt zuzuweisen und ihren anthropologischen Ort zwingend aufzuzeigen, dominiert so sehr, daß Thomas dafür bereit ist, auch einen Gedankengang ins Auge zu fassen, der innerhalb seiner allgemeinen Willenstheorie nur schwer verständlich und zumindest überflüssig ist.“ 199 Dazu STh I–II 66,3. 200 Mit Thomas wird auf diese Weise abgekürzt gesprochen, insofern die Gegenstände der Tugenden eigentlich die Gegenstände der Akte sind, welche die entsprechenden Tugenden freisetzen, nicht unmittelbar selbst ihre Gegenstände.

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andererseits gewähren die intellektuellen Tugenden bereits den Anfang der eschatologischen Seligkeit, die der Mensch in Erkennen der Wahrheit findet. Intellectus ist der Habitus, der sich auf die ersten selbstevidenten Prinzipien der theoretischen und praktischen Vernunft201 richtet. Aus diesen ersten Prinzipien zieht die ratio Schlussfolgerungen. Betreffen diese die Ganzheit menschlichen Erkennens, so verdankt sich diese Bewegung dem Habitus der Weisheit. Der Habitus der Wissenschaft richtet sich auf je bestimmte und abgegrenzte Bereiche des menschlichen Erkennens. Weisheit und Wissenschaft umfassen beide auch den Bezug auf die ersten Prinzipien, von denen das Schlussfolgern ausgeht. Eine Sonderstellung nimmt die Klugheit als die Tugend der praktischen Vernunft ein. Zu ihr gehört als integriertes Moment die richtige Ausrichtung des menschlichen Willens auf ein gutes Ziel. Die Mittel zum Ziel bedenkt und wählt die Klugheit und befiehlt dann den anderen Vermögen die Ausführung. Sittliche Tugenden heißen jene, deren Träger die Strebevermögen sind. Wie darum das Strebevermögen Quellgrund der menschlichen Handlung ist, sofern es irgendwie an der Vernunft teilhat, so hat das sittliche Gehaben die Bewandtnis einer menschlichen Tüchtigkeit, insofern es der Vernunft gleichgeformt wird.202 Im Sittlichen verhält sich aber die Vernunft offensichtlich als Befehlendes und Bewegendes, die Strebekraft dagegen als dasjenige, was dem Befehl untersteht und bewegt wird. Das Strebevermögen empfängt jedoch die Einprägung der Vernunft nicht wie in Artgleichheit; denn nicht wird es vernunfthaft seiner Wesenheit, sondern [...] der Teilhabe nach.203

Sittliche Tugend bewirkt eine gute Wahl, zu der aber neben der wirklichen Ausrichtung auf das richtige Ziel auch das richtige Erfassen der Mittel zum Ziel gehört, was durch die Klugheit geschieht, welche wiederum die Einsicht voraussetzt, weil diese die ersten Prinzipien der praktischen Vernunft beinhaltet. In dieser Hinsicht bedürfen die sittlichen Tugenden also der intellektuellen. Umgekehrt bedarf die Klugheit als Tugend der praktischen Vernunft der sittlichen Tugenden, die den Menschen fest auf das rechte Ziel ausgerichtet sein lassen. Thomas unterteilt die sittlichen Tugenden im Folgenden in solche, die sich auf die Handlungen des Menschen und solche, die sich auf die menschlichen Leidenschaften richten. Thomas begründet 201

In STh I–II 58,4 c.a. bestimmt Thomas die Reichweite des intellectus auf diese Weise, während er an anderer Stelle dem intellectus nur die ersten Prinzipien der theoretischen Vernunft zuordnet. 202 STh I–II 58,2 c.a.: „Unde sicut appetitus est principium humani actus secundum quod participat aliqualiter rationem, ita habitus moralis habet rationem virtutis humanae, inquantum rationi conformatur.“ 203 STh I–II 60,1 c.a.: „Manifestum est autem quod in moralibus ratio est sicut imperans et movens; vis autem appetitiva est sicut imperata et mota. Non autem appetitus recipit impressionem rationis quasi univoce: quia non fit rationale per essentiam, sed per participationem“.

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das mit seiner Handlungstheorie. Handlungen können in sich betrachtet und beurteilt werden unabhängig von der inneren Haltung des handelnden Menschen; sie können aber auch beurteilt werden anhand der inneren Haltung des Menschen zu seiner Handlung. Entsprechend diesen zwei Aspekten von guter Handlung sind also auch die Tugenden zu unterscheiden. Die Gerechtigkeit, die sich in verschiedene Einzeltugenden aufgliedern lässt, bezieht sich auf die Rechtheit der äußeren Handlungen gemäß dem, was ein Mensch an Geschuldetem anderen zu geben hat. Bezüglich der Leidenschaften nennt Thomas zehn Tugenden, deren Unterscheidungs-Kriterien sowohl der Verschiedenheit der Leidenschaften als auch der Güter als auch der Differenz von Sozial- und Eigenbezüglichkeit entnommen sind.204 Sie lauten im Anschluss an Aristoteles: Maßhaltung, Tapferkeit, Freigiebigkeit, Großzügigkeit, Hochgemutheit, Ehrliebe, Freundlichkeit, Wahrhaftigkeit, rechte Scherzlust und Sanftmut. Alle erworbenen Tugenden lassen sich auf eine der vier Kardinaltugenden zurückführen, deren Schema man entweder von den Trägervermögen oder vom verschiedenen Bezug auf das Gut der Vernunft herleiten kann. Folgt man der Argumentation hinsichtlich der Trägervermögen, so ergibt sich die Tugend der Klugheit aus der Vernunft selbst, die Gerechtigkeit aus dem Willen, die Maßhaltung aus dem begehrenden und die Tapferkeit aus dem überwindenden Strebevermögen. Die Kardinaltugenden versteht Thomas als Überbegriff über eine jeweils bestimmte Gruppe von Einzeltugenden und als Einzeltugenden neben anderen.205 Als nächstes wendet Thomas sich der Frage nach der Entstehung der Tugenden zu. Von seiner menschlichen Natur her findet der Mensch in sich die ersten Prinzipien der theoretischen und der praktischen Vernunft vor, die Thomas als Anfangsgründe oder Samen der sittlichen und intellektuellen Tugenden bezeichnet. Auch ist der Wille qua menschlicher Natur als ein Streben nach dem vernunftgemäß Guten bestimmt. Individuell haben Menschen darüber hinaus verschiedene körperliche Anlagen von Natur aus, durch die sie besser oder schlechter für bestimmte Tugenden disponiert sind. Entfaltung und Ausbildung der Tugenden dagegen bewirken die entsprechenden menschlichen Akte. Das gilt jedoch nur für die Tugenden, deren Gut sich an der menschlichen Vernunft bemisst. Anders verhält es sich mit den Tugenden, für die das göttliche Gesetz den Maßstab bildet: Diese gießt Gott selbst ein. Unmittelbar bestehen die eingegossenen Tugenden in Glaube, Hoffnung und Liebe als den drei theologischen Tugenden. Mit diesen in Verbindung werden aber auch sittliche und intellektuelle 204 In STh I–II 60,5 begründet Thomas ausführlich, warum die Tugenden bezüglich der Leidenschaften nach anderen Gesichtspunkten zu unterscheiden sind als die Leidenschaften selbst. 205 So besteht die Gerechtigkeit im engeren Sinne im Verhältnis zu Gleichgestellten und dem diesen Geschuldeten.

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Tugenden mit eingegossen, die sich zu den theologischen so verhalten, wie die erworbenen Tugenden zu den natürlichen Anfangsgründen der Tugend qua menschlicher Natur. Was unterscheidet die erworbenen Tugenden von den eingegossenen sittlichen und intellektuellen Tugenden? Zum einen erhalten die einen ihr Maß von der menschlichen Vernunft, die anderen vom göttlichen Gesetz, das sich inhaltlich von den Vorgaben der menschlichen Vernunft unterscheidet, indem es darüber hinaus geht.206 Zum anderen tritt neben den Unterschied des Maßes auch der der Ausrichtung. Die Tugendhaftigkeit der Tugend besteht darin, dass sie dem ihr gesetzten Maß entspricht, es also weder über- noch unterschreitet. Diesen Sachverhalt beschreibt die Lehre von der Tugendmitte. Tugend hält die Mitte;207 das will Thomas ausdrücklich nicht als Mitte von der Sache her verstanden wissen, sondern – wenn man von der Gerechtigkeit absieht – als Entsprechung zum von der Vernunft gesetzten Maß. Die Größe einer Tugend in Bezug auf ihren jeweiligen Träger variiert, weil Menschen verschieden gut disponiert sind, die Tugendmitte zu treffen. Diese verschiedene Disposition begründet Thomas mit unterschiedlich intensiver Gewöhnung, mit besserer oder schlechterer natürlicher individueller natürlicher Disposition oder auch Abstufungen in der Hellsicht des Verstandesurteils; auch verschieden große Gnadengeschenke macht Thomas dafür verantwortlich. Bisher analysierte Thomas die einzelnen Tugenden bzw. die Klassifikation der Tugenden. Wie aber hängen die verschiedenen Tugenden ontologisch zusammen? Die sittlichen Tugenden gehören in der Weise zusammen, dass die einzelnen sittlichen Tugenden nur ihre Vollform erreichen, wenn die anderen auch zur Entfaltung gelangt sind. Thomas begründet das im Anschluss an die Tradition auf zwei Wegen. Jede einzelne sittliche Tugend setzt die Klugheit voraus, während die Klugheit als die rechte Wahl der Mittel ihrerseits unbedingt das rechte Verhältnis zu Zielen durch die sittlichen Tugenden als Grundlage hat. Auf diese Weise kann es Klugheit, Maßhaltung, Gerechtigkeit und Tapferkeit in einem konkreten Menschen immer nur zusammen geben, wobei die Klugheit als das verbindende Prinzip der sittlichen Tugenden fungiert. Auf andere Weise lässt sich die Zusammen206 Als Beispiel erläutert Thomas, wie die eingegossene Maßhaltung über die erworbene hinausgeht, als jene die Enthaltung von Nahrung zur Züchtigung des Leibes beinhaltet, während diese Essensgenüsse nur insoweit einschränkt, als sie der Gesundheit schaden und das Denken behindern, vgl. STh I–II 63,4 c.a. 207 Vgl. STh I–II 64,1 c.a. Die berechtigte Anfrage, ob denn nicht die Hochgemutheit, die Großzügigkeit, oder auch analog das Gelübde von Armut und das von Jungfräulichkeit jeweils ein Äußerstes darstellen, beantwortet Thomas damit, dass die ersten beiden den jeweiligen Situationen angemessen und nicht unterschiedslos geübt, während Armut und Jungfräulichkeit nicht aus falschen Motiven heraus gelebt werden dürfen. Insofern stelle der tugendhafte Vollzug dieser Tugenden eine Mitte dar, die Extreme, z.B. eine ungute Motivation meide.

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gehörigkeit begründen, wenn jede der vier Kardinaltugenden als ein konstitutiver Aspekt von Tugendhaftigkeit überhaupt erscheint: Jeder tugendhafte Akte zeichnet sich aus durch kluge Wahl (=Klugheit) des Rechten (=Gerechtigkeit) mit Festigkeit (=Tapferkeit) und Maßhaltung. Wegen dieser Zusammengehörigkeit bilden sich alle Tugenden in einem Menschen auf gleich große Weise aus und wachsen gemeinsam. Was einem Menschen an Klugheit fehlt, ist identisch mit einem Mangel an Klugheit bei der Tapferkeit, weshalb der Tapferkeit selbst etwas mangelt.208 Doch räumt Thomas ein, dass die Neigung zu den verschiedenen Tugendakten bei demselben Menschen ungleich ausgeprägt sein kann – wenn auch die Tugenden ihrem Inhalt nach gleich groß entwickelt sich haben. Wirklich tugendhaft handelt also nur der Mensch, der alle sittlichen Tugenden entwickelt hat. Im uneingeschränkt guten Sinne richten die sittlichen Tugenden den Menschen auf gute Akte aus, wenn der Mensch dabei auf das letzte übernatürliche Ziel ausgerichtet ist, was durch die caritas geschieht. Also bedürfen die sittlichen Tugenden, um ganz Tugend sein zu können, der caritas. Thomas vergleicht an dieser Stelle209 die Zielausrichtung durch die caritas in ihrer Funktion für die praktische Vernunft mit dem ersten Prinzip der theoretischen Vernunft, also dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Die mit der caritas verbundenen sittlichen Tugenden gießt die Gnade mit der caritas ein. Weil für Thomas aber nur die mit der caritas verbundenen sittlichen Tugenden in einem uneingeschränkten Sinne gut sind, schließt er, „daß allein die eingegossenen Tugenden vollkommen und schlechthin Tugenden zu nennen sind“.210 Einzig aufgrund der Gnade handelt der Mensch also im letzten Sinne gut; der Mensch kann das gnadenhaft gut Handeln in keiner Weise durch eigenes Tun erwerben oder verdienen. Zusammenzufassen ist, dass Tugend im eigentlichen Sinne der gute Tätigkeitshabitus ist, der nicht nur die Fähigkeit des guten Handelns, sondern auch den konkreten Vollzug guten Handelns bewirkt. Alle einzelnen Tugenden sind untereinander verknüpft, entweder in der Tugend der Klugheit, oder in Klugheit und Liebe. Als Tugend im höchsten und vollen Sinne sind nur die eingegossenen Tugenden zu bezeichnen.

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Thomas stellt hier wieder zwei Begründungen nebeneinander; nur die eine sei hier genannt. So STh I–II 65,2 c.a. 210 STh I–II 65,2 c.a.: „Quod solae virtutes infusae sunt perfectae, et solae dicendae virtutes“. 209

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2.7 Die Sünde211 und das Gesetz Die Sünde und das Gesetz Die Radikalität der Sünde nicht erfasst zu haben,212 lautet eine der Hauptvorwürfe evangelischer Theologie gegen die Scholastik und gegen Thomas von Aquin. Dementsprechend – so die weiteren Bedenken – werde dem verbleibenden soteriologischen Eigenvermögen des Sünders etwas, und daher zuviel zugetraut, eben heillos zuviel zugetraut. Daher soll die thomasische Hamartiologie auf dem Hintergrund dieser Anfragen213 nun im Einzelnen vorgestellt werden. Die Lehre von der Sünde als einem inneren Prinzip des menschlichen Handelns thematisiert Thomas in den Quaestionen 71–87. Seinen Traktat baut er auf, indem er zunächst vom Wesen der Sünden und Laster handelt, dann von ihrer Unterscheidung und ihrem Verhältnis zueinander, worauf das Subjekt der Sünde und der Grund der Sünde in den Blick kommen, während die Wirkung der Sünde am Schluss behandelt wird. Bei der Bestimmung dessen, was Sünde ausmacht, schließt Thomas sich am Augustins Definition an, die da lautet: „Peccatum est dictum vel factum vel concupitum contra legem aeternam“.214 Einen sündigen Akt kennzeichnen in thomasischer Auslegung die Willentlichkeit und der Verstoß gegen das göttliche Gesetz, was einhergeht mit innerer Unordnung und Verlust des rechten Maßes. Der Wille fungiert daher immer als Subjekt eines sündigen Aktes in Verbindung mit den Vermögen, die vom Willen beherrscht am jeweiligen Akt beteiligt sind. Die ratio kann Subjekt eines sündigen Aktes sein, insofern sie einen ihr spezifischen Akt auf Befehl des Willens ausführt oder unterlässt, also unwissend bleibt oder dort irrt, wo die ratio wissen sollte und wissen könnte. Versteht man die ratio insgesamt als den vernünftigen Seelenteil, der versteht und befiehlt, dann ist die ratio insgesamt auch Subjekt von sündigen Akten, insofern sie solche befiehlt oder gute Akte nicht ausführen lässt. Das Wesen der Sünde besteht im Widerstand gegen Gott, so dass sich für Thomas die Schwere einer jeden Sünde am objektiven und subjektiven Grad des Widerstandes gegen Gott be-

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Dazu siehe v.a. Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 468–537. Gemessen an Positionen wie Kierkegaards, bei dem die Abgründigkeit der Sünde konsequent auch noch ihre wissenschaftliche, theologische Behandelbarkeit selbst betrifft, kann die thomasische Hamartiologie nur als defizitär erscheinen. Eine solche Hamartiologie wie bei Kierkegaard setzt aber eine hochkomplexe Subjektivitätstheorie voraus, wie sie sich erst in der Neuzeit, und vor allem im deutschen Idealismus entwickelt hat. Dazu grundlegend Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, zu Kierkegaard v.a. 141–173. 213 Auf diesen ökumenischen Problemhorizont bezieht Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 468–537, durchgängig seine Interpretation der thomasischen Hamartiologie. 214 Augustinus, In littera Magistri, Sent., Lib. II, dist. XXXV, cap 1, QR I, 491; Augustinus, Contra Faust., Lib XXII, cap 27, PL 42,418. 212

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misst.215 Der Widerstand und die Abkehr gegen Gott implizieren die Hinwendung zum eigenen Selbst als Selbstsucht oder ungeordnete Selbstliebe, die das eigene Gut mehr als das Gemeinwohl sucht. Die ungeordnete Selbstliebe vollzieht sich stets als Hinwendung zu bestimmten Einzelgütern, die das Subjekt für sich haben will. Die ungeordnete Selbstliebe ist daher die Ursache jeder Sünde.216 Weil sich der menschliche Geist Gott nicht unterordnet und nicht mehr sich auf ihn als letztes Ziel ausrichtet, geraten alle innerseelischen Kräfte und Verhältnisse in Unordnung. Die Unordnung des Aktes der Sünde hat ihre Ursache in einem Mangel an Ausrichtung im Willen. Der sündige Akt hat seine unmittelbare Ursache in Wille und Verstand, mittelbar aber in der sinnlichen Wahrnehmung und in dem durch diese ausgelösten sinnlichen Streben. Etwas Äußeres kann auch sich selbst heraus nicht vollwirksame Ursache des Sündigens sein, das kommt wie oben gesagt allein dem Willen zu, aber etwas Äußeres kann zum Sündigen hinführen: wie etwa Überredung durch einen anderen Menschen oder etwas Sinnliches, welches das sinnliche Streben in Bewegung setzen kann. Der eine sündige Akt ist dann beim selben Menschen in verschiedener Hinsicht Ursache217 für den nächsten; indem ein sündiger Akt (als Todsünde) die Gnade und damit ein Hindernis für die Sünde aufhebt, zweitens indem ein sündiger Akt eine entsprechende Disposition für ähnliche Akte erzeugt, drittens als causa materialis, viertens als causa finalis, indem um einer Sünde willen andere als auf jene als Ziel hingeordnet begangen werden.218 Gott selbst ist in keiner Weise Ursache der Sünde. Wohl aber ist Gott Ursache jedes Aktes, auch des sündigen Aktes, sowohl hinsichtlich dessen, dass dieser Akt ein Seiendes ist als auch hinsichtlich seines Seins als Akt. Der sündige Akt hat aber einen Defekt, der allein vom liberum arbitrium herrührt, der von der Ordnung des ersten Bewegers abweicht. So sehr also Gott Ursache auch des sündigen Aktes als Akt ist, sowenig ist er Ursache der Sünde. Als nächstes wendet sich Thomas der Erbsünde zu als Ursache der Sünden des Menschen. Den Zusammenhang erklärt Thomas so, dass alle von Adam abstammenden Menschen wie ein einziger Mensch betrachtet werden können, insofern sie in der Natur übereinstimmen, die sie von Adam empfangen haben. Die 215

Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 476, Anm. 40, differenziert präzise: „Die verschiedene Schwere der Sünde kommt zustande durch die Zuwendung zu in verschiedenem Ausmaß gottwidrigen Gütern, aber sie besteht in einer verschiedenen Intensität der Abkehr von Gott“, Hervorhebungen im Original. 216 STh I–II 77,4 c.a. 217 Hier denkt Thomas vor allem an Gier (cupiditas) und Hochmut (superbia), vgl. STh I–II 84,1; 2. 218 Aus der causa finalis entwickelt Thomas das Schema der sieben Hauptsünden: superbia, gula, luxuria, avaritia, acedia, invidia, ira, vgl. STh I–II 84,4.

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vielen Menschen seien daher wie viele Glieder eines einzigen Körpers. Was das einzelne Glied tut, entstammt nicht dem eigenen Willen dieses Körperteils, sondern der Seele des ganzen und einen Körpers. So würde ein Mord nicht der Hand als Hand, sondern der Hand als Teil des Körpers, dessen Seele die Handlung befiehlt, angerechnet. So auch bewegen die Stammeltern bzw. ihre erste Sünde durch Geburt bzw. Abstammung alle anderen Menschen, ebenso wie die Seele alle anderen Körperglieder bewegt. Dadurch geht auch die Schuld der ersten Sünde auf alle späteren Menschen über – Christus bildet die Ausnahme219 –, so wie auch die Hand mitschuldig ist am Mord, der durch sie begangen wird. Die erste Sünde Adams als Tatsünde wird so zur Erbsünde der ganzen Menschheit. Die Erbsünde bezeichnet Thomas nicht als Habitus im eigentlichen Sinne, sondern als ungeordnete Disposition, die aus der Auflösung der Harmonie der menschlichen Kräfte im Status der ursprünglichen Gerechtigkeit entsteht. Diese Unordnung verwirklicht sich in einer ungeordneten Wendung zu den veränderlichen, also geschaffenen Gütern (aus ungeordneter Selbstliebe heraus), worin genau das Wesen der Konkupiszenz besteht. Inhaltlich ist die Erbsünde für Thomas als Konkupiszenz bestimmt, formal im Fehlen der Ursprungsgerechtigkeit.220 Als anthropologischen Ort der Erbsünde sieht Thomas die menschliche Seele in ihrer Wesenheit und von ihr ausgehend im Willen und in einem abgeleiteten Sinne im männlichen Samen als dem Instrument ihrer Übertragung. Den Schluss des Sündentraktes bildet die Darstellung der drei Wirkungen der Sünde: die Korruption der menschlichen Natur, der Makel der Seele und die Schuldverhaftung. Diese drei Wirkungen, auf die sich dann die Gnade in je verschiedener Weise bezieht, seien nun einzeln erläutert. Die Sünde hebt die Ursprungsgerechtigkeit des Menschen auf, worin die Korruption der menschlichen Natur besteht. Sie mindert die Neigung des Menschen zur Tugend. Sie lässt jedoch die Prinzipien der Natur, das, woraus die menschliche Natur sich zusammensetzt, unangetastet. Die Neigung 219 Die Übertragung der Erbsünde durch Abstammung und Geburt gilt nur für die Menschen, die durch die aktive Kraft bei der Zeugung von Adam abstammen, also sich männlicher Zeugungskraft verdanken. Die Erbsünde wird also allein durch den Vater, nicht aber durch die Mutter übertragen! Wenn also nur Eva, nicht aber Adam gesündigt hätte, würde die Menschheit nicht unter der Erbsünde leiden. 220 Pannenberg, Systematische Theologie, II, 227, sieht trotz gewisser Kritik diese thomasische Position nicht grundlegend von der reformatorischen unterschieden, insofern „die von Thomas gegebene Begründung, daß der Begriff der Sünde von ihrer Ursache, dem Bruch im Gottesverhältnis, her zu bestimmen sei, während die Konkupiszenz Folge dieses Bruches sei, entspricht im übrigen der Aussage des lutherischen Bekenntnisses in CA 2.“ Pannenbergs Kritik an der thomasischen Hamartiologie besteht zum einen darin, von Konkupiszenz als Material der Sünde zu sprechen, was zweitens damit zu tun hat, dass Thomas die Konkupiszenz nicht durchgängig von der superbia bzw. vom amor sui her versteht, vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, II; 277, 280.

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zur Tugend kann deswegen nicht ganz aufgehoben werden, weil sie Folge der Ausstattung des Menschen mit Vernunft ist. Tugendhaft handeln heißt nämlich, der Vernunft zu folgen. Wie der Mensch nicht aufhört, vernünftig zu sein, so kann auch seine damit verbundene Neigung, in seinem Handeln der Vernunft zu folgen, nicht ganz verloren gehen. Tugend kann ihren Sitz in vier verschiedenen Seelenvermögen haben: im Verstand, im Willen, in den irasziblen und in den concupisziblen Leidenschaften. Die Minderung an Neigung zur Tugend wirkt sich daher auch in allen vier anthropologischen Orten aus, und zwar als Unwissenheit (Verstand), als Bosheit (Wille), als Schwäche und als Konkupiszenz. Der Mensch kann also Gott nicht mehr über alles lieben. Eine weitere Folge der Sünde hat der Mensch zu ertragen: den Tod, als Folge der allgemeinen Unordnung der menschlichen Kräfte aufgrund der Sünde. Sündenmakel nennt Thomas eine andere Wirkung der Sünde. Die Seele verliert ihren Glanz, der ihr aus dem göttlichen Licht als Gnade und Weisheit sowie aus dem Licht der natürlichen Vernunft zukommt. Dieser Sündenmakel verbleibt der Seele auch nach dem Sündenakt selbst; er wird nur aufgehoben durch die Gnade. Die Schuldverhaftung thematisiert Thomas als dritte Wirkung der Sünde. Wer immer gegen eine Ordnung verstößt, so argumentiert Thomas, wird von dieser niedergedrückt, was identisch mit Strafe ist. Beim Sündigen verstößt der Mensch in dreifacher Hinsicht gegen Ordnung: gegen seine eigene, das ist die Vernunft, gegen das menschliche Gesetz und gegen das göttliche Gesetz. Entsprechende Strafen werden ihm zuteil: von sich selbst als Gewissensqual, von den anderen Menschen und von Gott. Solange die Ursache bestehen bleibt, also die Sünde, solange auch die Strafe. Die Strafverhaftung verbleibt im Menschen aber auch nachdem er von dem entsprechenden sündigen Akt abgelassen hat, bis durch die Rekompensation der Strafe die göttliche Gerechtigkeitsordnung wiederhergestellt ist. Zur Strafe für die Sünde entzieht Gott seine Gnade. In den Fällen, in denen der Verstoß das Prinzip einer Ordnung betrifft, ist der Schaden irreparabel. Übertragen auf das Gott-Mensch-Verhältnis verkehrt eine Sünde dann das Prinzip der Ordnung, wenn durch sie der menschliche Wille sich nicht mehr Gott unterwirft, wenn also die caritas aufgehoben wird. Dies zieht eine ewige Strafe auf sich – es sei denn Gott heilt den Schaden mit seiner göttlichen Kraft. Verletzungen des Prinzips der Ordnung des Gott-Mensch-Verhältnisses, die in der menschlichen Ausrichtung auf Gott als sein letztes Ziel sich vollzieht, nennt Thomas Todsünden, die er von den lässlichen Sünden abgrenzt, welche nur sich gegen die richtigen Mittel zum Ziel richten und daher die richtige Zielorientierung nicht antasten. Die lässlichen Sünden seien daher von innen heraus zu „reparieren“, nämlich vom intakten Prinzip der Ordnung her, also durch die caritas

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des Menschen. Die so getroffene Unterscheidung zwischen Todsünden und lässlichen Sünden lässt offen, wie die Abkehr von Gott dann noch gemeinsames Wesen aller Sünden sein kann bzw. wie und ob die lässlichen Sünden wirklich Sünde im Vollsinne sind. Damit einher geht die handlungstheoretische Inkonsistenz eines Aktes, der sich nicht von einem Letztziel abwendet, aber auch nicht darauf bezogen ist – denn nach Thomas vollzieht der Mensch jeden willentlichen Akt um eines Letztzieles willen. Wie die Sünde der caritas entgegengesetzt ist, so erhält sie auch daher erst die tiefste Einsicht in ihre Sündhaftigkeit: „Letzter Maßstab für die Abgründigkeit der Sünde ist daher die caritas als das gnadengeschenkte Freundschaftsverhältnis zwischen Gott und Mensch.“221 Das Gesetz behandelt Thomas als äußeres Prinzip des Handelns in STh I–II 90–108.222 Durch das Gesetz und in anderer Weise durch die Gnade bewegt Gott des Menschen Handeln zum Guten. Welche soteriologische Funktionen das Gesetz hat, sollen die Untersuchungsgesichtspunkte für die Darstellung des Gesetzestraktates bilden. Zuerst bestimmt Thomas das Wesen des Gesetzes in einem allgemeinen Sinne als Regel des menschlichen Handelns. Weil aber die ratio das erste Prinzip des menschlichen Handelns ist, indem sie das Handeln auf ein Ziel hinordnet, und das (erste) Prinzip von etwas jeweils als dessen Regel und Maß fungiert, gehört das Gesetz zur Vernunft. Was aber bildet das Prinzip der Vernunft und daher dann des Gesetzes? Erstes Prinzip der Vernunft hinsichtlich des Tätigseins ist das letzte Ziel, das in der Glückseligkeit besteht, weshalb also das Gesetz am meisten die Hinordnung auf die Glückseligkeit betrifft. Weil aber wie jeder Teil auf das Ganze hingeordnet ist, so auch der Einzelne auf die menschliche Gemeinschaft, ordnet das Gesetz auf die gemeinsame Glückseligkeit hin. Für jedes einzelne Gebot gilt dann: es hat nur Gesetzescharakter in eigentlichen Sinne, wenn das Gebot auf ein Gemeingut hinordnet. Aus dieser Hinordnung auf das Gemeinwohl erwächst auch die Anforderung an jedes Gesetz, dass es von der Gemeinschaft oder von der dafür zuständigen Amtsperson zu erlassen und dann öffentlich bekannt zu machen ist. Diese einzelne Elemente fügt Thomas folgendermaßen zu einer Definition zusammen: „Das Gesetz ist nichts anderes als eine Anordnung der Vernunft im Hinblick auf das Gemeingut, erlassen und öffentlich bekannt gegeben von dem, der die Sorge für die Gemeinschaft innehat.“223 Im Fol221

Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 482. Dazu im Einzelnen Kühn, Via caritatis, 121–223 223 STh I–II 90,4 c.a.: „Et sic ex quatuor praedictis potest colligi definitio legis, quae nihil est aliud quam quaedam rationis ordinatio ad bonum commune, ab eo qui curam communitatis habet, promulgata.“ Die hierachisch zugespitze Fassung in STh I–II 92,1 c.a. lautet: „Das Gesetz ist [...] nichts anderes als eine Weisung der Vernunft im Vorgesetzten, mittels deren die Untergebenen geleitet werden“/„lex nihil aliud est quam dictamen rationis in praesidente, quo subditi gubernan222

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genden präsentiert Thomas die verschiedenen Arten von Gesetz; das ewige, das natürliche, das menschliche und das göttliche. Das ewige Gesetz stellt den Plan der Vorsehung Gottes dar, mit dem er die ganze Welt regiert. Das Ziel, auf das die göttliche Vernunft alles in der Welt hinordnet, ist er selbst. Daher untersteht er selbst nicht dem ewigen Gesetz, sondern ist es. Zum ewigen Gesetz ist nun weiter zu sagen: Es ist identisch mit dem „Plan der göttlichen Weisheit, insofern sie alle Handlungen und Bewegungen lenkt“.224 Das gilt für alles Geschöpfliche; für die vernunftbegabten Geschöpfe ist das ewige Gesetz bestimmten Grundprinzipien nach auch als solches bekannt und ihnen auch auf diese Art eingeprägt. Das Naturgesetz nun besteht in der Teilhabe der vernunftbegabten Geschöpfe am ewigen Gesetz. In einem allgemeinen Sinne nimmt alles Geschaffene am ewigen Gesetze teil, insofern es ihnen eingeprägt ist, woraus alles seine Neigung zu seinen je eigenen Akten und Zielen empfängt; so neigt der Mensch naturhaft zu den Akten, die mit dem ewigen Gesetz übereinstimmen. Der Mensch hat darüber hinaus eine besondere Neigung zu seinen Akten und Zielen, weil er der Vorsehung untersteht, indem er selbst einen freien Willen hat. Auch als Erkennender hat der Mensch nämlich am ewigen Gesetz Anteil, denn jede Erkenntnis stellt eine gewisse „Einstrahlung und Teilhabe des ewigen Gesetzes, das die wandellose Wahrheit ist“225 dar. Das Naturgesetz bezeichnet aber im engeren Sinne die selbstevidenten Grundsätze der praktischen Vernunft, deren Fundamentalsatz lautet: „Das Gute ist zu tun und zu erstreben, das Böse ist zu meiden.“226 Es gehört zur natürlichen Neigung des Menschen, seiner Vernunftnatur entsprechend zu handeln, worin das tugendhafte Handeln sich manifestiert. Auf diese Weise, als Vollzug des Vernunftgehorsams fallen alle tugendhaften Handlungen unter das Naturgesetz, auch wenn zu einzelnen tugendhaften Handlungen per se keine natürliche Neigung hin orientiert, sondern diese Handlungen allein dem Befehl der Vernunft entspringen. So kann zwar vom Naturgesetz seinen ersten Prinzipien nach nichts weggenommen, wohl aber etwas hinzugefügt werden, wozu der Mensch seiner natürlichen Neigung nach nicht drängt, was aber die Vernunft und das göttliche Gesetz (wie es sich im Alten und Neuen Testament offenbart) als dem menschlichen Leben dienlich und förderlich sehen. Beispielsweise findet sich der Mensch von seiner Natur her nackt vor und erst die Vernunft schreibt ihm tur“. Dies mag als ein Beispiel dafür dienen, wie Thomas seine eigenen Grunddefinitionen entsprechend der jeweiligen Problemstellung abwandeln und flexibel anpassen kann. 224 STh I–II 93,1 c.a.: „lex aeterna nihil aliud est quam ratio divinae sapientiae, secundum quod est directiva omnium actuum et motionum“. 225 STh I–II 93,2 c.a.: „Omnis enim cognitio veritatis est quaedam irradiatio et participatio legis aeternae, quae est veritas incommutabilis“. 226 STh I–II 94,2 c.a.: “quod bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum”.

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als lebensdienlich vor, sich zu bekleiden. Der anthropologische Ort des natürlichen Gesetzes ist die synderesis als ein natürlicher, unzerstörbarer Vernunfthabitus.227 Nichts nämlich kann das Naturgesetz seinen ersten Prinzipien nach im Menschen auslöschen oder zerstören, jedoch vermag eine Leidenschaft die Anwendung eines Prinzips auf die konkrete Handlungssituation zu desavouieren. Dagegen erweisen sich die Folgerungen aus den ersten Prinzipien als zerstörbar durch schlechte Habitus; auf diese Weisen tangiert die Sünde nachhaltig auch das Naturgesetz im Menschen. Aufgrund der Sünde ist beim Menschen sowohl die natürliche Neigung zur Tugend verdorben, als auch die Erkenntnis des Guten getrübt durch die sündhaften Leidenschaften, also durch die innere Unordnung, welche die Sünde im Menschen impliziert. Die Sünder entsprechen also in ihrem Tun dem ewigen Gesetz nur fragmentarisch; aber sie erleiden das, was das ewige Gesetz über sie bestimmt; und so entspricht auch der Sünder gegen seinen Willen dem ewigen Gesetz.228 Das sog. menschliche Gesetz, im heutigen Sprachgebrauch das positive Gesetz, erstellt die menschliche Vernunft, indem sie von dem natürlichen Gesetz wie von allgemeinen Grundsätzen ausgehend Regelungen für bestimmte Einzelheiten der menschlichen Angelegenheiten herleitet – unter Wahrung der oben als Kriterien für Gesetz genannten Punkte. Darüber hinaus bedürfen die Menschen aber des göttlichen Gesetzes aus vier Gründen: (a) Der Mensch ist nicht nur bestimmt für ein natürliches letztes Ziel, sondern das ihm gesetzte letzte Ziel ist übernatürlich und übersteigt die Fähigkeiten seiner Vernunft und seines Willens, so dass seine Vernunft ihn nicht gemäß des natürlichen und menschlichen Gesetzes darauf hin orientieren kann. Der Mensch muss daher durch ein von Gott gegebenes Gesetz auf das übernatürliche Ziel bezogen werden. Daher partizipiert der Mensch am ewigen Gesetz sowohl durch das natürliche, als auch durch das göttliche Gesetz – letztere Partizipation geschieht jedoch auf höhere Weise.229 (b) Menschen können sich irren. Damit aber alle Menschen zweifelsfrei wissen, was zu tun ist, muss Gott ein Gesetz geben, denn Gottes Gesetz kann nicht irren. (c) Die menschlichen Gesetze erfassen nur die äußeren Verhaltensweisen des Menschen. Zur Tugend des Menschen gehören aber auch seine inneren Akte. Diese kann nur ein göttliches Gesetz ordnen. 227 Städtler, Freiheit der Reflexion, 156–159 kritisiert den Habitus-Status der synderesis, weil der Habitus-Begriff keine Größe bezeichnen kann, die sowohl natürlich als auch ausschaltbar ist. Grundsätzlich hält er die thomasische Verhältnisbestimmung von theoretischer und praktischer Vernunft, nämlich als unterschiedliche Äußerungen derselben Vernunft, für verfehlt. 228 Vgl. STh I–II 93,6 ad 1. 229 Dazu STh I–II 91,4 ad 1.

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(d) Das menschliche Gesetz kann und soll nicht alle schlechten Handlungen strafen. Damit aber doch keine böse Tat ungeahndet bleibt, muss ein göttliches Gesetz diese Funktion ausfüllen. Dieses göttliche Gesetz differenziert sich in Altes und Neues Gesetz, die sich wie Unvollkommenes und Vollkommenes, oder wie Knabe und Mann zueinander verhalten. Die Unterschiede expliziert Thomas in dreifacher Hinsicht: anhand des jeweilig angezielten Gemeingutes, anhand der anthropologischen Reichweite und durch die Weise, wie das göttliche Gesetz zu seiner Befolgung bewegt. Das Alte Gesetz tat das durch Furcht vor Strafe, während das Neue Gesetz durch die von der eingegossenen Gnade entspringende Liebe bewegt. So bezieht sich das Neue Gesetz im Unterschied zum Alten Gesetz auch auf die inneren Akte des Menschen; es umfasst so die Regelung aller menschlichen Akte. Das ist dem Neuen Gesetz eigen, weil es auf das geistige und himmlische Gut ausrichtet, das sinnliche und irdische Gut dagegen das Ziel des Alten Gesetzes bildete – gemeinsam ordnen aber beide Gesetze den Menschen darauf aus, sich Gott zu unterwerfen. Die theologisch entscheidende Frage lautet im Anschluss daran, ob das Gesetz den Menschen wirklich gut macht. Thomas bejaht diese Frage zunächst ohne Einschränkung. Er argumentiert an dieser Stelle allein mit der Tugend. Gesetz sei eine Weisung der Vernunft im Vorgesetzten, mittels deren die Untergebenen geleitet werden. Tugend der Untergebenen sei, den Vorgesetzten sich willig zu fügen. Das Gesetz ist dafür da, dass ihm die Untergebenen sich willig fügen. Also führe das Gesetz die Menschen zu der ihnen eigenen Tugend. Tugend bedeutet, (in bestimmter Hinsicht) gut zu sein. Also ist es die dem Gesetz eigentliche Wirkung, die Menschen, für die es erlassen wurde, gut zu machen.230 Eine logische Inkohärenz ist hier nicht zu übersehen, denn das Befolgen der Gesetze setzt nach Thomas Tugend schon voraus, so kann Tugend nicht Folge der Gesetzesbefolgung sein. Thomas müsste also entweder Tugend differenzieren oder deutlich machen, dass Gesetzesbefolgung der Vollzug von Tugend ist. Thomas formuliert sich nun selbst exakt diesen Einwand; aber seine Widerlegung widerlegt nicht. Die Motive, das Gesetz zu befolgen, entstammen nicht immer der Tugendhaftigkeit eines Menschen, sondern können auch Furcht vor Strafe231 etc. heißen, so dass dann nicht mehr Voraussetzung der Gesetzesbefolgung

230 Diese Argumentation vertritt Thomas in STh I–II 92,1 c.a.; die Argumentation wurde hier in enger Anlehnung an den thomasischen Wortlaut formuliert. 231 Vgl. STh I–II 92,2 ad 4: „Dadurch daß jemand sich aus Furcht vor der Strafe daran zu gewöhnen beginnt, das Böse zu meiden und das Gute zu tun, wird er mitunter dazu gebracht, das eine wie das andere mit Freude und aus eigenem Willensentschluß zu tun. Und in diesem Sinne führt das Gesetz auch durch Bestrafen dahin, daß die Menschen gut werden.“

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wäre, was erst ihre Wirkung sein soll. Eine Lösung ergibt sich nur aus der thomasischen Tugendbestimmung. Erworbene Tugenden entstehen durch entsprechende Handlungen; und entsprechende Handlungen vermehren und fördern die Tugend. Eine grundsätzlich Ausrichtung auf das Gute (bzw. Vernunftgemäße) durch Tugend vorausgesetzt, bewegt das Gesetz den Menschen zu Handlungen, welche die Tugend vermehren und fördern.232 Die theologisch entscheidende Konkretion der Gesetzeslehre stellen die Ausführungen zum Neuen Gesetz dar, welches nun wirklich und im tiefsten Sinne den Menschen gerecht macht durch die Kraft der Leiden Christi. Das Neue Gesetz ist seinem Wesen nach die Gnade des Hl. Geistes, wodurch dem Menschen das zu Tuende gezeigt und ihm dazu geholfen wird. Weil aber zum Neuen Gesetz davon abgeleitet einiges gehört, was auf die Gnade vorbereitet und was ihre Auswirkungen betrifft, wovon auch die Glaubenden wissen müssen, ist das Neue Gesetz auch ein geschriebenes Gesetz zur Unterweisung der Glaubenden. Den Verstand bereitet das geschriebene Gesetz vor, indem es ihn auf die Offenbarung der menschlichen und göttlichen Natur Christi hinweist. Auch das Herz bedarf der Vorbereitung, indem die Schrift es zur Verachtung der Welt anleitet. Insofern das Neue Gesetz mit der Gnade des Hl. Geistes identisch ist, rechtfertigt es. Als geschriebenes Gesetz – identisch mit dem Neuen Testament – mit bestimmten Geboten tut es das in keiner Weise. Aufgrund dessen ist Kühn in seiner Hauptthese Recht zu geben: Von diesem Durchbruch her wird im Innersten eine letzte Gesetzlichkeit im Verhältnis Gottes zum Menschen überwunden: nicht, daß etwa die Moralgebote für den Christen irrelevant wären [...], aber das Wesentliche besteht jetzt nicht mehr in der durch die Gnade ermöglichten Erfüllung der von Christus äußerlich gegebenen Gebote, sonder das Wesentliche besteht in der inneren freien Bewegung zu Gott hin, die vor allen Geboten und im Grunde letztlich unabhängig von allen Geboten als Geschenkt Gottes, als Heiliger Geist den Menschen treibt.233

Das Neue Gesetz schreibt auch äußere Werke vor, solche, die zur Gnade hinführen – Thomas denkt hier v.a. an die Sakramente der Taufe und Eucharistie – und solche, die durch den Antrieb (instinctus) der Gnade hervorgebracht werden. Das Neue Gesetz gebietet und verbietet nur solche äußeren Werke, die heilsnotwendig sind. Über alles andere entscheidet der Glaubende frei. Als Freiem sind dem Glaubenden Räte gegeben. Sie sind dem, der sie empfängt, zur Wahl gegeben. So wie ein Freund wertvollen 232 Dazu auch STh I–II 66,1. Für das Neue Gesetz, insofern es mit der eingegossenen Gnade identisch ist, gilt problemlos: „Jene dagegen, welche die Tugend besitzen, werden zur Ausübung der Tugendwerke durch die Liebe zur Tugend angeregt, nicht aber durch irgendeine Strafe oder äußere Belohnung.“ STh I–II 107,1 ad 2. 233 Kühn, Via caritatis, 194.

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Rat gibt seinem Freund, so erweist sich Christus als der Freund. Der Rat beinhaltet das, was leichter und besser zur Glückseligkeit führt, was also nicht heilsnotwendig ist. Leichter aber erreicht der Mensch das letzte Ziel, wenn er sich völlig von den irdischen Gütern löst. Ohne Schaden für seine Zielausrichtung kann und darf der Mensch die irdischen Güter bestehend in Reichtum, Lust und Ehre gebrauchen, indem er seine Beziehung zu ihnen hinordnet auf das letzte übernatürliche Ziel. Leichter aber sei es, auf diese Güter ganz zu verzichten statt Reichtum also Armut, statt Lust Keuschheit und statt Ehre Gehorsam zu leben und zwar als dauerhafte Lebensform. Diese Lebensform nach den sog. Evangelischen Räten verkörpert das Ordensleben als eigener Stand.234 Als Fazit des Überblicks über Thomas Gesetzeslehre ist zu ziehen: Das Neue Gesetz ist die eingegossene Gnade selbst. Es ist ein Gesetz der Freiheit, weil es erstens nur das Heilsnotwendige vorschreibt und alles andere der menschlichen Freiheit zu entscheiden überlässt, und weil der Mensch aus der inneren Bewegung der Gnade heraus das der Gnade Entsprechende tut und nicht von außen motiviert. Der Mensch erfährt die Bewegung durch die Gnade als seine eigene innerste Bewegung und ist darin frei.

2.8 Die Gnade235 Die Gnade Gnade zählt Thomas zu den äußeren Prinzipien des menschlichen Handelns. Seinen Gnadentraktat baut Thomas so auf, dass er einführend die Notwendigkeit der Gnade, dann ihr Wesen sowie die Einteilungen der Gnade behandelt sowie ihre Ursache, um dann die Rechtfertigung des Sünders und das Verdienst als die beiden Wirkungen der Gnade darzustellen. Dass Thomas die Gnadenlehre ontologisiert, wird von evangelischer Seite meist als folgenschwerer theologischer Grundfehler bewertet, - insofern dadurch die Personalität und Worthaftigkeit des Rechtfertigungsgeschehens aus dem Blick geraten würde - neuerdings aber auch positiv gewürdigt.236 Worin die spezifische Leistungsfähigkeit der thomasischen Gnadenlehre liegt, und wie in ihr die theologischen Tugenden bestimmt werden, sei nachfolgend erörtert.

234 Der thomasischen Argumentation folgend müsste man also schließen, dass die Ordensleute den leichteren Weg und die Nicht-Ordensleute den schwereren gewählt haben. 235 Dazu v.a. Wippel, Natur und Gnade; Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 596–792; Bouillard, Conversion. 236 Vgl. z.B. Hauschild, Gnade IV, 489: „Mit diesem ontologischen Ansatz kann Thomas den alten christlichen Grundsatz, daß die menschliche Bestimmung sich erst in der Gemeinschaft mit Gott erfüllt, als differenzierte Gnadenlehre plausibel entfalten.“

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2.8.1 Die Notwendigkeit der Gnade Mit der Frage nach der Notwendigkeit der Gnade eröffnet Thomas seinen Gnadentraktat. Im Folgenden evaluiert er im Einzelnen, was der Mensch ohne Gnade könnte und was er nicht kann, sowohl seiner Natur nach ohne Sünde vorgestellt als auch als der konkrete sündige Mensch. Darin stellt Thomas seine Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade, und Sünde und Gnade vor. Die Gnade kommt dabei zunächst und grundsätzlich in den Blick als die besondere Hilfe Gottes, die den Menschen auf sein übernatürliches letztes Ziel ausrichtet und ihn zu einem entsprechenden Handeln befähigt; weil der konkrete Mensch in seiner Geschichte aber Sünder ist, heilt die Gnade auch sein Sündersein, um ihn zu seinem übernatürlichen Ziel zu bewegen. Gnade versteht Thomas so grundsätzlich von der Bewegung der Kreatur zu Gott entsprechend dem Aufbau seiner Summa; insofern diese Bewegung aber eine geschichtliche ist, in der der Mensch sich als Sünder vorfindet, gilt die Hilfe Gottes diesem Menschen als Sünder und vollzieht sich auch als Rechtfertigung des Sünders. Dieses theologische Gefälle237 kennzeichnet die Argumentation in allen Artikeln zu Notwendigkeit der Gnade. Wie alles Geschaffene braucht der Mensch für jeden seiner Akte die Hilfe Gottes, die ihn zu diesem Akt bewegt. Das gilt auch für das Erkennen des Menschen. Jedoch braucht der Mensch zum Erkennen aufgrund von sinnlicher Erfahrung keine zusätzliche eingegossene Form – über die ihm qua Natur verliehenen Form des sog. lumen naturale hinaus –, sondern nur für besondere Erkenntnisse. Ebenso braucht der Mensch für jeden Willensakt die Hilfe Gottes. Nach seiner Natur, ohne Sünde, könnte der Mensch dann das Gute, das seiner Natur entspricht, ohne eingegossene Gnade wollen und wirken: Der Mensch als Sünder aber kann das nicht mehr. Er bedarf der eingegossenen Gnade, dass sie ihn heilte und dann, dass er das übernatürliche Gut wollen und wirken kann, wozu auch der Mensch ohne Sünde die Gnade bedürfte. Im Stande der Sündlosigkeit hätte der Mensch Gott über alles lieben können, und sich selbst und alle anderen Dinge hingeordnet auf die Liebe zu Gott. Es entspricht nach Thomas der menschlichen Natur wie allen Geschöpfen, Gott über alles zu lieben. Als Sünder aber liebt der Mensch sein eigenes Einzelwohl mehr als das Gemeinwohl und Gemeingut, das Gott ist. Daher bedarf er der eingegossenen Gnade, die ihn davon heilt. Die Liebe des Menschen aufgrund der eingegossenen Gnade unterscheidet sich aber trotzdem von der Liebe des Menschen im Stande der Sündlosigkeit: Diese 237

Vorster, Freiheitsverständnis, 232, formuliert diesen Sachverhalt prägnant, dass die Gnade die Natur vollendet und dass die Gnade der Natur hilft, Natur zu sein.

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liebt Gott als Ursprung und Ziel, während die caritas ihn aber liebt als Gegenstand der Seligkeit und Seligmachenden und durch Freundschaft mit ihm verbunden. Durch den eingegossenen Tugendhabitus gewinnt das Lieben darüber hinaus auch Freude und Leichtigkeit. Qua Natur könnte der Mensch alles erfüllen, was das Gesetz Gottes inhaltlich von ihm verlangt; nicht aber in der Weise der Liebe, so wie in der caritas der Mensch liebt. Der Sünder dagegen braucht zu beidem die Gnade. Ohne eingegossene Gnade kann kein Mensch das ewige Leben verdienen, weil dieses als Ziel in keiner Entsprechung zu den natürlichen menschlichen Kräften und ihren Werken steht. Verdienstliche Werke, die also in einem entsprechenden Verhältnis zum ewigen Leben sich befinden, können nur aufgrund der eingegossenen Gnade vollbracht werden. Ebenso sehr braucht der Mensch die Gnade als inneres Bewegtwerden durch Gott, um sich auf die Gnade als Eingießung einer neuen qualitas vorzubereiten. Das gilt so grundlegend, dass Thomas hier238 nicht einmal mehr die Unterscheidung von Natur und Sünde erwähnt. Wie verhält sich nun präzise die Gnade zum Sündersein des Menschen? Das Sündersein des Menschen wirkt sich aus in drei Dimensionen, welche jede für sich der Heilung durch die Gnade Gottes bedarf. Durch die Sünde geraten erstens die Kräfte des Menschen in Unordnung, weil der menschliche Wille sich Gott nicht unterworfen und darin gesündigt hat. Nur Gott nun kann den menschlichen Willen wieder so auf sich ausrichten, dass dadurch die Ordnung der innerseelischen Kräfte sich wiederherstellt. Die Sünde bedeutet zweitens als Beleidigung Gottes eine Schuld und Strafverhaftung des Menschen. Dies nachzulassen obliegt alleine Gott als dem Beleidigten und dem Richter des Menschen, was durch die Gnade geschieht. Schließlich verliert der Mensch durch die Sünde den Schmuck der Gnade, der in der Erleuchtung durch das göttliche Licht besteht, und zieht sich den Makel der Sünde zu. Die Erneuerung der Gnadenschmuckes geschieht allein durch eine neue Erleuchtung mit göttlichem Licht, was mit der Eingießung der Gnade identisch ist. Gott heilt die Sünde ausschließlich durch sein Wirken, und zwar so, dass niemals nur ein etwaiger Naturzustand vor der Sünde wiederhergestellt,239 sondern immer so, dass die Gnade verliehen wird, die den Menschen über seine Natur und seine natürlichen Fähigkeiten hinaus so auf Gott ausrichtet, dass der Mensch aufgrund der Gnade das ewige Leben verdient. Was muss man aus dem Gesagten für das Verhältnis von Natur und Sünde folgern? Der Mensch hätte in seiner natürlichen Ausstattung die Sünde und das Sündigen vollständig meiden können, so sehr er wie alle Geschöpfe 238

Siehe STh I–II 109,6 c.a. Dass der Mensch selbst das nicht von Natur aus könnte, betont Thomas nochmals eigens in STh 109,7 ad 3. 239

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für alle seine Akte der Hilfe Gottes bedarf. Als Sünder dagegen kann der Mensch sich weder der lässlichen Sünden, noch für längere Zeit der Todsünde enthalten. Die durch die Sünde entstandene Ungeordnetheit der innerseelischen Kräfte verhindert, dass der Mensch sich erstens wirksam in allen Akten auf Gott ausrichtet, und zweitens seine Vernunft entsprechend gebraucht noch drittens auch bei plötzlichen Entscheidungssituationen seinen schlechten Habitus und Neigungen folgt statt seiner Vernunft. Dies jedoch ist dem begnadeten Sünder möglich, weil sein Herz240 so fest und umfassend auf Gott ausgerichtet ist, dass er auch unter schwierigen Umständen Entscheidungen gemäß seiner Vernunft trifft. Daher kann der begnadete Mensch Todsünden dauerhaft meiden; mit lässlichen Sünden ist jedoch irdisch ihm dies nicht möglich, weil die Ordnung im niederen Strebevermögen noch nicht wieder vollständig wiederhergestellt sind. Diese vollständig Heilung erfährt der Mensch erst im ewigen Leben, zu dem aber zu gelangen er der Beharrlichkeit bedarf, die als tatsächliches Bewahrtwerden in der Gnade von Gott mittels der beständigen Hilfe geschenkt oder auch nicht geschenkt wird. Als Vorsatz des Menschen, im Guten zu beharren und als Standhaftigkeit gegen Entmutigungen gießt Gott aber die Beharrlichkeit mit der Gnade zusammen ein. Thomas betont die dauerhafte und konstitutive Angewiesenheit des mit der Gnade als qualitas beschenkten Menschen auf die Bewegung durch Gott als Vater, Sohn und Geist. Dieses Verwiesensein der Gnade drückt sich auch in der Angewiesenheit der eingegossenen Tugenden auf die Gaben des Hl. Geistes aus, durch die Gott den Menschen dauerhaft bewegt. 2.8.2 Das Wesen der Gnade Was ist die Gnade ihrem Wesen nach?241 Thomas wählt als Ausgangspunkt seiner Bestimmung die verschiedenen (alltags-)sprachlichen Verwendungsweisen des terminus „gratia“ und ordnet diese. Gratia im Allgemeinen bezeichnet die Huld und Liebe eines Menschen für einen anderen, dann ungeschuldete Geschenke aus einer solchen Liebe heraus und schließlich Dankbarkeit des Beschenkten. Grund und Grundbedeutung von „gratia“ im theologischen Sinne sieht der Aquinate daher in der Liebe Gottes, welche zu einer geschenkten Gabe – die zweite Bedeutung von gratia – an das Geliebte führt, was im Beschenkten, sofern es sich um ein vernunftbegabtes Wesen handelt, Dankbarkeit auslöst, die der dritten Bedeutung von „gratia“ 240 Vgl. STh I–II 109,8 c.a.; der an dieser Stelle überraschend eingeführte Begriff Herz kann dem Kontext nach nur das Ganz der durch die caritas geformten Strebekräfte meinen. 241 Dazu STh I–II 110,1–4.

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entspricht. Im Kontext der Diskussion seiner Zeit interessiert Thomas daraufhin, ob und wie die Gnade eine geschöpfliche Wirklichkeit ist und wie diese mit Gott selbst zusammenhängt und Gott sich durch die Gnade vermittelt. Gnade in zweiten und dritten Sinn stellt schon von der Wortbedeutung her eine geschöpfliche Wirklichkeit dar, setzt also in der Seele des Menschen etwas Neues. Wie aber verhält es sich in dieser Hinsicht mit der Gnade als der Liebe Gottes? Thomas greift hier zurück auf seine Ausführungen zur Liebe Gottes, die sich von menschlicher Liebe grundsätzlich unterscheidet: Liebe im menschlichen Sinne bedeutet nicht eo ipso etwas für die Wirklichkeit des Geliebten, ist also nicht notwendig verbunden mit einer Wirkung am Geliebten. Gott liebt aber auf eine grundsätzlich andere Weise als Menschen. Während menschliche Liebe ein Gut oder einen Vorzug auf Seiten des Geliebten voraussetzt, schafft die göttliche Liebe erst durch ihre Liebe jedes Gut des Geliebten, einschließlich seines Seins. Gottes Liebe ist notwendig als sie selbst schöpferisch. So folgt „auf jede Liebe von seiten Gottes irgendein Gut [...], das im Geschöpf irgendeinmal verursacht wurde, das nicht mit der ewigen Liebe gleich ewig ist.“242 Von Gott her als dem Subjekt der Liebe betrachtet ist seine Liebe ewig und ungeschaffen; vom Geliebten als dem durch die Liebe geschaffenen Gegenstand der Liebe entspricht dieser Liebe eine geschöpfliche Wirklichkeit. Somit stellt Thomas einen engen, doch klar differenzierten Zusammenhang her zwischen gratia increata und gratia creata. Eine weitere Differenz macht Thomas nun als zentral geltend, nämlich zwischen der Liebe, mit der Gott die nichtvernunftbegabten Geschöpfe so liebt, dass er ihnen als Gut ihr Dasein schenkt und der darüber hinaus gehenden Liebe zu den vernunftbegabten Lebewesen, denen er das ewige Gut schenken will, das er selbst ist, indem er ihnen daran Anteil gewährt und sie so über ihre Natur hinaus hebt. Nur bei dieser besonderen Liebe werden Geber und gegebenes Gut vom Geber aus identisch, so sehr andererseits das zu gebende Gut dem Empfänger so zu vermitteln ist, dass dieser dessen fähig wird; so ist dann auch die Gemeinschaft mit Gott durch Anteilhabe an ihm selbst wieder ein geschaffenes Gut. Nur diese besondere Liebe zu den vernunftbegabten Geschöpfen bezeichnet Thomas im eigentlichen Sinne als Gnade, der im Menschen „ein übernatürlicher Sachverhalt [...] bedeutet, der von Gott stammt.“243 Von dieser Gnadendefinition her versteht Thomas die Vergebung der Sünden als eines von verschiedenen Gnadengeschenken Gottes.244 Die Gna242 STh I–II 110,1 c.a.: „Patet igitur quod quamlibet Dei dilectionem sequitur aliquod bonum in creatura causatum quandoque, non tamen dilectioni aeternae coaeternum.“ 243 STh I–II 110,1 c.a.: „significatur quiddam supernaturale in homine a Deo proveniens“. 244 So STh I–II 110,1 ad 3.

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de wirkt im Menschen auf zweifache Weise; einmal bewegt Gott den Menschen grundsätzlich zu allem, was dieser tut. Gott bewegt die Seele des Menschen, damit dieser erkennt, will und handelt.245 In dieser Hinsicht kann die Gnade als von Gott ausgehende Bewegung der Seele betrachtet werden, er nennt sie auch Hilfe Gottes. Für diese Bewegungen der Seele im Allgemeinen und Grundsätzlichen schenkt Gott aber außerdem auch Formen bzw. Habitus, damit sie aus sich selbst heraus eine Neigung zu diesen Bewegungen haben und so zugleich auch selbst Prinzip ihrer eigenen Akte sind. Die anderen Wirkung der Gnade besteht darin, dass Gott der Seele eine neue qualitas246 verleiht, durch die der Mensch von Gott so zur Erlangung des ewigen Gutes bewegt wird, dass der Mensch diese Bewegung zugleich selbst vollzieht, und zwar leicht und schnell.247 Die Gnade im engeren Sinne besteht also in der Eingießung einer neuen qualitas und im dauerhaften Bewegtwerden der Seele durch Gott hin zur Erlangung des ewigen Gutes. Die Funktion der qualitas-Theorie ist also bei Thomas darin zu suchen, innerhalb der göttlichen Allmacht und dauerhaften Alleinwirksamkeit auch der menschlichen Freiheit eine Bedeutung zu geben, ohne die göttliche Allmacht in irgendeiner Weise zu relativieren. Wie sich das denken lässt, bedarf noch weiterer Klärungen; aber dass und warum Thomas das so denken will, steht außer Zweifel.248 Der Mensch handelt also aufgrund der Gnade als eingegossene qualitas frei und tut von sich aus das, was der Gnade entspricht.249 Daneben lassen sich weitere Funktionen der qualitas-Theorie benennen:250 Durch die Interpretation der Gnade als qualitas kann das Ankommen der Gnade in der Wesensmitte des Menschen ausgesagt und das dauerhafte Betroffensein des Menschen durch die Gnade über alle durch sie freigesetzten Akte hinaus gedacht werden.251 245

Das gilt natürlich auch ähnlich für die anderen Lebewesen. Die Frage, ob die Gnade eine geschöpfliche Wirklichkeit ist und ob sie eine neue qualitas im Menschen setzt, behandelt Thomas zum ersten Mal als getrennte Fragen in der Summa Theologiae mit dem von Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 634, Anm. 76 prägnant formuliertem Vorteil, dass „die innere Gebundenheit der geschöpflichen Gnadenwirklichkeit an die ungeschaffene Gnade voll ins Licht“ tritt. 247 Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 636 übersetzt angemessen und anschaulich mit „elegant“. 248 Dazu auch Bouillard, Conversion et grâce, 170–172. 249 Vgl. auch STh I–II 108,1 ad 2. In diesem Zusammenhang hat die Rede vom instinctus gratiae bei Thomas auch seinen Ort: dadurch soll Wirkmächtigkeit der Gnade und die durch die Gnade freigesetzte menschliche Freiheit begrifflich verbunden werden. 250 Darin Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 634–648 folgend, der aber anders als die in dieser Arbeit vorgelegte Interpretation den von Thomas selbst in den Mittelpunkt gestellten Gesichtspunkt der menschlichen Freiheit innerhalb der göttlichen Wirkens nicht privilegiert, sondern den anderen Gesichtspunkten nebenordnet. 251 An dieser Stelle sei auf die Forschungsdiskussion hingewiesen, ob die Gnade nur wirkursächlich, oder auch quasi-formalursächlich zu interpretieren sei; dazu Ilien, Liebe, 200–202. 246

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Thomas bestimmt nun diese qualitas näher. Sie ist eine forma accidentalis, die aus der geschenkten Partizipation der menschlichen Seele an der göttlichen Gutheit entsteht. Die Substanz der Gnade ist Gott selbst, so dass die Gnade keine substantielle Form des Menschen werden kann, sondern indem sie dem Menschen Anteil gibt an Gott, nur akzidentelle Form. Mit dieser Interpretation bewahrt Thomas die Transzendenz und Nichtverfügbarkeit der Gnade für den Menschen.252 An anderer Stelle begründet Thomas mit dem Status der forma accidentalis, dass der Mensch um aus der Gnade heraus Akte setzen zu können der beständigen Hilfe Gottes als Bewegtwerden bedarf, wozu der Mensch die Gaben des Hl. Geistes als empfangende Habitus braucht. „Die gratia-qualitas ist nicht Grund und Voraussetzung der Gemeinschaft mit Gott, vielmehr eine Dimension ihrer Realität“.253 Die eingegossenen Tugenden254 identifiziert Thomas nicht mit der Gnade, sondern die Gnade als qualitas bezeichnet er als Prinzip und Wurzel der eingegossenen Tugenden. Als Wurzel der Tugenden ist die Gnade früher als die Tugenden, die aus der Gnade in die Seelenvermögen fließen. So verortet Thomas die Gnade in der Seele als ganzer und in ihrer Wesenheit, während er den Tugenden den Sitz in den verschiedenen Seelenvermögen zuschreibt. In der aristotelischen Begrifflichkeit beschreibt Thomas also die Gnade als forma accidentalis, als qualitas der Seele, in Aufnahme neutestamentlicher und patristischer Traditionen als Neuschöpfung und Wiedergeburt255 der Seele. Aus der Intention integrativer Betrachtung heraus führt er so und an dieser Stelle besonders deutlich die Eigenlogik verschiedener Perspektiven vor, woran von selbst die Konstruktivität jedweder theologischer Darstellung sich zu erkennen gibt. Diese Ausführungen zum Wesen der Gnade im Einzelnen sind zurückzubeziehen auf die Grundbestimmung der Gnade (von der Trinitätstheologie her) als Gleichgestaltung der Seele mit Gott.256 Thomas präzisiert das an anderer Stelle, wenn er die Seele als durch den Hl. Geist mit Christus durch Partizipation an dessen Bildsein gleichgestaltet behauptet. In der Gnade erfährt die Seele also eine „Gleichgestaltung mit Christus in seiner ewigen

252 Gegen Auer, Gnadenlehre, II, 212, dem bei Thomas die Gnade „als etwas im Menschen selbst [erscheint], das, wenn auch übernatürlich, doch wie ein Stück seiner Natur wird.“ 253 Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 641, Hervorhebung im Original. 254 Thomas grenzt hier eingegossene von erworbenen Tugenden ab! Die eingegossenen Tugenden umfassen bei ihm sowohl die theologischen – Glaube, Liebe, Hoffnung – als auch die sittlichen. 255 So STh I–II 110,4 c.a. 256 Vgl. STh I 43,5 ad 2.

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Sohnschaft.“257 Diese Gleichgestaltung empfängt der Mensch in der Taufe durch Glaube und Liebe;258 in dieser Gleichgestaltung mit Christus ist der Mensch aber mit Christus auf Gott als das Urbild bezogen. 2.8.3 Die Konstitution der Gnade Das eigentliche Thema der Quaestio 112 „De causa gratia“ lautet eigentlich, ob und wie der Mensch an der Gnade beteiligt ist. Gott allein vermag Gnade zu verursachen.259 Gnade ist Partizipation der menschlichen Seele an der göttlichen Natur,260 die alle anderen Naturen übertrifft, was dann auch für die Partizipation gilt. Den gleichen Sachverhalt, den Thomas hier durch den Begriff der Partizipation entwickelt, kann er an anderer Stelle mit dem Begriff Konnaturalitas/conformitas darstellen: Die Seele wird durch die Gnade Gott gleich gestaltet.261 Im Quaestio 112 argumentiert Thomas aber durchgängig mit dem Partizipations-Begriff. Weil jede Wirkung – hier die Gnade bzw. Partizipation – geringer ist als ihre Ursache, und umgekehrt die Ursache immer wirkmächtiger als ihre Wirkungen, kann also keine andere (geschöpfliche) Natur die Ursache der Gnade sein, sondern nur Gott allein. Unmittelbar im Anschluss an diese erste Klärung und so diese präzisierend erläutert Thomas die Rolle der Menschheit Christi und der Sakramente bei der Verursachung der Gnade. Die Menschheit Christi, also seine Geschöpflichkeit, wirkt Gnade nur als Instrument seiner Gottheit, die das Hauptwirkprinzip darstellt. Ebenso wenig hebt die Vermittlung durch die Sakramente den Grundsatz auf, dass Gott allein und nichts Geschöpfliches Gnade verursachen könne. Den Sakramenten kommt nämlich auch nur instrumentale Funktion zu, während das Wirkende in ihnen allein der Hl. Geist ist. Dass Christus und der Hl. Geist dabei in verschiedener Weise wirken, wie auch umgekehrt Menschheit Christi und die Sakramente in unterschiedener Weise als Instrumente mitwirken, wird dem Abschnitt über Sakramente genauer zu entnehmen sein. Gnade als qualitas und als akzidentelle Form bedarf einer Disposition auf Seiten des Menschen, gemäß dem Axiom, dass jede Form nur bestehen 257 Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 686, der übersichtlich herausarbeitet, warum dies ein zentraler Aspekt der thomasischen Gnadenlehre ist, obwohl im Gnadentraktat nur jeweils nebenbei thematisiert. 258 STh III 69,9 ad 1. 259 Den Offenbarungssatz im sed contra des zugehörigen Artikels (STh I–II 112,1) entnimmt Thomas dem Alten Testament, genauer Ps 84,12: „Gratiam et gloriam dabit Dominus“. 260 Hier wie an anderer Stellen spielt Thomas an auf 2 Petr 1,4. 261 Vgl. z.B. STh I 43,5 ad 2.

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kann in einer vorbereiteten/ausgerichteten Materia. Diese nötige Vorbereitung vollzieht sich in einem Akt des menschlichen liberum arbitrium, welches allerdings selbst wiederum von Gott bewegt wird. So verursacht Gott also auch die Vorbereitung auf die Gnade, oder mit Thomas gesprochen: Es ist „keine Vorbereitung erforderlich, die Er selbst nicht bewirkte.“262 Dass diese Vorbereitung allmählich, aber auch plötzlich – hier verweist Thomas auf Paulus Damaskus-Erlebnis nach Apg 9 – geschehen kann, spielt für die Eingießung der Gnade selbst keine Rolle. Folgt auf die Vorbereitung zur Gnade notwendig die Eingießung der Gnade? Unter dem Aspekt, dass die Vorbereitung einen Akt des menschlichen liberum arbitrium darstellt, ist jeder Gedanke einer Notwendigkeit falsch, weil keinerlei Proportionalität menschliches Tun und göttliches Gnadengeschenk verbindet. Wohl aber herrscht eine unfehlbare Verbindung zwischen Absicht und Wirken Gottes; betrachtet man also die Vorbereitung des Menschen, insofern sie von Gott bewegt und hervorgerufen ist, folgt auf die Vorbereitung notwendig die Eingießung der Gnade. Diese Notwendigkeit zwingt aber Gott nicht quasi von außen, sondern drückt die Einheit Gottes aus, aufgrund deren Absicht und Wirken Gottes in der Sache nicht differieren können. Die Eingießung der Gnade analysiert Thomas als nächstes dahingehend, ob diese in den verschiedenen Empfängern nach ihrer Größe sich unterscheidet. Wie aber kann die Größe der Gnade bestimmt werden, ist zuvor zu klären. Jedweder Habitus erhält sein Vergleichs-Maß auf zweifache Weise: zum einen von Seiten der vergleichsweisen „Höhe“ des Gegenstandes bzw. Zieles der verschiedenen Habitus, zum anderen von Seiten des Trägers, der auf verschieden große Weise an dem ihm innewohnenden Habitus partizipiert. Gemäß des ersten Kriteriums kann die eingegossene Gnade nur die gleiche und gleich groß für alle begnadeten Menschen sein, während gemessen an der Teilhabe des Menschen an dem ihm verliehenen Gnadenhabitus Thomas sehr wohl Unterschiede ausgeprägt sieht. Diese graduellen Unterschiede schafft Gott um der Schönheit und Vollkommenheit seiner Kirche willen, wie auch die Vollkommenheit des Weltalls sich in den Stufengraden der Dinge verkörpere. Die Quaestio über die Ursache der Gnade beendet Thomas mit dem Thema, ob der begnadete Mensch um seine Gnade mit Sicherheit wissen kann. Gemäß seinem gewohnten Vorgehen klärt Thomas zunächst die Implikationen der verwendeten Begriffe. Was also heißt, etwas mit Sicherheit wissen? Es bedeutet, etwas zu beurteilen aufgrund dessen eigener Prinzipien, also etwas mitsamt dessen Prinzipien zu wissen. Auf diese Weise kann man aber um die Gnade in sich selbst nicht wissen, weil ihr Prinzip – das ist Gott – nicht in sich selbst vom Menschen gewusst werden kann. Darum kann auch seine An262

STh I–II 112,2 ad 3: „nulla praeparatio exigitur quam ipse non faciat.“

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oder Abwesenheit nicht mit Sicherheit gewusst werden. Gott, der sich selbst kennt, kann es jedoch jemandem offenbaren, dass er ihm Gnade geschenkt habe, wie es Paulus in Thomas Augen laut 2 Kor 12,9 erfahren hat. Während die persönliche Offenbarung als ein seltenes Privileg nur wenigen zuteil wird, ist eine dritte Art von Kenntnis der eigenen Gnade allen Begnadeten zugänglich, nämlich als Vermutung, die sich auf bestimmte Zeichen stützt, aber unsicher bleibt. Als solche Zeichen nennt Thomas Freude an Gott, Verachtung weltlicher Dinge, Bewusstsein, keine Todsünde begangen zu haben. Die Gnade als qualitas ist bei Thomas die Folge des Gemeinschaftswillen Gottes mit den Menschen, nicht etwa die Voraussetzung. Für den Menschen ermöglicht die Gnade den Vollzug dieser Gemeinschaft mit Gott.263 2.8.4 Einteilung der Gnade Grundlegend teilt Thomas die Gnade ein in heiligmachende und freigewährte, die eine heiligmachende nach ihrer Wirkung wiederum in wirkende und mitwirkende Gnade. Schließlich kennt er die relative Unterscheidung zwischen zuvorkommender und nachfolgender Gnade. Die Gnade wird den Menschen zum einen zuteil als göttliche Hilfe, durch die der Mensch bewegt wird und damit verbunden als eingegossene qualitas, kraft deren der Mensch sich zu dieser Bewegung auch (!) selbst bewegen kann. Dass Gott den Menschen bewegt, kann man nun folgendermaßen differenzieren: Wenn der Wille des Menschen bewegt wird, entsteht daraus eine von Thomas hier innerer Akt genannte Willensbewegung und ein vom Willen befohlener Aktvollzug eines anderen Vermögens, hier äußerer Akt genannt.264 Der innere Akt vollzieht sich als von Gott dazu bewegt. In dieser Hinsicht hat Gnade als wirkende Gnade statt. Bei den äußeren Akten, die vom Willen befohlen werden, bewegt der Wille des Menschen selbst – wenn auch dabei Gott den Willen unterstützt, damit dieser den Akt befehle und die dem Vermögen, von dem der befohlene Akt ausgeht, die Fähigkeit zum Wirken gewährt. Mitwirkende Gnade heißt daher dieses Wirken der Gnade Gottes. Die Unterscheidung von wirkender und mitwirkender Gnade wendet Thomas auch auf die Gnade als eingegossene qualitas an: Die Gnadengabe in ihrem Sein rechtfertigt den Menschen. In ihrem aus ihrem Sein 263

Vgl. Ilien, Liebe, 199. An anderer Stelle benennt Thomas diese Unterscheidung als eine zwischen actus eliciti und actus imperati, so STh I–II 1,1 ad 2, vgl. Kapitel Das Streben des Menschen II,4. Die actus eliciti unterteilt Thomas weiter in solche, die sich auf das Ziel, und in solche die auf die Mittel zum Ziel beziehen. 264

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folgenden Tätigwerden wird sie zum Prinzip des verdienstvollen Handelns des Menschen, das aber sein liberum arbitrium mit einbezieht. In diesem Sinne zeigt sich Gnade als mitwirkende, in jenem als wirkende. Insgesamt wirkt sich die Gnade in einem fünffachen Sinne aus: Die Seele wird geheilt, die Seele will das Gute, sie tut das Gute, sie verharrt im Guten und sie gelangt zur Herrlichkeit. Je nachdem, welche Gnadenwirkung betrachtet wird, ist die Gnade eine dieser Wirkung zuvorkommende (sie nämlich hervorrufende) und eine dieser Wirkung so nachfolgende, dass sie die darauffolgende Wirkung mit sich bringt. Diese Unterscheidung erfolgt also lediglich hinsichtlich der relativen Wirkweise, berührt aber nicht das Wesen der Gnade, die in all diesen Wirkungen ein und dieselbe ist. Die genannten Wirkweisen der Gnade bezogen sich alle auf die Gnade, mit der Gott den Menschen rechtfertigt und mit sich verbindet. In einem anderen Sinne kann Gott aber auch Gnade schenken, die darauf zielt, dass der Mensch mit einem anderen Menschen mitwirke, so dass der andere zu Gott zurückgeführt wird und die heiligmachende Gnade erlangt. Die Anwendung des Begriffs „Gnade“ auch auf die sog. freigewährte Gnade begründet Thomas damit, dass es sich auch hier um eine ungeschuldete Gabe Gottes handelt.265 Nur Gott kann einen Menschen zu sich zurückführen im eigentlichen Sinne, aber ein Mensch kann einen anderen darauf vorbereiten durch Unterweisung. Dazu wiederum ist erforderlich, dass jemand selbst die göttlichen Dinge erkennt – dazu gehören „Glaube“,266 „Rede der Weisheit“ und „Rede der Wissenschaft“ –, dass er das Erkannte bekräftigen kann – das kann in der „Gnade der Heilungen“, im Wirken von (sonstigen) Wundern, in der Gabe der Prophetie oder der Unterscheidung der Geister bestehen – und schließlich, dass er seine Lehre den Empfängern entsprechend vorzutragen in der Lage ist, wozu die „Sprachengaben“ und die „Auslegung der Rede“ dienen. Die genannten freigewährten Gnadengaben beziehen sich auf 1 Kor 12,8–10. Im Vergleich von heiligmachender und frei gewährter Gnade wertet Thomas die heiligmachende als viel erhabener, da diese unmittelbar mit Gott als dem höchsten Ziel verbindet, während die freigewährte Gnade andere Menschen nur zu einer Vorstufe der Verbindung mit dem höchsten Ziel geleitet.

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Ungeschuldet sogar in besonderer Weise, dazu STh I–II 111,1 ad 2. Thomas weist ausdrücklich darauf hin, dass Glaube hier nicht im allgemeinen, sondern in einem speziellen Sinne zu verstehen ist: nämlich „insofern er eine überragende Gewißheit des Glaubens besagt, die den Menschen befähigt, andere über Glaubensgeheimnisse zu unterrichten“, so STh I–II 111,4 ad 2. 266

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2.8.5 Die Rechtfertigung des Sünders267 Die wirkende Gnade bewirkt die Rechtfertigung des Sünders, der Thomas die Quaestio 110 mit 10 Artikeln widmet. Thomas identifiziert Gnade also nicht mit Rechtfertigung, sondern entfaltet eine komplexe Verhältnisbestimmung. Von Aufbau und Bestimmung der Gnadenlehre her zielt die Gnade darauf, dem Menschen durch eine übernatürliche Ausrichtung auf Gott Anteil am ewigen Leben zu gewähren, was wiederum erfordert, dass der Mensch sich Verdienste erwerben kann aufgrund der Gnade, was andererseits voraussetzt, dass der Mensch von der Sünde und ihren Folgen geheilt wird. Die Gnadenlehre zeichnet so die Ausrichtung der Gnade ab, indem sie in der Lehre vom Verdienst gipfelt und endet, welcher Lehre das Thema Rechtfertigung vorangeht.268 Die Rechtfertigung bildete lange Zeit in der lateinischen Theologie kein eigenständiges Thema (natürlich aber die Gnade!), bis Petrus Lombardus im Zusammenhang des Bußsakramentes den Begriff iustificatio gleichbedeutend mit Nachlassung der Sünden (remissio peccatorum) gebrauchte.269 In den Sentenzenkommentaren diskutieren daher die nachfolgenden Theologen die Rechtfertigung des Sünders im Zusammenhang des Bußsakramentes. Als im 13. Jahrhundert die Gnadenlehre im Gesamt der Theologie zu einem eigenständigen Traktat sich herausbildet, erfährt das Thema Rechtfertigung des Sünders dann in diesem Zusammenhang seine Behandlung. Was Rechtfertigung sei, entfaltet Thomas vom Begriff der Gerechtigkeit her, der in diesem Kontext die richtige Ordnung der inneren Verfassung bedeutet, was erstens die Ausrichtung auf Gott und Unterwerfung der (höchsten) Kräfte des Menschen unter ihn, also der Vernunft und dementsprechend die Ausrichtung der niederen Seelenvermögen unter die Vernunft beinhaltet. Diese Gerechtigkeit wird dem Sünder (anders dem sündlosen Menschen vor dem Fall) zuteil als ihn umwandelnde Bewegung vom Stand der Sünde zum Stand der Gerechtigkeit. Rechtfertigung des Sünders ist die den Sünder umwandelnde Bewegung vom Stand der Sünde zum Stand der Gerechtigkeit durch Nachlassung der Sünden. Das Problem der Sünde ist, dass sie Gott beleidigt; ihre Nachlassung bedeutet dann, dass Gott nicht mehr beleidigt, sondern der Frieden Gottes mit seinem Geschöpf wieder267

Dazu vergleiche v.a. Pesch, Thomas von Aquin, 166–179. Insofern erscheint es zumindest nicht eindeutig, wenn Pesch, Thomas von Aquin, 169, ausführt: „Die allgemeine Gnadenlehre schafft die Voraussetzungen, die Frage nach der Rechtfertigung des Sünders einwandfrei zu beantworten.“ Gegen Aufbau und Inhalt der thomasischen Argumentation formuliert Pesch die These, dass die Nachlassung der Sünde das Ziel des ganzen Gnaden-Geschehens sei, so Pesch, Thomas von Aquin, 176. 269 Dazu und zum Folgenden Pesch, Thomas von Aquin, 167f. 268

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hergestellt ist. Der Friede Gottes mit den Menschen besteht darin, dass er die Menschen liebt. Als göttlicher, ewiger Akt ist die Liebe Gottes ebenso unwandelbar und unvergänglich wie Gott selbst. Nur ihre geschaffene Wirkung im Menschen, die Gnade als geschaffene Gnade wird durch die Sünde aufgehoben bzw. unterbrochen. Nur in dieser Hinsicht ist davon zu sprechen, dass die Liebe Gottes zu den Menschen nach der Sünde und gegen die Sünde wieder hergestellt werden muss. Die Sünde hebt die Wirkung der Liebe Gottes, das ist die geschaffene Gnade im Menschen auf. Die Nachlassung der Sünde vollzieht sich daher als (Wieder-)Eingießung der geschaffenen Gnade, die zugleich auch die Nichtanrechnung der Sünde durch Gott bewirkt. Welche Rolle spielt bei der Rechtfertigung das liberum arbitrium des Menschen? Thomas argumentiert hier auf seine gewohnte Weise mit dem Bewegungsmodell, das er für seine augustinisch-antisemipelagianische Intention nutzt. Gott allein ist der Urheber der Bewegung der Rechtfertigung, also auch und erst recht ihres Anfangs und jeder menschlichen Beteiligung dabei. Weil Gott aber alles gemäß der Natur des zu Bewegenden bewegt, bewegt er auch den Menschen in der Rechtfertigung so, dass das zur Natur des Menschen gehörenden liberum arbitrium in die Bewegung involviert wird; in Thomas Worten: „vielmehr gießt Er die Gabe der rechtfertigenden Gnade in der Weise ein, daß er zugleich mit ihr die freie Selbstbestimmung zur Aufnahme der Gnadengabe bei denen bewegt, die dieser Regung fähig sind.“270 Hier kann Thomas die Eingießung der Gnade auch als transmutatio, also als Verwandlung der Seele beschreiben.271 „Die Gabe der rechtfertigenden Gnade ordnet den Menschen hauptsächlich zum Guten hin, was Gegenstand des Willens ist; und darum wird der Mensch zum Guten hinbewegt durch eine Regung des Willens, die eine Regung der freien Selbstbestimmung ist.“272 Thomas bestimmt diese Bewegung des liberum arbitrium, das zum Willen gehört, näher. Es ist eine Bewegung des Glaubens und eine Bewegung der Liebe zu Gott, zusammengefasst eine von der Liebe beformte Glaubensbewegung. Diese eine Bewegung gehört verschiedenen Tugenden an – nämlich (mindestens) Glaube und Liebe –, weil die Tugend des Willens den Befehl erteilt und die Tugend des Verstandes 270

STh I–II 113,3 c.a.: „sed ita infundit donum gratiae justificantis, quod etiam simul cum hoc movet liberum arbitirum ad donum gratiae acceptandum, in his qui sunt hujus motionis capaces.“ Die letztgenannte Einschränkung macht Thomas angesichts von Taufen an Kleinkindern oder aufgrund von Krankheit etc. zu bewusster Selbstbestimmung Unfähigen, denen ja in der Taufe die rechtfertigende Gnade ohne jede Einschränkung eingegossen wird. 271 So in STh I–II 113,3 ad 3. 272 STh I–II 113,3 ad 2: „Nam donum gratiae justificantis praecipue ordinat hominem ad bonum, quod est objectum voluntatis: et ideo ad ipsum movetur homo per motum voluntatis, qui est motus liberi arbitrii.“

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den Befehl empfängt und den Akt vollzieht. Betrachtet man die Vermögen und ihre Tugenden, so handelt es sich um zwei Bewegungen: Der Wille befiehlt bzw. will etwas, und der Verstand empfängt und vollzieht einen Befehl.273 Betrachtet man dagegen die vollzogene Bewegung, so handelt es sich um nur eine einzige. Diese Bewegung geht vom Verstand aus und gehört zum Glauben.274 Die Bestimmung der Glaubensbewegung präzisiert Thomas nun von ihrem Gegenstand her weiter: Dieser Akt des Glaubens richtet sich darauf, dass „Gott [...] der Rechtfertiger der Menschen durch das Geheimnis Christi“275 ist. Auch für die weiteren Überlegungen legt Thomas das Paradigma der Bewegung zugrunde, also wie schon ausgeführt versteht Thomas daher Rechtfertigung des Sünders als Bewegung vom Stand der Sünde zum Stand der Gerechtigkeit. Der zu Rechtfertigende muss sich also von der Sünde weg und zur Gerechtigkeit, das ist dann zu Gott hinbewegen. Die Hinbewegung zu Gott erfolgt durch den Glauben, die Wegbewegung von der Sünde sieht Thomas nun in einem eigenen, auf den Akt der Hinbewegung zu Gott aber ausgerichteten Akt als erforderlich an. Diesen Akt schreibt Thomas nun aber der Liebe zu. Im folgenden präzisiert Thomas noch weiter: Im Rechtfertigungsgeschehen kommt es auf die Zustimmung des Menschen zur Hinbewegung auf Gott und Wegbewegung von der Sünde an.276 Mit dieser Zustimmung beginnt die Hinbewegung, aus der erst mit der Zeit – es sei denn im Falle einer besonderen Rechtfertigung wie bei Paulus – eine vollkommene Bewegung als Glaube und Liebe hin zu Gott wird. Diese Zustimmung versteht Thomas streng als Folge der eingegossenen Gnade, nicht als deren Voraussetzung277 – sowenig das als eine zeitliche Reihenfolge aufzufassen ist. Gemäß des Bewegungsparadigmas gehört zu einer Bewegung auch das Erreichen des Zielpunktes, was bei der Rechtfertigung des Sünders der Nachlassung der Schuld entspricht. Die eine Bewegung der Rechtfertigung des Sünders differenziert Thomas also insgesamt in vier Momente: Eingießung 273 Insofern hier Wille und Verstand beteiligt sind, ist es von Thomas nur konsequent von einer Bewegung der mens zu sprechen, als den Überbegriff über Wille und Verstand zu verwenden. Hierin ist gegen Pesch, Thomas von Aquin, 126f., kein sachlicher Unterschied zum Glaubenstraktat zu sehen, nur eine begriffliche Verschiebung aufgrund einer Fokusveränderung: hier bezeichnet Glaube die Bewegung des Menschen, insofern sie sowohl dem Willen als auch dem Verstand entspringt (aufgrund des Bewegtwerdens durch Gott), weshalb als Träger des Glaubens die mens genannt ist. Im Glaubenstraktat bezeichnet Thomas mit Glauben lediglich die Bewegung, insofern sie dem Verstand als ihrem Vollzugsvermögen entspringt, weshalb er als Träger entweder intellectus oder ratio benennt, so sehr er inhaltlich genau wie hier, den Willen als befehlendes Vermögen denkt, aber das Befehlen eigens und zusätzlich zur Glaubensbewegung bezeichnet. 274 Hier wie auch im Folgenden fungiert Hebr 11,6 als die entscheidende biblische Aussage. 275 STh I–II 113,4 ad 3: „Deum esse justificatorem hominum per mysterium Christi“. 276 Vgl. STh I–II 113,7 ad 1. 277 Ausdrücklich in STh I–II 111,2 ad 2.

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der Gnade, Bewegung des menschlichen liberum arbitrium zu Gott, weg von der Sünde und viertens das Nachlassen der Schuld. Im 6. Artikel fragt Thomas danach, ob die Nachlassung der Sünden zu dem gezählt wird, was zur Rechtfertigung des Sünders erforderlich ist – im 1. Artikel hatte er danach gefragt, ob Rechtfertigung die Nachlassung der Sünden sei. Während er dort die Nachlassung der Sündenschuld als Mittel der Bewegung des Menschen zum Stand der Gerechtigkeit durch Gott darstellte, kommt hier im 6. Artikel die Nachlassung der Sündenschuld als Zielerreichung und Vollendung des Rechtfertigungsgeschehens in den Blick. Die verschiedenen Momente des Rechtfertigungsgeschehens ereignen sich nicht sukzessive, sondern zugleich, zusammen und in einem Augenblick. So sehr das gilt, so sehr muss aber auch von einer inneren Ordnung der Momente gesprochen werden: Eingießung der Gnade, Ausrichtung des liberum arbitrium auf Gott, dann gegen die Sünde und die Nachlassung der Sündenschuld. Diese Ordnung bestimmt Thomas wieder strikt vom Bewegungsparadigma her. Zuerst (nicht zeitlich also) ist die Bewegung des Bewegenden, dann die Bewegung des Bewegten, dann der Zielpunkt der Bewegung. Dementsprechend ordnen sich die Momente der Rechtfertigung wie folgt: Eingießung der Gnade, Bewegung des liberum arbitrium zu Gott, weg von der Sünde und Nachlassen der Sünde. Wie verhalten sich nun noch genauer gefragt Eingießung der Gnade und Nachlassung der Sündenschuld zueinander? Eingießung der Gnade und Nachlassung der Sündenschuld sind von Gott her ein einziger Akt; vom Menschen her gesehen, an dem das geschieht, jedoch zwei. Gott hebt die Sünde auf und gießt die Gnade – als forma accidentalis – ein. Thomas führt in diesem Zusammenhang noch eine weitere, nicht zeitliche, aber sachliche Differenzierung ein, und zwar zwischen Eingießung der Gnade und Erlangung der Gnade: „Und darum geht die Regung der freien Selbstbestimmung in der Naturordnung der Erlangung der Gnade voraus, folgt jedoch der Eingießung der Gnade.“278 Wenn die menschliche Zustimmung ein notwendiger Bestandteil des Gnadengeschehens ist, andererseits selbst ganz und gar von der Eingießung der Gnade bewirkt, ist die eingeführte Unterscheidung innerhalb des thomasischen Modells sachlich notwendig und nicht zu umgehen.279

278 STh I–II 113,8 ad 2: „Et ideo motus liberi arbitrii naturae ordine praecedit consecutionem gratiae, sequitur autem gratiae infusionem“, Hervorhebungen MR. 279 In heutige Begrifflichkeit interpretiert könnte das dann heißen: „Nichts anderes als mein freier, entschiedener und verantworteter Akt der Hingabe an Gott und der Abkehr von der Sünde ist in restloser Identität zugleich ganz und gar von Gott erwirkt – als Gestalt sich vollziehender und vollzogener Gerechtmachung des Sünders durch Gott“, so Pesch, Thomas von Aquin, 178, Hervorhebungen im Original.

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Auch der Akt des liberum arbitrium bei der Vorbereitung zu Gnade, bei der Eingießung der Gnade ist also selbst Ausdruck und Vollzug des Bewegtwerdens durch Gott. Jede Hinwendung zu Gott verdankt sich Gottes Bewegung, mit der er den Menschen zu sich bewegt und hinwendet. Daher interpretiert Thomas den Satz aus der Tradition, dass der Mensch für die Rechtfertigung und Gnadeneingießung tun müsse, was er aus sich tun könne (facere, quod in se est), als das Tun des Menschen, insofern er von Gott bewegt wird.280 So wird das facere quod in se est „Thomas zum Anlaß, noch einmal in aller Deutlichkeit den unfehlbaren Primat des Handelns Gottes in allen Phasen des Rechtfertigungsvorganges zu statuieren“.281 Ist die Rechtfertigung des Sünders das größte Werk Gottes und ist es ein Wunder, so fragt Thomas in den beiden letzten Artikeln der Quaestio zur Rechtfertigung. Zunächst klärt Thomas, wonach die Größe eines Werkes bemessen werden kann. Legt man die Weise des Wirkens zu Grunde, so ist das Wirken ex nihilo größer als ein verwandelndes Wirken, d.h. unter diesem Aspekt stellt die Schöpfung ein größeres Werk dar als die Rechtfertigung des Sünders. Vergleicht man aber Schöpfung und Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der Größe des Werkes, bzw. des Gutes, so ist die Rechtfertigung größer, weil sie auf die Teilhabe des Menschen an dem ewigen Gut zielt, das Gott selbst ist – so sehr die Teilhabe ihrerseits etwas Geschaffenes bleibt. Bezogen darauf unterscheidet Thomas nun zwischen der Rechtfertigung des Sünders im engeren Sinne und der eschatologischen Verleihung der Herrlichkeit. An sich in ihrer Größe betrachtet ist die letzte Gabe die größere, aber bezüglich des Vergleichs der Proportion von Gabe und Würde des Beschenkten kommt der Rechtfertigung der erste Platz zu. Als Wunder zeigt sich die Rechtfertigung für Thomas nur in dem allgemeinen Sinne, als jedes Werk, das ausschließlich Gott tun könne, ein Wunder sei. Nur in Einzelfällen, wie z.B. bei Paulus, geschehe ein Wunder bei der Rechtfertigung, nämlich in dem Sinne, dass etwas außerhalb der gewohnten Wirkordnung bewirkt werde, so wie Paulus sofort die Vollendung der Gerechtigkeit erlangte. Die eigentliche Bewandtnis eines Wunders, dass eine gegebene Form die natürliche Fähigkeit der die Form aufnehmenden Materia übersteige, wofür Totenauferweckung als Beispiel genannt sei, finde sich nun bei der Rechtfertigung gerade nicht, denn der Mensch sei aufgrund seiner Ebenbildlichkeit von Natur aus der Gnade fähig.

280 281

Besonders nachdrücklich in STh I–II 109, 6 c.a.; ad 1; ad 2; ad 3; ad 4. Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 668.

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2.8.6 Gnade und Verdienst Mit der Lehre vom Verdienst erreicht Thomas Ziel und Abschluss seines Gnadentraktates. „Die Gnade ist nämlich Ausgangsgrund des verdienstlichen Werkes durch Vermittlung der Tugenden“.282 Die Rede von Verdienst und Lohn hat ihren Ort in sozialen Bezügen, die vom Prinzip Gerechtigkeit ihren Gestaltungsmaßstab beziehen. Im strengen Sinn gilt die Kategorie Gerechtigkeit sinnvoll nur für soziale Verhältnisse zwischen prinzipiell Gleichrangigen bzw. Gleichgestellten. Zwischen diesen nun ist es ein Akt der geforderten Gerechtigkeit, für ein geleistetes Werk oder eine Arbeit einen entsprechenden Lohn zu bezahlen. Wenn aber aufgrund von sozialen Beziehungen zwischen Nicht-Gleichrangigen, z.B. zwischen Vater und minderjähriger Tochter, dort nur in einem eingeschränkten Sinne von Gerechtigkeit und daher dann auch von Lohn/Verdienst zu sprechen ist, so gilt das umso mehr für die Beziehung zwischen Gott und Mensch, zwischen denen die denkbar größte Ungleichheit herrscht. Gerechtigkeit zwischen Gott und Mensch kann dann aber nur heißen, dass jeder auf seine ihm eigene Weise tätig ist. Das menschliche Tätigsein stammt aber von Gott. „Deshalb kann es auch ein Verdienst des Menschen bei Gott nur geben unter Voraussetzung einer göttlichen Anordnung, in dem Sinne, daß der Mensch durch seine Tätigkeit das von Gott gleichsam als Lohn empfängt, wozu Gott ihm die Wirkkraft bestimmt.“283 Dass der Mensch durch seine Tätigkeiten das diesen Tätigkeiten gesetzte Ziel erreicht, ist zugleich der Lohn für diese Tätigkeiten. Ziel bzw. Zielerreichung und Verdienst sind in diesem theologischen Verständnis dasselbe. Diese Zweigestaltigkeit ergibt sich aus der Zweigestaltigkeit der menschlichen Handlungen: Einerseits stellen sie wirklich die freien Akte des Menschen dar, andererseits sind sie von Gott ermöglicht und bewirkt. Der Lohn, um den es hier geht, ist das ewige Leben. Kann dieses ohne Gnade verdient werden? Auch der sündlose Mensch könnte sich das ewige Leben nicht ohne Gnade verdienen, weil Lohn bzw. Ziel in keiner Proportion zu den natürlichen Fähigkeiten des Menschen stehen, sodass nicht einmal die menschliche Sehnsucht an das Ziel des ewigen Lebens heranreiche. Der sündige Mensch bedarf darüber hinaus auch deshalb der Gnade, weil seine Sünde als Beleidigung Gottes ihn vom ewigen Leben ausschließt, was nur Gott durch die Eingießung der Gnade als Sündenvergebung zu ändern vermag. Wenn der Mensch nun ohne Gnade sich nicht das ewige Leben ver282

STh I–II 110,4 ad 2: „Est enim gratia principium meritorii operis mediantibus virtutibus“. STh I–II 114,1 c.a.: „Et ideo meritum hominis apud Deum esse non potest nisi secundum praesuppositionem divinae ordinationis: ita scilicet ut id homo consequatur a Deo per suam operationem quasi mercedem, ad quod Deus ei virtutem operandi deputavit.“ 283

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dienen kann, kann er sich diese Gnade auf irgendeine Weise verdienen? Hier argumentiert Thomas dies verneinend analog. Erstens übersteigt die Gnade die Proportionen der Natur, und zweitens hindert darüber hinaus auch die Sünde den Menschen, sich die Gnade zu verdienen. Folgt nun, die eingegossene Gnade vorausgesetzt, aus dem gnadengewirkten Handeln des Menschen ein Anspruch auf Lohn, d.h. auf das ewige Leben? Insofern dieses Handeln aus der Bewegung des liberum arbitrium hervorgeht, besteht kein Rechtsanspruch des Menschen wegen der Ungleichheit zwischen Mensch und Gott, die Rechtsansprüche basierend auf Gerechtigkeit unmöglich machen. Lediglich eine Billigkeit von Seiten Gottes besteht, dem Menschen, der nach seiner eigenen Kraft wirkt, gemäß der göttlichen Wirkmacht zu geben – nur in diesem eingeschränkten Sinne kann von Gerechtigkeit zwischen Gott und Mensch die Rede sein. Anders verhält es sich mit den innertrinitarischen Beziehungen. Insofern das verdienstliche Tun des Menschen aus der Gnade hervorgeht, welche die geschaffene Partizipation des Hl. Geistes an der menschlichen Seele ist, sich also dem Hl. Geist verdankt, eröffnet es einen Rechtsanspruch auf den Lohn des ewigen Lebens. Die aus dem Hl. Geist hervorgehende Gnade der Menschen hat Jesus Christus als einen solchen Rechtsanspruch verdient, dessen Seele von Gott entsprechend bewegt wurde. Aufgrund der durch die Gnade gestifteten Freundschaft eines Menschen mit Gott kann jener aber einem anderen Gnade verdienen, nach dem Prinzip der Billigkeit, denn so wie der begnadete Mensch Gottes Willen erfüllt, so ist es angemessen, dass Gott den Willen seines Freundes erfüllt und einem bestimmten anderen Gnade schenkt. Die caritas als Liebe bzw. Freundschaft erweist sich so als zentral: Das ewige Leben besteht im Genießen Gottes, worauf der Mensch durch die Liebe ausgerichtet ist, die wiederum die Akte aller anderen Tugenden darauf hinordnet. Deshalb fungiert in der Hauptsache die Liebe als Vermittlerin der Gnade als Ursprung des Verdienstes. Auch von einem anderen Aspekt her kommt der Liebe die Vermittlerrolle zu. Das, was aus Liebe geschieht, ist das am meisten Freiwillige. Weil Freiwilligkeit ein Wesensmerkmal des Verdienstes verkörpert, ist die Liebe das wichtigste Vermittlungsprinzip. Ohne Liebe ist kein Akt der Menschen verdienstlich, also auch der Glaube nicht. Jeder Akt der Liebe bzw. jeder durch die Liebe beformte Akt verdient unbedingt das ewige Leben. Eine später erfolgende Todsünde hebt das Verdienst nicht auf, sondern verhindert wie ein Hindernis dessen Wirkung.284 Was gehört nun alles zum Verdienst? Neben der Hauptsache: das ewige Leben, auch die Mehrung der Gnade, die in der Wirkung identisch ist mit einer Mehrung der caritas. Weiter zählen zum Verdienst auch zeitliche Güter, soweit sie dem Menschen zu Werken der 284

Vgl. 114,7 ad 3.

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Tugend nützlich sind. Betrachtet man diese zeitlichen Güter in sich, so fallen sie nur in eingeschränkter Weise unter das Verdienst, nämlich insofern Gott die Menschen zu situationsabhängigen Handlungen bewegt. 2.8.7 Die theologischen Tugenden285 Die theologischen Tugenden behandelt Thomas das erste Mal als eigenes Thema in STh I–II 62, unterteilt in vier Einzelfragen: ob es solche überhaupt gibt, wie sie sich von den verstandhaften und den sittlichen unterscheiden, welche und wie viele es sind und wie sie geordnet sind. Thomas beginnt mit der Begründung der Notwendigkeit von sog. theologischen Tugenden, indem er an eine allgemeine Bestimmung von Tugend erinnert. Tugend vervollkommnet den Menschen in der Weise, dass er auf die Seligkeit hingeordnet wird. Insofern der Mensch aber eine zweifache Seligkeit kennt, muss es auch Tugend in dieser zweifachen Hinsicht geben, und zwar so, dass sie jeweils dieser Seligkeit entspricht. Die theologischen Tugenden führt er also als Fall des allgemeinen und übergreifenden Tugendbegriffs ein, dessen Spezifika von der Parallelität zu den natürlichen Tugenden gewonnen werden, anhand deren er den Tugendbegriff entwikkelt hat. Wie der Mensch durch natürliche Prinzipien auf das ihm naturgleiche Ziel hingeordnet ist, so auf das dem Menschen übernatürliche Ziel durch übernatürliche Prinzipien, welches die theologischen Tugenden sind. Das bedeutet nicht, dass der Mensch nicht auch qua Natur eine Hinordnung auf Gott hätte, aber nicht auf ihn als übernatürliche Seligkeit. Die theologischen Tugenden tragen ihren Namen, weil sie Gott zum Gegenstand haben, weil sie allein von Gott gegeben werden und weil sie allein durch die Offenbarung bekannt und in der Hl. Schrift überliefert sind. Gewichtige Einwände zielen darauf, wie diese Tugenden dann überhaupt Tugenden des Menschen werden können, wenn sie doch seine Natur grundsätzlich übersteigen. Die Ausrichtung auf das übernatürliche Ziel geschieht, indem der Mensch mit seiner Natur Anteil erhält an der göttlichen Natur. Dieses Anteil-Erhalten ist identisch mit dem Gegebenwerden von theologischen Tugenden oder Prinzipien. Hinordnung geschieht durch Partizipation. Holz, das brennt, gewinnt auf analoge Weise Anteil an der Natur des Feuers, so Thomas. Nach dem Nachweis der Notwendigkeit von theologischen Tugenden 285 Sowohl der Ausdruck „theologische Tugenden“ – weil ohne direkten Zusammenhang mit der theologia als sacra doctrina – als auch „göttliche Tugenden“ – weil fälschlich Gott als Subjekt von Tugenden nahelegend – benennen das Gemeinte missverständlich. Weil aber eingeführt und geläufig wird im Folgenden trotz dieser Bedenken der Terminus „theologische Tugenden“ verwendet. Eigentlich müsste es heißen: „gottbezogene“ oder „übernatürliche“ Tugenden.

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neben den natürlichen, untersucht Thomas deren präzise Unterscheidung von diesen. Thomas betont so einerseits die Parallelität von natürlichen und theologischen Tugenden, andererseits ihre Nichtvergleichbarkeit: „Glaube, Hoffnung und Liebe stehen über den menschlichen Tugenden; sie sind nämlich Tugenden des Menschen, insofern er der göttlichen Gnade teilhaftig geworden ist“,286 womit er im gegebenen Kontext begründet, warum es eigentlich nur verstandhafte und sittliche Tugenden gibt, obwohl sich die theologischen nicht in diese Unterscheidung einordnen lassen. Grundsätzlich werden Tugenden (Habitus) unterschieden anhand der formgebenden Unterschiede in ihren Gegenständen. Der interessierende formgebende Unterschied bildet hier die Erkennbarkeit bzw. Nichterkennbarkeit des Gegenstandes durch die natürliche Erkenntnis. Das erste ist bei den natürlichen Tugenden, das zweite bei den theologischen der Fall. Als nächsten Schritt hat Thomas zu klären, welche Tugenden zu den theologischen gehören, wofür ihm als Schlüsselstelle der Offenbarung 1 Kor 13,13 gilt. Mit den theologischen Tugend gießt Gott immer auch die sittlichen Tugenden mit ein. Wie verhalten sich dabei die eingegossenen zu den erworbenen Tugenden?287 „Bei beiden aber übt die Gewohnheit im Handeln einen Einfluss allerdings auf verschiedene Weise aus: denn die erworbene Tugend verursacht sie; der eingegossenen Tugend dagegen bereitet sie den Weg, erhält und fördert sie, wenn sie bereits da ist.“288 Die eingegossenen sittlichen Tugenden können in ihrem Vollzug erschwert werden durch schlechte Verhaltensdispositionen, die von den der Gnade vorausgehenden schlechten Akten zurückblieben.289 Die theologischen Tugenden halten anders als die sittlichen und intellektuellen nicht die Mitte; Gott selbst ist ihr Maß,290 das aber immer unterschritten wird, weil nur Gott sich ganz erkennt und nur Gott sich so lieben kann, wie er zu lieben ist. In einem sekundären Sinne könnte man aber auch hier von der Tugendmitte sprechen, nämlich wenn die Akte der theologischen Tugenden in Hinblick auf die menschlichen Voraussetzungen betrachtet werden: Extreme sind zu meiden. Der rechte Glaube verwirft die extremen häretischen Positionen und hält in dieser Hinsicht die Mitte. 286

STh I–II 58,4 ad 3: „ Quod fides, spes et caritas sunt supra virtutes humanas: sunt enim virtutes hominis prout est factus particeps gratiae.“ 287 Dazu Dell’Olio, Foundations, 101–103. 288 STh I–II 92,1 ad 1: „Ad utramque autem aliquid operatur operum assuetudo, sed diversimode: nam virtutem quidem acquisitam causat; ad virtutem autem infusam disponit, et eam jam habitam conservat et promovet.“ 289 Vgl. STh I–II 65,4 ad 2. 290 „Denn unser Glaube richtet sich nach der göttlichen Wahrheit, die Gottesliebe nach Seiner Gutheit, die Hoffnung nach der Größe Seiner Allmacht und Güte“, STh I–II 64,4 c.a.: „Fides enim nostra regulatur secundum veritatem divinam, caritas autem secundum bonitatem ejus, spes autem secundum magnitudinem omnipotentiae et pietatis ejus“.

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Im Begriff ‚theologische Tugenden‘ hat sich also der Bedeutungsgehalt von ‚Tugend‘ entscheidend verändert: Tugend kann nicht durch Akte erworben werden Tugend hält nicht (im eigentlichen Sinne) die Tugendmitte Tugend richtet sich nicht mehr aus am vernunftgemäß Guten Tugendakte fallen nicht mehr per se leicht Die wesentlichen Bedeutungsgehalte des aristotelischen Tugendbegriffs sind damit also aufgehoben, denn für Thomas sind im eigentlichen und vollen Sinne nur die eingegossenen Tugenden Tugend. Als letzte Frage der Quaestio zu den theologischen Tugenden ordnet Thomas diese; zum einen nach einer Ordnung der Entstehung der entsprechenden Akte – da gilt Glaube, Hoffnung, Liebe – , sodann nach einer Ordnung der Vollkommenheit, bei die Liebe den ersten Platz innehat. Weil eine Bewegung des Strebevermögens ein erfasstes Ziel voraussetzt, muss der Glaubensakt als Erfassung des übernatürlichen Zieles den Tugendakten des Strebevermögens vorangehen. Auf den Glaubensakt folgt logisch der Hoffnungsakt, der, indem er ein Gut von jemandem erwarten zu können meint, die Liebe zu demjenigen freisetzt und so nachfolgen lässt. Der Vollkommenheit nach aber ist die Liebe die erste, weil erst beformt durch sie, Glaube und Hoffnung zu wirklichen Tugenden werden: Liebe ist die Form aller Tugenden. Thomas schließt den Traktat mit einer Näherbestimmung des Verhältnisses von Hoffnung und Liebe. Es ist zu unterscheiden zwischen einem Gut und der Person, von der man es erhält. Bezüglich des Gutes setzt der Hoffnungsakt den Liebesakt voraus, denn um etwas zu erhoffen, muss es vorher ersehnt und geliebt sein. Der Liebesakt folgt aber dem Hoffnungsakt,, wenn es die Person betrifft, von der ein Gut erstrebt wird. Die Hoffnung, es von der Person zu erhalten, führt zur Liebe, die dann wiederum wieder die Hoffnung verstärkt. Die von Thomas genannte Entstehungsordnung betrifft also die „Person“ und nicht das erhofft-geliebte Gut. Für die Wechselwirkung hat Thomas hier Unterschiede der Intensität von Akten geltend gemacht. Für die Verhältnisbestimmung hat Thomas hiermit folgende Differenzierungen eingeführt: Ordnung der Entstehung und Ordnung der Vollkommenheit: Die Ordnung der Entstehung gilt nur für die Akte. Der Wille trägt zwei Tugenden (und wirkt beim Glauben konstitutiv mit). Diese stehen in einem einander verstärkenden Wechselverhältnis, welches darin begründet liegt, dass beim Willen zwischen Person und Gut, das von ihr gewollt wird, zu unterscheiden ist. Es wird zu klären sein, wie sich das zur Liebe verhält, die ja einer Person ein Gut will. Die Komplexität steigert sich dadurch, dass Person und Gut, sowie Gegenstand der theologischen Verstandestugend in bestimmter Hinsicht identisch sind, in anderer nicht.

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2.8.8 Die Gaben des Hl. Geistes291 Die einheitliche Annahme der Existenz von sieben Gaben des Hl. Geistes im begnadeten Menschen durch die frühscholastische Theologie lässt die geführten Kontroversen um Zusammenhang mit den Tugenden und um die Wirkweise der Gaben umso klarer hervortreten. Die Diskussionen drehten sich um folgende Fragen: Sind die Gaben des Hl. Geistes mit den Tugenden identisch? Bleiben sie in der Ewigkeit bestehen? Die theologischen Tugenden reichen aber nicht aus, um den Menschen auf sein letztes, übernatürliches Ziel zu zubewegen. Zwar vervollkommnen die theologischen Tugenden den Menschen auf eine übernatürliche Weise. Weil aber auf eine übernatürliche Weise, kann die Vervollkommnung dem Menschen nicht ganz, d.h. vollkommen zu eigen sein. „Was aber eine Natur, Form oder Kraft unvollkommen besitzt, kann nur durch sich selbst tätig sein, wenn es von einem anderen bewegt wird.“292 Auch und gerade der mit den theologischen Tugenden begnadete Mensch bedarf in seinem Handeln aufgrund von Glaube, Liebe und Hoffnung des dauerhaften Bewegtwerdens durch den Hl. Geist. Für das Bewegtwerden ist eine entsprechende Disposition des zu Bewegenden erforderlich, eine Entsprechung zum Beweger. Um nun leicht und gut vom Hl. Geist bewegt werden zu können, braucht der Mensch entsprechende Habitus. Diese sind analog den sittlichen Tugenden vorzustellen, welche die Strebekräfte dazu befähigen, leicht und gut der Vernunft zu folgen – so wie der Mensch in allen seinen Seelenkräften der Bewegung des Hl. Geistes folgen soll, und zwar leicht und gut.293 Diese bestimmten Habitus, die in Vernunft und Strebekräften ihren Sitz haben, sind unerlässlich für das Heil. Die Lehre von diesen Habitus entfaltet Thomas aus Jes 11,2f als Lehre von den sieben Gaben des Hl. Geistes: Einsicht, Rat, Weisheit, Wissenschaft, Frömmigkeit, Stärke und Furcht. Wie unterscheiden sich nun Gaben und die theologischen Tugenden? Diese kontrovers diskutierte Frage der Theologie seiner Zeit löst Thomas so: Die theologischen Tugenden einigen den menschlichen Geist mit Gott, der in und aufgrund dieser Einung den menschlichen Geist so bewegt, dass dieser sich selbst bewegen kann. Thomas nennt dafür zwei Beispiele. Der Schüler der Heilkunst kann diese nur durch sich selbst ausüben, wenn er zugleich unter Anleitung des Arztes steht, der die Heilkunst vollkommen beherrscht.294 Übertragen: der 291

Vgl. dazu Horst, Die Gaben des Heiligen Geistes; STh I–II 68,2 c.a.: Sed id quod imperfecte habet naturam aliquam vel formam aut virtutem, non potest per se operari, nisi ab altero moveatur.“ 293 Horst, Die Gaben des Hl. Geistes, 77 stellt mit Recht heraus, dass Thomas Bewegung durch die Vernunft und durch Gott nicht als zwei Prinzipien, sondern als ein doppeltes Prinzip bestimmt, also diese beiden in ihrem nicht-symmetrischen Zusammenhang sieht. 294 STh I–II 68,2 c.a. 292

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durch die theologischen Tugenden begnadete Mensch braucht, um gemäß dieser Tugenden tätig zu werden, der Bewegung des Hl. Geistes, welche Bewegung andererseits die theologischen Tugenden voraussetzt. Wie nämlich das Werkzeug mit dem Künstler geeint sein muss, damit der Künstler es zu seinem Werk bewegen kann, so eben der menschliche Geist aufgrund der theologischen Tugenden mit Gott.295 Aus diesen Beispielen ist zu folgern: Damit die theologischen Tugenden ihre Akte freisetzen können, bedürfen sie der besonderen Bewegung durch den Hl. Geist,296 der wiederum mithilfe der durch ihn verliehenen Habitus der Gaben wirkt, die so der Vervollkommnung der theologischen Tugenden dienen.297 Im engeren Sinne sind für jeden Akt der theologischen Tugenden die Gaben erforderlich. Daher kann auch nicht von eigenen Akten der Gaben in Abgrenzung von Akten der Tugenden gesprochen werden.298 Im weiteren Sinne braucht der begnadete Mensch die Gaben für alle seine Akte, die durch die theologische Tugend der Liebe beformt werden. Hier kommt – wie auch an anderer Stelle das Axiom zur Anwendung, dass ein einziger Akt aus mehreren Habitus hervorgehen kann. Andererseits sind die theologischen Tugenden die Voraussetzungen und Wurzeln der Gaben. Statt Bewegung des Hl. Geistes kann Thomas vom instinctus des Hl. Geistes sprechen.299 Das Bewegtwerden durch den Hl. Geist widerspricht nicht dem Wesen der menschlichen ratio, weil das bewegende Prinzip ein höheres Prinzip ist, das als höheres der ratio nicht fremd, sondern in Kontinuität zu ihr diese übersteigt.300 Ihre Einheit erwächst den Gaben aus ihrem gemeinsamen Bezug auf die caritas, denn der Hl. Geist ist durch die caritas dauerhaft im Menschen, ist mit seinen Gaben durch die caritas im Menschen und wirkt durch die verschiedenen Gaben die Bewegung des Menschen hin zu Gott. Die Gaben sind daher auch als dauerhaft zu denken, also als habitus. Beide fasst Thomas als heilsnotwendig auf. Später ordnet Thomas die sieben Gaben nicht ausschließlich den drei theologischen Tugenden zu, sondern den sieben Tugen295 STh I–II 68,4 ad 3. Dies heißt aber nicht – im Umkehrschluss –, dass Gott den Menschen nur dann bewegen könnte, wenn dieser die Gaben des Hl. Geistes zugeeignet bekommen hat, denn grundsätzlich wirkt Gott in jedem Willen und in jeder Bewegung. Hier geht es um das besondere Bewegtwerden hin auf das letzte übernatürliche Ziel des Menschen. 296 Diese Bewegung durch den Hl. Geist ist zu unterscheiden von der allgemeinen Bewegung durch Gott, die für jeden Akt überhaupt erforderlich ist. 297 Vgl. auch STh II–II 9,1 ad 3. 298 Gegen Horst, Die Gaben des Hl. Geistes, 83, der eine Nebeneinanderstellung vertritt: „Die durch Tugend ausgelösten Handlungen entspringen bis zu einem gewissen Grad einer aus dem Menschen kommenden Initiative, während wir uns gegenüber den Gaben des Hl. Geistes eher abwartend, patientes, verhalten“. 299 STh I–II 68,3 c.a. 300 Im Anschluss an die Interpretation von STh I–II 68,1 c.a. durch Horst, Die Gaben des Heiligen Geistes, 79.

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den, also den dreien sowie den (eingegossenen) Kardinaltugenden. Gaben gibt es – wie die Tugenden – in der Vernunft und in der Strebekraft. Zusammenfassung der Gnadenlehre 1. Der Glaube entspringt einem Akt des liberum arbitrium, das von Gott bewegt wird. 2. Dieser Akt des liberum arbitrium befiehlt dem Verstandesvermögen den Akt des Glaubens. 3. Aus einer bestimmten Perspektive stellt dann der Glaubensakt einen einzigen Akt dar, Befehlen und Befehlvollziehen bilden dann also ein und denselben Akt, den Thomas dann auch direkt dem liberum arbitrium, also dem Willensvermögen zuordnen kann. 4. Den befehlenden Akt des liberum arbitrium beim Glauben unterscheidet Thomas klar von eigentlichen Akten der caritas. 5. Die Gnade differenziert Thomas konsequent in das Eingießen einer Form (=zustandshaftes Geschenk) und die Hilfe Gottes bei allen Akten aller Geschöpfe. 6. Die Gnade als eingegossene Form bleibt dauerhaft angewiesen auf die Hilfe Gottes, damit sie als Form zu ihren Akten kommt. 7. Durch die Gnade und die aus ihr fließenden Tugend des Glaubens und der Gabe der Weisheit erkennt der Menschen das Gute besser als qua Natur und die Neigung zum Guten ist durch Gnade und eingegossene Tugend stärker als qua Natur. 8. Gnade ist der Natur nicht geschuldet, sondern ihr von Gott völlig frei geschenkt. 9. Der Mensch ist der Gnade fähig aufgrund seiner unaufhebbaren Gottebenbildlichkeit. 10. Es gibt eine positive Ausrichtung der Natur auf Gnade. 11. Gnade setzt die Natur voraus. 12. Gnade vollendet die Natur. 13. Die Seele des Menschen wird durch die Gnade Gott konnatural.

2.9 Christus, die Kirche und die Sakramente Christus, die Kirche und die Sakramente Die Bestimmung der thomasischen Christologie hängt am Verständnis des ordo disciplinae. Die thomasische STH vollzieht sich ja als theoretisch-praktische Gesamtwissenschaft unter dem medius terminus der revelatio, der schließlich in der Tertia Pars auf seinen praktischen Grund hin ganzheitlich durchdacht wird.301 301

Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, 181.

Christus, die Kirche und die Sakramente

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Die Menschen von der Sünde zu erlösen und den Menschen den Weg der Wahrheit zu weisen, erklärt Thomas im Prolog zur Tertia Pars als die beiden Heilsbedeutungen Christi. Auf dem Weg der Wahrheit gelangt der Mensch durch die Auferstehung zur ewigen Glückseligkeit. Die Heilsbedeutung Christi legt Thomas in der Inkarnation und im Handeln und Leiden des Erlösers dar. Thomas lehrt nicht die absolute, sondern die soteriologische Inkarnation in zeitgenössischer Auseinandersetzung mit franziskanischen Theologen, welche die Inkarnation als Vollendung der Schöpfung unabhängig von der menschlichen Sünde interpretieren.302 Thomas beruft sich im entsprechenden Artikel303 einzig auf die Schrift, die laut Thomas überall die Sünde als Grund der Menschwerdung vorstellt. Anschließend buchstabiert Thomas in vielen einzelnen Artikeln die Grundaussage von Chalcedon durch: Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Dann folgt eine Darstellung des Heilswerkes Christi, von der Thomas zu den Sakramenten überleitet. Bringt man das Leiden Christi zu seiner Gottheit in Beziehung, so ist es wirksam als Wirkursache; bringt man es aber zum Willen Christi in Beziehung, so wirkt es als Verdienst; betrachtet man es dagegen, sofern es sich im Leibe Christi selbst vollzieht, so wirkt es als Genugtuung, sofern wir dadurch aus der Strafverhaftung befreit werden; als Loskauf, sofern wir dadurch von der Knechtschaft der Schuld befreit werden, als Opfer, sofern wir dadurch mit Gott versöhnt werden.304

Die sühnende Wirkung des Leidens und Sterbens Christi besteht in der Aufhebung der Strafe durch die geleistete Satisfaktion als auch in der Tilgung der Schuld. Die Sakramente, insbesondere die Taufe vermitteln diese sühnende Wirkung. Die Taufe gliedert in den Leib Christi ein, gibt Anteil am Verdienst Christi und lässt uns dem Tod Christi gleichförmig werden. An dem sakramental vermittelten Heilsgeschehen empfängt der Glaube das Heil, das als heilvolle Beziehung zu Gott in der Liebe besteht, so schreibt Thomas: 302 Dazu v.a. Daguet, Théologie, 189–239. „Pour clore ce chapitre, revenons enfin sur la querelle entre position scotiste et position thomiste. On a vu que, quelles que soient les nuances dans l’expression du differénd, c’est la conception d’un Christ inconditionné (pour les scotistes) ou conditionné par le péché (pour les thomistes) qui cristallise l’opposition. Remarquons seulement que la succession des plans divins telle que nous l’avons proposée permet de dépasser, nous semble-t-il, cette opposition. En effet, si l’on adhère à la conception de L’économie originelle que nous avons proposée, conformément à Saint Thomas, le Christ ne surgit pas comme tête au moment de l’incarnation.“ Daguet, Théologie, 238. 303 Vgl. STh III 1,3. 304 STh III 48,6 ad 3: „Quod passio Christi, secundum quod comparatur ad diviniatem ejus, agit per modum efficientiae; inquantum vero comparatur ad voluntatem animae Christi, agit per modum meriti; secundum vero quod consideratur in ipsa carne Christi, agit per modum satisfactionis, inquantum per eam liberamur a reatu poenae; per modum vero redemptionis, inquantum per eam liberamur a servitute culpae: per modum autem sacrificii, inquantum per eam reconciliamur Deo.“

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Der Glaube, durch den die Sündenvergebung erfolgt, ist indessen der durch die Liebe geformte Glaube, der also auch unser Streben neu formt [...]. Aufgrund der Teilhabe an Christi Leiden [...] sind die Einzelnen auch von den eigenen Sünden befreit [...]. Dadurch werden sie instandgesetzt, Gott wiederzulieben, wovon gilt, dass darin ‚die Vollendung des menschlichen Heiles liegt‘ (III 46,3 c.).305

Mitten in der Arbeit an den Artikeln zur Buße ereignete sich der 6. Dezember 1273, an dem ihm laut eigener Auskunft eine Vorerfahrung der „Vollendung des menschlichen Heils“ zuteil wurde, und Thomas legte sein Schreibwerkzeug für immer aus der Hand. Was er zuvor jedoch noch über die Sakramente306 im Allgemeinen und über die Taufe im Besonderen zu Papier gebracht hatte, sei im Folgenden überblicksartig vorgestellt.307 Die Sakramente bilden die Instrumentalursache der Gnade, die wirkt, indem sie von der Hauptursache der Gnade, das ist Gott, bewegt wird. Hauptursache der Gnade ist Gott selbst, der durch die Menschheit Christi, v.a. sein Leiden, wie ein naturverbundenes Werkzeug, durch die Sakramente aber wie ein getrenntes Werkzeug wirkt.308 Die Rechtfertigung des Sünders korreliert Thomas mit Leiden und Auferstehung, indem er den Zielpunkt der Rechtfertigung – das neue Leben aus der Gnade – der Auferstehung zuordnet, während er den Ausgangspunkt der Rechtfertigungsbewegung beim Leiden Christi sieht, durch das dem Menschen die Schuld nachgelassen wird.309 Die Sakramente als Werkzeuge der Rechtfertigungsgnade wirken nur durch und in der Bewegung der Hauptursache. Die Wirkung ist daher Gott als der Hauptursache ähnlich und nicht der Instrumentalursache. Die Wirkung besteht in der Gnade, die eine mitgeteilte Ähnlichkeit mit Gott ist. Thomas betont gleichermaßen, dass Gott alleine die Gnade schenkt und dass die Sakramente wirksam diese Gnade vermitteln. Christus ist das eigentliche Werkzeug des Wirkens Gottes, die Sakramente haben nur in Verbindung mit Christi Leiden ihre Heilskraft. Die Sakramente stellen in einer Hinsicht selbst eine Instrumentalursache, in anderer Hinsicht ein Zeichen dar für das Wirken der Hauptursache. Ist nun die Gnade in den Sakramenten enthalten? Das kann Thomas bejahen, aber nur in dem Sinne, dass die Gnade im Sakrament ist wie eine Sache in ihrem Zeichen und wie eine Wirkung in ihrer Instrumentalursache. 305

Kühn, Christologie, 180. Dazu Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 795–814, Krämer, Imago Trinitatis, 486–491. 307 In der mittelalterlichen Theologie gab es keinen eigenen Traktat zur Ekklesiologie, die vielmehr an verschiedenen Stellen behandelt wurde, daher ist das Wesen der Kirche bei allen Ausführungen zu den Sakramenten mitbedacht und wird auch hier nicht eigens behandelt. 308 Als Paradebeispiel für ein naturverbundenes Werkzeug gilt die eigene Hand des Wirkenden, als getrenntes Werkzeug ein Arbeitsgerät, z.B. ein Stab. 309 Vgl. STh III 62,5 ad 3. 306

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Thomas nennt drei Gründe, warum zum menschlichen Heil Sakramente erforderlich sind – obwohl das Heil durch das Leiden Christi schon gewirkt ist. Im Status integritatis waren keine Sakramente, wohl aber Gnade notwendig, welche aber geistig und unsichtbar wirkte. Daher muss Thomas nun zeigen, warum der sündige Mensch eine sinnenhafte Gnadenvermittlung braucht. Erstens, weil Gott für alle Geschöpfe ihrer Beschaffenheit gemäß sorgt. Weil es dem Menschen eigen ist, durch Sinnliches zu Geistigem gelangen, sind ihm sinnliche Zeichen als Heilsmittel gegeben worden. Zweitens wegen des Wesens der Sünde, das darin besteht, dass der Mensch sich den sinnlichen Dingen unterworfen hat. Das Heilsmittel gegen die Sünde muss da ansetzen, wo und wie die Sünde wirkte, also vom Sinnlichen her. Der dritte Grund liegt in der Eigenart des menschlichen Handelns, das sich v.a. mit Körperlichem beschäftigt, und dem daher in den Sakramenten auch körperliche Übungen angeboten werden, damit er sich in diesen übe und nicht in abergläubischen Übungen. Damit begründet Thomas den sinnlichen Charakter der Sakramente. Dass der Mensch aber überhaupt zu seinem Heil Vermittlungsinstanzen bedarf, erwähnt Thomas nur – weil selbstverständlich – in einem Gegeneinwand (STh III 61,1 ad 3): Die heilsbegründenden Leiden Christi müssen den Menschen zugewendet werden, und das geschieht in den Sakramenten. Die durch die Sakramente mitgeteilte Gnade vervollkommnet die Seele des Menschen zur Ähnlichkeit mit dem göttlichen Sein mittels Partizipation. Aus der Gnade in der Seele fließen die eingegossenen Tugenden als Vervollkommnungen der einzelnen Seelenvermögen. Zusätzlich zu dieser allgemeinen Gnadenwirkung aber bewirkt die sakramentale Gnade für das christliche Leben Notwendiges, wie die Vergebung der Sünden (die geistige Wiedergeburt) und die Bereitung für die Feier des christlichen Gottesdienstes. Thomas unterscheidet also bei der durch die Sakramente vermittelten Gnade die Gnade der Tugenden und Gaben und die sakramentale Gnade im engeren Sinne. Im Sakrament handelt Gott am Menschen sofern dieser Natur ist, die nach Vollendung sich sehnt und sofern er Sünder ist, der der Versöhnung und Erlösung bedarf. „Beim Gebrauch der Sakramente kann man zwei Dinge ins Auge fassen: den Dienst Gottes und die Heiligung des Menschen.“310 Mit dieser Festsetzung beginnt Thomas seine Argumentation dazu, dass als Sakramente bestimmte, und nur diese bestimmten Dinge und Handlungen wirken bzw. zu gebrauchen sind. Die Heiligung des Menschen ist ausschließlich Gottes Sache; daher kommt es ihm alleine zu, zu bestimmen, mittels welcher Zeichen sich das vollziehen soll. Die Sakramente bedürfen aber auch der Wor310

STh III 60,5 c.a: „quod in usu sacramentorum duo possunt considerari, scilicet cultus divinus et sanctificatio hominis“.

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te, was Thomas dreifach begründet: Das Sakrament wird durch das Wort Christus als inkarniertem Logos gleichgestaltet. Zweitens ist der Mensch als Empfänger des Sakramentes ein seelisch-leibliches Wesen, dem es angemessen, in beiderlei Hinsicht – als Seele und als Leib – das Sakrament mitgeteilt zu bekommen. Drittens wird das Zeichen erst durch das Wort eindeutig in dem, was es bezeichnet. Die Sakramente vermitteln ein sakramentales Mal, das unzerstörbar ist und die dauerhafte Zugehörigkeit zum „cultus Dei“ bezeichnet. Thomas interpretiert dieses Mal christologisch vermittelt. Mit diesem Mal hat eine Gleichgestaltung mit dem Priestertum Christi statt, von dem sich der cultus Dei der Kirche herleitet. Schlechthin heilsnotwendig ist für Thomas die Taufe; insofern der Mensch auch nach der Taufe noch sündigt, auch die Buße. Heilsnotwendig für die Kirche als ganze ist das Weihesakrament.311 Trotzdem besteht Thomas darauf, dass es sinnvoll sei, dass es gerade diese sieben Sakramente in der Kirche gäbe. Weil das geistige Leben mit dem körperlichen in vielen übereinstimmt, entwickelt Thomas aus der Analogie zwischen körperlicher und geistlicher Vervollkommnung den Sinn der Siebenzahl der Sakramente. Der Mensch muss in Bezug auf sich selbst vervollkommnet werden, durch Zeugung (so dass er entsteht), durch Wachstum, durch Ernährung und durch Heilung bei Krankheiten und Wiederherstellung der Kräfte. Dem entsprechen – in dieser Reihenfolge die Taufe, die Firmung, die Eucharistie, die Buße und die letzte Ölung.312 Im Hinblick auf die Gemeinschaft wird der Mensch vervollkommnet, indem er Macht erhält, ein Amt auszuüben und öffentliche Handlungen zu vollziehen. Dem entspricht das Weihesakrament. Die natürliche Fortpflanzung geschieht in der Ehe, die zugleich dem natürlichen Leben wie der sakramentalen Ordnung angehört. Die Ehe fungiert so für Thomas als „Heilmittel gegen die persönliche Begierlichkeit und gegen das Dahinschwinden des Volkes infolge der Todesfälle“.313 Das wichtigste Sakrament sieht Thomas in der Eucharistie, weil in ihr Christus wirklich wesenhaft enthalten ist, weil alle anderen Sakramente auf die Eucharistie sich hinordnen und weil fast alle Feiern der anderen Sakramente mit der Feier der Eucharistie abgeschlossen werden. Zusammengefasst: Das Sakrament bezeichnet die Ursache der Heiligung (das Leiden Christi), das Wesen der Heiligung (die Gnade und die Tugenden) und das letzte Ziel der Heiligung, also das ewige Leben.314

311

Vgl. STh III 65,4 c.a. Heute meistens Krankensalbung genannt. 313 STh III 65,1 c.a. Weihwasser gehört deshalb nicht zu den Sakramenten, weil es keine Gnade vermittelt; aber es hilft gegen die „Tücken der bösen Geister“ und gegen die lässlichen Sünden, so STh III 651 ad 6. 314 Vgl. STh III 60,3 c.a. 312

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Welche Rolle spielt der Glaube für den Sakramentsempfang? Pesch arbeitet heraus, dass „der Glaube, der die Wirkung des Sakramentes empfängt, [...] von Gott durch das Sakrament – genauer: durch den Vollzug des sakramentalen Zeichens – gewirkt“ ist. „Wir können also eine Parallelität mit der Darstellung des Rechtfertigungsvollzuges in I–II 113 feststellen: Der dort erarbeiteten Dreiheit: Eingießung der Gnade – Akt des Willens (Liebe, Glaube, Buße) – Erlangung der Gnade entspricht hier die Dreiheit: Sakramentales Zeichen – Glaube – Wirkung des Sakramentes.“315 Pesch kommt zu der Schlussfolgerung, dass das Sakrament kein eigener Heilsweg sei, sondern die gottgewollte äußere, konkrete Form, in der die in I–II 113 beschriebene innere Struktur des Rechtfertigungsgeschehens Wirklichkeit werde.316 Thomas setzt voraus, dass Gnade, Glaube und Buße schon vor dem Sakramentsempfang wirklich sind, aber als Vorauswirkungen des Sakramentes, weil sie wirklich nur sind in der Bereitschaft, das Sakrament zu empfangen. Was verändert sich durch den Sakramentsempfang? Durch Taufe, Formung und Weihe wird ein unverlierbares, geistiges Mal eingeprägt (character indelebilis). Exemplarisch für Thomas Sakramentsverständnis sei im Folgenden seine Tauflehre skizziert. Die Gnadenwirkung der Taufe liegt in der inneren Rechtfertigung, wirkt gegen die Erbsünde (STh III 66,9), was Thomas dann mit Johannes Damaskus weiter ausgeführt, die Wiedergeburt sowie die Erleuchtung (STh III 66,1). Die Taufe tilgt alle Sünden, reinigt von Schuld und befreit von Strafe, weil sie den Täufling so mit Christus verbindet, als hätte er selbst Christi Leiden gelitten und als wäre er selbst gestorben. Die Taufe nimmt daher zwar die Strafleiden des gegenwärtigen Lebens hinweg, aber nicht in diesem selbst, sondern erst mit der Auferstehung (STh III 69,3). In der Taufe wird der Mensch wiedergeboren; er wird erleuchtet zur Erkenntnis der Wahrheit und befruchtet zu guten Werken durch die Gnade. Bei Erwachsenen unterscheidet Thomas ein geistiges und ein körperliches Einverleibtwerden in den Leib Christi. Das erste geschieht durch den Vorsatz, die Taufe zu empfangen und impliziert schon den Glauben. Das körperliche Einverleibtwerden dagegen geschieht im Sakrament der Taufe und setzt bei Erwachsenen schon den Glauben voraus – der gnadenvermittelt ist, aber durch den Vorsatz, das Sakrament zu empfangen!317 Durch die Taufe erhält der Mensch Gnade und die Tugenden (STh III 69,4) eingegossen, was auch im Zeichenvollzug der Taufe zum Ausdruck kommt: „Wie das Wasser der Taufe dadurch, daß es abwäscht, die Reini315

Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 803f, Hervorhebung im Original. Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 804. 317 Vgl. STh III 69,5 ad 1. 316

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gung von der Schuld, und dadurch, daß es erfrischt, die Befreiung von der Strafe versinnbildlicht, so bezeichnet es durch seine natürliche Klarheit den Glanz der Gnade und der Tugenden.“318 Thomas schärft hier eine früher getroffene Unterscheidung noch einmal ein nämlich zwischen Habitus und dessen Tätigkeit. „Glauben und Liebe liegen im Willen der Menschen, jedoch so, daß die Gehaben dieser und der anderen Tugenden das Vermögen des Willens voraussetzen, das auch in den Kindern vorhanden ist. Aber die Betätigung der Tugenden setzt die Betätigung des Willens voraus, die in den Kindern noch nicht vorhanden ist.“319 Die Kindertaufe kennt und bejaht Thomas, er widmet ihr einen eigenen Artikel (STh III 68,9). Der zur Taufe gehörende Glaube sieht Thomas im Falle der Kindertaufe zum einen im ausgesprochenen Glauben der Paten als auch im Glaube der ganzen Kirche gegeben. Jemand, der den Vorsatz hat, weiter zu sündigen, darf nicht getauft werden, dieser hätte nur einen unbeformten Glauben, der weder zum Heil genügt noch auch nur Grundlage dazu sein könnte.320 „Das ist vielmehr nur der beseelte Glaube, ‚der durch die Liebe wirksam ist‘“.321 Dem unbefangenen evangelischen Leser stellt sich das so dar, als fordere Thomas für die Taufe, dass jemand glaube und gute Werke schon vollbracht hätte, die ihn also würdig machen, die Taufe und damit das Heil zu empfangen. Im folgenden Teil III wird geklärt werden, was Thomas unter Glaube, was unter unbeformten Glauben versteht und warum die Unbeformtheit mit dem Willen zur Sünde zusammenhängt und der unbefangene evangelische Leser mit jener Interpretation nicht recht hätte. Zusammenfassung Der Mensch als Natur betrachtet ist auf ein natürliches Ziel hingeordnet, mittels des Willens und des Verstandes vermittelt durch die natürlichen Tugenden. Der Verstand, indem er die ersten allgemeinen Prinzipien enthält, die ihm durch das Licht des Verstandes bekannt sind. Als Natur ist ihm gleichzeitig ein desiderium naturale gegeben. Die Gnade überwindet die Sünde und erfüllt das desiderium naturale, indem sie den Menschen auf sein übernatürliches Ziel hinordnet und den Weg dahin eröffnet. Dazu muss sie Glaube, Hoffnung und Liebe wecken. Diese werden als Habitus in einem eingegossen, als Akte können sie in eine Entstehungsfolge geordnet werden. Im Glauben werden neu Ur-Sätze/Prinzipien gegeben und das göttliche 318

STh III 69,4 ad 1. STh III 69,6 ad 1. 320 STh III 68,4 ad 3. 321 STh III 68,4 ad 3: „Fides autem informis non sufficet ad salutem, nec ipsa est fundamentum, sed sola fides formata, ‚quae per dilectionem operatur’“. 319

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Licht, um sie zu erfassen. Hier in STh I 62,3 spielt der Wille keine Rolle, sondern wird der Erkenntnisaspekt im Glauben betont, während in STh II– II der Willensaspekt hervorgehoben wird. Bei der Hoffnung ordnet die Gnade den Willen auf das übernatürliche Ziel hin, so dass der Wille auf es hinstrebt als etwas Erreichbares. Wenn der Wille (die Seele!) mit dem Ziel so geeint wird, dass er in das Ziel umgeformt wird, wodurch er dem Ziel gleichförmig wird, als Bedingung der Möglichkeit dafür, dass der Wille das Ziel erstreben kann: Dann handelt es sich um die gnadenhafte Liebe der caritas.

3. Glaube

Glaube

3.1 Forschungsperspektiven Forschungsperspektiven Intellektualismus und Autoritätsgebundenheit wurden lange Zeit – affirmierend oder ablehnend – als die beiden wichtigsten Kennzeichen des thomasischen Glaubenskonzeptes betrachtet. Dass beides nicht zutrifft, besagt noch nichts, solange nicht im Einzelnen geklärt ist, wie seine Grundaussage zu verstehen ist: Glaube ist cogitare cum assensus/mit Zustimmung überdenken. Woher kommt für Thomas der assensus? Ist der Glaube daher eine reine Entscheidung? Vergewaltigt diese Entscheidung die Eigenart des Verstandes? Wird so doch eine Autoritätshörigkeit propagiert? Ist die Glaubensbegründung zirkulär? Die neuere Forschung hat zu diesen Fragen neue Gesichtspunkte und Interpretationsmethoden geliefert, aber noch keine schlüssige und vom thomasischen Text her gedeckte, detaillierte Lösung erarbeiten können. Bevor die vorliegende Arbeit eine solche Lösung vorstellen will, seien nachfolgend zuerst die Ansätze der wichtigsten Arbeiten zum thomasischen Glaubensbegriff vorgestellt. Die Diskussion von Einzelfragen erfolgt bei der Interpretation des thomasischen Gedankenganges. An dieser Stelle interessieren die Methoden, Perspektiven und Fragestellungen, unter denen die neuere Forschung Thomas Glaubensbegriff untersucht. O. H. Pesch zielt mit seiner großangelegten Studie zur Rechtfertigungslehre bei Luther und Thomas von Aquin auf den Nachweis, dass diese sich nicht widersprechen, so sehr beide verschiedenen Theologieverständnissen zuzuordnen seien. Thomas einem sapentialen und Luther einem existentiellen. Demzufolge konzentriert er sich in seiner Thomas-Interpretation darauf zu zeigen, dass Thomas Glaubensverständnis nicht den Anliegen Luthers entgegengesetzt ist, unter Hintanstellung der Klärung thomasinterner Probleme. In seiner äußerst materialreichen Dissertation kommt Pesch. was das Verhältnis von Wille und Verstand, von Glaube und Liebe betrifft, zum Schluss, „daß der Assens zur Ur-Wahrheit um ihrer selbst willen tatsächlich in jenen existentiellen Gesamtakt aufgenommen ist, in dem auf die in I–II 113,4 beschriebene Weise die Rechtfertigung geschieht. [...] Der Assens erfolgt nicht unter dem Antrieb einer egoistischen Heilssehnsucht, sondern

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Glaube

aus einer Liebe, die sich Gott ausgeliefert hat.“1 Wie an diesem Zitat zu beobachten ist, gelingt es Pesch, die thomasischen Aussagen in eine heutige Theologensprache zu übersetzen. Für eine spezielle Thomasforschung führt das jedoch angesichts der differenzierten thomasischen Terminologie dazu, dass Interpretationsprobleme relativiert statt sichtbar gemacht werden. Pesch hat für die ökumenische Theologie außerordentlich Wichtiges durch seine Analyse der fides informis geleistet. Diese ist entgegen allen evangelischen Missverständnissen keine Vorstufe zum Glauben und meint auch nicht den Glauben, dem die Werke fehlen. Pesch hat die ökumenische Methode, Texte ganz von ihren theologischen Anliegen her zu verstehen, für die Thomas-Forschung fruchtbar gemacht und darin Bleibendes geleistet. Rousselot gibt dem Ausgangsproblem die Fassung, wie der Glaube gleichzeitig frei und gewiss sein könne, wobei er „gewiss“ hier als begründete Gewissheit versteht. Reziproke Priorität und reziproke Kausalität heißen die Stichworte seines Lösungsansatzes.2 Zweitens unterstellt er, dass die menschliche Erkenntnis einen vorgängigen affektiven Wirklichkeitsbezug voraussetzt, so dass sich bei Veränderung dieses affektiven Bezugs auch die Urteile des Erkenntnisvermögens ändern. Rousselot drückt das mittels des (farbigen) Lichtes aus, das auf die zu erkennenden Gegenstände fällt und durch das diese Gegenstände jeweils entsprechend dem Licht gesehen und erkannt werden. Beim Glauben nun wählt der menschliche Wille durch die Gnade dazu bewegt, darin frei das göttliche Gut, das göttliche Ziel und damit eine neue Lebensweise. Dies impliziert aber einen neuen Bezug zur Wirklichkeit, aufgrund dessen der Mensch neu erkennt und so glaubt. Rousselot richtet sich mit seinem Diskussionsbeitrag gegen zwei geläufige Thomasdeutungen, die jeweils entweder die Freiheit oder die Gewissheit (im Rousselot‘schen Sinne) im Glaubensakt ausblenden. Die einen gehen von einem sog. natürlichen Glauben aus, der angesichts von Glaubwürdigkeitsindizien durch vernünftige Einsicht zum Schluss gelangt: Hier ist zu glauben bzw. der katholische Glaube ist glaubwürdig. Die andere abzulehnende Position nennt er die voluntaristische, weil hier die Vernunft einem Willensentschluss unterworfen wird. Für seine eigene Lösung muss Rousselot zunächst Vernunft auf eine bestimmte Weise interpretieren: Sie ist für ihn „konnaturale Neigung und Sympathie, [...] reine Liebe zu Gott und zum Sein“.3 Wenn daher die Vernunft aufgrund der Liebe zu Gott, einer durch die Gottesliebe intensivierten 1

Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 735. Rousselot hat diese Gedankenfigur, auch dem Begriffe nach, nicht erfunden, sondern er entnimmt sie der zeitgenössischen thomistischen Diskussion und interpretiert sie auf seine, eine neue Art und Weise. 3 Rousselot, Die Augen des Glaubens, 57. 2

Forschungsperspektiven

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Neigung, Urteile fällt, ist das legitim und ihrem Wesen gemäß. Die Vernunft darf nur Neigung zu Gott nicht mit Neigung zu einem (falsch) vorgestellten Gott verwechseln. „Wenn das Sehnen des Geistes nach Gott von der Gnade geheilt und überformt ist, ist es identisch mit der Seinsbejahung in der Glaubenserkenntnis.“4 Die Reflexion unterscheidet im Glaubensakt zwei Kausalreihen, die koexistieren, ohne sich zu stören oder zu durchkreuzen. Einerseits will der Mensch ein Gut, richtet sich nach ihm aus und zieht dadurch eine neue Natur (die ihn neu sehen läßt) an. Das ist die Ordnung des Willens. Andererseits sieht der Geist ein Faktum, deutet es als Indiz und schließt daraus auf eine Wahrheit (die ihn auf eine neue Art leben läßt). Das ist die Ordnung der Erkenntnis. Doch handelt es sich hier nicht um zwei wirklich trennbare Vorgänge: die lebendige Einheit des einen Aktes enthält dies alles in sich.5

Seine Theorie reziproker Priorität und Kausalität von Verstand und Willen begründet er ausführlich, ohne aber nachzuweisen, dass Thomas eine solche Kausalitätsbeziehung überhaupt hätte denken können. Ein Musterbeispiel für eine Ausformulierung der reziproken Priorität stellt folgender Satz dar: „Im selben Zug weckt die Liebe die Erkenntniskraft und rechtfertigt die Erkenntnis die Liebe.“6 Ausdrücklich vertritt er, dass, wenn der Glaube entsteht, er immer von der Liebe geformter Glaube ist. Er legt als Auslegungsprämisse zu Grunde, dass der erste Glaubensakt nicht anders als die nachfolgenden zu deuten sei. Eberhard Schockenhoff7 untersucht die Tugendlehre des Thomas von Aquin von den theologischen und anthropologischen Voraussetzungen her. So ordnet er alle thomasischen Aussagen zu den Tugenden, den theologischen und den sittlichen ein in die Bewegung des Menschen als imago Dei auf Gott hin. Bezüglich des Glaubens verdankt die Forschung ihm die eingehende Darstellung des Motivs der „inchoatio vitae aeternae“ im Glauben samt historischer Verortung dieses Gedankens. Daneben betont er die Rolle des Glaubens als „Tugend für das praktische Leben“.8 „Im Glauben ergreift der Mensch Gott als das letzt Ziel seines Lebens; indem er in freier Bejahung der sich manifestierenden Ur-Wahrheit Gottes zustimmt, nennt er das Ziel seines Lebens beim Namen und verwirklicht so die Bestimmung seiner Existenz in einer seiner Würde als geistiger Kreatur gemäßen Weise.“9 Ansonsten ragt seine Arbeit durch die Fülle an Einzelanregungen und weniger durch methodische Innovation hervor. Sowohl das Verhältnis von 4

Rousselot, Die Augen des Glaubens, 65. Rousselot, Die Augen des Glaubens, 59. 6 Rousselot, Die Augen des Glaubens, 49. 7 Schockenhoff, Bonum hominis. 8 Schockenhoff, Bonum hominis, 417. 9 Schockenhoff, Bonum hominis 416. 5

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Glaube

Glaube und Liebe, als auch das von Wille und Verstand im Glaubensakt bleiben vage. Für letzteres verwendet er den Begriff „Perichorese“ oder „Pole“ oder „reziproke Kausalität“, welche aber eher eine Problemanzeige darstellen anstatt einer Lösung. Schockenhoff hat jedoch die eigentliche Schwierigkeit dieses Problems nicht beschrieben, weshalb ihm in seiner Darstellung auch die vagen Andeutungen dazu reichen Rechmanns Studie10 zielt darauf, einem intellektualistischen Glaubensverständnis, wie man es durchaus zu Recht einigen thomistischen Theologen vorwerfen könnte, das ursprünglich thomasische entgegenzustellen. Seine methodische Innovation besteht darin, die Bestimmung des Glaubens konsequent auf den beformten und nicht auf den unbeformten Glauben zu stützen. Die Kurzformel fides caritate formata sei für Thomas inhaltlich identisch mit dem Ausdruck credere in Deum.11 Die Formel fides caritate formata bedeutet also, dass die Liebe das Ziel bzw. die Entelechie des Glaubens ist. Die Liebe übertrifft den Glauben an Vollkommenheit, aber beinhaltet ihn auch immer zugleich. Die Argumentation Rechmanns gipfelt in der These, dass im Idealfall Glaube und Liebe „konvertibel die gleiche Realität bezeichnen, so daß man sagen kann: Der wahre Glaube ist die wahre Liebe, und umgekehrt ist die wahre Liebe der wahre Glaube.“12 Angewandt auf den Glaubensbegriff würde das also heißen: „Gott wird erkannt, weil er geliebt wird“,13 Glaube sei also eine Art „Sympathieerkenntnis“ (Rousselot). Rechmann besticht durch seine guten Intuitionen, seine theologiegeschichtlichen Kenntnisse und sein systematischgegenwärtiges Interesse. Leider fehlen oft begrifflich zugespitzte Ergebnisse und ein Modell des Verhältnisses von Glaube und Liebe, dass die verschiedenen Momente ebenso wie Einheit und Differenz begrifflich integrieren könnte. Seine Interpretation des Verhältnisses von Glaube und Liebe entkommt zwar den üblichen Fehldeutungen; Rechmann kann dieses Verhältnis aber nicht von den Akten her aufschlüsseln, so dass die Art der Beteiligung des Willens am Glaubensakt auch bei ihm offen bleibt. Heiko Schulz entwickelt in seiner Habilitation eine Typologie von fünf Glaubenstheorien, in der er reduktionistische und nonreduktionistische Ansätze, die jeweils logisch oder ontologisch gefasst sein können, von der fünften Variante, dem Eliminativismus unterscheidet. Thomas von Aquin kommt als Vertreter einer propositionalistischen Theorie innerhalb des logischen Reduktionismus zur Sprache. Dieses Theorietypus führt den Glauben „definitionslogisch auf eine [...] entsprechende propositionale 10 Vgl. Rechmann, Die Liebe als Form des Glaubens. Dieser Text wurde als unvollendetes Manuskript aus dem Nachlass des Gymnasiallehrers Rechmann veröffentlicht. 11 Vgl. Rechmann, Die Liebe als Form des Glaubens, 84f. 12 Rechmann, Die Liebe als Form des Glaubens, 93f. 13 Rechmann, Die Liebe als Form des Glaubens, 90.

Forschungsperspektiven

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Einstellung“14 zurück. Diesen Theorietyp untersucht er gegliedert nach vier Aspekten: Glaube als propositionaler Gehalt, Glaube als propositionale Einstellung, Die religiöse Dimension, Die anthropologische Dimension. Die thomasische Auffassung entwickelt eine spezifische Fassung hinsichtlich ihres Propositionalitätsverständnisses, denn „die Aussagekonzeption des Aquinaten sprengt die Morissche Trias von Syntaktik, Semantik und Pragmatik, und zwar dadurch, daß sie eine irreduzible dritte zeichentheoretische Relation ins Spiel bringt – die von Zeichenbenutzer und Bezeichnetem“.15 An der thomasischen Theorie fällt ihm außerdem „das eigentümliche Konkurrenzverhältnis, das sich [...] zwischen fides und scientia bzw. intellectus ergibt“ auf. „Obwohl der fides dem Wissen gegenüber in theologischer Hinsicht der Vorrang zukommt [...], haftet ihr in erkenntnistheoretischer Hinsicht eine gewisse Unvollkommenheit an“,16 nämlich dass sie noch nicht aufgrund einer Schau ihre Gewissheit hat (wie das Wissen). Im Anschluss daran stellt Schulz die Frage, ob Glaube auf Wissen oder Wissen auf Glauben zurückzuführen sei, in logischer und in ontologischer Hinsicht. Er hebt außerdem hervor, dass für Thomas die Zustimmung zur Erstwahrheit „im freiheitlichen Vollzug eines durch die Liebe geformten Willensentschlusses, der seinerseits auf jenem durch die Gnade Gottes in die menschliche Natur gelegten inneren Antrieb beruht“17 gründet, dass Thomas somit Verstand und Willen als anthropologische Größen im Glaubensakt verknüpft. Er kritisiert daran, dass der Wille nicht so ins Spiel gebracht werden könne, als gründe der Glaube in einem Willensakt, weil dann – Willensakte könnten sich nämlich nur auf Handlungen richten – entweder der Glaube ein Handeln sein müsse oder ansonsten nur eine notwendige Bedingung des Glaubens. Thomas wird zugestanden, dass sein Glaubensbegriff ontologische Implikation habe, insofern der Glaube auch bei ihm eine Art der Teilhabe an der erkannten Wirklichkeit darstelle. Der Verfasser steuert im konstruktiven Teil der Arbeit auf einen Glaubensbegriff zu, der einen logischen Reduktionismus mit Anliegen des ontologischen Nonreduktionismus verbindet. Schulz übersieht, dass die Beteiligung des Willens am Glaubensakt vom thomasischen Text gerade nicht als Willensentschluss gedeutet werden kann (!), denn der erste Willensakt des begnadeten Menschen setzt den Glaubensakt voraus. Außerdem ist für Thomas tatsächlich bei Glauben zwischen Tugend und Akt zu unterscheiden; er kennt also einen Glaubensakt, im schulzschen Sinne also eine Glaubenshandlung. Jenkins versteht Thomas Glaubensanalyse als einen Dreischritt: der Mensch hört das Evangelium, das in den Artikeln des Glaubensbekenntnis14

Schulz, Theorie des Glaubens, 224. Schulz, Theorie des Glaubens, 159. 16 Schulz, Theorie des Glaubens, 178. 17 Schulz, Theorie des Glaubens, 180 Hervorhebungen im Original. 15

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3. Glaube

ses zusammengefasst ist, zweitens begreift er aufgrund des eingegossenen Lichtes der Gnade durch die Gabe der Einsicht, dass und was zu glauben ist, und drittens stimmt er dem durch das sichere Urteil über die Wahrheit der Glaubensartikel – vermittelt durch die Gabe der Wissenschaft – zu. Diese Interpretation bezeichnet Jenkins selbst als externalistisch und als supernaturalistisch.18 Jenkins lässt offen, wie bei dem dritten Moment das sichere Urteil des Verstand und der Wille zusammenwirken, welche Rolle also die Liebe für den Glaubensakt spielt. Trotzdem gehört seine Analyse zu den scharfsinnigsten und anregendsten. Friedo Ricken ist es zu danken, auf den entscheidenden Aspekt der Willensbeteiligung beim Glaubensakt aufmerksam gemacht zu haben: die durch die caritas bewirkte connaturalitas des Willens mit Gott.19 Ricken interessiert sich leider nicht für die Details des Zusammenwirkens von Wille und Verstand im Glaubensakt, weil für ihn feststeht: „Die Zuordnung des religiösen Glaubens zu den beiden Vermögen Intellekt und Wille ist nur eine Annäherung an, aber keine Beschreibung des Phänomens. Wir benötigen zur Beschreibung des Phänomens die religiöse Sprache, und die Beschreibung in dieser Sprache zeigt, daß das Phänomen des religiösen Glaubens nicht erklärt werden kann.“20 So liefert Ricken also ein Lösungswort, aber buchstabiert es nicht durch. Die aktuellste Untersuchung zum Glaubensbegriff hat Bruno Niederbacher21 vorgelegt. Er untersucht den Glauben als Tugend auf dem Hintergrund der Diskussionen über Tugendepistemologie. Ihn interessiert daher vornehmlich der Zusammenhang von Glauben als Erkenntnisakt und als (moralische) Handlung ausgehend von entsprechenden Tugenden. Daher zieht er zur Analyse ausführlich und detailliert die thomasische Handlungstheorie aus STh I–II heran, wodurch er weiterführende Klärungen erreicht. Sein Ergebnis lautet in einer Hinsicht: Glaube wird „als Überzeugungsbildungsweise verstanden, aufgrund derer erstens das kognitive Gut verlässlich erreicht wird, nämlich wahre Überzeugungen über das Letztziel der Menschen; und aufgrund welcher zweitens dieses kognitive Gut auf rechte Weise erreicht wird, nämlich aus einer guten Motivation heraus: caritas.“22 Er lässt jedoch völlig offen, wie die caritas als Motivation wirkt, wie Gott daran beteiligt ist und wie sich der Wille zu Gott in der caritas verhält. Hin auf gegenwärtige Epistemologie affirmiert er die thomasische Position, dass Glaube als Tugend aufzufassen ist.

18

Vgl. Jenkins, Knowledge and Faith, 196f. Ricken, Glaube, 140f. 20 Ricken, Glaube, 141. 21 Vgl. Niederbacher, Glaube (2004). 22 Niederbacher, Glaube, 149, Hervorhebung im Original. 19

Vorüberlegungen

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Fazit Die Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe ist zentral für die Analyse des Glaubens. Der Glaubens- und der Liebesbegriff müssen bei Thomas jeweils aus dem Gesamtzusammenhang von Glaube, Hoffnung und Liebe bestimmt werden. Das folgt daraus, dass Thomas diese drei zuerst in ihrem Zusammenhang und Verhältnis behandelt, dass er zuerst die Gnade und dann ihre Gnadenwirkungen im Einzelnen thematisiert, dass Thomas hier wie auch anderswo Differenz aus und in der Einheit zu verstehen versucht, ohne dadurch die Differenz zu einem sekundären, abgeleiteten Faktum zu machen. Wie das geschieht, wird die Arbeit im Folgenden zeigen. Das bislang noch ungeklärte oder völlig unbefriedigend geklärte Problem in der Interpretation der thomasischen Glaubenstheologie besteht darin, die Rolle des Willens beim Glaubensakt zu verstehen, nämlich erstens was will dieser Wille, zweitens warum bringt er den Verstand zur Zustimmung, wie bringt er drittens den Verstand zur Zustimmung ohne die Wahrheitsbezogenheit des Verstandes außer Kraft zu setzen und viertens wie kann der Wille beim Glaubensakt beteiligt sein, wenn der Akt des durch die caritas veränderten Willens nach Thomas den Glaubensakt schon voraussetzt. Aufbauend auf der Klärung dieser Fragen muss der Status des unbeformten Glaubens in der Glaubenskonzeption des Thomas von Aquin, dessen Möglichkeit und sein Verhältnis zum beformten Glauben begriffen werden. Dies stellt dann auch die Bewährungsprobe der vorgelegten Lösung dar.

3.2 Vorüberlegungen Vorüberlegungen Gemäß des dargestellten Verständnisses von Theologie, die sich als Wissenschaft auf Prinzipien stützt, die sie der Offenbarung entnimmt, verschaffe sich der geneigte Leser einen schnellen Überblick23 über die Prinzipien, aus denen Thomas sein Glaubensverständnis entfaltet. Dabei fällt auf: Das synoptische und das johanneische Zeugnis finden kaum Berücksichtigung, was besonders angesichts der Tatsache ungewöhnlich ist, dass im Johannesevangelium die meisten Belege für das Verb glauben die Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssten. So behandelt Thomas z.B. das Thema Glaube und Zeichen, ohne dabei überhaupt auf das Johannesevangelium Bezug zu nehmen. Alle für die Grundstruktur der thomasischen Glaubensdarlegung tragenden Aussagen entnimmt Thomas dem Hebräerbrief. Die wichtigste 23 Die Übersicht berücksichtigt nur die Artikel, die das Wesen des Glaubens im engeren Sinn behandeln, also STh II–II 1–6. Die Angaben in Klammern hinter den Textstellen bezeichnen also abgekürzt die Artikel aus diesem Abschnitt der Summa Theologiae. Im Folgenden ist der Wortlaut nach der lateinischen Textfassung in der Summa Theologiae wiedergegeben, der deutsche Text nach der deutschen Übersetzung der Summa Theologiae in der deutsch-lateinischen Ausgabe.

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3. Glaube

Ursache dafür ist, dass der Hebräerbrief Formulierungen enthält, die am ehesten wie Definitionen klingen und daher so am besten sich als Prinzipiensätze einer wissenschaftlichen Entfaltung eignen. Auch die Heilsbedeutung des Glaubens entnimmt Thomas dem 11. Kapitel des Hebräerbriefes, obwohl dafür andere neutestamentliche Textstellen wesentlich prägnanter gewesen wären. Entsprechend diesen unten genannten Prinzipien expliziert Thomas höchst selten die Christusbezogenheit des Glaubens und die Verbindung von Glaube und Rechtfertigung (wohl aber im Gnadentraktat!) – was aber gerade nicht heißt, dass beides nicht konstitutiv für sein theologisches Glaubensverständnis wäre! Thomas stellt eben nicht das alles innerhalb des entsprechenden Traktates dar, was für seine theologische Konzeption des Themas wesentlich ist, weshalb die vorliegende Arbeit die Methode wählte, zuerst einen Gedankendurchgang durch die gesamte Summa Theologie zu durchlaufen, bevor der Glaubenstraktat selbst und im Detail analysierend beschritten wird. Hier also die Liste der „Offenbarungsprinzipien“: Hebr 11,1: „Der Glaube ist die Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht.“/„fides est argumentum non apparentium“. (1,4) Hebr 11,1 „Der Glaube ist der Grundbestand dessen, was man erhofft, ein Beweis von Dingen, welche man nicht sieht.“/„fides est substantia sperandarum rerum, argumentum non apparentium.“ (4,1), (4,7) Hebr 11,6: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“/„Sine fide impossible est placere Deo.“ (2,3) Hebr 11,6: „Wer Gott naht, muß glauben, daß Er ist, und daß Er denen, die ihn suchen, ein Vergelter ist.“/„Accedentem ad Deum oportet credere quia est, et quod inquirentibus se remunerator est.“ (2,5), (5,1) Hebr 11,33: Die Heiligen „erlangten im Glauben Verheißungen“/quod sancti „per fidem adepti sunt repromissiones“. (2,9) Röm 10,10: „Mit dem Herzen glaubt man, um gerecht zu werden, doch mit dem Munde bekennt man, um Rettung zu erlangen“/„Corde creditur ad justitiam, ore autem confessio fit ad salutem“. (3,2) Eph 2,8f: „Durch Gnade seid ihr kraft des Glaubens gerettet, und nicht aus euch, auf daß keiner sich rühme; denn er ist Gottes Geschenk.“/„Gratia estis salvati per fidem, et non ex vobis, ne quis glorietur: Dei enim donum est.“ (6,1) 1 Kor 13,12: „Wir schauen jetzt durch einen Spiegel im Rätsel; dann aber von Angesicht zu Angesicht“/„Videmus nunc per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciem.“ (4,2) Gal 5,6: Der Glaube „wirkt durch die Liebe“/Fides autem „per dilectionem operatur“. (4,3) Außerdem führen die sed contra als Offenbarungsprinzipien ein: Joh 16,13 (1,9); Hiob 1,14 (2,6); Gen 1,26 (2,8); 1 Petr 3,15 (2,10); Eph 4,5 (4,6); 1 Thess 2,13 (5,2); Jak 2,19 (5,3); Mt 14,31 – Mt 15,28 (5,4).

Vorüberlegungen

161

Als Autoritäten benennt Thomas in sed contra folgende: Dionysius (1,1), Aristoteles (1,3), (4,5), Gregor d. Gr. (1,5), (1,7), Isidor (1,6), Augustinus (2,1), (2,2), (2,7). Augustinus stellt damit nicht nur den am häufigsten vertretenen Zeugen dar, sondern seine Glaubensbestimmungen in STh II–II 2,1;2 bilden auch inhaltlich die ausschlaggebende Autorität für die thomasische Definition des Glaubensaktes. Wie Thomas Offenbarungsprinzip und philosophische Autorität aufeinander bezieht und im sed contra wirken lässt, sei beispielhaft an STh II–II 4,5 s.c. analysiert. Die Stelle lautet: „Anderseits wird der Mensch durch die Tugenden gerechtfertigt; denn ‚die Gerechtigkeit ist der Inbegriff der Tugend‘ (Aristoteles). Gerechtfertigt aber wird der Mensch durch den Glauben, nach Röm 5,1: ‚So laßt uns denn, gerechtfertigt aus dem Glauben, im Frieden leben‘. Also ist der Glaube eine Tugend.“24 Thomas verbindet Aristoteles und Röm 5,1 zu einem Syllogismus: Prämisse 1 Der Mensch wird durch Tugenden gerechtfertigt. (von Thomas durch Interpretation (!) dem aristotelischen Satz entnommen: Gerechtigkeit ist der Inbegriff der Tugend) Prämisse 2 Der Mensch wird durch den Glauben gerechtfertigt. (von Thomas direkt Röm 5,1 entnommen) Konklusion Also ist der Glaube eine Tugend. Zunächst scheint es, dass Thomas hier zwei Sätze, die aus völlig verschiedenen Kontexten und Begriffsrahmen stammen, durch das Stichwort „rechtfertigen“ zu einer Konklusion führt, die in keiner der beiden Denk- und Begriffsrahmen richtig wäre (für Aristoteles ist Glaube, weil nicht positiv, keine Tugend; für Paulus ist Glaube aus theologischen und rechtfertigungstheologischen Gründen keine Tugend). Sieht man genauer hin, dann interpretiert Thomas zunächst den aristotelischen Satz aus christlich-biblischer Perspektive, bevor er ihn mit dem biblischen Satz aus Röm 5,1 verbindet. Die Kategorie der Verbindung ist eine neutestamentliche (Rechtfertigung), der entscheidende Sinnkontext stellt also der biblische Satz her, nämlich dass der Glaube rechtfertigt. Das knüpft an die grundlegende Perspektive an, unter der Thomas den Glauben in seiner Funktion eingeführt hatte, nämlich im Gnadentraktat bei der Rechtfertigung des Sünders. Das ist die 24 STh II–II 4,5 s.c.: „Sed contra est quod homo per virtutes justificatur: nam ‘justitia est tota virtus’, ut dicitur in 5 Ethic. Sed per fidem homo justificatur: secundum illud ad Rom. 5: ‚Justificati ergo ex fide padem habeamus’ etc. Ergo fides est virtus.”

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3. Glaube

theologische Grundbestimmung des Glaubens, seine Funktion und Bedeutung. Nun fragt Thomas danach, als welches anthropologische Phänomen der Glaube diese theologische Funktion und Bedeutung erfüllt. Für die Beschreibung der anthropologischen Grundphänomene hatte Thomas sich schon in der Prima Secundae auf Aristoteles gestützt, hatte dort also die Lehre von den Vermögen, Akten und Habitus entwickelt, sie aber auch dort schon von ihrem Geschaffensein und ihrer Zielausrichtung auf den (christlichen) Gott her interpretiert. Dort war er dann von den so schon interpretierten Tugenden ausgegangen und hatte als eine davon auch den Glauben behandelt. Nun fragt Thomas vom Glauben her nach dessen Tugendcharakter. Mit einem christlich interpretierten Aristoteles versteht Thomas eine biblisch theologische Aussage über Funktion und Bestimmung des Glaubens hin auf deren Beschreibbarkeit als anthropologisches Phänomen. Dass Thomas dann in seiner Entfaltung ganz anders ansetzt und argumentiert entsprechend der funktionalen Differenz von sed contra und corpus articuli, sei schließlich noch ausdrücklich vermerkt. Thomas führt Glaube als Tugend ein, womit wichtige Weichenstellungen vorgenommen werden: Glaube ist eine gute Haltung, die gute Akte hervorbringt. Thomas setzt verschieden an. Das kann jeweils als Gesamtperspektive interpretiert werden. (a) Glaube wird bestimmt vom Gegenstand, allgemein und konkret, wobei deren Vermittlung besonders aufschlussreich ist (b) vom epistemischen Akt her, also im Vergleich zu Wissen und Vermuten (c) dann die dreifache innere Differenzierung des Glaubens (d) Glaube als (verdienstliche, eingegossene) Tugend (e) Glaube von seiner Ursache her betrachtet (f) Glaube von seiner Wirkung her (g) Glaube in seinem Zusammenwirken mit der Gabe der Einsicht und der Wissenschaft. Sein Glaubenskonzept ist eine Theorie in und für seine geschichtliche Situation: – Der Glaubensbegriff muss verständlich machen, was an Häresie so frevelhaft ist und dass sie zu bestrafen sei. – Sein Glaubenskonzept muss mit dem Faktum der muslimischen und der jüdischen Religion sowie mit einem rein philosophischen Gottesbegriff (Aristoteles) umgehen und dafür Kategorien finden. – Der Glaubensbegriff muss vor der philosophischen Theorie (Aristoteles) verantwortbar sein. – Der Glaube muss als der überlegene Weg zur Vollendung des Menschen gegenüber einem philosophischen Weg (Aristoteles) begründet werden. – Theologie muss als Wissenschaft begründet werden, um ihren Ort an der Universität zu rechtfertigen.

163

Der Gegenstand des Glaubens

Unter Berücksichtigung dieser thomasischen Erkenntnisinteressen soll nun sein Gedankengang nachgezeichnet werden.

3.3 Der Gegenstand des Glaubens Der Gegenstand des Glaubens Thomas leitet die Secunda Secundae ein damit, dass er nun die materia morali im Einzelnen und Besonderen, nach ihrer allgemeinen Behandlung in der Prima Secundae, darstellen will. Diese Betrachtung ordnet er durch die Gliederung nach den sieben Haupttugenden (das Besondere vom Ethischen selbst her bestimmt) und nach den Ständen (das Ethische spezifiziert durch die Menschen in ihren besonderen Umständen). Zunächst stellt er die theologischen Tugenden dar, beginnend mit dem Glauben. Der Glaubenstraktat behandelt zunächst den Gegenstand des Glaubens, dann den Glaubensakt, der sich auf diesen Gegenstand richtet. Der Glaubensakt setzt die Tugend des Glaubens voraus, welche Thomas als drittens untersucht. Daraufhin wendet er sich den Gaben des Glaubens (Einsicht und Wissenschaft) zu, dann den entsprechenden Seligpreisungen, den Früchten, dem Unglauben und zum Schluss den Geboten, die sich auf den Glauben beziehen. Die Strukturanalogie zwischen Prima Secunda und Glaubenstraktat sei hier nochmals vor Augen geführt:25 STh I–II Das letzte Ziel Menschliche Akte

Tugenden

Gaben

25

STh II–II 1–16 Gegenstand des Glaubens Glaubensakt der innere Akt der äußere Akt Tugend des Glaubens die Tugend selbst Träger des Glaubens Ursache des Glaubens Wirkungen des Glaubens Gaben des Glaubens Gabe der Einsicht 6. Seligpreisung Frucht des Hl. Geistes Gabe der Wissenschaft 3. Seligpreisung

Quaestio 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Siehe dazu die übersichtliche Darstellung bei Niederbacher, Glaube, 11f.

164

3. Glaube

Seligpreisungen Früchte Sünde

Gesetz Gnade

Unglaube als Sünde Die Häresie Der Abfall vom Glauben Gotteslästerung als Sünde Lästerung gegen den Hl. Geist Laster gegen die Gabe der Einsicht Gebote

10 11 12 13 14 15 16

Vergleich des Aufbaus von Prima Secundae und Glaubenstraktat

Gegenstand des Glaubens ist Gott als die veritas prima. Thomas hatte ausgeführt, dass Gott die erste und höchste Wahrheit sei, weil bei ihm, betreffs von Wahrheit, die im Verstande ist, Gottes Erkennen die Ursache und das Maß für das Sein der Dinge und jedes Verstandes ist, und, was Wahrheit als in dem zu Erkennenden angeht, zwischen Erkennen und Erkanntem bei Gott der denkbar engste Zusammenhang besteht, insofern Gott sein Erkennen ist. Der Mensch steht als Erkennender in einer strukturellen Beziehung zur prima veritas, insofern das Licht des Verstandes, die Urprinzipien eine Einprägung der prima veritas darstellen – „denn das Verstandeslicht, das in uns ist, ist nichts anderes als eine gewisse uns zuteil gewordene Ähnlichkeit des ungeschaffenen Lichtes, in dem die ewigen Urbilder enthalten sind.“26 Die menschliche Seele erkennt nur, indem sie an der Erkenntniskraft Gottes teilhat.27 In anderer Hinsicht bedeutet prima veritas, dass diese Wahrheit die erkennbarste überhaupt ist: Erkennbar ist, was in actu ist. Gott ist reiner Akt, daher ist er am erkennbarsten – wenn auch nur an sich, nicht für den Menschen, wegen dessen spezifischer Erkenntnisausstattung, die seine Erkenntnis bei sinnlicher Wahrnehmung beginnen lassen. Inwiefern ist nun die prima veritas Gegenstand des Glaubens? Thomas differenziert zunächst zwischen Materialgegenstand und der ratio formalis objecti. Im Falle der Geometrie so Thomas hier – entspricht das dem Unterschied zwischen einer Schlussfolgerung und dem dazugehörigen Beweis. Durch die Beweise erkennt der Mensch die Schlussfolgerungen in ihrer Gültigkeit und in ihrem Inhalt. Übertragen auf den Glaubensgegenstand ist das Materialobjekt Gott als prima veritas und das, durch das Gott dem Men-

26 STh I 84,5 c.a.: „ipsum enim lumen intellectuale quod est in nobis, nihil est aliud quam quaedam participata similitudo luminis increati, in quo continentur rationes aeterna“. 27 Vgl. STh 79,4 c.a.

Der Gegenstand des Glaubens

165

schen hilft, nach der frutio Dei28 zu streben: z.B. die Menschheit Jesu Christi und die Sakramente der Kirche. Aber auch als ratio formalis objecti ist die prima veritas Gegenstand des Glaubens. Gottes als prima veritas in der Offenbarung dient dem Glaubenden als Erkenntnismittel: Ratio formalis objecti,29 Erkenntnismittel heißt: So kommt der Glaube zu Inhalten, und das Erkenntnismittel veranlasst die Zustimmung zum Inhalt. Weil die Inhalte als Offenbarung dem Menschen begegnen, wird ihnen zugestimmt. Auf den komplexen Zusammenhang von Gott als Wahrheit und der Offenbarung reflektiert Thomas hier nicht ausdrücklich, sondern verwendet prima veritas und Offenbarung punktuell synonym. Verglichen mit den Ausführungen Thomas über die Theologie fällt auf, dass er das Materialobjekt dort weiter fasst, nämlich als Gott und inwiefern er Ursprung und Ziel der Geschöpfe ist. Das Formalobjekt bezeichnet alles, insofern es von Gott offenbart ist. Die Offenbarung wiederum vermittelt Prinzipien, die aus der Wissenschaft Gottes und der Heiligen stammen. Was den materialen Gegenstand betrifft, Gegenstand des Glaubens vom Glaubenden her sind Aussagen (etwas Zusammengesetztes), von Gegenstand des Glaubens her aber etwas Unzusammengesetztes, eben die veritas prima. Denn die Erkenntnis ist im Erkennenden nach Weise des Erkennenden. Der menschliche Intellekt erkennt aber durch Zusammensetzung, indem einem Subjekt ein Prädikat zuoder abgesprochen wird, während der göttliche Intellekt auf unzusammengesetzte Weise auch das Zusammengesetzte erkennt. Die Aussagen sind aber für den menschlichen Intellekt nicht das Ziel, sondern das Mittel von Erkenntnis,30 die sich nicht auf die Aussagen, sondern durch die Aussage auf den durch sie ausgesagten Gegenstand bezieht. 28

Gegenstand des Glaubens, der sich als Erkenntnis auf das verum richtet, ist hier also auch das, was sich auf Gott als Gegenstand des Willens bezieht, also die Beziehung auf Gott als das bonum als verum. 29 Thomas erläutert anhand der Geometrie den Unterschied zwischen Materialobjekt und ratio fomalis objecti als die zwischen Schlussfolgerung und Beweis für diese. Indem er dies hier unmittelbar auf die Theologie überträgt, lässt er außer acht, dass die Theologie laut STh I 1,2 einem anderen Wissenschaftstyp als die dort ebenfalls genannte Geometrie zuzuordnen ist, nämlich einer Wissenschaft, die ihre Prinzipien (von denen die Beweise ausgehen) einer anderen, höheren Wissenschaft verdankt. Während dort die Offenbarung hinsichtlich ihrer Inhalte den Prinzipien einer Wissenschaft entsprach, nimmt hier die Offenbarung die Stelle der Beweise ein. Als bemerkenswert ist festzuhalten, dass Thomas hier Glaube (und nicht Theologie!) mit einer Wissenschaft (Geometrie) vergleicht. 30 „Das, was in einer solchen Aussage bejaht wird, ist nämlich nicht eigentlich der sie repräsentierende Satz und auch nicht dessen komplexer propositionaler Gehalt, sondern in beiden etwas Aussagejenseitiges: die inkomplexe und als solche nicht- bzw. transpropositionale Erst-Wahrheit. Von dieser gilt, daß sie in gewisser Weise nur im Medium menschlicher Sprache und gleichwohl in dieser gerade nicht bzw. nur uneigentlich und als indirekter Verweis auf etwas jenseits ihrer selbst Liegendes transparent werden kann“ so Schulz, Theorie des Glaubens, 158.

166

Glaube

Dem Glauben kann nichts Falsches unterliegen, weil dem Gehaben des Glaubens nur unterliegen kann, was durch seine ratio formalis objecti, also die prima veritas als Offenbarung vermittelt ist. Außerdem kann das Gehaben des Glaubens, als eine Vervollkommnung des Verstandes, nichts Falsches glauben, sonst wäre es keine Vervollkommnung. Allerdings ist es möglich, dass der Glaubende aufgrund menschlicher Vermutung etwas Falsches annimmt. Dies entsteht insbesondere, wenn die Allgemeinsätze des Glaubens auf Konkretes bezogen werden. Aus der Innen-Perspektive des glaubenden Menschen ist jedoch nicht unterscheidbar, wo er glaubt oder bezüglich der Anwendung von Glaubensaussagen nur vermutet und das falsch. Auch hier betont Thomas wieder die Parallelität von natürlichensinnlichen Phänomenen mit dem Glauben: Die visuelle Wahrnehmung ist bedingt durch das Licht als der ratio fomalis objecti des Sehens. Der Gegenstand des Glaubens ist nichts Geschautes. Glaube bedeutet eine Zustimmung31 des Intellekts zu dem, was geglaubt wird. Eine Zustimmung zu Inhalten gibt der Intellekt auf vier Weisen, die damit vier „Wissensformen“ konstituieren (intellectus, scientia, opinio, fides). Die Zustimmung kann durch den Gegenstand selbst bestimmt werden, entweder weil er durch sich selbst gekannt ist (die Ursätze) oder durch Schlussfolgerungen. Ist die Zustimmung nicht vom Gegenstand bestimmt, sondern durch eine Wahlentscheidung, so kann diese entweder mit oder ohne Zweifeln geschehen. Beim Glauben geschieht die Zustimmung ohne Zweifel, weil eine Notwendigkeit zu glauben (zuzustimmen) gesehen wird, die aber nicht vom Gegenstand selbst ausgeht, sondern von anderen Umständen z.B. von Zeichen.32 Also wird auch hier der Intellekt zur Zustimmung (von außen) bewegt, nur nicht von der Sache selbst, sondern von anderen Faktoren. Thomas kommt zum Fazit, dass das Geschaute nicht geglaubt werden kann, was eine implizite Umformulierung der Fragestellung darstellt. Glauben impliziert für Thomas aber ein Schauen, insofern, als der Mensch nämlich sieht, dass geglaubt werden muss, „entweder dank der Einsichtigkeit der Zeichen oder vermöge irgend etwas dergleichen.“33 In diesem Artikel wird fides als rein formal bestimmter Akt verstanden, so dass Thomas bei den Gegenein-

31 Schockenhoff macht auf die thomasische Unterscheidung von assentire und consentire aufmerksam, indem er De ver. 14,1 ad 3 zitiert: „...assentire proprie pertinet ad intellectum, quia importat absolutam adhaerentiam ei ciu assentitur; sed consentire est proprie voluntatis, quia consentire est simul cum alio sentire; et sic dicitur in ordine vel per comparationem ad aliquid praecedens“, Schockenhoff, Bonum hominis, 365. 32 Schockenhoff (Bonum hominis, 365f) und Davies (Aquinas, 165) sehen in der thomasischen Konzeption vor allem die Freiheit des Menschen bewahrt; sie betonen beide, die freie Antwort des Menschen im Glaubensakt. 33 STh II–II 1,4 ad 2: „non enim crederet nisi videret ea esse credenda, vel propter evidentiam signorum vel propter aliquid hujusmodi“.

Der Gegenstand des Glaubens

167

wänden vom rechten Glauben sprechen muss, um das vorher mit Glaube Gemeinte zu bezeichnen. Der Glaubensinhalt wird durch Artikel unterschieden und gegliedert. Die Unterscheidung richtet sich nach der verschiedenen Weise der Unsichtbarkeit (und damit Schwierigkeit) des Glaubensgegenstandes. Die Zahl der Glaubensartikel ist im Laufe der Zeit gewachsen, das bedeutet aber kein inhaltliches Wachstum, sondern nur eine zunehmende Explikation dessen, was schon im Glauben der vorherigen implizit enthalten war. Woher kommt das Glaubensbekenntnis? Hier wird es als Bekenntnis der Glaubenserkenntnisse dargestellt. Thomas gliedert das Glaubensbekenntnis in 14 Artikel. Zur Begründung geht er zurück auf das, was eigentlich zum Glauben gehört: das, was wir im ewigen Leben sehen werden und das, durch das wir dahin geführt werden. Wenn ein neuer Irrtum auftritt, muss dem eine neue Bekenntnisformulierung entgegenwirken. Eine solche kann nur vom Papst aufgestellt werden, unter dessen Autorität die lehrmäßigen Glaubensentscheidungen stehen. Zusammenfassung Der Gegenstand des Glaubens ist zwar die Erstwahrheit; aber als ratio formalis fidei ist sie für den Menschen ein Unsichtbares, Zusammengesetztes. Thomas beginnt mit der Erstwahrheit und endet bei der Autorität des Papstes, neue Bekenntnisse aufzustellen. So schafft er die Vermittlung von Gott/der Erstwahrheit als oberster Autorität zum Papst als oberster Autorität, der sich die Gesamtkirche zu unterwerfen hat. Dies thematisiert er, bevor überhaupt der Akt des Glaubens, das Subjekt sozusagen überhaupt in den Blick gekommen ist. Fraglich ist noch, wie Thomas das Verhältnis der Irrtumslosigkeit und Autorität der Gesamtkirche zur Autorität des Papstes bestimmt. Bei der Rede von der päpstlichen Autorität ist nicht von Irrtumslosigkeit die Rede, sondern von göttlichem Auftrag und von der Notwendigkeit der Einheit. Thomas geht mit der Geschichtlichkeit einerseits so um, dass er sie bestätigt und vom Menschen her erklärt und dabei andererseits die Ungeschichtlichkeit der Wahrheit festhält. Besonders problematisch wird das, wenn er erklärt, warum dem Glauben nichts Falsches unterlaufen kann: Wir glauben nicht die bestimmte historische Geburt Christi, sondern dass er überhaupt geboren wird zum Heil der Menschen. Daher irrten auch die jüdischen Zeitgenossen Jesu nicht in ihrem Glauben, sondern nur in ihren menschlichen Vermutungen. Aber schon in der Abhandlung über den Gegenstand hat Thomas die Grundlinien seines Verständnisses des Glaubensaktes dargelegt: Glauben als Zustimmen, zwischen Wissen und Meinen, aufgrund der Einsicht in die Glaubwürdigkeit der Offenbarung.

168

3. Glaube

3.4 Der Akt des Glaubens Der Akt des Glaubens 3.4.1 Der innere Glaubensakt Den Glaubensakt definiert Thomas in Anschluss an zwei Bestimmungen, die in ihren Einzelbestandteilen auf Augustinus zurückgehen. (1) Credere est cum assensione cogitare./Glauben heißt beistimmend überdenken.34 (2) Actus fidei dinstinguantur per hoc quod est credere Deo, credere Deum et credere in Deum./Die Akte des Glaubens sind zu differenzieren als glauben, dass Gott ist, Gott glauben und auf Gott hin glauben.35 Beide Definitionen werden im Folgenden einzeln analysiert und dann aufeinander bezogen. Zunächst also sei Definition (1) erläutert. Dieser Definition fehlt die Benennung des Gegenstandes, auf den sich der Akt bezieht. Thomas setzt hier alles voraus, was er in Quaestio 1 des Glaubenstraktates über den Glaubensgegenstand ausführte. Im Folgenden bezieht sich Thomas ausschließlich auf den Akt, der sich auf die Erstwahrheit richtet, die in ihrem Inhalt durch das Glaubensbekenntnis ausgedrückt und verbindlich durch die Lehre der Kirche ausgelegt ist. Daher erhält der Glaubensakt seine Bestimmtheit. Diese Weise des Bezugnehmens auf diesen Gegenstand bezeichnet Thomas mit Beistimmung und mit Überdenken, wobei der Grundakt das Überdenken ist, das durch die Beistimmung näher bestimmt wird. Das, was der Mensch überdenkt, weiß er (noch) nicht, daher untersucht er es. Die Grundbewegung des Glaubens ist also ein Suchen nach Wahrheit als Wissen, weil man der Wahrheit noch nicht wissend innegeworden ist. Thomas gebraucht dafür auch die Begriffe „speculatio“36 und „inquisitio“.37 Diese geistige Suchbewegung kennzeichnet Thomas als durch Beistimmung geprägte. Beistimmend richtet sich der Mensch auf die Sätze des Glaubensbekenntnis, indem er sie ohne Vorbehalte bejaht und nicht verneint, mit derselben Bejahungsintensität, die sonst nur dem Wissen und Einsehen eignet. Thomas ordnet den Glaubensakt dabei ein in die Gattung der epistemischen Akte. Er unterscheidet diese Akte anhand der Kriterien, ob sie mit Festigkeit und ob sie aufgrund von Evidenz bzw. schlüssiger Argumentation erfolgen. So erhält er folgende Arten von Akten, die sich auf wahr/falsch richten: Wissen, Einsicht, Glauben, Meinen, Vermuten und Zweifeln.38 34

STh II–II 2,1. Er steht damit in einer Traditionslinie, die bei Wilhelm von St. Thierry beginnt. STh II–II 2,2. 36 STh II–II 9,3 c.a. 37 STh II–II 2,1 c.a. 38 Pesch interpretiert das so: „Aber Thomas will mit der Formel Augustins gerade den Glauben aus der bekannten sich steigernden Liste der Erkenntnisweisen bei Aristoteles herausnehmen“, 35

Der Akt des Glaubens

169

Diese Zustimmung wie beim Wissen zu Inhalten, die man nicht weiß, ändert nichts daran, dass das Überdenken eine wirkliche Suchbewegung ist. Diese Suchbewegung ist darin besonders, dass sie das zu wissen sucht, dessen Wahrsein sie vorgängig zugestimmt hat, wie wissend, aber ohne zu wissen. Würde die Zustimmung die Suchbewegung ersetzen, also das Geglaubte als Gewusstes genommen, so wäre das für Thomas kein Glauben. Den interpretationsbedürftigen Aspekt der thomasischen Glaubensdefinition erblickt Thomas selbst im Beistimmen, so dass sich seine weiteren Ausführungen damit beschäftigen: Wie und warum stimmt wer den Glaubensinhalten zu? Die erste Antwort lautet: Der Verstand des Menschen stimmt den nicht-selbstevidenten Glaubenssätzen zu, weil der Wille das befiehlt. Wie das zu denken ist, führen die unten stehenden Argumentationen vor. Zunächst aber zur Glaubensdefinition (2). Die dreigliedrige Formel besagt, dass der Glaubensakt sich in dreierlei Hinsicht auf den Glaubensgegenstand bezieht, nämlich als inhaltlichen Gegenstand, als ratio formalis und als Ziel. Die ersten beiden Hinsichten entsprechen dem, was Thomas zum Gegenstand des Glaubens bisher schon seinen Lesern nahe brachte. Gott als die Erstwahrheit wird geglaubt, insofern die Erstwahrheit Urheber der Offenbarung ist, aufgrund derer geglaubt wird. Erkenntnisinhalt und Erkenntnismittel entsprechen sich. Der Glaubende glaubt Gott in dem, was dieser über sich sagt. Da Gott über sich nicht nur sagt, dass er ist, wäre der Inhalt des Glaubens dahingehend zu präzisieren: Der Glaubende glaubt, dass Gott, wie ihn die Offenbarung aussagt, existiert.39 Die Erstwahrheit als Ziel ist dem Glaubensakt Gegenstand, insofern der Wille am Glaubensakt beteiligt ist. Der Wille zielt auf die Erstwahrheit (beim Glaubensakt), dass sie zukünftig geschaut werde, dass der Verstand sie aus sich heraus in ihrer Wahrheit bejaht, sie also weiß.40 Gegenstand des Verstandes ist die Erstwahrheit als noch nicht geschaute, Ziel ist sie als zu schauende. Diese verschiedenen Aspekte des Glaubensaktes bezeichnen ein und denselben Akt – nicht eine Addition oder Aufeinanderfolge von Akten.

Pesch, Thomas von Aquin, 119, Hervorhebung im Original. Dies gilt insofern, als nur beim Glauben die Festigkeit der Zustimmung nicht in Korrelation steht zur Erkennbarkeit und Evidenz der Aussagen, denen zugestimmt wird. Thomas gelingt so beides in einem: die Besonderheit des Glaubens darzustellen, aber als eines epistemischen Aktes. 39 Das reicht also weiter, als die thomasischen Gottesbeweise, sofern man sie als philosophische versteht, führen. Die Funktion der Gottesbeweise erschöpft sich aber in der Summa nicht in ihrer philosophischen Aussage. 40 Wobei Wissen bezogen auf die Erstwahrheit bzw. auf Gott ein unabschließbares Erkennen bedeutet, weshalb Thomas dafür immer den Terminus „Schauen“ verwendet.

170

3. Glaube

Glauben ist also ein Akt des Verstandes, der sich auf wahr/falsch bezieht, der durch den Willen bestimmt mit Festigkeit Aussagen zustimmt, die ihrer eigenen Rationalität nach (noch) nicht gewusst/geschaut werden können und die deshalb untersucht werden, auf das Ziel einer zukünftigen Schau dieser ausgesagten Wahrheiten hin.41

3.4.2 Wille und Verstand im Glaubensakt Welche Rolle spielt der Wille beim Glaubensakt, der primär ein Akt des Verstandes ist? Grundsätzlich kann der Wille in zweierlei Hinsicht auf andere Vermögen wirken: indem er sie zum Vollzug eines Aktes bewegt (ad exercitium actus) oder – darüber hinaus auch die inhaltliche Bestimmtheit des Aktes bewirkt (ad determinationem actus). Alle Akte des Verstandes bedürfen des Willens, dass er sie zur Ausführung befehle. Dass ich über etwas nachdenke, nach etwas frage, etwas zu verstehen suche, muss ich wollen. In dieser Hinsicht (ad exercitium actus) erscheint die Beteiligung des Willens am Glaubensakt völlig unproblematisch. Kopfzerbrechen bereitet dagegen die von Thomas behauptete inhaltliche Bestimmtheit des Glaubensaktes durch den Willen, wenn nicht antikatholische Vorurteile hier gleich ein sacrificium intellectus oder Autoritätshörigkeit oder Wunschdenken feststellen. Diesen Gefahren liefert sich die thomasische Theorie aus; zu untersuchen ist, ob sie ihnen erliegt oder nicht und sich als Theorie so selbst zum Erliegen bringt. (a) Erstens ist zu vergegenwärtigen, wie der Verstand seine Akte vollzieht.42 (b) Zweitens, unter welchen Bedingungen vom Verstand her eine inhaltliche Bestimmung durch den Willen möglich ist. (c) Drittens, unter welchen Bedingungen die Bestimmung durch den Willen trotzdem kein willkürlicher Verstandesakt ist. (d) Viertens ist zu klären, was den Willen als Willen dazu bewegt, dem Verstand die Zustimmung zu befehlen.

41 Pesch formuliert schön: „Der Glaubende ist nicht nur allgemein ‚im Licht der Wahrheit Gottes‘, vielmehr lebt er durch den Akt des Glaubens in der Vorform der ewigen Gottesschau. Alle Dynamik des Fragens, Überlegens, Nachdenkens, des ‚Wälzens‘ zielt darauf, diese Vorform so intensiv wie möglich auszuschöpfen, bis an die Grenze, die, modern gesprochen, Gottes eschatologischer Vorbehalt zieht.“, Pesch, Thomas von Aquin, 120. 42 Vgl. STh I–II 17,6; dazu die übersichtliche Darstellung bei Niederbacher, Glaube, 62f.

Der Akt des Glaubens

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(a) Der Verstand erfasst in einem ersten Akt die Wahrheit von etwas, entweder kraft eines natürlichen oder eines übernatürlichen Lichtes. Beim Glauben geschieht das durch das übernatürliche Licht, das mit der Gabe der Einsicht identisch ist.43 Diese bewirkt, dass der Mensch die ihm in den Glaubenssätzen vorgelegte Wahrheit richtig erfasst, wozu gehört zu erkennen, dass Gott das letzte Ziel des Menschen ist. Durch die Gabe der Einsicht versteht der Mensch, dass zu glauben ist. Außerdem bewirkt die Gabe der Einsicht, dass, was in der Offenbarung von Gott gesagt ist, nicht wie Aussagen über Geschaffenes verstanden wird. Der Verstand stimmt in einem zweiten Akt dem zu, was er erfasst hat. Das erzwingen entweder die Inhalte aufgrund von Evidenz oder argumentativer Schlüssigkeit,44 oder nicht, dann ist Zustimmung (oder Ablehnung) dem Willen anheim gestellt. (b) In allen Fällen, in denen die Inhalte bzw. Gegenstände des Verstandes nicht als sie selbst Zustimmung erzwingen, kann und muss der Wille das Verhalten ihnen gegenüber bestimmen, also Zustimmung, Ablehnung oder Offenlassen. Das impliziert nicht per se ein willkürliches Verhalten; der Wille kann sich an Indizien, Wahrscheinlichkeiten etc orientieren. Den Glaubenssätzen des Glaubensbekenntnisses muss einerseits Selbstevidenz oder argumentative Schlüssigkeit im strengen Sinne abgesprochen werden; andererseits auch Selbstwidersprüchlichkeit. Wäre also dem Verstand aufgrund der Struktur der Glaubenssätze klar, dass diese falsch sind, würden die Glaubenssätze – so wie der Verstand sie erfasst – die Ablehnung erzwingen, worauf der Wille legitimerweise keinen Einfluss hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmtheit dieses Verstandesaktes nehmen könnte. Liegt also weder zwingende Schlüssigkeit noch Selbstwidersprüchlichkeit vor, kann und muss hier nach Thomas der Wille – was sonst – Zustimmung (oder Ablehnung) bestimmen. Daher führt die Beteiligung des Willens am Inhalt des Verstandesaktes nicht notwendig zu einer Außerkraftsetzung der Wahrheitsbezogenheit des Verstandes oder zu einer Ausschaltung seiner Eigentätigkeit. (c) In den meisten Fällen, da weder Zustimmung noch Ablehnung des Verstandes von den Aussagen selbst erzwungen werden, legen Wahrscheinlichkeitsgründe, Hinweise, Zeichen eine Zustimmung oder Ablehnung nahe. Hinweise entstammen nicht der rationalen Struktur der entsprechenden Aussagen selbst, sondern den Umständen, unter denen sie geäußert werden: Wer behauptet etwas, aufgrund welcher Kompetenz, Vollmacht, mit welchem Interesse. Solche Hinweise begleiten nach Thomas auch die Glaubenssätze; es gibt sogenannte Glaubwürdigkeitsgründe. Wunder nennt 43 „Sic ergo intellectuale lumen gratiae ponitur donum intellectus“ STh II–II 8,5 c.a.: „In diesem Sinne also wird die geistige Leuchte der Gnade als Gabe der Einsicht begriffen“. 44 Das zeichnet gerade das Wissen aus, vgl. dazu auch STh II–II 2,9 ad 2.

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3. Glaube

Thomas an erster Stelle: Wunder, welche die Wirkmächtigkeit und Vollmacht Christi als des Offenbarers bestätigen und so seiner Offenbarung und den Inhalten Glaubwürdigkeit verleihen. Wunder können Menschen äußerlich zum Glauben führen, wenn sie selber sehen oder gar an sich erfahren. Dann kann nach Thomas die Verkündigung bzw. Überredung durch andere Menschen die Hinneigung zum Glauben fördern (aber nicht den Ausschlag geben oder als Ursache fungieren!), wobei er nicht erläutert, inwiefern das die Glaubwürdigkeit der Glaubenssätze erhöht. Mit dem Theorem der Glaubwürdigkeit45 verfolgt Thomas zwei Interessen: – Er will betonen, dass die Glaubenszustimmung rational gerechtfertigt werden kann und nicht willkürlich ist. – Er will festhalten, dass trotz Glaubwürdigkeitsgründen der Zustimmungsakt vom Willen befohlen ist. Wie kann Thomas das theoretisch miteinander vermitteln? Seine Hauptaussagen in der Summa Theologiae dazu lauten folgendermaßen: – „denn er würde nicht glauben, wenn er nicht sähe, daß hier geglaubt werden muß, entweder dank der Einsichtigkeit der Zeichen oder vermöge irgend etwas dergleichen“; „auf diese Weise wird es, von dem, der glaubt, gesehen“46 – „Die Ungläubigen haben von dem, was des Glaubens ist, Unkenntnis; denn weder sehen oder wissen sie es in sich, noch erkennen sie es als glaubwürdig. Dagegen haben die Gläubigen auf letztere Weise Kenntnis davon, nicht sozusagen beweismäßig, sondern insofern sie es vermöge der Leuchte des Glaubens als zu Glaubendes schauen.“47 Daraus ist zu folgern, dass die Einsicht in „das ist zu glauben“, nicht dem Glauben als eingegossenem Habitus vorausgeht, sondern erst durch den 45 In der Thomasforschung entwickelt sich daraus eine intensive Debatte darüber, welche Rolle die Glaubwürdigkeitsgründe für den Glaubensakt spielen. Mit Niederbacher, Glaube, 78f kann man dabei drei Positionen unterscheiden: (1) Die Glaubwürdigkeitsargumente sind für den Glauben weder notwendig, noch hinreichend. (2) Die Glaubwürdigkeitsargumente gehen nicht in den Glaubensakt selbst ein, sind aber als Hinführung notwendig. (3) Die Glaubwürdigkeitsargumente sind für den Glaubensakt selbst notwendig. 46 STh II–II 1,4 ad 2: “non enim crederet nisi videret ea esse credenda, vel propter evidentiam signorum vel propter aliquid hujusmodi.” “Et sic sunt visa ab eo qui credit”. 47 STh II–II 1,5 ad 1: „Quod infidels eorum quae sunt fidei ignorantiam habent: quia nec vident aut sciunt ea in seipsis, nec cognoscunt ea esse credibilia. Sed per hunc modum fideles habent eorum notitiam, non quasi demonstrative, sed inquantum per lumen fidei videntur esse credenda”.

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eingegossenen Habitus erwirkt wird, aber konstitutiv für den Glaubensakt ist. Der Glaubensakt setzt den eingegossenen Glaubenshabitus voraus, der hinsichtlich der Vervollkommnung der Erkenntniskraft lumen fidei genannt wird. Daher kann das Aufzeigen von Glaubwürdigkeitsgründen (durch andere) zum Glauben äußerlich hinführen, die Einsicht aber in die Glaubwürdigkeitsgründe in ihrer Glaubwürdigkeit bewirkt erst der Glaubenshabitus, welcher selbst nie durch die Einsicht etwa erst erzeugt werden könnte.48 Warum aber ist dann – den Glaubenshabitus vorausgesetzt – doch immer noch der Wille notwendig und ausschlaggebend für den Glaubensakt der Zustimmung? Weil epistemisch eine Differenz verbleibt zwischen „Einsehen, dass etwas wahr sein muss“ und „etwas Einsehen“.49 Der fehlende eigene Zugang zur Evidenz oder rationalen Schlüssigkeit von Aussagen kann nie ganz ersetzt werden durch äußere Gründe, ihnen zuzustimmen – das hat mit der internen Logik von Wissen zu tun, zu dem gehört, nicht nur für wahr zu halten, dass etwas der Fall ist, sondern auch die Gründe zu kennen, warum es der Fall ist. Daher kann also nie die durch äußere Gründe vermittelte Einsicht, dass etwas wahr sein muss das wirkliche Fürwahrhalten des Verstandes erzwingen; den Ausschlag kann nur der Wille geben. (d) Was bewegt den Willen, dem Verstand die Zustimmung zu befehlen? „Demnach stammt der Glaube hinsichtlich der Beistimmung, welche der ausschlaggebende Akt des Glaubens ist, von Gott, der innerlich durch die Gnade dazu bewegt.“50 Thomas grenzt sich an dieser Stelle explizit gegen pelagianische Ansichten ab, die das liberum arbitrium aus sich selbst heraus für die Glaubenszustimmung verantwortlich machen. Das liberum arbitrium wirkt auch für Thomas, aber nur, insofern es selbst ganz von Gott bewegt ist. Warum kann nur Gott den Willen zum Glaubensakt bewegen und wie bewegt Gott den Willen? Weil der Mensch in und durch die Glaubenszustimmung über seine Natur hinausgehoben wird, kann ihn allein Gott dazu bewegen, der ihn durch die eingegossene Gnade über seine Natur hinaushebt. Impliziert ist dabei, dass der Mensch, was er qua Natur nicht vermag, erst recht nicht als Sünder kann. 48 Bezüglich der Debatte um die Glaubwürdigkeitsgründe wird hier also eine vierte, differenzierte Position vertreten (Mischung aus (1) und (3)): Als Vorbereitung zum Glauben sind durch andere geltend gemachte Glaubwürdigkeitsgründe weder notwendig, noch hinreichend, aber können hilfreich sein. Für den Glaubensakt selbst als notwendige Voraussetzung, die in ihn eingeht als konstitutiver Bestandteil fungiert die durch den Glaubenshabitus bewirkte Einsicht in die Glaubwürdigkeit des zu Glaubenden, die aber nicht an bestimmten einzelnen Glaubwürdigkeitsargumenten zu hängen braucht! 49 Beispiel: Man kann einsehen, dass ein erfolgreicher, aufrichtiger, verantwortungsbewusster und kompetenter Arzt recht haben muss, wenn er sagt, dass Froschspucke optimal gegen Haarausfall hilft, während man selbst nicht einsieht, dass Froschspucke gegen Haarausfall hilft. 50 STh II–II 6,1 c.a.: „Et ideo fides, quantum ad assensum, qui est principalis actus fidei, est a Deo interius movente per gratiam“.

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Glaube

Wie bewegt Gott in diesem Fall den Willen und wie bestimmt dann der so bewegte Wille den Verstand zur Zustimmung? Zunächst sei daran erinnert, dass Wille die ganze Seele des Menschen bezeichnet, insofern diese sich strebend ausrichtet.51 Wille ist die Ausrichtung des ganzen Menschen. Wenn Gott den Willen über seine Natur erhebt (durch Eingießung der caritas), dann verleiht er ihm eine veränderte Ausrichtbarkeit und tatsächliche Ausrichtung. Das geschieht durch die caritas, also durch Liebe und als Liebe. Ursache und Wesen der Liebe hatte Thomas als Konnaturalität definiert. Die Liebe erstrebt etwas, weil etwas dem Menschen konnatural ist. Durch das liebende Streben erhält die Konnaturalität eine Dynamik; der Liebende wird dem Geliebten immer noch konnaturaler. Durch Eingießung der Gnade, die im Willen zu Liebe wird, verwandelt Gott den Menschen so, dass dieser der göttlichen Natur konnatural wird und Gott liebend erstrebt. Aus der Perspektive des gnadenhaft liebenden Menschen ist das so zu beschreiben, dass Gott sich als das bonum schlechthin zeigt, das den Willen daher ganz bindet und als dieses zum Letztziel wird. Die Orientierung des Willens auf das bonum universale in formaler Hinsicht erfüllt sich nun in Gott als dem wirklichen bonum universale. Die caritas als eingegossene Tugend verleiht dem Menschen also eine neue Letztzielorientierung. Diese neue Letztzielorientierung des Willens ist selbst kein Akt, sondern die grundsätzliche Bestimmtheit des Willens, die in allen Willensakten vollzogen wird. Diese Letztzielorientierung vollzieht der Wille also auch, indem er dem Verstand den Befehl zur Zustimmung gibt. Auf was der Mensch als ganzer sich ausrichtet, genauer ausgerichtet wird durch das bonum universale, dessen wird der Mensch in den Sätzen des Glaubensbekenntnisses als Ausgesagtes ansichtig. Nun vollzieht auch der Verstand die Ausrichtung des ganzen Menschen auf Gott als das bonum universale mit,52 durch seinen ihm eigenen Akt, dem Erfassen und Zustimmen von Aussagen hinsichtlich des in ihnen Ausgesagten. Gott liebend stimmt der Mensch den Aussagen über das Geliebte zu.53 51 Vgl. auch STh II–II 44,5 c.a.: “so ist der Wille, vor allem soweit er sich auf das letzte Ziel, den Gegenstand der Liebe richtet, Ursprung aller geistigen Bewegung.“ / „ita etiam voluntas, et maxime quantum ad intentionem finis ultimi, quod est objectum caritatis, est principium omnium spiritualium motuum.“ Thomas erklärt in diesem Artikel, dass Dtn 6,5, also das Liebesgebot bedeutet, dass von der Willensbestimmtheit der Gottesliebe her der Mensch mit seinem Verstand, mit seinen sinnlichen Strebevermögen und seinen ausführenden äußeren Kräften Gott lieben muss. In dieser Hinsicht bedeutet also zu glauben: mit dem Verstand zu lieben. 52 Vgl. dazu auch Seckler, Instinkt und Glaubenswille, 261. 53 Niederbacher, Glaube, 87, unterscheidet beim Motiv für die Glaubenszustimmung zwischen Entstehungs- und Vollkommenheitsordnung. Das hat jedoch keinen Textanhalt. Erstens bedeutet die thomasische Unterscheidung zwischen Entstehungs- und Vollkommenheitsordnung, dass dasselbe (!) aus verschiedenen Perspektiven bzw. aufgrund verschiedener Kriterien beschrieben wird, eben einmal anhand der Entstehung, dann anhand der Grade an Vollkommenheit. Zweitens wendet Thomas selbst diese Unterscheidung nicht auf das Glaubensmotiv an.

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An diese thomasische Konzept haben sich verschiedene Fehldeutungen geknüpft, die – da mächtig in der Wirkungsgeschichte – nur schwer vom thomasischen Konzept loszuknoten sind. (a) Die Glaubenszustimmung erfolge nach der Logik von Wunschdenken: Weil ich will, dass es Gott gibt, der mir die ewige Glückseligkeit schenkt, glaube ich, dass es ihn gibt. Dagegen spricht: Glauben ist nur in und aufgrund von Gnade möglich und geschieht nicht nach der Logik praktischer Rationalität. Vor allem aber sieht der Glaubende als Glaubender ein, dass zu glauben ist aufgrund von Glaubwürdigkeitsargumenten. (b) Die Glaubenszustimmung erfolge nach der Logik von zu erbringender Leistung für einen gewünschten Lohn. Gott hat festgesetzt, dass man bestimmte Sätze glauben muss, damit er einem die ewige Glückseligkeit schenkt. Um also die ewige Glückseligkeit zu erhalten, stimmte man bestimmten Sätzen bei, „glaubte“ sie also und erbrächte so eine geforderte Leistung.54 Dagegen ist zu sagen: Diejenigen Einzelakte, die nicht direkt auf das Endziel gerichtet sind, also alle Akte außer den actus eliciti bezüglich des Endzieles, verhalten sich zum Endziel, im Falle des begnadeten Menschen zu Gott, nicht oder nicht primär instrumental, sondern medial. In den Einzelakten selbst wird das Endziel angestrebt, durch sie hindurch. Der Zusammenhang ist kein äußerlich gesetzter, sondern in den Akten selbst bestehender. Thomas betont immer wieder, dass im Glauben die Schau Gottes bereits anfange. So fungiert die Glaubenszustimmung nicht als äußeres Mittel, um den ersehnten Lohn zu erhalten, sondern in den Glaubensakten selbst nähert sich der Mensch dem Ziel.55 Thomas bekräftigt diesen Zusammenhang, indem er das Bild von Lehrer und Schüler einführt. Wie der Schüler seinem Lehrer glauben muss, um dann selbst zu vollkommenem Wissen, Schritt für Schritt zu gelangen, so muss der Mensch Gott glauben, um das Schauen zu erreichen.56

54 Solche Deutungen werden gelegentlich sogar in der Thomasforschung selbst noch vorgetragen, durchaus affirmativ, so z.B. Mohler, Dynamic Faith, 50: „It is the appetite for the promised reward, eternal life, the vision of God Himself, that prompts us to assent to the unseen truths“, Hervorhebung MR. 55 In den Glaubensakten strebt der Mensch das Ziel selbst an und nähert sich ihm, wiewohl andere Wege zum Ziel denkbar wären. 56 So STh II–II 2,3 c.a., wobei allerdings die Vergleichbarkeit ins Schweben gerät, weil beim Glauben Lehrer und Wissensgegenstand in re identisch sind.

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Glaube

Zum Verständnis dessen, wie der Mensch eine vom Willen befohlene Zustimmung zu den Glaubenssätzen wirklich vollziehen kann, führt Thomas noch eine weitere Größe ein: den sogenannten Instinctus.57 Die Herausbildung des Instinctus-Konzept und die Veränderung der thomasischen Gnadenlehre gegenüber der Frühzeit hängen zusammen mit der Entdeckung des historischen Semipelagianismus. Im Kampf gegen den Semipelagianismus wurde der Begriff wichtig, um die absolute Priorität der Gnade auszusagen.58 Seckler interpretiert den Instinctus als den Begriff „für die allgemeine Mitwirkung Gottes in seiner Schöpfung, die auf Rückkehr hin entworfen ist“,59 insofern sie sich im Menschen ontisch konkretisiert. Die Rede vom Instinctus verdankt sich ausschließlich einem theologischen Interesse Thomas, nicht aber einer anthropologischen Analyse. Der Instinctus lässt sich nur schwer bzw. gar nicht dem thomasischen Inventar an anthropologischen Phänomenen zuordnen, und kann deshalb nur von seiner theologischen Intention her verstanden werden. Zwei wesentliche thomasische Aussagen seien dazu angeführt: Wer glaubt, hat einen hinreichenden Bestimmungsgrund zum Glauben; denn er wird dazu veranlasst durch die Autorität der durch Wunder bestätigten göttlichen Lehre und was mehr ist, durch einen inneren Antrieb des ihn einladenden Gottes.60 Glauben haben liegt nicht in der menschlichen Natur beschlossen; wohl aber liegt es in der menschlichen Natur, daß das Denken des Menschen dem inneren Antrieb und der äußeren Verkündigung des Wahrheit nicht widerstrebe. Insofern also ist Unglaube gegen die Natur.61

Den instinctus bestimmt Thomas hier vierfach: (1) der „instinctus“ ist grammatikalisch mit Gott im Genitiv verbunden, (2) Gott wirkt darin einladend, (3) der Instinctus ist dem Menschen innerlich, (4) das Denken des Menschen ist qua menschlicher Natur auf den Instinctus hingeordnet. Der Instinctus ist von Gott geschaffen und zielt auf Gott hin. Er bezeichnet das auf Gott Ausgerichtetsein der menschlichen Natur,62 das durch Got57 Die eingehendste Untersuchung dazu hat Seckler, Instinkt und Glaubenswille, vorgelegt, der die historischen Hintergründe und die Quellen dieser Konzeption bei Thomas erstmals überzeugend identifizierte. 58 Dazu Seckler, Instinkt und Glaubenswille, 90–98. 59 Seckler, Instinkt und Glaubenswille, 102. 60 STh II–II 2,9 ad 3: „Quod ille qui credit habet sufficiens inductivum ad credendum: inducitur enim auctoritate divinae doctrinae miraculis confirmatae, et, quod plus est, interiori instinctu Dei invitantis“. 61 STh II–II 10,1 ad 1: “Quod habere fidem non est in natura humana: sed in natura humana est ut mens hominis non repugnet interiori instinctui et exteriori veritatis praedicationi. Unde infidelitas secundum hoc est contra naturam. 62 Seckler, Instinkt und Glaubenswille, 215, formuliert zugespitzt: „Träger der Berufung ist für Thomas nicht die Natur, sondern der innere, ontologisch zu verstehende Instinkt“, Hervorhebung im Original.

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tes Wirken in der menschlichen Natur hin aktual und wirksam wird.63 Das durch Gott Ausgerichtetsein der menschlichen Natur äußert sich als Angezogenwerden vom bonum universale, als Attraktivität des bonum universale für den Menschen. Ihre Ausrichtung gehört zwar zur menschlichen Natur, aber wird aktual wirksam nur durch das bonum universale, wenn es sich dem Menschen als Urheber und Inhalt der Glaubenssätze zeigt.64 Instinctus ist also nicht zu verwechseln mit der Rede vom Instinkt im Kontext der Verhaltensbiologie oder Psychologie. „Die Vorstellung alles dumpf Treibenden und Zwanghaften muß aus dem Begriff des Glaubensinstinktes ausgeschlossen werden“.65 Die thomasische Rede vom Instinctus leistet theologisch ein Dreifaches: Das Wirken der Gnade entspricht der Natur und erfüllt diese; denn der Instinctus bezeichnet das grundsätzliche Ausgerichtetsein der menschlichen Natur auf Gott, das durch Gnade aktualisiert und wirksam wird. Jede Bewegung und jedes Streben der menschlichen Natur verdankt sich sowohl der Anlage als auch dem Vollzug nach ganz Gottes Wirken. Das Wirken Gottes geschieht v.a. finalursächlich. Anders ausgedrückt, Gott bewegt, indem er sich in seiner unendlichen Attraktivität zeigt. Insofern ist die Bewegung des Menschen auf Gott zu im thomasischen Sinne wirklich frei, nämlich vom Menschen selbst vollzogen, und gleichzeitig ganz allein Gottes Wirken verdankt.66 Zusammenfassend ist festzuhalten: Die von der sich offenbarenden Wahrheit Gottes ausgehende Anziehung ist das Wirken der göttlichen Gnade, die den menschlichen Geist über seine natürliche Eigenbewegung hinaus zur Zustimmung treibt, indem sie ihn die ‚veritas prima‘ als die seinem natürlichen Sehnen entgegenkommende Erfüllung erahnen läßt.67

Schließlich bleibt noch die für ein anderes Problem68 wichtige Frage zu klären, ob der Erstakt des Glaubens seiner Struktur nach identisch mit allen folgenden Glaubensakten ist. Thomas äußert sich hierzu nicht explizit, aber aus den sonstigen Ausführungen erschließt sich Folgendes: Bei allen Glau63 An anderer Stelle bezeichnet Thomas denselben Sachverhalt durch „ex supernaturali principio interius movente“, STh II–II 6,1 c.a. 64 Gegen Seckler ist die Kategorie der Aktualisierung als Wirksamwerden die angemessenere Beschreibung gegenüber „Entbergung“ im Sinne von Entdeckung. Seckler, Instinkt und Glaubenswille, 215, schreibt: „Die ontische Finalität dieses Instinktes ist dem Menschen sowohl in ihrer Existenz wie in ihrer inneren Tragweite so lange verborgen, bis sie durch das Wort der Offenbarung ans Licht gehoben und gedeutet wird.“ 65 Schockenhoff, Bonum hominis, 375. 66 Vgl. Dörnemann, Freundschaft, 88, der zwar die Funktion des Instinctus-Konzept richtig beschreibt, nicht aber, wie daher das Wirken des instinctus zu denken sei. 67 Schockenhoff, Bonum hominis, 374f. 68 Bei der sogenannten fides informis wird das wichtig, um überhaupt die fides informis schlüssig innerhalb des thomasischen Konzeptes denken zu können.

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Glaube

bensakten überdenkt der Verstand mit Zustimmung. Der Erstakt überdenkt, indem er zustimmt; die anderen Akte vollziehen die Zustimmung und setzen sie voraus, indem sie überdenken. Das Überdenken geschieht jeweils neu und anders; aber alle Zustimmungsakte bekräftigen den ersten Zustimmungsakt und setzen ihn voraus. Daher unterscheidet sich der Erstakt des Glaubens von den Folgeakten, eben indem da die Zustimmung geschieht, welche die Folgeakte voraussetzen und nur als vorausgesetzte vollziehen. 3.4.3 Der äußere Glaubensakt Nach dem inneren Glaubensakt erläutert Thomas nun den äußeren Akt des Glaubens: das Bekennen.69 Dieser Akt ist die Entsprechung des inneren Aktes in der sozialen Welt. Das Bekenntnis spricht aus, was im Herzen ist. Das ist sein unmittelbares Ziel als äußerer Glaubensakt. So wie der innere Glaubensakt verschiedene Bezugnahmen auf die Erstwahrheit in sich vereinigt, so auch entsprechend der äußere Akt.70 Der Glaubende71 expliziert darin das, was er glaubt, dann, dass er Gott in seiner Offenbarung vertraut und dass er sich auf Gott als Ziel seines Lebens ausrichtet und dass dies ein Glaubensakt ist.72 Da die Liebe den Akten aller anderen Tugenden die Ausrichtung auf Gott um Gottes willen verleiht, konkret die Freundschaft zu Gott und den Mitmenschen, ist immer dann ein Bekenntnisakt erfordert, wenn es um Gottes und des Nächsten willen nötig ist, wenn also die Ehre Gottes (bei den Menschen) oder das (Seelen-)Heil des Nächsten auf dem Spiel stehen. Das Bekennen gestaltet sich dann je nach der Situation als Lehren oder Bestärken der anderen Glaubenden oder auch als argumentierende Zurückweisung des Hohns von Nicht-Glaubenden. In dem Fall betrachtet Thomas das Bekenntnis für den Bekennenden als heilsnotwendig. Das Bekennen des Glaubens stellt den einzigen äußeren Akt des Glaubens dar, der ohne die Vermittlung der Liebe vollzogen werden kann. Thomas grenzt vom Bekenntnisakt des Glaubens das Sündenbekenntnis ab, das auf die Tilgung der Sünde im Kontext der Buße zielt, sowie das Dank- und Lobbekenntnis, das als Anbetung intendiert, Gott zu ehren.

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Vgl. STh II–II 3,1–2. Das hat überzeugend Niederbacher, Glaube, 58–60 herausgearbeitet. 71 Wie später noch genauer erläutert meint Thomas immer den beformten Glauben, wenn er ohne weitere Unterscheidung vom Glauben spricht. 72 Niederbacher, Glaube, 59, formuliert das so: „(ii) Im Glaubensbekenntnis drückt eine Person etwas aus, das sie für wahr hält. Sie kann nicht etwas bekennen, das andere für wahr halten. [...] (iii) Im Glaubensbekenntnis drückt eine Person etwas aus, das sie nicht hinreichend begründen kann, dem sie aber mit Festigkeit zustimmt.“ 70

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3.4.4 Die Heilsnotwendigkeit des Glaubens Als nächstes behandelt Thomas die wichtige Frage (die sich im Zusammenhang mit dem Willen und seiner Bestimmung stellt), warum es zum Heil nötig ist, zu glauben. Das Verhältnis von Natur und Gnade begründet Thomas damit, wie zur Vollendung einer unteren Natur sich höhere und untere Naturen zueinander verhalten, oder anders gesagt: Die Ordnung von Natur und Gnade ist selber eine natürliche, also geschaffene Ordnung. Thomas plausibilisiert das mit Phänomenen der unbelebten Natur, nämlich wie sich das Wasser verhält in Hinordnung auf den Mond, wodurch Ebbe und Flut entstehen. Beim Heil geht es um die Vollendung des Menschen. Dafür ist neben der Eigenbewegung eine Bewegung gemäß der höheren Natur erforderlich, welche im Falle des Menschen, und nur in seinem Fall, die göttliche Natur ist. Der Mensch ist durch sein Erkennen auf diese hingeordnet. Die Vollendung des Menschen besteht in dem, was ihm aus einer übernatürlichen Teilnahme an der göttlichen Gutheit verliehen wird, das ist die Schau Gottes. Zu dieser Schau kommt der Mensch in Stufen, wie ein Schüler, der von seinem Meister lernt. Für das Lernen von einem Lehrer aber ist Glauben erforderlich, um irgendwann zum Wissen zu gelangen. Der Mensch muss glauben, um einst wissen/schauen zu können. Ziel des Glaubens ist es also, dass der Mensch der göttlichen Wahrheit nahekommt.73 Im Folgenden klärt Thomas, was denn geglaubt werden muss (als Weg zu dieser seligen Schau). Es ist zu glauben, was sich durch die Vernunft von Gott erweisen lässt, z.B. dass Gott nur einer und dass er unkörperlich sei. Dies ist nötig, damit die Erkenntnis Gottes rascher, allgemeiner (für alle Menschen gleich welcher Begabung) und gewisser sei – denn der Verstand kann sich irren. Was haben die Menschen in ihrem Schülerverhältnis explizit zu glauben? Sie haben explizit an das zu glauben, wodurch der Mensch selig wird: Das sind Inkarnation und Passion Christi und die Dreifaltigkeit Gottes. Alles andere muss der Mensch nicht ausdrücklich glauben, sofern er nur bereit ist, alles zu glauben, was in der heiligen Schrift als der Offenbarung enthalten ist. Diejenigen allerdings, die andere im Glauben unterrichten, müssen einen inhaltlich darüber hinausreichenden expliziten Glauben haben. Im nächsten Schritt erörtert Thomas die Frage, ob zu glauben verdienstlich sei, in Fortführung der Frage nach der Notwendigkeit des Glaubens für das Heil. Wie oben dargestellt definiert Thomas verdienstliche Akte als solche, die erstens aus dem freien Wollen des Menschen hervorgehen, wobei zweitens dieses freie Wollen durch die Gnade Gottes bewegt ist und wobei drittens diese Akte auf Gott als ihr Letztziel hingeordnet sein müs73

Vgl. STh II–II 3,2 obj 1 und ad 1.

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sen. Thomas zeigt, dass die beiden ersten Kriterien exakt auf den Glauben als Akt zutreffen und der Glaube daher verdienstlich sein kann, und zwar sowohl hinsichtlich der Zustimmung als auch der Erwägung. Der Glaubensakt wird aber erst verdienstlich, wenn die Liebe den Akt beformt, durch welchen er auf Gott als sein Letztziel ausgerichtet ist. Für die Verdienstlichkeit des Glaubensaktes ist daher nichts anderes erforderlich, als dass der Glaubensakt wirklich sich als Glaubensakt vollzieht, nämlich an Gott glaubt, indem er dem Gott glaubt auf Gott hin, gemäß also der intern differenzierten Struktur des Glaubensaktes in Materialgegenstand, Formalgegenstand und Ziel. Dies muss einander nicht aus einem äußeren Grund entsprechen, sondern um der Gottheit Gottes willen, die geglaubt wird. Um das darzulegen, sein nun im Einzelnen der Aspekt des credere in Deum (1) und das credere Deo (2) betrachtet. (1) Dass der Glaube nur durch die Liebe verdienstlich ist, heißt nicht, dass zum Akt des Glaubens erst noch ein Akt der Liebe hinzukommen müsse, sondern dass die caritas als Letztzielausrichtung der menschlichen Person auf Gott auch dem Akt des Glaubens diese Letztzielausrichtung verleiht. Jedem menschlichen Akt eignet eine Letztzielausrichtung. Die Sünde des Menschen besteht darin, dass alle seine Akte sich auf etwas Geschaffenes als Letztziel ausrichten, und eigentlich darin auf das eigene Selbst. Beim Glaubensakt steht also nicht in Frage, dass er auf ein Letztziel ausgerichtet ist, sondern auf welches. Nur durch die caritas kann der Mensch sich auf Gott als Letztziel ausrichten, während der Wille des Sünders immer nur auf Geschaffenes als Letztziel zielt und das nicht von sich aus ändern kann, weil die Letztzielausrichtung allen einzelnen Akten ja immer schon voraus liegt. Das richtige Verständnis dieses Sachverhaltes erschwert Thomas dadurch, dass er sich hier auf Gal 5,6 beruft, wonach der Glaube durch die Liebe tätig sei. Weiter unten wird gezeigt werden, dass Thomas sich mit Gal 5,6 auf zwei verschiedene Sachverhalte beruft: zum einen auf die Letztzielausrichtung des Glaubensaktes durch die Liebe (fides caritate formata) und zum anderen auf die guten Werke des Glaubenden, die durch die Vermittlung der Tugend der caritas zustande kommen. Bei der Verdienstlichkeit des Glaubensaktes durch die Liebe sind aber nicht die guten Werke gemeint! Thomas erörtert das Verhältnis von Glaube und Liebe hinsichtlich der Verdienstlichkeit des Glaubensaktes in STh II–II 2,9 ad 1 mithilfe der Begriffe Stoff, Disposition und Form. Die Natur verhält sich zur Liebe wie der Stoff zu Form, der Glaube zur Liebe wie die dispositio zur Form. Beide wirken erst durch die Kraft der Form. So wird der Glaube erst verdienstvoll durch die Liebe. Entgegen dem ersten Anschein dieses Modells soll das aber nicht heißen, dass es erst einen Glaubensakt gibt, dem dann noch eine Form bzw. Zielausrichtung verliehen wird. Den Glaubensakt gibt es nur mit

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seiner Zielausrichtung. Ebenso „sind“ Stoff und Form nur, indem etwas ist, an dem man Stoff und Form unterscheiden kann, Stoff und Form sind also keine für sich sich existierenden Prinzipien, sondern Prinzipien, durch die etwas existiert und mit dem dann auch Form und Stoff. (2) Zum credere Deo führt Thomas aus: Das Maß des Verdienstes hängt an der Entschiedenheit des Willens ineins mit der Bereitschaft, allein aufgrund der göttlichen Autorität, also Gott zu glauben. Die göttliche Autorität, der man glaubt, ist für Thomas konkret Christus. „Weil aber jeder, der glaubt, dem Worte jemandes zustimmt, so scheint bei jeglichem Glauben derjenige das Ursprüngliche und gleichsam das Ziel zu sein, dessen Wort man beipflichtet; als Nebengeordnetes aber gilt das, mit dessen Festhalten man jemandem zustimmen will. Wer also den christlichen Glauben hat, stimmt mit seinem Willen Christus bei in dem, was wahrhaft zu Seiner Lehre gehört.“74 Der Glaube ist nur dann (voll) verdienstvoll, wenn der Mensch seine Zustimmung gibt wegen der göttlichen Autorität; wenn aber nur aufgrund der ratio humana (menschlicher Begründung), dann mindert diese das Verdienst des Glaubens, weil dann der Wille als das Ausgerichtetsein des Menschen weniger beteiligt ist (anthropologisch betrachtet), vor allem aber weil dann Formal- und Materialgegenstand nicht übereinstimmen. Der Mensch glaubt aber nur wahrhaft an Gott, wenn er dem Gott glaubt; also von Gott sich sagen lässt, dass und wer Gott ist, das ist die theologische Begründung. Die ratio humana hat aber ihre berechtigte und verdienstvolle Funktion als dem Glaubenswillen nachfolgend: Wenn der glaubende Mensch die geglaubte Wahrheit so liebt, dass er Gründe für sie zu finden sucht. Dieses Tun trägt dann das Merkmal höheren Verdienstes. Außerdem sind die Argumentationen, die für die Autorität des Glaubens herangezogen werden, keine Beweise im eigentlichen Sinn. Vielmehr zeigen sie nur, dass das Geglaubte nicht unmöglich sei. Die Voraussetzungen des Glaubens können jedoch bewiesen werden; unter der Bedingung, dass der Glauben sich nicht darauf gründet, vermindern diese nicht das Verdienst. Wie hängt die Heilsnotwendigkeit des Glaubensaktes mit dessen Verdienstlichkeit zusammen? Zum ersten lässt sich ihr Verhältnis nicht damit logisch umschreiben, dass das eine notwendig, aber nicht hinreichend, das zweite aber das Hinreichende sei. Die Differenz entsteht aus der Struktur des Verhältnisses des Menschen zum seinem Letztziel. Der Mensch muss sich auf sein Letztziel ausrichten, damit er es erreichen kann; andererseits 74 STh II–II 11,1 c.a.: „Quia vero quicumque credit alicujus dicto assentit, principale videtur esse, et quasi finis, in unaquaque credulitate ille cujus dicto assentitur: quasi autem secundaria sunt ea quae quis tenendo vult alicui assentire. Sic ergo qui recte fidem Christianam habet sua voluntate assentit Christo in his quae vere ad ejus doctrinam pertinent.“

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kann er das Erreichen des Letztziel nicht durch sein Sich-darauf-Ausrichten bewirken,75 sondern kann das Erreichen des Letztzieles, also Gott bzw. die Schau Gottes nur als Gabe Gottes im ewigen Leben erhalten. Gott selbst aber, der die Ausrichtung des Menschen auf ihn als Ziel bewirkt, hat einen Zusammenhang gestiftet zwischen den Vollzügen des Menschen, mit denen er seine Ausrichtung aus das Letztziel Gott akthaft verwirklicht und dem von Gott geschenkten Erreichen des Zieles, und das ist das Verdienst. Die Verbindung von Anstreben des Letztzieles und Erreichen liegt ganz allein in Gottes Willen, der zugunsten des Menschen einen heilvollen Kontinuitätszusammenhang zusagt, wo es vom Menschen aus nie einen geben kann. Zusammenfassung: Zunächst kann dieses Verhältnis zum Gegenstand im Glaubensakt unterschieden werden von den beteiligten Vermögen her, also als Gegenstand des Willens und des Verstandes. Als Gegenstand des letzteren entsprechend dem zweifachen Gegenstand jeder Erkenntnis, einmal als Materialobjekt, was das credere Deum76 bezeichnet, dann durch das credere Deo als Formalobjekt. Die Unterscheidung von Material- und Formalobjekt kennzeichnet Wissen und somit Wissenschaft sowie sinnliche Wahrnehmung. Mit der Anwendung auf Glauben parallelisiert Thomas wieder Glauben und Wissen. Die Stelle von Beweisen und rationalen Argumentationen nimmt die Offenbarung ein, die von der Erstwahrheit stammt und diese ausdrückt. Die Erstwahrheit wird hier als Erkenntnismedium genommen, wegen der den Glaubensinhalten zugestimmt wird. Bezüglich der oben aufgeworfenen Frage wäre also zu sagen: der Verstand stimmt den Glaubenswahrheiten zu, weil sie der Erstwahrheit, also der Offenbarung entstammen. „Man kann Aussagen über Gott (credere Deum) nur in der Weise glauben, daß man Gott glaubt“.77 Beide, Material- und Formalobjekt sind für den menschlichen Verstand nicht ausreichend dafür, dass er von sich aus zustimmen würde. Der Glaubensgegenstand ist nun aber auch Objekt des Willens, auf das sich der Wille als sein Ziel bezieht: credere in Deum. Die Erstwahrheit ist als diese Ziel des Willens, weil für den Willen Ziel ist, was dem Menschen ein bonum ist. Und so bewegt das Objekt des Glaubens, insofern es auch Objekt des Willens ist, den Verstand vermittelt über den Willen zur Zustimmung. „Was dem Akt des Intellekts fehlt, wird ergänzt durch den Akt des Willens, der die anfanghafte und unvollkommene Erkenntnis des Glaubens ergreift, weil sie seinem desiderium naturale ent-

75 Unabhängig davon kann der Mensch natürlich auch nicht sich von sich selbst aus auf Gott als Letztziel ausrichten! 76 Hiermit meint Thomas nicht nur, die Existenz Gottes zu glauben, sondern die Existenz Gottes, so wie ihn die christliche Lehre beschreibt. 77 Ricken, Religionsphilosophie, 308, Hervorhebungen im Original.

Glaube als Tugend

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spricht“.78 Im ersten und letzten Fall ist von Erstwahrheit in einem abstrakten Sinn die Rede; während im zweiten Fall die Erstwahrheit mit Gott sowie konkret mit der christlich-biblischen Offenbarung identifiziert worden ist. Beim Glaubensakt sind mehrere Aspekte zu unterscheiden: Zunächst das Dass des Aktes (exercitium actus), dann seine inhaltliche Bestimmtheit; beides geht vom Befehl des Willens aus. Durch den eingegossenen Glaubenshabitus erfasst der Mensch im übernatürlichen Licht der Gnade =(Gabe der Einsicht)79 das zu Glaubenden in seinem Gehalt, „denn der Mensch könnte nicht beistimmen, irgendwelches Vorgelegtes für wahr anzunehmen, wenn er dieses nicht irgendwie verstünde.“80 Damit verbunden ist die Einsicht, dass das zu Glaubende glaubwürdig ist, dass hier also zu glauben ist. Schließlich erfolgt die Annahme81 dessen, was von sich aus nicht zur Annahme nötigt, auf Befehl des Willens, genauer als eine Selbstbewegung der ratio, die einen Willensakt setzt. Der Akt des Befehlens (der vom Willen ausgeht) und der befohlene Akt (die Zustimmung) bilden einen einzigen Gesamtakt.82

3.5 Glaube als Tugend Glaube als Tugend Nachdem Thomas den Glauben als Akt bestimmt hat, untersucht er den Glauben als Tugend. Warum kann Glaube als Tugend begriffen werden? Was ist der Glaube als Tugend? Thomas nimmt Hebr 11,1 zum Ausgangspunkt seiner Bestimmung, wobei er nachzuweisen versucht, dass Hebr 11,1 den Anforderungen an eine Definition, wenn offensichtlich nicht formal, so doch aber inhaltlich genügt. Die Aussage des Hebräerbriefes: „fides est substantia sperandum rerum argumentum non apparentium“ formuliert Thomas nach erfolgter Interpretation um zu „fides est habitus mentis, quo inchoatur vita aeterna in nobis, 78 Ricken, Religionsphilosophie, 309, Hervorhebung im Original. Ricken drückt sich hier missverständlich aus, weil durch den Akt des Willens die Glaubensartikel überhaupt erst als anfanghafte Erkenntnis hin auf die vollkommene Schau Gottes akzeptiert werden. 79 Vgl. STh II–II 8,5 c.a. 80 STh II–II 8,8 ad 2: „Non enim posset homo assentire credendo aliquibus propositis nisi ea aliqualiter intelligeret.“ 81 Thomas unterscheidet klar consensus von assensus: assensus ist allein der Akt des Verstandes, der auf das Ergreifen vom Wahrem als dessen Annahme folgt, sei es auf Nötigung des Ergriffenen oder auf Befehl von Verstand und Wille. Consensus dagegen ist die Anwendung der Strebekraft auf etwas, das in der Macht des Anwendenden schon besteht (vgl. STh I–II 15,3 c.a.). 82 An anderer Stelle nennt Thomas ein Beispiel für einen Akt, der von einer Tugend ausgelöst wird (zu der der Akt gehört), aber von einer anderen Tugend befohlen ist, die diesen Akt auf sein Ziel ausrichtet: Almosengeben, das auf Gottes Wohlgefallen ausgerichtet ist, wird befohlen von der Tugend der latria (Gottesverehrung), aber ausgelöst von der Tugend der caritas, vgl. STh II–II 32,1 ad 2.

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Glaube

faciens intellectum assentire non apparentibus“. Sein Interpretationsweg sei im Folgenden nachgezeichnet. Der Glaube, wie jeder Habitus, bestimmt sich durch den ihm eigentümlichen Akt im Verhältnis zu seinem eigentümlichen Gegenstand. Glauben ist ein Akt des Verstandes, der auf Geheiß des Willens auf Eines hin bestimmt ist. Am Glaubensakt sind das Erkenntnisvermögen und der Wille auf je ihre spezifische Art beteiligt. Gemäß den zwei beteiligten Vermögen ist der Akt des Glaubens somit hingeordnet auf deren verschiedene FormalGegenstände, also sowohl auf das Gute/das Ziel und das Wahre. Der Glaubensakt hat also sowohl einen Gegenstand und ein Ziel (= Formalgegenstand des Willens), die in re identisch sind, die einander verhältnismäßig entsprechen müssen, damit es zu dem einen Akt kommt.83 Die nicht geschaute Erstwahrheit ist somit zugleich Gegenstand und Ziel des Aktes, wobei das Verhältnis so zu bestimmen ist, dass das keinen Gegensatz konstituiert. Dafür muss die Erstwahrheit in verschiedener Hinsicht den Bezugspunkt bilden, damit eine Differenz im Verhältnis zu ihr denkbar wird. Die Differenz im Verhältnis zu ihr ergibt sich aus der verschiedenen Zugänglichkeit zu ihr. Insofern sie im irdischen Leben dem Glaubenden nur als ungeschaute, nicht selbstevidente Wahrheit zugänglich ist, stellt sie den Gegenstand des Verstandes dar. Insofern nur das Schauen der ErstWahrheit den Verstand vollkommen erfüllt, bildet es ein bonum des Menschen, das als ausstehendes von ihm in seinem Willen erstrebt wird und insofern ein Ziel bildet. Der Mensch will mit seinem Willen, dass der Verstand sich als Verstand vervollkommnet. Der Wille wird in dieser Perspektive wirksam, insofern er das spezifische bonum des Verstandes als bonum des Verstandes will.84 Als Mittel zu diesem Ziel will der Wille, dass der Verstand den Glaubensinhalten, also den Prinzipien der Erstwahrheit als ungeschauten zustimmt. Wäre dabei das Mittel nur in einem äußeren Sinn mit dem Ziel verbunden, würde dabei das Erkennen des Verstandes, das gerade darin sein Wesen hat, dass es seine Akte nur am Kriterium wahr/falsch ausrichtet, instrumentalisiert und damit einem Kriterium unterstellt, das sein einziges wesensgemäßes Kriterium aufhebt. Das wäre dann, zugespitzt ausgedrückt, Selbstvernichtung, um so zu Selbsterfüllung zu gelangen. Nun aber sind Mittel und Ziel nicht nur äußerlich verbunden, sondern Mittel und Ziel beschreiben hier nur verschiedene Zugänge zu dem 83

STh II–II 4,1. Aus der Perspektive des Verstandes will der Wille hier ausschließlich das bonum des Verstandes und bewegt so den Verstand zu dessen Akt. Bei der Analyse der caritas wird Thomas die Perspektive wechseln: da will der Wille sein spezifisches Gut, das ist das bonum universale, welches er unmittelbar mit Gott identifiziert; der vom Willen gewollte Akt des Verstandes vollzieht die Bewegung der Liebe, die das Geliebte haben bzw. erreichen will: was nur qua Erkenntnis möglich ist. Wie diese beiden Perspektiven in eine integriert werden könne, wird Teil VI zeigen. 84

Glaube als Tugend

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Selben. Genau das, was der Mensch glaubt, wird er sehen, weil er geglaubt hat. So nimmt der Verstand im Glauben inhaltlich das Schauen vorweg. Thomas kann den Glauben daher auch den Anfang des Schauens nennen. Nur dass es sich eben so verhält, dass das zu Glaubende den Prinzipien nach identisch sei mit dem eschatologisch Geschauten, kann irdisch nur geglaubt und muss erhofft werden. Daher gehört für Thomas die Hoffnung zu Recht in die Glaubensdefinition des Hebräerbriefes. Wenn es aber dabei bliebe, dass der Verstand glaubend seine Zustimmung geben soll, ohne diese Inhalte von sich aus einzusehen aufgrund eines Zusammenhanges, den er ebenfalls nur glauben, nicht aber einsehen kann, würde der Mensch tatsächlich sein Erkenntnisvermögen gegen dessen Wesen instrumentalisieren. Inwiefern das aber nicht geschieht, wird nur verständlich aufgrund des umgreifenden thomasischen Konzeptes, zu dem insbesondere die Gaben des Hl. Geistes und die Liebe gehören, welches beides noch ausführlich in ihrer Funktion für den Glauben erörtert werden wird. Wie verhält sich nun der Verstand im Glauben zu seinem Gegenstand? Thomas bestimmt dieses Verhältnis, indem er es abgrenzt gegenüber allen anderen möglichen epistemischen Akten, nämlich gegen Einsehen, Wissen, Meinen, Vermuten und Zweifeln. Wie Einsehen und Wissen bedeutet Glauben eine Zustimmung zu einem bestimmten Inhalt; aber anders als bei Einsehen und Wissen nicht aufgrund des eigenen Zuganges zu diesem Inhalt, z.B. qua Schlussfolgerung aus ersten Prinzipien. Anders als Vermuten und Zweifeln impliziert das Glauben nach Thomas eine gewisse, feste Zustimmung. Bisher wurde noch nicht ersichtlich, weshalb Glaube eine Tugend, also einen Habitus darstellt. Betrachtet sei nochmals die thomasische Grunddefinition: Fides est habitus mentis, quo inchoatur vita aeterna in nobis, faciens intellectum assentire non apparentibus“/„Der Glaube ist ein Gehaben des Geistes, mit dem das ewige Leben in uns beginnt, und das den Verstand dahin bringt, solchem beizustimmen, was er nicht sieht.“85 Glaube als Habitus bringt den Verstand dazu, den Glaubensinhalten zuzustimmen, obwohl der Verstand dessen Wahrheit nicht aus sich einsehen kann. Bisher konzentrierte sich Thomas auf den Willen als die Wirkgröße, die den Verstand zur Zustimmung bewegt – um des bonum des Verstandes willen. Nun aber ordnet er diese Funktion dem Glauben als Habitus zu. Als Träger des Habitus nennt Thomas an dieser Stelle die mens, den Geist des Menschen, der Wille und Verstand gleichermaßen umschließt. Da am Glaubensakt zwei Vermögen beteiligt sind, müssen beide durch die Gnade vervollkommnet werden, um diesen Akt hervorzubringen, den der Mensch ohne Gnade auf keine Weise mit diesen beiden Vermögen setzen kann. Wenn Thomas vom Glauben allgemein spricht, meint er immer den durch 85

STh II–II 4,1 c.a.

186

Glaube

die Liebe beformten Glaubensakt. Gelegentlich, wie eben in der oben genannten Definition, versteht Thomas den Glaubenshabitus als einen solchen, der aus zwei zusammenwirkenden Habitus besteht, die den einen (beformten) Glaubensakt bewirken – weshalb er hier vom Habitus der mens spricht und im Artikel STh II–II 4,1 die Willensausrichtung als konstitutiver Bestandteil der Tugend des Glaubens behandelte! Im engeren Sinne referiert Thomas mit Glauben auf die beteiligte Tugend des Verstandes. Warum bedarf der Glaubensakt einer Tugend als seinen Ursprungsgrund und worin besteht dieser Tugendhabitus, also was verändert er am Erkenntnisvermögen? Rein formal kann der Glaubensakt nur einem (eingegossenen) Habitus entspringen, weil weder Verstand noch Wille als natürliche Vermögen in der Lage sind, einen solchen Akt freizusetzen. Zwar könnte durch die besondere Gnadenhilfe Gottes der Mensch zu solchen Akten bewegt werden; dabei wäre der Mensch aber nicht auch selbstbewegend. Es ist aber die geschöpfliche Bestimmung des Menschen, sich selbstbewegend auf das Ziel zuzubewegen, wobei selbstbewegend immer heißt auch selbstbewegend. Worin besteht der Glaubenshabitus als Tugend? Die Tugend des Glaubens als Verstandeshabitus besteht zunächst darin, nur dem zuzustimmen, was die Offenbarung sagt, weil sie es sagt. Dass der Verstand Zustimmungsakte jedoch gemäß dieses Kriteriums setzt, bewirkt der von der Tugend der Liebe bestimmte Wille. Das Kriterium, was die Offenbarung sagt, präzisiert Thomas dahingehend, was die Kirche, d.h. der Papst, als Offenbarung versteht und festgelegt hat. „Wer also der Lehre der Kirche, die aus der in den heiligen Schriften offenbar gemachten Erstwahrheit hervorgeht, nicht als unfehlbarer, göttlicher Richtschnur anhängt, besitzt das Gehaben des Glaubens nicht“.86 Das hat zur Konsequenz, dass die Glaubenstugend nur Akte freisetzt, die sich zustimmend ausschließlich zu Offenbarungswahrheiten (im Sinne der kirchlichen Lehre) verhalten und in diesem Sinne nicht kontingent, sondern unfehlbar sich auf Wahres (im Sinne kirchlicher Lehre) richten. Zweitens disponiert die Glaubenstugend den Verstand, dem Willen auf diese Weise zu gehorchen. Von diesem Tugendverständnis ausgehend führt Thomas den Häretikern und Dämonen vor, dass und weshalb ihr Glauben keine Tugend sei. Häretiker verhalten sich zustimmend zu Glaubenssätzen, nicht weil sie geoffenbart und von der Kirche gelehrt werden, sondern aufgrund ihres eigenen Willens und Urteils. Das zeigt sich darin, dass der Häretiker in einzelnen Sätzen von der Lehre der Kirche abweicht. Dem Häretiker mangelt also der Habitus des Glaubens überhaupt, nicht nur betreffs seiner von der Kirche 86 STh II–II 5,3 c.a.: „Unde quicumque non inhaeret, sicut infallibili et divinae regulae, doctrinae Ecclesiae, quae procedit ex veritate prima in Scripturis sacris manifestata, ille non habet habitum fidei“.

Glaube als Tugend

187

abweichenden Lehren. Thomas vergleicht den Häretiker mit jemandem, der den Satz „Bei allen Dreiecken beträgt die Winkelsumme 180“ kennt und ihm zustimmt, aber den Beweis nicht beherrscht, weshalb er den Satz auch nicht weiß, sondern nur eine Meinung dazu hat. Den Dämonen spricht Thomas Glauben in einem anderen Sinne ab: Ihre Verstandeszustimmung geschieht nicht in Verbindung mit dem Willen zum Guten bzw. aufgrund der Ausrichtung des Willens auf Gott als das letzte Ziel, sondern die Zeichen für die Glaubwürdigkeit der Offenbarung bewegen den gegenüber dem menschlichen Erkenntnisvermögen schärferen Verstand der Dämonen zur Zustimmung, indem der Wille aufgrund dieser Zeichen den Verstand zur Zustimmung bringt. Der Wille befiehlt also auch hier den Akt des Verstandes (actus imperatus), aber strebt den Gegenstand des Glaubens nicht als dem Willen eigenes bonum an, vollzieht also keinen dem Willen eigenen Akt (actus elicitus). Der Dämon liebt nicht, was er glauben muss.87 Zu einem Habitus gehört, dass er verschieden groß sein kann, sowohl was seine Extension als auch was seine Intensität betrifft.88 Bezüglich der Extension, als des Gegenstandes kann der Glaube differieren in der Menge der explizit geglaubten Offenbarungssätze, was bedeutet, dass der Glauben verschieden groß sein kann je nach Explikationsgrad des Glaubens. In Bezug auf die Verwurzelung des Habitus im Träger machen sich beide am Glaubensakt beteiligten Vermögen geltend: der Wille und der Verstand. Vom Verstand kann jemand mit mehr oder mit weniger Festigkeit und Gewissheit glauben, vom Willen her mit mehr oder mit weniger Zuversicht und Hingabe. Der Glaube als Tugend unterscheidet sich nicht nur in seiner Größe zwischen den Glaubenden, sondern vor allem innerhalb eines Lebens; der Glaube kann wachsen. Der Artbestimmtheit nach ist die Glaubenstugend bei allen Glaubenden die gleiche. Der Glaube kann betrachtet werden einmal vom Gegenstand her. Dies ist die entscheidende Betrachtung, denn vom formgebenden Grunde seines Gegenstandes erhält ein Habitus seine Artbestimmtheit. Dieser bei allen gleiche formgebende Grund im Gegenstand ist die Erstwahrheit. Wird zwar inhaltlich Verschiedenes und in verschiedenem Explikationsgrad geglaubt, bezieht es sich doch jeweils auf die Erstwahrheit. Betrachtet man den Glauben von seinen Trägern her, so gibt es zwar der Zahl nach viele, aber der Artbestimmtheit nach nur einen. Der Glaube ist das erste unter den Tugenden. Zuerst müssen die göttlichen Tugenden sein, denn sie haben als Gegenstand das letzte Ziel. Dieses letzte Ziel ist bei allem Handeln das Principium. Zuerst aber muss das letzte Ziel im Verstand sein, bevor sich der Wille darauf beziehen kann. Also ist 87 88

Vgl. die präzise Darstellung bei Niederbacher, Glaube, 119. Vgl. Niederbacher, Glaube, 110f.

188

3. Glaube

der Glaube die erste unter den Tugenden. Fundament für alles andere ist er aber nur insofern er durch die Liebe beformt ist, denn die Liebe verbindet alles. Zusammenfassung: Die ungeschaute Erstwahrheit als Glaubensgegenstand ist zugleich das Ziel (des Willens), nämlich die Schau der Erstwahrheit. Das noch nicht erreichte Ziel, auf das man zugeht, wird durch Hoffen ausgedrückt. Gleichzeitig ist das alles, was wir zu erreichen hoffen, bereits angelegt in der Glaubenszustimmung. Das ‚Inchoatio‘-Motiv spielt eine zentrale Rolle. Es geht darum, die beteiligten Vermögen samt ihren Gegenständen zueinander ins Verhältnis zu setzen. Dabei muss sowohl die Einheit als auch die Differenziertheit herausgearbeitet werden. Das Verhalten des Willens zu seinen eigentümlichen Gegenstand wie das Verhalten des Verstandes bilden zusammen den einen Akt des Glaubens. Auf diese Einheit, an der nur Aspekte unterschieden werden können, kommt es Thomas an.

3.6 Das Subjekt des Glaubens Das Subjekt des Glaubens Bisher konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von Wille und Verstand im Glaubensakt und wie sich der Glaubensakt in verschiedener Weise auf seinen Gegenstand bezieht. So viele Unterscheidungen Thomas auch einführt, um dieses Gefüge präzise zu erklären, so viele Detailfragen lässt Thomas auch offen – nicht ohne dafür seine Interpreten über Jahrhunderte hinweg zu subtilsten Konstruktionen zu inspirieren. Das liegt daran, dass sich Thomas als Theologe für den Glauben interessiert und die Details im Verhältnis der Akte der anthropologischen Vermögen zueinander nur im Hinblick auf die theologische Bedeutung des Glaubens zur Anschauung bringt. Der Glaube hat seine Funktion darin, dass in ihm Gott den Menschen rechtfertigt und der Mensch sein Ziel als solches erkennt und erkennend sich darauf hinbewegt und nur so seine menschliche Erfüllung findet. Das heilvolle Grundgeschehen zwischen Gott und Mensch, der ein Sünder war und ein Liebender wird, bildet den Inhalt des theologischen Glaubensbegriffs. Um diese theologische Funktion des Glaubens noch genauer zu bestimmen, sei daher im Folgenden das Subjekt des Glaubens fokusiert. Zunächst fällt der Befund wie zu erwarten aus: Trägervermögen des Glaubens ist der intellectus speculativus. Der Glaube als Verstandestugend (die zu ihrem Akt den Willen braucht) ist ein Habitus des intellectus. Der Habitus vervollkommnet den intellectus einerseits im Erfassen (der Glaubensinhalte), andererseits darin, dem Willen gehorchen zu können. Die

Das Subjekt des Glaubens

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zentrale Definition der Glaubenstugend aber formuliert Thomas so:89 „fides est habitus mentis, quo inchoatur vita aeterna in nobis, faciens intellectum assentire non apparentibus“.90 Im strengen Sinne kommt die mens gar nicht als möglicher Habitusträger in Betracht, denn nur die einzelnen Seelenvermögen können Träger von Habitus und Tugenden sein. Abgesehen davon, wie Thomas „mens“ sonst verwendet, auch das Zitat selbst gibt zu erkennen, dass mens nicht synonym zu „intellectus“ steht, weil „intellectus“ selbst im Zitat genannt ist mit dem schon bekannten Akt des Zustimmens. Mens ist bei Thomas theologisch verstanden „der anthropologische Ort der ‚imago Dei‘-Bestimmung des Menschen“,91 der der Differenzierung in die Vermögen Wille und Verstand vorausliegt und die Geistnatur des Menschen als ganze meint. Wenn Thomas den Glauben als Habitus der mens definiert, dabei unter dem Anspruch, eine Definition im strengen Sinne zu aufzustellen, die einzelnen Begriffe gegen ihren von ihm definierten Sinn verwendet, dann um auszudrücken, dass der Glaube den ganzen Menschen erfasst, wenn der Mensch Gott als sein letztes Ziel erfasst. Und nur als Bestimmung des ganzen Menschen, bestimmt der Glaubenshabitus den Verstand dann auch dazu, in einem Verstandesakt den Glaubensaussagen zuzustimmen. Thomas zeigt indirekt, dass Gnade und ihr Wirken präzise nur als Geschehen zwischen Gott und Menschen zu verstehen sind, während die Betrachtung der dabei sich vollziehenden Akte im Menschen und als Akte des Menschen an sich zu logischen Inkohärenzen führt. Gnade ist also richtig – und daher auch philosophisch richtig – nur von Gottes Wirken her zu beschreiben. Das meint nicht (nur) den inhaltlichen Aspekt, dass also Gnade und Glaube sich allein dem Wirken Gottes verdanken, sondern mehr noch, dass die einzige – weil kohärente und präzise – Beschreibung die ist, die auch bei der Darstellung der Gnade von Gottes Wirken ihr Beginnen nimmt, und nicht nur die Wirksamkeit der Gnade im Menschen fokusiert. Die theologische Wahrheit wiederholt sich auf diese Weise als methodische Richtigkeit. Entsprechend begann Thomas seinen Glaubenstraktat durch das Schreiben über den Gegenstand des Glaubens, der den Glauben wirkt, während Akte und Habitus des Glaubens aus der Struktur des Gegenstandes für den Menschen eingeführt wurden, und nicht umgekehrt. Der Glaube erscheint hier, indem er die Ausrichtung der ganzen Person auf Gott bedeutet, als in seiner Funktion vergleichbar der Liebe. Glaube wäre dann die Gesamtbewegung der Person auf Gott hin, insofern sie Gott 89 Die folgende Formulierung entstammt nicht der Tradition, sondern stellt gerade die Interpretation von Hebr 11,1 in Thomas eigener Terminologie dar! 90 STh II–II 4,1 c.a.: „Der Glaube ist ein Gehaben des Geistes, mit dem das ewige Leben in uns beginnt, und das den Verstand dahin bringt, solchem beizustimmen, was er nicht sieht.“ 91 Schockenhoff, Bonum hominis, 371.

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Glaube

erkennt bzw. seiner Wahrheit zustimmt, während Liebe die Gesamtbewegung der Person auf Gott hin meint, insofern sie Gott will und ihn mit Akten der Freundschaft intendiert. Thomas spricht gelegentlich davon, dass der Glaube im Herzen wurzelt, und führt damit eine neue Kategorie ein (STh I 87,2 ad 1 interior actus cordis). Cor und mens verwendet Thomas dann, wenn es ihm um die Seele des Menschen mit allen ihren Vermögen, aber ungeachtet der Differenzierung in diese geht.92 Die Zuschreibung des Glaubensaktes sowohl an intellectus als auch ratio erklärt sich aus dem jeweiligen Fokus des Thomas. Betont Thomas den Geschenkcharakter des Glaubens, also die Weise seiner Entstehung, heißt es „intellectus“. Wenn Thomas jedoch das dem Glauben eigene cogitare, also Überdenken, reflektiert, spricht er von der ratio als dem Subjekt des Glaubens.93

3.7 Die Gaben der Einsicht und der Wissenschaft Die Gaben der Einsicht und der Wissenschaft Den theologischen Tugenden eignen die Gaben des Hl. Geistes, die den Menschen dazu befähigen, dem Bewegtwerden durch den Hl. Geist zu folgen. Für jeden Akt der theologischen Tugend ist das Wirken des Hl. Geistes vorausgesetzt, daher auch die Gaben des Hl. Geistes, durch die er so wirkt, dass der Mensch Akte von Glaube, Liebe und Hoffnung setzen kann. Dieser konstitutiven Funktion der Gaben für den Glaubensakt entspricht Thomas im Aufbau jedoch nicht, indem er die dem Glauben zugeordneten Gaben erst nach den Wirkungen des Glaubens, nämlich in STh II–II 8f. darstellt. Die Lehre von den Gaben hat in der mittelalterlichen Theologie, Seelsorge und Mystik ein breites Interesse gefunden, was sich in zahlreichen Überlegungen und Bestimmungen niedergeschlagen hat, die Thomas nun aufarbeitend in seine theologische Systematik zu integrieren hat. Das gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil einige Begriffe verschiedenen Größen zugeordnet werden: Glaube ist theologische Tugend und gehört zugleich zu den Früchten des Hl. Geistes; Einsicht bezeichnet einerseits die Gabe des Hl. Geistes, andererseits die (natürliche) Einsicht in die selbstevidenten Prinzipien der Vernunft. Zur Tugend des Glaubens gehören die Gaben der Einsicht und der Wissenschaft – allerdings nur des beformten Glaubens, denn der unbeformte ist ohne die heiligmachende Gnade.94

92

Vgl. Pesch, Thomas von Aquin, 126. Vgl. Pesch, Thomas von Aquin, 128f. 94 Vgl. STh II–II 8,5 ad 3. 93

Die Gaben der Einsicht und der Wissenschaft

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Die Gabe der Einsicht identifiziert Thomas mit dem übernatürlichen Licht der Gnade.95 Das übernatürliche Licht der Gnade bezeichnet metaphorisch die wichtigste Funktion der Gabe der Einsicht.96 Diese bewirkt, dass der Mensch die ihm in den Glaubenssätzen vorgelegte Wahrheit richtig erfasst, das bedeutet, die Glaubenssätze als Offenbarung und das Offenbarte in seinem Bezug auf Gott. Wenn der menschliche Verstand (intellectus) vom Geist Gottes bewegt wird, ergreift der Mensch die Wahrheit in Bezug auf sein letztes Ziel mit Hilfe der Gabe der Weisheit.97 Dörnemann vertritt die These, dass die thomasische Rede vom übernatürlichen Licht bedeutet, dass das formale Objekt des Glaubens zugleich das Medium ist, durch das es erkannt wird.98 Aus diesem Grund ist das Licht ein übernatürliches; das aus der Partizipation des Menschen qua Gnade an der göttlichen Natur, hier am göttlichen (Sich-)Erkennen entsteht.99 Als Licht benennt Thomas die Gabe der Einsicht aufgrund ihrer Funktion, nämlich deshalb, weil durch sie die Glaubenssätze tiefer erfasst werden, und zwar nicht-diskursiv, vergleichbar der Einsicht in die ersten selbstevidenten Prinzipien durch das natürliche Licht der Vernunft. Das Erfassen bezieht sich auf den Aussagegehalt, nicht unmittelbar und erst sekundär vermittels der Weisheit auf deren Wahrheit. Durch das übernatürliche Licht wird das zu Glaubende kein Wissbares!100 Das Licht bedeutet bei Thomas keine zusätzliche Größe zur Erkenntniskraft, sondern ein bestimmter Aspekt der Erkenntniskraft. So reicht einerseits für Thomas das übernatürliche Licht weiter als das natürliche und die übernatürliche Erkenntnis weiter als die natürliche; aber die Vergleichbarkeit bezieht sich nur auf das nicht-diskursive Erfassen, nicht auf die Selbstevidenz der „beleuchteten“ Inhalte. Die Gabe der Einsicht bedeutet eine unvollkommene Schau Gottes, die darin besteht, dass der Mensch sieht, was Gott nicht ist. In dieser Unvollkommenheit erkennen wir Gott umso vollkommener, je mehr eingesehen wird, dass er unser Begreifen überschreitet. Auf diese Weise bewirkt die Gabe der Einsicht, dass das, was in der Offenbarung von Gott gesagt ist, nicht wie Aussagen über Geschaffenes verstanden wird. Dieser Funktion der Einsicht ordnet Thomas die sechste Seligpreisung zu: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Thomas bezeichnet die Gabe der Einsicht gelegentlich aber

95 Eine informative Übersicht über den thomasischen Gebrauch der Lichtmetaphorik bietet Kieninger, Das Sein als Licht, v.a.184–220. 96 „Sic ergo intellectuale lumen gratiae ponitur donum intellectus“ STh II–II 8,5 c.a.: „In diesem Sinne also wird die geistige Leuchte der Gnade als Gabe der Einsicht begriffen“. 97 Vgl. STh II–II 8,5 c.a. 98 So Dörnemann, Freundschaft, 82. 99 Vgl. STh I–II 110,3 c.a. 100 Vgl. Basse, Certitudo Spes, 71.

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Glaube

auch allgemeiner als Habitus, mit dessen Hilfe geistige Gegenstände überhaupt auf besonders tiefe und präzise Weise erkannt werden.101 Zu unterscheiden ist bei der Gabe des Geistes hinsichtlich dessen, was als Minimum und daher allen Glaubenden gegeben wird, und was einigen Glaubenden zusätzlich dazu mit der Gabe der Einsicht geschenkt wird. Die Gabe der Einsicht ist zum einen nötig, damit der Mensch zum Glauben gelangt; andererseits vollendet sie sich aufgrund des Glaubens und ihm folgend.102 Auf die übernatürliche Erkenntnis des Glaubens ausgerichtet erscheinen neben der Gabe der Einsicht auch die Gaben der Wissenschaft (scientia), der Weisheit und des Rates. Die Gabe der Weisheit103 bewirkt ein richtiges Urteil über die Glaubenssätze, nämlich dass ihnen zuzustimmen sei. Nun verbindet Thomas die Gabe der Weisheit aber mit der Tugend der caritas als einer Vervollkommnung des Willens. Dass die Gabe der Weisheit für den Glaubensakt nötig ist, entspricht aber genau der vorgestellten Analyse des Glaubensaktes. Der Wille bewirkt die Zustimmung des Verstandes aufgrund einer gnadenhaft bewirkten Urteilsfähigkeit durch Liebe. Die Weisheit aber bewirkt so eine verwandelte Urteilsfähigkeit, weil die caritas den Menschen zur Konnaturalität mit Gott erhebt.104 Diese Konnaturalität ist Grund der Liebe und wird als Liebe vollzogen und bewirkt eine wachsende Konnaturalität. Die Erkenntnisdimension der Liebe105 als Konnaturalität bezeichnet die Gabe der Weisheit. Konnaturalität als Liebe impliziert ein Erkennen des Gegenüber als konnatural; dieses Erkennen ist nicht-diskursiv und nicht-begrifflich. Die Erkenntnisdimension der Liebe bewirkt das Urteil, dass Gott als das letzte Ziel identisch mit dem Subjekt der Offenbarung ist und sich die Glaubensinhalte auf Gott als das (geliebte, konnaturale) Ziel beziehen. Diese nicht-diskursive Erkenntnis bedarf des Glaubens als Verstandesakt, um zu einer sprachlichen, begrifflichen Erkenntnis zu werden, die wiederum Voraussetzung für ein menschliches Lieben ist, das sich immer nur als Erkennen mit allen Erkenntnismöglichkeiten des Menschen vollziehen kann. Aufgrund ihrer komplexen Struktur, die dem Glaubensakt genau

101

Vgl. STh II–II 15,2 c.a. Vgl. STh II–II 8,8 ad 2. 103 Thomas ändert innerhalb der Summe seine Auffassung darüber, was zur Gabe der Einsicht gehört. Das schreibt er selbst in STh II–II 8,6 c.a. (gegenüber STh I–II 68,4). 104 Vgl. Schockenhoff, Bonum hominis, 400: Die Gabe der Weisheit „setzt die konnaturale Übereinstimmung mit den göttlichen Dingen voraus, die Thomas nur als Ergebnis und Folge liebender Einheit verstehen kann“. Schockenhoff übersieht, dass Konnaturalität aber nicht nur Folge, sondern auch Grund und Wesen der Liebe ist. 105 Dazu auch Niederbacher, Glaube, 141 und Ricken, Glaube, 141. Beide bezeichnen aber den dargestellten Sachverhalt als „kognitive Funktion der Liebe“, was aufgrund der Zuordnung des Kognitions-Begriffs zu sprachlich verfasstem Erkennen ungenau, wenn nicht irreführend ist. 102

Die Gaben der Einsicht und der Wissenschaft

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parallel ist, hat die Weisheit als Gabe ihre Ursache im Willen, ihr Wesen aber im Intellekt, dessen Akt es ist zu urteilen.106 Die Gabe der Wissenschaft107 bewirkt, dass der Mensch ein richtiges Urteil darüber hat, was von der Erstwahrheit ausgehend von den geschaffenen Dingen zu denken sei, also zwischen wahr und falsch unterscheiden kann und unterscheidet. Zum unterscheidenden Urteil kommt der Mensch nun nicht wie in der menschlichen Wissenschaft durch Schlussfolgerungen aus Prinzipien, sondern durch die Gabe der Wissenschaft partizipiert der Mensch am Wissen Gottes, das schlechthin einfach ist. So hat der Glaubende ein sicheres und richtiges Urteil darüber, was zu glauben sei – unabhängig von schlussfolgerndem Denken. Die Gabe der Einsicht, der Weisheit und der Wissenschaft wirken so zusammen, dass der Mensch die verkündigten Glaubensaussagen erfasst, sie als bezogen auf Gott als das letzte Ziel erkennt und so ein sicheres Urteil über die Wahrheit der Glaubenssätze fällt, indem er ihnen zustimmt.108 Mit Thomas eigenen Worten zusammengefasst: „Und so sind Weisheit und Wissenschaft nichts anderes als gewisse Vervollkommnungen der Seele oder des menschlichen Geistes, kraft deren er darauf ausgerichtet wird, den Antrieben des Heiligen Geistes in der Erkenntnis der göttlichen oder menschlichen Dingen zu folgen. Und so ergibt sich, daß solcherlei Gaben in allen sind, welche die Gottesliebe haben.“109 Einsicht und Wissenschaft sind geboten vom Gesetz im Alten Testament. Zunächst fragt Thomas aber, warum im Alten Gesetz keine Gebote bezüglich des Glaubens gegeben wurden. Thomas argumentiert mit dem allgemeinen Verhältnis zwischen Herrscher, Untertanen und Gesetz. Dass Untertanen ein Gesetz annehmen, setzt voraus, dass sie den Geber des Gesetzes als Herrscher anerkennen. Das bezieht Thomas auf das Volk Israel, das um Gottes Gesetz zu akzeptieren, ihn zuerst als Herr und Gott geglaubt hat. Daher war es unnötig und unsinnig, im Gesetz selbst, diesen Glauben an ihn als Herr und Gott zu gebieten.110 Anders verhält es sich mit dem Neuen Gesetz, in dem viele Gebote bezüglich des Glaubens enthalten sind, denn die inhaltliche Entfaltung des Glaubens an den einen Gott gehört zum Neuen Gesetz. Daher können über diese Glaubensinhalte Gebote gegeben werden, da sie über den Glauben an Gott hinausgehen, der zur Annahme des 106 Vgl. STh II–II 45,2 c.a.: „Sic erga sapientia, quae est donum, causam quidem habet in voluntate, scilicet caritatem: sed essentiam habet in intellectu, cuius actus est recte iudicare“. 107 Die Funktion der Gabe der Wissenschaft bestimmt Thomas nicht einheitlich; in STh II–II 9,1 c.a. ordnet er ihr das zu, was er in STh II–II 8,6 c.a. der Weisheit zugeschrieben hatte. 108 Vgl. STh II–II 9,1 c.a. 109 STh I–II 68,5 ad 1. 110 Thomas entschärft Gegenbelege wie Sir 2,8, indem er an solchen Stellen Glauben auf besondere Glaubensgeheimnisse bezieht, so STh II–II 16,1 ad 5.

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Glaube

Gesetzes immer schon vorausgesetzt ist und daher nicht im Gesetz gefordert werden kann. Gebote bezüglich der Gaben der Einsicht und der Wissenschaft aber enthält das Alte Gesetz, und zwar in dreifacher Hinsicht. Sowohl die Aneignung von Einsicht und Wissenschaft durch Lehren und Lernen, als auch die Anwendung durch Nachdenken, als auch die Bewahrung durch sinnliches Präsenthalten gebietet das Alte Gesetz. Als Inhalt von Einsicht und Wissenschaft steht Thomas in diesem Textzusammenhang Gottes Gesetz vor Augen, das lehr- und lernbar ist. Thomas beendet den Glaubenstraktat, indem er erklärt, wie der Mensch das Gebot verstehen solle, dass er beim Schlafen über Gottes Gesetz nachzudenken habe (Dtn 6,7): Beim Schlafengehen soll der Mensch sich Gottes Gesetz vergegenwärtigen, und dann werden auch seine Träume mit guten sinnenhaften Bildern gefüllt sein.

3.8 Die Gewissheit und die Ursache des Glaubens Die Gewissheit und die Ursache des Glaubens Das Problem der Gewissheit des Glaubens stellt sich in dreifacher Hinsicht. (a) Welche Gewissheit hat der Mensch bezüglich der Inhalte seines Glaubens? (b) Hat der Mensch Gewissheit darüber, dass er glaubt, genauer, dass er ein aufgrund Gnade Glaubender ist? (c) Welche Gewissheit eignet dem Glaubensakt darüber, dass er in und durch seine Ausrichtung auf das letzte Ziel (Heil) dieses auch wirklich erreicht? Im Folgenden seien diese drei Aspekte je für sich untersucht. (a) Das Thema der inhaltlichen Gewissheit des Glaubens behandelt Thomas, indem er sie mit Wissen und Einsicht vergleicht. Bezüglich der Inhalte des Glaubens unterscheidet Thomas zwischen subjektiver und objektiver Gewissheit. Die objektive Gewissheit von Inhalten bemisst sich an deren Begründung. Der Glaubensinhalt stützt sich auf göttliche Wahrheit, auf die durch die Offenbarung vermittelte Wissenschaft Gottes und der Seligen, während menschliches Wissen und dessen Inhalte sich auf menschliche Wissenschaft gründen. Die Wissenschaft Gottes ist aber zuverlässiger; deshalb sind die Glaubensinhalte an sich gewisser als das, was der Mensch qua seiner Wissenschaft weiß. Der Glaube ist für Thomas, was seine Inhalte betrifft, unfehlbar. Dem Glauben, der die Erstwahrheit vermittelt durch die Erstwahrheit glaubt, kann nichts Falsches unterliegen, denn die Erstwahrheit kann weder etwas Falsches enthalten noch in ihrer Vermittlung als

Die Gewissheit und die Ursache des Glaubens

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Offenbarung lügen. Wenn der glaubende Mensch daher etwas Falsches über Gott und die Heilsgeschichte denkt, tut er das aufgrund seiner eigenen Annahmen, nicht aber aufgrund des Glaubenshabitus und der Glaubensinhalte selbst.111 Die Begründbarkeit der Inhalte entscheidet für Thomas also über die Gewissheit von Inhalten. Die subjektive Gewissheit dagegen ist nur eine akzidentelle Bestimmung von Inhaltsgewissheit. In dieser Hinsicht hält Thomas Wissen und Einsicht für gewisser als den Glauben, denn wissend und einsehend eignet sich der menschliche Verstand Inhalte tiefer und umfassender an, weil er sie aufgrund seines eigenen Erkennens inne hat. Diesen Unterschied betont Thomas immer wieder, weil für ihn Glauben Wissen nie ersetzen kann und Glauben auf (zukünftiges) Wissen hingeordnet ist. Thomas argumentiert hier aber nicht mit der Festigkeit der Zustimmung zu Inhalten. Diese kommt dem Glauben ja im gleichen Maß (wenn auch nicht in gleicher Weise) wie dem Wissen zu. Auf der anderen Seite definiert er den Glauben gerade nicht über seine Defizienz gegenüber dem Wissen – so sehr er Defizienz in bestimmter Hinsicht auch feststellt –, sondern durch die grundsätzliche Überlegenheit, die dem Glauben durch die Begründung des Glaubensinhaltes, mehr aber noch durch seine Funktion zu kommt, die darin besteht, den Geist des Menschen auf die erste Wahrheit und somit auf das letzte Ziel des Menschen auszurichten. Überraschenderweise vergleicht Thomas nun auch die Gewissheit des Glaubens mit der Gewissheit der Gaben des Hl. Geistes, der Einsicht und der Wissenschaft.112 Aus dem Bisherigen wäre zu schließen, dass die subjektive Gewissheit des Glaubens durch die Gaben vermittelt wird und daher gar nicht unabhängig von ihnen besteht. Thomas vergleicht aber auch nicht die drei Größen, als ob sie unabhängig voneinander bestünden, sondern in ihrem Relationengefüge: Den Gaben eignet Gewissheit, weil sie auf dem Glauben basieren bzw. als Gaben des Glaubens konstituiert sind. Die Gewissheit in den Gaben stammt vom Glauben, der als Habitus nur mithilfe der Gaben zu seinem Erkenntnis-Akt kommt, dem die Gaben die Erkennbarkeit des Inhalts verleihen, wobei die Gaben abstrakt als eigene Größen betrachtet an der Gewissheit partizipieren, die das differenzierte Zusammenwirken von Habitus und Gaben als ganzes erfüllt. Diese partizipierte Gewissheit muss aus der dargestellten Logik heraus eine kleinere, abgeleitete sein gegenüber der Gewissheit des Glaubens als ganzem. Bei der Frage der Glaubensgewissheit ist zu unterscheiden zwischen Gewissheit über die geglaubten Gegenstände und Gewissheit darüber, dass man Glauben (als eingegossene Tugend) hat. Die Gewissheit über die ge111 112

Dazu STh II–II 1,3. Vgl. STh II–II 4,8 c.a.; ad 3.

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Glaube

glaubten Inhalte eignet dem Glauben wesenhaft.113 Völlig anders verhält es sich mit Gewissheit darüber, wirklich zu glauben. (b) Da der Mensch seine eigenen Habitus nur über deren spezifische Tätigkeit erkennt, sowohl was ihre Existenz als auch ihre Eigenart betrifft, kann der Mensch nicht unmittelbar feststellen, ob er Glauben hat.114 Gewissheit, dass er glaubt, kann der Mensch erlangen durch die Wahrnehmung von inneren Glaubensakten, die Thomas dem Herzen zuschreibt. Der Glaube wird von dem, „in dem er ist, durch die innerliche Tätigkeit des Herzens wahrgenommen. Denn niemand weiß, daß er Glauben hat, außer durch die Wahrnehmung, daß er glaubt.“115 Aber niemand kann Gewissheit darüber erlangen, dass er den durch die Gnade bewirkten beformten Glauben hat, weil niemand erkennen kann, ob Gott durch die Gnade in ihm anwesend ist oder nicht116 – wie im Kapitel über die Gnade näher ausgeführt. (c) Die Gewissheit des eigenen Heils kann also nicht den Glauben als Glauben auszeichnen. Die Heilsgewissheit ordnet Thomas der theologischen Tugend der Hoffnung zu. Der Hoffnung gehört als ihr eigentümlicher Akt das gewisse Vertrauen auf die helfende und vergebende Barmherzigkeit Gottes zu. Als Tugend unterliegt der Hoffnung nichts Falsches; der Mensch hofft zu Recht mit Gewissheit. Thomas erläutert: „Und dennoch unterliegt auch der Hoffnung nichts Falsches. Denn niemand hofft das ewige Leben zu erlangen kraft eigenen Vermögens, dies wäre Vermessenheit, sondern mit Hilfe der Gnade; und wer in dieser verharrt, wird durchaus und unfehlbar das ewige Leben erlangen.“117 „Praktische und affektive Gewißheit“118 des Heils erfüllt den Menschen qua Hoffnung, nicht qua Glauben. Der Glaube als „Über-Fluss“ der Gnade zum Erkenntnisvermögen des Menschen ist ausschließlich gottgewirkt. Gott allein ist die Ursache des Glaubens. Die thomasische Begründung dieses Sachverhaltes soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Eine ausführliche Darlegung erfolgte im Gnadentraktat. Beim Glaubenstraktat widmet Thomas sich dieser Frage in nur einem Artikel – in allen anderen ist das Gottgewirktsein vorausgesetzt. In diesem Artikel blickt Thomas aus einer anderen Perspektive auf den Glauben, indem er phänomenologisch vorgeht: Kann man das Gottgewirktsein auch dann erkennen, wenn man die menschlichen Glaubensakte be113

Dazu auch STh I–II 112,5 ad 2. Dazu auch Basse, Certitudo Spei, 66–72. 115 STh I 87,2 ad 1: „fides ... percipitur tamen etiam ab eo in quo est, per interiorem actum cordis. Nullus enim fidem se habere scit, nisi per hoc quod se credere percipit.“ 116 Vgl. STh I 112,5 c.a. 117 STh II–II 1,3 ad 1: „Et tamen neque etiam spei subest falsum. Non enim aliquis sperat se habiturum vitam aeternam secundum propriam potestatem (hoc enim esset praesumptionis), sed secundum auxilium gratiae: in qua si perseveraverit, omnino et infallibiliter vitam aeternam consequetur.“ 118 Schockenhoff, Bonum hominis, 463. 114

Die Gewissheit und die Ursache des Glaubens

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obachtet und so von außen analysiert – ohne an der Stelle aus der Offenbarung Ableitungen zu ziehen? Dieser Methodenwechsel dient dazu, das dem Glaubenden aus der Offenbarung Bekannte (in doppelten Sinne) nachfolgend auch rein philosophisch zu plausibilisieren. Darin entspricht der Glaubende sich als Glaubender, indem er überdenkt und erwägt, was des Glaubens ist; als theologische Lehre drückt sich darin eine gratia gratis data aus, durch die der Einzelne auf die Gemeinschaft der Glaubenden hingeordnet ist. Im Artikel STh II–II 6,1 wiederholt Thomas nur bekannte Thesen, aber er versucht hier einen anderen Zugang dazu. Wie also argumentiert er? Das entscheidende Moment des Glaubens ist der Akt der Zustimmung des Verstandes aufgrund des Befehls des Willens. Was bewegt den Willen? Das könnten äußere Ereignisse und Erfahrungen sein, so z.B. Wunder oder das überzeugende Zeugnis eines anderes Menschen. Die Glaubenszustimmung kann aber laut Thomas nicht aufgrund äußerer Ursachen geschehen, denn die Beobachtung zeigt, dass die gleiche Verkündigung oder das gleiche Wunder bei den einen zum Glauben führt, bei den anderen nicht.119 Also muss es sich um eine innere Ursache handeln, die den Ausschlag gibt, entweder die freie Willensentscheidung des Menschen an sich und aus sich selbst heraus oder Gott. Die freie Willensentscheidung des Menschen scheidet aus, da der Mensch durch die Glaubenszustimmung über seine Natur hinausgeht, welche Bewegung daher nicht von seiner Natur ausgehen kann. Daher muss es Gott sein, der den Willen bewegt, den Verstand zur Zustimmung zu bewegen. Gott bewegt den Willen, indem er durch die Gnade die Seele des Menschen zur Konnaturalität mit ihm verwandelt, sie so auf sich ausrichtet, sich durch die Ausrichtung des Menschen auf ihn als bonum universale zeigt, den Willen als Willensvermögen so bindet, dem Verstand die Fähigkeit verleiht, durch die Gabe der Einsicht das zu Glaubende zu erfassen und durch die Gabe der Weisheit die Identität zwischen bonum universale, auf das sich der Mensch liebend ausrichtet und Gott als dem Inhalt und Urheber der Offenbarung erkennt und daher richtig urteilt, dass zu glauben ist, weshalb dann der Wille aufgrund seiner konnaturalen Ausrichtung auf Gott dem Verstand befiehlt, zuzustimmen. 119

Dass Thomas an einer anderen Stelle die sein System sprengende Aussage machen kann: „Manch einer wird durch eine Wohltat leiblicher Heilung rascher zum Glauben geführt, als wenn er diesen durch die Tugend des Glaubens erlangt“ STh I–II 111,4 ad 3 („ad fidem; ad quam aliquis magis promptus redditur per beneficium corporalis sanitas quam per fidei virtutem assequitur.“) ist nur damit zu erklären, dass er an der genannten Stelle die Bedeutung der freigewährten Gnadengaben, besonders die der Heilung hervorheben möchte. Aber auch an dieser Stelle geht es nicht darum, einen ohne Gnade gewirkten Glauben auszusagen, sondern die Bedeutung der Gnadengaben für die Glaubensvermittlung hervorzuheben, also auf diese Weise die Rolle der Gnade für den Glauben zu würdigen.

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Glaube

In diesem komplexen Gefüge sieht Thomas die Alleinwirksamkeit Gottes, die Freiheit des Menschen, die Wahrheitsausrichtung des Verstandes, die Willentlichkeit des Glaubens und daher seine Verdienstlichkeit gewahrt. Gott wirkt den Akt, indem er die Habitus konstituiert. Den Akt vollzieht der Mensch – in der Kraft des ersten Bewegers, der in jedem geschaffenen Akt wirkt – so dass dieser Akt frei ist, aber Akt eines verwandelten Willens und eines verwandelten Verstandes ist. Diese Verwandlung stellt eine Vervollkommnung des Verwandelten dar, auf das die Natur des Menschen selbst hinstrebte. Abschließend bleibt noch anzumerken, dass die Tugend des Glaubens nicht nur ihre Konstitution Gott verdankt, sondern auch ihre Bewahrung.120

3.9 Theologie, Glaube und Wissen Theologie, Glaube und Wissen Der Glaubende überdenkt mit Zustimmung. So lautet die thomasische Grundbestimmung des Glaubensaktes. Diese Grundbestimmung begründet Theologietreiben als Vollzug des Glaubens. Indem der Theologe von der Offenbarung bzw. ihren Prinzipien ausgeht und sie dann auslegt, überdenkt er das entfaltend, dem er zustimmt. Das Überdenken durch theologische Wissenschaft zu tun, gehört nicht notwendig zum Überdenken, daher zum Glauben, ist aber eine mögliche Vollzugsform, zu der bestimmte Glaubende durch die ihnen gewährte gratia gratis data des Lehrens berufen sind. Das Verhältnis von Zustimmung und Überdenken (in dieser Reihenfolge) bestimmt nun nicht nur das Verhältnis von Offenbarung und theologischer Wissenschaft, sondern auch das von Theologie als entfalteter Offenbarung und Philosophie. Für das, was die Theologie ausgehend von der Offenbarung als Wissenschaft entfaltet, kann und soll die Philosophie im thomasischen Werk ihre eigenen Gründe finden, die sich nur auf menschliche Vernunft stützen. Innerhalb der Theologie ist die Philosophie auf diese Weise zugleich frei und autonom, zugleich aber hat sie keine Funktion für die Konstitution der Inhalte – die entstammen nämlich in ihrer Begründung ausschließlich der Offenbarung. Theologie bestimmt sich für Thomas als Ausdruck und Vollzug des Glaubens. Darin eignet ihr für Thomas zweitens eine kirchliche Funktion, indem sie belehrend Menschen hinführt zu den Glaubensinhalten, welche von diesen dann glaubend aufgenommen werden können, wenn und nur wenn der Hl. Geist wirkend sie dazu bewegt. Bezogen auf den Zuhörer weist Thomas dann dem Unterschied von Predigt und Lehre eine lediglich kontextuelle Bedeutung zu. Theologie verortet Thomas also sowohl im 120

Vgl. STh II–II 4,4 ad 3.

Theologie, Glaube und Wissen

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Heilsgeschehen für den einzelnen, indem dieser seinen Glauben theologietreibend vollzieht als auch für die Gemeinschaft der Glaubenden, die als Hinführung zum Glauben und zu seiner Bestärkung der theologischen Lehre bedürfen. Dem glaubenden Theologen sind für seine Aufgaben besondere Gnadengaben verliehen, die ergänzt werden durch besondere Ausprägungen der Gaben des Hl. Geistes. Gnadengaben und Gaben des Hl. Geistes hängen an der heiligmachenden Gnade, insbesondere an der caritas als deren Inbegriff. Thomas sieht aber das Theologietreiben in seiner wissenschaftlichen Hinsicht nicht an die Gnade gebunden; Theologie kann also auch jemand mit einem „ungeformten Glauben“ wissenschaftlich bearbeiten, weil die Wissenschaftlichkeit des Theologie-Vollzugs121 sich allein am richtigen Verstandesgebrauch bemisst, durch welchen von Prinzipien Ableitungen zu treffen sind. Theologie ist Wissenschaft, aber Glaube kein Wissen. Darin bildet sich das Verhältnis von objektiver Gewissheit der Glaubensinhalte und subjektiver, nur vermittelter Gewissheit, wie es im Glaubensakt besteht, hinsichtlich von Theologie und Glaube ab. Wie bestimmt Thomas im Anschluss daran das Verhältnis von Glauben und Wissen? Ihr Verhältnis ist ein mindestens vierfaches: (1) Wissen und Glauben stellen verschiedene epistemische Vollzüge dar. Wissen wird dabei von seinem Zielpunkt bestimmt, nämlich der Zustimmung zu seiner Aussage, weil man sie einsieht, nachdem man überlegt hat. Glauben dagegen definiert sich nach seinem Anfangspunkt, nämlich der Zustimmung zu Inhalten, ohne sie selbst ganz einzusehen, weshalb eine irdisch prinzipiell unabschließbare Überlegung beginnt. (2) Es gibt Wissen, das als Wissen dem Glauben vorhergehen kann. Man kann die Praeambula fidei wissen, man kann (mit Hilfe des lumen fidei!) wissen, dass zu glauben ist. Glauben gründet sich auf ihm vorhergehendes Wissen und eine ihm vorgeordnete Wissenschaft, nämlich die Gottes und der Seligen, bzw. auf die Schau Christi. (3) Glauben zielt auf zukünftiges Wissen, nämlich dessen, was jetzt geglaubt wird. (4) Glauben und Wissen erfüllen verschiedene Funktion innerhalb des menschlichen Wahrheitsverhältnis und der Orientierung in der Welt. Glauben ist also kein Wissen, trotzdem nennt Thomas den Glauben eine Erkenntnis.122 Den Erkenntnischarakter sieht Thomas gegeben, weil der 121 Der Status dagegen der Theologie als Wissenschaft hängt an der Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft, der die Theologie ihre Prinzipien verdankt, also an der Wissenschaft Gottes und der Seligen. 122 Im Folgenden wird daher mit Erkenntnis das thomasische Erkennen gemeint, das eben kein Wissen ist.

200

Glaube

Glaube Inhalte hat, die über das hinausgehen, was der Mensch mit seinem natürlichen Verstand wissen könnte. Diese Inhalte des Glaubens sind zwar keine gewussten, aber durch Zustimmung im Glaubensakt angeeignete Inhalte. Durch seine eigenen Inhalte ist der Glaube eine Erkenntnis.123 Auch im Glauben wird aber nicht das Wesen Gottes erkannt. Daher spricht Thomas davon, dass auch der Glaubende Gott als einem quasi Unbekannten verbunden ist,124 dies ist jedoch darauf zu beziehen, dass der Glaubende aber erkennt, wer und was Gott nicht ist. Thomas schreibt, dass „wir um so vollkommener [...] Gott in diesem Leben [erkennen, MR], je mehr wir einsehen, daß Er alles überschreitet, was im Verstehen erfaßt wird.“125 Hinsichtlich des Wesens Gottes ist der Glaube dem Wissen darin überlegen, dass er erkennt, was Gott nicht ist, also erstens erkennt, was er erkennt und was nicht, und zweitens seine Nichterkenntnis als eine spezifische Weise der Erkenntnis begreift und sie darin auf das zu Erkennende, aber nicht Erkannte bezieht. Darin stimmen für Thomas kirchlich Glaubende und Häretiker überein. Aber bei den einen ist der Glaube eine Tugend, bei den anderen nicht – auch bei den Glaubensinhalten, bei denen Häretiker mit dem Glauben der Kirche übereinstimmen. Weil dieser Unterschied für das Mittelalter sich als unmittelbar praxisrelevant erwies, folgt nun ein eigenen Kapitel zum Thema Häresie und Unglaube.

3.10 Unglaube,126 Häresie und Gotteslästerung Unglaube, Häresie und Gotteslästerung Praxisgestaltende Dimensionen gewinnt die thomasische Glaubensanalyse dort, wo sie die Schlussfolgerungen für den Umgang mit den Ungläubigen zieht und damit auf zeitgenössische ethische und politische Probleme eingeht. Um Häretiker auf eine neue Weise zu bekämpfen, war der Dominikaner-Orden gegründet worden. Beim Thema Häresie hat Thomas es also mit dem zentralen Auslöser seiner eigenen institutionalisierten Lebensform zu tun. Wegen eben dieser Verbindung antwortet Thomas hier direkt auf praktische und politische Fragen und situiert sich auf diese Weise mit seiner Theologie explizit in seiner Lebenswelt.

123

Vgl. STh 12,13 ad 3. Vgl. STh I 12,13 ad 1: „Quod, licet per revelationem gratiae in hac vita non cognoscamus de Deo quid est, et sic ei quasi ignoto conjugamur“. 125 STh II–II 8,7 c.a: „et tanto in hac vita Deum perfectius cognoscimus quanto magis intelligimus eum excedere quidquid intellectu comprehenditur.“ 126 Vgl. STh II–II 10, 1–12. 124

Unglaube, Häresie und Gotteslästerung

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Beim Unglauben unterscheidet Thomas solchen, der auf reiner Unwissenheit beruht und solchen, der bewusst dem Glauben widerspricht oder sich ihm verschließt. Der Unglaube der Unwissenheit bedeutet keine Sünde, sondern ist aus christlicher Sicht eine Strafe bzw. Folge der Sünde von Adam und Eva. Der Unglaube des Widerspruchs dagegen sündigt, insofern der Mensch seinen Verstand nicht dem Glauben unterwerfen will. So vollzieht der Verstand die Sünde, auf Befehl des Willens, weshalb die Sünde des Unglaubens, wie jede Sünde, vom Willen ausgeht. Diese Sünde entfernt den Menschen am meisten von Gott, weil er nicht einmal die richtige Erkenntnis Gottes hat, weshalb der Unglaube des Widerspruchs als größte Sünde anzusehen ist; er gehört zu den Todsünden. Allerdings sündigt der Nicht-Glaubende nicht in allem seinem Tun, sondern nur in solchem, das auf das Ziel des Unglaubens ausgerichtet ist. Denn das Licht der natürlichen Vernunft kann den Willen auf ein natürliches Gut ausrichten. Den Unglauben der Heiden hebt Thomas ab vom Unglauben der Juden, diesen vom Unglauben der Häretiker. Da diese dem widersprechen, was sie schon einmal in voller Wahrheit angenommen haben, wiegt ihre Schuld stärker als die der Juden, die das Vorbild des Evangeliums im Gesetz des Alten Testamentes angenommen haben, aber nicht das Evangelium; diese wiederum tragen größere Schuld, nämlich überhaupt Schuld im Unterschied zu den Heiden, die nie die Wahrheit des Evangeliums angenommen haben. Der Unglaube der Häretiker ist also für Thomas der schlimmste. Weil diese also von dem abfallen, was sie einmal mit der Taufe versprochen haben, deshalb dürfen diese auch mit körperlichen Mitteln (Folter!) wieder zum Glauben gezwungen werden, wobei Thomas sich hier auf Augustinus beruft. Auch ist den Glaubenden der Umgang mit ihnen streng verboten, sowohl zu ihrer Strafe als auch zum Schutz der Glaubenden. Lediglich Glaubensgespräche mit Häretikern und allen anderen Ungläubigen erlaubt Thomas unter bestimmten Umständen: Das Motiv der Auseinandersetzung darf nur aus der Intention stammen, Irrtümer zurückzuweisen. Die glaubenden Teilnehmer an einem solchen Gespräch müssen entweder aufgrund ihrer theologischen Bildung im Glauben fest sein, daher ungefährdet oder in einer solchen inneren Situation, dass ihr Glaube durch die Teilnahme gefestigt wird und nicht eine Gefährdung zu erwarten ist. Bei theologisch ungebildeten Menschen ist der Glaube fester, „weil sie nichts davon gehört haben, was von dem verschieden ist, was sie für wahr halten“.127 Wie sollen sich die Glaubenden gegenüber den Ungläubigen verhalten? Mit Juden und Heiden dürfen Christen Umgang pflegen, wenn dazu Not127

STh II–II 10,7 c.a.: „Quorum fides ex hoc est firmior quod nihil diversum audierunt ab eo quod credunt.“

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Glaube

wendigkeit vorliegt oder (!) eine Bekehrung der Ungläubigen erwartet werden kann.128 Ungläubige sollen gezwungen werden, alles zu unterlassen, was den christlichen Glauben behindert, seien es Lästerungen oder Verfolgungen. Dazu betrachtet Thomas auch Kriege als legitim. Wenn Ungläubige Herrschaft über Christen übernehmen wollen, hat die Kirche dies strikt zu unterbinden. Wohl aber kann sie, braucht sie aber nicht, bestehende Herrschaft von Ungläubigen über Christen dulden. Weil für Thomas aber Glaube eine Sache des Willen ist, folgert er, dass die Ungläubigen, sprich Juden und Heiden, nicht zu zwingen sind: „Solche sind denn auf keine Weise zum Glauben zu nötigen, damit sie von sich auf glauben, denn Glauben ist Sache des Willens“.129 Hier könnte man zunächst eine Vorform von religiöser Toleranz vermuten. Aber wie verhält es sich mit der Ausübung nicht christlicher Kulthandlungen? Thomas spricht hier nicht von Religion, sondern nur von Kulthandlungen. An sich und um ihrer selbst willen, dürfen Kulthandlungen von Nichtgläubigen nicht geduldet werden. Die Begründung lautet: Wer Sünde duldet, sündigt selber. Gegenüber allen Ungläubigen, seien es Juden oder Häretiker, gilt für sog. einfache Menschen, dass ihnen der Umgang verboten ist, weil ihr Glaube sonst gefährdet werden könnte. Thomas vertritt die mittelalterliche Lehre, dass Juden Sklaven und daher Besitz der Kirche seien, weshalb die Kirche über deren Eigentum verfügen könne.130 Sie gelten ihm als Feinde.131 Trotzdem gesteht Thomas Juden einen Sonderstatus zu, weil sie in ihrem Glauben das Vor-Bild des christlichen Glaubens verkörpern. Daher lässt er auch ihre Religionsausübung frei zu, weil die Christen in jüdischer Religion ihren eigenen Glauben vorgebildet sehen. Die Kinder von Juden dürfen nicht zwangsgetauft werden, weil das der natürlichen Gerechtigkeit widersprechen würde, nach der Kinder bis zu ihrer geistigen Reife der Herrschaft ihrer Eltern unterstehen in einem quasi geistigen Mutterleib.132 Den Häretikern widmet sich Thomas ausführlich. Häresie bestimmt Thomas vom Paradigma einer falschen Wahl, was die Mittel zu einem (richtigen) Ziel betrifft; beim Glauben fungiert die Person, der beigestimmt wird, als Ziel, während die Inhalte, mit denen man der Person beistimmt, als Mittel zu betrachten sind. Der Häretiker richtet sich nun zwar auf das richtige Ziel, weil er Christus beistimmen will; aber mit den falschen Mitteln, indem er das erwählt, was er sein eigenes Denken ihm eingibt, nicht

128

Christen dürfen daher auch ungläubige Bedienstete haben. STh II–II 10,8 c.a. 130 Dazu STh II–II 10,10 c.a. 131 STh II–II 10,11 c.a. 132 Vgl. STh II–II 10,12. 129

Unglaube, Häresie und Gotteslästerung

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das, was wirklich Christus gelehrt habe.133 Das Kriterium dafür weist Thomas der dogmatischen Festlegung der Kirche zu, die der Papst vollzieht. Die Wahl der falschen Mittel durch die Häretiker begründet sich nicht aus Irrtum oder Unkenntnis (eben dieser kirchlichen Festlegung und Lehre), sondern aus einem Willensvollzug, der von Hochmut oder Begierde geprägt ist. Über Thomas hinausgehend könnte man sagen, es ist die Auswirkung der Unbeformtheit des Glaubens im unbeformten Glauben selbst. Die theoretischen Schwierigkeiten, die Häresie als Sünde auszuweisen, zeigen sich an widersprüchlichen Aussagen. So behauptet Thomas in STh II–II 11,3 ad 2, dass die Absicht (!) der Häretiker sei, den Glauben zu verderben, während er vorher die falsche Wahl der Mittel, um Christus beizustimmen und zu glauben, als das Wesen der Häresie definierte. Was aber ist das eigentliche Vergehen des Häretikers? Inhaltlich stellt es die Abwendung von der ersten Wahrheit, also von Gott dar. Hier wird mit keiner Differenz zwischen kirchlicher Lehre und Wahrheit gerechnet. Die Abwendung muss freilich hartnäckig erfolgen und sich in Kenntnis der kirchlich festgelegten Lehre gegen diese wenden. Wie begründet Thomas aber die Schuldhaftigkeit der Abkehr von der Wahrheit (denn es könnte ja schuldloser Irrtum sein)? Der entscheidende Punkt ist, dass die Häretiker von dem abweichen, was sie in der Taufe angenommen und versprochen haben. Versprechen sind für Thomas unbedingt zu halten, insbesondere Versprechen an Gott. Die Häresie als Sünde besteht also in einem gebrochenen Versprechen. Daher sind laut Thomas Häretiker auch mit körperlichen Mitteln zu zwingen, das Versprochene zu erfüllen. Den Kern der Schuld in der Häresie sieht Thomas in einer falschen, ja bösen Wahl. Es wird bezüglich der Zustimmung des Verstandes das gewählt, was der eigene Verstand sagt anstelle dessen, was Christus sagt. Als Ursache dieser nicht-guten Wahl nennt Thomas entweder Hochmut oder Begierde. Aber auch eine Wahnvorstellung kann den Ausgangsgrund dieser nicht-guten Wahl bilden. Thomas betrachtet Häresie als eine Sünde: „Auf seiten der Häretiker liegt eine Sünde vor, durch die sie verdient haben, nicht nur von der Kirche durch den Bann ausgeschieden, sondern auch durch den Tod von der Welt ausgeschlossen zu werden. Denn es ist weit schwerwiegender, den Glauben zu entstellen, durch den die Seele ihr Leben hat, als Geld zu fälschen, das nur dem irdischen Leben dient.“ Da auf Geldfälschung die Todesstrafe steht, soll das laut Thomas erst recht für Häretiker gelten.

133

Thomas reflektiert an dieser Stelle nicht das komplexe Verhältnis von Christus als Subjekt und Objekt von Lehre und Offenbarung.

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Glaube

Wie soll mit Häretikern umgegangen werden? Wenn sie trotz Ermahnung sich nicht bekehren, dann sind sie aus der Kirche auszuschließen und den weltlichen Gerichten zur Vollstreckung der Todesstrafe zu übergeben. Das begründet Thomas mit der Notwendigkeit, die Wahrheit zu schützen und so die anderen Glaubenden zu retten. Er bezieht sich auf eine geschichtliche Erfahrung, in der dieser Grundsatz zum Schaden der ganzen Kirche nicht angewandt wurde, nämlich Arius. Thomas argumentiert hier außer mit dieser Erfahrung auch mit Hieronymus, da er sich selbst gewichtige Einwände formuliert hat, die er nur mit einiger Mühe widerlegt. Der Gedanke des corpus permixtum lässt er nur für den Fall gelten, dass man das Unkraut nicht ohne den Weizen ausreißen könne. Häresie verdient also als schwere Sünde den Kirchenausschluss und die Todesstrafe (durch weltliche Rechtsprechung). Aus Barmherzigkeit hat die Kirche aber mindestens eine Warnung auszusprechen, bevor diese Konsequenzen vollstreckt werden. Dann aber, wenn eine Bekehrung des Häretikers nicht mehr zu erwarten sei, müssen die anderen vor ihm geschützt werden, indem der Häretiker getötet wird. Bereut der Häretiker aber, so wird die Todesstrafe nicht vollstreckt und eventuell werden ihm auch seine Güter und Ehren zurückgegeben. Bei Rückfall und zweiter Reue aber verliert der Häretiker auf jeden Fall sein Leben, doch wird ihm vorher Buße gewährt, die ihm sein ewiges Heil ermöglicht. Schlimmer noch als Häresie stellt sich für Thomas der Abfall vom Glauben dar. Abfall vom Glauben (Apostasie) liegt dann vor, wenn ein einst Glaubender sich vom Glauben lossagt, in Thomas Worten, wenn er vor Gott flieht.134 Das Problem für denjenigen, der vom Glauben abfällt, besteht darin, dass ohne Glauben es im Menschen nichts gibt, was zu seinem ewigen Heil dienen könnte. Für das irdische Leben bedeutet der Abfall, dass die innere Ordnung des Menschen sich auflöst. Diese beide Konsequenzen des Unglaubens, die eschatologische und die irdisch-anthropologische entsprechen den beiden Dimensionen des Glaubens, die Thomas in Form von zwei Schriftzitaten anführt: „Sine fide impossibile est placere Deo“ und fides est „primum fundamentum rerum sperandarum“ (Hebr 11,1). Ist der vom Glauben Abfallende ein politischer Herrscher, dann entbindet seine wegen Abfalls erfolgte Exkommunikation die Untertanen von ihrer Gehorsamspflicht und ihrem Treueeid. Im Rahmen seiner Überlegungen zu Sünden, die sich direkt gegen den Glauben richten, erläutert er die Gotteslästerung als Sünde, die spezifisch gegen den geforderten Bekenntnisakt des Glaubens verstößt. Entsprechend seiner Grundbestimmung von Glaube weist Thomas an der Sünde gegen den Glauben nun eine Erkenntnisdimension und eine Willensdimension auf. 134

Zum Folgenden vgl. STh II–II 12, 1–2.

Unglaube, Häresie und Gotteslästerung

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Wer Gott lästert, spricht ihm sein Gutsein ab. Dies kann nun entweder nur der Verstand des Menschen tun, oder auch der Verstand in Verbindung mit einem strebenden Mitvollzug des Menschen. Thomas bezeichnet das mit „affectus“, was bei ihm jeweils die Einheit von Wille und Leidenschaft in einem Akt ausdrückt. Wie bei der behaupteten Größe einer fides informis, stellt sich auch hier die Schwierigkeit, wie eine rein durch den Verstand vollzogene Gotteslästerung möglich sein soll, die mehr und anderes ist als ein Irrtum über Gott. Die Vollform der Gotteslästerung praktiziert der Mensch, indem er erkennend und wollend Gott sein Gutsein abspricht. Ein solcher Wille liebt Gott also nicht mehr, da Liebe sich auf das Gutsein des Gegenübers bezieht und dieses intendiert. Gott ist für diesen Willen nicht mehr das letzte Ziel: So ist Todsünde definiert. Daher begeht eine Todsünde, wer Gott (erkennend und wollend) lästert. Innerhalb der Todsünden übertrifft die Sünde der Gotteslästerung alle anderen an Schwere.135 Der Unglaube ist der Gattung nach die schwerste Sünde – sie entfernt den Menschen am radikalsten von Gott – und die Gotteslästerung als Sündenart der Gattung Unglauben verschärft den Unglauben durch die negative Beteiligung des Willens und gegebenenfalls durch die Öffentlichkeit eines äußeren Aktes. Wie verhält sich die Sünde gegen den Hl. Geist zu dieser schwersten Sünde? Thomas stellt die verschiedenen Definitionen der Sünde gegen den Hl. Geist aus der Tradition vor, bevorzugt für sich aber gegen Augustin und Petrus Lombardus eine Erklärung, die sich u.a. auf Richard von St. Victor stützt. Sünde gegen den Hl. Geist liegt dann vor, wenn das, was Sünde hätte verhindern können, was also durch den Hl. Geist im Menschen gewirkt ist, missachtet und beseitigt wird und so aus vorsätzlicher Bosheit gesündigt wird. Somit stellt Thomas mit seinem Verständnis der Sünde gegen den Hl. Geist keine Sündenart vor, sondern eine Art des Vollzuges von Sünde, den man sechsfach unterscheiden kann hinsichtlich dessen, welche Hemmnisse gegen Sünde der Beseitigung anheimfallen. Gedanken an das ewige Gericht hemmen Sünde, dann die Gaben des Hl. Geistes sowie der negative Charakter der Sünde selbst. Der Gedanke an das ewige Gericht hält zurück vom Sündigen zum einen durch die Hoffnung, die aus dem Gedanken an die Barmherzigkeit Gottes erwächst, zum anderen durch die Furcht vor der sündenstrafenden Gerechtigkeit Gottes. Die Hoffnung stirbt durch die Verzweiflung und die Furcht durch Vermessenheit. Die Gaben Gottes halten den Menschen von der Sünde ab durch die Erkenntnis der Wahrheit des Glaubens. Wenn also jemand die Glaubenswahr135 Im Vergleich zu Mord differenziert Thomas diese Bestimmung: Gotteslästerung ist der Schwere nach die schlimmste Sünde, aber Mord dem Schaden nach. Ausschlaggebend für die Sündigkeit der Sünde, also für die theologische Relevanz der Sünde, ist aber die Willensverkehrung, und nicht die Wirkung des Handelns, so STh II–II 13,3 ad 1.

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heiten in sich bekämpft, fällt ihm das Sündigen leichter. Vor allem aber bewahrt die Hilfe der Gnade vor dem Sündigen. Diese Gnadenhilfe vermindert der Mensch durch Neid auf die Gnade seiner Mitmenschen. Schließlich stößt eigentlich sowohl die Hässlichkeit des Sündenaktes als auch die Kürze der mit dem Sündenakt intendierten Lust den Menschen ab und bewahrt ihn so vor dem Sündigen. Unbußfertigkeit als die feste Absicht nicht zu bereuen und Verhärtung als feste Absicht weiterhin zu sündigen vermindern die Wirkung der Abstößigkeit der Sünde auf den menschlichen Geist. Sünden gegen den Hl. Geist gelten als unvergebbar. Thomas stellt dabei aber nicht in Abrede, dass Gott in seiner Allmacht und Güte auch diese Sünde vergeben kann und vergibt; die Unvergebbarkeit drückt die unübertreffbare Strafwürdigkeit dieser Sünde und ihre Schuld, genauer ihre Eigenart der Sünde gegen den Hl. Geist aus, die sich intentional darauf richtet, Gottes Wirken auszuschließen und fernzuhalten. Die caecitas mentis und die hebetudo sensus stellen Sünden gegen die Gabe der Einsicht dar, bezeichnen verschiedene Grade desselben, nämlich Widerwillen bzw. Gleichgültigkeit gegen eine „scharfsinnige Beschäftigung“ mit Geistigem: wegen eines „affectus circa carnalia“.136 Denn Sinneslust lenkt die Aufmerksamkeit auf das, woran der Mensch Lust empfindet und lenkt so von den geistigen Dingen ab. Die Ablenkung von den geistigen Dingen schwächt nach Thomas auch den Sinn für sie, d.h. die geistigen Fähigkeiten. „Umgekehrt befähigen die entgegen gesetzten Tugenden, Enthaltsamkeit und Keuschheit, den Menschen am meisten zu vollkommener geistiger Betätigung.“137

3.11 Die Bedeutung der Liebe für den Glauben Die Bedeutung der Liebe für den Glauben 3.11.1 Die Liebe als Form des Glaubens Die zentrale rechtfertigungstheologische Aussage bei Thomas lautet: Nur der durch die Liebe beformte Glaube rechtfertigt. Auf eine theologische Formel gebracht heißt das: Fides caritate formata. Üblicherweise interpretiert man das dahingehend, dass Glaube und Werke nur zusammen rechtfertigen. Eine solche Interpretation beherrscht selbst katholische Spezialforschungen zu Thomas, beispielsweise die Studie zu den Tugenden bei Thomas von Aquin von Eberhard Schockenhoff, wenn er schreibt: 136

Beides in STh II–II 15,3 c.a. STh II–II 15,3 c.a.: Et e converse oppositae virtutes, scilicet abstinentia et castitas, maxime disponunt hominem ad perfectionem intellectualis operationis.“ 137

Die Bedeutung der Liebe für den Glauben

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Die Ausweitung des Glaubens auf das Feld des Handelns wird von der Liebe geleitet; der Überstieg in die praktische Bewährung [...] fällt ineins mit dem durch die ‚caritas‘ gewirkten Übergang von der ‚fides informis‘ zur ‚fides caritate formata‘, die zugleich identisch ist mit der ‚fides per dilectionem operans‘.138

Dagegen hat sich die Einsicht von Pesch in der Forschung noch nicht durchgesetzt, dass das thomasische „sola fide formata [sic] ein echtes sola fide“139 sei. Die Ursache für dieses spezifische Rezeptionsdefizit ist darin zu suchen, dass Pesch die Sachintention der thomasischen Formel zwar benennt,140 aber nicht an die thomasische Begrifflichkeit rückbindet und nicht von den entsprechenden Textstellen her entfaltet, was außerdem zur Konsequenz hat, dass Pesch nicht die Differenziertheit und Komplexität der von Thomas in dieser Formel ausgedrückten Sachverhalte zur Darstellung bringt. Umgekehrt stellt Niederbacher zwar die präzise handlungstheoretische Bedeutung der thomasischen Formel dar, ohne sie aber rechtfertigungs- und gnadentheologisch einzuordnen, weshalb auch hier entscheidende Aspekte und Differenzierungen unberücksichtig bleiben.141 Nachfolgend soll daher nun die Formel fides caritate formata innerhalb der thomasischen Gesamttheologie mit den begrifflichen Mitteln des Thomas interpretiert werden. Der Schlüssel zum m.E. angemessenen Verständnis – das sei gleich vorausgeschickt – ist die Unterscheidung von Tugend und Akt, sowie von Willensausrichtung142 und Willensakt. 138 Schockenhoff, Bonum hominis, 395. An anderer Stelle (392) nennt er die für Thomas entscheidende Unterscheidung, nämlich die Ausrichtung auf das letzte Ziel und die einzelnen Akte des Menschen, in denen allen dieses Ziel angestrebt wird, ohne diese Unterscheidung für das Verständnis der Formel ‚fides caritate formata’ fruchtbar zu machen. In dieser ansonsten außerordentlich gründlichen Studie ist bemerkenswert wenig zum Verhältnis von Glaube und Liebe ausgeführt, was damit zusammenhängt, dass Schockenhoff wenig an der thomasischen Unterscheidung von Wille und Verstand interessiert ist, sondern Schockenhoff darauf zielt – in Abgrenzung von neuscholastischen Interpretationen und orientiert an der katholischen Theologie der 70er, 80er Jahre – auch in der thomasischen Theologie die Einheit und Ganzheit der menschlichen Person in all ihren Vollzügen herauszustellen. Begriffe wie „Tiefenschichten“ (301), „Wesensmitte“ (301), „letzte Wurzeln des sittlichen Tuns“ (327), „Akt totaler Selbstübergabe“ (371) kennzeichnen seine Interpretationsinteressen. 139 Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 736. 140 Dazu Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 735–738. Den Sachgehalt der Formel fides caritate formata sieht Pesch in der „metaphysische[n] und theologisch-anthropologische[n] Ausgliederung innerhalb des einen Totalaktes, der als ganzer – auch und gerade mitsamt der Liebe – unfehlbar-sicher der Freiheit des Menschen von Gott abgewonnen, in ihr erwirkt wird.“ Er fährt fort: „Wird unter ‚Glaube’ das Moment der Zustimmung verstanden, dann ist die Kennzeichnung des Heilsaktes als fides formata ebenso verständlich wie unerlässlich. Mit ‚Rechtfertigung aufgrund von Werken’ hat das nichts zu tun.“ Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 736, Hervorhebungen im Original. 141 Vgl. Niederbacher, Glaube, 120f. 142 In dieser Hinsicht unterscheidet Niederbacher, Glaube, 120f nicht konsequent zwischen Handlungsmotiven und der Letztzielausrichtung des Menschen, wodurch er die eigentlich Pointe

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Glaube

Die Offenbarungsgrundlage für die Rede von der ‚fides caritate formata‚ findet Thomas in Gal 5,6: Der Glaube wirkt durch die Liebe. Die Argumentation des Thomas und die von ihm ausgeführten Einwände beschäftigen sich aber allein mit der Struktur von Akten und mit ihrer Artbestimmtheit. Der innere Glaube verursacht auf dem Wege über die Liebe alle äußeren Tugendakte durch die anderen Tugenden, gebietend, nicht selbst vollziehend; das Bekenntnis aber bringt er als seinen eigenen Akt hervor, ohne Vermittlung einer anderen Tugend.143

Innerhalb der thomasischen Theologie liegt das Problem beim Verhältnis von Glaube und Liebe nicht darin, was die Liebe am Glauben verändert, wenn sie ihn formt oder welche Relevanz das für den Glauben als Glauben haben könnte. Das Problem für Thomas besteht ausschließlich darin, was ein unbeformter Glaube sein könnte und wie der überhaupt zu denken ist. Glaube im Vollsinn als Tugend ist immer beformter Glaube. Wo immer Thomas ohne weitere Differenzierung vom Glauben spricht, meint er den beformten Glauben.144 Die Liebe als Form des Glaubens fügt dem Glauben nichts hinzu, was dem Glauben als Glauben äußerlich wäre. Zunächst ist zu bestimmen, was die Beformung durch die Liebe meint, und anschließend, was der unbeformte Glaube ist. Im Eigentlichen beformt die Liebe den Glaubensakt, nicht den Habitus. Der Glaube hat als Habitus eine eigene Form (forma intrinseca); die Liebe beformt bloß den Akt und heißt deshalb auch extrinsische Form.145 So ist der Habitus des beformten Glaubens mit dem des unbeformten auch identisch! Diese Bestimmungen setzen voraus, dass derselbe Akt von verschiedenen Habitus, also von verschiedenen Vermögen beformt werden kann, was bedeutet, dass verschiedene Vermögen am Zustandekommen eines Aktes beteiligt sein können. Die Rede von der Beformung des (Glaubens-)Aktes durch die Liebe stellt eine Analogiebildung dar, die sich auf die Artbestimmtheit bezieht: – Die Artbestimmtheit von willentlichen Handlungen liegt in ihrem Ziel. – Die Artbestimmtheit von Gegenständen liegt in ihrer Form. – Das Ziel verhält sich bei willentlichen Handlungen wie die Form bei Gegenständen.

der theologischen Rede von der fides caritate formata als Gegensatz zur Sünde nicht erfasst – aber seine Untersuchung versteht sich auch als eine dezidiert philosophische. 143 STh II–II 3,1 ad 3: „quod fides interior, mediante dilectione causat omnes exteriores actus virtutum mediantibus aliis virtutibus, imperando, non eliciendo: sed confessionem producit tanquam proprium actum, nulla alia virtute mediante.“ 144 So auch Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 736. 145 Zu Recht betont Niederbacher, Glaube, 121, dass die Tugenden in ihrer Eigenart erhalten bleiben, wenn sie durch die caritas beformt werden.

Die Bedeutung der Liebe für den Glauben

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Es handelt sich also um eine analogia proportionalitatis, so dass Beformung Zielausrichtung besagt. Wenn der Akt des Glaubens beformt wird, heißt das, ihm wird eine bestimmte Zielausrichtung verliehen. Das Ziel des Aktes beformt; aber weil das Ziel durch den Willen dem Menschen verbunden ist, beformt der zielgerichtete Willensakt bzw. die Zielrelation den Akt, wodurch der Analogiecharakter der Analogie deutlich wird. Jede Handlung per se wird wegen eines Ziel ausgeführt und zielt vermittels des unmittelbaren Zieles auf das letzte Ziel des Menschen. Jede Handlung hat also als Handlung ein Ziel. Beformen versteht Thomas meist als vom intendierten Letztziel ausgerichtet zu sein. Weil alle menschlichen (d.h. willentlichen) Handlungen sich auf ein Letztziel richten, sind alle vom Letztziel beformt, genauer von der Ausrichtung des Willens auf das Letztziel beformt. Das gilt auch für den Glaubensakt, dessen Besonderheit dann nur darin besteht, dass sein unmittelbares Ziel und Letztziel in re identisch sind. Der von der Liebe als Habitus beformte Glaubensakt hat Gott bzw. die Schau Gottes als sein Letztziel, während der sog. unbeformte Glaubensakt sich nicht auf Gott als sein Letztziel richtet, sondern auf ein anderes. Der unbeformte Glaubensakt kann daher nicht in einer gerechtfertigten, durch die Gnade geheilten Gottesbeziehung sich ereignen, sondern ist der Vollzug eines in Todsünde lebenden Menschen.146 Der Sinn der fides caritate formata besteht also nicht darin, dass die Liebe dem Glauben etwas hinzufügt – erst recht keine Werke –, sondern dass die zustimmenden Verstandesakte des Glaubens entweder in einer von Gott gerechtfertigten, geheilten Beziehung des Menschen auf Gott geschehen und also durch den Menschen in und aufgrund von Gnade oder eben ohne Gnade und ohne diese geheilte, gerechtfertigte Gottesbeziehung. Der Unterschied zwischen beformten und unbeformten Glauben liegt darin, als wer der Mensch zustimmende Glaubensakte setzt: als durch die Gnade gerechtfertigter Mensch, der heilvoll von Gott auf Gott ausgerichtet ist oder als Sünder ohne die rechtfertigende Gnade.147 Die eigentliche Interpretationsschwierigkeit der thomasischen Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe bereitet die Differenz des Willensaktes, der zum Glaubensakt gehört und des Willensaktes, den die Tugend der 146 Dagegen behandelt Niederbacher, Glaube, 120–122 den Unterschied von unbeformten und beformten Glauben nur als Gradunterschied. Hinsichtlich des Glaubenshabitus allein ist es zwar nur ein gradueller Unterschied, wie zwischen unvollkommen und vollkommen, aber nicht hinsichtlich des Menschen als ganzen betrachtet in seiner Gottesbeziehung. Hier macht sich bei Niederbacher ein Defizit an theologischer Interpretation bzw. an Einordnung in das theologische Gesamtkonzept der Summa bemerkbar. 147 Dazu auch STh II–II 4,5 ad 4: „Dadurch, daß ein beformter Glaube zu einem unbeformten wird, wandelt sich nicht der Glaube selbst, sondern wandelt sich der Träger des Glaubens, welcher die Seele ist“ / „Quod per hoc quod fides formata fit informis non mutatur ipsa fides, sed mutatur subjectum fidei, quod est anima“.

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Glaube

Liebe basierend auf dem Glaubensakt freisetzt. In thomasischer Formulierung: Der Akt des Willens wird zum Glauben vorausgesetzt, jedoch nicht ein durch die Gottesliebe beformter Willensakt. Vielmehr setzt ein derartiger Akt den Glauben voraus. Denn der Wille kann sich nicht mit vollkommener Liebe auf Gott richten, wenn nicht der Verstand den rechten Glauben von Ihm hat.148

Das Problem besteht in zwei Aspekten. Wie kann ein durch die eingegossene Gottesliebe bestimmter Wille einen Akt setzten, der nicht von dieser Gottesliebe geformt ist? Vorausgesetzt ist dabei die thomasische Lehre, dass die theologischen Tugenden auf einmal und gleichzeitig eingegossen werden, und lediglich die entsprechenden Akte aufeinander folgen. Zweitens ist unklar, wie ein Willensakt den Verstand zur Zustimmung bewegt, der nicht mit dem von der Liebe beformten Willens-akt identisch ist. Beide Problemaspekte löst man nur dann überzeugend, wenn man die thomasische Willenslehre aus STh I–II mit ihren dort getroffenen Unterscheidungen heranzieht. Die maßgeblichen Unterscheidungen lauten: a) Die Ausrichtung des Willens auf ein letztes Ziel, die alle Einzelakte des Willens ausrichtet und in ihnen vollzogen wird, die selbst aber kein Akt ist (aber spezifische Willensakte freisetzen kann, die sich auch unmittelbar auf das letzte Ziel beziehen) b) Die einzelnen Willensakte, bei denen man unterscheiden kann zwischen: c) Befohlenen Willensakten (actus imperati), die vom Willen befohlen, aber von anderen Vermögen ausgeführt werden und d) Ausgelösten Willensakten (actus eliciti), die der Wille als Wille vollzieht. Der Willensakt, der dem Verstand die Glaubenszustimmung befiehlt, ist ein actus imperatus. Ihn zeichnet als actus imperatus aus, dass er zwar die Letztzielausrichtung des Willens vollzieht, aber sich nicht unmittelbar selbst auf das Letztziel richtet und auch nicht richten kann. Er vollzieht also die durch die eingegossene caritas verwandelte Letztzielausrichtung des Willens, der nun Gott als Letztziel (bzw. die Schau Gottes) hat. Solange diese Letztzielausrichtung nicht verloren geht (durch eine Todsünde), richtet der Wille die Akte aller anderen Vermögen, soweit sie ihm in ihrer Bewegung unterstehen, auf dieses Letztziel aus. Der Willensakt, der dem Verstand die Zustimmung befielt, richtet diesen Verstandesakt auf Gott als 148 STh II–II 4,8 ad 5: „ Quod actus voluntatis praeexiguntur ad fidem, non tamen actus voluntatis caritate informatus: sed talis actus praesupponit fidem, quia non potest voluntas perfecto amore in Deum tendere nisi intellectus rectam fidem habeat circa ipsum.“

Die Bedeutung der Liebe für den Glauben

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Letztziel aus und befiehlt diesen Akt wegen dieses Letztzieles. Davon zu unterscheiden ist nun ein Willensakt als spezifischer Akt des Willensvermögens, also ein actus elicitus, der sich als Willensakt unmittelbar auf das Letztziel richtet, hoffend und liebend. Ein solcher expliziter Liebesakt setzt eine Kenntnis des zu Liebenden voraus, weil es zu einem Einzelakt gehört, etwas als etwas zum Gegenstand zu haben, d.h. den Gegenstand als diesen identifizieren zu können, also zumindest anfangshaft zu kennen. Die Anwendung der thomasischen Unterscheidung von actus elicitus und actus imperatus auf obiges Zitat und den darin ausgedrückten Sachverhalt kann eine weitere Überlegung rechtfertigen. Im strengen Sinn kann nur ein solcher Akt beformt sein, der selbst als Akt eine entsprechende Zielausrichtung hat, nicht jedoch ein solcher, dessen Aktsein darin besteht, anderen Akten eine Zielausrichtung zu verleihen. So ist es nicht sinnvoll, einen actus imperatus als Willensakt eine Beformung zuzuschreiben, weil er die Zielausrichtung anderen Akten erst verleiht, die deshalb beformt genannt werden. Die dem Willen spezifischen Akte, die acti eliciti, die ein Gut um eines Letztzieles anstreben, können dagegen sinnvoll beformte Akte genannt werden. Dies gilt auch für acti eliciti, die sich unmittelbar auf das Letztziel richten. Da fungiert dann allerdings die Beformung als die intrinsische Form des Aktes und beschreibt den unmittelbaren Gegenstand des Willensaktes. Das obige Zitat wäre also so zu umschreiben: Ein actus imperatus des Willens wird zum Glauben vorausgesetzt, jedoch nicht ein actus elicitus als ein durch die Gottesliebe beformter Willensakt. Vielmehr setzt ein derartiger Akt den Glauben voraus. Denn der Wille kann sich in einem spezifischen Willensakt, also einem actus elicitus, nicht auf Gott richten, wenn nicht der Verstand den rechten Glauben von Ihm hat. 3.11.2 Der unbeformte Glaube Unbeformter Glaube bedeutet, dass die Verstandestugend des Glaubens in einem Menschen besteht, ohne dass der Mensch die eingegossene Tugend der Liebe hätte, mit der Folge, dass der Zustimmung Hingabe und Zuversicht fehlen.149 Der Habitus des Glaubens als solcher würde durch das Gegebensein/Nichtgegebensein der eingegossenen Liebe nur graduell verändert; es würde sich um denselben Glaubenshabitus handeln, wenn man beformten und unbeformten Glauben vergleicht. Der Habitus des sog. unbeformten Glaubens setzt Glaubensakte, die nicht von der Liebe beformt sind 149

Auf den Zusammenhang von fides informis und STh II–II 5,4 c.a. hat Niederbacher, Glaube, 121, aufmerksam gemacht.

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Glaube

– weil der Wille nicht die Tugend des caritas hat. Abgekürzt spricht Thomas vom beformten und unbeformten Habitus des Glaubens. Aus allem bisher Ausgeführten folgt, dass der unbeformte Glaube innerhalb des thomasischen Konzeptes nur gedacht werden kann als ein Glaube, der von einem beformten zu einem unbeformten geworden ist.150 Unbeformter Glaube kann nicht als solcher entstanden sein. Die theologischen Tugenden entspringen der eingegossenen Gnade, die ihren Ort in der Seele hat und von dort in die Seelenvermögen strömt als theologische Tugenden. Eine isolierte Eingießung nur des Glaubens ist von daher nicht möglich. Thomas schließt es aber nicht explizit aus, dass jemand zuerst nur einen unbeformten Glauben hat; es gibt sogar einen vagen (!) positiven Hinweis151 darauf, dass er dies für möglich hält; erst recht aber behauptet Thomas explizit, dass Gott den Glauben geben kann ohne dass er auch die Gabe der Liebe gewährt.152 Aufgrund der oben geltend gemachten Unterscheidungen wären beide Aussagen vermittelbar: Die eingegossene Gnade bewirkt die Prägung der Vermögen mit den theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Aufgrund dessen kommt es zum Glaubensakt, wie oben beschrieben, durch einen actus imperatus des von der Liebe beformten Willens. Allerdings vollzieht der Mensch „dann“ keinen actus elicitus, der sich liebend direkt auf Gott als das letzte Ziel richtet, sondern wendet sich davon ab. Das hat die Bewandtnis der Todsünde, die den eingegossenen Habitus der caritas zerstört – bevor er zu seinem spezifischen Akt gekommen ist. Aufgrund der Todsünde wird die caritas als Tugend und als Habitus zerstört, bevor sie in einem spezifischen Akt sich auswirkten, aber das braucht nach Thomas nicht zu bedeuten, dass auch der Habitus des Glaubens entzogen wird – aber dieser Habitus ist, weil unbeformt, keine Tugend mehr. Weil dabei die caritas zwar eingegossen, aber „vor“ ihrem eigenen Akt wieder zerstört wurde, kann Thomas auch abgekürzt davon sprechen, dass also der Glaube ohne Liebe gegeben worden sei. Ungelöst ist aber noch das Problem, wie der unbeformte Glaube als Glaube Bestand haben kann, da er nicht nur einen anfänglichen Zustimmungsakt freisetzt, sondern wiederholte Zustimmungsakte, wozu auch weiterhin der Wille den Befehl gibt: Was will der Wille, der nicht von der 150 Leider äußert Thomas sich hier nicht explizit. In STh II–II 4,4 ad 2 scheint die Argumentation darauf zu zielen, dass aus einem unbeformten ein beformter werden könne; was im Sinne von „wieder werden“ zu interpretieren ist. Der Kontext unterstützt diese Argumentation, denn es geht dort darum, ob etwas Totes wieder lebendig werden kann. Dagegen scheint STh II–II 4,4 ad 1 davon auszugehen, dass wie der Jüngling zum Mann heranwächst, auch aus dem unbeformten ein beformter Glaube wird – obwohl der corpus articuli auf die Identität des Habitus zielt, und nicht auf den Übergang von Unbeformtheit zum Beformtheit des Habitus. 151 Vgl. die eben genannte Stelle: STh II–II 4,4 ad 1. 152 Vgl. STh II–II 6,2 ad 3; anders als Pesch, Theologie der Rechtfertigung, 737, wird im Folgenden eine Interpretation vorgestellt, welche diese Stelle ernstnimmt.

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Liebe zu Gott bestimmt ist, also sündig ist, wenn er den Verstand zur Zustimmung bewegt? Thomas nimmt irgendein „dem Guten Zugetansein“/„aliquem affectum boni“153 beim unbeformten Glauben an. Abgesehen von hamartiologischen Einwänden bleibt zu fragen, welchen Bezug der Glaubensakt auf ein Gut haben könnte, das nicht die Erstwahrheit ist. Für welches andere bonum könnte der Glaubensakt als Zustimmung Mittel sein?154 Jedenfalls interessiert sich Thomas nicht für das Phänomen des unbeformten Glaubens hier an sich, sondern um des beformten Glaubens und dessen innerer Struktur willen. Dementsprechend behandelt Thomas auch zuerst den beformten Glauben bzw. die Liebe als Form des Glaubens, bevor er sich dem unbeformten Glauben zuwendet. Sein Interesse hier zielt eindeutig darauf, die Differenz der Vermögen, also vom Verstand und Wille, auch innerhalb des Gnadengeschehens festzuhalten, also die eingegossene Tugend des Verstandes, den Glauben, als wirklich verschieden von der eingegossenen Tugend des Willens, der Liebe, auszusagen, wozu auch Denkmöglichkeit einer theologischen Verstandestugend ohne theologische Willenstugend auszuweisen ist, wofür die Identität der Glaubenstugend mit und ohne Gemeinschaft mit der Tugend der Liebe zu behaupten ist. Der ausführliche Artikel zum unbeformten Glauben zielt auf das Ergebnis, dass „beformter und unbeformter Glaube nicht verschiedene Gehaben“155 seien. Zwar sind die Habitus dieselben, aber nur als beformter Habitus ist dieser Habitus wirklich Tugend, weil der unbeformte keine Akte freisetzt, die im Vollsinne gut erscheinen, so dass Thomas an anderer Stelle einräumt, beformter und unbeformter Glaube verhalten sich wie vollkommen und unvollkommen in ihrer Artbestimmtheit.156 Die theoretischen Probleme, die das für seine Glaubenstheologie auslöst, hängen damit zusammen, dass Liebe zum einen als spezifische Tugend des Willens, dann aber und hauptsächlich als Grundausrichtung des ganzen Menschen und sein Gottesverhältnis als ganzes begriffen wird. Nur der beformte Glaubensakt ist nach Thomas verdienstlich. Das folgt aus dem, was bisher zum thomasischen Glaubensbegriff entfaltet wurde sowie aus dem thomasischen Verständnis von Verdienstlichkeit. Damit ein 153

STh II–II 5,2 ad 2. Niederbacher, Glaube, 120, nimmt bei der fides informis ein Mischmotiv an, also Liebe zu Gott um seiner selbst willen und Egoismus. Bezüglich des letzten Ziel kann es aber keine „Mischung“ geben: entweder Gott bildet das letzte Ziel des Willens oder etwas Geschaffenes; entweder der Mensch hat caritas oder er hat sie nicht und lebt in Todsünde. Niederbacher beachtet hier nicht den grundlegenden Unterschied von Ausrichtung des Willens auf das letzte Ziel und einzelnen Willensakten, die ein Gut anstreben, und denen dann auch Mischmotivationen zugrunde liegen können. 155 STh II–II 4,4 c.a.: „Unde fides formata et informis non sunt diversi habitus.“ 156 STh II–II 4,5 ad 3. 154

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Glaube

Akt verdienstlich sei, ist nämlich erforderlich,157 dass der Akt dem Willen entspringt, dass der Wille durch die Gnade bewegt ist und dass der Akt als sein Letztziel Gott anstrebt. Im beformten Glauben sieht Thomas alle Kriterien erfüllt, und nur im beformten Akt. Die Verdienstlichkeit des beformten Glaubens hängt nun also nicht an Werken, die der Glaubende zu vollbringen hätte, sondern an der Letztzielausrichtung.158 Insofern kann auch bei Thomas gesagt werden: „Sowohl im Begründungs- als auch im Realisierungszusammenhang der Rechtfertigungswirklichkeit gilt in diesem Sinn, daß nicht das Werk der Liebe, sondern der Glaube rechtfertigt.“159 3.11.3 Die guten Werke des Glaubenden Das Thema der guten Werke des Glaubenden gehört nicht zum Begriff der fides caritate formata. Im Folgenden soll nun gezeigt werden, warum diese Unterüberschrift von Thomas her betrachtet zu Unrecht dem Begriff Fides caritate formata, von der Wirkungsgeschichte des Thomas her aber zu Recht und mit einem gewissen Anhalt am thomasischen Text zugeordnet wird. Die Letztzielausrichtung des Glaubensaktes durch die eingegossene Tugend der Liebe auf der einen Seite und das Hervorbringen der guten Werke des Glauben durch die Vermittlung der Tugend der Liebe und als Akte der Liebe andererseits stellen rechtfertigungstheologisch zwei ganz verschiedene Sachverhalte dar, die jedoch anthropologisch zusammenhängen (nicht zusammenfallen!). In der Wirkungsgeschichte des Thomas innerhalb der evangelischen Theologie wurde das meist eben nicht unterschieden. Der thomasische Text beförderte dieses Missverstehen, indem Thomas für beide Sachverhalte sich auf Gal 5,6 berief: Der Glaube ist durch die Werke tätig. Den Begriff „fides caritate formata“ verwendet Thomas jedoch nur für den Sachverhalt der Letztzielausrichtung des Glaubensaktes durch die Tugend der Liebe. Am Vergleich zweier Textstellen soll dies nun belegt und näher erläutert werden: (1) Im nun schon bekannten Artikel STh II–II 4,3 Ist die Gottesliebe Form des Glaubens, bezieht sich Thomas im sed contra auf Gal 5,6. Der ganze Artikel erläutert dann, wie die Tugend der Liebe den einen Akt des Glaubens beformt, indem sie ihn auf Gott als das Letztziel ausrichtet. Thomas argumentiert von der Struktur der menschlichen Akte her; dass diese 157

So STh II–II 2,9 c.a. Dazu ausführlich im Kapitel Der innere Akt des Glaubens. 159 Wenz, Quod non dilectio, sed fides iustificet, 138, Hervorhebungen MR. 158

Die Bedeutung der Liebe für den Glauben

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ihre Formbestimmtheit vom Ziel erhalten, dass ein und derselbe Akt zwei Habitus entspringen kann, dass das Ziel des Glaubens identisch ist mit dem Gegenstand der Liebe. An keiner Stelle ist von Werken die Rede, auch nicht von Akten der Liebe oder davon, wie der Glaube handlungsleitend wird. Ein Einwand ließe sich dagegen erheben, denn im sed contra sagt Thomas: „Ergo dilectio caritatis est fidei forma.“160 Da die dilectio der Akt der caritas ist, würde das heißen, ein Akt der caritas beformt den Akt des Glaubens, so dass es zwei Akte gäbe in der fides caritate formata, mit der Konsequenz, doch eine Ergänzung des Aktes des Glaubens durch einen Akt der Liebe annehmen zu müssen.161 Diese thomasische Aussage im sed contra steht aber im Gegensatz zu allen seinen anderen Aussagen in der Summa sowie zu seiner Theorie der Struktur menschlicher Akte. Diese Aussage kann in ihrem Wortlaut aber exakt erklärt werden durch ihren Kontext. Der Satz steht im sed contra, das als Offenbarungsprinzip eben Gal 5,6 nennt, in der lateinischen Fassung: Fides autem per dilectionem operatur. Damit Thomas dieses Offenbarungsprinzip auf seine Ausführungen zur Bedeutung der caritas für den Glauben beziehen kann, muss er irgendeine explizite Verbindung herstellen zwischen „dilectio“ und „caritas“. Also spricht er einfach von der „dilectio caritatis“. Dilectio bedeutet für ihn daher an dieser Stelle (!) nicht den Akt der caritas, sondern die caritas als Tugend, die für ihn identisch ist mit der dilectio, von welcher der Galaterbrief spricht. (2) Als zweites soll nun ein Text vorgestellt werden, der von den Werken des Glaubens spricht, und zwar STh II–II 3,1 obj. 3; ad 3, bei dem es um das Bekenntnis als äußeren Glaubensakt geht: Obj. 3: Wie jemand durch die Glut seines Glaubens getrieben wird, den Glauben nach außen zu bekennen, so wird er dadurch auch veranlaßt, andere äußere gute Werke zu tun; es heißt ja Gal 5,6: ‚Der Glaube ist durch die Liebe tätig.‘ Andere äußere Werke aber zählen nicht als Glaubensakte. Also auch nicht das Bekenntnis.162

160

STh II–II 4,3 s.c.: „Also ist die Hingabe der Gottesliebe Form des Glaubens.“ Genau dann wäre auch die reformatorische Abgrenzung des sola fide gegen eine fides caritate formata voll und ganz zutreffend. 162 STh II–II 3,1 obj. 3: „Sicut per fidei fervorem inducitur aliquis ad confitendum fidem exterius, ita etiam inducitur ad alia exteriora bona opera faccenda: dicitur enim Gal. 5 quod ‘fides per dilectionem operatur’. Sed alia exteriora opera non ponuntur actus fidei. Ergo etiam neque confessio.“ 161

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Glaube

Ad 3: Der innere Glaube verursacht auf dem Wege über die Liebe alle äußeren Tugendakte durch die anderen Tugenden, gebietend, nicht selbst vollziehend; das Bekenntnis aber bringt er als seinen eigenen Akt hervor, ohne Vermittlung einer anderen Tugend.163

Die Logik des Einwandes lautet: wenn doch der Glaube äußere Werke veranlasst, die aber dennoch nicht Werke des Glaubens genannt werden, warum soll das äußere Werk des Bekenntnisses, das dem Glauben entspringt, ein Werk des Glaubens heißen. Deshalb weil nur bei diesem äußeren Akt der Glaube nicht der Vermittlung der Liebe bedarf, um Werke hervorzubringen. Ansonsten also bringt der Glaube gute (äußere) Werke nur auf die Weise hervor, dass sie durch die Tugend der caritas vermittelt sind. – Hier ist selbstverständlich nicht (!) vom inneren und eigentlichen Glaubensakt die Rede, auf den sich die Rechtfertigung bezieht! – Diesen Funktionszusammenhang von Glaube und Liebe bezeichnet Thomas nicht mit dem Begriff „fides caritate formata“ oder Formgebung durch die Liebe, sondern hier spricht er von „Vermittlung“ der Liebe, obwohl er auch in diesem Zusammenhang sich auf Gal 5,6 stützt. Die thomasische Vorstellung dieses Funktionszusammenhangs lässt sich so beschreiben: Der Glaube richtet sich zustimmend, erkennend auf die Erstwahrheit, die zugleich letztes Ziel, und somit Gegenstand der Liebe ist. Damit die Liebe Akte der Liebe zum Ziel und gemäß des Zieles freisetzen kann, muss sie dieses Ziel kennen. Jeder Akt der Liebe setzt also den Glaubensakt voraus, der daher in jedem Liebesakt wirkt. Da das letzte Ziel alle Handlungen des Menschen ausrichtet, setzt der Glaube als die (neue) Erkenntnis des Zieles auch das Tätigsein des Menschen frei. Also auch diesen Zusammenhang sieht Thomas in Gal 5,6 „Der Glaube betätigt sich durch die Liebe“164 ausgedrückt. Dass der Glaube zum Hervorbringen guter Werke der Tugend der Liebe bedarf, hängt nicht an einer etwaigen theologischen Inferiorität des Glaubens, sondern an seiner Zuordnung zum Erkenntnisvermögen des Menschen. Zwischen Erkenntnis und Handeln kann gemäß der Anthropologie des Thomas nur der Wille vermitteln; Erkenntnis kann nicht unmittelbar handlungsrelevant werden.165 Genauso gilt aber auch, dass Willensakte immer eine Erkenntnis, zumindest eine Wahrnehmung voraussetzen. Die thomasische These, dass der Glaube äußere gute Werke nur 163 STh II–II 3,1 ad 3: „Quod fides interior, mediante dilectione causat omnes exteriores actus virtutum mediantibus aliis virtutibus, imperando, non eliciendo; sed confessionem producit tamquam proprium actum, nulla alia virtute mediante.“ 164 „Fides per dilectionem operatur“, in STh II–II 9,3 c.a. 165 Eine Ausnahme bildet die Erkenntnisdimension der Liebe, also des Willens selbst; dazu mehr in Kapitel VI.

Die Bedeutung der Liebe für den Glauben

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durch Vermittlung der Liebe hervorbringt, formuliert die Wirksamkeit der anthropologischen Grundstruktur des Menschen innerhalb des Gnadengeschehens. Die Glaubenden werden durch ihre Erkenntnis des zu Glaubenden (vermittels der Liebe) in ihrem Handeln bestimmt.166 Daher bezieht sich für Thomas die Gabe der Wissenschaft auch auf das Tun des Menschen. Die Gabe der Wissenschaft beinhaltet ein durch die Eingießung der Gnade bewirktes sicheres Urteil über das, was zu glauben und über das, was aufgrund des Glaubens zu tun ist. Die guten Werke des Glaubenden und die Letztzielausgerichtetheit des Glaubensaktes bezeichnen also theologisch und soteriologisch zwei verschiedene Sachverhalte, auch wenn Thomas für beide sich auf Gal 5,6 beruft und auch wenn in der Analyse beider Sachverhalte der Begriff des Letztzieles eine zentrale Rolle spielt. Daher sei zum Schluss die verschiedene Rolle des Letztzieles und des verschiedenen Zusammenwirkens von Glaube und Liebe dabei präzise erschlossen: a) Der Zusammenhang von Glaube und Liebe bei der Letztzielausrichtung des Glaubensaktes: Der Wille als bestimmt durch das Letztziel qua gnadenvermittelter Konnaturalität mit dem Letztziel Gott, die allen Willensakten vorausliegt, befiehlt dem Verstand den Akt der Zustimmung, das Glauben. Der Glaubensakt ist daher der erste Akte, den der Mensch aufgrund der Liebe zu Gott, aufgrund der neuen Bestimmtheit des Willensvermögens vollzieht, aber der Glaubensakt ist kein Willensakt. Die Tugend der Liebe bewirkt also, dass der Verstand aufgrund der Tugend des Glaubens einen Akt freisetzen kann und dass der Akt auf Gott als sein Letztziel bezogen ist. b) Der Zusammenhang von Glaube und Liebe bei den guten Werken: Aber jeder Willensakt der Liebe setzt den Glauben voraus, weil der Mensch akthaft nur lieben kann, was er erkannt167 hat. Insofern in allen Liebesakten gegenüber Geschaffenem Gott geliebt wird – dazu ausführlich im Kapitel VI – setzen alle Liebesakte gegenüber Geschaffenem erstens die Liebe zu Gott und in ihr den Glauben an Gott voraus. In den äußeren guten Werken wird Gott selbst geliebt, diese Akte erhalten ihre Letztzielausrichtung primär durch den in ihnen vollzogenen Akt der caritas, der sich direkt liebend auf Gott als das Letztziel richtet, aber darin den Glauben voraussetzt, der die Erkenntnis des Letztzieles bedeutet.

166 167

Vgl. STh II–II 9,3 c.a. Erkennen bedeutet beim Glauben nicht: zu wissen oder zu schauen.

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3. Glaube

Kurz: Der Glaubensakt bewirkt, dass die Tugend der Liebe einen eigenen Willensakt freisetzen kann sowie allen anderen Vermögen befehlen kann, einen Akt freizusetzen, bezogen auf Gott als das Letztziel.

4. Hoffnung 1 Hoffnung Hoffnung und Liebe bestimmt Thomas als die theologischen Tugenden, die den Willen des Menschen vervollkommnen. Die Akte der Liebe setzen in die Hoffnung voraus. Daher sei zunächst ein kurzer Überblick über die thomasischen Ausführungen zur theologischen Tugend der Hoffnung gegeben.

4.1 Gegenstand, Akt und Subjekt der Hoffnung Gegenstand, Akt und Subjekt der Hoffnung Der Traktat über die Hoffnung gliedert sich über insgesamt 34 Artikel in die Einzelthemen Hoffnung als Tugend, der Träger der Hoffnung, die zur Hoffnung gehörende Gabe der Furcht, die der Hoffnung entgegengesetzte Sünde der Verzweiflung und der Vermessenheit, und er endet mit den auf die Hoffnung bezogenen Geboten. Warum ist die Hoffnung eine Tugend? Thomas beginnt wieder mit einer allgemeinen Tugendbestimmung, nämlich dass, wo ein guter Akt des Menschen zu finden ist, dieser einer menschlichen Tugend entspricht. Nun muss er also zeigen, dass bei der Hoffnung ein guter Akt des Menschen zu finden ist. Jeder Akt, der entweder die Vernunft berührt oder Gott selbst, ist gut. Letzteres trifft auf Hoffnungsakte zu, also entspricht ihnen eine Tugend. Daher ist die Hoffnung eine Tugend. Der Gegenstand der Tugend ist zukünftiges Gut, das nur schwierig zu erlangen ist, aber erlangt werden kann und das vor allem ersehnt wird. Etwas ist uns möglich zu erlangen entweder durch uns selbst oder durch andere; im Falle der Hoffnung ist es möglich mit göttlicher Hilfe. Erhofft wird also die göttliche Hilfe beim Erreichen eines ersehnten Gutes. Hoffnung hat also einen zweifachen Gegenstand, nämlich die Hilfe und das ersehnte Gut. Da Ursache und Wirkung einander entsprechen müssen, kann es sich um das durch Gottes Hilfe zu erlangende Gut nur um ein unendliches handeln. Dies ist das ewige Leben, das in der Freude (frutio) an Gott besteht – denn von ihm ist nicht weniger als er selbst zu erhoffen. Daher ist der eigentliche und hauptsächliche Gegenstand der Hoffnung die ewige Glückseligkeit oder das ewige Leben oder Gott, in einer anderen Hinsicht die göttliche Hilfe bei der Erreichung dieses ewigen Lebens. 1

Vgl. dazu Dörnemann, Freundschaft, 95–104.

220

Hoffnung

Träger der Hoffnung ist der Wille.2 Die Hoffnung sitzt im Strebevermögen, da ihr Gegenstand ein ausstehendes bonum ist. Weil das bonum nicht ein sinnliches bonum, sondern ein geistiges, ja ein göttliches bonum ist, wird es vom verstandhaften Strebevermögen angezielt, also vom Willen.

4.2 Die Hoffnung als theologische Tugend Die Hoffnung als theologische Tugend Worin unterscheidet sich die Hoffnung von den anderen theologischen Tugenden, die alle Gott anhängen? Als was in den Tugenden Gott erstrebt wird, das ist formgebender Grund in den Tugenden, anhand dessen sie zu differenzieren sind. Während die Liebe Gott wegen seiner selbst anhängt, der Glaube dagegen sich auf Gott als dem Prinzip der Wahrheitserkenntnis richtet, bezieht sich die Hoffnung auf Gott als das Prinzip des Guten, um von ihm die Glückseligkeit zu erlangen. Wie verhalten sich die theologischen Tugenden bezüglich ihrer Akte in der Entstehungsreihenfolge? Der Glaube muss der Hoffnung vorangehen, denn zuvor muss ein schwieriges Gut als erreichbar erkannt werden, was im Glauben geschieht, der sowohl die Erreichbarkeit des ewigen Lebens als auch die göttliche Hilfe dazu erfasst. Inwiefern bezieht sich der Glaube auf die göttliche Hilfe? Weil der Glaube, der Glaube an Jesus Christus ist, sich auch auf Christus als Weg des Menschen zu Gott bezieht, der als Weg die Hilfe des allmächtigen und barmherzigen Gottes impliziert. Die Menschwerdung, das Leiden und den Tod Jesu Christi hatte Thomas als die heilsnotwendig explizit zu glaubenden Glaubensinhalte genannt, als diejenigen, die sich auf Heil und Glückseligkeit des Menschen richten, nämlich als die die Gückseligkeit des Menschen ermöglichende Hilfe Gottes, die sich in den Sakramenten vermittelt. Die Hoffnung belebt dann wiederum den Glauben. In nächsten Artikel thematisiert der Aquinate das Verhältnis von Hoffnung und Liebe. Thomas unterscheidet auch hier zwei Ordnungen: die der Entstehung oder der Materia, und die der Vollkommenheit oder der Form. Der Ordnung der Entstehung nach folgt die caritas auf die Hoffnung.3 Zwar setzt jede Hoffnung eine Art Liebe voraus, aber das ist bei der Hoffnung eine Begehrensliebe, die etwas für sich erhalten will. Auf die Hoffnung, von jemandem wirklich das ersehnte Gut zu erhalten, folgt für Thomas das Wachsen der 2

Dazu STh II–II 18,1. Hier muss sich Thomas mit einer Gegenposition von hoher Autorität auseinandersetzen, mit Ambrosius, weshalb er sogar innerhalb des corpus articuli auf ihn explizit eingeht, vgl. STh II–II 17,8 obj 1 und c.a. 3

Die Hoffnung als theologische Tugend

221

Liebe zu diesem Gegenüber, das dann wie bei der caritas auch um seiner selbst willen geliebt werden kann. Die caritas liebt Gott um seiner selbst willen. Der Ordnung der Vollkommenheit nach hat die Liebe den ersten Platz inne. Trotzdem spielt die Hoffnung eine zentrale Rolle. „Unter allen Tugenden ragt gerade sie dadurch hervor, daß sie den Ausgriff auf letztes Gelingen, der sich in jedem sittlichen Tun vollzieht, am kühnsten vorantreibt.“4 Anschließend thematisiert Thomas die Intensivierung der Hoffnung durch die Liebe: denn von einem geliebten Freund erhoffe man am meisten – andererseits müsste man von der Logik der Freundschaftsliebe her sagen, relativiert die Liebe die Hoffnung, insofern der Freund gegenüber dem erhofften Gut in den Vordergrund tritt. Da aber erhofftes Gut und der Freund in re identisch sind (wenn auch nicht als Formalgegenstände), entfällt dieser Einwand. Da die theologischen Tugenden gleichzeitig eingegossen werden, und nur ihre Akte aufeinander folgen, müssen der unbeformte Glaube und die unbeformte Hoffnung als Grenzbegriffe verstanden werden, die nötig sind, um Zusammenhänge nicht als unterschiedslose Einheit, sondern als differenzierten Relationenkomplex zu erfassen. In der Prima Secundae hatte Thomas die menschlichen Leidenschaften analysiert, darunter die Leidenschaft der Hoffnung (STh I–II 40). Die dort entwickelten Bestimmungen verstand Thomas primär auf das sinnliche Strebevermögen bezogen, aber aufgrund der durch die ratio vermittelten Einheit der verstandhaften und der sinnlichen Strebevermögen bezog er sich damit auch auf den Willen. Daher erscheint ein erinnernder Rückblick auf die thomasische Definition der Hoffnung als Leidenschaft sinnvoll, ebenso weil ein wahrhafter Akt der Tugend entsprechende Leidenschaft freisetzt. So zieht auch die theologische Tugend der Hoffnung die entsprechende leidenschaftliche Bewegung mit sich, die daher auch nachfolgend erörtert wird. Leidenschaften bestimmen sich von ihren Gegenständen her, wobei für den Gegenstand der Hoffnung vier Merkmale gelten: Es ist ein bonum futurum arduum possibile adipisci. So unterscheidet sich die Hoffnung von der Sehnsucht als einer concupiszilen Leidenschaft. Als Leidenschaft ist die Hoffnung eine ‚extensio“ des Strebens/Appetitus auf das bonum futurum arduum possibile adipisci. Die Hoffnung als eine spezifische Leidenschaft setzt eine spezifische Wahrnehmung voraus, nämlich eines Gegenstand als bonum futurum arduum possibili. „Wenn Thomas die natürliche Seite der Hoffnung analysiert, dann zeigt diese sich ihm zuallererst als die Leidenschaft der Hoffnung; bevor die ‚spes‘ als eine theologische Tugend erscheinen kann, die den Menschen nach seinem höchsten Gut ausgreifen läßt, 4

Schockenhoff, Bonum hominis, 418.

222

Hoffnung

bringt sie ihre psychische Wirklichkeit als ‚passio‘ des irasziblen Seelenvermögens zur Geltung.“5 Wie unterscheidet sich die Hoffnung als Leidenschaft von der theologischen Tugend der Hoffnung? Zum einen stellt die Hoffnung als Tugend eine stabile Grundhaltung dar, während die Hoffnung als Leidenschaft direkt von affektiven Schwankungen betroffen ist. Den entscheidenden Unterschied aber macht der Gegenstand aus; die theologische Tugend richtet sich gnadenvermittelt auf Gott, welcher der einzig untrügliche Grund von Hoffnung sein kann. Kann Erfahrung Ursache von Hoffnung sein? Thomas bejaht das, weil Erfahrung entweder bewirken kann, dass dem Menschen etwas möglich ist, was ihm vorher nicht möglich war, oder dass er einschätzt, dass ihm etwas möglich ist, was er vorher anders einschätzte. So kann aber Erfahrung auch Ursache der Verzweiflung sein, ist hierin also ambivalent. Wie hängen amor und Hoffnung zusammen? Insofern die Hoffnung das erhoffte Gut intendiert, setzt sie die Liebe zu eben diesem Gut voraus. Insofern sie aber denjenigen intendiert, vom dem sie ein Gut zu erlangen erwartet, setzt die Hoffnung die Liebe zu eben demjenigen frei. Die Hoffnung beinhaltet ihre eigene delectatio (STh I–II 32,3).

4.3 Die Gewissheit der Hoffnung Die Gewissheit der Hoffnung Die Gewissheit der Hoffnung6 behandelt Thomas innerhalb der Frage nach dem Subjekt der Hoffnung. Thomas unterscheidet bei der Hoffnungsgewissheit zwischen einer erkenntnistheoretischen und einer teleologischen Dimension: Quod certitudo invenitur in aliquo dupliciter, scilicet essentialiter et participative. Essentialiter quidem invenitur in vi cognoscitiva; participative autem in omni eo quod a vi cognoscitiva movetur infallibiliter ad finem suum. Secundum quem modum dicitur quod natura certidudinaliter operatur, tanquam mota ab intellectu divino certitudinaliter movente unumquodque ad suum finem. Et per hunc etiam modum virtutes morales certius arte dicuntur operari, inquantum per modum naturae moventur a ratione ad suos actus; et sic etiam spes certitudinaliter tendit in suum finem, quasi participans certitudinem a fide, quae est in vi cognoscitiva.7

Eignet der Hoffnung Gewissheit? Gewissheit – Thomas setzt mit einer allgemeinen Bestimmung an – ist ihrem Wesen nach zu finden in der Erkenntniskraft, als Anteilhabe daran aber auch dort, wo die Erkenntniskraft

5

Schockenhoff, Bonum hominis, 421. Zum Folgenden Basse, Certitudo Spei. 7 STh II–II 18,4 c.a. 6

Die Gewissheit der Hoffnung

223

etwas unfehlbar zu seinem Ziel bewegt. Diese Gewissheit eignet dem Glauben als der gnadenbewirkten Vervollkommnung des Erkenntnisvermögens. Die dem Glauben eigene Gewissheit bezieht sich auf die Inhalte des Glaubens, insofern diese eine unfehlbare Begründung haben, nämlich das Wissen Gottes, vermittelt durch Offenbarung. An dieser objektiven Gewissheit8 im Erkenntnisvermögen partizipiert die Hoffnung als Tugend des Willens. Die Hoffnung partizipiert an der Gewissheit des Glaubens, insofern sie die Gewissheit der Inhalte, auf die sich der Glaube richtet, voraussetzt. Daraus ergibt sich, „daß die Eigenart der certitudo spei einerseits von ihrem finis her zu bestimmen und zugleich ihre Relation zum Erkenntnisvermögen zu klären ist.“9 Die Hoffnungsgewissheit selbst ist nun eine, die sich auf das Heil richtet, insofern sie es von Gottes Allmacht und Barmherzigkeit erwartet. Diese Hoffnung auf Gott setzt das glaubend-zustimmende Kennen dieses Gottes und des in ihm zu findenden Heils voraus; diese Kenntnis Gottes ist unfehlbar, weil Gott in seinem Erkennen und Sich-zuErkennen-Geben unfehlbar ist. Darin erweist sich für Thomas dann auch die Unfehlbarkeit der Hoffnungsgewissheit; dass jedoch manche Glaubende das Heil nicht erreichen, liegt für ihn nicht an der Trüglichkeit der Hoffnungsgewissheit, die ihre Hoffnung ganz auf Gott setzt, sondern an der menschlichen Freiheit, die sich durch (dann unbereute) Todsünde der göttlichen Allmacht und Barmherzigkeit verweigert. In dieser Hinsicht ist für Thomas eine „uneingeschränkte Heilsgewissheit“10 ausgeschlossen. Die damit von Thomas faktisch vollzogene Unterscheidung von (unfehlbarer) Hoffnungsgewissheit und (eingeschränkter) Heilsgewissheit entspricht der Bestimmung des differenzierten Zusammenhangs von Gottes Wirken durch Gnade und menschlicher Freiheit.11

8 Leider bezieht Basse die von Thomas getroffenen und von Basse so auch an anderer Stelle herausgearbeiteten Differenzierungen bei der Gewissheit des Glaubens nicht konsequent auf die Analyse von STh II–II 18,4. Die thomasische Differenzierung besagt, dass der Glauben als Glauben von objektiver Gewissheit und von Festigkeit in der Zustimmung gekennzeichnet ist, aber nicht von subjektiver Gewissheit im Sinne der „Verwurzelung der Inhalte im Subjekt“. Deshalb schreibt Thomas an dieser Stelle im Hoffnungstraktat „certitudo a fide“ und nicht „certitudo fidei“, gegen Basse, Certitudo Spei, 83. 9 Basse, Certitudo Spei, 74. 10 Basse, Certitudo Spei, 139. 11 Dazu auch Dörnemann, Freundschaft 104.

5. Liebe 1 Liebe

5.1 Forschungsperspektiven2 Forschungsperspektiven Seit Rousselot3 1908 die Unterscheidung von „physisch“ und „ekstatisch“ verstandener Liebe einführte, zentriert sich die Thomasforschung zum Thema Liebe auf diese Unterscheidung und ihre Berechtigung. Der Kern des Problem liegt darin, wie sich die Liebe zu Gott zum natürlichen Streben des Menschen nach Glück verhält. Eine physische Liebeskonzeption vertritt eine Vereinbarkeit von naturhaft egoistischem Glücksstreben und uneigennütziger Gottesliebe, während die Theorie einer ekstatischen Liebe (die Rousselot bei Richard von St. Victor und Petrus Abaelard erkennt) nur eine völlig uneigennützige, „desinteressierte“ Liebe als wahre Liebe zu Gott denken kann, welche die natürliche Selbstliebe hinter sich lässt. Rousselot sah bei Thomas zwar die physische Liebesauffassung ausgeprägt, jedoch Ansätze zu einer Vereinbarkeit beider Ansätze gegeben, insofern auch er eine uneigennützige Liebe zu Gott denken könne. Der Mensch liebe nämlich schon aufgrund seiner natürlichen Gottesliebe (den kontrafaktischen Fall eines sündlosen Menschen gedacht) Gott mehr als sich selbst, erst recht in der caritas. Die größere Liebe zu Gott bedeutet dann keinen Gegensatz zur natürlichen (wohl aber zur sündhaften!) Selbstliebe. Geiger4 dagegen beharrt auf der Alternative und vertritt selbst eine „ekstatische“ Liebestheorie. Er wirft Rousselot vor, nicht zwischen Ontologie und Psychologie der Liebe zu unterscheiden. Auch berücksichtige dieser daher nicht konsequent den Unterschied des natürlichen, des sinnenhaften und des geistigen amor. Der geistige amor könne als einziger Gott direkt anstreben. In dieser Debatte steht auf dem Spiel, ob Thomas einen Eudämonismus vertritt oder nicht. Pinckaers5 dagegen macht geltend, dass Thomas seine Ethik von der Freundschaftsliebe her entfaltet und so einen Mittelweg findet zwischen einem physischen und einem ekstatischen Liebesbegriff. Nur in der Freund1

Dazu v.a. Ilien, Liebe. Vgl. dazu Hoffmann, Selbstliebe, 216–223. 3 Rousselot, l’Histoire. 4 Geiger, Le probléme. 5 Pinckaers, Der Sinn für die Freundschaftsliebe. 2

226

Liebe

schaftsliebe würde „ein jedes der einander gegenüberstehenden Subjekte aus eigenem Antrieb das andere als Subjekt anerkenn>en@, das würdig ist, um seiner selbst willen geliebt zu werden“.6 Ein ontologischer Eudämonismus stelle die Möglichkeitsbedingung für eine wirklich uneigennützige Liebe dar. Egenter7 erörtert die thomasische Lehre von der Gottesfreundschaft im Kontext des hochmittelalterlichen Diskurses zur Gottesfreundschaft. Darin kommt ihm das Verdienst zu, alle wesentlichen Elemente der thomasischen Freundschaftslehre im Zusammenhang dargestellt und so die Komplexität dieser Lehre gewürdigt zu haben. Winfried Lange kommt aufgrund philosophischer Analysen zum Schluss, dass hinsichtlich der Frage nach Eudämonismus strikt zwischen dem Menschen ohne Gnade und dem Menschen in der Gnade zu unterscheiden sei. Einen ob seiner kritischen Sicht herausragenden Beitrag liefert Josef Santeler.8 Er stellt bei Thomas eine Endzielkonkurrenz fest, bei Thomas nicht wirklich vermitteln könne zwischen Gott und der menschlichen Glückseligkeit als Endziel.9 Die theologisch einzig legitime Lösung müsse dagegen lauten, „daß die Seligkeit des Menschen das letzte Mittel darstellt für den einzig wirklich letzten Zweck, der nur der unendliche Gott sein kann.“10 Rochus Leonhardt hat das neue Standardwerk zum EudämonismusProblem bei Thomas vorgelegt. Wer Thomas Eudämonismus unterstellt, missversteht den Aquinaten, so das Ergebnis von Leonhardt. Weil die beatitudo des Menschen als vom „Menschen vollzogene eigentätige Aneignung des von Gott geschenkten Heils“11 aufzufassen ist, dergestalt, dass auch die Glücksvollzüge des Menschen Gottes Handeln an ihm aktualisieren, kann der Eudämonismus-Vorwurf nicht zutreffen, da dieser eine Trennung impliziert zwischen menschlichem Glücksstreben und göttlichen Heilshandeln. Richard Völkl12 befasst sich mit dem Thema Selbstliebe bei Thomas, der von Aristoteles positiv abgesetzt wird, weil er Freundschaft so versteht, dass da im Freund die beiden gemeinsam Form, das Menschsein als solches geliebt wird. Servais Pinckaers13 dagegen hält fest, dass Thomas Liebe personal konzipiert, dass Freundschaftsliebe sich also bei Thomas auf das konkrete Gegenüber als solches richtet. 6

Pinckaers, Der Sinn für die Freundschaftsliebe, 229. Egenter, Gottesfreundschaft. 8 Santeler, Der Endzweck des Menschen. 9 Santeler, Der Endzweck des Menschen, 37f. 10 Santeler, Der Endzweck des Menschen, 44. 11 Leonhardt, Glück, 263. 12 Völkl, Selbstliebe. 13 Pinckaers, Freundschaftsliebe. 7

Forschungsperspektiven

227

Albert Ilien14 widmet dem Wesen und der Funktion der Liebe bei Thomas von Aquin eine gründliche Untersuchung, die zeigt, wie durch den Liebesgedanken Thomas Metaphysik und Heilsgeschichte, Zusammenhang der ganzen Schöpfung und menschliche Besonderheit differenzert zusammendenken kann. Ilien überwindet so die Engführung der Debatte um den Eudämonismus des Aquinaten. So sehr sich Ilien auch an den thomasischen Texten orientiert, so sehr bemüht er sich um eine gegenwartsrelevante Deutung, die Iliens analytische Stärken durch eine pastorale Modesprache manchmal verdeckt. Der Komplexität seines Thema wird Ilien gerecht, indem er erst gesondert den amor im naturalen und animalischen Bereich, dann den menschlichen amor in seiner konstitutiven Beziehung auf das bonum, schließlich die Liebe Gottes als Wesen Gottes und als eine der göttlichen Personen untersucht, um dann die dem Menschen durch Gnade verliehene caritas im Zusammenhang der Bewegung der ganzen Schöpfung auf Gott als Ziel zu behandeln, deren Wesen Freundschaft ist. Die Bedeutung dieser Arbeit liegt u.a. darin, die Bedeutung der Partizipationskategorie für die Deutung von Geschöpflichkeit im Einzelnen vorgeführt zu haben. Dass „die gesamte thomanische Synthese umfassend als ein Denken von personaler Liebe her und auf personale Liebe hin“15 zu interpretieren ist, lautet seine Grundthese. Fazit: Die Forschung zum thomasischen Liebeskonzept wurde lange Zeit geprägt von der Diskussion um den Eudämonismus des Doctor angelicus. Spätestens seit der Arbeit von Rochus Leonhardt erscheint diese Frage geklärt. Nun gilt es, die Ergebnisse für Einzelprobleme in der Interpretation des thomasischen Œuvre fruchtbar zu machen, und so die Bedeutung der Liebe als Freundschaft für alle theologischen topoi bei Thomas aufzuzeigen. Dazu haben Paul Waddell16 und Eberhard Schockenhoff eine Fülle von Anregungen geschenkt, denen die vorliegende Arbeit den Zugang verdankt zum „gewagtesten und kühnsten geistigen Unterfangen [...], das selbst innerhalb der thomanischen Theologie an gedanklicher Radikalität und durchgehaltener Konsequenz einzig dasteht und zu den größten intellektuellen Leistungen des Aquinaten gezählt werden muß – die Aufnahme des aristotelischen Freundschaftsgedankens in die mittelalterliche ‚caritas‘ Theorie“.17

14

Ilien, Liebe. Ilien, Liebe, 18. 16 Wadell, Friends of God. 17 Schockenhoff, Bonum hominis, 477. 15

228

Liebe

5.2 Die Liebe als theologische Tugend der caritas Die Liebe als theologische Tugend der caritas Die zentrale Grundlage der thomasischen caritas-Lehre stellt Joh 15,15 dar: „Nicht mehr nenne ich euch Knechte, sondern meine Freunde.“/„Jam non dicam vos servos, sed amicos meos.“ (STh II–II 23,1). Die Liebe Gottes, die Thomas als Freundschaftsliebe schon in der Gotteslehre in der Prima Pars eingeführt hatte, vollendet sich als Freundschaft, die Gott in Jesus Christus den Menschen so anbietet, dass er ihre Grundlage schafft und indem er dazu durch den Hl. Geist befähigt. Die geschaffene Gottebenbildlichkeit des Menschen, aufgrund deren der Mensch auf Gott qua Erkennen und Lieben und Handeln ausgerichtet ist wie die Prima Secundae ausführt, vollendet sich im Freundschaftsverhältnis, das Gott in Jesus Christus stiftet. Indem Thomas diese Stelle des Johannesevangeliums zum Zentrum seiner caritas-Lehre macht, ruft er auch die mit dieser Stelle verbundenen Assoziationen, Bilder und Geschichten auf, anhand deren er mit Hilfe aristotelischer Begriffe entwickelt, was dann Freundschaft heißt. Man könnte im Einzelnen zeigen, dass der caritas-Traktat eine ausführliche Auslegung und theoretische Weiterentfaltung von Kapitel 15 des JohannesEvangeliums darstellt. Es seien nur beispielhaft einzelne Motive genannt, die Thomas aufgreift und auf seine Weise dann begrifflich fasst: – Das Bleiben des Menschen in Gott und Gottes im Menschen (Joh 15,5): das Partizipieren des Menschen am Hl. Geist, und die Partizipation des Hl. Geistes an der menschlichen Seele – Das Vollkommenwerden der Freude (Joh 15,11): die Freude als Wirkung der Liebe. – Gottesliebe und das Tun der Gebote: die caritas und die Werke der Liebe und das Neue Gesetz – „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15,16): Thomas versteht die Freundschaft allein von Gott konstituiert. Als weitere „Offenbarungsprinzipien“ führt Thomas u.a. Folgende an: – 1 Kor 13,13: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe – diese drei.“/„Nunc autem manent fides, spes, caritas, tria haec.“ (23,4) – 1 Kor 13,13: „Das größte aber unter ihnen ist die Liebe.“/„Major horum est caritas.“ (23,6) – 1 Kor 13,3: „Wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen hergebe, und meinen Leib zum Verbrennen, habe aber die Licht nicht: nichts nützt es mir.“/„Si distribuero in cibos pauperum omnes facultates meas, et si tradidero corpus meum ita ut ardeam, caritatem autem non habeam, nihil mihi prodest.“ in Verbindung mit Weish 8,7 (23,7) – Eph 4,5 (23,5)

Die Liebe als theologische Tugend der caritas

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– Röm 5,5. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsern Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“/„Caritas Die diffusa est in cordibus nostris per spiritum Sanctum, qui datus est nobis.“ (24,2) – Joh 3,8 in Verbindung mit 1 Kor 12,11 (24,3) – Phil 3,12: „Nicht als ob ich es schon erreicht hätte oder bereits vollendet wäre; ich strebe aber danach, es zu erreichen.“/„Non quod jam acceperim, aut jam perfectus sim; sequor autem si quo modo comprehendam.“ (24,7) – Phil 1,23: „Ich wünsche aufgelöst und bei Christus zu sein.“/„Cupio dissolvi et esse cum Christo.“ (24,8) – Hld 8,6: „Ihre Gluten sind Feuersgluten und Flammen.“/„Lampades ejus lampades ignis atque flammarum.“ (24,10). – Apk 2,4: „Ich habe wieder dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast.“/„habeo adversum te pauca, auqod caritatem primam reliquisti.“ (24,11). – Röm 6,23 in Verbindung mit Joh 14,21 und Joh 17,3 (24,12). Als Autoritäten führt Thomas Augustinus (23,2), (23,3), (24,8), (24,9) und Ambrosius (23,8) an. Inhaltlich dominieren also das Johannesevangelium und der erste Korintherbrief. Für die Strukturierung im Einzelnen setzt sich Thomas intensiv mit Augustinus auseinander. Zu welchen Ergebnissen Thomas kommt, sei nun im genauer vorgeführt.18 Thomas hatte die caritas eingeführt als eingegossene Tugend, die den Willen vervollkommnet zur Gottesliebe, so dass der Wille sich auf Gott als sein letztes Ziel richtet. Das letzte Ziel des Menschen bildet als Formalobjekt die Glückseligkeit, auf das der Wille sich mit Notwendigkeit richtet als Voraussetzung aller einzelnen, inhaltlich bestimmten Willensakte. Wie geschieht die Ausrichtung auf Gott als das letzte Ziel aufgrund der eingegossenen caritas? Eine Möglichkeit scheidet Thomas aus: Wenn nämlich der Mensch mit Evidenz erkennen, d.h. also in einem emphatischen Sinne wissen würde, dass nur Gott als letztes Ziel die Formalbestimmung Glückseligkeit erfüllt, dann würde der Mensch mit derselben Notwendigkeit, mit der er die Glückseligkeit will, auch Gott als sein letztes Ziel wollen.19 Auf diese notwendige Weise aber will der Wille Gott erst in der Schau Gottes im ewigen Leben, weil erst da Gott auf die dafür geforderte Weise dem Menschen erkennbar ist.20 Die neue Ausrichtung des Menschen in der Gna18

Zur Entwicklung des Liebeskonzeptes im thomasischen Denken siehe Ilien, Liebe, 96–101. Vgl. STh I 82,2 c.a. 20 Gegen Vorster, der erklärtermaßen gegen STh I 82,2 das auch für das irdische Leben in der Gnade annimmt, weil er grundsätzlich die Bestimmung des Willens durch Liebe und im Besonderen das Wesen der caritas nicht berücksichtigt. 19

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Liebe

de beschreibt Thomas nicht über die Kategorie des Formalobjektes, sondern über die Kategorie der Konnaturalität: Durch die Eingießung der Gnade verwandelt der Mensch sich so, dass er Gott in und durch die Gnade konnatural ist. Diese Konnaturalität ist Liebe, ruft die Liebesbewegung hervor und wächst durch die Liebesbewegung.21 In dieser Liebe zu Gott wird Gott als das schlechthin umfassende und ganz gar erfüllende Gut gewollt, denn nur Gott als das bonum universale kann als wirkliches bonum den menschlichen Willen umfassend binden und in Bewegung setzen.22 Nur Gott als bonum erfüllt die Funktion des Formalobjektes der Glückseligkeit wirklich. Darin wird er dann auch als letztes Ziel wahrgenommen. Nicht also, weil der Mensch in Gott sein Endziel erkennt, richtet er sich auf ihn aus, sondern in der liebenden Ausrichtung auf Gott nimmt der Mensch in ihm sein Endziel wahr und erkennt im Glauben den in den Glaubenssätzen ausgesagten Gott als eben dieses Endziel. Diese formalanthropologische Perspektive konkretisiert Thomas im caritas-Traktat, indem er caritas als die von Gott her begründete gegenseitige Freundschaft als Lebensform auslegt. Seinen Traktat23 über die caritas gliedert Thomas dann in Artikel über die caritas selbst, über ihren Gegenstand, ihre Akte, die der Liebe entgegensetzen Laster und die sich auf die Liebe beziehenden Gebote. Schließlich folgen seine Überlegungen zur Gabe der Weisheit, die mit der theologischen Tugend der Liebe verbunden ist. Das Wesen der caritas bestimmt Thomas als Freundschaft. Die Einführung des theologischen Begriffs der Gnade in STh I–II 110,1 entfaltete Thomas vom Paradigma eines Herrschers, der einem Untertanen, dem er gnadenvoll zugewandt ist, Gnade schenkt. Gnade erschien daher als das, was einem innerhalb eines radikal hierarchischen Verhältnisses gewährt wird aufgrund der Haltung des Herrschenden. Nun überführt Thomas dieses Bild (ohne es zu negieren) in das von Freundschaft als einer Lebensform, die auf Gegenseitigkeit hin angelegt ist. Dieses Paradigma kann und muss das erste integrieren, insofern die Freundschaft von Gott aus gesehen hier gerade darin besteht, das Gegenüber überhaupt erst zur Freundschaft zu befähigen und zwar dauerhaft, in jedem Akt der Freundschaft. Die Asym-

21

Zum komplexen Verhältnis von Liebe und Konnaturalität, siehe Kapitel Leidenschaften. Vgl. STh I 105,4 c.a. „Solus Deus est bonum universale. Unde ipse solus implet voluntatem, et sufficienter eam movet ut objectum.“ 23 Der Übersetzer dieses Abschnittes der Summa Theologiae in der deutsch-lateinischen Ausgabe bemüht sich um eine im Deutschen gut verständliche Textfassung, die dafür aber deutlich mehr eigene Interpretation enthält als dies bei Übersetzungen notwendigerweise der Fall ist – als Beispiel sei die Wiedergabe von forma mit innerem Gesetz genannt. Hier wie auch bisher werde ich bei zentralen Thomas-Zitaten die entsprechende deutsche Übersetzung mit angeben; ohne Vergleich mit dem lateinischen Wortlaut jedoch ist angesichts der Eigenarten der Übersetzung der Zusammenhang mit meiner eigenen Argumentation nicht immer zu erkennen. 22

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metrie vollendet sich als heilvolle darin, Symmetrie zu ermöglichen. Gerade so bleibt die Asymmetrie ganz bewahrt. Wie versteht Thomas Freundschaft und wie wendet er dieses Paradigma präzise auf das heilvolle Gott-Mensch-Verhältnis an? Damit bei einem Verhältnis von zweien von Freundschaft gesprochen werden kann, muss nach Thomas folgendes gegeben sein: (a) Es herrscht wirkliches Wohlwollen, aufgrund dessen dem anderen Gutes gewollt wird. (b) Dieses Wohlwollen vollzieht sich in Gegenseitigkeit. (c) Die Gegenseitigkeit des Wohlwollens gründet in irgendeiner Gemeinsamkeit (communicatio), die als Gemeinsamkeit dauerhaft vollzogen wird. Nun gibt es tatsächlich eine Gemeinsamkeit (communicatio) zwischen Gott und Mensch, insofern Gott nämlich dem Menschen seine Seligkeit mitteilt (communicat). Auf dieser Gemeinsamkeit müsse zum einen eine Freundschaft gründen, zum anderen handelt es sich bei der aus dieser Gemeinsamkeit erwachsenden Liebe um caritas. Also sei die caritas identisch mit dieser/der Freundschaft.24 Thomas problematisiert in seinen Einwänden daran nicht, inwiefern die Gegenseitigkeit auf das Verhältnis Gott – Mensch zutreffe, sondern wie die caritas, mit welcher der Mensch auch die Feinde und Sünder lieben soll, wirklich Freundschaft nach den oben genannten Kriterien darstellt. Dazu im nächsten Kapitel mehr. Hat Thomas damit den Grundansatz seiner caritas-Deutung benannt, wendet er sich im nächsten Artikel der zentralen Position in der scholastischen Theologie zu: der Lehre des Petrus Lombardus von der Identität von caritas und Hl. Geist. Thomas kritisiert an dieser Position, dass in ihr die freie Selbstbestimmung des Menschen aufgehoben sei, da er allein von außen bewegt würde. Sein eigenes Postulat dagegen lautet: „Es muß so sein, daß der Wille derart vom Heiligen Geiste zum Lieben bewegt wird, daß er auch selbst diesen Akt setzt“.25 Ein Vermögen des Menschen kann aber nur dann einen Akt (vollkommen) setzen, wenn das Vermögen diesem Akt durch eine Form konnatural ist. Beim Willen reicht die natürliche Form nicht aus. Die caritas 24 Egenter, Gottesfreundschaft, 62f, unterscheidet mit Thomas zwischen Akt und Habitus der caritas. Die Freundschaft sieht er aber allein im Akt der caritas gegeben, während der Habitus die Vervollkommnung des Willens hin zu einer connaturalitas mit Gott darstelle und so das Fundament der Freundschaft, nicht aber diese selbst bilde. Thomas dagegen versteht die Freundschaft als Akt und Habitus. Das Verhältnis zwischen Willensvervollkommnung als Bestimmtsein durch das höchste Gut einerseits und der personalen Freundschaftsbeziehung des Menschen zu Gott andererseits ist eines von komplementären Beschreibungs-Perspektiven, nicht aber das einer logischen oder gar zeitlichen Abfolge. 25 STh II–II 23,2 c.a.: „Sed oportet quod sic voluntas moveatur a Spiritu Sancto ad diligendum quod etiam ipsa sit efficiens hunc actum.“

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Liebe

muss daher nach Thomas eine dem natürlichen Willensvermögen des Menschen hinzugegebene habituelle Form, also etwas Geschaffenes darstellen, die als Tugend die Akte der caritas leicht und lustvoll macht, wofür gilt: Keine „Tugend hat eine solch starke Neigung zu ihrem Akt wie die Gottesliebe“.26 Für die caritas gilt: Gott wird um seiner selbst willen geliebt, nicht aber, weil der Mensch von ihm ein Gut bzw. die Glückseligkeit zu erlangen hofft. Bei der caritas koinzidieren daher Motiv und Objekt;27 so erreicht nur die caritas Gott als ihn selbst; nur sie bleibt daher auch eschatologisch. Die caritas als Liebe zu Gott um seiner selbst willen kann der Mensch nicht von sich aus erwerben, denn er neigt in seiner menschlichen Natur zu den sinnlich erfassbaren Gütern. Die caritas entsteht durch Eingießung. Aber von was? Wie kann Thomas Röm 5,5 aufnehmen, ohne (mit Petrus Lombardus) die caritas mit dem Hl. Geist gleichzusetzen? Thomas führt dazu aus: „Sed per infusionem Spiritus Sancti, qui est amor Patris et Filii, cujus participatio in nobis est ipsa caritas creata“.28 Das besagt, dass der Hl. Geist als die Liebe zwischen Vater und Sohn, aufgrund der Eingießung am Menschen (d.h. an der menschlichen Seele) partizipiert. Dieses Partizipieren am Menschen ist identisch mit der caritas als einer geschaffenen Größe. Der Gedanke der Partizipation vermittelt hier also zwischen dem Hl. Geist und der geschaffenen, geschöpflichen caritas. Da also die Partizipation etwas Geschaffenes ist, muss gefolgert werden, dass der Hl. Geist selbst seine Partizipation am Menschen erschafft. Er ist als göttliche Person wirklich dem Menschen gegenwärtig, aber die Weise der Gegenwart ist eine von dieser Gegenwart geschaffene und daher vom Hl. Geist selbst deutlich zu unterscheidende. Den gleichen Sachverhalt kann Thomas auch aus einer anderen Perspektive betrachten, was dann so klingt: Die caritas ist „eine gewisse Teilnahme an der unendlichen Liebe, die der Hl. Geist Selbst [sic] ist“.29 In der Prima Secundae hat Thomas entsprechend so formuliert: Der Mensch partizipiert mit seinem Willensvermögen an der göttlichen Liebe durch die Tugend der caritas.30 Wie die Konstitution so hängt auch die Erhaltung der caritas allein von Gott ab. Thomas vergleicht das mit der Sonne, von der die Erleuchtung der 26

tas“.

STh II–II 23,2 c.a.: „quia nulla virtus habet tantam inclinationem ad suum actum sicut cari-

27 Vgl. Leonhardt, Glück, 250, der in seiner Monographie die Absicht verfolgt zu zeigen, dass Thomas keinen Eudämonismus vertritt und deshalb viele protestantische Thomas-Kritiker im Unrecht sind. 28 STh II–II 24,2 c.a. 29 STh II–II 24,7 c.a.: „Caritas est enim participatio quaedam infinitae caritatis, quae est Spiritus Sanctus“. 30 So STh I–II 110,4 c.a.

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Luft beständig abhängt. Wie bei der Sonne, kann aber auch hier ein Hindernis in der Luft die weitere Erleuchtung durch die Sonne verhindern – beim Menschen durch die Todsünde. Die Größe – oder besser Intensität – der caritas hängt allein vom Willen des Hl. Geistes ab, nicht von den Kräften oder Dispositionen der Menschen. Kann die caritas vermehrt werden? Vermehrt werden bedeutet in der thomasischen Terminologie, dass die caritas stärker im Träger verwurzelt ist und daher „glühendere“ Akte hervorzubringen vermag, oder in einer anderen thomasischen Terminologie, dass der Wille bzw. die Seele des Menschen immer mehr an der caritas partizipiert.31 Oder in Weiterführung der Ausgangsdefinition der Partizipation formuliert Thomas Wachstum auch als immer vollkommeneres Partizipieren der Ähnlichkeit des Hl. Geistes an der menschlichen Seele.32 Das Wachstum der caritas geschieht nicht durch jeden ihrer einzelnen Akte, aber durch jeden ihrer Akte wird das Wachstum zumindest vorbereitet – denn Wachstum ist wie im körperlichen so auch im geistigen Bereich kein kontinuierlicher Vorgang. Diese Art von Wachstum wird treffend mit „essentiellem Wachstum“33 charakterisiert. Dem Wachstum der Gottesliebe ist keine Grenze gesetzt, denn mit der caritas wächst zugleich auch die Fähigkeit zu weiterem Wachstum, wobei Thomas aber sehr wohl zwischen drei Graden der caritas differenziert – anfangend, fortschreitend, vollendet – also Einteilungen vornimmt. Thomas unterscheidet nun die caritas der Pilgerschaft und die caritas der Vollendung; bei numerischer Identität liegt der Unterschied lediglich in der Quantität sowie in der Verlierbarkeit.34 Jene nämlich kann nicht bis ins Unbegrenzte wachsen, was nur bedeutet, dass sie nie wie die caritas der Vollendung werden, der sie sich jedoch asymptotisch annähern kann. Die eschatologische Vollendung der caritas beinhaltet, dass der Mensch ununterbrochen und ungeteilt an Gott denkt und von Liebe zu ihm bewegt wird.35 Dies ist dem irdischen Menschen nicht möglich. Die irdisch mögliche Vollendung der caritas bedeutet, dass der Mensch „all sein Bemühen darauf richtet, für Gott und die göttlichen Dinge da zu sein“.36 Der irdische Menschen kann die caritas wieder verlieren, weil die Form der caritas ihn nicht ganz ausfüllt. Vermeh rung der caritas besagt zugleich, eine immer größere Annäherung an Gott, die Gott hervorruft. 31

Vgl. STh II–II 24,5 c.a. So STh II–II 24,5 ad 3 – die deutsche Übersetzung ist hier falsch; das ist wieder ein Beispiel für die abgekürzte Redeweise des Thomas bezüglich der Partizipation: nicht die Ähnlichkeit (similitudo) partizipiert nämlich strenggenommen, sondern die Partizipation stellt eine Ähnlichkeit dar. 33 Schockenhoff, Bonum hominis, 556. 34 Dazu Leonhardt, Glück, 252f. 35 Vgl. STh II–II 24,8 c.a. 36 STh II–II 24,8 c.a.: „ut homo studium se deputet ad vacandum Deo et rebus divinis“. 32

234

Liebe

Nach diesem Überblick über die Struktur der Quaestio über die caritas als Freundschaft37 folgt nun eine Analyse dieses Konzeptes im Einzelnen. (1) Was will der Mensch Gott, wenn er ihm Gutes will? (2) Wie ist Gott gegenüber Gegenseitigkeit möglich? (3) Worin besteht die communicatio, in der die Freundschaft gründet? (1) Zunächst zur Frage, was der Mensch Gott Gutes will. Da Gott nicht nur alles Gute hat, sondern das Gutsein selbst ist, bedeutet, ihm Gutes zu wollen, zu wollen, dass er Gott ist. Gott ist Gott, das zu wollen, heißt, zu bejahen, im strengen Sinne zu affirmieren, dass Gott Gott ist. Vor jedem einzelnen Willensakt der caritas vollzieht das der Verstand als Glaubensakt, dem als ein äußerer Akt der Bekenntnisakt entspricht. Diesen Aspekt der caritas als Tugend vollzieht also der Glaube in seinem eigenen Akt! Thomas ordnet das aber der Tugend der Liebe zu, weil er in der Tugend des Willens den Willen als „Ursprung aller geistigen Bewegung“38 des Menschen versteht. Gott als dem Freund Gutes zu wollen hat aber noch einen zweiten Aspekt. Gutes will man dem Freund, indem man dessen Willen erfüllt.39 Der Mensch will Gott Gutes, indem er die Akte der caritas vollbringt, die dann auch dem Nächsten gelten:40 Es gehört also zum Wesen der Gottesliebe, Gott so zu lieben, daß sie sich Ihm in allem unterwerfen und die Richtschnur Seiner Gebote in allem befolgen will“.41 (2) Stock42 folgert, dass aus der Gegenseitigkeit der Freundschaft zwischen Gott und Mensch eine Rezeptivität Gottes und damit eine Bedürftigkeit Gottes gegenüber dem Menschen herzuleiten ist. Weil die Liebe Gottes zum Menschen nur Freundschaft zwischen Gott und Mensch ist, wenn der Mensch Gott auch liebt, würde nach Stock eine Abhängigkeit Gottes von der menschlichen Liebe folgen, so sehr diese Abhängigkeit selbst eine vom allmächtigen Gott dem Menschen geschenkte Abhängigkeit ist, die als solche ganz in Gott selbst gründet. Diese Schlussfolgerung trifft bezüglich der thomasischen Theologie nicht zu, und zwar aus folgendem Grund: An der Liebe Gottes ändert sich

37

Zur Kritik an Holls Kritik des thomasischen caritas-Konzeptes, siehe Leonhardt, Glück,

248f.

38

STh II–II 44,5 c.a.: „principium omnium spiritualium motuum“. Dazu auch Hoffmann, Selbstliebe, 205f. 40 Wie Thomas sich diese Vermittlung vorstellt, siehe Kapitel Gegenstand und Ordnung der Liebe. 41 STh II–II 24,12 c.a.: „Est igitur ratione caritatis ut sic diligat Deum quod in omnibus velit se ei subjicere, et praeceptorum ejus regulam in omnibus sequi“. 42 Stock, Gottes Liebe, 274. 39

Die Liebe als theologische Tugend der caritas

235

nichts, sie ist amor amicitiae, von Gott her und für Gott macht es keinen Unterschied, ob sein amor amicitiae vom Menschen beantwortet wird und so zur Freundschaft mit dem Menschen wird, weil Gott selbst immer schon als dreieiniger Gott in Freundschaft lebt,43 zu der nichts hinzukommen kann. Das liegt daran, dass Gott unendlich geliebt wird – von sich selbst in trinitarischer Vermittlung. Das menschliche Lieben Gottes ist immer nur ein Partizipieren an der Liebe Gottes zu sich selbst, die der Hl. Geist ist.44 Die Liebe der Menschen zu Gott fügt zur Liebe Gottes zu sich selbst nichts hinzu, da die menschliche Liebe ein Partizipieren an genau dieser Liebe ist – so sehr vom Menschen her gilt, dass die Partizipation daran eine geschaffene Wirklichkeit darstellt, die so dem Menschen als eingegossene zugehört, dass wirklich er selbst Gott liebt. (3) Für die Freundschaft Gottes mit dem Menschen ist die communicatio konstitutiv.45 Mit dem communicatio-Begriff bezeichnet Thomas drei Funktionen: die Mitteilung der ewigen Seligkeit als Gabe, den gemeinsamen Besitz der ewigen Seligkeit und die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch als Zusammenleben. Diese drei Bedeutungsaspekte bauen aufeinander auf und seien nun im Einzelnen erläutert. Die ewige Seligkeit macht Gott dem Menschen zum Geschenk, indem er ihm den Anfang dieser Seligkeit eröffnet mit der Verheißung, diese vollendet im ewigen Leben zu verleihen, worauf sich die dem Menschen geschenkte Hoffnungsgewissheit verlässt. Mit Anfang und Verheißung der Seligkeit schenkt Gott vor allem den Weg zur zukünftigen Seligkeit,46 nämlich die Gnade, mit der der Mensch auf das Ziel der Seligkeit so ausgerichtet wird, dass er sich in seinen Akten darauf beziehen kann, die Gott als Verdienst anrechnet. Die Freundschaft ist dann aufgrund dieser Mitteilung selbst auch schon diese Seligkeit. Wer die caritas hat, dem offenbart sich Gott und der erkennt Gott: Darin besteht die ewige Seligkeit.47 Die caritas als Liebe des Menschen wird im ewigen Leben immer noch größer werden, aber in Kontinuität zur irdischen Liebe, während Glauben zwar Anfang des Schauens Gottes in der Ewigkeit ist, sich aber dann in dieses Schauen verwandeln wird und so eschatologisch aufhört, Glauben zu sein. 43 44

644.

Siehe dazu Kapitel Gottes trinitarisches Sein. Siehe dazu die eingehenden Ausführungen von Schmidbaur, Personarum Trinitatis, 580–

45 Zum Folgenden siehe Egenter, Gottesfreundschaft, 55–63; Leonhardt, Glück, 241–243; Schockenhoff, Bonum hominis, 516–518. 46 STh II–II 25,2 ad 2: „Die Gottesliebe ist Mitteilung des geistlichen Lebens selbst, durch das wir zur Seligkeit gelangen“/„caritas est ipsa communicatio spiritualis vitae, per quam ad beatitudinem pervenitur“. 47 So STh II–II 24,12 s.c.

236

Liebe

Indem der Mensch (anfangshaft) an der Seligkeit Gottes partizipiert, ist diese Seligkeit, die Gott selbst ist, Gott und dem Menschen gemeinsam. Vom Menschen her betrachtet, ist dessen Teilhabe am gemeinsamen Gut, eine geschaffene Teilhabe und darin unterschieden davon, wie Gott am gemeinsamen Gut teilhat. Er ist nämlich identisch mit dem gemeinsamen Gut. Die communicatio der Freundschaft besteht nun drittens im Umgang mit dem Freund; in seinem geistigen Leben pflegt der Mensch Umgang mit Gott und den Engeln.48 Die von Thomas entwickelte Deutung des heilvollen Verhältnisses zwischen Gott und Mensch führt Dörnemann weiter, indem er das Erlösungsgeschehen selbst mit der Freundschaftskategorie deutet. Er argumentiert in folgenden Schritten:49 Für die menschliche Verfasstheit ist es unabdingbar, dass die Freundschaftsliebe Gottes sich sichtbar zeigt; das geschieht in Leben und Sterben Jesu Christi. Die Liebe Christi ist, indem sie sich in seinem Leben und Sterben ausdrückt, zugleich auch genugtuend und vergebend. Diese vergebende und genugtuende Liebe kommt erst an ihr Ziel, wenn sie beim Menschen ankommt. Das Ankommen dieser Liebe beim Menschen geschieht in der Gnade. Daher sei die genugtuende Liebe Christi und das Ankommen der Liebe in der Gnade ein einziges Geschehen. „Die genugtuende Liebe Christi geschieht nicht in einem juridischen und zeitlichen Sinn vor der Konstitution der Freundschaft, sondern zugleich mit bzw. in der Konstitution der Freundschaft.“50 Also sei mit dem Freundschaftsparadigma das gesamte Erlösungsgeschehen zu verstehen. Dörnemann gelingt es mittels des Freundschaftsparadigmas wesentlich engere Zusammenhänge zwischen Gnadenlehre, Tugendlehre und Christologie in der Summa Theologiae aufzuzeigen, als es sonst theologischen Deutungen gelingt. Für das Ausweisen dieser Zusammenhänge ist aber gerade nicht erforderlich, das gesamte Erlösungsgeschehen mit dem Freundschaftsparadigma zu verstehen, sondern es reicht zu zeigen, dass die verschiedenen Theologoumena in verschiedener Weise auf die Rede von der Freundschaft des Menschen mit Gott als Inbegriff der caritas bezogen sind. Wenn dagegen das ganze Erlösungsgeschehen selbst als Freundschaft (nicht nur als bezogen auf Freundschaft) verstanden wird, verliert die Deutung der caritas als Freundschaft ihren prägnanten Sinn und kann dann nicht 48

Vgl. STh II–II 23,1 ad 1. Siehe Dörnemann, Freundschaft, 176–181. 50 Dörnemann, Freundschaft, 180, Hervorhebungen im Original. 49

Die Liebe als theologische Tugend der caritas

237

mehr spezifisch das erlöste Dasein des Menschen in der gerechtfertigten Gottesbeziehung aussagen. Worin besteht dann der eigentümliche Sinn der Deutung der caritas als Freundschaft? Was die Deutung der caritas als Freundschaft gegenüber einer Deutung als bräutliche Liebe zu Gott leisten kann, formuliert zu Beginn des 20. Jahrhunderts Egenter so: Der Gedanke der männlich starken Freundschaft wird das Bild der Brautschaft von allen femininen, weichlichen Zügen läutern, die sie im praktischen religiösen Leben nur allzuleicht umnebeln drohen. [...] So führt uns der Gedanke der Gottesfreundschaft über die Gottesbrautschaft hinaus, weil in der Gottesfreundschaft gerade der mit dem geschlechtlichen Unterschied zwischen Mann und Frau symbolisierte unendliche Wesensabstand zwischen Gott und Mensch in der ‚deificatio‘ des letzteren übersprungen wird.51

Abgesehen von aller nötigen Kritik an Egenters Auffassung der Geschlechterdifferenz ist auch vom thomasischen Text her zu verneinen, dass im Konzept der Gottesfreundschaft der Abstand von Gott und Mensch übersprungen würde. Im Gegenteil, in der Freundschaft wird die Differenz (nicht der Abstand!)52 zwischen Gott und Mensch gerade als radikal vorausgesetzt, um aber von Gott her als eine für den Menschen ganz und gar heilvolle Differenz geltend gemacht zu werden. Die kategoriale Differenz, die Asymmetrie zwischen Gott und Mensch vollzieht sich heilvoll gerade indem Gott aufgrund dieser Asymmetrie Momente von Symmetrie gewährt.53 Diese Momente von Symmetrie bleiben für den Menschen auch nur dann heilvoll, wenn er in und mit ihnen die bleibende Asymmetrie anerkennt. Die Leistung des Freundschaftskonzeptes bei Thomas kann dann daher ganz im Gegenteil darin gesehen werden, dass nicht zu übertreffende personale Nähe unter strikter Anerkennung der Differenz und Anerkennung der Bleibendheit der Differenz gedacht wird. In der Freundschaft wird also 51

Egenter, Gottesfreundschaft, 86–88. Auch Schockenhoff, Bonum hominis, 516 sieht die Leistung des thomasischen Konzeptes in der Aussage einer von Gott her begründeten Gleichheit, die den unendlichen Abstand zwischen Gott und Mensch überwinden würde. Vor allem anderen ist aber die Rede vom Abstand zwischen Gott und Mensch selbst schon grundverkehrt, und zwar aus mindestens zwei Gründen. Erstens setzt Abstand eine auch bestehende kategoriale Gleichheit mit nur relativem Unterschied voraus. Dagegen ist der „Abstand“ von Gott und Mensch zu groß, um von „Abstand“ sprechen zu können: die beim Bild vom Abstand auch vorausgesetzte kategoriale Gleichheit ist nicht gegeben. Zweitens ist die Wahrnehmung der Differenz zwischen Mensch und Gott als „Abstand“ eine Wahrnehmung aus der Perspektive der Sünde, welche die Differenz eben nicht als eine heilvolle und dem Menschen heilvoll zugewendete Differenz verstehen kann und die auch nicht sieht, dass die Differenz immer schon von Gottes Liebe qualifiziert ist, weil sie der Liebe Gottes entspringt. Kuhn, ‚Liebe’, 134 spricht gar von einem „Abgrund“. 53 Vgl. Härle, Dogmatik, 256f. 52

238

Liebe

unter dem Primat der Differenz eine heilvolle und dynamische Vermittlung von Einheit und Differenz gedacht.

5.3 Der Akt und das Subjekt der caritas Der Akt und das Subjekt der caritas Der Akt der caritas ist die dilectio. Die dilectio ist mehr als reines Wohlwollen, welches Thomas mit Aristoteles als einen Willensakt allein aus dem Urteil der Vernunft heraus definiert. Bei der dilectio verbindet sich das Wohlwollen mit einer Vereinigung aufgrund von Gefühl und Leidenschaft. Das gilt ausdrücklich auch für die Liebe, die ihren Sitz im Willen hat. Die Vereinigung aufgrund von Gefühl und Leidenschaft erläutert Thomas damit, dass „der Liebende das Geliebte in etwa als ein Wesen mit sich selbst betrachtet, oder als etwas, das irgendwie zu ihm gehört, und so wird er darauf zugetrieben.“54 Der Akt der Liebe zu Gott zeichnet sich nach Thomas vierfach aus: Gott wird um seiner selbst willen, er wird unmittelbar, er wird ohne Maß und er wird ganz geliebt. (1) Der Akt der caritas liebt Gott um seiner selbst willen, „propter seipsum“.55 Das „um willen“ benennt den Grund des Liebens, der nach der thomasischen Ursachenlehre vierfach differenziert betrachtet werden kann: gemäß des Zieles, der Form bzw. des Wesens und der Wirkursache sowie der Materialursache nach. Thomas fragt dabei nicht nach Ziel-, Form- und Wirk-Ursache des Aktes, sondern allein nach dem Gegenstand der Liebe, was an diesem Ursache der Liebe zu ihm ist, bzw. als was er geliebt wird. An Gott wird nicht seine Ausrichtung auf ein Ziel geliebt (wie z.B. bei den Mitmenschen im Akt der caritas), sondern er selbst ist sein Ziel, daher kann er in dieser Hinsicht nur um seiner selbst willen geliebt werden. An Gott liebt der Mensch nicht dessen Teilhabe an einer Form, durch die ihm sein Wesen bzw. sein Gutsein zukommen würde, sondern Gott ist gut durch sich selbst. Sein Wesen ist das Gutsein, durch das erst alles andere sein Gutsein erhält. Indem Gott in seinem Gutsein geliebt wird, wird er als er selbst, weil identisch mit seinem Gutsein und daher um seiner selbst willen geliebt. Gott hat sein Gutsein von niemanden erhalten, sondern er selbst ist die Ursache seines Gutseins. Auch hinsichtlich der Wirkursache wird Gott um seiner selbst willen geliebt, nämlich als Ursache seiner selbst.56 In dieser dreifachen Hinsicht liebt der Mensch Gott um seiner selbst wil54 STh II–II 27,2 c.a.: „Inquantum scilicet amans aestimat amatum quodammodo ut unum sibi, vel ad se pertinens, et sic movetur in ipsum.“ 55 Dazu STh II–II 27,3. 56 Der Terminus „causa sui“ fällt an dieser Stelle nicht, der entsprechende Sachverhalt aber ist ausgesagt.

Der Akt und das Subjekt der caritas

239

len. Nur in Bezug auf die Materialursache, die hier als Disposition zu verstehen ist, durch die der Gegenstand der Liebe die Liebe zu ihm verursachend vorbereitet, kann es sich anders verhalten. Es ist möglich, dass in dieser Hinsicht der Mensch Gott liebt wegen empfangener Wohltaten, erhoffter Belohnungen oder zur Vermeidung von befürchteter Strafe. Zur Materialursache kann also die theologische Tugend der Hoffnung als Vermittlerin gezählt werden. (2) Gott wird (auch in diesem Leben) unmittelbar geliebt, während alles andere vermittels Gott und um Gottes willen geliebt wird – durch die caritas. Weil der Wille sich so auf seinen Gegenstand als Ziel richtet, vollendet er sich dort, wo er bei seinem Gegenstand ist – im Unterschied zur Erkenntnis, die sich darin vollendet, dass das Erkannte im Erkennenden ist, gemäß der Seinsweise des Erkennenden. Der Wille kann sich daher unmittelbar auf Gott richten, auch im irdischen Leben, während die Erkenntnis aufgrund der menschlichen Erkenntnisweise, die von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen ausgeht, Gott nur mittelbar, vermittelt durch die Erkenntnis der sinnlichen wahrnehmbaren Dinge, erkennt und irdisch an diese Vermittlung gebunden bleibt. Zu lieben vermag der Mensch zwar nur, was er in irgend einer Weise auch erkannt hat, aber die Liebe entspricht nicht proportional der Erkenntnis und auch ihre Ordnung ist eine andere als die des Erkennens. So reicht für den Menschen die vermittelte Gotteserkenntnis, um Gott unmittelbar zu lieben und um der Liebe zu ihm willen alles andere (gemäß dessen Art) zu lieben, womit also betreffs des Liebens andere Vermittlungen stattfinden als in der Erkenntnis. (3) Gott ist ohne Maß zu lieben. Thomas rekurriert im sed contra auf Bernhard von Clairvaux: „Der Grund der Gottesliebe ist Gott; ihr Maß: zu lieben ohne Maß.“57 Um das zu begründen, erläutert Thomas, inwiefern die Rede von Maß und Maßstab sinnvoll ist. Das Maß befindet sich wesentlich im Maßstab, nur davon abgeleitet auch im Gemessenen. Im Maßstab aber ist das Maß es selbst. Zweiter Gedankenschritt: Alles erhält sein Maß von seinem Ziel her, das Ziel aber ist sich selbst Maß, und wird nicht gemessen. In der Übertragung auf die caritas bedeutet das: Die caritas ist das Ziel aller menschlichen Handlungen, insofern der Mensch in ihr sein letztes Ziel berührt und erreicht. Die caritas ist der Maßstab für alle anderen Handlungen des Menschen; sie selbst aber erhält ihr Maß von Gott als ihrem Ziel. Gott aber ist unendlich, so ist die Unendlichkeit der caritas Maß. Daher hat sie maßlos zu sein. Sie ist umso besser, je glühender sie Gott liebt, den sie aber nie so lieben kann, wie es ihm als unendlich Guten gebühren würde. (4) Gott kann ganz geliebt werden, in einem doppelten Sinne: Er kann 57

STh II 27,6 s.c.; PL 182/974 d.

240

Liebe

und soll mit allen menschlichen Kräften geliebt werden und er kann als Ganzer geliebt werden. Nicht jedoch kann er mit der Intensität geliebt werden, die ihm als unendlichem Gut entsprechen würde; das kann nur er selbst. Sein ganzes Herz auf Gott zu richten, so dass man nichts denkt oder will, was der caritas zuwider wäre, indem man sich Gott ganz unterwirft und alle seine Gebote befolgen will. Darin vollzieht sich die caritas. Der caritas ist die Sünde entgegengesetzt, wie umgekehrt die caritas die Abkehr von Gott durch die Sünde aufhebt.58 Die einzelnen lässlichen Sünden als Unordnung im Bereich der Mittel (zum letzten Ziel) richten sich nicht gegen die Tugend der caritas, sondern nur gegen ihre Akte,59 während bereits eine Todsünde die Tugend der caritas aufhebt. Die lässlichen Sünden mindern die Tugend der caritas auch nicht, es sei denn mittelbar als Vorbereitung auf ihre Aufhebung durch eine Todsünde.60 Was das Subjekt der caritas betrifft, fasst Thomas sich sehr kurz. Thomas hatte die caritas eingeführt als übernatürliche Vervollkommnung des menschlichen Willens. In der Analyse der menschlichen Seelenvermögen zeigte sich, dass der Wille die menschliche Seele ist, insofern sie strebt wie auch der Verstand des Menschen die Seele ist, insofern sie erkennt. Als Alternativen für die anthropologische Ortsbestimmung der caritas diskutiert Thomas das sinnliche Strebevermögen, die Vernunft und das liberum arbitrium, um dann den Willen, also das geistige Strebevermögen als ihren Ort zu erweisen. „Gegenstand der heiligen Liebe aber ist nicht ein sinnenhaftes Gut, sondern das göttliche Gut, das nur von der geistigen Verstehensmacht [intellectus, MR] erkannt wird.“61 Daher kann nur der Wille, der sich auf das von der ratio erkannte Gut richtet, Träger der Liebe sein. Das liberum arbitrium scheidet aus – wenn auch von Thomas sehr zurückhaltend formuliert, weil die caritas das letzte Ziel und nicht Mittel zum Ziel zum Gegenstand hat, welches letztere dem liberum arbitrium zukommt. Der Wille ist in der Vernunft (ratio), deshalb ist der Wille der Vernunft nicht fremd, sondern ihr nahe verwandt (affinitas).62 An anderer Stelle kann Thomas daher allgemeiner als Träger der caritas die „mens rationalis“ nennen63 oder auch sagen, dass durch die caritas die mens des Menschen mit Gott geeint werde.64 58

Vgl. STh II–II 27,4 ad 3. So STh II–II 24,8 ad 2. 60 Während die caritas also durch jede Todsünde aufgehoben wird, zerstören bei den eingegossenen Tugenden des Glaubens und der Hoffnung nur bestimmte Todsünden die Tugend. 61 STh II–II 24,1 c.a.: „Caritas autem objectum non est aliquod bonum sensibile, sed bonum divinum, quod solo intellectu cognoscitur.“ 62 Vgl. STh II–II 24,1 ad 2. 63 STh II–II 24,5 c.a. 64 Vgl. STh II–II 24,4 c.a. 59

Der Akt und das Subjekt der caritas

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Zum Akt der caritas gehört neben dem Subjekt auch sein Verdienstcharakter. Das Kriterium der Verdienstlichkeit beinhaltet die Willentlichkeit eines Aktes, seine Gnadengewirktheit und seine Ausrichtung auf Gott als sein Letztziel. Das erfüllt jeder Akt der caritas. Wenn jeder Akt dies erfüllt, und jeder Akt der caritas ein und derselbe ist, kann es dann Differenzierungen in der Verdienstlichkeit geben? Handelt der verdienstlicher, der den Freund liebt als der, der den Feind liebt? Gern dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung, und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin.65

Thomas versucht, diese Schlussfolgerung zu vermeiden. In sich ist die Freundesliebe erstens überhaupt verdienstvoll, zweitens auch besser und glühender als die Feindesliebe, denn der Freund ist besser (ein höheres Gut) und er ist dem Liebender näher. In der Perspektive des Gegenübers der Liebe hat die Freundesliebe Vorrang. Dagegen erkennt Thomas in der Feindesliebe einen Vorrang unter der Perspektive des Grundes der Liebe. Der Feind kann nur mit und aufgrund der caritas geliebt werden; zweitens fällt es dem Menschen wesentlich schwerer, den Feind zu lieben, woran sich aber die Stärke seiner caritas-Liebe zeigt. Das Kriterium der Schwierigkeit des Liebens ist aber dem Kriterium des Gutseins des Geliebten und daher des Aktes nachgeordnet, und daher nicht das ausschlaggebende.66 Also ist die Freundesliebe als vorrangig zu beurteilen. In der Verdienstlichkeit kommt der Liebe in zweifacher Hinsicht der Vorrang zu:67 Als Tugend ragt die Liebe hervor, da sie alle anderen Akte des Menschen ausrichtet und auf diese Weise das Prinzip der Verdienstlichkeit überhaupt darstellt. Weil der Akt der caritas sich direkt auf Gott als das Letztziel bezieht, indem Gott auch Gegenstand des Aktes ist, während die anderen verdienstlichen Akte Gott zwar als Letztziel, aber nicht das Letztziel auch zum Gegenstand haben,68 kommt auch dem Akt der caritas der Vorrang beim Verdienst zu. So begründet Thomas also den Vorrang der Liebe hinsichtlich der Verdienstlichkeit.

65

Friedrich Schiller, „Gewissensskrupel“, aus den Xenien Nr. 388: Schiller, Werke, I, 299. Vgl. STh II–II 27,8 ad 3. 67 Dazu STh I–II 114,4 c.a. 68 Der Glaubensakt nimmt dabei eine Sonderstellung ein: er hat zwar Gott, also das Letztziel auch zum Gegenstand, aber nicht als Letztziel. 66

242

Liebe

5.4 Gegenstand und Ordnung der caritas69 Gegenstand und Ordnung der caritas Bei diesem Thema klärt Thomas, was zu lieben ist und in welcher Ordnung.70 Wie entfaltet sich die Freundschaft mit Gott so, dass sie in differenzierter Weise die Mitmenschen, die Engel, das eigene Selbst, den eigenen Körper und die übrigen Wesen und Gegenstände umfasst? Das rechtfertigungstheologische fides caritate formata bezieht sich nicht auf die Akte der Liebe, weder die gegenüber Gott, noch die gegenüber den Geschöpfen. Oben wurde geklärt, wie aus der Tugend der caritas die Akte gegenüber Gott entspringen. Nun ist zu klären, wie die Tugend der caritas als Freundschaft mit Gott Akte von Nächstenliebe freisetzt, wie also Thomas das Verhältnis von Gottesliebe und Nächstenliebe definiert. Thomas fragt dabei nach Zusammenhang und Identität von Gottes- und Nächstenliebe in der Tugend der caritas (1), während es ihm erkennbar nicht darum geht, die Nächstenliebe als notwendiges Implikat der Gottesliebe aufzuzeigen. Diese interne Begründungsfunktion der Liebe zu Gott für die Nächstenliebe ist von ihm vorausgesetzt; auf sie soll in einem zweiten Schritt (2) eingegangen werden. (1) Da die Freundschaft in der Mitteilung der Seligkeit gründet, gründet in diesem Geschehen auch die Ausdifferenzierung: Gott ist zu lieben als Ursache der mitgeteilten Seligkeit, die Mitmenschen und die Engel sind zu lieben aufgrund der gemeinsamen Teilhabe an der Seligkeit; sich selbst soll der Mensch lieben ebenso aufgrund der Teilhabe an der Seligkeit – weil der Mensch mit sich eins ist –, seinen Leib schließlich, weil auf ihn die Seligkeit in gewisser Weise überfließt.71 Damit ist ein Zusammenhang zwischen Liebe zu Gott, den Mitmenschen und sich selbst aufgezeigt; um die Einheit und Identität einer Tugend zu zeigen, muss aber die Art der zu ihr gehörenden Akte, die sich durch das Verhältnis zum Gegenstand bestimmt, die gleiche sein. Mit dem Verweis darauf, dass der Akt, mit dem der Mensch das Licht sieht, von der selben Art ist wie die Akte, mit denen der Mensch Farben sieht aufgrund des Lichtes, legt Thomas dar, dass der Akt, mit dem Gott geliebt wird, von der selben Art ist wie der Akt, mit dem der Nächste geliebt wird, weil er in Gott ist. (2) Das Verhältnis der Nächstenliebe zur Liebe zu Gott beschreibt Thomas mit verschiedenen Wendungen, die sich gegenseitig interpretieren: (a) „Hoc enim debemus in proximo diligere, ut in deo sit.“/„denn das müssen wir im Nächsten lieben, daß er in Gott sei.“ (STh II–II 25,1 c.a.) (b) „Unde eodem amore caritatis diligimus omnes proximos, inquantum 69

Dazu STh II–II 25; 26. Dazu Hoffmann, Selbstliebe, 211–215. 71 Siehe STh II–II 25,12 c.a. 70

Gegenstand und Ordnung der caritas

243

referuntur ad unum bonum commune, quod est Deus.“/„Daher lieben wir mit derselben Liebe der Gottesminne alle Nächsten, insofern sie auf dasselbe allgemeine Gut bezogen sind, das Gott ist.“ (STh II–II 25,1 ad 2) (c) „Sed amicitia caritatis se extendit ad illa sola quae nata sunt habere bonum vitae aeternae“/„Die Freundschaft der heiligen Liebe aber erstreckt sich nur auf jene Wesen, die von Natur darauf angelegt sind, das Gut des ewigen Lebens zu besitzen.“ (STh II–II 25,3 ad 3) (d) „Alio modo possumus loqui de caritate secundum propriam rationem ipsius, prout scilicet est amicitia hominis ad Deum principaliter, et ex hoc consequenti ad es quae sunt Dei.“/„In anderer Weise können wir von der heiligen Liebe sprechen nach ihrem ihr ganz eigenen Wesen, sofern sie nämlich Freundschaft des Menschen in erster Linie mit Gott, in der Folge aber mit allen Wesen ist, die Gott zugehören.“ (STh II–II 25,4 c.a.) (e) „Propter hoc enim ex caritate debemus alios diligere, quia sunt nobis proximi et secundum naturalem Dei imaginem et secundum capacitatem gloriae.“/„Darin nämlich müssen wir die anderen aus heiliger Liebe lieben, weil sie uns Nächste sind sowohl auf Grund der natürlichen Gottebenbildlichkeit wie auch auf Grund der Befähigung zur Herrlichkeit.“ (STh II–II 44,7 c.a.) Wenn und weil Gott geliebt wird, muss auch alles geliebt werden, was zu ihm gehört. Dies besagt schon der allgemeine Freundschaftsbegriff von Thomas.72 Zu Gott gehört in einem emphatischen Sinne das, was auf Gott in der Weise bezogen ist, dass Gott das letzte Ziel ist, in dem die Glückseligkeit gefunden wird. Anders gesagt, zu Gott gehört, wer sich auf ihn erkennend und liebend beziehen kann. Das können aufgrund von Gnade, welche die Natur vollendet, alle verstandesbegabten Geschöpfe. In Gott zu sein, versteht Thomas also als Auf-Gott-Bezogen-Sein.73 Die Liebe zu Gott impliziert die Liebe zu den verstandbegabten Geschöpfen vermittels der Erkenntnis ihrer Zugehörigkeit zu Gott, die darin besteht, dass Gott ihnen das ewige Leben schenken will und dass sie daher auf ihn bezogen sind. Diese Erkenntnis selbst ist durch den Glauben vermittelt, der die Gottebenbildlichkeit aller Menschen beinhaltet. Der Vermittlungszusammenhang zwischen Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten besteht allein am Gegenstand selbst, der im Glauben in einer bestimmten Weise erkannt wird. So setzt der Akt der Nächstenliebe ebenso den Glauben als Akt voraus, wie auch den Akt der Liebe zu Gott. Dieser Vermittlungszusammenhang allein vom Formalgegenstand her, aufgrund dessen Thomas vom einem identischem Akt bei Gottesliebe und 72 Krämer, Imago Trinitatis, 407, beleuchtet diesen Sachverhalt zutreffend unter dem Stichwort „vermittelte Freundschaft“. 73 Siehe STh II–II 25,1 c.a.; ad 2.

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Liebe

Nächstenliebe sprechen kann,74 besagt daher: In der Liebe zum Nächsten wird Gott geliebt.75 Jeder Liebesakt der caritas, der etwas Geschaffenes – technisch gesprochen – zu seinem Materialgegenstand hat, liebt diesen wegen Gott, hat also Gott als Formalgegenstand, welcher als Gegenüber der Freundschaft Formalgegenstand nur sein kann, indem er immer auch Materialgegenstand ist. Die Akte der Nächstenliebe, die „propter deum“ geschehen, haben Gott zum Formalgegenstand und zum Ziel. Das „propter deum“ der Akte der Nächstenliebe ist auch, aber nicht hauptsächlich finalursächlich zu verstehen. „Gott wird im Nächsten geliebt, wie das Ziel in dem, was auf das Ziel ausgerichtet ist.“76 Im Folgenden entfaltet Thomas eine differenzierte Ordnung dessen, was wie zu lieben ist. Ebenso wie die Mitmenschen sollen die Engel als Mitteilhaber an der ewigen Seligkeit geliebt werden. Die vernunftlosen Wesen können nach Thomas daher nicht mit caritas geliebt werden, denn erstens ist mit ihnen keine Gemeinschaft möglich, die zu Freundschaft gehört, zweitens ist ihnen nicht die ewige Seligkeit mitgeteilt, welche die Freundschaft der caritas begründet. Die Selbstliebe77 begründet Thomas so: Zwar kann der Mensch zu sich selbst nicht Freundschaft im engeren Sinne haben – so ist z.B. keine Gegenseitigkeit der Liebe möglich –, aber etwas „Größeres“, insofern der Mensch mit sich eins ist, während er mit dem Freund nur geeinigt ist. Diese Einheit mit sich selbst bezeichnet Thomas als Prinzip der Einigung/Vereinigung mit einem anderen, weshalb die Selbstliebe Wurzel und Form von Freundschaft darstellt. Unter dem Aspekt aber, dass die caritas Liebe zu Gott und zu denen ist, die auf ihn bezogen sind, liebt der Mensch vermittels der Liebe zu Gott auch sich selbst mit der Liebe der caritas. Das Verhältnis zum eigenen Leib erfordert die Differenzierung zwischen der guten Geschaffenheit des Leibes als Natur und seiner Prägung durch die Sünde und ihre Strafe. In erster Hinsicht ist auch der eigene Leib zu lieben, da durch ein Überfließen der Seligkeit der Seele er auch an der Seligkeit Anteil bekommt. Auch diese Liebe gehört zur caritas, vollzieht sich aber nicht als Freundschaft im eigentlichen Sinne. Nach der Bestimmung der Selbstliebe und der Liebe zum eigenen Leib kann Thomas die Differenz von guter Selbstliebe zur Selbstliebe der Sünder begrifflich erfassen. Der Mensch ist zuerst und hauptsächlich vernünftiger Geist, sekundär und nachgeordnet auch sinnlicher Leib. Dem Menschen entspricht es, dass er an sich selbst seine vernünftige Natur 74 Vgl. dazu Schockenhoff, Bonum hominis, 540f. Die Artbestimmtheit eines Aktes hängt nach Thomas Handlungstheorie an dem Formalgegenstand des Aktes. 75 Vgl. dazu auch Hoffmann, Selbstliebe, 209f; Schockenhoff, Bonum hominis, 540. 76 STh II–II 44,2 ad 2: „Quod Deus diligitur in proximo sicut finis in eo quod est ad finem.“ 77 Dazu Hoffmann, Selbstliebe.

Gegenstand und Ordnung der caritas

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am höchsten schätzt und liebt. Selbstliebe ist das „fundamentale Verlangen nach Existenzerfüllung und nach der Entfaltung des eigenen Wesens“.78 Der Sünder dagegen sieht sich selbst v.a. als sinnlich und körperlich, und schätzt dies am meisten an sich selbst; er liebt sich daher auf eine falsche Weise. Analoge Differenzierungen involviert die Klärung der Frage, ob die Sünder zu lieben sind. Ihrer Menschennatur nach sind sie mit der caritas zu lieben, hinsichtlich ihrer Sünde sind sie zu hassen. Dieser Artikel mündet in die Verteidigung der Todesstrafe für solche Sünder, bei denen keine Besserung mehr zu erwarten, aber Schaden für die anderen zu befürchten ist. Die caritas beinhaltet nämlich, dass das Gemeinwohl dem Leben eines Einzelnen vorzuordnen ist.79 Wie aber verhält sich das zur geforderten Feindesliebe? Diese versteht Thomas zunächst so, dass die Feinde von der Allgemeinheit der Nächstenliebe weder innerlich noch den äußeren Zeichen nach ausgeschlossen werden dürfen, weil und insofern die Feinde Menschen sind. Das impliziert die geistige Bereitschaft, falls ein einzelner Feind in Not gerät, diesem feindlichen Menschen gegenüber konkret Hilfe zu leisten und sich von einer Liebesbewegung ihm gegenüber erfüllen zu lassen. Darüber hinaus gehende Wohltaten gegenüber Feinden und tatsächliche Bewegungen der Liebe für sie (über Notfälle hinaus) rechnet Thomas zur Vollkommenheit der caritas, die als solche nicht unabdingbar zum Wesen der caritas gehören. Liebt der Mensch nun auch die caritas selbst? Dies bejahend, gibt Thomas zwei Begründungen, die eine aus der Struktur des Willens, die andere aus der Struktur der caritas selbst. Da der Wille sich auf alles nur mögliche Gute beziehen kann, kann er sich auch auf das (gute) Wollen selbst beziehen, also sein eigenes Wollen wollen. Der Liebe nun sei es eigen als Willensbewegung, sich selbst in der Willensbewegung zu einem geliebten Gegenüber immer mit zu lieben. Zur Struktur der caritas gehört es – so der zweite Argumentationsgang, dass man dem Freund Gutes will, also in verschiedener Weise den Freund und das Gute liebt. Da nun aus Liebe zu Gott alle Menschen als auf ihn hingeordnet zu lieben sind mit der Liebe der caritas, muss man ihnen Gutes wollen, und das ist die caritas. So liebt der Mensch die caritas als das Gut, das er allen, die er aufgrund der caritas liebt, wünscht, einschließlich seiner selbst. Nachdem Thomas die verschiedenen Gegenstände der Liebe und ihren einheitlichen Ursprung in der Mitteilung der Seligkeit erläutert hat, setzt er sich die Aufgabe, die gegenseitigen Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Liebesobjekten zu bestimmen, d.h. Priorisierungen vorzunehmen, 78 79

Dörnemann, Freundschaft, 109. So STh II–II 25,6 ad 2.

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Liebe

was in seiner Terminologie heißt, den ordo der Liebe zu beschreiben. Wo immer man es mit Beziehungen zu einem Ursprung (principium) zu tun hat, kann eine Ordnung dieser Beziehungen gemäß ihrer verschiedenen Relation zum Ursprung festgestellt werden.80 Gott als Ursache der Mitteilung der Seligkeit ist am meisten und hauptsächlich zu lieben, mehr als der Nächste und mehr als das eigene Selbst. Wie kann das sein? Wenn Liebe auf wahrgenommener Ähnlichkeit beruht, so kann der Mensch gar nicht anders, als den Mitmenschen, der ihm ähnlicher ist als Gott, mehr als Gott zu lieben. Einen solchen möglichen Einwand entkräftet Thomas damit, dass die Ähnlichkeit des Menschen mit Gott früher sei und auch die Ursache für die zwischenmenschliche Ähnlichkeit. Durch die Partizipation an Gott empfange der Mensch das, was ihm seinem Nächsten ähnlich macht! Wie aber kann der Mensch Gott mehr lieben als sich selbst? Dem Menschen kommt es von seiner Natur her zu, also abgesehen von der Sünde, das Gut des Ganzen bzw. das Gemeinwohl mehr zu lieben als sein eigenes, partikulares Gut. Wenn das schon von Natur aus so ist, dann erst recht in und aufgrund der Gnade: Gott als das gemeinsame Gut aller Menschen ist daher mehr zu lieben als das eigene Selbst. Nun macht sich Thomas den berechtigten Einwand,81 dass der Mensch, wenn er Gott als seine Glückseligkeit liebe, dabei genauso sehr sich selbst liebe, insofern er ja an Gott die Wonne lieben würde, die Gott ihm bedeutet. Die caritas ist aber eine Liebe der Freundschaft und weniger (!) eine Liebe des Begehrens. Der Unterschiede zeige sich darin, dass das Gut der Teilhabe des Menschen an Gott immer kleiner als das Gut, das Gott selbst ist und das die Freundschaftsliebe an ihm liebt. Von der Größe des Gutes her betrachtet muss die Freundschaftsliebe größer sein als die Begehrensliebe, und daher – angesichts des unendlichen Gutes, das Gott ist – die Liebe zu ihm größer als die Liebe zum eigenen Selbst. Das bedeutet auch, dass die Liebe zu Gott die Begehrensliebe, welche die Hoffnung auszeichnet, in sich integriert, sie aber dynamisch auf die Freundschaftsliebe zu Gott bezieht. So entkommt Thomas der Alternative zwischen physischer und ekstatischer Liebe oder dem Problem einer interesselosen Liebe. Indem die Begehrensliebe (als „interessierte Liebe“) sich auf Gott richtet, durch den Glauben auf den wahren Gott, wird sie zur Freundschaftsliebe, weil Gott Gott ist, und sein Gutsein jede mögliche menschliche Erfüllung unendlich transzendiert, wodurch der Wille seine Erfüllung auf das größere Gutsein Gottes je transzendiert und so nur als immer dynamisches Transzendieren seines Erfülltsein seine Erfüllung sich vollzieht als ewiges Leben oder ewige Glückseligkeit. 80 81

So STh II–II 26,1 c.a. STh II–II 26,3 obj. 3.

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Das eigene Selbst ist jedoch mehr zu lieben als der Nächste. Nach dem Verweis darauf, was wahre Selbstliebe sei, argumentiert Thomas damit, dass das eigene Selbst und der Nächste zu lieben seien wegen ihrer Teilhabe an der Seligkeit. Da aber Einheit erhabener sei als Vereinigung, ist die Liebe zu eigenen Selbst (mit dem der Mensch eins ist) größer als die Liebe zum Nächsten, mit dem man Gemeinschaft hat in der Teilhabe an der Seligkeit. Daher darf niemand sündigen, um dem Nächsten etwa von Sünde zu befreien.82 Dies hebt nicht auf, dass der Mensch aber das Gemeinwohl, das Gut aller mehr liebe als sein eigenes Gut und Wohl. Der Nächste aber ist, was sein Seelenheil betrifft, mehr zu lieben als der eigene Leib, denn was die Seligkeit betrifft, haben wir mehr Gemeinschaft darin mit dem Nächsten bzw. seiner Seele als mit dem eigenen Leib. Entspricht es der caritas, in der Nächstenliebe Unterschiede zwischen den verschiedenen Nächsten zu machen und wenn ja, nach welche Kriterien?83 Die caritas liebt die einen unter den Nächsten mehr als andere, denn wie die natürliche Liebe sind auch ihre Affekte geordnet, d.h. verschieden intensiv. Das Kriterium dafür ergibt sich aus der jeweiligen Nähe des Nächsten zum Liebenden und zu Gott, da diese beiden (in anderer Hinsicht jeweils) Ursprung und Prinzip der caritas sind.84 Thomas setzt hier als selbstverständlich voraus, dass man den Mitmenschen entsprechend der Beziehungen zu ihnen in verschiedenem Grade etwas schuldig ist. Diesem äußeren Schuldigsein hat die innere Liebe zu entsprechen. Das MehrLieben bezieht Thomas also sowohl auf das innere Verlangen als auch auf das äußere Tun, die einander proportional sind. Wenn die beiden Kriterien also lauten, Nähe zum Liebenden und Nähe zu Gott, wie verhalten sich diese beiden Kriterien zueinander, thomasisch ausgedrückt: Ist der bessere Mensch mehr zu lieben als der, der uns nahe steht? Zur caritas gehört, dass sie der Gerechtigkeit Gottes zustimmt und sie verwirklicht sehen will, so dass der mit caritas Liebende wollen muss, dass dem besseren Menschen, was sich nach dessen Nähe zu Gott bemisst, ein höheres Gut zuteil wird, also ein höherer Grad an Seligkeit. Was die Intensität des Liebesaktes betrifft, liebt der Mensch aber die mit ihm verbundenen Menschen mit mehr Glut für ihr Gut als bei den Menschen, die besser sind als jene, aber dem Liebenden nicht nahe stehen. Die Begründung aus der Struktur der caritas vollzieht sich wie folgt: Der Akt der caritas hat seine Art aus dem jeweiligen Gegenstand, seine Intensität aus dem Liebenden. Die Arten der Liebesakte unterscheiden sich nach 82 Christmann erlaubt sich den Hinweis, dass darin die Lösung des Problems des Romans Der Kranz der Engel von Gertrud von Le Fort liege; Christmann, Kommentar, 492. 83 Thomas gibt hier im corpus articuli die widerstreitenden Lehrmeinungen wieder. 84 So STh II–II 26,6 c.a.

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Liebe

dem Guten, das einem Mitmenschen gewollt wird, genauer nach dem Grad an ewiger Glückseligkeit, das wir ihm wünschen. Thomas expliziert aber noch einen weiteren Grund für die größere Liebesintensität gegenüber nahen Menschen (im Vergleich zu besseren, aber distanzierten Menschen); mit den nahen Menschen ist der Liebende auch durch eine natürliche Freundschaft verbunden, die durch die caritas auf Gott und die ewige Seligkeit ausgerichtet, aber nicht aufgehoben wird, sondern mit der Freundschaft der caritas zusammenwirkt.85 Im Folgenden stellt Thomas die Hierachie der zu liebenden Menschen anhand der Verwandtschaftsverhältnisse auf. Den Unterschied von Gegenstand und Intensität aufgrund von Verbundenheit macht Thomas wieder geltend bei der Frage, ob der Vater oder mehr das eigene Kind geliebt werden sollte. Vom Gegenstand mehr der eigene Vater, von der Intensität das eigene Kind. Dies begründet Thomas damit, dass der Vater als der eigene Ursprung geliebt wird; in dieser Hinsicht ist er Gott ähnlicher und daher als „Gegenstand“ mehr zu lieben, d.h. ihm ist ein größeres Gut zu wollen. Dagegen soll das eigene Kind mit mehr Glut und Intensität geliebt werden, weil die Eltern dem Kind tiefer verbunden sind als etwas von ihnen selbst, als ihren eigenen Eltern; zweitens weil das eigene Kind sofort geliebt wird, die eigenen Eltern aber erst, wenn man selbst in einem fortgeschrittenem Alter ist86 – und je länger eine Liebe dauere, umso stärker sei sie.87 Der Vater als der Wirkende bei der Zeugung ist mehr zu lieben als die Mutter, die empfangend an der Zeugung beteiligt ist. Die Eltern wiederum sind vom Gegenstand her mehr zu lieben als die Ehefrau, diese aber mehr von der Intensität der Liebe, weil die Verbindung, die hauptsächlich auf leiblicher Verbundenheit beruht, stärker ist. Ein Vergleich von Ehefrau und Kind fehlt. Wie sich Verbindung aufgrund von Verwandtschaft und aufgrund freigewählter Freundschaft zueinander verhalten, behandelt Thomas sehr differenziert: Verwandtschaft bindet früher und unwandelbar, daher fester, sie gründet auf naturgegebene Verbundenheit. Wo es sich um elementare Für85 Uneingeschränkt kann daher Dörnemann zugestimmt werden, wenn er schreibt: „Mit der Unterscheidung von Art und Intensität der Nächstenliebe gelingt es Thomas, das Eigenrecht der leidenschaftlichen Liebe [...] gegenüber der ‚objektiven’ ausschließlich an der Güte eines Menschen orientierten Nächstenliebe ebenfalls aus seinem Verständnis der ‚caritas’ (als einer Freundschaft des Menschen mit Gott) zu entwickeln“, Dörnemann, Freundschaft, 125, Hervorhebungen im Original. 86 Thomas nennt noch weitere Gründe, die zusammen mit den Begründungen (nicht den Thesen!) in den anderen Artikeln zu STh II–II 26 interessante Einblicke in Beziehungsbilder und emotionale Erfahrungsparadigmen des Hochmittelalters liefern. 87 Nach Thomas würde es also für die Liebesintensität im Vergleich von Kind und Eltern darauf ankommen, in welchem Alter man Kinder zeugen würde; außerdem würde das heißen, dass das älteste Kind immer am meisten geliebt würde und das jüngste am wenigsten.

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sorge handelt, bindet Verwandtschaft daher mehr als freigewählte Freundschaft. Freundschaft mit Gefährten kann, da freigewählt, vorzüglicher und edler sein und mehr Übereinstimmung beinhalten. Für gemeinsames Handeln genießt daher freigewählte Freundschaft den Vorrang.88 Thomas schließt die Hierarchisierung ab mit der Verhältnisbestimmung, ob ein Wohltäter den Empfänger seiner Wohltaten mehr liebt als allgemein ein Empfänger von Wohltaten seinen Wohltäter. Auch hier bringt Thomas die bisherige Unterscheidung in Anschlag. Vom Gegenstand her also hat der Mensch seinen Wohltäter mehr zu lieben, von der Verbindung her liebt der Wohltäter mehr den Empfänger. Eschatologisch aber liebt der Mensch – bis auf eine Ausnahme – ausschließlich gemäß der Nähe der Wesen zu Gott. In Bezug auf sich selbst kontinuiert sich die Differenz von Gegenstand und Intensität; dem Gegenstand nach liebt der Mensch zwar einen besseren Menschen mehr als sich selbst, aber der Intensität nach liebt der Mensch sich selbst mehr als alle anderen Menschen. Diese Unterscheidungen und Hierarchisierungen, die Thomas vornimmt, führen vor, wie Thomas durch die caritas alle menschlichen Akte geordnet und ausgerichtet sieht und deshalb alles Lieben des Menschen durch die caritas geordnet, umfasst und integriert wird. Für den begnadeten Menschen gibt es keine Liebe oder Zuneigung, die nicht von der caritas ausgerichtet, geprägt und integriert ist. In der caritas selbst finden eheliche, elterliche, kindliche Liebe und alle möglichen Formen von sozialer Verbundenheit (z.B. Kameradschaft im Kriege) ihren je eigenen Ort Die Gnade hebt also deren Funktion und Bedeutung nicht auf, sondern ordnet sie. „Da aber jenes Gut, worin jede beliebige andere echte Freundschaft gründet, zielhaft ausgerichtet ist auf das Gut, in welchem die Gottesliebe gründet, folgt, daß die Gottesliebe den Akt jeder anderen Freundschaft befehlend beherrscht“89. Auch in dieser Hinsicht wirkt sich Thomas Prämisse aus, dass die Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern vervollkommnet. Dies hat jedoch Folgen für Thomas Freundschaftsbegriff. Er weitet den Begriff aus auf alle Formen personaler Verbundenheit, so spricht er von der Freundschaft zu den Eltern,90 Freundschaft zu Blutsverwandten,91 nennt Freundschaft mit den Mitbürgern und mit Kriegskameraden.92 Nur neben-

88

Vgl. STh II–II 26,8 c.a.; ad 1. STh II–II 26,7 c.a.: „Cum atuem bonum super quod fundatur quaelibet alia amicitia honesta ordinetur sicut ad finem ad bonum super quod fundatur caritas, consequens est ut caritas imperet actui cujuslibet alterius amicitiae“. 90 So STh II–II 26,12 ad 3. 91 So STh II–II 26,8 c.a. 92 STh II–II 26,8 c.a. 89

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Liebe

bei93 wendet er sich auch der Freundschaft mit Gefährten zu, also dem, was wir im engeren Sinne unter Freundschaft verstehen. Das Spezifische von Freundschaft in diesem engeren Sinne wird dadurch relativiert. Die Leistung der Ausweitung besteht aber darin, alle personalen Beziehungen von ihrer Gemeinsamkeit her zu verstehen, so einen einheitlich-integrativen Begriff personaler Beziehungen zu entwickeln und damit einen einheitlichen Maßstab, der auf die Personalität dieser Beziehungen abzielt, unabhängig davon, wie diese Beziehungen zustande gekommen und begründet sind. Dieser Maßstab enthält das, was nach Thomas Freundschaft konstituiert: gegenseitiges Wohl-Wollen gründend auf und sich vollziehend in einer Gemeinsamkeit. Aufgrund dieses Maßstabes kann Thomas dann auch verwandtschaftliche Beziehungen für gelöst erklären, wenn diese dem Maßstab nicht genügen: „Bei diesem Vergleich ist immer das, was gesagt wird, streng an sich zu verstehen, nämlich: Es wird gefragt nach dem Vater, sofern er Vater ist, ob er mehr zu lieben sei als die Mutter, sofern sie Mutter ist. Denn es kann in all diesen Verhältnissen ein solcher Abstand bestehen hinsichtlich Tugend und Bosheit, daß jede Freundschaft aufgehoben ist oder zum wenigsten gemindert wird.“94 Wie verhalten sich diese Freundschaften nun zur Freundschaft mit Gott selbst? Besteht die Vollendung der caritas darin, alle anderen Menschen nur noch aufgrund der Liebe zu Gott zu lieben? Nein, denn caritas ersetzt die „natürliche“ Freundschaft nicht, wohl aber beansprucht Thomas für die caritas, dass sie Grenze und Maßstab jeder Freundschaft sei. Grundsätzlich affirmiert die Liebe der caritas die verschiedene Ausprägung von Nähe, Intensität und Affektbeteiligung des natürlichen Liebens. Tatsächlich gelebte Nähe ist auch für die Liebe der caritas der wesentliche Maßstab – nur nicht mehr der einzige. Thomas bemisst also soziale Beziehungen (als Begegnungsbeziehungen) an zwei Maßstäben. Sie haben dem Begriff von Freundschaft zu genügen und darin von der caritas geordnet, ausgerichtet zu sein, welche auch die Kriterien für den Umgang liefert, wenn das Gegenüber den Maßstab von Freundschaft unterläuft. Zusammengefasst: Thomas geht betreffs der caritas davon aus, dass die Freunde auch deshalb geliebt werden, weil sie Freunde sind, aufgrund der tatsächlichen Nähe zu ihnen, aber auch um der Liebe zu Gott willen, worin die Verdienstlichkeit der Freundesliebe begründet liegt.95 Werden die 93

So in STh II–II 26,8 c.a.; ad 1. STh II–II 26,10 c.a.: „Quod in istis comparationibus id quod dicitur est intelligendum per se; ut videlicet intelligatur esse quaesitum de patre inquantum est pater, an plus diligendus matre inquantum est mater. Potest enim in omnibus hujusmodi tanta esse distantia virtutis et malitiae ut amicitia solvatur vel minuatur“. 95 So STh II–II 27,7 ad 1. 94

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Freunde nur deshalb und insofern geliebt, als sie Freunde sind, dann mangelt es dieser Liebe an dem, was die caritas ausmacht.96 Bestimmte Menschen liebt der Mensch laut Thomas dann ausschließlich um Gottes willen, da mit ihnen keine Freundschaft im engeren Sinn möglich sei, mit den Sündern und mit Feinden. Sündigen Freunden dagegen soll der Mensch die Wohltaten der Freundschaft nicht entziehen, solange noch Hoffnung auf Besserung besteht.97

5.5 Die Wirkung der caritas Die Wirkung der caritas Zuerst sei das Verhältnis der Liebe zu den anderen Tugenden und die Wirkung der Liebe auf sie dargestellt. Daran schließt sich die Nachzeichnung der thomasischen Argumentation zu den akthaften Wirkungen der Liebe an. Die caritas ist die erhabenste aller Tugenden. Gegenüber den sittlichen und verstandhaften Tugenden zeichnet sich die caritas dadurch aus, dass sie Gott selbst entspricht, während jene an der menschlichen Vernunft ihr Maß nehmen. Was Glaube und Hoffnung betrifft, so richten sich diese auf Gott, weil ihnen etwas von Gott her zukommt (die Erkenntnis des Wahren und die Erlangung des Guten), während die Liebe sich auf Gott selbst um seiner selbst willen bezieht und so am meisten an ihn heranreicht. Wie passt aber diese Aussage dazu, dass laut Thomas das Erkenntnisvermögen höher als der Wille des Menschen sei, woraus doch folgen müsste, dass der Glaube erhabener als die Liebe sei? Die Erhabenheit bemisst sich nach der Seinsweise des Gegenstandes. Bezogen auf Gott, muss also gesagt werden: Gott in ihm selbst, wie ihn die Liebe als Willensbewegung erstrebt ist erhabener als der menschliche Verstand, in dem er erkannt wird durch den Glauben. Als die erhabenste Tugend hat die caritas eine konstitutive Funktion für die Tugendhaftigkeit aller anderen Tugenden. Die Liebe erstreckt sich nämlich auf alle anderen Akte (aller anderen Tugenden), insofern sie das letzte Ziel des Menschen zum Gegenstand hat, das in allen menschlichen Akten mit angestrebt wird. Die caritas ist insofern formalanthropologisch beschrieben die Tugend der Ausrichtung auf das (wahre) letzte Ziel. Weil nur Tugenden, welche die Handlungen des Menschen auf das (wahre) letzte Ziel ausrichten, Tugenden im vollen Sinne sind, konstituiert die caritas die Tugendhaftigkeit aller anderen Tugenden. Thomas nennt daher die caritas in verschiedenen Bilder auch Mutter, Wurzel, Fundament der anderen eingegossenen Tugenden. Diese anderen Tugenden, die ihre (wahre) Tugendhaftigkeit der caritas verdanken, können auch nur als von Gott eingegossene 96 97

Dazu STh II–II 27,8 ad 2. Siehe STh II–II 25,6 ad 2.

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Liebe

im Menschen existieren,98 weil die übernatürliche Zielausrichtung in jeder Hinsicht nur von Gott bewirkt werden kann.99 Mit der caritas werden dem Menschen alle sittlichen Tugenden mit eingegossen. Durch die Gnade geschieht also nicht nur eine Neuorientierung des sittlichen Lebens des Menschen, sondern eine volle und vollständige Neuschöpfung seiner Handlungsmöglichkeiten. Aber nicht nur die Konstitution dieser Tugenden, sondern jeder einzelne Aktvollzug ist von Gott gewirkt. Die caritas und ebenso alle durch die caritas vermittelten eingegossenen Tugenden gelangen zu ihrem je eigenen Akt nur durch das jeweils gegenwärtige Wirken des Hl. Geistes mittels der Gaben des Geistes. Das bedeutet dann für den Begriff der eingegossenen Tugenden,100 dass dieser mit dem Begriff der erworbenen Tugenden nur noch darin übereinstimmt, eine Differenz zwischen Akten und dem Vermögen, dem sie qua einer eigenen und dauerhaften Prägung entspringen, festzuhalten. Mit dem Begriff der eingegossenen Tugenden sagt Thomas keine Selbstmächtigkeit aus, sondern gerade im Gegenteil, dass das Prinzip der Aktivität der Hl. Geist (vermittels der Gaben des Geistes) ist, jedoch so, dass dadurch der Mensch selbst auch Urheber seiner Akte ist. In den Akten der eingegossenen Tugend wirken nicht Mensch und Hl. Geist zusammen, sondern der Hl. Geist als alleiniges Wirkprinzip wirkt so, dass der Mensch zugleich den gewirkten Akt selbst setzt; am Menschen kann und will Gott nur so wirken, dass dessen Menschsein, will heißen dessen Sein als eines vernunftbegabten Geschöpfes, nicht verneint, sondern affirmiert wird. Bisher zeigte sich die caritas als die neue Letztzielausrichtung des Menschen, die sich allen anderen Akten des Menschen mitteilt. Ihren eigentlichen Wesensbegriff erreicht die caritas aber erst dann, wenn die neue Letztzielausrichtung als personale Beziehung zum lebendigen Gott verstanden ist. Dass die konstituierende Tugend, so sehr sie Form ist, als Freundschaft mit Gott, also als Lebensgemeinschaft sich vollzieht, bedeutet, dass alle 98

Vgl. STh I–II 65,2 c.a. In STh I–II 65,3 ad 1 begründet Thomas, dass nicht nur die Liebe als die Zielausrichtung des Menschen eingegossen sein muss, sondern dass auch die Vermögen, die durch die Liebe ausgerichtet werden, vervollkommnet werden müssen, damit deren Ausrichtung vollkommen sein kann. 100 Dazu Wadell, Friends of God, dessen Argumentation auf die Differenz von thomasischem und aristotelischem Tugendverständnis zielt: „Aquinas thinks differently about virtue. For him, virtue does not imply self-mastery; nor does it imply self-sufficiency“ (121). „The strategy of virtues formed in charity is not to increase self-determination, but to provide the openness and freedom God needs to enter our life and re-make us from within.“ (122) „The connection Thomas makes between charity and the Gifts suggests that our most perfect activity ist receptivity to the Trinity of Friendship, the Spirit of Love“ (122). Wadell entfaltet eine sehr schöne Theologie der Gaben des Hl. Geistes, in denen er eine Überschreitung der eingegossenen Tugenden sieht, hin zu einer vollkommenen Hingabe des Menschen als vollkommene Empfänglichkeit. Leider hat diese ansprechende Deutung keinen Anhalt am thomasischen Text, welcher im Gegenteil die konstitutive Funktion der Gaben für das Akthaftwerden der eingegegossenen Tugenden herausstellt. 99

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anderen Tugenden im eigentlichen Sinne Tugenden der Freundschaft sind und in allen menschlichen Akten die Freundschaft mit Gott vollzogen wird.101 Das summum bonum wird in der auf dem Glauben gründenden Liebe als personhaftes Gegenüber erstrebt, das selbst am Menschen handelt und zwar trinitarisch vermittelt in der Geschichte der Menschen. Die Freundschaftsliebe Gottes zeigt Jesus Christus in seinem Leben und Sterben, was durch den Hl. Geist mittels der Offenbarung, wie sie die Bibel enthält, allen Menschen zugänglich wird. Die konkreten Wirkungen der Freundschaft im Menschen sind nach Thomas drei Affekte:102 das sind Freude, Friede und Mitleid. Diesen drei inneren Wirkungen stellt er das Wohltun, das Almosengeben und die brüderliche Zurechtweisung als äußere Wirkungen gegenüber. Konrad Stock unterscheidet bei Liebe zwischen dem Affekt und den daraus entspringenden Handlungen.103 Diese Unterscheidung trifft genau zu auf die Wirkungen der Liebe bei Thomas, nicht aber auf Tugend und Akt der caritas selbst. Freude entsteht in der Freundschaft aus der Anwesenheit des geliebten Freundes sowie daraus, dass es dem geliebten Freunde gut ergeht. Gott ist durch die caritas dem Freunde gegenwärtig, woraus ebenso Freude hervorgeht wie aus dem, dass Gott sein Gut unwandelbar innehat. Wird dieses Gut nur insofern betrachtet, als dieses Gott zukommt, ist die Freude eine reine und enthält keinerlei Traurigkeit; Traurigkeit kann aber der Freude beigemischt sein, insofern das Gut Gottes betrachtet wird als eines, an dem der Mensch teilhat, wobei die Traurigkeit entsteht wegen Hindernissen, die der Teilhabe entgegensetzt sind. Die Freude des Menschen wird erst in der ewigen Seligkeit vollkommen sein, weil erst dann die Sehnsucht des Menschen (über-)erfüllt ist, was die Voraussetzung von Freude bildet. Im irdischen Leben ist der Mensch immer auch noch von Sehnsucht bewegt, weil er Gott immer noch näher kommen kann. Im irdischen Leben kann es also keine vollkommene Freude geben. Thomas bestimmt die Freude als einen zur Tugend der caritas zugehörigen Akt. Aus einem einzigen Habitus können mehrere Akte derselben Art in einer Ordnung des früher und später ausgehen; so bei der caritas die dilectio, die Sehnsucht und die Freude. Thomas setzt hier Akt und Wirkung (effectus) gleich. Die zweite Wirkung der caritas ist der Friede; Friede besteht in zweierlei. Zunächst in der Eintracht, welche Einigkeit im Streben zwischen ver101 Das drückt Wadell, Friends of God, 106, mit wunderbarem Pathos aus: „every act proceeds from the will to deepen the agent’s participation in his lovelife with God.“ Damit erinnert Wadell indirekt daran, dass in der caritas nicht nur Gott, sondern auch die caritas selbst geliebt und damit intendiert wird. 102 Dass Thomas den Zusammenhang zwischen caritas und ihren Wirkungen strikt als UrsacheWirkungs-Zusammenhang versteht, betont er nachdrücklich in STh II–II 44,3 ad 2. 103 Stock, Gottes Liebe, 271.

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schiedenen Menschen besagt. Darüber hinaus aber bedeutet Frieden die Einigung und Einheit der Strebekräfte innerhalb eines Menschen und zwar so, dass sowohl sinnliches Strebevermögen und der Wille übereinstimmen, als auch diese beiden jeweils für sich keine Güter streben, die einander gegenseitig ausschließen. Für Thomas streben alle Menschen, ja alle Lebewesen nach Frieden. Echten Frieden kann es aber nur geben, wenn das übereinstimmend angestrebte Gut ein wirkliches bonum darstellt. Die caritas richtet das Streben des Menschen auf Gott als einziges Gut aus, auf das alles andere zu beziehen ist; zweitens aber bewirkt sie, dass der Nächste wie das eigene Selbst geliebt wird, weshalb dessen Wille wie der eigene Wille betrachtet und zu erfüllen gesucht wird. Diesem Frieden, wie er irdisch möglich ist, widerstreitet es nicht, wenn die Freunde nicht in ihren Meinungen übereinstimmen. Mitleid stellt die dritte Wirkung der dilectio dar. Sie geschieht, indem „einer ein erbarmendes Herz hat gegenüber dem Elend des anderen“.104 Das Elend sieht Thomas verknüpft mit einer sich daraus ergebenden Schwäche des von diesem Unglück Betroffenen. Daran anschließend erörtert Thomas, ob Mitleid sich einer Schwäche im Mitleidenden verdankt. Mitleid empfindet der Mensch in zweifacher Weise. Bei der einen Weise schmerzt einen Mensch das Leid eines Freundes wie sein eigenes aufgrund der durch die Liebe geschaffenen Einheit zwischen beiden. Aufgrund einer äußeren Verbundenheit stellt sich Mitleid auf eine andere Art ein, nämlich so dass man beim Leid eines nahen Menschen fürchtet, Selbiges könnte einem auch zustoßen. Man hat also de facto Mitleid mit sich als einem, dem ein solches Leid zustoßen könnte. Dazu neigen viel mehr die älteren, schwachen und furchtsamen Menschen als die starken. Daher sei eine Schwäche/ein Mangel (defectus) in beiden Fällen Wesensgrund des Mitleides beim Mitleidenden, weil die Schwäche eines anderen als eine eigene betrachtet wird. Der Gedanke der Schwäche erscheint hier weder als Problem nachvollziehbar motiviert noch in der Argumentation schlüssig. Lediglich der zweite Aspekt vermag einzuleuchten: Die Menschen, die aufgrund ihrer Lage äußeres Leid und Unglück besonders fürchten, empfinden auch stärkeres Mitleid mit anderen; es sei denn, sie sind durch ihre eigene Furcht so auf sich konzentriert, dass sie andere nicht mehr wirklich wahrnehmen. Zum Mitleid gehört also erstens die Wahrnehmung von fremden Leid bzw. die Aufmerksamkeit auf dieses, zweitens die Fähigkeit, diese Wahrnehmung auf sich selbst zu beziehen, entweder indem das Ergehen des anderen so auf das eigene bezogen wird, dass der Schmerz des anderen zum eigenen wird, oder indem das Leid des anderen als zukünftig mögliches eigenes verstanden wird. Insoweit Mitleid eine Regung des Willens, und nicht nur des sinnlichen Strebever104

STh II–II 30,1 c.a.: „quod aliquis habet ‚miserum cor’ super miseria alterius“.

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mögens bezeichnet, gehört Mitleid zu den Tugenden und ist – anders als Freude und Frieden – eine eigene Tugend, die sich auf den Nächsten in einer bestimmten Hinsicht richtet, nämlich insofern dieser Schmerz erleidet. Die Tugend des Mitleids gehört zu den sittlichen Tugenden, die ja die Leidenschaften vernunftgemäß ordnen. In gewissem Sinne hält Thomas nun das Mitleid für die höchste Tugend: Wenn man nämlich die Tugend an sich betrachtet, kommt es gerade den „Höherstehenden“ zu, den anderen sich zuzuwenden und ihnen in ihrer Schwäche zu helfen. Also sei diese Tugend der größte Ausdruck von Gutsein und Macht; Gottes Allmacht zeige sich auch am besten in seinem Erbarmen. In Bezug auf das Subjekt der Tugend sei aber die caritas die größere, denn sich einem Höheren zu verbinden – die caritas verbindet mit Gott – sei besser als dem Mangel von Unterlegeneren zu helfen. Als zwischenmenschliche Tugend fungiert das Mitleid aber auf jeden Fall als höchste. Das Wohltun behandelt Thomas als äußere Wirkung der caritas. Wohltun bedeutet, einem anderen Gutes zu tun. Weil aber Wohlwollen zur Tugend der caritas gehört, aus dem Wohlwollen das Wohltun folgt, wo das möglich ist, gehört das Wohltun nicht zu einer eigenen Tugend, sondern stellt einen Akt der caritas dar. Das Wohltun ebenso wie die caritas muss sich prinzipiell auf alle erstrecken, was die Bereitschaft bedeutet, jedem Einzelnen wohlzutun, wenn und wo und wann das erforderlich ist. Dabei gilt aber die Regel, dass denjenigen, die dem Menschen enger verbunden sind, auch mehr Wohltaten zu erweisen sind. Diese Regel differenziert Thomas dahingehend, dass die Wohltaten gemäß dem Bereich, durch den der Mensch mit einem anderen verbunden ist, zu leisten sind und daher die Prioritäten je nach Bereich und Situation sich neu bestimmen. Thomas diskutiert dann zwar noch kollidierende Pflichten bezüglich zu leistender Wohltaten, aber konstatiert eine Grenze von allgemeiner Regelbarkeit. Almosengeben gehört ebenfalls zu den äußeren Akten der caritas, ist aber vermittelt durch die Tugend des Mitleids, die ja selbst der caritas entspringt. Almosengeben findet sich zwar als äußerer Akt auch ohne dass jemand die caritas hat; aber nur aufgrund und mit der caritas vollzieht sich das Almosengeben in wahrhaft tugendhafter Art und Weise: freudig und um Gottes willen. Die Almosen lassen sich einteilen in solche, die den leiblichen und solche, die den geistigen Mängeln der Nächsten helfen: also die Hungrigen speisen, den Durstigen zu trinken geben, den Nackten bekleiden, den Gast beherbergen, den Kranken besuchen, den Gefangenen freikaufen und den Toten begraben, während bei den geistigen Almosen Thomas aufzählt: den Unwissenden zu belehren, den Zweifelnden zu beraten, den Trauernden zu trösten, den Sünder zurechtzuweisen, dem Beleidiger zu verzeihen, die Lästigen zu ertragen und für alle zu beten. Alle anderen Mängel bzw. alle

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Liebe

anderen nötigen Hilfeleistungen hält Thomas für rückführbar auf die genannten. Thomas hat als Bettelmönch von empfangenen Almosen gelebt; sein Lebensberuf bestand darin, geistige Almosen in Form von Lehre zu geben. Wie verhalten sich geistige und leibliche Almosen zueinander? Hat er also mehr Almosen gegeben als empfangen? Im Allgemeinen gelten die geistigen Almosen als wichtiger und besser. Das begründet Thomas damit, dass die Gabe, nämlich das Geistige höherwertig sein als das Leibliche, zweitens, dass das geistige Almosen dem Höherwertigen helfe, nämlich der Seele (und nicht dem Leib), drittens, dass die geistigen Akte höherwertig sind als die leiblichen. Jedoch ist in Notlagen das leibliche Almosen wichtiger und dringlicher und dann dem geistigen vorzuziehen. Der Mensch soll Almosen nur von dem geben, was er im Überfluss hat. Nur dem soll gegeben werden, der wirklich ein Almosen nötig hat. Auch hier folgen genaue Überlegungen zur Proportionalität und Priorität beim Almosengeben. Ein häufig von Thomas genannter Nebenaspekt, den er als selbstverständlich vorausgesetzt nicht eigens begründet, besteht darin, dass der Almosengeber durch das Gebet des Almosenempfängers für ihn bei Gott Verzeihung erlangt.105 Der Almosengeber darf nach Thomas das sogar intendieren, aber nicht mit und aufgrund des Almosens als einer Gabe, sondern durch den darin ausgedrückten Liebesakt, der als solcher (!) verdienstlich ist. Almosengeben ohne Liebe zu Gott und daher zum Nächsten ist in keiner Weise verdienstlich! Die brüderliche Zurechtweisung richtet sich auf die Sünde eines Mitmenschen, mit der sich dieser selbst in Bezug auf sein Heil schadet. Weil die Beseitigung eines Übel bedeutet, ihm Gutes zu wollen, gehört also die brüderliche Zurechtweisung zur Nächstenliebe und daher zur caritas. Richtet sich aber die Ermahnung darauf, dass die Sünde den anderen Menschen und dem Allgemeinwohl schadet, gehört sie zur Tugend der Gerechtigkeit. Die Ermahnung soll sich am Ziel der Besserung des sündigenden Menschen orientieren, was das ob, die Gelegenheit und die Form betrifft. Wenn also z.B. zu erwarten ist, dass aufgrund der Ermahnung der Ermahnte sich noch intensiver seinem sündigen Tun widmet, ist die Ermahnung zu unterlassen.

105

Vgl. STh I–II 114,6 ad 3; STh II–II 32,4 c.a.

Freundschaft als Bestandteil der Gerechtigkeit

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5.6 Freundschaft als Bestandteil der Gerechtigkeit106 Freundschaft als Bestandteil der Gerechtigkeit Eine bestimmte Tugend, zugehörig zur Kardinaltugend der Gerechtigkeit, bezeichnet Thomas als Freundschaft, aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit mit Freundschaft im eigentlichen Sinne. Da der Mensch auf andere Menschen hingeordnet ist, indem er mit ihnen Umgang pflegt in Worten und Taten, so gehört dazu auch eine Tugend, die diesen Umgang ordnet. Den Vergleichspunkt mit der Freundschaft im eigentlichen Sinne sieht Thomas darin, dass man sich angemessen gegenüber denen verhält, mit denen man kommuniziert. Zudem ist der Mensch einem anderen Mensch von Natur aus ein Freund aufgrund einer allgemeinen Menschenliebe. Mit der Tugend der Gerechtigkeit verbindet die Freundschaft, dass sie das Verhalten zu einem anderen regelt. Während aber die Gerechtigkeit das zum Inhalt hat, was jemand einem anderen Menschen im strengen Sinne schuldet, bezieht sich die Freundschaft hauptsächlich auf das, was der Tugendhafte der eigenen Ehre/Tugend schuldet. Wohl aber kann man in einem relativierten Sinne auch von einer Verpflichtung den anderen gegenüber sprechen. Der Mensch als soziales Lebewesen kann dauerhaft nicht mit anderen zusammenleben ohne Auferbauung oder Erheiterung. So schuldet es der Mensch den anderen Menschen, dass er das Zusammenleben bzw. den Umgang mit ihnen erfreulich gestaltet.

5.7 Die Gabe der Weisheit Die Gabe der Weisheit Weisheit ist die Fähigkeit, richtig zu urteilen und zu ordnen, nämlich die höchste Ursache zu betrachten und zu erkennen und von ihr aus alles andere mit Sicherheit beurteilen zu können. Die höchste Ursache kann entweder Ursache für einen bestimmten Bereich sein oder kann die höchste Ursache schlechthin sein, das ist Gott; je nachdem bestimmt sich, ob jemand für einen bestimmten Bereich weise ist oder schlechthin. Der schlechthin Weise erkennt also Gott und kann alles nach den göttlichen Regeln107 beurteilen und ordnen. Eine solche Urteilsfähigkeit verleiht der Hl. Geist. Richtige Urteile (bezogen auf die gleichen Sachverhalte) entstehen nach Thomas von Aquin auf zwei verschiedene Weise: entweder durch entsprechend vollkommenen Gebrauch der menschlichen Vernunft, oder aufgrund einer Wesenverwandtschaft (connaturalitas) mit der Ursache, der die Beurteilungskriterien für das zu Beurteilende entnommen werden. Die Weisheit

106 107

Dazu STh II–II 114,1–2. Nach Horst, Gaben, 130, meint Thomas damit die Glaubensartikel.

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als Gabe des Hl. Geistes beruht auf einer Wesensverwandtschaft108 mit Gott, die bei den begnadeten Menschen durch die mit Gott einende Liebe der caritas konstituiert wird. Der Weisheit schreibt Thomas so ihre Ursache im Willen zu, ihr Wesen aber sieht er im Verstandesvollzug des Urteilens. „Die Weisheit vollendet den Verstand, der dem Willen vorausgeht“109 – so formuliert Thomas in der Quaestio über die Rechtfertigung des Sünders angesichts der Frage, wie denn die Weisheit im Schlaf, also ohne einen beteiligten Akt des menschlichen liberum arbitrium, gegeben werden könne, nicht aber die rechtfertigende Gnade, die bei dazu fähigen Menschen sehr wohl einen Akt des liberum arbitrium impliziert. Unter der Voraussetzung, dass die Weisheit (als Gabe des Hl. Geistes) auf einer durch die Gnade verliehenen Wesensverwandtschaft mit Gott, einer Verwandlung des menschlichen Willens beruht, muss Thomas hier annehmen, dass der Wille des Menschen verwandelt wird, ohne dass ein Willensakt gesetzt wird, der nämlich einen Verstandesakt voraussetzen würde. Der durch die Gnade verwandelte Wille wirkt auf den Verstand, ohne dass damit ein Willensakt gesetzt wäre. Das geschieht im Glaubensakt als einem Akt des Verstandes. Die Gabe der Weisheit ist somit konstitutiv einerseits für den inneren Glaubensakt und andererseits für alle Akte der Liebe, welche sich ja alle auf den Glauben stützen, weil nur geliebt werden kann, was erkannt ist und zu Akten der Liebe das rechte Urteil gehört. Die Weisheit vermittelt so – indem der Geist durch sie wirkt – zwischen dem Glauben und den Werken des Glaubens, die durch die Weisheit freigesetzt werden. Diese zweite Funktion der Weisheit setzt Thomas nun folgendermaßen ins Verhältnis zum Glauben selbst: Der Glaube stimmt der göttlichen Wahrheit an sich zu. Über Wirkliches zu urteilen aufgrund und gemäß der göttlichen Wahrheit aber ist Inbegriff der Weisheit. Daher setzt die Gabe der Weisheit in dieser Hinsicht den Glauben voraus.110 Die Gaben des Glaubens, nämlich Einsicht und Wissenschaft bringt Thomas mit der Gabe der Weisheit ins Verhältnis, indem er dem Verstand (intellectus) zwei Funktionen zuschreibt, nämlich verstehen und urteilen. Auf das Verstehen bezieht sich die Gabe der Einsicht, auf das Urteilen gemäß göttlicher Gesichtspunkte die Weisheit,111 gemäß menschlicher Gesichtspunkte aber die Wissenschaft.112 Die Weisheit betrachtet dabei einerseits das Göttliche in sich selbst, andererseits beurteilt sie davon ausgehend die menschlichen Handlungen nach göttlichen Gesichtspunkten mit dem Ziel, diese zu lenken und zu ordnen. Insofern ist die 108 Diese Wesensverwandtschaft umschreibt Thomas mit „connaturalitas“, mit „compassio“ und mit „unio“. 109 STh I–II 113,3 ad 2: „Sed sapientia perficit intellectum, qui praecedit voluntatem“. 110 So STh II–II 45,1 ad 2. 111 Im Unterschied dazu heißt es in STh I 1,6 ad 3, dass die Weisheit über göttliche Dinge urteilt. 112 So STh II–II 45,2 ad 3.

Die Gabe der Weisheit

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Weisheit der theoretischen und der praktischen Funktion der Vernunft zugeordnet, und übertrifft so die Weisheit als erworbene Verstandesfähigkeit, die sich nur auf die theoretische Funktion bezieht.113 Also sieht Thomas „die Weisheit aus einem dynamischen Aufeinanderbezogensein von Glaube und Liebe hervorgehen, das bis in die Struktur des seelischen Vermögen hinabreicht; die Liebe fließt vom Willen in den Intellekt über und verhilft der ‚fides‘ zum konnaturalen Sehen und Urteilen auch im ethischen Bereich.“114 Wegen der durch die Gabe der Weisheit bezeichneten Konnaturalitas als einer Teilhabe am Bildsein Christi ist damit auch die Gottessohnschaft der Glaubenden ausgesagt. An dieser Stelle expliziert Thomas die bei ihm schon trinitätstheologisch erörterte Vermittlungsstruktur der Gnade115 als geschaffener Präsenz des Hl. Geistes für die Christusbezogenheit von Glaube und Liebe: „Ebenso heißt auch der Heilige Geist ‚Geist der Sohnschaft‘, insofern uns durch Ihn die Ähnlichkeit mit dem natürlichen Sohn, der die gezeugte Weisheit ist, geschenkt wird.“116 Die Gabe der Weisheit schenkt der Geist als Anteilhabe an der ewigen Weisheit, die Christus ist. Das heilsnotwendige Maß an Weisheit als Gabe Gottes findet sich in jedem, in dem die heiligmachende Gnade wirkt,117 so wie mit der caritas dem Menschen alle Gaben des Hl. Geistes mit eingegossen werden und in der caritas miteinander verbunden sind. Ein höheres oder besonderes Maß an Weisheit aber empfangen nur manche Menschen als eine der Gnadengaben. Solche Menschen können höhere Geheimnisse erkennen und die menschlichen Angelegenheiten besser ordnen. Diese Gnadengabe dient aber dazu, dadurch anderen zu helfen und ihnen davon mitzuteilen. Torheit bezeichnet die der Weisheit entgegengesetzte Sünde, welche in Gefühllosigkeit des Herzens und Stumpfheit der Urteilsfähigkeit besteht. Den Charakter der Sünde gewinnt die Torheit aber nur dann, wenn sie darauf zurückzuführen ist, dass der Mensch sich so in die Beschäftigung mit 113

Horst, Gaben, 137f, macht darauf aufmerksam, dass Thomas die Theologie auch als Weisheit bestimmt: diese Weisheit ist aber als durch Studium erworbenes Urteilsvermögen von der Gabe der Weisheit, die dem glaubenden Theologen als Glaubendem eignet, verschieden, so STh I 1,6 ad 3. 114 Schockenhoff, Bonum hominis, 401, Hervorhebung im Original. Weder Schockenhoff noch Wadell, Friends of God, 123–136, erkennen trotz ihrer Betonung der Wichtigkeit der Gaben des Hl. Geistes, insbesondere der Weisheit, deren konstitutive Funktion für das Zustandekommen der Akte von Glaube und Liebe. 115 Von Thomas dort als Verhältnis zwischen der unsichtbaren Sendung des Geistes und der unsichtbaren Sendung des Sohnes mittels der Gnade sowie als Einwohnung der ganzen Trinität mittels der Einwohnung des Geistes in der menschlichen Seele dargestellt. 116 STh II–II 45,6 ad 1: „Similiter etiam Spiritus Sanctus intantum dicitur Spiritus adoptionis inquantum per eum datur nobis similitudo Filii naturalis, qui est genita sapientia.“ 117 So eignet auch kleinen getauften Kindern als auch getauften mental behinderten Menschen die Gabe der Weisheit, nur können sie sie nicht vollziehen aufgrund der leiblichen Einschränkungen, die den Gebrauch der Vernunft (noch) behindern, so STh II–II 45,6 ad 3.

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den irdischen Dingen verstrickt, dass er unfähig wird, das Göttliche zu vernehmen. Diese Verstrickung geschieht am ehesten durch Unzucht, die durch Lust den Sinn am meisten an das Irdische bindet. Die Gabe der Weisheit erfüllt also drei Funktionen im Gnadengeschehen: – Das Gabe der Weisheit ist das vermittelnde Prinzip, mit welchem der Hl. Geist den Menschen von der Tugend des Glaubens und von der Tugend der Liebe zum beformten (!) Glaubensakt bewegt. – Den Glaubensakt und die Tugend der Liebe vorausgesetzt, ist die Weisheit das Prinzip, wodurch der Hl. Geist den Glaubenden zu Werken entsprechend dem Glauben bewegt. – Die Gabe der Weisheit drückt einen zentralen Aspekt der Gnade aus, die durch die Gnade verliehene Konnaturalitas der Seele mit Gott, genauer die durch den Hl. Geist vermittelte Anteilhabe am Bildsein Jesu Christi, wodurch die Glaubenden an der Gottessohnschaft Jesu Christi Anteil gewinnen.

5.8 Liebesgebote und Sünden gegen die Liebe Liebesgebote und Sünden gegen die Liebe „Das Ziel des geistlichen Lebens aber ist, daß der Mensch Gott geeint werde, was durch die Liebe geschieht.“118 Damit beginnt Thomas seine Ausführungen zu den Geboten der caritas.119 Zum Gebotenen gehört das Ziel selbst, vor allem aber die Mittel zum Ziel. Weil aber das eigentliche das Ziel ist, bezeichnet nach Thomas die biblische Tradition das Gebot der Gottesliebe mit Recht als das größte Gebot. Der Mensch folgt dem Liebesgebot aus der caritas heraus, nicht aber, weil es geboten ist. So hebt das Gebot für Thomas die Freiheit nicht auf, zu der der Mensch durch die Gnade im Hl. Geist befreit ist. Warum, fragt Thomas, wurde aber dem Menschen außer dem Gebot der Liebe zu Gott auch das Gebot der Nächstenliebe gegeben, wenn doch die Nächstenliebe Implikat der Gottesliebe ist? Zwar sei die Nächstenliebe als notwendige Konsequenz der Gottesliebe in dieser enthalten, aber da nicht jeder Mensch das erkennen könnte, sei das Gebot der Nächstenliebe explizit gegeben. Die Erfüllung des Gebotes der Gottesliebe ist dem Menschen irdisch nur unvollkommen möglich, denn eine vollkommene Erfüllung wäre nur bei einem wirklichen und vollen Geeintsein mit Gott gegeben. Das aber ist erst im ewigen Leben möglich. Die dem irdischen Menschen mögliche (unvoll118 STh II–II 41,1 c.a.: „Finis autem spiritualis vitae est ut homo uniatur Deo, quod fit per caritatem“. 119 Dazu STh II–II 44,1–8.

Liebesgebote und Sünden gegen die Liebe

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kommene) Erfüllung dieses Gebotes aber besteht darin, auf dem Weg zum Ziel zu bleiben, also alle Akte hin auf Gott als das letzte Ziel zu vollziehen. Als nächste behandelt Thomas das Gebot der Nächstenliebe: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.120 Dieses Gebot beinhaltet für Thomas Grund und Weise seiner Erfüllung. In der Erkenntnis des Nächsten in seiner Gottebenbildlichkeit und Fähigkeit zur ewigen Glückseligkeit, welche ihn mit uns verbindet, finden wir den Grund der Liebe. Die Weise der Liebe gibt das „wie dich selbst an“, das Thomas dreifach auslegt, und zwar als Ähnlichkeit, nicht als Gleichheit zwischen Selbst- und Nächstenliebe: – der Nächste ist so um Gottes willen zu lieben wie der Mensch auch sich selbst um Gottes willen lieben soll – dem Willen des Nächsten ist wie dem eigenen nur im Guten und zum Guten zu dienen – der Nächste ist aus dem gleichen Beweggrund zu lieben, aus dem man sich selbst liebt, nämlich um des Guten für ihn willen. Auch die Ordnung der Liebe sieht Thomas durch das Gebot vorgegeben, was er durch die kombinatorische Auslegung verschiedener Bibelstellen belegt. Was Thomas zu Beginn des Traktats zu Gegenstand und Ordnung der Liebe dargelegt hatte, hatte er ganz aus dem Wesen der caritas heraus entfaltet – und sich nicht auf die Gebote berufen, die er erst am Ende des Traktates behandelt. Mit diesem Vorgehen führt er vor, dass aus dem Wesen der caritas heraus geschieht, was die Gebote gebieten, aber nicht weil und insofern sie es gebieten. Als Sünden, die der caritas selbst oder einer ihrer Wirkungen entgegensetzt sind, zählt Thomas auf: Hass, Überdruss, Neid, Zwietracht, Streit, Schisma, Krieg, Zank, Aufruhr und Ärgernis. Diese sind im Folgenden nur summarisch zu behandeln und nur dann detailiert darzustellen, wenn es Aufschlüsse für die Fragestellung dieser Arbeit bietet. Hass ist der Liebe entgegengesetzt. Kann Gott überhaupt gehasst werden? Als er selbst, wenn er erkannt wird, kann er schlechterdings nicht gehasst werden, weil das bonum per se nicht gehasst werden kann. Insofern der Mensch aber Gott auch und vor allem an seinen Wirkungen erkennt, kann er aufgrund von Wirkungen, die dem ungeordneten Eigenwillen des Menschen nicht angenehm sind, gehasst werden: z.B. wegen göttlicher Strafen und des göttlichen Verbotes von Sünde. Der Gotteshass ist die größte Sünde für Thomas, die schwerer auch als der Unglaube wiegt, weil Gotteshass die Ursache von (schuldhaftem) Unglaube ist. Bei allen anderen 120

Dazu STh II–II 44,7.

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Liebe

Tod-Sünden wendet sich der Mensch im Hinblick auf anderes von Gott ab; aber beim Gotteshass geschieht die Abkehr von Gott als sie selbst. Hass gegenüber dem Nächsten sieht Thomas durch Neid begründet und durch Zorn veranlasst. Zwar ist die Sünde im Nächsten, so z.B. die Feindschaft des Feindes, zu hassen, nicht aber er selbst in seiner Natur und Gnadenempfänglichkeit. Überdruss und Neid bilden die Gegensätze zur Freude als einer Wirkung der Liebe. Der Überdruss richtet sich dabei gegen die Freude über das göttliche Gut. Ist die Traurigkeit über das göttliche Gut nur eine Regung des sinnlichen Strebevermögens, bedeutet der Überdruss eine lässliche Sünde – dagegen eine Todsünde, wenn die Vernunft diese Regung des sinnlichen Strebevermögens affirmiert. Der neidische Mensch empfindet Traurigkeit über das Gut eines Nächsten, insofern dieses das eigene Gut schmälert. In seiner vollen Ausprägung ist auch der Neid eine Todsünde. Zwietracht, Streit und Schisma richten sich gegen den Frieden. In der Zwietracht vollzieht ein Mensch innere (Willens-) Akte, die sich bewusst gegen das Gut des Nächsten richten. Streit dagegen vollzieht sich als Gegensatz in Worten, der dann Sünde ist, wenn dieser Gegensatz den Personen und der Situation nicht angemessen ausgetragen wird. Was sich gegen den Frieden der caritas in der Kirche richtet, nennt Thomas Schisma. Es liegt dann vor, wenn sich jemand von sich aus und mit Absicht von der durch die Liebe geschaffenen Einheit trennt, indem er die Gemeinschaft verlässt oder sich nicht mehr dem Papst unterwirft, der die Stelle Christi in der Kirche vertritt. Jeder Häretiker ist zugleich auch Schismatiker, nicht aber umgekehrt, obwohl Schisma für Thomas immer die Dynamik hin zur Häresie hat. Die Häresie stellt die schlimmere Sünde dar, weil sie sich gegen Gott direkt richtet, während das Schisma sich nur gegen die kirchliche Einheit wendet. Schismatiker sind mit Exkommunikation zu bestrafen – weil sie sich von der Gemeinschaft trennen, sowie mit weltlichen, zeitlichen Strafen zu belegen – weil sie sich dem Haupt der Kirche und daher der geistlichen Gewalt nicht unterwerfen. Zank definiert Thomas als Kleinkrieg zwischen Privatpersonen, der Tätlichkeiten mit einschließt. Thomas entfaltet als nächstes in Ansätzen seine Lehre vom gerechten Krieg. Damit ein Krieg gerecht sei, ist ersten die legitime Vollmacht dessen erfordert, der den Krieg befiehlt. Es darf nur ein Herrscher, dem der Schutz der öffentlichen Ordnung anvertraut ist, einen Krieg befehlen, um dieser Ordnung willen. Zweitens muss ein gerechter Grund für den Krieg vorliegen, d.h. der Kriegsgegner muss den Krieg wegen einer begangenen Schuld verdienen. Drittens kommt es auf die rechte Absicht der Kriegführenden an. Rechte Absicht kann nur darin bestehen, das Gute zu mehren oder das Böse

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zu hindern. Ein ungerechter Krieg erfüllt mindestens eines der genannten Kriterien nicht; ein ungerechter Krieg verstößt bei Thomas also nicht gegen die Gerechtigkeit (einer der vier Kardinaltugenden), sondern gegen die Nächstenliebe der caritas! Klerikern dagegen ist es unter allen Umständen untersagt, sich am Krieg durch Blutvergießen zu beteiligen,121 weil das ihrem Amt im Allgemeinen wie auch angesichts ihres Auftrags, die Eucharistie zu feiern, widerspricht – nicht aber, weil Krieg Sünde wäre. Kleriker müssen, statt Blut von Feinden zu vergießen, im Gegenteil dazu bereit sein, das eigene Blut für Christus zu vergießen, „auf daß sie im Werke nachahmen, was sie kraft ihres Amtes vollbringen.“122 Aufruhr stellt eine Sünde dar, weil sich ein Teil eines Staates gegen einen anderen richtet, verbunden mit Vorbereitung zu einem bewaffneten Kampf, und auf diese Weise der Einheit eines Staates und dem Gemeinwohl entgegengesetzt ist. Anstoß und Ärgernis sündigen gegen das Wohltun und die brüderliche Zurechtweisung. Ärgernis definiert Thomas mit der Tradition: „Ärgernis ist ein nicht ganz rechtes Wort oder Werk, das den Anlaß zum Fall bietet.“123 Thomas unterscheidet dabei streng zwischen Ärgernis-Geben und Ärgernis-Nehmen; die beide unabhängig voneinander vorkommen können. Wo jemand an einem anderen Ärgernis nimmt, ohne dass dieser Ärgernis gegeben hätte, liegt bei letzterem keine Sünde vor, wohl aber bei jenem. Thomas erörtert dann eingehend, ob man geistlich Gutes bisweilen zu unterlassen hätte, damit jemand anderes kein Ärgernis nimmt. Nicht-heilsnotwendig Gutes soll bisweilen aufgeschoben oder verhüllt werden, damit die anderen kein Ärgernis nehmen. Aber zu dieser Absicht ist es für Thomas nicht erlaubt, eine lässliche Sünde zu begehen.124 Allerdings können die situativen Umstände bewirken, dass eine Handlung keine lässliche Sünde, sondern sogar geboten sei, die ansonsten eben lässliche Sünde wäre. Thomas nennt ein Beispiel: So „ist ein Scherzwort lässliche Sünde, wenn es ohne jeden Nutzen gesagt wird; wenn es aber aus vernünftigem Grunde vorgebracht wird, ist es weder müßig noch Sünde.“125 In diesem Zusammenhang bezieht sich Thomas ausnahmsweise auch einmal auf ein geschichtliches Ereignis, dass nämlich Thomas von Canterbury Eigentum der Kirche zurückverlangt hat, obwohl

121 Wohl aber dürfen Kleriker am Krieg teilnehmen, um den Kämpfenden geistlich beizustehen, STh II–II 40,2 ad 2. 122 STh II–II 40,2 c.a. 123 STh II–II 43,1 c.a. 124 STh II–II 43,7 ad 5. 125 STh II–II 43,7 ad 5.

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der König daran Ärgernis nahm.126 Das war gerechtfertigt, weil es sich nicht um sein eigenes Eigentum, sondern das der Kirche handelte, für das Sorge zu tragen ihm oblag. Die sehr ausführlichen Erörterungen zum Problem Ärgernis zeigen, wie sehr die Tugend der caritas sich auf den Nächsten bezieht, insofern er auf Gott als sein letztes Ziel hingeordnet ist und insofern der Nächste an der zukünftigen Seligkeit Anteil haben wird. Die Sorge für sein Heil, genauer, dafür, dass man durch sein eigenes Verhalten dem Nächsten keinen Anlass bietet, dass dieser sündigt und so sein Heil gefährdet, ist der Hauptvollzug der Nächstenliebe, was das Unterlassen betrifft. Außerdem wird ersichtlich, dass für Thomas die caritas, was das Geschöpfliche angeht, sich nicht nur auf die Nahbeziehungen des Menschen richtet, sondern auch politische und eminent soziale Implikationen hat.

126

So die Formulierung des Thomas in STh II–II 43,8 s.c.

6. Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

6.1 Die Pluralität von Verhältnisbestimmungen 6.1.1 Theorie der Verhältnisbestimmung Wenn im Folgenden als Konsequenz der bisherigen Ausführungen das Verhältnis von Glaube und Liebe dargestellt wird, sollen zuvor die theoretischen Mittel zur Sprache kommen, mit denen Thomas selbst dieses Verhältnis erfasst. (a) Thomas bestimmt das Verhältnis durch Vergleiche. Glaube und Liebe vergleicht Thomas nach ihrer Entstehung, nach dem Maß an Vollkommenheit, nach ihrer Aktstruktur und nach ihrer Kontinuität mit der vollendeten Gestalt eschatologischen Lebens. (b) Thomas bestimmt das Verhältnis, indem er nach Abhängigkeit fragt und die je verschiedene Weise der Abhängigkeit des Glaubens von der Liebe und der Abhängigkeit der Liebe vom Glauben analysiert, differenziert jeweils nach Akt und Habitus. (c) Thomas bestimmt das Verhältnis, indem er nach der Funktion der einen Tugend für die andere fragt. Als grundlegende Kategorie wählt Thomas dafür den Form-Begriff, den er in dieser Verwendung ausdrücklich als analog verstanden wissen will. Die Liebe ist für den Glauben(sakt) Form. An Thomas Verhältnisbestimmung wurde stets lediglich die FormBeziehung zwischen Liebe und Glauben rezipiert. Thomas verwendet jedoch an relativ wenigen Stellen den Form-Begriff explizit zur Verhältnisbeschreibung; viel häufiger vergleicht er Glaube und Liebe, womit er eine grundsätzliche Symmetrie von Glaube und Liebe, eben als Tugend, voraussetzt oder er fragt nach ihrer gegenseitigen Abhängigkeit. Die Formbeziehung muss daher in Verbindung mit den genannten anderen Kategorien zur Verhältnisbestimmung interpretiert werden. Die Liebe als Form des Glaubens bezeichnet nur ein einzelnes Moment im Verhältnis zwischen Glaube und Liebe. Um die Fülle der Aspekte bei der thomasischen Verhältnisbestimmung zwischen Glaube und Liebe zu verdeutlichen, sei ein Überblick über die dafür unmittelbar relevanten Artikel innerhalb der Summa Theologiae gegeben:

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Ist der Wille ein höheres Vermögen als der Verstand? (STh I 82,3) Bewegt der Wille den Verstand? (STh I 82,4) Erkennt der Verstand die Tätigkeit des Willens? (STh I 87,4) Ob ein und dieselbe Tugend in mehreren Vermögen sein kann? (STh I–II 56,2) Ob der Glaube früher ist als die Hoffnung und die Hoffnung früher als die Liebe? (STh I–II 62,4) Ob Glaube und Hoffnung ohne Gottesliebe sein können? (STh I–II 65,4) Ob die Liebe ohne Glaube und Hoffnung sein kann? (STh I–II 65,5) Ist die Liebe die größte unter den göttlichen Tugenden? (STh I–II 66,6) Ob der Glaube, ob die Liebe in der Herrlichkeit bleiben (STh I–II 67, 3–6) Ist glauben verdienstlich? (STh II–II 2,9) Ist die Gottesliebe Form des Glaubens? (STh II–II 4,3) Kann der unbeformte Glaube ein beformter werden und umgekehrt? (STh II–II 4,4) Ist der Glaube die erste unter den Tugenden? (STh II–II 4,7) Geht die Hoffnung dem Glauben voraus? (STh II–II 17,7) Ist die Liebe früher als die Hoffnung (STh II–II 17,8) Ist die Liebe die vornehmste aller Tugenden? (STh II–II 23,6) Kann es ohne Liebe eine wahre Tugend geben? (STh II–II 23,7) Ist die Liebe die Form der Tugenden ? (STh II–II 23,8) Die thomasische Vielfalt in den Beschreibungsmöglichkeiten führt nachfolgend die exemplarische Analyse von drei Artikel vor Augen. Dabei wird jedoch noch etwas anderes deutlich werden. Thomas benutzt zwei verschiedene Paradigmen, innerhalb deren er die Verhältnisbestimmung mit den oben genannten Mitteln (Vergleich, Abhängigkeit, Funktion) vornimmt. Das eine Paradigma ist das der Handlungstheorie, innerhalb dessen er sich gedanklich vor allem dann bewegt, wenn er vom Glauben ausgehend argumentiert. Wenn die Liebe die Frageperspektive vorgibt, dann analysiert Thomas das Verhältnis innerhalb des Paradigmas von der Freundschaft zwischen Gott und Mensch, vermittelt durch die Heilsgeschichte. Diese beiden Paradigmen kann Thomas verbinden und zusammensehen durch die Begriffe Relation und Partizipation. Daher erfolgt nun die Zusammenfassung des Verhältnisses von Glaube und Liebe anhand der zwei genannten Paradigmen.

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6.1.2 Detailanalysen Zunächst werden im Folgenden drei Zentralartikel zum Verhältnis von Glaube und Liebe im Einzelnen untersucht, um an ihnen die bisher erarbeitete Verhältnisbestimmung zu bewähren. (1) STh I–II 65,4 Ob Glaube und Hoffnung ohne Gottesliebe sein können. „Sic igitur fides et spes sine caritate possunt quidem aliqualiter esse: perfectae autem virtutis rationem non habent sine caritate. Cum enim fidei opus sit credere Deo; credere autem sit alicui propria voluntate assentire: si non debito modo velit, non erit fidei opus perfectum. Quod autem debito modo velit, hoc est per caritatem, quae perficit voluntatem: omnis enim rectus motus voluntatis ex recto amore procedit [...] . Sic igitur fides est quidem sine caritate, sed non perfecta virtus“ [...]

„So können also Glaube und Hoffnung ohne Gottesliebe zwar irgendwie bestehen; die Bewandtnis der Volltugend aber haben sie nur in Verbindung mit der Gottesliebe. Denn das Werk des Glaubens ist Gott vertrauen; jemandem vertrauen aber heißt: mit eigenem Willen ihm zustimmen; will einer das also nicht in der geforderten Weise, so wird es kein vollkommenes Werk des Glaubens sein. Daß er es aber in der geforderten Weise will, das kommt aus der Gottesliebe, die den Willen vervollkommnet; denn jede rechte Bewegung des Willens geht aus rechter Liebe hervor. So hat zwar der Glaube ohne Gottesliebe Bestand, aber er ist nicht Tugend im Vollsinne“ [...]

„Et ideo fides et spes possunt esse sine caritate: sed sine caritate, proprie loquendo, virtutes non sunt; nam ad rationem virtutis pertinet ut non solum secundum ipsam aliquod bonum operemur, sed etiam bene.“

„So können also Glaube und Hoffnung ohne die Gottesliebe sein; sie sind aber ohne Gottesliebe im eigentlichen Sinne zu sprechen, keine Tugenden; denn zur Bewandtnis der Tugend ist verlangt, nicht nur, daß wir ihr gemäß ein gutes Werk verrichten, sondern es auch gut verrichten.“

Thomas fragt hier nach der Bedeutung der Liebe für den Glauben. Grundsätzlich kann es den Habitus und den Akt des Glaubens auch ohne die caritas geben; als solches ist dieser Glaube jedoch keine Tugend. Erst aufgrund der caritas ist der Glaubenshabitus auch eine Tugend und der Glaubensakt ein tugendhafter Akt. Zur Begründung rekurriert Thomas auf seine Tugenddefinition, nach der ein tugendhafter Akt als Akt gut sein muss und auf gute Weise zu geschehen hat, will heißen, mit guter Motivation und mit guter begleitender innerer Einstellung zu diesem Akt.

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Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

Der gute Akt des Glaubens besteht darin, die Existenz Gottes gemäß der Offenbarung (credere Deum) aufgrund der Offenbarung (credere Deo) zu glauben. Das credere Deo besagt ein willentliches Moment: Der Glaubende glaubt an Gott, weil er der Offenbarung glauben will. Dieses Willensmoment im Glaubensakt ist selbst nur dann gut, wenn es einem von der caritas bestimmten Willen entspringt, oder in der Thomas geläufigen Begrifflichkeit ausgedrückt. Dieser actus imperatus ist nur dann gut, wenn er von einem durch Tugend bestimmten Willen vollzogen wird. Bei dieser Bestimmung des Willens geht es darum, wodurch der Wille als durch sein Letztziel bestimmt ist: entweder durch Gott als dem wahren Letztziel oder durch etwas Geschaffenes. Ein actus imperatus ist also nur dann wahrhaft gut, wenn er der Bestimmtheit des Willens durch Gott entspringt. Diese Bestimmtheit des Willens durch Gott geschieht für Thomas konkret als Freundschaft des Menschen mit dem lebendigen Gott der Heilsgeschichte. Nur dann also glaubt der Mensch auf gute Weise der Offenbarung, wenn er dies als durch die Gnade gewandelter Mensch tut, wenn er also aus Liebe zu Gott glaubt. Die dafür nötigen Vermittlungsmomente seien hier nicht nochmals aufgezählt. Betont sei aber, dass der Glaubensakt ein einziger ist, in dem also der Akt des Verstandes und die Beteiligung des Willens realidentisch sind. Bezogen auf die drei verschiedenen Bezugnahmen des Glaubensaktes auf seinen Gegenstand könnt man auch formulieren, dass nur das credere in Deum das credere Deo auf gute Weise geschehen lässt, weshalb dann das credere Deum ein wirklich tugendhafter Akt ist. Dass der Begriff der fides informis für Thomas ein gedanklicher Grenzbegriff ist, zeigt dieser Artikel deutlich. Zum einen schwächt er die Rede vom Sein des unbeformten Glaubens durch das Adverb „aliqualiter“ ab, zum anderen erklärt er nur, wie der Glaube als beformter zustande kommt, aber nicht wie ein unbeformter Glaube entsteht. Die Liebe hat also die Funktion, Glaube und Hoffnung zu wirklichen Tugenden zu machen, indem sie Glaube und Hoffnung wahrhaft gute Akte hervorbringen lässt. Das Gutsein diese Akte besteht darin, auch auf gute Weise hervorgebracht zu sein, indem sie durch die Liebe auf Gott als Letztziel ausgerichtet werden. So sehr es Glaube und Hoffnung als unbeformte Akte geben kann, so ist doch andererseits die Liebe am Akt des beformten Glaubens und der beformten Hoffnung selbst beteiligt, ist also dem Glauben und der Hoffnung in ihren Vollformen intern. Der Akt des beformten Glaubens ist ein anderer als der Akt des unbeformten, wiewohl dieser Unterschied nicht von außen wahrgenommen werden kann und von innen auch nicht mit Gewissheit. Dass der Akt ein anderer ist, begründet Thomas damit, dass der den Akt vollziehende Mensch ein anderer ist: ein Sünder oder ein durch die Gnade Gerechtfertigter.

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Im nächsten Artikel wird ersichtlich, dass es Liebe ohne Glauben nicht geben kann, sowohl hinsichtlich ihrer Konstitution als auch ihres Vollzugs. (2) STh I–II 65,5 Ob die Liebe ohne Glaube und Hoffnung sein kann. „Quod caritas non solum significat amorem Dei, sed etiam amicitiam quandam ad ipsum; quae quidem super amorem addit mutuam redamationem, cum quadam mutua communicatione [...]. [...]

Die Gottesliebe bezeichnet nicht nur Liebe zu Gott, sondern sogar Freundschaft mit Ihm. Diese fügt über die Liebe die wechselseitige Gegenliebe hinzu mit einem wechselseitigen Lebensaustausch. [...]

Haec autem societas hominis ad Deum, quae est quaedam familiaris conversatio cum ipso, inchoatur quidem hic in praesenti per gratiam, perficietur autem in futuro in gloria: quorum utrumque fide et spe tenetur. Unde sicut aliquis non posset cum aliquo amicitiam habere, si discrederet vel desperaret se posse habere aliquam societatem vel familiarem conversationem cum ipso; ita aliquis non potest habere amicitiam ad Deum, quae est caritas, nisi fidem habeat, per quam credat hujusmodi societatem et conversationem hominis cum Deo, et speret se ad hanc societatem pertinere. Et sic caritas sine fide et spe nullo modo esse potest.“

Diese Gemeinschaft des Menschen mit Gott, die in einem herzlichen Verkehr mit Ihm besteht, wird hier unten durch die Gnade eingeleitet, in der Ewigkeit aber vollendet durch die Herrlichkeit; beides wird im Glauben und in der Hoffnung festgehalten. Wie daher einer mit einem anderen keine Freundschaft haben könnte, wenn er ihm mißtraute oder daran verzweifelte, je irgendwelche Gemeinschaft oder herzlichen Verkehr mit ihm haben zu können, so kann man auch keine Freundschaft mit Gott haben, worin die Gottesliebe besteht, wenn man nicht den Glauben, kraft dessen man an eine solche Gemeinschaft und einen solchen Verkehr mit Gott glaubt und die Hoffnung hat, zu dieser Gemeinschaft gehören. Und so kann die Gottesliebe in keiner Weise ohne Glaube und Hoffnung sein.“

Während Thomas im zuvor analysierten Artikel mit der Aktstruktur und dem Tugendbegriff argumentierte, wechselt er hier das Paradigma und setzt bei der Vorstellung personaler Freundschaft an. Er fragt, worin die personale Beziehung zwischen Freunden besteht, die Gott und Mensch sind. Freundschaft ist grundsätzlich definiert durch drei Momente: Freunde lieben einander, ihre Zuneigung ist gegenseitig, sie ereignet sich in Kommunikation. Kommunikation setzt laut Thomas Vertrauen in die Freundschaft des Freundes voraus, sowie die präsentische Gesellschaft der Freunde wie auch den geistigen Austausch, das Gespräch, die gegenseitige Rede und Anrede. In der Freundschaft mit Gott ist diese Kommunikation nicht als

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Erfahrung zugänglich, sondern dem Freund ist seine Freundschaft auch darin zu glauben, dass die aus der Freundschaft fließende Kommunikation vom Freund her auch wirklich gegeben ist – obwohl man sie selbst, weil in der Wahrnehmung an das Sichtbare gebunden, nicht wahrnehmen kann. Der Freund kann also die Freundschaft des Freundes und die Kommunikation zwischen ihnen nicht sehen, sondern glaubt sie, weil er dem Freund vertraut. Des Menschen Beteiligung an der Kommunikation der Freundschaft besteht zunächst und vornehmlich darin, die von Gott, seinem Freund her sich ereignende Kommunikation zu glauben, sie als geschehend für wahr zu nehmen ohne sie wahrzunehmen. Dieses Vertrauen und dieses WahrNehmen sind der Grundvollzug des menschlichen Glaubens.1 Die caritas als Freundschaft des Menschen kann nur deshalb bestehen, weil der Mensch glaubt, dass Gott sein Freund ist, dass Gott den Menschen zu seinem Freund gemacht hat und dass aufgrund dieser Freundschaft von Gott her die Kommunikation der Freundschaft geschieht. Der Glaube eröffnet also dem Menschen den Zugang zu der Freundschaft, die für ihn von Gott her besteht und die dem Menschen durch die Gnade verliehen ist. Nur glaubend wird der Mensch der Freundschaft Gottes für ihn inne; in diesem Glauben besteht dann vom Menschen her die Gegenseitigkeit der freundschaftlichen Kommunikation. Daher kann die Liebe als Freundschaft des Menschen mit Gott in keiner Weise ohne den Glauben des Menschen bestehen. Die Hoffnung gehört genauso wie der Glaube zur Freundschaft. Freundschaft zielt auf Dauer und kann nur mit der Hoffnung auf Dauer sich entfalten. Bei der Gottesfreundschaft richtet sich die Hoffnung aber nicht nur auf die Dauer, sondern auch auf die eschatologische Vollendung der Freundschaft, bei der die Kommunikation der Freundschaft keiner Vermittlung mehr durch den Glauben bedarf. Dass der Mensch darauf hoffen darf, dies glaubt der Mensch seinem Freund. In dieser Hinsicht fungiert der Glaube also nicht nur als Voraussetzung der Liebe, sondern auch der Hoffnung. Die Liebe bedarf des Glaubens also erstens zu ihrer Konstitution. Zweitens vollzieht der Glaubensakt die Freundschaftsbeziehung, die durch die Tugend der Liebe besteht. Drittens bedarf jeder Liebesakt in der Freundschaftsbeziehung der Tugend des Glaubens als des grundsätzlichen Vertrauens in Freundschaft und Freund. Die caritas ist nicht ohne Glaube und Hoffnung.

1 Hier sei nur der Bezug des Glaubens auf Wortverkündigung und Sakramente angedeutet, um zu erinnern, dass Thomas trotz seiner Auslegung der Gottesbeziehung des Menschen als Liebe dies für ihn keine vermittlungslose Gottunmittelbarkeit bedeutet, sondern er die Vermittlungsgestalten und den sich darauf beziehenden Glauben als konstitutiv betrachtet.

Liebesgebote und Sünden gegen die Liebe

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Aus der Perspektive der Liebe als der umfassenden Perspektive auf das Gott-Mensch-Verhältnis ist der Zusammenhang der drei theologischen Tugenden nur vom Paradigma personaler Beziehung in einer Freundschaft her beschreibbar. Dagegen stellt Thomas aus der Perspektive des Glaubens die Komplexität des Zusammenwirkens von Glaube und Liebe immer mit den begrifflichen Mitteln seiner Handlungstheorie dar. Gezeigt wurde mit der Analyse der beiden Artikel, dass sich die thomasische Argumentation im handlungstheoretischen Paradigma in das Freundschaftsparadigma integrieren lässt. Wie geht Thomas vor, wenn er Glaube, Hoffnung und Liebe direkt miteinander vergleicht? (3) STh I–II 66,6 Ob die Liebe die größte unter den göttlichen Tugenden ist. „Quod, sicut supra dictum est, magnitudo virtutis, secundum suam speciem, consideratur ex objecto. Cum autem tres virtutes theologicae respiciant Deum sicut proprium objectum, non potest una earum dici major altera ex hoc quod sit circa majus objectum: sed ex eo quod una se habet propinquius ad objectum quam alia. Et hoc modo caritas est major aliis. Nam aliae important in sui ratione quandam distantiam ab objecto: est enim fides de non visis, spes autem de non habitis. Sed amor caritatis est de eo quod jam habetur: est enim amatum quodammode in amante, et etiam amans per affectum trahitur ad unitatem amati“

„Wie schon gesagt, wird die Größe einer Tugend, in deren Artbestimmtheit genommen, vom Gegenstand her betrachtet. Da sich nun die drei göttlichen Tugenden auf Gott als ihren eigentümlichen Gegenstand beziehen, kann man die eine von ihnen nicht deswegen größer nennen als die andere, weil sie etwa auf einen größeren Gegenstand bezogen wäre, sondern deswegen, weil die eine dem Gegenstand näher steht als die andere. Und in diesem Sinn ist die Gottesliebe größer als die anderen Tugenden. Denn die anderen bringen aus ihrem Wesen heraus ein gewisses Entferntsein vom Gegenstand mit sich; der Glaube geht nämlich auf das, was man nicht sieht, die Hoffnung auf das, was man nicht besitzt. Die Liebe der Gottesliebe aber geht auf das, was man schon besitzt; das Geliebte ist nämlich gewissermaßen im Liebenden, und ebenso wird der Liebende durch seine Neigung zur Einung mit dem Geliebten hingezogen“ [...]

Für den Vergleich zieht Thomas hier also die Handlungstheorie heran. Das hängt damit zusammen, dass der Vergleich der drei theologischen Tugenden ihre grundsätzliche, also kategoriale und funktionale Vergleichbarkeit voraussetzt und somit von dem viel komplexeren Zusammenhang der drei

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Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

Tugenden abstrahiert, den uns die thomasische Analyse des Zusammenwirkens vorführte, die vom Freundschaftsparadigma ausging. Mittels des Freundschaftsparadigmas zeigt sich also nur die (funktionale) Asymmetrie der Tugenden, während Momente von Gleichheit und damit Vergleichbarkeit nur mittels der abstrahierenden Perspektive der Handlungstheorie sichtbar zu machen sind. Sehen wir zu, wie Thomas dabei verfährt. Das Kriterium für die Größe einer Tugend, genauer ihrer spezifischen Akte ist die Größe, genauer das bonum ihres Gegenstandes. Weil alle drei göttlichen Tugenden auf den einen und gleichen Gegenstand bezogen sind, entsteht der Vergleiche ermöglichende Unterschied dadurch, wie jeweils auf den Gegenstand Bezug genommen wird. Der eine und gleiche Gegenstand ist das bonum schlechthin; aber der Mensch kann sich auf ihn richten gemäß verschiedener und verschieden vollkommener Beziehungen, in denen der Mensch zu dem Gegenstand steht. Der Glaube bezieht sich auf Gott als die Erstwahrheit, insofern der Mensch sie nicht schauen kann, insofern sie also eine nicht-geschaute ist. Die Hoffnung erstrebt Gott, insofern Gott erst zukünftig die volle Anteilhabe an sich als dem bonum gewähren wird. Nur in der Liebe ist Gott Gegenstand als präsent und in seiner Vollkommenheit. Daher beansprucht die Liebe den Vorrang vor Glaube und Liebe. Damit die Liebe sich auf Gott als präsenten beziehen kann, ist der Glaube daran erfordert, dass Gott präsent ist. Nur durch die Vermittlung des Glaubens bezieht sich die Liebe in einer Weise auf Gott, die den Glauben in seinem Gegenstandsbezug übertrifft. Die Betrachtung der drei göttlichen Tugenden als drei parallele, einander nebengeordnete Phänomene abstrahiert ein einzelnes Moment des grundsätzlich asymmetrischen Zusammenhangs, in dem die Tugenden stehen und in denen sie in verschiedener Weise der jeweils anderen theologischen Tugenden für ihren eigenen Akt bedürfen. Diese grundsätzliche Asymmetrie kann Thomas auch innerhalb des Theorierahmens seiner Handlungstheorie aussagen, wozu die Rede von der Liebe als Form dient. Die Rede von der Liebe als Form drückt innerhalb der Logik des handlungstheoretischen Paradigmas die Asymmetrie des Verhältnisses von Glaube und Liebe aus, das erst ganz innerhalb des theologisch gedeuteten Freundschaftsparadigmas sichtbar gemacht werden kann. Thomas kann mit den Mitteln der Handlungstheorie zeigen, dass diese formale handlungstheoretische Rekonstruktion auf eine theologische Betrachtung hin zu überschreiten ist, will jene ihrem Phänomen gerecht werden. Deshalb erfolgt nun eine zusammenfassende Interpretation der Formel ‚fides caritate formata‘, worauf anschließend kurz zu benennen ist, was präzise missverstanden wird, wenn evangelische Theologinnen und Theologen die Lehre von der fides caritate formata missverstehen und warum das Verstehen durch evangelische Theologinnen und Theologen erschwert

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bleibt. Dann aber wird diese handlungstheoretische Betrachtungsweise des Verhältnisses von Glaube und Liebe hin auf eine strikt theologische überschritten und die Verhältnisstruktur vom Paradigma der Freundschaft her dargelegt.

6.2 Das handlungstheoretische Paradigma Das handlungstheoretische Paradigma 6.2.1 Der Ausdruck ‚fides caritate formata‘ Tugenden verleihen ihren Akten deren Form. Formverleihung bedeutet Artbestimmtheit. Die Form der Akte bemisst sich an der Ausrichtung der Akte, welche durch ihre Gegenstände spezifiziert werden. Ein Akt kann unter Umständen auch durch zwei Gegenstände bestimmt sein – insofern die Hinsicht eine verschiedene ist (ein Gegenstand kann ein objectum bilden oder die Bewandtnis eines Zieles haben). Jeder einzelne menschliche Akt ist durch die Grundausrichtung des Menschen auf ein letztes Ziel mitbestimmt. Die caritas als Ausrichtung auf Gott als das höchste Gut formt daher alle menschlichen Akte; also auch die Akte des Glaubens. Glaube ist nur dann heilsrelevant, wenn er Gott nicht nur als verum zum Gegenstand hat, sondern auch im Glaubensakt auf Gott als bonum oder Ziel ausgerichtet ist, in heutiger Sprache, erst die Liebe macht den Glauben zu einem ekstatischen Phänomen. Die Formel ‚fides caritate formata‘ drückt somit aus, dass das Verhältnis von Glaube und Liebe wesentlich ist, um einerseits Glaube, andererseits Liebe zu verstehen. Was sie jeweils spezifisch sind, sind sie in ihrem Verhältnis; wobei das für den Glauben in anderer Weise gilt als für die Liebe. Thomas interpretiert den neutestamentlichen Satz, der Glaube wird durch die Liebe tätig, genaugenommen durch den Gedanken, dass Glauben und Gott-Erkennen ein Vollzug von Liebe sind. Die operatio des Verstandes als Erkenntnisvermögen ist das Gut bzw. das Ziel des liebenden Willens. Die begriffliche Bezeichnung, dass der Wille den Glaubensakt befiehlt, ist deshalb missverständlich und hat diverse falsche Deutungen hervorgerufen. Der Glaube ist ein Vollzug von Liebe, aber durch den Verstand. Der Verstand vollzieht Glauben nun aber wirklich als seinen eigenen Akt. Dieser Akt geht von der eingegossenen Tugend des Glaubens aus, die folgendes bedeutet: Der Verstand selbst wird durch das übernatürliche Licht vervollkommnet, der Verstand erhält die Gabe der Einsicht und der Wissenschaft, die Gabe der Weisheit vermittelt zwischen Wille und Verstand. Durch die Eingießung der drei theologischen Tugenden wird der Wille so verwandelt, dass er die Konnaturalität Gottes als des Endzieles wahr-

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Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

nimmt, wobei der Vollzug der Wahrnehmung und die (veränderte) Willensausrichtung eins sind. Beide werden von der Gnade dahingehend bewegt, dass die veränderte Willensausrichtung dem Verstand die Zustimmung ‚befiehlt‘, welcher durch die Gnade zu eben dieser Zustimmung disponiert ist, worauf sich der Wille liebend Gott zuwendet in Erkenntnis der Freundschaft, wodurch der Glaube innerhalb der Freundschaftsbeziehung geformt und durch diese tätig wird. Die caritas als neue Gesamtausrichtung des Menschen erstrebt die innigste Gemeinschaft mit Gott, die sich nur als Erkennen vollziehen kann. Die caritas zielt so, indem sie auf Gott als letztes Ziel und summum bonum zielt, auf die Erkenntnis Gottes. Auf diese Weise zielt sie in eins auf die dem Menschen höchstmögliche Entfaltung: die Vollkommenheit seines Erkennens. Die Liebe zielt daher um des geliebten Gegenüber auf das Gut des Verstandes, die Vervollkommnung des Erkennens durch die Wahrheit. Im Vollzug der Gottesschau, und vorher anfangsweise im Glauben, erfüllen sich also sowohl das Erkennen als auch das Wollen des Menschen, koinzidieren beide Vermögen des Menschen. Der Wille will, indem er Gott als letztes Ziel will, die Erreichung des Letztzieles, damit die Schau Gottes, zugleich dadurch die vollendete Tätigkeit des Verstandes. Der Wille will (durch die Gnade bewegt) als bonum des Verstandes die Schau des verum durch den Verstand, was realidentisch ist mit der Erreichung des Letztzieles, also des bonum des Willens. Das Geliebte „hat“ der Mensch nur durch und in seinem Erkennen. Nur aufgrund dieses Zusammenhanges ist die durch den Willen bewegte Zustimmung des Verstandes im Glaubensakt nicht von vorneherein eine Korrumpierung des Verstandes in seiner Wahrheitsbezogenheit. Der durch die caritas vervollkommnete Wille erfasst das übernatürliche Ziel als Erfüllung des desiderium naturale, und so als gemäß der eigenen Natur, also als connaturalis.2 Der Wille als Liebe vollzieht so eine nondiskursive Erkenntnis-Leistung. Beim Willen koinzidieren das Erkennen Gottes als der Erfüllung des desiderium naturale und das wirkliche Erstreben. Die gängigen Interpretationen des in der Tat komplexen Zusammenspiels von Erkennen und Wollen, von Glaube und Liebe, als reziproke Priorität (und Ähnliches) umschreiben, was die Akte selbst betrifft, sehr gut das Problem, aber stellen keine Lösung dar. Eingeordnet ist das Problem der Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe in die thomasische Gnaden- und Tugendlehre. Glaube und Liebe stellen eingegossene Tugenden dar als Wirkung der eingegossenen Gnade. Diese Tugenden richten den Menschen auf das letzte Ziel aus, indem sie an der göttlichen Natur teilhaben lassen. Von ihnen gehen die eingegossenen 2

Vgl. hierzu die erhellenden Ausführungen von Ricken, Religionsphilosophie, 304–310.

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moralischen Tugenden aus. Der Glaube bewirkt eine Vervollkommnung des Verstandes, die Liebe eine des Willens. Aber so wie der Wille eine Zielerkenntnis voraussetzt, so der Glaube eine willengeleitete Zustimmung zu bestimmten Inhalten. 6.2.2 Zusammenfassende Thesen Folgende Aussagen fassen die Ergebnisse der Arbeit zusammen, ohne die Begründungen zu wiederholen. – Die thomasische Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe liegt in seiner Analyse der anthropologischen Grundstruktur begründet, die sich wiederum orientiert an der Analyse der menschlichen Handlung, zu der die beteiligten Instanzen sowie deren spezifisches Zusammenwirken gehören. – Für die Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Liebe werden folgende handlungstheoretischen Sätze zentral: – Man kann sinnvoll zwischen Tätigkeitshabitus und Akt unterscheiden. – Jeder Akt erhält seine Bestimmtheit vom Gegenstand. – Jeder menschliche Akt geschieht um eines Letztzieles willen. – Dieses Letztziel bestimmt das Wollen des Menschen in jedem Akt. – Die Bestimmtheit des Willens des Menschen durch das Letztziel ist selbst kein Akt. – Beim Willen kann man sinnvoll zwischen actus elicitus und actus imperatus unterscheiden. – Der actus imperatus des Willens und der vom Willen befohlene Akt eines anderen Vermögen bilden einen einzigen Akt, der dem anderen Vermögen zugerechnet wird. – Ein Akt kann also von zwei Vermögen ausgehen. – Das Erkennen geht dem Streben naturgemäß voraus. – Die Funktion der caritas beschreibt Thomas mit dem Form-Begriff: – Die caritas verbindet mit Gott als ihm selbst und um seiner selbst willen. – In der caritas [...] transzendieren wir uns selbst, weil wir auf ein Gut hingeordnet werden, das nicht wir selbst sind und das auch nicht um unseretwillen, sondern primär an ihm (sic) selbst geliebt sein will.“3 – Durch die caritas ist Gott das bestimmende Letztziel aller menschlichen Akte: die caritas formt die Akte aller Tugenden. – Die caritas formt alle Tugenden. 3

Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, 28.

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Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

– Alle Tugenden sind nur dann Tugend im Vollsinne, wenn sie mit der caritas verbunden sind. – Auch die Funktion der caritas für den Glauben beschreibt Thomas mit dem Form-Begriff. – Die Formel von der ‚fides caritate formata‘ besagt dann, dass der Glaubensakt selbst durch die caritas auf Gott als das letzte Ziel dieses Aktes ausgerichtet wird. – Die fides informis ist ein Grenzbegriff, den Thomas braucht, um die Eigenständigkeit des Erkenntnisvermögens gegenüber dem Willen denken zu können. Thomas hat ein starkes Interesse an der Eigenständigkeit der Vermögen des Menschen. – Die Liebe ist die Form aller (eingegossenen) Tugenden, und insofern auch des Glaubens; während der Glaube die Voraussetzung dafür ist, dass die Liebe alle anderen Tugenden formen kann. – Der Glaube ist ein Erkenntnisakt sui generis. Er bedeutet, mit Zustimmung zu denken. – Der Glaube stimmt Gott in seiner Offenbarung zu. – Der Glaubensakt lässt sich strukturieren als credere Deum, Deo und in Deum. – Weil Gott in Liebesakten nur geliebt werden kann, wenn er erkannt ist, setzt die Liebe in allen ihren Akten den Glauben voraus. – „Der innere Glaube verursacht auf dem Wege über die Liebe alle äußeren Tugendakte durch die anderen Tugenden, gebietend, nicht selbst vollziehend“4. – Wenn Thomas Glaube und Liebe miteinander vergleicht, tut er das in folgender Hinsicht: nach ihrer Entstehungsordnung, nach ihrer Vollkommenheit, danach, wie sie sich als Akte auf ihren Gegenstand beziehen, hinsichtlich ihrer Kontinuität mit der eschatologischen Vollendung. – Glaube und Liebe sind nicht unabhängig voneinander, sondern auf komplexe Weise miteinander vermittelt. – Glaube und Liebe sind asymmetrische Phänomene. – Das Verhältnis ist den Größen auf verschiedene Weise nochmal intern: – Glaube setzt Liebe (Willensbestimmung) voraus und frei. – Liebe setzt Glaube (Erkenntnis) voraus und frei. – Liebe richtet den Glauben auf das Ziel aus, das der Glaube als Ziel erkannt hat. – Diese verschiedenen Bestimmungen konnten durch die Unterscheidung von Tugend und Akt, von actus elicitus und actus imperatus in eine präzise logische Ordnung gebracht werden. 4

STh II–II 3,1 ad 3: „fides interior, mediante dilectione causat omnes exteriores actus virtutum mediantibus aliis virtutibus, imperando, non eliciendo“.

Das handlungstheoretische Paradigma

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Als nächstes sind die rechtfertigungstheologischen Konsequenzen dieser handlungstheoretischen Analyse des Verhältnisses von Glaube und Liebe zusammenzufassen. 6.2.3 Rechtfertigungstheologische Konsequenzen Nur die fides caritate formata rechtfertigt (a) und ist Prinzip von Verdiensten (b). (a) Die Formel ‚fides caritate formata‘ heißt rechtfertigungstheologisch: Nur der den Glaubensinhalten zustimmende Akt des Verstandes, der aufgrund einer Ausrichtung der ganzen Person auf Gott geschieht, ist Wirkung der Rechtfertigungsgnade und rechtfertigt daher. Bei der Konstitution der Rechtfertigung hat die Liebe also nur die Funktion, die Ausrichtung des Menschen auf Gott als das letzte Ziel, und damit die Bestimmtheit des Willens durch Gott als das letzte Ziel auszusagen, und dies ist selbst kein Akt, sondern die Voraussetzung jedes Willensaktes. Daher und in dieser Hinsicht ist die Liebe, und nicht der Glaube der Sünde entgegengesetzt. Die fides caritate formata beinhaltet daher, dass bei der Rechtfertigung der Mensch als ganze Person, also wollend und erkennend durch Gott auf Gott ausgerichtet wird, welches Ausgerichtetwerden durch Tugendeingießung er in Akten vollzieht, die eben dieser Tugendausrichtung entsprechen, und daher für Thomas ganz gottgewirkt und wirklich frei sind. Die Liebe in der Formel fides caritate formata besagt, als wer der Mensch den Glaubensakt vollzieht, als derjenige, den Gott vom Sünder zum Gerechten macht, indem er ihn ganz auf sich ausrichtet und so als Ziel den Willen des Menschen ganz bestimmt. Als Liebender und aufgrund der Liebe vollzieht der Mensch den Glaubensakt. Der erste Akt des neuen Menschen, des Gott liebenden Menschen ist der Glaubensakt. In dieser Perspektive gilt: Die Liebe wird durch den Glauben tätig, setzt als ihren ersten Akt den Glaubensakt frei. (b) Die lutherische Verbindung von Glauben und notwendig daraus folgenden guten Früchten (=Werke der Liebe) schreibt Thomas dem Zusammenhang von eingegossener Tugend der caritas, Akten der Liebe zu Gott und Akten der Liebe zu Geschaffenem zu. Die lutherische Differenz des Glaubens von der Liebe setzt Thomas auf der Grenze zwischen Tugend der caritas und den ihr entspringenden Akten der Nächstenliebe an – wobei die Akte der Gottesliebe die Grenze selbst markieren, und funktional in verschiedenen Hinsichten einmal der Tugend überhaupt, dann in anderer Hinsicht den Akten der Nächstenliebe zuzuordnen sind. Thomas differenziert also präzise zwischen Konstitution der Rechtfertigung und der Realisierung, aber hierin liegt nicht sein vordringliches Inter-

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resse. Ihm kommt es darauf an, innerhalb der durch die Gnade bewirkten Ausrichtung des Menschen auf Gott den Erkenntnis- und den Willensaspekt klar zu unterscheiden und dann deren komplexes Zusammenspiel genau zu beschreiben. Funktionszusammenhänge lassen sich bei Thomas entsprechend zur reformatorischen Lehre finden. Es ist aber von Bedeutung, dass Thomas die Funktion der Differenz von Konstitution und Realisierung nicht zwischen Glauben und Liebe, sondern innerhalb der Liebe verortet, genauer zwischen der Tugend der caritas und den Liebesakten zu den Geschöpfen. Thomas kann so die Werke wirklich als Früchte denken, und die Heiligung als von der Sache her notwendig aus der Rechtfertigung folgend. Dagegen kann Thomas die Gebrochenheit der menschlichen Existenz, die in der Rechtfertigung als sie selbst immer auch noch eine der Sünde ist, nicht einmal in den Blick bekommen. Was die Verdienste angeht, könnte man die thomasische Position so formulieren: Der Glaube wird durch die Liebe tätig, die den Glauben zu ihrer Voraussetzung hat. Die Zustimmung und Erkenntnis, dass der dreieinige Gott das letzte Ziel des Menschen, wird handlungsbestimmend nur, indem auch der Wille eben diesen Gott als letztes Ziel hat – nämlich indem er von Gott als letztem Ziel bestimmt wird und diese Zielausrichtung in jedem einzelnen Akt vollzieht. Zwar setzten alle Akte des gerechtfertigten Menschen die Liebe als Tugend voraus, aber alle Liebesakte setzen (außerdem) den ersten Glaubensakt voraus. 6.2.4 Evangelische Rezeption der ‚fides caritate formata‘ Der ausgeführte Interpretationsansatz wird im Folgenden mit drei ausgewählten Beispielen evangelischer Thomasdeutung – nicht mit evangelischer Spezialforschung zu Thomas – korreliert. Die drei ausgewählten Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine antischolastischen Stereotypen reproduzieren, gerade so aber konfessionelle Verständnisschwierigkeiten dokumentieren. Konrad Stock beschäftigt sich in seiner schönen und gehaltvollen Studie zum einheitlichen Phänomen der Liebe ausführlich auch mit der Geschichte der theologischen Deutung der caritas. Weil seine Thomas-Rezeption außerhalb der spezialisierten Thomasforschung zu den gegenwärtig gründlichsten gehört, sei sie relativ ausführlich dargestellt. Stock unterstellt Thomas und der Scholastik kritisch Folgendes, was dann von den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit her selbst wieder kritisiert wird:5 5

Stock, Gottes wahre Liebe, 36–38.

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Stock behauptet, die scholastischen Theologen hätten die antipelagianische These Augustins nicht rezipiert, dass durch die Sünde die Freiheit der Person aufgehoben sei, Gott über alles zu lieben.6 Dagegen begründet Thomas in STh I–II 109,3 c.a. die Notwendigkeit der Gnade u.a. damit, dass der Mensch aufgrund seiner Sünde Gott nicht mehr über alles lieben kann. Nach Stock ergibt sich aus dem genannten Rezeptionsdefizit gegenüber Augustin, dass die Liebe zustande komme „durch ein eigentümliches Zusammenwirken zwischen dem heilsamen Erscheinen der heiligen Liebe Gottes in der Person Jesu Christi und in der dadurch gestifteten Kirche einerseits [...] und der frei-willentlichen Entscheidung der Person, das Erscheinen der heiligen Liebe Gottes in ihrer Seele wirken zu lassen“.7 Laut Thomas handelt es sich aber nicht um Zusammenwirken, sondern das göttliche Wirken setzt die menschliche Bewegung frei, als Wirkung der Gnade. Dann fährt Stock fort: „Daher gilt für das Verhältnis von Glaube und Liebe im Hinblick auf das eschatische Ziel des Daseins die Formel: nicht etwa aufgrund des Glaubens, sondern nur aufgrund des durch die Liebe geformten und somit in der Liebe wirklichen Glaubens wird die Person dieses Ziels teilhaftig sein.“8 Weil Stock die thomasische Unterscheidung von Tugend und Akt der Liebe nicht berücksichtigt, übersetzt er die Formel des „durch die Liebe geformten Glaubens“ irreführend mit des „in der Liebe wirklichen Glaubens“. Der Glaube ist nicht erst in Liebesakten wirklich und rechtfertigend, sondern als sein eigener Akt, der aber durch die Tugend der Liebe die seinem eigenen Akt eigene Ausrichtung auf Gott als das letzte Ziel erfährt. Stock stützt sich in seiner Interpretation ausdrücklich auf STh I–II 113,4 ad 1: „Die Bewegung des Glaubens ist nur vollkommen, wenn sie durch die Liebe geformt wird; insofern existiert in der Gerechtmachung des Sünders mit der Bewegung des Glaubens zugleich auch eine Bewegung der Liebe.“9 Stock deutet das so, dass dann für die Rechtfertigung zwei sich addierende motus erforderlich seien, eine des Glaube und eine der Liebe. Dabei schreibt Thomas jedoch im übernächsten Satz: Es trifft sich nämlich, daß ein und derselbe Akt der freien Selbstbestimmung, insoweit er nämlich auf verschiedene Ziele ausrichtbar ist, verschiedenen Tugenden angehört, sofern die eine den Befehl erteilt und die andere den Befehl empfängt.10 6

Vgl. Stock, Gottes wahre Liebe, 36. Stock, Gottes wahre Liebe, 37. 8 Stock, Gottes wahre Liebe, 37, Hervorhebungen im Original. 9 „Motus fidei non est perfectus, nisi sit caritate informatus, unde simul in iustificatione impii cum motu fidei est etiam motus caritatis.“ Der deutsche Wortlaut wurde nach der Übersetzung von Konrad Stock wiedergegeben. 10 STh I–II 113,4 ad 1, Hervorhebung MR. 7

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Stocks Urteil lautet dann: „Im Widerspruch zum scholastischen Grundsatz fides caritate formata muß daher gelten: Die Liebe ist als die Lebensform des Glaubens auch die Frucht des Glaubens; und sie ist die Frucht des Glaubens, weil der Glaube ein göttliches, ein geistgewirktes Werk im Selbst der Person ist.“11 Hier ist nicht erkennbar, inwiefern ein Widerspruch zum thomasischen Grundsatz der „fides caritate formata“ vorliegen sollte. Auch Thomas würde sagen, dass die Akte der Liebe eine Frucht des Glaubens sind, weil Glaube und Hoffnung und Liebe eine göttliche, geistgewirkte Wirklichkeit in der Seele des Menschen sind. Thomas würde zwei Präzisierungen jedoch geltend machen: es ist ein Glaube denkbar, ein fides informis, der keine Akte der Liebe freisetzt; dieser Glaube ist aber kein heilvoller, kein rechtfertigender Glaube, weil ihm das Entscheidende fehlt: die Ausrichtung des Glaubensaktes, darin die Ausrichtung der ganzen Person auf Gott – nicht weil ihm die Akte der Liebe fehlen würde. Die fides caritate formata setzt dagegen „spontan und absichtslos“12 Akte der Liebe als ihre Frucht frei. Zweitens würde Thomas das Wirken Gottes in der menschlichen Seele darin näher bestimmen, dass es als seine Wirkung freie Akte des Menschen hervorruft, die nach Thomas Theorieanspruch die Alleinwirksamkeit Gottes nicht einschränken!13 Stock unterscheidet also bei Thomas nicht zwischen Tugend und Akt, obwohl er selbst für seine eigene Theoriebildung zwischen Affekt der Liebe und Handlungen aufgrund dieses Affektes der Liebe differenziert. Thomas jedoch würde beides als Akte der Liebe, und zwar als innere und äußere Akte der Liebe begreifen, von der sich die Tugend der Liebe als Bestimmtsein des menschlichen Willens durch Gott als das Letztziel kategorial abhebt. Deshalb trifft auch die folgende Kritik Thomas nicht unmittelbar: Mit der begrifflichen Bestimmung der Gottesliebe als der ästhetischen Codierung der Passion, die die uns erschlossene Liebenswürdigkeit Gottes in uns hervorruft und die letztlich zur Freude Gottes dient, halten wir den reformatorischen Einspruch gegen die durch die scholastische Theologie untermauerte römisch-katholische Lehre von der fides caritate formata in vollem Umfang aufrecht. Denn weder die affektive Bestimmtheit des Selbstgefühls noch die symbolische Ausdrucksgestalt der vielfältigen Zeichensprache der Liebe vermag die Entfremdung zu durchbrechen oder aufzu-

11

Stock, Gottes wahre Liebe, 43, Hervorhebungen im Original. Stock, Gottes wahre Liebe, 43, hebt als der scholastischen Position kontrastiert die Einsicht Luthers hervor, „daß die Liebe nur als die unwillkürliche, spontane und geradezu absichtslose Folge einer Wahrheitsgewißheit Realität besitzt.“ 13 Stock beruft sich bezüglich der Gnadenlehre bei Thomas auf Herms, Gnade; dieser stellt die thomasische Konzeption, wenn auch äußerst knapp, so doch zutreffend dar (8f), und unterscheidet sich an dieser Stelle gerade von der stockschen Deutung der Gnadenlehre bei Thomas. 12

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heben, die die Tiefe unseres Selbstgefühls beherrscht und die [...] nur im Prozeß eines lebenslangen Gewißheitswandels durchbrochen oder aufgehoben werden kann. Wie das Leben in der Ordnung der Liebe überhaupt so kann daher auch die Gottesliebe im besonderen keine meritorische Bedeutung gewinnen.14

Die Kritik Stock impliziert also die protestantische Grundüberzeugung: Die menschliche Liebe zu Gott als Affekt und in ihren Ausdrucksgestalten kann die Entfremdung durch die Sünde nicht durchbrechen. Das würde Thomas auch gar nicht behaupten, wie in der Darstellung seiner Gnadenlehre deutlich wurde. Weiter grenzt sich Stock gegen Thomas dahingehend ab, dass die Liebe zu Gott keine meritorische Bedeutung haben kann und soll. Die Akte der Liebe haben nach Thomas meritorische Bedeutung – gemäß dem, was er unter Verdienst versteht. Mit Stock ist daher mit Recht zu fragen, ob Thomas die Spontaneität und Selbstzwecklichkeit der Akte der Liebe, also der Akte der Freundschaft gegenüber Gott durch das Theologoumenon der Verdienstlichkeit der Liebesakte, die der Mensch laut Thomas ja intendieren darf!, nicht so eingeschränkt wird, dass ihr Wesen als Akte der Liebe dadurch aufgehoben bzw. ad absurdum geführt ist. Das wäre dann der zentrale bleibende Kritikpunkt am thomasischen Denken des Verhältnisses von Glaube und Liebe.15 Am Form-Begriff macht sich die implizite Kritik von Wolf-Dieter Hauschild fest: Das Verhältnis von Glaube und Liebe im Rechtfertigungsvorgang ist bestimmt durch Thomas‘ intellektualistischen Glaubensbegriff: Glaube als Wirkung der Gnade bzw. eingegossene Tugend (fides infusa) ist Zustimmung zu den Offenbarungswahrheiten und insofern der Anfang der christlichen Existenz, kann aber als fides informis zusammen mit der Sünde bestehen. Glaube ist auf das verum bezogen, aber Liebe auf das bonum und damit auf die Überwindung der Sünde. Liebe formt den Glauben als Willensbewegung; die fides formata ist der Glaube, der durch die Liebe wirkt (mit Gal 5,6). Rechtfertigung ist freie Hinwendung zu Gott und Abkehr von der Sünde; sie führt zur Sündenvergebung und zur Gerechtigkeit als von der Gnade gewirkter Tugend.16

Mit Bedacht wurde ein Lehrbuchtext ausgewählt, weil sich hier das Rezeptionsproblem von Thomas in der protestantischen Theologie außerordentlich prägnant zeigen lässt. Hauschild stellt die thomasische Theologie hier

14

Stock, Gottes wahre Liebe, 275f. Nichtsdestotrotz schließt Stock sein Buch über die Liebe mit dem zustimmenden Verweis auf Thomas von Aquin, und zwar bezüglich der Liebe Gottes: „Amor Dei est infundens et creans bonitatem in rebus“ (STh I 20,1 c.a.), vgl. Stock, Gottes wahre Liebe, 328, Fussnote 24. 16 Hauschild, Lehrbuch I, 609, Hervorhebung MR. 15

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und vor diesem Abschnitt fair und kenntnisreich dar. Abgesehen von einer kleinen Ungenauigkeit fasst Hausschild das thomasische Verständnis von Glaube und Liebe richtig zusammen, bis zum dem Satz: „Liebe formt den Glaubens als Willensbewegung.“ Hieran schließt Hauschild an: „die fides formata ist der Glaube, der durch die Liebe wirkt (mit Gal 5,6)“. Aus der Formung der Willensbewegung durch die Liebe folgert Hauschild hier das Hervorbringen von Akten der Liebe („durch den Glauben wirken“). Hier liegt das entscheidende und übliche Missverständnis: Die Bestimmtheit des Willens durch die Liebe ist für Thomas gerade nicht identisch mit dem Freisetzen von Akten der Liebe. Der Glaube bedarf der Formung durch die Liebe (rechtfertigungstheologisch!) nur, insofern die eingegossene Tugend der Liebe den einen Glaubensakt auf Gott als sein letztes Ziel ausrichtet, nicht aber, damit der Glaube durch Akte der Liebe ergänzt würde. Die zwei Sachverhalte, dass der Glaube durch die Liebe geformt wird und dass der Glaube durch die Liebe als durch Akte der Liebe tätig wird, hängen zwar anthropologisch betrachtet durchaus zusammen, stellen aber rechtfertigungstheologisch zwei verschiedene und verschieden bedeutsame Sachverhalte dar. Der eine ist konstitutiv für das Rechtfertigungsgeschehen, der andere realisiert das Rechtfertigungsgeschehen. Hauschild verkörpert an dieser Stelle – gemäß der Intention seines Textes als ein Lehrbuch – den Stock entgegengesetzten Umgang mit konfessionellen Differenzen. Hauschild bemüht sich um eine möglichst präzise Darstellung der anderen konfessionellen Position, die zwar nicht neutral ist und sein kann, sich aber expliziter Wertung und Kritik enthält, um historische Sachgemäßheit in den Vordergrund zu stellen. Stock dagegen kritisiert die andere katholische Position, die er auf Thomas zurückführt, ausdrücklich und mit einzelnen Argumenten. Einen dritten Umgang mit konfessioneller Differenz verkörpert Gunther Wenz, der die reformatorische Position systematisch-theologisch expliziert, indem er formuliert, was die anderen nicht lehren dürften, um nicht verworfen zu werden bzw. was sie lehren müssten, um konsensfähig zu sein – ohne interpretatorisch festzulegen, ob sie so lehren. Dieses Verfahren hat den Vorteil, die eigene konfessionelle Position darlegen zu können samt ihren Implikationen, ohne das mit historischen Interpretationsaufgaben (jedenfalls was die Texte der anderen konfessionellen Traditionen betrifft) und damit mit dem Risiko der Fehlinterpretation zu belasten. Die Interpretationshoheit, auch im historischen Sinne, überantwortet Wenz damit ganz jeweils derjenigen konfessionellen Theologie, die den entsprechenden Text für sich beansprucht. In Hinblick auf das Verhältnis von Glaube und Liebe formuliert Wenz als konsensfähige Bedingung im interkonfessionellen Gespräch: Man muss, „den nötigen zeitlichen Fortschritt der Liebe mit der permanenten Notwendigkeit des Glaubens, der die Verheißung des ewigen Lebens ergreift, so

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zusammenzudenken, daß der Prozeß der Liebestätigkeit nicht als ein Hinauswachsen über, sondern als ein Hineinwachsen in die vom Glauben ergriffene Versöhnungswirklichkeit Gottes vorstellig wird.“17 Auch wenn die Verfasserin natürlich keine katholische Theologin ist, soll Thomas auf diese Anforderung hin überprüft werden. Die thomasische Differenz von Ausrichtung des Menschen durch eingegossene Tugenden und Vollzug dieser Ausrichtung in verdienstlichen Akten ist nicht exakt auf die wenzsche Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und dem Hineinwachsen in diese Wirklichkeit abzubilden. Die bei Wenz so genannte „vom Glauben ergriffene Versöhnungswirklichkeit“ entspricht bei Thomas der eingegossenen Gnade, die in den Seelenvermögen zu den drei eingegossenen theologischen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe wird, durch welche der Mensch gerechtfertigt und auf Gott als sein letztes Ziel ausgerichtet wird. Die äußeren Akte der Nächstenliebe vollziehen diese Ausrichtung; an der Qualität der Gottesbeziehung des gerechtfertigten Menschen durch Glaube, Liebe, Hoffnung ändert das nichts, wohl aber an der Verwurzelung der eingegossenen Tugend der caritas in der Seele des Menschen. In einem gewissen Sinne würde dann bei Thomas das Wachstum der caritas als eine stärkere Verwurzelung18 der caritas in der Seele dem Hineinwachsen in die Versöhnungswirklichkeit entsprechen, insofern beides eine engere, nämlich konkret-biographische Verbindung von Rechtfertigungsgnade und gerechtfertigtem Menschen ausdrückt. An diesem Beispiel manifestiert sich das hermeneutische Grundproblem in der Ökumene: direkte Theorievergleiche lassen sich sachgemäß nicht durchführen, weil sich die jeweiligen Begriffe nicht aufeinander abbilden lassen. So entspricht die thomasische fides caritate formata nicht genau der reformatorischen fides, weil nicht nur mit anderen Begriffen und Begriffskonstellationen gedacht wird, sondern auch andere Funktionszusammenhänge beschrieben werden. Das fruchtbare Verfahren in der ökumenischen Theologie ist daher darin zu suchen, die theologischen Theorien möglichst aus sich und aus ihren Voraussetzungen zu rekonstruieren, wobei die eigene (konfessionelle) Perspektive weder ausgeblendet werden kann noch soll, sondern als spezifisch strukturiertes Problembewusstsein in die Untersuchung eingeht. Nach der Darstellung der handlungstheoretischen Fassung des thomasischen Grundsatzes der ‚fides caritate formata‘ sowie deren rechtfertigungstheologischen Konsequenzen und deren evangelischer Rezeption soll nun die freundschaftstheoretische Fassung der ‚fides caritate formata‘-Formel dargelegt werden. 17 18

Wenz, Quod non dilectio, sed fides iustificet, 125. So beschreibt Thomas das Wachsen der caritas in STh II–II 24,4 ad 3.

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Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

6.3 Das Freundschaftsparadigma Das Freundschaftsparadigma Gott selbst ist amor amicitiae. Weil Gott Wille ist, ist er auch Liebe; denn Liebe ist die erste und grundlegende Willensbewegung. Diese Liebe, die Gott ist, richtet sich auf das vollkommene bonum, das Gott selbst ist. Diese Liebe Gottes zu sich selbst ist der Hl. Geist, der Person ist als die Liebe zwischen Gott Vater und Gott Sohn. In dieser Liebe zwischen Vater und Sohn will Gott zugleich auch die Schöpfung, der er als ihr bonum das Sein will. Die vernunftbegabten Geschöpfe beruft er dazu, seiner Liebe in Freundschaft zu entsprechen; er erschafft sie sich zum Ebenbild. Vollenden wird sich diese Freundschaft in der eschatologischen Gemeinschaft des Menschen (und der Engel) mit Gott. Unvollendet, aber auf diese Vollendung ausgerichtet, geschieht diese Freundschaft im gnadenhaften Lieben und Erkennen Gottes durch den Menschen. Als Hinordnung der Geistnatur des Menschen auf dieses gnadenhafte Lieben und Erkennen bleibt auch dem Sünder diese Ebenbildlichkeit als Berufung zur Freundschaft mit Gott erhalten; nur kann er sie in keiner Weise vollziehen noch von sich aus auch nur anstreben. Durch die Gnade Gottes, die auch ihre eigene Aufnahme im Menschen bewirkt, vollzieht der Mensch erkennend und liebend die Freundschaft zu Gott, weil er von Gott zu dessen Freund gemacht worden ist. Grund dieses Geschehens ist Jesus Christus, der die Berufung des Menschen zur Freundschaft mit Gott offenbart hat. Indem der Mensch durch den Hl. Geist Anteil gewinnt an der Freundschaftsliebe des Sohnes zum Vater, ist er einbezogen in die innertrinitarische Freundschaft. Seine (neue) Identität als Freund Gottes empfängt der Mensch durch den Glauben. Der Glaube vertraut Gott als seinem Freund, er vertraut Gott, dass Gott wirklich die Freundschaft mit diesem einzelnen Menschen will und er vertraut, dass die Freundschaft wirklich auch besteht und sich von Gott her als Gegenwart und Kommunikation ereignet, obwohl der Mensch das nicht unmittelbar wahrnehmen kann.19 Ebenso vollzieht der Mensch seine neue Identität als Freund Gottes durch den Glauben: Der Mensch will dem Freund Gutes, indem er – da Gott schlechthin vollkommen ist und keines bonum ermangelt – das bo19 Hier kann Dörnemann zugestimmt werden, dass „ein Mensch [...] auch der Liebe Gottes nicht anders innewerden [kann] als im Glauben“, Dörnemann, Freundschaft, 178, Fussnote 35. Seine Schlussfolgerungen im darauffolgenden Satz sind aber zumindest differenzierungsbedürftig: „In der ‚fides caritate formata‘ wird somit letztlich bzw. zuallererst die Liebe Gottes bzw. Gott als die Liebe geglaubt.“ Die Formfunktion der Liebe für den Glaubensakt ist nur ein einzelnes Moment in der Freundschaftsbeziehung zwischen Gott und Mensch. Mit der Liebe als Form bezeichnet Thomas nun aber gerade nicht den Inhalt bzw. Gegenstand des Glaubensaktes, sondern dessen Zielausrichtung. Zwar braucht also die Freundschaft den Glauben als Gott als Liebe und den Glauben an den Freundschaft Gottes für den Menschen, aber dieser Sachverhalt wird von Thomas nicht mit der Formel von der fides caritate formata ausgedrückt.

Das Freundschaftsparadigma

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num, das Gott ist, bejaht, und das bedeutet, Gottes Gottheit zu glauben und zu bekennen. Dies ist der Akt des Glaubens. Der Mensch liebt Gott, indem er die liebt, die zu Gott gehören, also alle Menschen und Engel. Das tut der Mensch, weil er Menschen und Engel als Ebenbilder Gottes erkennt, die zur Freundschaft mit Gott berufen sind und so zu Gott gehören. Diesen Erkenntnisakt bewirkt der Glaube, denn die Ebenbildlichkeit des Menschen ist an diesem selbst nicht unmittelbar wahrzunehmen. An der Lebensgemeinschaft mit Gott nimmt der Mensch teil, indem er sie sich geschehen lässt, sie als wirklich anerkennt und ihr vertraut. Auch das vollzieht der Mensch, indem er glaubt. Die Gegenseitigkeit der Freundschaft mit Gott ist dadurch erfüllt, dass der Mensch Gott dessen Liebe glaubt und dass der Mensch sich vermittelt durch den Glauben auf Gott ausrichtet, indem er Gott Gutes will, ihn liebt und die liebt, die zu Gott gehören. Freundschaft definiert sich nach Thomas durch drei Merkmale: dem Wohlwollen, Gegenseitigkeit und Lebensgemeinschaft. Alle drei Merkmale verwirklicht der Mensch in der Gottesfreundschaft, wie eben gezeigt, vermittelt durch den Glauben und als Glauben. Daraus folgt: Die caritas als Freundschaft ist nur im Glauben und vermittelt durch den Glauben wirklich. Die Vermittlungsstruktur zwischen Glauben und Liebe ist der irdischen Liebe zu Gott notwendig inhärent. Mit der caritas bezeichnet Thomas die neue Identität des Menschen vor Gott, den gerechtfertigten Sünder, der zum Freund Gottes wird durch die Freundschaft Gottes. Diese seine neue Identität empfängt der Mensch nur durch den Glauben und vollzieht der Mensch durch den Glauben. Durch den Glauben empfängt der Mensch aber zugleich auch die Verheißung, dass eschatologisch die Freundschaft zwischen Gott und Mensch sich nicht mehr durch den Glauben, sondern im Schauen ereignen wird. Irdisch aber ist die heilvolle Beziehung zwischen Gott und Mensch dem Menschen selbst nicht unmittelbar zugänglich, sondern nur durch den Glauben. Gerade also, indem Thomas als das Grundparadigma für die heilvolle Beziehung zwischen Gott und Mensch die Freundschaft wählt, kann er an dieser selbst die konstitutive Bedeutung des Glaubens deutlich machen. Durch den Begriff communicatio vermag Thomas präzise zu denken, dass die Gegenseitigkeit der Freundschaft immer nur von der Freundschaft Gottes im Menschen gewirkt wird. Genau darin besteht Gottes Handeln als Freund des Menschen, dass er ihn zu seinem Freund macht und ihn in dieser Freundschaft bewahrt hin auf die eschatologische Freundschaft. Die Gegenseitigkeit der Freundschaft ist eine von Gott gewährte Gegenseitigkeit, womit Thomas das Moment der Symmetrie als heilvoll gewende-

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Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe

te Asymmetrie zwischen Gott und Mensch bestimmt. Darin liegt die Kühnheit der thomasischen Theologie.20 Mittels des Freundschaftsbegriffs21 gelingt es Thomas darüber hinaus, die Kontinuität des irdischen Lebens mit dem ewigen Leben auszusagen ineins mit der Verwiesenheit jenes auf dieses.22 Die Freundschaft mit Gott nämlich bleibt; aber ihre Vollzugsform wandelt sich: vom Glauben zum Schauen.

6.4 Freundschaft als reale Relation zwischen Gott und Mensch Freundschaft als reale Relation zwischen Gott und Mensch Glaube und Liebe stellen jeweils eine Relation zu Gott dar. Insofern beide eine Beziehung des Geschöpfes zu Gott aussagen, sind sie vom Geschöpf her eine reale, von Gott her eine gedachte Relation. Glaube und Liebe des Menschen stellen also Bestimmtheiten des Menschen, nicht aber Gottes dar. Wie kann dann die caritas als gegenseitige Freundschaft von Gott und Mensch gedacht werden? So lautete die vierte der Problemstellungen, die zu Anfang dieser Arbeit formuliert wurden. Aufgrund der erarbeiteten Klärungen kann die Frage mit Thomas folgendermaßen beantwortet werden: Die einzig realen Relationen Gottes sind die innertrinitarischen. Die Beziehung Gottes zum Menschen ist dann eine von Gott her reale, wenn Gott dem Menschen Anteil gewährt an der innertrinitarischen Relation der Freundschaft. Der Mensch ist von Gott geliebt, indem Gott im Sohn durch den Geist dem Menschen eine geschaffene Partizipation an der Liebe Gottes gewährt. Gott schenkt dem Menschen Partizipation an der göttlichen Liebe, indem der Hl. Geist im Menschen ist und dort dem Menschen seine geschaffene Partizipation an sich schenkt. Kraft dieser Partizipation ist es dem Menschen umgekehrt auch möglich, Gott wirklich als Gott zu lieben, 20 Wenn Schockenhoff bei Thomas selbst „die Scheu des Denkens“ feststellt, „den Menschen in eine so enge und vertraut-intime Verbindung mit dem alle natürlichen Grenzen radikal übersteigenden unendlichen Gott zu bringen“ (Schockenhoff, Bonum hominis, 502), sagt das mehr über Schockenhoff und gegenwärtige Theologie aus als über Thomas. Als Beleg für seine These nennt Schockenhoff die häufige Verwendung von „aliqua“ und „quaedam“; aber beides verwendet Thomas auch sonst häufig, um den grundlegend analogen Status der Aussagen über Gott und seiner Beziehung zur Welt hervorzuheben. 21 Dörnemann, Freundschaft, 178–185, gelingt zu zeigen, dass mit der Freundschaftskategorie auch die thomasische Erlösungskonzeption, einschließlich des Erlösungsvollzuges, rekonstruiert werden kann. Somit kann die Freundschaftskategorie bei Thomas als zentrale theologische Kategorie bestimmt werden, zugleich damit auch die Leistungsfähigkeit aristotelischer Konzepte für die Theologieausformung in der Scholastik und die grundlegende Neuinterpretation aristotelischen Begriffe vom christlichen Glauben her. 22 Plastisch bei Schockenhoff, Bonum hominis, 378, ausgedrückt: „ Nicht die Eintrittskarte zu einem erst in der Ewigkeit anhebenden ‚theatrum gloria‘ hat der Glaubende gelöst, sondern er ist selbst als Mitspieler in das rettende Spiel der ewigen Liebe Gottes eingetreten, zu dem der Vorhang bereits gefallen und dessen Schauplatz sein eigenes Leben ist.“

Freundschaft als reale Relation zwischen Gott und Mensch

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indem er Anteil hat an der Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. In der Partizipation sind Gott und Mensch real aufeinander bezogen, weil die göttlichen Personen real aufeinander bezogen sind. Als partizipierendes Geschöpf ist nur der Mensch real auf Gott bezogen, nicht aber Gott auf ihn. Diese reale Beziehung zu Gott aufgrund von Partizipation ist die Liebe. Glaube aber ist die Beziehung des Menschen zu dieser Beziehung, welche die Liebe ist. Glaube ist das Innewerden der von Gott qua Partizipation gewährten Beziehung zu Gott. Glaube ist das Reflexwerden der Freundschaftsbeziehung für den Menschen. Dieser Glaube ist jedoch selbst auch ein (geschaffenes) Partizipieren am Erkennen Gottes, das Gott Sohn ist. Wie der Hl. Geist das Liebesband zwischen Vater und Sohn ist, das zugleich aus der Beziehung zwischen Vater und Sohn hervorgeht, so verhält es sich in einer analogia trinitatis auch zwischen Liebe und Glaube. Die Liebe geht aus dem Glauben hervor, andererseits verbindet sie den Menschen als Glaubenden erst mit Gott. Glaube und Liebe verhalten sich nun zueinander als real verschieden; ihr Verhältnis ist eine zweiseitig reale Relation. Beide nämlich werden durch die Relation bestimmt. Dieses Bestimmtwerden durch das Verhältnis ist aber von der Art, dass es als konstitutiv für den Vollzug sowohl von Glauben (in seiner Vollform) als auch von Liebe anzusehen ist. Die caritas bezeichnet bei Thomas sowohl das Ganze der menschlichen Gottesbeziehung in der Gnade und zugleich ein Teilmoment innerhalb. Der trinitarisch gefasste Gottesbegriff in der Differenziertheit der Relationen sowie der theologisch interpretierte Partizipationsbegriff stellen die theoretischen Mittel, mit denen Thomas komplexe Vermittlungszusammenhänge denken kann, die Einheit zu denken erlauben, ohne Differenz zu relativieren. Thomas kann also wirklich gegenseitige Liebe zwischen Gott und Mensch denken, ohne die begriffliche Schärfe seines Gottesgedankens zu unterlaufen und ohne rechtfertigungstheologisch die allein konstitutive Bedeutung des Glaubensaktes aufzugeben.

Literatur

Die Abkürzung der Lexika erfolgt nach: Siegfried M. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie Abkürzungsverzeichnis, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/New York 1994. Der kursiv gesetzte Teil der jeweiligen Literaturangabe markiert den in den Fußnoten verwendeten Kurztitel.

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Gunther Wenz und Christine Axt-Piscalar.

Band 117: Wieland Kastning

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Band 113: Jennifer Wasmuth

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2007. Ca. 464 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56345-8

Band 111: Christiane Tietz

Band 116: Jun-Hyung Jhi

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Band 115: Alexander Heit

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Band 110: Matthias Haudel

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2006. 288 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56343-4

Band 109: Martin Hailer

Band 114: Johannes Hund

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Band 108: Max Josef Suda

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